Buchdruckerei der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung in Stuttgart.
Es war eine der Hauptaufgaben, die ich mir bei der Be - arbeitung der innern Verwaltungslehre geſtellt, einmal das ganze Syſtem derſelben auf ſeine organiſchen Grundbegriffe zurückzuführen, und dadurch eine ſyſtematiſche Eintheilung der ganzen Wiſſenſchaft und aller ihrer Theile in der Weiſe feſtzuſtellen, daß jede von der - ſelben umfaßte Thatſache, jede in derſelben enthaltene Rechtsfrage ſofort ihre natürliche Stellung im Syſtem finden und damit eben durch dieſen organiſchen Zuſammenhang mit dem Ganzen ihren Werth und ihre Löſung finden möge.
Das nun zwingt mich, über den Gegenſtand des folgenden Werkes ein paar Worte hinzuzufügen.
Ich darf ſagen, daß als ich dieſe Arbeit begann, alle einzelnen Theile nach langjährigen Vorarbeiten mir vollkommen klar ſchienen. Das Syſtem, in allen Punkten abgeſchloſſen, lag als ein fertiges vor mir, und meine Arbeit beſtand und beſteht nur noch darin, daſſelbe mit ſeinem Material und mit der Ausführung im Einzelnen auszufüllen. Richtig oder nicht richtig — die Entſcheidung darüber muß ich der Wiſſenſchaft der Verwaltung anheimgeben — mir ſelbſt war kein Theil des Ganzen mehr in ſeinem organiſchen Zu - ſammenhang und ſeiner Stellung unbeſtimmt, als ich die Aus - arbeitung begann.
Nur auf Einem Punkte ſehe ich jetzt, nachdem der folgende vierte Theil mir fertig vorliegt, daß ich mich in der ſyſtematiſchen Ordnung geirrt habe. Er betraf die formell ſchwierigſte aller Fragen, die Frage nach der Polizei und ihrer Rechte.
VIBei dem Entwurfe des Ganzen und ſelbſt noch bei der Aus - arbeitung des ſpeziellen, die Polizei betreffenden Theiles dachte ich mir, daß das Polizeirecht an ſich, oder das Allgemeine Polizeirecht, als der allgemeine Theil der Aufgabe und des Rechts der Sicher - heitspolizei, oder als die Einleitung in die letztere zu ſtellen und zu bearbeiten wäre. Nun die vollſtändige Ausarbeitung mir vor - liegt, muß ich annehmen, daß dieß falſch war. Ich kann dieſen ſyſtematiſchen Fehler nur gut machen, indem ich ihn hier offen geſtehe, und das richtige Verhältniß angebe. Es wird derſelbe dem Inhalt im Einzelnen keinen Abtrag thun; ich gebe mich aber der Hoffnung hin, daß er zur Löſung der Einen und vielleicht wichtigſten Aufgabe dieſes Werkes nicht unweſentlich beitragen wird. Denn es ſcheint mir noch immer unendlich viel gewonnen, wenn neben der Selbſtändigkeit der Verwaltungslehre auch das organiſche Syſtem als ein feſtſtehendes erkannt wird.
Das Allgemeine Polizeirecht, das hier als Erſter Theil des Polizeirechts auftritt und der Sicherheitspolizei voraufgeht, gehört nämlich überhaupt nicht in die innere Verwaltungslehre, ſondern es iſt ein organiſcher Theil der vollziehenden Gewalt und ihres Rechts, und hätte in derſelben die Stelle einnehmen ſollen, welche dort (S. 196 ff. ) unter dem ſchon an ſich nicht klaren und deßhalb nicht richtigen Titel „ Das Polizeirecht oder das Zwangsrecht “die dritte Abtheilung des erſten Theiles bildet. Es iſt mir vielleicht geſtattet, dieß zu begründen, und dabei den Fehler und ſeine, bei jedem ſolchen wiſſenſchaftlichen Irrthum eintretende Folge, die Sünde der Wiederholung, zu geſtehen. Denn das ſicherſte Crite - rium eines Fehlers in einem Syſtem oder auch die Unſicherheit in demſelben iſt es ſtets, wenn man gezwungen wird, auf den - ſelben Gegenſtand mehr als einmal einzugehen. Das richtige Ver - hältniß aber iſt folgendes.
Die geſetzgebende Gewalt iſt der Wille des Staats; die Voll - ziehung iſt ſeine That (Handlung). Dieſe Vollziehung hat wieder ihren ſelbſtändigen Willen (Verordnung, Verfügung ꝛc. ); ſie hat ihren Organismus und ſie hat ihr Recht. Dieß Recht iſt dasVII ihrer eigenen Willensbeſtimmung als das rechtliche Verhältniß der Verordnung zum Geſetz (Verordnungs - und Verfügungsrecht), das ihrer eigenen inneren Ordnung als das rechtliche Verhältniß ihrer Organe zu einander (Competenz ꝛc. ) und endlich drittens entſteht das äußere Vollziehungsrecht, wenn und ſo weit die Action der Vollziehung mit der ſelbſtändigen einzelnen Perſon und ihrer Rechtsſphäre zu thun hat. Dieſes Recht nennen wir meiſt im engeren Sinne das Vollziehungsrecht, oder das Zwangsrecht. Und von dieſem Rechtsgebiete iſt das was wir das Polizeirecht nennen, ein, und zwar der zweite Theil. In folgender Weiſe.
Aus dem allgemeinen Begriff der Vollziehung des Staats - willens entſteht nämlich der Begriff der Verwaltung dadurch, daß die Vollziehung ein beſtimmtes Object — eine beſtimmte Aufgabe des thätigen Staats — empfängt. So entſtanden die Begriffe und Namen der Staatswirthſchaft, der Rechtspflege, und der Innern Verwaltung. Alle dieſe Gebiete haben aber vermöge der Staats - begriffe eine gemeinſame, doppelte Aufgabe. Einerſeits ſollen ſie poſitiv die Bedingungen der perſönlichen Entwicklung feſtſtellen, andrerſeits ſollen ſie gegen die übermächtigen Gefahren ſchützen. Die letztere Aufgabe iſt die der Polizei. Die Polizei als ſolche iſt daher dem geſammten Umfang der Verwaltung immanent, wie die Gefahr ſelbſt, mit der ſie es zu thun hat. Jedes jener angeführten drei Hauptgebiete der Verwaltung hat nun ſeine Polizei, weil jedes ſeine eigenthümlichen Gefahren hat. Allein der Begriff der Polizei iſt ſchon mit dem der Verwaltung an ſich gegeben, und gehört daher keinem Theile — alſo auch nicht der Verwaltung des perſönlichen Lebens — ſpeziell an. Sie iſt vielmehr die ganz all - gemeine negative Seite aller Verwaltung.
Das Recht nun entſteht für ſie wie immer erſt da, wo ein Wille — der der vollziehenden Gewalt — einem andern Willen — dem des Einzelnen — gegenüber tritt. Geſchieht dieß nun da, wo die Verwaltung die Freiheit des Einzelnen beſchränkt, um durch dieſe Beſchränkung eine Gefährdung der allgemeinen Entwicklung zu beſeitigen, alſo eine polizeiliche Function auszuüben, ſo entſtehtVIII der Begriff des Polizeirechts. Wie daher die Polizei ein Theil der Verwaltung überhaupt, und die Verwaltung wieder ihrem Weſen nach die Vollziehung von beſtimmten Staatsaufgaben iſt, ſo iſt das Allgemeine Polizeirecht ein Theil des allgemeinen Rechts der vollziehenden Gewalt und die Grundſätze deſſelben gelten nicht etwa bloß für die Innere Verwaltung etwa als allgemeiner Theil der Sicherheitspolizei, wie ſie hier formell hingeſtellt iſt, ſondern als ein Theil des Rechts der vollziehenden Gewalt. Die Sicherheitspolizei dagegen iſt wieder eine ganz beſtimmte Er - ſcheinung dieſer Polizei, und zwar diejenige, welche gegen Gefahren gerichtet iſt, die ſpeziell die allgemeine öffentliche Ordnung durch an ſich erlaubte Handlungen einzelner Perſonen bedrohen, wie etwa die Geſundheitspolizei vor Gefährdungen der Geſundheit, die Gewichtspolizei vor Gefährdungen der richtigen Gewichte im Ver - kehr ſchützt u. ſ. w. Die öffentliche Sicherheit iſt daher ein be - ſtimmter, einzelner Begriff und daher eine beſtimmte Art der Gefahr, und die Sicherheitspolizei und ihr Recht gehören daher auch ganz unzweifelhaft in die Verwaltung der perſönlichen Lebens - verhältniſſe, wie das Polizeirecht an ſich in die vollziehende Gewalt. Das iſt wohl das wahre Verhältniß, und es war am Ende falſch, in der Abſicht, die Sicherheitspolizei beſſer zu erklären, dem allge - meinen Polizeirecht ſeine richtige Stelle zu nehmen.
Dagegen läßt es ſich anderſeits nicht verkennen, daß die for - melle Verbindung des allgemeinen Polizeiweſens mit der Sicherheits - polizei auch einen großen Vortheil darbietet. Derſelbe beſteht darin, daß faſt nur in dieſer Verbindung eigene Vorleſungen und ſelb - ſtändige theoretiſche Behandlungen des Polizeiweſens praktiſch ein - gerichtet werden können, da ein Hinausreißen der Sicherheitspolizei aus dem ganzen Gebiete nicht thunlich iſt. In der That hat auch dieß an ſich nicht das geringſte Bedenken; nur ſoll man dabei ſtets das Bewußtſein von der wahren ſyſtematiſchen Stellung und Auf - gabe des allgemeinen Polizeirechts neben dem des ſpeziellen der Sicherheitspolizei feſthalten. Damit würde jedem, auch dem ſtreng - ſten ſyſtematiſchen Bedürfniß Genüge geſchehen.
IXIch habe geglaubt, dieſe Erklärung hier vorausſenden zu müſſen. Die große Unbeſtimmtheit des Begriffes der Polizei, die Aufgabe, dieſelbe nur erſt überhaupt auf ihr wahres Gebiet zu - rückzuführen, das Streben, ſie dem ſo viel höheren und größeren der Verwaltung überhaupt und ſpeziell des Innern unterzuordnen, und die Schwierigkeit, den Begriff der Sicherheitspolizei, der bis - her die ganze Polizei umfaßte, als einen ganz ſpeziellen in der innern Verwaltung aufzuſtellen, haben den ſyſtematiſchen Fehler hervorgerufen. Die Lücke, die dadurch in der Lehre von der voll - ziehenden Gewalt entſtanden iſt, iſt keine unbedeutende, und der Begriff und die Stellung der Sicherheitspolizei als ſpezielle Polizei des perſönlichen Lebens haben dadurch nicht an Klarheit gewonnen. Indeß darf ich wiederholen, daß die einzelnen Ausführungen da - durch kaum erheblich leiden werden. Sollten meine verehrten Leſer daher auf das Syſtem als ſolches Werth legen, ſo bitte ich nur, das hier aufgeſtellte „ Polizeirecht “einfach an die oben bezeichnete Stelle der vollziehenden Gewalt zu ſetzen. Es ſcheint mir, als ob alsdann dem Ganzen Genüge geſchehen wäre.
Ich kann dabei nicht ſchließen, ohne einen zweiten Punkt, gleichfalls ſyſtematiſcher Natur, hier zu berühren, bei dem es ſich jedoch mehr um die Auffaſſung ſelbſt als um eine formelle Be - ſtimmung handelt. Das iſt das Preßrecht. Viele meiner Leſer werden erwarten, daß das Preßrecht und die Preßgeſetzgebung nebſt Briefrecht, Hausrecht u. ſ. w. gleichfalls in die Sicherheits - polizei hineingeſtellt ſein werde. Ich muß dieſe Auffaſſung für eine nicht richtige halten. Die Preſſe iſt an und für ſich durchaus keine bloß erlaubte Handlung, wie das Briefſchreiben, der Beſitz von Waffen u. ſ. w., ſondern ſie iſt ein großes, gewaltiges Mittel der geiſtigen Bildung eines Volkes, und nimmt namentlich in unſerer Zeit neben dem Unterrichtsweſen eine vollkommen ſelb - ſtändige, demſelben an Bedeutung und Einfluß faſt gleichkommende Stellung ein. Wir können daher mit dem, was man die „ Preß - polizei “nennt und was in derſelben vorkommt, weder das Weſen der Preſſe, noch auch das Recht derſelben erſchöpfen. DerX Gedanke, die ganze Preſſe nur vom Standpunkt der Polizei zu behandeln, iſt an ſich dieſes großen Bildungsmittels unwürdig; es wäre das faſt als wollte man die Univerſitäten nur noch vom Standpunkt der Univerſitätspolizei betrachten. Es iſt ferner kein Zweifel, daß gerade ſeit der letzten Zeit die Preſſe einen ſolchen Umfang gewonnen, daß ſie mit der früheren kaum verglichen wer - den kann. So lange der Kampf um die Grundlagen der Ver - faſſung Europa erſchütterte, war es natürlich, daß die politiſche Preſſe nicht bloß die tonangebende, ſondern auch die dem Umfange nach bedeutendſte war. Daher ſtammt jene Einſeitigkeit, die man noch vielfach findet, unter dem Ausdruck der „ Preſſe “ausſchließ - lich die politiſche zu verſtehen, und daher auch jene Richtung, welche das Preßrecht weſentlich nur als die höhere Polizei gegen die politiſche Preſſe auffaßte. Das hat ſich geändert, und ändert ſich mit jedem Tage mehr. Neben, ja zum Theil in der politi - ſchen Preſſe ſelbſt iſt eine zweite entſtanden, die wir die Bildungs - preſſe nennen können, und die in der That an Umfang und In - halt in einer Weiſe gewonnen, die man noch vor zwanzig Jahren kaum für möglich gehalten. Dieſelbe hat die dritte große Function der geiſtigen Welt übernommen, welche wir die Selbſtbildung des Volkes, die Selbſtverwaltung ſeines geiſtigen Lebens nennen können. Wir werden im folgenden Theile auf Inhalt und Bedeutung dieſer Function genauer eingehen; hier genügt wohl, darauf hin - zuweiſen, daß die Maſſe von geiſtiger Arbeit und geiſtiger Con - ſumtion, die hier geboten und empfangen wird, ſo groß und ſo hochbedeutend iſt, daß das politiſche, einſt ausſchließlich herrſchende Element jetzt nur noch eine, wenn auch ſtets entſcheidende Seite in dieſer großen Bewegung der Geiſter bildet. Damit hat dann die Preßpolizei eine ganz andere Stellung eingenommen. Man hat ſich endlich überzeugt, daß es weder in der Aufgabe noch in der Macht der Verwaltung liegt, in dieſes Leben der Preſſe mit poſitiver Thätigkeit einzugreifen. Die Illuſion iſt geſchwunden, daß man den Geiſt des Volkes beherrſchen kann, indem man einen nutzloſen polizeilichen Kampf mit dem Geiſte der Preſſe fortſetzt. XIFür unſere Zeit giebt es daher ſtatt der alten Preßpolizei als der einzigen Form, in der die Verwaltung ſich um die Preſſe kümmerte, ein Preßweſen, wie es ein Geſundheits - und ein Unter - richts -, ein Communications - und ein Creditweſen und anderes giebt. Dieß Preßweſen ſoll als ſolches in die Verwaltungslehre aufgenommen und von derſelben behandelt werden; es iſt nicht mehr bloß Gegenſtand der Polizei, ſondern der geiſtigen Bildung überhaupt, und die Lehre von ihm und ſeinem Recht iſt künftig das Bewußtſein der Staatswiſſenſchaft von der geiſtigen Welt und ihrer Arbeit im Staate. Das iſt der Standpunkt, den wir ein - nehmen, und dieſem Standpunkt entſpricht in der That das poſi - tive Preßrecht und ſeine Geſchichte. Die Bewegung zur „ Freiheit der Preſſe “iſt nicht bloß negativ die Beſeitigung der polizeilichen Maßregeln gegen dieſelbe, ſondern eben ſo ſehr poſitiv die Ent - wicklung einer organiſchen Auffaſſung ihrer Function. In dieſer Weiſe haben wir im folgenden Theil, der Verwaltung des geiſtigen Lebens, die Preſſe aufgefaßt und ihr Recht behandelt. Es iſt klar, daß dabei die Polizei der Preſſe keineswegs verſchwindet. Die Preſſe fordert ihre gerichtliche und Verwaltungspolizei eben ſo gut als der Unterricht, das Maß und Gewicht, der Werthumlauf, die Land - und Forſtwirthſchaft u. ſ. w. Allein das Weſentliche iſt, daß die Preßpolizei nicht mehr wie früher das Preßrecht ſelber iſt, ſondern vielmehr nur in dem Preßrecht vorkommt, in demſelben Sinne, wie die Polizei als die ſchützende negative Seite der Verwaltung in jedem Gebiete des Verwaltungsrechts erſcheint. Die würdige Auffaſſung der Preſſe im Ganzen fordert daher, daß man das Preßrecht nicht mehr als ſelbſtändige Kate - gorie der Sicherheitspolizei, und damit die Preſſe ſelbſt nicht mehr als eine beſtändige, immanente, wir möchten ſagen organiſche Ge - fährdung der öffentlichen Rechtsordnung betrachte. Die Verwal - tungslehre, will ſie ihrem Zweck entſprechen, muß ſich gewöhnen, ſtatt wie bisher von den Gefahren, jetzt vielmehr von den Auf - gaben und der ſelbſtgebildeten Organiſation der Preſſe zu reden und ſie wie jeden innern Lebensgenuß der freien SelbſtentwicklungXII der Gemeinſchaft aufzufaſſen. Dann erſt wird in der Wiſſenſchaft die beſchränkte Verweiſung des Preßweſens in das Polizeirecht aufhören, und die geiſtige Welt der Völker, die gewaltige bewun - dernswerthe Arbeit der Selbſtbildung derſelben, die die Grund - lage der Gegenwart und den Keim der Zukunft enthält, in ihrer mächtigen organiſchen Entwicklung ſich zum Bewußtſein bringen.
