PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Reiſe eines Lieflaͤnders von Riga nach Warſchau, durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg, Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol.
Dritter Theil.
Berlin,1795.bei Friedrich Vieweg dem aͤltern
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Reiſe eines Lieflaͤnders von Riga nach Warſchau, durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg, Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol.
Fuͤnftes Heft.
Enthaltend einen Abriß von Dresden, und die Reiſe von dort bis Salzburg.
Berlin,1795.bei Friedrich Vieweg dem aͤltern.

Neunter Abſchnitt. Dresden.

Dresden. Wanderungen in dieſer Stadt. Die Altſtadt. Bauart. Vorzügliche Straßen. Lebhaftigkeit. Die Neuſtadt. Brücke. Jägerhof. Kadettenhaus. Ar - tillerie-Kaſerne. Königsſtraße. Japaniſcher Pallaſt. Bibliothek. Die Friedrichsſtadt. Vorſtädte. Be - trachtung über die beyden Auguſte. Der jetzt regie - rende Kurfürſt. Frugalität in Dresden. Geſell - ſchaftlicher Ton. Sitten. Oeffentliche Mädchen. Aeußeres der verſchiedenen Einwohnerklaſſen. Ihr Nahrungserwerb. Wohlfeilheit der Talente. Oef - fentliche Vergnügungen. Abreiſe von Dresden. Ein - tritt in das Erzgebürge. Freyberg. Oederan. Chem - nitz. Annaberg. Ehrenfriedersdorf. Weipert. Ober - wieſenthal. Gaſthof daſelbſt. Gottesgab. Joachims - thal. Karlsbad. Taxe. Umliegende Gegenden. Inneres der Stadt. Einwohner. Brunnen. Ein - richtung und Wirkung derſelben. Badegäſte. Bad - leben. Oeffentliche Unterhaltungen und Vergnügungen. Abreiſe von Karlsbad. Zwoda. Bewohner des Eger'ſchen Kreiſes. Eger. Dortiger Geſundbrunnen. Mühlbach. Thiersheim. Weißenſtadt. Berneck. Anſicht von Bayreuth. Troppach. Romantiſcher Weg. Streitberg. Schönes Thal. Die Burg von Streitberg. Bayersdorf. Erlangen. Fürth.

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Den andern Tag (den 29 May) machte ich Streifzuͤge, um das Aeußere der Stadt zu unterſuchen und mich mit ihrem Plane bekannt zu machen. Bey ſolchen Gelegenheiten uͤber - laſſe ich mich dem Zufalle, und jeder Weg, den er mit mir nimmt, iſt mir der naͤchſte, ſo wie jede Stunde, wo ich nach Hauſe zu - ruͤckkomme, mir die rechte iſt. Verirren kann man ſich da nicht, wo man keinen beſtimmten Weg zu ſuchen, und zu halten hat. Wo ich ein Thor fand, kehrte ich wieder um, weil ich mich fuͤr heute auf die Altſtadt einſchraͤn - ken wollte.

Die Bauart dieſer iſt ganz auf Gelaß be - rechnet. Im Durchſchnitt haben die Haͤuſer 4 bis 5 Geſchoß und gebrochene, hollaͤndiſche Daͤcher, die ebenfalls bewohnt werden. Sie ſind meiſt von dem feſten Pirnaiſchen Sand - ſtein erbauet, der außerordentlich dauerhaft iſt. Die Treppen ſind in vielen Haͤuſern von demſelben Steine, was fuͤr die Einwohner in7 Feuersnoͤthen ſehr beruhigend ſeyn muß. Die Haͤuſer werden im Innern muſterhaft reinlich gehalten und im Aeußern ſind ſie es nicht minder. Man hat ſie meiſt gelblich oder gruͤn - lich abgeputzt und die Fenſterverzierungen mit Farben, nicht in Gyps, wie z. B. in Berlin angegeben. Ihre Vorderſeiten ſind alſo nicht durch Schnoͤrkeleyen unterbrochen, ſondern ge - ben ein heiteres Ganze. In einigen Straßen, beſonders in den aͤltern, z. B. der Schloß - Wilsdruffer-Scheffelgaſſe ꝛc. findet man noch einzelne Haͤuſer mit hervorſpringenden Erkern, deren eines dem andern die Ausſicht benimmt; aber ſie ſind hier nicht in ſo großer Anzahl, wie z. B. in Leipzig, Bautzen und in andern Saͤchſiſchen Staͤdten. Ganz davon frey habe ich die Moritz - und Pirnaiſche Straßen, uͤber - haupt die ſchoͤnſten in Dresden, gefunden. Beyde ſind zwar nicht lang, aber breit, und mit treflichen, meiſt ganz neuen, fuͤnf bis ſechs Geſchoß hohen, Haͤuſern und Palais beſetzt. Die Moritzſtraße war die letzte, die aus den8 Truͤmmern hervorging, in die ſie das Bom - bardement im ſiebenjaͤhrigen Kriege (1760) legte, und ſie iſt die ſchoͤnſte geworden. Was Dres - den uͤberhaupt fuͤr einen Reichthum an Pal - laͤſten, an oͤffentlichen Gebaͤuden und Haͤuſern beſitzt, kann man aus den architektoniſchge - nauen Schilderungen derſelben ermeſſen, die Hr. Haſche ſeiner Beſchreibung von Dresden*)Ihr Titel iſt: Umſtaͤndliche Beſchreibung Dresdens, mit allen ſeinen innern und aͤußern Merkwuͤrdigkeiten, hiſtoriſch und architektoniſch. Leipzig, 1781-83. eingeſtreuet hat.

Das Pflaſter iſt im Ganzen genommen gut und man ſorgt fuͤr deſſen Reinlichkeit, wozu die Kanaͤle, die darunter hinlaufen, ſehr viel beitragen.

Es iſt in keiner Straße leer an Menſchen, aber die lebhafteſten haben mir die Schloß - See - Wilsdruffer - Pirnaiſche geſchienen und die kleinern, die von dem alten Markt zum Neumarkt und von da nach der Neuſtadt fuͤh -9 ren. Die beyden genannten Plaͤtze ſind ohne - dies immer ſehr volkreich, weil auf beyden taͤglich Markt iſt. Nach dem alten Markt zu und auf demſelben iſt Kaufmannsgewoͤlbe an Kaufmannsgewoͤlbe, und alles, was man zur Wirthſchaft, zur Bequemlichkeit und zum Lu - xus noͤthig hat, wird hier herum eingekauft.

Die geringern, unanſehnlichern Theile der Stadt finden ſich an der Stadtmauer herum. Vom Pirnaiſchen Thore bis zum Zeughauſe, von dort hinten herum am Bruͤhliſchen Gar - ten, vom Wilsdruffer - bis zum Seethore, von dort hinter der Kreuzkirche herum; in der Ge - gend eben dieſer Kirche, in dem ſogenannten Loche, wo ſich ein Neſt von engen, ſchmutzi - gen, finſtern Straßen findet da uͤberall ſind die Haͤuſer alt, groͤßtentheils von der Mauer eingeſchloſſen, meiſt von aͤrmern, oft genug von liederlichen, Leuten bewohnt, die Gelegen - heit geben und Gelegenheit machen, gewoͤhn - lich aber Bierhaͤuſer, und in dieſen Schenk - maͤdchen halten.

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Dies waͤre ein leichter Umriß von dem Aeußern der Altſtadt Dresden, den ich von meiner erſten Ausflucht mit zuruͤckbrachte. Meine zweite betraf die Neuſtadt, die durch die Elbe von der Altſtadt getrennt, aber mit - teilſt der Bruͤcke mit ihr wiederum verbunden wird. Die Bruͤcke hat einen gepflaſterten Fahrweg und zwey erhoͤhete, mit Fließen aus - gelegte, Trottoirs fuͤr die Fußgaͤnger. Wer nach der Neuſtadt geht, ſchlaͤgt das Trottoir rechter Hand ein, wer aus der Neuſtadt kommt, nimmt auch das, welches ihm rechter Hand iſt, und ſo kommt und geht man von beyden Seiten ungehindert. Die Schildwachen auf der Bruͤcke haben uͤber dieſe Ordnung zu wa - chen.

Die Neuſtadt iſt bey weitem kleiner als die Altſtadt, auch, wenn man die Hauptſtraße oder Allee ausnimmt, nicht ſo gut gebauet. Schlaͤgt man von der Bruͤcke aus rechts die erſte Straße ein, ſo fuͤhrt ſie nach der Elbe und nach mehreren Magazinen und Schup -11 pen, die zu Wagen und Pontons beſtimmt ſind, ſchlaͤgt man ſich ſodann links, ſo gelangt man zu dem ſogenannten großen Jaͤgerhofe, der aus mehreren geraͤumigen Hoͤfen beſteht, welche theils den Zeug zur Jagd, theils die Hundeſtaͤlle, theils die Wohnungen fuͤr die Jaͤger und Jagdbeamten, (zuſammengenom - men ein ſehr zahlreiches Perſonale) einſchließen. Un&ſ; rern davon findet man das Kadettenhaus, ein ſehr anſehnliches Gebaͤude, deſſen Inneres zu ſei - ner Beſtimmung vortreflich eingerichtet iſt: im untern Geſchoß iſt eine geraͤumige Reitbahn mit den dazu gehoͤrigen Stall - und Schul - pferden, im zweyten Geſchoſſe iſt die Woh - nung des Chefs der Kadetten, der Exerzier - ſaal, die Lehrſaͤle u. ſ. w., im dritten und vierten wohnen, eſſen und ſchlafen die jungen Leute. Dem Haupteingange dieſes Hauſes gegenuͤber breiten ſich drey andre Fluͤgel der ſchon erwaͤhnten Artillerie-Kaſerne aus, wel - che die Artillerie - und Ingenieurſchule, auch ein Inſtitut zur Bildung der Chirurgen, ein12 anatomiſches Theater, und einige andre nuͤtz - liche Anſtalten enthaͤlt. Hinter derſelben ſind mehrere Magazine, Schuppen fuͤr Fuhrwerk und andre Kriegsbeduͤrfniſſe, und unmittelbar daran ſtoßen die Feſtungswerke.

Verfuͤgt man ſich nach der andern Seite der Neuſtadt hinuͤber, ſo tritt man, gleich hinter der Kirche, in die Koͤnigsſtraße, die mit anſehnlichen, meiſt gleich hohen und langen Haͤuſern beſetzt iſt und en face den ſogenannten Japaniſchen Pallaſt hat, aber todt und menſchenleer iſt. Der Platz, wor - auf jener Pallaſt ſteht, iſt nicht wohl unter - halten, und ſchwimmt, wenn es geregnet hat, in Waſſer und Koth, wozu die ſtarke Durch - fahrt, zum weißen Thor herein und hin - aus, nicht wenig beitraͤgt. Der Pallaſt ſelbſt faͤllt nicht uͤbel in die Augen, nur wuͤnſcht man, daß er fuͤr ſeinen Umfang mehr Hoͤhe und Leichtigkeit haben moͤchte. Das Innere deſſelben iſt jetzt zu der vortrefflichen Bibliothek eingerichtet, und nicht leicht wird ſich irgend13 ein Inſtitut dieſer Art, die Bibliothek zu Paris und im Vatikan ausgenommen, ſolch eines praͤch - tigen, heitern, geſchmackvollen und weitlaͤufti - gen Lokals ruͤhmen koͤnnen. Auch fuͤr die Kunſt verwahrt es einen bedeutenden Schatz von anti - ken Bildhauereyen und von Gypſen; es iſt aber bey weitem noch nicht ganz ausgefuͤllt. Die Ausſicht von den obern Saͤlen iſt vortreflich. Am Pallaſte ſelbſt iſt ein kleiner, aber ſehr arti - ger Garten, deſſen Terraſſen zugleich ein Stuͤck des Walles einnehmen und einen koͤſtlichen Ue - berblick uͤber die umliegenden Gegenden und den ganzen Spiegel der Elbe, die hart daran hin - fließt, gewaͤhren. Mit einem Worte, die Mu - ſen haben hier einen hoͤchſt anmuthigen Zufluchts - ort gefunden.

Von hier aus ließ ich mich uͤber die Elbe ſet - zen, um die Friedrichsſtadt zu beſuchen. Man gelangt jenſeits des Fluſſes auf die Oſtra - wieſe, die, in ihrer ganzen Laͤnge, mit mehr - fachen Alleen beſetzt iſt, unter denen Heerden des erleſenſten Schweizerviehes weiden, die zu14 dem daran ſtoßenden Oſtravorwerke gehoͤ - ren. Dieſem gegenuͤber, in der Friedrichsſtadt ſelbſt, liegt der Garten des Grafen Mar - colini, dem es nicht an Umfang und artigen Anlagen fehlt, der aber, im Ganzen genommen, nicht außerordentlich iſt. Auch der Prinz An - ton hat in der Naͤhe ein artiges Sommerhaus. Uebrigens iſt die Friedrichsſtadt von groͤßerem Umfange, als die Neuſtadt, aber ohne allen Vergleich geringer gebauet, obwohl bevoͤlkert genug. Fabrikanten und Manufakturiſten aller Art wohnen hier, und fuͤhren, bis auf die Kin - der herunter, ein ſehr arbeitſames, aber darum doch leider ein ſehr armſeliges Leben. Noth und Mangel ſind hier zu Hauſe, und es iſt nichts ungewoͤhnliches, ganze Familien in Lumpen vor den Haͤuſern ſitzen zu ſehen.

Mit der Altſtadt haͤngt die Friedrichsſtadt durch eine ſchoͤne Allee zuſammen, die ſich am Zwinger endigt. Die Wilsdruffer Vor - ſtadt, in der man ſich nun befindet, iſt ſtark von Gerbern bewohnt und in ihrer Naͤhe, wie15 es ſich gebuͤhrt, befindet ſich auch das Schlacht - haus. Der groͤßeſte Theil dieſer Vorſtadt iſt gut gebauet und ſauber. Derſelbe Fall iſt es mit der Seevorſtadt, die beſonders einige vortrefliche Gaͤrten einſchließt. Schoͤner als beyde, iſt die Pirnaiſche Vorſtadt, die einige Haͤuſer aufzuweiſen hat, welche mit Eh - ren in den ſchoͤnſten Straßen der Altſtadt ſtehen wuͤrden.

Um Alles, was ſich uͤber das Aeußere von Dresden ſagen laͤßt, in wenig Worten zuſam - men zu faſſen: ſie hat an Gruͤndlichkeit und Geſchmack in der Bauart, an Reinlichkeit, Net - tigkeit, Neuheit, und in verhaͤltnißmaͤßiger Har - monie der Vorſtaͤdte mit der Stadt ſelbſt, in ganz Deutſchland vielleicht kaum zwey ihres gleichen.

Sachſen hatte zwey Regenten, die in den Augen einſeitiger Menſchen noch jetzt unbedingt fuͤr zwei Geißeln ihres Landes gelten, da ihre Fehler ſich laͤngſt ſchon, durch die wohlthaͤtigen Folgen, die von Fehlern dieſer Gattung nie ent -16 ſtehen, wieder gut gemacht haben. Es iſt wahr, ſie thaten nicht bloß, was ihrem Volke noͤthig war, und was ihr eigener Ehrgeitz verlangen konnte: ſie thaten mehr und hatten dazu einen Maßſtab, der ihre Kraͤfte uͤberſtieg. Auch ver - gaßen ſie von Zeit zu Zeit, daß ſie nur die Rentmeiſter, nicht die Eigenthuͤmer der Sum - men waren, die durch ihre Haͤnde gingen; und ſie legten dieſelben oͤfterer zur Befriedigung ih - rer perſoͤnlichen Ehrſucht, Prachtliebe, Galan - terie und Liebhaberey, als zur Vergroͤßerung, Verſtaͤrkung, Sicherſtellung ihres Staats und zur Schonung, Belebung und Zufriedenheit ih - res Volkes an. So hatten ſie nie genug, und das Volk konnte nie genug geben. Eine große Schuldenlaſt war die natuͤrliche Folge davon; aber ſie war doch in der That nur eine Antici - pation auf die Talente und den Kunſtfleiß die - ſes hoͤchſt faͤhigen Volkes, dem es, nach einer, verhaͤltnißmaͤßig kleinen, Reihe von Jahren gelang, dieſe Laſt abzuwaͤlzen, und, als baa - ren und reinen Gewinn, eine zu Natur undGe -17Gewohnheit gewordene erfinderiſche Thaͤtigkeit als Nationaltugend davon zu tragen. Ueberdieß war auch nicht Alles verloren, was fuͤr jene Schuldenlaſt erkauft worden war; es iſt großen - theils noch da, es wirkt immer noch fort, es hat die Nation ſelbſt zu der ehrenvollen Stufe erho ben, die ſie unter den Gemeinden deutſcher Zunge einnimmt. Sie hat eine Hauptſtadt, die eine koſtbare Niederlage von nuͤtzlichen und angeneh - men Dingen enthaͤlt, welche manche Kaiſer - und Koͤnigsſtadt entbehren muß: fuͤr die Kunſt hat ſie eine in ihrer Art einzige Gallerie von Gemaͤhl - den, eine namhafte Sammlung von Antiken; fuͤr die Wiſſenſchaften eine der vollſtaͤndig - ſten Bibliotheken in der Welt; fuͤr die Pracht und die Noth eine der koſtbarſten Samm - lungen in Europa, das gruͤne Gewoͤlbe ge - nannt; fuͤr die Erhoͤhung und Erweite - rung des menſchlichen Geiſtes große oͤffentliche Werke, Bruͤcken, Gaͤrten, Kirchen Pallaͤſte; fuͤr die Verfeinerung der Sit - ten, des Geſchmacks, des Lebensge -Fuͤnftes Heft. B18nuſſes einen gewiſſen Geiſt, der mehrere Jahr - zehn hintereinander, durch die beyden praͤchtigen, nach Genuß jeder Art ſtrebenden Koͤnige, in dieſer Nation angefacht, genaͤhrt, ihr gleichſam eingeimpft wurde und ſie noch jetzt vor ihren Nachbaren kenntlich macht alle dieſe Dinge beſitzen die Sachſen noch als Nationalguͤter, die ihnen auf ewige Zeiten Zinſen tragen, und ſie haben dieſe Guͤter, bis auf eine Kleinigkeit, be - zahlt, durch ihren Fleiß, unter der Leitung ei - nes haͤuslichen Fuͤrſten bezahlt, der den wahren Maßſtab gefunden hat, nach welchem ſein Volk arbeiten mußte, um alte Glaͤubiger und neue Beduͤrfniſſe zu gleicher Zeit zu befriedigen und dabey uͤbrig zu haben, und der durch ſein Beyſpiel lehrt, wie man das Schoͤne und Nuͤtz - liche ohne Verſchwendung befoͤrdern, wie man angenehme heitre Sitten ohne Regelloſigkeit uͤben, und wie man der vernuͤnftigen Freuden des Lebens genießen kann, ohne zu ſchwelgen.

Die Sparſamkeit des gegenwaͤrtigen wuͤrdi - gen Regenten von Sachſen hat den ſichtbarſten19 Einfluß auf die Nation gehabt, und man be - merkt dies nirgend ſo deutlich, als in Dresden ſelbſt. Die Miniſter, die Generale, die hoͤhe - ren Staatsbeamten und die reichen Privatelute, die in Dresden leben, und deren Zahl nicht ſo klein iſt, bemerkt man kaum. Da iſt kein Ue - berfluß an praͤchtigen Wagen, zahlreichen Die - nerſchaften, koſtbaren Staͤllen, Aſſembleen, Gaſtereyen, Luſtpartieen; da ſind aber auch keine namhafte Schulden und keine betrogene, zu Grunde gerichtete Handwerker und Kaufleute. Viele Staatsbeamte, die ſelbſt in kleinern Reſi - denzen nicht ohne Wagen und Pferde ſeyn koͤn - nen, gehen hier zu Fuße, oder behelfen ſich, in feyerlichen Faͤllen, mit Tragſeſſeln. Wie haͤtte auch der Rath noͤthig, oder wie koͤnnte er auch nur wagen, Aufwand in dieſer Art zu machen, wenn er mehrere ſeiner Miniſter, in einfachem Frack, zu Fuße, einhergehen ſieht; wie der Haupt - mann und Major, wenn er ſeinen General, bloß von einer Ordonanz oder von einem Stallknecht begleitet, zu Fuße oder zu Pferde, auf den Stra -B 220ßen von Dresden ſieht? Es iſt, glaub 'ich, kein Beyſpiel in Dresden, daß ein Kaufmann ſich Wagen und Pferde hielte, und nur ein paar Wechsler ſind in dieſem Falle. Hochſtens hal - ten ſich Leute dieſer Klaſſen demi-fortunes mit Einem Pferde beſpannt; und, zu ihrem Sommervergnuͤgen, kleine Landhaͤuſer auf den umliegenden Doͤrfern oder Weinbergen, wo ſie des Sonntags ihre Freunde empfangen und mit wahrer Frugalitaͤt bewirthen. Was man in andern Hauptſtaͤdten, beſonders des Winters, findet: einen Zuſammenfluß von adelichen Fami - lien aus der Provinz, iſt der Fall ſehr ſparſam in Dresden, da der groͤßeſte Theil des Landadels auch den Winter uͤber auf ſeinen Guͤtern bleibt.

Bei dem allen glaube man nicht, daß dieſer Ton von Sparſamkeit in Garſtigkeit ausarte. Bey Gelegenheiten, wo es gilt, zeigt man ſich auf einem Fuße, der dem Wohlſtande zuſagt. Man iſt zwar von der Warſchauer Huͤlle und Fuͤlle eben ſo weit entfernt, als von dem Wie - neriſch-Spaniſchen Prunke, aber alles, was21 ein feiner Gaum, der genießen und nicht ſchwel - gen will, an Produkten der feinern Kochkunſt und der edleren Rebe billigerweiſe nur verlangen kann, wird dargeboten, und noch nebenher eine anſtaͤndigere, geiſtreichere, mannichfachere Unter - haltung, als man an den genannten Orten findet. Die große Welt in Dresden, maͤnnlichen wie weiblichen Geſchlechts, iſt unterrichteter und geiſtvoller, als in vielen andern Reſidenzen von Deutſchland, und man braucht nicht blos Pfer - de - Hunde - und Jagdliebhaber zu ſeyn, um in ihren Cirkeln Vergnuͤgen und Belehrung zu finden. Das weibliche Geſchlecht iſt beſonders gebildet und angenehm und kennt ſeine Wuͤrde beſſer und mißbraucht ſeine Rechte und Reize weniger, als die eleganten Weiber zu Warſchau und Wien, deren Ton und Weſen in Dresden die Decenz beleidigen und ganze Geſellſchaften aus einander ſprengen oder doch ſtill machen wuͤrde. Hier giebt es in der That noch haͤufig eheliche Liebe und Gluͤckſeligkeit in den hoͤhern Staͤnden, und der Ton, der unter den beyden22 Auguſten in dieſer Ruͤckſicht hier herrſchte, iſt laͤngſt verſchwunden. Auch hierin geht der jetzi - ge Fuͤrſt mit einem lehrreichen Beyſpiele voran, und Regelloſigkeit in dieſem Punkte kann mehr, als alles uͤbrige, ſein Mißfallen erregen, beſon - ders wenn Perſonen ſie ſich zu Schulden kom - men laſſen, die naͤher oder entfernter zu ſeinem Hofſtaate gehoͤren.

Wenn aber Ausſchweifungen dieſer Art un - moͤglich ganz unterbleiben koͤnnen, ſo werden ſie hier wenigſtens mit mehr Vorſicht und Ver - heimlichung getrieben, als z. B. in Warſchau, Berlin, Wien, Muͤnchen. Nichts von der Art iſt hier privilegirt. Liederliche Haͤuſer haͤngen hier wenigſtens das Kaffee - Wein - oder Bier - ſchild aus, und die feilen Geſchoͤpfe in denſelben ſpielen die Rolle der Aufwaͤrterinnen. Auch ſind dieſe Haͤuſer nur meiſt fuͤr den Poͤbel, oder zum Poͤbel hinabgeſunkene Wolluͤſtlinge aus beſſern Staͤnden, die ſich zuweilen, verkleidet, an der Stadtmauer, im Loche, in der Fi - ſcherſtraße, in der Friedrichsſtadt ꝛc.23 herum treiben. Das ſinnliche Beduͤrfniß der anſtaͤndigern Klaſſen wird meiſt von den Putz - Naͤther - Waͤſcher - und Sticker Maͤdchen be - friedigt, zu welchen ſich auch haͤufig diejenigen geſellen, denen es verboten iſt, mit den Gojim zuzuhalten. Die erſtern zeigen ſich hier durch - gaͤngig in einem Anzuge, dem man es wohl an - ſieht, daß ſie ihn nicht der Nadel noch der Seife danken, und deſſen einzelne Theile, Haarputz und Schuhe mit eingeſchloſſen, ſo geordnet und geformt ſind, daß ſie zugleich fuͤr Schilder gel - ten koͤnnen, die den Kenner nicht irren laſſen. Die Oerter und die Zeit, die ſie zu ihren Aus - fluͤgen waͤhlen, z. B. der Zwinger gegen Abend, die Schloßgaſſe um die Zeit des Zapfenſtreiches, der Neumarkt um die Zeit der Wachparade, die oͤffentlichen Garten zur Zeit der Koncerte und Erleuchtungen, die Bruͤcke bey Mondenſchein u. ſ. w. alles dies ſind Merkzeichen ihrer Ge - ſchaͤfte, die, da man ſie unter freyem Himmel durch ein Wort, einen Blick, eine Frage einlei - tet, keiner eigends dazu eingerichteten Boͤrſen,24 ſondern bloß einiger Abſteigquartiere beduͤrfen, wo ſie vollends abgeſchloſſen werden. Miethet ſich aber ſolch ein Maͤdchen eine eigene Wohnung fuͤr ihr Gewerbe, ſo muß es unter irgend einem Titel und unter der Obhut irgend einer Mutter oder Baſe ſeyn, die ein Handwerk treibt, wel - ches die wahrſcheinliche Vermuthung erregt, daß ſie des Beſuchs von Mannsperſonen jedes Stan - des und Alters dabey beduͤrfe. Solche Maͤd - chen ſind aber in der That in Dresden nach Ver - haͤltniß ſelten, die auf einem gewiſſen Fuß leben; und nur Eine der Art, die kurz vor meiner An - kunft ſtarb, hatte einige Jahre hindurch als ei - ne Art von Phryne geglaͤnzt, ſowohl durch Schoͤnheit als durch Verſtand und eine gewiſſe Ausbildung des Betragens. Uebrigens haben dieſe Maͤdchen, da ſie nicht in eigenen ſittenlo - ſen Haͤuſern bey einander wohnen, ſondern mit andern Leuten in Umgang und Verkehr bleiben, nicht das Plumpe und Eckelhaft-Zudringliche in ihrem Ton und Weſen, das ihre Berliner und Wiener Schweſtern, die in Zwingern bey25 einander ſind, mehr abſchreckend als verfuͤhre - riſch macht.

Das Aeußere der Einwohner von Dresden, niederer und mittler Klaſſen, iſt anſtaͤndiger und ſauberer, als man es in andern großen Staͤd - ten, z. B. in Berlin, an eben dieſen Klaſſen fin - det. Eine Handwerkersfrau, Soldatenfrau, Magd, die zu Markte geht, iſt ſchier und weiß angezogen, und der Korb oder das Tuch, wor - in ſie die eingekauften Waaren traͤgt, iſt nied - lich, reinlich, und in die Augen fallend. Dieſe Klaſſe iſt Winter und Sommer in Kotton, Ka - melot und aͤhnlichen Stoff gekleidet; Korſett und Rock ſind von einem und demſelben Zeuge; dazu traͤgt ſie eine ſaubere Schuͤrze. Die Hau - be iſt von weißem, baumwollenen Zeuge, mit einem farbigten, ſeidnen Bande umſchlungen, wozu, hauptſaͤchlich im Winter, ein Muͤtzchen, mit Marder oder Zobel eingefaßt und mit einer herabhangenden Klappe und Gold-Quaſte ver - ſehen, auf den Kopf geſtuͤlpt wird, das, in ſei - ner Art, nicht minder gut ſteht, als der ſchwarze26 ſammetne Kopfputz der Breslauer Schließerin - nen und der Reichsſtadt-Schweinfurter Stu - benmaͤdchen. Eine Stufe hoͤher, erſcheinen Kontuſchen, die mit einer ſehr kurzen Taille verſehen ſind, und tief herunter den Rock be - decken; ſie begleiten ſchon zuſammen geſetztere, groͤßere Hauben von Klar, mit Spitzen und, des Sonntags, mit Blumen verziert, aber ohne Friſur darunter; und dies iſt beſonders die Tracht der Weiber und Maͤdchen, deren Maͤn - ner und Vaͤter bey Hofe oder bey irgend einer Herrſchaft, Bediente, Laͤufer, Kutſcher u. dgl. ſind. Sodann erſcheint die ganze Klaſſe der Schneiders - und Friſeurs-Frauen, der Putz - macherinnen, Stickerinnen, Kammerjungfern und aller uͤbrigen, die unter ihrer Aufſchrift, wie eben erwaͤhnt, den galantern Beſchaͤfti - gungen obliegen, in Linon, Mouſſelin und Seide gekleidet, in artigen Karakos, mit fri - ſiertem Haar, in Huͤten, mit Schawls, in Turkoiſen ꝛc. unter allen die netteſte und auch die zahlreichſte denn Figuͤrchen dieſer27 Art wimmeln auf allen Maͤrkten und Spa - ziergaͤngen, in allen Kirchen und Gaͤrten, auf der Bruͤcke, im Theater, in den Koncerten. Kommt ſodann die Klaſſe der Kaufmanns - Kuͤnſtler-Gelehrten - und Dikaſterianten Frauen, und dieſe kleidet ſich in Dresden altmodiſcher, als in andern deutſchen Hauptſtaͤdten, auch weit ſparſamer und aͤngſtlicher, und mit der furchtſamſten Ruͤckſicht auf das: was werden die Leute ſagen. Die Maͤnner dieſer Klaſſe prunken noch haͤufig, des Winters, mit Sam - met - und Manſcheſterkleidern, des Sommers, mit verblaßten, faͤrbig-gefuͤtterten Seidenroͤ - cken, mit Treſſenhuͤten, goldnen Beinguͤrteln, ſorgſam gefetteten und dickgepuderten Beutel - peruͤcken, großen ſpaniſchen Roͤhren, oder auch wie alte Hofmaͤnner, den ſilbernen oder tom - backenen Degen an der Seite, den Sonnen - ſchirm in der Hand und den platten, zerrie - benen Hut von Pferdehaar unter dem Arme. Der Engliſche Frack, der geſchorne Wirbel und das geſtutzte Seitenhaar, die in andern28 großen Staͤdten von Deutſchland die Kauf - mannsklaſſe, die juͤngern Dikaſterianten u. dgl. ſeit mehreren Jahren ſchon in Beſitz genom - men haben, finden ſich hier noch aͤußerſt ſel - ten und werden nur hoͤchſtens den jungen Zoͤg - lingen der hieſigen Malerakademien verziehen. Ewige Chapeaubas-Traͤger ſind hier die aͤltern Hofherren und Hofbedienten, die Kandidaten der Theologie, die man hier durchweg Magi - ſtros nennt, und die Raͤthe, Regiſtratoren, Kalkulatoren und Sekretarien, die ſchon ge - wiſſe Jahre haben.

Das Aeußere und die Tracht der hoͤhern Staͤnde iſt hier, wie uͤberall, doch bleiben ſie in Abſicht der neuen Moden immer einige Monate hinter Leipzig, Berlin und Wien zu - ruͤck.

Der Nahrungserwerb der Einwohner von Dresden iſt nicht der reichlichſte, und ſie ſind deshalb nicht das, was man wohlhabend nennt, obgleich man es ihrem Aeußern nicht anſieht. Der Hof, die Landeskollegien, das Militare,29 bilden die hauptſaͤchlichern Erwerbsquellen der Einwohner, und der Handel, die Manufaktu - ren, Kuͤnſte und Handwerke, die gering[ern]Aber die Ausgaben des Hofes ſind nach den Regeln der Haͤuslichkeit abgemeſſen; die Stel - len an demſelben, die hoͤhern ſowohl als die niedern, ſind nicht reichlich; eben ſo die Ge - halte in den Kollegien, fuͤr die Raͤthe ſowohl, als fuͤr die Schreiber; und nicht anders bey dem Militare und der Jaͤgerey. Der Handel iſt in der That nur Kraͤmerey und zieht kein Geld herein, ſondern zahlt hinaus, theils nach Leipzig, theils nach den Lauſitzer Sechsſtaͤdten, theils nach dem Erzgebirge. Wenn einige Fabriken und Manufakturen nach außen abſetzen, ſo ſind deſto mehrere, die fuͤr den Bedarf von Dres - den nicht zureichen, wie z. B. die Tuch - Lein - wand - und Baumwollen-Manufakturen. Waa - ren des Luxus und der ſchoͤnen Kuͤnſte, z. B. Gold - Silber - Steinſchleifer - Bildhauer - Ma - ler - Tiſchler - Wagenbauer - Sattler-Arbeiten und andre von dieſer Art, gehen zwar aus30 Dresden in die Provinz; aber dieſe liefert da - gegen alles, was zu den Beduͤrfniſſen gehoͤrt, die niemand entbehren kann und die alle Tage wieder kommen; dies geht bis auf das Bier und Brot, womit die umliegenden Doͤrfer die Hauptſtadt in großer Menge verſorgen. Man ſieht alſo, daß die Hauptquelle des Erwerbs fuͤr Dresdeu die Beſoldung iſt und bleibt.

Daher denn auch der Ueberfluß an Men - ſchen, die nach Stellen und Beſoldungen ſtre - ben. Daher das Heer von Ueberzaͤhligen in den Kollegien, die oft Jahre lang fuͤr nichts, oder fuͤr 25, 50, 100, 150, 200 Thaler die - nen, mit der duͤrftigen Hoffnung, einmal fuͤr den Reſt ihres Lebens 3 oder 400 Thaler ſich zu erarbeiten; daher der Schwarm von Kom - petenten zu Predigerſtellen, die großentheils von hier aus beſetzt werden, oder zu denen man wenigſtens von hier aus Leute vorſchlaͤgt, die ſich oft 8 bis 10 Jahre mit Unterricht kuͤmmerlich durchhelfen muͤſſen; daher ein Ge - wimmel von Subjekten zu Kantor - Schreiber -31 Acciſebedienten - und andern Stellen aller Art, die eine Fertigkeit im Rechnen und Schreiben erfordern; und daher denn auch die auffallen - de Wohlfeilheit aller Faͤhigkeiten, Talente und Arbeiten, die auf dieſe Beduͤrfniſſe Bezug ha - ben. So armſelig aber auch die Lage der jungen Leute iſt, die dieſe Wege zu ihrem Un - terkommen einſchlagen, ſo vermehrt ſich den - noch, wie man mich verſichert hat, ihre Zahl mit jedem Jahre, und mithin waͤre es in Dresden, wie anderwaͤrts, die dringendſte Pflicht der Regierung, dahin zu ſehen, daß die Eitelkeit der geringern Staͤnde, vermoͤge deren ſie ihre Kinder gern um einige Stufen hoͤher ſehen moͤchten, als ſie ſelbſt gekommen ſind, eingeſchraͤnkt und berichtiget wuͤrde. Thaͤ - ten ſich aber unbeſtreitbar vorzuͤgliche Talente unter dieſen Klaſſen hervor, ſo muͤßte man ſie deſto nachdruͤcklicher ermuntern und unterſtuͤtzen, damit ſie zur voͤlligen Ausbildung gelangten; ſolche Faͤlle wuͤrden unter dieſem ſehr faͤhigen Volke gewiß nicht ſelten ſeyn, und man haͤtte32 dann eine Pflanzſchule, aus welcher man die abgaͤngigen oder unbrauchbaren Glieder des Gelehrten - oder Beamten-Standes erſetzen koͤnnte, indem man zugleich die Traͤgen dar - unter mit Wetteifer und Ehrgeiz erfuͤllte. So waͤre dem Talente, wo es ſich auch faͤnde, die Laufbahn offen, und der Dummheit oder Traͤg - heit, wie hoch ſie auch ſchon ſtaͤnde, bliebe ſie verſchloſſen.

Da alſo die Hauptmaſſe der Einwohner von Dresden in Abſicht der Beſoldung und Nahrung ziemlich eingeſchraͤnkt iſt, ſo iſt auch das, was man oͤffentliches Vergnuͤgen nennt, hier einfacher, ſparſamer, als irgend - wo in einer andern Hauptſtadt. Die hoͤhern Klaſſen haben, den Sommer hindurch, nichts vom Hofe an Feſten und Vergnuͤgungen zu erwarten, da er denſelben in Pillnitz zubringt, wo er meiſt nur des Sonntags den einheimi - ſchen und fremden Miniſtern und Generalen zu eſſen giebt; ſie gehen alſo auf ihre eigenen Landſitze und beluſtigen ſich, wie eigner Ge -ſchmack33ſchmack, eigenes Beduͤrfniß und die Jahrs - zeit es wollen und mit ſich bringen. Die Klaſſen, die auf ſie folgen, bis auf den Rath und wohlhabenden Kaufmann hinunter, hal - ten ſich, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, ihre Land-Weinbergs-Garten - und ſelbſt Bauer - Haͤuſchen, oder auch nur Stuͤbchen, wo ſie des Sommers Tage oder Wochen zubringen, wie ihre Aemter oder Geſchaͤfte es erlauben. Was von dieſen Klaſſen in der Stadt bleibt, bildet Geſellſchaften, die ſich taͤglich in irgend einem Garten zuſammen finden: macht Aus - fluͤge nach dem Plauenſchen, oder dem Scho - ner-Grunde, oder dem Seifersdorfer Thale, nach Unbigau, dem Oſtravorwerke, dem Bade und nach andern Luſtoͤrtern, die um die Stadt liegen, und findet dort Muſik, mancherley Bie - re, Taback, und ein einfaches Butterbrod mit Braten, auch wohl Land - hoͤchſtens Franken - wein und Kuchen. Die geringern Staͤnde, vom Handwerker bis zum Musketier, verlie - ren ſich in die Bierhaͤuſer, auf die Kegelbah -Fuͤnftes Heft. C34nen in der Friedrichsſtadt, vor dem ſchwarzen und weißen Thore, im großen Garten ꝛc. und Abends um zehn Uhr zieht alles in Schaaren und vergnuͤgt nach Hauſe.

Im Winter haben die hoͤhern Klaſſen oͤf - ters Tafel bey Hofe, Hofbaͤlle, große Geſell - ſchaften unter ſich, und, mit den ihnen naͤ hern gemeinſchaftlich, Oper, deutſches Schau - ſpiel, Redoute; doch wird letztre ſelten von ihnen benutzt. Das Publikum der Gartenbe - ſucher im Sommer bleibt es auch großen - theils im Winter, und geht noch uͤberdieß in die Kaffeehaͤuſer und Klubbs und auf die Kon - cert und Tanzſaͤle, die dann in der Stadt of - fen ſind. Der Buͤrger geht in ſein Bierhaus in der Stadt.

Dies iſt der Kreis, in welchem ſich das geſellſchaftliche Verkehr und der Lebensgenuß der Dresdener herum dreht. Man wird ihn ſehr klein, ſehr ſparſam finden, aber wohl der Nation, die damit zufrieden iſt! Es iſt gerade genug, um ſich von der Arbeit zu er -35 holen, und von der Erholung ohne Unruhe zur Arbeit zuruͤck zu gehen.

In Abſicht der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſpielt Dresden vielleicht nicht ganz die Rolle, die es, bey ſeinem außerordentlichen Vorrathe dazu, ſpielen koͤnnte. Wenn es indeſſen keine große Gelehrte, keine große Kuͤnſtler hat, ſo beſitzt es doch mehrere vortrefliche und gute in vielen Zweigen der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte.

Den 2ten des Junius reiſ'te ich von Dres - den ab. Man befindet ſich auf einer gemach - ten Straße, die bergan laͤuft und von wel - cher herab man ganz Dresden mit ſeinem Thale, wie einen flachliegenden Teppich, uͤber - ſehen kann. Beſonders iſt dies der Fall von den Korbitzer Anhoͤhen herab. Uebrigens iſt der Boden holpricht, und mit demjenigen blaͤt - terigen, kalkartigen Stein bedeckt, den man Plaͤner nennt, und der hier uͤberall zu Tage ausſetzt, oder auch ein paar Fuß tief, unter einem hochgelben Sande mit Lettenſtreifen,C 236gebrochen wird. Die Einfaſſungen der Hoͤfe und der Gaͤrten waren von eben dieſem Stei - ne gemacht, den man ohne Moͤrtel trocken auf einander gelegt hatte. Der Boden hier herum iſt ſehr fruchtbar; das Getreide ſtand ſchon mannshoch und die Brache war mit dem bunteſten Blumenſchmelz uͤberzogen. Anhoͤhen und Thaͤler wechſeln in der Ferne und in der Naͤhe, und zahlreiche Doͤrfer liegen rings um - her. Ich glaube hier eine der ſchoͤnſten Ge - genden in Sachſen geſehen zu haben. Sie dauert ſo fort bis Herzogswalde, der naͤch - ſten Poſt (2 M.), einem Dorfe, in welches man von einer ziemlich ſteilen Anhoͤhe hinab - rollt. Von da bis

Freyberg, fuͤhrt anfangs der Weg noch tiefer und ſteiler hinab, und laͤuft ſodann, uͤber eine Stunde, in einem angenehmen Thale fort, das nur ſtellenweiſe durch Hohlwege et - was beſchwerlich gemacht wird, ſonſt aber auf beyden hinanlaufenden Seiten eine Man - nichfaltigkeit von Laub - und Nadel-Holz zeigt. 37Der Weg iſt immer noch gebahnt, und ſorg - faͤltiger unterhalten, als ich ihn bisher in Sachſen noch gefunden habe. Kommt man aus jenem Thale hervor, ſo befindet man ſich auf der ausgedehnten Flaͤche eines Bergruͤk - kens, auf der man ziemlich lange fortfaͤhrt, bis allmaͤhlich wieder, vor und neben einem, engere und breitere, mit anſehnlichen Doͤr - fern und treflichen Kornfeldern und Wieſen geſchmuͤckte Thaͤler ſich zeigen, deren man mehrere durchfaͤhrt, bis man endlich nach drey Stunden von neuem in ein tiefes Thal hinabgleitet, in welchem alles die Naͤhe einer Bergſtadt ankuͤndigt, als: ungeheure Schich - ten von Holz, Kohlen, raͤuchrige Haͤuſer, Ge - raͤuſch von Aufſchlagwaſſern, und Dampf. Jenſeit dieſes Thals erhebt ſich der Weg abermals einen anſehnlichen Berg hinan, und hat man deſſen Hoͤhe erreicht, ſo befindet man ſich auch vor Freyberg, (2 M.) welches in einer Niederung liegt. Die Anſicht dieſer Stadt laͤßt auf ihr Alter ſchließen. Eine hohe38 Mauer, ſtreckenweiſe mit Thuͤrmen beſetzt und durch einen tiefen und breiten Graben bedeckt, umſchließt ſie; die Kirchthuͤrme ſind ſchwarz und gothiſch; doch iſt die Stadt ſelbſt, was man kaum vermuthet, ziemlich heiter im In - nern, und nur wenig Haͤuſer erſcheinen ganz alt; auch die Straßen ſind breit genug fuͤr die Groͤße der Stadt. Die Haͤuſer ſind meiſt maſſiv; das Pflaſter iſt gut und an beyden Seiten, ſo wie in der Mitte, mit breiten Steinen fuͤr die Fußgaͤnger verſehen.

Nachdem ich einen ſehr lehrreichen Tag, uͤber und unter der Erde, hier zugebracht hatte, reiſ'te ich den 4ten weiter nach

Oederan. (2 M.) Der Weg dahin laͤuft zuerſt durch einen ziemlich ſchmalen Wald, der hoͤchſt ſteinigt und unangenehm iſt, und auf den eine aͤhnliche ſteinigte, unfruchtbare Flaͤche folgt, die dem Auge weder in der Naͤhe, noch in der Ferne, etwas Anziehendes darbietet. Die Straße iſt nur ſtellenweiſe gemacht, und zwar ſchlecht, weil der darauf gefahrne Schutt39 keine Bedeckung hat, und in einzelnen, aus - einander geſprengten Steinen umher liegt. Indeſſen kommen weiterhin doch noch zwey angenehme Thaͤler vor. Das erſte vor Ober - ſchoͤn, einem Doͤrfchen, von welchem aus wie in Terraſſen die bunten Anhoͤhen auf allen Seiten emporſteigen: das zweyte iſt dasjenige, worin Oederan ſelbſt liegt. Es iſt ausgebrei - teter, als das erſtere, und laͤßt ſchon Gruppen der hoͤhern Berge heruͤber ſehen. Das Jagd - ſchloß Auguſtburg, das man zur Linken laͤßt, liegt auf einem anſehnlichen Berge zwiſchen andern in der Mitte, beherrſcht das ganze Thal, und iſt dicht mit ſchwarzem Walde um - geben. Die Berge hier herum ſind wilder, als man ſie ſonſtwo im Erzgebuͤrge findet, deſſen Charakter uͤberhaupt ſehr ſanft und ganz das Gegentheil von den Schleſiſchen Bergen iſt, die ſehr prallende Partieen haben und von tiefen finſtern Schluchten durchſchnitten wer - den. Oederan liegt auf eine etwas eigen - ſinnige Art zwiſchen Felſen, und man kann40 nur durch Hohlwege hinein gelangen. Wenn ich auch nicht gewußt haͤtte, daß dies Staͤdt - chen beſonders Tuchweberey treibt, ſo haͤtte ich es aus einem anſehnlichen Leichenzuge ge - ſchloſſen, deſſen Mitglieder ſaͤmmtlich die blaß - gelbe Farbe hatten, welche die Fabrikanten dieſer Art vor vielen andern auszeichnet. Das Innere dieſes Staͤdtchens iſt ganz ſauber.

Von Oederan bis Chemnitz (2 M.) fuͤhrt die Straße zuerſt wieder durch einen Hohl - weg hinauf und laͤuft ſodann einen betraͤchtli - chen Berg hinunter, von welchem herab man mehrere enge und weite Ausſichten in ſchwarz - behoͤlzte Thaͤler und uͤber dergleichen Anhoͤhen genießt. Sodann gelangt man wieder in eine Niederung, an deren Seite ſich ein Thal er - oͤffnet, das nach und nach alle die Schoͤnhei - ten zeigt, die man nur von einem angenehmen Thale erwarten kann. Die Nordſeite iſt mit ſchwarzen pyramidaliſchen Steintannen beſetzt; die Suͤdſeite mit Fichten und Kiefern. Den Raum dazwiſchen nehmen theils Dorfſchaften,41 theils zerſtreuete Haͤuſerchen und daran ſtoßen - de fruchtbare Ackerfelder, oder bluͤhende Wie - ſen, ein, zwiſchen denen hindurch ſich ein ra - ſches Stroͤmchen in mancherley Kruͤmmungen hinwindet. Dies Thal behaͤlt man uͤber an - derthalb Stunden beſtaͤndig zur Seite, bis man endlich in daſſelbe hineinfaͤhrt und es, mittelſt einer uͤberbaueten Bruͤcke, durchſchnei - det. Darauf verengert ſich die Ausſicht wie - der, der Weg laͤuft erſt in Hoͤhlungen und ſodann bergan durch einen Wald, der ſich nicht eher verliert, als kurz vor Chemnitz, in welche Stadt man von oben herab hinein - ſieht. Sie giebt, bey ihrer tiefern Lage, faſt den Anblick wie Freyberg, hat, fuͤr ihre Groͤße, geraͤumige Straßen, ein gutes Pflaſter und groͤßtentheils ſteinerne Haͤuſer von zwey bis drey Stockwerken. Sie iſt ganz lebhaft und ſchließt ſehr arbeitſame kunſtfleißige Einwohner ein.

Von Chemnitz fuhr ich weiter nach An - naberg, (3 M.) auf einem Wege, der zwar42 eine Strecke auf einer Flaͤche fortlief, die ſich aber an Gebirge lehnte und deshalb nicht lan - ge zu dauern verſprach. Neben dem Dorfe Altchemnitz hin, das mir, wegen der auſſer - ordentlichen Sauberkeit ſeiner Haͤuſer, Gaͤrt - chen und Zaͤune, ſehr gefiel, fuͤhrte der Weg uͤber den Bach Chemnitz hinan, zu dem Dorfe Hartau. Oberhalb dieſes Dorfes ſteigt der Berg, Hartauer Berg genannt, ziemlich ſteil hinan, und man hat, von demſelben her - ab, eine der angenehmſten Ausſichten in das weite Thal, worin Chemnitz liegt. Indem man weiter faͤhrt, ſenkt ſich dieſer Berg ein wenig, und rechts faͤllt ein neues, koͤſtliches Thal hinein, das, ohne ſo weitſichtig zu ſeyn, als jenes, weit abwechſelnder und ſanf - ter gebildet erſcheint. Wenn dieſes hinter - waͤrts verſchwunden iſt, ſo thut ſich vorwaͤrts ſchon wieder ein drittes auf. Dies iſt das Thal von Burkersdorf, in deſſen Tiefe dieſer genannte Ort lang ausgedehnt liegt. Ueber denſelben hinauf fuͤhrt dann die Straße43 wiederum durch Hohlwege in ein ſchwarzes Waldigt, mit untermiſchten Kornfeldern. Man faͤhrt nun eine Strecke auf der Hoͤhe im Walde fort, der uͤberall, wo er Luͤcken hat, kleinere und groͤßere angenehme Thaͤler uͤberſehen laͤßt. Bald erblickt man in einem neuen Thale ein Staͤdtchen vor ſich, zu welchem man in Hohl - wegen tief hinunter muß. Dies iſt Duben, ein kleiner hoͤlzerner aber reinlicher Ort, hin - ter welchem man von neuem einen Berg zu erklimmen hat, von deſſen Gipfel man ohne Aufenthalt wiederum in das minder angeneh - me Thal um Ehrenfriedersdorf hinunter muß. Dies ziemlich lebhafte Bergſtaͤdtchen iſt ſchwarz, wie ſeine Umgebungen, die aus lau - ter zu Tage gefoͤrdertem, tauben Stein beſte - hen, der rund umher an den Bergen große ſchwarze Waͤlle bildet. Hier iſt ſeit Jahrhun - derten ein ergiebiger Bergbau auf Zinn und Silber, der viel Menſchen naͤhrt, die auch noch durch andre Zweige des Kunſtfleißes die hieſige karge Natur verbeſſern. Ueber Ber -44 ge und durch Thaͤler geht der ſteinigte Weg endlich nach Annaberg hinauf, welches ſich, am Abhange eines Berges gelagert, zeigt, und keine unangenehme Anſicht gewaͤhret. Im Ruͤ - cken wird es von einem hohen iſolierten Ba - ſalt-Berge, der Poͤhlberg genannt, beherrſcht, den man ſchon mehrere Stunden vorher aus der Ferne ſah. Das Innere der Stadt iſt zwar heiter und geraͤumig und ſehr ſauber, aber an den Seiten der Straßen ſproßt das Gras aus dem Pflaſter hervor, und, gegen Freyberg und Chemnitz gehalten, iſt die Stadt wie ausgeſtorben.

Von Annaberg auf Oberwieſenthal (4 M.) hat man abermals nichts als Waͤlder, Berge und Thaͤler vor ſich, uͤber welche rund umher aus der Ferne, die Koppen einzelner Berge hervorragen, und zwar ſo, daß da, wo zwiſchen zwey Bergen ſich ein Einſchnitt bil - det, ein entfernter dritter, der noch hoͤher iſt, ſogleich davortritt. Ich befand mich alſo jetzt tief in dem Keſſel der Gebirge, und konnte45 weder weiter hinein, noch wieder heraus, ohne zu klimmen. Der Weg fuͤhrte bald durch ſehr mannichfache, ſehr angenehme Thaͤler, bald am Abhange derſelben hin; und ſie waren auf beyden Seiten und in der Mitte theils mit Holz, theils mit Waͤllen von zu Tage gefoͤr - dertem Stein und Erz, theils mit den lachend - ſten Wieſen bedeckt. Der Baͤrenſtein, ein Berg von eben dem Bau und der Form, aber nicht ſo hoch wie der Poͤhlberg, kam mir jetzt immer naͤher, nachdem ich ihn ſchon ſeit fuͤnf Stun - den im Geſichte gehabt hatte. Auf ſeiner Nordſeite befand ſich, in einer Kluft noch Schnee. Neben ihm ging der Weg hinunter, durch einen Theil des Staͤdtchens Baͤren - ſtein, das faſt aus lauter einzeln liegenden Haͤuſern beſteht, die mit friſchen Leuten, wel - che theils ſpannen, theils wirkten, theils Spi - tzen kloͤppelten, zahlreich beſetzt waren. Um jedes Haus lag ein Stuͤck Wieſe; Ackerfeld bemerkte ich faſt gar nicht.

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Gleich an Baͤrenſtein ſtoͤßt das kaiſerliche Gebiet, und das Boͤhmiſche und Saͤchſiſche ſind hier nur durch ein kleines Waͤſſerchen, der Poͤhl - oder Graͤnzbach genannt, von einander getrennt. Der erſte Boͤhmiſche Ort iſt Weipert; hier iſt auf einmal alles anders. Eines neuern Reiſenden Bemerkung uͤber ka - tholiſche Phyſiognomieen hat Wider - ſpruch gelitten, aber ich finde ſie nicht ganz ohne Grund. Ein gewiſſes ernſthaftes, finſte - res Anſehen, ein niedergeſchlagenes, nicht ehr - furchtvolles, ſondern devotes Auge: dies iſt wohl das Katholiſche, was man auf den Geſichtern der Menſchen hier herum, beſonders aber der Maͤdchen und Weiber, bemerkt. Es iſt wohl nur gleichſam religioͤſe Handwerks-Phyſiogno - mie, deren Zuͤge ſich durch das viele Kirchen - gehen, durch das Aeußere der Moͤnche und Prie - ſter und durch das Anſchauen der Heiligen - Bilder zuſammen finden und den Geſichtern aufdruͤcken.

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Man faͤhrt nun in einem Thale fort, das eine einzige zuſammenhangende blumigte Wieſe bildet, die von dem Graͤnzbache durchſchlungen wird. Der Weg fuͤhrte links am Abhange hin und war ſtellenweiſe gefaͤhrlich. Es ward ſchon dunkel, als ich vor Niederwieſen - thal ankam. Der Weg war allmaͤhlig berg - an geſtiegen. Das Thal hatte ſich verengert und erſchien jetzt mehr mit Baͤumen beſetzt. Unter dieſen ſtanden Schmelzhuͤtten herum, aus denen von Zeit zu Zeit Flammen hervor - ſchoſſen, welche die Dunkelheit des ſchwarzen Waldes vermehrten. Der Weg fuͤhrte dazwi - ſchen hindurch nach Oberwieſenthal. Auf beyden Seiten nichts als ſchwarze Haͤuſer und ſchwarze Menſchen, gluͤhende Eſſen, umher - ſpruͤhende Funken und das Geraſſel und Po - chen der Hammerwerke. Endlich kam ich nach Oberwieſenthal, das, in einer betraͤchtlichen Laͤnge, theils im Thale, theils am Abhange der Anhoͤhen liegt, ſchwarz, ungepflaſtert, und mit ſchwarzen, laͤrmenden Einwohnern beſetzt48 iſt. Ich war gezwungen, die Nacht hier zu bleiben. Man verſicherte mich, ich wuͤrde ei - nen guten Gaſthof auf dem Markte finden. Dahin fuhr ich alſo. In einer Ecke deſſelben erhob ſich ein altes hoͤlzernes Haus mit einem Thurme. Nach langem Pochen ging ein Thor - weg knarrend und ſeufzend auf, und im Vor - dergrunde zeigte ſich ein altes Weib in den Sechzigen, mit einem Stumpen Licht in der bloßen Hand. Ich zog ein. Eine ſteile, ſchwan - kende Treppe mit ausgetretenen Stufen, fuͤhrte in den erſten Stock. Durch den Boden des Vorſaals, der voller Riſſe und Aſtloͤcher war, ſah ich unten im Hauſe mehrere Menſchen, mit Kienbraͤnden in der Hand, mitten unter Stroh und Holzſpaͤnen, Platz fuͤr meinen Wa - gen machen. Ich ging mit leichten Schritten wie auf dem Boden eines Siebes, uͤber den Saal und trat in ein Zimmer, das mir die erwaͤhnte Alte aufſchloß. Hier erblickt 'ich eine lange Tafel, um welche herum ſechs bis acht uralte hoͤlzerne Stuͤhle ſtanden. In derMitte49Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel - ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte, mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach - te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla - gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten, und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng - ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt, erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei - nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin - gel herab. Kurz, ich befand mich, was man ſchon errathen haben wird, auf dem Rath - hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn - ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal. Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam -Fuͤnftes Heft. D50mer, die rothe Balken und eine ſchwarz und weiß bemahlte Decke hatte, kroͤnten dieſes Abenteuer.

Von Oberwieſenthal aus fuhr ich den an - dern Morgen auf Karlsbad (2 M.). Man muß einen hohen Berg erklimmen, der die erſtere Stadt von dieſer Seite beherrſcht. Es iſt der Fichtelberg, der hoͤchſte Punkt des Erzgebirges. Das Wieſenthal hat man immer noch zur Linken. Je hoͤher man auf der einen Seite dieſen Berg hin - ankoͤmmt, deſto hoͤher erhebt ſich der ge - genuͤberliegende, und beyde klemmen am Ende das Thal, das hier eine Wendung rechts nimmt, ſo enge ein, daß es gleichſam nur als ein Riß zwiſchen beyden erſcheint und ſich endlich ganz verliert. So befand ich mich denn auf dem Gipfel des hohen, oben eingeſchnittenen Ber - ges, der mir ſo lange im Geſichte geweſen war. Eine der ſchoͤnſten Ausſichten, die ich im Erzgebirge gefunden habe, breitete ſich vor mir aus. Unten im Thale zeigt ſich das51 boͤhmiſche Bergoͤrtchen Gottesgab, und bald hinter demſelben gelangt man in einen bergig, ten Wald, den man faſt in lauter Hohlwegen, zwiſchen Steinen und auf Steinen durchfaͤhrt, bis man endlich nach zwey Stunden in die tiefe Schlucht gelangt, worin Joachims - thal liegt, das man anfangs nur ſeinen Daͤ - chern nach zu ſehen bekoͤmmt. Steine liegen hier wie Schutt herum; große Felſenſtuͤcke ſind an beyden Seiten abgeſchoſſen und ſchnelle Baͤche reiſſen ſich rechts und links her - ab, und ſetzen mehrere Lohmuͤhlen betaͤubend in Bewegung. Joachimsthal iſt beſſer gebau - et, als Oberwieſenthal, hat ſteinerne Haͤuſer, die, bis auf wenige am Eingange, ſauber un - terhalten ſind. Rechter Hand, hoch auf dem der Stadt zunaͤchſt liegenden Berge, erſchei - nen die Auswuͤrfe eines Bergwerks, die in drey Teraſſen aufgethuͤrmt ſind und alle Au - genblicke abzugleiten und die naͤchſten Haͤuſer zu verſchuͤtten drohen. Weiterhin, auf einem an - dern Berge, zeigt ſich das Getruͤmmer einesD 252alten Gebaͤudes, das ein Schloß geweſen zu ſeyn ſcheint, jetzt aber zu einer Kirche ein - gerichtet iſt, worin die Bergleute, ehe ſie ein - fahren, ihre Andacht verrichten.

Von Joachimsthal aus wird die Schlucht immer enger, aber auch immer ſteinigter und beſchwerlicher. Auf beyden Seiten ſtehen Tan - nen ſo ſenkrecht hinan, daß die eine aus der andern hervorgewachſen ſcheint, waͤhrend in der Mitte, uͤber Felſenſtuͤcke hinweg, ein ar - mes Waͤſſerchen faͤllt, das ſeifenartig, haͤßlich ausſieht und auf ſeinem Laufe von mehreren Muͤhlen und Huͤttenwerken genutzt und ſo - dann wieder entlaſſen wird. Endlich kommt man aus der Schlucht heraus und eine lichte - re Ausſicht biethet ſich dar; man koͤmmt, wo nicht in eine Flaͤche, doch in eine ebenere Ge - gend, wo die Berge niedriger ſind und min - der dicht bey einander ſtehen. Hier war das Getreide ellenlang hoͤher, als in den Bergen, durch die ich geſtern kam; die Bluͤthen der Aepfel und Kiſrchbaͤume, die dort erſt aus der53 Knoſpe traten, waren hier ſchon im Abfallen; und ſo ſchien es, als ob ich, nach einer kleinen Strecke von acht Meilen, um mehrere Grade naͤher nach Suͤden gekommen waͤre.

Der Weg dauert nun, wie oben angezeigt, fort, und windet ſich noch durch manchen Hohl - weg, uͤber manche Anhoͤhe, zum Theil durch Waldung, zum Theil am Gehaͤnge von Bergen, das große Felſenſtuͤcke bedecken, dahin; man koͤmmt uͤber die Eger und ſieht ſich dann bald vor Karlsbad.

Karlsbad liegt in einem engen Thale, das bey Toͤplitz ſeinen Anfang nimmt, und unterhalb jener Stadt in die Ebene auslaͤuft, welche die Eger durchſtroͤmt. Die Toͤpel, ein kleiner Fluß, koͤmmt gedachtes Thal herab, und an beyden Ufern deſſelben iſt Karlsbad erbauet. Betraͤcht - liche Berge ſchließen es von allen Seiten ein. Die anſehnlichſten darunter ſind der Kreutz - berg, der Hirſchſtein und der Hammer - berg.

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Der Kreutzberg iſt der hoͤchſte. Er ſteigt in Oſten, von dem Ufer der Toͤpel aus, in faſt gleichfoͤrmiger Geſtalt, uͤber dritthalb hundert Schuh hoch, hinan, und hat auf ſeinem Gipfel, der mit Nadelholz bewachſen iſt, drey hoͤlzerne Kreutze, die ihm den Namen gegeben haben.

Der Hirſchſtein oder Hirſchſprung, liegt der Stadt gegen Weſten, erhebt ſich unge - faͤhr zwey hundert Schuh hoch, und beſteht meiſt aus ſchroffen, ſenkrecht und gruppenweiſe emporſtrebenden, geſpaltenen Steinmaſſen, die zwiſchen einem Waldigt von Nadelholz heraus - ſehen.

Der Hammerberg iſt weder ſo hoch, noch ſo ausgezeichnet, als die beyden vorigen, und dicht mit Nadelholz bewachſen.

Die Grundbeſtandtheile dieſer Berge ſind Granit, von derjenigen uralten Art, aus der die Karpathen beſtehen, die wiederum mit den aſiatiſchen Gebirgen zuſammen hangen. *)Vergl. Bergmaͤnniſches Journal, 1792, 11tes Stuͤck, S. 384.Außer55 dieſer Gebirgsart findet man ſpaͤter gebildete, als Thonſchiefer, Greus, Glimmer, um und an denſelben; und in mindern Hoͤhen erſcheinen noch juͤngere Trappformationen.

Die Ausſicht von den genannten drey Ber - gen iſt mehr oder weniger weitlaͤuftig, aber im - mer ſehr angenehm. Zu ſeinen Fuͤßen hat man die Ebene, durch die man vom Erzgebirge her gekommen iſt, und die ſich gegen Morgen in der Flaͤche abdacht, in welcher Prag liegt; gegen Mittag aber ſich an ein Gebirge lehnt, das ſich ziemlich ſteil erhebt, und ſich den Bergen des Boͤhmer Waldes anſchließt. Der Raum zwi - ſchen Karlsbad, dem Erz - und dem Boͤhmer - Wald-Gebirge, iſt mit hoͤhern und niedrigern Bergen und Berggruppen beſtreuet, zwiſchen denen bald Gehoͤlz, bald Ackerland, bald Wie - ſen, in der Mitte liegen.

An der Geſtalt unterſcheidet man aus der Ferne unter den einzeln ſtehenden Bergen einige Baſaltfelſen, z. B. den Grasberg, der un - gefaͤhr eine halbe Meile oͤſtlich von Karlsbad56 liegt, auf einer breiten Grundlage kegelfoͤrmig emporſteigt, und aus einem Baſalt beſteht, der faſt von der Art iſt, wie der am Stolpener Schloßberge, doch weniger in Saͤulen geſpalten, und weniger zu Tage auslaufend erſcheint, als der Baſalt an jenem.

Der Trittlitzer Berg giebt von fern ei - nen weniger ausgezeichneten Anblick, man er - kennt ihn aber ſogleich als Baſaltfelſen. Sein Baſalt iſt von derſelben Art, wie der am Gras - berg.

Anſehnlicher als beyde, und als der hoͤchſte in der Ebene, ragt der Hornberg hervor. Seine Beſtandtheile ſind wie die an den beyden vorigen.

Die Ebene zwiſchen dieſen verſchiedenen Ber - gen iſt reich an mineralogiſchen Merkwuͤrdigkei - ten. Das Daſeyn von Erdbraͤnden und After - vulkanen iſt unverkennbar. Erdſchlacken, Stuͤ - cke gebrannten Thons, Steinkohlen und Ver. glaſungen ſieht man haͤufig am Wege. Daß dieſe Erdbraͤnde zum Theil noch fortdauern, aber57 in betraͤchtlicher Tiefe, beweiſen augenſcheinlich die heißen Quellen in dem Thale der Toͤpel, denen Karlsbad ſeine Entſtehung und ſeinen Ruf zu danken hat.

Die Geſchichte, die man von der Auffin - dung dieſer Quellen und von der Entſtehung der Stadt Karlsbad erzaͤhlt, iſt folgende: Kaiſer Karl der Vierte verfolgte in dieſer Gegend einen Hirſch, der, von den Hunden gedraͤngt, uͤber einen hohen Felſen in das Thal, worin jetzt Karlsbad liegt, hinabſprang. Die Hunde und Jaͤger ſetzten ihm, aber ſicher auf einem andern Wege, in dies Thal nach, und fanden bey der Gelegenheit die Quellen. Viel - leicht iſt in dieſer Ueberlieferung nichts wahr, als der Umſtand, daß man unter gedachtem Kaiſer dieſe Brunnen fand, oder auch nur de - ren Daſeyn wieder ſo in Erinnerung brachte, daß er ſich derſelben annahm, ſie unterſuchen und einige Haͤuſer anbauen ließ, deren Anzahl ſich nach und nach ſo vermehrte, daß ſie eine kleine Stadt bilden konnten. Die erſten Be -58 wohner derſelben ſollen von dem naͤchſten Dorfe eingewandert ſeyn.

Jetzt enthaͤlt Karlsbad, wie es, nach einem großen Brande im Jahre 1756, wieder erbauet worden, drey hundert und dreyßig Haͤuſer. (Kirchen, Saͤle, Schul-Komoͤdien-Kranken - und Armenhaͤuſer mit eingerechnet) und acht und vierzig Brandſtellen, die allmaͤhlich wieder angebauet werden.

Die Anzahl der ordentlichen Bewohner von Karlsbad kann man, in einer runden Summe, zu fuͤnftehalbtauſend annehmen; die außeror - dentlichen, naͤmlich die Brunnengaͤſte, die den Sommer uͤber dort ſind, kann man, waͤhrend des belebteſten Zeitpunkts, zu drey bis vier hundert, Bediente, Maͤgde und Kinder mit eingeſchloſſen, berechnen.

Die Bauart der Stadt iſt ſich nicht uͤber - all gleich; beſonders gehen zwey Gegenden darin merklich von einander ab. Derjenige Theil, den man, von dem Eger'ſchen Thor an bis zur Toͤpelbruͤcke, durchfaͤhrt, beſteht59 aus lauter Haͤuſern von Fachwerk, meiſt nur zwey Stock hoch, mit hoͤlzernem Bindwerk ausgeſtopft, das mit rother oder blauer, oder grauer Farbe angegeben iſt. Dieſe Art von Haͤuſern laͤuft bis zur Stadtkirche, und von da, am rechten Ufer der Toͤpel, fort, und en - digt ſich den Beluſtigungsſaͤlen gegen uͤber. Sie bildet den aͤlteſten Theil der Stadt und ſchließt den Sprudel ein, um welchen her die erſten Haͤuſer angelegt wurden.

Derjenige Theil der Stadt, der an dem linken Ufer der Toͤpel liegt, und jenſeits der Bruͤcke bey dem Muͤhlbade und Neubrunnen anhebt, iſt neuer, und ſchließt hoͤhere, geraͤu - migere und anſehnlichere Haͤuſer ein. Man gelangt, durch eine enge Gaſſe, deren Haͤu - ſer rechts am Fuße der Felſen, links an dem linken Ufer der Toͤpel ſtehen, auf den Markt oder Ring, der fuͤr den eingeſchraͤnkten Grund der Stadt groß genug iſt, und an ſeiner lin - ken Seite die vier ſchoͤnſten und groͤßeſten Haͤu -60 ſer*)Sie ſind mit Nro. 30. 31. 32 und 33 bezeichnet., und auf der rechten das Rathhaus von Karlsbad mit ſeinem Thurm, enthaͤlt. Zwi - ſchen dieſem und den ihm entgegenſtehenden Haͤuſern auf der linken Seite, fuͤhrt ein Weg hinan, der rechts zu einem alten Schloſſe und dem Schloßbrunnen; gerad'aus, auf ei - nen zuruͤckſpringenden angenehmen Berg und, links, zu einem Spatziergange fuͤhrt, welcher an dem Gehaͤnge des Hammerberges und des Hirſchſprungs bis dahin, wo letzterer ſich ab - dacht, herumlaͤuft.

Die erwaͤhnten vier anſehnlichen Haͤuſer auf dem Markte, dienen, nach Karlsbader Art zu ſprechen, hohen, oder vielmehr, den hoͤchſten Brunnengaͤſten zur Wohnung, weil ſie, in zwey Geſchoſſen, große geraͤumige Zim - mer in einer Folge enthalten, und nahe am Sprudel, dem Neubrunnen und Schloßbrun - nen liegen. Von denſelben fuͤhrt eine kurze Gaſſe, die ein weit vorgebautes Haus an ih -61 rem Ausgange ſehr enge macht, auf die Wei - ſe, eine Straße, die, links, mit einer einfa - chen Allee, und rechts, mit einer Reihe guter und bequemer Haͤuſer beſetzt iſt, die bis zu den Beluſtigungsſaͤlen fortlaͤuft, und mit die - ſen ſich endiget. Dieſe Halbſtraße, die den Namen von einer Wieſe hat, auf welcher ſie erbauet worden, iſt gewoͤhnlich bis in die Gie - bel der Haͤuſer ganz mit Brunnengaͤſten be - ſetzt, und wird uͤberhaupt fuͤr vornehmer ge - halten, weil die Wohnungen auf derſelben um drey, fuͤnf und zehn Gulden woͤchentlich theu - rer ſind, als die auf der entgegengeſetzten Seite der Stadt. Hier nimmt man in der That nur dann eine Wohnung, wenn am Markt und auf der Wieſe keine mehr zu be - kommen iſt, und man zieht auch hier noch die - jenigen Straßen vor, die am naͤchſten an dem Markt oder an der Wieſe liegen. Man hat aber ſchon vornehme Kranke wieder von Karlsbad abreiſen ſehen, weil ſie in den Mode - genden der Stadt keine Unterkunft mehr fin -62 den konnten; alles, um nicht zwiſchen Prie - ſtern, Kaufleuten, buͤrgerlichen Raͤthen und dergleichen Leuten, ihren Wohnplatz aufzu - ſchlagen, mit denen ſie doch uͤbrigens das Un - gluͤck haben, aus einerley Brunnen trinken zu muͤſſen. Doch auch vor dieſem Ungluͤcke wiſſen ſich einige zartfuͤhlende Kranke zur Haͤlfte zu verwahren, indem ſie ſich nicht in Per - ſon zu den Brunnenplaͤtzen unter den gemei - nen Schwall begeben, ſondern das Waſſer aus den Quellen nach ihrer Wohnung holen laſſen, unbeachtet, daß durch dieſen Uebertrag zwey Drittel der fixen Luft, des heilſamſten Grundtheils der Karlsbader Waſſer, verloren gehen.

Das Voͤlkchen, das dieſe Stadt bewohnt, iſt eines der gutmuͤthigſten, ehrlichſten und dienſtfertigſten in der oͤſterreichiſchen Monar - chie. Der vierfache Umſtand, daß ſie großen - theils von den Brunnengaͤſten leben, die, ſo lange ſie dort ſind, alle ihre noͤthigen und unnoͤthigen Beduͤrfniſſe von ihnen nehmen63 und noch, bey ihrer Abreiſe, dergleichen in Menge kaufen, um ſie, theils als Andenken, theils als Reiſegeſchenk, theils als Spiel und theils als Nutz-Werkzeuge mit nach Hauſe zu nehmen; daß ſie mit Kranken zu thun haben, die Huͤlfsleiſtung und Gefaͤlligkeit brauchen, und dieſe Tugenden durch ihren Zuſtand in guten Herzen erwecken; daß eben dieſe Kranke, was ſie an moraliſchen Fehlern mitbringen, weniger auffallend zeigen, weil Schmerzen und Schwachheit des Koͤrpers es verhindern; und endlich, daß ſie uͤber die Haͤlfte des Jah - res, unbeſucht, einſam, keiner Verfuͤhrung ausgeſetzt, zwiſchen ihren Bergen leben: dieſe Dinge bewirken wohl zunaͤchſt, daß ihr Ge - muͤth ſo rein und unverdorben bleibt, als es ſich wirklich zeigt, wenn man auch nicht die Bemerkung gemacht haben ſollte, daß die Be - wohner von Boͤhmen uͤberhaupt, diesſeits des Bergkranzes, der ihr Land umgiebt, noch beſ - ſer, wenn auch ungebildeter, als ihre Graͤnz - nachbarn, zu bleiben das Gluͤck gehabt haben.

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Reich ſind indeſſen die Karlsbader nicht, theils, weil ihre hauptſaͤchlichſte Erwerbsquelle nur vom May bis in den Oktober ſpringt; denn die Faͤlle ſind ſehr einzeln, wo auch im Spaͤtjahr und im Fruͤhjahre Brunnengaͤſte dort waͤren, obgleich die Brunnenaͤrzte behaup - ten, ihre Quellen koͤnnten auch im Winter ge - braucht werden; theils, weil ſie im Winter das wieder aufzehren, was ſie im Sommer gewonnen haben. Der gemeine Mann iſt naͤmlich nicht unbekannt mit dem Billard und dem Wein - Bier und Tanzhauſe, und die beſſern Klaſſen ſind es eben ſo wenig mit Schmaͤu - ſen, Baͤllen und ſogar Maskeraden. Dadurch kommt jedermann, gegen die Sommermonate, mit ſeinen Einkuͤnften in diejenige Ordnung zu - ruͤck, die den Karlsbadern, faſt ſo ſtreng, als ihr eigenes gutes Herz, gebietet, freundlich, zu - vorkommend und dienſtwillig gegen ihre Gaͤſte zu ſeyn. Ueber Ungeſchliffenheit, Trotz und doch Uebertheurung, die man ſo haͤufig in an - dern deutſchen Baͤdern, z. B. in Aachen undPyr -65Pyrmont findet, hat wohl noch nie ein Brun - nengaſt in Karlsbad zu klagen gehabt.

Die Bewohnerſchaft von Karlsbad beſteht faſt allein aus Kuͤnſtlern und Handwerkern, und zwar aus ſolchen, deren Arbeiten, außer einem allgemeinen Betrieb, auch einen beſon - dern bey den Brunnengaͤſten finden. Dahin gehoͤren beſonders die Nadler; (14 Meiſter), Zinngießer, (15 Meiſter), Tiſchler, (12 Meiſter), Buͤchſenmacher, (14 Meiſter), Schloſſer, (3 Meiſter), Guͤrtler, (5 Mei - ſter) und Meſſerſchmiedte, (25 Meiſter). *)Vergl. Karlsbad, beſchrieben zur Bequem - lichkeit der hohen Gaͤſte, daſelbſt, 1788 ein wunderlich geſchriebenes kleines Buch, dem ich aber bey obigen Angaben folgen zu koͤnnen glaubte, da es von einem Karlsbader Handwerker verfaßt zu ſeyn ſcheint.Die Tiſchler ſind hier beſonders geſchickt in kleinen Arbeiten, in Verfertigung von Putzti - ſchen und Putzkaͤſtchen, Theetiſchchen, und hundert andern Kleinigkeiten. Sie wiſſen dasFuͤnftes Heft. E66Holz, oder die Maſern, die ſie zum Verkleiden derſelben brauchen, ſehr geſchickt mit allerley Firniſſen und Beitzen zu uͤberziehen und zu durchlaſſen; aber nicht ſo geſchickt ſind ſie in der Vertheilung und Anordnung der Farben, und ihre Formen haben wenig Neues und Ab - wechſelndes. Sie ſind in dem letztern Punkte Schuͤler gegen die Franzoͤſiſchen und beſonders gegen die Engliſchen Kunſttiſchler, die mit Ein - falt und Schoͤnheit die hoͤchſtmoͤgliche Dauer - haftigkeit und Mannigfaltigkeit des Mechanis - mus zu verbinden pflegen. Aber man kauft auch in Karlsbad z. B. fuͤnf Schatullen fuͤr den Preis, wofuͤr man kaum Eine in Eng - land ſelbſt bekommen wuͤrde.

Die uͤbrigen oben angefuͤhrten Handwerker arbeiten in Meſſing, Eiſen, Stahl und in andern Metallen, nicht nur das, was ihr Name angiebt, ſondern auch uͤberhaupt alle Waaren, die ihre Geſchicklichkeit hervorbrin - gen kann, ohne daß ſie diesfalls ſtreng zunft - maͤßig einen Scheidungsſtrich gezogen haͤtten. 67Im Ganzen ſind ihre Arbeiten mit Fleiß, aber nicht immer mit Geſchmack gemacht, beſonders in Abſicht der Form, die ziemlich ſchwerfaͤllig zu ſeyn pflegt, und der Verzierung, die eine plumpe Schnoͤrkeley iſt. An dieſen beyden Stuͤcken erkennt man die Karlsbader hieher gehoͤrigen Waaren, wie man die Nuͤrnbergi - ſchen an ihrem eigenthuͤmlichen Geiſt erkennt. Man vermißt bey ihnen, wie bey den deut - ſchen, italiaͤniſchen und ſpaniſchen Handwer - kern uͤberhaupt, den Geiſt der Verfeinerung und Erfindung, den die englaͤndiſchen und franzoͤſiſchen in ſo hohem Grade beſitzen, und den die erſtern noch mit dem Geiſt der Vol - lendung, dem Triumph aller ihrer Manufak - tur - und Fabrikwaaren, verbinden.

Da die Kuͤnſte und Handwerke einer Stadt keinen unverwerflichen Maßſtab von dem Ver - trieb, Bedarf, Genuß und ſogar von dem Cha - rakter ihrer Einwohner abgeben, ſo erlaube man mir, noch anzumerken, daß in Karlsbad nur Ein Apotheker aber dreyzehn Baͤcker, nurE 268Ein Juwelier aber neun Wollenzeugmacher, nur Ein Buchbinder aber ſieben Gaſtwirthe, nur Ein Goldarbeiter aber eilf Schuhmacher, nur fuͤnf Maurer aber vierzehn Schneider, keine Buchhandlung aber ſechs Speiſewirthe, kein Advokat aber achtzehn Fleiſcher vorhanden ſind. Kein Modenhaͤndler von allen, die, den Sommer uͤber, zu ſechs bis acht in Karlsbad ſind, iſt dort anſaͤßig, aber wohl ſind es eilf Kraͤmer, die mit brauchbaren oder unentbehr - lichen Dingen, vom Salze an, bis zum Unga - riſchen Wein herab, ein lebhaftes Gewerbe treiben.

Karlsbad beſitzt fuͤnf Geſundheitsquellen, die ordentlich gefaßt ſind und zur Kur gebraucht werden: den Sprudel, das Muͤhlbad, den Neubrunnen, den Gartenbrunnen und den Schloßbrunnen. Kleinere Adern, aus denen warmes Waſſer herausſickert, ſind mehrere vorhanden. *)Leſern, die ſich in chemiſcher Hinſicht uͤber dieſe Quellen naͤher unterrichten wollen, empfehle ich des

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Die ergiebigſte Quelle und zugleich die heiſſeſte, iſt der Sprudel, doch erreicht ſeine Hitze nicht ganz den Grad des Kochens. Sein Waſſer faͤllt nicht unangenehm auf die Zunge und wird, dem Geſchmacke nach, gewoͤhnlich einer leicht geſalzenen Huͤhnerbruͤho verglichen, mit dem es in der That große Aehnlichkeit hat. Seine Farbe iſt klar; dieſe Klarheit ver - liert ſich aber, wenn es eine Weile ſteht, und es nimmt eine weißliche Farbe an, indem es zugleich zarte, weißgelbliche Kalktheilchen fal - len laͤßt, die den Koͤrper, auf den ſie fallen, verſintern. So entſtehen die ſogenannten Ver - ſteinerungen, die man zum Andenken aus Karlsbad mitzubringen pflegt. Die Beſtand - theile dieſes Waſſers ſind luftſaures Mine -*)verſtorbenen D. Bechers: Neue Abhandlun - gen uͤber das Karlsbad ꝛc. Leipzig 1789. Neuer ſind die Verſuche des Herrn Prof. Klap - roths in Berlin, die er in der kleinen Schrift Chemiſche Unterſuchung der Mineral - quellen zu Karlsbad bekannt gemacht hat. Berlin, 1790.70 ralalkali, Glauberſalz, Kochſalz, luftſaure Kalk - erde, Kieſelerde und eine geringe Spur von Eiſenſtoff.

Dieſelben Beſtandtheile haben auch die uͤbrigen Quellen, und die Miſchung derſelben untereinander iſt ſich ziemlich gleich, bis auf die Luftſaͤure, deren die eine Quelle, je nach - dem ſie heißer oder kuͤhler iſt, mehr oder we - niger als die andere mit ſich fuͤhrt.

Die Muͤhlbadquelle iſt laulicht und hat bey weitem nicht den geiſtigen Geſchmack des Sprudels, weil ſie nicht ſo viel fixe Luft enthaͤlt. Man bedient ſich ihrer auch ſelten fuͤr Kranke, es muͤßten denn ſolche ſeyn, die ſehr ſchwache reitzbare Nerven haͤtten und de - nen deshalb die Hitze des Sprudels ſchaͤdlich wuͤrde. Doch empfiehlt man in dieſem Falle haͤufiger den Schloßbrunnen.

Der Neubrunnen hat ebenfalls nicht den Grad der Hitze des Sprudels und ſchmeckt deshalb merklich matter. Er war in dieſem Jahre (1793) der Modebrunnen. Alles, was71 ſchoͤn war, trank an demſelben, und was ga - lant war, trank hier auch. Man fand den Sprudel, ſeiner Hitze wegen, zu angreifend, und ein paar Brunnenaͤrzte naͤhrten dies Vor - urtheil, bloß um etwas anderes zu empfehlen, als der verſtorbene Becher, der beſtaͤndig auf den Gebrauch des Sprudels gedrungen hatte.

Nicht weit vom Neubrunnen, unter der - ſelben hoͤlzernen Gallerie, die man, zur Be - quemlichkeit der Trinker, erbauet hat, dringt noch eine andere Quelle, die, meines Wiſſens, noch keinen Namen fuͤhrt, in einem ſtarken Strahle hervor. Sie iſt ſo heiß, als der Sprudel, aber eine der juͤngſten. Kranke, die ſich ſtaͤrkere Nerven zutrauen, trinken ſie be - ſonders.

Der Gartenbrunnen ſpringt oberhalb des Neubrunnens, am Abhange des Granit - berges, an deſſen Fuße letzterer hervordringt. Ich weiß nicht, warum man ihn den Garten - brunnen nennt, denn außer vier oder fuͤnf Baͤumen, die an der rechten Seite des ſchma -72 len, dazu gehoͤrigen, Spatzierplatzes ſtehen, findet man keine Spur von einem Garten. Dieſer Brunnen fließt nicht ununterbrochen aus ſeiner Roͤhre, ſondern in Abſaͤtzen, und kommt mit einem rauſchenden Schaume zum Vorſchein. Er wird zwar in gewiſſen Faͤllen von den Brunnenaͤrzten empfohlen, aber ge - woͤhnlich trinkt man ihn nur zur Abwechs - lung, oder aus Neugier. Er iſt uͤbrigens lau, und hatte dieſes Jahr einen ſtarken Schwe - felgeſchmack, den Kenner ſeiner neugeſetzten Roͤhre zuſchrieben.

Noch lauer iſt der Schloßbrunnen, zu dem man, vom Markt aus, hinauf ſteigt, und der beſonders nervenſchwachen Perſonen, wel - che die Hitze der vorhin erwaͤhnten Quellen nicht ertragen, empfohlen wird.

Die Wirkung dieſer Quellen iſt, im Gan - zen genommen, mehr oder weniger dieſelbe: ſie reinigen die erſten Wege, verduͤnnen und verſuͤßen das Blut, und fuͤhren die darinn befindliche Schaͤrfe gelind und allmaͤhlich ab. 73Daraus wird klar, was fuͤr Krankheiten ſie zunaͤchſt heilen oder mildern. Verſtopfungen der Gedaͤrme, Gekroͤſe und Nieren, Stein, Gries, noch nicht eingewurzelte Gicht, Hypo - chondrie und Melancholie, Magenkraͤmpfe, Kopfweh, Nervenzufaͤlle, ſelbſt epileptiſche, wenn ſie ſich von Anhaͤufungen im Unterleibe herſchreiben: alle dieſe und andere damit ver - wandte Krankheiten werden durch ſie theils gehoben, theils abgeleitet; aber auf die ganze Gattung der hitzigen Krankheiten wirken ſie wenig oder gar nicht, und manche Kranke, die mit ſolchen behaftet waren, haben in Karlsbad ihr Grab gefunden, wenn ihr Haus - arzt ſo unwiſſend war, ihnen die hieſigen Quellen zu empfehlen, und ihr Brunnenarzt ſo leichtſinnig, ihnen den Gebrauch derſelben zu geſtatten. Ueberhaupt, wer eine nahmhafte Krankheit hat, die nicht aus Verſtopfung des Unterleibes entſteht, der ſuche hier weder Huͤlfe noch Erleichterung; und ſo auch der, der in Karlsbad ſelbſt mit irgend einem Uebel, auf74 welches der hieſige Brunnen nicht wirkt, be - fallen wuͤrde. Die Brunnenaͤrzte haben, in der Behandlung ſolcher Krankheiten, die hier nicht gewoͤhnlich vorkommen, geringe Erfah - rung, und benehmen ſich dabey ſehr furcht - ſam wenigſtens. Auch pflegen ſie aus Politik (was in dieſem Falle ein Gluͤck iſt) ſolchen Kranken zur Entfernung zu rathen, damit ſie nicht etwa in Karlsbad ſterben und deſſen Quellen einen uͤbeln Ruf zuziehen moͤgen.

Da die Genoſſen unſeres Zeitalters, maͤnn - lichen und weiblichen Geſchlechts, Juͤngere wie Aeltere, vorzuͤglich am Stilleſitzen, an der Anſtrengung und Schonung des Kopfes, an den Arbeiten der Phantaſie, des Stickrahms, der Eitelkeit, oder mithin auch am Schnuͤren und an engen Beinkleidern, ferner an Romanen - und Zeitungsleſerey, am Buͤchermachen, am Trinken ſchlechter und ſchwerer Weine, an der Naſchſucht, an der platoniſchen oder nicht platoniſchen Liebe, und an der Mode - und Genußjaͤgerey leiden: ſo kann man, nach den75 traͤge machenden, verſtopfenden, zuſammen ziehenden und unnatuͤrlich erhitzenden Eigen - ſchaften aller dieſer geiſtigen und koͤrperlichen Dinge, von ſelbſt ermeſſen, daß derjenigen Kranken, die ganz beſonders nach Karlsbad gehoͤren, eine betraͤchtliche Anzahl ſeyn muͤſſe. Wirklich ſchließen die Gegenden, in welchen Karlsbad bekannt und beruͤhmt iſt, ſo viel Kranke dieſer Art ein, daß ſie deſſen Quellen, vom Anfang des Mayes an, bis gegen das Ende des Oktobers, mit fuͤnf, funfzig, hun - dert, dreyhundert, und dann wiederum mit hundert und funfzig, achtzig, dreyßig und zwey Perſonen beſetzt halten koͤnnen.

