PRIMS Full-text transcription (HTML)
Problematiſche Naturen.
Problematiſche Naturen.
Roman
Zweiter Band.
Berlin.Verlag von Otto Janke. 1861.
[1]

Erſtes Kapitel.

Es waren ſeit dieſem Abend einige Tage verfloſſen.

Bemperlein war mit Julius nach Grünwald ab¬ gereiſt und hatte von dort aus ſchon an Melitta und an Oswald geſchrieben, der Erſteren, um zu melden, daß ſein Zögling in der ſehr liebenswürdigen Familie eines Beamten, der zwei Söhne faſt in demſelben Alter, wie Julius, habe, glücklich untergebracht ſei, an Oswald, daß er eine höchſt intereſſante Unter¬ redung mit Profeſſor Berger gehabt habe, deren In¬ halt er ſeinem neuen Freunde mittheilen wolle, wenn er in nächſter Woche nach Berkow zurückkäme, um definitiv Abſchied zu nehmen. Nur ſo viel wolle er ſagen, daß er in ſeinem Entſchlüſſe feſter wie je ſei und kaum die Zeit erwarten könne, ſich Hals über Kopf in ſeine neuen Studien zu ſtürzen.

Den Tag nach Herrn Bemperlein's Abreiſe war der Geometer von Grünwald in Grenwitz angekommen. F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 12aber nur ein paar Stunden geblieben, um mit dem Baron und der Baronin zu conferiren, und dann nach dem zweiten Gute, das vermeſſen werden ſollte, ge¬ fahren, wo er für's erſte ſein Wigwam aufſchlagen müßte, wie er zu Oswald ſagte. Oswald hatte in dem Geometer einen ſehr lebhaften, witzigen und wie es ſchien, ſehr beleſenen und vielfach gebildeten, noch jungen Mann kennen gelernt, und er freute ſich, dieſe Bekanntſchaft fortſetzen zu können, da Herr Timm in kurzer Zeit nach Grenwitz kommen mußte, um die Karten und Pläne zu zeichnen. Schon waren von der ſtets weit vorausſchauenden Baronin zwei Zimmer in demſelben Flügel des Schloſſes, in welchem Oswald wohnte, für ihn beſtimmt und mit großen Tiſchen u. ſ. w. ſchicklich eingerichtet.

Auf den Sonntag waren die Herrſchaften von Grenwitz nebſt Herrn Doctor Stein zu Herrn von Barnewitz, dem Vetter Melitta's, eingeladen. Oswald hatte große Luſt gehabt, dieſe Einladung rundweg auszuſchlagen, und hatte ſich nur auf Melitta's Zu¬ reden bewegen laſſen, von der Partie zu ſein.

Was ſoll ich dort? hatte er zu Melitta geſagt, man ladet mich nur ein, entweder weil es an Tän¬ zern fehlt, oder um dem alten Baron eine Höflichkeit zu erweiſen, in keinem Fall um meiner ſelbſt willen. 3Ich werde in der Geſellſchaft wie ein Mohikaner unter den Irokeſen, wie ein Spion im Lager an¬ geſehen werden. Ich kenne den Adel. Der Adlige iſt nur höflich und liebenswürdig gegen den Bürger¬ lichen, ſo lange er mit ihm allein iſt; ſind mehre Adlige bei einander, ſo fließen ſie zuſammen wie Queckſilber und kehren gegen den Bürgerlichen den esprit de corps heraus. Ich ſage Dir, Melitta, ich kenne die Adligen und ich haſſe die Adligen.

Aber Du liebſt doch mich, Oswald, und ich ge¬ höre doch auch zu der verfehmten Klaſſe.

Leider, ſagte Oswald, und es iſt das der einzige Fehler, Du Holde, den ich an Dir habe ent¬ decken können. Aber dann biſt Du ſo engelgut und lieb, und da gehſt Du durch dieſen Schwefelpfuhl, ohne auch nur den Saum Deines leuchtenden Ge¬ wandes zu beflecken. Und ſo ſehr Du auch im Ver¬ gleich mit dieſen eitlen, dummen Pfauen gewinnen mußt, ſo fürchte ich doch, daß von dem feurigen Haß, den ich gegen die ganze Sippſchaft habe, unverſehens auch ein Funken auf Dich ſpritzen könnte. Jetzt biſt Du mir eine Königin, eine Chatelaine, die aus ihrem Schloß ſich weggeſtohlen hat, den Herzallerliebſten flüchtig zu umarmen, und ich vergeſſe Deinen Rang, Deine Hoheit hier in dieſer traulichen Waldeinſamkeit. 1*4Du biſt mir nur das geliebte angebetete Weib, die Krone der Schöpfung, biſt, was Du mir auch im Ge¬ wande der Bettlerin ſein würdeſt dort aber im kerzenerhellten Saale, umgeben von Deinen Granden, von Allen gehuldigt und gefeiert, kann ich meine Augen vor dem Glanze nicht verſchließen, und werde ſchmerz¬ lich daran erinnert werden, daß ich aus meiner Nie¬ drigkeit nicht hätte wagen ſollen, ſie zu ſolcher Höhe zu erheben.

Sieh, Oswald, ſagte Melitta, und ihre Augen ruhten feſt in den ſeinen; iſt das nun gut von Dir? Spotteſt Du nicht meiner, indem Du ſo ſprichſt? Höre ich es nicht in dem herben Ton Deiner Stimme, ſehe ich es nicht an dem unruhigen Blitzen Deiner Augen, das ſo ſeltſam mit ihrem ſonſtigen tiefen, klaren Licht contraſtirt, daß Du recht wohl fühlſt, wie Du traft Deines Geiſtes, kraft Deiner ſtolzen männlichen Schönheit und Stärke unter uns Anderen einher¬ ſchreiteſt, wie der geborene Herrſcher? Ich habe mich Dir ergeben mit Leib und Seele, Du biſt mein Herr und Gebieter, ich würde mich ſelbſt Deiner tollſten Laune willig fügen, ich würde von Dir das Bitterſte ertragen, von Deiner Hand würde mir der Tod nicht grauſig ſein aber weshalb auch nur einen Tropfen Wermuth in den Kelch der Liebe miſchen,5 aus dem ich mit ſo vollen, durſtigen Zügen ſchlürfe. Oswald ſpotte meiner nicht!

Ich ſpotte Deiner nicht, Melitta; ich bin von Deiner Liebe überzeugt, trotz dem, daß ich ſie, weiß Gott, wenig verdiene; ich weiß, daß Deine Liebe de¬ müthig iſt, wie es die Liebe iſt, die Alles duldet und Alles glaubt, und nimmer aufhören wird aber ſieh, Du Theure, das iſt ja eben der Fluch dieſer ver¬ ruchten Inſtitutionen, daß ſie Haß und Zwietracht und Mißtrauen ſäen in die Herzen der Menſchen, ſelbſt in ſolche Herzen, die von Gott für einander geſchaffen ſcheinen. Und dieſer giftige Samen wuchert auf und überwuchert der Liebe rothe Roſen. Ich ſchelte Dich nicht, daß dem ſo iſt, ich ſchelte überhaupt keinen Einzelnen, der ja, ohne es vielleicht zu wiſſen, unter dieſer naturwidrigen Trennung ebenſo leidet wie ich. Aber daß dem ſo iſt, davon ſei überzeugt. Nie wird der Katholik in dem Proteſtanten, nie der Adlige in dem Bürgerlichen, nie der Chriſt in dem Juden und umgekehrt wahrhaft ſeines Gleichen ſehen ſeinen Bruder! Nathan's frommer Wunſch, daß es dem Menſchen doch endlich genügen möchte, ein Menſch zu ſein, iſt noch lange nicht erfüllt, wer weiß, ob er in Jahrhunderten erfüllt ſein, ob er ſich auch nur jemals erfüllen wird.

6

Und bis dahin, ſagte Melitta in ihrem gewöhn¬ lichen ſchalkiſchen Ton, Oswald das Haar aus der Stirn ſtreichend, bis dahin, Du träumeriſcher Träu¬ mer und unverbeſſerlicher Weltverbeſſerer, wollen wir die kurzen Augenblicke genießen, und deshalb mußt Du morgen nach Barnewitz kommen. Bitte, bitte, lieber Oswald, ich will auch nur mit Dir ſprechen, nur mit Dir tanzen ich muß in dieſe eine Geſellſchaft gehen, um das Recht zu gewinnen, zehn andere auszuſchlagen, in denen ich in denen ich mich weniger frei fühlen würde, wie gerade in dieſer. Und ohne Dich habe ich nicht den mindeſten Genuß davon, im Gegen¬ theil, ich werde traurig ſein, wie ein Vögelchen, das man der Freiheit beraubt und in ein enges Bauer geſteckt hat. Wenn Du aber da biſt, liebes Herz, ſo will ich fröhlich ſein, und tanzen und ſingen nein, ſingen nicht, aber hübſch will ich ſein ſehr hübſch, und Alles Dir zu Ehren; ſoll ich weiß ge¬ hen? mit einer Camelie im Haar, oder einer Roſe? Du haſt mir noch gar nicht geſagt, wie Du mich am liebſten ſiehſt? Gott, welch 'hölzerner Ritter Du biſt.

Am nächſten Tage, es war ein Sonntag, Nach¬ mittags um 5 Uhr, hielt der Staatswagen vor dem Portale des Schloſſes in Grenwitz. Die ſchwerfälligen7 Braunen hatten das beſte Geſchirr mit den neuſilbernen Beſchlägen aufgelegt bekommen, der ſchweigſame Kut¬ ſcher ſeine Galalivree angezogen; der Baron den ſchwarzen Frack, in deſſen Knopfloch das Band des Ordens, den er bei irgend einer geheimnißollen Ge¬ legenheit von irgend einem der deutſchen Duodezfürſten bekommen hatte, und die Baronin ſelbſt ausnahms¬ weiſe eine Toilette gemacht, die ſie denn doch nur fünf Jahre älter erſcheinen ließ, als ſie wirklich war. Nachdem der nöthige Ballaſt von Mänteln und Shawls für die Rückfahrt eingenommen war, und die Baronin noch einmal vom Wagen aus Mademoiſelle Marguerite, die, wie es Oswald ſchien, viel lieber mitgefahren wäre, feierlich mit der Würde einer Caſtellanin belehnt und ein kurzes Examen von zehn Minuten angeſtellt hatte, um zu prüfen, ob die hübſche kleine Franzöſin auch noch alle die Verhaltungsmaßregeln für gewiſſe, genau ſtipulirte Fälle ordentlich im Kopfe habe ſetzte ſich das Fuhrwerk mit demjenigen Tempo in Bewegung, welches dieſer feierlichen Gelegenheit, dem Temperament der Braunen und den Grundſätzen des ſchweigſamen Kutſchers entſprach. Als ſie unter der Brücke wegfuhren, brachte Bruno, der Malten und ein paar Bauerknaben, die im Garten Unkraut gäte¬ ten, hier poſtirt hatte, den Davonziehenden ein ſo¬8 lennes dreimaliges Hurrah, ein Einfall, der ſelbſt die Lippen der Baronin zu einem Lächeln zu bewegen ver¬ mochte. Ueberhaupt war dieſe Dame, wahrſcheinlich um ſich auf die Geſellſchaft vorzubereiten, heute in der beſten und mittheilſamſten Stimmung. Sie fand das Wetter herrlich, nur ein wenig zu warm, den Weg vortrefflich, nur ein wenig zu ſtaubig; ſie freute ſich ſchon auf die Abendkühle beim Heimwege, nur fürchtete ſie, daß ſich bis zu der Zeit ein Gewitter zuſammengezogen haben würde, da ihr eine Wolke am weſtlichen Horizont ein ſehr verdächtiges Ausſehen zu haben ſchien. Darauf wurde die Frage erörtert, ob Fräulein Marguerite, wenn wirklich ein Gewitter aus¬ brechen ſollte ein Fall, für den ſie keine Inſtruc¬ tionen hatte wol die Fenſter in den Geſellſchafts¬ räumen im oberen Stock ſchließen laſſen, und über¬ haupt ihre Schuldigkeit thun würde. Da es nicht möglich war, eine Stimmenmehrheit zu erzielen, indem die Baronin die aufgeworfene Frage entſchieden ver¬ neinte, Oswald ſie eben ſo entſchieden bejahte, und der alte Baron ſich keine beſtimmte Anſicht zu bilden vermochte, ſo gab man die Debatte über dieſen Punkt auf und ging zur Erörterung des nicht weniger wich¬ tigen Punktes über, ob ſich der Graf Grieben von ſeinem akuten Rheumatismus wol ſo weit erholt haben9 würde, um an dem heutigen Zauberfeſt in Barnewitz Theil zu nehmen, oder nicht. Von dem Rheumatis¬ mus des Grafen Griebenk kam man dann auf die Gicht des Barons von Trantow und von dieſer ganz allmälig in den allbekannten Familienklatſch, der unter dem hohen und niedrigen Adel eben ſo im Schwunge iſt, wie bei Gevatter Schneider und Handſchuhmacher, nur daß man dort über von Hinz und von Kunz und hier ſchlechtweg über Hinz und Kunz ſpricht. Oswald hatte ſonſt die Gewohnheit, ſobald das Geſpräch auf dies beliebte Thema kam, nicht länger aufzumerken, und er hatte es in dieſer wichtigen Kunſt, zu hören und doch nicht zu hören, während der kurzen Zeit ſeines Aufenthaltes in Grenwitz ſchon zu einer be¬ deutenden Fertigkeit gebracht; heute aber, da er die Perſönlichkeiten, von denen er ſchon ſo oft gehört hatte, ſelber ſehen ſollte, war dies Thema nicht mehr ſo ganz unintereſſant für ihn, wie ſonſt, um ſo we¬ niger als Melitta's Namen zu wiederholten Malen genannt wurde. Er erfuhr bei dieſer Gelegenheit, daß Herr von Barnewitz und Melitta Geſchwiſterkinder wären, Melitta's Vater, der Bruder des alten Herrn von Barnewitz, welcher Herrn Bemperlein die Pfarre zugedacht hatte, Offizier in ſchwediſchen Dienſten ge¬ weſen, als ſolcher die Feldzüge gegen Napoleon mit¬10 gemacht und bald nach der Vermählung Melitta's mit Herrn von Berkow geſtorben ſei.

Uebrigens weißt Du, Grenwitz, ſagte die Baro¬ nin, Melitta wird heute nicht da ſein.

Oswald horchte hoch auf.

Woher weißt Du das, liebe Anna-Maria? ent¬ gegnete der Baron.

Ich habe mir von dem Bedienten die Einladungs¬ liſte geben laſſen, wie ich das immer thue, um zu wiſſen, wen man denn finden wird, und ſie ſorgfältig durchgeleſen. Frau von Berkow war nicht darauf verzeichnet.

Das wird ein Verſehen geweſen ſein.

Ich glaube nicht; Du weißt, Melitta und ihre Couſine ſind gerade nicht die größten Freundinnen, es wäre nicht das erſte Mal, daß man Melitta über¬ gangen hätte; aber dafür wird eine andere merk¬ würdige Perſönlichkeit zu finden ſein; rathe einmal, Grenwitz.

Der Fürſt von P., ſagte der alte Baron halb erſchrocken, und bedauerte ſchon heimlich, nicht den Orden ſelbſt und blos das Ordensband angelegt zu haben, doch nicht der Fürſt von P.?

Nein! Rathen Sie einmal, Herr Doctor.

Der Mann aus dem Monde?

11

Eine beinahe nicht weniger merkwürdige Perſon: der Baron Oldenburg; ſein Name ſtand, wie es ſich gehört, auf der Liſte gleich nach unſerem Namen.

Die Oldenburg's ſind ein alter Adel? fragte Oswald, der den Sinn jener Reihenfolge ſchon ver¬ muthete.

Die Oldenburg's ſind nach den Grenwitzen's der älteſte Adel hier im Lande, ſagte die Baronin mit einem unendlichen Selbſtgefühl. Die Grenwitzen's können ihren Stammbaum bis in den Anfang des zwölften Jahrhunderts verfolgen, die Oldenburg's ſind erſt aus dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts, wo Adalbert, der Stammvater des Geſchlechts, von dem Kaiſer zum Reichbaron erhoben wurde.

Woher der Name Oldenburg? fragte Oswald.

Den Oldenburg's fehlt blos die Legitimität, um heut zu Tage ſo gut ſouverän zu ſein, wie viele Andere, die urſprünglich auch nur reichsfrei waren, wie wir.

Und was macht den Baron, abgeſehen von ſeiner erlauchten Abſtammung, zu einer ſo merkwürdigen Per¬ ſönlichkeit? fragte Oswald.

Die Baronin kam durch dieſe Frage einigermaßen in Verlegenheit. Das, was in ihren Augen vor allem merkwürdig am Baron erſchien, nämlich ſeine ſouve¬ räne Verachtung gegen Rang und Stand, ſein ſar¬12 kaſtiſches, höhniſches Weſen, ſeinen Standesgenoſſen gegenüber, deren Verehrung vor ſeinem altehrwür¬ digen Adel dadurch manchmal auf eine harte Probe geſtellt wurde dieſer merkwürdige, ja in ihren Augen geradezu unnatürliche Zug eignete ſich nicht zum Gegenſtand der Unterhaltung mit einem Bürger¬ lichen. Sie begnügte ſich alſo mit der vieldeutigen Antwort:

Der Baron hat über die meiſten Dinge die ſon¬ derbarſten Anſichten von der Welt, ſo daß man manch¬ mal wirklich für ſeinen Verſtand bange wird.

In dieſem Augenblick kam ein Reiter im Galopp aus einem Seitenwege heraus und parirte ſein Pferd vor dem vorbeifahrenden Wagen. Er war ein junger Mann mit hübſchem, braunem Geſicht, dem ein blon¬ der Schnurrbart ſehr gut ſtand.

Ah, gnädige Frau, Herr Baron freue mich unendlich, rief er, den Hut ziehend und an den Wagenſchlag heranreitend habe in[] einer Ewig¬ keit nicht das Vergnügen gehabt

Das kommt daher, mon cher, ſagte die Baronin mit holdeſtem Lächeln, weil Sie ſich ſeit einer Ewig¬ keit nicht bei uns auf Grenwitz ſehen ließen.

Ah, ſehr gütig, gnä ge Fra', ſehr gütig; gnä ge Fra' hatten noch nicht die Gnade, mich mit dem Herrn13 bekannt zu machen Baron Felix? nicht wahr? fuhr der Dandy fort, den Hut gegen Oswald lüftend.

Herr Doctor Stein, ſagte die Baronin, der Erzieher meines Sohnes Herr von Cloten

Ah, ah, in der That, ſagte Herr von Cloten freue mich außerordentlich ja, ja, was ich ſagen wollte, gnä ge Fra', wohin geht es? wenn man fragen darf?

Nach Barnewitz

Ah, wollte ebenfalls dorthin ruhig Robin, ruhig!

Aber Herr von Cloten, es iſt große Geſellſchaft, ſagte die Baronin, auf des Junkers Stulpenſtiefel und Jagdrock anſpielend.

Unmöglich, gnä ge Fra'; Barnewitz ſagte mir geſtern, als ich ihn zufällig traf, ich möchte zu einer Partie Boſton hinüberkommen, aber von einer Geſell¬ ſchaft hat er kein Wort geſagt.

Es iſt ein Scherz von Barnewitz; verlaſſen Sie ſich darauf.

Ah, ja, ſehr wahrſcheinlich; Barnewitz hat immer ſo tolle Einfälle; ruhig Robin! Teufelskerl, der Barnewitz ſich ſchon gefreut, mich in Stulpen¬ ſtiefeln in Salon treten zu ſehen Freude ver¬ derben Beſchwöre Sie, gnä ge Fra', meine Herren,14 erzählen Sie Niemand, daß Sie mich geſehen haben. In einer Viertelſtunde in Barnewitz. Au revoir!

Damit warf der junge Mann ſein Pferd herum und ſprengte in voller Carrière in der Richtung fort, aus der er gekommen war.

Bald darauf fuhr der Wagen über einen etwas holperigen Steindamm, der quer über den Gutshof von Barnewitz bis zu dem kiesbeſtreuten Platze vor dem Herrenhauſe führte.

Ein Diener trat an den Wagen, den Schlag her¬ unterzulaſſen; in der Thür erſchien die Geſtalt eines breitſchultrigen, bärtigen Mannes, der ſchön zu nennen geweſen wäre, wenn nicht Wohlleben und Indolenz die Harmonie der regelmäßigen Züge weſentlich be¬ einträchtigt hätte. Es war Malitta's Vetter, Herr von Barnewitz.

Sie ſind die Allererſten, wie Sie ſehen, ſagte er, die Gäſte in einen dreifenſtrigen Saal rechts vom Flure führend, wo ſie von Frau von Barnewitz, einer hübſchen Blondine, begrüßt wurden.

Sie wiſſen, daß ich die Pünktlichkeit über Alles liebe, erwiederte die Baronin, den ihr angebotenen Platz auf dem Sopha einnehmend.

Vortreffliche Eigenſchaft das, antwortete Herr von Barnewitz, ganz mein Grundſatz ſtets ge¬15 weſen im Leben und auf der Jagd die Haupt¬ ſache Schnepfe aufgeſtoßen Baff liegt pünktlich Ha ha ha.

Wie iſt es? ſagte die Baronin, zur Frau von Barnewitz gewendet, werden wir heute eine zahlreiche Geſellſchaft haben?

Nun vierzig bis fünfzig höchſtens.

Das heißt ſo ziemlich unſer ganzer Cirkel.

So ziemlich, ja.

Und wir ſprachen ſchon unterwegs darüber wird Ihre liebe Couſine erſcheinen?

Da müſſen Sie meinen Mann fragen, der die Einladungen beſorgt hat.

Ha, ha, ha, lachte Herr von Barnewitz. Köſt¬ licher Spaß, meine Herrſchaften, muß Ihnen erzählen, bevor die Andern kommen. Sie wiſſen, daß wir mit Melitta durch Italien reiſten, und daß ſich uns dort der Baron Oldenburg anſchloß. Wir lebten ſehr ver¬ gnügt zuſammen denn Oldenburg kann ſehr liebens¬ würdig ſein, wenn er will. Auf einmal war das gute Einvernehmen zum Teufel! entſchuldigen, gnädige Frau der Eine ging hier hin, der Andere dort hin. Melitta und Oldenburg ſagten ſich nur noch Malicen, und eines ſchönen Morgens war mein Ol¬ denburg fort verſchwunden Billet zurückgelaſſen:16 er fände die Luft in Sicilien zu drückend als an¬ gehender Schwindſüchtiger, und wollte einen kleinen Abſtecher nach Aegypten machen. Seit der Zeit ſind drei Jahre verfloſſen; jetzt iſt Oldenburg wieder hier; iſt aber nur bei mir geweſen, um mir, wie er ſagte, oder meiner Frau, wie ich ſage

Aber Karl .

Nun, liebe Hortenſe, unter Freunden muß ein Scherz erlaubt ſein; alſo um uns Beiden ſeine Auf¬ wartung zu machen. Als ich ihn neulich vorläufig einlade, ſagt er: ja, wenn Deine Couſine nicht kommt; als ich vor ein paar Tagen Melitta begegne und ſie frage, antwortete ſie: ja, wenn Dein Freund Olden¬ burg nicht kommt. Natürlich verſicherte ich Beiden, daß ſie ganz ruhig ſein könnten, ſie würden dem Ge¬ genſtande ihrer Abneigung nicht begegnen. Um die Sache noch glaublicher zu machen, ſchicke ich zwei Kerls aus mit zwei verſchiedenen Liſten, auf deren einer Melitta und der andern Oldenburg ſtand. Und nun kommen ſie alle Beide, iſt das nicht ein Haupt¬ ſpaß? Entſchuldigen Sie, meine Herrſchaften, ich höre ſo eben einen Wagen vorfahren.

Allmählig füllte ſich der Saal und die daran ſto¬ ßende Flucht hoher, ſchöner Zimmer, die auf der Hinterſeite des Hauſes wieder in einen Saal endigte,17 aus dem zwei Flügelthüren ein paar Stufen hinab in den Garten führten, mit Gäſten.

Oswald hatte ſich, nachdem er einigen Herren und Damen vorgeſtellt war, die ſeine Verbeugung mit jener kühlen Höflichkeit erwiederten, deren ſich der Adlige gegen einen Bürgerlichen, noch dazu in der untergeordneten Stellung, die er in den Augen dieſer Leute einnahm, ſtets befleißigt, in eine der Fenſterniſchen des Saales geſtellt, von wo aus er die Ankommenden draußen und die Geſellſchaft drinnen zugleich beobachten konnte. Ein junger Mann mit einnehmenden hübſchen Zügen und blauen freundlichen Augen geſellte ſich zu ihm.

Ich habe das Vergnügen, mit Herrn Doctor Stein zu ſprechen? Oswald verbeugte ſich.

Mein Name iſt von Langen. Ich höre, daß Sie während der letzten Jahre in Berlin ſtudirten. Haben Sie dort vielleicht die Bekanntſchaft eines Herrn P. gemacht? Er war Philolog und von der Schule her mein ſehr intimer Freund; es intereſſirt mich ſehr, zu erfahren, was aus ihm geworden iſt.

Zufällig kannte Oswald den Betreffenden, und konnte ſo Herrn von Langen die gewünſchte Auskunft geben. Die aufrichtige Theilnahme, die dieſer junge Mann für einen Menſchen an den Tag legte, der,F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 218wie Oswald wußte, außer vortrefflichen Anlagen und einem raſtloſen Fleiß keine anderen Empfehlungen auf Erden hatte, machte auf Oswald einen ſehr angenehmen Eindruck. Er ſah es daher, trotz ſeiner inneren Un¬ ruhe, nicht ungern, daß Herr von Langen große Luſt zu haben ſchien, das angefangene Geſpräch fortzuſetzen; auch that es ihm wohl, in dieſer Menge unbekannter Menſchen Einen zu haben, der ſeine Bekanntſchaft geſucht hatte.

Wie wär's, Herr von Langen, ſagte er nach einigem Hin - und Herreden, wenn Sie mir für die gute Auskunft, die ich Ihnen über einen Abweſenden geben konnte, Auskunft über einige Anweſende gäben. Wer iſt zum Beiſpiel der alte Herr dort im blauen Frack mit den weißen Haaren und dem rothen Geſicht, der ſo entſetzlich ſchreit, als ob er ſich Jemand, der auf der andern Seite eines toſenden Wildbachs ſteht, verſtändlich machen wollte?

Das iſt Graf Grieben, einer unſerer reichſten Edelleute. Sie kennen doch die hübſche Anecdote, die ihm vor einigen Jahren mit dem Landesherrn paſ¬ ſirt iſt?

Nein, wollen Sie ſie mir erzählen?

Der Landesherr beſucht auf einer Reiſe die nahe Hafenſtadt. An der Landungsbrücke, wo ſich die19 Spitzen der Behörden, der Adel und ſo weiter zu ſeinem Empfange eingefunden haben, hält des Grafen mit ſechs herrlichen Braunen beſpannte Equipage, auf jedem der Sattelpferde ein Jockey in der gräflichen Livree. Der König bewundert die ſchönen Thiere. Alles eigene Zucht, Majeſtät, ſchreit der Graf mit einer kühnen Handbewegung. Die Jockeys auch? antwortet der witzige Monarch.

Nicht übel, ſagte Oswald, und wer iſt die große ſtarke Dame mit den männlich-kühnen Zügen, die eben mit den drei ſchönen Mädchen in den Saal tritt?

Eine Baronin von Nadelitz mit ihren Töchtern. Sie iſt eine Katharina von Rußland im Kleinen. Ur¬ ſprünglich hütete ſie die Gänſe des Barons, ihres nachherigen Gemals. Sie ſoll ſo wunderbar ſchön geweſen ſein, daß ſich jeder Mann in ſie verlieben mußte, und dabei ſo guten Herzens, daß nicht leicht Jemand, ohne gehört zu werden, von ihr ging. So ſoll die Ehe nicht die glücklichſte geweſen ſein.

Die Töchter ſind auf alle Fälle ſehr hübſch, ſagte Oswald. Der Baron iſt alſo todt?

Ja; ſeitdem hat ſie, wie man zu ſagen pflegt, die Hoſen angezogen, das heißt diesmal in des Wortes ernſteſter Bedeutung. Ich ſelbſt habe ſie in Stulpen¬2*20ſtiefeln und Inexpreſſibeln mit ihrem Inſpector auf einem Felde gehen ſehen, auf dem man bei jedem Schritt bis über die Knöchel einſank.

Wer ſind die beiden hübſchen Mädchen, die eben Arm in Arm durch den Saal kommen?

Emilie von Breeſen und Lisbeth von Meyen; ſie ſind erſt letzte Oſtern eingeſegnet, und tragen, ſo viel ich weiß, heute zum erſten Mal lange Kleider. Soll ich Sie vorſtellen?

Oswald antwortete nicht; denn in dieſem Augen¬ blick ging die Thür auf und von Herrn von Barne¬ witz begleitet, deſſen Geſicht in der Erwartung der von ihm ſo fein eingefädelten Ueberraſchung vor Freude glänzte, trat ein Mann in den Saal, deſſen Erſchei¬ nung offenbar einige Senſation erregte. Die laute Stimme des Grafen Grieben verſtummte, einzelne Herren ſteckten die Köpfe zuſammen, und in dem Kreiſe der Damen um Frau von Barnewitz auf dem Sopha wurde es verhältnißmäßig ſtill. Der Ankömmling war ein Mann von hohem, aber allzu ſchlankem Wuchs, deſſen äußerſt nachläſſige Haltung das Mißverhältniß zwiſchen Höhe und Breite nur noch mehr hervortreten ließ. Auf dem langen Leibe ſaß ein kleiner Kopf, deſſen wohlgerundeter Schädel mit einem kurzen, ſtar¬ ren, ſchwarzen Haar bedeckt war. Ein Bart von der¬21 ſelben Beſchaffenheit zog ſich um Kinn und Wangen und Mund, ſo daß nur die obere Hälfte ſeines Ge¬ ſichts dem Phyſiognomen zur ungehinderten Beobach¬ tung blieb. Aber auf dieſer Hälfte ſtand ſchon des Räthſelhaften genug. Die Stirn war eher hoch als breit, aber von außerordentlich zarten und zugleich kühnen Linien umſchrieben. Ein Paar wie mit dem Pinſel gezeichnete Brauen zogen ſich in einer leichten Krümmung über einem Paar grauer Augen hin, deren Ausdruck in dieſem Momente wenigſtens, wo ſie raſch über die Verſammlung flogen, mindeſtens nicht an¬ genehm war, eben ſo wenig wie das Lächeln, das wie Wetterleuchten an der feinen, geraden Naſe mit den beweglichen Flügeln hinzuckte, und des Mannes ganze Antwort auf das luſtige Geſchwätz zu ſein ſchien, mit dem Herr von Barnewitz ihn überſchüttete, wäh¬ rend er ihn von der Thür bis zu dem Platze der Dame vom Hanſe auf dem Sopha begleitete. Frau von Barnewitz erhob ſich, den Ankömmling zu be¬ grüßen, der ihr die Hand küßte und nach einer leichten Verbeugung gegen die anderen Damen ſich auf einen leeren Stuhl neben ihr ſinken ließ und alsbald, ohne die Uebrigen weiter zu beachten, eine lebhafte Unter¬ haltung mit ihr begann.

Oswald hatte den Ankömmling mit dem Auge des22 Indianers, der den Spuren ſeines Todfeindes nach¬ ſpürt, beobachtet, denn er hatte auf den erſten Blick jenen Reiter wieder erkannt, der ihm und Bemperlein im Walde begegnete. Es war Baron Oldenburg.

Nun geben Sie Acht, ſagte Herr von Barnewitz, auf Oswald zutretend und ſich vergnügt die Hände reibend.

Ich bin ganz Auge, ſagte Oswald mit einem nicht eben ſehr natürlichen Lächeln.

Worauf ſollen Sie Acht geben? fragte Herr von Langen, während Barnewitz ſich zu einer andern Gruppe wandte.

Herr von Barnewitz hatte die Güte gehabt, mich auf Baron Oldenburg, der eben eintrat, als auf einen höchſt intereſſanten Mann aufmerkſam zu machen.

Ah, iſt das Oldenburg, ſagte Herr von Langen, ich kannte ihn noch nicht.

Da fuhr ein Wagen vor und Oswald erkannte in der Dame, die ausſtieg, Melitta. Es war ein Glück für ihn, das Herr von Langen in dieſem Augenblicke die Sopharegion lorgnettirte, denn er hätte unmöglich ſeine Aufregung verbergen können. Die paar Minuten, die Melitta in dem Toilettenzimmer zubrachte, erſchienen ihm wie eine Ewigkeit. Endlich trat ſie durch die offene Thür herein, und Oswald ſchien plötzlich der23 ganze Saal mit Licht und Roſen angefüllt. Melitta trug ein weißes Kleid, das Buſen und Schultern züchtig verhüllte, und den ſchlanken, ſchönen Hals in einer leichten Krauſe umſchloß. Ein Shawl lag leicht auf den runden Schultern. Eine dunkelrothe Camelie im Haar, das war ihr ganzer Schmuck. Aber welches Schmuckes bedarf Schönheit und Anmuth und Melitta's Erſcheinung war ſo ſchön und anmuthig, daß ihr Eintreten eine noch größere Senſation erregte, als Oldenburg's. Die älteren Herren unterbrachen ihr Geſpräch, ſie mit Herzlichkeit zu begrüßen; einige jüngere Herren eilten ihr entgegen, um womöglich den zweiten Walzer, die erſte Polka nur einen Tanz, gleich viel welchen, zu erbetteln, und ſie lächelte Alt und Jung freundlich zu, beantwortete hier eine Frage, verwies dort einen Stürmiſchen zur Geduld während ſie quer durch den Saal nach dem Sopha ging, ſich den andern Damen anzuſchließen. Baron Oldenburg war, als Frau von Barnewitz aufſtand, ihrer Couſine entgegenzugehen, ruhig, und ohne ſich nach dem Gegenſtand der allgemeinen Senſation umzu¬ ſehen, den einen Arm über die Stuhllehne gelegt, ſitzen geblieben. Da mußte Melitta's Name, von einer der Damen am Sopha ausgeſprochen, ſein Ohr getroffen haben; denn er ſprang in die Höhe, wandte ſich um24 und ſtand Melitta, die von ihrer Couſine an der Hand geführt wurde, Angeſicht gegen Angeſicht gegen¬ über. Oswald war wie von einer magnetiſchen Kraft aus der Fenſterniſche bis nahe an die Stelle gezogen worden, ſo daß ihm kein Wort, kein Blick entging. Er ſah, daß Melitta erblaßte und ihre dunkeln Augen wie im Zorn aufflammten, als Oldenburg ſich tief vor ihr verbeugte.

Ah, gnädige Frau, ſagte er mit einem eigen¬ thümlichen Lächeln: als wir uns zuletzt ſahen, ſchien uns die Sonne Siciliens, und jetzt

Scheint der Mond wollen Sie ſagen, ent¬ gegnete Melitta, und um ihre Lippen ſpielte ein höhniſch¬ bitterer Zug, den Oswald noch nicht an ihr geſehen hatte umgekehrt, lieber Baron, als wir uns zu¬ letzt ſahen, ſchien der Mond; wiſſen Sie wohl noch in dem Garten der Villa Serra di Falco bei Palermo? und da wir uns wiederſehen, ſcheint die Sonne mir wenigſtens.

Der Sinn dieſer letzten Worte mußte wohl Jedem verborgen bleiben, nur nicht dem, für welchen ſie ge¬ ſprochen waren. Melitta hatte, indem ſie ſich halb umwandte, Oswald bemerkt, und ihm ſo freundlich zugelächelt, daß Herr von Barnewitz, der neben ihm ſtand, ſich an der Ueberraſchungsſcene, die er ſo mühſam25 arrangirt hatte, zu weiden, ihn fragte: Kennen Sie meine Couſine ſchon?

Ja, ſagte Oswald, von ihm weg auf Melitta zutretend, und ſie ehrfurchtsvoll begrüßend.

Ah! Herr Doctor, rief Melitta mit vortrefflich geſpielter Ueberraſchung, das iſt ja köſtlich, daß ich Sie hier finde. Denken Sie, Bemperlein hat ſchon geſchrieben, Julius befindet ſich ſehr wohl aber ſetzen Sie ſich doch zu mir, daß ich Ihnen in aller Muße erzählen kann Julius befindet ſich vortrefflich und iſt in den fünf Tagen, wie Bemperlein ſchreibt, ein vollkommener Dandy geworden. Er hat ſchon einen großen Kinderball mitgemacht und mit der ſchönſten Dame, das heißt, derjenigen, die ihm am beſten gefiel, den Cotillon getanzt, den Cotillon merken Sie wohl! trotz des heftigen Widerſpruchs von einem halben Dutzend junger Herren.

Der Unglückliche, lachte Oswald; er wird ſich dadurch eben ſo viele Duelle zugezogen haben.

Möglich, aber Sie wiſſen, Julius iſt tapfer, wie ein Löwe, und wird für die Dame ſeines Herzens Alles wagen. Ah, Herr von Cloten! Sind Sie es wirklich? Ich hörte ja, Sie und Robin hätten ſich auf der letzten Fuchsjagd die Hälſe gebrochen!

Quelle idée, gnä'ge Fra! Jedenfalls wieder Er¬26 findung von Barnewitz. Teufelskerl der Barnewitz! Befinde mich vortrefflich. Ah! ja wollte gnä'ge Fra um einen Tanz bitten, wo möglich Cotillon. Muß noch einen Verſuch machen, ob gnä'ge Fra nicht bewegen kann, mir den Brownlock zu verkaufen.

Non, mon cher, zu dieſem liebenswürdigen Zweck bekommen Sie keinen Tanz, am wenigſten den Cotillon. Wenn Sie mir aber den Brownlock in Frieden laſſen wollen, ſo ſollen Sie den erſten Con¬ tretanz haben. Zum Cotillon bleibe ich ſo wahr¬ ſcheinlich nicht hier. Sind Sie zufrieden?

Ah! gnä'ge Fra zufrieden! quelle idée! glücklich ſelig.

Mein Gott, Herr von Cloten, beruhigen Sie ſich nur. Haben Sie ſchon ein vis-à-vis?

Nein! gnä'ge Fra gleich ſuchen!

Hier, bitten Sie den Doctor Stein Erlauben die Herren, daß ich Sie

Ah, hatte ſchon das Vergnügen, ſagte der Dandy, Oswald, der einen Schritt von ihm entfernt geſtanden hatte, ſcheinbar zum erſten Male bemerkend.

Deſto beſſer, ſagte Melitta die Herren ſind alſo einig?

Von Cloten und Oswald verbeugten ſich gegen¬ einander, und dann vor Melitta, die ſie mit einer27 graziöſen Handbewegung verabſchiedete, um ſich mit den zunächſt ſitzenden Damen in ein tiefſinniges Ge¬ ſpräch über die neueſten Moden einzulaſſen.

Oswald war wieder zu Herrn von Langen getreten, der ihm zu der Bekanntſchaft mit Melitta gratulirte: Ich bewundre Sie, ſagte der junge Mann, daß Sie ſo ungenirt mit ihr ſprechen können; ich hätte nicht den Muth dazu.

Sie ſcherzen.

Auf Ehre, nein. Die Frau hat etwas in ihrem Blick und in ihrer Stimme, was einem um das Heil ſeiner Seele bange machen möchte. Ich weiß, es geht mir nicht allein ſo.

Vielleicht bin ich um das Heil meiner Seele weniger bekümmert, ſagte Oswald.

Unterdeſſen hatte Oldenburg, während er ſich un¬ befangen mit einigen Herren zu unterhalten ſchien, in einem hohen Spiegel die Gruppe um Melitta genau beobachtet.

Sieh da, Cloten! wie geht's, mon brave! ſagte er, ſich ſchnell zu dem Angerufenen umwendend, als dieſer in ſeine Nähe kam.

Baron Oldenburg! Auf Ehre, hätte Sie kaum erkannt mit dem horribeln Bart.

Horribel, mon cher! Machen Sie mich nicht28 unglücklich; ich pflege ihn nun ſchon drei Jahre und habe ihn mich wenigſtens eine Million koſten laſſen.

Ah, Spaß, ſagte der Dandy, ſeinen blonden Schnurrbart ſtreichend.

Upon my word and honour, ſagte Olden¬ burg; die Sache iſt einfach die: Ich lernte in Kairo eine engliſche Familie kennen, mit der ich noch mehr¬ mals auf dem Nil zuſammentraf; ich war ſo glücklich, ihr einige nicht unweſentliche Dienſte leiſten zu können. Die Familie beſtand aus Vater, Mutter und einer einzigen Tochter aber welcher Tochter! mon cher, ich ſage Ihnen

Ah, ja, verſtehe! ſagte Herr von Cloten; reines Vollblut. Dieſe engliſchen Miſſes jottvoll ſchön ſah mal eine in Baden-Baden, werde mein Lebtag nicht vergeſſen.

Gerade ſo ſah meine Mary auch aus, ſagte Oldenburg.

Nicht möglich!

Verlaſſen Sie ſich darauf. Alle engliſchen Miſſes gleichen ſich wie eine Lilie der andern. Eh bien! Das Mädchen verliebt ſich in den Retter ihres Lebens. Der Vater iſt mir geneigt, die Mutter günſtig. Ich war zwar kein Millionär, wie Mr. Brown, dafür war er aber auch nur ein in Ruheſtand getretener29 Eiſenhändler; und ich ein alter deutſcher, weiland reichsfreier Baron. Genug, wir werden Handels einig. Da ſagt Mary eines Abends es iſt mir, als wäre es heute wir ſaßen im Mondenſchein auf der Ter¬ raſſe des Tempels von Philä und blickten träumend über den ſtillen Fluß und leerten Tropfen um Tro¬ pfen den diamantengeränderten Becher der Liebe. Da ſagte ſie, ihre weichen Arme um mich ſchlingend, o Gott, wie deutlich ich noch immer dieſe Stimme höre! Adalbert, ſagte ſie. Was, Holde? ſagte ich. Adalbert, pray, dearest love, cut off your horrible beard it's so vulgar.

Ah, ja, jottvoll, jottvoll dieſe engliſchen Miſſes; aber was heißt's denn eigentlich?

Es heißt: Adalbert, mein Junge, laß Dir den Bart ſcheeren; Du ſiehſt ſchauderhaft gemein darin aus.

Verdammt.

Das ſagte auch ich. Sie bat, ſie beſchwor mich; endlich lag ſie ſogar vor mir auf den Knieen. Ich blieb feſt, wie der Koloß Memnons. Da ſprang ſie empor, und ſich bewaffnend mit dem ganzen Stolze Englands, die Hand zum ſternengeſchmückten Himmel erhebend, rief ſie: Sir, either you will cut off your beard, or I must cut your acquaintance.

Then, cut my acquaintance! ſagte ich.

30

Famos, ſagte von Cloten; was ſagte ſie?

Mein lieber Herr, ſagte ſie, Sie ſcheeren ſich entweder den Bart, oder Sie ſcheeren ſich zum Teufel.

Verdammt; und Sie?

Ich ſagte: Fräulein, ich habe geſchworen, daß ich das Weib verachten und mit dem Mann auf Leben und Tod kämpfen will, der mir mit Worten oder in Wirklichkeit an meinem Barte zupft.

Merkwürdig; das Alles ſagten Sie in den drei Worten?

Ja, die engliſche Sprache, wiſſen Sie, iſt wun¬ derbar kurz. Apropos, wer iſt denn der junge Mann, mit dem Sie vorhin ſprachen, er ſteht jetzt dort an der Thür zum andern Zimmer mit dem alten Grenwitz.

Ja, rathen Sie einmal!

Wie kann ich das rathen? Ich vermuthe, daß es Felix von Grenwitz, ſein Neffe, iſt.

So dachte auch ich. Und nun denken Sie, cher Baron, der Menſch iſt ein Bürgerlicher, heißt Stein, Doctor Stein, glaube ich, und iſt, nun rathen Sie einmal!

Nach dem Entſetzen, das ſich in Ihren Zügen malt, zu ſchließen, vermuthe ich, daß der junge Mann der Scharfrichter von Bergen iſt.

Scharfrichter! Quelle idée! Welch 'ſonderbare31 Einfälle Frau von Berkow und Sie immer haben. Nein Hauslehrer bei Grenwitz iſt das nicht wunderbar?

Ich kann nichts beſonders Wunderbares in der Sache finden. Es muß auch Hauslehrer geben, wie es Arbeiter in den Arſenikgruben geben muß, obgleich ich für mein Theil weder das Eine noch das Andere ſein möchte.

Aber der Menſch ſieht beinahe genteel aus?

Beinahe genteel? Lieber Freund, er ſieht nicht nur beinahe genteel aus, ſondern ausnehmend genteel, genteeler wie irgend einer der Herren hier im Saale, Sie ſelbſt und mich nicht ausgenommen.

Ah, Baron, Sie ſind heute einmal wieder in einer jottvollen Laune.

Meinen Sie? freut mich. Das verhindert mich indeſſen nicht, den Mann ausnehmend genteel aus¬ ſehend zu finden. Ja, was in Ihren Augen wol noch mehr iſt, er hat nicht nur das Charakteriſtiſche, wel¬ ches die gebornen Vornehmen auf der ganzen Erde auszeichnet, ſondern den ſpeciellen Typus des Adels dieſer Gegend.

O, in der That, ich denke Typus iſt eine Krankheit.

Typhus, mon cher! Typus iſt, wenn mehre Leute dieſelben Naſen, Stiefel, Augen und Handſchuhe haben. 32Nun ſehen Sie ſelbſt, ob nicht Alles und noch mehr bei dieſem Doctor Stein ſtimmt; zum Beiſpiel im Vergleich mit Ihnen, der Sie doch gewiß alles Spe¬ cifiſche des Adels in der höchſten Potenz in und an ſich entwickelten. Er iſt ſchlank und gut gewachſen, wie Sie, nur einen halben Kopf höher und ein paar Zoll breiter in den Schultern, er hat daſſelbe hell¬ braune gelockte Haar, nur daß Sie ſich Ihre Haare entſchieden brennen laſſen und die ſeinen, wie mir ſcheint, natürlich gelockt ſind; er hat blaue Augen, wie Sie, und Sie werden ſelbſt zugeben, daß dieſe Augen groß und ausdrucksvoll ſind.

Ah, ja, ich gebe zu, daß er ein verdammt hübſcher Kerl iſt, ſagte der ärgerliche Dandy, einen ſchelen Blick auf den Gegenſtand ſeiner unfreiwilligen Bewunderung werfend.

Nun, und was ſein Auftreten anbelangt, fuhr Oldenburg fort, ſo gäbe ich meinestheils eins meiner Güter darum, wenn ich mich mit dieſem Anſtande, dieſer Grazie bewegen könnte.

Das iſt ſtark, weshalb?

Weil die Weibſen in einen ſchmalen Fuß, ein wohlgeformtes Bein und ſo weiter vernarrt ſind. Solche hübſche Puppen, wie der Doctor, ſind geborne33 Alexander; ſie ſtiegen von einer Eroberung zur andern und ſterben auch meiſtens jung zu Babylon.

Gott, Baron, welch 'liebenswürdiger Menſch Sie ſein würden, wenn Sie nur nicht ſo ſchauderhaft ge¬ lehrt wären!

Meinen Sie? Möglich! Es iſt ein Erbfehler; meine ſelige Mutter hat während ihrer Schwanger¬ ſchaft außer dem Rennkalender des betreffenden Jahres auch noch, einen oder den andern Roman geleſen. So erklären ſich die paar menſchlichen Züge in meiner Natur.

Wollt Ihr Herren meine neuen Piſtolen mit einſchießen helfen? fragte Herr von Barnewitz, der eben herantrat.

Ich denke, es ſoll getanzt werden, antwortete Cloten.

Später. Du kommſt doch mit, Oldenburg?

Verſteht ſich! Du kennſt ja meinen Wahlſpruch: aux armes, citoyens!

F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 3
[34]

Zweites Kapitel.