Wir dürfen nun nochmals die Ueberzeugung ausſprechen, daß das hier Aufgeſtellte, für die organiſche Auffaſſung des Syſtems entſcheidend, die Erörterung und Vergleichung der einzelnen Punkte in ihrem bezüglichen Werthe kaum weſentlich beeinfluſſen dürfte.
Im Uebrigen muß die nachfolgende Arbeit es durch ihren Inhalt rechtfertigen, weßhalb ſie eine größere Ausdehnung erhalten hat, als ich urſprünglich beabſichtigte. Ich muß, je länger ich dieß wichtige Gebiet betrachte, immer entſchiedener zu der Ueberzeugung kommen, daß die wiſſenſchaftliche Behandlung des Polizeirechts, die unſrer Literatur bekanntlich gänzlich fehlt, einerſeits ein prin - zipiell durchgeführtes Verſtändniß des öffentlich rechtlichen Verhält - niſſes von Geſetz und Verordnung, von Klag - und Beſchwerderecht vorausſetzt, und andrerſeits zu einer der bisherigen Auffaſſung weſentlich verſchiedenen Anſchauung von der Natur und der Be - deutung der Strafe führen wird. Die Theorie, welche bisher ſei es in dieſer, ſei es in jener Weiſe, aus dieſem oder jenem Motiv die Strafe als einen in ſeinem ganzen Umfang weſentlich gleichartigen Begriff behandelt, und keine Unterſcheidung innerhalb derſelben enthält, iſt nicht mehr haltbar. Ebenſowenig iſt das von Frankreich allerdings mit gutem hiſtoriſchen Grunde herüber - genommene Syſtem der Strafgeſetzgebung, in dem alle Strafen gleichmäßig in die Strafgeſetzbücher aufgenommen werden, auf die Dauer aufrecht zu halten. Wir müſſen die alte Vorſtellung eines ſpezifiſchen Unterſchiedes zwiſchen Verbrechen einerſeits und Ver - gehen andrerſeits wieder zu ihrer wahren Bedeutung erheben. Es iſt falſch, wenn man darin nichts als eine quantitative Verſchie - denheit erblickt, und es iſt falſch, wenn in Folge deſſen die Be - handlungen der Strafrechtstheorien gar keine Rückſicht mehr aufXIII dieſen Unterſchied nehmen, und das ganze Gebiet als eine gleich - artige Einheit mit einer ſo oder ſo gearteten Deduction umfaſſen. Es iſt unabweisbar, dem Begriffe des Verbrechens eine Idee der ſittlichen, dem Begriffe des Vergehens und der Uebertretung eine Idee der ſtaatlichen oder wenn man lieber will der adminiſtrativen Ordnung zum Grunde zu legen. Es wird nicht möglich bleiben, alles was wir Strafe nennen, künftig als eine ebenſo gleichartige Erſcheinung mit einem und demſelben Begriffe zu erledigen. Es iſt ſchon dem gewöhnlichen Menſchenverſtande klar, daß eine Buße von einem Thaler etwas weſentlich anderes iſt, als eine lebens - längliche Zuchthaus - oder gar die Todesſtrafe. Es wird ſich als unvermeidlich zeigen, das ganze Gebiet der Ordnungsſtrafen von dem der eigentlichen Strafen, die wir die peinlichen Stra - fen nennen, zu trennen, und darnach die Wiſſenſchaft des Straf - rechts umzugeſtalten. Es wird das aber nicht von der Straf - rechtslehre ausgehen, ſondern vom Polizeirecht. Damit aber das Polizeirecht das vermöge, muß es innerhalb der Verwaltungs - lehre wieder als ein ſelbſtändiges Gebiet erſcheinen. Ueber die Verwechslung von Polizei und Verwaltung, von Polizeiwiſſenſchaft und Verwaltungslehre noch weiter zu reden, halten wir für über - flüſſig. Allein wir müſſen daran feſthalten, daß wir ohne eine ſolche ſelbſtändige Lehre vom Polizeirecht weder in der Verwaltung noch in der Strafrechtslehre weiter kommen werden, und die Conſe - quenzen für das Strafverfahren, die ſich aus dem Weſen der letzteren ergeben und die ja ſchon zum Theil praktiſch durchgeführt ſind, liegen ſo nahe, daß wir ſie nicht eigens hervorzuheben brauchen. Das ſind die Gedanken, welche uns bewogen haben, die Frage nach dem Weſen der Polizei im Allgemeinen und der Sicherheitspolizei im Beſondern hier möglichſt gründlich und mit Zuhilfenahme der Geſetzgebung aller Hauptſtaaten Europas zu be - handeln. Wir wiſſen recht wohl, daß wir in Beziehung auf die bisherige Anſchauung der Criminaliſten hier nur negativ aufge - treten ſind. Aber obwohl wir ſonſt der negativen Arbeit keinen allzugroßen Werth beilegen, ſo wird man uns doch zugeben, daßXIV ſie der poſitiven Neugeſtaltung vorausgehen muß. Vielleicht daß uns Zeit und Kraft bleibt, wenn unſere nächſte große Arbeit, die Verwaltungslehre, vollendet iſt, auch im poſitiven Sinn die obigen Gedanken weiter auszuführen. Immer aber würde es unſer Stolz ſein, wenn das, was wir hier verſucht, den Anlaß zu ernſterer Erwägung der ganzen Frage geben würde.
Das Pflegſchaftsweſen hätte eigentlich einen ſelbſtändigen vier - ten Band bilden und dem Geſundheitsweſen folgen ſollen. Es iſt aber nicht möglich, mehr über denſelben zu ſagen als was wir geſagt, ohne für eine Arbeit wie die unſere, die ohnehin ſo ziem - lich das Maß ſelbſt einer recht geübten und auf langen Vorarbeiten ruhenden Leiſtungsfähigkeit erreicht, zu viel ſagen zu müſſen. Wenn es uns nur gelingt, den verwaltungsrechtlichen Standpunkt für dieß bisher amphibiſche Gebiet, das ziemlich heimatlos theils in bürgerliche Rechte, theils außerhalb demſelben unter verſchiedenen Namen umhergeworfen wird, feſtzuſtellen, ſo wäre viel gewonnen. Das Uebrige würde ſich faſt von ſelbſt ergeben.
Wien, Juni 1867.
Wer ſich irgendwie mit den Grundbegriffen des öffentlichen Rechts und ihrer beſtimmten und klaren Faſſung eingehend beſchäftigt hat, der weiß, daß es im ganzen Gebiete deſſelben keinen Begriff und kein Rechtsſyſtem gibt, die auch nur annähernd ſolche Schwierigkeit machen, wie diejenigen, welche ſich auf die Polizei beziehen. So wie man wiſſenſchaftlich oder praktiſch an dieß Gebiet hinankommt, ſo häufen ſich dieſe Schwierigkeiten nicht ſo ſehr im Einzelnen, als vielmehr für das Ganze und ſein richtiges Verſtändniß, und zwar in einem ſolchen Grade, daß bisher weder die Wiſſenſchaft noch die Geſetzgebung es verſucht haben, zu einem definitiven Abſchluß für Begriff und Gränze dieſes Gebietes zu gelangen.
Daß dieß nun dennoch, und zwar keinesweges bloß theoretiſch nothwendig iſt, darüber ſind wohl im Grunde alle einig. Denn das, was wir Polizei nennen, greift ſo tief und gewaltig in das ganze Leben des Staats und des Einzelnen hinein und beſchränkt die Freiheit des letzteren im Namen der Entwicklung des erſteren in ſo entſchei - dender und zugleich empfindlicher Weiſe, daß ohne die vollſtändige Klarheit über die Polizei kein öffentliches Recht, am wenigſten das Verwaltungsrecht, als ein in ſich harmoniſches und fertiges angeſehen werden kann.
Um nun zu dieſer Klarheit zu gelangen, muß man ſich zuerſt über Einen Satz einig ſein.
Kein Begriff iſt an ſich unklar. Jede Unfertigkeit in demſelben beruht ſtets nur darauf, daß man mit demſelben Wort verſchiedene Funktionen bezeichnet. Die Aufgabe beſteht nun darin, dieſe Funktionen zu ſcheiden. Nirgends iſt dieß mehr erſichtlich, als bei dem Begriffe und in Folge deſſen bei dem Recht der Polizei.
Stein, die Verwaltungslehre. IV. 12Der reine Begriff der Polizei iſt an ſich ſehr einfach. Er enthält die Geſammtheit der Funktionen des Staats, durch welche derſelbe jedem in der Natur jeder Kraft liegenden maßloſen und eben dadurch gemein - gefährlichen Streben begränzend entgegentritt, wo ein ſolches die öffent - lichen Zuſtände der Gemeinſchaft und ihres Rechts, ihres inneren und äußeren Lebens ſich und ſeinen Sonderzwecken unterzuordnen trachtet und dadurch die organiſche Geſammtentwicklung gefährdet. Die Polizei iſt daher die vollziehende Gewalt, in ſofern der Gegenſtand der - ſelben eine öffentliche Gefährdung, und ihre Aufgabe ein Schutz iſt. Der Polizeiorganismus, den man auch wohl kurz als „ Polizei “bezeich - net, iſt dabei der Organismus von Behörden, welche dieſe Funktion zu ihrer Aufgabe haben. (S. Vollz. Gewalt 196 ff.)
Dieſer reine Begriff iſt nun durch zwei Momente unklar geworden.
Zuerſt hat der geſchichtliche Gang der Entwicklung es mit ſich gebracht, daß nicht eben bloß jene die Geſammtheit ſchützende, ſondern jede Thätigkeit des Staats mit dem Ausdruck „ Polizei “be - zeichnet ward. Wir haben in der Lehre von der vollziehenden Gewalt dieß Verhältniß bereits erklärt. Sie bedeutet in dieſem Sinn in der That die Verwaltung ſelbſt, aber freilich die Verwaltung, inſofern ſie ohne alle ſelbſtthätige Mitwirkung des Volkes einſeitig vom ſtaatlichen Organismus ausgeht. Sie iſt damit die unfreie, wenn auch keinesweges principloſe Form der Verwaltung, und enthält daher hier mehr einen hiſtoriſchen Abſchnitt in der Verwaltung ſowohl nach Geiſt als nach Form derſelben, als einen ſyſtematiſchen Begriff. Das Princip, das ſie verwirklicht, iſt in der Inneren Verwaltung (Einleitung) als der Eudä - monismus bezeichnet worden. Wir können nun dieſen Standpunkt für die Auffaſſung der Polizei wohl als einen überwundenen anſehen.
Zweitens aber bedeutet der Ausdruck „ Polizei “die Vollziehung und die vollziehende Gewalt überhaupt in ihrer Scheidung von der Verwaltung in dem von uns aufgeſtellten Sinne, nach welchem die Verwaltung die Vollziehung einer beſtimmten organiſchen Aufgabe des Staats iſt. Aber auch hier wird unter Polizei wieder nicht die Voll - ziehung überhaupt, ſondern nur dasjenige Gebiet derſelben verſtanden, welches ſich gegen die einzelne Perſönlichkeit richtet, und dieſelbe zur Erfüllung der im Verwaltungsrecht liegenden Vorſchriften zwingt. Die Polizei iſt in dieſem Sinne die Zwangsgewalt der Verwal - tung gegen den Einzelnen. (Vollz. Gewalt 201.)
Allerdings nun könnte man bei dieſem Begriffe ſtehen bleiben, wenn jene ganz allgemeine Funktion der Polizei, die Vollziehung im einzelnen Falle zu erzwingen, eben eine allgemeine bliebe. Denn man kann ganz füglich ſagen, daß jede Vollziehung zugleich eine Sicherung3 gegen diejenigen Gefahren enthält, welche die Nichtvollziehung mit ſich bringt, ſo daß der obige formale Begriff mit der angegebenen Auffaſſung übereinſtimmte.
