PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Syſtem des heutigen Römiſchen Rechts
Siebenter Band.
Mit. K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.
Berlin. Bei Veit und Comp.1848.
[II][III]

Vorrede.

Viele mögen glauben, daß es einer beſonderen Rechtfertigung bedürfe, wenn in der gegenwärtigen Zeit ein Werk über das Römiſche Recht unter - nommen, oder auch nur fortgeſetzt werde. Schon lange vor dem Sturm, der über Europa einher gezogen iſt, war in Deutſchland jenes Recht von manchen Seiten her als ein fremdes, unvaterländiſches angefochten worden, und es hatte ſich nicht ſelten dem ungün - ſtigen Urtheil über den Gegenſtand auch eine Miß - ſtimmung gegen die Anhänger und Bearbeiter unvermerkt beigemiſcht, indem die Bekämpfung deſſelben mit einer vorzugsweiſe vaterländiſchen Ge - ſinnung, die Anhänglichkeit an daſſelbe mit einer dem Vaterlande fremden oder gleichgültigen inIVVorrede.Verbindung gedacht wurde. Eine ſolche Auffaſſung mußte neue Nahrung gewinnen durch die letzten Weltbewegungen, von welchen ſelbſt wiſſenſchaftliche Gegenſätze und Parteiungen, obgleich dem an ſich ſtillen und friedlichen geiſtigen Gebiete angehörend, nicht unberührt bleiben konnten.

Da nun in jenen Bewegungen unter den treibenden Kräften die Nationalität eine der erſten Stellen einnimmt, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe, von jetzt an für uns Deutſche das deutſche Recht als allein zuläſſig, als einzigen, der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit würdigen Gegenſtand zu betrachten.

Indeſſen iſt die Frage von der Stellung des Römiſchen Rechts zum Deutſchen Recht und zum Deutſchen Vaterlande überhaupt, nicht von heute und geſtern; ſie iſt älter, als der Sturm unſerer Tage, und ſo habe auch ich ſeit länger, als einem Menſchenalter, Gelegenheit gehabt, mich über dieſe Frage öfter auszuſprechen(a)Ich verweiſe zunächſt auf die Vorrede zum erſten Band dieſes Werkes, aus deren ausführ - licher Darſtellung die hier folgen - den Gedanken einen zuſammen - gedrängten Auszug enthalten, ſo wie ihn das Bedürfniß des gegen - wärtigen Augenblicks zu erfordern ſchien.. Ein Gleiches iſt von Manchen meiner wiſſenſchaftlichen FreundeVVorrede.geſchehen, auch von ſolchen, die nicht mehr unter uns ſind.

Die unbefangene Betrachtung des hier vorlie - genden Gegenſatzes kann nicht mehr verdunkelt werden, als durch eine ungehörige Einmiſchung der vaterländiſchen Geſinnung in die Prüfung der ent - gegenſtehenden Meinungen, indem man denſelben bald Gunſt, bald Ungunſt zuzuwenden verſucht, je nachdem die eine oder die andere Meinung als Kennzeichen des Beſitzes oder des Mangels einer ſolchen Ge - ſinnung dargeſtellt wird. Dieſes Verfahren alſo muß vor Allem vermeiden, Wer in der Erforſchung der Wahrheit durch keinen falſchen Schein ſich ſtören zu laſſen entſchloſſen iſt. Ich will gerne in meiner Wiſſenſchaft die tiefere Einſicht und die vielſeitigere Auffaſſung Anderer anerkennen, durch welche ich ſelbſt ja nur gehoben und bereichert werden kann. Ich bin ferner bereit, es als möglich anzuerkennen, daß die großen Schickſale unſerer Tage auch in den Wiſſenſchaften neue Entwickelungen hervorrufen werden, denen vielleicht die abnehmenden Kräfte eines höheren Alters nicht mehr gewachſen ſeyn dürften. Mögen ſich denn Forſcher von friſchen Kräften zur Löſung dieſer Aufgabe hervorthun, undVIVorrede.mögen ſie ſowohl ſelbſt den Ernſt der Aufgabe erkennen, als von außen, neben unbefangener Auf - nahme, zugleich auch ſtrenge Prüfung ihrer Be - rechtigung finden. Aber in ernſter, aufrichtiger, warmer Liebe zu meinem Vaterlande, in der Be - reitſchaft, ihm jedes Opfer der Selbſtverleugnung zu bringen, will ich Keinem nachſtehen, wer er auch ſey.

Wenn von mir und Anderen das Römiſche Recht auch in Deutſchland hoch geſtellt, wenn es fort - während für einen würdigen, ja unentbehrlichen Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Thätigkeit erachtet worden iſt, ſo iſt Dieſes geſchehen, nicht um das Fremde zu erheben auf Koſten der vaterländiſchen Ehre, nicht um die einheimiſchen Gedanken und Sitten des Rechts zu verdrängen durch die fremden, ſondern damit auch auf dieſem Felde Das, was Gott anderen Zeiten und Völkern an geiſtiger Ent - wicklung beſchieden hat, unſerm Volke nicht fremd bleibe, daß es ihm vielmehr zur Erhöhung der eigenen Kraft und zur Erweiterung ſeines geiſtigen Beſitzes zubereitet und dargeboten werde.

Ganz beſonders aber iſt es geſchehen in der Ueberzeugung, daß für uns Deutſche, wie für vieleVIIVorrede.andere Nationen, jenes urſprünglich fremde Element ohnehin ſeit Jahrhunderten ein Beſtandtheil des einheimiſchen Rechtslebens geworden iſt, und daß es hier, großentheils unverſtanden oder halbver - ſtanden, oft verderblich wirkt, anſtatt daß es, in richtigem Verſtändniß, nur eine Bereicherung des eigenen Rechtslebens ſchaffen kann. Wir haben alſo gar nicht zu fragen, ob wir das Römiſche Recht, etwa wie eine neu entdeckte Inſel, auf ſich beruhen laſſen, oder uns aneignen wollen mit allen Vortheilen und Schwierigkeiten, die es etwa mit ſich führen mag. Wir haben es einmal, unſer ganzes juriſtiſches Denken iſt ſeit Jahrhunderten damit ver - wachſen, und die Frage iſt nur, ob durch daſſelbe unſer Denken bewußtlos unterjocht, oder vielmehr mit freiem Bewußtſeyn geſtärkt und bereichert werden ſoll.

Man könnte etwa dieſe geſchichtliche Nothwendig - keit als Thatſache anerkennen, aber als ein Uebel beklagen, und dieſer Gedanke könnte zu dem Ent - ſchluß führen, das Römiſche Recht durch eigene Schöpfungen zu verdrängen und in Vergeſſenheit zu bringen. Nicht zu gedenken aber, daß dieſes Be - ſtreben nur zu einer, den Rechtszuſtand weſentlichVIIIVorrede.verſchlimmernden Selbſttäuſchung führen würde, iſt auch jener Gedanke ſelbſt von Grund aus irrig und verwerflich. Die erwähnte geſchichtliche Verbindung des Römiſchen Rechts mit dem Rechtsleben eines großen Theils von Europa iſt ſo wenig ein Uebel zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte Wohlthat erkennen müſſen. Die Beſchäftigung mit dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei - fachen Gefahr: durch Theorie ſich zu verflüchtigen in die hohlen Abſtractionen eines vermeintlichen Naturrechts, durch die Praxis herabzuſinken zu einem geiſtloſen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen beide Gefahren gewährt das Römiſche Recht, wenn wir es recht gebrauchen, ein ſicheres Heilmittel. Es hält uns feſt auf dem Boden eines lebens - kräftigen Daſeyns; es knüpft unſer juriſtiſches Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit, anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide Theile gleich heilſamen, Verbindung erhalten werden.

Ein beſonders gefährlicher, kaum begreiflicher Irrthum aber iſt es, welcher zu verſchiedenen Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält - niſſes zwiſchen dem Römiſchen und Deutſchen RechtIXVorrede.geführt hat. Nur nach einer ſehr beſchränkten Auf - faſſung können die Bearbeiter des einen oder des anderen dieſer Hauptzweige unſerer gemeinſamen Rechtswiſſenſchaft glauben, das Gebiet ihrer eigenen Thätigkeit zu fördern und zu erheben, indem ſie das fremde bekämpfen und herabſetzen. Jeder Fortſchritt auf dem einen Gebiet iſt vielmehr ein ſicherer Gewinn auch für das andere, indem dadurch ſtets der Geſichtskreis für das Ganze erweitert wird.

Von dieſem Standpunkte aus hielten Alle, die von jeher für das Römiſche Recht ſprachen, ihre beſondere wiſſenſchaftliche Aufgabe zugleich für eine ächt vaterländiſche, und von dieſer Ueberzeugung kann ich auch jetzt nicht laſſen, auch nach den großen Schickſalen der neueſten Zeit nicht.

Um es recht anſchaulich zu machen, wie in ſolchen Dingen die Wahrheit und das Mißver - ſtändniß zu einander ſich verhalten, will ich eine Geſchichte erzählen, die ſich auf einem ganz anderen Gebiete zugetragen hat. Als ich vor vierzig Jahren eine Lehrſtelle an der Bairiſchen Univerſität Lands - hut bekleidete, lebte daſelbſt ein Profeſſor der Botanik, der wohlgemerkt kein eingeborner BaierXVorrede.war. Dieſer ſuchte ſeine ausſchließende Werth - ſchätzung des beſonderen Bairiſchen Vaterlandes dadurch zu bethätigen, daß er aus dem botaniſchen Garten alle Pflanzen verbannen wollte, die nicht in Baiern wild wachſen, um auf dieſe Weiſe einen rein Vaterländiſchen Garten, befreit von fremden Erzeugniſſen, herzuſtellen. Dieſes Verfahren wurde damals von allen wirklichen Baiern in der Univer - ſität verwerflich gefunden, denen es an der kräftigſten Vaterlandsliebe gewiß nicht fehlte.

Der Verfaſſer hat hier die Gründe dargelegt, aus welchen er entſchloſſen iſt, ſein Werk auch in dieſer neuen Zeit, und ungeachtet derſelben, mit Ernſt nnd Liebe fortzuſetzen; beide Geſinnungen ſollen ja, nach dem Ausſpruch unſeres Dichters, gerade dem Deutſchen beſonders wohl anſtehen. Die Weltereigniſſe haben mir zu dieſer Arbeit jetzt freie Muße gewährt. Wie lange dazu Leben und Kraft ausreichen wird, ſteht in Gottes Hand.

XIVorrede.

Von dem allgemeinen Theil des gegenwärtigen Rechtsſyſtems iſt jetzt nur noch das dritte Buch übrig, welches die Anwendung der Rechtsregeln auf die Rechtsverhältniſſe enthalten wird, insbeſondere die Lehren von der örtlichen und räumlichen Colliſion der Quellen des poſitiven Rechts, oder von dem ſ. g. internationalen Recht, und von der rückwir - kenden Kraft der Geſetze. Dieſe wichtige Lehren werden wahrſcheinlich in dem achten Band dargeſtellt werden können.

Geſchrieben im Auguſt 1848.

[XII]XIII

Inhalt des ſiebenten Bandes.

Zweites Buch. Die Rechtsverhältniſſe. Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.

  • Seite.
  • §. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung1
  • §. 303. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Confessio in jure6
  • §. 304. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Confessio in jure (Fortſetzung). 12
  • §. 305. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Interrogatio in jure20
  • §. 306. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Widerruf28
  • §. 307. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Widerruf (Fortſetzung) 34
  • §. 308. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Heutiges Recht39
  • §. 309. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Einleitung47
  • §. 310. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Zu - ſchiebung, Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeſchobenen Eides56
  • XIV
  • Inhalt des ſiebenten Bandes.§. 311. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Gemein - ſame Wirkungen63
  • §. 312. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des Streites70
  • §. 313. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des Streites (Fortſetzung) 78
  • §. 314. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Heutiges Recht84
  • §. 315. Reſtitution. Einleitung90
  • §. 316. Reſtitution. Begriff derſelben95
  • §. 317. Reſtitution. Eigenthümliche Natur und Ent - wicklung derſelben107
  • §. 318. Reſtitution. Bedingungen. I. Verletzung118
  • §. 319. Reſtitution. Bedingungen. I. Verletzung (Fortſetzung) 124
  • §. 320. Reſtitution. Bedingungen. II. Reſtitutions - grund130
  • §. 321. Reſtitution. Bedingungen. III. Abweſenheit poſitiver Ausnahmen138
  • §. 322. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minder - jährigkeit145
  • §. 323. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minder - jährigkeit (Fortſetzung) 149
  • §. 324. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minder - jährigkeit (Fortſetzung) 156
  • §. 325. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit161
  • §. 326. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 169
  • §. 327. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 173
  • XV
  • Inhalt des ſiebenten Bandes.§. 328. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 180
  • §. 329. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 185
  • §. 330. Reſtitution. Einzelne Gründe. III. Zwang191
  • §. 331. Reſtitution. Einzelne Gründe. IV. Irrthum196
  • §. 332. Reſtitution. Einzelne Gründe. V. Betrug198
  • §. 333. Reſtitution. Einzelne Gründe. VI. Antiquirte Gründe210
  • §. 334. Reſtitution. Gerichtsbehörden214
  • §. 335. Reſtitution. Parteiperſonen216
  • §. 336. Reſtitution. Parteiperſonen (Fortſetzung) 223
  • §. 337. Reſtitution. Verfahren228
  • §. 338. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 239
  • §. 339. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 244
  • §. 340. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 251
  • §. 341. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 257
  • §. 342. Reſtitution. Wirkungen264
  • §. 343. Reſtitution. Wirkungen (Fortſetzung) 269
  • Beilage XVIII. Reſtitution der Minderjährigen, welche in väterlicher Gewalt ſtehen277
  • Beilage XIX. L. 57 mandati292
[1]

§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.

