Dresden. Wanderungen in dieſer Stadt. Die Altſtadt. Bauart. Vorzügliche Straßen. Lebhaftigkeit. Die Neuſtadt. Brücke. Jägerhof. Kadettenhaus. Ar - tillerie-Kaſerne. Königsſtraße. Japaniſcher Pallaſt. Bibliothek. Die Friedrichsſtadt. Vorſtädte. Be - trachtung über die beyden Auguſte. Der jetzt regie - rende Kurfürſt. Frugalität in Dresden. Geſell - ſchaftlicher Ton. Sitten. Oeffentliche Mädchen. Aeußeres der verſchiedenen Einwohnerklaſſen. Ihr Nahrungserwerb. Wohlfeilheit der Talente. Oef - fentliche Vergnügungen. Abreiſe von Dresden. Ein - tritt in das Erzgebürge. Freyberg. Oederan. Chem - nitz. Annaberg. Ehrenfriedersdorf. Weipert. Ober - wieſenthal. Gaſthof daſelbſt. Gottesgab. Joachims - thal. Karlsbad. Taxe. Umliegende Gegenden. Inneres der Stadt. Einwohner. Brunnen. Ein - richtung und Wirkung derſelben. Badegäſte. Bad - leben. Oeffentliche Unterhaltungen und Vergnügungen. Abreiſe von Karlsbad. Zwoda. Bewohner des Eger'ſchen Kreiſes. Eger. Dortiger Geſundbrunnen. Mühlbach. Thiersheim. Weißenſtadt. Berneck. Anſicht von Bayreuth. Troppach. Romantiſcher Weg. Streitberg. Schönes Thal. Die Burg von Streitberg. Bayersdorf. Erlangen. Fürth.
Den andern Tag (den 29 May) machte ich Streifzuͤge, um das Aeußere der Stadt zu unterſuchen und mich mit ihrem Plane bekannt zu machen. Bey ſolchen Gelegenheiten uͤber - laſſe ich mich dem Zufalle, und jeder Weg, den er mit mir nimmt, iſt mir der naͤchſte, ſo wie jede Stunde, wo ich nach Hauſe zu - ruͤckkomme, mir die rechte iſt. Verirren kann man ſich da nicht, wo man keinen beſtimmten Weg zu ſuchen, und zu halten hat. Wo ich ein Thor fand, kehrte ich wieder um, weil ich mich fuͤr heute auf die Altſtadt einſchraͤn - ken wollte.
Die Bauart dieſer iſt ganz auf Gelaß be - rechnet. Im Durchſchnitt haben die Haͤuſer 4 bis 5 Geſchoß und gebrochene, hollaͤndiſche Daͤcher, die ebenfalls bewohnt werden. Sie ſind meiſt von dem feſten Pirnaiſchen Sand - ſtein erbauet, der außerordentlich dauerhaft iſt. Die Treppen ſind in vielen Haͤuſern von demſelben Steine, was fuͤr die Einwohner in7 Feuersnoͤthen ſehr beruhigend ſeyn muß. Die Haͤuſer werden im Innern muſterhaft reinlich gehalten und im Aeußern ſind ſie es nicht minder. Man hat ſie meiſt gelblich oder gruͤn - lich abgeputzt und die Fenſterverzierungen mit Farben, nicht in Gyps, wie z. B. in Berlin angegeben. Ihre Vorderſeiten ſind alſo nicht durch Schnoͤrkeleyen unterbrochen, ſondern ge - ben ein heiteres Ganze. In einigen Straßen, beſonders in den aͤltern, z. B. der Schloß - Wilsdruffer-Scheffelgaſſe ꝛc. findet man noch einzelne Haͤuſer mit hervorſpringenden Erkern, deren eines dem andern die Ausſicht benimmt; aber ſie ſind hier nicht in ſo großer Anzahl, wie z. B. in Leipzig, Bautzen und in andern Saͤchſiſchen Staͤdten. Ganz davon frey habe ich die Moritz - und Pirnaiſche Straßen, uͤber - haupt die ſchoͤnſten in Dresden, gefunden. Beyde ſind zwar nicht lang, aber breit, und mit treflichen, meiſt ganz neuen, fuͤnf bis ſechs Geſchoß hohen, Haͤuſern und Palais beſetzt. Die Moritzſtraße war die letzte, die aus den8 Truͤmmern hervorging, in die ſie das Bom - bardement im ſiebenjaͤhrigen Kriege (1760) legte, und ſie iſt die ſchoͤnſte geworden. Was Dres - den uͤberhaupt fuͤr einen Reichthum an Pal - laͤſten, an oͤffentlichen Gebaͤuden und Haͤuſern beſitzt, kann man aus den architektoniſchge - nauen Schilderungen derſelben ermeſſen, die Hr. Haſche ſeiner Beſchreibung von Dresden*)Ihr Titel iſt: Umſtaͤndliche Beſchreibung Dresdens, mit allen ſeinen innern und aͤußern Merkwuͤrdigkeiten, hiſtoriſch und architektoniſch. Leipzig, 1781-83. eingeſtreuet hat.
Das Pflaſter iſt im Ganzen genommen gut und man ſorgt fuͤr deſſen Reinlichkeit, wozu die Kanaͤle, die darunter hinlaufen, ſehr viel beitragen.
Es iſt in keiner Straße leer an Menſchen, aber die lebhafteſten haben mir die Schloß - See - Wilsdruffer - Pirnaiſche geſchienen und die kleinern, die von dem alten Markt zum Neumarkt und von da nach der Neuſtadt fuͤh -9 ren. Die beyden genannten Plaͤtze ſind ohne - dies immer ſehr volkreich, weil auf beyden taͤglich Markt iſt. Nach dem alten Markt zu und auf demſelben iſt Kaufmannsgewoͤlbe an Kaufmannsgewoͤlbe, und alles, was man zur Wirthſchaft, zur Bequemlichkeit und zum Lu - xus noͤthig hat, wird hier herum eingekauft.
Die geringern, unanſehnlichern Theile der Stadt finden ſich an der Stadtmauer herum. Vom Pirnaiſchen Thore bis zum Zeughauſe, von dort hinten herum am Bruͤhliſchen Gar - ten, vom Wilsdruffer - bis zum Seethore, von dort hinter der Kreuzkirche herum; in der Ge - gend eben dieſer Kirche, in dem ſogenannten Loche, wo ſich ein Neſt von engen, ſchmutzi - gen, finſtern Straßen findet — da uͤberall ſind die Haͤuſer alt, groͤßtentheils von der Mauer eingeſchloſſen, meiſt von aͤrmern, oft genug von liederlichen, Leuten bewohnt, die Gelegen - heit geben und Gelegenheit machen, gewoͤhn - lich aber Bierhaͤuſer, und in dieſen Schenk - maͤdchen halten.
10Dies waͤre ein leichter Umriß von dem Aeußern der Altſtadt Dresden, den ich von meiner erſten Ausflucht mit zuruͤckbrachte. Meine zweite betraf die Neuſtadt, die durch die Elbe von der Altſtadt getrennt, aber mit - teilſt der Bruͤcke mit ihr wiederum verbunden wird. Die Bruͤcke hat einen gepflaſterten Fahrweg und zwey erhoͤhete, mit Fließen aus - gelegte, Trottoirs fuͤr die Fußgaͤnger. Wer nach der Neuſtadt geht, ſchlaͤgt das Trottoir rechter Hand ein, wer aus der Neuſtadt kommt, nimmt auch das, welches ihm rechter Hand iſt, und ſo kommt und geht man von beyden Seiten ungehindert. Die Schildwachen auf der Bruͤcke haben uͤber dieſe Ordnung zu wa - chen.
Die Neuſtadt iſt bey weitem kleiner als die Altſtadt, auch, wenn man die Hauptſtraße oder Allee ausnimmt, nicht ſo gut gebauet. Schlaͤgt man von der Bruͤcke aus rechts die erſte Straße ein, ſo fuͤhrt ſie nach der Elbe und nach mehreren Magazinen und Schup -11 pen, die zu Wagen und Pontons beſtimmt ſind, ſchlaͤgt man ſich ſodann links, ſo gelangt man zu dem ſogenannten großen Jaͤgerhofe, der aus mehreren geraͤumigen Hoͤfen beſteht, welche theils den Zeug zur Jagd, theils die Hundeſtaͤlle, theils die Wohnungen fuͤr die Jaͤger und Jagdbeamten, (zuſammengenom - men ein ſehr zahlreiches Perſonale) einſchließen. Un&ſ; rern davon findet man das Kadettenhaus, ein ſehr anſehnliches Gebaͤude, deſſen Inneres zu ſei - ner Beſtimmung vortreflich eingerichtet iſt: im untern Geſchoß iſt eine geraͤumige Reitbahn mit den dazu gehoͤrigen Stall - und Schul - pferden, im zweyten Geſchoſſe iſt die Woh - nung des Chefs der Kadetten, der Exerzier - ſaal, die Lehrſaͤle u. ſ. w., im dritten und vierten wohnen, eſſen und ſchlafen die jungen Leute. Dem Haupteingange dieſes Hauſes gegenuͤber breiten ſich drey andre Fluͤgel der ſchon erwaͤhnten Artillerie-Kaſerne aus, wel - che die Artillerie - und Ingenieurſchule, auch ein Inſtitut zur Bildung der Chirurgen, ein12 anatomiſches Theater, und einige andre nuͤtz - liche Anſtalten enthaͤlt. Hinter derſelben ſind mehrere Magazine, Schuppen fuͤr Fuhrwerk und andre Kriegsbeduͤrfniſſe, und unmittelbar daran ſtoßen die Feſtungswerke.
Verfuͤgt man ſich nach der andern Seite der Neuſtadt hinuͤber, ſo tritt man, gleich hinter der Kirche, in die Koͤnigsſtraße, die mit anſehnlichen, meiſt gleich hohen und langen Haͤuſern beſetzt iſt und „ en face “den ſogenannten Japaniſchen Pallaſt hat, aber todt und menſchenleer iſt. Der Platz, wor - auf jener Pallaſt ſteht, iſt nicht wohl unter - halten, und ſchwimmt, wenn es geregnet hat, in Waſſer und Koth, wozu die ſtarke Durch - fahrt, zum weißen Thor herein und hin - aus, nicht wenig beitraͤgt. Der Pallaſt ſelbſt faͤllt nicht uͤbel in die Augen, nur wuͤnſcht man, daß er fuͤr ſeinen Umfang mehr Hoͤhe und Leichtigkeit haben moͤchte. Das Innere deſſelben iſt jetzt zu der vortrefflichen Bibliothek eingerichtet, und nicht leicht wird ſich irgend13 ein Inſtitut dieſer Art, die Bibliothek zu Paris und im Vatikan ausgenommen, ſolch eines praͤch - tigen, heitern, geſchmackvollen und weitlaͤufti - gen Lokals ruͤhmen koͤnnen. Auch fuͤr die Kunſt verwahrt es einen bedeutenden Schatz von anti - ken Bildhauereyen und von Gypſen; es iſt aber bey weitem noch nicht ganz ausgefuͤllt. Die Ausſicht von den obern Saͤlen iſt vortreflich. Am Pallaſte ſelbſt iſt ein kleiner, aber ſehr arti - ger Garten, deſſen Terraſſen zugleich ein Stuͤck des Walles einnehmen und einen koͤſtlichen Ue - berblick uͤber die umliegenden Gegenden und den ganzen Spiegel der Elbe, die hart daran hin - fließt, gewaͤhren. Mit einem Worte, die Mu - ſen haben hier einen hoͤchſt anmuthigen Zufluchts - ort gefunden.
Von hier aus ließ ich mich uͤber die Elbe ſet - zen, um die Friedrichsſtadt zu beſuchen. Man gelangt jenſeits des Fluſſes auf die Oſtra - wieſe, die, in ihrer ganzen Laͤnge, mit mehr - fachen Alleen beſetzt iſt, unter denen Heerden des erleſenſten Schweizerviehes weiden, die zu14 dem daran ſtoßenden Oſtravorwerke gehoͤ - ren. Dieſem gegenuͤber, in der Friedrichsſtadt ſelbſt, liegt der Garten des Grafen Mar - colini, dem es nicht an Umfang und artigen Anlagen fehlt, der aber, im Ganzen genommen, nicht außerordentlich iſt. Auch der Prinz An - ton hat in der Naͤhe ein artiges Sommerhaus. Uebrigens iſt die Friedrichsſtadt von groͤßerem Umfange, als die Neuſtadt, aber ohne allen Vergleich geringer gebauet, obwohl bevoͤlkert genug. Fabrikanten und Manufakturiſten aller Art wohnen hier, und fuͤhren, bis auf die Kin - der herunter, ein ſehr arbeitſames, aber darum doch leider ein ſehr armſeliges Leben. Noth und Mangel ſind hier zu Hauſe, und es iſt nichts ungewoͤhnliches, ganze Familien in Lumpen vor den Haͤuſern ſitzen zu ſehen.
Mit der Altſtadt haͤngt die Friedrichsſtadt durch eine ſchoͤne Allee zuſammen, die ſich am Zwinger endigt. Die Wilsdruffer Vor - ſtadt, in der man ſich nun befindet, iſt ſtark von Gerbern bewohnt und in ihrer Naͤhe, wie15 es ſich gebuͤhrt, befindet ſich auch das Schlacht - haus. Der groͤßeſte Theil dieſer Vorſtadt iſt gut gebauet und ſauber. Derſelbe Fall iſt es mit der Seevorſtadt, die beſonders einige vortrefliche Gaͤrten einſchließt. Schoͤner als beyde, iſt die Pirnaiſche Vorſtadt, die einige Haͤuſer aufzuweiſen hat, welche mit Eh - ren in den ſchoͤnſten Straßen der Altſtadt ſtehen wuͤrden.
Um Alles, was ſich uͤber das Aeußere von Dresden ſagen laͤßt, in wenig Worten zuſam - men zu faſſen: ſie hat an Gruͤndlichkeit und Geſchmack in der Bauart, an Reinlichkeit, Net - tigkeit, Neuheit, und in verhaͤltnißmaͤßiger Har - monie der Vorſtaͤdte mit der Stadt ſelbſt, in ganz Deutſchland vielleicht kaum zwey ihres gleichen.