Allein ſo wenig es einen abſtrakten Begriff der Verwaltung gibt der bloß abſtrakt bliebe, ſo wenig bleibt jenes allgemeine Element der Vollziehung ein bloß allgemeines. Auch die Aufgabe, durch die Po - lizei die öffentliche Sicherheit herzuſtellen, erſcheint in Wirklichkeit als eine ſehr concrete und beſtimmte, zum Theil höchſt verſchieden geſtaltete in jedem einzelnen Gebiete der Verwaltung; und das, was wir „ Polizei “nennen, wird daher in der Wirklichkeit des Staatslebens aus einer abſtrakten Vollziehungsgewalt zu einer vielfach beſtimmten Verwal - tungsaufgabe. In jedem Gebiete der Verwaltung muß die Funktion derſelben für dieſe Verwaltungsaufgabe vorhanden ſein, denſelben Zweck in der verſchiedenſten Weiſe erfüllen, denſelben Grundſatz unter den verſchiedenſten Modifikationen zur Geltung bringen. Es gilt daher für die Polizei, was wir für den Unterſchied von Vollziehung und Verwal - tung geſagt haben. Aus dem allgemeinen Begriff der Polizei entſteht die eigentliche oder wirkliche Polizei, indem derſelbe im Gebiete der Ver - waltung ſich in lauter ganz beſtimmte einzelne polizeiliche Aufga - ben auflöst. Dieſe nun bilden zuſammen genommen das, was wir das Syſtem der Polizei nennen. Erſt an dieß Syſtem der Polizei ſchließt ſich das, worauf es uns ankommt, und was ſo viele Schwie - rigkeiten in der Staatswiſſenſchaft von jeher gemacht hat, das Syſtem und die wiſſenſchaftliche Behandlung des Polizeirechts.
Faßt man nämlich die Polizei in dem obigen Sinne als diejenige Funktion auf, welche in allen Punkten des Geſammtlebens daſſelbe vor den Gefahren zu ſchützen hat, die aus dem Uebermaße irgend einer Kraft entſtehen, ſo iſt es klar, daß die Polizei an ſich gar kein Sy - ſtem für ſich haben kann, ſondern daß ſie ſich vielmehr an das Syſtem der Verwaltung anſchließt, und in jedem organiſchen Theil der letztern die negative Seite deſſelben bildet. Dadurch iſt es eben erklärlich, daß, ſo lange überhaupt die Funktion der Verwaltung eine weſentlich negative war, auch die „ Polizeiwiſſenſchaft “als Form der ganzen Ver - waltungslehre auftreten konnte. Jetzt, nachdem die poſitive Thätigkeit der Verwaltung als die Hauptſache anerkannt iſt, müſſen wir natürlich einen andern Standpunkt ſuchen. Und dieſer beſteht darin, daß, wie geſagt, die Polizei für jedes Gebiet der Verwaltung die negative Funktion beſitzt, und daher ſich an das Syſtem der Verwaltung ſelbſt anſchließt.
4Die Durchführung dieſes Satzes nun hat dadurch einen Werth, daß man auf dieſe Weiſe zur endgültigen Klarheit über die große Unbeſtimmtheit gelangt, welche in dem Worte Polizei liegt.
I. Zuerſt nämlich haben wir den allgemeinen Begriff und Inhalt der Polizei von den einzelnen Gebieten derſelben zu unterſcheiden. Der allgemeine Theil der Polizeilehre enthält alles dasjenige, was in allen einzelnen Funktionen, bei aller ihrer Verſchiedenheit gleichartig iſt. Und da nun dieß weſentlich in der wirklichen Durchführung der Aufgaben der Polizei beſteht, ſo iſt allerdings richtig, daß dieſer allgemeine Theil der Polizeilehre eben ſo gut als ein Theil der voll - ziehenden Gewalt und ihres Rechts im Unterſchiede von der eigentlichen Verwaltung angeſehen werden kann. Die Aufnahme deſſelben in die innere Verwaltung hat dagegen den allerdings nur didaktiſchen Vorzug, daß das Polizeiweſen als ein Ganzes erſcheint. Steht dieß feſt, und iſt damit die organiſche Grundlage für das Verſtändniß der Polizei gefunden, ſo kann man alsdann ſpäter die Uebernahme dieſes allgemei - nen Theils in die vollziehende Gewalt neben ihrer ſyſtematiſchen Rich - tigkeit auch zweckmäßig finden.
II. Der beſondere Theil der Polizei zerfällt dann, wie der allge - meine Begriff der Verwaltung, in die drei großen Gebiete der Staats - wirthſchaft, der Rechtspflege und des Innern. Es gibt daher eine Finanzpolizei, eine Polizei der Rechtspflege oder gerichtliche Polizei, und endlich eine innere Polizei, die man wohl die eigentliche oder Verwaltungspolizei nennt. Wie es nun Sache der Staats - wirthſchaft iſt, ihre Polizei zu behandeln, und wie es Sache der Rechtspflege wäre, die ihrige zu erledigen, ſo iſt es Sache der innern Verwaltungs - lehre, die Verwaltungspolizei als ſelbſtändigen Begriff anzuerkennen und durchzuführen. Das letztere iſt es aber, was man als die eigentliche Polizeilehre bezeichnen könnte, wenn es möglich wäre, die polizeiliche, negative Funktion von der adminiſtrativen, poſitiven zu ſcheiden.
Dieß nun iſt aber nicht bloß faſt unthunlich in den einzelnen Ge - bieten der Verwaltung des Innern, ſondern es iſt zugleich höchſt ſchwierig zwiſchen der gerichtlichen und der Verwaltungspolizei, und wird noch ſchwieriger gemacht durch die in Geſetzgebung und Literatur faſt durchgreifende Verſchmelzung beider Begriffe. Es wird daher, ſo lange die ganze Theorie nicht feſtſteht, für jede Polizeilehre von ent - ſcheidender Bedeutung, dem Verhältniß der gerichtlichen wie adminiſtra - tiven Funktion der Polizei eine ſelbſtändige Beachtung zu widmen, was wir unten thun werden.
III. Stehen auf dieſe Weiſe der Begriff und die drei Hauptgruppen der Polizei feſt, ſo kann man nunmehr für die Verwaltungspolizei5 von dem reden, was wir das Syſtem der letzteren nennen müſſen. Das Syſtem dieſer Polizei iſt das der Verwaltung ſelbſt. Man wird daher von einer Bevölkerungs -, Geſundheits -, Bildungs -, Elementar -, Verkehrs -, Landwirthſchaftspolizei u. ſ. w. mit Recht reden. Jeder dieſer Begriffe wird die Geſammtheit von Grundſätzen und Maßregeln enthal - ten, welche die Verwaltung zum Schutze jedes dieſer beſtimmten Le - bensverhältniſſe gegen die daſſelbe bedrohenden Gefahren ergreift, wäh - rend die Verwaltung im engern Sinne die Maßregeln zur Förderung der Entwicklung bedeutet. Der Grund jedoch, weßhalb man dieſe Verwaltungspolizei von der Verwaltung nicht formell trennt, liegt dann eben im Weſen der Sache ſelbſt, wie wir unten ſehen werden. Und ſo wäre alles klar, bis auf den letzten formalen Begriff, mit dem wir noch abrechnen müſſen. Das iſt der der Sicherheitspolizei.
IV. Das Bewußtſein von jener doppelten Funktion der Verwal - tung in allen ihren Gebieten, nämlich der poſitiven, fördernden und helfenden, und der negativen, ſchützenden und bewahrenden, iſt bereits, wie bekannt, im vorigen Jahrhundert ſehr lebhaft vorhanden geweſen, und hat auch ſeinen ganz ſpecifiſchen Ausdruck gefunden. Man um - faßte nämlich jene Geſammtheit der poſitiven Anordnungen und Thä - tigkeiten mit dem Namen der Wohlfahrtspolizei und die Geſammt - heit der negativen mit dem Ausdruck der Sicherheitspolizei, welche man dann wieder gemeinſam als die „ Polizei “zuſammenfaßte. Wohl - fahrtspolizei war demnach Verwaltung, Sicherheitspolizei war die innere Polizei. Am deutlichſten iſt darüber vielleicht das preußiſche allgemeine Landrecht, das bekanntlich eben ſo ſehr ein Verwaltungs - als ein bürger - liches Geſetzbuch iſt, und ſich daher über Verwaltung und Polizei klar ſein mußte. Daſſelbe ſagt II, 13. §. 2. „ Die vorzüglichſte Pflicht des Staatsoberhaupts iſt es, ſowohl die innere als die äußere Ruhe und Sicherheit zu erhalten. “ §. 3. „ Ihm kommt es zu, für Anſtalten zu ſorgen, wodurch den Einzelnen Mittel und Gelegenheit geſchaffen werden, ihre Fähigkeit und Kraft zu bilden und dieſelben zur Förde - rung des Wohlſtandes anzuwenden. “ Da ſind beide Begriffe in ihrer reinſten Form des vorigen Jahrhunderts. Endlich ſetzt das allge - meine Landrecht II, 17. §. 1 — 10 hinzu: „ Die nöthigen Anſtalten zu treffen, zu Erhaltung der öffentlichen Sicherheit, iſt das Amt der Polizei. “ So ſind die Dinge bereits lange vorhanden, von denen wir zu reden haben. Nur Eins fehlt: das iſt der Begriff eines ſelb - ſtändigen Rechts dieſer Polizei, oder einer Gränze ihrer Berechtigung gegenüber dem Individuum. Um nun zu dieſem zu gelangen, müſſen wir nur zuvor die Bedeutung der Sicherheitspolizei als Theil des ganzen Polizeiſyſtems genauer beſtimmen.
6In der That nämlich iſt dem Wortlaute nach jede Polizei eine „ Sicherheitspolizei. “ Wenn man mithin noch den Ausdruck der Sicher - heitspolizei in einem ſpeziellen Sinne gebraucht, ſo iſt es nothwendig, ſich darüber zu einigen, daß man damit einen beſtimmten Theil der innern Polizei bezeichnet. Sonſt iſt der Verwirrung kein Ende. Und in dieſem Sinne werden wir die „ Sicherheit “als ein ſelbſtändiges Gebiet der Polizei ſpäter aufſtellen, als dasjenige nämlich, in welchem es ſich nicht mehr um eine beſtimmte, an ihrem Objekte qualificirbare, ſondern um eine allgemeine Gefährdung der öffentlichen Ordnung handelt. Wir werden daher ſagen, daß die innere Polizei aus zwei Hauptgebieten beſteht, der Sicherheitspolizei, welche die Gemein - ſchaft vor der Gefährdung der allgemeinen Zuſtände und der öffentlichen Ordnung ſchützt, und den ſpeziellen Theilen der Verwaltungspolizei, welche den Schutz gegen irgend eine ganz beſtimmte, einzelne Gefähr - dung bietet. Die Sicherheitspolizei bildet daher auch einen ſelbſtändi - gen Theil der Verwaltung und ihres Rechts, während alle übrigen Funktionen der Polizei den einzelnen Gebieten der inneren Verwaltung immanent erſcheinen.
An dieſe allgemeinen Grundlagen ſchließen ſich nun Begriff, In - halt und Syſtem des Polizeirechts.
Wegen der entſcheidenden Bedeutung, welche das Recht gerade für die Beſtimmung und Stellung der Polizei im Geſammtleben des Staats hat, iſt es nun nothwendig, gerade für die Polizei den Begriff ihres Rechts genauer zu entwickeln. Hier darf die allgemeine Definition nicht genügen, weil auf der letzteren die ganze Schärfe der folgenden Unterſcheidungen zu beruhen hat.
Die oben bezeichnete Funktion der Polizei hat es nämlich zuerſt mit denjenigen Gefahren zu thun, welche aus elementaren Kräften ent - ſpringen. Dieſen gegenüber gibt es kein Recht der Polizei. Der Rechtsbegriff iſt daher unanwendbar, wo der Polizei nur natürliche Gewalten entgegen treten (z. B. Errichtung von Leuchtthürmen, Regu - lirung von Wegen, Strombetten ꝛc.).
Der Begriff des Rechts entſteht hier wie immer erſt auf dem Punkte, wo die Funktion der Polizeiorgane in die Sphäre des individuellen Lebens hineingreift, und im Namen des Geſammtwohles eine Be - ſchränkung der perſönlichen Freiheit von dem Einzelnen ent - weder fordert, oder ſie einſeitig hervorruft. Daß eine ſolche Beſchränkung7 der perſönlichen Freiheit durch die Organe und im Intereſſe der Gemeinſchaft überhaupt, alſo auch bei öffentlichen Gefährdungen noth - wendig und berechtigt ſein könne, hat der Begriff der Verwaltung entwickelt, welchem ſie als immanenter Theil angehört. Das Weſen der freien Perſönlichkeit fordert aber andererſeits, daß dieſe polizeiliche Beſchränkung nicht in der Willkür der Polizeiorgane liege, ſondern ſelbſt wieder eine feſte, durch den allgemeinen Willen geſetzte Gränze habe. Und die Geſammtheit von Grundſätzen, Regeln und geltenden Beſtimmungen, welche der polizeilichen Funktion überhaupt gegenüber der perſönlichen Freiheit eine ſolche Gränze geben, bilden das Polizeirecht.
Dieſer allgemeine Begriff des Polizeirechts umfaßt daher allerdings die finanzielle und die gerichtliche ſowohl als die Verwaltungspolizei. Es iſt eine der großen Vorausſetzungen der ſtaatsbürgerlichen Freiheit, daß es gar keinen Akt der geſammten polizeilichen Thätigkeit gebe, dem nicht das ihm entſprechende Polizeirecht zur Seite ſtehe. Wenn die Polizei ſelbſt die organiſche Bedingung der Geſammtentwicklung dadurch iſt, daß ſie dem Einzelnen wie der Geſammtordnung das Ele - ment der öffentlichen Sicherheit gibt, ſo iſt das Polizeirecht das Corollar derſelben, indem es dem Einzelnen wie der Geſammtheit die zweite große Bedingung aller Entwicklung, die Freiheit der indivi - duellen Rechtsſphäre, gewährleiſtet. Das iſt die organiſche Stellung und Bedeutung des Polizeirechts überhaupt neben der der Polizei.
II. Aus dieſem Weſen des Polizeirechts hat ſich nun zunächſt der Gang der Geſchichte deſſelben und ſein Verſtändniß in der Lehre des öffentlichen Rechts ergeben. Die ſehr große und zum Theil ſehr ver - worrene Bewegung, welche das Gebiet des Polizeirechts im Allgemeinen umfaßt, namentlich ohne ſtrenge Unterſcheidung der gerichtlichen und Verwaltungspolizei, läßt ſich in folgende Hauptgruppen zuſammenfaſſen.
Die Geſchlechterordnung hat noch gar keine ſelbſtändige Polizei, weil ſie noch keine ſelbſtändige Verwaltung hat. Selbſt die Verpflich - tung gegen die Friedensbrecher, welche an die gerichtliche Polizei erin - nert, iſt doch im Grunde nur Nothwehr. Die ſtändiſche Geſellſchafts - ordnung dagegen entwickelt bereits die Polizei als Thatſache; aber zum Begriffe eines öffentlichen Polizeirechts gelangt auch ſie nicht, weil die Grundherrlichkeiten und Körperſchaften, die die Polizei ausüben, zugleich die Funktion der Geſetzgebung, der Verordnung und des Ge - richts mit der der Polizei in demſelben Organ vereinigen, was den Begriff des individuellen Rechts gegenüber dieſem Organe ſo gut auf - hebt, wie der Begriff des Geſetzes es in der ſtaatsbürgerlichen Geſell - ſchaft thut. Um den Begriff und Inhalt des Polizeirechts ſelbſtändig8 zur Geltung zu bringen, und damit für die geſammte Polizei in all ihren Formen eine neue Epoche zu begründen, mußte ein neues Element zur Geltung gelangen.