Es iſt ſchon oben auf die Natur einiger Rechtsinſtitute hingedeutet worden, welche die Stelle eines Urtheils ver - treten können, alſo ein ſolches unnöthig machen(a)S. o. B. 6 S. 265. des Zuſammenhangs wegen vgl. B. 5 § 204 B. 6 § 256.. Der Begriff eines ſolchen Surrogats iſt aber nur da vorhanden, wo in der That die Entſcheidung eines Rechtsſtreits, nur auf einem anderen Wege, als durch ein richterliches Urtheil, herbeigeführt wird. Dahin gehören folgende In - ſtitute, die nunmehr der Reihe nach abgehandelt werden ſollen:

  • I. Das gerichtliche Geſtändniß (Confessio und Interro - gatio in jure).
  • II. Der Eid.

Wohl davon zu unterſcheiden aber, und gar nicht hier - her zu ziehen, ſind die häufigen und wichtigen Fälle, in welchen zwar ein äußerlich ähnlicher Erfolg wahrzunehmen iſt, nämlich die Beſeitigung eines Rechtsſtreits, jedoch nicht durch Entſcheidung deſſelben, ſondern durch deſſen Vernichtung, indem durch Verwandlung ein neues,VII. 12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht ſtreitiges, Rechtsverhältniß an die Stelle des bis - herigen ſtreitigen geſetzt wird. Die meiſten derſelben laſſen ſich auf einen Vertrag, alſo auf Einigung der Parteien, zurückführen; alle aber gehören nicht hierher, in das Actionenrecht, ſondern in den ſpeciellen Theil des Rechts - ſyſtems, und zwar in das Obligationenrecht. An dieſer Stelle mag eine kurze Ueberſicht der hier auszuſcheidenden Fälle der Beſeitigung eines Rechtsſtreits genügen.

1. Vergleich.

Darunter iſt zu verſtehen die Beendigung eines Rechts - ſtreits durch die freie Uebereinkunft beider Theile über irgend einen, zwiſchen ihren urſprünglichen Anſprüchen in der Mitte liegenden, Punkt. Hierin liegt augenſcheinlich eine rein vertragsmäßige, alſo obligatoriſche, Umwandlung des bisherigen Rechtsverhältniſſes.

2. Erlaß oder Verzicht, alſo völliges Nachgeben von Seiten des Klägers. Dieſer Fall hat Aehnlichkeit mit dem Fall des Vergleichs, unterſcheidet ſich aber dadurch, daß zum Weſen des Vergleichs ein Nachgeben von beiden Seiten gehört.

Außerdem iſt aber zu bemerken, daß dieſer Fall eine ſehr vieldeutige Natur an ſich trägt(b)Dieſe mögliche Vieldeutigkeit der zum Grunde liegenden Abſicht wird erwähnt in L. 29 § 1 de don. (39. 5). Nach derſelben Stelle aber ſoll der Verzicht gleichmäßig bindend wirken, es mag die eine oder die andere Abſicht zum Grunde liegen.. Es kann darin liegen das Anerkenntniß des Klägers, daß er kein Recht hat; oder auch umgekehrt die Abſicht, ſein (vielleicht ſelbſt3§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.vom Gegner anerkanntes) Recht ſchenkungsweiſe aufzugeben; oder endlich die unbeſtimmtere Abſicht, blos die Verfolgung des Rechts, als ſchwierig oder zweifelhaft, für immer fallen zu laſſen. Oft werden dieſe verſchiedenen möglichen Gedanken in der vorliegenden Willenserklärung, ja ſelbſt in dem eigenen Bewußtſeyn des Klägers, nicht mit Sicherheit zu unterſcheiden ſeyn; die Wirkſamkeit der Handlung aber iſt davon unabhängig.

Aber nicht blos in den zum Grunde liegenden Gedanken, ſondern auch in der Form der Handlung, erſcheint der Verzicht auf verſchiedene Weiſe. Er kommt vor in Geſtalt eines Vertrags(c)Das pactum ne petatur, welches den größten Theil des Pandektentitels de pactis (II. 14.) ausfüllt. Die Stellung dieſes Titels unmittelbar vor dem de trans - actionibus erklärt und rechtfertigt ſich aus der eben bemerkten Ver - wandtſchaft beider Inſtitute., und in dieſer Geſtalt iſt ſo eben die Verwandtſchaft deſſelben mit dem Vergleiche bemerkt worden. Er kommt aber auch vor in der Geſtalt einer vor dem Richter abgegebenen einſeitigen Erklärung, den Rechtsſtreit fallen laſſen zu wollen (desistere). Geſchieht dieſe Er - klärung in jure, ſo hat ſie die Natur einer confessio in jure, alſo eines wahren Surrogats(d)L. 29 § 1 de don. (39. 5), ſ. u. § 303 Note r. .

Mit dem Verzicht wird, als Fiction deſſelben, nicht ſelten der Fall zuſammengeſtellt, wenn der Kläger die Sache liegen läßt, und dadurch ein abweiſendes Contumacial - Urtheil veranlaßt. Man betrachtet hier das Benehmen des Klägers als eine Erklärung, die Sache nicht weiter ver -1*4Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.folgen zu wollen, wobei der Beweggrund dahin geſtellt bleiben ſoll. Wenn es indeſſen wirklich zu einem abweiſen - den Urtheil kommt, ſo ſind ſtets die Regeln, die für das Urtheil gelten, nicht die vom Verzicht anzuwenden(e)Vgl. Thibaut civiliſti - ſche Abhandlungen S. 160. 161., Hollweg Gerichtsverfaſſung und Prozeß S. 287. 294 296., Bayer Vorträge S. 285 288. Blos in manchen ſpeciellen Be - ziehungen ſoll das Ausbleiben als Verzicht, zum Vortheil des Klägers, behandelt werden, z. B. inſofern er dadurch die Nachtheile vermeidet, die ihn wegen der Anfechtung eines Teſtaments treffen würden. L. 8 §. 14 de inoff. test. (5. 2 ), L. 8 C. de his quib. ab ind. (6. 35). Vgl. auch L. 27 § 1 de lib. causa (40. 12)..

3. Der umgekehrte Fall von dem Erlaß oder Verzicht würde in einem völligen Nachgeben von Seiten des Be - klagten beſtehen. Allein dieſer Fall hat im Römiſchen Recht, in der Geſtalt der in jure confessio, die Natur eines wahren Surrogats des richterlichen Urtheils angenommen, und wird daher unter den nunmehr darzuſtellenden Surro - gaten ſeine eigenthümliche Stelle erhalten. Er kann übrigens auch die reine Form des Vertrags annehmen, und iſt dann allerdings ganz ſo, wie der vorhergehende Fall, zu behandeln.

4. Das Compromiß hat an ſich eine augenſcheinliche Verwandtſchaft mit den Surrogaten des Urtheils. Daß wir es nicht dahin rechnen, liegt in der urſprünglichen Be - handlung dieſes Inſtituts bei den Römern, welche auf der reinen Natur eines Vertrages beruhte. Allerdings hat es ſich in der ſpäteren Zeit mehr den Urtheilen angenähert; dennoch müſſen wir es in die Reihe der Verträge ſetzen,5§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.weil nur in dieſem Zuſammenhang ſeine eigenthümliche Ent - wicklung deutlich gemacht werden kann.

5. Die Selbſthülfe gehört in die Reihe der hier zuſammengeſtellten Rechtsinſtitute, inſofern durch ſie das vielleicht wirklich vorhandene Recht zur Strafe verloren, dann alſo zugleich jeder mögliche Rechtsſtreit darüber auf unfreiwillige Weiſe vernichtet werden kann. Sie gehört in die Reihe der Obligationen welche aus Delicten entſtehen.

Wenngleich nun alle hier angegebene Fälle die Natur wahrer Surrogate des Urtheils nicht an ſich tragen, ſo iſt doch bei einigen derſelben eine wichtige Verwandtſchaft mit dem Urtheil, die ſchon bei einer anderen Gelegenheit ange - deutet wurde, hier wieder in Erinnerung zu bringen. Die Fälle nämlich, welche die Natur wahrer Verträge haben (Num 1. 2. ), heben nicht blos den gegenwärtigen Rechts - ſtreit auf, ſondern verhindern auch deſſen Erneuerung für jede künftige Zeit. Dabei kann die Frage entſtehen, ob ein ſpäterhin verſuchter Rechtsſtreit in der That eine ſolche unzuläſſige Erneuerung des durch Vertrag beendigten in ſich ſchließe, oder ob er als ein ganz neuer, von dem früheren unabhängiger, zu betrachten ſey. Dieſelbe Frage iſt ſchon oben, bei den Folgen des rechtskräftigen Urtheils, ausführlich behandelt worden, und die dort aufgeſtellten Regeln finden auch hier ihre Anwendung. Wenn alſo die Frage nach der Identität eines verſuchten Rechtsſtreits mit6Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einem früher beendigten zu beantworten iſt, ſo gelten die - ſelben Regeln, es mag die Beendigung durch ein rechts - kräftiges Urtheil, oder aber durch einen Vertrag herbeige - führt worden ſeyn. Es hat alſo in dieſer Beziehung die pacti exceptio gleiche Natur mit der exceptio rei judicatae(f)L. 27 § 6. 8 de pactis (2. 14). Vgl. oben B. 6 S. 414. 426. 446..

§. 303. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Confessio in jure.

Quellen:

  • Dig. XLII. 2 (de confessis). XI. 1 (de interrogatio - nibus in jure faciendis et de interrogatoriis actionibus).
  • Cod. VII. 59 (de confessis).
  • Paulus V. 5 A, II. 1 § 5.
  • Cod. Greg. X. 2.

Schriftſteller:

  • Donellus Lib. 28 C. 1.
  • Weber Verbindlichkeit zur Beweisführung, herausg. von Heffter. Halle 1832. Vierte Abhandlung und Zuſ. S. 290 296.
  • Bethmann-Hollweg Verſuche über Civilprozeß. Berlin 1827. Vierte Abhandlung.
  • Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2 §. 173. 174.
7§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

Das Römiſche Recht hat zwei hierher gehörende, ſehr alte Rechtsinſtitute, die wegen ihrer inneren Verwandtſchaft nur in Verbindung mit einander deutlich gemacht werden können: die confessio in jure, und die interrogatio in jure.

Der Grundſatz, worauf die confessio in jure beruht, läßt ſich ſo ausdrücken: Wenn ein Beklagter vor dem Prätor die Behauptung des Klägers vollſtändig einräumt, ſo ſoll dieſes Zugeſtändniß einer Verurtheilung gleich gelten.

Nur das vor dem Prätor (in jure) abgelegte Geſtänd - niß ſollte dieſe eigenthümliche Wirkung haben, nicht das vor dem Judex(a)Das Geſtändniß vor dem Ju - dex hatte immer entſcheidenden Ein - fluß auf das Urtheil, aber keine ſelbſt - ſtändige Natur und keine formelle Regeln. Seit der Aufhebung des ordo judiciorum verſchwindet dieſer Unterſchied.. Daher wird in den Quellen zuweilen dem Ausdruck Confessio oder Confessus der Zuſatz beige - geben: in jure(b)L. 29 § 1 de don. (39. 5 ) L. 56 de re jud. (42. 1 ), L. un. C. de confessis (7. 59 ), L. 4 C. de repud. her. (6. 31).. Gemeint iſt dieſer Zuſatz immer, und darum wird er in den meiſten Stellen nicht einmal nöthig gefunden.

In dem aufgeſtellten Grundſatz liegt eine zweifache Wirkung: Der Beklagte iſt durch ſein Geſtändniß verpflichtet, und dieſe Verpflichtung tritt unmittelbar ein, ohne daß es dazu eines Urtheils bedarf. Durch dieſe zweite Wirkung erhält eben das Geſtändniß ſeinen beſonderen Charakter als Surrogat des Urtheils.

8Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Römer drücken den aufgeſtellten Grundſatz ſo aus: Confessus pro judicato est oder habetur(c)L. 1. 3. 6 § 2 de confessis (42. 2 ), L. 56 de re jud. (42. 1 ), L. un. C. de confessis (7. 59 ), L. 4 C. de repud her. (6. 31 ), Paulus u. Cod. Greg. in den oben angeführten Stellen.. Dieſer Aus - druck aber iſt ganz ernſtlich gemeint; denn es ſoll aus dem bloßen Geſtändniß, ohne Urtheil, ſogleich Execution gegen den Beklagten erfolgen, durch Abpfändung und Verkauf ſeiner Sachen(d)L. 9 C. de execut. (7. 53 ), Paulus II. 1 § 5.. Daher wird denn auch das Geſtändniß neben das Urtheil und den Eid geſtellt, alſo auf gleiche Linie mit denſelben(e)L. 56 L. 31 de re jud. (42. 1).. Bei dem Urtheil aber gilt die durchgreifende Regel: condemnatus ut pecuniam solvat(f)L. 4 § 3 de re jud. (42. 1)..

Die Wahrheit jenes Grundſatzes alſo iſt außer Zweifel geſetzt; dennoch hat er nur eine beſchränkte Wahrheit, indem er zunächſt und unmittelbar nur für den einzigen Fall gilt, wenn eine Schuldklage auf eine beſtimmte Geldſumme an - geſtellt und von dem Beklagten zugeſtanden wird(g)L. 4 C. de repud. her. (6. 31) quod confessos in jure pro judicatis haberi placuit ad certam quantitatem deberi confitentem pertinet. L. 6 pr. de confessis (42. 2 ) Certum confessus pro judicato erit, incertum non erit. Certum aber heißt hier und in vielen andern Stellen, die von Klagen handeln, ſo viel als certa pecunia (B. 5 S. 623 625), wie auch die gleich folgenden Worte zeigen.. Der Grund dieſer Beſchränkung liegt darin, daß im alten Pro - zeß auch das Urtheil nur auf eine beſtimmte Geldſumme gehen konnte(h)Gajus IV. § 48., und nur dabei eine unmittelbare Execution durch abgepfändete und verkaufte Sachen möglich war.

