Buchdruckerei der J. G. Cottaſchen Buchhandlung in Stuttgart.
Dem Herrn Profeſſor Dr. Rudolph Gneiſt in Berlin.
Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, ſo weiß ich nicht, ob Sie es ſo ganz von Herzen hinnehmen werden, wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab, den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten ſchuldig ſind; denn Sie haben uns wiſſenſchaftlich das engliſche Leben und ſein Recht erobert, und wenn es früher ſchwer war, darüber zu reden, ſo iſt es jetzt noch ſchwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen, wie man England verſtehen muß. Aber indem ich danke, möchte ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszuſprechen, eine Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das denke, was, wie ich innig überzeugt bin, ſchon die nächſte Generation zu leiſten beſtimmt iſt.
Als zum erſten Mal die mächtige Geſtaltung des römiſchen Rechts die Alpen überſchritt und auch bei uns heimiſch wurde, da war es anders in Europa. Das Corpus Juris war nicht bloß eine Quelle des römiſchen Rechts, eine unerſchöpfliche Fundgrube für die Bauſteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, die ſich mühevoll aus der ſtän - diſchen herausarbeitete, der juriſtiſche Träger eines neuen ſocialen Lebens — es war zugleich ein geiſtiges Band für die Rechts - gelehrten in Europa, ein gemeinſchaftlicher Mittelpunkt für alle, die an jenem Werke mit oder ohne ſociales Bewußtſein mitarbeiteten;VI es war eine Macht, welche in allen Ländern gleichmäßig wirkte; wer ihr angehörte, hatte mit ſeinen Lehrern und Schülern, mit ſeinen Beſtrebungen und Erfolgen die ganze europäiſche Welt vor ſich; gelang ihm etwas, ſo war er gewiß, jenſeits wie dieſſeits des Rheins, jenſeits wie dieſſeits der Alpen gehört zu werden; und wohl mußte es ein erhebendes Bewußtſein genannt werden, an dieſer gewaltigen, das ganze Leben Europa’s umfaſſenden Arbeit Theil zu nehmen.
Dieſe Zeit iſt hin. Die franzöſiſche Codifikation hat die ge - ſammte romaniſche Welt von dieſer römiſchen Rechtsbildung getrennt, leider nicht bloß äußerlich, ſondern auch innerlich, der Mutter faſt vergeſſend, der ſie im Grunde alles verdankt. Die franzöſiſchen Codes haben einen ſiegreichen Kampf begonnen mit dem Corpus Juris. In Frankreich, Spanien, Italien, Belgien haben ſie es überwunden; ſelbſt das alte, ſeiner Klaſſizität ſo ſtolze Holland iſt der neuen Codifikation verfallen; dem engliſchen und ſkandinaviſchen Rechtsleben iſt jenes Erbtheil des alten römiſchen Reiches ferner gerückt als je, und die Frage tritt uns nahe genug, wenn es ein - mal ein europäiſches Rechtsleben wieder geben ſoll, wie es daſſelbe einſt gab, worin wird es beſtehen?
Nur Deutſchland blieb die feſte Burg des Corpus Juris, der Inſtitutionen und Pandekten. Aber auch das deutſche Rechtsleben vermochten ſie nicht mehr ganz zu erfüllen. Die franzöſiſche Re - volution hatte nicht bloß das römiſche Recht in Deutſchland, es hatte die deutſche Volksthümlichkeit ſelbſt in Frage geſtellt. Da griff das deutſche Volksbewußtſein, das unter allen Völkern das am meiſten organiſche iſt, in ſeine Vergangenheit zurück, um aus ſeinen Wurzeln einen neuen Keim zu treiben. Das deutſche Privatrecht, bisher ein Nebengebiet der Rechtswiſſenſchaft und kaum ſich des rein lokalen Charakters erwehrend, geſtaltete ſich nun zur deutſchen Reichs - und Rechtsgeſchichte. Die deutſche Reichs - und Rechts - geſchichte ward ein lebendiger Theil der deutſchen Jurisprudenz; ſie war nicht eine Formel-Wiſſenſchaft; ſie hatte nicht mit dem bloß Vergangenen zu thun; ſie wollte nicht alte Dokumente vor dem Verderben bewahren, und die römiſche Caſuiſtik auf die unklaren Worte der leges barbarorum oder den Sachſen - und Schwaben - ſpiegel anwenden, um ein trefflicher Advokat auch vor dem langeVII verſchwundenen Schöppenſtuhl und Oberhof zu ſein; ſie wollte den Volksgeiſt in ſeiner mächtigſten und faßbarſten Sphäre, dem Rechts - leben ergreifen; ſie wollte ihm Geſtalt und Kraft für die Gegenwart durch das geben, wodurch er Geſtalt und Kraft in der Vergangen - heit gehabt; ſie ward zu einer volksthümlichen That, und damit zu einem mächtigen, nie zu hoch anzuſchlagenden Element der deutſchen Staatenbildung. Aus tiefer innerer Ueberzeugung, aus dem ge - waltigen Glauben an ein deutſches Volksleben und nicht aus bloßer Gelehrſamkeit hervorgegangen, ward ihr der heilige Funke mit - gegeben, der zündend in die Herzen fiel; aus Begeiſterung ent - ſtanden, erweckte ſie Begeiſterung; ſie war keine Wiſſenſchaft mehr, ſie ward zur ſtaatlichen, zur nationalen Macht; ſie verſtand es, ihre Jünger im Namen der großen Idee, deren Träger ſie war, über alles Kleinliche zu erheben, und ihnen in dem wahren, tiefen und lebendigen Verſtändniß des Ganzen die warme Liebe für das Einzelne, das Feſthalten an dem Werth des Beſonderen, den Lohn für die Mühe der Arbeit zu geben. Sie war es, welche der deutſchen, ſchwerwandelnden, vom übrigen Europa vergeſſenen Rechtswiſſenſchaft die Friſche und Jugendlichkeit des lebendigen Geiſtes zurückgab; ſie war es, welche es Deutſchland möglich machte, neben dem Glanze der franzöſiſchen Rechtsbildung noch frei und tapfer an der eigenen feſtzuhalten; und wenn unter den Einzelnen die der Geſchichte der Wiſſenſchaft zieren, ein Name auch in der Ge - ſchichte des deutſchen Staatslebens in erſter Reihe genannt werden darf, ſo ſollen wir uns den Manen Eichhorns beugen; wenige haben ſo viel, ſehr wenige mehr für Deutſchland geleiſtet, als er.
Iſt dieſe ſchöne, an Glauben und Begeiſterung, an geiſtigem Schwung und friſcher Luſt ſo reiche Zeit noch für uns vorhanden? Als das römiſche Recht ſeine Weltſtellung verlor, gab uns der Geiſt unſeres edlen Volkes die deutſche Rechtsgeſchichte, ſie wurde für das deutſche wiſſenſchaftliche Leben, was der Corpus Juris für die ganze romaniſch-germaniſche Welt geweſen, der Mittelpunkt und die Quelle des Bewußtſeins, daß jeder Einzelne an einem großen Werke mitarbeite. Sie war die lebengebende Wärme des deutſchen Rechtsbewußtſeins; ſie war unſer Eigenthum, denn kein Volk konnte ſich eines Aehnlichen rühmen, und während der Fremde die Zer - fahrenheit des praktiſchen Rechts in Deutſchland beklagte, mußteVIII er die Einheit und Größe desjenigen bewundern, was wir in unſerer Rechtsgeſchichte beſaßen. Iſt dem noch ſo?
Fordern Sie an dieſer Stelle keinen Beweis, keine Gründe, keine Erwägungen und Erörterungen. Aber den Ausdruck der Ueberzeugung laſſen Sie mir — ich glaube, nein. Die deutſche Rechtsgeſchichte iſt nicht mehr, was ſie geweſen. Wir ſind im Ein - zelnen, nicht aber im Ganzen weiter, als der Meiſter. Die deutſche Rechtsgeſchichte wendet ſich. Sie wird ein Gebiet der Gelehrſamkeit. Ihre Zeit iſt vorüber; ſie hat ihre große Funktion erfüllt. Vergeblich ringt die Mühe ihrer Vertreter dar - nach, ihr das alte Gewicht zurückzugeben; vergeblich nennt man ſie mit dem alten Namen. Niemals iſt es der Sonne eines Tages gegeben, zweimal zu ſcheinen.
Und dennoch war ſie es, an welcher ſich die Individualität, die Kraft der Selbſtändigkeit unſeres Volkes erhielt. Mit ihr ſinkt nicht bloß eine vergangene Zeit, ſondern auch eine lebendige Potenz. Wer und was wird ſie erſetzen?
Wir ſind ein gelehrtes, ein fleißiges Volk. Wir vermögen zu leiſten, was kein anderes auf dem Felde der wiſſenſchaftlichen Mühe zu leiſten vermag. Aber über uns hinweg geht der mächtige Strom des wirklichen, des europäiſchen Lebens. In tauſend Richtungen, mit tauſend Gewalten ergreift es uns; die Völker vermiſchen ſich; die Unternehmungen reichen ſich über Land und Meer die Hände; es iſt eine neue Zeit, die uns kommt; was iſt unſere Aufgabe in derſelben?
Es gibt, und deß bin ich innig überzeugt, nur Eins, was wir zu thun haben, und was auch nur wir zu leiſten im Stande ſind. Dieſe europäiſche Welt iſt eine wunderbare. Allen Ländern derſelben leuchtet der gleiche Tag, allen keimt dieſelbe Epoche der Geſchichte; alle erfaßt ſtets die gleiche Bewegung. Aber mit Bergen und Meeren hat ſie der Herr geſchieden; innerhalb ihrer Gränzen wächst und wird ein ſelbſtändiges, eigenthümliches Daſein; eine eigenthümliche Kraft erfaßt gleichſam die großen europäiſchen That - ſachen, hält ſie feſt an ihrem Ort, nährt und bewacht ſie, bis ſie in der Mitte der Gleichartigkeit des Geſammtlebens ein individuelles Daſein, einen in ſich ruhenden Geiſt empfangen. Europa iſt der Welttheil, in welchem alle menſchlichen Dinge dieſelben und dochIX wieder andere ſind; und in dieſer Selbſtändigkeit ruht der innere Reichthum Europas, die unerſchöpfliche Quelle ſeiner Macht; denn in ihm iſt die Nothwendigkeit gegeben, in dem Verſchiedenen an das Gleiche, in dem Gleichen an das Verſchiedene zu denken. So zieht es die Arbeit des Geiſtes groß, ſo macht es aus jedem Volke und aus jedem Einzelnen in jedem Volke ein ſelbſtändiges Leben, eine ſelbſtändige ſchöpferiſche Kraft, und das iſt es, was Europa zur Herrin der Welt gemacht hat und machen wird.
Und wenn ich mich jetzt frage, worin die Zukunft der Rechts - wiſſenſchaft, die Aufgabe der neuen Zeit für uns liegt, ſo ant - wortet mir das Verſtändniß jener Thatſache. Es iſt, wollen wir anders nicht zu den untern Reihen herabſinken, in unſerer Wiſſen - ſchaft, die Auffaſſung des europäiſchen Rechtslebens als eines Ganzen, und das Begreifen des einzelnen Volkes und ſeiner Rechts - bildung als eines organiſchen Theiles dieſes Ganzen, das wir zu leiſten haben. Wir, denen die Philoſophie die Erkenntniß der abſoluten Principien, das römiſche Recht die geſchichtliche Grund - lage der europäiſchen Rechtsbildung, die deutſche Rechtsgeſchichte das innige Verſtändniß des individuellen Volksgeiſtes gelehrt haben, wir ſind berufen, durch ein Jahrhundert ernſter und ſchwerer Arbeit den Gedanken, das hohe Bild einer europäiſchen Rechts - bildung zu erfaſſen und zu verwirklichen, in der jedes einzelne Volk wieder ſeine eigene große Funktionen erfüllt. Wir, das Welt - volk, wo es ſich um Gedanken handelt, wie die Engländer das Weltvolk der Arbeit und die Franzoſen das Weltvolk des Waffen - ruhmes ſind, wir müſſen uns über den engen, abſterbenden Kreis unſerer bisherigen Auffaſſung auch in der Rechtswiſſenſchaft er - heben. Indem wir bisher verſtanden, was wir für uns ſelbſt ſind oder ſein mochten, ſo müſſen wir jetzt denken und ſagen lernen, was wir neben den andern, für die andern ſind. Die wahren Inſtitutionen unſerer deutſchen Rechtswiſſenſchaft müſſen künftig in dem Bilde des europäiſchen Rechtslebens beſtehen, und Niemand ſollte an deutſches Recht gehen, ohne, wenn auch nur in ſeinen Grundzügen, das wunderbar große und ſchöne Bild des europäiſchen Rechts, aus der Einheit ſeiner Volksrechte, ihrer Ge - ſchichte, ihrer Geſtalt, ihrer Elemente und ihrer wirkenden Indi - vidualität ſich zu einem machtvollen organiſchen Leben entfaltend,X vor ſeinen geiſtigen Augen zu haben. Deßhalb aber ſollen wir uns wiſſen und erkennen lernen als das was wir ſind — als einen lebendigen Theil des Ganzen, dem wir dienen, in dem wir die tieferen Wurzeln unſeres Daſeins haben, mit dem wir, zugleich arbeitend und leidend, das Leben Europas bilden. Da liegt die Zukunft und die Größe der deutſchen Rechtswiſſenſchaft.
Ihnen nun, verehrter Freund, übergebe ich zunächſt dieß Werk, das in einem kleinen Theil des Rechts einen kleinen Theil dieſer Aufgaben mit noch immer ſehr enger Beſchränkung auf Eng - land, Frankreich und Deutſchland zu löſen verſucht hat. Wenn ich über England nichts anders zu ſagen wußte, als was Sie ge - geben, ſo mögen Sie darin einen Vorwurf erblicken, den Ihr Werk ſelbſt verſchuldet. Es wird lange dauern, bevor wir hier über das Benützen hinauskommen. Mein mag vielleicht das andere Licht gehören, das mit meiner Arbeit auf einige der großen Er - gebniſſe der Ihrigen fällt; Niemand wird beſſer als Sie zu beur - theilen verſtehen, wie weit es richtig iſt. Aber das Ideal der deutſchen Rechtswiſſenſchaft, das mir lebendig vorſchwebt, wird nie erreicht werden, bis wir ſolche Werke wie das Ihrige über jeden Theil Europas beſitzen, und lernen, ſie zu bewältigen. Das iſt nicht die Arbeit eines Menſchen; das iſt die Arbeit eines Jahr - hunderts. Mein Glaube iſt, daß wir an der Schwelle einer ſolchen neuen Epoche für unſere Wiſſenſchaft ſtehen, die uns über die ſteigende Gefahr der bloßen Caſuiſtik und der Unbekanntſchaft mit dem Fremden, das uns durch die Entwicklung des Geſammt - lebens von Europa in Wahrheit nicht länger fremd bleiben darf, erheben wird. Ich ſehe die kommende Geſtaltung ihre Schatten ſchon in unſere Welt werfen; unſer iſt die Arbeit; unſere Lieben mögen’s erben. Und in dieſem Geiſte laſſen Sie mich Ihnen aus der Ferne die Hand reichen.
Zum Schluſſe geſtatten Sie mir noch eine Bemerkung. Sie werden im nachfolgenden Werke ſehen, daß ich von Oeſterreich wenig oder gar nicht geſprochen habe. Den Grund würden Sie wiſſen, wenn Sie dieß Reich kennten. Es iſt eine Welt für ſich, ein eigenthümlicher Organismus, mit gar keinem andern Europas, ja der Welt vergleichbar. Es iſt eine wunderbare Einheit der ver - ſchiedenſten Elemente; alles was Europa im Ganzen bietet, iſt hierXI in großen Theilen vertreten; oft feindlich, oft friedlich, oft in ſtarrer Ruhe neben einander liegend, oft in gewaltiger Bewegung einander begegnend, immer aber mächtig auf einander wirkend, ſich durchdringend, beſtimmend, fördernd, bekämpfend; ein Reich, das man mit dem gewöhnlichen Maße nun einmal nicht meſſen kann, und das immer aufs neue mißverſtanden wird, weil man eben das gewöhnliche Maß an daſſelbe anlegen will. Es iſt ein Europa im Kleinen. Es enthält alle Völker, alle Kirchen, alle volkswirthſchaftlichen Zuſtände, alle Rechtsbildungen des ganzen Welttheiles in wunderbarer Nähe und Miſchung. In keinem Theile Europas iſt ſo viel neues zu thun und ſo viel zu arbeiten als hier; aber in keinem Theile iſt auch ein ſo reiches Feld. Die ge - waltige Bewegung des Fortſchrittes, in der ſich dieß mächtige Reich befindet, iſt jung; ſie hat nicht bloß zum Theil ein altes Geſchlecht, alte Auffaſſungen, alte Gedanken, ſondern auch tiefe Verſchieden - heiten des geiſtigen und wirthſchaftlichen, des geſellſchaftlichen und ſtaatlichen Lebens vorgefunden; ſie hat den kühnen Verſuch ge - macht, mit der Achtung vor dem Ueberlieferten und Gegebenen die friſche und freie Anerkennung des Neuen zu verbinden. Sie iſt mitten in ihrer ſchweren Aufgabe; es iſt ein großartiges Werden, das uns hier entgegentritt, und für das die bekannten Formen und Formeln, die auf ſtreng ausgeprägter nationaler Individualität ruhen, nicht ausreichen. Es will daher für ſich betrachtet, für ſich erkannt werden. Es läßt ſich nicht einfach einreihen in die Ver - gleichung, denn jeder Punkt würde wieder ſeine eigene Geſchichte fordern. Darum hat Oeſterreich zwar die Geſchichte einer Groß - macht, aber es hat keine Geſchichtſchreiber. Denn die Geſchicht - ſchreibung hat hier eine ganz andere Vorausſetzung als in Eng - land, Frankreich, Deutſchland, andern Ländern. Sie kann nicht von einer einfachen gegebenen Thatſache ausgehen und uns in lebendigem Bilde den Wechſel ihrer Geſtaltungen vorführen, wie in Glück und Unglück, in Sieg und Niederlage immer daſſelbe Element als feſter Boden in Volk und Land uns auf eine leicht - verſtändliche, der Anſchauung immer gegenwärtige Grundlage ſtellt. Oeſterreichs wahres Lebenselement iſt keine ſolche Thatſache; es iſt eine lebendige Kraft, die ſeine Völker und Länder umſchlingt. Was nützt es, dieſe Kraft mit Einem Namen zu nennen? AberXII die Geſchichte Oeſterreichs iſt nicht denkbar, ohne die Anſchauung dieſer Kraft und ihrer Arbeit, die in Weſen und Thätigkeit nur Eine innerlich gleichartige, wenn auch äußerlich viel größere Er - ſcheinung neben ſich hat, die alte römiſche Welt, die Einheit des Völkerlebens in Einer gewaltigen Staatsbildung. Und bevor nicht dieß Weſen Oeſterreichs ſeine Geſchichtſchreibung gefunden, kann man es auch in der Rechtslehre nicht einfach an die drei übrigen Völker anreihen, deren Namen und Natur dem Leſer vertraut ſind; am wenigſten aber in dieſem Augenblick, wo dieß Reich mitten in einer ſo tiefgreifenden, ſeine ganze Zukunft beherrſchenden Umge - ſtaltung begriffen iſt. Und darum habe ich es nicht gewagt, die Rechtsverhältniſſe Oeſterreichs in einfacher Anführung neben die drei übrigen Völkerſchaften hinzuſtellen. Vielleicht daß auch ſo die Arbeit einen Theil ihrer Aufgabe erfüllt. Denn immer iſt mir das Wort meines hochverehrten Lehrers, des alten Feuerbachs gegenwärtig: „ Das beſte, was der Menſch zu leiſten vermag, be - ſteht nicht in dem, was er thut, ſondern in dem, was er in edlen und tüchtigen Geiſtern anregt. “
Leben Sie wohl.
Wien, im Mai 1864.
L. Stein.
Wenn Begriff und Definition den Anforderungen der Wiſſenſchaft entſprechen ſollen, ſo müſſen beide ſich als ein Entwicklungsmoment eines höheren, allgemeineren Begriffes ergeben. Das gilt für alle wiſſenſchaftliche Begriffsbeſtimmung, und ſo auch für den Begriff der Verwaltung. Dieß zu leiſten iſt die Aufgabe unſrer Einleitung.
Wenn Begriff und Definition dem praktiſchen Bedürfniß entſprechen ſollen, ſo müſſen beide für jeden einzelnen Theil des Ganzen zutreffend erſcheinen. Dieß nachzuweiſen, iſt die Aufgabe des eigentlichen Inhalts unſrer Darſtellung.
Es iſt daher bei dem Begriffe der Verwaltung nothwendig, ihn auf den allgemeineren Begriff des Staats zurückzuführen, ihn aus dem - ſelben organiſch zu entwickeln, und ihm daraus ſeine Stellung, ſeinen Umfang und ſeine ethiſche, rechtliche und wirthſchaftliche Bedeutung zu beſtimmen. Die Verwaltung iſt ihrem Inhalt und ihrer Aufgabe nach ſo unendlich wichtig, daß wir dem Einzelnen eine Arbeit und Mühe nicht erſparen können, ohne welche die Wiſſenſchaft niemals zu einem feſten Reſultat gelangen kann. Und das großartige Leben, welches ſich dabei vor unſern Blicken entfaltet, wird die Mühe lohnen, welche die unendliche Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen auf wenige einfache und herrſchende Elemente zurückführt, deren Verſtändniß wir als die Bedin - gung des Verſtändniſſes des Ganzen betrachten müſſen.
Wir werden daher in dieſer Einleitung zuerſt den Begriff der Ver - waltung für ſich, dann ſeine organiſche Stellung im Staate, und end - lich ſeinen organiſchen Inhalt entwickeln. Und es wird das nicht ſchwierig ſein, wenn man ſich nur deſſen enthalten kann, hergebrachte Ausdrücke in hergebrachter Unklarheit beizubehalten. Wir werden zum Schluſſe verſuchen, die Unfertigkeit der ganzen bisherigen Behandlungsweiſe dieſes Gebietes auf ihre hiſtoriſchen Grundlagen zurückzuführen.
Stein, die Verwaltungslehre. I. 12Wir ſind gezwungen, einen fertigen Begriff des Staats hier an die Spitze zu ſtellen, ohne ſeine tiefere philoſophiſche Begründung unter - nehmen zu dürfen. Der entſcheidende Beweis für ſeine Richtigkeit muß dann in ſeiner Fähigkeit geſucht werden, von ihm aus jede den theo - retiſchen ſowie den praktiſchen Inhalt des Staats betreffende Frage zu beantworten.
Die Gemeinſchaft der Menſchen erſcheint in der That nicht bloß als eine Thatſache, ſondern als eine abſolute Bedingung für das höchſte Princip alles Lebens der Perſönlichkeit, der vollen und freien Entwick - lung derſelben. Als eine abſolute, das iſt, in der Natur der Perſön - lichkeit ſelbſt liegende Bedingung für dieſe Erfüllung des Weſens und der Beſtimmung des letztern iſt ſie ſelbſt nicht eine Folge eines Beſchluſſes oder Vertrages der Einzelnen zu betrachten, ſondern ſie iſt, wie die einzelne Perſönlichkeit, durch ſich ſelbſt vorhanden. Sie hat daher ihren Grund in ſich, unabhängig von dem Einzelwillen und ſelbſt von der äußern Natur: ſie iſt vielmehr ein Ausfluß deſſelben Weſens, aus dem die einzelne Perſönlichkeit entſprungen iſt. Sie kann nie aufgehoben werden, ſo lange es Einzelne gibt; ſie iſt, wie man es anders aus - drücken kann, dem Begriffe der Perſönlichkeit immanent; es iſt nicht möglich, ohne ſie den letztern auszudrücken. Das iſt es, was ſchon Ariſtoteles mit ſeinem ζωον πολιτικον bezeichnen wollte, und was am Ende auch allen Vertragstheorien zum Grunde liegt. Denn die Unmöglichkeit, die Nothwendigkeit eines ſolchen Vertrages zu läug - nen oder auch nur zu bezweifeln, — und nie hat das jemand verſucht — iſt ſelbſt allein der Beweis für das nicht mehr vertragsmäßige, ſon - dern ſelbſtbedingte Daſein der menſchlichen Gemeinſchaft.
Iſt ſie aber ein ſolches ſelbſtbedingtes Weſen, ſo iſt ſie eben nicht mehr bloß Thatſache und Bedingung für die Einzelnen, ſondern ſie iſt, das höchſte Weſen der letztern ſelbſt beſitzend, daſſelbe was dieſe ſelber ſind, eine Perſönlichkeit. Und dieſe zur Perſönlichkeit, zum per - ſönlichen Bewußtſein, zum perſönlichen Wollen und Handeln erhobene Gemeinſchaft der Menſchen iſt der Staat.
Indem nun der Staat die zum individuellen, perſönlichen Leben erhobene Gemeinſchaft der Einzelnen, eine ſelbſtändige, höhere und un - endlich großartigere Geſtalt der Perſönlichkeit iſt, als der Einzelnen, ſo folgt, daß die Grundbegriffe und Grundverhältniſſe der einzelnen Per - ſönlichkeit bei ihm nicht bloß im Allgemeinen wieder erſcheinen, ſondern daß ſie vielmehr in höherer und größerer Form in ihm da ſein müſſen
3Nun ſehen wir in der Geſammtheit der Verhältniſſe, welche das einzelne Individuum umfaſſen und enthalten, zwei ſich ewig wieder - holende Faktoren erſcheinen und thätig ſein. Der erſte dieſer Faktoren — und wir müſſen hier ſo kurz als möglich ſein — iſt die freie Selbſt - beſtimmung der Perſönlichkeit, der unendliche Keim ihrer Entwicklung. Der zweite dieſer Faktoren iſt dagegen die äußere Welt, die ihr eigenes Daſein hat, und die den Einzelnen auf allen Punkten umgibt und be - ſchränkt. Sie iſt die ewig neue Quelle der Unfreiheit, des Beſtimmt - werdens, der Unterwerfung der an ſich freien Perſönlichkeit unter das ihr gegenſtändliche Daſein.
Aus dieſen beiden einander entgegengeſetzten Faktoren geht nun ein Proceß hervor, den wir als den Proceß der Unterwerfung des zweiten unter den erſten, der äußern Welt in all ihren Formen unter die freie Selbſtbeſtimmung des Individuums bezeichnen. Er beginnt bei der rein natürlichen Form des Daſeins der Perſönlichkeit, bei der Befriedigung des materiellen Bedürfens, und erhebt ſich bis zu der Berührung deſſelben mit der Gottheit zum Glauben, Lieben und Ahnen. In allen tauſend verſchiedenen Formen, Bewegungen und Erfolgen iſt dennoch dieſer Proceß immer derſelbe. Wir nennen ihn mit Einem Worte: er iſt das Leben der Perſönlichkeit.
Wie es daher ein Leben der einzelnen Perſönlichkeit gibt, ſo gibt es auch ein Leben des Staats.
Dieß Leben der Perſönlichkeit erſcheint nun dem Weſen derſelben gemäß, nicht etwa aus einer Reihe von zufälligen oder willkürlichen Erſcheinungen und Thatſachen. Es hat auf der einen Seite ein hohes Ziel; es zeigt uns die höchſte, vollendetſte Form der irdiſchen Perſön - lichkeit mit der Geſammtheit aller äußern natürlichen Dinge im Kampfe; es iſt gleichſam die höchſte Anſtrengung des perſönlichen Daſeins, einer mit ſeiner ganzen geſammelten, auf Einen Punkt vereinten Kraft der Menſchen, um ſich dieſe äußere Welt zu unterwerfen; es iſt ander - ſeits eben dadurch bedingt durch den gegebenen Inhalt des Weſens der Perſönlichkeit wie der natürlichen Welt. Das Leben des Staats ent - faltet ſich daher als ein großartiges Bild, aber als ein Bild, deſſen Grundzüge feſt und klar in dem Weſen ſeiner beiden Elemente gegeben ſind, und das daher in allen ſeinen einzelnen Erſcheinungen als eine organiſche Bethätigung dieſer Elemente erſcheint. Und darum gibt es nicht bloß eine Kenntniß dieſes Lebens des Staates, ſondern es gibt eine Wiſſenſchaft deſſelben. Denn das iſt der Unterſchied zwiſchen der bloßen Kunde der Thatſachen und der Wiſſenſchaft, daß dieſe das Daſeiende, welches ſie weiß, als einen in ſeinen Grundlagen erkennbaren, und darum für ſie nothwendigen Proceß begreift, und erſt da befriedigt4 iſt, wo ſie jede einzelne Erſcheinung in ihre tiefer wirkenden Urſachen aufgelöst hat. In dieſem Sinne reden wir von der Wiſſenſchaft des Staats als von der Wiſſenſchaft ſeines organiſchen Lebens. Sie iſt die höchſte Form der Wiſſenſchaft des Lebendigen, und umfaßt das ganze, in der äußern Welt thätige Daſein der Perſönlichkeit. Sie hat zu ihrer Vorausſetzung die Kunde, und in ihrem höhern Stadium die Wiſſenſchaft des natürlichen Daſeins, zu ihrem Inhalt die Wiſſenſchaft des Proceſſes, mit welchem der Staat ſich das erſtere unterwirft. Ihr gehört alles Folgende an. Aber eben um dieſer ihrer Natur willen muß — und die weitere Darſtellung wird zeigen, daß das auch ſeine große unmittelbar praktiſche Bedeutung hat — der beſondere Theil über ſein organiſches Verhalten zum Ganzen klar ſein. Und wir ſind daher ge - zwungen, die Gebiete der Wiſſenſchaft vom Staate darzulegen, um die - jenigen beiden großen Gebiete deſſelben, die unſere eigentliche Aufgabe bilden, die Vollziehung und die Verwaltung, in ihrem Weſen und ſelbſt in ihrem Rechte hinreichend beſtimmen zu können.
Die erſte Aufgabe der Wiſſenſchaft des Staats beſteht demnach darin, den Begriff des Staats als jener höchſten Form der Perſönlichkeit in die Elemente aufzulöſen, deren Zuſammenwirken das Leben des Staats erzeugt und ordnet.
Es iſt kein Zweifel, daß dieſe Elemente, da wir den Staat als die vollendete Form der Perſönlichkeit, wenn auch als eine werdende ſetzen, im Weſen der Perſönlichkeit überhaupt gegeben ſeyn müſſen, die im Staate nur eine höhere Geſtaltung empfangen.
Dieſe Elemente nun ſind die folgenden:
Jede Perſönlichkeit iſt zuerſt ein ſelbſtbedingtes Weſen, das ſeiner Natur nach alles auf ſich bezieht und zum Inhalt ſeiner ſelbſt macht. Wir nennen dieſe Funktion, die im innerſten Weſen der Perſönlichkeit vor ſich geht, die Selbſtbeſtimmung, und zwar in ſofern jene Funktion überhaupt Objekte aus der äußern Welt hat. In ſofern aber dieſe Gegenſtändlichkeit hinweggedacht wird, erſcheint das reine Sich auf Sich beziehen, das reine durch und in ſich ſelbſt ſeyn, oder wie man es ſonſt bezeichnen will; und dieß reine für ſich ſeyn iſt das Ich der Perſön - lichkeit. Im einzelnen Menſchen verſchwindet daſſelbe; es hat keine eigene ſelbſtändige Erſcheinung. Im Staate dagegen erſcheint es ſelbſtändig als das Staatsoberhaupt, das im Königthum ſeine vollendetſte Form empfängt.
Dieſe, mit dem Begriff des Ich gegebene, und das eigentliche5 Weſen der Perſönlichkeit bildende Selbſtbeſtimmung der letzteren, in ſofern ſie es mit den Thatſachen, Erſcheinungen und Kräften der äußern Welt zu thun hat, und dieſe in das innere Leben der Perſönlichkeit aufnimmt, iſt der Wille. Die große Funktion des perſönlichen Willens in der äußern Welt beſteht darin, dem Natürlichen und dem Gegen - ſtändlichen einen neuen, durch die Perſönlichkeit geſetzten Zweck zu geben. Es gibt daher kein abſtraktes Wollen; das Etwas, was das Wollen will, iſt eben der Zweck, den die äußern Dinge durch die Per - ſönlichkeit empfangen ſollen. Der Wille gibt daher vermöge des Zweckes den Dingen ein neues Leben, das perſönliche. Und dies Moment des Wollens iſt nun gerade wie bei der Perſönlichkeit in ihrer abſtrakteſten Geſtalt, im Staate nicht bloß ganz ſelbſtändig vorhanden, ſondern es hat in ihm ein eigenes, nur für das Wollen beſtimmtes Organ. Dieſes Organ nennen wir ſchon hier die geſetzgebende Gewalt, und die ſelbſtändige reine Thätigkeit des Wollens die Geſetzgebung. Der einzelne beſtimmte Wille dieſer Gewalt iſt das Geſetz.
In der einzelnen Perſönlichkeit nun wie im Staate hat dieſer für ſich gedachte ſelbſtbeſtimmte Wille zu ſeinem Inhalt nur noch diejenige Geſtalt des äußern Daſeyns, welche der Wille will; noch nicht die wirklichen Verhältniſſe, auf welche er ſich bezieht. Es muß daher ein zweiter Proceß entſtehen, durch welchen die Perſönlichkeit dieſen Inhalt ihres Willens in der äußern wirklichen Welt zu verwirklichen trachtet. Dieſen Proceß nennen wir die That. Die That, indem ſie die Ge - ſammtheit der Momente und Geſtaltungen des äußern Lebens in ſich aufnimmt und ſie dem Willen unterwirft, iſt eine unendlich vielgeſtal - tige und wechſelnde. Sie iſt es, welche dem abſtrakten Begriffe der Perſönlichkeit erſt ſeinen concreten Inhalt gibt; in ihr iſt das wirkliche Leben der letztern enthalten; ſie iſt aber zugleich das Gebiet, in wel - chem die ſelbſtändigen Kräfte des äußern Daſeyns gegenüber dem Willen der Perſönlichkeit ſich zur Geltung bringen, und die reine und unbe - dingte Verwirklichung dieſes Willens modificiren. Die That nimmt daher dieſe Gewalt der Dinge in den Willen der Perſönlichkeit auf; ſie iſt dadurch wieder nicht bloß die einfache Erſcheinung dieſes Willens, ſondern ſie hat, die Verſchmelzung der Wirklichkeit mit dem Willen vollziehend, ein ſelbſtändiges Leben, eine ſelbſtändige Funktion, die nie - mals ganz von dem rein ſelbſtbeſtimmten Willen der Perſönlichkeit er - füllt und erſchöpft, ja nicht einmal immer von ihm beherrſcht wird. In ihr zeigt es ſich erſt, daß das was wir das Leben nennen, eine doppelte Bewegung enthält, die einen ganz verſchiedenen Charakter hat, und die wohl getrennt werden muß, will man überhaupt das wirkliche Daſeyn der Perſönlichkeit verſtehen. Der erſte Theil dieſer Bewegung6 iſt derjenige Proceß, durch welchen die Perſönlichkeit den Eindruck der Dinge in ſich aufnimmt, und ſie in ſich durch ihren Willen beſtimmt; der zweite Theil iſt der Proceß, der dieſen Willen in die Außenwelt trägt, und der dadurch, indem er die letztere unterwirft, von ihr wie - der mannigfach bedingt wird. Das iſt für jede Perſönlichkeit gültig, und mithin auch für den Staat. Und es verſteht ſich, daß dieſer Selb - ſtändigkeit der That im Weſen des Staates nun auch beſtimmte Organe entſprechen und beſtimmte Geſetze und Regeln, nach welchen dieſelbe vollbracht wird. Dieſe letzteren aber zerfallen wieder in die beiden großen Grundformen der Vollziehung und der Verwaltung; und bei ihnen beginnt unſere eigentliche Aufgabe.
Allerdings iſt hier nicht der Ort, weder eine hiſtoriſche, noch eine kritiſche Beurtheilung der Staatsphiloſophie und der Begriffe vom Staate zu geben. Allein es iſt dennoch unumgänglich unſere Grundauffaſſung neben der bisherigen ſcharf zu beſtimmen, da nur dadurch für viele das Folgende ganz verſtändlich werden dürfte.
Der gemeinſame Charakter aller Staatsbegriffe ſeit Plato beruht darauf, den Staat als die organiſche Conſequenz irgend eines andern Begriffes zu entwickeln; ſei es des Rechts, ſei es der sociabilitas, ſei es des Gemeinwohls, ſei es des Weſens der ſittlichen Geſetze, ſei es des ſich ſelbſt ſetzenden Begriffes. So heftig auch der Streit unter dieſen verſchiedenen Anſichten ſein mag, ſo ſind ſie doch niemals ſehr verſchieden geweſen, wenigſtens in ihrem Princip. Faſt alle haben zwar den Irrthum gemein — wenigſtens kenne ich keinen, der ihn nicht theilte — daß jeder von allen dieſen Philoſophen bloß dadurch, daß er auf einem andern Wege zu ſeinem Begriffe kam, auch einen weſentlich andern Begriff vom Staate gehabt habe. Es wäre aber ſehr leicht zu zeigen, daß am Ende der in allen dieſen Philoſophien ſo entſtandene Staat bei allen Philoſophen ſtets faſt ganz genau derſelbe iſt.
Wir müſſen dem unſere Anſchauung entgegenſetzen. Wir thun es, weil es gewiß bleibt, daß alle Wiſſenſchaft zuletzt ihre höchſte Ordnung und Klarheit doch nur durch die Philoſophie erhält. Vielleicht am meiſten in der Staats - wiſſenſchaft; gewiß innerhalb derſelben am meiſten auf unſerm Felde.
Der Staat iſt weder eine Anſtalt, noch eine Rechtsforderung, noch eine ethiſche Geſtaltung, noch ein logiſcher Begriff, ſo wenig wie das Ich des Men - ſchen. Der Staat iſt eine — die höchſte materielle — Form der Perſön - lichkeit. Es iſt ſein Weſen, ſeinen Grund in ſich ſelbſt zu haben. Es kann ſo wenig bewieſen werden, und ſo wenig „ begründet “werden, als das Ich. Er iſt er ſelber. Ich kann ihn, wie das Ich, nicht aus einem andern entwickeln. Er iſt die gewaltige Thatſache, daß die Gemeinſchaft der Menſchen, außerhalb und über dem Willen der Gemeinſchaft ſelbſt, ein eigenes, ſelb - ſtändiges und ſelbſtthätiges Daſein hat.
Der Staat hat daher nicht etwa, wie die bisherige Philoſophie ſagt, nur eine „ Beſtimmung, “und iſt mit ihr erſchöpft, ſondern er hat ein Leben. Dieß7 Leben liegt in ſeiner freien Selbſtbeſtimmung. Er kann ſogar Unrecht thun, wenn auch nur der Idee der Perſönlichkeit, nicht ſich ſelber oder den Dingen. Er wird erzeugt und ſtirbt. Ihn richtet Gott in der Geſchichte.
Das unbedingt und klar auszuſprechen, iſt hier deßhalb nothwendig, weil zunächſt aus dieſer Anſchauung der durchgreifende Unterſchied zwiſchen der fol - genden und der gewöhnlichen Behandlung der Lehre von Vollziehung und Ver - waltung des Staats folgt. Dieſer wieder liegt nicht etwa in der formalen An - erkennung der Perſönlichkeit im Staat. Dieſe iſt alt, und hat ſich in der letzten Philoſophien, namentlich des jüngern Fichte (Syſtem der Ethik II. 21. Abth. z. B. S. 329 „ der Staat iſt das umfaſſendſte ſittliche Individuum “und Röß - lers (Allgem. Staatslehre, z. B. S. XXIII) wieder Bahn gebrochen. Mit dieſer formalen Idee iſt nichts gewonnen; ſie erſcheint ſelbſt nur als Moment einer dialektiſchen Conſequenz. Und zwar darum iſt nichts damit gewonnen, weil ſie nicht zu demjenigen gelangen kann, was eigentlich das Weſen der Perſön - lichkeit ausmacht, der That derſelben. Die That mit ihrem Weſen und In - halt iſt der Grundbegriff für Vollziehung und Verwaltung. Sie kann nicht aus Prämiſſen entwickelt werden; ſie iſt das, was in der Perſönlichkeit das ſchaffende Element, die lebendige Ahnung der Gottheit iſt. Sie iſt das Werden nicht durch das Geſetz des Denkens, ſondern durch den abſolut freien Inhalt des Ich. Wir wiſſen recht wohl, daß es in der ganzen Philoſophie keinen Begriff und keine Lehre von der That gibt; hat doch nicht einmal die Statiſtik zu ſagen vermocht, was eine Thatſache ſei. Der Grund der That iſt das unendliche Ich; das Daſeiende und Begriffene iſt erſt der Inhalt der That. Die alte vorkantiſche Philoſophie hat ſie einfach als thatſächliches Corollarium der Pflicht verſtanden; die Identitätsphiloſophie hat ſie dialektiſch aufgehoben; merkwürdig genug, daß ſelbſt Hegel nicht zu der Frage kam, ob neben dem was wirklich iſt, auch das was wirklich wird, vernünftig iſt. Die neueren Philoſophen, Herbart, Kraus, Schopenhauer, von andern zu ſchweigen, kennen ſie überhaupt nicht. Aber die That iſt die Wirklichkeit der Perſönlichkeit. Erſt in ihr iſt dieſe das was ihr Weſen iſt, Selbſtbeſtimmung; in der That iſt ſie ihr eigener Grund. Die Philoſophie hat dieſen Begriff nicht. Daher hat die ganze Staats - philoſophie keinen Begriff der Verwaltung; höchſtens daß die Verwal - tung wie bei Fichte dem älteren (Naturrecht 2. Thl.) als Pflicht, bei Fichte dem jüngeren als Aufgabe des Staats erſcheint. Die Philoſophie iſt daher in ihrer bisherigen Geſtalt ganz unfähig, der Staatslehre über die Verfaſſung hinaus den Weg zu zeigen. Wir werden ſie darum künftig in unſerer Arbeit nicht gebrauchen. und nicht mit ihr zu rechten haben. Denn ohne den Begriff und Inhalt der That zu entwickeln, kann man weder Vollziehung noch Ver - waltung begreifen. Daher iſt nirgends im Gebiete der Verwaltung ein Einfluß der Philoſophie vorhanden, während er im Gebiete der Verfaſſung um ſo größer iſt, und dieſer Einfluß iſt unmöglich, ſo lange man Weſen und Inhalt des Staats nur als Conſequenz eines andern Begriffes ſetzt. Denn iſt er nichts als das, ſo kann er auch nichts als dieſe Conſequenz vollziehen; er kann „ Zwecke “und „ Aufgaben “und „ organiſchen Inhalt “haben, aber er kann in ſeiner That nicht mit ſeinem Weſen in Gegenſatz gerathen, das Thun8 deſſelben kann nicht ſelbſtändig gegenüber dem Wollen auftreten; es kann zwar formell eine Verwaltung und Vollziehung, aber kein Verwaltungsrecht erſcheinen. Die Möglichkeit des Verſtändniſſes des letzteren hört da auf, wo ich den Staat aus dem Begriff des Rechts entwickele; ſie beginnt da, wo ich ihn als eine ſelbſtthätige Form der Perſönlichkeit erfaſſe. Es gibt keinen andern Weg. Der aber leitet noch zu vielen andern Dingen, welche als hohe, erhabene Ziele der Wiſſenſchaft künftiger Geſchlechter vorbehalten bleiben. Wir können hier nur die erſten, rohen Grundlagen finden. Eine größere Zeit wird Größeres leiſten. Möge ſie bald kommen. In ihr werden wir die goldenen Tafeln im Graſe wiederfinden. — Denen aber, die dieſe Grundgedanken für „ myſtiſch “erklären möchten, wollen wir zum Schluſſe zurufen, daß die gewaltigſten Wahrheiten des geiſtigen Lebens in der Geſchichte und im Einzelnen ſtets diejenigen geweſen ſind und bleiben werden, die man nicht bewieſen hat und nicht beweiſen kann. Den Gründen folgen wir, indem wir neue Gründe aus ihnen erzeugen; aber das göttliche Leben der höchſten Religion, Kunſt und Wiſſenſchaft ruht nicht auf Beweiſen und Urſachen.
Indem wir nunmehr den Begriff der Vollziehung von dem der Verwaltung trennen, und dieſe Trennung der ganzen folgenden Arbeit zum Grunde legen, wird es wohl nothwendig werden, dieſen Unter - ſchied ſo tief und ſo klar als möglich zu begründen.
Offenbar iſt jener erſte von uns bezeichnete Proceß, die Selbſtbe - ſtimmung des Willens der Perſönlichkeit, weder im Weſen der letztern, und noch weniger im Staate ein einfacher. Wir unterſcheiden hier vielmehr eine ganze Reihe von Stadien und Verhältniſſen, welche erſt zuſammen genommen die Bildung des Willens oder die Geſetzgebung enthalten. Dieſe einzelnen Momente in der Bildung des Staatswillens kann man jedoch in zwei Hauptgruppen theilen; jede dieſer Gruppen enthält zwar wieder eine Menge von Momenten, jedoch werden dieſelben von gemeinſchaftlichen Grundlagen beherrſcht. Wir nennen ſie die Be - rathung und die Beſchlußfaſſung. Verhältniſſe und Rechte beider ge - hören in die Verfaſſungslehre.
Ebenſo nun wie ſich in der Willensbeſtimmung des Staats ſolche Grundverhältniſſe ſcheiden, ſo iſt es auch in der Thätigkeit deſſelben der Fall.
Dieſe Thätigkeit des Staats, wie wir ſie als ſelbſtändiges Moment im perſönlichen Leben deſſelben ſo eben vorgelegt, und welche ſeinen Willen im wirklichen Leben vollbringt, zeigt bei genauer Betrachtung einen doppelten Charakter.
Einerſeits hat ſie den Willen der einheitlichen Perſönlichkeit des9 Staats zum Inhalt, und muß daher in allen Formen und Geſtaltun - gen, die ſie annehmen mag, immer dieſelbe ſein. Sie muß von dieſem Standpunkt betrachtet, nichts zum Inhalt haben, als eben den Willen des Staats, wo ein ſolcher Wille beſtimmt und gegeben vorliegt; wo aber ein ſolcher ausdrücklicher Wille mangelt, da muß ſie aus dem Weſen des Staats die Aufgabe und Richtung ihrer Thätigkeit ſchöpfen, und die formelle Willensbildung des Staats durch ihren eigenen Willen erſetzen. Sie erſcheint daher hier nur noch als die reine Kraft des, ſeinen Willen vollziehenden oder durch ſeine Thätigkeit ſein Weſen verwirk - lichenden Staats, noch ohne Rückſicht auf die Objekte deſſelben; und in dieſem Sinne nennen wir ſie die vollziehende Gewalt, und dieſe abſtrakt, und noch ohne beſtimmten Inhalt gedachte Thätigkeit dieſer Gewalt die Vollziehung.
Andrerſeits iſt dieſe vollziehende Gewalt für ſich gedacht, nur der Organismus der Möglichkeit der Thätigkeit, oder die Kraft für ſich. Die wirkliche Thätigkeit entſteht, ſowie dieſe Vollziehung nun die wirk - lichen Verhältniſſe und Gegenſtände des Staatslebens ergreift, und in ihnen den Willen oder das Weſen des Staats concret zur Verwirklichung bringen will. Hier empfängt die vollziehende Gewalt ihre Aufgabe an ihrem Objekte; ſie muß wie ſchon geſagt, daſſelbe innerlich und äußer - lich verarbeiten; die Geſetze des Lebens dieſer Objekte bringen ſich zur Geltung und geben der Vollziehung Geſtalt und Maß, Mittel und Ziel; die großen Gebiete deſſelben theilen die letzten ſelbſt wieder in große, ihnen entſprechende Funktionen, und die Vollziehung, inſofern ſie auf dieſe Weiſe Geſtalt, Eintheilung und Namen durch Natur und Kraft ihrer Objekte empfängt, heißt dann die Verwaltung.
Man kann daher ſagen, daß das thätige Leben des Staats ſich in dieſen zwei Grundformen, Vollziehung und Verwaltung darſtellt; jene die Kraft an ſich, aus welcher die Thätigkeit hervorgeht, dieſe die wirk - liche Thätigkeit, welche die Kraft enthält. Es leuchtet ein, daß in dieſem Sinne Vollziehung und Verwaltung zugleich den Ausdruck der beiden Beziehungen enthalten, in denen die Thätigkeit des Staats ſteht. Die Vollziehung bedeutet und enthält das Verhältniß der Thätigkeit zum Willen und Weſen zu Geſetz und Natur des Staats, die Verwaltung das Verhältniß deſſelben zum concreten Leben, das der Staat umfaßt, und zu der Macht der Thatſachen in ſeinem materiellen Daſein. Da - her laſſen ſich beide äußerlich gar nicht trennen; es giebt keine Voll - ziehung ohne eine Verwaltung, und keine Verwaltung ohne eine Voll - ziehung; ſie ſind ſtets verbunden wie zwei Seiten derſelben Fläche, aber dennoch ſtets verſchieden wie jene. Allerdings können wir in der Pſycho - logie des Einzelnen jenen Unterſchied thatſächlich nicht verfolgen; die10 Gränzen beider Funktionen gehen ſo innig in einander, daß die Scheidung als Abſtraktion erſcheint. Allein im Staate ſind ſie ſehr beſtimmt trenn - bar, und ihre Trennung wird ſogar zu einer der wichtigſten Vorausſetzun - gen des Verſtändniſſes des Staatslebens. Denn das iſt ja das Weſen der höhern Perſönlichkeit, daß in ihr die unklaren Elemente der niedern ſich ſelbſtändig zur Geltung bringen. Und es wird ſogar nicht einmal ſchwierig ſein, jenen Unterſchied ſchon hier ſo unzweifelhaft darzulegen, daß er ſo - gleich als Grundlage der ganzen folgenden Darſtellung dienen könne.
Die Lehre von den „ Staatsgewalten. “— Der Begriff der Staats - gewalten, ihre Benennung, Scheidung und Begränzung gehört zwar eigentlich der Verfaſſungslehre an, iſt aber ſo durchgreifend wichtig, und ſo ſehr beinahe vergeſſen, daß wir ſie zum Verſtändniß unſerer Auffaſſung hier in ihren Grund - zügen bezeichnen müſſen.
Unter den „ Staatsgewalten “verſteht man eigentlich (unklar) die großen organiſchen Funktionen des Staats. Das Auftreten des Begriffes ſetzt daher die entſtehende Herrſchaft des Staats über die territoriale Zerſplitterung ſeiner Macht im Lehnsweſen voraus; er muß angeſehen werden als der Anfang des organiſchen Verſtändniſſes des Staatslebens. Er iſt daher die höhere Form derſelben Vorſtellung, welche die „ Hoheitsrechte “(Regalien) bezeichnen. Die Hoheitsrechte des Staats ſind die Rechte auf die im Weſen des Staats liegenden Funktionen, aber in ihrer lehnsrechtlichen Entſtehung gedacht, gegenüber den Rechten der Grundherrlichkeit; ſie enthalten daher beſtändig eine unverkennbare Verſchmelzung privatrechtlicher und öffentlich rechtlicher Rechtstitel. Erſt in der Vorſtellung von „ Staatsgewalten “tritt die Idee des Staats ſelbſtſtändig her - vor; Hoheitsrechte kann der Staat haben, zum Theil aber auch nicht haben, oder verlieren, wie es ſeine geſchichtliche Entwicklung mit ſich brachte; die Staats - gewalten dagegen ſind mit ſeinem organiſchen Weſen ſelbſt, von ihm untrennbar, gegeben. Man muß in dieſer Beziehung die franzöſiſche und die deutſche Auf - faſſung unterſcheiden. Die erſtere legt den Begriff der Staatsgewalten, die letztere den Begriff der Hoheitsrechte zum Grunde, um zu einer organiſchen Auffaſſung des neueren Staatslebens zu gelangen. Die erſte will damit ein Syſtem der organiſchen Freiheit, die letztere ein Syſtem des organiſchen Rechts ſetzen. Die franzöſiſche Auffaſſung beginnt ſchon mit Montesquieu. Bei ihm treten die „ trois sortes de pouvoir: la puissance législative, la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit des gens (die Militärmacht) et la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit civil “L. XI. ch. VI. auf. Die letztere iſt die puissance de juger, alſo eigentlich gar keine vollziehende, ſondern eine richterliche Gewalt. Die pouvoirs intermédiaires, von denen er 1 — 4 redet, ſind vielmehr die ſtändiſchen Ordnungen der Geſell - ſchaft. Der wichtigſte Satz im ganzen Esprit des lois iſt ohne Zweifel der, daß die Freiheit nur in der „ Trennung jener drei Gewalten “geſichert werden könne. Was er ſich unter dieſer Trennung dachte, läßt er ungeſagt. Allein das Streben nach Freiheit, das die ganze Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erſaßt, läßt die Vorſtellung entſtehen, daß auf dem richtigen Verſtändniß der11 pouvoirs des Staats die Organiſation jeder freien Verfaſſung beruhe. So ſchon in der Encyclopädie von Al. und Did. Art. Représentant, Pouvoir und a. a. O. Sieyes, die perſonificirte Reflexion der Revolutionen, ſcheidet dann die drei Gewalten etwas anders: die geſetzgebende, die aktive oder exekutive, welche die beiden Gewalten, die richtende und die verwaltende, zugleich enthielt, und die coercitive; (Oeuvres I. 360) welche Auffaſſung zu den vier Gewalten der Conſtitution von 1791 wurde. Damit iſt dann dieſe theoretiſche Scheidung in die Verfaſſungsurkunden aufgenommen und erhält ſich bis auf die neueſte Zeit, ohne daß man damit ein klares Bild gewonnen hätte; ſo in den von Klüber §. 100 bereits angeführten Chartes von Braſilien 1823 und Portugal 1826, dann in der Verfaſſung von Neapel 1848, Toscana und Piemont (eod.); Benj. Conſtant bringt dann unter der Reſtauration ein neues Moment hinein. Er fühlt, daß wenn man mit dem Syſtem der Pouvoirs den Staat umfaſſen will, auch das Königthum als eine eigenthümliche „ Gewalt “erſcheinen müſſe, und bezeichnet es als das Pouvoir régulateur; dadurch entſtand das wunderliche Verhältniß, daß der König zugleich als pouvoir exécutif und régulateur begriffen ward; der erſte Beweis, daß man mit dem Begriffe der Pouvoirs den Staat nicht organiſch erfaſſen kann. Demnach fehlte die einzige wahre Grundlage dieſes Verſtändniſſes, der Begriff der Perſönlichkeit. Man mußte daher bei jenem Begriffe bleiben und um mit ihm auszureichen, ſchuf nun jeder wieder andere Pouvoirs, und zwar für jedes Gebiet, das als ein ſelbſtändiges in der Verwaltung erſchien; ſo entſtand ein Pouvoir municipal, ein Pouvoir électif, ein Pouvoir administratif, und bei den Deutſchen ſogar eine Kameral - Gewalt. Bentham (Traité de législ. III. 342) brachte es zu ſieben Gewalten, ohne zu ſehen, daß er das Thätige aus ſeiner Thätigkeit, die Natur des Staats aus ſeinen Funktionen, ſtatt umgekehrt, conſtruire. Es war offenbar, daß man auf dieſem Wege nur zu Verwirrungen gelangen könne. Ohne ſich daher über das Weſen der Pouvoirs klar zu werden, ließ man ſie allmählig fallen; ſie ſind, nachdem ſie bis zum Ende der Reſtauration in Frankreich ge - herrſcht, ziemlich vollſtändig aus der Literatur verſchwunden, und erhalten ſich nur noch in dem hergebrachten Satze, daß „ der König das Haupt der voll - ziehenden Gewalt “ſey. Auf dieſen Punkt kommen wir unten zurück.
Was nun die deutſche Literatur betrifft, ſo iſt hier die Verwirrung be - deutend größer. Allerdings geht die deutſche Staatslehre, wie ſchon geſagt, von dem Grundbegriff der Hoheitsrechte, ſtatt von dem der Gewalten aus, und da keine Revolution an die Stelle dieſes rechtlichen Begriffes den organiſchen ſetzte, ſo blieb derſelbe bis auf unſere Tage beſtehen. Hoheitsrecht bedeutet aber den deutſchen Staatsrechtslehrern zweierlei; erſtlich die Rechte, welche das König - thum von dem Lehnsherrn hiſtoriſch wirklich erworben hat, und zweitens die Rechte, welche dem Staate ſeinem Weſen nach zukommen. Da keine Philoſophie dieſelben über das wahre Verhältniß aufklärte, ſo verwechſelten ſie beide Seiten der Sache beſtändig, und nahmen daher auch willig den Begriff der franzöſiſchen Pouvoirs in die Theorie auf, namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Dadurch entſteht eine ſolche Verwirrung aller Begriffe und Ausdrücke, daß es faſt eben ſo nutzlos als unmöglich iſt, nach irgend einer klaren Vorſtellung über12 den Inhalt des Staats zu ſuchen. Doch kann man zwei Richtungen unter - ſcheiden. Die eine kann man als die conſtruirende bezeichnen; ſie folgt dem franzöſiſchen Vorgange, und verſucht ſo viel als möglich ohne Beziehung auf die Hoheitsrechte den Staatsorganismus in ſeine Gewalten zu zerlegen; in größerem Maße Schlözer (Allgem. Staatsrecht und Staatsverfaſſungslehre 1793 S. 100, potestas, legislativa, coercitiva, punitiva, judiciaria, inspectiva, reprae - sentativa, cameralis, alſo das franzöſiſche Vorbild ſchon damals übertroffen. Aehnlich Mayer Syſtem der Staatsregierung und Umriſſe 1803 mit ſieben Gewalten). Dann kommen Verſuche, die alte trias politica herzuſtellen, die legislativa, judiciaria, executiva, wie bei Heidenreich, Hufeland u. A. Das Suchen gewinnt feſte Geſtalt in der Epoche der conſtitutionellen Epoche des Staatsrechts; namentlich wird Benj. Conſtant das Muſter. Der be - deutendſte Vertreter dieſer Richtung war Ancillon (Staatswiſſenſchaft 1820), der übrigens noch eine „ verwaltende Gewalt “ſetzt, bis endlich das Hauptwerk in dieſer Richtung, Aretins Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie B. I. S. 170 in Verzweiflung über den Wirrwarr trocken erklärt „ die meiſten Staats - rechtsſchriftſteller ſind nun darüber einverſtanden, daß die bisherigen Einthei - lungen nichts taugen, und daß man „ der Trennung der Gewalten nicht bedarf, vielmehr dieſelbe mit zahlloſen Colliſionen und gefährlichen Kämpfen verbunden iſt. “ Das wäre nun ganz gut geweſen; allein unterdeſſen hatte ſich die zweite Richtung der Sache bemächtigt, nämlich die des poſitiven Staatsrechts. Dieſe bedurfte der Eintheilungsgründe für ihre Darſtellung, und nahm daher, weil die alten „ Regalia “für das junge Staatsleben nicht mehr ausreichten, jetzt die „ Gewalten “neben den Hoheitsrechten auf. Dieſe Hoheitsrechte hatte man ſchon vorher in weſentliche und unweſentliche, in innere und äußere getheilt. Nun kamen die Gewalten hinzu, und die Verwirrung ward vollſtändig. Gönner war in ſeinem deutſchen Staatsrechte 1803 vielleicht der erſte, der aus dieſen Begriffen ein Syſtem zu machen trachtete. Man ſieht ſeiner Mühe (§. 274 ff. ) es an, wie ſchwer es ihm wird, nur überhaupt zu irgend einem Reſultate zu gelangen. Das Ergebniß iſt zuletzt, daß er alle Hoheitsrechte zugleich Staats - gewalten nennt und dann alle Funktionen des Staats als Gewalten be - zeichnet, die er dann gemeinſam unter dem Ausdruck „ Regierungsrecht “(Erſter Theil, zweites Buch) verarbeitet. Bei dem Stammvater des deutſchen Bundes - rechts, dem deutſchen Sieyes, Klüber, bleibt dieſelbe Auffaſſung; Hoheitsrecht und Gewalten ſind ihm in einer gewiſſen Weiſe gleichbedeutend, aber dennoch fühlt er, daß ſie verſchieden ſind, und kommt daher zu gar keinem Reſultat. Er iſt der Hauptvertreter der Literatur des deutſchen Staatsrechts, welche von da an es ſich zur Aufgabe ſtellt, die Klarheit über den Staat im Ganzen vollſtändig aufzugeben, dagegen jedes einzelne Verhältniß auf das Gründ - lichſte zu unterſuchen. Bei der hohen praktiſchen Wichtigkeit dieſer einzelnen Rechte riß die Richtung die ganze Literatur mit ſich fort, um ſo mehr als die Philoſophie vollſtändig unfertig daneben ſtand. (Vergl. z. B. Klüber §. 99 ff.) Jeder deutſche Publiciſt wählte von jetzt an ganz nach ſeiner Convenienz die Ausdrücke: Staatsgewalt, Regierungsrecht oder Regierungsgewalt, Hoheit, Hoheitsrecht. Man vergl. z. B. Maurenbrecher II. Thl. Kap. 2., der13 überdieß eine trias politica aufſtellt, welche die oberaufſehende mit enthält §. 41. Zachariä, deutſches bürgerliches Recht a. a. O. und andre. Dennoch iſt ein gewiſſer Drang da, aus all dieſen Unklarheiten herauszukommen. Dieſer erſcheint in der Reducirung aller jener Vorſtellungen auf die einfache Vorſtellung von der „ Staatsgewalt “wie bei Zöpfl Staatsrecht Abſchnitt IV. Mohl, Encyclopädie der Staatswiſſenſchaften §. 11 und 15 (der ſogar von „ Eigenſchaften “der Staatsgewalt — vier hat ſie, mehr nicht — redet). Der Begriff dieſer Staatsgewalt hat ſich aber hiſtoriſch gebildet, wie wir unten in der Geſchichte der vollziehenden Gewalt zeigen werden, und konnte daher in ſeiner eigenen Unbeſtimmtheit, mit der er das ganze Staatsleben umfaßte, den Unterſchied der einzelnen Gewalten nicht weiter erklären. Wir dürfen hoffen, daß das nun anders wird. Weſentlich wird dazu der Gedanke beitragen, den wir Mohls Württemb. Staatsrecht verdanken, den er aber nicht feſtzuhalten vermochte, daß Verfaſſung und Verwaltung zwei ſelbſtändige Gebiete des Staatslebens ſeyen. Es ergibt ſich aus allem, daß der Begriff der „ Gewalt “an ſich ein ganz richtiger iſt; daß der Fehler nur darin lag, daß man das Weſen des Staats aus der Gewalt, ſtatt die Gewalt aus dem Weſen des Staats ent - wickeln wollte; hat man die organiſchen Grundgedanken des Staatslebens, ſo ordnen ſich dieſe Begriffe von ſelber. Und da es uns hier nur auf das Erſtere ankam, ſo dürfen wir die Erläuterungen der Begriffe von Staatsgewalt, Re - gierung, vollziehender Gewalt u. ſ. w. jetzt an ihre beſondere Stellen verweiſen.
Jede vollziehende Gewalt nämlich iſt zwar ein ſelbſtändiges Moment in der organiſch gegliederten Perſönlichkeit des Staats; allein ſie ſteht nicht für ſich da. Ihre Quelle iſt eben der, in ſeinem wirklichen Leben ſich verwirklichende Staat; ihr Inhalt kann daher auch kein anderer, als die Verwirklichung der Staatsidee ſein. Sie wird dieſen Inhalt ſtets zunächſt in dem beſtimmt formulirten Willen des Staats, dem Geſetze ſuchen; allein ſie kann und darf nicht bloß mit dem formellen Geſetze ſich begnügen. Sie muß vielmehr von den Forde - rungen, welche die Idee des Staats ſtellt, durchdrungen ſein; ſie muß nichts wollen, als was ſie ſelbſt als Inhalt des letzteren erkennt; ſie widerſpricht ihrem eigenen Weſen, wenn ſie etwas anderes will; ſie muß daher die geſammte Aufgabe, welche dieſe Idee verwirklichen will, ſich ſelber zum Bewußtſein erheben; und das Durchdrungenſein von dieſer Idee, von dieſem Bewußtſein iſt eben dasjenige, was ſie zu einem lebendigen Gliede des Staatsorganismus macht. Dieß Bewußtſein geſtaltet ſich nun für die wirkliche Thätigkeit zu gewiſſen, dieſelben im Einzelnen leitenden, für jede derſelben zur gleichmäßigen Gültigkeit14 gelangenden Principien, in welchen eben das geiſtige Band zwiſchen dem inneren Leben des Staats und dieſer ſeiner ſelbſtändigen vollziehenden Kraft gegeben iſt: und inſofern nun die vollziehende Gewalt auf dieſe Weiſe von den, aus dem ſittlichen und rechtlichen Organismus des Staats ſich ergebenden Principien durchdrungen und beſeelt iſt, nennen wir die Vollziehung die Regierung des Staats. Die Lehre, welche dieſe Principien finden und ergründen lehrt, iſt dann die Regie - rungslehre; die Kunſt, das richtige Verhältniß der allgemeinen Prin - cipien zu dem gegebenen Zuſtande eines Staates zu jeder Zeit zu fin - den, heißt die Regierungskunſt oder Politik.
Der Unterſchied zwiſchen vollziehender Gewalt und Regierung, den man nie gehörig beachtet, iſt daher eben ſo wenig ein äußerlicher, als der zwiſchen Vollziehung und Verwaltung. Die Regierung iſt eben nichts als die principielle Vollziehung. Es iſt aber kein Zweifel, daß dieſer Unterſchied, wie der Unterſchied zwiſchen Form und Inhalt überhaupt, ein hochwichtiger iſt. Die Folge wird zeigen, daß derſelbe faſt auf jedem Punkte ſeine Conſequenzen erzeugt. Ohne die ſcharfe Innehaltung aller dieſer Unterſcheidungen aber iſt eine ſyſtematiſche Wiſſenſchaft überhaupt nicht möglich. Wo ſelbſt die Sprache aller Nationen die Unterſcheidung zwiſchen Vollziehung, Regierung und Ver - waltung klar und unbedingt feſthält, darf da die Wiſſenſchaft weniger in Beſtimmtheit der Auffaſſung leiſten, als das Wort, deſſen ſie ſich bedienen muß? —
Während auf dieſe Weiſe Vollziehung und Regierung, jene das organiſche, dieſe das principielle Verhalten der wirklichen Thätigkeit zur innern Selbſtbeſtimmung der Staatsperſönlichkeit enthalten, eröffnet ſich uns mit der Verwaltung das Gebiet des wirklichen Staatslebens und der concreten Geſtalt, welche in ihm die Aufgaben der Vollziehung empfangen; das heißt, die Vollziehung wird Verwaltung, indem ſie mit den gegebenen äußeren Verhältniſſen zu thun hat, welche in ihrer Berührung mit dem Staate ſich als die Staatsaufgaben darſtellen.
Dieſe Staatsaufgaben, welche auf dieſe Weiſe den Inhalt der Verwaltung bilden, ſcheiden ſich nun in drei Gruppen, und dieſe Schei - dung erzeugt dann die drei großen Gebiete der Verwaltung, deren ſelbſtändige Behandlung ſo alt iſt wie die Staatswiſſenſchaft, wenn auch über die Art und Weiſe der erſteren keine Gleichheit erzielt iſt.
Das erſte Gebiet der Verwaltung entſteht dadurch, daß der Staat ſo gut wie der Einzelne ein wirthſchaftliches Leben hat. Er bedarf der Güter; er muß ſie finden, erzeugen, erwerben, wie der Einzelne; er muß die erworbenen wieder verwenden; er hat Einnahmen und Ausgaben. Einnahmen und Ausgaben bilden daher den erſten und15 weſentlichſten Gegenſtand der concreten Thätigkeit des Staats, und die Geſammtheit derjenigen Thätigkeiten, welche in dieſer Weiſe auf die wirthſchaftliche Exiſtenz des Staates verwendet werden, nennen wir die Finanzverwaltung. Die Entwicklung und Darſtellung der Begriffe und Regeln, nach welchen dieſe Finanzverwaltung zu Werke zu gehen hat, iſt die Finanzwiſſenſchaft.
Zugleich aber beſteht der Staat aus einzelnen ſelbſtändigen Indi - viduen. Die erſte äußerliche Bedingung des Lebens dieſer ſelbſtändigen Individuen in ihrem Zuſammenleben iſt ohne Zweifel die Unverletzlich - keit des Einen durch die Handlungen des Andern. Dieſe Unverletzlich - keit der einen Lebensſphäre durch die — gleichviel ob willkürliche oder unwillkürliche — Bewegung der anderen nennen wir das Recht. Die Erhaltung des Rechts kann aber nicht durch den Einzelnen geleiſtet werden, weil daſſelbe eben nicht von ſeiner individuellen Willkür ab - hängen kann. Die Gewißheit für die Geltung meines Rechts kann nicht in demjenigen geſucht werden, der nach meiner Anſicht eben dies Recht verletzt hat. Es muß daher durch eine Thätigkeit hergeſtellt werden, welche, indem ſie alle Rechtsindividuen umfaßt, allein das für alle gültige Recht ſetzen und vollziehen kann. Dieſe Thätigkeit vermag nun nur der Staat als die allgemeine Perſönlichkeit zu leiſten. Sie fordert, da ihre Aufgabe das geſammte Leben aller Einzelnen umfaßt, einen Organismus, der gleichfalls ſich über das ganze Leben des Staats er - ſtreckt; ſie iſt daher, ebenſo wie die wirthſchaftliche Welt des Staats, ein ſelbſtändiger Theil der Verwaltung des Staats; und dieſen Theil der Verwaltung des Staats nennen wir kurz die Rechtspflege.
Während auf dieſe Weiſe die Verwaltung der Staatswirthſchaft es mit den wirthſchaftlichen Bedingungen des Staats, die Verwaltung des Rechts aber mit der Selbſtändigkeit der einzelnen Staatsbürger zu thun hat, bleibt ein drittes großes Gebiet der Thätigkeit des Staats zurück.
Der wirkliche Staat nämlich beſteht aus der Geſammtheit aller ſeiner Staatsbürger. Er hat als wirklicher Staat kein Daſein außer ihnen; er iſt eben vorhanden als die perſönliche Einheit aller Einzelnen, welche ihm gehören. Iſt nun das der Fall, ſo ergibt ſich, daß er ſelbſt in ſeinem Fortſchritt wie in ſeinem Rückſchritt nicht bloß abhängt von der perſönlichen wirthſchaftlichen oder geſellſchaftlichen Entwicklung dieſer ſeiner Angehörigen, ſondern daß geradezu der Geſammtzuſtand des Staates mit dem Zuſtande und der Entwicklung der Einzelnen, die ihm angehören, identiſch iſt; oder daß das Maß der Entwicklung aller Staasbürger die Bedingung und das Maß der Entwicklung des Staats ſelbſt iſt.
Es ergibt ſich daraus, daß dieſe Entwicklung aller einzelnen16 Perſönlichkeiten im Staate eine in der Natur des Staats liegende Aufgabe des Staats ſelbſt iſt; er ſorgt für ſich ſelbſt, indem er für das Wohl und den Fortſchritt der Einzelnen ſorgt, die ihm angehören; dieſe Thä - tigkeit iſt ihm daher eine nothwendige und organiſche, wenn ſie auch erſt in den höhern Entwicklungsſtufen des Staatslebens zur Geltung gelangt. Sie umfaßt, indem ſie das ganze Leben der Einzelnen um - faßt, eine Reihe der verſchiedenſten und wichtigſten Aufgaben nach allen Seiten des Geſammtlebens; aber alle dieſe Aufgaben haben das mit einander gemein, daß ſie Verwendungen der Macht und der Mittel des Staats für die Förderung des Einzelnen in ſeinen individuellen Lebens - verhältniſſen enthalten. Und die Geſammtheit der dieſen Aufgaben zu - gewendeten Thätigkeit des Staats nennen wir die Verwaltung des Innern. Die Begriffe und Regeln aber, auf welchen dieſe Thätig - keiten beruhen und nach welchen ſie ihr Ziel erreichen, bilden die Innere Verwaltungslehre.
Aus dieſen Grundbegriffen ergeben ſich nun gewiſſe Folgerungen, welche für die Klarheit des Verſtändniſſes unſeres ganzen Gebietes und namentlich für den Sinn der Worte, die man hier gewöhnlich gebraucht, von höchſter Wichtigkeit ſind, da vielleicht nirgends in der ganzen Staats - wiſſenſchaft und in der Lehre vom öffentlichen Rechte, die ſich an dieſelbe anſchließt, eine gleich große Verwirrung herrſcht.
Der Ausdruck „ Verwaltung “im Allgemeinen, wie man ihn gewöhnlich gebraucht, hat nämlich mit dem Obigen ſeinen Sinn ver - loren. Er bezeichnet den meiſten die Vollziehung, die Regierung, und unbeſtimmt auch die einzelnen Verwaltungsgebiete zugleich, aber in un - klarer Weiſe iſt er der Geſammtausdruck für das ganze thätige Leben des Staats, und zwar im Gegenſatz zur Funktion der Willensbeſtim - mung oder der Geſetzgebung. Dieſe letztere nennt man ferner, inſofern ſie ſelbſt nach beſtimmten Ordnungen des geſetzlich anerkannten öffent - lichen Rechts vor ſich geht, wohl auch die Verfaſſung. Man ſetzt da - her die Geſetzgebung oder die Verfaſſung der Verwaltung gegenüber, dem Willen die That. Und indem man den Rechtsbegriff auf beide Gebiete anwendet, ſpricht man vom Verfaſſungs - oder Geſetzgebungs - recht gegenüber dem Verwaltungsrecht.
Dieſe Unterſcheidung iſt an ſich richtig, wenn man ſich nur über den Ausdruck vollkommen klar bleibt. Denn nach ihm umfaßt die Ver - waltung ſowohl die Vollziehung als die einzelnen Verwaltungsgebiete, die wir bezeichnet haben, die Finanz -, die Rechts - und die Innere Ver - waltung. Indem man daher den einmal hergebrachten Ausdruck bei - behält, würde das dritte große Gebiet des Staatslebens, das thätige Leben, ſich in folgenden Grundbegriffen darſtellen.
17Die Verwaltung im weiteſten Sinne begreift darnach die Ge - ſammtheit des thätigen Staatslebens, ohne Rückſicht auf ſeinen beſon - dern Inhalt. Es iſt die abſtrakte That des Staats. Eben deßhalb bezeichnet dieſer Ausdruck auch nur den Gedanken der Scheidung von Wille und That im Staate; er hat an ſich keinen Inhalt, als den des abſtrakten Begriffes der That; es gibt keine Verwaltungslehre im weiteſten Sinne, ſondern der Inhalt derſelben erſcheint erſt in den folgenden beiden Begriffen. Dieſe ſind die Vollziehung oder vollziehende Gewalt, und die eigentliche Verwaltung.
Die Vollziehung iſt die Kraft und die Organiſation der Thätigkeit des Staats an ſich, noch ohne Rückſicht auf ihren Gegenſtand. Sie erſcheint daher als dasjenige, was in allen Gebieten der eigentlichen Verwaltung das Gemeinſame und Gleichartige iſt. Sie iſt daher der allgemeine Theil der Verwaltung, und die Lehre von der vollziehen - den Gewalt als allgemeine Grundlage jeder beſondern Vollziehung in den einzelnen Gebieten der Verwaltung iſt der allgemeine Theil der Verwaltungslehre.
Die drei Gebiete der Verwaltung zuſammengenommen bilden nun die Thätigkeit des Staats, inſofern ſie beſtimmte Aufgaben hat, und daher durch die Natur und Gewalt derſelben bedingt erſcheint. Wir nennen die Geſammtheit derſelben die eigentliche Verwaltung. Die eigentliche Verwaltung, iſt daher der beſondere Theil der Verwal - tung im weiteſten Sinn; aber ſie erſcheint nur in den drei großen Grundformen der Verwaltung, der Finanz -, Rechts - und innern Ver - hältniſſe des Staats. Sie hat daher wieder keinen Inhalt für ſich; ihr Inhalt ſind dieſe drei Gebiete. Es gibt daher auch keine eigentliche Verwaltungslehre, ſondern nur eine Verwaltungslehre der Staatswirth - ſchaft, der Rechtspflege und der innern Verwaltung. Allen dieſen drei Gebieten liegt nun wieder die vollziehende Gewalt zum Grunde; ſie enthalten diejenige Geſtalt und Anwendung der vollziehenden Ge - walt, welche ſie vermöge der Beſonderheit ihrer Aufgaben fordern und erzeugen.
Vielleicht iſt es dienlich, namentlich auch um die faſt ganz all - gemeine Unklarheit über den Begriff der innern Verwaltung und die beſtändige Verwechslung derſelben bald mit der Verwaltung im weiteſten Sinne, bald mit der eigentlichen Verwaltung zu beſeitigen, und endlich eine feſte Grundlage auch für die Grundbegriffe und Kategorien des öffentlichen Rechts zu gewinnen, dieſen Organismus der Begriffe hier zu ſchematiſiren. Derſelbe ſtellt ſich in folgender Weiſe dar.
Stein, die Verwaltungslehre. I. 218Die Aufgabe des folgenden Syſtems iſt es nun, den allgemeinen Theil der Verwaltung im weiteſten Sinne oder die Lehre der vollziehen - den Gewalt nach all ihren Seiten und Ordnungen darzuſtellen. Und, da die Finanzverwaltung in der Finanzwiſſenſchaft, die Rechtspflege in Rechtslehre und Proceß ohnehin dargelegt wird, ſo bleibt als zweites Gebiet unſerer Aufgabe die innere Verwaltungslehre übrig. Wir geben demnach zuerſt den erſten Theil der Verwaltungslehre im wei - teſten Sinn, und dann den letzten Theil, es dem Leſer überlaſſend, die beiden mittleren Gebiete durch die beſtehenden Bearbeitungen aus - zufüllen.
Dies nun wird ſeine definitive Geſtalt empfangen, indem wir den Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts damit verbinden.