Dieß nun geſchieht mit dem Beginne der ſtaatsbürgerlichen Geſell - ſchaft dadurch, daß der Staat ſich ſelbſtändig hinſtellt, von den an ſich freien Einzelnen, die ihm angehören, ſcheidet, und ſomit in Staat und Staatsbürger ſich zwei Perſönlichkeiten (Rechtsſubjekte ſagt man, als ob es „ Subjekte “ohne Recht gäbe) gegenüber treten, von denen die eine in die Rechtsſphäre der andern hineingreift, während das Weſen der andern für dieß Hineingreifen eine Gränze, das iſt ein Recht fordert. Dieß Polizeirecht iſt daher das erſte charakteriſtiſche, formelle Merkmal des Eintretens der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung und der Erhebung derſelben über die ſtändiſche Geſellſchaft. Und von da an gilt nun für die geſammte hiſtoriſche Entwicklung des Polizeirechts der Satz, daß daſſelbe mit der Entwicklung der ſtaatsbürgerlichen Ge - ſellſchaft ſelbſt fortſchreitet, und ſomit den formellen Ausdruck des öffentlichen Bewußtſeins von dem Werthe und dem Rechte, den Forderungen und der Beſtimmung der individuellen Freiheit des Staatsbürgerthums bildet.
Man kann nun in dieſer hiſtoriſchen Entwicklung des Polizeirechts zwei große Epochen unterſcheiden, die wir wenigſtens im Allgemeinen charakteriſiren müſſen, um dem, was wir zu leiſten haben, ſeine Stel - lung anzuweiſen.
Die erſte Epoche beginnt mit dem ſechzehnten Jahrhundert, und geht dahin, die ſtaatsbürgerliche Freiheit gegen die polizeiliche Funktion dadurch zu ſichern, daß zunächſt die Aufgaben der letztern geſetzlich feſtgeſtellt werden. Dieß iſt bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts der Inhalt aller auf die Polizei bezüglichen Geſetze, und vermöge der - ſelben erſcheint das geſammte Verwaltungsrecht noch faſt ausſchließlich in Polizeiverordnungen. In dem Sinne aber, daß dieſe Geſetze neben den Verwaltungsaufgaben, welche die Polizei zu vollziehen hat, auch eine geſetzliche Gränze für die Freiheit des Einzelnen gegenüber jener Funktion der Polizei aufgeſtellt, und ſomit ein Polizeirecht in unſerm Sinne geſchaffen hätten, gibt es noch kein Polizei - oder Verwal - tungsrecht. Erſt mit dem Ende des vorigen und dem Anfang unſers Jahrhunderts beginnt die zweite Epoche. Dieſe beruht darauf, daß ſich der Gedanke der Verantwortlichkeit der geſammten Polizei Bahn bricht und damit das Princip der perſönlichen Freiheit gegen - über der polizeilichen Funktion ſich ein ſelbſtändiges Rechtsſyſtem bildet. Im Beginn dieſer Epoche ſtehen wir, und das Folgende hat die Auf - gabe zu zeigen, welche Geſtalt dieſe Epoche in den verſchiedenen Ländern9 angenommen hat, und wie weit Theorie und Praxis darin gekommen ſind, das Rechtsſyſtem der polizeilichen Verantwortlichkeit gegenüber der Freiheit des einzelnen Staatsbürgers zum Bewußtſein zu bringen und auszubilden.
Dieß wäre nun wohl ziemlich leicht, wenn namentlich in Deutſch - land die Epoche der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung und der polizei - lichen Verwaltung bereits nicht bloß im Princip, ſondern auch in der Wirklichkeit vollſtändig überwunden wäre. Allein das iſt nicht der Fall. Die Wiſſenſchaft hat daher hier nicht ſo ſehr mit verkehrten Zuſtänden, als vielmehr mit unklaren Vorſtellungen zu kämpfen. Die weſentlichſte Aufgabe des Folgenden iſt es daher, vor allen Dingen neben dem all - gemeinen Begriffe die einzelnen Momente deſſelben ſelbſtändig feſtzu - ſtellen, und das Recht der Polizei, das in ſeinem allgemeinen Begriffe feſtſteht, an dieſen einzelnen Momenten zu einem ſelbſtändigen Syſtem zu entwickeln. Denn nur dadurch wird es möglich ſein, dasjenige zu erreichen, was uns in der Wiſſenſchaft des öffentlichen Rechts noch ſo gut als gänzlich fehlt, eine Theorie und Jurisprudenz des Polizeirechts, als des Rechts der perſönlichen Freiheit gegen - über der polizeilichen Funktion.
In dieſem Sinne nun müſſen wir neben dem Begriffe und der Geſchichte des Polizeirechts von einem Syſtem deſſelben reden. Es ergibt ſich dafür zunächſt von ſelbſt, daß dieſes Syſtem auch hier nicht in dem Begriffe des Rechts, ſondern in dem der Polizei liegt und liegen muß, für die es gelten ſoll. Daſſelbe iſt daher naturgemäß identiſch mit dem organiſchen Weſen der Polizei; aber es iſt für die wiſſen - ſchaftliche Behandlung von entſcheidender Bedeutung, dieß ſpeziell zu betonen.
Es ergibt ſich nämlich daraus, daß wir zunächſt von einem allgemeinen Polizeirecht zu reden haben, als demjenigen Recht der Polizei, das allen verſchiedenen Funktionen und Aufgaben derſelben gleichmäßig inwohnt.
An dieß ſchließt ſich dann das beſondere Polizeirecht, als dem - jenigen beſondern Recht derſelben, das durch die einzelnen, ſpeziellen Aufgaben der Polizei in den einzelnen Gebieten der Verwaltung be - ſtimmt wird, und das dem entſprechend diejenigen Modifikationen jenes allgemeinen Polizeirechts enthält, welche durch dieſe beſondern Aufgaben der Polizei gefordert werden.
Von dieſem beſondern Polizeirecht bildet nun die Sicherheits - polizei wieder ein ſelbſtändig zu bearbeitendes Rechtsgebiet, während alle übrigen Theile der inneren Polizei[integrirende] Theile der einzelnen Verwaltungsgebiete ausmachen, die man wiſſenſchaftlich nie, und praktiſch10 nie mit Nutzen von den betreffenden Theilen der Verwaltungslehre ſcheiden kann.
Das ſind die Elemente des Syſtems des Polizeirechts. Der Grund des Mangels an einem Syſtem des Polizeirechts liegt in dem geſammten Entwicklungsgange der deutſchen Geſetzgebung und Rechts - wiſſenſchaft, die ſich in denjenigen Arbeiten, mit denen ſie ſich dem Polizeirechte überhaupt zugewendet hat, namentlich mit dem Gebiete der gerichtlichen Polizei bisher beſchäftigte, und hier Bedeutendes leiſtet, während die Verwaltungspolizei faſt gänzlich von ihr unberückſichtigt geblieben iſt. Der Grund davon beſteht weſentlich in dem Mangel des Begriffes von einem ſelbſtändigen Verwaltungsrecht einerſeits, und der beſtimmten Unterſcheidung von Klag - und Beſchwerderecht. Das erſte hat die Theorie des geltenden Rechts überhaupt, das zweite das Syſtem der rechtlichen Verantwortlichkeit nicht gedeihen laſſen. Daher finden wir eine Literatur für das Polizeirecht auch nur im Gebiete der einzelnen Fragen, was eine zum Theil große Einſeitigkeit des Stand - punkts zur Folge hat, während ſie für das Ganze fehlt. Weſentlich anders iſt es in der franzöſiſchen Literatur, die ſehr vollſtändige und ſelbſt caſuiſtiſche Arbeiten über das Recht der Verwaltungspolizei beſitzt. Dies beruht wieder darauf, daß die Polizei ſeit dem Code Pénal kein eigenes, formell gültiges Strafrecht hat, und daher das ganze Verfahren der criminaliſtiſchen Bearbeitung anheimfiel und auf allen Punkten der juriſtiſchen Auffaſſung Raum ließ. Die ſtrenge, wenn auch vielfach formale Entwicklung des verfaſſungsmäßigen Rechts trug auch das ihrige dazu bei, ſo wie endlich die hohe und vortreffliche Ausbildung des Be - ſchwerdeverfahrens. Hier haben wir daher ſehr viel zu thun, bevor wir der franzöſiſchen Literatur nachkommen; doch hat ihre Entwicklung ſelbſt es begründet, daß ſie nicht ſo ſehr ſyſtematiſch und dogmatiſch, als vielmehr caſuiſtiſch und hermeneutiſch auf Grundlage der beſtehenden Ge - ſetze verfahren iſt. Die Deutſchen werden hier die geiſtige Ordnung in das reiche, faſt überreiche franzöſiſche Material zu bringen haben. Daß die engliſche Literatur für das Polizeirecht kein eigenes Gebiet eröffnet hat, erklärt ſich von ſelbſt. Wenn man ſich übrigens den Werth und die Bedeutung des Begriffs eines „ Polizeirechts “überhaupt, und daneben den mächtigen Fortſchritt vergegenwärtigen will, den wir in Deutſchland denn doch trotz alles Mangels an „ Syſtem “in dem öffentlichen Recht gemacht haben, ſo muß man einen Blick auf das werfen, was noch im Anfang unſers Jahrhunderts als Polizei gelehrt werden konnte, und was um ſo mehr Wunder nehmen muß, als ſchon im vorigen Jahr - hundert einzelne hervorragende Männer, wie Möſer, J. H. Berg und Sonnenfels auf einem hochachtbaren Standpunkte ſtanden,11 während freilich bei andern die Auffaſſung trotz mancher ſchönen Phraſe im Kathederthum untergeht, wie bei Jakob, der Sonnenfels aus - geſchrieben und nicht citirt, und Soden citirt und nicht verſtanden hat. Die gewöhnlichen Lehrbücher der Polizei in den erſten Decennien unſers Jahrhunderts dagegen kannten das Polizeirecht überhaupt nur als „ Hoheitsrecht “des Staats, und mithin als Berechtigung der Polizei, ohne demſelben in dem freien Staatsbürgerrecht ein Gegengewicht zu geben, wie z. B. Eiſenhuth, Polizei der Staatseinwohner-Ordnung; Jung, Lehrbuch der Staatspolizeiwiſſenſchaft, der auf S. 344 zu dem Satze gelangt: „ die Unterthanen ſeien ſchuldig, alles zu tragen, was ihnen auferlegt werde, “— worauf Soden in ſeiner Staatspolizei (National-Oekonomie Bd. 7) S. 123 mit Recht ausruft: „ Wenn die Lehrer der Nationen ſolche Behauptungen wagen, können wir wohl erſtaunen, daß die Willkür an die Stelle der Geſetze tritt und der Staatszweck bis auf die Erinnerung untergeht? “ Erſt gegenüber ſolchen Anſchauungen lernt man begreifen, wie Männer wie der treffliche Aretin in ſeinem Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie (1827, II. 166) und im Grunde auch Zachariä (Vierzig Bücher, IV. S. 288) ſich ſo energiſch auch gegen die „ Wohlfahrtspolizei “ausſprechen konnten, die doch ſelbſt in der franzöſiſchen Revolution in der déclaration des droits de l’homme et du citoyen von 1793 in dem erſten Artikel derſelben gipfelt: „ Le but de la société est le bonheur commun. “ (Vergl. Stein, Geſchichte der ſocialen Bewegung in Frankreich, I. Band S. 160 ff.)
In der That, erſt wenn man dieſe Schriftſteller mit unſrer Zeit vergleicht, ſo ſieht man, wie viel wir in Deutſchland ſeit fünfzig Jah - ren weiter gekommen ſind, und wie viel die Nation Männern wie Soden, Lotz, Zachariä, Mohl und Andern verdankt. Wenigſtens die Literaturgeſchichte und die hiſtoriſche Wiſſenſchaft ſollte ihnen bleibende Denkmale errichten, ſtatt ſie, wie namentlich Soden, zu vergeſſen. Denn wie ganz anders ſieht denn doch ſelbſt bei Zimmermann (Weſen, Geſchichte und Literatur der modernen Polizei, 1852, der freilich auch noch kein Polizeirecht kennt) dieſe Polizei aus, als im Beginne dieſes Jahrhunderts!
Der formale Begriff des allgemeinen Theiles des Polizeirechts dürfte nun wohl keine Schwierigkeit haben. Daſſelbe entſteht, indem in allen verſchiedenen Funktionen und Gebieten der Polizei ein gemein - ſames und gleichartiges Element anerkannt wird. Dieß gemeinſame und gleichartige Element iſt die, in gewiſſen Akten der Polizei enthaltene Beſchränkung der Freiheit des Einzelnen, die zum Zwecke der Abwen - dung einer öffentlichen Gefahr geſchieht. Das Recht dieſes Eingreifens beſteht in der Beſtimmung der Gränze, welche dieſer Beſchränkung durch die Berechtigung der perſönlichen Freiheit einerſeits und durch die Natur der Gefahr andrerſeits vorgeſchrieben werden. Die Wiſſenſchaft dieſes Rechts beſteht in der Darlegung der Elemente und Folgeſätze, vermöge deren jene Gränze im Allgemeinen und in jedem beſondern Falle beſtimmt wird.
Der Unterſchied des allgemeinen Polizeirechts von dem beſondern beſteht dann darin, daß, da der allgemeine Theil der Polizei ſich nicht auf eine einzelne Polizeihandlung, ſondern auf die Thätigkeit der Polizei als ſolche bezieht, dieß Recht der allgemeinen Polizei auch nicht durch die Natur der einzelnen Gefahr gegeben wird, ſondern durch die Natur der Thätigkeit der Polizei ſelber. Dadurch entſteht das, was man das Syſtem des allgemeinen Polizeirechts nennen kann.
Indem wir nämlich, abſehend von dem Objekt der polizeilichen Thätigkeit und dem Einfluß, den daſſelbe auf das Recht hat, nur auf13 dieſe polizeiliche Funktion als ſolche ſehen, ergibt ſich, daß dieſe poli - zeiliche Funktion einzelne ſelbſtändig daſtehende, und auch äußerlich von einander trennbare Momente beſitzt, die jedes für ſich dem allgemeinen Polizeirecht unterworfen ſind. Das Weſen dieſer Momente der Funk - tion, und die dadurch gewonnene beſtimmte Geſtalt des allgemeinen Begriffes des Rechts der Polizei, ergibt das Syſtem des letztern.
Dieſe Elemente des Polizeirechtsſyſtems ſind nun um ſo wichtiger, als ſie keineswegs bloß für die Verwaltungs -, ſondern eben ſo gut für die finanzielle und die gerichtliche Polizei gelten. Sie werden daher zugleich als Grundlage eines bedeutſamen Theiles des Strafproceſſes und ſogar des Civilproceſſes gelten müſſen.
