Buchdruckerei der J. G. Cottaſchen Buchhandlung in Stuttgart.
Dem Herrn Profeſſor Dr. Rudolph Gneiſt in Berlin.
Wenn ich Ihnen, verehrter Freund, dieß Werk überreiche, ſo weiß ich nicht, ob Sie es ſo ganz von Herzen hinnehmen werden, wie es gegeben wird. Ich trage damit einen Theil des Dankes ab, den wir alle Ihnen für Ihre Arbeiten ſchuldig ſind; denn Sie haben uns wiſſenſchaftlich das engliſche Leben und ſein Recht erobert, und wenn es früher ſchwer war, darüber zu reden, ſo iſt es jetzt noch ſchwerer, über einen Theil des öffentlichen Rechts in Europa ein Urtheil haben zu wollen, ohne bei Ihnen zu lernen, wie man England verſtehen muß. Aber indem ich danke, möchte ich zugleich das Recht gewinnen, eine Klage auszuſprechen, eine Klage aber, die wieder zur Hoffnung wird, wenn ich an das denke, was, wie ich innig überzeugt bin, ſchon die nächſte Generation zu leiſten beſtimmt iſt.
Als zum erſten Mal die mächtige Geſtaltung des römiſchen Rechts die Alpen überſchritt und auch bei uns heimiſch wurde, da war es anders in Europa. Das Corpus Juris war nicht bloß eine Quelle des römiſchen Rechts, eine unerſchöpfliche Fundgrube für die Bauſteine der neuen, noch hart kämpfenden Rechtsbildung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, die ſich mühevoll aus der ſtän - diſchen herausarbeitete, der juriſtiſche Träger eines neuen ſocialen Lebens — es war zugleich ein geiſtiges Band für die Rechts - gelehrten in Europa, ein gemeinſchaftlicher Mittelpunkt für alle, die an jenem Werke mit oder ohne ſociales Bewußtſein mitarbeiteten;VI es war eine Macht, welche in allen Ländern gleichmäßig wirkte; wer ihr angehörte, hatte mit ſeinen Lehrern und Schülern, mit ſeinen Beſtrebungen und Erfolgen die ganze europäiſche Welt vor ſich; gelang ihm etwas, ſo war er gewiß, jenſeits wie dieſſeits des Rheins, jenſeits wie dieſſeits der Alpen gehört zu werden; und wohl mußte es ein erhebendes Bewußtſein genannt werden, an dieſer gewaltigen, das ganze Leben Europa’s umfaſſenden Arbeit Theil zu nehmen.
Dieſe Zeit iſt hin. Die franzöſiſche Codifikation hat die ge - ſammte romaniſche Welt von dieſer römiſchen Rechtsbildung getrennt, leider nicht bloß äußerlich, ſondern auch innerlich, der Mutter faſt vergeſſend, der ſie im Grunde alles verdankt. Die franzöſiſchen Codes haben einen ſiegreichen Kampf begonnen mit dem Corpus Juris. In Frankreich, Spanien, Italien, Belgien haben ſie es überwunden; ſelbſt das alte, ſeiner Klaſſizität ſo ſtolze Holland iſt der neuen Codifikation verfallen; dem engliſchen und ſkandinaviſchen Rechtsleben iſt jenes Erbtheil des alten römiſchen Reiches ferner gerückt als je, und die Frage tritt uns nahe genug, wenn es ein - mal ein europäiſches Rechtsleben wieder geben ſoll, wie es daſſelbe einſt gab, worin wird es beſtehen?
Nur Deutſchland blieb die feſte Burg des Corpus Juris, der Inſtitutionen und Pandekten. Aber auch das deutſche Rechtsleben vermochten ſie nicht mehr ganz zu erfüllen. Die franzöſiſche Re - volution hatte nicht bloß das römiſche Recht in Deutſchland, es hatte die deutſche Volksthümlichkeit ſelbſt in Frage geſtellt. Da griff das deutſche Volksbewußtſein, das unter allen Völkern das am meiſten organiſche iſt, in ſeine Vergangenheit zurück, um aus ſeinen Wurzeln einen neuen Keim zu treiben. Das deutſche Privatrecht, bisher ein Nebengebiet der Rechtswiſſenſchaft und kaum ſich des rein lokalen Charakters erwehrend, geſtaltete ſich nun zur deutſchen Reichs - und Rechtsgeſchichte. Die deutſche Reichs - und Rechts - geſchichte ward ein lebendiger Theil der deutſchen Jurisprudenz; ſie war nicht eine Formel-Wiſſenſchaft; ſie hatte nicht mit dem bloß Vergangenen zu thun; ſie wollte nicht alte Dokumente vor dem Verderben bewahren, und die römiſche Caſuiſtik auf die unklaren Worte der leges barbarorum oder den Sachſen - und Schwaben - ſpiegel anwenden, um ein trefflicher Advokat auch vor dem langeVII verſchwundenen Schöppenſtuhl und Oberhof zu ſein; ſie wollte den Volksgeiſt in ſeiner mächtigſten und faßbarſten Sphäre, dem Rechts - leben ergreifen; ſie wollte ihm Geſtalt und Kraft für die Gegenwart durch das geben, wodurch er Geſtalt und Kraft in der Vergangen - heit gehabt; ſie ward zu einer volksthümlichen That, und damit zu einem mächtigen, nie zu hoch anzuſchlagenden Element der deutſchen Staatenbildung. Aus tiefer innerer Ueberzeugung, aus dem ge - waltigen Glauben an ein deutſches Volksleben und nicht aus bloßer Gelehrſamkeit hervorgegangen, ward ihr der heilige Funke mit - gegeben, der zündend in die Herzen fiel; aus Begeiſterung ent - ſtanden, erweckte ſie Begeiſterung; ſie war keine Wiſſenſchaft mehr, ſie ward zur ſtaatlichen, zur nationalen Macht; ſie verſtand es, ihre Jünger im Namen der großen Idee, deren Träger ſie war, über alles Kleinliche zu erheben, und ihnen in dem wahren, tiefen und lebendigen Verſtändniß des Ganzen die warme Liebe für das Einzelne, das Feſthalten an dem Werth des Beſonderen, den Lohn für die Mühe der Arbeit zu geben. Sie war es, welche der deutſchen, ſchwerwandelnden, vom übrigen Europa vergeſſenen Rechtswiſſenſchaft die Friſche und Jugendlichkeit des lebendigen Geiſtes zurückgab; ſie war es, welche es Deutſchland möglich machte, neben dem Glanze der franzöſiſchen Rechtsbildung noch frei und tapfer an der eigenen feſtzuhalten; und wenn unter den Einzelnen die der Geſchichte der Wiſſenſchaft zieren, ein Name auch in der Ge - ſchichte des deutſchen Staatslebens in erſter Reihe genannt werden darf, ſo ſollen wir uns den Manen Eichhorns beugen; wenige haben ſo viel, ſehr wenige mehr für Deutſchland geleiſtet, als er.
Iſt dieſe ſchöne, an Glauben und Begeiſterung, an geiſtigem Schwung und friſcher Luſt ſo reiche Zeit noch für uns vorhanden? Als das römiſche Recht ſeine Weltſtellung verlor, gab uns der Geiſt unſeres edlen Volkes die deutſche Rechtsgeſchichte, ſie wurde für das deutſche wiſſenſchaftliche Leben, was der Corpus Juris für die ganze romaniſch-germaniſche Welt geweſen, der Mittelpunkt und die Quelle des Bewußtſeins, daß jeder Einzelne an einem großen Werke mitarbeite. Sie war die lebengebende Wärme des deutſchen Rechtsbewußtſeins; ſie war unſer Eigenthum, denn kein Volk konnte ſich eines Aehnlichen rühmen, und während der Fremde die Zer - fahrenheit des praktiſchen Rechts in Deutſchland beklagte, mußteVIII er die Einheit und Größe desjenigen bewundern, was wir in unſerer Rechtsgeſchichte beſaßen. Iſt dem noch ſo?
Fordern Sie an dieſer Stelle keinen Beweis, keine Gründe, keine Erwägungen und Erörterungen. Aber den Ausdruck der Ueberzeugung laſſen Sie mir — ich glaube, nein. Die deutſche Rechtsgeſchichte iſt nicht mehr, was ſie geweſen. Wir ſind im Ein - zelnen, nicht aber im Ganzen weiter, als der Meiſter. Die deutſche Rechtsgeſchichte wendet ſich. Sie wird ein Gebiet der Gelehrſamkeit. Ihre Zeit iſt vorüber; ſie hat ihre große Funktion erfüllt. Vergeblich ringt die Mühe ihrer Vertreter dar - nach, ihr das alte Gewicht zurückzugeben; vergeblich nennt man ſie mit dem alten Namen. Niemals iſt es der Sonne eines Tages gegeben, zweimal zu ſcheinen.
Und dennoch war ſie es, an welcher ſich die Individualität, die Kraft der Selbſtändigkeit unſeres Volkes erhielt. Mit ihr ſinkt nicht bloß eine vergangene Zeit, ſondern auch eine lebendige Potenz. Wer und was wird ſie erſetzen?
Wir ſind ein gelehrtes, ein fleißiges Volk. Wir vermögen zu leiſten, was kein anderes auf dem Felde der wiſſenſchaftlichen Mühe zu leiſten vermag. Aber über uns hinweg geht der mächtige Strom des wirklichen, des europäiſchen Lebens. In tauſend Richtungen, mit tauſend Gewalten ergreift es uns; die Völker vermiſchen ſich; die Unternehmungen reichen ſich über Land und Meer die Hände; es iſt eine neue Zeit, die uns kommt; was iſt unſere Aufgabe in derſelben?
Es gibt, und deß bin ich innig überzeugt, nur Eins, was wir zu thun haben, und was auch nur wir zu leiſten im Stande ſind. Dieſe europäiſche Welt iſt eine wunderbare. Allen Ländern derſelben leuchtet der gleiche Tag, allen keimt dieſelbe Epoche der Geſchichte; alle erfaßt ſtets die gleiche Bewegung. Aber mit Bergen und Meeren hat ſie der Herr geſchieden; innerhalb ihrer Gränzen wächst und wird ein ſelbſtändiges, eigenthümliches Daſein; eine eigenthümliche Kraft erfaßt gleichſam die großen europäiſchen That - ſachen, hält ſie feſt an ihrem Ort, nährt und bewacht ſie, bis ſie in der Mitte der Gleichartigkeit des Geſammtlebens ein individuelles Daſein, einen in ſich ruhenden Geiſt empfangen. Europa iſt der Welttheil, in welchem alle menſchlichen Dinge dieſelben und dochIX wieder andere ſind; und in dieſer Selbſtändigkeit ruht der innere Reichthum Europas, die unerſchöpfliche Quelle ſeiner Macht; denn in ihm iſt die Nothwendigkeit gegeben, in dem Verſchiedenen an das Gleiche, in dem Gleichen an das Verſchiedene zu denken. So zieht es die Arbeit des Geiſtes groß, ſo macht es aus jedem Volke und aus jedem Einzelnen in jedem Volke ein ſelbſtändiges Leben, eine ſelbſtändige ſchöpferiſche Kraft, und das iſt es, was Europa zur Herrin der Welt gemacht hat und machen wird.
Und wenn ich mich jetzt frage, worin die Zukunft der Rechts - wiſſenſchaft, die Aufgabe der neuen Zeit für uns liegt, ſo ant - wortet mir das Verſtändniß jener Thatſache. Es iſt, wollen wir anders nicht zu den untern Reihen herabſinken, in unſerer Wiſſen - ſchaft, die Auffaſſung des europäiſchen Rechtslebens als eines Ganzen, und das Begreifen des einzelnen Volkes und ſeiner Rechts - bildung als eines organiſchen Theiles dieſes Ganzen, das wir zu leiſten haben. Wir, denen die Philoſophie die Erkenntniß der abſoluten Principien, das römiſche Recht die geſchichtliche Grund - lage der europäiſchen Rechtsbildung, die deutſche Rechtsgeſchichte das innige Verſtändniß des individuellen Volksgeiſtes gelehrt haben, wir ſind berufen, durch ein Jahrhundert ernſter und ſchwerer Arbeit den Gedanken, das hohe Bild einer europäiſchen Rechts - bildung zu erfaſſen und zu verwirklichen, in der jedes einzelne Volk wieder ſeine eigene große Funktionen erfüllt. Wir, das Welt - volk, wo es ſich um Gedanken handelt, wie die Engländer das Weltvolk der Arbeit und die Franzoſen das Weltvolk des Waffen - ruhmes ſind, wir müſſen uns über den engen, abſterbenden Kreis unſerer bisherigen Auffaſſung auch in der Rechtswiſſenſchaft er - heben. Indem wir bisher verſtanden, was wir für uns ſelbſt ſind oder ſein mochten, ſo müſſen wir jetzt denken und ſagen lernen, was wir neben den andern, für die andern ſind. Die wahren Inſtitutionen unſerer deutſchen Rechtswiſſenſchaft müſſen künftig in dem Bilde des europäiſchen Rechtslebens beſtehen, und Niemand ſollte an deutſches Recht gehen, ohne, wenn auch nur in ſeinen Grundzügen, das wunderbar große und ſchöne Bild des europäiſchen Rechts, aus der Einheit ſeiner Volksrechte, ihrer Ge - ſchichte, ihrer Geſtalt, ihrer Elemente und ihrer wirkenden Indi - vidualität ſich zu einem machtvollen organiſchen Leben entfaltend,X vor ſeinen geiſtigen Augen zu haben. Deßhalb aber ſollen wir uns wiſſen und erkennen lernen als das was wir ſind — als einen lebendigen Theil des Ganzen, dem wir dienen, in dem wir die tieferen Wurzeln unſeres Daſeins haben, mit dem wir, zugleich arbeitend und leidend, das Leben Europas bilden. Da liegt die Zukunft und die Größe der deutſchen Rechtswiſſenſchaft.