Verfaſſung, Regierung und Verwaltung. — Vielleicht auf keinem Punkte der ganzen Staatswiſſenſchaft zeigt ſich das, was wir das, der deutſchen Theorie überhaupt eigenthümliche Widerſtreben gegen Annahme feſter Begriffe und Ausdrücke nennen müſſen, ſo ſehr, als in dem Ausdruck Verwaltung und Regierung. Die Grundlage der ganzen obigen Auffaſſung, einerſeits der Unterſchied zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung, im weiteren Sinn, und andererſeits zwiſchen Regierung (als allgemeiner) und eigentlicher Verwaltung (als beſonderer) Thätigkeit des Staats iſt keineswegs neu; allein ſo klar dieſe Unterſchiede auch ausgeſprochen werden, ſo hat man ſie doch nicht feſthalten können. Vielleicht daß die Bezeichnung der Gründe, welche die Unſicherheit der Ausdrücke erzeugten, dazu beitragen werden, ſie endlich ſelbſt mit all ihren Uebelſtänden zu erkennen. Während wir den Unterſchied und die ganze Lehre von den Gewalten den Franzoſen verdanken, gehört die im Grunde weit wich - tigere Unterſcheidung von Verfaſſung, Regierung und Verwaltung der deutſchen Wiſſenſchaft, welche ſie leider nicht gehörig entwickelt hat. So viel wir ſehen, hat ſie Schlözer zuerſt ſehr klar aufgeſtellt (Staatsgelahrtheit 1793, §. 3): „ aus den Zwecken des Staats ergeben ſich ſowohl die Geſchäfte des Staats (Staatsverwaltung), als die zu deren Betreibung nothwendigen Rechte und Pflichten der Regierenden und Gehorchenden (Staatsrecht) “(eigentlich das Verwaltungsrecht im weitern Sinn; ſiehe unten) „ ſammt der unter vielen möglichen Arten beliebten beſondern Einrichtung (Staatsverfaſſung), “eine Unterſcheidung, die er dann in ſeiner Theorie der Statiſtik (1804)19 weiter verfolgt. — „ Hiezu haben wir eine eigene Wiſſenſchaft, praktiſche Politik, Staatsverwaltungslehre oder Regierungswiſſenſchaft — Lehre von der Staatsverwaltung, geordnete Anzeige aller Geſchäfte, welche zu beſorgen die Regierung Pflicht, Macht und Recht hat, und auf die Natur dieſer Geſchäfte oder auf Erfahrung gegründete Angabe der Mittel, wie ſolche Geſchäfte am zweckmäßigſten beſorgt werden können. “ Auf dieſer Grundlage ward ſchon im Anfange des Jahrhunderts auch das organiſche Verhältniß zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung ſehr klar ausgeſprochen, zuerſt wohl von Gönner in ſeinem Unterſchiede vom Conſtitutionsrecht (Verfaſſung) und Regierungsrecht (Verwaltung), in welche Theile er ſein ganzes deutſches Staatsrecht theilt, während das wahre Princip ihres gegenſeitigen Verhaltens vielleicht zuerſt auf - geſtellt wird von dem trefflichen Malchus (Organismus der Behörden für die Staatsverwaltung, 1821, 2 Bände), der den ſo einfachen und klaren Satz aufſtellt, „ daß kein Staat ohne Verfaſſung ſeyn kann, die Ver - faſſung aber die Richtſchnur der Verwaltung, dieſe letztere die Ausführung der erſteren ſey “(ſ. unten). Damit war die eigentliche Grundlage der organiſchen Staatswiſſenſchaft gewonnen; allein noch fehlte die allerdings nothwendige Unter - ſcheidung zwiſchen Regierung und Verwaltung. Dieſe ſtellte zuerſt Zachariä in ſeinen 40 Büchern vom Staate auf (Thl. 3, S. 72) und zwar ganz weſent - lich ſo wie wir; und dieſe Unterſcheidung ward dann von Pölitz aufgenommen (Thl. I. S. 216): „ Der Begriff der vollziehenden Gewalt zerfällt in zwei Haupt - theile, in das Regieren und das Verwalten, in wiefern unter dem Re - gieren der Oberbefehl über die Vollziehung der beſtehenden Geſetze und die Oberaufſicht über alle Zweige der Verwaltung, unter der Verwaltung da - gegen die Vollziehung der Geſetze in den einzelnen Kreiſen und Verhältniſſen des inneren Staatslebens verſtanden wird. Bei dieſer Unterſcheidung zwiſchen Regieren und Verwalten bezieht ſich das erſte auf das geſammte Gebiet des Staats, das zweite auf die örtlichen Verhältniſſe. “ Allerdings ſieht man in der letzten Beſtimmung den Einfluß der franzöſiſchen Unterſcheidung zwiſchen Gouvernement und Adminiſtration, welche freilich, ſo viel uns bekannt, nirgends genauer unterſucht iſt; im Gegentheil hat man in neueſter Zeit das Gouverne - ment ſo ziemlich in dem höhern Begriff der Adminiſtration aufgehen laſſen, ſ. namentlich Block, Dict. de l’administration v. Administration und Gou - vernement, und Block, Dict. de Politique v. Gouvernement. Demnach war mit den obigen Begriffen eine ganz feſte Grundlage gewonnen. Allein nun entſtand die Schwierigkeit, dieſelben für das deutſche poſitive Staatsrecht zu gebrauchen. Hier nun erſcheint zuerſt die deutſche Unklarheit über Weſen des Unterſchieds zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung, die Mohl, Encyclopädie der Staatswiſſenſchaft S. 136 gut charakteriſirt, wenn ſie auch nicht gerade, wie er meint, durch den Einfluß nordamerikaniſcher Auffaſſung entſtanden iſt. Der eigentliche Grund war vielmehr der auch noch jetzt nicht behobene Mangel eines Begriffes von Geſetz und Verordnung (ſ. unten). Dann zeigen ſich mit einer faſt pedantiſchen Hartnäckigkeit die alten Begriffe der Hoheitsrechte, und er - ſcheinen den Staatsrechtslehrern, namentlich Gönner, als der Inhalt der „ Regierungsgewalt, “während von einer eigentlichen Verwaltung gar keine20 Rede war. Andererſeits verfiel die Hauptthätigkeit auf das Bundesrecht, das wunderlicher Weiſe als Haupttheil „ des deutſchen allgemeinen Staatsrechts “be - trachtet ward. Der Bund aber hatte weder zu verwalten noch zu regieren. Der Gründer des deutſchen Bundesrechts, Klüber, wußte daher mit beiden Begriffen gar nichts anzufangen, und warf Hoheitsrecht, Regierung, Verwaltung und die einzelnen Gebiete der letztern ſo gründlich durcheinander, daß es nicht möglich war, weder ſeine Meinung zu erkennen, noch ſich eine eigene zu bilden. Von da an ſehen wir daher die Verwirrung aller Begriffe und das gänzliche Verſchwinden der obigen klaren Unterſchiede entſchieden, um ſo mehr als in den Hauptſtaaten überhaupt keine Verfaſſung beſtand. Die Nachfolger, Maurenbrecher, Za - chariä (Göttingen), Leiſt, haben ſich von dieſer Verwirrung nicht frei zu machen gewußt, weil auch ihnen die erſte Baſis, Gegenſatz von Verfaſſung und Verwaltung, fehlte. Nur Zöpfl (Staatsrecht II. ) unterſcheidet ſehr gut Regierung und Verwaltung, aber ohne für die Darſtellung ſeines Staatsrechts irgend eine Conſequenz daraus zu ziehen, §. 344, wogegen wieder Held in ſeiner Verfaſſungslehre II. 450 kämpft. (S. übrigens über beide Begriffe unten.) Die Bearbeitungen der einzelnen Staatsrechte, zuerſt Mohl, Württemb. Staats - recht, dann Moy und Pötzl, Bayr. Staatsrecht, kamen allerdings wieder zu jenem Unterſchied, aber ſie verloren dabei den Begriff der Regierung, da dieſer nicht in objektiv geltende Beſtimmungen zu faſſen war. So ſind wir jetzt gezwungen, gleichſam von vorne anzufangen. Und allerdings kann es nicht genügen, dieß bloß mit Definitionen zu thun. Wir haben zu verſuchen, dieſe bisher abſtrakten Begriffe mit einem concreten und praktiſchen Inhalt zu er - füllen. Das kann aber nur durch das Recht und ſeine Darſtellung geſchehen.
In der bisherigen Darſtellung haben wir nun den Begriff des Staats in den Grundformen ſeiner organiſchen Geſtaltung dargelegt. Wenn wir jetzt vom Leben des Staats reden, ſo bezeichnet uns dieſer Ausdruck nicht länger jenes unbeſtimmte Etwas, das wir die Unter - werfung des gegenſtändlichen Daſeins unter die perſönliche Beſtimmung des Staats nennen. Das Leben des Staats iſt jetzt ein Proceß, den wir in ſeinen organiſchen Elementen verfolgen können. Der Staat, in der Mitte der wirklichen Dinge ſtehend, beſtimmt die Ordnung und das Ziel ſeines wirklichen Daſeins durch ſeinen Willen, indem er vermöge der Berathung zum Schluß kommt, und dieſer beſtimmte Wille, indem er ſich auf den wirklichen Inhalt des Staatslebens bezieht, oder das Geſetz des Staats, beſtimmt die Thätigkeit der Vollziehung, die wieder in der wirthſchaftlichen, der rechtlichen oder der innern Aufgabe als Verwaltung erſcheint. Das ſind die abſoluten Formen des Staatslebens. Kein Theil dieſes Lebens iſt für ſich denkbar; es gibt keine Geſetzgebung ohne Vollziehung, keine Vollziehung ohne Verwaltung, keine Verwaltung21 ohne Vollziehung und Geſetzgebung; es gibt kein Geſetz, das nicht zuletzt in den einzelnen Zweigen der Verwaltung erſchiene. Alle jene Begriffe ſind daher nur ſelbſtändige Momente in dem großartigſten aller Lebensproceſſe, die es gibt, im Staatsleben.
Demnach mangelt hier ein Begriff, und das iſt der des Rechts für das Verhältniß dieſer Momente unter einander.
Das nämlich iſt das höhere Weſen des Staats, daß er nicht bloß ſelbſt eine Perſönlichkeit iſt, ſondern daß auch ſeine Organe, indem ſie ſelbſtändig wirkſam ſein müſſen, und daher eines ſelbſtändigen und ſelbſtthätigen Willens bedürfen, den Charakter eines perſönlichen Da - ſeins empfangen. Neben dem innern geiſtigen Zuſammenhang mit dem Ganzen muß jeder ſelbſtändige Theil die Fähigkeit beſitzen, auch ſelb - ſtändig zu wirken, um durch ſich ſelbſt in ſeinem Kreiſe die Idee des Staats zu verwirklichen. Indem er das thut, fordert er für das Maß ſeiner Thätigkeit eine geltende Gränze. Die Beſtimmung dieſer Gränze enthält das organiſche Verhältniß, in welchem die letztere zu dem Leben des Ganzen ſteht. Es iſt wahr, daß dieſe Gränze an ſich in dem ſpeziellen Weſen des beſondern Organes liegt; allein ſie muß, da das letztere äußerlich thätig erſcheint, auch eine äußerlich feſtſtehende, objektiv gültige ſein. Dieſe Gränze der Thätigkeit jeder der oben erwähnten Organe, innerlich bedingt durch das Weſen ſeiner beſondern Funktion im Geſammtorganismus und äußerlich als objektiv von der Einheit des Staats anerkannt, iſt nun das öffentliche Recht des Staats.
Das öffentliche Recht des Staats, durch und für die Selbſtändig - keit jener organiſchen Funktionen des Staats geſetzt, enthält daher kein Syſtem für ſich, ſondern es ſchließt ſich einfach an das organiſche Sy - ſtem des Staates ſelbſt an, und ſeine Gebiete ſind dieſelben mit denen des Staatslebens. Dieß Syſtem des öffentlichen Rechts iſt daher ein - fach und leicht verſtändlich in ſeiner formellen Geſtalt.
Das erſte Gebiet iſt das Recht des Staatsoberhaupts, welches die im Weſen deſſelben liegenden Funktionen zur rechtlichen Bedingung jedes Aktes der Staatsperſönlichkeit macht.
Das zweite Gebiet iſt das Recht der Geſetzgebung, welches die Formen der Bildung des Staatswillens rechtlich zur Bedingung der An - erkennung deſſelben als Staatswille erhebt.
Das dritte Gebiet kann man nach den Obigen das Verwaltungsrecht im weiteſten Sinne nennen, das wieder als ſeinen allgemeinen Theil das Recht der Vollziehung oder wie man gewöhnlich ſagt, das Recht der voll - ziehenden Gewalt, und als ſeinen beſondern Theil das Recht der Finanz - verwaltung, der Rechtspflege und der innern Verwaltung enthält, die man zuſammengenommen als das Verwaltungsrecht im engeren Sinne bezeichnet.
22Dieſe Begriffe ſind nun wohl ſehr einfach und bedürfen keiner Er - klärung. Dennoch herrſcht hier eine große Unklarheit; und um dieſe zu erläutern, müſſen wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht ge - bildet hat.
Wie nun dieß öffentliche Recht an ſich nothwendig iſt, ſo gibt es für den Staat und ſein Leben auch verſchiedene Grundformen, in denen es ſich bildet. Es muß hier genügen ſie kurz zu bezeichnen.
Die erſte dieſer Grundformen entſteht durch die Erkenntniß des Weſens des Staats und ſeiner Elemente. Wie das Recht ſelbſt die Conſequenz des Wirkens und des Weſens dieſer Elemente iſt, ſo ent - ſteht aus der wiſſenſchaftlichen Entwicklung derſelben im Bild des öffent - lichen Rechts, in allen ſeinen Theilen, das ſeine Wahrheit nicht in der thatſächlichen Geltung deſſelben, und ſeinen Einfluß nicht in der un - mittelbaren Anwendung ſucht, ſondern vielmehr in der Wirkung, welche es auf Verſtändniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel - tung und Anwendung geben ſollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht an ſich erzeugt, nennen wir die Wiſſenſchaft oder Philoſophie des öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegenſtande das geſammte Ge - biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben - dige Weſen des Staats an ſich, ohne Berückſichtigung der Verhältniſſe des für ſie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens.
Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Baſis. Das Recht kann für das wirkliche Leben nicht der abſtrakten Begriffe der Wiſſenſchaft warten, und auch nicht dieſelben unbedingt annehmen.
Es bildet ſich daſſelbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige, zunächſt von ſelbſt. Es entſteht gleichſam durch Druck und Gegendruck der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für dieſelbe, die dann mit dieſen Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate ſo ver - ſchmilzt, daß ſie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen zu einem Geltenden wird. Das iſt der Proceß, den man als die hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente, welche dieſe hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſchen, ſind, wie alles Daſeiende, zweifacher Natur: ein perſönliches, und ein natür - liches. Das große Element des perſönlichen Lebens, das die hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſcht, iſt das, was wir die menſch - liche Geſellſchaft nennen. Aus ihm ergibt ſich der Satz, den wir als das entſcheidende Geſetz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an23 einem andern Orte entwickelt haben (Geſchichte der ſocialen Bewegung in Frankreich, Bd. 1, Einleitung), daß nämlich jede Geſellſchaftsordnung ihr eigenes öffentliches Recht erzeugt, und auch nur das ihr entſprechende öffentliche Recht erträgt. Dieſem großen Geſetz der innern Staaten - bildung werden wir im Folgenden auf jedem Punkte der geſchichtlichen Darſtellung im Ganzen wie im Einzelnen begegnen. Es iſt mächtig genug, das zweite Element, das natürliche Daſein des Staats, die Landes - und Volksgeſtaltung, zu beherrſchen; dennoch wirkt auch dieſes in ſeiner Weiſe, und ſo entſteht durch das Ineinandergreifen beider Faktoren das hiſtoriſch geltende öffentliche Recht jeder Zeit und jedes Staats; und das Verſtändniß dieſes Zuſammenwirkens erzeugt die Wiſſenſchaft der Geſchichte deſſelben, die nicht bloß zu erzählen, ſon - dern die Erſcheinungen auf ihren Grund zurückzuführen hat, indem ſie jeden beſtimmten Zuſtand des öffentlichen Rechts als die nothwendige, und in den Hauptfragen ſogar ſehr einfache Conſequenz des Wirkens jener beiden Faktoren zeigt. Dieſe Wiſſenſchaft iſt bis jetzt, mit Aus - nahme deſſen was Ariſtoteles in ſeiner Politik geſagt, noch in ihrem erſten Anfange. Sie iſt beſtimmt, die ganze Geſchichte umzugeſtalten. Die dritte Grundform des öffentlichen Rechts entſteht dagegen, indem daſſelbe, als das weſentlichſte Element des Geſammtlebens der Menſchheit, nicht mehr bloß der Wirkſamkeit und bildenden Gewalt jener beiden Ele - mente überlaſſen, ſondern ſelbſt zum Gegenſtande der Selbſtbeſtimmung der ſtaatlichen Perſönlichkeit, das iſt der Geſetzgebung, gemacht wird.
Hier nun beginnt ein weſentlich verſchiedenes Gebiet von Erſchei - nungen und Ausdrücken, deren genaue Bezeichnung als eine unerläß - liche Bedingung für das richtige formelle Verſtändniß aller bisherigen, wie der folgenden Begriffe angeſehen werden muß.
Es kann nämlich zuerſt die Willensbeſtimmung des Staats oder das Geſetz — noch ganz gleichgültig gegen die beſondere Bedeutung dieſes Wortes — eben jenes organiſche Verhältniß der Hauptelemente des Staats ſelbſt, alſo des Staatsoberhaupts, der geſetzgebenden und der vollziehenden Gewalt, zum Gegenſtande des Staatswillens machen, und damit die im Geſetze ausdrücklich enthaltene und vorgeſchriebene Ordnung zum Elemente unter einander, zum allein geltenden öffentlichen Rechte erheben. Ein ſolches, den Organismus des Staatslebens in ſeinen Grundlagen rechtlich feſtſtellendes Geſetz nennen wir die Ver - faſſung. Dieſe Verfaſſung wird ihrerſeits ſtets theils auf den Ele - menten beruhen, welche die Wiſſenſchaft bietet, theils auf den Rechts - bildungen des hiſtoriſchen Rechts. Immer aber fordert die Verfaſſung, daß ſie, ſo weit ſie mit ihren Beſtimmungen reicht, als ausſchließliche Quelle des öffentlichen Rechts erkannt werde und gültig ſei.
24Während auf dieſe Weiſe der Ausdruck „ Verfaſſung “im Allge - meinen alle Gebiete des öffentlichen Rechts umfaßt, liegt es dennoch im Weſen der Sache, daß er ſich hauptſächlich auf das öffentliche Recht der Bildung des Staatswillens oder der geſetzgebenden Gewalt beziehe. In dieſem Sinne nennen wir die geſetzlich beſtimmte Ordnung für die Bildung des Staatswillens die Verfaſſung im eigentlichen Sinn. Sie umfaßt alsdann weſentlich zwei Gebiete: erſtens die Be - ſtimmung des organiſchen Proceſſes, durch welchen ſich aus der Ge - ſammtheit der Staatsbürger der Staatswille bildet, namentlich die Ordnung der Volksvertretung; zweitens das Verhalten des Willens oder der Thätigkeit dieſer Volksvertretung zum Staatsoberhaupt.
Dieſe beiden Theile muß jede Verfaſſung beſtimmen. Ein weiteres braucht ſie nicht zu enthalten. In der That liegt es ſchon im Begriffe des Staatswillens, daß das dritte Gebiet des Staatslebens, die Ver - waltung im weiteſten Sinne, den Inhalt des Staatswillens zur Ver - wirklichung bringen muß. Dazu bedarf es keines eigenen Geſetzes und keiner beſondern Beſtimmung der Verfaſſung. Es iſt ſelbſtverſtändlich, und ſein Recht iſt mit ſeiner Natur gegeben. Dieß organiſche Verhält - niß beider Potenzen bezeichnen wir nun als die Identität der Voll - ziehung mit der Geſetzgebung, als das Princip der verfaſſungs - mäßigen Verwaltung.
Allein die ſpeziellen Verhältniſſe der Verwaltung ſind natürlich dadurch nicht nur nicht von der Beſtimmung des Staatswillens ausge - ſchloſſen, ſondern vielmehr demſelben im Allgemeinen, und ſpeziell in dem Verfaſſungsgeſetze unterworfen. Das letztere kann daher mehr ent - halten als die beiden obigen Punkte, und zwar ſind hier die Verfaſſungen ſehr verſchieden. Sie entſcheiden theils über beſtimmte Gebiete des Rechts der vollziehenden Gewalt, theils auch über beſtimmte Ge - biete aus den drei Theilen des Verwaltungsrechts im engern Sinne, alſo aus dem Finanzrecht, der Rechtspflege, der innern Verwaltung. Inſofern dieß der Fall iſt — was weder nothwendig, noch wo es iſt, immer gleich ausgedehnt iſt — iſt das Vollziehungs - und Verwal - tungsrecht ein Theil der Verfaſſung, oder wie wir ſagen, ein verfaſ - ſungsmäßig beſtimmtes Verwaltungsrecht. Die einzelnen Verfaſſungen ſind hier ſehr abweichend in Form und Umfang ihrer Be - ſtimmungen.
Wo nun aber dieß nicht der Fall, und dennoch die Geſetzgebung des Staats ſelbſtändig thätig iſt, da kann ſie, ſowohl wenn gar kein verfaſſungsmäßiges Verwaltungsrecht in dem obigen Sinne exiſtirt, als auch wenn es zwar als Theil der Verfaſſung aber nicht ausgebildet, oder gar nur unbeſtimmt angedeutet iſt, wiederum die einzelnen25 Thätigkeiten und Aufgaben der Verwaltung im engern Sinne in allen ihren drei Gebieten zum Gegenſtand der Geſetzgebung machen. Wo das geſchieht, da iſt eigentlich formell genommen kein verfaſſungsmäßiges — einen Theil der Verfaſſungsurkunde bildendes — Verwaltungsrecht vorhanden, ſondern vielmehr nur Verwaltungsgeſetze; und das auf dieſe Weiſe durch einzelne Geſetze gebildete Verwaltungsrecht können wir im Unterſchiede vom obigen das geſetzliche Verwaltungsrecht nennen.
Ferner aber wird weder das verfaſſungsmäßige noch auch das ge - ſetzliche Verwaltungsrecht immer alle Thätigkeiten der Verwaltung im weitern Sinne, geſchweige denn die Thätigkeiten derſelben im engern Sinne beſtimmen. Theils ſind die letzteren zu vielfältig, theils ſind ſie zu ſehr wechſelnder, und endlich örtlich bedingter Natur. Dem - nach bedürfen dieſe Thätigkeiten der Verwaltung im weitern Sinne, alſo ſowohl die der Vollziehung als die der einzelnen Gebiete, eines Willens, der ſie ordnet. Da nun für ſie kein Geſetz im engern Sinne, als von dem geſammten organiſchen Staatswillen beſtimmt, vorhanden iſt, ſo muß ſich die vollziehende Gewalt im Namen des Staats ihren Willen für den einzelnen Fall ſelber beſtimmen. Ein ſolcher Willens - akt der letzteren heißt die Verordnung. Die Verordnungen der voll - ziehenden Gewalt erzeugen daher gleichfalls ein Recht für die einzelnen Gebiete der Verwaltung im engern Sinne, alſo für die Finanzen, des Rechts und des Innern. Und das aus ſolchen Verordnungen entſtehende und die Thätigkeit der geſammten Verwaltung überhaupt erſt ausfüllende Recht der letzteren nennen wir mit einem Worte das verordnungs - mäßige Verwaltungsrecht.
Auch dieſe Begriffe dürfen wohl ſehr einfache genannt werden. Dennoch reichen auch ſie nicht aus. Denn in manchem Falle iſt für ein Verhältniß der Vollziehung oder Verwaltung weder ein verfaſſungs - mäßiges, noch ein geſetzmäßiges, noch ſelbſt ein verordnungsmäßiges Verwaltungsrecht im weitern Sinne vorhanden. Hier tritt daher zu - erſt die hiſtoriſche Rechtsbildung ein, und erzeugt ein gegebenes Recht, und wo ein ſolches nicht vorhanden, muß endlich die Wiſſenſchaft der Verwaltung das mangelnde geltende Recht durch die von ihr zu ent - wickelnde Natur der Sache erſetzen. Dieſe Wiſſenſchaft des Rechts, für das geltende Recht ſtets die letzte Quelle, bildet nun allerdings für das Werden dieſes geltenden Rechts oder für die Geſetzgebung die erſte Quelle; denn das wahre Recht aller Lebensverhältniſſe, und ſo auch das des Staatslebens, iſt zuletzt immer die wahre Natur derſelben, deren Erkenntniß das Weſen und den Inhalt der Staatswiſſenſchaft bildet. — Und dieß iſt ſomit das Syſtem der rechtsbildenden Kräfte für das geltende Recht der Vollziehung und Verwaltung.
26Es wird nun daraus einleuchten, weßhalb der Ausdruck „ Verwal - tungsrecht “ein ſo äußerſt vieldeutiger und unklarer iſt. Einerſeits ver - wechſelt man ihn mit dem Verfaſſungsrecht, oder ſchiebt ganze Theile des Verwaltungsrechts in das Verfaſſungsrecht hinein, weil ſie von verfaſſungsmäßig zu Stande gebrachten Geſetzen geordnet ſind, wie z. B. das Gemeinde - und Vereinsrecht, das Zwangsrecht u. A., oder gar unmittelbar in die Verfaſſungsurkunde aufgenommen ſind, wie zum Theil das Recht der Verantwortlichkeit. Andererſeits verwechſelt man Verwaltung und Vollziehung, indem man unter Verwaltungsrecht nur das Vollziehungsrecht verſteht. — Dann verſteht man wieder unter Verwaltungsrecht eben gar nicht mehr das Recht, ſondern die Ordnung der Anſtalten der Verwaltung, die aus ihrem Zwecke hervorgeht, und daher der Verwaltungslehre gehört. — Endlich begreift man unter Verwaltungsrecht nur das innere Verwaltungsrecht, indem man nicht bloß die ganze Vollziehung in die Verfaſſung ſtellt, ſondern das Finanz - recht und das Recht der Rechtsverwaltung als ganz ſelbſtändig betrachtet. In dieſer Verwirrung ſowohl der Begriffe als der Terminologie iſt keine andere Hülfe möglich, als daß man ſich über den Sinn der einzelnen Ausdrücke einmal für allemal verſtändige. Hat man das gethan, dann iſt es wieder nicht von Bedeutung, ob man z. B. einen Theil des Voll - ziehungsrechts in der Verfaſſung abhandelt, oder die innere Verwal - tung hier oder dahin ſtellt. Wir müſſen aber ſtrenge darauf beſtehen, daß man in der Sache ſelbſt die obigen Unterſcheidungen feſthalte. Soll es jemals eine Wiſſenſchaft der Verwaltung und demgemäß des Verwaltungsrechts geben, ſo muß der Organismus der obigen Funktio - nen und des ihnen entſprechenden Rechts zum Grunde gelegt werden. Und in der That iſt das ſehr leicht bei etwas gutem Willen; denn alle obigen Begriffe und Unterſcheidungen ſind bereits vorhanden, und nur ihr gegenſeitiges Verhältniß iſt dasjenige, warum es ſich handeln kann.
Faßt man nun die ganze bisherige Darſtellung zuſammen, ſo ſcheint es, als laſſe ſich nunmehr das Gebiet der Aufgaben, welche eine Lehre vom Verwaltungsrecht im weitern Sinne hat, ziemlich leicht und durchgreifend beſtimmen.
Das Verwaltungsrecht im weitern Sinne umfaßt das geſammte öffentliche Recht der Thätigkeit des Staats, und beginnt ſo - mit auf dem Punkte, wo der Wille des Staats zur That werden ſoll, oder wo das Weſen oder der gegebene Zuſtand des Staats Wille und That gleichzeitig erfordert, ohne daß ein eigentliches Geſetz vorhanden iſt.
27Dieß Verwaltungsrecht im weitern Sinne hat an und für ſich, das heißt noch ohne in ſeine einzelnen Elemente aufgelöst zu ſein, nur einen principiellen Inhalt, für den es ſogar ganz gleichgültig iſt, ob er zur geſetzlichen Gültigkeit erhoben oder in der Verfaſſung ausgeſpro - chen iſt oder nicht. Die Verwaltung ſoll mit Weſen und Willen des Staats in Harmonie ſtehen, und zwar ſoll ſie das ſowohl mit ihrem Willen — der Verordnung — als mit ihrer wirklichen Thätigkeit. Dieſes Princip umfaßt alle einzelnen folgenden Gebiete; daſſelbe gilt unbedingt für ſie, ob es ausgeſprochen iſt oder nicht; es iſt die Seele der That des Staats in all ihren Formen. Die Verwaltung im wei - teſten Sinn zerfällt in die Vollziehung und in die eigentliche Verwaltung. Jedes dieſer Gebiete hat dann wieder nicht bloß ſein Recht, ſondern dieſe Rechte empfangen ihrerſeits alle oben bezeichneten Kategorien.
Es gibt daher zuerſt ein Recht der Vollziehung oder der vollziehen - den Gewalt; und dieß Recht wird wieder ein verfaſſungsmäßiges, ein geſetzliches, ein verordnungsmäßiges, ein hiſtoriſches, und endlich ein wiſſenſchaftliches ſein. Es iſt daſſelbe ein Leben für ſich, und die Auf - gabe des folgenden Werkes iſt es, daſſelbe nach all dieſen Seiten hin zu entwickeln. Es iſt das Recht der Vollziehung, inſoweit ſie nur noch Wille und Organ iſt, noch nicht das Recht der einzelnen concreten Thätigkeit.
Es gibt dann ein Recht der Verwaltung im eigentlichen Sinn, in - ſofern dieſelbe jene drei Gebiete umfaßt. Da dieſelbe aber nur in dieſen drei Gebieten beſteht, ſo hat jenes Recht der Verwaltung im engern Sinn, inſofern man von einer ſolchen neben den drei Theilen reden will, die ihren Inhalt bilden, ebenſo wenig einen poſitiven In - halt, als das Recht der Verwaltung im weitern Sinne. Es beſteht daſſelbe alsdann nur in dem für alle drei Gebiete gemeinſchaftlichen Princip, daß das Recht der letzteren ſo weit gehen muß, als die Be - dingungen für die Funktionen der Verwaltung es im Einzelnen fordern, und durch welche ſie ſelbſt erſt möglich werden. Dieſes Princip ſteht jedoch unter dem höheren der verfaſſungsmäßigen Verwaltung, d. h. das Recht aller eigentlichen Verwaltung hört da auf, wo ein beſtimm - tes Geſetz ihm eine Gränze zeichnet, ſelbſt dann, wenn ſie dadurch un - möglich werden ſollte. Dieß allgemeine Princip wird nun zur Grund - lage für die drei Gebiete des eigentlichen Verwaltungsrechts.
Es gibt nämlich darnach ein Finanzrecht, ein Recht der Gerichte, und ein inneres Verwaltungsrecht; und zwar iſt jedes dieſer Rechte wieder entweder unmittelbar in der Verfaſſung, oder durch eigene Ge - ſetze, oder durch Verordnungen beſtimmt, oder ein hiſtoriſches, oder ein theoretiſches; faſt immer haben alle dieſe Rechtsquellen Theil an jedem28 Theil dieſer Gebiete des eigentlichen Verwaltungsrechts. Jedes dieſer Rechtsgebiete bildet daher eine Wiſſenſchaft für ſich. Allein da dieſe Rechtsbeſtimmungen wenigſtens zum Theil in vielen Verfaſſungen vor - kommen, ſo geſchieht es auch, daß man ſie in der Verfaſſungslehre dar - ſtellt. In dieſem Falle kann man von einer legalen Darſtellung des Verwaltungsrechts im weitern wie im engern Sinne reden. Stellt man ſie dagegen auf Grundlage ihrer inneren Natur als ſelbſtändige Er - ſcheinungen dar, ſo kann man von einer ſyſtematiſchen Darſtellung ſprechen. Jede hat ihre Eigenthümlichkeit und ihren Werth; nur wird die legale ohne die ſyſtematiſche nie ein Bild des organiſchen Ganzen, die ſyſtematiſche ohne die legale nie eine vollſtändige Erkenntniß des Einzelnen geben. Das wahre Verhältniß iſt, daß ſtets beide, aber niemals die eine ohne ein lebendiges Bewußtſein vom Weſen und Werth des andern bearbeitet werden. —
Die Aufgabe des Folgenden beſteht nun darin, den erſten und allgemeinen Theil der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts, die Vollziehung und das Recht der vollziehenden Gewalt in ſyſtemati - ſcher Methode darzuſtellen.
Es wird nun wohl ſchon durch das Obige klar ſein, weßhalb es uns an einem irgendwie ausreichenden Begriff des Verwaltungsrechts mangelt. Die erſte Vorausſetzung deſſelben wäre offenbar eine Beſtimmung des Begriffes der Verwaltung, und dieſe fehlt entweder gänzlich, wie bei den Lehren des[allge - meinen] Staatsrechts, oder hat nur eine örtliche Bearbeitung, wie bei den Darſtellungen der einzelnen Staatsrechte. Doch ließen ſich am Ende ziemlich ausreichende Definitionen des Verwaltungsrechts aufſtellen, ſo lange man nicht ein näheres Eingehen fordert. Die beſte iſt unzweifelhaft die von Pötzl, Baye - riſches Verwaltungsrecht, §. 1; in ganz ähnlicher Weiſe faſſen die Franzoſen den Begriff des droit administratif auf, am einfachſten und zutreffendſten bei Block, Dict. de l’Acad., „ le droit administratif est cette partie du droit qui règle les rapports des citoyens avec les services publics et des ser - vices publics entre eux. “ Allein bei beiden Begriffen liegt der Gedanke zum Grunde, daß es ſich nicht um die Verwaltung im weitern Sinn, auch nicht um die im engern Sinn, ſondern nur um die innere Verwaltung handelt. Vollziehung, Finanzen und Rechtspflege fallen daher nicht hinein. Die ältere, in dem Gefühle, daß die Verwaltung die geſammte Thätigkeit des Staats um - faßt, beſtimmen den Begriff derſelben als Regierungsrecht; ſpäter iſt (ſ. unten) an die Stelle der vagen Vorſtellung von der Regierung eine eben ſo vage von der „ Staatsgewalt “getreten, bei welcher dann wieder die einzelnen Gebiete der Verwaltung gänzlich verſchwinden. Dagegen hat Mohl in ſeinem Württemb. Privatrecht das entſchiedene Verdienſt, in dieſen allgemeinen Begriff der Ver -29 waltung alle Miniſterien, alſo das ganze Gebiet der praktiſchen Staatsthätigkeit hinein genommen zu haben; er hat damit der Verwaltung im engeren Sinn ihren wahren Inhalt gegeben. Dafür hat er dann wieder die ganze Vollziehung hinausgedrängt und in die Verfaſſung geſetzt, während er den Organismus richtig in die Verwaltung und das Verwaltungsrecht aufnimmt. In ſeiner Encyclopädie iſt dann der Begriff des Verwaltungsrechts wieder in dem der Verwaltungs - thätigkeit untergegangen (§. 33). Bei den conſtitutionellen Staatsrechtslehrern, Ancillon und Aretin, verſchwindet das Verwaltungsrecht, weil das damalige Princip des Conſtitutionalismus darauf hinauslief, der vollziehenden Thätigkeit jede Selbſtändigkeit gegenüber der Geſetzgebung zu beſtreiten. Bei Pölitz bleibt die Verwaltung, aber es gibt kein Verwaltungsrecht. Bei Zachariä iſt eine vollſtändige Lücke; Zöpfl, befangen in der Meinung, daß das Detail die Haupt - ſache ſei, zählt das Regierungsrecht zur Verfaſſung, und beſtimmt das Verwal - tungsrecht als „ den Inbegriff der Rechtsnormen, welche ſich auf die Ausübung der Staatsgewalt, reſpektive der einzelnen Hoheitsrechte beziehen “— ohne irgendwie die Sache weiter zu unterſuchen. Gerſtner vergißt geradezu den Begriff des Rechts der Verwaltung über den Inhalt und die Aufgabe derſelben, gerade wie die ſogenannten Polizeiwiſſenſchaften von Mohl und Beer; die ältern, wie Berg, verwechſeln wieder Polizeirecht und Verwaltungsrecht. Man darf das nicht ſo hoch anſchlagen, denn auch die beiden Arbeiten, welche ſpeziell mit dem „ Verwaltungsrechte “zu thun haben, Hoffmann (über den Begriff des Verwaltungsrechts, Tüb. Zeitſchr. I, 90 ff. ) und Mayer (Grundſätze des Verwaltungsrechts, 1862) kommen zu keinem Reſultate. Hoffmann läßt uns ſogleich jede Hoffnung auf ein Verwaltungsrecht aufgeben; ihm iſt daſſelbe ge - radezu nur die Verwaltungslehre, das iſt, „ diejenigen Normen und Einrich - tungen des Staats, welche ſich auf die Realiſirung der in der Verfaſſung und der übrigen Entwicklung des Staats begründeten Zwecke im Einzelnen beziehen “— im engern Sinn iſt ihm das Verwaltungsrecht die Finanzlehre und die innere Verwaltung (Polizei), wie er ſagt, S. 191. Zum Begriffe des Rechts, der doch Lebensverhältniſſe ſelbſtändiger Perſönlichkeiten vorausſetzt, kommt er gar nicht. Er iſt der Ausdruck der unklaren Vorſtellung, welche Verwaltung und Recht als ziemlich gleichbedeutend anſehen. Mayer hat einen ganz rich - tigen Ausgangspunkt, indem er Geſetzgebung, Regierung und Verwaltung mit Zöpfl ſcheidet (§. 1); zuerſt glauben wir in der ganzen Literatur die Schei - dung von Verwaltung und Recht als nothwendig erkennt, dann aber das ganze Verwaltungsrecht auf „ die zwiſchen der Staatsgewalt und den Einzelnen als ihren Untergebenen in Bezug auf die verſchiedenen Staatszwecke “ſich bildenden rechtlichen Verhältniſſe beſchränkt, womit dann die großen Fragen nach den rechtlichen Principien des Verhaltens zwiſchen Verfaſſung und Ver - waltung gänzlich beſeitigt ſind, und ein durchaus ſyſtem - und einheitsloſes Zuſammenſtellen einzelner Sätze entſteht. Lüders hat dann eine Broſchüre geſchrieben: „ das Gewohnheitsrecht in der Verwaltung, “ein ſchöner Titel, ohne entſprechenden Inhalt. — Es ſcheint nutzlos, noch mehr ſubjektive Auffaſſungen aufzuführen. Es fehlt dem Verwaltungsrecht der Begriff der Verwaltungs - lehre im Allgemeinen, und in demſelben die entſcheidende Trennung zwiſchen30 Vollziehung und eigentlicher Verwaltung; es fehlt ihm zweitens der Begriff des Rechts, der nur durch den Unterſchied von Geſetz und Verordnung ent - ſtehen kann, und der höchſt unentwickelt iſt; es fehlt endlich drittens ein klares Bild der Gebiete der Verwaltung, welche erſt die Grundlage des Syſtems des Verwaltungsrechts bildet, namentlich die durchgeführte Beſtimmung des ſpecifiſchen Begriffes der innern Verwaltung. Oder, nachdem die deutſche Wiſſenſchaft den Begriff des Staatswillens in ihrer Verfaſſungslehre vor - trefflich und als Muſter für andre Nationen ausgearbeitet, hat ſie bisher für den Begriff der That des Staats nichts, wie die Philoſophie, oder nur Beiläufiges, wie das allgemeine Staatsrecht, oder Unzuſammenhängendes, wie die einzelnen Unterſuchungen über Verantwortlichkeit, Finanzen, Proceßrecht, Polizei und Inneres u. ſ. w. gethan. Hier, in der Darlegung des organiſchen Ganzen, liegt die Zukunft der Staatswiſſenſchaft. — Zum Schluß möge hier die Auf - faſſung Laferrière’s in ſeinem Droit administratif, Livre prélim. p. 378 (5. edit.) Platz finden, die im Weſentlichen auf ganz gleicher Grundlage mit der den Franzoſen eigenen einfachen, um die tiefere Begründung unbekümmerten Weiſe den Begriff des Vollziehungs - und Verwaltungsrechts ſcheidet. Er ſagt: Le droit administratif a deux objets. L’un concerne le droit et le mécanisme des services publics (vollziehende Gewalt), une organisation in - térieure et détaillée; l’autre concerne les rapports de l’administration avec les citoyens pour l’exécution des lois et des décrets. Le premier objet forme la partie organique règlementaire et technique de l’administration, la deuxième constitue à proprement parler le droit administratif (die Ver - waltung im engern Sinn und das eigentliche Verwaltungsrecht).
Die Lehre von der vollziehenden Gewalt iſt nur dann ihrem ganzen Inhalte nach darzuſtellen, wenn man dieſelbe nunmehr von dem höhern von uns aufgeſtellten Standpunkte betrachtet.
Das was wir die vollziehende Gewalt nennen, erſcheint jetzt näm - lich nicht etwa bloß als diejenige Thätigkeit, welche nur die Funktion hat, den Willen des Staats äußerlich zu verwirklichen; ſie iſt im Gegentheil die That des Staats in höchſter und weiteſter Bedeutung. Sie ſoll daher das Weſen des Staats zur Verwirklichung bringen, und zwar innerhalb der Welt der äußern Thatſachen. Sie iſt daher nicht nur kein iſolirtes, und noch weniger ein untergeordnetes Glied. Sie umfaßt nicht bloß äußerlich das Staatsleben auf allen Punkten mit ihren materiellen Wirkungen, ſie iſt nicht bloß allgegenwärtig in dem - ſelben, allgegenwärtiger ſogar als der beſtimmte Wille des Staats, das Geſetz; ſie reicht nicht bloß vom Staatsoberhaupt bis zum unterſten Staatsdiener wie eine große organiſche und doch einheitliche Macht, ſondern ſie iſt zuletzt das Organ der geſammten poſitiven Verwirklichung der Staatsidee. Sie kann darum ihrer wahren Aufgabe nicht durch einen mechaniſchen Dienſt gegenüber dem Geſetze genügen; ſie muß viel - mehr von dem Weſen, von den Forderungen, von den Zielen der Staats - idee innerlich durchdrungen ſein, immer eben ſo ſehr, oft noch lebendi - ger als die Geſetzgebung, weil ſie die Staatsidee mitten unter den Verſchiedenheiten örtlicher und zeitlicher Zuſtände feſthalten ſoll; ja ſie muß beſtändig das Geſetz erſetzen, über daſſelbe hinausgehen, es im Grunde noch breiter auffaſſen als die Geſetzgebung ſelbſt, denn wo das Geſetz mangelt, da iſt ſie ſelbſt die höchſte Gewalt. Es iſt daher nichts unverſtändiger, als von einer Unterordnung der Vollziehung unter das Geſetz zu reden, denn das Geſetz iſt ja ſelbſt nur ein formeller Ausdruck dieſer Staatsidee in einem einzelnen Gebiete, eine Seele, welcher erſt32 die Vollziehung mit ihrem Verſtändniß der wirklichen Dinge und ihrer Poſtulate den Körper gibt. Die halbe Mißachtung und das Mißtrauen gegen die Vollziehung ſind daher nur hiſtoriſch zu erklären; in Wahr - heit iſt die Funktion derſelben eine jedenfalls nicht leichtere, und eben ſo ernſte, als die der Geſetzgebung. Wer das Staatsleben begreifen will, ſollte ſich als erſte Aufgabe dieſe Anſchauung des hohen Berufes der Vollziehung in dieſem Sinne eigen machen. Nur dieß Verſtändniß kann aller Thätigkeit, welche dazu gehört, die geiſtige Spannkraft und Trag - weite geben, deren ſie gerade in unſerer Zeit bedarf, wo der hiſtoriſche Standpunkt, auf welchem wir ſtehen, es mit ſich gebracht hat, daß man ſtets geneigt iſt, alles Gute was geſchieht, der Geſetzgebung, und alles Ueble der Vollziehung zuzuſchreiben.
Die folgende Darſtellung wird zeigen, daß dieſe allgemeinen Sätze auch im Einzelnen ihre volle Berechtigung finden.
Die ganze Lehre von der Vollziehung muß nämlich in zwei Theile zerfallen, die im Weſen der That liegen. Jede That erſcheint nämlich zuerſt als Kraft, und dann als Mittel der Ausführung. Beide, Kraft und Mittel, ſind aber in der Perſönlichkeit des Staats nicht wie bei dem einzelnen Menſchen ununterſcheidbar verſchmolzen; das höhere Weſen der Perſönlichkeit des Staats zeigt ſich auch hier darin, daß beide Momente der That nicht bloß abſtrakt in der Theorie geſchieden werden, ſondern in der Wirklichkeit geſchieden ſind. Und jedes dieſer Momente zeigt ſich bei näherer Betrachtung wieder als ein Syſtem von Begriffen, deren Darlegung einen reichen Inhalt bietet, und die wiederum für das ganze Gebiet der eigentlichen Verwaltung gültig ſind. Die Darſtellung dieſer, als ſelbſtändig gedachten Kraft des Staats, oder der vollziehenden Gewalt, in allen ihren einzelnen Momenten nennen wir kurz das Recht der vollziehenden Gewalt, weil ſich dieſe Selbſtändigkeit ſowohl des Ganzen als der einzelnen Momente, die es bilden, erſt am Rechte beſtimmt und äußerlich ſcheidet, und das Verſtändniß des Rechts zum Verſtändniß der Natur derſelben führen muß. Das Mittel aber, deſſen ſich dieſe Kraft bedient und in welchem ſie lebt, iſt das Organ der Vollziehung. An ſich bedarf die Voll - ziehung des Staats wie jede Kraft eines Organes, und es iſt nicht ſchwer, es von der Kraft äußerlich zu trennen. Allein in dem groß - artigen perſönlichen Leben des Staats tritt dieſe vollziehende Gewalt nicht als ein einzelnes Organ, ſondern vielmehr als ein Syſtem von Organen, darin jedes wieder in Geſtalt und Umfang bedingt iſt durch das Objekt, welche die Vollziehung ihm übergeben hat, um den Staats - willen in ihm zu vollziehen. Die Bildung dieſes Organismus der voll - ziehenden Gewalt hat wieder ihre beſondere Geſetze; immer aber iſt der33 Organismus der Träger des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren einzelnen Gebieten. Der Organismus derſelben iſt daher ein ſelbſtän - diges Gebiet, und bildet neben dem Rechte der vollziehenden Gewalt den zweiten Theil der allgemeinen Verwaltungslehre.
Man kann nun als dritten Theil der letztern die Darſtellung des poſitiven Rechts und des poſitiven Verwaltungsorganismus hinſtellen. Es wird aber zweckmäßig ſein, dieſen Theil mit den beiden andern ſo zu verſchmelzen, daß ſie zugleich eine vergleichende Darſtellung des Gel - tenden bilden. Darnach nun iſt in dem Folgenden zu Werke gegangen.
Auf dieſe Weiſe werden wir nun, indem wir die Lehre von der Vollziehung in das Recht der vollziehenden Gewalt und in den Orga - nismus derſelben theilen, dieſe ganze Lehre als ein künftig ſelbſtän - diges Gebiet der Wiſſenſchaft, und als die allgemeine Grundlage der Lehre von der Verwaltung im eigentlichen Sinne und ihrer drei Ge - biete betrachten dürfen. Dieß im Einzelnen auszuführen iſt der Zweck des Folgenden.
Begriff und hiſtoriſche Geſtaltung der vollziehenden Gewalt. Begriff und Bedeutung der vollziehenden Gewalt ſind für das ganze Staats - leben aller Völker ſo wichtig, daß wir gezwungen ſind, denſelben eine eigene Betrachtung zu widmen, obwohl dieſelbe eigentlich in die Verfaſſung gehört.
Um aus der großen Verwirrung hinauszukommen, die in dieſer Beziehung herrſcht, muß man über gewiſſe Punkte erſt einig ſein. Erſtlich, daß es ſich bei der vollziehenden Gewalt im Sinne des verfaſſungsmäßigen Staatsrechts und ſeiner Geſchichte nicht um die trias politica des Ariſtoteles, ſondern um etwas ganz anderes handelt, wie es ſich gleich zeigen wird. Zweitens, daß es nicht möglich iſt, zu einem klaren Begriffe zu gelangen, ſo lange man die Vollziehung mit der ganzen Verwaltung verſchmilzt, wie das ſo oft geſchieht, oder gar ſo lange man ſie nur als die Zwangsgewalt betrachtet. Drittens endlich, daß die deutſche Literatur durch das Aufnehmen des Begriffs und des Inhalts der einzelnen Hoheitsrechte und der Verſchmelzung mit den im abſtrakten Weſen des Staats liegenden Gewalten nur Verwirrung erzeugte. Dazu kommt, daß auch hier die deutſche Staatsrechtslehre in dem von ihr nicht einmal klar erkannten Widerſpruch lebt, ein deutſches Staatsrecht zu bilden, welches eben nicht exiſtirt. Dieſen verſchiedenen Standpunkten gegenüber muß in der hiſto - riſchen Entwicklung die einzig wahre Baſis für dieß ganze Gebiet gefunden werden.
Es iſt bekannt, und das Folgende wird es im Genaueren zeigen, daß die Unfreiheit der Zuſtände im achtzehnten Jahrhundert darin lag, daß die könig - liche Gewalt zugleich die Geſetzgebung und die Vollziehung enthielt, und daher jeder Akt der letzteren als ein geſetzlich gültiger erſchien. Die unabweisbare Vorausſetzung aller Freiheit ward dadurch die Selbſtändigkeit der geſetzgebenden Gewalt. Dieſe aber konnte nur dadurch erreicht werden, daß man ſie erſtlich von der verwaltenden und vollziehenden trennte, und zweitens den GrundſatzStein, die Verwaltungslehre. I. 334ausſprach, daß die letztere, in dieſer Trennung, nun auch der erſteren unter - geordnet ſein müſſe, wie die äußere Thätigkeit dem Willen der Perſönlichkeit. So entſtand nicht ſo ſehr ein neues Syſtem als vielmehr ein neues Princip für die Staatsgewalten, das Princip der Herrſchaft der Geſetzgebung über die Verwaltung, und dieß Princip erſchien als die Baſis der Frei - heit der Völker. So wie daher die Idee der Umgeſtaltung des öffentlichen Rechts praktiſch lebendig war, ward dieſe Unterwerfung der vollziehenden Gewalt unter die geſetzgebende eine ihrer erſten Grundlagen, und die Formel, unter der dieß Princip zur Geltung kam, war die „ Theilung der Gewalten, “welche in der äußeren Scheidung die innere Unterordnung zum Inhalt hatte. Allein andererſeits ließ es ſich nicht verkennen, daß eine ſolche reine Unterwerfung des einen Elements unter das andere mit dem organiſchen Weſen des Staats, und auch mit den praktiſchen Bedürfniſſen deſſelben in offenem Widerſpruch ſtehe. Man mußte dieſe Unterwerfung und mit ihr die „ Theilung der Gewalten “im Begriff der Staatsgewalt wieder aufheben, die letztere als eine perſönliche Ein - heit wieder herſtellen, und das Staatsoberhaupt als perſönlichen Träger dieſer Einheit anerkennen. Das hob die Vollziehung nicht etwa auf, ſondern machte ſie nur zu einer beſtimmten, organiſchen Funktion des Staatsoberhaupts. Der Begriff der vollziehenden Gewalt verſchwindet daher nicht, aber dieſelbe erſcheint als das, was ſie wirklich iſt, als ein Moment in einer höhern Gewalt; und das richtige Verſtändniß dieſes Verhältniſſes läßt daher auch für daſſelbe einen neuen Namen entſtehen; ſtatt der vollziehenden Gewalt tritt jetzt die Staats - gewalt auf. Damit war der Widerſpruch der Theilung der Gewalten beſeitigt; aber die Vollziehung war dafür als ſelbſtändiges Moment mit eigenem Rechte verloren gegangen, theils in dem unentwickelten Begriff der „ Staatsverwaltung, “theils in dem der polizeilichen Gewalt. Und auf dieſem Standpunkt ſteht die heutige Doctrin. Die Darſtellung des Verhältniſſes von Geſetz und Verordnung wird das im Einzelnen zeigen. Hier ſoll nun jener hiſtoriſche Proceß mit den Beweiſen aus den wichtigſten Documenten, den Verfaſſungsurkunden, dargelegt werden.
Man kann im Allgemeinen ſagen, daß das Princip der wirklichen Unter - werfung der Vollziehung unter die Geſetzgebung, und damit die Uebertragung der ganzen Staatsgewalt in den geſetzgebenden Körper während des achtzehnten, die Wiederherſtellung der Staatsgewalt und die Selbſtändigkeit der vollziehenden Gewalt während des neunzehnten Jahrhunderts gegolten hat. Das erſtere iſt in den franzöſiſchen, das zweite in den deutſchen Verfaſſungen zum Ausdruck gebracht.
Die erſte Verfaſſung, welche die Auflöſung der Vollziehung in die Geſetz - gebung enthält, iſt die Verfaſſung der Vereinigten Staaten vom 17. September 1787. Hier iſt die geſammte Geſetzgebungs - und Verordnungsgewalt (ſ. unten) dem Congreß übergeben; von ihr iſt die executive power geſchieden Art. II, S. 1): the executive power shall be vested in a President of the United States of America. Die Verfaſſung läßt ihm nichts als das Heer und die Vertretung nach Außen. Was die vollziehende Gewalt deſſelben im Innern enthielt, wird nicht geſagt. Man meinte, daß ſich das von ſelbſt verſtände. 35Derſelbe Gedanke beherrſcht die franzöſiſchen Conſtitutionen; der Satz der erſten Conſtitution von 1791: le pouvoir exécutif est délégué au Roi pour être exercé sous son autorité par des ministres; T. III, Art. 4 ſtellt die Unterordnung der vollziehenden Gewalt unter die souveraineté de la nation; das Ch. II, Sec. 1. 3 ſagt ausdrücklich: le Roi ne règne que par la loi; et ce n’est qu’au nom de la loi qu’il peut exiger l’obéissance. Die voll - ziehende Gewalt iſt nur noch Mandatar der geſetzgebenden. Die Conſtitution von 1793, die den Conseil exécutif errichtet, drückt das noch ſchärfer aus, indem ſie ausdrücklich auch die Verordnungen der geſetzgebenden Gewalt über - gibt: „ il (le Conseil exécutif) ne peut agir qu’en exécution des lois et des décrets du corps législatif. “ (Art. 65.) Aber ſchon die Conſtitution von 1795 iſt nicht mehr ſo beſtimmt; der Art. 144 bringt ſchon den viel - deutigen Satz: „ le directoire pourvoit, d’après le lois, à la surété extérieure ou intérieure de la république. “ Die Conſtitution von 1799 ſcheidet end - lich beſtimmt Geſetz und Verordnung; der Begriff eines pouvoir exécutif iſt verſchwunden, um in den Verfaſſungen Frankreichs nicht wieder zu er - ſcheinen. An ſeiner Stelle ſteht T. IV. „ le gouvernement. “ Die ſpäteren Conſtitutionen halten, wie wir ſehen werden, kaum noch den Unterſchied von Geſetz und Verordnung, geſchweige denn die Selbſtändigkeit der geſetzgebenden Gewalt feſt, eben ſo iſt der Unterſchied der pouvoirs in den Charten von 1814 und 1830 formell nicht wieder aufgetreten. Wohl aber entſteht jetzt in der Theorie die Frage, welches denn die Stellung des Königthums ſei. Frankreich entſchied ſie theoretiſch, Deutſchland geſetzlich. In Frankreich ging aus dem Bewußtſein, daß man den Begriff der vollziehenden Gewalt neben dem des Königthums feſthalten müſſe, das richtige Verſtändniß hervor, daß das König - thum das Haupt aller Gewalten ſei, was Benj. Conſtant durch die Aufſtellung des pouvoir royal als pouvoir régulateur ausdrückte. Während aber aus der franzöſiſchen Charte der Ausdruck pouvoir exécutif verſchwindet, ſehen wir ihn ganz nackt in der norwegiſchen Verfaſſung, 1814, §. 3: „ die ausübende Macht iſt beim Könige “— und in der belgiſchen vom 25. Febr. 1831, Art. 29, wieder auftreten, um mit dem Jahre 1848 wieder ſeine Rolle zu ſpielen. Da - gegen brach ſich in den deutſchen Verfaſſungen, die den theoretiſirenden Charakter nirgends verläugnen, der Gedanke der perſönlichen Einheit Bahn in dem Be - griff der Staatsgewalt. Das deutſche Staatsleben war gleich anfangs von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Einheit der Staatsgewalt die Grund - lage des Staats ſei. Der Begriff einer Identificirung des Königthums und der Vollziehung hat daher nie Platz gegriffen, ſondern die Vollziehung iſt ſtets als eine Funktion des erſteren aufgefaßt, die nur die Pflicht habe, ſich da, wo Geſetze beſtehen, an denſelben conform zu halten. Man kann die Auf - ſtellung der Verfaſſungsurkunden in vier große Epochen theilen. Die erſte fällt unter die Herrſchaft Napoleons. In den drei Verfaſſungen, die dahin gehören, Verfaſſung von Weſtphalen, 15. Nov. 1807, Großherzogthum Frankfurt, 16. Aug. 1810, Königreich Bayern, 1. Mai 1808, iſt noch von dem Begriff und Recht, von Geſetzgebung und Vollziehung überhaupt keine Rede. Auch erſcheint Begriff und Wort noch nicht in dem Sachſen-Weimar-Eiſenacher36 Grundgeſetz von 1816. Die zweite umfaßt die Verfaſſungen ſeit 1817 — 1821. Hier bildet ſich die Formel aus, welche Begriff und Verhältniß der Staatsgewalt und der Vollziehung ſo beſtimmt und klar feſtſtellt, daß dieſelbe auch ſpäter faſt wörtlich beibehalten iſt. Sie lautet nach der bayeriſchen Verfaſſung von 1818: „ der König iſt Oberhaupt des Staats, vereinigt in ſich alle Rechte der Staatsgewalt und übt ſie unter den in der Verfaſſungsurkunde feſtgeſetzten Beſtimmungen aus (Thl. II. §. 1). Wörtlich gleichlautend iſt die Verfaſſung von Württemberg, Kap. II. §. 1 (1819); ebenſo die von Baden (22. Aug. 1818), I. §. 5, die von Coburg von 1821 (§. 3), und vom Groß - herzogthum Heſſen (1820) Art. 4. — Die dritte Epoche, die Zeit der Ver - faſſungen der dreißiger Jahre (1831 — 1834), im Uebrigen weſentlich verſchieden von der früheren, hat doch in dieſem Punkte den Boden, ja ſogar die Aus - drücke derſelben nicht verlaſſen. Das Princip, daß die vollziehende Gewalt nicht ein Mandatar der geſetzgebenden ſei, war allerdings ſchon durch die württemb. Landesverfaſſung, Art. 57, als deutſcher ſtaatsrechtlicher Begriff feſtgeſtellt; der Ausdruck dieſes Artikels iſt in der That der deutſche Grundgedanke gegenüber dem franzöſiſchen, wie er bereits in den oben erwähnten Verfaſſungen aus - geſprochen ward: „ Die geſammte Staatsgewalt muß in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landſtändiſche Verfaſſung nur in der Ausübung beſtimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden. “ Das Staatsoberhaupt iſt hier klar genug von der Geſetzgebung und Vollziehung, ihrem beiderſeitigen Begriffe nach geſchieden, wenn auch die Rechte, in denen es beſchränkt werden kann, nicht beſtimmt waren; andererſeits beſtand bis 1830 überhaupt in der Hälfte Deutſchlands noch gar keine Verfaſſung; der Souverän war Geſetzgeber und Vollzieher zugleich. Das Jahr 1830 erſchuf hier daher nichts Neues, ſondern fügte den bisherigen Verfaſſungen nur noch einige neue hinzu, in welcher faſt wörtlich der Stand - punkt der ſüddeutſchen Verfaſſungen über die vollziehende Gewalt aufrecht ge - halten ward. So in der kurheſſ. Verfaſſung 1831, Art. 4; Sachſen - Altenburg 1831, Art. 4; Braunſchweig 1832, §. 3; Hannover 1833, §. 8, iſt etwas differirend, „ vom König geht alle Regierungsgewalt aus “und „ die Behörden üben ſie aus im Namen des Königs “— wobei die Voll - ziehung etwas den Charakter einer polizeilichen Gewalt annimmt; Königreich Sachſen (I. §. 4 des Entwurfs: wie die ſüddeutſchen); die angenommene Ver - faſſung §. 4 hat dann auch dieſelben Ausdrücke acceptirt. Preußen, Mecklen - burg, Oldenburg, Schleswig-Holſtein blieben dagegen noch auf dem Standpunkt der Provinzialſtände; der Begriff der vollziehenden Gewalt erſcheint hier über - haupt nicht, ſondern in dem landſtändiſchen Recht nur der Anfang des Begriffes von ſelbſtändiger Geſetzgebung; in Oeſterreich beſtand auch das nicht, der klei - neren Staaten geſchweigen wir. Man kann daher ſagen, daß ſo weit es Verfaſſungen gab, die Perſönlichkeit des Staats in dem Begriffe der Staats - gewalt, das monarchiſche Princip in der Identität derſelben mit der Perſönlichkeit des Monarchen, die Vollziehung aber als ein übrigens verſchieden beſtimmtes Moment in der Staatsgewalt wirklich anerkannt war, während in einigen Staaten die Vollziehung noch mit der Geſetzgebung ganz (Oeſterreich) in andern37 zum Theil verſchmolzen blieb. Unter dieſen Umſtänden konnte man von einer deutſchen geltenden Macht der vollziehenden Gewalt und ihres Rechts nicht wohl reden und die Theorie hatte dann auch keine aufzuweiſen.
Dennoch iſt es ſchon aus dem Obigen klar, daß damit die beiden Grund - formen der Auffaſſung der vollziehenden Gewalt ſich ziemlich beſtimmt charak - teriſirt haben; die franzöſiſche, welche den Grundgedanken in der Scheidung der vollziehenden Gewalt von der geſetzgebenden und damit der Auflöſung der ſelbſtändigen Staatsgewalt in die Herrſchaft der Volksvertretung über das ganze Staatsleben ſieht, und die deutſche, welche die Ausübung oder Vollziehung nur als ein organiſches Moment der Staatsgewalt betrachtet, damit den Begriff des Geſetzes, und mit ihm erſt das Recht der Vollziehung und Verwaltung möglich macht. Es kann kein Zweifel ſein, daß die erſte in einem unlösbaren Widerſpruch mit dem Weſen des Staats ſteht, indem ſie ihn im letzten Grunde immer auf einen mehr oder weniger nützlichen Vertrag, und ſeine Thätigkeit auf ein Mandatsverhältniß zurückführt, was eben ſo logiſch unrichtig als prak - tiſch unwahr iſt. Man kann die franzöſiſche Auffaſſung die republikaniſche, die deutſche die monarchiſche nennen, und mit gutem Recht ſagen, daß beide gerade in der Beſtimmung des Weſens und der Stellung der vollziehenden Gewalt ihren entſcheidenden Ausdruck finden. Das Jahr 1848 und ſeine Verfaſſungen haben dieſen Unterſchied aufs neue beſtätigt, und man wird dieſe Verfaſſungen eben darum in die franzöſiſche und die deutſche Verfaſſungsgruppe theilen müſſen.
Die franzöſiſchen Verfaſſungen beginnen natürlich mit der franzöſiſchen Republik, und dieſe ſtellt ſofort den alten Unterſchied zwiſchen Vollziehung und Geſetzgebung her, Art. 43. „ Die franzöſiſche Republik überträgt die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Titel Präſident führt. “ Dieſer franzöſiſchen Definition folgten dann die italieniſchen Verfaſſungen; Neapel, Art 5: „ die vollziehende Gewalt ſteht ausſchließlich dem Könige zu, “faſt gleichlautend Tos - cana, Art. 13, und Piemont, Art. 18. Auch die Schweiz ſetzte mit ihrer Bundesverfaſſung von 1848 den Bundesrath als „ die oberſte vollziehende und leitende Behörde “ein. Die deutſchen Verfaſſungen, mit wenig Ausnahmen (ſchleswig-holſteiniſche Verfaſſung, erſte öſterreichiſche Verfaſſung) halten dagegen den in ihrer bisherigen Geſchichte gewonnenen Boden feſt. Für ſie iſt die Staatsgewalt das Haupt aller Funktionen des Staats, auch der Geſetzgebung, und die vollziehende Gewalt erſcheint nach wie vor als eine beſondere, und nur durch die Verfaſſung beſchränkte Funktion des Staatsoberhaupts. Der monarchiſche Charakter erhält ſich mitten in der Revolution. Die Formen, in welchen die verſchiedenen Verfaſſungen faſt wörtlich gleichlautend Staatsgewalt und Vollziehung beſtimmen, ſind die der erſten deutſchen Verfaſſungen von 1818: der Fürſt iſt Oberhaupt des Staats, Inhaber der Staatsgewalt, und „ übt dieſelbe “„ in verfaſſungsmäßiger Weiſe aus. “ So lauten die Verfaſſungen von Hannover (3. Sept.), Oldenburg, Art. 4, Gotha, §. 49, Mecklen - burg-Schwerin, §. 58, Anhalt-Deſſau, §. 60, vergl. Bremen, §. 4. Nur der Form nach verſchieden, den Gegenſatz zwiſchen Geſetzgebung und Voll - ziehung auch hier vermeidend, ſind die Verfaſſungen von Oeſterreich 1849, II. §. 9 — 23, und die preußiſche Verfaſſung.
38So war eigentlich die Sache ihrem Weſen nach entſchieden. Aber für die Theorie war ſie um ſo weniger klar, als dieſelbe theils noch immer nicht den Begriff der Hoheitsrechte abſtreifen konnte, theils keinen Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung zu Stande brachte, und nun gar noch einen neuen Begriff, den der Staatsgewalt, zu bewältigen hatte, während ein poſitiv gemein - gültiges Recht für Deutſchland fehlte. Dazu kam die traditionell gewordene Neigung, alle Hauptfragen, alſo auch die der vollziehenden Gewalt, vielmehr in die Verfaſſung als in die Verwaltung zu verlegen, da man eben weder einen anerkannten allgemeinen Begriff der Verwaltung im weitern Sinn, noch im engern Sinn, noch der innern Verwaltung hatte, und außerdem den Be - griff einer „ Regierung “und den einer „ Polizei “unterbringen mußte. Man verfiel daher darauf, die Aufzählung der Momente, welche im Begriff der Thätigkeit des Staats liegen, als die Aufzählung der Rechte derſelben hinzu - ſtellen, wie Zöpfl I. §. 276, oder ſie ganz verſchwinden zu laſſen, wie Mohl, natürlich ohne damit weiter zu kommen. Aber jedenfalls ſteht jetzt der Stand - punkt feſt, von dem man ausgehen muß. Da nämlich die Staatsgewalt auch nach poſitivem Recht Geſetzgebung und Vollziehung umfaßt, ſo kann der Be - griff, Inhalt und Recht der Vollziehung künftig weder mit der Staatsgewalt verwechſelt, noch auch an derſelben beſtimmt werden, ſondern ſie erſcheint nur als das Verhältniß und das Recht der That des Staats gegenüber ſeinem Willen. Man kann die Vollziehung und ihr Recht künftig nur an der Geſetzgebung und ihrem Rechte beſtimmen und zwar als eine zweite ſelbſtändige Form des Willens der Staatsgewalt. In dieſem Sinne nehmen wir gerne den Satz auf, den Pötzl neulich ausgeſprochen (Krit. Vierteljahrsſchrift für Geſetz und Rechtswiſſenſchaft V. 2. Heft, S. 263): „ Wenn man die Verwaltung (im weitern Sinn) die vollziehende Gewalt genannt hat, ſo iſt dieſe Bezeichnung nur in ſofern richtig, als man ſich als Gegenſtand und Ziel derſelben den Staatszweck (natürlich abſtrakt, ſonſt wird es eben eigentliche Verwaltung) denkt. Dagegen wäre ſie irrig, wenn man ſie darauf beſchränken wollte, bloß die Geſetze zu vollziehen. “ Das iſt vollkommen richtig. Es kommt jetzt nur darauf an, eben dieſe, noch nicht als eigentliche Verwaltung erſcheinende, wichtige Funktion der vollziehenden Gewalt nun auch in allen ihren einzelnen Momenten darzulegen; und das iſt die Aufgabe des Nächſtfolgenden. Aus dem bisher Dargeſtellten geht aber hervor, daß wir dieſe Aufgabe nur dann zu löſen im Stande ſind, wenn wir den Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung, der eigentlich in die Verfaſſung gehört, hier genau beſtimmen; denn dieſer Unterſchied wird ſich als die Quelle alles Rechts der vollziehenden Gewalt ergeben.
Wenn nunmehr nach dem Obigen der Begriff der vollziehenden Gewalt feſtſteht, ſo iſt der einfache Begriff des Rechts derſelben nicht ſchwierig. Es iſt das Recht der, als ſelbſtändig gedachten Kraft und Thätigkeit des Staats innerhalb der Staatsorganismus, alſo ſowohl dem Gebiete der geſetzgebenden Organe, als der einzelnen ſelbſtändigen Perſönlichkeit gegenüber, oder mit einem Worte der Staatsgewalt im weiteſten Sinne.
Allein dieſer einfache Begriff reicht nicht aus; und zwar darum nicht, weil zwar im einzelnen Menſchen die Kraft etwas Einfaches iſt, nicht aber im Staate. Im Staate zeigt ſich vielmehr, daß dieſe Kraft ſelbſt wieder ganz beſtimmt geſchiedene Momente hat, die zwar zuſam - men ein Ganzes bilden, aber dennoch als ſelbſtändige erſcheinen, und auch von jedermann als ſolche anerkannt werden. Das Recht der Kraft des Staats hat daher ſeinen Inhalt erſt an dieſen ſelbſtändigen Mo - menten derſelben, und zwar in der Weiſe, daß die Natur dieſer Mo - mente ſo viel Recht ſich ſelber ſchafft, als ſie fordern müſſen, um ihre organiſche Funktion vollziehen zu können. Das Recht der vollziehenden Gewalt wird daher zur Conſequenz dieſer organiſchen Natur jener Ele - mente, und in der That ergibt ſich wie wir ſehen werden, nur auf dieſer Grundlage ein wirkliches Rechtsſyſtem für die vollziehende Ge - walt, das ſeinerſeits ſich als eines der Hauptgebiete des öffentlichen Rechts betrachten darf. Nur muß man dabei feſthalten, daß auch dieſe Momente nicht etwa eine für ſich daſeiende, abſtrakte Erſcheinung haben, ſondern nur in der eigentlichen, wirklichen Verwaltung zur concreten Geltung kommen. Alle folgenden Begriffe ſind daher Grundſätze und Rechtsbeſtimmungen für die vollziehende Gewalt in der praktiſchen Thä - tigkeit der wirklichen Verwaltung, alſo in Finanzen, Rechtspflege40 und Innerem. Und daher werden wir zweckmäßig den Inhalt der reinen vollziehenden Gewalt, oder die Darlegung der beſondern Momente derſelben, dem Rechte derſelben, oder der feſten Gränzbeſtimmung zwiſchen ihnen und den ſelbſtändigen perſönlichen Lebensverhältniſſen des Staats und des Staatsbürgers voraufſenden.
Es wird nunmehr in Hinweiſung auf die hiſtoriſche Entſtehung des eigenthümlich deutſchen Begriffes der Staatsgewalt wohl nicht ſo ſchwierig ſein, das Weſen deſſelben und damit den Unterſchied von dem - jenigen zu beſtimmen, was wir die vollziehende Staatsgewalt nennen müſſen.
Die Staatsgewalt in dem Sinne, in welchem ſie dem Begriffe des Staats und namentlich der deutſchen Staatsrechtsbildung zum Grunde liegt, iſt keine beſondere Gewalt, kein Moment an einer andern Gewalt im Staate. Sie bezeichnet uns eben das ganze perſönliche Leben des Staats als eine einheitliche Gewalt, als die ganz allgemeine perſönliche Kraft der Selbſtbeſtimmung ohne irgend eine Unterſcheidung des Ob - jekts. Sie iſt überhaupt der Beſitz des Rechts und der Mittel, ſich zu äußern, und zwar als höchſte Form der Perſönlichkeit ſowohl inſofern der Staat iſt, als inſofern er will und handelt. Alles was durch den Staat geſchieht, geſchieht für den Staat. Alle Funktionen des Staats ſind daher Funktionen dieſer Staatsgewalt, und ich gelange nunmehr leicht zu dem Begriffe der ſogenannten Staatsgewalten, indem ich mir dieſe Funktionen ſelbſtändig, und in jeder derſelben die Staatsgewalt thätig denke. Ich kann daher, ohne irgend einen Irrthum, freilich aber auch ohne irgend einen Nutzen, mir ſo viel Staatsgewalten conſtruiren als ich will, wenn ich nur feſthalte, daß eine dauernde und regelmäßige Thätigkeit des Staats zum Grunde liegen muß. Daher haben die Theorien über die verſchiedenen Staatsgewalten alle Recht, und daher haben auch das deutſche Bundesrecht und die neueſte Staatsrechtslehre Recht, jene indem ſie drei, fünf, ſieben Staatsgewalten, dieſes indem es nur Eine Staatsgewalt annimmt. Verkehrt iſt nur das, daß man den organiſchen Begriff des Staats aus den Gewalten hat conſtruiren wollen, während man umgekehrt dieſe Gewalten als Aeußerungen der organiſchen Eintheilung hatte erkennen müſſen. Nur das Eine iſt41 feſtzuhalten, daß die Staatsgewalt in dem Sinne nicht bloß an ſich, ſon - dern auch organiſch untheilbar iſt und ſein muß, in welchem das deutſche Recht es annimmt, daß alle einzelnen Gewalten niemals abſolut ſelb - ſtändig, ſondern nur Momente an der einheitlichen Perſönlichkeit des Staats — die Staatsgewalten Momente der Staatsgewalt ſind. Und damit ergibt ſich jetzt auch das Verhältniß der vollziehenden Gewalt.
Die Staatsgewalt erſcheint nämlich zuerſt als die Kraft, vermöge deren die Perſönlichkeit des Staats als ſolche ſich zur Erſcheinung und Geltung bringt, noch ohne eine Beziehung auf den Willen und die Thätigkeiten, welche das Leben des Staats erfüllen. Dieſe reine Staats - gewalt iſt daher weder ein Moment in der Geſetzgebung noch in der Verwaltung; ſie iſt die Erſcheinung des Staats an und für ſich. Man muß nicht glauben, daß das eine Abſtraktion iſt. Die Verfaſſungen der verſchiedenen Staaten haben dieſe reine Staatsgewalt nicht bloß ſehr klar erkannt, ſondern auch zum Theil mit großer Schärfe diejeni - gen einzelnen Funktionen nachgewieſen und anerkannt, welche in der - ſelben liegen, indem ſie dieſe Funktionen als Rechte des Königthums feſtſtellen. Man kann ſie mit dem Begriffe der Vertretung des Staats umfaſſen; nach Innen als Inhaber der höchſten Würden, nach Außen als Inhaber des Rechts, Krieg, Frieden und Verträge zu ſchließen.
Die Staatsgewalt erſcheint zweitens als höchſte Spitze der geſetz - gebenden Gewalt. Die Funktion des Staatsoberhaupts iſt hier die, durch ſeine Zuſtimmung das Wollen der Vertretung des Volkes zum individuellen Willen des Staats zu machen, und durch ſeine Erklärung demſelben die Geltung dieſes perſönlichen Willens zu geben. Das drücken die meiſten Verfaſſungen dadurch aus, daß ſie dem Fürſten die Sanktion und die Verkündigung der Geſetze zuerkennen.
Die Staatsgewalt erſcheint aber auch drittens als das Haupt der Verwaltung im weitern Sinn; das heißt, jede That des Staats muß unbedingt als eine That der Staatsgewalt, das iſt des Staats - oberhaupts erſcheinen. Dieß Princip wird ſo ausgedrückt, daß alle Vollziehung und Verwaltung nur im Namen des Staatsober - haupts geſchehen kann — (oder „ der König vereinigt in ſich alle Gewalt, und übt ſie in verfaſſungsmäßiger Weiſe aus “). Dieß Princip iſt mithin kein Princip der vollziehenden, ſondern vielmehr ein Princip der Staatsgewalt; durch daſſelbe iſt die vollziehende Gewalt das was ſie ſein ſoll, ein Moment an der Staatsgewalt. In dieſem richtigen Verſtändniß aber liegt nun auch der Begriff des Rechts dieſer voll - ziehenden Gewalt; denn ſie ſteht damit in einem organiſchen Verhältniß zu der geſetzgebenden in dem Willen, in dem Begriff der Staatsgewalt ſelbſt, welche ja zugleich das Haupt der Geſetzgebung iſt, und ſo42 entwickelt ſich aus dem Begriff der Staatsgewalt nicht bloß der Begriff, ſondern auch das Rechtsſyſtem der vollziehenden Staatsgewalt.
Aber auch hier iſt die Staatsgewalt in ihrer vollziehenden Thätig - keit nicht bloß ein Moment am Leben des Staats, ſondern ſie erſcheint auch ſelbſtändig in einem nur ihr gehörigen Organismus, der ſeiner ganzen Natur und ſeiner äußern Aufgabe nach eben das Organ dieſer reinen, allgemeinen Gewalt der Perſönlichkeit des Staats iſt. Das iſt das Heer, die Waffenmacht des Staats. Das Heer des Staats hat keine beſondere Aufgabe, als die, die Kraft des Staats an und für ſich objektiv darzuſtellen und zur Geltung zu bringen. Man wird uns, glauben wir, unmöglich mißverſtehen, wenn wir demgemäß ſagen, das Heer iſt die Erſcheinung und das Organ der abſtrakten voll - ziehenden Gewalt des Staats. In der That folgen daraus die beiden großen Grundſätze in einfachſter Weiſe, welche, ſo lange es Menſchen und Staaten geben wird, das Heerweſen beherrſchen müſſen und be - herrſcht haben. Zuerſt folgt, daß das Heer als Haupt nothwendig und ausſchließlich das Staatsoberhaupt anerkenne; es iſt auch wiſſenſchaftlich ein Unding, das Heer zum Organe der geſetzgebenden Gewalt machen zu wollen. Zweitens folgt, daß das Heer, eben weil es organiſch keine wie immer geartete ſpezielle Aufgabe hat und haben kann, auch keinen ſelbſtändigen Willen zu haben beſtimmt iſt; es iſt das Organ des perſönlichen Willens des Staatsoberhaupts. Von dieſen beiden oberſten Grundſätzen kann ſich das Heerweſen keiner Zeit, keines Volkes und keines öffentlichen Rechtszuſtandes trennen; geſchieht es dennoch, ſo iſt die Folge eine Zerſtörung des ganzen Staatsorganismus. Die Geſchichte liefert die entſcheidendſten Beiſpiele für dieſe Wahrheit, und es iſt nur Schwäche des Staatsbürgerthums, auch nur einen Augen - blick die abſolute Gültigkeit jener beiden Principien im Namen der ſtaatsbürgerlichen Freiheit beſtreiten zu wollen. Jeder Kampf dagegen hat ſtatt der Freiheit naturgemäß nur Schwäche des Staats erzeugt, und nur die, welche der Schwäche des Ganzen froh ſind, haben andere Ge - ſichtspunkte vertreten. Nicht in der Beſtreitung jener Principien liegt die Sicherung der Freiheit; gibt das übrige organiſche Leben des Staats dieſelbe nicht durch ſich ſelbſt, ſo wird man ſie gewiß niemals dadurch erreichen und hat ſie niemals dadurch erreicht, daß man jene Grund - gewalt des Staatsorganismus zu vernichten trachtet. Jene Principien ſind vielmehr in ſo hohem Sinne organiſcher Natur, daß ſie ſich unbe - dingt, ja gegen den direkten Willen der Geſetzgebung, durch ihre eigene innere Macht wieder herſtellen, wenn ſie einmal angegriffen werden; es lebt in dem Heere aller Zeiten und Völker das lebendige Gefühl, daß das Daſein des Staats an und für ſich auf ihm beruhe, daß es43 daſſelbe gegen Außen, und daß es daſſelbe auch nach Innen, am letzten Orte allein mit dem höchſten Opfer zu vertreten habe; jede geſunde Armee wird durch das mehr oder weniger klare Bewußtſein dieſer ſeiner oft ſo ernſten Aufgabe gehoben und getragen. Das Verſtändniß dieſer organiſchen Stellung erſcheint in dem einzelnen Gliede des Heeres als die militäriſche Ehre, die eben deßhalb ein unbedingtes Element des Heerweſens iſt; und in den großen Aktionen des Heeres iſt es dieß Bewußtſein, das, bis zur Begeiſterung geſteigert, die Heere zu Tod und Sieg führt. Wie wenige von denen, welche ſeit Plato über das Staats - weſen und ſeinen Begriff ſchreiben und denken, kennen das Heer und ſein eigenthümliches Leben — und wie viele mögen wohl ernſthaft und vorurtheilsfrei jemals darüber nachgedacht haben. Es iſt nicht gut, daß dem ſo iſt. Verbannt ein ſo mächtiges und wichtiges Element des Ganzen aus der ſyſtematiſchen Wiſſenſchaft oder aus der ethiſchen An - ſchauung des Staatslebens, und ihr werdet nichts anders erzielen, als daß diejenigen euch und eure Lehre nicht verſtehen, die ihr ſelbſt nicht verſtanden habt! —
Die Staatsgewalt, das Staatsoberhaupt iſt aber nicht durch das Heerweſen erſchöpft; ſie enthält ein zweites organiſches Element, das erſt in der zweiten Form der vollziehenden Gewalt zur Erſcheinung gelangt.