Die Funktion der Polizei, welche jenes formale Syſtem ihres Rechts begründet, hat nun drei Momente.
a) Sie erſcheint zuerſt als eine Verfügung des betreffenden Ver - waltungsorgans, welche den Willen deſſelben enthält, der das Ver - fahren zu verwirklichen hat. Dieſe Verfügung heißt je nach ihrer Form Befehl, Mandat, Erſuchen u. ſ. w. Sie erſcheint ſelbſtändig und äußerlich von dem Verfahren geſchieden in ſchriftlichem oder mündlichem Wege, kann aber auch in der Form von Verordnungen als öffentliche Bekanntmachung auftreten, oder endlich ſo eng mit dem wirklichen Vollzug zuſammenfallen, daß man ſie nicht mehr äußerlich ſcheiden kann, wie bei den Anwendungen von perſönlichen Zwangsmitteln. In allen dieſen Formen aber bleibt die Sache ſelbſt, und mithin ihr Recht, dieſelbe. Dieß Recht der Polizeiverfügung beſteht nun nicht in dem Verhältniß derſelben zur Sphäre und dem Recht der indivi - duellen Freiheit, denn ſo lange ſie eben bloß Verfügung iſt, hat das Individuum nichts mit ihr zu thun; ſondern dieſelbe enthält das öffent - liche rechtliche Verhältniß derſelben zu dem geltenden Recht der Geſetze und Verordnungen, und richtet ſich daher nach den Grund - ſätzen, welche über das verfaſſungsmäßige Verordnungsrecht in der vollziehenden Gewalt dargelegt ſind, ſo daß bei dem Widerſtreit der - ſelben mit einem Geſetze die Klage, mit einer andern Verordnung die Beſchwerde eintritt. Daß dieſe polizeiliche Verfügung eine ganz andere Geſtalt in der gerichtlichen als in der Verwaltungspolizei hat, ändert dieſe allgemeinen Grundſätze nicht.
b) Das zweite Moment der polizeilichen Funktion iſt dann auf das die Vollziehung der Verfügung gerichtete Verfahren. Natürlich iſt daſſelbe unendlich verſchieden, je nach dem äußern Zweck. Allein rechtlich ſind alle Formen deſſelben gleich. Dieß Recht des polizeilichen Verfahrens beruht nun, im Gegenſatz zu dem der polizeilichen Ver - fügung, darauf, daß es nicht durch das Verhalten zu dem gegebenen14 Objekt, ſondern zu der Rechtsſphäre des freien Staatsbürgers entſteht, und denjenigen Punkt beſtimmt, bis zu welchem das Ver - fahren die perſönliche Freiheit des Einzelnen beſchränken darf. Der leitende Grundſatz dabei iſt der, daß das Verfahren nur zur Anwen - dung derjenigen Mittel berechtigt iſt, welche als unabweisbare Be - dingung der wirklichen und vollſtändigen Vollziehung des öffentlichen Willens angeſehen werden müſſen. Auch das gilt für beide Hauptarten der Polizei gleichmäßig, wird aber bei weitem vorwiegend für die Ver - waltungspolizei von Bedeutung.
c) Das dritte Moment endlich enthält das Verhältniß der vollzoge - nen Funktion der Polizei zum beſtehenden Rechtszuſtande; das Recht deſſelben iſt einfach das der Verantwortlichkeit und Haftung der vollziehenden Organe auf dem verfaſſungsmäßigen Wege der Klage und der Beſchwerde, und zwar ſo, daß entweder die Verfügung als ſolche Gegenſtand derſelben wird, oder der Vollzug für ſich; eine Unterſcheidung, welche am wichtigſten iſt für die Organe, welche für Klage und Beſchwerde zu haften haben, indem die erſte Haftung ſich auf die den Befehl gebenden, die zweite auf die den Befehl vollziehen - den bezieht, die wenigſtens in den Funktionen der gerichtlichen und Verwaltungspolizei meiſtens geſchieden ſind.
Demnach zerfällt das Polizeirecht an ſich, und zwar noch ohne Rückſicht auf die Trennung zwiſchen der gerichtlichen und Verwaltungs - polizei, in drei Theile: das Recht der Polizeiverfügung, das Recht des Polizeiverfahrens und das Recht der Haftung der Polizei. Bei der weſentlich verſchiedenen Funktion aber, welche die gerichtliche und die Verwaltungspolizei haben, werden die Formen und Namen dieſer drei Theile auch für beide verſchieden ſein. Und darauf nun be - ruht das, was wir das Syſtem des Polizeirechts nennen, von dem, wie wir gleich hier ſagen wollen, das Recht und Syſtem der eigentlichen Sicherheitspolizei wieder nur einen beſonderen, wenn auch vorzugsweiſe wichtigen Theil bildet.
Dieſes Syſtem erſcheint demnach in dem Verfügungs -, Verfahrens - und Haftungsrecht der gerichtlichen Polizei, gegenüber dem Einzelnen, dann in dem der Verwaltungspolizei, und endlich in dem Verhält - niß beider Zweige der Polizei zu einander, indem die letztere neben ihrer ſelbſtändigen Funktion auch noch als bloßes Vollzugsorgan der erſtern agirt. Wir werden jedoch die beiden letzten Theile am beſten zum Zwecke der klareren Ueberſicht mit einander verbinden.
15Die Schwierigkeit für die Theorie wird wohl darin beſtehen, dieſe Auffaſſung für die gerichtliche Polizei gelten zu laſſen, da man zwar die Funktionen derſelben kennt, allein gewohnt iſt, ſie als integrirende Theile des eigentlichen Strafproceſſes zu behandeln. Dennoch müſſen wir daran feſthalten, daß dieſer Theil des Strafproceſſes in der That nichts iſt, als ein Theil des Verwaltungsrechts, und daher eigener Darſtellung bedarf, die er im Strafproceſſe nicht zu finden gewohnt iſt.
Auf der Grundlage der obigen Beſtimmungen wäre nun das ganze Gebiet der Polizei ein höchſt einfaches, wenn man mit dem an ſich unzweifelhaften Satze genügen könnte, daß dieſe Polizei demnach in allen drei Gebieten der Verwaltung, Staatswirthſchaft, Rechtspflege und Innerem auftritt, und man daher von einer allgemeinen und be - ſondern Finanz -, Gerichts - und Ordnungspolizei zu reden haben würde. Allein es gibt hier ein Moment, welches die Gränze dieſer an ſich einfachen Begriffsbeſtimmungen verwirrt, und damit zugleich das Recht der Polizei unbeſtimmt macht. Dieß Moment liegt in dem allgemeinen Objekt aller Polizei, der gefährdenden Thätigkeit des Einzelnen.
Ohne allen Zweifel nämlich iſt die öffentliche Sicherheit, ganz ab - geſehen von dem ethiſchen Momente, gefährdet nicht bloß durch das, was jemand möglicher Weiſe thun kann, ſondern auch dadurch, daß das, was jemand bereits gegen das Recht gethan hat, unbeſtraft bleibt. Die Sicherung der Beſtrafung der Verbrechen iſt daher ganz gewiß eine eben ſo weſentliche Bedingung der öffentlichen Sicherheit, als die Verhinderung von materiellen Gefährdungen. Nimmt man daher den oben bezeichneten allgemeinen Begriff der Polizei, ſo fällt unzweifelhaft die Verfolgung der Verbrecher zum Zwecke ihrer Beſtra - fung eben ſo nothwendig unter denſelben, als die polizeiliche Verhin - derung von Verbrechen und Gefährdungen. Und nun nennt man der Regel nach die Geſammtheit von polizeilichen Thätigkeiten, welche ſich auf ein bereits geſchehenes Verbrechen und ſeine Verfolgung be - ziehen, die gerichtliche Polizei, während dagegen Thätigkeiten der Polizei, welche es mit der Abwendung von Gefährdungen zu thun haben, die Verwaltungs - oder eigentliche Polizei heißt.
Auch dieß nun wäre einfach, wenn nicht zwei Momente in der Wirklichkeit jene doctrinär ſcharfe Gränze beſtändig wieder verwiſchten, ſo wie es zur wirklichen polizeilichen Funktion kommt. Das erſte liegt16 darin, daß oft dieſelbe Handlung, welche einen verwaltungs-polizei - lichen Akt enthält, auch eine gerichtspolizeiliche iſt, wie das namentlich bei der eigentlichen Sicherheitspolizei beſtändig eintritt. Das zweite liegt darin, daß meiſtens dieſelben Organe beide Arten der Polizei ausüben. Nun würde dieß wiederum ohne große praktiſche Bedeutung ſein, wenn nicht das Recht der gerichtlichen Polizei ein weſentlich anderes wäre, als das der Verwaltungspolizei, und daher die Polizei - organe regelmäßig in ihrer praktiſchen Funktion ſtets unter dieſen bei - den ſo weſentlich verſchiedenen Rechtsſyſtemen zugleich ſtünden. Es tritt daher die Nothwendigkeit ein, hier eine Gränze zu ziehen, welche zwar ſehr ſchwierig feſtzuhalten iſt, aber dennoch für die ſtaatsbürger - liche Freiheit hochwichtig iſt. Und zu dieſem Ende muß es uns erlaubt ſein, zuerſt die ganze Funktion der Rechtspflege zu charakteriſiren, um den Punkt zu finden, auf welchem ſich die gerichtliche Polizei eigentlich anſchließt, und dann die Gränze und den Inhalt des Rechts beider Funktionen zu ziehen.
Wir glauben nun in Beziehung auf das gerichtliche Verfahren ſo kurz ſein zu ſollen, als es irgend möglich iſt. Die Aufgabe des Fol - genden kann es nur ſein, anzudeuten, weßhalb die Frage nach dem Verhältniß der Polizei zum Gerichte und ſeinem Verfahren als eine ſelbſtändige, mit eigener Funktion und eigenem Recht in der Straf - proceßordnung daſtehende behandelt werden ſollte.
Erkennt man nämlich, daß die ganze Strafrechtspflege ſelbſt nur ein beſtimmtes Gebiet der Verwaltung des Rechts iſt, ſo theilt ſich der Strafproceß in vier Theile.
Der erſte Theil iſt der, welcher die Bedingungen für die Auf - ſtellung und Durchführung des ſtrafrechtlichen Beweiſes zu ſuchen und herzuſtellen hat. Der zweite iſt der, welcher mit den auf dieſe Weiſe herbeigeſchafften Mitteln den Beweis führt. Der dritte ſchöpft das Urtheil. Der vierte vollzieht es.
Es iſt nun kein Zweifel, daß der erſte Theil kein Strafverfahren iſt, ſondern im weiteſten Sinne eben das umfaßt und enthält, was wir die gerichtliche Polizei nennen. Die vom Gerichte geforderte Her - ſtellung der Beweismittel wird nämlich zur gerichtlichen Polizei, ſo - bald und in ſo fern dieſelbe durch ein Eingreifen in die Rechtsſphäre des Individuums geſchieht. Dieſer Theil iſt kein Theil des eigentlichen Strafproceſſes; denn das organiſche Weſen des Strafproceſſes iſt eben die Führung des Beweiſes mit den hergeſtellten Beweis - mitteln. Die Scheidung zwiſchen beiden Theilen iſt im Einzelnen oft17 ſehr ſchwer, nicht aber weil die Begriffe, ſondern weil ihre Aeußerun - gen gleichdeutig ſind und in einander übergehen. Unzweifelhaft aber iſt, daß beide Funktionen weſentlich verſchieden ſind und auch oft weſentlich verſchiedene Perſonen betreffen, wie bei Zeugen ꝛc. Steht nun dieß feſt, ſo erſcheint alles, was zur bloßen Herſtellung der Beweismittel dient, eben als der Inbegriff der gerichtlichen Polizei. Und man kann und muß daher, noch ehe man zum Verhältniß derſelben zu der Ver - waltungspolizei übergeht, die Kategorien des allgemeinen Polizeirechts auf dieſen erſten Theil der ſtrafgerichtlichen Thätigkeit anwenden. Die einzige Schwierigkeit wird dabei in der traditionellen Vorſtellung liegen, als ſeien dieſe Funktionen Theile des Strafverfahrens, während ſie ein polizeiliches Verfahren enthalten. In der That, wie könnte das - jenige ein Strafverfahren ſein, dem noch nicht einmal die Gewißheit eines geſchehenen Verbrechens zum Grunde liegt? Geht man daher davon aus, daß alles das, was dem auf der Gewißheit eines geſche - henen Verbrechens begründeten Strafverfahren voraufgeht, ein ſtraf - polizeiliches Verfahren iſt, ſo erſcheinen für das letztere die drei oben bereits bezeichneten Kategorien des allgemeinen Polizeiverfahrens, die Verfügung, die Vollziehung und die Haftung.
1) Die ſtrafpolizeiliche Verfügung des Strafgerichts hat ſtets zum Inhalt, die Herſtellung des Beweiſes zu ſichern. Die Art und das Maß, in welchem ſie in die perſönliche Freiheit eingreift, iſt aller - dings eine weſentlich verſchiedene, je nachdem es ſich um bloße Gegen - ſtände handelt, die im Beſitze einer beſtimmten Perſon ſind, oder um die Ausſagen derſelben, oder um die Sicherung des Verdächtigen. Sie erſcheinen daher namentlich in dem gerichtspolizeilichen Recht der Be - ſchlagnahme und der Hausdurchſuchung, der Vorführung und der Ver - haftung. Wir werden ihnen und der nicht glücklichen Verſchmelzung derſelben mit den ſicherheitspolizeilichen Maßregeln unten wieder be - gegnen.
2) Das Verfahren in Gemäßheit ſolcher Verfügungen iſt nun zwar an ſich einfach, aber ſchon hier tritt der Punkt ein, auf welchem ſich Gericht und Verwaltung ſcheiden. Die gerichtliche Polizei kann nämlich entweder mit ihren eigenen Organen ſelbſt ihre (obigen) Ver - fügungen vollziehen, oder ſie kann zu dieſer Vollziehung die Organe der Verwaltungspolizei benutzen. Im zweiten Falle bedarf die letztere eines formellen Befehles derſelben, und es iſt Grundſatz aller Ver - waltung, daß die Verwaltungspolizei ſolchen Befehlen zu gehorchen hat. Die Fragen aber, die hier entſtehen, bilden einen ſo weſentlichen Theil des Folgenden, daß wir ſie hier nur andeuten.
3) Was endlich die Haftung betrifft, ſo betreten wir hier einStein, die Verwaltungslehre. IV. 218ſchwieriges und wenig geordnetes Gebiet. Die Verantwortlichkeit für Beweis, Urtheil und Exekution liegt nämlich in der Appellation, die im Grunde das vollſtändig geregelte Beſchwerdeverfahren inner - halb der Rechtspflege und berufen iſt, das Muſter des Beſchwerde - verfahrens für die innere Verwaltung zu werden. Die eigentliche Frage über die Haftung für die Aktionen der gerichtlichen Polizei, namentlich bei Verhaftungen u. ſ. w., die ſich durch richterliches Urtheil als ungerechtfertigt zeigen, iſt erſt in neueſter Zeit entſtanden. Offenbar iſt es unmöglich, eine Sicherung für die Verfolgung von Verbrechen herzuſtellen, wenn man die Richter oder den Staatsanwalt perſönlich für jeden mit der Verfolgung von Verbrechen verbundenen Eingriff in die Rechtsſphäre der Perſönlichkeit (wie Verhaftung, Unter - ſuchungshaft ꝛc. ) verantwortlich machen will, wo dieſer Eingriff ſich durch ein freiſprechendes Urtheil als unbegründet, und daher als eine Ver - letzung des individuellen Rechts darſtellt. Denn da ſie vom Staate einen Auftrag erhalten haben, deſſen Ausführung ohne Irrthum unmöglich iſt, ſo folgt daß, ſo lange die letztere die geſetzlichen Formen nicht über - ſchreitet, eben nur der Staat ſelber den Schadenserſatz zu leiſten hat. Doch glauben wir nicht, hier auf dieſe Frage eingehen zu ſollen.