Sachſen hatte zwey Regenten, die in den Augen einſeitiger Menſchen noch jetzt unbedingt fuͤr zwei Geißeln ihres Landes gelten, da ihre Fehler ſich laͤngſt ſchon, durch die wohlthaͤtigen Folgen, die von Fehlern dieſer Gattung nie ent -16 ſtehen, wieder gut gemacht haben. Es iſt wahr, ſie thaten nicht bloß, was ihrem Volke noͤthig war, und was ihr eigener Ehrgeitz verlangen konnte: ſie thaten mehr und hatten dazu einen Maßſtab, der ihre Kraͤfte uͤberſtieg. Auch ver - gaßen ſie von Zeit zu Zeit, daß ſie nur die Rentmeiſter, nicht die Eigenthuͤmer der Sum - men waren, die durch ihre Haͤnde gingen; und ſie legten dieſelben oͤfterer zur Befriedigung ih - rer perſoͤnlichen Ehrſucht, Prachtliebe, Galan - terie und Liebhaberey, als zur Vergroͤßerung, Verſtaͤrkung, Sicherſtellung ihres Staats und zur Schonung, Belebung und Zufriedenheit ih - res Volkes an. So hatten ſie nie genug, und das Volk konnte nie genug geben. Eine große Schuldenlaſt war die natuͤrliche Folge davon; aber ſie war doch in der That nur eine Antici - pation auf die Talente und den Kunſtfleiß die - ſes hoͤchſt faͤhigen Volkes, dem es, nach einer, verhaͤltnißmaͤßig kleinen, Reihe von Jahren gelang, dieſe Laſt abzuwaͤlzen, und, als baa - ren und reinen Gewinn, eine zu Natur undGe -17Gewohnheit gewordene erfinderiſche Thaͤtigkeit als Nationaltugend davon zu tragen. Ueberdieß war auch nicht Alles verloren, was fuͤr jene Schuldenlaſt erkauft worden war; es iſt großen - theils noch da, es wirkt immer noch fort, es hat die Nation ſelbſt zu der ehrenvollen Stufe erho ben, die ſie unter den Gemeinden deutſcher Zunge einnimmt. Sie hat eine Hauptſtadt, die eine koſtbare Niederlage von nuͤtzlichen und angeneh - men Dingen enthaͤlt, welche manche Kaiſer - und Koͤnigsſtadt entbehren muß: fuͤr die Kunſt hat ſie eine in ihrer Art einzige Gallerie von Gemaͤhl - den, eine namhafte Sammlung von Antiken; fuͤr die Wiſſenſchaften eine der vollſtaͤndig - ſten Bibliotheken in der Welt; fuͤr die Pracht und die Noth eine der koſtbarſten Samm - lungen in Europa, das gruͤne Gewoͤlbe ge - nannt; fuͤr die Erhoͤhung und Erweite - rung des menſchlichen Geiſtes große oͤffentliche Werke, Bruͤcken, Gaͤrten, Kirchen Pallaͤſte; fuͤr die Verfeinerung der Sit - ten, des Geſchmacks, des Lebensge -Fuͤnftes Heft. B18nuſſes einen gewiſſen Geiſt, der mehrere Jahr - zehn hintereinander, durch die beyden praͤchtigen, nach Genuß jeder Art ſtrebenden Koͤnige, in dieſer Nation angefacht, genaͤhrt, ihr gleichſam eingeimpft wurde und ſie noch jetzt vor ihren Nachbaren kenntlich macht — alle dieſe Dinge beſitzen die Sachſen noch als Nationalguͤter, die ihnen auf ewige Zeiten Zinſen tragen, und ſie haben dieſe Guͤter, bis auf eine Kleinigkeit, be - zahlt, durch ihren Fleiß, unter der Leitung ei - nes haͤuslichen Fuͤrſten bezahlt, der den wahren Maßſtab gefunden hat, nach welchem ſein Volk arbeiten mußte, um alte Glaͤubiger und neue Beduͤrfniſſe zu gleicher Zeit zu befriedigen und dabey uͤbrig zu haben, und der durch ſein Beyſpiel lehrt, wie man das Schoͤne und Nuͤtz - liche ohne Verſchwendung befoͤrdern, wie man angenehme heitre Sitten ohne Regelloſigkeit uͤben, und wie man der vernuͤnftigen Freuden des Lebens genießen kann, ohne zu ſchwelgen.
Die Sparſamkeit des gegenwaͤrtigen wuͤrdi - gen Regenten von Sachſen hat den ſichtbarſten19 Einfluß auf die Nation gehabt, und man be - merkt dies nirgend ſo deutlich, als in Dresden ſelbſt. Die Miniſter, die Generale, die hoͤhe - ren Staatsbeamten und die reichen Privatelute, die in Dresden leben, und deren Zahl nicht ſo klein iſt, bemerkt man kaum. Da iſt kein Ue - berfluß an praͤchtigen Wagen, zahlreichen Die - nerſchaften, koſtbaren Staͤllen, Aſſembleen, Gaſtereyen, Luſtpartieen; da ſind aber auch keine namhafte Schulden und keine betrogene, zu Grunde gerichtete Handwerker und Kaufleute. Viele Staatsbeamte, die ſelbſt in kleinern Reſi - denzen nicht ohne Wagen und Pferde ſeyn koͤn - nen, gehen hier zu Fuße, oder behelfen ſich, in feyerlichen Faͤllen, mit Tragſeſſeln. Wie haͤtte auch der Rath noͤthig, oder wie koͤnnte er auch nur wagen, Aufwand in dieſer Art zu machen, wenn er mehrere ſeiner Miniſter, in einfachem Frack, zu Fuße, einhergehen ſieht; wie der Haupt - mann und Major, wenn er ſeinen General, bloß von einer Ordonanz oder von einem Stallknecht begleitet, zu Fuße oder zu Pferde, auf den Stra -B 220ßen von Dresden ſieht? Es iſt, glaub 'ich, kein Beyſpiel in Dresden, daß ein Kaufmann ſich Wagen und Pferde hielte, und nur ein paar Wechsler ſind in dieſem Falle. Hochſtens hal - ten ſich Leute dieſer Klaſſen „ demi-fortunes “mit Einem Pferde beſpannt; und, zu ihrem Sommervergnuͤgen, kleine Landhaͤuſer auf den umliegenden Doͤrfern oder Weinbergen, wo ſie des Sonntags ihre Freunde empfangen und mit wahrer Frugalitaͤt bewirthen. Was man in andern Hauptſtaͤdten, beſonders des Winters, findet: einen Zuſammenfluß von adelichen Fami - lien aus der Provinz, iſt der Fall ſehr ſparſam in Dresden, da der groͤßeſte Theil des Landadels auch den Winter uͤber auf ſeinen Guͤtern bleibt.
Bei dem allen glaube man nicht, daß dieſer Ton von Sparſamkeit in Garſtigkeit ausarte. Bey Gelegenheiten, wo es gilt, zeigt man ſich auf einem Fuße, der dem Wohlſtande zuſagt. Man iſt zwar von der Warſchauer Huͤlle und Fuͤlle eben ſo weit entfernt, als von dem Wie - neriſch-Spaniſchen Prunke, aber alles, was21 ein feiner Gaum, der genießen und nicht ſchwel - gen will, an Produkten der feinern Kochkunſt und der edleren Rebe billigerweiſe nur verlangen kann, wird dargeboten, und noch nebenher eine anſtaͤndigere, geiſtreichere, mannichfachere Unter - haltung, als man an den genannten Orten findet. Die große Welt in Dresden, maͤnnlichen wie weiblichen Geſchlechts, iſt unterrichteter und geiſtvoller, als in vielen andern Reſidenzen von Deutſchland, und man braucht nicht blos Pfer - de - Hunde - und Jagdliebhaber zu ſeyn, um in ihren Cirkeln Vergnuͤgen und Belehrung zu finden. Das weibliche Geſchlecht iſt beſonders gebildet und angenehm und kennt ſeine Wuͤrde beſſer und mißbraucht ſeine Rechte und Reize weniger, als die eleganten Weiber zu Warſchau und Wien, deren Ton und Weſen in Dresden die Decenz beleidigen und ganze Geſellſchaften aus einander ſprengen oder doch ſtill machen wuͤrde. Hier giebt es in der That noch haͤufig eheliche Liebe und Gluͤckſeligkeit in den hoͤhern Staͤnden, und der Ton, der unter den beyden22 Auguſten in dieſer Ruͤckſicht hier herrſchte, iſt laͤngſt verſchwunden. Auch hierin geht der jetzi - ge Fuͤrſt mit einem lehrreichen Beyſpiele voran, und Regelloſigkeit in dieſem Punkte kann mehr, als alles uͤbrige, ſein Mißfallen erregen, beſon - ders wenn Perſonen ſie ſich zu Schulden kom - men laſſen, die naͤher oder entfernter zu ſeinem Hofſtaate gehoͤren.
Wenn aber Ausſchweifungen dieſer Art un - moͤglich ganz unterbleiben koͤnnen, ſo werden ſie hier wenigſtens mit mehr Vorſicht und Ver - heimlichung getrieben, als z. B. in Warſchau, Berlin, Wien, Muͤnchen. Nichts von der Art iſt hier privilegirt. Liederliche Haͤuſer haͤngen hier wenigſtens das Kaffee - Wein - oder Bier - ſchild aus, und die feilen Geſchoͤpfe in denſelben ſpielen die Rolle der Aufwaͤrterinnen. Auch ſind dieſe Haͤuſer nur meiſt fuͤr den Poͤbel, oder zum Poͤbel hinabgeſunkene Wolluͤſtlinge aus beſſern Staͤnden, die ſich zuweilen, verkleidet, an der Stadtmauer, im Loche, in der Fi - ſcherſtraße, in der Friedrichsſtadt ꝛc.23 herum treiben. Das ſinnliche Beduͤrfniß der anſtaͤndigern Klaſſen wird meiſt von den Putz - Naͤther - Waͤſcher - und Sticker Maͤdchen be - friedigt, zu welchen ſich auch haͤufig diejenigen geſellen, denen es verboten iſt, mit den Gojim zuzuhalten. Die erſtern zeigen ſich hier durch - gaͤngig in einem Anzuge, dem man es wohl an - ſieht, daß ſie ihn nicht der Nadel noch der Seife danken, und deſſen einzelne Theile, Haarputz und Schuhe mit eingeſchloſſen, ſo geordnet und geformt ſind, daß ſie zugleich fuͤr Schilder gel - ten koͤnnen, die den Kenner nicht irren laſſen. Die Oerter und die Zeit, die ſie zu ihren Aus - fluͤgen waͤhlen, z. B. der Zwinger gegen Abend, die Schloßgaſſe um die Zeit des Zapfenſtreiches, der Neumarkt um die Zeit der Wachparade, die oͤffentlichen Garten zur Zeit der Koncerte und Erleuchtungen, die Bruͤcke bey Mondenſchein u. ſ. w. alles dies ſind Merkzeichen ihrer Ge - ſchaͤfte, die, da man ſie unter freyem Himmel durch ein Wort, einen Blick, eine Frage einlei - tet, keiner eigends dazu eingerichteten Boͤrſen,24 ſondern bloß einiger Abſteigquartiere beduͤrfen, wo ſie vollends abgeſchloſſen werden. Miethet ſich aber ſolch ein Maͤdchen eine eigene Wohnung fuͤr ihr Gewerbe, ſo muß es unter irgend einem Titel und unter der Obhut irgend einer Mutter oder Baſe ſeyn, die ein Handwerk treibt, wel - ches die wahrſcheinliche Vermuthung erregt, daß ſie des Beſuchs von Mannsperſonen jedes Stan - des und Alters dabey beduͤrfe. Solche Maͤd - chen ſind aber in der That in Dresden nach Ver - haͤltniß ſelten, die auf einem gewiſſen Fuß leben; und nur Eine der Art, die kurz vor meiner An - kunft ſtarb, hatte einige Jahre hindurch als ei - ne Art von Phryne geglaͤnzt, ſowohl durch Schoͤnheit als durch Verſtand und eine gewiſſe Ausbildung des Betragens. Uebrigens haben dieſe Maͤdchen, da ſie nicht in eigenen ſittenlo - ſen Haͤuſern bey einander wohnen, ſondern mit andern Leuten in Umgang und Verkehr bleiben, nicht das Plumpe und Eckelhaft-Zudringliche in ihrem Ton und Weſen, das ihre Berliner und Wiener Schweſtern, die in Zwingern bey25 einander ſind, mehr abſchreckend als verfuͤhre - riſch macht.
Das Aeußere der Einwohner von Dresden, niederer und mittler Klaſſen, iſt anſtaͤndiger und ſauberer, als man es in andern großen Staͤd - ten, z. B. in Berlin, an eben dieſen Klaſſen fin - det. Eine Handwerkersfrau, Soldatenfrau, Magd, die zu Markte geht, iſt ſchier und weiß angezogen, und der Korb oder das Tuch, wor - in ſie die eingekauften Waaren traͤgt, iſt nied - lich, reinlich, und in die Augen fallend. Dieſe Klaſſe iſt Winter und Sommer in Kotton, Ka - melot und aͤhnlichen Stoff gekleidet; Korſett und Rock ſind von einem und demſelben Zeuge; dazu traͤgt ſie eine ſaubere Schuͤrze. Die Hau - be iſt von weißem, baumwollenen Zeuge, mit einem farbigten, ſeidnen Bande umſchlungen, wozu, hauptſaͤchlich im Winter, ein Muͤtzchen, mit Marder oder Zobel eingefaßt und mit einer herabhangenden Klappe und Gold-Quaſte ver - ſehen, auf den Kopf geſtuͤlpt wird, das, in ſei - ner Art, nicht minder gut ſteht, als der ſchwarze26 ſammetne Kopfputz der Breslauer Schließerin - nen und der Reichsſtadt-Schweinfurter Stu - benmaͤdchen. Eine Stufe hoͤher, erſcheinen Kontuſchen, die mit einer ſehr kurzen Taille verſehen ſind, und tief herunter den Rock be - decken; ſie begleiten ſchon zuſammen geſetztere, groͤßere Hauben von Klar, mit Spitzen und, des Sonntags, mit Blumen verziert, aber ohne Friſur darunter; und dies iſt beſonders die Tracht der Weiber und Maͤdchen, deren Maͤn - ner und Vaͤter bey Hofe oder bey irgend einer Herrſchaft, Bediente, Laͤufer, Kutſcher u. dgl. ſind. Sodann erſcheint die ganze Klaſſe der Schneiders - und Friſeurs-Frauen, der Putz - macherinnen, Stickerinnen, Kammerjungfern und aller uͤbrigen, die unter ihrer Aufſchrift, wie eben erwaͤhnt, den galantern Beſchaͤfti - gungen obliegen, in Linon, Mouſſelin und Seide gekleidet, in artigen Karakos, mit fri - ſiertem Haar, in Huͤten, mit Schawls, in Turkoiſen ꝛc. — unter allen die netteſte und auch die zahlreichſte — denn Figuͤrchen dieſer27 Art wimmeln auf allen Maͤrkten und Spa - ziergaͤngen, in allen Kirchen und Gaͤrten, auf der Bruͤcke, im Theater, in den Koncerten. Kommt ſodann die Klaſſe der Kaufmanns - Kuͤnſtler-Gelehrten - und Dikaſterianten Frauen, und dieſe kleidet ſich in Dresden altmodiſcher, als in andern deutſchen Hauptſtaͤdten, auch weit ſparſamer und aͤngſtlicher, und mit der furchtſamſten Ruͤckſicht auf das: was werden die Leute ſagen. Die Maͤnner dieſer Klaſſe prunken noch haͤufig, des Winters, mit Sam - met - und Manſcheſterkleidern, des Sommers, mit verblaßten, faͤrbig-gefuͤtterten Seidenroͤ - cken, mit Treſſenhuͤten, goldnen Beinguͤrteln, ſorgſam gefetteten und dickgepuderten Beutel - peruͤcken, großen ſpaniſchen Roͤhren, oder auch wie alte Hofmaͤnner, den ſilbernen oder tom - backenen Degen an der Seite, den Sonnen - ſchirm in der Hand und den platten, zerrie - benen Hut von Pferdehaar unter dem Arme. Der Engliſche Frack, der geſchorne Wirbel und das geſtutzte Seitenhaar, die in andern28 großen Staͤdten von Deutſchland die Kauf - mannsklaſſe, die juͤngern Dikaſterianten u. dgl. ſeit mehreren Jahren ſchon in Beſitz genom - men haben, finden ſich hier noch aͤußerſt ſel - ten und werden nur hoͤchſtens den jungen Zoͤg - lingen der hieſigen Malerakademien verziehen. Ewige Chapeaubas-Traͤger ſind hier die aͤltern Hofherren und Hofbedienten, die Kandidaten der Theologie, die man hier durchweg „ Magi - ſtros “nennt, und die Raͤthe, Regiſtratoren, Kalkulatoren und Sekretarien, die ſchon ge - wiſſe Jahre haben.
Das Aeußere und die Tracht der hoͤhern Staͤnde iſt hier, wie uͤberall, doch bleiben ſie in Abſicht der neuen Moden immer einige Monate hinter Leipzig, Berlin und Wien zu - ruͤck.