In der That nämlich gehört dem Obigen nach das ganze Heer - weſen überhaupt weder der Geſetzgebung noch der Verwaltung. Es iſt ein Leben für ſich, innig und organiſch mit dem Staatsoberhaupt und ſeiner Gewalt verbunden; aber mit der Verwaltung hat ſeine voll - ziehende Kraft nichts zu thun, dieſer gehört erſt das zweite Element derſelben.
Dieſe zweite Form der vollziehenden Gewalt bildet ſich nun, indem für die Staatsgewalt die einzelnen beſonderen Staatsaufgaben entſtehen, welche den Inhalt des Begriffes der Verwaltung bilden.
Wir haben bereits oben den Begriff der Regierung feſtgeſtellt. Wenn wir nun von einer eigenen Regierungsgewalt als Form und Inhalt der vollziehenden Gewalt reden, ſo geſchieht das in folgendem Sinne.
Wenn nämlich die Vollziehung die That des Staats, für ſich be - trachtet, iſt, ſo muß ſie einen Willen enthalten, welcher dieß ihr Thun, oder die Thätigkeit als ſolche zum Inhalt hat. In der wirklichen Thätigkeit aber greifen äußere Momente in den Willen der Perſönlich - keit hinein, inſofern dieſer nur einen Zweck und eine Aufgabe ſetzte,44 und nicht ſchon ſelbſt die Verwirklichung enthält. Dieſer auf die Thätig - keit als ſolche gerichtete Wille muß daher die Fähigkeit haben, jene in das abſtrakte Wollen hineingreifenden Elemente zu verarbeiten und mit dem erſtern in Harmonie zu bringen; das iſt eben der Punkt, auf welchem die Selbſtthätigkeit der Verwaltung im weitern Sinne beruht. Die Kraft, dieſe Harmonie in feſten, für alle einzelnen Thätigkeiten (der Verwaltung im engern Sinne) gültige Principien zu formuliren und zur wirklichen Gültigkeit zu bringen, iſt nun gleichfalls eine Ge - walt; ſie iſt die allgemeine Form für die beſondere Ausübung der einzelnen Thätigkeiten der Verwaltung, und dieſe Gewalt iſt die Re - gierungsgewalt.
Man kann daher ſagen, daß die Regierungsgewalt der ſelbſtändig gedachte thätige Wille der Staatsgewalt iſt. Ihre Selbſtändigkeit iſt ſtets gleich der Selbſtändigkeit der Thatſachen, mit denen der Staat zu thun hat. Sie wächst und nimmt ab mit der Kraft und der Vielheit der gegebenen Lebensverhältniſſe im gegebenen Staate. Sie ſelbſt aber erſcheint, wie jeder thätige Wille, in drei Formen, dem Willen für ſich, der Verordnungsgewalt, der Bildung der Mittel ſeiner Verwirklichung, der Organiſationsgewalt, und der äußern Thä - tigkeit, der polizeilichen oder Zwangsgewalt.
Die erſte Grundform, oder der erſte Inhalt der Regierungsgewalt entſteht mithin durch ihr Verhältniß zu dem Staatswillen oder dem Geſetze. Allerdings iſt das Geſetz die höchſte, und darum, wo es vorhanden iſt und ausreicht, die den Willen der vollziehenden Gewalt beherrſchende Form des Staatswillens. Allein kein Geſetz iſt fähig, alle Seiten desjenigen Lebensverhältniſſes wirklich und vollſtändig zu umfaſſen, für welches es gegeben wird. Ja keine Geſetzgebung iſt je im Stande geweſen noch wird ſie es ſein, jemals auch nur die Lebens - verhältniſſe vollſtändig geſetzlich zu beſtimmen, für welche ein Geſetz er - forderlich erſcheint. Dennoch wird ein Staatswille auch da unabweis - bar nothwendig, wo ein Geſetz entweder nicht ausreicht, oder geradezu mangelt. Die Vollziehung, die nicht entbehrt werden kann, muß daher durch ihren eigenen Willen, obwohl ſie keine Geſetzgebung und von der - ſelben organiſch getrennt iſt, dennoch den Mangel des Geſetzes erſetzen. Dieſe Forderung iſt eine unbedingte Vorausſetzung für die, dem Staate entſprechende Thätigkeit ſeiner Regierung. Sie liegt daher in dem Weſen der vollziehenden Gewalt, und erſcheint als ein immanentes Recht der Regierungsgewalt. Nur hat ſie keinen dauernden Zuſtand herzuſtellen, ſondern ſie hat die gegebenen Verhältniſſe im Namen der vollziehenden Gewalt ſo zu ordnen, wie es der Staatszweck erfordert. Und die mit dieſem Inhalt gegebene Gewalt der Regierung, das Geſetz durch ihren45 eigenen Willen zu erfüllen oder zu erſetzen, nennen wir die Verord - nungsgewalt. Sie iſt das erſte und wichtigſte Element der Regie - rungsgewalt. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß ſie, als immanenter Be - griff der letzteren, das ganze Gebiet der Verwaltung durchdringt, und in allen drei Hauptgebieten derſelben, in Finanz -, Juſtiz - und innerer Verwaltung gleichmäßig erſcheint. Es gibt daher eine Verordnungs - gewalt für die Verwaltung der Staatswirthſchaft, der Rechtspflege und des Innern, und dieſe iſt bei aller Verſchiedenheit in ihren Objekten doch gleichartig in ihrem Weſen. Daher iſt auch das Recht derſelben ein gleiches, für alle Theile gemeinſames. Allein es gibt auch eine Ver - ordnungsgewalt, welche über die Verwaltung hinausgeht, und die rechtlichen Zuſtände betrifft, welche Inhalt der Verfaſſung bilden. Das Verhältniß dieſer Elemente wird ſich nun unten zeigen.
Die zweite Grundform, oder der zweite Inhalt der Regierungs - gewalt entſteht daraus, daß eine Vollziehung nicht denkbar iſt, ohne daß die vollziehende Gewalt die einzelnen Momente ihrer Thätigkeit einzelnen Organen zutheile. Das Bild der Aufgabe des Staats ent - hält ſchon in ſich ein Bild der Vertheilung derſelben an ſolche beſtimmte Organe; die Regierung muß daher in dem letztern eine weſentliche Vor - ausſetzung der praktiſchen Erfüllung ihrer Aufgaben erkennen. Die Regierungsgewalt enthält daher ihrem eigenen Weſen nach die Gewalt, die Organe für die einzelnen Momente der wirklichen Vollziehung zu beſtimmen, und jedem dieſer Organe das Maß und die Gränze des Antheils feſtzuſetzen, welche ihm bei der Thätigkeit der Vollziehung eines Staatswillens zukommen ſollen. Dieſe Seite der Regierungsge - walt nennen wir die Organiſationsgewalt; die wirklich geſchehene Vertheilung nennen wir die Organiſation; das Maß, welches jedem einzelnen Organe von der vollziehenden Gewalt zufällt, nennen wir die Zuſtändigkeit oder Competenz. In der poſitiven Organiſation einer Regierung ſehen wir daher die vollziehende Gewalt gleichſam in ihrer äußern Geſtalt vorhanden; die Beſtimmung der Zuſtändigkeiten oder Competenzen iſt ihrerſeits keine willkürliche oder zufällige, ſondern wird nach Zweckmäßigkeitsgründen vor ſich gehen, und zwar in der Weiſe, daß die Gränze der Competenz des einen Organs jedesmal durch die eines andern gegeben iſt, und jedes einzelne Organ dazu beſtimmt ſein muß, das andre zu erſetzen oder zu erfüllen. Die Grundſätze, nach welchen dies geſchieht, werden in dem zwelten Theile, der Lehre vom Organismus der vollziehenden Gewalt, dargelegt werden. Es gibt da - her eine Organiſationsgewalt für das Ganze, und eine ſolche wieder für jedes der einzelnen Gebiete der Verwaltung; alle Formen aber unterliegen demſelben Grundſatze.
46Die dritte Grundform oder der dritte Inhalt der Regierungsgewalt entſteht nun daraus, daß der einzelne perſönliche Wille des Individuums ſich der Vollziehung als dem perſönlichen Willen des Staats ent - gegenſetzen kann. Die Vollziehung des Staatswillens muß dieſen Willen des Individuums ſich unterwerfen, wenn es ſein muß nicht bloß auf geiſtigem Wege, ſondern durch Anwendung beſtimmter Mittel. Die Fähigkeit, dieſe Mittel anzuwenden und damit den Willen des einzelnen Individuums mit dem allgemeinen Willen des Staats übereinſtimmend zu machen, iſt daher ein immanenter Theil der vollziehenden Gewalt, welche als Regierung das äußerlich erſcheinende Leben der Gemeinſchaft in allen einzelnen Punkten mit dem Willen des perſönlichen Staats in Uebereinſtimmung bringen ſoll; und dieſe Gewalt in beſtimmter Be - ziehung auf die einzelne Perſönlichkeit, ihren Willen und ihr Leben nennen wir die Polizeigewalt. Es verſteht ſich auch dabei von ſelbſt, daß dieſe Polizeigewalt eben ſo wie die Verordnungs - und Or - ganiſationsgewalt ſowohl für die Vollziehung im Ganzen wie für die einzelnen Gebiete der Verwaltung zur Erſcheinung gelangt.
Das ſind die drei großen Elemente der Regierungsgewalt. Zunächſt nun muß man dieſelben allerdings als einfach neben einander ſtehend betrachten, um ihr eigenthümliches Weſen beſtimmen zu können. In der Wirklichkeit aber können ſie weder äußerlich getrennt ſein, noch ſind ſie es. Die Vollziehung in der Form der Regierung gewinnt nämlich ihr organiſches Leben erſt dadurch, daß dieſe drei Formen der Regierungsgewalt mit einander in beſtändiger organiſcher Verbindung ſtehen und einander gegenſeitig erfüllen. So nothwendig das iſt für das wirkliche Leben, ſo ſehr hat es anderſeits zur Unklarheit in der Auffaſſung über Begriff und Weſen der Regierungsgewalt ſelbſt bei - getragen. Es wird mithin darauf ankommen, dieſes gegenſeitige Ver - halten auf ſeine möglichſt einfachen Elemente zurückzuführen. Dieſe aber ſind folgende.
Da jene drei Gewalten nämlich durch die Aufgaben derſelben über - haupt erſt zur Erſcheinung gebracht worden, ſo ergibt ſich der Grund - ſatz, daß jede dieſer drei Gewalten immer nur die Vollziehung der Aufgaben der beiden andern enthält und bedingt. Darnach entſcheiden ſich auch die Arten oder Seiten jener Gewalten.
Die Verordnungsgewalt nämlich bezieht ſich ſtets entweder auf die Organiſation im weitern Sinne, oder auf die Polizeigewalt und ihre Aufgaben. Der Inhalt der Verordnung enthält ſtets die Beſtimmung47 der Aufgabe beſtimmter Organe in der Vollziehung des Staats - willens; ſie ſetzt daher ſtets den Staatswillen als einen bereits fertigen voraus, ſei es daß ſie ihn in der Form des Geſetzes als ausdrücklich beſtimmten Staatswillen anerkennt und daher als Ausführungsverord - nung auftritt, ſei es daß ſie das Geſetz erſetzt, wo es mangelt, und dadurch entweder eine Erklärung des Geſetzes enthält, oder eine förm - liche ſtaatliche Vorſchrift für Lebensverhältniſſe, welche der geſetzlichen Anordnung entbehren. Immer aber bleibt es das Weſen der Verord - nung, kein objektives Recht zu ſchaffen, ſondern nur den Organen der Vollziehung in ihrer Thätigkeit beſtimmte Vorſchriften zu geben. Inſofern dieſe Verordnungen die allgemeine organiſche Thätigkeit der Organe der Regierung, und mithin ihre Zuſtändigkeit und die in der - ſelben enthaltenen Pflichten und Aufgaben beſtimmen, nennen wir ſie Verordnungen im eigentlichen Sinn; man würde am beſten die - ſelben Regierungsverordnungen nennen, um ſie von den folgen - den zu unterſcheiden. Dieſe Verordnungen haben allerdings ſehr ver - ſchiedene Namen, die jedoch das Weſen derſelben nicht ändern, und meiſtens aus nachweisbaren Gründen entſtanden ſind. So nennt man ſie Patente, welcher Name auch aus der Zeit ſtammt, in der Geſetz und Verordnung nicht getrennt waren; Reſcripte, meiſtens Verord - nungen, die auf Anfragen der Organe über zweifelhafte Geſetze oder Competenzen entſtanden; Circuläre, als Vorſchriften über die Aus - führung der organiſchen Thätigkeiten in der Regierung; Erlaſſe, inſo - fern ſie einzelne Vorſchriften aller Art enthalten; zuweilen auch gebraucht man ohne weitere Unterſcheidung den Ausdruck „ Verordnung. “ Inſo - fern es ſich dabei um die rein ordnungsmäßige Thätigkeit der vollzie - henden Organe handelt, heißen die Verordnungen Inſtruktionen; es ergibt ſich, daß der Inſtruktion ſtets eine ſcharf beſtimmte Compe - tenz zum Grunde liegt. — Die Regierungen der verſchiedenen Staaten haben wohl nirgends feſte Regeln für den Gebrauch dieſer Bezeichnun - gen aufgeſtellt oder anerkannt: ſelbſt der Begriff der Verordnung iſt begränzt worden durch den Begriff des Geſetzes, und auch dieſe Gränze iſt keinesweges eine ganz klare. Erſt das Vollziehungs recht hat ſie beſtimmt, und wir werden ſie daher unten erledigen. Hier nun kann man aber ſchon den Satz aufſtellen, daß eine Verordnung niemals etwas anders enthalten kann, als den Ausſpruch über die Anwendung eines (vorhandenen oder angenommenen) Staatswillens auf den Kreis der Rechte und Aufgaben in der Competenz eines vollziehen - den Organes. Jede Verordnung enthält daher einen Befehl, und einen beſtimmten Gegenſtand; jedes Geſetz dagegen eine Ordnung eines beſtimmten Lebensverhältniſſes. Das iſt die innere organiſche48 Gränze beider, und erſt daran ſchließt ſich das Recht der Verordnungs - gewalt.
Inſofern die Verordnung dagegen die Mittel beſtimmt, durch welche die Vollziehung den Willen des Einzelnen dem allgemeinen Willen conform erſcheinen läßt, iſt ihr Inhalt die Beſtimmung der Polizei - gewalt, und dieſe Verordnungen ſind Polizeiverordnungen. Das Objekt derſelben iſt ſtets das Verhalten der einzelnen Staatsbürger, während das Objekt der Regierungsverordnungen ſtets das Verhalten eines Regierungsorganes iſt. Auch dieſe Polizeiverordnungen haben ihre Formen; ſie erſcheinen entweder in den öffentlichen Organen der Regierung, oder als Plakate (Anſchläge). Der Inhalt derſelben iſt, ihrem Weſen nach, ein Gebot oder Verbot an alle Einzelnen, und da - neben meiſtens als Mittel der Erzwingung der Folgſamkeit eine Straf - androhung.
Die Organiſationsgewalt erſcheint ihrerſeits entweder in Beziehung auf die Verordnungen, oder in Beziehung auf die Polizeigewalt. Sie hat im erſten Falle zu ihrem Inhalt die Zuſtändigkeit eines Regierungs - organes in Beziehung auf den geſammten Organismus der Regierungs - gewalt, und hier beſtimmt ſie die Gränzen, innerhalb deren jedes ein - zelne Organ die Aufgabe hat, die Verordnungen der Regierung zur Ausübung zu bringen; im zweiten Falle hat ſie zu ihrem Inhalt die materiellen, geographiſchen oder ſachlichen Gränzen, welche die Voll - ziehungsgewalt der einzelnen Organe beſtimmen, die ſich in ihrer Thä - tigkeit gleich ſtehen. Sie organiſirt daher im erſten Theile die Regie - rung, im zweiten Land und Volk. Der erſte vertheilt die Aufgaben, der zweite die materielle Ausführung. Die Organiſationsgewalt erſcheint daher in der Form von Verordnungen, und zwar theils über die ſyſtematiſche Vertheilung der Competenzen, theils über die Eintheilungen von Land und Volk. Durch ſie wird die Regierungsgewalt in ihren einzelnen Organen mit den einzelnen Verhältniſſen des Lebens in concrete Verbindung gebracht; ſie kann daher ihrerſeits wieder nur als Conſe - quenz eines bereits beſtimmten Staatswillens erſcheinen, der durch den Organismus der Zuſtändigkeiten in dieß Leben eingeführt werden ſoll; aber mit dem Staatswillen, dem Geſetze an ſich, hat ſie ihrem Begriff nach nichts zu thun, ſondern nur mit ſeiner Vollziehung.
Die Polizeigewalt endlich bezieht ſich entweder auf die ſo herge - ſtellte Organiſation, indem ſie den Thätigkeiten der Organe, welche die Geſetze in Gemäßheit der Verordnungen vollziehen, die Verwirklichung verſchafft, oder auf die Einzelnen, indem ſie dieſelben zwingt, ſich ſelbſt zum Gehorſam gegen die Organe zu beſtimmen. Daher hat die Polizei - gewalt ſtets zwei Grundformen. Einerſeits iſt ſie ſelbſt ein ſelbſtändiges49 Organ, welches nichts als die Vollziehung gegenüber dem Einzelnen zur Aufgabe hat, ohne Beſchränkung auf beſtimmte einzelne Verordnun - gen; anderſeits iſt ſie mit dem einzelnen Organe der Vollziehung un - mittelbar verbunden, ein Recht derſelben innerhalb ihrer Competenz und zwar keineswegs bloß in der innern Verwaltung, ſondern eben ſo ſehr in der Finanz - und Juſtizverwaltung. Jedes Organ hat innerhalb ſeiner Zuſtändigkeit ſeine Polizeigewalt, und die Organiſation ordnet die Art und die Organe, durch welche dieſelbe zur Vollziehung gelangt.
Faßt man nun das hier Dargelegte zuſammen, ſo ſieht man, wie ſich der an ſich einfache Begriff der Gewalt zu einem völligen Or - ganismus entwickelt hat. Es iſt von entſcheidender Bedeutung, wo möglich einmal alle im gewöhnlichen Leben gebrauchten Ausdrücke auf die angegebenen Grundbegriffe zu reduciren. Wir ſehen den abſtrakten Begriff der vollziehenden Gewalt ſich zuerſt ſcheiden in die Staatsge - walt und die Regierungsgewalt, jene als Vertreterin der allgemeinen Staatsperſönlichkeit, dieſe als Trägerin der Vollziehung in den einzelnen Erſcheinungen des Staatslebens; jene daher allgemein und allgegen - wärtig, die Regierungsgewalt umfaſſend und enthaltend, dieſe beſtimmt und geordnet, und deßhalb nur in feſten Formen erſcheinend. Dieſe Formen ſind die Verordnungsgewalt, die Organiſationsgewalt, die Po - lizeigewalt. Jede dieſer Formen der Regierungsgewalt gehört natürlich zuerſt allen drei Gebieten der Verwaltung, wenn ſie gleich in Finanzen, Gericht und Innerem ſehr verſchiedene Objekte haben; doch ſind ſie immer die drei Momente aller Vollziehung in der wirklichen Welt. Alle drei Formen ſind aber nicht ſchematiſch verſchieden, ſondern als Aeußerungen derſelben Kraft ergänzen und beſtimmen ſie ſich wechſelſeitig, und ſo erſcheint uns die Vollziehung ſchon an und für ſich als ein Stück des lebendigen Staatslebens, ein Beweis, daß der Staat auch hier nur als organiſche Perſönlichkeit aufgefaßt werden kann.
Das Einzige, was hierbei in Beziehung auf die formelle Unterſcheidung, die ſpäter genauer dargelegt wird, noch hervorgehoben werden muß, iſt die Erklärung, wie ſich dieſe Begriffe zu dem Satze verhalten, daß das Staats - oberhaupt in der Staatsgewalt alle dieſe Momente der Regierungsgewalt in ſich enthalte. Dieß Enthaltenſein bedeutet, daß alle Funktionen der Regierungs - gewalten ſtets im Namen des Staatsoberhaupts geſchehen, und dadurch ihrem Weſen und ihrem Rechte nach als Thätigkeiten des Staats ſelbſt erſcheinen. Daraus folgt der wichtige Satz, daß jeder Akt der Regierungsgewalt durch die geſammte Staatsgewalt, eventuell alſo auch durch die bewaffnete Macht ver - treten wird, weil derſelbe eben ſtets als Akt des einheitlichen Staats erſcheint. Dagegen iſt die Frage eine ganz andere, ob und in wie weit die einzelnen Gewalten der Regierung unmittelbar durch den individuellen Willen des Staats - oberhaupts, oder unter Zuziehung der eigenthümlichen Organe, die ihn perſönlichStein, die Verwaltungslehre. I. 450umgeben (Staatsrath, ſ. unten), oder durch die Miniſter im Wege der Ueber - tragung, oder nach beſtimmten Vorſchriften der Verfaſſung auszuüben ſind Dieß iſt je nach den einzelnen Verfaſſungen, namentlich in der Heimath der theoretiſchen Verfaſſungsurkunden, verſchieden beſtimmt, und bildet ein Gebiet des poſitiven Vollziehungsrechts. Der Gedanke, daß keine Theilung der Gewalten ſtattfinden dürfe, bedeutet daher nicht, daß keine Uebertragung und keine Be - ſchränkung dieſer Regierungsgewalten, ſondern nur daß die Ausübung derſelben nur unter Zuſtimmung und im Namen der Staatsgewalt ſtattfinden dürfe. Alle dieſe allgemeinen Sätze gewinnen aber erſt ihren feſten Inhalt in der Lehre von dem Syſteme ihrer Rechte, zu dem wir jetzt übergehen.
Das Recht dieſer, in der obigen Weiſe in ſeine Elemente aufge - lösten vollziehenden Gewalt hat nun für das ganze Staatsleben eine ſo hohe Bedeutung, daß es von jeher, ſeit es eine Wiſſenſchaft des öffent - lichen Rechts gibt, die größte Aufmerkſamkeit gefordert und gefun - den hat.
In der That entſpringt daſſelbe aus dem innerſten Weſen des or - ganiſchen Staatsbegriffes, und begleitet die hiſtoriſche Entwicklung des - ſelben auf allen Punkten. Es iſt in ſeinem Princip einfach, in ſeiner Anwendung vielgeſtaltig. Es iſt das wichtigſte Recht für die ganze innere Ordnung des Staats, und zugleich Ausdruck und Baſis der ſtaatsbürgerlichen Freiheit gegenüber der Allgewalt des Staats und ſeiner Organe. Es enthält, indem es für die vollziehende Gewalt gilt, die maßgebenden Grundſätze für die einzelnen Gebiete der Verwaltung im engern Sinne, alſo für Finanzen, Rechtspflege und innere Ver - waltung. Wie wir der Verordnungs -, der Organiſations - und der Polizeigewalt allenthalben begegnen, ſo finden wir gleichfalls auf allen Punkten dieß Recht derſelben wieder; — und es iſt, wenn die bisherige Darſtellung klar geworden iſt, nunmehr auch wohl einleuchtend, daß und warum auch in dieſem Rechte eine ungemeine Verwirrung herrſcht. Um ſo mehr dürfen wir um die Aufmerkſamkeit derer bitten, denen es um die Sache zu thun iſt.
Offenbar hat das Recht der vollziehenden Gewalten zu ſeiner Vor - ausſetzung die äußere und innere Selbſtändigkeit der vollziehenden Ge - walt ſelbſt gegenüber den andern Organen, welche die Perſönlichkeit des Staats bilden. Die Grundlage dieſes ganzen Rechts iſt daher das51 Verſtändniß eben dieſer Selbſtändigkeit, der Selbſtändigkeit eines orga - niſchen Theiles im Ganzen, die, um nicht bloß eine Ordnung, ſondern eben ein Recht zu ſein, nicht bloß eine äußerliche und formale, ſondern die Selbſtändigkeit eines Willens ſein muß.
Die Vorausſetzung des Rechts der vollziehenden Gewalt iſt daher das Setzen eines, in ihr ſelbſt liegenden Willens, und der damit gegebenen Möglichkeit, daß dieſer Wille der vollziehenden Gewalt, ent - weder als bloße Willensäußerung (Verordnung) oder als wirkliche That (polizeiliche Gewalt), mit dem Willen des Staats nicht übereinſtimme.
Denn es iſt offenbar, daß wenn die vollziehende Gewalt entweder faktiſch oder rechtlich keinen eigenen Willen hätte, ſondern nichts wäre als die formelle Thätigkeit, welche den außerhalb ihrer ſelbſt liegenden Willen des Staats vollbringt, dieſelbe auch eben ſo wenig ein Recht haben könnte, wie jedes andre willenloſe Werkzeug. Es iſt auch nutzlos, dem entgegen zu behaupten, daß ſie eben einen eigenen Willen haben ſolle. Denn ſie kann ſich dieſen eigenen Willen nicht einſeitig durch ſich ſelbſt verſchaffen, ſondern ſie kann ihn nur durch die geſammte organiſche Entwicklung des Staats empfangen. Es mag daher ſehr unrecht ſein, daß ſie den eigenen Willen nicht hat, aber das iſt nicht ihr Unrecht, und darum iſt es auch nicht ihr Unrecht, wenn ſie in dieſem Falle un - bedingt als eine gehorchende Gewalt erſcheint. Ihr Recht entſteht da - her erſt mit dem organiſchen Grundſatze des Staatslebens, daß ſie in ſich ſelbſt einen Willen ſetzen und äußern könne.
Um das nun zu können, muß es neben ihr im Staate eine zweite, gleichfalls ſelbſtändige Form des Staatswillens geben, dem dieſer Wille der vollziehenden Gewalt gegenüber treten kann. Dieſer zweite Wille iſt nicht der des Staatsoberhaupts, und zwar darum nicht, weil die in ihm liegende Staatsgewalt ja ſelbſt das Haupt der Vollziehung iſt; ſondern jene zweite Form iſt die des Staatswillens in ſeiner geſetz - gebenden Funktion, getragen durch den geſetzgebenden Körper, oder kurz der Wille der geſetzgebenden Gewalt. Dieſe Form des ſich ſelbſt be - ſtimmenden Staatswillens nennen wir das Geſetz. Den Willen der vollziehenden Gewalt haben wir die Verordnung genannt. Die Selbſtändigkeit des Willens der letztern entſteht daher erſt da, und mit ihr das Recht derſelben, wo es neben den Verordnungen Geſetze gibt; und das Recht der vollziehenden Gewalt iſt demnach die durch das Weſen des Geſetzes für Verordnungs -, Organiſations - und Polizeigewalt geſetzte rechtliche Gränze der vollziehenden Gewalt oder das Recht der Verordnung im Verhältniß zum Geſetze.
Es ergibt ſich daraus das erſte wichtige Princip dieſes Rechts -52 gebietes. So lange es nämlich kein ſelbſtändiges Organ der geſetzgeben - den Gewalt, und mithin einen von dem Willen der vollziehenden Ge - walt unterſcheidbaren, ſelbſtändigen Willen der erſteren gibt, gibt es auch keine Rechtsgränze der vollziehenden Gewalt als in dem Willen ihres eigenen höchſten Organs. Denn wo jenes ſelbſtändige Organ fehlt, da iſt der Wille des Staatsoberhaupts allein das Organ der Bildung eines Staatswillens; und da nun die Staatsgewalt zugleich im Staatsoberhaupt gegeben iſt, und in und mit ihr die geſammte vollziehende Gewalt der Regierung, ſo folgt, daß jede Thätigkeit der letzteren, ſo lange ſie mit dem Willen des erſteren übereinſtimmt, nicht bloß die Gewalt des Staats enthält, ſondern auch das wirkliche, orga - niſche öffentliche Recht verwirklicht. Es ergibt ſich daraus, daß ſie, ſo lange die Geſetzgebung nicht ſelbſtändig vorhanden iſt, überhaupt kein Unrecht thun kann. Denn der perſönliche Wille des Staats - oberhaupts iſt dann wirklich der Wille des Staats, und hat rechtlich eben ſo wenig Gränzen, als der letztere. Der Begriff des Rechts ver - ſchwindet alsdann für die vollziehende Gewalt, da jede Selbſtändigkeit der letzteren hier nicht eine Selbſtändigkeit innerhalb des Staatsorga - nismus, ſondern gegen denſelben, und damit nichts anders als ein Verbrechen gegen den Staat wäre. Wir nennen einen ſolchen Zuſtand eine Deſpotie. Das Weſen der Deſpotie beſteht demnach darin, daß der ſubjektive Wille des Oberhaupts unbedingt und ohne Gränze der objektive Staatswille iſt, und das Recht deſſelben, alſo das Recht des Geſetzes hat. Der formelle Charakter dieſes Zuſtandes iſt darin gegeben, daß jeder Unterſchied zwiſchen Verordnung und Geſetz ver - ſchwindet, und alles Befohlene ein Geſetz iſt. In ihm gibt es daher überhaupt kein Recht der vollziehenden Gewalt, ja eigentlich auch keine vollziehende Gewalt, ſondern nur eine mechaniſche Vollziehung.
Es ergibt ſich aber zweitens aus dem obigen Begriffe der Satz, daß das Recht der vollziehenden Gewalt entſteht mit dem Rechte und der Selbſtändigkeit der geſetzgebenden Gewalt, oder mit dem Entſtehen des Geſetzes. Und die weſentlichſte Frage iſt daher für das ganze öffentliche Recht, und ſpeziell für das Recht der vollziehenden Gewalt, was denn ein Geſetz ſey. Denn erſt wenn man weiß was ein Geſetz iſt, kann man von einem Rechte des Willens der vollziehenden Gewalt oder der Verordnung gegenüber dem Geſetz, und damit von einem Rechte der erſteren überhaupt reden.
Es iſt nun nothwendig, ſich dabei zu ſagen, daß ſowohl in der Philoſophie des Staats als im allgemeinen Staatsrecht der Begriff des Geſetzes nicht feſtſteht. Und das iſt auch der Grund, weßhalb wir vom Rechte der vollziehenden Gewalt ſo wenig wiſſen.
53In der That nämlich ſind die gewöhnlichen Definitionen ganz nichtig. Der „ allgemeine Wille, “der „ auf ordnungsmäßigem Wege “ja ſogar der auf „ verfaſſungsmäßigem Wege “zu Stande gekommene Staatswille iſt noch kein Geſetz, ſondern kann eben ſo gut Verordnung als Geſetz ſeyn. Eben ſo wenig ſcheidet der Gegenſtand Geſetz und Verordnung; denn im Nothfalle verfügt auch die vollziehende Gewalt über Gebiete, welche der Geſetzgebung angehören. Demnach iſt nun wiſſenſchaftlich der Begriff des Geſetzes ſehr leicht zu beſtimmen und auch ſchon oben angegeben. Es iſt derjenige Staatswille, der von dem Organ der Geſetzgebung aufgeſtellt und durch die Zuſtimmung des Staatsoberhaupts zum Willen des perſönlichen Staats erhoben iſt. Es gibt daher kein Geſetz ohne Volksvertretung, und mithin auch im Gegenſatz dazu keine Verordnung und mithin auch kein Recht der vollziehenden Gewalt ohne dieſelbe; aber ſo wie jene da iſt, ent - ſtehen dieſe von ſelbſt. Der Begriff von Geſetz iſt ein Correlat des Begriffes der Volksvertretung; aber das Geſetz iſt eben darum nicht die einzige Form des Staatswillens, ſondern die zweite Form des Staatswillens iſt die der vollziehenden Gewalt, welchen das Staats - oberhaupt gleichfalls zum Willen des perſönlichen Staats erhebt; und dieſe Form iſt die Verordnung. In der That ſcheidet ſich daher auch die Verordnung eigentlich erſt durch die Volksvertretung; ſie iſt der Staatswille ohne dieſelbe, das Geſetz der Staatswille mit derſelben. Und jetzt erſt iſt der Begriff des Rechts der vollziehenden Gewalt möglich.
Dieſes Recht entſteht nämlich nunmehr nicht dadurch, daß Geſetz und Verordnung verſchieden ſind, ſondern vielmehr erſt dadurch, daß ſie gleich ſind. Denn bis da ſind ſie Akte der Selbſtbeſtimmung des Staats. Es iſt nicht der Mühe werth, die Meinung nochmals zu widerlegen, als könne es jemals einen Zuſtand geben, in welchem es nur Geſetze und gar keine Verordnungen gäbe. Da ſie beide zugleich vorhanden und beide zugleich organiſch entſtandene Staatswillen ſind, ſo fordern ſie beide die gleiche Gültigkeit. An ſich hat die Ver - ordnungsgewalt gerade ſo viel und gerade ſo wenig Gränzen des Ge - horſams, wie die geſetzgebende Gewalt. An ſich befiehlt ſie mit dem - ſelben Recht über alles, wie das Geſetz. Der Staatsbürger für ſich ſtehend kann daher zwiſchen Geſetz und Verordnung in Beziehung auf ſeinen Gehorſam gar keinen Unterſchied machen. Das Recht der vollziehenden Gewalt oder der Verordnung beſteht daher nicht in einer Begränzung dieſer Gewalt an ſich, ſondern es entſteht, erſt wo der Verordnung ein Geſetz entgegenſteht. Hier iſt die Verordnung dem Geſetze untergeordnet. Ein anderes Recht der vollziehenden Gewalt54 als dieſe Unterordnung gibt es nicht. So weit ſie nicht durch ein Geſetz begränzt iſt, iſt ſie ſelbſt der herrſchende Staatswille, iſt ſie Geſetz im weiteren Sinn, und was ſie beſtimmt, iſt geltendes öffentliches Recht, ſo gut wie das des eigentlichen Geſetzes. Das iſt das fundamentale Princip des Rechts der vollziehenden Gewalt.
Es folgt daraus, daß alle Rechtsfragen auf dieſem Gebiete keinen andern Inhalt haben als den, in welchem Verhältniß der Inhalt des Willens der vollziehenden Gewalt mit dem beſtehenden Geſetze in Harmonie ſtehe? Um dieſe Fragen beantworten zu können, müſſen erſt Maß und Form des Antheils des geſetzgebenden Körpers an der Bil - dung des Staatswillens ſelbſt feſtſtehen. Das aber, in der Theorie vielleicht ſehr einfach, iſt in der Wirklichkeit erſt durch einen Jahrhunderte langen Kampf der verſchiedenen Elemente des Staatslebens endgültig geregelt, und zum Theil auch jetzt noch nicht ganz entſchieden. Der poſitiv rechtliche Begriff des Geſetzes hat damit ſeine Geſchichte, und mit ihm alle ſeine obigen rechtlichen Folgerungen. Noch immer ſind wir in dieſer Geſchichte; ſie iſt keinesweges abgeſchloſſen. Noch immer gibt es keinen in ganz Europa, und eben ſo wenig in Deutſchland ge - meinſchaftlich gültigen Begriff des Geſetzes, geſchweige denn der Ver - ordnung. Ja dieſer Begriff des rechtlich gültigen Geſetzes iſt nicht bloß verſchieden in den verſchiedenen Staaten, und von der geſammten Staats - wiſſenſchaft ganz und gar vernachläſſigt, ſondern es iſt in einigen Staaten überhaupt gar nicht ſcharf zu beſtimmen, theils weil Verordnungen als Geſetze erlaſſen werden, wie in England und Nordamerika, während anderſeits wieder ſelbſtändige Verordnungsgewalten anerkannt ſind, theils weil das Recht der Volksvertretung auf Theilnahme an der Be - ſtimmung des Staatswillens ſo unbeſtimmt ausgedrückt iſt, daß die Gränze zwiſchen Geſetz und Verordnung geradezu verſchwindet. Wir müſſen daher, ehe wir weiter gehen, wenigſtens den großen hiſtoriſchen Proceß in ſeinen Umriſſen darlegen, an deſſen Ende die definitive Löſung dieſer Frage liegt, obgleich dieſe Aufgabe eigentlich der Ver - faſſungslehre angehörte.
Nicht bloß in dem Moment eines anerkannten Begriffes von Geſetz und Verordnung, ſondern eben ſo ſehr in dem eines beſtimmten Begriffes vom öffentlichen Rechte liegt die Schwierigkeit unſerer Aufgabe. Wir müſſen feſt - halten, daß ſo lange unſere Wiſſenſchaft ſich nicht dazu verſteht, mit den ge - gebenen Ausdrücken einen ganz beſtimmten Sinn zu verbinden, wir im Ein - zelnen nach wie vor Treffliches leiſten, aber im Ganzen nicht weiter kommen werden. Freilich iſt es leicht erklärt, weßhalb der Begriff Geſetz noch ſo ſchwankend und wir möchten ſagen örtlich iſt; aber es iſt keine Hoffnung, zu einem gemeingültigen Reſultat zu kommen, wenn wir nicht feſte Definitionen55 anerkennen. Die exakten Wiſſenſchaften in der ganzen Welt ſind uns voraus, weil ſie eben auf ſolcher Grundlage weiter gehen, und ſich mit Einzelnem be - ſchäftigen können, ohne an die Erarbeitung des ſyſtematiſchen Zuſammenhanges ihre beſte Kraft zu verlieren; die Franzoſen ſind uns namentlich im Verwal - tungsrecht weit voraus, weil ſie ſich um dieſen Zuſammenhang nicht viel küm - mern; wir müſſen ihn haben; aber werden wir auch hier in Deutſchland nie einig werden?
Von einer Geſchichte des Geſetzes läßt ſich überhaupt, und ſpeziell in Beziehung auf das öffentliche Recht der vollziehenden Gewalt nur dann reden, wenn man im oben aufgeſtellten Sinn Geſetz und Ver - ordnung ſcheidet, und das Geſetz auf die Entſtehung und Ausbildung des ſelbſtändigen geſetzgebenden Organes der Vertretung des Volkes zurückführt.
Allerdings gehört von dieſem Standpunkt die ganze Lehre vom Geſetze dem Verfaſſungsrecht, und das Verwaltungsrecht müßte ſie und den gültigen Begriff des Geſetzes vorausſetzen. Wir können das nicht, weil die Behandlung beider nicht genügen kann. Wir müſſen daher verſuchen, die Grundlagen derſelben hier aufzuſtellen.
Die Geſchichte des Geſetzes iſt die Geſchichte des Rechts der Volks - vertretung, als ſelbſtändiger geſetzgebender Körper aufzutreten. Dieß Recht, ſeiner Natur nach einfach, entwickelt ſich langſam, und langſam wird daher auch der Begriff und das Recht des Geſetzes im öffentlichen Rechte beſtimmt. Die Stadien dieſer Entwicklung ſind folgende.
In der urſprünglichen Geſtalt des germaniſchen Staatslebens ſteht allerdings der Grundſatz feſt, daß das geltende Recht nur durch das ganze Volk feſtgeſtellt werden könne. Allein der Gegenſtand der Be - ſchlüſſe dieſer noch ganz rohen, vom Volksleben nicht organiſch geſchie - denen geſetzgebenden Gewalt war doch nur die Rechtspflege. Es gab nur noch Rechtsgeſetze. Der König hatte daneben ſein Recht; es war das Recht, das ſich auf das Heerweſen bezog. In den militäriſchen Verordnungen beginnt das Verordnungsweſen, natürlich höchſt unent - wickelt, wie in den Volksrechten die Geſetzgebung.
Schon in der Carolingiſchen Zeit verſchwindet dieß zweite Element. Die Völker haben, über die ganze Welt zerſtreut, viel zu verſchiedene Lebensverhältniſſe, um ferner noch einheitliche Rechtsgeſetze bilden zu können. Das Königthum dagegen fügt ſeiner militäriſchen Verordnungs - gewalt ſchon damals die polizeiliche Verordnungsgewalt hinzu, ja greift ferner in die Rechtsgeſetzgebung durch einzelne Interpretationen56 und ſpezielle, meiſt proceſſualiſche Verfügungen hinein. Die Nothwendig - keit ein gleiches Recht zu haben und die Unmöglichkeit, Rechtsgeſetzliches durch das ganze Volk berathen und beſchließen zu laſſen, machen dieſe Geſetzgebung durch das Königthum auch auf dem Gebiete des Rechts in der Form von Verordnungen nothwendig. Da von einer vollziehen - den Gewalt außerhalb des richterlichen Urtheils noch nicht die Rede iſt, ſo wird auch das Bedürfniß nicht empfunden, ein Recht der Geſetze dem Recht der Verordnung entgegenzuſtellen. Die Vorſtellung von dem Recht des römiſchen Kaiſers, Verordnungen zu erlaſſen mit voller Gül - tigkeit (constitutiones quae legis habent vigorem) geht in dieſer Weiſe auf die Carolinger über. Alle Unterſchiede verwiſchen ſich daher in dem Begriff des „ geltenden Rechts, “das aus den Volksrechten und den königlichen Verordnungen zugleich beſteht, ohne daß man von einer Verſchiedenheit ihres Rechts reden konnte. Das iſt die Zeit der Capi - tularien und der ihnen mit gleichem Recht zur Seite ſtehenden leges barbarorum.
Ganz anders geſtaltet ſich das Verhältniß zur Zeit des Lehens - weſens. Das Lehensweſen beruht auf dem Begriff des Eigenthums an den ſtaatlichen Rechten, welche mit dem Grundbeſitz verſchmolzen ſind. Dieſer Begriff ſchließt jede andere Form der Verwaltung als die der Rechtspflege aus. Es gibt daher hier gar keine allgemeine Geſetz - gebung, gar kein gemeingültiges Geſetz mehr; denn das Volk iſt in zwei Stände aufgelöst, und jedes Mitglied des herrſchenden Standes iſt auf ſeinem Grund und Boden ſouverain. Jeder Lehensherr hat daher jetzt für ſeinen Beſitz das Recht der Staatsgewalt auf Geſetzgebung und Verordnung zugleich; der König aber iſt ein oberſter Lehensherr. Er hat daher keine andere vollziehende Gewalt als jeder Lehensherr, d. h. für ſeinen eigenen Beſitz. Der Staat hat ſeinen Inhalt verloren; er iſt in örtliche Selbſtherrlichkeiten aufgelöst; Geſetz und Verordnung ſind nicht eben vermiſcht, ſondern ſie ſind eigentlich geradezu verloren.
Aus dieſem Verhältniß tritt der Staat nun zuerſt hinaus durch die Hoheitsrechte. Die Hoheitsrechte, Regalien, bilden ſich als das Gebiet der Rechte und Pflichten des Staats gegenüber der Sou - veränetät der Grundherrlichkeit; da aber der Staat in der Perſon des Königs noch getrennt vom Volksleben daſteht, ſo erſcheinen die Regalien gleichfalls unter dem Grundbegriffe des öffentlichen Rechts im Lehen - weſen, dem lehensherrlichen Eigenthum des Königs. Es folgt, daß dieſe Regalien ſich der Beſtimmung durch den Volkswillen — der Ge - ſetzgebung — gleich bei ihrem Entſtehen entziehen; ſie ſind Rechte des Königthums, und damit iſt auch der Satz unbezweifelt, daß ſie und ihre Ordnung nur der Verordnungsgewalt unterliegen.
57Dieſe Thatſache wird nun von großer Wichtigkeit für die folgende Zeit. Denn die Dehnbarkeit des Begriffs der Hoheitsrechte wird da - durch identiſch mit der Ausdehnung des königlichen Rechts, die allmählig entſtehenden öffentlichen Angelegenheiten überhaupt auf einfachem Ver - ordnungswege zu verwalten. Was irgend als Regal ſich darſtellen läßt, erſcheint an und für ſich der Geſetzgebung im urſprünglichen Be - griffe entzogen, und dem perſönlichen Willen des Königthums eben ſo gut unterworfen, wie die Domänen und der Privatbeſitz deſſelben. In der That aber iſt ſchon damals die ganze entſtehende Verwaltung in der Regalität enthalten. Das natürliche Verſtändniß ergab den Satz ſelbſt in jener wenig philoſophiſch gebildeten Zeit, daß alle Anſtalten welche dem allgemeinen Intereſſe dienen, Anſtalten des Staats ſein müſſen; daß nur der Staat die Fähigkeit habe, ſie einzurichten und zu betreiben; ſie ſind es daher, welche den bis dahin abſtrakten Begriff des Staats mit einem concreten Inhalt erfüllen; ſie ſind die Ver - waltung der ſtändiſchen Epoche. Und auf dieſe Weiſe begründet ſich nun der, mit ſeinen Conſequenzen bis zur heutigen Zeit reichende Satz, daß überhaupt die Verwaltung keinen Gegenſtand der Geſetzgebung, ſondern nur der Verordnungsgewalt und mithin des Verordnungsrechts bilde. Auf dieſem Punkte iſt es daher auch, wo ſich der Kampf zwi - ſchen den beiden Rechten ſpäter am lebhafteſten entwickelt und am mei - ſten verwirrt. Denn in der That iſt gerade die Verwaltung ſowohl im weitern als im engern Sinn das Gebiet der Geſetzgebung; hat ſie hier keine Aufgaben, ſo hat ſie überhaupt nur wenig zu thun; dieſe Aufgaben aber betrachtete das Verordnungsrecht als ſeine Domäne, und nicht ohne den hartnäckigſten Widerſtand hat es daſſelbe ſo weit hergegeben, als es das thun mußte.
Nur ein Gebiet aus der Verwaltung erhielt ſich ſelbſt in dieſer Zeit die eigentliche Geſetzgebung, und das war das Recht und die Rechtspflege. Es war allerdings klar, daß bei der zunehmenden Ent - wicklung der Verordnungsgewalt nur in dem Recht und der Rechtspflege ein Schutz der bürgerlichen Freiheit zu finden war, und eben ſo gewiß waren es Recht und Gericht, welche die erſte Grundlage der Entwicklung des Volkslebens, die Sicherung und Ordnung von Gewerbe und Ver - kehr über die verwirrten Zuſtände der Epoche des Fauſtrechts erhoben. Recht und Gericht erſcheinen daher als das bei weitem wichtigſte Ge - biet der öffentlichen Thätigkeit; es war undenkbar, daſſelbe wie die übrige Verwaltung der Verordnungsgewalt zu überlaſſen. Dazu kam, was nicht minder weſentlich war, daß das Recht zugleich den Schutz der Grundlage der ſtändiſchen Ordnung, die Vertheilung und die Vorrechte des Beſitzes enthielt und ſchützte; eine Ueberlaſſung der58 Rechtsbildung an die Verordnungsgewalt war daher auch von dieſer Seite nicht möglich. So hielt das germaniſche Leben an dem Grundſatze feſt, daß das Rechtsleben nur durch Zuſtimmung des Volkes und unter ſeiner Mitwirkung geſetzlich geregelt werden könne, während die übrige Verwaltung ganz der Verordnungsgewalt anheim fiel. An den Rechts - geſetzgebungen hielten ſich daher auch die Körper der Volksvertretung feſt; ja ſie griffen in die übrige Verwaltung ſo weit hinein, als dieſelbe es mit dem bürgerlichen und geſellſchaftlichen Recht zu thun hatte. Und daraus entſtand nun die Grundlage der Vorſtellungen, die wir ſpäter wiſſenſchaftlich formulirt ſehen, und die noch gegenwärtig ſo vielen gilt, daß nämlich die Gewalt, welche das Recht bildet und verwaltet, etwas ſpecifiſch Verſchiedenes von den übrigen Gewalten ſei, oder daß man die richterliche und die vollziehende Gewalt vollkommen und weſentlich ſcheiden müſſe. Eine ſolche einſeitige Auffaſſung kann natürlich nur geſchichtlich erklärt werden; es wäre ſonſt ganz unver - ſtändlich, wie man die richterliche Gewalt mit dem Exekutionsrecht ihrer Urtheile nicht als einen Theil der vollziehenden, oder ſie mit ihrer organiſchen, rechtſprechenden Thätigkeit nicht als einen Theil der Ver - waltung hätte betrachten ſollen.
Trotz dieſer Selbſtändigkeit der Rechtspflege fand die Bewegung auf demſelben dennoch aus einer Reihe von Gründen nicht in dem Körper der Volksvertretung, ſondern vielmehr auf dem Gebiete der Theorie und der Praxis ſtatt; wir dürfen das alles als bekannt vorausſetzen. Ebenſo bekannt wird es jedem Rechtshiſtoriker ſein, daß dieß geltende Recht auch da, wo es geſammelt und als gültig anerkannt ward, nicht durch eine förmliche Geſetzgebung, ſondern entweder durch Privatfleiß, oder durch Regierungsmaßregeln, wie die coutumes in Frankreich, auf - geſtellt ward. Da nun die Geſetzgebung gegenüber der Verordnung faſt ausſchließlich auf das Rechtsleben angewieſen war, ſo ergab ſich, daß die erſtere gegenüber der letztern faktiſch verſchwand. Während ſeit dem vierzehnten Jahrhundert die Geſammtintereſſen mehr und mehr zur Entwicklung gediehen und daher der Verordnungsgewalt mehr und mehr durch die Natur der Dinge das Recht eingeräumt ward, das öffentliche Recht zu bilden, ſehen wir die alte Geſetzgebung ſich faſt vollſtändig auflöſen; es ward eine allgemeine europäiſche Thatſache, daß die Könige das Recht des Staats zu bilden haben; von ihnen ward, und mit Recht, alles erwartet, was als Grundlage des Wohlſtandes angeſehen ward; die Vorſtellung von einem Gegenſatz des Verordnungsrechts und des Geſetzesrechts ward um ſo vager, als einerſeits die geſetzgebenden Körper ſich aufgelöst hatten, und anderſeits das römiſche Recht die Tradition des fürſtlichen Rechts auf den Erlaß gültiger Verordnungen59 lebendig erhielt. Und daraus entſtand nun, wenn auch nicht klar for - mulirt, ſo doch im allgemeinen Gange der Dinge begründet, eine Um - geſtaltung der Auffaſſung des öffentlichen Rechts in Beziehung auf die Geſetzgebung. Die königliche Gewalt nahm den Satz auf, daß die Theilnahme des Volkes an der Bildung des Staatswillens mehr eine Sache der Zweckmäßigkeit als des Rechts ſei, und daß der Wille der Vertretungen daher für das Königthum nicht als Beſchluß, ſondern nur als Berathung gelte, deren ſich das letztere auch entſchlagen könne. Das Weſen und Recht des Staatswillens, alſo des Geſetzes, beruhe nicht auf der Zuſtimmung des Volkes in ſeiner Vertretung, ſon - dern in der höchſten Gewalt des Staats, dem von Gott eingeſetzten Königthum; ſein Wille ſei der Staatswille. Oder wie wir es jetzt aus - drücken können, nachdem die Thätigkeit der Geſetzgebung verſchwunden, verſchwand jetzt auch Begriff und Recht des Geſetzes, und damit der Unterſchied deſſelben von der Verordnung. Die Verordnungsgewalt nahm das Recht der geſetzgebenden Gewalt für ſich in Anſpruch; ſie machte zum oberſten Grundſatz alles öffentlichen Rechts, daß der perſön - liche Wille des Königs die Quelle der Gültigkeit jedes Rechts, oder daß jede Verordnung ein Geſetz ſei. Das iſt das Princip welches im ſechzehnten Jahrhundert den Kern der ſtaatsrechtlichen Auffaſſung bildet, und das ihm ſiebenzehnten Jahrhundert ſeinen Kampf zu beſtehen hat, um im achtzehnten definitiv zu ſiegen, und im neunzehnten dem freieren Rechte unſrer Gegenwart Raum zu geben.
Es iſt daher charakteriſtiſch, daß wir auch in dieſer Zeit die Aus - drücke von Geſetz und Verordnung theils gar nicht, theils nur in ſehr ungenauer Anwendung finden. Es wird die Aufgabe der künftigen Geſchichtſchreibung ſein, die Bedeutung und das Recht des „ Landes - rechts, “der „ Ordnungen, “der „ ordonnance, “des „ law “genauer zu be - ſtimmen. Sie ſind von großer Wichtigkeit für dieſen Theil der neuern Geſchichte. Denn ſchon mit dem Anfange des ſiebenzehnten Jahrhunderts tritt ein neuer Faktor auf, der ganz entſcheidend zu wirken beſtimmt iſt.
Das iſt die Nothwendigkeit für das Königthum, Steuern zu ver - langen. Die Steuer iſt damals nicht bloß das was ſie jetzt iſt, ſie iſt mehr. Sie iſt ein Eingriff in das Recht des ſtändiſchen Beſitzes. Die Steuerforderung erſcheint daher als ein Widerſpruch mit dem Privat - recht, dem Recht auf das Eigenthum. Das Privatrecht aber, das ſtändiſche wie das bürgerliche, hatte ſich, wie erwähnt, wenigſtens prin - cipiell noch immer dem Verordnungsrecht entzogen. Die Pflicht zur Steuer konnte nicht auf dem einſeitigen Willen der höchſten Gewalt beruhen, ſo wenig wie das Eigenthumsrecht. Dennoch mußten Steuern ſein. Es blieb daher nichts übrig, als ſie auf den Willen der Volks -60 vertretung zurückzuführen, oder ihnen eine Geſetzgebung zum Grunde zu legen. Dieſe neu entſtehende, erſt allmählig zur rechten Geſtaltung gelangende Steuergeſetzgebung iſt bekanntlich das landſtändiſche Recht der Steuerbewilligung. Allerdings hat dieſelbe einen viel engern Kreis als man gewöhnlich annimmt; alles was als Regal eine Steuer ent - hält, fällt nicht darunter, ſondern faſt ausſchließlich die Grundſteuer; aber das ändert ihre hiſtoriſche Bedeutung nicht. Dieſe beſteht einfach in dem bekannten Satze, daß, während Geſetzgebung und Geſetz auf allen andern Punkten in der Verordnung untergegangen ſind, in der Steuer das ſelbſtändige Recht des Geſetzes wieder auflebt, und das Verordnungsrecht hier ſeine erſte, entſchiedene Gränze findet.
So wie dieß geſchieht, entſteht nun der Kampf zwiſchen Königthum und Landesvertretung. Das erſte will auch dieſe ſtaatswirthſchaftliche Verwaltung bloß durch Verordnungen regieren, die zweite will ihr Recht, hier nur Geſetze gelten zu laſſen, dazu benützen, um das ganze Gebiet der Verordnungen der Beſchlußfaſſung der Stände zu unter - werfen. Man kennt die Geſchichte Englands, Frankreichs, Deutſchlands in dieſer Beziehung. In England ſiegen die Stände — denn das Parlament iſt doch nur eine große Ständeverſammlung — auf dem Continent ſiegt das Königthum. In England geht daher auch die ganze Verordnungsgewalt wenigſtens principiell an die Stände über, auf dem Continent entſcheidet der dreißigjährige Krieg für das König - thum und die Stände verſchwinden mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts. Damit iſt die Frage für den ganzen Zeitraum endgültig entſchieden und der Charakter des öffentlichen Rechts definitiv feſtgeſtellt. Es gibt gar keinen Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung mehr; es gibt nur noch ein gültiges Recht durch den Willen der Staatsgewalt. Es gibt daher auch keine Frage mehr nach den Gränzen der Verord - nungsgewalt, oder nach einem Rechte derſelben, denn jede Verordnung iſt Staatswille, iſt Geſetz. Das geht ſo weit, daß jetzt auch das bür - gerliche Recht nicht mehr grundſätzlich als Gegenſtand der Geſetzgebung betrachtet wird; es iſt gerade ſo gut als die Finanzgeſetzgebung und die innere Verwaltung der Verordnungsgewalt unterworfen, und die großen Geſetzbücher dieſer Epoche, zuerſt das däniſche von 1683, dann die ver - ſchiedenen franzöſiſchen, ſpaniſchen, ſardiniſchen Codificationen, endlich das öſterreichiſche bürgerliche und das preußiſche Landrecht werden ein - fach auf dem Wege der Verordnung mit unbezweifelter Geſetzeskraft erlaſſen. Die Worte Geſetz und Verordnung haben nur noch eine hiſtoriſche, höchſtens eine formelle Bedeutung; jeder Erlaß der Staats - gewalt iſt jetzt das, was wir gegenwärtig Geſetz nennen. Das iſt das Princip des öffentlichen Rechts im achtzehnten Jahrhundert.
61Man ſoll nur nicht glauben, daß der tiefe Widerſpruch, der in dieſem Princip zu dem Weſen der germaniſchen Staatenbildung liegt, ganz unbeachtet vorübergegangen ſei. Wir ſehen im Gegentheil viel - fache Verſuche, das Recht des Geſetzes gegenüber dem Rechte der Ver - ordnung aufrecht zu halten. Aber ſie blieben bis zu den ſiebziger Jahren im Gebiete der Theorie; dieſe Theorien ſind aber nur verſtändlich auf Grundlage der obigen hiſtoriſchen Auffaſſung. Wir müſſen uns be - gnügen, hier ihre Richtung zu charakteriſiren. Den erſten Verſuch macht Montesquieu mit ſeiner Scheidung der Gewalten; indem er die geſetz - gebende Gewalt der richterlichen gegenüberſtellt, will er eigentlich dem Organismus des Staats Begriff und Recht des Geſetzes im Namen der Politik vindiciren. Die zweite Richtung, von Moſer vertreten, will das Recht auf die Scheidung von Geſetz und Verordnung auf die hiſtoriſchen Bildungen des öffentlichen Rechts zurückführen, während die rein philo - ſophiſche der franzöſiſchen Encyclopädiſten, vor allen Rouſſeau, jeden Staatswillen zum Geſetze machen. Daneben ſucht die eigentliche Juris - prudenz in der caſuiſtiſchen Unterſcheidung von Juſtiz - und Admini - ſtrativſachen die Gränze für die rechtsbildende Kraft und Gültigkeit der Verordnung, gelangt aber auch ihrerſeits nur zu Abſtraktionen, weil eben das Subſtrat der Unterſcheidung, die rechtlich anerkannte Natur des Geſetzes gegenüber der Verordnung fehlt, und dieſe Jurisprudenz ſich eigentlich gar nicht zur Aufgabe macht, ſie herzuſtellen, ſo iſt mit dem achtzehnten Jahrhundert das Gebiet des Verordnungsrechts eigent - lich verſchwunden; auch die unklaren Verſuche, in einer Notabelnver - ſammlung ein Organ der Geſetzgebung ſelbſtändig herzuſtellen, ſcheitern. Grundſatz iſt, daß Recht iſt, was der König will, und nichts anderes; in ihm beſteht das öffentliche Recht, und in dieſem Zuſtande konnte daher auch keine Theorie, ſondern nur die organiſche Neugeſtaltung des Staats Hülfe bringen.
Es iſt natürlich vollkommen unmöglich, an dieſem Orte auf dieſen durch - aus vernachläſſigten Theil der Geſchichte einzugehen. Wir bemerken nur Eins, um vielleicht zu weiteren Fragen anzuregen. Selbſt das römiſche Recht hat ſich dieſen Unterſuchungen nicht etwa bloß entzogen, ſondern ſogar ein neues Moment hinzugefügt, ohne es zu erklären, das Moment der Reception. Es iſt bisher nicht im Stande geweſen, die Frage zu beantworten, ob das römiſche Recht ſelbſt Geſetz ſei oder nicht; ſelbſt der Ausdruck „ geltendes Recht “genügt nicht, da eben nicht alles im römiſchen Recht gilt, und nirgends auch nur der Verſuch exiſtirt, einen leitenden Grundſatz für die Scheidung des Gelten - den und Nichtgeltenden aufzuſtellen. Wir müſſen daher die weitere Bearbeitung der oben angedeuteten Geſichtspunkte für die Aufgabe ſelbſtändiger, freilich eben ſo ſchwieriger als wichtiger Arbeiten halten. Erſt das Folgende kann genauer betrachtet werden.
Wir können nun, der obigen Darſtellung gegenüber, den Begriff des Geſetzes und der Verordnung, wie ſie in unſerem Jahrhundert zur Geltung gelangt ſind, den Begriff und das Recht der verfaſſungs - mäßigen Geſetze und Verordnungen nennen. Es wird nicht ſchwer ſein, das Weſen derſelben nunmehr zu beſtimmen. Nur muß man dabei ſich weder mit dem ſpecifiſch-deutſchen Begriffe begnügen, noch auch Frank - reich und England bloß als intereſſante Beiſpiele hinzufügen, wie es gewöhnlich geſchieht. Im Gegentheil muß man davon ausgehen, daß das Recht der Geſetze und der Verordnungen ſich durch einen jener Proceſſe gebildet hat, welche der europäiſchen Rechtsgeſchichte gemein - ſam angehören, daß dieß Recht zugleich in jedem Lande ein indivi - duell geſtaltetes iſt und mit dem ſelbſteigenen Charakter ſeines öffent - lichen Rechtslebens auf das Innigſte verbunden, und daß wir endlich, namentlich in Deutſchland, noch in der Mitte dieſes Proceſſes ſtehen. Das deutſche Staatsleben wird noch ein ganzes Menſchenalter brauchen, um über dieß Recht klar und einig zu ſein. Um ſo wichtiger iſt der Verſuch, die Sache auf ihre einfachſte Grundlage zurückzuführen.
Mit dem Auftreten der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft nämlich und dem Principe des freien Staatsbürgerthums iſt die Identität des Staats - willens und des individuellen Willens der Fürſten, oder die Identität von Geſetz und Verordnung unmöglich. Der Staatswille erſcheint als der organiſch gebildete Geſammtwille des Volkes; das Recht an dieſer Bildung Theil zu nehmen, iſt das eigentliche Weſen des Staatsbürger - thums; das Recht des ſo gebildeten Staatswillens iſt die ſtaatsbürger - liche Freiheit. Die Vorausſetzung beider iſt demnach die Bildung eines Organes, welches der Träger dieſes Willens iſt; das iſt die Volksver - tretung. Und ſo entſteht nun der erſte und eigentliche Begriff des Ge - ſetzes; das Geſetz iſt der, durch den Volkswillen in ſeinem verfaſſungsmäßigen Organe anerkannte Staatswille.
Es bedarf nun keiner Erinnerung an die furchtbaren Kämpfe, welche dieſer ſo einfache Gedanke hervorrief. Wohl aber muß man nunmehr darauf hinweiſen, daß derſelbe in jener einfachen Form eben noch keineswegs fertig war. Es war ein Princip. Die organiſche Har - monie dieſes Princips mit den übrigen Geſetzen des Staatslebens, oder die ſpezielle Geſtaltung des Begriffes und Rechts des Geſetzes ſollte erſt gefunden werden.
Man wird in dieſer Beziehung drei Epochen ſcheiden können.
Die erſte dieſer Epochen bezeichnet uns gleichſam die Jugend jenes63 Princips. Der Wille überhaupt ſoll herrſchen, der Staatswille ſoll im Staate herrſchen, das Geſetz iſt der Staatswille, es kann nichts über dem Geſetze geben; die Volksvertretung iſt das herrſchende Organ des Staatslebens. Alle Thätigkeiten müſſen daher dem Geſetz unterthan ſein; ſie können keine Selbſtändigkeit gegenüber dem Geſetze haben; ſie ſind Diener des Geſetzes. Die Vollziehung iſt daher nichts als eine Aeußerung des Geſetzes; nur inſofern iſt ſie ſelbſtändig; ſie ſoll keinen Willen für ſich haben; höchſtens darf ſie die Unmöglichkeit des Staats - willens im Veto erklären. Damit hat das Staatsoberhaupt ſeinen wahren Charakter verloren. Er iſt nicht mehr Staatsoberhaupt, ſon - dern der ganze Staat hat ſich in die zwei Gewalten, die geſetzgebende und die vollziehende geſchieden; das Staatsoberhaupt iſt nichts, als das Haupt der vollziehenden Gewalt. Er darf eben ſo wenig mehr ſein, als die That mehr ſein darf, als der Wille; er ſteht unbe - dingt unter dem Willen, und dieſe Unterordnung formulirt ſich zum Recht der Verantwortlichkeit. Die vollziehende Gewalt kann dieſen Ge - horſam fordern, aber nicht im Namen des Staats, ſondern im Namen des Geſetzes. An und für ſich iſt ſie rechtlos. Es gibt daher dem öffentlich-rechtlichen Begriff nach nur noch reine Vollzugsverordnungen; keine Verordnung kann das Recht des Geſetzes für ſich in Anſpruch nehmen. Das iſt das Princip des franzöſiſchen Contrat social, zuerſt zum geltenden Recht erhoben in Nordamerika, dann in der franzöſiſchen Revolution, und im Jahre 1848 wieder in einigen romaniſchen Ver - faſſungen anerkannt.
Offenbar enthält dieſe Auffaſſung den Widerſpruch, daß der Ver - ordnungsgewalt damit das Recht genommen iſt, die Stelle des Geſetzes da zu vertreten, wo das Geſetz nothwendig iſt, aber fehlt. Sie lähmt den Staat, indem ſie jede Thätigkeit deſſelben von der Volksvertretung abhängig macht; ſie iſt unerfüllbar, weil die Geſetzgebung den Auf - gaben der Verwaltung nie ganz genügt. Sie iſt daher auch nur erklär - bar als Gegenſatz gegen das umgekehrte Verhältniß, welches das Recht des achtzehnten Jahrhunderts bildete, und alle Geſetze in das Verord - nungsrecht aufgehen ließ. Ihre Verantwortlichkeit iſt nicht die lebendige der Verfaſſung, ſondern die privatrechtliche eines Mandatars. So ward ſie aufgefaßt, und auch benannt; aber es war ein leeres Wort. Die Unmöglichkeit der Sache war nicht geringer als die des entgegengeſetzten Zuſtandes im achtzehnten Jahrhundert. Kein Geſetz kann das Weſen der an ſich ſelbſtthätigen Vollziehung vernichten. Bald genug macht ſich dieſe geltend. Geſetzgebung und Vollziehung gerathen in Kampf; es entſteht die wunderbare Erſcheinung eines tiefen, faſt inſtinktmäßigen Haſſes beider gegeneinander. Dieſer Haß wird zur offenen Verfolgung;64 erſt ſiegt die Geſetzgebung, unterwirft die Vollziehung, und wir ſehen den organiſchen Widerſpruch zur Geltung gelangen, daß die Geſetzgebung vorwalten will. Dann ſiegt die Vollziehung, und zwar wie es immer geweſen iſt und ewig bleiben wird, durch das Heer, und jetzt wird aus der beſchließenden Gewalt der erſteren eine bloß berathende. Das iſt der Punkt, wo ſich die neue Geſetzgebung mit ihrem Recht am meiſten der alten Geſtalt der Dinge nähert. Das Geſetz iſt jetzt der, unter der Mitberathung der Vertretungsorgane zu Stande gekommene Wille des Staatsoberhaupts; nicht mehr der Beſchluß jener Organe. Der Wille der Geſetzgebung iſt aus dem alleinherrſchenden Element zu einem organiſchen, thatſächlich untergeordneten Faktor des Staatslebens geworden. Das iſt die Epoche, welche mit dem Direktorium beginnt, und ihren Höhepunkt unter Napoleon findet.
Die Epoche, welche der Herrſchaft Napoleons folgt, hat einen andern Charakter. Es iſt die Zeit, in welcher die zur Selbſtändigkeit gelangende ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft darin ihren Ausdruck findet, daß ſie für ihre Vertretung das Recht des Beſchluſſes gewinnt, und daneben das Königthum als ſelbſtändig anerkennt. Es iſt die Zeit, in der die eigentlichen Verfaſſungen entſtehen. Mit ihnen formulirt ſich endlich der Begriff des Geſetzes. Erſt mit der Charte Ludwigs XVIII. haben wir das, was wir im ſtrengen Sinne des Wortes ein Geſetz nennen; der Staatswille, geſetzt durch den Beſchluß einer organiſchen Volksver - tretung und als Wille des Staats durch die Sanktion des Königs aner - kannt. Das Königthum iſt jetzt nicht mehr bloß die vollziehende Ge - walt, ſondern das ſelbſtändige Oberhaupt des Staats. Der Grund - gedanke der eigentlich ſogenannten Verfaſſung iſt gefunden. Damit aber entſteht zugleich die Frage nach dem Inhalt und Recht der Vollziehung und Verwaltung. In dem Rechte der Geſetzgebung iſt die Idee leben - dig, daß das Geſetz die Quelle alles öffentlichen Rechts ſein ſolle, allein eben die Selbſtändigkeit des Königthums erhält den Gedanken, daß die Perſönlichkeit des Staats ein Leben hat, das nicht bloß von dem Ge - ſetze abhängig ſein darf. Der König muß das Recht haben, da wo die Geſetze ſchweigen, Verordnungen zu erlaſſen, welche das Recht des Geſetzes beſitzen. Dieſer Satz tritt anfangs mit einer gewiſſen Schüch - ternheit auf, gleichſam in dem Bewußtſein der Gefahren, die er bringen ſollte. Aber ſelbſt trotz dieſer Gefahren bleibt er noch in der Charte von 1830 beſtehen und mit Recht; er iſt der Grundgedanke des ver - faſſungsmäßigen Verordnungsrechts, das Recht der vollziehenden Gewalt, durch Verordnungen das Geſetz nicht bloß zu vollziehen, ſon - dern auch zu erſetzen, beſchränkt durch das zweite Princip, daß keine Verordnung ein einmal gegebenes Geſetz aufzuheben vermag.
65Die — wir müſſen ſagen ziemlich unklare Vorſtellung von dieſem Recht wird nun ſchon ſeit der Herrſchaft Napoleons auf die deutſchen Verfaſſungsbildungen übertragen, und hätte hier vielleicht gleich anfangs, ſeine volle wiſſenſchaftliche Entwicklung empfangend, die Baſis des öffent - lichen Rechts gebildet, wenn nicht zwei Gegengewichte vorhanden ge - weſen wären.
Das erſte beſtand darin, daß man in der Aufſtellung des offen anerkannten Rechts der ſelbſtändigen, in der Volksvertretung repräſen - tirten geſetzgebenden Gewalt dasjenige geſehen hatte, was man die Theilung der Gewalten nannte. Man ging bei dieſer Vorſtellung auf den revolutionären Begriff der geſetzgebenden Gewalt zurück, und verſtand unter der Forderung nach einer Geſetzgebung im conſtitutio - nellen Sinne ein Verhältniß, in welchem Königthum und Executive identiſch, und das erſtere daher nicht nur ſeiner Stellung als freies Oberhaupt beraubt, ſondern direkt und rechtlich zu demjenigen Gehor - ſam gegen die Geſetzgebung verpflichtet wurde, der überhaupt der bloßen Vollziehung gegenüber dem Willen zukommt. Die höhere Natur des Königthums, geſtützt auf die Erfahrungen der Revolution, bekämpfte dieſe Auffaſſung und mit vollem Recht, und ſo entſtand das, was man in jener Zeit als das monarchiſche Princip in Verfaſſung und Verwal - tung bezeichnete: die Negation „ der Trennung der Gewalten. “ Sie bedeutete nicht, daß nicht Geſetzgebung und Verwaltung getrennt ſein ſollten, ſondern ſie bedeutete, daß das Recht des Königthums in voll - kommen gleichem Maße über den beiden Gewalten ſtehe.
Das zweite wichtigere Moment aber beſtand darin, daß das Recht des Körpers der Volksvertretung, in der Geſetzbildung mitzuwirken, theils nicht klar gedacht, theils ſehr verſchieden begränzt, theils für ganze Jahrzehnte in manchen Staaten gar nicht anerkannt ward. Es gab daher Staaten, namentlich die drei ſüddeutſchen, welche den Begriff und das Recht des Geſetzes vollſtändig ausgebildet hatten; es gab andere, in denen das Recht der Theilnahme der Vertretung an der Bildung des Staatswillens auf gewiſſe allgemeine Gränzen (z. B. Geſetze über Freiheit und Eigenthum) beſchränkt war; es gab andere, in denen die Vertretung nur das Recht der Berathung, und zwar in ganz unbe - ſtimmter Ausdehnung beſaß; es gab andere, wie geſagt, in denen es gar keine Vertretung gab. Deutſchlands öffentliches Recht bot daher alle Variationen des Verhältniſſes von Geſetz und Verordnung dar, Länder mit ausgebildetem, mit unklarem Verordnungsrecht, und Länder in denen Geſetz und Verordnung wie im achtzehnten Jahrhundert voll - kommen identiſch waren. In dieſer Verwirrung des Rechts und der Begriffe lebte nun das Gefühl, und zum Theil auch das klare Bewußt -Stein, die Verwaltungslehre. I. 566ſein von dem weſentlichen Unterſchied von Geſetz und Verordnung, namentlich in der Wiſſenſchaft des öffentlichen Rechtes fort, und dieſe Wiſſenſchaft ſtellte ſich jetzt wie ſeit zwei Jahrhunderten die ewig erneute Aufgabe, das gemeinſame öffentliche Recht Deutſchlands, das ſoge - nannte deutſche Staatsrecht, wiſſenſchaftlich formuliren zu wollen, und thut es noch gegenwärtig; die Folge mußte eine ungeheure Verwirrung der Begriffe ſein. Denn in der That gab es für das deutſche Staats - recht weder einen Begriff und ein Recht von Geſetz und Verordnung, noch mangelte er. Was für den einen Staat richtig und gültig war, war für den andern ſchon zu fordern ein Verbrechen. Jede klare Er - kenntniß verſchwand, und damit ſogar das Verſtändniß der ſo nahe liegenden franzöſiſchen und engliſchen Zuſtände. Es gibt vielleicht in der ganzen Geſchichte der Wiſſenſchaft Deutſchlands kein troſtloſeres Bild, als das dieſer Zeit, in der man alle feſte Grundlage verloren, und die ungeregeltſte Willkür in Ausdrücken und Rechtsvorſtellungen herrſchen ſieht.
Man kann nun im Allgemeinen ſagen, daß dieſe Epoche eine ziem - lich überwundene iſt. Die Anerkennung der organiſchen Stellung der Volksvertretung für die Geſetzgebung iſt faſt ausnahmslos gewonnen. Das Leben ſelbſt vollbringt, was der Wortlaut der Verfaſſungen unbe - ſtimmt gelaſſen. Ob auch vieles zu thun iſt, vieles iſt ſchon gethan. Und wir können ſagen, daß ſich nach langen Mühen und Kämpfen Be - griff und Recht der Geſetze neben dem der Verordnung feſtgeſtellt haben. Aber auf dieſem Punkte nun iſt es, wo eine neue Arbeit beginnt. Und dieſer Arbeit gehört das Folgende.
Das Gute hat nämlich die oben bezeichnete Verwirrung gehabt, daß ſie die Vorſtellung beſeitigt hat, als könne jemals die Vollziehung und Verwaltung nur die Dienerin der Geſetzgebung werden. Man hat offen und ehrlich anerkannt, daß die Verwaltung eine Funktion hat, welche durch die Geſetzgebung niemals ganz erſchöpft werden kann; ſie iſt als ein ſelbſtwirkender Faktor des Lebens im Staate anerkannt. Man iſt ſich einig, daß ſie nicht bloß das Recht hat, bei der Geſetz - gebung die Initiative zu haben, ſondern daß die Verordnungsgewalt auch an die Stelle der Geſetzgebung treten muß, wo dieſe mangelt. Dadurch nun iſt die Frage nach dem wahren Verhältniß beider Faktoren zu einander entſtanden, und die gerechte Anerkennung ihrer Selbſtändigkeit innerhalb des Staats wird es möglich machen, dieß Verhältniß nunmehr über die Sphäre der juriſtiſchen Caſuiſtik zu er - heben, und es als ein lebendiges und organiſches darzuſtellen.
Die Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung. — Je gewiſſer es iſt, daß ſich Geſetz und Verordnung erſt allmählig und zwar erſt ſeit dem Ende des vorigen Jahrhunderts geſchieden und zu ſelbſtändigem Rechte entwickelt67 haben, und daß andererſeits in dieſem Unterſchied ein weſentliches Moment des geſammten öffentlichen Rechts beruht, um ſo mehr fordert dieſe Entwicklung eine genaue Beachtung. Man muß aber hier zuerſt den Gang derſelben in der Geſetzgebung des öffentlichen Rechts ſelbſt von dem Gange der Theorie, in jener aber wieder die großen Völker und ihr Verfaſſungsleben trennen.
Geſchichte des öffentlichen Rechts der Geſetze und Verord - nungen. — Da, wie ſchon geſagt, ein beſtimmter Unterſchied von Geſetz und Verordnung gar nicht möglich iſt, ohne das Auftreten eines geſetzgebenden Körpers, dieſer letztere aber nicht bloß der Zeit, ſondern auch dem Inhalt nach in den verſchiedenen Staaten ſo ſehr verſchieden iſt, ſo haben auch Begriff und Recht beider in jedem Volke ihre eigene Geſchichte.
Was zuerſt England betrifft, ſo iſt in England der Sieg des König - thums über die Volksvertretung niemals ein ſo entſchiedener geweſen, als auf dem Continent. Es hat daher niemals das Bedürfuiß gehabt, in einer eigent - lichen, theoretiſchen Verfaſſung das Recht der Geſetzgebung und der Verwaltung gegen einander formell abzugränzen. Andererſeits hat ſich England immer das lebendige Bewußtſein, ſowohl der königlichen, als der ſelbſtändig vollziehenden Gewalt erhalten. Es hat daher jene Grundlagen des öffentlichen Rechts viel - mehr in ſeinem ſtaatlichen Bewußtſein verarbeitet, als geſetzlich formulirt, und die Darſtellung muß daher ſich hier mehr an die Natur der Sache anſchließen, als an poſitive Rechtsbeſtimmungen; denn dieß öffentliche Recht Großbritanniens iſt eben das Recht der natürlichen, organiſches Gleichgewicht erzielenden Ge - ſtaltung der Dinge.
Die letztere iſt nun mit wenig Worten gegeben. Die Staatsgewalt iſt „ the King in Parliament; “ſie hat das Recht, jedes Geſetz zu erlaſſen, was ſie will; alles iſt ihr unterworfen. Das Parlament unter Sanktion des Königs kann daher nicht bloß förmliche Geſetzgebung, ſondern auch jede einzelne Verordnung beſchließen. Es exiſtirt daher hier kein Unterſchied von Geſetz und Verordnung nach dem Gegenſtand und daher auch kein Ausdruck, der genau das Wort Geſetz wieder gäbe, denn „ law “iſt nicht Geſetz als ſolches, ſondern bedeutet nichts anderes als das geltende Recht, gleichviel, woher es ſtammt, ob common law oder statute law. Der ſpecifiſche Ausdruck für den ſanktio - nirten Beſchluß der Geſetzgebung iſt dagegen „ bill. “ Eine bill kann daher jedes öffentliche und jedes Privatrecht ändern; ſie iſt kein Theil der Verfaſſung, wohl aber iſt ihr Recht das höchſte geltende Recht. Wo daher eine Verwaltungs - maßregel nur durch irgend eine Beſchränkung des bürgerlichen Rechts durch - geführt werden kann, da bedarf die erſtere einer bill of Parliament; gibt ſie einem Einzelnen ein Recht gegenüber dem bürgerlichen Recht anderer, ſo heißt ſie private bill. Sie iſt alsdann eine durch die Geſetzgebung beſchloſſene Verordnung. Dieſem Recht gegenüber ſteht allerdings ein Verordnungsrecht, ausgeübt durch die vollziehende Staatsgewalt, dem King in Council. Dieſer vollziehenden Staatsgewalt ſteht die höchſte Authority zu, das Recht, Gehorſam zu fordern; es gibt für ſie an ſich keine Gränzen, weder in den Thatſachen, noch68 im Recht, als die, daß ſie weder ein „ geltendes Recht “(law) ändern, noch ſeine Ausübung hindern kann. Das beſtehende geltende Recht iſt alſo die Gränze des Verordnungsrechts des King in Council. Und unzweifelhaft muß ange - nommen werden, daß die Verleihung des Verordnungsrechts namentlich an die Selbſtverwaltung, oder das Recht auf bye laws, auch dann, wenn es durch eine bill geſchieht, dieſelbe Gränze hat. Aus dieſem einfachen Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung folgt dann das Recht der letzteren (ſ. unten). Dieß Recht iſt, ſo viel wir wiſſen, niemals eigentlich eingeführt, ſondern hat als natürliche Conſequenz die Entwicklung der Staatsverfaſſung Englands be - gleitet, und bildet den Grundſtein derſelben. Die förmliche Anerkennung der - ſelben exiſtirt, ſo viel wir ſehen, nur in der Bill of Rights. Sie iſt ſelbſt weſentlich zweierlei. Erſtlich eine Erbfolgeordnung; und zweitens weſentlich die erſte europäiſche Begränzung des Verordnungsrechts durch das Recht des Geſetzes. Die beiden entſcheidenden Sätze ſind folgende:
„ That the pretended power of suspending Laws or the execution of Lawes by Royal Authority without consent of Parlyament is illegal. “
„ That the pretended power of dispensing with Laws or the execution of Lawes by Royal Authority, as it has been assumed and exercised of late, is illegal. “
Damit iſt der Grund für das ganze Geſetz - und Verordnungsrecht gegeben; die Aufſtellung des Steuerbewilligungsrechts, die gleich folgt, iſt nur Conſequenz. Die weiteren Folgen für das Verordnungsrecht werden wir weiter unten ſehen. Es iſt keine Beſtimmung des Verordnungsrechts aus der höheren Idee des Staatslebens, ſondern eine reine negative Feſtſtellung deſſelben. Als ſolche iſt ſie muſtergültig, aber weſentlich verſchieden von dem Standpunkt, der mit dem achtzehnten Jahrhundert in Frankreich zur Geltung kommt.
