Buchdruckerei der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.
Der gegenwärtige Band iſt unter den bisher erſchienenen der erſte, welcher eine größere noch unbekannte Arbeit Schellings aus der älteren Zeit veröffentlicht, die Philoſophie der Kunſt. Ich be - gleite ſie mit einigen Bemerkungen. Zuerſt mit der, daß die Philo - ſophie der Kunſt zu den andern in dieſen Band aufgenommenen Schriften Schellings theilweiſe im Verhältniß der früheren Abfaſſung zu ſtehen und für dieſe als Concept und Material gedient zu haben ſcheint. So z. B. der achten und neunten Vorleſung in der (erſt nach dem erſten Vortrag der Philoſophie der Kunſt gedruckten) Methode des akademiſchen Studiums, welche von der hiſtoriſchen Conſtruktion des Chriſtenthums und dem Studium der Theologie handeln, lag offenbar die Philoſophie der Kunſt als Concept zu Grunde, denn jene können als ein Auszug aus dieſer angeſehen werden. Die vierzehnte Vorleſung über die Wiſſenſchaft der Kunſt iſt ſogar ein faſt wörtlicher Abdruck aus der Einleitung in die Philo - ſophie der Kunſt, vielleicht wurde ſie erſt bei der Herausgabe der Methode den übrigen Vorleſungen hinzugefügt (vgl. S. 357, Anm.).
Ganz das Gleiche iſt der Fall mit dem Aufſatz über Dante im Kritiſchen Journal Bd. 2, Stück 3; auch dieſer iſt ein beinahe wörtlicher Abdruck aus der Philoſophie der Kunſt; die kleinen Ab - weichungen ſind von der Art, wie ſie die unbedeutende Ueber - arbeitung eines ſchon Fertigen mit ſich bringt: kleine Ueberflüſſig - keiten wurden weggeſtrichen, verſchiedene Sätze anders geſtellt, einige weitere Belegſtellen aus Dante ausgelaſſen.
Aber auch der Inhalt jener beiden Abhandlungen im KritiſchenVI Journal: Ueber das Weſen der philoſophiſchen Kritik überhaupt und ihr Verhältniß zum gegenwärtigen Zuſtand der Philoſophie insbeſondere und Ueber das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt, weist ſehr beſtimmt auf die Philoſophie der Kunſt zurück. Bekanntlich waren beide Abhandlungen bereits in Hegels Werke aufgenommen, als Schelling erklärte, die zweite habe ihn ausſchließlich zum Verfaſſer, die erſte aber, welche zugleich als Einleitung in das mit Hegel gemeinſchaftlich herausgegebene Kritiſche Journal der Philoſophie diente, ſey zum Theil von dieſem ge - ſchrieben. 1S. Literariſcher Anzeiger 1838, Nr. XXXXV. Dieſe Erklärung Schellings hielt einige nicht ab, dennoch darauf zu beſtehen, auch die Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt ſey Hegelſchen Urſprungs. Die völlige Nichtigkeit der meiſten hiefür vorgebrachten Gründe iſt ſchon von andern nachgewieſen worden, früher von Erdmann2Die Entwicklung der deutſchen Speculation ſeit Kant, 2. Theil, S. 693. zuletzt von Haym. 3Hegel und ſeine Zeit, S. 156 und S. 495, Anm. 8.Durch die Philoſophie der Kunſt aber wird Schellings Autorſchaft vollends ſo augenſcheinlich, daß ſie auch ohne deſſen perſönliches Zeugniß nicht mehr bezweifelt werden könnte. So vergleiche man z. B. mit dem Eingang jener Abhandlung (S. 106) die Philoſophie der Kunſt S. 365 ff., woſelbſt namentlich auch der jener Abhandlung eigenthümliche Ausdruck ideelle Be - ſtimmungen (zu unterſcheiden von dem andern von Hegel, wie von Schelling, gebrauchten Ausdruck ideelle Beſtimmtheit) vorkommt und ausführlich erklärt wird. Im Weitern bildet die Philoſophie der Kunſt in dem hieher gehörigen Abſchnitt des allge - meinen Theils eine fortlaufende Parallele und eine Art Commentar zu beſagter Abhandlung, weßhalb ich auch die durch dieſen ganzen Band hindurchlaufenden Citate von einzelnen Parallel-Stellen und - Ausdrücken für dieſelbe in die Philoſophie der Kunſt hinein nicht mehr fortgeſetzt habe. Um nur Einiges anzuführen, ſo heißt es z. B. in der Abhandlung S. 119, Z. 7 v. o.: „ Faßt man dieVII griechiſche Mythologie bloß von der endlichen Seite auf, ſo erſcheint dieſe durchaus bloß als ein Schematismus des Endlichen oder der Natur; nur in der Einheit ꝛc. iſt ſie ſymboliſch. “ Eine Parallele hiezu, beziehungsweiſe eine Erklärung findet ſich Philoſophie der Kunſt S. 408, Z. 15 ff. v. u., verglichen mit der kurz vorher gegebenen Auseinanderſetzung des Unterſchieds von Schematismus und Symbolik. Ein anderer einzelner und zugleich dunkler Gedanke in der Abhandlung S. 108, Z. 15 v. o. iſt: „ die Poeſie, ſolange ſie noch nicht Sache der Gattung oder wenigſtens eines ganzen Ge - ſchlechts ꝛc. “ 1Man vergl. übrigens ſchon Syſtem des transſc. Idealismus, S. 477 (Bd. 3, S. 629).Dieſer findet ſich ausführlich entwickelt in §. 42 der Philoſophie der Kunſt (S. 414) vgl. mit S. 438, Z. 6 ff. v. o. und S. 442, Z. 10 v. u. Ein allgemeinerer Gedanke, der, daß alle Entgegengeſetzten es aufhören zu ſeyn, ſowie jedes für ſich in ſich abſolut iſt, S. 119, Z. 5 v. u. findet ſeinen wiederholten Ausdruck und ſeine Anwendung durch die ganze Philoſophie der Kunſt hindurch und erſcheint als ein dem Schellingſchen Philoſophiren eingeborener Gedanke; man vergleiche z. B. S. 449, Z. 5 ff. v. o., ferner S. 470, Z. 12 ff. v. u., ſowie die ganze Seite 475. Eben jener Satz aber (S. 119, Z. 5 ff. v. u.) hat ſeinem übrigen Inhalt nach eine vollſtändige Parallele in S. 448, Z. 13 ff. v. o.
Aber auch über die Abfaſſung der Einleitung ins Kritiſche Journal (Ueber das Weſen der philoſophiſchen Kritik ꝛc. ) gewährt der handſchriftliche Nachlaß einen ſehr beſtimmten Aufſchluß. Schelling hatte ſich über ſeinen Antheil an derſelben bloß im Allgemeinen geäußert: „ Viele Stellen, die ich jedoch im Augenblick nicht näher zu bezeichnen wüßte, ſowie die Hauptgedanken ſind von mir; es mag wohl keine Stelle ſeyn, die ich nicht wenigſtens revidirt. “ Dieſe Stellen laſſen ſich nun wirklich mit Hülfe des handſchrift - lichen Nachlaſſes annähernd bezeichnen und die Hauptgedanken ſich auf Schelling zurückführen. Z. B. der S. 7 ausgeſprochene Ge - danke der Identität der abſoluten Form mit der Formloſigkeit findetVIII ſich ausführlicher Philoſophie der Kunſt S. 465 und wiederholt angewendet S. 470, Z. 8 ff. v. o. Ein Paſſus S. 8 handelt von der Beſonderheit, die ſich für Originalität halte, die Philo - ſophie der Kunſt S. 456 aber (cf. S. 447, Z. 14 v. o.) gibt an, worin der Unterſchied der Originalität von der Beſonderheit beſtehe. Ziemlich im Anfang der Abhandlung (S. 4) heißt es: „ daß die Philoſophie nur Eine iſt, und nur Eine ſeyn kann, beruht darauf, daß die Vernunft nur Eine, und ſowenig es verſchiedene Vernunften geben kann, ebenſowenig kann ſich zwiſchen die Vernunft und ihr Selbſterkennen eine Wand ſtellen u. ſ. w. “ Nun liegt das Frag - ment einer Vorleſung aus dem Jahr 1803 vor mir, welche von der Idee der univerſellen Philoſophie handelt. Hier ſagt Schelling in einer auch ſonſt der Aufbewahrung nicht unwerthen Stelle:Daß dieſe Idee der univerſellen Philoſophie ſich in den ſpäteren Zeiten wiſſenſchaftlich mehr oder weniger verlor, dieß erhellt freilich deut - lich aus den letzten Regungen im Gebiete dieſer Wiſſenſchaft. Kant hat in die einzelnen Sphären der Philoſophie — in die theoretiſche, wie in die praktiſche — den erſten Keim einer künftigen die ganze Wiſſenſchaft betreffenden Revolution geworfen, aber er ſelbſt iſt nicht bis zu dem Central - punkt vorgedrungen. Er ſtatuirt ſo viele verſchiedene Vernunften, als er verſchiedene Kritiken geſchrieben hat, und wie in einem bekannten Epigramm einige Kunſtrichter, die von verſchiedenen Geſchmäcken redeten, gefragt wurden: wo dieſer Geſchmäcke Geſchmack ſey, ſo könnte man wohl Kant fragen: Wo iſt dieſer Vernunften Vernunft? — Fichte hat es ausdrücklich als ſeine Abſicht erklärt, der theoretiſchen und praktiſchen Vernunft ein gemeinſchaftliches wiſſenſchaftliches Princip zu geben, allein der eigentliche Indifferenzpunkt beider liegt bei ihm zuletzt nicht im Wiſſen, ſondern im Glauben, und der Gegenſatz beider Seiten der Philoſophie wird dadurch aufgehoben, daß die eine der anderen untergeordnet und aufgeopfert iſt.Sollten nun nicht dieſe beiden Stellen aus Einer Feder gefloſſen ſeyn? und ſollte nicht ſchon die jenen Worten der Abhandlung voran - gehende Zuſammenſtellung der philoſophiſchen Kritik mit der Kunſt - kritik eher auf Schelling als auf Hegel hinweiſen? — Ein Gedanke, der in der Methode des akademiſchen Studiums (S. 273), in der Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt (S. 116) und in der über das Weſen der Kritik S. 15IX gleichmäßig ſich findet, iſt: daß in Carteſius der Dualismus in der neueren Cultur zuerſt in wiſſenſchaftlicher Form ſich ausge - ſprochen habe. Dieſer alſo, ſowie vielleicht auch der Tadel über Leibniz’ Theodicee (S. 14) als „ ein Verfallen in die Unphilo - ſophie “, wie es Schelling in einer im nächſten Band zu ver - öffentlichenden Darſtellung der Leibniziſchen Philoſophie aus jener Zeit geradezu nennt, wird wohl Letzterem zuzuſchreiben ſeyn.
Citationen der Einleitung ins Kritiſche Journal in gelehrten Zeitſchriften, wie z. B. Leipziger Literaturzeitung 1812, Nro. 90 (Recenſion von Schellings Schrift gegen Jacobi), zeigen, daß man früher nicht daran zweifelte, dieſelbe enthalte nur Schellingſche Ge - danken. Doch läge hierin noch kein Beweis, ſo wenig als in Bach - manns Zeugniß für den Hegelſchen Urſprung der Abhandlung über die Conſtruktion in der Philoſophie.
Obwohl (um gleich auch die anderen aus dem Kritiſchen Jour - nal der Philoſophie aufgenommenen Stücke durchzugehen) obwohl der Aufſatz: Rückert und Weiß oder die Philoſophie, zu der es keines Denkens bedarf, in Hegels Werke nicht aufgenommen worden war, ſo wurden doch nachträglich Stimmen laut, welche ihn für dieſe in Anſpruch nahmen. „ Dieſelbe leichte Ironie, mit welcher Hegel Krug abfertigte, dieſelbe logiſche Beſtimmtheit, derſelbe Gang der Analyſe walten auch hier. “ Man könnte billigerweiſe fragen, ob denn Schelling von dieſen Eigenſchaften ſo verlaſſen ge - weſen; man dürfte ferner nur z. B. auf die ebenfalls im Kritiſchen Journal erſchienene, aber wohl deßhalb, weil ſie im Notizenblatt ſteht, wenig oder gar nicht beachtete Villersſche Recenſion hinweiſen, die an leichter Behandlung und logiſcher Schärfe der Rückertſchen nichts nachgibt. Allein es bedarf deſſen nicht, denn es iſt ein äußerer, von allen ſubjektiven Anſichten unabhängiger Grund vorhanden, nach welchem der Verfaſſer jenes Aufſatzes kein anderer als Schelling iſt. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß dieſer das Notizenblatt im Kritiſchen Journal (S. 164 ff. ) geſchrieben hat, aus der Nro. 5 deſſelben aber (S. 181), in der Schellings Feder ganz beſondersX zu erkennen iſt, folgt, daß der Verfaſſer der Rückertſchen Recenſion und der Schreiber dieſes Notizenblatts, da es einen Nachtrag zur erſteren enthält, einer und derſelbe iſt. Dieſer Grund iſt ganz entſcheidend. Uebrigens finden ſich auch noch andere einzelne An - zeichen ihres Schellingſchen Urſprungs. Z. B. ein ſtehender Aus - druck im Kritiſchen Journal iſt der: „ Durchbruch “, „ zum Durch - bruch verhelfen “oder „ zum Durchbruch kommen “; vgl. S. 7, Z. 11 v. o. in der ſchon als Schellingiſch erkannten Stelle, S. 126, Z. 14 v. u., S. 187, Z. 12 v. u. Dieſer Ausdruck findet ſich hier zweimal S. 78 und S. 93. Der prägnante philoſophiſche Gebrauch des Worts empfängt S. 92, Z. 1 v. u. iſt gleich - falls ein zu jener Zeit Schelling eigenthümlicher und findet ſich z. B. S. 212, Z. 18. v. o. (vgl. S. 140, Z. 3 v. o.) in dieſem und S. 517, Z. 8 v. o., ſowie S. 519, Z. 2 v. u. (Abh. über die Metalle) im vorhergehenden Band. Schellingiſch wie nur irgend etwas iſt der Satz S. 94: „ jener Nothwendigkeit aber, welche nicht mit der Freiheit im Kampfe liegt, jener göttlichen, überſinnlichen, unbewegten, heiligen, die Schickſal heißt, ſich zu unterwerfen, iſt die Lehre jeder ächten Philoſophie und die ein - zige Weisheit. “ Ganz ähnlich heißt es in einem Würzburger Manuſcript:Dieß beruhigt uns, dieß erhebt uns auf immer über alle leere Sehn - ſucht, Furcht und Hoffnung, zu wiſſen, daß nicht wir handeln, ſondern daß eine göttliche Nothwendigkeit in uns handelt, von der wir zum Ziel getragen werden, und mit der nichts im Widerſtreit ſtehen kann, was aus abſoluter Freiheit folgt.