9§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

In allen übrigen Fällen, das heißt, bei dem Geſtändniß eines beſtimmten Gegenſtandes außer baarem Geld, oder eines unbeſtimmten Gegenſtandes, alſo in den meiſten Fällen überhaupt, ſoll der Beklagte wo möglich dazu ge - bracht werden, ſein Geſtändniß auf eine beſtimmte Geld - ſumme zu richten, alſo in ein certum zu verwandeln(i)L. 6 § 1 de confessis (42. 2) urgeri debet . Darin liegt aber weder ein directer, noch ein indirecter Zwang, außer etwa inſofern die grundloſe Weigerung vielleicht den Judex zu einem nachtheiligeren Urtheil ſtimmen könnte. Bethmann-Hollweg S. 265.. Iſt aber Dieſes nicht möglich, ſo erfolgt nunmehr ein ge - wöhnlicher Prozeß; es wird ein Juder beſtellt, eine Litis - conteſtation vorgenommen, und ein Urtheil geſprochen(k)L. 7. 5. 3. 8 de confessis (42. 2)..

Man könnte durch dieſe Unterſcheidung verleitet werden, dem oben aufgeſtellten Grundſatz eine geringere praktiſche Bedeutung zuzuſchreiben, als ihm in der That zukommt. Er iſt aber wahr auch für alle übrigen Fälle, nur in einer etwas anderen Weiſe.

In dem nunmehr entſtehenden Rechtsſtreit iſt nämlich der Judex an den Inhalt des Geſtändniſſes ſtreng gebunden; er darf davon nicht abweichen, hat deshalb Nichts zu unterſuchen(l) nihil quaeritur . L. 56 de re jud. (42. 1), welcher Satz hier ausdrücklich abgeleitet wird aus der Regel: confessi pro judicatis habentur. , und ſeine Thätigkeit beſchränkt ſich darauf, den eingeräumten Gegenſtand in eine beſtimmte Geldſumme zu verwandeln(m) Judex non rei judican - dae, sed aestimandae datur . .

10Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Formel mag in ſolchen Fällen etwa auf folgende Weiſe gefaßt worden ſeyn: Quod N. Negidius in jure confessus est, fundum Cornelianum A. Agerio se dare oportere, quanti is fundus est, eum condemna, ſo daß dabei die Intentio: si paret, N. Negidium fundum dare oportere, ganz ausfiel(n)Dieſes war nun die actio confessoria, von welcher in dem folgenden § die Rede ſeyn wird (§ 304 Note k)..

Kam ein ſolches Geſtändniß bei einer arbiträren Klage, insbeſondere bei einer Eigenthumsklage vor, ſo hatte es ganz die Natur einer pronuntiatio, und machte dieſelbe ent - behrlich, indem es ihre Stelle vertrat(o)L. 6 § 2 de confessis (42. 2). Ueber die pronuntiatio ſ. o. B. 6 S. 318 320..

Bei der confessio wird noch die beſondere Regel er - wähnt, daß hier dieſelbe geſetzliche Zahlungsfriſt eintrete, wie bei dem Urtheil, und daß dieſe von dem Tage des Geſtändniſſes an gerechnet werden müſſe(p)L. 6 § 6 de confessis (42. 2 ), L. 21 de jud. (5. 1 ), L. 31 de re jud. (42. 1 ), Paulus V. 5 A. § 2. Natürlich konnte dieſer Satz nur gelten von dem auf baares Geld gerichteten Ge - ſtändniß, wodurch ein nachfolgen - des Urtheil ganz entbehrlich wurde (Note g)..

Nach der bis hierher geführten Unterſuchung kann die gemeinſame Wirkung des gerichtlichen Geſtändniſſes, an -(m)L. 25 § 2. L. 26 ad L. Aquil. (9. 2 ), L. 40 § 1 de pactis (2. 14).11§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio. ſchließend an die Wirkung des rechtskräftigen Urtheils(q)S. o. B. 6 S. 274., ſo ausgedrückt werden: Confessio pro veritate accipitur, und dieſer Ausdruck iſt gleich wahr und gleich wichtig für jedes gerichtliche Geſtändniß, es mag auf eine Geldſchuld oder auf einen anderen, beſtimmten oder unbeſtimmten Ge - genſtand gerichtet ſeyn. In dieſem Sinn alſo kann man ſagen, daß jedes gerichtliche Geſtändniß als Surrogat eines Urtheils gelten kann, indem es, gleich dem Urtheil, die Fiction der Wahrheit, das heißt, formelle Wahr - heit, begründet, wenngleich es nicht in allen Fällen ein nachfolgendes Urtheil entbehrlich macht.

Wenn man das gerichtliche Geſtändniß in dieſer ſeiner allgemeinen Natur auffaßt, ſo iſt es der reine Gegenſatz des von dem Kläger vor Gericht ausgeſprochenen Verzichts (§ 302). Dieſe Vergleichung muß auch darin als wahr anerkannt werden, daß dem Geſtändniß ſehr verſchiedene Gedanken zum Grunde liegen können; am häufigſten die wirkliche Anerkennung des Rechts des Klägers; ferner die beſtimmte Abſicht, zu ſchenken; endlich eine unbeſtimmte, in der Mitte liegende Abſicht, das Nachgeben bei einer zweifel - haften Sache, um nur den Rechtsſtreit zu vermeiden. Ferner iſt die Vergleichung dahin auszudehnen, daß außer dem gerichtlichen Geſtändniß auch ein auf gleichen Zweck gerichteter Vertrag vorkommen kann. Dieſes iſt der Recog -12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nitiv-Vertrag, der in das Obligationenrecht gehört, und gewöhnlich nicht in ſeiner wahren Natur aufgefaßt wird.

Uebrigens kann eine ſolche confessio in jure auch von Seiten des Klägers vorkommen, wenn nämlich dieſer vor dem Prätor unbedingt erklärt, daß er keinen Anſpruch an den Beklagten habe. Dadurch giebt er ſein Klagrecht völlig auf, die Handlung gilt gleich einer rechtskräftigen Frei - ſprechung, und hat alſo ganz die Natur eines Surrogats des Urtheils. Ein ſolcher Fall aber wird in dieſer Form nur ſehr ſelten vorkommen, und wenn er vorkommt, hat er eine ſo einfache Natur, daß er näherer Beſtimmungen kaum bedürfen wird. Aus beiden Gründen iſt es wohl zu erklären, daß derſelbe, ſo viel ich weiß, nur in einer einzigen Stelle des Römiſchen Rechts erwähnt wird(r)L. 29 § 1 de don. (39. 5). S. o. § 302 Note d. Es heißt in jener Stelle: eum actionem jure amisisse respondit . Wenn er nun dennoch die Klage anſtellen wollte, ſo ſtand ihm ohne Zweifel eine exceptio confessi oder con - fessoria entgegen, mit gleicher Wirkung, wie die exceptio rei judicatae. , und daß er weder durch die Geſetzgebung, noch durch die Arbeiten der alten Juriſten beſonders ausgebildet worden iſt.

§. 304. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Confessio in jure. (Fortſetzung.)

Der oben aufgeſtellte wichtige Grundſatz über die Kraft des gerichtlichen Geſtändniſſes des Beklagten hat folgende Entſtehung und allmälige Entwicklung gehabt.

13§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

1. Für den Hauptfall, das Geſtändniß einer beſtimmten Geldſchuld, iſt die erſte Quelle in der Vorſchrift der zwölf Tafeln zu ſuchen: Aeris confessi rebusque jure judicatis XXX. dies justi sunto etc.(a)Gellius XX. 10., in welchem das Geſtändniß dem rechtskräftigen Urtheil mit gleicher Kraft an die Seite geſetzt wurde. Beiden Thatſachen gleichmäßig wurde hier die Wirkung der Schuldknechtſchaft, alſo der Perſonal - execution, beigelegt, an welche ſich dann in ſpäterer Ent - wicklung die der Realexecution angeſchloſſen hat, von welcher allein jetzt noch die Rede iſt(b)Ob die Schuldknecht - ſchaft auf die Geldſchulden aus dem Darlehen beſchränkt war, iſt ſtreitig; vgl. Savigny über das altrömiſche Schuldrecht, Abhand - lungen der Berliner Akademie 1833. Daß die Realexecution, in Folge des Geſtändniſſes wie des Urtheils, auf Geldſchulden jeder Art ging, iſt unzweifelhaft.. Damit war alſo der Grund zu dieſem Rechtsinſtitut gelegt.

2. Eine Erweiterung deſſelben für einige beſondere Fälle wurde durch das prätoriſche Edict eingeführt. Für vier Klagen galt die Vorſchrift, daß der Beklagte, wenn er wiſſentlich leugnete und überführt wurde, den eingeklagten Werth zur Strafe doppelt bezahlen ſollte(c)Lis inficiando crescit in duplum. Gajus IV. § 9. 171. Dieſe vier Klagen ſind: judicati, de - pensi, damni injuria dati, le - gati per damnationem relicti. ; das Einge - ſtändniß ſchützte alſo vor dieſer Strafe, und es konnte im Fall deſſelben nur die Frage entſtehen, ob denn der Be - klagte durch ſein Geſtändniß auch wirklich für den einfachen Werth verpflichtet werde. Dieſes mußte unbedingt ange - nommen werden, weil das Geſtändniß hier die Natur eines14Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vergleichs hatte; der Beklagte übernahm die Leiſtung des einfachen Werthes, um dadurch der Gefahr der doppelten Leiſtung zu entgehen. Dieſe in der Natur der Sache ge - gründete Auffaſſung erhielt eine ausdrückliche Beſtätigung durch das Edict, welches neben der Klage auf das Doppelte gegen den Leugnenden auch die einfache Klage gegen den Geſtändigen ausſprach, alſo die Verpflichtung wegen des Geſtändniſſes geradezu anerkannte(d)Bethmann-Hollweg S. 265 268.. Indeſſen konnte dieſe Beſtimmung nur für die wenigſten unter den angege - benen Fällen als etwas Neues, folglich als eine wahre Erweiterung, angeſehen werden. Die actio judicati und depensi gingen ohnehin ſtets auf eine beſtimmte Geldſumme, und ſtanden alſo ſchon unter der Vorſchrift der Zwölf Tafeln (Num. 1.); eben ſo auch die Klage aus dem Legat, wenn daſſelbe auf eine Geldſumme gerichtet war. So blieben alſo als neu, als Gegenſtände einer Erweiterung für die Kraft des Geſtändniſſes, nur folgende zwei Klagen übrig: die Klage aus einem legatum damnationis, wenn daſſelbe auf einen anderen beſtimmten Gegenſtand, als baares Geld, z. B. auf ein Haus, ein Pferd u. ſ. w. gerichtet war, und die actio legis Aquiliae wegen körperlicher Beſchädigung fremder Sachen. Für den letzten Fall ſind uns die genaue - ſten Nachrichten von dieſer neuen Beſtimmung über die Kraft des Geſtändniſſes aufbewahrt, wovon ſogleich noch mehr die Rede ſeyn wird.

15§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

In allen übrigen Fällen eines gerichtlichen Geſtändniſſes fehlte es alſo ganz an ausdrücklichen Beſtimmungen über deſſen formelle Kraft. Dennoch iſt nicht zu bezweifeln, daß das Geſtändniß ſtets thatſächliche Anerkennung in den Urtheilen der Richter gefunden haben wird, und zwar ohne Unterſchied, ob es vor dem Prätor oder vor dem Judex abgelegt war.

3. Die volle Ausdehnung endlich, in welcher der Grundſatz oben aufgeſtellt worden iſt (§ 303), erhielt der - ſelbe erſt durch einen Senatsſchluß unter der Regierung des K. Marcus Aurelius (oratio D. Marci). Hierin wurde beſtimmt ausgeſprochen, daß bei Klagen aller Art das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß für den Beklagten dieſelbe verpflichtende Kraft haben ſollte, wie ein rechtskräf - tiges Urtheil(e)L. 6 § 2 de confessis (42. 2 ), L. 56 de re jud. (42. 1).. Wenngleich aber die Ausdrücke der alten Juriſten über den Umfang dieſes Senatsſchluſſes höchſt allge - mein gefaßt ſind, ſo muß derſelbe doch auf diejenigen Klagen beſchränkt werden, worüber jede Partei eine völlig freie Verfügung hat, welches bei den Klagen über Vermögens - rechte durchaus der Fall iſt. Dagegen iſt dem Geſtändniß nicht dieſelbe Kraft beizulegen, wenn es darauf abzweckt, die perſönliche Freiheit des Geſtändigen zu verneinen, oder eine Ehe als ungültig darzuſtellen(f)L. 24. 39 C. de lib. causa (7. 16 ), C. 5 X. de eo, qui cognovit (4. 13). Bethmann-Hollweg S. 274..

4. Seit dem Untergang des ordo judiciorum hatte jede16Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.confessio in judicio die Kraft der alten confessio in jure. Als eigentliches Surrogat aber konnte ſie nun nicht mehr gelten, ſondern nur noch als Grundlage eines richterlichen Urtheils, welches an den Inhalt derſelben gebunden war.

Das Weſen des Geſtändniſſes wurde oben darin geſetzt, daß der Beklagte die Behauptung des Klägers einräume (§ 303), alſo in ein Einverſtändniß beider Parteien über dieſe Behauptung. Nun geht dieſe Behauptung ſtets und nothwendig auf das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes, ein ſolches aber beruht wieder auf Thatſachen; zur genaueren Einſicht in das Weſen des Geſtändniſſes iſt es alſo nöthig, zu beſtimmen, ob als der eigentliche Gegenſtand des Ein - verſtändniſſes das Rechtsverhältniß, oder vielmehr die Thatſache gedacht werden müſſe.

Der Ausdruck confessio, ſo wie der entſprechende deutſche Ausdruck, kann leicht dahin führen, die Thatſache als den unmittelbaren Gegenſtand des Einverſtändniſſes anzuſehen, wodurch alſo das Geſtändniß als bloßes Be - weismittel erſcheinen könnte; allein die oben angegebene juriſtiſche Natur deſſelben, welche in der Gleichſtellung mit dem richterlichen Urtheil beſteht, führt vielmehr auf das Rechtsverhältniß. Denn auf ein ſolches geht nothwendig jedes Urtheil, und ſoll alſo das Geſtändniß gleiche Kraft mit dem Urtheil haben, in manchen Fällen ſogar jedes17§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)Urtheil völlig entbehrlich machen (§ 303), ſo muß es gleichfalls das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes unmittelbar feſtſtellen.