Dieß nun wären diejenigen Punkte, welche den gerichtspolizeilichen Inhalt der Strafproceßordnungen bilden. Bei allen verſchiedenen An - ſichten über Einzelnes wäre es nun gewiß leicht, ſich über das Ganze zu einigen, wenn jene Funktionen ſtets nur von den dienenden Organen der Gerichte ſelbſt ausgeführt werden könnten. Das geſchieht aber nicht nur nicht, ſondern kann auch nicht geſchehen. Und hier iſt es nun, wo die polizeiliche Funktion und die Beſtimmung ihres allgemeinen Rechts eigentlich erſt ihre Schwierigkeit finden.
Es möge uns hier nur geſtattet ſein, darauf hinzuweiſen, daß hier der Ort wäre, an welchem die Frage namentlich nach dem (gerichts - polizeilichen) Zwange zur Zeugnißablage (namentlich auch einer Re - daction bei incriminirten Artikeln), und die Frage nach Caution und Freilaſſung gegen dieſelbe, ſo wie die ganze Frage nach der Unter - ſuchungshaft zu behandeln ſind. Es ſcheint uns unzweifelhaft, daß alle dieſe Unterſuchungen halb in der Luft ſchweben ohne rechte ſyſtema - tiſche und ſtaatswiſſenſchaftliche Heimath, ſo lange die gerichtliche Po - lizei nicht als ein ſelbſtändiger Theil der Strafproceßlehre behan - delt wird. Warum ſollen ſie dieſe organiſche Angehörigkeit erſt der Lehre von der Verwaltungspolizei zu verdanken haben?
Die Nothwendigkeit der Unterſcheidung der obigen beiden Funk - tionen der Polizei beruht nämlich für das praktiſche Recht darauf, daß, wie ſchon angedeutet, jener erſte Theil, die ſtrafgerichtliche Funktion, eben von einem ganz anderen, einem dem Gerichte nicht unterſtehenden Organe, nämlich von dem Organismus der Sicherheitspolizei beinahe ausſchließlich ausgeführt wird, ſo daß wie bekannt die Sicherheits - polizei zugleich die ganze Funktion der ſtrafgerichtlichen Polizei zu über - nehmen hat. Es ergibt ſich daraus, daß man in den Funktionen der Sicherheitspolizei drei Momente zu ſcheiden hat. Das erſte und ein - fachſte iſt das, wo ſie nur als vollziehende Gewalt für die ſtrafgericht - liche Thätigkeit erſcheint; das zweite das, wo ſie als Vertreterin der öffentlichen Sicherheit, ohne Veranlaſſung vom Gerichte zu verlangen, ſelbſtthätig die Verbrechen aufſucht und verfolgt, um ſie dem Gericht zu überliefern; das dritte endlich iſt dasjenige, wo ſie mit geſchehenen Verbrechen überhaupt nichts zu thun hat, ſondern ihrem Begriffe nach nur als Verwaltungspolizei auftritt.
Um nun die Bedeutung dieſer Unterſcheidung zu verfolgen, muß man natürlich vor allen Dingen die Grundlagen aufſtellen, nach welchen ſich für beide Theile, für das gerichtliche und das adminiſtrativ-poli - zeiliche Element, ein beſonderes Recht bildet.
So wie es nämlich feſtſteht, daß die Gerichte zugleich die Funktion haben, nicht bloß den Beweis für ein Verbrechen herzuſtellen und es zu ſtrafen, ſondern auch das geſchehene Verbrechen zu entdecken, ſo haben Gerichte und Polizei dieſelbe Thätigkeit, und in dieſer ſpeziellen Aufgabe ſind die Organe der Polizei den Gerichten untergeordnet. Dieſe Unterordnung iſt es nun, welche das erſte Element des öffentlichen Polizeirechts erzeugt.
So bald es ſich nämlich darum handelt, das Eintreten der Rechts - folgen einer geſchehenen That zu ſichern, ſei es durch Feſtſtellung be - weiſender Thatſachen, ſei es durch Feſthalten und Vorführen verdächti - ger Perſonen, da iſt das Gericht das dazu competente Organ. Das Gericht hat in ſolchem Falle die geſchehene That als ſolche nach dem ihr vorgeſchriebenen Verfahren conſtatirt, und die Thäterſchaft wenig - ſtens wahrſcheinlich gemacht. In dieſem Falle muß das Urtheil dar - über, es müſſen die in Folge deſſelben zu ergreifenden Maßregeln, ſo wie die Beſtimmung der durch dieſe Maßregeln betroffenen Perſon bereits feſtſtehen, ehe ein Schritt geſchieht, der, um die Verwirklichung des Rechts zu ſichern, in die perſönliche Freiheit hineingreift. Und in20 Gemäßheit dieſer gerichtlichen Entſcheidung hat dann die Ausführung Statt zu finden. Dieſe Entſcheidung erſcheint daher hier als ein ge - richtlicher Befehl an die vollziehenden Organe der Verwaltungs - polizei. Die letztere, welche einem ſolchen Urtheil gemäß handelt, hat hier daher ſelbſt kein Urtheil zu fällen, ſondern iſt in der That nichts als die rein vollziehende Behörde für das Urtheil einer anderen. Sie hat daher ihrerſeits nichts zu unterſuchen und nichts zu beſchließen, ſondern ſie hat einfach dem ihr von jenem Organe gegebe - nen Befehle Folge zu leiſten. Sie hat daher auch nichts zu verant - worten, und unterliegt keiner Haftung für das, was ſie thut. Sie hat nur zu ſorgen, daß ihre in Gemäßheit des ihr zugekommenen Be - fehles vorgenommenen Thätigkeiten zur Sicherung der Rechtspflege die Gränze des Nothwendigen nicht überſchreiten; das iſt ihre Funktion, und das iſt ihr Recht. Die Polizei iſt hier nichts als Dienerin des Gerichts. Und in dieſem Sinne iſt ſie eigentlich überhaupt keine Po - lizei, ſondern ſteht in Betreff ihrer Funktion neben dem Gerichtsdiener. Daß ſie und nicht der letztere in dieſen Fällen funktioniren, iſt daher nicht Sache des organiſchen Syſtems, ſondern Sache der Zweckmäßig - keit. Gäbe es keine weſentlich andere Thätigkeit derſelben, ſo gäbe es eigentlich überhaupt keine wahre Polizei.
Es wird daher nothwendig, zunächſt erſt die ſpecifiſch von der obigen verſchiedene, eigentlich verwaltungspolizeiliche Thätigkeit und ihr Recht zu charakteriſiren.
Dieſe nun entſteht da, wo es ſich nicht mehr um eine geſchehene Rechtsverletzung handelt, deren Rechtsfolgen durch die Vollſtreckung ge - ſichert werden ſollen, ſondern um die Herſtellung irgend eines Verhal - tens der betreffenden Perſonen, durch welche eine aus der Thätigkeit oder den Zuſtänden derſelben möglicher Weiſe hervorgehende öffentliche Gefährdung beſeitigt werden ſoll. Es liegt dabei ſchon im Begriff der letzteren, daß ſie noch keine Rechtsverletzung enthalten darf; denn ſo wie dieß der Fall wird, iſt das Einſchreiten von Seiten der Polizei ſchon ein gerichtliches, das zur Aufgabe hat, die Anwendung des Ge - ſetzes gegen die bereits geſchehene Uebertretung zu ſichern. Dieß iſt namentlich da vorhanden, wo eine allgemeine Polizeiſtrafverfügung eine Ordnungsſtrafe auf eine Uebertretung gelegt hat. Hier iſt die Ueber - tretung der Polizeiverfügung nicht mehr eine öffentliche Gefährdung, ſondern ſelbſt ein ſtrafbares Vergehen, deſſen Beſtrafung das betreffende Einſchreiten der Polizei ſichert, das Gericht aber ausſpricht. Wo es ſich dagegen um etwas handelt, was die öffentliche Sicherheit zu ge - fährden droht, da iſt das Einſchreiten der Polizei nicht mehr bedingt durch die Strafandrohung, ſondern durch die Natur der Gefahr, welcher21 begegnet werden ſoll. Es folgt daraus, daß das in dieſem Sinne zu Vollziehende nicht aus dem Urtheil eines Gerichtes, ſondern aus der freien und ſelbſtändigen Beurtheilung des Organes ſelbſt hervorgehen muß, welches eben zu handeln hat. Es folgt weiter, daß Natur und Gränze ſolcher Vornahmen der Polizei daher auch von der Natur und Gränze dieſer Gefahr bedingt ſein müſſen. Es folgt endlich, daß das Organ, welches ſolche Vornahmen ſeinerſeits beſchließt und durchführt, auch für das, was es thut, für die in ſeiner Thätigkeit enthaltene Beſchränkung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit die Verantwortung ſelbſt zu übernehmen hat. Und es ergibt ſich mithin, daß hier dieß Organ als ein ſelbſtthätiges Organ der Verwaltung auftritt, und eine im Weſen der inneren Verwaltung überhaupt lie - gende, durch ihr Princip und durch ihre Objekte nicht etwa auf einem einzelnen Punkte, ſondern vielmehr in allen Gebieten der Verwaltung gleichmäßig vorhandene und nothwendige Funktion der geſammten in - neren Verwaltung iſt. Dieſe Funktion nennen wir nun die Verwal - tungspolizei.
Es ergibt ſich nun daraus zunächſt, daß die gerichtliche Polizei und die Verwaltungspolizei die beiden großen Grundformen aller Po - lizei überhaupt ſind. Die klare und bis ins Einzelne durchgeführte Scheidung beider iſt daher die erſte Bedingung jeder förderlichen wiſſen - ſchaftlichen Bearbeitung der eigentlichen Polizeilehre; ohne allen Zweifel aber iſt eine definitive Geſtaltung deſſen, was wir das Polizeirecht nennen müſſen, überhaupt nur durch dieſe ſtrenge Unterſcheidung mög - lich, und ſpeziell der Begriff der Sicherheitspolizei, wie wir ihn als eigenes Gebiet der inneren Verwaltung im Folgenden aufſtellen müſſen, ohne dieſelbe undenkbar. Denn es ſcheint klar, daß in dem erſten Falle das Recht der Polizei in den großen und allgemeinen Grundſätzen des dienſtlichen Gehorſams, im zweiten dagegen in dem Recht der Polizeiverwaltung ſelber liege. Competenz und Haftung übernimmt im erſten Falle das Gericht, im zweiten die Po - lizei ſelbſt. Demgemäß beruht auch das poſitive Recht des erſten Mo - ments vorzugsweiſe auf den Strafproceßordnungen, das des zweiten auf eigenen Geſetzen. Und es wäre daher bei der großen Einfachheit dieſer Begriffe überhaupt kein Zweifel darüber möglich, daß der Ausdruck „ gerichtliche Polizei “ſtreng im obigen Sinne genommen werden müßte, wenn nicht ein drittes Element, wieder mit eigenem Recht, hinzuträte.
Dieß Element beſteht nun darin, daß die Verwaltungspolizei ihrerſeits auch ohne gerichtliche Aufforderung die allgemeine und ſpe - zielle Verpflichtung hat, die Verbrecher zu verfolgen und ſie den Ge - richten zu überliefern. Sie iſt daher hier in Wirklichkeit eine Polizei22 mit gerichtlicher Funktion; und wir müſſen nur betonen, daß dieſelbe gerade in dieſem Sinne meiſtens die „ gerichtliche Polizei “genannt wird, während man ſie weder als einfache Exekution des Gerichts, noch als reine Verwaltungspolizei ſo nennt. Es iſt nun gegen eine ſolche Bezeichnung durchaus nichts zu erinnern. Nur iſt eins dabei feſtzuhalten. In dieſer ihrer gerichtlichen Funktion tritt nämlich für die Polizei nicht das Recht der gerichtlichen Exekutivpolizei, alſo nicht die Haftung des Gerichts für das, was die Polizei vornimmt, ein, ſondern vielmehr das Recht der Verwaltungspolizei, das iſt das der eigenen polizeilichen Haftung für ihre Maßregeln, ſo daß in dem, was wir im obigen Sinne „ die gerichtliche Polizei “genannt haben, alſo die polizeiliche Verfolgung von Verbrechen ohne Auftrag des Gerichts, eine ſtrafgerichtliche Funktion, verbunden mit verwaltungs - polizeilichem Rechte, vorliegt. Gerade hier liegt daher auch die Schwierigkeit, das Recht der gerichtlichen Polizei mit all der Schärfe zu beſtimmen, welche die Jurisprudenz fordern muß. Und zu dem Ende iſt es ſchon hier klar, daß die Polizei in ihrem Verfahren nicht die Selbſtändigkeit des Gerichts für ihre Maßnahmen in Anſpruch nehmen darf, ſondern daß auch hier das Recht der Verwaltungs - polizei und nicht das Recht des gerichtlichen Einſchreitens die rechtliche Gränze beſtimmt, innerhalb deren die Polizei die Freiheit des Einzelnen zum Zweck der Verfolgung von Verbrechen beſchränken darf. Die Anerkennung dieſes Grundſatzes, die Zurückführung des Rechts der gerichtlichen Polizei auf die Principien der Verwal - tungspolizei bildet den höchſten Ausdruck des verfaſſungsmäßigen Polizeirechts, und bezeichnet den definitiven Uebergang von der ſtändi - ſchen zur ſtaatsbürgerlichen Epoche des Verwaltungsrechts überhaupt. Denn die Geltung des gerichtlichen Rechts für das rein polizeiliche Verfahren, welches die erſtere Epoche charakteriſirt, legt das Urtheil über die Rechtlichkeit des Einſchreitens eben in die Hand der Polizei, das iſt in die des vollziehenden Organes, und das iſt es, was die ſtaatsbürgerliche Freiheit des Einzelnen principiell des Schutzes gegen die Willkür und den Irrthum der Polizei beraubt, indem es dieſe richterliche Competenz einem für die richterliche Funktion weder berufe - nen noch geeigneten Organe überweist. Erſt nach dieſem Punkte entſcheidet es ſich daher auch, ob ein richtiges Verſtändniß des Weſens der Polizei vorhanden iſt oder nicht, und von dieſem Geſichtspunkte aus muß auch die Bewegung der hier einſchlagenden Literatur beur - theilt werden.
Denn nun wird es, denken wir, klar ſein, weßhalb man einerſeits die Polizei als weſentlich für die Verfolgung der Verbrechen beſtimmtes23 Organ bezeichnet hat, wie in Frankreich, während man andererſeits, wie in England, trotzdem mit ſolcher Schärfe die rechtliche Gränze für die Funktionen der Polizei feſthält. In Deutſchland iſt das poſitive Recht viel klarer als die Literatur, namentlich weil das erſtere von Juriſten ausgegangen iſt, die leider die Polizeiwiſſenſchaften den Staats - wiſſenſchaften ausſchließlich überlaſſen haben. Aber auch die nächſte Aufgabe der Folgezeit liegt damit vor. Auch wir müſſen der Polizei die Verpflichtung zur Verfolgung und Verhütung von Verbrechen un - bedingt zuweiſen. Aber wir müſſen dabei feſthalten, daß die Gränze ihres Rechts gegenüber der perſönlichen Freiheit ſowohl im Allgemeinen als in den beſonderen Polizeifunktionen in den Grundſätzen liegt, welche das Recht der Verwaltungspolizei im Allgemeinen, wie das Recht der Sicherheitspolizei im Beſonderen aufſtellen.