Wenn endlich S. 87 Rückert vorgeworfen wird, er nehme den Idealismus auf den ganz gemeinen Standpunkt herunter, „ wo jeder Taglöhner und Markthelfer auch ſteht “, ſo erinnert dieß an die Worte eines Briefs an Fichte1Briefwechſel, S. 103.: „ Kann ich dafür, wenn man mir keinen andern Begriff der Natur zuſchreibt, als den jeder Che - miker und Apotheker auch hat. “ Man ſehe auch das Citat S. 88.
XIDen entſchieden nicht-Hegelſchen Urſprung der auch nicht in die Werke Hegels aufgenommenen Abhandlung über die Con - ſtruktion in der Philoſophie hat neuerdings Haym1a. a. O. S. 213. und S. 503, Anm. 1. Auch von dem Aufſatz über Rückert und Weiß ſagt Haym S. 502, Anm. 3, die Hegelſche Autorſchaft des - ſelben ſey mindeſtens zweifelhaft, aber es iſt ein Widerſpruch, wenn er denſelben dennoch zur Charakteriſtik Hegels anwendet, wie dieß z. B. S. 185 geſchieht. geltend gemacht, indem er vorzüglich den Satz heraus hebt, in welchem von der noch zu erwartenden Erfindung der „ univerſellen Symbolik “die Rede iſt (S. 130, Z. 8 ff. v. o.). Zu dieſem Ausſpruch findet ſich der Commentar in einem Abſchnitt der Philoſophie der Kunſt (S. 446 ff. ), wo Schelling die Frage beantwortet, ob es wohl möglich ſey, aus der ſpeculativen Phyſik den Stoff einer neuen Mythologie zu nehmen. Außerdem hat Haym unter anderem auf das Citat des Syſtems des transſcendentalen Idealismus im Text und ohne Nennung des Verfaſſers (S. 138) hingewieſen, (mit welchem das ähnliche Citat in der Methode des akademiſchen Studiums, S. 290 zu vergleichen wäre). Allein viel entſchei - dender als dieſes Citat, iſt die Aeußerung über ſeine ſämmtlichen Schriften, welche S. 148, Z. 8 ff. v. u. ſteht, und wodurch ſich Schelling geradezu als den Verfaſſer dieſer Abhandlung bekennt. Im Uebrigen verweiſe ich auf die von mir durchgängig citirten vielen und auffallenden Parallelſtellen aus allen gleichzeitigen Schriften Schellings, namentlich die von S. 252 bis 256 angeführten. Der §. IV der ferneren Darſtellungen, der von der philoſophiſchen Con - ſtruktion handelt (im vorhergehenden Band S. 391 ff. ), würde aber, beſonders von S. 405 an (Neue Zeitſchrift 1 Bd., Stück 2, S. 24 ff. ) für ſich allein vollkommen hinreichend ſeyn Schel - ling als Verfaſſer der Höyerſchen Recenſion durch ihren Inhalt zu beglaubigen. Die Schrift Höyers zu recenſiren, mußte Schelling um ſo angenehmer ſeyn, je mehr er in dem Entwicklungsgang dieſes ſchwediſchen Philoſophen ein gut Theil ſeines eignen Wegs in einem lebenden Gegenbild reconſtruirt ſah. Man vergleiche in dieſerXII Hinſicht S. 140, Z. 6 ff. v. u., vgl. mit der vorhin citirten Stelle S. 148, Z. 8. ff. v. u.
An die letztgenannte Recenſion ſchließt ſich nach Inhalt und Wichtigkeit die Villersſche (S. 184 ff. ) an, für deren Schellingſchen Urſprung vorhandene Briefe noch beſonders Zeugniß geben, worin ſich Villers über die Recenſion beſchwert und Schelling ihm ant - wortet. 1Man vergleiche über Villers Steffens’ Was ich erlebte, Band V, S. 374.(Auch von Höyer iſt der Brief da, mit welchem er die Ueberſendung ſeines Buchs an Schelling begleitet und dieſen um ſein Urtheil bittet, aber kein weiterer.)
Daß die Anzeige der andern franzöſiſchen Schrift (S. 202) ebenfalls von Schelling iſt, iſt nicht zu bezweifeln.
Noch bemerke ich, daß die Methode des akademiſchen Studiums verſchiedene Zuſätze aus dem Handexemplar des Verfaſſers erhalten hat, z. B. S. 226, 229, 230, 245 u. a. Dagegen wurden einige kleine Stücke zu ephemeren und unbedeutenden Inhalts im Kritiſchen Journal übergangen, nämlich aus dem Notizenblatt Bd. 1, Stück 3, S. 94 — 98, ferner was S. 163 dieſes Bandes und S. 206 in den betreffenden Noten erwähnt iſt.
Ich komme nun wieder auf die Philoſophie der Kunſt.
Es wurde ſchon nachgewieſen, daß die Philoſophie der Kunſt zur Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt vielfach einen Commentar bilde. Ebenſo wurde bereits bemerkt, daß die religionsphiloſophiſche Vorleſung in der Methode des akademiſchen Studiums als ein Auszug aus der Philoſophie der Kunſt gelten könne: dieſe enthält den gleichen Gedankengang mit jener, beide haben wörtliche Uebereinſtimmungen, wie denn zwei in beiden faſt ganz gleichlautende Stellen, um ſie nicht zweimal zu drucken, in der Philoſophie der Kunſt weggelaſſen wurden, da es unbeſchadet des Sinns und Zuſammenhangs ge - ſchehen konnte; nämlich, was S. 288 ſteht, iſt S. 430, Z. 3 — 4 v. u., und was S. 289, Z. 3 v. o. bis S. 290, Z. 4 v. o.XIII ſteht, iſt S. 434, Z. 9 — 10 v. u. ausgefallen. Endlich harmo - niren beide (die Methode und die Philoſophie der Kunſt) in den Formeln für den Gegenſatz des Heidenthums und Chriſtenthums. In beiden nämlich wird das Heidenthum als Darſtellung oder An - ſchauung des Unendlichen im Endlichen, das Chriſtenthum als Darſtellung oder Anſchauung des Endlichen im Unendlichen charak - teriſirt, während in der ſchon beſprochenen Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt umge - kehrt das Heidenthum als Aufnahme oder Einbildung des Endlichen ins Unendliche, das Chriſtenthum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche beſtimmt wird. Und hierüber iſt zunächſt noch einiges zu ſagen; denn der Wechſel jener Formeln in der Methode des akademiſchen Studiums und in der genannten Abhandlung war der einzige Einwurf gegen die Nichtidentität des Verfaſſers beider, der einigen Schein hatte, wiewohl man freilich gar nicht bedacht zu haben ſcheint, daß ja ſchon der Gebrauch der Formel „ Ein - bildung des Endlichen ins Unendliche oder des Unendlichen ins Endliche “an ſich — ohne ihre Anwendung auf das Weſen des Heidenthums und des Chriſtenthums — eine Schelling ganz eigen - thümliche iſt, und die ſich bei ihm in verſchiedenen gleichgeltenden Ausdrücken überall wiederholt, wie als Einbildung des Idealen ins Reale, des Allgemeinen ins Beſondere, der Einheit in die Vielheit, und umgekehrt. Die Anwendung der Formel erſcheint gegen ſie ſelbſt nur als etwas Accidentelles. Wollte man daher Hegel jene Ab - handlung zuſchreiben, ſo müßte man vor allem ſich und andern begreiflich machen, wie Hegel auf einmal einer Formel ſich bedienen konnte, die ſo ganz nur Schellingiſch war. Zu behaupten, Hegel habe eben hier den Schellingſchen Ton nachgeahmt, iſt doch zu naiv, zumal das weitere Curioſum herauskäme, daß dann Schelling in der Methode (nur mit Umſtellung der Formeln) ſeinen Nach - ahmer wieder nachgeahmt hätte. Es iſt unendlich viel leichter zu denken, daß Schelling in der Anwendung jener Formel auf das Heidenthum und Chriſtenthum variirte, als anzunehmen, daß HegelXIV ſich völlig und plötzlich nur für den Zweck jener Abhandlung in das Gewand einer ihm fremden Diktion gehüllt habe. In der That laſſen ſich auch jene Formeln in ihrer Anwendung aufs Heiden - thum und Chriſtenthum leicht verwechſeln, ohne daß dadurch die anderweitige Hauptbeſtimmung des Charakters der beiden Religionen ſelbſt verändert oder aufgehoben würde, die ſich vielmehr auch bei veränderten Formeln gleich bleibt, wie ich mir zu zeigen erlaube. Für das Weſen des Heidenthums nämlich iſt die ſich gleichbleibende Hauptbeſtimmung, daß es ſey Unterordnung des Unendlichen unter die Endlichkeit (Methode, S. 288) — Vergötterung des Endlichen (Abh., S. 120, Z. 6 v. o.) —, für das Chriſtenthum Unter - ordnung des Endlichen unter das Unendliche. Setzen wir nun dieſe Beſtimmung in jene Formeln um, ſo finden wir, daß die gleiche Formel nur von verſchiedenen Standpunkten aus das einemal auf das Heidenthum, das anderemal auf das Chriſtenthum paßt. Wir nehmen z. B. die Formel „ Einbildung des Endlichen ins Unendliche “. Wird nun in dieſer der Nachdruck auf den Ausgangs - punkt gelegt, nämlich das Endliche, ſo paßt ſie aufs Heidenthum, und ſo iſt ſie in der Abhandlung genommen, vergl. S. 119. Wird aber mit derſelben Formel (Einbildung oder Aufnahme des End - lichen ins Unendliche) bezeichnet, was das herrſchende Princip in einer Religion iſt, ſo paßt ſie aufs Chriſtenthum, und ſo — nämlich als Anſchauung des Endlichen im Unendlichen — iſt die Formel in der Methode angewendet. Ebenſo, nur umgekehrt, verhält es ſich mit der andern Formel „ Einbildung des Unendlichen ins End - liche “. Sieht man hier darauf, daß das Herrſchende das Endliche iſt, ſo iſt ſie die Formel fürs Heidenthum (nach der Methode S. 288, vgl. S. 292, Z. 16 v. o.); ſieht man aber auf den Ausgangspunkt, welcher das Unendliche iſt, ſo iſt ſie die Formel fürs Chriſtenthum, wie in der Abhandlung S. 119. — Will man darüber ſtreiten, welche von beiden die beſſere Formulirung ſey, ſo iſt es ohne Zweifel beſſer, zu ſagen, das Weſen des Chriſten - thums ſey Aufnahme des Endlichen ins Unendliche oder AnſchauungXV des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling in der Methode vorzog, ſofern das, was ein anderes aufnimmt, das Herrſchende iſt, das Aufgenommene dagegen das Beherrſchte (nach Philoſophie der Kunſt S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden - thum aber war das Herrſchende das Endliche, im Chriſtenthum iſt es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber - gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das Reale im Chriſtenthum) iſt „ nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur Unendlichkeit, ſondern eine Endlichwerdung des Unendlichen “, wie die Abhandlung ſagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292) ſich ausdrückt, vgl. mit Philoſophie der Kunſt S. 431 ff. : das wahre Unendliche mußte erſt ins Endliche kommen, um dieſes an ſich ſelbſt zu opfern, es dadurch zu verſöhnen und — als Geiſt — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir ſehen, die Methode (und die Philoſophie der Kunſt) ſtimmt auch in dieſer letzteren Beſtimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet ihrer Abweichung von derſelben bei der Anwendung jener Formel.
Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Chriſten - thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An - ſchauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, ſo iſt meines Er - achtens der Grund darin zu ſuchen, daß er es dort nicht nach ſeiner allgemeinen Richtung, ſondern gleich nur nach dem charakteriſirt, was er als ſein Beſonderſtes und Innerſtes, als ſeine „ Vollendung “erklärt, zu welcher das Chriſtenthum als Ge - genſatz nur der Weg ſey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben nach dieſer Vollendung nennt er Myſticismus. Nach dieſer tief in ihm liegenden Tendenz betrachtet, iſt das Chriſtenthum Schauen des Unendlichen im Endlichen, während ſeine „ allgemeine und un - mittelbare Richtung “auf das Unendliche geht. Sein herrſchendes Princip iſt das Unendliche, aber innerhalb dieſer principiellen Rich - tung ſelbſt bricht wieder „ das ſymboliſche Beſtreben “(= das Un - endliche im Endlichen zu ſchauen) durch. Die Philoſophie der KunſtXVI gibt auch hierüber Aufklärung; man vergleiche insbeſondere S. 447. Ebendaſelbſt (S. 448) findet ſich dann auch das Nähere über das Verhältniß der Speculation zu jenem Myſticismus.
Im Weiteren bemerke ich nun von der Philoſophie der Kunſt, daß deren Anfangsſätze (§§. 1 — 15), ſo wie ſie hier gedruckt ſind, wohl erſt den ſpäteren, Würzburger Vorträgen angehören; bei dem erſten Vortrag in Jena ſcheint ſie der Verfaſſer anders ge - geben zu haben, wie ich auch aus der äußeren Beſchaffenheit des Manuſcripts abnehme, ohne Zweifel mehr conform der urſprüng - lichen Ausdrucksweiſe des Identitätsſyſtems. — Es ſcheint, daß Schelling niemals im Sinn hatte, die Aeſthetik als Ganzes zu ediren; er konnte es auch nach der Herausgabe der Methode des akademiſchen Studiums und dem in das Kritiſche Journal Auf - genommenen ohne Wiederholung von ſchon Bekanntem nicht mehr thun. Ueberdieß hatte er in derſelben vielfach nur die von Schiller, Goethe, den Schlegels vertretene Literatur benutzt, und konnte gerade z. B. dieſen Männern gegenüber auf das ihm Eigenthümliche keinen ſo großen Werth legen. Ihm konnte die Philoſophie der Kunſt nur als ein Verſuch gelten, den er zu - nächſt für ſich ſelbſt machte, die Ideen und die Methode ſeiner Philoſophie auf die Wiſſenſchaft der Kunſt anzuwenden, und etwa durch dieſe Anwendung bei ſeinen Zuhörern ein lebendiges Ver - ſtändniß und erhöhtes Intereſſe für ein Syſtem zu wecken, durch das allerdings zum erſtenmal das vielgeſtaltige, für den Laien ſchwer zu begreifende Weſen der Kunſt in beſtimmte, einfache und unter ſich harmonirende Conſtruktionen gefaßt war. Hätte nun auch dieſer letztere Vorzug beſonders bei noch weiterer Ausbildung ſie ihm als druckwürdig erſcheinen laſſen können, ſo mochte er da - gegen bald von dieſer oder jener ſeiner eigenſten, zur Zeit der erſten Abfaſſung der Aeſthetik beſonders gehegten und in dieſer noch mehr als in den anderen gleichzeitigen Schriften prononcirten Ideen abgekommen ſeyn, ſo daß es ihm doch nicht möglich war die Philo - ſophie der Kunſt ohne eine theilweiſe gänzliche Umarbeitung zuXVII veröffentlichen. Und auch über einzelnes Hiſtoriſche, wie z. B. über den Urſprung der gothiſchen Baukunſt, war er vielleicht nach weni - gen Jahren anderer Anſicht geworden. Je weniger aber er ſelbſt an die Publikation ſeiner Aeſthetik dachte, deſto mehr ſcheint ſie ſich durch nachgeſchriebene Hefte überall hin verbreitet zu haben, worüber eine Anmerkung in den Jahrbüchern der Medicin als Wiſſenſchaft Bd. 2, Heft 2, S. 303 ſich ausſpricht.