Ihnen nun, verehrter Freund, übergebe ich zunächſt dieß Werk, das in einem kleinen Theil des Rechts einen kleinen Theil dieſer Aufgaben mit noch immer ſehr enger Beſchränkung auf Eng - land, Frankreich und Deutſchland zu löſen verſucht hat. Wenn ich über England nichts anders zu ſagen wußte, als was Sie ge - geben, ſo mögen Sie darin einen Vorwurf erblicken, den Ihr Werk ſelbſt verſchuldet. Es wird lange dauern, bevor wir hier über das Benützen hinauskommen. Mein mag vielleicht das andere Licht gehören, das mit meiner Arbeit auf einige der großen Er - gebniſſe der Ihrigen fällt; Niemand wird beſſer als Sie zu beur - theilen verſtehen, wie weit es richtig iſt. Aber das Ideal der deutſchen Rechtswiſſenſchaft, das mir lebendig vorſchwebt, wird nie erreicht werden, bis wir ſolche Werke wie das Ihrige über jeden Theil Europas beſitzen, und lernen, ſie zu bewältigen. Das iſt nicht die Arbeit eines Menſchen; das iſt die Arbeit eines Jahr - hunderts. Mein Glaube iſt, daß wir an der Schwelle einer ſolchen neuen Epoche für unſere Wiſſenſchaft ſtehen, die uns über die ſteigende Gefahr der bloßen Caſuiſtik und der Unbekanntſchaft mit dem Fremden, das uns durch die Entwicklung des Geſammt - lebens von Europa in Wahrheit nicht länger fremd bleiben darf, erheben wird. Ich ſehe die kommende Geſtaltung ihre Schatten ſchon in unſere Welt werfen; unſer iſt die Arbeit; unſere Lieben mögen’s erben. Und in dieſem Geiſte laſſen Sie mich Ihnen aus der Ferne die Hand reichen.
Zum Schluſſe geſtatten Sie mir noch eine Bemerkung. Sie werden im nachfolgenden Werke ſehen, daß ich von Oeſterreich wenig oder gar nicht geſprochen habe. Den Grund würden Sie wiſſen, wenn Sie dieß Reich kennten. Es iſt eine Welt für ſich, ein eigenthümlicher Organismus, mit gar keinem andern Europas, ja der Welt vergleichbar. Es iſt eine wunderbare Einheit der ver - ſchiedenſten Elemente; alles was Europa im Ganzen bietet, iſt hierXI in großen Theilen vertreten; oft feindlich, oft friedlich, oft in ſtarrer Ruhe neben einander liegend, oft in gewaltiger Bewegung einander begegnend, immer aber mächtig auf einander wirkend, ſich durchdringend, beſtimmend, fördernd, bekämpfend; ein Reich, das man mit dem gewöhnlichen Maße nun einmal nicht meſſen kann, und das immer aufs neue mißverſtanden wird, weil man eben das gewöhnliche Maß an daſſelbe anlegen will. Es iſt ein Europa im Kleinen. Es enthält alle Völker, alle Kirchen, alle volkswirthſchaftlichen Zuſtände, alle Rechtsbildungen des ganzen Welttheiles in wunderbarer Nähe und Miſchung. In keinem Theile Europas iſt ſo viel neues zu thun und ſo viel zu arbeiten als hier; aber in keinem Theile iſt auch ein ſo reiches Feld. Die ge - waltige Bewegung des Fortſchrittes, in der ſich dieß mächtige Reich befindet, iſt jung; ſie hat nicht bloß zum Theil ein altes Geſchlecht, alte Auffaſſungen, alte Gedanken, ſondern auch tiefe Verſchieden - heiten des geiſtigen und wirthſchaftlichen, des geſellſchaftlichen und ſtaatlichen Lebens vorgefunden; ſie hat den kühnen Verſuch ge - macht, mit der Achtung vor dem Ueberlieferten und Gegebenen die friſche und freie Anerkennung des Neuen zu verbinden. Sie iſt mitten in ihrer ſchweren Aufgabe; es iſt ein großartiges Werden, das uns hier entgegentritt, und für das die bekannten Formen und Formeln, die auf ſtreng ausgeprägter nationaler Individualität ruhen, nicht ausreichen. Es will daher für ſich betrachtet, für ſich erkannt werden. Es läßt ſich nicht einfach einreihen in die Ver - gleichung, denn jeder Punkt würde wieder ſeine eigene Geſchichte fordern. Darum hat Oeſterreich zwar die Geſchichte einer Groß - macht, aber es hat keine Geſchichtſchreiber. Denn die Geſchicht - ſchreibung hat hier eine ganz andere Vorausſetzung als in Eng - land, Frankreich, Deutſchland, andern Ländern. Sie kann nicht von einer einfachen gegebenen Thatſache ausgehen und uns in lebendigem Bilde den Wechſel ihrer Geſtaltungen vorführen, wie in Glück und Unglück, in Sieg und Niederlage immer daſſelbe Element als feſter Boden in Volk und Land uns auf eine leicht - verſtändliche, der Anſchauung immer gegenwärtige Grundlage ſtellt. Oeſterreichs wahres Lebenselement iſt keine ſolche Thatſache; es iſt eine lebendige Kraft, die ſeine Völker und Länder umſchlingt. Was nützt es, dieſe Kraft mit Einem Namen zu nennen? AberXII die Geſchichte Oeſterreichs iſt nicht denkbar, ohne die Anſchauung dieſer Kraft und ihrer Arbeit, die in Weſen und Thätigkeit nur Eine innerlich gleichartige, wenn auch äußerlich viel größere Er - ſcheinung neben ſich hat, die alte römiſche Welt, die Einheit des Völkerlebens in Einer gewaltigen Staatsbildung. Und bevor nicht dieß Weſen Oeſterreichs ſeine Geſchichtſchreibung gefunden, kann man es auch in der Rechtslehre nicht einfach an die drei übrigen Völker anreihen, deren Namen und Natur dem Leſer vertraut ſind; am wenigſten aber in dieſem Augenblick, wo dieß Reich mitten in einer ſo tiefgreifenden, ſeine ganze Zukunft beherrſchenden Umge - ſtaltung begriffen iſt. Und darum habe ich es nicht gewagt, die Rechtsverhältniſſe Oeſterreichs in einfacher Anführung neben die drei übrigen Völkerſchaften hinzuſtellen. Vielleicht daß auch ſo die Arbeit einen Theil ihrer Aufgabe erfüllt. Denn immer iſt mir das Wort meines hochverehrten Lehrers, des alten Feuerbachs gegenwärtig: „ Das beſte, was der Menſch zu leiſten vermag, be - ſteht nicht in dem, was er thut, ſondern in dem, was er in edlen und tüchtigen Geiſtern anregt. “
Leben Sie wohl.
Wien, im Mai 1864.
L. Stein.
Wenn Begriff und Definition den Anforderungen der Wiſſenſchaft entſprechen ſollen, ſo müſſen beide ſich als ein Entwicklungsmoment eines höheren, allgemeineren Begriffes ergeben. Das gilt für alle wiſſenſchaftliche Begriffsbeſtimmung, und ſo auch für den Begriff der Verwaltung. Dieß zu leiſten iſt die Aufgabe unſrer Einleitung.
Wenn Begriff und Definition dem praktiſchen Bedürfniß entſprechen ſollen, ſo müſſen beide für jeden einzelnen Theil des Ganzen zutreffend erſcheinen. Dieß nachzuweiſen, iſt die Aufgabe des eigentlichen Inhalts unſrer Darſtellung.
Es iſt daher bei dem Begriffe der Verwaltung nothwendig, ihn auf den allgemeineren Begriff des Staats zurückzuführen, ihn aus dem - ſelben organiſch zu entwickeln, und ihm daraus ſeine Stellung, ſeinen Umfang und ſeine ethiſche, rechtliche und wirthſchaftliche Bedeutung zu beſtimmen. Die Verwaltung iſt ihrem Inhalt und ihrer Aufgabe nach ſo unendlich wichtig, daß wir dem Einzelnen eine Arbeit und Mühe nicht erſparen können, ohne welche die Wiſſenſchaft niemals zu einem feſten Reſultat gelangen kann. Und das großartige Leben, welches ſich dabei vor unſern Blicken entfaltet, wird die Mühe lohnen, welche die unendliche Mannigfaltigkeit der Erſcheinungen auf wenige einfache und herrſchende Elemente zurückführt, deren Verſtändniß wir als die Bedin - gung des Verſtändniſſes des Ganzen betrachten müſſen.
Wir werden daher in dieſer Einleitung zuerſt den Begriff der Ver - waltung für ſich, dann ſeine organiſche Stellung im Staate, und end - lich ſeinen organiſchen Inhalt entwickeln. Und es wird das nicht ſchwierig ſein, wenn man ſich nur deſſen enthalten kann, hergebrachte Ausdrücke in hergebrachter Unklarheit beizubehalten. Wir werden zum Schluſſe verſuchen, die Unfertigkeit der ganzen bisherigen Behandlungsweiſe dieſes Gebietes auf ihre hiſtoriſchen Grundlagen zurückzuführen.
Stein, die Verwaltungslehre. I. 12Wir ſind gezwungen, einen fertigen Begriff des Staats hier an die Spitze zu ſtellen, ohne ſeine tiefere philoſophiſche Begründung unter - nehmen zu dürfen. Der entſcheidende Beweis für ſeine Richtigkeit muß dann in ſeiner Fähigkeit geſucht werden, von ihm aus jede den theo - retiſchen ſowie den praktiſchen Inhalt des Staats betreffende Frage zu beantworten.
Die Gemeinſchaft der Menſchen erſcheint in der That nicht bloß als eine Thatſache, ſondern als eine abſolute Bedingung für das höchſte Princip alles Lebens der Perſönlichkeit, der vollen und freien Entwick - lung derſelben. Als eine abſolute, das iſt, in der Natur der Perſön - lichkeit ſelbſt liegende Bedingung für dieſe Erfüllung des Weſens und der Beſtimmung des letztern iſt ſie ſelbſt nicht eine Folge eines Beſchluſſes oder Vertrages der Einzelnen zu betrachten, ſondern ſie iſt, wie die einzelne Perſönlichkeit, durch ſich ſelbſt vorhanden. Sie hat daher ihren Grund in ſich, unabhängig von dem Einzelwillen und ſelbſt von der äußern Natur: ſie iſt vielmehr ein Ausfluß deſſelben Weſens, aus dem die einzelne Perſönlichkeit entſprungen iſt. Sie kann nie aufgehoben werden, ſo lange es Einzelne gibt; ſie iſt, wie man es anders aus - drücken kann, dem Begriffe der Perſönlichkeit immanent; es iſt nicht möglich, ohne ſie den letztern auszudrücken. Das iſt es, was ſchon Ariſtoteles mit ſeinem ζωον πολιτικον bezeichnen wollte, und was am Ende auch allen Vertragstheorien zum Grunde liegt. Denn die Unmöglichkeit, die Nothwendigkeit eines ſolchen Vertrages zu läug - nen oder auch nur zu bezweifeln, — und nie hat das jemand verſucht — iſt ſelbſt allein der Beweis für das nicht mehr vertragsmäßige, ſon - dern ſelbſtbedingte Daſein der menſchlichen Gemeinſchaft.
Iſt ſie aber ein ſolches ſelbſtbedingtes Weſen, ſo iſt ſie eben nicht mehr bloß Thatſache und Bedingung für die Einzelnen, ſondern ſie iſt, das höchſte Weſen der letztern ſelbſt beſitzend, daſſelbe was dieſe ſelber ſind, eine Perſönlichkeit. Und dieſe zur Perſönlichkeit, zum per - ſönlichen Bewußtſein, zum perſönlichen Wollen und Handeln erhobene Gemeinſchaft der Menſchen iſt der Staat.
Indem nun der Staat die zum individuellen, perſönlichen Leben erhobene Gemeinſchaft der Einzelnen, eine ſelbſtändige, höhere und un - endlich großartigere Geſtalt der Perſönlichkeit iſt, als der Einzelnen, ſo folgt, daß die Grundbegriffe und Grundverhältniſſe der einzelnen Per - ſönlichkeit bei ihm nicht bloß im Allgemeinen wieder erſcheinen, ſondern daß ſie vielmehr in höherer und größerer Form in ihm da ſein müſſen
3Nun ſehen wir in der Geſammtheit der Verhältniſſe, welche das einzelne Individuum umfaſſen und enthalten, zwei ſich ewig wieder - holende Faktoren erſcheinen und thätig ſein. Der erſte dieſer Faktoren — und wir müſſen hier ſo kurz als möglich ſein — iſt die freie Selbſt - beſtimmung der Perſönlichkeit, der unendliche Keim ihrer Entwicklung. Der zweite dieſer Faktoren iſt dagegen die äußere Welt, die ihr eigenes Daſein hat, und die den Einzelnen auf allen Punkten umgibt und be - ſchränkt. Sie iſt die ewig neue Quelle der Unfreiheit, des Beſtimmt - werdens, der Unterwerfung der an ſich freien Perſönlichkeit unter das ihr gegenſtändliche Daſein.
Aus dieſen beiden einander entgegengeſetzten Faktoren geht nun ein Proceß hervor, den wir als den Proceß der Unterwerfung des zweiten unter den erſten, der äußern Welt in all ihren Formen unter die freie Selbſtbeſtimmung des Individuums bezeichnen. Er beginnt bei der rein natürlichen Form des Daſeins der Perſönlichkeit, bei der Befriedigung des materiellen Bedürfens, und erhebt ſich bis zu der Berührung deſſelben mit der Gottheit zum Glauben, Lieben und Ahnen. In allen tauſend verſchiedenen Formen, Bewegungen und Erfolgen iſt dennoch dieſer Proceß immer derſelbe. Wir nennen ihn mit Einem Worte: er iſt das Leben der Perſönlichkeit.
Wie es daher ein Leben der einzelnen Perſönlichkeit gibt, ſo gibt es auch ein Leben des Staats.
Dieß Leben der Perſönlichkeit erſcheint nun dem Weſen derſelben gemäß, nicht etwa aus einer Reihe von zufälligen oder willkürlichen Erſcheinungen und Thatſachen. Es hat auf der einen Seite ein hohes Ziel; es zeigt uns die höchſte, vollendetſte Form der irdiſchen Perſön - lichkeit mit der Geſammtheit aller äußern natürlichen Dinge im Kampfe; es iſt gleichſam die höchſte Anſtrengung des perſönlichen Daſeins, einer mit ſeiner ganzen geſammelten, auf Einen Punkt vereinten Kraft der Menſchen, um ſich dieſe äußere Welt zu unterwerfen; es iſt ander - ſeits eben dadurch bedingt durch den gegebenen Inhalt des Weſens der Perſönlichkeit wie der natürlichen Welt. Das Leben des Staats ent - faltet ſich daher als ein großartiges Bild, aber als ein Bild, deſſen Grundzüge feſt und klar in dem Weſen ſeiner beiden Elemente gegeben ſind, und das daher in allen ſeinen einzelnen Erſcheinungen als eine organiſche Bethätigung dieſer Elemente erſcheint. Und darum gibt es nicht bloß eine Kenntniß dieſes Lebens des Staates, ſondern es gibt eine Wiſſenſchaft deſſelben. Denn das iſt der Unterſchied zwiſchen der bloßen Kunde der Thatſachen und der Wiſſenſchaft, daß dieſe das Daſeiende, welches ſie weiß, als einen in ſeinen Grundlagen erkennbaren, und darum für ſie nothwendigen Proceß begreift, und erſt da befriedigt4 iſt, wo ſie jede einzelne Erſcheinung in ihre tiefer wirkenden Urſachen aufgelöst hat. In dieſem Sinne reden wir von der Wiſſenſchaft des Staats als von der Wiſſenſchaft ſeines organiſchen Lebens. Sie iſt die höchſte Form der Wiſſenſchaft des Lebendigen, und umfaßt das ganze, in der äußern Welt thätige Daſein der Perſönlichkeit. Sie hat zu ihrer Vorausſetzung die Kunde, und in ihrem höhern Stadium die Wiſſenſchaft des natürlichen Daſeins, zu ihrem Inhalt die Wiſſenſchaft des Proceſſes, mit welchem der Staat ſich das erſtere unterwirft. Ihr gehört alles Folgende an. Aber eben um dieſer ihrer Natur willen muß — und die weitere Darſtellung wird zeigen, daß das auch ſeine große unmittelbar praktiſche Bedeutung hat — der beſondere Theil über ſein organiſches Verhalten zum Ganzen klar ſein. Und wir ſind daher ge - zwungen, die Gebiete der Wiſſenſchaft vom Staate darzulegen, um die - jenigen beiden großen Gebiete deſſelben, die unſere eigentliche Aufgabe bilden, die Vollziehung und die Verwaltung, in ihrem Weſen und ſelbſt in ihrem Rechte hinreichend beſtimmen zu können.