Dieſe Natur des Geſtändniſſes wird denn auch in unſern Rechtsquellen geradezu anerkannt; der Beklagte ge - ſteht nämlich: se debere, oder fundum actoris esse(g)L. 3. 5. 7 de confessis (42. 2 ), L. 6 § 2 eod. , und es wird Niemand bezweifeln, daß Schuld und Eigen - thum reine Rechtsverhältniſſe ſind, wozu ſich gewiſſe That - ſachen nur als Entſtehungsgründe verhalten können.

Indeſſen darf dabei nicht verkannt werden, daß in der Anerkennung des Rechtsverhältniſſes ſtets auch die Aner - kennung der dazu nöthigen Thatſachen liegt, nur daß dabei die Auswahl unter mehreren gleich möglichen Thatſachen ungewiß bleiben kann. Eben ſo wird nicht ſelten die An - erkennung einer reinen Thatſache, z. B. des Empfanges eines Darlehens, zugleich die Anerkennung eines Rechts - verhältniſſes (hier der Darlehensſchuld) in ſich ſchließen. Dadurch aber wird das Weſen der Sache nicht verändert.

Auch kommt in der That ein Fall vor, in welchem die Römiſchen Juriſten das Geſtändniß auf eine reine Thatſache beziehen. Dieſes darf aber nicht etwa als ein ungenauer, nachläſſiger Ausdruck betrachtet werden, oder als Zeichen eines Schwankens jener Juriſten über die hier zur Frage geſtellten Anſichten. Vielmehr hat dieſe Beziehung ihren Grund in der eigenthümlichen Natur einer einzelnen Klage, und es muß gleich hier darauf näher eingegangen werden, weil damit wichtige andere Streitfragen zuſammenhangen.

VII. 218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es iſt nämlich ſchon bemerkt worden, daß die actio L. Aquiliae unter die wenigen Klagen gehörte, worin das Geſtändniß ſchon vor der oratio D. Marci eine beſondere Wirkung hatte: einestheils den Beklagten von der Gefahr des doppelten Erſatzes zu befreien, anderntheils ihn zum einfachen Erſatz unbedingt, wie durch ein geſprochenes Urtheil, zu verpflichten (§ 303). In dieſem Fall nun konnte ſchon deswegen ein Urtheil durch das bloße Geſtänd - niß nicht entbehrlich werden, weil noch immer der Geld - werth des zugefügten Schadens zu beſtimmen blieb(h)L. 25 § 2 L. 26 ad L. Aqu. (9. 2).. Das Geſtändniß alſo, das hier eine beſondere Wirkung haben ſollte, ging nicht auf die (noch unbeſtimmte) Forderung des Klägers, ſondern auf die reine Thatſache; ja nicht einmal auf die ganze, vollſtändige Thatſache, ſondern ledig - lich auf die perſönliche Thätigkeit des Beklagten, die Thäter - ſchaft: Das, was unſere Criminaliſten den ſubjectiven Thatbeſtand nennen(i)L. 23 § 11 L. 24 L. 25 pr. ad L. Aquil. (9. 2 ), L. 4 de confessis (42. 2). In der erſten dieſer Stellen ſind beſonders entſcheidend die Worte: hoc enim solum remittere actori confessoriam actionem, ne ne - cesse habeat docere, eum occidisse, ceterum occisum esse hominem a quocunque oportet . . Dieſe eigenthümliche Beſchränkung darf auch gar nicht als eine zufällige, willkürliche be - trachtet werden, ſondern ſie hatte ihren guten Grund in folgendem Umſtand. Wenn wegen der Tödtung oder Ver - wundung eines Sklaven geklagt wurde, ſo war die That -19§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)ſache des Todes oder der Verwundung meiſt unbeſtritten, konnte wenigſtens durch den Augenſchein leicht außer Zweifel geſetzt werden. Dagegen war die Thatſache, daß gerade dieſer Beklagte die That begangen habe, leicht abzu - leugnen; dieſem Leugnen ſollte durch die Drohung des doppelten Erſatzes vorgebeugt werden, und daher war das Geſtändniß gerade dieſer Thatſache allein von Wichtigkeit. Dieſes Geſtändniß wurde daher auch in die Klagformel, als für den Richter bindend, aufgenommen, und die ſo abgefaßte Klage hieß nun confessoria actio(k)L. 23 § 11 L. 25 § 1 ad L. Aqu. (9. 2). Nur hier kommt dieſer Name vor, welches jedoch ganz zufällig ſeyn kann; an ſich paßte er auf jede Klage, die in Folge einer confessio in jure angeſtellt wurde (§ 303 Note n)..

Nachdem nun die geſchichtliche und formelle Seite der confessio in jure feſtgeſtellt worden iſt, bleibt noch die Er - örterung der praktiſchen Seite übrig. Dahin gehört zunächſt die wichtige Frage, die auch ſchon für das Römiſche Recht zu beantworten iſt, ob das gerichtliche Geſtändniß eine unbedingt verpflichtende Kraft mit ſich führt, oder ob daſ - ſelbe widerrufen und angefochten werden kann auf den Grund der Behauptung, daß es nicht mit der Wahrheit übereinſtimme. Dann aber iſt beſonders auch die heutige Anwendbarkeit der Grundſätze des Römiſchen Rechts über das gerichtliche Geſtändniß zu unterſuchen, um die richtige Behandlung deſſelben im heutigen Recht feſtſtellen zu können.

2*20Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Beantwortung dieſer Fragen aber wird mit Erfolg erſt unternommen werden können, wenn zuvor die Interro - gatio in jure dargeſtellt ſeyn wird.

§. 305. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Interrogatio in jure.

Wenn ein Rechtsſtreit abhängig iſt von einer, die Perſon des Beklagten betreffenden Präjudicialfrage, welches neuere Schriftſteller die Paſſivlegitimation nennen, ſo ſoll ſowohl der Kläger, als der Richter befugt ſeyn, eine ſolche Frage dem Beklagten vorzulegen, welcher dann verbunden iſt, zu antworten; dieſe Verbindlichkeit iſt hier eigenthümlich. Durch den Inhalt der Antwort wird der Beklagte verpflichtet, und darin liegt die Aehnlichkeit dieſes Inſtituts mit der confessio in jure. Die Verſchiedenheit beider Prozeßhand - lungen aber liegt darin, daß die confessio den eigentlichen Gegenſtand des Rechtsſtreits, den Anſpruch des Klägers, betrifft, und daher das Urtheil entbehrlich machen kann (§ 303), anſtatt daß die interrogatio nur eine vorläufige Frage, nicht den Streitgegenſtand ſelbſt betrifft, und daher niemals für ein Surrogat des Urtheils gelten kann.

Außer dieſem beſonderen Fall konnte aber auch jede andere Frage von einer Partei ihrem Gegner vor dem Prätor vorgelegt werden, und wenn ſich der Gegner durch eine beſtimmte Antwort darauf freiwillig einließ, ſo war er durch eine ſolche in jure confessio nach den oben auf -21§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio. geſtellten Grundſätzen gebunden, wobei dann die vorher - gehende interrogatio nur als die zufällige Veranlaſſung der confessio zu betrachten war, und gar nicht ſelbſtſtändig zur Form der Handlung gehörte(a)Ein ſolcher Fall von der Frage eines Beklagten an den Kläger kommt vor in L. 29 § 1 de don. (39. 5), ſ. o. § 303 r. Die daſelbſt abwechſelnd gebrauchten Ausdrücke: interrogatus, re - spondit, confessus, confessio, find daher gar nicht als ungenauer Sprachgebrauch anzuſehen. Im ganzen Titel de interrogationibus iſt abwechſelnd von respondere und confiteri die Rede.. Hierauf beruhte unter andern auch die uralte Form der in jure cessio als Uebertragung des Eigenthums durch freien Willen des bisherigen Eigenthümers. Der neue Eigenthümer vindicirte die Sache zum Schein; der Prätor fragte den Veräußernden, ob er das Eigenthum des Klägers anerkenne, und wenn der Befragte es anerkannte oder nur ſchwieg, ſo erfolgte die Addiction des Prätors, die das Eigenthum übertrug(b)Gajus II § 24..

An ſich ließ ſich dieſes Verfahren denken ſowohl vor dem Prätor, als vor dem Judex. Urſprünglich kam es nur vor dem Prätor vor, war alſo eine interrogatio in jure(c)Dieſer Name findet ſich in der Ueberſchrift des Titels, ferner in L. 1 pr. L. 4 § 1 de interr. (11. 1)., nicht in judicio, weil es dort allein auf die Ab - faſſung der Klagformel Einfluß haben konnte, wozu es urſprünglich beſtimmt war. Wir finden die Anwendung deſſelben ausdrücklich erwähnt in folgenden Fällen, worin dem Kläger eine Antwort des Beklagten auf die hier ange - gebenen Fragen von Wichtigkeit ſeyn konnte:

22Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • 1. Ob der Beklagte Erbe eines verſtorbenen Schuldners des Klägers ſey
    (d)L. 2. 3. 5. 9 § 7 de interr. (11. 1)
    (d);
  • 2. Zu welchem Antheil er Erbe ſey
    (e)L. 1 pr. 4 pr. 5 eod.
    (e);
  • 3. Ob er, im Fall einer noxalis actio, Eigenthümer des verletzenden Sklaven ſey: eben ſo, bei der actio si quadrupes, Eigenthümer des ſchädlichen Thieres
    (f)L. 5. 8. 7 eod.
    (f);
  • 4. Ob, im Fall einer actio de peculio, ein peculium des Sohnes oder Sklaven vorhanden ſey
    (g)L. 9 § 8 eod.
    (g);
  • 5. Ob, im Fall einer cautio damni infecti, der Beklagte Eigenthümer des Gefahr drohenden Hauſes ſey
    (h)L. 10 L. 2 § 2 eod.
    (h);
  • 6. Im Fall einer Eigenthumsklage, zu welchem Theil der Sache der Beklagte den Beſitz habe
    (i)L. 20 §. 1 eod. Ueber das Eigenthum des Beklagten ſollte der Kläger nicht fragen, weil Dieſes mit ſeinem eigenen Recht zuſammenhing, das er kennen mußte. L. 73 pr. de R. V. (6. 1).
    (i);
  • 7. Wie alt der Beklagte ſey
    (k)L. 11 pr. de interr. (11. 1).
    (k); nämlich ob der Beklagte unmündig, imgleichen ob er minderjährig ſey, weil er im erſten Fall einen Tutor als Auctor, im zweiten einen Curator als Beiſtand haben mußte, wenn der Rechtsſtreit gültig geführt werden ſollte
    (l)Nicht eigentlich zu dieſem Rechtsinſtitut gehört die Frage, die ein Ehemann ſeiner geſchie - denen Frau vor dem Prätor vor - legen durfte, ob ſie ſchwanger ſey; die Frau wurde durch Pfändung oder Geldſtrafe zur Antwort ge - zwungen, aber es knüpfte ſich an dieſe Frage keine Klage, wovon allein bei unſerm Inſtitut die Rede iſt. L. 1 § 2. 3 de insp. ventre (25. 4).
    (l).
23§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

Alle dieſe Fragen konnten bequem und zweckmäßig ge - funden werden, um dem Kläger die Mühe und Koſten eines unnützen Rechtsſtreites, oder die unrichtige Führung deſſelben zu erſparen. In einem jener Fälle (Num. 2) konnte die Frage ſogar nothwendig ſeyn, um den Verluſt eines Rechts von ihm abzuwenden: Wenn nämlich der Kläger eine certi condictio gegen einen der Erben ſeines urſprünglichen Schuldners anſtellen wollte, und über die Größe des Erbtheils ſeines Beklagten ungewiß war. Denn wenn er einen größeren Theil der Schuld einklagte, als den welcher dem Erbtheil entſprach, ſo verlor er nach den Regeln des alten Prozeſſes den ganzen Anſpruch an dieſen Erben(m)L. 1 pr. de interr. (11. 1)..

Auf die ertheilte Antwort gründete ſich nun eine inter - rogatoria actio(n)Dieſer Name findet ſich in der Ueberſchrift des Titels, ferner in L. 1 § 1 und L. 22 eod. , das heißt, es wurde in die ohnehin beabſichtigte Klagformel der Inhalt der Antwort als unab - änderlich feſtſtehend mit aufgenommen. Folgendes Beiſpiel wird Dieſes anſchaulich machen. Wenn Jemand aus einer Stipulation Hundert zu fordern hatte, der Schuldner ſtarb, einer der Erben widerſprach der Schuld, antwortete aber auf die vorgelegte Frage, er ſey Erbe zur Hälfte des Ver - mögens, ſo mag wohl die Formel in folgender Weiſe gefaßt worden ſeyn: Quod N. Negidius interrogatus respondit, se esse24Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Seji heredem ex semisse, si paret, Sejum Aulo Agerio centum dare oportere, N. Negidium in quinquaginta condemna.

Die verſchiedene Art, in welcher der Beklagte durch ſein Benehmen verpflichtet werden konnte, wird ſogleich genauer angegeben werden.