Die Zeitpunkte naͤmlich, in denen man Karlsbad beſucht, beſtimmt theils die Noth - wendigkeit, theils die Mode, theils die haͤus - liche und geſchaͤftliche Lage, theils das oͤkono - miſche Vermoͤgen und Unvermoͤgen. Ein Kranker, der, den Winter hindurch, wirklich oder eingebildet, danieder gelegen und ſeine Hoffnung auf den Sprudel geſetzt hat, ſucht76 ihn ſchon zu Ende des Aprils auf und bleibt bey ihm bis zu Ende des Maymonats. Er findet vielleicht nur fuͤnf bis zehn Mitkranke. Ein Anderer, deſſen Zufaͤlle ſo dringend noch nicht ſind, bringt von der Mitte des Mayes bis zur Mitte des Junius in Karlsbad zu, und reiſet von dort ab, gerade, wenn ſich die große Geſellſchaft einzufinden pflegt. Die Glieder der letztern ſind immer am wenigſten krank, und ſolche, die entweder alle Jahr zum Vergnuͤgen eine Badereiſe zu thun pfle - gen; oder in der Naͤhe von Karlsbad auf dem Lande wohnen, und Zerſtreuung ſuchen; oder eine Reihe von Toͤchtern haben, die ſie abge - kuͤrzt zu ſehen wuͤnſchen; oder das Kartenſpiel, nicht zunaͤchſt fuͤr ihr Vergnuͤgen, ſondern fuͤr ihre Erhaltung, lieben; oder irgend einem Großen folgen, um ihm, bey der minder ge - bundenen Art zu leben im Bade, naͤher zu kommen und von ihm verſorgt zu werden; oder endlich von dem dortigen kleinen Publi - kum mehr bemerkt zu werden wuͤnſchen, als77 es in einer Hauptſtadt ſeyn kann, wo ein paar Poſtzuͤge, eine diamantene Hutſchleife, einige Freybaͤlle und eine offene Tafel nicht den Hof um ſie verſammeln, den ſie ſich hier durch ſolche Dinge verſchaffen koͤnnen. Der Zeit - punkt alſo, wo dieſe Art von Afterkranken in Karlsbad lebt, iſt der glaͤnzendſte, aber auch der beſchwerlichſte fuͤr wirkliche Kranke. Dieſe finden kein bequemes Unterkommen mehr; wer - den am Sprudel von ungeſchliffenen Bedien - ten gedraͤngt, die den Becher ihrer Herrſchaft eher fuͤllen wollen, als ſie den ihrigen; wer - den auf der Wieſe, neben den vorbey fliegen - den Karoſſen bald vom Staub erſtickt, bald uͤber und uͤber mit Unrath beſpruͤtzt; werden aus der Allee von den breiten Reihen der Herren und Damen weggeſchoben, oder von eben denſelben, wenn ſie die dortigen Baͤnke beſetzt halten, vom Kopf bis zu den Fuͤßen gemuſtert; finden kein Plaͤtzchen mehr, weder in Fiſchern, noch in dem Garten des Poſtmeiſters, wo ſie mit einer kleinen Ge -78 ſellſchaft von Freunden eſſen wollten; und kurz, ſie werden von den Nichtkranken uͤberall ſo in die Enge getrieben, daß ſie, aus Man - gel der noͤthigen Ruhe, Ungezwungenheit und Heiterkeit, die Haͤlfte ihres eigentlichen Zweckes verfehlen. Dies Geraͤuſch dauert von den erſten Tagen des Junius bis ungefaͤhr zu den letzten des Julius, wo es ſich auf einmal, meiſt immer in drey Tagen, verliert, weil die Geſellſchaft, die es machte, ſich gleichſam das Wort gegeben hatte, zu gleicher Zeit zu kom - men und zu gehen.

Jetzt ſchoͤpfen die uͤbrigen Brunnengaͤſte wieder Athem, und ihre Anzahl wird durch ſolche Geſchaͤftsleute vermehrt, die nur in den Hundestagen ihre Geſundheit wahr - nehmen koͤnnen; oder durch ſolche ſchuͤchterne Kranke, die am liebſten unter Ihresgleichen ſind; oder durch ſolche, welche die geſunkenen Preiſe der Miethen und anderer Beduͤrfniſſe zu benutzen gezwungen ſind. Um dieſe Zeit wird Karlsbad immer ſtiller und leerer und79 die Fremden ſind unter den Einwohnern kaum zu bemerken. Dieſer Zeitraum dauert bis zum Anfange des Septembers, wo noch Landwir - the, Prediger aus der Nachbarſchaft, Kraͤmer mit ihren Frauen und Kindern und Landleute nach Karlsbad kommen. Sie bleiben bis in den Oktober dort, und man ſieht ſie in klei - nen Haufen auf der Wieſe oder unter der Al - lee ſpatzieren gehen. In den Beluſtigungsſaͤ - len iſt niemand mehr, die Schauſpieler und Spielleute ſind ausgewandert. Die Saͤle end - lich werden geſchloſſen, das Poſtamt iſt ge - ſperrt, die Wirthinnen und ihre Maͤgde ha - ben die guten Kleider abgelegt, die Kuͤnſtler und Handwerker haben ihre Arbeiten ein - gepackt und am Sprudel oder Neubrunnen wandeln einzelne Kloſterbruͤder, die ihr Bre - vier leſen, und, was ihnen ſo ſelten begegnet, Waſſer dazu trinken.

Die Brunnengaͤſte, die nach Karlsbad kom - men, finden folgende Bequemlichkeiten und Unbequemlichkeiten:

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Ihre Wohnungen haben ſie bey treuen, redlichen, theilnehmenden Leuten. Dieſe Woh - nungen kann man ſich, wenn man fruͤh ge - nug vor dem lebhaften Zeitpunkte kommt, und vor dem Eintritt deſſelben wieder abreiſen will, ganz nach ſeinem Beduͤrfniſſe und Vergnuͤgen waͤhlen. Die weitlaͤuftigen ſind zwar immer ſchon im Voraus von vermoͤgenden Brunnen - gaͤſten beſprochen und werden von dieſer Zeit an bezahlt; will man aber vor dem feſtgeſetzten Tage ihrer Ankunft abreiſen, oder ausziehen, ſo kann man auch dieſe erhalten, ſo wie man ſie ein - nehmen kann, wenn die erſten Beſteller derſel - ben abgereiſet oder ausgezogen ſind, im Fall ſie nicht ſchon von neuem beſprochen worden. Dieſe erſte Klaſſe der Wohnungen iſt auch die theuerſte, und man bezahlt ſie woͤchentlich mit 15, 20, 30 und 40 Kaiſergulden. Die Haͤuſer, die dergleichen enthalten, habe ich oben an - gegeben; hier fuͤge ich noch das ſogenannte ſteinerne Haus auf der Wieſe, Nr. 299, hinzu, wo große Familien mit ihrem GefolgePlatz81Platz finden koͤnnen. Die Modegegenden der Stadt habe ich oben angezeigt. In dieſen fin - det man mehr oder weniger geraͤumige Woh - nungen, woͤchentlich zu 20, 15, 12, 10 und 8 Kaiſergulden, wie man dergleichen in den unmodiſchen oder gemeinen, zu 2, 4, 5, 6 und 7 haben kann. In den Haͤuſern am rechten Ufer der Toͤpel, der Wieſe gegenuͤber, miethet man ſich ſelten ein; hoͤchſtens werden ſie von Juden beſetzt. Eben ſo iſt es mit demjenigen Theile der Stadt, der nach dem Eger'ſchen Thore zuliegt.

Wer ſein Auge an Englaͤndiſchen Hausrath gewoͤhnt hat, findet in Karlsbad dieſen Ge - nuß nicht. Die Stuͤhle, Tiſche und Ruheſeſ - ſel ſind von der gemeinſten Arbeit, und ge - ſchmackvolle Gefaͤße, Fußteppiche und Schraͤn - ke ſieht man gar nicht. Anſtatt der Kupfer - ſtiche findet man nichts, als bunte Chriſtkind - chen, durchbohrte Herzen, zerfleiſchte heilige Maͤnner und Frauen, von Nonnen gemalt, ausgeſchnitten und mit Nadelſtichen angegeben. Fuͤnftes Heft. F82Die wenigſten Zimmer ſind gemalt, die mei - ſten bloß geweißt. Die Betten ſind gut, das Bettzeug iſt buͤrgerlich, aber ſauber gehalten. Die Tiſch-Mund - und Handtuͤcher ſind von gleicher Beſchaffenheit.

Die Trinkwaaren ſind in Karlsbad durch - gaͤngig matt, aus Mangel an friſchen Kellern, die beſonders am Markt und in der Gegend deſſelben, von den Duͤnſten, die aus dem un - ter ihnen liegenden, großen Behaͤlter des ſie - denden Waſſers emporſteigen, durchdrungen werden.

Da man des vielen Waſſers wegen, das man des Morgens aus der Quelle getrunken hat, nicht wohl den Tag uͤber noch anderes Waſſer trinken kann, ſo iſt man auf den Ge - nuß des Weins oder des Bieres eingeſchraͤnkt. Die Brunnenaͤrzte rathen vor allen uͤbrigen Gattungen des erſtern, am liebſten zum Mel - nicker, einem leichten rothen Wein, der in Boͤhmen ſelbſt um den Ort her waͤchſt, von dem er ſeinen Namen hat. Sie erlauben auch83 einige Arten Ungerweins; nicht ſo gerne den Oeſterreicher und Rheinwein. Das hieſige Bier iſt leicht, wie es fuͤr Kranke ſeyn muß. Engliſche Biere ſind, als nicht paſſend zur Kur, unterſagt. Kaffee und Chokolade darf man trinken. Thee nicht.

Die Speiſen haben hier einen eigenen Cha - rakter von Weichlichkeit und Ungeſchmalzen - heit. Man will theils dem ausgeſchwemmten Magen nicht zur Laſt fallen, theils darf man nicht, da bey den Speiſewirthen eine ausdruͤck - liche Kuͤchenvorſchrift vorhanden iſt. Geſalzene und geraͤucherte Gerichte ſind gaͤnzlich verboten, und wenn man dergleichen verlangte, wuͤrde ſich der Garkoch entſchuldigen; dagegen ſind alle Arten von Wild (bis auf das Schwein) von Federvieh, (Gaͤnſe ausgeſchloſſen) von zah - men Fleiſche, von Mehlſpeiſen (wohin der waͤlſche Reis, die Nockerl, die Schmarn, die Steudel, die Kolatſchen, der geba - ckene Gries, und wie ſie im boͤhmiſch oͤſter - reichiſchen Kuͤchenwoͤrterbuch alle heißen) zuF 284eſſen erlaubt. Die Gaben ſind klein, aber auch wohlfeil. Fuͤr zwanzig Kreutzer kann der Kranke, der Philoſophie hat, ſich ſatt eſſen; fuͤr fuͤnf und vierzig der, der keine hat .. Oeffent - liche Tiſche giebt es in Karlsbad nicht. Man muß entweder auf ſeinem Zimmer allein eſſen, oder man kann ſich auch mit ſeinen Hauſge - noſſen oder Nachbarn ſo einrichten, daß man mit ihnen, bald in ſeinem Hauſe, bald in dem ihrigen, ſpeiſet. Was der Mangel an oͤffent - lichen Tafeln der Geſelligkeit abbricht, laͤßt er der Geſundheit zu gute kommen. Man iſt nie ſo maͤßig, wenn man mit Zwanzigen, als wenn man mit ſich allein das Brod bricht und daſ Glas handhabt.

Die Einrichtung der verſchiedenen Brun - nenplaͤtze und der Baͤder, iſt nicht glaͤnzend, nicht bequem, kaum ertraͤglich. Das Trinken des Karlsbader Waſſers braucht viel Bewe - gung, damit es aus dem Magen in die uͤbri - gen Gefaͤße des Koͤrpers vertrieben werden koͤnne. Aber bey keinem der Brunnen iſt ein85 Platz, der eine freye und friſche Bewegung erlaubte. Der am Sprudel iſt ſehr ſchmal und ſehr kurz, und man muß ſich durch die Aufundabgehenden hindurch draͤngen und win - den. Das Waſſer erhitzt von innen, der Dampf des Sprudels und das Gedraͤnge von außem, und die Sonne, die gegen ſieben Uhr dieſen Platz, den kein Baum beſchattet, zu beleuch - ten anfaͤngt, thut das Uebrige. Wenn es reg - net, ſo iſt zwar ein Saal da, wo man ſich trocken erhalten kann, da er aber uͤber dem Waſſerbehaͤlter ſteht, ſo iſt die Luft darin ſo lau und ſo waͤſſerig, daß man bald Aengſt - lichkeit oder Kopfweh fuͤhlt, und ſich lieber entſchließt, in den Regen hinaus zu gehen.

Eben ſo iſt es am Neubrunnen. Ein ſchma - ler Gang, mit einem Wetterdache verſehen (das ſchon im erſten Jahre ſeiner Erbauung anfaͤngt, ſich ſchlangenfoͤrmig zu winden) fuͤhrt, ungefaͤhr hundert Schritte, auf und ab, ſchuͤtzt vor der Morgenſonne nicht und ſchließt doch oft hundert bis zwey hundert Menſchen ein. 86Alle ſind erhitzt und werden es durch das Waſ - ſertrinken und das Gedraͤnge noch mehr. Dazu kommen die Ausduͤnſtungen von einer Menge geheimer Oerter, die der Genuß des Waſſers unentbehrlich macht, und die, der Reihe nach, auf eben dieſem Gange angebracht ſind. Wenn es nicht regnet, kann man ſich vor den daraus entſtehenden Unbequemlichkeiten dadurch ret - ten, daß man auf der nahe gelegenen, ſehr kurzen und ungleich gebaͤlkten, Toͤpelbruͤcke auf und ab geht, regnet es aber, ſo muß man ſich doch unter den gedachten Gang ins Ge - draͤnge zuruͤck ziehen.

Eben ſo unbequem iſt auch der Raum am Schloßbrunnen. Man muß, wenn man ſich bewegen will, von demſelben, auf einem ſchlech - ten Pflaſter, den Berg hinanſteigen, und mit einem kleinen Platze, der ungefaͤhr funfzig Fuß lang, und zwanzig breit iſt, uͤbrigens weder vor Regen noch Sonne ſchuͤtzt, ſich begnuͤgen. Jeden neuen Becher Waſſer muß man ſich durch ein beſchwerliches Herab - und Wiederhinauf - klettern verſchaffen.

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In Abſicht der Baͤder hat man es nicht bequemer. Zwar iſt ein Badehaus da, das Muͤhlbad genannt, aber es enthaͤlt zu we - nig Baͤder fuͤr den Bedarf. Man muß oͤf - ters acht Tage vorher beſtellen, ehe man eins bekoͤmmt, und nachher mehrere Tage wieder - um warten, ehe man das zweyte haben kann. Es bleibt kein anderes Mittel, als in die fin - ſtern Badehoͤlen hinabzuſteigen, die man in ei - nigen Buͤrgerhaͤuſern, in der Nachbarſchaft des Sprudels, findet. Sie ſind im Kellerge - ſchoß der Haͤuſer angelegt, wo ein viereckigtes Loch, das mit gewoͤhnlichen, ſchwarz gewor - denen Brettern ausgelegt iſt, das Bad vor - ſtellt. Das Waſſer fließt durch eine hoͤlzerne Roͤhre herein, aus welcher man, nicht etwa mittelſt eines Hahns, ſondern mittelſt einer Stange, die in die Oefnung paßt, und die mit Hadern umwunden iſt, ſo viel von dem warmen Waſſer hereinlaſſen kann, als man fuͤr gut findet, im Fall das Waſſer in dem viereckigten Loche (das mehrere Stunden ſtehen88 muß, ehe es zum Gebrauch genug abgekuͤhlt iſt) zu kalt geworden waͤre. Man bezahlt fuͤr ein ſolches Bad nach Belieben, von funfzehn Kreutzer bis zu dreyßig. Die Baͤder in dem gedachten Muͤhlbade ſind ſauber, mit Mar - mor ausgeſetzt, ſehr geraͤumig, und haben ne - ben ſich ein Zimmer mit einer Bettſtelle, die man mit ſeinen eigenen Betten belegen kann. Der feſte Preis eines Bades iſt vier und dreyßig Kreutzer; man giebt aber gewoͤhnlich etwas mehr und fuͤgt ein Geſchenk fuͤr den Bademeiſter hinzu.

In Abſicht der Spatziergaͤnge iſt man in Karlsbad beſſer berathen. Es giebt ihrer mehrere und man kann nach ſeinem Beduͤrf - niſſe waͤhlen. Wer eine gute Bruſt hat, be - ſteigt, der ſchoͤnen Ausſicht wegen, die umlie - genden Berge, beſonders den Kreutzberg, der die weitlaͤuftigſte gewaͤhrt; wer das Steigen nicht liebt oder nicht ertraͤgt, verfolgt das Thal, in welchem die Toͤpel herabkoͤmmt, uͤber ange - nehme Wieſen, die an beyden Seiten durch89 bald hoͤhere, bald niedrigere Berge und Anhoͤ - hen eingeſchloſſen werden. Dieſe ſind mit Na - del - und Laubholz beſetzt, oder mit Getreide beſaͤet, neben und unter welchen große und kleine Granitmaſſen hervorragen. Man koͤmmt bald, wenn man aus der vierfachen Allee hin - ter den Beluſtigungsſaͤlen heraus iſt, links vor einer artigen Felſenanlage vorbey, die mit ei - nigen Luſthaͤuschen, mit einer Klauſe, mit ei - nem Altare, mit ſteinernen Tiſchen und dergl. beſetzt, und der regierenden Herzogin von Kur - land, Dorotheen, die, ſeit einigen Jahren her, die Seele und Zierde von Karlsbad war, gewidmet iſt. Einige Schritte weiter hin wen - det ſich das Thal rechts, und man koͤmmt vor einer andern Anlage vorbey, die erſt ſeit dem vorigen Herbſte vorhanden iſt. Ein klei - ner Garten ſchließt ein ganz angenehmes Luſt - haͤuschen und ein groͤßeres Wirthſchaftsgebaͤude ein, in welchem man - und Trinkwaaren fuͤr einzelne Perſonen und, wenn vorher beſtellt worden, fuͤr ganze Geſellſchaften findet. Wei -90 ter hin kommt man durch ein ſchattigtes Wal - digt, mit Granitwacken beſaͤet, unter denen, auf einer romantiſchen Stelle, der Freund - ſchaft ein Sitz und Altar von einer Frau errichtet iſt, die dieſe wohlthaͤtige Gottheit kennt und verehrt, und befugt war, ihr, die uͤber den modernen Goͤttern und Goͤttinnen, welche die Menſchen jetzt anbeten, faſt vergeſ - ſen worden, in dem ſchoͤnen Pantheon der Natur ein prunkloſes Plaͤtzchen zu weihen. Weiterhin erhellt und erweitert ſich das Thal und man gelangt zu einer Papiermuͤhle, dem Ziele des Spatziergangs, deren Bewohner ehedem die Wanderer froͤhlich aufnahmen, jetzt aber, da auch Menſchen dahin kamen, die kein Gefuͤhl fuͤr gutmuͤthigen Empfang und den dafuͤr zu zollenden Dank hatten, und das fuͤr Pflicht hielten was gute Her - zen aus innerm Antriebe thaten, ſich zuruͤck gezogen, und ihre einſame Woh - nung dem Genuſſe Anderer verſchloſſen haben.

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Des Spatziergangs am Abhange der Ber - ge habe ich ſchon oben erwaͤhnt. Er fuͤhrt an den Felſen, die am linken Ufer der Toͤpel liegen, herum, gewaͤhrt eine Ueberſicht uͤber den groͤßeſten Theil der Stadt, und endigt ſich faſt dem Schloſſe gegen uͤber. Die Brun - nengaͤſte, die auf der Wieſe wohnen, koͤnnen aus dem zweyten und dritten Stock ihrer Haͤu - ſer auf dieſen Spatziergang gelangen, der aber hypochondriſchen, ſchwindlichten, oder auch nur furchtſamen Perſonen, nicht empfohlen werden kann, da er ſehr ſchmal iſt, da an einigen Stellen die Einfaſſungen niedergefallen oder von Regenſtroͤmen weggeriſſen ſind, und da die großen Felſenſtuͤcke, die einem uͤber dem Haupte, auf verwitterten Grundlagen, ſchwe - ben, bey jedem Windſtoß, herunter zu ſtuͤrzen drohen. In der That ſind die Haͤuſer, die an dem Fuße dieſes Felſen ſtehen, in augen - ſcheinlicher Gefahr, uͤber kurz oder lang ein - mal von ſolchen abgeriſſenen Steinklumpen zerknirſcht zu werden.

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Man geht oder faͤhrt auch haͤufig nach Fi - ſchern, einem kleinen Dorfe, drey Viertel - ſtunden von Karlsbad gelegen, wo man ſich an guten Fiſchen fuͤr die Faſten erholen kann, die einem die Speiſewirthe in der Stadt auf - erlegen.

Ungefaͤhr anderthalb Meilen von Karlsbad liegt Engelhaus, ein kleiner Ort mit den Truͤmmern eines alten Schloſſes, die auf ei - nem ziemlich ſteilen Porphyrſchieferberge ver - wittern, von dem herab man eine weitlaͤuftige, etwas wilde, Ausſicht uͤber die umliegenden ſchwarzen Berge genießt. Unten am Berge iſt ein Wirthshaus, wo zahlreiche Geſellſchaften bewirthet werden koͤnnen, wenn ſie vorher an - ſagen laſſen, oder wenn ſie ihre Beduͤrfniſſe ſelbſt mitbringen.

Man faͤhrt auch haͤufig nach Schlacken - werth, um ſich in dem dortigen großen Gar - ten zu beluſtigen.

Die Tagesordnung in Karlsbad iſt fol - gende:

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Man ſteht zwiſchen fuͤnf und ſechs Uhr auf und verfuͤgt ſich zu dem Brunnen, den der Brunnenarzt, oder man ſich ſelbſt, verord - net hat. Hier trinkt man nach eigenem Gut - duͤnken, oder nach Vorſchrift des Arztes, fuͤnf zehn, funfzehn bis zwanzig Becher, je nach - dem man ſtark oder ſchwach iſt, je nachdem die Wirkung ſchneller oder langſamer erfolgt. An Unterhaltung dabey, wenigſtens an eine unabgebrochene, iſt nicht zu denken, da ſie der letzt erwaͤhnte Umſtand unmoͤglich macht. Je - der iſt mit der Anzahl der getrunkenen Becher und deren Wirk - oder Unwirkſamkeit beſchaͤf - tigt, und will man einander ja ein Wort an - gewinnen, ſo verhindert es ein Gang, den man zu machen nicht unterlaſſen kann.

Gegen acht Uhr wird es an den verſchie - denen Quellen von Trinkern ganz leer. Es iſt eine von den hieſigen Aerzten vorgeſchriebe - ne Regel, eine Stunde zu Hauſe zu bleiben und ſich abzuwarten, ehe man ſich in einem der Saͤle ein Fruͤhſtuͤck ſucht; oder auch, eine94 Stunde in einem ſtoßenden Wiener Wagen, deren man bey dem hieſigen Poſtmeiſter meh - rere findet, herum zu fahren. Giebt es ein Fruͤhſtuͤck mit Muſik und Tanz in einem der Saͤle, ſo kann man ſich dort die noͤthige Be - wegung verſchaffen. Will man nicht Theil daran nehmen, oder iſt man nicht dazu einge - laden, ſo geht man ſpatzieren, oder ſetzt ſich an einen Spieltiſch, oder ſpielt Billard, oder reitet, oder nimmt Theil an einer Unterhal - tung in der Allee. Wer bloß beobachten will, nimmt einen Platz auf einer der dort ſtehenden Baͤnke ein, und laͤßt die jungen und alten Pa - tienten vor ſich voruͤber reiten, fahren, ſprin - gen und hinken, einen jeden nach ſeiner Weiſe. Denn hier zeigt der Brunnengaſt, der einen huͤbſchen Englaͤnder hat, ſeinen Englaͤnder, und ſich ſelbſt, indem er mit ihm uͤber einen Verſchlag ſpringt; hier zeigt ein anderer, der einen ausgeſuchten Poſtzug beſitzt, ſeine ſtolzen Gaule, indem er in den aͤußern Gaͤngen, auf einem erhabenen Throne, von vier Raͤdern ge -95 tragen herum ſchwimmt; hier zeigt ein drit - ter ſeine beyden großen Uhrketten und ſeinen kleinen zierlichen Frack, mit denen er das Au - ge von den Gichtknoten an ſeinen Spindel - fuͤßen gern abziehen moͤchte; hier zeigt ein ſelbſtzufriedener Doktor und Profeſſor durch ſchnelles Hin - und Wiederlaufen zu vornehmen Herren und Damen, daß ſeine Krankheit noch immer nicht in die Fuͤße herab will; hier zeigt ein beſcheidener Dorfpfarrer, ſeine altmodiſche Haͤlfte am Arme, und in den entferntern Al - leen wie auf den Zehen herumtrippelnd, daß er wenig Vertrauen mehr zu ſeinem Amte habe; hier zeigt der alte Podagriſt, zierlich friſirt, den Hut unterm Arm, die Fuͤße in Sammet geſchnuͤrt, einen Becher Chokolade zwiſchen den ſpitzen Fingern haltend, jedem huͤbſchen jungen Maͤdchen was Schoͤnes erzaͤh - lend, daß bey ihm die Strafe fuͤr ſeine Suͤn - den den guten Willen zu ſuͤndigen noch nicht ausgebiſſen hat; hier zeigt endlich der Menſch der krank iſt alle ſeine junge und alte96 Gebrechen, Schwachheiten und Narrheiten of - fener und ſcheuloſer, weil er, da er krank iſt, weniger auf ſeiner Hut bleibt, oder weil er glaubt, daß man ihm in dieſem Zuſtande mehr verzeihen werde.

Dieß Schauſpiel dauert bis gegen zwoͤlf Uhr, wo man nach Hauſe eilt, um ſeinen ſchmalen Biſſen zu eſſen. Nach dieſem Ge - ſchaͤft iſt es erlaubt, einige Minuten zu ſchlum - mern, aber nicht, foͤrmlich zu ſchlafen. Die Damen gehen an den Putztiſch und kleiden ſich zum Ball, der um vier Uhr ſeinen An - fang nehmen ſoll. Die Herren, die Theil dar - an nehmen wollen, ſetzen ſich etwas ſpaͤter zu demſelben Geſchaͤfte. Andere ſchreiben Briefe, doch ſind ſie auf ihrer Huth gegen den Brun - nenarzt, der alles Denken und Schreiben waͤh - rend der Kur unterſagt hat; andere haben ei - nen Spatziergang, eine Landfahrt und ein gemeinſchaftliches Abendeſſen verabredet; andere etwas anderes. So vergeht der Nachmittag und ein Theil des Abends. Gegen neun Uhriſt97iſt der Ball zu Ende, die Spatziergaͤnger oder Spatzierfahrer kommen in die Stadt zuruͤck, diejenigen, die nicht außer derſelben geweſen ſind, gehen noch einigemal auf der Wieſe, oder in der Allee, auf und ab, und nach neun Uhr endlich ſucht jedermann ſein Bette.

Der Ton der Badegeſellſchaft iſt ſich nicht zu allen Zeiten gleich. Jede Erneuerung der - ſelben bringt einen andern mit, und ſolche Er - neuerung wird ungefaͤhr alle vier Wochen ſichtbar. Was von der aͤltern Geſellſchaft uͤbrig bleibt, haͤlt zuſammen, und erwartet die Annaͤherung der Neuangekommenen. Dieſe ſind eingefuͤhrt, ſo bald ſie ihr Ankunftsbillet herum geſchickt haben. Aber die Freyheit und Gleichheit des Badelebens iſt hier weniger zu finden, als anders wo. Man erkundigt ſich nach Geburt, Stand und Wuͤrde; man macht Ausnahmen, man hoͤrt kleine Klaͤtſchereyen an und macht dergleichen; man giebt ausſchlie - ßend Baͤlle, Pickenicke, Koncerte. Kommen beſonders regierende Perſonen hieher, ſo iſtFuͤnftes Heft. G98die Geſellſchaft ſogleich geſpalten. Es bilden ſich Hoͤfchen, die auf einander eiferſuͤchtig ſind; man macht kleine Raͤnke, bekrittelt ſich, ſucht oder erdichtet Laͤcherlichkeiten; mit einem Worte: man ſpielt das gewoͤhnliche armſelige Spiel, das den mitverwickelten Perſonen unendlich wichtig ſcheint. In der Grundlage der hieſi - gen Badegeſellſchaft waren von jeher zwey Ur - ſachen zur Spaltung, jetzt geſellen ſich noch zwey neue hinzu. Es kommen naͤmlich hieher nicht Kranke ſchlechtweg, ſondern Kranke von der Boͤhmiſchen Nation und Kranke von der Saͤchſiſchen; jetzt kom - men noch Kranke von der Kurlaͤndiſchen und von der Polniſchen Nation. Jede dieſer Nationen will die erſte ſeyn, und dieje - nige unter ihnen, die etwa eine regierende Perſon aus ihrem Lande, oder einer verwand - ten Provinz, an der Spitze hat, iſt freylich ohne Widerſpruch die maͤchtigſte und glaͤnzend - ſte, moͤchte auch gerne das meiſte gelten. Sie giebt alſo die zahlreichſten Baͤlle und Fruͤh -99 ſtuͤcke, kommt deshalb oft wegen des dazu noͤ - thigen Lokals mit den andern in Reibung, oder zieht die eine der andern vor. Welch ein Ver - brechen! Sogleich iſt der Krieg erklaͤrt! Zum Gluͤck wird er ſo laͤcherlich, wie gewoͤhnlich gefuͤhrt, und er kommt der Geſundheit der unbefangen gebliebenen Kranken vortrefflich zu ſtatten. Die unterliegenden Theile verlaſſen Karlsbad, voll Zorn und Rachſucht, die zu einer andern Zeit, wenn ſie einmal die Staͤrk - ſten und Reichſten ſind, ausbrechen ſollen! Man ſieht, von welchem Theile der Badege - ſellſchaft ich ſpreche.

Der andere Theil genießt des Brunnens und des Lebens beſſer. Jeder haͤlt mit jedem zuſammen; und Rath und Kaufmann, Pre - diger und Verwalter, Kloſterbruder und Su - balternofficier ſtehen auf dem freundſchaftlich - ſten Fuße. Dies Verhaͤltniß war in dem lau - fenden Jahre um ſo feſter, da auch hier, wie anderwaͤrts, die unſelige Ariſtokraten - und Ja -G 2100kobinerſpaͤhungsſucht auf beyden Seiten, kein Ziel und keine Maͤßigung kannte.

Schluͤßlich kann man annehmen, daß, bin - nen dem oben angegebenen Zeitraume, unge - faͤhr ſechs bis ſiebenhundert Perſonen den Karlsbader Brunnen getrunken haben. Viele reiſen geheilt ab, viele ungeheilt, aber immer mit dem Troſte der Brunnenaͤrzte, daß ſie ge - ſund ſeyn werden, wenn ſie erſt von Karlsbad weg ſind, oder wenn ſie das kuͤnftige Jahr wieder kommen.

Den 9ten des Julius reiſ'te ich von Karls - bad ab, auf Bayreuth. Die naͤchſte Poſt war Zwoda. (3 M.) Der Weg dahin laͤuft, auf einem ſteinigten Boden und durch Hohlwege, in dem Thale fort, das ſich zwiſchen dem Voigtlaͤndiſchen und dem Boͤhmer Waldgebirge hinzieht, und hier und da Berge und Huͤgel von der dritten Ordnung zeigt. Was an die - ſem Wege von bebauetem Lande liegt, iſt ſehr fruchtbar und zeigte Saaten von ungewoͤhnli - cher Staͤrke und Hoͤhe. Zwiſchenher findet101 man aber Stellen, die nur ein ſpaͤrliches, wie verbranntes, duͤrres Gras hervorkeimen laſ - ſen, die aber bald wiederum durch daran ſto - ßende Strecken angenehmer, blumigter, fetter Wieſen erſetzt werden. Wenn man ungefaͤhr eine halbe Meile gefahren iſt, ſo koͤmmt man an die Eger, und zugleich oͤffnet ſich das Thal derſelben, deſſen Abhaͤnge, da ſie dicht mit Fichten beſetzt ſind, einen ſehr finſtern Anblick geben. Iſt man uͤber dieſen Fluß, ſo geht es uͤber mittelmaͤßige Anhoͤhen bald hinan, bald hinab, auf einem Wege, der wenig Spuren von Sorgfalt verraͤth, und da, wo er ſie ver - raͤth, ſo liederlich gemacht, ſo an den Seiten und in der Mitte mit großen Steinen beſchuͤt - tet iſt, daß man ihn gern mit einer natuͤrli - chen Straße vertauſchte. Dieſe Sorgloſigkeit iſt um ſo unbegreiflicher, da man ſie ſonſt in den kaiſerlichen Staaten nicht findet, und da man hier alles in der Naͤhe hat, was zu dem dauerhafteſten Straßenbau gehoͤrt: feſtes Ge - ſtein, meiſt Granit, Baſalt und Gneus, und102 wohlfeile Haͤnde. Gegen die Mitte der Poſt, werden die Anhoͤhen betraͤchtlicher und zugleich angenehmer. Sie ſind theils behoͤlzt, theils angebauet, und haben zu ihren Fuͤßen meh - rentheils fruchtbare Thaͤler. Man findet hier große Strecken mit Hopfen bepflanzt, der in dieſer Gegend am beſten in Boͤhmen geraͤth. Faſt jedes dieſer Thaͤler iſt mit einem oder zwey Doͤrfchen beſetzt, die bey weitem nicht ſo armſelig ſind, als man ſie in einigen an - dern Gegenden von Boͤhmen findet.

Zwoda, ein Dorf, liegt in ſolch einem Thale, und hat zur Seite, auf ein paar Buͤch - ſenſchuͤſſe, das Staͤdtchen Falkenau, das einem Grafen von Noſtitz gehoͤrt.

Von Zwoda kam ich auf Eger. (3 M.) Der Weg iſt ſteinigt und ungemacht, und der Geſichtskreis wird durch Berge beſchraͤnkt, die großentheils bis zum Gipfel hinauf angebauet ſind, und an deren Wurzeln ſich angenehme Thaͤler bilden. Hinter dem Dorfe Ziegen - gruͤn geht es bergab in ein groͤßeres Thal,103 eines der angenehmſten und fruchtbarſten, die ich je geſehen habe. Auch bemerkt man bald an der hieſigen Menſchengattung, daß ſie, von Gott und ihrer politiſchen Verfaſſung verſorgt, gut leben. Ihre Tracht iſt ganz die Tracht der Bauern im Altenburgiſchen. Es ſind ge - ſunde, ſtarke Leute, mit einem offenen und nicht ſo abſcheulich demuͤthigen Weſen, wie man es noch an den Bewohnern des naͤchſten Dorfes vor dem Eintritt in ihren Kreis be - merkt. Sie haben aber auch mehr Freyhei - ten. Sie thun keine Frohndienſte, ſondern fuͤhren ihre Pflichten in Gelde ab. Ihre Doͤr - fer ſind klein, nicht uͤber acht bis zehn Fami - lien ſtark, aber dafuͤr deſto haͤufiger, ſo daß man in einem geringen Umfange ihrer zehen bis zwoͤlf mit Einem Blicke uͤberſieht. Ein oͤſterreichiſcher Hauptmann, der ſich auf dem Wege zu mir fand, verſicherte mir, es waͤre mit dieſen Leuten gar nichts anzufangen; ſie waͤren trotzig, ſtoͤrriſch und ließen ſich gar nichts gefallen; er wolle lieber mit den104 Bauern in Gallizien zu thun haben u. ſ. w. Das glaubte ich gern; aber ich ſah die Sache aus einem andern Geſichtspunkt an, und pries dieſe guten Landleute gluͤcklich, von den Geſe - tzen ſo geſchuͤtzt zu ſeyn, daß ſie ſich nichts gefallen laſſen duͤrfen.

Dieſes ſchoͤne Thal dauert bis Eger fort. Man erblickt dieſe Stadt erſt, wenn man nur noch eine Stunde davon entfernt iſt. Sie liegt am Abhang einer Anhoͤhe, thut keine ſonderliche Wirkung von außen, und hat eine altmodiſche, raͤuchrige, menſchenleere Anſicht von innen. Die Haͤuſer ſtrecken die Giebel nach der Straße heraus, haben ungeheure Dachrinnen dazwiſchen und ſind meiſt zwey bis drey Stock hoch. Als Feſtung gehoͤrt dieſe Stadt zu den unbedeutenden, und eine maͤßige Artillerie muͤßte ſie leicht bezwingen, wenn ſie auf den naͤchſten Anhoͤhen aufgepflanzt wuͤrde.

Bade - und Brunnen-Gaͤſte zu empfangen, iſt die Stadt nicht eingerichtet, allenfalls nur fuͤr wenige. Eben ſo der beruͤhmte Sauer -105 brunnen ſelbſt, der drey Viertelſtunden davon entfernt liegt. Wenn man die boͤhmiſche Sorg - loſigkeit nicht kennte, ſo muͤßte man ſich wun - dern, wie dieſer heilſame Quell eine Anſtalt zur Seite haben kann, die in der That alles uͤbertrifft, was man ſich an Schmutzigkeit, elender Bedienung, unſaubern Betten ꝛc. nur denken kann. Das Brunnenhaus iſt klein und enge, und ſteht einzeln, ohne von einem Bau - me beſchattet zu ſeyn, im freyen Felde. Seit langen Jahren hat man es ſo ſtehen laſſen, und jetzt erſt faͤngt man langſam an, den Brunnen ſelbſt mit einem Pavillon zu uͤber - bauen, und ein paar ſchmale Wege mit Sand zu beſtreuen und mit Baͤumen zu einem Spa - tziergange zu bepflanzen. Auch hat man, ober - halb dem Kurhauſe, den Grund zu Wohnhaͤuſern gelegt, und den Raum zu Alleen und zu einem kleinen Luſtgehoͤlze abgeſteckt; und ſo fangen denn die Egerer endlich an, das Geſchenk zu erkennen, das ihnen die Natur mit dieſer Quelle gemacht hat. Sie gehoͤrt nemlich der106 Buͤrgerſchaft von Eger. Uebrigens iſt die Ge - gend umher ſehr reizend; es iſt ein weites, fruchtbares Thal, in der Naͤhe und Ferne mit anmuthigen Huͤgeln umgeben, auf deren Gip - feln anſehnliche Kloͤſter und Schloͤſſer ſich zei - gen.

Von Eger auf Thiersheim (2 M.) fuͤhrt der Weg durch eine angenehme Land - ſchaft, in welcher zur Rechten die Eger auf ihrem Laufe ſehr reizende Anſichten bildet, die jetzt, in der Zeit der Heuaͤrnte und bey der Fuͤlle der Kornfelder, doppelt reizend waren, und uͤber die Haͤlfte der Poſt anhielten. Dar - auf entfernen ſich die Berge immer mehr und die Gegend wird immer flaͤcher. Zu Muͤhl - bach, dem letzten kaiſerlichen Graͤnzorte, iſt ein Alaunwerk, das ſehr reiche Ausbeute geben muß, denn die Sonne hatte auf den ange - ſchuͤtteten Alaunerdenhaufen ganze Stellen ſchon wie ausgeſotten. Hinter Muͤhlbach wird der Weg ſehr ſteinigt und unangenehm, und es iſt an keinen Straßendamm mehr107 zu denken. Weiterhin faͤhrt man zwiſchen ſaueren Aengern, uͤber welchen ein feiner, gelblich-weißer Staub ſchwebt, der zu gleichen Theilen aus Kalk und Sand be - ſteht und bis Thiersheim, der naͤchſten Poſt, fort dauert. Kurz vor dieſem Orte war ſchon alles zum Straßenbau angefahren, und man wird nun wohl in kurzem einen bequemern Weg hier finden. Die Beſtandtheile der neuen Straße werden Kalk und Gyps ſeyn, mit - hin etwas dauerhaftes bilden. Das Getreide, beſonders das Sommerkorn, ſtand hier ſo ſchlecht und war ſo weit zuruͤck, wie es mir auf meiner ganzen Reiſe noch nicht vorgekom - men war. Thiersheim iſt uͤbrigens ein unan - ſehnliches Staͤdtchen, deſſen Bewohner ſich groͤßtentheils von Ackerbau und Viehzucht naͤh - ren. Von Thiersheim bis

Weißenſtadt, der folgenden Poſt (2 M.) wird der Weg beſſer, und fuͤhrt, auf einem feſten und geraͤumigen Straßendamm, durch eine lachende Landſchaft, die naͤher und ent -108 fernter von Bergen, die ſich immer mehr ſen - ken, bekraͤnzt wird Der Boden iſt noch der ſtaͤubige, kalkartige, der bey dem mindeſten Aufregen dicke Wolken bildet, die ſehr be - ſchwerlich ſind, da ſie nicht ſobald wieder ſin - ken, wie der Staub des Sandſteins. Das Getreide fand ich reicher und friſcher, als auf der vorigen Poſt, und die Wieſen fetter und blumigter. Weißenſtadt iſt etwas groͤßer als Thiersheim, auch reinlicher und lichter, aber eben ſo mit hoͤlzernen Haͤuſern beſetzt und mit eben dem Nahrungserwerb beſchaͤftigt, wie dieſes. Von Weißenſtadt kommt man auf

Berneck. (2 M.) Beym Ausgange aus jenem Staͤdchen faͤhrt man in ein Thal hin - ab, und behaͤlt neben ſich zur rechten einen ſchoͤnen Weyher, der rund herum mit den fruchtbarſten Wieſen umſchloſſen iſt. Das Thal ſelbſt iſt eines der ſchoͤnſten und weitlaͤuf - tigſten, unter denen, die mir bis dahin auf meiner Reiſe vorgekommen waren. Man faͤhrt in daſſelbe auf einer breiten, vortreflich109 unterhaltenen Straße hinein, und bleibt an - haltend in demſelben; aber es bildet eine Men - ge von Abwechslungen, Einſchnitten, Erhoͤ - hungen und Vertiefungen, die alle, theils mit blumigen Wieſen, theils mit reichen Kornſtuͤ - cken, theils mit Gehoͤlz, beſetzt ſind. Je wei - ter man faͤhrt, deſto enger zieht es ſich zuſam - men, bis es endlich, gegen das Ende des Poſt - laufs, faſt ganz zuſammen tritt, und nur einen Weg laͤßt, der fuͤr zwey Wagen Raum hat.

Kurz vor Berneck erblickt man links, auf der Hoͤhe der Felſen, die Truͤmmer von zwey alten Schloͤſſern, die ſehr romantiſch daſtehen. Von dem einen iſt der Wartthurm ſo gut er - halten, daß er noch mehrere Jahrhunderte unzertruͤmmert bleiben wird. Berneck ſelbſt ſieht etwas reinlicher und heller aus als Thiers - heim, und liegt in jenem Thale, auf allen Seiten von hohen Bergen beherrſcht.

Bald hinter Berneck tritt man aus dem Thal heraus in eine ſich ſanft hinan hebende Flaͤche, die mit Wieſen und Kornfeldern, und110 mit Gruppen von Erlen und Ruͤſtern abwech - ſelnd, ſehr angenehm beſetzt iſt. Hinter ſich behaͤlt man die Ausſicht auf das Gebirge, durch welches man kam, und das ſich amphi - theatraliſch erhebt und an ſeinem Abhange Doͤrfchen, einzelne Haͤuſer, Kornfelder und Bergwerke in bunter Mannichfaltigkeit zeigt. Iſt man eine Weile gefahren, ſo erhebt ſich der Weg, und man gelangt auf eine Anhoͤhe, die ſich oben in eine Flaͤche ausbreitet, auf welcher man eine Strecke von zwey Stunden hinfaͤhrt, waͤhrend welcher man hinter ſich die Ausſicht auf die zuruͤckgelegten Gebirge, und vor ſich auf den Fichtelberg behaͤlt, der in kegelfoͤrmiger Geſtalt ſich vor dem Au - ge erhebt. Die Sonne war im Untergehen, als ich in dieſer Gegend eintraf. Ich rollte noch eine Weile fort, und ſtand auf einmal am Abhange der Anhoͤhe, die ſich jetzt in ein weites, lachendes Thal abdachte, in deſſen Mitte ich Bayreuth, (2 M.) aber nur einem Theile nach, erblickte, weil der andere Theil111 durch eine waldigte Anhoͤhe verdeckt wird, die bis in die Mitte des Thals ſich vorwirft. Man faͤhrt in dies Thal hinab, um jene Anhoͤhe herum und iſt vor Bayreuth, das eben keine auffallende Anſicht gewaͤhrt, weil es ihm an Thuͤrmen mangelt, obgleich ein paar Schloͤſ - ſer und ſchloßaͤhnliche Gebaͤude, wenn man naͤher kommt, dieſen Mangel erſetzen. Iſt man darin, ſo findet man eine ſehr reinliche Stadt, deren Haͤuſer groͤßeſtentheils von Werk - ſtuͤcken eines roͤthlichen Sandſteins aufgefuͤhrt ſind, der in der Naͤhe bricht. Sie ſind meiſt nur zwey Stock hoch und ziemlich nach einer - ley Geſchmack erbauet. Das Pflaſter iſt gut. Sonſt iſt die Stadt mehr todt, als volkreich, und die Spatziergaͤnge, deren mehrere vorhan - den, ſo wie der ſchoͤne Schloßgarten, ſind oͤde und verlaſſen.

Von Bayreuth nahm ich den 13ten des Julius meinen Weg auf Erlangen. Die naͤchſte Poſt war Troppach. (3 M.) Man faͤhrt von Bayreuth aus anfangs durch das112 Thal, in welchem die Stadt liegt, und das ſich in ſeiner Fruchtbarkeit und Anmuth gleich bleibt, auf einem vortreflichen Straßendamme; bald nachher koͤmmt man bergan, und rechter Hand ſteigen Waͤnde vom feinſten Sandſtein ſenkrecht empor, eben die Fundgruben fuͤr die Werkſtuͤcke, die in Bayreuth zum Haͤuſerbau verbraucht worden ſind und noch werden. In dieſer Gegend ſteht links das Luſtſchloß Phan - taſie, am Abhange eines romantiſch-wilden Berges, dem gegen uͤber ein anderer ſich er - hebt; zwiſchen beyden in der Mitte zieht ſich ein rauhes, behoͤlztes Thal hin, welches man eine große Strecke zur Seite behaͤlt, darauf durchfaͤhrt, im Ruͤcken laͤßt und ſich ſodann unter lauter Bergen befindet, die ſich beſchei - den erheben und maͤhlig wieder ſenken, in den Niederungen theils mit Wieſen, theils mit Ackerland, und auf den Hoͤhen mit Gehoͤlz beſetzt ſind. Die Straße dauert noch in ihrer vorigen Treflichkeit fort. Aber vonTrop -113Troppach bis Streitberg, der naͤchſten Poſt, (2 M.) wird der Weg an ſich eine wahre Hoͤlle. Er faͤngt mit Steinen an und endigt mit Steinen. Man erhebt ſich auf Felſentruͤmmer bergan, und muß fuͤrchten, von Felſenſtuͤcken, die zur Seite kahl hervor - ragen, uͤberſtuͤrzt zu werden. Gegen die Haͤlfte des Poſtlaufs faͤhrt man uͤber ſolch einen rau - hen Berg ſelbſt hinab, und nirgends iſt die mindeſte Spur, daß man auch nur daran ge - dacht haͤtte, dieſen gefaͤhrlichen Weg zu ver - beſſern. Man muß an, neben und uͤber Ber - ge hin, deren verwitterte Gerippe, theils zer - borſten, theils zerbroͤckelt, theils in zerriſſenen Maſſen, theils koniſch, theils pyramidaliſch auf ſchreckenden Grundlagen da ſtehen, und, durch den naͤchſten Windſtoß erſchuͤttert, her - ab zu ſtuͤrzen drohen. Man behaͤlt eine alte Burg zur Seite und fuͤhlt ſich auf einmal auf den Schauplatz des Fauſtrechts verſetzt; aber dieſe aͤngſtliche Taͤuſchung dauert nicht lange, weil man gluͤcklicherweiſe durch die umliegen -Fuͤnftes Heft. H114den bluͤhenden Felder darin geſtoͤrt wird. Zu den angenehmſten Empfindungen gehoͤren die nicht, die dieſer Weg den Reiſenden erweckt, obgleich man ihm den Charakter des Roman - tiſchen nicht abſprechen kann; aber man wird bald darauf unuͤbertreflich ſchadlos gehalten, wenn man kurz vor Streitberg, ein un - unendlich reitzendes Thal, gegen zwey bis drey hundert Schuh unter ſeinen Fuͤßen ausge - breitet und nahe und fern mit lachenden Fel - dern, Wieſen, Fluren und Gaͤrten und Doͤr - fern bedeckt, auf einmal uͤberblickt, waͤhrend ſich zur Linken eine alte ganz verfallene Burg, und zur Rechten ein mehr erhaltenes Schloß (Streitberg) erheben. Die Feder entfaͤllt mir und ich verzweifle, dieſe ſchoͤne Gegend, auch nur ihrem Schattten nach, anſchaulich ſchil - dern zu koͤnnen.

Die Truͤmmer des Schloſſes Streitberg liegen auf einem Kalkfelſen vom feinſten Korne. Man ſteigt oberhalb dem Poſthauſe, durch deſſen Hof, zu demſelben hinauf. Der ſteile,115 ſchmale Fußpfad war mit kleinen Steingeſchie - ben uͤberſaͤet. Die ganze Hoͤhe bis zum Gip - fel mag zwey hundert Schuh betragen. Ein - zelne Felſenſtuͤcke hingen, in Geſtalt ungeheu - rer Saͤulen, uͤber den Fußſteig her. Daneben ſchwankte eine andere faſt viereckigte große Maſ - ſe, ebenfalls heruͤberhaͤngend und jeden Augen - blick den Einſturz drohend, der dem Wande - rer um ſo moͤglicher ſcheint, da breite Kluͤfte in derſelben ganz ausgewittert ſind. Sodann folgt erſt eine von den Hauptmaſſen des Fel - ſens, worauf das Schloß gebauet iſt, die aber ſtellenweiſe durch Mauerwerk geſtuͤtzt, erhoͤhet und erweitert werden mußte. Im Innern hat jetzt ein Oberforſtmeiſter ſeinen Sitz. Sei - ne Wohnung und ſeine Wirthſchaftsgebaͤude ſind auf das alte Mauerwerk aufgelegt. Durch dieſe hin gelangt man auf den Gipfel des Fel - ſens, von dem herab man eine Ausſicht genießt, die ich mit dem unbeſtimmten Worte para - dieſiſch nur zu bezeichnen, nicht zu beſchrei - ben, Willens bin. Dieſer Burg gegenuͤber,H 2116laͤuft ein anderes Thal hinein, das ſich aber, mit aͤhnlichen Felſenſtuͤcken gerippartig beſetzt, bald ſchließt. Auf der andern Seite zieht ſich eine ganze Reihe von Huͤgeln hin, an denen eben dieſe Felſenart in hohen Maſſen zu Tage tritt, und die voran mit Baͤumen beſetzt, in der Mitte mit Kornfeldern geſchmuͤckt, und am Ende mit Wald bekraͤnzt ſind. Im Schloſſe ſelbſt ſieht man, was man in allen verfalle - nen Schloͤſſern ſieht: verdeckte Gaͤnge, Keller, Brunnen, gewoͤlbte Gemaͤcher u. ſ. w. In der Nachbarſchaft hat man neuerlich merkwuͤr - ge Hoͤhlen voll Verſinterungen entdeckt, die man die Muggenhoͤfer nennt, die ich aber nicht ſehen konnte, weil mich die Nacht uͤber - raſchte.

Von Streitberg aus auf Erlangen (4 M.) faͤhrt man in das erwaͤhnte koͤſtliche Thal vol - lends hinab, und in der That die einzelnen Theile deſſelben entſprechen der herrlichen An - ſicht des Ganzen. Zwar iſt der Weg ſchlecht und verraͤth keine Spur einer beſſernden Hand,117 aber faſt uͤberſieht man dies bey dem außer - ordentlichen Fruchttrieb und den mannichfach abwechſelnden Bergen und Anhoͤhen, die bald mit einem alten, bald mit einem neuen Schloſſe, bald mit einem Bet - bald mit einem Luſthaͤuschen auf ihren Gipfeln, welche groͤßeſtentheils ein niedlicher Wald be - deckt, beſetzt ſind. Waͤlder von Obſtbaͤumen ſtehen auf beyden Seiten des Weges; die Doͤrfer ſind groß, und die Haͤuſer in denſel - ben ſtehen denen in den Saͤchſiſchen Doͤrfern der beſten Pflege nicht nach. Ihre Einwoh - ner ſind wohlgebildet und haben ein offenes, heiteres Geſicht. Manches Dorf hat zwey, vier, ſechs Herren, und es ſcheint, ein jeder habe ſich beeifert, ein Stuͤck von dieſem herr - lichen Lande davon zu tragen; doch beſitzen Bamberg und Bayreuth das meiſte davon. In einem ſchoͤnen, geraͤumigen Dorfe ſagte mir der Wirth des dortigen Gaſthofes, daß er von ſeiner Wirthſchaft jaͤhrlich nur einen leich - ten Gulden, und ſeine Nachbarn, die reichen118 Bauern, nur drey bis vier dergleichen zahl - ten. Ich aͤußerte die Vermuthung, daß die Zollbedienten der Kirche, die Moͤnche, deſto mehr an Gefaͤllen, die ſie Almoſen nennen, einheben moͤchten; aber er verſicherte laͤchelnd, daß es ſo arg damit nicht ſey, und daß man in dieſem Punkt immer kluͤger werde. Hoͤch - ſtens gaͤbe man ihnen ein paar Pfund Schmalz, Garn oder Flachs. Der gute Mann ſchien nicht einzuſehen, daß dieſe Abgabe feiner be - rechnet iſt, als jede andere an Gelde, da die Naturalien, nach dem Vorurtheile der Land - leute, ihnen nichts zu koſten ſcheinen, aber den geiſtlichen Herren, die ſie verkaufen, beſ - ſer und gewiſſer zu ſtatten kommen, als baares Geld, indem jene in ihren Preiſen jaͤhrlich ſtei - gen, dieſes aber in eben dem Verhaͤltniſſe faͤllt.

Nach einer vierſtuͤndigen Reiſe erweitert ſich das Thal immer mehr und mehr, die An - hoͤhen werden immer geringer, und bald ver - wandelt ſich der fruchtbare Boden in Sand, und man faͤhrt meiſt zwiſchen Wieſen hin, die119 mit einer muſterhaften Sorgfalt verpflegt und aus der voruͤberfließenden Regnitz, mittelſt Schoͤpfraͤder, gewaͤſſert und befruchtet werden. Ueberhaupt wird der Wieſenbau auch in den andern Theilen von Franken, als im Bam - bergiſchen, im Wuͤrzburgiſchen und im Fulda - iſchen, zu einem ausgezeichneten Grade von Vollkommenheit getrieben.

Endlich zieht ſich der Weg herum und naͤ - hert ſich der linken Seite des Thals und ſeiner Anhoͤhen, beſonders von Baiersdorf aus, einem anſehnlichen Flecken, der faſt ganz von Juden bewohnt wird. Ein tiefer Sand dauert fort bis Erlangen welches mir, faſt bis vor den Thoren, durch Hecken und Alleen verſteckt blieb. Die aͤußere Anſicht dieſer Stadt iſt nicht unangenehm, weil es ihr nicht an an - ſehnlichen Gebaͤuden fehlt, worunter ein Schloß und ein paar gut gebauete Kirchen ſind. Das Innere iſt wie das von Bayreuth, die Stra - ßen ſind gerade, breit und ziemlich lang; die Haͤuſer meiſt zwey Stock hoch von Sand -120 ſteinquadern; die Plaͤtze geraͤumig und heiter, aber das Pflaſter iſt weniger gut. Am Schloſſe, welches die verwittwete Markgraͤfin bewohnt, iſt ein weitlaͤuftiger Garten, der eine große Abwechſlung von franzoͤſiſchen Heckenſtuͤcken, Parterren und Terraſſen, beſonders aber zwey vorzuͤglich ſchoͤne Alleen aufzuweiſen hat. Die Stadt iſt uͤbrigens nicht ſehr lebhaft und die hieſigen Studenten bemerkt man kaum, weil ihre Anzahl gering, und ihr Weſen weniger rauſchend iſt, als auf andern Univerſitaͤten.

Von Erlangen reiſete ich auf Fuͤrth (2 M.) Der Weg dahin fuͤhrt immer noch in jenem Thale fort, das ſich mehr und mehr erwei - tert, zum Theil auf einer gut unterhaltenen Straße, zum Theil auf ſtaͤubigten Feldwegen; denn der tiefe Sand, in welchen man vor Bairsdorf gerathen iſt, haͤlt noch immer an. Indeſſen hat ihn der Fleiß der Einwohner hier herum bezwungen, und auf beyden Seiten des Weges ſtand das treflichſte Korn, ſogar auch Weizen, und haͤufig Mais und Taback. So -121 bald man vor Erlangen heraus iſt, hat man Nuͤrnberg im Geſicht, und es thut eine gute Wirkung aus der Ferne, da deſſen Burgfeſte hoch uͤber die andern Theile der Stadt her - vorragt; aber Fuͤrth ſieht man nicht eher, als bis man davor iſt, weil es, außer einem ein - zigen ſpitzigen Thurme, nichts hat, was ihm eine Anſicht geben koͤnnte. Im Innern iſt es ſehr lebhaft. Das Aeußere der Einwohner verraͤth Mangel und Armuth, und der Ge - ruch auf den Straßen, Juden, und den aller - hoͤchſten Schmutz. Die Haͤuſer ſind dicht mit Fenſter beſetzt, und an denſelben ſieht man fleißige Leute, die mit irgend etwas beſchaͤftigt ſind, waͤhrend vor den Thuͤren halbnackte Kinder zu Dutzenden herumſpringen, oder ſich herumwaͤlzen. Die Haͤuſer ſind faſt alle von Holz, einige Straßen der Stadt breit, lang und nicht unanſehnlich. Ich brachte hier einen Tag mit Beſuchen bey den mancherley Kuͤnſt - lern und Fabrikanten zu, die hier gleichſam einer auf dem andern wohnen und ſehr fleißig,122 aber doch meiſt arm ſind. Ausgezeichnet be - traͤchtliche Fabriken findet man indeſſen doch nicht hier.

Es traf ſich gerade, daß ein Theil des Kon - tingents, welches der fraͤnkiſche Kreis zur Reichs - armee zu ſtellen hat, nicht weit von dieſer Stadt in einem Lager beyſammenſtand. Es waren nur achtzehnhundert Mann, Nuͤrnber - ger, Rothenburger, Eichsfelder und andere Truppen. Exerciren und marſchieren konnten dieſe Leute freylich noch nicht; ſie waren aber im Ganzen nicht ſo ſchlecht, wie man ſich ge - woͤhnlich die Reichstruppen denkt. Beſonders bemerkte ich unter den Rothenburgern manchen jungen und feſten Kerl, der kein preußiſches Regiment verunſtaltet haben wuͤrde.

Von Fuͤrth aus auf Nuͤrnberg (1 M.) iſt der Weg eben ſo unangenehm und ſandig, als von Erlangen auf Fuͤrth. Ich legte ihn aber in weniger als drey Viertelſtunden zuruͤck.

123

Zehnter Abſchnitt.

Nürnberg. Aeußere Anſicht dieſer Stadt. Inneres. Bau - art. Straßen. Märkte. Plätze. Brücken. Waſ - ſerwerke. Brunnen. Reichsveſte. Rathhaus. Kir - chen. Polizeyanſtalten. Milde Stiftungen. Hoſpi - täler. Armenſchulen. Spenden. Anſtalten für öf - fentliche Sicherheit, Geſundheit, Bequemlichkeit und Bildung des Geiſtes und Körpers. Anmerkung über die politiſche Verfaſſung von Nürnberg und die dorti - gen bürgerlichen Uneinigkeiten. Zerſtückelung der Geſellſchaft. Lebensart, Aeußeres, Sitten, Sitt - lichkeit und Vergnügungen der Einwohner. Spatzier - gänge. Statiſtiſche Angaben über die Stadt und de - ren Gebiet.

Abreiſe. Schwabach. Baumwollen-Manufaktur. Zucht - und Irrenhaus. Der Schläger aus Gießen. Feucht. Eintritt in Bayern. Poſtbauer. Teining. Taswang. Hemmau. Schambach. Teulingen. Stadt-am-Hof. Regensburg. Anſicht dieſer Stadt. 124Der Dom. Der Reichsſaal. Die Donaubrücke. Die Wöhrdte. Einwohner. Blick auf den geſellſchaftli - chen Ton der feinern Welt. Gegend um Regens - burg. Abreiſe. Landshut. Mosburg. Freyſingen. Gegend und Boden um München. Aeußeres dieſer Stadt. Lage, Größe, Grundriß und Inneres. Waſſerwerke. Kanäle. Bürgerhäuſer, Kirchen, Pal - läſte. Die Frauen - Hof - und Theatinerkirche. Der alte Hof. Die Wilhelminiſche Reſidenz. Die kur - fürſtliche Reſidenz. Oeffentliche Gebäude mancherley Art. Menge der öffentlichen Anſtalten zur Erziehung, zur Bildung des Geiſtes und Geſchmacks, zur Ver - ſorgung der Armen ꝛc. Abriß der Sitten, des Cha - rakters, des Nahrungserwerbes ꝛc. Der Einwohner.

Abreiſe nach Salzburg. Reiſelauf. Anblick der Salzburger Alpen. Haag. Fruchtbare Landſchaft. Ampfing. Mühldorf. Burghauſen. Titmaning. Aeußeres der Salzburger Bauern. Laufen. Annä - herung an Salzburg. Eintritt in dieſe Stadt.

Die aͤußere Anſicht von Nuͤrnberg, wenn man von Fuͤrth herkoͤmmt, iſt ſehr ausgebrei - tet, weil man die Stadt von der Reichsveſte an, bis zum Spittler Thor, faſt ihrer ganzen125 Laͤnge nach uͤberblickt. Mehrere betraͤchtliche Thuͤrme an den Kirchen in der Stadt, und viele andre, die zur Stadtmauer und zu den Befeſtigungen und Thoren gehoͤren, gewaͤhren ihrem Aeußern ein ſo ſtattliches, feſtes Anſe - hen, als wenige groͤßere Staͤdte in Deutſch - land haben. Man bemerkt aus der Ferne, daß ihre Grundflaͤche etwas uneben iſt, doch erhebt ſich nur der Theil, worauf die Burg liegt, merklich uͤber die andern. Der Boden um die Stadt iſt meiſt ſandig, aber durch fleißigen Anbau in das fruchtbarſte Land ver - wandelt worden. Es giebt eine Menge Gaͤr - ten rund herum, die alle mit groͤßern oder kleinern Land - und Luſthaͤuſern beſetzt ſind, was den Eingang in die Stadt ſehr abwechs - lend und angenehm macht.

Die Stadt hat eine Circumvallationslinie, die aber nicht von Bedeutung iſt, und keinen Feind abhalten kann. Betraͤchtlicher, wenn auch nicht lange haltbar, ſind die eigentlichen Befeſtigungswerke. Die Stadtmauern ſind126 von ungewoͤhnlicher Staͤrke, und beyde, die aͤußere ſowohl als die innere, ſind mit einer Menge Thuͤrme beſetzt, die ehedem als Fe - ſtungswerke gebraucht wurden, jetzt aber, wie hier und da die heraushangende Waͤſche zeigt, zu Wohnungen benutzt werden. Der Stadt - graben iſt ſehr breit und ziemlich tief, wird jetzt aber zu Feldern und Wieſen benutzt, ſo wie die verſchiedenen Zwinger und Schanzen, zu Gaͤrten. An den Hauptthoren ſtehen runde, aus Werkſtuͤcken aufgefuͤhrte Thuͤrme, die einen auffallenden Charakter von Feſtigkeit haben. Es ſind ihrer ſechs in dem Umfange der Stadt.

Wenn man in das Innere der Stadt ein - tritt, ſo entſpricht deſſen Anſicht der Anſicht des Aeußern. Die Haͤuſer ſind meiſt 4 bis 5 Stock hoch, viele von viereckigten Werkſtuͤcken erbauet, viele bloß von Bruchſteinen, denen man aber, durch einen roͤthlichen Anſtrich und durch weiße Einfaſſungen, das Anſehen der Quadern gegeben hat. Die Bauart iſt nicht127 neu, aber ſehr dauerhaft, nicht praͤchtig, aber bequem. Viele Haͤuſer haben noch eiſerne Git - ter vor den Fenſtern. Diejenigen, die von Patri - ziern, Kapitaliſten, oder andern Buͤrgern bewohnt werden, welche keine geraͤuſchvolle Handthie - rung oder ſonſt keinen lebhaften Verkehr haben, werden den ganzen Tag verſchloſſen gehalten und oͤffnen ſich nur, auf die angezogene Klin - gel, die an der Thuͤr angebracht, und unter der der Name des Hausbewohners angezeigt iſt, zu dem ſie fuͤhrt. Dieſer Umſtand giebt der Stadt etwas Stilles und Kloſteraͤhnliches.

Die Straßen ſind groͤßeſtentheils geraͤu - mig, und mehrere betraͤchtlich lang, wie z. B. Unter der Veſte, die Aegydien - Lau - fer - Neue - Binder - Unter - Sankt - Lorenz - Auf dem Steig - Hirſchel - Gaſſen u. a. m. Die Maͤrkte und Plaͤtze ſind zahlreich und einige darunter von betraͤcht - lichem Umfange, wie der Große Markt, Herrenmarkt, Fiſchmarkt, Korn - markt, Obſtmarkt, Neue Bau,128 St. Jakob u. a. Nuͤrnberg erhaͤlt dadurch ein gewiſſes offenes, heitres Anſehen, worin ihm wenige Staͤdte beykommen, und ich weiß nicht, in welchem Wetter, oder in welcher Laune, oder in welcher Stunde manche Reiſe - beſchreiber dieſe Stadt geſehen haben muͤſſen, als ſie dieſelbe winkelig, finſter und ſchwer - muͤthig fanden.

Die Pegnitz, die durch die Stadt fließt, giebt ihr noch eine Abwechſelung mehr an den Bruͤcken, welche die durch ſie getrennten Theile wieder verbinden. Es ſind ihrer ſieben, mehr oder weniger lang, ſchmal oder breit, anſtaͤn - dig oder ſchoͤn, aber keine unanſehnlich, oder von Holz. Die merkwuͤrdigſte ſchien mir die Fleiſcherbruͤcke, und, in der That, ein architektoniſches Meiſterwerk. Sie beſteht nur aus Einem Bogen, der, ziemlich flach, eine Strecke von faſt 100 Schuh uͤberſpannt, in der Breite 50 Schuh haͤlt und im Gewoͤlbe 4 Schuh dicke iſt. Die Barfuͤßer - und die Kayſer-Bruͤcke ſind zierlich und leichtgebauet.129gebauet. Außer dieſen Bruͤcken dienen noch acht hoͤlzerne Stege fuͤr Fußgaͤnger zur Ver - bindung.

Noch eine Zierde, die Nuͤrnberg vor den uͤbrigen deutſchen Staͤdten voraus hat, oder worin ihr doch, außer vielleicht Augsburg, keine andre beykoͤmmt, ſind ihre zahlreichen Waſſerkuͤnſte, Springbrunnen - und Roͤhren - Werke, die theils durch Leitungen, theils durch Quellen, theils durch Raͤder reichlich verſehen werden. Auf faſt allen der vorhin genannten Maͤrkte und Plaͤtze findet man einen Spring - brunnen, und ſie ſind theils von Bronze, theils von Bildhauerarbeit, meiſt aber der Idee und der Ausfuͤhrung nach von einem alten kleinlichen Geſchmack. Das Beſte und Geſchmackvollſte, das Nuͤrnberg hierin aufzu - weiſen hat, iſt der ſogenannte Schoͤne Brunnen, der aber, aus Mangel an Kaſſe, noch nicht errichtet iſt, ſondern, obwohl ganz vollendet, noch in dem Bauhofe ſtehet. Nep - tun, mit ſeinem ganzen Gefolge an Tritonen,Fuͤnftes Heft. I130Rajaden, Delphinen u. ſ. w. iſt in Bronze vorgeſtellt und Zeichnung und Guß ſind in der That vorzuͤglich. Der Meiſter hieß Georg Schweichger, der es nach dem Modell ei - nes Goldſchmidts, Chriſtoph Ritter's, ausfuͤhrte.

Uebrigens belaͤuft ſich die Anzahl der kuͤnſt - lichen Brunnen in Nuͤrnberg auf ſechs und zwanzig. Gewoͤhnliche Schoͤpf - und Ziehbrun - nen findet man auf allen Straßen.

Zwey oͤffentliche Gebaͤude ziehen, ihres Alters und ihrer innern Merkwuͤrdigkeiten we - gen, beſonders die Aufmerkſamkeit der Reiſen - den auf ſich: die Reichsveſte und das Rathhaus.

Die Reichsveſte liegt, wie ich ſchon be - merkt habe, auf einem maͤßigen Huͤgel, der die Stadt beherrſcht. Sie iſt, nach Verhaͤlt - niß, klein und unanſehnlich und fuͤr Kaiſer neuerer Zeiten nicht mehr bewohnbar, wenn ſie ihnen auch noch zu einer augenblicklichen Herberge dienen kann. Die Saͤle und Zim -131 mer derſelben ſind altmodiſch, und nur in dieſer Ruͤckſicht und als altdeutſche Raritaͤten - kammern merkwuͤrdig. Mehrere Gemaͤlde und Bildniſſe von Albrecht Duͤrer und eine große Kompoſition von Johann Creutzfel - der, aus der Nuͤrnbergiſchen Geſchichte, ſind hier betrachtenswerth. Eine Bettſtelle, mit Vorhaͤngen von verblaßtem Wollenzeuge, worin mehrere alte Kaiſer geſchlafen haben, iſt ein Denkmal von der Einfalt und Sparſamkeit jener Zeiten, und war auch dem verſtorbenen Kaiſer Joſeph, wie mir der Fuͤhrer ſagte, merkwuͤrdig geweſen. Er hatte dieſe Vorhaͤn - ge, indem er ſie uͤber die Hand gehen laſſen, mehrere Sekunden angeſehen und endlich ge - ſagt: die Alten hatten weniger als wir, aber ſie waren reicher!

Der aͤlteſte Rathsherr bewohnt den Reſt der Zimmer im Schloſſe und bringt hier ſeine uͤbrigen Jahre, unter dem Titel eines Kaſtel - lans oder Pflegers der Reichsveſte, zu. Je - der Kaſtellan bringt ſein Hausgeraͤth mit,I 2132und laͤßt ein Andenken von Werth zum Ver - maͤchtniſſe zuruͤck. Der Hausrath des gegen - waͤrtigen war ſehr altvaͤteriſch, und ſchloß eine Menge von Spielereyen in Glas, Holz, Porzelain ꝛc. ein.

Noch finden ſich zwey Kapellen auf der Burg und zwar in einem viereckigten Thurme. In der untern, geraͤumigern, die Schloß - kirche genannt, wird an Sonn - und Feſtta - gen Gottesdienſt gehalten. Vom Thurme herab hat man eine vortreffliche Ausſicht uͤber die Stadt und umliegende Gegend. Erſtre zeigt ſich in der Geſtalt eines laͤnglichen Ge - viertes und als eine große Maſſe hoher, ſpitzig zulaufender Daͤcher; deſto lachender und reitzen - der erſcheint letztre. Naͤher an der Stadt liegt Garten an Garten, vortrefflich angebaut und unterhalten und zum Theil mit anſehnlichen Gebaͤuden verziert; weiterhin ſieht man Dorf an Dorf, die fruchtbarſten Felder, mit Waͤld - chen untermiſcht, und große Strecken, auf welchen Gemuͤſe im uͤppigſten Wachsthum133 ſteht, und im Hiutergrunde liegt Fuͤrth aus - gebreitet vor einem da, Erlangen und Altorf kann man deutlich ſehen, und am Horizont ſchwebt die Feſtung Rothenſtein.

Dieſe Ausſicht, die das treffendſte Bild der Fruchtbarkeit darbietet, hat mich auf der Burg am meiſten angezogen und am laͤngſten gefeſſelt. Sonſt befindet ſich auf derſelben noch eine Kaſerne fuͤr eine Kompagnie Solda - ten, und ein Brunnen, der in den Felſen ab - geſenkt worden, und eine Tiefe von 56 Klaf - ter hat, uͤbrigens aber ein Spielwerk gegen die wahrhaft große Ausfuͤhrung des beruͤhm - ten Brunnens auf dem Koͤnigſtein iſt.

Das Zeughaus beſteht aus mehreren Gebaͤuden, die nach und nach zuſammen gezo - gen worden, und enthaͤlt zwey große Saͤle, die gegen 400 Schritte lang ſind. Sie ent - halten Geſchuͤtz und Handwaffen aller Art, worunter viele ihres Alterthums wegen merk - wuͤrdig ſind, z. B. Doppelhaken aus dem funfzehnten Jahrhundert, Schießpruͤgel,134 noch ohne Schloͤſſer, mehrere Turnierruͤſtun - gen ꝛc. Zwey 48pfuͤndige Karthaunen vom Jahre 1521, ſind die Altmuͤtter dieſer Samm - lung. Von neuem und kleinem Geſchuͤtze iſt der Vorrath betraͤchtlich genug, und die Ver - theilung und Aufſtellung deſſelben faͤllt gut in die Augen.

Das Rathhaus iſt in der That, in ar - chitektoniſcher Ruͤckſicht, das merkwuͤrdigſte Gebaͤude in Nuͤrnberg. Die Anſicht des Aeuſ - ſern iſt, wie die Anordnung des Innern, muſterhaft, und wenn man an jenem etwas tadeln wollte, ſo waͤre es, daß die Façade faſt nichts als Fenſter iſt, und dadurch einen gewiſſen bunten, zerhackten Anblick erhaͤlt. Drey Portale mit doriſchen Saͤulen herr - ſchen an der Vorderſeite, die 275 Fuß lang iſt, aus drey Geſchoſſen, dem hoͤhern Erdge - ſchoß, dem niedrigern mittlern, und dem klei - nern obern beſteht, deren jedes 36 Fenſter hat. Im Erdgeſchoß iſt der große Saal, der achtzig Fuß in der Laͤnge und dreyßig in der135 Breite haͤlt. Auf der einen Seite, den Fen - ſtern gegenuͤber, an der Wand, iſt der be - ruͤhmte Triumphwagen Maximilians des Erſten, von Wilibald Pirkheimer erfunden und von Albrecht Duͤrer gemalt, dargeſtellt. Dieſe Kompoſition nimmt, mit ihren verſchie - denen ſinnbildlichen Gruppen und deren gut - muͤthigen, altdeutſchen Inſchriften, dieſe ganze Seite des Saals ein, und hat mehrere ganz vortrefflich gezeichnete Figuren, deren Farben - gebung zum Theil noch ungewoͤhnlich lachend und markigt iſt. Fuͤr Kenner der Kunſtge - ſchichte und fuͤr Liebhaber findet ſich in der Rathsſtube ein Juͤngſtes Gericht von Michael Wohlgemuth; an der Decke der Gallerie im zweyten Stock die Darſtellung des großen Nuͤrenbergiſchen Geſellen - ſtechens vom Jahre 1446; und in 5 andern Zimmern, die an einander hangen, eine be - traͤchtliche Sammlung von Schildereyen alter deutſcher Maler, Duͤrers, Cranachs, Sandrarts, Pens und andrer mehr.

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Die uͤbrigen Saͤle und Zimmer des Rath - hauſes enthalten nur noch wenige Merkwuͤr - digkeiten und ſind fuͤr die Sitzungen und zu Schreibſtuben der verſchiedenen Aemter des Raths beſtimmt, beweiſen aber, mit den weitlaͤuftigen und hellen Gaͤngen, die ſie unter einander verbinden, und mit der Vertheilung des Kellergeſchoſſes zu Gefaͤngniſſen fuͤr gerin - gere und ſchwerere Verbrecher, daß der Bau - meiſter ein ſehr einſichtsvoller Kuͤnſtler war, der den damaligen Zeiten Ehre machte, und den jetzigen Baukuͤnſtlern zu einem lehrreichen Muſter dienen kann.

Unter der betraͤchtlichen Anzahl von Kir - chen und Kapellen, die Nuͤrnberg beſitzt, ſind die beyden Hauptkirchen, St. Sebald und St. Lorenz, und die Nebenkirche zu St. Aegydien, ſowohl ihrer Bauart, als der altdeutſchen artiſtiſchen Merkwuͤrdigkeiten we - gen, die ſie einſchließen, beſonders ſehenswerth.

Zu St. Sebald (Ewald) wurde ſchon im 12ten Jahrhundert der Grundſtein gelegt. 137Ihr hohes und ſpitzes Gewoͤlbe ruhet auf 22 Saͤulen. Die gemahlten Fenſter machen ſie ſehr finſter und die Kirchenſtuͤhle, womit ſie angefuͤllt, und die Menge Wappen, womit ſie behaͤngt iſt, uͤberladen ſie zur Ungebuͤhr. Ihre groͤßeſte Merkwuͤrdigkeit iſt ein Denkmal des Heil. Sebald, nach Albrecht Duͤrers Zeichnung in Bronze gegoſſen, von Peter Viſcher und ſeinen 5 Soͤhnen. Der Zeich - nung liegt die etwas ſeltſame Idee zum Grun - de, daß der Sarg die Geſtalt eines Haͤus - chens hat, welches unter einem Tabernakel ſtehet, der uͤberreich an groͤßern und kleinern Figuren iſt, unter denen ſich die zwoͤlf Glau - bensboten beſonders auszeichnen. Der Guß iſt uͤberaus rein und giebt die feinſten Faͤlt - chen und Puͤnktchen mit bewundernswuͤrdiger Schaͤrfe und Zartheit an. Vor dieſem Grab - male ſteht ein hoͤlzernes Kreuzbild von Veit Stoß, das in Ruͤckſicht der Kunſt Aufmerk - ſamkeit verdient. Jenes kam im Jahre 1519, dieſes 1526, zu Stande. Sonſt ſind noch138 mehrere Gemaͤlde und Bildhauereyen von Al - brecht Duͤrer, Creutzfelder, Kraft, Merian u. a. m. in dieſer Kirche vorhan - den.

St. Lorenz iſt ungefaͤhr in demſelben Geſchmacke und von demſelben Umfange, wie St. Sebald. Auch dieſe Kirche zeichnet ſich in ihrem Innern durch mehrere Merkwuͤrdig - keiten der alten deutſchen Kunſt aus. Von Adam Kraft iſt das ſogenannte Sakra - mentshaͤuslein am Hauptaltar, 64 Ellen hoch und ganz aus Stein gehauen, mit einer Feinheit und Zartheit, daß es ſcheint, der Kuͤnſtler habe den Stein mit einer Leichtigkeit bearbeitet, wie Holz. Auch meynt Hr. v. Murr, in ſeinen Merkwuͤrdigkeiten von Nuͤrnberg: Kraft habe das Ge - heimniß gewußt, einer Miſchung von Sand und Ton die Haͤrte des Steines zu geben, und ſonach habe er manche der feinern Stuͤcke an dieſem Werke gleichſam boſſiert, dann ge - haͤrtet und angeſetzt. Seltſam iſt der Ge -139 danke, dieſes ganze ſteinerne Gebaͤude, ſich und ſeinen beyden Soͤhnen auf den Kopf zu ſetzen; er, naͤmlich, und jene, knieen unter demſelben und bilden ſolchergeſtalt den Fuß, worauf das Ganze ruhet. Ein großer Ver - ſtoß gegen die Wahrſcheinlichkeit in der Kunſt, den man aber an mehrern gothiſchen Gebaͤu - den wiederholt findet, z. B. an dem Dom zu Kremona, deſſen Portal auf zwey Loͤwen ru - het. Von Veit Stoß iſt auch ein Mei - ſterſtuͤck hier, aber in Holz, das die Ver - kuͤndigung Mariens vorſtellt. Es iſt im Chor am Gewoͤlbe befeſtigt und kann nicht ohne große Muͤhe geſehen werden.

Die Kirche zu St. Aegydien iſt die neueſte in Nuͤrnberg und ſtammt aus dem An - fange dieſes Jahrhunderts. Sie iſt im neuern Italieniſchen Geſchmack, von außen nach do - riſcher, von innen nach korinthiſcher Ordnung erbauet. Martin Schuſter hat die Decke, Daniel Preisler die Kuppel hinter dem Chor, und Van Dyk das Altarblatt gemalt,140 das eine Abnehmung vom Kreuze darſtellt. Die drey Kapellen an dieſer Kirche ſind, wie man auf den erſten Blick ſieht, von aͤlterem Dato, und von der alten Kirche, die 1696 abbrannte, uͤbrig geblieben.

In der Kirche zum heiligen Geiſt be - finden ſich die Reichsheiligthuͤmer, die man in einer Kiſte uͤber dem Chore aufge - haͤngt hat, und die Reichskleinodien, die in einer Kapelle uͤber der Sakriſtey ver - wahrt ſeyn ſollen. Ich habe ſie nicht geſehen, und ſie ſollen nur Perſonen des hoͤchſten Stan - des gezeigt werden. Viele haben daraus ge - ſchloſſen, daß ihrer gar keine da waͤren, was zu voreilig iſt.

Die Marienkirche ſchließt ebenfalls mehrere Merkwuͤrdigkeiten der altdeutſchen Kunſt, Gemaͤlde und Schnitzwerke in Stein und Holz, ein. Kenner und Liebhaber ſolcher Dinge duͤrfen eigentlich keine Kirche in Nuͤrn - berg unbeſehen laſſen. Nicht minder anziehend iſt der Genuß, den man ſich auf den beyden141 hieſigen Gottesaͤckern, zu St. Johannes und St. Rochus, durch Aufſuchung der Denkmale beruͤhmter, politiſch - und literariſch - verdienter Maͤnner, deren Nuͤrnberg in aͤltern Zeiten eine achtungswerthe Reihe gehabt hat, verſchaffen kann.

Die Anſtalten Nuͤrnbergs, die zur Polizey im engern und weitern Verſtande gehoͤren, ſind ſehr mannigfaltig. Sie haben groͤßeſten - theils ihren Urſprung in den fruͤhern und gluͤck - lichern Zeiten dieſes Freyſtaats, werden aber jetzt noch, wo nicht erweitert, doch nach Be - darf erhalten.

Das Almoſen - Armen - und Krankenweſen iſt auf einem guten Fuße. Es hat ein be - traͤchtliches Grundkapital, theils an den ein - gezogenen Kirchen - und Kloſterguͤtern, zu de - ren Verwaltung und Pflege mehrere Aemter niedergeſetzt ſind, die von den vornehmſten Rathsgliedern beſorgt werden, theils an den zahlreichen milden Stiftungen von Privatper - ſonen, die in fruͤhern Zeiten gemacht und zum142 Theil reichlich begabt worden ſind. Zur Ver - waltung der letztern ſind gewiſſe Familien oder Privatperſonen beſtimmt, die von den Stif - tern vorgeſchrieben worden, und welche die Austheilung der Almoſen, die in Lebensmit - teln und auch in Geld beſtehen, meiſt nach Gutduͤnken beſorgen. Vielleicht waͤre zum Beſten der Nothleidenden zu wuͤnſchen, daß ihre Pfleger weniger vornehm, und daß die Verwaltungs-Aemter, Beamte und Ausſpen - der weniger zahlreich waͤren. Eine einzige Stelle, mit dem vierten Theile des jetzigen Perſonale beſetzt, wuͤrde, da man Uneigen - nuͤtzigkeit und Menſchenliebe in einem Frey - ſtaat, beſonders bey deſſen Beamten, unbe - dingt heiſchen muß, dieſe Verpflegungsge - ſchaͤfte mit weniger Koſten und mehr Einheit beſorgen koͤnnen. Jetzt ſind die hieher gehoͤri - gen Stellen folgende:

Das Spitalamt und das Kloſter - amt St. Katharina. Beyden ſteht das oberſte Rathsglied als Oberpfleger vor,143 der noch einen Pfleger, (von Adel) einen Kaſtner, (Kaſſirer) einen Gefaͤlleinnehmer und einen Subſtituten (?) unter ſich hat.

Das Amt von St. Klara und Pil - lenre[u]t. Das zweyte Rathsglied iſt hier Oberpfleger, der noch einen Pfleger, (von Adel) einen Gegenſchreiber und einen Subſtituten unter ſich hat. Sankt Klara hat noch eine Aebtiſſin, die von Adel iſt.

Die beyden Almoſenaͤmter (Stadt - und Land) ſtehen unter vier Rathsgliedern, die den Titel Oberalmoſenpfleger fuͤhren. Sonſt war ihrer nur Einer vorhanden. Jetzt hat das Stadtalmoſenamt einen (adli - chen) Pfleger, einen Amts - und Gegenſchrei - ber, einen Bauinſpektor und einen Regiſtra - tor; und das Landalmoſenamt zwey Pfleger, (von Adel) einen Gegenſchreiber, einen Regi - ſtrator, zwey Gefaͤlleinnehmer, zwey Subſti - tuten und Einen Amtsvogt unter ſich.

Außer dieſen ſind noch die Pflege der beyden Findeln (eines Wayſenhauſes fuͤr144 Knaben und Maͤdchen;) die Mendel'ſche und Landauer'ſche Stiftung; zwey Pil - grimsſpitaͤler zu St. Martha und zum Heil. Kreutz; und vier ſogenannte Siech - koͤbel (Armenhaͤuſer) vor der Stadt vorhan - den, deren Verwaltung, ſo einfach und ge - ring ſie auch iſt, ebenfalls von mehreren Rathsgliedern und Gehuͤlfen beſorgt wird. Dieſe Vervielfaͤltigung der Aemter ohne Noth, die faſt bey allen Stellen ſtatt findet, iſt eine der Beſchwerden der Buͤrgerſchaft gegen das Patriziat, das dergleichen uͤber die Gebuͤhr ge - ſchaffen hat, um ſeine Kinder und Verwand - ten unterzubringen; und dieſe Beſchwerde ſcheint mir dadurch deſto buͤndiger zu werden, da dieſe Aemter, wie alle uͤbrige, die das Pa - triziat beſetzt, nur dem Rathe Rechenſchaft ablegen, der ſeinerſeits das Vorrecht zu haben behauptet, der Buͤrgerſchaft keine Rechenſchaft ablegen zu duͤrfen.

Die Anſtalten, die von den verſchiedenen Verpflegungsfonds unterhalten werden, ſindmancher -145mancherley, und außer dem Hoſpitalweſen ge - hoͤrt auch noch das Schul - und Kirchenweſen dazu.

Das neue Hoſpital zum Heil. Geiſt hat ein geraͤumiges Lokale, und iſt zu einer lebenslaͤnglichen Verpflegung fuͤr alte, arme, unvermoͤgliche Perſonen beſtimmt, deren An - zahl ſich gewoͤhnlich uͤber 100 belaͤuft.

Bey der Barfuͤßer-Kirche, (ehemals ein Franziskanerkloſter) iſt ein Wayſen - und ein Zucht - und Arbeitshaus; bey der St. Katharinen-Kirche ein aͤhnliches; bey der ehe - maligen St. Kunigunden-Kapelle, eine Schule fuͤr arme Kinder; bey der Kirche zu St. Martha ein Hoſpital fuͤr Pilgrime, worin fremde, beduͤrftige Perſonen Eſſen und Trinken erhalten; bey der ſogenannten Tod - ten-Kapelle, eine Verpflegungs-Anſtalt fuͤr 12 arme Maͤnner, und eine aͤhnliche iſt die Landaueriſche Stiftung bey der Kapelle zu allen Heiligen. In der Judengaſſe iſt ein Krankenhaus, erſt 1770 errichtet, fuͤrFuͤnftes Heft. K146Arme, die aber nicht mit anſteckenden Krank - heiten behaftet ſeyn muͤſſen. Fuͤr anſteckende Kranke iſt dagegen das ſogenannte Schau - haus da, wo ſie unentgeldlich geheilt werden. Zu demſelben Behufe iſt auch das Seba - ſtians-Hoſpital. Im Fechthauſe befindet ſich ein Arbeitshaus fuͤr aufgegriffene Dir - nen, Bettler und Landſtreicher, die beſonders mit Schleifung von Brillen und Brennglaͤ - ſern beſchaͤftigt werden. Die Zellen des ehe - maligen Karthaͤuſerkloſters werden den Witt - wen der Kirchen - und Schuldiener zu Woh - nungen uͤberlaſſen, bis auf eine, worin man Konvertiten aufnimmt, die ſich etwa eine Weile hier aufhalten moͤgen. Endlich befindet ſich noch im Deutſchen Hofe das alte Eliſa - beth-Hoſpital.

