PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Syſtem des heutigen Römiſchen Rechts
Siebenter Band.
Mit. K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.
Berlin. Bei Veit und Comp.1848.
[II][III]

Vorrede.

Viele mögen glauben, daß es einer beſonderen Rechtfertigung bedürfe, wenn in der gegenwärtigen Zeit ein Werk über das Römiſche Recht unter - nommen, oder auch nur fortgeſetzt werde. Schon lange vor dem Sturm, der über Europa einher gezogen iſt, war in Deutſchland jenes Recht von manchen Seiten her als ein fremdes, unvaterländiſches angefochten worden, und es hatte ſich nicht ſelten dem ungün - ſtigen Urtheil über den Gegenſtand auch eine Miß - ſtimmung gegen die Anhänger und Bearbeiter unvermerkt beigemiſcht, indem die Bekämpfung deſſelben mit einer vorzugsweiſe vaterländiſchen Ge - ſinnung, die Anhänglichkeit an daſſelbe mit einer dem Vaterlande fremden oder gleichgültigen inIVVorrede.Verbindung gedacht wurde. Eine ſolche Auffaſſung mußte neue Nahrung gewinnen durch die letzten Weltbewegungen, von welchen ſelbſt wiſſenſchaftliche Gegenſätze und Parteiungen, obgleich dem an ſich ſtillen und friedlichen geiſtigen Gebiete angehörend, nicht unberührt bleiben konnten.

Da nun in jenen Bewegungen unter den treibenden Kräften die Nationalität eine der erſten Stellen einnimmt, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe, von jetzt an für uns Deutſche das deutſche Recht als allein zuläſſig, als einzigen, der wiſſenſchaftlichen Thätigkeit würdigen Gegenſtand zu betrachten.

Indeſſen iſt die Frage von der Stellung des Römiſchen Rechts zum Deutſchen Recht und zum Deutſchen Vaterlande überhaupt, nicht von heute und geſtern; ſie iſt älter, als der Sturm unſerer Tage, und ſo habe auch ich ſeit länger, als einem Menſchenalter, Gelegenheit gehabt, mich über dieſe Frage öfter auszuſprechen(a)Ich verweiſe zunächſt auf die Vorrede zum erſten Band dieſes Werkes, aus deren ausführ - licher Darſtellung die hier folgen - den Gedanken einen zuſammen - gedrängten Auszug enthalten, ſo wie ihn das Bedürfniß des gegen - wärtigen Augenblicks zu erfordern ſchien.. Ein Gleiches iſt von Manchen meiner wiſſenſchaftlichen FreundeVVorrede.geſchehen, auch von ſolchen, die nicht mehr unter uns ſind.

Die unbefangene Betrachtung des hier vorlie - genden Gegenſatzes kann nicht mehr verdunkelt werden, als durch eine ungehörige Einmiſchung der vaterländiſchen Geſinnung in die Prüfung der ent - gegenſtehenden Meinungen, indem man denſelben bald Gunſt, bald Ungunſt zuzuwenden verſucht, je nachdem die eine oder die andere Meinung als Kennzeichen des Beſitzes oder des Mangels einer ſolchen Ge - ſinnung dargeſtellt wird. Dieſes Verfahren alſo muß vor Allem vermeiden, Wer in der Erforſchung der Wahrheit durch keinen falſchen Schein ſich ſtören zu laſſen entſchloſſen iſt. Ich will gerne in meiner Wiſſenſchaft die tiefere Einſicht und die vielſeitigere Auffaſſung Anderer anerkennen, durch welche ich ſelbſt ja nur gehoben und bereichert werden kann. Ich bin ferner bereit, es als möglich anzuerkennen, daß die großen Schickſale unſerer Tage auch in den Wiſſenſchaften neue Entwickelungen hervorrufen werden, denen vielleicht die abnehmenden Kräfte eines höheren Alters nicht mehr gewachſen ſeyn dürften. Mögen ſich denn Forſcher von friſchen Kräften zur Löſung dieſer Aufgabe hervorthun, undVIVorrede.mögen ſie ſowohl ſelbſt den Ernſt der Aufgabe erkennen, als von außen, neben unbefangener Auf - nahme, zugleich auch ſtrenge Prüfung ihrer Be - rechtigung finden. Aber in ernſter, aufrichtiger, warmer Liebe zu meinem Vaterlande, in der Be - reitſchaft, ihm jedes Opfer der Selbſtverleugnung zu bringen, will ich Keinem nachſtehen, wer er auch ſey.

Wenn von mir und Anderen das Römiſche Recht auch in Deutſchland hoch geſtellt, wenn es fort - während für einen würdigen, ja unentbehrlichen Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Thätigkeit erachtet worden iſt, ſo iſt Dieſes geſchehen, nicht um das Fremde zu erheben auf Koſten der vaterländiſchen Ehre, nicht um die einheimiſchen Gedanken und Sitten des Rechts zu verdrängen durch die fremden, ſondern damit auch auf dieſem Felde Das, was Gott anderen Zeiten und Völkern an geiſtiger Ent - wicklung beſchieden hat, unſerm Volke nicht fremd bleibe, daß es ihm vielmehr zur Erhöhung der eigenen Kraft und zur Erweiterung ſeines geiſtigen Beſitzes zubereitet und dargeboten werde.

Ganz beſonders aber iſt es geſchehen in der Ueberzeugung, daß für uns Deutſche, wie für vieleVIIVorrede.andere Nationen, jenes urſprünglich fremde Element ohnehin ſeit Jahrhunderten ein Beſtandtheil des einheimiſchen Rechtslebens geworden iſt, und daß es hier, großentheils unverſtanden oder halbver - ſtanden, oft verderblich wirkt, anſtatt daß es, in richtigem Verſtändniß, nur eine Bereicherung des eigenen Rechtslebens ſchaffen kann. Wir haben alſo gar nicht zu fragen, ob wir das Römiſche Recht, etwa wie eine neu entdeckte Inſel, auf ſich beruhen laſſen, oder uns aneignen wollen mit allen Vortheilen und Schwierigkeiten, die es etwa mit ſich führen mag. Wir haben es einmal, unſer ganzes juriſtiſches Denken iſt ſeit Jahrhunderten damit ver - wachſen, und die Frage iſt nur, ob durch daſſelbe unſer Denken bewußtlos unterjocht, oder vielmehr mit freiem Bewußtſeyn geſtärkt und bereichert werden ſoll.

Man könnte etwa dieſe geſchichtliche Nothwendig - keit als Thatſache anerkennen, aber als ein Uebel beklagen, und dieſer Gedanke könnte zu dem Ent - ſchluß führen, das Römiſche Recht durch eigene Schöpfungen zu verdrängen und in Vergeſſenheit zu bringen. Nicht zu gedenken aber, daß dieſes Be - ſtreben nur zu einer, den Rechtszuſtand weſentlichVIIIVorrede.verſchlimmernden Selbſttäuſchung führen würde, iſt auch jener Gedanke ſelbſt von Grund aus irrig und verwerflich. Die erwähnte geſchichtliche Verbindung des Römiſchen Rechts mit dem Rechtsleben eines großen Theils von Europa iſt ſo wenig ein Uebel zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte Wohlthat erkennen müſſen. Die Beſchäftigung mit dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei - fachen Gefahr: durch Theorie ſich zu verflüchtigen in die hohlen Abſtractionen eines vermeintlichen Naturrechts, durch die Praxis herabzuſinken zu einem geiſtloſen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen beide Gefahren gewährt das Römiſche Recht, wenn wir es recht gebrauchen, ein ſicheres Heilmittel. Es hält uns feſt auf dem Boden eines lebens - kräftigen Daſeyns; es knüpft unſer juriſtiſches Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit, anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide Theile gleich heilſamen, Verbindung erhalten werden.

Ein beſonders gefährlicher, kaum begreiflicher Irrthum aber iſt es, welcher zu verſchiedenen Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält - niſſes zwiſchen dem Römiſchen und Deutſchen RechtIXVorrede.geführt hat. Nur nach einer ſehr beſchränkten Auf - faſſung können die Bearbeiter des einen oder des anderen dieſer Hauptzweige unſerer gemeinſamen Rechtswiſſenſchaft glauben, das Gebiet ihrer eigenen Thätigkeit zu fördern und zu erheben, indem ſie das fremde bekämpfen und herabſetzen. Jeder Fortſchritt auf dem einen Gebiet iſt vielmehr ein ſicherer Gewinn auch für das andere, indem dadurch ſtets der Geſichtskreis für das Ganze erweitert wird.

Von dieſem Standpunkte aus hielten Alle, die von jeher für das Römiſche Recht ſprachen, ihre beſondere wiſſenſchaftliche Aufgabe zugleich für eine ächt vaterländiſche, und von dieſer Ueberzeugung kann ich auch jetzt nicht laſſen, auch nach den großen Schickſalen der neueſten Zeit nicht.

Um es recht anſchaulich zu machen, wie in ſolchen Dingen die Wahrheit und das Mißver - ſtändniß zu einander ſich verhalten, will ich eine Geſchichte erzählen, die ſich auf einem ganz anderen Gebiete zugetragen hat. Als ich vor vierzig Jahren eine Lehrſtelle an der Bairiſchen Univerſität Lands - hut bekleidete, lebte daſelbſt ein Profeſſor der Botanik, der wohlgemerkt kein eingeborner BaierXVorrede.war. Dieſer ſuchte ſeine ausſchließende Werth - ſchätzung des beſonderen Bairiſchen Vaterlandes dadurch zu bethätigen, daß er aus dem botaniſchen Garten alle Pflanzen verbannen wollte, die nicht in Baiern wild wachſen, um auf dieſe Weiſe einen rein Vaterländiſchen Garten, befreit von fremden Erzeugniſſen, herzuſtellen. Dieſes Verfahren wurde damals von allen wirklichen Baiern in der Univer - ſität verwerflich gefunden, denen es an der kräftigſten Vaterlandsliebe gewiß nicht fehlte.

Der Verfaſſer hat hier die Gründe dargelegt, aus welchen er entſchloſſen iſt, ſein Werk auch in dieſer neuen Zeit, und ungeachtet derſelben, mit Ernſt nnd Liebe fortzuſetzen; beide Geſinnungen ſollen ja, nach dem Ausſpruch unſeres Dichters, gerade dem Deutſchen beſonders wohl anſtehen. Die Weltereigniſſe haben mir zu dieſer Arbeit jetzt freie Muße gewährt. Wie lange dazu Leben und Kraft ausreichen wird, ſteht in Gottes Hand.

XIVorrede.

Von dem allgemeinen Theil des gegenwärtigen Rechtsſyſtems iſt jetzt nur noch das dritte Buch übrig, welches die Anwendung der Rechtsregeln auf die Rechtsverhältniſſe enthalten wird, insbeſondere die Lehren von der örtlichen und räumlichen Colliſion der Quellen des poſitiven Rechts, oder von dem ſ. g. internationalen Recht, und von der rückwir - kenden Kraft der Geſetze. Dieſe wichtige Lehren werden wahrſcheinlich in dem achten Band dargeſtellt werden können.

Geſchrieben im Auguſt 1848.

[XII]XIII

Inhalt des ſiebenten Bandes.

Zweites Buch. Die Rechtsverhältniſſe. Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.

  • Seite.
  • §. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung1
  • §. 303. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Confessio in jure6
  • §. 304. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Confessio in jure (Fortſetzung). 12
  • §. 305. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Interrogatio in jure20
  • §. 306. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Widerruf28
  • §. 307. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Widerruf (Fortſetzung) 34
  • §. 308. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Ge - ſtändniß. Heutiges Recht39
  • §. 309. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Einleitung47
  • §. 310. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Zu - ſchiebung, Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeſchobenen Eides56
  • XIV
  • Inhalt des ſiebenten Bandes.§. 311. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Gemein - ſame Wirkungen63
  • §. 312. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des Streites70
  • §. 313. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des Streites (Fortſetzung) 78
  • §. 314. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Heutiges Recht84
  • §. 315. Reſtitution. Einleitung90
  • §. 316. Reſtitution. Begriff derſelben95
  • §. 317. Reſtitution. Eigenthümliche Natur und Ent - wicklung derſelben107
  • §. 318. Reſtitution. Bedingungen. I. Verletzung118
  • §. 319. Reſtitution. Bedingungen. I. Verletzung (Fortſetzung) 124
  • §. 320. Reſtitution. Bedingungen. II. Reſtitutions - grund130
  • §. 321. Reſtitution. Bedingungen. III. Abweſenheit poſitiver Ausnahmen138
  • §. 322. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minder - jährigkeit145
  • §. 323. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minder - jährigkeit (Fortſetzung) 149
  • §. 324. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minder - jährigkeit (Fortſetzung) 156
  • §. 325. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit161
  • §. 326. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 169
  • §. 327. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 173
  • XV
  • Inhalt des ſiebenten Bandes.§. 328. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 180
  • §. 329. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit (Fortſetzung) 185
  • §. 330. Reſtitution. Einzelne Gründe. III. Zwang191
  • §. 331. Reſtitution. Einzelne Gründe. IV. Irrthum196
  • §. 332. Reſtitution. Einzelne Gründe. V. Betrug198
  • §. 333. Reſtitution. Einzelne Gründe. VI. Antiquirte Gründe210
  • §. 334. Reſtitution. Gerichtsbehörden214
  • §. 335. Reſtitution. Parteiperſonen216
  • §. 336. Reſtitution. Parteiperſonen (Fortſetzung) 223
  • §. 337. Reſtitution. Verfahren228
  • §. 338. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 239
  • §. 339. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 244
  • §. 340. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 251
  • §. 341. Reſtitution. Verfahren (Fortſetzung) 257
  • §. 342. Reſtitution. Wirkungen264
  • §. 343. Reſtitution. Wirkungen (Fortſetzung) 269
  • Beilage XVIII. Reſtitution der Minderjährigen, welche in väterlicher Gewalt ſtehen277
  • Beilage XIX. L. 57 mandati292
[1]

§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.

Es iſt ſchon oben auf die Natur einiger Rechtsinſtitute hingedeutet worden, welche die Stelle eines Urtheils ver - treten können, alſo ein ſolches unnöthig machen(a)S. o. B. 6 S. 265. des Zuſammenhangs wegen vgl. B. 5 § 204 B. 6 § 256.. Der Begriff eines ſolchen Surrogats iſt aber nur da vorhanden, wo in der That die Entſcheidung eines Rechtsſtreits, nur auf einem anderen Wege, als durch ein richterliches Urtheil, herbeigeführt wird. Dahin gehören folgende In - ſtitute, die nunmehr der Reihe nach abgehandelt werden ſollen:

  • I. Das gerichtliche Geſtändniß (Confessio und Interro - gatio in jure).
  • II. Der Eid.

Wohl davon zu unterſcheiden aber, und gar nicht hier - her zu ziehen, ſind die häufigen und wichtigen Fälle, in welchen zwar ein äußerlich ähnlicher Erfolg wahrzunehmen iſt, nämlich die Beſeitigung eines Rechtsſtreits, jedoch nicht durch Entſcheidung deſſelben, ſondern durch deſſen Vernichtung, indem durch Verwandlung ein neues,VII. 12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nicht ſtreitiges, Rechtsverhältniß an die Stelle des bis - herigen ſtreitigen geſetzt wird. Die meiſten derſelben laſſen ſich auf einen Vertrag, alſo auf Einigung der Parteien, zurückführen; alle aber gehören nicht hierher, in das Actionenrecht, ſondern in den ſpeciellen Theil des Rechts - ſyſtems, und zwar in das Obligationenrecht. An dieſer Stelle mag eine kurze Ueberſicht der hier auszuſcheidenden Fälle der Beſeitigung eines Rechtsſtreits genügen.

1. Vergleich.

Darunter iſt zu verſtehen die Beendigung eines Rechts - ſtreits durch die freie Uebereinkunft beider Theile über irgend einen, zwiſchen ihren urſprünglichen Anſprüchen in der Mitte liegenden, Punkt. Hierin liegt augenſcheinlich eine rein vertragsmäßige, alſo obligatoriſche, Umwandlung des bisherigen Rechtsverhältniſſes.

2. Erlaß oder Verzicht, alſo völliges Nachgeben von Seiten des Klägers. Dieſer Fall hat Aehnlichkeit mit dem Fall des Vergleichs, unterſcheidet ſich aber dadurch, daß zum Weſen des Vergleichs ein Nachgeben von beiden Seiten gehört.

Außerdem iſt aber zu bemerken, daß dieſer Fall eine ſehr vieldeutige Natur an ſich trägt(b)Dieſe mögliche Vieldeutigkeit der zum Grunde liegenden Abſicht wird erwähnt in L. 29 § 1 de don. (39. 5). Nach derſelben Stelle aber ſoll der Verzicht gleichmäßig bindend wirken, es mag die eine oder die andere Abſicht zum Grunde liegen.. Es kann darin liegen das Anerkenntniß des Klägers, daß er kein Recht hat; oder auch umgekehrt die Abſicht, ſein (vielleicht ſelbſt3§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.vom Gegner anerkanntes) Recht ſchenkungsweiſe aufzugeben; oder endlich die unbeſtimmtere Abſicht, blos die Verfolgung des Rechts, als ſchwierig oder zweifelhaft, für immer fallen zu laſſen. Oft werden dieſe verſchiedenen möglichen Gedanken in der vorliegenden Willenserklärung, ja ſelbſt in dem eigenen Bewußtſeyn des Klägers, nicht mit Sicherheit zu unterſcheiden ſeyn; die Wirkſamkeit der Handlung aber iſt davon unabhängig.

Aber nicht blos in den zum Grunde liegenden Gedanken, ſondern auch in der Form der Handlung, erſcheint der Verzicht auf verſchiedene Weiſe. Er kommt vor in Geſtalt eines Vertrags(c)Das pactum ne petatur, welches den größten Theil des Pandektentitels de pactis (II. 14.) ausfüllt. Die Stellung dieſes Titels unmittelbar vor dem de trans - actionibus erklärt und rechtfertigt ſich aus der eben bemerkten Ver - wandtſchaft beider Inſtitute., und in dieſer Geſtalt iſt ſo eben die Verwandtſchaft deſſelben mit dem Vergleiche bemerkt worden. Er kommt aber auch vor in der Geſtalt einer vor dem Richter abgegebenen einſeitigen Erklärung, den Rechtsſtreit fallen laſſen zu wollen (desistere). Geſchieht dieſe Er - klärung in jure, ſo hat ſie die Natur einer confessio in jure, alſo eines wahren Surrogats(d)L. 29 § 1 de don. (39. 5), ſ. u. § 303 Note r. .

Mit dem Verzicht wird, als Fiction deſſelben, nicht ſelten der Fall zuſammengeſtellt, wenn der Kläger die Sache liegen läßt, und dadurch ein abweiſendes Contumacial - Urtheil veranlaßt. Man betrachtet hier das Benehmen des Klägers als eine Erklärung, die Sache nicht weiter ver -1*4Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.folgen zu wollen, wobei der Beweggrund dahin geſtellt bleiben ſoll. Wenn es indeſſen wirklich zu einem abweiſen - den Urtheil kommt, ſo ſind ſtets die Regeln, die für das Urtheil gelten, nicht die vom Verzicht anzuwenden(e)Vgl. Thibaut civiliſti - ſche Abhandlungen S. 160. 161., Hollweg Gerichtsverfaſſung und Prozeß S. 287. 294 296., Bayer Vorträge S. 285 288. Blos in manchen ſpeciellen Be - ziehungen ſoll das Ausbleiben als Verzicht, zum Vortheil des Klägers, behandelt werden, z. B. inſofern er dadurch die Nachtheile vermeidet, die ihn wegen der Anfechtung eines Teſtaments treffen würden. L. 8 §. 14 de inoff. test. (5. 2 ), L. 8 C. de his quib. ab ind. (6. 35). Vgl. auch L. 27 § 1 de lib. causa (40. 12)..

3. Der umgekehrte Fall von dem Erlaß oder Verzicht würde in einem völligen Nachgeben von Seiten des Be - klagten beſtehen. Allein dieſer Fall hat im Römiſchen Recht, in der Geſtalt der in jure confessio, die Natur eines wahren Surrogats des richterlichen Urtheils angenommen, und wird daher unter den nunmehr darzuſtellenden Surro - gaten ſeine eigenthümliche Stelle erhalten. Er kann übrigens auch die reine Form des Vertrags annehmen, und iſt dann allerdings ganz ſo, wie der vorhergehende Fall, zu behandeln.

4. Das Compromiß hat an ſich eine augenſcheinliche Verwandtſchaft mit den Surrogaten des Urtheils. Daß wir es nicht dahin rechnen, liegt in der urſprünglichen Be - handlung dieſes Inſtituts bei den Römern, welche auf der reinen Natur eines Vertrages beruhte. Allerdings hat es ſich in der ſpäteren Zeit mehr den Urtheilen angenähert; dennoch müſſen wir es in die Reihe der Verträge ſetzen,5§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.weil nur in dieſem Zuſammenhang ſeine eigenthümliche Ent - wicklung deutlich gemacht werden kann.

5. Die Selbſthülfe gehört in die Reihe der hier zuſammengeſtellten Rechtsinſtitute, inſofern durch ſie das vielleicht wirklich vorhandene Recht zur Strafe verloren, dann alſo zugleich jeder mögliche Rechtsſtreit darüber auf unfreiwillige Weiſe vernichtet werden kann. Sie gehört in die Reihe der Obligationen welche aus Delicten entſtehen.

Wenngleich nun alle hier angegebene Fälle die Natur wahrer Surrogate des Urtheils nicht an ſich tragen, ſo iſt doch bei einigen derſelben eine wichtige Verwandtſchaft mit dem Urtheil, die ſchon bei einer anderen Gelegenheit ange - deutet wurde, hier wieder in Erinnerung zu bringen. Die Fälle nämlich, welche die Natur wahrer Verträge haben (Num 1. 2. ), heben nicht blos den gegenwärtigen Rechts - ſtreit auf, ſondern verhindern auch deſſen Erneuerung für jede künftige Zeit. Dabei kann die Frage entſtehen, ob ein ſpäterhin verſuchter Rechtsſtreit in der That eine ſolche unzuläſſige Erneuerung des durch Vertrag beendigten in ſich ſchließe, oder ob er als ein ganz neuer, von dem früheren unabhängiger, zu betrachten ſey. Dieſelbe Frage iſt ſchon oben, bei den Folgen des rechtskräftigen Urtheils, ausführlich behandelt worden, und die dort aufgeſtellten Regeln finden auch hier ihre Anwendung. Wenn alſo die Frage nach der Identität eines verſuchten Rechtsſtreits mit6Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einem früher beendigten zu beantworten iſt, ſo gelten die - ſelben Regeln, es mag die Beendigung durch ein rechts - kräftiges Urtheil, oder aber durch einen Vertrag herbeige - führt worden ſeyn. Es hat alſo in dieſer Beziehung die pacti exceptio gleiche Natur mit der exceptio rei judicatae(f)L. 27 § 6. 8 de pactis (2. 14). Vgl. oben B. 6 S. 414. 426. 446..

§. 303. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Confessio in jure.

Quellen:

  • Dig. XLII. 2 (de confessis). XI. 1 (de interrogatio - nibus in jure faciendis et de interrogatoriis actionibus).
  • Cod. VII. 59 (de confessis).
  • Paulus V. 5 A, II. 1 § 5.
  • Cod. Greg. X. 2.

Schriftſteller:

  • Donellus Lib. 28 C. 1.
  • Weber Verbindlichkeit zur Beweisführung, herausg. von Heffter. Halle 1832. Vierte Abhandlung und Zuſ. S. 290 296.
  • Bethmann-Hollweg Verſuche über Civilprozeß. Berlin 1827. Vierte Abhandlung.
  • Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2 §. 173. 174.
7§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

Das Römiſche Recht hat zwei hierher gehörende, ſehr alte Rechtsinſtitute, die wegen ihrer inneren Verwandtſchaft nur in Verbindung mit einander deutlich gemacht werden können: die confessio in jure, und die interrogatio in jure.

Der Grundſatz, worauf die confessio in jure beruht, läßt ſich ſo ausdrücken: Wenn ein Beklagter vor dem Prätor die Behauptung des Klägers vollſtändig einräumt, ſo ſoll dieſes Zugeſtändniß einer Verurtheilung gleich gelten.

Nur das vor dem Prätor (in jure) abgelegte Geſtänd - niß ſollte dieſe eigenthümliche Wirkung haben, nicht das vor dem Judex(a)Das Geſtändniß vor dem Ju - dex hatte immer entſcheidenden Ein - fluß auf das Urtheil, aber keine ſelbſt - ſtändige Natur und keine formelle Regeln. Seit der Aufhebung des ordo judiciorum verſchwindet dieſer Unterſchied.. Daher wird in den Quellen zuweilen dem Ausdruck Confessio oder Confessus der Zuſatz beige - geben: in jure(b)L. 29 § 1 de don. (39. 5 ) L. 56 de re jud. (42. 1 ), L. un. C. de confessis (7. 59 ), L. 4 C. de repud. her. (6. 31).. Gemeint iſt dieſer Zuſatz immer, und darum wird er in den meiſten Stellen nicht einmal nöthig gefunden.

In dem aufgeſtellten Grundſatz liegt eine zweifache Wirkung: Der Beklagte iſt durch ſein Geſtändniß verpflichtet, und dieſe Verpflichtung tritt unmittelbar ein, ohne daß es dazu eines Urtheils bedarf. Durch dieſe zweite Wirkung erhält eben das Geſtändniß ſeinen beſonderen Charakter als Surrogat des Urtheils.

8Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Römer drücken den aufgeſtellten Grundſatz ſo aus: Confessus pro judicato est oder habetur(c)L. 1. 3. 6 § 2 de confessis (42. 2 ), L. 56 de re jud. (42. 1 ), L. un. C. de confessis (7. 59 ), L. 4 C. de repud her. (6. 31 ), Paulus u. Cod. Greg. in den oben angeführten Stellen.. Dieſer Aus - druck aber iſt ganz ernſtlich gemeint; denn es ſoll aus dem bloßen Geſtändniß, ohne Urtheil, ſogleich Execution gegen den Beklagten erfolgen, durch Abpfändung und Verkauf ſeiner Sachen(d)L. 9 C. de execut. (7. 53 ), Paulus II. 1 § 5.. Daher wird denn auch das Geſtändniß neben das Urtheil und den Eid geſtellt, alſo auf gleiche Linie mit denſelben(e)L. 56 L. 31 de re jud. (42. 1).. Bei dem Urtheil aber gilt die durchgreifende Regel: condemnatus ut pecuniam solvat(f)L. 4 § 3 de re jud. (42. 1)..

Die Wahrheit jenes Grundſatzes alſo iſt außer Zweifel geſetzt; dennoch hat er nur eine beſchränkte Wahrheit, indem er zunächſt und unmittelbar nur für den einzigen Fall gilt, wenn eine Schuldklage auf eine beſtimmte Geldſumme an - geſtellt und von dem Beklagten zugeſtanden wird(g)L. 4 C. de repud. her. (6. 31) quod confessos in jure pro judicatis haberi placuit ad certam quantitatem deberi confitentem pertinet. L. 6 pr. de confessis (42. 2 ) Certum confessus pro judicato erit, incertum non erit. Certum aber heißt hier und in vielen andern Stellen, die von Klagen handeln, ſo viel als certa pecunia (B. 5 S. 623 625), wie auch die gleich folgenden Worte zeigen.. Der Grund dieſer Beſchränkung liegt darin, daß im alten Pro - zeß auch das Urtheil nur auf eine beſtimmte Geldſumme gehen konnte(h)Gajus IV. § 48., und nur dabei eine unmittelbare Execution durch abgepfändete und verkaufte Sachen möglich war.

9§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

In allen übrigen Fällen, das heißt, bei dem Geſtändniß eines beſtimmten Gegenſtandes außer baarem Geld, oder eines unbeſtimmten Gegenſtandes, alſo in den meiſten Fällen überhaupt, ſoll der Beklagte wo möglich dazu ge - bracht werden, ſein Geſtändniß auf eine beſtimmte Geld - ſumme zu richten, alſo in ein certum zu verwandeln(i)L. 6 § 1 de confessis (42. 2) urgeri debet . Darin liegt aber weder ein directer, noch ein indirecter Zwang, außer etwa inſofern die grundloſe Weigerung vielleicht den Judex zu einem nachtheiligeren Urtheil ſtimmen könnte. Bethmann-Hollweg S. 265.. Iſt aber Dieſes nicht möglich, ſo erfolgt nunmehr ein ge - wöhnlicher Prozeß; es wird ein Juder beſtellt, eine Litis - conteſtation vorgenommen, und ein Urtheil geſprochen(k)L. 7. 5. 3. 8 de confessis (42. 2)..

Man könnte durch dieſe Unterſcheidung verleitet werden, dem oben aufgeſtellten Grundſatz eine geringere praktiſche Bedeutung zuzuſchreiben, als ihm in der That zukommt. Er iſt aber wahr auch für alle übrigen Fälle, nur in einer etwas anderen Weiſe.

In dem nunmehr entſtehenden Rechtsſtreit iſt nämlich der Judex an den Inhalt des Geſtändniſſes ſtreng gebunden; er darf davon nicht abweichen, hat deshalb Nichts zu unterſuchen(l) nihil quaeritur . L. 56 de re jud. (42. 1), welcher Satz hier ausdrücklich abgeleitet wird aus der Regel: confessi pro judicatis habentur. , und ſeine Thätigkeit beſchränkt ſich darauf, den eingeräumten Gegenſtand in eine beſtimmte Geldſumme zu verwandeln(m) Judex non rei judican - dae, sed aestimandae datur . .

10Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Formel mag in ſolchen Fällen etwa auf folgende Weiſe gefaßt worden ſeyn: Quod N. Negidius in jure confessus est, fundum Cornelianum A. Agerio se dare oportere, quanti is fundus est, eum condemna, ſo daß dabei die Intentio: si paret, N. Negidium fundum dare oportere, ganz ausfiel(n)Dieſes war nun die actio confessoria, von welcher in dem folgenden § die Rede ſeyn wird (§ 304 Note k)..

Kam ein ſolches Geſtändniß bei einer arbiträren Klage, insbeſondere bei einer Eigenthumsklage vor, ſo hatte es ganz die Natur einer pronuntiatio, und machte dieſelbe ent - behrlich, indem es ihre Stelle vertrat(o)L. 6 § 2 de confessis (42. 2). Ueber die pronuntiatio ſ. o. B. 6 S. 318 320..

Bei der confessio wird noch die beſondere Regel er - wähnt, daß hier dieſelbe geſetzliche Zahlungsfriſt eintrete, wie bei dem Urtheil, und daß dieſe von dem Tage des Geſtändniſſes an gerechnet werden müſſe(p)L. 6 § 6 de confessis (42. 2 ), L. 21 de jud. (5. 1 ), L. 31 de re jud. (42. 1 ), Paulus V. 5 A. § 2. Natürlich konnte dieſer Satz nur gelten von dem auf baares Geld gerichteten Ge - ſtändniß, wodurch ein nachfolgen - des Urtheil ganz entbehrlich wurde (Note g)..

Nach der bis hierher geführten Unterſuchung kann die gemeinſame Wirkung des gerichtlichen Geſtändniſſes, an -(m)L. 25 § 2. L. 26 ad L. Aquil. (9. 2 ), L. 40 § 1 de pactis (2. 14).11§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio. ſchließend an die Wirkung des rechtskräftigen Urtheils(q)S. o. B. 6 S. 274., ſo ausgedrückt werden: Confessio pro veritate accipitur, und dieſer Ausdruck iſt gleich wahr und gleich wichtig für jedes gerichtliche Geſtändniß, es mag auf eine Geldſchuld oder auf einen anderen, beſtimmten oder unbeſtimmten Ge - genſtand gerichtet ſeyn. In dieſem Sinn alſo kann man ſagen, daß jedes gerichtliche Geſtändniß als Surrogat eines Urtheils gelten kann, indem es, gleich dem Urtheil, die Fiction der Wahrheit, das heißt, formelle Wahr - heit, begründet, wenngleich es nicht in allen Fällen ein nachfolgendes Urtheil entbehrlich macht.

Wenn man das gerichtliche Geſtändniß in dieſer ſeiner allgemeinen Natur auffaßt, ſo iſt es der reine Gegenſatz des von dem Kläger vor Gericht ausgeſprochenen Verzichts (§ 302). Dieſe Vergleichung muß auch darin als wahr anerkannt werden, daß dem Geſtändniß ſehr verſchiedene Gedanken zum Grunde liegen können; am häufigſten die wirkliche Anerkennung des Rechts des Klägers; ferner die beſtimmte Abſicht, zu ſchenken; endlich eine unbeſtimmte, in der Mitte liegende Abſicht, das Nachgeben bei einer zweifel - haften Sache, um nur den Rechtsſtreit zu vermeiden. Ferner iſt die Vergleichung dahin auszudehnen, daß außer dem gerichtlichen Geſtändniß auch ein auf gleichen Zweck gerichteter Vertrag vorkommen kann. Dieſes iſt der Recog -12Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.nitiv-Vertrag, der in das Obligationenrecht gehört, und gewöhnlich nicht in ſeiner wahren Natur aufgefaßt wird.

Uebrigens kann eine ſolche confessio in jure auch von Seiten des Klägers vorkommen, wenn nämlich dieſer vor dem Prätor unbedingt erklärt, daß er keinen Anſpruch an den Beklagten habe. Dadurch giebt er ſein Klagrecht völlig auf, die Handlung gilt gleich einer rechtskräftigen Frei - ſprechung, und hat alſo ganz die Natur eines Surrogats des Urtheils. Ein ſolcher Fall aber wird in dieſer Form nur ſehr ſelten vorkommen, und wenn er vorkommt, hat er eine ſo einfache Natur, daß er näherer Beſtimmungen kaum bedürfen wird. Aus beiden Gründen iſt es wohl zu erklären, daß derſelbe, ſo viel ich weiß, nur in einer einzigen Stelle des Römiſchen Rechts erwähnt wird(r)L. 29 § 1 de don. (39. 5). S. o. § 302 Note d. Es heißt in jener Stelle: eum actionem jure amisisse respondit . Wenn er nun dennoch die Klage anſtellen wollte, ſo ſtand ihm ohne Zweifel eine exceptio confessi oder con - fessoria entgegen, mit gleicher Wirkung, wie die exceptio rei judicatae. , und daß er weder durch die Geſetzgebung, noch durch die Arbeiten der alten Juriſten beſonders ausgebildet worden iſt.

§. 304. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Confessio in jure. (Fortſetzung.)

Der oben aufgeſtellte wichtige Grundſatz über die Kraft des gerichtlichen Geſtändniſſes des Beklagten hat folgende Entſtehung und allmälige Entwicklung gehabt.

13§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

1. Für den Hauptfall, das Geſtändniß einer beſtimmten Geldſchuld, iſt die erſte Quelle in der Vorſchrift der zwölf Tafeln zu ſuchen: Aeris confessi rebusque jure judicatis XXX. dies justi sunto etc.(a)Gellius XX. 10., in welchem das Geſtändniß dem rechtskräftigen Urtheil mit gleicher Kraft an die Seite geſetzt wurde. Beiden Thatſachen gleichmäßig wurde hier die Wirkung der Schuldknechtſchaft, alſo der Perſonal - execution, beigelegt, an welche ſich dann in ſpäterer Ent - wicklung die der Realexecution angeſchloſſen hat, von welcher allein jetzt noch die Rede iſt(b)Ob die Schuldknecht - ſchaft auf die Geldſchulden aus dem Darlehen beſchränkt war, iſt ſtreitig; vgl. Savigny über das altrömiſche Schuldrecht, Abhand - lungen der Berliner Akademie 1833. Daß die Realexecution, in Folge des Geſtändniſſes wie des Urtheils, auf Geldſchulden jeder Art ging, iſt unzweifelhaft.. Damit war alſo der Grund zu dieſem Rechtsinſtitut gelegt.

2. Eine Erweiterung deſſelben für einige beſondere Fälle wurde durch das prätoriſche Edict eingeführt. Für vier Klagen galt die Vorſchrift, daß der Beklagte, wenn er wiſſentlich leugnete und überführt wurde, den eingeklagten Werth zur Strafe doppelt bezahlen ſollte(c)Lis inficiando crescit in duplum. Gajus IV. § 9. 171. Dieſe vier Klagen ſind: judicati, de - pensi, damni injuria dati, le - gati per damnationem relicti. ; das Einge - ſtändniß ſchützte alſo vor dieſer Strafe, und es konnte im Fall deſſelben nur die Frage entſtehen, ob denn der Be - klagte durch ſein Geſtändniß auch wirklich für den einfachen Werth verpflichtet werde. Dieſes mußte unbedingt ange - nommen werden, weil das Geſtändniß hier die Natur eines14Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Vergleichs hatte; der Beklagte übernahm die Leiſtung des einfachen Werthes, um dadurch der Gefahr der doppelten Leiſtung zu entgehen. Dieſe in der Natur der Sache ge - gründete Auffaſſung erhielt eine ausdrückliche Beſtätigung durch das Edict, welches neben der Klage auf das Doppelte gegen den Leugnenden auch die einfache Klage gegen den Geſtändigen ausſprach, alſo die Verpflichtung wegen des Geſtändniſſes geradezu anerkannte(d)Bethmann-Hollweg S. 265 268.. Indeſſen konnte dieſe Beſtimmung nur für die wenigſten unter den angege - benen Fällen als etwas Neues, folglich als eine wahre Erweiterung, angeſehen werden. Die actio judicati und depensi gingen ohnehin ſtets auf eine beſtimmte Geldſumme, und ſtanden alſo ſchon unter der Vorſchrift der Zwölf Tafeln (Num. 1.); eben ſo auch die Klage aus dem Legat, wenn daſſelbe auf eine Geldſumme gerichtet war. So blieben alſo als neu, als Gegenſtände einer Erweiterung für die Kraft des Geſtändniſſes, nur folgende zwei Klagen übrig: die Klage aus einem legatum damnationis, wenn daſſelbe auf einen anderen beſtimmten Gegenſtand, als baares Geld, z. B. auf ein Haus, ein Pferd u. ſ. w. gerichtet war, und die actio legis Aquiliae wegen körperlicher Beſchädigung fremder Sachen. Für den letzten Fall ſind uns die genaue - ſten Nachrichten von dieſer neuen Beſtimmung über die Kraft des Geſtändniſſes aufbewahrt, wovon ſogleich noch mehr die Rede ſeyn wird.

15§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

In allen übrigen Fällen eines gerichtlichen Geſtändniſſes fehlte es alſo ganz an ausdrücklichen Beſtimmungen über deſſen formelle Kraft. Dennoch iſt nicht zu bezweifeln, daß das Geſtändniß ſtets thatſächliche Anerkennung in den Urtheilen der Richter gefunden haben wird, und zwar ohne Unterſchied, ob es vor dem Prätor oder vor dem Judex abgelegt war.

3. Die volle Ausdehnung endlich, in welcher der Grundſatz oben aufgeſtellt worden iſt (§ 303), erhielt der - ſelbe erſt durch einen Senatsſchluß unter der Regierung des K. Marcus Aurelius (oratio D. Marci). Hierin wurde beſtimmt ausgeſprochen, daß bei Klagen aller Art das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß für den Beklagten dieſelbe verpflichtende Kraft haben ſollte, wie ein rechtskräf - tiges Urtheil(e)L. 6 § 2 de confessis (42. 2 ), L. 56 de re jud. (42. 1).. Wenngleich aber die Ausdrücke der alten Juriſten über den Umfang dieſes Senatsſchluſſes höchſt allge - mein gefaßt ſind, ſo muß derſelbe doch auf diejenigen Klagen beſchränkt werden, worüber jede Partei eine völlig freie Verfügung hat, welches bei den Klagen über Vermögens - rechte durchaus der Fall iſt. Dagegen iſt dem Geſtändniß nicht dieſelbe Kraft beizulegen, wenn es darauf abzweckt, die perſönliche Freiheit des Geſtändigen zu verneinen, oder eine Ehe als ungültig darzuſtellen(f)L. 24. 39 C. de lib. causa (7. 16 ), C. 5 X. de eo, qui cognovit (4. 13). Bethmann-Hollweg S. 274..

4. Seit dem Untergang des ordo judiciorum hatte jede16Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.confessio in judicio die Kraft der alten confessio in jure. Als eigentliches Surrogat aber konnte ſie nun nicht mehr gelten, ſondern nur noch als Grundlage eines richterlichen Urtheils, welches an den Inhalt derſelben gebunden war.

Das Weſen des Geſtändniſſes wurde oben darin geſetzt, daß der Beklagte die Behauptung des Klägers einräume (§ 303), alſo in ein Einverſtändniß beider Parteien über dieſe Behauptung. Nun geht dieſe Behauptung ſtets und nothwendig auf das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes, ein ſolches aber beruht wieder auf Thatſachen; zur genaueren Einſicht in das Weſen des Geſtändniſſes iſt es alſo nöthig, zu beſtimmen, ob als der eigentliche Gegenſtand des Ein - verſtändniſſes das Rechtsverhältniß, oder vielmehr die Thatſache gedacht werden müſſe.

Der Ausdruck confessio, ſo wie der entſprechende deutſche Ausdruck, kann leicht dahin führen, die Thatſache als den unmittelbaren Gegenſtand des Einverſtändniſſes anzuſehen, wodurch alſo das Geſtändniß als bloßes Be - weismittel erſcheinen könnte; allein die oben angegebene juriſtiſche Natur deſſelben, welche in der Gleichſtellung mit dem richterlichen Urtheil beſteht, führt vielmehr auf das Rechtsverhältniß. Denn auf ein ſolches geht nothwendig jedes Urtheil, und ſoll alſo das Geſtändniß gleiche Kraft mit dem Urtheil haben, in manchen Fällen ſogar jedes17§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)Urtheil völlig entbehrlich machen (§ 303), ſo muß es gleichfalls das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes unmittelbar feſtſtellen.

Dieſe Natur des Geſtändniſſes wird denn auch in unſern Rechtsquellen geradezu anerkannt; der Beklagte ge - ſteht nämlich: se debere, oder fundum actoris esse(g)L. 3. 5. 7 de confessis (42. 2 ), L. 6 § 2 eod. , und es wird Niemand bezweifeln, daß Schuld und Eigen - thum reine Rechtsverhältniſſe ſind, wozu ſich gewiſſe That - ſachen nur als Entſtehungsgründe verhalten können.

Indeſſen darf dabei nicht verkannt werden, daß in der Anerkennung des Rechtsverhältniſſes ſtets auch die Aner - kennung der dazu nöthigen Thatſachen liegt, nur daß dabei die Auswahl unter mehreren gleich möglichen Thatſachen ungewiß bleiben kann. Eben ſo wird nicht ſelten die An - erkennung einer reinen Thatſache, z. B. des Empfanges eines Darlehens, zugleich die Anerkennung eines Rechts - verhältniſſes (hier der Darlehensſchuld) in ſich ſchließen. Dadurch aber wird das Weſen der Sache nicht verändert.

Auch kommt in der That ein Fall vor, in welchem die Römiſchen Juriſten das Geſtändniß auf eine reine Thatſache beziehen. Dieſes darf aber nicht etwa als ein ungenauer, nachläſſiger Ausdruck betrachtet werden, oder als Zeichen eines Schwankens jener Juriſten über die hier zur Frage geſtellten Anſichten. Vielmehr hat dieſe Beziehung ihren Grund in der eigenthümlichen Natur einer einzelnen Klage, und es muß gleich hier darauf näher eingegangen werden, weil damit wichtige andere Streitfragen zuſammenhangen.

VII. 218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es iſt nämlich ſchon bemerkt worden, daß die actio L. Aquiliae unter die wenigen Klagen gehörte, worin das Geſtändniß ſchon vor der oratio D. Marci eine beſondere Wirkung hatte: einestheils den Beklagten von der Gefahr des doppelten Erſatzes zu befreien, anderntheils ihn zum einfachen Erſatz unbedingt, wie durch ein geſprochenes Urtheil, zu verpflichten (§ 303). In dieſem Fall nun konnte ſchon deswegen ein Urtheil durch das bloße Geſtänd - niß nicht entbehrlich werden, weil noch immer der Geld - werth des zugefügten Schadens zu beſtimmen blieb(h)L. 25 § 2 L. 26 ad L. Aqu. (9. 2).. Das Geſtändniß alſo, das hier eine beſondere Wirkung haben ſollte, ging nicht auf die (noch unbeſtimmte) Forderung des Klägers, ſondern auf die reine Thatſache; ja nicht einmal auf die ganze, vollſtändige Thatſache, ſondern ledig - lich auf die perſönliche Thätigkeit des Beklagten, die Thäter - ſchaft: Das, was unſere Criminaliſten den ſubjectiven Thatbeſtand nennen(i)L. 23 § 11 L. 24 L. 25 pr. ad L. Aquil. (9. 2 ), L. 4 de confessis (42. 2). In der erſten dieſer Stellen ſind beſonders entſcheidend die Worte: hoc enim solum remittere actori confessoriam actionem, ne ne - cesse habeat docere, eum occidisse, ceterum occisum esse hominem a quocunque oportet . . Dieſe eigenthümliche Beſchränkung darf auch gar nicht als eine zufällige, willkürliche be - trachtet werden, ſondern ſie hatte ihren guten Grund in folgendem Umſtand. Wenn wegen der Tödtung oder Ver - wundung eines Sklaven geklagt wurde, ſo war die That -19§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)ſache des Todes oder der Verwundung meiſt unbeſtritten, konnte wenigſtens durch den Augenſchein leicht außer Zweifel geſetzt werden. Dagegen war die Thatſache, daß gerade dieſer Beklagte die That begangen habe, leicht abzu - leugnen; dieſem Leugnen ſollte durch die Drohung des doppelten Erſatzes vorgebeugt werden, und daher war das Geſtändniß gerade dieſer Thatſache allein von Wichtigkeit. Dieſes Geſtändniß wurde daher auch in die Klagformel, als für den Richter bindend, aufgenommen, und die ſo abgefaßte Klage hieß nun confessoria actio(k)L. 23 § 11 L. 25 § 1 ad L. Aqu. (9. 2). Nur hier kommt dieſer Name vor, welches jedoch ganz zufällig ſeyn kann; an ſich paßte er auf jede Klage, die in Folge einer confessio in jure angeſtellt wurde (§ 303 Note n)..

Nachdem nun die geſchichtliche und formelle Seite der confessio in jure feſtgeſtellt worden iſt, bleibt noch die Er - örterung der praktiſchen Seite übrig. Dahin gehört zunächſt die wichtige Frage, die auch ſchon für das Römiſche Recht zu beantworten iſt, ob das gerichtliche Geſtändniß eine unbedingt verpflichtende Kraft mit ſich führt, oder ob daſ - ſelbe widerrufen und angefochten werden kann auf den Grund der Behauptung, daß es nicht mit der Wahrheit übereinſtimme. Dann aber iſt beſonders auch die heutige Anwendbarkeit der Grundſätze des Römiſchen Rechts über das gerichtliche Geſtändniß zu unterſuchen, um die richtige Behandlung deſſelben im heutigen Recht feſtſtellen zu können.

2*20Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Beantwortung dieſer Fragen aber wird mit Erfolg erſt unternommen werden können, wenn zuvor die Interro - gatio in jure dargeſtellt ſeyn wird.

§. 305. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Interrogatio in jure.

Wenn ein Rechtsſtreit abhängig iſt von einer, die Perſon des Beklagten betreffenden Präjudicialfrage, welches neuere Schriftſteller die Paſſivlegitimation nennen, ſo ſoll ſowohl der Kläger, als der Richter befugt ſeyn, eine ſolche Frage dem Beklagten vorzulegen, welcher dann verbunden iſt, zu antworten; dieſe Verbindlichkeit iſt hier eigenthümlich. Durch den Inhalt der Antwort wird der Beklagte verpflichtet, und darin liegt die Aehnlichkeit dieſes Inſtituts mit der confessio in jure. Die Verſchiedenheit beider Prozeßhand - lungen aber liegt darin, daß die confessio den eigentlichen Gegenſtand des Rechtsſtreits, den Anſpruch des Klägers, betrifft, und daher das Urtheil entbehrlich machen kann (§ 303), anſtatt daß die interrogatio nur eine vorläufige Frage, nicht den Streitgegenſtand ſelbſt betrifft, und daher niemals für ein Surrogat des Urtheils gelten kann.

Außer dieſem beſonderen Fall konnte aber auch jede andere Frage von einer Partei ihrem Gegner vor dem Prätor vorgelegt werden, und wenn ſich der Gegner durch eine beſtimmte Antwort darauf freiwillig einließ, ſo war er durch eine ſolche in jure confessio nach den oben auf -21§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio. geſtellten Grundſätzen gebunden, wobei dann die vorher - gehende interrogatio nur als die zufällige Veranlaſſung der confessio zu betrachten war, und gar nicht ſelbſtſtändig zur Form der Handlung gehörte(a)Ein ſolcher Fall von der Frage eines Beklagten an den Kläger kommt vor in L. 29 § 1 de don. (39. 5), ſ. o. § 303 r. Die daſelbſt abwechſelnd gebrauchten Ausdrücke: interrogatus, re - spondit, confessus, confessio, find daher gar nicht als ungenauer Sprachgebrauch anzuſehen. Im ganzen Titel de interrogationibus iſt abwechſelnd von respondere und confiteri die Rede.. Hierauf beruhte unter andern auch die uralte Form der in jure cessio als Uebertragung des Eigenthums durch freien Willen des bisherigen Eigenthümers. Der neue Eigenthümer vindicirte die Sache zum Schein; der Prätor fragte den Veräußernden, ob er das Eigenthum des Klägers anerkenne, und wenn der Befragte es anerkannte oder nur ſchwieg, ſo erfolgte die Addiction des Prätors, die das Eigenthum übertrug(b)Gajus II § 24..

An ſich ließ ſich dieſes Verfahren denken ſowohl vor dem Prätor, als vor dem Judex. Urſprünglich kam es nur vor dem Prätor vor, war alſo eine interrogatio in jure(c)Dieſer Name findet ſich in der Ueberſchrift des Titels, ferner in L. 1 pr. L. 4 § 1 de interr. (11. 1)., nicht in judicio, weil es dort allein auf die Ab - faſſung der Klagformel Einfluß haben konnte, wozu es urſprünglich beſtimmt war. Wir finden die Anwendung deſſelben ausdrücklich erwähnt in folgenden Fällen, worin dem Kläger eine Antwort des Beklagten auf die hier ange - gebenen Fragen von Wichtigkeit ſeyn konnte:

22Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • 1. Ob der Beklagte Erbe eines verſtorbenen Schuldners des Klägers ſey
    (d)L. 2. 3. 5. 9 § 7 de interr. (11. 1)
    (d);
  • 2. Zu welchem Antheil er Erbe ſey
    (e)L. 1 pr. 4 pr. 5 eod.
    (e);
  • 3. Ob er, im Fall einer noxalis actio, Eigenthümer des verletzenden Sklaven ſey: eben ſo, bei der actio si quadrupes, Eigenthümer des ſchädlichen Thieres
    (f)L. 5. 8. 7 eod.
    (f);
  • 4. Ob, im Fall einer actio de peculio, ein peculium des Sohnes oder Sklaven vorhanden ſey
    (g)L. 9 § 8 eod.
    (g);
  • 5. Ob, im Fall einer cautio damni infecti, der Beklagte Eigenthümer des Gefahr drohenden Hauſes ſey
    (h)L. 10 L. 2 § 2 eod.
    (h);
  • 6. Im Fall einer Eigenthumsklage, zu welchem Theil der Sache der Beklagte den Beſitz habe
    (i)L. 20 §. 1 eod. Ueber das Eigenthum des Beklagten ſollte der Kläger nicht fragen, weil Dieſes mit ſeinem eigenen Recht zuſammenhing, das er kennen mußte. L. 73 pr. de R. V. (6. 1).
    (i);
  • 7. Wie alt der Beklagte ſey
    (k)L. 11 pr. de interr. (11. 1).
    (k); nämlich ob der Beklagte unmündig, imgleichen ob er minderjährig ſey, weil er im erſten Fall einen Tutor als Auctor, im zweiten einen Curator als Beiſtand haben mußte, wenn der Rechtsſtreit gültig geführt werden ſollte
    (l)Nicht eigentlich zu dieſem Rechtsinſtitut gehört die Frage, die ein Ehemann ſeiner geſchie - denen Frau vor dem Prätor vor - legen durfte, ob ſie ſchwanger ſey; die Frau wurde durch Pfändung oder Geldſtrafe zur Antwort ge - zwungen, aber es knüpfte ſich an dieſe Frage keine Klage, wovon allein bei unſerm Inſtitut die Rede iſt. L. 1 § 2. 3 de insp. ventre (25. 4).
    (l).
23§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

Alle dieſe Fragen konnten bequem und zweckmäßig ge - funden werden, um dem Kläger die Mühe und Koſten eines unnützen Rechtsſtreites, oder die unrichtige Führung deſſelben zu erſparen. In einem jener Fälle (Num. 2) konnte die Frage ſogar nothwendig ſeyn, um den Verluſt eines Rechts von ihm abzuwenden: Wenn nämlich der Kläger eine certi condictio gegen einen der Erben ſeines urſprünglichen Schuldners anſtellen wollte, und über die Größe des Erbtheils ſeines Beklagten ungewiß war. Denn wenn er einen größeren Theil der Schuld einklagte, als den welcher dem Erbtheil entſprach, ſo verlor er nach den Regeln des alten Prozeſſes den ganzen Anſpruch an dieſen Erben(m)L. 1 pr. de interr. (11. 1)..

Auf die ertheilte Antwort gründete ſich nun eine inter - rogatoria actio(n)Dieſer Name findet ſich in der Ueberſchrift des Titels, ferner in L. 1 § 1 und L. 22 eod. , das heißt, es wurde in die ohnehin beabſichtigte Klagformel der Inhalt der Antwort als unab - änderlich feſtſtehend mit aufgenommen. Folgendes Beiſpiel wird Dieſes anſchaulich machen. Wenn Jemand aus einer Stipulation Hundert zu fordern hatte, der Schuldner ſtarb, einer der Erben widerſprach der Schuld, antwortete aber auf die vorgelegte Frage, er ſey Erbe zur Hälfte des Ver - mögens, ſo mag wohl die Formel in folgender Weiſe gefaßt worden ſeyn: Quod N. Negidius interrogatus respondit, se esse24Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Seji heredem ex semisse, si paret, Sejum Aulo Agerio centum dare oportere, N. Negidium in quinquaginta condemna.

Die verſchiedene Art, in welcher der Beklagte durch ſein Benehmen verpflichtet werden konnte, wird ſogleich genauer angegeben werden.

Zuvor aber muß die Veränderung erwähnt werden, die in dieſem Verfahren ſchon zur Zeit der alten Juriſten eingetreten iſt. Darüber ſagt Calliſtratus wörtlich Fol - gendes(o)L. 1 § 1 eod. : Nach dem gegenwärtigen Gerichtsgebrauch wird kein Beklagter mehr gezwungen, ſchon vor dem Prätor in eine ſolche Vorverhandlung über vorgelegte Fragen ſich einzulaſſen; vielmehr wird dieſer Theil des Verfahrens, ſo wie jede andere Beweisführung über Thatſachen, dem Judex überlaſſen. Daher ſind denn auch die interrogatoriae actiones faſt ganz außer Gebrauch gekommen(p)L. cit. Interrogatoriis autem actionibus hodie non utimur minus frequentan - tur et in desuetudinem abierunt. Es iſt oben erwähnt worden, daß das alte Verfahren meiſt nur zur Bequemlichkeit diente, und dieſe konnte auch vor dem Judex hin - länglich verſorgt werden. In Einem (vergleichungsweiſe gewiß ſeltenen) Fall konnte daſſelbe noth - wendig ſeyn zur Abwendung von Gefahr (Note m), und in dieſem einzigen Fall mögen ſie denn auch noch angewendet worden ſeyn, ſo lange der ordo judiciorum mit ſeinen ſtrengen Formeln beſtand. Auch ſagt ja der Juriſt nicht, daß ſie durchaus verſchwunden ſeyen, ſondern nur, daß ſie wenig mehr vorkämen (minus frequentantur), und dieſer unbeſtimmte Ausdruck mag abſichtlich gebraucht ſeyn mit Rückſicht auf jenen einzelnen Fall. Es iſt wohl zu bemerken, daß die Nothwendigkeit der int. act. für dieſen Fall in derſelben Stelle, und nur wenige Worte vorher, bemerklich gemacht wird..

25§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

Neuere Schriftſteller haben dieſe geſchichtliche Angabe ſo anſtößig gefunden, daß ſie die künſtlichſten Mittel verſucht haben, um die vermeintlichen Widerſprüche zu beſeitigen(q)Vgl. Glück B. 11 S. 247 249. 255. 293. Zimmern Rechtsgeſch. B. 3 S. 379. Puchta Inſtitutionen B. 2. S. 192.. Sie haben die Erzählung des Calliſtratus ſo aufgefaßt, als ſey das ganze poſitive Rechtsinſtitut der Interrogationen außer Gebrauch gekommen; damit ſchien ihnen der Umſtand im Widerſpruch zu ſtehen, daß die genau beſtimmten Regeln deſſelben (welche ſogleich angegeben werden ſollen) in den Digeſten als geltendes Recht dargeſtellt werden. Dieſe Schwierigkeit ſollte auf zweierlei Weiſe gelöſt werden.

Einige ſagten, die ganze Erzählung von dem verän - derten Recht beruhe auf Interpolationen von Tribonian; früher habe ſich gar Nichts geändert. Allein eine ſolche Interpolation wäre eben ſo unnütz, als zweckwidrig geweſen. Unnütz, weil zur Zeit von Juſtinian durchaus keine Ge - fahr war, daß Jemand zwiſchen Prätor und Judex fehl greifen möchte. Zweckwidrig, weil aus dem ganzen Titel der Digeſten deutlich erhellt, daß die alten praktiſchen Re - geln über die Interrogationen fortbeſtehen ſollten.

Andere haben folgende Behauptung aufgeſtellt. In der alten Zeit, ſagen ſie, waren außergerichtliche Interro - gationen üblich, und mit dieſen wurden die größten Unge - rechtigkeiten und Bedrückungen verübt. Dieſe ſind es, welche nach der Erzählung des Calliſtratus außer Ge - brauch geſetzt wurden. Dieſe ganze Geſchichte von den26Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bedrückenden außergerichtlichen Interrogationen iſt völlig leer, und nur dazu erſonnen, um die hier erwähnte (gar nicht vorhandene) Schwierigkeit zu beſeitigen. Sie beruht eigentlich nur auf dem augenſcheinlichen Mißverſtändniß von zwei Worten des Calliſtratus(r)L. 1 § 1 cit. Interroga - toriis autem actionibus hodie non utimur, quia nemo cogitur ante judicium de suo jure ali - quid respondere. Die Worte ante judicium erklärte man durch außergerichtlich, da ſie doch ſo viel heißen, als: in jure, coram Praetore. .

Die ganze Schwierigkeit verſchwindet durch folgende Auffaſſung der eingetretenen Veränderung. Die alten In - terrogationen mit ihren ſehr poſitiv beſtimmten Wirkungen wurden gar nicht verändert; ſie ſollten nur nicht mehr vor dem Prätor vorkommen, ſondern vor dem Judex, alſo auch keinen Einfluß mehr haben auf die Abfaſſung der formula. Daher waren es die interrogatoriae actiones, die außer Gebrauch kamen, nicht die Interrogationen mit ihren Folgen, die unverändert blieben. So erzählt die Sache faſt wörtlich Calliſtratus, und ſeine Erzählung wird völlig beſtätigt durch eine Stelle des Ulpian(s)L. 21 eod. Ubicunque judicem aequitas moverit, ae - que oportere fieri interroga - tionem, dubium non est. .

Faßt man die Sache ſo auf, ſo muß man ſich über - zeugen, daß Tribonian Nichts mehr zu ändern vorfand, weil ſchon zur Zeit des ordo judiciorum Alles in die Lage gebracht worden war, in welcher es auch nun bleiben27§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio. konnte. Wir haben daher keine Urſache, auch nur in den Worten der alten Juriſten irgend eine erhebliche Interpola - tion vorauszuſetzen(t)Höchſtens iſt eine ſolche, und zwar ſehr unſchuldige und ungefährliche, anzunehmen in fol - genden Worten des Ulpian (L. 4 pr. eod.) Voluit Praetor ad - stringere eum, qui convenitur, ex sua in judicio respon - sione .... Hier mag wohl Ulpian geſchrieben haben: in jure. .

Es bleibt nun noch übrig, die praktiſchen Regeln anzu - geben, die urſprünglich für die interrogatio in jure ein - treten ſollten, dann aber, und zwar ſchon zur Zeit der alten Juriſten, auf die interrogatio in judicio übertragen worden ſind.

Der Beklagte kann über jeden, ſeine perſönlichen Ver - hältniſſe betreffenden Präjudicialpunkt ſowohl von der Richterbehörde, als von dem Gegner, befragt werden, und er iſt in beiden Fällen zur Antwort verpflichtet(u)L. 9 pr. § 1, L. 11 § 9 eod. . Nun - mehr können folgende Fälle eintreten.

  • A. Er antwortet. Dadurch wird der Gegner zunächſt berechtigt, den Inhalt der Antwort als förmliche Wahrheit (wie aus einem Urtheil) gegen ihn geltend zu machen. Seine Antwort hat in dieſer Hinſicht die Natur eines Quaſicontracts
    (v)L. 11 § 9 eod.
    (v).
28Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • B. Er antwortet, und wird hinterher einer wiſſentlich unwahren Anwort überführt.
  • C. Er verweigert die Antwort.

In beiden letzten Fällen iſt der Gegner befugt, gegen ihn das Nachtheiligſte anzunehmen, das im vorliegenden Falle denkbar iſt, und Dieſes gilt als Strafe ſeines unred - lichen Benehmens(x)L. 4 pr. L. 5 L. 11 § 1. 2. 3. 4. 5. 9 L. 17 eod., L. 39 pr. de proc. (3. 3 ), L. 26 § 5 de nox. act. (9. 4). Bethmann-Hollweg S. 281.. So z. B., wenn er des urſprüng - lichen Schuldners Erbe zur Hälfte iſt, auf Befragen aber nur ein Viertheil angiebt, ſo darf er als einziger Erbe be - handelt, und für die ganze Schuld in Anſpruch genommen werden.

Die Verpflichtung zur Antwort, alſo auch die Strafe der Verweigerung, fällt jedoch weg, wenn der Beklagte Gründe der Ungewißheit über den Gegenſtand der Frage angeben kann, ſo z. B., wenn er befragt wird, ob er Erbe ſey, und über dieſes Erbrecht in einem Rechtsſtreit befangen iſt(y)L. 6 § 1 de interr. (11. 1)..

§. 306. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Widerruf.

Nachdem die Lehre von der confessio und von der interrogatio, jede für ſich, dargeſtellt iſt, kann zur Beant - wortung einer wichtigen praktiſchen Frage übergegangen29§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedene Zweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be - zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu - thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen. Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider - ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat.

Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge - winnen, iſt es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundſätze zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußerſten, völlig entgegen geſetzten Anſichten. Nach der einen iſt das gerichtliche Geſtändniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach ſtärker), ſo wie dem Zeugenbeweiſe. Nach dieſer Anſicht iſt es folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung zuzulaſſen. Nach der zweiten Anſicht bildet jenes Ge - ſtändniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur - theil. Von dieſem Standpunkt aus ſcheint jede Anfechtung, jeder Widerruf verneint werden zu müſſen, auch wenn der Geſtändige die Unwahrheit des Geſtändniſſes zu beweiſen unternehmen wollte.

Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geſtändniß förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geſtändigen, und iſt nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel30Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf die Ueberzeugung des Richters einzuwirken. Dennoch iſt eine Entkräftung deſſelben möglich, jedoch nur durch Re - ſtitution von Seiten des Prätors, alſo durch dieſelbe Macht, wodurch unter gewiſſen Bedingungen auch die Entkräftung eines Urtheils möglich iſt. Dieſe Sätze gelten ſowohl für die confessio, als für die interrogatio. Es giebt aber ausgenommene Fälle, in welchen jede Anfechtung gänzlich ausgeſchloſſen iſt. Dieſe Sätze ſollen nun einzeln entwickelt, und in den Quellen des Römiſchen Rechts nachgewieſen werden.

1. Die confessio in jure (im Juſtinianiſchen Recht in judicio) hat bindende Kraft für den Geſtändigen (§. 303. 304). Dieſelbe Kraft hat die interrogatio und responsio in jure (ſchon zur Zeit der alten Juriſten in judicio); dieſe wirkt in der Regel als Quaſicontract, ausnahmsweiſe als Strafe. Die bindende Kraft überhaupt iſt alſo allen Formen des gerichtlichen Geſtändniſſes gemeinſam.

Es kommt aber darauf an, die Natur dieſer bindenden Kraft näher zu beſtimmen. Sie begründet eine feſte Be - gränzung des Rechtsſtreits, und iſt daher als eine das Urtheil vorbereitende und bedingende formelle Handlung anzuſehen. Sie hat daher eine innere Verwandtſchaft mit der Litisconteſtation, und bildet gleichſam eine durch den ganzen Prozeß fortſchreitende, ergänzende Litisconteſtation. Durch dieſes Geſtändniß wird alſo nicht ſowohl dieſe oder jene Thatſache feſtgeſtellt, worüber der Richter ein freies Urtheil zu bilden haben möchte, ſondern es wird durch31§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.daſſelbe dem Gebiet des Streitigen unter den Parteien, worüber allein von dem Richter ein Urtheil erwartet wird, Mehr oder Weniger entzogen, alſo jenes Gebiet enger begränzt.

2. Beruht das Geſtändniß auf Irrthum, ſo kann der Geſtändige von den Folgen deſſelben Befreiung erlangen. Dieſe Befreiung wird ertheilt durch Reſtitution (alſo im alten Prozeß nur durch den Prätor)(a)L. 7 de confessis (42. 2 ) L. 11 § 8 de interr. (11. 1). Dieſe Reſtitution gehört unter die zahlreichen Fälle, in welchen überhaupt gegen Prozeßhand - lungen Reſtitution wegen Irr - thums ertheilt wird. S. o. B. 3. S. 386. 387..

Die Reſtitution wird hier aber nur unter folgenden Be - dingungen ertheilt. Der Irrthum muß ein factiſcher ſeyn, kein Rechtsirrthum(b)L. 2 de confessis (42. 2 ), C. 3 X. de confess. (2. 18 ), C. 2 de restit. in VI. (1. 21).. Er darf nicht auf grober Nach - läſſigkeit beruhen(c)L. 11 § 11 de interr. (11. 1) nisi culpa dolo proxi - ma sit . . Er muß als Irrthum bewieſen werden, ſo daß der bloße Beweis des Gegentheils der ein - geſtandenen Thatſachen nicht hinreicht(d)C. 3 X. de confessis (2. 18) si de hujusmodi po - tuerit errore docere . Es wird ſtets darauf ankommen, die Entſtehung der irrigen Meinung aus ſcheinbaren äußeren Thatſachen nachzuweiſen. Beiſpiele eines ſolchen Beweiſes finden ſich in L. 11 § 8 de interr. (11. 1).. Dieſer wichtige, in unſern Rechtsquellen ausdrücklich anerkannte Satz iſt die nothwendige Folge davon, daß dem Geſtändniß ja auch ganz andere Abſichten, als die Anerkennung der Wahrheit, zum32Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Grunde liegen können, unter andern die Abſicht, zu ſchenken (§ 303). Ferner können nur durch dieſen Beweis die oben aufgeſtellten Bedingungen feſtgeſtellt werden, daß nämlich der Irrthum blos factiſch ſeyn und nicht auf grober Nach - läſſigkeit beruhen muß.

Dieſe Grundſätze ſind gleichmäßig anzuwenden auf die confessio und auf die interrogatio (Note a). Bei dieſer letzten alſo wird durch die Reſtitution der Quaſicontract (§ 305. v) entkräftet. Was aber die Strafverpflichtung wegen wiſſentlicher Unwahrheit betrifft (§ 305. x), ſo iſt ſelbſt der Begriff einer ſolchen Unwahrheit durch den Be - weis des Irrthums ausgeſchloſſen(e)L. 11 §. 3. 10. 11. de interr. (11. 1)..

Dabei iſt noch beſonders aufmerkſam zu machen auf die innere Verwandtſchaft des Widerrufs eines irrigen Geſtänd - niſſes mit der condictio indebiti. Hier, wie dort, muß der Irrthum bewieſen werden, welcher ein factiſcher ſeyn und nicht auf grober Nachläſſigkeit beruhen muß. Von dieſer Verwandtſchaft wird ſogleich noch weiterer Gebrauch ge - macht werden.

3. Die förmliche Reſtitution wird aber nicht in allen Fällen erfordert.

Wenn der Geſtändige noch vor dem Prätor ſeine Er - klärung zurück nehmen oder verbeſſern wollte, bevor dadurch dem Gegner ein Schade entſtanden ſeyn konnte, ſo war ihm Dieſes geſtattet, ohne daß es dazu eines Beweiſes und einer Reſtitution bedurfte. Nach der Litisconteſtation, alſo33§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.vor dem Juder, war eine ſolche Veränderung nicht mehr möglich, ohne auf den Prätor zurück zu gehen und Re - ſtitution zu erlangen(f)L. 11 § 12 de interr. (11. 1), licere responsi poeni - tere. L. 26 § 5 de nox. act. (9. 4)..

Wenn ferner das Eingeſtandene in Folge von Rechts - regeln als unmöglich erkannt werden muß, ſo bedarf es keiner Reſtitution, und auch ſchon der Römiſche Judex mußte dieſem Geſtändniß jede Wirkung verfagen. Wenn alſo eine Noxalklage angeſtellt wurde wegen der Handlung eines Sklaven oder Sohnes gegen den vermeintlichen Herrn oder Vater, welcher auf Befragen das Daſeyn der po - testas einräumte, ſo war dieſes Geſtändniß allerdings hin - reichend, um gerade ihn zum Schuldner zu machen, und alſo die Schuld vom wahren Herrn oder Vater auf ihn zu übertragen. Wenn aber hinterher bewieſen wurde, daß der Thäter gar nicht Sklave oder Sohn, ſondern frei und unabhängig war, oder daß der Geſtändige gar nicht des Eigenthums (über einen Sklaven) fähig, oder ſeines Alters wegen nicht der väterlichen Gewalt über den (viel - leicht älteren) Thäter fähig war, ſo ſollte in allen dieſen Fällen dem Geſtändniß alle Wirkung verſagt werden(g)L. 13. 14. 16 de interr. (11. 1). In dieſem Sinn heißt es in den angeführten Stellen: quia falsae confessiones natu - ralibus convenire deberent , und: si id, quod in confessio - nem venit, et jus et naturam recipere potest . .