Der Nahrungserwerb der Einwohner von Dresden iſt nicht der reichlichſte, und ſie ſind deshalb nicht das, was man wohlhabend nennt, obgleich man es ihrem Aeußern nicht anſieht. Der Hof, die Landeskollegien, das Militare,29 bilden die hauptſaͤchlichern Erwerbsquellen der Einwohner, und der Handel, die Manufaktu - ren, Kuͤnſte und Handwerke, die gering[ern]Aber die Ausgaben des Hofes ſind nach den Regeln der Haͤuslichkeit abgemeſſen; die Stel - len an demſelben, die hoͤhern ſowohl als die niedern, ſind nicht reichlich; eben ſo die Ge - halte in den Kollegien, fuͤr die Raͤthe ſowohl, als fuͤr die Schreiber; und nicht anders bey dem Militare und der Jaͤgerey. Der Handel iſt in der That nur Kraͤmerey und zieht kein Geld herein, ſondern zahlt hinaus, theils nach Leipzig, theils nach den Lauſitzer Sechsſtaͤdten, theils nach dem Erzgebirge. Wenn einige Fabriken und Manufakturen nach außen abſetzen, ſo ſind deſto mehrere, die fuͤr den Bedarf von Dres - den nicht zureichen, wie z. B. die Tuch - Lein - wand - und Baumwollen-Manufakturen. Waa - ren des Luxus und der ſchoͤnen Kuͤnſte, z. B. Gold - Silber - Steinſchleifer - Bildhauer - Ma - ler - Tiſchler - Wagenbauer - Sattler-Arbeiten und andre von dieſer Art, gehen zwar aus30 Dresden in die Provinz; aber dieſe liefert da - gegen alles, was zu den Beduͤrfniſſen gehoͤrt, die niemand entbehren kann und die alle Tage wieder kommen; dies geht bis auf das Bier und Brot, womit die umliegenden Doͤrfer die Hauptſtadt in großer Menge verſorgen. Man ſieht alſo, daß die Hauptquelle des Erwerbs fuͤr Dresdeu die Beſoldung iſt und bleibt.
Daher denn auch der Ueberfluß an Men - ſchen, die nach Stellen und Beſoldungen ſtre - ben. Daher das Heer von Ueberzaͤhligen in den Kollegien, die oft Jahre lang fuͤr nichts, oder fuͤr 25, 50, 100, 150, 200 Thaler die - nen, mit der duͤrftigen Hoffnung, einmal fuͤr den Reſt ihres Lebens 3 oder 400 Thaler ſich zu erarbeiten; daher der Schwarm von Kom - petenten zu Predigerſtellen, die großentheils von hier aus beſetzt werden, oder zu denen man wenigſtens von hier aus Leute vorſchlaͤgt, die ſich oft 8 bis 10 Jahre mit Unterricht kuͤmmerlich durchhelfen muͤſſen; daher ein Ge - wimmel von Subjekten zu Kantor - Schreiber -31 Acciſebedienten - und andern Stellen aller Art, die eine Fertigkeit im Rechnen und Schreiben erfordern; und daher denn auch die auffallen - de Wohlfeilheit aller Faͤhigkeiten, Talente und Arbeiten, die auf dieſe Beduͤrfniſſe Bezug ha - ben. So armſelig aber auch die Lage der jungen Leute iſt, die dieſe Wege zu ihrem Un - terkommen einſchlagen, ſo vermehrt ſich den - noch, wie man mich verſichert hat, ihre Zahl mit jedem Jahre, und mithin waͤre es in Dresden, wie anderwaͤrts, die dringendſte Pflicht der Regierung, dahin zu ſehen, daß die Eitelkeit der geringern Staͤnde, vermoͤge deren ſie ihre Kinder gern um einige Stufen hoͤher ſehen moͤchten, als ſie ſelbſt gekommen ſind, eingeſchraͤnkt und berichtiget wuͤrde. Thaͤ - ten ſich aber unbeſtreitbar vorzuͤgliche Talente unter dieſen Klaſſen hervor, ſo muͤßte man ſie deſto nachdruͤcklicher ermuntern und unterſtuͤtzen, damit ſie zur voͤlligen Ausbildung gelangten; ſolche Faͤlle wuͤrden unter dieſem ſehr faͤhigen Volke gewiß nicht ſelten ſeyn, und man haͤtte32 dann eine Pflanzſchule, aus welcher man die abgaͤngigen oder unbrauchbaren Glieder des Gelehrten - oder Beamten-Standes erſetzen koͤnnte, indem man zugleich die Traͤgen dar - unter mit Wetteifer und Ehrgeiz erfuͤllte. So waͤre dem Talente, wo es ſich auch faͤnde, die Laufbahn offen, und der Dummheit oder Traͤg - heit, wie hoch ſie auch ſchon ſtaͤnde, bliebe ſie verſchloſſen.
Da alſo die Hauptmaſſe der Einwohner von Dresden in Abſicht der Beſoldung und Nahrung ziemlich eingeſchraͤnkt iſt, ſo iſt auch das, was man oͤffentliches Vergnuͤgen nennt, hier einfacher, ſparſamer, als irgend - wo in einer andern Hauptſtadt. Die hoͤhern Klaſſen haben, den Sommer hindurch, nichts vom Hofe an Feſten und Vergnuͤgungen zu erwarten, da er denſelben in Pillnitz zubringt, wo er meiſt nur des Sonntags den einheimi - ſchen und fremden Miniſtern und Generalen zu eſſen giebt; ſie gehen alſo auf ihre eigenen Landſitze und beluſtigen ſich, wie eigner Ge -ſchmack33ſchmack, eigenes Beduͤrfniß und die Jahrs - zeit es wollen und mit ſich bringen. Die Klaſſen, die auf ſie folgen, bis auf den Rath und wohlhabenden Kaufmann hinunter, hal - ten ſich, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, ihre Land-Weinbergs-Garten - und ſelbſt Bauer - Haͤuſchen, oder auch nur Stuͤbchen, wo ſie des Sommers Tage oder Wochen zubringen, wie ihre Aemter oder Geſchaͤfte es erlauben. Was von dieſen Klaſſen in der Stadt bleibt, bildet Geſellſchaften, die ſich taͤglich in irgend einem Garten zuſammen finden: macht Aus - fluͤge nach dem Plauenſchen, oder dem Scho - ner-Grunde, oder dem Seifersdorfer Thale, nach Unbigau, dem Oſtravorwerke, dem Bade und nach andern Luſtoͤrtern, die um die Stadt liegen, und findet dort Muſik, mancherley Bie - re, Taback, und ein einfaches Butterbrod mit Braten, auch wohl Land - hoͤchſtens Franken - wein und Kuchen. Die geringern Staͤnde, vom Handwerker bis zum Musketier, verlie - ren ſich in die Bierhaͤuſer, auf die Kegelbah -Fuͤnftes Heft. C34nen in der Friedrichsſtadt, vor dem ſchwarzen und weißen Thore, im großen Garten ꝛc. und Abends um zehn Uhr zieht alles in Schaaren und vergnuͤgt nach Hauſe.
Im Winter haben die hoͤhern Klaſſen oͤf - ters Tafel bey Hofe, Hofbaͤlle, große Geſell - ſchaften unter ſich, und, mit den ihnen naͤ hern gemeinſchaftlich, Oper, deutſches Schau - ſpiel, Redoute; doch wird letztre ſelten von ihnen benutzt. Das Publikum der Gartenbe - ſucher im Sommer bleibt es auch großen - theils im Winter, und geht noch uͤberdieß in die Kaffeehaͤuſer und Klubbs und auf die Kon - cert und Tanzſaͤle, die dann in der Stadt of - fen ſind. Der Buͤrger geht in ſein Bierhaus in der Stadt.
Dies iſt der Kreis, in welchem ſich das geſellſchaftliche Verkehr und der Lebensgenuß der Dresdener herum dreht. Man wird ihn ſehr klein, ſehr ſparſam finden, aber wohl der Nation, die damit zufrieden iſt! Es iſt gerade genug, um ſich von der Arbeit zu er -35 holen, und von der Erholung ohne Unruhe zur Arbeit zuruͤck zu gehen.
In Abſicht der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſpielt Dresden vielleicht nicht ganz die Rolle, die es, bey ſeinem außerordentlichen Vorrathe dazu, ſpielen koͤnnte. Wenn es indeſſen keine große Gelehrte, keine große Kuͤnſtler hat, ſo beſitzt es doch mehrere vortrefliche und gute in vielen Zweigen der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte.
Den 2ten des Junius reiſ'te ich von Dres - den ab. Man befindet ſich auf einer gemach - ten Straße, die bergan laͤuft und von wel - cher herab man ganz Dresden mit ſeinem Thale, wie einen flachliegenden Teppich, uͤber - ſehen kann. Beſonders iſt dies der Fall von den Korbitzer Anhoͤhen herab. Uebrigens iſt der Boden holpricht, und mit demjenigen blaͤt - terigen, kalkartigen Stein bedeckt, den man Plaͤner nennt, und der hier uͤberall zu Tage ausſetzt, oder auch ein paar Fuß tief, unter einem hochgelben Sande mit Lettenſtreifen,C 236gebrochen wird. Die Einfaſſungen der Hoͤfe und der Gaͤrten waren von eben dieſem Stei - ne gemacht, den man ohne Moͤrtel trocken auf einander gelegt hatte. Der Boden hier herum iſt ſehr fruchtbar; das Getreide ſtand ſchon mannshoch und die Brache war mit dem bunteſten Blumenſchmelz uͤberzogen. Anhoͤhen und Thaͤler wechſeln in der Ferne und in der Naͤhe, und zahlreiche Doͤrfer liegen rings um - her. Ich glaube hier eine der ſchoͤnſten Ge - genden in Sachſen geſehen zu haben. Sie dauert ſo fort bis Herzogswalde, der naͤch - ſten Poſt (2 M.), einem Dorfe, in welches man von einer ziemlich ſteilen Anhoͤhe hinab - rollt. Von da bis
Freyberg, fuͤhrt anfangs der Weg noch tiefer und ſteiler hinab, und laͤuft ſodann, uͤber eine Stunde, in einem angenehmen Thale fort, das nur ſtellenweiſe durch Hohlwege et - was beſchwerlich gemacht wird, ſonſt aber auf beyden hinanlaufenden Seiten eine Man - nichfaltigkeit von Laub - und Nadel-Holz zeigt. 37Der Weg iſt immer noch gebahnt, und ſorg - faͤltiger unterhalten, als ich ihn bisher in Sachſen noch gefunden habe. Kommt man aus jenem Thale hervor, ſo befindet man ſich auf der ausgedehnten Flaͤche eines Bergruͤk - kens, auf der man ziemlich lange fortfaͤhrt, bis allmaͤhlich wieder, vor und neben einem, engere und breitere, mit anſehnlichen Doͤr - fern und treflichen Kornfeldern und Wieſen geſchmuͤckte Thaͤler ſich zeigen, deren man mehrere durchfaͤhrt, bis man endlich nach drey Stunden von neuem in ein tiefes Thal hinabgleitet, in welchem alles die Naͤhe einer Bergſtadt ankuͤndigt, als: ungeheure Schich - ten von Holz, Kohlen, raͤuchrige Haͤuſer, Ge - raͤuſch von Aufſchlagwaſſern, und Dampf. Jenſeit dieſes Thals erhebt ſich der Weg abermals einen anſehnlichen Berg hinan, und hat man deſſen Hoͤhe erreicht, ſo befindet man ſich auch vor Freyberg, (2 M.) welches in einer Niederung liegt. Die Anſicht dieſer Stadt laͤßt auf ihr Alter ſchließen. Eine hohe38 Mauer, ſtreckenweiſe mit Thuͤrmen beſetzt und durch einen tiefen und breiten Graben bedeckt, umſchließt ſie; die Kirchthuͤrme ſind ſchwarz und gothiſch; doch iſt die Stadt ſelbſt, was man kaum vermuthet, ziemlich heiter im In - nern, und nur wenig Haͤuſer erſcheinen ganz alt; auch die Straßen ſind breit genug fuͤr die Groͤße der Stadt. Die Haͤuſer ſind meiſt maſſiv; das Pflaſter iſt gut und an beyden Seiten, ſo wie in der Mitte, mit breiten Steinen fuͤr die Fußgaͤnger verſehen.
Nachdem ich einen ſehr lehrreichen Tag, uͤber und unter der Erde, hier zugebracht hatte, reiſ'te ich den 4ten weiter nach
Oederan. (2 M.) Der Weg dahin laͤuft zuerſt durch einen ziemlich ſchmalen Wald, der hoͤchſt ſteinigt und unangenehm iſt, und auf den eine aͤhnliche ſteinigte, unfruchtbare Flaͤche folgt, die dem Auge weder in der Naͤhe, noch in der Ferne, etwas Anziehendes darbietet. Die Straße iſt nur ſtellenweiſe gemacht, und zwar ſchlecht, weil der darauf gefahrne Schutt39 keine Bedeckung hat, und in einzelnen, aus - einander geſprengten Steinen umher liegt. Indeſſen kommen weiterhin doch noch zwey angenehme Thaͤler vor. Das erſte vor Ober - ſchoͤn, einem Doͤrfchen, von welchem aus wie in Terraſſen die bunten Anhoͤhen auf allen Seiten emporſteigen: das zweyte iſt dasjenige, worin Oederan ſelbſt liegt. Es iſt ausgebrei - teter, als das erſtere, und laͤßt ſchon Gruppen der hoͤhern Berge heruͤber ſehen. Das Jagd - ſchloß Auguſtburg, das man zur Linken laͤßt, liegt auf einem anſehnlichen Berge zwiſchen andern in der Mitte, beherrſcht das ganze Thal, und iſt dicht mit ſchwarzem Walde um - geben. Die Berge hier herum ſind wilder, als man ſie ſonſtwo im Erzgebuͤrge findet, deſſen Charakter uͤberhaupt ſehr ſanft und ganz das Gegentheil von den Schleſiſchen Bergen iſt, die ſehr prallende Partieen haben und von tiefen finſtern Schluchten durchſchnitten wer - den. — Oederan liegt auf eine etwas eigen - ſinnige Art zwiſchen Felſen, und man kann40 nur durch Hohlwege hinein gelangen. Wenn ich auch nicht gewußt haͤtte, daß dies Staͤdt - chen beſonders Tuchweberey treibt, ſo haͤtte ich es aus einem anſehnlichen Leichenzuge ge - ſchloſſen, deſſen Mitglieder ſaͤmmtlich die blaß - gelbe Farbe hatten, welche die Fabrikanten dieſer Art vor vielen andern auszeichnet. Das Innere dieſes Staͤdtchens iſt ganz ſauber.
Von Oederan bis Chemnitz (2 M.) fuͤhrt die Straße zuerſt wieder durch einen Hohl - weg hinauf und laͤuft ſodann einen betraͤchtli - chen Berg hinunter, von welchem herab man mehrere enge und weite Ausſichten in ſchwarz - behoͤlzte Thaͤler und uͤber dergleichen Anhoͤhen genießt. Sodann gelangt man wieder in eine Niederung, an deren Seite ſich ein Thal er - oͤffnet, das nach und nach alle die Schoͤnhei - ten zeigt, die man nur von einem angenehmen Thale erwarten kann. Die Nordſeite iſt mit ſchwarzen pyramidaliſchen Steintannen beſetzt; die Suͤdſeite mit Fichten und Kiefern. Den Raum dazwiſchen nehmen theils Dorfſchaften,41 theils zerſtreuete Haͤuſerchen und daran ſtoßen - de fruchtbare Ackerfelder, oder bluͤhende Wie - ſen, ein, zwiſchen denen hindurch ſich ein ra - ſches Stroͤmchen in mancherley Kruͤmmungen hinwindet. Dies Thal behaͤlt man uͤber an - derthalb Stunden beſtaͤndig zur Seite, bis man endlich in daſſelbe hineinfaͤhrt und es, mittelſt einer uͤberbaueten Bruͤcke, durchſchnei - det. Darauf verengert ſich die Ausſicht wie - der, der Weg laͤuft erſt in Hoͤhlungen und ſodann bergan durch einen Wald, der ſich nicht eher verliert, als kurz vor Chemnitz, in welche Stadt man von oben herab hinein - ſieht. Sie giebt, bey ihrer tiefern Lage, faſt den Anblick wie Freyberg, hat, fuͤr ihre Groͤße, geraͤumige Straßen, ein gutes Pflaſter und groͤßtentheils ſteinerne Haͤuſer von zwey bis drey Stockwerken. Sie iſt ganz lebhaft und ſchließt ſehr arbeitſame kunſtfleißige Einwohner ein.