Die erſte Aufgabe der Wiſſenſchaft des Staats beſteht demnach darin, den Begriff des Staats als jener höchſten Form der Perſönlichkeit in die Elemente aufzulöſen, deren Zuſammenwirken das Leben des Staats erzeugt und ordnet.
Es iſt kein Zweifel, daß dieſe Elemente, da wir den Staat als die vollendete Form der Perſönlichkeit, wenn auch als eine werdende ſetzen, im Weſen der Perſönlichkeit überhaupt gegeben ſeyn müſſen, die im Staate nur eine höhere Geſtaltung empfangen.
Dieſe Elemente nun ſind die folgenden:
Jede Perſönlichkeit iſt zuerſt ein ſelbſtbedingtes Weſen, das ſeiner Natur nach alles auf ſich bezieht und zum Inhalt ſeiner ſelbſt macht. Wir nennen dieſe Funktion, die im innerſten Weſen der Perſönlichkeit vor ſich geht, die Selbſtbeſtimmung, und zwar in ſofern jene Funktion überhaupt Objekte aus der äußern Welt hat. In ſofern aber dieſe Gegenſtändlichkeit hinweggedacht wird, erſcheint das reine Sich auf Sich beziehen, das reine durch und in ſich ſelbſt ſeyn, oder wie man es ſonſt bezeichnen will; und dieß reine für ſich ſeyn iſt das Ich der Perſön - lichkeit. Im einzelnen Menſchen verſchwindet daſſelbe; es hat keine eigene ſelbſtändige Erſcheinung. Im Staate dagegen erſcheint es ſelbſtändig als das Staatsoberhaupt, das im Königthum ſeine vollendetſte Form empfängt.
Dieſe, mit dem Begriff des Ich gegebene, und das eigentliche5 Weſen der Perſönlichkeit bildende Selbſtbeſtimmung der letzteren, in ſofern ſie es mit den Thatſachen, Erſcheinungen und Kräften der äußern Welt zu thun hat, und dieſe in das innere Leben der Perſönlichkeit aufnimmt, iſt der Wille. Die große Funktion des perſönlichen Willens in der äußern Welt beſteht darin, dem Natürlichen und dem Gegen - ſtändlichen einen neuen, durch die Perſönlichkeit geſetzten Zweck zu geben. Es gibt daher kein abſtraktes Wollen; das Etwas, was das Wollen will, iſt eben der Zweck, den die äußern Dinge durch die Per - ſönlichkeit empfangen ſollen. Der Wille gibt daher vermöge des Zweckes den Dingen ein neues Leben, das perſönliche. Und dies Moment des Wollens iſt nun gerade wie bei der Perſönlichkeit in ihrer abſtrakteſten Geſtalt, im Staate nicht bloß ganz ſelbſtändig vorhanden, ſondern es hat in ihm ein eigenes, nur für das Wollen beſtimmtes Organ. Dieſes Organ nennen wir ſchon hier die geſetzgebende Gewalt, und die ſelbſtändige reine Thätigkeit des Wollens die Geſetzgebung. Der einzelne beſtimmte Wille dieſer Gewalt iſt das Geſetz.
In der einzelnen Perſönlichkeit nun wie im Staate hat dieſer für ſich gedachte ſelbſtbeſtimmte Wille zu ſeinem Inhalt nur noch diejenige Geſtalt des äußern Daſeyns, welche der Wille will; noch nicht die wirklichen Verhältniſſe, auf welche er ſich bezieht. Es muß daher ein zweiter Proceß entſtehen, durch welchen die Perſönlichkeit dieſen Inhalt ihres Willens in der äußern wirklichen Welt zu verwirklichen trachtet. Dieſen Proceß nennen wir die That. Die That, indem ſie die Ge - ſammtheit der Momente und Geſtaltungen des äußern Lebens in ſich aufnimmt und ſie dem Willen unterwirft, iſt eine unendlich vielgeſtal - tige und wechſelnde. Sie iſt es, welche dem abſtrakten Begriffe der Perſönlichkeit erſt ſeinen concreten Inhalt gibt; in ihr iſt das wirkliche Leben der letztern enthalten; ſie iſt aber zugleich das Gebiet, in wel - chem die ſelbſtändigen Kräfte des äußern Daſeyns gegenüber dem Willen der Perſönlichkeit ſich zur Geltung bringen, und die reine und unbe - dingte Verwirklichung dieſes Willens modificiren. Die That nimmt daher dieſe Gewalt der Dinge in den Willen der Perſönlichkeit auf; ſie iſt dadurch wieder nicht bloß die einfache Erſcheinung dieſes Willens, ſondern ſie hat, die Verſchmelzung der Wirklichkeit mit dem Willen vollziehend, ein ſelbſtändiges Leben, eine ſelbſtändige Funktion, die nie - mals ganz von dem rein ſelbſtbeſtimmten Willen der Perſönlichkeit er - füllt und erſchöpft, ja nicht einmal immer von ihm beherrſcht wird. In ihr zeigt es ſich erſt, daß das was wir das Leben nennen, eine doppelte Bewegung enthält, die einen ganz verſchiedenen Charakter hat, und die wohl getrennt werden muß, will man überhaupt das wirkliche Daſeyn der Perſönlichkeit verſtehen. Der erſte Theil dieſer Bewegung6 iſt derjenige Proceß, durch welchen die Perſönlichkeit den Eindruck der Dinge in ſich aufnimmt, und ſie in ſich durch ihren Willen beſtimmt; der zweite Theil iſt der Proceß, der dieſen Willen in die Außenwelt trägt, und der dadurch, indem er die letztere unterwirft, von ihr wie - der mannigfach bedingt wird. Das iſt für jede Perſönlichkeit gültig, und mithin auch für den Staat. Und es verſteht ſich, daß dieſer Selb - ſtändigkeit der That im Weſen des Staates nun auch beſtimmte Organe entſprechen und beſtimmte Geſetze und Regeln, nach welchen dieſelbe vollbracht wird. Dieſe letzteren aber zerfallen wieder in die beiden großen Grundformen der Vollziehung und der Verwaltung; und bei ihnen beginnt unſere eigentliche Aufgabe.
Allerdings iſt hier nicht der Ort, weder eine hiſtoriſche, noch eine kritiſche Beurtheilung der Staatsphiloſophie und der Begriffe vom Staate zu geben. Allein es iſt dennoch unumgänglich unſere Grundauffaſſung neben der bisherigen ſcharf zu beſtimmen, da nur dadurch für viele das Folgende ganz verſtändlich werden dürfte.
Der gemeinſame Charakter aller Staatsbegriffe ſeit Plato beruht darauf, den Staat als die organiſche Conſequenz irgend eines andern Begriffes zu entwickeln; ſei es des Rechts, ſei es der sociabilitas, ſei es des Gemeinwohls, ſei es des Weſens der ſittlichen Geſetze, ſei es des ſich ſelbſt ſetzenden Begriffes. So heftig auch der Streit unter dieſen verſchiedenen Anſichten ſein mag, ſo ſind ſie doch niemals ſehr verſchieden geweſen, wenigſtens in ihrem Princip. Faſt alle haben zwar den Irrthum gemein — wenigſtens kenne ich keinen, der ihn nicht theilte — daß jeder von allen dieſen Philoſophen bloß dadurch, daß er auf einem andern Wege zu ſeinem Begriffe kam, auch einen weſentlich andern Begriff vom Staate gehabt habe. Es wäre aber ſehr leicht zu zeigen, daß am Ende der in allen dieſen Philoſophien ſo entſtandene Staat bei allen Philoſophen ſtets faſt ganz genau derſelbe iſt.
Wir müſſen dem unſere Anſchauung entgegenſetzen. Wir thun es, weil es gewiß bleibt, daß alle Wiſſenſchaft zuletzt ihre höchſte Ordnung und Klarheit doch nur durch die Philoſophie erhält. Vielleicht am meiſten in der Staats - wiſſenſchaft; gewiß innerhalb derſelben am meiſten auf unſerm Felde.
Der Staat iſt weder eine Anſtalt, noch eine Rechtsforderung, noch eine ethiſche Geſtaltung, noch ein logiſcher Begriff, ſo wenig wie das Ich des Men - ſchen. Der Staat iſt eine — die höchſte materielle — Form der Perſön - lichkeit. Es iſt ſein Weſen, ſeinen Grund in ſich ſelbſt zu haben. Es kann ſo wenig bewieſen werden, und ſo wenig „ begründet “werden, als das Ich. Er iſt er ſelber. Ich kann ihn, wie das Ich, nicht aus einem andern entwickeln. Er iſt die gewaltige Thatſache, daß die Gemeinſchaft der Menſchen, außerhalb und über dem Willen der Gemeinſchaft ſelbſt, ein eigenes, ſelb - ſtändiges und ſelbſtthätiges Daſein hat.
Der Staat hat daher nicht etwa, wie die bisherige Philoſophie ſagt, nur eine „ Beſtimmung, “und iſt mit ihr erſchöpft, ſondern er hat ein Leben. Dieß7 Leben liegt in ſeiner freien Selbſtbeſtimmung. Er kann ſogar Unrecht thun, wenn auch nur der Idee der Perſönlichkeit, nicht ſich ſelber oder den Dingen. Er wird erzeugt und ſtirbt. Ihn richtet Gott in der Geſchichte.
Das unbedingt und klar auszuſprechen, iſt hier deßhalb nothwendig, weil zunächſt aus dieſer Anſchauung der durchgreifende Unterſchied zwiſchen der fol - genden und der gewöhnlichen Behandlung der Lehre von Vollziehung und Ver - waltung des Staats folgt. Dieſer wieder liegt nicht etwa in der formalen An - erkennung der Perſönlichkeit im Staat. Dieſe iſt alt, und hat ſich in der letzten Philoſophien, namentlich des jüngern Fichte (Syſtem der Ethik II. 21. Abth. z. B. S. 329 „ der Staat iſt das umfaſſendſte ſittliche Individuum “und Röß - lers (Allgem. Staatslehre, z. B. S. XXIII) wieder Bahn gebrochen. Mit dieſer formalen Idee iſt nichts gewonnen; ſie erſcheint ſelbſt nur als Moment einer dialektiſchen Conſequenz. Und zwar darum iſt nichts damit gewonnen, weil ſie nicht zu demjenigen gelangen kann, was eigentlich das Weſen der Perſön - lichkeit ausmacht, der That derſelben. Die That mit ihrem Weſen und In - halt iſt der Grundbegriff für Vollziehung und Verwaltung. Sie kann nicht aus Prämiſſen entwickelt werden; ſie iſt das, was in der Perſönlichkeit das ſchaffende Element, die lebendige Ahnung der Gottheit iſt. Sie iſt das Werden nicht durch das Geſetz des Denkens, ſondern durch den abſolut freien Inhalt des Ich. Wir wiſſen recht wohl, daß es in der ganzen Philoſophie keinen Begriff und keine Lehre von der That gibt; hat doch nicht einmal die Statiſtik zu ſagen vermocht, was eine Thatſache ſei. Der Grund der That iſt das unendliche Ich; das Daſeiende und Begriffene iſt erſt der Inhalt der That. Die alte vorkantiſche Philoſophie hat ſie einfach als thatſächliches Corollarium der Pflicht verſtanden; die Identitätsphiloſophie hat ſie dialektiſch aufgehoben; merkwürdig genug, daß ſelbſt Hegel nicht zu der Frage kam, ob neben dem was wirklich iſt, auch das was wirklich wird, vernünftig iſt. Die neueren Philoſophen, Herbart, Kraus, Schopenhauer, von andern zu ſchweigen, kennen ſie überhaupt nicht. Aber die That iſt die Wirklichkeit der Perſönlichkeit. Erſt in ihr iſt dieſe das was ihr Weſen iſt, Selbſtbeſtimmung; in der That iſt ſie ihr eigener Grund. Die Philoſophie hat dieſen Begriff nicht. Daher hat die ganze Staats - philoſophie keinen Begriff der Verwaltung; höchſtens daß die Verwal - tung wie bei Fichte dem älteren (Naturrecht 2. Thl.) als Pflicht, bei Fichte dem jüngeren als Aufgabe des Staats erſcheint. Die Philoſophie iſt daher in ihrer bisherigen Geſtalt ganz unfähig, der Staatslehre über die Verfaſſung hinaus den Weg zu zeigen. Wir werden ſie darum künftig in unſerer Arbeit nicht gebrauchen. und nicht mit ihr zu rechten haben. Denn ohne den Begriff und Inhalt der That zu entwickeln, kann man weder Vollziehung noch Ver - waltung begreifen. Daher iſt nirgends im Gebiete der Verwaltung ein Einfluß der Philoſophie vorhanden, während er im Gebiete der Verfaſſung um ſo größer iſt, und dieſer Einfluß iſt unmöglich, ſo lange man Weſen und Inhalt des Staats nur als Conſequenz eines andern Begriffes ſetzt. Denn iſt er nichts als das, ſo kann er auch nichts als dieſe Conſequenz vollziehen; er kann „ Zwecke “und „ Aufgaben “und „ organiſchen Inhalt “haben, aber er kann in ſeiner That nicht mit ſeinem Weſen in Gegenſatz gerathen, das Thun8 deſſelben kann nicht ſelbſtändig gegenüber dem Wollen auftreten; es kann zwar formell eine Verwaltung und Vollziehung, aber kein Verwaltungsrecht erſcheinen. Die Möglichkeit des Verſtändniſſes des letzteren hört da auf, wo ich den Staat aus dem Begriff des Rechts entwickele; ſie beginnt da, wo ich ihn als eine ſelbſtthätige Form der Perſönlichkeit erfaſſe. Es gibt keinen andern Weg. Der aber leitet noch zu vielen andern Dingen, welche als hohe, erhabene Ziele der Wiſſenſchaft künftiger Geſchlechter vorbehalten bleiben. Wir können hier nur die erſten, rohen Grundlagen finden. Eine größere Zeit wird Größeres leiſten. Möge ſie bald kommen. In ihr werden wir die goldenen Tafeln im Graſe wiederfinden. — Denen aber, die dieſe Grundgedanken für „ myſtiſch “erklären möchten, wollen wir zum Schluſſe zurufen, daß die gewaltigſten Wahrheiten des geiſtigen Lebens in der Geſchichte und im Einzelnen ſtets diejenigen geweſen ſind und bleiben werden, die man nicht bewieſen hat und nicht beweiſen kann. Den Gründen folgen wir, indem wir neue Gründe aus ihnen erzeugen; aber das göttliche Leben der höchſten Religion, Kunſt und Wiſſenſchaft ruht nicht auf Beweiſen und Urſachen.