Dieſes iſt nun die einzige Beziehung, in welcher dem Beweis der Unmöglichkeit, worauf Manche einen unver -VII. 334Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.hältnißmäßigen Werth legen, ein beſonderer Einfluß zuge - ſtanden werden kann. Allerdings iſt jede unmögliche That - ſache ſtets zugleich eine unwahre, und der Beweis der Unwahrheit einer Thatſache iſt die Grundlage für den Beweis des Irrthums über das früher abgegebene Ge - ſtändniß der Wahrheit dieſer Thatſache. Aber der voll - ſtändige Beweis dieſes Irrthums liegt darin nicht, weil das Unmögliche, eben ſo gut, als das blos Unwahre, mit Bewußtſeyn der Unwahrheit, folglich ohne Irrthum, einge - ſtanden ſeyn kann. Daher iſt es unrichtig, wenn Manche behaupten, der Beweis der Unmöglichkeit ſey ſtets hinreichend, und mache den Beweis des Irrthums unnöthig. Wenn alſo Jemand eine von ihm perſönlich begangene That ein - geſteht, ſo iſt zum Widerruf nicht hinreichend, daß er das Alibi beweiſt. Denn aus dem Alibi folgt allerdings, daß er die That nicht begangen haben kann, alſo auch nicht begangen hat; es folgt aber nicht, daß er im Irrthum war, als er das Geſtändniß der That ablegte. Ja ſogar wird gerade in dieſem Fall der Irrthum höchſt unwahrſcheinlich, vielleicht nur unter den abentheuerlichſten Vorausſetzungen möglich ſeyn.

§. 307. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Widerruf. (Fortſetzung.)

Die in dem vorhergehenden §. aufgeſtellten Grundſätze leiden eine Ausnahme in den Fällen der Klagen, worin35§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)das böswillige Leugnen durch die Verurtheilung auf den doppelten Werth beſtraft wird (ubi lis inficiando crescit in duplum) (§ 304). In dieſen Fällen hat das Geſtändniß die Natur eines Vergleichs, um der Gefahr der höheren Verurtheilung zu entgehen. Daher gilt hier kein Widerruf aus dem[Grund] des Irrthums, und keine Reſtitution, ſelbſt wenn der Irrthum bewieſen werden könnte(a)Dieſe Ausnahme hat keine Anwendung bei den Interrogationen, ſondern nur bei der eigentlichen confessio in jure. .

Hier zeigt ſich wieder die, ſchon oben erwähnte, Ver - wandtſchaft zwiſchen dem Widerruf des Geſtändniſſes und der condictio indebiti (§ 306). Denn auch die condictio indebiti iſt in denſelben Fällen ausgeſchloſſen(b)§ 7 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27 ), L. 4 C. de cond ind. (4. 5)., indem die Zahlung nicht als vermeintliche Erfüllung einer unzwei - felhaften Forderung angeſehen werden ſoll, ſondern als eine Vergleichsſumme zur Abwendung der Gefahr einer höheren Verurtheilung.

Dieſe Ausnahme alſo mußte gelten bei der actio judi - cati und depensi, ſo wie bei der Klage aus dem legatum damnationis einer beſtimmten Geldſumme. Daß ſie dabei von den alten Juriſten nicht erwähnt wird, erklärt ſich aus der Natur dieſer Schulden als reiner Geldſchulden. Denn bei dieſen wurde die ganze Sache vor dem Prätor zu Ende gebracht ohne Juder (§ 304), ſo daß dabei kaum jemals Zeit und Anlaß zu einem Widerruf des abgegebenen Ge -3*36Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtändniſſes geweſen ſeyn mag. Es bleiben alſo nur noch zwei Klagen dieſer Art zu betrachten übrig, die actio L. Aquiliae, und die Klage aus einem legatum damnationis auf eine beſtimmte Sache außer baarem Gelde.

Wenn die actio L. Aquiliae wegen der Tödtung oder Verwundung eines Sklaven angeſtellt wird, und der Be - klagte die That als von ihm begangen eingeſteht, ſo wird er dadurch unbedingt zum einfachen Schadenserſatz ver - pflichtet, und hat keine Reſtitution zu hoffen, auch wenn er ſich zum Beweiſe des Irrthums erbietet. Der entſchei - dende Grund dieſer auffallenden Vorſchrift liegt in der ſo eben bemerkten Vergleichsnatur eines ſolchen Geſtändniſſes, indem er dadurch der Gefahr entgeht, außerdem vielleicht zum doppelten Erſatz verurtheilt zu werden (§ 304. i). Allein dieſe Gefahr und die damit verbundene unbedingte Verpflichtung beſchränkt ſich auf die perſönliche Thäterſchaft des Beklagten. Wenn alſo der Widerruf dahin gerichtet iſt, daß der Sklave noch lebe, daß er ohne Wunden ſey, ſo bezieht ſich darauf die Ausnahme nicht; vielmehr iſt hier, wie bei anderen Klagen, die Reſtitution wegen eines Irr - thums zuläſſig. Allerdings kommt hier zu dem bereits geltend gemachten, ſchon allein genügenden Grund noch ein anderer hinzu, der ſelbſt ohne Beweis eines Irrthums hin - reichen würde, die Klage völlig auszuſchließen. Denn wenn der Sklave lebt und geſund iſt, ſo muß die Klage ohne Erfolg bleiben, da es ganz an einem Schaden fehlt, deſſen Abſchätzung allein der Verurtheilung einen Inhalt37§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)geben könnte(c)L. 24 ad L. Aquil. (9. 2).. Dagegen iſt hier die Unmöglichkeit an und für ſich keinesweges das entſcheidende Moment. Denn auch die Unmöglichkeit der Thäterſchaft könnte be - hauptet werden im Fall des erwieſenen Alibi, und doch würde hierin kein Grund liegen, die unbedingt verpflichtende Kraft des Geſtändniſſes zu beſchränken.

Der zweite hierher gehörende Fall iſt der eines legatum damnationis auf eine beſtimmte Sache außer baarem Geld. Wenn der verklagte Erbe die Verpflichtung zu dieſem Legat eingeſteht, ſo iſt er unbedingt verpflichtet, ſelbſt wenn er beweiſen kann, daß die Sache nie exiſtirt hat, oder daß ſie untergegangen iſt(d)L. 3 de confessis (42. 2 ) Julianus ait, confessum certum se debere legatum, omnimodo damnandum, etiamsi in rerum natura non fuisset, etsi jam a natura recessit, ita tamen, ut in aestimationem ejus dam - netur, quia confessus pro judi - cato habetur . Dieſer Stelle ſcheinen zwei andere nach ver - ſchiedenen Richtungen hin zu wider - ſprechen. L. 8 eod. Non om - nimodo confessus condemnari debet rei nomine, quae an in rerum natura esset incertum sit . Hier wird jedoch gar nicht geſagt, daß von einem legatum damnationis die Rede ſey; bei jeder andern Klage aber iſt die unbeſtimmte Verneinung ganz an ihrem Platze. L. 5 eod. Qui Stichum debere se confessus est, sive mortuus jam Stichus erat, sive post litis contesta - tionem decesserit, condemnan - dus est . Nach der Ueberſchrift der Stelle ſprach darin Ulpian von einer Stipulationsſchuld. Aus dieſem herausgeriſſenen Fragment aber iſt gar Nichts zu entnehmen, da gewiß noch irgend ein anderer Grund der Obligation hinzuge - dacht werden muß, beſonders in dem Fall des Todes nach der L. C., in welchem Fall eine Verpflichtung entſtanden ſeyn kann nur durch Dolus, Culpa, oder Mora des Be - klagten, ſ. o. B. 6 § 272. 273 Note l. . In dieſen beiden Fällen iſt das38Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Legat an ſich ungültig(e)L. 108 § 10. L. 36 § 3 de leg. 1 (30. un. ), § 16 J. de leg. (2. 20)., folglich die eingeſtandene Ver - pflichtung zum Legat unmöglich, woraus alſo folgt, daß auch hierin die Unmöglichkeit des Eingeſtandenen (se debere legatum) keinen Unterſchied macht. In dieſem Fall nun hat eben ſo, wie in dem vorhergehenden, das Geſtändniß die Natur eines Vergleichs, indem der Geſtändige nur den einfachen Werth des Legats leiſtet(f)L. 61 in f. ad L. Falc. (35. 2 ), L. 71 § 3 de leg. 1 (30. un.). , alſo die Gefahr der höheren Verurtheilung von ſich abwendet.

Die hier dargeſtellten Ausnahmen, in welchen das Ge - ſtändniß unbedingt, ohne Reſtitution wegen Irrthums, ver - pflichten ſoll, ſind für das heutige Recht ganz ohne An - wendung. Denn es iſt unbezweifelt, daß das ganze Rechts - inſtitut, welches mit dem Ausdruck: lis inficiando crescit in duplum bezeichnet wird, als ein einzelnes, höchſt poſitives, Stück der Römiſchen Ptrivatſtrafen, für unſer Recht ver - ſchwunden iſt. Damit aber müſſen auch die erwähnten Ausnahmen, als bloße Folgen jenes Inſtituts, nothwendig wegfallen.

Ich habe es verſucht, die in dieſer Lehre ſcheinbar widerſprechenden Stellen des Römiſchen Rechts zu ver - einigen. Neuere Schriftſteller haben verſchiedene Wege ein - geſchlagen, um zum Ziel einer ſolchen Vereinigung zu ge -39§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.langen. Iſt der hier verſuchte richtig, ſo bedarf es der beſonderen Prüfung und Widerlegung jener fremden Ver - ſuche nicht(g)Am nächſten der Wahrheit kommt wohl Bayer Vorträge S. 305 310, nur daß er die Un - möglichkeit dem Irrthum coordinirt, alſo für einen Grund des Wider - rufs gelten läßt auch ohne Beweis des Irrthums. Ebenſo legt Bethmann-Hollweg S. 272. 273 einen zu großen Werth auf die Unmöglichkeit an ſich, und ſtellt dagegen den Irrthum in den Hin - tergrund. Weber S. 58 64 iſt ganz verworren. Linde § 256 nimmt an, in der Regel ſey kein Widerruf zuläſſig, beſchränkt aber dieſe Regel durch eine große Zahl unzuſammenhangender Aus - nahmen..

§. 308. Surrogate des Urtheils. I. Gerichtliches Geſtändniß. Heutiges Recht.

Zunächſt könnte man glauben, die ganze hier dargeſtellte Lehre ſey ſchon deswegen unanwendbar, weil die confessio in jure und die interrogatio in jure mit dem alten ordo judiciorum verſchwunden ſeyn müßten. Allein der ordo judiciorum war ſchon zu Juſtinian’s Zeit längſt ſpurlos untergegangen, und doch wird in den Digeſten dieſe Lehre noch als praktiſches Recht vorgetragen. Wir werden alſo die Sache ganz im Sinn von Juſtinian vielmehr ſo auf - zufaſſen haben, daß nach der Verſchmelzung von jus und judicium die alten Rechtsinſtitute als confessio und interro - gatio in judicio fortbeſtehen.

Damit hängt zuſammen die Frage, worüber namhafte neuere Schriftſteller verſchiedener Meinung ſind, ob die ſo40Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.eben dargeſtellten poſitiven Vorſchriften des Römiſchen Rechts noch Geltung haben oder nicht(a)Heffter S. 290. 291 bejaht dieſe Frage, Bethmann - Hollweg S. 301 verneint dieſelbe.. Ich nehme an, daß die meiſten und wichtigſten Ausſprüche des Römiſchen Rechts in dieſer Lehre gar nicht als poſitive Vorſchriften, ſondern vielmehr als die natürliche Entwickelung dieſes Rechts - inſtituts anzuſehen ſind, allerdings mit einigen, nicht erheb - lichen, rein poſitiven Beimiſchungen, die für uns nicht mehr anwendbar ſind.

Die richtige Behandlung dieſer Lehre iſt bis jetzt durch Nichts ſo ſehr gehindert worden, als durch den Ausgangs - punkt, den man dafür zu wählen pflegte. Als Gattungs - begriff galt der eines Beweismittels, genannt Geſtändniß, beſtehend in der eigenen Erklärung Deſſen, gegen welchen damit ein Beweis geführt werden ſollte. Dieſer Gattungs - begriff wurde zerlegt in zwei Arten, das gerichtliche und das außergerichtliche Geſtändniß, je nachdem in oder außer dem Gericht jene Erklärung abgegeben wird; dieſe als untergeordnet angeſehene Verſchiedenheit konnte nicht hindern, beide Begriffe ihrem Weſen nach als gleichartig zu behandeln.

Ich gehe von einer völlig verſchiedenen Grundanſicht aus, deren Hauptzüge ſchon oben (§ 306) angegeben worden ſind. Beide Begriffe haben den Namen mit ein - ander gemein, ſind aber in ihrem inneren Weſen verſchieden. 41§. 308. Surrogate. I. Geſtänduiß. Heutiges Recht.Die genauere Darſtellung dieſer Verſchiedenheit wird zu - gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie ſich das heutige Recht zu den oben dargeſtellten Begriffen und Regeln des Römiſchen Rechts verhält, und was von dieſem letzten noch für uns brauchbar iſt.

Das gerichtliche Geſtändniß iſt die Erklärung, welche eine ſtreitende Partei vor dem Richter des vorlie - genden Rechtsſtreits über Gegenſtände dieſes Streites ab - giebt. Das Weſen und die wichtige Wirkung deſſelben beſteht in der Feſtſtellung der Gränzen zwiſchen dem ſtreitigen und nicht ſtreitigen Theil der gegenſeitigen Behauptungen. Da nun der Richter nur dazu berufen iſt, über den Streit der Parteien zu entſcheiden, ſo wird durch jedes gerichtliche Geſtändniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach beſtimmt und begränzt. Dieſes Geſtändniß alſo iſt nicht (ſo wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, ſo oder anders zu ſprechen, ſondern eine Feſtſtellung von Ge - genſtänden, worüber er ſich des eigenen Urtheils zu enthalten hat, weil ſie nicht zu dem, unter den Parteien ſtreitigen Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge - ſtändniß begründet alſo formelle Wahrheit (§ 303).

Das gerichtliche Geſtändniß kann ohne Zweifel auf reine Thatſachen gehen, weil die Feſtſtellung von Thatſachen einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsſtreits auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man ſagen, daß dadurch Thatſachen nicht ſowohl bewieſen, als dem42Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Bedürfniß eines Beweiſes entzogen werden; einen prak - tiſchen Werth hat dieſe Unterſcheidung nicht.

Das gerichtliche Geſtändniß kann aber auch auf Rechts - verhältniſſe gehen, ja dieſes iſt das eigenthümlichſte Gebiet, worin es wirkt.

Für jedes gerichtliche Geſtändniß iſt ein Widerruf möglich, welcher zu einer richterlichen Reſtitution führen kann. Dieſe muß aber begründet werden durch den Be - weis eines Irrthums, welcher jedoch ein factiſcher Irr - thum ſeyn muß, und nicht aus großer Nachläſſigkeit hervor - gegangen ſeyn darf. Die Ueberzeugung des Richters von dem Daſeyn eines Irrthums als Entſtehungsgrund des Geſtändniſſes kann nur aus den Umſtänden hervorgehen, welche die Entſtehung des Irrthums natürlich und wahr - ſcheinlich erklären (§ 306 d.). Der bloße Beweis, daß das Eingeſtandene unwahr, ſelbſt daß es unmöglich ſey, iſt ohne Beweis eines Irrthums zur Reſtitution nicht hin - reichend.

Dieſes ſind die Regeln des Römiſchen Rechts über das gerichtliche Geſtändniß, welche oben ausführlich dargeſtellt worden ſind. In ihnen liegt Nichts, das als rein poſitiv, insbeſondere aus der eigenthümlichen Gerichtsverfaſſung der Römer entſprungen, angeſehen werden könnte. Sie ent - halten vielmehr eine reine Entwicklung dieſes Rechtsinſtituts, hervorgegangen aus den wahren praktiſchen Bedürfniſſen deſſelben. In den Grundſätzen unſers heutigen gemeinen43§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung jener Regeln hinderlich ſeyn könnte

Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten, ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An - wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar - keit iſt auch unſere Praxis niemals im Zweifel geweſen. Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.

1. Von einem Unterſchied zwiſchen confessio in jure und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede ſeyn; ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied, und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich - gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß - leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts - ſtreites felbſt.

2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In - terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen Prozeß gewiß fremd.

3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte, jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht - liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem legatum damnationis (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden44Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.als bloße Folge der Verurtheilung in den doppelten Werth, welche überhaupt nur ein Stück des ganzen Syſtems der Privatſtrafen iſt, und mit dieſem Syſtem in unſer heutiges Recht keinen Eingang gefunden hat. Insbeſondere bei dem legatum damnationis iſt eine ſolche Ausnahme unanwendbar, weil dieſe eigenthümliche Form der Legate nicht nur für uns verſchwunden, ſondern ſelbſt ſchon von Juſtinian geſetz - lich aufgehoben und mit allen übrigen Legaten verſchmolzen worden iſt(b)L. 1 C. communia de leg. (6. 43 ), § 2 J. de leg. (2. 20)..

4. Das gerichtliche Geſtändniß iſt im heutigen Recht niemals eigentliches Surrogat eines Urtheils, ſo daß das Urtheil ſelbſt dadurch entbehrlich würde. Vielmehr muß immer noch ein Urtheil geſprochen werden, deſſen Inhalt jedoch mit dem Inhalt des Urtheils übereinſtimmen muß. So war es von jeher ſchon im Römiſchen Recht in den allermeiſten Fällen, nämlich nur mit Ausnahme des auf eine beſtimmte Geldſchuld gerichteten Geſtändniſſes (§ 303); ſeit der Aufhebung des ordo judiciorum allgemein (§ 304). In dieſer Rückſicht alſo iſt kein Unterſchied zwiſchen dem heutigen und dem Römiſchen Prozeß.

Außergerichtliches Geſtändniß heißt jede Er - klärung einer ſtreitenden Partei, die über einen Gegenſtand dieſes Rechtsſtreites nicht vor dem Richter deſſelben abge - geben wird; wohin alſo nicht nur reine Privaterklärungen, in Briefen und Geſprächen niedergelegt, gehören, ſondern auch gerichtliche Erklärungen, die in einem anderen, als45§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.dem jetzt vorliegenden Rechtsſtreite vorkommen. Dieſes Geſtändniß iſt ein reines Beweismittel, und kann einen vollſtändigen Beweis bilden, weil Jeder gegen ſich ſelbſt ein glaubwürdiges Zeugniß ablegen lann.

Als Beweismittel kann dieſes Geſtändniß eigentlich nur auf reine Thatſachen gehen, nicht auf Rechtsverhältniſſe. Da jedoch jedem Nechtsverhältniß Thatſachen zum Grunde liegen, und da oft die Sache eine ſo einfache Natur hat, daß nur die Thatſache ſtreitig ſeyn kann, ſo kann auch die über ein Rechtsverhältniß abgegebene Erklärung nach Um - ſtänden den vollen Beweis einer Thatſache bilden (§ 304). So z. B. wenn Jemand in einem Briefe erklärt, daß er einem Anderen Hundert aus einem Darlehen oder Hundert aus einem Kaufvertrag ſchuldig ſey, ſo liegt darin die unzweifelhafte Erklärung, daß er Hundert als Darlehen empfangen, oder Hundert als Kaufgeld verſprochen habe, welches reine Thatſachen ſind, die durch jenes außergerichtliche Geſtändniß vollſtändig bewieſen werden.

Das außergerichtliche Geſtändniß kann widerrufen und entkräftet werden dadurch, daß das Gegentheil der einge - ſtandenen Thatſachen vollſtändig bewieſen wird. Einer Reſtitution bedarf es dazu nicht, alſo kommt es auch nicht auf den Beweis eines Irrthums, und auf die beſonderen Eigenſchaften dieſes Irrthums an, eben weil jenes Ge - ſtändniß keine verpflichtende Handlung iſt, ſondern ein reines Beweismittel.

46Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Unſere Schriftſteller über den Prozeß haben dieſe weſentlichen Unterſchiede beider Arten des Geſtändniſſes großentheils verkannt, und daher die ganze Lehre vom Ge - ſtändniß nicht auf befriedigende Weiſe behandelt(c)Danz Prozeß § 292 299, Martin § 128. Selbſt Beth - mann-Hollweg, der die Lehre im Ganzen ſehr richtig auffaßt, ſcheint doch in dieſem Punkt nicht ganz im Klaren zu ſeyn. S. 310 ſchreibt er zwar dem gerichtlichen Geſtändniß förmliche Wahr - heit zu, aber S. 311 geſtattet er doch dagegen den Beweis des bloßen Gegentheils der eingeſtandenen Thatſache, ohne Anfechtung wegen eines bewieſenen Irrthums..

Sehr merkwürdig iſt die Art, in welcher die Preußiſche Prozeßgeſetzgebung dieſen Gegenſtand behandelt(d)Allg. Gerichtsordnung I. 8 § 14 16, II. 10 § 27 bis § 82 und § 88 b. . Aller - dings folgt ſie im Allgemeinen den herrſchenden Anſichten der Schriftſteller des gemeinen Rechts, welche beide Arten des Geſtändniſſes als reine Beweismittel und als Arten deſſelben Gattungsbegriffs behandeln. Aber die Behandlung im Einzelnen nähert ſich auf merkwürdige Weiſe der rich - tigen Auffaſſung des Römiſchen Rechts.

Wenn der Beklagte den Anſpruch des Klägers voll - ſtändig einräumt, ſo erfolgt kein Urtheil, ſondern ein bloßes Agnitionsreſolut, welches jedoch wie ein Urtheil publicirt wird, und zur Execution geeignet iſt. Dieſes iſt im Weſentlichen die ältere Römiſche Behandlung der confessio in jure.

47§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.

Jedes Geſtändniß kann widerrufen werden, aber es iſt nicht genug, das Gegentheil des Eingeſtandenen zu beweiſen, ſondern es muß in allen Fällen der Irrthum nachgewieſen werden, welches nur dadurch geſchehen kann, daß deſſen Entſtehung aus wahrſcheinlichen Gründen dargethan wird. Jedem Widerruf ſteht die Vermuthung der Wahrheit des Eingeſtandenen entgegen, jedoch in verſchiedenen Graden, das heißt, der Richter ſoll mit der Zulaſſung des Widerrufs mehr oder weniger ſchwierig und ſtrenge ſeyn; am ſtrengſten bei dem gerichtlichen Geſtändniß im gegenwärtigen Prozeß, weniger bei dem, in einem anderen Prozeß abgegebenen gerichtlichen Geſtändniß; am wenigſten bei dem außergericht - lichen. Durch dieſe Strenge, und die damit verbundene Abſtufung, wird die grundſätzlich unrichtige Behandlung der Sache großentheils wieder gut gemacht.

§. 309. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Einleitung.

Quellen:

  • Dig. XII. 2 (de jurejurando, sive voluntario, sive neces - sario, sive judiciali).
  • Cod. IV. 1 (de rebus creditis et jurejurando).
  • Paulus II. 1.

Schriftſteller:

  • Malblanc doctrina de jurejurando Nor. 1781. 8 (enthält viel praktiſches Material).
  • Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 127. 135. 150.
48Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2 §. 173. 174.

(Beide für die geſchichtliche Seite der Lehre.)

Der Eid beſteht in der Betheuerung der Wahrheit irgend eines Ausſpruchs[durch] Beziehung auf einen Gegenſtand, der von dem Schwörenden als ein hoher, heiliger angeſehen wird(a)Das R. R. läßt in der Auswahl dieſer Gegenſtände die größte Freiheit zu, z. B. per salutem tuam, per caput tuum vel filiorum, per genium prin - cipis, auch ſelbſt propriae super - stitionis, nur nicht improbatae publice religionis; dieſer Eid iſt verboten und hat gar nicht die Wirkungen eines Eides. L. 5 pr. § 1. 3 de jur. (12. 2). Für Chriſten giebt es keinen anderen Eid, als bei dem Namen Gottes, obgleich dabei verſchiedene Aus - drücke vorkommen können.. Dieſe Beziehung ſoll gegen Andere eine gewiſſe Sicherheit geben für die Wahrheit des Ausſpruchs, das heißt, für die Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Bewußt - ſeyn des Schwörenden, indem vorausgeſetzt wird, daß die Ehrfurcht vor dem bezogenen Gegenſtand eine gleichzeitige Abweichung von der Wahrheit hindern werde(b)Cicero de officiis III. 29. Est enim jusjurandum affirmatio religiosa. Quod autem affirmate, quasi Deo teste, promiseris, id tenendum est . .

Das auf dieſe Weiſe verſicherte Bewußtſeyn kann zweierlei Inhalt oder Richtung haben:

I. Richtung auf die Zukunft, wobei alſo der Eid Sicherheit geben ſoll für den Willen und die künftige That. Die Neueren nennen dieſen Eid, deſſen juriſtiſche Bedeutung49§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.nur eine obligatoriſche ſeyn kann, als Beſtärkung eines Verſprechens, jusjurandum promissorium.

II. Richtung auf die Vergangenheit, wobei der Eid Sicherheit geben ſoll für die Wahrheit des ausgeſprochenen Denkens. Dieſer Eid wird von den Neueren assertorium genannt. Seiner allgemeinen Natur nach geht derſelbe auf reine Thatſachen, iſt alſo bloßes Beweismittel, und gehört lediglich in die Prozeßlehre. So iſt es in der That mit dem Zeugeneid, desgleichen mit dem Erfüllungseid und Reinigungseid der Parteien.

Eine eigenthümliche Natur aber hat im Römiſchen Recht der zugeſchobene Eid (jusjurandum delatum) ange - nommen, welcher unter gewiſſen Umſtänden ſelbſtſtändiges Mittel der Entſcheidung eines Rechtsſtreits, alſo Surrogat eines Urtheils werden kann, und daher ganz eigentlich hierher gehört.

Ueber die Anwendungen des promiſſoriſchen Eides ſoll hier, damit es an einer vollſtändigen Anſchauung der ganzen Lehre nicht fehle, eine kurze Ueberſicht gegeben werden. Die Fälle dieſer Anwendung ſind ſo verſchiedenartig, daß das Obligationenrecht keine Gelegenheit darbietet, ſie unter einem gemeinſamen Geſichtspunkte zuſammen zu faſſen.

Es kommt dieſer Eid vor, ſowohl im öffentlichen Recht, als im Privatrecht. Im öffentlichen Recht: der Eid der Soldaten, der Beamten, des Vormundes.

VII. 450Buch II. Rechtsverhältnifſe. Kap. IV. Verletzung.

Im Privatrecht ſind die Anwendungen des Verſprechungs - eides nicht von Erheblichkeit; folgende kommen im Römiſchen Recht vor:

1. Die wichtigſte und eigenthümlichſte Anwendung findet ſich bei den Dienſten freigelaſſener Sklaven, die der Patron einklagen konnte, wenn ſie eidlich verſprochen waren. Das Bedürfniß und der Nutzen dieſer Rechts - form wäre klar, wenn der, noch im Sklavenſtand wegen künftiger Dienſte geleiſtete Eid dieſe Kraft gehabt hätte, weil der Sklave durch gewöhnliche Vertragsformen ſich nicht klagbar verpflichten konnte. Aber gerade in dieſem Fall ſollte auch ſelbſt der Eid keine Klage bewirken, ſondern nur, wenn derſelbe nach der Freilaſſung geleiſtet wurde; zu dieſer Zeit aber war auch die gewöhnliche Sti - pulation zuläſſig und von gleicher Wirkung, ſo daß man zwiſchen ihr und dem Eid die Wahl hatte. Der Gebrauch dieſer beſonderen Form iſt wohl daraus zu erklären, daß ein ſolcher Eid auch ſchon im Sklavenſtand üblich war, und dann zwar keine Klage bewirkte, wohl aber die religiöſe Verpflichtung mit ſich führte, denſelben Eid nach der Frei - laſſung zu wiederholen, wodurch er dann klagbar wurde(c)L. 7 de op. libert. (38. 1 ), L. 44 de lib. causa (40. 12)..

Daß das Recht aus dieſem Eid durch jede capitis deminutio des Patrons unterging, iſt ſchon oben bemerkt worden(d)Gajus III. § 83, § 1. J. de adqu. per adrog. (3. 10). S. o. B. 2 S. 81..

51§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

2. Die Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts durch den Eid ſoll daſſelbe ſelbſt dann unanfechtbar machen, wenn es außerdem hätte angefochten werden können.

Dieſer wichtige abſtracte Grundſatz iſt dem Römiſchen Recht ſelbſt fremd. Nur die Reſtitution iſt überhaupt und am meiſten in Beziehung auf die Minderjährigen, einem ſehr freien Ermeſſen der richterlichen Obrigkeit unter - worfen(e)L. 3 de in int. rest. (4. 1 ), L. 24 § 1. 5 de minor. (4. 4)., und ſo findet ſich denn auch einmal ein kaiſer - liches Reſcript, welches die von einem Minderjährigen bei dem Kaiſer (wahrſcheinlich in der Appellationsinſtanz) nach - geſuchte Reſtitution gegen eine Veräußerung unter andern aus dem Grunde abſchlägt, weil der Vertrag durch Eid beſtätigt ſey, die Anfechtung alſo einen Meineid in ſich ſchließen würde(f)L. 1 C. si adv. vend. (2. 28).. Allein dieſes Reſcript, welches offen - bar mit Rückſicht auf alle Umſtände des einzelnen Falles erlaſſen war, kann unmöglich als abſtracte Vorſchrift für den Eid der Minderjährigen überhaupt angeſehen werden, weder im Sinn ſeines Verfaſſers, noch im Sinn der Ju - ſtinianiſchen Sammlung, in welche es aufgenommen wurde; es ſollte hier blos zeigen, daß unter den Gründen der Verweigerung einer Reſtitution auch ein geleiſteter Eid vorkommen könne. Dennoch iſt jener Stelle im zwölften Jahrhundert von einer Partei der Juriſten (im Widerſpruch mit einer andern Partei) der erwähnte abſtracte Sinn bei - gelegt worden, und der K. Friedrich I. hat dieſe falſche4*52Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Auslegung geſetzlich beſtätigt, welche ſeitdem als Beſtand - theil des Römiſchen Rechts anerkannt worden iſt(g)Auth. Frid. Sacramenta puberum C. si adv. vend. (2. 28). Vgl. Savigny Rechtsgeſchichte B. 4 S. 162.. Päbſtliche Verordnungen haben dieſen Satz anerkannt und näher ausgebildet(h)C. 28 X de jurej. (2. 24 ), C. 2 de pactis in VI. (1. 18)..

3. Die Anfechtung eines beſchworenen Vergleichs oder anderen Vertrags ſoll die Infamie zur Folge haben(i)L. 41 C. de transact. (2. 4)..

4. Wenn ein Zahlungsverſprechen per genium principis eidlich beſtärkt, dann aber nicht erfüllt wird, ſo ſoll darauf die Strafe körperlicher Züchtigung erfolgen(k)L. 13 §. 6 de jurej. (12. 2)..

5. Der Ausſpruch eines Schiedsrichters ſollte klagbar wirken, wenn das Compromiß eidlich beſtärkt wäre(l)L. 4. C. de recept. (2. 56).. Dieſe Beſtimmung iſt jedoch ſpäterhin wieder aufgehoben worden(m)Nov. 82 C. 11, Auth. Decernit. C. de recept. (2. 56)..

6. Endlich kann die Leiſtung eines Eides einem Rechtsge - ſchäft als Bedingung hinzugefügt werden, in welchem Fall durch willkürliche Uebereinkunft der Eid, gleich jeder an - deren Thatſache, zum Grund der Entſtehung oder auch der Auf - hebung einer Verbindlichkeit gemacht werden kann(n)L. 19. § 6 de don. (39. 5 ), L. 39 de jurej. (12. 2).. Nur bei Erbeinſetzungen und Legaten iſt eine ſolche Be - dingung (die conditio jurisjurandi) beſonders unterſagt, und da, wo ſie dennoch hinzugefügt wird, ſoll der letzte Wille53§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.als unbedingt behandelt, und die zu beſchwörende Handlung in einen Modus verwandelt werden(o)S. o. B. 3 S. 185 190..

Der zugeſchobene Eid, von welchem allein nunmehr die Rede ſeyn wird, beruht auf dem Grundſatz, daß Jeder, der in einem zweifelhaften, ſtreitigen Rechtsverhältniſſe zu einem Anderen ſteht, die Feſtſtellung deſſelben durch Eid bewirken kann. Aus dem Eide entſteht dann ſtets formelle Wahrheit, ſo wie aus dem gerichtlichen Geſtändniß (§ 303). Unter gewiſſen Bedingungen kann daraus ſogar die ſelbſt - ſtändige Entſcheidung eines Streites hervorgehen, in welchem Fall ein richterliches Urtheil entbehrlich wird, und der Eid ſelbſt als Surrogat des Urtheils erſcheint.

Wäre dieſer Grundſatz ſo gemeint, daß jede Partei verlangen könnte, durch ihren eigenen Eid den Rechtsſtreit zu entſcheiden, ſo wäre dieſes Inſtitut für die Rechtsſicher - heit höchſt gefährlich; in vielen Fällen würde Alles von dem Zufall abhangen, welcher von Beiden ſich zuerſt zum Eide meldete. Es ſoll daher keine Partei befugt ſeyn, ſich ſelbſt des Eides willkührlich zu bemächtigen(p)L. 3 pr. de jurej. (12.2) .. nam si reus juravit, ne - mine ei jusjurandum deferente, Praetor id jusjurandum non tuebitur, sibi enim juravit; alioquin facillimus quisque ad jusjurandum decurrens, nemine sibi deferente jusjurandum, oneribus actionum se liberabit . . Jener Grundſatz aber hat vielmehr die Bedeutung, daß Jeder ſeinem Gegner den Eid zuſchieben kann, und daß der ſo54Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streites haben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche, daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen werde.

Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der folgenden drei verſchiedenen Zuſtände.

  • 1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer - gerichtlicher Eid).
  • 2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor (in jure).
  • 3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder (in judicio).

In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her - vorgehenden, formellen Wahrheit, ſtehen dieſe drei Fälle nach Römiſchem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber haben noch folgende Eigenthümlichkeiten.

Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu - ſchiebung für den Gegner eine gewiſſe Nothwendigkeit, ein Zwang, herbeigeführt, wovon im erſten Fall nicht die Rede iſt.

55§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

Im zweiten Fall können zugleich noch beſondere und ſtärkere Wirkungen eintreten.

Außer der wirklichen Ableiſtung des Eides aber kommen noch folgende erhebliche Ereigniſſe in Betracht:

  • A. Der Erlaß des Eides (remissio), nachdem der Gegner ihn angenommen hat, und zu ſchwören bereit ge - weſen iſt.
  • B. Die Zurückſchiebung des Eides (relatio). Durch dieſe wird daſſelbe Verhältniß, wie durch die ur - ſprüngliche Zuſchiebung, mit allen ſeinen Folgen, herbeigeführt, nur mit umgekehrter Stellung beider Parteien.

Die hier überſichtlich aufgeſtellten Sätze ſollen nunmehr einzeln entwickelt und aus unſeren Rechtsquellen nachge - wieſen werden, wobei folgender Gang der Unterſuchung engeſchlagen werden wird:

  • A. Römiſches Recht.
    • I. Zuſchiebung.
    • II. Ableiſtung.
    • III. Möglicher Inhalt des Eides.
    • IV. Form des Eides.
    • V. Erlaß.
    • VI. Gemeinſame Wirkungen.
    • VII. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des Streites.
  • B. Heutiges Recht.
56Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 310. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Zuſchiebung, Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeſchobenen Eides.

I. Zuſchiebung des Eides.

Nur durch dieſe völlig freie Handlung einer Partei kann die Reihe von Wirkungen hervorgerufen werden, die das Weſen dieſes Rechtsinſtituts ausmacht. Der einſeitige Eid alſo, ohne vorhergehende Zuſchiebung, iſt völlig wir - kungslos (§ 309. p).

Die Zuſchiebung iſt möglich in und außer einem Rechts - ſtreit. Sie kann geſchehen ſowohl von dem Kläger (d. h. der es ſchon iſt, oder künftig werden kann), als von dem Be - klagten. Wenn Beide gleichzeitig damit auftreten, ſoll der Kläger den Vorzug haben(a)Paulus II. 1 §. 2.; dieſe Regel iſt aber ohne praktiſche Wichtigkeit, weil ohnehin Jeder den zugeſchobenen Eid zurückſchieben kann, welche Handlung mit der erſten Zuſchiebung gleiche Wirkung hat (§ 312. c. g.).

Die in der Zuſchiebung liegende freie Handlung iſt nicht ohne Gefahr, weil durch ſie die Entſcheidung der Sache in die Macht des Gegners gelegt wird; ſie hat alſo eine ähnliche Natur, wie eine Veräußerung (deteriorem facit conditionem). Daher iſt dazu ein Unmündiger nicht ohne ſeinen Vormund fähig(b)L. 17 § 1 de jurej. (12. 2).; der Minderjährige iſt57§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.fähig, kann aber Reſtitution dagegen erhalten(c)L. 9 § 4 eod. L. 4 C. eod. (4. 1), die aus der ange - führten Stelle der Digeſten erklärt werden muß; pupillus ſoll alſo hier ſo viel heißen als: quondam pupillus. ; der erklärte Verſchwender iſt ganz unfähig(d)L. 35 §. 1 eod. . Ein zahlungs - unfähiger Schuldner kann dieſe Handlung nicht vornehmen zum Nachtheil ſeiner Gläubiger(e)L. 9 § 5 eod. . Jeder Tutor oder Curator der Partei iſt dazu fähig; ein Procurator nur, wenn ſeine Vollmacht auf das ganze Vermögen, oder auf dieſe Handlung beſonders, oder in rem suam gerichtet iſt(f)L. 17 § 2. 3, L. 18. 19. 34 § 1. L. 35 pr. eod., L. 7 C. eod. (4. 1).. Der Sklave oder der Sohn der Partei iſt dazu nur fähig, wenn der Streit auf ſein Peculium ſich bezieht, und zugleich deſſen freie Verwaltung ihm anvertraut iſt(g)L. 20. 21. 22 eod. .

II. Ableiſtung des Eides.

Dieſe freie Handlung kann keinen Nachtheil bringen, nur Vortheil, und iſt daher einem Erwerbe zu vergleichen (meliorem facit conditionem).

Daher iſt dazu Jeder fähig, ohne Rückſicht auf ſein Alter, auch der Unmündige; denn der Gegner hat in die mit dem unmündigen Alter verbundene Gefahr einge - willigt(h)L. 26 pr. L. 42 pr. eod. Scheinbar widerſpricht L. 34 § 2 eod. pupillo non defertur jusjurandum. Das heißt aber nur ſo viel, daß der Unmündige nicht ſo, wie jeder Andere, gezwun - gen iſt, ſich auf den zugeſchobenen Eid einzulaſſen..

58Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der Procurator der Partei, ſo wie der Defenſor ohne Auftrag, können den ihnen zugeſchobenen Eid ableiſten, ſind aber nicht zur Einlaſſung genöthigt(i)L. 9 § 6. L. 42 § 2. L. 34 § 3 eod. .

Wegen eines Rechtsſtreits, der das Peculium betrifft, kann der Sklave oder Sohn ſchwören, auch wenn er keine freie Verwaltung hat(k)L. 23. 24. 25 eod. . Eben ſo kann deshalb der Vater ſchwören, daß der Sohn Nichts ſchuldig ſey(l)L. 26 § 1 eod. .

Wollen aber dieſe Perſonen nicht ſelbſt ſchwören, ſondern den Eid zurück ſchieben, ſo treten dabei wieder dieſelben Beſchränkungen ein, wie bei der erſten Zuſchiebung(m)L. 24 eod. .

Die bloße Annahme des Eides übrigens, ohne wirkliche Ableiſtung, giebt kein unwiderrufliches Recht auf die Ab - leiſtung; vielmehr kann die Zuſchiebung willkürlich zurück - genommen werden bis zum Urtheil(n)L. 11. 12 pr. C. eod. (4. 1)..

Sehr beſtritten iſt die Frage, wer den Eid abzuleiſten hat, wenn derſelbe einer juriſtiſchen Perſon zugeſchoben wird, da dieſe nur ein fingirtes Daſeyn, und nicht die bei dem Eide vorausgeſetzten geiſtigen Eigenſchaften eines den - kenden und wollenden Menſchen hat. Keinen Zweifel kann es haben, daß der Procurator einer juriſtiſchen Perſon, wenn er ſich dazu entſchließt, den Eid gültig ableiſten kann (Note i). Dieſes ſetzt aber voraus, daß der Gegner gerade dieſem Procurator den Eid zuſchiebt, ihm alſo das Ver -59§. 210. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.trauen beweiſt, welches das Weſen des Eides ausmacht; dazu wird jedoch häufig keine Veranlaſſung ſeyn, weil der Procurator von den thatſächlichen Verhältniſſen oft keine Kenntniß haben wird. Nach dem Römiſchen Recht ſind eigentlich die Vorſteher der juriſtiſchen Perſon, als Verwalter ihrer Rechte zu dem Eide berufen und befugt, ſo daß es der Gegner zu erwägen hat, ob er dieſen Perſonen ſo viel Zutrauen ſchenken will, um ihnen den Eid zuzuſchieben. Nach der überwiegenden heutigen Praxis iſt der Eid von einigen einzelnen Mitgliedern der juriſtiſchen Perſon zu leiſten, und zwar nimmt man am conſequenteſten an, daß dieſe Mitglieder durch die freie Auswahl von Seiten des Gegners beſtimmt werden(o)S. o. B. 2 S. 297..

III. Der mögliche Inhalt des zugeſchobenen Eides verdient eine beſonders genaue Betrachtung. Zuerſt iſt zu bemerken, daß der Eid ſtets gerichtet wird auf das Gegen - theil der von dem Zuſchiebenden aufgeſtellten Behauptung. Wenn alſo bei einer Schuldklage der Kläger den Eid zu - ſchiebt, ſo geht der Eid auf das Nichtdaſeyn der Schuld; wenn der Beklagte zuſchiebt, auf das Daſeyn derſelben. Dieſe Faſſung iſt die Folge davon, daß der Eid zugeſchoben wird in der Erwartung und mit dem Wunſche, daß er nicht abgeleiſtet werde (§ 309). Auf gleiche Weiſe wurden im alten Prozeß die Exceptionen vom Beklagten ſo gefaßt, daß ſie das Gegentheil ſeiner Behauptung ausdrückten(p)Gajus IV § 119..

Uebrigens konnte nach Römiſchem Recht der Eid ſowohl60Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.auf ein Rechtsverhältniß, als auf eine Thatſache gerichtet ſeyn.

a. Die Richtung auf ein Rechtsverhältniß wird im Römiſchen Recht als der regelmäßige und gewöhnliche Fall behandelt. Dabei liegt zum Grunde der Gedanke einer vertragsmäßigen Anerkennung des Daſeyns oder Nicht - daſeyns dieſes Verhältniſſes. Da demſelben aber jederzeit Thatſachen zum Grunde liegen, ſo werden ſtets auch dieſe durch den Eid mittelbar feſtgeſtellt; ja oft hat der Streit eine ſo einfache Natur, daß beide Richtungen des Eides völlig zuſammen fallen und nur in Worten verſchieden ſind.

Uebrigens kann der Eid vorkommen bei allen Arten von Rechtsverhältniſſen und Klagen(q)L. 3 § 1. L. 34 pr. de jurej. (12. 2).. Folgende Fälle werden in unſeren Rechtsquellen namentlich angeführt:

  • Ueber das Daſeyn oder Nichtdaſeyn eines Eigenthums oder Erbrechts
    (r)L. 9 § 7. L. 11 pr. § 1. eod.
    (r).
  • Ueber das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer Schuld - forderung
    (s)L. 3 pr. 7 pr. 9 pr. eod.
    (s).
  • Ueber die väterliche oder die Herren-Gewalt
    (t)L. 3 § 2 eod.
    (t).
  • Ueber das Patronatsrecht
    (u)L. 13 pr. L. 30 § 4 eod.
    (u).
  • Ueber Abſtammung und Ingenuität eines Menſchen
    (v)L. 6 C. eod. (4. 1).
    (v).

b. Die Richtung auf eine bloße Thatſache wird bei dem zugeſchobenen Eide ſeltener erwähnt, und kann nicht61§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.als der eigentliche Zweck des Inſtituts nach Römiſchem Recht angeſehen werden. Sie kommt in folgenden Fällen vor, in welchen die Thatſache augenſcheinlich entſcheidend iſt über das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes:

  • Der Beklagte habe einen Diebſtahl oder Raub nicht begangen
    (w)L. 13 § 2. L. 28 § 5 eod. L. 11 § 1 rer. amot. (25. 2).
    (w).
  • Verkauf einer Sache um beſtimmten Preis
    (x)L. 13 § 3 de jurej. (12. 2).
    (x).
  • Abſchluß einer Societät
    (y)L. 13 § 4 eod.
    (y).
  • Uebergabe einer Sache als Pfand oder als Braut - gabe
    (z)L. 13 § 5 eod.
    (z).
  • Schwangerſchaft oder Nichtſchwangerſchaft einer Frau
    (aa)L. 3 § 3 eod.
    (aa).
  • Gehaltloſigkeit eines Peculium
    (bb)L. 26 § 1 eod.
    (bb).
  • Die Thatſache, daß bereits ein Eid über eine ſtreitige Frage geſchworen ſey
    (cc)L. 29 eod.
    (cc).

Beide hier zuſammengeſtellte Fälle entſprechen ungefähr dem Gegenſatz der formula in jus und in factum concepta, doch nicht genau und vollſtändig, weil die Faſſung der Klagformeln allgemein beſtimmt war, die der Eidesformeln von der Willkühr der Partei abhing, die den Eid zu - ſchob(dd)Puchta Inſtitutionen B. 2 § 173. f.

IV. Ueber die Form des zugeſchobenen Eides iſt ſchon62Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bemerkt worden, daß das Römiſche Recht die verſchiedenſten und willkürlichſten Betheuerungsformeln zuließ (§ 309. a). Weſentlich war nur die wörtliche Uebereinſtimmung des abgeleiſteten Eides mit der in der Zuſchiebung ausgedrückten Formel. Außerdem war der Eid wirkungslos, und mußte in richtiger Form wiederholt werden(ee)L. 3 § 4 L. 4 L. 5 pr. L. 33 eod. Wenn die Abfaſſung der Eidesformel zweifelhaft oder ſtreitig war, ſo hatte die Richter - behörde darüber zu entſcheiden. L. 34 § 5. 8 eod. .

Ueber den Ort der Eidesleiſtung wird nur erwähnt, daß der vor dem Prätor zugeſchobene Eid in der Regel vor dem Tribunal geſchworen werden mußte; nur bei Kranken und bei ſehr vornehmen Perſonen wurde die Aus - nahme geſtattet, daß ſie den Eid in ihrer Wohnung vor einem Abgeordneten leiſten durften(ff)L. 15 eod. Vgl. L. 12 § 5 C. eod. .

V. Der Erlaß des Eides (remissio) von Seiten des Zuſchiebenden hat dieſelbe Wirkung, wie die wirkliche Leiſtung(gg)L. 6 L. 9 § 1 eod. . Der Sinn derſelben iſt der, daß der Zu - ſchiebende in der bloßen Bereitſchaft des Gegners eben ſo, wie in dem wirklichen Eid, einen genügenden Ausdruck gewiſſenhafter Ueberzeugung anerkennen will. Daher wird vorausgeſetzt, daß der Gegner auch wirklich den Eid ſogleich angenommen habe; hat er Dieſes Anfangs nicht gethan, ſondern erſt ſpäter ſich dazu entſchloſſen, der Zuſchiebende will aber nun nicht die Zuſchiebung wiederholen, ſo ſoll dieſe Weigerung nicht als Erlaß angeſehen werden(hh)L. 6 L. 9 § 1 eod. .

63§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

Der Erlaß kann in Gegenwart oder Abweſenheit des Gegners mündlich oder ſchriftlich erklärt werden, und iſt immer gleich wirkſam, ſelbſt wenn der Gegner noch Nichts davon erfahren hat(ii)L. 41 eod. .

Der Erlaß hat, eben ſo, wie die Zuſchiebung, eine der Veräußerung ähnliche Natur, und iſt daher an dieſelben Bedingungen der Handlungsfähigkeit gebunden, wie die Zuſchiebung ſelbſt(kk)L. 32 eod. .

§. 311. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

VI. Die Wirkungen des zugeſchobenen und wirklich abgeleiſteten(a)Die Römer bezeichnen den geleiſteten Eid durch die Ausdrücke: praestitum oder datum jusju - randum. L. 9 pr. § 1 de jurej. (12. 2). oder erlaſſenen Eides ſind ſehr mannich - faltiger Art, laſſen ſich aber auf die gemeinſame Grund - lage zurückführen, daß der Eid förmliche Wahrheit, d. h. Fiction der Wahrheit, bildet, in welcher Hinſicht er ganz auf gleicher Linie ſteht mit dem gerichtlichen Ge - ſtändniß (§ 303) und dem Urtheil (§ 280). Dieſe förmliche Wahrheit iſt gleichmäßig anzuerkennen, es mag der Eid ge - ſchworen ſeyn über ein Rechtsverhältniß oder über eine Thatſache (§ 310). Die alten Juriſten drücken dieſelbe ſo aus, daß ſie ſagen, nach geſchwornem Eid dürfe nichts64Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Anderes mehr geprüft werden, als allein die Thatſache des Eides ſelbſt, auf die vorhergehende Lage der Sache ſey nicht mehr zurück zu gehen(b)L. 5 § 2 eod. non aliud quaeritur quam an juratum sit . Eben ſo L. 9 § 1. L. 28 § 10. L. 29. L. 30 pr. eod., §. 11 J. de act. (4. 6). Gerade hierin ſtehen gleich: das Urtheil, das Ge - ſtändniß, der Eid. L. 56 de re jud. (42. 1).. Natürliche Folgen dieſes Satzes ſind die, daß eine aus dem Eid etwa hervorgehende neue Klage in factum actio genannt wird(c)L. 11 § 1 de jur. (12. 2 ), L. 8 C. eod. (4. 1)., daß über die Thatſache des Eides ſelbſt, wenn ſie bezweifelt wird, ein neuer Eid zugeſchoben werden kann(d)L. 29 eod. , ſo wie, daß unter mehreren einander widerſprechenden Eiden der letzte allein Gültigkeit hat(e)L. 28 § 10 eod. , weil durch ihn die ganze Ver - gangenheit, alſo auch die Kraft des früheren Eides, ab - ſorbirt iſt. Der Eid hat daher eine die Rechtsverhält - niſſe ſelbſt umbildende Kraft, und wird in dieſer Hinſicht gleichgeſtellt bald mit der Zahlung, bald mit der Acceptila - tion, der Novation und Delegation, dem Conſtitutum(f)L. 21. L. 27. L. 28 § 1. L. 35 § 1. eod. L. 40 eod. L. 26 § 2 eod. L. 25 § 1 de pec. const. (13. 5)..

Die Wirkung aber beſchränkt ſich auf die Parteien, unter welchen die Zuſchiebung und Ableiſtung vorgegangen iſt, ſo daß fremde Perſonen dadurch weder Rechte erlangen, noch verpflichtet werden(g)L. 3 § 3. L. 9 § 7. L. 10 L. 11 § 3. L. 12 de jur. (12. 2 ), L. 7 § 7 de publ. (6. 2).. Mit den Parteien ſelbſt aber65§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.ſtehen in dieſer Hinſicht ganz gleich die Rechtsnachfolger derſelben: Erben, Singularſucceſſoren, Bürgen(h)L. 7. 8. 9 § 7, 28 § 1 3, 42 pr. § 1 3 de jur. (12. 2). Der Eid in einer popularis actio wirkt, gerade wie das Urtheil, auf dritte Perſonen, inſofern nicht eine Colluſion erwieſen werden kann. L. 30 § 3 eod. Wird in Folge eines Eides eine Verurthei - lung in einer entehrenden Klage ausgeſprochen, ſo wird der Ver - urtheilte ehrlos, auch allen fremden Perſonen gegenüber. L. 9 §. 2 eod. Das iſt aber nicht die Folge des Eides, ſondern des Urtheils..

Zur genaueren Einſicht in dieſe Wirkung iſt es nöthig zu erwägen, daß der Eid eine zuſammengeſetzte juriſtiſche Natur hat, indem er zugleich als Vertrag anzuſehen iſt, und als eine bindende Prozeßhandlung(i)L. 26 § 2 eod. pro - ficiscitur ex conventione, quam - vis habeat et instar judicii . .

Der Eid beruht alſo erſtlich auf einem wahren Vertrag und zwar auf einem Vergleich, indem beide Theile darüber einig geworden ſind, daß ihr Streit auf[dieſem] Wege ent - ſchieden werde(k)L. 2. L. 26 § 2. L. 35 § 1 eod. L. 21 de dolo (4. 3).. An dieſem Einverſtändniß iſt ſelbſt in den Fällen nicht zu zweifeln, worin der Eid als ein noth - wendiger bezeichnet wird. Denn wenn auch die Zuſchiebung dem Gegner nicht erwünſcht war, und deshalb ein indirecter Zwang gegen ihn angewendet wird, ſo hat er ſich doch durch die wirkliche Ableiſtung darin gefügt, und dieſe iſt unzweifelhaft als eine freie Handlung anzuſehen.

Zweitens aber hat der Eid zugleich die Natur einer bindenden Prozeßhandlung(l)L. 26 § 2 eod. (Note i). L. 35 § 1. 2. L. 42 § 3 eod., L. 8 C. eod. , und zwar ſowohl einer Litisconteſtation, als eines rechtskräftigen Urtheils.

VII. 566Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Er hat die Natur einer Litisconteſtation(m) hoc jusjurandum in locum litis contestatae suc - cedit . , in einem doppelten Sinn: er unterbricht die Klagverjährung gleich der Litisconteſtation(n)L. 9 § 3 de jur. (12. 2), nämlich nach dem älteren Recht, in welchem die L. C. als regel - mäßige Unterbrechung erfordert wurde. S. o. B. 5. S. 316., und macht dieſelbe zuweilen ent - behrlich, iſt alſo Surrogat derſelben, welches noch näher erklärt werden wird.

Er wirkt aber auch in ähnlicher Weiſe wie ein rechts - kräftiges Urtheil(o)L. 1 quarum rer. actio (44. 5) vicem rei judica - tae obtinet. Dieſes zeigt ſich in der für beide gemeinſanten förmlichen Wahrheit, und in der in factum actio, ſ. o. Noten b. c. Vgl. auch L. 11 § 3. L. 12 de jur. (12. 2).; ja es wird ſogar geſagt, daß er größere Kraft habe, als dieſes(p)L. 2 eod. majoremque habet auctoritatem, quam res judicata. . Das hat die Bedeutung, daß die Rechtskraft ein rein poſitives, dem jus gentium fremdes Inſtitut iſt, anſtatt daß der Eid, vermöge ſeiner Vertragsnatur (Note k), dem jus gentium vollſtändig an - gehört(q)§ 4 J. de except. (4. 13) quia iniquum est, de perjurio quaeri, defenditur per exceptionem jurisjurandi . Der - ſelbe Ausdruck ſteht in den vor - hergehenden drei §§, fehlt aber in dem folgenden (§ 5 eod.), der von der exc. rei jud. handelt.. Hieran knüpft ſich die Wirkung, daß durch den gegen eine Obligation abgeleiſteten Eid auch ſelbſt der naturale Beſtandtheil dieſer Obligation (nicht blos die Klag - barkeit) zerſtört wird, ſo daß Pfänder frei werden, und eine ſpätere Zahlung als Indebitum zurückgefordert werden kann(r)L. 40. 42 pr. de jur. (12. 2 ), L. 43 de cond. ind. .

67§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

Eine praktiſch noch wichtigere Folge die ſich daran knüpft, beſteht darin, daß die Wirkung des Eides ſelbſt durch die Behauptung des Meineides nicht ſoll entkräftet werden können(s)L. 31 in f. de jur. (12. 2 ), L. 1 C. eod., vgl. oben Note q. , und daß insbeſondere auf dieſe Be - hauptung keine doli actio, exceptio, replicatio gegründet werden darf(t)L. 21. 22 de dolo (4. 3 ), L. 5 de except. (44. 1).. Das neueſte Römiſche Recht geſtattet von dieſer Regel nur die einzige Ausnahme, wenn der Anſpruch auf ein Legat oder Fideicommiß durch den Eid des Legatars begründet, nachher aber der Meineid nachge - wieſen wird(u)L. 13 C. de jur. (4. 1). Auf ſolche geſetzliche Ausnahmen deutet in allgemeinen Worten L. 1 C. eod., welches jedoch eine Juſti - nianiſche Interpolation zu ſeyn ſcheint, da keine andere Ausnahme dieſer Art vorkommt.. Ein deutſches Reichsgeſetz dagegen ver - ordnet, daß der vor dem Strafrichter erwieſene Eid ſtets auch die Verpflichtung zum Schadenserſatz mit ſich führen ſoll(v)Const. crim. Carol. art. 107.. Die etwas auffallende Vorſchrift des Römiſchen Rechts hat offenbar die Bedeutung, daß der Zuſchiebende die Entſcheidung der Sache von des Gegners Eid, und ſelbſt auf die Gefahr des Meineides hin (die ihm ja nicht verborgen ſeyn konnte), abhängig machen wollte.

Zum Schutz der hier aufgeſtellten Wirkungen des Eides werden alle Arten von Rechtsmitteln gegeben, die nach den Umſtänden erforderlich ſeyn können.

(r)(12. 6 ), L. 95 § 4 de solut. (46. 3).

5*68Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Iſt alſo eine Klage nöthig, ſo wird eine ſolche gege - ben(w)L. 9 § 1. 6 de jur. (12.2), und zwar eine actio in factum, ſ. o. Note c. ; Dieſes gilt namentlich auch von dem außergericht - lichen Eide(x)L. 28 § 10 eod. . Eben ſo wenn eine[Exception] erforderlich iſt, nämlich wenn der Kläger die Thatſache eines vom Be - klagten geleiſteten Eides beſtreitet, weil außerdem die Klage ſogleich, und ohne Exception, abgeſchlagen wird(y)L. 3 pr. L. 7, L. 9 pr. § 1 eod. .

Jede Wirkung des Eides aber, und jedes zum Schutz derſelben anzuwendende Rechtsmittel, muß ſich genau an - ſchließen an den beſonderen Inhalt des geſchworenen Eides, und darf über dieſen Inhalt nicht hinausgehen. Schwört alſo Jemand, daß eine Sache oder eine Erbſchaft ihm gehöre, ſo kann er darauf ſowohl eine Klage, als eine Einrede gründen(z)L. 9 § 7. L. 11 § 1. 3. eod. Höchſt beſtritten iſt die Auslegung der L. 13 § 1 eod. Julianus ait, eum, qui juravit fundum suum esse, post l. t. praescriptionem etiam, utilem actionem habe - re . Viele wollen damit beweiſen, daß zur Zeit der alten Juriſten die l. t. praescr. zugleich ein Klag - recht gegeben habe. Sie nehmen alſo an, der Schwörende und der Beſitzer, der die l. t. praescriptio erworben habe, ſeyen in dieſer Stelle als eine und dieſelbe Perſon gedacht, und dieſer Perſon werde nun ein Klagrecht zugeſchrieben für den Fall, daß ſie ſpäter den Beſitz wieder verliere. Dieſe Er - klärung aber iſt gewiß zu ver - werfen. Denn wenn die l. t. praescr. die Kraft hatte, ein Klagrecht zu begründen (welches eben durch dieſe Stelle bewieſen werden ſoll), wozu bedurfte es dann noch da - neben der Erwähnung des Eides? Umgekehrt aber iſt es von dem Eide für ſich allein unzweifelhaft, daß er ein Klagrecht erzeugte (Note w); wozu bedurfte es da - neben noch der Erwähnung der l. t. praescr. ? Die richtige Erklärung der Stelle beruht viel - mehr auf folgender Vorausſetzung. Die Eigenthumsklage wird gegen einen Beſitzer angeſtellt, der das Eigenthum des Klägers verneint,. Schwört er, daß eine Sache69§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.dem Gegner nicht gehöre, ſo gewinnt er dadurch nur eine Einrede(aa)L. 11 pr. eod. L. 7 § 7 de publ. (6. 2).. Im Einzelnen treten dann dieſelben praktiſchen Folgen ein, wie ſie den Klagen aus Eigenthum, Erbrecht, Schuldforderungen u. ſ. w. angemeſſen ſind, wenn dieſe Klagen, unabhängig von einem Eide, angeſtellt und be - gründet werden(bb)L. 11 § 1. 2. 3. L. 30 § 1. 2. 5 L. 36. L. 42 pr. § 1 de jur. (12. 2)..

Die durch den Eid herbeigeführte Entſcheidung eines Rechtsſtreites kann auch noch von Wichtigkeit ſeyn, wenn nicht mehr von dieſem Rechtsſtreite ſelbſt, ſondern von einem künftigen, mit jenem identiſchen oder verwandten, die Rede iſt. Es iſt derſelbe Einfluß, von welchem ſchon oben bei dem rechtskräftigen Urtheil ausführlich die Rede geweſen iſt, und es gelten für den Eid hierin dieſelben Regeln, welche dort entwickelt worden ſind(cc)S. o. B. 6 S. 414. 415 und § 297. d §. 299. e. . Auch bei dem Eide kommt Alles darauf an, daß in beiden Sachen eadem quaestio zum Grunde liege, wenn der in der früheren Sache geleiſtete Eid auf die Entſcheidung der ſpäteren Einfluß(z)daneben aber Anſpruch auf eine l. t. praescr. hat. Anſtatt dieſe vorzuſchützen, und vor Allem den Beweis des Eigenthums zu er - warten, wählt er den anderen Weg, daß er dem Kläger den Eid zuſchiebt. Wenn nun der Kläger den zugeſchobenen Eid ſchwört, ſo ſoll er dadurch eine Klage mit ſicherem Erfolg (utilem actionem) haben, ungeachtet der Beklagte eine l. t. praescr. hätte vorſchützen können (post l. t. praescr. etiam). Denn in der Eideszuſchiebung über das Eigenthum (ohne Zuſatz und Vorbehalt) liegt dann ein Verzicht auf die l. t. pr., weil der Beklagte durch dieſe Eideszuſchiebung die vollſtändige Entſcheidung über die ganze Streitſache in die Hand des Klägers gelegt hat.70Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.haben ſoll(dd)L. 28 § 4. 7 eod. . Auch bei dem Eide, wie bei dem Urtheil, ſind folgende Umſtände für den Einfluß auf den ſpäteren Rechtsſtreit gleichgültig:

  • 1. die Verſchiedenheit des äußeren Gegenſtandes
    (ee)L. 11 §. 3. 7 eod.
    (ee).
  • 2. Die Verſchiedenheit der Klage
    (ff)L. 28 § 4. 6 9. L. 13 § 2. L. 30 § 4 eod.
    (ff). Wer alſo, bei einer angeſtellten furti actio, ſchwört, daß er nicht geſtohlen habe, iſt dadurch auch gegen eine künftige condictio furtiva geſichert, und umgekehrt.
  • 3. Die Verſchiedenheit der Parteirollen, ſo daß der ge - leiſtete Eid künftig eben ſowohl für den Schwörenden bindend iſt, als für ſeinen Gegner
    (gg)L. 13 § 3. 5 eod.
    (gg).

§. 312. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Beſondere Wirkungen je nach der verſchiedenen Lage des Streites.

VIII. Beſondere Wirkungen.

Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die Zuſchiebung des Eides während drei verſchiedener Zuſtände des Streites vorkommen kann: außergerichtlich, in jure, in judicio (§ 309). Es iſt nun noch feſtzuſtellen, welche eigenthüm - liche Wirkungen der Zuſchiebung in jedem dieſer drei Fälle anzunehmen ſind. Voraus muß bemerkt werden, daß die, im vorhergehenden Paragraphen angegebenen, gemeinſamen Wirkungen von dieſer Verſchiedenheit unabhängig ſind. 71§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.Jene Wirkungen beziehen ſich insgeſammt auf den Fall der wirklichen Ableiſtung des zugeſchobenen Eides; darauf be - ruht die förmliche Wahrheit; ferner die dem Eide zukom - mende doppelte Eigenſchaft, als eines Vertrages, und als einer entſcheidenden Prozeßhandlung, endlich der Schutz der förmlichen Wahrheit durch jedes erforderliche Rechtsmittel, Klage oder Einrede. Die nunmehr zu unterſuchenden Ver - ſchiedenheiten beziehen ſich demnach beſonders auf die, zwiſchen der Zuſchiebung und Ableiſtung in der Mitte lie - genden Folgen.

1. Außergerichtliche Zuſchiebung.

Das Eigenthümliche dieſes Falles beſteht darin, daß Alles in der freieſten Willkür des Gegners ſteht; will er den Eid annehmen, will er ihn ausdrücklich verweigern, oder mit Stillſchweigen übergehen, ſo ſteht Dieſes in ſeiner Macht, und er hat weder unmittelbaren, noch indirecten Zwang zu beſorgen(a)Von der einzigen Stelle, die auf einen indirekten Zwang bezogen werden könnte (L. 38 de jur. 12. 2) wird unten gezeigt werden, daß ſie nicht von der außergerichtlichen Zuſchiebung zu verſtehen iſt (§ 313. f).. Auch fehlt es zu einem ſolchen Zwang, wenigſtens für den Kläger, an jedem Bedürfniß, da er in jedem Augenblick die Klage vor Gericht bringen und dann durch den nothwendigen Eid unterſtützen kann.

Wird alſo der in dieſer Lage zugeſchobene Eid nicht angenommen, ſo iſt es ſo gut, als wäre er gar nicht zu - geſchoben worden(b)L. 5 § 4 eod. . Von einem Zurückſchieben dieſes72Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Eides kann gar nicht die Rede ſeyn(c)L. 17 pr. eod. Jusju - randum, quod ex conventione extra judicium defertur, referri non potest . Die Zurückſchiebung hat nur eine eigenthümliche Be - deutung als ein Mittel, dem außer - dem eintretenden Zwang eine an - dere Wendung zu geben (Note g).; darin würde nur der Verſuch einer umgekehrten Zuſchiebung liegen, welche wiederum dem Gegner volle Freiheit laſſen würde, dieſen zuletzt zugeſchobenen Eid anzunehmen oder zu verweigern.

2. Zuſchiebung vor dem Prätor (in jure).

Wenn in dieſer Lage des Streites der Kläger oder der Beklagte den Eid zuſchiebt, ſo ſteht es nicht in der Will - kür des Gegners, ob er ſich darauf einlaſſen will, viel - mehr wird er dazu gezwungen(d)L. 28 § 2 de jud. (5. 1) nec jurare cogendus est , als Ausnahme bei einem Legaten, worin alſo der Gegenſatz liegt, daß jeder Andere in der That ge - zwungen wird.. Dieſer Zwang aber beſteht nicht etwa in einer Strafandrohung, ſondern in der Wahl zwiſchen folgenden Entſchließungen. Er muß: entweder nachgeben, alſo thun, was der Gegner ver - langt, oder ſchwören, oder den Eid dem Gegner zurück ſchieben (referre).

Zu den beiden letzten Maßregeln giebt es keinen eigent - lichen Zwang, wohl aber zu der erſten; darauf alſo wird dann der wahre Zwang gerichtet(e)L. 34 §. 6 de jur. (12. 2 ) Ait Praetor: eum, a quo jusjurandum petetur, solvere aut jurare cogam. Alterum ita - que eligat reus, aut solvat aut juret; si non jurat, solvere co - gendus erit a Praetore. , in verſchiedenen Arten, die noch näher beſtimmt werden ſollen. Wenn alſo73§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.der Gegner jede dieſer Maßregeln ausdrücklich verweigert, oder (was daſſelbe iſt) blos ſchweigt, alſo jede Erklärung unterläßt, ſo gilt Dieſes eben ſo, als wenn gegen ihn durch den Eid des Zuſchiebenden die förmliche Wahrheit feſtgeſtellt wäre, und er wird zum factiſchen Nachgeben unmittelbar gezwungen(f)L. 34 § 7. 9 eod. Von dem letzten dieſer zwei §§ wird noch weiter die Rede ſeyn (§ 313. d)..

Unter jenen drei Gegenſtänden freier Wahl iſt das Zu - rückſchieben des Eides genannt worden. Dieſes hat ganz dieſelbe Natur, wie die urſprüngliche Zuſchiebung, und es tritt nun ganz das bisher beſchriebene Verfahren ein, nur mit Umkehrung der Perſonen(g)L. 34 § 7 eod. . Das Zurückſchieben wird als die beſcheidenſte und anſtändigſte Maßregel be - trachtet, als Aeußerung des Vertrauens in die Gewiſſen - haftigkeit des Gegners(h)L. 25 § 1 de pec. const, (13. 5).. Es iſt nicht immer nöthig oder angemeſſen, daß dieſer zweite Eid mit dem erſten wörtlich übereinſtimme; darüber hat nach Umſtänden die Richter - behörde zu entſcheiden(i)L. 34 § 8 de jur. (12. 2)..