Die franzöſiſche Grundidee iſt die, daß alles für alle Staatsbürger Gültige nur durch den Willen aller Staatsbürger geſetzt werden, und daher nie aus dem Willen eines Theiles des Staats, der vollziehenden Gewalt, hervorgehen könne. Das Geſetz, die Loi, iſt daher nur der Ausſpruch der volonté générale. Die Vollziehung darf daher nie etwas anderes wollen, als die Ausführung des Geſetzes. Das iſt der Grundgedanke, den man nun in den Verfaſſungs - urkunden zum Ausdruck bringen wollte. Und hier iſt es nun höchſt intereſſant, zu ſehen, wie ſich trotz der ſtreng theoretiſchen Härte deſſelben dennoch all - mählig das eigentliche Weſen der Verordnungsgewalt aus dieſer abſtrakten Unter - werfung unter die Geſetzgebung frei macht, wie aber das Princip der volonté générale, fortlebend, eine klare Anerkennung jenes Verhältniſſes verhindert, weil man in demſelben den Keim der alten Unfreiheit fürchtete.
Die erſte Verfaſſung, die aus jenem Princip hervorging, war die Conſti - tution der Vereinigten Staaten von Nordamerika von 1787. Sie iſt auch die erſte, welche ganz klar Geſetz und Verordnung ſcheidet, aber beide ausſchließ - lich der Geſetzgebung vindicirt. Die Sect. 8 gibt dem Congreß nicht allein alle Funktionen der Geſetzgebung, nicht allein alle wichtigen Funktionen der69 Verwaltung im weitern Sinn, ſondern auch ausdrücklich das Recht der Ver - ordnung: der Congreß hat das Recht: „ to make all laws which shall be neces - sary and proper for carrying into execution the foregoing powers, and all other powers vested by this constitution in the gouvernement of the United States, or in ony departement or office thereof. “
Die executive power des Präſidenten hatte dabei natürlich nicht viel zu bedeuten. Die Hülfe gegen dieſen Widerſinn lag allerdings in zwei Dingen: in dem Frieden und in der Selbſtverwaltung. Der Begriff der Ordres kommt gar nicht vor.
Von beſonderem Intereſſe iſt in der Entwicklung von Geſetz und Verord - nung natürlich Frankreich. Man kann von ihm ſagen, daß alle Formen und Auffaſſungen der Verhältniſſe beider hier in der Geſtalt förmlicher verfaſſungs - mäßiger Beſtimmungen erſcheinen.
Dieſer hiſtoriſche Bildungsproceß des formellen Begriffes beginnt mit der Déclaration des droits de l’homme. Sie iſt eigentlich das Lehrbuch für den urſprünglichen Gedanken der ganzen Theorie. Art. 6 ſagt:
„ La loi est l’expression de la volonté générale. Tous les citoyens ont droit de concourir personnellement, ou par leurs représentants, à sa formation. “
Die Eintheilung der Souveraineté du peuple III. Art. 3, 4, 5 delegirt die Geſetzgebung an die assemblée nationale, die Vollziehung an den König, das Gericht an die Richter. Dieſe geſetzgebende Gewalt empfängt ihre ſpeziellen Aufgaben Ch. III. Sect. 1. Dabei iſt der ſchon ganz beſtimmte Begriff der Verordnung förmlich anerkannt Ch. II. Sect. IV.
Art. 4. „ Aucun ordre du Roi ne peut être exécuté, s’il n’est signé par lui, et contresigné par le ministre ou l’ordonnateur du departement. “
Es iſt, als ob man in dieſer Verfaſſung und der nordamerikaniſchen das alte Europa neben dem jungen Amerika in ſeiner ſelbſteigenſten Geſtalt hin - treten ſieht; es liegt eine ungeheure Differenz zwiſchen beiden Auffaſſungen. Die folgenden Conſtitutionen haben umſonſt verſucht, das unverlöſchliche monar - chiſche Princip auch nur für einen Augenblick zu verwiſchen, und die trans - atlantiſche Idee ſelbſt auf den Boden der wildeſten europäiſchen Republik zu verpflanzen! Die Conſtitution von 1793 geht nun einen Schritt weiter. In ihr iſt der Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung formell klar, obwohl beide der Sache nach identiſch ſind, indem beide von der geſetzgebenden Gewalt gegeben werden, aber beide ſowohl verſchieden ſind in ihren Gegenſtänden als in der Form.
Art. 53. „ Le Corps législatif propose les lois, et rend les décrets. Art. 55. Les décrets — concernent: les mesures de sûreté et de tran - quillité générale etc. “
In der Conſtitution von 1795 iſt dieſer Standpunkt dahin entwickelt, daß aus motifs d’urgence die Formen der Geſetzgebung von dem Conseil des Cinq Cents übergangen werden können; es iſt der Anfang der in Deutſchland70 ſogenannten proviſoriſchen Geſetze Art. 81. 94. — In der Conſtitution von 1799 iſt die vollziehende Gewalt bereits ein ſelbſtändiges Glied des Ganzen; im T. IV erſcheint das „ Gouvernement “zum erſtenmale. Die Geſetzgebung hat allerdings noch in Gemeinſchaft mit dem tribunat die Geſetze zu machen; das Corps législatif dagegen erläßt die décrets 9. 37; daneben treten dann „ les autres actes du Gouvernement “auf (42), und die „ règlements “ſind demſelben aus - drücklich überlaſſen (44). Die Verfaſſungsgeſetze von 1802 und 1804 vollenden was hier begonnen iſt. Mit Napoleon wird das Princip gültig, das in Deutſch - land die Baſis des Staatsrechts bildet, daß der Fürſt das Oberhaupt des Staats, und ſein Wille nur durch die Mitwirkung des Volkes beſchränkt iſt. Aber dieß Princip iſt gleichfalls eine Form; denn dieſe Mitwirkung, auf keinem hiſtoriſchen Rechte, ſondern bloß auf dem Geſetze beruhend, verſchwindet, und die Alleinherrſchaft des Kaiſers tritt an ihre Stelle.
Dieß nun wäre wohl niemals möglich geweſen, wenn die Conſtitutionen das öffentliche Recht der Verwaltung mehr als an der Oberfläche berührt hätten. Man darf ſich darüber nicht täuſchen, daß dieß nie der Fall war. Toqueville (l’ancien régime) und früher ſchon die Organisation civile 1821 haben uns gezeigt, wie während des ganzen Ganges ſeiner inneren Geſchichte das franzöſiſche Leben ſeit Jahrhunderten daran gewöhnt war, die Vollziehung und Verwaltung ganz als eine ſelbſtändige auf eigenen Grundlagen beruhende, nach eigenen Geſetzen und Rechten verfahrende Funktion zu betrachten. Der Gedanke, daß jeder Staatswille nur als Geſetz auftreten könne, und daß die Vollziehung nichts ſein dürfe, als Mandatar der Geſetzgebung, war daher dem Volksbewußtſein und im Grunde ſogar der Geſetzgebung ſelber durchaus fremd. Die obigen Beſtimmungen waren daher in der That gar nicht gegen die Voll - ziehung oder Verwaltung, ſondern nur gegen das Königthum gerichtet. So wie dieß gebrochen war, brach ſich die Selbſtändigkeit der letzteren ſofort Bahn, und zwar ſo, daß in demſelben Augenblick, wo die Conſtitutionen die Verordnungen zu Geſetzen machten, die Verwaltungsgeſetzgebung ihnen dieſen Charakter wieder nahm, und ſie ganz formell dem bürgerlichen Richter entzog, die doch über alle Geſetze zu entſcheiden hatten. Schon 1790 war ein Ausſchuß niedergeſetzt, um die gerichtliche Organiſation zu entwerfen. Dieſer Ausſchuß forderte ſofort in jedem Departement ein eigenes Verwaltungsgericht. Obgleich das nicht angenommen ward, weil man es nicht auszuführen wußte, ſo wurde doch im Geſetz vom 16 — 24. Aug. 1790 der Grundſatz ausgeſprochen:
„ Les juges ne pourront, à peine de forfaiture, troubler de quelque manière que ce soit les opérations des corps administratifs, ni citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions. “
Das hieß mit andern Worten, der Verwaltung eine Gewalt geben, welche mindeſtens der der Geſetze gleich war. Wir kommen ſpäter darauf zurück. In der That ward durch dieſen, dann weiter im Einzelnen durchgeführten Grund - ſatz die ganze Definition der Geſetzgebung praktiſch zu einer leeren Phraſe; das Verwaltungsgericht ward zu einem mächtigen Organismus und das einzige Band, das unter ſolchen Umſtänden die Verwaltung noch mit der Geſetzgebung zuſammenhielt, war nur noch die Verantwortlichkeit, die eben darum ſich in71 Frankreich zuerſt in ſo detaillirten Beſtimmungen entwickelt hat (ſ. unten). So erklärt es ſich nun, weßhalb gerade die Zeit der Republik die Arten der Ver - ordnung ſo ſcharf unterſcheiden lehrte. So lange die Verordnungen noch von der geſetzgebenden Gewalt erlaſſen werden, hießen ſie „ décrets. “ Unter dem Direktorium und dem Conſulat verſchwindet dieſer Ausdruck; ſie nehmen den Namen der lois an, und die Verordnungen heißen jetzt arrêtés; unter Napoleon tritt der einfache Satz auf, daß alle décrets und arrêtés gleiche geſetzliche Gültigkeit haben. Das Königthum hebt wieder dieſen Grundſatz auf; der wich - tigſte Artikel der Charte von 1814 war ohne Zweifel der, welcher zuerſt ein feſtes Verhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung herzuſtellen ſuchte. Be - kanntlich lautet dieſer durch die Revolution von 1830 ſo berühmt gewordene Art. 14:
„ Le Roi est le chef suprême de l’État — et fait les règlements et ordonnances nécessaires pour l’exécution des lois et la sûreté de l’État. “
Es war in dem Artikel gar nichts Neues, und das war die Gefahr deſſelben. Denn er ſetzte die Geſetzgebung der Verordnung gegenüber, ohne eine Gränze zu beſtimmen. Die Folge war, daß die Regierung Karls X. in Anwendung dieſes Artikels das Geſetz durch eine Verordnung ſuſpendirte. Das ward eigent - lich nur denkbar eben durch jene furchtbare Selbſtändigkeit, welche die ganze Verwaltung gegenüber der Geſetzgebung im Einzelnen hatte. Der Irrthum beſtand nur darin, dieſe Selbſtändigkeit formell zu weit auszudehnen. Die Re - volution folgte; ſie war weſentlich eine Revolution gegen den Inhalt dieſes Artikels. Die kleine Aenderung deſſelben in der Charte von 1830 hat daher eine große Bedeutung, ſie iſt eben die Herſtellung der Gränze für das Ver - hältniß zwiſchen Verordnung und Geſetz. Der Art. 13 heißt:
„ Le Roi est le chef suprême de l’État — et fait les règlements et ordonnances nécessaires pour l’exécution des lois, sans pouvoir jamais ni suspendre les lois elles-mêmes ni dispenser de leur exécution. “
Allerdings war damit ein feſter Standpunkt gewonnen. Die Verordnung kann nur ausführend ſeyn. Allein dieſer Standpunkt war eben ein falſcher. Denn die Verordnung muß oft ſelbſtſtändig werden. Wenn daher auch feſtſteht, daß die Verordnung nie das wirkliche Geſetz aufheben oder aufhalten kann, ſo frägt ſich doch, welches Recht ſie hat, es zu erſetzen — oder welches Recht die vollziehende Gewalt auch ohne Mitwirkung der geſetzgebenden hat. Man hatte endlich in Frankreich erkannt, daß es nicht möglich ſei, dieſer Frage zu entgehen. Daher ward denn nun in der Verfaſſung der Republik von 1848 zum erſtenmale dieſe Gewalt einer ſelbſtändigen Verordnung nicht bloß an - erkannt, ſondern förmlich geregelt. Solche Verordnungen nämlich ſollen vom Staatsrath berathen, und diejenigen Verordnungen ſelbſtändig von ihm erlaſſen werden, zu welchen er „ beſondere Vollmacht “bekommt. Damit war im Grunde der Schwerpunkt ſelbſt in den Conseil d’État gelegt, und jetzt wird man verſtehen, warum das neue Kaiſerthum gerade auf dieſen Staats - rath ſo viel Gewicht gelegt hat. Er iſt die Schule nicht etwa bloß der Ver - waltungsbehörden, ſondern er iſt die Quelle des Bewußtſeins und der Kraft, mit welcher die Vollziehung ſich der Geſetzgebung rechtlich unterwirft. Die72 Verfaſſungsurkunde von 1852 unterſcheidet daher jetzt ſtrenge zwiſchen Geſetz, Dekret und Reglement. Das „ Geſetz “wird unter Mitwirkung aller Faktoren gemacht. La Puissance législative s’exerce collectivement par l’Empereur, le sénat et le corps législative. Const. 1852. a. 4. — Der Kaiſer aber „ fait les règlements et décrets nécessaires pour leurs exécu - tion. “ Dieſer Satz iſt eine Unwahrheit, und der Tradition der alten Ver - faſſungen zulieb aufgenommen. In Wahrheit ſind die Dekrete eine zweite ſelbſt - ſtändige Geſetzgebung. Am beſten charakteriſirt die Auffaſſung Block, Dict. v. Décret: „ Au 2 Déc. 1851 les décrets prirent un caractère dictatorial et constituant pour établir les institutions actuelles, et cette mission accompli ils sont rentrés dans le cercle des attributions du pouvoir exé - cutif. “ Dabei iſt, wie geſagt, nur das erſtere wahr; denn ein Dekret vom 2. December 1852 ſtellte das Kaiſerthum her, ein Dekret vom 18. December 1852 ordnete die Thronfolge. Sie werden daher nur ſo weit ſich dem Geſetze unterordnen, als die vollziehende Gewalt es nöthig erachtet; ſie ſind auch jetzt noch je nach dem Willen des Staatsoberhauptes Geſetze oder nicht, und das Staatsoberhaupt kann daher den Staatswillen entweder als Geſetz oder als Verordnung nach Belieben erlaſſen. Es leuchtet ein, daß dieß nur ein Uebergangszuſtand iſt; aber er iſt der Zuſtand Frankreichs.
Aber Eines geht aus dieſer Entwicklung hervor. Es iſt der grundſätz - liche Unterſchied zwiſchen den beiden großen Funktionen und Körpern des Staats, der Geſetzgebung und der Verwaltung, ein Unterſchied, der das ganze Leben des öffentlichen Rechts durchzieht. Die Geſetzgebung iſt eine Welt für ſich, die Verwaltung eine zweite. Es iſt eine leere Phraſe, wenn die zweite der erſten untergeordnet ſein ſoll. In der That ſteht die Verwaltung da als ein vollkommen ſelbſtändiges, in jeder Beziehung der Geſetz - gebung gleichberechtigtes Ganze, das nur die einzige Pflicht hat, durch ihren Willen, décret, arrêté und règlement die wirklich gegebenen Geſetze nicht zu verletzen, und auch dieſe Pflicht hat das Kaiſerthum zum zweitenmale durch die décrets organiques aufgehoben. Nur ſo läßt ſich die Eigenthümlichkeit der franzöſiſchen Inſtitutionen und Begriffe des droit administratif erklären; es iſt daſſelbe eine Rechtswelt für ſich, deſſen Rechtsquellen die Verordnungen, deſſen Competenzen auf das Strengſte von denen der Gerichte geſchieden, deren Eiferſüchteleien den letzteren gegenüber beſtändig und ſehr lebhaft ſind. Man darf ſich nicht durch die Redensarten der Constitutions irre machen laſſen; ſie haben nicht die Verordnungen den Geſetzen unterordnen, ſondern in der That nur das Geſetz gegenüber den Verordnungen ſelbſtändig machen ſollen. Und nur dadurch iſt auch die Leichtigkeit zu erklären, mit welcher der erſte und der zweite Kaiſer ihren Verordnungen ſelbſt gegenüber den Geſetzen völlige Geltung verſchafft haben. In der franzöſiſchen Freiheit iſt von jeher das Bedürfniß und die Fähigkeit zum Gehorſam ſtärker geweſen, als die der per - ſönlichen Selbſtändigkeit.
Daher bietet uns Deutſchlands Recht ein der Form nach ſehr ähnliches, dem Geiſte nach weſentlich verſchiedenes Bild dar.
In Deutſchland muß man für jene Begriffe davon ausgehen, daß die Vor - ſtellung von dem wohlbegründeten hiſtoriſchen Rechte auf irgend eine, wenn auch nicht klar gedachte Theilnahme der Volksvertretung an der Bildung des Staatswillens eigentlich nie ganz untergegangen war. Die neuen Verfaſſungen hatten daher nicht, wie die franzöſiſchen, ein ganz neues Princip erſt zu ſchaffen, ſondern ein hiſtoriſch berechtigtes Princip auf neue Zuſtände anzuwenden. Das gibt den Begriffen von Geſetz und Verordnung einen ganz andern Charakter. Dieſe Begriffe beruhen nämlich darauf, daß der perſönliche Wille des Staats in dem perſönlichen, wenn auch organiſch gebildeten Willen des Fürſten beruhe; daß daher dieſer Wille das Geſetz ſei, und daß der Organismus der Volksvertretung daher nur die Funktion habe, in beſtimmten Fällen bei der Bildung dieſes Willens mitzuwirken, und ſogar dieſelbe von ihrer Zuſtim - mung abhängig zu machen, während in den übrigen Fällen der König auch ohne dieſe Mitwirkung den Staatswillen bilde. Dadurch entſtand die noch gegenwärtig herrſchende Vorſtellung, daß das „ Geſetz “jeder vom Könige ſank - tionirte Staatswille ſei, ohne daß man dieß Geſetz von der Verordnung in der obigen Weiſe geſchieden hatte. Die Aufgabe der Conſtitutionen beſtand daher nicht wie in Frankreich darin, den Begriff des Geſetzes als Grundlage der Verfaſſung aufzuſtellen, ſondern nur diejenigen Punkte genau zu be - wachen, in welchen jene — berathende oder beſchließende — Mitwirkung der Volksvertretung nothwendig ſei, nicht nur ein „ Geſetz “zu machen, denn das konnte der Fürſt allein, ſondern nur — wir können uns nicht anders aus - drücken — dem Staatswillen geſetzliche Gültigkeit zu geben. Dadurch entſtand das eigenthümliche, etwas unklare Verhältniß, daß das „ Geſetz “in unſerem Sinn nur als eine Form des königlichen oder Staatswillens erſchien, und die das ganze deutſche Staatsrecht durchziehende gründliche Unklarheit ſowohl über Begriff als Recht einerſeits des Geſetzes, andererſeits der Verordnung. Denn da bis auf die neueſte Zeit alle Verfaſſungen den Fehler begingen, der freilich tief in der hiſtoriſchen Entwicklung begründet war, jenes Recht der Volksvertretung auf Berathung oder Beſchluß dem Gegenſtand nach beſtimmen zu wollen, die Gränze dieſer Gegenſtände aber ganz unmöglich feſtzuſtellen war, ſo war und iſt es auch unmöglich, zu beſtimmen, welcher Staatswillen als Geſetz, und welcher als Verordnung feſtgeſtellt werden muß. Der tiefe Unterſchied zwiſchen dieſer und der franzöſiſchen Auffaſſung beruht dabei darauf, daß das Recht des Staatsoberhaupts, Verordnungen zu erlaſſen, nicht principiell auf die Vollziehung der Geſetze beſchränkt iſt, und daß deßhalb hier zuerſt die Verordnung theils allerdings als ein auf dieſe Vollziehung gerichteter Wille, theils aber als wirkliche, ſelbſtändige, neben der eigentlichen Geſetzgebung beſtehende zweite Grundform der Geſetzgebung gedacht iſt. Das iſt nun nicht bloß hiſtoriſch und poſitiv rechtlich das Verhältniß, ſondern das iſt auch ganz richtig. Dabei hat ſich das deutſche Leben, das an der natürlichen Gleichheit beider Funktionen feſthielt, einen neuen Begriff geſchaffen; das iſt der der proviſoriſchen Geſetze. Während daher Frankreich nur zwiſchen Geſetz74 und Verordnung ſcheidet, hat ein Theil des deutſchen Staatsrechts Geſetz, pro - viſoriſches Geſetz, und eigentliche (vollziehende) Verordnung. Wir werden Grund und Sinn dieſes Begriffes, der ſeinerſeits zur Unklarheit nicht wenig beigetragen hat, unten darlegen. Der Gang der Entwicklung eines ſelbſtändigen Begriffes von Geſetz iſt aber im Weſentlichen folgender.
Es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß die eigentlich Napoleoniſchen Ver - faſſungen vor 1816 von dem Recht, von Geſetz und Verordnung nicht reden. Der verfaſſungsmäßige Begriff der Geſetze beginnt erſt mit dem Grundgeſetz für Sachſen-Weimar-Eiſenach vom 5. Mai 1816. Abſchn. II. §. 5. Es iſt be - merkenswerth, daß ſich hier die Mitwirkung der Stände nur auf die Steuern bezieht, und daher die ganze übrige geſetzgebende Gewalt nach der Verordnung vom 1. December 1815 nur in Verordnungen erſcheint (Grundgeſetz §. 111). Ein Begriff des Geſetzes iſt noch gar nicht vorhanden. Die bayeriſche Ver - faſſung vom 26. Mai 1818 ſtellt dagegen zuerſt die Formel auf, welche man als die Grundlage des hiſtoriſchen deutſchen Begriffes von Geſetz be - trachten kann:
T. VII. §. 2. „ Ohne den Beirath und die Zuſtimmung der Stände des Königreiches kann kein allgemeines neues Geſetz, welches die Freiheit der Perſonen oder das Eigenthum der Staatsangehörigen betrifft, er - laſſen, noch ein ſchon beſtehendes abgeändert, anthentiſch erläutert oder auf - gehoben werden. “
Im Weſentlichen ganz gleichlautend, im Geiſt gewiß ganz gleich verſtanden ſind die entſprechenden Beſtimmungen der Verf. von Baden, 22. Aug. 1818, §. 65, Coburg, 8. Aug. 1821, §. 64. 65. Weiter geht eine zweite Kategorie, an deren Spitze Württemberg ſteht. Verf. vom 25. Sept. 1819. Kap. VII. §. 88: „ Ohne Beiſtimmung der Stände kann kein Geſetz aufgehoben, abgeän - dert oder authentiſch erläutert werden. “
Man kann dieſe Bezeichnung als diejenige betrachten, welche in der Periode ſeit 1831 durchgreift. Wörtlich erſcheint ſie wieder in der Verf. von Kurheſſen, 5. Jan. 1831, §. 45, Großh. Heſſen, §. 72; weſentlich gleich in Braun - ſchweig, 12. Oct. 1832, §. 97. 3; etwas modificirt Hannover, 26. Sept. 1833, §. 85. Bekanntlich brachte aber auch dieſe Periode noch nicht allen Staaten Verfaſſungen. Es war daher bis 1848 abſolut unmöglich, von einem deutſchrechtlichen Begriff des Geſetzes zu reden; im Grunde ſogar beſtand nicht einmal für die Staaten mit Verfaſſung ein ſolcher Begriff, denn in der erſten Gruppe war die Gränze nicht zu beſtimmen, in welcher die Volksvertretung zu - ſtimmen müßte; in der zweiten war es zwar richtig, daß kein Geſetz ohne Beiſtimmung der Stände gegeben oder geändert werden könne, wohl aber blieb es offen, eine Verordnung zu geben. Das einzige entſchiedene Princip war hier nur der für beide Gruppen gewonnene Satz, daß wenn einmal ein Geſetz gegeben war, daſſelbe nicht mehr geändert werden könne. In dieſer Auffaſſung haben auch die Verfaſſungen ſeit 1848 nichts geändert und den Begriff nicht klarer gemacht. Hannover, Verf. §. 113 ff. Oldenburg verſucht ſogar durch Aufführung von fünfzehn Haupt - und vier Nebenpunkten, welche als Gegen - ſtand der Geſetzgebung der Zuſtimmung der Stände bedürfen, die Sache zu75 entſcheiden (Art. 153), fügt aber gleich hinzu (Art. 154), daß auch andere Gegen - ſtände für gemeinſam erklärt werden können. Dennoch iſt ein weſentlicher Fort - ſchritt angebahnt, indem einige von dieſen neuen Vecfaſſungen jene Scheidung von Geſetz und Verordnung nach dem Gegenſtande fallen laſſen, und das Weſen des Geſetzes ohne Beſchränkung in der gemeinſchaftlichen Bildung des Staatswillens durch Staatsoberhaupt und Volksvertretung ſetzen. Dieſen allein richtigen Standpunkt ſehen wir in der preußiſchen Verfaſſung von 1848 vertreten (T. V. Art. 60.):
„ Die geſetzgebende Gewalt wird gemeinſchaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. “
Wörtlich gleichlautend ſind die Verfaſſungen von Gotha §. 41, und Mecklen - burg-Schwerin §. 108. Es iſt kein Zweifel, daß erſt mit dieſer Formel die feſte Baſis für den Begriff des Geſetzes gefunden iſt. Freilich, da die obigen Verfaſſungen fortbeſtanden, war dieſer Begriff kein allgemein gültiger, und einen poſitiv gültigen Begriff haben wir daher noch immer nicht. Man vergleiche z. B. über die gegenwärtige Unbeſtimmtheit, in der ſelbſt die Staatsrechtslehrer an einem Reſultate verzweifeln, Zachariä deutſches Staats - und Bundesrecht, §. 158, der ganz richtig, und wir möchten faſt ſagen naiv bekennt: „ bei der Unbeſtimmtheit dieſer Ausdrücke, iſt hier ein Streit zwiſchen Regierung und Ständen leicht möglich “— und nach welchen Grundſätzen ſoll — abgeſehen von praktiſcher Entſcheidung — dabei auch nun die Theorie ſich richten? — Die Unfertigkeit der Sache liegt klar genug vor. Am klarſten ſcheint uns Stu - benrauch (Verhandlungen des vierten deutſchen Juriſtentages S. 202); warum hat er die Frage nach den Verordnungen ganz weggelaſſen?
Daneben entwickelte ſich nun der Begriff eines proviſoriſchen Geſetzes. Ein proviſoriſches Geſetz iſt eine Verordnung über einen Gegenſtand, welcher der verfaſſungsmäßigen Beſchlußnahme durch die Volksvertretung unterworfen iſt. Es leuchtet ſofort ein, daß dieſer Begriff wieder kein deutſcher, ſtaatsrecht - licher Begriff iſt, ſondern nur für diejenigen Verfaſſungen gilt, welche die Theilnahme der Volksvertretung eben auf beſtimmte Gebiete beſchränkt haben. Denn wenn das Weſen des Geſetzes in der Gemeinſchaftlichkeit der Willens - beſtimmung von Fürſt und Volk liegt, ſo hat kein beſonderer Gegenſtand, weder Freiheit, noch Eigenthum, noch die achtzehn Gegenſtände Oldenburgs ein Recht darauf, gerade durch ein Geſetz geregelt zu werden, während andrerſeits auch kein Gegenſtand der Geſetzgebung entzogen iſt. Der Begriff des proviſoriſchen Geſetzes iſt daher — man erlaube uns den Ausdruck — ein ganz lokaler, nur beſtimmten Verfaſſungen angehöriger Begriff, der ſelbſt nur als einer von jenen unklaren Uebergangszuſtänden betrachtet werden kann, wie ſie in der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts in Deutſchland gang und gäbe ſind. Dagegen muß man ihn in allen Verfaſſungen, die jenen klaren Begriff des Geſetzes nicht haben, allerdings anerkennen; und für dieſe lokalen Rechtsverhältniſſe hat daher auch das, was Zöpfl in ſeinem deutſchen Staatsrechte II. 441, Zachariä im deutſchen Staats - und Bundesrecht II. §. 160, Mohl im württembergiſchen Staatsrecht I. 199. ſagen, auch einen Werth. Nur ſoll man es mit den beiden erſtern nicht für ein deutſches Recht, oder gar für einen wiſſenſchaftlichen76 Begriff halten. Es iſt eben ein rechtlich unfertiger Zuſtand. Wo einmal der einfache Begriff des Geſetzes feſtſteht, und für irgend welche Fragen ein Geſetz mangelt, da hat die Verordnung als Geſetz zu fungiren, und es iſt Sache der Geſetzgebung, eigentliche Geſetze zu machen, wenn ſie es für nöthig hält. Thut ſie es nicht, ſo iſt kein Zweifel, daß das Staatsoberhaupt unbedingt be - rechtigt iſt, die Verordnung als Geſetz zu erlaſſen, ſo lange ſie eben nicht mit dem bereits beſtehenden Geſetz in Widerſpruch tritt.
Dieß iſt der — auch hier gänzlich einheitsloſe — Zuſtand des deutſchen Staatsrechts. Die genauere Unterſuchung der vorliegenden Fragen gehört nun dem Princip nach der Verfaſſungslehre, der Anwendung nach den folgenden Abſchnitten an. Faßt man aber das Obige zuſammen, ſo ergeben ſich folgende Reſultate:
Erſtlich: es gibt keinen für ganz Deutſchland gültigen Begriff von Geſetz und Verordnung; jede rechtliche Definition hat nur eine örtliche Gültigkeit.
Zweitens: alle Unterſuchungen über das poſitiv und objektiv gültige Rechtsverhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung haben daher nur für die ört - liche Staatenbildung und die einzelnen poſitiven Verfaſſungen Werth, und können, ohne gegen die ausdrücklichen Beſtimmungen der einzelnen Verfaſſungen zu verſtoßen, auch nicht den Anſpruch machen, ein deutſches Staatsrecht zu enthalten.
Drittens: der natürliche Entwicklungsgang der einheitlichen Bildung des deutſchen Staatsrechts führt dahin, das Geſetz nur als einen formalen Begriff zu erklären, deſſen Weſen in dem formellen, verfaſſungsmäßigen Zuſam - menwirken von Staatsoberhaupt und Volksvertretung liegt, während die Ver - ordnung gleichfalls nur ein formaler Begriff iſt, deſſen Weſen durch das Zuſammenwirken von Staatsoberhaupt und Verwaltungsorganismus geſetzt iſt.
Seit Montesquien herrſcht die Ungewißheit der Ausdrücke I. 1. Es darf uns wenig wundern, wenn die alten Staatsrechtslehrer, Gönner, Ritter u. a., gar keinen Begriff von Geſetz und Verordnung haben, eben ſo wenig wie die neueren, Klüber, Maurenbrecher, Leiſt, und daß endlich die Neueſten beſtändig in der wunderlichen Vorſtellung leben, als ſei ein ſcharf beſtimmtes Reſultat nur in einzelnen Verfaſſungsurkunden, wie Wachter, Linde, Mohl (württem - bergiſches Staatsrecht), oder ein Durchſchnittsbegriff aus allen, wie Zöpfl und Zachariä, ein deutſches Staatsrecht, während andere gar wie Mohl (Ency - klopädie §. 20) wieder ganz ins Unbeſtimmte zurückfallen, jeden Unterſchied über - ſehend. Das Klarſte und Beſte, was über die ganze Frage geſagt iſt, ſcheint uns noch immer das zu ſeyn, was Malchus, Politik der inneren Staatswiſſen - ſchaft I. p. XXI. ſagt. Wir wollen dabei den gründlichen Unterſuchungen, namentlich von Zöpfl und Zachariä, ihren großen Werth durchaus nicht be - ſtreiten; aber die eigentliche Hauptſache erfaſſen ſie nicht. Wir müſſen dabei ſtehen bleiben, daß es erſt mit der obigen formalen Differenz möglich iſt, zu demjenigen zu gelangen, was im Grunde die Hauptſache iſt, nämlich zu einem Begriff und Inhalt des Rechts der Verordnungen gegenüber den Geſetzen.
Auf dieſem Unterſchied von Geſetz und Verordnung beruht nun der Begriff des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts, der wichtigſte aller Begriffe für die ganze Lehre von der Verwaltung im weitern Sinn und ſpeziell für die vollziehende Gewalt. Nur iſt die formelle Definition von dem lebendigen Inhalt wohl zu unterſcheiden.
I. Formell iſt derſelbe nun ſehr leicht zu definiren.
Das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht kann überhaupt erſt da entſtehen, wo durch die Theilnahme der Volksvertretung ein Geſetz im Sinne einer eigentlichen Verfaſſung entſteht. So wie das geſchehen iſt, ſo ſcheiden ſich ſofort zwei große Gebiete der Rechtsbildung im öffent - lichen Recht. Das erſte iſt das des geſetzlichen Rechts im eigent - lichen Sinne. Das geſetzliche Recht umfaßt die Geſammtheit aller Be - ſtimmungen, welche durch das Zuſammenwirken der drei Faktoren, des Staatsoberhaupts, der Volksvertretung und der Verwaltung im weitern Sinn als Staatswille anerkannt ſind, und zwar grundſätzlich ganz gleich - gültig, welche Gegenſtände dieſes Recht betreffen mag. Das zweite iſt dasjenige Rechtsgebiet, welches wir jetzt am beſten das Verordnungs - recht nennen können. Das Verordnungsrecht umfaßt ſeinerſeits die Geſammtheit aller derjenigen Beſtimmungen des Staatswillens, welche nur durch das Zuſammenwirken des Staatsoberhaupts mit dem Orga - nismus der Verwaltung im weiteſten Sinn, unmittelbar, oder in über - tragener Gewalt entſtanden ſind, ebenfalls an ſich ganz gleichgültig gegen das Objekt dieſer Beſtimmungen.
Es iſt ſchon geſagt, daß dieſer ganze Unterſchied, und mithin der ganze Begriff und Inhalt der verfaſſungsmäßigen Verwaltung über - haupt nicht exiſtire, ſo lange es kein eigentliches Geſetz gibt.
Das Recht der verfaſſungsmäßigen Verwaltung iſt nun dasjenige Recht, welches für das organiſche Verhältniß des Verord - nungsrechts zum geſetzlichen Rechte gilt.
Dieſer, zunächſt ganz formelle Begriff des verfaſſungsmäßigen Rechts der Verwaltung im Allgemeinen, und der vollziehenden Gewalt im be - ſondern, hat nun gleichfalls zunächſt ſeine ſehr einfache formelle An - wendungen.
Da das Geſetz von allen Faktoren des Staatswillens gebildet iſt, die Verordnung dagegen nur von einem Theil derſelben, ſo iſt da, wo ein Geſetz vorhanden iſt, die Verordnung demſelben unbedingt78 untergeordnet. Die Verordnung kann daher im Gegenſatz zum Geſetze kein Recht bilden. Wo ſie dem Geſetze widerſpricht, iſt ſie nichtig. Sie kann das Geſetz weder aufheben, noch kann ſie es ſiſtiren.
Wo dagegen kein Geſetz vorhanden, oder ſo weit es nicht vor - handen iſt, da iſt die Verordnung der geltende Staatswille, und hat das Recht des Geſetzes. Und zwar theilen ſich die Fälle, in denen dieß der Fall iſt, in zwei Gruppen. Zuerſt in diejenige, in welcher die Verordnung das mangelnde Geſetz ſelbſt erſetzt, dann in dasjenige, in welcher die Verordnung die Vollziehung des vorhandenen Geſetzes enthält.
Es iſt kein Zweifel, daß alle diejenigen Punkte, über welche es Verordnungen gibt oder geben ſoll, ihrerſeits wieder durch Geſetze be - ſtimmt werden können. Es gibt an ſich gar kein Verhältniß, das nur durch Verordnungen ſein Recht zu empfangen berechtigt wäre, ſelbſt die ſpeziellſten Formen der wirklichen Verwaltung nicht. Es iſt eine andere Frage, in wie weit es zweckmäßig iſt, daß die Geſetzgebung in das natürliche Gebiet der Verordnung hineingreife. Aber ausge - ſchloſſen iſt kein Theil des letztern von der Geſetzgebung.
Ebenſo iſt es kein Zweifel, daß alle diejenigen Gebiete, über welche kein Geſetz exiſtirt, den Verordnungen der vollziehenden Gewalt unter - liegen. Sind dieß Gebiete, welche nach der Verfaſſung der geſetzgeben - den Gewalt unterworfen ſind, ſo nennt man ſolche Verordnungen wohl proviſoriſche Geſetze; das ändert weder ihren Charakter noch ihr Recht. Sie bleiben Verordnungen. Wie und unter welchen Forderungen ſie zu Geſetzen erhoben werden ſollen, beſtimmt die Verfaſſung.
Das ſind die Punkte, welche das formelle verfaſſungsmäßige Verwaltungs - oder Verordnungsrecht enthält. Ließe ſich daher ſtets dieſe formelle Gränze auffinden, ſo hätte die Frage nach dem Inhalte weiter keine Schwierigkeit.
In der That aber iſt dieſelbe nicht ſo einfach. Die Verordnung erſcheint nämlich keineswegs bloß auf dem Gebiete wo das Geſetz mangelt, ſondern begegnet dem Geſetz auf ſeinem eignen Gebiete. Sie thut das nicht willkürlich oder als Verletzung des letzteren, ſondern ſie gelangt dazu vermöge ihrer eignen innern Natur. Und es iſt noth - wendig dieſe vor Augen zu haben.
II. Das Geſetz geht, ſeinem höhern Weſen nach, ſtets aus dem Ge - ſammtbewußtſein des Staatslebens hervor, und will daher auch ſtets zwei Ziele erreichen. Es will einerſeits das in allen thatſächlichen Ver - hältniſſen Gleichartige erfaſſen, und den Willen des Staats eben für dieß Gleichartige in allem Verſchiednen feſtſtellen. Es muß ſich daher ſtets an das Weſen der Dinge ſtatt an ihre zufällige und vor - übergehende Erſcheinung wenden. Es hat mit den Kräften zu thun,79 welche das Lebensverhältniß erzeugen, nicht mit denen, welche ihm dieſe oder jene Geſtalt geben. Es muß daher andererſeits alle ſeine Objekte einheitlich und gleichartig beſtimmen. Es muß ſtets mit ſich ſelber übereinſtimmen; es darf das äußerlich Verſchiedene nicht als innerlich Verſchiedenes ſetzen, ſondern es muß für alle Erſcheinungen ſtets daſſelbe ſein. Das geſetzliche Recht iſt daher ſeinem organiſchen Weſen nach ein gleichartiges und einheitliches Ganzes.
Die Verordnung dagegen geht vor allen Dingen von der That - ſache, und mit ihr von den Beſonderheiten und dem Wechſel derſelben aus. Sie erfaßt die Dinge und die Lebensverhältniſſe nicht wie ſie an ſich ſind, ſondern in dem Moment und in der Geſtalt, wo ſie zur Er - ſcheinung kommen. Sie iſt daher nicht bloß verſchieden für Dinge, die an ſich ganz gleich ſein können, ſondern ſie muß es ſein. Sie ſoll nicht das Wahre, ſondern das Zweckmäßige ſuchen und beſtimmen. Sie wechſelt daher beſtändig, ſie iſt der Wille für die äußere That, und trägt auf allen Punkten den Charakter der äußern Welt an ſich.
Geſetzgebung und Verordnung ſind daher nicht etwa zwei formell geſchiedene, ſondern weſentlich verſchiedene Funktionen des Staatswillens. Ihr Gegenſatz liegt nicht etwa bloß in jenen formellen Beſtimmungen, ſondern er liegt in ihrem tieferen Weſen ſelbſt. Und eben dieſe ihre Natur ſtellt ſie auch nicht etwa einfach wie zwei äußerlich ſelbſtändige Gebiete neben einander, die man durch gewiſſe Rechtsſätze äußerlich immer von einander trennen könnte, ſondern da jedes Lebendige, und mithin auch alle Dinge und Lebensverhältniſſe die dem Staatswillen angehören, zugleich ihr inneres und äußeres Daſein haben, ſo ſind auch alle dieſe Objekte ſtets beiden Funktionen zugleich, der Geſetzgebung und der Verordnung unterworfen. Alle Thätigkeiten des Staats werden unabänderlich zugleich durch Geſetze und Verordnungen beſtimmt. Und wie man nun in keinem Dinge die Elemente des innern Weſens immer ſcharf von der zufälligen äußern Erſcheinung trennen kann, ſo kann man auch niemals äußerlich das Gebiet der Geſetze und der Verordnungen endgültig ſcheiden. Sie vermiſchen ſich auf allen Punkten, ſie ſetzen ſich gegenſeitig beſtändig voraus; ſie erfüllen ſich beſtändig; ſie ſind in der That erſt zuſammen der wahre Staats - wille. Es iſt daher nichts einſeitiger, als ſie im natürlichen Gegen - ſatz betrachten zu wollen, und es iſt ebenſo falſch, die Verordnung nur als die Ausführung des Geſetzes anzuſehen. Es iſt daher ein großer, nur auf dem Nichtverſtändniß des wirklichen Lebens beruhender Irr - thum, zu meinen, daß man das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Ver - ordnung ſelbſt wieder durch einzelne rechtliche Beſtimmungen regeln kann. Eine ſolche Auffaſſung gehört den niedern Stadien der ſtaatlichen80 Entwicklung an. Sie endet ſtets mit dem Verſchwimmen ſolcher Be - ſtimmungen in unklare Vorſtellungen oder unpraktiſche Caſuiſtik. Man muß, will man ein Ergebniß das für das Leben des Staats gelten ſoll, das Verhältniß jener beiden Funktionen ſelbſt als ein lebendiges auffaſſen.
Offenbar nun liegt in dieſem Weſen beider der Grund des Strebens, ſich von einander zu entfernen und eben darum ſich einander zu unter - werfen. Denn die abſtrakte Natur der Dinge wird nur durch die wirk - liche Erſcheinung erſchöpft, und ewig wird man bald das eine, bald das andere für das herrſchende halten. Andererſeits gehören ſie dennoch gemeinſam dem Begriffe des Staats, ſie ſind eben ja nur Funktionen ſeiner Perſönlichkeit. Die höhere Entwicklung der letzteren hat daher zu ihrem Inhalt nicht ſo ſehr die Verſchiedenheit oder gar den Gegenſatz beider, ſondern vielmehr ihre höhere Einheit; aber die Aufgabe des Staatslebens iſt ohne allen Zweifel die, die Harmonie zwiſchen Geſetz und Verordnung, oder zwiſchen Willen und That herzuſtellen. Das bedarf keines Beweiſes.
Da nun aber in jedem Falle, bei jeder That und Aktion des Staats beide Elemente der Lebensverhältniſſe ſich beſtändig geltend machen, ſo muß auch jene Harmonie beſtändig aufs Neue hergeſtellt werden. Oder es muß die Herſtellung dieſer Harmonie ein beſtän - diger Proceß ſein. Oder: das was wir die verfaſſungsmäßige Ver - waltung nennen, iſt ein beſtändig thätiger, das geſammte Leben des Staats durchdringender, mächtiger Proceß, der in jeder Thätigkeit des Staats die Harmonie der Verordnung mit der Geſetzgebung aus ihrem Gegenſatze auf allen Punkten zu erzeugen und zu erhalten hat. Ihn erſchöpft nicht dieſe oder jene Beſtimmung, ſondern er iſt etwas Eigenthümliches und Ganzes für ſich. Aber indem er in dieſer Weiſe wirkt, erzeugt er für beide Gewalten feſte Normen, durch welche er ſich verwirklicht. Dieſe nennen wir auch hier das Recht. Und ſo kann man ſagen: das verfaſſungsmäßige Recht der vollziehenden Gewalt bildet die Geſammtheit der rechtlichen Grundſätze, welche die Harmonie zwiſchen Geſetz und Verordnung in allen Aeußerungen und Erſcheinungen des Staatslebens herzuſtellen berufen iſt.
III. Steht nun dieſer lebendige Begriff feſt, ſo leuchtet es ein, daß die Verwirklichung dieſes Rechts nicht mehr eine formell einfache ſein kann. Indem dieſelbe ſich an die einzelnen Elemente anſchließt, welche eben zu - ſammen genommen erſt den organiſchen Begriff der vollziehenden Gewalt bilden, muß jenes Recht vielmehr ſich wieder an die beſondere Natur jener Elemente anſchließen, und für jedes derſelben in der ihm ent - ſprechenden Weiſe jene Harmonie herſtellen. Oder: es gibt überhaupt81 kein einfaches Recht der vollziehenden Gewalt im Ganzen, ſondern nur ein allgemeines Princip für dieſelbe. Das Recht der vollziehenden Ge - walt oder der Proceß der Herſtellung der Harmonie der concreten That mit dem abſtrakten Willen, der Vollziehung mit der Geſetzgebung, iſt vielmehr ein beſonderes für jedes Element derſelben. Es gibt daher ein beſonderes Recht der vollziehenden Staatsgewalt, ein beſonderes Recht der eigentlichen Verordnungsgewalt, ein beſonderes Recht der Organiſationsgewalt, und endlich ein beſonderes Recht der Polizeige - walt. Alle dieſe Rechte ſind aber wieder Ausflüſſe deſſelben Princips, ſie bilden daher trotz ihrer Verſchiedenheit ein inneres Ganze, und in dieſem Sinne ſagen wir nunmehr, daß das Recht der verfaſſungsmäßigen Verwaltung und Vollziehung ein Syſtem von Rechten ſei, deſſen In - halt nunmehr im Einzelnen dargelegt werden ſoll.
Aber indem es auf dieſe Weiſe ein ſolches innere Ganze iſt, trägt es auch den Charakter der Individualität je nach den Völkern an ſich, bei denen es ſich ausgebildet hat. Die einzelnen Verſchiedenheiten, denen wir dort begegnen, ſind Ausflüſſe dieſer Individualität, und ehe die Wiſſenſchaft jenes Verhalten der Elemente ihrer innern Natur nach darlegt, werden wir einen Blick auf die Grundformen werfen, in denen jenes Recht zur individuellen Erſcheinung bei den großen Culturvölkern gelangt iſt.
Es liegt in dem formellen Weſen des Unterſchiedes zwiſchen Geſetz und Verordnung, daß die poſitive und formelle Entwicklung des verfaſſungsmäßigen Verordnungsrechts erſt mit dem Auftreten beſtimmter Verfaſſungsurkunden vor ſich geht. Dem Inhalte nach aber wird das poſitive Recht für das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung um ſo genauer, ja um ſo ängſtlicher aus - gebildet ſeyn, je länger ſich die Tradition erhält, daß Geſetzgebung und Ver - waltung mit einander im Gegenſatze ſtehen. Man kann daher das poſitive Recht gerade hier am ſicherſten als den Ausdruck des Stadiums betrachten, in welchem das Verſtändniß der Harmonie zwiſchen beiden großen Funktionen des Staats getreten iſt. Je weniger ſich beide im Bewußtſein des Volkes berühren und bedingen, je mehr verſchwinden die Formeln, welche jenes Recht bilden, und je einfacher wird der Proceß, der die Harmonie herſtellt. Nur indem man dieß zum Grunde legt, kann man den Unterſchied in dem principiell ganz gleichen Rechte Englands, Frankreichs und Deutſchlands verſtehen, und den noch ſehr niedrigen und unklaren Standpunkt beurtheilen, auf welchem auch in dieſem Punkte das deutſche Leben ſteht.
In England hat niemals eine völlige Trennung der Geſetzgebung und Vollziehung ſtattgefunden. Die Volksvertretung hat, ſoweit die germaniſche Geſchichte zurückgeht, immer ihre Stellung behauptet. Namentlich hat der glücklich vertheidigte Grundſatz, daß die Bewilligung der Steuer von dem geſetzgebenden Körper abhange, die vollziehende Gewalt ſtets gezwungen, imStein, die Verwaltungslehre. I. 682Geiſt der geſetzgebenden zu wirken. Dazu aber kommt allerdings ein zweites, höchſt bedeutſames Element, das man meiſtens überſieht. Das lebendige Princip der Selbſtverwaltung hat der vollziehenden und verwaltenden Gewalt des Staats den größten Theil der Objekte ihrer ſelbſtändigen Thätigkeit ge - nommen, und ſie demſelben Kreiſe von Organen übertragen, welche das Geſetz machen.
Während dadurch auf der einen Seite die Verordnungen niemals zu einem ausgebildeten Syſtem und mithin auch nicht zu einem Gegenſatz zur Geſetz - gebung gelangen konnten, war die Selbſtverwaltung derjenige Organismus, der die örtliche Verwaltung des Staats von ſelbſt in Harmonie mit der aus ihr ſelber ja hervorgehenden Geſetzgebung erhielt. Ein Gegenſatz beider, welcher die formelle Entwicklung des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts zum Inhalt gehabt hätte, konnte ſich deßhalb gar nicht recht ausbilden; und hier iſt der Punkt, wo eigentlich die Selbſtverwaltung ihren ſo mächtigen Einfluß ausgeübt hat. Während im übrigen Europa die Geſetze, hat in England die Selbſtver - waltung die unerſchütterliche Grundlage der Harmonie zwiſchen beiden Funk - tionen abgegeben.
Demgemäß finden wir nur eine ſehr geringe Entwicklung des Verord - nungsrechts, und entſprechend eine ſehr geringe formelle Ausbildung des ver - faſſungsmäßigen Verwaltungsrechts, während dem Inhalt nach England gerade in letzter Beziehung mit Recht allen Völkern als Muſter vorſchwebte, ſo lange dieſelben noch an dem harten Gegenſatze zwiſchen Geſetzgebung und Vollziehung zu leiden hatten. Eben darauf beruht auch das praktiſche Princip jenes Rechts; es beſteht in dem Rechte der Klage der Einzelnen gegen die vollziehende Ge - walt, durch welche jede einzelne Aktion der letzteren auf das geltende Recht zurückgeführt wird. In der ſtrengen Ausbildung und Gültigkeit dieſes Grund - ſatzes liegt der Charakter des engliſchen öffentlichen Verwaltungsrechts im wei - tern Sinne (ſ. unter Klagrecht).
In Frankreich ſehen wir eine weſentlich verſchiedene Ordnung der Dinge. Hier hat das Königthum ſchon ſeit Ludwig IX. gearbeitet, um jeden Akt der Verwaltung der vollziehenden Gewalt zu unterwerfen. Die Selbſtverwaltung er - ſcheint dem centralen Königthum als ein Feind der innerſten Natur der fran - zöſiſchen Staatsbildung. Die vollziehende Gewalt und mit und in ihr die Verordnung iſt das eigentlich ſchöpferiſche Element dieſes in ſeiner Art ſo eigen - thümlichen Staats; ſie iſt allgegenwärtig, allenthalben gleichartig, ſtark, thätig, tüchtig; ſie fühlt ſich als den eigentlichen Träger des franzöſiſchen Geſammt - lebens. Sie iſt daher ſchon Jahrhunderte vor der franzöſiſchen Revolution nicht bloß vorhanden, ſondern tritt auch als ein ſtarker und vom Königthum und Volk gleich ſehr anerkannter Organismus auf; es fällt beiden gar nicht ein, an ihm und ſeiner Funktion ernſthaft zu rütteln; beide ſind vielmehr von dem Bewußtſeyn durchdrungen, daß auf ihm die ſtaatliche Individualität, die äußere Kraft und der Glanz Frankreichs beruhe. Niemand hat das beſſer verſtanden, als Toqueyille; ſein „ Regime “iſt eben die vollziehende, thätige Staatsgewalt in ihrer Selbſtſtändigkeit gegenüber der Geſetzgebung. Dieſer Grundſatz hat ſich nun als ein ganz unbezweifelter erhalten und zwar mitten unter allen Phaſen,83 welche die geſetzgebende Gewalt durchzumachen hat. Die Vollziehung und ihr Recht, das thätige Beamtenthum, iſt eine Welt für ſich, und weist jedes Hineingreifen von Seiten der übrigen Rechtsbildungen von ſich ab. Das Be - wußtſein dieſer eigenthümlichen Selbſtändigkeit iſt ſchon in Montesquien lebendig. wenn er in ſeinem Esprit des Lois XXVI. 24. ſagt: „ Dans l’exercice de la police (die eigentlich vollziehende Gewalt, der die Verordnung zum Grunde liegt) c’est plutôt le magistrat qui punit que la loi; dans les jugements (denen das Geſetz zu Grunde liegt) c’est plutôt la loi qui punit que le magis - trat. “ Das Verhältniß, in welchem jeder einzelne Akt dieſer Adminiſtration wieder auf das Geſetz in irgend einer Weiſe zurückgeführt werden ſoll, exiſtirt daher gar nicht in der Vorſtellung Frankreichs. Die Verwaltung als organi - ſcher Körper hat vielmehr in ſich ſelbſt die Aufgabe, dieſe Harmonie zwiſchen Vollziehung und Geſetzgebung herzuſtellen. Sie empfängt daher nicht ihr Recht, ſondern ſie bildet es ſich ſelber; auf dem Punkte, wo die Fragen nach der Aus - führung des Geſetzes beginnen, hört jede andere Funktion, als die des Ver - waltungsorganismus, auf, und er ſelber iſt das entſcheidende Organ über die Verfaſſungs - und Rechtmäßigkeit der Thätigkeiten, mit welcher er das Geſetz verwirklicht. Es gibt daher in Frankreich zu keiner Zeit eine eigentlich orga - niſche Unterordnung der Vollziehung unter die Geſetzgebung; jene wacht eifer - ſüchtig auf dieſe Gränze ihrer Gewalt; ſie erkennt deßhalb auch nirgends eine wahre Selbſtverwaltung; ſie hat kein Gemeindeweſen; die Gemeinde iſt ein Organ der Adminiſtration. So hat ſich dieſe eigenthümliche, nirgends in der Welt wieder vorkommende Scheidung der Verwaltung und der Geſetzgebung auf das Innigſte mit dem ganzen franzöſiſchen Leben verwebt, und die fran - zöſiſche Literatur hat dieß Verhältniß in ganz beſtimmte Formeln gebracht. Einerſeits ſind es gerade die Franzoſen, welche eben durch die beſtimmte Schei - dung beider Gewalten gezwungen werden, die Harmonie derſelben als ein noth - wendiges Element des Staatslebens anzuerkennen. Sehr ſchön ſagt Benjamin Conſtant (Réflexions sur les constitutions, 1814): „ Wollen iſt immer möglich, nicht aber die Vollziehung. Eine Gewalt, gezwungen, einem Geſetze, das ſie mißbilligt, Beiſtand zu leiſten, iſt bald ohne Kraft und Anſehen. Keine Gewalt vollzieht ein Geſetz, das ſie nicht billigt, mit Eifer. Jedes Hinderniß iſt natür - lich ein Triumph für ſie. Es iſt ſchon ſchwer, einen Menſchen am Handeln zu hindern; unmöglich iſt es, ihn zum Handeln zu zwingen. “ So verſtand man die höhere Nothwendigkeit der Harmonie beider Gewalten, und niemandem fiel es ein, dieſe eigentliche Vollziehung dem Rechte und dem Willen der Geſetzgebung unbedingt unterwerfen zu wollen; die Adminiſtration blieb, was ſie geweſen, die ſouveräne Aktion der Vollziehung; der König iſt der Chef de l’Adminis - tration, und wir haben ſchon das merkwürdige Geſetz vom 16. bis 24. Auguſt 1790. citirt, welches den Richtern — und damit dem, was ſie vertreten, dem Geſetze — das Recht geradezu abſpricht — „ de citer devant eux les admi - nistrateurs pour raison de leurs fonctions. “ Der Proceß, den wir als die Herſtellung der Verfaſſungsmäßigkeit in der Verwaltung bezeichnet haben, muß ſich daher in Frankreich innerhalb dieſer Verwaltung ſelbſt vollzie - hen; das iſt das Princip des franzöſiſchen Verwaltungsrechts; es gilt jetzt wie84 vor hundert Jahren; und wir glauben es nicht beſſer als mit den Worten des Dictionnaire de l’administration, v. Administration, wieder geben zu können: „ les Codes règlent des intérêts privés, qui varient d’un individu à l’autre — le droit administratif est également réglé par des principes généraux; mais leur application peut varier avec les circonstances sociales. La pensée du législateur se trouve ainsi commentée, d’un côté par la jurisprudence, et de l’autre par la tradition des bureaux. “ Die Entſcheidung ſelbſt aber heißt hier wie bei dem Gericht eine Jurisdiktion; und ſchon Macarel ſagt (Eléments de jurispr. adm. I. 5.): „ La jurisdiction contentieuse comprend tout ce qui fait légalement obstacle à l’administration lorsqu’en marchant elle froisse sur la route les intérêts des particuliers. “ Daher denn hat in Frankreich ſowohl die Verantwortlichkeit als das eigentliche Verordnungsrecht eine ganz andere Geſtalt, als in England und Deutſchland; und darum iſt und war es ſo falſch und ſo ergebnißlos, das deutſche Recht durch das franzöſiſche erklären und fördern zu wollen. Das letztere iſt eine Welt für ſich und will für ſich verſtanden werden. Die folgende Darſtellung wird dieß im Einzelnen beim Klagrecht zeigen.
In Deutſchland tritt nun mit dem vorigen Jahrhundert an die Stelle der principiellen Klarheit Englands und der formellen Klarheit Frankreichs ſofort eine gründliche, bis zum heutigen Tage nicht gehobene, und nur durch die hiſtoriſche Entwicklung erklärliche Verwirrung der Ausdrücke und Begriffe. Wir glauben, daß wir am beſten den Charakter der deutſchen Auffaſſung bezeichnen, indem wir ſie mit dem Namen nennen, um den ſich noch heute die Frage dreht, und der denn doch endlich einmal einem richtigeren Verſtändniß Platz machen ſollte. Das iſt der Unterſchied zwiſchen den ſogenannten Juſtiz - und Adminiſtrativſachen. Die Grundlage dieſes Unterſchiedes iſt die hiſtoriſche Entwicklung der Staatsgewalt gegenüber dem Princip des feudalen Rechts. Allerdings war der Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung im vorigen Jahrhundert verſchwunden; allein die öffentlichen Rechte der Grundherren und Körperſchaften erſchienen als Privatrechte, und indem man im Allgemeinen der Obrigkeit, als vollziehender Gewalt, das Recht zur Geſetzgebung auf dem Wege der Verordnung unbedingt einräumte, mußte man jede Verordnung über öffentliche Verhältniſſe, welche dem Grundherrn unter dem Titel ſeiner Grund - herrlichkeit angehörten, als einen Eingriff in das bürgerliche Recht, als eine Beein - trächtigung eines jus quaesitum anſehen, die mithin vom bürgerlichen Ge - richte zu entſcheiden, d. i. eine Juſtizſache ſei. Die Gränze der Verordnungs - gewalt lag daher gleich anfangs in Deutſchland weder in dem Begriff des Geſetzes, noch in dem der Verantwortlichkeit, ſondern in dem hiſtoriſch ent - ſtandenen Privatrechte auf einen Antheil an der vollziehenden Gewalt, den die Staatsgewalt nicht nehmen konnte, ohne das Princip des Eigenthums anzugreifen. Dieſer Antheil war nun einerſeits höchſt verſchieden nach den verſchiedenen Ländern, oder die Sachen, welche die bürgerlichen Gerichte gegenüber der Verordnungsgewalt zu erledigen hatten, erſchienen in jedem Lande anders; nichts war daher gemeinſam in Deutſchland, als der Grundſatz, daß jede Handlung der vollziehenden Gewalt und jede Verordnung,85 ſo wie ſie ein ſolches hiſtoriſches Recht angriffen, Juſtizſachen ſeien, während alle übrigen Funktionen derſelben der Verwaltung als Adminiſtrativſachen angehörten. Nun aber enthielten jene Rechte auf ſelbſtändige Verwaltung eine, wenn auch lehensrechtlich ausgebildete, ſo doch ihrem Weſen und oft auch ihrer frü - hern Ordnung nach unzweifelhafte Geſtalt der Selbſtverwaltung, namentlich im alten Gemeinderecht. Die neu entſtehende Staatsverwaltung ſtrebte nun, dieſe Selb - ſtändigkeit ſich zu unterwerfen; die ſelbſtändigen Körper vertheidigten ſie, und um ſie mit Nachdruck vertheidigen zu können, hielten ſie das Princip des bürger - lichen Rechts und der gerichtlichen Klage gegen jene Beſtrebungen der centralen Staatsgewalt aufrecht. So geſchah es, daß die Juſtizſachen weſentlich die recht - liche Gränze der Selbſtverwaltung bezeichneten, während die Adminiſtrativſachen die ſtaatliche Verwaltung bedeuteten. Dieſe Gränze aber konnte, da ſie nicht im Begriff von Geſetz und Verordnung wurzelte, auch nicht im Weſen des Rechts, ſondern mußte nunmehr in dem Gegenſtande geſucht werden; und ſo entſtand jene wunderliche Richtung, welche in dem abſolut nutzloſen Verſuche nicht müde wurde, das Recht von Geſetz und Verordnung und damit die Gränze beider in den Sachen zu beſtimmen, für welche das erſte oder die zweite gelten ſollten. Die Unmöglichkeit, hier zu einem Reſultat zu gelangen, war abſolut, denn jeder Gegenſtand iſt ja ſeiner Natur nach Gegenſtand des Geſetzes und der Vollziehung, und mithin der Juſtiz und der Adminiſtration zugleich. Dennoch wäre man vielleicht weiter gekommen, wenn man in Deutſchland nur eine klare Vorſtellung oder einen gültigen Begriff von Geſetz und Verordnung gehabt hätte. Allein wir haben geſehen, daß dieſer fehlte und noch fehlt. Unterdeſſen ward die Selbſtverwaltung für die Gemeinden und Körperſchaften verfaſſungsmäßig feſtgeſtellt, und jetzt war jener Unterſchied vollſtändig unentwirrbar, weil er jetzt den Unterſchied zwiſchen Gegenſtänden, die nur Geſetzgebung, und ſolchen, die nur Vollziehung zulaſſen, bedeuten müßte, was wahrlich keinen Sinn hat. Dazu kam ein faſt vollſtändiger Mangel an einem klaren Begriff von Verwaltung und Verwaltungsrecht, der den letzten Halt wegnahm, und ſo ſehen wir denn theoretiſch den Begriff des verfaſſungs - mäßigen Verwaltungsrechts eigentlich gar nicht entſtehen, während er praktiſch, namentlich in den einzelnen Momenten und Theilen deſſelben, ſich ſehr erkennbar Bahn bricht. Und zwar iſt dieß, wie wir gleich hier bemerken wollen, in durchgreifender Nachahmung des franzöſiſchen Begriffes des contentieux geſchehen, indem die neue Organiſation auch in Deutſchland geſetzlich der Verwaltung gewiſſe Funktionen der gerichtlichen Thätigkeit übertrug, und damit dem deutſchen Unterſchied zwiſchen Juſtiz - und Adminiſtrativſachen einen franzöſiſchen Inhalt gab, ohne ihm die franzöſiſche Klarheit zu geben. Wir müſſen darauf unten zurückkommen. Im Allgemeinen iſt indeß kein Zweifel, daß wir in dieſer Be - ziehung in einem Uebergangsſtadium uns befinden, und daß die Richtung der Entwicklung dahin geht, das Princip des engliſchen Rechts mit den durchſichtigen Formen des franzöſiſchen zu vereinigen. Dazu aber iſt allerdings nothwendig, daß man jede allgemeine Phraſe fallen läßt, und auf das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts im Ganzen wie im Einzelnen eingeht.
86Wir wollen nun dabei verſuchen, auch bei den einzelnen Gebieten deſſelben durch die Zurückführung der in den drei Landen geltenden Punkte auf jenen allgemeinen Charakter dieſes Rechts ſo viel als möglich beizutragen.
Die Grundlage dieſes ſowie des folgenden Begriffes des Regie - rungsrechts iſt die Auflöſung der allgemeinen und unklaren Vorſtellung von der „ Staatsgewalt “in ihre einzelnen Funktionen. Ein Recht der - ſelben kann nur dann gedacht werden, wenn man dieſe Funktionen als ſelbſtändig innerhalb des allgemeinen Begriffes der Staatsgewalt denkt; in dieſem Sinne iſt dann dieß Recht die verfaſſungsmäßige Gränze der einen Funktion gegenüber der andern, und erſt dadurch entſteht ein organiſcher Begriff des Staatsrechts.
Das Staatsoberhaupt vertritt die Perſönlichkeit des Staats an ſich; er vertritt ſie in ihrem Verhalten zur Geſetzgebung; er vertritt ſie in ihrem Verhalten zur Vollziehung. Die „ einzelnen Rechte “des Staatsoberhaupts ſind daher die rechtlichen Beſtimmungen des Antheils, den der individuelle Wille des Staatsoberhaupts an dem organiſchen Leben des Staats hat. Damit erſcheint das Recht der vollziehenden Staatsgewalt als das Rechtsverhältniß zwiſchen den zwei großen Fak - toren der Vollziehung, dem Staatsoberhaupt als perſönlichem Haupt der Vollziehung, und der Regierungsgewalt als organiſcher Geſtalt derſelben.
Das Staatsoberhaupt iſt nämlich zuerſt das Haupt jeder That des Staats; indem es der Träger der Perſönlichkeit des Staats iſt, muß jede Aktion des Staats in ſeinem Namen geſchehen. Allein es kann daſſelbe dieſe Funktion entweder als eine individuelle, als einen Akt des perſönlichen Willens des Souveräns, vollziehen, oder es kann die Vollziehung durch den Organismus der Regierungsge - walt, alſo als einen Regierungsakt, zur Ausführung bringen. Beide Funktionen ſind weſentlich verſchieden. Aus dieſer Verſchiedenheit entſteht die Frage, nach welchen Grundſätzen ſich die Gränze für das Gebiet jeder perſönlich freien, von dem Einfluß der Regierungsgewalt unab - hängigen vollziehenden Gewalt des Staatsoberhaupts bildet; dieſe Gränze kann keine willkürliche ſein; ſie muß auf einem Recht beruhen, welches einen Theil des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts bildet; und dieß Recht der, im individuellen Willen des Staatsoberhaupts liegenden vollziehenden Gewalt nennen wir das Vollziehungsrecht des87 Staatsoberhaupts. Das Princip, welches dieß Recht erzeugt und beſtimmt, liegt ſelbſt im Weſen des Staats.
Es iſt nämlich ein abſoluter Widerſpruch, daß das Haupt des Staats, welches zugleich Haupt des ganzen, perſönlichen Staatswillens iſt, mit dieſem in ihm lebendigen Staatswillen durch ſeine Handlungen, die ja gleichfalls Handlungen der Perſönlichkeit des Staats ſind, in Gegenſatz treten, d. i. Unrecht thun könne. Sowie aber mit dem Auftreten des Begriffes von Geſetz und Verordnung ein Widerſpruch zwiſchen beiden als möglich geſetzt iſt, ſo kann derſelbe auch für das Staatsoberhaupt als Haupt der vollziehenden Gewalt erſcheinen. Der Widerſpruch mit dem Weſen des Staatsoberhaupts, der wiederum in dieſer Möglichkeit liegt, kann nur dadurch gelöst werden, daß die - jenige Form gefunden und zur Geltung erhoben wird, durch welche alle die Handlungen des Staatsoberhaupts, welche mit der Verfaſſung in Widerſpruch treten können, die Natur ſeiner individuellen Handlung verlieren, während diejenigen, welche das Staatsoberhaupt individuell vollziehen kann, immer als unbedingt gültig anerkannt werden. Da - durch entſteht mit jeder Verfaſſung der Unterſchied der freien Aktion der vollziehenden Staatsgewalt und der Regierungsakte des Staatsoberhaupts. Der freien Aktion deſſelben entſpricht das Recht, daß der bloß perſönliche Wille des Regenten ihnen das Recht des Ge - ſetzes beilegt; den Regierungsakten das Recht, daß ſie durch formelle Zuſtimmung der Organe der Regierungsgewalt — meiſt durch Unter - zeichnung der Miniſter — nicht mehr als perſönliche Thätigkeit des Staatsoberhaupts, ſondern als Handlungen jener Organe gelten, welchen das Staatsoberhaupt ſeine Zuſtimmung gibt, unter der Vorausſetzung, daß der betreffende Wille der Regierung, die Verordnung, mit dem des geſammten Staats, dem Geſetze, nicht im Widerſpruch ſtehe. Beide Grundſätze ergeben den Satz, daß „ das Staatsoberhaupt kein Unrecht thun kann “oder „ unverantwortlich “iſt; der erſte dadurch, daß hier der perſönliche Wille des Fürſten wirklich Geſetz iſt, der zweite dadurch, daß der Regierungsakt eben keinen perſönlichen Akt des Fürſten, ſondern nur ſeine (bedingte) Zuſtimmung zu einem Akte der Regierung enthält. Damit iſt jener im Weſen der verfaſſungsmäßigen Vollziehung liegende Widerſpruch gelöst; ohne die Anerkennung dieſer Grundſätze muß ent - weder das Fürſtenthum der Verfaſſung, oder die Verfaſſung dem Für - ſtenthum gegenüber in Widerſprüche gerathen.
Steht dieß nun feſt, ſo muß die zweite Frage entſtehen, welche Akte demnach diejenigen ſind, die dem, von Geſetz und Regierung un - abhängigen, individuellen Willen des Staatsoberhaupts nicht im Allge - meinen, ſondern eben innerhalb des Gebietes der Vollziehung überlaſſen88 bleiben. Sind dieſe beſtimmt, ſo folgt von ſelbſt, daß alle übrigen Akte der Vollziehung allerdings nur im Namen des Staatsoberhaupts und mithin unter ſeiner Zuſtimmung, oder doch nur unter Zuziehung der Organe der Regierung geſchehen können.
Die Beſtimmung jener Akte nun, welche auf dieſe Weiſe der un - mittelbaren allerhöchſten Entſcheidung überlaſſen ſind, und auf welche daher weder der Begriff des Geſetzes, noch der der Verordnung An - wendung finden, ſondern welche man dann als allerhöchſte Entſchlie - ßungen, Befehle, Erläſſe bezeichnen kann, iſt formell ſo lange von großer Wichtigkeit, als noch ein nicht ausgetragener Gegenſatz zwiſchen dem Begriff der fürſtlichen Souveränetät und dem Rechte der Volks - vertretung exiſtirt. Denn da auf ſie die Verantwortlichkeit keine An - wendung findet, während ſie mit der vollen Kraft des Geſetzes Gehor - ſam fordern, ſo iſt hier allerdings ein Keim des innern Gegenſatzes zwiſchen Fürſt und Volk vorhanden. Iſt dagegen das innere harmo - niſche Verhältniß ein geſichertes, ſo wird auch jene formelle Beſtimmung ziemlich überflüſſig, da eine Anwendung jener ſouveränen Vollziehungs - gewalt im Gegenſatze zum geſetzlichen Zuſtande von ſelbſt verſchwindet. Daher ſehen wir denn auch hier eine nicht unweſentliche Verſchiedenheit der poſitiven Verfaſſungen, von denen einige jene Gränze beſtimmen, einige ſie einfach übergehen. Das tiefere Verſtändniß des Staatslebens hat dagegen die Ueberzeugung feſtgeſtellt, „ daß es nicht bloß thöricht und kurzſichtig, ſondern geradezu unrechtlich iſt, wenn einer geſetzlichen Aufzählung der Rechte des Staatsoberhaupts insbeſondere ausdrücklich die Beſtimmung beigefügt iſt, daß ihm weitere Befugniſſe nicht zuſtehen “(Mohl, Encyclopädie der Staatswiſſenſchaft, S. 216), ſo daß „ Nothwen - diges aus formellen Gründen unterbleiben müßte. “ Allerdings folgt aber daraus, daß jede formelle Aufzählung auch der, im vollziehen - den Rechte des Staatsoberhaupts liegenden ſouveränen Akte im Grunde falſch iſt. Die Unterſuchung des Inhalts dieſes Rechts ſoll daher auch nicht das Ziel haben, eine ſolche verfaſſungsmäßige Beſchränkung zu begründen, ſondern nur das Recht auf dieſelben auf das Weſen der königlichen Gewalt zurückzuführen. Dieſe aber, als die höchſte perſönliche Form des Staatslebens, fordert als Gebiet ihres von Volksvertretung und Regierungsorganen vollkommen unabhängigen freien Willens fol - gende Kategorien: den Oberbefehl über alles, was das Heerweſen be - trifft, als das Organ der ſelbſtändigen Kraft des Staats; die Gna - denverleihungen und Begnadigungen, als freie Bethätigung der Individualität des Staats; die Anſtellungen und Berufungen, welche die perſönliche Seite des Organismus enthalten, und endlich die Kategorie, welche niemals fehlen kann, und welche, indem man trotz -89 dem nicht im Stande iſt, ſie ſcharf zu begränzen, eben wieder die letzte Herrſchaft des perſönlichen Lebens des Staats über alle einzelnen Erſcheinungen und Ordnungen deſſelben bethätigt, die Kategorie des Nothrechts des Staats. Das Nothrecht des Staats iſt das Recht der Staatsgewalt, an die Stelle der Geſetze den Willen der Vollziehung zu ſetzen: der Zuſtand, der daraus hervorgeht, wird gewöhnlich der Belagerungszuſtand genannt. Der Belagerungszuſtand kann nicht durch die geſetzgebende Gewalt beſchloſſen werden, denn das Ge - ſetz kann die Geſetzmäßigkeit nicht aufheben. Der Belagerungszuſtand kann auch nicht an Bedingungen geknüpft werden, denn es iſt unmöglich, dieſe zu meſſen. Es iſt kaum zweckmäßig vorzuſchreiben, daß das Miniſterium oder der Staatsrath gehört werden ſolle, ehe die vollziehende Staats - gewalt im Namen der Noth dieß Recht der Geſetze ſuspendirt; denn zuweilen iſt das nicht möglich — bei wirklicher Belagerung — gewöhn - lich nutzlos, weil es ohnehin ſelbſtverſtändlich iſt. Es gibt nur Einen Rechtsſatz, der für die Belagerungszuſtände gelten ſollte, das iſt der, daß derſelbe die verfaſſungsmäßige Thätigkeit der geſetzgebenden Körper nicht aufheben darf. Schützt eine ſolche Beſtimmung nicht gegen falſche Anwendung deſſelben, ſo wird eine andere gewiß nichts ſchützen.
Die Schwierigkeit, in Geſetzgebung und Literatur die, dem aufgeſtellten Begriffe der vollziehenden Rechte des Staatsoberhaupts entſprechenden Sätze zu finden, liegt darin, daß man in der „ Staatsgewalt “höchſtens das Verhältniß derſelben zu Geſetzgebung und Vollziehung im Allgemeinen, nicht aber innerhalb der letzteren wieder die perſönliche Staatsgewalt von der Regierungsgewalt geſchieden hat (ſiehe oben). Der Grund dieſer Erſcheinung in den Verfaſſungs - urkunden lag darin, daß es dem Staatsrecht weſentlich darauf ankam, die Einheit aller Gewalten als verfaſſungsmäßiges Princip feſtzuhalten, und daher eine Scheidung jener beiden Funktionen in der Vollziehung und mit der - ſelben ihr Recht nicht hervortreten ließ. Die faſt ganz allgemeine Formel der deutſchen Verfaſſungen zeigt dieß deutlich genug: „ Der König vereinigt in ſich alle Rechte der Staatsgewalt und übt ſie in verfaſſungsmäßiger Weiſe aus “(Bayern, Württemberg, Baden, Coburg, Naſſau, Sachſen). Auch die in einigen Verfaſſungen gegebene Aufzeichnung der Rechte des Königs auf Abſchluß von Verträgen, Oberbefehl über das Heer u. ſ. w. enthalten eigentlich nicht die Aufſtellung jenes Begriffs der perſönlichen Vollziehungsgewalt, weil derſelbe Ausdruck für den Erlaß aller zur Vollziehung nothwendigen Verordnungen gebraucht wird, für welche doch die Verantwortlichkeit gewiß iſt. Eben ſo wenig genügt die abſtrakte Anerkennung der Unverantwortlichkeit des Staatsoberhaupts; denn es iſt ja eben die Frage, was daſſelbe zu thun berechtigt iſt, obgleich er unverantwortlich ſeyn muß. Formell wäre daher nothwendig geweſen, eine Bezeichnung für dieſe Akte der perſönlichen Souveränetät hinzuzuſetzen, durch welche die Gültigkeit ohne Theilnahme der Regierung (Unterzeichnung und90 Verantwortlichkeit) ausgeſprochen würde. In den deutſchen Verfaſſungen iſt formell eine ſolche Unterſcheidung nicht zu finden. Im Grunde bewegt ſich die Verfaſſung Englands in ganz gleicher Unbeſtimmtheit: „ Die Königliche Autorität bildet die exekutive Gewalt im Staat; ſie iſt in eine Hand gelegt zum Zweck der Einheit, Kraft und Schnelligkeit. Der König von England iſt daher nicht bloß der oberſte, ſondern der einzige Magiſtrat des Volkes, während alle andern durch Commiſſion in gebührender Unterordnung unter ihm agiren. “ Blackstone Comm. I. 250. Die einzelnen Punkte ſtellt Gneiſt I. S. 274. 275. auf. Ob und welche Rechte darnach die perſönliche Souveränetät gegenüber der Regierung habe, bleibt ungeſagt, weil ſie eben ſo gut als keine hat; die wirkliche Thätigkeit auch des Souveräns fällt ſtets mit dem Council zu - ſammen, und erſcheint als Verordnungsgewalt und mithin nicht als könig - liche Gewalt. Die Verſuche der deutſchen Verfaſſungen ſeit 1848 bleiben gleich unklar. Nur die franzöſiſche Conſtitution von 1852 tritt beſtimmt auf, Art. 3. 7. 8. 9 — 12.; aber die Uebertragung jener Rechte erſcheint hier formell nicht als königliche ſouveräne, von Geſetz und Verwaltung unabhängige Gewalt; die Unterzeichnung der Miniſter iſt im Gegentheil auch bei dieſen Akten beibehalten; ſie verſteckt ſich vielmehr hinter dem Princip, daß jeder Miniſter nur für ſein Reſſort verantwortlich iſt (ſiehe unten).