Ohne das Intereſſe, welches die Philoſophie der Kunſt auch in ihrem allgemeinen Theil als Commentar und Pendant zu an - deren Schriften Schellings und als Mittel der Aufhellung einiger Ungewißheiten in der philoſophiſchen Literatur darbot, würde wohl auch jetzt das Ganze nicht veröffentlicht worden ſeyn, und ich bin ſchuldig ausdrücklich zu ſagen, daß der Verfaſſer ſelbſt für wirklich druckwürdig nur die Abhandlung über die Tragödie erklärt hat, vom Uebrigen aber höchſtens Einzelnes des Drucks werth erachtete. Allein, was nun z. B. die beſonderen Kunſtformen betrifft, aus deren Darſtellung man etwa einzelnes auszuwählen gehabt hätte, ſo wollte ſich hier kein Maßſtab für die Ausſcheidung finden, vielmehr ſchien die Harmonie des Ganzen, das Ineinandergreifende, durch Parallelen ſich gegenſeitig Erklärende der einzelnen Stücke durchaus nicht zu erlauben dieſes oder jenes auszuſondern. Auch war nicht etwa ein Theil vor dem andern durch reichere Ausführung bevorzugt. Doch ſelbſt für die Mittheilung des Grund legenden allgemeinen Theils ſprach nicht bloß ein kritiſches Intereſſe und nicht bloß der Vortheil des völligeren Verſtändniſſes auch des be - ſonderen. Hatte doch Schelling ſelbſt durch eine Aeußerung in ſeinen nachgelaſſenen Schriften (Einleitung in die Philoſophie der Mythologie, S. 241) begierig gemacht das Kapitel über die My - thologie in der Philoſophie der Kunſt kennen zu lernen. Es inter - eſſirt uns nun zu ſehen, wie er ſchon damals die Mythologie nicht vom bloßen Zufall ſubjektiver Erfindung herleitete, — die Phantaſie zwar war die Erfinderin, aber ſie folgte in ihren Dichtungen un - willkürlich dem Typus der Ideen, inſofern einer Nothwendigkeit,Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. *XVIIIſie bildete in der Mythologie eine zweite Welt mit abſoluter Ob - jektivität, und nicht das Werk einzelner Individuen als Individuen war die Mythologie, ſondern das eines ganzen Geſchlechts, ſofern es ſelbſt Individuum (S. 414). Dieſe Nothwendigkeit muß freilich ſpäter in der Philoſophie der Mythologie einer ganz ande - ren Platz machen. Das Geſchlecht, „ das einem einzelnen Men - ſchen gleich, “wird zum menſchlichen Bewußtſeyn ſelbſt — in welchem auch allein die Totalität dem Individuum gleich iſt — und in dieſem erzeugen ſich die Göttervorſtellungen urſprüng - lich ohne alles Zuthun der Phantaſie mit einer Nothwendigkeit, die ſich durchaus nicht von Ideen oder von einer idealen Regel her - ſchreibt, ſondern von einer Kataſtrophe des menſchlichen Bewußt - ſeyns und einem daraus folgenden unwillkürlichen Proceß, dem das Bewußtſeyn hingegeben iſt, unter dem es leidet.
Es dürfte ſomit die vollſtändige Veröffentlichung der Philo - ſophie der Kunſt aus verſchiedenen Gründen gerechtfertigt und etliches aus dieſem vor mehr als 50 Jahren gehaltenen Vortrag vielleicht ſelbſt denen nicht unwillkommen ſeyn, welche heutzutage an dieſer Wiſſenſchaft arbeiten.
Zum Schluſſe noch die Erinnerung, daß der Zeitfolge nach zum Inhalt dieſes Bandes auch die im Jahr 1802 geſchriebenen Zuſätze zur zweiten Auflage der Ideen zu einer Philoſophie der Natur (Band 2 dieſer Ausgabe) gehören, von welchen überdieß der erſte, der die Ueberſchrift hat „ Darſtellung der allgemeinen Idee der Philoſophie überhaupt und der Naturphiloſophie insbe - ſondere als nothwendigen und integranten Theils der erſteren “mit der viel beſprochenen Abhandlung über das Verhältniß der Natur - philoſophie zur Philoſophie überhaupt in einiger Verwandtſchaft ſteht.
Eßlingen, im Oktober 1859.
K. F. A. Schelling.
(Aus dem handſchriftlichen Nachlaß.)
Erſtmals vorgetragen zu Jena im Winter 1802 bis 1803, wiederholt 1804 und 1805 in Würzburg.
— — — — — — — — — — — — —1Der Anfang dieſer Einleitung, welcher ausführt, „ daß die Kunſt ein großer und würdiger Gegenſtand nicht nur überhaupt des Philoſophen, ſondern auch vorzüglich des neueren Philoſophen ſey “, iſt hier weggefallen, da er mit der Vorleſung über die Kunſt in der Methode des akademiſchen Studiums (oben S. 344 ff. ) faſt gleichlautend iſt. Es iſt alſo die genannte Vorleſung zugleich als der Anfang der Einleitung in die Philoſophie der Kunſt anzuſehen. D. H.
Ich bitte Sie bei den gegenwärtigen Vorträgen durchaus die rein wiſſenſchaftliche Abſicht derſelben vor Augen zu haben. Wie die Wiſſenſchaft überhaupt, ſo iſt Wiſſenſchaft der Kunſt an ſich intereſſant, auch ohne äußeren Zweck. So viele zum Theil unwichtige Gegenſtände ziehen die allgemeine Wißbegierde und ſelbſt den wiſſen - ſchaftlichen Geiſt auf ſich; ſonderbar, wenn es eben die Kunſt nicht ver - möchte, dieſer eine Gegenſtand, der faſt allein die höchſten Gegenſtände unſerer Bewunderung in ſich ſchließt.
Der iſt noch ſehr weit zurück, dem die Kunſt nicht als ein ge - ſchloſſenes, organiſches und ebenſo in allen ſeinen Theilen nothwendiges Ganzes erſchienen iſt, als es die Natur iſt. Fühlen wir uns unauf - haltſam gedrungen, das innere Weſen der Natur zu ſchauen, und jenen fruchtbaren Quell zu ergründen, der ſo viele große Erſcheinungen mit ewiger Gleichförmigkeit und Geſetzmäßigkeit aus ſich herausſchüttet, wie viel mehr muß es uns intereſſiren, den Organismus der Kunſt zu durchdringen, in der aus der abſoluten Freiheit ſich die höchſte Einheit und Geſetzmäßigkeit herſtellt, die uns die Wunder unſeres eignen358 Geiſtes weit unmittelbarer als die Natur erkennen läßt. Intereſſirt es uns, den Bau, die innere Anlage, die Beziehungen und Verwickelungen eines Gewächſes oder eines organiſchen Weſens überhaupt ſo weit wie möglich zu verfolgen, wie viel mehr müßte es uns reizen, dieſelben Verwickelungen und Beziehungen in den noch viel höher organiſirten und in ſich ſelbſt verſchlungeneren Gewächſen zu erkennen, die man Kunſtwerke nennt.
Den meiſten geht es mit der Kunſt, wie es dem Meiſter Jourdain bei Molière1Bourgeois gentilhomme, Act. II, Scène 4. mit der Proſa ging, der ſich wunderte, ſein ganzes Leben Proſa geſprochen zu haben, ohne es zu wiſſen. Die wenigſten überlegen, daß ſchon die Sprache, in der ſie ſich ausdrücken, das vollkommenſte Kunſtwerk iſt. Wie viele haben vor einem Theater geſtanden, ohne ſich nur einmal die Frage aufzuwerfen, wie viele Bedingungen zu einer auch nur einigermaßen vollkommenen theatraliſchen Erſcheinung erfordert werden; wie viele den edlen Eindruck einer ſchönen Architek - tur empfunden, ohne Verſuchung den Gründen der Harmonie nachzu - ſpüren, die ſie daraus angeſprochen hat! Wie viele haben ein einzelnes Gedicht oder ein hohes dramatiſches Werk auf ſich wirken laſſen, und ſind dadurch bewegt, entzückt, erſchüttert worden, ohne je zu unter - ſuchen, durch welche Mittel es dem Künſtler gelingt, ihr Gemüth zu beherrſchen, ihre Seele zu reinigen, ihr Innerſtes aufzuregen — ohne den Gedanken, dieſen ganz paſſiven und inſofern unedlen Genuß in den weit höheren der thätigen Beſchauung und der Reconſtruktion des Kunſtwerks durch den Verſtand zu verwandeln!
Derjenige wird für roh und ungebildet geachtet, der die Kunſt überall nicht auf ſich einfließen laſſen und ihre Wirkungen erfahren will. Aber es iſt, wenn nicht in demſelben Grade, doch dem Geiſte nach ebenſo roh, die bloß ſinnlichen Rührungen, ſinnlichen Affekter, oder ſinnliches Wohlgefallen, welche Kunſtwerke erwecken, für Wirkungen der Kunſt als ſolche zu halten.
Für den, der es in der Kunſt nicht zur freien, zugleich leidenden359 und thätigen, fortgeriſſenen und überlegten Beſchauung bringt, ſind alle Wirkungen der Kunſt bloße Naturwirkungen; er ſelbſt verhält ſich dabei als Naturweſen, und hat die Kunſt als Kunſt wahrhaft nie er - fahren und erkannt. Was ihn bewegt, ſind vielleicht die einzelnen Schönheiten, aber in dem wahren Kunſtwerk gibt es keine einzelne Schönheit, nur das Ganze iſt ſchön. Wer ſich alſo nicht zur Idee des Ganzen erhebt, iſt gänzlich unfähig ein Werk zu beurtheilen. Und trotz dieſer Gleichgültigkeit ſehen wir doch die große Menge der Menſchen, die ſich gebildet nennen, zu nichts geneigter, als in Sachen der Kunſt ein Urtheil zu haben, die Kenner zu ſpielen, und nicht leicht wird ein nachtheiliges Urtheil tiefer empfunden als das, daß jemand keinen Geſchmack habe. Die, welche ihre Schwäche in der Beurtheilung fühlen, halten, bei der ſehr entſchiedenen Wirkung, die ein Kunſtwerk auf ſie hat, und der Originalität der Anſicht, die ſie vielleicht davon haben, unerachtet, doch ihr Urtheil lieber zurück, als daß ſie ſich Blößen geben. Andere, die weniger beſcheiden ſind, machen ſich durch ihr Ur - theil lächerlich oder fallen den Verſtändigen damit beſchwerlich. Es ge - hört alſo ſogar zur allgemein geſellſchaftlichen Bildung — da überhaupt kein geſellſchaftlicheres Studium als das der Kunſt — über die Kunſt Wiſſenſchaft zu haben, die Fähigkeit, die Idee oder das Ganze ſo wie die wechſelſeitigen Beziehungen der Theile aufeinander und auf das Ganze und hinwiederum die des Ganzen auf die Theile aufzu - faſſen, in ſich ausgebildet zu haben. Aber dieſes eben iſt nicht möglich anders als durch Wiſſenſchaft und insbeſondere durch Philoſophie. Je ſtrenger die Idee der Kunſt und des Kunſtwerks conſtruirt wird, deſto mehr wird nicht nur der Schlaffheit der Beurtheilung, ſondern auch jenem leichtfertigen Verſuchen in der Kunſt oder Poeſie geſteuert, welches gewöhnlich ohne alle Idee derſelben angeſtellt wird.
Wie nöthig gerade eine ſtreng wiſſenſchaftliche Anſicht der Kunſt zur Ausbildung des intellektuellen Anſchauens der Kunſtwerke ſowie vorzüglich zur Bildung des Urtheils über dieſelbe ſey, darüber will ich nur noch Folgendes bemerken.
Man kann ſehr häufig, insbeſondere jetzt, die Erfahrung machen,360 wie ſehr ſelbſt Künſtler untereinander in ihren Urtheilen nicht nur verſchieden, ſondern entgegengeſetzt ſind. Dieſes Phänomen iſt ſehr leicht zu erklären. In den Zeitaltern der blühenden Kunſt iſt es die Nothwendigkeit des allgemein herrſchenden Geiſtes, das Glück und gleich - ſam der Frühling der Zeit, der unter den großen Meiſtern mehr oder weniger die allgemeine Uebereinſtimmung hervorbringt, ſo daß, wie dieß auch die Geſchichte der Kunſt zeigt, die großen Werke gedrängt auf - einander, faſt zu gleicher Zeit, wie von einem gemeinſchaftlichen Hauch und unter einer gemeinſamen Sonne, entſtehen und reifen. Albrecht Dürer zugleich mit Raphael, Cervantes und Calderon zugleich mit Shakespeare. Wenn ein ſolches Zeitalter des Glücks und der reinen Produktion vorbei iſt, ſo tritt die Reflexion und mit ihr die allgemeine Entzweiung ein; was dort lebendiger Geiſt war, wird hier Ueberlie - ferung.
Die Richtung der alten Künſtler war vom Centrum gegen die Peripherie. Die ſpäteren nehmen die äußerlich abgehobene Form und ſuchen ſie unmittelbar nachzuahmen; ſie behalten den Schatten ohne den Körper. Jeder bildet ſich nun ſeine eignen, beſonderen Geſichtspunkte für die Kunſt, und beurtheilt ſelbſt das Vorhandene darnach. Die einen, welche das Leere der Form ohne den Inhalt bemerken, predigen die Rückkehr zur Materialität durch Nachahmung der Natur, die an - dern, die ſich über jenen leeren und hohlen äußerlichen Abhub der Form nicht ſchwingen, predigen das Idealiſche, die Nachahmung des ſchon Gebildeten; keiner aber kehrt zu den wahren Urquellen der Kunſt zurück, aus denen Form und Stoff ungetrennt ſtrömt. Mehr oder weniger iſt dieß der gegenwärtige Zuſtand der Kunſt und des Kunſt - urtheils. So mannichfaltig die Kunſt in ſich ſelbſt iſt, ſo mannichfaltig und nuancirt ſind die verſchiedenen Geſichtspunkte der Beurtheilung. Keiner der Streitenden verſteht den andern. Sie beurtheilen, der eine nach dem Maßſtab der Wahrheit, der andere nach dem der Schönheit, ohne daß ein einziger wüßte, was Wahrheit oder was Schönheit iſt. Unter den eigentlich praktiſchen Künſtlern einer ſolchen Zeit iſt alſo mit wenigen Ausnahmen nichts über das Weſen der Kunſt zu erfahren,361 weil es ihnen in der Regel an der Idee der Kunſt und der Schönheit gebricht. Und eben dieſe, ſelbſt unter denen, welche die Kunſt aus - üben, herrſchende Uneinigkeit iſt ein dringender Beſtimmungsgrund, die wahre Idee und die Principien der Kunſt in der Wiſſenſchaft zu ſuchen.