Es ſind jedoch folgende Einſchränkungen des ſo eben erörterten Zwanges zu bemerken. Aus perſönlicher Ehr - furcht braucht die Zuſchiebung in der Regel nicht unterlaſſen zu werden, ſo daß ſie ſelbſt zuläſſig iſt gegen den Vater und den Patron des Zuſchiebenden(k)L. 14 eod. Mit der ein - zigen Ausnahme, wenn in einer actio rerum amotarum dem Patron (als Kläger) der Eid zu - geſchoben wurde. L 16 eod. ; in der Zuſchiebung74Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.liegt ein Ausdruck des Vertrauens, alſo der Achtung. Nur die Veſtalinnen und der Flamen Dialis ſollten nach altem Recht von jedem Zwang dieſer Art frei ſeyn(l)Gellius X. 15. Vergl. Zimmern § 127 Note 12.. Un - mündige in eigener Sache, Procuratoren und Defenſoren in der Sache, die ſie vertreten, ſind nicht dem Zwange unterworfen (§. 310. i). Der, welchem der Eid zuge - ſchoben wird, kann verlangen, daß zuvor der Gegner ſeine redliche Abſicht (de calumnia) beſchwöre; weigert ſich dieſer, ſo gilt die Weigerung gleich einem Erlaß des Eides, das heißt, gleich dem abgeleiſteten Eide ſelbſt(m)L. 34 § 4. L. 37 de jur. (12. 2 ) Nur wer zurückſchiebt, kann den Eid de calumnia nicht fordern, da der Gegner durch die Zuſchie - bung ſeine auf Wahrheit gerichtete Abſicht hinlänglich bewieſen hat. L. 34 § 7 eod. . Die Frage, ob dieſer Eid vor Gefährde, als Bedingung des Zwanges, auch im heutigen Recht als geltend anzuerkennen ſey, wird von den neueren Schriftſtellern meiſt mit Stillſchweigen übergangen. Ich glaube, ſie verneinen zu müſſen, theils nach dem thatſächlichen Gerichtsgebrauch, theils nach dem veränderten Standpunkt dieſes Rechtsinſtituts, indem es weniger Gegenſtand der Privatwillkür iſt, mehr unter richterlicher Aufſicht ſteht(n)Vgl. Martin Prozeß §. 226 Noten g. h. .

Eine wichtige Einſchränkung beſteht noch darin, daß Niemand gezwungen werden kann, über Dasjenige zu ſchwö - ren, wovon er vielleicht Nichts weiß, insbeſondere über fremde Handlungen bei denen er nicht gegenwärtig war. 75§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.So z. B. braucht Keiner zu ſchwören, daß der Gegner ge - ſtohlen habe(o)L. 11 § 2. 3. L. 12. L. 13. pr. rer. amot. (25. 2).; daß er nicht ſchuldig ſey, einen beſtimmten Sklaven zu übergeben, wenn es ungewiß iſt, ob dieſer noch lebt(p)L. 34 pr. de jur. (12. 2).; daß ſein Erblaſſer einen Vertrag nicht geſchloſſen habe(q)Paulus II. 1. § 4.. Kann in ſolchen Fällen durch Zurückſchieben billige Hülfe geleiſtet werden, ſo iſt Dieſes anzuwenden; in anderen Fällen wird eine Friſt zur Erforſchung der Wahrheit helfen können(r)L. 34 pr. de jur. (12. 2).. Wo aber alle dieſe Mittel nicht ausreichen, ſoll ohne Zweifel nach Römiſchem Recht der Eid nicht angewendet werden, welches vielleicht nur deswegen nicht erwähnt wird, weil bei den Römern der Eid meiſt über Rechtsverhältniſſe zugeſchoben wurde, wobei jene Schwierigkeit oft verhüllt bleibt. Die Praxis der neueren Zeit hilft oft aus durch einen Eid über bloßes Glauben (de credulitate), oder über Nichtwiſſen (de igno - rantia). Der erſte iſt gewiß völlig verwerflich, da er nicht irgend eine Ueberzeugung des Richters bewirken, wohl aber die Partei zu einer leichtſinnigen Behandlung des Eides verleiten kann. Der zweite iſt unbedenklich, wenn ſich der Zuſchiebende damit begnügen will, daß durch das bloße Nichtwiſſen des Gegners die Sache entſchieden werde, wenn er alſo entweder die Zuſchiebung auf eine ſolche Eidesform76Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.richtet, oder die richterliche Verwandlung des zugeſchobenen Eides in dieſe Form genehmigt(s)Vgl. Bayer Vorleſungen S. 391. Heffter Prozeß §. 229 N. 64. 65. Linde Prozeß §. 301. N. 4, § 302 N. 16 18..

Es iſt zuletzt noch anzugeben, durch welche Mittel der Prätor den Zwang zur Ausführung bringt, deſſen Be - dingungen bisher feſtgeſtellt worden ſind.

Der Eid kann geſchworen werden vom Kläger, oder vom Beklagten, nachdem ihm der Eid vom Gegner zugeſchoben oder zurückgeſchoben worden iſt. Es iſt aber dabei in Er - innerung zu bringen, daß mit dieſer wirklichen Ableiſtung gleiche Wirkung hat der Erlaß des Eides; ferner die Wei - gerung des Gegners, ſich auf den zugeſchobenen oder zurück - geſchobenen Eid einzulaſſen. Alle dieſe Fälle ſtehen völlig auf gleicher Linie, und ſind ſtets mit darunter zu begreifen, wenn jetzt die Folgen des geleiſteten Eides angegeben werden ſollen.

Hat nun der Kläger den Eid geleiſtet, ſo wird der Beklagte gezwungen, den Kläger klaglos zu ſtellen, d. h., deſſen Anſpruch zu befriedigen. Dieſes geſchieht jedoch, nach Verſchiedenheit der Fälle, auf zweierlei Weiſe, ſo wie es ſchon oben bei dem gerichtlichen Geſtändniß angegeben worden iſt (§ 303).

Iſt die Klage eine certi condictio, alſo auf eine be - ſtimmte Geldſumme gerichtet, ſo iſt mit dem Eide Alles zu Ende, und der Prätor verfügt unmittelbar die Execution(t)L. 34. § 6 de jur. (12. 2) solvere cogendus erit a Prae - tore. Die eigenthümliche Natur des Eides im Fall der certi con -. 77§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.In dieſem Fall iſt der Eid ein wahres Surrogat des Ur - theils, ein Judex und eine Litisconteſtation iſt unnöthig.

Bei allen anderen Klagen aber erfolgt nun ein ordent - licher Prozeß vor dem Judex. Nur iſt es unrichtig, wenn Manche ſagen, daß jetzt eine actio in factum de jurejurando angeſtellt werde(u)Bayer Vorleſungen S. 401. 402.; es iſt vielmehr die bloße Fortſetzung der bereits angeſtellten Klage, und auch dieſe tritt weniger vollſtändig ein, als es ohne den Eid geſchehen wäre. Eine eigentliche Litisconteſtation kommt nun nicht mehr vor, und der Judex hat nicht mehr die Wahrheit des Anſpruchs, ſon - dern nur noch den Geldwerth deſſelben feſtzuſtellen (§ 311 b). Die formula mag jetzt etwa ſo gelautet haben: Quod A. Agerius juravit, N. Negidium fundum Cor - nelianum ipsi dare oportere, quanti is fundus est, eum condemna ſo daß die Intentio: si paret dare oportere weggelaſſen wurde, weil dieſes Stück durch den Eid dem Prätor ſchon bekannt und gewiß war, alſo nicht erſt durch den Judex feſtgeſtellt zu werden brauchte. Insbeſondere bei der Erbrechtsklage, und ohne Zweifel auch bei allen anderen arbiträren Klagen, hatte der Eid des Klägers die volle Kraft einer pronuntiatio(v)L. 11 § 3 de jur. (12. 2)..

(t)dictio zeigt ſich ſehr deutlich in der Ueberſchrift des Titels im Codex (IV. 1) de rebus creditis et jurejurando. Ganz dieſelbe Ueberſchrift findet ſich auch bei Paulus II. 1.

78Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn dagegen der Beklagte den Eid geleiſtet hat, ſo iſt damit Alles, ohne Unterſchied der Klagen, zu Ende. Der Prätor weiſt durch ein Decret die Klage zurück, ohne daß es dazu einer Exception und eines Judex bedarf(w)L. 7. L. 9 pr. L. 34 § 7 eod. . Dieſes Decret wirkt völlig wie die rechtskräftige Freiſprechung durch einen Judex(x)S. o. B. 6 § 284. Noten c. d. .

§ 313. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Beſondere Wir - kungen je nach der verſchiedenen Lage des Streites. (Fortſetzung.)

3. Zuſchiebung vor dem Judex (in judicio).

Ich will damit anfangen, den Zuſtand der Sache dar - zuſtellen, wie er im Juſtinianiſchen Recht, und ſchon ſeit dem Untergang des ordo judiciorum, beſchaffen ſeyn mußte. Da hier kein Unterſchied mehr war zwiſchen jus und ju - dicium, praetor und judex, ſo mußten alle für die Ver - handlung vor dem Prätor oben aufgeſtellten Regeln nun - mehr auf die ganze Prozeßführung angewendet werden, ſo daß der urtheilende Richter (der jetzt von der richterlichen Obrigkeit nicht mehr verſchieden war) die Rechte auszuüben hatte, die früher dem Prätor zugeſchrieben wurden. Die vom Prätor früher ausgeſprochene Alternative: solvere aut jurare cogam (§ 312. e), wurde alſo in Ausſprüchen dieſer ſpäteren Zeit wörtlich auf den judex (den urtheilenden79§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)Richter) angewendet(a)L 9 C. de R. C. et jur. (4. 1) per judicem sol - vere vel jurare necesse habet . . Daß es ſo ſeyn mußte, wird auch von unſeren Schriftſtellern nicht bezweifelt, und über den Zuſtand der Sache im Juſtinianiſchen Recht, ſo wie über den Sinn, in welchem wir die Juſtinianiſchen Rechts - quellen jetzt aufzufaſſen haben, iſt daher kein Streit. Es fragt ſich nur, wie es ſich verhielt zur Zeit des beſtehenden ordo judiciorum. Hierüber iſt die herrſchende Meinung der Neueren, der alte Judex habe bei einem vor ihm zu - geſchobenen Eide gar keinen ähnlichen zwingenden Einfluß, wie der Prätor, gehabt, und alle älteren Stellen, die ihn hierin dem Prätor gleich ſtellen, ſeyen im Sinn der oben dargeſtellten Veränderung interpolirt(b)Keller Litisconteſtation S. 50. 51. Zimmern §. 135. Puchta §. 174. p. . Ich glaube, daß ſie hierin zu weit gehen, und daß, wenn auch einige Inter - polationen vorgenommen ſeyn mögen (welches ich dahin geſtellt laſſe), dennoch in der Sache ſelbſt von jeher kein weſentlicher Unterſchied zu finden war. Ich will mit der Prüfung der einzelnen Stellen aus der älteren Zeit an - fangen.

Die wichtigſte dieſer Stellen rührt her von Ulpian(c)L. 34 § 6. 7. 8. 9 de jur. (12. 2).. Nachdem hier zuerſt eine Stelle des Edicts wörtlich an - geführt und erklärt war (in den §§ 6. 7), wird das Ver - fahren in dem Fortgang der Stelle weiter ausgeführt und80Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.unmittelbar auf den Judex bezogen(d)l. c. § 8 officio judicis . Beſonders aber der ganze, in ſeinem Inhalt ſo wich - tige, § 9 Quum res in jusju - randum demissa sit, judex jurantem absolvit nolentem jurare reum .. non solventem condemnat , ganz wie oben § 6 vom Prätor.. Dieſer letzte Theil der Stelle ſoll nun auf bloßer Interpolation beruhen, indem auch hier Ulpian nur vom Prätor geſprochen haben werde. Ich will dieſe Interpolation nicht gerade für unmöglich erklären, aber als nothwendig kann ich ſie nicht einräumen; denn wenn, wie ſogleich aus inneren Gründen gezeigt werden ſoll, die Thätigkeit des Prätors hierin von jeher weſentlich keine andere war, als die des Judex, ſo war es ganz natürlich und gar nicht zu tadeln, daß Ul - pian abwechſelnd bald den Einen, bald den Anderen, und zwar Beide in gleicher Wirkſamkeit, erwähnte.

Wichtig iſt aber auch eine Stelle des Paulus, welche von dem Beweisverfahren vor dem Judex ſpricht, und den vor dem Judex geleiſteten Eid in derſelben Weiſe erwähnt, wie wir ihn im neuſten Recht nur immer auffaſſen können(e)L. 25 § 3 de prob. (22. 3 ) .. licentia concedenda est ei, cui onus probationis in - cumbit, advessario suo jusjurandum inferre ut judex juramenti fidem secutus ita suam sententiam possit formare . ; und in dieſer Stelle iſt noch weniger, als in der des Ulpian, Schein und Raum für eine Interpolation wahrzunehmen.

Ich will aber nun auf die Sache ſelbſt näher eingehen, unabhängig von dem Zeugniß einzelner Stellen der alten Juriſten.

81§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)

Wenn vor dem Judex ein Eid zugeſchoben und von dem Gegner freiwillig angenommen und geleiſtet wurde, ſo kann über deſſen Wirkſamkeit kein Zweifel ſeyn, da ſelbſt der außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge - eignet war (§ 312). Der Streit kann alſo nur den Fall einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor, zugeſchrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des Prätors der Zwang etwa in Geldſtrafen beſtanden, ſo würde ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er beſtand aber in der That nur in der angenommenen Feſtſtellung des Gegen - theils der Behauptung, welche zu beſchwören in die Macht des Weigernden geſtellt war (§. 312. f), und dieſes Zwangs - mittel dem Judex, ſo gut als dem Prätor, zuzuſchreiben, kann nicht das geringſte Bedenken haben. Der eigentliche, gewiß richtige Geſichtspunkt für jene Feſtſtellung zum Nach - theil Deſſen, der den zugeſchobenen Eid verweigert, iſt in folgender Stelle des Paulus ausgedrückt(f)L. 38 de jur. (12. 2).: Mani - festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare, nec jusjurandum referre . Dieſe Stelle iſt ganz wie ge - ſchrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung völlig wie ein gerichtliches Geſtändniß behandelt und hier - nach ſein Urtheil einrichtet, und ſie wird alſo am natür - lichſten bezogen auf die Eideszuſchiebung vor dem Judex. Auf die außergerichtliche kann ſie nicht bezogen werden, weilVII. 682Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dabei keine Art des Zwanges vorkam, insbeſondere aber auch kein referre (§ 312 Noten a. c.); eben ſo wenig aber auf die Eideszuſchiebung vor dem Prätor(g)Hierauf wird die Stelle bezogen von Puchta § 173. e. , deſſen zwin - gende Gewalt hierin an ſich keiner Rechtfertigung bedurfte, und auch ſchon wörtlich in dem Edict begründet war.

Eine Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptung liegt noch in dem Fall des Albutius, in welchem das Centum - viralgericht die Verweigerung eines zugeſchobenen Eides gleichfalls wie ein Geſtändniß behandelte und dem Urtheil zum Grunde legte(h)Seneca controv. lib. 3. praef. ; die Centumvirn aber hatten die Stellung des Judex, nicht des Prätors, ſie waren Urtheiler, nicht prozeßleitende Obrigkeit.

Völlig verſchieden von dem bisher dargeſtellten zuge - ſchobenen Eide iſt eine andere Art, den Eid auf die Ent - ſcheidung eines Rechtsſtreites anzuwenden; eine Art der Anwendung, die nach der älteren Römiſchen Gerichtsver - faſſung nur allein vor dem Judex vorkommen konnte. Wenn nämlich, nach geführten Beweiſen, der Richter über die That - ſachen noch nicht völlig aufgeklärt iſt, ſo kann er nach ſeinem Ermeſſen die eine oder andere Partei zum Eide auffordern, und je nach dem Ausfall deſſelben ſein Urtheil einrichten(i)L. 1. 31 de jur. (12. 2). L. 3. L. 12. pr. C. eod. . Dieſer Fall unterſcheidet ſich von dem des zugeſchobenen Eides83§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)weſentlich dadurch, daß keine Einwilligung der Parteien, alſo kein Vertrag zum Grunde liegt. Dieſes iſt reines Beweismittel, und es iſt dabei eine Anfechtung wegen ſpäter aufgefundener Urkunden nicht unmöglich(k)In dieſer Hinſicht unter - ſcheiden ſich überhaupt Urtheile und Vergleiche (zu welchen letzten der Eid gehört). L. 35 de re jud. (42. 1 ), L. 19. 29 C. de transact. (2. 4). Vgl. Burchardi Wieder - einſetzung in den vorigen Stand S. 138.. Dieſe Art des Eides iſt in dem heutigen Prozeßrecht als Erfüllungseid und Reinigungseid genauer ausgebildet worden.

Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß vor dem Judex der Eid jeder Art niemals Surrogat eines Urtheils ſeyn, folglich das Urtheil ſelbſt entbehrlich machen konnte. Die eigentliche Entſcheidung konnte hier lediglich von dem Urtheil ausgehen(l)L. 34 § 9. L. 31 de jur. (12. 2)., deſſen Inhalt aber an den Inhalt des Eides nothwendig gebunden war.

Die Ueberſchrift des Digeſtentitels (XII. 2) lautet ſo: De jurejurando, sive voluntario, sive necessario, sive judiciali. Darin ſind augenſcheinlich Römiſche Kunſtaus - drücke enthalten, über deren Bedeutung in neuerer Zeit verſchiedene Meinungen aufgeſtellt worden ſind(m)Donellus Lib. 24. C. 24. Puchta Inſtitutionen § 173 Note e. . Nach der bis hierher geführten Unterſuchung ſcheint folgende Be - deutung dieſer Ausdrücke angenommen werden zu müſſen. 6*84Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Voluntarium iſt der außergerichtliche Eid, weil deſſen An - nahme und Leiſtung ganz in der Willkür der Partei lag, welcher er zugeſchoben wurde. Necessarium iſt der in jure oder in judicio zugeſchobene Eid, weil in beiden Fällen die Partei genöthigt war, ſich in irgend einer Weiſe auf den - ſelben einzulaſſen. Judiciale endlich iſt der vom Judex, ohne Zuſchiebung von Seiten einer Partei, auferlegte Eid. Anders iſt freilich der Sprachgebrauch der neueren Schrift - ſteller über den Prozeß. Hier heißt voluntarium der zu - geſchobene, alſo von dem Willen einer Partei ausgehende Eid, necessarium der von dem Willen des Richters aus - gehende, alſo von jedem Parteiwillen völlig unabhängige Eid. Der Ausdruck der Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit wird alſo von den Neueren in einer anderen Beziehung gebraucht, als von den Römern.

§. 314. Surrogate des Urtheils. II. Eid. Heutiges Recht.

Es bleibt jetzt nur noch übrig, die ſpäteren Aenderungen des bisher dargeſtellten Rechts des Eides hinzu zu fügen. Die in Juſtinian’s Geſetzgebung eingetretene Aenderung iſt bereits dargeſtellt worden (§ 313); es iſt alſo nur noch von dem heutigen Rechte zu reden.

Als vorherrſchender Geſichtspunkt iſt hier anerkannt worden die Heiligkeit des Eides als einer religiöſen Hand - lung. Alle Neuerungen zwecken darauf ab, theils dem Meineide vorzubeugen, theils den Mißbrauch zu verhüten,85§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.der in der Leiſtung eines unpaſſenden oder unnützen Eides liegen würde. Hierauf gründen ſich folgende einzelne, vom Römiſchen Recht abweichende Sätze.

Vor Allem hat der Richter freiere Macht in der Auf - ſicht auf den zugeſchobenen Eid, der alſo nicht mehr ſo, wie im Römiſchen Recht, durch die freie Uebereinkunft der Par - teien beſtimmt werden kann. Der Richter verſagt ihn, wenn nach den Umſtänden ein Meineid zu befürchten iſt. Die Faſſung der Eidesformel wird von dem Zuſchiebenden nur vorgeſchlagen, der Gegner hat ſich darüber zu erklären, der Richter aber hat ſie feſtzuſtellen. Für dieſe Beſtimmung findet ſich ein Anhalt ſchon im Römiſchen Recht (§. 310. ee). Ein Unmündiger, den das Römiſche Recht zur Ableiſtung eines zugeſchobenen Eides zuläßt, weil er dabei nur ge - winnen, nicht verlieren kann (§ 310. h), wird jetzt nicht mehr zugelaſſen. Der Eid vor Gefährde fällt jetzt weg (§ 312. n).

Der außergerichtliche Eid, der ganz ohne richterliche Aufſicht ſeyn würde, iſt jetzt gar nicht mehr zuläſſig und hat, wenn er durch die Willkür der Parteien dennoch an - gewendet wird, nicht mehr die Wirkungen, die ihm das Römiſche Recht beilegt(a)S. o. § 311. 312. Mit Un - recht wird Dieſes bezweifelt von Linde Prozeß § 301 N. 6. Nach dem heutigen Recht alſo würde aus einem ſolchen Privateide weder eine Klage, noch eine Einrede gegen den Zuſchiebenden abgeleitet werden können, obgleich dieſer ſelbſt den Anſtoß dazu gegeben hat. . In manchen Partikulargeſetzen iſt er geradezu verboten(b)So z. B. in Preußen. Allg. L. R. II. 20 § 1425. 1426. 1429. Allg. G. O. I. 10 §. 248..

86Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der Eid iſt jetzt bloßes Beweismittel, und kann nur über reine Thatſachen, nicht über Rechtsverhältniſſe (welches im Römiſchen Recht ſeine Hauptanwendung war) zuge - ſchoben werden. Wird Dieſes dennoch verſucht, ſo hat der Richter einen ſolchen Eid zu verbeſſern. Dieſe wichtige Neuerung iſt im heutigen Recht faſt allgemein anerkannt, wenn - gleich im Einzelnen von unkundigen Richtern dagegen nicht ſelten, und vielleicht ſelbſt bewußtlos, verſtoßen werden mag, indem ſie ſich den Gegenſatz nicht völlig klar machen(c)Der aufgeſtellte Satz wird von folgenden Schriftſtellern aner - kannt: Böhmer electa T. 2 Ex. 14 § 12, Glück B. 8 § 585, Martin § 224 (11te Ausg. ), Linde § 302 N. 15. Anderer Meinung iſt Bayer Vorleſungen S. 390, je - doch nur nach Stellen des Röm. Rechts, und indem er die All - gemeinheit der entgegengeſetzten Meinung anerkennt. Er meint aber, wenn ſich der Gegner auf den Eid über ein Rechtsverhältniß einlaſſe, ſo müſſe Das als Vergleich gelten. Allein gerade darin weicht das heutige Recht vom Röm. R. ab, daß es die reine Privatwill - kür im Eide beſchränkt.. Es darf daher der Eid nicht zugeſchoben werden über das Daſeyn eines Eigenthums oder einer Schuld, ſondern nur über diejenigen Thatſachen, woraus das Eigenthum oder die Schuld angeblich entſtanden ſeyn ſoll. Der Grund dieſes wichtigen Satzes liegt darin, daß jedes Urtheil über das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes ſtets ein Stück Rechts - theorie mit in ſich ſchließt, die doch unmöglich als paſſender Gegenſtand eines Eides angeſehen werden kann. Die Un - klarheit, die aus dieſer Vermiſchung von Rechtsſätzen und Thatſachen hervorgeht, kann dahin führen, daß in manchen Fällen ein Eid geleiſtet wird, den bei genauer Zergliederung87§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.der Beſtandtheile eine gewiſſenhafte Partei nicht leiſten würde. Gerade darin aber beſteht eben ein gefährlicher Mißbrauch des Eides. Um ſich Dieſes noch anſchaulicher zu machen, möge man verſuchen, das Daſeyn eines Eigen - thums zum Gegenſtand von Zeugenausſagen und Zeugen - eiden zu machen. Zwei Zeugen werden vielleicht das ſtrei - tige Eigenthum bejahen, und dabei doch von ganz verſchie - denen Rechtsregeln und Thatſachen ausgehen. Dann aber iſt ihre Uebereinſtimmung nur ſcheinbar, da doch die wirk - liche Uebereinſtimmung der wahre Grund iſt, worauf die Kraft des Zeugenbeweiſes beruht.

Endlich kann auch jede Partei den ihr zugeſchobenen Eid dadurch beſeitigen, daß ſie über die Wahrheit ihrer Behauptung einen vollſtändigen Beweis durch andere Be - weismittel führt. Denn durch dieſen Beweis wird der Eid überflüſſig, und in der Anwendung eines überflüſſigen Eides liegt ſchon an ſich ein Mißbrauch des Eides. Beſonders bezeichnend aber iſt der übliche Kunſtausdruck für dieſen Fall: Vertretung des Gewiſſens durch Beweis. Eine Partei von beſonders ſtrenger, ängſtlicher Gewiſſenhaftigkeit kann nämlich, ſich ſelbſt mißtrauend, lieber dem Richter die Beurtheilung des von ihr geführten Beweiſes überlaſſen, als ſelbſt ſchwören, und dadurch Alles auf das eigene Ge - wiſſen übernehmen. Eine ſolche Geſinnung verdient viel - mehr Unterſtützung, als Tadel, und dem Gegner wird da - durch kein Unrecht zugefügt. Die Zuläſſigkeit einer ſolchen Gewiſſensvertretung iſt allgemein anerkannt, und es muß88Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dabei auch Gegenbeweis zugelaſſen werden(d)Malblanc § 58. Bayer S. 397. Gönner B. 2 Abhdl. 48. Martin § 228. Linde § 308.. Der Eid bleibt einſtweilen aufgeſchoben, muß aber, wenn der ver - ſuchte Beweis mißlingt, wieder aufgenommen werden.

Im Römiſchen Recht wird dieſe Gewiſſensvertretung nicht erwähnt, ja ſie paßt dahin nicht, weil der Eid nicht als reines Beweismittel, ſondern als vergleichsmäßige Ent - ſcheidung des Rechtsverhältniſſes angeſehen wird(e)Die Stelle bei Quincti - lian. instit. V. 6 enthält nur ein allgemeines Räſonnement, kein geſchichtliches Zeugniß.. Im kanoniſchen Recht wird jenes Recht beſtimmt anerkannt, und zwar in Anwendung auf einen Fall, worin dem Kläger, der den Grund ſeiner Klage bereits bewieſen hatte, nun dennoch der Eid zugeſchoben wurde(f)C. 2 X. de prob. (2. 19).

Hierauf beſchränken ſich die wahren Abweichungen des heutigen Rechts, und einige andere, die gleichfalls behauptet werden, ſind nicht als richtig anzuerkennen.

Dahin gehört die Behauptung, der zugeſchobene Eid könne nur als Ergänzung eines anderen Beweiſes gebraucht werden, ſetze alſo ſtets einen auf andere Weiſe, wenngleich unvollſtändig, geführten Beweis (eine Beſcheinigung) voraus. Dieſe Meinung iſt nach Römiſchem Recht gewiß zu ver - werfen(g)L. 35 pr. de jur. (12. 2 ), L. 22 § 10 C. de jure delib. (6. 30)., ja ſie war hier, wenigſtens bei dem außer - gerichtlichen Eid, völlig unanwendbar. Auch nach dem heutigen gemeinen Recht iſt ſie zu verwerfen(h)Danz Prozeß § 241 Note b. Linde Lehrbuch § 303 Note 6. 7., und89§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.nur in manchen Partikularrechten hat ſie Eingang ge - funden(i)So z. B. in der Praxis des Tribunals zu Wismar (jetzt Greifswald), veranlaßt durch die falſche Lehre des Mevius. Vgl. Pufendorf T. 2 Obs. 151..

Eben ſo darf nicht behauptet werden, daß die Zuſchie - bung des Eides nur als ein Nothbehelf angeſehen werden könne, und daß ſie verſagt werden müſſe, wenn dem Zu - ſchiebenden andere Beweismittel zu Gebote ſtehen. Ob er ſolche hat, denen er vertraut, das muß lediglich ſeiner eigenen Beurtheilung überlaſſen bleiben. Es wäre unge - recht, ihn darauf zu verweiſen und ihm deshalb die Eides - zuſchiebung zu verſagen. Hierin läge eine ganz irrige Umkehrung der eben erklärten Regel von der Gewiſſens - vertretung, wobei eine Partei freiwillig ſich entſchließt, den ihr zugeſchobenen Eid durch einen von ihr zu führenden Beweis anderer Art entbehrlich zu machen. Die einzige Stelle des kanoniſchen Rechts, die man dafür anführen könnte, ſpricht auch in der That nur von der Gewiſſens - vertretung, und nur die Ausdrücke, womit ſie die Gewiſſens - vertretung begründet und rechtfertigt, ſind ſo ſchwankend und zweideutig, daß ſie allerdings auch auf jenen irrigen Satz gedeutet werden könnten(k)C. 2 X. de prob. (2. 19), quum tunc demum ad hujus - modi sit suffragium recurren - dum, quum aliae legitimae pro - bationes deesse noscuntur. .

Wenn man die ſo eben dargeſtellten Abweichungen des heutigen Rechts in der Lehre vom zugeſchobenen Eide er -90Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wägt, ſo möchte man glauben, das Römiſche Recht ſey dadurch von Grund aus verändert, ja es ſey davon nicht viel mehr als Nichts, übrig geblieben. So iſt es aber in der That nicht; die eingetretenen Veränderungen betreffen mehr die Form, als das Weſen der Sache, und zwar ſo, daß wir ſie ſogar als wahre Verbeſſerungen jenes wichtigen und für die Rechtspflege faſt unentbehrlichen Rechtsinſtituts anſehen können. Selbſt die wahre Vertragsnatur jenes Eides mit ihren wichtigen Folgen iſt unverändert geblieben, und es iſt dabei nur der ſehr heilſame Unterſchied einge - treten, daß ein ſolcher Vertrag nicht mehr durch den un - abhängigen Willen der Parteien, ſondern nur unter der Aufſicht und Mitwirkung eines Richters zu Stande kommen kann. Daher iſt auch der Eid in keinem Fall mehr Sur - rogat eines Urtheils, ſondern nur der Grund, worauf ein Urtheil, übereinſtimmend mit dem Inhalt des Eides, be - ruhen muß(l)Daß nach dem Gebrauch mancher Gerichte ſchon vor ge - leiſtetem Eide ein bedingtes Ur - theil geſprochen, und nachher durch die Leiſtung des Eides purificirt wird, iſt nur eine die äußerliche Form betreffende Abweichung. Zu empfehlen iſt dieſe Form übrigens nicht..

§. 315. Reſtitution. Einleitung.

Quellen:

  • Paulus Lib. 1. T. 7. 8. 9.
  • Cod. Greg. Lib. 2. T. 1 4.
91§. 315. Reſtitution. Einleitung.
  • Cod. Theod. Lib. 2. T. 15 17.
  • Dig. Lib. 4. T. 1 7.
  • Cod. Iust. Lib. 2. T. 20 55.

Schriftſteller:

  • Burchardi, die Lehre von der Wiedereinſetzung in den vorigen Stand. Göttingen. 1831. 8.
  • v. Schröter, Weſen und Umfang der in int. restitut io (Zeitſchrift v. Linde, Bd. 6. N. III. S. 91 175.)
  • Puchta, Pandekten, Auflage 4. § 100 107. Vorleſungen § 100 107. Curſus der Inſtitutionen Aufl. 2. Bd. 2. § 177. 209.

Der Begriff dieſes ſehr eigenthümlichen Rechtsinſtituts, und mit ihm der Standpunkt der ganzen Unterſuchung, iſt nicht leicht feſtzuſtellen. In den Quellen des Römiſchen Rechts führt daſſelbe regelmäßig den Namen. In integrum restitutio(a)Mit Unrecht iſt behauptet worden, daß dieſe allerdings vor - herrſchende Wortfolge ohne Aus - nahme ſey. In L. 86 pr. de adqu. her. (29. 2) ſteht restitutio in integrum einmal ſicher, nach Haloander’s abweichender Leſe - art ſogar zweimal. Vgl. Bur - chardi S. 3. Göſchen Vor - leſungen I. S. 529. Eben ſo in L. 39. § 6 de proc. (3. 3) propter hanc restitutionem in inte - grum . , deſſen Deutſche Ueberſetzung: Wiederein - ſetzung in den vorigen Stand, für den gewöhnlichen, ſtets wiederkehrenden Gebrauch allzu weitläuftig erſcheint. Dieſer Name bezeichnet die Herſtellung eines beſchädigten oder verminderten Zuſtandes in ſeine frühere unverſehrte Geſtalt, und paßt alſo an ſich auch auf blos thatſächliche92Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ereigniſſe, wie z. B. die Herſtellung eines abgebrannten oder eingeſtürzten Hauſes, wovon hier, bei einem Rechts - inſtitut, natürlich nicht die Rede ſeyn kann. Vor Allem alſo iſt die in dem Namen nicht ausgedrückte Beſchrän - kung des Begriffs auf eine Herſtellung innerhalb des Rechtsgebietes nothwendig(b)Es iſt zu bemerken, daß der Ausdruck: in integrum re - stitutio, auch in ſeiner techniſchen Beſchränkung auf den Rechtszuſtand, in einer zwiefachen Conſtruction vorkommt; am häufigſten iſt die Rede von einer Reſtitution der verletzten Perſon in ihren frü - heren beſſeren Zuſtand (z. B. minor restituitur); dann aber auch von einer Reſtitution des verlorenen Rechts (an die Perſon), z. B. L. 1 § 1 ex. qu. c. huj. (4. 6 ) .. actionem in integrum restituam (§ 325 Note m).. Allein auch dieſe Be - ſchränkung iſt noch keinesweges ausreichend.

Im Rechtsgebiet nämlich findet ſich in ſehr ausgedehnter Weiſe die Möglichkeit und das Bedürfniß einer Herſtellung in den zahlreichen und wichtigen Fällen, in welchen die Rechtsordnung geſtört, alſo ein Recht verletzt wird. Die gemeinſame Natur dieſer Fälle läßt ſich ſo bezeichnen, daß ein Recht von ſeiner thatſächlichen Ausübung getrennt wird, ſo daß die Herſtellung beſteht in der Wiedervereinigung des Rechts mit der Thatſache der Ausübung. Dieſe Herſtellung kann bewirkt werden ſowohl durch die freiwillige Handlung einer anderen Perſon, als durch Zwang in Folge einer Rechtsanſtalt; auf dieſen letzten Fall beziehen ſich mehrere wichtige Theile des Rechtsgebietes, unter andern in dem Syſtem des Privatrechts das geſammte Actionenrecht (§ 204). Für die Herſtellung durch eine dem Berechtigten gegenüber93§. 315. Reſtitution. Einleitung.ſtehende Perſon iſt restituere die regelmäßige Bezeichnung, ohne Unterſchied, ob die Handlung dieſer Perſon aus freiem Willen hervorgeht, oder von einem Richter auferlegt und erzwungen wird. Immer alſo bezeichnet dieſes restituere die Thätigkeit einer Privatperſon(c)Ein ſolches Reſtituiren kann geſchehen ſowohl natürlich und unmittelbar, als in künſtlicher oder mittelbarer Weiſe; das Crſte, wenn z. B. dem Eigenthümer der ihm fehlende Beſitz ſeiner Sache wieder gegeben wird; das Zweite, wenn derſelbe für eine verzehrte Sache in Geld entſchädigt wird. Dieſe Bemerkung iſt auch anwend - bar auf die nachfolgenden Fälle der Herſtellung eines früheren Zu - ſtandes. Ueber den Begriff und Umfang des restituere vgl. L. 22. 35. 75. L. 246 § 1 de V. S. (50. 16). Vgl. auch oben B. 5 S. 129.. Jede Herſtellung aber der eben bezeichneten Art hat mit dem gegenwärtig darzuſtellenden Rechtsinſtitut nicht den geringſten Zuſam - menhang, obgleich der Name deſſelben auch darauf bezogen werden könnte, an ſich alſo wiederum nicht dazu geeignet iſt, dieſe Beſchränkung auszudrücken.

Um nun dem wahren Begriff dieſes Rechtsinſtituts näher zu treten, iſt ein Rückblick nöthig auf die innere Entwick - lung und Ergänzung eines jeden poſitiven Rechts. Unter die reichlichſten Quellen dieſer Entwicklung gehört die noth - wendige Ausgleichung des überall hervortretenden Gegen - ſatzes zwiſchen dem ſtrengen Recht und der Billigkeit, jus (jus strictum) und aequitas(d)S. o. B. 1 § 15. 22. Die aequitas muß hier als die von einem höheren und freieren Standpunkt anerkannte Gerechtig - keit gedacht werden. Die Natur dieſes Gegenſatzes, als der Grund - lage der geſammten Reſtitution, iſt ſcharf und treffend dargeſtellt von Pnchta, Inſtitutionen § 177, und Vorleſungen § 100., Dieſe Ausgleichung hat zur Bildung ganz neuer und ſelbſtſtändiger Rechtsinſtitute94Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geführt(e)S. o. B. 5 § 219 und Bei - lage XIII. Num. XIII. XX, Beil. XIV. Num. XLVII. Es gehören da - hin die bonae fidei actiones, welche darauf beruhen, daß der unter rechtlichen Menſchen geltenden, in der Regel freiwillig beobachteten, Sitte ein eigenthümlicher Rechts - ſchutz gegen Diejenigen gewährt wird, die ſich etwa der freien Be - obachtung der Sitte entziehen möchten.; eben ſo aber auch zu vielen Anſtalten, die blos auf die Herſtellung nachtheilig veränderter Rechtszuſtände ab - zwecken. Dabei wird alſo vorausgeſetzt, daß ein Rechts - zuſtand zum Nachtheil des Berechtigten wahrhaft verändert worden iſt, ſo daß dieſe Veränderung nach ſtrengem Recht als vollgültig anerkannt werden muß, daß aber die Billig - keit dieſer Veränderung widerſpricht, und die Herſtellung des früheren Zuſtandes fordert. Dieſe Herſtellung wird dann durch mannichfaltige Rechtsmittel bewirkt, und zwar ſowohl durch Klagen, als durch Einreden; beide, theils dem Civilrecht, theils dem prätoriſchen Recht angehörend.

Unter die civilen Klagen zu ſolchen Zwecken gehören folgende: Die Condictionen auf Rückgabe ohne Vertrag, wie indebiti, sine causa, ob causam datorum(f)S. o. B. 5 Beil. XIV. Num. VII. VIII. ; ferner die redhibitoria actio, die Anfechtung eines Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte. Von den prätoriſchen Klagen gehören dahin die actio doli und quod metus causa. Alle dieſe Klagrechte können nach Umſtänden auch in der Geſtalt von Einreden geltend gemacht werden, wohin be - ſonders die doli und metus exceptio gehören. In ſämmt - lichen Fällen dieſer Art wird der Zweck der aus Billigkeit abgeleiteten Herſtellung erreicht durch beſonders gebildete95§. 316 Begriff der Reſtitution.Obligationen, alſo durch perſönliche Klagen oder Einreden. Die Anerkennung jener Billigkeit hatte daher zur Ausbildung beſtimmter Rechtsregeln geführt, die eben ſo, wie die Klagen aus Verträgen und Delicten, durch das gewöhnliche Richter - amt zur Anwendung gebracht wurden, ſobald die thatſäch - lichen Bedingungen derſelben vorhanden waren; eine eigen - thümliche Art von Rechtsinſtituten war dazu nicht erfor - derlich, und das gegenwärtig darzuſtellende Inſtitut erhält dadurch noch keine Begründung.

§. 316. Reſtitution. Begriff derſelben.

Unter den Fällen der Herſtellung aus Billigkeit (§ 315) fanden ſich mehrere, die den Prätoren zunächſt nicht dazu geeignet ſchienen, in der Form gewöhnlicher Klagen und Einreden der richterlichen Anwendung unmittelbar überlaſſen zu werden, worin vielmehr ſie ſelbſt (die Prätoren) durch Erwägung aller im Einzelnen obwaltenden Umſtände helfend einzugreifen ſich vorbehielten. Es war alſo auch darin eine neue Rechtsregel anerkannt, aber nicht ſo, wie in den vorigen Fällen, eine fertige Rechtsregel, auf gleicher Linie mit allen übrigen ſtehend, ſondern gleichſam eine unreife, noch in der Bildung begriffene Rechtsregel, die in dieſem unfertigen Zuſtand erſt durch das Eingreifen der prätoriſchen Macht - vollkommenheit in das wirkliche Leben für einzelne Fälle ſollte eingeführt werden können. Dieſe Fälle bilden die prätoriſche in integrum restitutio. Hiernach läßt ſich der96Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Begriff dieſer Reſtitution ſo beſtimmen: Sie iſt die Her - ſtellung eines früheren Rechtszuſtandes, ge - gründet auf den Gegenſatz der Billigkeit zum ſtrengen Recht, und bewirkt durch die, ein wirk - lich vorhandenes Recht mit Bewußtſein abän - dernde, prätoriſche Macht. Nur iſt, mit Rückſicht auf die überall durchgeführte Ausdrucksweiſe des Römiſchen Rechts, noch hinzu zu fügen, daß dieſe Herſtellung des früheren Zuſtandes, da ſie nur auf einer Anwendung der obrigkeitlichen Macht beruht, nicht als eine eigentliche, wahre Herſtellung (ipso jure) bezeichnet wird, ſondern nur als die Fiction einer ſolchen. Wer alſo ein aufgegebenes Erbrecht durch Reſtitution erlangt, wird nicht heres, ſondern bekommt nur die Rechte eines ſolchen, gleich als ob er es wäre (utiles actiones). Es iſt alſo völlig dieſelbe Behandlung und Bezeichnung, wie wir ſie auch in dem prätoriſchen Erbrecht, der bonorum possessio, wahrnehmen.

Um dieſem ſehr eigenthümlichen Rechtsinſtitut ſeine wahre Stellung anzuweiſen, iſt es nöthig, den Zuſammen - hang deſſelben mit anderen Inſtituten, alſo die nach ver - ſchiedenen Seiten vorhandenen Verwandtſchaften, aufzu - ſuchen.

Als die nächſte Verwandtſchaft muß erkannt werden die mit dem rechtskräftigen Urtheil, und dadurch iſt die Stel - lung derſelben im gegenwärtigen Syſtem beſtimmt worden. Beide Inſtitute haben Das miteinander gemein, daß durch richterliche Thätigkeit ein ſelbſtſtändiges neues Recht entſteht. 97§. 316. Begriff der Reſtitution.Der Unterſchied aber liegt darin, daß das aus dem Urtheil hervorgehende neue Recht nicht nur auf der Fiction der Wahrheit beruht, ſondern auch auf der Vorausſetzung, daß dieſe Wahrheit wirklich vorhanden ſey, alſo auf der an - genommenen Uebereinſtimmung mit dem vorher beſtehenden Rechtszuſtand, ſo daß eine Verſchiedenheit beider Zuſtände nicht abſichtlich geſucht wird, ſondern nur zufällig und nur als unvermeidliches Uebel entſtehen kann (§ 280). Dagegen wird durch die Reſtitution eine Abänderung des beſtehenden Rechtszuſtandes mit Abſicht und Bewußtſein vorgenommen. Inſofern kann man die Reſtitution ein Urtheil von höherer Potenz nennen(a)S. o. B. 6 S. 265. Es findet ſich alſo in beiden Rechtsinſtituten der Begriff der Fiction angewendet, aber in ver - ſchiedener Bedeutung (§ 280. 316)..

Eine zweite Verwandtſchaft findet ſich zwiſchen der Re - ſtitution und einigen anderen Fällen richterlicher Thätigkeit, wodurch gleichfalls mit Abſicht und Bewußtſein ein vor - handenes Recht abgeändert wird. Dahin gehört die re - scissio inofficiosi testamenti durch das Centumviralgericht (ſpäter durch andere Richter), und die adjudicatio, in welcher der Theilungsrichter die verlangte Auflöſung einer Gemein - ſchaft durch abſichtliches Geben und Nehmen von Eigen - thum, ſowie durch Errichtung von Servituten (alſo durch abſichtliche Beſchränkung eines vorhandenen Eigenthums) bewirken kann. Beide Inſtitute beziehen ſich auf das eigenthümliche Bedürfniß einzelner Rechtsverhältniſſe, undVII. 798Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.unterſcheiden ſich von der Reſtitution dadurch, daß in ihnen von der Herſtellung eines früheren Zuſtandes, die das Grundweſen der Reſtitution ausmacht, niemals die Rede iſt. Näher verwandt mit der Reſtitution iſt in dieſer Hinſicht die Begnadigung eines verurtheilten Verbrechers durch die höchſte Regierungsgewalt im Staate. Bei dieſer wird allerdings, eben ſo wie bei der Reſtitution, der gegen - wärtige Rechtszuſtand abſichtlich verändert durch Herſtellung eines früheren Zuſtandes; es geſchieht Dieſes auch hier nicht in Anwendung einer aufgeſtellten Rechtsregel, und durch das gewöhnliche Richteramt, ſondern mit Rückſicht auf den Gegenſatz der Billigkeit zum ſtrengen Recht, und durch die eingreifende Machthandlung einer hochſtehenden Obrigkeit. Soweit ſteht alſo die Begnadigung mit der hier darzuſtel - lenden Reſtitution völlig auf gleicher Linie. Der durch - greifende Unterſchied aber beſteht in den Gegenſtänden der Herſtellung, alſo in der Natur der Rechtsverhältniſſe, worauf ſich hier und dort die Herſtellung bezieht, indem die Re - ſtitution privatrechtliche Zuſtände herſtellt, alſo dem Privat - rechte angehört, anſtatt daß die Begnadigung dem öffent - lichen Rechte anheim fällt, alſo ganz außer den Gränzen des gegenwärtigen Rechtsſyſtems liegt.

Eine dritte Verwandtſchaft endlich findet ſich zwiſchen der Reſtitution und den oben (§ 315) dargeſtellten Fällen, worin durch Klagen und Einreden ein früherer Rechtszuſtand hergeſtellt wird. Dieſe Fälle haben mit der Reſtitution gemein ſowohl den Zweck, welcher in der Herſtellung eines99§. 316. Begriff der Reſtitution.früheren privatrechtlichen Zuſtandes beſteht, als den Grund dieſer Herſtellung, der in dem Verhältniß der Billigkeit zum ſtrengen Recht zu ſuchen iſt. Nicht nur dieſe Gemeinſchaft des Zweckes und Grundes muß anerkannt und feſtgehalten werden, ſondern auch die zuſammenhängende hiſtoriſche Ent - wicklung dieſer Rechtsinſtitute, welche ſehr deutlich in der Anordnung des Edicts und der Digeſten hervortritt(b)Der zweite und dritte Titel des vierten Buchs der Di - geſten handeln nur wenig und bei - läufig von der Reſtitution, und ſtehen dennoch mitten in der Re - ſtitutionslehre.. Dagegen iſt die zur Erreichung jenes Zweckes führende Rechtsform durchaus verſchieden. In den oben dargeſtellten Fällen dienten dazu Klagen und Einreden, die eben ſo, wie alle andern, von den gewöhnlichen Richtern geprüft und ent - ſchieden werden durch die Anwendung der dafür aufgeſtellten Rechtsregeln, alſo durch die Anerkennung eines kraft dieſer Regeln beſtehenden Rechtes. Bei der Reſtitution iſt eine ſolche zur Anwendung fertige Regel nicht vorhanden; viel - mehr iſt es der Prätor, welcher eine ſolche Regel nach dem Bedürfniß jedes einzelnen Falles gleichſam neu erfindet, und ſo den beſtehenden Rechtszuſtand durch ſeine Macht ver - ändert, um einen früheren herzuſtellen.

In die ganze Lehre von der Reſtitution iſt nun von jeher die größte Verwirrung dadurch gebracht worden, daß man die Reſtitution mit den oben erwähnten Klagen zu - ſammen geworfen hat, anſtatt in der Darſtellung beiderlei Rechtsinſtitute ſtreng auseinander zu halten. Um den durch -7*100Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.greifenden Unterſchied beider Behandlungsarten vollſtändig zur Anſchauung zu bringen, bedarf es blos des folgenden Rückblicks auf den ſo eben dargeſtellten Zuſammenhang der Reſtitution mit anderen Rechtsinſtituten. Das eigenthümliche Weſen der Reſtitution läßt ſich von zwei Seiten auffaſſen. Ihr Zweck beſteht in der Herſtellung eines früheren Rechts - zuſtandes durch Aenderung des jetzt beſtehenden. Ihre Form, oder das Mittel zur Erreichung jenes Zweckes, beſteht in dem Eingreifen richterlicher Macht in beſtehende Rechts - verhältniſſe. Es kommt nun darauf an, ob man den einen, oder den anderen dieſer Geſichtspunkte als den vorherr - ſchenden behandeln will, dem die ganze Lehre von der Re - ſtitution untergeordnet werden ſoll. Wählt man den erſten, ſo muß die Reſtitution als ein einzelnes Glied in der Kette der durch Billigkeit bewirkten Herſtellungen früherer Zuſtände angeſehen, alſo mit der actio doli und quod metus causa, conſequenterweiſe auch mit den meiſten Condictionen zu - ſammen geſtellt werden (§ 315). Wählt man den zweiten, ſo ſind alle dieſe Klagen in den beſonderen Theil des Obligationenrechts einzureihen(c)Vgl. Göſchen Vorleſungen I. S. 531., die Reſtitution aber iſt, wie es im Anfang des gegenwärtigen §. ausgeſprochen iſt, dem richterlichen Urtheil an die Seite zu ſtellen. Dieſe zweite Behandlungsart ſchließt ſich völlig an die Auffaſſung der Römiſchen Juriſten an, und iſt die einzige, wodurch101§. 316. Begriff der Reſtitution.eine ſichere Einſicht in die Quellen des Römiſchen Rechts gewonnen werden kann(d)Burchardi § 1 ſtellt einen ganz willkürlichen Begriff von Wiedereinſetzung in den vorigen Stand auf, unter welchen er dann, außer der wahren Re - ſtitution, auch die Condictionen, die actio doli und quod metus causa, ſo wie noch vieles Andere, zuſammenſtellt. So nimmt er nachher auch die zwei zuletzt ge - nannten Klagen in ſein Syſtem der Reſtitution mit auf. Eine ausführliche und überzeugende Widerlegung dieſes Verfahrens findet ſich bei Schröter S. 157 bis 169..

Die eben gerügte Vermiſchung weſentlich verſchiedener Rechtslehren iſt theils veranlaßt, theils befördert oder be - ſchönigt worden durch mehrere Stellen Römiſcher Juriſten, die ſich von einem ungenauen Sprachgebrauch nicht ganz frei gehalten, ſondern den Namen der in integrum restitutio auf Fälle angewendet haben, die dieſem eigenthümlichen Rechtsinſtitut in der That nicht angehören. Indem dieſer ungenaue Sprachgebrauch der Quellen ſelbſt hier anerkannt und nachgewieſen werden ſoll, muß jedoch die Bemerkung vorausgeſchickt werden, daß man denſelben weit übertrieben, und oft auch da wahrzunehmen geglaubt hat, wo derſelbe in der That nicht zu[finden] iſt.

So kann vor Allem ein ungenauer Sprachgebrauch durchaus nicht behauptet werden von den ſehr zahlreichen Stellen, worin restituere die das Unrecht aufhebende, und die gehemmte Ausübung des Rechts herſtellende, Handlung einer dem Berechtigten gegenüber ſtehenden Privatperſon bezeichnet (§ 315); es mag nun dieſe Handlung aus ganz freiem Willen hervorgehen, oder durch eine Aufforderung des102Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Richters veranlaßt ſeyn(e)Dieſes gilt von den arbi - trären Klagen, in Folge der in die Formel eingerückten Be - ſchränkung der Verurtheilung: nisi restituas. S. o. B. 5 § 221., oder durch die Verurtheilung des Richters zwangsweiſe auferlegt werden(f)§ 2 J. de off. jud. (4. 17): sive contra possessorem, ju - bere ei debet, ut rem ipsam restituat cum fructibus. .

Dieſes iſt der regelmäßige, unentbehrliche, durch keinen anderen Ausdruck zu erſetzende Sprachgebrauch. Auch liegt in demſelben durchaus keine Gefahr der Verwechſelung mit unſerer prätoriſchen in integrum restitutio, da ja Niemand darauf fallen kann, dieſe Handlung des Prätors mit jener Thätigkeit einer Privatperſon zu verwechſeln, wenngleich zur Bezeichnung beider durchaus verſchiedener Thätigkeiten daſſelbe Wort restituere verwendet wird.

Eben ſo kann ein ungenauer Sprachgebrauch nicht ein - geräumt werden für diejenigen Stellen, worin die Begna - digung eines verurtheilten Verbrechers durch die höchſte Re - gierungsgewalt (den Kaiſer oder den Senat) als eine in integrum restitutio bezeichnet wird(g)L. 1 §. 9. 10 de postul. (3. 1 ) Deinde adjicit Praetor: Qui ex his omnibus in inte - grum restitutus non erit et putat, de ea restitutione sensum, quam Princeps vel Senatus in - dulsit. (Beſonders entſcheidend über die innere Gleichartigkeit iſt die auf dieſe Worto folgende Ver - gleichung mit der prätoriſchen Re - ſtitution,). L. 1 C. de sent. passis (9. 51): tunc Antoninus Aug. dixit: Restituo te in inte - grum provinciae tuae, et ad - jecit: Ut autem scias, quid sit in integrum restituere, hono - ribus, et ordini tuo, et om - nibus ceteris te restituo. L. 1 § 2 ad L. J. de amb. (48. 14 ) Qua lege damnatus si alium convicerit, in integrum restituitur: non tamen pecu - niam recipit. . Denn es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die Begnadigung eines Ver -103§. 316. Begriff der Reſtitution.urtheilten ihrem Weſen nach eine wahre in integrum re - stitutio und mit der prätoriſchen völlig gleichartig iſt, nur mit dem Unterſchied, daß ſie nicht dem Privatrecht, ſondern dem öffentlichen Recht angehört, weshalb auch nur der Beſitz der höchſten Regierungsgewalt zum Ausſpruch der - ſelben fähig macht. Wenn aber der Kaiſer begnadigt, ſo thut er dieſes eben ſo in Kraft ſeines Imperium, wie wenn der Prätor im Privatrecht eine Reſtitution ertheilt. In den hier angeführten Stellen nun (Note g), die aus dem Edikt und aus einem feierlichen Ausſpruch des Kaiſers herrühren, iſt an einen nachläſſigen, ungenauen Sprach - gebrauch gar nicht zu denken.

In folgenden Stellen dagegen findet ſich in der That ein ſolcher ungenauer Sprachgebrauch, worin der Name der in integrum restitutio auf Fälle angewendet wird, die nicht zur wahren Reſtitution gehören.

1. Wenn der Beſitzer einer Sache wegen derſelben eine Klage von mir erwartet, und dieſe Sache an einen Dritten veräußert, in der unredlichen Abſicht, mich durch die Ver - änderung des Beklagten in Nachtheil zu bringen, ſo habe ich gegen den Veräußernden eine Klage auf Entſchädigung wegen dieſer Veränderung(h)L. 1 pr. L. 4 § 5 de al jud. mut. (4. 7). Die Dige - ſtenſtellen über dieſen Rechtsſatz find theils aus Commentaren über das Provinzialedict entnommen (L. 1 eod.), theils aus Commen - taren über das prätoriſche Edict (L. 8 eod.) Ohne Zweifel aber waren beide Edicte hierin weſent - lich übereinſtimmend., und gerade dieſe Klage, die104Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.offenbar keine Reſtitution iſt, wird als eine ſolche von Gajus bezeichnet(i)L. 3 § 4 eod. Ex quibus apparet, quod Proconsul in integrum restituturum se polli - cetur: ut hac actione officio tantum judicis consequatur actor, quanti ejus intersit alium adversarium non ha - buisse. Offenbar wird hier die Geldentſchädigung als Frucht einer Reſtitution bezeichnet, obgleich ſie mit dieſer nur den allgemeinen Zweck gemein hat, das Vermögen des Berechtigten gegen Schaden zu verwahren. Es muß aber dahin geſtellt bleiben, wie viel etwa interpolirt ſeyn mag., welches wir daher als einen unge - nauen Ausdruck anſehen müſſen. In dieſem Fall ließe ſich nun allerdings eine wahre Reſtitution denken, indem die urſprüngliche in rem actio gegen den Veräußernden durch Reſtitution gegen die Veräußerung zugelaſſen würde. Eine ſolche Reſtitution iſt auch wahrſcheinlich durch das Edict dargeboten worden, ſo daß der Verletzte zwiſchen ihr und der perſönlichen Entſchädigungsklage die Wahl haben ſollte(k)Darauf deutet ein Reſcript von Diocletian in L. 1 C. eod. (2. 55), worin geſagt wird, der Verletzte habe die Wahl, ob er mit der gewöhnlichen Klage in rem gegen den neuen Erwerber klagen wolle, oder aber gegen den Ver - äußernden. Das letzte wird ſo ausgedrückt: cum in inte - grum restitutio edicto perpetuo permittatur. Es mag dahin geſtellt bleiben, ob der Verfaſſer dieſes Reſcripts unter der Reſtitu - tion die Entſchädigungsklage ver - ſtand (ſo wie Gajus), oder aber den neueren Rechtsſatz von der in rem actio gegen den, qui dolo desiit possidere (Note l).; daraus erklärt ſich ſowohl die Stellung jener Klage im vierten Buch der Digeſten, als auch der eben gerügte ungenaue (vielleicht interpolirte) Ausdruck des Gajus. Daß aber dieſe Reſtitution ſelbſt in den Digeſten nicht mehr erwähnt wird, erklärt ſich daraus, daß ſie durch einen ſpäteren Rechtsſatz völlig entbehrlich wurde; wer nämlich105§. 316. Begriff der Reſtitution.den Beſitz einer Sache unredlicherweiſe aufgiebt, ſoll nun - mehr als Beſitzer behandelt und mit der Klage in rem (auch ohne Reſtitution) belangt werden können(l)L. 27 § 3. L. 36 pr, de R. V. (6. 1 ), L. 131. L. 157 § 1 de R. J. (50. 17). Von dem hiſto - riſchen Verhältniß des Edicts über die alienatio judicii mutandi causa zu der ficta possessio deſſen, qui dolo desiit possidere, handelt ausführlich Voorda In - terpr. II. 10. Er ſcheint aber die Sache etwas zu ſubtil zu nehmen, und mehr als nöthig für verwickelt anzuſehen.. Auch jetzt alſo hat der Verletzte Anſpruch ſowohl auf dieſes Recht, als auf die perſönliche Entſchädigungsklage. Wenn aber der Beklagte das erſte Recht freiwillig anerkennt, und ſich als Beſitzer der Klage in rem unterwirft, ſo fällt die Entſchädigungsklage weg, weil dann kein aus der Ver - äußerung hervorgehender Schade mehr vorhanden iſt(m)L. 3 § 5 de al jud. mut. (4. 7)..

2. Ulpian erwähnt ein Reſcript von Caracalla aus Veranlaſſung einer von den Campanern mit Gewalt er - preßten Urkunde; das Reſcript ſagte: posse eum a Praetore in integrum restitutionem postulare. Dieſer Ausſpruch wurde nun ſowohl von dem Prätor, als von Ulpian ſelbſt ſo ausgelegt, der Gezwungene könne nach Bedürfniß jede denkbare Art des Schutzes in Anſpruch nehmen; zunächſt alſo ſowohl eine Klage, als eine Einrede, wie er es ver - langen möge(n)L. 9 § 3 quod metus (4. 2 ) Vgl. unten § 330 Note d. e. . Hier wird der Ausdruck restitutio ſogar auf gewöhnliche Rechtsmittel bezogen, welche mit der wahren Reſtitution nur den äußeren Zweck und Erfolg gemein haben; in den unmittelbar folgenden Worten aber (§ 4) 106Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wird hinzugefügt, daß der Gezwungene, wenn er es be - gehre, auch eine wahre, eigentliche Reſtitution zu erwarten habe. Alle dieſe Rechte alſo, ſo wie die Auswahl unter denſelben, werden gefolgert aus den Worten des Kaiſers, daß der Gezwungene könne in integrum restitutionem postulare.

3. Eben ſo verhält es ſich mit einem Ausſpruch des Julian, nach welchem die redhibitoria actio für beide Theile gewiſſermaßen die Folge einer in integrum restitutio nach ſich ziehen ſoll(o)L. 23 § 7 de aed. ed. (21. 1 ): Julianus ait, judicium redhibitoriae actionis utrum - que, i. e. venditorem et em - torem, quodammodo in inte - grum restituere debere. .

4. Wer durch Betrug bewirkt, daß ihm eine Sache verkauft werde, kann mit der actio venditi zur Entſchädigung gezwungen werden(p)L. 13 § 5 de act. emti (19. 1 ), L. 14 § 1 de in diem addict. (18. 2).. Dieſen Rechtsſatz drückt ein Reſcript ſo aus, als läge darin eine in integrum restitu - tio(q)L. 10 C. de resc. vend. (4. 44): contra illum, cum quo contraxerat, in integrum restitutio competit. , woran wiederum nur Das wahr iſt, daß das Ver - mögen des Verkäufers ſo gut, wie durch eine Reſtitution, gegen Schaden geſchützt wird.

Neuere Schriftſteller haben vorgeſchlagen, die oben (§ 315) erwähnten Klagen, welche nicht Reſtitutionen ſind, als Reſtitutionsklagen zu bezeichnen, um damit auszu - drücken, daß dieſelben eben ſo, wie eine wahre Reſtitution, auf die Herſtellung eines früheren Zuſtandes abzwecken(r)Burchardi S. 8.. 107§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.Ich kann dieſe Bezeichnung aus zwei Gründen nicht räthlich finden. Erſtens befördert auch ſie die ſo eben ausführlich gerügte Verwirrung weſentlich verſchiedener Rechtslehren. Zweitens aber ſpielt ſie auf bedenkliche Weiſe hinein in wirklich quellenmäßige Kunſtausdrücke, die in der That völlig verſchiedene Rechtsbegriffe bezeichnen(s)Restitutoria actio (judi - cium) heißt eine Klage, die in der That verloren war, dann aber durch irgend einen Rechtsgrund wieder - hergeſtellt wird, mag nun dieſer in einer wahren Reſtitution be - ſtehen (L. 3 § 1 de eo per quem 2. 10), oder nicht (L. 8 § 9. 12 ad Sc. Vell. 16. 1). Restitu - torium interdictum heißt ein auf Rückgabe einer Sache gerichtetes Interdict, im Gegenſatz des pro - hibitorium und exhibitorium. § 1 J. de interd. (4. 15)..

§. 317. Reſtitution. Eigenthümliche Natur und innere Ent - wicklung derſelben.

Die Reſtitution hat eine ganz eigenthümliche, von an - deren Rechtsinſtituten verſchiedene, juriſtiſche Natur, deren genaue Feſtſtellung als Grundlage für die folgende Dar - ſtellung der einzelnen darauf bezüglichen Rechtsregeln dienen muß. Dieſe Eigenthümlichkeit derſelben muß aber nicht als feſtſtehend, ſondern als in ſteter Bewegung begriffen, auf - gefaßt werden. Daher iſt zugleich von der inneren Ent - wicklung dieſes Rechtsinſtituts genaue Rechenſchaft zu geben, welche allein dazu geeignet iſt, uns auf den heutigen Stand - punkt für die Betrachtung deſſelben zu führen.

Der oben aufgeſtellte Begriff der Reſtitution (§ 316) 108Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.umfaßt zwei hervorſtechende Seiten derſelben. Die erſte beſteht in einer ſo freien, perſönlichen Macht des richter - lichen Amtes, wie ſie ſich bei anderen Rechtsinſtituten nicht findet. Zwar iſt[häufig] auch bei gewöhnlichen Klagen von einem freien Ermeſſen (arbitrium) die Rede, welches dabei als zuläſſig, ja als unentbehrlich erſcheint; allein dieſes Ermeſſen wird ſtets von feſten Rechtsregeln beherrſcht, und die demſelben zugeſchriebene Freiheit unterſcheidet ſich weſent - lich von der nicht unter ſolcher Herrſchaft ſtehenden Freiheit, welche in der Anwendung der Reſtitution wahrzunehmen iſt. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er - theilung oder Verſagung der Reſtitution die ſonſt üblichen Namen und Formen von actio, exceptio u. ſ. w. nicht vor. Dieſe eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re - ſtitution hängt damit zuſammen, daß der Reſtitution zwar auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln (§ 316).

Die zweite hervorſtechende Seite der Reſtitution beſteht in der zu ihrer Anwendung ausſchließend berufenen Behörde. Nicht die zum Ausſpruch gewöhnlicher Urtheile berufenen Privatrichter ſollten dazu fähig ſeyn; auch nicht die mit einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver - ſehenen Municipalobrigkeiten: ſondern in Rom und ganz Italien nur allein der Prätor, alſo der Inhaber der höchſten richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieſer, wie jeder andere Theil der prätoriſchen Gewalt, von dem109§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.Römiſchen Statthalter ausgeübt, der hier eine eben ſo unabhängige obrigkeitliche Gewalt hatte, wie in Rom der Prätor.

Die zwei hier dargeſtellten Eigenthümlichkeiten der Re - ſtitution ſind aber keinesweges ſo zu denken, als ob ſie blos zufällig neben einander geſtanden hätten; vielmehr be - dingten ſie einander wechſelſeitig, und konnten nur in dieſer ihrer Verbindung erklärt und gerechtfertigt werden.

Die in der Reſtitution enthaltene, ungewöhnlich freie Macht des richterlichen Amtes war nämlich nicht ohne die Gefahr der Willkür und Ungerechtigkeit, welches auch die Römer nicht verkannten, indem ſie die Reſtitution als eine außerordentliche Nothhülfe nur da zuließen, wo nicht ſchon gewöhnliche Rechtsmittel ausreichten. Gerade gegen dieſe Gefahr nun wurde eine Schutzwehr gefunden in der Stellung der zur Reſtitution ausſchließend berechtigten Be - hörde. Schon Das war wichtig, daß die Reſtitution nicht in die Hand derſelben Perſonen gelegt wurde, welche die gewöhnlichen Urtheile zu ſprechen hatten, der Privatrichter; denn gerade die Vereinigung dieſer beiden Thätigkeiten konnte leicht von der unbefangenen Anwendung der reinen Rechtsregeln abführen, und dem Mißbrauch blos ſubjectiver Anſichten und Gefühle Raum geben. Ein noch ſtärkerer Schutz aber lag in der eigenthümlichen Stellung der Prä - toren. Einem ungerechten Mißbrauch ihres einflußreichen Amtes wurde ſchon durch die kurze (einjährige) Dauer dieſes Amtes entgegengewirkt, nach deſſen Beendigung alle110Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ausſicht auf Macht und Einfluß verloren war, wenn ſie ſich nicht durch parteiloſe Amtsführung das Vertrauen ihrer Mitbürger bewahrt hatten. Nicht zu gedenken, daß auch während ihrer Amtsführung eine große Zahl von gleich oder höher ſtehenden Obrigkeiten, ſo wie von Volkstribunen, neben den Prätoren vorhanden war, deren jeder einzeln durch ſeinen Einſpruch den Verſuch ungerechter Willkür verhindern konnte(a)S. o. B. 6 Beilage XV. Die hier geſchilderte Schutzwehr gegen den Mißbrauch, den die Prätoren von der Reſtitution machen konnten, war dieſelbe, die es auch ohne Gefahr zuließ, ihnen den höchſt wichtigen Einfluß auf das Recht durch ihre Edicte zu ge - ſtatten, die zwar nicht, wie man früher anzunehmen pflegte, wahre Geſetze waren, aber doch auf ähnliche Weiſe, wie Geſetze, auf das Recht einwirkten. S. o. B. 1 S. 116 119..

Dieſes war das urſprüngliche Verhältniß der Reſtitution, und es iſt darin ein befriedigender Zuſammenhang der ver - ſchiedenen Seiten dieſes Rechtsinſtituts unverkennbar. Es ſind aber nun die großen Veränderungen hinzu zu fügen, die ſich mit demſelben im Laufe der Zeit zugetragen haben.

Dieſe Veränderungen betrafen zunächſt die Beſchaffenheit der zur Reſtitution berechtigten Behörde. Seit der Kaiſer - regierung nahmen die Prätoren eine weit untergeordnetere Stellung ein, als zur Zeit der freien Republik. Die Be - fugniß zur Reſtitution wurde ſpäter auch manchen anderen Klaſſen von Richtern mitgetheilt. Als der alte ordo judi - ciorum aufgegeben wurde, hörte die perſönliche Trennung der Reſtitution vom Urtheilſprechen auf, und beide Geſchäfte kamen in eine und dieſelbe Hand. Endlich in neueren111§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.Zeiten iſt die Ertheilung der Reſtitution allen Richtern ohne Unterſchied überlaſſen worden (§ 334). Durch dieſe allmälig eingetretenen Veränderungen nun ſind alle oben geſchilderten Schutzwehren nach und nach weggefallen, und es ſcheint, daß die Reſtitution nunmehr ein für die Rechts - ſicherheit höchſt gefährliches Inſtitut geworden ſeyn müßte.

Allein es ſind ſeitdem auch von der anderen Seite Ver - änderungen eingetreten, wodurch dieſe Gefahr größtentheils beſeitigt worden iſt.

Dahin gehört zuerſt der Umſtand, daß ſeit der Kaiſer - regierung die Appellation allgemein eingeführt worden iſt (Beilage XV). Dieſer wurde nun auch die Reſtitution unterworfen, die in dieſer Hinſicht mit gewöhnlichen Ur - theilen auf gleiche Linie trat, und ſeitdem nicht mehr mit der Gefahr verbunden war, eine unabänderliche Ungerechtig - keit herbei zu führen.

Noch wichtiger aber waren in dieſer Hinſicht die Ver - änderungen, die allmälig und unvermerkt in der, mit der Reſtitution urſprünglich verbundenen, faſt unbeſchränkt freien Macht eintraten, und wodurch die Gefahr der Willkür zuletzt faſt ganz verſchwinden mußte.

Schon die Prätoren ſelbſt hatten zwar in einem Fall der Reſtitution ein völlig freies Ermeſſen bei der Ge - währung oder Verſagung ſich vorbehalten(b)L. 1 § 1 de minor. (4. 4)., in anderen Fällen dagegen ſehr genaue Bedingungen derſelben ausge -112Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſprochen(c)L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6)., und dadurch dieſe Fälle der Reſtitution den gewöhnlichen Rechtsmitteln näher gebracht.

Noch wichtiger aber war es, daß die Prätoren in manchen wichtigen Fällen die früher dargebotene Reſtitution in gewöhnliche Klagen und Einreden umwandelten, alſo die bis dahin unfertige Regel in eine fertige auflöſten, ſo daß in dieſen Fällen von der früheren Reſtitution, außer unbedeutenden Ueberreſten der Anwendung, nur noch ein Andenken übrig bleibt in der Stellung, welche jenen Klagen im Edict und in den Digeſten zu Theil geworden iſt(d)Dahin gehören die actio - nes quod metus causa, doli, und de alienatione judicii mu - tandi causa. S. o. § 316 Note h bis l. .