Indem wir nunmehr den Begriff der Vollziehung von dem der Verwaltung trennen, und dieſe Trennung der ganzen folgenden Arbeit zum Grunde legen, wird es wohl nothwendig werden, dieſen Unter - ſchied ſo tief und ſo klar als möglich zu begründen.
Offenbar iſt jener erſte von uns bezeichnete Proceß, die Selbſtbe - ſtimmung des Willens der Perſönlichkeit, weder im Weſen der letztern, und noch weniger im Staate ein einfacher. Wir unterſcheiden hier vielmehr eine ganze Reihe von Stadien und Verhältniſſen, welche erſt zuſammen genommen die Bildung des Willens oder die Geſetzgebung enthalten. Dieſe einzelnen Momente in der Bildung des Staatswillens kann man jedoch in zwei Hauptgruppen theilen; jede dieſer Gruppen enthält zwar wieder eine Menge von Momenten, jedoch werden dieſelben von gemeinſchaftlichen Grundlagen beherrſcht. Wir nennen ſie die Be - rathung und die Beſchlußfaſſung. Verhältniſſe und Rechte beider ge - hören in die Verfaſſungslehre.
Ebenſo nun wie ſich in der Willensbeſtimmung des Staats ſolche Grundverhältniſſe ſcheiden, ſo iſt es auch in der Thätigkeit deſſelben der Fall.
Dieſe Thätigkeit des Staats, wie wir ſie als ſelbſtändiges Moment im perſönlichen Leben deſſelben ſo eben vorgelegt, und welche ſeinen Willen im wirklichen Leben vollbringt, zeigt bei genauer Betrachtung einen doppelten Charakter.
Einerſeits hat ſie den Willen der einheitlichen Perſönlichkeit des9 Staats zum Inhalt, und muß daher in allen Formen und Geſtaltun - gen, die ſie annehmen mag, immer dieſelbe ſein. Sie muß von dieſem Standpunkt betrachtet, nichts zum Inhalt haben, als eben den Willen des Staats, wo ein ſolcher Wille beſtimmt und gegeben vorliegt; wo aber ein ſolcher ausdrücklicher Wille mangelt, da muß ſie aus dem Weſen des Staats die Aufgabe und Richtung ihrer Thätigkeit ſchöpfen, und die formelle Willensbildung des Staats durch ihren eigenen Willen erſetzen. Sie erſcheint daher hier nur noch als die reine Kraft des, ſeinen Willen vollziehenden oder durch ſeine Thätigkeit ſein Weſen verwirk - lichenden Staats, noch ohne Rückſicht auf die Objekte deſſelben; und in dieſem Sinne nennen wir ſie die vollziehende Gewalt, und dieſe abſtrakt, und noch ohne beſtimmten Inhalt gedachte Thätigkeit dieſer Gewalt die Vollziehung.
Andrerſeits iſt dieſe vollziehende Gewalt für ſich gedacht, nur der Organismus der Möglichkeit der Thätigkeit, oder die Kraft für ſich. Die wirkliche Thätigkeit entſteht, ſowie dieſe Vollziehung nun die wirk - lichen Verhältniſſe und Gegenſtände des Staatslebens ergreift, und in ihnen den Willen oder das Weſen des Staats concret zur Verwirklichung bringen will. Hier empfängt die vollziehende Gewalt ihre Aufgabe an ihrem Objekte; ſie muß wie ſchon geſagt, daſſelbe innerlich und äußer - lich verarbeiten; die Geſetze des Lebens dieſer Objekte bringen ſich zur Geltung und geben der Vollziehung Geſtalt und Maß, Mittel und Ziel; die großen Gebiete deſſelben theilen die letzten ſelbſt wieder in große, ihnen entſprechende Funktionen, und die Vollziehung, inſofern ſie auf dieſe Weiſe Geſtalt, Eintheilung und Namen durch Natur und Kraft ihrer Objekte empfängt, heißt dann die Verwaltung.
Man kann daher ſagen, daß das thätige Leben des Staats ſich in dieſen zwei Grundformen, Vollziehung und Verwaltung darſtellt; jene die Kraft an ſich, aus welcher die Thätigkeit hervorgeht, dieſe die wirk - liche Thätigkeit, welche die Kraft enthält. Es leuchtet ein, daß in dieſem Sinne Vollziehung und Verwaltung zugleich den Ausdruck der beiden Beziehungen enthalten, in denen die Thätigkeit des Staats ſteht. Die Vollziehung bedeutet und enthält das Verhältniß der Thätigkeit zum Willen und Weſen zu Geſetz und Natur des Staats, die Verwaltung das Verhältniß deſſelben zum concreten Leben, das der Staat umfaßt, und zu der Macht der Thatſachen in ſeinem materiellen Daſein. Da - her laſſen ſich beide äußerlich gar nicht trennen; es giebt keine Voll - ziehung ohne eine Verwaltung, und keine Verwaltung ohne eine Voll - ziehung; ſie ſind ſtets verbunden wie zwei Seiten derſelben Fläche, aber dennoch ſtets verſchieden wie jene. Allerdings können wir in der Pſycho - logie des Einzelnen jenen Unterſchied thatſächlich nicht verfolgen; die10 Gränzen beider Funktionen gehen ſo innig in einander, daß die Scheidung als Abſtraktion erſcheint. Allein im Staate ſind ſie ſehr beſtimmt trenn - bar, und ihre Trennung wird ſogar zu einer der wichtigſten Vorausſetzun - gen des Verſtändniſſes des Staatslebens. Denn das iſt ja das Weſen der höhern Perſönlichkeit, daß in ihr die unklaren Elemente der niedern ſich ſelbſtändig zur Geltung bringen. Und es wird ſogar nicht einmal ſchwierig ſein, jenen Unterſchied ſchon hier ſo unzweifelhaft darzulegen, daß er ſo - gleich als Grundlage der ganzen folgenden Darſtellung dienen könne.
Die Lehre von den „ Staatsgewalten. “— Der Begriff der Staats - gewalten, ihre Benennung, Scheidung und Begränzung gehört zwar eigentlich der Verfaſſungslehre an, iſt aber ſo durchgreifend wichtig, und ſo ſehr beinahe vergeſſen, daß wir ſie zum Verſtändniß unſerer Auffaſſung hier in ihren Grund - zügen bezeichnen müſſen.
Unter den „ Staatsgewalten “verſteht man eigentlich (unklar) die großen organiſchen Funktionen des Staats. Das Auftreten des Begriffes ſetzt daher die entſtehende Herrſchaft des Staats über die territoriale Zerſplitterung ſeiner Macht im Lehnsweſen voraus; er muß angeſehen werden als der Anfang des organiſchen Verſtändniſſes des Staatslebens. Er iſt daher die höhere Form derſelben Vorſtellung, welche die „ Hoheitsrechte “(Regalien) bezeichnen. Die Hoheitsrechte des Staats ſind die Rechte auf die im Weſen des Staats liegenden Funktionen, aber in ihrer lehnsrechtlichen Entſtehung gedacht, gegenüber den Rechten der Grundherrlichkeit; ſie enthalten daher beſtändig eine unverkennbare Verſchmelzung privatrechtlicher und öffentlich rechtlicher Rechtstitel. Erſt in der Vorſtellung von „ Staatsgewalten “tritt die Idee des Staats ſelbſtſtändig her - vor; Hoheitsrechte kann der Staat haben, zum Theil aber auch nicht haben, oder verlieren, wie es ſeine geſchichtliche Entwicklung mit ſich brachte; die Staats - gewalten dagegen ſind mit ſeinem organiſchen Weſen ſelbſt, von ihm untrennbar, gegeben. Man muß in dieſer Beziehung die franzöſiſche und die deutſche Auf - faſſung unterſcheiden. Die erſtere legt den Begriff der Staatsgewalten, die letztere den Begriff der Hoheitsrechte zum Grunde, um zu einer organiſchen Auffaſſung des neueren Staatslebens zu gelangen. Die erſte will damit ein Syſtem der organiſchen Freiheit, die letztere ein Syſtem des organiſchen Rechts ſetzen. Die franzöſiſche Auffaſſung beginnt ſchon mit Montesquieu. Bei ihm treten die „ trois sortes de pouvoir: la puissance législative, la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit des gens (die Militärmacht) et la puissance exécutrice des choses qui dépendent du droit civil “L. XI. ch. VI. auf. Die letztere iſt die puissance de juger, alſo eigentlich gar keine vollziehende, ſondern eine richterliche Gewalt. Die pouvoirs intermédiaires, von denen er 1 — 4 redet, ſind vielmehr die ſtändiſchen Ordnungen der Geſell - ſchaft. Der wichtigſte Satz im ganzen Esprit des lois iſt ohne Zweifel der, daß die Freiheit nur in der „ Trennung jener drei Gewalten “geſichert werden könne. Was er ſich unter dieſer Trennung dachte, läßt er ungeſagt. Allein das Streben nach Freiheit, das die ganze Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erſaßt, läßt die Vorſtellung entſtehen, daß auf dem richtigen Verſtändniß der11 pouvoirs des Staats die Organiſation jeder freien Verfaſſung beruhe. So ſchon in der Encyclopädie von Al. und Did. Art. Représentant, Pouvoir und a. a. O. Sieyes, die perſonificirte Reflexion der Revolutionen, ſcheidet dann die drei Gewalten etwas anders: die geſetzgebende, die aktive oder exekutive, welche die beiden Gewalten, die richtende und die verwaltende, zugleich enthielt, und die coercitive; (Oeuvres I. 360) welche Auffaſſung zu den vier Gewalten der Conſtitution von 1791 wurde. Damit iſt dann dieſe theoretiſche Scheidung in die Verfaſſungsurkunden aufgenommen und erhält ſich bis auf die neueſte Zeit, ohne daß man damit ein klares Bild gewonnen hätte; ſo in den von Klüber §. 100 bereits angeführten Chartes von Braſilien 1823 und Portugal 1826, dann in der Verfaſſung von Neapel 1848, Toscana und Piemont (eod.); Benj. Conſtant bringt dann unter der Reſtauration ein neues Moment hinein. Er fühlt, daß wenn man mit dem Syſtem der Pouvoirs den Staat umfaſſen will, auch das Königthum als eine eigenthümliche „ Gewalt “erſcheinen müſſe, und bezeichnet es als das Pouvoir régulateur; dadurch entſtand das wunderliche Verhältniß, daß der König zugleich als pouvoir exécutif und régulateur begriffen ward; der erſte Beweis, daß man mit dem Begriffe der Pouvoirs den Staat nicht organiſch erfaſſen kann. Demnach fehlte die einzige wahre Grundlage dieſes Verſtändniſſes, der Begriff der Perſönlichkeit. Man mußte daher bei jenem Begriffe bleiben und um mit ihm auszureichen, ſchuf nun jeder wieder andere Pouvoirs, und zwar für jedes Gebiet, das als ein ſelbſtändiges in der Verwaltung erſchien; ſo entſtand ein Pouvoir municipal, ein Pouvoir électif, ein Pouvoir administratif, und bei den Deutſchen ſogar eine Kameral - Gewalt. Bentham (Traité de législ. III. 342) brachte es zu ſieben Gewalten, ohne zu ſehen, daß er das Thätige aus ſeiner Thätigkeit, die Natur des Staats aus ſeinen Funktionen, ſtatt umgekehrt, conſtruire. Es war offenbar, daß man auf dieſem Wege nur zu Verwirrungen gelangen könne. Ohne ſich daher über das Weſen der Pouvoirs klar zu werden, ließ man ſie allmählig fallen; ſie ſind, nachdem ſie bis zum Ende der Reſtauration in Frankreich ge - herrſcht, ziemlich vollſtändig aus der Literatur verſchwunden, und erhalten ſich nur noch in dem hergebrachten Satze, daß „ der König das Haupt der voll - ziehenden Gewalt “ſey. Auf dieſen Punkt kommen wir unten zurück.