Daß unter dieſen Umſtänden von einer Klarheit in der deutſchen Staats - rechtslehre keine Rede ſein kann, verſteht ſich von ſelbſt. Sie begnügt ſich mit einer Aufzählung der Rechte — oder Hoheitsrechte — oder einzelnen Gewalten — der Staatsgewalt oder Souveränetät. Vgl. Klüber Oeffentliches Recht §. 238; Maurenbrecher §. 29. 30. 40. 42. Völlige Verwirrung bei Zacha - riä durch gänzliches Mißverſtändniß des Regierungsrechts. Zöpfl faßt dagegen wieder „ die perſönliche, mit voller Unverantwortlichkeit auszuübende freie Selbſtthätigkeit des Souveräns in der oberſten (?) Leitung des Staats - weſens, “alſo den obigen Begriff als Regierung, die „ beamtenmäßige Thätigkeit unter perſönlicher Verantwortlichkeit “als Verwaltung auf, was bis auf die höchſt unglückliche Wahl der Ausdrücke ganz correct iſt; nur ge - langt er nicht zu einem rechtlichen Inhalt ſeiner „ Regierung, “und verliert ſpäter gänzlich ſeine richtigen Gedanken in der Verwirrung, die ihm die ſog. Hoheitsrechte bringen. Unter den Darſtellungen der örtlichen Staatsrechte ver - ſinkt bei Rönne (Preußiſches Staatsrecht I. §. 52) die einheitliche Auffaſſung in lauter Details, welche in allen Akten der Vollziehung nur den Zuſammen - hang mit dem Königthum, nicht ſein ſouveränes Recht erkennen; Mohl (Würt - tembergiſches Verfaſſungsrecht I. §. 30. ff. ), der wohl zuerſt (1829) die könig - lichen Rechte genau analyſirte, ohne ſie von der Regierung zu trennen, bleibt auch bei dem allgemeinen Satze ſtehen, daß „ nur dem Könige die Vollziehung der Geſetze gebühre, “§. 35. Ebenſo Milhauſer (Sächſiſches Verfaſſungs - recht §. 26). Selbſt Pötzl (Bayeriſches Verfaſſungsrecht) hat trotz der Klarheit ſeiner Darſtellung die Frage nicht erledigt; wie Moy (Bayeriſches Verfaſſungs - recht I. II. §. 44. ff. ) ſie trotz ſeiner Weitläuftigkeit nicht aufgenommen hat. — Ueber das Nothrecht ſiehe Klüber (Oeffentliches Recht §. 551), der es als dominium eminens der Expropriation zu Grunde legt und den Belagerungs -91 zuſtand noch gar nicht kennt; Zachariä, der in II. §. 153 noch auf dem - ſelben Standpunkt ſteht, während er im Belagerungszuſtand nur einen polizei - lichen Akt ſieht, I. S. 142. Mohl (Encyklopädie §. 29) und Bluntſchli (Allgemeines Staatsrecht II. 108) faſſen das Nothrecht höher auf; ſehr gut ſagt Mohl: „ Man hat ſich nicht ſelten bemüht, wenigſtens den Eintritt des Falles durch beſtimmte Formen feſtzuſtellen; es iſt aber einleuchtend, daß dieß eine Folgewidrigkeit und entweder ein ſchädliches Hemmniß oder eine leere Warnung iſt. Wenn die Noth die Beſchränkung zu durchbrechen gebietet, ſo muß es ge - ſchehen, und iſt gerechtfertigt “(S. 217). Das Recht des Belagerungszu - ſtandes in Preußen iſt durch das Geſetz vom 4. Juni 1851 beſtimmt, das an die Stelle der octroyirten Verordnung vom 10. Mai 1849 getreten iſt. Siehe Rönne Preußiſches Staatsrecht II. §. 52. S. 217. In Frankreich verſprach der Art. 12 der Conſtitution von 1852 ein Geſetz über den Belagerungszuſtand; es iſt aber keines erſchienen, und gilt daher noch immer das Geſetz vom 9. Auguſt 1849, nur mit dem Unterſchiede, daß nach dieſem Geſetz ſofort bei Erklärung des Belagerungszuſtandes die Assemblée nationale ſich verſammeln mußte, während nach Art. 12 der Kaiſer nur darüber an den Senat „ berichtet. “
Während die vollziehende Staatsgewalt, der eigentlichen Regierungs - gewalt gegenüber ſelbſtändig gedacht, demnach es mit den allgemeinſten Formen der Staatsthätigkeit zu thun hat, erſcheint die Regierungs - gewalt in den wirklichen Aufgaben der Verwaltung. Hier treten ſich daher die beiden Elemente, der geſetzliche und der verwaltende Wille des Staats, concret gegenüber; in der Regierung berühren ſie ſich im wirk - lichen Leben; und hier wird daher auch das Recht eine beſtimmtere und faßbare Geſtalt gewinnen. Denn während bei der ſelbſtändigen Aktion der vollziehenden Staatsgewalt ein Gegenſatz zwiſchen Wille und That des Staats ſchwer denkbar iſt und faſt nur gewaltthätig hervor - gerufen werden kann, greifen bei der Regierungsthätigkeit die wirklichen Lebensverhältniſſe ſo tief in die Geſetze hinein, ſie ſind ſo mächtig und zugleich ſo wechſelnd, daß man nicht daran denken darf, die Harmonie zwiſchen beiden Faktoren durch ein paar einfache Sätze herzuſtellen. Und dieß um ſo weniger, als die Regierung ſelbſt nicht als einfache Gewalt erſcheint, ſondern als ein Syſtem von Gewalten, deren jede ihre eigene Funktion hat. Indem wir daher das Rechtsleben der ver - faſſungsmäßigen Verwaltung als einen lebendigen Proceß bezeichnen, der in beſtimmten rechtlich gültigen Formen jene Harmonie herſtellt, wird dieſer Proceß zu einem Syſtem von Rechtsſätzen und zwar92 in der Weiſe, daß wieder die Verordnungsgewalt, die Organiſations - gewalt und die Polizeigewalt jede ihr eigenes Recht beſitzen; d. i. daß für jede dieſer Gewalten ein ihr eigenthümlicher, auf ihrer Natur beruhender rechtlich gültiger Proceß exiſtirt, der für ſie jene Harmonie mit der Geſetzgebung herſtellt. In der That wird erſt dadurch der Begriff eines organiſchen Rechtslebens im Staate begründet und die Vergleichung des betreffenden Rechtszuſtandes in den verſchiedenen Staaten möglich. Hier wie immer iſt der Boden der Individualität die Gleichartigkeit des Organismus.
Allerdings erſcheint nun die Regierung als die Einheit der ein - zelnen Zweige der Verwaltung. — Sie hat als ſolche ihr eigenthümliches Organ, das Geſammtminiſterium, ihre eigenthümliche Funktion, und mit derſelben ihr eigenthümliches Recht, das eben der Ausdruck jenes Weſens der Regierung gegenüber ſowohl der geſetzgebenden Gewalt als den einzelnen Regierungsgewalten iſt. Dieß iſt das Recht der Ein - bringung der Geſetze, welches eben nur der Geſammtheit der höchſten Regierungsorgane in Verbindung mit dem Staatsoberhaupt zuſteht. Es kann dieſe Einbringung ausſchließlich der Regierungsgewalt einge - räumt, und ſie kann mit dem geſetzgebenden Körper getheilt werden. Immer aber hat ſie dieß Recht, und ſie hat es, weil ſie es iſt, welche die Principien der wirklichen Verwaltung feſtzuſtellen hat. Das iſt jedoch der Punkt, wo die Verwaltungslehre in die Lehre von der Geſetzgebung übergeht, und wo unſer Gebiet aufhört. Wir haben da - gegen die einzelnen Elemente des Regierungsrechts darzulegen.
Bei der vollſtändigen Unbeſtimmtheit des Begriffs der Regierung in der bisherigen Literatur wird man wohl keinen Begriff des Regierungsrechts in derſelben erwarten. Stellt doch Zachariä (Deutſches Staatsrecht II. ) die ganze Geſetzgebung als einen Theil des „ Regierungsrechts “hin. Hätte nur Zöpfl ſeine richtige Auffaſſung, ſtatt ſie als Bemerkung in ſeine verkehrte hineinzu - ſchieben (ſiehe oben), ſie ſeiner ſonſt ſo gründlichen Arbeit zum Grunde gelegt, ſo wären wir vielleicht weiter; er nennt wahrhaftig die Initiative ein „ Hoheits - recht! “ II. 372. In §. 391 wird dann daſſelbe Hoheitsrecht ein „ ſtändiſches Recht, “und doch kommt es nur in der hannöveriſchen Verfaſſung Art. 88 vor. Das deutſche Recht mit ſeinen verſchiedenen Beſtimmungen iſt hier übrigens gut zuſammengeſtellt, immer aber mit der vagen Vorſtellung, daß ein deutſches Staatsrecht, das nicht iſt, ſeyn ſollte. Den Ausdruck ſelbſt erfand Napoleon, Conſtitution von 1802, Art. 56. Murhard (die Initiative bei der Geſetz - gebung, 1833) hat alle Raiſonnements und Beſtimmungen genau geſammelt, ohne ſelbſt zu einem Reſultat zu kommen. In Frankreich, wo der Kaiſer doch mancherlei aus Deutſchland gelernt hat, hat er ſich dieſe Initiative ausſchließlich vorbehalten. Conſtitution 1832, Art. 8.
93Das Recht der Verordnung iſt nun dasjenige Gebiet des Regierungsrechts, welches das Verhältniß des ſelbſtändigen, durch das Zuſammenwirken des Staatsoberhaupts und des Regierungsorganismus geſetzten Willens der vollziehenden Gewalt zu dem organiſchen im Ge - ſetze ausgedrückten Geſammtwillen des Staats beſtimmt. Nachdem wir oben ſowohl das formale als das organiſche Verhältniß von Geſetz und Verordnung, oder von Wille und That im Staate dargelegt, ihre Selbſtändigkeit und zugleich ihr natürliches Ineinandergreifen bezeichnet haben, wird es nun klar ſein, was den Inhalt dieſes Rechts der Verordnung zu bilden hat. Da nämlich das Recht auf Erlaß von Verordnungen mit dem Staatsbegriff ſelbſt gegeben iſt, eine äußerliche Begränzung zwiſchen der Thätigkeit von Geſetzgebung und Vollziehung aber dem Weſen beider widerſpricht, ſo kann das Recht der Verordnung auch nur in denjenigen Formen und Rechtsſätzen enthalten ſein, welche die beſtändige Zurückführung des Inhalts des Willens der Regie - rung, oder der Verordnungen auf den Inhalt des Willens des geſamm - ten Staats oder des Geſetzes enthalten. Dieſe dadurch hergeſtellte Har - monie zwiſchen der Verordnung und dem Geſetze oder der Regierung und der Geſetzgebung iſt die Verfaſſungsmäßigkeit der erſteren, und das Recht der Verordnung iſt daher kein anderes als die Her - ſtellung dieſer Verfaſſungsmäßigkeit, oder das verfaſſungsmäßige Verordnungsrecht.
Darin nun liegt zugleich das, was wir das Syſtem dieſes Ver - ordnungsrechts nennen möchten. Jene Rechtsſätze ergeben ſich nämlich demgemäß nicht aus dem Begriff des Geſetzes und der Verordnung an ſich, ſondern ſie entſtehen vielmehr aus den Formen der Störung der Harmonie zwiſchen beiden, oder aus den Kategorien, in welchen die Verordnung mit dem Geſetze in Widerſpruch treten kann. Dieſe nun ſind zweifach.
Die Regierung kann nämlich erſtens vermöge ihrer Verordnungs - gewalt mit der Geſetzgebung als ſolcher in Widerſpruch treten, und damit das Princip des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts angreifen, nach welchem ſie ſelbſt die organiſche Verpflichtung hat, die Harmonie der Gewalten aufrecht zu halten. Daraus entſteht das Recht der Verantwortlichkeit der Regierung.
Sie kann aber auch zweitens mit ihrer Verordnung ein von dem Geſetze bereits anerkanntes Recht eines Einzelnen angreifen, und94 damit ſtatt des Princips die einzelne Geltung des verfaſſungsmäßigen Rechts aufheben. Daraus entſteht der zweite Theil des Verordnungs - rechts, den wir als das Klag - und Beſchwerderecht bezeichnen.
In beiden Grundbegriffen iſt nun natürlich nicht bloß der Proceß der Herſtellung der Harmonie, oder das Recht ſelbſt verſchieden, ſondern auch die Organe welche es herſtellen, können nicht dieſelben ſein. Bei der Verantwortlichkeit kann nur das Organ der Geſetzgebung das Geſetz vertheidigen, bei dem Klag - und Beſchwerderecht nur das richter - liche Organ. Es greift daher hier ſchon die Organiſation mit ihrem Rechte hinein, wie es denn ja überhaupt unmöglich iſt, das lebendig zuſammengehörige äußerlich vollſtändig zu trennen. Indeß wird das wohl für das Verſtändniß keine Schwierigkeit bereiten. Entſcheidend iſt eben nur, daß man ſich beide Funktionen als gleichzeitig und gleich - berechtigt, mithin als gemeinſchaftlich denſelben Gedanken verwirk - lichend vorſtelle.
Daß unſres Wiſſens die deutſche ſtaatsrechtliche Literatur die Verantwort - lichkeit als etwas ganz allein Daſtehendes, und das geſammte Klag -, Petitions - und Beſchwerderecht der vollziehenden Thätigkeit als gar nicht dazu gehörig be - trachtet, wodurch dann die Klarheit im Syſteme unerreichbar iſt, beruht im Allgemeinen auf der Abhängigkeit unſrer ſtaatsrechtlichen Begriffe von der ge - ſchichtlichen Entwicklung des Staatslebens, dann aber auf dem Mangel eines einheit - lichen deutſchen Staatsrechts, und endlich auf dem Mangel der klaren Erkenntniß darüber, daß das ſogenannte deutſche Staatsrecht nichts iſt, als eine theo - retiſche Vergleichung örtlicher, oft weſentlich verſchiedener Staatsrechte, bei denen man noch dazu die Vergleichung mit England und Frankreich aus - geſchloſſen hat. Daß jene beiden Rechtsgebiete aber Ausflüſſe deſſelben euro - päiſchen Princips ſind, wird ſich gewiß leicht darlegen laſſen.
Die Verordnungsgewalt, indem ſie durch ihre Verordnungen einer - ſeits die Mängel und Unklarheiten der Geſetzgebung erfüllt, und anderer - ſeits die Vollziehung des Geſetzes in der Wirklichkeit in ihren Formen und Arten beſtimmt, iſt offenbar ſelbſt ein organiſcher Theil der Willens - beſtimmung des Staats. Sie iſt zwar kein Geſetz, ſobald die Geſetz - gebung ihren ſelbſtändigen Körper verfaſſungsmäßig empfangen hat, allein ſie iſt darum nicht weniger ein Staatswille; ſelbſt die Form der - ſelben bezeugt dieß, da ſie ihrer Anerkennung durch die Staatsgewalt bedarf, ſei es direkt, ſei es im Wege der Uebertragung für die unter - geordneten Fälle, um als Verordnung zu gelten. Sie bildet daher95 ebenſo gut wie die Geſetzgebung einen Theil des öffentlichen Rechts; es iſt ganz unmöglich, das Syſtem oder den poſitiven Inhalt des letz - tern nur auf den Inhalt der Geſetze zu begründen. Es iſt im Gegen - theil unumgänglich, und auch von allen anerkannt, daß dasjenige öffent - liche Recht, welches durch Verordnungen geſetzt iſt, unbedingt neben dem geſetzlichen Recht als Verordnungsrecht beſtehe, mit der gleichen Gel - tung, und faſt allenthalben ſogar mit größerem Umfang als das geſetz - liche Recht.
Eben darum nun, weil beide Formen des öffentlichen Rechtes in ihrer Geltung zuſammengehören und ein Ganzes bilden, müſſen ſie auch in ihrem Inhalte in Harmonie ſein. Dieſe Harmonie hat aber eine doppelte Geſtalt. Sie bezieht ſich zuerſt auf die geſammte Auf - faſſung der Aufgabe der Regierung gegenüber der Geſetzgebung, und zweitens auf das Verhältniß der einzelnen Verordnung zum allge - meinen verfaſſungsmäßigen Recht des Staats. Der Unterſchied iſt an ſich ein weſentlicher, und erzeugt auch zwei Grundformen der Verant - wortlichkeit. Wir nennen die erſte die politiſche, die zweite die juriſtiſche Verantwortlichkeit.
Da die geſetzgebende Gewalt, von der vollziehenden geſchieden, in ihrer Funktion die höchſte und allgemeinſte Beſtimmung des Willens der Perſönlichkeit des Staats enthält, ſo ergibt ſich, daß es die organiſche Aufgabe der vollziehenden Gewalt iſt, in ihren Willensbeſtimmungen, den Verordnungen, ihrerſeits dieſe Harmonie mit dem Geſetze als ihre erſte Pflicht im Auge zu haben. Sie iſt es, welche in der Ausübung ihrer Gewalt im Wege der Verordnung das Geſetz nicht zu ändern, ſondern zu erfüllen hat. Sie muß daher dafür ſorgen, daß dieſe Har - monie durch keinen einzelnen Akt der Verordnungsgewalt gebrochen werde. Oder, die vollziehende Gewalt der Regierung iſt für die Har - monie zwiſchen Geſetz und Verordnung im Namen der höheren Idee des Staatslebens verantwortlich.
Dieſes Verhältniß, welches auf dieſe Weiſe die Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Vollziehung zu einem Lebensprincip des Staats macht, und welches als die erſte Bedingung der Selbſtändigkeit von geſetzgeben - der und vollziehender Gewalt erſcheint, nennen wir demnach die politiſche Verantwortlichkeit der Regierungsgewalt, oder da die letztere in den Miniſtern ihre perſönlichen Vertreter hat, die Miniſterver - antwortlichkeit.
In dieſem Sinne aufgefaßt, erſcheint die Verantwortlichkeit nicht als etwas einfaches. Sie iſt vielmehr einerſeits von einer Reihe von96 öffentlich-rechtlichen Bedingungen getragen, und kommt andererſeits mit beſtimmten öffentlich-rechtlichen Grundſätzen zur Erſcheinung, welche erſt zuſammen genommen den Begriff der politiſchen Verantwortlichkeit mit ſeinem Inhalt erfüllen.
Die politiſche Verantwortlichkeit der Verwaltung hat nämlich zu - erſt in der Verfaſſung drei Bedingungen, ohne welche dieſelbe gegen - über der Geſetzgebung undenkbar iſt. Die erſte Bedingung iſt die, daß die Regierung das unbeſchränkte Recht hat, die Entwürfe der Ge - ſetze ſelbſt einzubringen. Die zweite beſteht darin, daß die Ver - treter der Regierung in den Debatten der geſetzgebenden Gewalt beſtändig das Recht haben, das Wort zu ergreifen. Die dritte Bedingung iſt, daß wenn die Auffaſſung der vollziehenden Regierungsgewalt über die Be - dürfniſſe der Verwaltung weſentlich verſchieden ſind, die Miniſter ihre Stelle niederlegen. Das Niederlegen der Portefeuilles iſt die Erklärung, daß nach der Auffaſſung der Regierung die wirklichen Lebensverhältniſſe des Staats mit der Auffaſſung der geſetzgebenden Gewalt in ſolchem Widerſpruche ſtehen, daß die Verordnungen der erſteren mit den Ge - ſetzen der letzteren unbedingt in Gegenſatz gerathen müßten. Durch dieſe Principien iſt die Harmonie zwiſchen Geſetzgebung und Regierung als Grundlage der Verordnung bereits im Allgemeinen geſichert, und die perſönliche Verantwortlichkeit der Regierung für dieſelbe erſt möglich gemacht. Dadurch aber tritt die Forderung, daß ſie ſtets vorhanden ſei, auch ohne beſtimmte Beziehung auf die einzelnen Regierungsakte in den Vordergrund. Sie wendet ſich auf das ganz allgemeine geiſtige Element der Verordnungsgewalt überhaupt; ſie will geradezu, daß nicht etwa bloß die einzelne Verordnung der Regierung, ſondern daß die ganze Auffaſſung der Staatsverhältniſſe als einer lebendigen Geſammt - heit in dem Staatswillen, der ja doch auch zuletzt eine perſönliche, individuelle Einheit iſt, eine gleichartige und harmoniſche ſei. Sie will daher das allgemeine, ſchwer zu definirende und doch in ſeinem Weſen ganz unzweifelhaft klare Gefühl im Staatsleben erzeugen, daß inner - halb der höchſten perſönlichen Form des Staatswillens, von dem ja Geſetzgebung und Verordnung nur zwei gleichberechtigte Seiten ſind, kein Gegenſatz herrſche. In dieſem höchſten harmoniſchen Bedürf - niß des verfaſſungsmäßigen Staats iſt das wahre Weſen der höhern Verwaltung gegeben, und der unſchätzbare Werth, den ein ſolcher Zu - ſtand hat, erzeugt daher Erſcheinungen, die formell mit den obigen Principien in Widerſpruch zu ſtehen ſcheinen, und ſie dennoch im Weſen beſtätigen; namentlich die Thatſache, daß in einzelnen Fragen die Ge - ſetzgebung der Regierung nachgibt, obgleich ſie anderer Anſicht iſt, weil ihr die allgemeine Harmonie zwiſchen beiden Elementen höher ſteht als97 eine einzelne Anſicht; das iſt ſtets der Fall bei den ſogenannten Kabinets - fragen; oder aber, daß die Regierung bleibt, obgleich ihre Anträge, ſei es in Form der Entwürfe oder der bereits erlaſſenen Verordnungen von der Geſetzgebung verworfen werden, weil es ſich um einzelne Fälle und nicht um die geſammte Auffaſſung derſelben handelt. So iſt das, was wir die Verantwortlichkeit nennen, allerdings ein beſtändig, aber nur im ganzen geiſtigen Leben des Staats wirkſamer Proceß; der ver - faſſungsmäßige Staat erzeugt jene Harmonie durch ſeine eigene Kraft in ſich ſelber, und die wahre Bedeutung der Verantwortlichkeit liegt demgemäß nicht mehr darin, verantwortlich zu ſein für die einzelnen Akte der Verordnungsgewalt, ſondern vielmehr darin, daß der Miniſter überhaupt regiert; denn die Thatſache ſeiner Regierung iſt eben ihrem Weſen nach die Thatſache der Identität in den weſentlichen Auf - faſſungen der geſetzgebenden und vollziehenden Gewalt, und die Auf - gabe des verfaſſungsmäßigen organiſchen Staatslebens iſt es, zu ver - hindern, daß dieſe Thatſachen nicht im Widerſpruche ſtehen. Die Mittel, welche die geſetzgebende Gewalt ihrerſeits hat, dieſen Wider - ſpruch zu löſen, wenn er eintritt, ſind zweifach.
Das erſte iſt die Aufſtellung der Majorität gegen die Auffaſſung der Regierung bei jeder Theilnahme der letzteren an der Funktion der Geſetzgebung. Die antiminiſterielle Majorität gibt in dieſem Falle kein Urtheil über die einzelnen Akte der Regierung; dieſelben können viel - mehr an ſich vollkommen gut ſein, und daher von einer folgenden Re - gierung ohne Bedenken wieder eingebracht werden; jene Majorität tritt im Gegentheil nur auf als allgemeine Erklärung, daß die Harmonie zwiſchen den beiden Gewalten geſtört, und daß damit eine Aenderung in der beiderſeitigen Auffaſſung nothwendig ſei.
Das zweite, ernſtere Mittel iſt die Steuerverweigerung. Es bedarf in unſerer Zeit wohl kaum einer weitern Darlegung, daß eine Steuerverweigerung als Verweigerung der Steuer an ſich ein vollkom - menes Unding iſt. Die Steuern ſind abſolute Bedingungen des Staats - lebens, ſie an ſich verweigern, hieße den ebenſo abſoluten Widerſpruch aufſtellen, daß derſelbe Staat ſelbſt nicht mehr exiſtiren ſolle, in welchem und durch welchen eben die Geſetzgebung, welche die Steuern verweigert, ihr Recht empfängt, überhaupt einen Beſchluß zu faſſen, alſo auch den der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung an ſich wäre daher in der That die Aufhebung des Mandats die Steuer zu verweigern — ein unlösbarer Widerſpruch. Die verfaſſungsmäßige Steuerverweigerung kann daher nie die Verweigerung der Einnahmen der Steuern ſein, ſondern nur als Verweigerung der Ausgaben des Staats erſcheinen. Denn die Ausgaben des Staats enthalten die materiellen Mittel ebenStein, die Verwaltungslehre. I. 798für die Vollziehung der Geſetze. Harmonieren nun Verwaltung und Geſetzgebung nicht, ſo iſt es ganz naturgemäß, daß die Geſetzgebung der erſteren, um ihre einzelnen Thätigkeiten unmöglich zu machen, die Mittel für dieſelben verweigert, und dadurch jeden Akt, der dieſe Mittel dennoch gebraucht, zu einem direkt ungeſetzlichen macht. Es ergibt ſich daraus, daß der Akt der Geſetzgebung, welcher die Erhebung der Steuern verweigerte, eine allgemeine Auflöſung des organiſchen Staatsverbandes wäre; es iſt nicht möglich, dieß anders zu denken. Die Folge davon iſt daher von jeher die geweſen, daß, da der Staat eine an und für ſich nothwendige, abſolute Form des höchſten individuellen Lebens iſt, die durch ein einzelnes ihrer Organe nicht aufgelöst werden kann, dieſe Steuerverweigerung als Verweigerung der Erhebung der Steuern ein - fach zur Selbſthülfe der Staatsgewalt geführt hat und ewig führen muß, was dann am Ende den innern Krieg zur Folge hat. Jeder innere Krieg aber erzeugt unbedingt die Deſpotie der ſiegenden Ele - mente. Es gibt daher keine größere Gefahr der wahren Freiheit, als das Heraufbeſchwören der Staatsſelbſthülfe durch ein ſolches Verweigern der Steuererhebung. Die Verweigerung der Ausgaben erzeugt dagegen die individuelle Verantwortlichkeit, welche mit der Dispoſition über frem - des Eigenthum verbunden iſt. Es folgt daraus ferner, daß eine ganz allgemeine Verweigerung der Ausgaben ganz denſelben Widerſpruch ent - hält, wie eine Verweigerung der Einnahmen. Sie iſt gleichfalls un - möglich, und eine ſolche Unmöglichkeit vernichtet ebenſo ſehr das ganze Staatsleben. Jede wahre, dem organiſchen Weſen des verfaſſungs - mäßigen Staates entſprechende Steuerverweigerung ſollte zu ihrem geſetz - lichen Inhalte nur das Recht der Geſetzgebung haben, diejenige Gruppe von beſtimmten Ausgaben zu entziehen, welche nicht dem Staate, ſondern dem beſtimmten Chef des einzelnen Zweiges der Verwaltung die Verfügung oder die Mittel zur Vollziehung derjenigen Regierungsthätigkeit bieten, die mit der Geſetzgebung in Disharmonie ſteht. Nur auf dieſem Wege kann in einem verfaſſungsmäßigen Staat das Unheil vermieden werden, das unbedingt entſteht, wenn man das Weſen des Staats an ſich in den Kampf der beiden Gewalten hineinzieht. Und in der That, das wenigſtens wird man uns glauben, daß wenn die Verweigerung dieſer Ausgaben nichts hilft, die Ver - weigerung der Ausgaben überhaupt, oder gar der Einnahmen ebenſo wenig nützt, gewiß aber entweder Revolution oder den Untergang der geſetzgebenden Organe zur Folge hat. — Ein ganz anderes Gebiet tritt uns nun bei der zweiten Form der Verantwortlichkeit, der juriſtiſchen, entgegen.
Bei der juriſtiſchen Verantwortlichkeit der Regierung denkt man ſich nun in der Regel, wenn man ſie überhaupt von der politiſchen zu ſcheiden verſteht — was keinesweges auch nur häufig der Fall iſt — die Verpflichtung der Regierung und ihrer Organe, für ihre einzelnen Verordnungen und ihre Folgen zu haften, ſo weit ſie mit den beſtehen - den Geſetzen in Widerſpruch ſtehen.
Die Wichtigkeit dieſes Begriffes hat darin beſtanden, daß an ihm der abſtrakte Begriff der politiſchen Verantwortlichkeit überhaupt erſt einen faßbaren Inhalt zu bekommen ſchien. Man glaubte ohne den erſteren an dem zweiten nichts Concretes zu beſitzen, und durch eine Menge juriſtiſcher Cautelen und Beſtimmungen die organiſche Kraft des Staatslebens, die in der politiſchen Verantwortlichkeit liegt, erſetzen zu können. Die Unmöglichkeit, dieß Ziel zu erreichen, liegt nun freilich auf der Hand, und es iſt wohl klar, daß die juriſtiſche Verantwortlich - keit ſtets um ſo ängſtlicher formulirt wird, je weniger eben die poli - tiſche zur lebendigen Geltung gelangt. Die Ausbildung der erſteren gehört deßhalb ſtets den unentwickelten Stadien des Verfaſſungslebens an, und daraus erklärt es ſich denn auch, daß man ſich eben darum ſo wenig klar war über das, was auch nur dieſer juriſtiſchen Verant - wortlichkeit der Miniſter angehören kann, was nicht. Offenbar liegen hier nämlich zwei Verhältniſſe vor.
Zuerſt, und im weiteren Sinne genommen, umfaßt die juriſtiſche Verantwortlichkeit der Regierung jede Verordnung und Vollziehung, und mithin auch alle die Fälle, in welchen ein Einzelrecht durch die letzteren verletzt wird. Offenbar nun kann dieſelbe dieſe weiteſte Gränze nicht umfaſſen. Es wird daher nothwendig, die Miniſterverantwortlichkeit auf ein Gebiet zu beſchränken, welches ſeinem Inhalt nach der höheren Idee der Verantwortlichkeit entſpricht. Denn es iſt gar kein Grund vorhanden, weßhalb, wenn ein Klage - oder Beſchwerderecht vorliegt, die Regierung als Ganzes anders behandelt werden ſoll, wie der einzelne Beamtete; im Gegentheil würde dabei, da der letztere im Auftrag der Verordnung der erſteren handelt, entweder die perſönliche Haftung des Beamteten verſchwinden, oder es würden zwei Arten der Haftung für dieſelbe Thatſache eintreten, eine als Klagerecht für den Beamteten, die andere als Verantwortlichkeit für die Regierung. Die juriſtiſche Verantwortlichkeit muß daher auf ein ſpezielles Gebiet von Regierungs - handlungen eingeſchränkt werden, wenn ſie einen Sinn haben ſoll.
Die juriſtiſche Verantwortlichkeit kann demgemäß nur für diejenigen Akte oder Ueberlaſſungen der Regierung eintreten, welche ſich auf Rechte100 oder Ordnungen beziehen, durch welche das verfaſſungsmäßige Verhalten der großen Organe und Funktionen des Staats ſelbſt begründet wird. Dieſelbe iſt dagegen ausgeſchloſſen, ſo wie es ſich um das Verhält - niß der Verordnungsgewalt zu dem einzelnen, durch Geſetze erworbene Rechte handelt. Dieſe Fälle gehören ſtets unter das Klag - und Be - ſchwerderecht.
Man kann nun auf dieſer Grundlage einzelne Fälle ver - faſſungsmäßig aufſtellen, bei denen die juriſtiſche Verantwortlichkeit ein - treten ſoll; man kann ſich auch begnügen, das Princip auszuſprechen; immer wird das erſtere das letztere nicht erſchöpfen, das letztere die erſteren erzeugen. Je unſicherer eine Verfaſſung ſich fühlt, deſto mehr wird ſie das erſtere thun; je gewiſſer ſie ihrer ſelbſt iſt, deſto mehr wird man ſich mit dem zweiten begnügen. Nothwendig iſt immer nur Eins: daß nämlich einerſeits das Verfahren, andererſeits das richtende Organ klar feſtgeſtellt ſei. Die Individualität des öffentlichen Rechts der einzelnen Staaten aber beruht demgemäß auf Form und Inhalt des erſten Punktes, und hier iſt die Verſchiedenheit ebenſo groß als bezeichnend, obwohl das Weſen der Sache ſtets daſſelbe bleibt.
Daß die Regierungsgewalt an und für ſich eine verantwortliche ſei, iſt ſo natürlich, daß ſowohl der faſt endloſe Streit über dieſe Verantwortlichkeit, als die Verſchiedenheit der Geſetzgebung einen tieferen Grund im Weſen des Staats haben müſſen, der uns dann zugleich am beſten jene Verſchiedenheiten erklären wird.
So wie ſich nämlich Geſetzgebung und Vollziehung ſelbſtändig neben ein - ander hinſtellen, ſo muß das öffentliche Leben mit der Erkenntniß der freien Selbſtändigkeit des letzteren das Bedürfniß anerkennen, die Harmonie zwiſchen beiden auf eine objektiv ſichere Grundlage zurückzuführen, ſtatt auf die zufällige Individualität der höchſten Organe der Verwaltung. So lange die Scheidung noch in ihren erſten Stadien iſt, begleitet ſie naturgemäß das Gefühl einer gewiſſen Entfernung beider, das ſich bis zur Sorge vor der poſitiven Gefähr - dung der Geſetzgebung durch die Vollziehung ſteigert. Die Verantwortlichkeit iſt dann die Form, in welcher dieß Gefühl ſeinen juriſtiſchen Ausdruck findet; ſie muß deßhalb ſtets im Anfange darnach trachten, diejenigen Handlungen be - ſtimmt zu bezeichnen, welche der Verantwortlichkeit unterliegen; ſie muß aber eben darum die letzteren auch nur auf die Organe der Regierung als ſolche (Miniſter oder höchſte Staatsbehörden) beziehen; ſie muß ihr endlich nur die - jenigen Fälle unterwerfen, welche zur Verfaſſung in Beziehung ſtehen. Jedes Hinausſchreiten über dieſe Punkte iſt ein Mißverſtändniß des Regierungsrechts, ſowohl in Betreff der Subjekte, als der Objekte der Verantwortlichkeit. Man kann im Allgemeinen nun das Recht der letzteren in folgender Weiſe charak - teriſiren. In England iſt die juriſtiſche Verantwortlichkeit gegenwärtig nur noch der Form nach vorhanden, weil die politiſche ihren Einfluß in ſo entſchei - dender Weiſe über die Geſammtheit aller Akte der Regierung erſtreckt, daß ſie eine juriſtiſche Verletzung der Verfaſſung unmöglich macht. Dieß iſt jedoch nur101 ſeiner Form nach die höchſte Vollendung der Ideen der Verantwortlichkeit. In Wahrheit iſt ſie dagegen untergegangen in der Herrſchaft der, die formelle Majorität beſitzenden Partei, und iſt dadurch zu einem Scheinleben geworden, zu einer Formel, die für die höheren Ideen des Staats nur einen ſehr zweifel - haften Werth hat. Denn da die Häupter der Vollziehung die Häupter ihrer eigenen geſetzgebenden Partei ſind, ſo iſt damit der Fall eines Widerſpruchs zwiſchen ihrer Regierungsthätigkeit und der Auffaſſung derſelben von Seiten des Parlaments grundſätzlich beſeitigt. Es iſt damit im Gegentheil der Grundſatz zum formellen Princip der Verantwortlichkeit erhoben, daß jeder Miniſter nur für das verantwortlich iſt, was er ohnehin gar nicht thun kann — für einen Akt, der gegen das Intereſſe ſeiner Partei und ſeiner ſelbſt geht. So lange er im Intereſſe der Majorität handelt, kann dieſelbe Majorität ihn ja nicht dafür zur Verantwortung ziehen; thut er es nicht, ſo würde ihn, da die Majorität ja das Geſetz macht, dieſelbe unbedingt verantwortlich machen. Dar - aus folgt, daß ſelbſt formell die Vollziehung ihre Selbſtändigkeit verloren hat; ſie iſt in ihrem innerſten Weſen die Dienerin der herrſchenden Partei. Es iſt vielleicht das größte Verdienſt von Gneiſt, uns dieſen Charakter des engliſchen Verfaſſungslebens zuerſt klar dargelegt, und die traditionelle un - bedingte Verehrung vor dieſem Zuſtande erſchüttert zu haben. Denn in der That kann hier nur dasjenige durch die Verwaltung im Namen der Ideen des Staats geſchehen, was den Intereſſen der herrſchenden Partei entſpricht, wenn jene nicht „ verantwortlich “werden — d. i. gegen ihr eigenes Intereſſe handeln will. Das iſt ein Zuſtand, in welchem der Geiſt des Staates untergehen muß, wenn er nicht in dem einzelnen Staatsorgan lebendig bleibt. Denn Parlament und Miniſter können ihn nicht mehr lebendig erhalten. Uebrigens hat es lange gedauert, bis England ſo weit gekommen iſt. Mohl, Miniſterverant - wortlichkeit (1837), hat alle bekannten Fälle der Anklage gegen engliſche Miniſter zuſammengeſtellt (S. 597 — 696). Man ſieht deutlich, wie dieſe Anklagen noch im Anfange des 18. Jahrhunderts auf politiſcher und juriſtiſcher Verantwort - lichkeit beruhen; die Anklagen des 18. Jahrhunderts dagegen ſind eigentlich nur noch ſtrafrechtliches Verfahren ohne Beziehung auf die Verfaſſung, und gehören daher ſchon nicht mehr dem Principe der Verantwortlichkeit an. Ihre gegenwärtige Geſtalt empfängt die letztere erſt mit der franzöſiſchen Revolution. Die Verfaſſung von 1791 beſtimmt ſie einfach und richtig (Chap. II. S. IV. ):
Art. 5. Les Ministres sont responsables de tous les délits par eux commis contre la sûreté nationale et la constitution; de tout attentat à la propriété et la liberté individuelle; de toute dissipation des déniers destinés aux dépenses de leur département.
Art. 6. En aucun cas, l’ordre du Roi, verbal ou par écrit, ne peut soustraire un ministre à la responsabilité.
Es war natürlich, daß dieſe Sätze unter Napoleon verſchwanden; ſowie aber das verfaſſungsmäßige Königthum wiederkehrt, kehrt auch die Verantwort lichkeit zurück, und wenn auch die Charte von 1814, ſowie die von 1830 ſich auf das einfache Princip derſelben beſchränken, ſo iſt es doch gewiß, daß Frank - reich die Sache ſelbſt mit tiefem Verſtändniß auffaßte.
102Hier ſehen wir dem Rechte der Verantwortlichkeit eine Anſchauung des organiſchen Verhältniſſes von Geſetzgebung und Vollziehung zum Grunde liegen, die den Deutſchen nur zu ſehr abgeht. Es iſt nicht umſonſt, daß Benjamin Conſtants Réflexions sur les Constitutions als die Grundlage der Lehre vom verfaſſungsmäßigen Königthum angeſehen wird; kürzer, klarer und tiefer ſind die Wahrheiten, auf denen daſſelbe beruht, nie ausgeſprochen, ſchlagender iſt nie die organiſche Verſchiedenheit von Verfaſſung und Verwaltung, Geſetzgebung und Vollziehung bezeichnet. Wie Wenige leſen jetzt dieſe Schrift, die ſo viele Phraſen überflüſſig machen würde! Ihm verdankt man die Verſöhnung des Be - griffes des Königthums mit der Verantwortlichkeit der Miniſter, indem er die letztere als unabweisbare Bedingung der Unverantwortlichkeit der Krone dar - ſtellte. „ Ich habe ſchon früher, “ſagt er, „ die Bemerkung gemacht, daß die Verantwortlichkeit die unauflöslichſte aller conſtitutionellen Fragen ſei, wenn man die königliche Gewalt nicht ſorgfältig von der vollziehenden ſcheidet. — In der Erbmonarchie aber führt die Verantwortlichkeit keine Unbequemlichkeit mit ſich. Die Elemente der Ehrfurcht, mit welcher der Monarch umgeben iſt, ver - hindern, daß man ihn mit ſeinen Miniſtern vergleicht, und die Dauer ſeiner Würde verurſacht, daß die Anhänger derſelben ihre Anſtrengungen gegen das Miniſterium wenden können, ohne gegen den Monarchen aufzutreten. — Indem man aber die höchſte Gewalt unverletzlich macht, beſtimmt man die Miniſter zu Richtern des Gehorſams, den ſie ihr ſchuldig ſind. “ (Chap. III. 4.) Ihm iſt daher die wahre Aufgabe der Verantwortlichkeit, nicht das Recht, einen Miniſter zu verfolgen, ſondern die, die vollziehenden Gewalten zum Bewußtſein über die Gränzen zwiſchen Geſetz und Verordnung zu bringen. Sie erſcheint ihm daher nicht als eine Criminalunterſuchung; ſie iſt ein organi - ſches Element des Staatslebens; es iſt nicht ihre Aufgabe, ein Verbrechen zu beſtrafen, oder durch die Strafe zu hindern; ſie ſoll vielmehr nur das lebendige Bewußtſein der Harmonie der Gewalten erzeugen, und dem Königthum damit ſeine wahre Stellung geben. Spezieller hat er ſeine Gedanken in ſeiner Schrift: De la responsabilité des ministres, dargelegt (1814), die freilich Mohl nicht caſuiſtiſch genug iſt (a. a. O. S. 89). Sein Irrthum beſteht nur darin, die Verantwortlichkeit mit dem Klagrecht zu verſchmelzen. Dieß hat Ferrier (De la resp. min. relat. à l’administration des Finances 1832, überſ. v. Buddeus) vermieden; ſeine Schrift iſt das Vorbild des Werkes von Mohl. Es iſt die praktiſche Auffaſſung und Durchführung, mit Vergleichung der beſtehenden Rechte. Das franzöſiſche Staatsrecht hat ſich auf dieſem Standpunkt bis zum neuen Kaiſerthum erhalten. Das letztere hat die wahre Verantwortlichkeit auf - gehoben, und eine Scheinverantwortlichkeit an ihre Stelle geſetzt. Jeder Miniſter iſt nach der Conſtitution von 1852, Art. 12, nur noch für das verantwortlich, was ſeinem ſpeziellen Reſſort gehört; d. h. er hat nur die Verantwort - lichkeit des Beamteten, nicht die der vollziehenden Gewalt; oder es gibt nur noch ein Klagrecht gegen den Miniſter, nicht aber eine juriſtiſche oder gar poli - tiſche Verantwortlichkeit deſſelben; denn für alles, was über die ſpezielle Com - petenz des einzelnen Miniſters hinausgeht, iſt nur die unverantwortliche Staats - gewalt — der Kaiſer — verantwortlich. Laferrière (Cours de droit publ.103 admin. I. Chap. II. ) hat ſich dazu hergegeben, dieſe Unwahrheit theoretiſch zu formuliren, und auf Grundlage der préambule der Conſtitution von 1852: „ La Constitution actuelle proclame que le Chef que vous avez élu est responsable derant rous — étant responsable, il faut que son action soit libre et sans entraves “d. h. ohne Verantwortlichkeit — die Behauptung auszuſprechen, daß der Art. 5 der Conſtitution: „ Le chef d’État est respon - sable devant le peuple français, auquel il a toujours le droit de faire appel “eine Verantwortlichkeit höherer Ordnung, als die unter dem Königthum ent - halte. Eine Tyrannei iſt ein Uebel; aber eine Tyrannei, welche nicht den Muth hat, aufrichtig zu ſein, iſt mehr als ein Unglück. Das Recht, welches das Dekret vom 25. Januar 1852 dem Conseil d’État in ſeiner Assemblée générale gibt — autorisation des poursuites intentées contre les agens du Gouvernement “iſt offenbar nichts weniger als eine verfaſſungsmäßige Verant - wortlichkeit, da der Conseil d’État ſelbſt nur ein Glied im Amtsorganismus iſt. Laferrière a. a. O. T. II. S. 145 (ſiehe unten). — Was nun die deutſche Auffaſſung vom Recht der Verantwortlichkeit betrifft, ſo müſſen wir geſtehen, daß ſie durchweg von einem ſehr beſchränkten, in juriſtiſcher und cri - minaliſtiſcher Caſuiſtik befangenen Standpunkt ausgeht, und ſich bisher nicht darüber hat erheben können. Sie hat gleich anfangs die Verantwortlichkeit nur negativ begriffen; charakteriſtiſch iſt es, daß ſie in ihr nichts ſucht, als eine „ Garantie der Verfaſſung. “ Die Vorſtellung von einer beſtändigen, zum Theil bis ins Kleinliche gehenden Feindſeligkeit zwiſchen Vollziehung und Geſetzgebung beherrſcht ſie von Anfang an bis zu unſrer Gegenwart. Man hat das Gefühl, als haben die Verfaſſungen und die einzelnen, zum Theil ſehr ausführlichen Geſetze über die Verantwortlichkeit die Aufgabe, das Recht der Volksvertretung, wie das eines Clienten gegenüber einem wachſamen und thätigen Gegner und ſeine einzelnen Schritte ſicher zu ſtellen. Die Verantwortlichkeit wird ein Stück des Strafrechts, nicht ein Theil des Staatsrechts; man fühlt ſich im Gebiete der Rechtswiſſenſchaft und nicht in dem des ſtaatlichen Lebens, wenn man Ge - ſetzgebung und Literatur der Verantwortlichkeit durchgeht; es iſt, als wäre es die Hauptſache, nur ja keinen einzelnen Fall unerwogen zu laſſen, und dem Gegner — der vollziehenden Gewalt — gleich anfangs die Ueberzeugung bei - zubringen, daß er ſich wohl hüten und jeden Schritt als tüchtiger Advokat vor - her überlegen müſſe, ehe er zu einer Handlung ſchreitet. Die Verfaſſungen der erſten Periode haben ſich allerdings im Allgemeinen auf dem Standpunkt der Conſtitution von 1791 gehalten; ſie machen die Miniſter nur verantwortlich „ wegen (vorſätzlicher) Verletzung der Verfaſſung. “ Bayern, Baden, Württem - berg, Sachſen, Kurheſſen u. ſ. w. Allein damit war eben der caſuiſtiſchen Jurisprudenz Thür und Thor geöffnet. Denn wie wir ſchon bemerkt, gab und gibt es keinen gültigen deutſchen Begriff von Geſetz und Verordnung, und daher war und iſt es auch ganz unmöglich, ein deutſches Recht der Verantwortlichkeit aufzuſtellen; es gab und gibt nur ein örtliches Verantwort - lichkeitsrecht. Die Unfähigkeit, zu einem einheitlichen Staatsleben zu gelangen, und durch die geiſtige Gewalt des Volksbewußtſeins den Mißbrauch der voll - ziehenden Gewalt zu hindern, ließ dieſe örtlichen Staatenbildungen ſich um ſo104 hartnäckiger an die Theorie von den einzelnen Fällen anklammern, in denen man eine Anklage aufſtellen kann, und darin die Sicherheit der Freiheit ſuchen. Der Drang, dieſe Fälle ſo viel als möglich zu vermindern, erzeugte aber natur - gemäß den Gegendruck der vollziehenden Gewalten; die Regierungen reagirten gegen ein Recht, das in ſeiner letzten Conſequenz die Vollziehung zur bloßen Dienerin der Geſetzgebung gemacht hätte, und das Princip der Verantwort - lichkeit, das dazu beſtimmt war, das Vertrauen durch die Beſtrafung des Mißbrauchs zu befeſtigen, ward zu einer ſyſtematiſchen Entwicklung des Miß - trauens gegen das Regieren an und für ſich, die unglückliche Entfremdung zwiſchen Volksvertretung und Regierung förmlich und geſetzlich organiſirend, das Selbſtvertrauen der thätigen Elemente des Staatslebens mit der beſtän - digen Drohung ſtrafrechtlicher Anklage lähmend — ein unerfreulicher Zuſtand! Am weiteſten ging das deutſche Bewußtſein da, wo es einmal ganz ſein eigener Herr war, in dem Entwurf des Geſetzes über die Verantwortlichkeit der Reichs - miniſter vom 18. Auguſt 1848 — außer der „ allgemeinen Verantwortlichkeit für jede Handlung und Unterlaſſung, welche die Sicherheit und Wohlfahrt des deutſchen Bundesſtaates beeinträchtigt “— noch zehn Anklagegebiete! Und das in einem Augenblick, wo das Schickſal Deutſchlands in der friſchen, ſelbſt - bewußten That ſeiner leitenden Organe lag! Da darf man ſich dann freilich kaum wundern, wenn die Regierungen der großen Staaten ſich ſträubten, durch ſolche Auffaſſungen ſich zu bloßen Beamten machen zu laſſen, die noch dazu bei größeren Verpflichtungen zu geringerer Selbſtthätigkeit verurtheilt werden ſollten. Auf dieſer Baſis konnte freilich weder ein Reichsminiſterium, noch ein anderes beſtehen. Das war auch der Grund, weßhalb Preußen den Art. 61 ſeiner Verfaſſung von 1850 noch immer nicht ausgeführt hat, Rönne (Preu - ßiſches Staatsrecht I. §. 188. S. 630), und vielleicht auch der Grund, weßhalb ſeit Mohl (Verantwortlichkeit der Miniſter, 1837) dem auch kein anderes, als das juriſtiſche Verſtändniß der Sache geworden iſt, die ganze deutſche Literatur über dieſes Gebiet ſchweigt, während die ſogenannten deutſchen Staatsrechte, namentlich Zöpfl (II. §. 402 ff. ) mit der ganzen lebendigen Frage in die geiſt - und principloſe Methode paragraphenweiſer Sammlung des Materials zurückgefallen ſind. — Eben darum hoffen wir, daß dieſe ganze Kindheitsepoche in der Auffaſſung der Verantwortlichkeit überwunden ſein wird. Eine Ver - faſſung bedarf nicht mehr, als des einfachen Satzes der Conſtitutionen von 1818 — 1820, daß der Verletzung des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts das Anklagerecht gegenüberſteht, daß das Unterhaus die Anklage zu erheben und das Oberhaus zu richten hat, während jede Verletzung einzelner Rechte dem Klagrecht zugewieſen werden muß. Nimmt man der Regierung in unſerer Gegenwart das Recht, ſelbſtthätig aufzutreten, und ſoll ihr die Formel des Verantwortlichkeitsgeſetzes zum höheren, ſtaatlichen Gewiſſen werden, ſo wird niemals ein kräftiges und geſundes Leben des Staats entſtehen können. Wenn der Zweifel Princip iſt, wird der Widerſpruch Regel. Liegt die Verantwort - lichkeit nicht in der lebendigen Kraft der Verfaſſung, aus den Artikeln ihres Geſetzes wird ſie ſchwerlich lebendig werden.
Während nun die Verantwortlichkeit uns die Geſammtheit der - jenigen Regeln und Grundſätze bezeichnet, durch welche die Harmonie zwiſchen dem Geiſte der Geſetzgebung und Verwaltung, oder zwiſchen dem geſetzgebenden und dem vollziehenden Körper und ihrer gegenſeitigen Organe hingeſtellt wird, tritt ein zweites Verhältniß da ein, wo es ſich um das Verhältniß der vollziehenden Gewalt und ihrer Verordnung zu einem beſtehenden Rechte eines einzelnen Staatsbürgers handelt.
Offenbar kann die Harmonie zwiſchen Geſetz und Verordnung hier nicht in dem allgemeinen Gebiete der principiellen Uebereinſtimmung gefunden, und die Herſtellung derſelben auch nicht aus den Grundſätzen oder den Regeln der Verantwortlichkeit erzielt werden. Die Rechtsord - nung, welcher hier die Verwaltung gegenüber tritt, iſt die der indivi - duellen Lebensſphäre, und das Objekt der Verordnung iſt daher nicht mehr der Staat im Ganzen, ſondern das Individuum. Das Recht des Individuums iſt der Schutz gegenüber jeder Gewalt, die nicht im Namen des Geſetzes kommt. Das Geſetz ſchützt daher das Individuum vor der Verordnung, wenn dieſe das geſetzliche Recht des letzteren an - greift. Die Sicherung dieſes Rechts iſt daher eine der weſentlichen Be - dingungen des Staatslebens. Die Möglichkeit ſeiner Verletzung erzeugt daher neben der Verantwortlichkeit und ganz gleichgültig gegen ſie einen zweiten Proceß, deſſen Grundlagen und Formen ſelbſtändig und eigen - thümlich ſind.
Die erſte Bedingung, daß derſelbe überhaupt eintreten kann, muß die Thatſache einer wirklichen Bedrohung oder Verletzung des Einzelrechts ſein. Dieſe wird durch den Gehorſam des Staatsbürgers erzielt. Der Gehorſam iſt daher das erſte Rechtsgebiet des Verordnungsrechts gegenüber dem Einzelnen.
Die zweite Bedingung iſt die, daß der Widerſpruch zwiſchen Ver - ordnung und Geſetz durch dasjenige Organ wirklich conſtatirt ſei, das über das Geſetz und ſeine Anwendung zu entſcheiden hat, das Gericht. So entſteht das Klagrecht gegen Verordnungen.
Die dritte Frage iſt dabei die, ob die betreffende Verordnung, im Falle ſie mit keinem Geſetz in Widerſpruch tritt, nicht vielleicht mit dem Willen der Regierung im Widerſpruche ſtehe. Aus der Behauptung, daß dieß der Fall ſei, entſteht die Beſchwerde und das Beſchwerde - recht.
106Dieſes nun kann allerdings zunächſt von dem Einzelnen ausgeübt werden. Es kann aber auch von einer, unter den Verordnungen ge - meinſam und gleichmäßig leidenden Gemeinſchaft ausgeübt werden, und wird dann zur Petition, oder zur öffentlichen Beſchwerde.
Alle dieſe verſchiedenen Formen haben es nun miteinander gemein, daß ſie niemals das Verhältniß der Regierung zur Geſetzgebung, ſon - dern immer nur zu den durch die Geſetze begründeten Einzelnrechten zum Gegenſtande haben, und die Aufgabe erfüllen, die Harmonie zwi - ſchen den Verordnungen und dem geſetzlichen Einzelrechte herzuſtellen. Erſt mit ihnen iſt das Rechtsſyſtem vollſtändig, welches das verfaſſungs - mäßige Verwaltungsrecht in allen denkbaren Thätigkeiten der Voll - ziehung verwirklicht.
Es iſt nun dabei zu bemerken, daß die Frage, welche Organe dieſen Proceß vollziehen, im poſitiven Rechte verſchieden beantwortet ſind. Die Betrachtung derſelben gehört offenbar erſt dem folgenden Hauptabſchnitt, dem Organiſationsrecht. Wir werden ſie dort verfolgen. Hier kommt es zunächſt darauf an, die Grundbegriffe der obigen Ver - hältniſſe feſtzuſtellen.
Das Recht des bürgerlichen Gehorſams entſteht da, wo die Re - gierungsgewalt mit ihrem, in der Verordnung (im weiteſten Sinne) erſcheinenden Willen der ſelbſtändigen Perſönlichkeit der Einzelnen ent - gegentritt.
Da das Weſen des Staatsbürgerthums den Gehorſam des Staats - bürgers vor dem Geſetze fordert, ſo kann von einem Rechte des Ge - horſams dem Geſetze gegenüber keine Rede ſein, ſondern nur von einer Pflicht deſſelben. Es folgt daraus, daß in allen denjenigen Zuſtänden des öffentlichen Rechts, in welchem es noch keinen Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung gibt, ſondern die geſetzgebende Gewalt noch vollkommen identiſch iſt mit der vollziehenden, indem beide ungeſchieden in dem perſönlichen Willen des Staatsoberhaupts liegen, die Pflicht zum Gehorſam gegen jede Aeußerung dieſes Willens eben ſo unbedingt iſt, wie gegen das förmliche Geſetz. Hier gibt es daher noch kein Recht des Gehorſams.
Es bedarf keiner eingehenden Bemerkung, daß allerdings dieſe Pflicht zum Gehorſam in dieſen Staatsordnungen als eine im höchſten Grade ernſte erſcheint, da Freiheit und Wohlſein hier einer Gewalt untergeordnet ſind, welche ganz außerhalb der Selbſtbeſtimmung des Einzelnen ſteht. Allein alle die Gründe, welche eine Aenderung eines ſolchen Zuſtandes wünſchenswerth machen, und welche ſogar, um dieſe107 Aenderung herbeizuführen, gewaltige Revolutionen erzeugt haben, können doch das Recht nicht ändern. Iſt einmal keine ſelbſtändige geſetzgebende Gewalt da, ſo gibt es auch gar kein Recht, irgend eine Willensäußerung der Staatsgewalt nicht als Geſetz, und mithin als bindend zu be - trachten, ſondern nur eine Pflicht des Gehorſams. In dieſem gewiß unumſtößlichen Satze liegt am letzten Orte eben der hohe Werth einer eigentlichen Verfaſſung, wie in ihm die einzige Gewähr der Ordnung liegt. Alles das ſind jedoch Punkte, welche der Verfaſſungslehre an - gehören.
Begriff und Gültigkeit des Rechts des Gehorſams treten dagegen erſt dann ein, wenn Geſetz und Verordnung geſchieden ſind. Der In - halt dieſes Rechts beruht alsdann auf folgenden an ſich einfachen Sätzen. Geſetz und Verordnung ſind ihrem gemeinſamen Weſen nach Beſtimmungen des Staatswillens an ſich. Beide haben daher Gehor - ſam von dem Einzelnen zu fordern. Allein es iſt möglich, daß der Wille der vollziehenden Gewalt — der Regierung — mit dem der ge - ſetzgebenden in Widerſpruch ſtehe, oder daß die Verordnung einem Ge - ſetze widerſpreche. Hier iſt es, wo die Frage entſteht, ob der Einzelne dem Geſetze oder der Verordnung zu gehorchen habe, und welche Rechts - verhältniſſe aus ſeinem Gehorſam gegen die Verordnung gegenüber dem Gehorſam gegen das Geſetz entſtehen? Und die Geſammtheit dieſer Ver - hältniſſe bezeichnen wir als den bürgerlichen Gehorſam und ſein Recht.
Die Grundſätze nun, welche ſich für dieſen bürgerlichen Gehorſam ergeben — der demnach ſtets das Daſein einer ſelbſtändigen geſetzgeben - den Gewalt und mithin den Unterſchied von Verordnung und Geſetz zu ſeiner Vorausſetzung hat — ſind nach dem Weſen des Staats die folgenden.
a) Da die Pflicht zum Gehorſam gegen die Verordnung, oder zum bürgerlichen Gehorſam unzweifelhaft iſt, wenn Verordnung und Geſetz übereinſtimmen, ſo kann der Zweifel nur dann entſtehen, wenn dieſe Uebereinſtimmung beſtritten wird. Die Verweigerung des bürgerlichen Gehorſams gegen eine Verordnung erſcheint demnach als die Erklärung des einzelnen Individuums, daß es jene Uebereinſtimmung läugne, und im Namen des Gehorſams gegen das Geſetz den Gehorſam gegen die Verordnung verweigert. Dagegen enthält eben die Aufforderung zum Gehorſam gegen die Verordnung die Erklärung von Seiten der voll - ziehenden Gewalt, daß ein ſolcher Widerſpruch ihres Willens mit dem Geſetze nicht vorhanden ſei. Indem daher das Individuum den Ge - horſam verweigert, ſetzt es ſich als Richter über den Inhalt und Um - fang des Geſetzes und ſtellt ſich ſelbſt über die Regierungsgewalt; es108 ſubſtituirt ſeinen individuellen Willen dem des Staats. Das iſt ein unlösbarer Widerſpruch mit dem organiſchen Weſen des Staatsbürger - thums und damit die Auflöſung des Staats ſelber. Es folgt daraus, daß der Einzelne, indem er nicht zu entſcheiden hat über das Verhältniß von Geſetz und Verordnung, auch nicht entſcheiden kann über Inhalt und Gränze der Verpflichtung, welche ihm die Verordnung auferlegt. Der bürgerliche Gehorſam gegen die Verordnungen der vollziehenden Gewalt muß daher als abſolute Grundlage des Staatslebens erkannt werden.
b) Es folgt daraus, daß der Widerſtand gegen die Anordnun - gen der vollziehenden Gewalt an und für ſich ein Vergehen iſt, und daß das Unrecht deſſelben dadurch nicht aufgehoben wird, daß die er - folgende Entſcheidung des zuſtändigen Organes die Verordnung ſpäter als nicht gültig erklärt. Denn nicht darin liegt das Unrecht, daß der Einzelne einer nicht zu Recht beſtehenden Verordnung, ſondern darin, daß er als Einzelner dem Organe der Vollziehung Widerſtand leiſtet, und damit ſeinen ſubjektiven Willen an die Stelle des organiſchen Staatswillens ſetzt, d. i. den organiſchen Staat ſelbſt aufhebt.
c) Es folgt daraus, daß bei wirklichem Widerſtande gegen den Willen der Regierung, und zwar ohne alle Rückſicht auf Objekt oder Geſetz, das Recht der Unverletzlichkeit des Einzelnen aufgehoben wird, und die Berechtigung der vollziehenden Gewalt ſo weit geht, als ihre Macht reicht. Das iſt der Punkt, auf welchem das Recht des Gehorſams in das des Zwanges (ſ. unten) übergeht.
d) Dagegen hat allerdings der Gehorchende nicht die Pflicht, da Gehorſam zu leiſten, wo eine Thätigkeit von ihm gefordert wird, welcher die Rechte Dritter verletzt. Und zwar darum nicht, weil die Auf - hebung dieſer Rechte im Namen eines Staatswillens eben die Funktion der vollziehenden Gewalt iſt, und die Anordnung der letztern, daß der Einzelne vollziehen ſolle, was ſie ſelbſt zu vollziehen berufen iſt, ſie mit ſich ſelber in Widerſpruch bringt. In dieſem Falle iſt der Widerſtand allerdings berechtigt; jedoch darf er nur ſo weit gehen, als er ſich auf die beſtimmte, die Rechte Dritter verletzende Handlung bezieht.
Wenn daher der Einzelne in dieſem Falle den Gehorſam leiſtet, ſo iſt es kein Zweifel, daß er perſönlich haftet, eventuell der Strafe für ſeine Handlung unterworfen werden muß. Läßt er ſich zwingen, ſo treten für ihn die Grundſätze der vis major und des metus qui in virum constantem cadit, ein; die bloße Erklärung, daß er die Ver - antwortlichkeit von ſich abweiſe, macht ihn von der Haftung nicht frei. Und zwar darum nicht, weil das Organ der vollziehenden Gewalt bei einem ſolchen, auf die Verletzung der Rechte Dritter gerichteten Befehle109 eben als Individuum und nicht mehr als Staatsorgan erſcheint, und daher für jede Verletzung nicht als Obrigkeit, ſondern nur ſtrafrechtlich als Ur - heber betrachtet werden kann. Die genaue Gränze der perſönlichen Verantwortlichkeit muß dann nach den allgemeinen Grundſätzen des Strafrechts in jedem einzelnen Falle beſtimmt werden.
e) Jener Pflicht des bürgerlichen Gehorſams ſteht nun das Recht deſſelben gegenüber. Dieſes Recht beſteht darin, daß der Einzelne auf Grund ſeiner Auffaſſung das Recht der vollziehenden Gewalt zu der betreffenden Verordnung läugnet, und dieſelbe daher als eine für ſich unverbindliche erklärt. Hat er das gethan, ſo folgt, daß die Unter - laſſung derjenigen von der Verordnung vorgeſchriebenen Handlungen, die er für ungerecht erklärt hat, nicht als ein Unrecht angeſehen werden kann; denn dieſe Unterlaſſung erſcheint von ſeiner Seite ja als eine Befolgung eines von ihm als vorhanden angenommenen, wenn auch viel - leicht nicht vorhandenen geſetzlichen Rechts, das eben das Recht der Verordnung aufhebt. Den Ungehorſam gegen eine ſolche Verordnung im Namen eines Geſetzes nennt man den paſſiven Widerſtand. Das Recht zum paſſiven Widerſtand iſt daher ein verfaſſungsmäßiges, aber nur unter der Vorausſetzung der Berufung auf ein Geſetz. Dieſem Rechte entſpricht eben ſo unzweifelhaft das Recht der Exekution und zwar auf Koſten des Ungehorſamen. Sowie dagegen dieſer paſſive Widerſtand zur wirklichen Widerſetzlichkeit durch die That übergeht, ſo entſteht ein ſogenannter aktiver Widerſtand, und es kann vernünftiger Weiſe gar kein Zweifel ſein, daß der aktive Widerſtand auch gegen eine ſcheinbar unzweifelhaft geſetzwidrige Verordnung an und für ſich ſtraf - bar iſt, weil das Urtheil des Widerſetzlichen über dieſe Geſetzwidrigkeit immer als ein ſubjektives erſcheint, und die Zulaſſung einer Geltung der ſubjektiven Mei〈…〉〈…〉 ung den geſammten öffentlichen Rechtszuſtand zuletzt auf lauter individuelle Anſichten zurückführen und damit auflöſen würde. Das Weſen der verfaſſungsmäßigen Verwaltung fordert daher, daß der Einzelne ſeinen Streit mit der Verordnungsgewalt durch den vom Staate ſelbſt zur Löſung deſſelben organiſirten Proceß, das Klag - oder Beſchwerderecht, löſe, wenn er nicht mit der Exekution gegen ſeinen paſſiven Widerſtand zufrieden iſt; eine Widerſetzlichkeit von Seiten des Einzelnen gegen die Verordnung oder der aktive Ungehorſam iſt eben derſelbe Widerſpruch, der in den Privatverhältniſſen in der Selbſthülfe liegt. Und dieſer Grundſatz, den Zweifel an der Verpflichtung zum Ge - horſam durch den verfaſſungsmäßigen Proceß der Klage oder Beſchwerde zur Entſcheidung zu bringen, ſtatt durch aktiven Widerſtand, iſt der eigent - liche verfaſſungsmäßige Gehorſam.
Soll aber derſelbe nicht ein leeres Wort bleiben, oder zu tiefern110 Spaltungen im Staatsleben führen, ſo muß nun auch Klag - und Beſchwerderecht deſto klarer feſtſtehen.
Der ganze, Jahrhunderte alte Streit über die Gränzen des Gehorſams und die gegenwärtige Geſtalt in der deutſchen Literatur kann nur geklärt werden, indem man den Gehorſam gegen die Geſetze von dem Gehorſam gegen die Verordnungen ſcheidet, was man nicht gethan hat, weil eben beide Begriffe eben ſo wenig klar waren, wie der der Verwaltung ſelbſt.
Im Allgemeinen iſt die Frage bis zum Anfange des gegenwärtigen Jahr - hunderts in der That die Frage, wie weit der Gehorſam gegen das Ge - ſetz reiche; in unſerem Jahrhundert handelt es ſich nicht mehr um die anerkannte Pflicht zum Gehorſam gegen das Geſetz, der unbeſtritten iſt, ſondern um den Gehorſam gegen die Verordnung. Der Grund dieſes Entwicklungsganges liegt eben in der Geſchichte der geſetzgebenden und verordnenden Gewalt ſelbſt.
So wie mit dem 17. Jahrhundert die Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung verſchwindet, und der perſönliche Wille des Königs und ſeiner Vertreter, der Obrigkeit, die geſetzgebende Gewalt wird, ſo entſteht nun die Frage, ob die Staatsangehörigen dem Willen dieſer perſönlichen Gewalt den - ſelben Gehorſam zu leiſten haben, den ſie dem Geſammtwillen des Volkes allerdings ſchuldig ſind. Das erſte Gebiet, auf welchem dieſer Zweifel entſteht, iſt das kirchliche. Zweifelhaft ſchon erſchien es, ob ein durch den allgemeinen Willen gebildetes kirchliches Gebot Gehorſam fordern könne; zweifelhafter ward die Sache, als die Landesherren mit ihrem ſubjektiven Willen das Recht der Geſetze vertraten, und für ihre Gebote den Gehorſam auch in religiöſen Fragen forderten. In dieſem Widerſpruche trennte ſich zuerſt der Gehorſam in zwei Gebiete; der kirchliche weigerte den weltlichen Gehorſam, und machte aus dem ſtaatlichen Ungehorſam eine ſittliche Pflicht. Es war die erſte Gränze, welche der formell gültige Staatswille fand. Die Frage nach dem Recht des Gehor - ſams und des Widerſtandes entſteht faſt gleichzeitig in Deutſchland und Frank - reich, und führt endlich in England zur Revolution gegen das Königthum. — Das zweite Gebiet entſteht durch das Verhältniß der königlichen Gewalt zu den Rechten der Landſtände. Das Recht des Königthums, daß ſein Wille als Geſetz gelten ſolle, ward eigentlich an ſich nicht beſtritten; dagegen hielt man das Recht der Stände als ein ſelbſtändiges dem königlichen gegenüber aufrecht, und ſo entſtand die Frage nach der Gränze des königlichen Rechts gegenüber dem „ verbrieften “Landesrecht. Die Frage war im Grunde unlösbar, da beide Rechte Geſetzeskraft hatten, beide dieſelben Formeln für ihre Rechte gebrauchten (Hoheitsrecht), beide ſich daher wie zwei gleichberechtigte Körper bekämpften, während der Begriff des Geſetzes, nirgends erſcheinend, auch die Löſung nicht geben konnte. Es iſt das die Zeit des 18. Jahrhunderts, die ſowohl in Eng - land, namentlich unter Walpole, als in Frankreich in dem Kampf des Königs mit den Parlamenten, als endlich in Deutſchland in dem Streit zwiſchen Landes - fürſten und Landſtänden von dieſem Gegenſatz allenthalben durchdrungen iſt. Es war offenbar unmöglich, hier zu einem feſten Begriffe von Gehorſam zu gelangen; das lag nicht an dieſem Begriffe, ſondern an dem gleichen Recht der111 verſchiedenen Elemente, welche den Gehorſam forderten. Der Hauptname in dieſem Streite Deutſchlands iſt und bleibt J. J. Moſer; das Hauptgebiet des - ſelben war Süddeutſchland. Am beſten charakteriſirt den ganzen damaligen Zuſtand der Frage der Satz Moſer’s (Landesfreiheit der Unterthanen, S. 71): „ Beſonders aber kann ein Herr von den Unterthanen keinen Gehorſam ver - langen, wenn er ihnen etwas anbefiehlt, welches offenbar und unſtreitig den Landesfreiheiten und Verträgen zuwider iſt. “ Von einem Gegenſatz zwiſchen Geſetz und Verordnung war dabei natürlich keine Rede; es lag viel - mehr der Gegenſatz noch innerhalb der geſetzgebenden Gewalt. Ehe dieſer nicht beſeitigt und nicht mit dem Begriffe des Geſetzes die Pflicht des Ge - horſams feſtgeſtellt war, konnte kein Abſchluß in jenem Streite gefunden werden.
Dieſen nun brachte der Gedanke Rouſſeau’s, daß die Quelle des Ge - ſetzes nicht wie bei Hobbes und Pufendorf der Wille eines vertragsmäßig ein - geſetzten Geſetzgebers, ſondern eben dieſer ſtets lebendige Wille Aller ſelbſt, die volonté générale ſei. Die Beſtimmung dieſer volonté générale iſt das Geſetz; es iſt ſelbſtverſtändlich, daß der Geſammtwille auch der Wille des Einzelnen ſei, oder daß er Gehorſam fordern müſſe. So war der Grundſatz im Princip feſtgeſtellt, daß nur dieſes eigentliche Geſetz unbedingten Gehorſam zu fordern habe, und daß, was nicht weniger wichtig war, jede andere Willensäußerung des Staats (alſo die Verordnung, wie wir ſagen würden, gegenüber dem Geſetz) nur durch ihre Uebereinſtimmung mit dem Geſetz zu gleichem Gehorſam berech - tigt ſei. Dieſe Auffaſſung geht nun in das geſammte öffentliche Recht Frank - reichs während der Revolution über, und hier gilt er noch gegenwärtig. Es gibt keinen berechtigten Ungehorſam gegen die „ loi “; mit ihm verſchwindet auch die ganze Lehre vom Gehorſam aus Frankreich, ſo wie die Geſetzgebung durch die Volksvertretung vollzogen wird. Zugleich beſteht neben der Geſetzgebung die Verwaltung. Sie funktionirt auf Grundlage ihres eigenen Willens; dieſer Wille iſt zwar kein Geſetz, wohl aber bildet er Recht, ſo weit das Geſetz ihm nicht entgegentritt; hier entſteht daher die Möglichkeit eines ungeſetzlichen Willens der Staatsgewalt; mit ihr die Frage nach der Verpflichtung zum Gehorſam, nicht gegen das Geſetz, ſondern gegen die Verordnung im Namen des Ge - ſetzes. Und ſo gewinnt jetzt der Gehorſam eine neue Geſtalt. Er iſt unbedingt gegenüber dem Geſetz, und damit iſt der alte Streit des 18. Jahrhunderts entſchieden; er iſt aber bedingt gegen die Verordnung, und erzeugt daher jetzt neben der Pflicht auch ein Recht durch den Unterſchied derſelben vom Geſetz. Dieß Recht erſcheint nun als das Recht auf den Widerſpruch des Einzelnen, den er gegen die Verordnung haben kann, d. i. die Erklärung, daß er ver - möge eines beſtimmten Geſetzes ſich nicht zum Gehorſam gegen eine beſtimmte Verordnung verpflichtet glaubt. Dieſe Erklärung heißt Oppoſition; „ former opposition “iſt der formelle Widerſpruch gegen die Verordnung; ſie iſt zum Theil Klage, zum Theil Beſchwerderecht; jedenfalls aber erzeugt ſie die entweder gerichtlichen oder adminiſtrativen Verhandlungen über die Gültigkeit der Verord - nung und damit über die Pflicht des Gehorſams; die Formen der Oppoſition werden dann endgültig in dem Arrêté vom 23. Nov. 1832 ſpeziell für die112 opposition aux contraintes administratives geregelt, und das Recht des Gehorſams iſt verfaſſungsmäßig feſtgeſtellt.
In Deutſchland dagegen kam man zu keinem Abſchluß, und iſt noch jetzt nicht dazu gekommen. Man nahm allerdings aus dem Weſen des Geſetzes das Princip auf, daß man dem Geſetze gehorchen müſſe, aber man hatte eben keinen feſten Begriff vom Geſetz, und die entſcheidende Frage blieb daher offen, wie weit der landesherrliche Wille in der Form des Befehles das Recht habe, Geſetzeskraft und damit unbedingten Gehorſam zu fordern. Das poſitive Recht beantwortete dieſe Frage nicht, wie wir geſehen haben, und bei aller Hoch - achtung vor dem eigentlichen Geſetze mußte man ſich doch geſtehen, daß eben jene landesherrlichen Verordnungen an ſich einen ganz gleichen Anſpruch auf Gehorſam zu fordern berechtigt ſeien. In dieſem Zweifel, wem man zu ge - horchen habe, erſtand daher der alte Zweifel über die Natur und die Gränze des Gehorſams überhaupt; und die deutſche ſtaatsrechtliche Theorie zeigt uns das wunderliche Bild, daß die ganze Geſchichte des Begriffs des Gehorſams von Hobbes, Rouſſeau, Moſer und allen Theoretikern der vergangenen Jahr - hunderte herbeigezogen wird, um den gegenwärtigen Begriff zu erklären. Nur ſo begreift es ſich, daß noch gegen den „ abſtrakt unbedingten Gehorſam “(obedientia mera) gekämpft, und als die Gränze deſſelben „ der Zweck und Begriff des Staats “geſetzt wird — über welche bis dahin noch niemand einig geweſen — vergeſſend, daß es keinen Gehorſam für Ueberzeugungen, ſondern nur immer für Thätigkeiten gibt, und daß die gezwungene Befolgung des Staatswillens eben kein Gehorſam mehr iſt. Dieſem Grundſatz, daß es da keine Pflicht zum Gehorſam gibt, wo im Grunde eben der Gehorſam aufhört — denn das iſt ein Befolgen der unſittlichen Befehle — ſtellt das deutſche Staatsrecht noch immer den zweiten Begriff des „ verfaſſungsmäßigen Gehorſams “(obedientia civilis) zur Seite, obgleich jeder Staat ſeine Verfaſſung hat, und daher der Begriff eines deutſchen ſtaatsrechtlichen Gehorſams ein Unding iſt. Es hat vielmehr jeder einzelne Staat ſein eigenes poſitives Recht des Gehor - ſams, zum Theil in eigenen Geſetzen genau, und zum Theil recht verſchieden beſtimmt. Vergleiche namentlich die treffliche Darſtellung des württembergiſchen Gehorſams Mohl (Württembergiſches Staatsrecht I. 320 ff. ); die des preußi - ſchen bei Rönne I. §. 103. Eben darum ſucht man auch vergeblich nach demjenigen, was eigentlich unter dieſem „ verfaſſungsmäßigen “Gehorſam ver - ſtanden wird. Denn mit dem Satz, daß es der Gehorſam gegen die Verfaſſung ſein ſolle, iſt nichts erklärt, da die Verordnung ja auch der Verfaſſung ge - hört; ein Gehorſam gegen das Geſetz beruht nicht erſt auf der Verfaſſung, ſondern auf dem Begriff des Staats; ein Gehorſam gegen etwas, das kein Geſetz iſt, hat keinen Sinn; ein nicht verfaſſungsmäßiges Geſetz gibt es nicht; was heißt alſo jene traditionelle Unklarheit? Man kann ſich nur Eines dabei denken: den Gehorſam in dem Falle, wo eine Verordnung mit dem Geſetze in Widerſpruch tritt, und die Pflicht, in dieſem Falle das Geſetz und nicht die Verordnung zu befolgen. Die Beurtheilung dieſer Pflicht kann man nun aber nicht dem ſubjektiven Ermeſſen überlaſſen; und ſo bleibt in der That als Inhalt des verfaſſungsmäßigen Gehorſams nichts als der paſſive Widerſtand,113 die Klage und die Beſchwerde. Einen andern concreten Inhalt kann man ſich dabei nicht denken. Einig iſt die deutſche Literatur nur in zwei Punkten: daß es eigentlich keine unvernünftigen Geſetze geben müſſe, damit jedes Geſetz in ſeiner Vernünftigkeit die Quelle des Gehorſams finde, was ſehr richtig, aber kein Staatsrecht iſt; und zweitens, daß der aktive Widerſtand an ſich ſtrafbar ſei. Vgl. Maurenbrecher §. 56. Klüber §. 4 und 550. Zacha - riä I. 67. Namentlich Zöpfl II. §. 982. Die ſehr fleißige Arbeit Mohls (Literatur der Staatswiſſenſchaften I. 333) hat ſich viele nutzloſe Mühe gegeben, die unklaren Vorſtellungen in der früheren deutſchen Literatur als klar hin - zuſtellen.
Will man nun nach den obigen Vorausſetzungen über den wich - tigen Begriff des adminiſtrativen Klagrechts ins Klare kommen, ſo müſſen folgende Punkte feſtſtehen, die auch wohl an ſich kaum be - zweifelt werden dürften.
Eine Klage in dem allgemein anerkannten Sinne, den wir natür - lich feſthalten, kann nur da entſtehen, wo ein durch ein Geſetz aner - kanntes Recht durch eine Handlung eines Dritten angegriffen wird. Wo ein Geſetz ein ſolches geſetzlich beſtehendes Recht aufhebt, kann natürlich von einer Klage keine Rede ſein; hier bleibt dem ſeiner Meinung nach Ver - letzten nur übrig, etwa eine Aenderung des Geſetzes zu bewirken. Da aber das Geſetz der höchſte Staatswille iſt, ſo kann auch kein anderer als eben dieſer höchſte Staatswille das geſetzliche Recht ändern. Mit - hin kann dieß auch nicht durch die Verordnung und durch die Regie - rungsgewalt geſchehen. Es ergibt ſich, daß eine Klage in allen den Fällen in ſtrenger Bedeutung des Wortes möglich iſt, wo durch eine Verordnung ein vermöge des Geſetzes beſtehendes Recht eines Einzelnen angegriffen wird. Allerdings wird dieſe Klage durch die Natur des Beklagten in ihrer ganzen Geſtalt etwas verſchieden, und das auf eine ſolche Klage entſtehende Verfahren niemals ganz mit dem der bürger - lichen Klage identiſch ſein können. Wir nennen ſie daher auch am beſten mit einem eigenen Namen; es iſt die adminiſtrative Klage, und das Recht des Einzelnen ſie anzuſtellen iſt das adminiſtrative Klagrecht.
Dieß adminiſtrative Klagrecht tritt nun nicht in den Fällen ein, wo der Staat als einzelne bürgerliche Perſönlichkeit mit einer andern bürgerlichen Perſönlichkeit einen Rechtsakt abſchließt, oder wie wir ſagen, wo er als Fiscus auftritt. Hier iſt vielmehr für ihn und ſeine Handlungen das gewöhnliche bürgerliche Verfahren das gültige. Ein adminiſtratives Klagrecht entſteht nur da, wo das Recht des Einzelnen gegenüber einerStein, die Verwaltungslehre. I. 8114Verordnung, alſo einem Akte der Regierungsgewalt, zweifelhaft er - ſcheint. Und darum hat das adminiſtrative Klagrecht auch eine weſentlich andere Funktion, und muß von einem allgemeinen Standpunkt auf - gefaßt werden.