Vor der Stadt ſind vier ſogenannte Siech - koͤbel*)Man ſollte, wie mich duͤnkt, dieſe unanſtaͤndige Benennung, die Verachtung gegen die darin befind - lichen Ungluͤcklichen andeutet, jetzt in eine anſtaͤndi -, worin theils Maͤnner theils Wei -147 ber, die das Alter unfaͤhig gemacht hat, ſich zu naͤhren, mit Wohnung und Pflege verſorgt werden; ein Pilgrimsſpital; und auf dem Gottesacker zu St. Rochus ſind mehrere Gebaͤude zu einem Lazareth beſtimmt, wenn epidemiſche Krankheiten ſich zeigen.

Der mediciniſche Theil der Polizey wird mit Zuziehung des Kollegiums der Aerzte und Apotheker beſorgt, welches zwey Raths - glieder zu Beyſitzern hat. Die Apotheker wer - den vor ihrer Annahme gepruͤft; ſie haben eine Taxe und ihre Officinen werden jaͤhrlich ein - mal unterſucht. Die Bartſcheerer und Bader, die hier eine getrennte Zunft ausmachen, wer - den bey ihrer Aufnahme ebenfalls gepruͤft. Drey der erſtern ſind zu Geburtshelfern beſtallt, und ſie muͤſſen ihre Geſchicklichkeit dargethan haben. Hebammen ſind in allem*)gere verwandeln. Koben, Koͤbel wird, wenig - ſtens in unſern Tagen, nur von Behaͤltniſſen fuͤr Thiere gebraucht und iſt ein Synonym von Stall geworden.K 214818 da. Sie muͤſſen 5 Jahr hindurch ihre Kunſt bey einer andern Hebamme geuͤbt, und nebenher theoretiſchen Unterricht von einem Arzte darin gehabt haben. Eine Pruͤfung ent - ſcheidet dann erſt uͤber ihre Geſchicklichkeit und Aufnahme. Ueber ſie und ihre Gehuͤlfinnen haben zwey ſogenannte ehrbare Frauen die Aufſicht. Außer dieſen ſind noch 7 ge - ſchworne Frauen da, die den Kindbette - rinnen und Kindern gewiſſe Dienſte leiſten, die kein Mann leiſten kann.

Zu den guten Anſtalten fuͤr die oͤffentliche Geſundheit gehoͤrt auch die, daß keine Leiche in der Stadt begraben werden darf. Nuͤrn - berg war eine der erſten Staͤdte, die dieſe Ge - wohnheit abſchaffte, und ſie leidet ſolche ſchon ſeit 1519 nicht mehr.

Um die Verfaͤlſchung der Lebensmittel zum Beduͤrfniß und zum Luxus zu verhuͤten, ſind ebenfalls mehrere Einrichtungen vorhanden. Das Schlachtvieh wird durch verpflichtete Per - ſonen unterſucht; das Gewuͤrz durch eine Ge -149 wuͤrzſchau; das Brot durch eine Brot - ſchau; der Wein wird in oͤffentlichen Nie - derlagskellern eine Weile aufbewahrt und erſt, wenn Pruͤfungen damit vorgenommen und die Gefaͤlle davon entrichtet ſind, an die Eigenthuͤmer verabfolgt. So haben auch die Bierbrauer, Eſſigmacher und Branntweinbren - ner ihre eigenen Vorſchriften in Abſicht der Guͤte, des Preiſes und des Gemaͤßes ihrer Waaren.

Der Verſorgung der Stadt mit reinem und geſundem Trinkwaſſer, habe ich ſchon oben erwaͤhnt, und es iſt ein eigener Raths - ausſchuß dazu angeordnet; jetzt beruͤhre ich noch einige andre Einrichtungen von Seiten der Polizey.

Die verſchiedenen Maͤrkte ſind fuͤr die ver - ſchiedenen Beduͤrfniſſe der Stadt beſtimmt, und beſtaͤndig wohl verſehen; ſo der große oder gruͤne Markt mit Gemuͤſen, Garten - fruͤchten und allem, was ſonſt in der Kuͤche gebraucht wird und die Landleute liefern; der150 Fiſchmarkt und der Obſtmarkt, mit den Waaren, die ihr Name anzeigt; der Spital - kirchhof, der Heumarkt und die beyden Lauferplaͤtze mit Getreide, Holz, Kohlen, Heu, Kalk; und endlich die alten und neuen Fleiſchbaͤnke mit friſchem und geraͤuchertem Fleiſche, mit Suͤlzen und Wuͤrſten aller Gat - tungen.

Weinniederlagen ſind der ſogenannte Wein - ſtadel und der Herrenkeller; Getreide - magazine ſind das Kornhaus auf der Reichs - veſte, und ein anderes auf der großen Wa - ge, worin immer, fuͤr den Fall des Mangels und der Theurung, Vorraͤthe gehalten wer - den. Gegen Wucher und Vorkauf ſind ſtrenge Verordnungen vorhanden. Von Monopolien finden nur zwey ſtatt, und zwar fuͤr Rech - nung des Staats, naͤmlich mit Unſchlitt und Weitzenbier; doch ſind deshalb dieſe Waaren, was ein ſeltener Fall iſt, nicht ſchlechter und theurer, als anderwaͤrts.

151

Wenn die Polizey fuͤr die Geſundheit, Verpflegung und Verſorgung der Stadt thaͤ - tig iſt, ſo iſt ſie es nicht minder fuͤr ihre in - nere Ruhe und Sicherheit. Außer der Miliz, welche der Staat als Reichskoncingent, auch im Frieden, unterhaͤlt, iſt jeder mannbare Buͤrger, der Standes oder Amts wegen nicht ausgenommen iſt, verpflichtet, in Nothfaͤllen die Waffen zu ergreifen. Die bewaffnete Buͤr - gerſchaft beſteht aus drey Bataillonen zu Fuß, und zwey Kompagnieen zu Pferde. Jede Ab - theilung hat ihren beſtimmten Laͤrmplatz. Sie uͤben ſich auf dem Schießhauſe und in den buͤrgerlichen Schuͤtzengeſellſchaften. Ein klei - nes, buͤrgerliches Artilleriekorps iſt auch vor - handen. Die aͤußern Schanzen vor der Stadt werden von Feldmiliz, die Stadtthore von Buͤrger - und Feldmiliz zugleich bewacht. Beym Rathhauſe iſt eine Hauptwache, die durch letztere beſetzt wird. Auf der Reichsveſte haben Kuͤraſſiere und Dragoner ohne Pfer - de den Dienſt. Noch iſt eine berittene152 Stadtgarde da, die beſonders zu Verſchickun - gen und obrigkeitlichen Geſchaͤften gebraucht wird.

Zur Sicherheit des Nachts werden die Thore verſchloſſen gehalten, doch kann man, gegen Einlaßgebuͤhr, zu jeder Zeit, durch zwey Pforten, in die Stadt. Waͤchter von mehre - ren Gattungen durchſtreifen die Stadt, und rufen die Stunden an; andere thun daſſelbe auf den Stadtmauern. Der Vortheil der Er - leuchtung durch Laternen geht der Stadt bis jetzt noch ab. Nur ein paar Hauptſtraßen genießen ihn, aber es iſt bloß auf Veranſtal - tung einzelner Einwohner, welche die Koſten davon beſtreiten. Die Stadtthuͤrmer ſind be - ſonders angewieſen, uͤber Feuersgefahr zu wa - chen. Auf ein Zeichen an der Sturmglocke werden die Trommeln geruͤhrt; die Waſſer - kuͤnſte, die Spritzen, Leitern, Feuerhaken wer - den in Bewegung geſetzt; wer Pferde beſitzt, ſpannt ſie vor die Waſſerkufen. Die drey er - ſten, die ankommen, erhalten Preiſe. Einige153 Handwerker, als Maurer, Zimmerleute, Schmiedte ꝛc. ſtehen unter dem ſogenannten Feuergehorſam, und thun beſonders die Arbeiten in der Noth, empfangen auch eine Belohnung dafuͤr. Schon die Lehrjungen die - ſer Gewerke erhalten, waͤhrend ihrer Lehr - jahre, zweymal Kleidungsſtuͤcke unentgeldlich vom Stadtalmoſenamt, als Ermunterung und als Belohnung fuͤr die Dienſte, die ſie hierin dem gemeinen Weſen zu leiſten haben. Die Brandſtaͤtte wird durch Miliz beſetzt, und die bewaffnete Buͤrgerſchaft verſammelt ſich an ih - ren Laͤrmplaͤtzen, um Unordnungen zu verhuͤ - ten. Da ſonach jeder weiß, was er zu thun hat, und wo er gebraucht wird, ſo greift ſehr ſelten ein Brand weit um ſich. Daher kommt es wohl, daß in der hieſigen Brandver - ſicherung ſo wenig Haͤuſer aus Nuͤrnberg ſelbſt eingeſchrieben ſind.

Da diejenigen Haͤuſer, die an beyden Sei - ten der Pegnitz liegen, welches uͤberhaupt der niedrigſte Theil der Stadt iſt, zuweilen Ue -154 berſchwemmungen ausgeſetzt ſind, ſo hat man auch dagegen, noch vor wenig Jahren, die kraͤftigſten Einrichtungen von Seiten der Po - lizey getroffen.

Noch einige Anſtalten zur Bequemlichkeit und zur Erleichterung der Buͤrger ſind in Nuͤrnberg, die man nicht leicht in einer an - dern deutſchen Stadt finden wird, weil man ſich gewoͤhnlich um den innern Haushalt der Einwohner nicht ſehr zu bekuͤmmern pflegt. Zu der erſten Art rechne ich eine oͤffentliche Waͤſchbleiche und zwey Waſchhaͤuſer zum allgemeinen Gebrauch; und zur letztern Art die Erlaubniß, die jeder Buͤrger hat, ſich aus dem zu Nuͤrnberg gehoͤrigen Reichswalde, gegen eine unbetraͤchtliche Abgabe, ſeinen Be - darf an Holz anfahren zu laſſen. Den aͤr - mern Buͤrgern und Einwohnern iſt es geſtat - tet, in eben dieſem Walde duͤrre Aeſte und Reißig zu leſen und umſonſt nach Hauſe zu ſchaffen. Noch eine hieher gehoͤrige Anſtalt iſt das Leihhaus, das in dringenden Faͤllen155 den Buͤrgern aus Verlegenheiten hilft und ſie nicht in die Haͤnde der Wucherer fallen laͤßt.

An Anſtalten, die zur Bildung des Geiſtes und des Koͤrpers, und zum Anbau der Wiſ - ſenſchaften und Kuͤnſte gehoͤren, hat der Staat von Nuͤrnberg auch keinen Mangel. Obenan ſteht die hohe Schule zu Altorf, die re - gelmaͤßig, wie jede andre, eingerichtet iſt, die noͤthigen Lehrſtuͤhle fuͤr jede Fakultaͤt und Wiſ - ſenſchaft, und einen guten gelehrten Apparat beſitzt, der in einer anſehnlichen Buͤcherſamm - lung, einer Kunſt - und Naturalienkammer, einer Sternwarte, einem Zergliederungs-Saal, einer chemiſchen Werkſtatt, einem botaniſchen Garten und einem kliniſchen Krankeninſtitut beſteht. Stipendien und Freytiſche fehlen nicht.

Das Aegydianiſche Gymnaſium iſt in Nuͤrnberg ſelbſt. Es hat einen Hoͤrſaal, in welchem 6 Profeſſoren, junge Leute, welche die niedern Schulen hinter ſich haben, durch oͤffentliche Vorleſungen zur hohen vollends vor -156 bereiten. Das Gymnaſium ſelbſt hat fuͤnf Schulen, Einen Rektor und Vier Unterlehrer. Außer dieſem ſind noch drey lateiniſche Schulen vorhanden, mit denen Unterricht in der Muſik und Singchoͤre verbunden ſind. Eine vierte lateiniſche Schule, die zu St. Ja - kob, iſt im Eingehen.

Die Stadt hat fuͤnf Armenſchulen, de - ren keine aus dem vorigen Jahrhun - dert ſtammt, ſondern die alle in dem ge - genwaͤrtigen von Privatleuten errichtet und be - gabt worden und wahrhaft muſterhaft und wohlthaͤtig ſind. Denn, außer freyem Unter - richt, bekommen die Kinder nicht nur die Buͤ - cher und Schreibmaterialien unentgeldlich, ſondern auch woͤchentlich Ein Brod, einen Beytrag an Gelde, und von Zeit zu Zeit Klei - dungsſtuͤcke. Der Platz und die Ausſtattung dieſer Haͤuſer reichen fuͤr die ſehr betraͤchtliche Anzahl von 5 bis 550 Kindern zu.

Vor kurzem hat hier ein Kandidat der Theologie, Namens Buͤchner, eine Erzie -157 hungsanſtalt angelegt, deren Einrichtung ſehr befriedigend iſt. Sie iſt fuͤr einheimiſche und auswaͤrtige Kinder von 6-12 Jahren be - ſtimmt, die auch Koſt und Wohnung haben koͤnnen, und ſowohl in den erſten Kenntniſſen des Leſens, Rechnens und Schreibens, als auch in der Religion, Erdbeſchreibung, Ge - ſchichte, Naturlehre, Logik, Mathematik ꝛc. und in koͤrperlichen Uebungen unterrichtet werden. Kinder weiblichen und maͤnnlichen Geſchlechts werden aufgenommen. Es ſind der Zoͤglinge ungefaͤhr dreyßig. Der Unter - nehmer lehrt ſelbſt, und haͤlt noch einige Ne - benlehrer. Seine Anſtalt ſteht unter dem Scholarchat und einem Aufſeher aus dem Miniſterium.

Noch ſind 17 Privatſchulen in Nuͤrnberg, die man die deutſchen Schulen nennt, und worin bloß im Leſen, Schreiben, Rechnen und Chriſtenthum Unterricht gegeben wird. In einem kleinen Freyſtaate, wo der Zunft -158 und Privilegien-Geiſt durch die Verfaſſung befoͤrdert wird, iſt es ſo gar befremdlich nicht, wenn man auch eine Schulmeiſter-Zunft fin - det. Eine ſolche bilden in der That die Un - ternehmer dieſer Schulen, die man Schreib - und Rechenmeiſter nennt. Sie muͤſſen be - ſtimmte Jahre bey einem ſolchen Schulmeiſter gelernt haben, koͤnnen auch nicht eher eine ei - gene Schule halten, als bis eine Stelle auf - geht; die Wittwen koͤnnen auch durch ſolch ei - nen ausgelernten Schulmeiſter die Schule ver - ſehen laſſen. Ein Rathsausſchuß hat die Auf - ſicht uͤber dieſe Zunft, und fuͤr jede der Schu - len iſt ein Prediger beſtimmt, der ſie von Zeit zu Zeit beſuchen und den Unterricht pruͤfen muß.

Seit 1660 iſt hier ſchon eine Maleraka - demie errichtet, und ſie iſt vielleicht die aͤl - teſte in Deutſchland. Drey Tage in der Woche werden hier Stunden gegeben, und man zeich - net nach lebendigen und todten Modellen. 159Die Anfangsgruͤnde werden in einer zweyten beſondern Zeichenſchule gelehrt. Noch giebt es eine dritte Zeichenſchule fuͤr die Lehr - linge der Handwerker. Sogar ein Stall - meiſter, Fechtmeiſter und zwey Tanz - meiſter ſind zum Unterricht in ihrer Kunſt vorhanden.

Noch ſind Truͤmmer von der uralten Mei - ſterſaͤnger-Geſellſchaft hier, deren Uebungen aber ſeit Jahren gaͤnzlich aufgehoͤrt haben. Unter den Handwerkern finden ſich noch einige von dieſen Dichtern und Saͤngern. Vielleicht bezieht ſich noch die Gewohnheit darauf, daß die hieſigen Handwerksburſchen an Sommer - abenden durch die Stadt ziehen und geiſtliche Lieder ſingen.

Auch die Geſellſchaft des Pegnitziſchen Blumenordens iſt, nach einer 150jaͤhrigen Dauer, noch vorhanden, beſchaͤftigt ſich be - kanntlich mit deutſcher Sprache und Littera - tur und mit vaterlaͤndiſcher Geſchichte, hat160 48 Mitglieder, und den gelehrten Litterator Panzer*)Dieſer Gelehrte hat, wie der Herr von Murr und der fleißige Prof. Siebenkeeſ zu Altorf, unſchaͤtz - bare Verdienſte um die politiſche, litterariſche und artiſtiſche Geſchichte von Nuͤrnberg. zum Vorſteher.

Noch iſt ein gut eingerichtetes Leſeinſti - tut vorhanden, und eine Geſellſchaft zur Befoͤrderung vaterlaͤndiſcher Induͤ - ſtrie, die ſich die Hamburgiſche zum Muſter genommen hat, und ſchon 50 Mitglieder aus allen Staͤnden zaͤhlt.

Die hieſigen Bibliotheken und Kunſt - ſammlungen gehoͤren nicht zu den unbe - traͤchtlichen. Die Stadtbibliothek hat beſonders einen guten Vorrath an alten Druk - ken und andern typographiſchen Seltenheiten, auch an Handſchriften. Die Dillherrſche, die Fenitzeriſche, dieEbneriſche und Marpergeriſche Bibliotheken, enthalten ebenfalls mehr oder weniger Merkwuͤrdigkeiten dieſer Art.

Das161

Das Prauniſche Kunſtkabinet, mit welchem eine Gemaͤldeſammlung verbun - den iſt, laͤßt kein Fremder unbeſucht, und eine aͤhnliche Aufmerkſamkeit verdient die Pelle - riſche Sammlung.

Zum wiſſenſchaftlichen und artiſtiſchen Ver - kehr ſind endlich noch 13 Buch - und 9 Kunſt - handlungen innerhalb der Mauern von Nuͤrn - berg.

Alle dieſe mannichfaltigen Anſtalten, die ich, der Kuͤrze wegen, nur habe andeuten koͤn - nen, geben eine allgemeine Ueberſicht von der muſterhaften buͤrgerlichen Einrichtung der Stadt. Zu unterſuchen, in wie ferne dieſe, durch die politiſche beeintraͤchtigt, minder wohlthaͤtig, friedlich und praktiſch gemacht wird, iſt nicht die Sache eines Durchreiſenden; eben ſo wenig als diplomatiſch zu entſcheiden, wem der groͤßere und kleinere Theil der Schuld beyzumeſſen ſey. Ich habe uͤber die Irrun - gen, die jetzt zwiſchen Rath und Buͤrgerſchaft obwalten, viel und von allen Parteyen gehoͤrt;Fuͤnfteſ Heft L162aber man hoͤrt einſeitig, wo einmal Parteyen ſind, man hoͤrt nur Leidenſchaft, Eigennutz, Hochmuth und Erbitterung ſprechen, und man kann nur dann jeder Partey ihren Theil von Recht und Unrecht zuſprechen, wenn man ſelbſt die Verfaſſung aus ihren Quellen und aus Erfahrung kennen gelernt hat. Soviel glaube ich aber im Allgemeinen zur Beurthei - lung dieſer innern Zwiſtigkeiten ſagen zu koͤn - nen: das Patriziat handelt nach den Grund - ſaͤtzen einer Ariſtokratie, die zur Ochlokratie neigt, verdraͤngt die uͤbrigen Staatsbuͤrger von den Hauptgeſchaͤften der Regierung und von den obern Stellen, und ſchmaͤlert die Vorrechte derer, die ſie ſelbſt fuͤr rathsfaͤhig anerkennt. Daher Klagen der Patrizier vom neuern Dato gegen die vom aͤltern; daher Beſchwerden der niedern patriziſchen Beamten gegen die hoͤhern; daher Unzufriedenheit der mittlern Buͤrgerklaſſen, des Kaufmanns - und Gelehrten-Standes mit beyden Klaſſe der163 Patrizier; daher Aufſaͤßigkeit und Groll der Kuͤnſtler - und Handwerker gegen alle obige. So kommt es, daß Ariſtokraten gegen Ochlo - kraten, beyde gegen die Kaufmanns - und Ge - lehrten-Klaſſen, und alle drey zuſammen ge - nommen, gegen die Hauptmaſſe des arbeiten - den und abgebenden Staatsbuͤrgers kaͤmpfen, der jedoch dadurch einer gaͤnzlichen Unterdruͤk - kung entgeht, daß jede der genannten Par - teyen ihn, den ſtaͤrkſten an thieriſcher Kraft, wechſelſeitig auf ihre Seite zu bringen und ſich zu erhalten ſucht. Das klare Reſultat dieſer Angaben waͤre alſo: daß die Ochlokra - ten fuͤr Herrſchſucht, Hochmuth, Nepotismus und Monopol kaͤmpfen, indem ſie fuͤr die wahre Verfaſſung des Staats zu kaͤmpfen vorgeben; daß die Ariſtokraten fuͤr Privilegien, Stellenſucht, Bequemlichkeit, eigennuͤtzige Ver - ſorgung ihrer Kinder und Verwandten ſtrei - ten, indem ſie meynen, fuͤr die ihnen zukom - menden Gerechtſame zu ſtreiten; daß die Kauf -L 2164leute und Gelehrten fuͤr Neid, fuͤr empoͤrte Eigenliebe und fuͤr Auszeichnung im Staat arbeiten, indem ſie gegen den Untergang deſ - ſelben, gegen Willkuͤhr und Unverantwortlich - keit des Raths und gegen den Eindrang des Patriziats in alle Staatsſtellen, ſelbſt die ge - ringern, zu arbeiten ſich die Miene geben; und daß endlich der gemeine Staatsbuͤrger die ei - gentliche Stuͤtze, das Laſtthier des Staates, daß nur dieſer allein fuͤr erworbene und na - tuͤrliche Rechte, fuͤr ſeine Nahrung, Haus und Hof und politiſches Daſeyn ſtreite, mithin unter den fechtenden Parteyen die einzige ſey, die das Recht auf ihrer Seite hat, aber ge - rade am ſpaͤteſten dazu gelangen wird, weil ſie ihre Sache gegen ihre eigenen Richter fuͤh - ren und gewinnen muß, die uͤberdieß bey mehr Gewandtheit, Reichthum, Luſt und Politik, ihren geſunden Menſchenverſtand nicht fuͤrch - ten, ſo wie ſie ihre phyſiſche Ueberlegenheit durch Uneinigkeit und Eiferſucht, die ſie in165 ihren eigenen Schooß ſtreuen, bis zur Ohn - macht zu ſchwaͤchen verſtehen*)Bey meiner Anweſenheit in Nuͤrnberg erſchien fol - gende kleine Schrift: Bemerkungen und Er - laͤuterungen uͤber die Nuͤrnbergiſche Staatsverfaſſung, von einem Nuͤrnber - giſchen Buͤrger verfaßt, 1ſtes Heft. 1793. Sie iſt ohne Leidenſchaft geſchrieben und mit Ur - kunden belegt. Anſtatt einen Auszug davon zu ge - ben, empfehle ich vielmehr ſie ganz zu leſen. Bey aller Kuͤrze iſt ſie ſehr deutlich und beſtimmt, und muß jeden Unparteyiſchen befriedigen.

Wenn man dieſe Umſtaͤnde erwaͤgt, ſo kann man ſich ſchon, ohne naͤhere Ang die Zerſtuͤckelung der Geſellſchaft in Nuͤrnberg denken. Das alte Patriziat lebt fuͤr ſich und ſieht auf alle uͤbrige Klaſſen, die unter ihm ſind, herab; das juͤngere haͤlt zuſammen, iſt neidiſch auf jenes, und ſieht die naͤchſtfolgende Klaſſe uͤber die Achſel an; letztre bleibt fuͤr ſich, haßt die beyden erſtern als Staats-Mo - nopoliſten und duͤnkt ſich weit mehr, als die folgende Ordnung ihrer Mitbuͤrger; dieſe theilt166 ſich wiederum faſt in ſo viel Haufen als Zuͤnfte ſind: der Kuͤnſtler duͤnkt ſich beſſer als der Handwerker und eben ſo gut als der Kauf - mann; der Handwerker will nicht weniger ſeyn als der Kuͤnſtler, aber weit mehr als der Unzuͤnftige und Tageloͤhner; und welcher der letztern hielte ſich nicht fuͤr beſſer als der Bauer? So leiden alle an Einer Krankheit, und das ſuͤndige Gift derſelben ſind die Pri - vilegien. Jeder Stand hat einen privilegirten Kreis um ſich her, und Kreiſe ſind nicht die - jenigen mathematiſchen Figuren, die ſich an einander ſchließen, ohne Luͤcken zu laſſen; jeder treibt vielmehr ſeine Zuruͤndung durch das Gebiet des andern und haͤlt fuͤr ſein, was er davon einſchließt. Daher ewige Reibung, ewige Gaͤhrung, ewiger Kampf der Staͤnde unter einander, hier, wie in allen Frey - ſtaaten.

In Abſicht des Luxus, des Aufwandes und der Sittenbildung iſt Nuͤrnberg in, Vergleich mit mancher kleinern Stadt in Deutſchland,167 zu ſeinem Gluͤcke noch nicht weit vorgeruͤckt. Selbſt der Adel, oder vielmehr das Patriziat hat in ſeinem innern und aͤußern Weſen noch ſehr viel buͤrgerliches und altmodiſches, mit einer Miſchung von Gravitaͤt und Regierungs - bewußtſeyn bey den aͤltern, und von Adelſtolz und geſellſchaftlicher Anmaßung bey den juͤn - gern, von denen nur einzelne frey ſind. Wa - gen und Livreen, haͤusliche Einrichtung und Tracht, Gaſtmaͤler und Luſtpartien, Liebhabe - reyen und Beſchaͤftigungen, kurz die ganze Art zu ſeyn der aͤltern, haͤlt ungefaͤhr den Mit - telweg zwiſchen der Art zu ſeyn eines preußi - ſchen Miniſters und eines Buͤrgermeiſters in Hamburg; waͤhrend das Weſen der juͤngern ein Mittelding zwiſchen dem Weſen eines Land - edelmanns und eines adelichen Referendars in Berlin ſeyn moͤchte. Die letztre Gattung faͤhrt, reitet, jagt noch aus Liebhaberey, haͤlt noch Umgang mit den juͤngern Gliedern des Gelehrten - und Kaufmannsſtandes, beſucht noch oͤffentliche Oerter, die dieſe beſuchen, mit168 aus der Taſche hervorragender Tabackspfeife, geht noch auf Pickenicke, und tanzt und lie - belt mit den Kaufmanns - und Gelehrten - Frauen und Toͤchtern; aber die erſtre Gattung geht aus ihrer Klaſſe und ihrer Gravitaͤt ſchwer heraus, und ſucht nur ſolche Unterhaltungen, die der Wuͤrde ihres Standpunktes angemeſ - ſen ſind, wohin denn große ceremonienreiche Familien - und Kollegen Schmaͤuſe und andre ſteife Erholungen gehoͤren. Finden ſie Vergnuͤ - gen an den Wiſſenſchaften, ſo ſind Gelehrte die einzigen aus der Buͤrgerwelt, mit denen ſie Umgang halten; und ihre Frauen ſind dann wohl ſo gnaͤdig, die Ehehaͤlften derſelben zu - weilen zu einem Kaffeebeſuch einzuladen, ent - weder unter vier Augen, oder in einer dazu erleſenen, paßlichen Geſellſchaft; aber mit an - dern ſogenannten adelichen Damen aͤußerſt ſelten.

Das Weſen dieſer adelichen Damen erſter Ordnung entſpricht dem Weſen ihrer Maͤnner ganz. Man glaubt, wenn man ſich unter den169 aͤltern befindet, in einer Geſellſchaft bejahrter Kammerfrauen vom Churſaͤchſiſchen Hofe zu ſeyn. Die Juͤngern haben ſchon etwas mehr Leichtigkeit und man hoͤrt ſie noch zuweilen von Lektuͤre ſprechen und ſieht ſie lachen; aber ihr Weſen iſt ſchwerfaͤllig und verlegen, und ihr Geſchmack im Anzuge geht nicht uͤber den Ge - ſchmack der Kaufmannsfrauen oder Toͤchter in Leipzig hinaus. Das Blut in dieſer Klaſſe iſt nichts weniger als ſchoͤn; einen guten Wuchs ſieht man aber doch zuweilen.

Benehmen und Tracht des Gelehrtenſtan - des, wohin ich die Doktoren der Medizin und des Rechts und die Kirchen - und Schulgeiſt - lichkeit rechne, haben die auffallendſte Aehn - lichkeit mit dem Benehmen und der Tracht eben dieſes Standes in Dresden. Eine Aus - nahme machen auch hier die juͤngern, die noch keine Kundſchaft oder Stelle haben, oder erſt ſeit kurzem in Thaͤtigkeit geſetzt ſind. Nach wenigen Jahren bekommen ſie aber auch die eigenthuͤmlichen Falten ihres Standes.

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Der Kaufmannsſtand, der, trotz dem Ver - falle des Handels, immer noch anſehnlich und zahlreich genug in Nuͤrnberg iſt, genießt ei - gentlich des Lebens noch am meiſten und mit dem wenigſten Zwange. Man findet die Mit - glieder deſſelben in allen oͤffentlichen Gaͤrten um Nuͤrnberg, auf den Spatziergaͤngen, in den Klubbs, unter den Schuͤtzengeſellſchaften, auf Baͤllen, Redouten, Kirchweihen, in oͤf - fentlichen Konzerten ꝛc. Dieſe Vergnuͤgungen ſind alle auf einen ſparſamen Fuß geſetzt und verſchaffen dem ſonſt fleißigen Manne die noͤ - thige Erholung ohne große Koſten. Fremden, die eine Weile in dieſer merkwuͤrdigen Stadt leben wollen, rathe ich, ſich an dieſen Stand zu halten, unter welchen ſie viel unterrichtete Maͤnner finden werden, die von dem altreichs - ſtaͤdtiſchen, breiten, umſtaͤndlichen Ton weit entfernt und zugleich noch Muſter altdeutſcher Redlichkeit und Offenheit ſind. Wer als Frem - der ſich zu den Cirkeln deſſelben haͤlt, kann auch, ohne ihre Eiferſucht zu erregen, mit171 patriziſchen Familien umgehen; aber letztre ſind ſo billig nicht, und man kann, wenn man von ungefaͤhr mit einer buͤrgerlichen Ge - ſellſchaft an einen Ort koͤmmt, wo man auch patriziſche Bekannte findet, ſicher darauf rech - nen, daß letztre merklich fremd und zuruͤckhal - tend ſeyn werden, bloß um ſich nicht zugleich durch ein freundlicheres Betragen der buͤrger - lichen Geſellſchaft zu naͤhern, in welcher man gekommen iſt. Kein Buͤrgerlicher wagt es ſo leicht, eine Patrizierin zum Tanz aufzuziehen, aber es iſt oft der Fall, daß ein Patrizier ei - ner huͤbſchen Buͤrgerin die Hand bietet, was dieſe denn auch fuͤr eine ſo große Ehre haͤlt, als ihr Taͤnzer ihr dadurch zu erweiſen glaubt.

Der Kuͤnſtler und Handwerker vergnuͤgt ſich ebenfalls unter ſich. Er hat ſeine Gaͤrten und ſeine oͤffentlichen Haͤuſer, die er beſucht, wo er trinkt, kegelt, in der Karte ſpielt und ſich nach ſeiner Weiſe vergnuͤgt. Er haͤlt ſich gewiſſe Kaſſen, worin er Spiel - Wett - und Strafgelder ſammelt, die, wenn eine Summe172 bey einander iſt, zu Pickenicken, die er, beſon - ders des Sommers, auf dem Lande haͤlt, an - gelegt werden. Die Kirchweihen in den Vor - ſtaͤdten, Woͤhrdt (wo es 26 Wirthshaͤuſer giebt) und Goſtenhof, und anderwaͤrts, ſcheinen ſeine Lieblingsvergnuͤgungen zu ſeyn. Die Schießuͤbungen mit Buͤchſen und mit Arm - bruͤſten, haͤlt er noch fuͤr etwas mehr, als bloße Vergnuͤgung, er haͤlt ſie fuͤr Buͤrger - pflicht, fuͤr Schulen, wo er fuͤr den Nothfall die Vertheidigung ſeines Vaterlandes lernen kann.

Die oͤffentlichen Spatziergaͤnge um Nuͤrn - berg ſind nicht von Bedeutung. Der naͤchſte an der Stadt iſt die Hallerwieſe, ein ziemlich ſchmaler Raſenſtreif an dem linken Ufer der Pegnitz, der mit einer dreyfachen Lindenallee beſetzt iſt, zwiſchen denen hier und da einzelne ſteinerne Baͤnke und drey klein - liche, faſt verfallene Springbrunnen angebracht ſind. Er iſt nur an Sonn - und Feyertagen lebhaft, und man findet auf demſelben, was173 in Nuͤrnberg, außerhalb den Kirchen, eine ſel - tene Erſcheinung iſt, alle Staͤnde unter ein - ander gemiſcht.

Ein anderer iſt der Judenbruͤhl, eben - falls ein Raſenplatz von einigem Umfange, der durch Alleen von Linden - und Kaſtanien - baͤumen beſchattet wird und zu Ruheplaͤtzeu mehrere Raſenbaͤnke darbietet.

Spatziergang und Beluſtigung zugleich iſt der ſogenannte Dutzendteich, der ungefaͤhr drey Viertelſtunden von der Stadt liegt, und am haͤufigſten zu Fuße, zu Pferde und im Wagen beſucht wird. Ein duͤnner Wald von Nadelholz ſchließt 12 kleinere und groͤßere Teiche ein, und von dieſen hat der Ort den Namen. An dem groͤßeſten der Teiche liegt ein geraͤumiges Haus, an welches ſich ein ar - tiger Garten ſchließt, der mit Lauben, kleinen Haͤuſern und Pavillons fuͤr einzelne Gaͤſte und ganze Geſellſchaften beſetzt iſt. Auf dem großen Saale des Wirthshauſes wird getanzt; auf dem großen Teiche faͤhrt man des Som -174 mers in Luſtſchiffen, und des Winters Schlitt - ſchuh. Auf jenem Tanzſaale machte ich eine Bemerkung, die auf den Ton in Nuͤrnberg einen hellen Blick thun laͤßt: die Muſikanten, die zum Tanz aufſpielten, hatten dabey große Tabackspfeifen im Munde. Und doch tanz - ten ein paar Gerichtsfaͤhige, und an dem einen Ende des Saals ſaß eine ganze Geſell - ſchaft von Herren und Damen aus den al - ten Geſchlechtern.

Die Johannesfelder und der Irr - hayn bey Krafthof werden auch oft beſucht. Letzterer iſt ein geraͤumiger Platz, der dem Pegnitziſchen Blumenorden gehoͤrt und mit Alleen, Lauben, Pavillons, Berceaus und ei - nem Labyrinth verziert iſt. Ein in der That ſehr angenehmer Aufenthalt, der fuͤr jeder - mann offen ſteht, wenn jene Geſellſchaft nicht gerade ſelbſt ſich dort befindet.

Zum Lobe der oͤffentlichen Sittlichkeit der Nuͤrnberger bemerke ich noch, daß es in ihrer Stadt keine liederlichen Haͤuſer giebt.

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Zum Schluſſe faſſe ich einige ſtatiſtiſche Angaben von Nuͤrnberg und deſſen Gebiete zu - ſammen, die aus der Beſchreibung dieſer Stadt, welche waͤhrend meiner Anweſenheit daſelbſt erſchien, ſo wie mehrere der voranſtehenden Nachrichten, gezogen ſind*)Ihr Titel iſt: Kurze Beſchreibung der Reichsſtadt Nuͤrnberg; ein Handbuch fuͤr Einheimiſche und Fremde, zunaͤchſt aber fuͤr Reiſende. Verfaſſet von C. G. Muͤl - ler. Nebſt einem geometriſchen Grundriſſe von der Stadt Nuͤrnberg. Daſelbſt bey Zehn. 1793..

Nuͤrnberg, unter dem 28°, 45′ der Laͤn - ge 49°. 26′. 56″ noͤrdlicher Breite gelegen, ſchließt innerhalb ſeiner Ringlinie eine Flaͤche von 67,443,136 Quadratſchuh ein.

Die innere Stadtmauer, welche die Stadt ſelbſt umſchraͤnkt, enthaͤlt eine Flaͤche von 15, 331,008 eben ſolcher Schuhe.

Die laͤngſte Seite der Stadt vom Spittler - bis zum Lauſer-Thor hat 5815 Fuß, oder 2326 gemeine Schritte, jeden der -176 ſelben zu 2326 Fuß gerechnet; ihre Breite vom Veſtner - bis zum Frauen-Thor, 4370 Fuß oder 1748 Schritte.

Der Umfang der Stadt, ihrer innern Mauer nach, betraͤgt 14,680 Fuß, oder 5872 Schritt; ihrer aͤußern nach, 17,845 Fuß, oder 7019 Schritt, die ungefaͤhr drey Viertelmeilen ausmachen.

Die Bevoͤlkerung der Stadt, kann man, die Vorſtaͤdte, Woͤhrdt und Goſten - hof, die Gaͤrten ꝛc. ausgeſchloſſen, den jaͤhrli - chen Sterbeliſten nach, zu 30,000 Seelen an - nehmen, eine Zahl, die vor 200 Jahren um die Haͤlfte, und vor 100 Jahren, um ein Drit - tel, ſtaͤrker war.

Die Einnahme und Ausgabe des Staats von Nuͤrnberg iſt nicht zu beſtimmen, weil die Berechnungen daruͤber nicht oͤffentlich werden. Eben ſo die Staatsſchulden, die man aber gemeiniglich auf 14 Millionen Rheiniſche Gulden ſetzen zu koͤnnen glaubt.

Das177

Das Gebiet des Staats von Nuͤrnberg erſtreckt ſich, von Morgen gegen Abend, auf 7 deutſche Meilen; und von Mittag gegen Mitternacht, ebenfalls auf 7 dergleichen Mei - len. Das Gebiet im engern Verſtande ſchließt ſich unmittelbar an die Linien der Stadt und enthaͤlt, außer mehreren Doͤrfern, den Se - balder - und Lorenzer Reichswald; das Gebiet im weitern Sinne enthaͤlt noch die 11 Pflegaͤmter Altorf, Lauf, Her - ſpruck, Reicheneck, Engelthal, Ho - henſtein, Velden, Petzenſtein, Hilt - poltſtein, Graͤvenberg und Lichtenau. Von der Bevoͤlkerung dieſes Gebiets und deſſen Ertrag, eben ſo wenig als von dem jetzigen Zuſtande des Handels, der Gewerbe, der Manufakturen und Fabriken des Staats von Nuͤrnberg, habe ich keine zuverlaͤſſige An - gaben aufbringen koͤnnen.

Von Nuͤrnberg reiste ich nach Schwa - bach. (2 M.) Der Weg, der gemacht iſt, fuͤhrt uͤber eine flache, ſandige Landſchaft,Fuͤnftes Heft. M178deren Boden aber, durch den Fleiß gezwungen, bis auf wenige Stellen in einer groͤßern Ent - fernung von Nuͤrnberg, die unuͤberwindlich duͤrre ſind, gute Aernten giebt. Der Wieſen - bau wird auch hier mit der in Franken ge - woͤhnlichen Sorgfalt betrieben, und uͤberall, wo es ein Fluͤßchen giebt, drehen ſich auch Schoͤpfraͤder an deſſen Ufer. Nach der Mitte des Poſtlaufs erhebt ſich der Weg zwiſchen Anhoͤhen und Wald, und geht ſo fort bis Schwabach, welches man, ſeinen Thurm aus - genommen, nicht viel eher erblickt, als bis man davor iſt. Eine ſchwarze, alte Mauer, mit bedecktem Gange rund herum, ſchließt die Stadt ein, deren Theile da, wo man herein koͤmmt, hoͤlzern und finſter und von krummen, unreinlichen Gaſſen durchſchnitten ſind. Der Markt zeichnet ſich etwas aus. Er iſt fuͤr die Groͤße der Stadt weitlaͤuftig genug, und mit einer Kirche und einem Springbrunnen ver - ziert, die durch das alte, unanſehnliche Rath - haus wiederum verunſtaltet werden. Der er -179 waͤhnte Springbrunnen iſt, wo nicht mit Ge - ſchmack, doch mit großen Unkoſten und in be - traͤchtlichem Umfange errichtet, und man er - wartet ihn unter ſolchen Umgebungen nicht. Es wird hier eine Menge von ſogenannten nuͤrnberger Waaren, nach ihrer Art in großer Vollkommenheit und zu beſſern Preiſen, verfertigt, als in ihrem eigenthuͤmlichen Ge - burtsorte ſelbſt; weßhalb auch Schwabach naͤchſt Fuͤrth eine der betraͤchtlichern Nebenbuh - lerinnen von Nuͤrnberg geworden iſt. Ich fand aber auch eine große Manufaktur hier, mit der ehedem, wenigſtens fuͤr jene Gegenden, Augsburg faſt monopoliſirte, nemlich: eine Zitz - und Kotton-Manufaktur, die nicht weni - ger als fuͤnfhundert alte und junge maͤnnliche und weibliche Arbeiter naͤhrt, und deren Waa - ren mich eben ſo ſehr durch innere Guͤte und Feinheit, als durch Nettigkeit und Neuheit der Zeichnungen uͤberraſchte. Auch ein ziem - lich betraͤchtliches Zucht - und Arbeits-Haus fand ich hier, mit welchem ein Irrenhaus ver -M 2180bunden iſt; aber weder in dem erſtern noch in dem letztern traf ich ein Subjekt aus Schwa - bach ſelbſt, weil, wie mir der Aufſeher ſagte, ohne zu wiſſen welche herrliche Wahrheit in ſeinen Worten lag: die Leute in Schwabach alle vollauf Arbeit haͤtten, und deßhalb weder ſtoͤhlen noch uͤberſchnappten. Dagegen fand ich zwey Theologen im Tollhauſe: einen Diakonus aus Quedlinburg, der, bis auf den Punkt von der Braut Chriſti, bey gutem Verſtande war, dem man aber doch, unvor - ſichtigerweiſe, eine hebraͤiſche Bibel gelaſſen hatte; und einen Kandidaten der Theologie, der mich, ſobald ich zu ihm hineintrat, fragte: ob ich ihn nicht kennte? Er heiße Hedwig. O, ich muͤßte gewiß von ihm in Gießen gehoͤrt haben! Er ſey eben der, der den Muͤller, einen Purſchen aus Maynz, ſo gekeilt habe! Ja, Herr, fuhr er fort, und biß die Zaͤhne zuſammen und trat mir mit angeſpann - tem Arm und geballter Fauſt entgegen: Ja, Herr, und ich kann keilen! Man ſieht181 leicht, daß ich ihm die Probe ſchenkte und hurtig zuſchließen ließ.

Von Schwabach wandte ich mich nach Feucht, (2 M.) auf einem ungemachten, ſehr ſandigen und zum Theil waldigten Wege. Ich kam durch mehrere große, reinliche, gut ge - bauete Doͤrfer, mit wohlhabenden Einwoh - nern, von denen zwey oder drey zu Nuͤrnberg gehoͤrten. Auch kam ich vor mehreren ſchloß - artigen Gebaͤuden, deren Beſitzer nuͤrnbergiſche Patricier waren, und die im Walde auf An - hoͤhen ſtanden, vorbey.

Von Feucht, einem mittelmaͤßigen Flecken, kam ich auf Poſtbauer (2 M.) ein Dorf, mit einem Poſtwechſel. Der Weg blieb der - ſelbe: er war ſandig, waldig, bis gegen das Ende der Station, wo ich in Bayern eintrat, und wo wieder eine Straße zum Vorſchein kam, die von einem feſten Kalkſtein gebauet, aber jetzt, durch die unausgeſetzten Frachten zur kaiſerlichen Armee, ſehr ausgefahren war.

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Hier veraͤnderte ſich das Aeuſſere der mich umgebenden Menſchen auf einmal. Bildung, Tracht, Mundart, alles war anders. Die laͤnglichten fraͤnkiſchen Geſichter und Figuren, verwandelten ſich in runde, rothe, fleiſchigte, gedrungene. Die Maͤnner hatten ihr Haar auf dem Wirbel, bis zum Nacken hinunter, abge - ſchnitten; die Weiber erſchienen mit den wei - ten, ſteifen Bruſtlaͤtzen, wie ſie in Boͤhmen getragen werden. Kreutzbilder ſtanden in gro - ßer Menge umher; dennoch gaben die Doͤrfer einen reinlichen, wohlhabenden Anblick. Aber der Boden war auch vortrefflich.

Von Poſtbauer bis Teining (2 M.) dau - erte die Straße in gleicher Beſchaffenheit fort. Ich kam durch Neumarkt, ein heiteres, aus einer breiten Straße und einem paar Ne - bengaſſen beſtehendes Staͤdtchen. Die Haͤuſer ſtreckten ihre Giebel nach der Straße, wie in den ſchleſiſchen Staͤdten. Beym Ausgange aus der Stadt gelangt man in eine angenehme Flaͤche, die mit Anhoͤhen umſchloſſen iſt, uͤber183 die man abwechſelnd hinauf und wieder hin - abfaͤhrt, und auf denen ſich alte Truͤmmer und neue Schloͤſſer haͤufig zeigen. Teining iſt ein Dorf mit einem Poſtwechſel. Von da auf Taswang (2 M.) bleibt der Weg faſt der - ſelbe. Taswang iſt auch nur ein Dorf, das aus wenig, aber gut gebaueten Haͤuſern be - ſteht, und in einem angenehmen Thale liegt, welches von einer betraͤchtlichen Anhoͤhe be - graͤnzt wird. Ueber dieſe Anhoͤhe muß man hinauf, um zur naͤchſten Poſt Schambach (2 M.) zu gelangen; auf dem Ruͤcken derſelben umſpannt man eine betraͤchtliche Flaͤche, die auf allen Seiten mit Anhoͤhen umgeben iſt, und theils Gehoͤlz, theils fruchtbare Felder enthaͤlt, die von alten Burgen beherrſcht werden. Um und neben dem Wege iſt ein vortrefflicher Ge - treideboden, der ſtellenweiſe den ſchoͤnſten Rog - gen und Weitzen trug, die mir noch auf mei - ner Reiſe zu Geſichte gekommen waren. Der Weg war weniger zerfahren, als bisher, und immer noch von einem Kalkſtein gebauet, der184 laͤngs demſelben theils gebrochen wird, theils zu Tage ausſetzt. Hier hatte ich das Ungluͤck, zu meiner Linken, bey einem entſetzlichen Don - nerwetter, mit Sturm und eygroßen Schloſ - ſen, in Zeit von einigen Sekunden, ein ganzes Dorf in Flammen aufgehn zu ſehen.

Eine faſt ſchnurgerade Straße fuͤhrt nach Hemmau, einem Staͤdtchen, das ſich in der Ferne nicht uͤbel ausnimmt; kommt man aber naͤher, ſo ſieht man, daß die Reſte ſeiner Mauern nichts, als alte Maſuren ſind, hinter denen man nur Zerſtoͤhrung vermuthen kann. Auch iſt es in der That faſt ſo. Das Pfla - ſter ſteht in einzelnen Steinen da, die Daͤcher der Haͤuſer winden und kruͤmmen ſich unter ihrem Alter und ſind mit Steinen belegt, da - mit der Wind die vermoderten Schindel nicht entfuͤhren moͤge. Die Haͤuſer ſtrecken ihre ſchwarzen, geſtorbenen, verſchobenen Giebel nach der Straße, wo einzelne Menſchen auf und abgehen Gewiß, kaum in Lithauen erinnere ich mich ein Seitenſtuͤck zu dieſer185 Stadt geſehen zu haben. In gleichem trauri - gen Zuſtande fand ich den zur Stadt gehoͤri - gen Galgen, was den Einwohnern weit ruͤhm - licher iſt, als der armſelige Zuſtand ihrer Stadt. Bald nachher erblickt man auf einer Anhoͤhe Schambach, die letzte Poſt vor Re - gensburg. Der Weg bis zur letztern Stadt (3 M.) iſt ſehr angenehm, beſonders um und hinter dem Dorfe Teutlingen, das zwiſchen Anhoͤhen und Felſen, und zum Theil von letz - tern wie erdruͤckt, da liegt. Die Daͤmmerung war im Anbruche, als ich hier durchkam, und ſie vermehrte das ſchauerlich-romantiſche der Gegend in einem hohen Grade. Man faͤhrt endlich uͤber die Nab in das Thal hinab, wo - rin Regensburg liegt, und ich uͤberſah noch den Spiegel der Donau, an deſſen entfernte - ſtem Rande der letzte Schimmer des Tages zitternd flimmerte. Man koͤmmt durch Stadt - am-Hof, einen kurbayer'ſchen Ort, der auf dem diſſeitigen Ufer der Donau liegt, und der armen Reichsſtadt gleichſam auf den Nacken186 gebauet iſt, ihr auch mit gewiſſen Zoͤllen, die Bayern ſehr unnachbarlich hier angelegt hat, nicht wenig zur Laſt faͤllt. Das Thor von Stadt-am-Hof ſtoͤßt an das Thor von Re - gensburg, und die Schildwachen der Reichs - ſtadt gehen mit den Kurbayer'ſchen auf und ab. Erſt auf der Bruͤcke befindet man ſich im Gebiete von Regensburg.

Regensburg giebt einen ſehr alten Anblick, von außen wie von innen. Die Straßen ſind im Durchſchnitt enge, die Haͤuſer ſchwarz, ha - ben gothiſche Giebel, und drey bis vier Ge - ſchoß. Das Pflaſter iſt ertraͤglich, die Plaͤtze ſind enge. Im Mittelpunkte der Stadt iſt es ziemlich lebhaft, aber in den entferntern Theilen menſchenleer. Unter den Kirchen ſind der Dom und St. Emmeran die merk - wuͤrdigſten. Die Vorderſeite des Doms hat eine gewiſſe Leichtigkeit, die man an der Hauptmaſſe des Gebaͤudes vermißt, was wohl groͤßtentheils daher koͤmmt, daß ihm Thuͤrme fehlen. Durch ſie wuͤrde dieſer kuͤhne Bau,187 der jetzt wie ein ungeheuerer ſtumpfer, zuſam - mengedruͤckter Steinklumpen da ſteht, mehr Expanſion erhalten haben. Das Innere thut eine große Wirkung, welche die darin herr - ſchende Daͤmmerung, durch die dichtbemalten Fenſter verurſacht, zu verſtaͤrken ſcheint. Die Verwegenheit des Gewoͤlbes floͤßt auch hier, wie bey allen Werken der altdeutſchen Bau - kunſt, Ehrfurcht ein, und es bleibt wahr, daß unſre Voreltern auch hierin groͤßer und ſtaͤrker waren, als wir, wenn wir auch feiner und niedlicher ſeyn moͤgen.

Der Reichsſaal iſt ſehr alt, leer, finſter, wandelbar, und das Rathhaus faſt ſo voller Winkel und Saͤcke, wie die deutſche Reichs - verfaſſung ſelbſt. Die Saͤle ſind weit beſſer, die ſich der Stadtmagiſtrat zu ſeinen Sitzun - gen und ſeinem uͤbrigen Bedarf vorbehalten hat, als die Saͤle der verſchiedenen Kollegien der Reichsſtaͤnde.

Die Donaubruͤcke iſt eine der beruͤhmteſten, groͤßeſten und ſtaͤrkſten in Europa, kommt188 aber, weder in Abſicht der Laͤnge, noch der Breite, noch der Sorgfalt, noch des Ge - ſchmacks in der Bauart, der Dresdener Bruͤcke bey, hat indeß in allen dieſen Stuͤcken deſto groͤßere Aehnlichkeit mit der Prager. Ihre Einfaſſungen ſind von Werkſtuͤcken, die Fuß - pfade an beyden Seiten ſind ſo ſchmal, daß nur eine Perſon darauf Platz hat; der Fahr - weg iſt auch mit Werkſtuͤcken gepflaſtert, da - hingegen die Dresdniſche nur ein Pflaſter von gewoͤhnlichen Feldſteinen hat, aber ſo breit iſt, daß ſich drey Wagen ausweichen koͤnnen. Die Ausſicht von oben herab iſt ſehr ausgebreitet, und ich weiß nicht, welcher von beyden ich den Vorzug in dieſem Punkt geben ſoll. Zu den Fuͤßen hat man, auf jeder Seite der Bruͤcke, eine Inſel, die von der Donau nach und nach angeſchwemmt worden. Man nennt ſie die Woͤhrdte, und ſie ziehen ſich in einer ziem - lichen Strecke, ſtromauf die eine, ſtromab die andere. Die obere iſt voran mit Haͤuſern, Holzniederlagen und Gaͤrten beſetzt, und wei -189 terhin bildet ſie eine ſchoͤne Wieſe, die der Laͤnge nach mit Alleen bepflanzt iſt und einen angenehmen Spatziergang fuͤr Fußgaͤnger, Rei - ter und Fahrende abgiebt; die untere hat voran eine lange Reihe von Muͤhlen aller Art, die ein entſetzliches Geraͤuſch machen, ſodann Gar - tenhaͤuſer, Niederlagen von Nutzholz und Brettern, und endlich Wieſen, denen aber die Baumgaͤnge der oberen fehlen.

Unter dem Publikum aller Klaſſen in Re - gensburg herrſcht eine gewiſſe Wohlhabenheit. Der Buͤrgerſtand iſt fleißig, und befindet ſich, bey billigen Abgaben und angemeſſenem Nah - rungs-Erwerbe, ſehr wohl. Sein Aeußeres iſt anſtaͤndig und reinlich. Unter ſeinen Wei - bern und Toͤchtern findet man ſchon haͤufig den verfeinerten Muͤnchner Anzug: die Gold - haͤubchen, die, wie Schmetterlinge, auf einem nach der Stirn heraus friſierten Tapee und einem eben ſo zierlichen Chignon, ſchweben; und die knapp anſchließenden ſeidnen Korſette mit Roͤcken von gleichem Stoffe. Die Kaufmanns -190 klaſſe traͤgt ſich noch auf altem Fuß und ſehr buͤrgerlich, zeichnet ſich aber dafuͤr durch ſtarke goldne Halsketten, Armbaͤnder und reiche Zeuge aus. Die hieſige große Welt, die Geſandten, Geſchaͤftstraͤger, Agenten und Aktenmaͤnner aller Art bilden ein eigenes Korps, das di - plomatiſche, das aber, im geſellſchaftlichen Leben, ſich wiederum in mehrere Zweige ab - theilt. Die geringern ſind pedantiſch in Sit - ten, Sprache und geſelligem Leben; die hoͤhern haben den Ton der groͤßern Reſidenzen, mit ein wenig miniſterlicher, oft auch wohl buͤrger - meiſteriſcher, Gravitaͤt vermiſcht. Ihre Ver - gnuͤgungen ſind wie uͤberall die Vergnuͤgungen der hoͤheren Staͤnde, doch mit einem gewiſſen Zuſatze von Gruͤndlichkeit, vermoͤge deſſen die Gegenſtaͤnde, die in der Konverſation behandelt werden, unendlich mannichfaltiger und lehrrei - cher ſind, als gewoͤhnlich. Einem unterrichte - ten Manne von Stand und Vermoͤgen, dem das Herz nicht gerade an der Atmosphaͤre eines großen regierenden Fuͤrſten hinge, ſon -391[191] dern der wahre Belehrung in Weltgeſchaͤften ſuchte, koͤnnte ich kein angemeſſeneres Publi - kum vorſchlagen, als dies erwaͤhnte Regens - burgiſche. Ich habe hier mehrere Tage ſehr angenehm zugebracht.

Von Regensburg wandte ich mich auf Muͤnchen. Der Weg fuͤhrt durch eine weite Flaͤche, die zur Linken von den Huͤgeln begraͤnzt wird, an deren Wurzeln die Donau hinfließt. Der Boden iſt ſo fruchtbar, als ich ihn noch irgendwo auf meiner Reiſe gefunden habe. Er trug meiſt lauter Weitzen, der auſſerordentlich reich und uͤppig ſtand. Eben ſo der Roggen. Der Weg iſt vortrefflich gemacht und ſorgfaͤl - tig unterhalten. Die Poſtknechte ſind eilfer - tig, billig, die Poſthalter thaͤtig, ſchnell und hoͤflich. So legt man die Poſten Eglofs - heim, (2 M.) Buchhauſen (2 M.) und Erwoldsbach (2 M.) im Fluge zuruͤck. Von Erwoldsbach koͤmmt man auf Landshut, (3 M.) eine der anſehnlichſten Staͤdte in Bay - ern. Ihre Lage iſt ſchoͤn. Sie breitet ſich192 in einem Thale aus, um welches her ſich theils Bergruͤcken, theils einzelne Anhoͤhen erheben, und das mit den ſchoͤnſten Wieſen uͤberzogen iſt. Die Iſer fließt, ſchon in anſehnlicher Ge - ſtalt, zwiſchen Stadt und Vorſtadt hin. Wenn man die Hauptſtraße hinauffaͤhrt, glaubt man ſich auf dem ſchoͤnſten Platze von Bres - lau zu befinden, denn die Haͤuſer ſind in dem - ſelben Geſchmacke gebauet, und nicht weniger hoch, als dort.

Von Landshut bis Mosburg, (2 M.) einem unbedeutenden Staͤdtchen, dauert der Weg fort, wie vorher, und wie nachher von dieſer Stadt auf Freyſingen. (2 M.) Das Land war immer noch uͤberaus lachend und fruchtbar, aber dennoch waren die Doͤrfer we - niger reinlich und die Einwohner weniger wohl - habend, als kurz vorher. Die Menſchengat - tung fand ich hier ſehr haͤßlich, beſonders das andere Geſchlecht. Freyſingen ſelbſt ſieht man erſt kurz zuvor, ehe man hinein koͤmmt. Der Theil davon, der, mit dem Dom und demSchloſſe,193Schloſſe, auf einem Huͤgel liegt, gewaͤhrt eine gute Anſicht. Gebauet iſt dieſe Stadt uͤbri - gens wie alle Staͤdte, durch die ich bis jetzt noch in Bayern gekommen bin: im Geſchmack von Breslau; die Giebel groͤßeſtentheils vorn heraus und lange hoͤlzerne Dachrinnen dazwi - ſchen. Das Pflaſter iſt gut und, wie zu Lands - hut, aus lauter ſehr kleinen Feldſteinen zuſam - mengeſetzt.

Von Freyſingen aus bis Muͤnchen ( M.) wird die Gegend immer flaͤcher, und nur noch aus der Ferne erblickt man zur Seite und hinter ſich maͤßige Anhoͤhen, die meiſt mit Wald beſetzt ſind. Der Fruchttrieb um einen her iſt zwar nicht mehr ſo ſtark und reich, als in der Nachbarſchaft von Regensburg, aber darum doch noch nicht ſchlecht; beſonders trifft man ſtellenweiſe auf vortreffliche Wieſen, die aber, je mehr man ſich Muͤnchen naͤhert, deſto - mehr abnehmen und ſich allmaͤhlig in ſaure Aenger verwandeln. Der Boden ſetzt ſich end - lich ganz um, und beſteht aus Kalk - und an -Fuͤnftes Heft. N194dern Steingeſchieben, die hoͤchſtens mit einem halben Schuh Dammerde bedeckt ſind. Dies, und die ſehr einfoͤrmige Flaͤche der Gegend ſelbſt, gewaͤhrt den Umgebungen von Muͤnchen, von dieſer Seite her, nicht den mindeſten Reitz, ſo wie die Stadt ſelbſt, weil ihre Grundlage ganz flach iſt, ſich nur zum Theil und nicht anlockend zeigt. Die beyden Thuͤrme des Doms haben eine zu plumpe Form, bey zu großer Kuͤrze, und die daran herumſtehenden Thuͤrme leiden an eben dem Fehler, fernen alſo eben ſo wenig. Erſt, wenn man ſich der Stadt auf ein paar hundert Schritte genaͤhert hat, erhoͤhet und breitet ſie ſich mehr aus, und einige anſehnliche Pallaͤſte und Haͤuſer, die voran ſtehen, kommen ihr zu Huͤlfe, um ihr einen neuen und heitern Anblick zu geben, der beym Eintritt in das Innere verſtaͤrkt und ſehr vortheilhaft unterhalten wird.

Die Straßen von Muͤnchen ſind breit und meiſt mit vier bis fuͤnfſtoͤckigen Haͤuſern be - ſetzt, die ſich in ihrer Bauart mehr den Ber -195 liniſchen als den Dresdniſchen naͤhern und ei - nige recht artige Plaͤtze auflaſſen. Das Pfla - ſter iſt zwar gut unterhalten, aber fuͤr Fuß - gaͤnger ziemlich beſchwerlich. Es beſteht aus lauter kleinen, wie moſaiſch zuſammengeſetzten, Kieſeln, die, da ſie nicht alle gleichfoͤrmig ab - gerundet ſind, den Sohlen unleidlich werden. Zum fahren iſt es vortrefflich, da, eben bey der Kleinheit der Steine, die Schlagloͤcher nie groß ſeyn, und es nie werden koͤnnen, ohne ſogleich aufzufallen und an Ausbeſſerung zu er - innern.

Muͤnchen liegt in einer Ebene, die ſich oͤſtlich zu einer Anhoͤhe, der Geſteigberg ge - nannt, erhebt, auf einem Boden, der aus lau - ter unfruchtbaren Kalkſteingeſchieben beſteht, der aber, in der Naͤhe der Stadt, durch den Fleiß der Einwohner meiſt bezwungen und zu Kornfeldern, Gaͤrten und Wieſen zubereitet worden iſt. Die Iſar, ein ſchneller Fluß, benetzt und befruchtet dieſen Landesſtrich, den, in der Ferne, die praͤchtigen Salzburger undN 2196Tyroler Berge, und in der Naͤhe einzelnes Gehoͤlz, mit maͤßigen Anhoͤhen im Hinter - grunde, umſchließen.

Dieſe Stadt hat ungefaͤhr die Groͤße von Dresden, wenn man die Friedrichsſtadt nicht dazu rechnet. Die Geſtalt ihres Grundriſſes iſt ein entfalteter Faͤcher mit abgebrochenem Stiele. Unten an demſelben iſt das Iſar - thor; oberhalb, mitten im Halbzirkel des Faͤchers, das Neuhauſer -, und an beyden Seiten der Ausdehnung rechts und links, das Sendlinger - und Schwabinger-Thor. Nebenthore ſind das Koſtthor und der Ein - laß. Von einem Thore zum andern ſind Baumgaͤnge angepflanzt.

Die Stadt iſt mit Mauern, Graben und Waͤllen umgeben, die fuͤr den erſten Anfall dienen koͤnnen. Die zwiſchen ihnen liegenden Zwinger enthalten theils Luſt - und Fruchtgaͤr - ten, theils Heuſchlaͤge.

Das Innere der Stadt giebt einen heitern Anblick. Die Straßen ſind, im Ganzen ge -197 nommen, geraͤumig, und einige ziemlich lang. Die Neuhauſer -, die daran ſtoßende Kau - funger-Straße, und das Thal koͤnnte man fuͤr eine einzige Straße rechnen, und als ſolche durchſchneidet ſie die Stadt der Laͤnge nach, ſo wie die Sendling - Roſen - Wein - und Schwabinger-Straße ſie, in der entgegen geſetzten Richtung, in zwey Haͤlften abſondert. Beyde ſtoßen, von vier Seiten her, auf den Getreidemarkt, oder den Platz zu - ſammen.

Die Straßen ſind ziemlich ſauber erhalten, und dieſe Reinlichkeit wird durch mehrere oͤffent - liche Springbrunnen, die zugleich gut gezeich - net und ausgefuͤhrt ſind, und durch eine vor - treffliche Waſſerkunſt bewirkt, die an der Iſar errichtet iſt und faſt alle Straßen und Haͤuſer der Stadt, ſo wie mehrere Gaͤrten, mit einem Worte uͤber fuͤnfhundert Quellen mit Waſſer verſieht. Mehrere Kanaͤle treten noch aus der Iſar in die Stadt, reinigen ſie, erleichtern ihr198 die Zufuhr und treiben Muͤhlen, Stampfen und Haͤmmer von verſchiedener Art.

Die Wohnhaͤuſer in Muͤnchen ſind meiſt in einem guten Geſchmack und bequem erbaut, drey bis vier Stock hoch, von außen und in - nen gut unterhalten. Sie ſind haͤufig mit Gyps, und einige darunter mit Freskomalerey, verziert. Die Kirchen und Kloͤſter fallen ſtatt - lich in die Augen, und unter ihnen zeichnen ſich die Frauenkirche, die ehemalige Je - ſuiten - und die Theatiner-Kirche, erſtre im aͤltern deutſchen, letztre im neuern Italie - niſchen, Geſchmack beſonders aus.

Die landesherrlichen Pallaͤſte ſind, wo nicht von außem praͤchtig in die Augen fallend, doch von innem ſehr koſtbar und reich, und die oͤf - fentlichen Gebaͤude ſehr anſehnlich.

Der Grund zu der Frauenkirche wurde im Jahre 1468 von Herzog Siegmund dem Vierten gelegt. Der Baumeiſter war Georg zu Haſſelbach, der ſeinem Namen durch dieſen Bau ein ehrenvolles Denkmal geſtiftet199 hat. Es giebt geraͤumigere, hoͤhere, kuͤhnere Tempel in dieſem Geſchmack, aber wenige moͤchten es dieſem in Leichtigkeit, Heiterkeit und ſchoͤnen Verhaͤltniſſen gleich thun. Die vier und zwanzig ſchlanke Saͤulen, auf denen das dreyfache Schiff ruhet, ſcheinen, wenn die Sonne ſie anſtrahlt, elaſtiſch unter ihrer Buͤrde zu zittern. Die Thuͤrme wuͤnſcht man, wenn man ſie aus der Ferne erblickt, um ein Drit - tel hoͤher; aber ich bekenne, daß ich dieſen Wunſch zuruͤck nahm, als ich in ihrer Naͤhe ſtand, und ſie im Verhaͤltniſſe zu dem Ganzen uͤberblickte. Das Werk iſt von Mauerſteinen aufgefuͤhrt, und wurde vielleicht nur dadurch dieſes hohen Grades von Ungezwungenheit faͤhig. Sie erſcheinen aber auch, wie auf ein - ander gegoſſen. Im Innern enthaͤlt dies Ge - baͤude manches Kunſtwerk und manches Kunſt - ſtuͤck. Zu den letztern rechne ich die Menge ſehr lebhaft gemalter Scheiben, die in den Fenſtern befindlich ſind, und die Uhr bey der Sakriſtey; zu den erſtern beſonders das Denk -200 mal des Kaiſers Ludwig von Bayern in Bronze, nach Kandido's Zeichnung, und mehrere der Gemaͤlde, meiſt alle von der Hand deutſcher oder niederlaͤndiſcher Meiſter, welche verſchie - dene Altaͤre zieren. Der Schatz der Kirche, der ſehr betraͤchtlich iſt, zog mich nur in ſo fern an, als ich berechnen konnte, was fuͤr Strecken von den faulen Mooſen, die noch ei - nen großen Theil von Bayern bedecken, urbar gemacht werden koͤnnten, wenn man denſelben dazu verwendete, den verſchiedenen Gemeinen ihre Rechte ſie zu beweiden, abzukaufen, welche mehr als die den Bayern zu hart Schuld ge - gebene Faulheit, dazu beytragen, daß dieſe Mooſe verſauren und die Luft verderben. Die Widme dieſer Kirche ernaͤhrt uͤbrigens ein Chorſtift, das vom infulierten Probſt an, bis zum duͤrftig beſoldeten Weltprieſter herab, ſech - zig bis ſiebzig Mitglieder ernaͤhrt, unter denen aber doch, ſeit funfzehn bis zwanzig Jahren, ſechs bis acht ſind und waren, die es verdien - ten. Die Namen Braun, Kolmann,201 Danzer, Scherer, Hut und andere, wer - den ſolchen Leſern nicht unbekannt ſeyn, die in der Geſchichte der Paͤdagogik und deren Litte - ratur keine Fremdlinge ſind.

Die ehemalige Jeſuitenkirche, oder die Hofkirche zu St. Michael, wurde uͤber hundert Jahre ſpaͤter, als die Frauenkirche, von Wolfgang Muͤller, einem Steinmet - zen, angelegt, nicht minder erhaben und edel, als dieſe, und in einem neuern und reinern Style, als ſie. Ihr Gewoͤlbe, im Halbzirkel ausgeſpannt, tragen einfache, an den Kapitaͤ - lern vergoldete, an den Fußgeſtellen marmorne, korinthiſche Pilaſter, die nichts verdunkeln, nichts verſtecken, und die, durch die ſchoͤne Einfalt aller uͤbrigen Verzierungen unterſtuͤtzt, dem Auge von allen Seiten Heiterkeit, Leich - tigkeit und Raum darbieten. Wer recht auf - fallend ſehen will, wie ein ungefaͤhr gleich gro - ßes Lokal verwinkelt oder ausgedehnt werden kann, der halte die Wirkung feſt, welche die Dresdener Hofkapelle von innen und außen202 auf ihn gethan hat, und vergleiche ſie mit der, welche die Muͤnchener auf ihn machen wird. Ich muͤßte mich ſehr irren, wenn er ſich nicht in der letztern freyer, heiterer, ich moͤchte ſa - gen, luftiger und ausgedehnter fuͤhlte, als in der erſtern, ungefaͤhr ſo, (wenn ich bey Gele - genheit dieſer Bethaͤuſer an die Tempel in Rom denken darf) wie man ſich in Agrippas Pantheon fuͤhlt, wenn man von der oben her - ein ſtuͤrzenden Lichtmaſſe ſich und den entfern - teſten Winkel des Innern gleichblendend um - ſtroͤmt ſieht, und wie man ſich unter der ver - ſchloſſenen Kuppel von St. Peter, die doch nicht minder geraͤumig iſt, als jenes, zuſam - men gezogen und beklemmt, uͤberladen und er - mattet, aber nicht geſtaͤrkt und nicht mit in den Raum verfloſſen findet.

Dieſe Kirche iſt nicht ſo mit Gemaͤlden uͤberladen, als U. L. Frauen und die uͤbrigen betraͤchtlichern in Muͤnchen; die wenigern, die da ſind, gehoͤren zu den guten Kunſtwerken; aber ihr Schatz iſt reicher, als der in der vor -203 erwaͤhnten Kirche, und alles, was das katholi - ſche Bekenntniß fuͤr noͤthig haͤlt, um ſeine An - haͤnger zu blenden, zu ſtaͤrken, zu uͤberzeugen und in Ehrfurcht zu erhalten, als Kirchenge - raͤthe, Meßgewaͤnder, heilige Ueberbleibſel, Muſiken und dergleichen, iſt koſtbarer, feiner, zahlreicher und vollkommener hier, als dort, vorhanden.

Von dem zu dieſer Kirche gehoͤrigen Kolle - giengebaͤude ſpreche ich weiter unten.

Die Kirche der Theatiner iſt unter den drey genannten die juͤngſte und hat einen Italiener, Auguſtin Carella aus Bologna, zum Baumeiſter. Sie wurde ſchon 1675 ein - geweihet, obgleich nur dem Innern nach vol - lendet. Das Hauptportal wurde erſt im Jahre 1767 zu Stande gebracht, und mit ihm er - hielt dies Gebaͤude ſeine ganze Wirkung von außen. Dieſe iſt in der That nicht gemein und ſie wird durch zwey Thuͤrme und eine Kuppel vorzuͤglich erhoben. Das Innere wirkt vor Ueberladung an Gips - Gold - und Maler -204 zierrathen faſt gar nicht, und ſcheint mehr be - rechnet zu ſeyn, das Auge zu blenden und zu verwirren, als durch daſſelbe der Seele den Genuß eines uͤberſehenen und aufgefaßten Kunſtwerks zuzufuͤhren. Die meiſten Altar - blaͤtter ſind indeſſen gut und ſtammen von Tintoretto, Cignani, Joachim San - drat und andern guten Meiſtern; aber die Bildhauerarbeit erhebt ſich, die Kanzel und etwa einen Chriſt auf dem Altar des heili - gen Grabes von einem Engel gehalten, ausge - nommen, nicht uͤber das Mittelmaͤßige.

Unter den uͤbrigen Kirchen in Muͤnchen, die theils Pfarrkirchen, (wie zu St. Peter und zum Heil. Geiſt) theils Kloſterkirchen, (wie die der Auguſtiner, der Franciskaner, der Kapuciner, der Karmeliter, der Hieronomita - ner, der barmherzigen Bruͤder, der Paulaner und mehrerer Nonnenarten) theils Hofkapellen (wie die in der kurfuͤrſtlichen Reſidenz im Erdgeſchoß, und die St. Lorenzkirche)205 theils Hauskapellen (wie die zu St. Seba - ſtian im graͤflich. Wartenbergiſchen Hauſe*)Außer dieſer giebt es noch ſieben und zwanzig an - dere kleinere Hauskapellen in Muͤnchen. theils Spitalbethaͤuſer (wie das im Herzogs - ſpital, mit dem beruͤchtigten Marianiſchen Wunderbilde des verſtorbenen Kurfuͤrſten, und das im Joſephsſpital) ſind, finden ſich noch einige, die irgend einer Merkwuͤrdigkeit wegen geſehen zu werden verdienen; und es iſt ge - wiß, daß in dieſen Kirchen, wie in den weit - laͤuftiger beſchriebenen, eine ſo große Menge an Kunſtwerken, beſonders in der Malerey, aufbewahrt werden, als man in Italien ſelbſt, in mancher groͤßern Stadt, nicht findet. Be - ſonders beſitzt Muͤnchen einen ſchaͤtzenswerthen Vorrath an Werken deutſcher und niederlaͤn - diſcher Meiſter in ſeinen Kirchen ſowohl, als in ſeinen oͤffentlichen und Privatſammlungen.

Landesfuͤrſtliche Pallaͤſte ſind: der alte Hof, und die alte und die neue, oder die206 Wilhelminiſche und die kurfuͤrſtliche Reſidenz.

Der alte Hof, ein enges, finſteres, unbe - huͤlfliches Gebaͤude, in der Burggaſſe, von Kaiſer Ludwig, dem Bayer, im 14ten Jahr - hundert erbauet, hat nichts Sehenswerthes, und iſt jetzt der Sitz des Hofkammer-Kolle - giums.

Die Wilhelminiſche Reſidenz, wur - de von Wilhelm dem Fuͤnften, der Fromme genannt, erbauet, der auch der Ur - heber des Jeſuiten Kollegiums war, und wohl auch wegen der Stiftung des letztern jenen Beynamen erhielt. Seit Entſtehung der neuen Reſidenz iſt ſie vernachlaͤſſigt worden, und we - der ihr Aeußeres noch Inneres iſt beſonders ſehenswerth. Die letzte Zeit ward ſie von der verwittweten Herzogin, Maria Anna Char - lotte, bewohnt. Ihr Gemahl, Herzog Kle - mens, hat einen artigen Garten nicht weit von derſelben angelegt, welcher der Herzoggar - ten heißt, und der mit allerley kleinen, zum207 Theil artigen, Gebaͤuden verziert iſt. Sie haͤngt uͤbrigens mit der kurfuͤrſtlichen Reſidenz durch den ſogenannten Hofgang zuſammen, der einen Theil des bedeckten Ganges aus - macht, der rund um die innere Stadtmauer laͤuft.

Die kurfuͤrſtliche Reſidenz iſt ein ungewoͤhnlich weitlaͤuftiges, aber unregelmaͤßi - ges Gebaͤude, deſſen Umfang man hinter ſei - nem Haupteingange nicht ſucht*)Unregelmaͤßig iſt es wohl mit aus dem Grunde, daß Maximilian der Erſte, der es anlegte, fuͤr einen großen Baukuͤnſtler gelten wollte. Mi - lizia, Memorie degli Architetti. Tom. I. pag. 32.. Dieſer iſt unverhaͤltnißmaͤßig klein und gleichſam verſteckt, und einige Reiſebeſchreiber haben die Bemer - kung gemacht, daß ſie mehr dem Eingang ei - nes Kloſters, als eines fuͤrſtlichen Pallaſtes, gleiche, zu welchem Urtheile wohl zunaͤchſt die bronzene Saͤule der heiligen Jungfrau, die ſich im Portal befindet, die Urſache gegeben haben mag. Die in und an letzterm befindlichen208 Figuren zeigen aber deutlicher, weſſen Woh - nung man betritt. Es ſind die verperſoͤnlich - ten Tugenden eines tuͤchtigen Regenten: die Gerechtigkeit, die Staͤrke, die Maͤßi - gung und die Weisheit. Zwey Greifen und zwey Loͤwen, mit vorgebreiteten Schil - dern, decken den Eingang, man weiß nicht recht, gegen wen: ob gegen bedruͤckte Unter - thanen, oder gegen bedruͤckende Hofleute, die zugleich die dargeſtellten Tugenden zu unter - graben pflegen.

Innerhalb des Pallaſtes findet man drey große Hoͤfe, den Kaiſerhof, den Kuͤchenhof und den Brunnenhof, und mehrere kleinere, die theils von den Schloßfluͤgeln, theils von den Seitengebaͤuden, eingeſchloſſen ſind. Der groͤ - ßeſte darunter iſt der Kuͤchenhof; auf dieſen folgt der Kaiſerhof, der von den Truͤmmern eines, im Jahre 1750 abgebrannten Schloß - fluͤgels, begraͤnzt wird; und auf dieſen der Brunnenhof, der mit einem marmornen Spring - brunnen, an und um welchen bronzene Figu -ren209ren aus allen Elementen wimmeln, unter wel - chen ein von Haupt bis zu Fuß gewappneter Held hervorragt, verziert iſt. So abentheuer - lich dieſe Zuſammenſetzung auch in die Augen faͤllt, ſo iſt doch die Ausfuͤhrung der einzelnen Beſtandtheile nicht mittelmaͤßig, und man ver - muthet, daß ſie nach Zeichnungen von dem Niederlaͤnder, Peter de Witt (Kandido genannt, weil ſich die Kuͤnſtler damaliger Zeit gern verwaͤlſchten, wenn ſie nach Italien ka - men,) von eben dem Meiſter, der das oben erwaͤhnte Grabmal Ludwigs des Bayern ge - goſſen hat, verfertigt worden.

Nach dem Raume, den dieſer Pallaſt ein - ſchließt; nach der Prachtliebe, durch die ſich mehrere der aͤltern und neuern bayeriſchen Landesfuͤrſten auszeichneten; nach dem Stolze, den ſie auf ihr Haus, das eine Weile ein kai - ſerliches Haus war, ſetzten und noch ſetzen; nach den Thaten, die einige dieſer Fuͤrſten als Kriegsmaͤnner vollfuͤhrten; nach den Empfin - dungen von Andacht und Gehorſam, die ſieFuͤnftes Heft. O210gegen den katholiſchen Glauben und gegen die ſogenannte Kirche, oder vielmehr gegen die Prieſter, zeigten; nach den Reiſen, die zwey oder drey von ihnen thaten; nach dieſen Um - ſtaͤnden kann man ſchließen, was, wieviel, wie praͤchtig und in welchem Geſchmacke der Vor - rath merkwuͤrdiger, oder merkwuͤrdig geglaub - ter, ſeltener oder nicht ſeltener, heiliger oder vermeynt heiliger Dinge ſey, die in den unge - heuern und zahlreichen Zimmern, Saͤlen, Ge - woͤlben, Kapellen, und auf Gaͤngen und auf Treppen, aufbewahrt werden.

Demnach giebt es in dieſem Pallaſte einen Kaiſerhof, einen Kaiſerſaal, Kaiſer - zimmer.

Der Kaiſerſaal entſpricht ſeinem Na - men, und was ihm an Geſchmack abgehen mag, erſetzt er durch Groͤße und durch einen merkwuͤrdigen Aufwand von Marmor und Vergoldungen. Er iſt 118 Muͤnchener Schuh lang und 52 dergleichen breit. Zehn Fenſter erhellen dieſen Saal. Ueber denſelben befin -211 den ſich Gemaͤlde aus der weltlichen und geiſt - lichen Geſchichte von Vincentino, die we - nigſtens an die Manier groͤßerer Meiſter er - innern. Die Gegenſtaͤnde derſelben ſind ſaͤmmt - lich heroiſch, wie man es nennt, und ſollen Bewunderung und große Empfindungen erre - gen. Dies bezwecken die Kuͤnſtler gewoͤhnlich durch eine Judith, die einem armen, von Wohlluſt, Wein und Schlaf trunkenen Mann den Hals abſchneidet; durch einen kleinen David, der dem großen Goliath mit ei - nem gewaltigen Schwert den Kopf abhauet, wenn er todt iſt; durch eine Pentheſilea, die ſich der große Achill nicht ſchaͤmt, umzu - bringen; durch eine Tomtris, die das Haupt des Cyrus in ein Gefaͤß voll Blut taucht und einen witzigen Einfall dabey ſagt; durch eine Lukretia, welche die Brutalitaͤt eines Andern an ſich ſelbſt mit dem Tode beſtraft u. ſ. w.; wenigſtens haben ſie dieſen Kaiſer - ſaal mit dieſen und andern aͤhnlichen Gegen -O 2212ſtaͤnden recht charakteriſtiſch zu zieren geglaubt. Die Decke ſetzt dieſem großen Charakter die Krone auf: es ſind an derſelben die Weisheit, der Ruhm, die Gerechtigkeit und die vier Mo - narchieen, nach einem rieſenhaften Maßſtabe, ausgemalt.

Nicht bloß gemalt-kaiſerlich, ſondern in der That voll Groͤße und Wuͤrde iſt die Treppe von rothem Marmor, die von dieſem Saal herab fuͤhrt.

Die Kaiſerzimmer fallen nur zur Haͤlfte in den vermeynten heroiſchen Charakter, und wenn man in dem einen noch eine Evadne ſieht, die ſich zur Beleidigung aller noch uͤbrigen lebendigen Maͤnner, auf dem Schei - terhaufen ihres todten Gemahls verbrennt; eine Artemiſia, die es dabey bewenden laͤßt, die Aſche ihres Gemahls zu trinken; und in dem andern die Frau des Paͤtus, die ihm die Wunde zeigt, die ſie ſich gegeben hat, um ihn zum Sterben zu ermuntern: ſo ſieht man dagegen auch in einem dritten, was das Herz213 wirklich erwaͤrmt: einen Trajan, der, vor ſeinem ganzen Heere, vom Pferde ſpringt, um einer huͤlfsbeduͤrftigen Frau eine Bittſchrift ab - zunehmen, ſie mit ihren Klagen anzuhoͤren und getroͤſtet zu entlaſſen. Sind Gegenſtaͤnde dieſer Art in der Geſchichte ſo ſelten? Oder ſind ſie eines kaiſerlichen Charakters unwerth, weil ſie nur moraliſch-heroiſch ſind?

Das zarte Geſchlecht wird des Heroismus immer bald uͤberdruͤßig, oder ſucht ihn wenig - ſtens durch den Zuſatz von zwey kleinen Schwach - heiten, der Liebe und der Andacht, menſchli - cher zu machen. Die Dame, die dieſe Zim - mer anlegte*)Die Kurfuͤrſtin Adelheit, Gemalin Ferdinands und Tochter Viktor Amadeus des Erſten von Sa - voyen, die Geiſt und Geſchmack von ihrem vaͤterli - chen Hofe mit nach Bayern brachte., erheiterte auch wiederum das Auge und die Empfindungen des Kunſtliebha - bers durch Gegenſtaͤnde, die dem menſchlichen Geſchlechte natuͤrlicher und gedeihlicher ſind: durch einen Herkules bey der ſchoͤnen Omphale214 am Spinnrocken; durch einen Wettlauf zwi - ſchen Atalanten und Hippomanes; durch ein Feſt der Flora, der Ceres, des Bacchus, und durch mehrere reizende weibliche Figuren von Roſalba in Paſtellfarben.

Der Andacht ſind bey den Verzierungen anderer dieſer Zimmer Opfer gebracht. Man ſieht in dem ſogenannten Roſenkabinet die Lebenslaͤufe heiliger Suͤnderinnen geſchildert, die ſich von der Welt zuruͤckgezogen, vielleicht in eben dem Maaße, als ſich die Welt von ihnen zuruͤckzog, und den Reſt ihrer Tage in der Einſamkeit verlebt haben; man ſieht in dem Schlafzimmer eine heilige Familie nach Raphael und zwey andre von andern Mei - ſtern, und außer mehrern Stuͤcken dieſer Art auch eine weinende Magdalena, welche die Reue noch nicht in dem Grade ergriffen hat, daß man nicht die ſtattliche Natur des Rubens, oder eines ſeiner Schuͤler an ihr erkennen ſollte.

215

Dem kriegeriſchen Charakter des Landes und ſeiner Fuͤrſten ſind in mehreren Zimmern und Saͤlen dieſes Pallaſtes Denk - maͤler geſetzt worden. Ein ganzer Saal, der Saal des Herkules, iſt mit Thaten des Krieges, worunter nur eine einzige der Groß - muth iſt, ausgemalt und die Hauptperſonen ſind bayeriſche Fuͤrſten. Die Figuren der Tu - gend, der Weisheit, der Gerechtigkeit und Maͤßigung, die in dieſem Pallaſte ungewoͤhn - lich haͤufig vorkommen, gehoͤren auch in die Kathegorie der bayeriſchen Regentengroͤße und Vollkommenheit, die ſie verewigen ſollen. Der Triumphwagen, die auch hieher gehoͤren, ſind ebenfalls faſt zu viel.

Beweiſe von der Andacht der bayeriſchen Fuͤrſten und Fuͤrſtinnen ſind unzaͤhlige, ja zum Theil unſchaͤtzbare, vorhanden. Es iſt un - glaublich, was die ſogenannte ſchoͤne Ka - pelle fuͤr kuͤnſtliche, praͤchtige und theure Sel - tenheiten in dieſem Fache aufzuweiſen hat. Außer Rom, Neapel und Mailand giebt es216 wohl keine Heiligen-Ueberbleibſel mehr, die wie die in dieſer Kapelle mit ſo viel Diaman - ten, Perlen, Gold und Silber, eingefaßt waͤren. Eben ſo praͤchtig und reichlich iſt der Vorrath an kleinen und groͤßern Altaͤren, Ge - maͤlden der heiligen Mutter, Kreutzbildern, Vorſtellungen der Geburt, des Lebens, Lei - dens und Todes Chriſti, Gefaͤßen fuͤr heilige Gebraͤuche und andern hieher gehoͤrigen Din - gen. Gegenſtaͤnde dieſer Art ſtehen und han - gen auch ſonſt noch in faſt allen Zimmern und Saͤlen des Pallaſtes, bald als Kunſtwerke des Gießers, Drechslers und Schnitzlers, bald als Hervorbringungen des Pinſels oder des Mei - ſels, reichlich umher, und es iſt kein Zweifel, daß dieſer Zweig der Pracht die meiſten Aus - gaben veranlaßt habe.

Reiſen nach und Verbindungen mit Ita - lien, Geſchenke, die Mode, Kunſt - und an - dere Merkwuͤrdigkeiten aufzukaufen und zu ſammlen, haben einen andern großen Vorrath von Seltenheiten aller Art in dieſem Pallaſte217 aufgehaͤuft. Dahin gehoͤren Gemaͤlde von großen, aber auch von mittelmaͤßigen Italie - niſchen Meiſtern, Buͤſten, Statuen, Antiken, geſchnittene Steine, Muͤnzen, gute und ſchlech - te, Originale und Kopieen, echte und unechte, alles durch einander, wie es immer zu ſeyn pflegt, wenn nicht ein feſter Plan und ein gebildeter Geſchmack, ſondern bloß Laune, oberflaͤchlich erhaltener Eindruck, Sammelſucht und Eitelkeit waͤhlen.

Der jetztregierende Kurfuͤrſt, ein bekannter Befoͤrderer, Beſchuͤtzer und Kenner der Kuͤnſte, hat auf ſeiner letzten Reiſe nach Italien meh - rere Kunſtwerke geſammlet, deren Wahl ta - dellos iſt, unter andern eine Nachbildung im Kleinen von der ſchoͤnen Trajaniſchen Saͤule in Rom, fuͤnf Fuß hoch, von karariſchem Mar - mor, mit Lapis Lazuli reich verziert und mit den Figuren des Originals verſehen, die ſaͤmt - lich gewiſſenhaft und mit Geiſt in vergoldetem Silber angegeben ſind. Der Meiſter iſt Louis Valadier zu Rom. Hundert Stuͤcke, die218 man hier ſieht, ſowohl in der Gemaͤldegallerie, als in der Antikenſammlung, im Schatze wie in der Kapelle, ſind nicht ſo geſchmackvoll ge - waͤhlt.