Was nun die deutſche Literatur betrifft, ſo iſt hier die Verwirrung be - deutend größer. Allerdings geht die deutſche Staatslehre, wie ſchon geſagt, von dem Grundbegriff der Hoheitsrechte, ſtatt von dem der Gewalten aus, und da keine Revolution an die Stelle dieſes rechtlichen Begriffes den organiſchen ſetzte, ſo blieb derſelbe bis auf unſere Tage beſtehen. Hoheitsrecht bedeutet aber den deutſchen Staatsrechtslehrern zweierlei; erſtlich die Rechte, welche das König - thum von dem Lehnsherrn hiſtoriſch wirklich erworben hat, und zweitens die Rechte, welche dem Staate ſeinem Weſen nach zukommen. Da keine Philoſophie dieſelben über das wahre Verhältniß aufklärte, ſo verwechſelten ſie beide Seiten der Sache beſtändig, und nahmen daher auch willig den Begriff der franzöſiſchen Pouvoirs in die Theorie auf, namentlich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts. Dadurch entſteht eine ſolche Verwirrung aller Begriffe und Ausdrücke, daß es faſt eben ſo nutzlos als unmöglich iſt, nach irgend einer klaren Vorſtellung über12 den Inhalt des Staats zu ſuchen. Doch kann man zwei Richtungen unter - ſcheiden. Die eine kann man als die conſtruirende bezeichnen; ſie folgt dem franzöſiſchen Vorgange, und verſucht ſo viel als möglich ohne Beziehung auf die Hoheitsrechte den Staatsorganismus in ſeine Gewalten zu zerlegen; in größerem Maße Schlözer (Allgem. Staatsrecht und Staatsverfaſſungslehre 1793 S. 100, potestas, legislativa, coercitiva, punitiva, judiciaria, inspectiva, reprae - sentativa, cameralis, alſo das franzöſiſche Vorbild ſchon damals übertroffen. Aehnlich Mayer Syſtem der Staatsregierung und Umriſſe 1803 mit ſieben Gewalten). Dann kommen Verſuche, die alte trias politica herzuſtellen, die legislativa, judiciaria, executiva, wie bei Heidenreich, Hufeland u. A. Das Suchen gewinnt feſte Geſtalt in der Epoche der conſtitutionellen Epoche des Staatsrechts; namentlich wird Benj. Conſtant das Muſter. Der be - deutendſte Vertreter dieſer Richtung war Ancillon (Staatswiſſenſchaft 1820), der übrigens noch eine „ verwaltende Gewalt “ſetzt, bis endlich das Hauptwerk in dieſer Richtung, Aretins Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie B. I. S. 170 in Verzweiflung über den Wirrwarr trocken erklärt „ die meiſten Staats - rechtsſchriftſteller ſind nun darüber einverſtanden, daß die bisherigen Einthei - lungen nichts taugen, und daß man „ der Trennung der Gewalten nicht bedarf, vielmehr dieſelbe mit zahlloſen Colliſionen und gefährlichen Kämpfen verbunden iſt. “ Das wäre nun ganz gut geweſen; allein unterdeſſen hatte ſich die zweite Richtung der Sache bemächtigt, nämlich die des poſitiven Staatsrechts. Dieſe bedurfte der Eintheilungsgründe für ihre Darſtellung, und nahm daher, weil die alten „ Regalia “für das junge Staatsleben nicht mehr ausreichten, jetzt die „ Gewalten “neben den Hoheitsrechten auf. Dieſe Hoheitsrechte hatte man ſchon vorher in weſentliche und unweſentliche, in innere und äußere getheilt. Nun kamen die Gewalten hinzu, und die Verwirrung ward vollſtändig. Gönner war in ſeinem deutſchen Staatsrechte 1803 vielleicht der erſte, der aus dieſen Begriffen ein Syſtem zu machen trachtete. Man ſieht ſeiner Mühe (§. 274 ff. ) es an, wie ſchwer es ihm wird, nur überhaupt zu irgend einem Reſultate zu gelangen. Das Ergebniß iſt zuletzt, daß er alle Hoheitsrechte zugleich Staats - gewalten nennt und dann alle Funktionen des Staats als Gewalten be - zeichnet, die er dann gemeinſam unter dem Ausdruck „ Regierungsrecht “(Erſter Theil, zweites Buch) verarbeitet. Bei dem Stammvater des deutſchen Bundes - rechts, dem deutſchen Sieyes, Klüber, bleibt dieſelbe Auffaſſung; Hoheitsrecht und Gewalten ſind ihm in einer gewiſſen Weiſe gleichbedeutend, aber dennoch fühlt er, daß ſie verſchieden ſind, und kommt daher zu gar keinem Reſultat. Er iſt der Hauptvertreter der Literatur des deutſchen Staatsrechts, welche von da an es ſich zur Aufgabe ſtellt, die Klarheit über den Staat im Ganzen vollſtändig aufzugeben, dagegen jedes einzelne Verhältniß auf das Gründ - lichſte zu unterſuchen. Bei der hohen praktiſchen Wichtigkeit dieſer einzelnen Rechte riß die Richtung die ganze Literatur mit ſich fort, um ſo mehr als die Philoſophie vollſtändig unfertig daneben ſtand. (Vergl. z. B. Klüber §. 99 ff.) Jeder deutſche Publiciſt wählte von jetzt an ganz nach ſeiner Convenienz die Ausdrücke: Staatsgewalt, Regierungsrecht oder Regierungsgewalt, Hoheit, Hoheitsrecht. Man vergl. z. B. Maurenbrecher II. Thl. Kap. 2., der13 überdieß eine trias politica aufſtellt, welche die oberaufſehende mit enthält §. 41. Zachariä, deutſches bürgerliches Recht a. a. O. und andre. Dennoch iſt ein gewiſſer Drang da, aus all dieſen Unklarheiten herauszukommen. Dieſer erſcheint in der Reducirung aller jener Vorſtellungen auf die einfache Vorſtellung von der „ Staatsgewalt “wie bei Zöpfl Staatsrecht Abſchnitt IV. Mohl, Encyclopädie der Staatswiſſenſchaften §. 11 und 15 (der ſogar von „ Eigenſchaften “der Staatsgewalt — vier hat ſie, mehr nicht — redet). Der Begriff dieſer Staatsgewalt hat ſich aber hiſtoriſch gebildet, wie wir unten in der Geſchichte der vollziehenden Gewalt zeigen werden, und konnte daher in ſeiner eigenen Unbeſtimmtheit, mit der er das ganze Staatsleben umfaßte, den Unterſchied der einzelnen Gewalten nicht weiter erklären. Wir dürfen hoffen, daß das nun anders wird. Weſentlich wird dazu der Gedanke beitragen, den wir Mohls Württemb. Staatsrecht verdanken, den er aber nicht feſtzuhalten vermochte, daß Verfaſſung und Verwaltung zwei ſelbſtändige Gebiete des Staatslebens ſeyen. Es ergibt ſich aus allem, daß der Begriff der „ Gewalt “an ſich ein ganz richtiger iſt; daß der Fehler nur darin lag, daß man das Weſen des Staats aus der Gewalt, ſtatt die Gewalt aus dem Weſen des Staats ent - wickeln wollte; hat man die organiſchen Grundgedanken des Staatslebens, ſo ordnen ſich dieſe Begriffe von ſelber. Und da es uns hier nur auf das Erſtere ankam, ſo dürfen wir die Erläuterungen der Begriffe von Staatsgewalt, Re - gierung, vollziehender Gewalt u. ſ. w. jetzt an ihre beſondere Stellen verweiſen.
Jede vollziehende Gewalt nämlich iſt zwar ein ſelbſtändiges Moment in der organiſch gegliederten Perſönlichkeit des Staats; allein ſie ſteht nicht für ſich da. Ihre Quelle iſt eben der, in ſeinem wirklichen Leben ſich verwirklichende Staat; ihr Inhalt kann daher auch kein anderer, als die Verwirklichung der Staatsidee ſein. Sie wird dieſen Inhalt ſtets zunächſt in dem beſtimmt formulirten Willen des Staats, dem Geſetze ſuchen; allein ſie kann und darf nicht bloß mit dem formellen Geſetze ſich begnügen. Sie muß vielmehr von den Forde - rungen, welche die Idee des Staats ſtellt, durchdrungen ſein; ſie muß nichts wollen, als was ſie ſelbſt als Inhalt des letzteren erkennt; ſie widerſpricht ihrem eigenen Weſen, wenn ſie etwas anderes will; ſie muß daher die geſammte Aufgabe, welche dieſe Idee verwirklichen will, ſich ſelber zum Bewußtſein erheben; und das Durchdrungenſein von dieſer Idee, von dieſem Bewußtſein iſt eben dasjenige, was ſie zu einem lebendigen Gliede des Staatsorganismus macht. Dieß Bewußtſein geſtaltet ſich nun für die wirkliche Thätigkeit zu gewiſſen, dieſelben im Einzelnen leitenden, für jede derſelben zur gleichmäßigen Gültigkeit14 gelangenden Principien, in welchen eben das geiſtige Band zwiſchen dem inneren Leben des Staats und dieſer ſeiner ſelbſtändigen vollziehenden Kraft gegeben iſt: und inſofern nun die vollziehende Gewalt auf dieſe Weiſe von den, aus dem ſittlichen und rechtlichen Organismus des Staats ſich ergebenden Principien durchdrungen und beſeelt iſt, nennen wir die Vollziehung die Regierung des Staats. Die Lehre, welche dieſe Principien finden und ergründen lehrt, iſt dann die Regie - rungslehre; die Kunſt, das richtige Verhältniß der allgemeinen Prin - cipien zu dem gegebenen Zuſtande eines Staates zu jeder Zeit zu fin - den, heißt die Regierungskunſt oder Politik.
Der Unterſchied zwiſchen vollziehender Gewalt und Regierung, den man nie gehörig beachtet, iſt daher eben ſo wenig ein äußerlicher, als der zwiſchen Vollziehung und Verwaltung. Die Regierung iſt eben nichts als die principielle Vollziehung. Es iſt aber kein Zweifel, daß dieſer Unterſchied, wie der Unterſchied zwiſchen Form und Inhalt überhaupt, ein hochwichtiger iſt. Die Folge wird zeigen, daß derſelbe faſt auf jedem Punkte ſeine Conſequenzen erzeugt. Ohne die ſcharfe Innehaltung aller dieſer Unterſcheidungen aber iſt eine ſyſtematiſche Wiſſenſchaft überhaupt nicht möglich. Wo ſelbſt die Sprache aller Nationen die Unterſcheidung zwiſchen Vollziehung, Regierung und Ver - waltung klar und unbedingt feſthält, darf da die Wiſſenſchaft weniger in Beſtimmtheit der Auffaſſung leiſten, als das Wort, deſſen ſie ſich bedienen muß? —
Während auf dieſe Weiſe Vollziehung und Regierung, jene das organiſche, dieſe das principielle Verhalten der wirklichen Thätigkeit zur innern Selbſtbeſtimmung der Staatsperſönlichkeit enthalten, eröffnet ſich uns mit der Verwaltung das Gebiet des wirklichen Staatslebens und der concreten Geſtalt, welche in ihm die Aufgaben der Vollziehung empfangen; das heißt, die Vollziehung wird Verwaltung, indem ſie mit den gegebenen äußeren Verhältniſſen zu thun hat, welche in ihrer Berührung mit dem Staate ſich als die Staatsaufgaben darſtellen.
Dieſe Staatsaufgaben, welche auf dieſe Weiſe den Inhalt der Verwaltung bilden, ſcheiden ſich nun in drei Gruppen, und dieſe Schei - dung erzeugt dann die drei großen Gebiete der Verwaltung, deren ſelbſtändige Behandlung ſo alt iſt wie die Staatswiſſenſchaft, wenn auch über die Art und Weiſe der erſteren keine Gleichheit erzielt iſt.
Das erſte Gebiet der Verwaltung entſteht dadurch, daß der Staat ſo gut wie der Einzelne ein wirthſchaftliches Leben hat. Er bedarf der Güter; er muß ſie finden, erzeugen, erwerben, wie der Einzelne; er muß die erworbenen wieder verwenden; er hat Einnahmen und Ausgaben. Einnahmen und Ausgaben bilden daher den erſten und15 weſentlichſten Gegenſtand der concreten Thätigkeit des Staats, und die Geſammtheit derjenigen Thätigkeiten, welche in dieſer Weiſe auf die wirthſchaftliche Exiſtenz des Staates verwendet werden, nennen wir die Finanzverwaltung. Die Entwicklung und Darſtellung der Begriffe und Regeln, nach welchen dieſe Finanzverwaltung zu Werke zu gehen hat, iſt die Finanzwiſſenſchaft.
Zugleich aber beſteht der Staat aus einzelnen ſelbſtändigen Indi - viduen. Die erſte äußerliche Bedingung des Lebens dieſer ſelbſtändigen Individuen in ihrem Zuſammenleben iſt ohne Zweifel die Unverletzlich - keit des Einen durch die Handlungen des Andern. Dieſe Unverletzlich - keit der einen Lebensſphäre durch die — gleichviel ob willkürliche oder unwillkürliche — Bewegung der anderen nennen wir das Recht. Die Erhaltung des Rechts kann aber nicht durch den Einzelnen geleiſtet werden, weil daſſelbe eben nicht von ſeiner individuellen Willkür ab - hängen kann. Die Gewißheit für die Geltung meines Rechts kann nicht in demjenigen geſucht werden, der nach meiner Anſicht eben dies Recht verletzt hat. Es muß daher durch eine Thätigkeit hergeſtellt werden, welche, indem ſie alle Rechtsindividuen umfaßt, allein das für alle gültige Recht ſetzen und vollziehen kann. Dieſe Thätigkeit vermag nun nur der Staat als die allgemeine Perſönlichkeit zu leiſten. Sie fordert, da ihre Aufgabe das geſammte Leben aller Einzelnen umfaßt, einen Organismus, der gleichfalls ſich über das ganze Leben des Staats er - ſtreckt; ſie iſt daher, ebenſo wie die wirthſchaftliche Welt des Staats, ein ſelbſtändiger Theil der Verwaltung des Staats; und dieſen Theil der Verwaltung des Staats nennen wir kurz die Rechtspflege.
Während auf dieſe Weiſe die Verwaltung der Staatswirthſchaft es mit den wirthſchaftlichen Bedingungen des Staats, die Verwaltung des Rechts aber mit der Selbſtändigkeit der einzelnen Staatsbürger zu thun hat, bleibt ein drittes großes Gebiet der Thätigkeit des Staats zurück.
Der wirkliche Staat nämlich beſteht aus der Geſammtheit aller ſeiner Staatsbürger. Er hat als wirklicher Staat kein Daſein außer ihnen; er iſt eben vorhanden als die perſönliche Einheit aller Einzelnen, welche ihm gehören. Iſt nun das der Fall, ſo ergibt ſich, daß er ſelbſt in ſeinem Fortſchritt wie in ſeinem Rückſchritt nicht bloß abhängt von der perſönlichen wirthſchaftlichen oder geſellſchaftlichen Entwicklung dieſer ſeiner Angehörigen, ſondern daß geradezu der Geſammtzuſtand des Staates mit dem Zuſtande und der Entwicklung der Einzelnen, die ihm angehören, identiſch iſt; oder daß das Maß der Entwicklung aller Staasbürger die Bedingung und das Maß der Entwicklung des Staats ſelbſt iſt.
Es ergibt ſich daraus, daß dieſe Entwicklung aller einzelnen16 Perſönlichkeiten im Staate eine in der Natur des Staats liegende Aufgabe des Staats ſelbſt iſt; er ſorgt für ſich ſelbſt, indem er für das Wohl und den Fortſchritt der Einzelnen ſorgt, die ihm angehören; dieſe Thä - tigkeit iſt ihm daher eine nothwendige und organiſche, wenn ſie auch erſt in den höhern Entwicklungsſtufen des Staatslebens zur Geltung gelangt. Sie umfaßt, indem ſie das ganze Leben der Einzelnen um - faßt, eine Reihe der verſchiedenſten und wichtigſten Aufgaben nach allen Seiten des Geſammtlebens; aber alle dieſe Aufgaben haben das mit einander gemein, daß ſie Verwendungen der Macht und der Mittel des Staats für die Förderung des Einzelnen in ſeinen individuellen Lebens - verhältniſſen enthalten. Und die Geſammtheit der dieſen Aufgaben zu - gewendeten Thätigkeit des Staats nennen wir die Verwaltung des Innern. Die Begriffe und Regeln aber, auf welchen dieſe Thätig - keiten beruhen und nach welchen ſie ihr Ziel erreichen, bilden die Innere Verwaltungslehre.