Dieß nun zu ſuchen, iſt der Zweck des Folgenden. Und das Ver - waltungspolizeirecht, welches ſich daraus ergibt, wird dann, und das iſt ſein wahrer Werth, zugleich das Recht der gerichtlichen Polizei im obigen Sinne ſein, das iſt derjenigen Polizei, welche Verbrechen aufſucht und zur Beſtrafung bringt, ſo weit ſie dafür keinen gerichtlichen Befehl beſitzt.
Man wird am beſten die ganze bisherige Literatur nach zwei durch - greifenden Epochen oder Richtungen ſcheiden.
Die erſte iſt die, welche anſtatt der Scheidung zwiſchen der gericht - lichen und der Verwaltungspolizei es nur zu einer Scheidung zwiſchen der Wohlfahrts - und Sicherheitspolizei bringt. Dieſe Auffaſſung iſt nichts anderes, als eine Entwicklung der eudämoniſtiſchen Verwal - tungsanſchauung des vorigen Jahrhunderts, in der man anfangs in ziemlich unbeſtimmter Weiſe die poſitiven, direkt förderlichen Funktio - nen der „ Polizei “als Wohlfahrts -, die negativen, direkt vor Gefahren ſchützenden Funktionen derſelben als Sicherheitspolizei bezeichnete. Die gerichtliche Polizei, welche dabei zur Aufgabe hatte, durch Verfolgung der Rechtsverletzungen das Recht zu ſchützen, fällt dadurch unmittelbar in die Sicherheitspolizei. Das iſt im Weſentlichen die Vorſtellung, wie ſie bei Sonnenfels, Berg, Jacob u. A. herrſcht, und ſich bis in unſer Jahrhundert hineinzieht. Die Entwicklung dieſes Standpunktes beſteht nun in der, allerdings mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts immer beſtimmter werdenden, ſtrengeren Scheidung zwiſchen beiden Gebieten, die ſchon von Juſti (Band 13, Hauptſtück 47) klar gefühlt wird, aber erſt, und zwar weſentlich durch den Einfluß der franzöſiſchen Auffaſſung, mit Pölitz und Aretin recht ſcharf hervortritt. Pölitz (Encykl. der Staatswiſſenſchaften I. 11 und namentlich II. 274 ff. ) erkennt deutlich die24 Verſchiedenheit der Funktion, und Aretin (Staatsrecht der conſtitu - tionellen Monarchie II. 2. Abthl. 177 ff. ), kommt ſogar ſchon zu dem Gedanken einer „ Rechtspolizei “und iſt ſomit der erſte Vertreter der Idee eines Rechtsſtaats gegenüber dem eudämoniſtiſchen Polizeiſtaat. Allein das ſpezifiſche Weſen der Polizei wird auch ihm nicht recht klar. Es blieb deßhalb die ganze Literatur bei dem abſtrakten Begriffe ſtehen; das, worauf es ankam, den Begriff und den Inhalt des Polizeirechts, konnte man unter dieſen Umſtänden natürlich nicht finden, namentlich da auch der ſelbſtändige Begriff der Verwaltung gegenüber der Ver - faſſung noch gänzlich fehlte. Dazu kam die vollſtändige Unklar - heit der Doktrin des öffentlichen Rechts ſowohl der deutſchen Länder als der einzelnen Territorien, welche ſich durchaus nicht von der un - glücklichen Vorſtellung los machen konnte, als ſei die „ Polizei “ein „ Hoheitsrecht. “ Die Hoffnungsloſigkeit der Verwirrung bezeichnet ſehr gut der im Einzelnen ſo klare, im Ganzen ſo unſyſtematiſche Klüber (Oeffentl. Recht des deutſchen Bundes §. 380. 381). Die deutſchen Staats - und Bundesrechtslehrer haben die Sache ohne viel Nachdenken hingenommen, und mit fleißig gehäuftem Material den Mangel zuzu - decken geſucht; ſo noch zuletzt Zöpfl mit ſeiner „ Polizeihoheit “(II. §. 480). An einen Fortſchritt war von dieſer Seite nicht zu denken.
Derſelbe kam dagegen von Frankreich; und zwar auch nicht durch theoretiſche Reflexion, ſondern durch den lebendigen Gang der freien Rechtsentwicklung. Die Beſeitigung der grundherrlichen Verwaltung hob hier die polizeiliche Funktion der Gerichte auf, und mußte daher con - ſequent auch die gerichtliche Funktion der Polizei beſeitigen. Der Ge - danke, den Staatsbürger ohne Urtheil in ſeiner Freiheit beſchränken zu laſſen, widerſprach dem neuen Staatsbürgerthum. Es ward daher durchgreifender Grundſatz des neuen franzöſiſchen Rechts, die geſammte gerichtliche Funktion der Polizei zu entziehen und dieſelbe den Ge - richten als police correctionnelle zu übergeben. Damit ward es denn nothwendig, in dem bisherigen allgemeinen Begriff der Polizei jene Unterſcheidung eintreten zu laſſen, die wir angeführt, und die gericht - liche Polizei neben der Verwaltungspolizei ſelbſtändig hinzuſtellen; nur daß man dabei wieder nach der alten Theorie nicht zum Begriff der Verwaltungspolizei gelangte, ſondern nur von der Sicherheitspolizei ſprach. Die erſte formell ausgeſprochene Beſtimmung der Polizei in dieſem Sinne iſt wohl die des ſog. Code de Brumaire, an IV, art. 16: „ La police est instituée pour maintenir l’ordre public, la liberté, la propriété, la sûreté individuelle. “ (Dazu Polizeiordnung vom 12. Mess. an VIII.) Der Code d’Instr. cr., art. 8, beſtimmt die Sache noch genauer und definirt die gerichtliche Polizei: „ La police judiciaire a pour objet de25 réchercher les délits, d’en rassembler les preuves, et d’en livrer les auteurs aux tribunaux „ — dem dann die ſpätere Theorie ganz conſequent die Verwaltungspolizei zur Seite ſtellte: „ La police administrative consiste dans le maintien habituel de l’ordre public dans chaque lieu et dans chaque partie de l’administration générale. “ Laferrière, Dr. publ. et adm. II. Observat. prélim. Die übrige Literatur hält dieſe Scheidung aufrecht und führt ſie im Detail durch, indem ſie das polizeiliche Verwaltungsrecht der einzelnen Gebiete der Polizei daran an - knüpft. (S. die Literatur bei Block, Dict. de l’Adm. v. Police.) Frank - reich hat daher eine eigene ſelbſtändige Polizeirechtslehre; weßhalb aber dennoch dieſelbe nicht zu einem Syſtem geworden iſt, ſondern in lauter einzelnen Bruchſtücken auftritt, wird ſich unten erklären. Theoretiſch iſt die Polizei ganz in demſelben Sinne auch in Holland weſentlich als Schutz gegen Verbrecher und als Mittel ihrer Entdeckung aufgefaßt (de Bosch-Kemper, Staatsregt §. 338), obgleich ſie auch dort praktiſch zugleich Verwaltungspolizei iſt und zu dem Ende ihr eigenes nicht unwichtiges Verordnungsrecht hat (ſ. unten).
Dieſe franzöſiſche Bewegung hat nun in den deutſchen Staaten erſt Platz gegriffen mit dem allgemeinen Streben, die Adminiſtration von der Juſtiz zu ſcheiden und zugleich an die Stelle der bisher meiſt willkür - lichen Polizeiſtrafrechte ein geſetzliches Recht zu ſtellen. Das geſchah namentlich dadurch, daß das Polizeiſtrafgeſetz nach franzöſiſchem Muſter in die Strafgeſetzbücher überging, wovon unten. Allein zur Klarheit kommt auch dieſe Epoche nicht recht, bis die neueſten Polizeiſtrafgeſetz - bücher den Gegenſtand eingehender Debatten bilden. Erſt hier tritt der Begriff eines eigenen Polizeirechts auf; aber er leidet ſelbſt da noch an dem großen Mangel, daß zum Theil die Polizeiorgane noch eigene Gerichtsbarkeit behalten und über die von ihnen ſelbſt aufge - ſtellten Verordnungen Recht ſprechen, während man andererſeits nie - mals zur klaren Unterſcheidung von Klag - und Beſchwerderecht gelangte, ohne welche eine definitive Geſtaltung dieſer Begriffe nicht denkbar iſt. Als den Uebergang zu dieſer Epoche, in deren Beginn wir ſtehen, kann man die Vorſtellung von einer ſog. „ Präventiv-Juſtiz “bezeichnen, die ſchon in ihrem Namen ihren Widerſpruch enthält, obwohl Mohl ihr ein eigenes Buch gewidmet hat, dem vor allem neben der hier unumgänglich nothwendigen Berückſichtigung des poſitiven Rechts die Klarheit des Begriffes ſelbſt fehlt. Denn es leuchtet ein, daß das, was ein Verbrechen hindert, das noch nicht geſchehen iſt, ſondern zu geſchehen droht, keine Juſtiz, und daß das, was ſich auf ein bereits geſchehenes Verbrechen bezieht, wieder keine Prävention ſein kann. Denn ſelbſt der Verſuch zu einem Verbrechen iſt ja ein Verbrechen,26 und wird beſtraft, während die Ueberſchreitung der gültigen Polizei - vorſchriften eben dadurch, daß die letzteren ein geltendes Recht bilden, ein ſtrafbares Vergehen bilden. Eine Vermiſchung beider Funktionen wird unter dieſen Umſtänden nur dadurch erklärlich, daß dieſelben von denſelben Organen und oft in derſelben Aktion vorkommen, wie bei der handhaften That; allein ihr Weſen bleibt verſchieden und daher haben ſie auch ein weſentlich verſchiedenes Recht. An dieſem Rechte nun wird der innere Unterſchied ein äußerer, und daher wird die juriſtiſche Auffaſſung auch hier die formale Grundlage und der prak - tiſche Ausgangspunkt des Syſtemes bleiben.
Das allgemeine Verwaltungs-Polizeirecht in dem obigen Sinn iſt daher das Recht der polizeilichen Thätigkeit an ſich, noch ohne be - ſtimmte Beziehung auf einen einzelnen Gegenſtand, inſofern dieſe Thätigkeit um der Erhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit willen eine Beſchränkung der perſönlichen Freiheit enthält; und zwar dem Obigen gemäß nicht bloß in Beziehung auf die Verhütung un - mittelbar drohender Gefahren, ſondern auch in Beziehung auf die Ver - folgung von Verbrechen, ſo weit eben die Polizei hier kraft ihrer orga - niſchen Beſtimmung und nicht kraft eines richterlichen Befehles handelt.
Die Aufgabe dieſes allgemeinen Polizeirechts beſteht nun darin, für jene Thätigkeit, ſo viel als thunlich iſt, anſtatt des ſubjektiven Ermeſſens der Polizeiorgane eine geſetzliche Gränze zu geben, welche eben dadurch die geſetzliche, von der Polizei in ihrer Funktion nicht zu überſchreitende Gränze der ſtaatsbürgerlichen Freiheit des Einzelnen enthält.
Dieſes Polizeirecht nun wird, wie geſagt, theils durch ſpezielle Ge - ſetze, theils wo dieſelben nicht vorhanden ſind, durch Verordnungen ge - bildet. Die Verfaſſungsmäßigkeit deſſelben erſcheint dadurch, daß durch das Syſtem des Klage - und Beſchwerderechts die wirkliche Aktion der Polizei ſtets auf die in den Geſetzen beſtehenden Gränzen zurück - geführt wird.
Das Syſtem des allgemeinen Polizeirechts enthält demnach die drei ſchon oben angedeuteten Theile: das Recht der Polizeiver - fügung, das Recht des Polizeiverfahrens, und das Recht der Haftung der Polizei für dasjenige, was ſie in Verfügung und Ver - fahren wirklich als Beſchränkung der individuellen Freiheit ausgeführt27 hat. Und es iſt auch dabei wieder feſtzuhalten, daß dieſe drei Mo - mente auch für das gelten, was wir die gerichtliche Polizei genannt haben.
Das Princip des Rechts aller Verwaltungspolizei, auch der ge - richtlichen, iſt an ſich ziemlich einfach. Es beruht daſſelbe auf dem Weſen der Gefährdung, wobei die Strafloſigkeit der Verbrechen gleich - falls zunächſt als eine Art der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgefaßt werden muß.
Das Weſen der „ Gefährdung “nämlich bringt es mit ſich, daß es unthunlich iſt, die Gränze des Gefährlichen von dem Ungefährlichen in objektiver Beſtimmung zu ſcheiden, oder diejenigen Maßregeln ob - jektiv feſtzuſtellen, welche jedesmal vorgenommen werden müſſen, um der Gefahr vorzubeugen. Es iſt vielmehr klar, daß dieß Einſchreiten gegen die öffentliche Gefährdung wenigſtens in einer von vorn herein unbeſtimmbaren Maſſe von Fällen demjenigen Organ überlaſſen werden muß, das der Staat zur Wahrung der allgemeinen Sicherheit aufſtellt. Das dafür eingeſetzte Organ nennen wir nun die Polizei. Die Beſtimmung der Polizei, die ſomit in ihrem Weſen liegt, gibt ihr damit die Verpflichtung, dasjenige zu thun, was als Bedingung für die Abwendung der öffentlichen Gefahr nothwendig erſcheint, und mithin auch das Recht, diejenige Beſchränkung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit eintreten zu laſſen, welche als Bedingung der öffentlichen Sicher - heit erſcheint. Und das Recht auf dieſe Maßregeln bildet das Recht der Verwaltungspolizei.
Die Wichtigkeit der möglichſt ſcharfen Beſtimmung dieſes Rechts, ſowohl in ſeinem allgemeinen Princip als in ſeinen einzelnen Momen - ten, beruht nun in Folgendem:
In der That iſt es nämlich unmöglich, in dem ganzen Gebiete dieſer polizeilichen Thätigkeit mit dem poſitiven Recht im Einzelnen auszureichen. Es muß vielmehr unabweisbar dem Organismus der Polizei überlaſſen werden, ſelbſtändig und einſeitig über dasjenige zu entſcheiden, was in jedem einzelnen Falle für die öffentliche Sicher - heit nothwendig iſt, und die Einzelnen müſſen ſich demſelben eben ſo nothwendig unterwerfen. Nun aber enthält jedes Einſchreiten der Polizei eine Beſchränkung der perſönlichen Freiheit. Es ergibt ſich daraus, daß die Aufgabe der Polizei das Recht derſelben involvirt, durch ihre Thätigkeit, und zwar ganz nach ihrem Ermeſſen, in die Sphäre der perſönlichen Freiheit hineinzugreifen. Es iſt nicht möglich, der Polizei dieß Recht zu nehmen, wenn man ihr die Verantwortlichkeit28 für die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit geben will. Und auf dieſe Weiſe wird das Recht die Verwaltungspolizei, während es die Sicherheit aller gewährt, andererſeits als eine Gefährdung der öffentlichen Frreiheit des Einzelnen erſcheinen.