Es iſt die Aufgabe aller Verwaltung gegenüber der Geſetzgebung, die Verhältniſſe des wirklichen Lebens in der Vollziehung der Geſetze anzuerkennen und zur Geltung zu bringen. Zu dieſem gehören auch die geſetzlichen Rechte der Einzelnen. Dieſe ſind oft zwar ſehr klar, oft aber auch nicht. Es iſt daher ſchwer, eine Colliſion zu vermeiden; aber es iſt immer ein Unglück, wenn in einer ſolchen Colliſion das Recht des Einzel - nen leidet. Denn in der That leidet dabei nicht etwa bloß das Wohl und das Recht des Einzelnen, ſondern es iſt das in dieſen Recht leben - dige Geſetz, das der Verordnung unterworfen und von ihr aufgehoben wird. Die Regierung wird ſich daher in dieſem Falle ſelbſt als Ge - ſetzgebung ſetzen, und das iſt das Weſen des tiefen Widerſpruchs, den wir fühlen, wenn das Recht des Einzelnen der verordnenden Gewalt preisgegeben wird, ſelbſt da wo Abſicht und ſelbſt Erfolg der Thätig - keit der letztern die günſtigſten ſind. Denn in einem ſolchen Falle kehrt eben der kaum überwundene Standpunkt der Identität von Geſetz und Verordnung zurück, und die Wahrheit der Verfaſſung verliert ihren feſten Boden, indem ſie in jedem concreten Streit zwiſchen beiden Po - tenzen zur Niederlage des geſetzlichen Rechts gegenüber dem Verwal - tungsrechte führt. In der Heiligkeit des Privatrechts auch gegenüber der Verordnung iſt daher im Grunde die Herrſchaft des Geſetzes über das Staatsleben, und damit das Princip der organiſchen Freiheit geſichert.
Dieſe Sicherung aber kann nun die Staatsgewalt ſich nicht durch ein Geſetz geben, und zwar darum nicht, weil jeder Einzelne nicht ge - zwungen werden kann, ſein durch eine Verordnung etwa verletztes ge - ſetzliches Recht aufrecht zu halten. Es kann daher immer nur der Einzelne ſelbſt die Verordnung angreifen, und ſie dadurch auf allen den Punkten, in denen die verordnende und vollziehende Gewalt mit dem geſetzlichen Einzelrecht in Gegenſatz kommt, nöthigen, dieß geſetz - liche Recht als unantaſtbare Grundlage ihrer Thätigkeit anzuerkennen. Das Mittel dazu iſt das adminiſtrative Klagrecht; und die Funktion deſſelben können wir mithin ſo beſtimmen, daß es die Aufgabe hat, die Harmonie der Verordnung mit dem im Rechte des Einzelnen erſcheinenden Geſetze herzuſtellen und zu ſichern.
Es folgt daraus, daß das adminiſtrative Klagrecht ein weſent - liches Recht im Organismus des Staats iſt. Es iſt die Grundlage einer ganzen Seite des Lebens derſelben, und eins der großen Princi - pien, auf welchen die Wohlfahrt und Freiheit der Staaten beruhen. 115Um ſo wichtiger iſt die möglichſt ſcharfe Beſtimmung ſeiner Elemente und Bedingungen.
Zuerſt nun iſt es unzweifelhaft, daß ein ſolches adminiſtratives Klagrecht die klare und anerkannte Scheidung von Geſetz und Verordnung zur Vorausſetzung hat. So lange nämlich beide noch nichts anderes ſind als Willensformen derſelben öffentlichen Gewalt, ſo iſt zwiſchen beiden kein rechtlicher Streit möglich, da am Ende ſtets die neueſte Beſtimmung die ältere aufhebt. Es gibt daher kein admini - ſtratives Klagrecht überhaupt, ſo lange der Grundſatz nicht feſtſteht, daß ein Geſetz nur derjenige öffentliche Wille iſt, der unter Mitwirkung der Volksvertretung zu Stande kommt. Oder, es gibt kein adminiſtratives Klagrecht ohne Verfaſſung. Ja, es wäre ein ganz unlösbarer Widerſpruch, wenn man daſſelbe ohne eine Verfaſſung für gewiſſe Verordnungen der vollziehenden Gewalt einräumen wollte; denn da dieſelben ebenſo gut Geſetze ſind wie alle andern Akte, ſo folgt, daß man dabei dem Gerichte eine über ein Geſetz entſcheidende Gewalt bei - legen würde. Wo dieß daher geſchieht, liegt gewöhnlich etwas anderes zum Grunde, nämlich die Vorſtellung, daß nicht die Verordnung, ſon - dern die Handlung der vollziehenden Behörde Gegenſtand der gericht - lichen Verfolgung ſein ſolle. Indeß bleibt auch dieß ein Widerſpruch. Denn entweder handelt die Behörde im Namen der Verordnung, und dann kann conſequent kein Unrecht geſchehen; oder ſie thut es nicht, und dann entſteht kein adminiſtratives Klagrecht, ſondern es tritt ein - fach die perſönliche Haftung des Beamteten ein. Ohne verfaſſungs - mäßige Scheidung von Geſetz und Verordnung kann daher jenes Klag - recht — das Klagrecht der Verletzung des erſten durch die zweite — überhaupt nicht entſtehen.
Zweitens folgt, daß auch da, wo Geſetz und Verordnung ver - faſſungsmäßig geſchieden ſind, ein ſolches Klagrecht nur dann möglich iſt, wo ein ausdrückliches Geſetz wirklich vorliegt. Es kann daſſelbe nicht entſtehen, wo eine Verordnung Verhältniſſe regelt, über die kein Geſetz exiſtirt, ſelbſt wenn nach der Verfaſſung ein Geſetz darüber exi - ſtiren ſollte. Denn es iſt Sache der Geſetzgebung, die Lücke durch förmliche Geſetze auszufüllen; ſo lange ſie es nicht gethan, hat die Verordnung das Recht, an ihre Stelle zu treten. Es folgt daraus, daß in den Fällen, in welchen das Geſetz für ſeine Ausführung gewiſſe Beſchränkungen des Einzelrechts nothwendig fordern würde, wäh - rend es ſelbſt noch nicht exiſtirt, die Verordnung das Recht hat, dieſe Beſchränkungen mit dem Rechte des Geſetzes zur Geltung zu brin - gen, da ſie ſelbſt ja das fehlende Recht des Geſetzes erſetzt; ſo z. B. da, wo ein mangelndes Preßgeſetz oder ein mangelndes Expropriations -116 geſetz durch Preß - oder Expropriationsverordnungen vertreten werden. Es iſt kein Zweifel, daß in einem ſolchen Falle die Verordnungen auch die geſetzlich beſtehenden Einzelrechte zum Zwecke ihrer Vollziehung ge - rade ſo gut beſchränken, wie das Geſetz ſelbſt. Eben darum heißen ſie ja proviſoriſche Geſetze. Ohne dieſes Recht iſt aber die Voll - ziehung im Staate nicht möglich. Iſt die Verordnung nicht angemeſſen, ſo ſoll die eigentliche Geſetzgebung ſie aufheben; ſo lange ſie aber be - ſteht, iſt ſie Geſetz, und gegen ein Geſetz und ſeine Conſequenzen gibt es kein adminiſtratives Klagrecht. Daraus folgt noch immer nicht die völlige Rechtloſigkeit der Einzelnen bei ſolchen proviſoriſchen Geſetzen. Hier iſt der Punkt, wo das Beſchwerderecht an ſeine Stelle tritt, von dem wir ſogleich handeln werden.
Zu dieſen beiden Vorausſetzungen kommt nun die dritte, daß näm - lich entweder durch Gehorſam oder durch Vollziehung die Verletzung des Einzelrechts vermöge der Verordnung wirklich erfolgt ſei. Der ſogenannte paſſive Widerſtand iſt mit keinem adminiſtrativen Klagrechte verbunden. Gegen die Verordnung als ſolche hilft nur die Verantwortlichkeit; das adminiſtrative Klagrecht tritt erſt mit dem Momente ein, wo die Vollziehung verwirklicht iſt. So lange die Verordnung nur als Ver - ordnung beſteht, kann der Einzelne ſein bedrohtes Recht auch nur durch die Beſchwerde ſchützen.
Wo nun dieſe Vorausſetzungen vorhanden ſind, da tritt das admini - ſtrative Klagrecht ein. Daſſelbe erzeugt nun allerdings einen förmlichen bürgerlichen Proceß. Allein die Natur des Objekts und Subjekts bringen dennoch gewiſſe ſehr tiefgreifende Unterſchiede in dieſem, gegen die Vollziehung eines Urtheils geführten Proceß hervor, und wir glauben daher, daß das Recht der vollziehenden Gewalt uns nöthigen wird, neben den bisher anerkannten Formen des Proceſſes eine neue aufzu - ſtellen, die Form des adminiſtrativen Proceſſes. Wir wollen verſuchen, die Punkte zu bezeichnen, in denen derſelbe ſich weſentlich von dem bürgerlichen Proceß unterſcheidet.
1) Das Klagfundament iſt bei dem adminiſtrativen Proceß der Satz, daß die beſtimmte Handlung des vollziehenden Organes als eine Vollziehung einer Verordnung und nicht als eine Ueberſchreitung der - ſelben anerkannt wird, in welchem letzteren Falle ja überhaupt kein Streit zwiſchen Geſetz und Verordnung denkbar iſt, ſondern einfach die perſönliche Haftung des Beamteten eintritt. Die Klage muß daher auf dem Widerſpruche der durch die Thätigkeit des beklagten Organes voll - zogenen Verordnung mit einem beſtimmt anzuführenden Geſetze be - ruhen. Wo ein ſolcher Widerſpruch nicht als Grundlage der Klage aufgeſtellt, und das betreffende Geſetz nicht angeführt wird, muß ſie117 angebrachtermaßen abgewieſen werden. Es iſt nicht richtig, dem Gerichte zuzugeſtehen, daß es ſelbſt ſuche, ob die Verordnung viel - leicht mit einem andern Geſetze in Widerſpruch ſtehe, und zwar iſt dieſer Satz darum feſtzuhalten, weil das Geſetz, welches der Kläger anführt, ſeinen Titel bildet und daher den Charakter des allgemeinen Rechts verliert. Es iſt nie Sache des Gerichts, einen Titel für den Kläger zu ſuchen; auf dieſem Punkte muß im Namen einer guten Voll - ziehung dieß ſtrenge interpretirt werden.
2) Das Petitum der Klage kann nicht auf die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Gültigkeit einer Verordnung als ſolche gehen. Die Verordnung erſcheint dem Gerichte als eine Thatſache, die es über - haupt nur ſo weit zu unterſuchen hat, als ihre Vollziehung mit einem Geſetze in Widerſpruch ſteht, und dieſer Widerſpruch nicht bloß in der Abſicht liegt — was bei einer Verordnung ohne Vollziehung ja der Fall iſt — ſondern zur wirklichen, das Recht des Einzelnen verfolgenden Erſcheinung kommt. Der Widerſpruch der Verordnung mit dem Geſetze iſt daher nie Gegenſtand oder Inhalt des Petitums, ſondern nur die rechtliche Begründung deſſelben. Das Petitum muß vielmehr auf die Handlung der Vollziehung ſelbſt, beziehungsweiſe ihre privatrecht - lichen Folgen gehen, und kann eben darum auch nur die Nichtigkeit der vollzogenen Handlung oder die Forderung auf einen Schadenerſatz aus derſelben enthalten.
3) Daraus ergibt ſich weiter, daß der adminiſtrative Proceß der Regel nach ein ſummariſcher ſein muß, da in den meiſten Fällen das Objekt deſſelben nur einen ſehr geringen nachweisbaren Werth haben wird, und die Natur der vollziehenden Thätigkeit keinen langen Proceßgang zuläßt. Dieſer Grundſatz würde die Bedenken über das Verhältniß jenes Proceſſes zur praktiſchen Verwaltung in hohem Grade vermindern. Ein ordentlicher Proceß müßte einen nachgewieſenen wirth - ſchaftlichen Werth von Bedeutung betreffen.
4) Die Natur der Verwaltung fordert aber ferner, daß die Litis - pendenz im adminiſtrativen Proceß eine andere Natur habe, als im bürgerlichen. Sie kann dort nicht das Recht haben, den Einzelnen von der Leiſtung — dem Gehorſam gegen die verordnende Gewalt — zu befreien, bis das Gericht ſeine Entſcheidung geſprochen hat. Im Gegentheil muß die Leiſtung ohne Rückſicht auf die Anhängigkeit der Klage in Gemäßheit der Verordnung vollzogen werden. Eben ſo wenig kann eine Leiſtung, die verordnungsmäßig eine dauernde iſt, vermöge der Anhängigkeit unterbrochen werden, denn ſie muß ſtets als ein Ganzes betrachtet werden. Der Einzelne kann ſich nur ſeine Anſprüche wahren, aber ſie durch Widerſtand vertheidigen kann er nicht, ſo wenig118 wie das Gericht ihm gegen eine Gewalt helfen kann, über deren Ge - ſetzmäßigkeit eben noch der Streit anhängig iſt.
Es folgt daraus, daß eine Beſitzſtörungsklage gegen die Vollziehung einer Verordnung überhaupt nicht zuläſſig iſt, wogegen anderſeits der Gehorſam, der der Klage vorausgeht, gleichfalls nicht als Aufgeben des Beſitzes im bürgerlichen Rechte zu betrachten iſt, und die proceſſualen Folgen deſſelben nicht eintreten können. Es muß vielmehr der Beſitz als ſolcher durch den Gehorſam als gar nicht unterbrochen angeſehen werden, da die Grundlage des Beſitzesrechts in ſeiner Unterſcheidung vom Eigenthum auf dem Weſen der Einzelperſönlichkeit beruht, die adminiſtrative Klage dagegen nicht mit dem Einzelnen, ſondern mit der Regierungsgewalt zu thun hat.
Wo dagegen in Folge der Ausübung einer Verordnung das Eigen - thum übergeht, während die Verordnung einem Geſetze poſitiv wider - ſpricht, da muß das Petitum nicht auf Herſtellung des Eigenthums, ſondern auf Schadenerſatz gehen, während das erworbene Eigenthum dem dritten Erwerber bleibt. Und zwar darum, weil geſetzlich das Eigenthum dem Dritten durch die Beobachtung der Formen der Ueber - tragung gewonnen wird, wenn auch der Grund der Uebertragung — die Verordnung — mit dem Geſetze im Widerſpruche ſtände.
5) Dieſe große Wichtigkeit der Folgen des adminiſtrativen Proceſſes macht es nun faſt nothwendig, daß die Geſetzgebung fordere, es ſolle dem Beginnen des Proceſſes ſtets eine Oppoſition von Seiten des Klägers an die vollziehende Behörde voraufgehen, und zwar mit Angabe der Berufung auf das der Verordnung widerſprechende Geſetz, und daß die Klage erſt dann eingereicht werden dürfe, wenn dieſer Oppoſition keine Folge gegeben wird. Der Sicherheit halber könnte man dabei einen Termin beſtimmen, in dem die Erklärung der Behörde erfolgen ſoll. Dieß aus dem franzöſiſchen Rechte entnommene Princip hat außerdem den großen Vorzug, daß die untere Behörde die eigent - lich verordnende jedesmal von einer ſolchen Oppoſition verſtändigen und die Maßnahmen derſelben erwarten kann. Darnach läßt ſich auch ein zweckmäßiger Termin beſtimmen. Nur müßte dabei feſtgehalten werden, was das franzöſiſche Recht nicht unterſcheidet, daß eine Oppoſition bei Verordnungen und Vollziehungen, die keine dauernde, ſondern nur eine einmalige Leiſtung oder Ueberlaſſung des Einzelnen oder einen ſehr geringen Werth haben, mit der Klage zuſammenfallen kann. Man würde durch das erſtere erzielen, daß eine motivirte Erklärung der verordnenden Stelle ſchon an und für ſich den Proceß wohl in den meiſten Fällen beſeitigen würde.
6) Was nun das Urtheil im adminiſtrativen Proceß betrifft, ſo119 ſind folgende Punkte durch die Natur der Sache als maßgebend zu erkennen.
Zuerſt kann das Urtheil, wie ſchon erwähnt, niemals über die Ver - ordnung oder das Geſetz ſelbſt gefällt, ſondern das Verhältniß beider kann nur als Entſcheidungsgrund aufgeführt werden. Auf dieſen höchſt wichtigen Satz kommen wir ſpäter zurück.
Zweitens kann das Urtheil des Gerichts niemals über das Ver - hältniß der Vollziehung zur Verordnung gefällt werden, oder eine Entſcheidung darüber enthalten, ob die Behörde in Gemäßheit der Verordnung gehandelt habe. Es iſt das ein Satz, auf welchem die Möglichkeit des adminiſtrativen Proceſſes neben einer tüchtigen Ver - waltung überhaupt beruht. Die Frage, ob die wirkliche Thätigkeit der Behörde mit den Abſichten und dem Willen — der Verordnung — der Regierung übereinſtimmt oder nicht, kann nie Gegenſtand der Be - urtheilung eines Gerichts, ſondern nur der höhern Behörde ſelbſt ſein. Jede Klage iſt daher an und für ſich abzuweiſen, die ſich nur auf die möglichen oder zweckmäßigen Anſichten der verordnenden Gewalt beruft; hier beginnt das Gebiet des Beſchwerderechts. Das liegt im Grunde ſchon in der allererſten Forderung alles adminiſtrativen Proceſſes, daß die Klage ſich auf ein beſtimmtes, und zwar ſpeziell anzuführendes Ge - ſetz und nicht etwa auf eine Verordnung irgend einer Art berufen muß, um nicht ohne weiteres abgewieſen zu werden. Jedes Urtheil eines Gerichts daher, das dieß Verhalten des Beamten zu ſeinen Verord - nungen betrifft, iſt an und für ſich nichtig. Den Grund dieſes hoch - wichtigen Princips werden wir ſogleich darlegen.
Allerdings entſteht damit die Frage, ob dem Gerichte das Recht zuſtehe, über die Natur eines öffentlichen Aktes zu entſcheiden, ob der - ſelbe ein Geſetz oder eine Verordnung ſei. Dieſe Frage aber gehört nicht hierher, ſondern in das Competenzrecht, und es verwirrt alle Be - griffe, wenn man ſie in die Frage nach dem adminiſtrativen Proceß hineinzieht. Hier muß vor der Hand vorausgeſetzt werden, daß über Geſetz und Verordnung kein Zweifel beſtehe. Was zu geſchehen hat, wo dieſer Zweifel entſteht, muß an ſeinem Orte unterſucht werden.
Aus dieſen Sätzen ergeben ſich nun die folgenden Grundſätze für das Urtheil und ſein Recht im adminiſtrativen Proceſſe.
7) Wenn unter den obigen Vorausſetzungen nun ein Urtheil ge - fällt iſt, daß in Erwägung, daß die angezogene Verordnung mit dem gleichfalls angezogenen Geſetze in Widerſpruch ſtehe, die Handlung der Behörde, welche in Vollziehung der angezogenen Verordnung geſchehen, als eine zu Recht nicht beſtehende erkannt werde, ſo folgt daraus, daß das Urtheil, eben weil es nur auf die beſtimmte einzelne Handlung120 lautet, auch für Dritte kein Recht macht. Daſſelbe greift daher das Recht der vollziehenden Behörde, gegen Dritte dieſelbe Handlung zu vollziehen und Gehorſam von ihr zu fordern, nicht an, um ſo weni - ger, als ja über den Rechtsgrund ihrer Forderungen, die Verordnung ſelbſt, überhaupt kein Urtheil gefällt iſt und gefällt werden konnte; denn dieſe erſcheint ja nur in den Erwägungen als Entſcheidungsgrund.
Ebenſo wenig kann man ein consortium litis bei dem admini - ſtrativen Klagrecht einräumen, da jeder Einzelne als ſolcher Gegenſtand der Rechtsverletzung iſt. Daß übrigens eine juriſtiſche Perſönlichkeit gerade ſo gut als Kläger auftreten kann als der Einzelne, verſteht ſich von ſelbſt; wo aber eine vollziehende Handlung gegen eine juriſtiſche Perſönlichkeit geht, kann den einzelnen Mitgliedern weder ein Klag - recht zugeſtanden, noch ein beſonderes Urtheil für ſie gefällt werden.
8) Schwieriger iſt die Frage, ob der Kläger, der ein günſtiges Urtheil über die Ungeſetzlichkeit der Verordnung und mithin gegen die aus derſelben fließenden Vollzugshandlung erzielt hat, verpflichtet iſt, zum zweiten Male derſelben Verordnung Gehorſam zu leiſten. Wir müſſen dieſe Frage entſchieden bejahen. Denn das Urtheil hat ja über - haupt nicht die Gültigkeit der Verordnung zum Inhalt; bleibt ſie da - her gültig, ſo muß die Behörde ſie auch zum zweitenmal vollziehen, und die Pflicht des Gehorſams iſt damit klar, wobei natürlich der paſſive Widerſtand nicht ausgeſchloſſen iſt.
9) Der letzte und ernſteſte Fall iſt endlich der, wo die Ausführung einer, einem Geſetze entgegenſtehenden Verordnung einen dauernden Zuſtand herbeiführt, gegen den das öffentliche Klagrecht gebraucht wird, und wo daher das Petitum nicht mehr bloß auf Erſatz eines Schadens, ſondern auf die Aufhebung dieſes Zuſtandes, beziehungsweiſe auf die Einſtellung der zwar verordnungsmäßigen, aber geſetzwidrigen Voll - ziehung leiten muß. Hier muß das Gericht mit einem, auf gerichtliches Verbot dieſer adminiſtrativen Thätigkeit gerichteten Urtheil einſchreiten. Gibt nun ein ſolches Urtheil dem Einzelnen das Recht des Wider - ſtandes gegen die, vom Gericht als geſetzwidrig erkannte dauernde Voll - ziehung, oder, iſt die Pflicht zum Gehorſam in dieſem Falle durch das Urtheil aufgehoben?
Wir müſſen das entſchieden verneinen. Ein Widerſtand des Einzelnen gegen die vollziehende Gewalt wäre eben nichts andres als eine eigenmächtige Execution von Seiten des ſiegreichen Klägers gegen den Verurtheilten, die niemals berechtigt iſt; denn die Execution kann nur das Gericht führen. Vermag daſſelbe dieſe Execution nicht durch - zuführen, ſo iſt das allerdings ein Bruch des Rechts; das gibt aber noch dem Einzelnen nicht die Berechtigung, einen zweiten Rechtsbruch121 dem erſten hinzuzufügen. Hat derſelbe das Recht nicht einmal bei der querela denegatae justitiae, ſo hat er es gewiß noch weniger hier. Ihm bleibt nichts übrig, als eine Klage zu führen, und es iſt dann Sache der Gewalten, welche die Verantwortlichkeit verwirklichen, das Recht gegen die Verwaltung zu ſchützen. Vermag die es auch nicht, ſo iſt das eben ein öffentliches Unglück, das aber dadurch nicht beſſer wird, wenn das Individuum ein zweites hinzufügt, indem es ſich durch Weigerung des Gehorſams ſelbſt Recht verſchafft. Die Entwicklung der Grundſätze des öffentlichen Rechts ſetzen ja eben einen Rechtszuſtand voraus; der Grundſatz der Verweigerung des Gehorſams durch den Einzelnen würde ihn auch hier vernichten. Nicht in ihm, ſondern im organiſchen Zuſammenwirken der Gewalten muß hier daher Abhülfe ge - ſucht werden.
Dieß ſind nun die Grundſätze für das öffentliche Klagrecht. Andere Regeln treten für das Beſchwerderecht ein.
Wir müſſen in Betreff der bisherigen Auffaſſung aller dieſer Fragen, namentlich in Betreff der Adminiſtrativ - und Juſtizſachen, auf die Darſtellung am Ende des Beſchwerderechts verweiſen, die ſich beide nicht trennen laſſen. Ebenſo muß die ganze Frage nach den Competenzverhältniſſen definitiv hier fern gehalten werden; wir müſſen nothwendig vorausſetzen, daß eben Geſetz und Verordnung ſchon klar geſchieden vorliegen. Ohne das iſt das Klag - und Beſchwerderecht durchaus nicht klar darzuſtellen.
Ein von dem adminiſtrativen Klagrecht ganz weſentlich verſchiedenes Gebiet betreten wir nun mit dem Begriff und Inhalt der Beſchwerde. Eine Darſtellung des Weſens und Rechts der Beſchwerde iſt uns außer - halb der bürgerlichen Rechtspflege nicht bekannt. Wir müſſen daher auf die Sache genauer eingehen.
Während nämlich die Klage dadurch, und nur dadurch entſteht, daß ein Willensakt der vollziehenden Gewalt mit einem poſitiven Ge - ſetze in Widerſpruch tritt und in ſeiner Vollziehung das Recht des Ein - zelnen, welches von dieſem Geſetze geſchützt iſt, verletzt, kann ein zweites Verhältniß innerhalb der Vollziehung auftreten, welches gleichfalls zu einem Widerſpruch in der wirklichen Verwaltung führt.
An ſich iſt der Wille der vollziehenden Gewalt ein in ſich einheit - licher, wie der Staatswille überhaupt. So gut aber in dem letztern vermöge der Selbſtändigkeit des vollziehenden Willens ein Gegenſatz zwiſchen Geſetz und Verordnung entſtehen und zum Klagrecht führen kann, ſo gut erſcheint auch der Wille der erſtern in der Wirklichkeit als ein vielfacher, indem die einzelnen Organe ihn in ſich reproduciren, und122 ihren ſelbſtändigen Willen als den der vollziehenden Gewalt ſetzen müſſen. In dieſer unabweisbaren Selbſtändigkeit dieſer unendlich ver - ſchiedenen individuellen Formen des allgemeinen Willens der vollziehen - den Gewalt liegt nun die beſtändige Möglichkeit einer Differenz. Dieſe Differenz iſt ein Widerſpruch. Die Regierungsgewalt hat das Recht und die Pflicht, dieſen Widerſpruch zu beſeitigen. So lange derſelbe aber nur innerhalb des Organismus dieſer Gewalt erſcheint, gehört er dem Leben und dem innern Rechte deſſelben, das wir als das Staats - dienerrecht und das Recht der Oberaufſicht beim Selbſtverwaltungs - und Vereinsweſen unten betrachten werden. Wenn aber der Wille der Re - gierung als Vollziehung einzelner Handlungen gegen Einzelne er - ſcheint, wird es Sache des Einzelnen, ſich gegen dieſe Differenz zu ſchützen und diejenigen Schritte zu thun, welche die Harmonie des be - ſondern Willens der Verordnungsgewalt in ihrer Beziehung zum Ein - zelnen mit dem allgemeinen Willen derſelben in Beziehung zum Ganzen herſtellen. Die Geſammtheit dieſer Akte nennen wir die Beſchwer - den, und das Recht, dieſe Beſchwerden zu erheben, das Beſchwerde - recht.
Das Beſchwerderecht iſt demnach weſentlich verſchieden vom Klag - recht, und das Feſthalten dieſer Verſchiedenheit iſt die Vorausſetzung alles klaren Verſtändniſſes der einzelnen Punkte, welche den Inhalt dieſes Rechtes bilden.
Da nämlich die adminiſtrative Klage ſtets auf einem angenomme - nen Widerſpruch zwiſchen Verordnung und Geſetz, die Beſchwerde da - gegen auf einem Widerſpruch einer einzelnen Verordnung gegen die allgemeine, oder einer Verfügung gegen eine Verordnung, oder einer vollziehenden einzelnen Handlung gegen Verfügungen oder Verordnungen beruht, ſo ergibt ſich, daß die ganze rechtliche Grundlage beider Pro - ceſſe eine durchaus andere iſt, und daher eine Verſchmelzung von Klag - und Beſchwerderecht als vollkommen unzuläſſig und verwirrend aner - kannt werden muß. Die rechtliche Natur der Beſchwerde iſt aber folgende.
So lange die Verordnung nicht mit einem Geſetze in Widerſpruch tritt, ſo iſt dieſelbe unzweifelhaft allgemeiner Staatswille und hat da - her für ſich, ihre Natur und ihren Inhalt das Recht des Geſetzes zu fordern. Aus dieſem Princip des Rechts für alle Akte der voll - ziehenden Gewalt folgt nun, daß dieſelbe, ſo weit kein Widerſpruch mit einem formell gültigen Geſetze nachweisbar iſt, ihren Willen in jedem Augenblicke frei beſtimmen kann, und daß dieſe Beſtimmung für den Einzelnen das volle Recht des Geſetzes hat. Sie iſt daher an keinem Punkte und in keiner Zeit an ihren eigenen Willen gebunden; aber ſie123 hat das volle Recht, nicht bloß die allgemeine Verordnung durch ein - zelne Verordnungen, die einzelnen Verordnungen durch Verfügungen und Inſtruktionen jeden Augenblick zu ändern; ſie hat auch das Recht, den Willen und einzelne Handlung ihrer einzelnen Organe als ihren Willen anzuerkennen, ohne Rückſicht darauf, ob die letztere mit der Verordnung im offenſten Widerſpruche ſtehen. Es iſt kein Zweifel, daß der geſetzgebenden Gewalt daſſelbe Recht in Beziehung auf das geſetzliche Recht zuſteht; es kann und ſoll aber auch kein Zweifel ſein, daß der vollziehenden Gewalt für ihre Verordnungen, Verfügungen und ein - zelnen Aktionen genau daſſelbe Recht zugeſprochen werden muß. Und zwar iſt dieſe Forderung nicht etwa die Heiligung der Willkür. Sie iſt vielmehr ein organiſches, und darum unbedingt nothwendiges Prin - cip des Staatslebens. Denn die Vollziehung ſoll das Geſetz nicht etwa in abstracto verwirklichen, ſondern ſie ſoll es in den unendlichen Wechſel und die Vielgeſtaltigkeit des Lebens einführen. Sie ſoll nicht ſtarr die Lebendigkeit dieſer äußern Welt brechen, ſondern das Princip des Geſetzes mit den gegebenen Thatſachen und Lebensverhältniſſen zur Harmonie bringen. Sie muß daher fähig ſein, wie dieſes Leben ſelbſt, das niemals ſtill ſteht und ſich nirgends vollkommen gleich iſt, in un - endlich vielen und verſchiedenen Geſtalten aufzutreten, zu wechſeln und zu modificiren, wo ſie es für nöthig hält, und dadurch die Grundlage allen Erfolges, die innere Gleichartigkeit der handelnden Kraft mit der äußern lebendigen Welt ihrer Objekte hervorzubringen. Jene Rechte der vollziehenden Gewalt ſind daher durch das Weſen des Staatslebens ſelbſt bedingt; es iſt unmöglich, ſowohl ſie ihr zu nehmen als ſie zu beſchränken; daß die Vollziehung mitten in dieſem Wechſel den einheit - lichen Gedanken der Geſetzgebung feſthalte, dafür ſorgt das Princip der Verantwortlichkeit; ſo lange aber kein poſitives Geſetz jener lebendigen Thätigkeit entgegentritt, iſt die Verordnungsgewalt abſolut frei und ſelbſtbeſtimmt für alles, was als eine Aeußerung ihrer ſelbſt be - trachtet werden muß.
Daraus nun folgt der oberſte Grundſatz für das ganze Be - ſchwerderecht. Kein ausgeſprochener Wille der Regierung, keine Ver - ordnung, gibt einem Einzelnen ein Recht darauf, daß die Regierung dieſe Verordnung ihm gegenüber als wirklichen Inhalt ihres Willens anerkenne. Wenn daher eine Differenz zwiſchen Verordnung, Verfügung und Handlung ihrer Organe beſteht, ſo kann ſie nach eigenem Ermeſſen, gleich der geſetzgebenden Gewalt, die Ab - weichung der letztern von der erſtern unbedingt zu ihrem eigenen Willen machen. Es kann daher von einem, durch eine Verordnung erwor - benen Rechte des Einzelnen auf eine beſtimmte Geſtalt124 der wirklichen Vollziehung keine Rede ſein. Es iſt mithin ganz undenkbar, wegen einer ſolchen Differenz zwiſchen Verordnungen, Ver - fügungen und Handlungen eine Klage erheben zu können, welche ja unbedingt ein erworbenes Recht vorausſetzt. Sondern vermöge jener Freiheit der vollziehenden Gewalt kann, wenn der Einzelne durch eine ſolche Differenz ſich beeinträchtigt glaubt, nur ein Proceß eintreten, welcher die Uebereinſtimmung oder Nichtübereinſtimmung der den Einzelnen treffenden Handlung mit dem Willen der vollziehen - den Gewalt conſtatirt. Und dieſer Proceß iſt eben die Beſchwerde.
Dieſe Beſchwerde kann daher, ihrem eigenſten Weſen nach, gar nicht von einem Gerichte entſchieden werden. Der unauflösbare Wider - ſpruch, der hier in einer Thätigkeit des Gerichts läge, liegt auf der Hand. Das Gericht müßte dadurch das Recht bekommen, der Voll - ziehung das Feſthalten an dem, in ihrer Verordnung ausgeſprochenen Willen zur Pflicht zu machen, und für das Nichtfeſthalten — die Ab - weichung von demſelben — derſelben die Haftung zuzuſchreiben. Es leuchtet ein, daß ein ſolcher Satz das innerſte Weſen der Vollziehung vernichten und das ganze lebendige Staatsweſen gerade in dem Punkt tödten würde, wo es der Wirklichkeit angehört. Nur der entſchiedene Mangel an Verſtändniß des Staatslebens könnte eine ſolche Vorſtellung entſtehen laſſen.
Dennoch müſſen wir nicht bloß von einer Beſchwerde, ſondern von einem Beſchwerderecht reden, und dieſes ſogar als einen weſentlichen Theil des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts anerkennen.
Das Leben des Einzelnen, Grundlage und Ziel der Verwaltung im weiteſten Sinne, kommt nämlich mit der vollziehenden Gewalt als ſolcher nicht in Berührung, ſondern nur mit den Handlungen, durch welche ſie vermöge ihres Willens ihre Organe vollzieht. Jede ſolche Berührung beſchränkt immer die volle Freiheit der einzelnen Perſönlich - keit. Dieſe Beſchränkung iſt nur dann im Weſen des allgemeinen Rechts begründet, wenn ſie vom Staate und nicht vom Einzelnen ausgeht. Indem nun die Verantwortlichkeit die Identität des Geiſtes der Geſetze und der Vollziehung, das Klagrecht die Unverletzlichkeit der Geſetze gegenüber der Vollziehung, beide alſo die Harmonie zwiſchen Geſetz - gebung und Verwaltung ſichern, bleibt nur das Gebiet der Verſchieden - heit innerhalb des letztern; und die Sicherung daher, daß die in jeder vollziehenden Handlung liegende individuelle Beſchränkung ein wirk - licher Ausfluß der Vollziehung iſt, erſcheint damit als die letzte Gewähr für das Leben der Harmonie im Staate ſelbſt, und andererſeits des Einzelrechts gegenüber dem Einzelorgane der Verwaltung. Es ſteht da - her ſelbſtändig da, und fordert ſeine ſelbſtändige Darlegung.
125Die Grundſätze nun, welche aus dieſem Weſen der vollziehenden Gewalt und ihrer Verordnungen, Verfügungen und Handlungen für die Beſchwerde und ihr Recht entſtehen, ſind im Weſentlichen folgende.
1) Beſchwerde und Geſuch. Jede einzelne Aktion der Voll - ziehung kann offenbar zu der Verordnung, oder vielmehr allgemeiner zum Willen der vollziehenden Gewalt in einem doppelten Verhältniß ſtehen. Es iſt möglich, daß ſie dieſen Willen überhaupt mißverſteht, und daher nicht die wahre Abſicht der vollziehenden Gewalt im Allge - meinen ausführt; es iſt aber auch möglich, daß ſie dieſelbe wirklich voll - zieht, daß aber dieſe Vollziehung durch beſtimmte Verhältniſſe Folgen erzeugt, welche die Regierung entweder nicht vorausgeſehen hat, oder deren Nachtheil für den Einzelnen größer ſcheinen als der Vortheil für das Ganze, oder die endlich in einer, die gegebenen Zuſtände mehr ſchonenden Weiſe anders hätten vollzogen werden können. Das erſte iſt meiſtens dann der Fall, wenn die beſondern Verordnungen, Ver - fügungen oder Handlungen der vollziehenden Organe mit dem Wortlaute oder auch mit dem Sinn einer allgemeinen Verordnung im Wider - ſpruch ſtehen; das zweite dann, wenn zwar ein ſolcher Widerſpruch nicht vorhanden, aber das Einzelintereſſe in der Vollziehung nicht hinreichend berückſichtigt erſcheint. Im erſten Fall liegt die Möglichkeit eines un - richtigen Verfahrens von Seiten der einzelnen Organe, im zweiten die Möglichkeit einer größeren Berückſichtigung der Einzelintereſſen von Seiten der verordnenden Gewalt ſelbſt vor. Den Akt nun, durch den das Verfahren der einzelnen Organe in Harmonie mit dem Willen der verordnenden Gewalt gebracht werden ſoll, nennen wir die eigent - liche Beſchwerde; ihre Vorausſetzung iſt eine angenommene falſche Benützung der vollziehenden Gewalt; der Akt, der im zweiten Falle eintritt, iſt ein Geſuch; ſeine Vorausſetzung iſt eine nicht hinreichende Kenntniß oder Würdigung der Einzelintereſſen.
Daß im zweiten Falle kein Schritt bei dem Gerichte ſtattfinden, ſondern daß ein Geſuch unbedingt nur bei der Behörde eingebracht werden kann, iſt klar genug. Aber auch eine Beſchwerde kann nicht bei einem Gericht vorgebracht werden. Denn da ſelbſt bei formellem Widerſpruch zwiſchen den Vollzugsmaßregeln und der Verordnung die verordnende Gewalt ihren Willen geändert und gerade diejenige Voll - zugsform vorgeſchrieben haben kann, über welche die Beſchwerde geführt wird, ſo fehlt jeder Rechtsgrund für ein Urtheil des Gerichts, und nur die verordnende Gewalt kann über den Inhalt der Beſchwerde entſcheiden. Aber auch in dem Fall, wo die letztere der Beſchwerde zu - ſtimmt, und mithin einen Widerſpruch zwiſchen der Verfügung oder Handlung und der Verordnung als vorhanden erklärt, kann dennoch126 das Gericht nicht auftreten. Und zwar darum nicht, weil es immer ausſchließliche Sache der verordnenden Gewalt bleibt, den Grad zu beſtimmen, bis zu welchem jener Widerſpruch ſtattgefunden, und mithin eine Aufhebung des Vollzugsakts im Namen der Verordnung einzutreten, reſpektive eine Herſtellung des frühern Zuſtandes Platz zu greifen hat. Ein Urtheil des Gerichts wäre hier nur möglich, wenn ſich dieſer Grad objektiv beſtimmen ließe. Die Natur der Vollziehung ſelbſt ſchließt dieſe Beſtimmung aus, und mit ihr Klagrecht und gerichtliches Urtheil, und die Entſcheidung auf die Beſchwerde kann auch in demſelben Falle nur von der höhern verordneten Behörde gefällt werden. Nur wenn ein poſitives Geſetz hier eine Gränze beſtimmt, kann letzteres Platz greifen; bei Verordnungen gibt es eben kein Klagrecht.
2) Aus dieſem Weſen von Beſchwerde und Geſuch folgt nun zuerſt, daß bei beiden weder von einem Rechtstitel, noch auch von proceſſualen Formen, Terminen, Beweiſen u. ſ. w. die Rede ſein kann. Bei Be - ſchwerden und Geſuchen handelt es ſich überhaupt nicht um Rechte, ſondern um Intereſſen, ein Satz, den wir dem franzöſiſchen Ver - waltungsrecht verdanken, und über welchen man ſich in Frankreich voll - kommen klar iſt. Es gibt auch für die betreffende Behörde hier keine andere Pflicht, als die der Erwägung der Intereſſen, ſowohl des Einzelnen als des Staats. Die Entſcheidung ſelbſt iſt daher bei Be - ſchwerde und Geſuch an gar nichts gebunden, weder an die Ver - ordnung, noch an eine Thatſache, als eben an das, was im wahren Geſammtintereſſe gefordert wird. Es folgt daraus, daß derartige Ent - ſcheidungen nicht bloß bei äußerlich ähnlichen Fällen ganz widerſprechend lauten, ſondern daß ſie unbedenklich auch den Wortlaut früher erlaſſener Verordnungen aufheben, ja bei noch beſtehenden Verordnungen mit demſelben in direktem Widerſpruch ſtehen können. Es iſt nicht möglich, ſich dieſen ſtrengen Conſequenzen aus dem Weſen der vollziehenden Ge - walt zu entziehen. Es bedarf eben deßhalb kaum der Bemerkung, daß eine Entſcheidung auf eine Beſchwerde oder ein Geſuch nicht nur nicht den Gehorſam des Betreffenden aufhebt, wenn der gleiche Fall noch einmal eintritt, ſondern auch nicht für einen Dritten gilt. Die einzige Frage iſt die, ob eine ſolche wirklich gegebene Entſcheidung auf die Beſchwerde für den beſtimmten einzelnen, in demſelben bezeichneten Fall ein erworbenes, alſo ein vor Gericht mit dem Klagrecht zu ver - folgendes Recht bildet? Und dieß muß allerdings angenommen werden; denn die Verordnungsgewalt kann für den einzelnen Fall nicht mit ſich ſelbſt in Widerſpruch treten, und wird mit ihrer Entſcheidung ver - pflichtet, den Einzelnen gegen ihre eigenen einzelnen Organe zu ſchützen. Sie kann aber ſich auch nur für dieſen Fall binden. Iſt das127 Verhältniß eine ſich wiederholende Leiſtung, auf welche ſich Beſchwerde oder Geſuch bezogen, ſo kann wieder nicht das Gericht, ſondern nur die obere Behörde auf Grundlage einer neuen Eingabe im zweifelhaften Falle dieſen Punkt entſcheiden.
3) Die große Macht, welche auf dieſe Weiſe der vollziehenden Ge - walt gegenüber dem Einzelnen eingeräumt iſt, hat nun den Satz er - zeugt, daß eine ſolche Entſcheidung über die Intereſſen der Einzelnen im Verhältniß zur Vollziehung auch ſo fern als möglich von dieſen Intereſſen ſtehen, alſo nicht von den, der vollziehenden Handlung nahe ſtehenden Behörde endgültig gefällt werden dürfe. Man hat daher zwar kein eigenes Verfahren, wohl aber ein eigenes Syſtem von Organen aufgeſtellt, welche über jene Streitigkeiten zwiſchen Einzelnen und Be - hörden entſcheiden, und es iſt natürlich, daß ſich für die Behandlung ſolcher Fragen eine allgemeine und ziemlich feſte Uebung bildet, die man innehält, ohne jedoch an dieſelbe gebunden zu ſein. Mögen nun dieſe Organe und Uebungen ſein, welche ſie wollen, ſo gelten doch zwei formell unbedingte Grundſätze für dieſelben. Erſtlich gibt es im Be - ſchwerde - und Geſuchswege überhaupt keine Litispendenz, und mithin keine Siſtirung der Vollziehung, ſo wenig wie bei der Klage; zweitens iſt nicht einmal, wenn nicht eine beſondre Vorſchrift darüber beſteht, eine Pflicht zu einer formellen Entſcheidung auf dieſelbe nachweisbar — obwohl dieſelbe natürlich üblich ſein wird. — Daß von einer Friſt bei Eingabe einer Beſchwerde an ſich keine Rede ſein kann, iſt klar; zweckmäßig iſt es jedoch, eine ſolche vorzuſchreiben. Dennoch iſt die Be - hörde nicht an die Verſäumniß derſelben gebunden. — Ebenſo iſt es zweckmäßig, für gewiſſe Einzelne die Anlagen vorher zu beſtimmen. Gebunden an das Vorhandenſein derſelben iſt wiederum die Be - hörde nicht.
4) Von allen dieſen Grundſätzen ſind jedoch diejenigen Eingaben ausgeſchloſſen, zu welchen in Folge einer Aufforderung zur Contrahirung eines privatrechtlichen Vertrages, Lieferung ꝛc. von Seiten der Behörde die Einzelnen aufgefordert werden. Hier beginnt das Gebiet des Privat - rechts, gleichviel ob der Zweck des Vertrages in die Aufgaben der Verwaltung hineingehört oder nicht.
5) Da ſich nun auf der obigen Grundlage nicht bloß ein Syſtem von Entſcheidungsorganen und der Grundſatz gebildet hat, daß der Einzelne ſeine Beſchwerde oder ſein Geſuch in einer, der Appellation entſprechenden Stufenfolge von der niedern verordnenden Behörde bis zur höchſten Regierungsgewalt vorbringen kann, ſondern ſich auch durch die fortwährende Uebung und die innere Gleichartigkeit der Fülle eine Gleichartigkeit der Entſcheidungen von ſelbſt erzeugt, welche ſchwer zu128 überſehen iſt, ſo hat man den durch Beſchwerde und Geſuch entſtehenden Proceß gleichfalls als einen Zweig der Juſtiz, oder als ein Analogon derſelben betrachtet, und dieß Verfahren im Beſchwerdewege die Admi - niſtrativjuſtiz genannt. Es iſt das ein höchſt unglücklicher Aus - druck, den man — will man anders Klarheit in das bisher ſo ver - worrene Gebiet bringen — um jeden Preis endgültig beſeitigen müßte. Denn es iſt von einem Rechte oder gar von einer Juſtiz dabei gar keine Rede, und das Wort erweckt dennoch die Vorſtellung, als müſſe doch hier ein Juſtizverfahren eintreten. Wir werden ſchwerlich mit dem Ganzen eher zu einem Abſchluß gelangen, als bis wir dieſen Ausdruck mit dem der „ Juſtizſachen “und „ Adminiſtrativſachen “definitiv aus dem Sprachgebrauch tilgen. Man ſoll daher künftig nur von dem Gegenſatze des adminiſtrativen Klagrechts zu Beſchwerde - und Geſuchs - recht reden. Freilich gehört dazu eine feſte Beſtimmung von Geſetz und Verordnung, die wir ja wohl einmal bekommen, und das richtige Ver - ſtändniß des franzöſiſchen contentieux, das wir unten zu geben ver - ſuchen werden.
Wenn aus unſrer Darſtellung hervorgegangen iſt, daß das ganze Verhältniß der Thätigkeit der vollziehenden Gewalt auf dem formellen, und dieſe wieder auf dem tiefern organiſchen Unterſchiede von Geſetz und Verordnung, geſetz - geberiſcher und verwaltender Thätigkeit beruht, und daß zuletzt dieſer Unterſchied in dem durchgreifenden Unterſchiede des Klag - und des Beſchwerderechts zur Erſcheinung gelangt, ſo wird nun damit auch die Grundlage einer Vergleichung der Auffaſſung gegeben ſein, von welcher die drei großen Kulturvölker bei der Ordnung jener Fragen ausgegangen ſind. Dieſe Ordnung, wenn auch im Ein - zelnen vielfach unklar, hat dennoch eine Grundauffaſſung über das Verhältniß der vollziehenden Thätigkeit zu Recht und Verordnung zur Baſis. Eine Ver - gleichung iſt dann ſelbſt nur möglich, indem man die letzte auf die für alle gültigen, wenn auch mehr oder weniger entwickelten und ſo oder anders formell erſcheinenden von uns aufgeſtellten Kategorien zurückführt.
Da dieß hier zum erſtenmale verſucht wird, ſo mag mancher Irrthum und manche Unvollſtändigkeit entſchuldigt bleiben.
Im Allgemeinen iſt aber für alle drei Völker feſtzuhalten, daß ſich ſowohl das Bewußtſein als die poſitive Geſetzgebung über Klage und Beſchwerde, oder über das Verhältniß der Verordnung und der Vollziehung zum Geſetz einerſeits, und zu den einzelnen vollziehenden Akten anderſeits allenthalben nur lang - ſam entwickelt hat, und daß, wie es in der Natur der Sache ſelbſt liegt, dieſe Entwicklung im Weſentlichen bedingt iſt durch die formell gültige Unterſcheidung von Geſetz und Verordnung. Wir dürfen daher unſre Andeutung über die Ge - ſchichte des letzteren hier als bekannt vorausſetzen.
Das engliſche Staatsleben hat, da in ihm das Königthum nie ſo weit kam, die Berechtigung der ſtändiſchen Selbſtändigkeit zu vernichten, auch immer das Princip feſtgehalten, daß nur dasjenige für das Volk Gültigkeit habe, was durch ein Geſetz im eigentlichen Sinne befohlen ſei. Das engliſche Volk kennt daher urſprünglich den continentalen Begriff der Verordnungsgewalt überhaupt nicht, noch weniger den Begriff der ſog. proviſoriſchen Geſetze. Das engliſche Rechts - bewußtſein ſtellt ſich daher auf den ſcheinbar ſehr einfachen Standpunkt, daß jeder Akt eines Organs der Regierungsgewalt nichts anderes ſein kann und dürfe, als die beſtimmte Vollziehung eines Geſetzes. Der Rechtsgrund, vermöge deſſen dem Befehl des Beamteten Gehorſam geleiſtet wird, iſt immer ein Geſetz, das zu ſeiner Vollziehung eines ſolchen Befehles bedarf; es gibt über - haupt formell keinen Gehorſam gegen Beamtete, ſondern nur gegen Geſetze. Der Begriff der Verwaltung in unſerm Sinne exiſtirt für dieſen gar nicht, im Grunde auch nicht der Begriff der „ Obrigkeit “; das Organ der Regierung iſt nicht be - rechtigt, einen ſelbſtändigen aus dem Weſen und Leben des Staats hervorgehen - den Willen, eine Verordnung zu ſetzen; es iſt nur Richter, und ſeine Thätig - keit, der Inhalt der ganzen (amtlichen) Verwaltung iſt nur die richterliche Voll - ziehung der beſtehenden Geſetze. Damit iſt nun eine Grundlage gewonnen, die von der continentalen weſentlich verſchieden erſcheint, und die zuerſt wohl Montesquieu verſtand, als er als dritte Gewalt nicht etwa die Vollziehung im Allgemeinen, ſondern neben dem pouvoir législatif und judiciaire die „ puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit civil “aufſtellte (L. XI. Ch. VI. ) und dabei zugleich England als Muſter vorführt. Das Syſtem, welches ſich daraus ergeben hat, iſt nun leicht verſtändlich; dennoch iſt es kein Zweifel, daß wir dieß Verſtändniß erſt Gneiſt verdanken, der zuerſt in die Rechtsgeſchichte überhaupt die Geſchichte der Verwaltung hineingebracht hat, und damit der Schöpfer einer neuen und unmeßbar wichtigen Richtung geworden iſt. Uns bleibt nichts übrig, als uns hier wie im Folgenden an ihn anzuſchließen, wenn wir auch manches ein wenig anders zu ordnen gezwungen ſein werden, um das Ver - hältniß zu unſrer Auffaſſung klar hervortreten zu laſſen. Was Gneiſt ſchon in ſeinem Engl. Verfaſſungs - und Verwaltungsrecht (II, §. 73 ff. ) dargeſtellt hat, iſt in ſeiner kleinen Broſchüre: „ Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Geſetz verfaſſungsmäßig zu Stande gekommen iſt? “ (1863, S. 8 f.) zum Theil noch prägnanter zuſammengefaßt. Das Ergebniß iſt Folgendes. Das Organ, welches Recht ſpricht, iſt der Friedensrichter; der Friedensrichter iſt aber nicht bloß Richter, ſondern er iſt der örtliche Inhaber der geſammten königlichen Gewalt für ſeinen Bezirk. Er hat daher im Namen des Königs alle Funktionen dieſer königlichen Gewalt zu vollziehen, mithin auch die Akte der Verwaltung. Allein da der König ſelbſt doch nur im Namen der Geſetze verwalten kann, ſo erſcheint jeder Verwaltungsakt des Friedensrichters als ein Richterſpruch. Daraus folgen zwei große Grundſätze. Erſtlich, daß der Friedensrichter auch in ſeiner ganzen adminiſtrativen Thätigkeit gegenüber dem Einzelnen als Richter daſteht, und mithin jeder Akt ſeiner Verwaltung genau wie ein RichterſpruchStein, die Verwaltungslehre. I. 9130appellabel erſcheint; zweitens, daß er, da er ſelbſt ſeinen Willen ausführt, auch dem Einzelnen nach bürgerlichem Rechte haftet für jeden Befehl, deſſen Befolgung er erzwingt; und dieſe Haftung bedeutet ihrerſeits nichts als die Uebereinſtimmung dieſes Befehls mit dem geltenden Recht, dem Law of England. Aus dieſen beiden einfachen Grundlagen entwickelt ſich nun das Syſtem des richterlichen Verwaltungsrechts, von dem manche geglaubt haben, es ſei eigentlich das allein herrſchende in England. Daſſelbe iſt mit wenig Worten zu bezeichnen. Die erſte Folge jenes Princips iſt, daß jedem Einzelnen gegen jeden Ausſpruch des Justice of peace die Appellation zunächſt an die Quarterly session der Friedensrichter zuſteht; die zweite Folge iſt aber die, daß da das Recht des Friedensrichters überhaupt von der Krone ausgeht, die letztere auch das Recht behält, den Akt des Friedensrichters in jedem Augenblick demſelben ab - zunehmen, und durch ein höheres Gericht vollziehen zu laſſen. Ganz offenbar enthält dieſer zweite Punkt ſchon etwas, das über das eigentlich gerichtliche Verfahren hinausgeht; man ſieht ihm an, daß in ihm etwas anders lebendig iſt, als das bloße Urtheil, und daß dieſes Andere ſich allmählig zu einer ſelb - ſtändigen Potenz entwickeln muß. Dieſes Abberufungsrecht des Königs gegenüber dem Friedensrichter geſchieht durch das writ of certiorari. Es kann dieß writ of certiorari erlaſſen werden in Folge einer Berufung eines Einzelnen; es kann aber auch, und zwar ganz ohne beſondere geſetzliche Vorſchrift, erlaſſen werden von der Krone ſelbſt und ihrem Attorney general. Es erſcheint daher hier die obere Inſtanz in der Funktion einer oberaufſehenden Behörde über die Rechtspflege des Friedensrichters; die höhere Behörde tritt ſchon an die Stelle der höhern Inſtanz. Die zweite Form der Abberufung zeigt dieß jedoch noch deutlicher. Wenn der Friedensrichter diejenigen Akte nicht vornimmt, welche in ſeine Zuſtändigkeit fallen, ſo kann dieſe höhere Behörde oder Inſtanz, die Kings-Bench einen Befehl erlaſſen, durch welchen dem Friedensrichter oder den entſprechenden Behörden anbefohlen wird, „ Recht zu ertheilen nach ihren Amtsgewalten, wo ſolches verzögert iſt “(Blackſtone III, 110). Allerdings iſt die Vorausſetzung dabei immer, daß einem Geſetze nicht Genüge geſchieht; allein da der Friedensrichter zugleich die polizeiliche, alſo die Verwaltungsgewalt übt, ſo enthält das Mandamus ſeinem Weſen nach auch den Befehl, die durch die Er - forderniſſe der Verwaltung nöthig gewordenen Amtsthätigkeiten vorzu - nehmen, wobei er freilich nicht gegen das Law anſtoßen darf. Hier ſehen wir daher jenes zweite Element ſchon deutlicher eintreten. Die friedensrichterliche Gewalt iſt nur formell eine rein richterliche, in Wahrheit iſt ſie die Ver - ſchmelzung der Adminiſtration mit der Juſtiz, die zum förmlichen Syſtem erhoben iſt, und deren weitere Bethätigung wir ſogleich ſehen werden. Nur liegt das eigentlich Charakteriſtiſche dieſer, in ganz Europa bis zur neueſten Zeit geltenden Verſchmelzung beider Funktionen in England in dem - jenigen, was die meiſten davon abhält, ſie ſelbſt als vorhanden anzuerkennen: daß während im übrigen Europa durch dieſe Verſchmelzung die Juſtiz den Charakter der Adminiſtration annimmt, und damit ihren wahren Cha - rakter verliert, in England im Gegentheil die Adminiſtration den Cha - rakter der Juſtiz empfängt, und dadurch ihrerſeits ein weſentlich anderes131 Bild darbietet als auf dem Continent. Oder, um ſchon hier dieſe unglückliche Benützung jener Ausdrücke, die ſo unendlich viel Unklarheit in Wiſſenſchaft und Praxis hineingebracht haben, definitiv zu beſeitigen, daß während auf dem Con - tinent die Ausſprüche der Behörde auch dann, wenn ſie Urtheile über geſetz - liche Rechte enthalten, behandelt werden wie Verfügungen einer Verwaltungs - behörde, in England auch die Verfügungen der Verwaltungsbehörde behandelt werden wie gerichtliche Urtheile; und zwar darum weil hier wie dort dieſelben Organe zugleich Recht ſprechen und Verfügungen erlaſſen. Wo daher eine Be - ſchwerde hätte eintreten ſollen, da tritt in England eine Appellation ein, weil von jeder Verordnung angenommen wird, daß ſie nur der Vollzug eines Geſetzes iſt, während auf dem Continent, wo ein Klagrecht hätte eintreten ſollen, nur eine Beſchwerde zuläſſig wird, weil der Ausſpruch der Behörden nicht als Geſetz ſondern als Verordnung betrachtet wird. Man ſieht daher, daß das engliſche Recht zwar im Princip, nicht aber in der Ausführung dem continen - talen ganz gleichartig iſt; und das iſt es nun, was der zweiten Geſtaltung des engliſchen Rechts in dieſem Punkte ſeinen Inhalt gibt.
Offenbar nämlich mußte die Aufgabe des Friedensrichters, als Verwaltungs - behörde dennoch nur Juſtizbehörde zu ſein, zunächſt die erſte, ſchon oben be - zeichnete Folge haben. Der Friedensrichter mußte für jeden Erlaß demjenigen bürgerlich haften, den er zum Gehorſam zwang. Dieſer Grundſatz wird ganz offen anerkannt, und ſo entſteht das, was Gneiſt ſo ſchön als die ſtraf - rechtliche und die civilrechtliche Verantwortlichkeit der Friedensrichter darſtellt (§. 74. 75). Das wäre nun vollſtändig conſequent geweſen, wenn die Thätigkeit dieſes Organs auch wirklich nur eine judicielle, oder daſſelbe nur die reine, zu keiner ſelbſtändigen Willensaktion in einer Verordnung berechtigte Be - hörde für die Vollziehung geweſen wäre. Allein der Friedensrichter ſollte zu - gleich die Verordnungsgewalt handhaben. Dadurch entſtand nun natürlich der Widerſpruch, daß das Klagrecht auch auf denjenigen Punkten berechtigt erſchien, auf welchem der Natur der Sache nach nur die Beſchwerde zuläſſig ſein kann. Um dieſer Klage zu entgehen, mußte der Friedensrichter daher für jede Verordnung ein poſitives Recht anführen können, deſſen ſtrenge Ausführung dieſe Verordnung enthalten ſollte. Konnte er das nicht, ſo war er natürlich ſachfällig, mochte ſonſt die Verordnung auch noch ſo nothwendig erſcheinen. Das nun machte ſelbſtverſtändlich den ganzen Theil der Verwaltung, der nun einmal auf den Verordnungen beruht, im höchſten Grade gefährlich für die Friedens - richter als Verwaltungsbehörde, und ſetzte ihn jedenfalls namentlich da, wo er mit reichen und mächtigen Männern zu thun hatte, weitläuftigen und ſchwierigen Proceſſen aus. Der Widerſpruch, das Beſchwerderecht nur als Klagrecht zur Geltung bringen zu wollen, erzeugte ſomit eine große Unſicherheit in der Voll - ziehung überhaupt. Das engliſche Leben ward dadurch gezwungen, einen Weg zu finden, der, ohne das Princip der richterlichen Thätigkeit und das der ſtrengen Geſetzmäßigkeit der Verwaltung zu brechen, dennoch jenem Bedürfniß Rechnung tragen konnte. Wie dieß geſchehen iſt, hat Gneiſt theils in ſeinem großen Werke, theils in dem angeführten Gutachten ſehr ſchön dargeſtellt, obgleich wir durch - aus nicht mit ihm darin übereinſtimmen können, daß dieß eine „ Jurisdiction132 über das öffentliche Recht “geworden ſei, ſondern es iſt vielmehr gar nichts anders als die geſetzliche Uebertragung der Verordnungsgewalt an die richterliche Behörde, allerdings „ grundſätzlich immer mit einer concurrirenden Gewalt der Reichsgerichte “(Bd. II. §. 73 und Gutachten S. 9), nur daß dieſe Gewalt auf dieſem Gebiete in der That keine richterliche, ſondern eine Verwaltungsgewalt der höhern Gerichte, d. i. unſere „ Adminiſtrativ - juſtiz “iſt. Es entſteht nämlich, ſobald man empfindet, daß die Friedensrichter eine das wörtliche Geſetz erſetzende und erfüllende Verordnungsgewalt haben müſſen, allmählig das, was Gneiſt „ eine Deklaration der Weiſe und der Schranken für die Ausübung der Polizei -, Finanz -, Militärhoheit “nennt, und deren einzelne Fälle in II. 17. 19. 35. 64. 73. 91. 93. aufführt. Nur ward den Friedensrichtern dieſe Gewalt als ſolche nicht gegeben, ſondern man nahm ſie als ihnen zuſtehend an, beſtimmte aber, und das iſt der Kern der Sache, daß auch da, wo kein ausdrückliches Geſetz den Friedensrichter in ſeinen ordres ſchützt, derſelbe dennoch nur dann verurtheilt werden ſoll, wenn er einen Akt erlaſſen hat, der „ maliciously “und ohne „ reasonable and probable cause “vorgenommen iſt; das muß der Kläger in ſeiner Klagſchrift ausdrücklich an - führen und auch beweiſen; ſchon im Falle eines unvollſtändigen Beweiſes er - folgt Freiſprechung. Die hieher gehörigen Grundſätze haben ſich im Laufe der Jahrhunderte langſam durch die Praxis ausgebildet, und ſind in neueſter Zeit durch die Act. 11. 12. Vict. c. 44 (An act to protect Justices of the Peace from vexatious actions for acts done by them in execution of their office) 11. Aug. 1848 zu einem ausführlichen Geſetz formulirt. Es iſt gar kein Zweifel, daß hier die Form eines bürgerlichen Proceſſes mit gewöhnlicher Klage, aber das Weſen einer Beſchwerde vorliegt, und daß das Urtheil der höhern Inſtanz, welches mithin hier nicht mehr auf dem Verhältniß der Ordre des Justice of the Peace zu einem poſitiven Geſetz, ſondern auf der adminiſtrativen Zweck - mäßigkeit der Verordnung an ſich — die reasonable cause — geradezu ein adminiſtratives Urtheil über eine Beſchwerde iſt.
Faßt man nun das bisher Geſagte zuſammen, ſo ergibt ſich für engliſches Klag - und Beſchwerderecht folgendes Syſtem, das jetzt, wie wir glauben, leicht verſtändlich ſein wird. Es gibt der Form nach gar keinen Unterſchied zwiſchen Klagrecht und Beſchwerderecht, und in dem Geiſte des Volkes beſteht auch ma - teriell ein ſolcher nicht. Denn jeder Akt der verwaltenden Gewalt ſteht unter dem, für alle gleichmäßig gültigen Klagrecht, und für jeden Akt tritt die ſtraf - rechtliche und bürgerliche Haftung des vollziehenden Organs in Folge des rich - terlichen Spruches ein. Aber das Gericht entſcheidet ſelbſt theils als Gericht, wo es ſich um die Uebertretung eines Geſetzes durch die Verordnung handelt, auf Grundlage des beſtimmt anzuführenden law of England im weiteſten Sinne — theils iſt es nicht Gericht, ſondern höhere Verwaltungsbehörde, wo nämlich der Grund der Vollziehung nicht mehr ein geltendes Recht, ſondern eben eine Forderung des öffentlichen Intereſſes iſt — die reasonable cause. Die Ver - ſchmelzung der Juſtiz und Adminiſtration iſt hier daher nicht etwa aufgehoben, ſondern grundſätzlich und ſyſtematiſch durchgeführt, und wird nur darum weniger gefühlt, weil die Geſetzgebung, und zwar namentlich die geſetzliche133 Verordnungsgewalt der Selbſtverwaltung, eine ſo ausführliche und thätige iſt, was eben ſeinerſeits wieder den Grund dafür abgibt, daß der Verwaltungs - organismus des Staats eine verhältnißmäßig ſo höchſt unvollkommene Aus - bildung erfahren hat. Man kann daher auf Englands Zuſtände weder den fran - zöſiſchen Begriff des Contentieux anwenden, noch den deutſchen der Admini - ſtrativ - und Juſtizſachen, und daß man das nicht kann, iſt auch der Grund, weßhalb man Englands Verordnungsrecht weder in Frankreich noch in Deutſch - land bis auf Gneiſt verſtanden hat. Nur der Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung und der Unterſchied von Klage und Beſchwerde, ſtrenge und im Princip durchgeführt, zeigt uns das wahre Weſen der engliſchen Zuſtände, die wiederum alle bürgerliche Freiheit ertödtet hätten, namentlich in den untern Sphären des bürgerlichen Lebens, wenn nicht die Thätigkeit und die geſetzliche Verordnungsgewalt der Selbſtverwaltung in allen Gebieten der öffentlichen Zuſtände jener Verordnungsgewalt der Friedensrichter nur einen ſo engen Raum übrig gelaſſen hätte. Eben das iſt auch die, nirgends in dem Maße ſo ent - ſcheidend hervortretende Bedeutung des selfgovernment in England, von dem wir ſpäter zu reden haben. Es iſt gerade darum die Baſis der engliſchen Freiheit, weil das Verordnungsrecht Englands noch immer — und wohl für immer — auf der Verſchmelzung der Juſtiz und der Adminiſtration beruht.
Ein weſentlich verſchiedenes Bild — aber dennoch auf derſelben feſten Grundlage des Klag - und Beſchwerderechts — bietet uns nun Frankreich dar.
Wenn wir oben geſagt haben, daß Englands Verordnungsrecht und die ganze Stellung des Friedensrichters gar nicht zu verſtehen iſt ohne die engliſche, beſtändig thätige Selbſtverwaltung, ſo iſt andererſeits die franzöſiſche jurisdiction administrative nur als der wir möchten ſagen bürgerlich rechtliche Ausdruck der franzöſiſchen Staatsidee zu begreifen.
Frankreichs ganze Geſchichte zeigt uns ſo weit wir blicken einen beſtändigen und zum Theil verzweifelten Kampf des neutralen Königthums mit der ur - ſprünglich in Frankreich ſo gut als in Deutſchland geltenden lehensherrlichen Selbſtändigkeit. In dieſem Kampfe handelt es ſich eigentlich keineswegs um gewiſſe allgemeine Principien und abſtrakte Rechtsgrundſätze. Wir ſehen viel - mehr gleich von Anfang an das Königthum ſich mit ſeinen Beamteten umgeben, und die Monarchie mit einem Syſteme von Organen umfaſſen, die im Namen der souveraineté das höchſte Recht im Reiche zu verwalten hatten. Ich darf dabei wohl auf meine franzöſiſche Rechtsgeſchichte verweiſen, in der dieſer Ent - wicklungsgang ſeit dem 13. Jahrhundert, wie ich glaube, ſo weit es innerhalb beſchränkten Raumes möglich war, an den baillis, sénéchaux etc. nachge - wieſen, und zugleich gezeigt iſt, wie ſich dieſer königlichen Gewalt naturgemäß die Communes anſchloßen, die im Königthum ihre weſentliche Stütze gegen die Lehensherrn fanden. Die königliche Gewalt und mithin namentlich die allgegen - wärtige und einheitliche Funktion der großen königlichen Beamteten war daher134 die Quelle der Einheit; in ihr war die wahrhaft ſtaat - und rechtbildende Potenz gegeben, ſie war das eigentliche Frankreich. Sie hatte daher in Frankreich eine ganz andere Funktion als in England. Sie ſollte nicht bloß Ruhe und Ordnung erhalten und ſchaffen, ſondern ſie ſollte in der That die Staatsidee ſelbſt, gegenüber dem gegebenen Lehenrecht zur Verwirklichung bringen. Sie trat damit nicht etwa mit ihren einzelnen Thätigkeiten, ſondern ſie trat mit ihrem ganzen Lebensprincip der Lehens - und Grundherrlichkeit entgegen; ſie konnte grundſätzlich die Rechtsanſchauungen, welche aus dieſen hervorgingen, für ſich gar nicht anerkennen; ſie bildete eine Welt für ſich, getragen in der Thätigkeit und dem Rechte aller einzelnen königlichen Organe. Die natürliche Folge davon war, daß ſie die Gerichtsbarkeit der aus dem Lehensrecht und der feudalen Selb - ſtändigkeit der einzelnen Provinzen hervorgegangenen Gerichte für dieſe ihre Thätigkeit unmöglich anerkennen konnte; ſie durfte in dem Widerſpruch der letzteren mit dem beſtehenden Recht kein Unrecht anerkennen, ohne mit ſich und ihrer ganzen Miſſion ſelbſt in Widerſpruch zu gerathen; ſie mußte daher eine Rechtswelt für ſich bilden und dieſe Rechtswelt für ſich auch verwalten, ohne ſich dem bürgerlichen Gerichte zu unterwerfen. Schon ſehr frühe nun mußte ſich allerdings für dieſe, der königlichen centralen Gewalt eigenen, in ihren Beam - teten vertretenen Rechtsordnung ein gewiſſes Rechtsprincip, ein höherer gemein - ſamer Rechtstitel bilden, der dieſelben von dem bürgerlichen Rechte ſchied und das Maß der Unterordnung des hiſtoriſchen Rechts unter das königliche abgab. Dieſes Princip ward, wie es in ſolchen Fällen immer geſchieht, Jahrhunderte lang mehr gefühlt als formulirt; es war der Gedanke, daß die Bedingungen und Intereſſen der Einheit und Gemeinſamkeit, wo ſie mit dem geltenden Recht in Colliſion kamen, ſich das letztere im Namen Frankreichs unterordneten. Die tiefe Wahrheit, die in dieſem Gedanken lag, ward nun aber zum Untergang der Freiheit dadurch, daß das franzöſiſche Volk als Ganzes ſeine Geſetzgebung ſchon mit dem 15. Jahrhundert verlor, und die Unfreiheit der landesherrlichen Selbſt - verwaltung eine ſelbſtändige Thätigkeit der Gemeinden ſo gut als ganz un - thunlich machte. Die königliche Gewalt mußte daher — und gerne genug that ſie es — die geſetzgebende Funktion des Parlaments und des selfgovernment Englands übernehmen und ſich mithin ihr eigenes Recht bilden. Dieſem Princip gegenüber erhielt ſich nun die feudale Selbſtändigkeit weſentlich in dem Syſtem der franzöſiſchen Parlamente. In ſie flüchtete ſich gleichſam der Grundſatz, daß die Geſammtheit des Volkes ein Recht auf Theilnahme an der geſetzgebenden Gewalt habe, und daß daher auch gegenüber der Verordnungsgewalt des könig - lichen Organismus das beſtehende Recht durch die bürgerlichen Gerichte ver - mittelſt des Klagrechts noch eine Vertretung finde. Auf dieſem Grunde beruht die neuere Verfaſſungsgeſchichte ſeit der Mitte der 17. Jahrhunderts. Unter Ludwig XIV. geht die ſtändiſche Theilnahme — das Recht der États provinciaux und États de France an der geſetzgebenden Gewalt zu Grunde, und das Wort: l’État c’est moi! bedeutete daher in Wahrheit durchaus nicht, daß der König der Staat, ſondern daß er der Herr der Stände ſei. Unter Ludwig XV. verſuchen die Parlamente den Kampf aufzunehmen, indem ſie das gerichtliche Verfahren auf Grundlage einer Verordnung verweigern, und den Grundſatz135 aufſtellen, daß, wie wir jetzt wiſſenſchaftlich ſagen müſſen, eine Verordnung nur dann ein Geſetz wird, wenn das Parlament ſie als Geſetz anerkennt. Dieſe Anerkennung geſchah dann förmlich durch die Eintragung in die Bücher der Parlamente, oder durch das Enregistrement. Das Recht der Parlamente ward nun zwar vom Könige anerkannt, aber derſelbe behielt ſich das Recht vor, die Enregistrement auch gegen den Willen des Parlaments zu befehlen, und damit ſeiner Verordnung die Kraft eines Geſetzes zu geben. Das geſchah durch das ſogenannte Lit de justice. So ward die Selbſtherrlichkeit des Königthums hergeſtellt; aber eben in den Parlamenten blieb die Idee des Geſetzes im Gegen - ſatz zu der Verordnung lebendig, und von dieſem Geſichtspunkte müſſen die Er - ſcheinungen unter Ludwig XVI., die Ereigniſſe unter Meaupou und Maurepas erklärt werden, was uns hier zu weit führen würde. Jedenfalls aber leuchtet es ein, daß in dieſem zum Theil ſehr ſcharfen Gegenſatze die verordnende und vollziehende Gewalt des königlichen Organismus, wenigſtens ſo weit ſich dieſelbe auf ſtaatliche Rechte und Intereſſen bezog, ſich dem Syſtem jener bürgerlichen Gerichte unmöglich unterwerfen konnte, wenn ſie nicht der unzweifel - haften Verurtheilung gewiß ſein wollte. Sie mußte daher, indem ſie dem letztern das rein bürgerliche Recht als ihre Domäne überließ, das öffentliche Recht, als ganz in ihrer ausſchließlichen Competenz liegend, aufſtellen, und dieß mit ihren eigenen Organen verwalten. So entſtanden ſchon lange vor der Revolution zwei große, ſelbſtändige, principiell von einander geſchiedene Rechts - gebiete; und nun muß man die Thatſache feſthalten, daß die Revolution dieſes Frankreich eigenthümliche Verhältniß weder geſchaffen noch geändert, ſon - dern es nur ſcharf und geſetzlich formulirt hat, und daß noch gegen - wärtig der geſammte öffentliche Rechtszuſtand der Verwaltung nichts anderes iſt, als eine organiſche Ausbildung des obigen Verhältniſſes. Wir müſſen daher die Idee des franzöſiſchen Verordnungsrechts und des Contentieux weder mit England noch mit Deutſchland vergleichen; wir müſſen ſie vielmehr aus der Staatsidee Frankreichs — in der That eben das, was wir die Individualität dieſer ſtaatlichen Perſönlichkeit nennen müſſen — entwickeln. Ihr innerer Zuſammen - hang mit den Grundſätzen des revolutionären Rechtslebens iſt folgender.
Die Revolution, indem ſie die Idee der ſtaatlichen Einheit Frankreichs unbedingt annimmt, ſtellt den Grundſatz auf, daß dieſe Einheit nicht mehr im Königthum, ſondern in der „ Nation “ruhe; „ la souveraineté appartient à la nation, elle est une et indivisible. “ Alles pouvoir exécutif geht von dieſer, das Königthum vertretenden Nation aus, die Folgen dieſes Princips greifen ſofort auf das Tiefſte ins Verwaltungsrecht hinein. Die Nation macht aller - dings das Geſetz, die loi. Allein das kann auch eben nur die Nation als volonté générale; ihr Recht darauf iſt un, indivisible; mithin iſt grundſätzlich jeder ſelbſtändige Wille eines Theiles oder Gliedes des Ganzen, und mit - hin auch die ſelbſtthätige Willensbeſtimmung der Selbſtverwaltung ausge - ſchloſſen; es gibt nicht bloß keine Selbſtverwaltung in Frankreich, es kann keine geben; ſie iſt ihrem innerſten Weſen nach im Widerſpruch mit der fran - zöſiſchen Staatsbildung; die weitere Folge davon iſt, daß allerdings das pouvoir exécutif dem Geſetze zu gehorchen hat; wo aber ein Geſetz eben nicht exiſtirt,136 oder wo die sonveraineté der Einheit mit der Auslegung des Geſetzes in Col - liſion kommt, da muß die vollziehende Gewalt ſich ſelbſt ihre Rechtsordnung bilden und verwalten. Die Geſammtheit dieſer, die Verordnung und Voll - ziehung umfaſſenden Thätigkeiten iſt nun der ächt franzöſiſche Begriff der administration. Dieſelbe bedeutet demnach keineswegs bloß die Vollziehung des Geſetzes, ſondern ſie iſt die Verwirklichung der souveraineté une et indivisible, der Staatsidee, des Staatsintereſſes gegenüber auch dem bürgerlichen Rechte. Wo beide in Conflict mit einander gerathen, da muß mithin das Einzelrecht dem öffentlichen Recht, das Einzelintereſſe ſich dem öffentlichen In - tereſſe unterordnen, und da nun der Organismus der Adminiſtration der Träger und Vertreter dieſes öffentlichen Rechts und Intereſſes gegenüber eben dem Einzelnen iſt, ſo muß derſelbe auch das Recht haben, das Maß dieſes öffent - lichen Rechts und Intereſſes zu beſtimmen, d. h. die Verordnungsgewalt geht demnach ſo weit, wie das öffentliche Intereſſe es fordert. Damit erhält die Adminiſtration ein, auf ihrer Auffaſſung des öffentlichen Intereſſes beruhendes Recht; und da nun die Gerichte nur über das poſitive Geſetz entſcheiden, ſo folgt, daß es jetzt nach der Revolution eben ſo unmöglich iſt, ihnen eine Juris - diction über die obige Verordnungsgewalt der Verwaltung ein - zuräumen, als es das vorher war. Das droit administratif bildet daher einen Körper für ſich; es iſt das, durch die Verordnungsgewalt beſtimmte, in den Verordnungen enthaltene Recht des öffentlichen Intereſſes gegenüber dem Einzelnen, oder, wie Block es in ſeinem Dictionnaire kurz und klar definirt: „ Le droit administratif est cette partie du droit qui règle les rapports des citoyens avec les services publics et des services publics entre eux “und (v. administration) „ l’administration est chargée des intérêts généraux tandis que la jusctice a pour mission la solution des difficultés qui s’élèvent entre des intérêts privés “(ſ. auch oben unter Verwaltungsrecht).
Die Folge dieſes Grundſatzes war zuerſt, daß eine objektive Gränze zwiſchen Geſetz und Verordnung für die Verhältniſſe, in welchen intérêts publics und privés einander berühren, nicht gefunden werden konnte. Denn eine Menge der letzteren, ſelbſt wo ſie vom Geſetz geordnet ſind, fiel natürlich unter die erſteren; hätte man daher das Princip durchführen und für jede Aktion der Adminiſtration ein Klagrecht einräumen wollen, wo ein geſetzlich anerkanntes Privatrecht exiſtirte, ſo würde man die Funktion der einheitlichen Adminiſtration damit im Geiſte der franzöſiſchen Staatsbildung eigentlich vernichtet haben. Die franzöſiſche Geſetzgebung kam daher ſchon unter der Revolution zu dem ſtrenge formulirten, im Geſetze vom 17 — 22. Auguſt 1790 ausgeſprochenen Grundſatz, daß das Gericht niemals über Handlungen der Adminiſtration urtheilen könne und dürfe (ſ. oben). Dieſer Grundſatz wird nun ganz entſchieden feſtgehalten; das Princip des franzöſiſchen Verwaltungsrechts iſt daher: es gibt kein bür - gerliches Klagrecht gegen die Verordnungen.