Von Chemnitz fuhr ich weiter nach An - naberg, (3 M.) auf einem Wege, der zwar42 eine Strecke auf einer Flaͤche fortlief, die ſich aber an Gebirge lehnte und deshalb nicht lan - ge zu dauern verſprach. Neben dem Dorfe Altchemnitz hin, das mir, wegen der auſſer - ordentlichen Sauberkeit ſeiner Haͤuſer, Gaͤrt - chen und Zaͤune, ſehr gefiel, fuͤhrte der Weg uͤber den Bach Chemnitz hinan, zu dem Dorfe Hartau. Oberhalb dieſes Dorfes ſteigt der Berg, Hartauer Berg genannt, ziemlich ſteil hinan, und man hat, von demſelben her - ab, eine der angenehmſten Ausſichten in das weite Thal, worin Chemnitz liegt. Indem man weiter faͤhrt, ſenkt ſich dieſer Berg ein wenig, und rechts faͤllt ein neues, koͤſtliches Thal hinein, das, ohne ſo weitſichtig zu ſeyn, als jenes, weit abwechſelnder und ſanf - ter gebildet erſcheint. Wenn dieſes hinter - waͤrts verſchwunden iſt, ſo thut ſich vorwaͤrts ſchon wieder ein drittes auf. Dies iſt das Thal von Burkersdorf, in deſſen Tiefe dieſer genannte Ort lang ausgedehnt liegt. Ueber denſelben hinauf fuͤhrt dann die Straße43 wiederum durch Hohlwege in ein ſchwarzes Waldigt, mit untermiſchten Kornfeldern. Man faͤhrt nun eine Strecke auf der Hoͤhe im Walde fort, der uͤberall, wo er Luͤcken hat, kleinere und groͤßere angenehme Thaͤler uͤberſehen laͤßt. Bald erblickt man in einem neuen Thale ein Staͤdtchen vor ſich, zu welchem man in Hohl - wegen tief hinunter muß. Dies iſt Duben, ein kleiner hoͤlzerner aber reinlicher Ort, hin - ter welchem man von neuem einen Berg zu erklimmen hat, von deſſen Gipfel man ohne Aufenthalt wiederum in das minder angeneh - me Thal um Ehrenfriedersdorf hinunter muß. Dies ziemlich lebhafte Bergſtaͤdtchen iſt ſchwarz, wie ſeine Umgebungen, die aus lau - ter zu Tage gefoͤrdertem, tauben Stein beſte - hen, der rund umher an den Bergen große ſchwarze Waͤlle bildet. Hier iſt ſeit Jahrhun - derten ein ergiebiger Bergbau auf Zinn und Silber, der viel Menſchen naͤhrt, die auch noch durch andre Zweige des Kunſtfleißes die hieſige karge Natur verbeſſern. — Ueber Ber -44 ge und durch Thaͤler geht der ſteinigte Weg endlich nach Annaberg hinauf, welches ſich, am Abhange eines Berges gelagert, zeigt, und keine unangenehme Anſicht gewaͤhret. Im Ruͤ - cken wird es von einem hohen iſolierten Ba - ſalt-Berge, der Poͤhlberg genannt, beherrſcht, den man ſchon mehrere Stunden vorher aus der Ferne ſah. Das Innere der Stadt iſt zwar heiter und geraͤumig und ſehr ſauber, aber an den Seiten der Straßen ſproßt das Gras aus dem Pflaſter hervor, und, gegen Freyberg und Chemnitz gehalten, iſt die Stadt wie ausgeſtorben.
Von Annaberg auf Oberwieſenthal (4 M.) hat man abermals nichts als Waͤlder, Berge und Thaͤler vor ſich, uͤber welche rund umher aus der Ferne, die Koppen einzelner Berge hervorragen, und zwar ſo, daß da, wo zwiſchen zwey Bergen ſich ein Einſchnitt bil - det, ein entfernter dritter, der noch hoͤher iſt, ſogleich davortritt. Ich befand mich alſo jetzt tief in dem Keſſel der Gebirge, und konnte45 weder weiter hinein, noch wieder heraus, ohne zu klimmen. Der Weg fuͤhrte bald durch ſehr mannichfache, ſehr angenehme Thaͤler, bald am Abhange derſelben hin; und ſie waren auf beyden Seiten und in der Mitte theils mit Holz, theils mit Waͤllen von zu Tage gefoͤr - dertem Stein und Erz, theils mit den lachend - ſten Wieſen bedeckt. Der Baͤrenſtein, ein Berg von eben dem Bau und der Form, aber nicht ſo hoch wie der Poͤhlberg, kam mir jetzt immer naͤher, nachdem ich ihn ſchon ſeit fuͤnf Stun - den im Geſichte gehabt hatte. Auf ſeiner Nordſeite befand ſich, in einer Kluft noch Schnee. Neben ihm ging der Weg hinunter, durch einen Theil des Staͤdtchens Baͤren - ſtein, das faſt aus lauter einzeln liegenden Haͤuſern beſteht, die mit friſchen Leuten, wel - che theils ſpannen, theils wirkten, theils Spi - tzen kloͤppelten, zahlreich beſetzt waren. Um jedes Haus lag ein Stuͤck Wieſe; Ackerfeld bemerkte ich faſt gar nicht.
46Gleich an Baͤrenſtein ſtoͤßt das kaiſerliche Gebiet, und das Boͤhmiſche und Saͤchſiſche ſind hier nur durch ein kleines Waͤſſerchen, der Poͤhl - oder Graͤnzbach genannt, von einander getrennt. Der erſte Boͤhmiſche Ort iſt Weipert; hier iſt auf einmal alles anders. Eines neuern Reiſenden Bemerkung uͤber ka - tholiſche Phyſiognomieen hat Wider - ſpruch gelitten, aber ich finde ſie nicht ganz ohne Grund. Ein gewiſſes ernſthaftes, finſte - res Anſehen, ein niedergeſchlagenes, nicht ehr - furchtvolles, ſondern devotes Auge: dies iſt wohl das Katholiſche, was man auf den Geſichtern der Menſchen hier herum, beſonders aber der Maͤdchen und Weiber, bemerkt. Es iſt wohl nur gleichſam religioͤſe Handwerks-Phyſiogno - mie, deren Zuͤge ſich durch das viele Kirchen - gehen, durch das Aeußere der Moͤnche und Prie - ſter und durch das Anſchauen der Heiligen - Bilder zuſammen finden und den Geſichtern aufdruͤcken.
47Man faͤhrt nun in einem Thale fort, das eine einzige zuſammenhangende blumigte Wieſe bildet, die von dem Graͤnzbache durchſchlungen wird. Der Weg fuͤhrte links am Abhange hin und war ſtellenweiſe gefaͤhrlich. Es ward ſchon dunkel, als ich vor Niederwieſen - thal ankam. Der Weg war allmaͤhlig berg - an geſtiegen. Das Thal hatte ſich verengert und erſchien jetzt mehr mit Baͤumen beſetzt. Unter dieſen ſtanden Schmelzhuͤtten herum, aus denen von Zeit zu Zeit Flammen hervor - ſchoſſen, welche die Dunkelheit des ſchwarzen Waldes vermehrten. Der Weg fuͤhrte dazwi - ſchen hindurch nach Oberwieſenthal. Auf beyden Seiten nichts als ſchwarze Haͤuſer und ſchwarze Menſchen, gluͤhende Eſſen, umher - ſpruͤhende Funken und das Geraſſel und Po - chen der Hammerwerke. Endlich kam ich nach Oberwieſenthal, das, in einer betraͤchtlichen Laͤnge, theils im Thale, theils am Abhange der Anhoͤhen liegt, ſchwarz, ungepflaſtert, und mit ſchwarzen, laͤrmenden Einwohnern beſetzt48 iſt. Ich war gezwungen, die Nacht hier zu bleiben. Man verſicherte mich, ich wuͤrde ei - nen guten Gaſthof auf dem Markte finden. Dahin fuhr ich alſo. In einer Ecke deſſelben erhob ſich ein altes hoͤlzernes Haus mit einem Thurme. Nach langem Pochen ging ein Thor - weg knarrend und ſeufzend auf, und im Vor - dergrunde zeigte ſich ein altes Weib in den Sechzigen, mit einem Stumpen Licht in der bloßen Hand. Ich zog ein. Eine ſteile, ſchwan - kende Treppe mit ausgetretenen Stufen, fuͤhrte in den erſten Stock. Durch den Boden des Vorſaals, der voller Riſſe und Aſtloͤcher war, ſah ich unten im Hauſe mehrere Menſchen, mit Kienbraͤnden in der Hand, mitten unter Stroh und Holzſpaͤnen, Platz fuͤr meinen Wa - gen machen. Ich ging mit leichten Schritten wie auf dem Boden eines Siebes, uͤber den Saal und trat in ein Zimmer, das mir die erwaͤhnte Alte aufſchloß. Hier erblickt 'ich eine lange Tafel, um welche herum ſechs bis acht uralte hoͤlzerne Stuͤhle ſtanden. In derMitte49Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel - ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte, mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach - te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla - gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten, und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng - ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt, erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei - nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin - gel herab. Kurz, ich befand mich, was man ſchon errathen haben wird, auf dem Rath - hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn - ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal. Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam -Fuͤnftes Heft. D50mer, die rothe Balken und eine ſchwarz und weiß bemahlte Decke hatte, kroͤnten dieſes Abenteuer.
Von Oberwieſenthal aus fuhr ich den an - dern Morgen auf Karlsbad (2 M.). Man muß einen hohen Berg erklimmen, der die erſtere Stadt von dieſer Seite beherrſcht. Es iſt der Fichtelberg, der hoͤchſte Punkt des Erzgebirges. Das Wieſenthal hat man immer noch zur Linken. Je hoͤher man auf der einen Seite dieſen Berg hin - ankoͤmmt, deſto hoͤher erhebt ſich der ge - genuͤberliegende, und beyde klemmen am Ende das Thal, das hier eine Wendung rechts nimmt, ſo enge ein, daß es gleichſam nur als ein Riß zwiſchen beyden erſcheint und ſich endlich ganz verliert. So befand ich mich denn auf dem Gipfel des hohen, oben eingeſchnittenen Ber - ges, der mir ſo lange im Geſichte geweſen war. Eine der ſchoͤnſten Ausſichten, die ich im Erzgebirge gefunden habe, breitete ſich vor mir aus. — Unten im Thale zeigt ſich das51 boͤhmiſche Bergoͤrtchen Gottesgab, und bald hinter demſelben gelangt man in einen bergig, ten Wald, den man faſt in lauter Hohlwegen, zwiſchen Steinen und auf Steinen durchfaͤhrt, bis man endlich nach zwey Stunden in die tiefe Schlucht gelangt, worin Joachims - thal liegt, das man anfangs nur ſeinen Daͤ - chern nach zu ſehen bekoͤmmt. Steine liegen hier wie Schutt herum; große Felſenſtuͤcke ſind an beyden Seiten abgeſchoſſen und ſchnelle Baͤche reiſſen ſich rechts und links her - ab, und ſetzen mehrere Lohmuͤhlen betaͤubend in Bewegung. Joachimsthal iſt beſſer gebau - et, als Oberwieſenthal, hat ſteinerne Haͤuſer, die, bis auf wenige am Eingange, ſauber un - terhalten ſind. Rechter Hand, hoch auf dem der Stadt zunaͤchſt liegenden Berge, erſchei - nen die Auswuͤrfe eines Bergwerks, die in drey Teraſſen aufgethuͤrmt ſind und alle Au - genblicke abzugleiten und die naͤchſten Haͤuſer zu verſchuͤtten drohen. Weiterhin, auf einem an - dern Berge, zeigt ſich das Getruͤmmer einesD 252alten Gebaͤudes, das ein Schloß geweſen zu ſeyn ſcheint, jetzt aber zu einer Kirche ein - gerichtet iſt, worin die Bergleute, ehe ſie ein - fahren, ihre Andacht verrichten.
Von Joachimsthal aus wird die Schlucht immer enger, aber auch immer ſteinigter und beſchwerlicher. Auf beyden Seiten ſtehen Tan - nen ſo ſenkrecht hinan, daß die eine aus der andern hervorgewachſen ſcheint, waͤhrend in der Mitte, uͤber Felſenſtuͤcke hinweg, ein ar - mes Waͤſſerchen faͤllt, das ſeifenartig, haͤßlich ausſieht und auf ſeinem Laufe von mehreren Muͤhlen und Huͤttenwerken genutzt und ſo - dann wieder entlaſſen wird. Endlich kommt man aus der Schlucht heraus und eine lichte - re Ausſicht biethet ſich dar; man koͤmmt, wo nicht in eine Flaͤche, doch in eine ebenere Ge - gend, wo die Berge niedriger ſind und min - der dicht bey einander ſtehen. Hier war das Getreide ellenlang hoͤher, als in den Bergen, durch die ich geſtern kam; die Bluͤthen der Aepfel und Kiſrchbaͤume, die dort erſt aus der53 Knoſpe traten, waren hier ſchon im Abfallen; und ſo ſchien es, als ob ich, nach einer kleinen Strecke von acht Meilen, um mehrere Grade naͤher nach Suͤden gekommen waͤre.
Der Weg dauert nun, wie oben angezeigt, fort, und windet ſich noch durch manchen Hohl - weg, uͤber manche Anhoͤhe, zum Theil durch Waldung, zum Theil am Gehaͤnge von Bergen, das große Felſenſtuͤcke bedecken, dahin; man koͤmmt uͤber die Eger und ſieht ſich dann bald vor Karlsbad.
Karlsbad liegt in einem engen Thale, das bey Toͤplitz ſeinen Anfang nimmt, und unterhalb jener Stadt in die Ebene auslaͤuft, welche die Eger durchſtroͤmt. Die Toͤpel, ein kleiner Fluß, koͤmmt gedachtes Thal herab, und an beyden Ufern deſſelben iſt Karlsbad erbauet. Betraͤcht - liche Berge ſchließen es von allen Seiten ein. Die anſehnlichſten darunter ſind der Kreutz - berg, der Hirſchſtein und der Hammer - berg.
54Der Kreutzberg iſt der hoͤchſte. Er ſteigt in Oſten, von dem Ufer der Toͤpel aus, in faſt gleichfoͤrmiger Geſtalt, uͤber dritthalb hundert Schuh hoch, hinan, und hat auf ſeinem Gipfel, der mit Nadelholz bewachſen iſt, drey hoͤlzerne Kreutze, die ihm den Namen gegeben haben.
Der Hirſchſtein oder Hirſchſprung, liegt der Stadt gegen Weſten, erhebt ſich unge - faͤhr zwey hundert Schuh hoch, und beſteht meiſt aus ſchroffen, ſenkrecht und gruppenweiſe emporſtrebenden, geſpaltenen Steinmaſſen, die zwiſchen einem Waldigt von Nadelholz heraus - ſehen.
Der Hammerberg iſt weder ſo hoch, noch ſo ausgezeichnet, als die beyden vorigen, und dicht mit Nadelholz bewachſen.
Die Grundbeſtandtheile dieſer Berge ſind Granit, von derjenigen uralten Art, aus der die Karpathen beſtehen, die wiederum mit den aſiatiſchen Gebirgen zuſammen hangen. *)Vergl. Bergmaͤnniſches Journal, 1792, 11tes Stuͤck, S. 384.Außer55 dieſer Gebirgsart findet man ſpaͤter gebildete, als Thonſchiefer, Greus, Glimmer, um und an denſelben; und in mindern Hoͤhen erſcheinen noch juͤngere Trappformationen.
Die Ausſicht von den genannten drey Ber - gen iſt mehr oder weniger weitlaͤuftig, aber im - mer ſehr angenehm. Zu ſeinen Fuͤßen hat man die Ebene, durch die man vom Erzgebirge her gekommen iſt, und die ſich gegen Morgen in der Flaͤche abdacht, in welcher Prag liegt; gegen Mittag aber ſich an ein Gebirge lehnt, das ſich ziemlich ſteil erhebt, und ſich den Bergen des Boͤhmer Waldes anſchließt. Der Raum zwi - ſchen Karlsbad, dem Erz - und dem Boͤhmer - Wald-Gebirge, iſt mit hoͤhern und niedrigern Bergen und Berggruppen beſtreuet, zwiſchen denen bald Gehoͤlz, bald Ackerland, bald Wie - ſen, in der Mitte liegen.