Endlich bearbeiteten auch die alten Juriſten die Reſtitu - tionslehre, beſonders in ihren Commentaren über das Edict, worin ſie die langjährigen Erfahrungen über die Anwen - dung dieſes Rechtsinſtituts niederlegten. Indem ſie nun hier ſehr ausführliche caſuiſtiſche Regeln über die Ge - währung und Verſagung der Reſtitution aufſtellten, nahm dieſelbe unter ihren Händen immer mehr die Natur eines gewöhnlichen Rechtsmittels an, und verlor ſo ihren urſprüng - lichen Charakter, nach welchem ſie der freien Macht der Behörde überlaſſen geweſen war. Dieſes iſt namentlich die Geſtalt, worin wir die Reſtitution in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern vor uns ſehen. Man hätte hier die Re - ſtitution in ihrer alten Form und Bezeichnung ganz auf -113§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.geben und durch gewöhnliche Klagen (ſo wie es theilweiſe früher durch die actio doli und quod metus causa geſchah) erſetzen können; durch ein ſolches Verfahren hätten wir nur einige geſchichtliche Kenntniß verloren, von dem praktiſchen Rechtsinſtitut ſelbſt aber, wie es im Juſtinianiſchen Recht gemeint war, ein richtigeres Bild erhalten.

So iſt von verſchiedenen Seiten her die Reſtitution im Lauf der Zeiten mehr und mehr den gewöhnlichen Rechts - mitteln angenähert worden, und in dieſer ſehr veränderten Geſtalt iſt ſie als Beſtandtheil des gemeinen Rechts zu uns herüber gekommen. Dennoch hat ſie auch noch in dieſer Geſtalt in der Hand gewöhnlicher, oft untergeordneter Richter nicht ſelten mehr als andere Inſtitute, die Gefahr von Mißbrauch und Willkür herbeigeführt, beſonders weil ſowohl dieſe Richter, als die Schriftſteller, denen dieſelben folgten, das Römiſche Recht häufig mißverſtanden und irrig anwendeten. Bei unbefangener Betrachtung muß eingeräumt werden, daß dieſes Inſtitut des Römiſchen Rechts weniger, als die meiſten anderen, einen inneren Grund des Fortbe - ſtehens und der Eiwirkung auf den heutigen Rechtszuſtand mit ſich führt. Auch hat daſſelbe in neueren Geſetzgebungen vorzugsweiſe wenig Berückſichtigung und Aufnahme ge - funden(e)Im Preußiſchen A. L. R. I. 9 § 531 fg. §. 594 kommt die Reſtitution bei der Verjährung vor. Hier hilft das Franzöſiſche Recht einfacher (gleich dem neueren R. R.), indem es die Verjährung in ſolchen Fällen ipso jure hemmt (Code civil art. 2252).. Das hier ausgeſprochene zuſammenfaſſendeVII. 8114Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Urtheil über den inneren Werth dieſes Inſtituts im Ver - hältniß zu unſerm heutigen Rechtszuſtand erhält eine beſon - dere Beſtätigung durch die Betrachtung der einzelnen Re - ſtitutionsgründe. Bei der Reſtitution der Minderjährigen wird ihre ſehr bedenkliche praktiſche Seite noch näher nach - gewieſen werden (§ 322). Die Reſtitution der Abweſenden hat zwar keine ähnliche allgemeine Gründe gegen ſich; allein das Bedürfniß und die Wichtigkeit derſelben hat ſich ſeit ihrer erſten Einführung ungemein vermindert. Sie war beſonders wichtig als Abhülfe gegen die Gefahren, die aus der kurzen Uſucapion (ein Jahr und zwei Jahre), ſo wie aus vielen kurzen Klagverjährungen entſtanden. Seitdem damit viele und große Veränderungen vorgegangen ſind, iſt auch ſie leichter zu entbehren. Die übrigen Reſtitutionen aber waren ſchon im neueren Römiſchen Recht meiſt durch ordentliche Rechtsmittel erſetzt, und daher als Reſtitutionen nicht mehr wichtig.

Ich faſſe die hier gegebene Rechenſchaft über die innere Entwicklung der Reſtitution in einem kurzen Ueberblick zu - ſammen. Wir ſehen dieſes Rechtsinſtitut in einem allmä - ligen, aber fortwährenden Streben zur Selbſtvernichtung, und die neueſte Geſtalt deſſelben zeigt uns wenig Aehnlich - keit mehr mit dem urſprünglichen Weſen deſſelben. Dieſer auffallende Entwicklungsgang aber hat ſeinen Grund nicht etwa darin, daß man den urſprünglichen Gedanken ſpäter - hin als irrig und verfehlt anerkannt und darum aufgegeben hätte. Vielmehr iſt darin der natürliche Weg organiſcher115§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.Rechtsbildung wahrzunehmen, indem die Anfangs unfertige, erſt durch die freie perſönliche Handhabung zu ergänzende, Rechtsregel allmälig in eine fertige und vollendete hinüber geführt, und ſo das extraordinarium auxilium in ein commune auxilium aufgelöſt wurde(f)Es finden ſich dieſe Aus - drücke in L. 16 pr. de minor. (4. 4)..

Ganz im Widerſpruch mit der hier aufgeſtellten Anſicht behauptet ein neuerer Schriftſteller, die Reſtitution ſey von den Römern im Laufe der Zeit manchen ordentlichen Klagen vorgezogen, und häufiger, als früher, zur Anwendung ge - bracht worden(g)Burchardi § 19. 20, be - ſonders S. 361 363. 376. 382. Dieſe Behauptung hat jedoch bei ihm eine blos hiſtoriſche Bedeutung; für das praktiſche Bedürfniß des heutigen Rechts ſieht auch er die Reſtitution als bedenklich an, und hält eine größere Beſchränkung ihres Gebrauchs für wünſchens - werth S. 546.. Sie ſoll ſich beſonders beliebt gemacht haben theils durch das ſchnellere und kürzere Verfahren, theils durch manche praktiſche Vortheile für den Kläger, wohin vorzüglich der gerechnet wird, daß bei den arbiträren Klagen der Beklagte die Wahl hatte, entweder die Sache ſelbſt herauszugeben, oder ſich zur Entſchädigung verur - theilen zu laſſen, anſtatt daß die Reſtitution ſtets die ver - lorene Sache ſelbſt wieder verſchaffte(h)Dieſer Vortheil des Be - klagten, wenn man es ſo nennen will, wurde ja aber weit über - wogen durch die mit der Verur - theilung für ihn verbundenen Nach - theile S. o. B. 5 S. 123. 124. Ein anderer praktiſcher Vortheil, bei der aus Furcht vorgenommenen Antretung oder Ausſchlagung einer Erbſchaft, (Burchardi S. 363) iſt an ſich richtig, gehört aber nicht zu den ſpäteren Ausdehnungen der Reſtitution, ſondern gerade umgekehrt zu ihren ſehr mäßigen Ueberreſten, nachdem durch die Klage und Einrede wegen Gewalt für die allermeiſten Fälle in anderer Art hinreichend geſorgt war.. Der Beweis8*116Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dieſer Behauptung wird verſucht theils durch ſolche ſchon oben angegebene Stellen, worin in der That der Ausdruck in integrum restitutio auf ungenaue Weiſe gebraucht wird (§ 316), theils durch eine weit größere Zahl von Stellen, deren unbeſtimmte Ausdrücke an ſich ſowohl auf die Reſtitution als auf ordentliche Rechtsmittel bezogen werden können, und die nun willkürlich auf die Reſtitution gedeutet werden. Ein ſolches Verfahren kann nicht als das einer unbefangenen und vorſichtigen Kritik anerkannt werden.

Es iſt ein lebhafter Streit darüber geführt worden, ob die prätoriſche Reſtitution in das Gebiet der Gnade oder des Rechts gehöre. Ein neuerer Schriftſteller nennt ſie einen Gnadenact, eine Gnadenerweiſung, eine beſondere Vergünſtigung, auf welche Niemand ein wahres Recht, ein Recht im juriſtiſchen Sinne des Worts habe(i)Buchardi § 1. 3, beſon - ders S. 7. 20. 40. 41.. Andere haben dieſer Anſicht entſchieden widerſprochen, und die Re - ſtitution durchaus dem Rechtsgebiet zugewieſen(k)Puchta Pandekten § 100 Note c. Ausführlicher Schröter S. 169 174..

Wenn man genau zuſieht, was hier unter Gnade ver - ſtanden werden ſoll, ſo wird man ſich überzeugen, daß dieſer Streit mehr den Ausdruck, als das Weſen der Sache, betrifft, alſo eigentlich überflüſſig war. Man kann bei jenem Ausdruck denken an ein Handeln aus bloßer Laune und Willkür, aus heiterer Stimmung, perſönlicher Gunſt,117§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.oder anderen rein ſubjectiven Antrieben. Daß die Reſtitu - tion in dieſem Sinn jemals als ein Gnadenact gedacht worden ſey, wird wohl Niemand behaupten. Man kann aber jenen Ausdruck auch in einem ernſteren Sinn auffaſſen, ſo wie er gedacht wird, wenn von der Begna - digung eines Verbrechers die Rede iſt, wobei ja Niemand an dem Gebrauch jenes Ausdrucks Anſtoß nimmt. Auch dabei nun würde ein Handeln aus den eben geſchilderten Beweggründen höchſt verwerflich ſeyn. Die rechte Be - gnadigung wird vielmehr nur da eintreten, wo von einem höheren Standpunkt aus die ſtrenge Anwendung des Ge - ſetzes als Unrecht erſcheinen würde, mit Rückſicht auf die beſonderen Umſtände des einzelnen Falles. Dieſes iſt aber derſelbe Standpunkt, von welchem aus die Ausgleichung zwiſchen jus und aequitas durch die Reſtitution bewirkt werden ſoll (§ 315 Note d), ſo daß in dieſem Sinn die Reſtitution füglich ein Gnadenact genannt werden könnte. In der That hat ſie auch der angeführte Schriftſteller nur in dieſem Sinne ſo bezeichnen wollen, indem er dadurch das beſonders freie Ermeſſen in der Reſtitution am beſten hervorzuheben glaubte. Daß er nur Dieſes meinte, geht unwiderſprechlich daraus hervor, daß er zugleich anerkennt, wenn die Bedingungen der Reſtitution vorhanden waren, ſey die Ertheilung derſelben eine Amtspflicht des Prätors geweſen, deren Gewährung ſelbſt durch Appellation habe118Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.erzwungen werden können(l)Burchardi S. 40. 41. Allerdings paßt zu dieſen letzten Zugeſtändniſſen nicht ſonderlich die daneben ſtehende ſchroffe Ver - neinung eines auf die Reſtitution zuſtehenden wahren Rechts. Viel - leicht hat ſich der Verfaſſer durch den Umſtand täuſchen laſſen, daß einem Verbrecher kein Recht auf Begnadigung zuzuſchreiben iſt. Dieſes aber liegt darin, daß die Begnadigung nur dem Souverain zuſteht, der in der Ausübung ſeiner Hoheitsrechte keiner Aufſicht und Verantwortung unterworfen iſt.. Da indeſſen der Ausdruck Gnadenact dem eben dargeſtellten Mißverſtändniß Raum giebt, und in der That zu einem unnöthigen und unfruchtbaren Streit geführt hat, und da auch durch die Anwendung jenes Ausdrucks nicht das Geringſte gewonnen wird, ſo iſt es allerdings beſſer, denſelben in der Lehre von der Reſtitution ganz zu vermeiden. Es kommt hinzu, daß auch ſelbſt bei der criminalrechtlichen Reſtitution der Ausdruck Gnade ohne Zweifel nur dadurch allgemeine und unbedenkliche Anerkennung gefunden hat, daß dieſes Recht mit der hohen Stellung des Souverains verbunden iſt, eine Stellung, mit welcher doch die des Prätors in keiner Zeit verglichen werden konnte.

§. 318. Reſtitution. Bedingungen. I. Verletzung.

In der Lehre von der Reſtitution ſelbſt, wozu durch die bisherige Unterſuchung der Grund gelegt werden ſollte, ſind nunmehr zuerſt die Bedingungen aufzuſtellen, unter welchen ein Anſpruch auf dieſe außerordentliche Rechtshülfe119§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.entſteht; durch dieſe Bedingungen werden zugleich die ein - zelnen Arten und Fälle der Reſtitution beſtimmt. Sodann ſind die Regeln anzugeben, nach welchen die Reſtitution zur Ausführung zu bringen iſt: die dabei thätigen Behörden; die Parteien, zwiſchen welchen dieſelbe zur Anwendung kommt; das Verfahren, welches dabei beobachtet wird, wo - hin auch die ihr eigenthümliche Verjährung gehört; endlich die mit dieſem Rechtsmittel verbundene Wirkung. Jenes erſte Stück der ganzen Unterſuchung läßt ſich als der mate - rielle, dieſes zweite als der formelle Theil der Lehre von der Reſtitution bezeichnen.

Die Bedingungen der Reſtitution ſind zunächſt in fol - gender kurzen Ueberſicht zuſammen zu ſtellen.

Die erſte Bedingung iſt eine Verletzung, die durch dieſes Rechtsmittel aufgehoben werden ſoll.

Die zweite iſt ein Reſtitutionsgrund, woraus der Anſpruch auf dieſe außerordentliche Hülfe, als Ausnahme von den gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten iſt. Die einzelnen Reſtitutionsgründe bilden zugleich die einzelnen Arten der Reſtitution ſelbſt.

Die dritte Bedingung endlich beſteht in der Abweſenheit derjenigen poſitiven Ausnahmen, wodurch die Reſtitu - tion, auch unter Vorausſetzung jener erſten Bedingungen, gänzlich ausgeſchloſſen wird.

120Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die erſte Bedingung alſo iſt eine erlittene Verletzung (Läſion). Man könnte geneigt ſeyn, darunter eine Rechts - verletzung zu verſtehen, alſo dieſe für die Vorausſetzung zuläſſiger Reſtitution zu halten. Dieſes iſt aber ſo wenig anzunehmen, daß vielmehr im Fall einer wahren Rechts - verletzung (z. B. Raub oder Diebſtahl) die gewöhnlichen Klagen völlig ausreichen werden, wodurch die Reſtitution überflüſſig, alſo unzuläſſig wird.

Unter der Verletzung, als Grundbedingung der Reſtitu - tion, iſt eine wahre Veränderung des Rechtszuſtandes zu verſtehen, und zwar eine ſolche, die einen Nachtheil mit ſich führt für Den, welcher die Reſtitution ſucht (§ 315). Eine wahre Veränderung des Rechtszuſtandes aber kann nur als eine an ſich rechtmäßige, vom Recht anerkannte, gedacht werden, ſonſt würde höchſtens von einer thatſäch - lichen Aenderung, einer gehemmten Ausübung des Rechts, die Rede ſeyn können.

Eine ſolche Veränderung kann herbeigeführt ſeyn ent - weder durch Thun oder durch Unterlaſſen. Das Thun heißt in dieſem Fall ein gestum, eine juriſtiſch wirkſame Thätigkeit(a)L. 1 § 1. L. 7 pr. de minor. (4. 4). Quod cum mi - nore gestum esse dicetur. Gestum accipimus, qualiter qualiter: sive contractus sit, sive quid aliud contigit. . Die dadurch in Nachtheil gebrachten Per - ſonen heißen lapsi, capti, circumventi, circumscripti(b)L. 1 de in int. rest. (4. 1 ), L. 24 § 1. L. 44 de minor. (4. 4 ), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).;121§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.es würde aber irrig ſeyn, dieſe Ausdrücke hier von einer Unredlichkeit des Gegners (einem Betrug) zu verſtehen, die dabei ganz gleichgültig iſt, indem der Nachtheil auch blos durch Leichtſinn oder Unerfahrenheit des Betheiligten ſelbſt entſtanden ſeyn kann(c)L. 11. § 4. L. 44. de minor. (4. 4). So heißt es auch: na - turaliter licere contrahentibus se circumvenire (circumscri - bere). L. 16 § 4. de minor. (4. 4 ), L. 22 § 3 loc. (19. 2), mit welchem Ausdruck ein Uebervor - theilen ohne Betrug bezeichnet wird, da der Betrug in keinem Fall als erlaubt gedacht werden kann. Anderwärts werden dieſe Aus - drücke allerdings auch gebraucht, um einen Betrug zu bezeichnen..

Als Verletzung iſt ferner nicht blos eine ſchon vollendete Verminderung des Rechtszuſtandes anzuſehen, ſondern auch ſchon die Verwandlung eines ſicheren Rechts in ein zwei - felhaftes oder beſtrittenes, da die Verfolgung dieſes letzten wenigſtens Mühe, Koſten, ſo wie die Gefahr des nach - theiligen Ausganges eines Rechtsſtreites nach ſich zieht(d)L. 6 de minor. (4. 4) cum intersit eorum, li - tibus et sumtibus non vexari. Eine erläuternde Anwendung dieſer Regel findet ſich in L. 40 pr. eod. .

Es iſt eine ſehr beſtrittene Frage, ob zur Reſtitution nur allein die Verminderung des ſchon erworbenen Ver - mögens geeignet ſey, oder auch die verſäumte Vermehrung deſſelben (lucrum). Die Anwendung auf dieſen letzten Fall, alſo die günſtigere und freiere Behandlung, iſt für die Re - ſtitution der Minderjährigen nach mehreren Stellen unzwei - felhaft(e)L. 7 § 6 de min. (4. 4 ), Hodie certo jure utimur, ut et in lucro minoribus subve - niatur. L. 44 eod., L. 17 § 3 de usuris. (22. 1).. Da nun für andere Fälle der Reſtitution das122Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.Gegentheil geſagt zu ſeyn ſcheint(f)L. 18 ex quib. caus. (4. 6 ) Sciendum est, quod in his casibus restitutionis auxilium majoribus damus, in quibus rei duntaxat persequendae gra - tia queruntur, non cum et lucri faciendi ex alterius poena vel damno auxilium sibi im - pertiri desiderant. , ſo iſt daraus von Manchen die Regel gebildet worden, die Minderjährigen ſeyen gegen Verluſt und gegen entbehrten Gewinn zu reſtituiren, Andere nur gegen Verluſt(g)Puchta, Pandekten § 101 Note d. . In der That aber iſt der Gegenſatz auf einem anderen Punkte zu ſuchen, und die Minderjährigen ſtehen hierin mit allen übrigen zur Re - ſtitution Berechtigten ganz auf gleicher Linie. Es muß nämlich unterſchieden werden zwiſchen einem ſolchen Ge - winn, wodurch ein Anderer an ſeinem ſchon erworbenen Vermögen verkürzt wird, und dem Gewinn, wobei dieſer Fall nicht eintritt. Der erſte ſoll niemals Grund einer Reſtitution werden können, weder für einen Minderjährigen, noch für irgend einen Andern. Daher gilt keine Reſtitution für die Verſäumniß einer Strafklage, durch welche der Beklagte um eben ſo viel ärmer, als der Kläger reicher, wird(h)L. 37 pr. de min. (4. 4) (von Minderjährigen). L. 18 ex quib. caus., ſ. o. Note f; in dieſer Stelle liegt der Accent nicht auf lucri faciendi, ſondern auf ex alterius poena vel damno. Es iſt alſo die Rede von den zweiſeitigen Strafklagen, ſ. o. B. 5 § 210. Dieſelbe Natur haben die Fideicommißzinſen, wenn der belaſtete Erbe die Auszahlung des Fideicommiſſes ohne ſeine Schuld unterlaſſen hat. Auch für dieſe ſoll ſelbſt der Minderjährige keine Reſtitution erhalten. L. 17. § 3 de usur. (22. 1).. Eben ſo auch gilt keine Reſtitution, wenn ein123§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.Erwerb durch Uſucapion verſäumt wird, weil auch dieſe Erweiterung des Vermögens nur durch einen gleich großen Verluſt in dem Vermögen des bisherigen Eigenthümers bewirkt werden kann(i)L. 20 ex quib. caus. (4. 6).. Gegen die Verſäumniß des - jenigen Gewinns aber, wodurch nicht zugleich einem Anderen ſchon erworbenes Vermögen entzogen wird, ſoll allerdings Reſtitution ertheilt werden, wenn ein Reſtitutions - grund vorhanden iſt. Dahin gehört der Fall, wenn der Erwerb einer Erbſchaft oder eines Legates verſäumt worden iſt durch Minderjährigkeit(k)L. 1. 2 C. si ut omissam (2. 40)., oder wenn der ernannte Erbe oder Legatar das ihm zugedachte Recht wegen Ab - weſenheit im Kriegsdienſt eingebüßt hat(l)L. 17 pr. § 1. L. 41 ex quib. caus. ; denn wenn dieſe durch Reſtitution in die frühere Lage zurück verſetzt werden, ſo erlangen ſie Etwas, das damals noch zu keines anderen Menſchen Vermögen gehört hat. Man kann alſo mit Recht von der Reſtitution der Abweſenden, eben ſo, wie von der der Minderjährigen, ſagen, daß ſie auch auf verſäumten Gewinn angewendet werden könne(m)L. 27 ex quib. caus. (4. 6 ) Et sive quid amiserit, vel lucratus non sit, restitutio fa - cienda est, etiamsi non ex bonis quid amissum sit. Es iſt wohl zu bemerken, daß dieſe Stelle aus demſelben Buche her - rührt, wie die oben in der Note f abgedruckte L. 18 eod. (Paul. lib. XII ad Ed.), ſo daß an einen Widerſtreit der alten Juriſten unter ſich nicht zu denken iſt., und124Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.zwiſchen beiden Fällen der Reſtitution iſt hierin in der That kein Unterſchied(n)Die hier gemachte Unter - ſcheidung iſt ſchon aufgeſtellt von Cujacius in Paul. lib. XII ad Ed., opp. T. 5 p. 167. Auch Burchardi S. 60 69 behauptet ein gleiches Recht der Minderjäh - rigen und der Volljährigen. Ohne Grund aber behandelt er S. 132 die bei den Strafklagen unzuläſ - fige Reſtitution als eine ganz ver - einzelte Ausnahme, welche viel - mehr weſentlich in dieſen Zu - ſammenhang gehört..

Die Thatſache der Verletzung, alſo des erlittenen Nach - theils durch Veränderung des Rechtszuſtandes, muß ſo, wie jede andere Thatſache, wenn ſie bezweifelt wird, von Dem, welcher die Reſtitution ſucht, erwieſen werden, und es iſt ganz ohne Grund von Manchen behauptet worden, ein ſolcher Beweis ſey nicht erforderlich, es komme vielmehr blos auf die Behauptung des Nachtheils an(o)L. 7 § 3. L. 35. 44 de min. (4. 4 ), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2 ), L. 5 pr. C. de in int. rest. min. (2. 22 ), L. 1 C. si adv. vend. pign. (2 29). Burchardi S. 57 59. S. 448.

§ 319. Reſtitution. Bedingungen. I. Verletzung. (Fortſetzung.)

Die Natur der Verletzung, welche für jede Reſtitution vorausgeſetzt wird, iſt nun noch zur Anſchauung zu bringen durch eine Ueberſicht der Arten der Rechtsverhältniſſe, in welchen dieſelbe vorkommen, und zu dem Bedürfniß einer Reſtitution hinführen kann(a)Burchardi § 9, wo über die meiſten dieſer Anwendungen Beweisſtellen in großer Zahl zu - ſammen geſtellt ſind..

125§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)

Im Sachenrecht erſcheint die Erſitzung als der häu - figſte Fall einer ſolchen, die Reſtitution veranlaſſenden Ver - letzung. Wenn nämlich ein Eigenthümer das Eigenthum ſeiner Sache dadurch verliert, daß ein Anderer dieſelbe uſu - capirt, welches zu verhindern er ſelbſt unterlaſſen hat, ſo kann die Reſtitution gegen dieſe Unterlaſſung zur Herſtel - lung des Rechtszuſtandes führen, welcher vor vollendeter Erſitzung vorhanden war(b)So bei Minderjährigen L. 45 pr. de min. (4. 4). Eben ſo, wenn die Erſitzung gegen einen Abweſenden, oder umgekehrt von Seiten eines Abweſenden, vorge - nommen wird. L 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6).. Dieſelbe oder eine ähn - liche Natur hat der Verluſt einer Servitut durch Nicht - gebrauch. Ferner der Verluſt eines prätoriſchen Erb - rechts durch die verſäumte Agnitionsfriſt. Endlich würde auch der Verluſt eines Klagerechts durch Verjährung ganz dieſelbe Natur haben, wenn nicht dafür folgende abwei - chende Vorſchriften gegeben wären. Gegen die dreißig - jährige Klagverjährung nämlich ſoll gar keine Reſtitution gelten, ſelbſt für Minderjährige nicht; die kürzeren Klag - verjährungen ſollen während der Minderjährigkeit des Klag - berechtigten gar nicht laufen, ohne daß es einer Reſtitution bedarf; die übrigen Reſtitutionsgründe ſind bei ihnen eben ſo anzuwenden, wie bei dem Verluſt durch Erſitzung oder bei anderen Verletzungen(c)S. o. B. 3 Beilage VIII. Num. XXVII. .

Im Obligationenrecht findet ſich die ausgedehnteſte126Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Anwendung der Reſtitution. Sie kommt vor bei allen Arten von Verträgen, wodurch zum Nachtheil einer Perſon Obligationen gegründet werden können. Insbeſondere alſo bei Kauf und Verkauf, bei Miethverträgen, Societäten. Ferner bei einem aufgenommenen Darlehen, wenn der Em - pfänger das geliehene Geld ganz oder zum Theil verſchwen - det(d)L. 24 § 4. L. 27 § 1 de min. (4. 4).. Bei einer Interceſſion für die Schuld eines An - deren(e)L. 50 de min. (4. 4).. Bei dem Compromiß auf einen Schiedsrichter(f)L. 34 § 1 de min. (4. 4).. Eben ſo iſt aber auch die Reſtitution anwendbar auf viele Handlungen, wodurch Obligationen aufgelöſt werden. Dahin gehört von Seiten des Gläubigers die Novation, wenn er durch dieſelbe eine weniger ſichere Art der Schuld, oder einen weniger zahlungsfähigen Schuldner empfängt(g)L. 27 § 3. L. 40 pr. de min. (4. 4).. Ferner die Befreiung des Schuldners durch Acceptilation(h)L. 27. § 2 de min. (4. 4).. Der Empfang einer Zahlung, wenn das empfangene Geld verſchwendet wird(i)L. 24 § 4. L. 27 § 1. L. 47 § 1 de min. (4. 4). L. 32 § 4 de admin. (26. 7). Der Grund iſt derſelbe, wie bei dem empfangenen und verſchwendeten Darlehen, nur ſoll es mit der Reſtitution gegen das Darlehen leichter genommen werden, weil das Geben eines Darlehens willkürlich ſey, die Zahlung der Schuld eine noth - wendige Handlung.. Von Seiten des Schuldners gehört dahin die Zahlung einer Schuld, die er vermeiden könnte, weil ſie nicht klagbar iſt(k)L. 25 pr. de min. (4. 4).. Ferner das Hingeben einer127§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)Sache an Zahlungsſtatt, wenn dieſe mehr werth iſt als die Schuld(l)L. 40 § 1 de min. (4. 4)..

Im Erbrecht iſt die Reſtitution anwendbar, wenn eine nachtheilige Erbſchaft angetreten wird, und der Erbe davon befreit zu werden verlangt(m)L. 6 de in int. rest. (4. 1 ), L. 21 § 5 quod metus (4. 2 ), L. 7 § 5. 10, L. 22, L. 29 § 2, L. 31 de min. (4. 4 ), L. 85 de adqu. her. (29. 2). Nach L. 6 § 7 eod. könnte man glauben, der erzwungene Antritt einer Erb - ſchaft ſey ipso jure nichtig, alſo ohne Reſtitution; es iſt aber da wohl von einem ſimulirten, alſo blos ſcheinbaren Antritt, (fallens adierit) die Rede. Burchardi S. 366.. Eben ſo, wenn eine vor - theilhafte Erbſchaft ausgeſchlagen iſt, die man nun wieder erwerben möchte, oder wenn die Agnitionsfriſt für ein prä - toriſches Erbrecht verſäumt iſt(n)L. 21 § 6 qu. met. (4. 2 ), L. 7 § 10, L. 22, L. 24 § 2, L. 30 de min. (4. 4). L. 2 C. si ut omissam. (2. 40).. Endlich auch wenn die Erfüllung einer Bedingung verſäumt wird, unter welcher Jemand zum Erben eingeſetzt iſt(o)L. 3 § 8 de min. (4. 4)..

Im Familienrecht kommt die Reſtitution vor, wenn eine Arrogation zum Nachtheil des Arrogirten vorgenommen wird, und dieſer hinterher in ſeine frühere Unabhängigkeit hergeſtellt zu werden verlangt(p)L. 3 § 6 de min. (4. 4). Es darf alſo nicht behauptet werden, daß jede capitis deminutio der Reſtitution entzogen ſey, wie es nach L. 9 § 4 eod. ſcheinen könnte. Burchardi S. 129 132..

Im Prozeßrecht endlich findet ſich eine beſonders häufige und wichtige Anwendung der Reſtitution(q)L. 7 § 4 de min. (4. 4). Sed et in judiciis subvenitur, sive dum agit sive dum con - venitur, captus sit. . 128Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dazu gab beſondere Veranlaſſung der alte Römiſche Prozeß, deſſen theilweiſe ſtrenge und harte Formen häufig zu dem Bedürfniß einer billigen Ausgleichung bloßer Verſehen durch Reſtitution führten. Aber auch in den Quellen des Ju - ſtinianiſchen Rechts finden ſich viele Anwendungen der Reſtitution auf den Prozeß. Dahin gehört die Reſtitution wegen einer verſäumten Anführung im Rechtsſtreit, wegen einer verſäumten Appellationsfriſt, wegen der unvorſichtigen Zuſchiebung eines Eides, wegen der aus dem Ungehorſam gegen richterliche Verfügungen hervorgehenden Nachtheile(r)L. 36 de min. (4. 4 ), L. 7 § 11. 12, L. 8 de min. (4. 4 ), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).. Die wichtigſte Reſtitution dieſer Klaſſe aber iſt die gegen ein rechtskräftiges Urtheil, ſelbſt wenn dieſes von derſelben richterlichen Obrigkeit herrührt, die jetzt die Reſtitution er - theilen ſoll(s)L. 16 § 5, L. 17, L. 18, L. 29 § 1, L. 42 de min. (4. 4 ), L. 8 de in inst. rest. (4. 1), tit. Cod. si adv. rem jud. (2. 27). Blos eine einzelne Anwendung davon iſt die Reſtitution gegen das possidere jubere. L. 15 § 2 ex. qu. c. majorem (4. 6 ), L. 15 § 33 de de damno inf. (39. 2).. Dieſe Reſtitution hat eine ähnliche Wir - kung, wie die Appellation, nämlich wiederholte Prüfung und mögliche Abänderung eines geſprochenen Urtheils(t)L. 42 de min. (4. 4 ), L. 18 de interrog. (11. 1). Der Unterſchied liegt darin, daß die Appellation den ungerechten In - halt des Urtheils geltend macht, die Reſtitution das eigene Verſehen des Betheiligten oder den aus dem Benehmen des Gegners entſprun - genen Nachtheil. L. 17 de min. (4. 4).. Dabei liegt der Gedanke zum Grunde, daß der unterliegende Theil, der die Reſtitution ſucht, durch geſchicktere Führung129§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)des Rechtsſtreits ein anderes Urtheil herbeigeführt haben würde. In Anwendung dieſer Regel kann auch gegen eine ertheilte Reſtitution wiederum Reſtitution geſucht, und ſo die Wirkung der erſten Reſtitution entkräftet werden(u)L. 7 § 9 de min. (4. 4). Eine einzelne Ausnahme bei den Peculien enthält L. 8 § 6 C. de bon. quae lib. (6. 61). Bur - chardi S. 99. 248.. Bezog ſich die erſte Reſtitution auf das einfache Rechts - verhältniß zwiſchen zwei beſtimmten Perſonen, wie z. B. die Aufhebung eines Kaufvertrags, ſo bedarf es nicht immer der zweiten Reſtitution; vielmehr kann der Gegner, der die Herſtellung des urſprünglichen Zuſtandes durch Klage ver - langt, mit einer bloßen Einrede zurückgewieſen werden, indem es in der freien Willkür des Reſtituirten ſteht, die ihm ertheilte Wohlthat unbenutzt zu laſſen(v)L. 41 de min. (4. 4), quia cuique licet contemmere haec, quae pro se introducta sunt. Anders verhält es ſich mit der Reſtitution gegen den An - tritt oder die Ausſchlagung einer Erbſchaft (L. 7 § 9 de min.) wegen des unbeſtimmten Verhältniſſes zu vielen verſchiedenen Perſonen.. Man möchte glauben, auf gleiche Weiſe könne gegen die Ver - ſagung einer Reſtitution wiederum Reſtitution verlangt werden. Dieſes iſt aber in der Regel unzuläſſig, und es gilt gegen die Verſagung blos die Appellation(w)L 1 C. si saepius (2. 44). Mit Unrecht behauptet Burchardi S. 95, die L. 38 pr. de min. (4. 4) ſtehe damit im Widerſpruch und ſey daher als Machtſpruch des Kaiſers anzuſehen. Die Sache muß vielmehr ſo gedacht werden, daß ſie durch Appellation an den Kaiſer gelangt war, welcher da - durch zur letzten Entſcheidung com - petent wurde., weil ſonſt eine endloſe Wiederholung der Reſtitutionsgeſuche ge -VII. 9130Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ſtattet ſeyn würde. Nur ausnahmsweiſe darf auch gegen die Verſagung Reſtitution geſucht werden, wenn dieſes Geſuch durch neue Gründe unterſtützt werden kann(x)L. 2. 3 C. si saepius (2.44)..

§. 320. Reſtitution. Bedingungen. II. Reſtitutionsgrund.

Die zweite Bedingung jeder Reſtitution iſt ein Reſti - tutionsgrund (justa causa), das heißt, ein beſonderer (abnormer) Zuſtand des Verletzten, woraus der Anſpruch auf dieſe außerordentliche Hülfe, als Ausnahme von den gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten iſt (§ 318). Auf dieſen Reſtitutionsgrund vorzüglich bezieht ſich die ſehr freie Prüfung der richterlichen Obrigkeit, worin das eigenthüm - liche Weſen der Reſtitution beſteht. Und nicht blos die that - ſächliche Wahrheit des Reſtitutionsgrundes iſt (ſo wie bei jeder gewöhnlichen Klage) Gegenſtand der freien Prüfung, ſondern auch die Frage, ob nach den beſonderen Umſtänden des vorliegenden Falles die Reſtitution als nöthig und räthlich erſcheint(a)L. 3 de in int. rest. (4.1): Omnes in integrum restitu - tiones causa cognita a Praetore promittuntur: scilicet ut justi - tiam earum causarum[examinet], an verae sint, quarum nomine singulis subvenit. Schon Jo - hannes in der Gloſſe bemerkt richtig, daß hier verae zugleich den Begriff von justae in ſich ſchließe, alſo nicht auf die blos factiſche Wahrheit zu beſchränken ſey. Daher iſt die von Mehreren vorgeſchlagene Emendation: exa - minet, et an verae sint, nicht gerechtfertigt. Vgl. auch L. 11 § 3. L. 24 § 5. L. 44 de min. (4. 4)..

131§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.

Für dieſe richterliche Prüfung aber ſind zwei Geſichts - punkte von vorzüglicher Wichtigkeit. Der erſte Geſichts - punkt geht dahin, daß der beſondere Zuſtand des Verletzten, der den Reſtitutionsgrund ausmacht, in einem Cauſal - verhältniß mit der erlittenen Verletzung ſtehen muß. So z. B. iſt ein Minderjähriger zu reſtituiren, wenn er eine ſchlechte Sache gekauft hat, aber nicht, wenn eine gekaufte gute Sache hinterher durch Zufall untergegangen iſt(b)L. 11 § 4 de min. (4. 4); eben ſo iſt es bei einer angetre - tenen Erbſchaft, die an ſich nach - theilig ſeyn, oder erſt durch ſpätere Zufälle nachtheilig werden kann. L. 11 § 5 eod. ; denn dieſer Verluſt konnte bei einem Volljährigen eben ſo eintreten, und war alſo nicht die Folge der aus der Jugend hervorgehenden Unerfahrenheit. Iſt nun dieſer Umſtand ſelbſt zweifelhaft, ſo ſoll auf die ſonſt bekannte Perſönlichkeit des Minderjährigen geſehen werden, ſo daß Der, welcher ſich in anderen Dingen beſonnen und vorſichtig gezeigt hat, nicht ſo leicht reſtituirt werden ſoll(c)L. 11 § 4 de min. (4. 4 ), L. 1 C. qui et adv. quos (2. 42).. Eben ſo iſt die Reſtitution wegen Abweſenheit zu verſagen, wenn der ein - getretene Nachtheil nicht die nothwendige Folge der Ab - weſenheit war, ſondern durch Beſonnenheit hätte abgewendet werden können(d)L. 15. § 3, L. 16, L. 44 ex quib. caus. (4. 6)..

Ein zweiter Geſichtspunkt für die richterliche Prüfung ſoll dahin gerichtet ſeyn, daß nicht blos der einzelne Vor - theil oder Nachtheil des Verletzten berückſichtigt werde, ſon -9*132Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dern zugleich die Geſammtheit der Verhältniſſe. Daher ſoll einem Minderjährigen die Reſtitution nicht ertheilt werden, wenn dieſelbe zwar einen mäßigen einzelnen Nachtheil von ihm abwenden, aber zugleich im Ganzen ſeinen Credit ge - fährden würde(e)L. 7 § 8 L. 24 § 1 de min. (4. 4). Aus demſelben Grunde ſoll die Reſtitution verſagt werden, wenn die Abwendung eines gering - fügigen Nachtheils nur mit dem ungleich größeren Nachtheil eines Anderen bewirkt werden kann. L. 4 de in int. rest. (4. 1). Dagegen iſt es unrichtig, die Reſtitution blos wegen des geringen Betrags der Verletzung zu verſagen. Bur - chardi § 8 und S. 126..

Es ſind nunmehr die einzelnen im Edict angegebenen Reſtitutionsgründe anzugeben, welche zugleich die Grund - lage der, in den folgenden Paragraphen abzuhandelnden, beſonderen Arten der Reſtitution bilden. Ich will damit anfangen, die quellenmäßigen Zeugniſſe für das Daſeyn derſelben zuſammen zu ſtellen.

  • L. 1 de in int. rest. (4. 1) aus Ulpian lib. XII ad Ed. sub hoc Titulo plurifariam Praetor hominibus vel lapsis vel circumscriptis subvenit(f)Ulpian ſagt hier nicht blos, daß in dieſen Fällen der Prätor Reſtitution zu ertheilen pflege (subvenit), ſondern zugleich, daß er dieſe Reſtitution im Edict ankündige (sub hoc titulo sub - venit).: sive metu, sive calliditate, sive aetate, sive absentia inciderunt in captionem.
  • L. 2 eod. aus Paulus lib I. Sent. Sive per status mutationem, aut justum errorem.
133§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.
  • Paulus Sent. I. 7 § 2
    (g)Dieſes Zeugniß kann nicht als ein von dem vorhergehenden verſchiedenes und unabhängiges angeſehen werden; vielmehr wurden in die Digeſten blos einige Worte aus den sententiae des Paulus aufgenommen, um die vorherge - hende Stelle des Ulpian zu er - gänzen.
    (g). Integri restitutionem Praetor tribuit(h)tribuit iſt an ſich zwei - deutig, es kann die wirkliche Er - theilung der Reſtitution bezeichnen oder zugleich die Ankündigung derſelben im Edict. Da aber die meiſten Fälle unzweifelhaft im Edict ausgeſprochen waren, ſo iſt die zweite Deutung wahrſcheinlicher (Vgl. Note f). ex his cau - sis, quae per metum, dolum, et status permutationem, et justum errorem, et absentiam necessariam, et in - firmitatem aetatis gestae esse dicuntur.

Hierzu kommen folgende Titel des vierten Buchs der Digeſten, deren Ordnung zugleich zu bemerken iſt.

  • Tit. 2. quod metus causa. (Codex II. 20).
  • 3. de dolo malo. (Codex II. 21).
  • 4. de minoribus XXV. annis. (Codex II. 22).
  • 5. de capite minutis.
  • 6. ex quibus causis majores. (Codex II. 51).
  • 7. de alienatione judicii mutandi causa facta. (Codex II. 55).

Vier unter dieſen Reſtitutionsgründen kommen überall gleichmäßig vor, und bedürfen daher keiner Rechtfertigung: Zwang, Betrug, Minderjährigkeit, Abweſenheit. Bei Ulpian aber fehlt zuerſt die capitis deminutio. Es wird jedoch unten gezeigt werden, daß dieſelbe von jeher nur den Namen und die äußere Form einer Reſtitution an ſich trug,134Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.während ihr die charakteriſtiſchen Eigenſchaften einer wahren Reſtitution, das freie Ermeſſen und die kurze Verjährung, gänzlich fehlten. Daraus erklärt ſich befriedigend die Aus - laſſung derſelben bei Ulpian. Es fehlt bei demſelben ferner unter den Reſtitutionsgründen der Irrthum. Viel - leicht iſt der Grund dieſer Auslaſſung darin zu ſuchen, daß im Edict der Irrthum als Reſtitutionsgrund nur in einem ganz vereinzelten Fall ausdrücklich erwähnt wurde; das Daſeyn deſſelben hat übrigens keinen Zweifel, und wird gerade von Ulpian ſelbſt in anderen Stellen am beſtimm - teſten bezeugt(i)L. 1 § 1. 6 quod falso (27. 6). Auch Gajus handelt davon in demſelben lib. IV. ad Ed. prov., worin er die übrigen Reſtitu - tionsgründe darſtellt. L. 10 eod., verglichen mit L. 6. 19 quod me - tus, L. 6. 8. 23. 26. 28 de dolo, L. 12. 15. 25. 27 de min., L. 1. 8 de cap. min., L. 25 ex qu. c., L. 1. 3. 7 de al. jud. mut. . Endlich fehlt bei Ulpian und bei Paulus die alienatio judicii mutandi causa, die doch in den Digeſten in der Reihe der Reſtitutionstitel mit aufgeführt wird. Allein dieſe war zur Zeit der beiden angeführten Juriſten als Reſtitution gänzlich verſchwunden, indem ihr Zweck auf einem anderen Wege erreicht wurde (§ 316).

Ueber die Zeitfolge, in welcher dieſe Reſtitutionsgründe in das Edict aufgenommen worden ſind, fehlt es an be - ſtimmten Zeugniſſen. Ich halte es für wahrſcheinlich, daß die Ordnung, in welcher ſie im Edict ſtanden, zugleich die Zeit ihrer Einführung bezeichnet, da ein innerer und prak - tiſcher Grund dieſer Anordnung gewiß nicht behauptet werden kann. Die Ordnung der Reſtitutionsgründe im135§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.Edict aber ſtimmte gewiß mit der ſo eben angegebenen Reihefolge der Digeſtentitel überein, welche zugleich in den Titeln des Codex ſich wieder findet. Eine Beſtätigung liegt auch noch darin, daß die Hauptſtellen des Ulpian in der Reſtitutionslehre aus dem lib. XI. und XII. ad Edictum genommen ſind(k)Zweifelhaft ſind nur L. 2. 4. 6 de al jud. mut. (4. 7), die in der Flor. die Inſchrift haben: lib. XIII., (bei Haloander: lib. XII. ), während L. 10 eod. auch in der Flor. überſchrieben iſt: lib. XII. ; ganz eben ſo die Hauptſtellen des Paulus, und zwar beide gerade in der hier für das Edict vorausgeſetzten Ordnung der einzelnen Reſtitutionsgründe.

Hiernach nehme ich an, daß die einzelnen Reſtitutions - gründe in nachſtehender Zeitfolge in das Edict aufgenommen worden ſind, und daß hieraus zugleich die Reihefolge her - vorging, in welcher ſie im Edict ſtanden.

1. Zwang.

2. Betrug. Dieſe zwei Reſtitutionsgründe ſtehen nicht nur in den Digeſten und im Codex, ſondern auch in den oben abgedruckten Stellen des Ulpian und des Paulus, allen übrigen voran; ein anderer, als dieſer geſchichtliche Grund, läßt ſich dafür ſchwerlich angeben. Beide Reſti - tutionsgründe ſind aber ſchon frühe durch gewöhnliche Klagen größtentheils entbehrlich gemacht und verdrängt worden, ſo daß ſie jetzt nur noch in kleinen Ueberreſten als Reſtitutionen erſcheinen (§ 316. 317).

136Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

3. Minderjährigkeit. Steht auch bei Ulpian als dritter Grund.

4. Capitis deminutio.

5. Abweſenheit. Steht bei Ulpian als vierter Grund, weil er die capitis deminutio in ſeiner Ueberſicht übergeht.

6. Alienatio judicii mutandi causa. Als Reſtitutions - grund ſpäter verſchwunden.

7. Irrthum. War im Edict nur in einem ganz ein - zelnen Falle erwähnt, wurde aber in den Digeſten aus dem urſprünglichen unzweifelhaften Zuſammenhang, worin dieſer Grund im Edict vorkam, heraus genommen, und in das Vormundſchaftsrecht verpflanzt (Lib. 27 Tit. 6), augen - ſcheinlich aus Gründen des inneren Zuſammenhangs.

Eine ganz abweichende Anſicht von der hier aufgeſtellten Behauptung über die Zeitfolge der einzelnen Reſtitutions - gründe findet ſich bei dem ausführlichſten neueren Schrift - ſteller über die Reſtitution(l)Burchardi S. 148 150. S. 213 217.. Er nimmt als das älteſte Edict das über die Abweſenheit an, aber in einer uns un - bekannten, ſpäter verſchwundenen Geſtalt. Darauf folgte das über die Minderjährigen, welches aber nicht vor der Mitte des erſten Jahrhunderts entſtanden ſeyn ſoll. Darauf das gegenwärtige Edict über die Abweſenheit. Die Reſti - tutionen wegen Zwang und Betrug ſollen überhaupt nicht im Edict geſtanden haben, ſondern erſt ſehr ſpät durch die Römiſche Praxis eingeführt worden ſeyn, anſtatt daß die137§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.perſönlichen Klagen aus Zwang und Betrug ſehr alt ge - weſen ſeyn ſollen(m)Von der Reſtitution wegen Betrugs haben wir allerdings keine Edictſtelle übrig, da die L. 1 §. 1 de dolo (4. 3) augenſcheinlich nur von der actio doli ſpricht. An - ders verhält es ſich mit dem Zwang. Denn die Worte des Edicts: Quod metus causa gestum erit, ratum non habebo (L. 1 quod metus 4. 2), ſind ſo allgemein gehalten, daß ſie allerdings wohl von einer Klage oder Einrede gemeint ſeyn konnten, aber eben ſo gut auch von einer Reſtitution, gerade ſo, wie das Edict über die Minder - jährigen: uti quaeque res erit, animadvertam (L. 1 §. 1 de min. 4. 4), welches doch ohne Zweifel von einer Reſtitution, und nur von dieſer, ſprechen wollte.. Die Begründung dieſer abwei - chenden Meinung hängt großentheils mit der ſchon oben bekämpften Anſicht deſſelben Schriftſtellers von der hiſtori - ſchen Entwicklung der Reſtitution überhaupt zuſammen (§ 317 Note g); theilweiſe aber wird ſie auf Vermuthun - gen geſtützt, denen eine überzeugende Kraft nicht zugeſtanden werden kann.

Die hier aufgeſtellte Anordnung des Edicts über die einzelnen Reſtitutionsgründe kann jedoch für unſer wiſſen - ſchaftliches Bedürfniß nicht maßgebend ſeyn; vielmehr kommt es hier darauf an, die wichtigſten und reichhaltigſten Re - ſtitutionsgründe voran zu ſtellen. Ich werde daher die be - ſonderen Arten der Reſtitution nach folgender Ordnung darſtellen:

  • 1. Minderjährigkeit.
  • 2. Abweſenheit.
  • 3. Zwang.
138Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
  • 4. Irrthum.
  • 5. Betrug
    (n)Ich ſtelle den Betrug hinter den Irrthum, weil er in der That nur ein qualificirter Irrthum iſt, und weil auf dieſe Weiſe die Re - ſtitution wegen Betrugs beſſer zur Anſchauung gebracht werden kann.
    (n).
  • 6. Antiquirte Reſtitutionsgründe.

§. 321. Reſtitution. Bedingungen. III. Abweſenheit poſitiver Ausnahmen.

Manche Schriftſteller ſtellen eine große Zahl ausgenom - mener Fälle auf, in welchen die Reſtitution außer Anwen - dung bleiben ſoll, auch wenn die beiden erſten Bedingungen (Verletzung und Reſtitutionsgrund) vorhanden ſeyen(a)So z. B. Burchardi § 10.. Mehrere dieſer Ausnahmen ſind nur ſcheinbar, indem in den angeblichen Fällen derſelben eine Verletzung gar nicht vorhanden iſt(b)Dahin gehören z. B. die Fälle der L. 1 C. si adv. don. (2. 39), und der L. 11 C. de transact. (2. 4).; andere haben einen ſo vereinzelten Zu - ſammenhang mit beſonderen Rechtslehren, daß ſie zweck - mäßiger bei dieſen, als bei der Reſtitutionslehre, abgehan - delt werden(c)Dahin gehört z. B. die wichtige Regel, daß gegen die dreißigjährige Klagverjährung keine Art der Reſtitution zugelaſſen werden ſoll, ſ. o. B. 3 Beil. VIII. Num. XXVII. . Ich beſchränke mich hier auf diejenigen ausgenommenen Fälle, die eine allgemeinere Beſchaffenheit haben, und eben dadurch zugleich eine vollſtändigere Ein - ſicht in die Natur der Reſtitution ſelbſt gewähren.

139§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.

1. Es ſoll keine Reſtitution gegeben werden gegen die nachtheiligen Folgen von Delicten, es mögen nun öffent - liche Verbrechen oder Privatdelicte ſeyn(d)L. 9 § 2 de min. (4 4), über die Worte damnum deci - dere vgl. L. 17 § 1 de pact. und oben B. 5 S. 570. L. 9 § 3 eod., L. 37 § 1 eod.; in den Worten: nisi quatenus etc. liegt keine Hinweiſung auf Reſtitution, ſondern nur auf eine mitleidige Rückſicht bei arbiträren Strafen. L. 1. 2 C. si adv. del. (2. 35).. Im All - gemeinen folgt Dieſes ſchon daraus, daß die Reſtitution vorzugsweiſe zum Schutz gegen Nachtheile durch ein Rechts - geſchäft (gestum) eingeführt iſt (§ 318 Note a), unter welchen Begriff die Delicte nicht gehören. Bei öffentlichen Verbrechen folgt es auch daraus, daß deren Beſtrafung nicht zum Geſchäftskreiſe der die Civilgerichtsbarkeit lei - tenden Prätoren gehörte, die allein Reſtitution ertheilten.

Nur bei blos culpoſen Delicten ſcheint die Reſtitution allerdings zuläſſig zu ſeyn. Ganz ausdrücklich wird dieſer Unterſchied anerkannt bei der Umgehung der Zölle (com - missum); deren Beſtrafung ſoll im Fall der bloßen Culpa durch Reſtitution abgewendet werden können(e)L. 9 § 5 de min. (4. 4). L. 16 § 9 de public. (39. 4).. Daſſelbe Princip aber ſcheint eine, freilich dunkle, Stelle des Codex allgemein auszuſprechen(f)L. 1 C. si adv. del. (2.35) .. si tamen delictum non ex animo, sed extra venit. .. in integrum restitutionis auxilium competit. Die Worte sed extra müßten dann von der Culpa er - klärt werden. Haloander’s Leſeart sed ex contractu macht die Stelle gewiß nicht deutlicher.. Dann müßte die, in einer anderen Stelle ſcheinbar allgemein ausgedrückte, Verſagung140Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Reſtitution gegen die actio legis Aquiliae auch auf die Fälle böswilliger Verletzung beſchränkt werden(g)L. 9 § 2 de min. (4. 4). Der innere Zuſammenhang der ganzen Stelle iſt dieſer beſchrän - kenden Erklärung günſtig. Man könnte noch einwenden, daß auch das culpa divertere keine Reſti - tution zulaſſe. (L. 9 § 3 de min.) Allein dieſes erklärt ſich aus der Verbindung mit dem adulteriam L. 37 § 1 eod.); auch beſteht das culpa divertere meiſt in vorſätz - lichen Handlungen, ſo daß hier der Ausdruck culpa durchaus nicht den Gegenſatz gegen dolus be - zeichnen ſoll. Bei dem Inceß gilt die Entſchuldigung durch Irr - thum verbunden mit Jugend. L. 38 § 7 ad L. J. de adult. (48. 5 ), L. 4 C. de incest. (5. 5)..

2. Eine ganz gleichartige Ausnahme iſt vorgeſchrieben für diejenigen Verbindlichkeiten aus Verträgen, bei welchen dem Schuldner eine Unredlichkeit zur Laſt fällt(h)L. 9 § 2 de min. (4. 4). Hier wird der dolus in contrac - tibus als ganz gleichartig mit den Delicten behandelt.. Als Beiſpiel dieſer Ausnahme wird der Fall angeführt, wenn ein freier Minderjähriger ſich unredlicherweiſe als Sklave verkaufen ließ, um an dem Gewinn aus dem Kaufpreiſe Theil zu nehmen(i)L. 9 § 4 de min. (4. 4)..

3. Eine Reſtitution kann ferner nicht ertheilt werden, wenn das zum Nachtheil veränderte Rechtsverhältniß, ſeiner eigenthümlichen Beſchaffenheit nach, einer Herſtellung nicht unterworfen werden kann. In Anwendung dieſer Regel ſollte niemals eine ertheilte Freilaſſung durch Reſtitution entkräftet werden können(k)L. 9 § 6 de min. (4. 4). L. 7 pr. de dolo (4. 3) (am Ende der Stelle). L. 1. 2. 3 C. si adv. lib. (2. 31). Nicht als Beſchränkung dieſer Regel kann es gelten, wenn in L. 10 de min. geſagt wird: nisi ex magna causa hoc a principe fuerit consecutus ;. Als Erweiterungen oder141§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.Entwicklungen dieſer Regel müſſen noch folgende Beſtim - mungen angeſehen werden. Auch der Verkauf eines Sklaven war der Reſtitution nicht unterworfen, wenn der Käufer den erkauften Sklaven freigelaſſen hatte(l)L. 48 § 1 de min. (4. 4).. Auch ein rechtskräftiges Urtheil, welches die Freiheit eines angeb - lichen Sklaven ausſprach, ſollte nicht durch Reſtitution umgeſtoßen werden können(m)L. 9 de appell. (49. 1). L. 4 C. si adv. lib. (2. 31)..

Dagegen war allerdings zuläſſig die Reſtitution gegen ein Rechtsgeſchäft, wodurch erſt eine künftige Freilaſſung herbeigeführt werden ſollte(n)L. 11 § 1. L. 33 de min. (4. 4).. Eben ſo konnte der Ver - letzte durch mancherlei Entſchädigungsklagen geſchützt werden, auch gegen den Freigelaſſenen ſelbſt, wenn derſelbe bei dieſer Gelegenheit noch nach der Freilaſſung unrechtmäßige Handlungen verübt hatte(o)L. 11 pr. L. 48 § 1 de min. (4. 4).. Nur aus der Zeit des Sklavenſtandes war nach allgemeineren Grundſätzen eine Klage gegen den Freigelaſſenen nicht zuläſſig(p)Aus den Handlungen der Sklaven entſtand nach ihrer Frei - laſſung, wenn es Verträge waren, nur eine naturalis obligatio ohne Klage, wenn es Delicte waren, gegen Fremde eine klagbare, gegen den Herrn ſelbſt gar keine Obli - gation, ſ. o. B. 2 S. 424. 428. Man könnte einen Zweifel ziehen aus dem etwas undeutlichen letzten Satz der L. 3 C. si adv. lib. (2. 31), indem man nämlich die Worte: ratio vestra laesa sit auf eine vor der Freilafſung nachläſſig oder unredlich geführte Rechnung bezöge. Allein ſie können eben ſo gut auf die Rechnungs - führung nach der Freilaſſung ge - deutet werden; ja dieſe Deutung.

(k)dieſes iſt blos eine hiſtoriſche Notiz über die zuweilen vorkommende ungewöhnlich freie Anwendung der kaiſerlichen Macht in Rechtsſachen.

142Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die hier dargeſtellte Ausnahme von der Zuläſſigkeit der Reſtitution iſt von Manchen ſo ausgedehnt worden, als ob ſie auf alle Verhältniſſe des Familienrechts bezogen werden müßte. Die Unrichtigkeit dieſer Auffaſſung ergiebt ſich daraus, daß gegen die Arrogation unzweifelhaft allerdings die Reſtitution zuzulaſſen iſt (§ 319).

Dagegen muß allerdings die Zuläſſigkeit der Reſtitution gegen die Schließung einer Ehe verneint werden(q)Burchardi S. 142, und die daſelbſt angeführten Schrift - ſteller. Puchta Pandekten § 107 Num. 2.. Im Römiſchen Recht findet ſich davon keine Spur, und obgleich wegen der Leichtigkeit der Scheidung der Vortheil der Re - ſtitution weniger groß war, als er in unſerm heutigen Recht ſeyn würde, ſo wäre doch auch für die Römer die Wirkung einer durch Scheidung und einer durch Reſtitution aufgehobenen Ehe in manchen Beziehungen verſchieden ge - weſen. In den Zuſammenhang unſres heutigen Ehe - rechts aber paßt die Reſtitution durchaus nicht, die hier zwiſchen der Nichtigerklärung und der Scheidung gewiſſer - maßen in der Mitte ſtehen würde. Beſonders einleuchtend wird Dieſes, wenn man die einzelnen Reſtitutionsgründe erwägt. In den Fällen des Zwanges und des Betrugs nehmen wir die Nichtigkeit der Ehe an. Für die Reſtitution(p)iſt ſogar nothwendig, weil jene Worte blos die buchſtäbliche Wie - derholung eines weit älteren Re - ſcripts ſind (L. 10 C. de admin. 5. 37), worin ſie gar keinen anderen Sinn haben können. Durch dieſe Wiederholung des älteren Reſcripts ſollte blos auf ſehr überflüſſige Weiſe die geſuchte Belehrung nach allen Seiten hin vervollſtändigt werden.143§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.alſo würde eigentlich nur der Fall der Minderjährigkeit übrig bleiben, welcher unter Vorausſetzung einer unvor - theilhaften, leichtſinnigen Ehe die Reſtitution herbeiführen, und den minderjährigen Gatten in die Lage zurück verſetzen würde, in welcher er ſich befände, wenn er gar keine Ehe geſchloſſen hätte. Dieſe Wirkung wäre ſtärker, als die einer Scheidung, und es wäre gewiß höchſt inconſequent, dieſe ſtärkere Wirkung aus weit geringfügigeren Gründen zu ge - ſtatten, als diejenigen ſind, an welche das gemeine Recht der Proteſtanten die Eheſcheidung knüpft. Vollends aber würde mit den Grundſätzen des katholiſchen Eherechts die Zulaſſung einer ſolchen Reſtitution völlig unvereinbar ſeyn.

4. Endlich ſoll auch die Reſtitution nicht gegeben werden, wenn ſchon die allgemeinen Rechtsregeln aus - reichen, um jede Verletzung abzuwenden(r)L. 16 pr. de min. (4. 4). Nam si communi auxilio et mero jure munitus sit, non debet ei tribui extraordinarium auxilium . Tit. Cod. in quib. caus. (2. 41).; denn nun fehlt das Bedürfniß der in der Reſtitution liegenden außer - ordentlichen Hülfe, und es kann das Daſein einer Ver - letzung als Grundbedingung der Reſtitution (§ 318) gar nicht behauptet werden.

In Anwendung dieſer Regel iſt die Reſtitution als überflüſſig zu verſagen bei allen nichtigen Verträgen, z. B. wenn ein Unmündiger ohne Genehmigung des Vor - mundes einen Vertrag ſchließt(s)L. 16 pr. § 1. 3 de min. (4. 4).. Ferner wenn ein Min -144Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.derjähriger die Klagverjährung ſeines Schuldners, die we - niger als dreißig Jahre dauert, ablaufen läßt; denn da dieſe kürzeren Verjährungen gegen minderjährige Klag - berechtigte ipso jure nicht laufen, ſo bedarf es dagegen keiner Reſtitution.

Dagegen iſt dieſe Regel nicht anzuwenden auf ſolche Fälle, worin neben der Reſtitution auch eine gewöhnliche Klage dem Verletzten zuſteht, die ihm aber einen minder vollſtändigen oder minder ſicheren Schutz gewährt, da die Reſtitution nicht blos gegen die unmittelbare Verminderung unſres Rechtszuſtandes Schutz gewähren ſoll, ſondern auch gegen die Verwandlung eines ſicheren Rechts in ein zwei - felhaftes und ſtreitiges, deſſen endliches Schickſal alſo un - gewiß iſt(t)Burchardi S. 107. Dahin gehört die L. 16 §. 2 de min. (4. 4), deren Erklärung ſehr beſtritten iſt. Vgl. o. B. 3 S. 463, und Burchardi S. 102. S. oben §. 318 Note g. .

Unmündige und Minderjährige ſind ſehr gewöhnlich in der Lage, Verletzungen ſowohl durch Reſtitution, als durch die actio tutelae gegen den Vormund abwenden zu können. Man könnte daher glauben, in ſolchen Fällen wäre die Reſtitution durch das ordentliche Rechtsmittel der Klage ausgeſchloſſen. Es iſt aber ausdrücklich vorgeſchrieben, daß ſie nicht nur zwiſchen beiden Schutzmitteln unbedingt die Wahl haben, ſondern ſelbſt die einmal getroffene Wahl hinterher willkürlich umändern können(u)L. 45 § 1 de min. (4. 4 ), L. 3. 5 C. si tutor (2. 25). Nicht ſteht mit dieſen Stellen im Widerſpruch L. 39 §. 1 de min. (4. 4), welche am Schluß die Zahlungsfähigkeit der Curatoren. Dieſes iſt auch145§. 321. Bedingungen der Reſtitution. II. Ausnahmen.keinesweges eine Abweichung von den eben dargeſtellten Vorſchriften(v)Manche behaupten mit Un - recht nicht nur eine ſolche Ab - weichung, ſondern ſie gehen noch weiter, indem ſie annehmen, die Minderjährigen könnten nach dem neueſten Recht Reſtitution ſuchen ohne alle Rückſicht auf das Daſeyn irgend eines ordentlichen Rechts - ſchutzes. Göſchen Vorleſungen I. S. 537. 538. 557., ſondern vielmehr eine reine, einfache An - wendung derſelben. Denn die actio tutelae iſt bedingt durch den Beweis einer eigenthümlichen Verſchuldung des Vormundes(w)L. 1 pr. de tutelae (27.3), praestando dolum, culpam, et quantam in rebus suis dili - gentiam. , deſſen Führung ſtets unſicher iſt, und wodurch alſo der Erfolg dieſer Klage weit unſicherer wird, als der Erfolg der Reſtitution.

§. 322. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minderjährigkeit.

Nachdem die allgemeinen Bedingungen der Reſtitution angegeben worden ſind, ſollen nunmehr die beſonderen Arten derſelben dargeſtellt werden, deren Zuſammenhang mit den einzelnen Reſtitutionsgründen ſchon oben (§ 320) bemerkt worden iſt.

An die Spitze dieſer einzelnen Reſtitutionsgründe ſtelle ich die Minderjährigkeit, weil in ihr das ganze Inſtitut(u)gar nicht als Grund und Be - dingung der vorhergehenden Ent - ſcheidung angiebt. Auch geht dieſe Entſcheidung ſelbſt gar nicht auf Verſagung der Reſtitution, ſondern auf Zulaſſung derſelben, nur unter Vorausſetzung der Er - ſtattung der Auslagen an den Gegner. Ohne dieſe Erſtattung aber erhielte ja der Minderjährige eine Bereicherung auf fremde Koſten, wozu die Reſtitution niemals führen ſoll, ſ. o. §. 318 Note h. VII. 10146Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Reſtitution in größter Vollſtändigkeit und Ausbildung erſcheint. Auch haben die Römiſchen Juriſten Vieles, das von ihnen als allgemeines Recht der Reſtitution überhaupt gedacht war, blos bei Gelegenheit dieſes beſonderen Falles der Anwendung, als des häufigſten und wichtigſten, vor - getragen. Es erſcheint dieſe Reſtitution in den verſchie - denſten Geſtalten, angewendet auf nachtheiliges Thun und Laſſen jeder Art.

Veranlaſſung zu derſelben gab die ſehr eigenthümliche Lage der Römiſchen Jugend, indem nach alten Rechts - grundſätzen Jeder, der nicht unter der väterlichen Gewalt ſtand, nur bis zur Zeit der Geſchlechtsreife einem Vormund untergeben war, von dieſer Zeit an aber ſich ſelbſt über - laſſen, alſo allen Gefahren der Unerfahrenheit und des jugendlichen Leichtſinns ausgeſetzt blieb. Gegen dieſe Ge - fahren wurden nun im Laufe der Zeit mancherlei Schutz - mittel durch Rechtsinſtitute verſucht(a)Vergl. oben B. 3 § 111, und Savigny von dem Schutz der Minderjährigen, Zeitſchrift für geſchichtl. Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 232 297, beſonders S. 258 bis 261.. Zuerſt drohte die Lex Plätoria Strafen gegen Die, welche den Mündigen, der noch nicht fünf und zwanzig Jahre zurück gelegt hatte, unredlich übervortheilen würden, und führte dadurch den Begriff einer geſetzlich begränzten Zwiſchenzeit zwiſchen der Pubertät (14 und 12 Jahre) und 25 Jahren ein(b)legitima aetas, minores (XXV annis) und majores; Minderjährige, im Gegenſatz der Unmündigen (die allerdings auch Minderjährige ſind) und der Voll - jährigen.. 147§. 322. Einzelne Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit.Hieran anknüpfend verſprach ſpäter der Prätor den Minder - jährigen den viel durchgreifenderen Schutz durch Reſtitution gegen jede Verletzung, die ihnen durch ihr Alter zugezogen werden könnte; und dieſes Schutzmittel iſt es, welches nun - mehr genauer dargeſtellt werden ſoll(c)Die Zeit der Einführung dieſer Reſtitution iſt ungewiß; ſie kann aber ſehr alt ſeyn. S. oben § 320.. Noch ſpäter wurde für die Minderjährigen eine allgemeine Curatel zur Verwaltung ihres Vermögens eingeführt, ähnlich der Tutel der Unmündigen, dennoch in wichtigen Stücken davon ver - ſchieden.

Der Grundgedanke dieſer Reſtitution ging alſo dahin, die Mündigen unter 25 Jahren, die nach altem Rechts - grundſatz völlig freie Macht über ihr Vermögen hatten, gegen ſich ſelbſt in Schutz zu nehmen, indem die nachthei - ligen Folgen ihrer eigenen Handlungen und Unterlaſſungen durch Reſtitution beſeitigt werden ſollten(d)L. 1 pr. de min. (4. 4). .. quum inter omnes constet, fragile esse et infirmum hujus - modi aetatum consilium, et multis captionibus suppositum, multorum insidiis expositum, auxilium iis Praetor hoc edicto pollicitus est et adversus cap - tiones opitulationem. .

Allmälig aber ging man über jenen Grundgedanken weit hinaus, und geſtattete die Reſtitution der Minderjährigen auch in Fällen, worin das oben dargeſtellte Bedürfniß durch - aus nicht vorhanden war.

So wurde dieſe Reſtitution auch den Unmündigen ge - währt. Zwar für ihre eigenen nachtheiligen Handlungen be -10*148Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.durften Dieſelben niemals einer Reſtitution, indem ſolche Handlungen ſchon an ſich ſelbſt unwirkſam waren. Allein gegen die Nachtheile, die ſie durch die Handlungen oder Unterlaſſungen ihrer Vormünder erlitten, ſollten ſie Re - ſtitution erhalten(e)L. 29 pr. § 1, L. 38 pr., L. 47 pr. de min. (4. 4). L. 2. 3. 5 C. si tutor (2. 25). L. 4. 5 C. si adv. rem jud. (2. 29). Dieſe Reſtitution be - zieht ſich nun ſowohl auf die eigene Verwaltung des Vormundes, als auf die von demſelben ertheilte auctoritas. , obgleich auf dieſen Fall der Grund, welcher die Reſtitution der Minderjährigen veranlaßt hatte, ganz und gar nicht paßte. Auf gleiche Weiſe wurde auch den mündigen Minderjährigen, deren Vermögen unter die Verwaltung von Curatoren geſtellt war, Reſtitution gegen die Handlungen dieſer Curatoren ertheilt(f)Beides natürlich nur dann, wenn der Tutor oder Curator etwas verſehen hatte, nicht, wenn deſſen zweckmäßige Handlung zufälligen Nachtheil herbeiführte (§ 320 Note b). Vergl. Puchta Vor - leſungen S. 213..

In allen dieſen Fällen alſo war das urſprüngliche Be - dürfniß einer ſolchen Reſtitution weit überſchritten worden(g)Burchardi S. 260.; ja ſeit der allgemeinen Einführung einer Curatel für Min - derjährige war ein ſolches Bedürfniß überhaupt nur noch in ſehr beſchränktem Maße übrig geblieben.

Dieſes Letzte aber muß noch in höherem Grade behauptet werden von dem Standpunkte des heutigen gemeinen Rechts aus. Zuerſt deswegen, weil jetzt eine und dieſelbe Vor - mundſchaft vom früheſten Lebensalter an bis zum vollen - deten fünfundzwanzigſten Jahre fortdauert, mit gleichen149§. 322. Einzelne Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit.Befugniſſen, und ohne Unterſcheidung von Tutel und Curatel(h)Savigny Zeitſchrift B. 10 S. 296. 297.. Zweitens auch aus dem Grunde, weil nach dem heutigen Recht der weit ausgedehntere obrigkeitliche Einfluß auf die Vormundſchaft der Minderjährigen einen Schutz anderer Art gewährt(i)Dieſer Einfluß zeigt ſich ſowohl in den Beſtellung der Vor - münder, als in der fortgehenden Aufſicht auf die Verwaltung, vor - züglich nach dem beſonderen Recht einzelner Länder., wodurch der außerordent - liche Schutz der Reſtitution entbehrlich wird.