Aus dieſen Grundbegriffen ergeben ſich nun gewiſſe Folgerungen, welche für die Klarheit des Verſtändniſſes unſeres ganzen Gebietes und namentlich für den Sinn der Worte, die man hier gewöhnlich gebraucht, von höchſter Wichtigkeit ſind, da vielleicht nirgends in der ganzen Staats - wiſſenſchaft und in der Lehre vom öffentlichen Rechte, die ſich an dieſelbe anſchließt, eine gleich große Verwirrung herrſcht.
Der Ausdruck „ Verwaltung “im Allgemeinen, wie man ihn gewöhnlich gebraucht, hat nämlich mit dem Obigen ſeinen Sinn ver - loren. Er bezeichnet den meiſten die Vollziehung, die Regierung, und unbeſtimmt auch die einzelnen Verwaltungsgebiete zugleich, aber in un - klarer Weiſe iſt er der Geſammtausdruck für das ganze thätige Leben des Staats, und zwar im Gegenſatz zur Funktion der Willensbeſtim - mung oder der Geſetzgebung. Dieſe letztere nennt man ferner, inſofern ſie ſelbſt nach beſtimmten Ordnungen des geſetzlich anerkannten öffent - lichen Rechts vor ſich geht, wohl auch die Verfaſſung. Man ſetzt da - her die Geſetzgebung oder die Verfaſſung der Verwaltung gegenüber, dem Willen die That. Und indem man den Rechtsbegriff auf beide Gebiete anwendet, ſpricht man vom Verfaſſungs - oder Geſetzgebungs - recht gegenüber dem Verwaltungsrecht.
Dieſe Unterſcheidung iſt an ſich richtig, wenn man ſich nur über den Ausdruck vollkommen klar bleibt. Denn nach ihm umfaßt die Ver - waltung ſowohl die Vollziehung als die einzelnen Verwaltungsgebiete, die wir bezeichnet haben, die Finanz -, die Rechts - und die Innere Ver - waltung. Indem man daher den einmal hergebrachten Ausdruck bei - behält, würde das dritte große Gebiet des Staatslebens, das thätige Leben, ſich in folgenden Grundbegriffen darſtellen.
17Die Verwaltung im weiteſten Sinne begreift darnach die Ge - ſammtheit des thätigen Staatslebens, ohne Rückſicht auf ſeinen beſon - dern Inhalt. Es iſt die abſtrakte That des Staats. Eben deßhalb bezeichnet dieſer Ausdruck auch nur den Gedanken der Scheidung von Wille und That im Staate; er hat an ſich keinen Inhalt, als den des abſtrakten Begriffes der That; es gibt keine Verwaltungslehre im weiteſten Sinne, ſondern der Inhalt derſelben erſcheint erſt in den folgenden beiden Begriffen. Dieſe ſind die Vollziehung oder vollziehende Gewalt, und die eigentliche Verwaltung.
Die Vollziehung iſt die Kraft und die Organiſation der Thätigkeit des Staats an ſich, noch ohne Rückſicht auf ihren Gegenſtand. Sie erſcheint daher als dasjenige, was in allen Gebieten der eigentlichen Verwaltung das Gemeinſame und Gleichartige iſt. Sie iſt daher der allgemeine Theil der Verwaltung, und die Lehre von der vollziehen - den Gewalt als allgemeine Grundlage jeder beſondern Vollziehung in den einzelnen Gebieten der Verwaltung iſt der allgemeine Theil der Verwaltungslehre.
Die drei Gebiete der Verwaltung zuſammengenommen bilden nun die Thätigkeit des Staats, inſofern ſie beſtimmte Aufgaben hat, und daher durch die Natur und Gewalt derſelben bedingt erſcheint. Wir nennen die Geſammtheit derſelben die eigentliche Verwaltung. Die eigentliche Verwaltung, iſt daher der beſondere Theil der Verwal - tung im weiteſten Sinn; aber ſie erſcheint nur in den drei großen Grundformen der Verwaltung, der Finanz -, Rechts - und innern Ver - hältniſſe des Staats. Sie hat daher wieder keinen Inhalt für ſich; ihr Inhalt ſind dieſe drei Gebiete. Es gibt daher auch keine eigentliche Verwaltungslehre, ſondern nur eine Verwaltungslehre der Staatswirth - ſchaft, der Rechtspflege und der innern Verwaltung. Allen dieſen drei Gebieten liegt nun wieder die vollziehende Gewalt zum Grunde; ſie enthalten diejenige Geſtalt und Anwendung der vollziehenden Ge - walt, welche ſie vermöge der Beſonderheit ihrer Aufgaben fordern und erzeugen.
Vielleicht iſt es dienlich, namentlich auch um die faſt ganz all - gemeine Unklarheit über den Begriff der innern Verwaltung und die beſtändige Verwechslung derſelben bald mit der Verwaltung im weiteſten Sinne, bald mit der eigentlichen Verwaltung zu beſeitigen, und endlich eine feſte Grundlage auch für die Grundbegriffe und Kategorien des öffentlichen Rechts zu gewinnen, dieſen Organismus der Begriffe hier zu ſchematiſiren. Derſelbe ſtellt ſich in folgender Weiſe dar.
Stein, die Verwaltungslehre. I. 218Die Aufgabe des folgenden Syſtems iſt es nun, den allgemeinen Theil der Verwaltung im weiteſten Sinne oder die Lehre der vollziehen - den Gewalt nach all ihren Seiten und Ordnungen darzuſtellen. Und, da die Finanzverwaltung in der Finanzwiſſenſchaft, die Rechtspflege in Rechtslehre und Proceß ohnehin dargelegt wird, ſo bleibt als zweites Gebiet unſerer Aufgabe die innere Verwaltungslehre übrig. Wir geben demnach zuerſt den erſten Theil der Verwaltungslehre im wei - teſten Sinn, und dann den letzten Theil, es dem Leſer überlaſſend, die beiden mittleren Gebiete durch die beſtehenden Bearbeitungen aus - zufüllen.
Dies nun wird ſeine definitive Geſtalt empfangen, indem wir den Begriff und Inhalt des öffentlichen Rechts damit verbinden.
Verfaſſung, Regierung und Verwaltung. — Vielleicht auf keinem Punkte der ganzen Staatswiſſenſchaft zeigt ſich das, was wir das, der deutſchen Theorie überhaupt eigenthümliche Widerſtreben gegen Annahme feſter Begriffe und Ausdrücke nennen müſſen, ſo ſehr, als in dem Ausdruck Verwaltung und Regierung. Die Grundlage der ganzen obigen Auffaſſung, einerſeits der Unterſchied zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung, im weiteren Sinn, und andererſeits zwiſchen Regierung (als allgemeiner) und eigentlicher Verwaltung (als beſonderer) Thätigkeit des Staats iſt keineswegs neu; allein ſo klar dieſe Unterſchiede auch ausgeſprochen werden, ſo hat man ſie doch nicht feſthalten können. Vielleicht daß die Bezeichnung der Gründe, welche die Unſicherheit der Ausdrücke erzeugten, dazu beitragen werden, ſie endlich ſelbſt mit all ihren Uebelſtänden zu erkennen. Während wir den Unterſchied und die ganze Lehre von den Gewalten den Franzoſen verdanken, gehört die im Grunde weit wich - tigere Unterſcheidung von Verfaſſung, Regierung und Verwaltung der deutſchen Wiſſenſchaft, welche ſie leider nicht gehörig entwickelt hat. So viel wir ſehen, hat ſie Schlözer zuerſt ſehr klar aufgeſtellt (Staatsgelahrtheit 1793, §. 3): „ aus den Zwecken des Staats ergeben ſich ſowohl die Geſchäfte des Staats (Staatsverwaltung), als die zu deren Betreibung nothwendigen Rechte und Pflichten der Regierenden und Gehorchenden (Staatsrecht) “(eigentlich das Verwaltungsrecht im weitern Sinn; ſiehe unten) „ ſammt der unter vielen möglichen Arten beliebten beſondern Einrichtung (Staatsverfaſſung), “eine Unterſcheidung, die er dann in ſeiner Theorie der Statiſtik (1804)19 weiter verfolgt. — „ Hiezu haben wir eine eigene Wiſſenſchaft, praktiſche Politik, Staatsverwaltungslehre oder Regierungswiſſenſchaft — Lehre von der Staatsverwaltung, geordnete Anzeige aller Geſchäfte, welche zu beſorgen die Regierung Pflicht, Macht und Recht hat, und auf die Natur dieſer Geſchäfte oder auf Erfahrung gegründete Angabe der Mittel, wie ſolche Geſchäfte am zweckmäßigſten beſorgt werden können. “ Auf dieſer Grundlage ward ſchon im Anfange des Jahrhunderts auch das organiſche Verhältniß zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung ſehr klar ausgeſprochen, zuerſt wohl von Gönner in ſeinem Unterſchiede vom Conſtitutionsrecht (Verfaſſung) und Regierungsrecht (Verwaltung), in welche Theile er ſein ganzes deutſches Staatsrecht theilt, während das wahre Princip ihres gegenſeitigen Verhaltens vielleicht zuerſt auf - geſtellt wird von dem trefflichen Malchus (Organismus der Behörden für die Staatsverwaltung, 1821, 2 Bände), der den ſo einfachen und klaren Satz aufſtellt, „ daß kein Staat ohne Verfaſſung ſeyn kann, die Ver - faſſung aber die Richtſchnur der Verwaltung, dieſe letztere die Ausführung der erſteren ſey “(ſ. unten). Damit war die eigentliche Grundlage der organiſchen Staatswiſſenſchaft gewonnen; allein noch fehlte die allerdings nothwendige Unter - ſcheidung zwiſchen Regierung und Verwaltung. Dieſe ſtellte zuerſt Zachariä in ſeinen 40 Büchern vom Staate auf (Thl. 3, S. 72) und zwar ganz weſent - lich ſo wie wir; und dieſe Unterſcheidung ward dann von Pölitz aufgenommen (Thl. I. S. 216): „ Der Begriff der vollziehenden Gewalt zerfällt in zwei Haupt - theile, in das Regieren und das Verwalten, in wiefern unter dem Re - gieren der Oberbefehl über die Vollziehung der beſtehenden Geſetze und die Oberaufſicht über alle Zweige der Verwaltung, unter der Verwaltung da - gegen die Vollziehung der Geſetze in den einzelnen Kreiſen und Verhältniſſen des inneren Staatslebens verſtanden wird. Bei dieſer Unterſcheidung zwiſchen Regieren und Verwalten bezieht ſich das erſte auf das geſammte Gebiet des Staats, das zweite auf die örtlichen Verhältniſſe. “ Allerdings ſieht man in der letzten Beſtimmung den Einfluß der franzöſiſchen Unterſcheidung zwiſchen Gouvernement und Adminiſtration, welche freilich, ſo viel uns bekannt, nirgends genauer unterſucht iſt; im Gegentheil hat man in neueſter Zeit das Gouverne - ment ſo ziemlich in dem höhern Begriff der Adminiſtration aufgehen laſſen, ſ. namentlich Block, Dict. de l’administration v. Administration und Gou - vernement, und Block, Dict. de Politique v. Gouvernement. Demnach war mit den obigen Begriffen eine ganz feſte Grundlage gewonnen. Allein nun entſtand die Schwierigkeit, dieſelben für das deutſche poſitive Staatsrecht zu gebrauchen. Hier nun erſcheint zuerſt die deutſche Unklarheit über Weſen des Unterſchieds zwiſchen Verfaſſung und Verwaltung, die Mohl, Encyclopädie der Staatswiſſenſchaft S. 136 gut charakteriſirt, wenn ſie auch nicht gerade, wie er meint, durch den Einfluß nordamerikaniſcher Auffaſſung entſtanden iſt. Der eigentliche Grund war vielmehr der auch noch jetzt nicht behobene Mangel eines Begriffes von Geſetz und Verordnung (ſ. unten). Dann zeigen ſich mit einer faſt pedantiſchen Hartnäckigkeit die alten Begriffe der Hoheitsrechte, und er - ſcheinen den Staatsrechtslehrern, namentlich Gönner, als der Inhalt der „ Regierungsgewalt, “während von einer eigentlichen Verwaltung gar keine20 Rede war. Andererſeits verfiel die Hauptthätigkeit auf das Bundesrecht, das wunderlicher Weiſe als Haupttheil „ des deutſchen allgemeinen Staatsrechts “be - trachtet ward. Der Bund aber hatte weder zu verwalten noch zu regieren. Der Gründer des deutſchen Bundesrechts, Klüber, wußte daher mit beiden Begriffen gar nichts anzufangen, und warf Hoheitsrecht, Regierung, Verwaltung und die einzelnen Gebiete der letztern ſo gründlich durcheinander, daß es nicht möglich war, weder ſeine Meinung zu erkennen, noch ſich eine eigene zu bilden. Von da an ſehen wir daher die Verwirrung aller Begriffe und das gänzliche Verſchwinden der obigen klaren Unterſchiede entſchieden, um ſo mehr als in den Hauptſtaaten überhaupt keine Verfaſſung beſtand. Die Nachfolger, Maurenbrecher, Za - chariä (Göttingen), Leiſt, haben ſich von dieſer Verwirrung nicht frei zu machen gewußt, weil auch ihnen die erſte Baſis, Gegenſatz von Verfaſſung und Verwaltung, fehlte. Nur Zöpfl (Staatsrecht II. ) unterſcheidet ſehr gut Regierung und Verwaltung, aber ohne für die Darſtellung ſeines Staatsrechts irgend eine Conſequenz daraus zu ziehen, §. 344, wogegen wieder Held in ſeiner Verfaſſungslehre II. 450 kämpft. (S. übrigens über beide Begriffe unten.) Die Bearbeitungen der einzelnen Staatsrechte, zuerſt Mohl, Württemb. Staats - recht, dann Moy und Pötzl, Bayr. Staatsrecht, kamen allerdings wieder zu jenem Unterſchied, aber ſie verloren dabei den Begriff der Regierung, da dieſer nicht in objektiv geltende Beſtimmungen zu faſſen war. So ſind wir jetzt gezwungen, gleichſam von vorne anzufangen. Und allerdings kann es nicht genügen, dieß bloß mit Definitionen zu thun. Wir haben zu verſuchen, dieſe bisher abſtrakten Begriffe mit einem concreten und praktiſchen Inhalt zu er - füllen. Das kann aber nur durch das Recht und ſeine Darſtellung geſchehen.