An der Geſtalt unterſcheidet man aus der Ferne unter den einzeln ſtehenden Bergen einige Baſaltfelſen, z. B. den Grasberg, der un - gefaͤhr eine halbe Meile oͤſtlich von Karlsbad56 liegt, auf einer breiten Grundlage kegelfoͤrmig emporſteigt, und aus einem Baſalt beſteht, der faſt von der Art iſt, wie der am Stolpener Schloßberge, doch weniger in Saͤulen geſpalten, und weniger zu Tage auslaufend erſcheint, als der Baſalt an jenem.
Der Trittlitzer Berg giebt von fern ei - nen weniger ausgezeichneten Anblick, man er - kennt ihn aber ſogleich als Baſaltfelſen. Sein Baſalt iſt von derſelben Art, wie der am Gras - berg.
Anſehnlicher als beyde, und als der hoͤchſte in der Ebene, ragt der Hornberg hervor. Seine Beſtandtheile ſind wie die an den beyden vorigen.
Die Ebene zwiſchen dieſen verſchiedenen Ber - gen iſt reich an mineralogiſchen Merkwuͤrdigkei - ten. Das Daſeyn von Erdbraͤnden und After - vulkanen iſt unverkennbar. Erdſchlacken, Stuͤ - cke gebrannten Thons, Steinkohlen und Ver. glaſungen ſieht man haͤufig am Wege. Daß dieſe Erdbraͤnde zum Theil noch fortdauern, aber57 in betraͤchtlicher Tiefe, beweiſen augenſcheinlich die heißen Quellen in dem Thale der Toͤpel, denen Karlsbad ſeine Entſtehung und ſeinen Ruf zu danken hat.
Die Geſchichte, die man von der Auffin - dung dieſer Quellen und von der Entſtehung der Stadt Karlsbad erzaͤhlt, iſt folgende: „ Kaiſer Karl der Vierte verfolgte in dieſer Gegend einen Hirſch, der, von den Hunden gedraͤngt, uͤber einen hohen Felſen in das Thal, worin jetzt Karlsbad liegt, hinabſprang. Die Hunde und Jaͤger ſetzten ihm, aber ſicher auf einem andern Wege, in dies Thal nach, und fanden bey der Gelegenheit die Quellen. “— Viel - leicht iſt in dieſer Ueberlieferung nichts wahr, als der Umſtand, daß man unter gedachtem Kaiſer dieſe Brunnen fand, oder auch nur de - ren Daſeyn wieder ſo in Erinnerung brachte, daß er ſich derſelben annahm, ſie unterſuchen und einige Haͤuſer anbauen ließ, deren Anzahl ſich nach und nach ſo vermehrte, daß ſie eine kleine Stadt bilden konnten. Die erſten Be -58 wohner derſelben ſollen von dem naͤchſten Dorfe eingewandert ſeyn.
Jetzt enthaͤlt Karlsbad, wie es, nach einem großen Brande im Jahre 1756, wieder erbauet worden, drey hundert und dreyßig Haͤuſer. (Kirchen, Saͤle, Schul-Komoͤdien-Kranken - und Armenhaͤuſer mit eingerechnet) und acht und vierzig Brandſtellen, die allmaͤhlich wieder angebauet werden.
Die Anzahl der ordentlichen Bewohner von Karlsbad kann man, in einer runden Summe, zu fuͤnftehalbtauſend annehmen; die außeror - dentlichen, naͤmlich die Brunnengaͤſte, die den Sommer uͤber dort ſind, kann man, waͤhrend des belebteſten Zeitpunkts, zu drey bis vier hundert, Bediente, Maͤgde und Kinder mit eingeſchloſſen, berechnen.
Die Bauart der Stadt iſt ſich nicht uͤber - all gleich; beſonders gehen zwey Gegenden darin merklich von einander ab. Derjenige Theil, den man, von dem Eger'ſchen Thor an bis zur Toͤpelbruͤcke, durchfaͤhrt, beſteht59 aus lauter Haͤuſern von Fachwerk, meiſt nur zwey Stock hoch, mit hoͤlzernem Bindwerk ausgeſtopft, das mit rother oder blauer, oder grauer Farbe angegeben iſt. Dieſe Art von Haͤuſern laͤuft bis zur Stadtkirche, und von da, am rechten Ufer der Toͤpel, fort, und en - digt ſich den Beluſtigungsſaͤlen gegen uͤber. Sie bildet den aͤlteſten Theil der Stadt und ſchließt den Sprudel ein, um welchen her die erſten Haͤuſer angelegt wurden.
Derjenige Theil der Stadt, der an dem linken Ufer der Toͤpel liegt, und jenſeits der Bruͤcke bey dem Muͤhlbade und Neubrunnen anhebt, iſt neuer, und ſchließt hoͤhere, geraͤu - migere und anſehnlichere Haͤuſer ein. Man gelangt, durch eine enge Gaſſe, deren Haͤu - ſer rechts am Fuße der Felſen, links an dem linken Ufer der Toͤpel ſtehen, auf den Markt oder Ring, der fuͤr den eingeſchraͤnkten Grund der Stadt groß genug iſt, und an ſeiner lin - ken Seite die vier ſchoͤnſten und groͤßeſten Haͤu -60 ſer*)Sie ſind mit Nro. 30. 31. 32 und 33 bezeichnet., und auf der rechten das Rathhaus von Karlsbad mit ſeinem Thurm, enthaͤlt. Zwi - ſchen dieſem und den ihm entgegenſtehenden Haͤuſern auf der linken Seite, fuͤhrt ein Weg hinan, der rechts zu einem alten Schloſſe und dem Schloßbrunnen; gerad'aus, auf ei - nen zuruͤckſpringenden angenehmen Berg und, links, zu einem Spatziergange fuͤhrt, welcher an dem Gehaͤnge des Hammerberges und des Hirſchſprungs bis dahin, wo letzterer ſich ab - dacht, herumlaͤuft.
Die erwaͤhnten vier anſehnlichen Haͤuſer auf dem Markte, dienen, nach Karlsbader Art zu ſprechen, hohen, oder vielmehr, den hoͤchſten Brunnengaͤſten zur Wohnung, weil ſie, in zwey Geſchoſſen, große geraͤumige Zim - mer in einer Folge enthalten, und nahe am Sprudel, dem Neubrunnen und Schloßbrun - nen liegen. Von denſelben fuͤhrt eine kurze Gaſſe, die ein weit vorgebautes Haus an ih -61 rem Ausgange ſehr enge macht, auf die Wei - ſe, eine Straße, die, links, mit einer einfa - chen Allee, und rechts, mit einer Reihe guter und bequemer Haͤuſer beſetzt iſt, die bis zu den Beluſtigungsſaͤlen fortlaͤuft, und mit die - ſen ſich endiget. Dieſe Halbſtraße, die den Namen von einer Wieſe hat, auf welcher ſie erbauet worden, iſt gewoͤhnlich bis in die Gie - bel der Haͤuſer ganz mit Brunnengaͤſten be - ſetzt, und wird uͤberhaupt fuͤr vornehmer ge - halten, weil die Wohnungen auf derſelben um drey, fuͤnf und zehn Gulden woͤchentlich theu - rer ſind, als die auf der entgegengeſetzten Seite der Stadt. Hier nimmt man in der That nur dann eine Wohnung, wenn am Markt und auf der Wieſe keine mehr zu be - kommen iſt, und man zieht auch hier noch die - jenigen Straßen vor, die am naͤchſten an dem Markt oder an der Wieſe liegen. Man hat aber ſchon vornehme Kranke wieder von Karlsbad abreiſen ſehen, weil ſie in den Mode - genden der Stadt keine Unterkunft mehr fin -62 den konnten; alles, um nicht zwiſchen Prie - ſtern, Kaufleuten, buͤrgerlichen Raͤthen und dergleichen Leuten, ihren Wohnplatz aufzu - ſchlagen, mit denen ſie doch uͤbrigens das Un - gluͤck haben, aus einerley Brunnen trinken zu muͤſſen. Doch auch vor dieſem Ungluͤcke wiſſen ſich einige zartfuͤhlende Kranke zur Haͤlfte zu verwahren, indem ſie ſich nicht in Per - ſon zu den Brunnenplaͤtzen unter den gemei - nen Schwall begeben, ſondern das Waſſer aus den Quellen nach ihrer Wohnung holen laſſen, unbeachtet, daß durch dieſen Uebertrag zwey Drittel der fixen Luft, des heilſamſten Grundtheils der Karlsbader Waſſer, verloren gehen.
Das Voͤlkchen, das dieſe Stadt bewohnt, iſt eines der gutmuͤthigſten, ehrlichſten und dienſtfertigſten in der oͤſterreichiſchen Monar - chie. Der vierfache Umſtand, daß ſie großen - theils von den Brunnengaͤſten leben, die, ſo lange ſie dort ſind, alle ihre noͤthigen und unnoͤthigen Beduͤrfniſſe von ihnen nehmen63 und noch, bey ihrer Abreiſe, dergleichen in Menge kaufen, um ſie, theils als Andenken, theils als Reiſegeſchenk, theils als Spiel und theils als Nutz-Werkzeuge mit nach Hauſe zu nehmen; daß ſie mit Kranken zu thun haben, die Huͤlfsleiſtung und Gefaͤlligkeit brauchen, und dieſe Tugenden durch ihren Zuſtand in guten Herzen erwecken; daß eben dieſe Kranke, was ſie an moraliſchen Fehlern mitbringen, weniger auffallend zeigen, weil Schmerzen und Schwachheit des Koͤrpers es verhindern; und endlich, daß ſie uͤber die Haͤlfte des Jah - res, unbeſucht, einſam, keiner Verfuͤhrung ausgeſetzt, zwiſchen ihren Bergen leben: dieſe Dinge bewirken wohl zunaͤchſt, daß ihr Ge - muͤth ſo rein und unverdorben bleibt, als es ſich wirklich zeigt, wenn man auch nicht die Bemerkung gemacht haben ſollte, daß die Be - wohner von Boͤhmen uͤberhaupt, diesſeits des Bergkranzes, der ihr Land umgiebt, noch beſ - ſer, wenn auch ungebildeter, als ihre Graͤnz - nachbarn, zu bleiben das Gluͤck gehabt haben.
64Reich ſind indeſſen die Karlsbader nicht, theils, weil ihre hauptſaͤchlichſte Erwerbsquelle nur vom May bis in den Oktober ſpringt; denn die Faͤlle ſind ſehr einzeln, wo auch im Spaͤtjahr und im Fruͤhjahre Brunnengaͤſte dort waͤren, obgleich die Brunnenaͤrzte behaup - ten, ihre Quellen koͤnnten auch im Winter ge - braucht werden; theils, weil ſie im Winter das wieder aufzehren, was ſie im Sommer gewonnen haben. Der gemeine Mann iſt naͤmlich nicht unbekannt mit dem Billard und dem Wein - Bier und Tanzhauſe, und die beſſern Klaſſen ſind es eben ſo wenig mit Schmaͤu - ſen, Baͤllen und ſogar Maskeraden. Dadurch kommt jedermann, gegen die Sommermonate, mit ſeinen Einkuͤnften in diejenige Ordnung zu - ruͤck, die den Karlsbadern, faſt ſo ſtreng, als ihr eigenes gutes Herz, gebietet, freundlich, zu - vorkommend und dienſtwillig gegen ihre Gaͤſte zu ſeyn. Ueber Ungeſchliffenheit, Trotz und doch Uebertheurung, die man ſo haͤufig in an - dern deutſchen Baͤdern, z. B. in Aachen undPyr -65Pyrmont findet, hat wohl noch nie ein Brun - nengaſt in Karlsbad zu klagen gehabt.
Die Bewohnerſchaft von Karlsbad beſteht faſt allein aus Kuͤnſtlern und Handwerkern, und zwar aus ſolchen, deren Arbeiten, außer einem allgemeinen Betrieb, auch einen beſon - dern bey den Brunnengaͤſten finden. Dahin gehoͤren beſonders die Nadler; (14 Meiſter), Zinngießer, (15 Meiſter), Tiſchler, (12 Meiſter), Buͤchſenmacher, (14 Meiſter), Schloſſer, (3 Meiſter), Guͤrtler, (5 Mei - ſter) und Meſſerſchmiedte, (25 Meiſter). *)Vergl. Karlsbad, beſchrieben zur Bequem - lichkeit der hohen Gaͤſte, daſelbſt, 1788 — ein wunderlich geſchriebenes kleines Buch, dem ich aber bey obigen Angaben folgen zu koͤnnen glaubte, da es von einem Karlsbader Handwerker verfaßt zu ſeyn ſcheint.Die Tiſchler ſind hier beſonders geſchickt in kleinen Arbeiten, in Verfertigung von Putzti - ſchen und Putzkaͤſtchen, Theetiſchchen, und hundert andern Kleinigkeiten. Sie wiſſen dasFuͤnftes Heft. E66Holz, oder die Maſern, die ſie zum Verkleiden derſelben brauchen, ſehr geſchickt mit allerley Firniſſen und Beitzen zu uͤberziehen und zu durchlaſſen; aber nicht ſo geſchickt ſind ſie in der Vertheilung und Anordnung der Farben, und ihre Formen haben wenig Neues und Ab - wechſelndes. Sie ſind in dem letztern Punkte Schuͤler gegen die Franzoͤſiſchen und beſonders gegen die Engliſchen Kunſttiſchler, die mit Ein - falt und Schoͤnheit die hoͤchſtmoͤgliche Dauer - haftigkeit und Mannigfaltigkeit des Mechanis - mus zu verbinden pflegen. Aber man kauft auch in Karlsbad z. B. fuͤnf Schatullen fuͤr den Preis, wofuͤr man kaum Eine in Eng - land ſelbſt bekommen wuͤrde.
Die uͤbrigen oben angefuͤhrten Handwerker arbeiten in Meſſing, Eiſen, Stahl und in andern Metallen, nicht nur das, was ihr Name angiebt, ſondern auch uͤberhaupt alle Waaren, die ihre Geſchicklichkeit hervorbrin - gen kann, ohne daß ſie diesfalls ſtreng zunft - maͤßig einen Scheidungsſtrich gezogen haͤtten. 67Im Ganzen ſind ihre Arbeiten mit Fleiß, aber nicht immer mit Geſchmack gemacht, beſonders in Abſicht der Form, die ziemlich ſchwerfaͤllig zu ſeyn pflegt, und der Verzierung, die eine plumpe Schnoͤrkeley iſt. An dieſen beyden Stuͤcken erkennt man die Karlsbader hieher gehoͤrigen Waaren, wie man die Nuͤrnbergi - ſchen an ihrem eigenthuͤmlichen Geiſt erkennt. Man vermißt bey ihnen, wie bey den deut - ſchen, italiaͤniſchen und ſpaniſchen Handwer - kern uͤberhaupt, den Geiſt der Verfeinerung und Erfindung, den die englaͤndiſchen und franzoͤſiſchen in ſo hohem Grade beſitzen, und den die erſtern noch mit dem Geiſt der Vol - lendung, dem Triumph aller ihrer Manufak - tur - und Fabrikwaaren, verbinden.
Da die Kuͤnſte und Handwerke einer Stadt keinen unverwerflichen Maßſtab von dem Ver - trieb, Bedarf, Genuß und ſogar von dem Cha - rakter ihrer Einwohner abgeben, ſo erlaube man mir, noch anzumerken, daß in Karlsbad nur Ein Apotheker aber dreyzehn Baͤcker, nurE 268Ein Juwelier aber neun Wollenzeugmacher, nur Ein Buchbinder aber ſieben Gaſtwirthe, nur Ein Goldarbeiter aber eilf Schuhmacher, nur fuͤnf Maurer aber vierzehn Schneider, keine Buchhandlung aber ſechs Speiſewirthe, kein Advokat aber achtzehn Fleiſcher vorhanden ſind. Kein Modenhaͤndler von allen, die, den Sommer uͤber, zu ſechs bis acht in Karlsbad ſind, iſt dort anſaͤßig, aber wohl ſind es eilf Kraͤmer, die mit brauchbaren oder unentbehr - lichen Dingen, vom Salze an, bis zum Unga - riſchen Wein herab, ein lebhaftes Gewerbe treiben.