Ich uͤbergehe was ſich endlich noch an Ge - faͤßen von Japaniſchem Porcellain, die in ih - rer Art koͤſtlich ſind; an Arbeiten des Mar - morhauers, des Vergolders, des Kunſttiſch - lers, des Lackierers; an ungeheuren Sticke - reyen, an praͤchtigen Fuß - und Wandteppichen, an Gyps - und Bronzen-Putz; an Uhren, Spiegeln, Kronleuchtern, Kuͤnſteleyen aus Stein, aus Elfenbein u. ſ. w. von allen Sei - ten dem Auge aufdringt. Uebrigens ſtehe ich nicht an, von dem, was in dieſem Pallaſte aufgehaͤuft iſt, zu ſagen, daß es theilweiſe Groͤße, Glanz, Reichthum und Geſchmack verrathe und Genuß gewaͤhre, im Ganzen aber ein Chaos bilde, das die ungleichartigſten Eindruͤcke macht, die ſich unter einander zer - reiben, ſich gegen einander aufheben und die Seele in einen Zuſtand von Mißbehagen, aus219 Planloſigkeit, Ungleichheit und Ueberfuͤllung entſtanden, verſetzen. Ich muͤßte mich ſehr irren, wenn nicht viele Reiſende vor mir dieſe Sammlung von Herrlichkeiten mit gleichem Gefuͤhle verlaſſen haͤtten, deſſen Anwandlun - gen ihnen indeſſen, wenn ſie das gruͤne Ge - woͤlbe in Dresden und den kaiſerlichen Schatz in Wien geſehen haben, nicht mehr fremd ſeyn werden. Zum Erſatz dafuͤr wuͤn - ſche ich ihnen den reinen Genuß des Pio-Kle - mentinums in Rom und der Gallerie zu Flo - renz.

Unter den oͤffentlichen Gebaͤuden in Muͤnchen, die entweder dem Hofe, oder den Staͤnden, oder der Stadt gehoͤren, ſind mehrere, die theils groß, theils anſehnlich in die Augen fallen. Dahin gehoͤrt das Ge - baͤude der Akademie, das der Kurfuͤrſt Maximilian der Dritte erbauen aber nicht vol - lenden ließ. Es hat, außer einem Erdgeſchoß, zwey anſehnlichere hoͤhere, ein praͤchtiges Por - tal von Marmor und in ſeinem Innern zwey220 kleinere und einen groͤßern Hof, und faͤllt vor - treflich in die Augen. Der Sitz der Akade - mie der Wiſſenſchaften iſt hier aber ſeit 1784 nicht mehr, auch nicht mehr die Niederlage ihres gelehrten Vorraths. Die Hofbibliothek und das Kabinet fuͤr die Aſtronomie, fuͤr die Phyſik, die Naturgeſchichte, die Antiken und Muͤnzen, ſo wie die Zeichnungsſchule, die vor - her hier waren, ſind von hier nach dem Je - ſuiten-Kollegium verlegt worden.

Dieß Jeſuiten-Kollegium uͤbertrifft das ehemalige Akademiegebaͤude noch an Um - fang, aber es faͤllt von außem weniger praͤch - tig in die Augen. Im Innern iſt auf den Treppen und in den Gallerieen der Marmor verſchwendet, und Verzierungen aller Art, mehr oder minder reich und praͤchtig, findet man in den verſchiedenen Saͤlen, je nachdem ihre Beſtimmung es verlangte. Dieß unge - heure Gebaͤude ſchließt zahlreiche Inſtitute und Stiftungen, theils fuͤr den oͤffentlichen Unter - richt, theils fuͤr die Andacht, theils fuͤr die221 Wiſſenſchaften uͤberhaupt ein. Im vorigen Abſatze habe ich einige davon genannt; hier erwaͤhne ich noch der marianiſchen Landesaka - demie und des Gymnaſiums. Ferner haben noch vier Landeskollegien Raum und Sitz darin.

Das Zeughaus faͤllt nicht minder anſehn - lich in die Augen. Es ſind eigentlich vier Ge - baͤude, die mit Kriegsgeraͤthſchaften aller Art ziemlich angefuͤllt ſind; doch koͤnnte man die in demſelben vorhandene Sammlung eher ein Kabinet kriegeriſcher Alterthuͤmer, als eine Niederlage furchtbarer, jede Stunde zu be - nutzender Waffen nennen, wenigſtens iſt zwi - ſchen dem Vorrath der letztern und der erſtern ein auffallendes Mißverhaͤltniß.

Die Reitſchule, ehemals zu Turnier - ſpielen beſtimmt, iſt auch eines von den Ge - baͤuden in Muͤnchen, die keine andre deutſche Reſidenz in dieſer Art aufzuweiſen hat. Es iſt nach Weſtenrieder*)Beſchreibung von Muͤnchen ꝛc. daſelbſt 1783. S. 81. achtzig Muͤnchener222 Schuh hoch, achtzig breit, und uͤber dreyhun - dert und ſechszig lang. Ehedem war es aus - gemalt und hatte drey Gaͤnge uͤber einander, die fuͤr die Zuſchauer beſtimmt waren, deren es gegen zehntauſend faſſen konnte. Dieſe Gallerieen und alle uͤbrige Einrichtungen, die zu jenen Turnierſpielen erforderlich waren, ſind jetzt abgenommen, da die Spiele ſelbſt ſeit Menſchengedenken nicht mehr gegeben worden ſind. Das Gebaͤude wird jetzt nur noch als Reitſchule fuͤr junge Adeliche, auch bey außer - ordentlichen Freudenfeſten als ein oͤffentlicher Ballſaal gebraucht.

Das neue Opernhaus, hart an der kurfuͤrſtlichen Reſidenz, iſt, ohne gerade durch ungewoͤhnliche Groͤße aufzufallen, dennoch ein anſehnliches Gebaͤude, das, beſonders im In - nern, ſich durch den Putz und Reichthum ſei - ner vier Logengaͤnge, durch gute Buͤhnenver - zierungen und mannigfache Veraͤnderungen aus - zeichnet. Das alte, auf welchem gewoͤhnlich geſpielt wird, iſt kleiner, in allen Stuͤcken ge -223 ringer, und ſteht hinter dem Kloſtergebaͤude der Theatiner.

Das ſogenannte Exercitien-Haus (wobey dem Leſer kein Exercierhaus ein - fallen darf) iſt ebenfalls ein Gebaͤude von Um - fang, deſſen Stiftung man fuͤr aͤlter halten ſollte, als ſie iſt. Die Kaiſerin Amalia, Karls des Siebenten Gemalin, eine gottes - fuͤrchtige Fuͤrſtin, legte es an und beſuchte und bewohnte es, um ihre frommen Uebungen darin abzuwarten. Ehedem war es nur Stan - desperſonen, Geiſtlichen und Studenten, die bußfertige Bewegungen fuͤhlten, erlaubt, die - ſelben durch Gebet und Zuͤchtigung des Leibes darin zu befriedigen; gegenwaͤrtig aber werden Reumuͤthige aus allen Staͤnden darin aufge - nommen, und auf drey Tage, waͤhrend wel - cher ſie keine Gemeinſchaft mit der Welt ha - ben, mit Wohnung und Tiſch umſonſt verſe - hen. Man nennt ſolche Patienten Meditan - ten, und dieſen kranken Seelenzuſtand ſelbſt Meditiren, ziemlich unangemeſſen, wie mir224 daͤucht. Doch hat man mir verſichert, daß die Zahl derjenigen, die hieher kommen, um ſich mit Denken zu beſchaͤftigen, alle Jahr geringer werde: eine gluͤckliche Ausſicht fuͤr das gemeine Weſen, das nun hoffen darf, ein Ka - pital, das 70,000 Gulden jaͤhrliche Zinſen traͤgt, und dieſer wunderlichen Anſtalt zur Grundlage dient, fuͤr ſich bald zweckmaͤßiger verwandt zu ſehen.

Das Gebaͤude des kurfuͤrſtlichen Se - minariums, die Muͤnze, die Kaſernen, das Landhaus und das Rathhaus, ſind ſaͤmtlich Anlagen, die das Aeußere von Muͤn - chen vortheilhaft hervorheben. Unter den Pal - laͤſten der Großen endlich ſind mehrere, die ſich durch Geſchmack in der Bauart, Umfang, innere Verzierung, und mancherley Kunſt - und Naturſammlungen, wie z. B. der Tatten - bach[i]ſche, der Preyſingiſche und Toͤr - ringiſche, vortheilhaft auszeichnen.

Wenn die Regenten von Bayern, ſeit Wilhelm dem Fuͤnften bis auf den jetzt -leben -225lebenden, Karl Theodor, fuͤr die Verſchoͤ - nerung ihrer Hauptſtadt, fuͤr den Anbau ih - rer Pallaͤſte und Luſtſchloͤſſer, und die Ver - herrlichung ihres Innern; fuͤr die Stiftung und Errichtung von Kirchen, Kloͤſtern, Ka - pellen und deren andaͤchtigen Apparat verhaͤlt - nißmaͤßig faſt zu viel gethan haben: ſo muß man ihnen auch die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, daß ſie in Gruͤndung ſolcher Anſtalten, welche die Bildung des Geiſtes und Ge - ſchmacks ihrer Unterthanen, die Erziehung, die Verſorgung der Wittwen und Waiſen und die Unterhaltung der Armen bezielen, nicht karg geweſen ſind. Nicht leicht hat eine groͤßere Reſidenz in Deutſchland ſolch eine An - zahl Stiftungen dieſer Art aufzuweiſen, als Muͤnchen, und es waͤre, daͤucht mir, hart und unbillig, beſonders bey den letztern, an Eitelkeit, Andaͤchteley, boͤſes Gewiſſen, das man zu beruhigen ſuchte, Werkheiligkeit und an Drohungen oder Betteleyen der Prieſter, durch die ſie veranlaßt wurden, zu denken undFuͤnftes Heft. P226durch Aufſuchung ſolcher Entſtehungsurſachen das wirklich Gute und Nuͤtzliche, das dieſe Stadt in dieſer Art enthaͤlt, einſeitiger Weiſe herabſetzen zu wollen.

Die kurfuͤrſtliche Gemaͤldegalerie iſt eine der zahlreichſten und ſchoͤnſten in Deutſch - land, und ſie behauptet mit Ehren ihren Rang zwiſchen der Dresdener und Duͤſſeldoͤrfer, die ſie in manchen Faͤchern uͤbertrift, in manchen erreicht. Schon vor mehr als zweyhundert Jahren machten Albert V. und Wilhelm V. den erſten Ankauf zu dieſer Sammlung. Maximilian der Erſte und Ferdinand Maria mit ſeiner Gemalin, Adelheit, ſetzten ſie fort. Maximilian der Zweyte vermehrte ſie, beſon - ders mit Stuͤcken franzoͤſiſcher und niederlaͤn - diſcher Meiſter, und bauete, um ihr einen an - gemeſſenen Standort zu geben, das Luſtſchloß Schleisheim, deſſen Inneres Karl der Sie - bente verſchoͤnerte. Der verſtorbene Kurfuͤrſt gab jungen Kuͤnſtlern die Erlaubniß, darin zu ſtudieren, und der jetztregierende ſchaffte dieſen227 Vorrath, der 1050 Stuͤck ſtark geworden war, vor kurzem nach der Reſidenz, wo er ihm und noch vielen andern ſchon in Muͤnchen vorhan - denen Stuͤcken eine eigene Galerie erbauet hat. Dieſe umſchließt in einer Laͤnge von 800 Fuß die eine Seite des Hofgartens, verſchoͤnert dieſen zu ebener Erde durch einen bedeckten Gang, der auf Saͤulen ruhet und die Thaten des Herkules in 8 Figuren dargeſtellt, ein - ſchließt, und enthaͤlt im erſten Geſchoſſe die ganze erwaͤhnte Gemaͤldeſammlung, die Frem - den und Einheimiſchen zur Anſicht und Kuͤnſt - lern zur Uebung und Bildung offen ſtehet.

Der Vorrath von Kunſtwerken, der ſich in dieſer Galerie, in der Reſidenz, in den Kirchen und in Privatſammlungen findet, ſo wie die mannigfache Beſchaͤftigung, die hier den Kuͤnſten bey Erbauung und Verzierung der Kirchen, Pallaͤſte und oͤffentlichen Gebaͤu - de von jeher geboten wurde, hat eine Menge von einheimiſchen Kuͤnſtlern aller Art hier her - vorgebracht und eben ſo viel, die aus derP 2228Fremde ſich hieher gezogen hatten, theils ge - bildet, theils ausgebildet. Ein Verzeichniß derſelben liegt nicht in meinem Plane und ich verweiſe dieſerhalb auf andre Quellen*)S. Weſtenrieders Beſchreibung von Muͤnchen, S. 333. fg. vergl. mit Nicolai's Reiſe, Bd. 6. S. 703. fg. Ueber die Galerie beſonders ſehe man: Abregé de tout ce qu'il-y-à de remar - quable à voir à Munic etc. par l'Abbé Bermil - ler, 1789.. Auf jedem Fall iſt weder Wien, noch Berlin, noch Dresden ſo fruchtbar an guten Kuͤnſtlern ge - weſen. Die freye Zeichenſchule, die hier zur Bildung junger Kuͤnſtler errichtet iſt, hat ungefaͤhr dieſelbe Einrichtung, wie die zu Dresden.

An Schulen hat Muͤnchen keinen Man - gel und ſie haben die letztern Jahre her, man - che vortheilhafte neue Einrichtung bekommen; indeſſen ſind ſie, nur mit ihrem vorigen Zu - ſtande verglichen, ſo gut als ſie, bey dem hier herrſchenden Bekenntniſſe und der geringen229 Aufklaͤrung in demſelben, bey den Kenntniſſen und Grundſaͤtzen der meiſten dabey angeſtell - ten Lehrer, bey der Entfernung, in der ſie von dem Auge und von den politiſchen Be - rechnungen der Regierung gehalten werden, ſeyn koͤnnen. Einzelne wackre Maͤnner, deren ich oben einige genannt habe, verſuchten die Lehrart und die Gegenſtaͤnde des Unterrichts zu verbeſſern und vortheilhafter zu waͤhlen, aber ſie ſtießen dadurch gegen das Syſtem der Nachfolger der Jeſuiten an, zogen ſich die bitterſten Schmaͤhungen, Verketzerungen und wirkliche Verfolgungen zu, und waren ge - zwungen, alles, wo nicht ganz beym Alten, doch bey der ſogenannten Verbeſſerung zu laſ - ſen, welche die erwaͤhnten Stellvertreter der der Jeſuiten beliebten. Es iſt in Muͤnchen ein Gymnaſium mit 10 Schulen oder Klaſ - ſen vorhanden, das ſich in nichts von den gewoͤhnlichen katholiſchen Gymnaſien unterſchei - det, und worin Grammatik, Poeſie, Rheto - rik, Philoſophie und Theologie, nach alter230 im katholiſchen Deutſchlande gewoͤhnlicher Sitte, zum Theil von Weltprieſtern, meiſt aber von Moͤnchen, freylich unentgeldlich, gelehrt wird. Der Normal-Trivialſchulen finden ſich gegen funfzehn hier, und es werden in den - ſelben Religion, Moral, Schreibekunſt, Ele - mente der Geſchichte (faſt ausſchließend aber der geiſtlichen) und Rechenkunſt getrieben*)Nicolai's Reiſe, Bd. 6. S. 620. fg..

Uebrigens, ſagt Hr. Weſtenrieder: iſt in Muͤnchen keine Univerſal - oder ei - gentliche National-Erziehung, wo (durch die) man die ſaͤmtliche, die vornehme und die nicht geadelte Jugend nach beſtimmten Grundſaͤtzen bildet und den Klaſſen derſelben nach den verſchiedenen Graden (?) ihrer kuͤnf - tigen Aemter und Geſchaͤfte eine zweckmaͤßige Erziehung ertheilte, vorhanden. Aber wo iſt eine ſolche vorhanden? Und wo kann eine vorhanden ſeyn, wo der Landesherr nicht eine Liebhaberey aus dem Schulweſen macht,231 und ſie ſo auf einem feſten Fuß unterhaͤlt, wie etwa das Soldatenweſen oder die Jagd? Der*)jetzt verſtorbene. Herzog von Wuͤrtemberg giebt zwar ein Beyſpiel von ſolch einer ſeltenen Liebhabe - rey, aber die Einſeitigkeit ſeiner Einrichtungen verhindert den Nutzen, den ſein Land von die - ſem ſeinem neueſten Hange ziehen koͤnnte.

In Muͤnchen findet ſich noch eine ſoge - nannte Landesakademie, die von der Herzogin Maria, Wittwe des Herzogs Cle - mens, iſt geſtiftet worden. Man nimmt bloß junge Adeliche, theils umſonſt, theils fuͤr ein jaͤhrliches Koſtgeld, darin auf, und ſie werden von weltlichen Lehrern in der einen Klaſſe, in der Schreibekunſt, Mathematik, Erdbeſchrei - bung, in Sprachen, und in der andern in der Geſchichte, Philoſophie, Naturlehre, Ka - meralwiſſenſchaft, und außerdem in der Tanz - Zeichen - Fecht - und Reitkunſt unterrichtet. Uebrigens giebt es wenig Kadettenhaͤuſer, in232 welchen die jungen Leute ſo gut geſpeiſt, aber auch zum Beten ſo eifrig angehalten werden.

Eine aͤhnliche Anſtalt, die Militaͤr-Aka - demie, iſt erſt vor drey oder vier Jahren, nach einem weitlaͤuftigern Plane, fuͤr zwey - hundert junge Leute von allen Staͤnden, die angemeſſenen Unterricht genießen ſollen, von dem jetztregierenden Kurfuͤrſten errichtet worden.

Die Anzahl der Wittwen - Waiſen - Ar - men - Kranken - und Arbeits-Anſtalten iſt in Muͤnchen ungewoͤhnlich groß. Es ſind allein ſechs Waiſenhaͤuſer fuͤr beyde Geſchlechter; zehn Hoſpitaͤler fuͤr Kranke aller Art; vier milde Stiftungen und wohlthaͤtige Geſellſchaf - ten und ſonſt noch mancherley Spenden an Geld, Kleidungsſtuͤcken, oder Lebensmitteln vorhanden. Mit einigen dieſer Anlagen ſind noch oͤffentliche Entbindungszimmer fuͤr arme Weibsperſonen, Annahme von Fuͤndlingen und Ausſtattung armer Maͤdchen verbunden. Das neuerlich von dem gegenwaͤrtigen Kurfuͤrſten geſtiftete Militaͤr-Armenhaus iſt ſehr233 weitlaͤuftig und in Abſicht der Ordnung, Rein - lichkeit und Thaͤtigkeit ein Muſter fuͤr Haͤuſer dieſer Art*)Umſtaͤndliche Nachrichten davon finden die Leſer in C. M. Pluͤmikens Briefen auf einer Reiſe durch Deutſchland im Jahre 1791 (geſchrie - ben) Theil 2, Seite 144. fg.. Durch alle dieſe Anſtalten iſt die Zahl der Bettler, uͤber welche die neueſten Reiſebeſchreiber klagen, in Muͤnchen ſehr ver - mindert worden, und ich habe mich waͤhrend meines Aufenthalts wenig von ihnen belaͤſtigt gefunden.

Das Aeußere der verſchiedenen Einwohner - klaſſen, die man auf den Straßen von Muͤn - chen ſiehet, iſt, im Ganzen genommen, an - ſtaͤndig und reinlich, und zeigt in der That nicht von Armuth und Mangel. Die arbei - tende Klaſſe iſt nicht ſo ſchlecht, nicht zum Theil in Lumpen gekleidet, wie die zu Berlin und Dresden, ſondern mehr wie die zu Leip - zig und Hamburg, iſt dabey friſch von Farbe und uͤberhaupt wohlgenaͤhrt. Die dienende234 Klaſſe vom weiblichen Geſchlechte giebt in der Sauberkeit und Nettigkeit des Anzugs der in Leipzig und Dresden nichts nach, und uͤber - trift in dieſen Stuͤcken die zu Breslau und Berlin weit. Dieſelbe Klaſſe vom maͤnnlichen Geſchlecht, wohin ich die Domeſtiken, die Aufwaͤrter in den Kaffeehaͤuſern, Weinhaͤuſern, Gaſthoͤfen, die Lohnbedienten u. a. dg. rechne, ſieht man ſogar modiſch, uͤbrigens reinlich und zum Theil fein gekleidet, einher gehen, ungefaͤhr wie die zu Frankfurt am Mayn und in Straßburg. Die Buͤrgerinnen, Maͤdchen wie Frauen, haben noch viel von der alten buͤrgerlichen Tracht und gefallen ſich und an - dern immer noch mit ihren goldſtoffenen Hau - ben, ſchweren goldenen Ketten, ſteifen Mie - dern, vielfach uͤber einander gezogenen Roͤcken u. ſ. w. Die zu dieſer Klaſſe gehoͤrigen Maͤn - ner kleiden ſich wie die von ihrer Art zu Dres - den, in Tuchroͤcke nach altem Schnitte, voll - ſtaͤndig, mit breiter Taille ohne Kragen, mit langen und breiten Aufſchlaͤgen; doch ſind die235 Farben ihrer Kleidungsſtuͤcke heller und ſchrey - ender, als ſie der gemeine Buͤrger und Hand - werker in andern deutſchen Staͤdten, z. B. in Nuͤrnberg, Leipzig und beſonders in Berlin zu tragen pflegt. Indeſſen fangen die juͤngern aus dieſer Klaſſe ſchon an, Fracks und ſeidene Struͤmpfe zu tragen. Ganz gewoͤhnlich ſind letztre ſchon bey den feinern Handwerkern und Kuͤnſtlern geworden, die, auch in Muͤnchen, nur noch an der etwas groͤberen Beſchaffen - heit der Tuͤcher und Zeuge, die ſie tragen, von den Kaufleuten zu unterſcheiden ſind. Die Haarkuͤnſtler und Weiberverſchoͤnerer, ſeyen es Schneider oder Schuſter, ſind hier zum Theil nicht mehr von den Kammerjunkern zu unterſcheiden, wenn dieſe ihre Uniform ausge - zogen haben. Ihre Weiber tragen ſich fran - zoͤſiſch, wie man es hier nennt, und zeigen ſich in netten Negligees von weißen baumwol - lenen Zeugen, und in artigen Hauben, noch um vieles geſchmackvoller, als dieſelbe Gat - tung in Leipzig und Dresden. Ganz wie in236 der letztern Stadt kleiden ſich die aͤltern Hof - bedienten, Hofbeamten, Sekretarien und an - dere niedrige Mitglieder der Landeskollegien, die ſich durch eine ſorgfaͤltige, ſteife Friſur, durch einen abgenutzten kurzen Degen, durch verblaßte Kleider, kleine Schuhſchnallen und einen zergriffenen Platthuth unterſcheiden. Ihre Ehehaͤlften erſcheinen noch in ſogenann - ten Karkaſſen, von Schmelz durch - glaͤnzt, in Roberonden und Andrien - nen von großgebluͤmten Moire, mit Falbala und breiten Beſaͤtzen verziert, und mit ſchwarzen Sammtbaͤndern um den duͤrren, gelben Hals. Die juͤngern Glieder dieſer Gat - tung beyderley Geſchlechts fallen aber mehr in den franzoͤſiſchen Geſchmack, wie er vor der Staatsveraͤnderung war, als in den neueſten engliſchen. Die Tracht der hoͤheren Staͤnde beyderley Geſchlechts iſt in Muͤnchen wie uͤberall.

Man kann die Zahl der Einwohner zwi - ſchen 40 und 45,000 annehmen. Bey weitem237 der groͤßeſte Theil davon naͤhrt ſich von den noͤthigen und unnoͤthigen Ausgaben des Hofes, des hier wohnenden Adels, und der Beamten in den verſchiedenen Landeskollegien, durch Kuͤnſte, Handwerke und Beſchaͤftigun - gen aller Art, deren Hervorbringungen faſt alle innerhalb der Mauern von Muͤnchen blei - ben. Fuͤr auswaͤrtigen Vertrieb wird wenig gethan, und wenn man Spielkarten, Papier, Pinſel, baumwollene Struͤmpfe und Zeuge, gemeine Wollenwaaren, Maler - und Bild - hauerarbeiten, Taback, Leder und allerley Waa - ren von innlaͤndiſcher Baumwolle, d. i. von der Wolle der Pappeln, der Weiden und an - derer wolletragenden Pflanzen verfertigt*)Von den Verſuchen und Erfindungen des thaͤtigen Profeſſors Herzer, die Verarbeitung dieſer einhei - miſchen Baumwolle betreffend, findet man vollſtaͤn - dige und anziehende Nachrichten in Hrn. Pluͤmi - kens obengenanntem Buche, Theil 2, S. 191-194 und S. 206. fg., verglichen mit Seite 150. fg. vorher, und mit S. 244. fg. und S. 304. fg. nach - her.,238 abrechnet, ſo wird wenig uͤbrig bleiben, was Muͤnchen ausfuͤhren koͤnnte. Dagegen zieht es eine große Menge wahrer und eingebildeter Beduͤrfniſſe aus nahen und entfernten Laͤn - dern.

Deshalb ſind die Muͤnchener nicht reich, wenn man ſie auch wohlhabend nennen kann. Alles, der hier wohnende reiche Adel ausge - nommen, lebt gleichſam von einem Tage zum andern, und Kleider und Nahrung zehren die Einnahme richtig auf. Verhaͤltnißmaͤßig ſind, nach dem hier eingefuͤhrten Maaßſtabe in der Lebensart, und nach den, wegen ihrer großen Menge, geringen Beſoldungen, die Hof - und Landesbeamten die aͤrmſten, und ſie ſind gezwungen, um ſich ſtandesmaͤßig zu er - halten, zuzugreifen, und kleine und große Ge - ſchenke von mancher Art und zu manchem Zweck anzunehmen. Daher Mißbraͤuche in der Verwaltung der Staatskaſſen, in der Ausuͤbung der Gerechtigkeit, in Vergebung von Stellen, Jahrgeldern und Beguͤnſtigun -239 gen, mehr als in irgend einer andern Reſidenz in Deutſchland.

Man ſchreibt es der merkwuͤrdigen -, Trink und Vergnuͤgungsſucht der Muͤnchener mit zu, daß ſie nie uͤbrig haben; und man kann gegen dieſen Vorwurf nichts ſtatthaftes einwenden, ſo ſehr auch jedem, des Lebens zu genießen, vergoͤnnt ſeyn mag. Waͤren ſie ſo maͤßig im Eſſen und Trinken, wie z. B. die Dresdener, ſo koͤnnten ſie noch wohlhabender ſeyn; verſtaͤnden ſie auch die Kunſt, in der Kleidung und in den Vergnuͤgungen ſich ſo einzuſchraͤnken wie die Berliner, ſo koͤnnten ſie ſammlen; aber es iſt merkwuͤrdig, daß 40,000 Muͤnchner in manchen Gattungen von Nahrungsmitteln mehr verzehren, als 150,000 Berliner, eine Thatſache, die ein neuerer Rei - ſender hinlaͤnglich erwieſen hat*)S. Nicolai's Reiſe, Band 6, S. 569. fg.. Wahr iſt indeſſen, daß man in Muͤnchen fuͤr Einen Gulden noch einmal ſo viel an - und Trink -240 waaren bekoͤmmt, als in Berlin und Dres - den fuͤr eben dieſen Preis, und daß mithin der Muͤnchener bey gleichen Ausgaben, wohl noch einmal ſo viel eſſen und trinken muß, als ſie; aber in dieſem Umſtande liegt es ge - rade, daß er, bey einer etwas weniger ſinnli - chen Philoſophie, mehr erſparen, weniger In - dolenz verrathende rothe Backen, gefuͤllte Schenkel und breite Schultern haben, und ſich mit mehr Erfolg auf die ſpekulative Phi - loſophie, auf Arbeiten des geiſtigen Geſchmacks, und kurz, auf alle die Beſchaͤftigungen legen koͤnnte, die, vermoͤge ihrer Natur, einen un - ausgeſtopften Magen und wenig Zerſtreuungen erfordern!

Die Maͤrkte in Muͤnchen ſind vortreflich beſetzt und ſtarren von Fruͤchten, Gemuͤſen, Eyern, Gefluͤgel, Schweinen, Ochſen und Fi - ſchen mehreremahl in der Woche, auf ver - ſchiedenen Plaͤtzen. Herumtraͤger von Lebens - mitteln aller Art fuͤllen die Straßen mit ih - rem mannigfaltigen Geſchrey. Alles reitzt undbefrie -241befriedigt die Eßluſt. Leute von geringern Klaſſen erſcheinen auf den Straßen in ewigem Kaͤuen. Es iſt kein Spatziergang, in deſſen Naͤhe nicht Erfriſchungen in Fuͤlle verkauft wuͤrden. Unter der großen Galerie im Hof - garten ſind Kaffeehaͤuſer, wo man alles haben kann, ſitzen Weiber an Weiber, die ganze Koͤrbe mit Leckereyen feil bieten. Unter den Lauben am großen Platze findet man beſtaͤndig Ananas, Melonen, Orangen, und andre Gat - tungen des ſchoͤnſten Obſtes, in großen Hau - fen aufgethuͤrmt. Weinkraͤnze prangen auf allen Straßen; vor den Thoren iſt Bierhaus an Bierhaus, und die naͤchſtgelegenen Gaͤrten und Doͤrfer wimmeln an ſchoͤnen Tagen von den Einwohnern der Stadt, die ſich in Wein, oder Bier, oder Meth, bei Muſik und Tanz, eine Guͤte thun. Alle dieſe Oerter findet man um ſo oͤfterer beſetzt, da in Muͤnchen der Tage ſo viele ſind, an welchen man ſich fuͤr die Muͤhe des Betens Vormittags, am Nachmit - tage erholen zu muͤſſen glaubt. Bei ſchlechtemFuͤnftes Heft. Q242Wetter ſtroͤmt das Volk in den Wein -, Bier -, Meth - und Tanzhaͤuſern in der Stadt ſelbſt, und im Schauſpiele, zuſammen. An den bei - den vornehmſten Jahrmaͤrkten (hier Dulten genannt) erhaͤlt dies frohe Getuͤmmel den hoͤchſten Grad ſeiner Lebhaftigkeit, und dann giebt es auch Kreuzerkomoͤdie, engliſche Be - reiter, Equilibriſten, und eine Menge anderer Spektakel dieſer Art. Die Faſchingszeit iſt nicht minder ein wichtiger Zeitpunkt fuͤr die Muͤnchner, und Baͤlle, Redouten und Schmau - ſereyen draͤngen ſich waͤhrend deſſelben bei allen Staͤnden.

Ein Volk wie dieſes wird viel ſchlechte Wirthe, aber weniger ſchlechte Menſchen ſtellen. Der Charakter der Muͤnchener hat etwas Ei - genthuͤmliches, das auf den erſten Blick dem Fremden auffaͤllt. Es iſt eine gewiſſe Treu - herzigkeit und Offenheit, die ſich zwar faſt wie Grobheit ausnimmt, aber es in der That nicht iſt. Ein voller und rauher Dialekt und gewiſſe unabgeſchliffene Manieren geben die243 Veranlaſſung zu dieſem Irrthume, der ſo - gleich aufhoͤrt, wenn man mit ihnen naͤher bekannt wird: was ſehr leicht iſt, da ſie in ihrem Innern nichts zu verbergen zu haben ſcheinen. Man entdeckt dann unter jener nicht verfeinerten Außenſeite ein mitleidiges Herz, wahre Vaterlandsliebe, viel geſunden Ver - ſtand und uneigennuͤtzige Dienſtfertigkeit und Treue. Glaubt ein Muͤnchener Recht zu ha - ben, ſo verficht er es in dem ihm eigenthuͤm - lichen rauhen Tone; aber er ſchweigt ganz, wenn von Dingen die Rede iſt, die er nicht verſteht, und er iſt faſt zu gelehrig, wenn er Leute hoͤrt, denen er mehr und hoͤhere Kennt - niſſe zutrauet. Geſchwaͤtzigkeit und Schoͤn - ſprecherey ſind hier ganz unbekannte Untugen - den, und Windbeuteley und Schmeicheley ſind aͤußerſt ſelten. Gefaͤllt jemand dem Muͤnchener nicht, ſo wird er es bald ſehen oder hoͤren. Die Neugier und die Aufmerkſamkeit auf Fremde, die dieſen in den oͤffentlichen Haͤu - ſern zu Dresden ſo laͤſtig wird, zeigt derQ 2244Muͤnchener nie, freylich auch nicht das hoͤf - liche Zuvorkommen, dafuͤr aber die unge - zwungenſte Gaſtfreundſchaft gegen jeden, der ihm empfohlen worden. Seine Freymuͤthig - keit im Urtheilen uͤber ſeine Vorgeſetzte, uͤber ihre Handlungen und Einrichtungen, geht faſt bis zur Ungezogenheit, und er theilt ſeine An - merkungen nicht etwa nur leiſe, ſondern ganz laut, in ſeinem natuͤrlichen, derben Tone und in ſeiner kraͤftigen Sprache, oͤffentlich mit. Wer Leute ſehen will, die ſich bei ihren Freu - den unverholen, ohne Ziererey, herzlich freuen, der gehe nach Muͤnchen in die Geſellſchaften derjenigen Mittelklaſſe, die ich hier uͤberhaupt im Sinn habe, und er wird noch wahrhafte Heiterkeit und Geſelligkeit finden. Eben die - ſe Leute zerfließen in Thraͤnen bei einem ruͤh - renden Schauſpiel, und draͤngen ſich, einem Ungluͤcklichen, dem auf der Straße ein Zufall begegnet iſt, Wohlthaten zu erweiſen und in ihre Haͤuſer aufzunehmen. Aus eben dieſer Quelle mag wohl auch ihre muſterhafte An -245 dacht bei feyerlichen Handlungen der Religion fließen. Fanatismus und thaͤtlicher Verfol - gungsgeiſt findet in dieſen guten Seelen keinen Raum, und obgleich es von Seiten ihrer Prieſter nie ganz an Ermunterungen dazu ge - fehlt hat, giebt es doch kein Beiſpiel, daß das Volk ſeine, von ihnen ſo haͤufig ver - ketzerten, Landsleute gemißhandelt haͤtte. Man kann von vielen Mitgliedern der hoͤhern Staͤnde nicht ein Gleiches ſagen, obgleich man wiederum billigerweiſe annehmen muß, daß der Verfolgungsgeiſt, deſſen ſie ſich in neuern Zeiten ſchuldig gemacht haben, mehr aus politiſchen als aus bigotten Ruͤckſichten entſtanden ſey.

Der Umgang zwiſchen beiden Geſchlechtern iſt hoͤchſt ungezwungen, und es iſt nicht zu vermeiden, daß er, bei den vielen Gelegenhei - ten, ſich erhitzt und berauſcht zu ſehen, nicht in Ungebundenheit uͤbergehen ſollte. Selbſt in beſſern Geſellſchaften erlaubt man ſich einen Ton gegen das andere Geſchlecht, der jedem246 Fremden aus andern deutſchen Provinzen un - gezogen vorkommen muß, und ein Benehmen, das dieſes Geſchlecht in andern deutſchen Staͤdten, beſonders in Niederdeutſchland, als Beleidigung aufnehmen muͤßte, das aber hier von den rothbaͤckigen Maͤdchen und Weibern hoͤchſt gutmuͤthig und mit einer ihnen eigent - thuͤmlichen Jovialitaͤt angeſehen und erwiedert wird. Man muß ſich hier von dem Scheine nicht blenden laſſen, und mancher oͤffentlich gegebene und genommene Kuß, ſogar noch etwas mehr, beweiſen unendlich weniger, als ein verſtohlner Blick, und ein leiſer Fußtritt da, wo man oͤffentlich alles, auch nur aus der Ferne, anſtoͤßig Scheinende verbirgt, um ſich heimlich demſelben ohne Maß und Ziel zu uͤberlaſſen. Daß aber die Grundſaͤtze bei - der Geſchlechter in dem angeregten Punkte hier nicht die reinſten und feſteſten ſind, laͤßt ſich aus der leichten und ſinnlichen Lebensart, und aus den hier ziemlich haͤufig gegebenen erlauchten Beiſpielen, ohne weitlaͤuftige Er - innerung leichtlich ermeſſen.

247

Viele der hier angegebenen Zuͤge findet man auch in den hoͤhern Staͤnden wieder. Im Ganzen hat ihr Aeußeres nicht die Abgeſchlif - fenheit ſolcher Perſonen, die man im gemei - nen Leben einen feinen Mann, eine feine Frau nennt, und ihre Sprache, wenn ſie deutſch reden, iſt nur ſehr wenig von der Sprache jenes Mittelſtandes verſchieden; da - gegen iſt eine große Gabe von Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit noch bei ihnen unver - kennbar und nicht leicht pflegen ſie jemand, der etwas bei ihnen zu ſuchen hat, mit ſchoͤ - nen Worten hinzuhalten, wenn ſie nicht Wil - lens ſind, oder wenn es ihnen unmoͤglich wird, etwas fuͤr ihn zu thun. Im Ganzen iſt, mit einem Worte, der bayeriſche Adel mehr deutſch, als man ihn in irgend einer andern deutſchen Provinz findet. Am liebſten moͤchte ich dies von dem urſpruͤnglich bayeriſchen hohen Adel verſtanden wiſſen, der hoͤchſt ehrenwerthe Mit - glieder hat, und den der Adel italieniſcher, niederlaͤndiſcher und franzoͤſiſcher Abkunft, wo -248 von ſich einige Familien, deren Voreltern mehreren bayeriſchen Fuͤrſten gefolgt ſind, hier niedergelaſſen haben, in jenen ſchoͤnen Tugen - den nicht immer erreicht. Daß es auch hier - in Ausnahmen giebt, verſteht ſich von ſelbſt.

Ich unterdruͤcke, was ich noch vom politi - ſchen Zuſtande des Landes, von der Regierung und den Finanzen, von dem gegenwaͤrtigen Landesfuͤrſten als Regenten und Privatmann, ſo wie vom Zuſtande der Religion, der Wiſ - ſenſchaften und der Kuͤnſte, ſagen koͤnnte. Es iſt ſeit zwanzig Jahren uͤber dieſe Dinge, aus allen Toͤnen, ſo viel geſchrieben worden, daß man die Verhandlungen daruͤber ſchließen ſoll - te. Einige haben, als bloß witzige Koͤpfe, aͤrgerliche Chroniken geſchrieben; andre haben, als Menſchenfreunde, mit moraliſcher Haͤrte, die wohl auch in Bitterkeit uͤbergegangen iſt, die vorgefundenen Mißbraͤuche geruͤgt; noch andre haben alles ziemlich unſchuldig und ohne Aus - nahme gelobt; und alle drei Gattungen ſind in einem und dem andern Stuͤcke zu weit ge -249 gangen. Die vierte Gattung, die Gemaͤßigte, die jedes Ding mit ſeinem eigenen Maßſtabe zu meſſen, ſich kein Ideal zu machen, ſondern die Sachen ſo zu nehmen pflegt, wie ſie, alle Umſtaͤnde wohl erwogen, ſeyn koͤnnen und muͤſſen: dieſe Gattung hat aus den Berichten der drei uͤbrigen, mit noͤthiger Vergleichung und Abrechnung, ihre Begriffe und Kenntniſſe von dem Lande und dem Volke der Bayern, laͤngſt geordnet, und kann der Winke eines Durchreiſenden vollkommen entbehren.

Den 25ſten des Julius reiſ'te ich von Muͤnchen aus auf Salzburg. Der Weg iſt gemacht und eben ſo gut wie der, der mich nach Muͤnchen hineinfuͤhrte; auch waͤre es eine Schande, wenn er ſchlecht waͤre, da auf bei - den Seiteu der Bauſtoff unter der Hand liegt. Aber, was den Weg gut macht, macht den Ackerboden ſchlecht. Das Getraide ſtand auf dieſem Schutte hoͤchſt duͤnne, klein und mager.

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Zur rechten Hand erblickt man auf ein - mahl die Salzburger Alpen, die eine hoͤchſt ehrwuͤrdige Anſicht gewaͤhren. Sie ſtellen ſich in Gruppen von fuͤnf bis acht Klippen dar, unter denen gewoͤhnlich die mittelſte kegelſtaltig uͤber die andern hervorragt. Tiefe Einſchnitte trennen dieſe Gruppen eine von der andern. Von ihrer Hoͤhe bekoͤmmt man dadurch einen Maßſtab, daß man ſie nur anderthalb, hoͤch - ſtens zwey Meilen entfernt glaubt, da doch einige davon auf fuͤnf und zwanzig bis dreißig Meilen zuruͤcktreten. Links dehnt ſich eine unuͤberſehliche Flaͤche aus, waͤhrend vorwaͤrts, wenn man ſich dem naͤchſten Poſtwechſel, Porsdorf (2 M.) naͤhert, kleine, ſchwarz - behoͤlzte Anhoͤhen ſich zu erheben anfangen.

Porsdorf iſt ein unanſehnliches Dorf, wie es bei dem duͤrren Boden, auf dem es liegt, nicht anders ſeyn kann. Der Weg von hier aus bis Hohenlinden (2 M.) dauert ſo fort, wie vorhin. Kurz hinter dieſem Orte ſieht man, von einer Anhoͤhe herab, noch251 einmal Muͤnchen in ſeiner ganzen Ausdehnung liegen, und es nimmt ſich von hier beſſer, als von irgend einem andern Punkt aus. Der gebahnte Weg dauerte immer noch in ſeiner Vortreflichkeit fort; aber die Flaͤche um mich her verſchwand bald, und ich ſah mich von einem Wald umſchloſſen, durch welchen der ſchoͤne, wallartig erhoͤhete, Weg wie durch eine Allee fuͤhrte, und ſo bis Hohenlinden, dem naͤchſten Poſtſtande, fortdauerte. Der Boden hatte ſich merklich gebeſſert und in ein lockeres, graugelbliches Erdreich verwandelt.

Hohenlinden iſt ein Dorf. Es kuͤndigte mir den ganzen Wohlſtand an, den ich er - wartete. Man hatte mir naͤmlich gerathen, dieſen Weg nach Salzburg zu waͤhlen, weil ich nie etwas Aehnliches an Fruchtbarkeit ge - ſehen haben muͤßte. Reinlichkeit und Ordnung herrſchten in den Haͤuſern, in den Hoͤfen, in den Gaͤrten, auf den Straßen, und die Ein - wohner zeigten ein gewiſſes offenes und zu - friedenes Weſen, und Wohlhabenheit und252 Sauberkeit in ihrer Waͤſche und Kleidung. Von Hohenlinden aus dauerte zwar der Wald noch uͤber eine Stunde fort, und ich fing ſchon an ihn etwas lang zu finden, als er ſich auf einmal in eine hoͤchſt angenehme Ebene oͤffnete, die, nur von ſanften Anhoͤhen unterbrochen, eine bunte Miſchung von Ackerland und Hoͤlz - chen darbot. Der Boden an ſich war zwar noch wenig dankbarer, als der um Muͤnchen, aber deſto mehr Ehre fuͤr die Bewohner die - ſes Landesſtriches, daß ſie ihn in das frucht - barſte Feld verwandelt haben, welches mir auf meiner Reiſe zu Geſichte gekommen war. Zu - ſammenhangende Doͤrfer fand ich von nun an nicht mehr, aber faſt ſtand Haus an Haus neben und vor mir, und dies dauerte unab - ſehbar bis zu dem letzten Thurmſpitzchen fort, das uͤber eine Baumgruppe hervorragte. Ich zweifelte nicht mehr daran, daß ich mich hier in dem Garten von Bayern befaͤnde.

Kurz vor Haag, der naͤchſten Poſt, (2 M.) gelangte ich abermals in ein Gehoͤlz, und253 war kaum darin, als das Luſtſchloß dieſes Or - tes, von einer Anhoͤhe herab, mir in die Au - gen fiel. Es iſt im alten Geſchmack erbaut, hat rund herum eine Menge Thuͤrme, wird aber gut unterhalten und giebt deßhalb keinen un - angenehmen Anblick. Die Ausſicht von oben herab iſt, nach dem was ich oben geſagt habe, ſehr reitzend, beſonders da ſich die Salzburger Alpen, mit ihren vorhin erwaͤhnten Gruppen und tiefen Kluͤften, majeſtaͤtiſcher als vorher erheben und den bunten Teppich, den man zu ſeinen Fuͤßen hat, einfaſſen.

Haag iſt uͤbrigens ein Marktflecken der we - nig bedeutet, deſſen Inneres aber ganz ſauber iſt. Er beſitzt ſogar einen Springbrunnen.

Weg und Gegenden blieben von hier aus die Fortſetzung der vorigen, und wurden wei - terhin noch um vieles ſchoͤner. Ich bekenne noch keine Landſchaft geſehen zu haben, die, wie dieſe, ſo viel Reitz mit ſo viel Ueppigkeit des Fruchttriebs verbunden haͤtte. Um mich her ſtand nichts als Weizen, mehr als Man -254 neshoch, mit dicken, vollen Aehren, die, uͤber eine unabſehliche Flaͤche hinweg, vom Winde bewegt, ihre braunen Wellen ſchlugen. Darun - ter geſtreuet zeigten ſich ſtreckenweiſe kleine Wieſenplane, Waͤldchen von einzelnen Baͤu - men, und behoͤlzte Huͤgel, uͤber die man zum Theil hinfaͤhrt und eine neue Abwechslung in den Geſichtskreis bringen. Hat man zwey oder drey derſelben hinter ſich, ſo zeigen ſich die Alpen von neuem und naͤher als vorher. Man glaubt ſich an ihrem Fuße zu befinden, und zu bemerken, wie ſie hier, mit vier oder fuͤnf Abſaͤtzen, in die Flaͤche, in der man ſich befindet, auslaufen, und ſie, zum Erſatz fuͤr ihre eigenen, rauhen, unfruchtbaren Gipfel, mit Reichthuͤmern der Natur uͤberſchuͤtten, in - dem ſie Stroͤme und Stroͤmchen herabſenden und eine maͤchtige Vormauer gegen Sturm und Ungewitter bilden.

So dauern Weg und Gegend bis Ampfing, der naͤchſten Poſt, (2 M.) fort. Man befindet ſich in einem großen, wohlgebaueten Dorfe. Der255 Mond war an einem ſo wolkenreinen Himmel aufgegangen, daß ich mich entſchloß, die Fort - ſetzung dieſer ſchoͤnen Gegend in deſſen Glanze zu ſehen. Anfangs kam ich in eine kurze und duͤnne Waldung, durch welche ich kaum drey Viertelſtunden hingefahren war, als ich mich, bey einer Wendung zur Rechten, unvermuthet an dem Rande eines Thales, oder vielmehr Keſſels, befand, deſſen Grund theils mit Hol - zung beſetzt, theils mit dem Bette des breiten und ſchnellen Inns, den der Mond in fließen - des Silber verwandelte, bedeckt war.

Ich kam durch Muͤhldorf, ein Staͤdtchen am Inn, das vor mehr als hundert Jahren vom Feuer ganz verwuͤſtet wurde, und ſeine da - mals nicht ganz zerſtoͤrten, ſtarken Stadtmau - ern nicht ganz ausfuͤllt. Sein Aeußeres iſt nicht unangenehm, weil man uͤberhaupt in Bayern darauf ſieht, daß die Haͤuſer in Auf - putz erhalten werden.

Durch Altenoͤttingen, wo ſich die naͤchſte Poſt befindet (3 M.) kam ich gegen Morgen. 256Es iſt eine Stadt von betraͤchtlichem Umfan - ge, im Ganzen genommen gut gebauet, ſauber unterhalten, mit breiten Straßen und einem betraͤchtlichen Marktplatze.

Von dort aus kam ich auf Burghauſen, (2 M.) eine betraͤchtliche Stadt mit einer Bergfe - ſtung. Letztere muß man uͤber einen hohen Berg erſteigen, der, ſeiner ganzen Laͤnge, und ſeinem ganzen Umfange nach, mit Mauern und Thuͤr - men eingefaßt iſt, die aber den Anblick von Sorgloſigkeit und Verfallenheit geben. Am Fuße der Burg liegt die Stadt ſelbſt, die auf der an - dern Seite ebenfalls von Bergen umgeben wird, und in ihrer Lage viel Aehnliches mit Karlsbad hat, aber zwey bis dreymal laͤnger iſt, als dieſe Stadt, auch anſehnlichere Haͤu - ſer hat, die mit platten Daͤchern oder auch mit vermauerten Giebeln verſehen ſind. Von Burghauſen aus tritt man in ein großes, mehr wildes als angenehmes, Thal ein. Man be - haͤlt es zur Linken, indem man rechts an dem Abhange deſſelben hinfaͤhrt, und zu ſeinen Fuͤ -ßen257ßen einen mit Holz beſetzten Abgrund und neben ſich mit Nadelholz bepflanzte, ſtellen - weiſe verwitterte und heruͤberhangende Kalk - felſen hat. So geht der Weg in verſchiedenen Biegungen fort, bis ſich das Thal erweitert, die Anhoͤhe an beyden Seiten unerheblicher wird und rechts in eine Flaͤche auslaͤuft, waͤh - rend links ein dichtes Gehoͤlz die Niederung verſteckt.

Hinter dem letzten Pfalzbayerſchen Maut - amte, das man hier eben ſo wenig, als irgend - wo ein anderes, ungeſtraft zuruͤcklegt, fuͤhrt der Weg eine Weile bergan, durch ein bald hoͤhe - res, bald mehr niedriges, bald duͤnneres Ge - hoͤlz, in welchem ich aber ſtellenweiſe den Bo - den zur hoͤchſten Fruchtbarkeit erhoͤhet und mit dem ſchoͤnſten Weizen bedeckt fand. Sodann erblickte ich auf einmal jenes Thal, das ich eine Strecke vorher verloren hatte, in einer ausgebreiteten Geſtalt, und von dem Salza - fluß in mancherley Windungen durchſtroͤmt, wieder. Mehr aber feſſelt den Blick die ploͤtz -Fuͤnftes Heft. R258liche Wiedererſcheinung der hohen Salzburger Alpen, die ich, von Muͤnchen aus, beſtaͤndig zur Rechten behalten, dann verloren und nun auf einmal gerade vor mir hatte. Ganze Strecken davon waren noch mit Schnee be - legt, und die Kluͤfte und Einſchnitte zwiſchen den einzelnen Klippen mit demſelben angefuͤllt.

Endlich faͤhrt man in dieſes Thal hinab, und man erblickt bald rechter Hand das Staͤdt - chen Titmaning (3 M.) das von einem al - ten Schloſſe beherrſcht wird, von welchem herab Graben und Mauern bis zur Stadt und um die Stadt laufen. Titmaning ſelbſt iſt ganz in der Geſtalt und in dem Geſchmacke von Neumarkt, deſſen ich oben erwaͤhnt habe, angelegt und gebauet: es hat eine einzige, ſchnurgerade, breite Hauptſtraße, die zugleich den Markt bildet, an deſſen beyden Enden ein Springbrunnen angebracht iſt, und von wel - chem ein paar enge Quergaſſen auslaufen. Die Haͤuſer haben vermauerte Giebel und ge - ben einen italieniſchen Anblick.

259

Sie Salzburger zeigten ſich hier ſchon in ihrer vollſtaͤndigen Volkstracht. Die Maͤnner trugen kapuzinerbraune Roͤcke mit breiten und ſehr kurzen Taillen; und große, runde Huͤte, theils ſchwarz, theils gruͤn, mit einem Bande umwunden, das in große Schleifen geſchlagen iſt, die man an den Kypf des Hutes annaͤhet. Ihre Schuh waren Pantoffel mit Quartieren, die auf der Spanne mit Baͤndern befeſtigt, ganz den Anblick gaben, wie die neueſten Schuh der englaͤndernden Stutzer. Die Wei - ber ſteckten in kurzen, tauſendfaltigen Roͤcken, in ſehr kurzen Waͤmſern, deren Taillen faſt unter den Schultern anfingen, unter ſchwar - zen, uͤber Drath gezogenen, abſcheulich geform - ten Hauben von Flor, und in einem ſteifen, panzerartigen Bruſtlatze, unter welchem ein Leibchen von Kattun, das bis unter das Kinn zugeſchnuͤrt oder zugeknoͤpft war, ſich befand, welches, wie der Latz ſelbſt, zu einem Boll - werke gegen alle luͤſterne Anfaͤlle beſtimmt zu ſeyn ſchien. Uebrigens war, das maͤnnlicheR 2260wie das weibliche Geſchlecht, nicht groß, aber ſtark, nicht ſchoͤn, aber friſch.

Von Titmaning bis Laufen, (3 M.) blei - ben Weg und Gegend ſich gleich. Wald und Ackerland wechſeln. Beyde ſind in ihrer Art vorzuͤglich. An lichtern Stellen zeigen ſich die Salzburger Gebuͤrge von neuem, und unter ihnen ſticht der Untersberg vorzuͤglich her - vor. Ueber den Gipfeln deſſelben, die mit Schnee bedeckt waren, ſchwebten Wolken, die, von der Sonne angeſchienen, wie ungeheure Saͤulen von Schnee immer eine Weile da ſtanden, ehe ſie ſich erhoben. Jede Spalte im Berge, jede Kluft in der Hoͤhe, war noch mit Schnee ausgefuͤllt, der gegen die Schwaͤrze der beſchatteten Bergtheile ſtark abſtach. Je naͤ - her man Laufen kommt, deſto naͤher kommt man zugleich dieſen Bergen, bis man, hart vor dieſer Stadt, ſich links wendet und die hoͤhern Felſen im Ruͤcken behaͤlt, waͤhrend man, an dem Fuße eines Berges mittler Ordnung, uͤber die Salza in die Stadt hineinfaͤhrt.

261

Dieſe iſt mit platten Daͤchern und ver - mauerten Giebeln gebauet und in dieſer Art nicht unanſehnlich. Die Haͤuſer haben meiſt drey Stock, das Pflaſter iſt ertraͤglich und die Straßen ſind ziemlich geraͤumig.

Von Laufen aus faͤhrt man endlich gerade in die Alpen hinein, und man ſieht nun recht lebhaft, wie ſehr man, wenn man nicht ge - wohnt iſt in Berggegenden zu reiſen, ſich in Abſicht der Naͤhe oder Entfernung irren kann. Immer ſind die Berge vor und neben einem, und immer erreicht man ſie nicht. Endlich be - findet man ſich zwiſchen ihnen in dem Thale, aus welchem die Salza hervorſtroͤmt, und nun ſieht man alles in veraͤnderter Geſtalt. Was vorher eine ſchwarze, ſtarr emporſtehende Fel - ſenmaſſe war, zeigt ſich jetzt am Fuße mit Gaͤrten und Wieſen und Landhaͤuſern, hoͤher hinauf mit Gehoͤlz und erſt ganz oben mit kahl hervorſtehenden, zerriſſenen, verwitterten, Klippen bepflanzt. Die vorige Steilheit ver - ſchwindet groͤßeſtentheils und verfließt in all -262 maͤhlige Abſaͤtze, Abhaͤnge und Ruͤcken, und der Schnee, der ſich vorher dem Auge wie auf einem weiten Bette gelagert zeigte, er - ſcheint jetzt in einzelnen, nicht zuſammenhaͤn - genden Einſchnitten und Spalten, und ſein blendendes Weiß iſt in Grau verwandelt. Da - gegen ſteht man nun vor der ganzen Maſſe der Berge, uͤberſieht ſie von der Wurzel bis zum Gipfel, in ihrer Hoͤhe und Breite, und was ſich vorher als ein bloßer Kegel zeigte, iſt jetzt ein breiter, ſtundenweit ausgedehnter, un - ebner, ausgezackter Ruͤcken.

Zwiſchen ſolchen Erſcheinungen faͤhrt man auf Salzburg ( M.) zu, das nun ſicht - bar zu werden anfaͤngt. Erſt erblickt man deſ - ſen hohe Burg, dann einzelne Kirchthuͤrme, dann einzelne Haͤuſer, waͤhrend man in dem ſchoͤnen Thale um und neben ſich angenehme Landhaͤuſer, wohlhabende Doͤrfer, Wieſen, Gaͤrten, reiche Saaten und Alleen in der ſchoͤnſten Mannichfaltigkeit uͤberſiehet. Immer bunter wird dies alles, je naͤher man der Stadt263 koͤmmt, die ſich allmaͤhlig mehr hinter den Bergen hervorzieht, und in deren Thoren man iſt, ehe man es ſich verſieht. Iſt man zum Thore herein, ſo liegt ſie ſelbſt auch, in ihren beyden, durch die Salza getrennten, Haͤlf - ten, vor einem. Sie giebt den Anblick von Gruͤndlichkeit, aber auch zugleich von Einge - ſperrtheit, welche letztere beſonders durch die zuſammengedruͤckte Form der Haͤuſer mit un - ſichtbaren Daͤchern, durch ihre Hoͤhe, durch die Lage eines Theils derſelben an einer ſchrof - fen, nackten Felſenwand, durch die Engigkeit der Straßen und das wiederholte Durchgehen unter gewoͤlbten Eingaͤngen bewirkt wird.

[1]
Reiſe eines Lieflaͤnders von Riga nach Warſchau, durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg, Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol.
Sechstes Heft.
Enthaltend einen Abriß von Salzburg und Wien und die Reiſe von dort nach Botzen.
Berlin,1796. bey Friedrich Vieweg dem aͤltern.
[2]
[3]

Eilfter Abſchnitt. Salzburg.

Die Feſtung Hohenſalzburg. Weg dahin. Eingang. In - neres. Zeughaus. Fürſtenzimmer. Orgelwerk. Aus - ſicht von oben herab. Lage und Anſicht der Stadt. Lauf der Salza. Reizendes Thal. Wanderung über den Mönchberg. Bekanntſchaft aus dem Stegereif. Wallfahrt auf den Kapuzinerberg. Kloſter und Gar - ten. Gipfel des Berges. Franciskus-Schlößchen. Auſicht der kleinen Hälfte der Stadt. Andreaskirche. Sebaſtianskirche. Denkmal des Theophraſtus Para - celſus. Kirchhof. Zwey Grabſchriften. Dreifaltig - keitsplatz. Dreyfaltigkeitskirche. Alumnat. Virgili - aniſches und Marianiſches Kollegium. Leihbank. Lodron'ſche Palläſte. Das Sommerſchloß Mirabelle. Deſſen Garten. Pferdeſchwemme. Wunderthätiges Chriſtkind. Merkwürdigkeiten um und auf dem Hof - platze. Marſtall und dazu gehörige Anlagen. Das neue Thor, durch den Mönchberg gehauen. Die Univerſität. Der Domplatz. Marienſäule. Der Dom. Der Hofplatz. Das Reſidenzſchloß. Zimmer des Fürſten. Der Neubau. Der Hofbrunnen. Vor - ſtädte. Das Nonnthal. Spital des Domkapitels. Leopoldskrone. Die Vorſtadt Mühlen. Johannes - ſpital. Zug zur Geſchichte der Pilgrimſchaften. DieA 24Vorſtadt Stein. Lederfabrik. Häuſer und ihre Bauart in Salzburg. Pflaſter. Waſſerwerke. Po - lizeyeinrichtungen. Verſorgungsanſtalten. Hafner, ein merkwürdiger Wohlthäter ſeiner Vaterſtadt. Be - völkerung von Salzburg. Abnahme derſelben. Ur - ſache. Geſellſchaftliches Verkehr. Stiftsadel. Hoher Adel. Landadel. Der Hof. Erzbiſchof Wolf Diet - rich und ſeine Mätreſſe. Der regierende Fürſt. Oeffentliche Vergnügungen in Salzburg. Oekonomi - ſche Lage der Einwohner. Luxus und Mode. Cha - rakter des Salzburgers. Winke über den Zuſtand der Gelehrſamkeit und Künſte. Ausflucht nach Eigen, Hellebrunn und Hallein. Abreiſe von Salzburg.

Reiſe nach Linz. Neumarkt. Frankenmarkt. Nachtreiſe. Wels. Linz. Anſicht, Lage und Bauart dieſer Stadt. Marktplatz. Zahl der Einwohner. Lyceum. Buchladen. Das Linzer Blut. Tracht der Landleute um Linz. Abreiſe nach Wien. Ebers - berg. Ens. Wege und Gegenden. Ankunft in Wien.

Schon den Tag meiner Ankunft machte ich es mir zum Geſchaͤfte, den Standplatz von Salzburg zu bereiſen. Ein Blick aus dem Fenſter meines Gaſthofes auf die Feſtung Ho - henſalzburg, die mir zur Linken ſchraͤg ge - genuͤber lag, erweckte in mir den Gedanken, daß ich einen heitern Nachmittag und einen5 Abend, der ſchoͤn zu werden verſprach, nir - gends angenehmer, als auf jenen einladenden Hoͤhen, wuͤrde zubringen koͤnnen. Die Feſtung ſelbſt, die vielſeitige Ausſicht von dort herab uͤber die Stadt und die ganze umliegende Ge - gend, und der Ruͤckweg uͤber den Bergruͤcken, der mit Gehoͤlz und mit kleinen Meyereyen beſetzt, ſich von dem Fuße des Burgfelſens um die groͤßeſte Haͤlfte der Stadt herumzog und einen ungeheuren, natuͤrlichen Wall bildete: alle dieſe Dinge ſetzten mich uͤber die Ermuͤdung der Reiſe hinaus, und ich trat meine Wande - rung, von einem Lohnbedienten gefuͤhrt, auf meinen eigenen Fuͤßen an.

Ich eilte uͤber den Hofplatz, ließ fuͤr diesmal den großen Springbrunnen, das Re - ſidenzſchloß, den Dom, den Marſtall, ein paar Kloͤſter und andre Merkwuͤrdigkeiten unbeſehen, und naͤherte mich dem Nonnberge, einer unbetraͤchtlichen Anhoͤhe, die am Fuße des Schloßfelſens liegt und von dem auf ihrer Scheitel befindlichen Nonnenkloſter, den Na -6 men hat. Von da an fuͤhrte mich rechts der Weg, der ſchon lange vorher bergan gelaufen war, zu der Feſtung, und, nach einem halb - ſtuͤndigen Steigen, befand ich mich an dem aͤußerſten Thore derſelben, dem Scharten - thore, das durch ein Blockhaus gedeckt, und verſchloſſen war. Innerhalb deſſelben zeigte ſich eine Schildwache, die Namen, Stand und Vaterland von mir zu wiſſen verlangte, und nach erhaltener Auskunft ſich nach einem zwei - ten, weiter oben gelegenen, Thore verfuͤgte, von wo ein anderer Bote in die Feſtung ſelbſt hinauf ſtieg und das weitere beſorgte. Bald nachher wurde ich eingelaſſen.

Der Eintritt in dieſe Burg hat Aehnlich - keit mit dem Eingange in die Feſtung Koͤnigsſtein bey Dresden; aber die Mauern und Gewoͤlbe geben bey weitem nicht den ſtarken und ſorg - faͤltig unterhaltenen Anblick, den die Koͤnigs - ſteiner gewaͤhren. Ich befand mich, nachdem ich uͤber eine Zugbruͤcke gegangen war, bald im innern Raume der Feſtung. Hier boten7 ſich mir Fuͤhrer an, die mir die Merkwuͤrdig - keiten des Ortes zeigen wollten. Gern haͤtte ich zuerſt die Hoͤhe der Feſtung erſtiegen, um mir das Schauſpiel der herrlichen umliegenden Gegend zu verſchaffen; aber ich konnte nicht dafuͤr, daß ein Mann in Officiersuniform, die Dinge, die er zu zeigen hatte, fuͤr die merk - wuͤrdigſten in und auf der Feſtung hielt und mich auf eine dringend-hoͤfliche Weiſe einlud, zuerſt mit ihm zu gehen. Er fuͤhrte mich alſo in das Zeughaus und zeigte mir, mit vielen Worten und großem Feuer, allerley metallene Kanonen, vom kleinſten bis zum groͤßeſten Maße, drey oder vier lederne und hoͤlzerne Stuͤcke, Kugeln fuͤr Moͤrſer und Kanonen al - ler Art, Gewehre aus der Tuͤrkey, aus Spa - nien und aus Frankreich, mit Gold und Sil - ber reich, aber geſchmacklos genug beſchnoͤrkelt; und endlich ritterliche Waffen in Menge, von der Lanze an bis zum Panzerhemde. Er hielt ſich bey dem allen ermuͤdend lange auf, und obgleich ich, ſo beſcheiden ich konnte, mehr als8 einmal die Anmerkung dazwiſchen ſchob, daß ich, in Abſicht des neuern Geſchuͤtzes, die Zeug - haͤuſer zu Berlin, Straßburg und Dresden, und in Abſicht des aͤltern, die zu Venedig, Danzig, Nuͤrnberg, und ſogar das Buͤrger - zeughaus in Wien, geſehen habe; ſo rettete mich dies doch nicht von einer umſtaͤndlichen Kenntniß des ganzen Waffenvorraths auf der Feſtung Hohenſalzburg. Zuletzt unterhielt er mich noch ſehr lange mit der Geſchichte des bekannten Aufruhrs der Salzburger Bauern, und beſonders mit ihrem Anfuͤhrer, Ma - thias Stoͤckel, deſſen Pferd, mit Stroh ausgeſtopft, und deſſen Ruͤſtung vor uns ſtand und lag, und den Text zu ſeiner hiſtoriſchen Abhandlung hergegeben hatte. *)Hr. Prof. Huͤbner hat in ſeiner, mit großer Sorgfalt und in einem guten Tone verfaßten Be - ſchreibung von Salzburg (daſelbſt 1792 - 93) Th. II. S. 8. fg. eine gedraͤngte Nachricht von dieſem Bauernaufruhr gegeben, die jedem Wißbegie - rigen volle Genuͤge thun wird. Sein Buch iſt uͤber -

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Ich glaubte dieſes eifrigen Fuͤhrers los zu ſeyn, als ich die Thuͤre des Zeughauſes hinter mir raſſeln hoͤrte; aber er hielt mich feſt und verſprach, mir die fuͤrſtlichen Zimmer in der Burg zu zeigen. Sehnſuchtsvoll fuhr ich zu - ruͤck in die friſche Luft; zoͤgernd blieb ich, auf dem Wege dahin, vor jeder Luͤcke ſtehen, die mir eine Ausſicht in die Tiefe hinab ge - waͤhrte, aber mein unbarmherziger Begleiter trieb mich, in ſeinem vorhin erwaͤhnten Tone, immer vorwaͤrts und ließ mir nicht die Zeit und den Muth, ihm uͤber ſeine ſtuͤrmiſche Ge - faͤlligkeit meine Empfindlichkeit zu bezeigen.

Die fuͤrſtlichen Zimmer ſind uralte Gemaͤ - cher, nach dem damaligen Geſchmacke verziert. Da ſieht man abenteuerliche Vergoldungen und Schnitzwerke, Teppiche von Leder, Hirſchge - weihe, und einen gewaltigen Hirſch ſelbſt. Eine andere Verzierung, die einem feſten Platze ſo*)haupt fuͤr mich ein ſehr genauer und lehrreiche[r]Fuͤhrer durch Salzburg geweſen.10 angemeſſen iſt, ſahe ich gleich in dem erſten Zimmer, naͤmlich die Wappen des Erzbiſchofs, des Domkapitels und der Landſchaft, zuſam - men geſetzt aus Flintenſchloͤſſern. Zum Ueberfluſſe mußte ich auch noch eine kleine Ka - pelle in der Naͤhe dieſer Zimmer beſehen. Ue - brigens fand ich in den letztern in ſo fern einen kleinen Erſatz fuͤr meine gefaͤllige Aufmerkſam - keit, daß ich mich, unter dem Vorwande der eingeſchloſſenen Luft, eines Fenſters bemaͤchti - gen, es oͤfnen und von Zeit zu Zeit einen dur - ſtigen Blick auf die unter mir ausgeſpannte lebendige Landkarte hinab ſenden konnte.

Endlich uͤberließ mich dieſer Fuͤhrer an den zweyten, der ein bloßer Invalide war, und mich geduldig dahin fuͤhrte, wo ich zu ſeyn wuͤnſchte, naͤmlich auf die erhabenſten Punkte der Feſtung. Wir durchliefen mehrere ſchmale Gaͤnge, deren Fußboden ſtellenweiſe unter uns erbebte und dadurch eine ſchlechte Meynung von der Feſtigkeit des Ganzen erweckte, und erſtiegen ein paar Thuͤrme, von denen herab11 man zwar die eine Haͤlfte der umliegenden Ge - gend, aber nicht die andre, und nicht die ſaͤmmt - lichen Gebaͤude der Feſtung ſelbſt, uͤberſehen konnte. Zu einem dieſer Thuͤrme, den großen Trompeterthurm, brachte mich mein Fuͤh - rer, um mir eine alte Orgel, die fuͤr ihn eine große Merkwuͤrdigkeit war, zu zeigen. Sie wird durch Walzen und Blaſebalg in Bewe - gung geſetzt, macht zweymal des Tages, Abends und Morgens, ein Geſchrey mit allen ihren Pfeifen, und ſpielt ſodann ein Stuͤck, das alle Monate abwechſelt.

Der Invalide ſchuͤttelte den Kopf, daß ich dieſe altmodiſche Seltenheit nur ſo fluͤchtig an - ſahe, und verſicherte, wenn ich die Felſen da unten dreißig Jahr angeſehen haͤtte, wie er, wuͤrde ich wohl auch nicht mehr ſo viel Ge - fallen daran finden. Ich gab ihm Recht, und bat ihn, mich nun auf den allerhoͤchſten Fleck der Feſtung zu fuͤhren; dies that er denn, doch nicht, ohne ein paarmal keuchend zu wieder - holen, daß einem alten Kerl das Steigen doch12 gewaltig ſauer wuͤrde. Ich duͤrfte auf dieſe Be - merkung nicht achten, weil ihm ſonſt das Stei - gen noch einmal ſo beſchwerlich geworden waͤre; und ſo gelangten wir endlich auf den ſogenannten Feuerthurm, der nicht nur die Stadt und die umliegende Gegend nach allen Seiten, ſon - dern auch die ſaͤmmtlichen Werke und Gebaͤude der Feſtung beherrſcht. Nun waren meine Wuͤnſche erſt erfuͤllt.

Ich ſah unter mir ein geraͤumiges Thal ausgebreitet, das, in der Geſtalt eines Halb - zirkels, von hohen und hoͤchſten Bergen umge - ben war, und ſich, nach Bayern zu, zwiſchen maͤchtigen Felſen hinlaufend, in den Horizont verlor.

Aus dieſem Thale ſtieg ein hoher, ſteiler, kegelfoͤrmiger Felſen von Sandſtein empor, auf deſſen Gipfel eine Burg, mit Mauern und Außenwerken rund umzogen, ſich erhob, und ihn wie eine Krone bedeckte. Es war der Schloßberg und ich befand mich auf dem hoͤchſten Punkt deſſelben.

13

An ſeinen Fuß ſchloß ſich ein maͤßig hoher Felsruͤcken, der, in einer betraͤchtlichen Breite, ſich in das Thal hinab zog, mit Wald, Gaͤr - ten und Meyereyen beſetzt, und an beyden Seiten lothrecht und ſchroff abgeſchnitten er - ſchienen. Dies war der Moͤnchberg.

Ihm gegenuͤber, dem Burgfelſen gegen Oſten, erhob ſich ein dritter Felſen, weniger ſteil, aber mit mehr ausgedehnter Grundlage, als jener, mit ſchwarzer Waldung bedeckt, und der Kapuzinerberg genannt.

Zwiſchen dieſe drey Berge brach ein ſchnel - ler Fluß, die Salza, herein, und nahm die Mitte des kleinern Thals ein, das dieſe drey Berge in dem erſt erwaͤhnten großen Thale bildeten. An ſeinem linken und rechten Ufer erſchien die Stadt Salzberg in zwey Haͤlften gelagert: die groͤßere auf der Seite und an dem Fuße des Schloß - und Moͤnchberges, die klei - nere am Abhange des Kapuzinerberges und auf einer ſich an ihn ſchließenden Flaͤche; beyde Theile verband wiederum eine Bruͤcke. Jene14 drey Berge ragten uͤber die Haͤuſer der Stadt empor und erdruͤckten ſie gleichſam, beſonders da ein großer Theil derſelben unmittelbar an ihrem Fuße gelagert iſt, und da ihre Daͤ - cher flach ſind und, in gleicher Hoͤhe an einander hangend, fortlaufen. Die Straßen verloren ſich zwiſchen ihnen wie Rinnen, weil ſie an ſich nicht breit ſind und weil mein Standpunkt hoch war.

Um jene drey Berge her, auf der Ebene, in welcher ſie ſich erheben, zeigte ſich ein Ge - wimmel von groͤßern und kleinern Luſtſchloͤſſern, Sommerhaͤuſern, Hoͤfen, Alleen, Gaͤrten, und weiterhin von Doͤrfern, Kornfeldern und Wie - ſen, alles wohl unterhalten, mit einem lachen - den Gruͤn umzogen, von der Salza in den eigenſinnigſten Windungen durchſchlungen. Die - ſer bunte Teppich zog ſich mit ſeinem ganzen Reichthum, auf allen Seiten ſeines Umfangs, noch eine Strecke uͤber das Gehaͤnge der Ber - ge hinan, die ſich drey - und vierfach um ihn erheben, bis zu ihrer Mitte mit Waldigt und15 Wieſen uͤberzogen ſind, und ſich endlich in nackte Ruͤcken, mit tiefen Spalten und Schluch - ten, oder in ſchroffe Kegel und Spitzen, wie gothiſche Thuͤrme ausgezackt, unter und uͤber den Wolken endigen.

Nachdem ich mich an dem Ueberblicke die - ſes großen Thales, eines der koͤſtlichſten, wel - ches die Natur angelegt und der Fleiß und die Prachtliebe der Menſchen ausgeſtattet haben, ſattſam geweidet, ſchickte ich mich zur Ruͤck - kehr an, mit dem feſten Vorſatze, daß ich nicht zum erſten - und letztenmal hier geweſen ſeyn wollte. Ich mußte den Weg, auf den ich in die Feſtung ſelbſt gelangt war, als den einzi - gen, wieder zuruͤck nehmen; aber außerhalb ihres Einganges ſtand mir ein zweyter offen, der mich, obwohl mit einem großen Umſchweif, nach meinem Gaſthofe zuruͤckfuͤhrte. Es war der Weg uͤber den Moͤnchberg, der, wie ich erwaͤhnt habe, ſich unmittelbar an den Schloß - berg ſchließt.

16

Sobald ich aus dem Schartenthore heraus war, bot ſich mir zur Linken abermals ein Theil der Ausſicht dar, deren ich vom Schloß - berg herab genoſſen hatte: eine große Strecke von der bunten Ebene, die ich jetzt naͤher un - ter meinen Fuͤßen uͤberſah; und zur Rechten mehrere Privatwohnungen, Sommerhaͤuſer und Gaͤrten, die ſich am Abhange des Moͤnch - berges nach der Stadt hinunter zogen. Unter dieſen trat die Edmundsburg beſonders ausgezeichnet hervor; eine artige Anlage, die zu dem Kloſter St. Peter gehoͤrt, und mit einer Laterne verſehen iſt, die zu einer Stern - warte genutzt werden koͤnnte. Sie lehnte ſich, mit vier Geſchoſſen in der Vorderſeite, auf die Art an den Berg, daß man aus ihrem vierten Stockwerke unmittelbar in den dazu gehoͤrigen Hof tritt, worauf Schuppen fuͤr Wa - gen und Stallungen fuͤr Pferde erbauet ſind: eine Seltſamkeit, die ſehr lebhaft an die Bauart eines Theils von Edinburg erinnert. Wei

17

Weiterhin gelangte ich unter einige Pulver - thuͤrme und zu einem Laboratorium, von de - ren Inhalt mein Fuͤhrer eben nicht mit großer Achtung ſprach; ſodann zu einem großen Waſ - ſerbehaͤlter, der ziemlich gut erhalten war, und in deſſen Nachbarſchaft zu zwey Kornmagazi - nen, deren Vorrath ich auf ſich beruhen laſſe. Weiterhin ging ich, oberhalb des Neuen Thores, das durch dieſen Berg gehauen iſt, durch eine feſte Pforte, die aber offen ſtand, nach dem andern Theile des Berges hinuͤber, und fand eine Art von kleiner Feſtung vor mir, die Buͤrgerwehre genannt, die mit ſtarken Thoren, Ringmauern, Thuͤrmen und mit Schießſcharten verſehen iſt, und den Zu - gang zur Burg und zu dem anliegenden Theile der Stadt ſchuͤtzen ſoll. Der Zuſtand dieſer Befeſtigung ſchien mir anzudeuten, daß man, unter den jetzigen Umſtaͤnden, ſich vor feindli - chen Anfaͤllen nicht aͤngſtlich zu verwahren haͤtte. In der Naͤhe war auch ein Pulver - magazin.

Sechstes Heft. B18

Von einer kleinen Anhoͤhe herab gelangte ich, auf einem ſchmalen Wege, durch einige gruͤnende Niederungen und friſche Waͤldchen, zwiſchen denen eine Meyerey mit ihren laͤnd - lichen Gebaͤuden hervorſah; und beſtieg dann wiederum eine andere Anhoͤhe, die dicht mit ſchattigten Baͤumen beſetzt war und eine hoͤchſt anmuthige Ausſicht in das am Fuße des Ber - ges ausgebreitete Thal darbot. Die unterge - hende Sonne durchgluͤhte mit einzelnen Strah - len das dunkle Gruͤn der Baͤume, eine Ge - ſellſchaft von Perſonen beyderley Geſchlechts hatte um einen Tiſch Platz genommen und uͤberließ ſich einer lauten Heiterkeit; eine Harfe und ein paar Geigen gaben aus der Ferne ei - nige Mozart'ſche Weiſen an; und die Kellner aus dem nahgelegenen Marketender - Schloͤßchen trugen ſo angenehm duftende Schuͤſſeln, und einige ſo hochgluͤhende Wein - flaſchen hin und wieder, daß ich mich nicht enthalten konnte, zu thun, wozu ſie mich ein - zuladen ſchienen: naͤmlich, nach meiner heuti -19 gen Arbeit auch zu eſſen, wenn anders ein armer Reiſebeſchreiber noch aͤußern darf, daß er auch auf ſeiner Reiſe Eßluſt gehabt und ſo gar gegeſſen habe. Ich ließ, und zwar ſo nahe als moͤglich bey jener froͤhlichen Geſell - ſchaft fuͤr mich decken; und damit man mich nicht fuͤr einen kalten Horcher halten ſollte, ſo brachte ich mein erſtes Glas dem Moͤnchberge und dem ſchoͤnen Abend, mein zweites der Geſelligkeit, und mein drittes der Geſellſchaft mitten unter ihr dar. Ich hatte nicht Urſach, meine Zudringlichkeit zu bereuen, denn ſie wurde von dieſem offnen, zutrauungsvollen Voͤlkchen nicht dafuͤr gehalten. Erſt ſpaͤt in der Nacht kehrte ich, uͤber den Reſt des Moͤnch - berges, durch ſeine angenehmen Waͤldchen, vor dem Johannisſchloͤßchen vorbey, deſſen Mauern und Thuͤrme der Mond romantiſch beleuchtete, bald neben Hoͤfen und Meyereyen, bald neben Felſen hin, die mit Geſtraͤuch be - wachſen waren, bald durch finſtre Hohlwege, bald uͤber ausgehauene Stufen hinunter mitB 220meinen neuen Bekanntſchaften nach der Stadt zuruͤck.

Dieſen Morgen war ich fruͤh auf und im Freyen. Der geſtrige Nachmittag und Abend hatten mir die Gegend um Salzburg zu lieb gemacht, als daß ich ſie nicht auch von andern Standpunkten noch zu uͤberſehen haͤtte wuͤn - ſchen ſollen. Mein Augenmerk war auf den Kapuzinerberg gerichtet, den ich ſchon geſtern beſtiegen haben wuͤrde, wenn die Zeit nicht zu kurz geweſen waͤre.

Meinen Weg dahin nahm ich uͤber den Markt, vor dem Rathhauſe vorbey, uͤber die Bruͤcke, nach der entgegen geſetzten Haͤlfte der Stadt, die zum Theil an dem Fuße des Ka - puzinerberges gelagert iſt. Ich ging durch das Kloſter dieſer Vaͤter hinein. Eine weit - laͤuftige Anlage, in der ich aber nichts Merk - wuͤrdiges fand, da ich ihr gewoͤhnliches Schild (das roth angeſtrichene Kreuz, mit quer daruͤber21 gelegter Lanze des Landsknechts, und der Stange mit dem Schwamme) das ſich mir in zwey oder drey Exemplaren darbot, ſo wie die Fi - gur des heiligen Franciskus, den ſie ſtatt ei - ner Wetterfahne auf ihren Kirchthurm geſetzt, und deſſen Thaten, die ſie in einer Reihe von kleinen Kapellen abſcheulich hatten malen laſ - ſen, nicht zu den merkwuͤrdigen Dingen rech - nen mag.

Ein weitlaͤuftiger Garten umgiebt das ganze Kloſter, und nimmt einen Theil des Berges ein. Er iſt mit einer Mauer eingeſchloſſen, die man aus der Ferne zwiſchen dem Waldigt hervorragen ſieht. Außer der koͤſtlichen Aus - ſicht uͤber die Stadt und uͤber die Salza und ihre Ufer hinauf und herunter, hat dieſer Gar - ten keine Anlagen, die ihn auszeichneten. Den uͤbrigen Theil des Berges nehmen Waldungen ein. Ich gelangte in dieſelben auf einem Fahr - wege, der neben der Kloſtermauer hinan durch ein Thor fuͤhrte, das geſchloſſen war, doch ohne Umſtaͤnde geoͤffnet wurde, als ich anpo -22 chen ließ. Es zeigten ſich mehrere Wege fuͤr Fußgaͤnger und Fahrende, die, nach allen Sei - ten, den Wald durchſchnitten. Ich waͤhlte den, der nach dem Gipfel fuͤhrte, und auf dieſem ward ich fuͤr meine etwas beſchwerliche Reiſe abermals durch eine Ausſicht belohnt, die zwar keine ganz neuen Gegenſtaͤnde, aber doch die vorigen, mit einer veraͤnderten Ordnung und Mannigfaltigkeit, darbot. Eine Strecke abwaͤrts von dem Gipfel fand ich, an dem ſteilen, felſigten Abhange des Berges, ein Ueberbleibſel von der aͤltern Kriegsbaukunſt. Es iſt eine Art von feſter Burg, zu der, uͤber ei - nen Graben, eine Zugbruͤcke fuͤhrt. Sie heißt das Franciskus-Schloͤßchen, hat aber laͤngſt aufgehoͤrt, oder vielmehr nie angefangen, ihre Beſtimmung zu erfuͤllen. Dieſe ſollte, nach einer Inſchrift uͤber dem Thore, ſeyn: nicht nur die Stadt, ſondern auch die ganze Nachbarſchaft, vor Gefahr zu ſichern und ſie durch einen ewigern Frieden (pace aeterni - ore) zu decken. Ihre ganze gegenwaͤrtige Be -23 ſatzung iſt ein alter, lebensſatter Kriegs - mann.

Ich ſtieg den Berg auf dem Wege, den ich gekommen war, wieder hinab. Von oben hatte ich die zweyte Haͤlfte der Stadt uͤberſe - hen. Sie zieht ſich, von dem Fuße des Ka - puzinerberges, laͤngs dem rechten Ufer der Salza, bis nach dem fuͤrſtlichen Sommerſitz Mira - belle hin, und bildet ein faſt regelmaͤßiges Dreyeck. Diejenige Seite deſſelben, die nach dem Ginglthale ſteht, iſt mit einer Reihe von Feſtungswerken eingefaßt, die bey dem Rupertsthore anheben, ſich um den gedachten Sommerpallaſt bis an die Salza herumziehen und dort in eine Spitze endigen. Mirabelle, einige anſehnliche Pallaͤſte, einige Kirchen, und mehrere gute Buͤrgerhaͤuſer fuͤllen das erwaͤhnte Dreyeck, und luden mich ein, meinen Mor - genausflug mit einer Muſterung derſelben zu beſchließen.

Ich ſtieg zum Eingange der Linzer Straße hinab und hatte zur Linken die St. Andreas -24 Kirche neben mir. Ihr Aeußeres faͤllt nicht in die Augen, weil es ihr an einem ſchoͤnen Thurme fehlt, und weil ihr Standplatz einge - klemmt, und ihre Vorderſeite fuͤr ihre Hoͤhe zu breit iſt. Dieſe Vorderſeite hat oben auf einem ausgeſchweiften Fronton ein Kreuz und an beyden Seiten Vaſen; weiter unten ein großes Uhrblatt, unter dieſem eine marmorne Bildſaͤule des heiligen Andreas, von mittelmaͤſ - ſiger Arbeit, in einer Blende aufgeſtellt; und unter dieſer den mit Marmor umgefaßten und verzierten Eingang der Kirche, an deſſen bey - den Seiten ſich hohe Fenſter erheben. Das Innere iſt nicht von Umfang und nur ſparſam beleuchtet. Ihre Decke iſt mit Auftritten aus der Geſchichte des heiligen Andreas, pfuſcher - haft genug, bemalt; und nicht beſſer ſind die wenigen Schnitz - und Bildhauerwerke, die man an den Altaͤren ſieht, von ihren Verfer - tigern ausgefuͤhrt. Mit einem Worte: man wendet nur Einmal zehn Minuten an den Ueberblick dieſer Kirche.

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Ich trat in die Linzer Straße zuruͤck und ſtieg dieſelbe hinauf bis zur St. Sebaſtians - Kirche, die in einem weit beſſern Geſchmack erbauet, groͤßer und in die Augen fallender iſt. Ein weißmarmornes Portal umſchließt den Haupteingang und traͤgt ein Giebelfeld, in deſſen Mitte das Bruſtbild des heiligen Seba - ſtian, ebenfalls weißmarmorn, aufgeſtellt iſt. Die Vorderſeite hat außerdem noch hohe Fen - ſter, zwiſchen denen joniſche Wandpfeiler em - porſtehen, die den Dachkranz unterſtuͤtzen.

Das Innere der Kirche uͤberraſchte mich durch ſeine Einfalt und ſchoͤne Beleuchtung. Keine Saͤulenſtellung thut dem Lichte, das durch acht hohe Fenſter an den Seiten und durch eben ſo viel runde, von oben herab, reichlich hereinſtroͤmt, Abbruch; und die ſchoͤn gewoͤlbte Decke, die mit einer himmliſchen Herrlichkeit bemahlt iſt, wird von roͤmiſchen Wandpfeilern getragen, die man aber, ganz unnoͤthiger Weiſe, mit gruͤner Farbe angeſtri - chen hat. Am Hochaltar iſt St. Sebaſtians26 Abloͤſung von dem Baume, woran er den Pfeilen ſeiner Verfolger bloß ſtand; von eben dem Kuͤnſtler, Paul Troger*)Ein neuerer Kuͤnſtler aus Bayern, der außer der Malerey, auch die Kunſt, in Elfenbein zu ſchnitzen, mit großer Geſchicklichkeit trieb. Beweiſe davon fin - det man zu Muͤnchen, wo mehrere nach Antiken geſchnittene Arbeiten von ihm aufbewahrt werden. der das Deckenſtuͤck verfertigte, in einem guten Ge - ſchmacke dargeſtellt. Die Gemaͤlde an den Neben - altaͤren ſind nicht von Bedeutung. Die Kan - zel iſt vergoldet und gut gearbeitet. Das Pfla - ſter der Kirche bilden roth - und weißmar - morne Platten.