In der bisherigen Darſtellung haben wir nun den Begriff des Staats in den Grundformen ſeiner organiſchen Geſtaltung dargelegt. Wenn wir jetzt vom Leben des Staats reden, ſo bezeichnet uns dieſer Ausdruck nicht länger jenes unbeſtimmte Etwas, das wir die Unter - werfung des gegenſtändlichen Daſeins unter die perſönliche Beſtimmung des Staats nennen. Das Leben des Staats iſt jetzt ein Proceß, den wir in ſeinen organiſchen Elementen verfolgen können. Der Staat, in der Mitte der wirklichen Dinge ſtehend, beſtimmt die Ordnung und das Ziel ſeines wirklichen Daſeins durch ſeinen Willen, indem er vermöge der Berathung zum Schluß kommt, und dieſer beſtimmte Wille, indem er ſich auf den wirklichen Inhalt des Staatslebens bezieht, oder das Geſetz des Staats, beſtimmt die Thätigkeit der Vollziehung, die wieder in der wirthſchaftlichen, der rechtlichen oder der innern Aufgabe als Verwaltung erſcheint. Das ſind die abſoluten Formen des Staatslebens. Kein Theil dieſes Lebens iſt für ſich denkbar; es gibt keine Geſetzgebung ohne Vollziehung, keine Vollziehung ohne Verwaltung, keine Verwaltung21 ohne Vollziehung und Geſetzgebung; es gibt kein Geſetz, das nicht zuletzt in den einzelnen Zweigen der Verwaltung erſchiene. Alle jene Begriffe ſind daher nur ſelbſtändige Momente in dem großartigſten aller Lebensproceſſe, die es gibt, im Staatsleben.
Demnach mangelt hier ein Begriff, und das iſt der des Rechts für das Verhältniß dieſer Momente unter einander.
Das nämlich iſt das höhere Weſen des Staats, daß er nicht bloß ſelbſt eine Perſönlichkeit iſt, ſondern daß auch ſeine Organe, indem ſie ſelbſtändig wirkſam ſein müſſen, und daher eines ſelbſtändigen und ſelbſtthätigen Willens bedürfen, den Charakter eines perſönlichen Da - ſeins empfangen. Neben dem innern geiſtigen Zuſammenhang mit dem Ganzen muß jeder ſelbſtändige Theil die Fähigkeit beſitzen, auch ſelb - ſtändig zu wirken, um durch ſich ſelbſt in ſeinem Kreiſe die Idee des Staats zu verwirklichen. Indem er das thut, fordert er für das Maß ſeiner Thätigkeit eine geltende Gränze. Die Beſtimmung dieſer Gränze enthält das organiſche Verhältniß, in welchem die letztere zu dem Leben des Ganzen ſteht. Es iſt wahr, daß dieſe Gränze an ſich in dem ſpeziellen Weſen des beſondern Organes liegt; allein ſie muß, da das letztere äußerlich thätig erſcheint, auch eine äußerlich feſtſtehende, objektiv gültige ſein. Dieſe Gränze der Thätigkeit jeder der oben erwähnten Organe, innerlich bedingt durch das Weſen ſeiner beſondern Funktion im Geſammtorganismus und äußerlich als objektiv von der Einheit des Staats anerkannt, iſt nun das öffentliche Recht des Staats.
Das öffentliche Recht des Staats, durch und für die Selbſtändig - keit jener organiſchen Funktionen des Staats geſetzt, enthält daher kein Syſtem für ſich, ſondern es ſchließt ſich einfach an das organiſche Sy - ſtem des Staates ſelbſt an, und ſeine Gebiete ſind dieſelben mit denen des Staatslebens. Dieß Syſtem des öffentlichen Rechts iſt daher ein - fach und leicht verſtändlich in ſeiner formellen Geſtalt.
Das erſte Gebiet iſt das Recht des Staatsoberhaupts, welches die im Weſen deſſelben liegenden Funktionen zur rechtlichen Bedingung jedes Aktes der Staatsperſönlichkeit macht.
Das zweite Gebiet iſt das Recht der Geſetzgebung, welches die Formen der Bildung des Staatswillens rechtlich zur Bedingung der An - erkennung deſſelben als Staatswille erhebt.
Das dritte Gebiet kann man nach den Obigen das Verwaltungsrecht im weiteſten Sinne nennen, das wieder als ſeinen allgemeinen Theil das Recht der Vollziehung oder wie man gewöhnlich ſagt, das Recht der voll - ziehenden Gewalt, und als ſeinen beſondern Theil das Recht der Finanz - verwaltung, der Rechtspflege und der innern Verwaltung enthält, die man zuſammengenommen als das Verwaltungsrecht im engeren Sinne bezeichnet.
22Dieſe Begriffe ſind nun wohl ſehr einfach und bedürfen keiner Er - klärung. Dennoch herrſcht hier eine große Unklarheit; und um dieſe zu erläutern, müſſen wir auf den Proceß zurückgehen, der dieß Recht ge - bildet hat.
Wie nun dieß öffentliche Recht an ſich nothwendig iſt, ſo gibt es für den Staat und ſein Leben auch verſchiedene Grundformen, in denen es ſich bildet. Es muß hier genügen ſie kurz zu bezeichnen.
Die erſte dieſer Grundformen entſteht durch die Erkenntniß des Weſens des Staats und ſeiner Elemente. Wie das Recht ſelbſt die Conſequenz des Wirkens und des Weſens dieſer Elemente iſt, ſo ent - ſteht aus der wiſſenſchaftlichen Entwicklung derſelben im Bild des öffent - lichen Rechts, in allen ſeinen Theilen, das ſeine Wahrheit nicht in der thatſächlichen Geltung deſſelben, und ſeinen Einfluß nicht in der un - mittelbaren Anwendung ſucht, ſondern vielmehr in der Wirkung, welche es auf Verſtändniß und Willen derjenigen äußert, die dem Rechte Gel - tung und Anwendung geben ſollen. Die Thätigkeit, welche dieß Recht an ſich erzeugt, nennen wir die Wiſſenſchaft oder Philoſophie des öffentlichen Rechts. Sie hat zu ihrem Gegenſtande das geſammte Ge - biet des Staatslebens, zu ihrer Grundlage den Begriff und das leben - dige Weſen des Staats an ſich, ohne Berückſichtigung der Verhältniſſe des für ſie zufälligen, einzelnen und concreten Staatslebens.
Die zweite Grundform beruht auf einer ganz andern Baſis. Das Recht kann für das wirkliche Leben nicht der abſtrakten Begriffe der Wiſſenſchaft warten, und auch nicht dieſelben unbedingt annehmen.
Es bildet ſich daſſelbe daher, wie alles naturgemäß Nothwendige, zunächſt von ſelbſt. Es entſteht gleichſam durch Druck und Gegendruck der einzelnen großen und kleinen Organe eine Gränze für dieſelbe, die dann mit dieſen Organen und ihrer ganzen Stellung im Staate ſo ver - ſchmilzt, daß ſie ohne weiteres Zuthun der Einzelnen und des Ganzen zu einem Geltenden wird. Das iſt der Proceß, den man als die hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts bezeichnet. Die Elemente, welche dieſe hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſchen, ſind, wie alles Daſeiende, zweifacher Natur: ein perſönliches, und ein natür - liches. Das große Element des perſönlichen Lebens, das die hiſtoriſche Bildung des öffentlichen Rechts beherrſcht, iſt das, was wir die menſch - liche Geſellſchaft nennen. Aus ihm ergibt ſich der Satz, den wir als das entſcheidende Geſetz für alle Bildung des öffentlichen Rechtes an23 einem andern Orte entwickelt haben (Geſchichte der ſocialen Bewegung in Frankreich, Bd. 1, Einleitung), daß nämlich jede Geſellſchaftsordnung ihr eigenes öffentliches Recht erzeugt, und auch nur das ihr entſprechende öffentliche Recht erträgt. Dieſem großen Geſetz der innern Staaten - bildung werden wir im Folgenden auf jedem Punkte der geſchichtlichen Darſtellung im Ganzen wie im Einzelnen begegnen. Es iſt mächtig genug, das zweite Element, das natürliche Daſein des Staats, die Landes - und Volksgeſtaltung, zu beherrſchen; dennoch wirkt auch dieſes in ſeiner Weiſe, und ſo entſteht durch das Ineinandergreifen beider Faktoren das hiſtoriſch geltende öffentliche Recht jeder Zeit und jedes Staats; und das Verſtändniß dieſes Zuſammenwirkens erzeugt die Wiſſenſchaft der Geſchichte deſſelben, die nicht bloß zu erzählen, ſon - dern die Erſcheinungen auf ihren Grund zurückzuführen hat, indem ſie jeden beſtimmten Zuſtand des öffentlichen Rechts als die nothwendige, und in den Hauptfragen ſogar ſehr einfache Conſequenz des Wirkens jener beiden Faktoren zeigt. Dieſe Wiſſenſchaft iſt bis jetzt, mit Aus - nahme deſſen was Ariſtoteles in ſeiner Politik geſagt, noch in ihrem erſten Anfange. Sie iſt beſtimmt, die ganze Geſchichte umzugeſtalten. Die dritte Grundform des öffentlichen Rechts entſteht dagegen, indem daſſelbe, als das weſentlichſte Element des Geſammtlebens der Menſchheit, nicht mehr bloß der Wirkſamkeit und bildenden Gewalt jener beiden Ele - mente überlaſſen, ſondern ſelbſt zum Gegenſtande der Selbſtbeſtimmung der ſtaatlichen Perſönlichkeit, das iſt der Geſetzgebung, gemacht wird.
Hier nun beginnt ein weſentlich verſchiedenes Gebiet von Erſchei - nungen und Ausdrücken, deren genaue Bezeichnung als eine unerläß - liche Bedingung für das richtige formelle Verſtändniß aller bisherigen, wie der folgenden Begriffe angeſehen werden muß.
Es kann nämlich zuerſt die Willensbeſtimmung des Staats oder das Geſetz — noch ganz gleichgültig gegen die beſondere Bedeutung dieſes Wortes — eben jenes organiſche Verhältniß der Hauptelemente des Staats ſelbſt, alſo des Staatsoberhaupts, der geſetzgebenden und der vollziehenden Gewalt, zum Gegenſtande des Staatswillens machen, und damit die im Geſetze ausdrücklich enthaltene und vorgeſchriebene Ordnung zum Elemente unter einander, zum allein geltenden öffentlichen Rechte erheben. Ein ſolches, den Organismus des Staatslebens in ſeinen Grundlagen rechtlich feſtſtellendes Geſetz nennen wir die Ver - faſſung. Dieſe Verfaſſung wird ihrerſeits ſtets theils auf den Ele - menten beruhen, welche die Wiſſenſchaft bietet, theils auf den Rechts - bildungen des hiſtoriſchen Rechts. Immer aber fordert die Verfaſſung, daß ſie, ſo weit ſie mit ihren Beſtimmungen reicht, als ausſchließliche Quelle des öffentlichen Rechts erkannt werde und gültig ſei.
24Während auf dieſe Weiſe der Ausdruck „ Verfaſſung “im Allge - meinen alle Gebiete des öffentlichen Rechts umfaßt, liegt es dennoch im Weſen der Sache, daß er ſich hauptſächlich auf das öffentliche Recht der Bildung des Staatswillens oder der geſetzgebenden Gewalt beziehe. In dieſem Sinne nennen wir die geſetzlich beſtimmte Ordnung für die Bildung des Staatswillens die Verfaſſung im eigentlichen Sinn. Sie umfaßt alsdann weſentlich zwei Gebiete: erſtens die Be - ſtimmung des organiſchen Proceſſes, durch welchen ſich aus der Ge - ſammtheit der Staatsbürger der Staatswille bildet, namentlich die Ordnung der Volksvertretung; zweitens das Verhalten des Willens oder der Thätigkeit dieſer Volksvertretung zum Staatsoberhaupt.
Dieſe beiden Theile muß jede Verfaſſung beſtimmen. Ein weiteres braucht ſie nicht zu enthalten. In der That liegt es ſchon im Begriffe des Staatswillens, daß das dritte Gebiet des Staatslebens, die Ver - waltung im weiteſten Sinne, den Inhalt des Staatswillens zur Ver - wirklichung bringen muß. Dazu bedarf es keines eigenen Geſetzes und keiner beſondern Beſtimmung der Verfaſſung. Es iſt ſelbſtverſtändlich, und ſein Recht iſt mit ſeiner Natur gegeben. Dieß organiſche Verhält - niß beider Potenzen bezeichnen wir nun als die Identität der Voll - ziehung mit der Geſetzgebung, als das Princip der verfaſſungs - mäßigen Verwaltung.
Allein die ſpeziellen Verhältniſſe der Verwaltung ſind natürlich dadurch nicht nur nicht von der Beſtimmung des Staatswillens ausge - ſchloſſen, ſondern vielmehr demſelben im Allgemeinen, und ſpeziell in dem Verfaſſungsgeſetze unterworfen. Das letztere kann daher mehr ent - halten als die beiden obigen Punkte, und zwar ſind hier die Verfaſſungen ſehr verſchieden. Sie entſcheiden theils über beſtimmte Gebiete des Rechts der vollziehenden Gewalt, theils auch über beſtimmte Ge - biete aus den drei Theilen des Verwaltungsrechts im engern Sinne, alſo aus dem Finanzrecht, der Rechtspflege, der innern Verwaltung. Inſofern dieß der Fall iſt — was weder nothwendig, noch wo es iſt, immer gleich ausgedehnt iſt — iſt das Vollziehungs - und Verwal - tungsrecht ein Theil der Verfaſſung, oder wie wir ſagen, ein verfaſ - ſungsmäßig beſtimmtes Verwaltungsrecht. Die einzelnen Verfaſſungen ſind hier ſehr abweichend in Form und Umfang ihrer Be - ſtimmungen.
Wo nun aber dieß nicht der Fall, und dennoch die Geſetzgebung des Staats ſelbſtändig thätig iſt, da kann ſie, ſowohl wenn gar kein verfaſſungsmäßiges Verwaltungsrecht in dem obigen Sinne exiſtirt, als auch wenn es zwar als Theil der Verfaſſung aber nicht ausgebildet, oder gar nur unbeſtimmt angedeutet iſt, wiederum die einzelnen25 Thätigkeiten und Aufgaben der Verwaltung im engern Sinne in allen ihren drei Gebieten zum Gegenſtand der Geſetzgebung machen. Wo das geſchieht, da iſt eigentlich formell genommen kein verfaſſungsmäßiges — einen Theil der Verfaſſungsurkunde bildendes — Verwaltungsrecht vorhanden, ſondern vielmehr nur Verwaltungsgeſetze; und das auf dieſe Weiſe durch einzelne Geſetze gebildete Verwaltungsrecht können wir im Unterſchiede vom obigen das geſetzliche Verwaltungsrecht nennen.