Zuvor aber muß die Veränderung erwähnt werden, die in dieſem Verfahren ſchon zur Zeit der alten Juriſten eingetreten iſt. Darüber ſagt Calliſtratus wörtlich Fol - gendes(o)L. 1 § 1 eod. : Nach dem gegenwärtigen Gerichtsgebrauch wird kein Beklagter mehr gezwungen, ſchon vor dem Prätor in eine ſolche Vorverhandlung über vorgelegte Fragen ſich einzulaſſen; vielmehr wird dieſer Theil des Verfahrens, ſo wie jede andere Beweisführung über Thatſachen, dem Judex überlaſſen. Daher ſind denn auch die interrogatoriae actiones faſt ganz außer Gebrauch gekommen(p)L. cit. Interrogatoriis autem actionibus hodie non utimur minus frequentan - tur et in desuetudinem abierunt. Es iſt oben erwähnt worden, daß das alte Verfahren meiſt nur zur Bequemlichkeit diente, und dieſe konnte auch vor dem Judex hin - länglich verſorgt werden. In Einem (vergleichungsweiſe gewiß ſeltenen) Fall konnte daſſelbe noth - wendig ſeyn zur Abwendung von Gefahr (Note m), und in dieſem einzigen Fall mögen ſie denn auch noch angewendet worden ſeyn, ſo lange der ordo judiciorum mit ſeinen ſtrengen Formeln beſtand. Auch ſagt ja der Juriſt nicht, daß ſie durchaus verſchwunden ſeyen, ſondern nur, daß ſie wenig mehr vorkämen (minus frequentantur), und dieſer unbeſtimmte Ausdruck mag abſichtlich gebraucht ſeyn mit Rückſicht auf jenen einzelnen Fall. Es iſt wohl zu bemerken, daß die Nothwendigkeit der int. act. für dieſen Fall in derſelben Stelle, und nur wenige Worte vorher, bemerklich gemacht wird..

25§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

Neuere Schriftſteller haben dieſe geſchichtliche Angabe ſo anſtößig gefunden, daß ſie die künſtlichſten Mittel verſucht haben, um die vermeintlichen Widerſprüche zu beſeitigen(q)Vgl. Glück B. 11 S. 247 249. 255. 293. Zimmern Rechtsgeſch. B. 3 S. 379. Puchta Inſtitutionen B. 2. S. 192.. Sie haben die Erzählung des Calliſtratus ſo aufgefaßt, als ſey das ganze poſitive Rechtsinſtitut der Interrogationen außer Gebrauch gekommen; damit ſchien ihnen der Umſtand im Widerſpruch zu ſtehen, daß die genau beſtimmten Regeln deſſelben (welche ſogleich angegeben werden ſollen) in den Digeſten als geltendes Recht dargeſtellt werden. Dieſe Schwierigkeit ſollte auf zweierlei Weiſe gelöſt werden.

Einige ſagten, die ganze Erzählung von dem verän - derten Recht beruhe auf Interpolationen von Tribonian; früher habe ſich gar Nichts geändert. Allein eine ſolche Interpolation wäre eben ſo unnütz, als zweckwidrig geweſen. Unnütz, weil zur Zeit von Juſtinian durchaus keine Ge - fahr war, daß Jemand zwiſchen Prätor und Judex fehl greifen möchte. Zweckwidrig, weil aus dem ganzen Titel der Digeſten deutlich erhellt, daß die alten praktiſchen Re - geln über die Interrogationen fortbeſtehen ſollten.

Andere haben folgende Behauptung aufgeſtellt. In der alten Zeit, ſagen ſie, waren außergerichtliche Interro - gationen üblich, und mit dieſen wurden die größten Unge - rechtigkeiten und Bedrückungen verübt. Dieſe ſind es, welche nach der Erzählung des Calliſtratus außer Ge - brauch geſetzt wurden. Dieſe ganze Geſchichte von den26Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bedrückenden außergerichtlichen Interrogationen iſt völlig leer, und nur dazu erſonnen, um die hier erwähnte (gar nicht vorhandene) Schwierigkeit zu beſeitigen. Sie beruht eigentlich nur auf dem augenſcheinlichen Mißverſtändniß von zwei Worten des Calliſtratus(r)L. 1 § 1 cit. Interroga - toriis autem actionibus hodie non utimur, quia nemo cogitur ante judicium de suo jure ali - quid respondere. Die Worte ante judicium erklärte man durch außergerichtlich, da ſie doch ſo viel heißen, als: in jure, coram Praetore. .

Die ganze Schwierigkeit verſchwindet durch folgende Auffaſſung der eingetretenen Veränderung. Die alten In - terrogationen mit ihren ſehr poſitiv beſtimmten Wirkungen wurden gar nicht verändert; ſie ſollten nur nicht mehr vor dem Prätor vorkommen, ſondern vor dem Judex, alſo auch keinen Einfluß mehr haben auf die Abfaſſung der formula. Daher waren es die interrogatoriae actiones, die außer Gebrauch kamen, nicht die Interrogationen mit ihren Folgen, die unverändert blieben. So erzählt die Sache faſt wörtlich Calliſtratus, und ſeine Erzählung wird völlig beſtätigt durch eine Stelle des Ulpian(s)L. 21 eod. Ubicunque judicem aequitas moverit, ae - que oportere fieri interroga - tionem, dubium non est. .

Faßt man die Sache ſo auf, ſo muß man ſich über - zeugen, daß Tribonian Nichts mehr zu ändern vorfand, weil ſchon zur Zeit des ordo judiciorum Alles in die Lage gebracht worden war, in welcher es auch nun bleiben27§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio. konnte. Wir haben daher keine Urſache, auch nur in den Worten der alten Juriſten irgend eine erhebliche Interpola - tion vorauszuſetzen(t)Höchſtens iſt eine ſolche, und zwar ſehr unſchuldige und ungefährliche, anzunehmen in fol - genden Worten des Ulpian (L. 4 pr. eod.) Voluit Praetor ad - stringere eum, qui convenitur, ex sua in judicio respon - sione .... Hier mag wohl Ulpian geſchrieben haben: in jure. .

Es bleibt nun noch übrig, die praktiſchen Regeln anzu - geben, die urſprünglich für die interrogatio in jure ein - treten ſollten, dann aber, und zwar ſchon zur Zeit der alten Juriſten, auf die interrogatio in judicio übertragen worden ſind.

Der Beklagte kann über jeden, ſeine perſönlichen Ver - hältniſſe betreffenden Präjudicialpunkt ſowohl von der Richterbehörde, als von dem Gegner, befragt werden, und er iſt in beiden Fällen zur Antwort verpflichtet(u)L. 9 pr. § 1, L. 11 § 9 eod. . Nun - mehr können folgende Fälle eintreten.

  • A. Er antwortet. Dadurch wird der Gegner zunächſt berechtigt, den Inhalt der Antwort als förmliche Wahrheit (wie aus einem Urtheil) gegen ihn geltend zu machen. Seine Antwort hat in dieſer Hinſicht die Natur eines Quaſicontracts
    (v)L. 11 § 9 eod.
    (v).
28Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • B. Er antwortet, und wird hinterher einer wiſſentlich unwahren Anwort überführt.
  • C. Er verweigert die Antwort.

In beiden letzten Fällen iſt der Gegner befugt, gegen ihn das Nachtheiligſte anzunehmen, das im vorliegenden Falle denkbar iſt, und Dieſes gilt als Strafe ſeines unred - lichen Benehmens(x)L. 4 pr. L. 5 L. 11 § 1. 2. 3. 4. 5. 9 L. 17 eod., L. 39 pr. de proc. (3. 3 ), L. 26 § 5 de nox. act. (9. 4). Bethmann-Hollweg S. 281.. So z. B., wenn er des urſprüng - lichen Schuldners Erbe zur Hälfte iſt, auf Befragen aber nur ein Viertheil angiebt, ſo darf er als einziger Erbe be - handelt, und für die ganze Schuld in Anſpruch genommen werden.

Die Verpflichtung zur Antwort, alſo auch die Strafe der Verweigerung, fällt jedoch weg, wenn der Beklagte Gründe der Ungewißheit über den Gegenſtand der Frage angeben kann, ſo z. B., wenn er befragt wird, ob er Erbe ſey, und über dieſes Erbrecht in einem Rechtsſtreit befangen iſt(y)L. 6 § 1 de interr. (11. 1)..

§. 306. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Widerruf.

Nachdem die Lehre von der confessio und von der interrogatio, jede für ſich, dargeſtellt iſt, kann zur Beant - wortung einer wichtigen praktiſchen Frage übergegangen29§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedene Zweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be - zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu - thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen. Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider - ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat.

Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge - winnen, iſt es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundſätze zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußerſten, völlig entgegen geſetzten Anſichten. Nach der einen iſt das gerichtliche Geſtändniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach ſtärker), ſo wie dem Zeugenbeweiſe. Nach dieſer Anſicht iſt es folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung zuzulaſſen. Nach der zweiten Anſicht bildet jenes Ge - ſtändniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur - theil. Von dieſem Standpunkt aus ſcheint jede Anfechtung, jeder Widerruf verneint werden zu müſſen, auch wenn der Geſtändige die Unwahrheit des Geſtändniſſes zu beweiſen unternehmen wollte.

Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geſtändniß förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geſtändigen, und iſt nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel30Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf die Ueberzeugung des Richters einzuwirken. Dennoch iſt eine Entkräftung deſſelben möglich, jedoch nur durch Re - ſtitution von Seiten des Prätors, alſo durch dieſelbe Macht, wodurch unter gewiſſen Bedingungen auch die Entkräftung eines Urtheils möglich iſt. Dieſe Sätze gelten ſowohl für die confessio, als für die interrogatio. Es giebt aber ausgenommene Fälle, in welchen jede Anfechtung gänzlich ausgeſchloſſen iſt. Dieſe Sätze ſollen nun einzeln entwickelt, und in den Quellen des Römiſchen Rechts nachgewieſen werden.

1. Die confessio in jure (im Juſtinianiſchen Recht in judicio) hat bindende Kraft für den Geſtändigen (§. 303. 304). Dieſelbe Kraft hat die interrogatio und responsio in jure (ſchon zur Zeit der alten Juriſten in judicio); dieſe wirkt in der Regel als Quaſicontract, ausnahmsweiſe als Strafe. Die bindende Kraft überhaupt iſt alſo allen Formen des gerichtlichen Geſtändniſſes gemeinſam.

Es kommt aber darauf an, die Natur dieſer bindenden Kraft näher zu beſtimmen. Sie begründet eine feſte Be - gränzung des Rechtsſtreits, und iſt daher als eine das Urtheil vorbereitende und bedingende formelle Handlung anzuſehen. Sie hat daher eine innere Verwandtſchaft mit der Litisconteſtation, und bildet gleichſam eine durch den ganzen Prozeß fortſchreitende, ergänzende Litisconteſtation. Durch dieſes Geſtändniß wird alſo nicht ſowohl dieſe oder jene Thatſache feſtgeſtellt, worüber der Richter ein freies Urtheil zu bilden haben möchte, ſondern es wird durch31§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.daſſelbe dem Gebiet des Streitigen unter den Parteien, worüber allein von dem Richter ein Urtheil erwartet wird, Mehr oder Weniger entzogen, alſo jenes Gebiet enger begränzt.

2. Beruht das Geſtändniß auf Irrthum, ſo kann der Geſtändige von den Folgen deſſelben Befreiung erlangen. Dieſe Befreiung wird ertheilt durch Reſtitution (alſo im alten Prozeß nur durch den Prätor)(a)L. 7 de confessis (42. 2 ) L. 11 § 8 de interr. (11. 1). Dieſe Reſtitution gehört unter die zahlreichen Fälle, in welchen überhaupt gegen Prozeßhand - lungen Reſtitution wegen Irr - thums ertheilt wird. S. o. B. 3. S. 386. 387..

Die Reſtitution wird hier aber nur unter folgenden Be - dingungen ertheilt. Der Irrthum muß ein factiſcher ſeyn, kein Rechtsirrthum(b)L. 2 de confessis (42. 2 ), C. 3 X. de confess. (2. 18 ), C. 2 de restit. in VI. (1. 21).. Er darf nicht auf grober Nach - läſſigkeit beruhen(c)L. 11 § 11 de interr. (11. 1) nisi culpa dolo proxi - ma sit . . Er muß als Irrthum bewieſen werden, ſo daß der bloße Beweis des Gegentheils der ein - geſtandenen Thatſachen nicht hinreicht(d)C. 3 X. de confessis (2. 18) si de hujusmodi po - tuerit errore docere . Es wird ſtets darauf ankommen, die Entſtehung der irrigen Meinung aus ſcheinbaren äußeren Thatſachen nachzuweiſen. Beiſpiele eines ſolchen Beweiſes finden ſich in L. 11 § 8 de interr. (11. 1).. Dieſer wichtige, in unſern Rechtsquellen ausdrücklich anerkannte Satz iſt die nothwendige Folge davon, daß dem Geſtändniß ja auch ganz andere Abſichten, als die Anerkennung der Wahrheit, zum32Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Grunde liegen können, unter andern die Abſicht, zu ſchenken (§ 303). Ferner können nur durch dieſen Beweis die oben aufgeſtellten Bedingungen feſtgeſtellt werden, daß nämlich der Irrthum blos factiſch ſeyn und nicht auf grober Nach - läſſigkeit beruhen muß.

Dieſe Grundſätze ſind gleichmäßig anzuwenden auf die confessio und auf die interrogatio (Note a). Bei dieſer letzten alſo wird durch die Reſtitution der Quaſicontract (§ 305. v) entkräftet. Was aber die Strafverpflichtung wegen wiſſentlicher Unwahrheit betrifft (§ 305. x), ſo iſt ſelbſt der Begriff einer ſolchen Unwahrheit durch den Be - weis des Irrthums ausgeſchloſſen(e)L. 11 §. 3. 10. 11. de interr. (11. 1)..

Dabei iſt noch beſonders aufmerkſam zu machen auf die innere Verwandtſchaft des Widerrufs eines irrigen Geſtänd - niſſes mit der condictio indebiti. Hier, wie dort, muß der Irrthum bewieſen werden, welcher ein factiſcher ſeyn und nicht auf grober Nachläſſigkeit beruhen muß. Von dieſer Verwandtſchaft wird ſogleich noch weiterer Gebrauch ge - macht werden.

3. Die förmliche Reſtitution wird aber nicht in allen Fällen erfordert.

Wenn der Geſtändige noch vor dem Prätor ſeine Er - klärung zurück nehmen oder verbeſſern wollte, bevor dadurch dem Gegner ein Schade entſtanden ſeyn konnte, ſo war ihm Dieſes geſtattet, ohne daß es dazu eines Beweiſes und einer Reſtitution bedurfte. Nach der Litisconteſtation, alſo33§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.vor dem Juder, war eine ſolche Veränderung nicht mehr möglich, ohne auf den Prätor zurück zu gehen und Re - ſtitution zu erlangen(f)L. 11 § 12 de interr. (11. 1), licere responsi poeni - tere. L. 26 § 5 de nox. act. (9. 4)..