Eine Merkwuͤrdigkeit aus der Geſchichte der Philoſophie, Scheidekunſt, und Arzneyge - lehrtheit, beſitzt dieſe Kirche an dem Denk - male des Theophraſtus Paracelſus. **)Eine andere Erinnerung an ihn befindet ſich an dem Eckhauſe linker Hand beym Eintritt in die Lin -Es iſt eine auf drey Kugeln und einem Fuß - geſtell ruhende, ſtumpfe Pyramide, die wenn27 man zur hintern Thuͤr der Kirche nach dem Kirchhofe hinaus geht, ſogleich in die Augen faͤllt. Sie iſt von weißem Marmor, und das Bruſtbild des Paracelſus in Moͤnchstracht, ſchwarz gemalt, befindet ſich in der Mitte der - ſelben. Darunter und daruͤber ſtehen lateini - ſche Inſchriften, welche anzeigen, daß hier Bildniß und Gebeine des Paracelſus, der durch ſein chemiſches Gold ſo großen Ruhm erlangt habe, aufbewahrt werden. Auf dem Fußgeſtell iſt noch eine dritte lateiniſche In - ſchrift, und eine vierte, auf einer ſchwarzen Tafel in der Wand daneben. Dieſe letztre iſt, der Unkundigen wegen in deutſcher Sprache und damit iſt recht ſorgfaͤltig dahin geſehen, daß das Andenken des inſignis medicinae doctoris, qui (nach dieſer Inſchrift) dira illa vulnera, lepram, podagram, hydropiſin,**)zer Gaſſe. Es iſt ſein Bildniß, mit folgender Un - terſchrift begleitet: Philippus Theophraſtus Para - celſus von Hohenheim, gebohren zu Einſidln anno 1493, ſtarb in dieſem Hauſe anno 1541.28 aliaque inſanabilia corporis contagia miri - fica arte ſuſtulit bey allen Gattungen von Menſchen erhalten werde.

Der Kirchhof von St. Sebaſtian iſt viel - leicht einzig in ſeiner Art, und wird jedem, der auch nicht Empfindſamer oder Herrenhuter iſt, gefallen. Er bildet ziemlich ein Viereck, das uͤber zwey hundert Schuh breit und uͤber zwey hundert und funfzig lang iſt und deſſen vier Seiten von Mauern und bedeckten Gaͤn - gen, die auf Bogenſtellungen ruhen, mit Flie - ſen gepflaſtert und mit einem Dache bedeckt ſind, eingeſchloſſen werden. Unter demſelben befinden ſich eine Menge Familiengruͤfte die zum Theil ſehr anſtaͤndig, zum Theil faſt praͤchtig ſind. Die darin aufgeſtellten Denkmale ſind meiſt alle von Marmor, aber Arbeit und Geſchmack derſelben ſehr ungleichartig. Eben ſo die Inſchriften, die mehr oder weniger altmodiſch, laͤcherlich, ge - fuͤhl - und geſchmacklos, oder neumodiſch, natuͤr -29 lich und ruͤhrend ausfallen. *)Ich ſetze von jeder Gattung eine hieher: 1. Franz Ritter, Hofrath und Cammerprocurator. Wieder dieſen unvergleichlichen Juriſten hat der hinter - liſtige Todt am 24 July 1698 im 45ſten Jahr ſei - nes Alters die Clag zwarn behauptet; es wuͤrdet aber in dem goͤttlichen Reviforio deme fuͤr den zeitlichen Verlurſt hoffentlich der ewige Gewinn all - bereith zuerkannt ſeyn, dafern er jedoch eben nicht voͤllig auslangt, verhelffe Du ihme mit andaͤchtigem Gebet zu beſſeren Behelffen.2. Hier ruht die Huͤlle des tugendhaften, beſten Maͤdchens, Mariannens, die der Tod in ihrem 22ſten Lebens - jahre, den, uͤber dieſen Verluſt innigſt betruͤbten Eltern, Joh. Bern. Zezi, Handelsmanne, und Maria Anna geb. Polis ach, viel zu fruͤh! entriſſen hat, und die nur die Hoffnung, dort oben ſie wieder zu ſehen, daruͤber troͤſten kann. MDCCLXXXVIII. d. 3. Nov.Außer den Bild - hauereyen, die ſich aber meiſt auf Pyramiden, Engel, Basreliefs mit bibliſchen Geſchichten, Todtengerippe ꝛc. einſchraͤnken, ſieht man auch einige Gemaͤlde, worunter zwey oder drey ſich wirklich uͤber das Mittelmaͤßige erheben.

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In der Mitte dieſes Kirchhofes ſteht ſein artiges Bethaus, und der freye Raum um daſſelbe iſt mit Graͤbern gemeiner Todten bedeckt, die ein mehr oder weniger einfaches Kreutz bezeichnet.

Ich ging durch die Kirche in die Linzer Gaſſe zuruͤck und kam von da, dem ſteinernen Auftritte zum vorhin erwaͤhnten Kapuzinerklo - ſter gegenuͤber, durch ein enges Gaͤßchen, an der linken Seite einer der praͤchtigſten Anlagen in Salzburg vorbey, auf den Dreyfaltig - keitsplatz, der freylich nur ſo groß ſeyn kann, als ihn die gepreßte Lage der Stadt gewaͤhret, der aber mit manchem anſehnlichen und einem wirklich fuͤrſtlichen Gebaͤude beſetzt iſt. Man koͤnnte Letzteres den Dreyfaltigkeitspallaſt nen - nen. Es iſt eine viereckigte Anlage, die zwey Erziehungs - und Lehranſtalten und eine praͤch - tige Kirche einſchließt. Der Anblick des Gan - zen uͤberraſchte mich ſehr angenehm, denn Ge - ſchmack, Leichtigkeit und Heiterkeit ſtellten ſich mir in einer muſterhaften Verbindung dar. 31Die Vorderſeite iſt in der That praͤchtig. Die Mitte derſelben nehmen der geraͤumige Auftritt zur Dreyfaltigkeitskirche, deren Portal und Kuppel und beyde Thuͤrme ein; von die - ſer Mitte laufen zur Rechten und Linken zwey ſchloßmaͤßige Fluͤgel aus, die ſich beyde auf den Ecken mit geſchmackvollen Vorſpruͤngen ſchlieſ - ſen und aus einem Erdgeſchoſſe und einem er - habenen Stocke beſtehen, den abwechſelnd hohe, einfach eingefaßte Fenſter und marmorne Wand - pfeiler verzieren. Auf den gedachten Vorſpruͤn - gen ſind lateiniſche Inſchriften angebracht, welche die Beſtimmung jedes Fluͤgels anzeigen; der rechte naͤmlich iſt das Collegium Presbyte - rorum et Alumnorum, im gemeinen Leben das Prieſterhaus, und der linke das Collegium Convictorum Virgilianorum, gemeinhin das Virgilianiſche Kollegium ge - nannt.

Das Innere dieſer beyden Fluͤgel, die ins Gevierte angelegt ſind, entſpricht ihrem Aeuſ - ſern. Treppen, Umlaͤufe, Wohnzimmer und32 Saͤle ſind geraͤumig, gut beleuchtet und bequem. Das Innere der Kirche iſt ihres Aeußern nicht minder wuͤrdig, iſt heiter, frey ausgeſpannt, nicht uͤberladen. Hervorſtehende Werke der Bildhauerey und Malerey ſind mir indeß darin nicht vorgekommen, wohl aber ein hoͤchſt ge - ſchmackloſes, naͤmlich ein ungeheures hoͤlzernes vergoldetes Herz, mit einer anſehnlichen Thuͤr in der Mitte, das, zur Verwahrung des Hoch - wuͤrdigen, im Hauptaltare angebracht iſt, das aber, wie man hoffen laͤßt*)Hr. Huͤbner in ſeiner Beſchr. von Salzburg, I, 367. bald weggeſchafft werden duͤrfte.

Uebrigens iſt nur eine der beyden Lehran - ſtalten, fuͤr die dies große Gebaͤude beſtimmt iſt, in Bluͤthe, naͤmlich das Alumnat; in dem andern, dem Virgilianiſchen Kollegium, ſind nur drey Zoͤglinge vorhanden.

Das Alumnat oder das Prieſterhaus hat beſonders den Zweck, taugliche Religionslehrer und Seelſorger zu ziehen. Es iſt ſchon ſeit1916331616 thaͤtig, hat aber mancherley Verpflan - zungen von einem Orte zum andern erlebt, eh 'es hier ſeinen feſten Sitz erhielt. In Abſicht ſeiner innern Einrichtung blieb viel zu verbeſ - ſern uͤbrig, und es war dem gegenwaͤrtigen aufgeklaͤrten Fuͤrſten, wie ſo vieles andere auf - behalten, auch hier ſeine umſchaffende Hand anzulegen. Der Unterricht erhielt eine beſſere Geſtalt, uͤber die Sittlichkeit wurde ſorgfaͤlti - ger gewacht, und die wirthſchaftliche Einrich - tung ward auf beſſern Fuß geſetzt. Der Zoͤg - linge und Lehrer ſind jetzt gegen funfzig. Nur der kann Prieſter werden, der in dieſem Alumnat ſeinen Lehrlauf gemacht hat.

Die Virgilianiſche Anſtalt iſt eigentlich fuͤr ſechs junge Edelleute beſtimmt, die in den Wiſſenſchaften und in den Kuͤnſten der feinen Welt, im Tanzen, Reiten, Fechten, Zeichnen ꝛc. unterrichtet werden ſollten; aber die Grund - ſumme derſelben iſt entweder ſo nachlaͤßig ver - waltet oder durch ungluͤckliche Zufaͤlle ſo zu - ſammen gefallen, daß nur noch drey jungeSechstes Heft. C34Leute unterhalten werden koͤnnen. Um das Haus einigermaßen zu fuͤllen, hat der jetzige Fuͤrſt die Edelknaben mit ihrem Aufſeher und ihren Lehrern hieher verſetzt, und er zahlt fuͤr ſie an die Anſtalt ein gewiſſes Koſtgeld.

Dem Dreyfaltigkeits-Gebaͤude gegenuͤber, ſteht noch ein großes Haus, das eine wohlthaͤ - tige Anſtalt einſchließt; es iſt ein oͤffentliches Leihhaus, wo Arme gegen maͤßige Zinſen in der Noth Huͤlfe finden koͤnnen.

Eine vierte Anſtalt, die Marianiſche, die ebenfalls in der Naͤhe iſt, und deren ich nirgend eine aͤhnliche gefunden habe, beſchaͤftigt ſich damit, junge Leute ausſchließend fuͤr die Geſchaͤfte zu bilden. Sie wurde ſchon im Jahre 1645 von dem Erzbiſchof Paris Lodron geſtiftet, und hat dem Lande viel brauchbare Maͤnner geliefert. Die Zoͤglinge haben alles ſo lange frey, bis ſie eine Stelle erhalten. In der Wahl dieſer Stellen ſind ſie nicht gebunden, nur Moͤnche duͤrfen ſie nicht werden, das waͤre ganz gegen den Geiſt35 der Stiftung. Die Zahl der Zoͤglinge war an - fangs nur acht, jetzt kann man, da die dazu angelegten Gelder ſorgfaͤltig ſind verwaltet worden, ihrer zwoͤlf unterhalten.

Der Lodron'ſche Primogenitur - Pallaſt iſt noch ein merkwuͤrdiges Gebaͤude auf dem Dreiyfaltigkeitsplatze; nur iſt der un - ebene Boden, worauf es angelegt iſt, demſel - ben nicht recht guͤnſtig geweſen und es bietet dem Auge kein regelmaͤßiges Ganzes dar.

Von demſelben gelangt man, durch einen Bogen, auf den Mirabellplatz, den man ſich aber, aus oben angefuͤhrtem Grunde, we - nig geraͤumiger denken muß, als eine Straße in einer andern Stadt. Indeſſen iſt er mit einigen anſehnlichen Gebaͤuden beſetzt. Wenn man auf denſelben tritt, hat man den Lodron - ſchen Sekundogenitur-Pallaſt neben ſich, ein betraͤchtliches Gebaͤude, das ſich aber mehr durch Feſtigkeit und Gruͤndlichkeit, als durch Geſchmack und Leichtigkeit auszeichnet; ferner die ſogenannte Schrame, eine Korn -C 236niederlage; ferner das Stallgebaͤude der Fuͤrſt - lichen Karabiniers und das Stadtkommandan - ten Haus; und endlich, am Ende des Platzes, das Sommerſchloß Mirabelle ſelbſt. Dieſes war, ſchon vom Kapuzinerberge herab, mein Augenmerk geweſen, und in dem daran ſtoßen - den artigen Garten wollte ich mich von mei - ner Morgenreiſe erholen.

Die Vorderſeite von Mirabelle thut eine ganz angenehme Wirkung. Pracht, Glanz und Umfang erwartet man ohnehin von einem Pallaſte mit dieſer Beſtimmung nicht. Ein Mittelgebaͤude, mit einem Thurme, zwey daran ſtoßende in Pavillons ſich endigende groͤßere Fluͤgel, und zwey andere niedrigere, die ſich, etwas ungehoͤrig, wiederum an dieſe lehnen, bilden die Vorderſeite. Der Eingang in den innern Hof iſt gewoͤlbt und dreyfach: der mitt - lere iſt fuͤr Wagen, und die beyden andern an deſſen Seite ſind fuͤr Fußgaͤnger. Der Hof iſt ins Gevierte mit drey und vier Geſchoß hohen Fluͤgeln ausgebauet. Wenn man hinein37 tritt, ſteht einem die innerſte Facade entgegen, und ſie iſt in der That uͤberaus gefaͤllig, ein - fach und leicht. In dieſem Hofe iſt auch der Eingang zu den Zimmern und Saͤlen des Pal - laſtes, die groͤßtentheils heiter, geraͤumig, und, wie die Umlaͤufe und Treppen, mit Gypsar - beiten, mit Bildſaͤulen, Schnitzwerk und De - ckenſtuͤcken verziert ſind, unter denen ich aber nichts als Kunſtwerk Ausgezeichnetes geſehen habe. Einen faſt goldenen Speiſeſaal zeigte mir mein Fuͤhrer mit großer Wohlgefaͤlligkeit; uͤber eine marmorne Treppe aber, die ich in der That fuͤr das beſte Werk in dieſer Anlage halte, war er hinauf geeilt, als ob er ſie nicht geſehen haͤtte.

Daß in dieſem Pallaſt eine Kapelle ſeyn muͤſſe, verſteht ſich ſchon von ſelbſt. Sie be - findet ſich in einem der Pavillons, deren ich vorhin erwaͤhnt habe, und zwar in dem zur Rechten, und iſt im Ganzen ein artiges klei - nes Werk.

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Mit dieſen beyden Worten kann ich auch den Garten hinter Mirabelle beſchreiben. Er ſoll nur neun hundert Schuh lang und ſechs - hundert breit ſeyn, aber er ſchließt in dieſem Raume einen Reichthum von niedlichen Anla - gen, als Waͤldchen, Blenden, Gitterwerke, Springbrunnen, gewoͤlbte Baumgaͤnge, Blu - menbeete, Terraſſen ꝛc. und außer dieſen eine ſchoͤne Sammlung von Suͤdfruͤchten, auch Kunſtgefaͤße, Bildſaͤulen und dergl. in Menge ein. Die guͤnſtige Lage des Gartens koͤmmt dem allen ſehr zu Huͤlfe. Er liegt nahe an der Salza, iſt aber mehrere Fuß hoch uͤber ihr Bette erhaben. Wenn man die Terraſſe beſteigt, die an der rechten Seite hinlaͤuft, ſo uͤberblickt man, unter dem Schatten von aller - ley Luſt - und Fruchtbaͤumen, die Salza, die andre Haͤlfte der Stadt, den Moͤnchberg, die Feſtung, und noch einen Theil der umliegenden Gegenden zur Rechten. Ich fand ein ange - nehmes Plaͤtzchen hier und verließ es unter einer Stunde nicht wieder. Bey der Ruͤckkehr39 nach meiner Wohnung ſah ich noch eine Pfer - deſchwemme mit fluͤchtigen Augen an, die ich vorhin auf dem Mirabellplatz uͤberſehen hatte, und das Chriſtkind in dem Lorettokloſter, nicht weit von da, das ſo unglaubliche Wunder ge - than hat, ließ ich zur Linken.

Den Nachmittag verwandte ich auf die Beſichtigung der Merkwuͤrdigkeiten in meiner Nachbarſchaft. Da ich in dem Gaſthofe zum goldnen Schiffe, der auf dem Hofplatze liegt, meine Wohnung genommen hatte, ſo war ich von dem Fuͤrſtlichen Reſidenz - ſchloſſe, von der Domkirche, dem praͤch - tigen Springbrunnen, den fuͤrſtlichen Stallgebaͤuden, dem Neuen Thore und von der Univerſitaͤt und ihrer Kirche nur wenige Schritte entfernt. Ich nahm aber das Weiteſte zuerſt, um, faſt vor der Thuͤr meines Gaſthofes, meinen Lauf zu endigen.

Kaum erwartet man in der Hofhaltung eines geiſtlichen Fuͤrſten ſolch eine ſtattliche Sammlung von Pferden. Zwar ſind ſie nicht40 alle da, um von ihm gebraucht zu werden; denn bey ſeiner Abneigung gegen alle perſoͤnli - che Pracht haͤtte er an einem Gala-Geſpann, und an zwey oder vier Jagdkleppern vollkom - men genug; aber ſein Vorfahr hinterließ ihm einmal einen reichen Stallvorrath mit den dazu gehoͤrigen praͤchtigen Gebaͤuden, die aͤltere Erz - biſchoͤfe errichteten; und man zieht ungern einen Zweig der Hofausgaben ein, wenn alte Die - ner und ihre Kinder dadurch brotlos zu wer - den in Gefahr ſind.

Der Fuͤrſtliche Marſtall iſt ein langes Ge - baͤude, das von außen gut in die Augen faͤllt, und von innen fuͤr ſeine Beſtimmung ſehr be - quem, ja faſt glaͤnzend eingerichtet iſt. An der Vorderſeite hat es drey Geſchoß, und zwey große Thore von weißem Marmor, deren ei - nes aber ein Blindthor iſt, verzieren es. Ein drittes iſt an der Seite nach dem neuen Thore zu, und dies iſt mit Bildhauereyen aller Art, in neuerm Geſchmacke, reichlich aufgeputzt. Durch dieſes kam ich in den langen, ſehr ge -41 raͤumigen, ſehr reinlich gehaltenen, Stall ſelbſt, in welchem, auf beyden Seiten, eine gute An - zahl von Merkwuͤrdigkeiten fuͤr beſſere Kenner, als ich bin, auf vier Fuͤßen ſtanden. Die Pferdeſtaͤnde, anderthalb hundert an der Zahl, ſind an den Seiten mit Saͤulen eingefaßt und die Mulden der Pferde aus weißem Marmor gehauen. Mitten durch den Stall iſt ein le - bendiges Waſſer gefuͤhrt, das zur Saͤuberung der Staͤnde und Reinhaltung der Luft gute Dienſte thut.

An dieſen großen Stall ſtoͤßt ein kleinerer, der Tummelſtall, in welchem ſich die Schul - pferde befinden; und weiterhin ein dritter, der Krankenſtall. Der Raum oberhalb der Stallgebaͤude, wird zur Niederlage des Futters und anderer Beduͤrfniſſe benutzt. An und um dieſelben ſind die Wohnungen der Stallaufſe - her und Stallbedienten. Eine Sommerreit - ſchule im Freyen, und eine Winterreit - ſchule, welche vermacht iſt und geheitzt werden kann, ſind, beyde mit Aufwand und mit einer42 Art von Geſchmack ausgefuͤhrt, auch vorhan - den.

In der Naͤhe iſt eine mit Bildhauereyen verzierte Pferdeſchwemme und zwar mehr am rechten Orte zum Gebrauch und zur Zierde, als vor einem Sommerpallaſte, oder gar vor einer Domprobſtey. Vor letzterer befindet ſich in der That die dritte, mit Aufwand ange - legte, Schwemme, und die harmloſen Salz - burger nennen ſie, die Kapitelſchwemme.

Nahe bey dem erwaͤhnten großen Stallge - baͤude iſt das Neue Thor, auch das Sieg - mundsthor genannt: eine anziehende und merkwuͤrdige Anlage; eine Art von Poſilip - pohoͤhle im Kleinen. Man hatte, ſo weit der Schloß - und Moͤnchberg dieſe Seite der Stadt einſchließen, kein Thor anbringen koͤn - nen, und einen Durchſchlag zu machen, daran hatte man entweder nicht gedacht, oder ihn zu ſchwer oder zu koſtbar gefunden. Indeſſen war ein Steinbruch an der Stelle, wo jetzt das Thor durch gehauen iſt. Dieſer Umſtand brachte43 den vorigen Erzbiſchof Siegmund, aus dem Hauſe Schrattenbach, vermuthlich zuerſt auf den Gedanken, hier, wo ohnehin der Ruͤk - ken des Moͤnchberges am ſchmalſten war, ein Thor durchſprengen zu laſſen. Das Werk ward im Jahre 1765 angefangen, und 1767 war der Durchbruch, trotz Gefahren und Schwierigkei - ten, ſchon vorlaͤufig gemacht. Jener Fuͤrſt ſtarb aber uͤber der Vollendung, und das Ganze wurde erſt unter dem jetzt regierenden, im Jahre 1774, fertig. Hr. Huͤbner giebt die Summe der darauf gewandten Koſten zu 116665 Gulden, 12 Kreutzer, 2 Pfennig; die Laͤnge des Durchbruchs zu 415, die Breite zu 22, und die Hoͤhe zu 39 Schuh, an. Er iſt durch - aus licht, geraͤumig, doch nicht ganz gerade, auch nicht ganz gefahrlos. Die Steinart, durch die er geht, iſt ein ziemlich locker zu - ſammen hangendes Sandſteingemenge, das an den Seiten, und an der halbzirkelfoͤrmig aus - gehauenen Decke ſich in breiten Tafeln abloͤſet und von Zeit zu Zeit zerſplittert herabfaͤllt:44 eine Unbequemlichkeit, die man haͤtte vermeiden koͤnnen, wenn man dem Beyſpiele der Alten gefolgt waͤre, welche die Hoͤhle von Poſilippo in ſpitzer Woͤlbung durch einen nicht haͤrtern Felſen trieben und damit deſſen Decke zugleich ſtuͤtzten. Uebrigens iſt der Ein - und Ausgang dieſes Thores mit einer rieſenhaften Bildſaͤule des heiligen Siegmund, mit Waffenruͤſtungen, Fahnen, Kanonen, Meduſenkoͤpfen, Pyrami - den und mit einem Bruſtbilde des Erbauers, unter dem die artige Inſchrift: Te Saxa loquuntur ſtehet, in einem guten Geſchmacke verziert.

Von dem Neuen Thore wandte ich mich zu dem Univerſitaͤtsgebaͤude, das mehr durch ſeinen Umfang, als durch Geſchmack und Pracht auffaͤllt, deſſen Inneres aber mit hinlaͤnglichem Raum und allen erforderlichen Bequemlichkei - ten, an Wohnzimmern, und Hoͤr - und Ver - ſammlungsſaͤlen, auch mit einem Garten ver - ſehen iſt. Die dazu gehoͤrige Kirche, die wohl den vierten Theil des Umfangs einnehmen mag,45 iſt, ihrem Aeußern und Innern nach, archi - tektoniſch merkwuͤrdiger, und gehoͤrt zu den groͤßeſten und beſten in Salzburg.

Die Univerſitaͤt hat jetzt nur drey Fakultaͤ - ten. *)S. Huͤbners Beſchreibung von Salzburg. Th. I. S. 80. fg. Th. II. 506. fg.Die Mediciniſche hat nicht gedeihen wollen. Die Einrichtung iſt noch faſt ganz vom aͤlteſten Schlage. Es mangelt ihr uͤbri - gens nicht an geſchickten Lehrern, die aber ziemlich ſparſam beſoldet ſind. Die obern Wuͤrden an dieſer Univerſitaͤt, z. B. die Rek - tor - Prokanzler - Dekan - und Bibliothekarſtel - len tragen gar nichts ein. Uebrigens iſt noch ein Gymnaſium mit der Univerſitaͤt verbunden.

An der Kirche und dem Hauſe der Fran - ciskaner vorbey, gelangte ich auf den Dom - platz, ein enges laͤnglich viereckigtes Lokal, das von dem Stirnaufriſſe der Domkirche, dem einen Fluͤgel des Fuͤrſtlichen Reſidenzſchloſſes und andern dazu gehoͤrigen Gebaͤuden einge -46 ſchloſſen wird. Auf demſelben iſt der unbefleck - ten Jungfrau ein großes, ziemlich zuſammen geſetztes, Denkmal errichtet. Die Hauptbild - ſaͤule iſt Maria ſelbſt, zwoͤlf Fuß hoch, aus bleyfaͤrbigem Metall gegoſſen. Wolken von aͤhnlichem Erz umſchweben die Weltkugel, wo - rauf ſie ſteht, und an deren beyden Seiten ſich Engel befinden, deren Einer auf den unter ihm liegenden Satan einen Blitz herab ſchleu - dert. Ein hohes, weißmarmornes Fußgeſtell traͤgt dieſe Gruppe, die von den Bruͤdern Ha - genauer, gebornen Salzburgern, mit viel Geſchmack und Leichtigkeit ausgefuͤhrt iſt. Der Platz iſt uͤbrigens zu enge und es iſt, bey der Hoͤhe ſeiner Umgebungen, etwas grubenartiges in ſeiner Anſicht, daß dieſem Kunſtwerke die noͤthige Ausdehnung raubt.

Die Facade mit dem Haupteingange der Domkirche, iſt dieſer Bildſaͤule ebenfalls zu nahe, als daß ſie nicht von ihr uͤberblendet werden ſollte; ſo wie ſie wiederum, obgleich man ſie ſo weit abgeruͤckt hat, als moͤglich47 war, den vollen Anblick dieſer Facade, nicht gerade verhindert, aber doch ſehr beengt. Letz - tere iſt in der That ſo praͤchtig und geſchmack - voll, daß ſie einen geraͤumigern Standpunkt verdiente; und ihren jetzigen koͤnnte man ſchon dadurch verbeſſern, wenn der gegenwaͤrtige oder kuͤnftige Fuͤrſt eine kleine Bequemlichkeit auf - opfern und die beyden bedeckten Gaͤnge, die aus der Reſidenz in den Dom fuͤhren, abbrechen laſſen wollte, wodurch dies wirklich in großer Art ausgefuͤhrte Gebaͤude einen ganz freyen Standplatz erhalten wuͤrde.

Das Innere iſt etwas dunkel, bietet aber vortrefflich berechnete, reine Verhaͤltniſſe dem Auge dar. Ein natuͤrlicher Beweis davon iſt der, daß es ſich lange in den Hoͤhen erhaͤlt, und mit Wohlgefallen Laͤnge und Breite durch - mißt, ohne zu ermuͤden, ohne unſtaͤt und zer - ſtreut zu werden. Auch ſind die unentbehrli - chen Verzierungen und Anlagen einer großen Kirche zu ebener Erde mit viel Weisheit an - gebracht und vertheilt, entſprechen ganz dem48 einfaltsvollen Charakter des Ganzen und ſind auch als Werke der Bildhauerey, der Malerey und anderer Kuͤnſte, nicht mittelmaͤßig.

Ich kam endlich auf den Hofplatz zuruͤck, der auch der Haupt - und Reſidenz-Platz genannt wird, weil er der groͤßeſte Platz in Salzburg iſt, und weil ein Fluͤgel der Reſidenz ihn auf der einen Seite umgiebt. Wenn man vom Domplatz her auf denſelben tritt, ſo hat man rechts die Langſeite des Doms und den Neubau, links den gedachten Fluͤgel der Re - ſidenz mit deren Haupteingang, und vor ſich mehrere anſehnliche Buͤrgerhaͤuſer. Ein ſchoͤ - ner Springbrunnen ſteht im Mittelpunkte die - ſes Platzes, der etwas uͤber vierhundert Schuh lang und uͤber zwey hundert und funfzig breit iſt.

Derjenige Theil des Reſidenzſchloſſes, der an dieſen Platz ſtoͤßt, faͤllt am beſten in die Augen, denn da das Ganze nicht auf einmal und nach einem Plane gebauet iſt, ſo ſtellt es ſich theilweiſe beſſer oder ſchlechter dar, jenach -49nachdem der Geſchmack des Bauherrn oder des Baumeiſters war. Saͤmmtliche dazu gehoͤrige Gebaͤude, die einen großen Raum einnehmen, bilden ſonach ein unregelmaͤßiges Vieleck, das aus ſehr ungleichen, hoͤhern und niedrigern, aͤltern und juͤngern, Theilen beſteht, dem Auge zwar keinen Ueberblick des Ganzen erlaubt, aber ihm doch in Ruͤckſicht der Bauart auch keinen Anſtoß giebt. Dieſe iſt durchaus einfach, und ziemlich leicht und gefaͤllig.

Derjenige Theil dieſes Lokals, den der Fuͤrſt bewohnt, iſt ein laͤngliches Viereck und hat ſeinen Haupteingang auf dem Hofplatze. Hier hat deſſen Vorderſeite gegen hundert Schritt in die Laͤnge, und außer einem baͤuriſchen, hervorragenden Kellergeſchoſſe zu ebener Erde und einem Halbgeſchoſſe unter dem Dache, noch drey andre, von maͤßiger Hoͤhe, mit ein - fach eingefaßten, viereckigten Fenſtern, deren Zwiſchenwaͤnde ohne alle Verzierungen ſind. Das Innere dieſes Theiles iſt geraͤumig und heiter, ſchließt drey bis vier anſehnliche Saͤle,Sechstes Heft. D50mehrere Folgen guter Zimmer, Wohnungen fuͤr Hofbeamte, die geheime Kanzley, das ge - heime Archiv ꝛc. ein. Die Wohnungen des Fuͤrſten ſind in dem Fluͤgel, der nach dem Markte ſieht. Ich haͤtte ſie, aus begreiflichen Urſachen, lieber, als alles uͤbrige im Schloſſe, geſehen, aber der Fuͤrſt huͤtete ſeit einigen Ta - gen aus Unpaͤßlichkeit das Zimmer. Hr. Huͤb - ner giebt indeſſen eine genaue Beſchreibung davon, die ich ihm fuͤr ſolche Leſer abborgen will, in deren Haͤnde Buͤcher wie dieſes eher fallen, als Buͤcher, die ſo muͤhſam und ſo verdienſtlich ſind, wie das ſeinige:

Durch eine Seitenthuͤr gelangt man in die eigentlichen Wohnzimmer des Fuͤrſten. Das erſte, wohin man unmittelbar aus dem Au - dienzſaale koͤmmt, iſt das fuͤrſtliche Arbeits - zimmer oder Kabinet. Hier ſind die Waͤn - de mit ſehr lebhaften Hauteliſſe-Tapeten be - kleidet, alle Schreib - und andere Tiſche, nebſt den Sekretairen, von Mahagonyholz. Auf einem Tiſche, unter einem Truͤmeauſpiegel,51 ſieht man eine Uhr von Sarton, aus ver - goldeter Bronze und Alabaſter zuſammen geſetzt, nebſt aͤhnlichen Vaſen und Girandolen, und den Bildniſſen Voltaire's und Rouſſeau's. Eine gleiche Uhr von demſelben Meiſter ſteht auf einem andern Tiſche. An einer Wand haͤngt das Bildniß des Erzbiſchofs Harrach, dem die Reſidenz viel und betraͤchtliche Verbeſſerun - gen zu danken hat. Aus dieſem Kabinet fuͤhrt eine Thuͤr links in das hochfuͤrſtliche Schlaf - zimmer, und eine andre rechts in das Bibli - othek, und Schatull-Gemach; letzteres iſt mit geſchnitzten Wandverzierungen aus Holz, nach dem Geſchmack aͤlterer Zeiten, bekleidet; hat uͤbrigens eine kleine Sammlung ſchoͤner Ge - maͤlde, einen Kamin von ſchwarzem Mar - mor und eine, mit einem Sopha verkleidete, Thuͤr, die in das Schlafzimmer fuͤhrt. Dieſes iſt ganz mit rothem Damaſt ausgeſchlagen; die Vorhaͤnge der Fenſter und des Bettes ſind von demſelben Damaſt. Ein horizontales, lan - ges Barometer befindet ſich unmittelbar uͤberD 252dem Bette des Fuͤrſten. Die Thuͤren ſind alle von Holz; die eine fuͤhrt in die erzbiſchoͤfliche Kapelle, deren marmorner Altar einer Mut - ter Gottes geweiht iſt; die zweyte, wie geſagt, in das Schatull-Gemach, und die dritte in eine ſchmale, etwas lange Galerie, die mit Gemaͤlden von ungleichem Werthe geziert iſt und eine Decke mit ſchoͤnen Freskogemaͤlden hat. In der Mitte dieſer Galerie befindet ſich ein Kamin von ſchwarzem Marmor, und uͤber demſelben in einer Blende eine Bildſaͤule des Antinous von Bronze, welcher zur Seiten zwey kleinere, Venus und Merkur, ebenfalls von Bronze und Denkmale des Alterthums, ſtehen. Durch gedachte Galerie und eine ihrer Spiegelthuͤren iſt der Eingang in den Geſellſchaftsſaal, den der jetzige Fuͤrſt ſehr praͤchtig moͤblirt hat Aus dieſem Saale fuͤhrt eine Seitenthuͤr in dem ſo genannten Markus-Sittikus - Saal, der an Schoͤnheit der Stuckaturarbeit ſo wie an Architektur, ein Meiſterſtuͤck,53 und erſt unter der jetzigen Regierung in gegen - waͤrtige unvergleichliche Geſtalt iſt gebracht wor - den ꝛc. *)Huͤbners Beſchr. v. Salzb. Th. I. S. 167. fg.

Der gedachten Hauptfacade der Reſidenz gegenuͤber, auf der andern Seite des Hofpla - tzes, liegt der ſogenannte Neubau, ein be - traͤchtliches Viereck, deſſen vier Stock hohe, mit einem Thurm verſehene, Vorderſeite ſich uͤber drey hundert Schuh in die Laͤnge aus - dehnt. Die Inhaber der vornehmſten Hofaͤm - ter beſitzen in dieſer Anlage ihre Wohnungen, und mehrere fuͤrſtliche Kollegien ihre Schreib - ſtuben und Verſammlungsſaͤle. Die Landſchaft und ihr Archiv, die Hofbibliothek, die Hof - kammer und das Poſtamt haben auch darin ihre Stelle gefunden. Im Erdgeſchoſſe des erwaͤhnten Thurmes iſt die Hauptwache und in deſſen zweyten Abſatze ein hollaͤndiſches Glockenſpiel, deſſen zerſtuͤckelte, bald zu lang - ſame, bald zu ſchnelle Toͤne, den jaͤhrlichen Er -54 trag von drey tauſend Gulden nicht werth ſind, der zur Unterhaltung deſſelben ausgeſetzt iſt.

Endlich beſchloß die genauere Muſterung des Hofbrunnens, der dieſen Platz vor - treflich aufputzt, meine heutige, etwas ſtarke Ausflucht.

Dieſer Springbrunnen iſt einer der ſchoͤn - ſten, und ſeiner Idee nach, einer der verſtaͤn - digſten unter denen, die mir auf meinen Rei - ſen vorgekommen ſind. Ich habe deren zwey, des einen zu Lazienka bey Warſchau, des an - dern in der Reſidenz zu Muͤnchen erwaͤhnt, denen unſchickliche Gedanken zum Grunde lagen; dieſem kann man dergleichen nicht zur Laſt le - gen, ſo wie uͤberhaupt auch an ſeiner Zeich - nung und Ausfuͤhrung nichts zu tadeln iſt. Die Grundlage des Ganzen iſt ein weites marmornes Becken. Ein rauhes Felſenſtuͤck tritt aus deſſen Mitte hervor, von vier Waſ - ſerpferden umgeben, die aus ganzen Marmor - bloͤcken vortrefflich gehauen ſind, und aus Nuͤ - ſtern und Maul Waſſer geben. Drey rieſen -55 hafte Figuren, die, mit dem Ruͤcken gegen ein - ander, mit kuͤnſtlich verſchraͤnkten Fuͤßen, em - por geſtreckten Armen und ſchwer belaſtetem Koͤrper, ohne alle Verzerrung und Ueberla - dung, da ſtehen, tragen eine runde Schaale vom ſchoͤnſten Verhaͤltniſſe. In dieſer Schaale ſieht man eine Gruppe von Seefiſchen, die, auf emporgehobenen Schwaͤnzen, eine Muſchel in die Hoͤhe halten, in welcher ein Triton ſitzt, der aus ſeinem Horn einen acht Schuh hohen Waſſerſtrahl ausſchießt, welcher in Tropfen auf die Muſchel zuruͤck, aus dieſer in die Schaale, und zuletzt aus dieſer in das große Waſſerbecken herab faͤllt. Saͤulenſteine, die durch Ketten zuſammen haugen, ſchließen das Ganze ein.

Ich habe dieſes, mit Leichtigkeit und Rich - tigkeit ausgefuͤhrte, Kunſtwerk, wenn ich aus meinem Fenſter ſehe, vor mir, und mein Auge koͤmmt von dem Dom und der Reſidenz im - mer fort mit neuem Wohlgefallen auf daſſelbe zuruͤck. Wenn ich morgen mit dem erſten56 Sonnenſtrahl, der ſich durch meine rothen Vor - haͤnge in einem Purpurſtrom ergießt, wieder - um erwache, ſo wird das leiſe Rauſchen und Plaͤtſchern dieſes Brunnens mir ſein gefaͤlli - ges Bild zuerſt vor das geiſtige Auge zaubern, und dann wird mir wahrſcheinlich auch irgend ein altes Adagio des benachbarten Glocken - ſpiels auf dem Neubau ſehr willkommen ſeyn.

Ich habe heute die entferntern Theile der Stadt gemuſtert, naͤmlich die Vorſtaͤdte, deren drey ſind: Nonnthal, Muͤhlen, Stein.

Man rieth mir zu einem Wagen, aber der Morgen war zu koͤſtlich, als daß ich ihn nicht auf meinen Fuͤßen haͤtte genießen ſollen; man rieth mir mit der Vorſtadt Stein anzufan - gen, ſodann uͤber die Bruͤcke zuruͤck zu fahren und die Vorſtadt Muͤhlen zu beſuchen; von da zuruͤck zu kommen und, vor meinem Gaſt - hof vorbey, vor das Kajetanerthor in die Vor - ſtadt Nonnthal zu fahren und zum Mit -57 tageſſen zuruͤck zu ſeyn; aber außerdem, daß ich das Umkehren nicht ſehr liebe, hatte mir Huͤbner, mein gedruckter Fuͤhrer, ſchon einen andern Reiſelauf an die Hand gegeben. Ich wollte naͤmlich erſt das Nonnthal beſuchen, ſodann im Schatten alter Kaſtanien die Som - merſchloͤßchen in der Naͤhe, und namentlich Leopoldskrone, beſuchen; von da, nach Ti - ſche (wo ich dieſen gedeckt, oder auf einem Raſenteppiche, finden wuͤrde, wußte ich noch nicht, aber ich verließ mich darin auf meinen Lohnbedienten, eine Art, die immer hungrig iſt) um den Moͤnchberg von auſſen herum, nach Muͤhlen; und von da uͤber den Gries und die Bruͤcke nach der Vorſtadt Stein hinuͤber wandern; mich dort erfriſchen und ſo lange damit zubringen, bis ich, bey aufgehen - dem Monde, an dem Ufer der Salza, und uͤber deren Bruͤcke zuruͤck nach Hauſe gehen koͤnnte. Der Plan war uͤppig und wurde ausgefuͤhrt. Hier ſind die Reſultate:

58

Die Vorſtadt Nonnthal liegt unterhalb dem Nonn - und Schloßberge vor dem Kaje - tanerthore und hat nur Eine Straße, die zu - gleich die Landſtraße nach Hallein iſt. Die eigentlichen Haͤuſer dieſer Vorſtadt nennt man das innere Nonnthal, die Luſthaͤuſer, Sommerſitze und Hoͤfe, die hinter derſelben einzeln im Thale umher ſtehen, das aͤußere.

Im innern Nonnthal iſt die merkwuͤr - digſte Anlage das Spital des Domkapitels mit der dazu gehoͤrigen Kirche. Es beſteht aus zwey Fluͤgelgebaͤuden, die fuͤnf Geſchoß hoch ſind und in ihrer Mitte eine Kirche haben, welche von außen und innen zu den zierlichſten in Salzburg gehoͤrt. Die Anſtalt iſt fuͤr Maͤn - ner und fuͤr Weiber. Jedes Geſchlecht wohnt in ſeinem beſondern Fluͤgel; jede einzelne Per - ſon hat ihr eigenes Zimmer; doch muͤſſen die Weiber in ihrem gemeinſchaftlichen Saale zu - ſammen arbeiten und eſſen, und die Maͤnner in dem ihrigen ebenfalls. Ehedem war dieſe Anſtalt fuͤr alle Huͤlfsbeduͤrftige ohne Unter -59 ſchied, jetzt bloß fuͤr die abgelebte oder kranke, weibliche oder maͤnnliche, Dienerſchaft des Domkapitels. Es iſt auch ein Krankenhaus fuͤr eben dieſe Subjekte damit verbunden. Das Haus iſt reinlich und die Verpflegung gut und ſorgfaͤltig. Sehenswerth iſt der Garten hinter demſelben. Er laͤuft, in drey Abſaͤtzen, die mit Werkſtuͤcken untermauert ſind, hinter den Gebaͤuden des Spitals hin, und iſt als Kunſt - Kuͤchen - und Luſtgarten ſorgfaͤltig an - gebauet und unterhalten, und mit lebendigem Waſſer und mehreren artigen Luſthaͤuschen ver - ſehen.

Unter den Anlagen im aͤußern Nonnthale iſt das Sommerſchloß Leopoldskrone die anziehendſte, ihrem Aeußern und Innern nach. Man naͤhert ſich demſelben auf einer dichten Allee von Kaſtanienbaͤumen, dergleichen noch drey andre von andern Seiten dahin fuͤhren.

Ein laͤngliches Viereck von vier Stock, deſ - ſen mittlerer Theil etwas hervorſpringt, koͤmmt dem Auge mit einer gewiſſen Heiterkeit und60 Leichtigkeit entgegen. Die Waͤnde ſind weiß und die Architekturzierrathen citronengelb ab - geputzt. Der Stirnaufriß iſt zierlich und nicht im mindeſten uͤberladen. Man geht durch eine Bogenlaube, die auf Arkaden ruhet und einen Austritt von weißem Marmor traͤgt, hinein, und koͤmmt in ein ſehr elegantes Vorhaus, deſſen Thuͤrſtuͤcke und Kamine von feingeſchlif - fenem rothen, und weiß und roth geſprenkel - ten, Marmor ſind. Die Decke deſſelben iſt gewoͤlbt, hellgruͤn uͤbermalt und mit ſehr zar - ten Gypsgewinden verziert; die Treppen ſind geraͤumig und haben Gelaͤnder von Marmor; mit einem Worte: es iſt nichts geſpart, um gleich bey dem Ein - und Auftritte dem Frem - den anzukuͤndigen, was er zu erwarten hat.

Man thut nun keinen Schritt mehr, ohne auf Gemaͤlde zu ſtoßen, die mehr oder weni - ger Aufmerkſamkeit verdienen; faſt alle Zim - mer und Saͤle ſind damit angefuͤllt, und es iſt nicht zweifelhaft, daß der Vorrath derſel - ben mehr gekoſtet hat, als die ganze fuͤrſtliche61 Anlage ſelbſt. Beſonders merkwuͤrdig iſt ein großer Billardſaal im vierten Stocke, der zu - gleich eine Galerie von Mahlerbildniſſen iſt. Viele darunter ſind von den Kuͤnſtlern ſelbſt gemalt, und mehrere befinden ſich ſelbſt in der beruͤhmten Sammlung ſolcher Bildniſſe auf der Galerie zu Florenz nicht. Ihre Anzahl iſt[gegenwaͤrtig] 287 ſtark. Werke von Breughel, Battoni, den Bruͤdern Caracci, von Ci - gnani, Dominichino, Duͤrer, Luca Giordano, Honthorſt, Kneller, Lu - kas, von Leyden, Guido Reni, Sal - vator Roſa, Rubens, Rembrandt, Pouſſin, Paul Veroneſe und von vielen Andern fuͤllen eine Menge anderer Zimmer in allen Geſchoſſen.

Auch iſt eine artige Sammlung von aus - geſtopften Voͤgeln und Saͤugthieren vorhan - den; und an Gypsabguͤſſe von Antiken iſt eben - falls gedacht. Die Schloßkapelle entſpricht allem uͤbrigen; und ein weitlaͤufiger Garten, der an einen großen Weiher mit zwey bepflanz -62 ten und verzierten Inſeln ſtoͤßt, kroͤnt das an - genehme Ganze. Der hintere Stirnaufriß des Schloſſes, der uͤbrigens ganz ſo gebauet iſt, wie der vordere, gewaͤhrt eine heitere Ausſicht uͤber dieſe letztgenannten Anlagen.

Nicht weit von Leopoldskrone, nach der Stadt zu, fand ich mein Mittagseſſen, das ich mir wohl verdient hatte, unter einem großen Kaſtanienbaum, in der Naͤhe eines Wirths - hauſes. Die Schuͤſſeln waren in der That nicht koͤſtlich, aber ich hatte vortreffliche - luſt. Die Ohren meines Lohnbedienten reck - ten ſich, bey dem erſten abzuhebenden Gerichte, wieder munter empor. Gleich nach Tiſche ſetzte ich, auf einem angenehmen Wege meinen Stab weiter; nicht ganz ſo friſch, wie dieſen Morgen, ich muß es bekennen, aber ich darf auch nicht vergeſſen, zu meiner Rechtfertigung zu ſagen, daß ich auſſer Leopoldskrone, nicht auf den geradeſten Wegen die fuͤrſtliche Stuterey, ein Muſter in ihrer Art, das Kirſinger'ſche Luſtſchloß und Freyſaal,63 ein fuͤrſtliches Schloß, in einem Weiher gele - gen, beſucht hatte.

Die Vorſtadt Muͤhlen, (oberdeutſch Muͤl - len) iſt auf der entgegen geſetzten Seite der Stadt, vor dem Klauſenthor gelegen; und ich gelangte zu derſelben, indem ich, meiſt im - mer unter ſchoͤnen Baumgaͤngen, einen Halb - cirkel außerhalb um den Moͤnchberg beſchrieb. Das Johannesſpital, eine pallaſtaͤhnliche Anlage, fiel mir zuerſt in die Augen und lockte mich an, hinein zu treten. Das Innere iſt dem Aeußern angemeſſen, und hat einen ge - wiſſen freygebigen Charakter, der ſich in brei - ten, freyen Treppen, in geraͤumigen Gaͤngen, und in hohen Thuͤren, Zimmern und Fenſtern zeigt. Eine artige Kirche nimmt das Mittel des ganzen Gebaͤudes ein; an ſie ſtoßen auf beyden Seiten zwey Fluͤgel, wovon der eine zur Rechten die Maͤnnerſeite, und der andere zur Linken die Weiberſeite genannt wird, weil in jenem die maͤnnlichen Kranken, in dieſem aber die weiblichen untergebracht64 werden. Zwar ſind vor der Hand nur in al - lem acht und funfzig Betten da, aber es koͤn - nen und ſollen im Nothfalle noch eben ſo viel vorgerichtet werden. Den uͤbrigen Raum des Gebaͤudes nehmen ehemalige Gaſtſtuben fuͤr Pilgrime, Vorrathsgewoͤlbe, die große Kuͤche, mancherley Wirthſchaftszimmer, Wohnungen fuͤr die Kaplaͤne, Wundaͤrzte und andre Beam - ten, Aufſeher und Bedienten der Anſtalt ein.

Der Stifter derſelben, Erzbiſchof Johann Ernſt, aus dem Hauſe Thun, wollte einen doppelten Zweck damit erreichen: Pilgrime beherbergen und Kranke unterſtuͤtzen. Fuͤr die Pilgrime ſorgen, galt damals fuͤr eine gottgefaͤllige Handlung; ihnen die ſchmutzigen Fuͤße waſchen, oͤfnete unwiderſprechlich die Pforten des Himmels. Wir glauben dies jetzt nicht mehr; wir bewundern bey dieſem Vor - urtheile nur noch, wie die geſchmeidige Natur es nutzte, um die Fehlſchluͤßigkeit der Men - ſchen zum Beſten zu kehren. Erzbiſchoͤfe und mit ihnen die ganze geiſtliche Schaar, berede -ten65ten das bloͤde Volk zu beſchwerlichen Pilger - ſchaften; und Erzbiſchoͤfe und Kloͤſter machten Stiftungen, um die Pilger zu empfangen, zu bewirthen, zu reinigen und zu kleiden. So war alles wieder in Ordnung, und die Folgen des Vorurtheils waren durch Vorurtheil min - der beſchwerlich gemacht.

Erzbiſchof Johann Ernſt wuſch in der That dem erſten Pilgrim, den er in ſeinem neuen, noch nicht ganz vollendeten, Spital empfing, oͤffentlich und feyerlich die Fuͤße, und beſchenkte ihn mit einem Thaler. Dies war im Jahre 1695. Eben ſo wurde auch der er - ſte Kranke in ſeiner Gegenwart aufgenommen. Als im Jahre 1704 der Bau vollendet war, wurden auch die erſten weiblichen Pilgrime und Kranken verſorgt. In den folgenden Jahren kamen bald mehr, bald weniger Pil - grime in dieſe neue Herberge, doch fiel ihre Anzahl immer mehr, je naͤher die neuen Zei - ten ruͤckten; und wenn 1700 Ein tauſend vier hundert und fuͤnf und neunzig fromme undSechstes Heft. E66liederliche Landſtreicher hier gaſtfrey und willig aufgenommen wurden, ſo konnten 1784 nur Ein und dreyßig mit Muͤhe unterkommen, was man aus der Anmerkung in dem Pilgrims - verzeichniſſe dieſes Spitals: Fuiſſent quidem longe plures, ſed non aſſumpſi eos *) Es waͤren ihrer wohl viel mehr geweſen, aber ich habe ſie abgewieſen. ſehr deutlich erſiehet. Nach eben dieſem Verzeich - niſſe wurden im Jahre 1790 nur ihrer Acht bewirthet. Ich bin uͤberzeugt, daß nun die Anzahl der Krankenbetten deſto hoͤher ſteigen wird.

Die innere Einrichtung und Polizey dieſes Hauſes iſt ohne Tadel, und kann jeder Anſtalt dieſer Art zum Muſter dienen. Ich verweiſe den wißbegierigen Leſer hieruͤber zur Quelle ſelbſt. **)Huͤbners Beſchr. v. Salzb. Th. I. S. 459. fg. vergl. mit Th. II. S. 512. fg.Uebrigens befinden ſich in dieſer Vorſtadt noch vier andre menſchenfreundliche Stiftungen: ein Leproſen - oder Siechenhaus, zwey W[a]yſen -67 haͤuſer, das eine fuͤr Knaben, das andere fuͤr Maͤdchen, und das Soldatenkrankenhaus. Da ich die reiche Stiftung der Auguſtiner, deren Sitz oberhalb meines Weges lag, nicht fuͤr eben ſo verdienſtlich halten konnte, ſo ließ ich ſie unbeſehen zu meiner Rechten liegen.

Ich gelangte durch das Frauenthor wieder in die Stadt, und uͤber die Straße zum ſchwar - zen Baͤren auf den Gries, der mich zu der Bruͤcke fuͤhrte. Dieſe iſt gegen zwey hundert Schritt lang, und ruhet auf ſieben hoͤlzernen Jochen. Der Fahrweg iſt abhaͤngig gepflaſtert, und fuͤr die Fußgaͤnger hat man auf jeder Seite einen erhoͤheten Pfad angebracht, der mit einem Gelaͤnder eingefaßt und mit Vor - ſpruͤngen zum Ausweichen verſehen iſt. Die Breite der Bruͤcke mag zwanzig Schritt betra - gen.

Jenſeits derſelben gelangte ich auf das Plaͤtzl, ein, wie der oberdeutſche Name zeigt, kleines, unregelmaͤßiges enges Lokal, an wel - chem indeß einige ſehr anſehnliche Buͤrgerhaͤu -E 268ſer ſtehen. Rechts fuͤhrt eine enge Straße nach dem innern Steinthore, und durch dieſes ge - langt man in die Vorſtadt Stein. Sie liegt auf einem unebenen Boden, zwiſchen dem Fel - ſen des Kapuzinerberges und der Salza, und beſteht aus einer langen Doppelreihe ungleicher Haͤuſer, die meiſt von Handwerkern, von Ger - bern, Fleiſchern, Gaͤrtnern bewohnt werden. Sie wird in den innern und aͤußern Stein abgetheilt. Der innere geht von dem innern Steinthor bis zum aͤußern, und der aͤußere hebt vor dem aͤußern Steinthor an und laͤuft, in ungefaͤhr gleicher Laͤnge, wie der innere, uͤber eine Anhoͤhe, ebenfalls in zwey Haͤuſer - reihen, hinan, und verliert ſich ſodann ober - waͤrts ins Freyere.

Was ich in dieſem, wirklich nicht angeneh - men, Stadttheile zu ſuchen hatte, war eigent - lich die beruͤhmte Lederfabrik der Herren Zezi und Gſchwendtner, deren pallaſtmaͤſ - ſige Anſicht mir den Tag vorher, auf der an - dern Seite der Salza, ſehr anlockend in die69 Augen gefallen war. Sie liegt mit ihrer Vor - derſeite nach dieſem Fluſſe zu, beſteht aus ei - nem Mittelgebaͤude von vier Geſchoſſen, und aus zwey Fluͤgeln von Einem und einem hal - ben Geſchoß. Die Bauart des Ganzen iſt ge - ſchmackvoll, und die innere Einrichtung und Ver - theilung ſehr zweckmaͤßig. Vor demſelben, nach der Salza zu, iſt ein geraͤumiger Hof, von welchem Treppen unmittelbar in dieſen Fluß hinabfuͤhren, deſſen die Fabrik vielfaͤltig bedarf. Ihre Waaren gehoͤren zu den vorzuͤg - lichſten, und ſie liefert ſie in ſehr verſchiedenen Arten, und in Menge. Ihr Glanz - Walk - Pfund - und Doppelleder koͤnnte uͤberall fuͤr englaͤndiſches gelten, mag auch wohl in Ober - deutſchland oft genug als ſolches verkauft wer - den. Uebrigens habe ich nirgends in Deutſch - land eine Anlage gefunden, die ſo ins Große ginge, wie dieſe.

In der Naͤhe dieſer Fabrik, oberhalb der - ſelben liegt ein Sommerſchloͤßchen, der Buͤr - gelſtein genannt, bey dem ich einen artigen70 Garten fand, der mich aber nicht ſo anzog als ein mit Baͤumen bepflanzter Huͤgel, der dazu gehoͤrt, und ſich dicht am Ufer der Salza er - hebt. Auf demſelben ſtand ein niedliches Luſt - haus mit einem huͤbſchen Saal, in welchem ich einen heitern und kuͤhlen Ruheplatz fand, den ich, mit meiner Muͤdigkeit und mit eini - gen ſuͤßen Orangen von einem benachbarten Gaͤrtner beſchaͤftigt, erſt mit anbrechendem Abend wieder verließ. Es ward mir zu ſpaͤt, die Luſt - und Nutzgaͤrten und das Schloß El - ſenheim in der Nachbarſchaft zu beſuchen; ich ging alſo durch die finſtern Straßen des Steins zuruͤck und kam, nachdem ich noch ein paarmal unter einem frohen Getuͤmmel von jungen und alten Spatziergaͤngern auf der Bruͤcke hin und wieder gegangen war, in mei - nem Gaſthofe wieder an.

Ich kann nun, da ich Salzburg, ſeinem Innern nach, ganz durchwandert bin, noch71 einige Bemerkungen uͤber die Oertlichkeit dieſer Stadt und uͤber ihre Polizeyanſtalten mit - theilen.

Die Beſchraͤnktheit ihres Standplatzes iſt Urſach, daß man mit den Haͤuſern in die Hoͤhe auffahren und auch die Hofraͤume enge hat bebauen muͤſſen. Es ſind wenige Gebaͤude in Salzburg die nur drey Geſchoß haͤtten; die meiſten ſind vier und fuͤnf hoch, und haben Fenſter dicht an Fenſter, weil man hauptſaͤch - lich auf Wohnzimmer ſehen muß. So kann man ſich erklaͤren, wie die Volksmenge von Salzburg in etwas mehr als Sechshundert Haͤuſern Raum haben mag. Die Straßen, die an ſich ſchon groͤßeſtentheils enge ſind, er - ſcheinen der Hoͤhe der Haͤuſer wegen noch en - ger, ſind aber darum doch nicht eigentlich finſter, weil jene durch die Bank weiß abgeputzt und die Fenſter mit Einfaſſungen von derſelben Farbe umgeben ſind. Die Bauart iſt im Gan - zen gut, und hat die auffallendſte Aehnlichkeit mit der zu Neapel; nur daß hier, anſtatt der72 ganz flachen, mit Eſtrich uͤbergoſſenen, neapo - litaniſchen Daͤcher, mehr erhoͤhete, mit Holz - ſchindeln gedeckte, uͤblich ſind. Man bauet durchaus von Steinen, wovon unter andern der Moͤnchberg unerſchoͤpflich iſt, der mehrere Arten von Sandſtein liefert. Am Untersberge bricht weißer und weißroͤthlicher Marmor, der unter dem Eiſen des Steinmetzen alle Geſtal - ten annimmt, die in der Baukunſt vorkom - men; aus dem aber der Meißel des Bildhau - ers nichts von Belang formen kann. Wenn man uͤbrigens in Salzburg ſo haͤufige Anlagen von Marmor findet, ſo iſt dies nicht mehr zu verwundern, als wenn man da, wo viel Zie - gelhuͤtten ſind, viel Haͤuſer von Backſtein fin - det; und vielleicht koͤmmt ein großes Haus, mit Marmor bekleidet, in Salzburg noch nicht ſo hoch zu ſtehen, als bei uns ein halb ſo großes von morſchen Ziegeln. In Abſicht des Haͤuſerbeſitzes hat Salzburg noch das beſondere, daß ſich oft vier Hausherren in einem einzi - gen befinden, deren jeder ein einzelnes Geſchoß,73 oder gar nur eine einzelne Wohnung (hier Boden genannt) erblich oder kaͤuflich an ſich gebracht hat. Wie dieſe vier Graͤnznachbarn, die alle, jeder in ſeinem Stockwerk, unum - ſchraͤnkte Herren ſind, ſich unter einander ver - tragen, beſonders ihre Ehehaͤlften, und ihre Maͤgde, wuͤrde ich allerdings auf dem Rath - hauſe erfahren haben, wenn ich bisher nicht vergeſſen haͤtte, mich dort danach zu erkun - digen.

Das Pflaſter der Stadt iſt nicht minder unbequem fuͤr Fußgaͤnger, als das zu Muͤn - chen. Es beſteht aus den groͤberen Steinge - ſchieben, die in dem Bette der Salza gefunden werden, und die, bey der Zuſammenſetzung, eine mannigfaltige Muſterkarte der Steinarten bilden, welche man in den umliegenden Ge - genden antrift. Einige Stellen um das Reſi - denzſchloß haben genau das Pflaſter von Wien, das aus behauenen Wuͤrfeln von Kalkſtein be - ſteht, und wahrſcheinlich nicht zu koſtbar fuͤr Salzburg ſelbſt ſeyn wuͤrde, wenn man die74 Kalkfelſen des Kapuzinerberges dazu benutzen wollte. Uebrigens iſt das Pflaſter ziemlich ſauber, theils, weil die Polizey daruͤber wacht, theils, weil beyde Haͤlften der Stadt nach der Salza zu abhaͤngig ſind, mithin durch den Regen abgewaſchen werden, theils, weil den Buͤrgern aufgegeben iſt, wenigſtens einmal woͤchentlich kehren zu laſſen, andere zu treffende Vorkehrungen ungerechnet. Die groͤßere Haͤlfte der Stadt, am linken Ufer der Salza, hat diesfalls noch eine Bequemlichkeit mehr, als die am rechten Ufer. Ein Bach, die Albe genannt, der durch und um den Moͤnchberg in zwey Armen in die Stadt gefuͤhrt iſt, be - ruͤhrt alle Gegenden der groͤßern Haͤlfte mit - telſt unterirrdiſcher Leitungen, verſorgt einige Muͤhlen, Brunnen und Schwemmen und kann, durch geoͤffnete Haͤhne, uͤber die Straßen und den etwa aufgehaͤuften Unrath hinweg geleitet werden. Die oͤffentlichen Brunnen, deren es acht, von weißem Marmor, mit geraͤumigen Becken, giebt, und viele andre Ziehbrunnen,75 gewaͤhren der Stadt einen Ueberfluß an Waſ - ſer, der ihr in Feuersnoͤthen und bey vielen andern Beduͤrfniſſen vortrefflich zu ſtatten koͤmmt. Ueberhaupt ſind, nach der gedruckten Feuerordnung zu ſchließen, auch die Feueran - ſtalten vortrefflich, und man erinnert ſich hier ſeit lange nicht mehr, daß die Flamme uͤber das zuerſt entzuͤndete Haus hinaus gegriffen haͤtte.

Die Unbequemlichkeit der hervorſpringenden Dachrinnen, welcher man ſonſt in den Staͤd - ten mit vermauerten Daͤchern ausgeſetzt iſt, fuͤhlt man in Salzburg nicht; indeß iſt es noch ſo lange nicht, daß ein fuͤrſtlicher Befehl dieſe Rinnen verbannte und das Traufenwaſſer ent - weder in Roͤhren an den Waͤnden der Haͤuſer herab, oder ſonſt wohin es die Anlage des Hauſes erlaubte, zu leiten befahl.

Die Stadt, mit Ausſchluß der drey Vor - ſtaͤdte, iſt, ſeit dem Regierungsantritte des ge - genwaͤrtigen Fuͤrſten, des Nachts erleuchtet.

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Ich faſſe noch einige Vorkehrungen der Poli - zey in der weiteſten Bedeutung zuſammen und theile einige Bemerkungen daruͤber mit.

Zur Sicherheit des Lebens und des Eigen - thums der Buͤrger, hat man ein wachſames Auge auf Landſtreicher, Bettler und andre un - beſchaͤftigte Leute. Jeder Gaſtwirth iſt ſtreng verbunden, die bey ihm einkehrenden Fremden zu melden; dienſtloſe Maͤgde und Bediente werden nicht lange geduldet; liederliche Haͤuſer koͤnnen ſich nicht erhalten, und vielleicht iſt jetzt kein einziges in Salzburg; auf die Verhehlung heimlicher Entbindungen iſt Geld - und Zucht - hausſtrafe geſetzt; vornehme Bettler werden an der Graͤnze abgewieſen; gemeine, wenn ſie tauglich ſind, an die oͤſterreichiſche Werbung ausgeliefert; Stadtbettlern ſieht man, aus Grundſaͤtzen, warum jeder geiſtliche Staat ſie ſchont, durch die Finger. Bey dem, ich moͤchte ſagen Ueberfluß an Verſorgungsanſtal - ten, die Salzburg einſchließt, und deren ich ſchon einige erwaͤhnt habe, wird man doch auf77 den Straßen oft genug angegangen, ungeachtet ſich jene Anſtalten uͤber jeden Stand, jedes Geſchlecht, Alter und Gebrechen ausbreiten. Außer den erwaͤhnten Johannes - und Dom - kapitel-Spitaͤlern, nehmen noch das Buͤr - gerſpital, das Stadtbruͤderhaus, das ſchon gedachte Leproſenhaus, und das La - zareth, Kranke auf, und fuͤr die Armen ſorgt das Fuͤrſtliche Allmoſenamt, der Buͤr - gerſaͤckel, die gemeine Stadtallmoſen - kaſſe, eine Stiftung fuͤr Hausarme, eine zweyte zur Ausſteurung armer Buͤrgermaͤdchen, eine dritte zu einem Ar - meninſtitut,*)Dieſe letztern drey Stiftungen ruͤhren von einem Manne her, der vielleicht alle Wohlthaͤter ihrer Vater - ſtaͤdte in neuern Zeiten uͤbertroffen hat, und deſſen Name uͤberall bekannt zu werden verdient. Er hieß Hafner von Imbachshauſen, war Großhaͤnd - ler, und ſtarb im Jahre 1787, ohne leibliche Erben, ferner die Studenten - buͤchſe, und endlich der Liebesbund an der Univerſitaͤt.

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Wie alle dieſe Stiftungen fuͤr die Armen und Huͤlfsbeduͤrftigen in einer Stadt, die kaum*)in ſeinem 31ſten Jahre. Laut ſeines letzten Willens erhielten alle Kranken - Armen - Schul - Erziehungs - und Verſorgungsanſtalten in Salzburg, die ſchon da waren, und einige andre, die noch errichtet werden ſollten, auch zwey der Nonnen - und drey der Moͤnchs - kloͤſter, in einzelnen Legaten, die Summe von Zwey Hundert Drey und Achtzig Tauſend Fuͤnf und Sie - benzig Reichsgulden. Das ſtaͤrkſte Legat war Drei - ßig Tauſend, das ſchwaͤchſte Ein Tauſend Gulden. Die Nonnen und Moͤnche bekamen, wie billig, jetzt die geringern, wie ſie ehedem die ſtaͤrkſten bekamen; die Armenanſtalten erhielten die hoͤchſten. Seinem geweſenen Geſinde, bis auf den Stalljungen herab, ſetzte er ein Kapital von Fuͤnf und Neunzig Tauſend Gulden aus. Seine Handlungsbedienten bekamen gegen Vierzehn Tauſend Gulden. Sein Schwager ward Univerſalerbe, mit der Verpflichtung, ſaͤmmtliche Le - gate, die in der Handlung ſtehen bleiben, zu drey vom Hundert jaͤhrlich zu verzinſen. Seine Schwe - ſtern und deren Kinder, ſein anderer Schwager und drey entferntere Verwandte in Tyrol, erhielten noch in einzelnen Vermaͤchtniſſen, von Hundert, Tauſend bis Vier Tauſend, die Summe von Dreymal Hun - dert und Vierzehn Tauſend Gulden!!79 16,000 Einwohner zaͤhlt, noch nicht hinreichend ſeyn koͤnnen, begreife ich nicht, da ich weiß, daß in manchen proteſtantiſchen Staͤdten, die, wie z. B. Berlin, eine zehnfach ſtaͤrkere Be - voͤlkerung haben, die Anzahl der Widmen und Haͤuſer zur Unterſtuͤtzung ihrer Armen nicht die Haͤlfte der in Salzburg befindlichen errei - chen.

Fuͤr die Erhaltung der oͤffentlichen Geſund - heit hat die Salzburgiſche Polizey durch die Errichtung eines Sanitaͤtskollegiums geſorgt, welches ein wachſames Auge auf die Apotheker und Hebammen hat, und ihre Kenntniſſe pruͤft und beſcheinigt. Wo ſich anſteckende Krank - heiten bey Menſchen und Vieh, und, was eben ſo ſchlimm iſt, Quackſalber und Univer - ſalmedicinen zeigen, da wird das Kollegium thaͤtig und trift Anſtalten dagegen.

Den angehenden Wundaͤrzten giebt Herr Hartenkeil freyen Unterricht in der Zerglie - derungs - und Wundarzneykunſt, ſo wie den Hebammen aus der Stadt und vom Lande,80 die ſich zum Unterrichte einzufinden gehalten ſind, in der Entbindungskunſt. Alle Wund - aͤrzte haben Vorſchriften, wie Verungluͤckte al - ler Art zu behandeln ſind, wenn noch Hoff - nung ſie zu retten uͤbrig iſt. Gegen die Gefahr, lebendig begraben zu werden, dient eine Ver - ordnung, keinen Leichnam vor acht und vierzig Stunden zu begraben. Die Todtenbeſchau verrichten dazu aufgeforderte Aerzte. Gegen den Biß toller Hunde, wie gegen den Miß - brauch in Haltung der Hunde, ſind ſchon ſehr alte, bis in die neueſten Zeiten wiederholte Vorkehrungen vorhanden.

Salzburg iſt mehr ſtill, als lebhaft. Straßen oder Staͤdte uͤberhaupt, in denen viel Pallaͤſte und Kirchen ſtehen, geben bekanntlich keinen belebten Anblick, oder doch nur zu gewiſſen Zeiten, z. B. wenn man zu Tiſche oder in die Komoͤdie faͤhrt, oder wenn man die Kirche be - ſucht, oder beſucht hat. Selbſt in den volk -reichſten81reichſten Staͤdten, iſt dies eine ganz natuͤrliche Erſcheinung. Man erinnere ſich an die Her - renſtraße in Vergleichung mit der Kaͤrnth - nerſtraße in Wien, an die Wilhelms - ſtraße verglichen mit der Koͤnigsſtraße in Berlin, an die Moritzſtraße verglichen mit der Schloßſtraße in Dresden, an St. James verglichen mit dem Strand in London, und an die Vorſtadt St. Germain verglichen mit dem Viertel des Palais Royal in Paris. In allen dieſen Staͤdten aber werden die ſtillen Gegenden durch die ge - raͤuſchvolien mehrfach erſetzt; ein Umſtand, der in Salzburg kaum merklich iſt. Koͤmmt dies vielleicht daher, daß in Salzburg faſt keine Straße iſt, die nicht Pallaͤſte oder Kirchen aufzuweiſen haͤtte, welche die Buͤrgerhaͤuſer gleichſam herausdruͤckten? Oder hat dieſe Stadt ſchon wirklich Mangel an Buͤrgern, weil ſie Mangel an Erwerbsquellen, und an natuͤrli - chem Platze hat? Das letztere macht der Umſtand mit den drey bis vier Beſitzern EinesSechstes Heft. F82Hauſes wahrſcheinlich; das mittlere iſt durch die Menge von Verſorgungsanſtalten erwieſen; und uͤber das erſtere laſſen die vielen Pallaͤſte, Kirchen, Kurien und Kloͤſter, die noch dazu meiſt groß und praͤchtig ſind, kaum einen Zweifel.

Unter dem Erzbiſchof Wolf Dietrich waren Land und Stadt Salzburg in hoͤchſter Bluͤthe; dieſe fiel unter eben dieſem Fuͤrſten auch ab, und der Stamm hat ſich noch nicht wieder erholt, iſt vielmehr immer noch im Hinſchwinden. Eine allgemeine Verbannung der Juden, die zwiſchen der Mitte des Vier - zehnten und dem Ende des Funfzehnten Jahr - hunderts wiederholt befohlen wurde, legte den Grund zur Entvoͤlkerung; Religionsbedruͤckun - gen, welche die wohlhabendern und thaͤtigern Buͤrger erfuhren, drangen um eben die Zeit ei - nen großen Theil der beſten Kaufmannsfamilien, und mit ihnen Kunſtfleiß und Gewerbe, auszu - wandern; ein doppelter fuͤrchterlicher Bauern - aufruhr, eben daher entſtanden, hatte gleiche83 Folgen, und koſtete, wie man behauptet, die nachherigen Ketzerverfolgungen dazu gerechnet, dem Lande gegen funfzehn tauſend der nuͤtzlich - ſten Unterthanen; zu Anfange dieſes Jahrhun - derts verjagten die Religionskommiſſionen aber - mals Tauſende von Menſchen; und endlich im erſten Drittel deſſelben (in den Jahren 1732 33) erfolgte die letzte und unerſetzlichſte al - ler dieſer Auswanderungen, durch welche Salz - burg uͤber dreißig tauſend wackere Staatsbuͤr - ger verlor, von denen Preußen an zwanzig tauſend, andre Proteſtantiſche Laͤnder und Staͤdte an zehn tauſend, und Amerika den Reſt mit offenen Armen empfing. Man kann den Erzbiſchof, unter dem dies geſchah, durch Verſchweigung ſeines Namens nicht ſchonen. War ihm der Beyname Excelſus, den er von dem hoͤchſterfreuten Heil. Vater fuͤr die Verjagung ſeiner Kinder erhielt, bey ſeinen Lebzeiten ſchmeichelhaft, ſo mag ihm der, den er als Erzbiſchof fuͤhrte (denn nur als ſolcher handelte er ſo ) ſo mag ihm Leopold -F 284Anton bey der Nachwelt ſo viel Ehre bringen, als er kann der edle und veredelte Name der Freyherren von Firmian, aus deren Familie er war, bleibt durch ganz entgegenge - ſetzte Thaten vollkommen gedeckt.

Uebrigens iſt es troͤſtlich fuͤr die Menſch - heit, daß auf demſelben Stuhle, worauf jener Erzbiſchof afterglaͤubiſch ras'te, gegenwaͤrtig ein anderer waltet, der in jeder Ruͤckſicht das Gegentheil von ihm iſt, ſeine moraliſchen und politiſchen Fehler misbilligt und dies oͤffentlich dadurch bekennt, daß er dem Munde der Wahr - heit in ſeiner eigenen Hauptſtadt ſo uͤber dieſen Gegenſtand zu ſprechen und zu ſchreiben er - laubt, wie es der neueſte Beſchreiber von Salzburg gethan hat. *)Vergleiche Huͤbners Beſchreibung von Salzburg. Th. II. S. 8. fg.

Der Verluſt indeſſen, den Land und Stadt Salzburg erlitten haben, iſt noch nicht erſetzt, vielleicht vor der Hand unerſetzlich. Nach den85 neueſten Berechnungen hatte Salzburg vor 20 Jahren, auf 240 Geviertmeilen, 220,000 Men - ſchen, jetzt hat es nur noch etwa 200,000, macht die ſehr geringe Anzahl von 833⅓ Koͤp - fen fuͤr ſolch eine Meile. Die Hauptſtadt ſelbſt, ihre Vorſtaͤdte und was innerhalb des Stadtburgfriedens liegt, mag 15 bis 16,000 Seelen enthalten. Auch ihre Bevoͤlkerung iſt in Abnahme, was hier nicht weitlaͤufig be - wieſen werden kann. *)Vergl. aber loc. cit. S. 82. fg.

Das geſellſchaftliche Verkehr kann in keiner Stadt lebhaft und mannichfaltig ſeyn, deren Einwohnerſchaft durch mehrere Kluͤfte der Geburt, des Standes und des Gewerbes getrennt wird. In Salzburg ſind dieſe Kluͤfte haͤufiger und merklicher, als in irgend einer andern deutſchen Hauptſtadt.

Der alte Adel muß natuͤrlich hier ſehr wich - tig ſeyn, da der Fuͤrſt und Erzbiſchof ſelbſt ſeine Stelle nicht bekleidete, wenn er nicht86 von alter adelicher Abkunft waͤre, und da alle die, welche Pfruͤndner des Staats und Kom - petenten des Erzbisthums und der Fuͤrſtenſchaft ſind, (ich meyne die Mitglieder des Domkapi - tels, das jetzt wirklich aus acht Fuͤrſten und ſechszehn Grafen beſteht) ihre Einkuͤnfte, ihren Rang und ihre Anſpruͤche davon ableiten. Fuͤrſt und Domkapitel bilden alſo die erſte und hoͤchſte Klaſſe im Staate ſowohl, als in der Stadt Salzburg.

An dieſe Klaſſe ſchließt ſich, als die zweyte, der hohe Adel, der aus mehreren Graͤflichen und Freyherrlichen Familien und einzelnen Per - ſonen beſtehet, die zu ſolchen Familien gehoͤ - ren. Erſtre wie letztre ſind haͤufig in Dienſten des Fuͤrſten, und bekleiden die hervorſtechendſten Stellen im Hofſtaate. Dieſer Adel iſt, nach dem Domkapitel, der natuͤrliche Geſellſchafter des Fuͤrſten; doch wird auch zu den Verſamm - lungen bey Hofe, zu Koncerten und Tafeln, das Offizierkorps bis zu einer gewiſſen Stufe herab, eingeladen.

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Die dritte Klaſſe bilden diejenigen Mitglie - der des Landadels, die ſich in der Haupt - ſtadt befinden und dort Stellen bekleiden. Da in denſelben auch Subjekte, die nur erſt ſeit funfzig Jahren adelich ſind, aufgenommen werden koͤnnen, ſo ſtellt ihn dies in eine ziem - liche Entfernung von dem Domkapitel und dem hohen Adel.

Die Geiſtlichkeit bildet abermals eine Klaſſe fuͤr ſich, die ſich in zwey Haͤlften, in die ſekulare und regulare, theilet. Was in der letztern Gelehrſamkeit liebt, haͤlt ſich, im ge - ſellſchaftlichen Verkehr, zu den Lehrern an der Univerſitaͤt, ſo wie dieſe wiederum mit der Klaſſe der fuͤrſtlichen Beamten zweyter Ord - nung, und dieſe mit der Klaſſe der reichen und wohlhabenden Geſchaͤfts - und Handels - leute zuſammen hangen. Die Beſitzer der ge - ringern Lehr - und Dienſtſtellen halten ſich haͤufig an die wohlhabenden Buͤrger und Handwerker.

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Die Hoͤfe unverheiratheter Fuͤrſten ſind ge - woͤhnlich nicht die Schauplaͤtze glaͤnzender und anziehender Unterhaltungen, weil an denſelben das weibliche Geſchlecht, wo nicht ganz fehlt, doch wenigſtens in einer gewiſſen bedruͤckten Lage ſich befindet, weil es keine Anfuͤhrerin und Tongeberin an der regierenden Fuͤrſtin hat, und unter ſich zu republikaniſch denkt, als daß es eine ſolche aus ſeinem eigenen Mit - tel ausdruͤcklich und einmuͤthig waͤhlen oder ſich gefallen laſſen ſollte. Es ſind zwar trotz dem gewoͤhnlich zwey oder drey da, welche die vor - derſten Stellen einnehmen; aber ſie bekommen keine andre Gewißheit daruͤber, als die, wel - che etwa darin liegt, daß ſie ihre Huͤte, Hau - ben, Mienen ꝛc. nachgemacht ſehen, und daß ſie trotz dem unter ihrem Cirkel keine Freun - din haben. Ein unverheiratheter weltlicher Fuͤrſt kann noch durch ein anderes Mittel die - ſen Schwarm zuſammen halten; er waͤhlt ſich eine Herzenskoͤnigin; aber ein geiſtlicher Fuͤrſt, dem eine erlaubte Ehe nicht erlaubt iſt,89 darf, oder ſollte wenigſtens nicht duͤrfen, eine unerlaubte eingehen. Letztres iſt indeſſen nicht ohne Beyſpiel in der Geſchichte des Erzſtifts Salzburg, denn Wolf Dietrich hielt ſich fuͤr die Augenblicke, wo er auf Koſten des Erzbiſchofs Menſch ſeyn wollte, eine ſchoͤne Salzburgerin, aus der Familie Alt, mit der er zwey oder drey leibliche Kinder hatte; der zu Ehren er das Sommerſchloß Altenau (das jetzige Mirabelle) anlegte, und die er, als es fertig war, ohne Scheu und Hehl, mit - ten aus einer anſehnlichen Hochzeitsfeyer von dem großen Saale des Rathhauſes, oͤffentlich ab - holen ließ, um ſie gleichſam mit jenem Schloſſe zu belohnen. Der jetzige Fuͤrſt weiß beſſer, was ſeinen Stand aufrecht erhalten hilft. Dinge thun, die gewoͤhnlichen Menſchen ſchwer oder unmoͤglich ſind, heißt ihre Achtung und Ehrfurcht erobern. Von dieſer Seite hat er denn auch die ganze Ehrfurcht ſeiner Unter - thanen; und wenn dieſe nicht wuͤßten, daß er ſeine Geluͤbde als Geiſtlicher eben ſo gewiſſen -90 haft ausuͤbt, wie er als Menſch und als Fuͤrſt ſeine Pflichten zu erfuͤllen ſtrebt, in der That, die vielen Veraͤnderungen, die er im Kir - chengebrauch, mithin, wie das Volk es nennt, im Glauben, und in der Landes - verfaſſung, wie das Kapitel und die Landſchaft die Zuruͤckforderung ſeiner Fuͤrſtenrechte nennen, entworfen und durch - geſetzt hat, wuͤrden nicht ſo ruhig aufgenom - men worden ſeyn und die Moͤnche, und ſelbſt manche alte chriſtkatholiſche Haͤupter im Domkapitel, wuͤrden mit mehr Eifer und Gluͤck dagegen gearbeitet haben. Aber er hat keine Maͤtreſſe und keinen Favoriten. Man leſe anderswo nach, wie es Wolf Dietri - che ging, der beydes hatte.

Die Verſammlungen bey Hofe ſind dem - nach nicht haͤufig und, weil es ihnen an der Seele ſolcher Geſellſchaften, an der Galanterie fehlt, auch nicht unterhaltend. Dazu koͤmmt, daß ſie groͤßtentheils aus Mitgliedern beſtehen, die ebenfalls das Geluͤbde der Keuſchheit ab -91 gelegt haben, ich meyne aus Domherren; und daß dieſe ohnehin der groͤßern Zahl nach, jetzt alte Maͤnner ſind, die vielleicht ſchon in fruͤ - hern Jahren Gelegenheit hatten, die froͤhlichen Kuͤnſte ſo zu uͤben, daß ſie jetzt daruͤber hin - aus ſeyn koͤnnen. In der That, die groͤßere Haͤlfte des Domkapitels, (Vierzehn Mitglieder) zaͤhlt 50 bis 83, und nur Zehn andere zaͤhlen 21 bis 50 Lebensjahre. Eben ſo ſind auch die meiſten Damen des hohen Adels uͤber die Jahre der Schoͤnheit, der Freude, und der guten Laune hinaus. Uebrigens giebt der Hof woͤchentlich dreymal eine Verſammlung zum Spiel oder Konzert, und an Feſt - oder andern feyerlichen Tagen große Tafel. Bey den Konzerten ſpielt der Fuͤrſt, als Liebhaber der Muſik, die Geige. Sein zweytes Privatver - gnuͤgen iſt ausſchließend die Jagd. Seine Ar - beitsſtunden nehmen die Geſchaͤfte ein, und Ne - benſtunden fuͤllt er mit Lektuͤre aus.

Oeffentliche ſtehende Vergnuͤgungen, die das ganze Publikum zuſammen fuͤhrten, z.92 B. Opern und Komoͤdien, giebt es in Salz - burg nicht. Nur von Zeit zu Zeit kommen etwa Engliſche Bereuter, denen die Som - merreitſchule, und fahrende Schauſpieler, denen das ſogenannte Ballhaus eingeraͤumt wird, hieher. Die Spatziergaͤnge außerhalb der Stadt, die zum Theil ſo ſchoͤn ſind, daß andre Staͤdte ſie mit Gold aufwiegen wuͤrden, werden nur von den mittlern und geringern Klaſſen (von letztern nur an Sonn - und Feſt - tagen) beſucht; die andern innerhalb der Stadt, wie die Bruͤcke, und der Garten von Mira - belle, faſſen nur eine kleine Menſchenzahl und der Moͤnchberg, der alle Eigenſchaften eines angenehmen Spatzierganges hat, wird unge - buͤhrlich vernachlaͤßiget. Eine Urſache von der Leerheit der Spatziergaͤnge iſt wohl mit die, daß viele Beamten - und Buͤrgerfamilien ihre uͤbrige Zeit auf den Sommerſitzen, in den Hoͤ - fen und Gaͤrten, die ſie um Salzburg beſitzen, zubringen, und daß der Fuͤrſt mit einem Theile ſeines Hofſtaats auf einem ſeiner Luſtſchloͤſſer,93 ſo wie der Adel auf ſeinen naͤhern oder ent - ferntern Guͤtern, den Sommer uͤber zu leben pflegt.

Das einfache und eingezogene Leben des Fuͤrſten ſelbſt ſcheint viel Einfluß auf die Le - bensweiſe der Salzburger zu haben; gewiß iſt es aber, daß er Freude und Frohſinn an ſei - nen Unterthanen wohl leiden mag, und beydes nie durch kopfhaͤngeriſche Verordnungen, wie ſein Vorfahr, gelaͤhmt hat.

Auch ſcheinen die Salzburger aller Klaſſen Hang genug zum Lebensgenuſſe zu haben, nur mag der gegenwaͤrtige Ton und der auch hier geſtiegene Preis aller Dinge demſelben gewiſſe Schranken ſetzen. Außer dem hohen geiſtlichen Adel, der ſehr wohlhabend iſt, außer fuͤnf oder ſechs reichen buͤrgerlichen Haͤuſern, moͤgen wohl wenige unter den beſtaͤndigen Bewohnern von Salzburg im Stande ſeyn, den Aufwand eines offenen oder auch nur zwey oder drey - mal woͤchentlich geoͤfneten Hauſes zu beſtrei - ten. Diejenigen vom Adel (und deren ſind die94 meiſten) die bloß von Beſoldungen, oder gar nur von Hofjahrgeldern, leben, ſind verbun - den, genau zu wirthſchaften, um nur maͤßige Beduͤrfniſſe zu befriedigen; die Beamten buͤr - gerlichen Standes, die bey den verſchiedenen Staatsſtellen angebracht ſind, haben wegen der Kaͤrglichkeit ihres Gehalts, der nach dem alten Zehrzuſchnitt gemacht iſt, ebenfalls große Noth auszureichen; und nicht beſſer geht es den Lehrern an der Univerſitaͤt und an andern wiſſenſchaftlichen Inſtituten. Da Salzburg keinen thaͤtigen Handel treibt, nur wenig Fa - briken und Manufakturen hat, und die da ſind, ſich in den Haͤnden ſchon ſonſt wohlhabender Geſchaͤftsleute befinden, ſo beſchraͤnkt die zweyte und dritte Klaſſe der Handelsleute ſich ganz auf Kraͤmerey, die nur innerhalb der Mauern der Stadt ihre Geſchaͤfte macht, und nur durch Arbeitſamkeit und Sparſamkeit zu etwas kom - men kann. Der Handwerker endlich, hat hier, wie uͤberall, nur aus der Hand in den Mund, beſucht aber doch, nach ſeiner Weiſe, nebſt den95 an ihn graͤnzenden Klaſſen nach oben zu, die Bier - und Weinſchenken in und vor der Stadt noch am meiſten. Die Anzahl dieſer Hand - werker iſt auch, nach Verhaͤltniß der Bevoͤlke - rung der Stadt, ſehr geringe, und nur die aller unentbehrlichſten ſind in noͤthiger Zahl vorhanden: ein Beweis, daß die Einwohner eine Menge Beduͤrfniſſe aus der Fremde zie - hen und viel Geld außer Landes ſchicken, wel - ches ſie durch einheimiſche Thaͤtigkeit unter ſich ſelbſt in Umtrieb erhalten koͤnnten. So iſt z. B nur Ein Buͤchſenſchaͤfter, Ein Tuch - ſcheerer, Ein Goldſchlaͤger, Ein Strumpf - wirker, Ein Leinwanddrucker; ſo ſind nur Zwey Knopfmacher, Drey Faͤrber, Drey Sattler, und Vier Seifenſieder in ganz Salzburg vorhanden; wie koͤnnen dieſe fuͤr eine Volksmenge von Sechszehntauſend Koͤpfen hin - laͤnglich ſeyn? Mit den uͤbrigen Handwerkern verhaͤlt es ſich nicht anders. Nur diejenigen Gewerbe und Handthierungen, die fuͤr Eſſen und Trinken arbeiten, ſind zahlreicher. Man96 zaͤhlt naͤmlich Neunzehn Fleiſchhacker, Neun - zehn Weiß - und Fuͤnf Schwarzbaͤcker, meh - rere Kuchen, Lebzelten (Honigkuchen) Zucker - Krapfen - (Schmalzkuchen) - Baͤcker, Zwoͤlf Bierbrauer, Vier Bierhaͤuſer und Sechs - zehn Weinwirthe in Salzburg.