Die jetzt vollſtändig verſammelte Geſellſchaft hatte ſich allmälig aus den Zimmern in den Garten be¬ geben, da der herrliche Sommernachmittag unwider¬ ſtehlich ins Freie lockte. Die älteren Herren und Damen promenirten in den ſchattigen Gängen, oder beſichtigten die prächtigen Gewächshäuſer; die jungen Leute ſuchten auf einem ſchönen runden Raſenplatze, der zum Theil von hohen breitkronigen Bäumen über¬ ſchattet war, geſellſchaftliche Spiele zu arrangiren, aus einer Ecke des Parkes, wo ein Schießſtand eingerichtet war, ertönte von Zeit zu Zeit der ſcharfe Knall der neuen Piſtolen. Melitta hielt ſich, eingedenk der alten Regel, daß der Ruf junger Frauen in der Geſellſchaft von den alten Damen gemacht wird, und wohl wiſſend, daß ſie die Freiheiten, die ſie ſich während des Balls zu nehmen gedachte, durch einige vorhergehende Opfer erkaufen müſſe, in der Geſellſchaft der Gräfin Grie¬35 ben, der Baronin Trantow, der Frau von Nadelitz, der Baronin Grenwitz und der andern ältern Damen. Oswald hatte ſich zuerſt der Jugend angeſchloſſen, bei der ihn Herr von Langen einführte, und mit einigen Reminiscenzen aus den Geſellſchaften in der Reſidenz und einigen geſchickten Combinationen verſchiedene ge¬ ſellſchaftliche Spiele befürwortet und arrangirt, die mit allgemeinem Beifall angenommen und mit ſicht¬ licher Zufriedenheit der Theilnehmer ausgeführt wur¬ den. Als er aber ſah, daß Melitta, gegen ſeine Hoff¬ nung, ſich durchaus nicht in den Kreis der Spielenden miſchen wollte, benutzte er eine ſchickliche Gelegenheit, ſich ſelbſt aus demſelben zurückzuziehen. Herr von Langen war ihm gefolgt und holte ihn in einem Hecken¬ gange ein, wo Oswald ſich der harmloſen Beſchäf¬ tigung des Stachelbeerpflückens hingab.

Gott ſei Dank, ſagte Herr von Langen, Oswalds Beiſpiele folgend und einen Johannisbeerbuſch, der voll dunkelrother Früchte hing, plündernd. Dem Unheil wären wir glücklich entronnen. Fluch dem Erſten, der geſellſchaftliche Spiele erfand. Sind die Stachelbeeren reif?

Köſtlich.

Sie müſſen mich auf jeden Fall in nächſter Zeit beſuchen. Mein Gut liegt nur ein Stündchen von3*36Grenwitz. Meine Frau, die mich erſt vor ein paar Wochen mit einem allerliebſten kleinen Mädchen be¬ ſchenkt hat, und ſich noch nicht kräftig genug fühlt, ſo große Geſellſchaften mitzumachen, wird ſich freuen, Sie kennen zu lernen. Wenn Sie mir einen Tag beſtimmen wollen, ſchicke ich Ihnen meinen Wagen.

Ich nehme Ihre Einladung mit Dank an, ſagte Oswald, der ſich einigermaßen durch die liebenswür¬ dige Freundlichkeit eines Mannes aus dem von ihm ſo ſehr gehaßten Stande beſchämt fühlte. Sollen wir ſagen, nächſten Sonntag?

Sie ſind jeder Zeit willkommen; wenn Sie die Knaben mitbringen wollen, thun Sie es ja; ich habe ein Paar Ponys, die den Jungen beſſer gefallen wer¬ den, als Cornel und Ovid zuſammen. Ach, Herr des Himmels! Incidit in Scyllam, qui vult vitare Charybdim! Dort biegt die Gräfin Grieben an der Spitze ihrer Suite um die Ecke. Sauve qui peut!

Die jungen Männer ſchlugen einen andern Gang ein, der den erſten rechtwinklig durchſchnitt, und waren bald den herankommenden Damen aus den Augen. Oswald ſeinerſeits wäre eben ſo gern geblieben, denn er hatte in der Suite auch Melitta bemerkt und gehofft, wenigſtens im Vorübergehen einen Blick von ihr zu erhaſchen; aber er hielt es für ſeine Pflicht,37 gute Kameradſchaft mit ſeinem neuen Freunde zu halten, der ihm im Laufe des Nachmittags ſchon mehr als eine Gefälligkeit erwieſen hatte.

Sie ſcheinen die Geſellſchaft nicht beſonders zu lieben, Herr von Langen, ſagte er lächelnd über die Eilfertigkeit des jungen Mannes.

Die große Geſellſchaft nein! Ich bin in faſt abſoluter Einſamſeit aufgewachſen. Mein Vater, der nicht eben reich war, ſchloß ſich in dem Intereſſe ſeiner Kinder von dem geſelligen Leben des hieſigen Adels faſt gänzlich ab. Hernach kam ich auf die Schule. Ich hätte gern ſtudirt; aber der Vater be¬ durfte meiner für die Wirthſchaft, welche er bei zu¬ nehmendem Alter nicht mit derſelben Rüſtigkeit leiten konnte; ſo mußte ich denn von der Schule abgehen, als ich ein Jahr in Prima geſeſſen hatte. Seitdem iſt der gute Vater geſtorben und ich habe die paterna rura, die ich für mich und meine jüngern Geſchwiſter verwalte, kaum verlaſſen. Sind Sie Jäger?

Nein, ich habe bis jetzt nicht die mindeſte Ge¬ legenheit gehabt, die Nimrodnatur, die möglicherweiſe in mir ſchlummert, zu cultiviren.

Ah, das iſt ſchade; aber das lernt ſich wir haben eine recht hübſche Hühner - und Haſenjagd. Sie ſollten vorläufig etwas mit der Piſtole ſchießen. 38Man lernt dabei viſiren und bekommt eine ſichere Hand.

Nun mit Piſtolenſchießen habe ich im Leben leider ſchon beinahe zu viel Zeit verbracht, antwortete Os¬ wald. Mein Vater, ein Sprachlehrer und im Uebri¬ gen ſehr friedfertiger Mann, hatte eine wahre Leiden¬ ſchaft für das Piſtolenſchießen; es war ſeine einzige Erholung. Er ſchoß, wie ich nie im Leben wieder Jemand habe ſchießen ſehen, mit einer faſt wunder¬ baren Geſchicklichkeit. Ich habe nie den Grund dieſer ſeltſamen Leidenſchaft erfahren können. Einmal fiel es mir ein, ihn zu fragen, wie er dazu gekommen ſei? Ich werde den Ton nie vergeſſen, in welchem er mir antwortete: Es gab eine Zeit, wo ich hoffte, mich durch eine Kugel an einem Manne rächen zu können, der mich tödtlich beleidigt hatte. Als ich meines Zieles vollkommen ſicher war ſtarb der Mann. Seitdem ſchieße ich in Gedanken auf ihn; jedes , das meine Kugel trifft, iſt ſein falſches, grauſames Herz. Ich drang in ihn, mir den Mann zu nennen. Das kann ich nicht, antwortete er; aber wenn Du Dir auch etwas bei der Sache denken willſt, nimm an, jedes ſei das Herz irgend eines belie¬ bigen Adligen.

Mon Dieu! ſagte Herr von Langen; und39 haben Sie dieſen fanatiſchen Haß Ihres Vaters gegen meinen Stand geerbt?

Nur zum Theil, ſagte Oswald, ebenſo wie ich auch nur einen Theil ſeiner Fertigkeit mit der Piſtole geerbt habe. Wollen wir einen Augenblick nach dem Schießſtande gehen? ich höre an dem Knall, daß wir ganz in der Nähe ſein müſſen.

Bravo, bravo! erſchallte es von dem Schie߬ ſtande herüber. Cloten, ich parire auf Sie.

Ich parire auf Breeſen, rief eine andere Stimme.

Sie fanden auf dem Schießplatze ein halbes Dutzend Herren etwa, alle in größtem Eifer, mit Ausnahme des Baron Oldenburg, der, die Hände in den Taſchen ſeiner Beinkleider, an einen Baum gelehnt, die Schützen beobachtete, und Strophen aus der Marſeillaiſe dazu zwiſchen den Zähnen ſummte.

Bravo, Cloten, wieder Centrum der Kerl ſchießt verteufelt, ſchallten die Stimmen durchein¬ ander.

Hat ſonſt Jemand von den Herren Luſt zu pariren? ſagte Herr von Cloten, mit einem wunder¬ bar ſelbſtgefälligen Lächeln ſich umſehend.

Ich, wenn Sie erlauben, ſagte Oswald.

40

Sie? erwiderte der Dandy mit einem Blick ſprachloſen Erſtaunens.

Ich parire einen Louis auf den Herrn, ſagte Baron Oldenburg grinſend. Wer hält?

Ich, ich! riefen mehrere Stimmen.

Ich halte Alles, ſagte Oldenburg, dem die Sache einen köſtlichen Spaß zu machen ſchien.

Unſer Einſatz iſt bisher ein Thaler geweſen; es iſt Ihnen doch recht? ſagte Herr von Cloten zu Oswald.

Natürlich.

Aber Doctor Stein kennt die Piſtolen nicht, rief von Langen, und Cloten muß ſich bereits voll¬ ſtändig eingeſchloſſen haben. Die Partie iſt ungleich.

Wenn nur mein Geld auf dem Spiele ſtände, ſagte Oswald, ſo würde ich den Verſuch wagen. Da aber auf mich gewettet iſt, ſo möchte ich bitten, mir vorher einen Schuß zu erlauben.

Natürlich, rief Herr von Breeſen; das ver¬ ſteht ſich von ſelbſt, Herr von Barnewitz.

Wird nicht viel helfen, ſagte von Cloten leiſe zu einem Andern.

Sehen Sie den Tannenzapfen dort, Herr von Langen? ſagte Oswald, nachdem ihm eine geladene41 Piſtole gereicht war, den an dem äußerſten Ende des Zweiges.

Ja, aber das iſt mindeſtens funfzig Fuß. Thut nichts. Dieſe Piſtolen ſcheinen mir noch auf weitere Diſtancen einen ſichern Schuß zu er¬ lauben.

Oswald hob die Piſtole. Aller Augen waren ge¬ ſpannt auf den Tannenzapfen gerichtet.

Ja ſo, ſagte Oswald, die erhobene Piſtole ſinken laſſend. Wollen Sie nicht die Güte haben, Herr von Barnewitz, mich dem Herrn vorzuſtellen, der ein ſo günſtiges Vorurtheil für meine ſehr frag¬ liche Fertigkeit im Schießen an den Tag gelegt hat.

Hatte ganz vergeſſen; bitte um Entſchuldigung. Baron Oldenburg Doctor Stein.

Ah, Baron Oldenburg! ſagte Oswald, mit der linken Hand den Hut abnehmend. Sie ſehen doch den Tannenzapfen, Herr Baron.

Vollkommen deutlich, ſagte Oldenburg, ſich höflich verbeugend.

Oswald hob die Piſtole wieder, zielte eine Se¬ cunde der Tannenzapfen kam in Stücken zur Erde.

Famos! ſchrie Herr von Barnewitz; Cloten, Du findeſt Deinen Meiſter.

42

Nous verrons, ſagte Herr von Cloten. Sie haben den erſten Schuß, Herr Doctor.

Oswald nahm die andere Piſtole, und ſchoß, ohne ſcheinbar auch nur zu zielen.

Centrum! ſchrie der Bediente an der Scheibe eine Reverenz nach dem Schützen machend, bevor er das Loch mit einem Pflaſter verklebte.

Cloten, zahlen Sie Reugeld! rief Oldenburg, mit dem Gelde in ſeiner Taſche klappernd.

Centrum! ertönte es von der Scheibe.

Sehen Sie? ſagte von Cloten, Herrn von Bar¬ newitzens Jäger die Piſtole zum Laden gebend.

Ich denke, wir nehmen eine größere Diſtance, oder ein anderes Ziel, "ſagte Oswald, bei dieſem thalergroßen Centrum auf vierzig Schritt werden Herr von Cloten und ich wohl noch lange ohne Ent¬ ſcheidung fortſchießen können. Sind keine Karten zur Hand?

Ich bin's zufrieden, ſagte von Cloten.

Haſt Du Karten mitgebracht, Friedrich? rief von Barnewitz.

Ja, Herr!

Nimm die Scheibe ab und nagle ein an den Baum!

43

Natürlich gilt nur die Kugel, die durch das ſchlägt oder es wenigſtens berührt hat, ſagte Oswald.

Natürlich, ſagte von Cloten.

Jetzt kommt die Sache in Gang, rief der junge Breeſen und rieb ſich vor Vergnügen die Hände.

Cloten zahlen Sie Reugeld, ſagte Oldenburg wieder und durch die Zähne murmelte er:

Tannenzapfen Herzenaß
Ei, mein Schätzchen, merkſt Du was?
Iſt es Liebe? iſt es Haß?

Von Cloten zielte lange, aber ſei es, daß das neue Ziel ihn verwirrte, ſei es, daß ſeine Hand ſchon unruhig geworden war ſeine Kugel traf nur den oberen Rand der Karte. Oswald trat vor; ſein Auge ſchweifte über die Schaar der Edelleute, die um ihn herum ſtand. Denke Dir, daß ſei das Herz irgend eines beliebigen Adligen, hörte er eine wohlbekannte Stimme flüſtern ... Sein Schuß krachte. An der Stelle des Aſſes war das Loch der Kugel in der Karte.

Tröſten Sie ſich, Cloten, ſagte Oldenburg. Non semper arcum tendit Apollo zu deutſch: Vorbeiſchießen muß auch ſein.

Wirklich meiſterhaft, ſagte von Barnewitz, die Karte herumzeigend; das rein herausgeſchoſſen.

44

Wollen Sie Revanche haben, Herr von Cloten?

Nein, danke, ein andermal. Fühle, daß meine Hand nicht mehr ſicher

Warum haben Sie nicht Reugeld gezahlt, Cloten? lachte Oldenburg, das gewonnene Geld in die Taſche ſteckend.

Hier ſind ſie! hier ſind ſie! riefen da auf ein¬ mal helle Mädchenſtimmen, und um das Gebüſch herum, das den Schießſtand vom Wege trennte, kamen Emilie von Breeſen, ihre Couſine Lisbeth von Meyen und eine von den jungen Fräulein von Na¬ delitz, wie eben ſoviel weiße Schmetterlinge.

Sie ſind allerliebſte Herren Spielverderber im Augenblick kommen Sie wieder zurück ſo ſchallten die Stimmchen durcheinander.

Du könnteſt auch etwas Beſſeres thun, Adolf, als hier den ganzen Nachmittag bei dem alten dummen Schießen zubringen, ſagte Emilie von Breeſen zu ihrem Bruder.

Er muß auch mit, rief Lisbeth, wir nehmen ſie gefangen. Du Emilie, nimm den Doctor, Du biſt die Stärkſte und er iſt der Rädelsführer Na¬ talie, Natalie, halt Herrn von Langen feſt! er will davon laufen.

Meine Herren, rief Oswald, jeder Widerſtand45 wäre Hochverrath! Meine Damen! wir ergeben uns auf Gnade und Ungnade, und er bot Fräulein von Breeſen den Arm.

Die beiden andern Herren folgten ſeinem Beiſpiele; die drei hübſchen Pärchen eilten lachend und ſcherzend davon.

Eine Entführung in optima forma, grinſte Oldenburg.

Wir gehen auch wohl, Ihr Herren, rief Bar¬ newitz; denn ich fürchte, wenn wir warten wollen, bis wir von den jungen Damen abgeholt werden, ſo können wir lange warten.

Allons enfants de la patrie! ſang Oldenburg in möglichſt falſchen Tönen mit einer Stimme, die weſentlich dem Krähen eines heiſern Hahns an einem regneriſchen Tage glich, und faßte von Cloten unter den Arm.

Cloten, mon brave, wir werden alt, ſagte er, während ſie in einiger Entfernung hinter den Andern dem Hauſe zuſchritten. Wenn wir nicht bald machen, daß wir unter die Haube kommen, ſo iſt uns jede Hoffnung auf eheliches Glück, legitime Vaterfreuden und ein ſeliges Ende, Amen, abgeſchnitten.

Ah, Spaß! Baron, Sie ſind mindeſtens fünf Jahre älter wie ich.

46

Das hindert nicht, daß die jungen Damen einen wie den andern en canaille behandelt haben.

Die kleine Emilie iſt ein verdammt hübſcher Backfiſch.

Si signore, und was für ein Paar große, graue, verliebte Augen ſie dem Doctor machte! Mit ſechs¬ zehn Jahren! wahrhaftig alles Mögliche!

Verdammte Puppe!

Wer? Fräulein Emilie?

Ah, der Menſch, der Doctor!

Ja, ſo! Ich hab's Ihnen ja gleich geſagt? Die Mägdelein reißen ſich um ihn! Und wie der Kerl ſchießt. Cloten! Möchte ihm nicht auf fünf Schritte Barriere, und zehn Diſtance gegenüberſtehen?

Ah! danke für ein Duell mit ſo einem Bürger¬ lichen. Partie iſt zu ungleich. Meinen Sie nicht auch, Baron?

Vielleicht iſt der Mann die Frucht einer Liaiſon zwiſchen einem Sohne des Himmels und einer Tochter der Erde.

Was heißt das?

Wiſſen Sie nicht, daß in der alten Zeit die Kinder von Adligen mit Bürgermädchen ſo bezeichnet wurden?

Nein, habe nie gehört! Sohn des Himmels famos! Uebrigens traue Schrift nicht. Müſſen doch47 ſelbſt zugeben, Baron, dieſe Idee, alle Menſchen von einem Paare abſtammen zu laſſen Adlige und Bür¬ gerliche geradezu abgeſchmackt, horribel lächer¬ lich! Habe mir immer gedacht: daß Schrift von dieſen Bürgerlichen in ihrem Intereſſe zurecht gemacht iſt. Hat mich ſtets geärgert, wenn Hauslehrer mir die alte Geſchichte erklären wollte.

Cloten, ſagte Oldenburg ſtehen bleibend und ſeinem Begleiter die Hand auf die Schulter legend! Cloten, Sie ſind ein großer Mann. Dieſer Ge¬ danke bringt Sie in eine Reihe mit den tiefſinnigſten Denkern aller Jahrhunderte.

Ah, wah reden Sie nun im Ernſt, Baron, oder ſcherzen Sie, wie gewöhnlich?

Lieber Cloten, ſagte Oldenburg, ſeinen Arm wieder unter den ſeines Begleiters ſteckend und weiter gehend; laſſen Sie ſich ein für alle Mal geſagt ſein, daß es mir immer um das, was ich ſage, fürchter¬ licher Ernſt iſt, und der Gegenſtand, von dem wir ſprechen, iſt wahrlich von zu ungeheurer Bedeutung, als daß er eine ſcherzhafte Behandlung vertrüge. So hören Sie denn aber machen Sie keinen unge¬ eigneten Gebrauch von der Sache, Cloten

Gott bewahre parole d'honneur!

So hören Sie denn, daß dieſelbe Frage, deren48 richtige Beantwortung Sie mit dem ſichern Tacte des Genies ſofort fanden, mich jahrelang beſchäftigt hat. Auch ich ſagte mir: der Unterſchied zwiſchen Adligen und Bürgerlichen iſt kein bloßer Unterſchied des Na¬ mens, des Standes er iſt ein Unterſchied des Blutes, des Gemüthes, der Seele enfin: der ganzen Natur. Wie können nun zwei ſo verſchiedene Weſen von demſelben Menſchenpaare abſtammen? Wo bleibt der Unterſchied, wenn ſie von einem Menſchen¬ paare abſtammen? Der Geiſt verwirrt ſich in dieſem ſchauderhaften Widerſpruch.

Gott, Baron, endlich ſprechen ſie doch einmal wie

Wie ein Baron. Hören Sie weiter. Dieſe Frage beſchäftigte mich ſo unausgeſetzt, daß ich endlich be¬ ſchloß, ſie zu löſen, es koſte, was es wolle. Ihr habt Alle über mein einſames Leben, über mein Stu¬ diren und ſo weiter geſpottet. Wiſſen Sie, Cloten, was ich ſtudirte, während Ihr Euch auf der Jagd, oder beim Pharao amüſirtet?

Nein auf Ehre .

Aramäiſch, chaldäiſch, ſyriſch, meſopotamiſch, hin¬ doſtaniſch, gangobramaputraiſch ſanscrit

Herr Gott des Himmels! Das iſt ja ſchauder¬ haft! Wozu?

49

Weil ich die feſte Ueberzeugung hatte, daß ſich in den Klöſtern Armeniens, in den Katakomben Aegyp¬ tens, oder ſonſt irgendwo im Orient eine alte Hand¬ ſchrift, welche die Sache aufklärte, entdecken laſſen müſſe. Als ich alle jene Sprachen und Dialecte ſo fertig wie deutſch und franzöſiſch ſprach, trat ich vor drei Jahren meine letzte große Reiſe nach dem Orient an. Im Vorübergehen durchſtöberte ich die Biblio¬ theken Italiens. In Rom traf ich Barnewitzens. Dies Zuſammentreffen war mir im Grunde ſehr un¬ angenehm. Aus Höflichkeit mußte ich ſie bis Sicilien begleiten. In Palermo aber machte ich, daß ich da¬ von kam.

Ah, das erklärt Ihr plötzliches Verſchwinden das unterbrochene Opferfeſt, ha, ha, ha!

Unterbrochenes Opferfeſt der Ausdruck ſtammt nicht von Ihnen, Cloten.

Nein, auf Ehre iſt 'ne Erfindung von Hor¬ tenſe, wollte ſagen von der Barnewitz, verbeſſerte ſich der junge Edelmann. Sie behauptet entre nous, Baron, daß Ihr Zuſammentreffen in Rom gar nicht ſo abſichtslos von Ihrer Seite und die ganze Reiſe von Rom nach Palermo heißt ja wol, Pa¬ lermo? ein reiner Triumphzug für die BerkowF. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 450geweſen ſei; Opferfeſt unterbrochenes Opferfeſt! Ha! ha!

Aber ich verſtehe Sie gar nicht, Cloten.

Na, entre nous, Hortenſe weiß von der Reiſe allerlei Geſchichten zu erzählen. So eine Scene auf der Ueberfahrt von Ciproda.

Procida, "verbeſſerte Oldenburg.

Procida, meinetwegen, der Teufel mag all' die verrückten Namen behalten, von Procida alſo nach

Neapel. Nun?

Aber zum Teufel, Baron, Sie fragen Einem auch die Seele aus dem Leibe. Sie hatten einen kleinen Fiſcherkahn, und es kam ein richtiger Sturm auf die Wellen gingen haushoch, und Sie mußten jeden Augenblick erwarten, daß das Boot kenterte. Da ſollen Sie auf italieniſch

Die Barnewitz verſteht kein Wort italieniſch, ſo viel ich weiß , ſagte Oldenburg.

Hortenſe nicht, aber die Schiffer, die ſie hernach ausgefragt hat

Hm! murmelte Oldenburg. Nun?

Da ſollen Sie zu der Berkow geſagt haben: Liebe Seele, mit Dir zuſammen zu ertrinken, iſt mehr51 werth, als mit Deiner Couſine, oder irgend einer andern Frau hundert Jahr zuſammen zu leben.

In der That? Erzählt Hortenſe ihren guten Freunden ſo hübſche Geſchichten? Nun, Cloten, ich will Ihnen einen guten Rath geben: Glauben Sie jedem Kuß, den Sie von Hortenſe's Mund ſchon ge¬ küßt haben, oder noch küſſen werden

Ah, dummes Zeug, Baron, ſagte der Dandy mit jenem Lächeln, das beſcheiden ſein ſoll und doch ſo entſetzlich unverſchämt iſt.

Aber glauben Sie keinem Wort, das aus ihrem Munde geht. Können Sie wirklich denken, daß ich nichts Beſſeres zu thun hatte, als Melitta von Berkow den Hof zu machen, während ſo ernſte, ja ſo zu ſagen heilige Dinge meine Seele beſchäftigten? Laſſen Sie ſich erzählen: Ich reiſte alſo von Sicilien nach Aegyp¬ ten hinauf bis Abu Simbul, zurück nach Kairo, von da nach Paläſtina, Perſien, Indien; durchſuchte jeden Tempel, jede Ruine, jede Felſenſpalte ich fand nicht, was ich ſuchte. Endlich als ich ſchon an dem Erfolge verzweifelte, als ich ſchon auf der Rückreiſe war, da in der Bibliothek des Kloſters auf dem Vorgebirge Athos

Wo iſt das, Baron?

Zwiſchen dem Indus und dem Oregon dort4*52in der Kloſter-Bibliothek entdeckte ich endlich das lang geſuchte Manuſcript. Da ſtand denn die ganze Ge¬ ſchichte.

Was ſtand da?

Da ſtand im reinſten Hoch bramaputraiſch, daß ich überſetze das nun Alles in unſere modernen Begriffe und Ausdrücke

Ja machen Sie's um's Himmelswillen ſo, daß ich es verſtehe.

Daß gleich von vornherein zwei Menſchenpaare geſchaffen wurden, wie es ja auch gar nicht anders ſein kann: ein adliges und ein bürgerliches. Der Name dieſes erſten adligen Geſchlechts iſt aus dem Manuſcript nicht erſichtlich. Gerade an der einen Stelle, wo er ausgeſchrieben geſtanden hat, iſt ein großer Klex. So viel iſt ſicher, Oldenburg hat es nicht geheißen; es war noch ganz deutlich ein C zu er¬ kennen, und in der Mitte ein t.

Vielleicht Cloten, ſagte der Andere.

Es iſt möglich, aber beſchwören kann ich es nicht. Auch was für eine Geborne ſeine Gemahlin geweſen iſt, die ſchlechtweg Fräulein genannt wird, iſt nicht erſichtlich.

Aber ich denke, ſie iſt aus der Rippe des Mannes gemacht und gar nicht geboren.

53

Ah, laſſen Sie ſich doch kein dummes Zeug ein¬ reden, Cloten. Sie wird ausdrücklich Fräulein genannt, dann muß ſie doch auch ein Fräulein von ſo und ſo geweſen ſein.

Das iſt ja aber eine verflucht verwickelte Ge¬ ſchichte.

Gar nicht ſo ſehr, wie Sie glauben. Genug, der Herr und das Fräulein, das bald genug zur gnädigen Frau wurde, hatten ein Landgut, welches Paradies hieß; warum ſoll ein Landgut nicht Paradies heißen, Cloten?

Verdammt ſchnurriger Name, indeſſen!

Warum? Nennt doch einer ſeinen Landſitz Soli¬ tude, der Andere Sansſouci, der Dritte Bellevue, warum ſoll nicht einmal Einer das ſeine Paradies genannt haben? Eh bien! Der Bediente des Herrn hieß Adam. Vortrefflicher Name für einen Bedienten. Als er ſteif und lahm wurde, ſchimpften ſie ihn den alten Adam haben Sie je von einem Adligen gehört, der Adam geheißen hätte, Cloten?

Im Leben nicht.

Sehen Sie, da haben Sie wieder den ſchönſten Beweis. Er rief alſo ſeinen Kerl Adam, und die Zofe ſeiner Gemahlin Eva, Evchen allerliebſter Kammerzofenname das. Meine Mutter hatte ein54 Kammermädchen Evchen , ein bildhübſches Ding. Der Adam war aber ein großer Schlingel, wie die Bedienten das bekanntlich bis auf den heutigen Tag ſind. Das Ding, die Eva, war auch nicht viel beſſer. Zuletzt trieben es die Beiden zu arg. Schließlich er¬ griff der Herr denn einmal die Hetzpeitſche und jagte die Beiden vom Hofe. In das Geſindebuch ſchrieb er: Entlaſſen wegen Unehrlichkeit, Putzſucht und Ar¬ beitsſcheu. Das iſt ſo in großen Umriſſen der eigent¬ liche Verlauf der Geſchichte.

Wirklich merkwürdig ganz famös, auf Ehre! Haben Sie das Buch mitgebracht, Baron?

Nein; aber eine von dem dortigen Landrath be¬ glaubigte Abſchrift.

Giebt's denn dort auch Landräthe?

Aber, lieber Freund, wie kann denn ein Land ohne Landräthe beſtehen?

Natürlich; aber es wäre doch beſſer, wenn wir das Buch ſelbſt hätten.

Vielleicht macht es ſich. Die Mönche ſind ent¬ ſetzlich obſtinat; ich hatte ſchon vor, ſie alle mit Blau¬ ſäure zu vergiften. Wahrſcheinlich thue ich das auch noch, wenn ich wieder in die Gegend komme. Bis dahin müſſen wir uns mit der Copie begnügen.

Hören Sie, Baron, können Sie mir nicht auch55 ſo eine Copie geben? ich meine natürlich in deutſcher Ueberſetzung, nicht in bramaputraiſch, oder wie der verdammte Jargon heißt.

Hm; aber verſprechen Sie mir, es Niemand zu zeigen.

Verlaſſen Sie ſich d'rauf!

Höchſtens Einem oder dem Andern aus unſerem Cirkel.

Das alſo darf ich?

Meinetwegen; aber nennen Sie meinen Namen nicht. Sagen Sie, es wäre eine bloße Hypotheſe von Ihnen

Eine was?

Eine bloße Vermuthung, die noch der Beſtätigung bedürfe; wenn wir denn hernach das Original in die Hände bekommen, ſo iſt das Ihr Triumph und der Triumph der guten Sache zu gleicher Zeit.

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Drittes Kapitel.

Die Sommerſonne war bereits ſeit einer Stunde hinter den Bäumen des Parks untergegangen; dunkle Schatten lagerten ſich in den dichteren Boskets, hier und da zirpte noch ein Vogel, ehe er zur Ruhe das Köpfchen unter den Flügel ſteckte; ſonſt war es ſtill geworden in dem vor kurzer Zeit noch ſo belebten Garten. Aber deſto lauter war es jetzt im Schloſſe. Das blendende Licht von hundert Wachskerzen auf Kronleuchtern und Girandolen ſtrahlte aus den Fenſtern auf den weiten Raſenplatz vor dem Gartenſaale. Muſik erſchallte aus den geöffneten Flügelthüren, und an Thüren und Fenſtern vorüber ſahen die Dorfleute, die ſich in ehrfurchtsvoller Ferne im Park hielten, die Paare der Tanzenden ſchweben. In den Zimmern, die an den Tanzſaal ſtießen, waren für die älteren Herrſchaften Spieltiſche arrangirt, und des Grafen von Grieben kreiſchende Stimme wurde mehr als ein57 mal vernommen, wenn der alte Baron Grenwitz, der nur ein ſehr mittelmäßiger Boſtonſpieler war, auf drei Aſſe zum Mitgang gepaßt, oder ſonſt durch ſeine Zaghaftigkeit verleitet, einen jener horribeln Fehler begangen hatte, die das Gemüth eines metho¬ diſchen Spielers ſo ſchmerzlich berühren. Herr von Barnewitz und ſeine Gemahlin wechſelten im Spiele ab, damit ſtets eines von ihnen entweder bei den Tanzenden oder Spielenden war und ſich ſo jede Partei gleicher Gunſt erfreute. Hortenſe hatte ur¬ ſprünglich den ganzen Ball mitmachen wollen; aber ſchon nach den erſten beiden Tänzen ärgerte ſie ſich ſo über die Huldigungen, die ihrer ſchönen Couſine von allen Seiten gezollt wurden, daß ſie ihrem Ge¬ mahl jenes Arrangement vorſchlug, in welches er ſich um ſo williger ſchickte, als er trotz ſeiner Corpulenz gern und gut tanzte, und auf alle Fälle ein ſehr eif¬ riger Bewunderer hübſcher Mädchen und Frauen in Balltoilette war. Und an ſolchen fehlte es in dem Saale wahrlich nicht. Es war ein Kranz von lieb¬ lichen und ſchönen Geſtalten, der auch wohl ein ſin¬ nigeres Auge, als das des wüſten Edelmannes ent¬ zückt haben würde. Die lieblichſte und ſchönſte aber war nach dem ausgeſprochenen oder ſchweigenden Ur¬ theil aller Herren wenigſtens die Anſicht der Damen58 über dieſen Punkt war allerdings ſehr getheilt Melitta. Die ſonſt etwas bleichen Wangen vom leb¬ haften Tanz geröthet, die großen Augen ſtrahlend von Licht und Leben, die ſchlanken elaſtiſchen Glieder der herrlichen Geſtalt mit wunderbarer Anmuth in rhyth¬ miſchem Schwunge bewegend ſo ſchwebte ſie über den glatten Boden des Saals wie die Muſe des Tanzes ſelbſt. Neben dieſer blendenden Erſcheinung wurden die hübſchen Frauen ihres Alters zu Wachs¬ figuren und die jüngeren Mädchen zu allerliebſten Marionetten. So dachte wenigſtens Oswald, wenn er ſie im Walzer an ſich vorbeifliegen ſah oder ſie ihm Contretanze entgegen ſchwebte. Ein wunderbares Gemiſch widerſprechendſter Empfindungen erfüllte ſeine Seele. Seit jenem Augenblick, wo er in Melittas Album das Bild des Baron Oldenburg zum erſten Mal geſehen hatte, war er unabläſſig von dem Ge¬ danken verfolgt worden: in welchem Verhältniß ſtand ſie zu dieſem Mann? Aber ſo oft auch ſchon die Frage auf ſeinen Lippen geſchwebt hatte, nie hatte er ſie auszuſprechen gewagt, und je höher die Sonne ſeiner Liebe ſtieg, deſto blaſſer war der drohende Schatten geworden. Heute aber hatte Barnewitzens Erzählung, das Erſcheinen des[Mannes] ſelbſt, Me¬ littas Benehmen in der erſten Begegnung die halb59 entſchlafenen Zweifel furchtbar geweckt. Wieder drängte ſich das Wort auf ſeine Lippen, und immer wieder kroch es ſcheu zum Herzen zurück. Er zürnte Melitta, daß ſie ihn dieſe Qualen dulden ließ; er zürnte ſich ſelbſt, daß er ſich von der Geliebten hatte beſtimmen laſſen, ihr in dieſe Geſellſchaft zu folgen, dieſe Junker¬ welt, in die er nicht gehörte, in welcher er ſich nur geduldet wußte, in dieſe Welt frivolen Genuſſes und hochmüthigen Dünkels, dieſe lärmende blendende Welt, die ſo grauſam mit der Romantik ſeiner Liebe con¬ traſtirte, und der wonnigen, liebeverklärten Waldein¬ ſamkeit von Melitta's Kapelle Hohn zu ſprechen ſchien. Es kam ihm wie ein halb verklungenes Märchen vor, daß dies wunderbare Weib in ſeinen Armen geruht, daß er wie oft ſchon! ſeinen Mund auf dieſe ro¬ ſigen Lippen gedrückt hatte. Sie erſchien ihm ſo fremd, ſo ganz verwandelt; er konnte ſich nicht überreden, daß dies Melitta ſei, ſeine Melitta, ſie, die dort mit dem jungen Breeſen lachte und ſchwatzte, die dort die faden Complimente von Cloten's mit ſo huldvoller Miene beantwortete und dann wieder, wenn ihr leuchtendes Auge das ſeine traf, wenn ihre Hand bei den Touren des Contretanzes ſeine Hand ſo traulich drückte, wenn bei dieſer Gelegenheit ein: ſüßes Herz! Du Lieber! ihm nur vernehmbar geflüſtert, ſein60 Ohr traf ja, dann war es doch wieder Melitta, ſeine Melitta ... Und immer wieder jagten ſich Zwei¬ fel, die ſich zu wahnſinniger Angſt ſteigerten, und Ge¬ wißheit, die ihn mit unſäglichem Entzücken erfüllte, durch ſeine Seele, wie tiefdunkle Schatten und heller Sonnenſchein über eine Sommerlandſchaft jagen, und um dieſer ſüßen Qual, dieſer bittern Wonne zu ent¬ gehen, ſchlürfte er mit haſtigen, gierigen Zügen den berauſchenden Trank, der, aus blendenden Lichtern, jubelnden Tönen und wollüſtigen Düften ſo ſeltſam gemiſcht, in einem Ballſaal die Sinne der Tanzenden bis zum bacchantiſchen Taumel aufregt und das Ge¬ hirn umnelbelt.

Oswald lachte und ſcherzte wie von der tollſten Laune ergriffen: hier ein übermüthiges keckes Wort, dort eine feine Schmeichelei; hier eine ſatyriſche Be¬ merkung, dort eine Sentimentalität ... Die Damen ſchienen vollkommen vergeſſen zu haben, daß ein ſo unermüdlicher und gewandter Tänzer, ein ſo hübſcher Mann, der ihnen ſo viele hübſche Sachen zu ſagen wußte, doch nur ein Bürgerlicher ſei, der auf alle dieſe Vorzüge eigentlich gar keinen Anſpruch machen durfte, und wenn ja eine der hochadligen Mütter dem Töchterchen ihr unpaſſendes Benehmen mit dem jungen Menſchen, dem Doctor Stein, verwies, ſo fiel das61 goldene Wort diesmal auf ganz unfruchtbaren Boden, und die hübſche Kleine beruhigte ihr aufgeſchrecktes adliges Gewiſſen mit dem tröſtlichen Gedanken: es iſt ja nur für heute Abend ... Es ſteht ſehr zu vermuthen, daß das Glück, welches Oswald an dieſem Abend bei den Damen machte, mehr als ein junker¬ liches Gemüth auf das Tiefſte indignirte; aber der Ausdruck dieſer feindſeligen Stimmung beſchränkte ſich auf einige höhniſche Worte, von denen aber keins bis zu Oswalds Ohr drang, und auf einige ärgerliche Blicke, die, wenn er ſie bemerkte, nur zu Erhöhung ſeiner tollen Laune beitrugen. Daß er ſich auf einem ſehr glatten Boden bewegte, wußte er ſehr gut; aber die Nähe der Gefahr, welche die ſchwachen Geiſter lähmt, läßt ſtarke Herzen nur deſto muthiger pochen; und das Bewußtſein, wie er ſich jeden Augenblick einer impertinenten Beleidigung verſehen könne, gab ſeinem Benehmen den Junkern gegenüber eine Kühn¬ heit, ſeinem Auftreten eine Sicherheit, die, wenn ſie einerſeits den Unwillen dieſer Herren herausforderte, andererſeits für ſie die Kluft zwiſchen Wollen und Vollbringen geradezu unüberſteiglich machte. Und übrigens muß zur Ehre dieſer jungen Adligen be¬ merkt werden, daß ſich in einer Schaar von zwölf oder vierzehn denn doch zwei oder drei fanden, welche62 von Vorurtheilen nicht ſo ſehr befangen waren, daß ſie Oswalds ritterliches Weſen nicht gern hätten gelten laſſen. So Herr von Langen, welcher ſeinen Arm vertraulich unter den Oswalds ſchob, und in der Pauſe mit ihm im Saale freundlich plaudernd, auf - und abſchritt; ſo der junge von Breeſen, der hübſcheſte und gewandteſte von der Schaar, welcher Oswald bat, ihm ein paar Lectionen im Piſtolen¬ ſchießen zu geben, und als ſeine Schweſter durch Un¬ achtſamkeit eine Verwirrung im Tanz angerichtet hatte, zu ihm kam, ihn im Namen der jungen Dame um Entſchuldigung bat und ihn zu ihr führte, damit ſie ſich ſelbſt entſchuldigen könne; ſo endlich ſelbſt¬ redend Baron Oldenburg, der die Tugenden Oswalds als Tänzer und Schütze gegen mehr als Einen bis in den Himmel erhob, wobei es nur nicht ganz er¬ ſichtlich war, ob er dies aus aufrichtiger Ueberzeugung oder mehr in der Abſicht that, ſeine jungen Standes¬ genoſſen gründlich zu ärgern.

Dieſer dankbaren Aufgabe konnte er ſich mit um ſo größerem Behagen unterziehen, als er auf Herrn von Barnewitzen's Frage, ob er ſpielen wolle, geant¬ wortet hatte: ja, wenn Pharo geſpielt wird; und auf Lisbeths von Meyen Bemerkung, ob er denn nicht zu tanzen gedenke, geäußert hatte: Meine Gnä¬63 dige, in dieſem Augenblick bedaure ich es zum erſten Male in meinem Leben, daß mich mein Tanzlehrer nie dahin bringen konnte, die erſte Poſition von der zweiten, und mein Muſiklehrer ebenſo wenig, einen Walzer von einem Choral zu unterſcheiden. So trieb er ſich denn bald zwiſchen den Spieltiſchen um¬ her, und weckte den leicht erreglichen Zorn des Grafen von Grieben dadurch, daß er in alle Karten der Reihe nach ſah, und Jedem guten oder vielmehr möglichſt ſchlechten Rath ertheilte; bald war er im Tanzſaal und ſchaute mit den Augen eines gutge¬ launten Katers, der weiße und ſchwarze Mäuschen auf der Scheundiele munter ſpielen ſieht, auf die tan¬ zenden Paare. In dieſer angenehmen Beſchäftigung ſtörte ihn Herr von Barnewitz, der eilfertig zur Thür des Tanzſaales hereinkam.

Oldenburg, da Du ja doch hier nichts zu thun haſt

Nein, guter Freund, ich habe in der That hier nichts zu thun.

So komm mit hinauf in den Speiſeſaal und hilf mir beim Arrangiren der Plätze. Willſt Du?

Das Vertrauen, welches Du zu meinen organi¬ ſatoriſchen Talent haſt, ehrt mich hoch, mon ami; ſagte Oldenburg und folgte dem Voraneilenden über64 den Flur, die breite mit Teppichen belegte Treppe hinauf in den glänzend erleuchteten Speiſeſaal, wo die Bedienten eben mit der Herrichtung der Tafel fertig geworden waren.

Hier, Oldenburg, ſind die Zettel, alle ſchon aus¬ geſchrieben; nun ſage mir, ſollen wir

Werthgeſchätzteſter, ſagte der Baron zu einem Bedienten, könnten Sie mir wohl, behufs der Ent¬ korkung dieſer Flaſche das paſſende Inſtrument be¬ ſorgen? So, danke! Festina lente, Barnewitz, auf deutſch: Du ſollſt dem Ochſen, der da driſcht, das Maul nicht verbinden. Auf Dein Wohl, mein Junge! dieſer Knabe Cliquot gehört zu den tugend¬ hafteren ſeines weit verbreiteten Geſchlechts. Wirklich genießbar, und dabei ſchlürfte er ein Glas nach dem andern. So, jetzt ſtehe ich vorläufig zu Deinen Dienſten. Stellen Sie die Flaſche dort auf den kleinen Tiſch, lieber Treſſenrock! es ſind noch ein paar Gläſer drin. Gräfin von Grieben Baron Oldenburg, Baronin von Nadelitz, biſt Du des Teufels, Barnewitz? Ich ſoll zwiſchen den alten Schachteln zwei Stunden lang eingeklemmt ſitzen? lieber will ich mit aufwarten helfen! Nein! wir wollen die Sache ſo machen. Die ganze alte Litanei ſetzen wir an das eine Ende des Tiſches und das65 junge Deutſchland an das andre. Geh 'Du mit Deiner Heerde von Widdern und Mutterſchaafen nach Oſten, und ich will mit den Böcklein und Zicklein nach Weſten gehen.

Das wird auch wohl das Beſte ſein, ſagte Barne¬ witz; hier ſind Deine Zettel.

Die Bedienten hatten den Saal verlaſſen; die bei¬ den Herren fingen, jeder auf ſeinem Ende, an, die Zettel zu vertheilen.

Fräulein Klauß, ſagte Oldenburg, einen Zettel in die Höhe haltend; wer, bei allen Olympiern iſt Fräulein Klauß?

Unſre Erzieherin. Haſt Du ſie nicht bemerkt, das hübſche kleine Ding mit den hochverrätheriſchen Augen? ſagte Barnewitz eifrig ſortirend. Wir konn¬ ten ſie nicht in ihrer Kinderſtube laſſen. Herr des Himmels, da ſitzen ja ſchon wieder Mann und Frau zuſammen! weil ſonſt eine Tänzerin zu wenig ge¬ weſen wäre. Du kannſt ſie mit dem Doctor Stein zuſammen ſetzen. Gleich und gleich geſellt ſich gern.

Schön, ſagte Oldenburg und grinſte.

Wer ſoll denn die Berkow führen?

Zum Kuckuck, laß mich in Ruhe! Du meinet¬ wegen.

F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 566

Bon, ſagte Oldenburg und trank ein Glas Cham¬ pagner.

Nach einer kurzen Pauſe eifrigen Arrangirens:

Wer ſoll die Ehre haben, bei Deiner Frau zu ſitzen?

Heilige Kreuz ja freilich, das iſt wichtig. Weißt Du was, Oldenburg, nimm den Unbedeutend¬ ſten; dagegen kann Niemand etwas einwenden.

Will's ſchon machen , ſagte Oldenburg und ſuchte unter den Zetteln, bis er den rechten gefunden hatte. Dir will ich Deine unverbürgten Schiffernachrichten einträcken, murmelte er zwiſchen die Zähne.

Biſt Du fertig, Oldenburg?

Gleich So!

Nun, weißt Du was, Baron, geh 'Du in den Tanzſaal und ſage jedem Herrn, welche Damen er führen ſoll; ich will daſſelbe bei den Spielern thun.

Ainsi soit-il, lachte Oldenburg, dem Davon¬ eilenden folgend.

Als er in den Ballſaal trat, fing man ſo eben einen Contretanz zu arrangiren an. Unmittelbar nach dieſem Tanze ſollte geſpeiſt werden.

Die Gelegenheit iſt günſtig, murmelte er und ging, einem ſchwarzgefiederten langbeinigen Vogel zu vergleichen, der ſich auf der Wieſe Fröſche ſucht, mit67 wunderbarer Gravität hinter der Linie der Tanzenden hin, den ſchicklichen Moment benutzend, jedem der Herren den Namen der Dame, die er ihm zugetheilt hatte, in's Ohr zu flüſtern. Oswald tanzte mit Frau von Barnewitz, die in aller Eile für Fräulein Klauß eingetreten war, welche noch ſchnell eine Commiſſion in die Küchenregion auszurichten hatte, vis-à-vis Melitta und Herrn von Cloten. Oldenburg hatte ſchon ſämmtlichen Herren ihr Schickſal verkündet, das Allen mehr oder weniger günſtig zu ſein ſchien, denn Jeder nickte mit zufriedener Miene. Ganz zu aller¬ letzt trat er zu Cloten und raunte ihm zu:

Cloten, ich habe Ihnen die Barnewitz gegeben.

Dann zu Oswald: Herr Doctor, Sie werden Frau von Berkow führen.

Darauf entfernte er ſich eiligſt.

Hortenſe, flüſterte der überglückliche Cloten dieſer Dame zu: Weißt Du, wer Dich führen wird?

Doch nicht Du, Arthur? rief dieſe erſchreckend.

Ja, mein Engel.

Unmöglich, Arthur. Du gehſt gleich hernach zu Oldenburg und ſagſt, daß Du mich nicht haben willſt.

Aber

St! nicht ſo laut Du biſt ein Narr, ich5*68ſage Dir, daß Barnewitz unſer Verhältniß mehr als ahnt; dies fehlte noch gerade.

Changez les dames!

Melitta, ich werde Dich zu Tiſch führen.

Unmöglich, Oswald. Du mußt das zu redreſ¬ ſiren ſuchen.

Weshalb? flüſterte Oswald, und ſeine Augen¬ brauen zogen ſich zuſammen.

Sieh nicht ſo finſter aus, liebes Herz! Ich will Dir Alles erklären.

Fräulein Klauß erſchien in dem Nebenzimmer. Sobald Oldenburg ſie bemerkte, trat er auf ſie zu und ſeine hohe Geſtalt ehrfurchtsvoll neigend, ſagte er in einem Ton, deſſen Milde ſonderbar mit der ſonſtigen Herbheit ſeiner Rede contraſtirte:

Mein Fräulein, ich werde das Vergnügen haben, Sie zu Tiſch zu führen.

Die arme Kleine ſtand wie vom Blitz getroffen. Baron Oldenburg, der ſtolze unheimliche Baron, ſie zu Tiſche führen.