Bei unbefangener Erwägung dieſer Umſtände muß man ſich überzeugen, daß ein innerer Grund des Fortbeſtehens der Reſtitution der Minderjährigen nicht mehr vorhanden iſt. Für die Sicherheit derſelben muß vielmehr durch die Verbeſſerung des Vormundſchaftsrechts geſorgt werden, worin freilich noch viel zu leiſten übrig bleibt. Höchſtens könnte daran gedacht werden, die Fälle noch etwas zu er - weitern, in welchen ſchon das Römiſche Recht die Minder - jährigen ipso jure von ſolchen Nachtheilen frei erklärte, welche außerdem bei manchen Verſäumniſſen eintreten (§ 324); eine eigentliche Reſtitution aber iſt hier gewiß nicht mehr an ihrer Stelle.

§. 323. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſetzung.)

Für die Anwendung dieſer Reſtitution auf einzelne Rechtsverhältniſſe muß die allgemeine Bemerkung voraus150Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.geſchickt werden, daß hier ein noch freieres richterliches Er - meſſen, als bei den meiſten übrigen Reſtitutionsgründen, unentbehrlich iſt. Denn bei dieſen (wie bei Zwang, Betrug, Irrthum) geht ſchon aus ihrem Begriff die Mangelhaftig - keit des einzelnen Rechtsgeſchäfts hervor, gegen welches Reſtitution geſucht wird. Nicht ſo bei der Minderjährigkeit, die nur die allgemeine Möglichkeit mangelhafter Eigen - ſchaften eines Rechtsgeſchäfts begründet, während das wirkliche Daſeyn derſelben erſt aus der Prüfung jedes ein - zelnen Herganges erkannt werden kann (§ 320 Note c). Allerdings muß, wenn eine Reſtitution wegen Zwang oder wegen Minderjährigkeit geſucht wird, die Thatſache des Zwanges eben ſowohl bewieſen werden, als die Thatſache der Minderjährigkeit. Aus dem erwieſenen Zwang aber folgt dann die Mangelhaftigkeit des erzwungenen Geſchäfts von ſelbſt, anſtatt daß aus der erwieſenen Minderjährigkeit noch gar nicht folgt, daß das Geſchäft ein leichtſinniges, unüberlegtes, und deshalb mangelhaftes war, wenngleich es ſich hinterher als nachtheilig in ſeinen Folgen darge - ſtellt hat.

Die einzelnen Anwendungen aber auf Verhältniſſe des Sachenrechts, des Obligationenrechts u. ſ. w. ſchließen ſich ganz an die, ſchon oben (§ 319) zuſammen geſtellten, allge - meinen Regeln an, welche gerade bei der Minderjährigkeit vollſtändiger, als bei anderen Reſtitutionsgründen, vorkommen. Hier ſind alſo nur noch diejenigen Fälle und Verhältniſſe151§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)hervorzuheben, in welchen bei der Minderjährigkeit beſon - dere Beſtimmungen nöthig gefunden worden ſind.

1. Veranlaſſung zur Reſtitution kann unter Anderm der Empfang einer Zahlung werden, wenn der Empfänger das empfangene Geld verſchwendet oder verliert, z. B. durch Diebſtahl (§ 310 Note i). Gegen dieſe Gefahr wurden bei minderjährigen Gläubigern neben der Reſtitution mancher - lei Schutzmittel angewendet, namentlich Zahlung an einen Curator, worauf der Schuldner beſtehen konnte, oder auch Niederlegung des gezahlten Geldes in einem Tempel. Da - durch wurde die Gefahr des Verluſtes vermindert, alſo die Reſtitution meiſt factiſch ausgeſchloſſen; eine unbedingte Ausſchließung der Reſtitution lag darin nicht(a)L. 7 § 2 de min. (4. 4 ), L. 1 C. si adv. solut. (2. 33).. Juſtinian fügte als neues Schutzmittel die Vorſchrift hinzu, daß Kapitalzahlungen nur in Folge eines, dieſelben geſtattenden, richterlichen Erkenntniſſes geleiſtet werden ſollten; unter dieſer Vorausſetzung ſollten ſie recht ſicher vorgenommen werden können(b)L. 25 C. de admin. (5. 37 ), § 2 J. quibus alienare (2. 8).. Man hat dieſe Vorſchrift gewöhnlich als Aenderung des früheren Rechts, und als unbedingte Ausſchließung der Reſtitution aufgefaßt(c)Burchardi S. 248.; es iſt aber dazu kein Grund vorhanden. Vielmehr ſollte durch dieſe neue Form nur noch mehr Schutz gegen die Gefahr des Verluſtes verſchafft werden, wodurch dann das Bedürfniß der Reſtitution von ſelbſt wegfällt(d)Göſchen Vorleſungen I. S. 557. Eigentlich ſtimmt mit dieſer Anſicht auch Puchta überein,.

152Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

2. Beſonders erwähnt wird der Fall, wenn der Gläu - biger eines Minderjährigen Pfänder verkauft, die nicht der Minderjährige ſelbſt, ſondern deſſen Erblaſſer beſtellt hatte. Gegen dieſen Verkauf ſoll der Minderjährige höchſtens Klagen gegen den Verkäufer oder gegen die Vormünder haben können, wenn dazu die Umſtände geeignet ſind; eine Reſtitution gegen den Käufer ſoll er nicht erhalten, und er ſoll gegen dieſen überhaupt nur klagen können, wenn derſelbe an einem unredlichen Verkauf wiſſentlich Theil genommen hat(e)L. 2 C. si adv. vend. pign. (2. 37 ), L. 2 C. de praed. fisc. (5. 71).. Man hat dieſe Regel mit Unrecht ſo aufgefaßt, als ob darin eine poſitive Ausnahme von der Reſtitution der Minderjährigen enthalten wäre, und zugleich eine Aenderung des früheren Rechts(f)Burchardi S. 229. 249. 250.. Eine poſitive Ausnahme iſt es nicht, denn die Reſti - tution bezieht ſich nur auf Geſchäfte der Minderjährigen oder ihrer Vertreter; der erwähnte Verkauf aber iſt nicht ein Ge - ſchäft des Minderjährigen, ſondern des aus eigenem Rechte handelnden Gläubigers. Auch läßt ſich nicht behaupten, daß hierin früher ein anderes Recht gegolten haben ſollte(g)Man hat dafür folgende Stelle des Paulus I. 9 § 8 geltend machen wollen: Minor adversus distractiones eorum pignorum et fiduciarum, quas pater obliga - verat, si non ita, ut oportuit, a creditore distractae sunt, re - stitui in integrum potest. Allein es iſt durchaus nicht nöthig, dieſe Worte von einem materiell.

(d)Pandekten § 103 Note i und Vor - leſungen S. 213. Daß er in Ju - ſtinian’s Geſetz eine Modification des älteren Rechts annimmt, ſteht damit nicht im Widerſpruch, denn die in dieſem Geſetz vorgeſchriebene Form war allerdings eine neue und poſitive Maßregel zur Sicher - heit.

153§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

3. Eine beſondere Rückſicht verdient der Fall, wenn das minderjährige Alter zuſammentrifft mit einer perſönlichen Abhängigkeit des Minderjährigen von fremder Gewalt, wenn alſo die Frage entſteht von der Reſtitution gegen die Handlung eines minderjährigen Kindes in väterlicher Ge - walt, oder eines minderjährigen Sklaven.

Für den Fall der väterlichen Gewalt gilt die einfache und durchgreifende Regel, daß der Minderjährige ſelbſt gegen alle ihn treffende Nachtheile Reſtitution erhält, der Vater aber keinen Vortheil davon haben ſoll(h)L. 3 § 4, L. 23 de min. (4. 4).. Wenn alſo der Minderjährige Etwas zu erwerben verſäumt oder ausſchlägt, das nach allgemeinen Grundſätzen durch ihn in des Vaters Vermögen gekommen wäre, ſo iſt dagegen keine Reſtitution zuläſſig(i)L. 38 § 1 de min. (4. 4 ),. Anders, wenn derſelbe ein Legat oder eine Erbeinſetzung ausſchlägt, die ihm nach des Vaters Tod zufallen ſollten, oder ein rein perſönliches, nicht zum gewöhnlichen Vermögen gehörendes Recht, wie das Legat eines jus militiae(k)L. 3 § 7. 8 de min. (4. 4). Das jus militiae gehörte zu den anomaliſchen Rechten auf unmittel - bare Lebensverſorgung (S. o. B. 2 § 72).. Eben ſo, wenn er einen Erwerb unterläßt, der zum castrense peculium gehört haben würde, oder aus einem ſolchen Etwas veräußert. Wenn Dieſes nach dem Tode des Minderjährigen an den Vater zurück -(g)nachtheiligen, zu wohlfeilen Verkauf zu verſtehen. Das non ita, ut opor - tuit deutet vielmehr auf die ver - nachläſſigte Form des Pfandver - kaufs, und dabei hat das Recht der Anfechtung keinen Zweifel.154Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.fällt, ſo kann auch der Vater die Reſtitution erhalten, wozu der Sohn berechtigt geweſen wäre, gerade ſo, wie ein eigent - licher Erbe (welches hier der Vater allerdings nicht iſt) die Reſtitution ſeines minderjährigen Erblaſſers geltend machen kann(l)L. 3 § 9. 10 de min. (4. 4 ) Dieſe Stelle wird dadurch etwas undeutlich, daß zuerſt die beſon - dere Anwendung (aus Pompo - nius) vorgetragen wird, dann der allgemeine Grundſatz, wodurch jene Anwendung erſt Licht erhält. Cujacius in L. 6 de in int. rest., Opp. T. 1 p. 589. Durch die Verkennung dieſes ganz ſicheren logiſchen Zuſammenhangs läßt ſich Burchardi S. 240 verleiten, dem Vater an dem gewöhnlichen Pe - culium ein quaſi-erbſchaftliches Recht zuzuſchreiben, welches der Natur deſſelben völlig widerſpricht..

Wenn eine minderjährige Ehefrau in väterlicher Gewalt ſteht, ſo hat ſie die Ausſicht, daß bei der Trennung der Ehe die Dos an ſie zurückfällt; entweder indem alsdann die väterliche Gewalt ſchon aufgehört hat, oder indem ſie ihre Mitwirkung zur Dotalklage ſo lange verweigert, bis der Vater ſtirbt. Wenn ſie aber während der Ehe in eine Stipulation des Vaters auf Rückgabe der Dos an ihn einwilligt, ſo verwandelt ſich dadurch das Recht auf die Dos in eine gewöhnliche Vertragsforderung, wodurch jene Ausſicht der Frau zerſtört iſt. Daher liegt in der eben erwähnten Einwilligung eine eventuelle Veräußerung eigener Vermögensanſprüche, gegen welche Veräußerung die minder - jährige Frau reſtituirt werden kann(m)L. 3 § 5 de min. (4. 4)..

Wenn der in väterlicher Gewalt ſtehende Minderjährige eine Schuld contrahirt, ſo iſt dadurch ſtets er ſelbſt klagbar155§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)verpflichtet, ſowohl während der väterlichen Gewalt, als nach der Auflöſung derſelben(n)S. o. B. 2 S. 54.. Daneben aber kann auch der Vater verklagt werden; insbeſondere, wenn er Auftrag zur Uebernahme der Schuld gab, mit der actio quod jussu, wenn der Sohn ein Peculium hat, mit der actio de peculio(o)L. 1 quod cum eo (14. 5).. Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz nun kann der Minderjährige, wenn er aus jener Schuld ver - klagt wird, Reſtitution verlangen, der Vater kann gegen die actio quod jussu oder de peculio keine Reſtitution ver - langen(p)L. 3 § 4 de min. (4. 4). Nach der älteren Meinung des Gajus ſollte auch der Vater die Reſtitution haben, wegen ſeines Intereſſe an dem Peculium. L. 22 pr. eod. Vgl. Göſchen Vorle - ſungen I. S. 552. Auch deutet Ulpian in der zuerſt angeführten Stelle darauf hin, daß früher ab - weichende Meinungen über dieſe Frage beſtanden..

Im Allgemeinen nun werden dieſe Sätze als richtig anerkannt, nur wird davon gewöhnlich folgende Ausnahme behauptet. Wenn der minderjährige Sohn mit Bewilligung des Vaters ein Darlehn aufnimmt, ſo ſoll gegen die Klage auf dieſe Schuld auch ſelbſt der Sohn keinen Anſpruch auf Re - ſtitution haben. Allein dieſe Ausnahme kann nicht als richtig eingeräumt werden(q)Die Stellen, woraus man ſie herleitet, ſind L. 3 § 4 de min. (4. 4) und L. 2 C. de fil. fam. min. (2. 23). Die Unterſuchung dieſer Streitfrage findet ſich in der Beilage XVIII. am Ende dieſes Bandes..

Weit einfacher ſtellte ſich die zuletzt abgehandelte Frage bei einem minderjährigen Sklaven. Dieſer war aus ſeinen156Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Verträgen weder während des Sklavenſtandes, noch nach der Freilaſſung verpflichtet, hatte alſo dabei gar kein eigenes Intereſſe und kein Bedürfniß der Reſtitution. War aber der Herr aus ſolchen Verträgen verpflichtet, ſo hatte er eben ſo wenig Anſpruch auf Reſtitution, als der Vater gegen die Verträge des minderjährigen Sohnes(r)L. 3 § 11. L. 4 de min. (4. 4)..

Nur in Einem Fall konnte von der Reſtitution eines minderjährigen Sklaven die Rede ſeyn, und hier wurde ſie auch wirklich gegeben. Wenn demſelben die Freiheit als Fideicommiß angewieſen war, und er ſich wegen dieſes Fideicommiſſes in ein nachtheiliges Geſchäft einließ, ſo er - hielt er dagegen Reſtitution(s)L. 5. de min. (4. 4)..

§. 324. Reſtitution. Einzelne Gründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſetzung.)

In mehreren Fällen haben Minderjährige keinen An - ſpruch auf Reſtitution; dieſe Fälle aber ſind von verſchie - dener, ja entgegengeſetzter Natur.

Einige derſelben ſind ſo zu denken, daß die Minder - jährigen die Reſtitution wegen einer durchgreifenderen Rechts - hülfe nicht bedürfen, indem der Nachtheil, der bei einem Volljährigen allerdings eintreten würde, den Minderjährigen ipso jure gar nicht treffen ſoll. Dahin gehören folgende Fälle:

157§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

1. Die Verjährung einer dem Minderjährigen zuſtehen - den Klage, wenn dieſelbe eine kürzere Friſt, als dreißig Jahre, hat(a)L. 5 C. in quib. caus. (2. 41). Gegen die dreißigjährige Klagverjährung iſt jede Art von Reſtitution unzuläſſig. S. o. B. 3 S. 421. 425..

2. In der Regel entſteht die Mora nur durch Mahnung des Schuldners. Wenn alſo ein minderjähriger Gläubiger dieſe Mahnung unterläßt, ſo würde er gegen dieſe Verſäumniß reſtituirt werden können, er wird es aber nicht, weil ſein Schuldner ipso jure in Mora iſt(b)L. 3 C. in quib. caus. (2. 41)..

3. Die Veräußerung gewiſſer Arten von Grundſtücken, wenn ſie ohne obrigkeitliches Decret geſchieht, da dieſelbe nun an ſich nichtig iſt(c)L. 11 C. de praed. (5. 71 ), L. 2 C. de fid. min. (2. 24). Die Veräußerung mit einem ſolchen Decret unterliegt nach den - ſelben Stellen der gewöhnlichen Reſtitution..

Andere Fälle dagegen ſind ſo zu behandeln, daß dem Minderjährigen gegen eine erlittene Verletzung gar keine Rechtshülfe, alſo auch nicht die Reſtitution, gewährt werden ſoll, ſo daß er nun den Schaden unabwendlich zu tragen hat.

A. Minderjährige können mit zwanzig oder achtzehn Jahren, je nach der Verſchiedenheit des Geſchlechts, vom Souverän für volljährig erklärt werden(d)L. 2 C. de his qui. ven. (2. 45). Dieſes hat zunächſt und hauptſächlich die Folge, daß ſie frei von Vor - mundſchaft werden, und die eigene Verwaltung ihres Ver -158Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.mögens erlangen; deswegen gehört die genauere Darſtellung dieſes Rechtsinſtituts in die Lehre von der Vormundſchaft. Hier aber muß die beſondere Folge erwähnt werden, daß der Minderjährige für ſeine ſpäteren Handlungen keine Re - ſtitution erhalten ſoll(e)L. 1 C. eod. Das Verbot der Veräußerung ohne Decret (Note c) hört durch die venia aetatis nicht auf. L. 3 C. eod. . Dieſe Beſtimmung verſteht ſich nicht von ſelbſt, hat vielmehr eine poſitive Natur, indem ein ſolcher Minderjähriger auch wohl ſo behandelt werden könnte, wie wenn er vor der venia aetatis gemeinſchaftlich mit dem Curator gehandelt hätte, in welchem Fall er ja auch Reſtitution erhielt. Gegen die Ertheilung der venia aetatis aber kann Reſtitution verlangt werden, da das Geſuch derſelben allerdings noch in die Zeit der reinen, unmodifi - cirten Minderjährigkeit fällt(f)L. 1 C. eod. .

B. Wenn ein Rechtsgeſchäft durch Eid beſtärkt, der Eid aber ſeiner Form nach gültig iſt, ſo ſoll der Minder - jährige keine Reſtitution dagegen erhalten(g)S o. § 309 Note g. Zur gültigen Form des Eides gehört die Mündigkeit des ſchwö - renden Minderjährigen, ſo wie die Abweſenheit des Zwanges..

C. Der Minderjährige, der ſich unredlicherweiſe für volljährig ausgiebt, hat keinen Anſpruch auf Reſtitution gegen das auf dieſe Weiſe eingegangene Rechtsgeſchäft(h)L. 2. 3 C. si minor. (2. 43).. Dieſe Vorſchrift iſt eine Folge der oben aufgeſtellten allgemei - neren Regel, nach welcher die Minderjährigen überhaupt keine Reſtitution erhalten ſollen gegen irgend einen in Rechtsgeſchäften verübten Betrug (§ 321 Note h).

159§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

Der bloße Irrthum des Gegners über das Alter des Minderjährigen, ſelbſt wenn deſſen eigener Irrthum hinzu - tritt, iſt kein Hinderniß der Reſtitution(i)L. 1. 3. 4 C. si minor. (2. 43).. Hat aber der Minderjährige ſeine Volljährigkeit aus Irrthum eidlich be - ſtätigt, ſo iſt die Reſtitution unzuläſſig(k)Dieſes iſt jetzt eine Folge der unter B. angegebenen allge - meinen Ausnahme. Früher wurde ſo unterſchieden: der mündliche Eid über die Volljährigkeit ſollte die Reſtitution gänzlich ausſchließen, der ſchriftliche nur mit Vorbehalt eines durch Urkunden (nicht durch Zeugen) zu führenden Beweiſes der Minderjährigkeit. L. 3 C. si minor. (2. 43)..

D. Gegen die Klagverjährung von dreißig oder mehr Jahren wird auch dem Minderjährigen keine Reſtitution gegeben (Note a).

Ganz unrichtig wäre die Annahme, daß die Reſtitution der Minderjährigen ausgeſchloſſen werde durch die obrigkeit - liche Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts. Allerdings wird dadurch in den meiſten Fällen factiſch die Reſtitution aus - geſchloſſen ſeyn, weil es an einer, aus den Mängeln des jugendlichen Alters entſtandenen Verletzung fehlen wird(l)So iſt zu verſtehen L. 7 § 2 de min. (4. 4).. Allein grundſätzlich iſt die obrigkeitliche Beſtätigung kein Hinderniß der Reſtitution. Dafür beweiſt die zuläſſige Re - ſtitution gegen den Verkauf eines Grundſtücks mit obrig - keitlicher Genehmigung (Note c), eben ſo gegen die venia aetatis (Note f), und gegen den Empfang einer Zahlung in Folge eines richterlichen Erkenntniſſes (§ 323 Note d).

160Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung

Die Reſtitution der Minderjährigen iſt ſpäterhin auf folgende andere Fälle geſetzlich ausgedehnt worden.

Zuerſt haben die respublicae dieſes wichtige Recht er - halten(m)L. 4 C. quib. ex caus. (2. 54). Respublica minorum jure uti solet: ideoque auxi - lium restitutionis implorare potest. Vgl. L. 9 de appell. (49 1), L. 3 C de j. reip. (11. 29 ), L. 1 C. de off. ejus (1, 50). Burchardi S. 257., d. h. alle politiſche Corporationen, Stadtge - meinden jeder Art, und nach unſerer Verfaſſung gewiß auch alle Dorfgemeinden(n)Burchardi S. 261..

Dann iſt daſſelbe Recht auch den kirchlichen Corpora - tionen gegeben worden, den Kirchen und Klöſtern(o)Kirchen. C. 1. 3 X. de in int. rest. (1. 41). Klöſter. C. 6 eod., C. 11 X. de reb. eccl. (3. 13)..

Viele Schriftſteller behaupten nun aber noch viele andere, eben ſo wichtige als bedenkliche Ausdehnungen. Die Re - ſtitution der Minderjährigen ſoll nämlich auch geſtattet werden allen Corporationen überhaupt, namentlich der wichtigſten unter allen, dem Fiscus. Ferner den Wahn - ſinnigen, Verſchwendern und anderen bevormundeten Per - ſonen. Dieſe Meinung hat auch in der Praxis häufig Eingang gefunden(p)Glück B. 6 § 465, die daſelbſt und bei Burchardi S. 259. 263 angeführten Schriftſteller. Göſchen § 188 und Puchta § 103 u. erzählen blos die häufige Praxis, ohne ſich ſelbſt über die Sache auszuſprechen. Burchardi a. a. O. erklärt ſich entſchieden dagegen.. Dabei liegt die abſtracte Be - hauptung zum Grunde, daß die Reſtitution der Minder - jährigen allen Denen gebühre, deren Angelegenheiten von161§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)fremden Händen verwaltet werden. Erwägt man aber, daß die Reſtitution der Minderjährigen eingeführt war für deren eigene Handlungen, und daß ſchon die Ausdehnung auf die Handlungen ihrer Stellvertreter weder beſonders begründet, noch in ihren Folgen heilſam war (§. 322), ſo wird man um ſo mehr geneigt ſeyn müſſen, jede weitere Ausdehnung zu verwerfen. Die Ausdehnung auf die poli - tiſchen und kirchlichen Corporationen war eine beſondere Begünſtigung, ein Privilegium, deſſen Anwendung auf andere Fälle im Wege bloßer Abſtraction völlig unzuläſſig iſt. Die auf ſo irriger Theorie beruhende häufige Praxis iſt denn auch nicht dazu geeignet, den erwähnten Rechtsſatz zu begründen.

Die erwähnten Zuſtände der Corporationen, der Wahn - ſinnigen, der Verſchwender, haben mehr wahre Analogie mit dem Zuſtand der Abweſenden, als der Minderjährigen. Bei der Reſtitution der Abweſenden werden wir darauf zurück kommen(q)S. unten am Ende des § 328., und da dieſe überhaupt in weit engere Grenzen der Anwendung eingeſchloſſen iſt, ſo iſt auch die Ausdehnung derſelben weniger bedenklich.

§. 325. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit.

Die Hauptregeln, worauf dieſer, ſehr verſchiedenartige Fälle umfaſſende, Reſtitutionsgrund beruht, ſind folgende:

VII. 11162Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Wer während ſeiner Abweſenheit Etwas unterläßt, und dadurch einen Verluſt an Rechten erleidet, ſoll dagegen Reſtitution erhalten.

II. Wer wegen der Abweſenheit eines Andern Etwas unterläßt, und dadurch ſelbſt einen Verluſt an Rechten er - leidet, ſoll dagegen Reſtitution erhalten(a)Dieſelbe Zuſammenſtellung beider Hauptklaſſen von Fällen findet ſich in zwei Stellen des Ulpian: L. 1 pr. L. 21 pr. ex qu. c. (4. 6)..

Die hier genannten Fälle ſind aber erweitert worden durch die gleichartige Behandlung vieler anderen ähnlichen Zuſtände. Einige dieſer Zuſtände wurden ſchon vom Prätor im Edict unmittelbar namhaft gemacht. Andere wurden durch die Juriſten oder die Praxis der Gerichte hinzugefügt, fanden jedoch ihre Begründung ſchon in einer allgemeinen, auf ſolche Erweiterungen hindeutenden Clauſel deſſelben Edicts. Ich habe den Ausdruck: Abweſenheit als gemeinſame Bezeichnung aller dieſer Fälle gewählt, weil gerade der Fall der Abweſenheit im Edict vorangeſtellt iſt, und auch in der That den Grundbegriff bildet, an welchen ſich die übrigen Fälle nach dem Geſetz der Analogie an - ſchließen. Ganz eben ſo bezeichnen auch Ulpian und Paulus dieſen Fall der Reſtitution allgemein als absen - tia(b)L. 1 de in int. rest. (4. 1 ), Paulus I. 7 § 2.. Andere Stellen der Römiſchen Juriſten erwähnen dieſe ganze Art der Reſtitution nicht ſelten als restitutio163§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.majorum, und auch der Digeſtentitel, der davon handelt, führt die allgemeine Ueberſchrift: ex quibus causis majores XXV annis in integrum restituuntur. Hiernach möchte man glauben, es habe überhaupt außer der Reſtitution der Minderjährigen nur noch dieſe einzige Art der Reſtitution gegeben, da doch auch die Reſtitutionen wegen Zwang, Betrug und Irrthum ohne Rückſicht auf das Alter ertheilt wurden, und daher eben ſo, wie die der Abweſenden, als restitutiones majorum bezeichnet werden konnten. Es erklärt ſich dieſe Ausdrucksweiſe aus dem Umſtand, daß zur Zeit der alten Juriſten, aus deren Schriften die Digeſten größtentheils entſtanden ſind, die drei anderen eben genannten Fälle in der Lehre von der Reſtitution ſo ſehr im Hintergrund ſtanden (§ 320), daß man bei einer Ueberſicht dieſes In - ſtituts im Großen füglich die Minderjährigkeit und die Ab - weſenheit als die einzigen erheblichen Fälle der Anwendung in’s Auge faſſen durfte(c)Burchardi S. 148 erklärt dieſe Ausdrucksweiſe alter Juriſten gerade umgekehrt daraus, daß An - fangs und lange Zeit hindurch Abweſenheit und Minderjährigkeit die einzigen Reſtitutionsgründe ge - weſen ſeyn ſollen..

Dieſe Art der Reſtitution iſt, ihrer Natur nach, ſehr viel beſchränkter, als die der Minderjährigkeit, indem dieſe letzte auf ſchädliches Thun und Laſſen zugleich, und zwar vorzugsweiſe auf nachtheilige Rechtsgeſchäfte, gerichtet iſt, anſtatt daß jene allein auf ſchädliche Unterlaſſungen An - wendung findet.

11*164Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Das Edict über dieſe Reſtitution iſt uns ausführlich in den Digeſten aufbewahrt(d)L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6). Mehrere einzelne Stücke daraus werden nachher wiederholt und beſonders erklärt. Mit Unrecht behauptet Burchardi (ſ. o. § 320 Note l), wir hätten hier eine neuere, von der urſprüng - lichen völlig verſchiedene, Abfaſſung vor uns. Das Edict kann, ſo wie wir es jetzt leſen, ſehr alt ſeyn, ja aus der Zeit der Republik her - rühren, wenngleich vielleicht die in der letzten Zeile erwähnten decreta principum ſpäter einge - ſchaltet ſeyn mögen.. Das Verſtändniß deſſelben wird erſchwert durch manche fehlerhafte Leſeart, noch mehr aber durch die verſchlungene Conſtruction eines einzigen ſehr langen Satzes, welcher ſich in drei einzelne Sätze auflöſen läßt, die jedoch durch gemeinſame Schlußworte zuſammen gehalten werden. Der erſte dieſer drei Sätze enthält den Schutz der Abweſenden, der zweite den Schutz gegen die Abweſenden, der dritte die auf beide Fälle gemeinſchaftlich zu beziehende generalis clausula. Hinter den beiden erſten Sätzen ſtehen die für beide gemeinſchaftlich geltenden Worte: earum rerum actionem intra annum, quo primum de ea re experiundi potestas erit. Hinter dem dritten Satze endlich ſtehen die für alle geltenden Worte: in integrum restituam, wodurch zuerſt ein abgeſchloſſener Sinn der ganzen Stelle entſteht. Auf dieſe Worte endlich folgt noch eine Einſchränkung, die blos auf die generalis clausula zu beziehen iſt.

Nach dieſer Ueberſicht über die Anordnung der ganzen Stelle will ich die drei einzelnen Sätze derſelben angeben:

165§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.
  • 1. Si cujus quid de bonis deminutum erit
    (e)Die Worte deminutum erit fehlen in der Florentina, ſtehen aber in alten Ausgaben und Hſſ. (diminutum, diminutum est, oder erit) und ſind für den Sinn des Satzes ganz unentbehrlich. Sie bezeichnen den einen Fall des möglichen Verluſtes durch Ent - ziehung des Eigenthums, z. B. durch Uſucapion, im Gegenſatz des anderen Falles, der in den Schlußworten ſteht, nämlich des Verluſtes eines Klagerechts durch Verjährung.
    (e), cum is metu, aut sine dolo malo reipublicae causa abesset; inve vinculis, servitute
    (f)Dieſe beiden Fälle (vin - cula und servitus) gehen nicht auf Abweſenheit, wohl aber auf Zuſtände, die eben ſo, wie Ab - weſenheit, unfähig machen, den Schaden abzuwenden.
    (f), hostiumque potestate esset; sive cujus actionis eorum cui dies exisse dicetur
    (g)Hier müſſen nun die ſpä - teren, gemeinſamen Worte hinzu gedacht werden: earum rerum actionem etc. .. in integrum restituam.
    (g).
  • 2. Item si quis quid usu suum fecisse
    (h)Die Florentina lieſt hier fecisset; Halvander’s Leſeart fecisse empfiehlt ſich durch die Einfachheit der Conſtruction, in - dem dazu das unmittelbar vorher - gehende dicetur hinzu zu denken iſt, ſo wie zu dem nachfolgenden consecutus esse, und solutus (esse), ſo daß ein neuer Satz erſt anfängt mit den Worten: aut cum eum invitum, welcher ſchließt mit dem nachfolgenden esse dice - tur.
    (h), aut, quod non utendo sit amissum
    (i)Das Florentiniſche amisit iſt ganz unhaltbar, weil dadurch der Gewinnende und der Ver - lierende vermengt werden. Die Leſeart sit amissum (Hal. amis - sum sit) wird beſtätigt durch L. 21 pr. eod.
    (i) consecutus esse, actio - neve qua solutus ob id, quod dies ejus exierit, cum absens non defenderetur, inve vinculis esset, secumve agendi potestatem non faceret; aut cum eum invitum in jus vocare non liceret neque defenderetur, cumve166Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.magistratus de ea re appellatus esset, sive cui per magistratus
    (k)Das Florentiniſche pro magistratu iſt ohne Sinn. Halo - ander’s per magistratus wird beſtätigt durch L. 26 § 4 eod.
    (k) sine dolo ipsius actio exemta esse dicetur
    (l)Dieſe Worte regieren den vorhergehenden Theil der Stelle von den Worten aut cum eum an (Note h).
    (l); earum rerum actionem intra annum, quo primum de ea re experiundi potestas erit;
  • 3. Item si qua alia mihi justa causa esse videbitur, in integrum restituam
    (m)Die Worte: in integrum restituam umfaſſen die ganze vor - hergehende Stelle in ihren drei Theilen. Dieſer wörtliche Zu - ſammenhang wird verkannt von Schröter S. 100. 109, deſſen Erklärung nur möglich wäre, wenn hinter den vorhergehenden Worten experiundi potestas erit ein dabo ſtände, das aber nicht daſteht.
    (m); quod ejus per leges, plebis scita, Senatusconsulta, Edicta, Decreta principum licebit
    (n)Dieſe Einſchränkung geht wohl blos auf die unbeſtimmte, und daher ſehr umfaſſende clau - sula, mit welcher ſie wörtlich allein in Verbindung ſteht. Der Inhalt verſteht ſich von ſelbſt, und iſt auch wahr für die vorhergehen - den Sätze.
    (n).

Bei der Erklärung des Einzelnen werde ich zuerſt die ſehr verſchiedenen Fälle des Reſtitutionsgrundes angeben, dann die Arten der Verletzung, die hier abgewendet werden ſollen. Unter den Fällen des Reſtitutionsgrundes aber iſt es nöthig, die Ordnung umzukehren, und zuerſt von der generalis clausula, dann von den zwei voranſtehenden, be - ſonders angegebenen Fällen zu reden.

Die generalis clausula(o)Der Name generalis clau - sula, oder auch blos clausula, ſteht in L. 26 § 1. 9. L. 33 pr. ex qu. c. (4. 6). hat in den oben angegebenen167§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.Worten des Edicts einen ſo allgemeinen Ausdruck erhalten, daß dadurch viele neuere Schriftſteller verleitet worden ſind, in dieſelbe den allgemeinen, völlig ſchrankenloſen Vorbehalt zu legen, der Prätor wolle überall reſtituiren, wo es ihm überhaupt gut dünke. Dieſe Auslegung hat in der neueren Praxis zu einer ſehr verderblichen Willkür geführt. Sie muß aber durchaus verworfen werden, indem jene Worte nach ihrer wörtlichen Verbindung keinen anderen Sinn zu - laſſen, als daß der Prätor, außer in den ausdrücklich ge - nannten Fällen der Abweſenheit u. ſ. w., auch in anderen Fällen reſtituiren wolle, wenn er dieſelben verwandt, gleich - artig fände. Es war alſo blos der Vorbehalt einer Er - weiterung der vorſtehenden Caſuiſtik nach dem Geſetz einer wahren, ächten Analogie. Gerade ſo haben auch ſchon die alten Juriſten in ihren Commentaren zum Edict jene Stelle aufgefaßt(p)Vgl. die in der vorhergehenden Note angeführten Stellen..

Verſuchen wir nun, aus den ſehr zahlreichen einzelnen Anwendungen, in welchen uns dieſer Reſtitutionsgrund vor - geführt wird, welchen wir blos der Kürze wegen mit dem Ausdruck Abweſenheit bezeichnen, auf dem Wege beſon - nener Abſtraction einen allgemeinen Begriff deſſelben zu bilden. Wir werden dieſen Begriff dahin zu beſtimmen haben, daß dieſe Reſtitution überall ertheilt werde, wo ſich der Verluſt eines Rechts dadurch ereignet, daß der Berech - tigte durch ein äußeres Hinderniß abgehalten wird, die168Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Handlungen vorzunehmen, wodurch er den Verluſt verhütet haben würde(q)So iſt der Begriff bereits richtig beſtimmt worden von fol - genden Schriftſtellern. Burchardi S. 152. 183. 191, Franke Bei - träge S. 73, Göſchen Vor - leſungen I. § 193.. Die Abweſenheit des Berechtigten ſelbſt, ſo wie die Abweſenheit des Gegners, an welchen der Be - rechtigte das Recht verliert, ſind Hauptfälle, worin ein ſolches äußeres Hinderniß enthalten ſeyn kann; ganz auf gleicher Linie ſtehen viele andere Fälle, die mit der Ab - weſenheit mehr oder weniger Aehnlichkeit haben.

Nachdem hierdurch der allgemeine Begriff dieſes ganzen Reſtitutionsgrundes feſtgeſtellt worden iſt, ſind zunächſt die einzelnen Fälle der Anwendung beſonders zu betrachten. Dieſe laſſen ſich, nach der eben beendigten Erörterung über die generalis clausula, auf zwei Klaſſen zurück führen:

  • Schutz der Abweſenden gegen andere Perſonen.
  • Schutz anderer Perſonen gegen die Ab - weſenden.

Jeder dieſer Klaſſen werden zugleich diejenigen Fälle der generalis clausula zuzutheilen ſeyn, die bei den Römiſchen Juriſten überhaupt zur Sprache gebracht worden ſind.

169§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

§. 326. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit. (Fortſetzung.)

  • Schutz der Abweſenden gegen andere Perſonen.

Zuerſt ſind die im Edict genannten einzelnen Fälle zu - ſammen zu ſtellen; dieſen werden die aus der generalis clausula entnommenen Fälle anzureihen ſeyn.

I. Metu absentes(a)L. 1 § 1. L. 2 § 1. L. 3 ex q. c. (4. 6)..

Damit ſind Diejenigen gemeint, die ſich von ihrem Wohnorte entfernt haben aus Furcht vor einem ernſten, wichtigen Uebel, und zwar aus einer wohlbegründeten Furcht. Die näheren Beſtimmungen dieſes Falles ſind ohne Be - denken zu entnehmen aus den, für die actio quod metus causa genauer entwickelten Regeln.

II. Reipublicae causa sine dolo malo absentes(b)L. 1 § 1 cit. .

Dieſes wird als der Hauptfall der ganzen Klaſſe gedacht, und mag wohl den erſten Anlaß zur Aufſtellung dieſes ganzen Edicts gegeben haben.

Unter respublica wird in den meiſten anderen Rechts - regeln eine Stadtgemeinde verſtanden, oft gerade im Gegen - ſatz des Römiſchen Staats. Hier heißt es aber ganz be - ſtimmt der Römiſche Staat, und zwar der Staat in ſeinem alten, reinen Begriff, ſo daß einestheils die Stadt -170Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gemeinden(c)L. 26 §. 9 eod. , anderntheils die der neuen kaiſerlichen Ge - walt eigenthümlichen Stücke öffentlicher Thätigkeit(d)So der fisci patronus. L. 33 pr. eod. Eben ſo die verſchiedenen Arten der procura - tores Caesaris. L. 35 §. 2 eod. , eigentlich nicht unter jenem Ausdruck begriffen waren, wohl aber allerdings als natürliche und billige Erweiterungen, in Folge der generalis clausula, in dieſe Reſtitution mit aufgenommen wurden.

Hauptſächlich waren hier gemeint die im Dienſt befind - lichen Soldaten(e)L. 45 eod. ; eben ſo aber auch Civilbeamten aller Art(f)Nähere Beſtimmungen der dahin zu rechnenden Perſonen finden ſich in folgenden Stellen: L. 33. § 1. 2, L. 34 §. 1, L. 35 pr. § 3 6, L. 38 pr. eod. , vorausgeſetzt, daß dieſe nicht gerade in Rom ſelbſt ihr Amt zu führen hatten, welches ihnen nicht als Ab - weſenheit angerechnet werden ſollte(g)L. 5 §. 1. L. 6 eod. Die zur Garniſon der Stadt Rom gehörenden Soldaten ſollten da - gegen den Vortheil der Abweſen - den allerdings genießen. L. 7 eod. .

Der Prätor hatte ausdrücklich ausgeſchloſſen Diejenigen, die dolo malo im Staatsdienſt abweſend wären, d. h. die dieſen Grund blos als Vorwand brauchten, während ſie in der That dadurch nicht abgehalten waren, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen(h)L. 1 § 1, L. 4, L. 5 pr. L. 36. eod. . Die alten Juriſten aber ſuchten außerdem genau zu beſtimmen, mit welchen Zeit - punkten die Abweſenheit anfinge und aufhörte, die den171§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)Beamten und Soldaten Anſpruch auf Reſtitution zu geben geeignet wäre(i)L. 32, L. 34 pr., L. 35 § 7. 8. 9, L. 37, L. 38 § 1 eod. .

III. Qui in vinculis sunt(k)L. 1 § 1, L. 9. 10 eod. .

Es ſind damit alle ihrer Freiheit Beraubte gemeint, ohne Unterſchied, ob ſie gefeſſelt oder blos eingeſperrt ſind, ob ſie vom Staat, von einer Stadtbehörde, von mächtigen Privatperſonen, oder von Räubern gefangen gehalten werden. Dieſe Alle bedurften einer beſonderen Erwähnung, weil ſie gerade an ihrem Wohnorte gefangen ſeyn können, in welchem ſie, ohne abweſend zu ſeyn, gerade ſo, wie Ab - weſende, außer Stand ſeyn können, für die Wahrnehmung ihrer Rechte ſelbſt zu ſorgen.

IV. Qui in servitute sunt(l)L. 1 § 1, L. 11. 12. 13 eod. .

Dahin gehören diejenigen freien Menſchen, die that - ſächlich im Zuſtand von Sklaven leben, ſey es, daß dieſer Zuſtand auf bloßer ungerechter Willkür, oder auf einem Irrthum über ihre Freiheit beruht. Auch Dieſe bedurften aus demſelben Grund, wie die vorher erwähnten, einer beſondern Erwähnung.

V. Qui in hostium potestate sunt(m)L. 14, L. 15 pr. § 1 eod. .

Dabei iſt nicht gerade an kriegsgefangene Soldaten zu denken, weil dieſe vor der Gefangenſchaft im Heere dienten, alſo ſchon vorher als reipublicae causa absentes unmittelbar unter dem Ausdruck des Edicts enthalten waren. Vielmehr172Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.bezieht ſich das hauptſächliche Bedürfniß dieſer beſondern Erwähnung auf Civilperſonen, die bei einem feindlichen Einfall in das Römiſche Gebiet von den Feinden in Ge - fangenſchaft abgeführt wurden.

Neben dieſen, im Edict genannten Fällen werden nun noch folgende Fälle von den Römiſchen Juriſten, in An - wendung der generalis clausula (einige mit namentlicher Erwähnung derſelben), anerkannt.

1. Die Ehefrauen der Soldaten, die mit ihren Männern die Abweſenheit theilen(n)L. 1. 2 C. de ux. mil. (2. 52).. Man muß Dieſes eben ſo ausdehnen auf die übrigen Familienglieder, ſo wie auf die Familien der dem Civilſtand angehörenden Staatsdiener.

2. Die von Stadtgemeinden an den Kaiſer oder zur Beſorgung von Stadtgeſchäften abgeordneten Perſonen (legati civitatum)(o)L. 8, L. 26 § 9, L. 35 § 1 L. 42 ex qu. c. (4. 6 ), L. 1 C. eod. (2. 54)..

3. Die Procuratoren des Kaiſers und die fiscaliſchen Anwälte (Note d).

4. Die, welche ihren Wohnort zum Zweck wiſſenſchaft - licher Ausbildung (studiorum causa) verlaſſen(p)L. 28 pr. eod. .

5. Wer durch Vertrag verſprochen, und durch Bürgen verſichert hat, einen beſtimmten Ort außerhalb ſeines Wohn - ſitzes nicht zu verlaſſen(q)L. 28 § 1 eod. .

173§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

6. Wer zur Strafe an einen fremden Ort verbannt iſt(r)Dieſes konnten relegati ſeyn (die ihr Vermögen behalten), oder deportati (die es in der Regel verlieren). L. 26 § 1, L. 40 § 1 eod. Von den erſten wird geſagt, daß ſie nur ex causa die Reſtitution erhalten; von den zweiten, daß ſie dieſelbe nur er - halten, wenn ihnen ausnahms - weiſe ihr Vermögen nicht entzogen iſt, und nur nach erhaltener Be - gnadigung..

7. Ungeborne Kinder(s)L. 45 pr. eod. , welche allerdings in der Lage einer beſonderen Schutzbedürftigkeit ſeyn können, indem ihnen eine Erbſchaft bereits angefallen ſeyn kann, während ſie noch keinen Tutor haben.

8. Der Inhaber einer Servitut, der ſie durch Nicht - gebrauch verliert, weil eine Quelle zeitweiſe ausgetrocknet, oder ein Weg durch Ueberſchwemmung zeitweiſe unbrauch - bar geworden iſt; eben ſo, wenn dadurch der poſſeſſoriſche Schutz einer ſolchen Servitut verloren geht(t)L. 34 § 1, L. 35 de serv. pr. rust. (8. 3 ), L. 14 pr. quem - adm, serv. (8. 6 ), L. 1 § 9 de itin. (43. 19)..

9. Wenn der Teſtamentserbe ein erbſchaftliches Recht dadurch verliert, daß er aus Gehorſam gegen das Sc. Sila - nianum das Teſtament eine Zeit lang uneröffnet läßt(u)L. 3 § 30. 31 de Sc. Silan. (29. 5)..

§ 327. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit. (Fortſetzung.)

Bei der hier abgehandelten Klaſſe von Reſtitutions - fällen kommen zwei Streitfragen vor, die eine beſondere Erörterung nöthig machen.

174Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die erſte dieſer Streitfragen betrifft lediglich die Fälle der eigentlichen Abweſenheit. Wenn man auf die Urſache derſelben zurückgeht, ſo finden ſich dabei zwei Gegenſätze. Die Abweſenheit kann nothwendig oder willkürlich, ſie kann löblich oder unlöblich ſeyn, wobei allerdings auch noch das Gleichgültige, als in der Mitte liegend, in Betracht kommt.

Bei dem Hauptfall nun, der dem ganzen Inſtitut zum Grunde liegt, der Abweſenheit im Staatsdienſt, ſind wir über die Anwendung jener Gegenſätze nicht zweifelhaft; hier findet ſich Nothwendigkeit und Löblichkeit vereinigt. Dieſes könnte leicht auf den Gedanken führen, daß nur unter dieſer Vorausſetzung auch andere Fälle auf Reſtitution Anſpruch haben könnten. Eine ſcheinbare Unterſtützung findet ſich in manchen Aeußerungen der alten Juriſten, die bald auf die Nothwendigkeit(a)L. 26 § 9 ex q. c. (4. 6). Et generaliter, quotiescunque quis ex necessitate, non ex voluntate abfuit, dici oportet, ei subveniendum. , bald auf die Löblichkeit(b)L. 28 pr. eod. Nec non et si quis de causa probabili abfuerit puta studiorum causa ne decipiatur per justissimam absentiae causam. , einen beſondern Werth legen. Nun ſoll aber doch eine Reſtitution gelten für die zur Strafe Verbannten (§ 326 Note r), deren Abweſenheit durch ein Verbrechen, alſo durch eine höchſt unlöbliche Urſache, veranlaßt iſt.

Dieſer letzte Umſtand könnte dann etwa zu der Aus - kunft führen, daß für die nothwendige Abweſenheit unbe - dingt, für die willkürliche nur, wenn ſie zugleich löblich175§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)wäre, Reſtitution zu geben ſeyn möchte. Allein auch in dieſem Verſuch iſt keine wahre Befriedigung zu finden. Denn wo iſt die Gränze des Löblichen? Der beſondere Glanz, der auf der Reiſe zur wiſſenſchaftlichen Ausbildung liegt (Note b), verſchwindet ſchon bei gewerblichen Reiſen, denen doch auch der Anſpruch auf Reſtitution nicht verſagt wird(c)L. 57 mandati (17. 1)., und ſelbſt bei einer bloßen Luſtreiſe können zu - gleich Bildungszwecke verfolgt werden. Dann müßte man alſo neben den löblichen Urſachen mindeſtens auch die gleich - gültigen zulaſſen, und dann wäre durch die ganze Unter - ſcheidung Nichts gewonnen, als die Ausſchließung der will - kürlichen Abweſenheit aus entſchieden unlöblichen Urſachen, z. B. wenn Jemand große Reiſen unternähme, um zu ſtehlen, zu betrügen, oder als gewerbmäßiger Spieler. Die Fälle nun, worin ſolche Beweggründe bewieſen werden können, ſind allerdings denkbar, werden aber ſo ſelten vorkommen, daß die ganze Unterſcheidung in dieſer Begränzung völlig ohne praktiſchen Werth ſeyn würde.

Wenn wir dieſe Umſtände unbefangen erwägen, ſo werden wir geneigt ſeyn, die Rückſicht auf jene Gegenſätze in den denkbaren Urſachen der Abweſenheit völlig aufzu - geben. Die angeführten Stellen der alten Juriſten (Note a. b) ſtehen dann in Verbindung mit der willkürlichen Natur dieſes ganzen Rechtsinſtituts. Sie wollen alſo nur ſagen, der Prätor werde den Abweſenden aus der generalis clau -176Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.sula die Reſtitution um ſo leichter zu ertheilen geneigt ſeyn, je nothwendiger oder je löblicher ihm die Abweſenheit im einzelnen Fall gerade erſcheine.

Die zweite Streitfrage geht noch über die Fälle der eigentlichen Abweſenheit hinaus. Dieſe ganze Art der Re - ſtitution ſoll ſolche Perſonen ſchützen, die außer Stand waren, ihre Rechte durch eigene Handlungen zu erhalten. Dabei entſteht aber ſogleich die Frage, ob ſie denn nicht dieſe Erhaltung durch fremde Handlungen, durch Stell - vertreter, bewirken konnten, in welchem Fall ein künſtlicher Schutz durch Reſtitution gar nicht nöthig geweſen wäre. Ueber dieſe Frage ſind die Meinungen neuerer Schriftſteller ſehr getheilt, und ſie verdienen derhalb keinen Vorwurf, weil auch die Aeußerungen unſrer Rechtsquellen hierüber in hohem Grade ſchwankend erſcheinen.

Ich will zuerſt die Streitfrage in etwas engere Gränzen einzuſchließen ſuchen. Unſere Rechtsquellen unterſcheiden den defensus (oder qui habet procuratorem) von dem in - defensus (qui procuratorem non habet). Unter dem de - fensus nun iſt gewiß nicht blos Der zu verſtehen, welchen der beſtellte Procurator wirklich, und zwar gut und zweck - mäßig, vertheidigt, ſondern Jeder, der durch denſelben ver - treten werden kann(d)L. 39 ex qu. c. (4. 6). si procuratorem reliquerit, per quem defendi potuit. ; was der Procurator vernachläſſigt,177§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)iſt mit dieſem abzumachen, gewöhnlich durch die mandati actio. Ferner muß, in der Beurtheilung, mit dem defensus auf gleiche Linie geſtellt werden Der, welcher einen Pro - curator beſtellen konnte, und Dieſes aus Nachläſſigkeit ver - ſäumt hat(e)L. 26 § 1 eod. quia potuit procuratorem consti - tuere. L. 20 pr. de min. (4. 4) non deberi prorogari tempus .. quia abfuit, quum potuit adire Praetorem per procura - torem. ; denn bei dieſem liegt die Urſache des Ver - luſtes nicht mehr in der Abweſenheit als ſolcher, ſondern in der erwähnten Nachläſſigkeit, dann aber fehlt eine Haupt - bedingung jeder Reſtitution (§ 320 Note d).

Nach dieſen näheren Beſtimmungen hätten wir alſo zwei Klaſſen von verletzten Perſonen zu unterſcheiden: In - defensi, die ohne ihre Schuld keinen Procurator haben(f)So z. B. wenn der von ihnen beſtellte Procurator während ihrer Abweſenheit verſtorben iſt. L. 28 pr. ex. qu. c. (4. 6 ) .. forte procuratore suo de - functo. L. 57 mandati (17. 1)., und Defensi, die einen Procurator haben, oder durch eigene Schuld entbehren. Bei den Perſonen der erſten Klaſſe iſt es unzweifelhaft, daß ſie vollen Anſpruch auf Reſtitution haben. Aller Zweifel betrifft alſo die zweite Klaſſe, die Defensi.

Für die Defensi nun wird einmal die allgemeine Regel aufgeſtellt, daß ſie keine Reſtitution erhalten ſollen(g)L. 39 ex. qu. c. (4. 6), und zwar gerade von reip. causa absentes. Manche haben dieſe Stelle gezwungenerweiſe ſo aus - gelegt, als ob ſie nicht von dem Schutz der Abweſenden, ſondern von dem gegen die Abweſenden, redete. Mit Recht verwirft dieſe Erklärung Burchardi S. 170.. VII. 12178Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Dagegen wird einmal von dem Abgeordneten einer Stadtge - meinde ausdrücklich geſagt, nach vielen Kaiſerconſtitutionen müßte derſelbe reſtituirt werden, ohne Unterſchied, ob er einen Procurator beſtellt hatte oder nicht(h)L. 26 § 9 eod. . Ganz irrig hat man Das für ein beſonderes Privilegium ſolcher Abgeord - neten ausgeben wollen(i)Cujacius obs. XIX. 14.. Ein beſſeres Recht als Staats - diener konnten ſie gewiß nicht in Anſpruch nehmen, auch werden ſie anderwärts mit den Staatsdienern ausdrücklich auf gleiche Linie geſtellt(k)L. 1 C. quib. ex causis (2. 54).. Außerdem wird aber eine ähnliche mildere Regel angewendet auch auf die Kriegs - gefangenen, ſelbſt wenn deren Vermögen wirklich durch be - ſtellte Curatoren geſchützt wird(l)L. 15 pr. ex qu. c. (4. 6).; ferner auf Verbannte, die zwar eigentlich Procuratoren beſtellen ſollen, aber auch, wenn ſie Dieſes unterlaſſen haben, ex causa Reſtitution erhalten(m)L. 26 § 1 eod. Vgl. oben §. 326 Note r. .

Faſſen wir dieſe einzelnen Aeußerungen zuſammen, ſo finden wir darin ein ähnliches Schwanken, wie bei der erſten Streitfrage, jedoch zugleich ein entſchiedenes Hin - neigen zu einer fortſchreitend milderen Behandlung.

Nur für Einen Fall möglicher Verletzung, der allerdings eine eigenthümliche Natur hat, iſt eine etwas beſtimmtere Regel wahrzunehmen. Wenn nämlich die Verletzung nicht in einem reinen Verluſt durch Verſäumniß beſteht, wie bei179§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)der verſäumten Unterbrechung einer Uſucapion oder Klag - verjährung, ſondern in einem nachtheiligen rechtskräftigen Urtheil, ſo ſind folgende Vorſchriften zu beobachten. Der Indefensus bekommt auch in dieſem Fall unbedingt Reſti - tution(n)L. 1 C. quib. ex caus. (2. 54 ), L. 4 C. de proc. (2. 13)., und Dieſes hat um ſo weniger Bedenken, als ein ſolches Urtheil ja immer die Natur eines bloßen Con - tumacialurtheils hat. Der Defensus dagegen wird für dieſen Fall ausdrücklich unterſchieden von dem Minderjäh - rigen, welcher gerade in dieſem Fall ſtets reſtituirt wird, er mag vertreten geweſen ſeyn oder nicht (§ 319 Note s). Der abweſende Defensus dagegen ſoll gegen den Inhalt des Urtheils nicht reſtituirt werden; nur wenn zugleich die Einlegung der Appellation verſäumt worden iſt, wird gegen dieſe Verſäumniß reſtituirt(o)L. 8 de in int. rest. (4. 1). Wäre es geſtattet, die in der Note g angeführte Stelle des Paulus auf den Fall eines rechtskräftigen Urtheils zu beſchränken (wovon jedoch die Stelle ſelbſt keine Spur enthält), ſo würde der oben dar - geſtellte Widerſpruch der Stellen verſchwinden; und dieſe ganze Streitfrage erhielte eine einfachere Geſtalt. In der L. 8 cit. muß übrigens anſtatt rempublicam geleſen werden: rem judicatam. Burchardi S. 446.. Die Eigenthümlichkeit dieſes Falles nun liegt eben darin, daß die Reſtitution gegen den Inhalt eines Urtheils nicht auf einer reinen Verſäumniß beruht, ſondern auf der bloßen Möglichkeit einer mangel - haften Prozeßführung; anders bei der verſäumten Appel - lationsfriſt, die daher auch ganz anders behandelt wer - den ſoll.

12*180Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die neueren Schriftſteller haben die für die zweite Streit - frage dargeſtellten Schwierigkeiten in der Erklärung der Rechtsquellen durch mancherlei Unterſcheidungen zu heben verſucht, welche ich nicht als befriedigend anerkennen kann. Dahin gehört die Unterſcheidung zwiſchen löblicher und unlöblicher Abweſenheit, deren Unhaltbarkeit ſchon oben nachgewieſen worden iſt; ferner zwiſchen der Zahlungsfähig - keit und Unfähigkeit des Procurators, wovon aber in den Quellen ſelbſt keine Spur zu finden iſt; endlich zwiſchen dem ſtrengen älteren und dem milden neueren Recht, welche Unterſcheidung der Wahrheit vielleicht am nächſten kommen möchte(p)Glück B. 6 S. 33. 34. Schulting notae ad Digesta T. 1 p. 578. Burchardi S. 166 bis 175..

Auch die Behandlung der zweiten Streitfrage ſteht, ſo wie die der erſten, in Verbindung mit der ſchon oben be - merkten Willkürlichkeit des ganzen Rechtsinſtituts.

§. 328. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit. (Fortſetzung.)

  • Schutz anderer Perſonen gegen die Abweſenden.

Das Edict ſelbſt (§ 325) erwähnt, als zu dieſer Klaſſe gehörend, folgende Fälle.

I. Qui absens non defenditur(a)L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6).. Da in der erſten Klaſſe verſchiedene Fälle und Gründe der Abweſenheit auf -181§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)gezählt werden (metu, reipublicae causa absentes), ſo kann es auffallen, daß Dieſes hier nicht geſchieht, ſondern viel - mehr alle Abweſende überhaupt durch die Allgemeinheit des Ausdrucks bezeichnet werden. Dieſe Faſſung des Edicts war aber abſichtlich, indem jede Art der Abweſenheit für andere, anweſende, Perſonen gleich gefährlich werden kann, und daher gleichen Schutz durch Reſtitution nöthig macht(b)L. 21 § 1 eod. Es waren darunter alſo allerdings auch Soldaten begriffeu, aber nicht minder unmittelbar, und ohne künſtliche Ausdehnung, auch deren Erben, wenn dieſe die von dem Erblaſſer angefangene Uſucapion vollendeten, und ſelbſt gleichfalls abweſend waren. L. 30 pr. eod. .

II. Qui in vinculis est neque defenditur(c)L. 1 § 1. L. 23 pr. eod. .

III. Qui secum agendi potestatem non facit neque defenditur. Darunter ſind Die zu verſtehen, welche ſich in der Heimath verſteckt halten, um der Klage zu entgehen, ferner, welche die Klage verzögern durch böswillige Hinder - niſſe, die ſie dem Anfang des Rechtsſtreits entgegenſtellen, oder auch ohne böſen Willen, weil ſie durch viele andere Geſchäfte abgehalten werden, ſich darauf einzulaſſen(d)L. 1 § 1. L. 23 § 4. L. 24. 25 eod. Es wird dabei be - merkt, daß es gegen die latitantes auch noch andere Zwangsmittel gebe, namentlich die missio in bona. .

IV. Qui, cum eum invitum in jus vocare non licet, non defenditur. Darunter ſind gemeint die höheren Obrig - keiten, die wider ihren Willen gar nicht vor Gericht gezogen werden durften. Nicht ſind gemeint die Eltern und Patrone des Berechtigten, welche allerdings verklagt werden konnten,182Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jedoch nur nach eingeholter Erlaubniß des Prätors; hierin lag nur eine die Ehrfurcht wahrende Förmlichkeit, kein Hinderniß der Klage(e)L. 1 § 1, L. 26 § 2 eod. .

V. Cum de ea re magistratus appellatus sit(f)L. 1 § 1 eod. . Wenn der Beklagte die Klage dadurch verhinderte, daß er eine gleiche oder höhere Obrigkeit, oder auch einen Volks - tribunen, bewog, durch ſeinen Einſpruch den Fortgang des Rechtsſtreits zu hindern, ſo konnte durch dieſe Verzögerung die Uſucapion oder die Klagverjährung vollendet werden, und dem Berechtigten ſein Recht entziehen(g)S. o. B. 6 S. 489.. Dagegen ſollte dieſe Reſtitution Schutz gewähren.

VI. Cum per magistratus actio exemta sit. Dahin gehören die Fälle, in welchen durch den böſen Willen oder die Nachläſſigkeit der Obrigkeit oder des von derſelben be - ſtellten Juder, oder durch Gerichtsferien u. ſ. w. eine Klage ſo verzögert wird, daß ſie verloren geht. Es wird aber dabei ausdrücklich bemerkt, daß nicht der Kläger ſelbſt zu der Verzögerung mitgewirkt haben dürfe, etwa in der Ab - ſicht, mit die Sache von dem Nachfolger der gegenwärtigen Obrigkeit entſchieden werden möge(h)L. 1 § 1, L. 26 pr. § 4 bis 7 eod. .

Bei den vier erſten unter den hier aufgezählten Fällen wird ausdrücklich bemerkt, die Reſtitution gelte nur unter der Vorausſetzung, daß der Abweſende u. ſ. w. indefensus183§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)geweſen ſey(i)Ulpian bemerkt in L. 26 § 3 eod. mit beſonderer Sorgfalt, in dem Edict bezögen ſich die Worte: non defenderetur auf den erſten Fall, dagegen die ſpäteren Worte: neque defenderetur auf die drei nachfolgenden Fälle gemein - ſchaftlich.. Dieſes erinnert an eine ähnliche Beſtim - mung bei der erſten Klaſſe (§ 327 Note d. e. f) und könnte die Beſorgniß erregen, daß ſich hier an dieſe Vorausſetzung ähnliche Zweifel und Schwierigkeiten anknüpfen möchten, wie ſie oben erörtert worden ſind. Doch iſt dieſes nicht der Fall, da die Sache hier eine andere Bedeutung hat. Die Reſtitution, von welcher gegenwärtig die Rede iſt, ſetzt voraus einen Berechtigten, welcher ſein Recht durch Klagen erhalten könnte, daran aber durch die augenblickliche Un - zugänglichkeit eines Gegners verhindert wird. Die Gründe dieſer Unzugänglichkeit ſind dabei ganz gleichgültig; je ſchlechter, je willkürlicher dieſelbe durch die Natur der Gründe erſcheint, deſto mehr Anſpruch hat der Berechtigte auf den außerordentlichen Schutz der Reſtitution. Nur wenn der Abweſende in der That defensus iſt, fehlt das Bedürfniß der Reſtitution, weil dadurch die Klage möglich, alſo die vorausgeſetzte Gefahr des Verluſtes völlig aus - geſchloſſen wird. Es fragt ſich alſo nur, wer hier als defensus anzuſehen iſt.

Defensus heißt Der, welcher einen Procurator beſtellt hat, um für ihn als Beklagten den Rechtsſtreit zu führen; aber auch Der, für welchen ein ſolcher Vertreter freiwillig, ohne eine ſolche Beſtellung, auftritt. Ja nicht blos durch184Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.das Auftreten eines ſolchen Vertreters wird der Anſpruch auf Reſtitution ausgeſchloſſen, ſondern der Berechtigte ſoll von ſeiner Seite einen ſolchen aufſuchen, und namentlich die Freunde des Gegners befragen, ob ſie etwa die Ver - tretung übernehmen wollen(k)L. 21 § 2. 3, L. 22 pr. eod. . Jedoch iſt die bloße Be - reitwilligkeit eines Vertreters nicht hinreichend; vielmehr muß derſelbe Bürgſchaft leiſten, ſelbſt wenn er ein beſtellter Procurator iſt, ſonſt gilt der Gegner nicht als defensus(l)L. 21 § 3 eod., § 1. 4. 5 J. de satisd. (4. 11)..

Juſtinian hat für alle Fälle der hier beſchriebenen Art ein ganz neues Schutzmittel aufgeſtellt. Der Berech - tigte, welcher eine Klage anſtellen möchte, aber einen Gegner vermißt, ſoll ſich mit ſeiner Klage an den Statthalter der Provinz, oder den Biſchoff, oder den ſtädtiſchen Defenſor wenden, in Ermangelung aller dieſer Perſonen aber die Klage öffentlich anſchlagen können. Dieſe Maßregel ſoll hinreichen zur Unterbrechung jeder Klagverjährung und Uſu - capion(m)L. 2 C. de annali except. (7. 40).. Manche haben Dieſes ſo verſtanden, als wäre dadurch die oben dargeſtellte Reſtitution nicht nur ent - behrlich gemacht, ſondern auch aufgehoben. Zu einer ſolchen Annahme iſt jedoch kein Grund vorhanden; vielmehr muß dem Berechtigten zwiſchen beiden Schutzmitteln die Wahl zugeſtanden werden(n)Burchardi S. 180 182..

Neben den oben aufgeſtellten, im Edict ſelbſt erwähnten, Fällen dieſer Reſtitution haben die alten Juriſten, in An -185§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)wendung der generalis clausula, noch folgende hervor - gehoben.

1. Wenn eine Klagverjährung abläuft, während der Beklagte ſich in Kriegsgefangenſchaft befindet(o)L. 23 § 3 ex qu. c. (4. 6)..

2. Wenn der Sohn eines Kriegsgefangenen eine Sache zum Peculium erwirbt, und dann uſucapirt(p)L. 23 § 3 cit. Der Ge - fangene ſelbſt nämlich kann nicht uſucapiren, da er ſich im Stande der Unfreiheit befindet. L. 23 § 1 eod. Hiernach muß der § 5 J. de act. (4. 6) erklärt und beſchränkt werden..

3. Wenn der Gegner ein Wahnſinniger, ein Kind, oder eine Stadtgemeinde iſt, und aus zufälligen Umſtänden keinen Vertreter hat(q)L. 22 § 2 ex qu. c. (4. 6). Der vorhergehende Theil der Stelle zeigt ganz klar, daß von dem Wahn - ſinnigen u. ſ. w. als Beklagten, nicht als Berechtigten, die Rede iſt. Auf dieſe Reſtitution bezieht ſich L. 124 § 1 de R. J. (50. 17 ) Furiosus absentis loco est. . Eben ſo kann ohne Zweifel auch umgekehrt der unvertretene Wahnſinnige u. ſ. w. Re - ſtitution erhalten, wenn ſeine Rechte durch Uſucapion oder Klagverjährung verloren gehen, und es iſt ganz zufällig, daß Dieſes unter den Reſtitutionsfällen der erſten Klaſſe nicht erwähnt wird. Dieſe Fälle haben entſchieden mehr Analogie mit der Reſtitution der Abweſenden, als mit der der Minderjährigen(r)S. o. am Ende des §. 324..

§. 329. Reſtitution. Einzelne Gründe. II. Abweſenheit. (Fortſetzung.)

Nachdem jetzt die einzelnen Fälle dargeſtellt ſind, in welchen die Reſtitution wegen Abweſenheit Anwendung186Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.findet, ſind noch die Arten der Verletzung näher zu betrach - ten, zu deren Abwendung dieſelbe gebraucht werden kann.

Wenn wir uns auch in dieſer Betrachtung an die Worte des Edicts anſchließen, ſo müſſen wir zwei Hauptarten der Verletzung annehmen.

I. Si quid de bonis deminutum erit, alſo unmit - telbare Verminderung des vorhandenen Vermögens. Dahin gehören folgende einzelne Fälle des Verluſtes, die großen - theils ſowohl bei dem Schutz der Abweſenden, als bei dem Schutz gegen die Abweſenden, vorkommen können.

  • 1. Verluſt des Eigenthums durch eine von dem Gegner vollendete Uſucapion
    (a)L. 1 § 1, L. 15 § 3 ex qu. c. (4. 6).
    (a).
  • 2. Verluſt einer Servitut durch Nichtgebrauch
    (b)L. 1 § 1 eod.
    (b).
  • 3. Verluſt eines Beſitzes oder eines Quaſibeſitzes
    (c)L. 23 § 2 eod.
    (c).
  • 4. Verluſt des Eigenthums wegen damnum infectum
    (d)L. 15 § 2 eod., nämlich durch jubere possidere.
    (d).
  • 5. Verluſt einer Forderung, welche durch Vertrag an die Bedingung des Aufenthalts an beſtimmten Orten ge - knüpft iſt
    (e)L. 43 eod.
    (e).
  • 6. Verluſt durch ein nachtheiliges rechtskräftiges Ur - theil
    (f)S. o. §. 327 Note n. o.
    (f).

II. Si actionis dies exiit. Verluſt eines Klagerechts durch Klagverjährung oder Prozeßverjährung(g)L. 1 § 1 eod. . Eine187§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)ähnliche Natur hat auch der durch Zeitablauf bewirkte Ver - luſt des Rechts auf Anklage eines Verbrechers(h)L. 40 pr. eod. .

In Anwendung der generalis clausula kann dieſe Re - ſtitution auch gebraucht werden, wenn nicht ſowohl das vorhandene Vermögen vermindert, als der Erwerb einer Erbſchaft oder eines Legats in Folge einer Abweſenheit verhindert worden iſt (§ 319 Note l).

Bei der Anwendung dieſer Reſtitution muß ferner er - innert werden an den allgemeinen Grundſatz, welcher die Reſtitution nur geſtattet, in ſoweit ein Cauſalverhältniß zwiſchen dem Reſtitutionsgrund und dem eingetretenen Ver - luſt behauptet werden kann. Wenn daher die Abweſenheit nur einen Theil des für die Uſucapion oder Klagverjährung vorgeſchriebenen Zeitraums umfaßt, ſo wird dieſe Reſtitution zuweilen ganz verſagt werden, zuweilen nur für einen Theil des Zeitraums zu geſtatten ſeyn(i)L. 15 § 3, L. 16, L. 26 § 7. 8 eod., ſ. o. § 320 Note d. .

Bei dem Verluſt des Eigenthums durch Uſucapion wird die Reſtitution auf verſchiedene Weiſe bewirkt, ſo wie die zufälligen Umſtände das Bedürfniß herbeiführen: bald durch Klage, bald durch Einrede.

Die Klage, wodurch der Verluſt des Eigenthums durch Uſucapion abgewendet wird, führt nach einer ſehr verbrei - teten Meinung den Namen publiciana actio; man hat die - ſelbe mit der anderen, bekannten publiciana actio in Ver - bindung geſetzt, und auf dieſe Verbindung zugleich die188Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Geſchichte der Reſtitution aufzubauen geſucht(k)Burchardi S. 153 fg.. Ich halte dieſe Meinung für unbegründet.