Natürlich folgte nun aus dieſem Satze, daß, da man die Verordnungen denn doch nicht ohne Recht laſſen wollte und konnte, nun ein eigenes und ſelbſtändiges Gebiet des Verordnungsrechts neben dem Gebiete des bürger - lichen Rechts entſtehen mußte. Und zwar enthielt dieß Gebiet nicht bloß das137 Verhältniß der Verfügungen zu den Verordnungen, ſondern auch alle diejenigen Fälle, in welchen die Verordnungen des Amts das geſetzliche Recht des Ein - zelnen im öffentlichen Intereſſe berühren. Dieß Verhältniß nun wird auf die klarſte Weiſe ſeit dem Anfange dieſes Jahrhunderts anerkannt. Die Thätigkeit der Amtsgewalt iſt dem Gerichte entzogen und der Entſcheidung der höhern Stellen ausſchließlich übergeben (ſ. oben). Schon die Const. de l’an VIII ſagt im Art. 75: les agents du Gouvernement ne peuvent être poursuivis pour les faits rélatifs à leur fonctions qu’en vertu d’une décision du Con - seil d’État (ſ. unten das Weſen des Conseil d’État). Allerdings ſagt Laferrière (Droit administratif I. Ch. II. ): „ Cet article n’est pas réproduit dans la Consti - tution de l’an 1830, mais il est dans nos moeurs publiques. “ Uebrigens hat das Decret vom 25. Januar 1852 unter dem Conseil d’État ihn doch anerkannt.
Innerhalb dieſes Gebietes entſtand dann, da man es als einen ſelbſtändigen Rechtskörper anerkannte, nun auch die Nothwendigkeit, ein ſelbſtändiges Syſtem des Verfahrens für die Einzelnen aufzuſtellen und zwar mit einer dem pro - ceſſualen Verfahren nachgebildeten Ordnung der einzelnen Akte, ſowie mit einer förmlichen Organiſation des Conseil d’État als entſcheidender Behörde. Die Ge - ſammtheit dieſer Organiſation bildet nun das, was die Franzoſen die jurisdiction administrative nennen. Die Geſammtheit der Fälle, welche unter die juris - diction administrative gehören, bilden das Gebiet des contentieux. Das Contentieux unterſcheidet ſich nun von dem Klagrechte dadurch, daß es eine ganze Menge von Fällen enthält, die unzweifelhaft dem bürgerlichen Rechte gehören, die aber durch den oben bezeichneten Entwicklungsgang des droit ad - ministratif der Verwaltung überwieſen ſind; obgleich ſie alſo ihrem Weſen nach ein Klagrecht enthalten, ſind ſie dennoch in Frankreich geſetzlich oder durch Gebrauch auf den Weg der Beſchwerde angewieſen; oder, gegen die Ver - ordnungen gibt es in Frankeich, ſoweit ſie im intérêt public erlaſſen ſind, überhaupt ſtatt des Klagrechts nur das Beſchwerderecht des Contentieux.
Daraus folgt dann zuerſt eine vollkommene, von allen franzöſiſchen Rechts - lehrern anerkannte Ungewißheit über die Gränze des droit administratif und des contentieux. Denn es iſt natürlich vollſtändig unmöglich, die Scheide - wand zwiſchen dem intérêt privé und général, welche die Gränze des droit ad - ministratif enthält, objektiv feſtzuſtellen. Der erſte Blick in jedes Lehrbuch be - weist dieß. Es folgt zweitens daraus, daß in Frankreich der Streit zwiſchen Verwaltung und Gericht ein ſtehender Zuſtand iſt, und daß der Conflit de compétence (ſ. unten) nicht mehr als Ausnahme, ſondern als ein organiſches Element der Adminiſtration aufgenommen und ſehr ſcharf ausgebildet iſt; denn in der That iſt der Begriff des intérêt public ſo unbeſtimmt, daß ſich nirgends eine Gränze für daſſelbe ziehen läßt. „ Le contentieux administratif “ſagt Vivien (Etudes adm. I. 125) „ se compose de toutes les réclamations fondées sur les violations des obligations imposées à l’administration par les lois et règlements qui la régissent, ou par le contrat qu’elle souscrit. “ Man kann die Unbeſtimmtheit nicht beſtimmter ausdrücken. Auf demſelben Stand - punkt ſteht Frankreich auch gegenwärtig, wie Laferrière (Droit adm. L. III. Ch. III. ) zeigt. Es hilft nicht viel, wenn man mit ihm ſagt: Le contentieux138 administratif a sa nature propre, il est sui generis. Es folgt aber drittens, daß damit auch das Beſchwerderecht ſelbſt, da es nunmehr eine Menge von geſetzlichen Anſprüchen zu vertreten hat, ſehr genau ausgebildet und zu einem förmlichen Verfahren mit einer eignen ſogenannten Jurisprudence ge - worden iſt. Man kann, wie man ſieht, dieß weite Gebiet nicht kurz abthun; es muß genügen, den Geiſt des franzöſiſchen Beſchwerderechts bezeichnet zu haben. Es erklärt ſich aber eben aus dieſer Stellung des letztern, daß ſich allmählig eine Reihe von Grundſätzen feſtgeſtellt haben, welche als Baſis der Scheidung des droit administratif von dem droit civil betrachtet werden, und daher die Principien für die Entſcheidung der Frage abgeben, wann eine Beſchwerde auch bei verletztem bürgerlichem Recht ſtatt einer Klage einzubringen iſt. Dieſe ziemlich allgemein anerkannten Grundſätze, die Gränze des Beſchwerderechts ent - haltend, ſind folgende: eine Beſchwerde iſt zuläſſig und geboten: 1) quand il y a un act spécial ou un fait particulier d’administration; 2) quand la réclamation est fondée sur un droit acquis; 3) quand la réclamation se rapporte à un intérêt de l’ordre administratif (ſ. u. A. Laferrière Vol. II, L. III. Ch. III.) Fügt man indeß hinzu, daß Laferrière allein ſechs Claſſen von intérêts de l’ordre administratif entwickelt, ſo begreift ſich, daß die Zu - ſtändigkeit des bürgerlichen Gerichts faktiſch, wie geſagt, vollſtändig ausge - ſchloſſen iſt, ſo wie es ſich um irgend eine Verordnung der Adminiſtration auch bei dem unbezweifeltſten geſetzlichen Rechte handelt oder, nach Laferrière, „ ne sont point soumis au recours par la voie contentieuse — les ordon - nances ou arrêtés règlementaires qui préscrivent des mesures d’administration publique, de police, et d’organisation ou division administrative; les rè - glements qui concernent les intérêts collectifs (?) de l’agriculture, du commerce, de l’industrie; les actes du pouvoir discrétionnaire de l’administration, qui peuvent blesser des intérêts sans lésir des droits acquis. “ In allen dieſen Fällen gibt es alſo überhaupt kein Beſchwerderecht, geſchweige denn ein Beſchwerde - recht der voie contentieuse; es gibt nur noch die voie gracieuse, das Recht des Geſuchs. Natürlich machen dieſe Beſtimmungen den ganzen Werth der in der ſtrengen Ordnung des franzöſiſchen Beſchwerderechts am Ende liegt, wieder illuſoriſch, und die Juriſten haben daher von jeher verſucht, jenem droit de la voie contentieuse, die am Ende mehr im Rechte als im Verfahren mit dem Klagrecht im Widerſpruch ſteht, gegenüber der voie gracieuse Boden ab - zugewinnen. Dieß Streben, das ſolche Forderungen auf Rechtsgründe zurück - führen wollte, iſt es dann wieder, welches die Lehre vom droit administratif in Frankreich viel weiter ausgebildet hat, als in irgend einem Lande der Welt, und welches bei der theoretiſchen Auffaſſung der Verwaltung gerade in Frank - reich den Geſichtspunkt des Rechts dem des öffentlichen Nutzens ſtets voran - ſtellt, obgleich dieß Recht im Grunde nur ein Verordnungs - und kein Geſetzes - recht iſt. Endlich erklärt ſich daraus zwar einerſeits die Ueberzeugung in der franzöſiſchen Theorie, daß es bei allem Streben nach Codification dennoch nie - mals einen Code du droit administratif geben kann, andererſeits die Klarheit, die über das innere Weſen der Verordnungsgewalt durch die juriſtiſche Beſchäf - tigung mit demſelben gewonnen iſt, und die wir namentlich in der deutſchen139 Literatur ſo ſchmerzlich vermiſſen. Die Grundlagen für die daraus entſtandene Theorie, die wir daher als Grundlage für die Formen des Beſchwerderechts an - erkennen dürfen, ſind ſehr einfach. Die Verordnungsgewalt ſelbſt iſt entweder da, wo ſie allgemeine Beſtimmungen erläßt, die mithin unſerem Begriffe der Verordnungen entſprechen, das pouvoir règlementaire; wo ſie dagegen ſich nur auf die Verhältniſſe Einzelner bezieht, erſcheint ſie als pouvoir discrétionnaire. Gegen die Beſtimmungen des pouvoir règlementaire hat die betreffende Partei zuerſt die opposition zu bilden, eine Eingabe, deren Grundlage eine geforderte Leiſtung iſt, oder eine pétition, welche beim Sekretariat der Präfektur abgegeben wird. Darauf entſteht ein förmliches Verfahren, genau wie bei dem bürgerlichen Gerichte; das Conseil de Préfecture als erſte Inſtanz (in den meiſten Fällen) kann Zwiſchenurtheile (arrêtés préparatoires und ſelbſt interlocutoires) zur Inſtruktion der Sache erlaſſen; die Einreden werden gehört bis zum Schluß - urtheil, dem arrêté définitif. Auf dieß arrêté définitif folgt die Appellations - friſt, die bis zur begonnenen Exekution läuft; gegen die Zwiſchenurtheile gibt es keine Appellation. Dieſe letztere heißt der Rekurs; er geht meiſtens direkt an den Conseil d’État. Vor dieſem findet dann ein förmliches gerichtliches Verfahren ſtatt. Dieß gerichtliche Verfahren iſt in ſeinen Grundzügen bereits als Règlement pour le Conseil d’État im Jahr 1738 von d’Agueſſeau beſtimmt, das Reglement vom 22. Juli 1806 hat es nur weiter ausgebildet und klarer gemacht; im Jahr 1832 wurde den Sitzungen der Abtheilungen des Conseil d’État en matière contentieuse die Oeffentlichkeit verliehen; das Reglement vom 30. Januar 1852 fügte noch einige weitere Beſtimmungen hinzu, und damit iſt jetzt dieſe Abtheilung des Conseil d’État zum förmlich anerkannten oberſten Gerichtshofe für das Verordnungsrecht geworden, ſoweit das droit administratif reicht, während eine andere Abtheilung deſſelben Conseil d’Etat den Conflikt zwiſchen der Adminiſtration und dem droit civil entſcheidet. Das genauere Verfahren iſt für die Gegenwart am beſten bei Laferrière (C. de droit adm. L. III. Ch. II. ) dargeſtellt. Inſofern es ſich jedoch um das pouvoir discrétionnaire handelt, kann von einem ſolchen Proceß natürlich keine Rede ſein. Dieſer letztere heißt daher auch die voie contentieuse; ſie tritt ein, quand un acte blesse un droit, résultant d’une loi, d’une ordonnance ou d’un contrat; gegen das pouvoir discrétionnaire dagegen gibt es nur die voie gracieuse, und dieſe greift Platz, quand un acte blesse ou froisse un intérêt. Dieß ſind die Grundlagen des franzöſiſchen Rechts für Klage und Beſchwerde.
Vergleicht man nun dieſen Rechtszuſtand mit dem oben dargeſtellten eng - liſchen, ſo muß man ſagen, daß während in England das Beſchwerderecht in dem Klagrecht untergegangen iſt, in Frankreich umgekehrt das Klagrecht nur noch als Beſchwerderecht erſcheint. So weit das franzöſiſche Recht endlich in ſeiner jurisdiction administrative mit dem natürlichen Gebiete des Beſchwerde - rechts zu thun hat, iſt es ohne Zweifel das bei weitem ausgezeichnetſte in Eu - ropa; ſein Mangel und ſeine Gefahr liegt nur darin, daß das Beſchwerderecht und die Adminiſtrativjuſtiz auch über die geſetzlichen Rechte urtheilt, ſowie ſie durch eine Verordnung verletzt werden. Die Souveränetät der Verwaltung, die hier ganz klar ausgeſprochen iſt, wird indeß weſentlich gemildert erſtens durch140 die Verantwortlichkeit der höchſten verordnenden Gewalt, zweitens aber und weit ſicherer durch das ſtreng geſetzliche und zum Theil öffentliche Verfahren der höchſten entſcheidenden Behörde bei jeder Beſchwerde. Frankreichs Jurisdiction administrative muß daher als ein Muſter für das ganze europäiſche Syſtem des Beſchwerdeſyſtems aufgeſtellt werden, ſowie man derſelben grundſätzlich das Gebiet des Klagrechts — alſo den Fall des Widerſpruches zwiſchen Ge - ſetz und Verordnung — entzieht, und es auf das eigentliche Ge - biet des Verordnungsrechts zurückführt.
Nachdem die Frage nach dem Rechte der Verordnung und der Verwaltung gegenüber dem geſetzlichen Recht, namentlich unter dem bekannten Gegenſatz der Juſtiz - und Adminiſtrativſachen; eine vollſtändige Bibliothek von Schriften her - vorgerufen hat, ohne doch zur Klarheit und zum Abſchluß zu gelangen, müſſen wir es für eine ziemlich nutzloſe Mühe halten, auf die Anſichten der Theorie hier weiter einzugehen, und vielmehr uns zur Aufgabe machen, auf Grundlage des Unterſchiedes von Geſetz und Verordnung einerſeits, und Klage und Be - ſchwerde andererſeits eben nur den gegenwärtigen Zuſtand der beinahe hoff - nungsloſen Verwirrung zu erklären, in dem ſich die deutſche Theorie, und den der großen Verſchiedenheit und Unklarheit, in dem ſich die deutſche Geſetzgebung befindet.
Zum Grunde legen muß man dabei den obigen Unterſchied zwiſchen Juſtiz - und Adminiſtrativſachen. Unter Juſtizſachen verſteht man nämlich bekanntlich jeden Streit, der vor das Gericht gehört, alſo in welchem nach unſerm Begriff das Klagrecht Platz greift; unter Adminiſtrativſachen jeden Fall, in welchem die Zuſtändigkeit der Gerichte ausgeſchloſſen iſt, und die Entſcheidung von der Verwaltungsbehörde abhängt, d. i. wo ein Beſchwerderecht eintritt.
Dieſe Unterſcheidung, an ſich ſchon wichtig genug, wird es nun doppelt, ſobald der Proceß der innern Staatsbildung lebendig wird und die geſetz - gebende Gewalt gegenüber der vollziehenden ſich zur Geltung zu bringen trachtet. Die Gränze zwiſchen beiden bezeichnet alsdann offenbar die Linie, innerhalb welcher die Vollziehung ſich frei bewegt, und jenſeits derer das geltende Recht ihrem Eingreifen eine feſte Schranke ſetzt. Daß bei einer Entwicklung des Staatslebens, in der wie in Frankreich nicht eben die geſetzgebende Gewalt die verfaſſungsmäßige Ordnung ſelbſt herſtellt, ſondern wie in Deutſchland dieſe Verfaſſung eigentlich von dem Haupte der vollziehenden Gewalt ge - geben wird, in der alſo, wie wir geſehen, der Begriff des Geſetzes nicht feſtſteht, ſondern beſtändig mit dem der Verordnung verſchmolzen iſt, eben jene Gränze doppelt wichtig, und demnach doppelt ſchwer zu ziehen ſein wird, iſt einleuchtend. Die deutſche Theorie, der ein ſo großer Theil an der Bildung des öffentlichen Rechtes zugefallen iſt, hat die Wichtigkeit und Schwierig - keit der Sache gefühlt. Da ihr aber der Begriff des Geſetzes und der Ver - ordnung fehlte, ſo gelangte ſie nicht dazu, die Begriffe von Klagrecht und Be - ſchwerderecht feſtzuſtellen. Sie verſtand daher eben ſo wenig das engliſche Recht,141 als das franzöſiſche. In der Nothwendigkeit ſich zu helfen, kam ſie aber dazu, unter dem mächtigen Eindrucke, den ihr die Klarheit des eben dargeſtellten fran - zöſiſchen Syſtems machte, daſſelbe in ihrer etwas beengten Weiſe zu formuliren, indem ſie den — allerdings hoffnungsloſen — Verſuch machte, die Gränze des geſetzlichen und des Verordnungsrechts nicht in einem allgemeinen Princip oder Begriff, ſondern in der Bezeichnung der einzelnen Sachen zu ſetzen, deren Entſcheidung den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zufallen ſolle. So entſtanden die beiden Kategorien der Juſtizſachen und der Verwaltungsſachen. Und dieſe Unterſcheidung iſt das Unheil der ganzen Theorie geweſen, ſo ſehr, daß Theoretiker erſten Ranges wie Zachariä geradezu an einer Klarheit über das Reſultat verzweifelt ſind.
Und mit Recht, denn es iſt abſolut falſch, einen ſolchen Unterſchied als Grundlage des Rechts durchführen zu wollen. Es iſt im Gegentheil, denken wir, vollkommen einleuchtend, daß es gar keinen Akt der Verwaltung gibt — mit Ausnahme des Belagerungszuſtandes — in welchem nicht die Organe der vollziehenden Gewalt ein beſtehendes Geſetz verletzen könnten. Iſt das der Fall, und kann man eben nicht beſtreiten, daß ſolche Verletzungen des Geſetzes immer von einem Gericht zu entſcheiden ſind, ſo iſt es gleichfalls unmöglich, einen Theil der Thätigkeit der Vollzugsorgane den Gerichten principiell zu entziehen, und die Entſcheidung über dieſelbe unter allen Umſtänden den Verwaltungs - behörden ihrer Natur nach zuzuweiſen; das iſt eben, Juſtiz ſachen und Ad - miniſtrativſachen als theoretiſch feſte Kategorien aufzuſtellen. Man muß im Gegentheil ſagen, daß für die Wiſſenſchaft eine ſolche Scheidung ein ganz unlösbarer Widerſpruch mit dem Weſen des Gerichtes ſelbſt iſt; jeder Verſuch, ſie auf die natürliche Funktion von Gericht und Vollziehung zurückzuführen, hebt eben das Weſen des Gerichts ſelber auf, und gelangt daher zu abſoluter Verwirrung. Im Gegentheil iſt aus der Natur der Sache wohl das nun - mehr klar, daß jede Thätigkeit der vollziehenden Organe, wenn ſie mit dem beſtehenden Geſetze in Widerſpruch tritt, dem Gerichte oder dem Klagrecht, wenn ſie dagegen bloß mit der Verordnung in Widerſpruch tritt, der höhern Behörde und damit dem Beſchwerderecht anheimfällt, das letztere ſelbſt dann, wenn die Verordnung das Geſetz erſetzt, weil ſtreng logiſch und juriſtiſch die verordnende Gewalt, wie ſchon oben dargelegt, das Recht hat, ihren Willen jeden Augenblick zu ändern, ſo gut wie die geſetzgebende. Wo dieß Uebel - ſtände erzeugt, iſt es Sache der Geſetzgebung, das zu ändern; ſo lange das Geſetz mangelt, iſt jeder Streit über den Inhalt einer Verordnung — ſelbſt bei den ſogenannten proviſoriſchen Geſetzen — Angelegenheit der vollziehenden Gewalt. Es folgt aber daraus, daß es dem Weſen der Sache nach gar keine Juſtiz - und Adminiſtrativſachen gibt, ſondern daß jede „ Sache “je nach dem Verhältniß zu Geſetz oder Verordnung ſowohl Juſtiz - als Ad - miniſtrativſache ſein, d. h. wiſſenſchaftlich ausgedrückt, Gegenſtand einer Klage oder einer Beſchwerde werden kann.
Daneben nun, und das iſt die Quelle ſo vieler Mißverſtändniſſe, kann allerdings die poſitive Geſetzgebung eine Reihe von Thatſachen der Ver - waltung, obgleich ſie ihrer Natur nach dem Klagrechte unterworfen ſind, der142 Entſcheidung der Verwaltung unterwerfen. In dieſem Falle gibt es innerhalb der gerichtlichen Competenz eine zweite adminiſtrative; aber ein Theil des Klag - rechts iſt dann geſetzlich dem Beſchwerderecht unterworfen; oder es gibt Juſtiz - ſachen, welche geſetzlich Adminiſtrativſachen ſind. Das aber kann nur durch be - ſondere Geſetze geſchehen, und daher auch in jedem Staate verſchieden ſein, während das poſitive Recht des einen Staates keine Conſequenz für den andern bildet. Es iſt klar, daß damit keine wiſſenſchaftliche Begriffsbeſtim - mung gefunden werden kann; die ganze Beſtimmung iſt hiſtoriſch aus den deut - ſchen Rechtsverhältniſſen und der franzöſiſchen justice administrative entſtanden, und erſcheint zuletzt als eine Sache der Zweckmäßigkeit. Geht man nun gar ſo weit wie die deutſche Theorie, aus dieſen verſchiedenen geſetzlichen Ausnahmen von dem Principe ſelbſt ein Princip für die Entſcheidung einzelner Fälle be - ſtimmen, und daraus ein geltendes deutſches Verordnungsrecht bilden zu wollen, ſo wird man in unabſehbare Widerſprüche verfallen.
Um nun aber den Zuſtand der deutſchen Auffaſſung erklären zu können, muß man zwei Perioden derſelben, und mit ihnen zwei Tendenzen unter - ſcheiden.
Die erſte dieſer Perioden reicht bis zur Bildung der neuen Verfaſſungen. Ihre Grundlage iſt der früher ſchon geſchilderte Zuſtand der Geſetzgebung. Die Theilnahme der Landesvertretung war bei der Geſetzgebung faktiſch aufgehoben; die Verordnung war Geſetz und der Landesherr daher mit der vollen Kraft der Geſetzgebung ausgerüſtet. Eine Gränze für Klag - und Beſchwerderecht war mithin unauffindbar; im Grunde war das Klagrecht überhaupt gegenüber dem Inhalt der landesherrlichen Verordnung verſchwunden. Die auf’s höchſte ge - fährdete Selbſtändigkeit des Staatsbürgerthums flüchtete ſich daher gegenüber dieſer Allgewalt der Verwaltung — oder wie ſie damals hieß, der Polizei — in das Gebiet des Privatrechts, indem ſie den Beſitz öffentlicher Rechte zugleich als Privatrecht erklärte. So entſtand die Theorie, daß jede Verordnung alsdann Gegenſtand der Klage, alſo Juſtizſache ſei, wenn ſie einen Privatrechts - titel angreife, während die Verhältniſſe des öffentlichen Intereſſes nur Gegen - ſtand der Beſchwerde werden. Wir verweiſen in dieſer Beziehung namentlich auf Berg, Polizeirecht, I. 144 ff. Seine Hauptgrundſätze, die auf den hiſto - riſchen Verhältniſſen beruhen und nur durch ſie erklärt werden können, ſind: die Vermuthung iſt ſtets für Juſtizſache (und alſo für das Klagrecht), die Prävention entſcheidet; bei Eigenthumsfragen iſt unbedingtes Klagrecht geſtattet (ſchon bei Pütter, im Jus publ.); die Ueberſchreitung der Po - lizeigewalt gehört vor den Richter, und gibt daher ein Klagrecht; das Ver - fahren iſt dabei das des bürgerlichen Proceſſes; das Beſchwerderecht iſt neben dieſem Klagrecht ganz ſelbſtändig. Läßt man nun die unglückliche Aufthei - lung in Juſtiz - und Adminiſtrativſache weg, ſo liegt hier ſchon ein Syſtem vor, das auch unſrer Zeit vollkommen genügen könnte. Die Staatsgewalt ihrerſeits verhielt ſich gegen dieſe Theorie ziemlich gleichgültig; ſie hielt einfach daran feſt, daß ſie das Recht habe, zu beſtimmen, welche Thatſachen ſie ihren Behörden zur Entſcheidung vorbehalte. Natürlich entſtand auf dieſe Weiſe für die Wiſſen - ſchaft kein Princip und für die Praxis keine Gleichartigkeit; das deutſche Recht143 beſtand ſchon amals nur in der Hoffnung, daß es einmal entſtehen werde. Den Ausdruck dieſes Zuſtandes bilden namentlich die Lehre von Moſer und Struben. An eine objektive Gültigkeit derſelben dachte Niemand.
Die zweite Periode hat allerdings einen weſentlich verſchiedenen Charakter. Mit dem Auftreten der Verfaſſungen entſteht der Gedanke, daß Geſetz und Verordnung verſchieden ſeien. Mit dem aufkeimenden Begriff vom Geſetz entwickelt ſich der weitere Satz, daß die Entſcheidung über das Geſetz nur den Gerichten zuſtehe. Die alte Vorſtellung, daß eine Juſtizſache ſich auf das geltende Privat - recht beziehe, wird wankend. Man begreift, daß auch ein Akt der Verwal - tungsbehörde dem Geſetze entgegentreten, und daher Gegenſtand der Gerichte ſein könne. Die Grundlagen des richtigen Syſtems vom Klagrecht und Be - ſchwerderecht ſind daher gelegt. Allein ſie kommen nicht zum Durchbruche, und zwar weſentlich aus zwei Gründen. Erſtlich iſt der Begriff des Geſetzes nur noch höchſt unklar und unbeſtimmt vorhanden, und daher eine ſcharfe Begränzung jener beiden Begriffe faſt unthunlich. War das geltende Verordnungsrecht aus früherer Zeit Geſetz? Waren die conſtituirenden Verordnungen Geſetze? Wo war die Gränze für die Begriffe von „ Freiheit und Eigenthum, “für welche die landſtändiſche Zuſtimmung nothwendig war? Konnte man unter irgend einem Rechtstitel das Recht des Einen Staats zur Interpretation des Rechts des andern brauchen? Und wie war es daher möglich, von einem feſten Begriff der „ Juſtizſachen “zu reden? Andererſeits war es nicht minder klar, daß es höchſt bedenklich erſcheinen mußte, mitten in dem gewaltigen Proceß der recht - lichen Bildung der öffentlichen Zuſtände, die Möglichkeit aufzuſtellen, jede Aktion der Verwaltung mit einem förmlichen bürgerlichen Proceß zu bedrohen, während man ſich ſagen mußte, daß gewiſſe Funktionen niemals dem Klagrecht, ſondern immer dem Beſchwerderecht unterworfen bleiben. Unter dieſen Umſtänden war es nun ſehr natürlich, daß man ſich an das glänzende Beiſpiel Frankreichs an - ſchloß, und grundſätzlich eine Menge von Thätigkeiten der Verwaltungen auch dann vom Klagrecht ausſchloß, wenn ſie ihrem Weſen nach unzweifelhaft dem - ſelben unterworfen geweſen wären. Aber dieſe Scheidung erwies ſich, abgeſehen von allem andern, bald als höchſt unvollſtändig. Allerdings verſuchte man, und verſucht man noch, die Idee einer materiellen Trennung von Juſtiz - und Adminiſtrativ ſachen durchzuführen, und das dadurch zu erreichen, daß man eine Reihe von Merkmalen oder Definitionen aufſtellt, mit welchen man ſie ſcheiden will. Es liegt auf der Hand, daß jeder ſolcher Verſuch ganz nutzlos ſein muß; und zwar um ſo mehr, als man dabei immer ein deutſches Staats - recht im Auge hat, das ja eben nicht exiſtirt, während man ſich hätte ſagen ſollen, daß man ſtatt deſſelben nur eine Zuſammenſtellung der deutſchen Staats - rechte zu geben hatte. Andererſeits hatte man — wir können es unbedenklich ſagen — weder den Muth, die gerichtliche Berechtigung der franzöſiſchen Juris - diction administrative anzuerkennen, noch auch den, das engliſche Klagrecht anzunehmen. Das erſte ſchien der ſtaatsbürgerlichen Freiheit gefährlich, das andere mit der kräftigen Aktion der Staatsverwaltung zu ſehr im Widerſpruch. Dazu kam die gänzlich verwirrende Tendenz, den Unterſchied der beiden Kate - gorien nach der Competenz der gerichtlichen und der Verwaltungsorgane144 feſtſtellen zu wollen. Es iſt kein Zweifel, daß hier gerade das Umgekehrte ein - treten muß. Die Competenz ſelbſt nämlich kann ja doch nur die Conſequenz entweder der Natur der Sache, oder eines beſtimmten Geſetzes ſein. Die Beſtimmung des Unterſchiedes zwiſchen Adminiſtrativ - und Juſtizſachen aus der Competenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden ſelbſt, ſetzt daher das zu Entſcheidende als bereits entſchieden voraus, und hebt damit ſich ſelber auf. Alle dieſe Gründe, zuſammenwirkend, haben daher einen unglaublich verwirrten Zu - ſtand hervorgebracht. Man wird ihn auch niemals auf der Grundlage der Juſtiz - und Adminiſtrativſachen klären können. Aber die erſte Bedingung des Verſtändniſſes wäre denn doch geweſen, die Theorie vom poſitiven Rechte zu unterſcheiden; und hier müſſen wir geſtehen, daß das poſitive Recht viel klarer iſt, als die, welche ſich mit demſelben beſchäftigt haben. Wir wollen das Bild beider neben einander ſtellen.
Unter der Theorie verſtehen wir hier diejenigen, welche aus der Verſchmel - zung der Betrachtungen über die Natur der Sache und der beſtehenden Geſetze verſucht haben, ein Ganzes zu ſchaffen. In ihren Ausdrücken ſieht man deut - lich das Beſtreben, Worte und Begriffsbeſtimmungen zu finden, die zugleich den franzöſiſchen und den engliſchen Standpunkt anerkennen und vermeiden wollen, und daher im höchſten Grade unſicher herumgreifen. Wir heben[nur] einige Koryphäen heraus, da die Maſſe viel zu groß iſt, um ſie zu bewältigen.
Klüber erklärt, die „ Einmiſchung (?) des Richters in eigentlichen (?) Po - lizeiſachen ſei unzuläſſig “(Bürgerl. Recht §. 389); „ Angelegenheiten, welche die Staatsregierung (?) unmittelbar (?) betreffen, ſind kein Gegenſtand gerichtlicher Entſcheidung, Juſtizſache iſt, wenn die Rede iſt von wohlerworbenen Privat - rechten namentlich von ſtreitiger Ausübung verleihbarer Regalien “— (die alſo die Staatsregierung nicht unmittelbar betreffen ſollen?). Aretin (Con - ſtitutionelles Staatsrecht II. S. 227 ff. ) ſagt: Privatrechtsſtreitigkeiten — gehören allernächſt und eigentlich (?) der Juſtiz an; die übrigen Sachen des öffentlichen Rechts — folglich auch diejenigen wo zwar allernächſt (?) nur Privatperſonen ſich ſtreiten, aber aus Titeln, welche im öffentlichen Rechte ſich gründen (?), gehören vor die Staatsgewalt ſelbſt (wer iſt das?) als entſcheidende Behörde. “ Maurenbrecher §. 185 erkennt als Adminiſtrativſachen „ ſolche, 1) welche nicht ſtreitig ſind, 2) welche nicht Streitigkeiten unter Privaten ſind, 3) welche nicht Streitigkeiten zwiſchen Privaten und der Regierung ſind, über Rechte, die auf Privattiteln beruhen “— alſo vollkommen das droit administratif; wer aber darüber entſcheidet, ob ein Recht auf Privattiteln beruht, und nach welchem Grund - ſatz, das fehlt. Zachariä (Deutſches Staatsrecht, §. 149) erklärt ſich überhaupt gegen das Daſein der Adminiſtrativjuſtizſache; in ſeiner Verzweiflung ſagt er: „ es dürfe wohl nie gelingen, einen das innere Weſen der Sache treffenden Unterſchied zu finden “; „ widerſinnig “ſei es, „ nach Rechtsgrundſätzen verwalten zu wollen. “ Hätte er dazu einen Begriff der Verwaltung gehabt, ſo hätte er geſehen, daß es denn doch ſo übel mit dem Rechte in der Verwaltung nicht ſteht. Puchta (Beiträge 1, 204) beſtimmt den Begriff der Adminiſtrativjuſtiz - ſache dahin, daß es diejenigen Angelegenheiten ſeien, „ in welchen nach Grund - ſätzen der öffentlichen Verwaltung Recht geſprochen wird. “ Die Frage iſt ja145 aber eben, ob eine ſolche Entſcheidung nach Grundſätzen der Verwaltung ein Recht bilden; denn wenn ſie Recht enthält, muß eben das Gericht dieſelbe treffen, und das iſt ja gerade der Zweifel. Mohl in ſeiner Polizeiwiſſenſchaft (I. §. 7. 8), dem ſowohl der Begriff der Verordnung als der der Verwaltung abgeht, nennt die Frage mit Recht eine „ berüchtigte, “hat aber ſelbſt gar keine Antwort darauf; nur das wird ihm klar „ daß die Anſicht gerechtfertigt ſei, daß wenigſtens (?) die bedeutenderen Straffälle wegen Uebertretung von Polizei - geſetzen den Gerichten zu überlaſſen ſeien “— womit man im Grunde gar nichts weiß. Planitz in einer neueren kleinen Schrift (Juſtiz und Verwal - tung. Ein Beitrag zur Feſtſtellung beider Gewalten. 1860), fühlt richtig, daß man das Weſen beider Organe der Entſcheidung zum Grunde legen müſſe; aber freilich muß man dann bei dem Begriffe des Staats anfangen, und nicht damit beginnen, den Staat „ zunächſt “als einen Gerichtshof, und die Verwaltung als etwas zu betrachten, was ſich „ neben der Juſtiz regt. “ Ohne die Beſtimmung des Begriffes der Verordnung wird die Sache nicht abgethan ſein, noch weniger durch Illuſtration einzelner Fälle. Mayer in ſeinem Verwaltungsrecht iſt noch übler daran; S. 39. 40 will er ganz allgemein, daß die Verwaltung „ Recht ſprechen ſoll, “S. 453 findet er, daß „ gewiſſe Akte der Verwaltung nicht Gegen - ſtand rechtlicher Beſchwerde ſein können; “S. 456 ſteht die „ Erlaſſung allge - meiner Anordnungen — in der Mitte zwiſchen Aufſtellung allgemeiner Ver - ordnungen und der Anwendung derſelben auf beſtimmte Fälle “— alſo wo? — Und wer hat zu entſcheiden, ob ſie dieſe „ richtige Mitte “zwiſchen Juſtiz und Adminiſtration verloren haben? — Es wäre leicht, dieſe Specifikation weiter zu führen; es iſt aber nutzlos.
Im Allgemeinen läßt ſich nun nicht läugnen, daß man ſich in Deutſchland unendlich viel Mühe gegeben hat, dieſe Frage zu einem klaren Abſchluß zu bringen. Ein Hauptgrund, woran man ſcheiterte, iſt es, daß man nicht einig werden konnte, ob man die jedenfalls gültigen Entſcheidungen der höheren Ver - waltungen als „ Recht “anerkennen ſolle oder nicht, da man bei dem Ausdruck „ Recht “ſich immer ein Gericht dachte, und den Begriff des franzöſiſchen droit administratif nicht annahm, weil man der „ Polizei “eine recht bildende Gewalt nicht zuerkennen wollte. So ganz Unrecht hat Mayer wohl auch nicht, wenn er dabei von einem „ feindſeligen Geiſte der Gerichte gegen den Staat “(er meint die finanzielle und die innere Verwaltung) „ bei Anſprüchen der Einzelnen an den Treſor “ſpricht. Würde man ſich aber den Begriff des Verwaltungsrechts an - eignen, ſo wäre die Frage im Weſentlichen entſchieden. Aus demſelben Grunde iſt die Lehre und das Recht der Competenzconflikte in der deutſchen Theorie höchſt unklar; darauf kommen wir unten zurück. Merkwürdig, daß Pötzl (bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 155) ſeine höchſt richtige Bemerkung: „ es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß die nämliche Sache in ihrer rechtlichen Beziehung Juſtiz - ſache ſei, welche in ihrer polizeilichen Richtung von der Polizeibehörde behandelt wird “(alſo doch auch gewiß die Beſchwerde zuläßt) „ Beiſpiele: Heimath -, Ge - werbeſachen u. ſ. w. “— nicht weiter verfolgt hat. Er wäre genau zu unſerem Reſultat gelangt. Uebrigens ſpricht auch Klüber (Off. R. §. 396) ganz den - ſelben Satz aus: „ Es kann dieſelbe Sache in verſchiedener Beziehung Juſtiz -Stein, die Verwaltungslehre. I. 10146und Polizeiſache ſein, auch aus einer Polizeiſache in eine Juſtizſache ſich ver - wandeln “— der richtige Gedanke geht dann in der Unklarheit über Juſtiz - und Polizeihoheit zu Grunde.
Während ſo die Theorie für die ganze Frage ziemlich unfruchtbar geblieben iſt, müſſen wir dagegen anerkennen, daß die poſitive Geſetzgebung viel weiter gediehen, und zum Theil den Unterſchied zwiſchen Klag - und Beſchwerderecht ſehr klar und beſtimmt durchgeführt hat. Es iſt ſehr zu bedauern, daß Zöpfl, der hier am meiſten leiſtet, ſeine Sammlung von einzelnen Beſtimmungen nicht geordnet hat, weil auch er ſich nicht von der Vorſtellung losmachen kann, daß der Unterſchied in den „ Gegenſtänden “liegt; er gelangt daher zu einem voll - ſtändigen Widerſpruch, indem er alle „ Gegenſtände, bezüglich deren die Staatsgewalt in der Form der Geſetzgebung (?), Verordnung oder Vollziehung thätig wird, Regierungs - oder Adminiſtrativſachen nennt “— alſo das ge - ſammte Rechtsleben, da daſſelbe unter die Geſetzgebung fällt (II. §. 450). Dennoch iſt er noch der brauchbarſte, wenn man von ſcharfer wiſſenſchaftlicher Beſtimmung abſieht. Er ſagt — „ den Gerichten ſtehen in Bezug (?) auf jene Verordnungen, welche von Behörden ausgehen (was heißt das?), das Recht der Prüfung zu — wenn deren Rechtlichkeit und rechtliche Verbindlichkeit in Frage kommt. “ Wahrſcheinlich denkt er ſich dabei das Verhältniß der Ver - ordnungen zum Geſetze, denn ſonſt hätte es keinen Sinn, ihre verbindliche Kraft überhaupt in Frage zu ſtellen. Indeß kann die deutſche Staatsrechtswiſſen - ſchaft nur auf dem von ihm betretenen Wege weiter gelangen.
Die deutſchen Verfaſſungen faſt ohne Ausnahme ſtehen, und zwar ſchon von Anfang an, auf dem Standpunkt, zuerſt das Beſchwerderecht der Unterthanen ausdrücklich anzuerkennen, zum Theil, was höchſt bezeichnend iſt, ohne ſich über das Klagrecht überhaupt zu äußern. Nur muß man ſich daſſelbe etwas anders denken. Der Begriff des deutſchen Beſchwerderechts iſt nämlich urſprünglich nicht der, den die Wiſſenſchaft aufſtellt, ſondern iſt urſprünglich vielmehr der der landſtändiſchen Beſchwerde, der Gravamina, und zum Theil mit dem Petitionsrechte verbunden. Daher wird in den meiſten Verfaſſungen ausdrücklich geſagt, daß die Landſtände und neben denſelben auch der Einzelne das Recht auf „ Vorſtellungen und Beſchwerden “habe. Das Naſſauiſche Patent von 1814 ſteht ſogar noch auf dem Standpunkt, die Beſchwerden der Einzelnen nur durch die Mitglieder der Landſtände vorbringen zu laſſen. Sachſen - Weimar von 1816, §. 5, ſpricht allgemein. Baden, Verfaſſung §. 67, ſcheidet zwiſchen Einzelnen und Ständen; ſo auch Kurheſſiſche Verfaſſung §. 99, Großherzogthum Heſſen §. 80. 81, Coburg von 1821, §. 78. 79, Braun - ſchweig §. 38, Hannover von 1840, §. 47. Daher wird auch noch in der Deutſchen Reichsverfaſſung von 1849 das Recht auf Bitte, Beſchwerde und Petition zuſammengeworfen §. 159, §. 160. Die erſten formellen Ausſprüche, welche das Recht der Beſchwerde anerkannten, ſehen daher in denſelben keine Beſchwerde gegen Verordnungen, die an die höhere Inſtanz der Behörden ge - bracht werden müſſen, ſondern „ Beſchwerden über Verletzung der conſtitutionellen Rechte an die Ständeverſammlung, “jedoch umfaßt der Gedanke unzweifelhaft auch die eigentliche Beſchwerde und ihr Recht, indem die Verfaſſungen faſt147 ausnahmslos beſtimmen, daß „ die Stände nur dann auf eine Prüfung derſelben eingehen dürfen, wenn in der Eingabe nachgewieſen iſt, daß der Beſchwerde - führer bereits den „ geſetzlichen Inſtanzenzug der Staatsbehörden “er - ſchöpft, und vergeblich ſelbſt bei der oberſten Regierungsbehörde Abhülfe nach - geſucht hat, “Zöpfl II. §. 412. Das iſt im Sinne der einzelnen Verfaſſungs - urkunden, nur iſt der „ geſetzliche Inſtanzenzug “keineswegs immer ausge - drückt, ſondern einige laſſen die Bezeichnung ganz weg, Baiern §. 21, Baden §. 67 „ geeignete Landesſtellen, “Württemberg §. 36 „ unmittelbar vorgeſetzte Behörde, “Großherzogthum Heſſen §. 81 „ geſetzliche und verfaſſungsmäßige Wege bei den Staatsbehörden, “Sachſen-Altenburg §. 216 wie Baden, Braunſchweig §. 114 „ bei der Landesregierung, “und ähnlich Oldenburg revidirte Verfaſſungs-Urkunde 134, Coburg Geſetz 1852, §. 133. Die Sache iſt wichtig, weil gerade ein ſolcher geſetzlicher Inſtanzenzug erſt der Beſchwerde ihre Bedeutung gibt; es ſcheint, daß hier die deutſchen Verfaſſungen wenigſtens formell noch hinter dem franzöſiſchen Verfahren der jurisdiction contentieuse zurück ſind, indem die Annahme und Feſtſtellung der Inſtanzen, vorzüglich aber eine Feſtſtellung eines wie in Frankreich beim Conseil d’État geltenden öffent - lichen Verfahrens ein ganz weſentlicher Fortſchritt ſein würde, den die deutſchen Staaten noch zu thun haben. Einen ſchlagenden Beweis des man - gelnden Verſtändniſſes liefert hier der ſonſt ſo gründliche Rönne (Preußiſches Staatsrecht I. §. 99), der das Beſchwerderecht noch immer mit dem Peti - tionsrechte verſchmelzt, wodurch natürlich die Strenge des Verfahrens gänzlich in den Hintergrund tritt. In Preußen iſt das Beſchwerderecht allerdings in abstracto anerkannt und den Behörden zur Pflicht gemacht, wie ſchon das All - gemeine Landrecht (II. 20, §. 180) beſtimmt: „ auf ſchleunige Unterſuchung und Abhelfung gegründeter Beſchwerden bedacht zu ſein; “aber zu einem objektiv gültigen Beſchwerderecht, welches doch nur in einem geſetzlich aufgeſtellten Verfahren nach Muſter des franzöſiſchen gedacht werden kann, hat man es auch dort nicht gebracht. Siehe die einzelnen Citate bei Rönne II. §. 66. Uebrigens iſt für den Grundgedanken des Klag - und Beſchwerderechts in Preußen die Reichsverordnung vom 8. Mai 1842 höchſt bezeichnend; hier finden wir ganz und gar den ſtreng franzöſiſchen Standpunkt der justice administrative §. 1: „ Beſchwerden über polizeiliche Verfügungen, ſie mögen die Geſetzmäßig - keit, Nothwendigkeit oder Zweckmäßigkeit derſelben betreffen, gehören vor die vor - geſetzte Dienſtbehörde. Der Rechtsweg iſt nur dann zuläſſig, wenn die Ver - letzung eines zum Privateigenthum gehörenden Rechts behauptet wird. “ Und auch dieß nur unter gewiſſen nähern Beſtimmungen.
Neben dieſem allgemeinen gültigen Princip des Beſchwerderechts, das mithin noch der Entwicklung bedarf, haben einige Verfaſſungen ausdrücklich das Klagrecht anerkannt, wenn gleich hier die meiſten ſchweigen, und die - jenigen, die da reden, den Eindruck einer gewiſſen Aengſtlichkeit machen. So ſagt Württembergiſche Verfaſſungsurkunde §. 95: „ Keinem Bürger, der ſich durch einen Akt der Staatsgewalt in ſeinem auf einem beſonderen Titel (?) be - ruhenden Privatrechte verletzt glaubt, kann der Weg zum Richter verſchloſſen werden. “ Viel offener ſagt die K. Sächſiſche Verfaſſungsurkunde §. 49: „ Jedem,148 der ſich durch einen Akt der Staatsgewalt in ſeinem Rechte verletzt glaubt, ſteht der Rechtsweg offen. “ Faſt wörtlich übereinſtimmen Kurheſſen §. 35, Schwarzburg-Sondershauſen §. 176, Oldenburg Art. 48. Unbe - ſtimmter wieder Hannover Geſetz vom 3. September 1848, §. 10. Dagegen ſtellt Preußen den Satz auf: „ Was nicht in den Privatrechtskreis des Staats fällt, iſt Regierungsſache und der Zuſtändigkeit der Gerichte völlig ent - zogen, “Rönne I. §. 56, S. 201. Gibt es neben ſolchen Widerſprüchen in den beſtehenden Geſetzen noch ein deutſches Staatsrecht? Und was bedeutet das, was Zöpfl II. §. 453 lehrt, mehr als ein pium desiderium? — Faßt man aber das bisher Geſagte zuſammen, ſo muß man erkennen, daß das deutſche Rechtsleben in einem offenbaren Uebergangsſtadium ſich befindet, aus welchem ſich mit der Zeit das wahre Recht entwickeln wird: die Gültigkeit des engliſchen Grundſatzes für das Gebiet der Verhältniſſe zwiſchen Geſetz und Verordnung und des franzöſiſchen für das Verhältniß zwiſchen Verordnung und Ver - fügung. Nur müſſen wir unſre Aengſtlichkeit ablegen, um das erſte, und unſere hiſtoriſche Unklarheit, um das zweite zur richtigen Durchführung zu bringen.
Das Petitionsrecht, als ein allgemeines ſtaatsbürgerliches Recht, darf hier ſeinem allgemeinen Weſen nach als bekannt vorausgeſetzt werden. Daſſelbe gehört aber nicht bloß in das Gebiet der Verfaſſung, ſondern es bildet gleichfalls ein weſentliches Element in dem Proceß, der die verfaſſungsmäßige Verwaltung herſtellt. Und zwar erſcheint daſſelbe hier als diejenige Form des Beſchwerde - und Geſuchsrechts, welche, indem ſie die Harmonie der Vollziehung mit der Geſetzgebung vorausſetzt, Uebelſtände, die in der letzteren liegen, aber erſt in der erſteren zur Erſcheinung kommen, durch einen geſetzgeberiſchen Akt be - ſeitigt zu wiſſen wünſcht, und ſich deßhalb an das Staatsoberhaupt, oder an die geſetzgebenden Organe wendet. Wir würden am beſten dieß die adminiſtrativen Petitionen nennen, die ſich von den legislativen in ſofern unterſcheiden, als die letzteren nicht wegen des Mißverhältniſſes der Geſetze zu den beſtehenden Lebensverhält - niſſen, ſondern zu den allgemeinen Lebensprincipien eine Thätigkeit der Geſetzgebung ſollicitiren. Der Unterſchied ſcheint ein abſtrakter; in der That iſt er aber ſehr concret, und hat höchſt poſitive Folgen, die man bei der auch über das Petitionsweſen herrſchenden Unklarheit faſt immer gänzlich überſieht.
In der That nämlich hat das Petitionsrecht den weſentlichſten Theil ſeiner Bedeutung darin gehabt, daß entweder der Grundſatz der Verantwortlichkeit, oder der des Klag - und Beſchwerderechts nicht ge - hörig zur Geltung gelangt und anerkannt worden ſind. Betrachtet man149 die bisherige Darſtellung beider genau, ſo iſt es wohl kaum zweifel - haft, daß das gewöhnlich ſogenannte und zum Theil ſogar in den Ver - faſſungen aufgeführte Petitionsrecht nichts anderes war, als eine höchſt unklare und deßhalb für gewöhnlich ganz effektloſe, unter Umſtänden aber für den organiſchen Bildungsgang des Staats höchſt ſtörende und ſelbſt gefährliche Verſchmelzung der Verantwortlichkeit und des Klag - rechts. Die Geſchichte zeigt daher auch, daß das adminiſtrative Petitions - recht in dem Grade ſich auf ſeine wahre Baſis zurückzieht, in welchem jene Rechte ſich ihrerſeits entwickeln, während das legislative Petitions - recht ſeine natürliche Funktion ohne Störung beibehält. Geht man mithin davon aus, daß Verantwortlichkeit, Klagrecht und Beſchwerde - recht in der Weiſe funktioniren, wie ihre organiſche Natur es fordert, ſo ergibt ſich das enge Gebiet, auf welches das adminiſtrative Petitions - recht zurückgeführt werden muß, wenn es nicht ſtatt eines fördernden ein hemmendes Glied im Staatsorganismus ſein ſoll, in folgenden Sätzen, mit denen es dann als die natürliche Erfüllung und nicht mehr als der unnatürliche Stellvertreter jener beiden Rechte erſcheint.
1) Keine Petition kann zuerſt die Verantwortung der vollziehenden Organe zum Inhalt haben, weder die politiſche noch die juriſtiſche. Die Ordnung des Staatslebens iſt aufgelöst, wenn die ungeſchiedene Maſſe eine Funktion übernehmen will, für welche das in der Verfaſſung ſelbſt geordnete Staatsbürgerthum ſein Organ in der Volksvertretung bereits niedergeſetzt hat. Das Anklagerecht iſt das Recht der letzteren und kann nie Gegenſtand einer Eingabe an ſie ſein, ohne ſeine Würde und ſeinen wahren Erfolg zu verlieren, und die Volksvertretung ſelbſt in ihrer Funktion herabzuwürdigen.
2) Eine Petition kann eben ſo wenig eine Klage, als eine Anklage im obigen Sinn enthalten. Eine, durch Petition bei dem Staatsoberhaupt oder gar bei der Volksvertretung erhobene admini - ſtrative Klage enthält den Widerſpruch, daß ſie nicht da angeſtellt wird, wo dieſelben Staatsgewalten, an die ſich die Petition wendet, ſie anzuſtellen geſetzlich angeordnet haben, bei dem ordentlichen Gericht, und erzeugt daher den zweiten Widerſpruch, das geſetzgebende Organ zum richterlichen machen zu wollen. Eine adminiſtrative Petition mit dem Inhalte einer adminiſtrativen Klage der Verletzung eines Geſetzes durch eine Verordnung ſollte daher unbedingt abgewieſen, und der Petent auf den ordentlichen Weg des Gerichts verwieſen werden. Selbſt eine Erörterung über eine ſolche Petition muß ſchon das Gericht in ſeiner hohen Stellung verletzen, oder als ein grobes Mißverſtändniß der Volksvertretung von ihrer eigenen Funktion erſcheinen.
Nur in Einem Falle ließe ſich eine ſolche Petition mit dem150 Fundamente einer adminiſtrativen Klage denken — das iſt da, wo die Voll - ziehung die Exekution des gerichtlichen Urtheils gegen ſie inhibirte. Nur iſt hier nicht das Klagrecht, ſondern die Exekution Gegenſtand der Petition, und dieſe daher nicht eine Klage, ſondern eben eine Beſchwerde. Die gerichtliche Thätigkeit, und auch die Abweiſung der Klage, kann nie Gegenſtand einer Petition ſein, denn die Volksvertretung hat dem Gericht nicht zu befehlen wie, ſondern nur worüber es zu entſcheiden hat. Wo daher, ſelbſt in Verfaſſungen, Ausdrücke vorkommen, welche dahin gedeutet werden könnten, daß Einzelne oder Gemeinſchaften das Petitionsrecht als Form der Klage wegen Verletzung von Rechten bei der Volksvertretung gebrauchen dürfen, da ſind ſolche Ausdrücke nur Beweiſe unvollkommener Zuſtände des öffentlichen Rechts; meiſtens beweiſen ſie, daß die Gerichte ihre Funktion des Rechtſprechens bei adminiſtrativen Klagen nicht übernehmen, oder das Volk nicht verſteht, ſie zu benützen. Derartige Petitionen ſollten daher keinen weitern Er - folg haben als den, zu unterſuchen, ob dem adminiſtrativen Klagrecht in der Geſetzgebung ein Hemmniß entgegen ſtehe, und dieſes durch Geſetze zu beſeitigen.
3) Was endlich Petitionen betrifft, welche Beſchwerden ent - halten, ſo leuchtet es ein, daß das Recht, ſolche Beſchwerden bei der Volksvertretung einzubringen, darum ein naturgemäßes und allgemeines iſt, weil am Ende das ganze innere verfaſſungsmäßige Staatsleben auf der Harmonie zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung beruht, und eine jede Beſchwerde eine Störung dieſer Harmonie bedeutet, die nicht mehr durch gerichtliche Handhabung der Geſetze hergeſtellt werden kann. Das - ſelbe gilt von den Geſuchspetitionen. Die Volksvertretung hat zwar nicht das Recht, wohl aber die Intereſſen Aller in ſofern zu vertreten, als ſie aus ihnen und für ſie die Verwaltungsgeſetze zu machen hat. Daher können die Beſchwerde - und die Geſuchspetitionen unzweifelhaft den Volksvertretungen übergeben werden. Nur muß man das Recht der letzteren in dieſer Beziehung ſcharf beſtimmen. Und zwar müſſen hier zwei Grundſätze durchgreifend zur Geltung gelangen.
Erſtlich darf keine Petition von der Volksvertretung angenommen werden, welche nicht bereits alle geſetzlich zuſtändigen Inſtanzen der Behörden durchlaufen hat, inſofern ſie ſich auf beſtimmte exekutive Thätigkeiten der Vollzugsorgane bezieht. Sind ſolche Inſtanzen nicht vorgeſchrieben, ſo bleibt es der Volksvertretung überlaſſen, zu entſcheiden, ob der Petent das Nöthige gethan hat.
Zweitens kann keine Volksvertretung über eine Peti - tion als ſolche überhaupt irgend etwas entſcheiden, ohne die Ordnung des Staats umzukehren. In der That nämlich enthält151 die Beſchwerde - oder Geſuchspetition entweder den Nachweis, daß die Vollziehung ein geſetzliches Recht verletzt hat, und dann gehört ſie vor die Gerichte; oder ſie weist nach, daß die Vollziehung nur die In - tereſſen nicht gehörig gewahrt, aber ſich dabei an das Geſetz gehalten hat, und dann hat die Volksvertretung ein neues Geſetz zu machen, welches jene Verletzung der Intereſſen künftig unmöglich macht. Das iſt die formell gezogene, ſtrenge Gränzlinie für die Thätigkeit der Volks - vertretung in Beziehung auf dieſe Art der adminiſtrativen Petitionen. Allerdings aber iſt es gut, wenn dieſelbe nicht gerade in dieſer ſtrengen Weiſe eingehalten wird. Es iſt gut, wenn ſolche Petitionen den Anlaß geben zwiſchen den beiden höchſten Organen der Geſetzgebung und Voll - ziehung, ſich über die Geſtalt zu verſtändigen, welche ein beſtehen - des Geſetz in der wirklichen Ausführung entweder annimmt oder an - nehmen ſollte. Wann und wie weit das der Fall ſein kann, muß ſtets von dem Gegenſtande, den Petenten, und endlich von Takt und Stim - mung der beiden Organe ſelbſt abhängen. Niemals aber kann man der Volksvertretung das Recht zugeſtehen, ſelbſtändig eine Erledigung der Petition zu beſchließen; ſie kann höchſtens, da die Regierung vollkommen das Recht hat, einem ſolchen Beſchluß, der kein Geſetz iſt, geradezu den Gehorſam zu verweigern, ihre Anſicht als maßgebend bei der Erledigung der Petition empfehlen.
Faßt man nun alle dieſe Punkte zuſammen, ſo wird man wohl zu dem Reſultat kommen, daß erſt dann, wenn Geſetz und Verordnung ſcharf geſchieden, und das Klagrecht in anerkannter Wirkſamkeit ſteht, das Petitionsrecht ſeine rechte Funktion zu erfüllen und Geſetzgebung und Verwaltung auf dem Gebiete zur Verſtändigung zu bringen beſtimmt iſt, wohin die erſte zu ſelten gelangt, und das die zweite zu ſelten verläßt, dem weiten Felde der praktiſchen Intereſſen des Volkslebens.
Während in England das Recht auf Petitionen gar keiner geſetzlichen Anerkennung bedurfte, ſprachen in Frankreich alle Conſtitutionen das droit de pétition als ein „ droit naturel “aus; ſelbſt die Charte von 1814 enthält daſſelbe (Art. 53), ſowie die Charte von 1830 (Art. 45). Von ihnen ging das Princip der Sache nach Deutſchland über, wo es in den Verfaſſungen meiſt als Anerkennung des Rechts auf Vorſtellung und Beſchwerde erſcheint. Frank - reich aber hat nicht verſtanden, ſich dieß Recht zu bewahren. Die Conſtitution von 1852 hat es im Grunde dem franzöſiſchen Volke genommen. Der Art. 45 erlaubt nur noch Petitionen an den Sénat, keine an den Corps législatif. Das Dekret vom 31. Dec. 1852 hat das Verfahren des Senats bei den Peti - tionen geregelt. Gewöhnliche Petitionen werden in den Petitionscomité’s be - rathen und vorgelegt; bei Petitionen, welche ſich auf Verletzungen verfaſſungs - mäßiger Rechte beziehen, wird erſt die question préalable geſtellt, und ſie nur dann zur Berathung gezogen, wenn der Senat ſie anerkennt (le sénat152 maintient, ou annulle). — Die geſetzlichen Beſtimmungen über das Petitions - recht Deutſchlands leiden daran, daß man dieſelben meiſtens nur als legis - lative betrachtet, und deßhalb ihre Einwirkung bekämpft hat. Daher das Verbot von Petitionen von Körperſchaften u. ſ. w. Auf dieſem Standpunkt ſtehen faſt alle Verfaſſungen vor 1848. Erſt nach 1848 ſieht man ein rich - tigeres Verſtändniß eintreten, wenn gleich auch jetzt noch bei den meiſten Be - ſchwerde und Petition als weſentlich gleichbedeutend betrachtet wird. Siehe Rönne I. 99. Am richtigſten hat die Verfaſſungsurkunde von Luxemburg die Sache aufgefaßt: „ L’Assemblée des États a le droit de renvoyer aux membres du gouvernement les pétitions qui lui sont adressées. “ (§. 67.) In den deutſchen Verfaſſungsurkunden iſt hier meiſtens eine große Unbeſtimmt - heit über das Verhältniß zur Verwaltung. Man wird hier wohl nur weiter kommen durch die Unterſcheidung von legislativen und adminiſtrativen Peti - tionen. Vgl. Zöpfl II. §. 412.
Die gegenwärtige, bereits bezeichnete Lage der Theorie veranlaßt uns nun, dem Obigen einige Schlußſätze hinzuzufügen, die im Grunde ganz ſelbſtverſtändlich, dennoch von großer Wichtigkeit gegenüber der bisherigen Lehre ſind.
1) Das ganze verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht empfängt näm - lich nunmehr ſeine Verwirklichung durch die Verantwortlichkeit einer - ſeits, und das eigentliche Verordnungsrecht andererſeits. Beide ſind nur Ausdrücke deſſelben Gedankens, Erſcheinungen deſſelben Princips. Jenes bezieht ſich auf das Verhalten der vollziehenden Gewalt in der Regierung zum geſammten organiſchen Staatsleben, als Einheit be - trachtet; dieſes auf das Verhalten deſſelben zum geſetzlichen Rechte des einzelnen Staatsbürgers.
2) Während nun für die Verantwortlichkeit das natürliche Organ die Volksvertretung iſt, iſt das Organ für das Klagrecht das Gericht, und für Beſchwerde und Geſuch die höhere Regierungsbehörde ſelbſt. Jede Vermiſchung dieſer ganz klar vorliegenden Funktionen in dieſen Fragen wird zu einem unlösbaren Widerſpruch.
3) Während aber dieſe Funktionen in Beziehung auf die Voll - ziehung geſchieden ſind, gibt es keine äußerliche Scheidung in den Thätigkeiten der Regierung ſelbſt, durch welche dieſelben der einen oder andern Funktion ausſchließlich zugewieſen wer - den könnten. Oder, es gibt keine Scheidung zwiſchen Regierungs - thätigkeiten, ſeien es Verordnungen, Verfügungen oder Handlungen, wornach dieſelben entweder nur Gegenſtand von Petitions -, oder nur Gegenſtand von Klage - oder von Beſchwerderecht ſein könnten; — oder, es iſt falſch, von einem in irgend einem objektiven Momente153 liegenden Unterſchied von Juſtizſachen, Adminiſtrativſachen oder gar Petitionsſachen zu reden, ſondern es iſt unbedingt feſt - zuhalten, daß dieſer Unterſchied definitiv als ein hiſtoriſcher betrachtet und damit beſeitigt werden muß. Es gilt im Gegentheil der Satz, daß jede wie immergeartete Regierungsthätigkeit an ſich eben ſowohl dem Klagrecht, als dem Beſchwerde - oder endlich dem Petitionsrecht angehören kann; daß eine und dieſelbe Regierungs - handlung je nach der beſtehenden Geſetzgebung in einem Lande Gegen - ſtand der Klage, in einem andern der Beſchwerde und Petition ſein kann; daß mithin darüber nicht der Inhalt der Sache, ſondern lediglich die Frage entſcheidet, ob der betreffende Regierungsakt mit einem Geſetze in Widerſpruch erſcheint oder nicht; oder, daß um den bisherigen Ausdruck zu brauchen, jede Regierungshandlung ebenſo gut Juſtiz - als Adminiſtrativſache ſein kann, je nachdem ſie mit einem Ge - ſetze, oder mit einer Verordnung in Colliſion kommt, oder daß, wenn überhaupt die Ausdrücke Juſtiz - und Adminiſtrativſachen noch einen Sinn haben ſollen, Juſtizſachen die Regierungsakte in ihrem Verhältniß zum Geſetz, Adminiſtrativſachen dieſelben in ihrem Verhältniß zur allge - meinen Verordnung bedeuten, und, da das eine höchſt unklare Be - zeichnung iſt, man wahrlich viel beſſer thut, ſie ganz zu beſeitigen.
Hält man nun aber das Klagrecht, das Beſchwerde - und Geſuchs - recht, und endlich das Petitionsrecht, jedes mit ſeiner ſpecifiſchen Funk - tion in der Zurückführung der Vollziehung auf die Geſetzgebung vor Augen, und ſieht man, wie ſie ſich gegenſeitig bedingen und erfüllen, ſo darf man jetzt wohl ſagen, daß die verfaſſungsmäßige Verwaltung ein lebendiger Begriff im Staatsleben ſei.
Die Organiſationsgewalt bildet neben der Verordnungsgewalt den zweiten großen Inhalt der Regierungsgewalt. Es iſt kein Zweifel, daß ſie der vollziehenden Gewalt ihrem Weſen nach angehört; die Grund - lagen der poſitiv gültigen Organiſation werden wir unten darſtellen. Es muß daher zunächſt feſtſtehen, in welchem Sinn wir überhaupt von einem Rechte der Organiſationsgewalt hier als einem ſelbſtändigen Gebiete des Rechts der vollziehenden Gewalt zu reden haben.
Der Gedanke, der hier zu Grunde liegen muß, und den die wirk - liche Organiſation als einen bereits entſchiedenen vorauszuſetzen hat, ergibt ſich aus Folgendem:
154Die Organiſation hat im Leben des Staats wie in jedem andern Leben die Aufgabe, die lebendige Kraft des Staats mit ihrem eigenen Körper zu verſehen, und die Vermittlung zwiſchen dem abſtrakten Wollen und den wirklichen einzelnen Thatſachen zu bieten. Sie iſt daher gleich - ſam der formelle, individualiſirte Ausdruck der Staatsgewalt. Sie umgibt dieſelbe auf allen einzelnen Punkten; ſie iſt es, welche die einzelnen Organe zu ſelbſtändigen Gliedern des Ganzen macht; ſie erzeugt daher die eigentlich concrete Geſtalt der vollziehenden Gewalt, indem ſie zugleich mit der Selbſtändigkeit jedes Organes ſein Ver - hältniß zum Ganzen feſtſetzt, und dadurch nicht bloß eine ſelbſtän - dige Funktion des erſteren in ſeiner Sphäre, ſondern andererſeits auch die Gemeinſchaft und innere Einheit der ſtaatlichen Gewalt in dieſen einzelnen Funktionen möglich macht. Sie iſt daher einerſeits die concret gewordene Vertheilung der vollziehenden Gewalt an die einzelnen Organe, andererſeits die eben ſo concret daſtehende Einheit in dieſer Selbſtändigkeit der letzteren. Sie iſt daher nicht bloß im Allgemeinen von hoher Wichtigkeit, ſondern es leuchtet ein, daß ſie ſelbſt nicht bloß vom einfachen Standpunkt des Rechts, ſondern eben ſo ſehr von dem der harmoniſchen Anſchauung des Staatslebens betrachtet werden muß.
Iſt das nun das Weſen der Organiſation, ſo folgt zuerſt, daß ſie auch von dieſer höchſten Staatsgewalt ausgehen muß, welche ſie als die einheitliche und gleiche im ganzen Staatsleben zu vertreten hat; oder daß das Staatsoberhaupt für den ganzen Staat das Recht der Organiſation in ſeinem Willen beſitze.
Dieß Recht empfängt nun ſeinen Inhalt durch folgende Sätze:
Allerdings iſt das Staatsoberhaupt das Haupt der Organiſations - gewalt; allein da dieſe Organiſation die vollziehende Gewalt enthält, ſo kann auch ſie Gegenſtand der geſetzgebenden Gewalt werden, wie alle Verhältniſſe der letzteren. Das Recht des Organismus wird da - durch zu einem verfaſſungsmäßigen Organiſationsrecht, gegenüber der ſouveränen Organiſationsgewalt des Staatsoberhaupts.
Andererſeits entſteht das Recht innerhalb des Organismus dadurch, daß die einzelnen Organe einander ſelbſtändig gegenüber treten. Dieſe ihre Selbſtändigkeit nennen wir ihre Competenz. Die Competenz ergibt daher das zweite große Gebiet des Organiſationsrechts, das wir kurz als das Competenzrecht bezeichnen.
Die Lehre von der Organiſation wird dann das Gebiet bilden, auf welchem dieſe beiden allgemeinen Begriffe ihre ſpezielle Anordnung finden.
155Der Begriff des verfaſſungsmäßigen Organiſationsrechts kann natür - lich erſt da entſtehen, wo ſich die geſetzgebende Gewalt mit einem ſelbſtän - digen Körper aus der Verſchmelzung mit der vollziehenden entwickelt. So lange das Königthum noch beide Gewalten ungeſchieden enthält, iſt von einem Rechte der Organiſation noch keine Rede. Der innige Zu - ſammenhang nun zwiſchen der Organiſation und der wirklichen Voll - ziehung, welche durch jene bedingt wird, erzeugt ſofort ein Syſtem von Rechtsgrundſätzen für die Organiſation an ſich, ganz abgeſehen von der Geſtalt derſelben, welche ihrerſeits den Ausdruck der verfaſſungsmäßigen Verwaltung in dem Gebiete der Organiſation bilden.
Das Syſtem von Rechtsgrundſätzen beruht nun zunächſt auf dem oberſten Satz, daß jede Organiſation nicht etwa für und durch eine einzelne ſelbſtändige Funktion innerhalb des Staats geſchieht, ſondern daß ſie ſtets der Ausdruck der perſönlichen Einheit deſſelben in der Verſchiedenheit ſeiner Lebensverhältniſſe ſein muß. Iſt ſie das, ſo kann die Gewalt, von der ſie im geſammten Gebiete des Staats ausgeht, auch nur Eine ſein; und das iſt die des Staatsoberhaupts. Das erſte Princip alles Organiſationsrechts iſt deßhalb in allen Ordnungen des öffentlichen Rechts das, daß alle Organiſation vom perſönlichen Willen des Staatsoberhaupts ausgehen muß; das Staatsoberhaupt iſt die Quelle aller Organiſationsgewalt.
Aus dieſem Grundprincip der Organiſation entſteht nun das Recht derſelben, indem das Staatsoberhaupt in ſeinem Willen durch die Natur und durch die Forderungen des innern Staatslebens beſtimmt wird, und dieſe Beſtimmungen ſelbſt vermöge der Geſetzgebung zu Rechtsſätzen werden. Die Organiſationsgewalt des Staatsoberhaupts daher, inſofern ſie durch die verfaſſungsmäßige Geſetzgebung beſtimmt iſt, nennen wir das verfaſſungsmäßige Organiſationsrecht.
Dieß verfaſſungsmäßige Organiſationsrecht hat nun zwei Gebiete, in denen es als eine der weſentlichen Bedingungen des harmoniſchen Staatslebens erſcheint. Das erſte dieſer Gebiete betrifft die amtliche Organiſation, das zweite die Selbſtverwaltung.
Die folgende Darſtellung muß nun beide Begriffe und ihren Inhalt als bekannt vorausſetzen. Wir dürfen für alles Einzelne auf den zweiten Theil verweiſen. An dieſem Orte kommt es nur darauf an, das allgemeine Verhältniß des Staatsoberhaupts und ſeine Organi - ſationsgewalt zu beiden Gebieten feſtzuſtellen, ſo weit dieß nicht ſchon in dem Satze liegt, daß die perſönliche Vollzugsgewalt des Staats - oberhaupts immer das Recht der perſönlichen Anſtellung behält (ſ. oben).
156Es iſt vielleicht einige Schwierigkeit, den obigen Begriff zu be - ſtimmen. In der That ſind die Miniſterien als Grundlage der ganzen Organiſation des Staats gegenüber derjenigen der Selbſtverwaltung gleichſam von ſelbſt entſtanden. Sie ſind ſo ſehr die natürliche Folge der innern Entwicklung des Staatslebens, daß, ſo viel wir wiſſen, zwar ſehr häufig und ernſthaft die Frage ventilirt worden iſt, wie ſie am zweckmäßigſten eingerichtet werden ſollen (ſ. unten), niemals aber die, ob das Staatsoberhaupt gezwungen ſei, Miniſterien überhaupt, oder beſtimmte Miniſterien zu haben, das iſt, ob es ein Recht der Miniſterialorganiſation gebe.
Die Grundſätze, die dafür gelten, ergeben ſich nun wohl ziemlich ein - fach aus dem allgemeinen Princip der verfaſſungsmäßigen Verwaltung.
Keine verfaſſungsmäßige Verwaltung iſt möglich, ohne eine Ver - antwortlichkeit der oberſten Staatsbehörden. Die verfaſſungsmäßige Verwaltung iſt aber gegeben mit dem Auftreten der ſelbſtändigen Volks - vertretung. Die Verantwortlichkeit der oberſten Staatsbehörden ihrer - ſeits hat zu ihrer Vorausſetzung, daß die vollziehende Gewalt eines beſtimmten Theiles der Regierung nur einzelnen Perſönlichkeiten vom Staatsoberhaupt übertragen werde. Ob dieſe oberſte Staatsbehörde Miniſter heißt oder nicht, iſt natürlich ganz gleichgültig. Nothwendig iſt aber und durch das Princip der Geſetzmäßigkeit der Verwaltung ge - fordert, daß die vom Staatsoberhaupt getroffene Organiſation ſo ein - gerichtet ſei, daß ſie die perſönliche Verantwortlichkeit der Voll - ziehung gegenüber der Geſetzgebung möglich mache. Dieſes einfache, und in allen Verfaſſungen anerkannte Princip wird nun zum Recht durch zwei Grundſätze, welche als Rechtsgrund der Verpflichtung des Staatsoberhaupts, Miniſterien zu bilden, betrachtet werden kann; ent - weder durch die Aufnahme der einzelnen Miniſterien in die Verfaſſung, oder durch den ausdrücklichen Satz, daß die Akte der vollziehenden Gewalt durch Miniſter unterzeichnet ſein müſſen. Eine Verpflichtung des Staatsoberhaupts, beſtimmte Miniſterien zu haben, kann ſtreng genommen nur da anerkannt werden, wo ſie ausdrücklich im Wege eines Geſetzes aufgeſtellt werden, was nur ſelten geſchehen iſt. Aber ſelbſt aus dieſer Verpflichtung geht eigentlich nicht die zweite hervor, jedes Miniſterium unbedingt mit einer einzelnen Perſon zu beſetzen. Es liegt im Organiſationsrecht des Staatsoberhaupts, ſowohl mehrere Miniſterien durch Eine Perſon, als ein Miniſterium durch einen Stell - vertreter verwalten zu laſſen. So weit nicht das Princip der poli - tiſchen Verantwortlichkeit durch ſolche Beſchlüſſe des Staatsoberhaupts157 beeinträchtigt wird, kann auch eine verfaſſungsmäßige Beſtimmung über die Miniſterien dieſelben nicht beſchränken, da die adminiſtrative Verant - wortlichkeit überhaupt nicht dadurch aufgehoben wird.
Auf derſelben Grundlage beruht dann das zweite Princip für die innere Organiſation der Miniſterien. Es iſt kein Zweifel, daß die - ſelbe grundſätzlich dem freien Beſchluſſe des Staatsoberhaupts unterliegt. Allein da dieſe innere Organiſation endlich die vollziehende Thätigkeit des Miniſters zur Verwirklichung bringt und mithin mit der Verant - wortlichkeit derſelben auf das Engſte zuſammenhängt, zum Theil die letztere geradezu bedingt, ſo folgt, daß die Miniſterien das Recht einer zwar formell ſehr unmächtigen, materiell aber entſcheidenden Einwirkung auf den Souverän haben müſſen, indem ſie demſelben ſowohl die Organiſation ſelbſt, als auch die Perſonen, vorſchlagen. Es wird nun ſehr ſchwer für einen Souverän ſein, einem ſolchen Vorſchlage ſich zu entziehen, da die Ordnungen und Ernennungen außerhalb oder gar gegen die Miniſter dieſelben natürlich von jeder Verantwortlichkeit be - freien. Die untern Organe kann der Miniſter natürlich im Namen des Staatsoberhaupts ſelbſt beſetzen.
Auf dieſe Weiſe enthält das Princip der verfaſſungsmäßigen Ver - waltung die Organiſationsgewalt zwiſchen König und Verfaſſung inner - halb des Staatsorganismus; eine andere Geſtalt empfängt es für die Selbſtverwaltung.
Das Recht des Königthums in Beziehung auf die Miniſterialorganiſation iſt, wie alle großen Beſtimmungen des öffentlichen Rechts, weſentlich verſchieden bei den drei Kulturvölkern. In England iſt die Verantwortlichkeit praktiſch eine Abhängigkeit des Miniſteriums von der Partei, und daher hat das König - thum kein Recht, Miniſterien einſeitig zu creiren, noch weniger ſie innerlich zu organiſiren. Sie entwickeln ſich von ſelbſt aus dem Privy Council (Gneiſt I. §. 46. 47. und unten). In Frankreich war das Recht des Königs, ganz nach Belieben Miniſterien zu ſchaffen, bis zur Revolution unbezweifelt. Erſt der durchgreifende Grundſatz der Verantwortlichkeit erzeugte den zweiten, daß auch die Zahl und Eintheilung der Miniſterien durch Geſetze beſtimmt werden müſſe. Die erſte geſetzliche Organiſirung der Miniſterien geſchah durch das Geſetz vom 25. Mai 1791; das Princip erhielt ſich bis unter Napoleon; mit ihm verſchwindet das Recht der Volksvertretung, die Miniſterien zu organiſiren, und fällt an das Königthum zurück; nur die Nothwendigkeit der Miniſter ſelbſt bleibt als Vorausſetzung der verfaſſungsmäßigen Verantwortlichkeit beſtehen, und ſo iſt es noch gegenwärtig. — In Deutſchland iſt es ſehr verſchieden. Einige Staaten haben die Miniſterien ausdrücklich in die Verfaſſung auf - genommen, namentlich Bayern Thl. V. §. 1, Königreich Sachſen §. 41, Württemberg Kap. IV. §. 54, Kurheſſen 1831, §. 106. Die meiſten ſetzen das Daſein von Miniſterien ſtillſchweigend voraus, und es kann nicht158 bezweifelt werden, daß der Grundſatz: „ der König habe alle Anſtalten zur Ausführung der Geſetze zu treffen, “oder ähnliche Ausdrücke, dem Staats - oberhaupt die volle Freiheit in der Miniſterialorganiſation gibt. Bayern iſt mit ſeiner Verfaſſung, ſowie mit ſeinem wirklichen Staatsleben dabei ein Muſter. Wir finden die oben ausgeſprochenen Gedanken in ſpezieller Anwendung auf Bayern ſehr klar und erſchöpfend dargeſtellt bei Pötzl Bayeriſches Verfaſſungs - recht §. 175, Bayeriſches Verwaltungsrecht §. 9 ff. Es iſt auch unpraktiſch, die Organiſation der Miniſterien durch Geſetze feſtzuſtellen; in der Bewilligung des Verwaltungsbüdgets liegt an ſich ſchon das richtige Maß des Einfluſſes der Geſetzgebung auf das Gebiet der vollziehenden Gewalt.
Auch die Ordnung des Organiſationsrechtes in der Selbſtverwaltung hat zur Vorausſetzung ihres richtigen Verſtändniſſes im Grunde ſchon den Ueberblick dieſes Organismus ſelbſt, und die Darſtellung des Princips wird daher erſt in dem zweiten Theil ihre vollſtändige Erfüllung erhalten. Dennoch iſt die Grundlage ſchon hier aufzuſtellen.
Wir gehen nämlich davon aus, daß die Selbſtverwaltung, wie es ſchon in ihrem Namen liegt, einen Theil der Verwaltung, und ihre Thätigkeit damit einen Theil der vollziehenden Gewalt bildet. Es folgt daraus von dieſem Standpunkt, daß die Organiſation der Selbſtver - waltung als ein Recht des Staatsoberhauptes erſcheint, wie die geſammte übrige Organiſation. Andererſeits ſchließt der Begriff der Selbſtverwal - tung eine ſolche Organiſation von Seiten der höchſten Staatsgewalt wieder aus. Wie die Selbſtverwaltung an ſich, ihrem eigenſten Begriff nach, nicht durch die einheitliche Gewalt des Staats erzeugt wird, ſon - dern auf Grundlage der freien Individualität als ein Organismus des Staats entſteht, ſo muß ſie ſich auch ſelbſt ihre Organe und die Ordnung ihrer Thätigkeit ſetzen. Auf dieſe Weiſe treten für das Or - ganiſationsrecht der Selbſtverwaltung zwei Principien einander gegen - über, und die feſte und klare Beſtimmung des Verhältniſſes beider zu einander wird dadurch zu einer der weſentlichſten Beſtimmungen des öffentlichen Rechtes.
Offenbar nun kann dieß erſt genau und einigermaßen erſchöpfend erſt dann dargelegt werden, wenn wir den Organismus und die Haupt - formen der Selbſtverwaltung ſelbſt darſtellen. Allein die Grundlage dieſer Ordnung, das entſcheidende Princip für das Verhältniß zwiſchen der Organiſationsgewalt des Staatsoberhaupts gegenüber der Selbſt - verwaltung bildet dennoch einen ſo weſentlichen Inhalt des Regierungs - rechts, daß wir ſie hier ſchon aufnehmen müſſen.
Auch in dieſem Gebiete zeigt ſich nun der große und gleichartige159 Gang der hiſtoriſchen Entwicklung Europas, der über dieſe Frage wie über alle andern zuletzt die Grundlage der Staatsrechtsbildung abgegeben hat. Wir werden ihn am beſten in ſeinen Hauptepochen charakteriſiren.