Die Mode zeigt ſich hier nicht in der neue - ſten Geſtalt. Das weibliche Geſchlecht der hoͤhern und zunaͤchſt angraͤnzenden Staͤnde be - koͤmmt ſeine Neuigkeiten aus Muͤnchen oder aus Wien, das maͤnnliche die ſeinigen erſt ſpaͤt mit dem allgemeinen Gebrauche. Was man jenen als etwas Neues zuſchickt, iſt in den gedachten Staͤdten, waͤhrend der Ueber - ſchickung, ſchon alt geworden, und eine Men - ge dahin gehoͤriger Erfindungen ſieht man in dem hieſigen weiblichen Publikum entweder gar nicht, oder ſie pflanzen ſich wenigſtens nicht fort, weil es an geſellſchaftlichen Mittelpunkten, wo ſo etwas allgemein bemerkt wuͤrde, fehlet. Was die Moden fuͤr Maͤnner betrift, ſo muͤſ - ſen dieſe allerdings noch weiter zuruͤck bleiben;denn97denn der Erzbiſchof und der geiſtliche Adel hat ſeine beſtimmte Kleidung, die von der Mode unabhaͤngig iſt, und hofverwandte Perſonen weltlichen Standes, haben, wie das Militare, ihre Uniform. Unter den weltlichen Perſonen des Buͤrgerſtandes koͤnnen nur die juͤngern Ne - gotianten und ihre Frauen den Ton in der Mode angeben; vielleicht auch einige Beamten in den Kollegien, die nicht zu den Alten und gar zu gering Beſoldeten gehoͤren; und dies geſchieht auch zum Theil; aber alle uͤbrigen laſſen es beym Alten. Bey dieſen zeigt ſich ein gewiſſer altdeutſcher Zuſchnitt in der Klei - dung beyder Geſchlechter, doch mehr noch bey dem weiblichen, als dem maͤnnlichen. Haben die Maͤnner irgend eine geringe Hof - oder Staatsſtelle, ſo zeigen ſie ſich grade in dem Geſchmack gekleidet, wie dieſelbe Klaſſe in Muͤnchen und Dresden, naͤmlich in einem Rocke mit kurzem Schnitt und breiten Schoͤſ - ſen, den platten Hut unter dem Arm, den kurzen Degen an der Seite, mit einem altmo -Sechstes Heft. G98diſchen Haarputz und einem ſpaniſchen Rohre; aber dieſes veralteten Glanzes ungeachtet ſchaͤ - men ſie ſich nicht, ihren Ehehaͤlften, die ganz altbuͤrgerlich gekleidet ſind, und in einem kur - zen Kamiſol von Seide oder Zitz, mit drey kurzen Roͤcken uͤber einander, die gewoͤhnliche Salzburgiſche gehoͤrnte Haube von ſchwarzen Flor, oder was es ſonſt ſeyn mag, auf dem Kopf einherſchreiten, den Arm zu geben und mit ihnen ſpatzieren zu gehen. Das Aeußere dieſer Klaſſen iſt uͤbrigens gutmuͤthig, beſchei - den, ernſthaft, ruhig und bedaͤchtig; und dieſe Zuͤge ſcheinen mir in der That den Charakter des eigentlichen Salzburgers zu bilden.

Die Salzburger, die vor nicht langer Zeit wegen ihrer Unduldſamkeit in uͤbelem Rufe ſtanden, verdienen nun ganz davon losgeſpro - chen zu werden. Sie verdanken auch dies, wie ſo vieles andre, dem jetzt regierenden Fuͤrſten. Er ſelbſt gab die Loſung zu einer beſſern Ein - ſicht in das Weſentliche der Religion, indem er eine Menge aberglaͤubiſcher Gebraͤuche ab -99 ſchaffte, und vorzuͤglich den Einfluß der Moͤn - che auf die Gemuͤther der Schwachen jedes Standes, ſo wie ihre Anzahl, verminderte. Sein Hirtenbrief vom Jahre 1782, deſſen Verfaſſer der Oberkonſiſtorialkanzler, Hr. Boͤ - nike, iſt, ſteht in den aufgeklaͤrtern Theilen von Deutſchland noch im beſten Andenken, und hat auch auf die weniger aufgeklaͤrten, die ihn anfangs verketzerten, gleichſam heimlich gewirkt, wie manche, auch dort vorgenommene, Veraͤn - derung beweiſet. Seit jener Zeit ſind Gewiſ - ſens - Denk - und Preßfreyheit in Salzburg ſo emporgekommen, daß dieſe Stadt mehrere groͤßere Reſidenzen in Deutſchland darin be - ſchaͤmt. Die Wiſſenſchaften haben einen frey - ern Schwung genommen, und das Verzeichniß Salzburgiſcher Schriftſteller, die in ihren Faͤ - chern gut oder vortreflich gearbeitet haben, iſt, wie das Verzeichniß von Kuͤnſtlern, ſehr zahl - reich. Bey der immer mehr ſteigenden Liebe zu den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten vermehrt ſich auch die Anzahl von Sammlungen allerG 2100Art, die zu deren Umtrieb gehoͤren und Bi - bliotheken, Naturalienkabinetter, (beſonders fuͤr das Steinreich) Gemaͤldegallerien und viele andre Vorraͤthe fuͤr andre Faͤcher, unterhalten hier die Neu - und Lehrbegier der Fremden auf eine mannigfaltige Weiſe.

Den letzten Tag meines Aufenthalts in Salzburg brachte ich mit einer Ausflucht nach Eigen, Hellebrunn und Hallein zu.

Nach Eigen, einer ſehr anziehenden An - lage, die dem Erblandmarſchall, Grafen von Lodron, gehoͤrt, gelangt man auf dem Wege, der durch die Vorſtadt Stein, zwiſchen der Salza und dem Kapuzinerberge, neben der großen Lederfabrik und dem Schloſſe Elſenheim hin in das Freye auf dem hohen Griesberg zu, fuͤhrt. Dieſer Weg iſt, wenn man jene Vor - ſtadt hinter ſich hat, nicht unangenehm, und zieht ſich naͤher oder entfernter vor Luſthaͤuſern, Hoͤfchen und einer Anzahl anderer Gebaͤude vorbey, die ſich bis an den fruchtbaren Fuß jenes, in ſeinen uͤbrigen Theilen hoͤchſt unwirth -101 baren Felſens, erſtrecken. Ein Nebenweg fuͤhrt endlich von dieſer Straße ab nach dem ge - dachten Eigen.

Natur und Kunſt haben gewetteifert, die - ſen reitzenden Ort auszuſtatten. Seine Lage am Fuße des gedachten Felſens, von Waldun - gen begraͤnzt, und, hoͤher hinauf, von Wieſen und Saatfeldern und dazwiſchen geſtreuten Bauerwohnungen und Alpenhuͤtten umgeben, bot der Kunſt verſchoͤnernde Gedanken wie von ſelbſt dar, und dieſe ergoſſen ſich in mancher - ley kleineren und groͤßeren Anlagen, in kuͤnſtli - chen Hainen, Baumgaͤngen, Raſenplaͤtzen, Al - taͤren, Inſchriften, Pavillons, Ruhebaͤnken, Durchſchlaͤgen zum Behuf ſchoͤner Ausſichten, Springbrunnen und vielen andern aͤhnlichen Verzierungen.

Gleich voran erhebt ſich eine Kirche, von einem Kirchhofe umgeben, die, wenn man ſie mit in den Umkreis dieſes Luſtorts ziehen will, keine muͤßige Wirkung thut. Hinter derſelben erhebt ſich das Schloß Eigen in vier102 Geſchoſſen, mit einem daran gehaͤngten niedri - gern Fluͤgel. Links neben demſelben nehmen die verſchiedenen Luſtgaͤnge ihren Anfang, und ich durchwanderte ſie, einen nach dem andern, vielleicht ein wenig eilig, weil ich an dieſem Tage noch Hallein und Hellebrunn ſehen wollte, aber nicht ohne einen ſehr angenehmen Genuß, den ein ſchoͤner Morgen erhoͤhete. Zu - erſt beſtieg ich einen maͤßigen Huͤgel, der mit einem Waͤldchen beſetzt war, worin dichte Baumgaͤnge, Raſenbaͤnke, Luſthaͤuschen ꝛc. ſich befanden; und auf deſſen Gipfel man einen Altar, der Freundſchaft gewidmet, angebracht hatte, welcher dieſem Huͤgel den Namen des Freundſchaftshuͤgels gegeben hat. Bey einer Meyerey, die in der Naͤhe liegt, trat ich in eine Doppelreihe von Fruchtbaͤumen, die den Berg hinan fuͤhrte. Ich ſah mich bald zwiſchen einem artigen, mit Blaͤttern durchwirkten, Gitterwerke, in deſſen Mitte das Bruſtbild Anakreons, von klarem Quell - waſſer in einem Becken umfloſſen, aufgeſtellt103 war. Von da ſtieg ich den Berg weiter hin - an, zu einer großen Felſenhoͤhle, die zwiſchen aufgethuͤrmten Steinbloͤcken von der Natur gebildet und durch die Kunſt zu einer Einſie - deley eingerichtet iſt. Eine Bruͤcke uͤber eine Schlucht, in welcher ein natuͤrliches Waſſer herabrauſcht, ein kleiner Garten, ein Heerd und ein Ziehbrunnen gehoͤren zu der Wirth - ſchaft des frommen Mannes, der, wie man voraus ſetzen muß, hier wohnet. Er hat al - lerdings vortrefflich gewaͤhlt, und ſein Wohn - platz daͤuchte mir der anziehendſte Fleck der ge - ſammten Anlage, beſonders da er mit einer Menge kleiner Verſchoͤnerungen, z. B. mit einem Grabhuͤgel, worauf eine Urne ſteht, ei - nem Felſengange mit Ruheplaͤtzen, und andern dieſer Art, mannichfaltig umgeben iſt. Etwas hoͤher hinauf gelangte ich, mittelſt eines Durch - ſchlags durch einen Felſen, in ein artiges Berg - thal, mit Ruheſitzen aller Art verſehen, von welchem aus das Auge die mannichfaltigſten Ausſichten uͤber das Thal der Salza, uͤber104 beyde Haͤlften der Stadt und die angraͤnzen - den bunten Gegenden umſpannen kann. Zu meinen Fuͤßen erblickte ich einen Garten, deſ - ſen Lage und Aufputz mir auffielen und den ich zu ſehen wuͤnſchte. Ich erfuhr von meinem Begleiter, daß er mit zu Eigen gehoͤre, weil ihn der Beſitzer des letztern vor kurzem dazu gekauft habe; und er fuͤhrte mich den Berg hinunter, uͤber eine Bruͤcke, in denſelben. Es iſt wahr, man haͤtte dieſen nicht großen Platz kaum artiger und mannichfacher benutzen koͤn - nen. Sein Lokal iſt uneben und man muß haͤufig hinauf und herabſteigen, aber jeder Punkt bietet eine neue kleine Anlage dar. Bald ſtoͤßt man auf eine Einſiedlerklauſe, bald auf ein Luſtwaͤldchen, bald auf eine Erhoͤhung mit Weinſtoͤcken beſetzt, bald auf einen Waſ - ſerfall, bald auf ein Bauerhaͤuschen, das mit Geſchmack ausgeziert iſt, bald wiederum auf ein Blumenbeet, auf kuͤnſtliche Truͤmmer, Lau - ben, Treibhaͤuſer, auf einen Thurm und einen Grabhuͤgel mit einem Worte, die Kunſt105 der Gartenverzierung hat hier mit moͤglichſter Erfindungskraft verarbeitet, was ihr die Na - tur darbot.

Dieſer Garten, verbunden mit den uͤbrigen Anlagen von Eigen, hat auf mich einen Ein - druck gemacht, der nicht leicht wieder aus mei - ner Einbildungskraft verſchwinden wird, und vielleicht werden Reiſende, ſelbſt durch den magern Abriß, den ſie hier leſen, begierig ge - nug gemacht werden, von ihrem Aufenthalt in Salzburg einen Tag dieſem ſchoͤnen Orte zu ſchenken. Den ſinnlichern darunter kann ich zu ihrem Troſte ſagen, daß ſie, nicht weit da - von, im Stanzinger Hof, fuͤr jede Tages - zeit, die noͤthigen Erfriſchungen finden koͤnnen. Noch vor kurzem war zu Eigen ſelbſt ein vortreflich beſetztes Wirthshaus, mit Baͤdern verbunden, die ihres Waſſers wegen in Ruf ſtanden; jenes hat aber aufgehoͤrt und dieſe ſind nicht mehr oͤffentlich, da der gegenwaͤrtige Beſitzer Schloß und Anlagen zu ſeinem eigenen Gebrauche beſtimmt hat.

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Ich fuhr den Seitenweg, der mich von der Straße ab nach Eigen gefuͤhrt hatte, zu - ruͤck, und kam wieder auf letztre, die mich zu dem gedachten Stanzinger Hof brachte, wo ich ein vortrefliches Fruͤhſtuͤck fand, und zu - gleich Gelegenheit hatte, den Muth meines Fuhrmanns anzufeuern. Er hatte, im Ange - ſicht dieſes Hauſes, Zweifel daruͤber bekommen, ob ſeine Pferde wohl die Reiſe uͤber Hellebrunn nach Hallein aushalten, beſonders aber, (und dieſer Zweifel fing an, auch mich ein wenig zu beunruhigen) ob wir gluͤcklich uͤber die Salza kommen wuͤrden, durch die wir, auf dem We - ge, den wir nahmen, ſetzen mußten. Ich glaubte aber den Schalk zu verſtehen und ließ eine kleine Strecke vom Wege ab zu dem er - waͤhnten Wirthshauſe fahren, und ploͤtzlich ging eine freundliche Sonne in ſeinen Ge - ſichtszuͤgen auf. Waͤhrend der Kellner fuͤr mich ſorgte, hatte er auch fuͤr den Kutſcher und Lohnbedienten geſorgt, und beyde hatten beſchloſſen, daß die Pferde nun nicht matt107 werden und die Wellen der Salza mich nicht verſchlingen ſollten. Dies kuͤndigte mir denn auch der Kutſcher mit einigen Ausfluͤchten we - gen ſeiner vorigen Zweifel an; wir fuhren wei - ter und kamen ſehr wohlbehalten uͤber den Fluß nach Hellebrunn.

Ich wollte anfangs dieſes Luſtſchloß mit ſeinen, zum Theil ſehr romantiſchen, Umge - bungen, ſogleich beſehen, aber nach einer rei - fern Ueberlegung ward ich ſchluͤßig, ohne Aufenthalt weiter nach Hallein zu fahren, das nur etwa zwey kleine Stunden entfernt liegt. Man gelangt dahin durch ein hoͤchſt mannich - faltiges Thal, das die Natur mit ihren ſanf - tern oder wildern Schoͤnheiten freygebig be - ſchenkt hat. Der Weg, der an dem linken Ufer der Salza hinlaͤuft, iſt, wie dieſer Fluß ſelbſt, bald enger bald geraͤumiger von zwey Reihen von Felſen eingeſchloſſen, deren obere Theile nur ſchroff und duͤrre, deren untere und mittlere hingegen mit Waldigt von Nadel - und Laubholz beſetzt ſind, zwiſchen denen von108 Strecke zu Strecke, bald kleine Kornfelder ſich zeigen, bald einzelne hoch in die Luft empor - ſtrebende Felſenwaͤnde auf ihren abhaͤngigen Grundlagen da ſtehen. Nachdem ich unter ſolchen Erſcheinungen etwas uͤber anderthalb Stunden hingefahren war, ſah ich mich vor dem Thore von Hallein.

Hallein iſt klein, enge und alt, und nicht merkwuͤrdig als Stadt, ſondern als Kuͤche des unentbehrlichen Beduͤrfniſſes, das die Na - tur in einem benachbarten Berge roh zuberei - tet. Dieſer Berg heißt der Duͤrrenberg und ragt ſuͤdweſtlich uͤber die Stadt empor.

Man fuhr mich in einen Gaſthof auf dem engen Markte. In Salzburg hatte ich mir einen Erlaubnißſchein verſchaft, die Salzwerke zu ſehen; dieſen ſchickte ich ſogleich in das Pflegeamt, damit dem Bergmeiſter meine An - kunft und meine Abſicht bekannt gemacht wuͤrde. Der Wirth verſicherte mir, die - ſes Geſchaͤft wuͤrde uͤber zwey Stunden dau - ern, mithin wuͤrde ich wohl thun ſetzte109 mein Lohnbedienter hinzu: wenn ich vorher ein paar Biſſel zu mir naͤhme. Hier galt keine Ausflucht! Der eine wollte mich ſo gern bewirthen, der andre mir ſo gern bey Tiſche aufwarten, und es war Eilf Uhr! Ich war gezwungen, ſchon wieder hungrig zu ſeyn.

Nach Tiſche trat ich die Reiſe auf den Berg an. Man reitet oder faͤhrt gewoͤhnlich hinauf, und bedient ſich dazu eines alten frommen Roſ - ſes, oder eines Schlittens, auf welchem man ſich uͤber den Knitteldamm, womit der Weg belegt iſt, hinweg ſchleifen laͤßt. Beyde Arten des Fortkommens gefielen mir nicht. Ich waͤhlte eine dritte, ſtieg auf meinen Fuͤßen hinan und ließ den Schlitten hinter mir herkommen, fuͤr den Fall, daß ich uͤbermaͤßig muͤde wuͤrde. Ich fand ihn aber voͤllig unnoͤthig, da der Weg weder zu lang, noch zu ſteil, noch zu rauh war.

Die Reiſe ſelbſt wird durch die große Ab - wechslung, die der Weg dem Auge gewaͤhrt,110 ſehr anziehend. Wohin man ſich auch wendet, hat man eine neue Ausſicht. Vor ſich hat man den Berg, der bald mit Gehoͤlz, bald mit Kornfeldern, bald mit Wieſen beſetzt iſt. Rechts thuͤrmen ſich Felſen auf, von denen ein Stroͤmchen herabrauſcht; links fallen tiefe Thaͤler hinein, welche eine weitlaͤuftige Ausſicht uͤber die benachbarten, niedrigern Berge oͤffnen. Hinter ſich hat man die ganze Stadt zu ſei - nen Fuͤßen, und jenſeits derſelben thuͤrmt ſich ein anderes Bergamphitheater auf, deſſen Wur - zeln die Salza beſpuͤhlt. Neben ſich, hart am Wege, hat man tiefe Schluͤchte, die theils zwiſchen ſchroffe Felſenwaͤnde hineinfallen, theils allmaͤhlig, mit Baͤumen und Geſtraͤuch beſetzt, ſich abſenken. Die Rinnen, welche die Sohle aus dem Berge nach der Stadt hinunter lei - ten, dienen ſtellenweiſe dem Wege zum Gelaͤn - der. Iſt man ſolchergeſtalt eine Stunde fort - geſtiegen, und man erhebt den Blick, ſo hat man auf einmal ein Doͤrfchen und mit ihm eine artige kleine Kirche, ganz von geſchliffenem111 rothen Marmor vor ſich, die dieſe außerordent - liche Landſchaft treflich verzieren hilft; und ein paar hundert Schritte ſeitwaͤrts von derſelben, iſt man an dem erſten Ziele ſeiner Reiſe: in einem Wirthshauſe, wo einen der Bergmei - ſter mit dem Anzuge zum Einfahren erwartet.

Als ich in die obere Stube des Wirths - hauſes trat, flog ein weißgekleidetes Geſchoͤpf von wunderlicher Geſtalt, deſſen Geſchlecht ich dem Anzuge nach ſchwerlich beſtimmen konnte, in eine Seitenkammer zur Rechten, und mich fuͤhrte der Bergmeiſter in eine andre zur Lin - ken. Ich erhielt von ihm die Auskunft, daß eine zweyte kleine Geſellſchaft die Reiſe durch den Berg mit uns machen werde. Als er die Bergkleidung auspackte, kam ich uͤber jene weiße Geſtalt ſogleich ins Klare, und uͤber das andre unterrichtete er mich. Es war ein junges Frauenzimmer aus einer benachbarten Stadt, die mit ihrem Bruder und einer aͤltern Schweſter eine Reiſe hieher gemacht hatte, um ihre Verwandten und den Salzberg zu ſehen.

112

Nichts kann abenteuerlicher ſeyn, als die Bergkleidung. Sie beſteht aus einem weißen Kittel, aus dergleichen Beinkleidern, aus ſehr langen und weiten baumwollenen Struͤmpfen, aus maͤchtigen Schuhen mit ungeheueren Soh - len, aus einem Schurzfell, da anzulegen, wo es die Knappſchaft anlegt; aus geſtrickten Hand - ſchuhen, und endlich aus einer Berghaube, um den Kopf, um alles, was man auf dem - ſelben hat, zu bedecken. Beinkleider, Kittel und Struͤmpfe, ſind ſo vollſtaͤndig gemacht, daß man nichts von ſeinen eigenen Kleidungs - ſtuͤcken abzulegen braucht.

Als ich in dieſem Anzuge aus der Seiten - kammer trat, fand ich die Schweſtern und den Bruder in der großen Stube; und es muß nicht leicht eine kleine Geſellſchaft gegeben haben, die ſo vor Begierde gebrannt haͤtte, ſich im Ganzen und in einzelnen Theilen aus - zulachen. Die Frauenzimmer waren nur da von den beyden Maͤnnern unterſchieden, wo die Beinkleider bey ihnen, der Roͤcke wegen,ge -113gewoͤlbtere Umriſſe bildeten; und die gute Lau - ne, die ſich bey jedem von uns regte, trug dazu bey, daß wir in den erſten Augenblicken ſo mit einander bekannt waren, als ob wir uns beſtaͤndig geſehen haͤtten.

So nahmen wir den Weg nach dem Ein - gangsſtollen, der Bergmeiſter voran. Da der Stollen breit genug war, ſo ſtand es uns nicht zu verdenken, daß wir Paarweiſe gingen. Der Stollen lief uͤbrigens bald durch lockeres, bald durch feſteres, thonartiges Erdreich, und war ſtreckenweiſe ausgezimmert, ſtreckenweiſe nicht. Die letztern Strecken thaten eine artige Wir - kung, wenn die Wachskerzen, deren jeder von uns Eine in der Hand hatte, die Seiten und die Decke anglaͤnzten. Das Salz war dort kryſtalliſch angeſchoſſen und die Lichtſtrahlen fielen abwechſelnd roth, blau und goldfarben zuruͤck. Wir konnten uͤbrigens aufgerichtet ge - hen, und nuſre Fuͤße waren durch die dicken Sohlen der Schuh verwahrt, an den Stellen, wo der Gang etwas naß wurde.

Sechstes Heft. H114

Der Bergmeiſter hatte unterdeſſen einige kleine Anſtalten getroffen, um die Reiſe fuͤr uns noch anziehender zu machen. Er hatte von Strecke zu Strecke einen Bergknappen geſtellt, der irgend eine beſondere Bergarbeit thun mußte. Einer trieb den Stollen weiter, ein anderer fuhr auf ſeinem Hunde das Erd - reich zu Tage, ein dritter beſſerte an der Roͤhre, welche die Sohle ausfuͤhrte u. ſ. w. Auf einmal ſtand er mit uns am Abhange ei - nes tiefen Schlundes ſtill, den unſre Kerzen nur auf ein paar Fuß hinab erleuchteten. Hier muͤſſen wir hinein! ſagte er; und obgleich un - ſre Frauenzimmer ſich aͤngſtlich erkundigten, ob wir nicht auf einem andern Wege dahin kom - men koͤnnten, wohin wir wollten, achtete er doch nicht darauf und verſicherte: es ſey kein anderer Weg.

Sogleich ſetzte er ſich auf ſein Schurzfell nieder. Unter ſich hatte er zwey runde, ge - ſchaͤlte, glatte Baͤume, die parallel und ſchraͤg in den fuͤrchterlichen Schlund hinab liefen. Ne -115 ben denſelben rechts war ein Seil angebracht, woran man ſich halten konnte. Sobald er ſaß, lud er den erſten Herrn ein, ſich hinter ihn zu ſetzen, ſodann ſeine Dame eben ſo hin - ter ſich zu nehmen; hinter dieſe ſollte ſich der zweyte Herr ſetzen und dieſer ſollte wiederum ſeine Dame hinter ſich ſitzen laſſen. Alles ſollte ſich wohl und feſt unter einander halten und niemand etwas Boͤſes fuͤrchten Und im Hui! glitt er unaufhaltſam mit uns in die Tiefe hinunter. Wir waren ſchon wieder auf feſtem Boden, ehe unſre Begleiterinnen das er - ſte Aechzen hervorbringen konnten, das ſich aber im Nu bey uns allen in ein Freudenge - ſchrey verwandelte. Solch eine Abfahrt nennt man eine Rolle.

Von hier aus gelangten wir abermals in mehrere Stollen, die in die Kreutz und Queere liefen, fuhren abermals uͤber zwey Rollen hin - ab und beſahen die unterirrdiſchen Zimmer und Gemaͤcher, in welchen zu gewiſſen Zeiten ein Bergamt ſeine Sitzungen haͤlt. Die anzie -H 2116hen[d]ſte Erſcheinung hatte der erfinderiſche Berg - meiſter bis zuletzt fuͤr uns aufgeſpart. Er fuͤhrte uns zu dem Eingange eines neuen Stollens, wie es ſchien. Wir traten hinein und auf einmal dehnte ſich ein weites ſchwarzes Ge - woͤlbe vor uns aus, deſſen Umfang wir nach dem Scheine der Lichter abmaßen, die rund herum aufgepflanzt waren. Auf den erſten Blick hatte das Ganze die Anſicht eines dicht - bezogenen Himmels, an welchem aus weiter Ferne helle Sterne funkelten. Dieſe verloren ſich, ſobald das Auge an dieſe Erleuchtung ge - woͤhnt war, und gingen in dampfende Flaͤmm - chen uͤber, welche die Gegenſtaͤnde um ſich her anſtrahlten und ihnen den Ton von Licht und Schatten mittheilten, der die Beleuchtung ei - ner großen Hoͤle ſo anziehend macht. Roma - nenſchreiber, die in der neueſten Gattung ihrer Dichtungsart etwas leiſten wollen, muͤſſen nach dieſer Hoͤhle wallfahrten, ſonſt werden ſie in der That nur Stuͤmperey machen, wenn ſie117 Gruͤfte, unterirdiſche Saͤle, Gefaͤngniſſe und dergleichen behandeln ſollen.

Das Maß dieſer Hoͤle ſind ſiebenmal hun - dert tauſend Eymer Waſſer. Am aͤhnlichſten iſt ſie im Zuſtande der Erleuchtung dem Markt einer großen Stadt, der rund herum mit Lich - tern beſetzt iſt, wodurch ſein Umfang ſich noch einmal ſo weitausdehnt. Solcher Hoͤlen ſind noch drey und dreyßig im Berge, aber nicht alle haben die Groͤße dieſer. Ihre Beſtim - mung iſt, das ſuͤße Waſſer aufzunehmen, das vom Berge hereingefuͤhrt wird. Dieſes ſaugt die Salztheile auf, die es auf dem Boden, an den Waͤnden und an der Decke der Hoͤlen fin - det, ſaͤttigt ſich damit und wird ſodann nach einer beſtimmten Zeit, mit ſeiner Beute an Salz, oder als wahrhafte Sohle, aus dieſen Hoͤlen noch der Stadt herunter gefuͤhrt und dort verſotten.

Nachdem wir dieſe Hoͤle ihrem ganzen Um - fange nach durchmeſſen hatten, fuhr ein Wurſt - wagen mit zwey Bergleuten beſpannt, vor,118 nahm uns ſaͤmmtlich auf, und unſere Knap - pen fuhren uns, im ſtrengſten Trabe, durch einen ſchoͤnen abhaͤngigen Stollen, der zum Theil in weißen Marmor gehauen war, wie - der an den lichten Tag. Unſre Kleidungsſtuͤcke fanden wir auf einer nahe gelegenen Saͤge - muͤhle wieder. Hier fanden wir uns auch mit unſerm gefaͤlligen Bergmeiſter und ſeinen Knap - pen ab.

Wir ſtiegen wieder nach der Stadt hinun - ter, und beſahen dort die Kothen, worin das Salz geſotten wird. Es ſind nur vier Pfan - nen in Thaͤtigkeit, aber ſie liefern jaͤhrlich ge - gen dreymal hundert tauſend Centner Salz, und man verbraucht dazu mehr, als dreyßig tauſend Klafter Brennholz. Merkwuͤrdig iſt noch die Saͤgemuͤhle an der Salza, in welcher die Salztonnen, die man zur Verſchickung des Salzes braucht, verfertiget werden.

Ich nahm endlich von meiner kleinen Ge - ſellſchaft, die in Hallein bey ihren Verwand - ten blieb, Abſchied, und fuhr nach der Stadt119 zuruͤck. Von Hellebrunn hatte ich noch eben Zeit, vor anbrechender Daͤmmerung, einige Partieen zu ſehen. Das Schloß ſelbſt iſt ziemlich verfallen, und bietet wenig Merkwuͤr - diges dar, aber die Anlagen um daſſelbe, der Luſtgarten, ſeine Waſſerwerke, ſeine Grotten, ſeine fiſchreichen Teiche; ferner der Thiergarten voll Damhirſche, ein Theater in lebendigem Felſen ausgehauen, ein paar artige Luſtſchloͤß - chen mit koͤſtlichen Ausſichten, und andre klei - nere und groͤßere Anlagen dieſer Art, geben dieſem Luſtorte einen eigenthuͤmlichen Charak - ter von Heiterkeit und Mannichfaltigkeit.

Als ich nach Hauſe kam, traf ich Anſtalten zu meiner Abreiſe von Salzburg. Nur wenig deutſche Staͤdte, die ich geſehen habe, waren mir mit ſolch einer Fuͤlle von angenehmen und merkwuͤrdigen Gegenſtaͤnden entgegen gekom - men.

120

Den 30ſten des Julius reiſ'te ich von Salz - burg ab, auf Linz. Der Weg geht, wenn man von Salzburg heraus koͤmmt, noch eine Meile an dem felſigten Fuße des Kapuziner - berges hin; und ich uͤberſah noch im Ruͤcken einen Theil der Stadt, waͤhrend ſich vor mir, zwiſchen niedrigern Bergen, die ſchoͤnſten und fruchtbarſten Thaͤler aufthaten. Weiterhin fuͤhrte der Weg allmaͤhlig bergan, und die umliegenden Gegenden blieben bergigt, hatten aber einen weit angenehmern Charakter, als die um Salzburg. Der Fruchttrieb war tref - lich, aber dennoch gaben die Doͤrfer, durch die ich kam, nicht den Anblick von Reinlichkeit und Wohlhabenheit derer, die ich jenſeits Salz - burg durchfuhr. Die Haͤuſer waren von Schroot - werk, wie in Pohlen und Boͤhmen, zwar nicht mit Stroh, ſondern mit Schindeln gedeckt; dieſe waren aber nicht mit Naͤgeln befeſtigt, ſondern nur mit Feldſteinen belegt, damit ſie der Wind nicht entfuͤhren ſollte. Nicht weit von Neumarkt, der naͤchſten Poſt (3 M.)121 oͤffnete ſich mir zur Rechten ein ſchoͤnes Thal, und kaum war es an der Seite verſchwunden, ſo hatte ich, als ich auf eine kleine Anhoͤhe gelangt war, ein anderes unuͤberſehliches, durch Abwechslung und Fruchtbarkeit, und durch die angebaueten Huͤgel, die es umſchloſſen, ſehr reizend ſich darſtellendes Thal vor mir. Ich verlor es aber, indem ich einen Hohlweg hin - unter fuhr, aus den Augen, und ſogleich be - fand ich mich vor dem gedachten Neumarkt, einem unbetraͤchtlichen Flecken, mit zweyſtoͤcki - gen Haͤuſern, welche die Giebel nach der Straße kehrten und mit Daͤchern, die zwey bis drey Ellen hervorſtanden und eben ſo nachlaͤßig ge - deckt waren, als die vorhin erwaͤhnten auf den Haͤuſern der Doͤrfer. Neumarkt beſteht uͤbrigens aus einer einzigen Straße. Von da bis

Frankenmarkt, dem naͤchſten Poſtwech - ſel (3 M.) ſetzte ich, bey anbrechender Nacht, meine Reiſe fort. Es hatte ſeit zwey Tagen hier viel geregnet, und in den behoͤlzten Ber -122 gen um mich her, entwickelten und ergoſſen ſich dicke Wolken in einem kleinen niſſelnden Regen, der alle Gegenſtaͤnde wie mit Nebel bedeckte. Gegen acht Uhr hatte eine dicke Fin - ſterniß ſchon alles uͤberzogen, aber mein Poſt - knecht rannte mit mir ſo eilfertig in dieſelbe hinein, als ob es Tag geweſen waͤre. Die An - hoͤhen mit ihrem Waldigt ſtanden in dunkel - ſchwarzen Maſſen um mich her, und das Ge - hoͤlz, durch welches ich kam, trug dieſe Farbe in einem noch hoͤheren Grade, ſo, daß der mit ſchweren Wolken behangene Himmel wie Tag dagegen erſchien. Einige hundert Schritte von mir huͤpften Irrwiſche zu Dutzenden, und von Strecke zu Strecke flimmerten Johannis - wuͤrmchen wie Diamanten aus dem benach - barten Gebuͤſch hervor. Auf mehreren ſchwan - kenden Bruͤcken mußte ich uͤber Stuͤrzbaͤche, die tief unter mir rauſchten. Da ich auſſer liederlichem Raubgeſindel, das gern an den Graͤnzen hauſet, trotz Nacht und Wald, nichts zu fuͤrchten hatte, und auch jenes mit der123 Haͤlfte meiner Baarſchaft abzufinden mir im - mer getraue, ſo fuhr ich ſehr ruhig weiter; da ferner meine gegenwaͤrtige Lage und Stim - mung, jugendlicher Eindruͤcke wegen, einen gewiſſen Reiz fuͤr mich hatten, den ich als Mann noch nicht ganz unſtatthaft fand, ſo konnte ich noch waͤhrend dreyer Poſten dieſes Vergnuͤgens genießen. Denn die Gegenden mit ihren Schatten dauerten ſo fort bis uͤber Fran - kenmarkt und Voͤcklabruͤck (2 M.) zwey unbetraͤchtliche Flecken, beyde mit Poſtwechſel, hinaus, indem mildere und ſanftere Anhoͤhen, weitere und engere Thaͤler, immer vor mir und an meiner Seite blieben. Von Lambach, dem dritten Poſtwechſel, (3 M.) aus, ward es lichter am Himmel und auf dem Boden, und ſchon zeigten ſich mir die aͤußerſten Ruͤk - ken der Gebirge, an deren Fuße die Donau hinfließt. Sie zogen ſich halbkreisfoͤrmig um niedrigere Anhoͤhen und Thaͤler herum, waͤh - rend in meiner Naͤhe der Boden bald ſich ſanft erhob, bald ſich in die fruchtbarſten Nie -124 derungen, mit Wieſen und Kornfeldern ge - ſchmuͤckt, abdachten. So dauerte es fort bis Wels, der letzten Poſt vor Linz, (2 M.) wo der Weg uͤber ein Erdreich lief, das ganz ſo iſt, wie es ſich vor Muͤnchen anhebt, bis nach Salzburg hinlaͤuft, ſich hier haͤufig in große Maſſen zuſammen gebacken und zu Werkſtuͤk - ken faͤhig zeigt, und von wo es dann in glei - cher Natur, aber wiederum locker, ſich nach Linz hinein erſtreckt. Mir ſcheint daraus zu folgen, daß die ganze Strecke, von Muͤnchen aus bis hieher, vor undenklichen Zeiten Mee - resgrund geweſen ſey; und vielleicht mag in der grauen Vorzeit manches Fahrzeug an dem Untersberge, Gaisberge, und wie ſie alle in dortiger Gegend heißen, als ſie noch das klip - pigte Geſtade des Meeres bildeten, geſcheitert ſeyn, indeß ſich auf dem Berge, wo jetzt die Feſtung Salzburg ſteht, die Mannſchaft vor den Wellen rettete. Wels iſt ein gut gebaue - tes, ſauberes Staͤdtchen. Die Haͤuſer haben vermauerte Giebel und geben einen italieni -125 ſchen Anblick. Die Hauptſtraße, worin das Poſthaus ſteht, wuͤrde in jeder großen Stadt mit Ehren eine Stelle einnehmen.

Linz (4 M.) ſieht man faſt nicht eher, als bis man davor iſt, wegen Mangel an ho - hen Thuͤrmen. Dieſe Stadt liegt diſſeits der Donau am Fuß eines ſchoͤnen Gebuͤrgsamphi - theaters, das jenſeits dieſes Fluſſes, in ſchrof - fern und ſanftern, aber immer trefflich ange - baueten, Abſaͤtzen, empor ſteigt.

Die Grundlage der Stadt iſt nicht ganz eben, und erhebt ſich vom Markt an allmaͤh - lich bis zur Feſtung hinauf, die in einem nicht ſehr furchtbaren Zuſtande, auf einer Anhoͤhe liegt, die Stadt beherrſcht und uͤbrigens eine ſehr lachende Ausſicht, rechts uͤber die umlie - genden fruchtbaren Gefilde, links uͤber das jenſeits der Donau hinaufſteigende Amphithea - ter und den Spiegel der Donau ſelbſt, hinter - waͤrts uͤber das ſchwarzbehoͤlzte Thal, aus wel - chem ſich jener Strom hervordraͤngt, und vor -126 waͤrts unmittelbar uͤber den ganzen Umfang der Stadt gewaͤhret.

Linz iſt faſt wie Salzburg gebauet, nur mit dem Unterſchiede, daß die Vorderſeiten der Haͤuſer verziert ſind; daß das Erdgeſchoß und der zweyte Stock hervorſpringen und mit einer Art von Wetterdache bedeckt, und daß faſt vor allen Fenſtern gruͤne Sonnengitter ſind, die den Haͤuſern ein gutes Anſehen ge - ben. Dieſe Sonnenlaͤden findet man in Fran - ken, Bayern und Oeſterreich ſehr haͤufig; weit ſeltener in Sachſen, Preußen und uͤberhaupt im noͤrdlichen Deutſchlande, wo man die Be - quemlichkeit, die ſie gewaͤhren, nicht zu achten ſcheint, und wo man dagegen mehr auf die Fenſtervorhaͤnge wendet, die in Oberdeutſchland in der That meiſt ſehr aͤrmlich ſind. Viele Fenſter in Linz haben eiſerne Gitter, wie man ſie auch in Salzburg, und in ganz Oeſterreich, ſehr haͤufig, in Niederdeutſchland ebenfalls ſelten oder gar nicht, findet. Ich ſehe nicht ein, wozu ſie eigentlich nuͤtzen. Dagegen iſt127 es hier weniger uͤblich, die Haͤuſer mit Farben abzuputzen, ſondern man laͤßt ſie weiß, und dies giebt den Staͤdten, Flecken und Doͤrfern in dieſen Gegenden ein heiteres und neues An - ſehen

Linz hat einen trefflichen, geraͤumigen Markt - platz, der mit einer ſtattlichen Dreyfaltigkeits - ſaͤule auf der einen, mit einem Springbrun - nen auf der andern Seite verziert, und mit anſehnlichen 4 bis 5 Stock hohen Haͤuſern umſchloſſen iſt. Die Straßen ſind im Durch - ſchnitt mehr enge, als breit, aber das Pflaſter iſt gut. Mehrere Kirchen und oͤffentliche Ge - baͤude fallen gut in die Augen. Auch iſt die Stadt lebhaft genug und man hat die Zahl ihrer Bewohner auf 16,000 berechnet. Auf einem Theile des Stadtwalls ſind Alleen und Hecken angelegt, die einen artigen Spatziergang bilden. Als ſolcher wird auch die Donaubruͤcke gebraucht, die von Strecke zu Strecke mit Baͤn - ken beſetzt, uͤbrigens von Holz iſt. Die Ausſicht von derſelben iſt ſehr angenehm.

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Ich wollte die hieſige große Wollenwirkerey ſehen, aber man machte mir Schwierigkeiten. Ich hoffe zum geſunden Menſchenverſtande, daß nur Eigenſinn oder Traͤgheit des Aufſe - hers, oder irgend ein Mißverſtaͤndniß, die Ur - ſach davon war: denn die Handgriffe der Wol - lenarbeiter ſind, dem Himmel ſey Dank! nir - gend ſolch ein Geheimniß mehr, daß man ſie ſtehlen muͤßte, wie gewiſſe englaͤndiſche Kunſt - werkzeuge.

Das hieſige Lyceum iſt weder ſtark beſucht, noch hat es beruͤhmte Lehrer. Ich fand in ei - nem paar Hoͤrſaͤlen noch eine alte und ſteife Lehrart, welche die Gegenſtaͤnde ungefaͤhr noch ſo weitlaͤuftig und elementariſch vortrug, wie ſie auf den proteſtantiſchen Gymnaſien in der dritten und vierten Klaſſe behandelt werden.

Die hieſigen Buchladen ſind wahre Troͤ - delbuden. Kein einziger davon ſteht mit Leip - zig in Verbindung; was alſo in der allgemei - nen deutſchen Litteratur vorgeht, bleibt hier unbekannt. Man behilft ſich mit dem, wasin129in den Erblaͤndern gedruckt und beſonders nach - gedruckt wird, und bindet nebenher Buͤcher, was in der That das eigentliche Handwerk der hieſigen Buchhaͤndler zu ſeyn ſcheint. Ich erkundigte mich bey drey derſelben nach einem in Oeſterreich und auch auswaͤrts ſehr bekann - ten Dichter, der vor wenig Jahren in Linz eine anſehnliche Stelle bekleidet hatte, und ſie kannten ihn nicht einmal dem Namen nach. Aber es iſt gewiß, daß Linz uͤberhaupt von den Lichtſtrahlen, die noch vor wenig Jahren von Wien uͤber Oeſterreich ausgehen durften, wenig bekommen hat, weil das Heer der hie - ſigen Geiſtlichkeit vortreflich Wache gegen al - les hielt, was die Wiſſenſchaften und den Verſtand haͤtte aufklaͤren koͤnnen.

Das Linzer Blut iſt beruͤhmt, und nicht ohne Grund. Es iſt in der That ſchoͤn, doch mehr bey dem weiblichen Geſchlecht, als bey dem maͤnnlichen. Unter dem erſtern findet man haͤufig ganz griechiſche Umriſſe, große ſchwarze Augen, vortrefliche Zaͤhne, und die friſcheſteSechstes Heft J130Farbe. Doch ſind es beſonders die mittlern und untern Staͤnde, die ſolche Bilder darbie - ten; in der That nur Bilder, denn man fin - det weder Munterkeit noch Leben, noch ande - res Gefuͤhl, als das bloß ſinnliche, bey ihnen, fuͤr welches ſie auch nur gemacht zu ſeyn ſchei - nen. Ihr Koͤrperbau iſt mehr gedraͤngt, als ſchlank; Haͤnde und Arme ſind mit dem feſte - ſten Fleiſche prall gepolſtert; und die ſchoͤnſte Form des Buſens, die mit dem runden Halſe in eins zu verfließen ſtrebt, ſcheint hier zu Hauſe zu ſeyn. Den letztern Vorzug ſcheinen ſie mit ihrer Tracht zu danken, die in einem ſchlaffen Mieder von Wollenzeug beſteht, das einen ſehr kurzen Schnitt hat, nicht geſchnuͤrt, ſondern bis uͤber die Herzgrube her zugeknoͤpft wird, ſich mithin ſanft an den Koͤrper ſchließt und ſeinen zartern Theilen weiter keine Gewalt anthut, als daß ſie dieſelben nach oben zu draͤngt und ſie auf ihrer eigenen Ueppigkeit und Fuͤlle ruhen laͤßt.

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Die Bauern und Baͤuerinnen in der Ge - gend von Linz, wie uͤberhaupt in Oberoͤſter - reich, kleiden ſich faſt ganz ſo, wie die im Al - tenburgiſchen und im Bezirke von Eger. Schwarz iſt ebenfalls ihre Leibfarbe. Die Maͤnner tra - gen große, runde, ſchwarze Huͤte, und Pump - hoſen mit Gehenken uͤber der Achſel; ihre Roͤcke ſind lang und haben einen ſehr kurzen Schnitt. Dieſe Tracht wuͤrde mit der Tracht der Salz - burger ganz uͤberein kommen, wenn letztre nicht am liebſten kapuzinerbraun truͤgen, und die gruͤnen Huͤte vorzoͤgen. Die Roͤcke der Wei - ber bedecken kaum das Knie und haben eine große Menge ſenkrecht herablaufender ſchmaler Falten; ihre Waͤmſer haben einen ungewoͤhnlich kurzen Schnitt, was ihnen ſehr breite Schultern macht; ihre Hauben ſind beſſer als die Salz - burgiſchen, weil ſie nicht mit den hoͤrnerarti - gen Hoͤhlungen an den Seiten, ſondern bloß mit einem Striche von ſchwarzen Spitzen, der ſich halbkreisfoͤrmig von einem Ohre zu dem andern an den Kopf legt, verſehen ſind.

J 2132

Den erſten Auguſt reiſ'te ich von Linz ab nach Wien. Der Weg auf Ens (3 M.) fuͤhrt durch daſſelbe Thor zuruͤck, durch wel - ches ich herein gekommen war. Ich ſah mich in einer mit einzelnen Anhoͤhen beſetzten Ebe - ne, aus welcher ich durch einen Hohlweg auf eine hoͤlzerne Bruͤcke gelangte, die uͤber die Traun nach Ebersperg fuͤhrt, einem paſſau - iſchen Marktflecken, in deſſen Naͤhe auf einem hohen Berge ein altes Schloß liegt. Von da an erhaͤlt ſich der Weg ziemlich eben, bis auf ein paar Anhoͤhen, uͤber die man hinfaͤhrt und von denen man die ganze Gegend uͤberſe - hen kann. Dieſe zeigt immer noch aus der Ferne Anhoͤhen, welche ſich auf allen Seiten herumziehen. In den Thaͤlern zwiſchen den - ſelben ſind die fruchtbarſten Felder und ſchoͤn - ſten Wieſen, die nur an einigen Stellen von ſchmalen Gehoͤlzen unterbrochen werden. Die wohlhabende Anſicht der Doͤrfer, das freye, offene Weſen der Einwohner und ihre ſtarken wohl - genaͤhrten Roſſe, alles zeigte, daß ich mich in133 einem von der Natur geſegneten und weder von dem Landesherrn, noch von deſſen Lehn - traͤgern ausgeſogenen Lande befand.

Kurz vor Ens erhebt ſich der Weg allmaͤh - lig, und dieſe Stadt zeigt ſich, mit ihrer alt - modiſchen Befeſtigung, die aus einer hohen Mauer mit Thuͤrmen beſteht, nicht zu ihrem Nachtheil. Das Innere derſelben iſt neuer und heller, als das Aeußere. Ihre Haͤuſer haben meiſt drey Stock und platte Daͤcher, und einige darunter wuͤrden ſelbſt einer groͤßern Stadt zur Zierde dienen.

Von Ens aus faͤhrt man, einen ziemlich ſteilen Berg hinunter, in das Thal, worin die Ens fließt, uͤber die hier eine hoͤlzerne Bruͤcke fuͤhrt. Der Weg geht eine Strecke flach fort, erhebt ſich ſodann allmaͤhlig und laͤuft uͤber maͤßige Anhoͤhen hinauf und hin - unter. Auf der letztern derſelben uͤberſieht man das Thal der Ens zur Linken, und zur Rechten ein zweytes, beyde nicht ſehr ausge - breitet, aber fruchtbar. Der Straßendamm,134 hier einer der ſchoͤnſten, die ich außerhalb Frankreich geſehen habe, war dicht mit Obſt - baͤumen beſetzt, und ungeachtet es ſeit vier Tagen geregnet hatte, war die Wagenſpur auf demſelben kaum einen Zoll tief. Mehrere auf dem Ruͤcken der umliegenden Anhoͤhen ſich befindende Kirchen, Kloſtergebaͤude und Schloͤſſer, verſchoͤnern dieſe Gegend. Streng - berg, der naͤchſte Poſtwechſel (2 M.) iſt ein Marktflecken mit mehreren ſteinernen Haͤuſern. Uebrigens wurde ich auf dieſem Poſtlaufe ge - fahren, wie ſeit Lithauen nicht. Von hier bis Amſtaͤdten, der naͤchſten Poſt (3 M.) dauert der Weg meiſt in der Art wie vorher fort, nur daß die Anhoͤhen, die man auf und ab ſteigt, merklich betraͤchtlicher und behoͤlzter werden. Auf beyden Seiten behielt ich immer noch Thaͤler, und da, wo das Gehoͤlz ſich oͤff - nete, erblickte ich, naͤher und entfernter, hohe Bergruͤcken, die ſich amphitheatraliſch vor mir herum zogen. Kurz vor Amſtaͤdten ſtand ich an dem Abhange eines betraͤchtlichen Berges,135 und ein neues ſchoͤnes Thal dehnte ſich zu meinen Fuͤßen aus, in welches ich hinab rollte. Zugleich befand ich mich in Amſtaͤdten, einem Marktflecken, wie Strengberg.

Von demſelben aus fuhr ich in dem Thale weiter und behielt auf beyden Seiten Berge. An denen zur Linken fließt die Donau hin, in deren Naͤhe man ſich waͤhrend dieſer ganzen Reiſe erhaͤlt; die zur Rechten aber ſind un - gleich hoͤher und erſtrecken ſich weiter hinaus. Das Thal ſelbſt, ſolch einen ſchoͤnen Anblick es auch aus der Ferne gewaͤhrte, entſpricht der veranlaßten Erwartung nicht. Der Boden beſteht aus lockeren Steingeſchieben und hat kaum einen halben Fuß hoch Dammerde. Fleiß iſt ihm nicht zu Huͤlfe gekommen. Das Ge - treide war weit zuruͤck, duͤnn, niedrig; die Doͤrfer mithin unanſehnlich, die Bewohner aͤrmlich. Nach einer dreyviertelſtuͤndigen Fahrt gelangt man von neuem an einen Marktflecken, der manches armſelige, von Schrotwerk ge - bauete, mit Stroh gedeckte, Haͤuschen hat,136 die nur am Ausgange durch einige anſehnli - chere wieder gut gemacht werden. Hinter die - ſem Flecken verengert ſich das Thal, und der Weg nimmt eine Wendung rechts an einem Berg herum, worauf ſich das Thal von neuem erweitert, doch nicht mehr die Ausdehnung er - haͤlt, als von Amſtaͤdten aus. Es hat hier ei - nen Fluß in der Mitte, uͤber den man auf einer Bruͤcke hinfaͤhrt. Bald darauf befindet man ſich in Kemmelbach, dem naͤchſten Poſtwechſel. (2 M.) Kemmelbach iſt ein Fleck - ken, aber nicht ſo ſauber und gut gebauet, als ein paar andere, durch die ich heute kam. Von da bis Moͤlk, ging ich noch am ſpaͤten Abend, und alles was ich uͤber die Chorographie des Weges bemerken konnte, war, daß er theils uͤber kleine Anhoͤhen hinab, theils durch Wal - digt fuͤhrte, und daß im Durchſchnitt genom - men, die Gegend mehr uneben als flach, die Straße aber vortrefflich war. So kam ich dieſe Nacht uͤber Moͤlk, (3 M.) St. Poͤl -137 ten, (3 M.) Perſchling; (2 M.) und erſt zu Sichartskirchen (2 M.) fand ich den Tag wieder. Von da bis Burkersdorf (2 M.) ward der Weg uͤberaus angenehm. Vor und neben mir erhoben ſich ſanft abge - rundete Berge, die am Abhange zum Theil mit Weinreben, zum Theil mit Getreide, auf dem Gipfel aber durchweg mit Gehoͤlz beſetzt waren. Dieſes beſtand nicht aus finſterm Na - delholz, ſondern aus Eichen, Birken, Buchen, die dieſen Anhoͤhen einen ſehr heitern Charak - ter mittheilten. Zwiſchen ihnen fuhr ich, in - dem ihre Form und Lage und die durch ſie gebildeten Thaͤler beſtaͤndig wechſelten, bis nach Burkersdorf, und von da aus, bis unge - faͤhr Stunde vor Wien fort. Jetzt kam ich aus dieſen Thaͤlern hervor in eine offnere Gegend, die aber immer noch nicht zur Ebene wird, ſondern in der Ferne noch Berge, ob - gleich keine betraͤchtliche mehr, einſchließt. Wien bleibt bis auf ¾ Stunden Entfernung dem Auge noch verſteckt; aber das Geraͤuſch und138 das Gedraͤnge der Aus - und Eingehenden und Fahrenden laͤßt es nicht zweifelhaft, daß man dieſer ehrwuͤrdigen Stadt ſehr in der Naͤhe iſt. Man faͤhrt endlich durch eine der ſchoͤnſten Vorſtaͤdte nach Wien (2 M.) hinein, und ſieht ſich zwiſchen fuͤnf - bis ſechsſtoͤckigen Haͤu - ſern vergraben und von dem bunteſten Ge - wimmel verſchlungen.

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Zwoͤlfter Abſchnitt, Wien.

Topographiſche Bemerkungen über die Stadt ſelbſt. Feſtungswerke. Thore. Straßen und Plätze. Kir - chen, Palläſte, öffentliche Gebäude, Bürgerhäuſer, Bauart. Sogenannte Höfe und ungeheure Häuſer, Umbau der ältern, Anſicht und Inneres der neuern. Neuerliche Verſchönerung und vermehrte Anzahl der Häuſer. Bauunternehmer. Theurung der Miethen. Die Fiſcherſchen architektoniſchen Anlagen. Der Raum zwiſchen der Stadt und den Vorſtädten. Ausſicht über dieſelben vom Stadtwalle. Schönes Amphi - theater. Anzahl der Vorſtädte. Ihr Mißverhältniß in Größe und Umfang. Ihr Anbau. Ihre Bevöl - kerung. Volksmenge der Stadt Wien mit den Vorſtädten zuſammen genommen. Erleichterung der Ehen unter Joſeph dem Zweyten. Freygebung der Gewerbe. Folgen davon auf der einen und der an - dern Seite. Geſtiegene Preiſe der Lebensmittel. Wohlhabendes Aeußere von Wien. Aermer gewor - denes Innere. Wucherer. Die Fürſtlichen, Gräf - lichen und Freyherrlichen großen Familien. Ihre Einnahmen und Ausgaben. Der zweyte Kreis der140 Reichen. Charakter der in Wien umlaufenden Geld - maſſe. Ohne Sorgen erworben, fröhlich ausgegeben. Hang zum Luxus und zum Wohlleben. Neigung zur Schüſſel, zu Schauſpielen, zur Muſik. Das Hof - theater. Madame Vigano und ihr Mann. Ihre berauſchende Wirkung auf das Wiener Publikum. Die Theater Marinelli's und Schikaneders. Hetze. Konzerte. Tanz. Tanzmenſcher. Spatzierfahrt, Spat - ziergang, Sommeraufenthalt auf dem Lande. Um - liegende Luſtörter und Dörfer. Der Prater. Rückkehr aus demſelben. Nächtlicher Luſtort und Spaziergang. Winke über das unſittliche Verkehr. Zerſtreute Be - merkungen. Das Vermiſchen der Stände. Das be - ſchrieene Herr von und Ewr. Gnaden. Die ſteife Nachahmungsſucht in der Mode faſt ganz ver - ſchwunden. Kopfputz à la Guillotine. Geſunkene Begeiſterung der gebornen Wiener von ihrer Vaterſtadt. Stimmung des Volks für die Geiſtlichkeit. Umtrieb der Wiſſenſchaften. Leſeſucht in den mittlern und ge - ringern Klaſſen. Nachdrucker im Hinſcheiden. Ein Wink über die eigentliche Gelehrſamkeit und die Ein - richtung der Schulen und Univerſitäten. Einige er - ſchütterte Charakterzüge der Wiener.

Abreiſe von Wien. Neudorf. Die Neuſtädter Haide. Thereſienfeld. Wieneriſch Neuſtadt. Schott - wien. Weg über den Semmering. Das ſchöne März - thal. Bruck an der Muhr. Leoben. Wege und Gegenden. Frieſach. St. Veit. Klagenfurt. An - ſicht, Bauart, Straßen und Plätze dieſer Stadt. Der Fürſt Biſchof von Gurk und Straßburg. Fa - briken. Der Wertherſee. Veiden. Villach. Die Krainer Alpen. Gegenden. Das Thal der Drau. 141Furchtbare Kalkalpe. Lienz. Eintritt in die Alpen. Anbau derſelben. Ungewöhnliche Menge von Kirchen. Brixen. Schauderhaftes Thal zwiſchen Kolman und Botzen. Abriß dieſer Stadt.

Der witzige Verfaſſer der Skizze von Wien vergleicht dieſe praͤchtige Kaiſerſtadt nicht unangenehm mit einem Ringe. Der Mittelpunkt derſelben, die eigentliche Stadt, iſt ihm der Hauptdiamant, die Vorſtaͤdte ſind die Karmeſirung. Wahrſcheinlich giebt es nirgend in der Welt einen Fleck mehr, der, in einem Viereck von ungefaͤhr Siebenhundert Wiener Klaftern Laͤnge, und von Sechshun - dert dergleichen Klaftern Breite, ſolch eine Fuͤlle von Volk, Reichthum und Pallaͤſten; ſo viel politiſche Macht und Groͤße; ſolch einen Geldumlauf; ſolch einen Drang von Staats - und Handelsgeſchaͤften; ſolch einen Zuſammen - fluß von Fremden, und ſolch eine zahlreiche Geſellſchaft der groͤßeſten, reichſten, freyge -142 bigſten Einheimiſchen, aus allen Provinzen ei - nes großen Kaiſerthums, beherbergte, naͤhrte, und zugleich als Feſtung deckte.

Die Werke dieſer Feſtung laufen in tiefen Graͤben, und in ſehr hohen Waͤllen, die in zehn Baſtionen abgetheilt ſind, um die eigent - liche Stadt, und draͤngen ſie in den geringen Umfang von ungefaͤhr einer halben deutſchen Meile zuſammen.

Sechs Haupt - und zwey Nebenthore fuͤh - ren hinein und heraus. Hundert und Acht breitere und engere Straßen dienen zur innern Verbindung. In Dreyzehn Hundert und Fuͤnf und Zwanzig Haͤuſern, von Vier bis zu Acht Geſchoſſen, wohnt eine Volksmenge von mehr als Funfzig Tauſend Seelen. Unter dieſen ſteht eine zahlreiche Kaiſerlich - Koͤniglich - Erz - herzogliche Familie obenan. Zwoͤlf bis Vier - zehn Fuͤrſtenhaͤuſer folgen auf ſie. An ſie ſchließt ſich die doppelte Anzahl von Graͤflichen, und die dreyfache von Freyherrlichen Familien, deren Haͤupter theils als Privatleute, theils143 als Inhaber der hoͤhern Hof - und Staatsſtel - len leben. Auf ſie folgt ein Heer von Geſand - ten, jeder Ordnung, die mehr oder weniger glaͤnzende Haͤuſer machen. Wechsler, Negoti - anten, Geſchaͤftstraͤger, auch nur bloße Haus - beſitzer, wetteifern in Reichthum und Genuß. Kaufleute, Lieferer, Vorkaͤufer und Unter - nehmer aller Art folgen ihnen auf dem Fuße; eine wohlhabende, nicht geitzige Buͤrgerſchaft verkehrt und lebt unter dieſem Getuͤmmel, und macht es auch ihrerſeits geraͤuſchvoller; und endlich verſtaͤrkt ein Heer von Staatsbeamten, das durch zwoͤlf bis funfzehn Hof - und Staats - kollegien geſtellt wird, verſtaͤrkt den Zehr - und Genußdrang, und ſchwellt den Menſchenſtrom in dem Grade an, wie er ſich beſonders auf dem Burgplatz, auf dem Kohlenmarkt, auf dem Stockam Eiſenplatze, in der Kaͤrnthner Straße, auf dem hohen Markt, auf dem Hofe und am Graben zeigt. Von den Bewohnern der Vorſtaͤdte bringt gewiß ein Drittel, wo nicht den ganzen144 Tag, doch wenigſtens einige Stunden, eben - falls in der Stadt zu; und in dem allgemeinen Getuͤmmel dieſes engen Standplatzes rollen uͤber Zwey Tauſend eigene Wagen, uͤber drey Hundert Stadtlohnwagen, uͤber Sechs Hun - dert Fiaker, mit Sechſen, Vieren und Zweyen beſpannt, vom fruͤheſten Morgen bis in die ſpaͤteſte Nacht laͤrmend herum. Die Wagen, worauf die Zufuhr fuͤr den allgemeinen Be - darf und Ueberfluß nach der Stadt geſchaft wird, deute ich nur an.

Alles alſo, was arbeiten und muͤßig gehen, leben und ſchwelgen, ſehen und geſehen wer - den will, draͤngt ſich nach dem Kerne der Stadt hin und wohnt in demſelben enge auf einander. Da der Umfang nicht erweitert werden kann, ſo faͤhrt man in die Hoͤhe auf; und dieſer Umſtand beſtimmt die Bauart des eigentlichen Wien.

Man ſieht ſich ſonach in deſſen Straßen wie in Graben eingeſchloſſen, die ziemlich von gleicher Tiefe ſind, und ſich nur durch Laͤngeund145und Breite unterſcheiden. Die Plaͤtze, deren keiner groß iſt, geben den Anblick von ausge - hoͤlten Becken.

Der ertraͤglich geraͤumigen Straßen ſind ungefaͤhr nur zehn, und man kann dahin die Herren -, die Kaͤrnthner -, die Wiplin - ger -, die Schuler -, die Singer -, die Rauhenſtein -, die Johannis -, die An - nen -, die Spiegel - und die obere Schen - ken-Straße rechnen. In dieſen koͤnnen, doch nicht in allen ihren Theilen, drey Wagen einander mit Muͤhe ausweichen, indem die ei - ne Achſe die andre oder die Waͤnde der Haͤu - ſer ſtreift. In andern haben nur zwey Wa - gen, in noch andern hat nur einer, und in den uͤbrigen nur der Fußgaͤnger, Platz. Der engeſten Art findet man viele zwiſchen dem Graben und dem hohen Markt, zwiſchen dem Hof und der Naglergaſſe, zwiſchen dem Judenplatz und dem alten Fleiſch - markt, und noch in einigen andern Gegenden der Stadt.

Sechstes Heft. K146

Unter den Plaͤtzen ſind noch die geraͤu - migſten der Hof, der hohe Markt, der Graben, der Neumarkt, die Freyung; der Burgplatz aber, der Bibliothek - platz, der Stock am Eiſenplatz, der St. Stephansplatz und der Judenplatz ſind nur in einer Stadt, die ſo enge Straßen hat, Plaͤtze zu nennen.

An dieſen Straßen und Plaͤtzen ſtehen Buͤrgerhaͤuſer, oͤffentliche Gebaͤude und Pri - vatpallaͤſte umher, unter denen die vierſtoͤckigen die niedrigſten, die fuͤnfſtoͤckigen die gewoͤhn - lichſten, und ſechs - und ſiebenſtoͤckige nicht ſel - ten ſind. Da der Bau eines Hauſes in Wien beſchwerlicher iſt, als anderswo, weil das Bauholz, von dem Bauplatze weit entfernt, vorgerichtet, und die uͤbrigen Zuthaten im Kleinen herbey geſchafft werden muͤſſen; ſo bauet man auch, wenn man ſich dieſer Muͤhe einmal unterzieht, fuͤr die moͤglichſtlange Dauer der Haͤuſer und Pallaͤſte. Die Mauern der - ſelben haben eine Dicke von zwey, drey, und147 vier Ellen, und ſind entweder von einem kalk - artigen Bruchſtein, oder, wie faſt alle neuern, von Ziegelſteinen aufgefuͤhrt. Nur ſolchen Mau - ern kann man ſolche Hoͤhe und ſolche Irr - gaͤnge von Queerwaͤnden aufladen, als dadurch noͤthig werden, daß man den innern Ausbau ganz auf Gelaß zu berechnen pflegt. Viele dieſer felſenartigen Werke haben noch uͤberdieß doppelte und dreyfache Kellergeſchoſſe uͤber ein - ander, die ihre ganze Grundlage unterwoͤlben, und die Beduͤrfniſſe an Holz und Wein fuͤr Hunderte ihrer kuͤnftigen Bewohner zu faſſen beſtimmt ſind. Haͤuſer dieſer Art findet man am Graben, auf dem Hofe, in der Kaͤrnth - nerſtraße, am hohen Markte, am Kohlmarkte und anderwaͤrts. Die ſogenannten Hoͤfe, de - ren es eine große Menge giebt, enthalten oft fuͤnf bis acht Gebaͤude, eines in das andre geſchachtelt, fuͤnf bis ſechs Stock hoch, durch enge Durchgaͤnge verbunden und vom Keller - geſchoß an bis hoch in die Daͤcher bewohnt. Als Muſter dieſer ungeheuren Art zu bauen,K 2148von der man, außer vielleicht in London und Genua, nichts aͤhnliches findet, kann man das hieſige Trattner'ſche und Frieſiſche Haus, die Traube, die Mehlgrube, den Seit - zer -, Schotten - und Annen-Hof, und vorzuͤglich das ſogenannte Buͤrgerſpital anfuͤh - ren. Das letztere hat jetzt, da ich dies ſchrei - be, Neun Hoͤfe voll fuͤnfſtoͤckiger Gebaͤude, de - ren Zimmer ſchon gemiethet wurden, ehe ſie fertig waren.

Das Innere der neuern Haͤuſer iſt beque - mer, geraͤumiger und leichter, als das Innere der aͤltern. Dieſe ſind uͤberhaupt an ihren her - vorragenden Giebeln, kleinern Fenſtern, und dunkeln, engen Treppen, leicht zu unterſchei - den. Doch haben manche Beſitzer ſolcher Haͤu - ſer viel gethan, um ſie in allen dieſen Stuͤk - ken zu verbeſſern; ſie haben ſie zum Theil vom Grunde aus umgebauet, und mit dem Raume ſo gewirthſchaftet, daß man jetzt oft genug in alten und unanſehnlichen Gebaͤuden durch ge - raͤumige, helle, bequem verbundene und hohe149 Zimmer uͤberraſcht wird. Die neuern Haͤuſer ſind durchweg mit ſteinernen Treppen, und dieſe mit eiſernen Gelaͤndern verſehen; jede Abtheilung der Wohnungen hat ihren eigenen verſchloſſenen Eingang; ihren eigenen verwahr - ten Antheil am Keller u. ſ. w. Jedes Haus hat ſeinen Hausmeiſter, die ſogenannten Hoͤfe aber haben auch wohl ihrer zwey, die fuͤr de - ren Schließung und Oefnung ſorgen; auf Bett - ler und liederliches Geſindel, das ſich einſchlei - chen koͤnnte, ein wachſames Auge haben; uͤber die Hausbewohner Auskunft geben, wenn Nachfrage nach ihnen koͤmmt; und ſonſt noch eine Menge kleiner Dienſte verrichten, die in einem großen, bevoͤlkerten Hauſe vorfallen. Sie bekommen dafuͤr freye Wohnung in dem untern Theile des Hauſes, und genießen ſonſt noch kleiner Vortheile von den Einwohnern. Wenn dieſe z. B. erſt nach zehn Uhr zu Hauſe kommen und der Hausmeiſter ihnen die Thuͤr oͤffnen muß, ſo wird ihm dieſe Muͤhe mit ei - nem Kayſergroſchen bezahlt. Deshalb werden150 auch die Haͤuſer mit dem Schlage Zehn zuge - macht und nirgend ſorgfaͤltiger geſchloſſen ge - halten, als in Wien.

Das Aeußere der neuern, oder neubearbei - teten Haͤuſer iſt ſehr in die Augen fallend. Die Fenſter ſind, der engen Straßen wegen, im Durchſchnitt hoch und mit großen Glas - ſcheiben verſehen. Ihre Einfaſſungen ſind von Stein, oder auch von Gyps, und in Waͤnde mehrentheils gelblich abgeputzt. Manche Stra - ßen und Plaͤtze ſind mir ſeit 1784 und 1785, wo ich zuerſt in Wien war, faſt unkenntlich geworden. Kloſtergebiete ſind die ſchoͤne Rei - hen von Privathaͤuſern; Plaͤtze, an welche die hohe Mauer eines Nonnenzwingers ſtieß, in Straßen verwandelt. Seit Aufhebung der Kloͤſter iſt eine ganz neue Gattung von Ge - ſchaͤftsleuten in Wien erſtanden: die Bauun - ternehmer, die zum Theil ſehr reich gewor - den ſind. Sie kaufen Kloſtergebiete, Plaͤtze, die mit alten Haͤuſern beſetzt ſind, oder ein - zelne baufaͤllige Haͤuſer an, laſſen ſie abtragen,151 von neuem auffuͤhren und verkaufen ſie ſodann weiter. Auf dieſe Art ſind in den Gegenden um das Buͤrgerſpital; in den oberen Thei - len der Spiegelſtraße; in den Straßen, die von dem Graben nach dem Michaeler - und dem Bibliothekplatz, und von dort herum nach dem Theater des Kaͤrnthner Thores fuͤhren; in der Annen -, Johannis -, Rauhen -, Stein - und Singerſtraße; in den Straßen auf den kleinern Plaͤtzen, die zwiſchen den beyden letz - tern inne liegen; in den untern Theilen der Wollzeile; und in dem Mittel des hohen Markts auf beyden Seiten uͤberall dort herum ſind theils ganz neue, theils verſchoͤnerte und er - hoͤhete, theils innerlich bequemer ausgebauete, Haͤuſer hervorgegangen, die jede Forderung des Kenners, des Bewohners, und des Beſi - tzers, der ſein Vermoͤgen ſo zu Zinſen an - legte, befriedigen und Wien auf eine ſehr hohe Stufe von Vollkommenheit, Bequemlichkeit, Gruͤndlichkeit und Gleichfoͤrmigkeit in der Bau - kunſt, erhoben haben. Unter dieſen neuen152 Haͤuſern iſt manches, das ſich, bey einem aus - gezeichneten Grade von Dauerhaftigkeit, auch durch Leichtigkeit und Gefaͤlligkeit empfiehlt; zwey Vorzuͤge, die man ſonſt im Ganzen der Bauart der Stadt Wien nicht nachruͤhmen kann, wohl aber haͤufig den Haͤuſern ihrer Vorſtaͤdte.

Die anſehnliche Vermehrung der Haͤuſer in Wien hat den hohen Preis der Miethen nicht herabgeſetzt; er iſt vielmehr immer noch im Steigen. Ein einzelnes, nur ertraͤglich geraͤumiges Zimmer, koſtet jetzt monatlich drey Dukaten; ihrer zwey neben einander, acht bis zehn Dukaten, fuͤr zwey Zimmer am Graben im erſten Stock verlangte man von mir funf - zehen. Ein Beamter, der etwa 12 bis 1500 Gulden Gehalt, und ungefaͤhr eine Familie von ſechs bis ſieben Koͤpfen hat, braucht eine Wohnung fuͤr drey bis vierhundert Gulden. Wohlhabende Familien aus dem Mittelſtande, die anſtaͤndig wohnen wollen, geben jaͤhrlich Tauſend, funfzehn Hundert bis zwey Tauſend153 Gulden fuͤr Miethe aus. Dieſe Erhoͤhung des Hauszinſes zeugt aber nicht von ſteigender Be - voͤlkerung, ſondern nur von ſteigendem Luxus, vermoͤge deſſen viel Einwohner jetzt noch ein - mal ſo viel Platz brauchen, als ihre Vaͤter und Vorvaͤter, bloß um einen Ueberfluß von modiſchem Hausrath auslegen zu koͤnnen.

An der Burg ſind ſeit den angezeigten Jahren ebenfalls neue Bauten unternommen worden, aber ſie ſind nicht von großer Be - deutung. Der jetztregierende Kaiſer hat fuͤr ſich, nach der Baſtey zu, einen artigen, aber kleinen Garten, mit einem Hauſe anlegen, und letzteres mit einer Warte verſehen laſſen, wo er manche Stunde zubringt, und mit gro - ßem Genuß, wie es ſcheint. Man uͤberſieht dieſe Anlage am beſten durch die Fenſter der Kaiſerlichen Bibliothek, der gegenuͤber ſie ih - ren Standplatz gefunden hat.

Neue Privatpallaͤſte habe ich außer dem Fuͤrſtlich-Aloys-Lichtenſteiniſchen, der eine große Strecke der Herrenſtraße einnimmt, und154 in der That von großer Ausfuͤhrung iſt, nicht bemerkt; doch iſt fuͤr die innere Verſchoͤnerung und Vollendung mancher aͤltern viel gethan worden. Man weiß, daß ihrer eine gute An - zahl in Wien ſelbſt vorhanden iſt, daß aber ihre beſchraͤnkte Lage ihrer Anſicht großen Schaden thut. Sie ſind uͤbrigens im Durch - ſchnitt groß, haben zum Theil praͤchtige Vor - derſeiten und einige ſogar betraͤchtliche Hof - raͤume, die mit Saͤulen umſtellt ſind. Ihre innere Einrichtung und Vertheilung iſt meiſt heiter und bequem; aber bey dem allen ſind ſie voller Unpaͤßlichkeiten in Abſicht der Saͤulenord - nung und der Verzierungen, die uͤberhaupt einen gewiſſen ſchweren und uͤberladenen Anblick ge - ben. Der Baumeiſter der hervorſtechendſten unter den aͤltern, war Bernhard Fiſcher von Erlach, deſſen Geſchmack bey weitem nicht der reinſte und richtigſte war, wenn man auch den von ihm vorhandenen Pallaͤſten und Kirchen den Vorzug nicht abſprechen kann, daß ſie aus der Ferne das Auge trefflich fuͤllen. We -155 nigſtens iſt dieß der Fall mit der Karlskir - che, mit Belvedere, mit der Reichskanz - ley, mit dem Trautſonſchen Pallaſte, mit der Kaiſerlichen Bibliothek und andern Werken, die von ihm herruͤhren.

Die Kirchen ſind unter den oͤffentlichen Ge - baͤuden in der Stadt Wien nicht die praͤchtig - ſten und groͤßeſten; es ſind ihrer betraͤchtlichere und neuere in den Vorſtaͤdten. Dagegen be - ſitzt die Stadt an St. Stephan ein Mei - ſterſtuͤck von altdeutſcher Baukunſt, und einen Ueberfluß an weltlichen oͤffentlichen Gebaͤuden. Hieher gehoͤren die Kaiſerliche Burg, die Boͤhmiſch-Oeſterreichiſche Kanzley, die Bibliothek, das Rathaus, das Bankhaus, die Reitſchule, das Univer - ſitaͤts-Gebaͤude, die Hauptmauth und die Hofkriegskanzley ꝛc. lauter Anlagen, die ins Große gehen, und zum Theil fuͤr Merkwuͤrdigkeiten der Baukunſt gelten koͤnnen, wenn man ſeine Forderungen nicht zu hoch ſpannt.

156

Bekanntlich iſt zwiſchen der Stadt Wien und ihren Vorſtaͤdten nach Suͤden, Weſten und Oſten zu, ein großer leerer Raum gelaſ - ſen, der, wenn man die jetzt faſt unnuͤtzen Fe - ſtungswerke abtruͤge, zur Erweiterung und Vergroͤßerung der Stadt faſt noch einmal ſo viel Platz, als ihr jetziger Umfang einnimmt, darbieten wuͤrde. Keine andere Europaͤiſche Stadt uͤberſieht ihre Vorſtaͤdte ſo vortheilhaft. Wien hat die ſeinigen vor ſich, und ſie erhe - ben ſich theils amphitheatraliſch, theils liegen ſie auf ebenem Boden, rund umher in ihrer ganzen Laͤnge und Breite. Der Stadtwall bietet ſchon an ſich einen ſehr angenehmen Spatziergang dar, aber er wird durch die Ue - berſicht, die er uͤber die ungeheuren Vorſtaͤdte und die ganze umliegende Gegend gewaͤhrt, in der That einzig. Jeder neue Vorſprung des Walles eroͤffnet eine neue veraͤnderte Ausſicht; will man aber groͤßere Theile auf einmal um - ſpannen, ſo iſt es genug, uͤber jedem Haupt - thore ſich zu verweilen und ſolchergeſtalt die157 Fuͤlle der Gegenſtaͤnde in ſechs Perſpektiven aufzufaſſen. In der That, der Ueberblick von Rom, von Monte di Trinita aus, iſt ſchoͤn; die Anſicht von Paris, von Mont martre aus, iſt ungeheuer; aber weder der eine noch die andre erreichen, meines Beduͤnkens, die be - zeichneten Anſichten in Wien, weil beyde we - der das klar entwickelte Amphitheater von Haͤuſern, Pallaͤſten, und Kirchen, noch das große Stromgebiet der Donau, die um ein maleriſches Gebirge her in zehn Armen uͤber eine fruchtbare Flaͤche hinabſchießt, aufzuweiſen haben.

Der Raum zwiſchen der Stadt und den - jenigen Vorſtaͤdten, die ſich vom Schotten - thor an bis zum Stubenthore um die Stadt ziehen, wird zu Sechshundert Schrit - ten angegeben. Baumgaͤnge bedecken und durch - kreutzen dieſe Flaͤche bis nach dem Glacis her - auf; und dieſes iſt mit Raſen bedeckt, den man nicht ganz ſich ſelbſt uͤberlaͤßt. Die da - durch gebildeten Spatziergaͤnge ſind, perſoͤnli -158 cher Sicherheit wegen, des Nachts erleuchtet, und von Strecke zu Strecke mit Schildwachen beſetzt, die zugleich gewiſſe Mißbraͤuche der Gelegenheit und der Finſterniß zu verhuͤten haben. Je naͤher man an die Vorſtaͤdte ſelbſt koͤmmt, deſto unbequemer wird der Weg, des Staubes halber, der hier, theils Schuh hoch herum liegt, theils durch das unaufhoͤrliche Fahren in dichten Wolken empor gehalten wird. Die aͤußere Einfaſſung der Vorſtaͤdte beſteht faſt ganz aus Pallaͤſten, Kirchen und oͤffent - lichen Gebaͤuden, die ſich, mit anſehnlichen Buͤrgerhaͤuſern vermiſcht, eines hinter dem andern erheben, ſo wie der Boden allmaͤhlig emporſteigt. Die Seite der Stadt vom Neuen Thore an, bis zum Thereſienthor, welche der Donauarm beruͤhrt, hat zwar dieſe amphithe - atraliſche Ausſicht nicht, weil die Leopold - ſtadt, die Roſſau -, die Alſervorſtadt und Waring niedrig liegen und ſich großer Pallaͤſte nicht ruͤhmen koͤnnen; aber der Strom ſelbſt, das Gewimmel auf und an demſelben,159 und der unaufhoͤrliche Zug von Menſchen und Wagen, der nach dem Augarten, nach dem Prater, in die Hauptſtraße der Leopoldſtadt hinaus und von dort herein ſchießt, geben dem Standpunkt auf der Baſtey des rothen Thurms auch viel Mannichfaltigkeit. Zwiſchen dem Thereſien - und Stubenthor erhebt ſich das Lokale der Landſtraße, und nun laufen, von dem Invalidenpallaſte an, Kirchen, Hoſ - pitaͤler, Pallaͤſte und ſtattliche Buͤrgerhaͤuſer, eins uͤber das andre hervorragend, um die drey uͤbrigen Seiten von Wien herum und bilden jenes praͤchtige Amphitheater. Dem Au - ge bieten ſich nach und nach Belvedere, des großen Eugens ehemaliger Pallaſt und Gar - ten, jetzt der Verwahrungsort der koſtbaren Kaiſerlichen Gemaͤldegallerie; das große Klo - ſter der Saleſianerinnen, nebſt Kirche und Dom; der Schwarzenbergiſche Pal - laſt und der Tempel des heil. Karl Bor - romaͤus, das praͤchtigſte gottesdienſtliche Ge - baͤude in Wien, beyde von Bernhard Fi -160 ſcher, mit ihren Vorderſeiten, dar; mehrere Fuͤrſtliche und Graͤfliche Pallaͤſte und Luſt - ſchloͤſſer ſehen aus den Vorſtaͤdten Widem und Mariahilf heruͤber; die Kaiſerli - chen Staͤlle, eine der weitlaͤuftigſten Anla - gen, und weiterhin die dichtbebaueten Anhoͤhen des Spitalberges beſchließen endlich dieſen ſchoͤnen Umkreis, hinter welchem die eigentli - che Maſſe der Vorſtaͤdte erſt beginnt, die ſich, zum Theil in einer ſtuͤndigen Entfernung von der Stadt, an dem Ringwall, hier die Li - nien genannt, in immer kleiner werdende Haͤu - ſer endigen.

Die Beſchreiber von Wien ſind uͤber die Anzahl der Vorſtaͤdte nicht einig. Der neue - ſte*)Neueſter Wieneriſcher Wegweiſer ꝛc. Wien, von und bey Kurzbek 1792. giebt ſie zu Vier und Dreyßig an. Waͤre irgend ein Verhaͤltniß zwiſchen ihrer Groͤße; naͤhme man das Maß von Drey und Dreyßigen nach der Vier und Dreißigſten;und161und waͤre dieſe Landſtraße oder Maria - hilf, ſo muͤßte Wien unſtreitig die groͤßeſte und praͤchtigſte Stadt ſeyn, die in der Welt je geweſen, und noch vorhanden waͤre. Aber ihre Ungleichheit unter einander iſt außeror - dentlich; und wenn die Leopoldſtadt vier - hundert und dreyßig Haͤuſer faßt, ſo hat Hun - gelbrunn nur zwoͤlf; wenn die Widem Vierhundert und zwey ſtark iſt, ſo erreicht der Althann'ſche Grund nur eben die Zahl von funfzehn. Das Mißverhaͤltniß unter den uͤbrigen iſt nicht ganz ſo auffallend, aber doch ſtark genug; und es iſt die Urſach von den ungleichen Angaben in Ruͤckſicht ihrer Anzahl, weil einige Schriftſteller die kleineren bald als Theile der groͤßeren, bald als eigene, fuͤr ſich beſtehende Vorſtaͤdte auffuͤhren.

Der eben angezogene Schriftſteller berech - net die Anzahl aller Haͤuſer in allen Vorſtaͤd - ten zu vier tauſend fuͤnf hundert und funfzig, und die Volksmenge darin zu hundert ſechs und funfzig tauſend neun hundert und neunSechstes Heft. L162und achtzig. Den Umfang ſaͤmmtlicher Vor - ſtaͤdte ſetzt er auf Dreyzehn tauſend acht hun - dert Wiener Klafter (zu ſechs Fuß) oder auf vier deutſche Meilen; eine Angabe, die er ei - nem aͤltern Topographen ohne Unterſuchung nachgeſchrieben hat. Die Tempelhof-Ni - kolaiſche Berechnung*)Vergl. Nikolai's Reiſe ꝛc. Th. III, S. 156. u. folg. Auch die Beyl. IV. ebendaſ. ſcheint immer noch der Wahrheit am naͤchſten zu kommen, wenn auch ſeit funfzehn Jahren die Haͤuſeranzahl in den Vorſtaͤdten zugenommen hat.

Die Vorſtaͤdte haben erſt ſeit funfzig oder ſechszig Jahren, und wiederholt ſeit ungefaͤhr fuͤnf und zwanzig, und abermals ſeit vierzehn bis funfzehn Jahren, ihren jetzigen Umfang ge - wonnen. Vor jener Zeit waren noch an vielen Stellen, wo jetzt Haͤuſer, Pallaͤſte und Kir - chen ſtehen, Aecker, Wieſen, und Weingaͤrten. Der Althann'ſche Grund und ein Theil der Joſephsſtadt, die jetzt zu den innern und naͤchſtgelegenen Vorſtaͤdten gehoͤren, haben163 im Jahre 1770 die erſten Haͤuſer erhalten. Seit ungefaͤhr acht oder zehn Jahren aber, hat der Baugeiſt ſich aus den Vorſtaͤdten mehr nach der Stadt ſelbſt zuruͤck gezogen. Als Jo - ſeph der Zweyte die Regierung antrat, machte er durch ausgezeichnete Ermunterungen den Eifer rege, Manufakturen und Fabriken anzulegen. Man waͤhlte, aus guten Gruͤnden, die entfernteſten Gegenden der Vorſtaͤdte zur Erbauung der dazu noͤthigen Anlagen. Mit Joſeph hatten dieſe Beguͤnſtigungen ein Ende; viele Unternehmer, die an ſich ſchon nicht gluͤcklich gerechnet hatten, gaben ihre Arbeiten auf; neue fanden ſich nicht; die weitlaͤuftigen Gebaͤude ſtanden zum Theil leer; Kapitaliſten, die es bloß auf Miethzins anlegten, baueten naͤher an der Stadt, oder in der Stadt ſelbſt, wenn ſich Platz aufthat. So iſt es jetzt noch, doch hoͤrt der Bau in den Vorſtaͤdten darum nicht ganz auf; und wenn vor dreyßig bis vierzig Jahren hier die Quadratklafter Bau - grund zwey oder drey Gulden koſtete, ſo mußL 2164ſie jetzt mit zwanzig bis dreyßig, immer nach Verhaͤltniß der Naͤhe oder der Entfernung von der Stadt, bezahlt werden.

Uebrigens halten die gewoͤhnlichen Haͤuſer in den Vorſtaͤdten, weder in Hoͤhe, noch Um - fang, noch Bevoͤlkerung, einen Vergleich mit den gewoͤhnlichen Haͤuſern in der Stadt aus. Aber die Straßen ſind laͤnger, breiter, lichter und geſuͤnder; nur fehlt es an ſchoͤnen Plaͤtzen eben ſo ſehr, als in Wien ſelbſt, was vielleicht der Unachtſamkeit der Kaiſerlichen Bauaͤmter und der Polizey mit beyzumeſſen iſt. Die Po - lizey uͤbrigens, die ehedem ihre Aufſicht den Vorſtaͤdten faſt ganz entzog, hat ſeit zwey Jahren mit Acht Polizeydirektoren und dem dazu noͤthigen Perſonale an Soldaten und Kundſchaftern, in denſelben einen Sitz gefun - den, und ſteht in genauer Verbindung mit dem großen Polizeyamt in der Stadt.

In einem der neueſten Stuͤcke der Oeſter - reichiſchen Monatsſchrift befindet ſich eine Berechn[u]ng der geſammten Volksmenge,165 die Wien mit ſeinen Vorſtaͤdten einſchließen ſoll. Sie ſcheint nicht ſo ſehr durch mißver - ſtandne Vaterſtadtsliebe uͤbertrieben, wie die in den fruͤhern Beſchreibungen von Wien. Nach derſelben ſoll die Anzahl der Einwohner auf Drey Hundert und Zwanzig Tauſend hinanſteigen. Nicht ſo hoch berechnet ſie der angefuͤhrte Wegweiſer, der nur, aber ohne eine Angabe darzulegen, Zwey Hundert und Siebzig Tauſend annimmt. Man koͤmmt der Wahrheit durch die Mittelzahl von drey - mal Hundert Tauſend vielleicht am naͤch - ſten; doch ich ſelbſt hatte weder Zeit noch Ge - legenheit, eine neue Unterſuchung daruͤber an - zuſtellen. Die Zahl von 206,000, welche die Nikolaiſche Berechnung giebt, ſchien hier von jeher zu gering; indeſſen iſt gewiß, daß ſich die Volksmenge ſeit jener Zeit nicht gemehrt hat, wie hoch ſie auch damals geweſen ſeyn mag. Der Krieg und die neueſten Maßregeln der Polizey haben es unmoͤglich gemacht. Der erſtere hat die Beſatzung vermindert und durch166 Werbungen viel Leute aus Wien gezogen; und die letztere hat, vielleicht aus zu großer Aengſt - lichkeit, allen Fremden, die keine eigentlichen Geſchaͤfte hatten, erinnert, Wien zu verlaſſen.

Joſeph der Zweyte glaubte, durch die Erleichterung der Ehen unter den Buͤrgern und dem Volke zur Vermehrung der Einwoh - ner beyzutragen; und er erleichterte die Ehen durch die Aufhebung der Zuͤnfte und die Frey - gebung der Gewerbe. Eine Menge Huͤlfsmit - tel fuͤr das Durchkommen der niedrigern Staͤnde thaten ſich dadurch freylich auf, und mithin entſtand auch mehr Zuverſicht bey dem Ge - danken ans Heirathen. Dieſes wurde von der Polizey nicht mehr behindert, weil nicht ein - mal ein Taufſchein dabey verlangt ward, und von der Kirche nicht, weil weder Braut noch Braͤutigam des Glaubens wegen belaͤſtigt wer - den durften. Das neue Paar naͤhrte ſich dann, wie es konnte: der Mann, entweder durch ein Handwerk, das er gelernt hatte, oder durch Tageloͤhnerey; die Frau, durch einen Hoͤken -167 kram mit Lebensmitteln und kleinen Beduͤrf - niſſen aller Art. Die Anzahl dieſer Kraͤme - rinnen iſt auch ſichtbar geſtiegen, ſeitdem ich in Wien nicht geweſen bin, aber zugleich hat ſich eine Art von Lazzaroni hervorgethan, die ſonſt nicht ſo haͤufig waren, und wahrſcheinlich noch haͤufiger ſeyn wuͤrden, wenn die bisheri - gen Werbungen die Straßen von Wien nicht von Zeit zu Zeit aufgeraͤumt haͤtten. Indeſſen liegt und ſteht doch mancher Taugenichts an dem Krame ſeiner Frau, die mit Obſt, Leb - zelten, Struͤmpfen, Handſchuhen, Buͤchern ꝛc. handelt, unbeſchaͤftigt herum, und laͤßt ſich von ihr fuͤttern. Auf eben dieſem Wege ſind auch die haͤufigen Wein - Bier - und Kaffeſchenken, und die Troͤdeleyen und Diebesniederlagen ent - ſtanden. Man hat unter dem vorigen und je - tzigen Kaiſer Verſuche gemacht, dieſe Frey - heit einzuſchraͤnken, und das eheliche Zuſam - menlaufen zu erſchweren; aber man ſagt, die Regierung ſey dabey in Verlegenheit gerathen und habe unruhige Auftritte von den Fiſchwei -168 bern und Baarlendern an der Wien befuͤrch - ten muͤſſen, wozu es jedoch, meines Erachtens, bey der ſehr gutmuͤthigen und furchtſamen Gemuͤthsart des Wiener Volks, nie gekommen waͤre.