Mit einem wunderbar fragenden Geſicht blickte ſie zu ihm auf.

Ich habe die Plätze ſelbſt arrangirt, mein Fräu¬ lein; wenn ſie einen beſondern Wunſch haben, ſprechen69 ſie ihn frank und frei aus; ich würde mich glücklich ſchätzen, Ihnen gefällig ſein zu können.

Gott bewahre, Herr Baron

Eh bien, nous voilà d'accord. Wollen Sie mir Ihren Arm geben; ich ſehe die Paare arangiren ſich.

In dieſem Augenblick kam Cloten athemlos herbei.

Auf ein Wort, Oldenburg. Sie verzeihen, Fräulein. Oldenburg, Du mußt mir eine andere Dame verſchaffen; ich kann unmöglich Hortenſe führen.

Pourquoi pas, mon cher?

Weil zum Henker, weil

Je suis au désespoir, mon brave, aber Barne¬ witz hat Sie ſelbſt vorgeſchlagen.

Iſt das gewiß?

Verlaſſen Sie ſich darauf.

Mit vor Freude ſtrahlendem Geſicht eilte der An¬ dere zu ſeiner Dame zurück.

Oswald, ſagte Melitta, ich hab 'mir's überlegt. Es iſt doch beſſer ſo aber mit der Ausſicht auf den Cotillon iſt es vorbei. Nun komm, gieb mir Deinen Arm und ſei wieder gut.

Die älteren Herrſchaften waren zuerſt in den Speiſeſaal getreten, und hatten ſich bereits hinter ihren Stühlen gereiht; die Geſellſchaft aus dem Tanz¬70 ſaal kam hinterdrein. Herr von Barnewitz kam für einen Augenblick von jener Seite herüber, zu ſehen, ob Alles in Ordnung war. Seine Stirn verdüſterte ſich, als er ſeine Frau an Cloten's Arm, Melitta neben Oswald ſtehend bemerkte, und endlich Olden¬ burg ſelbſt, ſeine kleine Dame wie eine Prinzeß von Geblüt führend, in den Saal trat.

Oldenburg, zum Teufel, was haſt Du denn da angerichtet, flüſterte Barnewitz heftig. Ich will nicht, daß Cloten meine Frau führt, Sie reden ſchon genug über die Beiden.

Ja, lieber Freund, Du ſagteſt, ich ſollte den Un¬ bedeutendſten wählen; da war ja gar keine Wahl.

Und Melitta mit dem Doctor, Du mit der Klauß das iſt ja geradezu lächerlich.

Ja, Barnewitz, das iſt nun einmal geſchehen; und nun würdeſt Du mir einen ausnehmenden Ge¬ fallen erweiſen, wenn Du nicht desavouirteſt, was ich in Deinem Auftrage gethan habe, und Dich ruhig an Deinen Platz verfügteſt; die Gräfin Grieben ſucht Dich überall mit ihren großen Eulenaugen.

Ich waſche meine Hände in Unſchuld, grollte Barnewitz, davon eilend.

Und ich will eine Flaſche Champagner auf meinen gelungenen Staatsſtreich trinken, grinſte Oldenburg,71 an der Seite der kleinen Erzieherin, gegenüber Os¬ wald und Melitta, in unmittelbarer Nähe von Cloten und Hortenſe Platz nehmend.

Meine Damen und Herren, ſagte er; ich hoffe, daß Sie mit mir in ein ſtilles begeiſtertes Hoch auf das Wohl des Mannes einſtimmen werden, der Jedem von uns ſeinen Platz anwies, und der, während er nur das Gemeinwohl vor Augen zu haben ſchien, doch die geheimen Wünſche jedes Einzelnen zu erfüllen wußte. Ich gebe Ihnen zu bedenken, meine Damen und Herren, daß ein Mangel an Enthuſiasmus in dieſem feierlichen Augenblick nicht nur die Gefühle jenes Mannes ſchmerzlich berühren, ſondern auch die Em¬ pfindungen eines Ihrer Nächſten auf's Tiefſte verletzen würde, Ihres Nächſten, den mindeſtens wie ſich ſelbſt zu lieben, Sie ſchon die Religion der Liebe ver¬ pflichtet, zu der wir uns ja Alle ohne Ausnahme be¬ kennen. Meine Damen und Herren, trinken Sie mit mir auf das Wohl Ihres und meines beſten Freundes, auf das Wohl Adalberts von Oldenburg.

Man kann ſich denken, daß, ſo weit als des Barons mäßig erhobene Stimme ſchallte. Wenige Luſt hatten und Niemand es wagte, ſich von dieſem ironiſchen Toaſt auszuſchließen. Die kryſtallenen Gläſer klangen aneinander, und bald flackerte die lebhafteſte Unter¬72 haltung um den ganzen Tiſch herum auf, wie das Feuer in einem Haufen Stroh, der an allen Ecken und Enden zugleich angezündet iſt; jene ſchwirrende, ſummende, kichernde, lachende, lärmende, flüſternde Unterhaltung, wo der geiſtreichſte Einfall und die al¬ bernſte Bemerkung zuletzt als gleich werthvolle oder werthloſe Münze courſiren.

Achte auf Deine Augen, Oswald, ſagte Melitta, in jener rapiden Weiſe, wo die Rede ſich kaum vom Hauch unterſcheidet und doch jede Silbe deutlich ge¬ hört wird. Deine holden Liebesbriefe werden von profanen Augen unterwegs aufgefangen, erbrochen und geleſen.

Von Cloten hatte Hortenſe vergeblich zu über¬ reden geſucht, es ſei ihres Gemahls eigener Wunſch geweſen, daß er ſie zu Tiſche führe.

Sei doch nicht ſo einfältig, Arthur, ſagte die junge Frau. Es iſt eine Intrigue von Oldenburg, verlaß Dich darauf. Haſt Du je mit Oldenburg über mich geſprochen?

Nein, Hortenſe parole d'honneur.

Ich bin überzeugt, Du haſt es gethan; Du wirſt mich noch unglücklich machen mit Deiner albernen Schwatzhaftigkeit.

Aber, Hortenſe

73

Still, Oldenburg beobachtet uns fortwährend.

Cloten! rief der Baron.

Was, Baron?

Wollen Sie in dieſem Herbſt mit mir nach Italien reiſen? Sie wiſſen, in der bewußten Angelegenheit.

Ginge raſend gerne mit, Baron; aber Sie wiſſen, tauſend Gründe dagegen; erſtens Jagd, zweitens Pferderennen, drittens haſſe Reiſen, viertens, verſtehe kein Wort italieniſch.

Nun, das iſt das Wenigſte. Was man noth¬ wendig wiſſen muß, beſchränkt ſich auf Si signore, Anima mia dolce, das Andere läßt man ſich von den Schiffern ſagen.

Von Cloten erröthete bis in die Stirn hinauf, denn, wie Oldenburg dieſe Worte lachend ſprach, fühlte er Hortenſes Fuß auf dem ſeinen und hörte ihre von inneren Thränen faſt erſtickte Stimme: Siehſt Du, Arthur; habe ich es nicht geſagt?

Auch Melitta, die ſeitdem ſie den Baron ſich ge¬ rade gegenüber ſah, ſehr ſtill geworden war, ſchien über dieſe Bemerkung ſichtlich betroffen. Sie ſenkte plötzlich die langen Wimpern, wie wenn ſie verbergen wollte, was jetzt in ihrer Seele vorging.

Ich rufe Sie zum Zeugen auf, gnädige Frau, 74rief Oldenburg. Hat Ihnen Ihr Italieniſch viel genützt?

Im Gegentheil, ſagte Melitta, und ihre dunklen Augen flammten auf; ich habe ſo nur manches al¬ berne, lügneriſche Wort mit anhören müſſen, das mir ſonſt unverſtändlich geblieben wäre.

Ja, ja, die Italiener lügen viel, lachte der Baron.

Sagen wir lieber, es wird in Italien viel gelogen, replicirte Melitta.

Zum zweiten Mal abgefallen, murmelte der Baron. Das Weib iſt noch immer ſchön, wie ein Engel und klug wie die Schlange. Ja, ſie iſt ſchöner, als früher. Ihre Augen ſind noch größer und leuch¬ tender, ihre Schultern noch runder; ihre Stimme iſt noch weicher und wohllautender und das Alles in majorem Dei Gloriam, das heißt dem hübſchen Fant an ihrer Seite zu Liebe! Hm! Herr Doctor, wollen Sie mir die Ehre erweiſen, ein Glas Cham¬ pagner mit mir zu trinken? Ich dächte, es läge eine Wolke auf ihrer Stirn. Verſcheuchen Sie dieſelbe. Sie wiſſen: dulce est desipere in loco.

Was für eine verzweifelte Sprache iſt denn das nun wieder, Baron? rief von Cloten.

Platt bramaputraiſch mon cher. Auf Ihr Wohl, Cloten!

75

Je mehr ſich die Mahlzeit ihrem Ende nahte, und je ſchneller ſich die von den Bedienten ſtets wieder ge¬ füllten Champagnergläſer leerten, deſto lärmender und wüſter wurde die Unterhaltung, ſo daß ſelbſt die Stimme des Grafen Grieben, die man bisher wie das Kreiſchen eines großen Papagei's in einer Me¬ nagerie immer durchgehört hatte, übertönt wurde. Der dünne Firniß äußerlicher Cultur, aus welchem die ganze ſogenannte Bildung dieſer bevorrechtigten Klaſſe beſtand, begann von den Strömen Weines, die unaufhörlich floſſen, in einer erſchreckenden Weiſe her¬ untergeſpült zu werden, und die nackte, troſtlos dürf¬ tige Natur kam überall zum Vorſchein. Die jungen Herren erzählten den jungen Damen ihre Abenteuer auf der Jagd, bei den Pferderennen, ihre Heldenthaten während ihrer militairiſchen Dienſtzeit, oder gefielen ſich in Unterhaltungen, die ſcherzhaft und galant ſein ſollten, und die für jedes feinere weibliche Gemüth einfach plump und zweideutig waren. Indeſſen ſchienen die jungen Damen leider an dieſe Sorte Unterhaltung viel zu ſehr gewöhnt zu ſein, als daß dieſelbe irgend einen unangenehmen Eindruck auf ſie hätte hervor¬ bringen können. Im Gegentheil, ſie ließen ſich ein Glas Champagner nach dem andern aufnöthigen, ſie wollten ſich todtlachen über die reizenden Einfälle der76 jungen Herren, beſonders des jungen Grafen Grieben, eines ſehr langen, ſehr dünnen und ſehr blonden Jünglings, deſſen Erſcheinung flüchtig an eine Giraffe erinnerte, und der, wenn er wie diesmal nicht in un¬ mittelbarer Nähe Oldenburg's ſich befand, gern den ſtarken Geiſt ſpielte und eine gewiſſe Autorität über ſeine Kameraden ausübte. Oldenburg ſelbſt ſchien entweder ein feuriger Verehrer des Gottes Bacchus zu ſein, oder ein ganz beſonderes Vergnügen darin zu finden, den bacchantiſchen Taumel um ſich her ge¬ fliſſentlich zu vermehren; denn er trank und ſprach unaufhörlich und forderte die Andern unausgeſetzt zum Trinken auf. Beſonders hatte er dabei von Cloten im Auge, der im Anfang der Mahlzeit, durch Hor¬ tenſe's Vorwürfe aufgeſchreckt, ſehr ſtill und verlegen geweſen war, kaum aber eine Flaſche getrunken hatte, als er die ſchönen Vorſichtsmaßregeln, die ihm ſeine Geliebte in aller Eile für dieſen kritiſchen Fall ge¬ gegeben, vergaß, und ihre abwehrenden Blicke mit deſto feurigeren, und ihr geflüſtertes: Aber Arthur, nimm Dich doch zuſammen! mit einem faſt hörbaren: Aber, Kind, was willſt Du nur? es achtet kein Menſch auf uns, beantwortete. Ja, der junge Edelmann trieb die Unvorſichtigkeit ſo weit, bei einer Gelegen¬ heit, unter dem Vorwande ein Tuch aufzuheben, Hor¬77 tenſe's herabhängende Hand zu küſſen, ein andermal ihr Glas mit dem ſeinen zu vertauſchen; mit einem Worte, er benahm ſich ſo, daß, wer das Verhältniß der Beiden noch nicht kannte, es heute Abend kennen lernen, und wer es ahnte, in ſeinem Verdacht beſtätigt werden mußte.

Ich werde ſogleich nach Tiſche fahren, Oswald, ſagte Melitta zu dieſem, der in der letzten Viertel¬ ſtunde ſich faſt nur mit Emilie von Breeſen, ſeiner Nachbarin auf der andern Seite, unterhalten hatte.

Ich wollte, Du wärſt gar nicht gekommen, oder hätteſt mich zu Hauſe gelaſſen, ſagte der junge Mann bitter.

Schilt mich nur noch, ſagte Melitta, und ſchmerz¬ lich zuckte es um den reizenden Mund. Ach, Os¬ wald, ich wollte, ich könnte Dich mitnehmen für jetzt und für immer.

Hoffentlich erlaubt es Baron Oldenburg, ant¬ wortete Oswald, der bemerkte, wie die grauen Augen des Barons, während er ſich lebhaft mit dem kleinen Fräulein Klauß unterhielt, unausgeſetzt Melitta und ihn ſelbſt beobachteten.

Melitta antwortete nicht, aber die Thräne, die plötzlich an ihren dunklen Wimpern erglänzte und die78 ſie mit einer ſchnellen Bewegung ihres feinen Taſchen¬ tuchs ſogleich trocknete, war Antwort genug.

Verzeih 'mir, Melitta, murmelte Oswald, aber ich bin ſehr unglücklich.

Ich bin es nicht minder, vielleicht noch mehr und darum gerade möchte ich, daß Du ganz glücklich wäreſt, wünſchte ich, ich könnte Dich ganz glücklich machen.

Du kannſt es durch ein Wort!

Was iſt es, Oswald?

Sage, daß Du mich liebſt.

Oswald, ſo fragt die Liebe nicht, ſo fragt die Eiferſucht.

Giebt es eine Liebe ohne Eiferſucht?

Ja, die echte Liebe, die nichts fürchtet, und Alles glaubt.

So wäre meine Liebe nicht die echte? Freilich, wie können wir, die wir nicht vom Adel ſind, auch Anſpruch auf irgend etwas Echtes machen! Unſere Mütter und Schweſtern tragen böhmiſches Glas ſtatt Diamanten, wir ſelbſt haben keine echte Ehre, keine echte Liebe das iſt ja ſonnenklar.

Wenn Oswald, indem er dieſe wahnſinnigen Worte ſprach, in Melitta's Herz hätte ſehen können, ja wenn79 er nur einen Blick in ihr Geſicht geworfen hätte, er würde vor Scham haben vergehen müſſen. Melitta antwortete nicht; ſie weinte auch nicht, ſie blickte nur ſtarr vor ſich hin, als könne ſie das Ungeheure nicht begreifen, daß die Hand, die zu küſſen ſie ſich nieder¬ beugte, ſie in's Antlitz geſchlagen; daß der Fuß, den mit Narden zu ſalben, ſie niedergekniet war, ſie grau¬ ſam zurückgeſtoßen habe ... Wie hatte ſie ſich gefreut auf dieſen Abend, wie ſchön hatte ſie es ſich gedacht, mitten im Lärm der Geſellſchaft allein zu ſein mit dem Geliebten, ſeinen Worten zu lauſchen, ſeine Hand verſtohlen zu drücken, und während hübſche Frauen und reizende Mädchen mit ihm coquettirten, in ſeinen Augen zu leſen: Ich liebe doch nur Dich, Melitta! Und über dieſen Abend hinaus hatte eine roſige Zu¬ kunft ſich vor ihren Blicken aufgethan ein Land der Hoffnung nicht in deutlichen Umriſſen, aber voll Ruhe und Liebe und Sonnenſchein ... Aber da hatte ſich ihre Vergangenheit herangewälzt, wie ein grauer giftiger Nebel, und hatte das ſonnige Land der Zukunft immer dichter und dichter verſchleiert ... Und jetzt erſchien ihr durch den giftigen Nebel das Antlitz des Geliebten wie von Haß verzerrt, und ſeine Stimme drang ſeltſam fremd zu ihrem Ohr. War das ſein Antlitz? war das ſeine Stimme, die jetzt die Worte80 ſprach: Gnädige Frau, man hebt die Tafel auf, darf ich um Ihren Arm bitten?

Während ſie in den Reihen der Uebrigen die Treppe hinunterſchritten, ſprach Melitta kein Wort; auch Oswald nicht. Als ſie unten im Saale ange¬ kommen waren, verbeugte er ſich tief vor ihr, und als er den Kopf hob, ſchaute er auf einen Augenblick in ihr Antlitz. Er ſah, wie ſchmerzlich es um ihre Lippen zuckte; er ſah, welch 'rührende Klage aus ihren großen dunkeln Augen ſprach aber ſein Herz war verſchloſſen, und er wandte ſich zu einer Gruppe junger Mädchen und Herren, die das abgebrochene über¬ müthige Tiſchgeſpräch noch eine Weile fortſetzen zu wollen ſchienen. Melitta ſah ihm noch für einen Mo¬ ment nach, ſah, wie die hübſche Emilie von Breeſen ſich lebhaft zu ihm wandte, wie er ihr mit einem Scherze entgegentrat, ſie lachend etwas erwiderte und ihn mit ihrem Fächer auf den Arm ſchlug. Weiter ſah ſie nichts mehr; als ſie ſich wiederfand, ſaß ſie in der Ecke ihres Wagens. Auf die Bäume und Hecken an der Wegſeite, die an dem Fenſter vorübertanzten, fiel das helle Licht aus den Laternen, aber Melitta ſah Alles nur wie durch einen Nebelflor, denn ihr Herz und ihre Augen waren voll Thränen.

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Viertes Kapitel.

Mit Melitta ſchien der gute Genius aus der Ge¬ ſellſchaft gewichen und allen Dämonen freies Spiel gegeben. Immer lauter kreiſchten die Geigen, immer feuriger wurden die Blicke der Herren, immer fri¬ voler ihre Rede, immer üppiger und leidenſchaftlicher die Bewegungen der Tänzerinnen. Und noch immer floß der Champagner in Strömen. Friſche Lichter waren während des Abendeſſens überall auf den Kronleuchtern der Säle und rings in den Zimmern aufgeſteckt es ſchien, als ob die Luſt kein Ende nehmen ſolle, nehmen könne. Auch die älteren Herr¬ ſchaften hatten ſich wieder an die Spieltiſche begeben; aus einem kleinen Nebenzimmer, in welches fünf oder ſechs Herren ſich zurückgezogen hatten, hörte man das Klingen von Goldſtücken und ein gelegentliches: Faìtes votre jeu, messieurs!

Oswald hatte ſich vor dem Beginn des zweitenF. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 682Tanzes nach Herrn und Frau von Grenwitz umgeſehen, denn er hatte nicht bemerkt und erfuhr erſt jetzt, daß dieſe die Geſellſchaft ſchon vor dem Abendeſſen ver¬ laſſen hatten, und daß der Wagen wiederkommen würde, ihn abzuholen. Er hatte Melitta, da ſie nicht in dem Ballſaal erſchienen war, in einem der andern Zimmer vermuthet. Ein Diener, der mit einem Prä¬ ſentirbrette voll Weingläſern an ihm vorübereilte, antwortete auf ſeine Frage, ob er Frau von Berkow nicht geſehen habe? die gnädige Frau iſt ſoeben fort¬ gefahren. Befehlen Limonade oder Champagner? Oswald nahm ein Glas Wein und leerte es auf einen Zug. Fortgefahren ohne Abſchied! Vortrefflich, murmelte er, indem er ſich in den Ballſaal zurückbegab.

Und immer nächtiger wurde es in ſeiner Seele. Jetzt zürnte er nicht mit ſich, daß er die Geliebte ſo ſchnöde gekränkt und ſie ſo gekränkt hatte ziehen laſſen, ſondern ihr, daß ſie fortgegangen war, ohne ihm Gelegenheit zu geben, ſie um Verzeihung zu bitten. Ihm war zu Muthe, wie einer Seele zu Muthe ſein könnte, die in ihren Sünden zur Hölle gefahren iſt, weil ſie des Prieſters Abſolution verſchmähte, und die nun gegen ſich ſelbſt und gegen den unſchuldigen Prieſter wüthet. Tolle Gedanken wirbelten durch ſein überreiztes Gehirn es wäre ihm eine Wolluſt83 geweſen, wenn einer von dieſen jungen Adeligen, durch ſeinen Uebermuth beleidigt, ihm feindlich entgegen¬ getreten wäre. Ja, er legte es darauf an, er witzelte und ſpöttelte auf die übermüthigſte Weiſe; aber ent¬ weder verſtanden die Halbberauſchten ihn nicht oder ſie hatten noch ſo viel Verſtand behalten, einzuſehen, daß ein Duell mit einem Manne, deſſen Kugel unfehlbar war, eine Sache ſei, die wohl bedacht ſein wolle. Er ſuchte ſich zu überreden, daß von den anweſenden Damen mehr als eine vollkommen ſo ſchön und liebens¬ würdig ſei wie Melitta daß es lächerlich ſei, ſich um die Abweſende zu grämen, da ihm hier mehr wie ein feuriges Auge zu entſchädigen verſprach ... Warum ſollte er ſich nicht in Emilie von Breeſen verlieben? Warum nicht? Sie war eine Knospe, die zu einer wundervollen Roſe aufblühen mußte. Warum ſollte er nicht den erſten Blick in dieſes ſchwellende Knospen¬ leben thun? ſich nicht zuerſt an dem Duft dieſer friſchen Blume berauſchen? Und war ſie nicht ſchlank und geſchmeidig wie ein Reh? und war ihr roſiger Mund nicht ſchon zu einem wollüſtigen Kuſſe halb geöffnet, und blickte ſie nicht mit ſo großen, grauen, halb ſcheuen, halb kecken, halb neugierigen und halb verſtändnißklaren Augen zu ihm auf, wie er jetzt über die Lehne ihres Stuhls gebeugt mit ihr ſchwatzte? ...

6*84

Sie müſſen uns ja beſuchen, Herr Stein! Ich lade Lisbeth noch dazu, und dann reiten wir zuſammen ſpazieren.

Laſſen Sie Fräulein von Meyen nur zu Hauſe. Ich ziehe die Duetts den Terzetts bei weitem vor.

Iſt das wahr? Aber meine Couſine iſt ein ſehr hübſches Mädchen. Finden Sie nicht?

Fräulein Lisbeth iſt ein reizendes Weſen, das nur den einen Fehler hat, Sie zur Couſine zu haben, und nur den einen Fehler begeht, ſich zu häufig neben Sie zu ſtellen.

Warten Sie, das ſage ich ihr wieder

Sie würden mich dadurch dem Haß der jungen Dame ausſetzen und mir dafür eine Entſchädigung ſchuldig ſein.

Und liegt dieſe Entſchädigung in meiner Macht?

Nein, in Ihren Augen.

Sie Spötter, kommen Sie, die Reihe iſt an uns.

Oswald hatte ſich in der folgenden Pauſe zwecklos in den Zimmern umhergetrieben. Als er in den Ball¬ ſaal zurückkam, ſah er ſich vergeblich nach Emilie von Breeſen um. Halb und halb ſie ſuchend und auch wieder ohne Plan, von ſeinen böſen Gedanken gejagt, weiter irrend, gerieth er in eine andere Flucht von Zimmern, die an der den Spielzimmern entgegenge¬85 ſetzten Seite an den Ballſaal ſtieß und in welchen er bis jetzt noch nicht geweſen war. Nur hier und da brannte noch ein halb verlöſchendes Licht auf einem Wandleuchter oder vor einem Spiegel, und zeigte ihm wie in einem böſen Traum ein altes verbräuntes Fa¬ milienportrait oder ſein eigenes bleiches Geſicht. Die Stühle ſtanden wirr durcheinander. Die Fenſter waren mit Vorhängen verhüllt. Durch die Spalten ſchim¬ merte der Mond, der jetzt aufgegangen war, herein und zeichnete hier und da einen hellen Streifen auf die Teppiche des Fußbodens, Oswald trat, um friſche Luft zu ſchöpfen, an eins dieſer Fenſter. Als er den dunkelrothen, ſchweren Vorhang zurückſchlug, fuhr eine weiße Geſtalt, die in der tiefen Niſche des Fenſters auf einem niedrigen Rohrſeſſel geſeſſen und den Kopf in die Hand geſtützt hatte, ſcheu empor und ſtieß einen leiſen Schrei der Ueberraſchung aus. Oswald wollte den Vorhang wieder fallen laſſen und ſich zurückziehen, als die Geſtalt einen Schritt auf ihn zutrat und die Hand nach ihm ausſtreckte ... Und ein Paar weiche Arme umſchlangen ihn und ein knospender Buſen wogte ſtürmiſch an ſeiner Bruſt; zwei glühende Lippen pre߬ ten ſich auf ſeinen Mund, und eine leiſe Stimme hauchte: Oswald, o mein Gott, Oswald!

Ein Knabe, der mit ſeinem Schweſterchen geſpielt86 und aus Unachtſamkeit das Kind ſchwer verletzt hat, kann nicht beſtürzter und erſchrockner ſein, wenn er das Blut der Kleinen fließen ſieht, wie es Oswald war, als er die Thränen des Mädchens auf ſeiner Wange fühlte. Sein wahnſinniger Rauſch von Liebe und Eiferſucht war in einem Augenblicke verflogen. Was hatte er gethan? Er hatte die ſchnöde Rolle des liſtigen Finklers geſpielt; er hatte das arme Vö¬ gelchen mit Schmeichelworten und Liebesblicken gelockt, bis es zu ihm herangeflattert kam und ſich an ſeinen Buſen ſchmiegte ...

Mein Fräulein, flüſterte er, indem er ſanft den Kopf des Mädchens, das jetzt leiſe an ſeiner Bruſt ſchluchzte, emporzuheben ſuchte, Emilie, theures Kind, um Gotteswillen, beruhigen Sie ſich! Bedenken Sie, wenn Jemand Sie hier ſähe, oder hörte .

Was gehn mich die Andern an, ich liebe Dich, murmelte das Mädchen.

Mein beſtes Fräulein, ich beſchwöre Sie, kommen Sie zu ſich, machen Sie ſich nicht unglücklich .

So lieben Sie mich nicht, ſagte das leidenſchaft¬ liche Mädchen ſich ſchnell emporrichtend, ſo lieben Sie mich nicht? Gut, ich gehe .

Sie machte einen Schritt nach dem Vorhang hin aber die Leidenſchaft hatte ihre Kräfte aufgezehrt. 87Sie ſchluchzte laut auf, und wäre zu Boden geſtürzt, hätte Oswald ſie nicht in ſeinen Armen aufgefangen. Seine Lage war ſo peinlich wie möglich. In jedem Augenblick fürchtete er, Stimmen in dem Zimmer zu hören, den Vorhang zurückſchlagen zu ſehen und wiederum, die Aermſte in dieſem Zuſtand halber Ohnmacht zu verlaſſen, zumal da er ihr ſchicklicher¬ weiſe Niemand zu Hülfe ſenden konnte, war ihm un¬ möglich. Und doch mußte er ſich losreißen, denn er fühlte, wie das für einen Augenblick zurückgedrängte Fieber ſeiner Sinne, je länger dieſe wunderliche Si¬ tuation währte, wieder heiß und immer heißer durch ſeine Adern zu rieſeln begann ... zärtliche, liebe¬ volle, leidenſchaftliche Worte miſchten ſich, er wußte ſelbſt nicht wie, in ſeine leiſen Bitten; eine unwider¬ ſtehliche Gewalt drückte ihm den ſchlanken jugend¬ lichen Leib feſter und feſter in die Arme, ließ ſeine Lippen flüchtig die Lippen, die Augen, das Haar des holden Geſchöpfes berühren .... Mehr als alle Worte es vermocht hätten, brachten dieſe Zeichen der Liebe das leidenſchaftliche Kind wieder zu ſich.

So liebſt Du mich doch, Oswald? flüſterte ſie, ſich innig an ihn ſchmiegend.

Ja, ja, Holde, wer könnte ſo grauſam ſein, Dich nicht zu lieben. Aber bei Ihrer Liebe beſchwöre88 ich Sie, verlaſſen Sie mich jetzt, ehe es zu ſpät iſt. Ich ſehe Sie im Saale wieder

Das Mädchen legte noch einmal ihren Kopf an ſeine Bruſt, als ahnte ihr, daß er da zum erſten und zum letzten Male geruht, und hob noch einmal den Mund zum Kuſſe zu ihm empor, als wüßte ſie, daß ſo ſüße verſtohlene Küſſe ſie nun und nimmer wieder im Leben geben und empfangen würde .... Die weiße, ſchlanke Geſtalt war verſchwunden und nur der Mondſchein flimmerte auf dem dunkelrothen Vor¬ hang, der das Fenſter von dem Zimmer trennte. Und jetzt, als Oswald die Hand an den Vorhang legte, ſich, wo möglich auf einem Umwege wieder in den Ballſaal zurückzubegeben, hörte er die Stimme zweier Männer, die ſo eben in das Gemach traten.

[89]

Fünftes Kapitel.

Wer zum Tauſend war denn das, ſagte die eine Stimme es war die Stimme des Baron Ol¬ denburg war das nicht die ſchlanke Emilie? Wonach hat denn die kleine Menſchenfiſcherin hier im Trüben geangelt? Aber jetzt, Barnewitz, ſage ich mit Hamlet: Wo führſt Du hin mich? Red ', ich geh' nicht weiter. Zweimal habe ich ſchon in dem ver¬ dammten Clairobscur, das in dieſen Räumen herrſcht, meine freiherrlichen Schienbeine mit einem groben Schemelbeine in unangenehme Berührung gebracht. Gott ſei Dank, hier iſt eine Cauſeuſe: eh bien, mon ami, causons; que me vous?

Ich bitte Dich, Oldenburg, ſei für einen Augen¬ blick ernſthaft, ſagte Herr von Barnewitz, und ſeine Stimme klang ſeltſam gepreßt mir iſt wahrhaftig nicht lächerlich zu Muthe.

Ihr ſeid ſeltſame Menſchen! Du und Deines90 Gleichen. Ihr glaubt, ein ehrlicher Kerl, könne kein ernſthaftes Wort vorbringen, ohne eine Leichenbitter¬ miene dabei zu machen. Der Humor iſt Euch ein unbekannter Luxus. Nun wohl, mein ernſthafter Freund, was haſt Du?

Höre, Oldenburg .

Still! wir ſind doch hier unbelauſcht? Mir war, als hörte ich eine Ratte hinter den Tapeten?

Es war nichts.

Eh bien, ſo verkünde mir in möglichſt verſtänd¬ lichen Worten Deine Trauermähr.

Die Stimmen der Redenden wurden leiſer, aber nicht ſo ſehr, daß Oswald nicht jedes Wort deutlich hörte. Er verwünſchte ſeine Situation, die ihm die Rolle des Lauſchers aufzwang; aber er ſah keine Mög¬ lichkeit zu entrinnen. Da Oldenburg Fräulein von Breeſen erkannt hatte, würde er die Ehre dieſer jungen Dame preisgegeben haben, wäre er jetzt aus ſeinem Verſteck hervorgekommen. Er verſuchte, ob er nicht geräuſchlos das Fenſter öffnen könne, um mit einem kühnen Sprunge über die Stachelbeerhecke fort, die ſich unter demſelben hinzog, in den Garten, und von dort durch die offene Thür des Ballſaales in dieſen zurückzugelangen, aber er ſtand von dieſem Vorhaben, als zu gewagt ab, und ergab ſich, nicht91 ohne heimlich ſeinen Unſtern zu verwünſchen, in die halb lächerliche, halb ärgerliche Situation.

Oldenburg, ſagte Barnewitz, hat Cloten Dich gebeten, ihn zu meiner Frau zu ſetzen, oder war es blos ein Einfall von Dir?

Wie kommſt Du auf dieſe ſeltſame Frage?

Gleichviel! beantworte ſie mir nur?

Nicht bevor ich weiß, wo dies Alles hinaus ſoll!

Ich will eine Antwort und keine Ausflucht, ſagte der wüthende Edelmann.

Euer Drohen hat keine Schrecken, Caſſius, ant¬ wortete Oldenburg mit einem Tone, deſſen königliche Ruhe ſonderbar mit dem heiſern, leidenſchaftlichen Ton der Stimme des Andern contraſtirte. Ich ſage Dir noch einmal, Barnewitz, entweder Du ſagſt mir, was meine Ausſage in dieſer Sache für eine Bedeu¬ tung hat, oder ich verweigere, Dir Rede zu ſtehen.

Nun wohl, die Sache iſt kurz und bündig die: Cloten liebt Hortenſe!

O! und vice versa: liebt Deine Frau auch dieſen liebenswürdigen Jüngling?

Der Teufel ſoll ihn holen.

Ein höchſt chriſtlicher Wunſch, dem ich mich von ganzem Herzen anſchließe. Seit wann ſpielt dies romantiſche Verhältniß?

92

Seit wir von unſrer Reiſe zurück ſind.

Und welche Beweiſe haſt Du?

Tauſend!

Und was gedenkſt Du zu thun?

Herr Gott des Himmels, Oldenburg, Du fragſt, als ob es ſich um eine Whiſtparthie handelte! Um¬ bringen will ich den Schuft, mit der Hetzpeitſche will ich ihn von meinem Hofe jagen, ihn und ſeine Maitreſſe.

Bon! Und willſt Du mir einen dieſer tauſend Beweiſe nennen?

Nun, ich dächte der heutige Abend wäre Beweis genug. Erſt läßt ſie ſich von ihm zu Tiſche führen, hernach coquettirt ſie mit ihm auf eine unverſchämte Weiſe .

Halt, wer hat Dir das geſagt?

Der junge Grieben.

Dann ſage dem jungen Grieben, daß er ſein Spatzengehirn zu etwas Beſſerem verwenden könnte, als ſo alberne Geſchichten zu erfinden und ſie Dir zuzutragen. Ich habe näher geſeſſen, als er, und bin mindeſtens kein ſchlechterer Beobachter, und ich ſage Dir, daß Deine Frau und Cloten ſich über Tiſche ſo anſtändig benommen haben, wie man es nur von einem Edelmann und einer Edelfrau erwarten kann. Und dann bedenke doch gefälligſt, daß das ganze93 Arrangement nur ein Einfall, und, wie ich jetzt ſehe, ein ſchlechter Einfall von mir war.

Ich kann mich darauf verlaſſen, Oldenburg?

Ich meine gewöhnlich, was ich ſage.

Aber es iſt doch wahr! knirſchte von Barnewitz.

Lieber Freund, ich kann darüber gar nicht urtheilen, und Du würdeſt mich alſo ausnehmend verbinden, wenn Du mich aus dem Handel ließeſt. Willſt Du aber meinen freundſchaftlichen Rath, ſo ſteht er Dir gern zu Dienſten.

Was ſoll ich thun.

Deine Hetzpeitſche an der Wand hängen laſſen, und auf jede Weiſe einen Scandal vermeiden, in welchem ſich derjenige immer am meiſten blamirt, auf deſſen koſten der ganze Spectakel ſchließlich aufge¬ führt wird, c'est à dire: der Ehemann. Sodann rathe ich Dir, zu bedenken, daß unſere chronique scandaleuse überreich iſt an dergleichen Geſchichten, und daß, wenn alle gekrönte Häupter unter uns bei jedem neuen Ende, daß ihrem Schmucke angeſetzt wird, zur Hetzpeitſche greifen wollten, ſchließlich keine Seiler und Riemer im Lande mehr aufzutreiben ſein würden. Drittens erlaube ich mir, Dir den unmaßgeblichen Rath zu ertheilen: ſchaffe die Hälfte von Deinen Jagdhunden, und Deine ſämmtlichen Maitreſſen ab. 94Laſſe die Haſen ihren Kohl in Ruhe freſſen, und die Bauerbengel ihre Schätze in Frieden küſſen; bekümmere Dich mehr um Hortenſe, die wie alle Frauen, nichts Beſſeres verlangt, als geliebt zu werden, und die eine viel zu kluge Dame iſt, als daß ihr, wenn ſie die Wahl zwiſchen Dir und Cloten hat, Deine Vorzüge nur einen Augenblick verborgen bleiben könnten. Und ſchließlich, laß uns wieder unter Menſchen gehen, denn dieſes philoſophiſche Geſpräch in dieſem myſti¬ ſchen Halbdunkel hat mich außerordentlich angegriffen, und mich verlangt herzinnig nach einem Glaſe Cham¬ pagner.

Ha, ha, ha, lachte der halb betrunkene Barne¬ witz, der, wie es bei beſchränkten Menſchen zu gehen pflegt, aus einem Extrem in das andere verfiel; Ja, das iſt wahr, Oldenburg, ich bin ein ganz andrer Kerl, als dieſer verdammte Haſenfuß, dieſer Cloten. Und Hortenſe weiß das auch recht gut, ha, ha, ha! S'iſt auch war: ich habe in der letzten Zeit ein bischen flott gelebt. Weißt Du, unſre italieniſche Reiſe hat mich eigentlich ſo liederlich gemacht. Die verdammten Weibſen mit ihren ſchwarzen glänzenden Augen Ja und à propos, glänzende Augen. Was ich Dich immer fragen wollte: iſt es denn jetzt ganz vorbei mit Dir und der Berkow?

95

Mit mir und Frau von Berkow? Welch 'tolle Blaſe treibt denn Dein Gehirn nun ſchon wieder? Was ſoll vorbei ſein zwiſchen ihr und mir?

Aber Oldenburg, Du wirſt einem alten Fuchs wie mir doch nicht einbilden wollen, daß Du die ſüßen Trauben nur immer fein ſäuberlich aus der Ferne bewundert haſt?

Höre, mein Schatz, ſagte Oldenburg nur ſeine Stimme klang ſcharf wie ein zweiſchneidiges Meſſer; Du weißt, ich verſtehe Scherz, wie Einer; wer es aber wagt, Melitta's Ehre zu begeifern, beim allmäch¬ tigen Gott: er ſtirbt von meiner Hand.

Nun ſieh ', wie heftig Du gleich wieder wirſt.

Ich heftig? Ich bin ſo kühl wie Champagner in Eis. Ja, was ich ſagen wollte, verſprich mir, Barnewitz, daß Du weder heute noch morgen, über¬ haupt nicht bevor Du mit mir Rückſprache genommen, etwas in dieſer Angelegenheit thuſt; vor allem Dir gegen Deine Frau nicht das Mindeſte merken läßt; hörſt Du Barnewitz, nicht das Mindeſte!

Ja, der gute Rath kommt nun zu ſpät, ſagte Barnewitz; ich habe ſchon im Vorübergehen ein paar Worte gegen Hortenſe fallen laſſen; ich ſage Dir: ſie wurde bleich wie die Wand. Der verdammte Hallunke!

96

Das war ſehr unrecht, und ſehr unritterlich, mein Ritter von der traurigen Geſtalt, ſagte Olden¬ burg; alte Weiber ſchwatzen, Männer handeln; ſolche Scenen zwiſchen einem heulenden Weibe und einem polternden Ehemanne finde ich über alle Begriffe ple¬ bejiſch und gemein, und das Bewußtſein, das wir im Rechte, der andere im Unrechte iſt, ſollte uns doppelt mild, zartfühlend und nachſichtig machen. Im Un¬ rechte ſein, und es noch dazu eingeſtehen müſſen, iſt an ſich ſchon Unglück genug.

Ach Oldenburg; das iſt Alles für mich zu hoch. Und dann, Du kennſt die Weiber nicht, wenn Du glaubſt, ſie nehmen ſich dergleichen ſo ſehr zu Ge¬ müth. Zum einen Ohr hinein, zum andern wieder heraus. Komm Oldenburg, und überzeuge Dich, ob Du Hortenſe anſehen kannſt, daß ich ihr vor zehn Minuten geſagt habe, ich würde Cloten die Knochen im Leibe entzweiſchlagen, wenn die verdammte Ge¬ ſchichte nicht ſofort ein Ende nähme.

Ja, ja, Du biſt der wahre Othello! Und ich in meiner gutmüthigen Dummheit verſuche dieſen bru¬ talen Mohren zu einem civiliſirten Europäer zu waſchen! Quelle bêtise!

Als Oswald die Stimme der Redenden nicht mehr vernahm, und die Muſik, die aus dem Saale herüber¬97 tönte, zeigte, daß der Tanz wieder begonnen hatte, kam er aus ſeinem Verſteck hervor. Er vermuthete, daß dieſe Flucht von Stuben auf einem langen Cor¬ ridor enden müſſe, den er beim Hinaufgehen in den Speiſeſaal bemerkt hatte. Er hatte ſich nicht getäuſcht. Schon aus dem nächſten Zimmer führte eine Thür auf den Corridor. Aus demſelben gelangte er auf den Hausflur und von dort, ohne irgend Aufſehen zu erregen, in den Empfangsſaal und die Geſellſchafts¬ zimmer. Hier und da wurde noch geſpielt, aber die meiſten Herrſchaften hatten ſich nach dem Ballſaale begeben, wo demnächſt der Cotillon getanzt werden ſollte. Dahin begab ſich denn auch Oswald. Sein Auge ſuchte und fand alsbald Emilie von Breeſen. Er traute ſeinen Augen kaum, ſo ganz ſchien ſie ihm verwandelt; aus dem wilden Mädchen von heute Nachmittag war eine Jungfrau geworden. Sie er¬ ſchien ihm größer und bedeutender; ihr vorher roſiges Antlitz war jetzt bleich, aber ihre Augen leuchteten mit einem ganz ungewöhnlichen Feuer, und für die Scherze ihres Tänzers hatte ſie kein Lächeln mehr. Sobald ſie Oswalds anſichtig wurde, zuckte ein Freu¬ denblitz über ihr Geſicht. Eifrig wandte ſie ſich zu ihm, als er in ihre Nähe trat.

F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 798

Auf ein Wort, Herr Doctor! und dann im leiſen Ton: Ich tanze den Cotillon mit Ihnen, ich weiß, Sie ſind nicht engagirt; ich habe den Grafen Grieben ſo zur Verzweiflung gebracht, daß er ſo eben mit ſeinen Eltern fortgefahren iſt. Er vermuthet wahrſcheinlich, das werde großen Eindruck auf mich machen, der Narr! Entſchuldigen Sie Herr von Sylow, ich bin noch zu angegriffen. Tanzen Sie eine Extra¬ tour mit meiner Couſine. Sie ſchmachtet nach Ihnen. Gott ſei Dank, daß er fort iſt! Oswald, und Du liebſt mich? liebſt mich wirklich? Ich kann es kaum glauben. Mir ſchwindelt der Kopf; ich möchte laut aufjauchzen vor Luſt und Wonne. O, bitte, bitte, ſieh 'mich nicht ſo an, ich muß muß Dir ſonſt um den Hals fallen und Dich küſſen, wie vorhin. Biſt Du mir bös, Oswald? Es war wohl recht ſchlecht von mir. Aber ſieh', ich konnte nicht anders. Warum ſprichſt Du nicht Oswald?

Weil es ſüß iſt, Ihrem Geplauder zuzu¬ hören.

Ich bin wohl ein rechtes Kind, nicht wahr? Aber warum nennen Sie mich nicht Du?

Glaubſt Du denn, Holde, daß man nur die liebt, die man Du nennt?

Nein, aber daß man die Du nennt, die man99 liebt. O, ich finde dies Du ſo himmliſch. Gott ſei Dank, der Tanz iſt zu Ende. Komm, wir wollen uns einen guten Platz ſuchen, den dort in der Ecke, am Fenſter.

Die Herren waren eifrig beſchäftigt, nach den vorher von ihren Damen eingeholten Inſtructionen, die Stühle zu arrangiren; ſchon war der Kreis faſt geſchloſſen, als plötzlich durch das Plaudern und Lachen der übermüthigen Jugend, und das Quinqui¬ liren der armen gequälten Muſiker auf ihren ſeit einiger Zeit ſehr widerſpänſtigen Inſtrumenten, und das Klappern der Gläſer und Taſſen auf Präſentir¬ brettern, und in den Händen der Durſtenden Stimmen aus dem Nebenzimmer ertönten, die nichts weniger als feſtlich klangen laute, von Wein und Wuth heiſere Stimmen, drohende Worte hinüber und herüber nur ein paar Worte, aber gerade genug, um wenigſtens alle, die ſich auf dieſer Seite des Saales befanden, für einen Moment aus ihrem Freudentaumel aufzuſchrecken. Freilich auch nur für einen Moment, denn ein mit unfeinen Worten ge¬ führter Streit war dieſer feinen Geſellſchaft nichts Unerhörtes, und dauerte nicht immer ſo kurze Zeit, wie diesmal. Auch dieſer Vorfall würde wie ſo viele andere ähnliche kein weiteres Aufſehen erregt haben, wenn nicht ein zweiter Vorfall, der ſich in dem Ball¬7*100ſaale ereignete, dem erſteren eine eigenthümliche, und für die Scharfſinnigeren wenigſtens keineswegs räth¬ ſelhafte Bedeutung gegeben hätte. Kaum waren näm¬ lich die drohenden, heiſeren Stimmen nebenan von einer dritten, die eine große Autorität über die trun¬ kenen Lapithen ausüben mußte, zum Schweigen ge¬ bracht, als Hortenſe von Barnewitz, die mit dem jungen Herrn von Süllitz den Cotillon tanzen ſollte, den Arm dieſes Herrn faßte, der, ihre Bläſſe bemer¬ kend, ſchnell einen Stuhl herbeizog, auf welchem ſie ohnmächtig niederſank. Die Beſtürzung der Geſell¬ ſchaft war natürlich ſehr groß. Trotzdem daß ein Dutzend Riechfläſchen ſofort zur Hand waren, und mit dem Inhalt derſelben die Stirn, die Augen, die Schläfe der ſchönen Ohnmächtigen reichlich benetzt wurden, dauerte es doch einige Minuten, bis Hortenſe nur ſo weit zu ſich kam, um mit blaſſen Lippen den ſie umgebenden Damen ihren Dank zuzulächeln, und ſie mehr mit Blicken, als mit Worten zu bitten, ſie aus dem Ballſaale zu führen, was denn auch alsbald geſchah. Die Zurückbleibenden ſahen ſich einander an, als wenn ſie fragen wollten; was hatte denn das zu bedeuten?

Mit dem Balle iſt es nun wohl vorbei? fragte Adolph von Breeſen, der mit ſeiner jungen Couſine101 Lisbeth, welche er anbetete, zum Cotillon engagirt war, kleinlaut Oswald, der neben ihm ſtand.

Ich fürchte, ja, antwortete dieſer.

Wir tanzen doch weiter? fragte eine dritte Stimme.

Unmöglich, ſagte Herr von Langen, ich habe ſchon anſpannen laſſen.

Was war denn eigentlich das vorhin für eine Geſchichte zwiſchen Barnewitz und Cloten? fragte ein Anderer.

Was wird's ſein? Sie haben Beide ein Glas über den Durſt getrunken. Das iſt Alles, ſagte von Langen.

Es ſollte mich ſehr freuen, wenn das Alles wäre, ſagte von Breeſen; aber ich fürchte, dahinter ſteckt mehr. Ich höre, daß Cloten über Hals und Kopf davon gefahren iſt.

Herr von Barnewitz erſchien an Oldenburgs Seite in dem Ballſaal. Das Geſicht des Barons war ſo ruhig wie immer, aber das des andern Edelmanns war von Aufregung, Zorn und allzureichlich genoſſenem Weine purpurroth; ſeine Augen ſchwammen, und ſeine Stimme war etwas lallend, als er jetzt den Herrn, die ihm in den Weg kamen, zuredete, den Ball fort¬ zuſetzen.

102

Aufhören, nach Hauſe fahren dummes Zeug laſſe keinen Menſchen vom Hofe Heda! Champagner hierher. Nach Hauſe? Warum? meine Frau wird alle Augenblicke ohnmächtig, mit und ohne Grund da könnte ich gar keine Geſellſchaft geben. Muſik an¬ fangen!