Karlsbad beſitzt fuͤnf Geſundheitsquellen, die ordentlich gefaßt ſind und zur Kur gebraucht werden: den Sprudel, das Muͤhlbad, den Neubrunnen, den Gartenbrunnen und den Schloßbrunnen. Kleinere Adern, aus denen warmes Waſſer herausſickert, ſind mehrere vorhanden. *)Leſern, die ſich in chemiſcher Hinſicht uͤber dieſe Quellen naͤher unterrichten wollen, empfehle ich des
69Die ergiebigſte Quelle und zugleich die heiſſeſte, iſt der Sprudel, doch erreicht ſeine Hitze nicht ganz den Grad des Kochens. Sein Waſſer faͤllt nicht unangenehm auf die Zunge und wird, dem Geſchmacke nach, gewoͤhnlich einer leicht geſalzenen Huͤhnerbruͤho verglichen, mit dem es in der That große Aehnlichkeit hat. Seine Farbe iſt klar; dieſe Klarheit ver - liert ſich aber, wenn es eine Weile ſteht, und es nimmt eine weißliche Farbe an, indem es zugleich zarte, weißgelbliche Kalktheilchen fal - len laͤßt, die den Koͤrper, auf den ſie fallen, verſintern. So entſtehen die ſogenannten Ver - ſteinerungen, die man zum Andenken aus Karlsbad mitzubringen pflegt. Die Beſtand - theile dieſes Waſſers ſind luftſaures Mine -*)verſtorbenen D. Bechers: Neue Abhandlun - gen uͤber das Karlsbad ꝛc. Leipzig 1789. Neuer ſind die Verſuche des Herrn Prof. Klap - roths in Berlin, die er in der kleinen Schrift „ Chemiſche Unterſuchung der Mineral - quellen zu Karlsbad “bekannt gemacht hat. Berlin, 1790.70 ralalkali, Glauberſalz, Kochſalz, luftſaure Kalk - erde, Kieſelerde und eine geringe Spur von Eiſenſtoff.
Dieſelben Beſtandtheile haben auch die uͤbrigen Quellen, und die Miſchung derſelben untereinander iſt ſich ziemlich gleich, bis auf die Luftſaͤure, deren die eine Quelle, je nach - dem ſie heißer oder kuͤhler iſt, mehr oder we - niger als die andere mit ſich fuͤhrt.
Die Muͤhlbadquelle iſt laulicht und hat bey weitem nicht den geiſtigen Geſchmack des Sprudels, weil ſie nicht ſo viel fixe Luft enthaͤlt. Man bedient ſich ihrer auch ſelten fuͤr Kranke, es muͤßten denn ſolche ſeyn, die ſehr ſchwache reitzbare Nerven haͤtten und de - nen deshalb die Hitze des Sprudels ſchaͤdlich wuͤrde. Doch empfiehlt man in dieſem Falle haͤufiger den Schloßbrunnen.
Der Neubrunnen hat ebenfalls nicht den Grad der Hitze des Sprudels und ſchmeckt deshalb merklich matter. Er war in dieſem Jahre (1793) der Modebrunnen. Alles, was71 ſchoͤn war, trank an demſelben, und was ga - lant war, trank hier auch. Man fand den Sprudel, ſeiner Hitze wegen, zu angreifend, und ein paar Brunnenaͤrzte naͤhrten dies Vor - urtheil, bloß um etwas anderes zu empfehlen, als der verſtorbene Becher, der beſtaͤndig auf den Gebrauch des Sprudels gedrungen hatte.
Nicht weit vom Neubrunnen, unter der - ſelben hoͤlzernen Gallerie, die man, zur Be - quemlichkeit der Trinker, erbauet hat, dringt noch eine andere Quelle, die, meines Wiſſens, noch keinen Namen fuͤhrt, in einem ſtarken Strahle hervor. Sie iſt ſo heiß, als der Sprudel, aber eine der juͤngſten. Kranke, die ſich ſtaͤrkere Nerven zutrauen, trinken ſie be - ſonders.
Der Gartenbrunnen ſpringt oberhalb des Neubrunnens, am Abhange des Granit - berges, an deſſen Fuße letzterer hervordringt. Ich weiß nicht, warum man ihn den Garten - brunnen nennt, denn außer vier oder fuͤnf Baͤumen, die an der rechten Seite des ſchma -72 len, dazu gehoͤrigen, Spatzierplatzes ſtehen, findet man keine Spur von einem Garten. Dieſer Brunnen fließt nicht ununterbrochen aus ſeiner Roͤhre, ſondern in Abſaͤtzen, und kommt mit einem rauſchenden Schaume zum Vorſchein. Er wird zwar in gewiſſen Faͤllen von den Brunnenaͤrzten empfohlen, aber ge - woͤhnlich trinkt man ihn nur zur Abwechs - lung, oder aus Neugier. Er iſt uͤbrigens lau, und hatte dieſes Jahr einen ſtarken Schwe - felgeſchmack, den Kenner ſeiner neugeſetzten Roͤhre zuſchrieben.
Noch lauer iſt der Schloßbrunnen, zu dem man, vom Markt aus, hinauf ſteigt, und der beſonders nervenſchwachen Perſonen, wel - che die Hitze der vorhin erwaͤhnten Quellen nicht ertragen, empfohlen wird.
Die Wirkung dieſer Quellen iſt, im Gan - zen genommen, mehr oder weniger dieſelbe: ſie reinigen die erſten Wege, verduͤnnen und verſuͤßen das Blut, und fuͤhren die darinn befindliche Schaͤrfe gelind und allmaͤhlich ab. 73Daraus wird klar, was fuͤr Krankheiten ſie zunaͤchſt heilen oder mildern. Verſtopfungen der Gedaͤrme, Gekroͤſe und Nieren, Stein, Gries, noch nicht eingewurzelte Gicht, Hypo - chondrie und Melancholie, Magenkraͤmpfe, Kopfweh, Nervenzufaͤlle, ſelbſt epileptiſche, wenn ſie ſich von Anhaͤufungen im Unterleibe herſchreiben: alle dieſe und andere damit ver - wandte Krankheiten werden durch ſie theils gehoben, theils abgeleitet; aber auf die ganze Gattung der hitzigen Krankheiten wirken ſie wenig oder gar nicht, und manche Kranke, die mit ſolchen behaftet waren, haben in Karlsbad ihr Grab gefunden, wenn ihr Haus - arzt ſo unwiſſend war, ihnen die hieſigen Quellen zu empfehlen, und ihr Brunnenarzt ſo leichtſinnig, ihnen den Gebrauch derſelben zu geſtatten. Ueberhaupt, wer eine nahmhafte Krankheit hat, die nicht aus Verſtopfung des Unterleibes entſteht, der ſuche hier weder Huͤlfe noch Erleichterung; und ſo auch der, der in Karlsbad ſelbſt mit irgend einem Uebel, auf74 welches der hieſige Brunnen nicht wirkt, be - fallen wuͤrde. Die Brunnenaͤrzte haben, in der Behandlung ſolcher Krankheiten, die hier nicht gewoͤhnlich vorkommen, geringe Erfah - rung, und benehmen ſich dabey — ſehr furcht - ſam wenigſtens. Auch pflegen ſie aus Politik (was in dieſem Falle ein Gluͤck iſt) ſolchen Kranken zur Entfernung zu rathen, damit ſie nicht etwa in Karlsbad ſterben und deſſen Quellen einen uͤbeln Ruf zuziehen moͤgen.
Da die Genoſſen unſeres Zeitalters, maͤnn - lichen und weiblichen Geſchlechts, Juͤngere wie Aeltere, vorzuͤglich am Stilleſitzen, an der Anſtrengung und Schonung des Kopfes, an den Arbeiten der Phantaſie, des Stickrahms, der Eitelkeit, oder mithin auch am Schnuͤren und an engen Beinkleidern, ferner an Romanen - und Zeitungsleſerey, am Buͤchermachen, am Trinken ſchlechter und ſchwerer Weine, an der Naſchſucht, an der platoniſchen oder nicht platoniſchen Liebe, und an der Mode - und Genußjaͤgerey leiden: ſo kann man, nach den75 traͤge machenden, verſtopfenden, zuſammen ziehenden und unnatuͤrlich erhitzenden Eigen - ſchaften aller dieſer geiſtigen und koͤrperlichen Dinge, von ſelbſt ermeſſen, daß derjenigen Kranken, die ganz beſonders nach Karlsbad gehoͤren, eine betraͤchtliche Anzahl ſeyn muͤſſe. Wirklich ſchließen die Gegenden, in welchen Karlsbad bekannt und beruͤhmt iſt, ſo viel Kranke dieſer Art ein, daß ſie deſſen Quellen, vom Anfang des Mayes an, bis gegen das Ende des Oktobers, mit fuͤnf, funfzig, hun - dert, dreyhundert, und dann wiederum mit hundert und funfzig, achtzig, dreyßig und zwey Perſonen beſetzt halten koͤnnen.
Die Zeitpunkte naͤmlich, in denen man Karlsbad beſucht, beſtimmt theils die Noth - wendigkeit, theils die Mode, theils die haͤus - liche und geſchaͤftliche Lage, theils das oͤkono - miſche Vermoͤgen und Unvermoͤgen. Ein Kranker, der, den Winter hindurch, wirklich oder eingebildet, danieder gelegen und ſeine Hoffnung auf den Sprudel geſetzt hat, ſucht76 ihn ſchon zu Ende des Aprils auf und bleibt bey ihm bis zu Ende des Maymonats. Er findet vielleicht nur fuͤnf bis zehn Mitkranke. Ein Anderer, deſſen Zufaͤlle ſo dringend noch nicht ſind, bringt von der Mitte des Mayes bis zur Mitte des Junius in Karlsbad zu, und reiſet von dort ab, gerade, wenn ſich die große Geſellſchaft einzufinden pflegt. Die Glieder der letztern ſind immer am wenigſten krank, und ſolche, die entweder alle Jahr zum Vergnuͤgen eine Badereiſe zu thun pfle - gen; oder in der Naͤhe von Karlsbad auf dem Lande wohnen, und Zerſtreuung ſuchen; oder eine Reihe von Toͤchtern haben, die ſie abge - kuͤrzt zu ſehen wuͤnſchen; oder das Kartenſpiel, nicht zunaͤchſt fuͤr ihr Vergnuͤgen, ſondern fuͤr ihre Erhaltung, lieben; oder irgend einem Großen folgen, um ihm, bey der minder ge - bundenen Art zu leben im Bade, naͤher zu kommen und von ihm verſorgt zu werden; oder endlich von dem dortigen kleinen Publi - kum mehr bemerkt zu werden wuͤnſchen, als77 es in einer Hauptſtadt ſeyn kann, wo ein paar Poſtzuͤge, eine diamantene Hutſchleife, einige Freybaͤlle und eine offene Tafel nicht den Hof um ſie verſammeln, den ſie ſich hier durch ſolche Dinge verſchaffen koͤnnen. Der Zeit - punkt alſo, wo dieſe Art von Afterkranken in Karlsbad lebt, iſt der glaͤnzendſte, aber auch der beſchwerlichſte fuͤr wirkliche Kranke. Dieſe finden kein bequemes Unterkommen mehr; wer - den am Sprudel von ungeſchliffenen Bedien - ten gedraͤngt, die den Becher ihrer Herrſchaft eher fuͤllen wollen, als ſie den ihrigen; wer - den auf der Wieſe, neben den vorbey fliegen - den Karoſſen bald vom Staub erſtickt, bald uͤber und uͤber mit Unrath beſpruͤtzt; werden aus der Allee von den breiten Reihen der Herren und Damen weggeſchoben, oder von eben denſelben, wenn ſie die dortigen Baͤnke beſetzt halten, vom Kopf bis zu den Fuͤßen gemuſtert; finden kein Plaͤtzchen mehr, weder in Fiſchern, noch in dem Garten des Poſtmeiſters, wo ſie mit einer kleinen Ge -78 ſellſchaft von Freunden eſſen wollten; und kurz, ſie werden von den Nichtkranken uͤberall ſo in die Enge getrieben, daß ſie, aus Man - gel der noͤthigen Ruhe, Ungezwungenheit und Heiterkeit, die Haͤlfte ihres eigentlichen Zweckes verfehlen. Dies Geraͤuſch dauert von den erſten Tagen des Junius bis ungefaͤhr zu den letzten des Julius, wo es ſich auf einmal, meiſt immer in drey Tagen, verliert, weil die Geſellſchaft, die es machte, ſich gleichſam das Wort gegeben hatte, zu gleicher Zeit zu kom - men und zu gehen.
Jetzt ſchoͤpfen die uͤbrigen Brunnengaͤſte wieder Athem, und ihre Anzahl wird durch ſolche Geſchaͤftsleute vermehrt, die nur — in den Hundestagen — ihre Geſundheit wahr - nehmen koͤnnen; oder durch ſolche ſchuͤchterne Kranke, die am liebſten unter Ihresgleichen ſind; oder durch ſolche, welche die geſunkenen Preiſe der Miethen und anderer Beduͤrfniſſe zu benutzen gezwungen ſind. Um dieſe Zeit wird Karlsbad immer ſtiller und leerer und79 die Fremden ſind unter den Einwohnern kaum zu bemerken. Dieſer Zeitraum dauert bis zum Anfange des Septembers, wo noch Landwir - the, Prediger aus der Nachbarſchaft, Kraͤmer mit ihren Frauen und Kindern und Landleute nach Karlsbad kommen. Sie bleiben bis in den Oktober dort, und man ſieht ſie in klei - nen Haufen auf der Wieſe oder unter der Al - lee ſpatzieren gehen. In den Beluſtigungsſaͤ - len iſt niemand mehr, die Schauſpieler und Spielleute ſind ausgewandert. Die Saͤle end - lich werden geſchloſſen, das Poſtamt iſt ge - ſperrt, die Wirthinnen und ihre Maͤgde ha - ben die guten Kleider abgelegt, die Kuͤnſtler und Handwerker haben ihre Arbeiten ein - gepackt und am Sprudel oder Neubrunnen wandeln einzelne Kloſterbruͤder, die ihr Bre - vier leſen, und, was ihnen ſo ſelten begegnet, Waſſer dazu trinken.
Die Brunnengaͤſte, die nach Karlsbad kom - men, finden folgende Bequemlichkeiten und Unbequemlichkeiten:
80Ihre Wohnungen haben ſie bey treuen, redlichen, theilnehmenden Leuten. Dieſe Woh - nungen kann man ſich, wenn man fruͤh ge - nug vor dem lebhaften Zeitpunkte kommt, und vor dem Eintritt deſſelben wieder abreiſen will, ganz nach ſeinem Beduͤrfniſſe und Vergnuͤgen waͤhlen. Die weitlaͤuftigen ſind zwar immer ſchon im Voraus von vermoͤgenden Brunnen - gaͤſten beſprochen und werden von dieſer Zeit an bezahlt; will man aber vor dem feſtgeſetzten Tage ihrer Ankunft abreiſen, oder ausziehen, ſo kann man auch dieſe erhalten, ſo wie man ſie ein - nehmen kann, wenn die erſten Beſteller derſel - ben abgereiſet oder ausgezogen ſind, im Fall ſie nicht ſchon von neuem beſprochen worden. Dieſe erſte Klaſſe der Wohnungen iſt auch die theuerſte, und man bezahlt ſie woͤchentlich mit 15, 20, 30 und 40 Kaiſergulden. Die Haͤuſer, die dergleichen enthalten, habe ich oben an - gegeben; hier fuͤge ich noch das ſogenannte ſteinerne Haus auf der Wieſe, Nr. 299, hinzu, wo große Familien mit ihrem GefolgePlatz81Platz finden koͤnnen. Die Modegegenden der Stadt habe ich oben angezeigt. In dieſen fin - det man mehr oder weniger geraͤumige Woh - nungen, woͤchentlich zu 20, 15, 12, 10 und 8 Kaiſergulden, wie man dergleichen in den unmodiſchen oder gemeinen, zu 2, 4, 5, 6 und 7 haben kann. In den Haͤuſern am rechten Ufer der Toͤpel, der Wieſe gegenuͤber, miethet man ſich ſelten ein; hoͤchſtens werden ſie von Juden beſetzt. Eben ſo iſt es mit demjenigen Theile der Stadt, der nach dem Eger'ſchen Thore zuliegt.