Noch mehr iſt ein ernſter, aus Ideen geſchöpfter Unterricht über Kunſt nöthig in dieſem Zeitalter des literariſchen Bauernkriegs, der gegen alles Hohe, Große, auf Ideen Gegründete, ja gegen die Schön - heit in der Poeſie und Kunſt ſelbſt geführt wird, wo das Frivole, Sinnenreizende oder auf niederträchtige Art Edele die Götzen ſind, welchen die größte Verehrung gezollt wird.
Nur die Philoſophie kann die für die Produktion großentheils ver - ſiegten Urquellen der Kunſt für die Reflexion wieder öffnen. Nur durch Philoſophie können wir hoffen, eine wahre Wiſſenſchaft der Kunſt zu erlangen, nicht als ob die Philoſophie den Sinn geben könnte, den nur ein Gott geben kann, nicht als ob ſie das Urtheil demjenigen ver - leihen könnte, dem es die Natur verſagt hat, ſondern daß ſie auf eine unveränderliche Weiſe in Ideen ausſpricht, was der wahre Kunſt - ſinn im Concreten anſchaut, und wodurch das ächte Urtheil beſtimmt wird.
Ich halte nicht für unnöthig die Gründe noch anzugeben, welche mich insbeſondere beſtimmt haben, ſowohl dieſe Wiſſenſchaft zu bearbeiten, als dieſe Vorträge darüber zu halten.
Vor allem bitte ich Sie, dieſe Wiſſenſchaft der Kunſt mit nichts von all dem zu verwechſeln, was man bisher unter dieſem Namen oder irgend einem andern als Aeſthetik oder Theorie der ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften vorgetragen hat. Noch exiſtirt überall keine wiſſen - ſchaftliche und philoſophiſche Kunſtlehre; höchſtens exiſtiren Bruchſtücke einer ſolchen, und auch dieſe ſind noch wenig verſtanden, und können nicht anders als im Zuſammenhang eines Ganzen verſtanden werden.
Vor Kant war alle Kunſtlehre in Deutſchland ein bloßer Abkömm - ling der Baumgartenſchen Aeſthetik — denn dieſer Ausdruck wurde zuerſt von Baumgarten gebraucht. Zur Beurtheilung derſelben reicht362 es hin zu erwähnen, daß ſie ſelbſt wieder ein Sprößling der Wolff - ſchen Philoſophie war. In der Periode unmittelbar vor Kant, wo ſeichte Popularität und Empirismus in der Philoſophie das Herrſchende waren, wurden die bekannten Theorien der ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften aufgeſtellt, deren Principien die pſychologiſchen Grundſätze der Engländer und Franzoſen waren. Man ſuchte das Schöne aus der empiriſchen Pſychologie zu erklären, und behandelte überhaupt die Wun - der der Kunſt ohngefähr ebenſo aufklärend und wegerklärend wie zu derſelben Zeit die Geſpenſtergeſchichten und andern Aberglauben. Bruch - ſtücke dieſes Empirismus trifft man ſelbſt noch in ſpäteren, zum Theil nach einer beſſeren Anſicht gedachten Schriften an.
Andere Aeſthetiken ſind gewiſſermaßen Recepte oder Kochbücher, wo das Recept zur Tragödie ſo lautet: Viel Schrecken, doch nicht allzu - viel; ſo viel Mitleid als möglich und Thränen ohne Zahl.
Mit Kants Kritik der Urtheilskraft ging es wie mit ſeinen übrigen Werken. Von den Kantianern war natürlich die äußerſte Geſchmack - loſigkeit, wie in der Philoſophie Geiſtloſigkeit, zu erwarten. Eine Menge Menſchen lernten die Kritik der äſthetiſchen Urtheilskraft aus - wendig und trugen ſie vom Katheder und in Schriften als Aeſthetik vor.
Nach Kant haben einige vorzügliche Köpfe treffliche Anregungen zur Idee einer wahren philoſophiſchen Wiſſenſchaft der Kunſt und ein - zelne Beiträge zu einer ſolchen geliefert; noch aber hat keiner ein wiſ - ſenſchaftliches Ganzes oder auch nur die abſoluten Principien ſelbſt — allgemein gültig und in ſtrenger Form — aufgeſtellt; auch iſt bei mehreren derſelben noch nicht die ſtrenge Sonderung des Empirismus und der Philoſophie geſchehen, die zur wahren Wiſſenſchaftlichkeit erfor - dert würde.
Das Syſtem der Philoſophie der Kunſt, welches ich vorzutragen denke, wird ſich alſo von den bisher vorhandenen weſentlich und ſowohl der Form als dem Gehalt nach unterſcheiden, indem ich ſelbſt in den Principien weiter zurückgehe, als bisher geſchehen iſt. Dieſelbe Methode, durch die es mir, wenn ich mich nicht irre, in der Naturphiloſophie bis zu einem gewiſſen Punkte möglich geworden iſt,363 das vielfach verſchlungene Gewebe der Natur zu entwirren und das Chaos ſeiner Erſcheinungen zu ſondern, dieſelbe Methode wird uns auch durch die noch labyrinthiſcheren Verwicklungen der Kunſtwelt hindurchleiten und über die Gegenſtände derſelben ein neues Licht ver - breiten laſſen.
Weniger kann ich mir ſelbſt Genüge zu leiſten gewiß ſeyn in An - ſehung der hiſtoriſchen Seite der Kunſt, welche, aus Gründen, die ich in der Folge angeben werde, ein weſentliches Element aller Con - ſtruktion iſt. Ich erkenne zu gut, wie ſchwierig es iſt, in dieſem un - endlichſten aller Gebiete auch nur die allgemeinſten Kenntniſſe über jeden Theil deſſelben ſich zu erwerben, geſchweige denn es über alle ſeine Theile bis zur beſtimmteſten und genaueſten Kenntniß zu bringen. Was ich allein für mich anführen kann, iſt, daß ich das Studium der alten und neueren Werke der Poeſie eine lange Zeit mit Ernſt betrieben und es zu meinem angelegentlichen Geſchäft gemacht habe, daß ich einige Anſchauung von Werken der bildenden Kunſt gehabt habe, daß ich im Umgang mit ausübenden Künſtlern zum Theil zwar nur ihre eigne Uneinigkeit und ihr Nichtverſtehen der Sache kennen gelernt, zum Theil aber auch im Umgang mit ſolchen, die außer der glücklichen Ausübung der Kunſt auch noch über ſie philoſophiſch gedacht haben, mir einen Theil derjenigen hiſtoriſchen Anſichten der Kunſt erworben habe, die ich zu meinem Zwecke nothwendig glaube.
Für diejenigen, die mein Syſtem der Philoſophie kennen, wird die Philoſophie der Kunſt nur die Wiederholung deſſelben in der höch - ſten Potenz ſeyn, denjenigen, die es noch nicht kennen, wird die Methode deſſelben in dieſer Anwendung vielleicht nur noch in die Augen ſpringen - der und deutlicher ſeyn.
Die Conſtruktion wird ſich nicht bloß auf das Allgemeine, ſondern auch bis auf diejenigen Individuen erſtrecken, welche für eine ganze Gattung gelten; ich werde ſie und die Welt ihrer Poeſie conſtruiren. Ich nenne vorläufig nur Homer, Dante, Shakeſpeare. In der Lehre von den bildenden Künſten werden die Individualitäten der größten Meiſter im Allgemeinen charakteriſirt werden; in der Lehre von der364 Poeſie und den Dichtarten werde ich ſogar bis zur Charakteriſtik ein - zelner Werke der vorzüglichſten Dichter, z. B. Shakeſpeares, Cervantes, Goethes herabſteigen, um ſo die gegenwärtige Anſchauung, die uns bei jenen fehlt, hier zu erſetzen.
In der allgemeinen Philoſophie freuen wir uns, das ſtrenge Ant - litz der Wahrheit an und für ſich ſelbſt zu ſehen, in dieſer beſondern Sphäre der Philoſophie, welche die Philoſophie der Kunſt begrenzt, ge - langen wir zur Anſchauung der ewigen Schönheit und der Urbilder alles Schönen.
Die Philoſophie iſt die Grundlage von allem und befaßt alles; ſie erſtreckt ihre Conſtruktion auf alle Potenzen und Gegenſtände des Wiſſens; nur durch ſie gelangt man zum Höchſten. Durch die Kunſtlehre bildet ſich innerhalb der Philoſophie ſelbſt ein engerer Kreis, in dem wir unmittelbarer das Ewige gleichſam in ſichtbarer Geſtalt ſchauen, und ſo ſteht dieſe richtig verſtanden mit der Philoſophie ſelbſt im vollkommenſten Einklang.
Schon in dem bisher Vorgetragenen lag zum Theil die Andeutung deſſen, was Philoſophie der Kunſt ſey; es iſt aber nöthig, mich jetzt ausdrücklicher darüber zu erklären. Ich werde die Frage in der größten Allgemeinheit ſo ſtellen: Wie iſt Philoſophie der Kunſt mög - lich? (denn Beweis der Möglichkeit in Anſehung der Wiſſenſchaft auch Wirklichkeit).
Jeder ſieht ein, daß in dem Begriff einer Philoſophie der Kunſt Entgegengeſetztes verbunden werde. Die Kunſt iſt das Reale, Objek - tive, die Philoſophie das Ideale, Subjektive. Man könnte alſo die Aufgabe der Philoſophie der Kunſt zum voraus ſchon ſo beſtimmen: das Reale, welches in der Kunſt iſt, im Idealen darzuſtellen. Allein die Frage iſt nun eben, was es heiße: ein Reales im Idea - len darzuſtellen, und ehe wir dieß wiſſen, ſind wir über den Begriff der Philoſophie der Kunſt noch nicht im Reinen. Wir haben alſo die ganze Unterſuchung noch tiefer anzufaſſen. — Da Darſtellung im Idealen überhaupt = Conſtruiren, auch die Philoſophie der Kunſt = Conſtruktion der Kunſt ſeyn ſoll, ſo wird dieſe Unterſuchung365 nothwendig zugleich in das Weſen der Conſtruktion tiefer eindringen müſſen.
Der Zuſatz Kunſt in „ Philoſophie der Kunſt “beſchränkt bloß den allgemeinen Begriff der Philoſophie, aber hebt ihn nicht auf. Unſere Wiſſenſchaft ſoll Philoſophie ſeyn. Dieß iſt das Weſentliche; daß ſie eben Philoſophie ſeyn ſoll in Beziehung auf Kunſt, iſt das Zu - fällige unſeres Begriffs. Nun kann aber weder überhaupt das Acci - dentelle eines Begriffs das Weſentliche deſſelben verändern, noch kann Philoſophie insbeſondere als Philoſophie der Kunſt etwas anderes ſeyn, als ſie an ſich und abſolut betrachtet iſt. Philoſophie iſt ſchlecht - hin und weſentlich eins; ſie kann nicht getheilt werden; was alſo über - haupt Philoſophie iſt, iſt es ganz und ungetheilt. Dieſen Begriff von der Ungetheiltheit der Philoſophie wünſche ich, daß Sie ſich insbeſon - dere feſt gegenwärtig erhalten, um die ganze Idee unſerer Wiſſenſchaft zu faſſen. Es iſt bekannt genug, welcher heilloſe Mißbrauch mit dem Begriff der Philoſophie getrieben wird. Wir haben ſchon eine Philo - ſophie, ja ſogar eine Wiſſenſchaftslehre der Landwirthſchaft erhalten, es iſt zu erwarten, daß man auch noch eine Philoſophie des Fuhrwerks aufſtelle, und daß es am Ende ſo viel Philoſophien gibt, als es über - haupt Gegenſtände gibt, und man vor lauter Philoſophien die Philo - ſophie ſelbſt gänzlich verlieren wird. Außer dieſen vielen Philoſophien hat man aber auch noch einzelne philoſophiſche Wiſſenſchaften oder phi - loſophiſche Theorien. Auch damit iſt es nichts. Es iſt nur Eine Phi - loſophie und Eine Wiſſenſchaft der Philoſophie; was man verſchiedene philoſophiſche Wiſſenſchaften nennt, iſt entweder etwas ganz Schiefes, oder es ſind nur Darſtellungen des Einen und ungetheilten Ganzen der Philoſophie in verſchiedenen Potenzen oder unter verſchiedenen ideellen Beſtimmungen1Man vergl. hier und zum gleich Folgenden den Anfang der Abhandlung über das Verhältniß der Naturphiloſophie zur Philoſophie überhaupt, oben S. 106 ff. D. H..
Ich erkläre dieſen Ausdruck hier, da er das erſtemal wenigſtens in einem Zuſammenhang vorkommt, in dem es wichtig iſt daß er366 verſtanden werde. Er bezieht ſich auf die allgemeine Lehre der Philo - ſophie von der weſentlichen und innern Identität aller Dinge und alles deſſen, was wir überhaupt unterſcheiden. Es iſt wahrhaft und an ſich nur Ein Weſen, Ein abſolut Reales, und dieſes Weſen als abſolutes iſt untheilbar, ſo daß es nicht durch Theilung oder Trennung in ver - ſchiedene Weſen übergehen kann; da es untheilbar iſt, ſo iſt Verſchie - denheit der Dinge überhaupt nur möglich, inſofern es als das Ganze und Ungetheilte unter verſchiedenen Beſtimmungen geſetzt wird. Dieſe Beſtimmungen nenne ich Potenzen. Sie verändern ſchlechthin nichts am Weſen, dieſes bleibt immer und nothwendig daſſelbe, deßwegen heißen ſie ideelle Beſtimmungen. Z. B. das, was wir in der Geſchichte oder der Kunſt erkennen, iſt weſentlich daſſelbe mit dem, was auch in der Natur iſt: jedem nämlich iſt die ganze Abſolutheit eingeboren, aber dieſe Abſolutheit ſteht in der Natur, der Geſchichte und der Kunſt in verſchiedenen Potenzen. Könnte man dieſe hinwegnehmen, um das reine Weſen gleichſam entblößt zu ſehen, ſo wäre in allem wahrhaft Eins.
Die Philoſophie nun tritt in ihrer vollkommenen Erſcheinung nur in der Totalität aller Potenzen hervor. Denn ſie ſoll ein getreues Bild des Univerſums ſeyn — dieſes aber = dem Abſoluten, dar - geſtellt in der Totalität aller ideellen Beſtimmungen. — Gott und Univerſum ſind eins oder nur verſchiedene Anſichten Eines und deſſelben. Gott iſt das Univerſum von der Seite der Identität betrachtet, er iſt Alles, weil er das allein Reale, außer ihm alſo nichts iſt, das Univerſum iſt Gott von Seiten der Totalität aufge - faßt. In der abſoluten Idee, die Princip der Philoſophie iſt, iſt aber auch wieder Identität und Totalität eins. Die vollkommene Erſchei - nung der Philoſophie, ſage ich, tritt nur in der Totalität aller Po - tenzen hervor. Im Abſoluten als ſolchen, und demnach auch im Princip der Philoſophie, iſt eben deßwegen, weil es alle Potenzen begreift, keine Potenz, und hinwiederum nur, inwiefern in ihm keine Potenz iſt, ſind in ihm alle enthalten. Ich nenne dieſes Princip eben deßwegen, weil es keiner beſonderen Potenz gleich iſt, und doch alle begreift, den ab - ſoluten Identitätspunkt der Philoſophie.