Aber trotz dieſer gaſtfreundlichen Worte, deren Wirkung durch das allzuſichtlich aufgeregte Weſen des Sprechenden weſentlich beeinträchtigt wurde, und trotz der erſten Töne der Inſtrumente, die mit einem wahr¬ haft ſchauerlichen Accord einſetzten, waren nur ſehr Wenige bereit, den unterbrochenen Ball wieder aufzu¬ nehmen. Alle Uebrigen fanden plötzlich, daß es ſchon ſehr ſpät ſei, daß man zu lange bei Tiſch geſeſſen habe, daß es unverantwortlich wäre, ein Feſt fortzu¬ ſetzen, an welchem die Wirthin ſelbſt nicht mehr theil¬ nehmen könnte und was dergleichen Phraſen denn mehr ſind, durch die eine Geſellſchaft, die einmal aufbrechen will, ihren Rückzug zu motiviren ſucht. Schon hörte man einen Wagen nach dem andern vorfahren. Mütter ſuchten ihre Töchter, dieſe ihre Shawls und Fächer überall ein Aufbrechen, Abſchied¬ nehmen, hier ein übermüthiger Scherz, dort eine bös¬ willige Bemerkung, hier ein verſtohlenes Liebeswort. Oswald ſah nicht viel Anderes, als die Geſtalt103 des hübſchen, leidenſchaftlichen Kindes, das ihm in den wenigen Augenblicken ſo theuer geworden war. Die Liebe iſt etwas ſo Wunderbares, daß ſchon das bloße Bewußtſein, dieſe dämoniſche Kraft in Anderen ent¬ feſſelt zu haben, hinreicht in uns eine Empfindung zu erwecken, die, wenn ſie nicht Liebe iſt, der Liebe we¬ nigſtens täuſchend ähnlich ſieht. Die Liebe iſt ein Spiegel, der unſer Bild ſo verklärt zurückſtrahlt, daß ſelbſt die Klügſten, ſelbſt die Beſcheidenſten bei dieſem Anblick ſich eines Gefühles des Stolzes nicht erwehren können. Die Liebe macht uns zu einem Gott, und wir müßten nicht Menſchen, nicht die Brüder des Phaeton und des Ixion ſein, wenn es uns nicht Alle gelüſtete, dann und wann ein wenig den Gott zu ſpielen, oder mindeſtens einmal an der Tafel der Götter zu ſpeiſen. Welcher Nektar aber kann ſo ſüß ſein, wie die Küſſe von den thaufriſchen Lippen eines ſo holden jungen Geſchöpfes? wie die Blicke aus den Augen eines Mädchens, deſſen Buſen ſich zum erſten Male in Liebesſehnſucht hebt? wie ihre verwirrte und doch ſo verſtändliche Rede, dem Gezwitſcher eines jungen Vögleins vergleichbar, das aus voller Bruſt heraus¬ ſingen möchte, und doch die rechten Töne noch nicht finden kann? ...

Und Oswald hatte noch vor wenigen Minuten104 ſolche Lippen geküßt, und Oswald ſah ſo junge, ſtrah¬ lende Augen voller Seligkeit zu ihm aufgeſchlagen, und Oswald vernahm ſo leiſe, liebedurchglühte Worte. Was Wunder, daß er in dieſen wenigen Momenten, die ihm mit dem ſüßen Kinde noch beiſammen zu ſein vergönnt waren, Liebe für Liebe gab, daß er dem letzten Augenblicke, der ſie trennen würde, mit kaum ge¬ ringerer Angſt entgegenſah, wie das Mädchen ſelbſt, welches bei der Ankündigung, der Wagen ſei vor¬ gefahren, faſt in Thränen ausbrach. Emilie hatte den Augenblick, wo Oswald ſie nach dem Tanze zu ihrer Tante zurückführte, wahrgenommen, ihn dieſer Dame, die bei ihr Mutterſtelle vertrat, vorzuſtellen. Ein paar gewandte, witzige Worte hatten ihn ſchnell bei der Matrone, die mit dem beſten Herzen von der Welt gern auf Koſten Anderer lachte, in Gunſt geſetzt. Auch ſie lud Oswald ein, doch ja recht bald einmal nach Candelin (dem Gute von Emilien's Vater, der Vater litt für den Augenblick an der Gicht und hatte des¬ halb zu Hauſe bleiben müſſen ) herüber zu kommen.

Ja, und dann wollen wir etwas nach der Scheibe ſchießen, ſagte Adolf von Breeſen, der herantrat, um den Damen anzukündigen, daß der Wagen da ſei. Ich lade noch ein paar Herren dazu, damit Sie ſich nicht allzuſehr bei uns langweilen.

105

Ich beſitze das Talent, mich zu langweilen, nur in einem ſehr beſcheidenen Maße, und überdies glaube ich, daß die Gegenwart dieſer Damen und Ihre eigne, Herr von Breeſen, ein beſſeres Präſervativ gegen dieſe Krankheit iſt, als eine Geſellſchaft von hundert Perſonen, ſagte Oswald mit höflicher Verbeugung.

Siehst Du, Adolf, rief die lebhafte alte Dame, Herr Stein ſagt daſſelbe, was ich Dir ſchon tauſend¬ mal geſagt habe: nur langweilige Menſchen langweilen ſich; zum Beiſpiel Du und Deine Schweſter, die ihr jeden Tag hundertmal vor langer Weile ſterben wollt.

Ich langweile mich nie, Tante, rief Fräulein Emilie eifrig.

Kind, Du beginnſt irre zu reden, es iſt die höchſte Zeit, daß wir nach Hauſe kommen. Alſo au revoir, Monsieur.

Ich bitte um die Gnade, Sie bis zum Wagen begleiten zu dürfen, "ſagte Oswald, der alten Dame den Arm bietend.

Vous êtes bien aimable, monsieur, erwiederte ſie, den dargebotenen Arm annehmend. Sind Sie überzeugt, Herr Stein, daß Sie nicht von Adel ſind?

Wie von meinem Daſein, gnädige Frau. Wes¬ halb?

Hm; Sie haben in Ihrem ganzen Weſen etwas106 Chevalereskes, das man heut zu Tage nur zu ſelten und nur bei unſern jungen Leuten aus den beſten Familien findet. Adolf kann in dieſer Hinſicht noch ſehr viel lernen. Hörſt Du, Adolf?

Ich höre ſtets auf das, was Sie ſagen, liebe Tante, antwortete der junge Mann, der mit ſeiner Schweſter folgte, auch wenn ich, was Sie ſagen, ſchon ein oder das andre Mal von Ihnen gehört haben ſollte. Emilie, Kind, wo haſt Du denn die Augen, Du wärſt um ein Haar unter das Rad gekommen!

Die Damen waren eingeſtiegen, Adolf von Breeſen gab dem Kutſcher auf dem Bocke noch eine Inſtruc¬ tion über den einzuſchlagenden Weg. Oswald ſtand an der geöffneten Thür, die Tante hatte ſich ſchon bequem in ihrer dunkeln Ecke zurecht geſetzt, Emilie hatte ſich etwas nach vorn gebeugt. Das Licht von den Laternen auf dem Bocke und vor der Hausthür fiel auf ihr Geſicht. Ihre Blicke hingen unverwandt an Oswald; aber ſie ſah ihn wol kaum, denn ihre großen Augen waren von Thränen verſchleiert; ſie wagte nicht zu ſprechen, aber ihr leiſe zuckender Mund war beredt genug. Ihr Bruder ſprang in den Wagen und zog die Thür hinter ſich zu. Fort! die Pferde zogen an. Eine kleine Hand in weißem Handſchuh winkte aus dem Fenſter. Das war das letzte Liebes¬107 zeichen. Im nächſten Augenblick ſtand ein andrer Wagen auf demſelben Platze.

Oswald kehrte in das Haus zurück. Die Geſell¬ ſchaft war ſchon ſehr zuſammengeſchmolzen; unter den Wenigen, die noch da waren und, in Mäntel und Shawls gehüllt, auf ihre Equipagen warteten, war Niemand von denen, welche Oswald im Laufe des Tages genauer kennen gelernt hatte. Herr von Langen war der Erſte geweſen, der aufgebrochen war, nach¬ dem er ſeinen neuen Freund auf das dringendſte wiederholt zu einem Beſuche aufgefordert hatte. Os¬ wald hatte ſich draußen erkundigt, ob der Wagen von Grenwitz wieder da ſei, aber eine verneinende Ant¬ wort erhalten. Je mehr die Geſellſchaft ſich lichtete, deſto unangenehmer wurde ihm dies ganz unbegreif¬ liche Ausbleiben. Er ſah ſchon im Geiſte, wie er der letzte von Allen ſein würde, und hatte ſchon beſchloſſen, lieber vorher zu Fuß aufzubrechen, als ſchließlich auf die Gaſtfreundſchaft des Herrn von Barnewitz an¬ gewieſen zu ſein. Da kam der Baron Oldenburg aus einem der Nebenzimmer und ſchien Jemand mit den Augen zu ſuchen. Sobald er Oswald bemerkte, lenkte er ſeine Schritte auf dieſen zu.

Wie iſt es, Herr Doctor, ſagte er, ich dächte, es wäre Zeit nun abzufahren.

108

Ich wäre ſchon auf nnd davon, antwortete Os¬ wald, nur fehlt es mir vorläufig noch an Roß und Wagen; ich vermuthe, daß des Barons Kutſcher und Pferde, die mich abholen ſollen, unterwegs einge¬ ſchlafen ſind.

Ich mache mir ein beſonderes Vergnügen daraus, Ihnen einen Platz in meinem Wagen anzubieten, ſagte der Baron. Der kleine Umweg, den ich machen muß, um Sie vor dem Thore in Grenwitz abzuſetzen, wird mir durch das Vergnügen Ihrer Geſellſchaft doppelt und dreifach entſchädigt.

Ich nehme Ihr freundliches Anerbieten mit Dank an.

Eh bien partons!

Auf dem Flure trafen ſie Herrn von Barnewitz, der augenſcheinlich ſeinen Pflichten als Wirth nur noch mit der größten Mühe nachkam. Seine Augen waren blutunterlaufen, ſeine Stimme war auf eine unangenehme Weiſe rauh und heiſer. Er ſchwatzte allerlei tolles Zeug durcheinander, während er den einzelnen Gäſten, die er bis an den Wagen begleitete, eine höfliche Phraſe mit auf den Weg zu geben be¬ müht war. Wollen ſchon fort na, bleiben Sie gut nach Hauſe Johann! Deinen Wagen für Frau von Poggendorf gnädige Frau müſſen noch einen109 Augenblick anſpannen laſſen. Empfehlen mich Ihrem Herrn Gemahl! Ah! Poggendorf, alter Junge, hatte Dich gar nicht geſehen, laß Deine Frau in Teufels Namen allein fahren, wollen Glas Champagner Ol¬ denburg, Doctor, auch ſchon fort? Unſinn! freue mich Ihre Bekanntſchaft zu machen ſchießen wie der Teufel iſt recht, daß Sie den Cloten blamirt haben iſt ganz recht; biſt ein famoſer Kerl, Doc¬ tor, (zärtliche Umarmung), biſt mein Herzensfreund, (Schluchzen), mein beſter Freund, (neue Umarmung), hätteſt ihn todt ſchießen ſollen, den Hallunken.

Komm, Barnewitz, ich habe Dir etwas mitzu¬ theilen, ſagte der Baron, Herrn von Barnewitz ziem¬ lich derb auf die Schulter ſchlagend und ihn ein paar Schritte von dem Wagen fortführend. Entſchuldigen Sie auf eine Minute, Herr Doctor; Karl! Platz machen, daß die andern Wagen vorfahren können.

Die Beiden gingen eine Weile im Geſpräch auf und ab, bald in dem Dunkel des Hofes faſt ver¬ ſchwindend, bald in den lichten Kreis, der das Haus umgab, tretend. Oswald konnte ſich wol denken, wo¬ von zwiſchen den Beiden die Rede war. Ein paar Mal erhob Herr von Barnewitz ſeine Stimme, aber er ſenkte ſie auch alsbald wieder vor einem St! oder biſt Du nicht geſcheut? Oldenburg's, wie eine110 wilde Beſtie in der Menagerie aufbrüllt und ſofort ſchweigt, wenn der Blick oder die Peitſche des Herrn ſie trifft. Dieſer Mann übt eine magiſche Gewalt über die Andern aus, ſagte Oswald bei ſich, während er die lange Geſtalt des Barons neben dem um einen Kopf kleineren Barnewitz, wie das perſonificirte böſe Gewiſſen neben einem armen Sünder, hin - und her¬ ſchreiten ſah ich ſelbſt verſpüre ſchon ſeine Ein¬ wirkung. Es iſt ein Dämon in dem Manne, ein Dämon, den man entweder lieben oder haſſen, oder vielmehr lieben und haſſen muß, denn ich möchte dieſen Menſchen gern haſſen und kann es nicht. Und was hat er Dir denn ſchließlich auch gethan? Wenn er Melitta noch immer liebt, wie ich glaube, ſo bin ich für ihn ein ſchlimmerer Feind, als er für mich. Aber warum hat mir Melitta nicht geſagt, wie ihr Verhältniß mit dem langen Geſpenſt dort war und iſt? ich hätte ſie heute nicht gekränkt. Arme Melitta! wie ſie mich anſah und was würde ſie ſagen, wenn ſie die Scene in der Fenſterniſche geſehen hätte? ... Das ſüße, herzige Mädchen! und auch ihre Augen waren voll Thränen, als ſie im Wagen ſaß und mich ſo unverwandt anblickte. O! wer könnte ſo grauſam ſein, die Liebe dieſes holden Geſchöpfes zurückzuweiſen? Und dennoch:

111
All dieſes Neigen von Herzen zu Herzen
Ach, wie ſo eigen ſchaffet es Schmerzen.

Heiliger Goethe, bitt 'für mich! Du haſt ja auch die Lilie nicht verſchmäht, weil die Roſe ſo ſchön iſt, und deshalb umgiebt nun ein Kranz von Roſen und Lilien Dein ambroſiſches Haupt. Du hätteſt die kleine Emily an Dein großes Herz genommen und hätteſt ihr ſanft die üppigen Haare aus der Stirn geſtreichelt und hätteſt ſie zärtlich auf die zärtlichen Augen ge¬ küßt. O, ihr ewigen Sterne, wie reizend das Kind in dem Augenblicke war! Denn, Alles in Allem, iſt es doch nur ein Kind, und morgen wird ſie in ihrem Daunenbettchen erwachen und glauben, daß ſie die Scene in dem Erker geträumt hat.

So ſuchte Oswald ſein Gewiſſen zu beſchwichtigen für den Augenblick gelang es ihm auch.

Darf ich jetzt bitten einzuſteigen, Herr Doctor? rief der Baron, der mit Herrn von Barnewitz heran¬ trat. Es bleibt alſo dabei, Barnewitz?

Verlaß Dich darauf! ſagte dieſer, dem die Unter¬ redung mit ſeinem Mentor und die kühle Nachtluft ſehr wohl gethan zu haben ſchienen. Verlaß Dich d'rauf. Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß ich

St! ſitzen Sie bequem, Herr Doctor? Adieu, Barnewitz! fort, Karl!

[112]

Sechstes Kapitel.

Die Pferde zogen im Galopp an, der leichte Hol¬ ſteiner-Wagen raſſelte über den etwas holprigen Damm des Hofes. Im Nu lag das Schloß mit ſeinen noch immer lichterhellten Fenſtern, die dunklen Scheunen und Ställe, die kleinen Häuslerwohnungen hinter ihnen, und ſie befanden ſich draußen zwiſchen den nickenden Kornfeldern und den nebelverhüllten Wieſen. Die kurze Sommernacht ging zu Ende. Im Oſten ver¬ kündete ein hellerer Streifen den neuen Tag; die Dämmerung breitete über Alles gleichmäßig ihren grauen Schleier. Gerade vor ihnen nach Norden wetterleuchtete es von Zeit zu Zeit aus den trüben, dichten Dunſtmaſſen. Alles war noch ſtill auf den weiten Feldern, ſelbſt die Lerche, die Tagverkünderin, ſäumte noch. Oswald hatte ſich in ſeine Ecke zurück¬ gelehnt, und ſah träumend in die Dämmerung hinaus, nur manchmal, wenn der Dampf von des Barons113 Cigarre an ihm vorbeifuhr, wandte ſich ſein Blick auf dieſen, der den Hut etwas in den Nacken geſetzt, den Kragen ſeines Rockes in die Höhe geſchlagen, die langen Beine von ſich ſtreckend, in Nachdenken ver¬ ſunken ſchien. So mochten ſie wol eine Viertelſtunde lang ſchweigend neben einander geſeſſen haben, als der Baron plötzlich ſagte:

Sie rauchen ja nicht?

Nein.

Darf ich Ihnen eine Cigarre anbieten?

Ich danke: ich bin kein Raucher!

Das iſt wunderbar.

Weshalb?

Weil ich nicht begreifen kann, wie es ein Menſch im neunzehnten Jahrhundert aushalten kann, ohne Taback oder Opium zu rauchen, Haſchiſch zu kauen oder ſonſt auf irgend eine Weiſe das katzenjämmerliche Gefühl ſeiner elenden Exiſtenz in etwas abzuſchwächen. Und gerade von Ihnen begreife ich es am wenigſten.

Warum gerade von mir?

Weil, wenn mich nicht Alles täuſcht, Sie vor Sehnſucht nach der blauen Blume tödtlich erkrankt ſind, und in dieſer unbefriedigten Sehnſucht auch eines ſchönen Tages ſterben werden. Sie erinnern ſich doch der blauen Blume in Novalis 'Erzählung? F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 8114der Blume, nach der Heinrich von Ofterdingen's armes Herz verſchmachtete? Die blaue Blume! Wiſſen Sie, was das iſt? Das iſt die Blume, die noch keines Sterblichen Auge erſchaute, und deren Duft doch die ganze Welt erfüllt. Nicht alle Creatur iſt fein genug organiſirt, dieſen Duft zu empfinden; aber die Nachtigall iſt von ihm berauſcht, wenn ſie beim Mondenſchein oder in der Dämmerung des Morgens ſingt und klagt und ſchluchzt, und all die närriſchen Menſchen waren es und ſind es, die früher und jetzt in Proſa und Verſen dem Himmel ihr Weh und Ach klagten und klagen, und noch Millionen dazu, denen kein Gott gab, zu ſagen, was ſie leiden, und die in ihrer ſtummen Qual zum Himmel blicken, der kein Erbarmen mit ihnen hat. Ach, und aus dieſer Krank¬ heit iſt keine Rettung keine, als der Tod. Wer nun einmal den Duft der blauen Blume eingeſogen, für den kommt keine ruhige Stunde mehr in dieſem Leben. Als wäre er ein verruchter Mörder, als hätte er den Herrn von ſeiner Schwelle geſtoßen, ſo treibt es ihn weiter und immer weiter, wie ſehr ihn auch ſeine wunden Füße ſchmerzen und es ihn verlangt, das müde Haupt endlich einmal zur Ruhe zu legen. Wol bittet er, von Durſt gequält, in dieſer oder jener Hütte um einen Labetrunk, aber er giebt den leeren115 Krug ohne Dank zurück; denn es ſchwamm eine Fliege in dem Waſſer, oder das Gefäß, und wäre es von Asbeſt, war nicht reinlich, und ſo oder ſo Er¬ quickung hatte er ſich nicht getrunken. Erquickung! Wo iſt das Auge, in das wir einmal geſchaut haben, um nie wieder in ein anderes, glänzenderes, feurige¬ res ſchauen zu wollen; wo iſt der Buſen, an dem wir einmal ruhten, um nie wieder das Pochen eines anderen, wärmeren, liebedurchglütheren Herzen hören zu wollen? wo? ich frage Sie wo?

Der Baron ſchwieg: Oswald fühlte ſich auf die ſeltſamſte Weiſe bewegt. Was der ſonderbare Mann an ſeiner Seite in einem faſt elegiſchen Tone, der auffallend mit ſeiner ſonſtigen herben, rauhen Sprach¬ weiſe conſtratirte, wie träumend, wie mit ſich ſelbſt redend, ſprach, das waren ſo ganz ſeine eigenen Ge¬ danken, die er oft und oft, als Knabe ſchon, und immer wieder im Leben gehabt, daß ihm faſt ein Grauen ankam vor dieſer geiſtigen Doppelgängerei. Er fand keine Antwort auf eine Frage, die er ſelbſt aufgeworfen zu haben ſchien.

Es hat mir immer viel zu denken gegeben , hub der Baron wieder an, daß der Menſch ſich ſelbſt, ſeine Exiſtenz erſt mehr oder weniger vergeſſen muß, bevor er in den Zuſtand kommt, den wir in Ermangelung8*116andern Wortes mit glücklich bezeichnen, und das wir ihn um ſo glücklicher nennen müſſen, je tiefer dieſe Vergeſſenheit iſt. The best of life is but intoxi¬ cation, ſagt Lord Byron; ja wohl! die Liebe, die Romeo - und Julieliebe, für die man in den Tod geht, wie zu einem heitern Feſt, iſt auch nur ein Rauſch! Schlafen iſt beſſer, als wachen, ſagt die Weisheit der Inder; das Beſte von allen aber iſt der Tod.

Und doch tödten ſich im Verhältniß ſo wenig Menſchen warf Oswald ein.

Ja, das iſt merkwürdig genug, ſagte der Baron, beſonders heut 'zu Tage, wo die Meiſten ſich ſelbſt vor den Hamlet-Träumen, die uns in jenem ewigen Schlafe kommen möchten, nicht mehr fürchten.

Sollte dies nicht ein Beweis dafür ſein, daß es mit dem vielgeklagten Unglück dieſer Leute ſo ſehr arg nicht ſein kann?

Vielleicht, vielleicht beweiſt es aber auch nur, wie ſchwer es dem Menſchen wird, die letzte Hoffnung ſchwinden zu laſſen. Warum ſchleppt ſich der verirrte Wandrer mechaniſch weiter durch den tiefen Schnee, warum ſpäht der arme Schiffbrüchige auf Salas y Gomez ein halbes Jahrhundert über die öde Waſſer¬ wüſte nach dem rettenden Segel? warum zerſchellt ſich der auf Lebenszeit Eingekerkerte nicht den Kopf117 an der Wand ſeines Kerkers? warum erhängt ſich der arme Schelm, der morgen früh hingerichtet wer¬ den ſoll, nicht heute Nacht ſchon in ſeinen Ketten weil ihr Unglück ſo groß nicht iſt? Pah, glauben Sie doch das nicht einzig und allein, weil noch immer ein ſchwacher Schimmer von Hoffnung, von Rettung durch die Hölle ihrer Leiden dämmert, wie dort der blaſſe Streifen im Oſten. Wenn auch dieſer matte Schimmer einmal verlöſchte, dann, ja dann muß die alte Mutter Nacht ihr armes, verirrtes Kind wieder¬ nehmen, die milde, gute, liebevolle Todesnacht.

Nach einer kurzen Pauſe, während welcher der Baron mächtige Dampfwolken aus ſeiner Cigarre ge¬ blaſen hatte, fuhr er in etwas ruhigerem Tone fort:

Ich bin ein paar Jahre älter, als Sie, und das Geſchick verſtattete mir, in kürzerer Zeit ein größeres Stück vom Leben zu ſehen, als es ſonst wohl den Menſchen gegeben iſt. Ich habe das, wovon der graue Freund dem jungen Wolfgang in Leipzig eine möglichſt große Portion wünſchte: Erfahrung. Ich könnte, müßte wenigſtens mittlerweile erfahren haben, das für mich und Meinesgleichen keine Hoffnung mehr im Leben iſt, und dennoch, trotzdem das ich ſage: ich habe keine Hoffnung mehr, hoffe ich im Stillen doch noch immer auf ein mögliches Glück, wie118 der Schwindſüchtige auf Geneſung. Nehmen Sie zum Beiſpiel eine Geſellſchaft, wie die, aus der wir eben kommen. Ich weiß, wie hohl die Freuden dieſer Menſchen ſind, ich weiß wie kummervolle Geſichter, welch 'erbärmliche Armenſündermienen ſich hinter den lachenden Geſellſchaftsmasken verſtecken ich weiß, daß dieſes hübſche Mädchen in zehn Jahren eine un¬ glückliche Frau, oder eine Idiotin iſt, daß dieſer prächtige Junge, der den Kopf ſo hoch trägt und ausſieht, als ob er ſämmtliche zwölf Arbeiten des Herkules an einem Tage verrichten könne, ein plumper Landjunker ſein wird, der gegen die Bauern das jus primae noctis geltend macht und nebenbei ſeine Frau womöglich prügelt das weiß ich, und weiß noch mehr, und habe es tauſend - und aber tauſendmal im Leben geſehen, und doch bin ich noch ſo wenig blaſirt, daß dieſe trügeriſche Fata Morgana eine zauberiſche Wirkung auf mich hat, bin ſo wenig ernüchtert, daß jede hübſche Mädchenblume die Hoffnung in mir er¬ weckt, ich könnte wirklich einmal im Leben lieben oder geliebt werden, daß jede jugendlich ſchöne männliche Erſcheinung mich wieder an Freundſchaft glauben macht. Hätten Sie mir ſolchen Unſinn zugetraut?

Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie ſo denken, ſo fühlen könnten.

119

Und darin hatten Sie vollkommen Recht , ſagte der Baron; ich denke und fühle ſo auch nur, wenn ich, wie jetzt, complet betrunken bin. Was war das?

Ein greller Schrei tönte aus geringer Entfernung durch den ſtillen Morgen zu ihnen herüber, und noch einmal, ſchriller, verzweifelnder, wie wenn ein Weib denn es war eines Weibes Stimme das Meſſer in des Mörders Hand blinken ſieht. Vor ihnen in geringer Entfernung lag ein Stück Wald¬ land; der Weg führte daran herum, das Geſchrei mußte von der andern Seite kommen, die jetzt noch durch ein paar einzeln ſtehende Eichen und durch dichtes Unterholz verdeckt war.

Zu, Karl! zu! ſchrie der Baron.

Der Kutſcher hieb kräftig in die Pferde. Die edlen Thiere, wie voll Entſetzen über eine ſo unwürdige Behandlung, ſtürmten mit einer Schnelligkeit dahin, die den Inſaſſen des Wagens leicht hätte gefährlich werden können. Im Nu war die Waldecke erreicht. Sobald ſie einen Blick auf die andere Seite werfen konnten, bot ſich ihnen das ſeltſamſte Schauſpiel dar. Ein ſeltſam gekleidetes, braunes Weib, um deren bläu¬ lich ſchwarze Haare ein Stück rothes Zeug turban¬ artig gewunden war, lief kreiſchend her hinter drei Reitern, die ihre Roſſe zur größten Eile ſpornend, im120 nächſten Augenblicke ſchon in einer neuen Biegung des Weges hinter den Bäumen verſchwunden waren. Als der Wagen des Barons herandonnerte, ſprang das Weib auf die Seite, und rief mit gellender Stimme, die Hände flehend erhebend: Mein Kind mein Kind! ſie haben mir mein Kind geraubt!

Nur mit Mühe konnte der Kutſcher die Pferde zum Stehen bringen. Oswald, der in dem Weibe ſofort die braune Gräfin erkannt hatte, war vom Wagen herab¬ geſprungen.

Rette mein Kind, Herr! rette mein Kind! ſchrie die Zigeunerin, ſich vor ihm niederwerfend und ſeine Knie umklammernd.

Der Baron lachte.

Eine ungeheuer romantiſche Situation, Herr Doc¬ tor! rief er vom Wagen herab. Morgendämmerung, Wälderrauſchen, Zigeuner, des Königs Hochſtraße, wahrhaftig: reiner Eichendorf! Unterdeſſen daß Sie die ſchöne Beraubte tröſten, will ich den Räubern nachſetzen, die übrigens nur Schafe in Wolfskleidern, das heißt ein paar unſrer hohlköpfigen Junker ſein werden, die das Ganze für einen genialen Spaß halten.

Der auf dem Schimmel war der junge Herr von Nadelitz, ſagte der Kutſcher, der die wilden Pferde kaum halten konnte, über die Schulter gewandt.

121

Zu! rief der Baron, wir wollen die Junker Mores lehren!

Der Wagen donnerte weiter.

Die Zigeunerin hatte ſich wieder erhoben. Sie ſah dem Wagen nach, der in raſender Schnelligkeit auf dem höckrigen Waldweg dahinfuhr und jetzt hinter der vorſpringenden Ecke verſchwand. Ein ſeltſames Lächeln flog über ihr Geſicht, während ſie, in athem¬ loſer Aufmerkſamkeit lauſchend, daſtand. Dann, als ihr ſcharfes Ohr das Rollen des Wagens nicht mehr vernahm, kreuzte ſie die nackten Arme über der vollen Bruſt, deren unruhiges Wogen einzig von dem Sturm, der eben noch ihren ganzen Organismus erſchüttert hatte, zeugte, und ſtarrte, in tiefes Nachdenken ver¬ ſunken, düſter vor ſich nieder. Plötzlich hob ſie den Kopf und ſagte, die großen glänzenden Augen auf Oswald heftend:

Kennſt Du den ſchwarzen Mann, der mir die Czika wiederbringt?

Ja, Iſabel.

Iſt er Dein Freund?

Nein.

Aber er wird es einſt ſein?

Vielleicht.

Iſt er gut?

122

Ich halte ihn dafür.

Gedenkſt Du noch des Nachmittags am Sumpfes¬ rand, Herr?

Ja Iſabell.

Kannſt Du die Stelle wiederfinden?

Ich glaube ja; weshalb?

Willſt Du, wenn wiederum der volle Mond, wie heute Nacht, am Himmel ſteht, den ſchwarzen Mann an dieſe Stelle führen? O, ſage: ja! bei Deiner Liebe zu der ſchönen, guten Frau, bei den Gebeinen Deiner Mutter beſchwöre ich Dich, ſage: ja!

Die Zigeunerin hatte ſich abermals vor Oswald auf die Knie geworfen, und blickte, die Hände über den Buſen kreuzend, flehend zu ihm empor.

Steh auf, Iſabel; ſagte der junge Mann; ich will Deinen Wunſch erfüllen, wenn ich kann.

Die Zigeunerin ergriff ſeine Hände, die er nach ihr ausſtreckte, ſie vom Boden zu heben, und küßte ſie mit leidenſchaftlicher Dankbarkeit. Dann ſprang ſie empor, eilte über die Breite des Weges dem Walde zu, und war im nächſten Augenblicke ſchon in dem dichten Geſtrüpp, durch das ſie mit der Kraft und Schnelligkeit des Hirſches brach, verſchwunden.

Ehe ſich Oswald von dem ſprachloſen Erſtaunen,123 in welches ihn das räthſelhafte Betragen der braunen Gräfin verſetzt hatte, erholen konnte, vernahm er ſchon das Rollen des Wagens, der in derſelben Eile, mit der er ſich vorher entfernt hatte, zurückkam. Aber, bevor das Fuhrwerk die vorſpringende Waldecke, hinter der es verſchwunden war, erreicht hatte, hielt es plötzlich, und um die Büſche herum kam der Baron, im bloßen Kopf, die kleine Czika auf dem Arm tragend.

Wir haben gejagt, wir haben gefangen; rief er ſchon von weitem. Die feigen Wölfe ließen, ſobald ſie ſahen, daß ſie verfolgt wurden, die ſchöne Beute fahren, und machten, daß ſie davon kamen. So, Du kleiner Ganymed, nun ſieh 'zu, ob Dich Deine Füße wieder tragen.

Der Baron ließ das Kind aus ſeinen Armen auf den Boden gleiten. Aber, wo iſt denn die Mutter geblieben, oder wer ſonſt das braune Weib war? fragte er, erſtaunt, Oswald allein zu finden.

Oswald theilte ihm in kurzen Worten mit, was ſich während ſeiner Abweſenheit zugetragen hatte.

Nun, das iſt nicht übel; ſagte der Baron; die Sache wird immer romantiſcher, Vollmond, Sumpfes¬ rand, ein ſchlaues ägyptiſches Weib und zwei gute deutſche Jungen, die ſich nasführen laſſen! Was ſollen wir denn mit der Czika, wie Sie die kleine124 Prinzeſſin nennen denn ich wette, es iſt ein ge¬ ſtohlenes Königskind unterdeſſen anfangen?

Wenn wir ſie nicht auf der offenen Landſtraße zurücklaſſen wollen, werden wir uns wohl entſchließen müſſen, ſie mit uns zu nehmen.

Aber das Kind wird nicht mit uns gehen wollen. Höre, kleine Czika, willſt Du mit mir gehen?

Ja, Herr, ſagte das Kind, das bis jetzt, ohne eine Spur von Beſorgniß, Furcht oder Angſt zu ver¬ rathen, ruhig dageſtanden hatte.

Hm! ſagte der Baron, da komme ich ja zu einem Adoptivkinde, ich weiß nicht wie.

Er war mit einem Male ſehr ernſt geworden. Er ſtreichelte der Czika die blauſchwarzen ſeidenen Locken von der feinen Stirn, und betrachtete ſie lange un¬ verwandt.

Wie ſchön das Kind iſt! murmelte er; wie wunderſchön! Und wie groß es geworden iſt! Komm mit mir, kleine Czika, Du ſollſt es gut, ſehr gut bei mir haben; ich will Dich mehr lieben als Deine Mutter, die Dich ſo ſchnöde verlaſſen, Dich je geliebt hat.

Mutter verläßt die Czika nicht; ſagte das Kind, ruhig zum Baron emporblickend; Mutter iſt, wo die Czika iſt; Mutter iſt überall.

125

Sich von den Männern abwendend, legte es die Händchen an den Mund; und in den ſtillen Wald hinein gellte ein Schrei, dem Ruf des jungen, hung¬ rigen Falken täuſchend ähnlich.

Das Kind neigte den Kopf und lauſchte; der Baron und Oswald hielten unwillkürlich den Athem an.

Da ertönte aus dem Walde, aber offenbar ſchon aus größerer Entfernung, die Antwort: Der helle, wilde Schrei des alten Falken, wenn er aus ſeiner luftigen Höhe, tief unter ſich, die ſichere Beute er¬ ſpäht hat.

Siehſt Du, Herr, ſagte das Kind; Mutter verläßt die Czika nicht; wenn Du die Czika mit Dir nehmen willſt, die Czika will mit Dir gehen.

Nun denn, ſo komm, Du junge Falkenbrut! ſagte der Baron das Kind bei der Hand ergreifend. Kommen Sie, Doctor! Ich glaube, daß Karl den Riemen, der vorhin riß, wohl wieder zuſammengeflickt haben wird. Da kommt er ſchon. Alles in Ord¬ nung, Karl?

Ja, Herr.

Die Herren ſtiegen ein, und nahmen das Kind zwiſchen ſich.

Fort! rief der Baron; ſcharfen Trab!

Bald kamen ſie aus dem Walde auf die weite126 Haide, die ſich zwiſchen Faſchwitz und Grenwitz hin¬ zieht, dieſelbe Haide, auf der Oswald die alte Frau aus dem Dorfe getroffen hatte. Es war noch eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Am öſtlichen Himmel legte ſich ein Purpurſtreifen über den andern. Die Luft wehte vom Meere her kühl über das feuchte Moor.

Die kleine Czika hatte ſich dicht an den Baron geſchmiegt, und war feſt eingeſchlafen.

Wie leicht das Kind gekleidet iſt, ſagte dieſer; es wird ſich erkälten in der ſcharfen Morgenluft.

Er richtete ſich in die Höhe, zog ſeinen Ueberrock aus; hüllte die Kleine hinein, nahm ſie auf den Schooß, und legte ihren Kopf an ſeine Bruſt.

So, ſo! ſagte er gütig, ſo, ſo! und dann zu Oswald, der in Nachdenken über den räthſelhaften Charakter des Mannes an ſeiner Seite verſunken, ſchweigend dageſeſſen hatte: Ich komme Ihnen ein ganz klein wenig toll vor; nicht wahr, Doctor?

Nein, ſagte dieſer, den Kopf emporhehend; nicht im mindeſten.

Das kommt, weil Sie an derſelben Krankheit laboriren. Was Andere vor Erſtaunen ſprachlos macht, erſcheint uns ganz natürlich; und was die guten Leute und ſchlechten Muſikanten für ganz ſelbſtver¬127 ſtändlich halten, kommt uns oft geradezu fabelhaft vor. Ihnen wird es z. B. nicht unglaublich er¬ ſcheinen, wenn ich Ihnen ſage, daß mir dieſes Kind hier nun ſchon zum dritten Male im Leben begegnet, und daß ich ſo abergläubiſch bin, in dieſer dreimaligen Begegnung viel mehr zu ſehen, als einen bloßen Zu¬ fall, wie ich denn überhaupt mit Wallenſtein der Meinung bin, daß es keinen Zufall giebt.

Und wo und wann glauben Sie die Czika ge¬ ſehen zu haben?

Das erſte Mal vor vier Jahren in England. Ich ritt mit einem paar meiner engliſchen Freunde in einem abgelegenen Theile des Hyde-Park. Als wir im Galopp um eine Ecke biegen, ſteht ein Kind da ein braunes Kind mit großen, glänzenden, ſchwarzen Augen und hebt die Händchen bittend empor. Ich achtete ſeiner, in lebhaftem Geſpräch begriffen, kaum. Als wir ein paar hundert Schritte weiter ge¬ ritten ſind, packt es mich plötzlich wie mit Geiſter¬ hand. Ich kann die Empfindung, die mich überkam, nicht beſchreiben. Mir war, als hätte ich, an dieſem holden, hülfloſen Geſchöpf gleichgültig vorüberreitend, einen Frevel begangen, der mich zu dem Erbärm¬ lichſten aller Menſchen machte. Ich warf mein Pferd herum, und jagte, wie wahnſinnig, nach dem Orte zu¬128 rück. Das Kind war verſchwunden. Ich rief nach ihm; ich ſtieg ab; ich durchſuchte die nächſten Ge¬ büſche; die Freunde halfen, trotzdem ſie über meine Tollheit, wie ſie es nannten, lachten. Vergebens.

Das zweite Mal ſah ich das Kind in Aegypten. Es ſind jetzt gerade zwei Jahre. Wir, das heißt, eine kleine Karavane von Nilfahrern, die ſich zufällig zuſammengefunden hatten, durchzogen, auf Eſeln reitend, die engen, winkligen Straßen Aſyuts. Neben einer offenen Thür, durch die wir auf den ſtillen, ſchattigen Hof einer Moſchee blickten, ſtand in der Niſche der Mauer ein Kind, älter wie das Kind aus dem Hyde - Park, und jünger wie das, welches hier in meinen Armen ruht, aber daſſelbe braune Kind mit den blau¬ ſchwarzen Locken und den leuchtenden Gazellenaugen. Wieder ſtreckte es die Händchen bittend nach den Vor¬ übergehenden aus, und rief den Ruf, den Sie überall in Aegypten hören: Buickſchieſch, Howadji! Almoſen, o Kaufleute! Ich ſah das Kind, und ſah es auch wieder nicht, denn ich war in einer jener verzweifelten Stimmungen, wie ſie mich manchmal überkommt, wo ich Ohren und Augen offen habe, und dennoch weder ſehe, noch höre. Als wir um eine Ecke in die nächſte Straße biegen, überkommt mich genau daſſelbe Ge¬ fühl, wie damals im Hyde-Park. Ich ſpringe vom129 Eſel herab, laufe, was ich kann, nach der Stelle zu¬ rück. Die Niſche war leer. Die Thür zum Hofe der Moſchee ſtand, wie geſagt, offen. Der Hof hatte auf der anderen Seite eine zweite, ebenfalls nicht ver¬ ſchloſſene Thür, die auf eine der Hauptſtraßen führte, in der ſich um dieſe Stunde, es war in der Abend¬ dämmerung Menſchen, Kameele und Eſel durch¬ einander drängten. Das Kind war und blieb ver¬ ſchwunden, und mit ſchwerem Herzen kehrte ich zu meiner Geſellſchaft zurück, die ſich mein Davonlaufen menſchenfreundlichſt durch die Annahme, ich ſei ur¬ plötzlich toll geworden, erklärt hatte. Halten Sie es für möglich, daß dieſes Kind, das ich zuerſt im engliſchen Nebel und das zweite Mal unter dem warmen Himmel Aegytens geſehen habe, mir jetzt in dem deutſchen Buchenwalde zum dritten Male begegnet?

Und wäre es nicht dasſelbe Kind, und offen geſtanden, ich halte es für äußerſt unwahrſcheinlich, daß es dasſelbe iſt; antwortete Oswald; es müßte Ihnen dasſelbe ſein. Ich glaube an den Weltgeiſt, den ewig gleichen, der ſich hinter den Dingen verbirgt, den ewig wechſelnden; ich glaube, daß jene Lerche, die dort aus dem Haidekraut aufſteigt, und ſingend zum Himmel ſchwebt, dieſelbe Lerche iſt, zu der ich als Kind entzückt emporſchaute, bis ſie den ſcharfen Augen imF. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 9130blauen Raum verloren war; ich glaube, daß alle Helden Brüder ſind und daß jeder Unglückliche eben derſelbe Nächſte iſt, den, wie uns ſelbſt zu lieben, Vernunft und Herz gleich gebieteriſch von uns heiſchen. Ob dieſes Kind daſſelbe iſt, nach dem Sie nun ſchon zweimal vergeblich ſuchten darauf kommt es nicht an; wohl aber darauf, daß Sie nach ihm ſuchten, daß der Ruf des armen verlaſſenen Geſchöpfes jedesmal durch das Erz, mit dem Sie gefliſſentlich ihre Bruſt umpanzern, bis zu Ihrem Herzen drang ... Verzeihen Sie einem Manne, den Sie an Erfahrung und an Geiſt ſo weit überragen, dieſe Sprache, zu der ihn nichts berechtigt, als die Hochachtung, die er, halb gegen ſeinen Willen, vor Ihnen empfindet. Und ver¬ ſtatten Sie mir noch dies eine Wort! Wenn Sie ſich entſchließen könnten, dies Kind zu lieben, ſo wäre es für Sie ein Geſchenk, köſtlicher und reicher, als Alla¬ dins Wunderlampe. Liebe iſt allenthalben, außer in der Hölle, lautet ein tiefſinniges Wort Wolframs von Eſchenbach; daß heißt: wo keine Liebe iſt, da iſt die Hölle. Die Liebe iſt der Duft der blauen Blume, der, wie Sie vorher ſagten, die ganze Welt erfüllt, und in jedem Weſen, das Sie von ganzem Herzen lieben, haben Sie die blaue Blume gefunden, nach der Sie Ihr Leben lang vergeblich ſuchten.

131

Ein unſägliches wehmüthiges Lächeln umſpielte des Barons Lippen, während Oswald dieſe Worte ſprach.

Sie löſen ſo doch das Räthſel nicht, ſagte er leiſe und traurig, denn eben die Bedingung, daß wir von ganzem Herzen lieben müſſen, wollen wir die Qual los werden, die uns das Leben zur Hölle macht, können wir ja nicht erfüllen. Wer von uns kann denn noch mit ganzen Herzen lieben? Wir Alle ſind ſo ab¬ gehetzt und müde, daß wir weder die Kraft noch den Muth haben, die zu einer wahren, ernſten Liebe gehören, zu jener Liebe, die nicht ruht und raſtet, bis ſie jeden Gedanken unſers Geiſtes, jedes Gefühl unſers Herzens, jeden Blutstropfen unſerer Adern ſich zu eigen gemacht hat. Wenn Sie noch jung und gut und gläubig genug zu einer ſolchen Liebe ſind wohl Ihnen! Von mir kann ich nur wiederholen, was ich vorhin ſchon ſagte: ich habe es aufgegeben, die blaue Blume zu finden, die wunderholde Blume, die nur dem Glücklichen blüht, der noch mit ganzem Herzen lieben kann. Doch hier ſind wir vor dem Thore von Grenwitz, und wir müſſen ein Geſpräch abbrechen, daß ich in allernächſter Zeit mit Ihnen forſetzen zu können hoffe und wünſche. Leben Sie wohl, und erkundigen Sie ſich recht bald perſönlich nach dem Befinden des kleinen Weſens, das ja Ihr Schützling faſt noch mehr iſt, wie der meine.

9*132

Der Wagen entfernte ſich raſch. Oswald ſchaute ihm noch lange nach; dann ſchritt er, geſenkten Hauptes, über die Brücke und über den Hof dem Schloſſe zu. Die Sonne war aufgegangen und badete die grauen Mauern in Frührothlicht; in dem thaufriſchen Garten jubelten die Vögel, aber für Oswald lag ein grauer Schleier über dem köſtlichen Morgen, denn in ſeinem Ohre klangen die Worte des Barons: Wer von uns kann denn noch mit ganzem Herzen lieben; wer von uns hat denn noch ein ganzes Herz?

[133]

Siebentes Kapitel.

Hat Dir das Schläfchen gut gethan, lieber Gren¬ witz? fragte die Baronin.

Ich danke, liebe Anna-Maria, recht gut, er¬ wiederte der alte Baron.

Es war in der Nachmittagsſtunde des Tages nach dem ereignungsreichen Balle in Barnewitz; die Re¬ denden befanden ſich in demſelben, nach dem Garten hinaus liegenden Zimmer des Schloſſes, in welchem vor ungefähr acht Tagen die Unterredung zwiſchen der Baronin und Melitta ſtattgefunden hatte. Die Baronin ſaß wieder, wie damals, in der Nähe der geöffneten Flügelthür, die nach dem großen Raſenplatz führte, auf welchem Melitta's Augen Oswald zum erſten Male erblickten, und wieder nähte die muſter¬ haft fleißige Frau emſig und unverdroſſen, als müßte ſie ſich ihr tägliches Brod mit der Nadel verdienen. Der Baron ſaß ihr gegenüber in demſelben Schaukel¬134 ſtuhl, in welchem ſich Melitta gewiegt hatte. Er er¬ wachte ſo eben aus einem erquickenden Nachmittags¬ ſchlaf und ſchaute mit den alten, glanzloſen Augen freundlich durch die offene Thür auf den Raſenplatz, wo ſein Liebling, der Pfau, das prächtige Gefieder im Sonnenſchein erglänzen ließ.

Recht gut! wiederholte er, die Glieder ſtreckend.

Aber Du ſiehſt doch ſehr angegriffen aus; ſagte die Baronin, die großen, kalten grauen Augen for¬ ſchend auf die verwitterten Züge des Barons heftend; dieſe anſpruchsvollen, lärmenden Geſellſchaften ſind wahres Gift für Dich; und ich habe mir ſchon, wäh¬ rend Du ſchliefſt, im Stillen rechte Vorwürfe gemacht, daß ich geſtern nicht früher zum Aufbruch mahnte.

Aber ich verſichere Dich, liebe Anna-Maria, ich befinde mich vortrefflich, das heißt, nicht ſchlechter, wie gewöhnlich, oder doch nicht viel ſchlechter, ſagte kleinlaut der gute alte Mann, der ſchon ſeit vielen Jahren gewohnt war, den Ausſprüchen ſeiner Anna - Maria, die er über Alles liebte und verehrte, niemals direkt zu wiederſprechen.

Du mußt Dich in dieſer Zeit noch recht in Acht nehmen, ſagte dieſe, wieder emſig nähend; heute über acht Tage ſpäteſtens müſſen wir reiſen, und Du wirſt zu den Strapazen einer ſo großen Tour Deine135 ganze Kraft nöthig haben. Wollte Gott, wir wären Alle ſchon glücklich wieder hier! Ich entſchließe mich wahrlich höchſt ungern dazu. Deine angegriffene Ge¬ ſundheit die Gefahren einer Seereiſe und dann: wird Dir das Bad in Helgoland auch wirklich gut thun? Doctor Braun verſichert es freilich, aber wer kann den Aerzten trauen? Schlägt eine Kur an, trium¬ phiren ſie, und ſchlägt ſie nicht an, ſind nicht ſie daran Schuld, ſondern der Patient, der ſich nicht ordentlich gehalten hat. Und was kümmert es den Herrn Doc¬ tor, ob Du geſund oder krank zurückkommſt, ob Du lebſt oder ſtirbſt aber ich, aber wir , o Gren¬ witz, was ſollte wol aus uns werden, wenn Du uns genommen würdeſt!