Wer ſein Auge an Englaͤndiſchen Hausrath gewoͤhnt hat, findet in Karlsbad dieſen Ge - nuß nicht. Die Stuͤhle, Tiſche und Ruheſeſ - ſel ſind von der gemeinſten Arbeit, und ge - ſchmackvolle Gefaͤße, Fußteppiche und Schraͤn - ke ſieht man gar nicht. Anſtatt der Kupfer - ſtiche findet man nichts, als bunte Chriſtkind - chen, durchbohrte Herzen, zerfleiſchte heilige Maͤnner und Frauen, von Nonnen gemalt, ausgeſchnitten und mit Nadelſtichen angegeben. Fuͤnftes Heft. F82Die wenigſten Zimmer ſind gemalt, die mei - ſten bloß geweißt. Die Betten ſind gut, das Bettzeug iſt buͤrgerlich, aber ſauber gehalten. Die Tiſch-Mund - und Handtuͤcher ſind von gleicher Beſchaffenheit.
Die Trinkwaaren ſind in Karlsbad durch - gaͤngig matt, aus Mangel an friſchen Kellern, die beſonders am Markt und in der Gegend deſſelben, von den Duͤnſten, die aus dem un - ter ihnen liegenden, großen Behaͤlter des ſie - denden Waſſers emporſteigen, durchdrungen werden.
Da man des vielen Waſſers wegen, das man des Morgens aus der Quelle getrunken hat, nicht wohl den Tag uͤber noch anderes Waſſer trinken kann, ſo iſt man auf den Ge - nuß des Weins oder des Bieres eingeſchraͤnkt. Die Brunnenaͤrzte rathen vor allen uͤbrigen Gattungen des erſtern, am liebſten zum Mel - nicker, einem leichten rothen Wein, der in Boͤhmen ſelbſt um den Ort her waͤchſt, von dem er ſeinen Namen hat. Sie erlauben auch83 einige Arten Ungerweins; nicht ſo gerne den Oeſterreicher und Rheinwein. Das hieſige Bier iſt leicht, wie es fuͤr Kranke ſeyn muß. Engliſche Biere ſind, als nicht paſſend zur Kur, unterſagt. Kaffee und Chokolade darf man trinken. Thee nicht.
Die Speiſen haben hier einen eigenen Cha - rakter von Weichlichkeit und Ungeſchmalzen - heit. Man will theils dem ausgeſchwemmten Magen nicht zur Laſt fallen, theils darf man nicht, da bey den Speiſewirthen eine ausdruͤck - liche Kuͤchenvorſchrift vorhanden iſt. Geſalzene und geraͤucherte Gerichte ſind gaͤnzlich verboten, und wenn man dergleichen verlangte, wuͤrde ſich der Garkoch entſchuldigen; dagegen ſind alle Arten von Wild (bis auf das Schwein) von Federvieh, (Gaͤnſe ausgeſchloſſen) von zah - men Fleiſche, von Mehlſpeiſen (wohin der waͤlſche Reis, die Nockerl, die Schmarn, die Steudel, die Kolatſchen, der geba - ckene Gries, und wie ſie im boͤhmiſch oͤſter - reichiſchen Kuͤchenwoͤrterbuch alle heißen) zuF 284eſſen erlaubt. Die Gaben ſind klein, aber auch wohlfeil. Fuͤr zwanzig Kreutzer kann der Kranke, der Philoſophie hat, ſich ſatt eſſen; fuͤr fuͤnf und vierzig der, der keine hat .. Oeffent - liche Tiſche giebt es in Karlsbad nicht. Man muß entweder auf ſeinem Zimmer allein eſſen, oder man kann ſich auch mit ſeinen Hauſge - noſſen oder Nachbarn ſo einrichten, daß man mit ihnen, bald in ſeinem Hauſe, bald in dem ihrigen, ſpeiſet. Was der Mangel an oͤffent - lichen Tafeln der Geſelligkeit abbricht, laͤßt er der Geſundheit zu gute kommen. Man iſt nie ſo maͤßig, wenn man mit Zwanzigen, als wenn man mit ſich allein das Brod bricht und daſ Glas handhabt.
Die Einrichtung der verſchiedenen Brun - nenplaͤtze und der Baͤder, iſt nicht glaͤnzend, nicht bequem, kaum ertraͤglich. Das Trinken des Karlsbader Waſſers braucht viel Bewe - gung, damit es aus dem Magen in die uͤbri - gen Gefaͤße des Koͤrpers vertrieben werden koͤnne. Aber bey keinem der Brunnen iſt ein85 Platz, der eine freye und friſche Bewegung erlaubte. Der am Sprudel iſt ſehr ſchmal und ſehr kurz, und man muß ſich durch die Aufundabgehenden hindurch draͤngen und win - den. Das Waſſer erhitzt von innen, der Dampf des Sprudels und das Gedraͤnge von außem, und die Sonne, die gegen ſieben Uhr dieſen Platz, den kein Baum beſchattet, zu beleuch - ten anfaͤngt, thut das Uebrige. Wenn es reg - net, ſo iſt zwar ein Saal da, wo man ſich trocken erhalten kann, da er aber uͤber dem Waſſerbehaͤlter ſteht, ſo iſt die Luft darin ſo lau und ſo waͤſſerig, daß man bald Aengſt - lichkeit oder Kopfweh fuͤhlt, und ſich lieber entſchließt, in den Regen hinaus zu gehen.
Eben ſo iſt es am Neubrunnen. Ein ſchma - ler Gang, mit einem Wetterdache verſehen (das ſchon im erſten Jahre ſeiner Erbauung anfaͤngt, ſich ſchlangenfoͤrmig zu winden) fuͤhrt, ungefaͤhr hundert Schritte, auf und ab, ſchuͤtzt vor der Morgenſonne nicht und ſchließt doch oft hundert bis zwey hundert Menſchen ein. 86Alle ſind erhitzt und werden es durch das Waſ - ſertrinken und das Gedraͤnge noch mehr. Dazu kommen die Ausduͤnſtungen von einer Menge geheimer Oerter, die der Genuß des Waſſers unentbehrlich macht, und die, der Reihe nach, auf eben dieſem Gange angebracht ſind. Wenn es nicht regnet, kann man ſich vor den daraus entſtehenden Unbequemlichkeiten dadurch ret - ten, daß man auf der nahe gelegenen, ſehr kurzen und ungleich gebaͤlkten, Toͤpelbruͤcke auf und ab geht, regnet es aber, ſo muß man ſich doch unter den gedachten Gang ins Ge - draͤnge zuruͤck ziehen.
Eben ſo unbequem iſt auch der Raum am Schloßbrunnen. Man muß, wenn man ſich bewegen will, von demſelben, auf einem ſchlech - ten Pflaſter, den Berg hinanſteigen, und mit einem kleinen Platze, der ungefaͤhr funfzig Fuß lang, und zwanzig breit iſt, uͤbrigens weder vor Regen noch Sonne ſchuͤtzt, ſich begnuͤgen. Jeden neuen Becher Waſſer muß man ſich durch ein beſchwerliches Herab - und Wiederhinauf - klettern verſchaffen.
87In Abſicht der Baͤder hat man es nicht bequemer. Zwar iſt ein Badehaus da, das Muͤhlbad genannt, aber es enthaͤlt zu we - nig Baͤder fuͤr den Bedarf. Man muß oͤf - ters acht Tage vorher beſtellen, ehe man eins bekoͤmmt, und nachher mehrere Tage wieder - um warten, ehe man das zweyte haben kann. Es bleibt kein anderes Mittel, als in die fin - ſtern Badehoͤlen hinabzuſteigen, die man in ei - nigen Buͤrgerhaͤuſern, in der Nachbarſchaft des Sprudels, findet. Sie ſind im Kellerge - ſchoß der Haͤuſer angelegt, wo ein viereckigtes Loch, das mit gewoͤhnlichen, ſchwarz gewor - denen Brettern ausgelegt iſt, das Bad vor - ſtellt. Das Waſſer fließt durch eine hoͤlzerne Roͤhre herein, aus welcher man, nicht etwa mittelſt eines Hahns, ſondern mittelſt einer Stange, die in die Oefnung paßt, und die mit Hadern umwunden iſt, ſo viel von dem warmen Waſſer hereinlaſſen kann, als man fuͤr gut findet, im Fall das Waſſer in dem viereckigten Loche (das mehrere Stunden ſtehen88 muß, ehe es zum Gebrauch genug abgekuͤhlt iſt) zu kalt geworden waͤre. Man bezahlt fuͤr ein ſolches Bad nach Belieben, von funfzehn Kreutzer bis zu dreyßig. Die Baͤder in dem gedachten Muͤhlbade ſind ſauber, mit Mar - mor ausgeſetzt, ſehr geraͤumig, und haben ne - ben ſich ein Zimmer mit einer Bettſtelle, die man mit ſeinen eigenen Betten belegen kann. Der feſte Preis eines Bades iſt vier und dreyßig Kreutzer; man giebt aber gewoͤhnlich etwas mehr und fuͤgt ein Geſchenk fuͤr den Bademeiſter hinzu.
In Abſicht der Spatziergaͤnge iſt man in Karlsbad beſſer berathen. Es giebt ihrer mehrere und man kann nach ſeinem Beduͤrf - niſſe waͤhlen. Wer eine gute Bruſt hat, be - ſteigt, der ſchoͤnen Ausſicht wegen, die umlie - genden Berge, beſonders den Kreutzberg, der die weitlaͤuftigſte gewaͤhrt; wer das Steigen nicht liebt oder nicht ertraͤgt, verfolgt das Thal, in welchem die Toͤpel herabkoͤmmt, uͤber ange - nehme Wieſen, die an beyden Seiten durch89 bald hoͤhere, bald niedrigere Berge und Anhoͤ - hen eingeſchloſſen werden. Dieſe ſind mit Na - del - und Laubholz beſetzt, oder mit Getreide beſaͤet, neben und unter welchen große und kleine Granitmaſſen hervorragen. Man koͤmmt bald, wenn man aus der vierfachen Allee hin - ter den Beluſtigungsſaͤlen heraus iſt, links vor einer artigen Felſenanlage vorbey, die mit ei - nigen Luſthaͤuschen, mit einer Klauſe, mit ei - nem Altare, mit ſteinernen Tiſchen und dergl. beſetzt, und der regierenden Herzogin von Kur - land, Dorotheen, die, ſeit einigen Jahren her, die Seele und Zierde von Karlsbad war, gewidmet iſt. Einige Schritte weiter hin wen - det ſich das Thal rechts, und man koͤmmt vor einer andern Anlage vorbey, die erſt ſeit dem vorigen Herbſte vorhanden iſt. Ein klei - ner Garten ſchließt ein ganz angenehmes Luſt - haͤuschen und ein groͤßeres Wirthſchaftsgebaͤude ein, in welchem man Eß - und Trinkwaaren fuͤr einzelne Perſonen und, wenn vorher beſtellt worden, fuͤr ganze Geſellſchaften findet. Wei -90 ter hin kommt man durch ein ſchattigtes Wal - digt, mit Granitwacken beſaͤet, unter denen, auf einer romantiſchen Stelle, der Freund - ſchaft ein Sitz und Altar von einer Frau errichtet iſt, die dieſe wohlthaͤtige Gottheit kennt und verehrt, und befugt war, ihr, die uͤber den modernen Goͤttern und Goͤttinnen, welche die Menſchen jetzt anbeten, faſt vergeſ - ſen worden, in dem ſchoͤnen Pantheon der Natur ein prunkloſes Plaͤtzchen zu weihen. Weiterhin erhellt und erweitert ſich das Thal und man gelangt zu einer Papiermuͤhle, dem Ziele des Spatziergangs, deren Bewohner ehedem die Wanderer froͤhlich aufnahmen, jetzt aber, da auch Menſchen dahin kamen, die kein Gefuͤhl fuͤr gutmuͤthigen Empfang und den dafuͤr zu zollenden Dank hatten, und das fuͤr Pflicht hielten — was gute Her - zen aus innerm Antriebe thaten, ſich zuruͤck gezogen, und ihre einſame Woh - nung dem Genuſſe Anderer verſchloſſen haben.
91Des Spatziergangs am Abhange der Ber - ge habe ich ſchon oben erwaͤhnt. Er fuͤhrt an den Felſen, die am linken Ufer der Toͤpel liegen, herum, gewaͤhrt eine Ueberſicht uͤber den groͤßeſten Theil der Stadt, und endigt ſich faſt dem Schloſſe gegen uͤber. Die Brun - nengaͤſte, die auf der Wieſe wohnen, koͤnnen aus dem zweyten und dritten Stock ihrer Haͤu - ſer auf dieſen Spatziergang gelangen, der aber hypochondriſchen, ſchwindlichten, oder auch nur furchtſamen Perſonen, nicht empfohlen werden kann, da er ſehr ſchmal iſt, da an einigen Stellen die Einfaſſungen niedergefallen oder von Regenſtroͤmen weggeriſſen ſind, und da die großen Felſenſtuͤcke, die einem uͤber dem Haupte, auf verwitterten Grundlagen, ſchwe - ben, bey jedem Windſtoß, herunter zu ſtuͤrzen drohen. In der That ſind die Haͤuſer, die an dem Fuße dieſes Felſen ſtehen, in augen - ſcheinlicher Gefahr, uͤber kurz oder lang ein - mal von ſolchen abgeriſſenen Steinklumpen zerknirſcht zu werden.
92Man geht oder faͤhrt auch haͤufig nach Fi - ſchern, einem kleinen Dorfe, drey Viertel - ſtunden von Karlsbad gelegen, wo man ſich an guten Fiſchen fuͤr die Faſten erholen kann, die einem die Speiſewirthe in der Stadt auf - erlegen.
Ungefaͤhr anderthalb Meilen von Karlsbad liegt Engelhaus, ein kleiner Ort mit den Truͤmmern eines alten Schloſſes, die auf ei - nem ziemlich ſteilen Porphyrſchieferberge ver - wittern, von dem herab man eine weitlaͤuftige, etwas wilde, Ausſicht uͤber die umliegenden ſchwarzen Berge genießt. Unten am Berge iſt ein Wirthshaus, wo zahlreiche Geſellſchaften bewirthet werden koͤnnen, wenn ſie vorher an - ſagen laſſen, oder wenn ſie ihre Beduͤrfniſſe ſelbſt mitbringen.
Man faͤhrt auch haͤufig nach Schlacken - werth, um ſich in dem dortigen großen Gar - ten zu beluſtigen.
Die Tagesordnung in Karlsbad iſt fol - gende:
93Man ſteht zwiſchen fuͤnf und ſechs Uhr auf und verfuͤgt ſich zu dem Brunnen, den der Brunnenarzt, oder man ſich ſelbſt, verord - net hat. Hier trinkt man nach eigenem Gut - duͤnken, oder nach Vorſchrift des Arztes, fuͤnf zehn, funfzehn bis zwanzig Becher, je nach - dem man ſtark oder ſchwach iſt, je nachdem die Wirkung ſchneller oder langſamer erfolgt. An Unterhaltung dabey, wenigſtens an eine unabgebrochene, iſt nicht zu denken, da ſie der letzt erwaͤhnte Umſtand unmoͤglich macht. Je - der iſt mit der Anzahl der getrunkenen Becher und deren Wirk - oder Unwirkſamkeit beſchaͤf - tigt, und will man einander ja ein Wort an - gewinnen, ſo verhindert es ein Gang, den man zu machen nicht unterlaſſen kann.