Allerdings wird in mehreren Stellen, welche von dieſer Reſtitution reden, die publiciana actio genannt(l)L. 35 pr. de obl. et act. (44. 7 ), L. 57 mandati (17. 1 ), Stelle aus einem alten Gloſſarium bei Brissonius v. publiciana. , aber nicht, als ob dieſelbe eine eigenthümlich für dieſen Fall ein - geführte Klage wäre, ſondern in folgender ganz anderer Bedeutung. Wer ſein Eigenthum in Folge einer Abweſen - heit durch Uſucapion verliert, wird meiſt auch in der Lage ſeyn, die Bedingungen der bonae fidei possessio für ſich geltend machen zu können; er wird nämlich meiſtens die Sache durch Tradition erworben haben, in Folge eines Kaufs, einer Schenkung u. ſ. w. Dann hat er in der That die gewöhnliche publiciana actio, deren Daſeyn durch des Gegners Uſucapion an ſich gar nicht ausgeſchloſſen wird. Wenn er nun die publiciana actio anſtellt, ſo wird allerdings der Gegner vielleicht die exceptio justi dominii entgegen ſtellen(m)L. 1 pr. L. 16. 17 de publ. (6. 2)., und zwar mit Recht, da er in der That Eigenthümer iſt in Folge der Uſucapion. Dieſe Ein - rede aber wird nun entkräftet durch die Reſtitution wegen Abweſenheit, ſey es mit oder ohne replicatio, je nachdem die Thatſachen zweifelhaft ſind oder nicht. Will man alſo genau reden, ſo muß man ſagen, daß in einem ſolchen Fall die Reſtitution dazu dient, nicht ſowohl um eine verlorene189§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)Klage herzuſtellen, als um eine ſtets gültig gebliebene Klage von der ihr entgegen ſtehenden Einrede zu befreien. Für die Richtigkeit dieſer Auffaſſung ſpricht ſelbſt der Wortlaut der angeführten Stellen (Note l). Denn in einer derſelben wird ausdrücklich geſagt, daß in einem ſolchen Fall der Publiciana zwar die exceptio dominii entgegen ſtehe, daß aber dieſe überhaupt nicht ohne causae cognitio gegeben werde, und in dem vorliegenden Fall, in Folge unſrer Re - ſtitution wegen Abweſenheit, verſagt werden müſſe, weshalb die Publiciana vollen Erfolg haben werde(n)L. 57 mandati (17. 1). S. u. d. Beil. XIX zu dieſem Bande.. In der anderen Stelle aber wird gar nicht etwa eine zwiefache Publiciana erwähnt für zwei an ſich verſchiedene Fälle, ſondern vielmehr eine einzige Klage dieſes Namens, nur mit dem Zuſatz, daß dieſelbe zuweilen rescissa usucapione gegeben werde(o)L. 35 pr. de obl. et act. (44. 7). Illae autem rei persecutionem continent, qui - bus persequimur, quod ex pa - trimonio nobis abest, ut Publiciana, quae ad exemplum vindicationis datur. Sed quum rescissa usucapione redditur, anno finitur, quia contra jus civile datur. . Wie dieſer Zuſatz zu verſtehen iſt, habe ich ſo eben bei Gelegenheit der erſten Stelle erklärt.

Ich behaupte aber gar nicht, daß dieſer Weg einer Hülfe, vermittelſt der Publiciana die durch Reſtitution gegen die exceptio dominii geſchützt wird, der einzige ſey. Der vorige Eigenthümer kann vielmehr auch unmittelbar zu ſeinem Ziele kommen durch Anſtellung der rei vindicatio (d. h. nach altem Recht der petitoria formula mit der190Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.intentio: rem suam esse). Hierin behauptet er nun zunächſt etwas Unwahres, da er in der That nicht mehr Eigen - thümer iſt. Es muß erſt wahr gemacht werden durch die Reſtitution, die alſo hier nicht, ſo wie bei dem vorher an - gegebenen Wege, dazu dient, die ohnehin begründete Klage gegen eine Einrede zu ſchützen, ſondern vielmehr die Klage erſt möglich zu machen, die ohne die Reſtitution gar nicht begründet ſeyn würde. So wird die Anwendung unſrer Reſtitution auf die Uſucapion in den Inſtitutionen aus - drücklich erklärt(p)§ 5 J. de act. (4. 6). permittitur domino, si possessor reip. causa abesse desierit, tunc intra annum re - scissa usucapione eam petere, i. e. ita petere, ut dicat pos - sessorem usu non cepisse, et ob id suam rem esse. Es iſt zu bemerken, daß in dieſer Stelle blos von dem Schutz gegen den Abweſenden die Rede iſt, welcher uſucapirt hat. Daſſelbe gilt aber ganz eben ſo von dem Abweſen - den der ſein Eigenthum durch die Uſucapion eines Anderen verloren hat, und durch Reſtitution wieder erlangen will., und dieſe Erklärung iſt nicht minder wahr und richtig, als die, welche ſo eben aus einer Di - geſtenſtelle abgeleitet worden iſt. Beide Erklärungen ſtehen durchaus nicht im Widerſpruch mit einander, ſie bezeichnen vielmehr zwei verſchiedene Wege, die der Kläger einſchlagen kann, und von welchen bald der eine, bald der andere den Umſtänden angemeſſener ſeyn wird.

Aus dieſer Prüfung der hier einſchlagenden Stellen er - giebt es ſich, daß wir durchaus keinen Grund haben, eine eigenthümliche publiciana actio anzunehmen, als diejenige Klage, wodurch die Reſtitution wegen Abweſenheit zur191§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)Ausführung gebracht werden ſoll gegen eine Uſucapion. Dieſe Behauptung aber erhält noch eine beſondere Unter - ſtützung durch den Umſtand, daß die eben angeführte In - ſtitutionenſtelle, die unſern Fall erwähnt, den Namen pu - bliciana actio nicht gebraucht, der doch in dem vorher - gehenden Paragraphen vorkommt, und daß umgekehrt in dem Titel der Digeſten de publiciana in rem actione unſer Fall durchaus nicht vorkommt; eben ſo wenig in der Er - klärung, die Gajus von der publiciana actio giebt(q)Gajus IV § 36..

Der Schutz durch Klage iſt jedoch nicht das einzige Mittel, wodurch die Reſtitution gegen die Uſucapion zur Ausführung gebracht werden kann. Wenn nämlich der vorige Eigenthümer durch Zufall wieder in den Beſitz der Sache kommt, ſo hat er zu einer Klage weder das Be - dürfniß, noch die Berechtigung. Wenn aber der Gegner, der die Sache uſucapirt hat, gegen ihn die Eigenthumsklage anſtellt, ſo bedarf er gegen dieſe Klage eine Exception, und dieſe wird ihm durch unſre Reſtitution ertheilt(r)L. 28 § 5 ex quib. caus. (4. 6)..

§. 330. Reſtitution. Einzelne Gründe. III. Zwang.

Der geſchichtliche Zuſammenhang dieſes Reſtitutions - grundes iſt ſchon oben in folgender Weiſe angegeben wor - den (§ 320). Wenn ein Rechtsgeſchäft durch Zwang,192Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.d. h. vermittelſt einer durch Drohung abſichtlich erregten Furcht, bewirkt wird, ſo half der Prätor dem Gezwun - genen urſprünglich durch Reſtitution, und dieſer Reſtitu - tionsgrund gehört unter die älteſten überhaupt. Schon frühe aber wurden zu demſelben Zweck auch ordentliche Rechtsmittel eingeführt, eine actio quod metus causa und eine exceptio metus, und zwar in ſolcher Ausdehnung, daß ſie für die meiſten Fälle völlig ausreichten, indem ſie nicht blos gegen den Zwingenden, als perſönliche Rechtsmittel, gebraucht werden können, ſondern auch gegen jeden Dritten, der ſich in der Lage befindet, die nachtheiligen Folgen des Zwanges von dem Gezwungenen abzuwenden(a)L. 9 § 8 quod metus (4. 2 ), L. 4 § 33 de doli m. et met. ex c. (44. 4). Dieſe Klage iſt eine actio in rem scripta, nicht zu verwechſeln mit in rem actio, ſ. o. B. 5 S. 25.. Wo nun dieſe ordentlichen Rechtsmittel ausreichen, muß ſchon nach dem allgemeinen Grundſatz die Reſtitution wegfallen (§ 321 Note r). Außerdem aber gewähren die ordentlichen Rechtsmittel auch bedeutende Vortheile in Vergleichung mit der Reſtitution, ſo daß es nicht einmal räthlich ſeyn würde, dieſe letzte vorzuziehen, ſelbſt wenn es geſtattet wäre. Die actio quod metus causa hat einen geſicherten und beſchleu - nigten Erfolg durch die Drohung des vierfachen Erſatzes, wenn der Beklagte nicht ſogleich freiwillig nachgiebt; will ſich aber der Gezwungene mit dem einfachen Erſatz begnügen, ſo iſt er nicht an die kurze Verjährung gebunden, wodurch die Reſtitution ſo ſehr beſchränkt iſt(b)L. 14 § 1 quod metus (4. 2)..

193§. 330. Einzelne Reſtitutionsgründe. III. Zwang.

Dennoch giebt es einzelne, ſeltnere Fälle, worin jene ordentliche Rechtsmittel nicht ausreichen, und um ſolcher Fälle willen ſteht dem Gezwungenen noch jetzt überhaupt die Wahl zu zwiſchen jenen Rechtsmitteln und der Reſti - tution, deren eigenthümlichſte (doch nicht einzige) Folge ſich in dem Anſpruch auf eine wahre in rem actio zeigt. Die Edictſtelle, die wir in den Digeſten übrig haben, iſt ſo allgemein gefaßt, daß ſie in der That auf beiderlei Schutz - mittel paßt(c)L. 1 eod. Ait Praetor: Quod metus causa gestum erit, ratum non habebo . , und auch von den alten Juriſten dahin ausgelegt wird; ſie kann in derſelben Geſtalt ſchon in dem urſprünglichen Edict über die Reſtitution wörtlich eben ſo gelautet haben, und ſie bedurfte keiner Abänderung, um auch die ſpäter eingeführten ordentlichen Rechtsmittel mit zu umfaſſen.

Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Behauptung ergiebt ſich aus einer Stelle des Ulpian(d)L. 9 § 3. 4. 6 eod. Vgl. oben § 316 Note n. , deren Zuſammen - hang nicht ſelten verkannt worden iſt. In dem § 3 wird geſagt, das erzwungene Geſchäft könne bald ein unvollen - detes ſeyn (z. B. ein Geldverſprechen ohne geleiſtete Zah - lung), bald ein vollendetes (z. B. Geldverſprechen mit Zahlung, oder auch eine Acceptilation). Dann wird die Meinung des Pomponius angeführt, daß bei unvollendeten Geſchäften nur eine Exception zuläſſig ſey, keine Klage, bei vollendeten auch eine Klage. Dieſe Meinung wird ver -VII. 13194Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.worfen, und es wird für alle Fälle die Wahl zwiſchen Klage und Exception frei geſtellt, ſo daß bei einem bloßen Geldverſprechen auch eine Klage zuläſſig ſey, nämlich zum Zweck einer Acceptilation. Dieſer Ausſpruch wird beſtätigt durch ein kaiſerliches Reſcript, welches ſelbſt im Fall eines unvollendeten Geſchäfts die in integrum restitutio in Aus - ſicht ſtellt. In Folge dieſes Reſcripts erklärte der Prätor, der Gezwungene habe die Wahl zwiſchen Klage und Ex - ception. Gleich nachher aber fügt Ulpian hinzu, daß der Gezwungene nach Bedürfniß auch eine in rem actio erhalten könne; desgleichen, wenn eine Forderung durch erzwungene Acceptilation getilgt ſey, die Herſtellung der verlorenen frü - heren Forderung rescissa acceptilatione vel alia liberatione(e)L. 9 § 4 eod. Die in rem actio wird unmittelbar be - ſtätigt durch L. 3 C. de his quae vi (2. 20).. Beides aber iſt nur durch eine wahre Reſtitution möglich. Zwiſchen dieſer und der perſönlichen actio quod metus causa (die ohne Reſtitution gegeben wird) habe er nun dergeſtalt die Wahl, daß, wenn er den einen Weg eingeſchlagen habe, der andere dadurch verſchloſſen ſey(f)L. 9 § 6 eod. .

Es kommt alſo nur noch darauf an, Fälle anzugeben, in welchen das Bedürfniß, und daher auch die Zuläſſigkeit, einer Reſtitution wegen Zwangs, neben der actio quod metus causa, behauptet werden kann(g)Puchta Pandekten § 102 Note c. d. und Vorleſungen S. 215 faßt die Sache ſo auf. Schon im neueren Römiſchen Recht ſey die Reſtitution wegen Zwangs nur noch Bedürfniß geweſen bei den negotiis stricti juris; da wir dieſe nicht mehr kennen, ſo ſey ſie für uns überhaupt verſchwunden..

195§. 330. Einzelne Reſtitutionsgründe. III. Zwang.

Ein ſolcher Fall, der nur zufällig nicht in unſren Rechts - quellen erwähnt wird, kann eintreten wegen der Zahlungs - unfähigkeit des Gegners. Hier kann die perſönliche Klage wegen der bevorzugten Natur anderer Gläubiger ganz ohne Erfolg bleiben. Die durch Reſtitution gewährte Klage in rem wird den Kläger zum Ziele führen.

Ein anderer Fall, der nur zu ſelten vorkommen wird, um praktiſch wichtig zu ſeyn, wird in unſren Rechtsquellen ausdrücklich anerkannt. Wenn Jemand durch Zwang be - wogen wird, eine angefallene Erbſchaft entweder anzutreten, oder auszuſchlagen, ſo kann er gegen eine ſolche Handlung, wenn ſie ihm nachtheilig iſt, Reſtitution erhalten(h)L. 21 § 5. 6 quod metus (4. 2).. Hier iſt es einleuchtend, daß die perſönliche Klage oft nicht aus - reicht, wegen der unbeſtimmten, vielleicht unüberſehbaren Rechtsverhältniſſe mit fremden Perſonen, die mit der Erb - ſchaft verbunden ſeyn können.

Die Anwendung dieſer Reſtitution hängt ab von dem Daſeyn eines wahren, rechtlich anzuerkennenden, Zwanges. Hierüber gelten dieſelben Regeln, wie ſie für die Anwen - dung der weit wichtigeren actio quod metus causa anzu - wenden ſind. Es kann alſo wegen dieſes Punktes vorläufig auf das Obligationenrecht verwieſen werden.

(g)Eben ſo die Reſtitution wegen Be - trugs. Ich kann nicht einräumen, daß im Römiſchen Recht die Re - ſtitution gerade mit jenem Gegen - ſatz zuſammenhing, und ich muß die Anwendbarkeit der Reſtitution in den hier im Text angegebenen Fällen auch für das heutige Recht behaupten.

13*196Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§ 331. Reſtitution. Einzelne Gründe. IV. Irrthum.

Daß es in der That eine Reſtitution wegen Irrthums gab, hat nach den übereinſtimmenden Zeugniſſen des Ul - pian und des Paulus keinen Zweifel (§ 320). Man ſcheint jedoch dieſem Reſtitutionsgrund nicht dieſelbe Wich - tigkeit, wie dem Zwang und Betrug, beigelegt zu haben, woraus zu erklären iſt, daß derſelbe in dem Edict keine, dieſen Fall im Ganzen umfaſſende Stelle, und in den, an die Ordnung des Edicts ſich anſchließenden Digeſten keinen eigenen Titel erhalten hat.

Es kommt nun darauf an, die Fälle der Anwendung für dieſe Reſtitution zu beſtimmen und zu begränzen. Man hat ihr nicht ſelten die wichtige Bedeutung beigelegt, daß der Klagberechtigte von dem Nachtheil der Klagverjährung frei werden könnte, wenn er über das Daſeyn der Ver - letzung im Irrthum wäre, und deshalb Reſtitution gegen die Verjährung ſuchte. Dieſe Anwendung, wodurch der große Vortheil dieſes Rechtsinſtituts ſehr entkräftet werden würde, iſt entſchieden zu verwerfen(a)S. o. B. 3 S. 416. 418 fg.. Eben ſo ver - werflich, und noch weit wichtiger, iſt die häufig verſuchte Anwendung, nach welcher jedes Rechtsgeſchäft, insbeſondere jeder Vertrag, durch Reſtitution ſollte angefochten werden können, ſobald der eine Theil durch irrige Beweggründe zur Eingehung des Geſchäfts veranlaßt worden wäre(b)S. o. B. 3 S. 354 fg.. 197§. 331. Einzelne Reſtitutionsgründe. IV. Irrthum.Dadurch würde die ſichere Rechnung der Parteien auf die Wirkſamkeit der eingegangenen Geſchäfte großentheils ent - kräftet, und mit ihr der geſammte Verkehr gelähmt werden.

Dagegen[findet] ſich eine ſichere und nicht unwichtige Anwendung dieſer Reſtitution bei den ſtrengen Formen des alten Römiſchen Prozeſſes. Durch dieſe konnte oft eine Partei in großen Nachtheil kommen, während ihr nicht böſer Wille, vielleicht nur ein mäßiges, oder auch gar kein Verſehen, zur Laſt gelegt werden konnte. Das war der Zweck jener Formen nicht, und eine Reſtitution gegen einen ſolchen Nachtheil, unter ernſter Aufſicht des Prätors, war daher eben ſo unbedenklich, als die Reſtitution gegen einen aus irrigen Beweggründen geſchloſſenen Vertrag gefährlich geweſen wäre(c)Die leichtere Ertheilung der Reſtitution gegen Prozeßver - ſäumniſſe iſt richtig anerkannt von Noodt Comm. in Pand. IV. 3 vers. Non minus. .

Dieſe Reſtitution gegen irrige Verſäumniß der Prozeß - formen kam denn in der That (und beſonders in der älteren Zeit) häufig vor, und dieſes iſt als das eigentliche Gebiet der Reſtitution wegen Irrthums anzuſehen. Eine Reihe von Fällen ſolcher Art iſt ſchon oben zuſammen geſtellt worden(d)S. o. B. 3 S. 384 fg., B. 6 § 300. q., und bei dem gerichtlichen Geſtändniß oben § 306. Die all - gemeinſte Andeutung dieſes Falles der Reſtitution findet ſich in L. 7 pr. de in int. rest. (4. 1)..

Ein Fall dieſer Art hat Veranlaſſung zu der einzigen Edictſtelle gegeben, welche in unſren Rechtsquellen über die198Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Reſtitution wegen Irrthums aufbewahrt iſt. Wenn Jemand gegen einen Unmündigen klagte, und dabei irrigerweiſe von einem falſchen Tutor die auctoritas für den Unmündigen annahm, ſo war ſein Klagrecht völlig verloren, ohne Aus - ſicht auf einen möglichen Erfolg. Dagegen verſprach der Prätor die Reſtitution(e)L. 1 § 1. 6 quod falso (27. 6). .. Quod eo auctore, qui tutor non fuerit (gestum erit), si id actor ignoravit, dabo in integrum restitutio - nem. Vgl. o. B. 3 S. 385. Die Bedeutung der Reſtitution liegt nun darin, daß die eingetretene Litisconteſtation reſeindirt, alſo die durch die Litisconteſtation bewirkte Conſumtion der früheren Klage beſeitigt wird..

Ein anderer Fall dieſer Reſtitution bezieht ſich allerdings nicht auf den Prozeß. Wenn ein Schuldner ſtirbt, und der Gläubiger das eigene Vermögen des Erben für zweifelhaft hält, ſo kann er eine Separation des erbſchaftlichen Ver - mögens fordern, und daraus Befriedigung verlangen. Hat er aber in jener Annahme geirrt, und dadurch Schaden gelitten, ſo hat er Anſpruch auf Reſtitution, wenn er den Irrthum rechtfertigen kann(f)L. 1 § 14 de separat. (42. 6)..

§ 332. Reſtitution. Einzelne Gründe. V. Betrug.

Die Reſtitution wegen Betrugs iſt von beſonderen Schwierigkeiten umgeben, und ſelbſt das Daſeyn derſelben wird von bewährten Schriftſtellern verneint. Dieſes Da - ſeyn jedoch wird durch die übereinſtimmenden Zeugniſſe199§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.des Ulpian und des Paulus außer Zweifel geſetzt (§ 320).

Die Reſtitution wegen Betrugs wird in den Quellen abge - handelt unmittelbar hinter der Reſtitution wegen Zwangs, neben welcher ſie in ſehr früher Zeit eingeführt zu ſeyn ſcheint. So wie dieſe, iſt ſie größtentheils überflüſſig gemacht worden durch ordentliche Rechtsmittel, die actio und exceptio doli, und aus dieſer hiſtoriſchen Entwicklung iſt großentheils ihre gegenwärtige etwas räthſelhafte Natur zu erklären. Ver - gleichen wir dieſe ordentlichen Rechtsmittel mit denen, die für den Fall des Zwanges eingeführt waren, ſo müſſen wir zwei Unterſchiede anerkennen. Die Klage und Einrede aus dem Zwang gilt auch gegen dritte Beſitzer (§ 330 Note a), die aus dem Betrug wirkt blos perſönlich gegen den Be - trüger, und läßt daher öfter als jene, das Bedürfniß einer Reſtitution wahrnehmen. Ferner iſt die actio doli für den Verurtheilten entehrend, und ſoll daher nicht gebraucht werden, wo ſie durch andere, völlig gleich wirkſame, Schutz - mittel erſetzt werden kann(a)L. 1 § 4 de dolo (4. 3).. Dieſe beſchränkende Rückſicht gilt jedoch nur für die actio, nicht für die exceptio doli; für das heutige Recht aber iſt ſie völlig verſchwunden, weil es hier allgemein anerkannt iſt, daß keine Klage aus Privatdelicten die Ehrloſigkeit mit ſich führt(b)S. o. B. 2 S. 227..

Um nun die für die Reſtitution wegen Betrugs noch übrig bleibenden Fälle zu ermitteln, will ich vorläufig und200Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.verſuchsweiſe einige Sätze aufſtellen, deren Wahrheit erſt im Laufe der folgenden Unterſuchung dargethan werden kann. Meiſt wird der Betrüger dieſelbe Perſon ſeyn, welche aus dem Schaden des Betrogenen Vortheil zieht (welche Perſon ich den Gegner nennen will), zuweilen werden beide Per - ſonen verſchieden ſeyn(c)Es iſt dieſer Fall ſo zu denken, daß der Gegner Nichts von dem Betrug weiß, ſonſt iſt er ſelbſt gleichfalls Betrüger; es kann alſo hier nur von einem unſchul - digen Gegner die Rede ſeyn.; in dieſem letzten Fall iſt es natürlich, daß der Betrogene mit ſeiner Entſchädigung an den Betrüger gewieſen werde, nicht an den unſchuldigen Gegner, ſo daß dann die beſchränkende Rückſicht auf die entehrende Natur der actio doli in den Hintergrund tritt. Jedoch darf es niemals dahin kommen, daß der Betrogene ganz ohne Hülfe bleibe; wenn alſo in dem zuletzt erwähnten Falle der Betrüger zahlungsunfähig iſt, kann auch von dem unſchuldigen Gegner Abhülfe verlangt werden.

Die Fälle ſelbſt, in welchen die Reſtitution wegen Be - trugs anzuwenden iſt, ſind aus der zwiefachen Verwandt - ſchaft abzuleiten, welche für dieſe Reſtitution unzweifelhaft angenommen werden muß: auf der einen Seite mit dem Zwang, auf der andern Seite mit dem Irrthum.

Zuerſt alſo wird die Reſtitution wegen Betrugs in den - ſelben beiden Fällen angewendet werden müſſen, in welchen die Reſtitution wegen Zwangs zur Anwendung kommt, damit in keinem Fall der Betrogene ganz ohne Hülfe bleibe.

Der erſte Fall gründet ſich auf die Zahlungsunfähigkeit201§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.des Betrügers. Wenn Jemand durch Betrug verleitet wird, ſein Grundſtück um geringen Preis zu verkaufen und zu übergeben, ſo kann er durch die actio venditi den Verkauf anfechten und das Grundſtück zurück verlangen(d)L. 6. § 1 de contr. emt. (18. 1 ) L. 4 pr. de L. commiss. (18. 3). Vgl. L. 11 § 5. 6 de act. emti (19. 1).. Wird Jemand durch Betrug bewogen, ſein Grundſtück dem Be - trüger zu ſchenken, und dieſes Geſchäft durch Uebergabe (nach altem Recht durch Mancipation) zu vollziehen, ſo kann er durch die actio doli die Rückgabe des Grundſtücks verlangen. Wenn aber in einem dieſer beiden Fälle der Betrüger zahlungsunfähig iſt, ſo kann der Betrogene, um nicht mit ſeiner perſönlichen Klage im Concurſe auszufallen, Reſtitution wegen Betrugs, und durch dieſe eine in rem actio verlangen, wie Dieſes für den Fall des Zwangs ſchon oben bemerkt worden iſt(e)L. 9 § 4. 6 quod metus (4. 2), ſ. o. § 330..

Der zweite Fall bezieht ſich auf die ſchädliche Antretung oder Ausſchlagung einer Erbſchaft, wozu Jemand durch Betrug verleitet wird. Im Fall des Zwangs hatte hier der Gezwungene die Wahl zwiſchen der actio quod metus causa gegen den Zwingenden und der Reſtitution, wodurch die Antretung oder Ausſchlagung an ſich unwirkſam wird(f)L. 21 § 5. 6 quod metus (4. 2), ſ. o. § 330.; das letzte, durchgreifendere Schutzmittel wird oft nöthig ſeyn wegen der unbeſtimmten Wirkung jener Handlungen in Be - ziehung auf viele fremde, unbekannte Perſonen. Für den202Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Fall des Betrugs nun wird ausdrücklich geſagt, daß der Betrogene gegen den Betrüger die actio und exceptio doli habe(g)L. 9 § 1, L. 40 de dolo (4. 3)., gerade ſo, wie bei dem Zwang auch die actio quod metus causa galt. Damit iſt aber nicht verneint, daß er auch die Reſtitution wegen Betrugs fordern könne, welches vielmehr nach der verwandtſchaftlichen Natur beider Reſtitutionsgründe behauptet werden muß.

Die zweite Verwandtſchaft des Betrugs iſt die mit dem Irrthum. Jeder Betrug enthält nämlich in der That einen wahren Irrthum, und man kann ihn als qualificirten Irr - thum bezeichnen. Daher wird die Reſtitution, die gegeben wird gegen Prozeßverſäumniſſe aus Irrthum (§ 331), ſtets auch unmittelbar begründet ſeyn gegen die durch den Betrug eines Andern veranlaßten Prozeßverſäumniſſe. Wenn ſie hier zuweilen nicht zur Anwendung kommt, ſo liegt der Grund darin, daß alsdann der Betrüger ein Anderer iſt, als der Prozeßgegner, in welchem Fall die Abhülfe von dem Betrüger und nicht von dem Gegner zu leiſten iſt.

Nach dieſen vorbereitenden Bemerkungen gehe ich über zur Betrachtung der Stellen, deren richtige Erklärung allein dahin führen kann, die in dieſer Lehre herrſchenden Zweifel und Mißverſtändniſſe zu beſeitigen.

Vor allen ſind zwei Stellen zu beachten, die zu ſagen ſcheinen, daß in jeder Colliſion irgend einer Reſtitution mit203§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.der actio doli, die Reſtitution vorgezogen werden müſſe, weil ſie nicht entehre.

  • L. 1 § 6 de dolo (4. 3 ) (Ulpianus)
    (h)Der vorhergehende Para - graph hatte die Stelle des Edicts erläutert, nach welcher die actio doli nur in Ermanglung einer anderen actio gebraucht werden dürfe.
    (h) Idem Pom - ponius refert, Labeonem existimare, etiam si quis in integrum restitui possit, non debere ei hanc actio - nem competere
  • L. 7 § 1 de in int. rest. (4. 1 ) (Marcellus)
    (i)Vorher wird geſagt, bei aller nöthigen Aufrechthaltung der solennia (damit ſind hier die Prozeßformen gemeint) müſſe doch der Prätor eine billige Reſtitution nicht verſagen; ſo z. B. wenn eine Partei auf eine interrogatio nicht antworte, und deswegen zu einem Nachtheil verurtheilt werde (§ 305), dann aber ſogleich die verſäumte Antwort nachhole.
    (i) Nec intra has solum species consistet hujus generis auxilium; etenim deceptis sine culpa sua, maxime si fraus ab adversario intervenerit, succurri opor - tebit, quum etiam de dolo malo actio competere so - leat. Et boni Praetoris est potius restituere litem, ut et ratio et aequitas postulabit, quam actionem famosam constituere, ad quam tunc demum descen - dendum est, quum remedio locus esse non potest.

Beide Stellen ſind von Manchen ſo aufgefaßt worden. Jeder Betrug begründet eine Reſtitution; da nun aber im Colliſionsfall ſtets die Reſtitution, die nicht entehrt, der entehrenden actio doli vorgezogen werden muß, ſo kann im Fall des Betrugs nur allein die Reſtitution angewendet204Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.werden. Dieſe Erklärung, wodurch die Sache auf die äußerſte Spitze getrieben wird, kann unmöglich richtig ſeyn. Denn durch ſie würde die Anwendung der actio doli völlig ausgeſchloſſen ſeyn, da doch für viele Fälle von den alten Juriſten dieſe Klage für das einzig anwendbare Rechts - mittel erklärt wird, während gerade umgekehrt von der Reſtitution wegen Betrugs nur ſelten und beiläufig die Rede iſt.

Die richtige Auffaſſung dieſer Stellen, und zugleich der ganzen Frage von der Reſtitution wegen Betrugs, wird ſich in folgender Reihe von Sätzen aufſtellen laſſen, die ſich an einzelne Stellen der alten Juriſten anſchließen.

A. Fälle, in welchen der Betrüger dieſelbe Perſon iſt, welche als Gegner den Vortheil aus dem Betrug ziehen würde.

1. Wenn dieſes Verhältniß eintritt zwiſchen den Par - teien in einem Prozeß, z. B. indem der Kläger durch des Beklagten Betrug verleitet wird, die Prozeßverjährung ab - laufen zu laſſen, ſo wäre eigentlich die actio doli begründet. Da aber in dieſem Fall die Reſtitution wegen Betrugs genau denſelben Vortheil gewährt (indem ſie den Verluſt der Klage aufhebt), und doch zugleich die Ehre des Gegners ſchont, ſo wird ein wohldenkender Prätor die Ertheilung der Reſtitution vorziehen.

Genau Dieſes iſt der Sinn der oben abgedruckten Stelle des Marcellus. Dieſe ſpricht von einem Betrug im Prozeß, verübt vom Prozeßgegner, welches theils aus dem205§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.vorhergehenden Theil der Stelle erhellt, theils aus der Er - wähnung des adversarius, theils aus den Worten resti - tuere litem.

2. Ein Schuldner bewegt durch einen erdichteten Brief ſeinen Gläubiger, ihm die Schuld durch Acceptilation zu erlaſſen. Der Gläubiger, der Dieſes entdeckt, kann, wenn er volljährig iſt, die actio doli gegen den Schuldner (auf Entſchädigung) anſtellen, wenn er minderjährig iſt, durch Reſtitution die Wiederherſtellung der getilgten Schuld be - wirken(k)L. 38 de dolo (4. 3) postea epistola falsa vel inani reperta, creditor major quidem annis XXV. de dolo habebit actionem, minor autem in integrum restituetur . .

Dieſe Stelle hat mit der vorhergehenden (L. 7 § 1 de in int. rest. ) die Aehnlichkeit, daß in beiden von einem auf zwei Perſonen beſchränkten Rechtsverhältniß die Rede iſt. Dabei muß es aber auffallen, daß hier dem voll - jährigen Gläubiger die actio doli gegeben wird, da doch die in der vorhergehenden Stelle vorgezogene Reſtitution wegen Betrugs denſelben Erfolg gehabt hätte, mit Scho - nung der Ehre des Gegners. Ich wage nicht, einen be - ſtimmten Grund dieſer ſcheinbar verſchiedenen Entſcheidung anzugeben. Vielleicht war dieſer Punkt ſtreitig; ohnehin behauptet Marcellus den Vorzug jener Reſtitution nicht als eine feſtſtehende Rechtsregel, ſondern als das räthliche Verfahren eines wohlgeſinnten Prätors. Es iſt aber auch möglich, daß die Römiſchen Juriſten dieſen Vorzug der206Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Reſtitution vor der actio doli ſo allgemein nur annahmen bei Nachtheilen im Prozeß (wovon L. 7 § 1 cit. handelt) nach der Analogie des Irrthums, nicht bei Nachtheilen aus Verträgen (wovon L. 38 de dolo redet).

3. Eine reine Anwendung der hier aufgeſtellten Regeln findet ſich in einer der wichtigſten hierher gehörenden Stel - len, die man gewöhnlich mit Unrecht als eine vereinzelte, ganz poſitive Beſtimmung anſieht(l)L. 33 de re jud. (42. 1).. Wenn ein Prozeß rechtskräftig entſchieden wird, der verlierende Theil aber hinterher entdeckt, daß das Urtheil auf die Ausſage von Zeugen geſprochen worden iſt, die der Gegner beſtochen hatte, ſo würde gegen denſelben unzweifelhaft die actio doli begründet ſeyn. Dieſe ſoll aber hier nicht gelten, ſondern es ſoll vielmehr durch Reſtitution (wegen Betrugs) das Urtheil entkräftet werden, damit ein neues Urtheil geſprochen werden könne.

B. Fälle, in welchen der Betrüger eine vom Gegner des Verletzten verſchiedene (dritte) Perſon iſt.

4. Wenn bei einer angeſtellten oder vorbereiteten Klage ein Dritter in böswilliger Abſicht die Erſcheinung des Be - klagten vor Gericht verhindert, ſo kann dadurch der Kläger auf mancherlei Weiſe in Nachtheil kommen; eine angefan - gene Uſucapion oder Klagverjährung kann vollendet werden, wodurch dem Kläger ſein Eigenthum oder ſein Klagrecht entzogen wird. Gegen dieſen Dritten gab der Prätor dem207§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.Kläger eine beſondere Entſchädigungsklage, eine actio in factum, ſo daß er der entehrenden actio doli gar nicht bedurfte(m)L. 3 pr. de eo, per quem factum (2. 10).. Wenn aber dieſer Dritte zahlungsunfähig war, ſo ſollte der verletzte Kläger gegen den unſchuldigen Beklagten ſelbſt eine Reſtitution erhalten, damit ſich dieſer nicht mit dem nun unheilbaren Schaden eines Anderen bereichere(n)L. 3 § 1 eod. Plane si is, qui dolo fecerit, quo minus in judicio sistatur, solvendo non fuerit, aequum erit, adversus ipsum reum restitutoriam ac - tionem competere, ne propter dolum alienum reus lucrum faciat, et actor damno adficia - tur. . Dieſes iſt offenbar eine Reſtitution wegen des (von einem Dritten verübten) Betrugs, die aber nur im Nothfall eintreten ſoll, nämlich nur, wenn dem Ver - letzten nicht durch die ordentliche Klage gegen den Betrüger Hülfe verſchafft werden kann.

5. Wenn Jemand zur Hälfte ein Erbrecht erwirbt, dann als Erbe verklagt wird, und auf die gerichtliche Frage, zu welchem Theil er Erbe ſey, wider beſſeres Wiſſen erklärt, er ſey der einzige Erbe, ſo trifft ihn zur Strafe der Nach - theil, daß er im Fall der Verurtheilung für die ganze Schuld haften muß(o)L. 11 § 4. 5 de interrog. in j. (11. 1).. Dazu bedarf es keiner beſonderen Klage, insbeſondere nicht der actio doli. Iſt er aber zah - lungsunfähig, ſo würde nun den unſchuldigen Kläger ohne Grund der Nachtheil treffen, daß er den zahlungsfähigen Miterben nicht mehr verklagen könnte, und dieſer würde ſich auf des Klägers Koſten bereichern. Dagegen erhält208Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.der Kläger Reſtitution (wegen Betrugs eines Dritten), ſo daß er gegen den Miterben zur Hälfte der Schuld klagen kann(p)L. 18 eod. .

6. Wenn ein Waarenkauf nach dem von einem Dritten hergeliehenen Gewicht geſchloſſen wird, der Dritte aber wiſſentlich falſches Gewicht giebt, ſo geht gegen ihn die actio doli(q)L. 18 § 3 de dolo (4. 3).; das Geſchäft ſelbſt alſo bleibt unter den Parteien gültig. Nach den bei den vorigen Fällen (Num. 4. 5) angewendeten Regeln darf man aber wohl un - bedenklich annehmen, daß die Reſtitution gegen das Geſchäft ſelbſt gegeben werden muß, wenn die actio doli wegen Zahlungsunfähigkeit des Beklagten ohne Erfolg bleibt(r)Auch noch in einem anderen Fall zeigt ſich die Rückſicht auf Zahlungsunfähigkeit, ohne daß da - bei von Reſtitution die Rede iſt. Wenn ein Unmündiger unter Ge - nehmigung des Vormundes mit einem Dritten einen Vertrag ſchließt, und dabei von dieſen beiden Per - ſonen betrogen wird, ſo ſoll er nur die actio tutelae gegen den Vormund haben, nicht die actio doli gegen den Dritten, außer wenn der Vormund inſolvent iſt. L. 5. 6 de dolo (4. 3)..

Faſſen wir das Ergebniß dieſer Entſcheidungen einzelner Rechtsfälle zuſammen, ſo erhalten dadurch die zwei oben (S. 203) abgedruckten Stellen folgende ſichere Deutung. Wenn dieſe Stellen ſagen, im Colliſionsfall ſey die Reſtitution der entehrenden actio doli vorzuziehen, ſo hat das erſtlich den Sinn, daß die aus einem anderen Reſtitutionsgrund, z. B. Minderjährigkeit, abzuleitende Reſtitution ſtets vorgehen ſoll (Num. 2); ferner auch den Sinn, daß die Reſtitution wegen Betrugs vorgehen ſoll, wenn der Gegner des Verletzten209§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.zugleich der Betrüger iſt(s)Wenigſtens für Prozeßver - hältniſſe iſt Dieſes gewiß nach Num. 1. 3, für Verträge mag es nach Num. 2 dahin geſtellt bleiben.. Iſt dagegen der Betrüger verſchieden von dem Gegner des Verletzten, ſo muß ſich dieſer an den Betrüger halten, ſelbſt wenn dazu die actio doli nöthig ſeyn ſollte, und die Reſtitution gegen den ſchuldloſen Gegner ſoll nicht eintreten, außer wenn der Betrüger zahlungsunfähig iſt (Num. 4. 5. 6).

Die Meinungen der Neueren über die Reſtitution wegen Betrugs gehen ungemein aus einander.

Von Burchardi’s Meinung, nach welcher beſonders die Reſtitution wegen Betrugs ſeit Diocletian die größte Ausdehnung erhalten haben ſoll, iſt ſchon oben die Rede geweſen (§ 317 Note g). Schröter ſchließt ſich dieſer Anſicht gleichfalls an, hat aber daneben richtige Anſichten aufgeſtellt, und nur die Anwendung dieſer Reſtitution zu caſuiſtiſch behandelt, anſtatt ſie auf allgemeinere Grundſätze zurück zu führen(t)Schröter S. 126 129.. Göſchen verneint gänzlich das Daſeyn einer Reſtitution wegen Betrugs, indem er ſich durch die Wahrnehmung täuſchen läßt, daß gerade in dem Digeſtentitel de dolo malo eine ſolche Reſtitution nicht erwähnt wird(u)Göſchen Vorleſungen I. S. 569.. Puchta nimmt ſo, wie bei der Reſtitution wegen Zwangs, mit Unrecht an, daß dieſe Reſtitution im heutigen Recht völlig verſchwunden ſey (§ 330 Note g). Anderwärts aber nimmt er an, dieVII. 14210Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.actio doli ſelbſt ſey eine Reſtitution, weil in der Stelle des Edicts die Worte vorkommen: si justa causa esse vi - debitur, alſo eine causae cognitio vorbehalten ſey(v)Puchta Inſtitutionen B. 2 S. 221 223.. Sowohl dieſe Behauptung, als die von ihm verſuchte Er - klärung der oben abgedruckten beiden Digeſtenſtellen(w)A. a. O., S. 223. 419., iſt ſo ſubtil, daß durch ihre conſequente Durchführung die ganze Lehre von der Reſtitution alle Haltung verlieren müßte.

§. 333. Reſtitution. Einzelne Gründe. VI. Antiquirte Gründe.

Die bisher abgehandelten Reſtitutionsgründe können insgeſammt auch im heutigen Recht vorkommen. Zwei andere jedoch ſind nur noch geſchichtlich zu erwähnen, und nur um in dem ganzen Zuſammenhang dieſer Lehre keine Lücke zu laſſen. Dieſe ſind: Die Capitis deminutio. Die Alienatio judicii mutandi causa facta. Beide haben in den Digeſten eigene Titel, im Zuſammen - hang mit den übrigen Reſtitutionsgründen erhalten. Beide aber können nicht nur für das heutige Recht, ſondern ſelbſt für das Juſtinianiſche, als anwendbare Reſtitutionen nicht mehr anerkannt werden.

211§. 333. VI. Antiquirte Reſtitutionsgründe.

Die capitis deminutio hatte als Reſtitutionsgrund von jeher nur folgende, höchſt beſchränkte Bedeutung. Wenn ein Schuldner eine minima capitis deminutio erlitt, durch Arrogation, Adoption, Emancipation u. ſ. w.(a)S. o. B. 2. §. 68., ſo gingen nach altem Recht alle ſeine Schulden unter(b)Gajus Lib. 4 § 38, Lib. 3 § 84. Nur wenige Arten von Schulden waren von dieſem Unter - gang ausgenommen. Die maxima und media capitis de - minutio hatten andere Folgen, und kommen hier nicht in Betracht.. Da nun Dieſes eine augenſcheinliche Ungerechtigkeit gegen die nicht einwilligenden Gläubiger war, ſo gab dagegen der Prätor eine Reſtitution, wodurch er die verlorenen Forderungen wiederherſtellte(c)L. 2 § 1, L. 7 § 2. 3 de cap. min. (4. 5 ), L. 2 de in int. rest. (4. 1 ), Gajus l. c., Paulus I. 7. § 2..

Dieſe Reſtitution führte aber nur den leeren Namen einer ſolchen, indem die eigenthümliche Natur einer Re - ſtitution bei ihr gar nicht zur Anwendung kam. Sie ſollte nämlich nicht vom freien Ermeſſen des Prätors abhangen, ſondern unbedingt, ohne alle Vorunterſuchung der beſon - deren Umſtände, gegeben werden; und ſie ſollte ferner nicht an die Verjährungsfriſt der Reſtitution gebunden ſeyn(d)L. 2 § 1. 5 de cap. min. (4. 5).. Es war alſo in der That eine praktiſche Aufhebung des alten Rechtsſatzes, nur verſteckt unter der Form einer Re - ſtitution, gewiſſermaßen aus Reſpect gegen das alte Civil - recht.

So ſtand es alſo ſchon im alten Recht. Im Juſtinia -14*212Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzungniſchen Recht aber iſt der alte Grundſatz ſelbſt, worauf ſich dieſe mildernde Maaßregel bezog, mit allem Recht wegge - laſſen worden, ſo daß für uns das Bedürfniß dieſer Re - ſtitution räthſelhaft blieb bis zur Entdeckung des Gajus. Man möchte glauben, es wäre nun beſſer geweſen, auch dieſe Reſtitution ſelbſt unerwähnt zu laſſen. Dieſes iſt nicht geſchehen, theils weil überall in den Juſtinianiſchen Sammlungen das Beſtreben ſichtbar iſt, ſo wenig als möglich von den alten Rechtsinſtituten dem Namen nach untergehen zu laſſen, theils weil hier die einzige ſchickliche Stelle zu ſeyn ſchien, um überhaupt die Lehre von der capitis deminutio in den Digeſten anzubringen(e)Vergl. über dieſe Reſtitution B. 2 § 70 S. 82 87..

Die alienatio judicii mutandi causa facta war in der That vom Prätor als Reſtitutionsgrund aufgeſtellt. Wenn der Beſitzer einer fremden Sache, der eine Eigenthumsklage erwartete, den Beſitz abſichtlich weggab, indem er dadurch den Kläger in eine nachtheiligere Lage verſetzte, ſo ſollte durch jene Reſtitution die Klage gegen ihn eben ſo möglich gemacht werden, wie wenn er den Beſitz behalten hätte. Dieſe Reſtitution wurde aber völlig überflüſſig gemacht durch die ſpäterhin, zuerſt bei der Erbſchaftsklage, dann bei der Eigenthumsklage, eingeführte Lehre von dem qui dolo desiit possidere. Dieſer ſoll jetzt, gerade ſo wie ein gegen - wärtiger Beſitzer, mit jenen Klagen in rem belangt werden können, und zwar im Gang des gewöhnlichen Prozeſſes,213§. 333. VI. Antiquirte Reſtitutionsgründe.ohne daß es dazu fernerhin einer Reſtitution bedarf, alſo in viel vortheilhafterer Weiſe für den gefährdeten Klagberech - tigten(f)Vergl. oben § 316 Noten h bis l. .

Außer den autiquirten Reſtitutionsgründen ſind hier, der Vollſtändigkeit wegen, noch einige zu erwähnen, die blos auf irrigen Meinungen beruhen.

Dahin gehören zunächſt die ſogenannten civilen Re - ſtitutionen. Deren Annahme und reichhaltige Ausſtattung iſt aus zweierlei Mißverſtändniſſen hervorgegangen. Zuerſt aus der ſchon oben gerügten Verwechſelung vieler ordent - lichen Rechtsmittel mit der Reſtitution, die doch mit der - ſelben in der That nur den äußeren Erfolg gemein haben (§ 316). Dann aber aus dem irrigen Verfahren, die zum Theil aus Kaiſerconſtitutionen hervorgegangene Ausbildung der oben vorgetragenen wahren Reſtitutionsgründe zu unab - hängigen, neuen Reſtitutionen umzubilden(g)Vergl. Schröter S. 151. bis 157. Göſchen Vorleſungen I. § 183..

Ferner gehören dahin die verſchiedenartigſten Fälle von Reſtitutionen die man auf den irrig aufgefaßten Begriff einer generalis clausula zurück zu führen verſucht hat. Davon iſt jedoch ſchon oben (§ 325) geredet worden.

214Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 334. Reſtitution. Gerichtsbehörden.

Es iſt jetzt noch der formelle Theil der Reſtitutionslehre darzuſtellen übrig, welcher die dabei thätigen Gerichts - behörden, die Parteien, das Verfahren, und endlich die Wirkungen der Reſtitution zum Gegenſtand hat (§ 318).

Das Recht der Behörden zur Ertheilung von Reſtitu - tionen (Competenz) iſt nach zwei Geſichtspunkten zu be - ſtimmen: zuerſt nach ihrem Beruf zu dieſem Geſchäft im Allgemeinen (Gerichtsbarkeit); dann nach ihrer Berechtigung für vorkommende einzelne Fälle (Gerichtsſtand).

Gerichtsbarkeit in Reſtitutionsſachen hatte urſprünglich in Rom und in Italien nur allein der Prätor; in jeder Provinz der Statthalter. Die ſtädtiſchen Obrigkeiten waren zu Reſtitutionen niemals befugt(a)L. 26 § 1 ad munic. (50. 1). Vergl. oben § 317.. Eben ſo erſtreckte ſich die Befugniß eines vom Prätor ernannten Judex nicht auf die in dieſe Sache etwa einſchlagende Bitte um Reſtitution; dieſe mußte vielmehr ſtets an den Prätor ſelbſt zurück - gehen(b)Burchardi S. 433..

Nach demſelben Grundſatz blieb unter den Kaiſern die Reſtitution ein Vorbehalt der höheren Obrigkeiten; ſie wurde ertheilt von den Prätoren, dem Stadtpräfecten, dem Prä - fectus Prätorio, den Statthaltern der Provinzen, vom Kaiſer ſelbſt. Juſtinian aber beſtimmte, welches vor ihm215§. 334. Reſtitution. Gerichtsbehörden.bezweifelt wurde, daß alle dieſe Behörden auch durch commiſſariſche Richter die Reſtitution prüfen und ertheilen laſſen könnten; imgleichen, daß die von ihnen für eine andere ganze Sache ernannten Commiſſare auch eine darin gelegentlich vorkommende Reſtitution ertheilen ſollten(c)L. 16 § 5, L. 17 de min. (4. 4 ), L. 3 C. ubi et ap. quem (2. 47). Dieſe Stelle des Codex iſt wiederholt in dem C. 9 X. de in int. rest. (1. 41), jedoch mit dem, wahrſcheinlich blos mißver - ſtändlichen, Zuſatz, daß auch Schiedsrichter reſtituiren könnten. Burchardi S. 432 bis 439. S. 537 bis 548..

Für den wichtigſten Fall, die Reſtitution gegen ein rechtskräftiges Urtheil, ſind noch folgende beſondere Regeln zu bemerken. Kein Beamter ſollte gegen das Urtheil eines im Rang höher ſtehenden Beamten reſtituiren, wohl aber gegen das eines gleichſtehenden; alſo auch gegen ſein eigenes Urtheil, ſo wie gegen das ſeines Vorgängers. Gegen ein Urtheil des Kaiſers, oder eines vom Kaiſer unmittelbar aufgeſtellten Vertreters, konnte daher auch nur der Kaiſer ſelbſt reſtituiren(d)L. 18. 42 de min. (4. 4 ), L. 3 C. si adv. rem jud. (2.27). Burchardi S. 550 bis 552..

Im heutigen Recht iſt unzweifelhaft jeder ordentliche Richter zur Ertheilung einer Reſtitution befugt, und dadurch wird dieſes ohnehin ſchon bedenkliche Inſtitut für unſren Rechtszuſtand noch weit bedenklicher, als es jemals für die Römer geweſen iſt(e)S. oben § 317. Vergl. Burchardi S. 545. 546..

Für den Gerichtsſtand, alſo für die Competenz der Ge - richtsbehörden in einzelnen Reſtitutionsſachen, ſind dieſelben216Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Regeln zu beobachten, wie wenn das Reſtitutionsgeſuch eine ordentliche Klage wäre. Insbeſondere fällt die bei Gelegenheit einer anhängigen anderen Rechtsſache vorkom - mende Bitte um Reſtitution der Prüfung und Entſcheidung des Richters anheim, bei welchem die Hauptſache anhängig iſt(f)Burchardi S. 548 bis 550..

§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.

Der nächſte Gegenſtand der Unterſuchung betrifft die Perſonen, unter welchen das Geſuch einer Reſtitution ver - handelt und entſchieden werden kann. Auf der einen Seite ſteht der Verletzte, dem durch die Reſtitution geholfen werden ſoll, auf der andern Seite irgend Einer, welcher der Re - ſtitution zu widerſprechen ein Intereſſe hat, indem er durch die Herſtellung des früheren Zuſtandes Etwas verliert. Ich will, der Kürze wegen, dieſe beide Perſonen den Be - rechtigten und den Verpflichteten nennen.

I. Als Berechtigter iſt zunächſt und unmittelbar der Verletzte ſelbſt zu betrachten, um deſſentwillen die gerade jetzt in Frage kommende Reſtitution eigentlich eingeführt iſt, alſo der Minderjährige, der Gezwungene, der Be - trogene u. ſ. w.

Außer und neben ihm aber können auch manche andere Perſonen als Berechtigte angeſehen werden, welche ihr217§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.Recht von dem ſeinigen in Folge eines beſonderen Rechts - verhältniſſes ableiten.

Dahin gehören allgemein und unzweifelhaft alle Univer - ſalſucceſſoren des urſprünglich Berechtigten(a)S. o. B. 3 § 105.. Jeder Re - ſtitutionsanſpruch kann alſo nach dem Tode des urſprünglich Berechtigten auch geltend gemacht werden von deſſen Erben, ſo wie von denen, welche in gleichem Verhältniß, wie eigentliche Erben, zu dem Verſtorbenen ſtehen; dahin gehören die Nachfolger aus einem Fideicommiß der Erbſchaft, ferner die, welchen ein castrense peculium zufällt. Eben ſo aber auch, wenn der Berechtigte nicht ſtirbt, ſondern in Unfrei - heit fällt, der Herr deſſelben, weil dieſer in das Vermögen ſeines Sklaven wie ein Erbe eintritt(b)L. 6 de in int. rest. (4. 1 ), L. 18 § 5 de minor. (4. 4)..

Unter die Fälle eines ſolchen abgeleiteten Rechts auf eine Reſtitution gehört ferner der Fall einer Ceſſion, welche überall angewendet werden kann, um die Stelle der Sin - gularſucceſſion in eine Reſtitution zu vertreten(c)L. 24 pr. de min. (4. 4 ), L. 25 de admin. (26. 7 ), L. 20 § 1 de tutelae (27. 3). S. u. Note q. , ſo wie ſie bei den Obligationen dieſe Stelle vertritt.

Alle dieſe Regeln haben kein Bedenken. Dagegen iſt in hohem Grade ſtreitig und verwickelt die Frage, ob auch der Bürge des urſprünglich Berechtigten an der Reſtitution deſſelben Theil nehmen kann(d)Vergl. über dieſe Frage Burchardi S. 407 416. S. 570 581, der die älteren Schrift - ſteller anführt. Ferner Göſchen Vorleſungen I. S. 538. 553. 554. Puchta Pandekten §. 105 i. und §. 405 g. Vorleſungen S. 216..

218Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Um dieſe Streitfrage auf das ihr allein zukommende engere Gebiet zurück zu führen, muß die Bemerkung vor - aus geſchickt werden, daß ſie nur vorkommen kann bei der Reſtitution der Minderjährigen. Abweſende nämlich werden überhaupt nur reſtituirt gegen Verſäumniſſe, nicht gegen Rechtsgeſchäfte (§ 325), während Bürgen nur bei Rechts - geſchäften eintreten. In den Fällen des Zwanges und Betrugs aber wird ſich der Bürge ſtets durch die exceptio metus oder doli ſchützen können, die ihm eben ſo gut, als dem Gezwungenen oder Betrogenen ſelbſt, zuſteht(e)L. 7. § 1 de except. (44.1).; dazu bedarf es keiner Reſtitution.

Der Minderjährige nun, für deſſen Schuld ein Bürge eingetreten iſt, ſteht in zwei verſchiedenen Rechtsverhält - niſſen: gegen den urſprünglichen Gläubiger, und gegen den Bürgen, der, wenn er aus der Bürgſchaft verurtheilt iſt, oder freiwillig gezahlt hat, in der Regel den Regreß an den Hauptſchuldner nehmen kann(f)Mit der actio mandati oder negotiorum gestorum, je - nachdem der Schuldner um die Bürgſchaft wußte oder nicht. L. 6 § 2 L. 18 mand. (17. 1 ), L. 43 de neg. gestis. (3. 5).. Der minderjährige Schuldner iſt gegen jede dieſer beiden Forderungen, wenn er will, gleichmäßig durch Reſtitution[geſchützt], ſo daß alſo die praktiſche Frage eigentlich nur darauf geht, wer zuletzt den Verluſt tragen ſoll, der Gläubiger oder der Bürge(g)L. 13 pr. de min. (4. 4 ) In summa perpendendum erit Praetori, cui potius sub - veniat, utrum creditori an fidejussori; nam minor captus neutri tenebitur . L. 1 C. de fid min. (2. 24). Allerdings.

219§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.

Wird nun zuerſt der Bürge verklagt, ſo hat Dieſer gewiß keinen Anſpruch auf Reſtitution(h)Nach dem neueſten Recht freilich kann der Bürge die Klage durch die exceptio excussionis von ſich ablehnen, und dadurch ſogleich die Anwendung des fol - genden Falles herbei führen (Nov. 4 C. 1).. Die Streitfrage beſchränkt ſich alſo auf den anderen Fall, wenn zuerſt der Minderjährige verklagt, und auf ſein Begehren reſtituirt worden iſt; ob dieſe, nicht mehr blos mögliche, ſondern wirklich ertheilte Reſtitution des Hauptſchuldners auch von dem nachher verklagten Bürgen für ſich geltend gemacht werden kann, das iſt die allein noch übrige Frage.

Mehrere Stellen ſprechen hierüber ſo, daß man glauben könnte, der Bürge könne den Schutz der Reſtitution verlangen(i)L. 3 § 4 de min. (4. 4 ), .. hoc auxilium .. solet in - terdum fidejussori ejus pro - desse , L. 51 pr. de proc. (3. 3 ), L. 8 de adqu. her. (29. 2).; andere ſo, als könne er dieſen Schutz nicht in Anſpruch nehmen(k)L. 1. 2 C. de fid. min. (2. 24 ), L. 7 § 1 de except. (44. 1). Dieſe ſchwierige Stelle ſpricht zuerſt von der exceptio L. Plaetoriae, die ſie unbedingt den Bürgen zu - ſpricht, dann von der Reſtitution: quod si deceptus sit in re (i. e. sine dolo), tunc nec ipse ante habet auxilium, quam restitutus fuerit, nec fidejus - sori danda est exceptio. Die letzten Worte ſind zweideutig, in - dem man ſo auslegen kann: der Bürge ſoll niem als den Schutz haben; oder auch: er ſoll gleich - falls den Schutz nicht anders haben, als nachdem der Minderjährige reſtituirt iſt. Die letzte Deutung iſt den Worten angemeſſener. Vgl. Burchardi S. 205. 410. 579. Savigny Zeitſchrift f. geſchichtl. Rechtsw. X. 249.; in der That aber muß die Unbe - ſtimmtheit der einen und der anderen Ausſprüche nicht in(g)aber kann es geſchehen, daß die eine dieſer Reſtitutionen geltend gemacht wird, während die andere verloren geht, z. B. durch Ver - jährung. Darauf geht in dieſer letzten Stelle der hypothetiſche Ausdruck: modo fi… non juvaris. 220Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dem Sinn einer allgemeinen und unbedingten Wahrheit aufgefaßt werden, ſondern einer blos möglichen, für manche Fälle, unter gewiſſen Umſtänden geltenden, Wahrheit. Dahin deuten ſchon die Ausdrücke einiger dieſer Stellen ſelbſt (Note h. i). Ganz beſtimmt aber entſcheidet für die Richtigkeit dieſer Auffaſſung eine Stelle des Ulpian(l)L. 13 pr. de min. (4. 4)., die überhaupt den Weg zeigt zur wahren Vereinigung der über dieſe ganze Frage ſcheinbar widerſprechenden Stellen.

Ulpian ſagt, der Prätor müſſe nach den Umſtänden jedes einzelnen Falles prüfen, ob der Gläubiger den Verluſt tragen ſolle oder vielmehr der Bürge (Note g). Als Haupt - regel aber für die Entſcheidung dieſer Frage ſtellt er den offenbar richtigen Satz auf, der Bürge müſſe den Schaden tragen, wenn er gerade mit Rückſicht auf die aus der Minderjährigkeit für den Gläubiger hervorgehende Gefahr Bürgſchaft leiſtete(m)L. 13 pr. cit. Itaque si, cum scirem minorem, et ei fidem non haberem, tu fide - jusseris pro eo, non est ae - quum, fidejussori in necem meam subveniri, sed potius ipsi deneganda erit mandati actio. . Mit dieſer Anweiſung ſtimmt auch völlig überein eine Stelle des Paulus(n)Paulus I. 9. § 6. Qui sciens prudensque se pro minore obligavit, si id consulto consilio fecit, licet minori suc - curratur, ipsi tamen non suc - curretur. Consulto consilio kann nicht die Abſichtlichkeit über - haupt bezeichnen, denn dieſe findet ſich bei jeder Bürgſchaft, ja bei jedem Vertrag, ſondern nur die beſondere, auf die Sicherheit gegen eine künftige Reſtitution gerichtete Abſicht. Burchardi faßt die Sache im Allgemeinen richtig auf, ſtellt aber S. 572. 577 Präſum - tionen auf, die ich für grundlos und unnöthig halte. Beſonders aber ſcheint mir der von ihm über Ulpian ausgeſprochene Tadel (S. 576) völlig ungerecht.. Der ent -221§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.gegengeſetzte Fall wird demnach ſo zu denken ſeyn, daß der Bürge nicht aus jener beſonderen Rückſicht die Bürgſchaft leiſtete, ſondern etwa, weil der Gläubiger die Zahlungs - fähigkeit des Minderjährigen in Zweifel zog, während der Bürge deſſen ausreichendes Vermögen genau kannte, ſo daß alſo dabei das minderjährige Alter des Hauptſchuldners gar nicht zur Sprache kam(o)Dieſes drückt Papinian in L. 95 § 3 de sol. (46. 3) ſo aus: cui fidejussoris (obligatio) accessit sine contemplatione juris praetorii. Burchardi S. 575 faßt dieſe Worte anders auf.; am entſchiedenſten würde dieſer zweite Fall anzunehmen ſeyn, wenn die Minderjährig - keit dem Bürgen ganz unbekannt geblieben wäre, vielleicht auch ſelbſt dem Gläubiger. In dieſem zweiten Fall nun würde der aus der Reſtitution hervorgehende Schutz dem Bürgen zu gute kommen, und der Gläubiger hätte den Verluſt zu tragen.

Man kann nun noch die Frage aufwerfen, welche Mittel anzuwenden ſeyen, um zu dem hier aufgeſtellten Ziele zu gelangen. Darüber ſagt Ulpian, der ſicherſte Weg beſtehe darin, daß ſofort der Minderjährige gegen den Hauptſchuldner und den Bürgen zugleich die Reſtitution nachſuche. Dann höre der Prätor alle Betheiligte gegen einander, und könne ſo am beſten entſcheiden, wer im vor - liegenden Falle den Verluſt tragen ſolle(p)L. 13 pr. de min. (4. 4). Unde tractari potest, minor in integrum restitutionem utrum adversus creditorem, an et adversus fidejussorem implo - rare debeat? Et puto tutius adversus utrumque; causa enim cognita et praesentibus adver - sariis, vel si per contumaciam desint, in integrum restituti - ones perpendendae sunt. .

222Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Nun iſt es aber auch möglich, daß der Minderjährige dieſen Rath nicht befolgt, vielmehr mit der Reſtitution gegen den Hauptſchuldner ſich begnügt, oder auch dieſe einſtweilen auf ſich beruhen läßt, da dann in beiden Fällen dem Bürgen die Gelegenheit entzogen wird, ſeinen Anſpruch auf die Theilnahme an der Reſtitution zu rechter Zeit geltend zu machen. Für ſolche Fälle muß dem Bürgen geſtattet werden, ſeine Regreßklage gegen den Minderjährigen gleich jetzt geltend zu machen (Note f); nicht um einen Gelderſatz zu erlangen, indem er ſelbſt noch Nichts gezahlt hat, auch von dieſem Erſatz durch des Minderjährigen Reſtitution in jedem Fall ausgeſchloſſen ſeyn würde (Note g): wohl aber um den Minderjährigen zu einer Ceſſion ſeiner Reſtitution zu zwingen, die er dann gegen den Gläubiger geltend machen kann. Dieſe billige, dem Minderjährigen unſchäd - liche, Befugniß wird von Paulus anerkannt, zwar nicht für den Fall der Bürgſchaft, wohl aber für folgenden ganz ähnlichen, nach gleichen Grundſätzen zu beurtheilenden Fall. Wenn ein Minderjähriger für einen Anderen eine nego - tiorum gestio unternimmt, und darin Etwas verſieht, ſo kann er ſich reſtituiren laſſen, und dadurch von dem Anderen (dem Herrn des Geſchäfts) allen Schaden abwenden. Ver - weigert er dieſe Reſtitution, ſo kann der Andere durch die actio negotiorum gestorum verlangen, daß ihm der Minder - jährige die Reſtitution cedire, die dann er ſelbſt geltend machen kann(q)L. 24 pr. de min. (4. 4). S. o. Note c. .

223§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)

§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſetzung.)

II. Die Perſon des Verpflichteten in der Reſti - tution (§ 335) iſt nicht ſo einfach und leicht zu beſtimmen, wie die des Berechtigten, wegen der großen Verſchiedenheit der Rechtsverhältniſſe, worauf ſich die Wiederherſtellung eines früheren Zuſtandes beziehen kann. Bei einem nach - theiligen Vertrag wird es oft nur darauf ankommen, die obligatoriſche Wirkung deſſelben zu entkräften; dann iſt der andere Contrahent allein der zur Erduldung der Reſtitution verpflichtete Gegner, ganz als ob von einer perſönlichen Klage die Rede wäre. Iſt dagegen das durch Erſitzung einem Abweſenden entzogene Eigenthum zu reſtituiren, ſo iſt der Beſitzer der Sache, der meiſt auch der Eigenthümer ſeyn wird, der Verpflichtete, da gegen dieſen die herzuſtel - lende Eigenthumsklage gerichtet wird. Geht die Reſtitution gegen eine angetretene oder ausgeſchlagene Erbſchaft, ſo ſind die ſehr mannichfaltigen Perſonen als Verpflichtete zu betrachten, mit welchen ein Erbe als ſolcher in Rechts - verhältniſſe eintritt. Man pflegt wohl dieſe Verſchieden - heit ſo auszudrücken, daß die Reſtitution bald in personam, bald in rem gehe. Von dieſem Gegenſatz wird jedoch zweck - mäßiger weiter unten, bei den Wirkungen der Reſtitution, gehandelt werden (§ 343).

Gewiſſe Perſonen ſind wegen ihres perſönlichen Ver - hältniſſes zum Berechtigten von der Verpflichtung aus -224Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.genommen, eine Reſtitution gegen ſich ergehen zu laſſen. Dieſe Ausnahmen haben Aehnlichkeit mit den für die actio doli vorgeſchriebenen Ausnahmen von der Verpflichtung, als Beklagte in dieſer Klage aufzutreten, dürfen jedoch nicht damit gleich geſtellt werden.

Bei der Reſtitution ſind ausgenommen die Eltern und der Patron des Berechtigten. Dieſe Ausnahme war früher beſtritten in ihren Bedingungen und Gränzen, iſt aber von Juſtinian in größter Ausdehnung anerkannt worden(a)L 2 C. qui et adv. quos (2. 42). Vergl. Burchardi S. 117 124. Göſchen Vor - leſungen I. S. 540. Puchta Pandekten § 107 d. . Bei der actio doli ſind gleichfalls ausgenommen die Eltern und der Patron; außer dieſen aber auch noch viele andere Perſonen, welchen der Berechtigte nach ſeiner Stel - lung Ehrfurcht ſchuldig iſt. Dagegen hat dieſe Ausnahme bei der actio doli die blos formelle Bedeutung, daß der Ausdruck dolus und die davon abhängende Entehrung ver - mieden werden ſoll; jede andere Wirkung der Klage ſoll durch eine actio in factum aufrecht erhalten werden(b)L. 11 § 1, L. 12 de dolo (4. 3 ), L. 27 § 4 de min. (4. 4).. Bei der Reſtitution hat die Ausnahme eine ernſthaftere Bedeutung; weder die Reſtitution ſelbſt, noch ein Surrogat derſelben, ſoll gegen Eltern und Patrone in Anſpruch ge - nommen werden, weil dieſen gar nicht zugetraut werden dürfe, daß ſie gegen ihre Kinder oder Freigelaſſene ein225§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)Recht geltend machen könnten, welches zu einer Reſtitution Anlaß geben möchte(c)L. 2 C. cit. .

Von dieſer Begünſtigung der Eltern und Patrone haben neuere Schriftſteller wiederum folgende Reihe von Aus - nahmen aufgeſtellt, die aber insgeſammt als ſolche nicht anerkannt werden können.

1. Gegen eine nachtheilige Arrogation kann ein minder - jähriger Sohn allerdings Reſtitution fordern(d)L. 3. § 6 de min. (4. 4). Vgl. oben § 319 Note p. . Nur iſt es ein Zirkel, Dieſes als Ausnahme von der oben ange - gebenen Begünſtigung anzuſehen. Denn wenn die Reſti - tution als begründet erkannt wird, ſo iſt ja gerade das elterliche Verhältniß verneint, worauf allein die Begünſti - gung ſich bezieht.

2. Wenn ein Vater ſeinen minderjährigen Sohn eman - cipirt, dann aber durch Klage die Emancipation als nicht geſchehen angreift, und ein rechtskräftiges Urtheil für ſich erlangt, ſo kann der Sohn allerdings Reſtitution gegen dieſes Urtheil erhalten(e)L. 2 C. si adv. rem jud. (2. 27).. Allein wegen dieſer angeblichen Ausnahme gilt dieſelbe Bemerkung, wie wegen der vorher - gehenden. Denn wenn in Folge der Reſtitution ein ent - gegengeſetztes Urtheil bewirkt wird, welches die Emanci - pation für gültig erklärt, ſo iſt dadurch wiederum das Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn beſeitigt.

3. Wenn der Vater eine Sache zuerſt ſeinem minder -VII. 15226Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.jährigen Sohn, dann aber einem Dritten, und zwar mit Einwilligung des Sohnes, ſchenkt, ſo kann der Sohn gegen dieſe ſeine Einwilligung Reſtitution verlangen(f)L. 2 C. si adv. don. (2. 30).. Hier geht aber die Reſtitution nicht gegen den Vater, ſondern gegen den Dritten, der die ſpätere Schenkung empfing.

4. Wenn einem in väterlicher Gewalt lebenden minder - jährigen Sohne die Erbſchaft zufällt, über den Werth dieſer Erbſchaft Vater und Sohn verſchiedene Meinung haben, und deshalb der Sohn, im Widerſpruch mit der Anſicht des Vaters, die Erbſchaft ausſchlägt oder antritt, ſo kann er hinterher gegen dieſe ſeine Handlung Reſtitution erlan - gen(g)L. 8 § 1 C. de bon. quae lib. (6. 61).. Auch hier, wie in dem vorhergehenden Falle, geht die Reſtitution nicht gegen den Vater, ſondern gegen die mancherlei fremde, dabei betheiligte Perſonen.

5. Wenn eine Mutter als Vormünderin die Rechte ihres Kindes beeinträchtigt, ſo kann dieſes dagegen Rechts - mittel jeder Art, unter andern auch die Reſtitution, ge - brauchen(h)Nov. 155 C. 1.. Dieſes iſt eine wahre Ausnahme jener Begünſtigung, allein da die Novelle Juſtinian’s, worin ſich dieſe neueſte Beſtimmung findet, ungloſſirt iſt, ſo hat ſie für das heutige Recht keine Anwendbarkeit(i)S. o. B. 1 § 17. Göſchen a. a. O. will die Novelle gelten laſſen als blos declaratoriſch, wofür ich ſie nicht halten kann, da ſie in der That das frühere Geſetz poſitiv einſchränkt. Puchta a. a. O. faßt die Sache ſo auf, daß die Re - ſtitution nur wegfalle gegen die.

227§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)

Zuletzt iſt noch der Fall zu erörtern, wenn der Ver - pflichtete bei der Reſtitution gleichfalls eine beſonders be - günſtigte Perſon iſt. In einem ſolchen Fall fragt es ſich, ob auch dieſer Perſon gegenüber die Reſtitution verlangt werden könne.