Die Baronin blickte von ihrer Arbeit empor, und in ihren Augen blickte etwas, das man bei einer an¬ dern Frau für eine Thräne gehalten haben würde.

Der alte Baron erhob ſich von ſeinem Stuhl, trat auf ſeine Frau zu und küßte ſie zärtlich auf die Stirn.

Du mußt Dir nicht ſolche Gedanken machen, liebe Anna-Maria, ſagte er gütig. Der liebe Gott wird mich noch nicht ſo bald ſterben laſſen; ich bete jeden Morgen zu ihm und danke ihm für jeden neuen Tag, den er mir ſchenkt, nicht meinethalben, denn ich bin ein alter Mann und ſterben müſſen wir ja Alle136 einmal ſondern Deinethalben, weil ich weiß, wie ſehr Dich mein Tod ſchmerzen würde, und auch, weil ich noch gern, bevor ich ſterbe, Deine und Helenen's Zukunft geſichert ſehen möchte.

Der alte Mann hatte ſich wieder geſetzt und aus einer goldenen Doſe, die neben ihm auf einem runden Tiſchchen ſtand, eine Priſe genommen, um die Rüh¬ rung, in die er ſich hineingeſprochen hatte, ſchneller zu überkommen; die Baronin nähte wieder eifrig an ihrer Arbeit.

Du biſt ſo gut, ſagte ſie, viel zu gut, denn Du biſt es ſelbſt gegen die, welche Deine Güte in keiner Weiſe verdienen, und Du haſt Dir dadurch manche ſchwere Sorge bereitet, deren Du mit ein wenig mehr ich will nicht ſagen: Egoismus, denn ich haſſe das Wort aber mit etwas mehr Discre¬ tion überhoben geweſen wäreſt. Du biſt jetzt für meine und Helenen's Zukunft beſorgt, mit Recht be¬ ſorgt. Dieſe Sorge wäre unnöthig, hätteſt Du nicht, als Du vor vierundzwanzig Jahren das Majorat erbteſt, die Güter zu wahren Spottſummen an Leute verpachtet, die jetzt auf Deine Koſten reich geworden ſind und noch dazu die Unverſchämtheit haben, uns als habſüchtig zu verſchreien, weil wir im nächſten Jahre die Contracte nicht unter den alten Bedingun¬137 gen erneuern wollen; und hätteſt Du nicht was ich nie habe begreifen können und nie begreifen werde, damals ohne alle Noth die enormen Schul¬ den Harald's übernommen, deren Abtragung Alles verſchlang, was Deine und ſpäter unſere Sparſamkeit von unſern Renten erübrigen konnte.

Dem alten Baron ſchien das von ſeiner Gemahlin angeſchlagene Thema nicht beſonders angenehm: er nahm, während ſie ſprach, eine Priſe über die andere und antwortete, als ſie jetzt ſchwieg, nicht ohne einige Lebhaftigkeit:

Ich kann Dir nicht ganz Unrecht geben, liebe Anna-Maria, aber auch nicht ganz Recht. Die alten Contracte ſind allerdings den Pächtern ſehr günſtig, aber die Zeiten waren damals auch andere; das Geld war nach dem Kriege äußerſt knapp, die Güter im Allgemeinen ſtanden ſehr niedrig im Werth, und unſere Güter waren, allerdings durch Harald's Schuld, in Grund und Boden gewirthſchaftet. Die Pächter hatten wahrlich im Anfang ihre liebe Noth, und wenn ſie jetzt mit der Zeit reich und unverſchämt geworden ſind, ſo bin ich an dem einen ſo wenig Schuld, als an dem andern. Ich habe es gut mit ihnen gemeint, das weiß der liebe Gott. Was aber mein Benehmen Harald's Gläubigern gegenüber anbetrifft, ſo weiß ich138 wirklich noch heute nicht, wie ich es hätte anders ein¬ richten ſollen. Die Ehre meiner Familie erforderte, daß ich ſeine Schulden übernahm, denn nicht dem Baron Harald von Grenwitz, der, das wußten die Leute recht gut, bei der Unantaſtbarkeit des Majo¬ rats niemals ſeine Schulden bezahlen konnte, hatten ſie creditirt, ſondern der Familie Grenwitz, die nicht zugeben würde, daß Einer aus der Familie ehrlos werde. Und dann hatte ich gegen meinen Vetter Pflichten der Dankbarkeit. Als er und ich junge Offiziere im Regimente waren, und auch im ſpäteren Leben, hat er ſtets wie ein Bruder gegen mich ge¬ handelt. Es iſt wahr, ich habe ſeine Güte nie ge¬ mißbraucht, und für jedes Hundert Thaler Schulden, die er für mich bezahlt hat, habe ich Tauſend für ihn bezahlt, aber er würde mich, davon bin ich überzeugt, aus jeder Verlegenheit geriſſen haben, denn ſeine Frei¬ gebigkeit kannte keine Grenzen.

Du ereiferſt Dich ohne Noth, lieber Grenwitz, ganz ohne Noth, ſagte die Baronin ruhig, während der alte Mann von der ungewohnt langen und leb¬ haften Rede erſchöpft in den Stuhl zurückgeſunken war, es fällt mir nicht ein, Dir Vorwürfe machen zu wollen. Du weißt, wie wenig Werth ich ſelbſt auf Reichthum lege, wie gering meine perſönlichen139 Bedürfniſſe ſind, und daß, wenn ich mir über die Zukunft Sorgen mache, es nicht meinethalben, ſon¬ dern der Kinder wegen iſt.

Ich weiß es, liebe Anna-Maria, ſagte der Baron; ich weiß es. Ich habe Dir nicht weh thun wollen, und ich bitte Dich wegen meiner Heftigkeit um Verzeihung.

Eine Pauſe in dem Geſpräche der Gatten erfolgte. Die Baronin nähte emſiger wie je, der Baron hatte ſich ſeine Brille aufgeſetzt, ein Zeitungsblatt ergriffen, das der Poſtbote vor einer Stunde gebracht hatte, und begann, die Lippen leiſe bewegend denn Leſen und Schreiben war des guten Mannes Sache nie ge¬ weſen ſich in die Lecture deſſelben zu vertiefen.

Perſonalveränderungen in der Armee‘ murmelte er; der Oberſt von , der Major von , lauter alte Bekannte. Der junge Grieben ſchon Premier - Lieutenant das geht ſchnell. Dem Seconde-Lieu¬ tenaut Felix von Grenwitz Erſuchen Abſchied ei der Tauſend! ich dachte, Felix wolle nur um Urlaub einkommen, und hier leſe ich, daß er ſeinen Abſchied genommen hat.

In der That! ſagte die Baronin, die betreffende Stelle in dem Blatte, das ihr der Baron hinreichte, leſend, nun das freut mich, freut mich ſehr. Ich140 will es nur geſtehen, lieber Grenwitz, daß ich ſelbſt Felix dieſen Rath ertheilt, und ſeinen Austritt aus der Armee mit zu den Bedingungen gerechnet habe, die er erfüllen müßte, bevor wir ihm unſere Helene geben könnten.

Aber warum das? fragte der Baron erſtaunt.

Warum? antwortete die Baronin. Nun, ich dächte, lieber Grenwitz, der Grund wäre doch klar genug. Ich dächte es wäre die allerhöchſte Zeit, daß Felix ein anderes Leben beginnt, und darauf möchten wir doch wohl vergeblich warten, ſo lange er in den¬ ſelben Kreiſen und denſelben Verhältniſſen bleibt, wo er ſeine Lebensweiſe nicht ändern könnte, ſelbſt wenn er wollte. Ich ſehe aus dieſem Schritt, der auch mich überraſcht denn ich glaubte nicht, daß er ſich ſo ſchnell dazu entſchließen würde, daß es ihm wirklich ernſtlich um die Hand Helenens zu thun iſt; und, wie geſagt: ich freue mich, freue mich ſehr darüber.

Aber, liebe Anna-Maria , ſagte der Baron, ſich hinter dem Ohr reibend, faſt verdrießlich; wir laden uns auf dieſe Weiſe Verpflichtungen auf, die wir am Ende gar nicht erfüllen können. Wenn nun unſer Kind, wenn Helene nun

Nicht will meinſt Du? unterbrach ihn die141 Baronin, ſich in ihrem Stuhl in die Höhe richtend, und die Augenbrauen zuſammenziehend; o, ich denke ſie wird wollen; ich denke, ſie wird nicht vergeblich gelernt haben, daß ein Kind den Eltern Gehorſam ſchuldig iſt.

Aber, wenn ſie den[Felix] nun nicht lieben kann? ſagte der alte Mann bekümmert.

Aber, Grenwitz! ich begreife Dich nicht; erwie¬ derte die Baronin; dieſe Heirath iſt ſeit langer Zeit unſer liebſter Wunſch geweſen. Helene hat die paar tauſend Thaler, die wir bis jetzt zurückgelegt haben und die Erſparniſſe, die wir in den kommenden Jahren etwa noch machen können, abgerechnet, kein Vermögen; denn Stantow und Bärwalde gehören vorläufig noch nicht uns, ſondern, Dank der Freigebigkeit des freige¬ bigen Barons Harald jedem beliebigen Abenteurer, der unverſchämt genug iſt, mit ein paar gefälſchten Zeugniſſen in der Hand, die Güter für ſich zu bean¬ ſpruchen. Felix 'Güter ſind allerdings ſehr verſchuldet, ich gebe es zu; aber er kann, wenn er nur will, und ich bin überzeugt, daß er jetzt zur Vernunft gekommen iſt, ſich mit unſrer Hülfe wieder herausreißen, und wenn Malte, was der Allgütige verhüten wolle! aber in ſolchen Dingen muß man an Alles, ſelbſt das Aeußerſte denken, und Malte's Geſundheit macht mir142 unbeſchreibliche Sorge wenn, ſage ich, Malte ja vor der Zeit ſterben ſollte, ſo iſt Felix Herr von Grenwitz und ich dächte, es müßte Dir ein lieber Ge¬ danke ſein, Deine Tochter ſo gleichſam an Malte's Stelle treten zu ſehen.

In dieſem Augenblick öffnete ſich langſam die Thür, ein bebrilltes Geſicht ſchaute vorſichtig herein, und eine quäkende Stimme fragte:

Darf ich näher treten, Gnädigſte?

Ah, ſieh, der Herr Paſtor! ſagte der Baron, aufſtehend und dem Eintretenden entgegengehend, ſein Sie beſtens willkommen? Wollen Sie nicht ablegen?

Bitte, bitte, Herr Baron bemühen Sie ſich doch ja nicht ich kann ja ſelbſt danke verbind¬ lichſt! ſagte Paſtor Jäger, Hut und Stock auf einen Stuhl legend; ich wollte mich gar nicht aufhalten; danke verbindlichſt ich würde einen Rohrſtuhl vorziehen danke! ich wollte mich nur nach dem Befinden der gnädigen Herrſchaften erkundigen, denn ich hörte heute Morgen, daß Sie das Zauberfeſt in Barnewitz geſtern mit Ihrer Gegenwart beehrt haben. Recht gut bekommen? Nicht ſonderlich? O! die Frau Baronin ſehen in der That etwas angegriffen aus und der Paſtor blickte, den Kopf, wie ein kranker143 Papagei auf die rechte Schulter neigend, mit dem Ausdruck innigſten Bedauerns auf die Baronin.

Ich befinde mich leidlich, ſagte dieſe, die Arbeit, die einen Augenblick geruht hatte, wieder ergreifend; aber Grenwitz ſcheint die Tour weniger gut bekom¬ men zu ſein.

O, in der That! ſagte der Paſtor den Kopf ſchnell auf die linke Schulter neigend. Darf ich Ihnen von meinen Tropfen offeriren, Herr Baron? ſechs bis zwölf auf Zucker?

Sie ſind doch der wahre Arzt für Seele und Leib; ſagte die Baronin, während der Paſtor auf eine abwehrende Bewegung des Barons ſein Fläſch¬ chen wieder in das Papier wickelte und in die Taſche ſteckte.

Ja, ja: mens sana in corpore sano, ein ge¬ ſunder, das heißt ein frommer Geiſt in einem geſun¬ den Körper, das habe ich als Knabe in der Schule gelernt, und ſuche es jetzt als Mann zu üben. Wo ſind denn aber die lieben Knaben? Noch beim Unterricht? Ja, ja, der Herr Doctor Stein ſcheint ein ſehr ſtrebſamer, fleißiger junger Mann, unter deſſen Anleitung die Junker es mit Gottes Hülfe recht weit bringen werden.

Nun glaubte der Paſtor Jäger mit dieſen Oswald144 geſpendeten Lobſprüchen etwas dem Baron und mehr noch der Baronin beſonders Wohlgefälliges geſagt zu haben. Oswald's ruhiges, ſicheres Auftreten hatte ſeiner feigen Seele gewaltig imponirt; Primula Beris, deren Urtheile über Dinge und Menſchen ihm Evan¬ gelien waren, hatte ſeit acht Tagen nur das Lob des jungen Gaſtfreundes geſungen, der ihr in einer Stunde mehr Verbindliches geſagt hatte, als ihr ſonſt vielleicht in einem Jahr geſagt wurde; heute Morgen hatte Frau von Plüggen, die Nachbarin und gute Freundin Primulas, dieſer einen Beſuch gemacht, um ihr von dem geſtrigen Balle den pflichtſchuldigen Be¬ richt abzuſtatten. Frau von Plüggen, eine Dame, die ſchon erwachſene Töchter hatte, aber noch immer gern die jugendliche ſpielte, war entzückt von Oswald, welcher ihr mit ſcheinheiliger Miene verſichert hatte, ſie könne ſich getroſt für ihre jüngſte Tochter ausge¬ ben. Sie erzählte der horchenden Primula, welche Senſation Oswald's Geſchicklichkeit im Schießen unter den jungen Männern hervorgebracht, welche Anerken¬ nung ſeine ſchöne Geſtalt, ſeine feinen Manieren in der Damenwelt gefunden; wie er mit Hortenſe ge¬ tanzt, Frau von Berkow zu Tiſche geführt habe; und eigentlich, Alles in Allem, der Löwe des Tages gewe¬ ſen ſei. Schon daß Oswald an einer Geſellſchaft,145 deren excluſive Tendenzen dem Paſtor ſehr wohl be¬ kannt waren, überhaupt hatte Theil nehmen dürfen, war in den Augen des Letzteren ein merkwürdiges, tief bedeutungsvolles Zeichen. Und zu alle dieſem kam noch ein Umſtand, welcher dem hochwürdigen Herrn Oswald's Gunſt und Freundſchaft vorzüglich wünſchenswerth erſcheinen ließ. Der Paſtor war nicht ohne Ehrgeiz. Er glaubte ſich zu größeren Dingen berufen, als den Bauern von Faſchwitz das Evange¬ lium zu predigen. Er wollte nicht umſonſt ſich bei der Lectüre alter Manuſcripte der Grünwalder Uni¬ verſität die Augen verdorben, nicht umſonſt über die verſchollenen Fragmente der verſchollenen Schriften eines verſchollenen Kirchenvaters eine grundgelehrte Diſſertation geſchrieben haben. Er war Doctor, er wollte Profeſſor ſein, Profeſſor in derſelben Muſen¬ ſtadt, die ihn vor fünfzehn Jahren als verkümmerten Studioſus der Theologie in abgeſchabtem Röckchen durch ihre Gaſſen hatte ſchleichen ſehen.

Er wollte es um ſo mehr, als ſeine Primula es wollte, Primula, welche die ländlichen Gefilde, in denen ihre Kornblumen erblüht waren, herzlich ſatt hatte, und ſich im Geiſte als geniale Gemalin des gelehrten Profeſſors an den äſthetiſchen Thee¬F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 10146tiſchen der Muſenſtadt glänzen ſah. Zur Erreichung dieſes höchſten Ziels konnte dem Paſtor der Profeſſor Berger, deſſen Stimme in der philoſophiſchen Facul¬ tät entſcheidend war, Profeſſor Berger, den er wegen ſeines offen zur Schau getragenen Voltaireanismus, Spinocismus, Atheismus gründlich verabſcheute, und deſſen Protection er doch ſchon oft vergeblich erſtrebt hatte, außerordentlich nützlich werden. Oswald aber war der erklärte Günſtling des großen Mannes, der erſte Schüler des alten Meiſters. Eine Empfehlung Oswald's war mehr werth als eine gelehrte Diſſer¬ tation folglich Oswald's Freundſchaft ein Ziel, aufs innigſte zu wünſchen , und ein gelegentliches Lob, das ihm doch wol wieder zu Ohren kommen konnte, gar keine ſchlechte Theologie.

So dachte, ſo rechnete der Paſtor.

Wie erſtaunt war er daher, als die Baronin mit einem Ton der Stimme, der nicht viel Gutes verhieß, ſeine huldvolle Phraſe mit der Frage beantwortete:

Sagen Sie einmal aufrichtig, Paſtor Jäger, was halten Sie von dem jungen Menſchen?

Den Schüler Berger's, den Günſtling Primula's, den Löwen vom geſtrigen Junkerfeſt ſchlechtweg als einen jungen Menſchen bezeichnen zu hören! der Paſtor traute ſeinen Ohren kaum. Er ſchoß über die147 runden Brillengläſer fort einen forſchenden Blick auf die Baronin, ob ihr Geſicht etwa einen Commentar zu der räthſelhaften Frage geben möchte. Da er ſich in dieſer Hoffnung getäuſcht ſah, und ſchlechterdings nicht wußte, was er antworten ſolle, griff er zu dem Mittel, zu welchem er in ſolchen kritiſchen Fällen ſtets ſeine Zuflucht nahm, das heißt: er zog die Schultern und die Augenbrauen möglichſt in die Höhe und die Mundwinkel möglichſt tief herunter, und überließ es dem indiscreten Frager, aus dieſer Miene zu machen, was er wollte und konnte.

Sie zögern mit Ihrer Antwort! ſagte die Baronin; ich gebe zu, es iſt nicht ganz leicht, über Herrn Stein in's Klare zu kommen. Er hat unleugbar manche ſchätzenswerthe Eigenſchaften. Seine Manieren ſind für einen Menſchen von ſo niedriger Extraction wirk¬ lich überraſchend gut; noch geſtern glaubte die Gräfin Grieben im Anfang, ich wolle ſie myſtificiren, als ich ihr ſagte: der junge Mann, der mit uns gekommen, ſei unſer Hauslehrer. Aber mit einer erträglichen Tournüre, mit gewandter Rede und dergleichen iſt es leider nur nicht gethan, und ich bin heute noch immer nicht mit mir darüber einig, ob wir an dem jun¬ gen Mann eine gute Acquiſition gemacht haben oder nicht.

10*148

Aber liebe Anna-Maria, ſagte der Baron; warum ſollen wir uns nicht auf den Profeſſor Berger verlaſſen, der

Lieber Grenwitz, ich verlaſſe mich auf Nieman¬ den, als auf mich ſelbſt. Der Profeſſor kann ſich durch Stein's einnehmendes Weſen ſo gut haben be¬ ſtechen laſſen, wie Du und viele Andere; und geſetzt auch, ſeine wiſſenſchaftliche Bildung ſei wirklich aus¬ reichend

Nun, darüber dürfte wohl kein Zweifel obwalten, Gnädigſte, ſagte der Paſtor, der, wenn er Oswald, wie er jetzt wohl einſah, fallen laſſen mußte, ſich wenigſtens nach dieſer Seite ſichern wollte. Es iſt durchaus nicht anzunehmen, daß der Profeſſor, dem Niemand, man mag über ſeine ich will nicht ſagen unchriſtliche, aber wenig kirchliche Geſinnung, denken, wie man will, einen durchdringenden Scharfblick, eine eminente Gelehrſamkeit abſprechen kann, ſich in dem intimen Umgange eines Ignoranten wohl gefühlt haben ſollte.

Ich erlaube mir in wiſſenſchaftlichen Dingen kein Urtheil, ſagte die Baronin; und ſo mag meinet¬ wegen Herr Stein neben dem Piſtolenſchießen, worin er ja, wie ich höre, brilliren ſoll, auch noch zu ſtreng wiſſenſchaftlichen Studien Zeit gefunden haben; aber149 es kann Jemand gute Manieren haben und Gelehr¬ ſamkeit dazu, und doch ein unmoraliſcher Menſch ſein.

Aber liebe Anna-Maria, ſagte der alte Baron ganz erſchrocken, während der Paſtor die Mundwinkel herunterzog und beiſtimmend nickte.

Ich bleibe dabei, fuhr die Baronin fort, ein unmoraliſcher Menſch. Hätte ich gewußt, was ich leider zu ſpät erfuhr, daß der Profeſſor Berger bei aller ſeiner vielgerühmten Gelehrſamkeit in dem Ge¬ ruche eines Demokraten und Atheiſten ich weiß nicht, welches von beiden das Schlimmere iſt, denn, wer ſeinen Gott nicht ehrt, kann auch ſeinen König nicht ehren und umgekehrt ich ſage, hätte ich ge¬ wußt, daß der Profeſſor ein Freidenker und ein Mann der Umſturzpartei iſt, ich würde ihm nimmermehr bei der Wahl eines Erziehers für meinen Sohn eine ent¬ ſcheidende Stimme eingeräumt haben.

Aber liebe Anna-Maria, ſagte der Baron; es iſt doch möglich, daß Du in Betreff Stein's unge¬ gründeten Befürchtungen Raum giebſt. Ich erinnere mich nie, ein Wort von ihm gehört zu haben, in dem man mit Sicherheit die Beſtätigung eines ſo ſchreck¬ lichen Verdachtes hätte finden können.

Nun, Paſtor Jäger, ſagte die Baronin, ſind150 Sie auch von der Unſchuld des jungen Mannes ſo feſt überzeugt?

Ich würde nicht der Wahrheit die Ehre geben, ſagte dieſer mit der Miene und dem Ton herzinnigſten Bedauerns, wollte ich leugnen, aus ſeinem Munde Aeußerungen vernommen zu haben, die an das Ge¬ biet des Frivolen, ja ich möchte ſagen Unheiligen nahe genug ſtreiften, um mich, ich darf wohl ſagen recht ſchmerzlich zu berühren. Aber ich tröſtete mich mit dem Gedanken, daß auch ein ſpäterhin trefflicher Wein in der Zeit der Gährung unſchmackhaft und trübe iſt, und vertraute der Allgüte deſſen, der aus dem Saulus einen Paulus machte.

Das iſt ſehr ſchön und chriſtlich, ſagte die Ba¬ ronin, beruhigt mich aber keineswegs. Wenn die Seele meines Kindes einmal vergiftet iſt, kann es mir gleichgültig ſein, ob der Vergifter ſpäter ſeinen Frevel bereut; und ich geſtehe: nach den Ereigniſſen des ge¬ ſtrigen Tages hat ſich der Verdacht, den ich, ohne Uebertreibung, von dem erſten Augenblicke an gegen Stein nährte, faſt bis zur Gewißheit geſteigert.

Iſt etwas Beſonderes vorgefallen, Gnädigſte? fragte der Paſtor, mit ſeinem Stuhle einen halben Zoll näher rückend.

Ich ſpreche nicht gern darüber, antwortete die151 Baronin, und wenn ich es doch thue, ſo iſt es, weil ich Sie als einen langjährigen Freund unſers Hauſes kenne, und zu Ihrer Discretion

Meine Pflicht und Schuldigkeit, Gnädigſte, rief der Paſtor, die Hand auf's Herz legend und den Rücken krümmend.

Sie kennen den Baron Oldenburg, fuhr die Baronin fort.

Nicht perſönlich, Gnädigſte, nur nach dem, was ich in vertraulichen Unterredungen der gnädigen Herr¬ ſchaften, denen ich beiwohnen zu dürfen gewürdigt wurde, über den Herrn Baron zu hören nicht umhin konnte.

Sie wiſſen alſo, in welchem Ruf Gott ſei es geklagt der Baron ſteht; Sie wiſſen, daß wir den Kummer haben, ſehen zu müſſen, wie der letzte Sproß aus einer unſrer älteſten, berühmteſten Familien mit ſehenden Augen denn der Baron iſt ein außer¬ ordentlich begabter Mann in's Verderben rennt.

Aber, liebe Anna-Maria, ſagte der Baron, der unruhig in ſeinem Stuhle hin - und herrückte, ich dächte, der Gegenſtand dieſes Geſpräches eignete ſich nicht beſonders

Ich kenne die Rückſichten, die ich unſerm Stande ſchuldig bin, ſagte die Baronin, und werde ſie zu152 beobachten wiſſen. Der Abfall des Barons von dem Glauben ſeiner Väter iſt leider zu notoriſch, als daß ich einem Freunde des Adels (der Paſtor krümmte den Rücken), einem Freunde unſers Hauſes (Sr. Ehr¬ würden legte die Hand auf's Herz) gegenüber mit dem ſchmerzlichen Geſtändniß der Wahrheit zurückhalten ſollte. Sie wiſſen, Paſtor Jäger, daß der Baron unſre Geſellſchaft flieht, um die von allerlei ſonder¬ baren Menſchen, denen man ſonſt gefliſſentlich aus¬ weicht, mit Vorliebe aufzuſuchen, daß er die gottloſe Phraſe von den ſogenannten Rittern vom Geiſt be¬ ſtändig im Munde führt, und daß von ihm ausge¬ zeichnet zu werden namentlich, wenn dieſe Aus¬ zeichnung Jemanden trifft, deſſen geſellſchaftliche Stel¬ lung ſo himmelweit von der ſeinigen verſchieden iſt beinahe ſo viel heißt, als ein verlorener Menſch ſein. Nun hat der Baron geſtern Abend Herrn Stein in einer ganz auffallenden, um nicht zu ſagen, anſtößigen Weiſe ausgezeichnet; er hat nicht nur ſein Möglichſtes gethan, ihn bei der Geſellſchaft zu introduciren, ſon¬ dern ihn vollkommen wie ſeines, wie unſers Gleichen behandelt, und um dieſem Benehmen, für das ich keinen Ausdruck ſuchen will, die Krone aufzuſetzen, ihn, als der Wagen von Grenwitz, der Herrn Stein von Barnewitz abholen ſollte wir waren ſchon vor153 dem Souper aufgebrochen nicht gleich zur Stelle war, in ſeinem eigenen Wagen bis vor unſer Hofthor mitgenommen, das heißt, ihm zu Gefallen einen Um¬ weg von faſt einer Meile gemacht.

Aber, liebe Anna-Maria, das würde auch jeder Andre

Verzeihe, lieber Grenwitz, das würde nicht jeder Andre gethan haben, und vor Allem würde es der Baron, deſſen ſchroffes, ungefälliges Weſen, ſelbſt den Standesgenoſſen gegenüber, ſprichwörtlich iſt, nicht gethan haben, wenn er nicht in Herrn Stein auch ſo einen Ritter vom Geiſt, das heißt einen Geſinnungs¬ genoſſen, einen Freidenker und Freiheitshelden, enfin einen unmoraliſchen Menſchen, um das Wort zu wieder¬ holen, das vorhin Deinen Unwillen erregte, lieber Grenwitz, und von dem Du mir jetzt zugeben wirſt, daß es leider das paſſende iſt gefunden zu haben glaubte.

Die Baronin ſchwieg, in dem wohlthuenden Be¬ wußtſein, ihre Anſicht ſiegreich verfochten zu haben; der Paſtor ſchwieg, die edle Gönnerin in dieſem Ge¬ nuſſe nicht zu ſtören und der Baron ſchwieg, weil er ſchlechterdings nichts zu ſagen wußte. In dieſes drei¬ fache Schweigen hinein ertönte vom Hausflur her, auf welchen die Thür des Zimmers führte, das Miauen154 einer Katze, dem ſofort das lautige, zornige Kläffen eines Hundes folgte. Dieſe Töne waren im Schloſſe Grenwitz, wo weder Hunde noch Katzen geduldet wur¬ den, etwas ſo Unerhörtes, daß die im Zimmer Be¬ findlichen ſich erſtaunt anſahen.

Was bedeutet denn das? ſagte der Baron auf¬ ſtehend und die Thür öffnend.

Ah, ſieh da, Herr Baron! ertönte eine helle, klare Stimme.

Es iſt Herr Timm! ſagte dieſer zu den im Zimmer Befindlichen zurückgewandt, und dann zu Dem draußen:

Wollen Sie nicht näher treten, Herr Geometer?

[155]

Achtes Kapitel.

Der, welcher dieſer Aufforderung des Barons ſo¬ fort folgend, in das Zimmer trat, war ein junger Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, obgleich die friſche Farbe ſeines hübſchen bartloſen Geſichtes ihm kaum dem Jünglingsalter entwachſen erſcheinen ließ. Der wohlgeformte Kopf war mit einem ſchlich¬ ten, blonden Haar bedeckt, das lang genug war um nach hinten geſtrichen zu werden, und die weiße Stirn frei zu laſſen, die keck und feſt ſich über einem Augen¬ paare wölbte, deren Farbe, ſo weit man es durch die Gläſer der Brille, die der junge Mann trug, erken¬ nen konnte, ein mattes Blau war. Seine Geſtalt war mittelgroß, aber breitſchultrig und ſein gedrun¬ gener, muskulöſer Köper augenſcheinlich zur Ertragung von Strapazen aller Art ausnehmend geeignet. Auf ſein Aeußeres ſchien der junge Mann ſehr wenig zu geben. Seine Kleidung beſtand aus einem hellen156 Sommerrock von zweifelhafter Farbe, der ſchon manchen Sturm erlebt zu haben ſchien, und aus Beinkleidern von demſelben Stoff und derſelben Farbe und Be¬ ſchaffenheit. Seine Wäſche war, als ſie aus den Hän¬ den der Wäſcherin kam, jedenfalls reiner geweſen. Seine Haltung entſprach ſeiner Kleidung, daß heißt, ſie war weniger elegant als bequem, und hatte noch das mit jener gemein, daß Herr Timm ſie offenbar unter Umſtänden mit einer beſſeren vertauſchen konnte.

Bitte tauſenmal um Entſchuldigung, ſagte er lachend, indem er ſich vor der Baronin ohne alle Förmlichkeit verbeugte und dem Paſtor vertraulich zu¬ nickte, daß ich die Unterhaltung der Herrſchaften durch mein lyriſches Intermezzo ſtören mußte, aber ich, wußte mir wirklich nicht anders zu helfen, da ich nicht die Ehre habe, Frau Baronin, Ihre Bedienten namentlich zu kennen, trotz alles Suchens keinen Klingelzug auf dem Flur entdecken konnte, und ſchon vergeblich in vier Thüren hineingeſehen hatte. Hätte ich ahnen können, daß die fünfte, welche ich übrigens gar nicht bemerkt hatte, von dem Herrn Baron ſelbſt geöffnet werden ſollte, ſo würde ich mir natürlich meinen muſikaliſchen Vortrag erſpart haben, der aller¬ dings nur für das weniger empfindliche Ohr eines in der Nähe befindlichen dienſtbaren Geiſtes berechnet157 war. Wie befinden ſie ſich Frau Baronin? Ange¬ griffen von der Hitze? Wäre kein Wunder fünf¬ undzwanzig Grad im Schatten reine Treibhaus - Temperatur. Ich ſoll Sie von Ihrer Frau Ge¬ malin grüßen, Herr Paſtor; ſprach ſie vor einer Stunde in Faſchwitz. Sie wird gegen Abend mit dem Einſpänner herüberkommen. Sie abzuholen. Mit der Vermeſſung von Saſſitz wären wir fertig, Herr Baron. Wenn es Ihnen recht iſt, will ich jetzt ſogleich die Karten zeichnen, wenn die Frau Baronin die Güte haben will, mir ein Zimmer des Schloſſes einzuräumen.

So ſprach Herr Timm und griff in die Taſche nach ſeinem Taſchentuche, um ſich die von Schwei߬ tropfen perlende Stirn abzutrocknen. Da er ſich aber noch zur rechten Zeit darauf beſann, daß das betref¬ fende, ſo überaus nützliche Stück der Toillette ſich für den Augenblick bei ihm in einem keineswegs ſalonfä¬ higen Zuſtand befand, ſo ließ er es, wo es war, fuhr ſich mit der Hand über Stirn und Haar, und ſchaute ſo vergnügt um ſich, als ob ihm die Grenwitzer Be¬ ſitzungen, die er im Schweiß ſeines Angeſichts ver¬ meſſen mußte, erb und eigenthümlich gehörten.

Gewiß; ſagte die Baronin, bei der Herr Timm wegen ſeiner ſcheinbaren Anſpruchsloſigkeit in großer158 Gunſt ſtand, und die, herrſchſüchtig wie ſie war, oder gerade, weil ſie herrſchſüchtig war, unwillkürlich einen Mann ſchätzen mußte, der ſich durch nichts imponiren ließ, und den nichts aus der Faſſung zu bringen ver¬ mochte; gewiß Herr Timm. Sie wiſſen, daß Sie uns zu jeder Zeit willkommen ſind. Sie werden hier, wo Sie nichts ſtört, beſſer arbeiten können, als in der Stadt, und es iſt ja zu unſerm beiderſeitigen Vortheil, daß die Arbeit möglichſt ſchnell beendet wird. Sie haben doch Ihre Sachen gleich mitgebracht, Herr Timm?

Steht Alles ſchon auf dem Hausflur, wo es der ländliche Jüngling, welcher die Oeländer lenkte, die mich im Hundetrab von Saſſitz hierher kutſchirten, deponirt hat; ſagte Herr Timm, deſſen Sachen aus einem kleinen melancholiſch ausſehenden Koffer beſtanden, in welchem etwas reine und nicht viel ſchmutzige Wäſche und die ſonſtigen Stücke ſeiner nicht eben luxuriöſen Garderobe in chaotiſcher Verwirrung durcheinander lagen, und aus einer großen Mappe, die ſeine Zeichnenmaterialien, Flurkarten u. ſ. w. ent¬ hielt. Ich bedarf nur noch der Anweiſung auf einen Ihrer dienſtbaren Geiſter, der mich auf das mir von Ihnen gütigſt angewieſene oder anzuweiſende Zim¬ mer führt, um mich ſofort häuslich einrichten zu können.

159

Wollen ſie die Güte haben, jenen Klingelzug zweimal zu ziehen; ſagte Anna-Maria mit huldvollem Lächeln.

Mit Vergnügen, ſagte Herr Timm, dieſe inſtru¬ mentale Methode des Beſchwörens dienſtbarer Geiſter iſt viel bequemer, als meine vocale, und auch viel wirkſamer, wie ich ſehe.

Der eintretende Bediente erhielt den Auftrag, Herrn Timm auf ſein Zimmer zu führen.

Es ſteht ſchon ſeit Wochen für Sie bereit, Herr Geometer; ſagte die Baronin.

Sie ſind umſichtig und gütig, wie die Vorſehung ſelbſt, gnädige Frau; ſagte Herr Timm, aufſtehend und der Baronin ohne Umſtände die Hand küſſend; au revoir, meine Herrſchaften, bis zum Abendeſſen, bei dem Sie hoffentlich wie ich erſcheinen werden, daß heißt mit guter Laune und noch beſſerem Appetit; und er folgte leichten Schrittes dem Bedienten aus dem Gemache.

Wirklich ein charmanter Menſch, der Herr Timm. ſagte die Baronin, ſo harmlos, unbefangen, anſpruchs¬ los, ſo ganz ſich ſeiner Stellung in der Geſellſchaft bewußt, und nicht ſtets hoch oben hinauswollend, wie gewiſſe andere Leute.

Ei, ja wohl, beſtätigte der Paſtor, ein äußerſt160 charmanter, beſcheidener junger Mann, und der ſo¬ wohl was ſeine Talente betrifft, die wirklich über¬ raſchend ſind, als auch wegen der angeſehenen Familie, aus welcher er ſtammt, Beachtung verdient.

Guſtava kennt ſeine Familienverhältniſſe genau; auch ich erinnere mich aus meiner Grünwalder Zeit her ſehr wohl ſeines Herrn Vaters, eines ausgezeich¬ neten Advokaten, der ſein bedeutendes Vermögen kurz vor ſeinem Tode in einer unglücklichen Speculation verlor. Seine Verwandten befinden ſich zum Theil in ganz reſpectabeln Stellungen. Ein Onkel vom ihm iſt Major. Auch Herr Timm war anfangs zu einer militäriſchen Carriere beſtimmt, und war, ſo viel ich weiß, ſchon Fähndrich, als er in Folge der großen Verluſte ſeines Vaters, dieſe Laufbahn aufgab, um ſich dem Baufach zu widmen. Er wünſcht ſehnlichſt, die Akademie in der Reſidenz beziehen zu können, nur fehlt es ihm leider der Paſtor machte mit dem Daumen und Zeigefinger ſeiner rechten Hand eine bezeichnende Bewegung.

Das iſt ja jammerſchade, ſagte die Baronin; wer doch dem armen Menſchen helfen könnte! kann ihm denn ſein Onkel, der Major, nicht die paar hundert Thaler vorſchießen? aber freilich die Herrn vom Mi¬ litär haben meiſtens genug mit ſich ſelbſt zu thun. 161 Ah mademoiselle, vous arrivez bien à propos! Veuillez avoir la bonté Die Baronin war auf¬ geſtanden, um der eben eintretenden Mademoiſelle Marguerite eine Inſtruction zu ertheilen.

Wollen Sie meine Bienenſtöcke einmal anſehen, Paſtor Jäger? ſagte der Baron.

Mit dem größten Vergnügen; erwiederte dieſer, Hut und Stock ergreifend.

Bleiben die Herrn nicht zu lange, ſagte die Baronin; wir wollen heute etwas früher ſoupiren. Que voulais-je dire? Ah, oui! du chocolat, mais pas si énormement sucré que la dernière fois, et particulièrement prenez garde

Der Abend war gekommen, mit ihm Frau Paſtor Jäger auf dem Einſpänner. Primula trug dasſelbe Kleid von ungefärbter Seide, in welchem ſie Oswald an jenem Sonntag Morgen erſchien, und ſah, von der übergroßen Hitze des Tages angegriffen, mehr denn je wie ein kranker Kanarienvogel aus. Ihr Gatte hatte, ſobald der langathmige Selam zwiſchen ihr und der Baronin vorüber war, die erſte ſchickliche Gelegenheit ergriffen, ihr zuzuraunen, von dem Gaſt¬ freunde weniger entzückt zu erſcheinen, als ſie und er ſich vorgenommen hatten, da der junge Menſch keineswegs in beſonderer Gunſt bei der Baronin zuF. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 11162ſtehen ſcheine eine Nachricht, welche die Bewohnerin der Sphären höherer Bildung in ein ſolches Erſtaunen verſetzte, daß, als jetzt Oswald kurz vor dem Abend¬ eſſen erſchien, ſie ſeine höfliche Begrüßung nur mit einer ſehr förmlichen Verbeugung zu erwiedern ver¬ mochte.

Dies wunderliche Benehmen der vorher für den Gaſtfreund ſo begeiſterten Dichterin würde wahr¬ ſcheinlich nicht wenig zur Erhöhung von Oswald's guter Laune beigetragen haben, wenn er es überhaupt bemerkt hätte. Leider aber befand er ſich heute Abend in einer Stimmung, in welcher man, wie Oldenburg es ausdrückte, Ohren und Augen offen hat und doch weder ſieht noch hört. Die Schatten der Ereigniſſe des letzten Tages und der letzten Nacht lagen noch auf ſeiner Seele und auf ſeiner Stirn. Seine ge¬ wöhnliche Lebhaftigkeit war einer melancholiſchen Ruhe gewichen; er ſah bleich und nachdenklich aus, aber ſo ſchön und vornehm, daß Primula's zartbeſaitete Seele alsbald den Zauber, welchen die Erſcheinung des jungen Fremden bei der erſten Begegnung auf ſie ausgeübt hatte, wiederum zu fühlen begann, und ſie die War¬ nung ihres vorſichtigen Gatten um ſo lieber vergaß, als ſie ſah, mit welcher ausgeſuchten Höflichkeit und Zuvorkommenheit die Baronin und der Baron denſelben163 Mann behandelten, der ihr ſoeben als eine gefallene Größe denuncirt war. Sie bereitete ſich ſchon im Stillen auf eine Strafpredigt vor, die ſie auf der Heimfahrt ihrem Jäger halten wollte, der wieder einmal nach ſeiner Gewohnheit den Wald vor Bäumen nicht geſehen hatte. Der würdige Geiſtliche ſelbſt war für den erſten Augenblick durch den vollkommenen Widerſpruch zwiſchen den Worten und der Handlungs¬ weiſe der Baronin aus der Faſſung gebracht. Er wußte indeſſen beſſer, als irgend Einer, daß die Menſchen nicht immer ſcheinen, was ſie ſind und nicht immer ſind, was ſie ſcheinen, und hielt es auf alle Fälle für das Gerathenſte, das Benehmen ſeiner Gönnerin möglichſt treu zu copiren, was ihm bei ſeiner voll¬ endeten Virtuoſität in der edlen Kunſt der Heuchelei natürlich nicht ſchwer fallen konnte.

Indeſſen würde trotz des ſcheinbaren guten Einver¬ nehmens der Geſellſchaft die Unterhaltung bei der Abendmahlzeit, die auf der Terraſſe im Freien einge¬ nommen wurde, nicht beſonders lebhaft geweſen ſein, hätte Herrn Timm's Gemüth die Eigenſchaft gehabt, die Farbe ſeiner Umgebung anzunehmen. Dies war indeſſen durchaus nicht der Fall.

Herr Timm hatte ſein Verſprechen, bei Tiſche mit guter Laune und noch beſſerem Appetit zu erſcheinen11*164wahr gemacht. Er fand die Chocolade, die diesmal keineswegs énormement sucré war, vortrefflich, das Brod vortrefflich, die Butter vortrefflich. Alles vor¬ trefflich. Und wie köſtlich war der Einfall, ſich an dieſem herrlichen Abend nicht in die Stube einzuſchließen! wie glücklich der Gedanke, die Tafel gerade auf die¬ ſem Punkt der Terraſſe zu decken, von dem man einen ſo herrlichen Blick auf den Garten hatte! wie wunder¬ voll waren die Schatten und Lichter in den hohen Bäumen drüben jenſeits des Raſenplatzes! wirklich ein Gemälde von Claude Lorrain! Wahrhaftig, Herr Baron, wenn ich nicht Diogenes wäre, ſo möchte ich wol Alexander ſein! Aber freilich, wir können nicht Alle in Schlöſſern hauſen, es muß auch Tonnenbewohner geben, und wohl dem Manne, dem ſein Schloß nicht wie eine Tonne, oder dem ſeine Tonne wie ein Schloß erſcheint! Sie ſollten dieſen Gedanken zu einem Epi¬ gramm verwerthen, Frau Paſtor! Sie haben ein ganz entſchiedenes Talent für dieſe Gattung; ſelbſt in Ihren hoch-lyriſchen Gedichten findet ſich oft eine epigram¬ matiſche Wendung. So in dem reizenden Sonett auf den Maikäfer. Wie heißt doch noch der Schluß? Des Maies Käfer, falſcher Liebe Bild das iſt an und für ſich ſchon ein tiefſinniges Epigramm. Wiſſen Sie, daß man in Grünwald Ihre Ueberſiedelung165 nach Faſchwitz noch immer nicht verſchmerzen kann? Noch neulich ſagte Profeſſor Lichtſcheu, den ich in einer Geſellſchaft beim Kanonikus Schwarz traf: es ſei unverantwortlich, daß ein gewiſſer Gelehrter, den ich nicht nennen will, den reichen Schatz ſeines Wiſſens in der Einſamkeit eines Dorfes, deſſen Namen mir entfallen iſt, vergraben ſolle; worauf ich ihm erwiederte: es ſei nicht minder unverantwortlich, daß die Dichterin der Kornblumen noch immer unter Kornblumen wandle.

So ging es mit unendlicher Zungenfertigkeit fort, dabei war Alles, was Timm ſprach, ſo augenſcheinlich ohne jegliche Abſicht, witzig und geiſtreich ſein zu wollen, trotzdem es manchmal geiſtreich und witzig genug war geſagt, daß man ihm zuhören konnte wie einem luſtigen und in ſeiner Luſtigkeit freilich et¬ was überlauten Kanarienvogel, dem die Morgenſonne in das Bauer ſcheint und der dabei auf den Einfall kommt, ſich einmal ordentlich auszuſingen. Nur kam es Oswald manchmal vor, als ob Herr Timm's Hu¬ mor durchaus nicht ſo natürlich ſei, als es den An¬ ſchein hatte; als ob Herr Timm nur eine wohl ein¬ ſtudirte und fein berechnete Rolle, allerdings mit voll¬ endeter Naturwahrheit, ſpiele, und als ob der gut¬ müthige Bonvivant und anſpruchloſe Naturburſche bei Licht beſehen die ganze Geſellſchaft, die er mit dem166 Feuerwerk ſeines Witzes unterhielt, gründlich verhöhne und nasführe. Er wurde in dieſem Verdachte um ſo mehr beſtärkt, als Herr Timm, ſo bald er zu ihm ſprach, ſtets einen andern Ton anſchlug, als wollte er ſagen: Dir darf ich mit ſolchen Narrenspoſſen nicht kommen, aber für den andern Pöbel ſind ſie gut genug.

Dieſen Verdacht, auf den Oswald übrigens um ſo leichter verfallen mußte, als er ſelbſt nur zu oft die Geſellſchaft, gegen die er eine ſo gründliche Ver¬ achtung empfand, zum Beſten hatte, ſchien von den Andern Niemand zu theilen, es hätte denn Bruno ſein müſſen, der heute noch düſterer und verſchloſſener wie gewöhnlich auf ſeinem Platze neben Oswald ſaß, und ſeinen ſtolzen Mund nicht ein einziges Mal zu einem Lächeln verzog, obwohl er Alle um ſich her ſelbſt Oswald nicht ausgenommen lachen ſah, zu¬ mal als gegen das Ende der Mahlzeit Herr Albert Timm mit ſeiner Nachbarin, Mademoiſelle Marguerite, eine Converſation begann, in welcher er franzöſiſch und deutſch auf die poſſirlichſte Weiſe durcheinander miſchte. Die hübſche ſcheue Genferin hatte ſich die möglichſte Mühe gegeben, Herrn Timm's Kreuz - und Querſprüngen in der Unterhaltung zu folgen, und ſich alle Augenblicke mit einem rapiden: qu'est ce qu'il167 dit? que veut dire cela? an Malte, ihren Nachbar auf der andern Seite, gewandt, der ihr die Antwort um ſo häufiger ſchuldig bleiben mußte, als er ſelbſt von Allem, was der unerſchöpfliche Albert vorbrachte, kaum die Hälfte begriff, bis dieſer mit ihr zu kauder¬ wälſchen anfing, um mit vielem Tacte den Scherz ſo¬ fort abzubrechen, als er merkte, daß die hübſche Kleine durch das Gelächter der Andern in Verlegenheit gerieth.

Es war bereits dunkel geworden, als die Baronin die Tafel aufhob, und Herr und Frau Paſtor Jäger, die ſich jetzt unter vielen Dankſagungen für den ſo angenehm verbrachten Abend empfehlen wollten, ein¬ lud, mit ihr und dem Baron noch ein gemüthliches kleines Boſton in der alten Weiſe, wiſſen Sie, Paſtor Jäger, wie es ſich für ſolide Leute ſchickt in dem Salon zu ſpielen.

Malte war zu Bett gegangen. Oswald und Bruno, Albert und Mademoiſelle Margueritte pro¬ menirten paarweiſe um den Raſenplatz und in den zunächſt gelegenen Gängen des Gartens.

Du haſt mir noch gar nicht geſagt, Oswald, ſagte Bruno er nannte jetzt ſeinen Freund, wenn ſie allein waren, ſtets mit dem brüderlichen Du ob Du Tante Berkow geſtern geſehen haſt?

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Ja, Bruno.

Sah ſie ſchön aus?

Wie immer.

Läßt ſie mich grüßen?

Natürlich.

Weißt Du, Bruno, daß ich glaube, Tante Ber¬ kow mag Dich ſehr gern leiden?

Warum, Du Närrchen?