Wenn ferner das Eingeſtandene in Folge von Rechts - regeln als unmöglich erkannt werden muß, ſo bedarf es keiner Reſtitution, und auch ſchon der Römiſche Judex mußte dieſem Geſtändniß jede Wirkung verfagen. Wenn alſo eine Noxalklage angeſtellt wurde wegen der Handlung eines Sklaven oder Sohnes gegen den vermeintlichen Herrn oder Vater, welcher auf Befragen das Daſeyn der po - testas einräumte, ſo war dieſes Geſtändniß allerdings hin - reichend, um gerade ihn zum Schuldner zu machen, und alſo die Schuld vom wahren Herrn oder Vater auf ihn zu übertragen. Wenn aber hinterher bewieſen wurde, daß der Thäter gar nicht Sklave oder Sohn, ſondern frei und unabhängig war, oder daß der Geſtändige gar nicht des Eigenthums (über einen Sklaven) fähig, oder ſeines Alters wegen nicht der väterlichen Gewalt über den (viel - leicht älteren) Thäter fähig war, ſo ſollte in allen dieſen Fällen dem Geſtändniß alle Wirkung verſagt werden(g)L. 13. 14. 16 de interr. (11. 1). In dieſem Sinn heißt es in den angeführten Stellen: quia falsae confessiones natu - ralibus convenire deberent , und: si id, quod in confessio - nem venit, et jus et naturam recipere potest . .

Dieſes iſt nun die einzige Beziehung, in welcher dem Beweis der Unmöglichkeit, worauf Manche einen unver -VII. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.hältnißmäßigen Werth legen, ein beſonderer Einfluß zuge - ſtanden werden kann. Allerdings iſt jede unmögliche That - ſache ſtets zugleich eine unwahre, und der Beweis der Unwahrheit einer Thatſache iſt die Grundlage für den Beweis des Irrthums über das früher abgegebene Ge - ſtändniß der Wahrheit dieſer Thatſache. Aber der voll - ſtändige Beweis dieſes Irrthums liegt darin nicht, weil das Unmögliche, eben ſo gut, als das blos Unwahre, mit Bewußtſeyn der Unwahrheit, folglich ohne Irrthum, einge - ſtanden ſeyn kann. Daher iſt es unrichtig, wenn Manche behaupten, der Beweis der Unmöglichkeit ſey ſtets hinreichend, und mache den Beweis des Irrthums unnöthig. Wenn alſo Jemand eine von ihm perſönlich begangene That ein - geſteht, ſo iſt zum Widerruf nicht hinreichend, daß er das Alibi beweiſt. Denn aus dem Alibi folgt allerdings, daß er die That nicht begangen haben kann, alſo auch nicht begangen hat; es folgt aber nicht, daß er im Irrthum war, als er das Geſtändniß der That ablegte. Ja ſogar wird gerade in dieſem Fall der Irrthum höchſt unwahrſcheinlich, vielleicht nur unter den abentheuerlichſten Vorausſetzungen möglich ſeyn.

§. 307. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Widerruf. (Fortſetzung.)

Die in dem vorhergehenden §. aufgeſtellten Grundſätze leiden eine Ausnahme in den Fällen der Klagen, worin35§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)das böswillige Leugnen durch die Verurtheilung auf den doppelten Werth beſtraft wird (ubi lis inficiando crescit in duplum) (§ 304). In dieſen Fällen hat das Geſtändniß die Natur eines Vergleichs, um der Gefahr der höheren Verurtheilung zu entgehen. Daher gilt hier kein Widerruf aus dem[Grund] des Irrthums, und keine Reſtitution, ſelbſt wenn der Irrthum bewieſen werden könnte(a)Dieſe Ausnahme hat keine Anwendung bei den Interrogationen, ſondern nur bei der eigentlichen confessio in jure. .

Hier zeigt ſich wieder die, ſchon oben erwähnte, Ver - wandtſchaft zwiſchen dem Widerruf des Geſtändniſſes und der condictio indebiti (§ 306). Denn auch die condictio indebiti iſt in denſelben Fällen ausgeſchloſſen(b)§ 7 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27 ), L. 4 C. de cond ind. (4. 5)., indem die Zahlung nicht als vermeintliche Erfüllung einer unzwei - felhaften Forderung angeſehen werden ſoll, ſondern als eine Vergleichsſumme zur Abwendung der Gefahr einer höheren Verurtheilung.

Dieſe Ausnahme alſo mußte gelten bei der actio judi - cati und depensi, ſo wie bei der Klage aus dem legatum damnationis einer beſtimmten Geldſumme. Daß ſie dabei von den alten Juriſten nicht erwähnt wird, erklärt ſich aus der Natur dieſer Schulden als reiner Geldſchulden. Denn bei dieſen wurde die ganze Sache vor dem Prätor zu Ende gebracht ohne Juder (§ 304), ſo daß dabei kaum jemals Zeit und Anlaß zu einem Widerruf des abgegebenen Ge -3*36Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtändniſſes geweſen ſeyn mag. Es bleiben alſo nur noch zwei Klagen dieſer Art zu betrachten übrig, die actio L. Aquiliae, und die Klage aus einem legatum damnationis auf eine beſtimmte Sache außer baarem Gelde.

Wenn die actio L. Aquiliae wegen der Tödtung oder Verwundung eines Sklaven angeſtellt wird, und der Be - klagte die That als von ihm begangen eingeſteht, ſo wird er dadurch unbedingt zum einfachen Schadenserſatz ver - pflichtet, und hat keine Reſtitution zu hoffen, auch wenn er ſich zum Beweiſe des Irrthums erbietet. Der entſchei - dende Grund dieſer auffallenden Vorſchrift liegt in der ſo eben bemerkten Vergleichsnatur eines ſolchen Geſtändniſſes, indem er dadurch der Gefahr entgeht, außerdem vielleicht zum doppelten Erſatz verurtheilt zu werden (§ 304. i). Allein dieſe Gefahr und die damit verbundene unbedingte Verpflichtung beſchränkt ſich auf die perſönliche Thäterſchaft des Beklagten. Wenn alſo der Widerruf dahin gerichtet iſt, daß der Sklave noch lebe, daß er ohne Wunden ſey, ſo bezieht ſich darauf die Ausnahme nicht; vielmehr iſt hier, wie bei anderen Klagen, die Reſtitution wegen eines Irr - thums zuläſſig. Allerdings kommt hier zu dem bereits geltend gemachten, ſchon allein genügenden Grund noch ein anderer hinzu, der ſelbſt ohne Beweis eines Irrthums hin - reichen würde, die Klage völlig auszuſchließen. Denn wenn der Sklave lebt und geſund iſt, ſo muß die Klage ohne Erfolg bleiben, da es ganz an einem Schaden fehlt, deſſen Abſchätzung allein der Verurtheilung einen Inhalt37§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)geben könnte(c)L. 24 ad L. Aquil. (9. 2).. Dagegen iſt hier die Unmöglichkeit an und für ſich keinesweges das entſcheidende Moment. Denn auch die Unmöglichkeit der Thäterſchaft könnte be - hauptet werden im Fall des erwieſenen Alibi, und doch würde hierin kein Grund liegen, die unbedingt verpflichtende Kraft des Geſtändniſſes zu beſchränken.

Der zweite hierher gehörende Fall iſt der eines legatum damnationis auf eine beſtimmte Sache außer baarem Geld. Wenn der verklagte Erbe die Verpflichtung zu dieſem Legat eingeſteht, ſo iſt er unbedingt verpflichtet, ſelbſt wenn er beweiſen kann, daß die Sache nie exiſtirt hat, oder daß ſie untergegangen iſt(d)L. 3 de confessis (42. 2 ) Julianus ait, confessum certum se debere legatum, omnimodo damnandum, etiamsi in rerum natura non fuisset, etsi jam a natura recessit, ita tamen, ut in aestimationem ejus dam - netur, quia confessus pro judi - cato habetur . Dieſer Stelle ſcheinen zwei andere nach ver - ſchiedenen Richtungen hin zu wider - ſprechen. L. 8 eod. Non om - nimodo confessus condemnari debet rei nomine, quae an in rerum natura esset incertum sit . Hier wird jedoch gar nicht geſagt, daß von einem legatum damnationis die Rede ſey; bei jeder andern Klage aber iſt die unbeſtimmte Verneinung ganz an ihrem Platze. L. 5 eod. Qui Stichum debere se confessus est, sive mortuus jam Stichus erat, sive post litis contesta - tionem decesserit, condemnan - dus est . Nach der Ueberſchrift der Stelle ſprach darin Ulpian von einer Stipulationsſchuld. Aus dieſem herausgeriſſenen Fragment aber iſt gar Nichts zu entnehmen, da gewiß noch irgend ein anderer Grund der Obligation hinzuge - dacht werden muß, beſonders in dem Fall des Todes nach der L. C., in welchem Fall eine Verpflichtung entſtanden ſeyn kann nur durch Dolus, Culpa, oder Mora des Be - klagten, ſ. o. B. 6 § 272. 273 Note l. . In dieſen beiden Fällen iſt das38Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Legat an ſich ungültig(e)L. 108 § 10. L. 36 § 3 de leg. 1 (30. un. ), § 16 J. de leg. (2. 20)., folglich die eingeſtandene Ver - pflichtung zum Legat unmöglich, woraus alſo folgt, daß auch hierin die Unmöglichkeit des Eingeſtandenen (se debere legatum) keinen Unterſchied macht. In dieſem Fall nun hat eben ſo, wie in dem vorhergehenden, das Geſtändniß die Natur eines Vergleichs, indem der Geſtändige nur den einfachen Werth des Legats leiſtet(f)L. 61 in f. ad L. Falc. (35. 2 ), L. 71 § 3 de leg. 1 (30. un.). , alſo die Gefahr der höheren Verurtheilung von ſich abwendet.

Die hier dargeſtellten Ausnahmen, in welchen das Ge - ſtändniß unbedingt, ohne Reſtitution wegen Irrthums, ver - pflichten ſoll, ſind für das heutige Recht ganz ohne An - wendung. Denn es iſt unbezweifelt, daß das ganze Rechts - inſtitut, welches mit dem Ausdruck: lis inficiando crescit in duplum bezeichnet wird, als ein einzelnes, höchſt poſitives, Stück der Römiſchen Ptrivatſtrafen, für unſer Recht ver - ſchwunden iſt. Damit aber müſſen auch die erwähnten Ausnahmen, als bloße Folgen jenes Inſtituts, nothwendig wegfallen.

Ich habe es verſucht, die in dieſer Lehre ſcheinbar widerſprechenden Stellen des Römiſchen Rechts zu ver - einigen. Neuere Schriftſteller haben verſchiedene Wege ein - geſchlagen, um zum Ziel einer ſolchen Vereinigung zu ge -39§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.langen. Iſt der hier verſuchte richtig, ſo bedarf es der beſonderen Prüfung und Widerlegung jener fremden Ver - ſuche nicht(g)Am nächſten der Wahrheit kommt wohl Bayer Vorträge S. 305 310, nur daß er die Un - möglichkeit dem Irrthum coordinirt, alſo für einen Grund des Wider - rufs gelten läßt auch ohne Beweis des Irrthums. Ebenſo legt Bethmann-Hollweg S. 272. 273 einen zu großen Werth auf die Unmöglichkeit an ſich, und ſtellt dagegen den Irrthum in den Hin - tergrund. Weber S. 58 64 iſt ganz verworren. Linde § 256 nimmt an, in der Regel ſey kein Widerruf zuläſſig, beſchränkt aber dieſe Regel durch eine große Zahl unzuſammenhangender Aus - nahmen..

§. 308. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Heutiges Recht.

Zunächſt könnte man glauben, die ganze hier dargeſtellte Lehre ſey ſchon deswegen unanwendbar, weil die confessio in jure und die interrogatio in jure mit dem alten ordo judiciorum verſchwunden ſeyn müßten. Allein der ordo judiciorum war ſchon zu Juſtinian’s Zeit längſt ſpurlos untergegangen, und doch wird in den Digeſten dieſe Lehre noch als praktiſches Recht vorgetragen. Wir werden alſo die Sache ganz im Sinn von Juſtinian vielmehr ſo auf - zufaſſen haben, daß nach der Verſchmelzung von jus und judicium die alten Rechtsinſtitute als confessio und interro - gatio in judicio fortbeſtehen.

Damit hängt zuſammen die Frage, worüber namhafte neuere Schriftſteller verſchiedener Meinung ſind, ob die ſo40Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.eben dargeſtellten poſitiven Vorſchriften des Römiſchen Rechts noch Geltung haben oder nicht(a)Heffter S. 290. 291 bejaht dieſe Frage, Bethmann - Hollweg S. 301 verneint dieſelbe.. Ich nehme an, daß die meiſten und wichtigſten Ausſprüche des Römiſchen Rechts in dieſer Lehre gar nicht als poſitive Vorſchriften, ſondern vielmehr als die natürliche Entwickelung dieſes Rechts - inſtituts anzuſehen ſind, allerdings mit einigen, nicht erheb - lichen, rein poſitiven Beimiſchungen, die für uns nicht mehr anwendbar ſind.

Die richtige Behandlung dieſer Lehre iſt bis jetzt durch Nichts ſo ſehr gehindert worden, als durch den Ausgangs - punkt, den man dafür zu wählen pflegte. Als Gattungs - begriff galt der eines Beweismittels, genannt Geſtändniß, beſtehend in der eigenen Erklärung Deſſen, gegen welchen damit ein Beweis geführt werden ſollte. Dieſer Gattungs - begriff wurde zerlegt in zwei Arten, das gerichtliche und das außergerichtliche Geſtändniß, je nachdem in oder außer dem Gericht jene Erklärung abgegeben wird; dieſe als untergeordnet angeſehene Verſchiedenheit konnte nicht hindern, beide Begriffe ihrem Weſen nach als gleichartig zu behandeln.