367Dieſer Indifferenzpunkt nun, eben weil er dieß iſt, und weil er ſchlechthin eins, untrennbar, untheilbar iſt, iſt nothwendig wieder in jeder beſonderen Einheit (ſo auch Potenz zu nennen), und auch dieß iſt nicht möglich, ohne daß in jeder dieſer beſonderen Einheiten wieder alle Einheiten, alſo alle Potenzen wiederkehren. Es iſt alſo in der Philoſophie überhaupt nichts als Abſolutes, oder wir kennen in der Philoſophie nichts als Abſolutes — immer nur das ſchlechthin Eine, und nur dieß ſchlechthin Eine in beſonderen Formen. Philoſo - phie geht — ich bitte Sie, dieß ſtreng aufzufaſſen — überhaupt nicht auf das Beſondere als ſolches, ſondern unmittelbar immer nur auf das Abſolute, und auf das Beſondere nur, ſofern es das ganze Abſolute in ſich aufnimmt und in ſich darſtellt.
Hieraus iſt nun offenbar, daß es keine beſonderen Philoſophien und ebenſowenig beſondere und einzelne philoſophiſche Wiſſenſchaften geben könne. Die Philoſophie hat in allen Gegenſtänden nur Einen Gegenſtand, und ſie iſt eben deßwegen ſelbſt nur Eine. Innerhalb der allgemeinen Philoſophie iſt jede einzelne Potenz für ſich abſolut, und in dieſer Abſolutheit oder dieſer Abſolutheit unbeſchadet doch wieder ein Glied des Ganzen. Wahrhaftes Glied des Ganzen iſt jede nur, ſofern ſie der vollkommene Reflex des Ganzen iſt, es ganz in ſich auf - nimmt. Dieß iſt eben jene Verbindung des Beſonderen und Allge - meinen, die wir in jedem organiſchen Weſen, ſo wie in jedem poeti - ſchen Werk, wiederfinden, in welchem z. B. verſchiedene Geſtalten jede ein dienendes Glied des Ganzen und doch bei der vollkommenen Aus - bildung des Werks wieder in ſich abſolut iſt.
Wir können nun allerdings die einzelne Potenz herausheben aus dem Ganzen und für ſich behandeln, aber nur, ſofern wir wirklich das Abſolute in ihr darſtellen, iſt dieſe Darſtellung ſelbſt Philoſophie. Wir können alsdann dieſe Darſtellung z. B. Philoſophie der Natur, Philoſophie der Geſchichte, Philoſophie der Kunſt nennen.
Hiermit iſt nun bewieſen: 1) daß ſich kein Gegenſtand zum Ge - genſtand der Philoſophie qualificire, als inſofern er ſelbſt im Abſoluten durch eine ewige und nothwendige Idee gegründet und fähig iſt das368 ganze ungetheilte Weſen des Abſoluten in ſich aufzunehmen. Alle ver - ſchiedenen Gegenſtände als verſchiedene ſind nur Formen ohne Weſen - heit — Weſenheit hat nur Eines, und durch dieſes Eine, was fähig iſt, es als das Allgemeine in ſich, ſeine Form, als Beſonderes aufzu - nehmen. Es gibt alſo z. B. eine Philoſophie der Natur, weil in das Beſondere der Natur das Abſolute gebildet, weil es demnach eine abſolute und ewige Idee der Natur gibt. Ebenſo eine Philoſophie der Geſchichte, eine Philoſophie der Kunſt1Man vergl. auch hierzu und dem unmittelbar Folgenden die angeführte Ab - handlung, oben S. 107. D. H..
Es iſt hiermit 2) die Realität einer Philoſophie der Kunſt be - wieſen, eben dadurch, daß ihre Möglichkeit bewieſen iſt; es ſind eben damit auch ihre Grenzen zugleich und ihre Verſchiedenheit namentlich von der bloßen Theorie der Kunſt gezeigt. Nämlich nur ſofern die Wiſſen - ſchaft der Natur oder Kunſt in ihr das Abſolute darſtellt, iſt dieſe Wiſſen - ſchaft wirkliche Philoſophie, Philoſophie der Natur, Philoſophie der Kunſt. In jedem andern Fall, wo die beſondere Potenz als beſon - dere behandelt und für ſie als beſondere Geſetze aufgeſtellt werden, wo es alſo keineswegs um die Philoſophie als Philoſophie, die ſchlechthin allgemein iſt, ſondern um beſondere Kenntniß des Gegenſtandes, alſo einen endlichen Zweck, zu thun iſt — in jedem ſolchen Fall kann die Wiſſenſchaft nicht Philoſophie, ſondern nur Theorie eines beſonderen Gegenſtandes, wie Theorie der Natur, Theorie der Kunſt, heißen. Dieſe Theorie könnte allerdings ihre Principien wieder von der Philoſophie entlehnen, wie z. B. die Theorie der Natur von der Naturphiloſophie, aber eben deßwegen, weil ſie nur entlehnt, iſt ſie nicht Philoſophie.
Ich conſtruire demnach in der Philoſophie der Kunſt zunächſt nicht die Kunſt als Kunſt, als dieſes Beſondere, ſondern ich conſtruire das Univerſum in der Geſtalt der Kunſt, und Philoſophie der Kunſt iſt Wiſſenſchaft des All in der Form oder Potenz der Kunſt. Erſt mit dieſem Schritt erheben wir uns in Anſehung dieſer Wiſſenſchaft auf das Gebiet einer abſoluten Wiſſenſchaft der Kunſt.
369Allein daß Philoſophie der Kunſt Darſtellung des Univerſums in der Form der Kunſt iſt, gibt uns doch noch keine vollſtändige Idee dieſer Wiſſenſchaft, ehe wir die Art der Conſtruktion, die einer Phi - loſophie der Kunſt nothwendig iſt, genauer beſtimmt haben.
Objekt der Conſtruktion und dadurch der Philoſophie iſt überhaupt nur, was fähig iſt, als Beſonderes das Unendliche in ſich aufzunehmen. Die Kunſt, um Objekt der Philoſophie zu ſeyn, muß alſo überhaupt das Unendliche in ſich als Beſonderem entweder wirklich darſtellen oder es wenigſtens darſtellen können. Aber nicht nur findet dieſes in An - ſehung der Kunſt ſtatt, ſondern ſie ſteht auch als Darſtellung des Unendlichen auf der gleichen Höhe mit der Philoſophie: — wie dieſe das Abſolute im Urbild, ſo jene das Abſolute im Gegenbild dar - ſtellend.
Da die Kunſt der Philoſophie ſo genau entſpricht, und ſelbſt nur ihr vollkommenſter objektiver Reflex iſt, ſo muß ſie auch durchaus alle Po - tenzen durchlaufen, welche die Philoſophie im Idealen durchläuft, und dieſes Eine reicht hin, uns über die nothwendige Methode unſerer Wiſſenſchaft außer Zweifel zu ſetzen.
Die Philoſophie ſtellt nicht die wirklichen Dinge, ſondern ihre Ur - bilder dar, aber ebenſo die Kunſt, und dieſelben Urbilder, von welchen nach den Beweiſen der Philoſophie dieſe (die wirklichen Dinge) nur un - vollkommene Abdrücke ſind, ſind es, die in der Kunſt ſelbſt — als Ur - bilder — demnach in ihrer Vollkommenheit — objektiv werden, und in der reflektirten Welt ſelbſt die Intellektualwelt darſtellen. Um einige Beiſpiele zu geben, ſo iſt die Muſik nichts anderes als der urbildliche Rhythmus der Natur und des Univerſums ſelbſt, der mit - telſt dieſer Kunſt in der abgebildeten Welt durchbricht. Die vollkom - menen Formen, welche die Plaſtik hervorbringt, ſind die objektiv dar - geſtellten Urbilder der organiſchen Natur ſelbſt. Das Homeriſche Epos iſt die Identität ſelbſt, wie ſie der Geſchichte im Abſoluten zu Grunde liegt. Jedes Gemälde öffnet die Intellektualwelt.
Dieß vorausgeſetzt, werden wir in der Philoſophie der Kunſt in Anſehung der letzteren alle diejenigen Probleme zu löſen haben, die wirSchelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 24370in der allgemeinen Philoſophie in Anſehung des Univerſums überhaupt auflöſen. Wir werden
1) auch in der Philoſophie der Kunſt von keinem andern Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche als das unbedingte Princip der Kunſt darthun müſſen. Wie für die Philoſophie das Abſolute das Urbild der Wahrheit — ſo für die Kunſt das Urbild der Schönheit. Wir werden daher zeigen müſſen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verſchiedene Betrachtungsweiſen des Einen Abſoluten ſind.
2) Die zweite Frage, wie in Anſehung der Philoſophie überhaupt, ſo auch in Anſehung der Philoſophie der Kunſt, wird ſeyn: wie jenes an ſich ſchlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterſcheid - barkeit übergehe, wie alſo aus dem allgemeinen und abſoluten Schönen beſondere ſchöne Dinge hervorgehen können. Die Philoſophie beant - wortet dieſe Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das Abſolute iſt ſchlechthin Eines, aber dieſes Eine abſolut angeſchaut in den beſonderen Formen, ſo daß das Abſolute dadurch nicht aufgehoben wird, iſt = Idee. Ebenſo die Kunſt. Auch die Kunſt ſchaut das Ur - ſchöne nur in Ideen als beſonderen Formen an, deren jede aber für ſich göttlich und abſolut iſt, und anſtatt daß die Philoſophie die Ideen wie ſie an ſich ſind, anſchaut, ſchaut ſie die Kunſt real an. Die Ideen alſo, ſofern ſie als real angeſchaut werden, ſind der Stoff und gleich - ſam die allgemeine und abſolute Materie der Kunſt, aus welcher alle beſonderen Kunſtwerke als vollendete Gewächſe erſt hervorgehen. Dieſe realen, lebendigen und exiſtirenden Ideen ſind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darſtellung der Ideen als realer iſt demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflöſung der zweiten obigen Aufgabe beſteht in der Conſtruktion der Mythologie. In der That ſind die Götter jeder Mythologie nichts anderes als die Ideen der Philoſophie nur objektiv oder real angeſchaut.
Hiermit aber iſt noch immer unbeantwortet, wie ein wirkliches und einzelnes Kunſtwerk entſtehe. Wie nun das Abſolute — Nichtwirk - liche — überall in der Identität, ſo iſt das Wirkliche in der Nicht -371 identität des Allgemeinen und Beſonderen, in der Disjunktion, ſo daß entweder im Beſonderen oder Allgemeinen. So entſteht auch hier ein Gegenſatz, der Gegenſatz von bildender und redender Kunſt. Die bildende und die redende Kunſt = der realen und idealen Reihe der Philoſophie. Jener ſteht diejenige Einheit vor, in welcher das Unendliche ins Endliche aufgenommen wird — die Conſtruktion dieſer Reihe entſpricht der Naturphiloſophie —, dieſer ſteht die andere Einheit vor, in welcher das Endliche ins Unendliche gebildet wird, die Conſtruktion dieſer Reihe entſpricht dem Idealismus in dem allgemeinen Syſtem der Philoſophie. Die erſte Einheit werde ich die reale, die andere die ideale nennen, die, welche beide begreift, die Indifferenz.
Fixiren wir nun jede dieſer Einheiten für ſich, ſo müſſen, weil jede derſelben für ſich abſolut iſt, in jeder wieder dieſelben Einheiten wiederkehren, in der realen alſo wiederum die reale, ideale, und die, worin beide eins ſind. Ebenſo in der idealen.
Jeder dieſer Formen, inſofern ſie entweder in der realen oder idealen Einheit begriffen ſind, entſpricht eine beſondere Form der Kunſt, der realen, ſofern in der realen, entſpricht die Muſik, der idealen die Malerei, der welche innerhalb der realen wieder beide Einheiten in - eins-gebildet darſtellt, die Plaſtik.
Daſſelbe iſt der Fall in Anſehung der idealen Einheit, welche wieder die drei Formen der lyriſchen, epiſchen und dramatiſchen Dicht - kunſt in ſich begreift. Lyrik = Einbildung des Unendlichen ins End - liche = Beſonderem. Epos = Darſtellung (Subſumtion) des Endlichen im Unendlichen = Allgemeinem. Drama = Syntheſe des Allgemeinen und Beſonderen. Nach dieſen Grundformen iſt alſo die geſammte Kunſt ſowohl in ihrer realen als idealen Erſcheinung zu conſtruiren.
Indem wir die Kunſt in jeder ihrer beſonderen Formen bis aufs Concrete herab verfolgen, gelangen wir noch zu der Beſtimmung der Kunſt durch Bedingungen der Zeit. Wie die Kunſt an ſich ewig und nothwendig iſt, ſo iſt auch in ihrer Zeiterſcheinung keine Zufälligkeit, ſondern abſolute Nothwendigkeit. Sie iſt auch in dieſer Beziehung noch372 der Gegenſtand eines möglichen Wiſſens, und die Elemente dieſer Con - ſtruktion ſind durch die Gegenſätze gegeben, welche die Kunſt in ihrer Zeiterſcheinung zeigt. Die Gegenſätze aber, die in Anſehung der Kunſt durch ihre Zeitabhängigkeit geſetzt ſind, ſind, wie die Zeit ſelbſt, noth - wendig unweſentliche und bloß formelle Gegenſätze, ganz verſchieden alſo von den realen im Weſen oder der Idee der Kunſt ſelbſt gegrün - deten. Dieſer allgemeine und durch alle Zweige der Kunſt hindurch - gehende formelle Gegenſatz iſt der der antiken und modernen Kunſt.
Es wäre ein weſentlicher Mangel der Conſtruktion, wenn wir die Rückſicht darauf bei jeder einzelnen Form der Kunſt vernachläſſigen wollten. Da aber dieſer Gegenſatz als ein bloß formeller angeſehen wird, ſo die Conſtruktion eben in der Negation oder Aufhebung be - ſtehend. Wir werden, indem wir dieſen Gegenſatz berückſichtigen, un - mittelbar zugleich die hiſtoriſche Seite der Kunſt darſtellen, und können hoffen nur dadurch unſerer Conſtruktion im Ganzen die letzte Vollendung zu geben.