Sie ſah Dich an dem Abend, als ſie hier war, immer mit ſo glänzenden Augen an ſo recht lieb und freundlich, wie ſie mich manchmal anblickt, wenn ſie mir das Haar ſtreichelt, aber doch anders ſo

Ach, Du weißt ja nicht, was Du ſprichſt, Bruno.

Ich weiß es recht gut, aber ich kann mich nur nicht ſo ausdrücken, wie ihr klugen, großen Leute. Ich bin an dem Abend ordentlich eiferſüchtig auf Dich geweſen, denn früher war ſie gegen mich am freund¬ lichſten. Ich nicht wiſſen, wie Tante Berkow aus¬ ſieht, wenn ſie Jemanden gern hat? ich weiß es ſehr wohl ſagte Bruno trotzig.

Und ich weiß auch noch mehr, fuhr er nach einer Pauſe fort. Ich ſollte es eigentlich nicht ſagen, denn Tante hat es mir verboten, aber ich glaube jetzt, es iſt ihr gar nicht Ernſt mit dem Verbot geweſen.

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Was war es? fragte Oswald mit angenom¬ mener Gleichgültigkeit.

Das war es; ſagte Bruno. Ich war am Sonnabend Nachmittag, als Du Briefe ſchriebſt, allein in den Wald gegangen, nach Berkow zu, weil das mein liebſter Weg iſt. Da kommt mir auf einmal Tante entgegen, zu Pferde, ganz allein, nicht einmal der Boncoeur war bei ihr. Sie ritt den Brownlock, den ſie immer reitet, wenn ſie ſchnell reiten will, und ſchnell mußte ſie geritten ſein, denn Brownlock's Bruſt und Hals und ſelbſt Tantes Kleid waren voll weißer Schaumflecken. Sieh 'da, Bruno! ſagte ſie, mir vom Pferde herab die Hand reichend, wo willſt Du hin? Nirgends hin, Tante, wie gewöhnlich, ſagte ich, aber wo wollen Sie hin? Auch nirgends! ant¬ wortete ſie lachend, da können wir ja zuſammen unſern Weg fortſetzen. Wenn Sie Schritt reiten wollen, ſagte ich, ſonſt nicht. Und da ſind wir wohl eine halbe Stunde zuſammen durch den Wald gezogen, und haben die ganze Zeit von nichts als von Dir ge¬ ſprochen, und Tante fragte mich, ob ich Dich lieb hätte, worauf ich natürlich mit Nein antwortete; ob Du wohl ausſäheſt, ob Du recht munter wäreſt? ob Du viel ſtudirteſt? und noch hunderterlei, was ich wieder vergeſſen habe. Zuletzt trug ſie mir auf, Dich170 zu grüßen und zu fragen, ob Du die Kupferſtiche noch nicht hätteſt, von denen ihr neulich geſprochen, und ob Du ſie ihr nicht ſchicken wollteſt und dann rief ſie mich wieder zurück und ſagte: ich ſolle Dich lieber doch nicht daran erinnern, Dir auch nicht ſagen, daß ich ſie geſprochen hätte aber, wie geſagt, ich glaube jetzt nicht mehr, daß es ihr Ernſt geweſen iſt.

Warum jetzt nicht mehr, Bruno?

Weil der Knabe ſchwieg; plötzlich ſagte er in gedämpftem Ton, als fürchtete er, die dunklen Ge¬ büſche neben ihnen könnten es hören.

Sage mir, Oswald, wie iſt das, wenn man Je¬ mand liebt?

Wie meinſt Du das, Bruno? antwortete Os¬ wald, den die Frage in nicht geringe Verlegenheit ſetzte.

Ich meine: was iſt das für eine Liebe, von der ſo oft in den Büchern die Rede iſt? Ich habe Dich lieb, ſehr lieb; aber es iſt mir, als müßte es noch eine andre Liebe geben. So habe ich immer nicht verſtanden, warum der Marquis Poſa ſo beſtürzt iſt, als Don Carlos ſagt: ich liebe meine Mutter. Weshalb ſoll er ſeine Muttrr nicht lieben? Ich habe meine Mutter nie gekannt, und ſo weiß ich gar nicht, wie man ſeine Mutter liebt, aber ich denke ſie mir171 immer ſo jung und ſchön, wie Tante Berkow. Für die könnte ich Alles, Alles thun! Ich wünſche manchmal: ſie fiele vor meinen Augen in's Waſſer, und ich könnte ihr nachſpringen; oder wie neulich: Brownlock bäumte ſich, und ich faßte ihn in den Zügel und kämpfte mit ihm, und ließe nicht los, und wenn er mich auch mit ſeinen Hufen zerträte. Warum kommen mir ſolche Wünſche nie, wenn ich in Deiner Nähe bin, Os¬ wald, oder wenn ich, von Dir getrennt, an Dich denke?

Weil ich ein Mann bin, Bruno, und Du weißt, daß ich mir ſelbſt helfen könnte und helfen würde. In die Liebe aber, die wir für eine Frau empfinden, miſcht ſich noch das Gefühl, daß wir ſie, die ſich ſelbſt nicht ſchützen kann, mit unſrer größeren Kraft und unſerm kühneren Muthe ſchützen müſſen, und das macht unſre Liebe zärtlicher, inniger, mitleidiger; und dann noch ein Gefühl, von dem ich Dir jetzt nur ſo viel ſagen will, daß es ein Ausfluß der ewigen Kraft iſt, welche das Weltall ſchafft und trägt, ein Gefühl, welches rein iſt, wie alle Natur, aber auch eben ſo keuſch, und das deshalb, vor der Zeit wachgerufen, dem Voreiligen ſo verderblich werden kann, als ſeine Kühnheit dem Jüngling, den des Wiſſens Drang nach Sais und in den Tempel trieb, wo ſie in dichtem172 Schleier verhüllt, thronte, Iſis, die heilige, keuſche Göttin der Natur.

Ich verſtehe Dich nicht ganz, Oswald.

Die Welt und das Leben ſind voller Räthſel, Bruno. Das Leben iſt die Sphinx und wir ſind der Oedipus. Und es iſt der Fluch des Oedipus, daß er das Räthſel löſen muß, und ihn des Räthſels Löſung doch unglücklich macht.

Du biſt mir nicht böſe, Oswald?

Ich Dir böſe, liebes Herz? weshalb?

Daß ich Dir mit ſolchen wunderlichen Fragen komme.

Du ſollſt mich fragen, Bruno; nach Allem fragen, was Dich in Erſtaunen und Verwirrung ſetzt. Deine Seele muß offen vor mir liegen, wie ein Buch, in dem ich blättern und wieder blättern kann. Wollte Gott, ich möchte nur Weiſes und Gutes auf die reinen Blätter ſchreiben!

Du biſt ſtets ſo gut ſo unendlich gut gegen mich, Oswald; und ich vergelte Dir all' Deine Güte nur mit Undankbarkeit und Trotz.

Das thuſt Du nicht und dann: ſind wir nicht Brüder? Brüder müſſen ſich untereinander lie¬ ben und tragen und ſtützen, und dürfen nicht rechten um Mein und Dein. Sieh 'Bruno, wenn der fromme173 Glaube, der die Geiſter der verſtorbenen die auf Er¬ den zurückgelaſſenen Lieben umſchweben läßt, der meine wäre, ſo würde ich ſagen: dort oben, von dem leuch¬ tenden Sternenhimmel, ſchauen unſre Mütter auf uns hernieder und freuen ſich der Vereinigung und Liebe ihrer Kinder. Laß uns zuſammenſtehen in dieſem wirren Kampfe des Lebens zu Schutz und Trutz. Wie lange wird es dauern und Du biſt ein Mann, wie ich, und wollte Gott, ein beſſerer Mann. Dann wird auch der letzte Unterſchied, der Unterſchied der Jahre von uns nicht mehr empfunden werden, wie ich ihn denn jetzt kaum noch empfinde. Dann werde ich viel¬ leicht zu Dir aufſchauen, wie Du jetzt zu mir; dann wirſt Du mir doppelt und dreifach das Wenige be¬ zahlen, das ich jetzt für Dich thun kann; dann werde ich und wie gern! Dein Schuldner ſein!

O, das wird nie geſchehen; ſagte Bruno; Du wirſt immer unerreichbar weit von mir vorauseilen: ich werde nie auch nur das werden, was Du jetzt ſchon biſt.

Du Närrchen! ſagte Oswald und ſtreichelte liebevoll Bruno's Haar; Du ſitzt jetzt im Parterre vor der Bühne des Lebens, und der Felſen von Pappe erſcheint Deinem begeiſterten Auge ein Urgebirge, und all die Trödelwaare echt. Wenn Du erſt ſelbſt auf174 die Bühne trittſt, wird Dir der holde, roſige Schleier der Illuſion von den Augen fallen und Du wirſt Deinen Irrthum erkennen. Aber wenn auch! Du wirſt, wenn Du von Deinem erſten ſchmerzlichen Er¬ ſtaunen Dich erholt haſt, begreifen, daß es nicht an¬ ders ſein kann, und Deinen Bruder nicht verachten, weil Du ſiehſt, daß ſein ſtolzer Rittermantel von ver¬ ſchoſſener Seide und arg geflickt iſt, und ſeine Sporen eitel Meſſing doch ſtill! da kommen uns Herr Timm und Mademoiſelle entgegen. Es ſcheint Herr Timm will die gute Gelegenheit, ſeine Ausſprache des Franzöſiſchen zu cultiviren, nicht unbenutzt laſſen. Wir wollen ihn in dieſem edlen Streben nicht ſtören. Laß uns in dieſen Gang einbiegen.

Herr Timm, der jetzt Arm in Arm mit Made¬ moiſelle Marguerite, ohne Oswald und Bruno zu be¬ merken, eifrig ſprechend und ſeine helle Stimme dabei ſorgfältig dämpfend, vorüberſtrich, hatte in der That die gute Gelegenheit , obgleich in etwas anderer, als in der von Oswald angedeuteten Weiſe, zu nutzen verſtanden. Auf ſeine Ausſprache des Franzöſiſchen, wie überhaupt auf alles rein Aeußerliche, legte der junge Mann ſehr wenig Gewicht, deſto mehr aber auf den ſoliden Vortheil, den ihm die Gunſt der jungen Dame, welche dem innern Hausweſen des Schloſſes175 vorzuſtehen ſchien, während eines, vorausſichtlich mehre Wochen lang dauernden Aufenthalts in Grenwitz ge¬ währen mußten; und ſich dieſe Gunſt, die auch viel¬ leicht in anderer Weiſe die Monotonie des Landlebens in angemeſſener Weiſe mildern konnte, möglichſt ſchnell zu erwerben, war Herr Albert Timm in dem aller¬ liebſten verſchwiegenen tête-a-tête mit der kleinen Franzöſin eifrigſt bedacht geweſen. Die Unterhaltung war von beiden Seiten, ohne einem gelegentlichen franzöſiſchen Worte das Daſein zu verkümmern, deutſch geführt worden, da Mademoiſelle das Deutſche ziemlich und Herr Timm das Franzöſiſche ſehr ſchlecht ſprach, und dem jungen harmloſen, aufrichtigen, wahrheits¬ liebenden Manne nichts verhaßter war, als der Ge¬ danke, nicht verſtanden oder vielleicht gar mißverſtanden zu werden.

Und Sie ſind ſchon lange hier? fragte er.

Drei Jahre.

Der Tauſend! und Sie ſind vor langer Weile noch nicht geſtorben. Sie müſſen eine famoſe Natur haben.

Plait-il?

Ich meine, das muß doch zum Verzweifeln lang¬ weilig ſein, Jahr aus Jahr ein in dieſem öden Neſt zu hocken, und noch dazu in ſo ausnehmend inter¬176 eſſanter Geſellſchaft. Aber Sie haben wohl viel zu thun?

Enormément! Ich muβ arbeiten comme unforçat

Comme was?

Vous ne savez pas ce que c′est qu′un forçat?

Nein ſchadet aber nichts. Wollen einmal ſagen: wie ein Pferd; das wird wol auf daſſelbe herauskom¬ men. Alſo: Sie müſſen arbeiten wie ein forçat?

Justement! ich muβ auſſchlieβen und zuſchlieβen alle Schlöſſer

Hat auch ſein Angenehmes, bemerkte Herr Timm.

Ich muβ hören den ganzen Tag: Mademoiſelle, thu Sie dies, Mademoiſelle, thu Sie das! Und des Abends, wenn ich bin müde, daβ ich nicht kann offen halte die Augen, ich muβ leſen aus die alte dumme Bücher, bis Madame hat die Güte zu ſagen: c'est, assez! Non, madame, ce n′est pas assez, c′est trop mille fois trop, ſagte die lebhafte kleine Dame und ſtampfte mit dem Fuße.

Sie ſcheinen in einer allerliebſten Stimmung, ſagte Herr Timm; aber das iſt recht, ſprechen Sie ſich aus das erleichtert das Herz aber, wenn die Baronin Ihnen ein ſolches Vertrauen ſchenkt, ſo müſſen Sie doch auch in groβer Gunſt bei ihr ſtehen. "

177

Au contraire! Sie mich braucht, weil Sie muß. Sie würde mir heute geben mon congé lieber als morgen. Sie mich hat gern, weil ich nicht habe nöthig viel Schlaf und weil ich eſſe wenig.

Na, da werde ich nie ihr Liebling werden, ſagte Herr Timm. Aber Sie armes Kind, da ſind Sie ja in einer ſchauderhaften Situation. Viel Arbeiten und keinen Dank dafür; früh Aufſtehen und dafür ſpät zu Bette gehen; den ganzen Tag dreſchen müſſen, wie das gutmüthige Thier in der Bibel, ohne die demſelben verſtattete Freiheit das halte ein Andrer aus. Sie ſollten ſich verheirathen, Mademoiſelle.

Marguerite zuckte die Achſeln: Wer wird wollen mich 'eirathen? Je suis si pauvre et si laide!

Was iſt das?

Ich ſage: ich bin arm und ich bin äßlich.

Das Erſtere will ich zugeben, ſagte Herr Timm; das Zweite iſt aber eine arge Verleumdung. Sie häßlich! Au contraire: Sie ſind hübſch, Mademoi¬ ſelle, très hübſch, belle, ſehr belle

Vous plaisantez, Monsieur!

Ohne Spaß! ſagte Herr Timm, Sie ſind wirklich ein auffallend hübſches Mädchen. Erſtens haben Sie eine reizende Figur

Trop petite, ſagte Marguerite.

F. Spielhagen, Problematiſche Naturen, II. 12178

Nicht die Spur, verſicherte Herr Timm; Zwei¬ tens haben Sie wunderhübſche braune Augen; eine reizende Hand, einen entzückend niedlichen Fuß

Mais, monsieur!

Was denn? es iſt ja wahr; was wahr iſt, darf man ſagen. Ich wette, daß Monsieur le docteur Stein vollkommen meiner Meinung iſt. Lieben Sie den Doctor?

Ich ihn lieben? ſagte die kleine Franzöſin mit großer Lebhaftigkeit; ich ihn lieben? ich ihn affe!

Na, na! ſagte Herr Timm; warum denn? er iſt doch ein ſehr ſchöner Mann.

C'est un bel homme, mais c'est un fat.

Un was?

Er iſt ein Narr, oui un Narr, qui est mon¬ strueusement amoureux de lui-mème; mais avec toute sa fierté je me moque de lui, je me moque de sa fierté, oui, je m'en moque, moi!

Bitte, ereifern Sie ſich nicht, und ſprechen Sie vor allen Dingen deutſch, wenn Sie wünſchen, daß ich Sie verſtehen ſoll. Was hat Ihnen denn der Unglückliche gethan?

Lui? malheureux? Il n'est pas malheureux; ce monsieur-la. Tout le monde le flatte, le ca¬ jole

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Aber ſo ſprechen Sie doch um Himmelswillen deutſch!

Glauben Sie, daß er hat geſprochen zehn Worte mit mir, ſeitdem daß er iſt hier?

Das iſt freilich abſcheulich! Au! da habe ich mir ſchon wieder den Fuß an ſo einer verdammten Baumwurzel geſtoßen. Ich bin im Dunkeln ſo blind, wie ein Maulwurf. Sie thäten wirklich ein Werk der Barmherzigkeit, wenn Sie meinen Arm annehmen und mich ein wenig führen wollten.

Très volontiers, Monsieurs.

Alſo ſo ein eitler Herr iſt dieſer Doctor Stein, ſagte Herr Timm, den Arm der hübſchen Marguerite in den ſeinen legend und dabei, wahrſcheinlich aus Kurzſichtigkeit, ziemlich feſt an ſeine Bruſt drückend; ei, wer hätte das gedacht! Na, wiſſen Sie was, liebe Marguerite welch ein reizender Name das iſt: Marguerite! ich darf Sie doch Marguerite nennen? Ja, was ich ſagen wollte: ärgern Sie ſich nicht über den albernen Menſchen, liebe Margue¬ rite! Wenn er nicht mit Ihnen ſprechen will, ſo iſt das ſein eigener Schade, und wenn er Sie nicht hübſch findet, ſo finden Sie dafür andre Leute deſto hübſcher; ich zum Beiſpiel, obgleich ich ſehr kurzſichtig bin, be¬ ſonders hier in dieſem Baumgange, wo es ſo dunkel12*180iſt, daß man wahrhaftig nicht die Hand vor den Augen ſehen kann. Fürchten Sie ſich, kleine Marguerita? Nein? warum klopft denn Ihr Herz ſo? oder hätten Sie mich gar aus Verſehen ein bischen lieb? Haben Sie mich ein bischen lieb, Marguerite? Geniren Sie ſich gar nicht; mir kann man Alles ſagen. Oder ſagen Sie lieber nichts und geben Sie mir einen Kuß! Sie wollen nicht ſo! das iſt vernünftig: ihr Fran¬ zoſen und beſonders ihr Franzöſinnen ſeid eine char¬ mante Nation. Aber warum weinſt Du denn, kleiner Narr? Iſt es bei euch denn ein Staatsverbrechen, einem ehrlichen Kerl einen Kuß gegeben zu haben, und noch dazu im Dunkeln ... Verdammt, da kommt der alberne Menſch, der Doctor mit ſeinem Gras¬ affen ... Bon soir, meine Herren, wir können hier Begegnen ſpielen.

Oder Blindekuh, ſagte Oswald, und noch dazu ohne Binde. Ich dächte, wir gingen hinein. Wenn ich nicht irre, hat die Baronin ſchon nach Mademoi¬ ſelle gerufen.

Herr und Frau Paſtor Jäger hatten ſich unter vielen Dankſagungen und Freundſchafts - und Ergeben¬ heitsverſicherungen empfohlen, um auf dem Einſpänner in die idylliſche Ruhe von Faſchwitz und unter ihr niedriges Dach zurückzukehren; Oswald und Herr181 Timm Bruno hatte ſich ſchon einige Minuten zu¬ vor entfernt ſtiegen die Wendeltreppe des Thurms hinauf, um ſich auf ihre Zimmer zu begeben.

Dies iſt Ihr Zimmer, ſo viel ich weiß, Herr Timm, ſagte Oswald, vor einer der vielen Thüren ſtehen bleibend, die auf denſelben Corridor gingen, welcher Stufen auf Stufen ab, in vielfachen Biegungen durch den alten Theil des Schloſſes, wo Oswald und die Knaben wohnten, und mehere der weniger ſtattlichen Gaſtzimmer lagen, führte.

Und wo iſt denn Ihr Wigwam, Herr Doctor?

Ein paar Thüren weiter.

Sind Sie ſehr müde?

Nicht beſonders.

So erlauben Sie mir, noch ein paar Minuten mit zu Ihnen zu kommen. Ich empfinde das ſehr natürliche Bedürfniß, nach all dem Unſinn, den ich geſchwätzt habe, und habe ſchwätzen hören, in ver¬ nünftiger Geſellſchaft eine gute Cigarre zu rauchen.

So kommen Sie, ſagte Oswald, der viel lieber allein geblieben wär, aber eine zu hohe Meinung von der Pflicht der Gaſtfreundſchaft hatte, um eine ſo directe Anrufung derſelben zurückzuweiſen; ob Ihnen freilich meine Cigarren gut und meine Geſellſchaft vernünftig genug

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Um Gotteswillen für heute nicht noch mehr Com¬ plimente! rief Herr Timm; ich bin mit den bereits Genoſſenen vollkommen zufrieden. Bitte! ſpazieren Sie voran

Ein reizender Wigwam, ſagte Herr Timm, als ſie in das Zimmer getreten waren und Oswald die Lampe auf dem runden Tiſch vor dem Sopha ent¬ zündet und ein Kiſtchen mit Cigarren aus ſeinem Secretär geholt hatte; eine allerliebſte Tonne für einen Cyniker, der gelegentlich bei den Sybariten in die Schule geht; wirklich famos behaglich, für meinen Geſchmack faſt zu behaglich. Der große Lehnſtuhl in der tiefen Fenſterniſche, von dem man auf der einen Seite ſo bequem in den Garten, und auf der andern ſtill und bewegt nach dem ſchönen Apollokopfe dort auf dem Schranke blicken kann, Natur und Kunſt vis-à-vis, und man ſelbſt mitten dazwiſchen, wie der Mann ſagte, als er aus dem Luftballon fiel. Die Cigarre iſt ſuberb, wirkliche Havannah und kein Stinka¬ dores rauchen Sie nicht? nein? und halten ſich für ihre Freunde und Bekannten ein ſolches Blatt! Edelſter der Menſchen! der heilige Crispinus iſt ja ein Straßenräuber in Vergleich mit Ihnen! Was haben Sie denn da in der höchſt verdächtig ausſehenden Flaſche oben auf dem Bücherbrett? ich glaube gar Cognac

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Und noch dazu alten, echten, ſagte Oswald, wenigſtens verſichert es mein Freund, der Inſpector Wrampe, der mir dieſe, jedenfalls geſchmuggelte, Flaſche aufgenöthigt hat

Und noch nicht einmal entkorkt Me herculem! Da müſſen wir doch einmal unterſuchen, ob der In¬ ſpector Sie nicht belogen hat. Trinken Sie auch ein Glas Grog?

Ich nicht, aber laſſen Sie ſich dadurch nicht ab¬ halten; ſagte Oswald gutmüthig, die Flaſche herab¬ nehmend und entkorkend; ich will auf meiner Maſchine Waſſer heiß machen

Bewahre! wozu die Umſtände! kaltes Waſſer thut dieſelben Dienſte, beſonders in geringer Quan¬ tität das iſt ja ein reizender Abend; ſagte Herr Timm, ſich vergnügt die Hände reibend. Nun ſetzen Sie ſich gefälligſt in die Sophaecke, damit ich die Ueberzeugung gewinne, daß Sie ſich ſo behaglich fühlen, wie ſich Jemand, der nicht raucht und trinkt, über¬ haupt fühlen kann; ich werde mir den Lehnſtuhl heranrücken was der Kerl für eine Wucht hat! und nun laſſen Sie uns eins plaudern, wie es ſich für zwei ehrliche Kerle, die dem ganzen Blödſinn der ſogenannten guten Geſellſchaft ein Schnippchen ſchlagen, geziemt.

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So ſprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch einen Rohrſtuhl herbei, um ſeine Beine darauf zu legen, und ſtreckte ſich behaglich, den Kopf etwas hinten¬ über gebogen, um dem Rauch ſeiner Cigarre bequemer und länger nachſchauen zu können.

Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins Geſicht und Oswald bemerkte jetzt zum erſten Male, daß Herrn Timm's Züge, beſonders im Profil ge¬ ſehen, wo die kecken, ſaubern Linien zur vollen Geltung kamen, wirklich überraſchend hübſch und in¬ tereſſant waren. Dieſe Entdeckung war für Oswald durchaus nicht gleichgültig. Er ging noch einen Schritt weiter als Voltaire, und hielt dafür, daß nicht nur von den Büchern, ſondern auch von den Menſchen das genre ennuyeux das ſchlimmſte ſei, und bei einem überaus regen und durch Studien vielfach gebildeten Formenſinn ließ er ſich von ſeiner leiden¬ ſchaftlichen Liebe für maleriſche und plaſtiſche Schön¬ heit in einer Weiſe beherrſchen, daß ſein Gefühl des Wahren und Guten dabei Gefahr lief, nicht unterdrückt, aber doch getrübt zu werden. So war es in dieſem Falle. Herrn Timm's formloſes Weſen und nur dünn verſchleierter derber Realismus hatten ihn im Laufe des Abends ein paar mal recht empfindlich be¬ leidigt, und er war ſchon entſchloſſen geweſen, den185 Verkehr mit dem übermüthigen Geſellen während deſſen Verweilens in Grenwitz auf das Unvermeidlichſte zu beſchränken; aber während er jetzt die Umriſſe des hübſchen Geſichtes im Geiſt nachzeichnete, hatte er den kaum gefaßten Vorſatz ſchon halb und halb vergeſſen. Wollen Sie einmal ein paar Minuten ſo ſitzen bleiben? ſagte er, unwillkürlich nach einem Bleiſtift greifend, und auf dem erſten Blatte, das ihm auf dem mit Büchern und Papieren bedeckten Tiſche in die Hände fiel, anfangend, Albert's Profil zu ſkizziren.

Eine halbe Stunde, wenn Sie wollen, ſagte die¬ ſer; ich liege vortrefflich; wenn ich nur dabei rauchen, ſprechen und gelegentlich einen Schluck dieſes irdiſchen Nektars nehmen darf.

Laſſen Sie ſich ja nicht ſtören, ſagte Oswald, eifrig zeichnend.

Es iſt doch ein merkwürdiger, alter Kaſten, dies Schloß, phantaſirte Albert; ich glaube, ich habe ver¬ dammt wenig Sinn für Romantik, aber ich brauche nur den Fuß auf die Wendeltreppe zu ſetzen, die in dieſen Flügel führt und mich umwehen Schauer des Mittelalters. Selbſt meine Sprache wird eine andere, wie Sie hören, und kriegt einen Beiſchmack von van der Velde und Tromlitz. Welche Mauern! man würde jetzt ein Dutzend daraus machen. Wenn es damals,186 wie zu vermuthen ſteht, auch Leute gegeben hat, mit denen man Thüren und Wände einrennen konnte, welche dicke Schädel müſſen die gehabt haben!

Wollen Sie gefälligſt einmal die Brille abneh¬ men? ſagte Oswald.

Mit Vergnügen. Hätte ich im Mittelalter ge¬ lebt, würde ich mir nicht an der Lectüre ſchlecht ge¬ druckter Schmöcker die Augen verdorben haben. Wenn das Mittelalter überhaupt einen Vorzug vor unſerer Zeit hatte, ſo iſt es der, daß die Leute nichts zu ler¬ nen brauchten. Denken Sie ſich: keine Schulen, keinen Cornelius Nepos, keine Geſchichte des Mittel¬ alters, keine Examina; blos ein paar Fechtſtunden bei einem alten Haudegen von Knappen, der, wie der Kloſterbruder im Nathan, der Herren gar viel gehabt und von dem einen noch immer ein hübſcheres Schel¬ menſtückchen zu erzählen weiß, als von dem andern; und dann etwa, wenn man Anſpruch auf höhere Bil¬ dung machte, ein paar Lectionen auf der Laute bei einem luſtigen, fahrenden Geſellen, der voller hübſcher Lieder und toller Schwänke ſteckt, der vor tauſend Thüren geſungen und eben ſo viel ſchöne Mädchen geküßt hat das muß doch ein famoſes Leben ge¬ weſen ſein! Und vor allem dieſe Leichtigkeit der Orts¬ veränderung, dieſe unbedingte, oder höchſtens durch ein187 paar handfeſte Burſche, die einem in den erſten beſten Hohlweg den Schädel ein ganz klein wenig einſchla¬ gen, bedingte Freizügigkeit! George Sand hat ein¬ mal ein hübſches Wort, das einzige, das ich aus allen ihren vielen Romanen behalten habe, wahr¬ ſcheinlich weil es mir aus der Seele geſchrieben war: Was giebt es ſchöneres, als eine Landſtraße! Iſt das nicht prächtig? Iſt das nicht die ganze Poeſie, zum wenigſten die Poeſie des Abenteuerlichen in einem Worte? Ich könnte die Frau küſſen für das Wort, obgleich ſie ein Blauſtrumpf iſt, und ich die blauen Strümpfe haſſe, wie den Teufel, oder vielmehr ärger als den Teufel, der doch im Grunde nur ein ver¬ kanntes Genie iſt und als ſolches auf die Sympathie jedes Gebildeten Anſpruch machen kann. Aber wenn Einen in unſerer Zeit der Teufel und ſeine Helfers¬ helfer und Diener auf Erden, die Gläubiger, plagen, wo ſoll man hinfliehen vor ihrem Angeſicht? Damals, in der guten alten Zeit, packte man eines ſchönen Morgens vor Sonnenaufgang ſeinen Ränzel, oder in Ermangelung deſſen, ſich ſelbſt, marſchirte zum Thor hinaus und war, wenn man nach einer Stunde das Weichbild der Stadt hinter ſich hatte, in Sicherheit, und, ehe der Abend kam, mußte Einem ſchon ſo viel Abenteuerliches begegnet ſein, daß man die alte Stadt188 und das hübſche braune Mädel darin, für die man geſtern noch leben und ſterben wollte, bis auf die Er¬ innerung vergeſſen hatte. Sind Sie fertig? Na, laſſen Sie einmal ſehen. Hm! Sie zeichnen, wie der Maler Conti in der Emilia Galotti, nicht, was die Natur geſchaffen hat, ſondern was ſie hätte ſchaffen ſollen, wenn ſie in dem betreffenden Augenblicke nicht unglücklicherweiſe blind geweſen wäre. Sehr hübſch in der That, aber das Original iſt mir doch lieber. Und Dichter ſind Sie auch, wie ich ſehe.

Wie ſo?

Nun, die andere Seite des Blattes iſt ja von oben bis unten mit Verſen beſchrieben. Und noch dazu Sonette, die ich über alles liebe. Ich darf ſie doch leſen?

Es iſt nicht des Leſens werth. ſagte Oswald, den Alberts Frage ſichtbar verlegen machte. Die Verſe waren an Melitta, waren in der Erinnerung an die erſte köſtliche Zuſammenkunft im Waldhäuschen geſchrieben! Er. glaubte das Blatt ſicher in ſeinem Pult verwahrt, und bereute bitter ſeine Unvorſichtig¬ keit, die es jetzt ſeinem übermüthigen und, wie er fürchten mußte, keineswegs ſehr discreten Gaſt in die Hände geſpielt hatte. Glücklicherweiſe war Melitta's Name nicht genannt.

189

Nicht des Leſen werth? ſagte Albert; das wollen wir gleich einmal ſehen. Dichter haben kein objectives Urtheil über ihre Producte. Denken Sie einmal, ich hätte die Verſe gemacht und fühlte mich gedrungen, ſie Ihnen vorzuleſen. Hören Siezu!

Sie liebt mich!

Der Anfang iſt weniger originell, als wahr. Aber Sie werden mir zugeben, daß man ein ſo uraltes Thema nicht immer wieder neu behandeln kann. Alſo:

Sie liebt mich! Herz, hör auf ſo wild zu ſchlagen!
Halt aus, mein Herz! Du darfſt nicht auch zerſpringen,
Weil er zerſprang, der letzte von den Ringen,
Die Du ſo lange Jahre haſt getragen!
Sie liebt mich! wie die Wolken eilend jagen
Dort droben auf des Nachtwinds feuchten Schwingen!
Die Wälder rauſchen und der Quellen klingen,
Und Wolken, Wälder, Quellen Alle ſagen:
Sie liebt mich! O, noch ſchwebt auf meinem Munde
Der ſüße Kuß, den ſie mir hat gegeben
In dieſer holden, gnadenreichen Stunde;
Noch fühl 'ich ihre Bruſt an meiner beben
Die ſtumme, wunderbar beredte Kunde
Von ihres Herzens tiefgeheimſten Leben.

Wie finden ſie das? Ich dächte, ich hätte das erſte, ſtürmiſche Entzücken eines Liebenden in dem190 Augenblicke, wo er ſich der Gegenliebe des angebeteten Weſens verſichert hat, gar nicht ſo übel gezeichnet. Aber hören Sie weiter, wie das Allegro in ein Ada¬ gio verklingt:

O ſterngeſchmückte, milde, heil'ge Nacht!
Du grabesſtiller, tiefer Gottesfrieden!
Du heilſt die Kranken und erquickſt die Müden
Nach ihrer wirren, tollen Lebensjagd.
Und du haſt mich ſo überreich bedacht,
Du haſt mir gnädiglich ein Glück beſchieden,
Wie es ſo groß und ſchön noch nie hienieden
Der Erdenkinder einem hat gelacht.
O Mutter Nacht! die Du uns haſt geboren,
Die Du uns trägſt in Deinen weichen Armen,
An deren Bruſt wir Kraft und Ruhe trinken
O, ginge einſt mein holdes Glück verloren,
Dann, große gute Mutter üb 'Erbarmen,
Dann laß zurück in Deinen Schooß mich ſinken!

Albert hatte die Verſe ohne alle Affectation, klar und verſtändig, ja mit einem gewiſſen Anflug von Wärme vorgetragen. Oswald wußte ihm Dank dafür. Er hatte ſchon gefürchtet, die Gedichte, auf die er freilich nur in ſo fern Werth legte, als ſie ein treuer Ausdruck ſeiner Empfindungen waren, von dem frechen Spötter ihm gegenüber ſchonungslos profanirt zu ſehen. Er war froh, ſo leichten Kaufs davon gekommen zu ſein.

191

Machen Sie nie Verſe? fragte er, indem er das Blatt nahm und in ein Heft legte, das noch andere Poeſien zu enthalten ſchien.

Ich? ſagte Herr Timm, einen tiefen Schluck aus ſeinem Glaſe thuend; bewahre! dazu bin ich viel zu praktiſch. Die praktiſche Weltanſchauung und die poetiſche vertragen ſich wie Hund und Katze. Wenn das Kätzchen Poeſie gerade am zärtlichſten miaut, bellt der Hund Proſa mit ſeiner groben Stimme dazwiſchen und die kleine Schwärmerin verſtummt. Warum wollen Sie zum Beiſpiel Knall und Fall ſterben, wenn Ihnen das holde Glück , wie Sie es nennen, verloren geht? Das iſt doch ſo unpraktiſch wie möglich. Warum ſagen ſie nicht ſtatt: Dann laß zurück in Deinen Schooß mich ſinken Dann laß mich ſchnell in andre Arme ſinken oder der¬ gleichen, wodurch das Gemüth des Hörers beruhigt und vor ſeinem Auge eine höchſt angenehme Perſpec¬ tive aufgethan würde. Was habt ihr Poeten über¬ haupt davon, einem das bischen Vergnügen, das man ſich noch allenfalls auf dieſem melancholiſchen Plane¬ ten verſchaffen kann, gefliſſentlich zu verkümmern! Aber freilich, ich ſpreche davon, wie ein Blinder von der Farbe. Vielleicht befindet ihr euch dort oben in Wolkenkukusheim, Alles in Allem, doch beſſer, als wir192 auf der höckrigen Erde, wo man von Hühneraugen¬ ſchmerzen und anderen irdiſchen Empfindungen, die euch luſtigen Geſellen erſpart ſind, gar viel zu leiden hat. Ich habe mir ſchon manchmal gewünſcht, ich hätte ein beſtimmt ausgeſprochenes Talent für dieſe oder jene Kunſt: Poeſie, Muſik, Hühneraugenoperiren, Ma¬ lerei, Grimaſſenſchneiden, Plaſtik, Gliederverrenken gleichviel, nur irgend einen Sparren, an dem man ſich halten kann, wenn einem die Wellen des Lebens über dem Kopf zuſammenſchlagen. Ich erinnere mich einmal in einer Thierbude an einem Dachs geſehen zu haben, welcher Segen im Unglück ein ſolches Ta¬ lent iſt. Die übrigen talentloſen Beſtien liefen wie verrückt in ihren Käfigen umher, oder brüllten vor Wuth und Hunger, oder ergaben ſich im beſten Falle einer ſtummen Verzweiflung. Meiſter Dachs dagegen ſeinem angebornen künſtleriſchen Triebe folgend, arbeitete unverdroſſen an einer imaginären Höhle in dem Boden ſeines Käfigs, kratzend, kratzend, immer kratzend, vom Morgen bis zum Abend. Er vergaß dabei augen¬ ſcheinlich Hunger und Kälte, vergaß, daß er gefangen war; in der Ausübung ſeines Talents, ſelbſt unter ſo verzweifelt ungünſtigen Verhältniſſen, ſeine Seligkeit findend. Ich wollte, ich wäre ſo ein Dachs! Der Cognac iſt wirklich ſuperb, Sie ſollten auch ein Glas193 trinken, Doctor, um die Wolken von ihrer Apolloſtirn zu verſcheuchen. Aber ich habe zu Allem Talent, das heißt zu Nichts. In meiner Jugend war ich weit und breit als ein Wunderkind verſchrieen, weil ich wie ein Staarmatz Alles nachpfiff, was mir die Andern vorpfiffen. Der Junge wird's einmal weit bringen, ſagten die albernen Menſchen, wenn ich wieder einmal ſo eine erſtaunliche Probe meines Gedächtniſſes, in welchem alles Dumme und Kluge gleich feſt haftete, zum Beſten gab. Ich wollte, ich hätte ſitzen und ſchwitzen müſſen, wie die andern armen Jungen, denen ich damals die Exercitien machte und die dafür jetzt gemachte Leute ſind, während ich nichts viel Beſſeres bin, wie ein Vagabund. Aber, vive la joie et vive la bagatelle! Es muß auch Vagabunden geben, aus dem einfachen Grunde, weil es ſonſt keine ſoliden Leute gäbe. Die Vagabunden ſind das Salz der Erde, oder wenigſtens der fliegende Same, der die ſonſt feſt am Boden klebende, und am Boden verrottende Cultur über die ganze Erde ver¬ breitet. Vagabunden gründeten Karthago, Vagabun¬ den gründeten Rom. Was ſoll ein ehrlicher Kerl, der in Europa nicht mit einer echten Havana-Cigarre im Munde geboren iſt, anders thun, als nach AmerikaF. Spielhagen, Naturen. II. 13194auswandern, wenn er das ſehr natürliche Bedürfniß empfindet, einmal eine echte Cigarre zu rauchen, und ſie nicht geradezu ſtehlen will, oder nicht das Glück hat, einen ſo liebenswürdigen Menſchen aufzutreiben, wie Sie, der Sie ſich echten Cognac und echte Cigar¬ ren für ihre Bekannten halten und dabei noch die Gutmüthigkeit haben, dem Geſchwätze dieſer Bekann¬ ten zuzuhören, obgleich Ihnen die Augen beinahe vor Müdigkeit zufallen. Der Tauſend! Der Inhalt der Flaſche hat ſich faſt um den dritten Theil ſeines Vo¬ lumens verringert. Wie vergänglich doch alles Irdiſche iſt! Buona notte, Don Oswaldo! dormite bene und träumen Sie dolce von den bei occhi della donna bella, amata, immaculuta Ihrer Sonette. Ich für mein Theil will, wie Hamlet, beten gehen, denn nicht einmal zum Schlafen habe ich Unglücklicher Talent, geſchweige denn zum Träumen. Gute Nacht, Dottore!

Gute Nacht! ſagte Oswald, ſich ſchlaftrunken aus ſeiner Sophaecke erhebend und Albert bis zur Thür begleitend.

keinen Schritt weiter, Dottore! ſagte dieſer, Alles hat ſeine Grenzen! und als die Thür ſich hinter ihm geſchloſſen hatte, blieb er noch einen Au¬195 genblick ſtehen, legte den Daumen ſeiner rechten Hand an die Naſe, die übrigen vier Finger ſchnell bewe¬ gend eine Geſte, die für Oswald weniger ſchmeichel¬ haft, als für das kindlich-harmloſe Gemüth des Herrn Timm bezeichnend war.

13*
[196]

Neuntes Kapitel.

Der drückenden Hitze, die in der letzten Zeit ge¬ herrſcht hatte, folgten einige kühle regneriſche Tage.

An ſolchen Tagen erſchien Schloß Grenwitz noch öder und einſamer, als gewöhnlich. Sonſt kam, wenn auch Niemand anders, doch wenigſtens der Sonnen¬ ſchein zu Beſuch auf Schloß Grenwitz, und blieb bis zum Abend und drang in alle Räume, ſelbſt in die verſchloſſenen Geſellſchaftszimmer des oberen Stocks, wo er flüchtig über die Stühle und Sophas mit den koſtbaren, obgleich ein wenig verblichenen Damaſt¬ überzügen weghuſchte und hier und da ein Bild an der Wand begrüßte, das er ſchon ſeit hundert Jahren und darüber kannte. Sonſt waren, wenn weiter auch Niemand, doch wenigſtens die Spatzen luſtig und guter Dinge, die in den Löchern des alten Thurmes und in den Stuckornamenten des Neubaus niſteten und ſchon vom früheſten Morgen ſich ſo ungenirt über197 ihre Angelegenheiten unterhielten und zankten, als ob das Baronenſchloß ihnen nicht mehr Achtung ab¬ nöthigte, als eine Bauernſcheune. Und wem es trotz alledem zu einſam und öde im Schloſſe wurde, der konnte in den Garten hinabgehen, wo die Blumen in noch viel ſchöneren und vor allem friſcheren Farben prangten, als die Tapeten und die Stühle nur Sophas drinnen in den Prunkzimmern, wo über den bunten Blumen ſich bunte Schmetterlinge wiegten, wo die Vögel jubilirten, die Bienen geſchäftig ſummten und für den, welcher Augen hatte, zu ſehen, und Ohren, zu hören, allüberall ein wunderſames, ſtill geſchäftiges, an Leiden und Freuden reiches Leben herrſchte.

Das war nun Alles anders an Regentagen. Da konnten ſich die Bilder an der Wand ohne Furcht vor dem neugierigen Sonnenſchein mit den Stühlen und Sophas alte, gemeinſam erlebte Geſchichten erzählen, ſo viel ſie wollten; da ließen ſelbſt die Spatzen ihre ewigen Streitigkeiten für den Augenblick ruhen, oder biſſen ſich in aller Stille um die beſten und trockenſten Plätze; und in dem Garten ließen die Blumen die regenſchweren Köpfchen hängen; und all' das bunte, reiche Leben ſchien erſtorben. In den naſſen Gängen und über die Beete weg ſpielten die Winde Haſchens und zerzauſten dabei mitleidlos die armen Blumen,198 und warfen die Bohnenſtangen um und fuhren die Bäume hinauf, und ſchüttelten und rüttelten an den Aeſten, daß die ſchlanken Zweige hinüber und herüber rauſchten.

Dies melancholiſche Wetter paßte nur zu gut zu Oswald's Stimmung. Seit dem Tage in Barnewitz war eine Veränderung mit ihm vorgegangen, die er ſich ſelbſt kaum zu erklären wußte. Es war, als ob ihm plötzlich ein dichter Schleier über die Augen ge¬ fallen wäre, durch den hindurch ihm Alles farblos und reizlos erſchien; es war, als ob ihm eine feind¬ liche Hand Wermuth in den Kelch des Lebens gemiſcht hätte, aus welchem er in der letzten Zeit mit ſo vollen, gierigen Zügen getrunken. Selbſt das Bild der ſchönen lieben Frau, die in dem Allerheiligſten ſeines Herzens thronte, ſchien ſeine Wunderkraft verloren zu haben. Wo war all' die Seligkeit geblieben, die ihn ſonſt bei der Erinnerung an ſie und an die einzig wonnigen Stunden, die er mit ihr verlebt hatte, erfüllte? wo die ruheloſe Sehnſucht nach ihrem Anblick, nach dem Ton ihrer Stimme? wo die fieberhafte Ungeduld, mit der er die Sonne in ihrem Lauf verfolgte und die Nacht herbeiwünſchte, unter deren Schutz er ſich die enge Treppe, die dicht neben ſeinem Zimmer in den Garten führte, hinabſtahl, um zu ihr zu eilen, die199 ſeiner in der verſchwiegenen Kapelle harrte; ihm oft ſchon, ohne Furcht vor den Schauern der Nacht und der Einſamkeit, in dem Walde unter den hohen, ernſten, finſtern Bäumen entgegen gekommen war! Und doch wußte er, daß ſie jetzt einſam um ihn trauerte, daß ſie ihm längſt vergeben hatte, was ſein knaben¬ hafter Trotz und ſeine kindiſche Laune an ihr ge¬ frevelt; daß kein ſtrafendes Wort, kein vorwurfsvoller Blick ihn empfangen würden, wenn er zu ihr zurück käme; daß ſie freudig ihre Arme ausbreiten und ihn an ihr liebevolles Herz ziehen würde. Ach! nicht an ihr zweifelte er, nicht an ihrer Liebe, aber an ſich ſelbſt, an ſeiner Liebe! Wie dumpfes Glockenläuten, wie Grabgeſang tönten ihm noch immer die letzten Worte Oldenburg's: Wer von uns kann denn noch mit ganzem Herzen lieben? wer von uns hat denn noch ein ganzes Herz, und eine Stimme, die er nicht zum Schweigen bringen konnte, raunte ihm zu, wo er auch ging und ſtand und ſelbſt des Nachts in ſeinen wirren Träumen: Du nicht! Du nicht! In den Linien Deiner Hand ſteht es ja geſchrieben! Das braune Weib im Walde ſah es ja auf den erſten Blick: Du kannſt nicht treu ſein: Du nicht! Du nicht! Und als Du zu Melitta's Füßen ſankſt, und den Schwur der Liebe und Treue ſtammelteſt, ſchloß ſie200 Dir nicht den Mund, ängſtlich, haſtig, als wollte ſie Dir das Verbrechen des Meineids erſparen: o, ſchwöre nicht! Ich kann Dir Liebe ſchwören nun und Treue auf immerdar, aber Du nicht! nicht!

Regenwetter! wie der Wind die Tropfen gegen die Fenſterſcheiben jagt, daß ſie trüb werden wie ver¬ weinte Augen! wie ſchwer und tief die Wolken ſchleppen, die grauen Trauermäntel, als würden ſie mit dem Saum die Wipfel der Pappeln drüben auf dem Schloßwalle ſtreifen! Wer doch da draußen läge in der ſchwarzen naſſen Erde, überhoben aller Qual des Zweifels und der Reue! Wer doch Theil haben könnte an dem ewigen Frieden der Natur! wer doch Eines ſein könnte mit den Elementen! mit dem Winde über die Erde brauſen, mit der Flamme zum Himmel lodern, mit dem Waſſer des Stromes im Ocean ver¬ rinnen könnte!

Hat die ſchwermüthige Weisheit der Inder Recht? und iſt das ganze Menſchenleben nur ein ungeheurer Irrthum? ſind wir Alle, Alle nur verlorne Söhne, die das Haus des guten alten Vaters verließen, um uns von Träbern zu nähren? Und iſt es wahr, daß wir jeder Zeit zu ihm zurückkehren können? daß wir zurückſinken können in den Schooß der lieben Mutter Nirwana, der uranfänglichen Nacht, wenn wir es201 nur von ganzem Herzen wünſchen? Von ganzem Herzen? Wer von uns hat denn noch ein ganzes Herz zum Leben und zum Sterben? Du nicht! Du nicht!

Vertrauen zu uns ſelbſt iſt wie eine Götterwolke, in die gehüllt wir die Gefahren des Lebenskampfes unverletzt durchwandeln, und, wenn wir fallen, als Helden fallen, mit der Todeswunde auf der ſtolzen Stirn, in der muthigen Bruſt, Zweifel an uns ſelbſt iſt wie ein jäher Schwindel, der uns auf ſteiler Fel¬ ſenhöhe packt, unſer Blut gerinnen macht, die Kraft unſrer Sehnen löſt, und uns zuletzt rettungslos in den Abgrund ſchleudert.

In ſolchen qualvollen Augenblicken ſchließt ſich der Menſch, wie ein im Walde verirrtes Kind, an den erſten Beſten, der ihm begegnet, an Jeden an, der ſingend die Straße des Lebens einherzieht und der Gefahren des Weges ſpottet.