Wenn aber die Freyheit zu verkehren in dieſen Staͤnden die Ehen vermehrte, ſo hat ſie dieſelben in andern, durch eine Nebenfol - ge, vermindern helfen. Es iſt unſtreitig, daß die Menge der erſtandenen Hoͤfen, kleinen Kaufleute und Zwiſchenhaͤndler, die Preiſe der noͤthigſten Beduͤrfniſſe und der Lebensmittel ge - ſteigert hat. Ich habe dieſe Preiſe faſt um die Haͤlfte hoͤher gefunden, und Wien, das vor einigen Jahren fuͤr eine der wohlfeilſten Staͤdte in Deutſchland galt, duͤrfte, wenn ſich die Umſtaͤnde nicht aͤndern, bald zu den theurern gehoͤren. Auch wirkt der gegenwaͤrtige Krieg, der ungeheure Summen baares Geld aus der Hauptſtadt, und große Vorraͤthe von Lebensmitteln und Futter aller Art, aus den angraͤnzenden Landſchaften zieht, nicht wenig169 zu der ſteigenden Theure. Die freywilligen Beytraͤge zu den Kriegskoſten, worin die treuen Wiener muſterhaft gewetteifert haben, und die darauf folgende Kriegsſteuer, die, bey den Be - amten, das Viertel ihrer Beſoldungen wegnahm, ſchmaͤlerte ihrerſeits die Einkuͤnfte kein Wun - der alſo, wenn ſich die Ehen ſeit dieſer Zeit, beſonders unter den Staatsbeamten, vermin - derten, die ohnehin in jedem Lande, wenn ſie ehrlich ſeyn wollen, am ſchlechteſten bedacht, und doch, nach dem eingefuͤhrten Ton, einen gewiſſen Anſtand in ihren Umgebungen zu be - obachten gezwungen ſind. Sonach kann ein junger Mann, der bloß von ſeinem Amte le - ben muß, kaum ans Heirathen denken, weil es unmoͤglich iſt, eine Familie auf einem nur leidlich anſtaͤndigen Fuße, unter funfzehn hun - dert bis drey tauſend Gulden zu erhalten. Ich kenne hier manches wohlhabende Haus, deſſen wohlgezogene, huͤbſche, unbeſcholtene und ge - bildete Toͤchter deshalb in Gefahr ſind, unver - ſorgt zu bleiben. Alle uͤbrige Urſachen, die in170 andern Laͤndern und Staͤdten die Heirathen vermindern, ſind natuͤrlich auch hier, oft wol doppelt, vorhanden.

Nur ſchließe man aus dieſen Angaben nicht, daß Wien den Anblick von Wohlſtand und Wohlleben, wodurch es ſich gleich hinter Lon - don, vor allen uͤbrigen Europaͤiſchen Haupt - ſtaͤdten auszeichnete, verloren habe; verſchoͤnert und vervielfaͤltigt habe ich ihn vielmehr gefun - den. Die Stadt ſelbſt iſt, wie oben erwaͤhnt, faſt ganz neu gekleidet; das Pflaſter, wie ſonſt, vortreflich; die Straßenleuchten ſind von guter Form, ſauber geputzt, freygebig vertheilt und verſorgt; die Fiaker großentheils neu, ſo - gar geſchmackvoll und mit raſchen Pferden be - ſpannt; die Kaufmannsgewoͤlbe herrlich aufge - putzt; die Gold - Silber - und Moden-Laden ſtrahlen verfuͤhreriſch; die Obſtkoͤrbe auf dem Hofe ſtehen in langen Reihen, hoch aufge - ſchichtet da; große Korb - und Gitterwagen, mit allen Arten von zahmen Gefluͤgel vollge - ſtopft, draͤngen ſich auf den Maͤrkten; die ge -171 woͤhnlichen Wildmaͤrkte ſtrotzen von Hirſch - ſchlaͤgeln, Schweinskeulen, Rehruͤcken und Hackſchkoͤpfen, aber auch von den ſaftigſten Friſchlingen, von Faſanen, die mit dem fein - ſten Wachs uͤberblaſen ſcheinen, von Repp - huͤhnern und Auerhaͤhnen; die Fleiſchbaͤnke ſind immer gefuͤllt und immer geleert; Suͤlzen und Wuͤrſte, geraͤucherte Zungen, Kaiſerfleiſch und Schmalz haͤngen und ſtehen und liegen an den Seiten der Straßen herum, und fette Maͤn - ner und Weiber ſind unaufhoͤrlich beſchaͤftigt, zu ſchneiden und zu wiegen, waͤhrend ganze Zuͤge von gemaͤſteten ungariſchen Ochſen ſich ſtutzig vorbey draͤngen und, mit Heuwagen, Kohl - koͤrben und Mehlſaͤcken vermiſcht, den Kram der Brotſitzerinnen herunterreiſſen und ihre Kipfel und Laibel uͤber die Straße ſtreuen.

Die Menſchen auf den Straßen ſind alle, jeder nach ſeinem Stande, ſauber gekleidet. Die Koͤchin tritt in Seide einher, das Stu - benmaͤdchen in Muſſelin; erſtre mit einer von Gold ſtarrenden Haube, letztre im netteſten172 Kopfzeuge, mit dem erklaͤrteſten Abſcheu gegen die altmodiſchen Drathgeſtelle, die ehedem ih - rer Klaſſe ganz eigenthuͤmlich waren. Hinter ihr trippeln ein paar Schneiderburſchen in ſeidenen Pantalons, mit Baͤnderſchuhen und fliegenden Haaren her, die nur noch an der Sprache, und den wunderlichen Schultern zu erkennen ſind. Mitten durch ſie hin ſchreitet mit großen gewichsten Stiefeln ein Menſch in ſeinem Frack, mit ſchmaler Treſſe um den großen Hut, den die blauen oder ſchwarzen Haͤnde als Faͤrber - oder Schmiedegeſellen ver - rathen, und kauft ſich eine Taſche voll Kai - ſerbirnen bey der naͤchſten Fratſchlerin, die, beym Wiedergeben auf einen harten Tha - ler, unter ihren Kreutzern und Siebnern und Siebzehnern, auch Kremnitzer Dukaten mit herauszieht. Das Aeußere der mittlern und hoͤhern Staͤnde iſt bey beyden Geſchlechtern ganz engliſch, mithin auch koſtbarer, geworden. Es iſt nicht mehr, wie ſonſt, mit Gold, Sil - ber und andern ſchimmernden Putz uͤberladen,173 ſondern einfach, auserleſen und fein; und ein negligé von Mouſſelin koſtet den Weibern jetzt mehr, als ehedem eine parure mit al - lem Zubehoͤr; ſo wie den Maͤnnern ein feiner Tuchfrack hoͤher zu ſtehen koͤmmt, als ehedem ein vollſtaͤndiges Staatskleid von Seide. Die - ſer Geſchmack hat auch hier zwiſchen den mitt - lern und hoͤhern Staͤnden faſt allen Unterſchied aufgehoben, und auf drey Schritte kann man den Ladendiener nicht von dem jungen Grafen und Fuͤrſten unterſcheiden. Eben ſo beym weib - lichen Geſchlechte.

Wenn aber das Ganze wohlhabender erſcheint, ſo ſind die einzelnen Theile im Grunde doch aͤrmer, als ehedem. Jetzt traͤgt man, was man hat, um, an und mit ſich; man koͤmmt aus, oder man macht auch Schulden; kurz, man ſammlet nicht mehr, und darin liegt der große Abſtich gegen die vorigen Zeiten. Der Buͤrger und Handwerker ißt taͤglich ſeine drey Gerichte, macht ſeine ſonn - und feſttaͤgli - chen Luſtfahrten, beſucht des Abends ſeinen174 Wein - oder Bierkeller, wie ſonſt; aber er leg nichts mehr zuruͤck, und giebt ſeinen Toͤchtern keine Ausſtattungen von zehn, funfzehn und zwanzig tauſend Gulden mehr. Die hoͤhern, reichlich beſoldeten Staatsbeamten, die uͤbrig hatten, haben ſo eben genug; die eben genug hatten, haben zu wenig, und muͤſſen mit Pflicht und Gewiſſen wuchern. Die großen Haͤuſer, die ſonſt die Einkuͤnfte von ihren Guͤ - tern nicht halb verzehrten, brauchen ſie ganz, brauchen oft noch weit mehr, machen Schulden, zerſtuͤcken ihre Guͤter, fallen Wucherern in die Haͤnde und ſagen Krida an. Majoratsherren haͤufen, wenn ſie einen geitzigen, oder auch einen wirthſchaftlichen Vater oder Vormund haben, waͤhrend ihrer Minderjaͤhrigkeit, Schulden auf Schulden, und bekommen fuͤr die Millionen, die ſie beym Antritt ihrer Guͤter zahlen muͤſ - ſen, oft nur Hunderttauſende. Als der jetzige Fuͤrſt N. E**, kurz vor dem Tode ſeines Vaters, wegen dritthalb Millionen Schulden zum Verſchwender erklaͤrt wurde, fand es ſich,175 daß er kaum Eine Million empfangen hatte. Die Kunſtgriffe der Wucherer ſind hier uͤbri - gens dieſelben, die aus der Geſchichte von London, Paris und andern großen Staͤdten bekannt genug ſind. Sie halten 30, 40, bis 50 fuͤrs Hundert noch fuͤr chriſtlich; manche aber bringen ihre Gelder auch zu 100 und 150 vom Hundert an. Man hat mir einen Men - ſchen gezeigt, der, durch bloße Maͤkeley bey Wuchergeſchaͤften, ſeit ungefaͤhr 6 Jahren ein Vermoͤgen von 200,000 Gulden zuſammen zu bringen wußte. Dieſe Geiſſeln fallen beſonders den Großen empfindlich, weil dieſe, wenn ſie einmal borgen muͤſſen, theils aus Ehrgeitz, theils aus Noth, große Summen aufnehmen; und große Summen ſind den Wucherern, wie ſie bey vollem eiſernen Kaſten vorgeben, immer am ſchwerſten bey ihren guten Freunden aufzubringen.

Die erſten und reichſten fuͤrſtlichen Fami - lien ſind jetzt in Wien die Auersberg, Ba - thyani, Colloredo, Ditrichſtein, Eſter - haſy, Kaunitz, Kinsky, Kraſalkowitz,176 Lichtenſtein, Lobkowitz, Paar, Schwar - zenberg und Stahrenberg. Alle beſitzen mehr oder weniger große und praͤchtige Pal - laͤſte in Wien; ſind mehr oder weniger mit ihren Einkuͤnften in Ordnung oder Unordnung, machen mehr oder weniger Aufwand. Man berechnet, daß im Durchſchnitt jedes dieſer Haͤuſer jaͤhrlich 200,000 Gulden verzehre, daß aber einige, wie z. B. Ditrichſtein, Eſterhaſy, Lichtenſtein, Schwarzenberg, darunter ſind, die dreymal bis ſechsmal hunderttauſend Gul - den aufgehen laſſen. *)Skizze von Wien. II. [53]

Manche Artikel, die ehedem den Großen viel koſteten, ſind jetzt eingegangen, z. B. große, oft abenteuerliche Aufzuͤge, Feſte, Feu - erwerke, Jagden, Aufritte, Maskeraden ꝛc. bey Hoffeyerlichkeiten. Theils giebt der Hof ſelbſt dazu keine Gelegenheiten mehr; theils ſagt ſich der Egoismus unſeres Zeitalters los davon; theils ſind manche Haͤuſer nicht im Stan -de,177de, ſich dabey auszuzeichnen, wozu in Wien beſonders viel gehoͤrt; theils verbieten es einige Zweige des neuern Luxus, die mehr und wiederholter gewiſſe Ausgaben verlangen, welche ehedem nicht da waren. Es ſind nur noch zwey ſtehende Gelegenheiten vorhanden, wo die großen Haͤuſer ihre Pracht jaͤhrlich auslegen: der Neujahrstag und das Fron - leichnamsfeſt; doch ſoll man ſich auch dieſe jetzt weit wohlfeiler machen, als noch vor funfzehn Jahren. Geburtstage, Heirathen, Todesfaͤlle bey Hofe und in den Familien ſelbſt, haben, beſonders ſeit Joſeph, den alten ſpa - niſchen Prunk faſt ganz verloren.

Dagegen nehmen die Liebhabereyen, Launen, Wunderlichkeiten und Leidenſchaften der Großen deſto mehr von den Einkuͤnften weg, weil dieſe Dinge gewoͤhnlich theurer ſind, als die natuͤr - lichen und unentbehrlichen. Ein Pallaſt, ein Stall, eine Jagd, eine Dienerſchaft, eine Ka - pelle zum Beten oder zur Muſik, verſtehen ſich, wie eine wohl verſorgte Kleiderkammer,Sechstes Heft. M178ein praͤchtiger Wagenſchoppen, eine reichliche Tafel, in den großen Haͤuſern von ſelbſt, und fuͤr dieſe Artikel ſind die Ausgaben ein fuͤr al - lemal beſtimmt und bleibend; aber ein Herr, der ſpielt, und eine Frau, die gefallen will; oder ein Herr der eine Maͤtreſſe unterhaͤlt, und eine Frau, die alle Kirchen berennt; oder ein Herr, der Kunſtkenner ſeyn will, der das Bauen liebt, der Gold, Silber und andre Erze jagt; der nach Soldatenruhm duͤrſtet; und eine Frau, die das Reiſen liebt, die ſich gern auf dem Privattheater zeigt, die den ſchoͤnen Geiſt ſpielt, Diamanten bewundert und gern die Wirthin macht ſolch ein Paar kann mit unerſchoͤpflichen Einkuͤnften fertig werden, und wird es oft genug auch hier, wie anderwaͤrts. Doch kann man den großen jetztbeſtehenden Familien in Wien nicht nachſagen, daß ihre Haͤupter durch erklaͤrt-unſinnige Launen und Grillen ſich zu Grunde richteten, und daß dieſe Faͤlle uͤberhaupt je ſo oft hier vorgekommen waͤ - ren, als in Warſchau, London und in dem alten179 Paris. Nur Ein Beyſpiel iſt mir davon gegen - waͤrtig, ein Beyſpiel das man jetzt zuweilen des Abends in der Daͤmmerung auf einer gewiſſen Seite der Baſtey zu Fuße kann einhergehn ſehn.

Dieſe Fuͤrſtenhaͤuſer ſtroͤmen einen großen Theil des Geldes, das die große Welt in Wien in Umlauf ſetzt, in hundert Quellen aus; die uͤbrigen Klaſſen derſelben liefern, jede in ihrer Art, ebenfalls betraͤchtliche Beytraͤge dazu. Die Graͤflichen und Freyherrlichen Haͤu - ſer, die, jedoch ſchon dem engern Ausſchuſſe nach, zu der eigentlichen großen Welt, oder richtiger zum hohen Adel gehoͤren, ſind in nicht geringer Anzahl vorhanden. Ich nenne nur ein paar der hervorſtechendſten darunter: die beyden Graͤflich Harrachiſchen, das Schoͤnborn'ſche, das Palfi'ſche und das Thun'ſche. Dieſe beſitzen ſaͤmmtlich anſehn - liche Pallaͤſte in Wien und naͤhern ſich in al - lem den Fuͤrſtlichen. Man ſetzt ihre Ausgaben und Einkuͤnfte auf 100, und 150,000 Gulden. Das Graͤflich Frieſiſche Haus hat, trotzM 2180Pallaſt und Reichthum, in dem erſten Kreiſe der großen Welt nie recht anerkannt werden wollen, weil das neue Datum ſeines Daſeyns ihm unuͤberwindliche Hinderniſſe in den Weg legte; deſto mehr glaͤnzte es aber in dem zwey - ten Kreiſe der großen Welt, wo es oben an ſtand.

Dieſer zweyte Kreis iſt, den einzelnen Thei - len nach, minder reich, als der erſte, aber er ſchließt mehr Mitglieder ein, und haͤlt deshalb im Ganzen dem erſten Kreiſe an Vermoͤgen, und faſt auch an Pracht und Aufwand, das Gleichgewicht. Was aus ihm an Geld in die große Maſſe des Umlaufs tritt, dringt gleich - ſam mehr in die innern Theile deſſelben, weil die Standpunkte ſeiner Mitglieder mehr uͤber und durch das allgemeine Getuͤmmel verbreitet ſind, und zum Theil die geringern Staͤnde unmit - telbar naͤhren. Dieſer Kreis hebt mit den großen Spekulanten jeder Art, mit Manufaktur - Fa - brik - Bau - und Holz-Unternehmern, worun - ter Grafen, Barone, und Edle, aber auch181 Buͤrger ſind, an, geht auf die alten und neuen adelichen Haͤuſer, die entweder Grundguͤter, oder hoͤhere Staatsſtellen, oder beydes beſitzen und davon leben; und auf Wechsler, Negoti - anten (wohin auch die Wucherer gehoͤren) auf Lieferer und einige große Kaufleute, die meiſt geadelt ſind, fort, und endiget ſich mit den Beſitzern eigener Haͤuſer, mit den Aerzten, Anwalten und Sachwaltern. In Abſicht des Wohlſtandes gehoͤren auch gewiſſe Handwerke und Gewerbe hieher, z. B. die Baͤcker, Brauer, Fleiſcher, Korn - und Mehlhaͤndler, die großen Muͤller und die Wirthe in der Stadt, unter denen man noch oft reiche findet; aber in Ab - ſicht des Aufwandes und der Lebensart bleiben ſie von den oben genannten Klaſſen entfernt; und ihr Tiſch, ihre Wohnung und Tracht er - halten ſich noch auf einem buͤrgerlichen Fuße. Vor Joſephs Regierung gehoͤrten noch viele andre Gewerbe zu den genannten nahrhaften, aber die Aufhebung der Innungen und die Freygebung aller Handwerke leiteten die ver -182 ſchloſſenen Quellen, aus denen einige ausſchlie - ßend ſchoͤpften, uͤber Alle; machten zwar Ein - zelne nicht mehr reich, verſchafften aber Allen die Nothdurft. So waren die Apothekerey und der Buchhandel unter Maria Thereſia ſehr eintraͤgliche Gewerbe, aber unter Joſeph ſanken beyde durch die eroͤfnete Konkurrenz. Die wohlhabenden Buchhaͤndler, die noch in Wien ſind, ſtammen aus aͤltern Zeiten; die Buͤchertroͤdler, Buchdrucker und Nachdrucker aber, die man in engen Gaſſen, in finſtern Gewoͤlben, welche oft nicht vier Schuh ins Gevierte haben und deren einziges Fenſter durch abgeſchmackte Buͤchertitel verklebt iſt, ſo haͤu - fig findet, ſind ſaͤmmtlich aus den Zeiten der Buͤchl und Joſephs des Zweyten, der uͤber dieſen Handel ſehr einſeitig dachte.

Der Charakter der Geldmaſſe, die in Wien umlaͤuft, und die Art, wie ſie verthan wird, iſt wie in den meiſten andern Europaͤi - ſchen Reſidenzen, London ausgenommen, das zugleich die Huͤlfsquellen einer Manufaktur -183 Handels - und Hafenſtadt einſchließt, und Eu - ropa und die uͤbrigen Welttheile beſteuert, aber auch ſelbſt durch ſeine Unternehmungen ungeheure Summen, beſonders nach Suͤden, Oſten und Norden, ausſtroͤmt. Mit London haͤlt alſo Wien in Abſicht des Reichthums und deſſen Anwendung keine Vergleichung aus; aber wohl mit Paris in ſeiner gegenwaͤrtigen Lage. Dieſe Stadt iſt jetzt, trotz den unaus - ſprechbaren Summen ſeiner papiernen Muͤnze aͤrmer als arm, und eben dieſer Muͤnze wegen innerhalb ſeiner Mauern eingeſchraͤnkt, ſo wie das ganze Land innerhalb ſeiner Graͤnzen, uͤber welche nur baares Geld hinaus, aber nichts mehr hereingehet. Sie hat einen glaͤnzenden Hof, und eine Menge verſchwenderiſcher Gro - ßen verloren, und muß den ganzen Ertrag der liegenden Gruͤnde, den die letztern in Pa - ris verzehrten, jetzt, da ſie Eigenthum der Nation geworden ſind, außer Landes ſchicken, um Heere zu unterhalten und Brot zu haben. Madrit zehrt ſein baares braſilianiſches Geld184 jaͤhrlich rein auf und macht Schulden. Ne - apel hat mehr große, oder doch großbetitelte, Vaſallen in ſeinen Mauern, als Wien, aber ſie leben von Obſt und kalter Kuͤche; der Ha - fen dieſer Stadt iſt fuͤr die Englaͤnder; ihr Handel fuͤr dieſelben; ihr Getreide und Oel und ihre Seide fuͤr niemand anders; und der Hauptſtadt beyder Sicilien bleibt nichts uͤbrig, als ſorbetti, macaroni, alici, Ci - tronenwaſſer, Kupfergrane, Bankſcheine, di - abolini, und Lazzaronen. Amſterdam iſt im Hinſcheiden. Berlin iſt nur reich durch den Fleiß und die Haͤuslichkeit ſeiner Bewoh - ner, denen ein ſparſamer Hof und eine kaͤrglich beſoldete Staatsdienerſchaft zu Huͤlfe koͤmmt. Das einzige Petersburg ſteht in Abſicht des Geldumlaufs, der Pracht ſeiner Großen, der Wohlhabenheit ſeiner Buͤrger, des Luxus und des Wohllebens, mit Wien auf Einer Stufe.

Das Geld, das in Wien ausgegeben wird, iſt, dem groͤßeſten Theile nach, ohne Muͤhe und185 Sorgen erworben, und wird deshalb mit einer gewiſſen Freygebigkeit und Froͤhlichkeit verthan, die beſonders auf ſinnliche Genuͤſſe fallen muß. Die Fuͤrſtlichen, Graͤflichen, Freyherrlichen und andern Familien, die ihre Einkuͤnfte aus lie - genden Gruͤnden ziehen, haben weder Muͤhe noch große Sorge bey ihrer Exiſtenz; die Aern - ten erneuern ſich alle Jahre; eine Aernte ver - ungluͤckt nicht ſo oft, hat nicht das Gewagte und verlangt nicht die Vorlage einer kaufmaͤn - niſchen Unternehmung. Das Heer der Staats - beamten in Wien lebt nicht minder ſorgenfrey, denn alle Vierteljahre koͤmmt ihr Gehalt wie - der, und dieß macht, daß ſie, ſelbſt bey uͤbler Wirthſchaft, wenigſtens vor dem Mangel der noͤthigern Beduͤrfniſſe geſchuͤtzt ſind. Die Wechs - ler und andre Geſchaͤftsleute ſchraͤnken ſich mit ihren Unternehmungen meiſt auf Wien ein, und verbreiten ſich ſelten uͤber das Ausland, wenn ſie nicht ſchon ſichere Effekten in Haͤnden haben; mithin ſind auch ſie vor großen Ein - bußen, alſo auch vor Sorgen, geſichert. Die186 hieſigen Kaufleute, ſelbſt die groͤßeſten, machen mehr Kommiſſions - und Speditions - als Spekulationsgeſchaͤfte; und laſſen ſie ſich auf letztre ein, ſo ſind ſie von der Art, daß ihr ſicherer Gang ſchon ſeit Jahren bewaͤhrt, oder die Unentbehrlichkeit ihrer Artikel Buͤrge iſt, daß im ſchlimmſten Falle kein großer Verluſt entſtehen kann. Die uͤbrigen Wiener Kaufleute ſind Kraͤmer, die nicht leicht verlieren, ſondern nur zu beſorgen haben, daß ſie nicht genug gewinnen moͤchten, um nach einem gemachten Zuſchnitte davon zu leben. Die Handwerker und alle unentbehrlichen Arbeiter aus den nie - drigen Klaſſen koͤnnen ſich bey einem Publikum nicht ſchlecht ſtehen, das ſolchergeſtalt erwirbt, und heiter und ohne Filzigkeit verzehrt, und es dabey fuͤr eine Schande haͤlt, einem Hand - werker ſchuldig zu bleiben, oder ihn gar zu betruͤgen. Die Prieſter und Prieſterinnen der Pracht und des Luxus koͤnnen keinen Mangel an leichtſinnigen und freygebigen Kunden ha - ben; die Unternehmer der Anſtalten, die das187 Wohlleben befoͤrdern, wie Kaffee - Trink - und Speiſehaͤuſer und Weinkeller; die ſinnlichen Vergnuͤgungen zum Zweck haben, wie Thea - ter, Tanzſaͤle, Spektakel aller Art, mit einem Worte: die Leute, die fuͤr den mannigfaltigen ſinnlichen Genuß arbeiten, finden nicht minder zahlreichen Zuſpruch, als die, welche mit den unentbehrlichſten Dingen Verkehr treiben. Dieſe verzehren dann auch, in ihrer Art, den Er - werb, der ihnen ſo freygebig zugetragen wird, in gleicher Froͤhligkeit und Ueppigkeit.

Aus dieſem Umſtande erklaͤrt es ſich men - ſchenfreundlicher, warum die Wiener ſolch ei - nen ausgezeichneten Hang zum Luxus und zum Wohlleben haben, als aus einer rohen Prunk - ſucht und einer thieriſchen Verſchlingungsgier, die man ihnen ſo oft Schuld gegeben hat. Sie haben, ſich zu kleiden, ſie haben, um zu ſchmauſen. Ihre Stadt liegt in der Mitte fetter Landſchaften, die alle Eßwaaren in vor - zuͤglicher Guͤte hervorbringen, in Menge her - zuſchaffen und wohlfeil hergeben. Die menſch -188 lichen Beduͤrfniſſe ſteigen und fallen natuͤrlich nach der Leichtigkeit oder Schwierigkeit, ſich dieſelben zu verſchaffen. Warum verdirbt ſich zuweilen ein Philoſoph, der in Leipzig von einem gebratenen Taͤubchen ſatt wird, in Merſeburg, bey der Tafel eines Dom - herrn, an Paſteten, Faſanen und Ge - leen den Magen? Warum laͤßt ſich ein Ber - liner, der ſeine Reißſuppe, ſein Land - rindfleiſch mit Kartoffeln, und ſeinen Kaͤlberbraten mit Pflaumen des Mit - tags in Berlin hinreichend findet, in Wien eine Markknoͤdelſuppe, ein Ungari - ſches Rindfleiſch mit Mandelgreen, einen braunen Koͤlch mit Bratwuͤrſtl, ein Lunkelbratel in der Soß, ein Ein - gemachtes, einen Guglhupfen, Speck - knoͤdel mit Kaiſerfleiſch, ein Faſan - del auf Sauerskraut, ein Kapaundel, oder ein Polackerl, oder ein gebachenes Haͤndl, ein Stuͤck Linzer Torten, und einige Kaiſerbirnen dies iſt in Wien189 eine buͤrgerliche Mahlzeit gern gefallen, und uͤberſieht es einmal, wenn ſich nach Tiſche Leib und Seele auf dem Graben in Wien ein wenig ſchwerer und verdroßner finden laſſen, als unter den Linden in Ber - lin? Und warum moͤchte wohl ſelbſt ein Dres - dener, (der geiſtigſte Eſſer in Deutſchland) gern bekennen, daß ein Roſtbratl, oder ein Reh - ruͤckl, oder ein wildes Aenterl zum Abend - eſſen in Wien, einem Putterpaͤmmchen von Lokowitzer Brot in Dresden doch vorzuziehen ſey?

Dieſe Erſcheinungen bey den Bewohnern dreyer Staͤdte, die in Deutſchland fuͤr die maͤßigſten gelten, deuten doch offenbar dahin, daß ſie es den Wienern in der Eßluſt leicht nachthun wuͤrden, wenn die Natur und ihre Großen ſie eben ſo reichlich verſorgten? Ge - ſtehen wir nur, daß der Menſch von Natur mehr Hang zum Eſſen, als zum Arbeiten, mehr Luſt zum Verdauen, als zum[Denken] hat; und daß man ſich den abgeſchmackten190 moͤnchiſchen Lehren vom Faſten und der Ehe - loſigkeit naͤhert, wenn man es gut verſorgten Sterblichen uͤbel nimmt, daß ſie ihrer gluͤckli - chern Lage genießen. Die Wiener thun dies in angemeſſener Fuͤlle, und werden fortfahren, es zu thun, ſo lange ſie koͤnnen, trotz ihren noͤrdlichen Landsleuten und deren Sticheleyen, die ſie fuͤr Kinder des Neides halten, ſo ernſt - haft auch jene erklaͤren, ihr Eifer entſtehe aus wahrem Mitleid uͤber ihr Zuruͤckbleiben in der Religion, in der Weltweißheit und in den Kuͤnſten und Wiſſenſchaften uͤberhaupt. Wahr iſt es, die Wiener haben nicht ſo viel Schrift - ſteller und Kuͤnſtler, als manche kleine noͤrd - lichdeutſche Stadt; aber ihre Gelehrten ſind ſo gut beſoldet und eſſen ſo reichlich, daß ſie nicht noͤthig haben, Buͤcher zu machen; und ihre Kuͤnſtler werden fuͤr ihre Arbeiten ſo gut belohnt, daß ſie nicht in Gefahr kommen, ihre Leibes - und Geiſteskraͤfte uͤber Titelkupfern und Vignetten aufzuopfern, um nur ihre Nothdurft zu gewinnen.

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Gleich hinter die Freuden der Schuͤſſel, ſetzt man in Wien die Freuden der Schau - buͤhne. Ein wahrer Gemeingeiſt herrſcht hierin bey den Wienern. Jeder Stand hat mit jedem Stande den Geſchmack daran ge - mein und alle Staͤnde ſind in allen Schau - ſpielhaͤuſern vermiſcht. Man ſieht den gemein - ſten Mann im Hof - und Kaͤrnthner-Thor - Theater, und den vornehmſten bey Mari - nelli und Schickaneder. Es ſind jetzt Fuͤnf ſtehende Schaubuͤhnen in Wien, und zwey oder drey fliegende kommen bey gewiſſen Gelegenheiten, z. B. in Marktzeiten hieher, halten ſich aber gewoͤhnlich nicht uͤber drey oder vier Wochen.

Das Hof - oder Nationalſchauſpiel, das ſeine Buͤhne in der Burg hat, iſt durch die Veraͤnderungen, die es litt, und durch die Verbeſſerungen, die es erhalten ſollte, be - kannter geworden, als durch wirkliche Voll - kommenheit. Da diejenige Buͤhne die beſte iſt, die der Stadt und dem Volke, vor wel -192 chen ſie ſpielt, am meiſten gefaͤllt, ſo pflege ich auf die Urtheile von Reiſenden aus andern Provinzen nicht nachzuſprechen: ja, ich traue mir ſelbſt nicht Unbefangenheit genug zu, uͤber ein Theater zu urtheilen, worauf ich andre Sitten, in einer andern Mundart, als die mir gelaͤufig iſt, dargeſtellt ſehe; und deßhalb lege ich das Benehmen der Wiener ſelbſt ge - gen ihre oberſte Buͤhne zum Grunde, und ſchließe bloß aus dieſem, daß ſie weſentliche Maͤngel haben muͤſſe, die ihr uͤberhaupt eine erklaͤrte Gleichguͤltigkeit und, zu manchen Zei - ten, eine gaͤnzliche Vernachlaͤßigung, wohl gar Verachtung, zugezogen. Mehrere, oft ſehr ſchnell auf einander erfolgte, Veraͤnderungen, die den Liebhabern der deutſchen Theaterge - ſchichte bekannt genug ſind, waren die Folge davon; aber keine, ſo zuverſichtlich und rau - ſchend ſie auch zuweilen angekuͤndigt wurde, bewirkte was ſie ſollte: beſſern Geſchmack, Wetteifer unter den Schauſpieldichtern, mehr Zulauf, und nebenher beſſere innere Einrich -tung193tung und fruchtbare Theaterpolizey. Der Hof ſelbſt uͤbernahm zuletzt, da dieſe Buͤhne einzu - gehen drohete, die Beſorgung derſelben, und brachte abermals einige Verbeſſerungen an, aber ſie blieb im Schmachten und ſie iſt, mei - nes Ermeſſens, noch darin. Ich hoͤre ſo eben, daß ſie wieder an einem Privatunternehmer uͤberlaſſen werden ſoll, weil es der Hof fuͤr unſchicklich haͤlt, in Zeiten, wie die laufenden, bey einer Unternehmung, die bloß dem Ver - gnuͤgen dient, das nuͤtzlicher zu verwendende Geld aufzuopfern. Ein Mann von feinem Ge - ſchmack, ein geborner Wiener, gab mir Man - gel an Auswahl unter den anzunehmenden Schauſpielern und Schauſpielerinnen; Unei - nigkeit, Anmaßung, Traͤgheit und erklaͤrte Mittelmaͤßigkeit unter dieſen; zu reichliche Beſoldung derſelben; ungluͤckliche Wahl der aufzufuͤhrenden Stuͤcke, die oft, bey großen darauf verwandten Koſten, dem Publikum durchaus mißfallen; uͤbrigens ſchlechte Wirth - ſchaft (ſonſt koͤnnte der Hof nicht jaͤhrlich 150Sechstes Heft. N194bis 200,000 Gulden einbuͤßen) und endlich auch den Wetteifer der Nebentheater, beſonders Marinellis und Schikaneders, die den Geſchmack der Wiener beſſer kennen und ihre Schwachheit fuͤr Nationalſtuͤcke, durch kurze Luſtſpiele und kleine Singſtuͤcke nutzen, waͤhrend das Hof - theater ſie durch, hier ſogenannte Saͤchſiſche Schauſpiele, Ritterſtuͤcke, und weinerliche Fa - miliengemaͤlde, mit Sitten, die man nicht kennt und zum Theil abgeſchmackt, kleinſtaͤd - tiſch und laͤcherlich findet, regelmaͤßig einſchlaͤ - fert dieſe Umſtaͤnde, und die uͤbertriebene Anzahl des Nebenperſonale, das verhaͤltniß - maͤßig auch nicht ſchlecht beſoldet iſt, und die Ausgaben erhoͤhet, gab mir, ſage ich, der ge - dachte Kenner, als die Urſachen des ſchlechten Zuſtandes dieſer Buͤhne an, und ich fand kei - nen Grund an der Richtigkeit derſelben zu zweifeln.

Im Ganzen, fuhr er fort: iſt das Nationaltheater jetzt ſchlechter, da es der Hof beſorgt, als es vorher unter Privatunterneh -195 mern war. Die beſten Schauſpieler ſind entweder abgegangen, oder in Ruhe geſetzt, oder haben ſich unbegreiflich verſchlimmert. Die uͤbrigen bekannten Schauſpieler, die zum Theil ſeit zwanzig und mehr Jahren in einer einzigen Manier ſpielen, haben zwar alle eine gewiſſe Rolle oder Rollenart, die man von Zeit zu Zeit noch gern von ihnen ſieht, im Ganzen aber ſind ſie dem Publikum zu alt geworden. Unter den juͤn - gern Schauſpielern ſind einige, die anfangs verſprachen, aber, ſtatt zuzunehmen, zuruͤck - arbeiteten, weil ſie ihre Beſoldung fuͤr die Hauptſache und Publikum und Kunſt fuͤr Ne - benſachen hielten. Auch fehlt es an gute Schauſpielerinnen. Schon ſeit dem Tode der K. Jacquet iſt keine erſte Heldin und Lieb - haberin im Trauerſpiel mehr vorhanden. Die Weidner und Sacco, vorher gute Schau - ſpielerinnen, wurden vergangenes Jahr in Ruhe geſetzt; die erſtre, weil ſie ſehr alt, die andere, weil ſie ſehr mittelmaͤßig gewordenN 2196war. Nur Eine vortreffliche Schauſpielerin hat dies Theater noch: die Adamberger, geb. Jacquet, die jetzt noch, da ſie ſchon 45 Jahr alt ſeyn kann, in den Rollen naiver Maͤdchen und zaͤnkiſcher, junger Weiber, von keiner andern erreicht wird. Sie thut in ſol - chen Rollen, nicht bloß durch ihr hoͤchſt natuͤr - liches Spiel, ſondern auch durch ihren Koͤr - per, noch eine unbegreifliche Wirkung auf Maͤnnerherzen, die ſelbſt fuͤr diejenigen, die ſie außerhalb des Theaters kennen, ein Raͤth - ſel iſt.

Die italieniſche Oper fuhr mein Freund fort: die mit dem Hoftheater verbunden iſt, hat ſich nicht weniger verſchlimmert. Seit der Entfernung der Morichetti, der Storace, der Laschi, des Mompelli und Mandi - ni, hat ſie ſich nicht wieder erholen koͤnnen. Die Tomeoni ſpielt zwar gut, und die Seſſi hat eine ſehr ſchoͤne Stimme, aber beyde ſind keine große Saͤngerinnen. Maffoli, der uͤberall fuͤr einen großen Tenoriſten gelten197 wuͤrde, kraͤnkelt und neigt zur Auszehrung. Benucci, erſter Buffo, iſt noch immer die Hauptzierde des italieniſchen Theaters. Das dazu gehoͤrige Ballet hat einen ſehr mittel - maͤßigen Balletmeiſter und ſeine Entwuͤrfe ha - ben weder Erfindung, noch Zuſammenhang, noch uͤberhaupt Geiſt. Die erſte Taͤnzerin iſt gewaltig haͤßlich, tanzt aber nicht ſchlecht; die zweyte iſt ſehr huͤbſch, aber ihrem Tanze fehlt es an Anſtand und Leben. Ein paar geſchickte, aber bey weitem nicht vollkommene, Solotaͤn - zer ſind auch vorhanden, und zwey ziemlich bleyerne Groteschi, die, bey jedem halsbre - chenden Satze, mit ſich niederfallen, daß die Buͤhne erzittert.

So waren die beyden Haupttheater in Wien beſchaffen, als ich dort ankam. Das Publikum fand nichts, als lange Weile darin, war un - zufrieden, laͤſterte, und ging in das Hetz - theater, oder zu Marinelli oder Schickaneder. Auf einmal hieß es, ein neues Taͤnzerpaar ſey angekommen, um ſich in drey Gaſtvorſtellun -198 gen ſehen zu laſſen. Es waren Herr und Ma - dame Vigano. Man gieng mit ziemlich ungleichen Erwartungen, aber, weil es etwas Neues war, in ziemlicher Menge in das Schau - ſpielhaus. Das Paar tanzte nur zwey kleine pas-de-deux aber das Publikum war wie elektriſch getroffen. Die neuen Taͤn - zer wurden, vom erſten Abend an, das Ge - ſpraͤch aller Geſellſchaften, und werden es wahrſcheinlich nach einem halben Jahre noch ſeyn. Mad. Vigano beſonders wurde die Goͤttin des Tages. Das erſte war ihr Name, und erſt wenn dieſer, mit allem, was ihm angieng, aus dem Grunde beſchwatzt worden war, dachte man an den Krieg und an die Franzoſen. Nach Verlauf von acht oder zehn Tagen hatte Alles Doſen, Ringe, Armbaͤnder, Faͤcher ꝛc. mit dem Bildniſſe der Vigano. Die Damen trugen ihren Kopfputz, ihre Klei - der, deren Schnitt und Farbe, und endlich ſogar ihre Baͤuche à la Vigano die ein wenig ſtark und wohlbeleibt war. Wi[r]199hatten die heißeſten Sommertage, aber Nach - mittags um 4 Uhr draͤngte man ſich ſchon, auf Gefahr ſeiner Glieder, ins Theater, ſtand bis zehn Uhr Mann an Mann auf Einem Flecke, und ſah erſt mit Ungeduld und Wi - derwillen ein langweiliges Stuͤck auffuͤhren, um dann den fuͤnf Minuten langen Rauſch, immer daſſelbe pas-de-deux zu ſehen, unermuͤdlich zu genießen. In dieſer folterar - tigen Stellung ſahe man ſelbſt Damen im Parterre; und doch gieng alles, was heute Zuſchauer geweſen war, morgen von neuem wieder hin.

Das Ballet nahm ſeinen Anfang. Die eigentlichen Taͤnzer arbeiteten nach Vermoͤgen. Man ſah ſie nicht. Alle Augen waren nach den Kouliſſen gerichtet, aus denen die beyden Hauptperſonen herausſchweben ſollten. Machte die Muſik des Ballets eine Pauſe, ſprangen die Figuranten auf die Seite: ſo entſtand ploͤtzlich eine allgemeine Stille; alle Geſichter erheiterten ſich; man hob ſich auf die Zehen200 und hielt den Athem an. In dem Moment ward der erſte Ton von der Muſik des pas - de-deux gegriffen, und dies war das Zei - chen zu einem allgemeinen, ſtuͤrmiſchen Haͤn - deklatſchen, Jauchzen, Vivatrufen, das die Zeit ausfuͤllte, bis die Kuͤnſtlerin ſelbſt, wie Goͤttinnen ſchweben, uͤber die Buͤhne daher glitt, und der Kuͤnſtler auf der andern Seite erſchien, und die Arme ſehnſuchtsvoll und ſchuͤchtern ihr nachſtreckte. Waͤhrend des Tanzes war wiederum Alles ſtill. Nur einzeln und halb - laut hoͤrte man ein bravo! ein braviſſi - mo! ein c'eſt delicieux! ein wunder - ſchoͤn! das durch irgend eine Wendung, einen Wurf der Arme, eine Bewegung des Kopfes, von Seiten der Taͤnzerin, aus einer vollen Bruſt heraus gepreßt wurde. Solch ein ein - zelner Ausruf feuerte auch oft auf einmal ganze Zuſchauerhaufen an, daß ſie wie auf ein gege - benes Zeichen, in ein Freudengeſchrey ausbra - chen, welches in eben dem Nu aus jedem Winkel des Hauſes wiederhallte. Oft war es201 auch ein kurzes, abgeriſſenes Klatſchen, das in die Muſik einſtuͤrzte, um dem Gefuͤhl des Wohlgefallens Luft zu machen.

Das pas-de-deux mußte jedesmal wiederholt werden, eher ließ das Publikum nicht nach; und die Ergießungen des Wohlbe - hagens und Beyfalls waren nicht weniger ſtuͤrmiſch, als das erſtemal. Sodann wurden Kuͤnſtler und Kuͤnſtlerin herausgerufen; man beklatſchte ſie, rief ihnen in allen Sprachen die ſchmeichelhafteſten Dinge zu, und der Vor - hang ging endlich, unter einem wahren Tumult, langſam nieder.

Wer die Franzoſen und Italiener in ihren Schauſpielhaͤuſern, vor ihren Lieblingsſtuͤcken, geſehen hat, kann ſich einen Begriff von den, als ſchwerfaͤllig verſchrieenen, Wienern machen, in den Augenblicken, wo ſie die beyden Vigano vor ſich ſahen. Auch war ihr Beyfall in der That noch mehr, als Geraͤuſch. Bey einer Vorſtellung, die zum Vortheile dieſes Paars gegeben wurde, bezahlte man die Logen mit202 zehn, zwanzig und funfzig Dukaten; und ich ſtand zufaͤllig neben einem Wechsler im Par - terre, der fuͤr ſeinen geſchloſſenen Sitz hundert Kaiſergulden gegeben hatte. Als Madame Vi - gano zum erſten Male im Parter erſchien, war die Freude und das Getuͤmmel um ſie her außerordentlich. Damen und Herren vom er - ſten Range waren ausgeſtiegen, ſtanden in langen Reihen da, und ließen ſie durch ſich hin gehen; wo dieſe Reihen ſich endigten, ſammleten ſich Haufen aus andern Klaſſen um ſie her, folg - ten ihr, wie ein Triumphzug, und der Hof, der auch im Parter war, mußte ſich, ohne bemerkt zu werden, durch das Gewuͤhl hin - durch draͤngen. Man ſagt, daß ein eiferſuͤch - tiges Mißfallen der Kaiſerin der Grund ge - weſen ſey, daß das Taͤnzerpaar nicht ange - nommen wurde. Das Publikum machte ein gewaltiges Geraͤuſch daruͤber, und ein witziger Kopf ſagte: Der Hof mag zuſehen, was er thut! Die Vigano oder den Frie - den!

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Indeſſen brach ſich bey der Abſchiedsvor - ſtellung dieß Mißvergnuͤgen in die innigſte Ruͤhrung. Das ganze Haus wollte, in eigent - lichem Sinne, vor Thraͤnen zerfließen. Man rief von allen Seiten her, in allen Sprachen, die man aufbringen konnte, im Accent des aufrichtigſten Schmerzes: Bleibt bey uns! Oder: Kommt bald wieder! Wir beten euch an! Die Kuͤnſtlerin und ihr Mann konnten kein Wort vor Ruͤhrung hervorbrin - gen und antworteten mit ſtummen Verneigun - gen und mit Bewegungen, die ihre Dankbar - keit ausdruͤckten. Ein Zug, der dem Herzen der Wienerinnen große Ehre macht iſt der, daß die meiſten von ihnen der Vigano Gerech - tigkeit wiederfahren ließen und nicht weniger von ihr hingeriſſen waren, als die Maͤnner. Uebrigens gab es ihretwegen ernſthafte Par - teyen im Publikum; und es fehlte unter an - dern wenig, daß ſich nicht ein alter, um das fruͤhere deutſche Theater ſehr verdiente Gene - ral, der auch im Tanzen fuͤr das Alte war,204 mit einem Vigano'ner haͤtte ſchlagen muͤſ - ſen.

Die Vigano, Mann und Frau, haben ſich nach der erſten Taͤnzerſchule in Europa, nach der Manier von Gardel, Veſtris und Nivelon, und der Guimard, Saulnier Perignon und Roſe gebildet, und ſie kom - men ihren Muſtern nahe genug, um dieſe auf den erſten Blick in ihnen wieder zu erkennen. Sie ſind demnach wahre Taͤnzer und keine Springer; ſie glaͤnzen im Tableau, nicht in der Muskelkraft; ſie ruͤhren und erheitern das Herz und befriedigen den Geſchmack, aber ſie aͤngſtigen das Gefuͤhl nicht und ziehen ihren Beyfall nicht daher, daß ſie dem Tod in die Arme zu ſpringen ſcheinen, und doch mit dem Leben davon kommen. *)Es hat ſich nachher, als die Vigano in andern deutſchen Staͤdten auftraten, gezeigt, daß dieſe ed - lere Art der Tanzkunſt uͤberall zauberiſch wirkte, in Prag wie in Dresden, in Dresden, wie neuerlich in Berlin. Ich erhalte ſo eben aus letztrer Stadt

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Aus den Zuͤgen von Begeiſterung, welche die Wiener bey dieſer Gelegenheit entwickel -*)einen Brief, der den Eindruck ſehr lebhaft malt, welchen die Kuͤnſtlerin auf das dortige Publikum gemacht hat, und theile dieſe Schilderung, die zu - gleich den Charakter ihres Tanzes ſo treffend angiebt, mit. Ach, was haben Sie verſaͤumt! (die Brief - ſtellerin wußte nicht, daß ich dieſe Taͤnzerin geſehen hatte) Sie haben die Vigano nicht tanzen ſehen! Denken Sie ſich nicht etwa einen grazienhaften Wuchs keine elegante Franzoͤſin keinen großen Anſtand in panier und panache keinen grand - oder demi-charactère kein tour de jambe keine pirouette Mit einem male ſteht ſie da, mitten auf dem Theater, und iſt unter den uͤbrigen Puppen, das einzige lebende Weſen! Man iſt außer ſich hingeriſſen von einem fremden Gegenſtande, aber nur fremd unſerm koͤrperlichen Auge, nicht dem geiſtigen, nicht unſerm Gedaͤchtniß. Man hat dieſen Anzug, dieſe Stellung, dieſe Zuͤge ſchon geſehen. Man erſtaunt nicht, aber man iſt im Innerſten geruͤhrt. Sie bewegt ſich endlich und es entſteht eine tiefe Stille. Sie tanzt eigentlich gar nicht; ſie ſchwebt in den reizendſten Stellungen auf dem Theater. Sie ſteht wieder ſtill ſie horcht. Er wird kommen! Ja, es muß je -206 ten,*)Man ſchrieb mir nachher, daß, als die Vigano, auf einem Ruf des Steyriſchen Adels, nach Graͤtz reisten, um dort einige Vorſtellungen zu geben, viele Wagen von Wien dahin abgiengen, um das beruͤhmte pas-de-deux noch einmal zu ſehen. geht klar genug hervor, was man, durch einſeitige Nachrichten irre gefuͤhrt, im*)mand kommen! Man ſieht es, man fuͤhlt es! Ihre Stellung, ihr Auge, der Wurf ihrer Arme, ihr ſchuͤchternes Lauern, ihr Entzuͤcken alles an ihr iſt Ausdruck von Begeiſterung, von Liebe! Er koͤmmt endlich, der Erwartete! Aber, warum iſt es nur ein Menſch? Sie ſchien einen Gott im Rauſche ihrer Empfindungen zu lieben. Sie ſieht ihn und laͤuft ab! Aber wie laͤuft ſie ab! Haͤtten Sie Armer ſie auch nur weglaufen ſehen! Sie koͤmmt freylich wieder und dann hat ſie verloren Aber es iſt unmoͤglich, dies einfache Thema mit einem wundervollern Zauber durchzu - fuͤhren. Die ganze Nacht dachte ich daran, wo ich dieſe Erſcheinung ſchon geſehen haͤtte. Erfunden hat ſie dieſen Anzug, dieſe Stellungen nicht, dachte ich, beydes iſt mir bekannt. Ich ſchlief daruͤber ein. Als207 noͤrdlichen Deutſchland ſo ungern glaubt: daß ſie Sinn fuͤr das Schoͤne haben und ſich be - richten laſſen. Es fehlt ihnen nur an guten Muſtern.

Ich glaube noch ein paar Worte uͤber die beyden vornehmſten Nebentheater in Wien ſa - gen zu muͤſſen, um einige unrichtige Begriffe, die man ziemlich allgemein davon hat, zu be - richtigen. Das eine iſt das Theater Ma - rinelli's auf der Jaͤgerzeile, das andre das Theater Schikaneders, im Stahrember - giſchen großen Hauſe.

*)Als ich erwachte, war es mir, als ob im letzten Moment des Schlafes eine ſchoͤn hetruriſche Vaſe mir vorgeſchwebt haͤtte. Mein Raͤthſel war ploͤtzlich erklaͤrt. Die Vigano vereinigte in ihrer Perſon die Kleidung, den Anſtand und die Stellungen der Nym - phen auf dieſen Vaſen. Alles, alles ſo! Und glauben Sie nur nicht, daß ich allein von dieſer Taͤnzerin ſo entzuͤckt bin. Geſchaͤftsmaͤnner mit Ak - ten im Kopf und Herzen, junge Herren mit gar keinem Herzen kurz, alle Welt doch die Ber - liniſchen unverheiratheten oder gezierten Damen ausgenommen iſt eben ſo entzuͤckt, als ich.

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Das erſtere, auch unter dem Namen von Kaſperls Theater bekannt, hat eine ſehr gluͤckliche Lage. Die Jaͤgerzeile iſt bekannt - lich die ſchoͤne, mit Baͤumen bepflanzte Straße in der Leopoldsſtadt, die nach dem Prater fuͤhrt, welcher immer noch der vorzuͤglichſte Erholungsort der Wiener bleibt, und des Morgens, Mittags, Nachmittags und Abends von ihnen beſucht wird. Beym Zuruͤckkommen haben ſie rechter Hand die Marinelli'ſche Buͤhne gleich neben ſich, mithin die Verſuchung eben ſo nahe, als den beſtaͤndigen guten Willen, ihr zu erliegen, und das Beduͤrfniß, den Abend vollends auszufuͤllen. Zudem finden ſie ent - weder eine artige Muſik, oder ein neckiſches Gemaͤlde aus ihren Sitten, das, wenn es auch zuweilen platt genug iſt, doch zu lachen macht, und in der That, theils durch die Ein - faͤlle, die darin vorkommen, theils durch die drolligte Art, wie der Hauptſchauſpieler, La Roche, insgemein Kaſperl genannt, ſie wie - dergiebt, etwas Anziehendes erhaͤlt. Die nie -drigen209drigen Staͤnde ergetzen ſich aufrichtig daran; die hoͤhern, die uͤberall nur erſcheinen, um ſich die lange Weile zu vertreiben, um das Publikum zu wechſeln, ja oft ausdruͤcklich, um etwas Naͤrriſches zu ſehen, benutzen dies The - ater meiſt nur zu dieſem Zwecke, finden aber auch nicht ſelten Auftritte und Gedanken, die ihnen nicht minder Vergnuͤgen machen, als dem zweyten Parterre und der Gallerie. Die Maͤdchen, die gewoͤhnlich in guter Anzahl im Parterre und den zweyten Logen vorhanden ſind, ziehen auch eine Gattung von Liebhabern hieher, die Kaſperls Spiel nicht allein be - friedigt. Die mancherley Arten von Gefror - nem und Gebackenem, von ausgeſuchtem Obſt und feinern Getraͤnken, die ebenfalls zu haben ſind, fuͤhren auch einen Theil des Publikums herbey, das ſonach auf eine oder die andre Weiſe Zeitvertreib findet, und oft alle dieſe Dinge in einen einzigen Genuß vereiniget.

Der Unternehmer iſt ein thaͤtiger Mann, der immer auf neue Anlockungen fuͤr ZuſchauerSechstes Heft. O210denkt. Die ſeinigen ſind jetzt auch fuͤr kleine Singſtuͤcke, und er wartet reichlich damit auf. Seitdem Schickaneder durch die Zauber - floͤte ſo viel Gluͤck gemacht hat, giebt Ma - rinelli Zauberzittern, Zauberfagots, Zauberharfen und alle moͤgliche Zauberin - ſtrumente, und iſt immer ſicher, zahlreichen Beſuch zu haben. Er beſitzt einen Komponi - ſten, Namens Muͤller, der, bey einer Art von Unerſchoͤpflichkeit, ganz angenehme Muſi - ken macht, ſich aber nicht immer genau erin - nert, welchem Tonſetzer manche Stellen ange - hoͤren, die ihm aus der Feder laufen. Mari - nelli's Schauſpieldichter, deren er vier oder fuͤnf hat, ſind verhaͤltnißmaͤßig nicht ſo gut, als dieſer Komponiſt. Seltſam iſt es indeſſen, daß viele dieſer lyriſchen gereimten Ungereimtheiten auch in Dresden, Leipzig, Weimar, Hamburg und Berlin, die auf Kaſperl und Schikaneder ſonſt ſtolz genug herabſehen, mit Beyfall be - ſucht werden. Uebrigens ſind einige gute nie - drig-komiſche Schauſpieler auf dieſem Theater,211 die aber jaͤmmerlich werden, wenn Kaſperl den Einfall hat, ernſthafte, edle Stuͤcke, oder die gewoͤhnlichen Ritterſchauſpiele zu geben: ein Einfall, den er jetzt oft bekoͤmmt, und der ſeinem Theater uͤber kurz oder lang ſchaden wird, weil es dadurch einen gewiſſen zwey - deutigen Charakter von ſchlechtem und beſſerem Geſchmack bekoͤmmt, der mir, als ich es dieß - mal beſuchte, aufgefallen iſt. Wien bedarf, bey der Gemuͤthsart ſeiner Bewohner, eine Buͤhne, wo Witz, Laune und ſelbſt Sinnlich - keit etwas mehr wagen kann, als ſich ein großes Theater billiger - und vernuͤnftigerweiſe erlauben ſoll; und das Marinelli'ſche waͤre uͤbrigens ganz dazu gemacht. Kaſperl, ſeiner Rolle nach, ein oberoͤſterreichiſcher Bauer, der feig, gefraͤßig, furchtſam, geſchwaͤtzig, verliebt, aber auch ein loſes Maul und ein ſatyriſcher Kopf iſt, waͤre, wenn man ihm noch ein paar andre dahin paſſende Zuͤge unterlegte, vorzuͤg - lich geſchickt, die Laͤcherlichkeiten und Verkehrt - heiten einer großen, uͤppigen Stadt ſehr an -O 2212genehm und treffend zu ruͤgen. In einigen ſeiner aͤltern Stuͤcke iſt dies auch wirklich gluͤcklich genug geſchehen.

Uebrigens iſt das Aeußere und Innere dieſes Nebentheaters anſehnlicher, als in vielen andern deutſchen Staͤdten das Haupttheater. Auch der wirthſchaftliche Theil deſſelben, iſt in einer muſterhaften Ordnung. Der Unterneh - mer iſt reich geworden, und das Perſonale ſteht ſich beſſer und wird weit richtiger be - zahlt, als auf manchem Hoftheater. Einen Maßſtab fuͤr den Zulauf und die Einnahme dieſes Hauſes giebt die Aeußerung Marinelli's gegen einen meiner Freunde, daß er zu An - fange dieſes Sommers, durch die wiederholte Vorſtellung zweyer neuen Singſpiele, nach Abzug aller Unkoſten, uͤber funfzehn tauſend Gulden gewonnen habe.

In Ruͤckſicht der oͤkonomiſchen Verfaſſung iſt das Schickaneder'ſche Theater ganz das Gegentheil von dem Marinelli'ſchen. Der Unternehmer hatte, beſonders in den erſten213 Jahren, viel Gluͤck, und war ein furchtbarer Nebenbuhler Marinelli's; aber ſein unwirth - ſchaftliches Benehmen ſetzte ihn bald zuruͤck, und ſeine Buͤhne iſt bis jetzt in einem ſchwan - kenden Zuſtande geblieben. Auch er giebt meiſt Singſpiele, und nebenher Poſſen und Ritter - ſtuͤcke. Mit der Zauberfloͤte, die Er ſchrieb und Mozart ſetzte, hat er großes Gluͤck ge - macht. Sie wurde im erſten Jahre hundert mal, bey faſt immer vollem Hauſe, aufgefuͤhrt. Das Sonnenfeſt der Braminen, ein neueres Machwerk, hat er ebenfalls ſehr oft gegeben. Merkwuͤrdig in ſeiner Art iſt ein Trauerſpiel, das Schwert der Gerechtig - keit betitelt, das gewoͤhnlich in der Woche nach aller Seelen geſpielt wird. Man koͤmmt waͤhrend der Handlung gar nicht vom Kirchhofe weg, und die Geſpenſter gehen ganz zahm und ohne Schuͤchternheit, wie rechtliche Leute, auf demſelben herum. Das meiſte, was auf dieſem Theater geſpielt wird, iſt von Schickaneders eigener Hand, und zuweilen214 platt, zuweilen ohne Verſtand, zuweilen unge - zogen, aber immer unter dem Mittelmaͤßigen; ein Stuͤck ausgenommen, das waͤhrend meiner Anweſenheit mehreremal gegeben wurde, und den Titel die Fiaker fuͤhrte. Es war ein taͤuſchend-getreues Gemaͤlde dieſer und der an - dern niedern Einwohnerklaſſen von Wien, und wurde auch, in Ruͤckſicht der Kleidung, des Anſtandes und der Sprache, ſehr natuͤrlich dargeſtellt. Mit einigen Veraͤnderungen koͤnnte es in der That ein ſehr unterhaltendes und ſogar lehrreiches Stuͤck fuͤr die gemeineren Staͤnde in Wien werden.

In der Joſephsſtadt iſt noch ein drittes, geringeres Nebentheater, das ſich erhaͤlt, aber einer naͤhern Erwaͤhnung nicht werth iſt. Von den Marktkomoͤdianten habe ich ſchon zwey Worte fallen laſſen. Sie ſpielen in hoͤlzernen Huͤtten.

Uebrigens irrt man, wenn man den Ge - ſchmack des Wieneriſchen Publikums ſtrenge nach dieſen Nebentheatern beurtheilt. Ich215 habe ſchon oben, bey der Marinelli'ſchen Buͤhne, die Nebengruͤnde angegeben, welche Zuſchauer in dieſelben locken. Die beſſern Klaſſen wiſſen wohl, daß ſie großentheils abgeſchmackte Dinge ſehen werden, und nehmen ſich vor, das naͤch - ſtemal nicht wieder zu kommen. Dies geht ſo weit, daß man ſich auch das wirklich Gute, womit man uͤberraſcht wird, nicht gefallen laſſen will und ſich ſcheuet, es anzuerkennen.

Die Hetze bleibt immer noch ein Lieblings - ſchauſpiel des Volks und wenn von den beſſe - ren Staͤnden ſich einzelne Zuſchauer dort ein - finden, ſo iſt es aus den Gruͤnden und unter den Umſtaͤnden, die ich oben bey der War - ſchauer Hetze angegeben habe. Es ſind viele Leute von beſſerer Erziehung in Wien, die dies Schauſpiel mit keinem Auge je geſehen haben. Auch iſt es, ſeitdem ich nicht hier geweſen bin, ſehr herunter gekommen. Loͤwe und Loͤwin ſind todt. Kein Baͤr iſt vorhanden, der dem großen Kurlaͤndiſchen Baͤr gliche, welcher im Sommer 1785, bey216 einer faſt erlaubten Nothwehr, den Hetzmei - ſter, der acht Hunde auf ihn los ließ und ihm zu nahe kam, ergriff, niederwarf und, trotz den Zaͤhnen ſeiner acht unvernuͤnftigen Peiniger, ſich an dem Schenkel des vernuͤnf - tigen hielt und ihm große Stuͤcke herausriß die Zuſchauer ſchrieen jaͤmmerlich und wie aus Einer Kehle bey dieſem ſchrecklichen An - blick! bis endlich, unter Beyhuͤlfe von noch einem Dutzend Hunden, die ganze Schaar der Hetzknechte, mit beſchlagenen Stangen bewaffnet, das Haupt der Thierquaͤler ohn - maͤchtig unter dem Sieger hervorzog ſolch ein grimmiger Baͤr, ſage ich, iſt nicht mehr vorhanden, mithin iſt dies Spek - takel nicht mehr ſo anziehend, als ſonſt. Indeſſen ſahe ich doch jetzt noch einen jungen Fuͤrſten und einen Grafen, der ein Fuͤrſten - ſohn iſt, beyde mit ihren Maͤtreſſen, im Hetzam - phitheater, in den Logen des erſten Ranges.

Nach dem Schauſpiele iſt die Muſikein Lieblingszeitvertreib der Wiener. Man findet217 vielleicht in keiner andern Stadt ſo viel Lieb - haber dieſer Kunſt und dieſes Zeitvertreibes, und ſo viel wahre Virtuoſen, von beyden Ge - ſchlechtern. Muſik iſt ein unentbehrliches Stuͤck der Erziehung, beſonders der weiblichen, ge - worden, und die Muſikmeiſter ſind hier ſo haͤufig, wie in Dresden die ſogenannten Ma - giſter. Wer Liebhaber iſt, kann hier alle Tage in einem andern, oͤffentlichen oder haͤuslichen, Konzert ſeyn, wo die neuere oder die aͤltere Muſik behandelt und vorgezogen wird. Fuͤr die letztere iſt unter andern ein ſolches bey dem Freyherrn von Swieten.

Fuͤr den Tanz ſind die Wiener leiden - ſchaftlich. Sie tanzen mitten im Sommer nicht minder froͤhlich, als im Winter, und der Kellner nicht minder unverdroſſen, als der junge Fuͤrſt. Die hoͤhere Geſellſchaft tanzt bey Hofe und auf Privatbaͤllen unter ſich; in den Kaſinen, in Baden, auf Pickenicken tanzt der reiche oder auch nur glaͤnzende Mittelſtand; die an ihn graͤnzenden Klaſſen bis zum Buͤr -218 ger, tanzen an den Luſtoͤrtern um die Stadt und in der Stadt, im Faſching auf den Re - douten, (wo die hoͤhern Staͤnde bloß zuſehen) und auf den Tanzſaͤlen der Wirthshaͤuſer, un - ter denen der Bock, die Mehlgrube, der Mondſchein, der Faſen und der Sperl die beruͤhmteſten ſind. Auf letzteren findet man die ſeltſame Einrichtung mit den Saal - oder Tanzmenſchern gemiethete Taͤnzerinnen, die der Wirth haͤlt, um mit den Tanzluſtigen herum zu ſpringen. Sie duͤrfen niemand einen Tanz ausſchlagen, und tanzen ſich manche Nacht hindurch, fuͤr ein Gehalt von 30 bis 40 Kreutzer, halb todt. Der Walzer, hier der deutſche Tanz genannt, iſt uͤbrigens der Lieblingstanz aller Staͤnde.

Der Spatziergang, die Spatzierfahrt und der Sommeraufenthalt auf dem Lande, ſind ebenfalls von den Wienern ſehr geſuchte Genuͤſſe.

Das Volk ſtroͤmt, beſonders an Sonn - und Feſttagen, zu allen Thoren hinaus, theils219 in die Wirthshaͤuſer der Vorſtaͤdte, theils nach den umliegenden Luſtſchloͤſſern und Doͤrfern, die alle mit Speiſehaͤuſern, Schenken und Tanzſaͤlen reichlich verſehen ſind, theils in den Augarten, theils in den Prater. Die naͤher gelegenen Luſtoͤrter beſucht es zu Fuße, die entferntern aber auf ſogenannten Zeiſelwa - gen, die vor den Linien halten. Es ſind lange Korbwagen, mit einer Menge von Sitzen, die oft auf einmal zwanzig bis dreyßig Perſo - nen faſſen und fortſchaffen. Fuͤr Leute, die ſolche Wagen unter ihrer Wuͤrde, oder unter ihrer dermaligen Baarſchaft glauben, ſind auch Halbwagen mit einem oder zwey Pferden da, auf denen ſie weiter kommen koͤnnen. Ein Theil des Volks verlaͤßt ſchon fruͤh die Stadt, ein anderer erſt nach der Mahlzeit. Bier, Wein, Kegelſpiel, Mittagseſſen, Kaffee, Gau - ſen und Abendeſſen, fuͤllen ſeinen Tag aus. Oerter, wo ſich daſſelbe bey gewiſſen Gelegen - heiten in unuͤberſehlicher Menge verſammlet, ſind: die Brigittenaue, zur Zeit der dor -220 tigen Kirchweihe; Herrenals, bey Gelegen - heit der Wallfahrt nach dem dortigen Kalva - rienberge; das neue Lerchenfeld, an Fey - ertagen; und die Gegenden und Straßen St. Stephan zur Zeit des Portiunkulaablaſſes und des Frohnleichnamfeſtes.

Die Klaſſen, die auf der einen Seite an das Volk, und auf der andern an die hoͤhern Staͤnde graͤnzen, fahren mehrentheils mit Lehn - kutſchern oder Fiakern, oder ſogenannten Pi - rutſchen, ſchon von ihren Wohnungen ab. Sie bringen ihren Tag entweder im Prater, oder in Schoͤnbrunn, in Laxenburg und Hetzendorf, oder auf einem der umliegenden angenehmen Doͤrfer, als Dornbach, Meid - ling, Herrenals, Hietzing, dem Bruͤhl, Penzing, Huͤtteldorf, Doͤbling ꝛc. die ſich entweder durch ein[gut]verſorgtes Wirths - haus, oder durch angenehme Gegenden em - pfehlen, mit Spatzierengehen, Eſſen, Trinken und Tanz zu.

221

Die hoͤheren Staͤnde fahren oder reiten regelmaͤßig, einen wie alle Tage, nach der Tafel, in den Prater, und zwar die große Allee rechts hinunter. Im Vorbeyfahren laſ - ſen ſich einige entweder ein Glas gefaumtes Obers (geſchlagene Sahne) oder ein Glas Gefrornes, oder Limonade, durch ihre Bedien - ten aus den naͤchſtgelegenen Kaffeehuͤtten, ho - len, verzehren es und fahren dann weiter, ohne auszuſteigen; andere halten ſtill und ſehen dem Getuͤmmel aus den Wagen zu; andere ſteigen aus und gehen unter der Allee ſpatzie - ren; aber keiner von dieſer Klaſſe ſetzt ſich an einem Tiſche vor den Erfriſchungsbuden nieder und zehrt oͤffentlich. Am Ende der gedachten großen Allee, an der Spitze des Praters, in einer Entfernung von der Stadt, die nicht leicht ein Fußgaͤnger aufſucht, liegt am Ufer der Donau ein Luſthaus. Um dieſes fahren die hoͤhern Klaſſen mit ihren praͤchtigen Umgebun - gen auf; hier ſteigen ſie aus und verbreiten ſich unter die Baͤume, oder in den Saal222 des Luſthauſes oder auf deſſen Umlaͤufe, in einzelnen Reihen und Gruppen, die unter ein - ander wiederum ſo viel Stufen und Unter - ſcheidungen annehmen, als bey dem großen Reſte der Wiener Einwohnerſchaft nur immer moͤglich ſeyn koͤnnen. Geſpraͤch, Spatziergang, Geſehenwerden und Sehen, ſind die Unterhal - tung; doch iſt auch hier ein Speiſewirth, der fuͤr gruͤndlichern Zeitvertreib ſorgt. Gegen die Theaterzeit faͤhrt alles nach der Stadt zuruͤck; auch der groͤßeſte Theil der mittlern und nie - drigern Staͤnde, welche die Kaffeehuͤtten, die Bier - und Weinſchenken, die Speiſehaͤuſer und Ringelrennen gefuͤllt gehalten hatten, ſu - chen nun ihre Theater auf. Man hat zwar dieſes Jahr Verſuche gemacht, dieſe Menge durch Erleuchtungen im Prater zuruͤckzuhalten, aber es iſt nicht gelungen, theils weil die Luſt am Theater uͤberwiegt, theils weil der Prater gegen Abend durch feuchte Ausduͤnſtungen der Geſundheit ſchaͤdlich wird. Der Feuerbaͤn - diger Stuber (jenen Beynamen giebt er ſich223 ſelbſt) hat waͤhrend meiner diesmaligen Anwe - ſenheit kein Feuerwerk gegeben.

Die Ruͤckkehr aus dem Prater nach der Stadt iſt uͤbrigens ganz dazu gemacht, Wien in ſeinem Glanze und ſeiner Lebhaftigkeit zu zeigen. Man kann ſtundenlang da ſtehen, und die Reihe der meiſt praͤchtigen Wagen, mit den glaͤnzendſten Perſonen beſetzt, mit reich gekleideten Bedienten belaſtet, vor ſich vorbey laſſen, ohne ihr Ende abzuſehen. Das Ganze bewegt ſich langſam fort, und ſteht oft ganz ſtill; denn das Getuͤmmel von Fuhrwerken, das von der entgegengeſetzten Seite koͤmmt, be - ſonders die eilfertigen Fiaker, die ſich oft dreiſt zwiſchen den großen Zug hereindraͤngen, oder ploͤtzlich aus demſelben hervorſchießen, um Vor - ſprung zu gewinnen, hemmen von Zeit zu Zeit die großen, minder behuͤlflichen Geſpanne. Mit dieſen Wagen draͤngt ſich, auf beyden Seiten, hart an ihren Raͤdern, auch das un - ſaͤgliche Gewuͤhl von Fußgaͤngern nach der Stadt zuruͤck, und Muͤtter, die ihren Kindern224 Behutſamkeit zuſchreien; Fuhrleute, welche die Fußgaͤnger durch ein gewaltiges Ho! warnen, oder anderen, mit denen ſie zuſammen gefah - ren ſind, ihre gewohnten Hoͤflichkeiten ſagen; uͤbergefahrne oder getretene Hunde, die aus Leibeskraͤften heulen und ihre Herren, die nicht minder angeſtrengt auf den ungeſchickten Kutſcher fluchen dieſer Anblick, dieſes Geraͤuſch die - ſes Gedraͤnge iſt einzig, und nimmt in den Gegen - den, wo die Jaͤgerzeile enger iſt, auf der Bruͤcke und an den Thoren hundertfaͤltig zu, trotzt aber jeder Beſchreibung, wenn ſich zu dem allen eines von jenen Wetterſchauern, die in Wien ſo haͤufig ſind, ploͤtzlich erhebt, und mit Sturm, Don - ner, Blitz und Regen, in eine dichte, wir - belnde, meilenlange Staubwolke eingewickelt, unter dem verfinſterten Himmel daherfaͤhrt: dann ſpringt Alles aus einander, jeder rettet ſich, wie er kann, die Schenken, die Kaffee - haͤuſer ſind vollgeſtopft; unter den Baͤumen draͤngen ſich aͤngſtliche Haufen; alle Fiaker aus der Stadt kommen geſprengt und haben einereiche225reiche Aernte; die kleinen Korbwagen der Buͤrger fliegen in geſtrecktem Laufe; vor den Staatskaroſſen baͤumen ſich die ſtolzen Mek - lenburger, bey jedem Blitze, und vor den Pirutſchen tanzt der leichte Ungar, den der Donner, der Staub und der Sturm unge - duldig gemacht hat. Dieſe Ueberfaͤlle aber, gehen meiſt immer ſo ſchnell voruͤber, als ſie kommen. Nach Verlauf einer halben Stunde beglaͤnzen noch die letzten Strahlen der Abend - ſonne den vorher ſo fuͤrchterlichen Schauplatz, und der Reſt der uͤberraſchten Menge geht, mit Tuͤchern uͤber den Huͤten, oder mit ſorg - ſam aufgehobenen Roͤcken, nach der Stadt zu.

Der Augarten ſcheint mir herunter ge - kommen zu ſeyn, wenigſtens iſt ſein Publikum nicht mehr ſo glaͤnzend. Ehedem fruͤhſtuͤckten kleine Zirkel aus der feinen Welt, oder tran - ken ihren Brunnen hier; jetzt fand ich nichts, als Buͤrgersleute, die ihren Kaffee verzehrten, und dann einen Zug durch die ſchoͤnen Alleen machten.

Sechstes Heft. P226

Der Hang zu Sommerwohnungen aber hat ſich ſeit meinem erſten Hierſeyn ver - ſtaͤrkt. Wohlhabende Leute von allen Staͤnden, die in der Stadt wohnen, hatten ehedem in den Vorſtaͤdten Haͤuſer und Gaͤrten, jetzt ha - ben ſie dieſelben weiter hinaus, vor den Linien, auf die umliegenden Doͤrfer, deren ich oben einige genannt habe, verlegt. Dieſe ſind da - durch faſt zu lauter artigen Staͤdtchen gewor - den. Die Bauunternehmer haben auch hier mit wohlhabenden Privatleuten um die Wette gebauet. Der Zulauf iſt in kurzer Zeit ſo groß geworden, daß man eine Sommermie - the mit 100, 150, 200, 300 und 400 Gulden bezahlen muß.

Wenn man in andern deutſchen Staͤdten, nach Endigung des Schauſpiels, noch ein paar Biſſen ißt und dann zu Bette geht, ſo thut man hier noch eine regelmaͤßige Mahlzeit, und eilt dann wiederum zu einem neuen Genuſſe, der endlich der letzte iſt. Seit meinem erſten Hierſeyn hat ſich hier ein naͤchtlicher Luſtort227 hervorgethan, von dem man den Tag uͤber keine Spur ſieht. Es iſt die Baſtion des Stadtwalles, die gleich vor dem Burgthore liegt. Hier ſind Zelte, mit allen Erfriſchun - gen verſehen, aufgeſchlagen, mit Banken um - ſchloſſen, durch Muſik erheitert. Auf dieſem engen Platze draͤngen ſich Menſchen aus allen Staͤnden, von jedem Alter und Geſchlecht, unter Staubwolken herum, und er iſt der Stapelplatz des verliebten Verkehrs geworden, doch nur den Verhandlungen und nicht dem Abſchluſſe nach, gegen welchen die Polizeyſol - daten wachen. Man findet bis nach Mitter - nacht Leute auf dieſem Spatziergange; aber er faͤngt ſchon an zu ſinken, und treue Weiber und ſorgſame Muͤtter und Vaͤter kommen nicht, und laſſen auch ihre Kinder nicht mehr hieher. Eine aͤhnliche Nachtpartie iſt der Spatziergang und das Konzert am Graben, vor den dorti - gen beruͤhmten Kaffeehaͤuſern, die, ſo wie das nahe dabey am Kohlmarkt gelegene Milano, in Verfertigung des Gefrornen glaͤnzen. HierP 2228erſcheinen Leute aus den beſſern Klaſſen immer erſt nach zehn Uhr, und bleiben bis nach Mitternacht dort. Sie kommen deßhalb ſo ſpaͤt, weil dann der Zug der feilen Maͤdchen und ihrer unermuͤdlichen Nachſetzer ſchon vor - uͤber iſt.

Dieſe haben ihren Laͤrmplatz ebenfalls hier, zerſtreuen ſich aber, ſobald die Schließſtunde der buͤrgerlichen Haͤuſer, die zehnte, geſchlagen hat. Die Hausmeiſter laſſen ſodann keinen Fremden mehr herein, denn wenn ſie auch uͤbrigens das zweydeutige Gewerbe ihrer Haus - bewohnerinnen wohl kennen, ſo wagen ſie doch ſelten daſſelbe um dieſe Zeit zu beguͤnſtigen, aus Furcht von dem Wirthe weggejagt zu werden. Wiſſen aber die Wirthe ſelbſt darum, wie es in einigen ſeit lange dazu eingerichteten Haͤuſern auch hier der Fall iſt, ſo hat der Hausmeiſter kein zu ſtrenges Gewiſſen, und laͤßt zu jeder Zeit und Stunde herein und heraus, weil ſodann die geſammte Einwohner - ſchaft nicht zu ſehr geſchont zu werden braucht. 229Wie offen, wie allgemein und wie ungeſtoͤrt, wenn nur einigermaßen der Wohlſtand beob - achtet wird, dieſe Art von Verkehr hier getrie - ben werde, iſt uͤbrigens ſattſam bekannt. Wenn der Leſer, mit einigen kleinen Veraͤnderungen, die aus der Verfaſſung und Oertlichkeit her - vorgehen, die Schilderung der Warſchauer Unſittlichkeit oben noch einmal nachſehen will, ſo wird er auch die Wieneriſche kennen. Hier ſind nicht minder reiche, verderbte, brutale Liebhaber; nicht minder ſchoͤne, uͤppige, be - duͤrftige, gewandte, liſtige Weiber; nicht min - der liederliche, hoͤhere, mittlere und niedere Klaſſen. Man ſagt mir von einem jungen Großen, daß er ſich jetzt Sieben Maͤtreſſen haͤlt und ſie, wenn ſie irgend eine ſeiner Launen nicht ausfuͤhren wollen, oder wenn er den Verdacht einer paſſade auf ſie geworfen hat, regelmaͤßig mit der Hetzpeitſche abkar - batſcht, ſie aber uͤbrigens vortrefflich bezahlt.

Ich hebe noch ein paar zerſtreuete Beob - achtungen uͤber die Einwohner von Wien aus,230 und ſchließe damit den Umriß ihres Wohnor - tes, ihrer Sitten, ihrer Lebensart und ihres Charakters.

Oben habe ich beylaͤufig bemerkt, daß die Verſchiedenheit der Staͤnde, wegen der Gleich - heit in der Kleidung, im oͤffentlichen geſellſchaft - lichen Verkehr nicht mehr ſo auffallend iſt; im Privatverkehr aber wird ſie, beſonders von den hoͤhern Staͤnden, immer noch ſorgfaͤltig genug beobachtet. In ihre Zirkel koͤmmt nie - mand, den nicht Rang und Geburt dazu be - rechtigen, und die Haͤuſer ſind immer noch ſelten genug, die hierin bey verdienſtvollen Ge - lehrten und Kuͤnſtlern eine Ausnahme machen. Man erinnere ſich hier der vorhin erwaͤhnten Art, wie die Großen an den Vergnuͤgungen im Prater Theil nehmen.

Aber jener Mittelſtand, deſſen ich oben ge - dacht habe, hat ſeinen Kreis im geſellſchaftli - chen Leben ſehr erweitert. Wer einen Frack traͤgt, der ihm das beſchrieene Herr von zuſichert, lebt ohne Anſtoß in dieſem Kreiſe;231 ein Frauenzimmer, deren Chemiſe von ſo fei - ner Gattung Mouſſelin iſt, daß man ihr ohne Schaam das Fraͤulein und Ihro Gnaden geben kann, und die im Stande iſt, einen Stadtlohnwagen zu miethen, tritt uͤberall in dieſe Zirkel ein. Sonach hat dieſe erdichtete Muͤnze hier wahren Werth und Ge - halt, und ſie befoͤrdert und vermannigfacht das geſellſchaftliche Verkehr. Es ſind mehrere gute Haͤuſer in Wien, die einigemal die Wo - che offen ſtehen, und die fuͤr die Gaͤſte, die ſie empfangen, keine andere Forderung, als die Einfuͤhrung von Seiten eines Bekannten und ein anſtaͤndiges Aeußere haben; und dieſe Haͤuſer ſind in der That nicht die unſcheinbar - ſten und langweiligſten in Wien.

So iſt auch die ſteife Nachahmungsſucht in der Mode, beſonders in gedachtem Kreiſe, faſt ganz verſchwunden, ſeitdem man ſich mehr an die engliſche Art haͤlt. Die Wienerinnen ſind ſchoͤn, haben einen feinen Geſchmack in der Kleidung, und erfinden ſehr gluͤcklich; und da232 ſie auch freygebig auf die Zuthaten verwenden, ſo ſind ſie beſtaͤndig zugleich fein und geſchmack - voll gekleidet. Dies geht bis in die geringern Klaſſen hinunter; und ich bekenne, keine Stadt geſehen zu haben, in welcher die weiblichen Dienſtboten ſo ſorgfaͤltig, ſo zierlich in ihrer Art, ja ſogar ſo reich gekleidet gingen. Leipzig, Dresden, Breslau und Muͤnchen kommen in dieſem Punkt Wien nahe, aber mehr in Ruͤck - ſicht der Sauberkeit, als der Feinheit der Zeuge, die dieſe Gattung zu ihrem Anzuge waͤhlt.

Trotz dem Haſſe der ſchoͤnen Wienerinnen gegen die Franzoſen, ahmen ſie doch zuweilen die republikaniſchen Moden nach, wie es z. B. mit dem Kopfputz à la Guillotine, der Fall war. Man hat bemerkt, daß die Schweſtern der bekannten Frey (Schoͤnfeld) gerade um die Zeit dieſen Kopfputz trugen, als ihre Bruͤder in Wien guillotinirt wurden.

Eine andre Veraͤnderung, die ich bemerkt habe, iſt mir ſehr aufgefallen. Die gebornen233 Wiener, die ſonſt ſo ſehr badauds waren, wie die Pariſer nur immer ſeyn konnten, und ihre Vaterſtadt in den Himmel erhoben, fan - gen an, ſie in ihren Zirkeln ſo herunter zu reißen, wie kein Auslaͤnder im Ernſt thun koͤnnte; ja, mancher junge Mann, der Ver - ſtand zeigen will, glaubt damit anfangen zu muͤſſen, daß er auf die Wienſtadt ſchimpft, ſo gut es gehen will. Hat ſich die gute Wien - ſtadt ſo veraͤndert, oder die treuherzigen Wie - ner?

Von der Veraͤnderung, die Joſeph durch ſeine Grundſaͤtze in Ruͤckſicht der Geiſtlichkeit bewirkte, ſind noch die ſichtbarſten Spuren in Wien vorhanden, obgleich die beyden neueſten Regierungen in dieſem Punkt ein anderes Sy - ſtem aufgenommen haben. Die Denkungsart des großen Haufens iſt den Prieſtern noch nicht wieder ſo guͤnſtig, als unter Maria The - reſia, und er hat die Menge von Vorwuͤrfen und Laͤcherlichkeiten, womit man ſie in den erſten Zeiten Joſephs, und mit deſſen Erlaub -234 niß uͤberſchuͤttete, noch in zu friſchem Anden - ken. Dieſer Stand war damals ſo weit her - unter, daß es an jungen Leuten zu fehlen an - fing, die ſich demſelben widmen wollten; und daß man ſpottend ſagte: man wuͤrde noch Seminariſten wie Rekruten mit Gewalt aus - heben muͤſſen. Damals wurden auch die Bahrd - tiſchen Schriften von dem gemeinen Volke hier ſehr haͤufig geleſen; und ſie gaben einigen ſchwaͤrmeriſchen Geſellſchaften, in denen der ſchnelle Uebergang von den roͤmiſchen Lehren zu den Grundſaͤtzen dieſes, ſelbſt bey Prote - ſtanten als zu ſtuͤrmiſch betrachteten, Religi - onsverbeſſerers, ungewoͤhnliche Ueberzeugungen erweckte, die Entſtehung. Aus einer dieſer Geſellſchaften ſchien der Schuſter noch zu ſtammen, der waͤhrend meiner Anweſenheit in Wien, wegen unkirchlicher Begriffe von der Gottheit Chriſti, am Pranger ſtand, und von mehreren alten Muͤtterchen eifrig ausgeſcholten, von den uͤbrigen (vermuthlich wie er denken - den) aber faſt oͤffentlich bedauert wurde. Da235 Begriffe dieſer Art, unter Joſeph, von man - chen Predigern ſelbſt waren unterhalten wor - den, ſo hat man dieſe von den Kanzeln weg - genommen, um ſo ſorgfaͤltiger, da ſie von dem Volke fuͤr geſchickte, denkende und ruͤh - rende Redner gehalten wurden. Die Fruͤchte ihrer Lehren, ſo wie der freyen Leſerey uͤber - haupt, zeigten ſich aber dennoch bald nachher, als ein großer feyerlicher Bittgang anbefohlen wurde, wo auch der ganze Magiſtrat der Stadt erſchien, von der Buͤrgerſchaft aber nur ein auſſrordentlich kleiner Theil ſich einfand.

Der Umtrieb der Wiſſenſchaften iſt nicht mehr ſo lebhaft, als unter Joſeph und noch unter Leopold. Unter erſterem hatte die Preſſe und das Katheder die moͤglichſte Freyheit. Die Buͤchlſchreiber verbreiteten ſich damals uͤber jeden Gegenſtand, die Lehrer der hohen Schule ſprachen freymuͤthig aus ihren Faͤchern, die Buchhaͤndler brachten Buͤcher aller Art nach Wien, die Nachdrucker druckten jedes Buch nach und ſetzten es dadurch mehr in236 Umlauf. Seit dem Eintritt der jetzigen Zei - ten iſt dieſe Freyheit des Leſens und Druckens, und die Einfuhr der Buͤcher, durch Zoll, Cen - ſur und gaͤnzliches Verbot, eingeſchraͤnkt worden.

Die Leſerey der Romane, Schauſpiele, Journale und Zeitungen, die unbedenklich ſind, iſt aber noch ſtark im Schwunge, und man findet letztere in allen Kaffeehaͤuſern in großer Menge. Da in Wien nur Eine Zeitung her - auskoͤmmt, ſo druckt man fremde ganz oder im Auszuge nach; eben ſo die neueſten Ritter - romane, die in ganzen, ſehr baͤndereichen Sammlungen, unter allgemeinen Titeln, her - auskommen, und in Wien ſelbſt verbraucht werden. Das junge Volk der Univerſitaͤt, der Kaufmanns - und Kraͤmergewoͤlbe, des Schrei - ber und Bedientenſtandes ꝛc. verſchlingt dieſe pilzartigen Erzeugniſſe des noͤrdlichen Deutſch - landes; und ich zweifle, ob in irgend einer an - dern deutſchen Stadt, unter den gemeinen Volksklaſſen, die Leſeſucht ſo ſtark um ſich gegriffen hat, als in Wien.

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Die Nachdrucker im Großen ſind uͤbrigens jetzt in Wien abgeſtorben. Ungeheure aber ſchlecht berechnete, Unternehmungen ha - ben ſie theils geſchwaͤcht, theils ganz zu Grun - de gerichtet. Das letzte Gluͤck machten die Troppauer Nachdruͤcke, die Geſchichte, Geographie und Naturbeſchreibung enthielten, und in kurzem Vier, nachher aber Sechs und mehr Tauſend Abnehmer, großentheils in Wien ſelbſt, fanden. Wenn dieſe Nachdruͤcke uͤber - haupt den uͤbrigen deutſchen Verlegern und Gelehrten ſchadeten, ſo nutzten ſie wieder - um den Einwohnern von Wien und von Oeſterreich uͤberhaupt, indem ſie dieſe theils mit manchem Buche bekannt machten, das ihnen unbekannt geblieben ſeyn wuͤrde, theils ihnen ganze Sammlungen davon um einen hoͤchſt billigen Preis verſchafften. Eben dieſe Nachdruͤcke bewirkten ſchon unter Joſeph, daß man kleine Bibliotheken mit zum Hausrathe rechnete, und daß ſelbſt Buͤrger dergleichen anlegten. Haͤufiger finden ſie ſich noch bey238 Leuten, die auf Bildung Anſpruͤche ma - chen.