Nach meiner ganzen Anſicht der Kunſt iſt ſie ſelbſt ein Ausfluß des Abſoluten. Die Geſchichte der Kunſt wird uns am offenbarſten ihre unmittelbaren Beziehungen auf die Beſtimmungen des Univerſums und dadurch auf jene abſolute Identität zeigen, worin ſie vorherbeſtimmt ſind. Nur in der Geſchichte der Kunſt offenbart ſich die weſentliche und innere Einheit aller Kunſtwerke, daß alle Dichtungen eines und deſſelben Genius ſind, der auch in den Gegenſätzen der alten und neuen Kunſt ſich nur in zwei verſchiedenen Geſtalten zeigt.
[373]Die Kunſt conſtruiren heißt, ihre Stellung im Univerſum beſtim - men. Die Beſtimmung dieſer Stelle iſt die einzige Erklärung, die es von ihr gibt. Wir müſſen demnach auf die erſten Principien der Phi - loſophie zurückgehen. Jedoch verſteht es ſich, daß wir dieſe Principien hier nicht in jeder möglichen Richtung verfolgen, ſondern nur in der, welche uns durch den beſtimmten Gegenſtand vorgezeichnet iſt; ferner, daß die meiſten Sätze im Anfang als bloße Lehnſätze aus der Philo - ſophie aufgeſtellt werden, die nicht ſowohl bewieſen, als vielmehr nur erläutert werden. Dieß vorausgeſetzt ſtelle ich die folgenden Sätze auf.
§. 1. Das Abſolute oder Gott iſt dasjenige, in An - ſehung deſſen das Seyn oder die Realität unmittelbar, d. h. kraft des bloßen Geſetzes der Identität aus der Idee folgt, oder: Gott iſt die unmittelbare Affirmation von ſich ſelbſt.
Erläuterung. Folgte das Seyn nicht unmittelbar aus der Idee Gottes, d. h. wäre ſeine Idee nicht ſelbſt die der abſoluten, der unendlichen Realität, ſo wäre er durch irgend etwas beſtimmt, was nicht ſeine Idee iſt, d. h. er wäre bedingt durch etwas von ſeinem374 Begriff Verſchiedenes, demnach überhaupt abhängig, nicht abſolut. — In Anſehung keines abhängigen oder bedingten Dings folgt aus dem Begriff das Seyn, z. B. der einzelne Menſch iſt beſtimmt durch etwas, das nicht ſeine Idee iſt, woraus hinwiederum folgt, daß keinem Ein - zelnen wahre Realität, Realität an ſich zukomme. — Die beſondere Form betreffend, in der wir die Idee Gottes noch außerdem ausge - ſprochen haben „ Gott die unmittelbare Affirmation von ſich ſelbſt “er - läutert ſich durch Folgendes. Realſeyn = Affirmirtſeyn. Nun iſt Gott nur kraft ſeiner Idee, d. h. er ſelbſt iſt die Affirmation von ſich, und da er ſich nicht auf endliche Art affirmiren kann (da er abſolut iſt), ſo iſt er unendliche Affirmation von ſich ſelbſt.
§. 2. Gott als die unendliche Affirmation von ſich ſelbſt begreift ſich ſelbſt als unendlich Affirmirendes, als unendlich Affirmirtes, und als Indifferenz davon, er ſelbſt aber iſt keines von dieſen insbeſondere.
Gott begreift durch ſeine Idee ſich ſelbſt als unendlich Affir - mirendes (denn er iſt die Affirmation von ſich ſelbſt) und als unend - lich Affirmirtes aus demſelben Grunde. Da es ferner ein und daſſelbe iſt, das affirmirt und das affirmirend iſt, ſo begreift er ſich auch als Indifferenz. Aber er iſt ſelbſt keines davon insbeſondere, denn er ſelbſt iſt nur die unendliche Affirmation, und zwar als unendlich, ſo daß er jene nur begreift; das Begreifende aber iſt nicht identiſch mit dem, was es begreift, z. B. Länge = Raum, Breite = Raum, Tiefe = Raum, aber der Raum ſelbſt eben deßhalb nichts davon ins - beſondere, ſondern nur die abſolute Identität, die unendliche Affirma - tion, das Weſen davon. — Auch ſo: Gott iſt nichts überhaupt nur, ſondern, was er iſt, nur kraft unendlicher Affirmation — alſo Gott als affirmirend ſich ſelbſt, als affirmirt von ſich ſelbſt, und als Indif - ferenz, nur wieder durch die unendliche Affirmation von ſich ſelbſt.
Zuſatz. Gott als das Affirmirende von ſich ſelbſt kann auch be - ſchrieben werden als die unendliche alle Realität in ſich begreifende Idealität, als das Affirmirte von ſich ſelbſt als die unendliche alle Idealität in ſich begreifende Realität.
375§. 3. Gott iſt unmittelbar kraft ſeiner Idee abſolu - tes All. Denn unmittelbar aus der Idee Gottes folgt Unendliches, und es folgt nothwendig auf unendliche Weiſe, da Gott als unendliche Affirmation von ſich ſelbſt auch ſich ſelbſt wieder unendlich als Affir - mirendes, unendlich als Affirmirtes, und unendlich als Indifferenz beider begreift. Nun iſt unendliche Realität, die aus der Idee Gottes folgt, 1) ſchon an ſich = All (denn nichts außer ihr), aber auch 2) poſitiv, denn alles, was kraft der Idee Gottes möglich iſt, und dieß Unendliches, iſt dadurch, daß dieſe ſich ſelbſt affirmirt, auch wirk - lich — alle Möglichkeiten ſind Wirklichkeiten in Gott. Aber dasjenige, in dem alles Mögliche wirklich, iſt = All. Alſo folgt unmittelbar aus der Idee Gottes abſolutes All. — Aber ferner, es folgt kraft des bloßen Geſetzes der Identität, d. h. Gott ſelbſt in der unendlichen Af - firmation ſeiner ſelbſt betrachtet iſt = abſolutes All.
§. 4. Gott iſt als abſolute Identität unmittelbar auch abſolute Totalität, und umgekehrt.
Erläuterung: Gott iſt eine Totalität, die keine Vielheit, ſon - dern ſchlechthin einfach iſt. Gott iſt eine Einheit, die gleichfalls nicht im Gegenſatz gegen Vielheit beſtimmbar iſt, d. h. er iſt nicht einzig im numeriſchen Sinn, er iſt auch nicht bloß der Eine, ſondern er iſt die abſolute Einheit ſelbſt, nicht alles, ſondern die abſolute Allheit ſelbſt, und dieß beides unmittelbar als eins.
§. 5. Das Abſolute iſt ſchlechthin ewig.
In der Anſchauung jeder Idee, z. B. der Idee des Cirkels, wird auch die Ewigkeit angeſchaut. Dieß die poſitive Anſchauung der Ewig - keit. Der negative Begriff der Ewigkeit iſt: nicht nur unabhängig von der Zeit ſeyn, ſondern auch ohne alle Beziehung auf Zeit. Wäre alſo das Abſolute nicht ſchlechthin ewig, ſo hätte es ein Verhältniß zur Zeit.
Anmerkung: Wenn die Ewigkeit des Abſoluten durch ein Da - ſeyn von unendlicher Zeit her beſtimmt würde, ſo müßten wir z. B. ſagen können, daß Gott jetzt eine längere Zeit exiſtire, als er bei dem Urſprung der Welt exiſtirt habe, welches alſo in Gott eine Zunahme der Exiſtenz vorausſetzte, was unmöglich, da ſeine Exiſtenz376 ſein Weſen iſt, dieſes aber weder vermehrt noch vermindert werden kann. Daß dem Weſen der Dinge keine Dauer zugeſchrieben werden könne, iſt eine zugeſtandene Sache. Wir können wohl z. B. vom einzelnen oder concreten Cirkel ſagen, daß er dieſe oder jene Zeit ge - dauert habe, von dem Weſen oder der Idee des Cirkels wird niemand ſagen, daß ſie daure, oder daß ſie z. B. jetzt eine längere Zeit exiſtirt habe als bei dem Anfang der Welt. Nun iſt aber das Abſolute eben dasjenige, in Anſehung deſſen der Gegenſatz der Idee und des Con - creten gar nicht ſtattfindet, in Anſehung deſſen das, was in den Dingen das Concrete oder Beſondere iſt, ſelbſt wieder das Weſen oder Allgemeine (nicht Negation) iſt, ſo daß Gott kein anderes Seyn als das ſeiner Idee zukommen kann.
Daſſelbe noch von einer andern Seite. — Wir ſagen, daß ein Ding dauert, weil ſeine Exiſtenz ſeinem Weſen, ſein Beſonderes ſei - nem Allgemeinen unangemeſſen iſt. Die Dauer iſt nichts anderes als ein fortgehendes Setzen ſeines Allgemeinen in ſein Concretes. Vermöge der Beſchränktheit des letzteren iſt es nicht alles und in der That auf einmal, was es ſeinem Weſen oder ſeinem Allgemeinen nach ſeyn könnte. Dieß iſt nun im Abſoluten wieder undenkbar: da das Beſondere in ihm dem Allgemeinen abſolut gleich, ſo iſt es alles, was es ſeyn kann, auch wirklich und auf einmal ohne Dazwiſchentreten der Zeit, es iſt alſo ohne alle Zeit, an ſich ewig.
Die Idee des ſchlechthin Ewigen iſt eine äußerſt wichtige Idee ſowohl für die Philoſophie überhaupt als für unſere beſondere Con - ſtruktion. Denn was das Erſte betrifft, ſo folgt unmittelbar (was Sie auch als Folgeſatz bemerken können), daß das wahre Univerſum ewig, weil das Abſolute zu ihm kein Zeitverhältniß haben kann. Für unſere beſondere Conſtruktion iſt dieſe Idee wichtig, weil ſie zeigt, daß die Zeit das an ſich Ewige überall nicht afficirt, daß alſo das an ſich Ewige ſelbſt mitten in der Zeit kein Verhältniß zu der Zeit hat.
Andere Ausdrücke deſſelben Satzes:
a) Das Abſolute kann daher auch nichts anderem als der Zeit nach vorangegangen gedacht werden (bloße Folge aus dem Vorhergehen -377 den). — Poſitiv ausgedrückt: Das Abſolute geht allem nur der Idee nach voran, und alles andere, alles, was nicht das Abſolute iſt, iſt nur, inwiefern in ihm das Seyn nicht der Idee gleich iſt, d. h. in - wiefern es ſelbſt nur Privation, nicht wahres Seyn iſt. Der concrete Cirkel als ſolcher gehört nur zur erſcheinenden Welt. Der Cirkel an ſich aber geht ihm doch nie der Zeit, ſondern nur der Idee nach voran. Ebenſo geht das Abſolute allem andern auf keine Weiſe voran als der Idee nach.
b) Im Abſoluten ſelbſt kann kein Vor oder Nach ſtattfinden, alſo keine Beſtimmung der anderen weder vorangehen noch nachfolgen. Denn wäre dieß, ſo müßten wir im Abſoluten eine Affektion oder Lei - den, ein Beſtimmtwerden ſetzen. Es iſt aber ganz affektionslos, ohne Entgegenſetzung in ſich ſelbſt.
§. 6. Das Abſolute iſt an ſich weder bewußt noch be - wußtlos, weder frei noch unfrei oder nothwendig. Nicht bewußt, denn alles Bewußtſeyn beruht auf der relativen Einheit des Denkens und Seyns, im Abſoluten iſt aber abſolute Einheit. Nicht bewußtlos; denn es iſt nur darum nicht bewußt, weil es abſolutes Be - wußtſeyn iſt. Nicht frei; denn Freiheit beruht auf der relativen Ent - gegenſetzung und relativen Einheit der Möglichkeit und der Wirklichkeit, im Abſoluten aber ſind beide abſolut eins. Nicht unfrei oder noth - wendig; denn es iſt affektionslos; es iſt nichts in ihm oder außer ihm, das ihn beſtimmen könnte, oder wozu es ſich neigen könnte.
§. 7. Im All iſt begriffen, was in Gott begriffen iſt. Demnach begreift das All, ebenſo wie Gott, ſich ſelbſt als unendlich Affirmirendes, als unendlich Affirmirtes und als Einheit beider, ohne ſelbſt eine dieſer Formen insbeſondere zu ſeyn (eben weil begreifend), und nicht ſo, daß die Formen geſchieden, ſondern ſo, daß ſie in die abſoluten Identität aufgelöst ſind.
§. 8. Das unendliche Affirmirtſeyn Gottes im All, oder die Einbildung ſeiner unendlichen Idealität in die Realität als ſolche, iſt die ewige Natur.
Dieß iſt eigentlich Lehnſatz. Doch will ich ihn hier beweiſen. Die378 Natur verhält ſich zum Univerſum, abſolut betrachtet, wie jedermann zugeben wird, als reales. Nun iſt aber auch diejenige Einheit, welche durch Einbildung der unendlichen Idealität in die Realität geſetzt iſt, das unendliche Affirmirt ſeyn Gottes im All, = reale Einheit. Denn herrſchend iſt das, was das andere aufnimmt. Alſo ꝛc.
Anmerkung. Unterſchied zwiſchen der Natur, ſofern ſie er - ſcheint (dieſe iſt bloße Natura naturata — Natur in ihrer Beſonde - rung und Trennung vom All — als bloßer Widerſchein vom abſoluten All), und der Natur an ſich, wiefern ſie in das abſolute All auf - gelöst und Gott in ſeinem unendlichen Affirmirtſeyn iſt.
§. 9. Die ewige Natur begreift in ſich wieder alle Einheiten, die des Affirmirtſeyns, des Affirmirenden und der Indifferenz beider. Denn das Univerſum an ſich = Gott. Wäre nun nicht in jedem die Einheit, die das Univerſum an ſich be - greift, wäre alſo nicht auch in der Natur wieder die ganze unendliche Affirmation, d. h. das ganze Weſen Gottes, ſo hätte ſich Gott im All getheilt, welches unmöglich iſt. Jeder der im All begriffenen Einheiten iſt alſo wieder der Abdruck des ganzen All.
Zur Erklärung: Auch in der erſcheinenden Natur ſind jene Folgen der unendlichen Affirmation ins Unendliche nachzuweiſen; nur ſind ſie hier nicht ineinander, wie im abſoluten All, ſondern geſondert und außereinander. Z. B. die Einbildung des Idealen ins Reale oder die Form des Affirmirtſeyns im All drückt ſich durch Materie aus, die Idealität, welche alle Realität auflöst, das Affirmirende, iſt = Licht, die Indifferenz = Organismus.
§. 10. Die Natur als ſolche erſcheinend iſt keine voll - kommene Offenbarung Gottes. Denn ſelbſt der Organismus iſt nur beſondere Potenz.
§. 11. Vollkommene Offenbarung Gottes iſt nur da, wo in der abgebildeten Welt ſelbſt die einzelnen Formen ſich in abſolute Identität auflöſen, welches in der Ver - nunft geſchieht. Die Vernunft alſo iſt im All ſelbſt das vollkommene Gegenbild Gottes.