Ferner aber wird weder das verfaſſungsmäßige noch auch das ge - ſetzliche Verwaltungsrecht immer alle Thätigkeiten der Verwaltung im weitern Sinne, geſchweige denn die Thätigkeiten derſelben im engern Sinne beſtimmen. Theils ſind die letzteren zu vielfältig, theils ſind ſie zu ſehr wechſelnder, und endlich örtlich bedingter Natur. Dem - nach bedürfen dieſe Thätigkeiten der Verwaltung im weitern Sinne, alſo ſowohl die der Vollziehung als die der einzelnen Gebiete, eines Willens, der ſie ordnet. Da nun für ſie kein Geſetz im engern Sinne, als von dem geſammten organiſchen Staatswillen beſtimmt, vorhanden iſt, ſo muß ſich die vollziehende Gewalt im Namen des Staats ihren Willen für den einzelnen Fall ſelber beſtimmen. Ein ſolcher Willens - akt der letzteren heißt die Verordnung. Die Verordnungen der voll - ziehenden Gewalt erzeugen daher gleichfalls ein Recht für die einzelnen Gebiete der Verwaltung im engern Sinne, alſo für die Finanzen, des Rechts und des Innern. Und das aus ſolchen Verordnungen entſtehende und die Thätigkeit der geſammten Verwaltung überhaupt erſt ausfüllende Recht der letzteren nennen wir mit einem Worte das verordnungs - mäßige Verwaltungsrecht.
Auch dieſe Begriffe dürfen wohl ſehr einfache genannt werden. Dennoch reichen auch ſie nicht aus. Denn in manchem Falle iſt für ein Verhältniß der Vollziehung oder Verwaltung weder ein verfaſſungs - mäßiges, noch ein geſetzmäßiges, noch ſelbſt ein verordnungsmäßiges Verwaltungsrecht im weitern Sinne vorhanden. Hier tritt daher zu - erſt die hiſtoriſche Rechtsbildung ein, und erzeugt ein gegebenes Recht, und wo ein ſolches nicht vorhanden, muß endlich die Wiſſenſchaft der Verwaltung das mangelnde geltende Recht durch die von ihr zu ent - wickelnde Natur der Sache erſetzen. Dieſe Wiſſenſchaft des Rechts, für das geltende Recht ſtets die letzte Quelle, bildet nun allerdings für das Werden dieſes geltenden Rechts oder für die Geſetzgebung die erſte Quelle; denn das wahre Recht aller Lebensverhältniſſe, und ſo auch das des Staatslebens, iſt zuletzt immer die wahre Natur derſelben, deren Erkenntniß das Weſen und den Inhalt der Staatswiſſenſchaft bildet. — Und dieß iſt ſomit das Syſtem der rechtsbildenden Kräfte für das geltende Recht der Vollziehung und Verwaltung.
26Es wird nun daraus einleuchten, weßhalb der Ausdruck „ Verwal - tungsrecht “ein ſo äußerſt vieldeutiger und unklarer iſt. Einerſeits ver - wechſelt man ihn mit dem Verfaſſungsrecht, oder ſchiebt ganze Theile des Verwaltungsrechts in das Verfaſſungsrecht hinein, weil ſie von verfaſſungsmäßig zu Stande gebrachten Geſetzen geordnet ſind, wie z. B. das Gemeinde - und Vereinsrecht, das Zwangsrecht u. A., oder gar unmittelbar in die Verfaſſungsurkunde aufgenommen ſind, wie zum Theil das Recht der Verantwortlichkeit. Andererſeits verwechſelt man Verwaltung und Vollziehung, indem man unter Verwaltungsrecht nur das Vollziehungsrecht verſteht. — Dann verſteht man wieder unter Verwaltungsrecht eben gar nicht mehr das Recht, ſondern die Ordnung der Anſtalten der Verwaltung, die aus ihrem Zwecke hervorgeht, und daher der Verwaltungslehre gehört. — Endlich begreift man unter Verwaltungsrecht nur das innere Verwaltungsrecht, indem man nicht bloß die ganze Vollziehung in die Verfaſſung ſtellt, ſondern das Finanz - recht und das Recht der Rechtsverwaltung als ganz ſelbſtändig betrachtet. In dieſer Verwirrung ſowohl der Begriffe als der Terminologie iſt keine andere Hülfe möglich, als daß man ſich über den Sinn der einzelnen Ausdrücke einmal für allemal verſtändige. Hat man das gethan, dann iſt es wieder nicht von Bedeutung, ob man z. B. einen Theil des Voll - ziehungsrechts in der Verfaſſung abhandelt, oder die innere Verwal - tung hier oder dahin ſtellt. Wir müſſen aber ſtrenge darauf beſtehen, daß man in der Sache ſelbſt die obigen Unterſcheidungen feſthalte. Soll es jemals eine Wiſſenſchaft der Verwaltung und demgemäß des Verwaltungsrechts geben, ſo muß der Organismus der obigen Funktio - nen und des ihnen entſprechenden Rechts zum Grunde gelegt werden. Und in der That iſt das ſehr leicht bei etwas gutem Willen; denn alle obigen Begriffe und Unterſcheidungen ſind bereits vorhanden, und nur ihr gegenſeitiges Verhältniß iſt dasjenige, warum es ſich handeln kann.
Faßt man nun die ganze bisherige Darſtellung zuſammen, ſo ſcheint es, als laſſe ſich nunmehr das Gebiet der Aufgaben, welche eine Lehre vom Verwaltungsrecht im weitern Sinne hat, ziemlich leicht und durchgreifend beſtimmen.
Das Verwaltungsrecht im weitern Sinne umfaßt das geſammte öffentliche Recht der Thätigkeit des Staats, und beginnt ſo - mit auf dem Punkte, wo der Wille des Staats zur That werden ſoll, oder wo das Weſen oder der gegebene Zuſtand des Staats Wille und That gleichzeitig erfordert, ohne daß ein eigentliches Geſetz vorhanden iſt.
27Dieß Verwaltungsrecht im weitern Sinne hat an und für ſich, das heißt noch ohne in ſeine einzelnen Elemente aufgelöst zu ſein, nur einen principiellen Inhalt, für den es ſogar ganz gleichgültig iſt, ob er zur geſetzlichen Gültigkeit erhoben oder in der Verfaſſung ausgeſpro - chen iſt oder nicht. Die Verwaltung ſoll mit Weſen und Willen des Staats in Harmonie ſtehen, und zwar ſoll ſie das ſowohl mit ihrem Willen — der Verordnung — als mit ihrer wirklichen Thätigkeit. Dieſes Princip umfaßt alle einzelnen folgenden Gebiete; daſſelbe gilt unbedingt für ſie, ob es ausgeſprochen iſt oder nicht; es iſt die Seele der That des Staats in all ihren Formen. Die Verwaltung im wei - teſten Sinn zerfällt in die Vollziehung und in die eigentliche Verwaltung. Jedes dieſer Gebiete hat dann wieder nicht bloß ſein Recht, ſondern dieſe Rechte empfangen ihrerſeits alle oben bezeichneten Kategorien.
Es gibt daher zuerſt ein Recht der Vollziehung oder der vollziehen - den Gewalt; und dieß Recht wird wieder ein verfaſſungsmäßiges, ein geſetzliches, ein verordnungsmäßiges, ein hiſtoriſches, und endlich ein wiſſenſchaftliches ſein. Es iſt daſſelbe ein Leben für ſich, und die Auf - gabe des folgenden Werkes iſt es, daſſelbe nach all dieſen Seiten hin zu entwickeln. Es iſt das Recht der Vollziehung, inſoweit ſie nur noch Wille und Organ iſt, noch nicht das Recht der einzelnen concreten Thätigkeit.
Es gibt dann ein Recht der Verwaltung im eigentlichen Sinn, in - ſofern dieſelbe jene drei Gebiete umfaßt. Da dieſelbe aber nur in dieſen drei Gebieten beſteht, ſo hat jenes Recht der Verwaltung im engern Sinn, inſofern man von einer ſolchen neben den drei Theilen reden will, die ihren Inhalt bilden, ebenſo wenig einen poſitiven In - halt, als das Recht der Verwaltung im weitern Sinne. Es beſteht daſſelbe alsdann nur in dem für alle drei Gebiete gemeinſchaftlichen Princip, daß das Recht der letzteren ſo weit gehen muß, als die Be - dingungen für die Funktionen der Verwaltung es im Einzelnen fordern, und durch welche ſie ſelbſt erſt möglich werden. Dieſes Princip ſteht jedoch unter dem höheren der verfaſſungsmäßigen Verwaltung, d. h. das Recht aller eigentlichen Verwaltung hört da auf, wo ein beſtimm - tes Geſetz ihm eine Gränze zeichnet, ſelbſt dann, wenn ſie dadurch un - möglich werden ſollte. Dieß allgemeine Princip wird nun zur Grund - lage für die drei Gebiete des eigentlichen Verwaltungsrechts.
Es gibt nämlich darnach ein Finanzrecht, ein Recht der Gerichte, und ein inneres Verwaltungsrecht; und zwar iſt jedes dieſer Rechte wieder entweder unmittelbar in der Verfaſſung, oder durch eigene Ge - ſetze, oder durch Verordnungen beſtimmt, oder ein hiſtoriſches, oder ein theoretiſches; faſt immer haben alle dieſe Rechtsquellen Theil an jedem28 Theil dieſer Gebiete des eigentlichen Verwaltungsrechts. Jedes dieſer Rechtsgebiete bildet daher eine Wiſſenſchaft für ſich. Allein da dieſe Rechtsbeſtimmungen wenigſtens zum Theil in vielen Verfaſſungen vor - kommen, ſo geſchieht es auch, daß man ſie in der Verfaſſungslehre dar - ſtellt. In dieſem Falle kann man von einer legalen Darſtellung des Verwaltungsrechts im weitern wie im engern Sinne reden. Stellt man ſie dagegen auf Grundlage ihrer inneren Natur als ſelbſtändige Er - ſcheinungen dar, ſo kann man von einer ſyſtematiſchen Darſtellung ſprechen. Jede hat ihre Eigenthümlichkeit und ihren Werth; nur wird die legale ohne die ſyſtematiſche nie ein Bild des organiſchen Ganzen, die ſyſtematiſche ohne die legale nie eine vollſtändige Erkenntniß des Einzelnen geben. Das wahre Verhältniß iſt, daß ſtets beide, aber niemals die eine ohne ein lebendiges Bewußtſein vom Weſen und Werth des andern bearbeitet werden. —
Die Aufgabe des Folgenden beſteht nun darin, den erſten und allgemeinen Theil der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts, die Vollziehung und das Recht der vollziehenden Gewalt in ſyſtemati - ſcher Methode darzuſtellen.
Es wird nun wohl ſchon durch das Obige klar ſein, weßhalb es uns an einem irgendwie ausreichenden Begriff des Verwaltungsrechts mangelt. Die erſte Vorausſetzung deſſelben wäre offenbar eine Beſtimmung des Begriffes der Verwaltung, und dieſe fehlt entweder gänzlich, wie bei den Lehren des[allge - meinen] Staatsrechts, oder hat nur eine örtliche Bearbeitung, wie bei den Darſtellungen der einzelnen Staatsrechte. Doch ließen ſich am Ende ziemlich ausreichende Definitionen des Verwaltungsrechts aufſtellen, ſo lange man nicht ein näheres Eingehen fordert. Die beſte iſt unzweifelhaft die von Pötzl, Baye - riſches Verwaltungsrecht, §. 1; in ganz ähnlicher Weiſe faſſen die Franzoſen den Begriff des droit administratif auf, am einfachſten und zutreffendſten bei Block, Dict. de l’Acad., „ le droit administratif est cette partie du droit qui règle les rapports des citoyens avec les services publics et des ser - vices publics entre eux. “ Allein bei beiden Begriffen liegt der Gedanke zum Grunde, daß es ſich nicht um die Verwaltung im weitern Sinn, auch nicht um die im engern Sinn, ſondern nur um die innere Verwaltung handelt. Vollziehung, Finanzen und Rechtspflege fallen daher nicht hinein. Die ältere, in dem Gefühle, daß die Verwaltung die geſammte Thätigkeit des Staats um - faßt, beſtimmen den Begriff derſelben als Regierungsrecht; ſpäter iſt (ſ. unten) an die Stelle der vagen Vorſtellung von der Regierung eine eben ſo vage von der „ Staatsgewalt “getreten, bei welcher dann wieder die einzelnen Gebiete der Verwaltung gänzlich verſchwinden. Dagegen hat Mohl in ſeinem Württemb. Privatrecht das entſchiedene Verdienſt, in dieſen allgemeinen Begriff der Ver -29 waltung alle Miniſterien, alſo das ganze Gebiet der praktiſchen Staatsthätigkeit hinein genommen zu haben; er hat damit der Verwaltung im engeren Sinn ihren wahren Inhalt gegeben. Dafür hat er dann wieder die ganze Vollziehung hinausgedrängt und in die Verfaſſung geſetzt, während er den Organismus richtig in die Verwaltung und das Verwaltungsrecht aufnimmt. In ſeiner Encyclopädie iſt dann der Begriff des Verwaltungsrechts wieder in dem der Verwaltungs - thätigkeit untergegangen (§. 33). Bei den conſtitutionellen Staatsrechtslehrern, Ancillon und Aretin, verſchwindet das Verwaltungsrecht, weil das damalige Princip des Conſtitutionalismus darauf hinauslief, der vollziehenden Thätigkeit jede Selbſtändigkeit gegenüber der Geſetzgebung zu beſtreiten. Bei Pölitz bleibt die Verwaltung, aber es gibt kein Verwaltungsrecht. Bei Zachariä iſt eine vollſtändige Lücke; Zöpfl, befangen in der Meinung, daß das Detail die Haupt - ſache ſei, zählt das Regierungsrecht zur Verfaſſung, und beſtimmt das Verwal - tungsrecht als „ den Inbegriff der Rechtsnormen, welche ſich auf die Ausübung der Staatsgewalt, reſpektive der einzelnen Hoheitsrechte beziehen “— ohne irgendwie die Sache weiter zu unterſuchen. Gerſtner vergißt geradezu den Begriff des Rechts der Verwaltung über den Inhalt und die Aufgabe derſelben, gerade wie die ſogenannten Polizeiwiſſenſchaften von Mohl und Beer; die ältern, wie Berg, verwechſeln wieder Polizeirecht und Verwaltungsrecht. Man darf