Dieſe Frage tritt zuerſt ein, wenn ein Minderjähriger gegen einen Minderjährigen reſtituirt ſeyn will. Hier wird meiſtens nur ein einſeitiger Nachtheil vorhanden ſeyn; z. B. wenn eine Sache zu wohlfeil verkauft wird, hat nur der Verkäufer Nachtheil, und dieſer wird reſtituirt, wobei der Käufer keinen Nachtheil erleidet in Vergleichung des ur - ſprünglichen Zuſtandes. Sind aber beide im Nachtheil ge - kommen, z. B. wenn ein Minderjähriger dem andern Geld leiht, und dieſer es verſchwendet, ſo ſoll der Empfänger des Darlehens den Vorzug haben, d. h. es ſoll an dem gegen - wärtigen Zuſtand Nichts verändert werden(k)L. 11 § 6, L. 34 pr. de min. (4. 4)..

Wenn ein Abweſender die Sache eines anderen Ab - weſenden uſucapirt, ſo iſt nur ein einſeitiger Nachtheil vor - handen, und die Reſtitution gegen die Uſucapion hat kein Bedenken(l)L. 46 ex quib. caus (4. 6)..

Giebt ein Minderjähriger ein Darlehen an einen Sohn in väterlicher Gewalt, ſo wird er gegen die exceptio Sc. (i)Eltern als ſolche (L. 2 C. qui et adv. quos), nicht gegen die in anderer Eigenſchaft, z. B. als Vor - münder, auftretende Eltern (Nov. 155). Allein auch jede andere Re - ſtitution geht nicht gegen die Eltern als ſolche, ſondern in ihrer Eigenſchaft als Contrahenten, Uſu - capienten u. ſ. w.15*228Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Macedoniani reſtituirt, d. h. der Schutz des minderjährigen Alters ſoll in der Colliſion den Vorzug haben vor dem Verbot des Senatusconſults(m)L. 11 § 7, L. 34 § 1 de min. (4. 4 ), L. 3 § 2 de Sc. Mac. (14. 6 ), L. 9 pr. de j. et facti ignor. (22. 6)..

Wenn ein Minderjähriger ſeine Forderung gegen die Expromiſſion einer Frau aufgiebt, ſo wird ihm (ſo wie jedem Anderen) ſeine frühere Klage wiedergegeben, und wenn der alte Schuldner zahlungsfähig iſt, ſo entſteht für den Minderjährigen keine Läſion. Iſt aber der Schuldner inſolvent, ſo wird der Minderjährige reſtituirt, d. h. der Schutz des minderjährigen Alters hat im Colliſionsfall den Vorzug vor dem Verbot des Vellejaniſchen Senatus - conſults(n)L. 12 de min. (4. 4)..

§. 337. Reſtitution. Verfahren.

Es gehörte zur Eigenthümlichkeit der Reſtitution ſchon von ihrem Urſprung an, daß die Prüfung und Gewährung derſelben nicht dem gewöhnlichen Gang des Verfahrens (dem ordo judiciorum) überlaſſen ward, ſondern dem höch - ſten Richteramt vorbehalten blieb, alſo extra ordinem voll - zogen wurde (§ 316. 317).

Daher verfolgte Der, welcher eine Aenderung des be - ſtehenden Zuſtandes durch Reſtitution bewirken wollte, ſeinen Zweck nicht durch eine actio, da dieſe vor einem Judex229§. 337. Reſtitution. Verfahren.hätte verhandelt werden müſſen(a)L. 24 § 5. de min. (4. 4). Ex hoc edicto nulla propria actio vel cautio proficiscitur, totum enim hoc pendet ex Praetoris cognitione. Die Worte vel cautio gehen auf die Fälle einer vom Prätor erzwun - genen Stipulation, aus welcher dann wieder, in natürlicher Folge, eine actio (nämlich eine condic - tio) entſtand. L. 1 § 2 de stip. praet. (46. 5 ), L. 37 pr. de o. et a. (44. 7). Die abgedruckte Stelle geht übrigens zunächſt nur auf die Reſtitution der Minderjährigen, iſt aber darum nicht weniger wahr auch für alle übrige Reſtitutionen., ſondern er bat viel - mehr um eine cognitio, d. h. um eine Verhandlung un - mittelbar vor dem Prätor ſelbſt(b)Cognitionem postulare, impetrare. L. 39 § 6 de proc. (3. 3 ), L. 3 § 9 de min. (4. 4 ), L. 39 pr. de evict. (21. 2).. Damit hängt es zuſammen, wenn oft geſagt wird, die Reſtitution werde bewirkt durch cognitio, welches nur ein abgekürzter, nicht völlig genauer Ausdruck iſt, da es eigentlich das in Folge der cognitio erlaſſene Decret des Prätors war, welches die Reſtitution ertheilte(c)L. 29 § 2. L. 47 § 1 de min. (4. 4). L. 1 C. de off. praet. (1. 39 ), L. 2 C. si ut omissam (2. 40).. Daß aber an die ertheilte Re - ſtitution eine Klage angeknüpft werden konnte, wird ſogleich weiter ausgeführt werden.

Eben ſo ſuchte der Beklagte eine Reſtitution nicht auf dem Wege einer exceptio, ſondern unmittelbar durch Ver - weigerung der Klage(d)L. 27 § 1 de min. (4. 4)., obgleich auch hier eine exceptio, angeknüpft an die Reſtitution, wohl möglich war. Daſſelbe Verhältniß trat wiederum bei dem Kläger ein, der die Verweigerung der exceptio unmittelbar durch Reſtitution bewirken konnte, nach den Umſtänden des230Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einzelnen Falles aber auch eine replicatio an die Reſtitution knüpfte(e)L. 9 § 4 de jurej. (12. 2)..

Dieſe Eigenthümlichkeiten ſind ſchon ſeit dem Untergang des alten ordo judiciorum verſchwunden, und können alſo auch in unſrem heutigen Prozeß um ſo weniger wahr - genommen werden. Hier erſcheint daher die Bitte um Re - ſtitution in Form einer gewöhnlichen Klage oder Einrede; bald ſelbſtſtändig, bald bei Gelegenheit eines anderen Rechts - ſtreits, und in Verbindung mit demſelben. Da aber unſre Juriſten einen Römiſch ausſehenden Klagnamen für unent - behrrlich hielten, ſo pflegten ſie dem Reſtitutionsgeſuch den Namen imploratio officii judicis beizulegen, ohne ſich daran zu ſtoßen, daß dieſer Name weder in unſren Rechts - quellen vorkommt, noch zu der urſprünglichen Form des Römiſchen Reſtitutionsverfahrens paßt.

Die meiſten Prozeßregeln, die über das Reſtitutions - verfahren aufgeſtellt werden, ſind einfacher Natur und geben zu Zweifeln keinen Anlaß. Wer zur Reſtitution berechtigt iſt, kann nicht nur in eigener Perſon darum bitten, ſondern auch durch einen Procurator(f)L. un. C. etiam per pro c. (2. 49).; jedoch nicht durch einen Generalbevollmächtigten, ſondern nur vermittelſt eines auf dieſes Geſchäft gerichteten beſonderen Auftrags(g)L. 25 § 1, L. 26 de min. (4. 4). Ueber das Vertretungs - recht des Vaters, nach L. 27 pr. de min. (4. 4), ſ. o. § 323 Note p. . Mit einer gewöhnlichen Klage iſt das Reſtitutionsverfahren darin231§. 337. Reſtitution. Verfahren.gleichartig, daß es nur Gültigkeit hat, wenn die Gegner des Berechtigten dazu gehörig vorgeladen ſind, und entweder erſcheinen, oder durch Ungehorſam ausbleiben(h)L. 13 pr. de min. (4. 4 ), L. 1 C. si adv. dotem (2. 34). Bei der Reſtitution gegen den Er - werb einer Erbſchaft ſind ſämmt - liche Gläubiger des Verſtorbenen als Gegner vorzuladen. L. 29 § 2 de min. (4. 4 ), Nov. 119 C. 6.. Der ausbleibende Gegner kann auch durch einen Vertreter ver - theidigt werden, der aber, eben ſo wie in einem gewöhn - lichen Rechtsſtreit, Bürgen ſtellen muß(i)L. 26 § 1 de min. (4. 4).. Nur Reſtitu - tionen gegen Verſäumniſſe im Prozeß werden nicht ſelten auch ohne Anhörung des Gegners (brevi manu) ertheilt(k)Puchta Vorleſungen S. 216..

Die ſchwierigſte und beſtrittenſte Frage in dem Ver - fahren bei der Reſtitution iſt die über das ſogenannte ju - dicium rescindens und rescissorium, womit es folgende Bewandtniß hat(l)Ausführlich handelt davon Burchardi § 24. 25. 26, wo auch viele andere Schriftſteller angeführt und beurtheilt werden..

Der Zweck der Reſtitution, die Herſtellung des Ver - letzten in ſeinen früheren Zuſtand, kann nach Verſchiedenheit der Umſtände auf zweierlei Weiſe erreicht werden.

Es kann geſchehen durch ein einfaches Decret des Prätors, welches in Folge einer bloßen cognitio die Sache völlig erledigt, ſo daß Nichts mehr zu thun übrig bleibt. Dieſer Fall tritt ſtets ein bei der Reſtitution gegen Ver - ſäumniſſe oder Verſehen im Prozeß, indem das Decret die reſtituirte Partei in dieſelbe Lage verſetzt, wie wenn die232Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Verſäumniß oder das Verſehen nicht Statt gefunden hätte. Derſelbe Fall findet ſich oft, ja meiſtens, bei der Reſtitution eines Minderjährigen. Hat Dieſer eine Sache zu theuer gekauft oder zu wohlfeil verkauft, ſo wird der Gegner gezwungen, im erſten Fall das Geld, im zweiten die ver - kaufte Sache zurück zu geben, und mit dieſem Decret iſt jeder Verletzung des Minderjährigen vollſtändig abgehol - fen(m)L. 24 § 4 de min. (4. 4 ), L. 39 § 6 de proc. (3. 3 ), L. 39 pr. de evict. (21. 2) fundus praetoria cognitione ablatus. . Allein auch dieſe cognitio des Prätors kann wieder auf verſchiedene Fragen gerichtet ſeyn, alſo in ver - ſchiedene Stufen der Unterſuchung zerfallen, deren jede viel - leicht durch ein beſonderes Decret entſchieden wird, indem z. B. das Alter ſelbſt, ferner das Daſeyn einer Verletzung, endlich der Zuſammenhang der Verletzung mit der Minder - jährigkeit, beſtritten werden kann(n)L. 39 pr. de min. (4. 4)..

Es kann aber auch geſchehen durch das reſtituirende Decret des Prätors, verbunden mit einem darauf folgenden ganz anderen Rechtsſtreit, durch welchen erſt die völlige Befriedigung des Verletzten herbeigeführt wird. In vielen Fällen nämlich ſoll die Reſtitution nur dazu dienen, ein Hinderniß wegzuräumen, welches dem Gebrauch irgend eines anderen ſelbſtſtändigen Rechtsmittels (Klage oder Einrede) im Wege ſteht. Dann erwartet der Verletzte von der Re - ſtitution nicht ſowohl die Herſtellung des erwünſchten frü - heren Zuſtandes ſelbſt, als die Herſtellung eines verlorenen233§. 337. Reſtitution. Verfahren.Klagerechts, deſſen Anwendung ihm dann, wie er hofft, zum Genuß jenes Zuſtandes verhelfen ſoll. Hieraus ent - ſtehen alſo zwei an ſich getrennte Prozeſſe, und man kann die Reſtitution inſofern eine bedingte Hülfe nennen, als ſie dem Verletzten nur unter der Bedingung einen wirklichen Vortheil verſchafft, als er den zweiten Prozeß gewinnt.

Auf zuſammengeſetzte Verhältniſſe der hier beſchriebenen Art beziehen ſich die oben erwähnten Kunſtausdrücke. Ju - dicium rescindens nennen unſre Schriftſteller den Streit über die Reſtitution, der mit dem Ausſpruch derſelben endigt (alſo die praetoria cognitio); judicium rescissorium den darauf folgenden Rechtsſtreit, der durch die Reſtitution erſt möglich geworden iſt. Der erſte dieſer Ausdrücke iſt von den Neueren willkürlich gebildet; der zweite iſt ein ächter Kunſtausdruck, von den Römern abwechſelnd gebraucht mit restitutorium judicium oder actio(o)Rescissoria actio. L. 28 § 5. 6 ex quib. caus. (4. 6 ), L. 24 C. de R. V. (3. 32 ), L. 18 C. de j. postlim. (8. 51). Restituto - ria actio oder judicium. L. 3 § 1 de eo per quem (2. 10 ), L. 46 § 3 de proc. (3. 3 ), L. 7 § 3 quod falso (27. 6).. Nur iſt der Ausdruck rescissoria actio nicht beſchränkt auf die Herſtellung einer verlorenen Klage durch die prätoriſche in integrum resti - tutio; derſelbe wird vielmehr auch gebraucht, wenn eine ſolche Herſtellung unmittelbar nach einer Regel des Civilrechts, unabhängig von dem freien Ermeſſen des Prätors ein - tritt(p)Wenn z. B. eine Frau expromittirt, ſo wird ſie nicht ver - pflichtet, aber die eigentlich unter - gegangene Klage des vorigen.

234Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Das hier beſchriebene zuſammengeſetzte Verfahren iſt beſonders anwendbar auf die Reſtitution der Abweſenden, bei welcher ſchon die Worte des Edicts auf die Wieder - herſtellung einer verlorenen Klage gerichtet waren (§ 325). Es iſt aber keinesweges auf dieſen Reſtitutionsgrund ein - geſchränkt, ſondern nicht ſelten auch bei Minderjährigen anwendbar, und es iſt auf der anderen Seite bei Ab - weſenden nicht allgemein und nothwendig.

Die Anwendbarkeit jenes Verfahrens auf Minderjährige wird anerkannt von Ulpian in einer Stelle, die vor allen anderen dazu geeignet iſt, den Gegenſatz beider Verfahrungs - arten zur Anſchauung zu bringen(q)L. 13 § 1 de min. (4. 4). Ueber dieſe Stelle iſt zu vergleichen Burchardi S. 443. 444.. Ulpian ſagt, die Reſtitution werde einem Minderjährigen zuweilen in rem gegeben, z. B. wenn die von ihm mit Nachtheil verkaufte Sache durch neue Veräußerung in die Hand eines Dritten gekommen ſey, gegen welchen er nun in manchen Fällen Reſtitution begehren könne; dabei fügt er folgende Worte hinzu: et hoc vel cognitione Praetoria, vel rescissa aliena - tione, dato in rem judicio. Dieſe Worte enthalten die Andeutung des oben beſchrie - benen zweifachen Verfahrens: des einfachen (cognitione(p)Schuldners kann wieder gebraucht werden als rescissoria actio, wo - zu es keiner Reſtitution durch den Prätor bedarf. L. 16 C. ad Sc. Vell. (4. 29). Auch dieſe heißt anderwärts restitutoria. L. 8 § 9. 12. 13 ad. Sc. Vell. (16. 1).235§. 337. Reſtitution. Verfahren.Praetoria(r)Man muß hinzudenken: sola cognitione, denn auch die in dem zweiten Fall erwähnte rescissio alienationis geſchah ſtets in Folge einer prätoriſchen cognitio. ), und des zuſammengeſetzten, beſtehend aus der Reſtitution gegen die Veräußerung, und einer darauf folgenden Eigenthumsklage vor dem Judex. Beide Arten des Verfahrens werden hier ſo zuſammengeſtellt, daß in einem und demſelben Rechtsfall, je nach den Umſtänden, ſowohl die eine als die andere anwendbar ſeyn ſoll(s)Eine ähnliche Zuſammen - ſtellung beider Verfahrungsarten für einen und denſelben Rechtsfall findet ſich in L. 9 § 4 de jurej. (12. 2 ) (Note e); nur nicht in Beziehung auf eine Klage, ſondern auf eine Replication..

Auf der anderen Seite aber war auch bei den Abwe - ſenden das zuſammengeſetzte Verfahren nicht allgemein und nothwendig, vielmehr konnte auch hier zuweilen die einfache cognitio genügen, ja für manche Fälle wurde ſpäterhin dieſe kürzere Behandlung ſogar vorzugsweiſe angewendet. Dieſes iſt anerkannt in folgender, oft mißverſtandenen Stelle des Calliſtratus(t)L. 2 pr. ex quib. caus. (4. 6). Vgl. Burchardi S. 466 bis 468.: Hoc edictum, quod ad eos pertinet qui eo conti - nentur, minus in usu frequentatur; hujusmodi enim personis extra ordinem jus dicitur ex senatusconsultis et principalibus constitutionibus. Da hier das neuere extra ordinem als Gegenſatz gegen das urſprüngliche Verfahren nach dem Edict bezeichnet wird, ſo könnte man leicht zu der irrigen Anſicht verleitet werden, als ob der alte Juriſt das urſprüngliche, rein nach dem236Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Edict eingerichtete Reſtitutionsverfahren für eine Art von ordinarium judicium ausgeben wolle. Er will vielmehr ſagen, es werde in ſolchen Fällen jetzt Alles abgethan durch bloße cognitio, alſo extra ordinem, ohne noch eine beſon - dere actio nachfolgen zu laſſen(u)Das extra ordinem jus dicitur hat alſo hier denſelben Sinn, wie in der vorhergehenden Stelle das (sola) cognitione Praetoria (Note r).. Ferner darf den Worten des Calliſtratus nicht ein ſo allgemeiner Sinn beigelegt werden, als ob die Neuerung alle Fälle des Edicts über die Abweſenden umfaßt hätte. Ohne Zweifel iſt hier die Rede von einem der zahlreichen juriſtiſchen Privilegien der Soldaten; dieſen ſollte auf die kürzeſte und leichteſte Weiſe zu ihrem verlorenen Rechte verholfen werden, welches allerdings geſchah, wenn der Prätor extra ordinem die Sache abmachte. Andere Abweſende, z. B. Verbannte, oder auch der Freiheit Beraubte, auf ähnliche Weiſe zu begünſtigen, war weder ein juriſtiſcher, noch ein politiſcher Grund vorhanden. Und eben ſo war für den umgekehrten Fall (die Reſtitution gegen die Abweſenden) gewiß das alte Verfahren unverändert beibehalten worden(v)Darauf deuten ſelbſt die Worte der Stelle, hujusmodi enim personis extra ordinem jus dicitur; alſo nicht, wenn etwa Anweſende gegen ſolche die Re - ſtitution begehren..

Aus der hier geführten Unterſuchung ergiebt es ſich, daß in vielen Fällen das einfache Verfahren allein möglich war, in anderen Fällen das zuſammengeſetzte allerdings möglich, aber nicht durchaus nothwendig. Dann hatte ohne237§. 337. Reſtitution. Verfahren.Zweifel der Prätor freie Macht, zu entſcheiden, welches Verfahren in jedem einzelnen Fall als das zweckmäßigere vorzuziehen ſey(w)Burchardi S. 464 470. Ein paſſendes Beiſpiel, wie in einzelnen Fällen der Vorzug be - ſtimmt werden konnte, findet ſich ebendaſ. S. 443.; gewiß aber konnte auch die Partei auf das eine oder das andere antragen(x)In dieſem Sinn iſt es zu verſtehen, wenn von Manchen be - hauptet wird, beide Theile des Re - ſtitutionsverfahrens hätten ſchon nach R. R. cumulirt werden können. Burchardi S. 461 464.. Wir können aber als wahrſcheinlich annehmen, daß, ſo lange der alte ordo judiciorum beſtand, dieſem nicht ohne Noth Etwas entzogen wurde, das zuſammengeſetzte Verfahren alſo in Anwendung kam, da wo es überhaupt möglich und nicht durch dringende Gründe widerrathen war.

Im heutigen Prozeß ſteht inſofern die Sache ganz anders, als ſtets ein und derſelbe Richter über die Re - ſtitution und über die dadurch etwa herzuſtellende Klage zu erkennen hat. Es hat keinen Zweifel, daß das Verfahren über beide Rechtsfragen von Anfang an verbunden (cumu - lirt) werden kann, und daß die Partei ſchon ihre Anträge hierauf richten darf. Aber es iſt eben ſo wenig zweifelhaft, daß es dem Bedürfniß einzelner Sachen angemeſſener ſeyn kann, beide Verhandlungen gänzlich zu trennen, und zuerſt das judicium rescindens abgeſondert zu einer rechtskräftigen Entſcheidung zu bringen, ehe das rescissorium eingeleitet wird(y)Burchardi § 26. Göſchen Vorleſungen S 541..

238Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Puchta giebt dem an ſich richtig aufgefaßten Gegenſatz des judicium rescindens und rescissorium noch folgenden Zuſatz. Er ſagt, der Prätor habe auch noch das judicium rescindens gleichſam ſpalten können, indem er z. B. die Reſtitution wegen Zwanges in zwei Fragen zerlegte: eine rechtliche, über die Verletzung und deren Zuſammenhang mit dem (angeblichen) Zwang, worüber er ſelbſt (hypothe - tiſch) entſchied; eine factiſche, über das Daſeyn des Zwan - ges, worüber er von einem Judex entſcheiden ließ. Dieſes ſey die äußerſte Gränze der Reſtitution geweſen, und ſo ſey insbeſondere die actio quod metus causa behandelt worden(z)Puchta Pandekten § 105. Inſtitutionen §. 177.. Dieſe allzu ſubtile Annahme kann ich nur als einen nicht glücklichen. Vermittlungsverſuch anſehen[zwiſchen] der ſtrengen Scheidung der wahren Reſtitution von den ſogenannten Reſtitutionsklagen auf der einen Seite, und der (ungehörigen) Vermengung dieſer beiden Arten von Schutzmitteln auf der andern Seite Wenn der Prätor ſich entſchloß, eine Sache als Gegenſtand der Re - ſtitution zu behandeln, ſo entſchied er allein über die Reſti - tution als ſolche vollſtändig, und gab höchſtens nachher eine actio. Wir haben durchaus keinen Grund zu der Annahme, daß jemals im älteren Recht ein Theil der Reſtitutionsfrage an einen Judex gewieſen worden wäre.

239§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſetzung.)

Wie das eigentliche Klagerecht auf eigenthümliche Weiſe aufgehoben werden konnte(a)S. o. B. 5 §. 230 255., ſo müſſen auch für das Recht zur Reſtitution, welches mit dem Klagerecht zwar nicht gleichbedeutend, dennoch verwandt iſt, zwei beſondere Aufhebungsgründe anerkannt werden. Dieſe ſind: der Verzicht und die Verjährung.

I. Verzicht.

Zwar hat dieſer Aufhebungsgrund eine allgemeinere, über das Gebiet der Reſtitution weit hinaus reichende Natur (§ 302); dennoch muß die Anwendung deſſelben auf die Reſtitution hier beſonders feſtgeſtellt werden.

Der Berechtigte kann ſeinen[Anſpruch] auf Reſtitution, nachdem er ihn zuerſt geltend machte, aufgeben durch eine ausdrückliche Willenserklärung. Dieſe wird desistere ge - nannt; es wird aber beſonders bemerkt, dazu genüge es nicht, wenn der Berechtigte blos den Prozeß liegen laſſe, ſondern er müſſe ſeinem Recht ſelbſt gänzlich entſagen(b)L. 20 § 1 de min. (4. 4 ), L. 21 eod. Destitisse autem is videtur, non qui distulit, sed qui liti renuntiavit in totum. .

Dieſelbe Wirkung aber, wie die ausdrückliche Entſagung, hat die ſpätere Genehmigung oder Beſtätigung derjenigen Handlung, gegen welche die Reſtitution hätte geſucht werden können; alſo die comprobatio oder ratihabitio(c)L. 3 § 1 de min. (4. 4 ), L. 1. 2 C. si major factus (2. 46).. Des -240Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.gleichen kann dieſe Wirkung hervorgebracht werden auch durch ſolche Handlungen, welche mit dem Zweck und Erfolg der erlangten Reſtitution im Widerſpruch ſtehen würden. Hat alſo z. B. ein Minderjähriger die Friſt einer B. P. contra tabulas verſäumt und gegen dieſe Verſäumniß Re - ſtitution geſucht, dann aber aus demſelben Teſtament ein Legat eingefordert, ſo iſt dadurch die Reſtitution unmöglich geworden, weil durch die Forderung des Legats die Gül - tigkeit des Teſtaments anerkannt worden iſt(d)L. 30 de min. (4. 4)..

Dieſe Handlungen ſind nur dann dazu geeignet, das Recht zur Reſtitution aufzuheben, wenn ſie zu einer Zeit vorgenommen werden, worin der beſondere Zuſtand, der den Reſtitutionsgrund bildet, bereits aufgehört hat. Der Verzicht auf die Reſtitution eines Minderjährigen iſt alſo nur wirkſam, wenn er nach eingetretener Volljährigkeit erklärt wird; denn ein früherer Verzicht würde wieder der - ſelben Reſtitution unterliegen, wie das urſprüngliche Rechts - geſchäft, welches durch Reſtitution entkräftet werden ſoll. Eben ſo verhält es ſich mit der Reſtitution wegen Zwanges, wenn der Verzicht erklärt wird unter dem fortdauernden Einfluß deſſelben Zwanges, der die Reſtitution begründete; Der Verzicht iſt alſo nur gültig, wenn er im Zuſtand hergeſtellter völliger Freiheit erfolgt.

Die Anwendung dieſer letzten Regel kann in ſolchen Fällen ſchwierig und zweifelhaft werden, worin ein Rechts -241§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)geſchäft eine längere Zeit hindurch fortgeführt wird, und in mehreren einzelnen Handlungen ſichtbar hervortritt. Hier - über ſind die Aeußerungen Ulpian’s etwas ſchwankend. Wenn ein Minderjähriger einen auf längere Dauer berech - neten Vertrag ſchließt, und nach erlangter Volljährigkeit einzelne Handlungen in Beziehung auf dieſen Vertrag vor - nimmt, ſo liegt darin eine Genehmigung, wodurch die Re - ſtitution gegen den Vertrag ausgeſchloſſen wird(e)L. 3 § 1 de min. (4. 4).. Fängt ein Minderjähriger einen Rechtsſtreit an, der wäh - rend der Volljährigkeit zu ſeinem Nachtheil entſchieden wird, ſo ſoll er gegen dieſes Urtheil in der Regel nicht reſtituirt werden, ſondern nur ausnahmsweiſe, wenn der Gegner unredlicherweiſe den Rechtsſtreit ſo hingehalten hat, daß das Urtheil erſt zu dieſer Zeit erfolgte(f)L. 3 § 1 cit. Um dieſe Entſcheidung richtig zu finden, muß man hinzu denken, wie es auch wohl Ulpian meinte, daß das Urtheil unmittelbar nach erreichter Volljährigkeit erfolgte, alſo ehe der nun volljährig Gewordene Zeit hatte, die bisherige nachtheilige Führung ſeines Rechtsſtreits zu entdecken und zu verbeſſern.. Hat ein Minderjähriger eine nachtheilige Erbſchaft angetreten, und nach erlangter Volljährigkeit Erbſchaftsſchulden eingeklagt, ſo ſoll er dennoch Reſtitution gegen den Erwerb der Erb - ſchaft erhalten, weil man auf den Anfang dieſer Reihe von Handlungen ſehen ſoll(g)L. 3 § 2 eod. .. puta - vimus tamen restituendum in integrum, initio inspecto. Dieſe Entſcheidung vermag ich nicht mit allgemeinen Grundſätzen, und ins - beſondere mit der Entſcheidung über die B. P. (Note d) in Ein - klang zu bringen..

VII. 16242Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

II. Verjährung(h)Davon handelt ausführlich Burchardi § 27. Vgl. Unter - holzner Verjährungslehre § 151. bis 155..

Der Gedanke liegt ſehr nahe, die Verjährung der Re - ſtitution als eine einfache Anwendung der Klagverjährung anzuſehen, und daher die für dieſe letzte geltenden Regeln auf die Reſtitution unmittelbar anzuwenden. Dem Römi - ſchen Recht aber iſt dieſer Gedanke völlig fremd, und in ihm hat die verjährte Reſtitution mehr Verwandtſchaft mit einer verſäumten Prozeßfriſt, als mit einem verjährten Klagerecht(i)S. o. B. 4 S. 300. 307, B. 5 S. 415.. Allerdings hat nun in unſrem heutigen Recht die Reſtitution, was das Verfahren betrifft, weit mehr die Natur einer gewöhnlichen Klage angenommen (§ 337). Dennoch würde es auch hier ungehörig, oft unmöglich ſeyn, die Regeln der Klagverjährung auf die Reſtitution einfach zu übertragen; theils aus Gründen, die in der eigenthüm - lichen Natur des Gegenſtandes liegen, theils weil die Aus - ſprüche des Römiſchen Rechts über die Verjährung der Reſtitution auf der Vorausſetzung einer völligen Verſchie - denheit beider Rechtsinſtitute beruhen.

Eine durchgreifende Verſchiedenheit zeigt ſich unter andern darin, daß die Verjährung nicht blos anwendbar iſt, wenn die Reſtitution angriffsweiſe, alſo einer Klage ähnlich wir - kend, gebraucht werden ſoll, ſondern auch, wenn ſie ver - theidigungsweiſe geſucht wird, das heißt um eine verlorene243§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)Exception wieder zu erlangen, oder anſtatt einer Exception (die dadurch entbehrlich wird) der Klage eines Andern ent - gegen zu wirken. Zur Begründung dieſer Exception iſt es alſo nöthig, daß der, welcher Anſpruch auf die Reſtitution hat, dieſe binnen der vierjährigen Friſt erbitte, auch wenn der Gegner nicht innerhalb dieſer Friſt die Klage anſtellt, und dadurch das unmittelbare Bedürfniß einer Exception herbeiführt. Die Nothwendigkeit, dieſe Reſtitutionsfriſt zu wahren, iſt alſo nicht zu verwechſeln mit einer Verjährung der Exception als ſolcher, von welcher allerdings nicht die Rede ſeyn kann(k)S. o. B. 5 S. 414. 415. Für den Fall der Minderjährigkeit wird die hier aufgeſtellte Noth - wendigkeit, die Reſtitutionsfriſt zu beobachten, ausdrücklich anerkannt von Ulpian in L. 9 § 4 de jurej. (12. 2)..

Ein wichtiger Fall der Anwendung einer ſolchen Ex - ception iſt ſchon oben vorgekommen. Wenn die Sache eines Abweſenden von einem Anderen uſucapirt wird, nach der Rückkehr des vorigen Eigenthümers aber durch Zufall wieder in deſſen Beſitz kommt, ſo bedarf Dieſer zu ſeinem Schutz keiner Klage, ſondern nur einer Exception (§ 330. r). Um aber dieſe Exception in irgend einer künftigen Zeit mit Erfolg gebrauchen zu können, muß er den Anſpruch auf dieſelbe durch Reſtitution binnen vier Jahren begründen.

Geſetzt nun, dieſer vorige Eigenthümer verliert abermals den wieder erlangten Beſitz, bevor es zu einem Rechtsſtreit gekommen iſt, ſo befindet er ſich wieder in der früheren16*244Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Lage, und bedarf der Reſtitution, um ſeine Klage gegen Den, der uſucapirt hat, zu begründen oder zu ſichern, ſo wie es oben ausgeführt worden iſt. Damit ſcheint im Widerſpruch zu ſtehen eine Stelle des Paulus, nach welcher dieſe neue Klage nicht mehr an die Reſtitutionsfriſt gebunden ſeyn ſoll(l)L. 31 ex quib. caus. (4. 6 ) Si is, cujus rem usucepit reip. causa absens, possessionem suae rei ab illo usucaptae nactus sit, etsi postea amiserit, non temporalem, sed perpe - tuam habet actionem. Die Gloſſe ſetzt zur Löſung der Schwie - rigkeit voraus, der vorige Eigen - thümer habe wirklich Reſtitution geſucht und erhalten, nachher aber den Beſitz wieder erlangt. Dann aber verſtand ſich doch die Sache zu ſehr von ſelbſt, um noch einer Erwähnung werth zu ſeyn.. Dieſe Behauptung läßt ſich mit allgemeinen Grundſätzen nur durch die Annahme in Ein - klang bringen, daß hier Paulus von der Klage gegen einen dritten Beſitzer rede, nicht gegen Den, welcher uſu - capirt hat. Denn wenn gegen dieſen Dritten mit der Pu - bliciana geklagt wird, ſo hat derſelbe allerdings nicht die exceptio dominii (da nicht er uſucapirt hatte), und es bedarf mithin auch nicht zu deren Ueberwindung einer Re - ſtitution, alſo auch nicht der Beobachtung einer Reſti - tutionsfriſt.

§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſetzung.)

Es ſind nunmehr die Bedingungen dieſer Verjährung aufzuſtellen; die Anordnung dieſer Bedingungen ſoll, der leichteren Vergleichung wegen, ſo viel als möglich den Be -245§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)dingungen der Klagverjährung angenähert werden(a)S. o. B. 5 §. 239 247.. Sie beziehen ſich auf den Anfang, die Unterbrechung, den Ablauf der Verjährung.

1.

Der Anfang dieſer Verjährung iſt abzuleiten aus der Natur des Reſtitutionsgrundes. Dieſer wurde im All - gemeinen gedacht als ein beſonderer (abnormer) Zuſtand des Verletzten, dazu geeignet, eine ſolche außerordentliche Rechtshülfe zu rechtfertigen (§ 320). Die Verjährung fängt daher an in dem Zeitpunkt, worin jener abnorme Zuſtand aufhört; nicht früher, nicht ſpäter. Für die meiſten und wichtigſten Fälle hat dieſe Regel keinen Zweifel; es wird darauf ankommen, die einzelnen Reſtitutionsgründe unter dieſem Geſichtspunkt durchzugehen.

Die Reſtitution wegen Minderjährigkeit verjährt vom vollendeten fünf und zwanzigſten Lebensjahre an(b)L. 7 pr. C. de temp. (2. 53).; wird der Minderjährige früher für volljährig erklärt, von dieſem Zeitpunkt an(c)L. 5 pr. C. de temp. (2. 53).. Dieſe Regel aber hat nicht zu - gleich die Bedeutung, als ob es dem Minderjährigen ver - ſagt wäre, ſchon früher die Reſtitution zu erbitten; er kann Dieſes zu jeder Zeit thun(d)L. 5 § 1 C. de in int. rest. min. (2. 22)., und eben hieraus erklärt es ſich, daß auch gegen eine ſolche, auf übereilte Bitte ertheilte, Reſtitution wiederum eine neue Reſtitution geſucht werden kann (§ 319 Note u).

246Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Reſtitution wegen Abweſenheit verjährt von dem Zeitpunkt an, mit welchem das Hinderniß der Rechtsver - folgung aufhört(e)L. 1 § 1 ex quib. caus. (4. 6), intra annum quo primum de ea re experiundi potestas erit . L. 7 § 1 C. de temp. (2. 53).; alſo in der Regel, ſobald der Ab - weſende nach ſeinem Wohnort zurückkehrt.

Die Reſtitution wegen Zwang muß nach demſelben Grundſatz verjähren von der Zeit an, in welcher der ab - norme Zuſtand des Zwanges, d. h. der abſichtlich erregten Furcht, aufhört, der Verletzte alſo ſeine volle Freiheit zu handeln wieder erlangt. Die Zweifel gegen dieſe Annahme können erſt bei dem Ablauf der Verjährung deutlich gemacht werden. Schon hier aber iſt zu bemerken, daß dieſe Beſtimmung von ſehr geringer praktiſcher Erheblichkeit iſt. Denn es kann zwar leicht geſchehen, daß eine einzelne, vorübergehende Handlung durch Zwang erpreßt werde, und darauf eben bezieht ſich dieſe ganze Reſtitution. Dagegen iſt es nicht leicht denkbar, daß ein ſolcher Zuſtand ſo lange fortdauere, wie es zum Ablauf der Verjährungszeit, oder auch nur eines merklichen Theils derſelben, nöthig wäre; denn in einem ſolchen Zeitraum wird es faſt immer dem Bedrohten möglich ſeyn, richterlichen oder polizeilichen Schutz für ſeine Freiheit zu finden.

Die Reſtitution wegen Betrugs wird auf gleiche Weiſe verjähren müſſen mit dem Aufhören des abnormen Zu - ſtandes, d. h. der Täuſchung, in welche der Verletzte durch247§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)den unredlichen Willen des Gegners verſetzt worden iſt. Die Zweifel gegen dieſe Behauptung werden auch hier erſt bei dem Ablauf der Verjährung erwähnt werden. Die praktiſche Unerheblichkeit dieſer Beſtimmung, die ſo eben bei dem Zwang bemerkt worden iſt, läßt ſich bei dem Be - trug nicht geltend machen. Denn der Zuſtand einer ab - ſichtlich erregten Täuſchung kann allerdings lange Zeit hin - durch fortdauern, alſo nicht blos auf einzelne, vorüber - gehende Handlungen einwirken.

Eben ſo verhält es ſich mit der Reſtitution wegen Irrthums, die alſo auch verjähren müßte von der Zeit an, in welcher der Verletzte von dem Irrthum befreit wird. Hier aber iſt die Frage weniger erheblich, weil dieſe ganze Reſtitution nicht nur an ſich unwichtig iſt, ſondern auch faſt nur bei Prozeßverſäumniſſen vorkommt, wobei von einer Verjährung der Reſtitution nur ſelten die Rede ſeyn wird.

Der bisher aufgeſtellte Grundſatz aber für den Anfang der Verjährung iſt völlig unanwendbar auf diejenigen Re - ſtitutionsgründe, welche nicht ſo, wie die bisher erwähnten, ein zufälliges und vorübergehendes, ſondern ein immer - währendes Daſeyn haben. So verhält es ſich mit der Reſtitution der Stadtgemeinden, der Kirchen und Klöſter, die niemals aufhören, in dem Zuſtand zu ſeyn, der ihnen überhaupt Anſpruch auf Reſtitution giebt. Hier bleibt Nichts übrig, als die Verjährung anfangen zu laſſen von der Zeit der Verletzung ſelbſt, gegen welche die Reſti -248Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.tution Hülfe gewähren ſoll. Bei den Kirchen iſt dieſer an ſich unzweifelhafte Grundſatz auch geſetzlich anerkannt(f)C. 1 de rest. in VI. (1. 21) si quadriennii spatium post sit lapsum (nämlich post senten - tiam vel contractum). C. 2 eod. infra quadriennium ab ipsius confessionis tempore computan - dum . Clem. un. de rest. (1. 11) infra quadriennium continuum a tempore laesionis . .

Der Anfang der Verjährung iſt hier in der Regel feſt - geſtellt worden auf die Zeit, in welcher der den Reſtitu - tionsgrund bildende abnorme Zuſtand aufhört; ausnahms - weiſe auf die Zeit der Verletzung. Nach einer ſehr ver - breiteten Meinung aber ſoll ſelbſt in dieſen Zeitpunkten die Verjährung nicht anfangen können, wenn nicht noch eine andere Bedingung hinzutrete: das Bewußtſeyn des Ver - letzten von der erlittenen Verletzung(g)Vgl. oben B. 3 S. 415, B. 5 S. 282. Glück B. 6 § 465 Note 3. Burchardi S. 517 524. Puchta Pandekten § 105. e. .

Einige ſtellen dieſe Behauptung ganz allgemein auf, alſo ſchon für das Römiſche Recht. In dieſer Geſtalt iſt ſie am entſchiedenſten zu verwerfen, da ſie mit Irrthümern theils über eine ähnliche Bedingung der Klagverjährung, theils über den Römiſchen Kunſtausdruck der experiundi potestas zuſammenhängt.

Andere wollen dieſelbe Behauptung nur aus dem cano - niſchen Recht ableiten, welches in Beziehung auf die Kirchen das Bewußtſeyn der Verletzung für den Anfang der Ver - jährung fordern ſoll; theils indem ſie nun den Satz ſelbſt249§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)auf die Kirchen beſchränken, theils indem ſie demſelben eine allgemeinere Bedeutung beilegen, und die Erwähnung bei den Kirchen nur für einen zufälligen Umſtand halten, indem das canoniſche Recht ihn als allgemein wahr voraus - ſetze(h)Ueber dieſen letzten Gegen - ſatz erklärt ſich ſchwankend Bur - chardi S. 523 ( zum wenigſten was die Reſtitution der Kirchen .. betrifft )..

In der That aber enthält das canoniſche Recht jenen Satz gar nicht, weder allgemein, noch für die Kirchen. Man hat denſelben finden wollen in den Ausdrücken: Ecclesia quae .. beneficium restitutionis in integrum .. negligenter omiserit (i)C. 1 de rest. in VI. (1. 21 ) Faſt mit denſelben Worten in C. 2 eod. ; eine Nachläſſigkeit nämlich ſey nur vorhanden, wenn die Kirche von der Verletzung unter - richtet ſey, und dennoch die Bitte unterlaſſe. Dabei liegt ein gänzliches Verkennen des Weſens dieſer Verjährung zum Grunde. Das Römiſche Recht geht aus von der Anſicht, daß jeder Minderjährige, der volljährig werde, jeder Abweſende, der zurückkehre, ſogleich ſeinen ganzen Rechtszuſtand durchforſchen ſolle, um etwa vorgefallene Ver - letzungen zu entdecken und zur Abhülfe zu bringen. Dazu hält man Vier Jahre (früher Ein Jahr) für hinreichend, und wer in dieſer Zeit eine Verletzung nicht entdeckt, der gilt als nachläſſig, und verfällt der Verjährung; nicht erſt, wenn er ſie entdeckt und nur zu träge iſt, um ſie vor Ge - richt geltend zu machen(k)Eben ſo verhält es ſich auch mit dem Anfang der Klag -. Darauf bezieht ſich nun der250Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Ausdruck des canoniſchen Rechts: negligenter omiserit, da wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß das Römiſche Recht hierin von den Päbſten entweder miß - verſtanden ſey, oder habe abgeändert werden ſollen.

Nach der hier aufgeſtellten Anſicht iſt alſo für den An - fang der Verjährung das Bewußtſeyn des Verletzten ganz gleichgültig. Nur bei zwei Reſtitutionsgründen verhält es ſich in ſofern anders, als bei ihnen der abnorme Zuſtand, deſſen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtſeyn des Verletzten beſteht. Dieſes iſt der Betrug und der Irrthum. Der Verletzte muß alſo aufgehört haben, unter der Herrſchaft jenes mangelhaften Bewußtſeyns zu ſtehen, damit die Verjährung anfangen könne; die Täuſchung iſt in dieſen Fällen Daſſelbe, welches in anderen Fällen die Minderjährigkeit oder die Abweſenheit iſt, ein in beſonderen Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die hier aufgeſtellte Behauptung alſo geht nicht etwa auf eine Ausnahme von den oben angegebenen Grundſätzen, ſondern vielmehr auf eine reine Anwendung derſelben(l)Auf die Reſtitution wegen Zwanges kann Dieſes natürlich nicht angewendet werden, da es kaum denkbar iſt, daß Jemand zu einer Handlung gezwungen werden ſollte,.

Eine unmittelbare Beſtätigung dieſer Behauptung liegt in einer Stelle des canoniſchen Rechts. Wenn eine Kirche(k)verjährung, nur mit dem Unter - ſchied, daß dabei kein abnormer Zuſtand aufgehört haben muß, folglich die Verjährung ſtets mit der Verletzung ſelbſt anfängt.251§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)durch ihr gerichtliches Geſtändniß in Nachtheil kommt, ſo kann ſie als Kirche Reſtitution verlangen binnen Vier Jahren, von dem Geſtändniß an. Wenn ſie aber einen Irrthum in dem Geſtändniß nachweiſt, und deswegen (ſo wie jeder Andere) Reſtitution begehrt (§ 331), ſo iſt ſie an die Vier Jahre nicht gebunden(m)C. 2 de restit. in VI. (1. 21).. Das will ſagen, die Reſtitutionsfriſt werde ihr dann gerechnet, nicht von dem Geſtändniß (der Läſion) an, ſondern von der Zeit des entdeckten Irrthums an. Darin liegt zugleich die vollſtän - dige Widerlegung der ſo eben erwähnten Behauptung, nach welcher die Kirchen wegen des Anfangspunktes der ihnen als Kirchen zuſtehenden Reſtitution beſonders privilegirt ſeyn ſollen.

§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſetzung.)

2. Ununterbrochene Fortdauer der Verjährung.

Die zweite Bedingung der Verjährung beſteht (bei der Reſtitution, wie bei den Klagen) in der ununterbrochenen Fortdauer bis zum Schluß. Es fragt ſich alſo, worin eine Unterbrechung derſelben beſtehen könne.

Dieſe kann erſtlich darin liegen, daß der abnorme Zu - ſtand, in deſſen Aufhören der Anfang der Verjährung geſetzt wurde, vor dem Ablauf von Neuem eintritt. Bei der Minderjährigkeit iſt Dieſes von ſelbſt unmöglich, bei der(l)ohne zugleich zu wiſſen, daß Dieſes zu ſeinem Schaden geſchehe.252Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Abweſenheit kann es allerdings vorkommen. Wenn alſo der Abweſende zurückkehrt, vor Ablauf der Verjährung ſeinen Wohnort abermals verläßt, und dieſen abwechſelnden Zuſtand vielleicht öfter wiederholt, ſo ſind zwei verſchiedene Behandlungen dieſes Falles denkbar. Man könnte erſtens alle einzelne Zeiten der Gegenwart zuſammen rechnen, und die Verjährung als vollendet annehmen, wenn die Summe der geſetzlichen Verjährungszeit gleich käme. Man könnte aber auch zweitens die Verjährung nur dann für vollendet halten, wenn irgend eine einzelne Zeit der Gegenwart ſo lange gedauert hätte, als das Geſetz für die Verjährung fordert. Von dieſen beiden Berechnungsarten iſt die zweite, dem Verletzten günſtigere, als die richtige anzuſehen(a)L. 28 § 3 ex quib. caus. (4. 6). Daß die Stelle wirklich dieſen Sinn hat, zeigt folgender Anfang derſelben: Si quis sae - pius reip. causa abfuit, ex novissimo reditu tempus resti - tutionis esse ei computandum, Labeo putat ; wobei natürlich vorausgeſetzt wird, daß er nicht ſchon nach der früheren Abweſen - heit, in welcher er durch Uſucapion einen Verluſt erlitten hatte, ein volles Jahr zu Hauſe geblieben war. Die nachfolgenden Worte könnten ſo verſtanden werden, als wenn von einem Zuſammenrechnen der Zeiten der Abweſenheit die Rede ſeyn möchte, die doch ganz gleichgültig ſind. In den Worten: si omnes quidem ab - sentiae annum colligant liegt daher ein ungenauer Ausdruck für die auf jede Abweſenheit folgende Zeit der Gegenwart, während welcher ja allein die Verjährung laufen kann. Cujacius obs. XIX. 15 ſagt ganz richtig, absentiae ſtehe hier für intervalla absen - tiarum. . Dabei liegt alſo der Gedanke zum Grunde, dem Verletzten müſſe irgend einmal die volle, ununterbrochene Verjährungs - zeit geſtattet worden ſeyn, um an ſeinem Wohnort prüfen253§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)zu können, welchen Einfluß die Vergangenheit, in welcher er abweſend war, auf ſeine Rechtsverhältniſſe etwa aus - geübt haben möge.

Zweitens kann die Unterbrechung aber auch darin liegen, daß der Verletzte ſein Recht zur Reſtitution wirklich geltend macht; dürften wir hier die Regeln von der Klagverjährung anwenden, ſo würde die Unterbrechung ſchon in der In - ſinuation des Reſtitutionsgeſuchs zu finden ſeyn(b)S. o. B. 5 § 242.. Allein Juſtinian ſagt ausdrücklich, innerhalb der Verjährungs - friſt müſſe der Reſtitutionsprozeß nicht nur angefangen, ſondern auch vollendet werden, ſonſt ſey die Reſtitution ver - loren(c)L. 7 pr. C. de temp. (2. 53) continuatio temporis observetur ad interponendam contestationem finiendamque litem . Wiederholt und beſtätigt in Clem. un. de rest. (1. 11)..

Es würde unrichtig ſeyn, dieſe Vorſchrift, ſo fremdartig ſie uns erſcheinen mag, als eine von Juſtinian aus - gegangene willkürliche Neuerung anzuſehen. Schon frühere Kaiſergeſetze ſtimmen damit völlig überein(d)Burchardi S. 503 506.; ja auch ſchon die alten Juriſten ſetzen denſelben Grundſatz voraus, indem ſie den Ablauf der Friſt vor beendigtem Reſtitutions - prozeß nur dann für unſchädlich halten, wenn die Ver - zögerung des Rechtsſtreits dem Gegner zur Laſt fällt(e)L. 39 pr. de min. (4. 4).. Auch ſchließt ſich dieſe Vorſchrift ganz einfach an die Pro - zeßverjährung des alten Rechts an, und ſie war bei der254Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Reſtitution um ſo natürlicher, als dieſe ſtets durch bloße cognitio vor dem Prätor abgemacht wurde, die wir gewiß als ein ſehr ſchleuniges Verfahren denken dürfen.

Für unſren heutigen Prozeß aber würde die Beobach - tung dieſer Vorſchrift ganz unpaſſend ſeyn, und ſo iſt denn auch die Praxis von jeher darüber einverſtanden geweſen, dieſelbe unbeachtet zu laſſen(f)Burchardi S. 507. Göſchen Vorleſungen S. 543.. Die Unterbrechung der Verjährung erfolgt demnach durch die Inſinuation des Re - ſtitutionsgeſuchs, und die Verjährung der Reſtitution iſt in in dieſem Punkte mit der Klagverjährung ganz auf gleiche Linie getreten.

3. Ablauf der Verjährung.

Dieſer war urſprünglich auf Ein Jahr beſtimmt, und zwar auf einen annus utilis, ſowohl für die Minderjährigen, als für die Volljährigen(g)L. 19 de min. (4. 4 ), L. 7 pr. C. de temp. (2. 53) (für Minder - jährtge). L. 1 § 1, L. 28 § 3. 4 ex quib. caus. (4. 6) (für Volljährige).. Bei den Minderjährigen heißt dieſe Zeit legitimum tempus(h)L. 19 de min. (4. 4 ), L. 6 pr. C. de temp. (2. 53.)., ohne Zweifel, weil ſie aus der Lex Plätoria auf die Reſtitution übertragen war(i)Zeitſchrift für geſchichtliche Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 253. Unrichtig bezieht Burchardi S. 499 dieſen Ausdruck auf das prätoriſche Edict..

Conſtantin gab für dieſe Verjährungszeit mannich - faltige und verwickelte Vorſchriften(k)Burchardi S. 500. 501.. Juſtinian aber führte wieder Alles auf eine einfache, leicht anwendbare Regel zurück, indem er anſtatt des alten annus utilis Vier255§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)gewöhnliche Kalenderjahre (quadriennium continuum), als allgemeine Verjährungsfriſt der Reſtitution vorſchrieb(l)L. 7 pr. C. de temp. (2. 53).. Nur bei den für volljährig erklärten Minderjährigen gilt das beſondere Recht, daß ihre Reſtitution für frühere Ver - letzungen niemals vor dem vollendeten fünf und zwanzigſten Jahre verjähren ſoll, ſo daß alſo in dieſem Fall die Ver - jährung zuweilen länger als Vier Jahre dauern kann(m)L. 5 pr. C. de temp. (2. 53)..

Irrigerweiſe wird die von Juſtinian neu eingeführte Zeit der Vier Jahre von Manchen auch auf die ſogenannten Reſtitutionsklagen angewendet(n)Burchardi S. 513. 514.; dieſe falſche Meinung iſt eine Folge der ſchon oben ausführlich widerlegten Ver - mengung dieſer Klagen mit der Reſtitution (§ 316). Eben ſo irrig iſt es, wenn Andere die Verjährung der Vier Jahre nicht nur auf das ſogenannte judicium re - scindens, ſondern auch auf das rescissorium beziehen, ſo daß jedes dieſer Rechtsmittel ſeine beſondere vierjährige Verjährung haben ſoll(o)Burchardi S. 507. 508.. Dieſe Meinung beruht auf einem gänzlichen Verkennen der Natur dieſer beiden Rechts - mittel. Das ſogenannte rescindens iſt der einzige, aber auch vollſtändige Reſtitutionsprozeß, und darauf beziehen ſich die Vier Jahre. Das rescissorium iſt eine gewöhnliche Klage, die von der verſchiedenſten Art ſeyn kann, und bald dieſer, bald jener Klagverjährung unterworfen iſt(p)Dieſe Klagverjährung kann in jedem Fall erſt anfangen von der Zeit der rechtskräftig ertheilten Reſtitution, weil die Klage ver - loren war und erſt jetzt wieder ent - ſtanden (actio nata) iſt. Es wird;256Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.dafür war gar kein Bedürfniß vorhanden, jetzt etwas Neues vorzuſchreiben.

Dagegen muß allerdings behauptet werden, daß die vierjährige Verjährung für alle Reſtitutionen gilt(q)Burchardi S. 509 514. Nur freilich nicht, wie dieſer Schrift - ſteller behauptet, für die Reſtitution wegen capitis deminutio, die im alten Recht gar keine Verjährung hatte, und im neuen Recht nicht mehr vorhanden iſt (§ 333).. Von den wichtigſten Reſtitutionen, wegen Minderjährigkeit und Abweſenheit, iſt Dieſes ſchon oben dargethan worden (Noten g. l). Es bedarf nur noch einer näheren Prüfung dieſer Frage in Beziehung auf Zwang und Betrug, wobei auch die ſchon oben erwähnte, aber ausgeſetzte Frage wegen des Anfangs der Verjährung in dieſen beiden Fällen (§ 339) ihre Erledigung finden muß.

Die actio quod metus causa verjährt in Einem annus utilis von der Zeit des Zwanges an, und es ſcheint in - conſequent, daß daneben eine vierjährige Reſtitution wegen deſſelben Zwanges gelten ſollte. Allein jene kurze Verjäh - rung tilgt die Klage nur, inſofern ſie zur Strafe des vier - fachen Erſatzes führen kann; wird ſie auf den einfachen Erſatz gerichtet, ſo iſt ſie ganz ohne Verjährung(r)L. 14 § 1. 2 quod metus (4. 2).. Da nun die Reſtitution ſtets nur zum einfachen Erſatz führt, ſo iſt es gewiß nicht inconſequent, neben der immerwäh - renden Klage eine auf Vier Jahre beſchränkte Reſtitution zur Wahl zu ſtellen.

(p)aber von ihr faſt nie die Rede ſeyn, weil die Reſtitution meiſt geſucht wird von Dem, welcher die reſtituirte Klage unmittelbar dar - auf anſtellen will.

257§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

Die actio doli verjährt nach Conſtantin’s Geſetz in Zwei Jahren, welche vom Betrug ſelbſt anfangen, ohne Rückſicht auf das Bewußtſeyn des Betrogenen(s)L. 8 C. de dolo (2. 21).. Dabei ſcheint es wieder inconſequent, eine vierjährige Reſtitution daneben zu ſtellen, und dieſe erſt anfangen zu laſſen, wenn der Betrogene die Täuſchung erfährt (§ 339). Allein die zweijährige Verjährung (früher einjährig) geht nur auf die eigentliche actio doli, welche entehrt; daneben ſteht eine immerwährende actio in factum auf bloße Entſchädigung mit Schonung der Ehre(t)L. 28 de dolo (4. 3)., und neben dieſe Klage auch noch eine auf gleichen Zweck gerichtete vierjährige Reſtitution zu ſtellen, iſt gewiß nicht inconſequent; auch kann es nicht ſtörend gefunden werden, daß die actio in factum auf die Bereicherung des Beklagten beſchränkt wird, welche Be - ſchränkung bei der Reſtitution nicht vorkommt.

§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſetzung.)

Bei der Verjährung der Reſtitution ſind zuletzt noch einige Fragen von beſonders verwickelter Natur zu erörtern, die ſich auf das Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutions - gründe beziehen. In ſolchen Fällen werden faſt immer ver - ſchiedene Zeitpunkte des Ablaufs der Verjährung eintreten, und es iſt dann zu beſtimmen, in welcher Verbindung dieſe verſchiedene Reſtitutionen aufzufaſſen ſind, um das Schickſal der Reſtitution überhaupt feſtzuſtellen.

VII. 17258Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ein ſolches Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutionen kann vorkommen ſowohl in einer und derſelben Perſon, als in mehreren Perſonen, wenn nämlich die eine Reſtitution durch Succeſſion auf eine andere Perſon übergegangen iſt (§ 335).

I. Bei dem Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutionsgründe in einer und derſelben Perſon iſt vor Allem die Frage zu beantworten, ob es zuläſſig iſt, gerade gegen die Verjährung einer Reſtitution wiederum eine neue Reſtitution zu ſuchen. Dieſe Frage wird von unſern Schriftſtellern ſchlechthin ver - neint, und zwar aus zwei Gründen: erſtlich aus dem all - gemeinen Grunde, weil ſonſt kein Ende des Reſtituirens zu finden wäre, zweitens wegen einer ausdrücklichen Stelle des Ulpian, L. 20 pr. de minor .(a)Burchardi S. 134. Puchta Pandekten §. 107. h. Vor - leſungen S. 216.. Beide Gründe ſind aber unhaltbar, und ich muß jene Frage entſchieden bejahen. Daß es mit der angeblichen Endloſigkeit der Re - ſtitution keine Gefahr hat, wird ſich aus der Betrachtung der einzelnen möglichen Fälle ſolcher Art ergeben, die über - haupt nur äußerſt ſelten vorkommen können; die Stelle des Ulpian aber hat einen ganz anderen Sinn, wie ſogleich gezeigt werden wird.

Erſtlich machen gar keine Schwierigkeit die Fälle, in welchen die Minderjährigkeit als Reſtitutionsgrund zuletzt vorhanden iſt. Geſetzt, es wird eine Sache von einem Abweſenden uſucapirt, welcher in die Heimath zurückkehrt, als der vorige Eigenthümer Zwanzig Jahre alt iſt, ſo ver -259§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)jährt die Reſtitution wegen Abweſenheit binnen Vier Jahren, und man könnte nun fragen, ob der Verletzte gegen dieſe Verjährung als Minderjähriger Reſtitution erhalten könne. Dieſe Frage iſt aber ganz müßig, denn da die Reſtitution der Minderjährigen die umfaſſendſte unter allen iſt, ſo kann der Verletzte bis zum Alter von Neun und zwanzig Jahren gegen jene Uſucapion ſchon als Minderjähriger unmittelbar Reſtitution erlangen, wobei dann die Abweſenheit, ſo wie die bereits eingetretene Verjährung, und die Reſtitution gegen dieſe Verjährung, als ganz gleichgültig erſcheint.

Betrachten wir aber nun den umgekehrten Fall, da die Minderjährigkeit als Reſtitutionsgrund nicht zuletzt vor - handen iſt. Geſetzt, ein Minderjähriger iſt abweſend, während ſeiner Abweſenheit wird er volljährig, nachdem er (vor oder in der Abweſenheit) einen nachtheiligen Ver - trag geſchloſſen hat. Als er Dreißig Jahre alt iſt, kehrt er zurück. Eigentlich iſt ſeine Reſtitution ſchon ſeit einem Jahre verjährt, es fragt ſich aber, ob er gegen dieſe Ver - jährung Reſtitution ſuchen könne. Dieſes verneint Ulpian, übereinſtimmend mit Papinian(b)L. 20 pr. de min. (4. 4)., indem er ſagt, die Abweſenheit ſey hier nicht zu berückſichtigen, und das iſt eben die Stelle, woraus bewieſen werden ſoll, daß gegen die Verjährung einer Reſtitution überhaupt keine Reſtitution möglich ſey (Note a). Allein Ulpian giebt gar nicht dieſen Grund ſeiner Entſcheidung an, ſondern vielmehr den17*260Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.ganz anderen, daß hier die Abweſenheit gar kein Hinderniß für die Bitte um Reſtitution geweſen ſey, daß alſo die Grundbedingung aller Reſtitution fehle (§ 320 Note d); denn auch während der Abweſenheit habe die Reſtitution gegen den Vertrag geſucht werden können, und zwar ſo - wohl durch einen Procurator bei dem Prätor in Rom, als in eigener Perſon bei dem Statthalter der Provinz, worin der volljährig Gewordene lebte (welches Letzte Papinian nicht einmal erwähnt hatte). Hierin zeigt ſich nun wieder die Verſchiedenheit der Klagen von der Reſtitution. Wenn ein abweſender Minderjähriger ein ihm zuſtehendes einjäh - riges Interdict verjähren läßt, dann volljährig wird, und ſpäter zurückkehrt, ſo kann er nun noch das Interdict an - ſtellen binnen der Reſtitutionsfriſt, und dieſe Friſt läuft ihm nicht von der Volljährigkeit, ſondern von der Rückkehr an(c)L 15 §. 6 quod vi (43 24). Die Reſtitution wegen Minder - jährigkeit kommt nun gar nicht in Betracht, weil die wegen Abweſen - heit Alles entſcheidet. Der Grund des Unterſchieds liegt zu - nächſt und formell darin, daß das Edict über die Abweſenden von einer verlorenen actio ſprach, unter welche Bezeichnung die Reſtitution nicht gehörte. Der tiefer liegende innere Grund aber war wohl der, daß es weit leichter war, auch aus der Ferne ein Reſtitutionsgeſuch zur prätoriſchen cognitio zu bringen, als einen ordentlichen Prozeß vor den Juder.. In dem Fall, welchen Ulpian anführt, war der Abweſende ein zur Strafe Verbannter geweſen, und dieſen Umſtand machte Papinian als einen unterſtützenden Grund jener Entſcheidung geltend. Deshalb tadelt ihn Ulpian, indem hier das Verbrechen keinen Einfluß habe,261§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)ſondern lediglich das Alter an ſich (und die Abweſenheit an ſich) zu berückſichtigen ſen(d)L. 20 pr. cit. Quid enim commune habet delictum cum venia aetatis? venia aetatis iſt hier nicht in dem ſonſt gewöhn - lichen Sinn zu nehmen, ſondern für beneficium aetatis, Reſtitu - tionsanſpruch des Minderjährigen. Vgl. auch oben § 326 Note r. . Nach der Anſicht Ulpian’s alſo ſollte auf die Gründe der Abweſenheit gar nicht geſehen werden. Hierin aber machte das ſpätere Recht eine Ausnahme zum Beſten der Soldaten, die nicht auffallen kann, da ſie zu den zahlreichen, auch ſonſt ſchon bekannten, Privilegien dieſes Standes gehört. Wenn nämlich ein Minderjähriger während des Soldatenſtandes volljährig wird, ſo ſoll die Verjährungszeit nicht von der Volljährig - keit, ſondern von dem Austritt aus dem Soldatenſtand an - fangen(e)L 1 C. de temp. (2. 53).. Wenn ferner gegen einen Minderjährigen eine Uſucapion vollendet wird, derſelbe aber ſpäter in den Sol - datenſtand eintritt, ſo ſoll er noch immer Hülfe gegen jene Uſucapion erhalten können(f)L. 3 C. eod. . Beide Ausſprüche gehen unzweifelhaft von der Anſicht aus, daß, vermöge eines beſonderen Vorrechts, der Soldat als Abweſender Reſtitu - tion erhalten müſſe gegen den Ablauf der Verjährungsfriſt einer Reſtitution, die ihm ſeines minderjährigen Alters wegen zugeſtanden hätte.

Ich will aber nun noch den wichtigſten und am wenigſten verwickelten Fall anführen, in welchem die oben erwähnte Streitfrage vorkommen kann. Wenn Jemand aus irgend einem Grunde, wegen Minderjährigkeit, Abweſenheit u. ſ. w.,262Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.Anſpruch auf Reſtitution hat, und dieſe Reſtitution, ge - täuſcht durch Betrügereien ſeines Gegners, verjähren läßt, ſo fragt es ſich, ob er gegen dieſe Verjährung die Re - ſtitution wegen Betrugs verlangen kann. Nach der oben angeführten Meinung (Note a) muß dieſe Frage verneint werden, ich halte die Bejahung für ganz unzweifelhaft. Daß durch dieſen Fall keine endloſe Ausdehnung und Wie - derholung der Reſtitution herbeigeführt werden könne, wird wohl Jeder zugeben. Es iſt aber ferner kein Grund denk - bar, weshalb dem Verletzten die actio doli gegen den Be - trüger verſagt werden könnte. Wird nun dieſe zugegeben, ſo muß er vielmehr die nicht entehrende Reſtitution erhalten, da dieſe im vorliegenden Fall völlig zu demſelben Erfolg führt, wie die Klage, und alſo der Klage nach allgemeinen Grundſätzen vorgezogen werden muß (§ 332 Note s). Dieſe Reſtitution führt alſo dahin, daß die verjährte frühere Re - ſtitution als nicht verjährt behandelt, und dem Verletzten gewährt werden muß.

Die hier aufgeſtellte Behauptung über die Reſtitution wegen Betrugs gegen die Verjährung irgend einer anderen Reſtitution findet eine unmittelbare Beſtätigung im cano - niſchen Recht. Hier wird geſagt, die vierjährige Ver - jährung der den Kirchen zuſtehenden Reſtitution könne ent - kräftet werden, wenn der Gegner durch Betrug dieſe Ver - jährung bewirkt habe(g)C. 1 de restit. in VI. (1. 21). Ecclesia si qua - driennii spatium post sit lap - sum, et negligenter omiserit,. Es iſt durchaus kein Grund263§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)vorhanden, dieſen Ausſpruch als ein beſonderes Privilegium der Kirchen anzuſehen, indem auch die Faſſung des Aus - drucks nicht hierauf, ſondern auf die Anerkennung einer allgemein bekannten Rechtsregel hindeutet. Eben ſo iſt kein Zweifel herzuleiten aus einem Zuſatz der angeführten Decretale(h)l. c. aut alia rationa - bilis causa subsit, quae supe - riorem movere debeat ad idem beneficium concedendum. , der ſo allgemein gefaßt iſt, daß man dadurch verleitet werden könnte, die ganze Beſtimmung für eine Aeußerung willkürlicher Billigkeit, nicht für die Aner - kennung einer Rechtsregel zu halten. Auch dieſer Zuſatz läßt ſich ſtreng rechtfertigen. Die Kirche nämlich kann aus individuellen Gründen, oder auch aus allgemeinen, wie Krieg, Aufruhr u. ſ. w., längere Zeit ohne Schutz und Vertretung ſeyn. Darin würde, in Anwendung der gene - ralis clausula, ein hinreichender Grund der Reſtitution gegen alle in dieſe Zeit fallende Verſäumniſſe liegen, alſo unter anderen auch gegen die Verſäumniß der Friſt einer Reſtitution, die ſie in ihrer Eigenſchaft als Kirche binnen Vier Jahren hätte begehren können.

II. Es bleibt nun noch übrig, von dem Zuſammen - treffen mehrerer Reſtitutionen in Folge eines Succeſſions - falles zu ſprechen. Darüber enthält das Römiſche Recht folgende Regeln.

(g)non est ad beneficium hujus - modi admittenda, nisi praeva - ricationis vel fraudis manifeste probetur super hoc intervenisse commentum

264Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn ein Minderjähriger auf Reſtitution gegen ein Rechtsgeſchäft Anſpruch hat, dann ſtirbt, und von einem Minderjährigen beerbt wird, ſo iſt der Tod erfolgt entweder vor oder nach der Volljährigkeit des Erblaſſers. Im erſten Fall hat der Erbe Vier Jahre Zeit zur Reſtitution, welche von ſeiner eigenen Volljährigkeit an zu berechnen ſind(i)L. 19 de min. (4. 4 ), L. 5 §. 1 C. de temp. (2. 53 ), Paulus I. 9 § 4.. Im zweiten Fall hat der Erbe, gleichfalls von ſeiner eigenen Volljährigkeit an, ſo viel Zeit zur Reſtitution, als der Erblaſſer zur Zeit des Todes von ſeiner eigenen Re - ſtitutionsfriſt noch übrig hatte(k)L. 19 de min. (4. 4 ), L. 5 § 2 C. de temp. (2. 53)..

Auch hier findet ſich wieder ein Privilegium der Sol - daten, ähnlich dem ſchon im erſten Hauptfall erwähnten Privilegium (Note e. f.). Wenn nämlich entweder der Erblaſſer, oder der Erbe, im Heere diente, ſo ſoll da, wo ſonſt von der Volljährigkeit an zu rechnen wäre, ſtets erſt der Abſchied aus dem Heere als beſtimmender Zeitpunkt angeſehen werden(l)L. 1. 3 C. de temp. (2. 53)..

§. 342. Reſtitution. Wirkungen.

Die aus dem Grundbegriff der Reſtitution folgende Wirkung derſelben iſt die Herſtellung des früheren Rechts - zuſtandes. Hat nun die eingetretene Aenderung dieſes Zu - ſtandes, die durch die Herſtellung beſeitigt werden ſoll, eine265§. 342. Reſtitution. Wirkungen.ganz einfache Natur, wie z. B. die Schenkung, wozu ein Minderjähriger beredet worden iſt, ſo kann jene Regel als ausreichend gelten, indem eben nur die einzelne Handlung in ihren Folgen rückgängig zu machen iſt. Allein viele, ja die meiſten Aenderungen des Rechtszuſtandes haben eine ſo einfache Natur nicht, indem ſie vielmehr aus gegenſeitigen Leiſtungen, alſo aus Vortheilen und Nachtheilen auf beiden Seiten, zuſammengeſetzt ſind.

Für alle dieſe Fälle nun gilt die allgemeine und natür - liche Regel, daß der urſprüngliche Zuſtand nach allen Seiten hin wiederhergeſtellt werden muß(a)L. 24 §. 4 de min. (4. 4), ut unusquisque in integrum jus suum recipiat L. 29 ex qu. caus. (4. 6) videlicet ne cui officium publicum vel damno, vel compendio sit . L. 1 pr. C. de reputat. (2. 48.). Qui restituitur, sicut in damno mo - rari non debet, ita nec in lucro. Gleichbedeutend iſt die Vorſchrift, daß bei einem zwei - ſeitigen Vertrag der Verletzte nur die Wahl hat, ob das Geſchäft ganz gelten oder ganz nicht gelten ſoll. L. 13 §. 27. 28 de act. emti (19. 1).. Eine Anwendung[auf] die wichtigſten einzelnen Fälle wird dieſe Regel in das rechte Licht ſetzen.