379Erläuterung. Das unendliche Affirmirtſeyn Gottes ſpricht ſich aus in der Natur, als der realen Welt, die dann ſelbſt wieder im All für ſich alle Einheit begreift. Ich bemerke hierüber noch Folgendes. — Wir bezeichnen die Einheiten oder die beſonderen Folgen der Affirma - tion Gottes, ſofern ſie im realen oder idealen All wiederkehren, durch Potenzen. Die erſte Potenz der Natur iſt die Materie, ſofern ſie mit dem Uebergewicht des Affirmirtſeyns oder unter der Form der Einbil - dung der Idealität in die Realität geſetzt iſt. Die andere Potenz iſt das Licht als die alle Realität in ſich auflöſende Idealität. Das Weſen der Natur als Natur kann aber einzig durch die dritte Potenz dargeſtellt werden, welche das gleicherweiſe Affirmirende des Realen oder der Materie und des Idealen oder des Lichts iſt, und eben dadurch beide gleich - ſetzt. Das Weſen der Materie = Seyn, des Lichts = Thätigkeit. In der dritten Potenz müſſen alſo Thätigkeit und Seyn verbunden und indifferent ſeyn. Die Materie, nicht an ſich, ſondern der körperlichen Erſcheinung nach betrachtet, iſt nicht Subſtanz, ſondern bloß Accidens (Form), dem das Weſen oder das Allgemeine im Licht gegenüberſteht. In der dritten Potenz integriren ſich beide, es entſteht ein Indifferentes, in dem Weſen und Form ein und daſſelbe, das Weſen von der Form, die Form von dem Weſen unzertrennlich iſt. Ein ſolches iſt Organismus, weil ſein Weſen als Organismus von dem Beſtehen der Form unzertrenn - lich iſt, weil in ihm ferner das Seyn unmittelbar auch Thätigkeit, das Affirmirte dem Affirmirenden abſolut gleich iſt. Keine dieſer Formen ins - beſondere, noch eben deßhalb auch die Natur in den Geſchiedenheiten dieſer Formen iſt eine vollkommene Offenbarung des Göttlichen. Denn nicht der beſonderen Folge ſeiner Affirmation iſt Gott gleich, ſondern der Allheit dieſer Folgen, ſofern ſie reine Poſition, als Allheit zugleich abſolute Identität iſt. Nur alſo inwiefern die Natur ſich ſelbſt wieder in Totalität und abſolute Einheit der Formen verklärte — nur inſofern wäre ſie ein Spiegel der göttlichen. Jenes aber iſt nur in der Ver - nunft der Fall. Denn die Vernunft iſt ebenſo das Auflöſende aller beſonderen Formen, wie es das All oder Gott iſt. Die Vernunft gehört aber eben deßwegen weder der realen noch der idealen Welt380 ausſchließlich an, und (was gleichfalls eine Folge davon iſt) weder dieſe noch jene für ſich kann höher als zur Indifferenz, nicht aber zur abſoluten Identität gelangen.
Wir verfahren nun in Anſehung des idealen All ebenſo wie in Anſehung des realen, und ſtellen zuvörderſt den Satz auf:
§. 12. Gott als die unendliche, alle Realität in ſich be - greifende Idealität, oder Gott als unendlich Affirmiren - des, iſt, als ſolches, das Weſen des idealen All. Dieß iſt von ſelbſt deutlich ſchon durch den Gegenſatz.
§. 13. Das ideale All begreift dieſelben Einheiten in ſich, die auch das reale in ſich begreift: die reale, ideale und — nicht die abſolute Identität beider (denn dieſe gehört weder ihr noch der realen beſonders an) — ſondern die Indifferenz bei - der. Auch hier bezeichnen wir dieſe Einheiten durch Potenzen; nur iſt zu bemerken, daß, wie in der realen Welt die Potenzen Potenzen des idealen Faktors ſind, ſo hier des realen vermöge des entgegengeſetzten Verhältniſſes beider. Die erſte Potenz bezeichnet hier das Uebergewicht des Idealen; die Realität iſt hier nur in der erſten Potenz des Affir - mirtſeyns geſetzt. In dieſen Punkt fällt das Wiſſen, welches demnach mit dem größten Uebergewicht des idealen Faktors oder des Subjektiven geſetzt iſt. Die dritte Potenz beruht auf einem Uebergewicht des Realen; der Faktor des Realen iſt nämlich hier zur zweiten Potenz erhoben. In dieſen Punkt fällt das Handeln als die objektive oder reale Seite, zu der ſich das Wiſſen als die ſubjektive verhält.
Das Weſen der idealen Welt iſt aber ebenſo wie das Weſen der realen die Indifferenz. Wiſſen und Handeln indifferenziiren ſich alſo nothwendig in einem Dritten, welches als das Affirmirende beider die dritte Potenz iſt. In dieſen Punkt fällt nun die Kunſt, und ich ſtelle darnach beſtimmt den Satz auf:
§. 14. Die Indifferenz des Idealen und Realen als Indifferenz ſtellt ſich in der idealen Welt durch die Kunſt dar. Denn die Kunſt iſt an ſich weder ein bloßes Handeln noch ein bloßes Wiſſen, ſondern ſie iſt ein ganz von Wiſſenſchaft durchdrungenes381 Handeln, oder umgekehrt ein ganz zum Handeln gewordenes Wiſſen, d. h. ſie iſt Indifferenz beider.
Dieſer Beweis genügt uns für den gegenwärtigen Zweck. Es ver - ſteht ſich, daß wir auf dieſen Satz zurückkommen. Hier iſt unſere Ab - ſicht bloß den allgemeinen Typus des Univerſums zu entwerfen, um nachher die einzelne Potenz herauszuheben aus dem Ganzen und dem Verhältniß zu dieſem gemäß zu behandeln. Wir fahren daher in un - ſerer Darſtellung fort.
§. 15. Der vollkommene Ausdruck nicht des Realen noch des Idealen noch ſelbſt der Indifferenz beider (denn dieſe, wie wir jetzt ſehen, hat einen gedoppelten Ausdruck), ſondern der abſoluten Identität als ſolcher oder des Göttlichen, ſofern es das Auflöſende aller Potenzen iſt, iſt die abſolute Vernunft - wiſſenſchaft oder die Philoſophie.
Die Philoſophie iſt alſo in der erſcheinenden idealen Welt ebenſo das Auflöſende aller Beſonderungen, wie es Gott in der urbildlichen Welt iſt. (Göttliche Wiſſenſchaft.) Weder die Vernunft noch die Philoſophie gehören der realen oder idealen Welt als ſolcher an, ob - gleich dann wieder — in dieſer Identität — ſich Vernunft und Philo - ſophie wie Reales und Ideales verhalten können. Da aber jede für ſich abſolute Identität iſt, ſo macht dieſes Verhältniß keinen wirklichen Unterſchied beider. Philoſophie iſt nur die ihrer ſelbſt bewußte oder ſich ſelbſt bewußt werdende Vernunft, die Vernunft dagegen iſt der Stoff oder der objektive Typus aller Philoſophie.
Beſtimmen wir das Verhältniß der Philoſophie zu der Kunſt vor - läufig, ſo iſt es dieſes: die Philoſophie iſt die unmittelbare Darſtellung des Göttlichen, wie die Kunſt unmittelbar nur Darſtellung der Indif - ferenz als ſolcher (dieß, daß nur Indifferenz, macht das Gegenbildliche aus. Abſolute Identität = Urbild). Da indeß der Grad der Perfek - tion oder Realität eines Dings wächst in dem Verhältniß, als es ſich der abſoluten Idee, der Fülle der unendlichen Affirmation, annähert, je mehr es alſo andere Potenzen in ſich begreift, ſo iſt von ſelbſt klar, daß die Kunſt auch wieder das unmittelbarſte Verhältniß zur Philoſophie382 hat, und von ihr nur durch die Beſtimmung der Beſonderheit oder der Gegenbildlichkeit noch unterſchieden, denn übrigens iſt ſie die höchſte Potenz der idealen Welt. Nun weiter.
§. 16. Den drei Potenzen der realen und idealen Welt entſprechen die drei Ideen (die Idee als Göttliches gehört gleichfalls weder der realen noch der idealen Welt insbeſondere an) — die Wahrheit, die Güte und die Schönheit: der erſten Potenz der idealen und realen Welt entſpricht die Wahrheit, der zweiten Potenz die Güte, der dritten die Schönheit — im Organismus und in der Kunſt.
Ueber das Verhältniß, das wir dieſen drei Ideen zueinander geben, ferner über die Art, wie ſich beide in der realen und idealen Welt differenziiren, uns zu erklären, iſt hier nicht der Ort, dieß geſchieht in der allgemeinen Philoſophie. Nur über das Verhältniß, das wir der Schönheit geben, müſſen wir uns erklären.
Die Schönheit, kann man ſagen, iſt überall geſetzt, wo Licht und Materie, Ideales und Reales ſich berühren. Die Schönheit iſt weder bloß das Allgemeine oder Ideale (dieß = Wahrheit) noch das bloß Reale (dieß im Handeln), alſo ſie iſt nur die vollkommene Durchdrin - gung oder Ineinsbildung beider. Schönheit iſt da geſetzt, wo das Beſondere (Reale) ſeinem Begriff ſo angemeſſen iſt, daß dieſer ſelbſt, als Unendliches, eintritt in das Endliche und in concreto angeſchaut wird. Hierdurch wird das Reale, in dem er (der Begriff) erſcheint, dem Urbild, der Idee wahrhaft ähnlich und gleich, wo eben dieſes All - gemeine und Beſondere in abſoluter Identität iſt. Das Rationale wird als Rationales zugleich ein Erſcheinendes, Sinnliches.
Anmerkung: 1) Wie Gott über den Ideen der Wahrheit, der Güte und der Schönheit als ihr Gemeinſames ſchwebt, ſo die Philo - ſophie. Die Philoſophie behandelt weder allein die Wahrheit, noch bloß die Sittlichkeit, noch bloß die Schönheit, ſondern das Gemeinſame aller, und leitet ſie aus Einem Urquell her. Wollte man die Frage auf - werfen, woher es komme, daß Philoſophie, obgleich auch über der Wahrheit ebenſo wie über der Güte und über der Schönheit ſchwebend,383 dennoch den Charakter der Wiſſenſchaft trage, und ihr Höchſtes die Wahrheit ſey, ſo iſt zu bemerken, daß die Beſtimmung der Philo - ſophie als Wiſſenſchaft bloß ihre formelle Beſtimmung iſt. Sie iſt Wiſſenſchaft, aber von der Art, daß in ihr Wahrheit, Güte und Schönheit, alſo Wiſſenſchaft, Tugend und Kunſt ſelbſt ſich durchdringen; inſofern iſt ſie alſo auch nicht Wiſſenſchaft, ſondern ein Gemein - ſames der Wiſſenſchaft, der Tugend und Kunſt. Dieß ihr großer Un - terſchied von allen andern Wiſſenſchaften. Mathematik z. B. macht eben keine beſonderen ſittlichen Forderungen. Philoſophie fordert Cha - rakter, und zwar von beſtimmter ſittlicher Höhe und Energie. Ebenſo iſt ohne alle Kunſt und Erkenntniß der Schönheit Philoſophie undenkbar.
2) Der Wahrheit entſpricht die Nothwendigkeit, der Güte die Freiheit. Unſere Erklärung der Schönheit, ſie ſey die Ineinsbildung des Realen und Idealen, ſofern ſie im Gegenbild dargeſtellt iſt, ſchließt alſo auch die in ſich: Schönheit iſt Indifferenz der Freiheit und der Nothwendigkeit, in einem Realen angeſchaut. Wir nennen z. B. ſchön eine Geſtalt, in deren Entwurf die Natur mit der größten Freiheit und der erhabenſten Beſonnenheit, jedoch immer in den Formen, den Grenzen der ſtrengſten Nothwendigkeit und Geſetzmäßig - keit geſpielt zu haben ſcheint. Schön iſt ein Gedicht, in welchem die höchſte Freiheit ſich ſelbſt wieder in der Nothwendigkeit faßt. Kunſt demnach eine abſolute Syntheſe oder Wechſeldurchdringung der Freiheit und der Nothwendigkeit.
Nun zu den übrigen Verhältniſſen des Kunſtwerks.
§. 17. In der idealen Welt verhält ſich die Philoſo - phie ebenſo zur Kunſt, wie in der realen die Vernunft zum Organismus. — Denn wie die Vernunft unmittelbar nur durch den Organismus objektiv wird, und die ewigen Vernunftideen als Seelen organiſcher Leiber objektiv werden in der Natur, ſo wird die Philoſophie unmittelbar durch die Kunſt, und ſo werden auch die Ideen der Philoſophie durch die Kunſt als Seelen wirklicher Dinge objektiv. Eben daher verhält ſich dann auch Kunſt in der idealen Welt, wie ſich Organismus in der realen verhält.
384Hierüber noch folgenden Satz.
§. 18. Das organiſche Werk der Natur ſtellt dieſelbe Indifferenz noch ungetrennt dar, welche das Kunſtwerk nach der Trennung, aber wieder als Indifferenz darſtellt.
Das organiſche Produkt begreift in ſich die beiden Einheiten, der Materie oder der Einbildung der Einheit in die Vielheit, und die ent - gegengeſetzte des Lichts oder der Auflöſung der Realität in die Idea - lität; und es begreift beide als eins. Aber das Allgemeine oder die unendliche Idealität, welche hier dem Beſonderen verknüpft iſt, iſt ſelbſt noch das dem Endlichen, dem Beſondern Untergeordnete (Allgemeines = Licht). Daher, weil das Unendliche hier ſelbſt noch der allgemeinen Beſtimmung der Endlichkeit unterliegt, nicht als Unendliches erſcheint, auch Nothwendigkeit und Freiheit (das als Unendliches erſcheinende Un - endliche) gleichſam noch unter einer gemeinſchaftlichen Hülle, noch un - entfaltet ruhen, wie in einer Knospe, die in ihrem Brechen eine neue Welt, die der Freiheit, aufſchließen wird. Da nun erſt in der idealen Welt der Gegenſatz des Allgemeinen und Beſonderen, Idealen und Realen, ſich als Gegenſatz der Nothwendigkeit und der Freiheit aus - ſpricht, ſtellt das organiſche Produkt denſelben Gegenſatz noch unauf - gehoben dar (weil noch unentfaltet), den das Kunſtwerk aufgehoben darſtellt, (in beiden dieſelbe Identität).
§. 19. Nothwendigkeit und Freiheit verhalten ſich wie Bewußtloſes und Bewußtes. Kunſt beruht daher auf der Identität der bewußten und der bewußtloſen Thätigkeit. Die Vollkommenheit des Kunſtwerks als ſolchen ſteigt in dem Verhält - niß, in welchem es dieſe Identität in ſich ausgedrückt enthält, oder in welchem Abſicht und Nothwendigkeit ſich in ihm durchdrungen haben.
Noch einige andere allgemeine Folgerungen:
§. 20. Schönheit und Wahrheit ſind an ſich oder der Idee nach eins. — Denn die Wahrheit der Idee nach iſt ebenſo wie die Schönheit Identität des Subjektiven und Objektiven, nur jene ſubjektiv oder vorbildlich angeſchaut, wie die Schönheit gegenbildlich oder objektiv.