Ich gehe von einer völlig verſchiedenen Grundanſicht aus, deren Hauptzüge ſchon oben (§ 306) angegeben worden ſind. Beide Begriffe haben den Namen mit ein - ander gemein, ſind aber in ihrem inneren Weſen verſchieden. 41§. 308. Surrogate. I. Geſtänduiß. Heutiges Recht.Die genauere Darſtellung dieſer Verſchiedenheit wird zu - gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie ſich das heutige Recht zu den oben dargeſtellten Begriffen und Regeln des Römiſchen Rechts verhält, und was von dieſem letzten noch für uns brauchbar iſt.

Das gerichtliche Geſtändniß iſt die Erklärung, welche eine ſtreitende Partei vor dem Richter des vorlie - genden Rechtsſtreits über Gegenſtände dieſes Streites ab - giebt. Das Weſen und die wichtige Wirkung deſſelben beſteht in der Feſtſtellung der Gränzen zwiſchen dem ſtreitigen und nicht ſtreitigen Theil der gegenſeitigen Behauptungen. Da nun der Richter nur dazu berufen iſt, über den Streit der Parteien zu entſcheiden, ſo wird durch jedes gerichtliche Geſtändniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach beſtimmt und begränzt. Dieſes Geſtändniß alſo iſt nicht (ſo wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, ſo oder anders zu ſprechen, ſondern eine Feſtſtellung von Ge - genſtänden, worüber er ſich des eigenen Urtheils zu enthalten hat, weil ſie nicht zu dem, unter den Parteien ſtreitigen Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge - ſtändniß begründet alſo formelle Wahrheit (§ 303).

Das gerichtliche Geſtändniß kann ohne Zweifel auf reine Thatſachen gehen, weil die Feſtſtellung von Thatſachen einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsſtreits auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man ſagen, daß dadurch Thatſachen nicht ſowohl bewieſen, als dem42Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bedürfniß eines Beweiſes entzogen werden; einen prak - tiſchen Werth hat dieſe Unterſcheidung nicht.

Das gerichtliche Geſtändniß kann aber auch auf Rechts - verhältniſſe gehen, ja dieſes iſt das eigenthümlichſte Gebiet, worin es wirkt.

Für jedes gerichtliche Geſtändniß iſt ein Widerruf möglich, welcher zu einer richterlichen Reſtitution führen kann. Dieſe muß aber begründet werden durch den Be - weis eines Irrthums, welcher jedoch ein factiſcher Irr - thum ſeyn muß, und nicht aus großer Nachläſſigkeit hervor - gegangen ſeyn darf. Die Ueberzeugung des Richters von dem Daſeyn eines Irrthums als Entſtehungsgrund des Geſtändniſſes kann nur aus den Umſtänden hervorgehen, welche die Entſtehung des Irrthums natürlich und wahr - ſcheinlich erklären (§ 306 d.). Der bloße Beweis, daß das Eingeſtandene unwahr, ſelbſt daß es unmöglich ſey, iſt ohne Beweis eines Irrthums zur Reſtitution nicht hin - reichend.

Dieſes ſind die Regeln des Römiſchen Rechts über das gerichtliche Geſtändniß, welche oben ausführlich dargeſtellt worden ſind. In ihnen liegt Nichts, das als rein poſitiv, insbeſondere aus der eigenthümlichen Gerichtsverfaſſung der Römer entſprungen, angeſehen werden könnte. Sie ent - halten vielmehr eine reine Entwicklung dieſes Rechtsinſtituts, hervorgegangen aus den wahren praktiſchen Bedürfniſſen deſſelben. In den Grundſätzen unſers heutigen gemeinen43§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung jener Regeln hinderlich ſeyn könnte

Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten, ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An - wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar - keit iſt auch unſere Praxis niemals im Zweifel geweſen. Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.

1. Von einem Unterſchied zwiſchen confessio in jure und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede ſeyn; ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied, und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich - gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß - leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts - ſtreites felbſt.

2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In - terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen Prozeß gewiß fremd.

3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte, jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht - liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem legatum damnationis (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden44Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.als bloße Folge der Verurtheilung in den doppelten Werth, welche überhaupt nur ein Stück des ganzen Syſtems der Privatſtrafen iſt, und mit dieſem Syſtem in unſer heutiges Recht keinen Eingang gefunden hat. Insbeſondere bei dem legatum damnationis iſt eine ſolche Ausnahme unanwendbar, weil dieſe eigenthümliche Form der Legate nicht nur für uns verſchwunden, ſondern ſelbſt ſchon von Juſtinian geſetz - lich aufgehoben und mit allen übrigen Legaten verſchmolzen worden iſt(b)L. 1 C. communia de leg. (6. 43 ), § 2 J. de leg. (2. 20)..

4. Das gerichtliche Geſtändniß iſt im heutigen Recht niemals eigentliches Surrogat eines Urtheils, ſo daß das Urtheil ſelbſt dadurch entbehrlich würde. Vielmehr muß immer noch ein Urtheil geſprochen werden, deſſen Inhalt jedoch mit dem Inhalt des Urtheils übereinſtimmen muß. So war es von jeher ſchon im Römiſchen Recht in den allermeiſten Fällen, nämlich nur mit Ausnahme des auf eine beſtimmte Geldſchuld gerichteten Geſtändniſſes (§ 303); ſeit der Aufhebung des ordo judiciorum allgemein (§ 304). In dieſer Rückſicht alſo iſt kein Unterſchied zwiſchen dem heutigen und dem Römiſchen Prozeß.

Außergerichtliches Geſtändniß heißt jede Er - klärung einer ſtreitenden Partei, die über einen Gegenſtand dieſes Rechtsſtreites nicht vor dem Richter deſſelben abge - geben wird; wohin alſo nicht nur reine Privaterklärungen, in Briefen und Geſprächen niedergelegt, gehören, ſondern auch gerichtliche Erklärungen, die in einem anderen, als45§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.dem jetzt vorliegenden Rechtsſtreite vorkommen. Dieſes Geſtändniß iſt ein reines Beweismittel, und kann einen vollſtändigen Beweis bilden, weil Jeder gegen ſich ſelbſt ein glaubwürdiges Zeugniß ablegen lann.

Als Beweismittel kann dieſes Geſtändniß eigentlich nur auf reine Thatſachen gehen, nicht auf Rechtsverhältniſſe. Da jedoch jedem Nechtsverhältniß Thatſachen zum Grunde liegen, und da oft die Sache eine ſo einfache Natur hat, daß nur die Thatſache ſtreitig ſeyn kann, ſo kann auch die über ein Rechtsverhältniß abgegebene Erklärung nach Um - ſtänden den vollen Beweis einer Thatſache bilden (§ 304). So z. B. wenn Jemand in einem Briefe erklärt, daß er einem Anderen Hundert aus einem Darlehen oder Hundert aus einem Kaufvertrag ſchuldig ſey, ſo liegt darin die unzweifelhafte Erklärung, daß er Hundert als Darlehen empfangen, oder Hundert als Kaufgeld verſprochen habe, welches reine Thatſachen ſind, die durch jenes außergerichtliche Geſtändniß vollſtändig bewieſen werden.

Das außergerichtliche Geſtändniß kann widerrufen und entkräftet werden dadurch, daß das Gegentheil der einge - ſtandenen Thatſachen vollſtändig bewieſen wird. Einer Reſtitution bedarf es dazu nicht, alſo kommt es auch nicht auf den Beweis eines Irrthums, und auf die beſonderen Eigenſchaften dieſes Irrthums an, eben weil jenes Ge - ſtändniß keine verpflichtende Handlung iſt, ſondern ein reines Beweismittel.

46Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Unſere Schriftſteller über den Prozeß haben dieſe weſentlichen Unterſchiede beider Arten des Geſtändniſſes großentheils verkannt, und daher die ganze Lehre vom Ge - ſtändniß nicht auf befriedigende Weiſe behandelt(c)Danz Prozeß § 292 299, Martin § 128. Selbſt Beth - mann-Hollweg, der die Lehre im Ganzen ſehr richtig auffaßt, ſcheint doch in dieſem Punkt nicht ganz im Klaren zu ſeyn. S. 310 ſchreibt er zwar dem gerichtlichen Geſtändniß förmliche Wahr - heit zu, aber S. 311 geſtattet er doch dagegen den Beweis des bloßen Gegentheils der eingeſtandenen Thatſache, ohne Anfechtung wegen eines bewieſenen Irrthums..

Sehr merkwürdig iſt die Art, in welcher die Preußiſche Prozeßgeſetzgebung dieſen Gegenſtand behandelt(d)Allg. Gerichtsordnung I. 8 § 14 16, II. 10 § 27 bis § 82 und § 88 b. . Aller - dings folgt ſie im Allgemeinen den herrſchenden Anſichten der Schriftſteller des gemeinen Rechts, welche beide Arten des Geſtändniſſes als reine Beweismittel und als Arten deſſelben Gattungsbegriffs behandeln. Aber die Behandlung im Einzelnen nähert ſich auf merkwürdige Weiſe der rich - tigen Auffaſſung des Römiſchen Rechts.

Wenn der Beklagte den Anſpruch des Klägers voll - ſtändig einräumt, ſo erfolgt kein Urtheil, ſondern ein bloßes Agnitionsreſolut, welches jedoch wie ein Urtheil publicirt wird, und zur Execution geeignet iſt. Dieſes iſt im Weſentlichen die ältere Römiſche Behandlung der confessio in jure.

47§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.

Jedes Geſtändniß kann widerrufen werden, aber es iſt nicht genug, das Gegentheil des Eingeſtandenen zu beweiſen, ſondern es muß in allen Fällen der Irrthum nachgewieſen werden, welches nur dadurch geſchehen kann, daß deſſen Entſtehung aus wahrſcheinlichen Gründen dargethan wird. Jedem Widerruf ſteht die Vermuthung der Wahrheit des Eingeſtandenen entgegen, jedoch in verſchiedenen Graden, das heißt, der Richter ſoll mit der Zulaſſung des Widerrufs mehr oder weniger ſchwierig und ſtrenge ſeyn; am ſtrengſten bei dem gerichtlichen Geſtändniß im gegenwärtigen Prozeß, weniger bei dem, in einem anderen Prozeß abgegebenen gerichtlichen Geſtändniß; am wenigſten bei dem außergericht - lichen. Durch dieſe Strenge, und die damit verbundene Abſtufung, wird die grundſätzlich unrichtige Behandlung der Sache großentheils wieder gut gemacht.

§. 309. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Einleitung.

Quellen:

  • Dig. XII. 2 (de jurejurando, sive voluntario, sive neces - sario, sive judiciali).
  • Cod. IV. 1 (de rebus creditis et jurejurando).
  • Paulus II. 1.

Schriftſteller:

  • Malblanc doctrina de jurejurando Nor. 1781. 8 (enthält viel praktiſches Material).
  • Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 127. 135. 150.
48Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2 §. 173. 174.

(Beide für die geſchichtliche Seite der Lehre.)

Der Eid beſteht in der Betheuerung der Wahrheit irgend eines Ausſpruchs[durch] Beziehung auf einen Gegenſtand, der von dem Schwörenden als ein hoher, heiliger angeſehen wird(a)Das R. R. läßt in der Auswahl dieſer Gegenſtände die größte Freiheit zu, z. B. per salutem tuam, per caput tuum vel filiorum, per genium prin - cipis, auch ſelbſt propriae super - stitionis, nur nicht improbatae publice religionis; dieſer Eid iſt verboten und hat gar nicht die Wirkungen eines Eides. L. 5 pr. § 1. 3 de jur. (12. 2). Für Chriſten giebt es keinen anderen Eid, als bei dem Namen Gottes, obgleich dabei verſchiedene Aus - drücke vorkommen können.. Dieſe Beziehung ſoll gegen Andere eine gewiſſe Sicherheit geben für die Wahrheit des Ausſpruchs, das heißt, für die Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Bewußt - ſeyn des Schwörenden, indem vorausgeſetzt wird, daß die Ehrfurcht vor dem bezogenen Gegenſtand eine gleichzeitige Abweichung von der Wahrheit hindern werde(b)Cicero de officiis III. 29. Est enim jusjurandum affirmatio religiosa. Quod autem affirmate, quasi Deo teste, promiseris, id tenendum est . .

Das auf dieſe Weiſe verſicherte Bewußtſeyn kann zweierlei Inhalt oder Richtung haben:

I. Richtung auf die Zukunft, wobei alſo der Eid Sicherheit geben ſoll für den Willen und die künftige That. Die Neueren nennen dieſen Eid, deſſen juriſtiſche Bedeutung49§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.nur eine obligatoriſche ſeyn kann, als Beſtärkung eines Verſprechens, jusjurandum promissorium.

II. Richtung auf die Vergangenheit, wobei der Eid Sicherheit geben ſoll für die Wahrheit des ausgeſprochenen Denkens. Dieſer Eid wird von den Neueren assertorium genannt. Seiner allgemeinen Natur nach geht derſelbe auf reine Thatſachen, iſt alſo bloßes Beweismittel, und gehört lediglich in die Prozeßlehre. So iſt es in der That mit dem Zeugeneid, desgleichen mit dem Erfüllungseid und Reinigungseid der Parteien.

Eine eigenthümliche Natur aber hat im Römiſchen Recht der zugeſchobene Eid (jusjurandum delatum) ange - nommen, welcher unter gewiſſen Umſtänden ſelbſtſtändiges Mittel der Entſcheidung eines Rechtsſtreits, alſo Surrogat eines Urtheils werden kann, und daher ganz eigentlich hierher gehört.

Ueber die Anwendungen des promiſſoriſchen Eides ſoll hier, damit es an einer vollſtändigen Anſchauung der ganzen Lehre nicht fehle, eine kurze Ueberſicht gegeben werden. Die Fälle dieſer Anwendung ſind ſo verſchiedenartig, daß das Obligationenrecht keine Gelegenheit darbietet, ſie unter einem gemeinſamen Geſichtspunkte zuſammen zu faſſen.

Es kommt dieſer Eid vor, ſowohl im öffentlichen Recht, als im Privatrecht. Im öffentlichen Recht: der Eid der Soldaten, der Beamten, des Vormundes.