In der erſten Epoche iſt nicht bloß das Recht der Organiſirung in allen Formen der Selbſtverwaltung, Land -, Gemeinde - und Körper - ſchaft, unzweifelhaft, ſondern das Königthum macht gar keinen un - mittelbaren Anſpruch, in dieſelbe hineinzugreifen, ſo wenig wie die feu - dale Vertretung des Volkes auf die Organiſirung der eigentlich könig - lichen Verwaltung einen Einfluß nimmt. Es ſind eben zwei ſtaatliche, ganz ſelbſtändig neben einander ſtehende Gebiete der Verwaltung, die nur in der Perſon des Königs und der unbeſtimmten Idee des Staats zuſammenhängen. Der Organismus der Selbſtverwaltung bildet ſich auf dem Boden der gegebenen geſellſchaftlichen Zuſtände, der Organis - mus des Königthums auf dem Boden des ſelbſtändigen ſtaatlichen Be - dürfniſſes. Das Recht auf völlige Selbſtändigkeit in der beiderſeitigen Organiſirung erſcheint als unantaſtbar; es ſind zwei gleichberechtigt funktionirende Körper.
In der zweiten Epoche dagegen beginnt das Königthum ſeinen Kampf mit dieſer Selbſtändigkeit. Dieſer Kampf erſtreckt ſich nun eigent - lich nirgends direkt auf die Organiſation der ſelbſtändigen Verwaltungs - körper, ſondern nur auf ihre Thätigkeit. Allein ſchon in dieſer Epoche gelingt es dem Königthum, das Recht der Beſtätigung für die ganze Ordnung dieſer Körper wenigſtens zum Theil zu gewinnen, die dann unter der Form von Privilegien erſcheint, der Regel nach jedoch die hiſtoriſche Organiſation beſtehen läßt. Die Theilnahme der höchſten Staatsgewalt erſcheint in dieſer Epoche vielmehr in dem Auftreten neuer königlicher Organe, der Landſchafts - und Gemeindebeamteten, und ſo entſteht ein Zuſtand, in welchem die natürliche Selbſtändigkeit der Orga - niſation der Selbſtverwaltung als eine freie Bewilligung von Seiten der Staatsgewalt erſcheint, ohne daß eine objektiv gültige Gränze für dasjenige beſtünde, wozu die letztere berechtigt iſt, wozu nicht. Dieſe Unbeſtimmtheit iſt allerdings nicht bloß für die Organiſation vorhanden; ſie erſtreckt ſich über das ganze Leben der Selbſtverwaltung und beruht, wie wir ſchon geſagt, auf der allgemeinen Verſchmelzung der Gewalten im Staat, in welcher damit der Begriff des Geſetzes in dem der Ver - ordnung unterging. Dadurch wurde formell die perſönliche Staats - gewalt wirklich zur allein berechtigten Gewalt auch für die Organiſation der Selbſtverwaltung, und übte ſie im Grunde nur darum nicht aus, weil überhaupt die Selbſtverwaltung faſt keine Bedeutung mehr hatte.
In dieſem Zuſtande lag der Widerſpruch, der überhaupt jede vollſtändige Vernichtung der Selbſtändigkeit und Selbſtthätigkeit des160 Beſondern gegenüber der Einheit des Staats begleitet. Die Verſchmelzung der Geſetzgebung und Vollziehung in dem individuellen Willen des Königs hatte das ſtaatsbürgerliche Recht vernichtet; der Uebergang der Zuſtändigkeiten in allen Gebieten der Verwaltung von den Organen der Selbſtverwaltungskörper auf die Organe der centralen Staatsgewalt vernichtete die Bildungen des hiſtoriſchen Rechts. Die Neugeſtaltung der Staatsidee mußte in beiden Gebieten zu neuen Rechtsordnungen führen.
Dieſe Neugeſtaltung erſcheint in der dritten Epoche für das ge - ſammte öffentliche Recht mit dem Auftreten der ſtaatsbürgerlichen Ge - ſellſchaftsordnung. Die Form, in welcher ſie ſich in der Geſetzgebung vollzieht, iſt bekanntlich die Herſtellung des ſelbſtändigen Organes für die Geſetzgebung, das wir die Volksvertretung nennen. In dem Ge - biete der Organiſation ſtellt ſich das Element des ſelbſtändigen öffent - lichen Rechts dadurch her, daß die neue Geſetzgebung den Antheil, den die Selbſtverwaltung an der Vollziehung der Geſetze haben ſoll, grund - ſätzlich anerkennt, und dieſen Antheil zum Gegenſtande einer ſelbſtän - digen, denſelben genau und im Sinne der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ordnenden Geſetzgebung macht. Dieſe Geſetze über die Organiſation der örtlich vollziehenden Gewalt der Selbſtverwaltungskörper und ihre Zuſtändigkeiten nach allen Theilen ihrer öffentlichen Aufgaben ſind eben die Landſchafts - und Gemeindeordnungen.
Es leuchtet daher ein, daß die Landſchafts - und Gemeindeordnun - gen nicht ihrem Begriffe nach einen Theil der eigentlichen Ver - faſſung, d. i. desjenigen Organismus, der den Willen des Staats zum Geſetze macht, bilden; denn weder die Landſchaften noch die Ge - meinden können Geſetze machen. Allein die hohe Wichtigkeit der Selbſt - verwaltung hat dennoch auch den geſetzlichen Organiſationen jener Körper eine Stellung gegeben, nach welcher dieſelbe als ein verfaſſungsmäßiges Recht erſcheinen; theils indem eigene, ſehr genaue Geſetze darüber er - laſſen werden, theils indem man die Grundſätze derſelben unmittelbar in die Verfaſſung aufnahm. Dadurch nun entſtand ein zweites Gebiet, welches auch in Beziehung auf den Organismus der ſelbſtherrlichen Be - ſtimmung der höchſten Staatsgewalt entzogen ward; es iſt das Gebiet der verfaſſungsmäßigen Organiſation und der Competenzen der Selbſt - verwaltung.
An dieſe Grundſätze nun mußte ſich natürlich die Frage anſchließen, wie weit denn nun das Recht dieſer Körper gegenüber der einheitlichen Staatsgewalt gehe. Es iſt nicht möglich, dieß zu erörtern, ohne die Organiſation jener Körper ſelbſtändig darzulegen. Es darf daher hier als Uebergang nur bemerkt werden, daß das Princip des organiſchen161 Verhaltens hier ein negatives iſt. Die höchſte Staatsgewalt ſoll nur hindern, daß etwas Geſetzliches unterbleibe oder etwas Ungeſetz - liches geſchehe. Die Formen, in welchen dieß Princip ausgeübt wird, ſind, wie wir ſpäter ſehen werden, die Genehmigung und die Ober - aufſicht. Sie ſind es, welche die Selbſtändigkeit des verfaſſungs - mäßigen Organismus der Selbſtverwaltungskörper mit der Nothwendig - keit der Uebereinſtimmung ihrer verwaltenden Thätigkeit mit dem ganzen Staate in Harmonie bringen, und bilden daher die zwei großen ver - faſſungsmäßigen Grundlagen für das organiſche Verhalten der Staats - und der Selbſtverwaltung. Ihre weitere Darſtellung muß ſich an die Darſtellung der Selbſtverwaltung überhaupt anſchließen.
Siehe unten die Landſchaft, das Gemeindeweſen und die Körper - ſchaften. Es ſei hier nur bemerkt, daß der Gedanke, die Gemeindeordnungen in die Verfaſſung ſelbſt aufzunehmen, ein franzöſiſcher iſt, und daß die deutſchen Verfaſſungen eben daher, wie das immer erſcheint, wo ein franzöſiſcher Gedanke in das deutſche Leben verwebt ward, ſie nicht einig darüber werden konnten, ob ſie dieſelben als „ Theil der Verfaſſung “betrachten ſollen, oder nicht. Hier iſt daher die größte Verſchiedenheit. In einigen iſt die Geſetzgebung über die Selbſtverwaltung gar nicht berührt, ſondern nur die Volksvertretung; in einigen iſt ſie kurz berührt, z. B. Braunſchweig Kap. III, Hannover Kap. IV, Württemberg Kap. V, Kurheſſen §. 102; in andern iſt ſie ſehr weitläufig behandelt; iu noch andern iſt ſie beinahe die Verfaſſung ſelbſt, wie in der alten Oldenburger von 1831. Erſt die neueſte Zeit iſt im Begriff, hier zum Ab - ſchluß zu gelangen.
Aus der Organiſationsgewalt in ihrer Thätigkeit entſteht nun ein zweiter Begriff und mit ihm ein zweites Rechtsverhältniß, das eigent - lich die praktiſche Seite des Organiſationsrechts enthält. Das iſt die Competenz oder Zuſtändigkeit.
Wir ſind gezwungen, auch dieſen Begriff und ſei Recht genauer zu beſtimmen, als dieß gewöhnlich geſchieht, um ihn über die ganze voll - ziehende Gewalt auszudehnen, während die einſeitig juriſtiſche Bildung in Deutſchland ſie faſt immer nur bei der Verwaltung des Rechts an - wendet. Zu dem Ende muß man Inhalt und Umfang der Com - petenz wohl unterſcheiden.
Die Competenz entſteht, indem die höchſte Staatsgewalt in einem beſtimmten Lebensverhältniß ſich und ihre Aufgaben durch ein beſtimm - tes Organ vertreten läßt. Sie enthält daher dasjenige Maß derStein, die Verwaltungslehre. I. 11162allgemeinen Regierungsgewalt, welches für die Erfüllung einer beſtimmten Aufgabe nothwendig iſt. Da nun dieſe Regierungsgewalt wieder die verordnende, organiſirende und polizeiliche Gewalt enthält, ſo beſteht der Inhalt der Competenz in demjenigen Antheil an jenen drei Gewalten, welcher jedem einzelnen Organe durch die ſtaatliche Organi - ſationsgewalt zugewieſen iſt. Man muß daher als allgemeinſten Grund - ſatz der Competenz ſetzen, daß jedes Organ ſtets alle drei Gewalten bis zu einem gewiſſen Maße in ſich vereinigt. Es gibt weder eine ausſchließende Competenz nur für Entſcheidungen, Organiſirungen oder Exekutionen, ſondern in jedem Organe ſind alle Momente vorhanden: ja es kann gar kein Organ gedacht werden ohne dieſelben; denn jedes Or - gan iſt am Ende das Ganze innerhalb eines beſchränkten Kreiſes. Und das Maß jener drei Gewalten, welches dem einzelnen Organ auf dieſe Weiſe zuſteht, iſt der Inhalt der Competenz.
Der Umfang der Competenz dagegen entſteht, indem das einzelne Lebensverhältniß objektiv beſtimmt wird, für welches das Organ mit jenen drei Gewalten nie thätig ſein ſoll. Während daher der Inhalt die Gränze der letztern gegenüber der allgemeinen Regierungsgewalt feſtſtellt, ſetzt der Umfang dieſe Gränze für die wirklichen Dinge. Dieſe letztere kann nun wieder eine theils ſachliche, theils örtliche ſein. Es können dabei innerhalb derſelben örtlichen Gränze viele ſach - liche Competenzen zugleich gültig ſein; die örtlichen Competenzen dagegen ſchließen ſich nothwendig aus. Daher aber entſteht, wie die Lehre vom Organismus weiter zeigen wird, ein neuer Begriff durch die Momente des Allgemeinen und des Beſondern auch für die Competenzen, indem auch hier das erſte das zweite ſich unterordnet; dieſe Unterordnung er - ſcheint dann als die Hierarchie der Competenzen oder der Organe, denen dieſelbe zuſteht.
Auf dieſe Weiſe iſt die Geſammtheit der einzelnen Competenzen die wirkliche Geſtalt des Organismus der Regierung. Und dieſe letztere nun, obwohl ſie im Weſen der vollziehenden Gewalt liegt, und das Princip der verfaſſungsmäßigen Verwaltung das zweite Princip erzeugt, daß die vollziehende Gewalt allein Inhalt und Umfang der Competenzen zu beſtimmen hat, da ſie die Träger ihrer concreten Thätigkeit ſind, wird nun dadurch zu einem Gegenſtande der Wiſſenſchaft, daß die wirk - liche Competenz und mithin der wirkliche Organismus ſeinerſeits be - dingt erſcheint durch die Natur der Aufgaben, für welche er wirken ſoll. In dem Syſteme der Organe finden wir daher das organiſche Syſtem des Geſammtlebens, in dem Syſteme der einzelnen Competenzen die concrete Geſtalt ſeiner einzelnen Aufgaben wieder, und die Defini - tion eines Gebietes der Verwaltungslehre iſt daher die163 eigentlich allein richtige Beſtimmung der Competenz des, für dieſes Gebiet gültigen Organes.
Von dieſem Standpunkt aus kann nun allerdings die Lehre von der Competenz Ausgang und Schlußpunkt der Betrachtung des concreten Staatslebens werden. Es iſt klar, daß zunächſt die wirkliche Geſchichte des Organismus der Regierung im Einzelnen innerlich dadurch verbun - den iſt mit der Geſchichte des geſammten Staatslebens, und in dieſem Sinne werden wir darauf zurückkommen. Allein an den Begriff der Competenz an ſich ſchließt ſich nun zunächſt der Begriff des Compe - tenzrechts, der dem folgenden zum Grunde liegt.
Der Begriff des Competenzrechts entſteht nämlich, indem die Organiſation eben vermöge jener Competenz jedes einzelne Organ dem andern gegenüber als ein ſelbſtändiges hinſtellt. Dieſe Selbſtändigkeit der Competenz iſt nun eine doppelte. Sie iſt zuerſt eine Pflicht, die Aufgaben, die in der Competenz liegen, zu löſen; eine Pflicht, deren Er - füllung zugleich die Verantwortlichkeit möglich macht. Sie iſt aber zweitens ein Recht; ſie ſchließt die Zuſtändigkeit der andern Organe aus; ſie muß ſie ausſchließen, weil durch dieſe Ausſchließung erſt das einzelne Organ eine rechtliche Haftung für die geſetzliche Vollziehung des Willens, ſowohl der geſetzgebenden als der vollziehenden Gewalt für das competente Organ denkbar iſt. Das Recht der Competenz erſcheint daher von dieſem Standpunkt als ein doppeltes; erſtlich als eine natür - liche Conſequenz der Aufgabe des Organes, zweitens aber als die Be - dingung der Verantwortlichkeit der Vollziehung und ihrer Thätigkeit im Einzelnen gegenüber der Geſetzgebung.
Auf dieſem Grunde beruht nun der Satz, den wir als das Geſetz für die Entwicklung der Organiſation und ſpeziell für die Beſtimmung des Competenzrechts der einzelnen Organe aufſtellen können: die Aus - bildung der Organiſation und die ſcharfe Beſtimmung des Competenz - rechts halten ſtets gleichen Schritt mit der Verantwortlichkeit der voll - ziehenden Gewalt gegenüber der Geſetzgebung; die Verantwortlichkeit ſelbſt wird ihrerſeits illuſoriſch, wenn dieß Competenzrecht nicht feſtſteht.
Die Folge dieſes allgemeinen Geſetzes iſt es nun, daß mit dem Auftreten der Verfaſſung überhaupt die Geſetzgebung beginnt, die Competenzen feſtzuſtellen, und daß andererſeits die organiſatoriſchen Ver - ordnungen, indem ſie zwar formell nur unter dem Verordnungsrecht ſtehen, dennoch materiell den Charakter von Geſetzen annehmen. Der ganze Organismus erſcheint dadurch als eine Geſammtheit von Rechts -164 körpern, und die Unverletzlichkeit der Competenz erhält dadurch dieſelbe Bedeutung für die verfaſſungsmäßige Verwaltung, welche die Unver - letzlichkeit des Eigenthums für das Privatleben hat. Und das iſt nun der Punkt, auf welchem die verfaſſungsmäßigen Grundſätze für das Competenzrecht begründet ſind.
So nothwendig auch die Beſtimmung der Competenz im Einzelnen iſt, ſo iſt es dennoch unmöglich, für die organiſirende Gewalt alle Gränzen jedes Organes genau zu beſtimmen. Dennoch iſt eine ſolche Beſtimmung, für die beſtändigen Berührungen mit dem wirklichen Leben nothwendig. Sie muß daher auf einem andern Wege als von oben herab geſchehen. Das einzelne Organ muß ſich auf Grundlage ſeiner allgemeinen organiſchen Aufgabe ſeine Competenz in den einzelnen Fällen ſelbſt ſetzen.
Ein ſolches Recht jedes Organes iſt nun nicht bloß ein nothwen - diges, ſondern es muß auch von jedem Einzelnen anerkannt werden. Der Einzelne hat nicht das Recht, dem betreffenden Organe den Ge - horſam unter der Behauptung zu verweigern, das es nicht competent ſei. Das Competenzrecht erſcheint gerade hier als ein Analogon des Verordnungsrechts; die Conſequenzen ſind deßhalb auch hier dieſelben.
Offenbar nämlich kann das einzelne Organ, indem es in ſeiner Berührung mit dem Einzelnen ſich die Gränze ſeiner Conſequenz ſelbſt ſetzt und ſich Gehorſam erzwingt, ſich irren. Es muß daher auch einen Proceß geben, durch welchen dieſe Conſequenz auf ihre wirkliche, organiſch gültige Gränze zurückgeführt wird. Dieſer Proceß muß, in - dem er bei jedem Organ beſtändig eintreten kann, ein allgemein gül - tiger und gleichartiger ſein. Und indem er es ſomit iſt, welcher den Einzelnen gegen die unorganiſche Thätigkeit der einzelnen Organe ſchützt, ſo bildet er eben einen weſentlichen Theil des verfaſſungsmäßigen Ver - waltungsrechts.
Dieſer Begriff des Competenzrechts hat nun zwei Grundformen, die man zu unterſcheiden hat, um das vielfach beſtrittene Gebiet der hierher gehörigen Fragen überſehen zu können. Es iſt offenbar, daß die Competenz des einzelnen Organes, die es ſich ſelber im einzelnen Falle zuſchreibt, nichts anderes iſt, als eine Verfügung deſſelben über ſeine Zuſtändigkeit. So lange nun der Begriff und das Recht des Geſetzes nicht feſtſtehen, und mithin die geſetzgebende und verordnende Gewalt noch identiſch ſind, iſt auch eine ſolche bloß verordnungsmäßige Compe - tenz jedes Organes eine geſetzliche, und der Zweifel über dieſelbe im einzelnen Falle kann niemals durch Herbeiziehung eines Geſetzes, ſon - dern nur durch den verordnungsmäßigen Willen der zugleich geſetzgeben - den und vollziehenden Gewalt gelöst werden. Erſt dann, wenn die165 erſtere von der letztern geſchieden iſt, kann auch die Frage entſtehen, in welchem Verhältniß die Beilegung der Competenz von Seiten des ein - zelnen Organes — etwas, wozu wie geſagt jedes Organ beſtändig gegenüber dem Einzelnen das Recht haben muß — entweder zu der als Verordnung erſcheinenden organiſirenden Gewalt der Regierung, oder zu dem im Geſetze erſcheinenden Geſammtwillen des Staats ſteht. Ohne allen Zweifel ſind nun das, wie es wohl hier ſchon aus dem Früheren hervorgeht, zwei ſehr weſentlich verſchiedene Fälle, und er - zeugen daher auch weſentlich verſchiedene Grundſätze. Und indem wir daher den aus dem Zweifel an der Competenz des einzelnen Organes entſtehenden Streit im Allgemeinen den Competenzproceß nennen, würden wir ſagen, daß der Competenzſtreit die Art dieſes Proceſſes enthält, der ſich auf die verordnungsmäßige Competenz des Organes bezieht, während der Competenzconflikt diejenige Art bedeutet, die auf dem Verhältniß der Competenz zum geſetzlichen Rechte beruht.
Dieſe Unterſcheidung iſt einfach; aber ſie hat wie geſagt zur Vor - ausſetzung, daß überhaupt Geſetz und Verordnung klar und beſtimmt geſchieden ſind, und daß daher auch hier der Begriff des verfaſſungs - mäßigen Rechts feſtſtehe. Es wird nun, da dieß in Deutſchland, wie wir oben geſehen, keineswegs der Fall iſt, damit auch die große Verwirrung ſich erklären, welche in Deutſchland in dieſer Beziehung exiſtirt. Wir haben zu verſuchen, dieſelbe zugleich hiſtoriſch zu begründen und aufzulöſen.
Faſt in allen deutſchen Ländern iſt wohl der Grundſatz angenommen, daß bei einem eigentlichen Competenzſtreit, bei welchem es ſich um die gegenſeitige Competenz der oberſten Verwaltungsſtellen handelt, erſt eine gegenſeitige Rück - ſprache des Chefs dieſer Stellen ſtattfindet, und erſt nach dem vergeblichen Verſuch derſelben, ſich zu einigen, die Sache entweder im Staatsrathe, wie es nach der Verordnung vom 27. October 1810 in Preußen der Fall war, oder im Geſammtminiſterium, wie es dort ſeit der Verordnung vom 3. November 1817 gilt, zur Entſcheidung gelangt. Rönne II. §. 225. Ebenſo in Bayern, Inſtruktion von 1825; Pötzl, Verfaſſungsrecht §. 52. Das Geſetz vom 28. Mai 1850 bezieht ſich auf das, was wir als Competenz - conflikt begreifen (ſiehe unten). Das obige Princip iſt offenbar nichts als die Anwendung der franzöſiſchen Principien über den Conseil d’État, allerdings nur innerhalb dieſer beſtimmten Frage. Das Recht des Miniſteriums, die Competenzſtreitigkeiten zwiſchen den ihm untergeordneten Behörden zu ent - ſcheiden, iſt der einfache Ausfluß der miniſteriellen Organiſationsgewalt (Pötzl Bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 19).
Der Begriff des Competenzſtreites geht nun, wie erwähnt, davon aus, daß jede Competenz zunächſt als ein Akt der vollziehenden166 Gewalt erſcheint, und daß daher jedes Organ, welches ſich im beſtimm - ten Falle eine beſtimmte Competenz beilegt und im Namen derſelben einen Gehorſam erzwingt, damit eine organiſatoriſche Verfügung heißt. Eine ſolche Verfügung hat nun immer zur Vorausſetzung eine allgemeinere Verordnung der höhern organiſirenden Organe, im letzten Falle des Staatsoberhaupts als perſönlichen Inhabers der Or - ganiſationsgewalt. Daraus folgt, daß, ſo weit dieſe höchſte Organi - ſationsgewalt nicht durch Geſetze beſchränkt iſt, für das Recht auf die Feſtſtellung der Competenz auch nur das Verordnungsrecht eintreten und gültig ſein kann. Und die Geſammtheit aller derjenigen Fälle, in welchen das Recht eines Organes auf die von ihm ſelbſt geſetzte Com - petenz auf dieſe Weiſe auf den organiſatoriſchen Willen der höchſten Staatsgewalt zurückgeführt wird, faſſen wir als den Competenzſtreit zuſammen.
Die Grundlage jedes Competenzſtreites ſchließt daher principiell die Frage aus, ob die fragliche Competenz mit irgend einem Geſetze in Widerſpruch ſtehe. Sie beſteht immer nur in dem Zweifel, ob der Wille des einzelnen Organes, welches ſich eine beſtimmte Competenz beigelegt hat, übereinſtimmt mit dem Willen des höhern Organes, welches das Recht hatte, demſelben nach ſeinem Ermeſſen, kraft ſeiner organiſatoriſchen Verordnungsgewalt, dieſe Competenz auch wirklich bei - zulegen oder nicht. Und das Verfahren, welches ſich daher ergibt, wo ein Widerſpruch in der aufgeſtellten Competenz mit einem Geſetze weder vorhanden iſt noch behauptet wird, iſt daher auch kein anderes, als das, welches bei jedem Zweifel über das Verhältniß einer einzelnen Verfügung zu einer Verordnung eintritt. Oder, es kann in dieſem Falle gar kein Klagrecht eintreten, ſondern der Competenzſtreit kann nur im Wege der Beſchwerde erhoben und gelöst werden.
Damit iſt zunächſt das Fundament dieſer Beſchwerde, oder der Erhebung des Competenzſtreites gegeben. Daſſelbe muß die Behauptung — wo möglich natürlich die nachgewieſene — enthalten, daß die Gränze der Competenz, welche das einzelne Organ in dem einzelnen Falle ſich ſelbſt geſetzt hat, mit dem Willen und der Abſicht der Organiſations - gewalt in Widerſpruch ſtehe, oder daß dem einzelnen Organe das Recht auf die bezweifelte Competenz vermöge der geltenden Organiſation der Behörden nicht zuſtehe. Kann ſich der Beſchwerdeführer dabei auf ausdrückliche, die Competenz enthaltende Verordnungen berufen, ſo iſt es deſto beſſer; nothwendig iſt das hier ſo wenig, wie bei jeder andern Beſchwerde, und zwar aus den Gründen, die im Folgenden liegen.
Da nämlich die verordnende Gewalt das unzweifelhafte Recht hat, ihren Willen jeden Augenblick frei zu beſtimmen, ſo weit er nicht in167 Widerſpruch mit dem Geſetze ſteht, ſo gibt der Nachweis, daß die an - genommene Competenz mit einer Verordnung wirklich im Widerſpruch ſtehe, noch der Partei keineswegs ein formelles Recht darauf, daß die höhere Gewalt auch in dem gegebenen Falle ihre Verordnung für ihren eignen Beſchluß als objektiv gültig anerkenne. Sie hat im Gegen - theil gewiß die volle Freiheit, ſelbſt gegen ihre allgemeine Verordnung im einzelnen Falle zu entſcheiden und der Competenz des Organes auch dann die geltende Kraft zu verleihen, wenn ſie mit ihren allgemeinen Beſchlüſſen in Widerſpruch tritt. Die tiefern Gründe dieſes Rechts liegen in dem Weſen der lebendigen Vollziehung ſelbſt. Erſcheint dieſe völlige Freiheit der Bewegung als bedenklich für den öffentlichen Rechts - zuſtand, ſo iſt es Sache der Geſetzgebung, hier eben geſetzliche Compe - tenzen aufzuſtellen. So lange das nicht geſchehen iſt, iſt ein objektives Recht des Einzelnen auf eine Competenz nicht denkbar; die Regierung iſt vollkommen frei, auch die größte Ueberſchreitung der Competenz anzuerkennen. Die Anwendung eines Klagerechts iſt hier gänzlich ausgeſchloſſen.
Nur in dem Falle kann eine ſolche Freiheit nicht anerkannt werden, wenn ein bürgerliches Rechtsverhältniß in Folge einer beſtehenden Competenz erzeugt iſt. Alsdann kann die Negierung nachträglich nicht erklären, daß daſſelbe ungültig ſei, da die Competenz zugleich das Mandat für die Abſchließung des bürgerlichen Rechtsverhältniſſes ent - hält, und dieß durch Aenderung der Competenz nicht nachträglich geändert werden kann. Eben ſo wenig wird ein bürgerlicher Rechtsakt, der mit Ueberſchreitung der beſtehenden Competenz eingegangen ward, durch nachträgliche Anerkennung dieſer Ueberſchreitung ohne Zuſtimmung — ausdrückliche oder ſtillſchweigende — des Contrahenten ohne weiteres gültig. Hier tritt eben darum das Klagrecht ſtatt des Beſchwerderechts ein, weil es ſich um das Verhalten der Competenz zu einem Geſetze — dem bürgerlichen — handelt. (Ueber das franzöſiſche Recht ſ. unten.)
Es folgt aus dieſen Grundſätzen, daß ein Competenzſtreit im weitern oder uneigentlichen Sinne auch da erhoben iſt, wo die Partei zwar nicht eine Ueberſchreitung der verordnungsmäßen Competenz behauptet, oder um die Aenderung der letztern im Geſuchswege bittet. Das Verfahren iſt dabei natürlich das gleiche.
Dieß Verfahren liegt nun offenbar im Weſen des Competenz - ſtreites ſelbſt ſo tief begründet, daß es ſich von ſelbſt ergibt, und höchſt einfach erſcheint. Die Grundſätze ſind folgende.
a) Kein Organ kann über ſeine eigene Competenz entſcheiden. Es muß daher die Beſchwerde oder das Geſuch ſtets bei der höhern Stelle angebracht werden. Es iſt durchaus kein Grund, in dieſer Beziehung168 irgend welche Abweichung von den Grundſätzen des Verfahrens bei dem allgemeinen Beſchwerderecht anzunehmen.
b) Keine Beſchwerde wegen Competenzſtreites kann Suspenſiveffekt haben; derſelbe tritt nicht einmal im Competenzconflikt ein, wo es ſich um Gehorſam und nicht um bürgerliches Recht handelt.
c) Jede ſolche Beſchwerde muß bei der höhern Behörde deſſelben Organismus angebracht werden; denn dieſe iſt die organiſirende Gewalt für die niedere. Gegen den Entſcheid kann dann wieder Rekurs ergriffen werden bei der höchſten Behörde. Es iſt klar, daß eine Beſchwerde bei einem andern Miniſterium ebenſo wohl wie eine Entſcheidung des letztern ipso jure ungültig wäre.
d) Der Competenzſtreit kann jedoch nicht bloß von den einzelnen Privaten, ſondern er kann auch von Seiten der Behörde gegen die Be - hörde erhoben werden. In dieſem Falle tritt ein anderes Vorverfahren ein. Die untere Behörde kann nicht unmittelbar den Competenzſtreit gegen die des andern Verwaltungszweiges erheben, weil ſie ſelbſt ja kein objektives Recht auf ihre eigene Competenz hat. Sie muß daher die vermeintliche Verletzung ihrer Competenz bei ihrer eigenen höheren Behörde anzeigen, und es dieſer überlaſſen, die weitern Schritte zu thun. Zweckmäßig wäre die Verpflichtung für dieſelbe, auch der andern, entgegenſtehenden Behörde dieſen Schritt mit ſeiner Begründung mit - zutheilen; da die letztere dieſe Mittheilung ihrerſeits anzuzeigen hätte, würde viel Zeit erſpart werden.
Nimmt die höhere Behörde den Zweifel auf, ſo entſteht das Ver - fahren vor dem Competenzgerichtshof (ſ. unten).
e) Die Beſchwerde des Einzelnen kann nur bei der höhern Behörde entweder auf Grundlage der Thatſache geſchehen, daß die vermeintlich nicht competente Behörde den betreffenden Verwaltungsakt wirklich vor - genommen hat, oder auf Grundlage der Thatſache, daß die ver - meintlich wirklich competente Behörde den betreffenden Verwaltungsakt nicht vornehmen will. In beiden Fällen entſteht der Competenzſtreit; wir pflegen den erſten mit franzöſiſchem Namen den poſitiven, den zweiten den negativen Competenzſtreit zu nennen. In Verfahren und Recht macht beides keinen Unterſchied. Beide Arten des Competenz - ſtreites, der negative ſowohl als der poſitive, können ebenſo wohl von Behörde gegen Behörde, als von Privaten gegen Behörde erhoben werden.
f) So lange die Behörden, über deren Competenz ein Streit ent - ſteht, demſelben Miniſterium oder derſelben höchſten Behörde angehören, hat natürlich dieſe höchſte Behörde einſeitig zu entſcheiden. So wie aber die Behauptung aufgeſtellt wird, daß der fragliche Verwaltungsakt von einem andern Zweige des Verwaltungsorganismus hätte ausgehen169 ſollen, kann natürlich das betreffende Miniſterium nicht mehr ſelbſt entſcheiden. Hier entſteht daher ein neues Verfahren und ein neues entſcheidendes Organ.
Dieß Verfahren beruht darauf, daß die Competenzbeſchwerde als - dann bei beiden Behörden eingegeben werden muß. Bei der beſtritte - nen wird ſie die Oppoſition gegen die Competenz enthalten, bei der an - gerufenen die Bitte, den Gegenſtand für ihre Competenz vindiciren zu wollen. Gegen die Entſcheidung beider iſt ſelbſt dann, wenn ſie übereinſtimmen, ein Recurs zuläſſig.
Das Organ aber, welches zu entſcheiden hat, wenn ſich die beiden höchſten Stellen nicht vereinigen, muß nun offenbar ein ſolches ſein, welches hier nicht etwa gerichtlich verfährt, ſondern welches im Auftrage der höchſten organiſirenden Gewalt die fragliche Competenz im Ver - ordnungswege beſtimmt. Dieſe höchſte organiſirende Gewalt iſt nun das Staatsoberhaupt. Es iſt daher vollkommen richtig, daß demſelben eine ſolche Entſcheidung in jeder Verfaſſung beigelegt wird. Es muß ferner dem Willen des Staatsoberhaupts ganz überlaſſen ſein, in welcher Form er dieſe Entſcheidung treffen will, ſo lange kein Geſetz über dem Competenzſtreit vorhanden iſt. Es iſt aber zweckmäßig, daß dafür ein eigenes Organ aufgeſtellt werde. Und hier nun hat die Uebertragung der franzöſiſchen Idee des Competenzconfliktes und ſeine Verſchmelzung mit dem Competenzſtreit in den deutſchen Verfaſſungen den Grundſatz erzeugt, daß man dieß höchſte Organ zum Theil aus gerichtlichen Beamteten beſetzen müſſe, während, wie wir ſehen werden, der wahre Begriff des Competenzconflikts dieß als durchaus überflüſſig erſcheinen läßt. Das natürliche Organ iſt daher daſſelbe, welches überhaupt als das berathende Organ für die Verordnungsgewalt des Staatsoberhaupts auftritt, der Staatsrath; denn die Entſcheidung über den Competenz - ſtreit iſt eine Verordnung und kein Richterſpruch. Die Schwierigkeit, die beſtehenden deutſchen Geſetze auf die obigen Begriffe zurückzuführen, beſteht aber nicht in den Geſetzen, ſondern eben, wie ſchon geſagt, in der Unklarheit über den durchgreifenden Unterſchied von Competenzſtreit und Competenzconflikt. Und zu dieſem müſſen wir daher jetzt zuerſt über - gehen.
Wir müſſen nochmals darauf hinweiſen, daß wir den Ausdruck „ Competenzconflikt “keineswegs für einen richtigen halten, ſondern daß wir die Hoffnung haben, derſelbe werde mit der Sache, die er bedeutet, verſchwinden. Das kann und wird aber erſt dann geſchehen, wenn wir den Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung durch das geſammte170 öffentliche Recht durchzuführen, und damit den Begriff und das Weſen der wahren verfaſſungsmäßigen Verwaltung zur ſyſtematiſchen Geltung zu bringen gelernt haben werden. Bis dahin behalten wir ihn, als das Uebergangsſtadium am beſten bezeichnend, auch in der Wiſſen - ſchaft bei.
Während nämlich der Competenzſtreit und der Competenzproceß mit der Beſchwerde da entſteht, wo die Behauptung aufgeſtellt wird, daß eine Behörde auf einen Verwaltungsakt kein Competenzrecht habe, weil dem eine organiſatoriſche Verordnung entgegen ſteht, tritt der Competenzconflikt da ein, wo behauptet wird, daß das von einer Be - hörde in Anſpruch genommene Recht auf einen Verwaltungsakt mit einem Geſetze in Widerſpruch tritt. Es iſt natürlich an ſich ganz gleichgültig, welches das betreffende Geſetz iſt; es kann ſowohl ein organiſatoriſches Geſetz über die verfaſſungsmäßige Organiſation, als ein anderes ſein. Der Unterſchied iſt jedoch für die Competenz der ent - ſcheidenden Behörde ein weſentlicher, wie ſich ſofort unten ergeben wird.
So wie dieſer Begriff des Competenzconflikts feſtſteht, ſo ergibt ſich, in Gemäßheit des früher aufgeſtellten Unterſchiedes von Klagrecht und Beſchwerderecht, daß während bei dem Competenzſtreit nur das Beſchwerderecht eintritt, bei dem Competenzconflikt das Beſchwerderecht grundſätzlich ausgeſchloſſen iſt, und zwar darum, weil die Organe der vollziehenden Gewalt über den zweifelhaften Inhalt eines Geſetzes überhaupt, und alſo auch über das Verhältniß der Verordnung zum Geſetze nicht entſcheiden kann. Der Competenzconflikt kann daher ſeinem Weſen nach nur auf dem Wege des Klagrechts, und mithin nur vor dem Gerichte zur Entſcheidung gelangen. Das Verfahren, wie die Entſcheidung ſelbſt, ſind daher bei dem Competenzconflikt weſentlich andere, als bei dem Competenzſtreite; man kann ſagen, daß jedes ad - miniſtrative Klagverfahren einen Competenzconflikt, jedes adminiſtrative Beſchwerdeverfahren einen Competenzſtreit enthält.
Bei der Einfachheit dieſer Grundſätze wird es nun unſere Haupt - aufgabe ſein, nachzuweiſen, wie es gekommen iſt, daß dieſelben nicht zur Geltung gelangt, ſondern in unſern öffentlichen Rechtszuſtänden nur noch im Keime vorhanden ſind. Der Grund dieſer Erſcheinung gibt uns zugleich die Gewißheit, daß dieſer Keim ſich entwickeln und mit der Zeit zur Herrſchaft gelangen wird, die ihm gebührt.
Offenbar nämlich hat jener Unterſchied zur Vorausſetzung, daß eben Geſetz und Verordnung ſelbſt ſtrenge und formell geſchieden ſind. Jeder Mangel an Klarheit über dieſe Unterſcheidung muß ſofort im poſitiven Recht, wie in der Wiſſenſchaft, Competenzſtreit und Competenz - conflikt vermiſchen, wie er Klagrecht und Beſchwerderecht vermiſcht. 171Und conſequent muß daher auch das poſitive Recht der erſteren ſeine Erklärung in dem Verhältniß finden, welches poſitiv für Geſetz und Verordnung in den einzelnen Staaten beſteht.
Es wird daher hier nothwendig ſein, den Inhalt und Charakter des öffentlichen Rechts der großen Culturvölker darzulegen, denn in der That ſtehen wir auch hier vor der Hauptfrage unſeres ganzen ſtaat - lichen Lebens, dem Rechte der verfaſſungsmäßigen Verwaltung.
Wir werden demnach England, Frankreich und Deutſchland, jedes für ſich darſtellen.
Wenn die frühere Darſtellung des Klag - und Beſchwerderechts in England hinreichend klar geworden iſt, ſo glauben wir, daß das Recht der Competenzconflikte hier als ein ſehr einfaches erſcheinen dürfte.
In England iſt der perſönliche Staat niemals auf die Dauer dem Rechte des Volkes gegenüber getreten. Es iſt vielmehr die Grundlage der ganzen Verwaltung nicht die centrale Aufgabe des Staats, ſondern die örtliche der Selbſtverwaltung geweſen und geblieben. Es iſt daher auch ein Bedürfniß in der Weiſe, wie auf dem Continent, nie ent - ſtanden, eine ſcharfe Gränze für die Zuſtändigkeit des ſtaatlichen Organis - mus gegenüber dem Organismus der Selbſtverwaltung zu ziehen. Die Competenz iſt daher niemals Gegenſtand weder einer eigenen Geſetz - gebung, noch umfaſſender Verordnungen geworden. Sie erſcheint viel - mehr hier von Anfang an als die natürliche Conſequenz der Geſetze; jedes Organ hat entweder das beſtehende Recht überhaupt, oder das für daſſelbe gegebene beſtimmte Einzelgeſetz auszuführen; das Bedürfniß nach organiſatoriſchen Verordnungen tritt überhaupt nicht ein, ſondern die Competenz des einzelnen Organes geht ſo weit als die Anwen - dung des Geſetzes fordert, auf welches ſich daſſelbe beruft. Daraus folgt dann der tiefe Unterſchied zwiſchen dem ganzen Compe - tenzrecht Englands und dem des Continents. Es kann für den Ein - zelnen keinen Competenzſtreit im obigen Sinn in England geben, und daher auch der Begriff des Competenzconflikts in ſeiner Unterſcheidung vom Competenzſtreit gar nicht entſtehen, ſondern das Verhältniß iſt einfach folgendes. Wenn der Einzelne glaubt, daß der Akt der einzelnen Behörde die Competenz derſelben überſchritten hat, ſo klagt ſie einfach bei dem Gerichte und zwar auf Grundlage der Behauptung, daß die Behörde einen Akt vorgenommen, zu welchem ſie durch kein Geſetz berechtigt geweſen. Es iſt dann formell Sache der Behörde, durch die Anführung des geſetzlichen oder des gemein gül - tigen Rechts den Beweis zu führen, daß ſie wirklich nur ein geltendes172 Recht vollzogen, das zuſtändig geweſen ſei, und das Gericht ent - ſcheidet.
Es gibt ſcheinbar kein einfacheres Syſtem. Es enthält daſſelbe, um die obigen Ausdrücke zu gebrauchen, die völlige Auflöſung alles Competenzſtreites in Competenzconflikte. Nirgends ſcheint das verfaſſungs - mäßige Recht beſſer gewahrt; eine höhere Garantie als die des Geſetzes und der das Geſetz anwendenden Gerichte kann es ſcheinbar nicht geben. Vielen erſcheint daher das engliſche Syſtem als das Ideal des Compe - tenzrechts.
Dennoch iſt das nicht der Fall. In der That iſt es häufig näm - lich faktiſch unmöglich, daß die Geſetzgebung die Competenz der Behör - den in allen Fallen wirklich beſtimme. Es liegt, wie wir geſehen, vielmehr im Weſen des Organismus, daß dieß organiſch gar nicht geſchehen ſoll; denn die Beſtimmung der Zuſtändigkeit muß gegen - über den wechſelnden Lebensverhältniſſen eine wechſelnde, und die Organiſationsgewalt muß daher eine freie ſein, wenigſtens bis zu einem gewiſſen Grade. Keine Geſetzgebung vermag dieß Verhältniß zu ändern; es kann zwar durch eine andere Form verdeckt, nicht aber im Weſen geändert werden, und das hat ſich auch in England beſtätigt.
Da nämlich die Funktionen der vollziehenden Organe nicht unter - bleiben können, auch wenn das Geſetz keine Competenz feſtſtellt, ſo hat das engliſche öffentliche Recht den Gerichten die Entſcheidung über die Com - petenz auch da übergeben müſſen, wo es ſich nicht mehr um Geſetze, ſondern um die adminiſtrative Zweckmäßigkeit handelt. Das iſt ge - ſchehen durch die ſchon früher erwähnte S. Jervis-Akte über das Klag - recht gegen die Friedensrichter. Der Satz, daß „ any probable and reasonable cause “den Friedensrichter für ſeine Handlungen vor Gericht entlaſten ſoll, enthält das Recht der Gerichte, über die Competenz der Behörden auch da zu entſcheiden, wo es ſich gar nicht mehr um Geſetze, ſondern geradezu um Verordnungen handelt. Die Gerichte haben dadurch die ganz unorganiſche Stellung, die Funktion der höheren verwaltenden Behörden in der Entſcheidung über Competenzſtreite zu beurtheilen; die probable and reasonable cause enthalten eben gar nichts anderes als die Geſammtheit der Fälle des Competenzſtreits in unſerem Sinn, und das Klagrecht gegen den Friedensrichter iſt daher ein Be - ſchwerderecht in der Form des Klagrechts. Eine ſolche Ver - ſchmelzung wäre nun ſelbſt nicht möglich, wenn nicht die Quarterly Session ſelbſt wieder aus Friedensrichtern beſtände, alſo aus Behörden, welche eben zugleich Juſtiz - und Adminiſtrativbehörden ſind. Eben dadurch iſt nun die Sicherung des verfaſſungsmäßigen Rechts der Ein - zelnen gegenüber der Competenz der Organe zwar formell gewährt; da173 aber ein förmlicher Proceß ſehr viel Geld koſtet, und das Geſetz zum Schutze der Friedensrichter die Handlungen derſelben und ihre Compe - tenz ſehr dehnbar macht, ſo darf man unbedenklich behaupten, daß materiell das Syſtem der Scheidung von Competenzſtreit und Conflikt auch für England weit beſſer ſein würde, als ſein gegenwärtiges Syſtem. Die action of trespass iſt die Competenzklage bei Verhaftungen. Das writ of certiorari und das mandamus, inſofern ſie alle anhängigen Sachen umfaſſen, beziehen ſich daher auch auf diejenigen Competenz - Entſcheidungen der Quarterly Sessions, welche unter den Competenzſtreit fallen. Die Kings Bench erſcheint daher als der Competenzgerichts - hof Englands, obgleich man Begriff und Recht weder für Competenz - ſtreit und Conflikt, noch für Competenzgerichtshof hat; nicht einmal der Name kommt vor. Wir verweiſen für die weitere Ausführung theils auf das Obige, theils auf Gneiſt II. §. 75. Sollen wir demgemäß den Charakter des engliſchen öffentlichen Rechts auf dieſem Punkte bezeichnen, ſo müſſen wir ſagen: das Princip der Auflöſung aller Beſchwerden in die Klage, und aller Competenzſtreite in die Competenzconflikte, und damit des Verſchwindens des eigentlichen organiſchen Rechts der Com - petenz in England beruht auch hier auf dem grundſätzlichen Mangel der Selbſtändigkeit des Verordnungsrechts gegenüber der Geſetzgebung und der daraus hervorgehenden Verſchmelzung von Juſtiz und Ad - miniſtration. — Ein ganz anderes Bild bietet Frankreich dar.
Wie in England, ſo iſt auch in Frankreich das Competenzrecht der Ausdruck und zum Theil die Grundlage der ganzen innern Bil - dung des Staats und ſeines öffentlichen Rechts geweſen; es iſt nicht möglich, jenes Recht zu verſtehen, ohne ſich den Geiſt des letzteren gegenwärtig zu halten.
Frankreichs neuere Geſchichte iſt der Sieg der einheitlichen Staats - idee über die rechtliche Selbſtändigkeit ſeiner Theile. Dieſer Charakter Frankreichs iſt weder anders unter dem Königthum noch unter der Republik, noch unter dem Kaiſerthum. Der Sieg der Staatsgewalt im engeren Sinn des Wortes wird aber errungen eben durch die nie raſtende Thätigkeit ihrer vollziehenden Organe. Nirgends iſt daher das Bedürf - niß, ihnen die möglichſt große Freiheit zu laſſen, größer und herrſchen - der, als in Frankreich ſelbſt; ja es iſt erklärlich, daß ſich dieſer den eigentlichen Charakter dieſer merkwürdigen Staatsbildung erſt recht ver - wirklichenden Forderung alle übrigen Grundſätze des öffentlichen Rechts untergeordnet haben und noch unterordnen. Jene Freiheit der Be - wegung der vollziehenden Organe aber iſt, rechtlich ausgedrückt, eben174 ihre Competenz. Das Recht der Competenz wird ſich daher hier ganz anders geſtalten müſſen, als in England, und hat es auch wirklich gethan.
Ohne uns bei den früheren Verhältniſſen aufzuhalten, über welche wir auf das Répertoire de jurisprudence (1784, 17 Bände, 4.) v. Compétence verwieſen, ſo wie auf mehrere Andeutungen bei To - queville L’ancien régime (1856) und l’Organisation civile (1822) beginnen wir bei der Zeit der Revolution, in welcher der früher hiſto - riſch begründete Rechtszuſtand ſich zu einer formell gültigen Geſetz - gebung zuſammenfaßt.
Als die franzöſiſche Revolution begann, blieben bekanntlich eine Zeitlang die alten Gerichte, länger noch die alten Richter in Funktion. Dieſen nun war ein Rechtszuſtand nicht klar, in welchem die Fluth der Geſetze alles beſtehende, und namentlich in Beziehung auf das Privat - eigenthum das bisher unbezweifelte Recht der großen Grundherrn ver - nichtete. Sie verhielten ſich daher vorzüglich im Innern Frankreichs gegen die neuen Geſetze ſo weit möglich ſehr negativ, und verſuchten vielfach die Vollziehung derſelben durch richterliche Sprüche zu hindern. Die Assemblée constituante fühlte das ſehr deutlich hieraus. Sie empfand daher das Bedürfniß, einerſeits die Gerichte neu zu organiſiren, andererſeits die Vollziehung der Geſetze auch gegenüber den neuen Ge - richten zu ſichern. Beide Aufgaben zugleich ſollte das Geſetz vom 16 — 24. Auguſt 1790 (T. II. ) über die neue Organiſation der Gerichte löſen. Dieſes Geſetz iſt eines der merkwürdigſten in der ganzen Revo - lution. Es ſtellte nämlich die Organiſation der Gerichte auf; es ſtellte aber daneben den Grundſatz hin: „ que les tribunaux ne peuvent prendre indirectement ou directement aucune part à l’exercice du pouvoir législatif, ni empêcher ou suspendre l’exécution des lois “(a. 10) — „ que les fonctions judiciaires seraient distinctes et demeu - reraient toujours separées des fonctions administratives “und nament - lich, „ que les juges ne pourraient, à peine de forfaiture, troubler de quelque manière que ce soit les opérations des corps administratifs, ni citer devant eux les administrateurs pour raison de leurs fonctions “(a. 12). Dieſer Grundſatz ward nun mehrfach und ausdrücklich wieder - holt; ſo im Geſetz vom 2. September 1795 — „ itératives défenses aux tribunaux de connaître des actes administratifs, de quelque espèce qu’ils fussent “und öfter. Eine ſolche Beſtimmung war nur hiſtoriſch zu erklären, aber ihr Inhalt war allerdings unzweifelhaft genug. Jede Competenzfrage über die Verwaltungsakte einer voll - ziehenden Behörde iſt definitiv den Gerichten entzogen, und den Verwaltungsbehörden übergeben. Mit dieſem Princip175 beginnt in Frankreich die Lehre vom Conflit de compétence; darnach gibt es, im geraden Gegenſatze zu England, keinen Competenz con - flikt, ſondern nur einen Competenzſtreit; die Klage iſt definitiv aus - geſchloſſen, und nur die Beſchwerde zuläſſig.
So wenig nun wie in England die Verſchmelzung beider in das einſeitige Klagrecht ſich ſtrenge erhalten konnte, ſo wenig konnte ſich natürlich in Frankreich jene Verſchmelzung in das einſeitige Beſchwerde - recht auf die Dauer durchführen laſſen. Schon im ſelben Jahre, wo das Geſetz vom 16 — 24. Auguſt erlaſſen ward, ſehen wir den Compe - tenzſtreit zwiſchen Juſtiz und Adminiſtration entſtehen; und ſchon das Geſetz vom 7 — 14. Oktober 1790 entſchied: des réclamations d’incom - pétence à l’égard des corps administratifs ne sont, en aucun cas, du ressort des tribunaux; elles seront portées au Roi, chef de l’administration générale, et dans le cas où l’on prétendrait que les Ministres de Sa Majesté auraient fait rendre une décision con - traire aux lois, les plaintes seront adressées au corps législatif. “ Hier iſt alſo bereits der Conflikt neben der réclamation als plainte, Klage, hingeſtellt; aber auch hier bleibt derſelbe den Gerichten entzogen, und iſt zum Gegenſtand der geſetzgeberiſchen Thätigkeit gemacht. Einen eigentlichen Conflikt gibt es daher nicht, denn es gibt noch keine Klage vor Gericht. Dieſer Zuſtand erhielt ſich unter dem Kaiſerreich. Die neue Gewalt des Kaiſerthums kann die Frage, ob ein Verwaltungsakt gegen ein Geſetz laufe, den Gerichten nicht überlaſſen; es hält ſie feſt für ſeine Verwaltungsbehörden. Zugleich aber werden nun die Codes erlaſſen. Es iſt kein Zweifel, daß dieſe ein geſetzliches Recht enthalten. Kann die Verwaltungsbehörde auch das Recht der Codes angreifen und darüber außerhalb der Gerichte entſcheiden, ſo ſind die bürgerlichen Rechte faſt direkt illuſoriſch. Dennoch iſt eine beſtändige Berührung der Verwaltung mit dem Rechte der Codes unvermeidlich. Die Unter - werfung der Verwaltungsakte unter die jurisdiction des tribunaux will man trotzdem nicht zugeben; die Unabhängigkeit der Gerichte darf man nicht angreifen. Der Widerſpruch zwiſchen beiden Principien iſt klar; das franzöſiſche Recht muß ihn löſen, ſoll es nicht das eine Rechts - gebiet direkt dem andern opfern. Aus dieſen Elementen nun entſpringt das eigenthümliche Syſtem des franzöſiſchen Rechts, das man ſo ſelten richtig beurtheilt hat, und in welchem ſelbſt die Franzoſen nicht ganz klar ſehen. Daſſelbe beruht auf der Aufſtellung dreier Gruppen von Verhältniſſen, von denen die zweite in den gewöhnlichen franzöſiſchen Darſtellungen nicht zur Erſcheinung kommt: die jurisprudence du contentieux administratif, der jurisprudence de la compétence, und der jurisprudence du conflit.
176Das contentieux administratif umfaßt nämlich die Geſammtheit derjenigen Rechtsverhältniſſe, in welchen die Verwaltung mit dem „ Privatintereſſe “in Streit geräth, und welche deßhalb der Ent - ſcheidung der Gerichte entzogen und der Entſcheidung der Verwaltungs - behörden übergeben ſind. Eine ſcharfe Beſtimmung dieſer Rechtsverhält - niſſe gibt es nicht; die ganze franzöſiſche Literatur iſt ſich darüber einig, daß es vergeblich iſt, ſie objektiv begränzen zu wollen. Doch ſind gewiſſe Gebiete unzweifelhaft als Gebiete der Verwaltung an - erkannt (ſ. oben). In dieſem contentieux administratif, ſo weit es als ſolches anerkannt iſt, iſt nun auch das Privatrecht der Ent - ſcheidung der Adminiſtrativbehörden unterworfen und damit bei Ver - letzungen deſſelben nur das Beſchwerderecht zugelaſſen, was dadurch gemildert iſt, daß dieß Beſchwerderecht hier vollſtändig Form und Norm einer Klage, und der Proceß den ganzen Inſtanzenzug der Gerichte bis zum Conseil d’État angenommen hat. In dem Gebiete des unzweifel - haften contentieux administratif iſt daher der Competenzconflikt durchaus ausgeſchloſſen, ſelbſt da, wo die Akten der Verwaltungsbeamten geradezu gegen ein Geſetz und ſelbſt gegen die Codes gehen. Hier gibt es nun einen Competenzſtreit, obgleich es dem Princip nach auch einen Competenzconflikt geben ſollte.
Die eigentliche compétence dagegen umfaßt alle Fälle, in welchen das einzelne Amt ſeine Zuſtändigkeit auch außerhalb der contentieux überſchreitet. Wo dieß behauptet wird, iſt natürlich auch in Frankreich von einer Competenzklage gar keine Rede, ſondern einfach von einer Oppoſition gegen dieſelbe Ueberſchreitung, welche durch einen recours bis an den Conseil d’État gehen kann. Die Grundlage iſt hier aber nicht die Scheidung des contentieux vom droit civil (oder die Admini - ſtrativ - von den Juſtizſachen (ſ. unten), ſondern die Natur der Com - petenz ſelbſt; es iſt vielmehr die Beſchwerde hier wie ſie ſein ſoll: le moyen général de maintenir en toutes manières, entre toutes autori - tés, l’ordre constitutionnel des compétences et des jurisdictions “Natür - lich iſt dabei die Form und der Inſtanzenzug ganz derſelbe wie bei dem contentieux, und das iſt der Grund, weßhalb die franzöſiſche jurisprudence administrative dieſes eigentliche und wahre Gebiet des Competenzſtreites gar nicht zu unterſcheiden vermag; es fällt ihm mit dem contentieux zuſammen, das auf dieſe Weiſe den wahren Com - petenzſtreit mit dem Competenzconflikt in den ſogenannten Adminiſtrativ - ſachen verſchmolzen hat.
Damit bleibt aber ein drittes Gebiet. Es kann in vielen Fällen zweifelhaft ſein und iſt es auch, ob der Akt der Verwaltung dem contentieux angehört oder nicht, und dieſer Zweifel kann ſowohl von177 dem Einzelnen als von den Behörden ſelbſt angeregt werden. Da ſich nun der alte Grundſatz erhielt, daß die Verwaltungsakte „ unter keiner Bedingung “der gerichtlichen Entſcheidung zu unterziehen ſeien, ſo hielten es die Verwaltungsbehörden für ihre Pflicht, gegen jeden Akt der Gerichte, der irgendwie Verwaltungsthätigkeiten beurtheilen wollte, ſich zu opponiren. Andererſeits beſtanden die Gerichte darauf, über das - jenige zu entſcheiden, was ein geſetzliches Recht enthielt und nicht aus - drücklich ihrer Entſcheidung als Gegenſtand des contentieux entzogen war. Da man nun vergeblich verſuchte, dieſe Gränze äußerlich feſt - zuſtellen, ſo ward der Streit zwiſchen Gericht und Verwaltung über ihre Competenz in jedem einzelnen Falle möglich, wo dieſe Gränze zwiſchen contentieux und droit civil et criminel fraglich ward, oder in welchem es ſich um das Verhältniß des Verwaltungsaktes zum poſitiven Geſetze handelte, ſo weit das contentieux nicht unbeſtritten die Sache der Verwaltung übergab. Und die Geſammtheit dieſer Fälle bildet den conflit.
So einfach nun dieſer Begriff an ſich iſt, ſo unmöglich iſt es, ſeine Gränze zu beſtimmen; denn die Vorausſetzung wäre, daß man entweder jeden Fall, in welchem ein Widerſpruch eines Verwaltungs - akts mit einem Geſetze behauptet wird, den Gerichten zur Annahme oder zur Abweiſung überließe, und das verſtattet der hiſtoriſche Grund - ſatz des franzöſiſchen Verwaltungsrechts wie geſagt nicht; oder daß man die Gränzen des contentieux, der Adminiſtrativſachen, hinreichend beſtimmte, und das verbietet die Natur derſelben. Es iſt daher von jeher unmöglich geweſen, die Fälle des conflit zu beſtimmen, und die franzöſiſche jurisprudence du conflit liefert daher durch eine mehr als ſechzigjährige, fruchtloſe Arbeit den Beweis, daß jeder Verſuch, die Gränze zwiſchen Competenzſtreit und Competenzconflikt auf die Unterſcheidung zwiſchen Adminiſtrativ - und Juſtiz - ſachen zurückzuführen, eine hoffnungsloſe iſt. Daher ſehen wir denn auch in Frankreich ſofort mit Beginn dieſes Jahrhunderts das Beſtreben eintreten, ſtatt der Unterſcheidung des conflit vom con - tentieux vielmehr das Organ zu conſtituiren, welches in jedem einzelnen Falle über die Competenz von Gericht und Verwaltung zu entſcheiden hat. Bei dieſem Streben, verbunden mit einer höchſt ſcharf - ſinnigen Theorie, der wir in Deutſchland auch nichts entfernt Aehnliches zur Seite zu ſtellen haben, ſind zwei gleichſam herrſchende Geſichts - punkte hervorgetreten. Erſtlich haben ſich unter jenen Fällen, in denen die Competenz von Gericht und Verwaltung zweifelhaft iſt, gewiſſe Fälle anerkannter Weiſe ausgeſchieden, in denen die Competenz des Gerichts entſchieden zugeſtanden wird; dahin gehören namentlich dieStein, die Verwaltungslehre. I. 12178Fälle, in welchen es ſich um Verbrechen der Beamteten handelt, zum Theil diejenigen, in welchen es ſich um Vergehen handelt (conflits en matière criminelle und en matière correctionnelle). — Zweitens hat man den tiefen Unterſchied zwiſchen contentieux und conflit darin aner - kannt, daß die höchſte entſcheidende Behörde, der Conseil d’État, eine eigene Sektion pour le contentieux, und eine zweite Sektion pour les conflits hat. Die erſte Sektion entſcheidet daher die Competenz - ſtreitigkeiten, die zweite entſcheidet über den conflit, indem ſie die Zu - ſtändigkeit entweder der administration oder der tribunaux formell ausſpricht. Die große Wichtigkeit der Sache und die hohe, in Deutſch - land nur zum Theil nachgeahmte Vortrefflichkeit des Beſchwerde - verfahrens haben nun über das ganze Verfahren beim conflit eine ſelbſtändige jurisprudence geſchaffen, welche hier natürlich nicht mit - getheilt werden kann. Es möge nur zum Schluſſe bemerkt werden, daß das Hauptgeſetz über den conflit die Ordonnanz vom 1. Juni 1828 iſt, dem ein Bericht von Cormenin zu Grunde liegt. Es ward ſpäter ein eigener Geſetzentwurf darüber ausgearbeitet (1835), aber den Kammern nicht vorgelegt. Man fühlte vollkommen das höchſt Unvollſtändige in dem beſtehenden Rechte; aber man glaubte und glaubt noch immer, daß es gelingen werde, durch eine ſcharfe geſetzliche Trennung der contentieux zu einer Regelung des conflit zu gelangen. Man hat daher wieder in der Conſtitution von 1848 den Satz aufgenommen, daß die conflits d’attributions entre l’autorité administrative et l’au - torité judiciaire definitiv geregelt werden ſollen (a. 89). Ein Reglement vom 26. Oktober 1848 hat ein Tribunal dafür eingeſetzt; ein Geſetz vom 4. Februar 1850 hat die Ordnung und das Verfahren deſſelben geregelt; aber das décret organique de Conseil d’État vom 25. Januar 1852 hat demſelben in Art. 17, die Entſcheidung des conflit zurückgegeben und dieſen Conseil d’État in ſeinen zwei eben erwähnten Sektionen wieder zum Competenzgerichtshof von Frankreich gemacht. Aber im höchſten Grade für den Begriff der franzöſiſchen Verwaltung bezeichnend iſt dabei der Grundſatz: „ le Conseil d’État n’admet pas que les tribunaux puissent éléver le conflit contre l’administration. “ „ La vérité est, “ſagt Bou - latignier, „ qu’en instituant le conflit, on a eu surtout en vue de protéger l’autorité administrative contre les empiètements de l’autorité judiciaire. “— Das heißt alſo, wenn einmal ein geſetzliches Recht durch einen Verwaltungsakt verletzt, aber trotzdem aus irgend einem Grunde nur eine Beſchwerde erhoben iſt, wo eine Klage unbedingt hätte ſtatt - finden ſollen, ſo hat dennoch nur die Verwaltungsbehörde zu ent - ſcheiden; es wird Gericht durch das Erheben der Beſchwerde. Es iſt natürlich vollkommen unmöglich, in dieſem Zuſtande noch ein auf179 dem Begriff des Geſetzes und der Verordnung beruhendes Competenz - recht durchzuführen. Es iſt nicht einmal der Grundſatz feſtgehalten, daß man es nach den äußern Merkmalen der Sache beſtimme; es iſt die Sanction der Herrſchaft der Verwaltung über das Recht, der Unfreiheit des bürgerlichen Rechts gegenüber dem Ver - waltungskörper. Frankreichs Competenzrecht iſt ſeinem Weſen nach einer der großen Faktoren ſeiner innern Unterwerfung unter die all - gewaltige Staatsgewalt; ſeiner äußern Form nach der entſcheidende Be - weis, daß man auf Grundlage der Unterſcheidung von Juſtiz - und Adminiſtrativſachen nicht zu einem verfaſſungsmäßigen Competenzrecht gelangen kann.
Dennoch hat das franzöſiſche Recht wenigſtens zum Theil in Deutſchland Platz gegriffen.
Wenn es uns gelungen iſt, uns über den Unterſchied von Geſetz und Verordnung einerſeits, und über Adminiſtrativ - und Juſtizſachen, ſowie über Klag - und Beſchwerderecht andererſeits klar auszuſprechen, ſo wird es jetzt kaum mehr ſchwierig ſein, die Behauptung durchzuführen, daß auch im Competenzrecht die einzelnen deutſchen Rechte ſich in durch - greifender Unklarheit befinden, während es ein gemeinſames deutſches Recht eben nicht gibt. Grund und Inhalt dieſes Verhältniſſes ſind in der inneren Geſchichte des deutſchen Rechts gegeben. Wir dürfen uns dabei auf früher Geſagtes beziehen.
Mit dem vorigen Jahrhundert geht in Deutſchland die Theilnahme der Vertretung an dem Staatswillen und damit der Begriff und das Recht des Geſetzes unter; Verordnung und Geſetz ſind identiſch. Es iſt für die richtige Beurtheilung des deutſchen öffentlichen Rechts wohl feſtzuhalten, daß es in ganz Deutſchland nicht einmal ein Recht gibt, welches dem Enregistrement der Parlemente in Frankreich oder dem Lit de justice zur Seite geſtanden hätte. Der Wille des Souverains iſt hier auch formell allein herrſchend. Dabei erhielt ſich jedoch der, durch das eifrige und höchſt einſeitige Studium des Römiſchen Rechts getragene Gedanke, daß die Gerichte das Geſetz zu handhaben befugt ſind. Da es nun aber keinen beſtimmten Begriff des Geſetzes gibt, ſo iſt die Competenz der Gerichte, wo immer ſie mit dem Willen des Souve - rains zu thun hat, an und für ſich zweifelhaft, und im Grunde nur durch die Zuſtimmung des letzteren denkbar. Das ganze Gebiet der Regierungsthätigkeit ſchied ſich daher von der richterlichen Zuſtändigkeit von ſelbſt aus; es ward Princip, daß nur da, wo der Einzelne mit180 dem Einzelnen Streit hatte, das Gericht zuſtändig ſei. Der Gedanke des franzöſiſchen droit administratif tritt daher in Deutſchland, aber in noch roherer Form auf. Nur auf einem Punkte erhielt ſich die ge - richtliche Competenz, wenigſtens als theoretiſcher Anſpruch der Gerichte; das iſt da, wo die öffentlichen Rechte auf Grund eines Privatrechts - titels beſeſſen werden. Der Unterſchied der Auffaſſung des vorigen und des gegenwärtigen Jahrhunderts beſteht darin, daß nicht die einzelnen Akte der Regierungsgewalt, ſondern dieſe Gewalt an ſich, der Beſitz derſelben titulo dominii, das „ Hoheitsrecht “und ſeine Ausdehnung gegenüber der Grundherrlichkeit Gegenſtand des Streits über die Com - petenz ward. Die Gerichte forderten es für ſich, die Landesherrn ver - weigerten es. Auf dieſer Grundlage bleibt aber der Gedanke leben - dig, daß die Gerichte auch gegenüber der Thätigkeit der Regierung irgend eine Competenz haben müſſen. Und da nun dieſe Gränze der Competenz an dem Unterſchied zwiſchen geſetzlichem und verordnungs - mäßigem Recht keinen Anhaltspunkt fand, da dieſer Unterſchied eben nicht exiſtirte, ſo kam man dazu, dieſelbe an einzelnen Sachen beſtimmen zu wollen. Das hatte den guten Sinn, daß allerdings die Ausdehnung der Hoheitsrechte in den verſchiedenen Staaten ſehr ver - ſchieden war, und daher überhaupt die Competenz ſelbſt kaum principiell, ſondern nur der örtlichen Geſtalt des öffentlichen Rechts nach verſchieden war. So war der Gedanke des Unterſchiedes zwiſchen Juſtiz - und Adminiſtrativſachen Grundlage für die Gränze des Klag - und Beſchwerde - rechts, und für die Competenz der Gerichte und der Verwaltungsbehör - den. Und man kann im Allgemeinen ſagen, daß der Streit zwiſchen beiden bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts weder theoretiſch noch praktiſch entſchieden war.
Mit dem Beginne dieſes Jahrhunderts treten nun die Verfaſſungen, mit ihnen der Begriff des Geſetzes gegenüber dem der Verordnung auf. Jetzt war ſcheinbar die Frage nach der Competenz zwiſchen Gericht und Adminiſtration erledigt. Allein die Verfaſſungen ſelbſt hatten einen ganz andern Charakter als in Frankreich. Nicht die volonté générale oder die souveraineté de la nation, ſondern die Landesherren gaben die Verfaſſungen. Der Wille der höchſten Regierungsgewalt war daher die eigentlich rechtbildende Kraft im öffentlichen Recht; das ganze öffentliche Recht ging — bis auf die neueſie Zeit — ſowohl in Verfaſſung als in Verwaltung aus derſelben Quelle hervor, aus der die Verordnungen erfloſſen. Das Gefühl dieſes Verhältniſſes iſt allenthalben lebendig; der Proceß und die Kraft der innern Staatsbildung ruht nach wie vor im Königthum und die Volksvertretung bildet nur ein Moment an derſelben. Die Folge iſt, daß ein Hineingreifen der Gerichte in dieſen181 Proceß — abgeſehen von der formellen Frage — als im Widerſpruch mit dem Leben jener Zeit erſcheint. Die Regierung muß ſich frei bewegen können; die Geſetze ſind theils nicht fertig, theils ſteht ihr Begriff nicht einmal feſt; jeder Akt der Regierung kann daher, ſo weit es ſich eben um das Verhältniß der einzelnen Lebensſphäre zum öffent - lichen Recht handelt, auch nur von der verordnenden Gewalt richtig beurtheilt werden, oder, die Competenz der Gerichte iſt für Regierungshandlungen ausgeſchloſſen. Das iſt der Grund - zug des öffentlichen Rechts im Beginne der Verfaſſungsbildung.
Dieſes Princip gewinnt nun eine doppelte Geſtalt.
Die erſte Form deſſelben beſteht einfach in der Annahme der franzöſiſchen Idee des contentieux. Sie war den deutſchen Juriſten ſehr verſtändlich, weil ſie die Möglichkeit fanden, ihren früheren Begriff der Juſtiz - und Adminiſtrativſachen darauf anzuwenden, den Regierun - gen aber, weil ſie dadurch grundſätzlich ihre Verwaltungsthätigkeit den Gerichten entzogen. So wurde der Begriff und das Recht der franzöſi - ſchen Adminiſtrativjuſtiz von einigen Verfaſſungen unmittelbar aus Frankreich recipirt, und zu einem ſyſtematiſchen Theile des öffentlichen Rechts in der Geſetzgebung verarbeitet. An der Spitze dieſer Richtung ſtand und ſteht bekanntlich Bayern, das Form und Inhalt der juris - diction administrative zu einer ſelbſtändigen Geſetzgebung erhob und ganz nach franzöſiſchem Muſter die Fälle der Verwaltungsgerichtbarkeit aus - drücklich bezeichnete und von der gerichtlichen Competenz ausſchied. (Siehe Pötzl, Bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 153, Verwaltungsrecht §. 16 — 18, höchſt klar und einfach zuſammengefaßt in §. 55, weitläufiger bei Moy, Bayeriſches Verfaſſungsrecht I.) Das Geſetz vom 28. Mai 1850 behält dieſelbe Baſis; es ſind die Begriffe des bejahenden und verneinenden Conflikts aufgeführt und ein Competenzgerichtshof eingeſetzt, der ſich vom franzöſiſchen Conseil d’État weſentlich dadurch unterſcheidet, daß Mitglieder des oberſten Gerichtshofes hinzugezogen werden. Die freiere Auffaſſung des deutſchen Rechts zeigt ſich darin, daß der conflit négatif von jeder Partei, alſo auch gegen die Adminiſtration, erhoben werden kann; zweitens aber in dem wichtigen Satz, daß die, am Ende doch nie ganz vermeidliche Frage nach der Rechtsgültigkeit der Geſetze und Verordnungen zwar den Gerichten genommen, aber dafür der Volks - vertretung übergeben wird, wie in der preußiſchen Verfaſſung §. 106 (freilich nur in Beziehung auf Verordnungen) und ſpezieller in dem hannöveriſchen Geſetze vom 1. Auguſt 1855, III. §. 4, wo den Kammern, ganz richtig, keine einſeitige Entſcheidung, ſondern nur „ Anträge “geſtattet ſind, wenn die verfaſſungsmäßige Mitwirkung der Stände in Zweifel kommt. Stubenrauch, Gutachten (Verhandlungen des vierten deutſchen182 Juriſtentages S. 210) erklärt ſich, unter Berufung auf die conſtante Praxis der belgiſchen Gerichte, gleichfalls für dieſe Auffaſſung; es iſt aber nicht ab - zuſehen, wie damit in den Fällen geholfen werden ſoll, wo ein Rechtsſtreit zwiſchen Privaten vorliegt; die allgemeine Rechtsgültigkeit der öffent - lichen Akte ſoll ja überhaupt nicht vom Gerichte entſchieden werden, ſondern nur ihre Anwendung auf den beſtimmten Fall (ſiehe unten.)
Die zweite, viel einfachere Form iſt nun die, welche nicht die einzelnen Sätze, wohl aber den Grundgedanken des franzöſiſchen Rechts aufnimmt, und ganz einfach ausſpricht, daß alle Streitigkeiten, welche ſich auf das öffentliche Recht beziehen, Adminiſtrativſachen, und damit der Competenz der Gerichte durchaus entzogen ſind; nur mit dem Unterſchiede, daß in einigen Staaten diejenigen Streitigkeiten, welche aus den verfaſſungsmäßigen Rechten entſtehen, einem eigenen Staatsgerichtshofe überwieſen werden; das iſt namentlich in Württemberg, der Heimath der ſtreng juriſtiſchen Verantwortlichkeits - doctrin, ſcharf durchgeführt (ſ. Mohl, Württemb. Staatsrecht I, Kap. IV). In andern Staaten wird jener Satz in ſeiner nackten Schärfe hingeſtellt, namentlich in Preußen, wo ihn die beiden Cabinetsordres vom 27. Oktober 1820 und vom 4. Februar 1823 ſehr klar definirten, ſo daß derſelbe in dem zweiten bis fünften Jahrzehent als ein Grund - ſatz des gemeinen deutſchen Staatsrechts von einzelnen Rechtslehrern aufgeſtellt ward (Maurenbrecher §. 185, während ſchon Klüber §. 366 ſich dagegen erklärt, jedoch ohne den Unterſchied von Geſetz und Verordnung oder von Klage und Beſchwerde vor Augen zu haben). Die conſtitutionelle Richtung, Aretin, Pölitz u. A. kommen auch zu keiner Klarheit, da auch ihnen neben der Unmöglichkeit, dem Gericht ein Urtheil über Verordnungen zuzugeſtehen, die Nothwendigkeit, das Gericht bei geſetzlichem Recht walten zu laſſen, doch einleuchtet. Auf dieſem Standpunkt erhält ſich die ſpätere und auch noch die gegenwär - tige Theorie; wir führen als Ausdruck der hier waltenden Unfertigkeit der Vorſtellungen nur Zöpfl, Deutſches Staatsrecht II. §. 454 an: „ Da die Gerichte ihrem Begriffe nach nur da competent ſein können, wo die Beurtheilung einer Sache nach rechtlichen Geſichtspunkten (?) in Frage und möglich iſt, ſo erhellet, daß die Competenz derſelben in allen eigent - lichen (?) Regierungs - und Adminiſtrativſachen ausgeſchloſſen iſt “— d. h. wo „ nicht die Rechtlichkeit, ſondern die Zweckmäßigkeit dieſer Verfügungen in Frage ſteht. “ In den Fällen aber, wo dieſe Gränze zweifelhaft wird, ſoll „ nach gemeinem Rechte den Gerichten die Compe - tenz, über ihre Competenz zu entſcheiden, zuſtehen. “ Es leuchtet ein, daß der erſte Satz eine Gränze unmöglich macht, und daß der zweite die Regierung mit allen ihren Thätigkeiten, alſo auch mit ihrer ganzen183 Verfügungsgewalt unter das Gericht ſtellt, obgleich der erſte einen Theil derſelben ausſchließt. Man ſieht deutlich das Ringen nach einem andern als dem auch hier noch zum Grunde liegenden Standpunkt der Unterſcheidung von Juſtiz - und Adminiſtrativſachen; dieſelben Grundſätze treten mit all ihren verworrenen Conſequenzen in einer Reihe von Ver - faſſungen ein. Princip iſt: „ Die Verfügungen aller Verwaltungsbehörden und Beamteten innerhalb des demſelben angewieſenen, von der Rechtspflege getrennten Wirkungskreiſes gehören nicht zur Compe - tenz der Gerichte. “ (Braunſchweiger Landesordnung 1832, §. 195; hannövr. Geſetz vom 5. September 1850.) Da natürlich damit nichts gewonnen war, weil eben die Frage offen blieb, was denn innerhalb des verwaltungsmäßigen Wirkungskreiſes liege, ſo griff man zu dem franzöſiſchen Auskunftsmittel, einen eigenen Competenzconfliktshof einzu - ſetzen (Sachſen, Altenburg, Braunſchweig, Waldeck, Preußen, Olden - burg, Reuß, Coburg-Gotha; ſiehe auch Zöpfl, Staatsrecht §. 454). Die Organiſation dieſes Gerichtshofes iſt durchſchnittlich auf eine Beizie - hung von Gerichtsbehörden gebaut, und unterſcheidet ſich dadurch aller - dings weſentlich von dem franzöſiſchen Princip. Allein die Hauptfrage iſt damit nicht erledigt, und deßhalb blüht in der Literatur auch jetzt noch wie vor hundert Jahren die alte Frage, was denn Juſtiz und Adminiſtration ſei. Denn es handelt ſich jetzt natürlich darum, nach welchen Grundſätzen eben dieſer Competenzgerichtshof zu entſcheiden habe, ob etwas den Gerichten oder den Verwaltungs - behörden angehöre oder nicht; und auf dieſe Frage hat weder das Ge - ſetz noch die Theorie eine Antwort, wenn man nicht die verzweifelten Verſuche, Juſtiz - und Adminiſtrativſachen objektiv zu ſcheiden, als eine ſolche betrachten will.
Es iſt daher kaum zweifelhaft, daß die deutſche Rechtsbildung durch ihren, allerdings durch den Gang der Verfaſſungsbildung wohl begründeten Anſchluß an die franzöſiſche Auffaſſung des contentieux und des conflit nicht zu einem Abſchluß gediehen iſt und auch nicht gedeihen kann. Der franzöſiſche Grundgedanke paßt für Frankreich, aber nicht für Deutſchland. Wir müſſen in unſerer Weiſe unſer Recht bilden. Wir müſſen die bisherige Richtung aufgeben, und die uns eigenthümliche einſchlagen, und wir können das um ſo mehr, als bereits die Grundlinien derſelben ſogar in mehreren Verfaſſungen ausgeſprochen, die dann freilich — wir müſſen hinzufügen ohne klares Bewußtſein — in direktem Widerſpruche mit dem obigen Rechte des franzöſiſchen Com - petenzſtreites ſtehen.
Mitten unter jener franzöſiſchen Geſtaltung der Scheidung von Juſtiz - und Adminiſtrativſachen, und ganz friedlich neben dem Satze,184 daß die „ eigentlichen “Verwaltungsakte der Competenz der Gerichte ent - zogen ſind und ſein müſſen, und daß im ſtreitigen Falle der Competenz - gerichtshof zu entſcheiden habe, wer competent ſei, erhält ſich nämlich im deutſchen Rechtsleben der engliſche Grundſatz, daß der Einzelne ſein Recht immer bei Gericht müſſe verfolgen können, wenn überhaupt von einer rechtlichen Freiheit die Rede ſein ſolle. Dieſen Grundſatz erkennen nicht bloß einzelne Verfaſſungen ausdrücklich an (Württemb. Verfaſſungs - recht §. 95; Königreich Sachſen §. 99; Schwarzburg-Rudolſtadt 1849, §. 175; Kurheſſen §. 35; Oldenburg 1852, Art. 48: „ Jedem, der ſich durch einen Akt der Verwaltung in ſeinem Recht verletzt glaubt, ſteht der Rechtsweg offen “), ſondern die deutſche Theorie ſagt: „ In andern Staaten wird dieß als nach gemeinem Recht ſelbſtverſtändlich betrachtet. “ (Zöpfl §. 453.) Nur darf der Gang der Verwaltung nicht geſtört werden; d. h. jeder iſt zunächſt zum Gehorſam verpflichtet. (Sachſen §. 49, Schwarzburg-Sonderhauſen 1849, §. 176, u. a. m.; ſiehe oben vom verfaſſungsmäßigen Gehorſam.) Hier nun liegt der Widerſpruch klar genug zu Tage. Der Rechtsweg iſt unbedingt und principiell offen erklärt im Verhältniß des Einzelnen zu den „ Akten der Verwaltung, “während er dennoch für die „ Akte der eigentlichen Ver - waltung “ebenſo unbedingt und principiell ausgeſchloſſen iſt. Es kann kein Zweifel ſein,