385Anmerkung. Die Wahrheit, die nicht Schönheit iſt, iſt auch nicht abſolute Wahrheit, und umgekehrt. — (Der ſehr gemeine Gegenſatz von Wahrheit und Schönheit in der Kunſt beruht darauf, daß unter Wahrheit die trügeriſche, nur das Endliche erreichende Wahrheit ver - ſtanden wird. Aus der Nachahmung dieſer Wahrheit entſtehen jene Kunſtwerke, an welchen wir nur die Künſtlichkeit bewundern, mit der das Natürliche an ihr erreicht iſt, ohne es mit dem Göttlichen zu ver - binden. Dieſe Art der Wahrheit aber iſt noch nicht Schönheit in der Kunſt, und nur abſolute Schönheit in der Kunſt iſt auch die rechte und eigentliche Wahrheit.
Aus dem gleichen Grund iſt die Güte, die nicht Schönheit iſt, auch nicht abſolute Güte, und umgekehrt. Denn auch die Güte in ihrer Abſolutheit wird zur Schönheit — in jedem Gemüth z. B., deſſen Sittlichkeit nicht mehr auf dem Kampfe der Freiheit mit der Nothwendigkeit beruht, ſondern die abſolute Harmonie und Verſöhnung ausdrückt.
Zuſatz. Wahrheit und Schönheit, ſo wie Güte und Schönheit, verhalten ſich daher niemals als Zweck und Mittel; ſie ſind vielmehr eins, und nur ein harmoniſches Gemüth — Harmonie aber = wahre Sittlichkeit — iſt auch für Poeſie und für Kunſt wahrhaft empfänglich. Poeſie und Kunſt laſſen ſich nie eigentlich lehren.
§. 21. Das Univerſum iſt in Gott als abſolutes Kunſt - werk und in ewiger Schönheit gebildet.
Unter Univerſum iſt nicht das reale oder ideale All, ſondern die abſolute Identität beider verſtanden. Iſt nun die Indifferenz des Realen und Idealen im realen oder idealen All Schönheit, und zwar gegenbildliche Schönheit, ſo iſt die abſolute Identität des realen und idealen All nothwendig die urbildliche, d. h. abſolute Schönheit ſelbſt, und inſofern verhält ſich auch das Univerſum, wie es in Gott iſt, als abſolutes Kunſtwerk, in welchem unendliche Abſicht mit unendlicher Nothwendigkeit ſich durchdringt.
Anmerkung. Es folgt zugleich von ſelbſt, daß ebenſo vom Standpunkt der Totalität betrachtet, oder betrachtet, wie ſie an ſichSchelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 25386ſind, alle Dinge in abſoluter Schönheit gebildet, die Urbilder aller Dinge, wie ſie abſolut wahr, auch abſolut ſchön ſind, das Verkehrte, Häßliche daher, ebenſo wie der Irrthum oder das Falſche, in einer bloßen Privation beſteht und nur zur zeitlichen Betrachtung der Dinge gehört.
§. 22. Wie Gott als Urbild im Gegenbild zur Schön - heit wird, ſo werden die Ideen der Vernunft im Gegen - bild angeſchaut, zur Schönheit; und das Verhältniß der Ver - nunft zu der Kunſt iſt daher daſſelbe wie das Verhältniß Gottes zu den Ideen. Durch die Kunſt wird die göttliche Schöpfung objektiv dar - geſtellt, denn dieſe beruht auf derſelben Einbildung der unendlichen Idealität ins Reale, auf welcher auch jene beruht. Das treffliche deutſche Wort Einbildungskraft bedeutet eigentlich die Kraft der In - einsbildung, auf welcher in der That alle Schöpfung beruht. Sie iſt die Kraft, wodurch ein Ideales zugleich auch ein Reales, die Seele Leib iſt, die Kraft der Individuation, welche die eigentlich ſchöpferiſche iſt.
§. 23. Die unmittelbare Urſache aller Kunſt iſt Gott. — Denn Gott iſt durch ſeine abſolute Identität der Quell aller In - einsbildung des Realen und Idealen, worauf alle Kunſt beruht. Oder: Gott iſt der Quell der Ideen. Nur in Gott ſind urſprünglich die Ideen. Nun iſt aber die Kunſt Darſtellung der Urbilder, alſo Gott ſelbſt die unmittelbare Urſache, die letzte Möglichkeit aller Kunſt, er ſelbſt der Quell aller Schönheit.
§. 24. Die wahre Conſtruktion der Kunſt iſt Darſtel - lung ihrer Formen als Formen der Dinge, wie ſie an ſich, oder wie ſie im Abſoluten ſind. — Denn nach Satz 21 iſt das Univerſum in Gott als ewige Schönheit und als abſolutes Kunſtwerk gebildet; nicht minder ſind alle Dinge, wie ſie an ſich oder in Gott ſind, ebenſo abſolut ſchön, als ſie abſolut wahr ſind. Demnach ſind auch die Formen der Kunſt, da ſie die Formen ſchöner Dinge ſind, Formen der Dinge, wie ſie in Gott, oder wie ſie an ſich ſind, und da alle Conſtruktion Darſtellung der Dinge im Abſoluten iſt, ſo387 iſt die Conſtruktion der Kunſt insbeſondere Darſtellung ihrer For - men als Formen der Dinge, wie ſie im Abſoluten ſind, und demnach auch des Univerſums ſelbſt als abſoluten Kunſtwerks, wie es in ewiger Schönheit in Gott gebildet iſt.
Anmerkung. Mit dieſem Satz iſt die Conſtruktion der allge - meinen Idee der Kunſt vollendet. Die Kunſt iſt nämlich dargethan als reale Darſtellung der Formen der Dinge, wie ſie an ſich ſind — der Formen der Urbilder alſo. — Es iſt uns damit zugleich auch die Richtung der folgenden Conſtruktion der Kunſt ſowohl ihrem Stoff als auch ihrer Form nach vorgezeichnet. Iſt nämlich die Kunſt Darſtellung der Formen der Dinge, wie ſie an ſich ſind, ſo iſt der allgemeine Stoff der Kunſt in den Urbildern ſelbſt, und unſer nächſter Gegen - ſtand iſt daher Conſtruktion des allgemeinen Stoffes der Kunſt oder ihrer ewigen Urbilder, welche Conſtruktion den zweiten Abſchnitt der Philoſophie der Kunſt ausmacht.
In §. 24 iſt bewieſen worden: die Formen der Kunſt müſſen die Formen der Dinge ſeyn, wie ſie im Abſoluten oder an ſich ſind. Demnach wird vorausgeſetzt, dieſe beſonderen Formen, wodurch eben das Schöne in einzelnen realen und wirklichen Dingen dargeſtellt wird, ſeyen beſondere Formen, die im Abſoluten ſelbſt ſind. Die Frage iſt, wie dieß möglich ſey. (Es iſt dieß ganz daſſelbe Problem, welches in der allgemeinen Philoſophie durch Uebergehen des Unendlichen ins Endliche, der Einheit in die Vielheit ausgedrückt wird).
§. 25. Die beſonderen Formen ſind als ſolche ohne Weſenheit, bloße Formen, die im Abſoluten nicht anders ſeyn können, als inwiefern ſie als beſondere wieder das ganze Weſen des Abſoluten in ſich aufnehmen. Dieß iſt von ſelbſt klar, da das Weſen des Abſoluten untheilbar iſt. — Hierdurch allein ſind ſie in Anſehung des Abſoluten, d. h. abſolut möglich, eben darum auch abſolut wirklich, da im Abſoluten keine Differenz der Wirklichkeit und der Möglichkeit.
Zuſatz. Dasſelbe iſt auch auf folgende Art einzuſehen. Das Univerſum (worunter hier immer das Univerſum an ſich, das ewige, unerzeugte verſtanden wird) — das Univerſum iſt, wie das Abſolute, ſchlechthin Eines, untheilbar, denn es iſt das Abſolute ſelbſt (§. 3), es können alſo im wahren Univerſum keine beſonderen Dinge ſeyn,389 als inwiefern ſie das ganze ungetheilte Univerſum in ſich aufnehmen, alſo ſelbſt Univerſa ſind.
Wenn hieraus geſchloſſen würde, daß es demnach ſo viele Univerſa ſeyen, als Ideen beſonderer Dinge ſind, ſo iſt dieß eben der Schluß, den wir beabſichtigen. Es gibt entweder überhaupt keine beſonderen Dinge, oder jedes derſelben iſt für ſich ein Univerſum. In Gott ſelbſt, weil er die Einheit aller Formen iſt, liegt eben deßwegen das Uni - verſum in keiner beſonderen Form, weil es in allen, ſo wie es in allen liegt, weil in keiner beſonderen. Wenn die beſondere Form an ſich reell ſeyn ſoll, ſo kann ſie es nicht als beſondere, ſondern nur als Form des Univerſums ſeyn. Z. B. die beſondere Form Menſch iſt im Ab - ſoluten nicht als beſondere, ſondern das eine und ungetheilte Univerſum in der Form des Menſchen. Eben deßwegen iſt nichts von dem, was wir einzelne Dinge nennen, an ſich reell. Sie ſind eben einzelne dadurch, daß ſie das abſolute Ganze nicht in ſich, ihrer beſonderen Form, aufnehmen, ſich von ihm getrennt haben, und umgekehrt, in - wiefern ſie es in ſich haben, ſind ſie nicht mehr einzelne.
§. 26. Im Abſoluten ſind alle beſonderen Dinge nur dadurch wahrhaft geſchieden und wahrhaft eins, daß jedes für ſich das Univerſum, jedes das abſolute Ganze iſt. — Geſchieden: denn kein einzelnes Ding als ſolches iſt wahrhaft geſchieden, abſolut geſchieden iſt nur das Univerſum, weil keinem andern Dinge weder gleich noch ungleich, weil nichts außer ihm iſt, dem es entgegengeſetzt oder verglichen werden könnte. Wahrhaft eins, weil in jedem daſſelbe iſt.
Eben deßwegen iſt hier auch alle Zahl oder Beſtimmung durch Zahl aufgehoben. Das beſondere Ding in der Abſolutheit wird nicht durch Zahl beſtimmt; denn wird auf das Beſondere an ihm reflektirt, ſo iſt es ſelbſt das abſolute Ganze und hat nichts außer ſich; auf das Allgemeine, ſo iſt es in der abſoluten Einheit mit allen andern Dingen. Es begreift alſo nur ſelbſt Einheit und Vielheit unter ſich, iſt aber nicht durch dieſe Begriffe beſtimmbar.
Anmerkung. Dieſe Begriffe ſind von Wichtigkeit a) wegen der gedoppelten Anſicht, die vom Univerſum überhaupt nothwendig iſt,390 α) der Anſicht des Univerſums als Chaos, welches, im Vorbeigehen geſagt, die Grundanſchauung des Erhabenen iſt, ſofern nämlich in ihm in abſoluter Identität alles als eins liegt, β) als der höchſten Schön - heit und Form, weil es eben durch die Abſolutheit der Form, oder dadurch, daß in jedes Beſondere und jede Form wieder alle Formen, und demnach die abſolute Form gebildet iſt, Chaos iſt. Wir werden von dieſen Begriffen in der Folge ſehr beſtimmten Gebrauch machen. b) Vorzüglich iſt der Begriff der abſoluten Geſchiedenheit des Beſon - deren für die Kunſt wichtig, da gerade auf dieſer Abſonderung der Formen ihre größte Wirkung beruht. Aber dieſe Abſonderung iſt eben nur dadurch, daß jedes für ſich abſolut iſt.
§. 27. Die beſonderen Dinge, ſofern ſie in ihrer Be - ſonderheit abſolut, ſofern ſie alſo als Beſondere zugleich Univerſa ſind, heißen Ideen.
Dieſer Satz iſt bloße Erklärung, alſo keines Beweiſes bedürftig, obwohl es ſich zeigen ließe, daß ſchon der erſte Urheber der Lehre von den Ideen, wenn er auch dieſe nicht gerade ſo erklärt, doch dasſelbe darunter verſtanden.
Erläuterung. Jede Idee iſt = Univerſum in der Geſtalt des Beſonderen. Aber eben deßwegen iſt ſie nicht als dieſes Beſondere real. Das Reale iſt immer nur das Univerſum. Jede Idee hat zwei Ein - heiten, die eine, wodurch ſie in ſich ſelbſt und abſolut iſt, die alſo, wodurch das Abſolute in ihr Beſonderes gebildet iſt, und die, wodurch ſie als Beſonderes in das Abſolute als ihr Centrum aufge - nommen wird. Dieſe gedoppelte Einheit jeder Idee iſt eigentlich das Geheimniß, wodurch das Beſondere im Abſoluten, und gleichwohl wieder als Beſonderes begriffen werden kann.
§. 28. Dieſelben Ineinsbildungen des Allgemeinen und Beſonderen, die an ſich ſelbſt betrachtet Ideen, d. h. Bilder des Göttlichen ſind, ſind real betrachtet Götter. Denn das Weſen, das An-ſich von ihnen = Gott. Ideen ſind ſie nur, inwiefern ſie Gott in beſonderer Form. Jede Idee iſt alſo = Gott, aber ein beſonderer Gott.
391Anmerkung. Dieſer Satz bedarf keiner Erläuterung, um ſo mehr, da die folgenden Sätze dienen werden, ihn noch weiter ins Licht zu ſtellen. — Die Idee der Götter iſt nothwendig für die Kunſt. Die wiſſenſchaftliche Conſtruktion derſelben führt uns eben dahin zurück, wohin der Inſtinkt die Poeſie in ihrem erſten Beginn ſchon geführt hat. Was für die Philoſophie Ideen ſind, ſind für die Kunſt Götter, und umgekehrt.
§. 29. Die abſolute Realität der Götter folgtunmit - telbar aus ihrer abſoluten Idealität. — Denn ſie ſind ab - ſolut, im Abſoluten aber iſt Idealität und Realität eins, abſolute Möglichkeit = abſolute Wirklichkeit. Die höchſte Identität iſt unmit - telbar die höchſte Objektivität.
Wer ſich noch nicht zu dem Punkte erhoben hat, daß ihm das abſolut Ideale unmittelbar und eben darum auch das abſolute Reale iſt, iſt weder des philoſophiſchen noch des poetiſchen Sinns fähig. Die Frage nach einer Wirklichkeit, wie ſie im gemeinen Bewußtſeyn gemacht wird, hat in Anſehung deſſen, was abſolut iſt, gar keine Bedeutung, im Poetiſchen ſo wenig als im Philoſophiſchen. Dieſe Wirklichkeit iſt keine wahre Wirklichkeit, vielmehr im wahren Sinn Nichtwirklichkeit.
Alle Geſtalten der Kunſt, alſo vornämlich die Götter ſind wirk - lich, weil ſie möglich ſind. Wer noch fragen kann, wie ſo hoch ge - bildete Geiſter als die Griechen an die Wirklichkeit der Götter