Ein ſolcher muthiger Wanderer erſchien dem ver¬ düſterten, entmuthigten Oswald ſein neuer Bekannter, und ſo kam es, daß er ſich in dieſen böſen Tagen an den ſtets zu Scherz und Lachen und tollen Streichen aufgelegten Albert mit einer Herzlichkeit anſchloß, die ihn, der ſonſt in der Wahl ſeiner Freunde ſo äußerſt wähleriſch war, ſelbſt in Erſtaunen ſetzte.

202

Albert brauchte nicht mehr Zeit, ſich an einem fremden Orte einzurichten, wie ein Araber, um ſein Zelt aufzuſchlagen. Und von einer Einrichtung konnte eigentlich bei ihm keine Rede ſein. Er überließ es jeder ſeiner Sachen, deren nicht viele waren, ſich in ſeinem Zimmer einen Platz zu ſuchen. Wollte der eine Stiefel lieber auf dem Stuhle ſtehen und der andere mit dem Abſatz nach oben auf der Erde liegen er hatte nichts dagegen. Fand es der Frack, das ein¬ zige einigermaßen reſpectable Kleidungsſtück, deſſen er ſich erfreute, behaglich, in einer Ecke des kleinen me¬ lancholiſch ausſehenden Koffers zu einem unförmlichen Bündel geballt, zwiſchen ſchmutziger Wäſche ſein Da¬ ſein zu vergeſſen, er wollte ihn in ſeinem Ver¬ gnügen nicht ſtören. Und er ſelbſt, der glückliche Be¬ ſitzer all' dieſer emancipirten Herrlichkeiten, ſtand trotz des kühlen Wetters in Hemdsärmeln über ein großes Reißbrett gebeugt und pfiff und ſang und zeichnete und lachte Oswald, der am Nachmittage, ihn zu be¬ ſuchen, kam, wegen ſeiner Leichenbittermiene, wie er es nannte, aus.

Dottore, Dottore! rief er, Sie ſehen aus, als ob Sie von dem Grog, den ich geſtern Abend ge¬ trunken, den wildeſten Katzenjammer gehabt hätten! Wahrhaftig, Sie beſchämen das Wetter! Die Wolken203 draußen ſind ja verglichen mit denen auf ihrer Stirn in hundert bunten Farnen ſchimmernde Seifenblaſen! Haben Sie je als Junge an einem ſchönen hellen Sommermorgen in der Bodenluke geſeſſen und aus einem kleinen Stummel von Tonpfeife bunte Seifen¬ blaſen in die blaue Luft hinausgeſandt, während unten zwiſchen den bleiernen Soldaten auf dem großen Tiſch in der Kinderſtube ein angefangenes lateiniſches Exer¬ citium lag, für deſſen fragmentariſchen Zuſtand Sie ein paar Stunden darauf von Ihrem Lehrer die ſchön¬ ſten Prügel beſahen! Sehen Sie, das iſt das Bild des Lebens. Unſer Wiſſen iſt Stückwerk, und unſre beſten Exercitien bleiben Stückwerk, die bunteſten Sei¬ fenblaſen zerplatzen, und die derbſten Prügel fühlt man eine Stunde nachher nicht mehr. Es iſt Alles eitel, vor allem aber unſer Grämen darüber, daß Alles eitel iſt. Zum Kukuk! Ich habe die Welt nicht gemacht und Sie, ſo viel ich weiß, auch nicht. Wes¬ halb ſollten wir Beide uns alſo darüber den Kopf zerbrechen? Ich zerbreche mir über Nichts den Kopf, über gar nichts, zum Beiſpiel auch nicht über dieſe Linie, die ich offenbar zu kurz gemeſſen habe, und die ich nun nach Gutdünken mit Grazie verlängern muß, bis ſie dieſe Ecke hier trifft, nebenbei eine höchſt romantiſche Waldecke, wo ich eine allerliebſte ſtumpf¬204 näſige, rothbäckige, hochgeſchürzte Bauerdirne traf, die jedenfalls dieſe ganze Confuſion veranlaßt hat. Na, ſchadet nicht. Die Rechnung kann ja nicht immer rein aufgehen, wozu wären denn ſonſt die Brücke da, und das Grenwitz'ſche Majorat bleibt darum doch, was es iſt, eine ausgezeichnet ſchöne Erfindung, be¬ ſonders für den Spatzenkopf, den Malte. Iſt der Junge wirklich ſo dumm, wie er ausſieht?

Durchaus nicht, ſagte Oswald, der mit einem Stiefelknecht und einer Botaniſirkapſel, aus der ein Strumpf von blauem Garn ſchamhaft hervorlugte, das kleine Sopha im Zimmer theilte. Malte kann nicht blos bis fünf, ſondern ſehr viel weiter zählen. Er hat für Manches ein ganz entſchiedenes Talent, beſonders zum Rechnen, worin er Bruno, der ſehr wenig Sinn dafür hat, weit vorausgeeilt iſt.

Ja, die Vorſehung iſt wunderbar weiſe, ſagte Albert, in einem kleinen Näpfchen ſchwarze Tuſche anreibend; wem ſie die Schildkrötenſuppe des Reich¬ thums zugedacht hat, beſchert ſie gleich den ſilbernen Löffel dazu, und wem ſie den Schiffszwieback der Ar¬ muth mittheilte, verſieht ſie freundlichſt mit hohlen Backenzähnen, damit er ſich nicht lange über die trockene Koſt zu ärgern braucht. Ich für mein Theil habe aus Verſehen vortreffliche Zähne bekommen, und205 ſo mundet mir mein Zwieback ausgezeichnet, ſo aus¬ gezeichnet, daß ich mich nicht einmal über die hohl¬ köpfigen, dickbäuchigen, ſilberne Löffel führenden, Schild¬ krötenſuppe eſſenden, verzogenen rechten Kinder der Stiefmutter Natur ärgern kann. Aber eines ſollte mich doch freuen, und das wäre, wenn ſich zu dem Codicil im Teſtamente des vortrefflichen, im Delirium verſtorbenen und jetzt in Abraham's Schooße ſeinen Rauſch ausſchlafenden Baron Harald ein Liebhaber fände.

So kennen Sie auch die traurige Geſchichte? ſagte Oswald.

Wer ſollte die nicht kennen, erwiederte Albert, ſich eine Cigarre anzündend und ſich auf die Lehne eines Stuhles ſetzend, ſo daß ſeine Füße auf dem Seſſel ſtanden. Wird doch die Geſchichte durch die teſtamentariſch vorgeſchriebene Publication zum fürch¬ terlichſten Aerger der hochmüthigen und ebenſo geizigen wie hochmüthigen Anna-Maria alljährlich in den Zei¬ tungen aufgewärmt, obgleich ich glaube, daß es in den letzten Jahren gar nicht einmal mehr geſchehen iſt.

Es wundert mich, ſagte Oswald, daß ich von der Sache niemals hörte, bis ich hierher kam, und auch in den Blättern nie davon geleſen habe.

Wer bekümmert ſich denn um die Publicandas,206 Steckbriefe und ſonſtigen heitern Bekanntmachungen, wenn man, wie wir, von denſelben weder etwas zu fürchten, noch zu hoffen hat! Ich wüßte wahrſchein¬ lich von dem originellen Streich, den Vetter Liederlich Couſine Gieremund geſpielt hat, auch nicht mehr, wie Sie, wenn mein Vater, den als Juriſten die Sache intereſſirte, und der, glaube ich, irgendwie dabei be¬ theiligt war möglicherweiſe war er Vetter Lieder¬ lich bei der Abfaſſung des Teſtamentes behülflich ge¬ weſen nicht manchmal davon geſprochen hätte. Uebrigens war die Aufforderung in ziemlich vagen Ausdrücken abgefaßt und lief ungefähr darauf hinaus, daß die betreffende junge Dame, oder ein von ihr bis zum Ende, ich erinnere mich nicht mehr, welchen Jahres, geborenes Kind, gleichviel ob masculini oder feminini generis, ſich bei den unterzeichneten Teſta¬ mentsexecutoren natürlich unter Beibringung der nöthigen Legitimations-Urkunden ſchleunigſt melden möchten, da ihnen von dem zu ſeinen Vätern die jedenfalls ebenſo ſaubre Kunden waren, wie der wür¬ dige Sohn verſammelten Baron Harald ein be¬ deutendes Legat vermacht ſei. Worin dies Legat be¬ ſtehe, iſt nicht geſagt. Ich aber weiß, und es wiſſen's auch noch Viele, daß damit nichts weniger als zwei der ſchönſten Güter hier auf der Inſel: Stantow und207 Bärwalde, die ich ganz genau kenne, da ich ſie im vorigen Sommer vermeſſen habe, gemeint ſind.

Es müßte allerdings eine reizende Ueberraſchung für unſre liebenswürdigen Freunde ſein, wenn der im Teſtament vorgeſehene Fall einträte. ſagte Oswald.

Na, ob! erwiederte Albert; leider iſt dazu nur noch ſehr wenig Ausſicht, da das Legat nur fünfund¬ zwanzig Jahre in suspenso bleibt und dann an die Familie zurückfällt. Von den fünfundzwanzig müſſen aber mindeſtens zwei - oder gar ſchon dreiundzwanzig verfloſſen ſein, denn ich bin jetzt ſechsundzwanzig und erinnere mich, daß ich mich jedesmal ärgerte, nicht das teſtamentariſche Alter zu haben.

Warum?

Um mich wenigſtens in der reizenden Ungewißheit wiegen zu können, ob ich nicht am Ende doch der Ivanhoe wäre, der, aus ſeinem väterlichen Erbe ver¬ trieben, unbekannt in dem Lande umherirrt, trotz ſeiner ritterlichen Abſtammung mit Schweinehirten Freund¬ ſchaft ſchließen und von alten ſchmutzigen Juden borgen muß, bis er endlich das Incognito fallen laſſen und die ſchöne Rowena als ſein ehelich Gemahl heim¬ führen kann, obgleich ich für mein Theil auf den letzten Punkt weniger Gewicht legen würde.

Haben Sie Ihrem Herrn Vater, wenn ſie ſich208 mit ihm von dieſer myſteriöſen Angelegenheit unter¬ hielten, auch dieſen für denſelben ſo äußerſt ſchmeichel¬ haften Wunſch mitgetheilt?

Ich erinnere mich nicht; indeſſen, wenn ich es gethan habe, ſo hat der Alte meine kindliche Regung wahrſcheinlich ſehr natürlich gefunden, denn er war ein ſehr aufgeklärter Mann. Einen Vater muß doch nun einmal jeder Menſch haben, obgleich dieſe ſo äußerſt weiſe Einrichtung der Natur auch manchmal zum Beiſpiel, wenn man eben einen dummen Streich ausgeführt hat, oder auszuführen gedenkt, ziemlich unbequem iſt; und da ſehe ich nicht ein, weshalb ich einem Vater, der mir zwei prachtvolle Güter hinter¬ läßt, nicht einem andern, der mich in die Welt laufen läßt, wie ein Krokodil ſein Junges ins Waſſer, das heißt mit zwei Reihen ausgezeichneter Zähne und nichts zum Beißen dazu, nicht den Vorzug geben ſollte, auch wenn der Erſtere in Betreff gewiſſer, bei chriſtlichen Nationen landesüblicher Gebräuche mehr orientaliſch¬ muhamedaniſchen Anſichten huldigte.

Das iſt Geſchmacksſache, ſagte Oswald.

Gewiß, erwiederte Albert; obgleich ich über¬ zeugt bin, daß von hundert Menſchen, wenn ihnen die Alternative nicht blos als Problem, ſondern in greifbarer Wirklichkeit geſtellt würde, ſi[c][h][n]eunund¬209 neunzig, verſteht ſich, mit obligatem ſchamhaften Er¬ röthen, zu meiner Anſicht bekennen, oder ſich auch noch immer zu Ihrer Anſicht bekennen, jedenfalls aber mit beiden Händen zugreifen würden. Verſpürte doch ſelbſt der große Goethe ähnliche Gelüſte, obgleich er natürlich vermöge ſeiner Größe noch ein paar Zweige höher nach den goldenen Aepfeln ſchielte, und gern eines Kaiſers Sohn geweſen wäre, während ich ſchon mit einem Papa Baron zufrieden bin.

Der große Goethe war, als er dieſe Gelüſte verſpürte, eben noch nicht der große, ſondern ein ganz kleiner Goethe, und hatte wie andere Kinder, kindiſche Einfälle.

Na, ich weiß nicht, ob dem alten Geheimerath die beiden Güter nicht auch willkommen geweſen wären: denn in gewiſſer Hinſicht, zum Exempel darin, daß uns gebratene Aepfel beſſer ſchmecken als rohe Kar¬ toffeln, bleiben wir alle Kinder, und wenn wir Me¬ thuſalems Alter erreichten. Indeſſen, dem ſei, wie ihm wolle. Wenn Sie ein beſonderes Gewicht darauf legen, Ihres Herrn Vaters Sohn zu ſein, ſo wäre es Unrecht von mir, Ihnen dies kindliche Vergnügen zu verleiden. Wie wär's, Dottore, wenn wir unſer philoſophiſches Geſpräch als Peripatetiker im Freien fortſetzten? Der Himmel ſieht freilich noch immer ausF. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 14210wie ein naſſer Scheuerlappen, aber es hat doch we¬ nigſtens für den Augenblick aufgehört zu regnen, und ich meinestheils will lieber in die Sündfluth hinein¬ ſchwimmen, als den ganzen Tag in dieſer langweiligen Arche Noah ſitzen, wo man ſogar gegen alle Natur - und bibliſche Geſchichte gezwungen iſt, ohne das be¬ treffende weibliche Exemplar der Species, die man ſelbſt repräſentirt, leben zu müſſen. Sie können doch ſchwimmen?

O ja, ſagte Oswald lächelnd.

Nun, dann ſetzen Sie ſich eine Mütze auf und kommen Sie; die Jungen ſind jetzt unten beim Vesper¬ brod und werden ihren Mentor wol auf eine Stunde entbehren können.

Die beiden neuen Freunde gingen die enge Treppe, die dicht neben Oswald's Zimmer durch die gewaltige Mauer des unteren Stocks in den Garten führte, hinab. Es regnete nicht mehr, auch der Wind hatte aufgehört zu wehen, aber der ganze Himmel war mit ſchweren trüben Wolken bedeckt, die mit jedem Augen¬ blick tiefer zu ſinken ſchienen. Aus den Kelchen der Blumen tropften die Regenperlen wie helle Thränen aus überſtrömenden Kinderaugen. Dann und wann ertönten leiſe klagende Vogellaute aus den breiten Kronen der Bäume, ſonſt tiefe Stille allüberall.

211

Eine unausſprechliche Wehmuth bemächtigte ſich Oswald's Herz. Das Leben erſchien ihm wie ein dumpfer, beängſtigender Traum, durch den geliebte Geſtalten mit verhülltem Antlitz glitten. Er gedachte Melitta's, aber wie einer Todten. ...

Auch Albert war ſtill geworden in dem ſtillen Garten: Laſſen Sie uns weiter gehen, ſagte er; es iſt hier wie auf einem Friedhof.

Sie gingen aus dem alten verfallenen Thore über die Zugbrücke in den Wald, den Weg nach Berkow, denſelben Weg zwiſchen den hohen ernſten Tannen, den Oswald an dem Abend ſeiner Ankunft auf Schloß Grenwitz dahergefahren kam, und den er ſeitdem mit wie verſchiedenen Empfindungen nun ſchon ſo oft zurückgelegt hatte.

Jener Abend hatte eine Kluft in ſein Leben ge¬ riſſen, deren Tiefe er jetzt erſt inne ward. Seit jenem Abend war die weite Welt draußen hinter den ſtillen Wäldern für ihn verſunken, und eine neue Welt war für ihn emporgeblüht, eine paradieſiſche Welt voll Liebe und Sonnenſchein; und jetzt war es ihm, als verſänke ihm auch dieſe Welt unter den Füßen, und die alte Welt draußen jenſeits der ſtillen Wälder läge ihm weit, unerreichbar weit. Würde er je mit friſchen, muthigen Sinnen in dieſe Welt zurückkehren? nicht14*212ſtets ſich zurückſehnen nach der blauen Blume, die ihm hier nahe wie noch nie geblüht hatte, ſo nahe, daß ihm der Duft bis in's Herz gedrungen war? Was war aus den ſtolzen Ideen geworden, denen nachzudenken ſonſt die Freude ſeines Lebens geweſen? aus den kühnen Plänen, mit denen er ſich ſchon Jahre lang getragen? war Alles nun dahin? und dahin um eines Weibes willen, um der Liebe willen zu einer Frau, die nie die ſeine werden konnte?

Nein und tauſendmal nein! Er mußte ſich los¬ reißen aus dieſer ſinnverwirrenden Zauberwelt, und ſollte es ihm das Herz zerreißen! ihm! was war an ihm gelegen! er hatte ja kein ganzes Herz mehr zu verlieren! aber ſie was ſollte dann aus ihr werden?

Ich glaube, Ihre Melancholie ſteckt an, Dottore, ſagte Albert, als ſie eine Zeit lang ſchweigend neben¬ einander hergegangen waren; wie kann ſich nur ein ſo geiſtreicher Mann wie Sie von den Einflüſſen der Witterung, oder was Ihnen ſonſt in den Gliedern ſteckt, ſo gänzlich beherrſchen laſſen! Ihr melancho¬ liſchen Genies ſeid doch pudelnärriſche Menſchen. Im¬ mer heißt es bei euch: hie Welf! oder: hie Waiblingen. Die aurea mediocritas des Horaz iſt für euch um¬ ſonſt gepredigt. Ihr wollt nicht darauf hören, weil euch der Stolz nicht erlaubt, jemals mittelmäßig zu213 ſein, und doch müßtet ihr einſehen, daß wir mittel¬ mäßigen Kinder der Natur uns zehntauſendmal wohler in unſerer Haut fühlen, als ihr. Wahrhaftig, Dot¬ tore, Sie können ſich porträtiren und unter die Fa¬ milienbilder der Grenwitzer, oben im Saale, hängen laſſen; es findet Sie Keiner als einen Fremden her¬ aus. Die haben auch Alle ſo verteufelt melancholiſche Geſichter. Mir däucht, man ſieht es der Race an, daß Jeder von ihnen ſo oder ſo zum Teufel gehen mußte, wie ſie es denn auch, ſo viel ich weiß, bis jetzt ohne Ausnahme gethan haben. Die Geſichter ich habe ſie heute nach Tiſche der Reihe nach durch¬ gemuſtert können alle als Titelkupfer zu grauslichen Räuber - und Rittergeſchichten geſtochen werden. Dieſe Geſichter erzählen von tauſend übertollen Streichen, von durchzechten Nächten, und vor allem von vielen, vielen ſchönen Weibern, die ſich an ihnen den Tod küßten. Denn für die Weiber, wie ich ſie kenne, müſſen Kerle mit ſolchen Fratzen unwiderſtehlich ſein, vor allem, wenn die Kerle, wie in dieſem Falle, reiche Barone ſind. Beſonders iſt mir der Harald, dieſer Rattenfänger von Hameln, aufgefallen. Er iſt nicht ſo ſchön wie ſein Vater Oscar, mit dem Sie nebenbei, wenn Sie ſo finſter ausſehen, wie eben, ohne Schmei¬ chelei eine merkwürdige Aehnlichkeit haben aber214 er ſcheint mir mit ſeinen großen, verführeriſchen blauen Augen, ſeinen ſo feinen und doch ſo wollüſtigen Lippen der wahre Typus dieſer hochadeligen und hochgefähr¬ lichen Raçe.

Sie thun mir wahrlich eine unverdiente Ehre an, wenn Sie mich ſo ohne Weiteres mit dieſer noblen Sippſchaft zuſammenſtellen, ſagte Oswald.

Nein, Scherz bei Seite, erwiederte Albert, Sie haben wirklich in Ihrer Phyſiognomie den verhäng¬ nißvollen Grenwitzer Zug; ich will Ihnen damit nicht etwas Angenehmes ſagen, denn Andre, ich für mein Theil zum Beiſpiel, ziehe es bei weitem vor, denſelben nicht zu haben. Ja, ich gehe noch weiter. Ich wette meine Karten der Grenwitzer Güter gegen die Güter ſelbſt, daß Sie, im erb - und eigenthümlichen Beſitz dieſer Güter, daſſelbe Leben führen würden, das den Grenwitzern bis auf die jetzt regierende Seitenlinie, die gänzlich aus der Art geſchlagen iſt, erb - und eigenthümlich war.

Sie verpflichten mich in der That durch die ſo überaus wohlwollende Meinung, die Sie von meinen Fähigkeiten und Neigungen haben, zu dem lebhafteſten Dank.

Ironiſiren Sie, ſo viel Sie wollen, ich bleibe dabei, Sie würden es gerade ſo machen, wie die215 tollen Barone, gegen die Sie eine ſo gründliche An¬ tipathie zu haben vorgeben, vielleicht auch wirklich haben, etwa ſo wie eine Dogge, die an den Karren geſpannt iſt, eine Anthipathie gegen die andere hat, die frei umherläuft.

Aber was, ums Himmelswillen, bringt Sie was berechtigt Sie zu dieſen wunderlichen Hypo¬ theſen?

Meine tiefſinnigen und ebenſo oberflächlichen, wie tiefſinnigen Studien in der Phyſiognomik, erwiederte Albert. Ich war ein Adept dieſer Wiſſenſchaft von Kindesbein an, ja ein Märtyrer derſelben, denn ich habe mir für den allzugroßen Eifer, mit dem ich ihr oblag, oft ſehr derbe Prügel geholt, wenn ich in den Schulſtunden, anſtatt aufzupaſſen, die geiſtreichſten Karrikaturen von den Spatzen -, Affen -, Schafs - und anderen Köpfen um mich her zeichnete; denn Ihnen brauche ich natürlich nicht zu ſagen, daß man das Charakteriſtiſche eines Geſichts, einer Geſtalt am ſchnellſten faßt, wenn man ſie zu karrikiren verſucht. Aus Ihrem Geſicht nun, wenn ich das Charakte¬ riſtiſche ſtark betone, wird das ſchmermüthige, und bei aller Schwermuth ſo verführeriſch-ſinnliche Gottſeibei¬ uns-Geſicht der Grenwitzer, Gottſeibeiuns-Geſicht, nämlich aus der armen Seele oder für die arme216 Seele der Mägdelein geſprochen, die ſich darin ver¬ gaffen. Ich will mich hängen laſſen, wenn ſie nicht noch im Leben ein raſendes Glück bei den Weibern machen, und ſchon gemacht haben.

Und wenn ich Ihnen nun das Gegentheil ver¬ ſicherte?

So iſt der Baron Harald kein Rattenfänger, ſondern ein Nachtwächter geweſen, und nicht von ſeiner allzugroßen Neigung für junge ſchöne Weiber und guten alten Wein, ſondern von vielem Studiren ge¬ ſtorben; ſo hat die kleine Marguerite die nebenbei ein bildhübſches und auch nicht allzuſprödes Kind iſt gelogen, die mich geſtern verſicherte: ſie haſſe Sie, was doch auf deutſch ſo viel heißt, als; ſie ſei ſterb¬ lich in Sie verliebt, und ſo hat die Fama gelogen, die Ihren Namen mit dem einer andern und aller¬ dings zu höheren Anſprüchen, als die kleine Mague¬ rite berechtigten Dame in Verbindung bringt.

Was meinen Sie? fragte Oswald, welcher fühlte, daß ihm das Blut in die Schläfen ſchoß.

Nichts, mein Prinz, nichts! erwiederte Albert lachend; muß man denn immer etwas meinen, wenn man etwas ſagt? Ich wollte nur auf den Buſch klopfen, ob die Vögel vielleicht herausflögen. Denn daß an Ihrer Melancholie nicht blos das Wetter217 ſchuld iſt, das zu ſehen, braucht man nicht einmal, wie ich, eine Brille zu tragen und ein Phyſiognom trotz Lavater und Lichtenberg zu ſein. Wenn unſer Einer melancholiſch iſt, ſind immer ein paar ſchwarze oder blaue Augen mit im Spiele. Die ſchwarzen Augen der kleinen Marguerite ſind es aber nicht, denn ich habe ſelbſt geſehen, mit welcher ſouveränen Gleichgültigkeit Sie das arme Ding behandeln, folg¬ lich ſind es ein paar andere Augen; und folglich, wenn es ein paar andere Augen ſind, müſſen dieſe Augen doch irgend wem gehören; und wenn ſie irgend wem gehören

Genug, genug! ſagte Oswald, trotz ſeiner böſen Laune über das luſtige Geſchwätz des wunderlichen Geſellen an ſeiner Seite lachend; Sie werden mir noch nächſtens beweiſen, daß ich der Mann im Monde bin und vor Liebe zu einer ſchönen Prinzeſſin, die auf dem Sirius wohnt, mich kopfüber in den Welten¬ raum hineinſtürze.

Warum nicht? ſagte Albert; ich bin Merlin der Weiſe. Ich kenne alle Raupen, die ein Menſch im Kopf haben kann; ich höre einen Bären, beſon¬ ders wenn ich ihn ſelber angebunden habe, ſchon von weitem brummen, und prophezeihe, daß, wenn wir nicht in fünf Minuten unter Dach und Fach kommen, wir218 ſo ausgewaſchen werden, wie man es nur im Inte¬ reſſe ſeiner Reinlichkeit wünſchen kann.

Die Beiden befanden ſich jetzt, nachdem ſie aus dem Walde getreten waren, auf dem offenen Felde zwiſchen dem Walde und den Häuslerwohnungen von Grenwitz. Alberts[Prophezeihung] ſchien in Erfül¬ lung gehen zu ſollen. Die trüben, ſchweren Dunſt¬ maſſen ſenkten ſich tiefer und tiefer, daß es trotz der nicht allzuſpäten Stunde beinahe Nacht wurde; ſchon fielen einzelne große Tropfen.

Sauve qui peut ; rief Albert. Wie wär's mit einem kleinen Dauerlauf, Dottore, bis zu jenem Häuschen?

Nur zu! ſagte Oswald

Na, das war noch gerade vor Thorſchluß , ſagte Albert, als ſie unter dem vorſpringenden Dache der Hütte angelangt waren, und ſchüttelte ſich wie ein Pudel. Meinem Rock hätte die Wäſche freilich nichts geſchadet, aber ich bin hier doch lieber. Nein, wie das regnet! wollen wir nicht in das Innere dieſes Palazzo dringen, Dottore, oder glauben Sie, daß das alte Weib, das da zum Fenſterchen hervor¬ lugt, dieſelbe Hexe iſt, die dieſes Hexenwetter gemacht hat?

Guten Tag, Mutter Clauſen! ſagte Oswald,219 der ſeine alte Freundin vom Kirchgang nach Faſchwitz erkannte.

Schön Dank, Junker; ſagte Mutter Clauſen und nickte freundlich mit dem grauen Haupte; ich hab Dich ſchon erwartet. Komm nur herein, und der Andere auch, wenn er Dein Freund iſt.

Na, was bedeutet denn das? fragte Albert ver¬ wundert.

Folgen Sie mir nur; erwiederte Oswald; Sie ſollen eine merkwürdige alte Frau kennen lernen.

Und ſie traten, nicht ohne ſich zu bücken, durch die niedrige Thür in die Hütte.

[220]

Zehntes Kapitel.

Nur hier herein, ſagte Mutter Clauſen, Os¬ wald bei der Hand ergreifend, und ihn von dem dunklen Flur in ein einfenſtriges Stübchen ziehend, das der größeren Stube auf der andern Seite, in welche Oswald mit dem Inſpector Wrampe den kranken Knecht an jenem Abend getragen hatte, gegenüberlag, während ſie ſich um Albert nicht weiter bekümmerte, als wüßte ſie, daß dieſer junge Mann das Talent hatte, ſeinen Weg auch im Dunkeln zu finden: ich habe ſchon nach Dir ausgeſchaut, denn ich weiß von Alters her, daß Du nur zu gern in ſolchem Wetter umherläufſt, das heiße junge Blut ein bischen abzu¬ kühlen. Biſt wohl wieder durchgeweicht, wie gewöhn¬ lich? Nu, das geht ja heute noch. Da, ſetze Dich in den großen Stuhl. Es hat Niemand von Euch darauf geſeſſen, ſeitdem Baron Oskar heute vor dreiundvierzig Jahren darin geſtorben iſt.

221

Für abergläubiſche Gemüther keine beſondere Empfehlung, ſagte Albert, auf einer großen hölzernen Lade im Hintergrunde des Stübchens Platz nehmend, während die alte Frau Oswald in den Lehnſtuhl drängte, und ſich zu ſeinen Füßen auf einen niedrigen Schemel ſetzte; indeſſen Ehre, wem Ehre gebührt. Sie nehmen ſich auf dem einzigen Prunkmeubel in dieſem ſonſt äußerſt prunkloſen Gemach ganz famos aus, Dottore, beſonders bei dieſer Rembrandt'ſchen Beleuchtung und mit der alten Frau à la Murillo zu Ihren Füßen; wie ein vertriebener König, der bei einer alten Fee im Walde Schutz ſucht und findet, während ſein getreuer Eckart im Hintergrunde ſitzt und nickt. Ich glaube wirklich, das Laufen hat mich müde gemacht, und ich könnte ein paar Minuten ſchlafen. Wecken Sie mich, Dottore, wenn es wieder aufgehört hat, zu regnen und Albert ſtreckte ſich der Länge nach auf der Lade aus, legte die Hände unter den Kopf und ſchien trotz der, für jeden Andern wenigſtens, höchſt unbequemen Lage nach wenigen Minuten, während deſſen nur das monotone Tik-tak der alten Schwarzwälder-Uhr in der Ecke und das Rauſchen des noch immer in Strömen herabfallenden Regens die lautloſe Stille in dem kleinen Gemache unterbrachen, alles Ernſtes eingeſchlafen zu ſein.

222

Mutter Clauſen hatte ihr Strickzeug zur Hand genommen, und ſtrickte wieder wie neulich an einem winzigen Kinderſtrümpfchen, emſig, emſig, emſig, daß die Nadeln klapperten. Nur von Zeit zu Zeit ſchaute ſie zu Oswald empor und nickte ihm freundlich zu, als freute ſie ſich, daβ er gar ſo bequem in dem alten weichen Lehnſtuhl ſäße, hier in der trockenen Stube, während es draußen ſo unbarm¬ herzig regnete.

Nicht wahr, Junker, es ſitzt ſich gut in dem Stuhl? ſagte ſie für einen Augenblick das Strickzeug in den Schooß und die rechte Hand auf Oswald's Knie legend. Die gnädige Frau hat ihn mir ge¬ ſchenkt, als der Baron geſtorben war. Sie konnte den Anblick nicht ertragen, ſagte ſie, denn ſie müſſe dabei ſtets an den Augenblick denken, wo die Leute ihn hereintrugen, als er mit dem Wodan geſtürzt war, und hier in dieſen Stuhl ſetzten; und Harald kam herbeigelaufen, und ſchrie, als er den Vater ſo bleich und entſtellt ſah, und ſie ſelbſt lief im Zimmer umher und rang die Hände, und ich ſtand neben dem Baron, und wiſchte ihm den Todesſchweiß von der blaſſen Stirn. Ich hatte damals keine Zeit zum Weinen, ich wußte es wohl, daβ ich hernach Zeit genug dazu haben würde.

223

Und wie alt war Baron Harald, als ſein Vater ſtarb? fragte Oswald.

Zehn Jahre, antwortete Mutter Clauſen; und ihm wäre beſſer geweſen, er wäre an dem Tage ge¬ ſtorben, ihm und manchem Andern.

Die Alte hatte das Strickzeug, das in ihrem Schooß müßig gelegen hatte, wieder zur Hand genommen und ſtrickte emſiger wie zuvor, als müſſe ſie die verlorne Zeit einholen.

Ja, ja, ſagte ſie; es wäre beſſer geweſen. Da¬ mals war er ein bildhübſcher, unſchuldiger Junge mit Augen, blau wie Veilchen und roſenrothen Wan¬ gen; und als er ſtarb

Die Alte ſchwieg die Nadeln klapperten und der Regen klatſchte gegen die Scheiben.

Nun, ſagte Oswald, und als er ſtarb

Da ſtarb ein böſer Mann, und es war ein böſes, böſes Sterben. Ich weiß es allein, denn ich war allein mit dem Unſeligen, als der Tod ihn packte mit ſeiner eiſernen Fauſt. Da rangen ſie Beide, der ſtarke Harald und der ſtarke Tod, und gräßlich genug war es anzu¬ ſehen, ſo gräßlich, daß die Andern davon liefen aber ich wollte ihn nicht verlaſſen in ſeiner letzten Noth, denn er war, böſe wie er war, doch Oskar's Sohn und ich hatte ihn, als er ein unſchuldig Kind war, auf224 meinen Armen getragen und auf meinen Knien ge¬ wiegt. So hielt ich aus und betete, während er ſich und Gott verfluchte, bis der Tod ihm auf's Herz ſchlug, daß er laut aufſchrie und auf ſein Kiſſen zu¬ rückfiel. Da war es aus mit ihm, und ſeine arme Seele hatte Ruhe.

Und hatte der Baron keinen Freund, der ihm in ſeiner letzten Stunde hätte beiſtehen können?

Freunde genug, und es waren Männer dabei, die ſich vor einem Sterbebette nicht fürchteten; aber vor Harald fürchteten ſie ſich; er hätte den erwürgt und zerriſſen, der ihm in dieſer Stunde vor die Augen ge¬ treten wäre. Ja, ich möchte, ſie wären gekommen, Einer nach dem Andern; es verdiente Jeder von ihnen, daß ihm der Hals wäre umgedreht worden.

Und wer waren dieſe ſchlimmen Freunde?

Zuerſt Herr von Barnewitz, nicht der auf Süllitz, der noch lebt, der Vater von dem jungen Herrn von Barnewitz das iſt ein guter Menſch, dem Keiner nichts Böſes nachſagen kann, ſondern der auf Schmittow, der hernach all' ſein Geld an Herrn von Berkow verſpielte, und ihm dafür ſeine Tochter ver¬ kaufte.

Melitta? ſtöhnte Oswald und ſeine Hände griffen krampfig nach den Lehnen des Stuhls.

225

Was haſt Du, Junker? ſagte die Alte.

Nichts, nichts; murmelte Oswald, mit überna¬ türlicher Anſtrengung das aus Abſcheu, Mitleid, Haß und Rachedurſt grauenhaft gemiſchte Gefühl nieder¬ kämpfend, das in ſeiner Bruſt aufkochte, als er der Geliebten heiliges Bild ſo in den Schmutz gemeiner Leidenſchaften geſchleift ſah. Melitta verkauft, von ihrem eignen Vater einem Mann verkauft, den ſie nicht liebte, dem ſie ſich nur vermählte, ihren Vater von der Schande zu retten Oswald fühlte, daß dieſer Gedanke ihn wahnſinnig machen würde, wenn er ihn bis zu Ende verfolgte; und zugleich fürchtete er, der ſcharfſinnige Albert, von deſſen feſtem Schlaf er keineswegs überzeugt war, obgleich ein gelegent¬ liches leichtes Schnarchen von der Lade her ertönte, könne ſeine Aufregung bemerken. So zwang er ſich denn, ſitzen zu bleiben und mit ſcheinbarer Ruhe zu fragen:

Gehörte Herr von Berkow auch zu den Freunden des Barons? war er damals nicht noch zu jung?

Er war der Jüngſte, ſagte Mutter Clauſen, und auch der Beſte. Er that, was er die Andern thun ſah, ohne weiter zu überlegen, ob es Recht ſei oder Unrecht. Auch hatte er nicht die mächtige Natur der Andern. Wo er eine Flaſche trank, trank HaraldF. Spielhagen, Problematiſche Naturen. II. 15226drei, und dabei blieb Harald bei Beſinnung und Ber¬ kow lag unter dem Tiſch.

War es ein hübſcher Mann? fragte Oswald.

Nicht ſo hübſch, wie Harald und lange nicht ſo hübſch wie Du, Junker. Er war kleiner und ſchwäch¬ licher, wie ihr, und Harald hätte es mit ſechs ſolchen Männern zugleich aufnehmen können. Aber es war auch weit und breit Niemand ſo ſtark und ſo kühn, wie Harald. Er konnte das wildeſte Pferd im Lauf aufhalten und zahm und folgſam machen, wie einen Hund, und in den Sattel ſprang er, ohne die Bügel zu berühren. Sie erzählten ſich Wunderdinge von ſeiner Rieſenkraft, aber es war juſt ſo, als ſie ſagten. Wenn er zornig war, und er war es nur zu oft, zer¬ brach er einen ſchweren eichenen Stuhl oder Tiſch, als wären ſie von Glas. Dann ſchwollen ihm die Adern auf der Stirn an, wie Aeſte, und der weiße Schaum trat ihm vor dem Mund, daß er gräulich an¬ zuſehen war; aber wenn er lachte und freundlich that, da mußte man ihn doch wieder lieb haben. Da konnte er ſo ſchön thun, und ſo gute Worte geben, daß kein Menſch nicht glauben konnte, wie böſe er war. Denn böſe war er bei alledem; was ihm gefiel, das mußte er haben, es mochte koſten, was es wollte, und wenn Alles darüber zu Grunde ging.

227

Waren Sie denn während dieſer ganzen Zeit noch auf dem Schloſſe?

Warum nennſt Du mich Sie, Junker? Du haſt es ja ſonſt nie gethan ja wol war ich auf dem Schloſſe. Mein Mann war ja geſtorben und die Jungen und die Dirnen waren geſtorben und ich war ja die einzige, die nach dem Tode der gnädigen rau Mutter noch ein bischen auf Ordnung ſah. Ich war nicht gern da, das weiß der Himmel, denn im Schloſſe ging es zu wie zu Sodom und Gomorrha. Alle Tage die ſaubern Freunde, und oft noch ein halbes Dutzend dazu und dann geſpielt und gezecht bis an den hellen Morgen.

Kamen denn nie Damen aufs Schloß?

Nein, ſelbſt die frechſten und übermüthigſten fürchteten ſich vor dieſen wilden Männern. Und es waren die Meiſten von ihnen auch nicht verheirathet, wie Herr von Berkow; oder ihre Frauen waren ge¬ ſtorben, wie dem Herrn von Barnewitz ſeine Frau; ſo konnten ſie denn ihr böſes Leben ganz ungeſtört führen. Freilich, an Weibern fehlte es nie auf dem Schloſſe, aber ſie blieben niemals lange und es waren immer nur ſolche, an denen nichts zu verderben war, bis auf Eine, bis auf Eine

Und wer war dieſe Eine?

15*228

Die Letzte ein ſchöner, unſchuldiger Engel, der auch die Teufel hätte bekehren können, aber Ha¬ rald und ſeine Geſellen waren ſchlimmer wie die Teufel.

Wie hieß ſie? woher kam ſie?

Wir nannten ſie nur Fräulein Marie; woher ſie kam, habe ich nie erfahren, und eben ſo wenig, wo¬ hin ſie ging.

So hat ſie ſich nicht das Leben genommen, wie die Leute ſagten?

Nein, denn dazu war ſie zu fromm und gut; ſie hätte ihr Kreuz bis Golgatha getragen. O, ſie war ſo jung und ſchön und ſo ſanft und ſo lieb, wie meine alten Augen nie, weder vorher noch nachher, etwas geſehen haben. Wenn ich gewußt hätte, daß ſie gemeint war, als Baron Harald über dem Weine mit Herrn von Barnewitz um, ich weiß nicht wie viel Tauſend Thaler wettete, das Mädchen ſolle ihm frei¬ willig nach Grenwitz folgen und freiwillig ein Jahr auf dem Schloſſe bleiben ich hätte ſie Alle, wie ſie da ſaßen, mit Gift vergeben, wie ſchnöde Ratten.

Und wie fing es Baron Harald an, um ſeine Wette zu gewinnen?

Es iſt eine lange Geſchichte, Junker, und ich will ſie Dir erzählen. Ich ſage Dir, wenn alle Tropfen, die draußen fallen, Thränen wären, und alle um das229 arme Kind geweint würden ich würde ſagen: es ſind nur eben genug.

Als Harald mit Herrn von Barnewitz die ſchlimme Wette machte, war er vorher zwei oder drei Wochen mit ihm zuſammen verreiſt geweſen; ich weiß nicht wohin; ich glaube in eine große Stadt, weit von hier, und da hatten ſie, denke ich, daß arme Kind geſehen. Bald darauf reiſte er wieder fort und diesmal blieb er beinahe zwei Monate aus. Endlich ſchrieb er, er komme zurück, aber nicht allein. Seine Tante Gren¬ witz komme mit; ich ſolle die Zimmer der verſtorbenen gnädigen Frau auslüften und die Möbel gut aus¬ klopfen laſſen und Alles zu ihrem Empfang herrichten. Nun wußte ich wol, daß der Baron eine Großtante hatte, die Schweſter ſeines Großvaters; aber ſie mußte nach meiner Rechnung achtzig Jahre und drüber ſein; ſie war zu meinen Lebzeiten nie in Grenwitz geweſen, und hatte ſich nie um Harald bekümmert, ſo wenig, wie er ſich um ſie. Deshalb war ich denn nicht wenig erſtaunt über den ſonderbaren Entſchluß, noch in ſo hohen Jahren eine ſo weite Reiſe zu unternehmen, denn ſie wohnte viele, viele Meilen von hier; aber ich that, was mich der Baron geheißen hatte. Sie kamen auch an dem von ihm beſtimmten Tage; ich empfing ſie und wunderte mich, wie rüſtig die alte Dame noch230 war, trotzdem ſie an einem Stock ging und ſilbergraue Haare und Augenbrauen hatte. Harald war voller Reſpect gegen ſie; er führte ſie an ſeinem Arm durch alle Zimmer des Schloſſes und zeigte ihr Alles ganz genau, beſonders die Familienbilder oben im großen Saale, wo auch ihr eigenes hing, wie ſie als achtzehn¬ jähriges Mädchen geweſen war. Davor blieben ſie ſtehen und wollten ſich todtlachen, und die Alte kriegte den Huſten und Harald klopfte ſie derb in den Rücken. Ich wußte nicht, weshalb ſie ſo lachten ich glaubte, weil aus dem ſchönen Mädchen ein ſo häßliches altes Weib geworden war, denn damals ahnte ich noch nichts von dem ſchändlichen Spiele.

Am Morgen des nächſten Tages ließ der Baron wieder anſpannen und die Tante ſetzte ſich zu ihm in den Wagen. Wir kommen heute Abend wieder, ſagte er wenn es auch ſpät werden ſollte. Wir bringen noch eine junge Dame mit, die Geſellſchafterin bei Tante Grenwitz iſt. Sie muß das Zimmer nebenan haben, hörſt Du, Alte? Aber Herr, ſagte ich in der rothen Stube iſt die Baronin geſtorben und es liegt und ſteht noch Alles ſo darin, wie an ihrem Todestage. So laß Alles ausräumen, ſagte er, hörſt Du, Alles, und ſchaffe es in ein anderes Zimmer und ſetze dafür andere Möbel hinein. Die junge231 Dame muß in Tante Grenwitz's Nähe ſchlafen. Was ſagſt Du, lieber Harald? fragte die Tante, die auf dem einen Ohre taub war, und auf dem anderen auch nicht beſonders hörte, ſo daß ſie mich durchaus nicht verſtehen konnte, ſo laut ich auch ſchrie. Nichts, nichts, liebe Tante! ſagte der Baron; fort Jochen!

Es war ſpät in der Nacht, als ſie wieder kamen. Ich hatte alle Leute zu Bett gehen laſſen mit Aus¬ nahme des neuen Kammerdieners, den der Herr von ſeiner Reiſe mitgebracht hatte. Die junge Dame war mit im Wagen. Als ſie auf den Flur traten und der Schein des Lichtes, das der Baptiſte, ſo hieß der Menſch, in der Hand trug, auf das roſige Ge¬ ſichtchen der jungen Dame fiel, verzog ſich ſein Ge¬ ſicht zu einem recht widerlichen Lachen. Aber ich ſah, daß Harald die Stirn runzelte, und mit dem Augen winkte; da war Baptiſte gleich wieder ganz Ernſt und Dienſteifer.

Führe die Damen auf Ihre Zimmer, Alte! ſagte Harald zu mir, und dann verbeugte er ſich ſtattlich vor den Frauen und wünſchte ihnen wohl zu ſchlafen.

Wollen Sie mir Ihren Arm geben, liebe Marie? ſagte die Tante, als ich mit dem Licht vor ihnen her die Treppe hinaufging; meine alten Glieder ſind doch232 etwas müde von der heutigen Fahrt. Wie ſoll ich Ihnen Ihre Güte danken, gnädige Frau! ſagte das Mädchen mit einer ſo weichen, ſüßen Stimme, daß ich mich unwillkürlich umſehen mußte. Die Alte und das Mädchen ſtanden auf dem Abſatz der Treppe. Der Schein von den drei Kerzen auf dem Armleuchter, den ich trug, fiel hell auf die Beiden und ich werde den Anblick nie vergeſſen, und ſollte ich noch einmal achtzig Jahre leben. So wiederlich häßlich war mir die Tante noch nie erſchienen, und ſo etwas Holdes und Schönes, wie die junge Dame, hatte ich im Leben noch nicht geſehen. Sie wiſſen es am beſten, liebes Kind, ſagte die Alte und dabei zog ſie eine ſchein¬ heilige Fratze, die ſie wo möglich noch häßlicher machte. Ich habe nur noch einen Wunſch auf Erden; es ſteht bei Ihnen, ob mir dieſer Wunſch erfüllt werden ſoll, oder nicht. Das Mädchen antwortete nicht, aber die hellen Thränen traten ihr in die Augen, und dann beugte ſie die ſchlanke, hohe Geſtalt nieder und küßte der alten Hexe die Hand. Nun, nun, ſagte die, Sie ſind ein gutes Kind, wir werden uns ſchon ver¬ ſtehen, und mein Harald, mein Augapfel, wird noch glücklich werden. Laſſen ſie ſich den Leuchter geben liebe Marie; ich kenne das Schloß meiner Ahnen noch recht gut, obgleich ich es nun ſeit ſechzig Jahren nicht233 geſehen habe. Gehe Sie zu Bett, liebe Clauſen; ich bemühe die Leute nicht gern unnöthiger Weiſe.

Und das mußte man der Tante laſſen; wir be¬ kamen nur ſehr ſelten ihre Klingel zu hören. Sie zog ſich ſelbſt an und aus; freilich brauchte ſie mehre Stunden dazu, aber Keiner von uns durfte ihr die geringſte Hülfe leiſten; ja, ſeitdem eins der Mädchen einmal, während ſie ſich anzog, in ihre Stube ge¬ kommen war, ſchloß ſie ſtets hinter ſich ab. Sie hatte ſonderbare Gewohnheiten, die alte Frau. So konnte ſie des Abends nicht müde werden, und ich ſah ſie manchmal noch bis zum hellen Morgen in ihrem Zimmer umherwandern, dafür ſchlief ſie aber bis in den Nachmittag hinein. Bei Tiſche hatte ſie nie Appetit, aber auf ihrem Zimmer konnte ſie deſto mehr eſſen und trinken, manchmal zwei, drei Flaſchen alten Wein an einem Tage. Aber was das Merk¬ würdigſte war, ſie ſchien heute fünfzig und morgen achtzig Jahre alt zu ſein; ſie konnte in dieſer Minute das leiſeſte Wort hören und in der nächſten war ſie ſtocktaub; ſie ſchleppte ſich das eine Mal nur ſo an ihrem Stocke fort und das andere Mal kam ſie die Treppen ſchneller hinab, wie ich, obgleich ich damals erſt ſechszig Jahre und noch vollkommen rüſtig war. Mir war es ganz unheimlich bei der alten Frau, und234 ich war froh, wenn ich ihr möglichſt weit aus dem Wege gehen konnte.

Und wie lebte Fräulein Marie unterdeſſen?