Jetzt werden beſonders alte, wiſſenſchaft - liche Buͤcher zum Kauf ausgeboten, und ihrer Menge nach zu urtheilen, ſollte Wien eine littterariſch ſehr fleißige Stadt ſeyn; aber der Ueberfluß dieſes Artikels iſt nur voruͤbergehend, und entſteht aus dem Verkauf zweyer alten, reichlich verſorgten Buchhandlungen, der Graͤf - ferſchen und der Großiſchen, deren jetzi - ger Beſitzer ſich ihrer aͤltern Sortiments - und Verlags Buͤcher ſaͤmmtlich zu entſchuͤtten ſucht. Die billigen Preiſe bewegen das hieſige Pu - blikum, ſich damit zu verſehen; und wenn das uͤbrige Deutſchland bey Zeiten Nachricht von dieſem Verkauf erhalten haͤtte, oder wenn die Fracht nicht ſo hoch zu ſtehen kaͤme, ſo wuͤrde es ſich wahrſcheinlich aus dieſer Quelle mit einer Menge großer, ſeltener und ſehr ſchaͤtz - barer Werke bereichert haben.

Ueberhaupt genommen, muß man den Wienern eine gewiſſe litterariſche Bildung239 nicht abſprechen. Sie haben in jeder Wiſſen - ſchaft, beſonders in den gruͤndlichen, einige Hauptkoͤpfe beſeſſen, und beſitzen ſie noch; und in der Dichtkunſt weiſen ſie Maͤnner auf, die in die vorderſte Reihe der deutſchen Dichter gehoͤren. Indeſſen ſind hier, im Ganzen ge - nommen, gruͤndlichere Kenntniſſe und ein fei - ner, beſtimmter Geſchmack immer noch Sel - tenheiten. Ein Mann von mittelmaͤßigem Wiſ - ſen macht in den Kollegien, an hohen Schulen, vor den Gerichtshoͤfen, am Krankenbette, auf der Kanzel ꝛc. hier ungleich groͤßere Figur, als ein aͤhnlicher in Berlin, Dresden, Jena, Leipzig, Hamburg, und in andern noͤrdlich - deutſchen Staͤdten. Ich habe oben den Um - ſtand, daß Wien uͤberhaupt verhaͤltnißmaͤßig wenig, und noch weniger gute Schriftſteller hat, der bequemen Lage ſeiner Gelehrten zu - geſchrieben, und ſo iſt es; jetzt koͤmmt noch die große Beſchraͤnktheit der Preſſe dazu; aber waͤren dieſe aͤußeren Hinderniſſe auch nicht, wollten auch dieſe Gelehrten ſchreiben, ſie wuͤr -240 den es auf eine ausgezeichnete Weiſe kaum koͤnnen, wenn ſie nur des gewoͤhnlichen Schul - und Univerſitaͤtsunterrichts genoſſen haͤtten, und nicht, wie diejenigen, die in Wien wirklich vortrefflich geſchrieben haben und noch ſchrei - ben, durch Genie, oder durch Reiſen, oder durch ungewoͤhnliche gluͤckliche Umſtaͤnde, un - terſtuͤtzt worden waͤren. Die ganze Art, die Wiſſenſchaften zu treiben, beguͤnſtigt in der That, vom erſten Schulunterricht an, eine gewiſſe Fluͤchtigkeit und Einſeitigkeit. Die Ge - ſchichte, die Philoſophie, die Rechtsgelahrtheit, ja, ſogar einige Theile der Naturlehre muͤſſen dieſe Einſeitigkeit fuͤhlen, da ſie in ſo vielen Punkten das roͤmiſche Bekenntniß beruͤhren, das man jetzt in ſeiner alten Unbiegſamkeit wieder herſtellen zu wollen ſcheint, und das Joſeph in der That nur deshalb ausſchnitt, damit die Zweige anderer nuͤtzlichen Baͤume Luft erhalten ſollten. Ueberhaupt ſcheint die Einrichtung der oͤſterreichiſchen Univerſitaͤten nur auf Bildung kuͤnftiger Staatsbeamtenbe -241berechnet, aber fuͤr die Erweckung und Ausbil - dung eigentlicher Gelehrten, unzulaͤnglich zu ſeyn. Auch denkt ſelten ein junger Menſch daran, die Wiſſenſchaften ihrer ſelbſt wegen zu ſchaͤtzen und zu uͤben; er macht ſeinen Lehr - lauf, um ein Zeugniß zu erhalten, daß er ihn gemacht hat, und um ſodann ſein Brot zu finden. Das uͤbrige kuͤmmert ihn nicht. Auf den proteſtantiſchen hohen Schulen iſt dieß wohl auch der Fall, aber er iſt es nicht ſo all - gemein. Man kann die dort gezogenen be - ruͤhmten Schuͤler beruͤhmter Lehrer gewiſſer Faͤcher in Menge nennen. Wem faͤllt hier nicht Goͤttingen, Jena und Halle ein; wer koͤmmt hier nicht auf den Gedanken, daß die Wiener Univerſitaͤt nuͤtzlicher werden wuͤrde, wenn ſie ſich dieſen Muſtern naͤherte, als wenn ſie ſich, wie es jetzt das Anſehen ge - winnen will, in entgegengeſetzter Richtung von denſelben entfernet?

Doch dieſe Maßregel iſt gewiß nur fuͤr die laufende Zeit, und wird nur ſo lange dauern,Sechstes Heft. Q242als man einer gefuͤrchteten Gefahr zuvor kom - men zu muͤſſen glaubt. Gewiſſe politiſche Ein - richtungen, die einen auffallenden Einfluß auf die Gemuͤthsart der Einwohner von Wien ge - habt haben, werden ebenfalls nur ſo lange dauern. Die treuen Wiener werden, unter einem von Natur ſo ſanftem und liebenswuͤr - digem Oberherrn, ihre vorige Zutraulichkeit, Offenheit, Harmloſigkeit, Geſelligkeit und Gaſtfreundſchaftlichkeit zuruͤckerhalten: Tugen - den, die ihren Charakter jedem, der mit ih - nen lebte, ſo liebenswuͤrdig, und empfehlungs - werth machten.

Nach einem Aufenthalt von vier Wochen reiſ'te ich den 2ten September von Wien ab. Der Weg fuͤhrte durch die Vorſtadt, die Wieden. Die aͤußerſten Enden dieſer Vor - ſtadt haben ſehr kleine, unanſehnliche Haͤuſer, die groͤßeſtentheils mit Schindeln gedeckt ſind. 243Sobald man ſich außerhalb der Lienien der Stadt befindet, bietet ſich eine ausgebreitete Ausſicht dar, die rechts von Bergen beſchraͤnkt, und vorwaͤrts von Bergen umzogen iſt, links aber uͤber eine unabſehliche Flaͤche ſich erſtreckt. Am Fuße und am Abhange der Berge zur Rechten liegt Flecken an Flecken, Dorf an Dorf, unter denen die durch ihre vorzuͤgli - chern Weine beruͤhmten Grimzing, Brunn Medling u. a. ſind. Ungefaͤhr eine halbe Stunde von Wien befindet man ſich auf einer Anhoͤhe (der Wiener Berg genannt) die mit einer gothiſchen, durchbrochenen Spitzſaͤule be - ſetzt iſt, und von welcher herab man die ganze ungeheure Haͤuſermaſſe von Wien, alle Vor - ſtaͤdte, die kaiſerlichen Luſtſchloͤſſer, Schoͤn - brunn und Laxenburg, und eine Menge von Landhaͤuſern noch einmal mit einem Blick um - ſpannt. In der That, eine Anſicht, die we - nig Staͤdte in dieſer Ausdehnung gewaͤhren. Von da geht es maͤhlig bergab, man naͤhert ſich den Bergen zur Rechten mehr und verliertQ 2244die vorwaͤrts liegenden auf eine Meile aus den Augen. Je naͤher man den Bergen koͤmmt, deſto mehr entwickelt ſich zu ihren Fuͤßen das Gewimmel der Doͤrfer. Dieſe nehmen ſich wie Staͤdtchen aus, und ſchließen zum Theil Haͤuſer ein, deren ſich Wien ſelbſt nicht zu ſchaͤmen brauchte. Weingarten ſtoͤßt an Wein - garten, und die Berge ſind, bis zu ihrer Mitte hinan, dicht damit beſetzt.

Neudorf, die naͤchſte Poſt (2 M.) iſt ein heiterer Flecken, wo ich nicht zehn Minuten auf Pferde zu warten brauchte. Beym Aus - gange aus demſelben koͤmmt man eine Anhoͤhe hinan. Die Berge zur Rechten zeigen ſich dem Auge immer hoͤher, und ſteigen in der Ferne zu einem Gebuͤrge der dritten Ordnung empor. Die Gegend ſelbſt, durch die der Weg geht, bleibt immer noch ſo flach, als vorher, bis Guͤnſelsdorf, dem naͤchſten Poſtwechſel. (2 M.) An beyden Seiten ver - raͤth ſich durch die Graben, die neben der vortrefflichen Straße hinlaufen, ein trockener,245 kalkigter Grandboden mit Granit - und Quarz - Stuͤcken untermengt, der kaum einen halben Schuh hoch Dammerde uͤber ſich hat, und deshalb den Anblick der Fruchtbarkeit nicht ge - waͤhrt. Auch hebt hier die Neuſtaͤdter Haide an.

Von Guͤnſelsdorf aus wird dieſer Bo - den noch trockner und kaum iſt der Kalkſchutt mit vier Zoll Dammerde belegt. Das Land iſt ein kahler Anger, der nur ſtellenweiſe zu Ackerland genutzt wird. Rechts, nach dem Gebirge zu, erhaͤlt ſich das Erdreich noch fruchtbar und iſt, bis zur Haͤlfte der Berge hinan, mit Reben beſetzt. Drey Viertelſtun - den vor Wieneriſch-Neuſtadt tritt man in Thereſienfeld ein. Es iſt ein offenes, niedliches Dorf, das aus zwey Reihen Haͤu - ſern beſteht, einen Stock hoch und jedes mit einem Gaͤrtchen umgeben, welches, ſo wie die dazu gehoͤrige Scheune und Stallung, mit artigen Stacketen umſchloſſen und mit Baͤu - men, beſonders mit italieniſchen Pappeln, rund246 umher beſetzt iſt. Ich zaͤhlte dieſer Haͤuſerchen zwey und ſechszig. In der Mitte liegt eine artige Kirche, und im Hintergrunde ragt Wie - neriſch-Neuſtadt, als ob es unmittelbar daran ſtieße, mit einigen Thuͤrmen hervor. Keine dieſer kleinen Wirthſchaften zeigte Ver - fallenheit und Unſauberkeit, doch war, nach Maßgabe des Wirths, das eine immer netter, als das andere. Maria Thereſia, die uͤberhaupt viel auf den Anbau dieſer Haide gewandt hat, errichtete dieſe kleine Anſiede - lung und bevoͤlkerte ſie anfangs mit ausge - wanderten Landleuten aus Schwaben und Ty - rol; da ſich aber dieſe nicht halten konnten und nach und nach ihr Haabe verließen, ſo verſchenkte ſie die einzelnen Wohnungen an ausgediente Officiere, die, da ſie meiſt eine kleine Baarſchaft anlegen konnten, das Ganze in den Zuſtand ſetzten, worin es ſich noch be - findet.

Wieneriſch-Neuſtadt (2 M.) iſt eine Stadt der vierten Ordnung, mit Wall und247 Graben umgeben, gut gebauet im Ganzen, ſtark bewohnt und ſehr nahrhaft. Die Ein - wohner treiben einen ſtarken Handel mit Ge - treide nach Inneroͤſterreich und ſelbſt nach Italien, und einen nicht minder ſtarken mit Stahl und Eiſen nach Unter - und Ober-Oe - ſterreich und Ungarn. In und bey der Stadt ſind mehrere Fabriken und Manufakturen.

In dem hier befindlichen Schloſſe hat noch Maria Thereſia eine Lehranſtalt fuͤr junge Edelleute errichtet. Das Lokale iſt vortrefflich, die innere Einrichtung ſehr bequem. Die Wohn - Schlaf - Lehr - und Eßſaͤle ſind hell, gut geluͤftet und geraͤumig. Ein weitlaͤuftiger Garten dient den jungen Leuten zur Erholung und den Einwohnern der Stadt zum Spatzier - gange. Der General, Graf von Kinsky, iſt Auf - ſeher dieſes Hauſes.

Um die Stadt erheben ſich links und rechts Berge, an deren Fuße ſie aus der Ferne zu liegen ſcheint; aber ſie ſind noch weit genug davon entfernt: denn man faͤhrt eine ganze248 Poſt, bis Neuenkirchen (2 M.) ehe man an den Abhang derſelben gelangt. Der Weg bleibt, wie auf dem vorigen Poſtlaufe, ein trefflicher Straßendamm, und der Boden be - ſteht immer noch aus Sand - und Steinge - ſchieben. Die Gegend iſt hier ſo flach, daß man in einer Entfernung von Meile Neu - ſtadt noch hinter ſich ſehen kann.

Mit Neuenkirchen, das uͤbrigens ein gut gebauetes Dorf iſt, ſetzt ſich der Boden ſehr ſichtbar um, und naͤhrt Getreide und Gras in großer Fruchtbarkeit. Mehrere Quellen und Waͤſſerchen, die aus dem Gebuͤrge herabkom - men, veranlaſſen dieſe Veraͤnderung, deren Wirkungen ſich bis Schottwien, der naͤch - ſten Poſt (2 M.) erſtrecken. Man iſt jetzt in die Berge hineingetreten. Sie erheben ſich nach und nach und bilden mannichfaltige Thaͤ - ler und Schluchten, die den Getreide - und Wieſenbau ſehr beguͤnſtigen. Schottwien, ein Flecken, iſt hart an dem Fuße des hohen Ber - ges, der Semmering genannt, gelagert. 249Bis hieher hat die Straße beſtaͤndig am Fuße der Berge hingefuͤhrt, jetzt laͤuft ſie uͤber den Gipfel dieſes. Sie iſt vortrefflich in ihrer Art, und ein Denkmal Karls VI, der ſie mit großen Koſten anlegen, ausfuͤllen, Anhoͤhen abtragen und an den gefaͤhrlichern Stellen Bruſtwehren ſetzen ließ. Sie windet ſich jetzt in maͤßigen Abſaͤtzen bis zu einer Hoͤhe hinan, welche die Hoͤhe des Steigers vor Jena vier bis fuͤnfmal uͤbertrifft. Auch braucht man uͤber zwey Stunden, um auf dieſelbe zu gelangen. Dort iſt auch der Graͤnzſtein zwiſchen Oeſter - reich und Steyermark. Uebrigens iſt dieſer Berg durchaus mit maͤchtigen Fichten und Tannen beſetzt, und gewaͤhrt, an lichtern Stellen, eine der weitlaͤuftigſten Ausſichten.

Der naͤchſte Poſtwechſel iſt in Maͤrzzu - ſchlag (3 M.) dem erſten Steyeriſchen Markt - flecken, der nicht uͤbel gebauet und ſeiner Ei - ſenwerke wegen ziemlich nahrhaft iſt. Eine Senſen - und Weißblech-Fabrik beſchaͤftigen viele Haͤnde und verarbeiten jaͤhrlich einen250 anſehnlichen Betrag an Stahl und Ei - ſen.

Von Maͤrzzuſchlag aus ſteigt man in ein koͤſtliches Thal hinab, das Maͤrzthal genannt. Es iſt auf beyden Seiten von betraͤchtlichen Bergen eingeſchloſſen. Die Maͤrze giebt ihm den Namen. Dies iſt ein lebhaftes Waſſer, ſehr reich an Forellen, aber noch nuͤtzlicher dadurch, daß es die zahlreichen Hammerwerke dieſes Thales in Bewegung ſetzt und die Wie - ſen befruchtet. Das Thal ſelbſt zieht ſich uͤber die Doͤrfer und Poſten Krieglach (2 M.) und Maͤrzhofen (2 M.) bis Bruck an der Muhr (2 M.) und bleibt ſich vom An - fange bis zu Ende in ſeiner Fruchtbarkeit und Lieblichkeit gleich. An beyden Seiten der Maͤrze laufen die lachendſten Wieſen hin, die durch zahlreiche Schoͤpfraͤder gewaͤſſert werden. Hoͤher hinauf ſieht man Ackerland, das mit Fleiß beſtellt iſt und die Berge, zum Theil bis zu ihren Gipfeln, mit uͤppigen Saaten bedeckt. Der Raum, den das Ackerland ein -251 nimmt, wird mit jedem Jahre groͤßer, weil es dem Landmann erlaubt iſt, ſo viel Land urbar zu machen, als er beſtellen kann. Doch iſt er dabey auf diejenigen waldigten Stellen eingeſchraͤnkt, die mit duͤnnen und niedrigen Stauden und mit Laubholz beſetzt ſind. Die Art, wie dieſe Urbarmachung geſchieht, iſt hier ſehr einfach. Der Landmann hauet das Holz im Fruͤhjahre um, ſchafft die ſtaͤrkern Stauden als Brennholz nach Hauſe, und die geringern, nebſt den Wipfeln, Aeſten und Zweigen, laͤßt er zerſtreuet liegen und den Sommer uͤber recht austrocknen. Im Spaͤt - jahre zuͤndet er ſie an, verbrennt ſie, breitet die Aſche auf der ganzen Strecke gleichmaͤßig aus und hackt ſie ſodann unter, weil er ſich, der ſtehen gebliebenen Struͤnke wegen, keines Pfluges bedienen kann. So hat er ſeinen neuen Acker zugleich auf zwey bis drey Jahre geduͤngt und dieſer giebt einen verhaͤltnißmaͤßi - gen Ertrag, der ihn fuͤr ſeine Muͤhe belohnt. Eben ſo duͤngt man hier auch haͤufig die Wie -252 ſen mit Aſche von Raſen, den man ſtoßweiſe verbrennt und ſodann uͤber dieſelben ver - ſtreuet.

An beyden Seiten der Maͤrze liegen meh - rere Doͤrfchen, Hoͤfe und einzelne Haͤuſer, die viel Ordnung und Wohlhabenheit verrathen. Sie ſind ſorgfaͤltig umzaͤunt und haben wohl - beſtellte Gaͤrten um und neben ſich. Von Steinen ſind ſie nicht mehr, wie in Oeſterreich, ſondern von Schrotwerk, mit vorſtehenden Giebeln.

Die Viehzucht iſt eine der ergiebigſten Er - werbsquellen dieſes Thales. Das Hornvieh iſt ſchoͤn, die Pferde ſind von ungewoͤhnlich ſtar - kem Bau, die Schaafe zartwolligter, als man ſie in Oeſterreich findet.

Ueberhaupt glaubt man ſich, beym Durch - gange durch dieſes ſchoͤne Thal, in einem gro - ßen engliſchen Garten zu befinden, den die Natur anlegte, und der durch Menſchenhaͤnde unterhalten und befruchtet wird. Wenn man an dem Abhange der Berge, an ihrem Fuße,253 und in den Niederungen zwiſchen ihnen, frucht - bare Felder und lachende Wieſen erblickt, ſo ſieht man wiederum auf ihren Gipfeln, zwi - ſchen maͤchtigen Fichten und Tannen, von Strecke zu Strecke, bald Kapellen, bald Luſt - haͤuſer, bald die Truͤmmer einer alten Burg; hat man hieran das Auge geweidet, ſo ſenkt es ſich herab auf die ſchwarzen Wohnungen und Werkſtaͤtten der Eiſenarbeiter, die durch ihr Geraͤuſch und gewaltſames Pochen den Charakter ihrer Arbeiten ankuͤndigen, und wen - det man den Blick von dieſen, ſo faͤllt er auf die friedlichen Wohnungen, die am Wege liegen, und ein ſtilles Voͤlkchen von Hirten und Land - leuten einſchließen. Die Maͤrze ſchlaͤngelt ſich immer noch neben einem her, in Windungen, die ihr die Wurzeln der Berge, an denen ſie hinfließt, vorſchreiben, oder die ihr der Kunſt - fleiß der Menſchen, die ihrer beduͤrfen, ange - wieſen hat, bis ſie ſich endlich, rechts, gegen Bruck zu wendet und ſich in die Muhr verliert. Zugleich verengert ſich das Thal, und der her -254 vortretende Berg, worauf die alte Burg von Bruck nur noch mit einer halben Ringmauer ſteht, verſchließt es endlich ganz. Man faͤhrt um denſelben herum und iſt in Bruck.

Dieſes Staͤdtchen fand ich in einem trauri - gen Zuſtande. Es war ein Jahr vorher bis auf einige Haͤuſer ganz abgebrannt, und nur die Mauern waren ſtehen geblieben. Jetzt arbei - tete man ſie wieder her zu ſtellen. Bruck ent - hielt ſonſt drittehalb hundert Haͤuſer und ſeine Einwohner waren wohlhabend. Sie trieben einen nicht unbetraͤchtlichen Zwiſchenhandel mit Eiſen und Getreide, gewannen durch Vorſpann, und, da hier die beyden Straßen nach und aus Italien zuſammen treffen, ſo bot ſich ihnen noch mancher andre Erwerbszweig dar.

Von Bruck aus faͤhrt man in dem engern Thale, das die Muhr durchfließt, weiter. Man koͤmmt uͤber dieſen Fluß, ſobald man zur Stadt hinaus iſt, linker Hand mittelſt einer Bruͤcke. Nach einer Weile erweitert ſich das Thal;255 man faͤhrt etwas bergan und behaͤlt dann die Muhr rechts zu ſeinen Fuͤßen, waͤhrend die Anhoͤhen auf beyden Seiten, wie auf den vo - rigen Stationen, fleißig bebauet, und an ihren Abhaͤngen, mit Doͤrfern, einzelnen Haͤuſern und Kirchen beſetzt, ſtellenweiſe aber auch kahl und ſchroff, bis nach Leoben, dem naͤchſten Poſtwechſel, (2 M.) fortlaufen. Dies Staͤdtchen liegt ſehr angenehm hart an der Muhr, und ein Theil deſſelben erhebt ſich amphitheatraliſch. Wenn man hineinfaͤhrt, behaͤlt man links ne - ben ſich eine Anhoͤhe, die mit einer Kirche und einem Kloſter beſetzt iſt, und von da herab gelangt man in die Stadt, die nach Art der kleinen Staͤdte in Baiern und im Salzburgi - ſchen gebauet iſt und einen geraͤumigen Markt - platz, in Geſtalt eines laͤnglichen Vierecks, be - ſitzt. Dies Staͤdtchen iſt uͤbrigens gut be - wohnt und nahrhaft. Es treibt einen betraͤcht - lichen Handel mit Eiſen, welches aus den nahe gelegenen großen Eiſenwerken zu Vor - dernberg und Eiſenerz gezogen wird.

256

Von Leoben bis Kraubath, der naͤchſten Poſt (2 M.), muß man abermals uͤber die Muhr, weil Leoben ganz von derſelben um - ſchloſſen wird. Man faͤhrt ſodann, weil das Thal nun ganz zuſammen tritt, einen Hohl - weg, der von Laubholz uͤberſchattet wird, hin - an, und ſieht von oben herab das Thal, durch das man kam, zu einem ausgebreiteten Keſſel erweitert, durch welchen die Muhr jetzt zur Linken herabſtroͤmt, waͤhrend man rechts, an dem abhaͤngigen Ufer derſelben, an einem ſchwachen Gelaͤnder hinfaͤhrt und neben ſich hoͤhere Berge, als vorher, die aus einem weichen, marmorartigen Kalkſtein beſtehen, drohend uͤber den Scheitel hat. So geht der Weg, unter mancherley Kruͤmmungen, deren jede eine andere anmuthige oder wilde Anſicht gewaͤhrt, bis Kraubath, einem unbedeutenden Dorfe, fort.

Ich darf hier nicht vergeſſen zu bemerken, daß gerade um die Zeit, als ich durch das Maͤrzthal, und von Muhr aus, durch dieszweyte257zweyte fuhr, ſich beyde in ihrer anziehendſten Geſtalt zeigten. Im Fruͤh - und Spaͤt-Jahr iſt es freylich ganz anders. In jenem liegt der Schnee noch ſpaͤt auf den Bergen, und in dieſem zeigt er ſich ſchon ſehr fruͤh. Das Ge - treide wird im Wuchſe ſehr verſpaͤtet. Jetzt erſt war man im Begriff, den Hafer einzu - fahren und die Wieſen zu maͤhen. Wein waͤchſt gar nicht darin, und das Obſt geraͤth ſelten, und iſt ſauer. Da hat man alſo auch die Kehrſeite dieſer Thaͤler, wie jedes andere Ding in der Natur ſie darbietet.

Von Kraubath reiſ'te ich auf Knittelfeld (2 M.). Der Weg, der am linken Ufer der Muhr nach Kraubath hinauf gefuͤhrt hatte, ſenkte ſich, gleich hinter dieſem Dorfe, von neuem in das Muhrthal hinab, und dieſes er - ſchien abermals in einer neuen Geſtalt. Es war merklich verengert und auf beyden Seiten des Fluſſes mit den fruchtbarſten Wieſen uͤber - zogen, die zum zweytenmal gemaͤhet wurden; nur an wenig Stellen zeigte ſich etwas Acker -Sechstes Heft. R258land, das bis zur Haͤlfte des Berges hinan ſtieg. Die ſuͤdliche Seite bildeten lauter gleich - ſam prismatiſch abgeſchliffene Berge, deren ſpitze Winkel einander entgegen ſtanden, und zwiſchen denen mehrere kleine Thaͤler hinein - liefen. Auf dieſer Seite ſtand auch faſt lauter Laubholz, waͤhrend auf der gegenuͤberliegenden ſchwarzes Nadelholz ſich bis zu den Gipfeln der Anhoͤhen hinanzog. Die Muhr hielt ſich immer an der mittaͤgigen Seite, bis zu dem Dorfe Lauren - zen, wo eine Bruͤcke uͤber dieſelbe fuͤhrte, und das Thal ſich zugleich in eine weite Flaͤche aus - dehnte, deren Hintergrund durch dreyfach in Terraſſen emporſteigende hoͤhere Berge be - ſchraͤnkt wurde, an welchen Knittelfeld, ein unſauberer, finſterer Marktflecken liegt, zu dem man, wenn man noch einmal uͤber die Muhr geſetzt hat, erſt gelangt. Jene Flaͤche theilt ſich nun zur Linken und Rechten in zwey Arme ab, von welchen man den zur Rechten einſchlaͤgt, um nach der naͤchſten Poſt, Ju - denburg, (2 M.) zu gelangen.

259

Es war halb acht Uhr Abends, als ich dahin abreiſ'te. In den vorhin erwaͤhnten Bergen hing ein Gewitter, das ſchon unter - weilen blitzte, und in welches ich gerade hin - einfuhr. Die naͤchſte Folge davon war eine ungewoͤhnliche Finſterniß, die ſchon um acht Uhr ſo ſtark wurde, daß ich nicht drey Schritt um mich ſehen konnte. Das Gewitter ging voruͤber, aber der ganze Himmel blieb dicht bezogen, und ſo mußte ich, wie ein Blinder, uͤber die anmuthigſten Felder und durch die Doͤrfer und Flecken der ſchoͤnſten Flaͤche in Oberſteyermark, das Eichfeld genannt, hin - reiſen, ohne etwas darin geſehen zu haben, als einzelne Lichterchen die bis nach zehn Uhr nahe und ferne um mich her ſchimmerten. So kam ich auch uͤber Judenburg, von da uͤber Unzmarkt (3 M.) beyde nicht unbetraͤchtliche Staͤdtchen. Von Unzmarkt aus fuͤhrte der Weg wechſelsweiſe bergan und bergab, und dies erinnerte mich, daß ich nun uͤber die Berge ſelbſt hinein muͤßte, da ich bis jetzt nurR 2260immer in Thaͤlern, am Fuße derſelben, gereiſ't war. Wirklich erblickte ich, als der Tag an - brach, nichts als Berge von der dritten Ord - nung um mich her, uͤber die ich hinauf und hinunter mußte, die aber ſaͤmmtlich theils mit Laubholz beſetzt, theils zu Ackerland angebauet waren. So fuhr ich nach Neumarkt, dem naͤchſten Poſtwechſel (3 M.) hinunter. Dies iſt ein unanſehnlicher, kleiner Flecken, mit ei - nem alten Schloſſe auf einem einzelnen, ſchma - len, abſchuͤſſigen Berge, das den Anblick eines altmodiſchen Koffers giebt. Es iſt ſchon laͤngſt nicht mehr bewohnt. Von Neumarkt bis Frie - ſach, der naͤchſten Poſt (2 M.) dauert der Weg noch eine kleine Strecke ſo fort, wie vorhin, ſodann faͤhrt man auf einmal in eine enge Schlucht zwiſchen rauhen Bergen hinab. Links hangen einem die Bergmaſſen uͤber dem Haupte, und rechts rauſcht ein ziemlich ſchnel - ler Bach, die Metnitz, die mit einem ſehr aͤrmlichen Gelaͤnder eingeſchloſſen iſt, hinunter. Die Berge ſind Schiefer, eine Steinart, die261 ich hier das erſtemal zu Tage liegend bemerk - te, obgleich es gewiß iſt, daß alle die Huͤgel, vor denen ich, von Schottwien aus, vorbey kam, ebenfalls auf Schiefer aufgeſetzt ſind. Die hieſigen waren theils ganz ſchroff und rauh, theils mit Nadelholz bewachſen. Kein Fleckchen zu einer Wieſe war dieſen wilden Bergen abzugewinnen geweſen, kein Huͤttchen, kein Menſch, kein Thier fand ich auf dem Wege. Endlich, nach einer Fahrt von drey Viertelſtunden, fing dieſe Hoͤhlung an, ſich zu einem Thale zu erweitern, das ungefaͤhr zwey hundert Schritte breit ſeyn konnte. Sogleich erſchienen einzelne kleine Wieſenplaͤtze, und ein - zelne aͤrmliche Huͤtten. Naͤher an Frieſach dehnte es ſich noch weiter aus, und hier ge - winnt man den Bergen ſchon Ackerland ab, das mitten unter herabgerollten Wacken beſtellt wird. In der Niederung erſchienen fruchtbare Wieſen und ein paar Doͤrfchen, die aber einen ziemlich traurigen Anblick gaben. Man faͤhrt262 hier uͤber die Graͤnze zwiſchen Steyermark und Kaͤrnthen.

Die Anſicht von Frieſach wird durch die Truͤmmern von zwey alten Burgen gehoben. Die vorderſte ſteht auf einem kleinen Berge, eng zuſammengeſchroben, und noch ziemlich erhalten; die hintere, die zunaͤchſt uͤber der Stadt liegt, hat nur noch eine Ringmauer. Frieſach ſelbſt giebt, wenn man hineinkommt, einen finſteren und unreinlichen Anblick, und mag etwas uͤber hundert und funfzig Haͤuſer haben, unter denen ich ſieben bis acht gang - bare und ungangbare Kirchen zaͤhlte Ich ver - muthe, der Haͤuſer wuͤrden mehr ſeyn, wenn der Kirchen weniger waͤren. Aber das Staͤdtchen gehoͤrt einem Erzſtifte, naͤmlich dem von Salzburg. Auch hat es vom Feuer gelit - ten, und von Moͤnchen leidet es noch alle Tage.

Wenn man zur Stadt hinausfaͤhrt, ſieht man noch eine Kirche, hoch auf einer Anhoͤhe263 gelagert, die aber alt und verfallen iſt; dafuͤr findet man einige Schritte weiter am Wege eine ganz neue, die nicht zu verfallen droht.

Das erwaͤhnte Thal dauert noch fort, nur daß es, gleich hinter Frieſach, ſich rechts wen - det und immer weiter und fruchtbarer wird. Der kleine Bach, der mich von Neumarkt aus begleitete, wird hier durch einen groͤßern erſetzt. Die Berge zur Linken und Rechten ſind zum Theil bis an den Gipfel zu Ackerland genutzt und ſtreckenweiſe mit Landhaͤuſern, Kapellen, Schloͤſſern und weiterhin gar mit einem gan - zen Marktflecken, Altenhofen, der Truͤm - mer einer alten Burg neben ſich hat, beſetzt, waͤhrend in der Niederung mehrere Hammer - werke und Schmelzhuͤtten, die zu den reichſten in Kaͤrnthen gehoͤren, arbeiten. Auf der rechten Seite koͤmmt man vor einem artigen Luſtſchloſſe des Fuͤrſtbiſchofs von Gurk und Straßburg vorbey. Nicht weit davon dehnt ſich das Thal noch weiter, und zwar in einen Keſſel, aus, in deſſen Mitte einige kleinere Huͤgel264 hervortreten, uͤber die hinab man mehrere Thurmſpitzen und ein paar ſehr anſehnliche Schloͤſſer erblickt. Hier zieht ſich der Weg links herum, man faͤhrt uͤber den Fluß, den man bisher auf der linken Seite hatte, und geraͤth ſodann in eine Gruppe von Anhoͤhen, die, wie die dazwiſchen liegenden Thaͤler, ſehr angenehm, und ſehr ſorgfaͤltig angebauet ſind. So faͤhrt man vollends nach St. Veit, dem naͤchſten Pferdewechſel (3 M.) hinein. Dieß Staͤdtchen fernt nicht, weil es ganz auf ebe - nem Boden liegt. Es hat einen Stadtgraben und eine Mauer, beyde ſehr alt, wie die um Frieſach. Die Haͤuſer in der Stadt ſelbſt ſind von Stein, aber mit Holzſchindeln gedeckt. Die Straßen ſind breiter und ſauberer, als die von Frieſach, auch lebhafter, und die Ein - wohner wohlhabender. Hier iſt die Hauptnie - derlage fuͤr die umliegenden Eiſenwerke, deren Waaren von hier aus groͤßeſtentheils nach Italien gehen.

265

Von St. Veit fuͤhrt der Weg abermals uͤber kleine Anhoͤhen und durch Thaͤler, wie auf der vorigen Station, nur daß letztere weitlaͤuftiger und erſtre immer niedriger und ſeltner werden. Man koͤmmt darauf uͤber eine weitlaͤuftige, duͤrre, wenig angebauete Ebene, die das Saler Moos, auch das Sal - oder Zollfeld genannt wird, wo man nahe an der Straße einen Stein ſieht, der in der Form eines plumpen Lehnſtuhls ausgehauen iſt, auf welchem in vorigen Zeiten die Ober - haͤupter von Kaͤrnthen, unter laͤcherlichen Ge - braͤuchen, gekroͤnt wurden und die Huldigung des Volks empfingen. Hier finden ſich auch in einer kleinen Kapelle mehrere Leichenſteine, Muͤnzen und allerley Geraͤthſchaften aufbe - wahrt, von denen man muthmaßt, daß ſie Ueberbleibſel einer alten roͤmiſchen Stadt waͤ - ren, uͤber deren Namen man nicht einig iſt, die aber mehrere Jahrhunderte in dieſer Ge - gend geſtanden, und die endlich Attila zer - ſtoͤhrt haben ſoll.

266

Klagenfurt,*)Eigentlich Glanfurt von dem Fluͤßchen Glan, das in der Naͤhe voruͤbergeht. die Hauptſtadt von Kaͤrnthen, wo ſich die naͤchſte Poſt (2 M.) befindet, liegt in einer betraͤchtlichen Flaͤche, die in der Ferne rund herum mit Anhoͤhen von der Art umgeben iſt, wie ſie ſeit Frieſach beſtaͤn - dig um mich geweſen waren. Mehrere nicht unbetraͤchtliche Thuͤrme geben dieſer Stadt von weitem ein neues heiteres Anſehen, das ſich vermehrt, wenn man in dieſelbe hineintritt. Die Straßen ſind geraͤumig, ziemlich gut ge - pflaſtert und ſchnurgerade, die Haͤuſer groͤße - ſtentheils zwey, manche drey Geſchoſſe hoch, weiß abgeputzt und mit ſaubern gruͤnen Ja - louſien verſehen; die Kirchen meiſt ziemlich neu, oder wenigſtens neu verziert; ein paar oͤffentliche Gebaͤude von Umfang und mehrere ſehr lange Privathaͤuſer, Edelleuten aus den umliegenden Gegenden zugehoͤrig, zeichnen ſich ſehr aus, und das Ganze hat ungefaͤhr den267 Anblick von Bayreuth, abgerechnet, daß die hieſigen Haͤuſer Schindeldaͤcher haben und nicht von Sandſteinquadern erbauet ſind. Dagegen ſind hier wiederum auf jedem nur etwas be - traͤchtlichen Hauſe Gewitterableiter.

Die Stadt hat mehrere geraͤumige oͤffent - liche Plaͤtze, z. B. den alten und neuen Platz, den Geiſtplatz, den Heuplatz und ein paar andere, die minder geraͤumig ſind. Der alte Platz ſtoͤßt an die anſehnlichſten Straßen in Klagenfurt und hat in ſeiner Mitte eine artige, mit vieler Leichtigkeit ausgefuͤhrte Saͤule von Tyroler Marmor, auf welcher das verklaͤrte Bildniß des heil. Nepomuk befindlich iſt. Sie ſteht uͤber einem Roͤhrbrunnen, der durch eine laͤcherliche Verzierung, zwey Loͤ - wen darſtellend, die Waſſer ſpeyen, die gute Wirkung der Saͤule ſtoͤhrt. Ich erinnerte mich dabey des aͤhnlichen Einfalls zu Lazien - ka bey Warſchau, wo, an der vordern Seite des Gartentheaters, ebenfalls zwey große Loͤ - wen ein paar Waſſerſtrahlen ausſchießen. Nichts268 waͤre doch natuͤrlicher, als daß man Waſſer - thiere zu dieſer Beſtimmung waͤhlte.

Wie dieſer alte Platz, ſo ſind auch die uͤbrigen mit Denkmaͤlern geziert. Auf dem neuen Platze ſind deren drey. Erſtlich, Maria Thereſia, in moderner Tracht, mit einem ſtei - fen Reifrocke voll gothiſcher Falten, wenn ich nicht irre, in Bley gegoſſen. Hinter ihr ſteht eine Fama, die ihr eine Krone aufſetzt, und zwar auf einem derben eiſernen Pfahle, wel - cher der guten Kaiſerin aus dem Ruͤckgrade hervorwaͤchſt, und deſſen Unſchicklichkeit durch nichts bedeckt wird. Zweytens ein Roͤhrkaſten - ſtuͤck: ein langes, dickes Ungeheuer, der Him - mel weiß, aus welchem Element, von Stein das den Rachen, worin gewaltige Zaͤhne ſtehen, weit aufreißt, um einen kleinen Waſſerſtrahl heraus zu laſſen und einer rieſenhaften maͤnn - lichen Figur, die zwar mit einer ſtachlichten Keule bewaffnet und mit einer Loͤwenhaut be - haͤngt, aber darum doch kein Herkules iſt, entgegen zu ſpritzen. (Dies iſt uͤbrigens das269 Wahrzeichen und Wappen der Stadt) Drit - tens, eine Marienſaͤule, bey Gelegenheit einer Verjagung der Tuͤrken errichtet und in ſpaͤtern Zeiten, wie die Innſchrift beſagt, ab aliquo Mariophilo wieder erneuert.

Sey dies indeſſen wie es wolle: dieſe Plaͤtze geben doch der Stadt einen hellen und geraͤumi - gen Anblick. Sie hat denſelben freylich großen Ungluͤcksfaͤllen zu danken, naͤmlich wiederholten Feuersbruͤnſten, wovon die letzte, die im Jahre 1777 entſtand, die ganze Stadt, den Daͤchern und dem uͤbrigen Holzwerke nach, verheerte. Deſſen ungeachtet fanden es die Klagenfurter Buͤrger fuͤr dienlich und nuͤtzlich, dem heiligen Florian eine Denkſaͤule zu errichten. Sie ſteht gleich am St. Veiter-Thor auf dem Heuplatze, iſt von weißem und roͤthlichem ſteyriſchen Marmor und hat folgende Inſchrift:

Praepotenti contra Furorem Ignis Defen - ſori Civitas XVII Augus. MDCCLXXVII in Medulla conflagrans ſolis tectis con -270 ſumptis a pleno Interitu liberata vovit, dicavit, et erigi fecit. MDCCLXXXI.

die ich nur darum herſetze, um die Feinheit ihres Verfertigers, der ein ſehr folgerechter Mann zu ſeyn ſcheint, bemerkbar zu machen. Weil jener Heilige ſo gnaͤdig war, nur das Innere und die Daͤcher der Haͤuſer von Klagenfurt wegbrennen zu laſſen, darum ſetzte man ihm voller Dankbarkeit dieſe Saͤule, und man vergaß ſodann, daß er das Feuer uͤberhaupt haͤtte abwenden ſollen. Aber im Ernſte: fuͤr das, was dieſe, uͤbrigens kleinliche und ge - ſchmackloſe, Saͤule koſtete, haͤtte die gute Stadt Klagenfurt mehrere Spritzen anſchaffen, und ſodann das Uebrige von den Armen und der Kraft ihrer Buͤrger erwarten koͤnnen.

Sonſt iſt Klagenfurt, unter den laufenden Umſtaͤnden, lebhaft genug, und muß es in Winterszeiten noch mehr ſeyn. Im Sommer ſind die meiſten Familien vom Adel, die hier Haͤuſer beſitzen, auf ihren Landguͤtern. Sie271 kommen erſt gegen den Winter nach der Stadt, und bringen ein anſehnliches Geſinde und das Beduͤrfniß, ſich die Zeit zu vertreiben, mit herein. Dann giebt es Schmaͤuſe, Geſellſchaf - ten, Baͤlle, Redouten, auch wohl Komoͤdien, und das geſellſchaftliche Verkehr wird ſehr lebhaft. Ich fand jetzt noch alles todt.

Der Fuͤrſtbiſchof von Gurk und Straßburg, ein Salm von Reifferſcheid, der jetzt ſeinen Sitz in dem hieſigen Schloſſe hat, thut alles moͤgliche, um Geſelligkeit zu befoͤrdern und zu erhalten. Er iſt ein hoͤchſt einnehmen - der und muſterhaft gefaͤlliger Mann. Was er hat, zeigt er dem Eingebohrnen wie dem Frem - den von jeder Klaſſe, und theilt es mit ihm. Hinter ſeinem Schloſſe iſt ein kleiner, aber ſehr angenehmer Garten, der fruͤh und ſpaͤt fuͤr jedermann offen ſteht. Er laͤßt ihn an ſchoͤnen Sommerabenden erleuchten und giebt Koncerte darin. Je mehr Menſchen zuſtroͤh - men, deſto groͤßer iſt ſeine Freude. Seine kleine Reſidenz hat er ſehr geſchmackvoll, wenn272 auch nicht praͤchtig, eingerichtet. Unter an - dern hat er einen Saal aufputzen laſſen, der in ſeiner Art ſehr nett und angenehm iſt. Alles in demſelben iſt auf Einfalt, Leichtigkeit und Heiterkeit berechnet, und traͤgt das Ge - praͤge ſeines eigenen Charakters. In ſeinem Schreib - und Schlafzimmer finden ſich meh - rere Buͤſten und Gemaͤlde, die er ſelbſt in den Werkſtaͤtten der beſten modernen Kuͤnſtler in Rom ausgewaͤhlt hat. Auch iſt eine kleine, artige Kapelle da. In einem der groͤßern Zimmer ſieht man die ganze Folge der Bi - ſchoͤfe von Gurk und Straßburg, ſeit der Stiftung dieſes Bißthums. Alles dies iſt Al - len offen, und Fremden, die dieß nicht wiſſen, laͤßt er es ſagen, oder er ſagt es ihnen auch, wie mir geſchah, perſoͤnlich. So lange die Erz - herzogin Mariane, Thereſiens Tochter, hier wohnte, konnte man, nur auf beſondere Er - laubniß und unter beſchwerlichen Umſtaͤnden, nichts, als den Garten ſehen.

Uebrigens273

Uebrigens iſt Klagenfurth eine Stadt der dritten Ordnung, die wenig Merkwuͤrdiges auf - zuweiſen hat. Nur zwey anſehenswerthe Fa - briken ſind in einer der Vorſtaͤdte, eine fuͤr Bleyweiß und eine andere fuͤr Tuch. Letztere beſchaͤftigt gegen zwey hundert Arbeiter, und ihre Waaren ſind ſo gut, daß ſie in Wien haͤufig fuͤr hollaͤndiſche verkauft werden; auch war der Stifter ein Hollaͤnder. Sonſt iſt noch eine Seidenfabrik hier, die aber nur leichtere Waaren, als Schnupftuͤcher, Band und der - gleichen verfertigt; ferner eine Baumwollen - Fabrick fuͤr Muſſelin und Piqué, und eine an - dere fuͤr Manſcheſter, die man ſaͤmmtlich nicht betraͤchtlich nennen kann, deren Unternehmung aber ſehr lobenswuͤrdig iſt, da es hier noch ſehr zu den neuen Dingen gehoͤrt, uͤberall an Manufakturen und Fabriken zu denken.

Fuͤr den Anbau der Wiſſenſchaften iſt hier durch eine Art von hoher Schule geſorgt, und mehrere Privatleute beſchaͤftigen ſich aus Lieb - haberey damit, beſonders mit der Naturge -Sechstes Heft. S274ſchichte. Ein Freyherr von Hohenwart beſitzt eine weitlaͤuftige Sammlung von Mineralien und eine Reihe von inlaͤndiſchen Voͤgeln, die faſt ganz vollſtaͤndig iſt. Ein Graf von En - zenberg hat eine vortreffliche Mineralienſamm - lung und eine nicht unbetraͤchtliche Bibliothek. Ein Herr Reiner beſitzt ausgebreitete Kennt - niſſe in der Naturgeſchichte, beſonders in der Botanik, und hat, in Geſellſchaft des oben erwaͤhnten Hrn. von Hohenwart, nicht lange vor meiner Ankunft, eine botaniſche Reiſe nach den Oberkaͤrntniſchen und benachbarten Alpen, mit ausgemalten Kupfern herausgegeben.

Ich reiſ'te den 6ſten Septbr. von Klagen - furt auf Velden. (2 M.) Gleich beym Aus - tritt aus dem Villacher Thore, ſieht man zwey Reihen von Bergen vor ſich, die ſich bald links bald rechts wenden, und in ihrer Mitte ein Thal bilden, das großentheils von einem See uͤberfloſſen wird, der Wertherſee ge - nannt, an deſſen Rande der Weg bald naͤher bald entfernter ſich hinzieht. Der See faͤngt275 ungefaͤhr drey Viertelſtunden von Klagenfurt an, und haͤngt durch einen Kanal mit der Stadt zuſammen. Dieſer Kanal dient haupt - ſaͤchlich dazu, mit mehr Bequemlichkeit der Stadt das Holz zuzufuͤhren, welches am See gefaͤllt wird, der rund herum mit ſtarken Wal - dungen beſetzt iſt. Die Berge diſſeits und jenſeits beſtehen immer noch aus dem dunkel - grauen, ſehr glimmerichen, mit Quarzadern durchlaufenen, Schiefer, von welchem Klagen - furt gebauet iſt, und ſie ſind bald hoͤher, bald niedriger. Der Weg ſelbſt iſt eben und an demſelben hin ſieht man bebauetes Land, das hier und da ziemlich hoch die Berge hinanlief, aber nichts als Mays, Hirſen und beſonders Haiden oder Buchweizen trug, der in voller Bluͤthe ſtand. Unter den Obſtbaͤumen fand ich die Nuß am haͤufigſten und von vorzuͤgli - cher Groͤße und Schoͤnheit. Pflaumenbaͤume ſah ich auch in Menge, und dicht voller Fruͤchte. Aepfel fand ich gar nicht, deſto mehr Birnen, die auch reichlich trugen.

S 2276

Der See bleibt einem bis Velden zur Lin - ken, und hoͤrt bey dieſem Orte, der ein ge - meiner Flecken iſt, auf. Im Hintergrunde hat er eine ſtattlich gebauete, maſſive aber veraltete, Muͤhle, die man aus der Ferne wohl fuͤr einen alten Ritterſitz halten kann, und die dieſer Stelle ſehr viel Mahleriſches giebt. Sein Waſſer iſt uͤbrigens klar und wimmelt von Fiſchen, beſonders von Hechten.

Von Velden aus auf Villach, dem naͤch - ſten Poſtwechſel (2 M.) erhoben ſich die Berge an beyden Seiten immer mehr. Die Krainer Alpen wurden hier allmaͤhlig immer ſichtbarer. Ich hatte ſie, ungefaͤhr waͤhrend der Haͤlfte des Poſtlaufs, in ihrer ganzen Groͤße neben mir, und glaubte mich wiederum in das Salz - burgiſche verſetzt. Zur Rechten blieben die An - hoͤhen in ihrer vorigen Groͤße ſich ziemlich gleich; ſie waren mit Laub - und Nadelholz be - ſetzt, angebauet, und hatten von Zeit zu Zeit Kirchen, Landhaͤuſer, neue Schloͤſſer und alte Burgen (unter letztern das alte Landskron,277 von großem Umfang und ſehr romantiſch ge - legen) auf ihren Ruͤcken; waͤhrend zur Linken nur die untern Theile der Berge mit Waldung beſetzt, die obern aber kahl, rauh, und als unfruchtbare Klippen erſchienen. Es machte einen ſonderbaren Gegenſatz, ſo zwiſchen Frucht - barkeit und Unfruchtbarkeit hinzufliegen; das Auge zur Linken durch tiefe Abgruͤnde, unge - heure Felſenwaͤnde und den Anblick der Veroͤ - dung zu erſchrecken, und es zur Rechten durch ſchoͤne Thaͤler, durch Wieſen und uͤppiges Acker - land zu ergetzen. Hinter Villach, einer alten, herunter gekommenen, ſehr bunt verzierten Stadt, lehnt ſich ein Berg dem Thale, durch welches ich ſo eben gekommen war, entgegen, und theilt es in zwey andere, deren eines links, das andere rechts, ſich zwiſchen die Berge hineinzieht.

Man ſchlaͤgt letzteres ein, um zum naͤchſten Poſtwechſel, St. Paternion (3 M.) zu gelangen. Es geht eine Strecke bergauf und wieder bergab. Im Grunde ſtroͤmte mir die278 Drau entgegen, hinter mir lag der ſchoͤne fruchtbare Keſſel, worin Villach gelagert iſt, und daruͤber her ragten die fruchtbaren kraini - ſchen Alpen hervor. Kommt man wiederum in das Thal hinab, ſo ſteigt man der Drau beſtaͤndig entgegen, und verfolgt ſie in hundert Kruͤmmungen. Die Abwechslung, die dieſes Thal darbot, war im Ganzen dieſelbe, wie ſie mir in andern Thaͤlern ſchon aufſtieß, aber, den einzelnen Theilen nach, immer neu. Der Abend war koͤſtlich. Die fruchtbarſten Wieſen lagen zu meinen Fuͤßen und mitten durch ſie ſchlaͤngelte ſich der Fluß, den die Abendſonne roͤthete. Bald ſtand ein ſchoͤner Berg, der bis zum Gipfel theils angebauet, theils mit Waͤldchen von Laubholz beſetzt war, vor mir, bald ſtieg ein ſchroffer Kalkfelſen, der kaum ein Graͤschen naͤhrte, uͤber meinem Haup - te empor; bald wurden die lachenden Wieſen im Grunde durch den ſchwarzen Auswurf der Schachte und durch eine Reihe eben ſo ſchwar - zer Haͤuſer, Huͤtten, Schmelz - und Hammer -279 werke unterbrochen, um welche ein rußiges Voͤlkchen von Kindern und Alten wimmelte.

Mit Anbruch der Nacht kam ich in Pater - nion, einem finſtern Flecken, an, und fuhr von dort weiter uͤber Spital (2 M.) Sachſen - burg, (2 M.) Greifenburg, (2 M.) bis Oberdraburg, (2 M.) lauter unbedeutende Flecken und Staͤdtchen. Der Weg blieb be - ſtaͤndig im Thale, neben der rauſchenden Drau, uͤber die ich auf mehreren wankenden Bruͤcken ſetzen mußte, und zwiſchen hohen Bergen. Bey Oberdraburg wendet ſich das Drauthal rechts und man ſieht ſich auf einmal mitten un - ter den Vorlaͤufern noch hoͤherer Berge. Rechts erhob ſich, von ſeiner Mitte an ſteil und ſchroff ein Bergruͤcken, der uͤber eine Viertelſtunde zuſammenhangend fortlief. Seine Grundlage war Schiefer und dieſer erſchien mit Laub - und Nadelholz beſetzt, ſeine hoͤheren Theile waren Kalk, groͤßeſtentheils kahl und durch große Einſchnitte wie zerſaͤgt, aus welchen Steinſtroͤme, wenn ich ſo ſagen darf, mit280 zerriſſenen Baumſtaͤmmen, Wurzeln und Stum - pen vermengt, herunter geſtuͤrzt waren. Der Fruͤhling und Herbſt ſind beſtaͤndig Zeugen ſolcher Verheerungen, und ſolche Zeiten nicht minder, wo, wie jetzt, ſtarke Gewitter getobt haben. Ich zaͤhlte gegen dreyßig ſolcher Stein - ſtroͤme laͤngs der erwaͤhnten Kalkalpe, die zum Theil den Weg uͤberſchwemmt, zum Theil durch und durch geriſſen, zum Theil Haͤuſer dem Boden gleich gemacht und die Wieſen und Felder in Schutt verwandelt hatten. Wei - terhin auf der linken Seite, jenſeits der Drau, ſtanden aͤhnliche Alpen, an denen ich aber we - niger Riſſe bemerkte, und die noch bis zum Gipfel mit Holz beſetzt waren. Das Thal, welches zwiſchen beyden liegt und durch wel - ches die Straße fuͤhrt, iſt eben, und letztre gut. Der Fruchttrieb war hier ſo, wie in den niedrigern Theilen dieſes Thals; ich ſah etwas Obſt, etwas Wieſenwachs, etwas Ackerland fuͤr Haiden. Auf der Haͤlfte des Poſtlaufs erweitert es ſich und man befindet ſich nun in281 Tyrol. Die Berge zur Linken erhoͤhen ſich und werden zu ſchroffen, meiſt unbehoͤlzten Al - pen von Kalk, die bis Lienz, der naͤchſten Stadt und Poſt (2 M.) immer ſteigen und ſteiler werden, ſich fortziehen, ſich ſodann weſt - waͤrts wenden und ein neues Thal bilden; waͤhrend die rechte Seite ihre Steil - und Schroffheit verliert, und ihre Berge bis auf den Schiefer wieder hinabſinken und ſol - chergeſtalt hoͤchſt angenehme und ſehr betraͤcht - liche Anhoͤhen bilden, die zum Theil bis zum Gipfel angebauet, dort mit einzelnen Hoͤfen und Wohnungen, weiter herunter mit Kirchen, und ganz unten mit fruchtbaren Wieſen, be - deckt ſind. Der Eindruck, den dieſe Einſiede - leyen aus der Ferne machen, iſt ſehr ange - nehm.

Lienz ragt aus dem Keſſel, worin es liegt, nicht unanſehnlich hervor. Es hat mehrere Kirchen mit nicht uͤbel erhaltenen Thuͤrmen, und, im Hintergrunde auf einer Anhoͤhe, eine alte Burg von Umfang. Alles zeigt, daß dies282 Staͤdtchen vor Alters betraͤchtlicher war. In - wendig iſt es eng, unſauber und ſtill. Die Haͤuſer ſind zwar von Stein, aber unanſehn - lich, mit kleinen kloſterartigen Fenſtern, und abſcheulich vernachlaͤßigten ſchwarzen Schindel - daͤchern verſehen.

Von Lienz aus fuhr ich gerade zwiſchen die vorhin erwaͤhnten rauhen Alpen hinein, und fand die Drau abermals mir entgegenkommend. Zur Rechten ſind die Berge niedriger, groͤße - ſtentheils angebauet und hier und da mit gan - zen Reihen von Bauerhaͤuſern beſetzt, waͤhrend man auf der linken Seite nichts, als Stein - ſtroͤme und herabgeſchoſſene, ungeheure Kalk - wacken, erblickt, die den Strom eindaͤmmen zu wollen ſcheinen. Der Weg, der durch dieſe doppelte Burgreihe fuͤhrt, iſt ganz eben und feſt wie eine Diele. Er laͤuft an dem linken Ufer der Drau oft ſehr nahe hin, kein Ge - laͤnder ſchließt ihn ein, und er drohet ſtellen - weiſe, in den Strom hinabzuſchießen, waͤh - rend dieſer ſich an den Felſenſtuͤcken, die in283 ſeinem Bette liegen, zu Schaum zerſchlaͤgt und in dieſer Geſtalt weiter raſet.

Mittenwald im Puſterthale, die naͤchſte Poſt (2 M.) beſteht nur aus dem Poſthauſe und den dazu gehoͤrigen Wirthſchaftsgebaͤuden. Von da bis

Sillian, dem naͤchſten Pferdewechſel (2 M.) bleiben ſich Weg und Gegend, noch uͤber eine Meile, gleich. Auf einmal wirft ſich die Drau auf die rechte Seite hinuͤber und koͤmmt von dort hinter Baͤumen und Felſen - ſtuͤcken ungeſehen herab. Die Alpen zur Lin - ken verlieren ihre vorige Hoͤhe und Schroffheit, ſind behoͤlzt und ſtrecken nur noch hie und da ihren bloßen Ruͤcken hervor. Das Thal er - weitert ſich merklich, hat auf beyden Seiten ſehr angenehme Wieſenplane, und iſt zur Rech - ten, beſonders in den mittlern Theilen der Berge, fleißiger angebauet, als jene. Je wei - ter man faͤhrt, deſto wirthbarer werden die ehemaligen Felſen zur Linken, und wahrlich, wo ſich das erſte Fleckchen fingerdicken Erd -282[284] reichs zeigte, da war auch ſchon ein fleißiger Mann, der es anbauete und bewohnte. Sein Huͤttchen klebte auf einer gruͤnenden Anhoͤhe, zwiſchen zwey Kalkſpitzen, die wie Hoͤrner ſich uͤber ihn herkruͤmmten. Um ſich herum hatte er mehrere Raſenpunkte, die mir aus der Tiefe nicht fuͤnf Klafter lang und breit ſchienen. Weiterhin fand ich noch zwey ſolche Wirthe. Alſo nur ihrer drey auf der ganzen Strecke, die ſich und ihre Familie und ihre Kuh dort zu naͤhren wagten. Auf der rechten Seite hingegen ſtieg die Maſſe des bebaueten Erdreichs. Haus lag an Haus, und um die - ſelben Acker an Acker, Wieſe an Wieſe. Dieſe Hoͤfe und Wohnungen zogen ſich allmaͤhlig von oben herab und erſchienen endlich, wie ein ganzes Dorf, in der Niederung gelagert. Daß dieſer Anblick ſehr herzerhebend war, darf ich nicht erſt erinnern, aber deſto niederſchlagender der Umſtand, daß ich, von Lienz bis hieher, vier und dreßig Kirchen zaͤhlte, die auf dieſe Hand voll Leute vertheilt waren. Wie fleißig285 muͤſſen dieſe wackere Menſchen ſeyn, wenn ſie, bey dieſer unverhaͤltnißmaͤßigen Anzahl von Gotteshaͤuſern, und mithin von feſt - und fey - ertaͤgigen Zerſtreuungen, noch das thun koͤn - nen, was ſie thun.

Gegen Abend bekam ich Sillian zu Geſicht, und mit dieſem Flecken das Ziel meiner Reiſe fuͤr dieſen Tag. Eine Viertelſtunde vorher kam ich noch vor Hainfels, einem alten, weitlaͤuftigen Schloſſe vorbey, das noch be - wohnt wird und zwar von einem Landpfleger. In dem Poſthauſe fand ich die gutmuͤthigſten Menſchen, die mir waͤhrend meiner ganzen Reiſe von Riga aus bis hieher vorgekommen waren, und wie ſie vielleicht nur noch dieſe Gegend von Tyrol erzeugen kann. Das ganze Haus war in Bewegung, mir zu dienen, und Poſtmeiſter und Poſtmeiſterin entfernten ſich kaum einen Augenblick von mir, bloß um zu ſehen, daß es mir an nichts fehle. Den an - dern Morgen bezahlte ich fuͤr ein Abendeſſen von vier Schuͤſſeln, fuͤr eine Flaſche rothen286 Tyroler, fuͤr das Nachtlager und fuͤr einen vortrefflichen Kaffee mit Kuchen, Einen leich - ten Gulden.

Von Sillian aus laͤuft der Weg noch im - mer in dem Drauthale fort und erſchien mir noch beſſer, als der, welcher dahin fuͤhrte. Er iſt von Schiefer gemacht, der hier, beſonders an der linken Seite, haͤufig zu Tage ſetzt: ein beſſeres Material, als der Kalk, weil er haͤr - ter iſt, und, ſeiner thonigten Theile wegen, durch den Regen und durch das Fahren mehr Feſtigkeit erhaͤlt. Die Berge auf beyden Sei - ten ſenken ſich allmaͤhlig; rechts werden ſie be - hoͤlzt und links immer fruchtbarer und mehr angebauet. Es wimmelt an dieſen Anhoͤhen von einzelnen Haͤuſern, und in den Niederun - gen trifft man auf mehrere Doͤrfer und auf einen Marktflecken, Innichen genannt. Drey Viertelſtunden oberhalb demſelben koͤmmt, links, von neuem eine Gruppe von Kalkalpen zum Vorſchein, und aus dieſen ſtroͤmt die Drau, als ein kleines Waͤſſerchen, hervor. Gleich287 dahinter dacht ſich das Gebirge und auch das Thal nach der entgegengeſetzten Seite ab, und laͤßt aus einem Thale, das links mit Kalkal - pen beſetzt iſt, die Rienze heraus, die, ein paar Stunden davon im Venetianiſchen, ent - ſpringt, und ihren Lauf, der Drau entgegen - geſetzt verfolgt. Ich zaͤhlte dreyzehn Kirchen von Sillian bis Niederndorf, der naͤchſten Poſt. (2 M.)

Von hier aus zieht ſich der Weg nach der rechten Seite des Thals hinuͤber. Man koͤmmt vor einer ungewoͤhnlichen Menge von roth - ſpielenden Pfaffenhuͤtlein-Buͤſchen, beſonders aber von zarten Lerchenbaͤumen, die wie ein Wald am Abhange des Berges ſtehen, vorbey. Die Rienze waͤchſt zuſehends und bezeichnet ihren Lauf durch Verheerungen. Hier und da hat ſie Wieſen weggeriſſen, oder mit Steinen uͤberſchwemmt. Man koͤmmt durch einen Markt - flecken, Welſchberg genannt, und kurz hin - ter dieſem draͤngt ſich das Thal zuſammen und der Weg geht zugleich mit der Rienze in288 daſſelbe hinein. Es zieht ſich immer tiefer hinab und man ſieht ſich bald an dem Eingange eines ausgebreiteten Keſſels, der dicht mit Doͤrfern beſetzt iſt. In dieſen faͤhrt man hinab. Rund herum erheben ſich theils niedrige, halbange - bauete Berge, theils hoͤhere, deren Fuß nur angebauet iſt, und deren Mitte und Gipfel ſich kahl in die Luͤfte erheben. Der Flecken Braunegen, wo die naͤchſte Poſt iſt, (2 M.) nimmt ſich, eines Schloſſes wegen, das uͤber ihn herſieht, und worin ſich das Kreisamt be - findet, nicht uͤbel aus. Gerade gegen uͤber, weſtlich, erhebt ſich eine Kalkalpe, deren Gip - fel ſo verwittert und aufgeloͤßt iſt, daß er wie die weißeſte Kreide erſcheint und glauben ma - chen kann, als ſey er noch mit Schnee bedeckt. Von Niederndorf bis hieher zaͤhlte ich drey und zwanzig Kirchen.

Von Braunnegen bis Untervintel (2 M.) fuͤhrt der Weg zuerſt durch ein ver - engtes Thal auf Sonnenburg, ein aufge - hobenes Nonnenkloſter, das von großem Um -fange289fange iſt und den Anblick eines betraͤchtlichen Schloſſes giebt. Dieſe Damen hatten vor - trefflich gewaͤhlt. Ihr Haus liegt auf einem Schieferfelſen, an deſſen Fuße die Rienze hin - rauſcht. Auf der andern Seite hatten ſie eine ausgebreitete Ausſicht uͤber das Thal und auf die gegenuͤber liegenden Berge. Uebrigens hat das Thal, durch welches man von da bis zur naͤchſten Poſt faͤhrt, nicht ſo viel Angenehmes, als die vorigen. Es iſt eng, mit Steinen be - ſaͤet, und an beyden Seiten wenig angebauet. Nur ſtreckenweiſe ſieht man in den Niederun - gen kleine Wieſen und eben ſo kleine Stuͤcke Ackerland, die tuͤrkiſchen Weizen tragen. Schon vorher zeigte ſich Granit am Wege, jetzt wird er immer haͤufiger, und kurz vor dem Poſt - wechſel Obervintel erhebt ſich ein ganzer Gra - nitberg am Wege. Auf dieſem Poſtlaufe fand ich funfzehn Kirchen und ſah kaum dreymal ſo viel Haͤuſer.

Von da bis Brixen, der naͤchſten Poſt, (2 M.) laͤuft der Weg noch in dem vorigenSechstes Heft. T290Thale fort, das ſich immer enger und enger zuſammenzieht und ſtellenweiſe eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Toͤpelthale oberhalb Karls - bad hat, nur daß die Berge zweymal hoͤher ſind, als dort, und die Rienze ſtaͤrker, ſchnel - ler und rauſchender fließt, als die Toͤpel. Sonſt iſt alles gleich. Granitwacken im Fluſſe und am Abhange der Berge, Nadelholz auf ihren Gipfeln, Wieſen an beyden Ufern des Fluſſes. Der Weg geht beſtaͤndig bergab, und wenn er auch hier und da bis zu dem Abhange der Berge hinanſteigt, und dort eine Strecke fort - laͤuft, ſo geht er bald wieder deſto tiefer hin - unter. Am hoͤchſten kommt man hinter Muͤhl - thal, einem kleinen Flecken, wo ſich auch endlich wieder eine mannichfache Ausſicht dar - bietet. Vor mir lagen im Hintergrunde hohe,[f]aſt kahle, Berge, und bis zur Mitte derſel - ben ſtieg ein zweyter Bergruͤcken hinan, auf welchem das alte, noch ziemlich erhaltene, Schloß Raudeneck ſteht, unter welchem die Rienze ſo tief im Thale fortrauſchte, daß ich291 ſie nur als einen Schaumſtreifen erblickte. Jetzt ſteigt man auch wieder in das Thal hinab, und ſo geht es bis ungefaͤhr drey Viertelſtun - den vor Brixen fort, wo man abermals eine Strecke bergan faͤhrt, um gleich darauf tief in das Thal hinabzuſteigen, in welchem dieſe Stadt liegt. Dieſer Abhang iſt ſtellenweiſe ſehr jaͤh, und man muß ihn mittelſt des Hemm - ſchuh's hinabgleiten. Zudem iſt er mit Granit ſehr ſorglos gepflaſtert. Sehr natuͤrlich, daß die Berge deſto hoͤher werden, je tiefer man hinunterſteigt, und daß, wenn man unten in der Stadt iſt, die Berge, die ſie umgeben, ſehr hoch erſcheinen; aber ſie ſind in der That nur Huͤgel gegen die, welche ich den Tag vorher geſehen hatte.

Brixen fernt uͤbrigens nicht ſonderlich. Man bekoͤmmt es erſt ſpaͤt zu ſehen, weil Berge vor den Weg treten, und ſieht man es end - lich, ſo iſt es in ſolch einer kleinen, zuſam - mengedraͤngten Geſtalt (von der tiefen Lage verurſacht) daß man glauben koͤnnte, die StadtT 2292enthielte, außer den Kirchen, nur etwa hun - dert Haͤuſer. Kommt man weiter hinunter, ſo dehnt ſie ſich mehr aus, aber immer bleibt ſie eine Stadt der vierten Ordnung. Man faͤhrt, um hinein zu kommen, uͤber die Eyſack auf einer bedeckten Bruͤcke. An dieſer wohnt ein Neſt voll Auguſtiner, die ein großes Klo - ſter mit einer hoͤchſt abenteuerlich umzackten roth angeſtrichenen, runden Kirche beſitzen. Man laͤßt die Eyſack links und befindet ſich in der Stadt. Dieſe iſt enge, ſchlecht gepfla - ſtert und enthaͤlt, neben wenigen neuen gut gebaueten Haͤuſern, eine große Menge alter und baufaͤlliger. Die Gegend um die Stadt iſt lachender. Das Gehaͤnge der Berge, bis uͤber deren Mitte hinan, iſt mit Reben beſetzt, und zwiſchen ihnen und unter ihnen hervor, ſchim mern kleinere und groͤßere Haͤuſer und Luſtſitze.

Uebrigens erhielt ich hier mehrere Angaben, daß ich mich Italien naͤherte: Eſel, die, an einen Karren mit zwey Raͤdern, und zwar voran an deſſen Gabeln, geſpannt, mit einem293 zwiſchen dieſelben geſpannten Menſchen in die Wette ziehen; unter vier Menſchen jedes - mal einen Prieſter; unzaͤhliche Eidexen; Bett - ler in Menge und einzelne Maronenbaͤume.

Von Brixen nach Kolman, der naͤchſten Poſt, (2 M.) zieht ſich der Weg ſuͤdweſtlich aus dem Keſſel von Brixen hinaus. Die Ey - ſack bleibt links, die Berge rechter Hand ſind ſehr angenehm mit Weinſtoͤcken, Haͤuſerchen auch Kirchen beſetzt. Die Berge zur Linken haben etwas duͤnnes Gehoͤlz bis zur Mitte, aber ihre Gipfel ſind, wie die Gipfel derer zur Rechten, ſchroff und rauh. Die herabge - rollten Felſenſtuͤcke bedecken einzeln den Weg, der ſich um ſie herumwindet und der hier und da dem Berge wie abgezwungen erſcheint. Kurz vor Klauſen liegt ein Kloſter auf ei - nem hohen, faſt ſenkrecht empor ſteigenden, Felſen, in welchem Benediktinerinnen wohnen: Von da an bleibt der Weg immer noch wie vor - her, bis Kolman, einem Dorfe, welchem ge - genuͤber ein altes Schloß, Troſchburg294 genannt, das ziemlich weilaͤuftig und noch be - wohnt iſt, auf einem Felſen liegt.

Von Kolman aus wird das Thal, worin man ſich befindet, immer enger, und nach ei - ner halben Stunde Weg, draͤngen ſich die Berge ſo zuſammen, daß man gar keinen Durchgang mehr ſiehet. Die Eyſack rauſcht in eine ſchwarze Schlucht hinein und zugleich kuͤndigt ſich an, was man in derſelben zu er - warten hat. Auf beyden Seiten erſcheinen Felſenſtuͤcke, wie herabgeſtreuet. Man faͤhrt theils zwiſchen Felſenwaͤnden, die einem uͤber dem Kopfe hangen, theils zwiſchen Haufen auf einander gethuͤrmter Felſentruͤmmer, die am Wege emporragen, oder im Fluſſe liegen. Andere, unter dem Gipfel der Berge hangen - de, Felſenmaſſen, ſcheinen nur auf den erſten Windſtoß, oder auf den neuen Fall eines Felſenſtuͤckes von oben zu warten, um ebenfalls herabzuſchießen. Wo dergleichen gefaͤhrliche Stellen ſich finden, da hat man Gnadenbilder hingepflanzt, oder Marien, oder andere Hei -295 lige angeklebt, oder auch Kapellchen hingeſetzt, damit der voruͤbergehende Wanderer vorher ſeine Seele Gott befehlen koͤnne. Rechts ſind dieſe Erſcheinungen am haͤufigſten, und doch geht der Weg immer an der rechten Seite hin. Gegen uͤber werden die Berge bald wieder minder grau - ſend, aber rechts werden ſie es erſt bey Deut - ſchen, dem naͤchſten Poſtwechſel (2 M.) Hier hat man die Gefahr uͤberſtanden. Die Berge ſind nun auf beyden Seiten weniger rauh, ob - gleich immer noch rauh genug. Man ſieht hier auch wieder an und auf denſelben theils einzelne, theils zu drey und vier beyſammenſtehende Haͤu - ſer. Weiter vorwaͤrts getraute ſich der Menſch, bey aller ſeiner Verwegenheit, bey allen ſeinen Beduͤrfniſſen, doch nicht, ſeinen Herd, mitten unter der Verwuͤſtung, aufzuſtellen. Je mehr man ſich Botzen naͤhert, deſto groͤßer wird die Anzahl der Wohnungen, und anderthalb Stun - den vor dieſer Stadt werden ſchon wieder Wein - ſtoͤcke, terraſſenartig uͤber einander gepflanzt, ſichtbar, beſonders an der rechten Seite, die296 vorher die furchtbarſte war. Der Weg fuͤhrt jetzt, da man uͤber die Eyſack auf einer bedeckten Bruͤcke gegangen iſt, an der linken Seite hatt an deren Ufer hin. Gegen ihre Wuth iſt er theils durch Mauern, theils durch vorgewaͤlzte Steine geſchuͤtzt; aber an einigen Stellen hat dieſer Fluß ihn doch ſchon untergraben, und[d]rohet ihn herunter zu reiſſen. Der Eingang nach Botzen (2 M.) iſt faſt wie der nach Bri - xen, nur iſt der Keſſel, worin erſteres liegt, nicht ſo tief. Man faͤhrt einen gepflaſterten Weg hin - ab geht ſodann uͤber die Eyſack zuruͤck, ſteigt eine kleine Anhoͤhe hinauf, und von dieſer herab uͤber - ſieht man das ganze Botzener Thal. Es giebt den Anblick eines großen Weingartens, der aus unzaͤh - ligen Lauben beſteht, die dicht an einander ſtoßen und ſolchergeſtalt ein wahres Dach von Blaͤt - tern bilden, das von drey Seiten her bis ge - gen die Mitte der umliegenden Berge ſich hin - auf zieht. Im Hintergrunde ſteigen abermals hohe Berge amphitheatraliſch hervor.

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Botzen, dem politiſchen Range und der Groͤße, Bevoͤlkerung und Wohlhabenheit nach, die zweyte Stadt in Tyrol, liegt im Etſchlan - de, an der Eiſack,*)Richtiger vielleicht: Eisach, von Eis und Ach, oder Aa, was bey unſern Alten Waſſer und, in der zweyten Bedeutung, Fluß hieß. Daher Aachen Salza oder Salzach, Schwarzach. u. ſ.w. mitten unter Bergen. Sie iſt der Sitz des Landeshauptmanns von gedachter Provinz, und eines Hofgerichts, das jaͤhrlich viermal gehegt wird.

Die Stadt iſt offen und ihr Standplatz uneben. Dieſer Lage wegen ſind ihre Straßen und Plaͤtze ziemlich enge und zuſammen ge - draͤngt. Die Haͤuſer ſind von Stein, großen - theils vierſtoͤckig, ſehr feſt, aber ziemlich alt - modiſch, erbauet. Sie haben von außen und innen ſchon viel Italieniſches, z. B., haͤufige Balkone, weniger Fenſter als die deutſchen Staͤdte, und auf dem Dache mehrentheils Altane, die zum Trocknen der Waͤſche gebraucht werden, und zugleich Licht in das Innere der Haͤuſer herabſchicken. Die Treppen ſind naͤm -298 lich nach dem Hofe zu angebracht. Man ge - langt uͤber dieſelben auf den Flur des erſten Geſchoſſes, und uͤber dieſen in die Zimmer, die vorwaͤrts nach der Straße und hinterwaͤrts nach dem Hofe fuͤhren. Der Flur ſelbſt bildet ein Viereck, iſt mit Eſtrich uͤbergoſſen und wird auf die gedachte Art erleuchtet und geluͤftet. Da die Sonne, deren Strahlen hier ſchon itali - eniſch brennen, weder von der Seite noch von oben in denſelben herabdringen koͤnnen, ſo bleibt er an den heißeſten Tagen kuͤhl, gewaͤhrt einen angenehmen Aufenthalt, und giebt dadurch dem Beſitzer an Behaglichkeit, was er ihm an Platz nimmt. Noch ſind die Haͤuſer, beſonders in denjenigen Theilen der Stadt, die, zur Zeit der vier großen Jahrmaͤrkte, von fremden Kaufleu - ten beſetzt werden, mit Lauben verſehen, unter denen Gewoͤlbe und Waarenlager angebracht ſind, die ihre Zinſen reichlich tragen. Das Pflaſter iſt ertraͤglich und wird in den niedri - ger liegenden Straßen durch Kanaͤle von le - bendigem Waſſer reinlich erhalten.

299

Unter den Kirchen zeichnet ſich keine durch Groͤße, Pracht, oder Geſchmack in der Bau - kunſt, aus, aber ſie beſitzen einige nicht ſchlechte Gemaͤlde; und in der Pfarrkirche fand ich in der That ein treffliches Altarblatt, das aber, in den Augen andaͤchtiger Seelen, weit hinter einem unanſehnlichen Marienbilde zuruͤck bleibt, welches in der Naͤhe iſt, und Wunder thut. Es war ſo herablaſſend, ſich einem Fuhrmann in den Weg zu legen, der es fand und nach der Stadt lieferte, wo fromme und ſcharfſich - tige Maͤnner deſſen Kraͤfte auf den erſten Blick erkannten und ad majorem Dei gloriam ſogleich in Thaͤtigkeit zu ſetzen anfingen.

Botzen hat ungefaͤhr die Groͤße von Kla - genfurt, iſt aber volkreicher, wie mir daͤucht, wenn nicht etwa die engeren Straßen die Ein - wohner mehr zuſammen preſſen und zahlreicher ſcheinen laſſen, oder wenn nicht der angehende Marienmarkt ſchon viel Fremde herzu gelockt hat. Waͤre in dieſem Punkt die bloße Anſicht des Getuͤmmels nicht ſo truͤglich, ſo wuͤrde300 ich die Zahl der Einwohner auf 13 bis 14,000 ſetzen.

Botzen zieht ſeinen Nahrungserwerb beſon - ders aus dem Handel. Seine vier großen Jahrmaͤrkte (auf Okuli, nach Fronleichnam, nach Marien Geburt und nach Andreas) wer - den haͤufig von Deutſchen, Schweitzern und Italienern beſucht. Dieſe machen hier anſehn - liche Geſchaͤfte mit baumwollenen, wollenen, ſeidenen, mit Nuͤrnberger - mit Spezerey - Stahl - Linnen - und andern Waaren. Sie ſchlagen ſie theils gegen andere um, theils ſetzen ſie dieſel - ben zur Verſorgung von Tyrol ſelbſt fuͤr baa - res Geld ab.

Der Weinbau iſt der zweyte Nahrungs - erwerb von Botzen. Das Gebiet der Stadt iſt ganz mit Reben bedeckt. Die umliegenden Ortſchaften ſind ebenfalls reichlich damit ver - ſehen; und ſie liefern ihre Moſte und Weine meiſt an die hieſigen Weinhaͤndler. Man kennt die Tyroler Weine. Sie ſind im Ganzen lieblich und angenehm, aber freylich, mit den301 Ungariſchen, Spaniſchen, Deutſchen und Fran - zoͤſiſchen verglichen, weichlich und unkraͤftig, und halten ſich nicht. Die Botzener Weine gelten unter ihnen fuͤr die beſten, beſonders das Ge - waͤchs von Leytach, Leyfer und Rentſch, Oerter, die in der Nachbarſchaft liegen. Ich ziehe den hieſigen weißen Wein den rothen Ar - ten vor, nachdem ich mehrere Proben aus dem Keller meines Wirthes, des Poſtmeiſters, durch - gekoſtet habe. In Deutſchland trinkt man ihn als Nachtiſchwein, aber man erhaͤlt ihn ſelten ertraͤglich, vielmehr meiſt immer mit einem kleinern oder groͤßeren Stich, den er meiſt im - mer bekoͤmmt, wenn er von einem Jahre zum andern ſtehen bleibt.

Botzen gewinnt noch an einem betraͤchtli - chen Verſendungs - und Durchfuhr-Handel von Italien nach Nieder - und Inner-Oeſter - reich und aus dieſen Provinzen nach Italien. Der Durchzug von Fremden eben dahin, die gern einen oder ein paar Tage hier verweilen, traͤgt auch etwas zur Nahrung der Stadt302 bey. Noch verſorgt ſie die Nachbarſchaft mit Obſt aller Art, und einige ihrer Aepfelgattun - gen, die Borsdorfer, Reinetten und die laͤng - lichen ſogenannten Tyroler Aepfel, gehen bis nach Muͤnchen, Salzburg und Wien.

Ich habe kein ſchoͤneres Obſt je geſehen und gekoſtet. Selbſt das Pariſer ſteht demſel - ben nach und das italieniſche keiner Provinz haͤlt eine Vergleichung damit aus. Es wird groͤßeſtentheils in den umliegenden Weinbergen gezogen. Schon vor vier Wochen waren hier die Pfirſchen reif, und ſie ſtehen jetzt in ſol - cher Menge auf dem hieſigen Markte zu Kaufe, wie in Leipzig in guten Jahren die Pflaumen. Sie haben die Groͤße von Stettiner Aepfeln und doch kann man ihrer zwey fuͤr einen Kreutzer haben. Noch vor einigen Tagen mußte ich in Wien, das ſeines ſchoͤnen und haͤufigen Obſtes wegen ſo beruͤhmt iſt, weit kleinere, das Stuͤck mit 15 bis 20 Kreutzern bezahlen. Die Weiß - und Graubirnen, die in Deutſchland erſt zu Anfange des Oktobers einzeln zum Vorſchein303 kommen, ſind hier ſchon in großer Menge vorhanden.

Das Aeußere der Bewohner von Botzen iſt im Ganzen wohlhabend und ſauber, aber altmodiſch. Ich glaubte mich, in dieſer Ruͤck - ſicht, wieder in Salzburg zu befinden. Adel, oder was wie der Adel lebte und ſich kleidete, iſt hier wenig vorhanden. Die beſten Buͤrger und Buͤrgersfrauen tragen ſich nach altbuͤrger - licher Art: erſtre ihre Kleider mit langem Schnitte, in dunkeln, beſcheidenen Farben, mit ſteifen, geſteckten Locken und Zoͤpfen; letz - tere ihre Waͤmſer weit, ihre Roͤcke drey uͤber einander gezogen, ſehr kurz, und dazu die ab - ſcheuliche Salzburger gehoͤrnte Haube von ſchwarzem Klar. Im Hauſe gehen ſie in blo - ßem Kopfe, das Haar geflochten, am Hinter - kopfe in ein Neſt zuſammen gewunden, und mit einer queer hindurch geſteckten Nadel befe - ſtigt. Auch die ſteifen Salzburger Mieder ſind hier, aber noch mit einem langen Schwanze verſchoͤnert, den die hieſigen Weiber entweder304 von den Bayreuther Maͤgden, oder dieſe von den Botz'nerinnen uͤberkommen haben.

Die hieſige Einwohnerſchaft iſt ſchon haͤufig mit italieniſchen Familien vermengt, und man hoͤrt eben ſo viel Italieniſch als Deutſch ſpre - chen, erſteres in venetianiſcher, letzteres in ſalzburgiſcher Mundart, beydes rauh und un - richtig, wie in allen limitrophiſchen Laͤndern. Eben ſo gemiſcht erſcheinen die deutſchen und italieniſchen Geſichtszuͤge, doch wird die weiße Menſchengattung ſchon merklich ſeltener, als die braune und ſchwarze Der Poͤbel hat in ſeinem Aeußern, und in ſeinem Benehmen und Charakter faſt nichts deutſches mehr; er geht in Lumpen von den hellſten Farben umher, liegt unthaͤtig in der Sonne, und iſt ſehr laut und dreiſt.

Der angehende Markt hatte eine fliegende Geſellſchaft Italieniſcher Schauſpieler hieher gefuͤhrt, die mit den meiſten ſtehenden Buͤhnen in Deutſchland wetteifern konnte. Da kein Schauſpielhaus in Botzen iſt, ſo hatte ſie ihrGeruͤſt305Geruͤſt auf einem langen Saale aufſchlagen muͤſſen, der ziemlich niedrig war, und mich an das Theater der Drey Roſen, in der Wills - drufer Vorſtadt bey Dresden, erinnerte. Viel - leicht waͤre mir dieſe Geſellſchaft minder gut vorgekommen, wenn mir die letzten Vorſtellun - gen, die ich auf deutſchen Buͤhnen geſehen, minder mißfallen haͤtten. In der That, dieſe Leute hatten doch Anſtand, Ton und Leichtig - keit; konnten doch, wie Leute von Erziehung, gehen, ſtehen und ſich ſetzen; und hatten ihre Rollen ſo gefaßt und gelernt, daß ſie dieſelben paſſend und hoͤchſt gelaͤufig zu geben verſtanden. Auch die Zuſchauer ihrerſeits waren ſchon nicht mehr ſo wunderlich deutſch geſinnt, daß ſie ihren Beyfall aͤngſtlich zuruͤck gehalten, daß ſie nicht von ganzem Herzen gelacht haͤtten, wenn etwas Laͤcherliches vorkam, und daß ſie nicht jeden kleinen gefallenden Zug herausgehoben und dem Dichter, wie dem Schauſpieler, jedem was ihm gebuͤhrte, zugetheilt haben ſollten. In der That, die Deutſchen, beſonders die Niederdeutſchen, ſind zu feyerliche Schauſpieler und Schauſpielliebhaber; und mir ſcheint es, als ob ſie die alten proteſtantiſch-theologiſchenSechstes Heft. U306Vorurtheile gegen dieſe Kunſt noch nicht ganz abgelegt haͤtten, und ſich innerlich immer noch ein wenig albern ſchaͤmten, ſich ihren Wir - kungen unbefangen, frey und offen hinzugeben.

Mit Botzen hatte ich das Ziel meiner Reiſe erreicht, und die Meilen hatten die bezweckte Wirkung auf meine Geſundheit gethan. Ich fuͤhlte keines der Uebel mehr, die mich bey meiner Abreiſe von Riga beunruhigten. Der Strom der friſchen Luft, und die Bewegung und Zerſtreuung hatten mich wiedergeboren. Das Botzener Thal, worin ich mich befand, athmete ſchon die Luft Italiens; es hielt mir das Bild der ſchoͤnſten Ge - genden dieſes Landes vor, und fuͤ[ll]te meine Bruſt mit einer Sehnſucht, die den ſchwachen Wall, den eine hypochondriſche Angſt vor Aerger, zwiſchen mir und Heſperien aufgeworfen hatte, darnieder riß. Neapel ſchien mir ein wuͤrdiger Ziel fuͤr eine große Reiſe, und nach drey Tagen ging ich mit einem Freunde, deſſen Wille mein Wille iſt, wirklich dahin ab.

[307]

Druckfehler im fuͤnften Heft.

  • Seite 5. Zeile 17 im Inhalt, anſtatt Taxe, lies Lage.
  • S. 10. Z. 22, anſt. Schuppen, l. Schoppen.
  • S. 15. Z. 22, anſt. nie, l. immer.
  • S. 19. Z. 4, anſt. Privatelute, l. Privatleute.
  • S. 33. Z. 15, anſt. Unbigau, l. Uebigau.
  • S. 51. Z. 10, anſt. abgeſchoſſen, l. herabge - ſchoſſen.
  • S. 51. Z. 11, anſt. herab, l. herunter.
  • S. 74. Z. 16, iſt oder auszuſtreichen.
  • S. 83. Z. 20. anſt. Steudel, l. Strudel.
  • S. 113. Z. 16, anſt. ſchreckenden, l. ſchwanken - den.
  • S. 176. Z. 1, anſt. 2326 Fuß, l. Fuß.
  • S. 184. Z. 19, anſt. geſtorbenen, l. geborſtenen.
  • S. 228. Z. 3, von unten, anſt. à l. a.
[308][309][310][311]

About this transcription

TextReise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol
Author Friedrich Schulz
Extent583 images; 78956 tokens; 13378 types; 565211 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol Enthaltend einen Abriß von Dresden, und die Reise von dort bis Salzburg; Sechstes Heft. Enthaltend einen Abriß von Salzburg und Wien und die Reise von dort nach Botzen Dritter Theil: Fünftes Heft. u. Sechstes Heft Friedrich Schulz. . 263 S.; 306 S., [1] Bl. ViewegBerlin1795.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Pv 4840-5/6<a>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=155893823

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Reiseliteratur; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; mts

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