Durch ein empfangenes Darlehen kann ein Minder - jähriger in Nachtheil verſetzt ſeyn, indem er das empfangene Geld verloren oder verſchwendet hat; dann führt die Re - ſtitution dahin, daß er Nichts zurückbezahlt (§ 319 Note d). Hat er das Geld nicht gerade verſchwendet, ſondern an einen unvermögenden Schuldner geliehen, ſo wird er da - durch geſchützt, daß er ſich durch Ceſſion der Klage gegen dieſen Schuldner mit ſeinem Gläubiger abfindet. Hat er266Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.mit dem geliehenen Gelde einen nachtheiligen Einkauf vor - genommen, ſo wird er gegen ſeinen Verkäufer reſtituirt, und bedarf dann einer Reſtitution gegen den Darleiher nicht(b)L. 27 § 1 de min. (4. 4)..

Gegen einen nachtheiligen Verkauf geht die Reſtitution des Minderjährigen zunächſt dahin, daß demſelben die ver - kaufte Sache mit den Früchten der Zwiſchenzeit zurückgege - ben werden muß(c)L. 24 § 4, L. 27 § 1 de min. (4. 4).. Dagegen muß der Verletzte von ſeiner Seite das empfangene Kaufgeld zurückzahlen, und zwar mit Zinſen, die gegen die Früchte aufzurechnen ſind(d)L. 27 § 1, L. 47 § 1. de min. (4. 4). Paulus I. 9 §. 7.. Dieſe Rückzahlung kann dadurch ausge - ſchloſſen werden, daß der Minderjährige das empfangene Kaufgeld verſchwendet hat, welches der Käufer vorher - ſehen konnte (§ 319 Note i). In dieſem Hergang liegt dann eine doppelte Reſtitution: gegen den Verkauf, und gegen den Empfang der Zahlung. Hat der Käufer wahre Verbeſſerungen an der Sache vorgenommen, ſo müſſen ihm die Koſten derſelben erſetzt werden(e)L. 39 § 1 de min. (4. 4)..

Dieſelbe Natur mit dem Verkauf hat, wie überhaupt, ſo auch in dieſer Beziehung, die Uebergabe einer Sache an Zahlungsſtatt. Auch dabei iſt die gegebene Sache mit ihren Früchten zurück zu geben, und die Zinſen des Geldes ſind dagegen aufzurechnen(f)L. 40 § 1 de min. (4. 4 ), L. 98 § 2 de solut. (46. 3)..

267§. 342. Reſtitution. Wirkungen.

Der nachtheilige Einkauf einer Sache wird nach gleichen Grundſätzen behandelt; auch hier iſt die Sache mit ihren Früchten, das Kaufgeld mit Zinſen, zurück zu geben(g)L. 27 § 1 de min. (4. 4 ),.

Gegen eine nachtheilige Acceptilation beſteht die Re - ſtitution darin, daß dem unvorſichtigen Gläubiger ſeine An - ſprüche zurück gegeben werden, und zwar nicht blos gegen den Schuldner ſelbſt, ſondern auch gegen deſſen Mitſchuldner und Bürgen, ſo wie gegen die Pfänder(h)L. 27. § 2 de min. (4. 4)..

Hat ein Minderjähriger durch Novation anſtatt ſeines Schuldners einen ſchlechteren Schuldner angenommen, ſo wird ihm die Klage gegen den früheren Schuldner reſtituirt(i)L. 27 § 3 de min. (4. 4)..

Hat er durch Expromiſſion die Schuld eines Anderen übernommen, ſo wird durch die Reſtitution er ſelbſt be - freit, dem Gläubiger aber ſeine verlorene Klage gegen den Schuldner wiederhergeſtellt; dieſe natürlich mit den darauf früher haftenden Beſchränkungen, z. B. wenn ſie einer kurzen Verjährung unterworfen, und dieſe zur Zeit der Expromiſſion bereits bis auf wenige Tage abgelaufen war(k)L. 50 de minor. (4. 4 ), L. 19 de nov. (46. 2 ), L. 1 § 1 C. de reputat. (2. 48)..

Die Reſtitution gegen einen Vergleich hat die Folge,268Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.daß die gegenſeitig aufgegebenen Anſprüche von beiden Seiten wieder aufleben(l)L. 1. 2 C. si adv. trans - act. (2. 32). Anders verhält es ſich bei der Reſtitution gegen ein Urtheil, wenn dieſelbe nur Ein Stück ſtreitiger Verhältniſſe betrifft, und daneben andere, ganz unab - hängige Stücke vorliegen; dieſe bleiben unberührt durch die Re - ſtitution. L. 28, L. 29 § 1 de min. (4. 4)..

Die Reſtitution gegen eine Uſucapion hat die Folge, daß dem Verletzten die verlorene Sache mit allen Früchten der Zwiſchenzeit herausgegeben werden muß(m)L. 28 § 6, L. 29 ex quib. caus. (4. 6)..

Iſt eine vortheilhafte Erbſchaft ausgeſchlagen, oder durch unerfüllte Bedingung verloren worden, ſo be - ſteht die Reſtitution nicht darin, daß Der, welcher ſie erhält, nun wirklich Erbe wird, welches unmöglich iſt; er be - kommt aber alle Klagen, die er als wahrer Erbe von ſelbſt erhalten haben würde, nunmehr als utiles actiones, das heißt alſo, es wird ihm ein fingirtes Erbrecht verſchafft(n)L. 7 § 10 de min. (4. 4), am Ende der Stelle. L. 21 § 6 quod metus (4. 2).. Er muß jedoch Alles als gültig anerkennen, was in der Zwiſchenzeit von den bis dahin berechtigten Perſonen (Erben, Curatoren u. ſ. w.) an den Beſtandtheilen der Erbſchaft verändert worden iſt(o)L. 22 de min. (4. 4). Dieſe Vorſchrift kann ſogar unter Um - ſtänden zur Verſagung der Re - ſtitution führen. L. 24 § 2 eod. . Ferner leben nun - mehr auch alle Laſten und Verpflichtungen wieder auf, die dem Reſtituirten in der Eigenſchaft eines Erben auferlegt waren, und von welchen er bis zur Reſtitution frei war(p)L. 41 ex quib. caus. (4. 6)..

269§. 342. Reſtitution. Wirkungen.

Die Reſtitution gegen den Antritt einer Erbſchaft iſt nach denſelben Grundſätzen zu beurtheilen. Der Reſti - tuirte iſt und bleibt Erbe, und wird nur durch Fiction behandelt, als ob er nicht Erbe wäre (abstinendi potestas ei tribuitur)(q)L. 21 § 5 quod metus (4. 2 ), L. 7 § 5, L. 31 de min. (4. 4).. Er muß nun Dem, an welchen nunmehr die Erbſchaft fällt, diejenigen Erbſchaftsſtücke herausgeben, die an ihn bleibend gekommen, oder durch böſen Willen nicht gekommen, oder untergegangen ſind(r)L. 7 § 5 de min. (4. 4) am Ende. L. 1 § 2 C. de reputat. (2. 48 ),. Wenn er vor der Reſtitution Legate oder Schulden der Erbſchaft ausgezahlt hat, ſo giebt er dafür keinen Erſatz; eben ſo erſetzt er nicht den Werth der durch ſeinen Antritt frei ge - wordenen Sklaven, oder der Sklaven, die er fidei - commiſſariſch ſelbſt freigelaſſen hat(s)L. 22. 31 de min. (4. 4)..

Die Reſtitution gegen den Erwerb eines Legates macht den Reſtituirten frei von den Laſten, die ihm in der Eigenſchaft eines Legatars als Fideicommiß auferlegt waren(t)L. 33 de min. (4. 4)..

§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſetzung.)

Die Schriftſteller über die Reſtitution haben ſich von jeher viel mit der Frage beſchäftigt, ob die Reſtitution in personam wirke oder in rem, das heißt, nur gegen eine270Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.einzelne beſtimmte Perſon, oder in das Unbeſtimmte hin, gegen Perſonen, die ſich vielleicht zur Zeit der erlittenen Verletzung noch gar nicht überſehen laſſen. Daß überhaupt beide Wirkungsarten vorkommen können, ſagt in einem all - gemeinen Ausſpruch eine Stelle des Paulus(a)Paulus I. 7 § 4 Integri restitutio aut in rem competit, aut in personam. Dieſe Stelle iſt aber ſicher ſtark verſtümmelt., die durch andere Stellen beſtätigt wird(b)L. 13 § 1 de min. (4. 4 ) Interdum autem restitutio et in rem datur minori . .

Nach einer unter unſren Schriftſtellern ſehr gangbaren Formel ſoll die Reſtitution in personam die Regel bilden, die in rem die Ausnahme(c)Burchardi S. 416 fg.; in der That aber bedarf die Sache einer etwas tieferen Begründung(d)Puchta Pandekten § 106 Note f. Vorleſungen S. 217. 218.. Es hängt dieſe Frage unmittelbar zuſammen mit der ſchon oben erör - terten Beſtimmung der verpflichteten Perſon in der Re - ſtitution, oder des Gegners des Verletzten (§ 336), und dieſe Beſtimmung muß nothwendig ſehr verſchieden aus - fallen, je nach der verſchiedenen Natur der Rechtsverhält - niſſe, worauf ſich die Reſtitution beziehen kann.

Die Reſtitution kann gerichtet ſeyn gegen eine Uſucapion, alſo gegen eine nicht auf der Handlung des Eigenthümers beruhende Veränderung im Eigenthum, welcher Fall vor - kommen kann ſowohl wegen Minderjährigkeit als wegen Abweſenheit. Hier verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie in rem wirkt, alſo gegen jeden Beſitzer(e)L. 30 § 1 ex qu. caus. (4. 6)., wie ſie denn auch271§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſ.)zunächſt und hauptſächlich durch die Wiederherſtellung der verlorenen Eigenthumsklage zur Ausführung gebracht wird (§ 329).

Ebenſo ſo iſt kein Zweifel, daß die Reſtitution gegen die Ausſchlagung oder den Antritt einer Erbſchaft ſtets in rem wirkt, da ſie auf ganz verſchiedene und unbeſtimmte Per - ſonen ſich beziehen ſoll (§ 342). Auch wird ausdrücklich geſagt, daß die aus der Reſtitution hervorgehende Klagen auf Erbſchaftsſachen gegen jeden Beſitzer derſelben angeſtellt werden können, auch wenn der urſprüngliche Beſitzer der Erbſchaft ſie veräußert hat(f)L. 17 pr. ex. quib. caus. (4. 6)..

Anders verhält es ſich mit der Reſtitution gegen einen geſchloſſenen Vertrag. Dieſe geht in der Regel gegen die Perſon, mit welcher der Verletzte den Vertrag geſchloſſen hat, und nur ausnahmsweiſe gegen dritte Perſonen; für dieſe Klaſſe von Fällen alſo iſt die oben erwähnte Formel als richtig anzuerkennen (Note c).

Wird alſo ein Minderjähriger gegen einen nachtheiligen Verkauf reſtituirt, ſo hat er in der Regel die Rückgabe des verlorenen Eigenthums nur von dem Käufer zu fordern (§ 342 Note c), nicht von dem dritten Beſitzer, an welchen der Käufer weiter veräußert hat. Ausnahmsweiſe aber(g)Interdum, ſ. o. Note b. wirkt die Reſtitution auch gegen den dritten Beſitzer, wenn dieſer um den Verkauf des Minderjährigen wußte, oder272Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.wenn der erſte Käufer zahlungsunfähig iſt(h)L. 13 § 1, L. 14 de min. (4. 4).. In einem ſolchen Fall hat dann der dritte Beſitzer, der die Sache herausgeben muß, dieſelben Regreßanſprüche gegen ſeinen Vorgänger, wie wenn er den Beſitz durch eine Eigenthums - klage verloren hätte(i)L. 15 de min. (4. 4 ), L. 39 pr. de evict. (21. 2)..

Dieſelbe Behandlung findet ſich, wenn einem Minder - jährigen, der zur Zahlung einer Schuld verurtheilt war, Sachen abgepfändet und verkauft worden ſind; denn dieſe Handlung iſt als ein im Namen des Minderjährigen, alſo von ihm ſelbſt, geſchloſſener Verkauf anzuſehen. Wird nachher die Verurtheilung durch Reſtitution aufgehoben, ſo kann der Minderjährige in der Regel nur die Summe der Schuld vom Gläubiger wieder fordern(k)L. 9 pr. de min. (4. 4) nam illud certum est, pecu - niam ex causa judicati solutam ei restituendam . ; ausnahmsweiſe aber(l)L. 9 pr. cit. et puto, interdum permittendum kann er auch die verkauften Sachen von dem Be - ſitzer zurück fordern, wenn er durch das Entbehren in beſonders großen Schaden verſetzt werden würde(m)L. 9 pr. cit. si grande damnum sit minoris . L. 1 C. si adv. vend. pign. (2. 29) magno detrimento enorme dam - num L. 49 de min. (4. 4) grande damnum ; dieſe Stelle muß offenbar, ſo wie die vorigen, von einem Verkauf im Wege der Execution[verſtanden] werden, ob - gleich ſie das nicht ausdrücklich ſagt. Nicht zu verwechſeln aber iſt dieſer Fall der pignora capta et distracta mit dem Fall, da der Pfandgläubiger verkauft; dagegen gilt gar keine Reſtitution, ſ. oben § 323 Note e. f. g. .

Schon oben iſt dargethan worden, daß bei einer er - zwungenen Veräußerung der Verletzte die Wahl hat, ent -273§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſ.)weder gegen den Verletzer auf Entſchädigung zu klagen, oder durch Reſtitution die Herſtellung ſeiner verlorenen in rem actio zu verlangen, die er dann auch gegen jeden dritten Beſitzer geltend machen kann (§ 330 Note e).

Sehr häufig iſt das Verfahren bei einer Reſtitution ſo einfach, daß Alles abgethan iſt mit dem einfachen Befehl an den Verpflichten, Geld zu zahlen oder eine empfangene Sache heraus zu geben (§ 337 Note m). Dann hat die Reſtitution eine ähnliche Natur mit einer gewöhnlichen Schuldklage. Iſt nun der zunächſt Verpflichtete in fremder Gewalt als Sohn oder Sklave, ſo trifft die Verpflichtung, wie bei einer Schuld, auch den Vater oder Herrn, in ſofern entweder dieſer durch das Geſchäft Etwas in ſein Vermögen bekommen hat, oder ein Peculium vorhanden iſt, wodurch er nach den Grundſätzen der actio de peculio verbunden wird(n)L. 24 §. 3 de min. (4. 4)..

VII. 18[274][275]

Beilagen. XVIII. XIX.

18*[276][277]

Beilage XVIII. Reſtitution der Minderjährigen, welche in väterlicher Gewalt ſtehen.

  • L. 3 § 4 de minor. (4. 4).
  • L. 2 C. de filiofam. minore (2. 23).
  • (Zu § 323 Note q).

Ueber die Reſtitution der in väterlicher Gewalt ſtehenden Minderjährigen werden von den Schriftſtellern folgende Sätze als ſichere Regeln anerkannt: Der Minderjährige erhält gegen ſeine Handlungen dieſelbe Reſtitution, wie wenn er nicht in väterlicher Gewalt ſtände, vorausgeſetzt (ſo wie bei jeder Re - ſtitution), daß er ein Intereſſe dabei hat; Der Vater ſoll von dieſer Reſtitution keinen Vortheil ziehen, kann ſie alſo nicht für ſich geltend machen. Auch ſind dieſe Sätze in der Hauptſtelle, die von dieſer Frage handelt, als Regeln ſo klar und entſchieden aus - geſprochen, daß darüber kaum ein Zweifel ſeyn konnte(a)L. 3 § 4 de min. (4. 4).. Nur wird faſt eben ſo allgemein für den erſten dieſer beiden Sätze eine Ausnahme behauptet, und dieſe Ausnahme iſt278Beilage XVIII. es, welche in der gegenwärtigen Unterſuchung geprüft werden ſoll.

Der Minderjährige ſoll nach dieſer Behauptung aus - nahmsweiſe keine Reſtitution erhalten, wenn das nachthei - lige Geſchäft in der Aufnahme eines Gelddarlehens be - ſteht, und wenn dazu der Vater den Befehl gegeben hat(b)Burchardi S. 239 248. Andere Schriftſteller werden ſo - gleich angeführt werden..

Betrachten wir zuerſt dieſe Ausnahme in ihrem allge - meinen und natürlichen Zuſammenhang mit der Reſtitution überhaupt, alſo grundſätzlich, und noch ohne Rückſicht auf das Zeugniß einzelner Stellen.

Man könnte dieſelbe daraus ableiten wollen, daß es dem väterlichen Anſehen widerſprechen würde, den gegebenen Befehl durch Ertheilung der Reſtitution für ſchädlich zu erklären. Dieſe, an ſich denkbare, Anſicht wird von Ulpian entſchieden verworfen, da er bei anderen Rechtsgeſchäften dem Sohn die Reſtitution geſtattet, auch wenn der Vater Befehl zu dem Geſchäft gegeben hatte(c)L. 3 § 4 cit. Proinde si jussu patris obligatus sit filius auxilium impetrare debebit, si ipse conveniatur. Eben ſo wenn der Vater ſeinen unmündigen Sohn emancipirt, und als Vormund die auctoritas zu einem Geſchäft gegeben hatte. L. 29 pr. de min. (4. 4)..

Man könnte der Sache ferner die Wendung geben wollen, daß nur der allein handelnde Sohn ein leichtſinniges Gelddarlehen aufnehmen und dadurch in Schaden kommen werde; im Fall eines väterlichen Befehls werde keine Ge -279Zur Reſtitution der Minderjährigen.fahr und kein Nachtheil vorhanden ſeyn(d)Das iſt die Wendung, die Puchta § 103 Note i der Sache giebt. Denn in den Vorleſungen S. 213 ſagt er, es ſey keine eigent - liche Ausnahme, ſondern es werde nur angenommen, daß in einem ſolchen Fall kein Nachtheil aus Unbeſonnenheit entſtanden ſey.. Man kann Dieſes für die meiſten Fälle unbedenklich zugeben, und wenn in der That kein Nachtheil, oder doch kein Nachtheil aus Unbeſonnenheit entſtanden iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß die Reſtitution wegfällt, weil ihre Grundbedingung fehlt (§ 320 Note b). Aber es kann doch auch anders kommen; der Vater kann eben ſo leichtſinnig ſeyn, wie der Sohn, er kann durch den Sohn getäuſcht werden, er kann ſelbſt in böſer, eigennütziger Abſicht den nachtheiligen Befehl zum Darlehen geben. Auf keine Weiſe erklärt dieſer Grund, warum gerade nur bei dem Gelddarlehen der väterliche Befehl dieſe Wirkung haben ſoll, da ja bei allen anderen Rechtsgeſchäften genau dieſelben Rückſichten und Möglich - keiten eintreten, um die Reſtitution für zuläſſig oder unzu - läſſig zu halten.

In dieſer Verlegenheit nun haben ältere Schriftſteller die ſeltſamſten Gründe geltend gemacht, um die erwähnte Ausnahme bei dem Darlehen zu rechtfertigen(e)Azo in L. 2 C. de fil. fam. min., Glossa in L. 3 § 4 D. de minor., Cujacius in L. 3 § 4 D. de min., Opp. T. 1 p. 989. Das für das Gelddarlehen erlaſſene Sc. Macedonianum, ſagen ſie, ſey für viele einzelne Fälle ſehr hart, und für dieſe Härte ſollten die Gläubiger durch die erwähnte Ausnahme wenig - ſtens eine kleine Entſchädigung erhalten. Ferner ſeyen die280Beilage XVIII. meiſten Gläubiger der Minderjährigen ungemein ſchlechte Leute. Wenn ſich nun einmal einer von ſo redlicher Ge - ſinnung fände, daß er nur mit der Genehmigung des Vaters das Darlehen geben wolle, ſo verdiene dieſer ſeltene Redliche unter den vielen Unredlichen durch eine beſondere Ausnahme von den allgemeinen Rechtsregeln ausgezeichnet und belohnt zu werden. Zur Unterſtützung dieſer letzten Anſicht wird auch noch eine Stelle der heiligen Schrift angeführt(f)Ev. S. Lucä Kap. 15 V. 7 Ich ſage Euch: Alſo wird auch Freude im Himmel ſeyn über Einen Sünder, der Buße thut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen..

Dieſe Gründe ſind ſo unhaltbar, ja ſo wunderlich, daß ſie ſich nur aus der völligen Verzweiflung erklären laſſen, über den klaren Ausſpruch unſrer Rechtsquellen nicht anders hinweg kommen zu können. Nach allgemeinen Gründen muß daher die für das Gelddarlehen behauptete Aus - nahme ſchlechthin verworfen werden, und es kommt nun - mehr Alles auf die Erklärung einzelner Stellen an, zu welcher ich mich jetzt wende.

Die wichtigſte Stelle iſt folgende aus Ulpianus lib. XI. ad Ed., die ich in ihrem ganzen Zuſammenhang hierher ſetze.

L. 3 § 4 de minor. (4. 4).

Sed utrum solis patribus familiarum, an etiam filiis - familiarum succurri debeat, videndum. Movet dubita - tionem, quod, si quis dixerit etiam filiisfamiliarum in re peculiari subveniendum, efficiet, ut per eos etiam281Zur Reſtitution der Minderjährigen.majoribus subveniatur, id est patribus eorum. Quod nequaquam fuit Praetori propositum; Praetor enim minoribus auxilium promisit, non majoribus. Ego autem verissimam arbitror sententiam existimantium, filium - familias minorem annis in integrum restitui posse ex his solis causis, quae ipsius intersint, puta si sit obligatus. Proinde si jussu patris obligatus sit, pater utique poterit in solidum conveniri, filius autem, cum et ipse possit vel in potestate manens conveniri, vel etiam emancipatus vel exheredatus, in id quod facere potest, et quidem in potestate manens etiam invito patre ex condemnatione conveniri, auxilium impetrare debebit, si ipse conveniatur. Sed an hoc auxilium patri quoque prosit, ut solet interdum fidejussori ejus prodesse, videamus; et non puto profuturum. Si igitur filius conveniatur, postulet auxilium; si patrem conveniat creditor, auxilium cessat, excepta mutui datione; in hac(g)Alle alte Ausgaben leſen hac, welches eine beſſere Con - ſtruction giebt, als die Florenti - niſche Leſeart: hanc. enim, si filius jussu(h)Dieſe Leſeart der Vulgata iſt offenbar beſſer, als die der Flo - rentina, welche das Wort filius wegläßt. patris mutuam pecuniam accepit, non adjuvatur. Proinde et(i)Aus der folgenden Er - klärung wird ſich ergeben, daß der Sinn einfacher hervortritt, wenn hier das et weggelaſſen wird (Note n). si sine jussu patris contraxit et captus est, siquidem pater de peculio conveniatur, filius non erit restituendus; si filius conveniatur, poterit restitui.

282Beilage XVIII.

Alles kommt auf die Erklärung der hier curſiv gedruckten Worte an. Dieſe enthalten die Ausnahme von einer Regel, und es fragt ſich, worin beſteht dieſe Ausnahme? welches iſt die Regel, worauf ſie ſich bezieht?

Die Ausnahme ſcheint ausgedrückt in den Worten: non adjuvatur, die Regel alſo ſcheint nur in einem adjuvatur, (oder was etwa gleichen Sinn giebt) beſtehen zu können. Da nun in dem unmittelbar vorhergehenden Satz geſagt wird: auxilium cessat, welches eben ſo viel ſagt als non adjuvatur, ſo ſcheint die Ausnahme darauf nicht zu paſſen. Sie würde aber paſſen auf den entfernteren Satz von dem verklagten Sohne; denn da es bei dieſem heißt: postulet auxilium, ſo bildet dagegen das non adjuvatur allerdings einen Gegenſatz, welcher als Ausnahme der Regel: postulet auxilium wohl gedacht werden könnte.

Durch dieſe Betrachtung ſind ohne Zweifel alle bisherige Erklärer unſrer Stelle bewogen worden, ſich zu zwei ſehr bedenklichen Maaßregeln zu entſchließen. Erſtlich haben ſie ſich hinweg geſetzt über die oben entwickelten allgemeinen Rechtsgrundſätze, womit das Ergebniß dieſer Erklärung geradezu in Widerſpruch tritt, und ſie haben ſich über dieſen Widerſpruch durch die bereits angeführten, etwas abentheuerlichen Erwägungen beruhigt. Zweitens aber haben ſie die Ausnahme nicht an die unmittelbar vorher - gehenden Worte angeſchloſſen, ſondern, mit Ueberſpringung dieſer Worte, an den früheren, vom Sohne handelnden Satz; dieſes letzte Verfahren iſt ſehr gezwungen, faſt ge -283Zur Reſtitution der Minderjährigen.waltſam zu nennen. Wenn es nun gelingen wollte, eine andere Erklärung zu finden, durch welche dieſe beiden großen Uebelſtände vermieden werden könnten, ſo dürfte dieſe Erklärung gewiß vorzuziehen ſeyn. Eine ſolche aber will ich jetzt verſuchen.

Ich gehe dabei von dem feſten Punkte aus, daß Ul - pian ganz beſtimmt ſagt, das Gelddarlehen ſey hier allein ausgenommen, werde alſo von allen anderen Rechtsge - ſchäften, die etwa der Sohn geſchloſſen haben könnte, ver - ſchieden behandelt. Wenn man nun nach einem Grunde fragt, der dieſe ganz eigenthümliche Behandlung des Geld - darlehens rechtfertigen möchte, ſo iſt kaum ein anderer denkbar, als die exceptio Sc. Macedoniani, welche bekannt - lich ſowohl von dem Vater, als von dem Sohne ſelbſt, gegen jede aus dem Gelddarlehen anzuſtellende Klage gebraucht werden kann(k)L. 7 § 10, L. 9 § 3 de Sc. Mac. (14. 6 ), L. 6 pr. C. eod. (4. 28)., und welche gerade allein auf das Gelddarlehen, im Gegenſatz aller anderen Rechtsge - ſchäfte (ſelbſt des Darlehens an anderen Sachen als Geld) Anwendung findet. Nimmt man aber Dieſes an, ſo muß der Sinn der Ausnahme nothwendig ein bejahender (ein adjuvatur), nicht ein verneinender (ein non adjuvatur) ſeyn.

Sehen wir zu, wie dieſes, nunmehr als nothwendig anzuerkennende, Ziel der Erklärung erreicht werden kann. Es geſchieht am einfachſten durch eine Emendation, die284Beilage XVIII. jedoch nur in der Verſetzung des non an eine andere Stelle zu beſtehen braucht, alſo gewiß beſcheiden iſt. Der ganze Satz würde nun ſo lauten: si patrem conveniat creditor, auxilium cessat, excepta mutui datione; in hac enim, si filius non jussu patris mutuam pecuniam accepit, adjuvatur(l)nämlich pater adjuvatur, da ja pater das noch fortwirken - de Subject des Hauptſatzes iſt, welcher mit den Worten si patrem conveniat anfängt. Natürlich muß man nun die Regel und die Ausnahme nicht von der Reſtitu - tion allein verſtehen, ſondern von jeder den Beklagten ſchützenden Rechtshülfe überhaupt. In der Regel alſo wird dem Vater gar nicht geholfen, im Fall des Geld - darlehens wird ihm geholfen; freilich nicht durch Reſtitution, ſondern durch die exc. Sc. Mace - doniani. .

Für Diejenigen aber, welche etwa ſelbſt vor einer ſo mäßigen Emendation, als zu gewaltthätig, zurück ſchrecken möchten, läßt ſich daſſelbe Ziel auch auf dem Wege bloßer Erklärung erreichen. Man muß nämlich dann zu den Worten: si filius jussu patris .. accepit ein nur oder nur dann (ein non nisi) hinzu denken, ſo daß der Satz folgenden Sinn giebt: denn bei dieſem (dem Gelddarlehen) wird dem Vater nur dann die ſchützende Einrede (aus dem Senatus - conſult) verſagt (non adjuvatur), wenn das Darlehen auf ſeinen Befehl aufgenommen war(m)Eine ähnliche Erklärung durch ein hinzugedachtes nur iſt nöthig bei der L. 57 mand. (17. 1) ſ. o. § 329 Note n. ; außer dieſem Fall des Befehls alſo hat er die Einrede, worin denn eben die Ausnahme von der Regel: auxilium cessat beſteht.

Beide Wege (die Emendation und die zuletzt verſuchte Erklärung) führen zu demſelben Ziel, nämlich zu folgenden285Zur Reſtitution der Minderjährigen.einfachen Sätzen: dem Vater, der aus dem Geſchäft des Sohnes verklagt wird, iſt überhaupt nicht zu helfen, außer wenn von einem Gelddarlehen des Sohnes die Rede iſt; denn gegen die Klage aus dieſem hat der Vater die Ein - rede aus dem Senatusconſult, vorausgeſetzt, daß das Dar - lehen nicht auf ſeinen Befehl aufgenommen worden iſt. Man kann dieſe Sätze, nur mit einer etwas anderen Wendung, auch ſo ausdrücken: Im Fall eines Geld - darlehens hat der Vater gegen die actio de peculio die exc. Sc. Macedoniani, gegen die actio quod jussu hat er dieſe Einrede nicht. Eine Reſtitution kann er in keinem Fall verlangen.

Daß nun Ulpian in der That gerade Das ſagen wollte, welches ihm durch dieſe Erklärung in den Mund gelegt wird, ergiebt ſich aus den nachher folgenden Worten, worin er den eben aufgeſtellten Fall noch von einer anderen Seite in weiterer Betrachtung verfolgt. Der Fall war der eines vom Vater nicht befohlenen Gelddarlehens; gegen die Klage aus dieſem ſollte der Vater die exc. Sc. Macedo - niani haben; Das ſagt der bisher erklärte Theil der Stelle. Was geſchieht aber in dieſem Falle mit dem Sohne? davon ſprechen die hier folgende Worte: Proinde si(n)Ich laſſe das et vor si weg (Note i), weil nicht eine fort - gehende Anwendung des vorher ausgeſprochenen Satzes folgt, ſon - dern etwas Neues. sine jussu patris(o)Dieſe Worte find die ſicht - bare Wiederholung der vorherge - henden Worte: si non jussu pa - tris mutuam pecuniam accepit nach der von mir vorgeſchlagenen Emendation, und ſprechen daher ſehr für dieſe Emendation. contraxit et286Beilage XVIII. captus est, siquidem pater de peculio conveniatur, filius non erit restituendus; si filius conveniatur, poterit restitui.

Beide hier aufgeſtellte Sätze ſind nicht ganz ohne Be - denken. Der Sohn ſoll, wenn der Vater verklagt wird, nicht reſtituirt werden können. Das erklärt ſich zunächſt daraus, daß der Sohn nicht in Anſpruch genommen iſt. Aber wie, wenn der Vater die Exception nicht gebrauchen will, oder wenn er ſie nach den beſonderen Umſtänden des Falles nicht gebrauchen kann(p)Wenn etwa der Gläubiger nicht wußte, daß der Schuldner in väterlicher Gewalt ſtand. L. 3 pr. L. 19 de Sc. Maced. (14. 6).? Nun wird der Vater zahlen, das Geld aus dem Peculium nehmen, und ſo ver - liert der Sohn dennoch dieſes Geld. Auf dieſen Einwurf antwortet Ulpian, das Intereſſe des Sohnes an dem Peculium als ſolchem ſey ein blos factiſches, kein juriſtiſches, der Vater habe daran das Eigenthum und könne es alſo auch ganz willkürlich wegnehmen(q) Nec eo movemur, quasi intersit filii peculium habere; magis enim patris, quam filii interest. .

Auch der zweite Satz hat ſein Bedenken. Der aus dem Darlehen verklagte Sohn ſoll Reſtitution erhalten; aber auch er hat ja die Einrede aus dem Senatusconſult, und da dieſe ſchon mero jure gilt, ſo ſcheint die Reſtitution überflüſſig und unzuläſſig (§. 321 Note r). Darauf iſt zu antworten, daß jene Einrede vielleicht ausgeſchloſſen iſt durch den Irrthum des Gläubigers über das Daſeyn der287Zur Reſtitution der Minderjährigen.väterlichen Gewalt (Note p), oder daß dieſer Umſtand wenigſtens vom Gegner behauptet werden und den Ausgang des Rechtsſtreits ungewiß machen kann (§. 318 Note d). Aus ſolchen Gründen kann wohl die Reſtitution Vortheil gewähren, ja vielleicht ganz unentbehrlich ſeyn, wenn dem Sohne geholfen werden ſoll. Denn die Minderjährigkeit giebt ſtets einen Schutz, der ſolchen Einwendungen nicht ausgeſetzt iſt, und gerade die ſichere Verhütung einer ſolchen Gefahr eignet ſich entſchieden zur Ertheilung einer Reſtitution (S. 121).

Die zweite Stelle, woraus bewieſen werden ſoll, daß der Minderjährige keine Reſtitution erhalte gegen ein Geld - darlehen, wenn ſein Vater dazu Befehl gegeben habe, iſt ein Reſcript von Gordian.

L. 1 (al. 2) C. de fil. fam. minore (2. 23).

Si frater tuus, cum mutuam pecuniam acciperet, in patris fuit potestate, nec jussu ejus, nec contra Senatusconsultum contractum est, propter lubricum aetatis adversus eam cautionem in integrum restitu - tionem potuit postulare .

Die Belehrung des Kaiſers geht dahin, daß der minder - jährige Schuldner gegen das Gelddarlehen unter zwei Vorausſetzungen Reſtitution erhalten könne:

  • 1. Wenn das Darlehen nicht auf Befehl des Vaters auf - genommen ſey,
  • 2. wenn daſſelbe nicht unter das Verbot des Senatus - conſults falle.
288Beilage XVIII.

Ich betrachte die zweite Vorausſetzung zuerſt, die mit der ſo eben angeſtellten Unterſuchung zuſammentrifft. Iſt nach der übereinſtimmenden Erklärung der Parteien ſchon das Senatusconſult anwendbar, ſo bedarf es der Reſtitution nicht, und ſie wird daher nicht gegeben. Iſt es entſchieden nicht anwendbar (weil der Gläubiger die väterliche Gewalt ſicher nicht kannte), oder iſt dieſer Umſtand wenigſtens zweifelhaft und beſtritten, dann kann die Reſtitution ein - treten.

Die erſte Vorausſetzung ſcheint folgenden Sinn zu haben. Wenn der Vater keinen Befehl zum Darlehen ge - geben hat, ſo bekommt der Sohn Reſtitution (das ſagt die Stelle ausdrücklich); wenn er Befehl gegeben hat, ſo bekommt der Sohn keine Reſtitution (das ſcheint indirect angedeutet).

Dieſe indirecte Andeutung ſcheint alſo eine Beſtätigung der Ausnahme zu enthalten, worauf ſich die gegenwärtige Unterſuchung bezieht, alſo eine Beſtätigung der oben erklärten Stelle des Ulpian nach der gewöhnlichen Auffaſſung der - ſelben. Unſtreitig war es die ſcheinbare Uebereinſtimmung dieſer beiden von einander unabhängigen Stellen, welche der gewöhnlichen Behauptung einer Ausnahme für den Fall eines vom Vater befohlenen Gelddarlehens ſolche Kraft verlieh, daß dagegen auch nicht einmal ein Zweifel verſucht wurde.

Die eben erklärte, in jener erſten Vorausſetzung liegende indirecte Andeutung iſt nun das gewöhnlich ſogenannte289Zur Reſtitution der Minderjährigen.argumentum a contrario. Daſſelbe beſteht darin, daß aus einer bedingungsweiſe aufgeſtellten Regel geſchloſſen werden ſoll, das Gegentheil dieſer Regel müſſe gelten, ſobald der logiſche Gegenſatz (die reine Verneinung) der aufgeſtellten Bedingung vorhanden ſey. Dieſe Auslegungsweiſe, die am rechten Orte angewendet ihre relative Wahrheit hat, iſt nirgend bedenklicher, als bei den Reſcripten im Codex. Denn hier hat die bedingte Faſſung eines Ausſpruchs ſehr oft gar nicht den Sinn, daß der Ausſpruch eben nur unter der beigefügten Bedingung wahr ſeyn ſoll, ſondern vielmehr nur den Sinn einer kurzen Wiederholung der in der Anfrage an den Kaiſer enthaltenen Thatſachen(s)Vgl. oben B. 1 § 41 am Ende des §.. In der hier vorliegenden Stelle alſo ſind die zwei ſcheinbaren Be - dingungen der für zuläſſig erklärten Reſtitution etwa ſo zu verſtehen: Wenn es wahr iſt, wie Du anführſt, daß der Vater zu dem aufgenommenen Gelddarlehen keinen Befehl gegeben hat, und daß auch nicht eine Verletzung des Senatusconſults jede Reſtitution überflüſſig macht, ſo iſt die Reſtitution wohlbegründet.

Die Erwähnung des nicht vorhandenen väterlichen Be - fehls in der Anfrage, ſo wie in der Wiederholung durch das Reſcript, hat nun nicht den Sinn, daß die Reſtitution ſchlechthin ausgeſchloſſen wäre im Fall eines väterlichen Befehls (wie man die Stelle gewöhnlich auslegt), ſondernVII. 19290Beilage XVIII. vielmehr, daß, wenn ein ſolcher Befehl nicht vorhanden iſt, die Reſtitution um ſo ſicherer zuläſſig ſeyn wird, weil das Daſeyn eines ſolchen Befehls gewiß in den meiſten Fällen ein Kennzeichen ſeyn wird, daß eine Läſion nicht vor - handen, alſo auch eine Reſtitution nicht begründet iſt.

Was hier über die Auslegung der Reſcripte im Codex geſagt iſt, hängt alſo damit zuſammen, daß ſolche Reſcripte nicht dazu beſtimmt waren, allgemeine, ſcharf begränzte Grundſätze aufzuſtellen (wie es bei den theoretiſchen Schriften der alten Juriſten, ſo wie bei den eigentlichen Geſetzen im Codex, der Fall iſt), ſondern vielmehr Belehrung zu geben über die concrete Natur einzelner zur Beurtheilung vorge - legter Rechtsfälle.

So iſt alſo auch dieſes Reſcript des Gordian nicht dazu geeignet, die angebliche Ausnahme für den Fall des Gelddarlehens zu rechtfertigen.

Ich faſſe die vorſtehende Ausführung in folgender kurzen Ueberſicht zuſammen. Minderjährige erhalten Reſtitution gegen ihre Rechtsgeſchäfte auch wenn ſie in väterlicher Ge - walt ſtehen, und ſelbſt wenn der Vater in das Geſchäft eingewilligt oder dazu Befehl gegeben hat. Dieſe Regel wird auch von keiner Seite bezweifelt.

Es wird aber ſehr allgemein eine Ausnahme von dieſer Regel für den Fall behauptet, wenn das Geſchäft in der Aufnahme eines Geld-Darlehens beſteht. Für dieſen Fall291Zur Reſtitution der Minderjährigen.ſoll durch den väterlichen Befehl die Reſtitution des Sohnes gänzlich ausgeſchloſſen ſeyn.

Dieſe Ausnahme läßt ſich jedoch nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen durchaus nicht rechtfertigen.

Sie ſoll begründet werden durch eine Stelle des Ulpian, und durch ein Reſcript des K. Gordian. Die richtige Auslegung beider Stellen beſtätigt aber dieſe Behauptung nicht.

Demnach iſt die Behauptung jener Ausnahme durchaus zu verwerfen.

19*[292]

Beilage XIX.

L. 57 Mandati (17. 1). (Zu §. 329 Note n).

In der Stelle, die hier erklärt werden ſoll, iſt faſt Alles Gegenſtand von Zweifeln und Streitigkeiten geworden: der Text, die Bildung des Rechtsfalles der entſchieden werden ſoll, die Perſonen von welchen die Rede iſt, die Ent - ſcheidung ſelbſt.

Der Fall ſtellt ſich dem erſten, unbefangenen Blick in folgender Weiſe dar. Ein Sklavenhändler (venaliciarius) reiſt in eine Provinz, ohne Zweifel, um neue Sklaven einzu - kaufen. Die in Rom vorräthigen Sklaven zu verkaufen, giebt er Auftrag an einen Mann, der ihm als zuverläſſig perſönlich bekannt iſt (certi hominis fidem elegit). Bald nach ſeiner Abreiſe ſtirbt dieſer Mann, und deſſen Erben, unbekannt mit den Regeln des Mandats, bilden ſich ein, der Auftrag ſey auf ſie übergegangen; ſie verkaufen die Sklaven, und zwar (wie der Erfolg zeigt) unter nachtheiligen Bedin - gungen. Die Käufer beſitzen die Sklaven über ein Jahr. Der Sklavenhändler, von der Reiſe zurückkehrend, und unzufrieden mit dem Verkauf, will gegen die Käufer mit293Beilage XIX. L. 57 mandati (17. 1).der Publiciana klagen, fürchtet aber die exceptio dominii wegen der Uſucapion der Käufer, und es wird bei Papi - nian angefragt, wer wohl Ausſicht auf Erfolg habe, der Kläger oder die Beklagten? Das Reſponſum auf dieſe Frage nahm der Juriſt in ſeine Sammlung auf, und daraus iſt daſſelbe in die Digeſten übergegangen.

Aber gerade in der Antwort auf die vorgelegte Frage iſt der Sitz der Schwierigkeit, denn eben hier finden ſich zwei Leſearten von ganz entgegengeſetztem Sinn. Die erſte lautet ſo: Sed venaliciarium ex provincia reversum Publiciana actione non utiliter acturum.

Dieſes iſt die Leſeart der Florentina und der Vulgata. Haloander lieſt: inutiliter, welches ganz denſelben Sinn giebt, und wobei es dahin geſtellt bleiben mag, ob er es in einer Handſchrift vorfand, oder nur des beſſeren Klanges wegen aufnahm. Nach dieſer erſten Leſeart ſollen die Be - klagten Recht behalten. Die zweite Leſeart iſt folgende: Sed venaliciarium .... Publiciana actione non inutiliter acturum.

Dieſe findet ſich in der Ausgabe des Vintimillius: Paris. 1548. 8, aus einer Handſchrift des Ranconnetus. Ferner in der Ausgabe des Charondas, Antverp. 1575 fol., aus einer Handſchrift des Herausgebers. Ferner ſagt Auguſtinus(a)Augustini emend. Lib. 1 C. 3.: et sunt qui scribant, non inutiliter294Beilage XIX. acturum. Woher er Dieſes hat, ſagt er nicht; das angeführte Buch iſt zuerſt 1543 gedruckt, alſo älter, als die angeführten Ausgaben, worin handſchriftliche Texte angegeben werden. Auch die Baſiliken beſtätigen dieſe Leſeart(b)Basil. ed. Fabrot. T. 2 p. 161 καλῶς. . Cujacius ſchlägt als Conjectur vor: utiliter, welches dem Sinn nach nicht verſchieden iſt von non inutiliter, dem Ausdruck nach ſchlechter, wie ſich weiter unten zeigen wird. Nach dieſer zweiten Leſeart ſoll der Kläger Recht behalten.

Alſo an handſchriftlicher Beglaubigung fehlt es für beide Leſearten nicht, und wir haben zunächſt nach dem inneren Zuſammenhang der Stelle zu prüfen, welche den Vorzug verdiene.

Sieht man die Stelle obenhin an, ſo ſpricht ein ober - flächlicher Schein für die erſte Leſeart. Denn es heißt in den unmittelbar folgenden Worten: cum exceptio justi dominii .. detur. Alſo: datur exceptio, die Exception wird vom Prätor gegeben, ſie iſt alſo wirklich begründet, alſo muß der Kläger abgewieſen werden.

Allein bei genauerer Betrachtung ergeben ſich ſogleich folgende ganz entſcheidende Gründe gegen dieſe Erklärung.

Zuerſt die adverſative Partikel Sed im Anfang des Satzes. Dann wenn die Beklagten durch die Exception gewinnen, ſo iſt Dieſes eine unmittelbare Folge der vorher erwähnten Uſucapion, kann alſo unmöglich als Gegenſatz[ausgedrückt] werden, wie es doch in dem Sed augenſcheinlich295L. 57 mandati (17. 1).geſchieht. Allerdings lieſt nun Haloander Et anſtatt Sed, und dadurch verſchwindet dieſer Einwurf. Allein ſeine Leſeart ſteht ſo vereinzelt, daß wir wohl unbedenklich an - nehmen können, ſie ſey nicht aus einer Handſchrift ge - nommen, ſondern eben nur erfunden, um dieſem Einwurf zu begegnen.

Ferner ſpricht dagegen der in dem letzten Satz (neque oporteat etc.) enthaltene, von der bloßen Billigkeit herge - nommene Grund. Wenn die Beklagten gewinnen ſollen durch die Berufung auf das ſtrenge Recht, das justum dominium, ſo wäre es ja ſehr unlogiſch, deſſen Schutz durch die an ſich ſchwächere Stütze der Billigkeit befeſtigen zu wollen.

Dann ſpricht dagegen das causa cognita, welches nun vollkommen müßig daſteht, wie es ſich am deutlichſten aus der richtigen Erklärung dieſer ſehr bedeutſamen Worte er - geben wird.

Endlich aber, und welches die Hauptſache iſt, muß man bei dieſer Erklärung völlig vergeſſen, daß von ſehr alter Zeit her der Prätor eine Reſtitution angekündigt hatte zum Beſten der Abweſenden, und zwar gerade, um ihnen zu helfen, wenn ſie in Folge ihrer Abweſenheit Eigenthum durch Uſucapion verlieren ſollten. An dieſe Reſtitution müßte Papinian gar nicht gedacht haben, ſonſt hätte er auf entgegengeſetzte Weiſe entſchieden, oder doch mindeſtens nöthig gefunden zu erklären, warum ſie im vorliegenden Fall nicht angewendet werden ſollte.

296Beilage XIX.

Das Gewicht dieſer Gründe iſt denn auch ſchon vor vielen Jahrhunderten anerkannt worden. Um dieſen Ein - wendungen zu entgehen, und dennoch die Leſeart non utiliter aufrecht zu halten, da man lange Zeit hindurch keine andere kannte, iſt der Verſuch ſchon in der Gloſſe gemacht, und von anderen Schriftſtellern in ganz ver - ſchiedenen Zeiten aufgenommen und vertheidigt worden(c)Vgl. J. Gothofredus im Thesaurus des Otto T. 3 p. 293, und Püttmann probabilia p. 1., den Rechtsfall ſelbſt, auf welchen ſich Frage und Antwort in der Stelle beziehen ſollen, in einer ganz anderen, und zwar ſehr künſtlichen und verwickelten Weiſe auszubilden.

Ein Eigenthümer von Sklaven giebt Auftrag, dieſe zu verkaufen, der Beauftragte ſtirbt, und die Erben deſſelben verkaufen die Sklaven, nicht in unredlicher Abſicht, ſondern weil ſie irrigerweiſe glauben, der Auftrag ſey auf ſie über - gegangen. Soweit iſt es faſt derſelbe Fall, wie der oben dargeſtellte.

Nun aber ſollen ſich die Schickſale der Käufer getrennt haben. Die meiſten derſelben haben (nach dieſer Erklärung) die ihnen durch den Kauf zugefallenen Sklaven Ein Jahr lang be - ſeſſen und dadurch uſucapirt. Dadurch bekommen ſie volles, unanfechtbares Eigenthum, das ſie behaupten können, ſie mögen nun im Beſitze bleiben oder nicht. Der vorige Eigenthümer hat es ſich ſelbſt zuzuſchreiben, daß er nicht aufmerkſamer war, und nicht gegen ſie geklagt hat vor Vollendung der297L. 57 mandati (17. 1).Uſucapion. Auf eine Reſtitution hat er keinen Anſpruch, denn er war gar nicht abweſend geweſen. Von dieſen meiſten Käufern iſt nun nicht weiter die Rede; ihre Sache iſt abgethan mit den Worten: eos ab emtoribus (d. h. von dem größten Theil der Käufer) usucaptos videri placuit.

Nur Einer dieſer Käufer, ein Sklavenhändler, hatte ein beſonderes Schickſal, abweichend von dem ſeiner Mitkäufer. Er war vor dem Ablauf ſeiner Uſucapionszeit nach einer Provinz gereiſt, und in ſeiner Abweſenheit war der auf ihn gefallene Theil der erkauften Sklaven wieder in den Beſitz des alten Eigenthümers zurückgekehrt, der alſo dadurch die Uſucapion unterbrochen hatte. Der Sklavenhändler wollte nach der Rückkehr gegen den alten Eigenthümer mit der Publiciana klagen, und darüber wurde Papinian be - fragt. Er antwortete, der Kläger müſſe abgewieſen werden, weil der Beklagte noch wahrer Eigenthümer ſey, alſo die exceptio dominii für ſich geltend machen könne.

In dieſer Erklärung wird nun eine umſtändliche Ge - ſchichte erdichtet, ohne daß die Stelle auch nur die ent - fernteſte Hindeutung darauf enthielte. Alle Ausdrücke der Stelle deuten vielmehr gerade auf das Gegentheil der hier vorausgeſetzten Thatſachen. Denn unter den emtores wird doch gewiß jeder unbefangene Leſer alle Käufer verſtehen, nicht blos die meiſten; und unter dem den Käufern (durch Sed) entgegengeſetzten venaliciarius eher alles Andere, als einen Collegen eben dieſer Käufer. Ferner bleiben die wichtigſten Bedenken beſtehen, welche oben gegen eine298Beilage XIX. andere Erklärung erhoben worden ſind: daß die Worte causa cognita völlig müßig ſind, und daß eine auf das ſtrenge Recht (das justum dominium) gegründete Entſcheidung unmöglich durch einen Grund der Billigkeit unterſtützt werden konnte, der keinen Halt hatte, wenn der alte Eigenthümer nicht auch verreiſt war, und der unter dieſer Vorausſetzung gerade auf das Verhältniß der übrigen Käufer anwend - bar geweſen wäre, und dabei eine ganz entgegengeſetzte Entſcheidung hätte herbeiführen müſſen. Endlich aber ſind die Reſultate, die der Stelle nach dieſer Erklärung zugeſchrieben werden müſſen, ſo trivial, ſie verſtehen ſich ſo von ſelbſt, daß man kaum begreift, wie über einen ſo beſchaffenen Rechtsfall ein Reſponſum von Papinian hätte begehrt, ſpäter in deſſen Sammlung aufgenommen, und zuletzt ſogar in die Digeſten geſetzt werden ſollen.

Die völlige Unhaltbarkeit der beiden bisher dargeſtellten Erklärungen führt faſt nothwendig auf die Annahme der zweiten Leſeart (non inutiliter), der es an handſchriftlicher Beglaubigung nicht fehlt, und es kommt nur darauf an, unter Vorausſetzung dieſes Textes eine mit dem inneren Zuſammenhang der Stelle, ſo wie mit allgemeineren Rechts - regeln, übereinſtimmende Erklärung zu verſuchen.

Das eigentliche Hinderniß einer richtigen Auffaſſung liegt an einem Orte, wo man es auf den erſten Blick kaum erwarten ſollte, in den Worten: cum exceptio justi domi - nii detur, welche einen Doppelſinn mit ſich führen, indem ſie ſowohl auf concrete, als auf abſtracte Weiſe ge -299L. 57 mandati (17. 1).deutet werden können. Sie können nämlich erſtens ſagen, in dem vorliegenden Fall werde die Exception gegeben, ſey ſie begründet, der Kläger müſſe daher abgewieſen werden: dann ſind dieſe Worte der Grund der Entſcheidung, und ſetzen die Leſeart non utiliter nothwendig voraus. Sie können aber auch zweitens (und das iſt das Richtige) eine allgemeine Betrachtung enthalten über die Behandlung jener Exception überhaupt: dann ſind ſie nicht Grund der Ent - ſcheidung, ſondern Widerlegung eines Einwurfs, und ſetzen die Leſeart non inutiliter voraus. Der Sinn dieſes Haupt - theils der Stelle läßt ſich hiernach in folgender Umſchreibung darſtellen: Zwar haben die Käufer in der That die Sklaven uſucapirt. Dennoch (Sed) wird der alte Eigenthümer (der venaliciarius) die Sklaven nicht ohne Erfolg (non inutiliter) mit der Publiciana einklagen. Man könnte zwar glauben, daß ihm die exceptio justi dominii der Käufer, eben wegen ihrer Uſucapion, im Wege ſtände; allein man muß erwägen, daß dieſe Exception im Allge - meinen nicht jedem Eigenthümer unbedingt, ſondern nur causa cognita(d)Es muß alſo zu den Worten causa cognita ein nonnisi hin - zugedacht werden, wodurch allein ſie gegen den Vorwurf eines völlig müſſigen Daſeyns geſchützt werden können. Eine ähnliche Erklärung iſt oben bei einer andern Stelle verſucht worden, Beilage XVIII. Note m. ertheilt wird. Im vorliegenden Fall aber führt die causae cognitio darauf, den Be -300Beilage XIX. klagten die Exception abzuſchlagen aus einer Rückſicht der Billigkeit (neque oporteat etc.).

Die Gründe, die oben als Einwendungen gegen die vorhergehenden Erklärungen aufgeſtellt wurden, verwandeln ſich jetzt in Beſtätigungen der hier verſuchten. Der durch sed ausgedrückte Gegenſatz iſt wirklich vorhanden, die Worte causa cognita ſind nicht müßig, ſondern ganz unent - behrlich, und der am Schluß aufgeſtellte Grund der Billig - keit iſt in der That entſcheidend für die ganze Sache. Der innere Zuſammenhang der Stelle iſt völlig befriedigend, und Alles ſteht in Einklang mit ſonſt bekannten Rechts - regeln. Endlich beſtätigt ſich die Wahl der Leſeart, worauf dieſe Erklärung beruht, auch dadurch als richtig, daß ſich aus ihr die Entſtehung der anderen, nun als irrig anzu - ſehenden Leſeart, ungezwungen und befriedigend erklärt(e)Ueber dieſe Probe der Richtigkeit eines aus mehreren auszu - wählenden Textes vgl. B. 1 S. 250. 251.. In irgend einer ſehr frühen Zeit ließ ſich nämlich ein Ab - ſchreiber durch den in den Worten: cum exceptio .. detur liegenden falſchen Schein täuſchen, und verwandelte das vorgefundene richtige inutiliter in das irrige utiliter, welches dann in die meiſten Handſchriften übergegangen iſt.

Es bleibt nun noch übrig, die einzelnen Sätze beſonders zu erklären, wobei in Erinnerung gebracht werden muß, daß uns in dieſer ganzen Stelle Papinian ein von ihm früher ertheiltes Reſponſum, mit deſſen Gründen, in kurzem Auszuge mittheilen will.

301L. 57 mandati (17. 1).

Mandatum distrahendorum servorum, defuncto qui mandatum suscepit, intercidisse constitit. Das mußte vor Allem als keinem Zweifel unterworfen anerkannt werden (constitit), daß der Auftrag mit dem Tode des Bevollmächtigten erloſchen war, ſo daß die Erben durch den Verkauf, den ſie irrigerweiſe vornahmen, den Käufern keine Rechte unmittelbar übertragen konnten. Quoniam tamen heredes ejus errore lapsi, non animo furandi, sed exequendi quod defunctus suae curae fecerat, servos vendiderant, eos ab emtoribus usu - captos videri placuit. Es kann daher nur noch die Frage ſeyn, ob etwa die Käufer (die Ein Jahr lang beſaßen) durch Uſucapion Eigenthum der Sklaven erworben haben. Auch dieſes hätte verneint werden müſſen, wenn die Erben die Sklaven ver - kauft hätten, um das Geld für ſich zu behalten; das wäre ein Diebſtahl geweſen, und die Sklaven hätten als res furtivae nicht uſucapirt werden können. Da aber die Erben nicht dieſe unredliche Abſicht hatten, ſondern die ehrliche, nur auf Rechtsunkunde beruhende Abſicht, den Auftrag zu vollziehen, der ihrem Erblaſſer gegeben war(f)Dieſer ganze Satz enthält alſo nicht, wie man nach den An - fangsworten (quoniam tamen) glauben könnte, den poſitiven Grund der Uſucapion (denn dieſer liegt in der justa causa), ſondern die Widerlegung eines nahe liegenden Einwurfs., ſo mußte das Gutachten dahin ertheilt werden(g) placuit, abſichtlich ge - wählt, weil zuvor die Beſeitigung, daß die Käufer allerdings uſucapirt hatten. 302Beilage XIX. Sed venaliciarium ex provincia reversum(h)Dieſer venaliciarius wird uns hier ganz unerwartet als ein alter Bekannter vorgeführt. Es iſt offenbar das Natürlichſte, ihn für den alten Eigenthümer (den Mandanten) anzuſehen. Denn der Mandatar iſt todt, und die Käufer werden ſchon durch ihren Pluralis von dem ſingulären venaliciarius unterſchieden, alſo bleibt nur noch der Mandant übrig, wenn man nicht eine beſondere Geſchichte hinzu dichten will, ſo wie es in der vorhergehenden Erklärung ver - ſucht worden iſt. Publi - ciana actione non inutiliter acturum, cum exceptio justi dominii causa cognita detur, (Dieſer Haupttheil der Stelle iſt ſchon oben umſchreibend erklärt worden. ) neque oporteat eum, qui certi hominis fidem elegit, ob errorem aut imperitiam heredum affiei damno. Im vorliegenden Fall aber führt die causae cognitio dahin, daß der Kläger wegen ſeiner Abweſenheit Reſtitution gegen die Uſucapion der Beklagten erhalten muß, wodurch die Exception entkräftet wird, alſo abgeſchlagen werden muß. Der einzige Grund gegen eine ſolche Reſtitution hätte etwa darin geſetzt werden können, daß der Kläger durch Nach - läſſigkeit ſeinen Verluſt ſelbſt verſchuldet hätte, folglich keine Reſtitution verdiene(i)Vgl. L. 26 § 1 ex quib. caus. (4. 6), und oben § 327 Noten e. m. Durch dieſen Theil der Stelle iſt die Reſtitution wegen Abweſenheit auf unverkennbare Weiſe bezeichnet, wiewohl der Aus - druck in integrum restitutio darin nicht vorkommt. Es wäre aber irrig, anzunehmen daß die causae cognitio; dieſer Grund aber fällt hier gewiß(g)eines Zweifels nöthig gefunden war, im Gegenſatz des vorherge - henden constitit bei einem Satze, der zu gar keinem Zweifel Anlaß gegeben hatte. In vielen anderen Stellen wird placuit gebraucht, um einen Satz zu bezeichnen, der erſt allmälig Eingang und Aner - kennung gefunden hatte, z. B. in Folge von Controverſen. Von dieſem rechtshiſtoriſchen Verhältniß iſt hier nicht die Rede.303L. 57 mandati (17. 1).weg, da derſelbe weder den nahen Tod ſeines Bevoll - mächtigten, noch die Rechtsunkunde der Erben deſſelben, vorherſehen konnte.

Ich bin weit entfernt, mir die Erfindung dieſer Aus - legung unſrer Stelle, die ich für ganz unzweifelhaft halte, zuzuſchreiben; das Weſentliche derſelben iſt ſchon von Cujacius aufgeſtellt, und dann von mehreren Schrift - ſtellern angenommen worden(k)Cujacius obs. X. 6, und: in Papiniani respons. Lib. 10 (opp. T. 4). Zoannettus bei Otto thes. IV. p. 659. Reinold opusc. p. 243. Cocceji jus controv. XVII. 1 am Ende des Titels.. Dennoch habe ich dieſe neue Darſtellung derſelben nicht für überflüſſig gehalten. Zunächſt und gerade an dieſem Orte, wegen des Zuſammen - hangs dieſer wichtigen und lehrreichen Stelle mit der Lehre von der Reſtitution; dann, weil auch noch von manchen neueren Schriftſtellern die alten Irrthümer nicht völlig auf - gegeben ſind (Note a); endlich aber, und hauptſächlich, weil ſich auch ſelbſt bei den beſten unter den angeführten Schriftſtellern, an die im Ganzen richtige Auffaſſung der Stelle doch wieder Irrthümer und Zweifel angeſetzt haben, deren Beſeitigung erheblich genug ſeyn dürfte, um die(i)überhaupt nur im Fall einer Re - ſtitution dahin führen könne, die exceptio dominii einem Beklagten zu verſagen; auch ſchon die doli replicatio konnte in anderen Fällen zu dieſem Erfolg führen. Vgl. L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4 ), L. 2 de exc. r. vend. (21. 3).304Beilage XIX. gegenwärtige Abhandlung zu rechtfertigen. Dieſe falſche Anſichten ſtehen insgeſammt in Verbindung mit der Lehre von der Publicianiſchen Klage.

Man muß zunächſt fragen, warum hier der vorige Eigenthümer überhaupt die Publicianiſche Klage anſtellt nach der Angabe des Papinian, warum nicht die wahre Eigenthumsklage, die er ja durch Reſtitution wieder erlangen kann?

Viele werden darauf antworten, weil gerade für den Fall einer ſolchen Reſtitution eine beſondere Klage aufge - ſtellt iſt, genannt publiciana actio, verſchieden von der gleichnamigen Klage des b. f. possessor, aber auf ähn - lichen Gründen der Billigkeit beruhend. Dieſe irrige Meinung iſt ſchon oben (§. 329) ausführlich widerlegt worden; es giebt nur Eine publiciana actio, die des b. f. possessor, von welcher der zweite Titel im ſechsten Buch der Digeſten handelt, und von dieſer muß daher auch in unſrer Stelle die Rede ſeyn.

Eine befriedigende Antwort würde aus der einfachen und natürlichen Vorausſetzung hervorgehen, daß wohl der Sklavenhändler, der hier als Kläger auftreten will, die Sklaven in der Provinz, von Peregrinen, gekauft, und zu der Zeit, in welcher er den Beſitz durch den Verkauf der Erben verlor, noch nicht ein volles Jahr beſeſſen hatte. Dann hatte er noch niemals wahres Eigenthum gehabt, und es konnte ihm auch nicht durch Reſtitution eine Eigen - thumsklage wieder verſchafft werden. Dann hatte er über -305L. 57 mandati (17. 1).haupt kein anderes Recht, als die b. f. possessio, keine andere Klage, als die Publiciana. Dieſe Vorausſetzung hat durchaus Nichts gegen ſich.

Aber nothwendig iſt dieſe Vorausſetzung nicht. Es iſt möglich, daß der Beſitz des Klägers durch vollendete Uſu - capion bereits in wahres Eigenthum übergegangen war; dadurch war ihm ſein bisheriges Recht aus der b. f. possessio nicht verloren, und er hatte nun die Wahl, die Publiciana anzuſtellen oder die Eigenthumsklage, ſo wie er die eine oder die andere für ſicherer hielt. Gerade dieſe Wahl aber wird von manchen Seiten bezweifelt. Man beruft ſich auf die Worte des Edicts, und ſucht aus den - ſelben, nach der Erklärung des Ulpian, zu beweiſen, daß von der vollendeten Uſucapion an die Publiciana nicht mehr zuläſſig geweſen ſey(l)L. 1 pr. § 1 de publ. Ait Praetor: Si quis id, quod traditur nondum usucap - tum petet. Merito Praetor ait: nondum usucaptum; nam si usucaptum est, habet civilem actionem, nec desiderat hono - rariam. . Man darf aber dieſe Worte nicht zu beſchränkt auffaſſen. Der Prätor wollte nur nichts völlig Ueberflüſſiges thun, nicht über das wirkliche Bedürf - niß hinaus gehen. Wenn alſo beide Theile über das durch vollendete Uſucapion erworbene wahre Eigenthum einver - ſtanden waren, und nur etwa über Exceptionen ſtritten, ſo war allerdings die Publiciana überflüſſig, und der Kläger, der ſie dennoch ohne Grund gebrauchen wollte, mag dann auf die Eigenthumsklage verwieſen worden ſeyn;VII. 20306Beilage XIX. das läßt ſich aus jenen Worten folgern. Aber ſehr häufig wird gerade die Frage beſtritten ſeyn, ob die Uſucapion in der That vollendet, oder irgend einmal durch verlornen Beſitz unterbrochen worden iſt. War dieſe Frage nun be - ſtritten, oder hielt es auch nur der Kläger für möglich, daß ſie vor dem Judex beſtritten werden könnte, ſo war ja kein Grund denkbar, weshalb ihm der Prätor die ſichere Publiciana hätte verweigern, und die weniger ſichere Eigen - thumsklage aufdringen ſollen. Alſo iſt es in unſrem Fall auch wohl möglich, daß der Kläger die Sklaven ſchon längere Zeit beſeſſen hatte, und es dennoch der Sicherheit wegen vorzog, vielmehr die Publiciana, als die Eigenthums - klage anzuſtellen.

Hieran aber knüpft ſich noch ein Irrthum des Cujacius, der weit bedenklicher iſt, indem er mehr in das Weſen der Sache eingreift. Er glaubt nämlich, der Anſpruch auf Re - ſtitution wegen Abweſenheit ſey nur zuzulaſſen in dem Fall, wie ihn unſre Stelle wörtlich vorausſetze, wenn nämlich ein b. f. possessor vor vollendeter Uſucapion den Beſitz verliere, und der neue Beſitzer die Uſucapion anfange und vollende. Denn nun ſey Alles abzuthun da - durch, daß der Kläger, deſſen publiciana actio an ſich nicht durch des Gegners Uſucapion vernichtet wurde, gegen die exceptio dominii des Beklagten Reſtitution ſuche, die er auch wirklich erhalte. Wenn dagegen der Erſte ſeine Uſu - capion vor der Abweſenheit ſchon vollendet habe, ſo ſey ihm gegen die ſpätere Uſucapion des Andern durchaus nicht307L. 57 mandati (17. 1).mehr zu helfen. Denn nun ſey jenem Erſten ſein Recht ſelbſt durch die ſpätere Uſucapion zerſtört worden, alſo auch alle Klage überhaupt, folglich ſey gar nicht mehr die Ge - legenheit vorhanden, eine Reſtitution anzubringen. Dieſer Irrthum würde faſt unglaublich ſeyn, ſelbſt wenn ausdrück - liche Erklärungen über dieſe Frage in den Rechtsquellen nicht vorhanden wären. Denn wenn überhaupt der Prätor eine Reſtitution wegen Abweſenheit billig und nöthig fand, ſo iſt ſchon voraus zu erwarten, daß er ſolche Unterſchiede der bloßen Form des Rechts, wie ſie hier berückſichtigt werden, nicht unüberwindlich gefunden haben möge. In der That aber iſt das Edict über die Abweſenden ſo deutlich als möglich (§ 325). Es ſtellt an die Spitze den Fall einer Verminderung des vorhandenen Vermögens (Si cujus quid de bonis deminutum erit), und dahin gehört doch gewiß vorzugsweiſe der Verluſt des Eigenthums durch Uſu - capion; für dieſen und andere Fälle ſagt es nun: earum rerum actionem in integrum restituam. Es ſoll alſo Dem, der ſein Eigenthum verloren hat, dadurch geholfen werden, daß ihm die aus dieſem Recht entſpringende, jetzt wirklich verlorene, Klage wiederhergeſtellt wird. Anſchließend an dieſen völlig unzweifelhaften Ausſpruch des Edicts iſt denn auch ſchon oben nachgewieſen worden, daß dem Ab - weſenden, der durch Uſucapion einen Verluſt erlitten hat, in zwei verſchiedenen Formen, wie er es gut finden mag, geholfen werden kann: Erſtlich, wenn er die Publiciana anſtellen will, durch Reſtitution gegen die exceptio dominii308Beilage XIX. des Beklagten; zweitens, wenn er die Eigenthumsklage vorzieht, durch Reſtitution dieſer, an ſich verlorenen, Klage ſelbſt (§ 329. p). Beiden Formen liegt zum Grunde ein und daſſelbe Mittel: die Reſciſſion des Eigenthums, welches ein Anderer durch Uſucapion wirklich erworben hat.

Endlich iſt noch folgender Zweifel zu erwähnen. Wenn der Sklavenhändler gegen die Käufer mit der Publiciana klagt, ſo ſtehen einander gegenüber zweierlei Perſonen, die gleichmäßig Anſpruch auf die aus der b. f. possessio entſpringende Rechte haben, denn dieſe Rechte haben ja die Käufer durch die Vollendung ihrer Uſucapion gewiß nicht verloren, und zwar ſind dieſes Perſonen, die ihre b. f. pos - sessio nicht von einem und demſelben Rechtsvorgänger ableiten. Gerade für dieſen Fall aber ſtellt Ulpian die Regel auf, daß der Beſitzer vorgehen, der Kläger alſo abgewieſen werden ſolle(m)L. 9 § 4 de public. (6. 2). Scheinbar widerſpricht dieſer Stelle die L. 31 §. 2 de act. emti (19. 1). Allein beide laſſen ſich vereinigen, wenn man annimmt, in dieſer letzten Stelle werde ein Fall vorausgeſetzt, in welchem der Beſitz bei keinem von beiden Theilen ſich befindet, ſondern bei einem Dritten, gegen welchen jene Beide gleichzeitig als Kläger auftreten wollen.. Nach dieſer Regel alſo müßten die Beklagten gewinnen, nicht der Kläger, wie es doch in unſrer Stelle Papinian annimmt. Allein die eben erwähnte Regel des Ulpian ſoll offenbar nur gelten als eine letzte Aushülfe, wo übrigens alle Verhältniſſe beider Theile völlig gleich ſtehen, ſo daß der Richter ohne309L. 57 mandati (17. 1).jene Regel um eine Enſcheidung verlegen ſeyn würde. Davon aber kann gewiß nicht die Rede ſeyn in unſrem Fall, in welchem der Abweſende einen eigenthümlichen An - ſpruch der Billigkeit für ſich hat, ſtark genug, um ſelbſt das ſtrenge Eigenthum des Gegners zu überwinden; alſo gewiß um ſo mehr ausreichend, um die außerdem vorhan - dene Gleichheit beider Theile durch ein auf die Seite des Klägers gelegtes Uebergewicht aufzuheben.

Gedruckt in der Deckerſchen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.

About this transcription

TextSystem des heutigen Römischen Rechts
Author Friedrich Carl von Savigny
Extent337 images; 69125 tokens; 8136 types; 486303 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSystem des heutigen Römischen Rechts Siebenter Band Friedrich Carl von Savigny. . XV, [1], 309 S. VeitBerlin1848.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Gb 13171-7<b>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=69405934X

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Recht; Wissenschaft; Jura; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:26Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Gb 13171-7<b>
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.