VII. 450Buch II. Rechtsverhältnifſe. Kap. IV. Verletzung.

Im Privatrecht ſind die Anwendungen des Verſprechungs - eides nicht von Erheblichkeit; folgende kommen im Römiſchen Recht vor:

1. Die wichtigſte und eigenthümlichſte Anwendung findet ſich bei den Dienſten freigelaſſener Sklaven, die der Patron einklagen konnte, wenn ſie eidlich verſprochen waren. Das Bedürfniß und der Nutzen dieſer Rechts - form wäre klar, wenn der, noch im Sklavenſtand wegen künftiger Dienſte geleiſtete Eid dieſe Kraft gehabt hätte, weil der Sklave durch gewöhnliche Vertragsformen ſich nicht klagbar verpflichten konnte. Aber gerade in dieſem Fall ſollte auch ſelbſt der Eid keine Klage bewirken, ſondern nur, wenn derſelbe nach der Freilaſſung geleiſtet wurde; zu dieſer Zeit aber war auch die gewöhnliche Sti - pulation zuläſſig und von gleicher Wirkung, ſo daß man zwiſchen ihr und dem Eid die Wahl hatte. Der Gebrauch dieſer beſonderen Form iſt wohl daraus zu erklären, daß ein ſolcher Eid auch ſchon im Sklavenſtand üblich war, und dann zwar keine Klage bewirkte, wohl aber die religiöſe Verpflichtung mit ſich führte, denſelben Eid nach der Frei - laſſung zu wiederholen, wodurch er dann klagbar wurde(c)L. 7 de op. libert. (38. 1 ), L. 44 de lib. causa (40. 12)..

Daß das Recht aus dieſem Eid durch jede capitis deminutio des Patrons unterging, iſt ſchon oben bemerkt worden(d)Gajus III. § 83, § 1. J. de adqu. per adrog. (3. 10). S. o. B. 2 S. 81..

51§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

2. Die Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts durch den Eid ſoll daſſelbe ſelbſt dann unanfechtbar machen, wenn es außerdem hätte angefochten werden können.

Dieſer wichtige abſtracte Grundſatz iſt dem Römiſchen Recht ſelbſt fremd. Nur die Reſtitution iſt überhaupt und am meiſten in Beziehung auf die Minderjährigen, einem ſehr freien Ermeſſen der richterlichen Obrigkeit unter - worfen(e)L. 3 de in int. rest. (4. 1 ), L. 24 § 1. 5 de minor. (4. 4)., und ſo findet ſich denn auch einmal ein kaiſer - liches Reſcript, welches die von einem Minderjährigen bei dem Kaiſer (wahrſcheinlich in der Appellationsinſtanz) nach - geſuchte Reſtitution gegen eine Veräußerung unter andern aus dem Grunde abſchlägt, weil der Vertrag durch Eid beſtätigt ſey, die Anfechtung alſo einen Meineid in ſich ſchließen würde(f)L. 1 C. si adv. vend. (2. 28).. Allein dieſes Reſcript, welches offen - bar mit Rückſicht auf alle Umſtände des einzelnen Falles erlaſſen war, kann unmöglich als abſtracte Vorſchrift für den Eid der Minderjährigen überhaupt angeſehen werden, weder im Sinn ſeines Verfaſſers, noch im Sinn der Ju - ſtinianiſchen Sammlung, in welche es aufgenommen wurde; es ſollte hier blos zeigen, daß unter den Gründen der Verweigerung einer Reſtitution auch ein geleiſteter Eid vorkommen könne. Dennoch iſt jener Stelle im zwölften Jahrhundert von einer Partei der Juriſten (im Widerſpruch mit einer andern Partei) der erwähnte abſtracte Sinn bei - gelegt worden, und der K. Friedrich I. hat dieſe falſche4*52Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Auslegung geſetzlich beſtätigt, welche ſeitdem als Beſtand - theil des Römiſchen Rechts anerkannt worden iſt(g)Auth. Frid. Sacramenta puberum C. si adv. vend. (2. 28). Vgl. Savigny Rechtsgeſchichte B. 4 S. 162.. Päbſtliche Verordnungen haben dieſen Satz anerkannt und näher ausgebildet(h)C. 28 X de jurej. (2. 24 ), C. 2 de pactis in VI. (1. 18)..

3. Die Anfechtung eines beſchworenen Vergleichs oder anderen Vertrags ſoll die Infamie zur Folge haben(i)L. 41 C. de transact. (2. 4)..

4. Wenn ein Zahlungsverſprechen per genium principis eidlich beſtärkt, dann aber nicht erfüllt wird, ſo ſoll darauf die Strafe körperlicher Züchtigung erfolgen(k)L. 13 §. 6 de jurej. (12. 2)..

5. Der Ausſpruch eines Schiedsrichters ſollte klagbar wirken, wenn das Compromiß eidlich beſtärkt wäre(l)L. 4. C. de recept. (2. 56).. Dieſe Beſtimmung iſt jedoch ſpäterhin wieder aufgehoben worden(m)Nov. 82 C. 11, Auth. Decernit. C. de recept. (2. 56)..

6. Endlich kann die Leiſtung eines Eides einem Rechtsge - ſchäft als Bedingung hinzugefügt werden, in welchem Fall durch willkürliche Uebereinkunft der Eid, gleich jeder an - deren Thatſache, zum Grund der Entſtehung oder auch der Auf - hebung einer Verbindlichkeit gemacht werden kann(n)L. 19. § 6 de don. (39. 5 ), L. 39 de jurej. (12. 2).. Nur bei Erbeinſetzungen und Legaten iſt eine ſolche Be - dingung (die conditio jurisjurandi) beſonders unterſagt, und da, wo ſie dennoch hinzugefügt wird, ſoll der letzte Wille53§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.als unbedingt behandelt, und die zu beſchwörende Handlung in einen Modus verwandelt werden(o)S. o. B. 3 S. 185 190..

Der zugeſchobene Eid, von welchem allein nunmehr die Rede ſeyn wird, beruht auf dem Grundſatz, daß Jeder, der in einem zweifelhaften, ſtreitigen Rechtsverhältniſſe zu einem Anderen ſteht, die Feſtſtellung deſſelben durch Eid bewirken kann. Aus dem Eide entſteht dann ſtets formelle Wahrheit, ſo wie aus dem gerichtlichen Geſtändniß (§ 303). Unter gewiſſen Bedingungen kann daraus ſogar die ſelbſt - ſtändige Entſcheidung eines Streites hervorgehen, in welchem Fall ein richterliches Urtheil entbehrlich wird, und der Eid ſelbſt als Surrogat des Urtheils erſcheint.

Wäre dieſer Grundſatz ſo gemeint, daß jede Partei verlangen könnte, durch ihren eigenen Eid den Rechtsſtreit zu entſcheiden, ſo wäre dieſes Inſtitut für die Rechtsſicher - heit höchſt gefährlich; in vielen Fällen würde Alles von dem Zufall abhangen, welcher von Beiden ſich zuerſt zum Eide meldete. Es ſoll daher keine Partei befugt ſeyn, ſich ſelbſt des Eides willkührlich zu bemächtigen(p)L. 3 pr. de jurej. (12.2) .. nam si reus juravit, ne - mine ei jusjurandum deferente, Praetor id jusjurandum non tuebitur, sibi enim juravit; alioquin facillimus quisque ad jusjurandum decurrens, nemine sibi deferente jusjurandum, oneribus actionum se liberabit . . Jener Grundſatz aber hat vielmehr die Bedeutung, daß Jeder ſeinem Gegner den Eid zuſchieben kann, und daß der ſo54Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streites haben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche, daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen werde.

Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der folgenden drei verſchiedenen Zuſtände.

  • 1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer - gerichtlicher Eid).
  • 2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor (in jure).
  • 3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder (in judicio).

In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her - vorgehenden, formellen Wahrheit, ſtehen dieſe drei Fälle nach Römiſchem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber haben noch folgende Eigenthümlichkeiten.

Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu - ſchiebung für den Gegner eine gewiſſe Nothwendigkeit, ein Zwang, herbeigeführt, wovon im erſten Fall nicht die Rede iſt.

55§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

Im zweiten Fall können zugleich noch beſondere und ſtärkere Wirkungen eintreten.

Außer der wirklichen Ableiſtung des Eides aber kommen noch folgende erhebliche Ereigniſſe in Betracht:

  • A. Der Erlaß des Eides (remissio), nachdem der Gegner ihn angenommen hat, und zu ſchwören bereit ge - weſen iſt.
  • B. Die Zurückſchiebung des Eides (relatio). Durch dieſe wird daſſelbe Verhältniß, wie durch die ur - ſprüngliche Zuſchiebung, mit allen ſeinen Folgen, herbeigeführt, nur mit umgekehrter Stellung beider Parteien.

Die hier überſichtlich aufgeſtellten Sätze ſollen nunmehr einzeln entwickelt und aus unſeren Rechtsquellen nachge - wieſen werden, wobei folgender Gang der Unterſuchung engeſchlagen werden wird:

  • A. Römiſches Recht.
    • I. Zuſchiebung.
    • II. Ableiſtung.
    • III. Möglicher Inhalt des Eides.
    • IV. Form des Eides.
    • V. Erlaß.
    • VI. Gemeinſame Wirkungen.
    • VII. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des Streites.
  • B. Heutiges Recht.
56Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 310. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Zuſchiebung, Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeſchobenen Eides.

I. Zuſchiebung des Eides.

Nur durch dieſe völlig freie Handlung einer Partei kann die Reihe von Wirkungen hervorgerufen werden, die das Weſen dieſes Rechtsinſtituts ausmacht. Der einſeitige Eid alſo, ohne vorhergehende Zuſchiebung, iſt völlig wir - kungslos (§ 309. p).

Die Zuſchiebung iſt möglich in und außer einem Rechts - ſtreit. Sie kann geſchehen ſowohl von dem Kläger (d. h. der es ſchon iſt, oder künftig werden kann), als von dem Be - klagten. Wenn Beide gleichzeitig damit auftreten, ſoll der Kläger den Vorzug haben(a)Paulus II. 1 §. 2.; dieſe Regel iſt aber ohne praktiſche Wichtigkeit, weil ohnehin Jeder den zugeſchobenen Eid zurückſchieben kann, welche Handlung mit der erſten Zuſchiebung gleiche Wirkung hat (§ 312. c. g.).

Die in der Zuſchiebung liegende freie Handlung iſt nicht ohne Gefahr, weil durch ſie die Entſcheidung der Sache in die Macht des Gegners gelegt wird; ſie hat alſo eine ähnliche Natur, wie eine Veräußerung (deteriorem facit conditionem). Daher iſt dazu ein Unmündiger nicht ohne ſeinen Vormund fähig(b)L. 17 § 1 de jurej. (12. 2).; der Minderjährige iſt57§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.fähig, kann aber Reſtitution dagegen erhalten(c)L. 9 § 4 eod. L. 4 C. eod. (4. 1), die aus der ange - führten Stelle der Digeſten erklärt werden muß; pupillus ſoll alſo hier ſo viel heißen als: quondam pupillus. ; der erklärte Verſchwender iſt ganz unfähig(d)L. 35 §. 1 eod. . Ein zahlungs - unfähiger Schuldner kann dieſe Handlung nicht vornehmen zum Nachtheil ſeiner Gläubiger(e)L. 9 § 5 eod. . Jeder Tutor oder Curator der Partei iſt dazu fähig; ein Procurator nur, wenn ſeine Vollmacht auf das ganze Vermögen, oder auf dieſe Handlung beſonders, oder in rem suam gerichtet iſt(f)L. 17 § 2. 3, L. 18. 19. 34 § 1. L. 35 pr. eod., L. 7 C. eod. (4. 1).. Der Sklave oder der Sohn der Partei iſt dazu nur fähig, wenn der Streit auf ſein Peculium ſich bezieht, und zugleich deſſen freie Verwaltung ihm anvertraut iſt(g)L. 20. 21. 22 eod. .

II. Ableiſtung des Eides.

Dieſe freie Handlung kann keinen Nachtheil bringen, nur Vortheil, und iſt daher einem Erwerbe zu vergleichen (meliorem facit conditionem).

Daher iſt dazu Jeder fähig, ohne Rückſicht auf ſein Alter, auch der Unmündige; denn der Gegner hat in die mit dem unmündigen Alter verbundene Gefahr einge - willigt(h)L. 26 pr. L. 42 pr. eod. Scheinbar widerſpricht L. 34 § 2 eod. pupillo non defertur jusjurandum. Das heißt aber nur ſo viel, daß der Unmündige nicht ſo, wie jeder Andere, gezwun - gen iſt, ſich auf den zugeſchobenen Eid einzulaſſen..

58Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der Procurator der Partei, ſo wie der Defenſor ohne Auftrag, können den ihnen zugeſchobenen Eid ableiſten, ſind aber nicht zur Einlaſſung genöthigt(i)L. 9 § 6. L. 42 § 2. L. 34 § 3 eod. .

Wegen eines Rechtsſtreits, der das Peculium betrifft, kann der Sklave oder Sohn ſchwören, auch wenn er keine freie Verwaltung hat(k)L. 23. 24. 25 eod. . Eben ſo kann deshalb der Vater ſchwören, daß der Sohn Nichts ſchuldig ſey(l)L. 26 § 1 eod. .

Wollen aber dieſe Perſonen nicht ſelbſt ſchwören, ſondern den Eid zurück ſchieben, ſo treten dabei wieder dieſelben Beſchränkungen ein, wie bei der erſten Zuſchiebung(m)L. 24 eod. .

Die bloße Annahme des Eides übrigens, ohne wirkliche Ableiſtung, giebt kein unwiderrufliches Recht auf die Ab - leiſtung; vielmehr kann die Zuſchiebung willkürlich zurück - genommen werden bis zum Urtheil(n)L. 11. 12 pr. C. eod. (4. 1)..

Sehr beſtritten iſt die Frage, wer den Eid abzuleiſten hat, wenn derſelbe einer juriſtiſchen Perſon zugeſchoben wird, da