Sie war faſt immer in Harald's Geſellſchaft. Ich ſah ſie des Morgens zuſammen zwiſchen den thaufriſchen Beeten des Gartens umherſchweifen, Arm in Arm, ſie die Augen verſchämt niederſchlagend und Harald, eifrig und leiſe zu ihr ſprechend. Ich ſah ſie des Nachmittags in den kühlen Zimmern, die nach dem Park hinausliegen, ſitzen, ſie, mit einer Arbeit beſchäftigt, die aber oft müßig in ihrem Schooß lag; ihn, aus einem Buche vorleſend, noch öfter aber den Arm auf die Lehne ihres Stuhles geſtützt, während ſie ſelig lächelnd zu ihm emporſchaute, ſie mit glü¬ henden Blicken verſchlingend und ihr von Zeit zu Zeit das ſeidenweiche braune Haar aus der ſchönen Stirn ſtreichend. Ich ſah ſie des Abends wieder draußen umherſchweifen, oder in den hellerleuchteten Zimmern, Arm in Arm, langſam auf - und abwandeln, während Tante Grenwitz auf dem Sopha ſaß und las, oder doch that, als ob ſie läſe. Ach! es war eine köſtliche Zeit für das arme Kind; und ſie ſah ſtets ſo glücklich und ſelig aus, daß es einem angſt und bange wurde, wie das enden ſolle; und wenn ſie mich traf, hatte ſie ſtets ein freundliches Wort für235 mich: Wie geht's, liebe Frau Clauſen? oder: kann ich Ihnen nicht helfen, liebe Frau Clauſen? Sie laſſen es ſich gar ſo ſauer werden. Ich ſchäme mich, daß ich hier ſo müßig gehe.

Eines Nachmittags begegnete ſie mir im Garten. Es war ein ſonniger heißer Tag; ſie hatte ein weißes Kleid an und ein Strohhut mit breitem Rande hing an ihrem ſchönen runden Arm. Der Baron war aus¬ geritten, ſeit langer Zeit zum erſten Male, die Tante war noch nicht aufgeſtanden. Ich hatte mir ſchon lange vorgenommen, wenn es die Gelegenheit erlaubte, ein Wort mit dem Mädchen zu ſprechen und ihr die Augen zu öffnen. So faßte ich mir denn ein Herz, als ſie mit einem: Guten Tag, Mutter Clauſen, wie geht's? an mir vorüber wollte, und ſagte: Schön Dank, Fräulein Marie; haben Sie einen Augenblick Zeit? ich möchte gern ein paar Worte mit Ihnen ſprechen? Was giebt's? ſagte ſie, und als ſie in mein Geſicht ſah, das wol recht ernſt und traurig ſein mochte, rief ſie: Um Gotteswillen, es iſt doch kein Unglück paſſirt? Nein, Fräulein Marie, ſagte ich, aber es könnte leicht eins paſſiren, wenn Sie ſich nicht beſſer vorſehen; und das ſollte mir herzlich leid thun, denn Sie ſind ſo jung und ſehen ſo engelsgut und rein und unſchuldig aus. Was236 meinen Sie? ſagte das arme Kind und wurde dunkel¬ roth. Kommen Sie hierher, Fräulein Marie, ſagte ich und zog ſie in einen Buchengang, wo wir vom Schloſſe aus nicht geſehen werden konnten, ich will Ihnen Alles ſagen, was ich auf dem Herzen habe. Ich bin eine alte Frau und Sie ſind ein junges Ding, das viel weiß, wie's in der Welt ausſieht und wie es hier in Grenwitz zugeht. Und nun ſchilderte ich ihr das Leben auf dem Schloſſe, wie es bis zu ihrer Ankunft geweſen war, und welch 'ein wilder, wüſter Menſch Harald ſei, und daß er falſch und grauſam ſei, wie ein Tiger. Sie hörte mir mit glü¬ henden Wangen und die langen dunkeln Wimpern nicht von den ſchönen blauen Augen aufſchlagend, ohne mich nur einmal zu unterbrechen, ruhig zu, dann ſagte ſie leiſe: Ich danke Ihnen, liebe Frau Clauſen aber was Sie mir da ſagen, das weiß ich Alles ſchon. Ich war wie vom Donner gerührt. Sie wiſſen das, rief ich, und haben der gnädigen Frau Tante hierher folgen können? Sie wiſſen das und ſind noch hier? Sie wiſſen das und fürchten ſich nicht, mit dem Baron ſtundenlang, halbe Tage lang allein zu ſein? O, Kind, Kind, was ſoll ich von Ihnen denken! Denken Sie nichts Schlechtes von mir, gute Frau, ſagte ſie, mir die Hand auf237 die Schulter legend. Und denken Sie auch nicht ſo ſchlecht vom Baron. Er wird nie wieder ſo wild und bös ſein, wie er vormals geweſen iſt. Wo¬ her wiſſen Sie das, Fräulein? ſagte ich. Weil er es mir verſprochen hat. Und glauben Sie, daß er dies Verſprechen hält? O, gewiß. Warum. Weil er mich liebt. O, Kind, Kind, rief ich, um Gotteswillen, es iſt die höchſte Zeit: fliehen Sie, oder Sie ſind rettungslos verloren. Unglückliche, die Sie ſeinen Schwüren glauben! Er ſchießt das Pferd todt, das ihm nicht länger gefällt, und er bricht den Schwur, der ihm läſtig wird. Was er Ihnen geſchworen hat, iſt ein altes Lied; er pfeift es, wie ein Staar ſein Stückchen pfeift, ohne etwas dabei zu denken. Was er Ihnen ſchwur, hat er ſchon hundert Andern geſchworen, von denen freilich die Meiſten nicht viel beſſer waren, wie er ſelbſt, und ſich einen Treubruch ſchon gefallen ließen, wenn er nur gut bezahlt wurde. Hören Sie auf, rief Fräulein Marie heftig; ich kann und darf Sie nicht länger anhören. Und dann ſetzte ſie lächelnd hinzu: Sie werden bald einſehen, gute Frau, wie bitter Unrecht Sie meinem Harald wie ſehr Sie dem Baron Unrecht gethan haben. Ihrem Harald? ſagte ich, armes Kind, er wird nie Ihr Harald. 238Der nimmt, was ihm der Zufall in den Weg führt, und weil Sie nun einmal zufällig hier ſind Und wenn ich nun nicht zufällig hier wäre? ſagte ſie, ſchelmiſch lachend; wenn ich nun nicht der alten Baronin, ſondern die alte Baronin meinethalben hier wäre? und wenn ich nun gar nicht wieder fort ginge und ganz hier bliebe . In dieſem Augenblick kam Harald plötzlich in den Baumgang, in welchem wir redend auf und ab gingen. Er ſtutzte, als er mich mit dem Mädchen allein ſah. Fräulein Marie, ſagte er, ich glaube, die Tante wünſcht Sie zu ſpre¬ chen. Und als das Mädchen fort war, trat er an mich heran und ſagte leiſe durch die weißen Zähne: Was haſt Du ihr geſagt, Alte? Daß Du ſie an der Naſe führſt, Harald, antwortete ich. Ich werde Dir dafür den Hals umdrehen, ſagte er, und die Zornesader auf ſeiner Stirne ſchwoll. Immer noch beſſer, als wenn Du dem armen Dinge das Herz brichſt, ſagte ich. Höre, Alte, ſagte er, und wenn ich es nun diesmal wirklich ehrlich meinte; wenn ich das wüſte Leben, bei dem man ja doch früher oder ſpäter zum Teufel gehen muß, herzlich ſatt hätte; wenn ich nun das Mädchen heirathete, wie dann? Iſt ſie von Adel? ſagte ich. Harald lachte: Eines Schneiders Tochter iſt ſie. Ich werde die239 Scheere und das Bügeleiſen in unſer Wappen zeichnen laſſen müſſen. Wenn ſie nicht von Adel iſt, ſagte ich, wirſt Du ſie nie heirathen, und es wäre auch nur eine Grauſamkeit mehr. Das arme Geſchöpf würde unter Deinem Spott und dem Hohn Deiner Freunde verbluten, wie ein gehetzter Hirſch unter den Zähnen der Hunde. Schicke das Mädchen fort; ich beſchwöre Dich, Harald, heute lieber, wie morgen. Und die alte Baronin auch; ſetzte ich hinzu. Er ſah mich groß an und dann lachte er und ſagte: Du biſt doch dummer, als ich gedacht habe, Alte. Damit wandte er mir den Rücken und ging trällernd in das Schloß.

Ich wußte nicht, was ich von dem Allen denken ſollte. Hatte Harald dem Mädchen die Ehe ver¬ ſprochen? und glaubte ſie alles Ernſtes, daß er von dem ſie ſagte, daß ſie ſein früheres Leben kenne dies Verſprechen halten würde? Sie ſchaute ſo klug und verſtändig aus ihren großen blauen Augen, wie konnte ſie ſich ein ſolches Märchen aufbinden laſſen? Wie hatte es Harald angefangen, ihre Klug¬ heit ſo ganz zu umnebeln? Was meinte das Mädchen damit, daß die Tante ihrethalben hier ſei? Mir ging das Tag und Nacht im Kopf herum, daß ich faſt krank darüber wurde. Ich hätte das arme unſchuldige240 Lamm ſo gern gerettet, und dem Harald dieſe Sünde erſpart hatte er doch ſchon genug auf dem Ge¬ wiſſen? Aber ich wußte nicht, wie ich es anfangen ſollte. Seit jener Unterredung im Garten wich Fräu¬ lein Marie mir überall aus; die Tante kam nur noch des Abends aus ihrem Zimmer und hatte trotz des heißen Wetters den Kopf ſtets dicht in Tücher ein¬ gewickelt. Harald hatte ſchon ſeit Tagen kein Wort mehr mit mir geſprochen. Er ſchien wirklich ein ganz anderer Menſch geworden zu ſein. Er war, ſo lange Fräulein Marie auf dem Schloſſe war, nicht ein ein¬ ziges Mal betrunken geweſen; hatte keinen der Leute geprügelt; kein Pferd zu Schande geritten, während doch ſonſt kein Tag hinging, wo er nicht dieſen oder jenen verrückten Streich ausführte. Wenn er ſonſt bei der geringſten Veranlaſſung tobte und fluchte und ſich wie ein Raſender gebehrdete, ſo war er jetzt ge¬ gen Alle mild und freundlich, nur nicht gegen mich, weil er wußte, daß er ſich vor mir nicht verſtecken konnte, die ich ihn von Kindesbeinen an kannte und gegen den neuen Kammerdiener Das war ein widerwärtiger Menſch, der beſtändig lächelte, und im¬ mer hinter den Mädchen her war, die ihn alle nicht leiden konnten. Er hatte den ganzen Tag nichts zu thun, als mit den Händen in den Taſchen umherzu¬241 ſchlendern und Grimaſſen zu ſchneiden. Für den Baron that er gar nichts, im Gegentheil, ſeitdem Ha¬ rald ihm einmal einen Fußtritt gegeben, daß er noch vierzehn Tage nachher hinkte, ging er ihm überall aus dem Wege. Kein Menſch konnte begreifen, wes¬ halb ihn der Baron nicht wieder fortjagte. Wäh¬ rend dieſer ganzen Zeit war keiner von den Herren, die ſonſt bei uns aus - und eingingen, zum Beſuch auf dem Schloſſe geweſen. Ich hatte immer gehofft, es ſollten welche kommen, damit ich Gelegenheit be¬ käme, mit Fräulein Marie zu ſprechen, der Harald jetzt gar nicht mehr von der Seite ging. Wenn ſie vorher ſchön mit einander gethan hatten, ſo war das jetzt noch viel ſchlimmer geworden. So wie ſie ſich unbeobachtet glaubten, lagen ſie einander in den Ar¬ men, und das war ein Herzen und Küſſen! Du lieber Himmel, das iſt unter Liebesleuten ſo der Brauch, und ich hatte es nicht beſſer gemacht, als ich ein ſo junges Ding war, wie die, und ich wußte am beſten, wie die Grenwitzer Barone einem armen hüb¬ ſchen Mädchen ſchön thun und ſchmeicheln können; aber ich wußte auch, daß man jeden ihrer Küſſe mit hunderttauſend Thränen bezahlen muß. Und eines ſchönen Morgens, als ich Fräulein Marie wieder ein¬ mal begegnete, und fragte: wie gehts Fräulein Marie? F. Spielhagen, Problemalische Naturen. II. 16242gut geſchlafen? da wurde ſie purpurroth und konnte vor Verlegenheit kein Wort hervorbringen und ſtand da und zitterte, wie ein Espenblatt. Und als ich das ſah, wußte ich auch, was geſchehen war, und da wurde mir das Herz ſo centnerſchwer, daß ich mich auf eine Bank ſetzte und weinte. Als das Fräulein Marie ſah, fing ſie auch an zu weinen und ſetzte ſich zu mir, ſchlang ihren Arm um meinen Hals und ſagte ſchluchzend: Weinen Sie nicht, gute Mutter Clauſen! Es wird noch Alles gut werden! Das gebe Gott, Kind, ſagte ich; aber ich glaube es nicht. Aber, ſagte ſie, Sie ſehen ja ſelbſt, wie gut und freundlich der Baron jetzt iſt, und er iſt doch nur ſo, weil er mich liebt, und wenn er mich nicht heirathen wollte, warum hätte er dann die Tante mitgebracht? und wenn die Tante nichts dagegen hat, die ſo ſtolz und hoffärtig iſt, wie Harald ſagt, da können ja die andern Verwandten doch auch nicht Nein ſagen! So ſind Sie nicht Geſellſchafterin bei der alten Ba¬ ronin? fragte ich verwundert. Nein, ſagte ſie, ich habe ſie hier zum erſten Mal geſehen. Aber ums Himmelswillen, Kind, rief ich, wie kommen Sie denn hierher, wenn Sie nicht mit der Baronin ge¬ kommen ſind? Die Kleine weinte noch ſtärker, wie zuvor. Ich darf es Ihnen nicht ſagen, rief ſie,243 ich habe dem Baron verſprochen, gegen Jedermann zu ſchweigen, bis wir uns öffentlich ſie ſchwieg, als hätte ſie ſchon zu viel geſagt. Ich darf nicht ſprechen, wiederholte ſie; aber glauben Sie mir, ich bin kein ſo ſchlechtes Mädchen, wie Sie denken. Damit küßte ſie mich auf die Stirn und eilte von mir fort ins Schloß.

Seit dieſem Tage ſah ich Fräulein Marie oft mit verweinten Augen; und wohl mochte ſie Urſache zum Weinen haben, das arme Kind. Harald that, was ich ſchon längſt gefürchtet hatte: er fing ſein altes Leben wieder an; freilich nur allmälig. Die Freunde kamen noch immer nicht aufs Schloß, aber er ſelbſt ritt oft aus, und blieb halbe und manchmal ganze Tage lange fort. Wenn er wieder kam, war er oft in ſeiner böſen Weinlaune, wo er die Diener mit Fußtritten und Stockſchlägen tractirte, und die armen unſchuldigen Möbel zerſchlug. Doch war es noch im¬ mer golden, im Vergleich mit ſonſt, und er war auch noch immer zärtlich gegen Fräulein Marie, beſonders wenn er ſah, daß ſeine wüthende Heftigkeit ſie bis zum Tode erſchreckt hatte. Mit der Tante verkehrte er beinahe gar nicht mehr, ſeitdem ſie ſich des Abends, wenn Fräulein Marie zu Bette gegangen war, ein paar Mal im Salon gezankt hatten, daß wir es16*244draußen hörten. Ich glaubte, die Alte ſetzte ihm den Kopf zurecht und da ſchickte ich ihr gern ſo viel Braten und Wein auf ihr Zimmer, wie ſie haben wollte, obgleich es unglaublich war, was ſie verzehren konnte.

Da geſchah es, daß, als ich einmal in der Nacht, nachdem Alle zu Bett waren, die Runde durchs Haus machte, wie ich es immer that, um zu ſehen, ob die Lichter überall ausgelöſcht waren, mir auf einmal auf dem Corridor, der von dem Thurm aus in das alte Schloß führt, wo die Damen logirten, ein heller Schein entgegenleuchtete. In dem erſten Schrecken und ohne noch zu wiſſen, ob die Gefahr groß oder klein war, ſchrie ich Feuer! Feuer! ſo laut ich konnte. Zugleich lief ich den Corridor entlang nach der Stelle zu, wo es brannte. Auf einmal war Harald an meiner Seite. Ich wußte nur zu gut, aus welcher Thüre er gekommen war, obgleich ich ihn nicht hatte kommen ſehen. Still, Alte, rief er, Du ſiehſt ja, es brennt nur die Gardine vor dem Fenſter. Und damit fing er an, die brennenden Fetzen herabzureißen und mit den Füßen auszutreten. Plötzlich öffnete ſich die Thür, die zu dem Zimmer der Baronin führte, und die dem brennenden Fenſter gerade gegenüber lag, und heraus ſtürzte die alte Hexe mit einem245 großen Bündel unter dem Arm, und der Kammer¬ diener mit einem noch größeren Bündel auf der Schulter, kam hinterher. Sie hätten uns beinahe umgerannt, aber Harald packte den Kammerdiener und ſchleuderte ihn ſo gewaltig zurück, daß der Menſch ſammt ſeinem Packet zu Boden ſtürzte. Steckt ihr wieder einmal bei einander, Lumpenpack? herrſchte er die Alte an, die, als ſie den Baron ſo wüthend ſah, am ganzen Leibe zitternd ſtehen geblieben war; ſchert Euch in die Stube zurück, oder ich will euch auf den Marſch bringen. Auf einmal fing er laut zu lachen an, denn er ſah, und ich bemerkte es auch erſt jetzt, daß die Alte in der Eile vergeſſen hatte, ſich die Perrücke aufzuſetzen, und ihr eigenes rothes Haar in nicht allzu kurzen Zöpfen aus der ſchmutzi¬ gen Haube herabhing. Den Stock hatte ſie natürlich auch ſtehen laſſen, und ſah überhaupt ſo ganz verän¬ dert aus, daß ich meinen Augen kaum traute. Scher Dich zum Teufel, alte Hexe, rief Harald, noch immer aus vollem Halſe lachend, und laß Dich erſt wieder anſtreichen, ſonſt ſieht man doch gar zu deut¬ lich, woher Du ſtammſt. Die Alte murmelte etwas, das ich nicht verſtand, und ging in das Zim¬ mer zurück; der Kammerdiener hatte ſich unterdeſſen wieder aufgerafft und war die kleine Treppe, die von246 dem Corridor in den Garten führte, hinab, davonge¬ ſchlichen. Geh zu Bett, Alte, ſagte der Baron zu mir, und denke, Du haſt dies Alles geträumt, oder denke auch, was Du willſt, mir gilt es gilt es gleich. Die Komödie kann ja doch nicht ewig dauern.

Und die Komödie war denn nun auch vorbei. Am nächſten Morgen waren die Alte und der Kammer¬ diener verſchwunden und Niemand von uns hat je wieder etwas von ihnen geſehen oder gehört; Keiner jemals erfahren, wer ſie waren, woher ſie kamen. Nur das Eine war ſicher, daß die Alte ſo wenig des Barons Tante geweſen war, wie ich ſeine Mutter. Die Leute lachten, und der Baron lachte, trotzdem die Beiden an Silberzeug und Koſtbarkeiten mitgenommen hatten, was ſie forttragen konnten, aber ich lachte nicht, und da war noch eine Andre, die auch nicht lachte. Das arme herzige Kind! ſie wollte es zuerſt gar nicht glauben, daß der Baron ſie ſo ſchändlich hätte betrügen können. Sie ging mit weiten, ſtarren, thränenloſen Augen umher, und wenn ſie mir be¬ gegnete, ſah ſie mich an, ſo angſtvoll, ſo kummervoll, daß es mir in's Herz ſchnitt. Ach, ich konnte ihr ja nicht helfen; ich konnte nur mit ihr weinen und das that ich denn redlich, als das arme Kind ſich von ihrem erſten Entſetzen erholt und wieder Thränen ge¬247 funden hatte. Wir waren jetzt oft beiſammen, denn ſeit jener Nacht kümmerte ſich Harald nicht mehr viel um Fräulein Marie. Er ritt alle Tage aus, und nun kamen auch die Herren wieder auf's Schloß, wie ſonſt, und das alte Leben fing wieder an. Ob Harald ſeine Gewiſſensbiſſe zum Schweigen bringen, ob er die ver¬ lorene Zeit nachholen wollte, er war jetzt wilder und unbändiger, als ich ihn je geſehen hatte, und die Leute gingen ihm aus dem Wege, wo ſie konnten.

Eines Abends, als die Herren wieder einmal zu Beſuch auf dem Schloſſe waren, es war gegen ſieben und ſie hatten ſeit drei Uhr bei Tiſche ge¬ ſeſſen Fräulein Marie war bei mir auf dem Zim¬ mer, wo ſie jetzt die meiſte Zeit zubrachte kam Harald plötzlich zur Thür herein. Ich ſah auf den erſten Blick, daß er betrunken war. Sein Geſicht glühte und ſeine Augen funkelten, wie die einer wilden Katze. Als er Marie erblickte, die im Fenſter geſeſſen hatte und bei ſeinem Eintritt voller Schrecken auf¬ geſprungen war, lachte er und ſagte: Treffe ich Dich hier, mein Täubchen? ich habe das ganze Schloß nach Dir durchſucht. Komm, Schatz, ich will Dich den Herren vorſtellen; einen davon kennſt Du ſchon Du mußt aber hübſch artig und freundlich ſein, hörſt Du?

248

Marie war bei dieſen Worten bleich wie der Tod geworden und zitterte an allen Gliedern; ich ſah, wie ſie die Lippen bewegte, um etwas zu erwiedern, aber ſie brachte keinen Laut hervor. Ich konnte es nicht länger mehr mit anſehen.

Schämſt Du Dich nicht, Harald, ſagte ich, das arme, unſchuldige Lamm ſo zu quälen. Pfui, Ha¬ rald, daß Du ſchlecht warſt, habe ich immer ge¬ wußt, aber für ſo ſchlecht hätte ich Dich nicht ge¬ halten! Er ſprang mit einem Satze auf mich zu und packte mich mit ſeinen Eiſenhänden an der Kehle. Sprich noch ein Wort, knirſchte er zwiſchen den Zähnen, und ich breche Dir das Genick, verdammte Hexe! Ich wußte, daß er ſeine Drohung aus¬ führen könnte, aber ich fürchtete mich nicht vor dem Tode. Thu ', was Du willſt, ſagte ich ruhig, aber ſo lange ich noch einen Athemzug habe, will ich Dir's in's Geſicht ſagen: Du biſt ein Elender. Ich ſah ihm feſt in's Auge; ich ſah, wie der Zorn immer wüthender in ihm aufkochte, und fühlte, daß ſeine Finger ſich wie eiſerne Klammern um meine Kehle ſchloſſen. Ich glaubte meine letzte Stunde ge¬ kommen. Da ſtand Marie plötzlich neben uns; ſie legte ihre Hand auf Harald's Arm und ſagte ganz leiſe: laß ſie los, Harald; ich will mit Dir gehen. 249 Weiter ſagte ſie nichts, aber es war genug, ſelbſt ein ſo wildes Herz wie Harald's zu rühren. Er ließ die Arme ſinken und ſtarrte Marie an, als ob er aus einem ſchweren Traum erwachte. Plötzlich fiel er vor ihr auf die Knie, verbarg ſein glühendes Geſicht in den Falten ihres Kleides und ſchluchzte: Vergieb mir, Marie; vergieb mir! Dann ſprang er auf, und als er ſah, daß ſie durch Thränen ihn anlächelte, hob er ſie in ſeinen Armen empor, wie ein Kind, trug ſie in der Stube auf und ab und herzte und küßte ſie. Dann ſetzte er ſie hier in den Lehnſtuhl, auf dem Du jetzt ſitzſt, und kniete vor ihr nieder, ihre Hände und ihre Kleider küſſend, und wandte ſich zu mir und rief: Geh, Alte, und ſage dem Karl: er ſolle die Pferde für die Herren ſatteln laſſen. Ich ſei krank geworden, oder geſund geworden, oder was ſie wollen, aber ich könnte ſie heute nicht mehr ſehen und morgen auch nicht. Iſt es ſo gut, lieb' Herz? nicht wahr, ich bin nicht ſo ſchlecht, wie die Alte ſagt? Ich ging, vor Freude laut weinend, aus der Stube und dachte: es kann doch vielleicht noch Alles gut werden.

Aber das wurde es nicht. Schon nach wenigen Tagen war Alles wieder beim Alten. Aehnliche Sce¬ nen kamen noch manchmal vor, aber Harald's gute Vorſätze hielten immer nur wenige Tage Stand, und250 wir mußten jede Spottrede der Herren mit bitteren Thränen bezahlen. Ich ſage: wir, denn ich hatte die ſüße Dirne ſo lieb, als ob ſie mein eigen Kind ge¬ weſen wäre. Und jetzt hatte die Aermſte Troſt und Liebe nöthiger als je. Sie wußte ſchon ſeit Monaten, daß ſie die Frucht ihrer Liebe zu Harald unter dem Herzen trüge, und das Schickſal dieſes Kindes, ihres und ſeines Kindes, bekümmerte ſie tauſendmal mehr als ihr eigenes. Was aus mir werden ſoll, ſagte ſie, was iſt daran gelegen? Ich ſtürbe lieber heute wie morgen; aber meines Kindes halber muß ich leben und will ich leben. Und ich will auch nicht mehr weinen und klagen; es hilft ja doch zu nichts, und Harald ſagt ja, daß ihm nichts ſo verhaßt ſei, als verweinte Augen. Ich fragte ſie, ob ſie keine Eltern, keine Verwandte, keine Freunde hätte, zu denen ſie ihre Zuflucht nehmen könnte. Sie ſchüttelte traurig den Kopf: ich habe Niemand auf der weiten Welt, Niemand, als Sie, liebe Mutter Clauſen, und noch Einen, der Alles für mich thun würde, wenn er wüßte, wo ich wäre; aber er weiß es nicht und ſoll es auch nie erfahren. Ueber ihr früheres Leben ſprach ſie nie; ich habe dem Baron verſprochen, darüber zu ſchweigen, bis er ſich öffentlich mit mir verlobte; und, ſetzte ſie wehmüthig lächelnd hinzu, da ſehen251 Sie ſelbſt, daß ich wohl ewig werde ſchweigen müſſen.

Sie kam faſt nicht mehr von meiner Seite, und was Harald betrifft, ſo ſchien er in der letzten Zeit ganz vergeſſen zu haben, daß Marie noch auf dem Schloſſe war. Nur manchmal, wenn ich mit ihm allein war, erkundigte er ſich in kurzen, abgeriſſenen Fragen nach ihr, aus denen ich ſah, daß er über ihren Zuſtand vollkommen unterrichtet war.

So ſtanden die Sachen. Der Sommer war zu Ende; der Herbſt kam mit Sturm und Regen, und die dürren Blätter wehten von den Bäumen. Es war an einem Nachmittage, Harald war ein paar Tage verreiſt geweſen; ich war mit Marie im Garten und ſuchte ihr Troſt zuzuſprechen, da ſie heute ganz beſonders traurig war. Da ſchaute plötzlich ein Scha¬ cher-Jude über das Stacket und ſchrie, als er uns erblickte, in den Garten hinein: nichts zu handeln? nichts zu handeln? Ich brauchte gerade, ich weiß nicht mehr was, und ſo rief ich ihn. Er kam. Es war ein alter, ſchmutziger, ſchlottriger Menſch, mit einem weißen Bart und einer Brille mit blauen Glä¬ ſern über den Angen. Er kramte ſeine Waaren aus, und weil die Sachen hübſcher waren, wie ſie dieſe Leute ſonſt wol führen, ſo kauften Marie und ich ihm252 Verſchiedenes ab. Er forderte einen mäßigen Preis, aber es war doch mehr, als wir bei uns hatten, und ſo ging ich in's Schloß, das Uebrige zu holen. Zu¬ fällig konnte ich den Schlüſſel zu meiner Commode nicht gleich finden, und als ich ihn gefunden hatte, fiel mir ein, daß ich in der Küche nothwendig etwas beſorgen mußte; ſo verging wol eine halbe Stunde, bis ich wieder in den Garten kam. Ich traf Marie allein. Wo iſt der Jude? ſagte ich. Er will morgen wieder kommen, antwortete ſie. Was haben Sie, Kind? ſagte ich, denn ich ſah, daß ſie roth¬ geweinte Augen hatte und ganz verſtört ausſah. Da fiel ſie mir um den Hals und weinte, aber ſo ſehr ich ſie auch bat, mir zu ſagen, was vorgefallen ſei, ich konnte nichts aus ihr herausbringen.

Der Jude kam am nächſten Tage nicht, aber Ba¬ ron Harald kam. Er brachte ein paar Herren mit. Sie waren auf der Jagd geweſen und tüchtig müde geworden. So gingen ſie heute früher zu Bett, nach¬ dem ſie ein paar Flaſchen Wein getrunken hatten.

Ich mochte wohl ſchon ein paar Stunden im Bett gelegen haben, ohne einſchlafen zu können, denn es regnete und ſtürmte in dieſer Nacht gar heftig und die Laden klappten und die Jagdhunde heulten. Da hörte ich einen leiſen Schritt auf dem Gange253 vor meiner Stube, eine Hand ſuchte nach dem Drücker meiner Thür und als ich mich erſchreckt im Bett emporrichtete, ging die Thür auf; es trat Je¬ mand herein und kam auf mein Bett zu. Wer iſt da? rief ich. Ich bins, Mutter Clauſen, ſagte eine leiſe Stimme. Es war Marie. Sind Sie krank geworden, Kind? ſagte ich. Nein, ſagte ſie, ſich zu mir aufs Bett ſetzend, ich wollte nur Ab¬ ſchied nehmen, und Ihnen für all' die Liebe und Güte danken, die Sie an mir gethan haben. Ich glaubte, ſie wollte ſich das Leben nehmen, und ſagte voller Entſetzen: Um Gotteswillen, Kind, was haſt Du vor? Fürchten Sie nichts, Mutter Clauſen, ſagte ſie, und dabei umarmte und küßte ſie mich unter vielen heißen Thränen; ich will fort, aber nur fort von hier. Ich habe es ſchon längſt gewollt und jetzt iſt die Stunde gekommen. Warum jetzt? ſagte ich; wo willſt Du hin mitten in der Nacht? und noch dazu in ſolcher Nacht! Hörſt Du nicht, wie Wind und Regen mit den Hunden um die Wette heu¬ len? Und Du kennſt ja weder Weg noch Steg Du rennſt ja gerade ins Verderben, und wenn Du nicht an Dich denkſt, ſo denke wenigſtens an das Kind, das Du unter dem Herzen trägſt. An das eben denke ich, ſagte ſie. Es ſoll nicht hier, wo254 ſeine Mutter ſo grenzenlos elend geweſen iſt, das Licht erblicken; es ſoll nie erfahren, wer ſein Vater war. Leben Sie wohl, liebe Mutter! möge der all¬ gütige Gott Sie behüten! und fürchten Sie nichts für mich! Ich gehe nicht allein; es iſt Jemand bei mir, der mich beſchützen und über mich wachen wird, und der ſein Leben für mich laſſen würde. Weißt Du das auch gewiß, Kind? ſagte ich; ich dächte, Du hätteſt jetzt gelernt, was den Männern ihre Schwüre werth ſind. Wer iſt es? Ich darf es nicht ſagen, antwortete ſie; und jetzt muß ich fort, es iſt die höchſte Zeit. Sie hatte ſich von dem Bett erhoben. Warte, ſagte ich, ich will Dir we¬ nigſtens das Geleit aus dem Schloſſe geben.

Sie bat mich inſtändig, zu bleiben; aber ich kehrte mich nicht daran. Schnell hatte ich ein paar Kleider übergeworfen; ich war feſt entſchloſſen, ſie nicht eher fort zu laſſen, bis ich mich überzeugt hatte, daß ſie wußte, was ſie that. Ich fürchtete noch immer, ſie wolle ſich das Leben nehmen.

Als ſie ſah, daß ich von meinem Vorſatz nicht ab¬ zubringen war, half ſie mir, mich vollends ankleiden und ſagte: So kommen Sie, Mutter Clauſen; er ſieht dann doch, daß ich auch hier nicht ganz verlaſſen geweſen bin.

255

Wir gingen, uns an den Händen haltend, auf den Zehen durch die Corridore, dann die Treppen hinab, die aus dem alten Schloſſe in den Garten führt. Es hatte aufgehört zu regnen, und der Mond ſchien auf Augenblicke durch die ſchwarzen, treibenden Wol¬ ken. Ich hatte noch immer Mariens Hand in der meinigen; ſie eilte, mich mit ſich ziehend, durch die wohlbekannten Wege. Als wir an einer Bank vor¬ überkamen in einem der dichteren Baumgänge, wo ich ſie oft mit Harald hatte ſitzen ſehen, blieb ſie einen Augenblick ſtehen, und ich fühlte, wie ihre Hand zuckte. Aber ſogleich raffte ſie ſich wieder auf: Nein, nein! murmelte ſie, er hat Recht; Harald hat mich nie geliebt, und darum darf ich auch nicht länger bleiben.

Wir gingen aus dem Garten in den Hof, aus dem Hof durch das große Thor in den Wald hinein, die Straße nach Berkow. Als wir ein paar hundert Schritte gegangen waren, kam uns ein Mann entge¬ gen. Er iſt es; ſagte Marie; Sie müſſen mich jetzt verlaſſen, Mutter Clauſen; ich habe ihm ver¬ ſprochen, allein zu kommen, und keinem zu ſagen, daß ich fortgehe. Du hätteſt das nicht verſprechen ſollen, Kind, ſagte ich; ich glaube, ich habe das Recht, zu wiſſen, wo Du bleibſt.

256

Unterdeſſen war der Mann herangekommen. Biſt Du's, Marie? ſagte er; warum kommſt Du nicht allein? Weil ich ſie nicht losgelaſſen habe; ſagte ich, und ſie auch nicht loslaſſen will, bis ich weiß, wo ſie bleibt. In Gottes Hut, und unter dem Schutz eines Freundes; ſagte der Mann. Das klang ſo treu und gut, daß all' meine Angſt und Sorge in einem Augenblick verſchwunden war.

Der Mond trat aus den Wolken hervor, und ich konnte den Mann, der jetzt neben uns herging, etwas deutlicher ſehen. Er war klein und nicht mehr jung; und hatte eine Habichtsnaſe, wie der Jude von geſtern Morgen. Er hatte einen langen Ueberrock an, und als der Wind denſelben auseinander wehte, ſah ich beim Schein des Mondes den Lauf einer Piſtole blinken, die in einem Gürtel ſteckte, den er um den Leib geſchnallt trug.

Einige Schritte weiter hielt eine mit zwei Pferden beſpannte Kutſche. Es iſt die höchſte Zeit ; ſagte der Mann auf dem Bocke. Er ſprach plattdeutſch, und mir war, als ob ich die Stimme kannte. Schnell, ſchnell , ſagte der kleine Mann mit der Brille und drängte Marie nach dem herabgelaſſenen Wagentritt. Adieu, adieu , ſchluchzte Marie, mich noch einmal umarmend, und als ihr Kopf für einen Augenblick257 auf meiner Schulter lag, flüſterte ſie mir ins Ohr: Sagen Sie ihm, daß ich ihm Alles, Alles vergeben habe! Schnell, ſchnell, Marie ; rief der Mann und ſtampfte ungeduldig mit dem Fuß. Er hing ihr einen weiten Mantel um und half ihr in den Wagen; dann wandte er ſich zu mir: Wenn Sie das unglückliche Mädchen wirklich lieb haben, ſagte er, ſchweigen Sie zwei mal vierundzwanzig Stunden. Ich bin freilich auf Alles gefaßt, aber ich möchte um Mariens willen gern, daß es ohne dieſe hier abginge. Er ſchlug mit der Hand an die Piſtole. Verlaſſen Sie ſich auf mich, ſagte ich, und ich will mich auf Sie verlaſſen. Thun Sie das, ſagte er: es ſind ja nicht alle Menſchen Schurken und Barone.

Er ſprang in den Wagen und ſchlug die Thür zu. Die Pferde zogen in Galopp an, und ſchon nach wenigen Minuten hörte ich nur noch das Sauſen des Windes in den Tannen.

Ich ging langſam in das Schloß zurück; und ge¬ langte auf mein Zimmer, ohne von Jemand geſehen zu werden. Ich ſchloß hinter mir ab; dann warf ich mich auf mein Bett, und weinte, als ob mir ein lie¬ bes Kind geſtorben wäre; und doch war ich glücklich und dankte Gott, daß er ſich des armen Kindes er¬ barmt und ſie aus dieſer Hölle erlöſt hatte.

F. Spielhagen, Problematiſche Naturen. ll. 17258

Als ich am andern Morgen erwachte, ſtand die Sonne ſchon hoch am Himmel. Es war ein heller, kühler Morgen und Harald ging mit ſeinen Gäſten auf die Jagd. Ich war froh darüber; ſo konnte ihm doch Mariens Flucht bis zum Abend wenigſtens ver¬ ſchwiegen werden. Den Leuten freilich mußte ich ſchon gegen Mittag ſagen, daß Fräulein Marie nir¬ gends zu finden ſei, und ob ſie ſie nicht geſehen hät¬ ten? Die waren nicht wenig erſchrocken, denn da war Keiner, der das ſanfte, ſchöne Mädchen nicht gern ge¬ habt hätte. Sie durchſuchten das Haus, die umlie¬ gende Gegend, den Wald bis zum Strande und ſelbſt den Wallgraben, denn daß ſich die Aermſte das Leben genommen habe, darüber waren ſie Alle einig.

Spät am Abend kam Harald zurück. Er war allein. Als er in das Haus trat, ſah er auf den erſten Blick an den verſtörten Geſichtern der Leute, daß etwas vorgefallen ſein müſſe. Sein böſes Gewiſſen ſagte ihm ſogleich, was. Iſt ſie todt? fragte er und wurde weiß wie Kalk. Wir wiſſen es nicht, Herr, ſagte der alte Jochen; wir haben den ganzen Tag geſucht, aber haben ſie noch nicht ge¬ funden.

Er ging, ohne ein Wort zu erwiedern, an den Leuten vorbei nach ſeinem Zimmer. Als er in der259 Thür war, drehte er ſich um, und winkte mir, ihm zu folgen.

Er ſchritt in dem Gemache auf und ab, endlich blieb er vor mir ſtehen und ſagte mit dumpfer Stim¬ me: Hat Dir Marie je geſagt, ſie wolle ſich das Leben nehmen? Nein , ſagte ich. War ſie in der letzten Zeit beſonders traurig? Ja.

Wieder ging er im Zimmer hin und her, mit un¬ gleichmäßigen Schritten und unverſtändliche Worte durch die Zähne murmelnd. Dann blieb er abermals vor mir ſtehen. Und wenn ſie ſich das Leben genom¬ men hätte, ſo wäre ich ihr Mörder; murmelte er. Wer ſonſt? antwortete ich.

Er zuckte zuſammen, als ob ihm ein Meſſer in die Bruſt geſtoßen wäre. Es kann nicht ſein, ſagte er mit bleichen Lippen, es wäre zu gräßlich.

Ich wußte, welche Qualen er in dieſem Augenblicke ausſtand, aber ich wußte auch, daß der ſtolze Mann ſie doch noch lieber dem Tod, als einem Andern gönnte, und überdies hatte ich zu ſchweigen verſprochen. So blieb ich ſtill und wartete ab, was er beginnen würde.

Er hieß mich klingeln und die Leute hereinrufen. Sie kamen. Wer von Euch zu müde iſt, mag zu Bette gehen: ſagte er, wer noch weiter mit mir ſuchen will, ſoll dafür haben, was er verlangt.

17*260

Es meldeten ſich Alle, nicht des Lohnes wegen, ſondern weil doch Keiner vor Angſt und Aufregung hätte ſchlafen können.

Er ließ ſo viel Lichter anzünden, als nur aufzu¬ treiben waren und nun fing das Suchen von Neuem an, unten in den Kellern, durch alle Zimmer, Trepp auf, Trepp ab, auf den Böden, bis hinauf auf den Thurm, Harald immer voran, jeden Winkel durch¬ ſpähend, überall die Augen habend, mit feſter Stimme Befehle ertheilend, unermüdlich, bis der Morgen kam.

Nun mußten ſich die Frauen zu Bett legen, aber von den Männern, nahm er, was ſich noch auf den Beinen halten konnte. Mit denen durchſuchte er jedes Gebüſch im Garten, und den Wallgraben von der Zugbrücke an bis wieder zur Zugbrücke. Es regnete an dem Tage, was nur vom Himmel wollte, und die Leute fielen beinahe um vor Müdigkeit, aber Harald gab ihnen wohl zum erſten Mal in ſeinem Leben gute Worte und bat und beſchwor ſie, nicht nachzu¬ laſſen und verſprach ihnen Geld, ſoviel ſie wollten. So hielten ſie bis gegen Mittag aus; da konnten ſie nicht mehr. Nun nahm Harald die Andern, die ſich ausgeruht hatten und mit denen ging er auf das Moor nach Faſchwitz und in den Wald nach Berkow und bis an den Strand.

261

Gegen Abend kamen ſie wieder, triefend von Regen und dem Moorwaſſer, in welchem ſie ſtundenlang um¬ hergewatet hatten. Die Männer waren ſo müde, daß ſie im Gehen ſchliefen, aber Harald's Kraft war noch nicht gebrochen. Er hieß mich ein paar Flaſchen Wein holen, und während er ſie hinuntergoß, ſagte er zu mir: Höre, Alte! ich glaube nicht, daß ſie ſich ertränkt hat. Es wäre zu gräßlich; ich müßte ver¬ rückt werden über dem Gedanken. So grauſam hat ſie ſich nicht an mir rächen können; dazu war ſie viel zu gut und hatte mich viel zu lieb. Hat ſie nie ge¬ ſagt, ſie wolle mich verlaſſen? hat ſie nie von einem Manne geſprochen, der alle Zeit bereit ſei, ſie bei ſich aufzunehmen?

Ich dachte, daß ich Harald einen Funken Hoff¬ nung laſſen müſſe, und ſagte: ja, Marie, hätte öfter und beſonders in der letzten Zeit ſo geredet.

Siehſt Du? ſagte er und ſtieß das Glas, aus dem er getrunken hatte, auf den Tiſch, daß es zer¬ brach; jetzt kommt die Meute endlich auf die Spur. Nun wollen wir eine richtige Hetzjagd machen.

Er riß an der Klingel, daß ihm der Griff in der Hand blieb. Anſpannen laſſen! ſchrie er dem alten Jochen, der eintrat, entgegen, ſofort!

Ich bat ihn, ein paar Stunden wenigſtens zu262 ſchlafen, denn ich ſah, daß ſeine Augen wie im Fieber glühten und ſeine Glieder flogen. Pah, ſagte er, ſchlafen? Ich habe mehr zu thun, als zu ſchlafen. Ich weiß nicht, wie lange ich fortbleibe, Alte; aber ich komme entweder mit ihr zurück oder wird's bald? ſchrie er auf den Flur hinaus, ich will Euch Beine machen, Ihr verdammten Hallunken!

So fuhr er ab, ohne auch nur die Kleider ge¬ wechſelt zu haben. Er blieb vier Wochen fort; Keiner wußte, wo er geblieben war. Eines Abends ſpät kam er wieder. Die erſte Frage, die er an mich richtete, war: Haſt Du Nachricht von ihr? Er ſah ſo bleich und verfallen aus, daß ich ihn kaum wieder erkannte. Seine Augen waren tief in den Kopf geſunken und blitzten wie glühende Kohlen. Ich habe ſie nicht gefunden; ſagte er, als wir Beide in ſeinem Zimmer allein waren; gieb mir Wein, Alte; ich muß das hölliſche Feuer, das in mir brennt, erſäufen.

Mich jammerte des unglücklichen Mannes, denn jetzt erſt fühlte ich, wie ſehr ich ihn liebte. Ich ſagte ihm Alles, was ich von der Flucht Mariens wußte. Gegen mein Erwarten blieb er ruhig: Es kommt auf eins heraus, ſagte er; ob ſie geſtorben iſt oder nicht; für mich iſt ſie doch todt; ſie konnte nicht an¬263 ders, als mich verlaſſen; ſie war zu ſtolz, um ſich wie ein Hund behandeln zu laſſen. Ich habe ſie be¬ handelt wie einen Hund, ſchlimmer wie einen Hund, ich Elender!

Er ſchlug ſich mit der geballten Fauſt vor die Stirn; dann warf er ſich in einen Lehnſeſſel, legte den Kopf in die Hände und ſchluchzte: Und doch habe ich ſie geliebt! und doch liebe ich ſie! o mein Gott, mein Gott!

Es war ſchrecklich, den wilden Harald weinen zu ſehen. Ich hob ſeinen Kopf in die Höhe, er legte ihn an meine Bruſt und weinte, wie er oft als Knabe in meinen Armen geweint hatte. Ich bat ihn, ſich zu beruhigen, ich ſagte ihm, daß Mariens letzte Worte geweſen ſeien: ich vergebe ihm Alles.

Und wenn ſie mir auch vergeben hat, ich werde es mir nie vergeben, rief er. Geh zu Bett, Alte. Wir wollen morgen weiter darüber ſprechen.

Aber als der alte Jochen am nächſten Morgen zu ihm kam, lag Harald in hitzigem Fieber. Das währte ſieben Tage, ſieben fürchterliche Tage und Nächte. Da war es aus mit Harald von Grenwitz.

Die alte Frau ſchwieg; ſtrich den Strumpf, an dem ſie geſtrickt hatte, über den Knieen glatt, legte ihn zuſammen und ſagte:

264

So, Junker! nun mache, daß Du nach Hauſe kommſt. Ich muß nach den Kindern ſehen, die drüben auf dem Jochen ſeinem Bette ſchlafen. Es hat eben aufgehört zu regnen, aber es wird bald ſtärker an¬ fangen. Deshalb halte Dich nicht auf unterwegs. Adjies.

Kommen Sie; ſagte Oswald zu Albert, der ſich ſo eben, gähnend und ſich reckend, von ſeinem harten Lager erhoben hatte. Es iſt die höchſte Zeit, wenn wir noch zum Abendeſſen auf dem Schloſſe ſein wollen. Adieu, Mutter Clauſen.

Adjies, adjies Junker! ſagte die Alte, ſchon in der Thür.

Als die beiden jungen Männer auf der ſchmutzigen Dorfgaſſe ſtanden, deutete Albert mit dem Daumen über die Schulter nach dem Häuschen, das ſie ſo eben verlaſſen und ſagte:

Schnurrige alte Dame das! War die Geſchichte nicht famos, Dottore?

Haben Sie denn nicht geſchlafen?

Nicht die Spur. Ich wollte anfänglich, aber ihr ließt einen ja nicht dazu kommen, und hernach, als die Geſchichte von Baron Harald anfing, war ſo an Schlafen nicht mehr zu denken. Aber ich blieb ruhig liegen, und ſchnarchte von Zeit zu Zeit, um die Alte265 ſicher zu machen, die die Geſchichte jedenfalls nur ihrem Junker erzählen wollte. Weshalb nennt die alte Dame Sie, Junker, Dottore, und Du?

Ich weiß nicht; ſagte Oswald.

Oder wollen es nicht wiſſen; erwiederte Albert; na, ſchadet nicht. Man darf auch nicht Alles wiſſen wollen. Warum wollte Baron Harald wiſſen, wo das hübſche Ding, die Marie, geblieben war? Ohne dieſe überflüſſige Neugierde könnte er noch heute ſeinen Burgunder trinken. Merkwürdig, daß ſo ein vernünf¬ tiger Mann ſolche verrückte romantiſche Grillen im Kopf haben konnte! Können Sie das begreifen, Dottore?

So ziemlich, ſagte Oswald; aber ſprechen wir von etwas Anderm.

Wie Sie wollen, Theuerſter. Was halten Sie zum Beiſpiel von der Unſterblichkeit?

Ende des zweiten Bandes.

Druck von F. Hoffſchläger in Berlin.

About this transcription

TextProblematische Naturen
Author Friedrich Spielhagen
Extent279 images; 48378 tokens; 8717 types; 327086 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationProblematische Naturen Zweiter Band Friedrich Spielhagen. . 265 S. JankeBerlin1861.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 7 Y 274-2http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=86073997X

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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