Gegen acht Uhr wird es an den verſchie - denen Quellen von Trinkern ganz leer. Es iſt eine von den hieſigen Aerzten vorgeſchriebe - ne Regel, eine Stunde zu Hauſe zu bleiben und ſich abzuwarten, ehe man ſich in einem der Saͤle ein Fruͤhſtuͤck ſucht; oder auch, eine94 Stunde in einem ſtoßenden Wiener Wagen, deren man bey dem hieſigen Poſtmeiſter meh - rere findet, herum zu fahren. Giebt es ein Fruͤhſtuͤck mit Muſik und Tanz in einem der Saͤle, ſo kann man ſich dort die noͤthige Be - wegung verſchaffen. Will man nicht Theil daran nehmen, oder iſt man nicht dazu einge - laden, ſo geht man ſpatzieren, oder ſetzt ſich an einen Spieltiſch, oder ſpielt Billard, oder reitet, oder nimmt Theil an einer Unterhal - tung in der Allee. Wer bloß beobachten will, nimmt einen Platz auf einer der dort ſtehenden Baͤnke ein, und laͤßt die jungen und alten Pa - tienten vor ſich voruͤber reiten, fahren, ſprin - gen und hinken, einen jeden nach ſeiner Weiſe. Denn hier zeigt der Brunnengaſt, der einen huͤbſchen Englaͤnder hat, ſeinen Englaͤnder, und ſich ſelbſt, indem er mit ihm uͤber einen Verſchlag ſpringt; hier zeigt ein anderer, der einen ausgeſuchten Poſtzug beſitzt, ſeine ſtolzen Gaule, indem er in den aͤußern Gaͤngen, auf einem erhabenen Throne, von vier Raͤdern ge -95 tragen herum ſchwimmt; hier zeigt ein drit - ter ſeine beyden großen Uhrketten und ſeinen kleinen zierlichen Frack, mit denen er das Au - ge von den Gichtknoten an ſeinen Spindel - fuͤßen gern abziehen moͤchte; hier zeigt ein ſelbſtzufriedener Doktor und Profeſſor durch ſchnelles Hin - und Wiederlaufen zu vornehmen Herren und Damen, daß ſeine Krankheit noch immer nicht in die Fuͤße herab will; hier zeigt ein beſcheidener Dorfpfarrer, ſeine altmodiſche Haͤlfte am Arme, und in den entferntern Al - leen wie auf den Zehen herumtrippelnd, daß er wenig Vertrauen mehr zu ſeinem Amte habe; hier zeigt der alte Podagriſt, zierlich friſirt, den Hut unterm Arm, die Fuͤße in Sammet geſchnuͤrt, einen Becher Chokolade zwiſchen den ſpitzen Fingern haltend, jedem huͤbſchen jungen Maͤdchen was Schoͤnes erzaͤh - lend, daß bey ihm die Strafe fuͤr ſeine Suͤn - den den guten Willen zu ſuͤndigen noch nicht ausgebiſſen hat; hier zeigt endlich der Menſch — der krank iſt — alle ſeine junge und alte96 Gebrechen, Schwachheiten und Narrheiten of - fener und ſcheuloſer, weil er, da er krank iſt, weniger auf ſeiner Hut bleibt, oder weil er glaubt, daß man ihm in dieſem Zuſtande mehr verzeihen werde.
Dieß Schauſpiel dauert bis gegen zwoͤlf Uhr, wo man nach Hauſe eilt, um ſeinen ſchmalen Biſſen zu eſſen. Nach dieſem Ge - ſchaͤft iſt es erlaubt, einige Minuten zu ſchlum - mern, aber nicht, foͤrmlich zu ſchlafen. Die Damen gehen an den Putztiſch und kleiden ſich zum Ball, der um vier Uhr ſeinen An - fang nehmen ſoll. Die Herren, die Theil dar - an nehmen wollen, ſetzen ſich etwas ſpaͤter zu demſelben Geſchaͤfte. Andere ſchreiben Briefe, doch ſind ſie auf ihrer Huth gegen den Brun - nenarzt, der alles Denken und Schreiben waͤh - rend der Kur unterſagt hat; andere haben ei - nen Spatziergang, eine Landfahrt und ein gemeinſchaftliches Abendeſſen verabredet; andere etwas anderes. So vergeht der Nachmittag und ein Theil des Abends. Gegen neun Uhriſt97iſt der Ball zu Ende, die Spatziergaͤnger oder Spatzierfahrer kommen in die Stadt zuruͤck, diejenigen, die nicht außer derſelben geweſen ſind, gehen noch einigemal auf der Wieſe, oder in der Allee, auf und ab, und nach neun Uhr endlich ſucht jedermann ſein Bette.
Der Ton der Badegeſellſchaft iſt ſich nicht zu allen Zeiten gleich. Jede Erneuerung der - ſelben bringt einen andern mit, und ſolche Er - neuerung wird ungefaͤhr alle vier Wochen ſichtbar. Was von der aͤltern Geſellſchaft uͤbrig bleibt, haͤlt zuſammen, und erwartet die Annaͤherung der Neuangekommenen. Dieſe ſind eingefuͤhrt, ſo bald ſie ihr Ankunftsbillet herum geſchickt haben. Aber die Freyheit und Gleichheit des Badelebens iſt hier weniger zu finden, als anders wo. Man erkundigt ſich nach Geburt, Stand und Wuͤrde; man macht Ausnahmen, man hoͤrt kleine Klaͤtſchereyen an und macht dergleichen; man giebt ausſchlie - ßend Baͤlle, Pickenicke, Koncerte. Kommen beſonders regierende Perſonen hieher, ſo iſtFuͤnftes Heft. G98die Geſellſchaft ſogleich geſpalten. Es bilden ſich Hoͤfchen, die auf einander eiferſuͤchtig ſind; man macht kleine Raͤnke, bekrittelt ſich, ſucht oder erdichtet Laͤcherlichkeiten; mit einem Worte: man ſpielt das gewoͤhnliche armſelige Spiel, das den mitverwickelten Perſonen unendlich wichtig ſcheint. In der Grundlage der hieſi - gen Badegeſellſchaft waren von jeher zwey Ur - ſachen zur Spaltung, jetzt geſellen ſich noch zwey neue hinzu. Es kommen naͤmlich hieher nicht Kranke ſchlechtweg, ſondern Kranke von der Boͤhmiſchen Nation und Kranke von der Saͤchſiſchen; jetzt kom - men noch Kranke von der Kurlaͤndiſchen und von der Polniſchen Nation. Jede dieſer Nationen will die erſte ſeyn, und dieje - nige unter ihnen, die etwa eine regierende Perſon aus ihrem Lande, oder einer verwand - ten Provinz, an der Spitze hat, iſt freylich ohne Widerſpruch die maͤchtigſte und glaͤnzend - ſte, moͤchte auch gerne das meiſte gelten. Sie giebt alſo die zahlreichſten Baͤlle und Fruͤh -99 ſtuͤcke, kommt deshalb oft wegen des dazu noͤ - thigen Lokals mit den andern in Reibung, oder zieht die eine der andern vor. Welch ein Ver - brechen! Sogleich iſt der Krieg erklaͤrt! Zum Gluͤck wird er ſo laͤcherlich, wie gewoͤhnlich gefuͤhrt, und er kommt der Geſundheit der unbefangen gebliebenen Kranken vortrefflich zu ſtatten. Die unterliegenden Theile verlaſſen Karlsbad, voll Zorn und Rachſucht, die zu einer andern Zeit, wenn ſie einmal die Staͤrk - ſten und Reichſten ſind, ausbrechen ſollen! Man ſieht, von welchem Theile der Badege - ſellſchaft ich ſpreche.
Der andere Theil genießt des Brunnens und des Lebens beſſer. Jeder haͤlt mit jedem zuſammen; und Rath und Kaufmann, Pre - diger und Verwalter, Kloſterbruder und Su - balternofficier ſtehen auf dem freundſchaftlich - ſten Fuße. Dies Verhaͤltniß war in dem lau - fenden Jahre um ſo feſter, da auch hier, wie anderwaͤrts, die unſelige Ariſtokraten - und Ja -G 2100kobinerſpaͤhungsſucht auf beyden Seiten, kein Ziel und keine Maͤßigung kannte.
Schluͤßlich kann man annehmen, daß, bin - nen dem oben angegebenen Zeitraume, unge - faͤhr ſechs bis ſiebenhundert Perſonen den Karlsbader Brunnen getrunken haben. Viele reiſen geheilt ab, viele ungeheilt, aber immer mit dem Troſte der Brunnenaͤrzte, daß ſie ge - ſund ſeyn werden, wenn ſie erſt von Karlsbad weg ſind, oder wenn ſie das kuͤnftige Jahr wieder kommen.
Den 9ten des Julius reiſ'te ich von Karls - bad ab, auf Bayreuth. Die naͤchſte Poſt war Zwoda. (3 M.) Der Weg dahin laͤuft, auf einem ſteinigten Boden und durch Hohlwege, in dem Thale fort, das ſich zwiſchen dem Voigtlaͤndiſchen und dem Boͤhmer Waldgebirge hinzieht, und hier und da Berge und Huͤgel von der dritten Ordnung zeigt. Was an die - ſem Wege von bebauetem Lande liegt, iſt ſehr fruchtbar und zeigte Saaten von ungewoͤhnli - cher Staͤrke und Hoͤhe. Zwiſchenher findet101 man aber Stellen, die nur ein ſpaͤrliches, wie verbranntes, duͤrres Gras hervorkeimen laſ - ſen, die aber bald wiederum durch daran ſto - ßende Strecken angenehmer, blumigter, fetter Wieſen erſetzt werden. Wenn man ungefaͤhr eine halbe Meile gefahren iſt, ſo koͤmmt man an die Eger, und zugleich oͤffnet ſich das Thal derſelben, deſſen Abhaͤnge, da ſie dicht mit Fichten beſetzt ſind, einen ſehr finſtern Anblick geben. Iſt man uͤber dieſen Fluß, ſo geht es uͤber mittelmaͤßige Anhoͤhen bald hinan, bald hinab, auf einem Wege, der wenig Spuren von Sorgfalt verraͤth, und da, wo er ſie ver - raͤth, ſo liederlich gemacht, ſo an den Seiten und in der Mitte mit großen Steinen beſchuͤt - tet iſt, daß man ihn gern mit einer natuͤrli - chen Straße vertauſchte. Dieſe Sorgloſigkeit iſt um ſo unbegreiflicher, da man ſie ſonſt in den kaiſerlichen Staaten nicht findet, und da man hier alles in der Naͤhe hat, was zu dem dauerhafteſten Straßenbau gehoͤrt: feſtes Ge - ſtein, meiſt Granit, Baſalt und Gneus, und102 wohlfeile Haͤnde. Gegen die Mitte der Poſt, werden die Anhoͤhen betraͤchtlicher und zugleich angenehmer. Sie ſind theils behoͤlzt, theils angebauet, und haben zu ihren Fuͤßen meh - rentheils fruchtbare Thaͤler. Man findet hier große Strecken mit Hopfen bepflanzt, der in dieſer Gegend am beſten in Boͤhmen geraͤth. Faſt jedes dieſer Thaͤler iſt mit einem oder zwey Doͤrfchen beſetzt, die bey weitem nicht ſo armſelig ſind, als man ſie in einigen an - dern Gegenden von Boͤhmen findet.
Zwoda, ein Dorf, liegt in ſolch einem Thale, und hat zur Seite, auf ein paar Buͤch - ſenſchuͤſſe, das Staͤdtchen Falkenau, das einem Grafen von Noſtitz gehoͤrt.
Von Zwoda kam ich auf Eger. (3 M.) Der Weg iſt ſteinigt und ungemacht, und der Geſichtskreis wird durch Berge beſchraͤnkt, die großentheils bis zum Gipfel hinauf angebauet ſind, und an deren Wurzeln ſich angenehme Thaͤler bilden. Hinter dem Dorfe Ziegen - gruͤn geht es bergab in ein groͤßeres Thal,103 eines der angenehmſten und fruchtbarſten, die ich je geſehen habe. Auch bemerkt man bald an der hieſigen Menſchengattung, daß ſie, von Gott und ihrer politiſchen Verfaſſung verſorgt, gut leben. Ihre Tracht iſt ganz die Tracht der Bauern im Altenburgiſchen. Es ſind ge - ſunde, ſtarke Leute, mit einem offenen und nicht ſo abſcheulich demuͤthigen Weſen, wie man es noch an den Bewohnern des naͤchſten Dorfes vor dem Eintritt in ihren Kreis be - merkt. Sie haben aber auch mehr Freyhei - ten. Sie thun keine Frohndienſte, ſondern fuͤhren ihre Pflichten in Gelde ab. Ihre Doͤr - fer ſind klein, nicht uͤber acht bis zehn Fami - lien ſtark, aber dafuͤr deſto haͤufiger, ſo daß man in einem geringen Umfange ihrer zehen bis zwoͤlf mit Einem Blicke uͤberſieht. Ein oͤſterreichiſcher Hauptmann, der ſich auf dem Wege zu mir fand, verſicherte mir, es waͤre mit dieſen Leuten gar nichts anzufangen; ſie waͤren trotzig, ſtoͤrriſch und ließen ſich gar nichts gefallen; er wolle lieber mit den104 Bauern in Gallizien zu thun haben u. ſ. w. Das glaubte ich gern; aber ich ſah die Sache aus einem andern Geſichtspunkt an, und pries dieſe guten Landleute gluͤcklich, von den Geſe - tzen ſo geſchuͤtzt zu ſeyn, daß ſie ſich nichts gefallen laſſen duͤrfen.
Dieſes ſchoͤne Thal dauert bis Eger fort. Man erblickt dieſe Stadt erſt, wenn man nur noch eine Stunde davon entfernt iſt. Sie liegt am Abhang einer Anhoͤhe, thut keine ſonderliche Wirkung von außen, und hat eine altmodiſche, raͤuchrige, menſchenleere Anſicht von innen. Die Haͤuſer ſtrecken die Giebel nach der Straße heraus, haben ungeheure Dachrinnen dazwiſchen und ſind meiſt zwey bis drey Stock hoch. Als Feſtung gehoͤrt dieſe Stadt zu den unbedeutenden, und eine maͤßige Artillerie muͤßte ſie leicht bezwingen, wenn ſie auf den naͤchſten Anhoͤhen aufgepflanzt wuͤrde.
Bade - und Brunnen-Gaͤſte zu empfangen, iſt die Stadt nicht eingerichtet, allenfalls nur fuͤr wenige. Eben ſo der beruͤhmte Sauer -105 brunnen ſelbſt, der drey Viertelſtunden davon entfernt liegt. Wenn man die boͤhmiſche Sorg - loſigkeit nicht kennte, ſo muͤßte man ſich wun - dern, wie dieſer heilſame Quell eine Anſtalt zur Seite haben kann, die in der That alles uͤbertrifft, was man ſich an Schmutzigkeit, elender Bedienung, unſaubern Betten ꝛc. nur denken kann. Das Brunnenhaus iſt klein und enge, und ſteht einzeln, ohne von einem Bau - me beſchattet zu ſeyn, im freyen Felde. Seit langen Jahren hat man es ſo ſtehen laſſen, und jetzt erſt faͤngt man langſam an, den Brunnen ſelbſt mit einem Pavillon zu uͤber - bauen, und ein paar ſchmale Wege mit Sand zu beſtreuen und mit Baͤumen zu einem Spa - tziergange zu bepflanzen. Auch hat man, ober - halb dem Kurhauſe, den Grund zu Wohnhaͤuſern gelegt, und den Raum zu Alleen und zu einem kleinen Luſtgehoͤlze abgeſteckt; und ſo fangen denn die Egerer endlich an, das Geſchenk zu erkennen, das ihnen die Natur mit dieſer Quelle gemacht hat. Sie gehoͤrt nemlich der106 Buͤrgerſchaft von Eger. Uebrigens iſt die Ge - gend umher ſehr reizend; es iſt ein weites, fruchtbares Thal, in der Naͤhe und Ferne mit anmuthigen Huͤgeln umgeben, auf deren Gip - feln anſehnliche Kloͤſter und Schloͤſſer ſich zei - gen.