Es iſt dieß der Punkt, auf welchem ſich die mit dem vorigen Jahrhundert entſtehende tiefe Abneigung gegen ein Inſtitut und ein Recht erklärt, deſſen Nothwendigkeit und Nützlichkeit dennoch von nie - mandem bezweifelt ward. So wie die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft auf - tritt, wird das Gefühl allgemein, daß die Unverletzlichkeit der indivi - duellen Rechtsſphäre die erſte Bedingung der ſtaatsbürgerlichen Freiheit und Entwicklung, und daß daher in jener Geſtalt des Polizeirechts der lebendige und demnach nie zu beſeitigende Feind der freien Bewegung des Volks gegeben ſei. Dieſer Gegenſatz charakteriſirt nun das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts, und der Haupteindruck deſſelben beſteht in der Thatſache, daß man über - haupt gar nicht zu einem Begriff oder einer Anerkennung des Rechts der Polizei kommt, ſondern von vorn herein geneigt iſt, alles, was „ Polizei “bedeutet, als gleichbedeutend mit Reaktion und Regierungs - willkür anzuſehen, was natürlich dadurch nur noch allgemeiner ward, daß man ohnehin keine Selbſtverwaltung zuließ, und das Vereinsweſen auf der niederſten Stufe ſtand. Das war im Allgemeinen der Stand - punkt dieſer Zeit; derſelbe iſt aber kein europäiſcher, ſondern ein ſpe - cifiſch deutſcher, indem Frankreich ſchon damals die Polizei mit ihrem Recht ſehr klar anerkannte und behandelte, während England ſie durch ſeine Geſetze mit vollem Bewußtſein auf ihr geringſtes Maß zurück - führte. Auch in Deutſchland wird dieß mit dem Siege der freien Auf - faſſung allgemein, und damit beginnt die Epoche, in der wir gegen - wärtig ſtehen.
So wie nämlich das freie Staatsbürgerthum in dem öffentlichen Recht zum Siege gelangt, wird es klar, daß auch die freieſte Verfaſ - ſung der Polizei und ihres Rechtes nicht entbehren kann, und daß daher nicht in der Beſeitigung der Polizei, ſondern vielmehr in der Zurück - führung derſelben auf ihr richtiges Maß die wahre Aufgabe der ſtaatsbürgerlichen Epoche liege. Damit nun entſtand das Streben, dieſe Beſchränkung derſelben auf das Nothwendige für die öffentliche Sicher - heit auch wirklich zu formuliren, und ſo mit der Sicherung des Ein - zelnen vor öffentlichen Gefahren auch die Sicherung der freien Be - wegung des Volkes vor der Polizei zu verbinden. Aus dieſem Streben entſteht nun das, was wir das verfaſſungsmäßige Polizeirecht nennen, und das in Princip, Umfang und Form ein weſentlich charak - teriſtiſches Element des geſammten öffentlichen Rechts bildet.
29Das verfaſſungsmäßige Polizeirecht erſcheint daher zunächſt nicht als ein einzelnes beſtimmtes Gebiet, ſondern es tritt vielmehr in allen Theilen der Verwaltung auf, und in dieſem Sinne iſt es gar kein Zweifel, daß auch die geſammte gerichtliche Polizei nach ihrem oben aufgeſtellten Begriff dem verfaſſungsmäßigen Polizeirecht eben ſo gut angehört, als die Verwaltungspolizei. Allein eben weil ſich das verfaſſungsmäßige Polizeirecht auf dieſe Weiſe durch das ganze Gebiet aller Verwaltung, Staatswirthſchaft, Rechtspflege und Inneres hindurch zieht, erſcheint es von vorne herein unthunlich, daſſelbe in gleicher Form wie alles übrige öffentliche Recht geſetzmäßig zu codificiren. Die Unmöglichkeit einer ſolchen ſelbſtändigen Codification hat nun zwar die theoretiſche Anerkennung jenes Begriffes als eines organiſchen im öffentlichen Recht allerdings bisher gehindert, und die Doktrin eines eigenen „ Polizeirechts “und ſeiner Wiſſenſchaft noch nicht zugelaſſen. Allein die Sache ſelbſt iſt dennoch da, und es iſt kein Zweifel, daß ſie damit auch einer wiſſenſchaftlichen Behandlung entgegen geht. Es kommt zunächſt nur darauf an, die Elemente dieſes verfaſſungsmäßigen Polizeirechts feſtzuſtellen, und demnach das geltende Polizeirecht der einzelnen Staaten in ſeinem Werthe zu meſſen. Dieſe Elemente aber ſind folgende:
Das Princip der Verfaſſungsmäßigkeit des Polizeirechts nämlich beruht darauf, daß die Funktion aller Polizei nicht mehr als eine geſetzgeberiſche, wie im vorigen Jahrhundert, ſondern als eine ver - ordnungsmäßige angeſehen wird, und daß daher das von uns in der vollziehenden Gewalt aufgeſtellte Recht der Verordnungen gegenüber den Geſetzen für die geſammte Funktion der Polizei zur Geltung gelangt.
Daraus folgt zuerſt, daß das Recht der Polizei grundſätzlich nur ſo weit geht, als es mit dem beſtehenden Rechte der Geſetze nicht in Widerſpruch tritt. Die Gränze des Polizeirechts iſt daher das Geſetz oder ſoll es ſein. Das iſt der erſte leitende Grundgedanke alles Polizeirechts der verfaſſungsmäßigen Zuſtände.
Dieſes allgemeinſte Princip ſetzt nun voraus, daß eben wirkliche Geſetze vorhanden ſind, um dieſe Gränze der Polizei auch wirklich beſtimmen zu können. Denn das Weſen des verfaſſungsmäßigen Ver - ordnungsrechts zeigt, daß da, wo das Geſetz fehlt, die Verordnung das Recht hat, dieſelbe mit vollem Recht der Geſetze zu erſetzen, und daß, wenn dadurch eine Beengung des freien ſtaatsbürgerlichen Rechts ent - ſteht, die Verordnungsgewalt nicht haftbar, ſondern daß es Sache der Geſetzgebung iſt, durch ſpezielle Geſetze der letztern ihre Gränze vorzu - zeichnen. Um zu einem wirklichen verfaſſungsmäßigen Verordnungs - recht zu gelangen, muß daher die Geſetzgebung nunmehr die Aufgabe30 anerkennen, ein geſetzliches Polizeirecht zu ſchaffen, und ſomit die ſtaatsbürgerliche Freiheit durch Geſetze ſtatt durch Verordnungen in ihrer Sphäre zu beſchränken, wo die öffentliche Sicherheit dieß fordert.
Allein dabei ſteht zweitens feſt, daß eine allgemeine Codification des Polizeirechts überhaupt eben ſo unthunlich iſt, als eine genauere Beſtimmung der Funktion der Polizei in jedem einzelnen Falle. Die Bildung des verfaſſungsmäßigen Polizeirechts muß daher einen andern Weg einſchlagen, und hat dieß auch bisher in ganz naturgemäßer Weiſe gethan. Dieſelbe tritt nämlich in zwei Richtungen ein, die, wie wir gleich hier bemerken wollen, nicht gleichmäßig ausgebildet ſind. Es iſt vielmehr gewiß, daß der Charakter des Polizeirechts eines jeden Landes in dem Verhältniß beſteht, in welchem dieſe beiden Richtungen neben einander zur Geltung und zur Entwicklung gediehen ſind.
Die erſte und natürlichſte dieſer Richtungen beſtand darin, daß man, ſo weit thunlich, das Recht aller Polizei in einzelnen Geſetzen für die einzelnen polizeilichen Aufgaben feſtſtellte, welche dann die Gränze für die Berechtigung der Polizeifunktion in ihrer Beſchränkung der perſönlichen Freiheit bilden. Wir bemerken dabei nur, daß dieſe Geſetzgebung in vier Gruppen erſcheint. Die erſte iſt in der Auf - nahme gewiſſer Geſetze für die Sicherheitspolizei in die verſchiedenen Verfaſſungen gegeben. Die zweite beſteht in den Rechtsbeſtimmungen über die Finanzbehörden (Regalien und Steuererhebung), die dritte in den Strafproceßordnungen (gerichtliches Polizeirecht), die vierte endlich in den Geſetzen über die innere Polizei. Die letztern nennt man zweckmäßig die eigentliche Polizeigeſetzgebung. Es wird unſre Aufgabe ſein, ſie weiter unten näher zu charakteriſiren.
Die zweite der obigen Richtungen enthält nun das Syſtem der rechtlichen Verantwortlichkeit und Haftung der Polizeiorgane für das, was ſie im Namen des Polizeirechts wirklich ausgeführt haben. Dieß Syſtem iſt nun allerdings formell mit einiger Schwierigkeit auf - zuſtellen; in Wirklichkeit aber iſt es ſehr einfach, und wir werden es gleichfalls unten ausführen.
Dieß ſind nun die beiden Grundlagen für die Bildung des poſi - tiven Polizeirechts als eines ſelbſtändigen, aber formell mit dem ge - ſammten Gebiete der Verwaltung innig verſchmolzenen Theiles des öffentlichen Rechts. Die „ Polizeigeſetzkunde “oder das „ Polizeirecht “der einzelnen Staaten wird demnach die Geſammtheit eben jener ein - zelnen Geſetze enthalten, vermöge welcher das an ſich dem Ermeſſen der Polizei überlaſſene Recht derſelben ſo weit möglich objektiv beſtimmt wird. In dieſem Sinne iſt der Begriff des Polizeirechts ein ſehr ein -31 facher. Verwiſcht wird die Beſtimmtheit deſſelben nur dann, wenn man, wie es allerdings der Regel nach geſchieht, wieder einen Theil der eigent - lichen Verwaltungsgeſetze mit den Polizeigeſetzen zuſammenwirft.
Allein offenbar mangelt auch dieſem Standpunkt, obwohl der Fort - ſchritt, der in demſelben liegt, ein ganz unverkennbarer iſt, ein weſent - liches Moment. Da nämlich die Polizeigeſetzgebung oder das poſitive Recht der Polizei eben nicht ausreicht, ſo iſt es klar, daß man die un - vermeidlichen Lücken, welche dieſelbe ſtets hinterläßt, mit dem Elemente der allgemeinen Auffaſſung des Polizeirechtes erſetzen, und in dieſem allgemeinen Theil des Polizeirechts die Quelle für den Erſatz der be - ſondern Beſtimmungen zu ſuchen hat.
In dieſem Sinne haben wir verſucht, dieſen allgemeinen Theil des Polizeirechts zu einem ſelbſtändigen Theile des Verwaltungsrechts zu erheben, und daran das beſondere Polizeirecht anzuſchließen. Und es folgt, denken wir, faſt von ſelbſt aus dem früheren, daß dieſer all - gemeine Theil ſich in die drei bereits oben bezeichneten Abſchnitte theilen muß, in das allgemeine Recht der Polizeiverfügung, das des Polizei - verfahrens, und das der polizeilichen Haftung. Und nun zum Schluß möge noch einmal hervorgehoben werden, daß dieß ganze Polizeirecht nur ſo weit gilt, als die Polizei nicht auf Befehl des Gerichts handelt, dann aber auch da, wo es ſich um die Entdeckung und Verfolgung bereits begangener Verbrechen handelt, eben ſo weit noch kein gericht - licher Befehl vorliegt.
Das Recht der Polizeiverfügung beruht auf der organiſchen Funktion der Polizei, die öffentliche Ordnung durch Beſchränkung der Freiheit des Einzelnen zu ſichern, indem die letztere in ſo weit von der Polizei gefordert wird, als dieſelbe einzelne in dieſer Freiheit liegende Hand - lungen für öffentlich gefährlich, oder aber die Vornahme gewiſſer anderer Handlungen als eine Bedingung der öffentlichen Sicherheit erkennt. Die Polizeiverfügung iſt dieß auf dieſer Erkenntniß beruhende öffentliche Verbot oder Gebot der betreffenden Handlungen des Einzelnen. Das Recht der Polizei auf den Erlaß ſolcher Verfügungen iſt daher an ſich und organiſch durch das Weſen der Polizei ſelbſt ge - geben, und die formellen Anerkennungen deſſelben in den Geſetzen der einzelnen Staaten müſſen daher nicht als der wahre Rechtsgrund,32 ſondern nur als die öffentlich rechtliche Formulirung deſſelben angeſehen werden. Die Polizei hat an ſich das Recht zu Polizeiverfügungen, und keine Geſetzgebung der Welt hat es der Polizei jemals beſtritten oder verweigert.
Die Competenz zum Erlaß der Polizeiverfügung überhaupt — noch ohne Beziehung auf das Polizeiſtrafrecht — iſt eben deßhalb durch die Natur der Funktion jedes einzelnen Organes gegeben, auch ohne daß ſie beſtimmt ausgeſprochen oder formulirt wäre. Jedes Organ der Verwaltung hat die, für die Sicherung ſeiner ſpeziellen Funktion nothwendige Beſchränkung der Thätigkeit des Einzelnen durch Gebot und Verbot zu beſtimmen. Es gehören daher zum allgemeinſten Begriffe der Polizeiverfügungen auch diejenigen Anordnungen irgend einer Behörde, welche ſich auf ihren ſpeziellen Dienſtverkehr mit dem Einzelnen beziehen. (Bureaudienſtvorſchriften ꝛc.) Indeſſen verſteht man unter Polizeiverfügungen im eigentlichen Sinne doch nur diejenigen, welche das Verhalten des Einzelnen und ſeiner Thätigkeit zum öffent - lichen Verkehr betreffen. Und hier kann es kein Zweifel ſein, daß die Competenz zu ſolchen Verfügungen nur denjenigen Organen zuſteht, welche für die Sicherheit eben dieſes öffentlichen Verkehrs zu ſorgen haben. Dieſe nun ſind entweder ſtaatliche Organe, oder Organe der Selbſtverwaltung, alſo weſentlich Gemeindeorgane. Die Natur der Sache bringt es mit ſich, daß die ſtaatlichen Organe die allgemeine Sicherheit, die Gemeindeorgane die örtliche aufrecht halten. Die Gränze zwiſchen beiden Begriffen iſt daher auch im Grunde die Gränze zwiſchen der Com - petenz der ſtaatlichen und der Gemeindebehörde. Und es folgt daraus, daß grundſätzlich die Gemeindeordnungen die Grundlage der Competenz zum Erlaß von Polizeiverfügungen enthalten; während eine ſolche Com - petenz für Vereine nur ausnahmsweiſe bei ſolchen Erwerbsgeſellſchaften eintritt, die mit dem öffentlichen Verkehr zu thun haben, wie Eiſen - bahngeſellſchaften u. a. Dagegen haben die Regierungen faſt durchgehend den Grundſatz feſtgehalten, daß diejenigen ortspolizeilichen Vorſchriften, welche ſich zugleich auf allgemeine Verkehrsverhältniſſe beziehen, einer höheren amtlichen Beſtätigung bedürfen, was in Bayern, Württemberg, Baden ausdrücklich vorgeſchrieben iſt, während in andern Staaten die Natur der Sache das Geſetz erſetzen muß.
Das Recht ſolcher Verfügungen iſt nun dem Principe nach ſehr einfach. Da jede Verfügung einen Willensakt der vollziehenden Gewalt enthält, ſo fordert dieſelbe zunächſt den ſtaatsbürgerlichen Gehorſam. Der Einzelne iſt nicht zum Widerſtande berechtigt. Er hat ſelbſt die Com - petenz der betreffenden Behörde nicht zu unterſuchen; wohl aber hat er das Recht, zu fordern, daß die Verfügung als Wille und Vorſchrift33 eines (öffentlichen) Verwaltungsorgans auch wirklich legitimirt werde. Ueberſchreitet dann ſeiner Meinung nach das Organ das Recht eines Geſetzes, ſo hat er dafür das Klagerecht; überſchreitet es das Recht einer Verordnung, ſo hat er das Beſchwerderecht. Das allgemeine Recht der Verfügung iſt daher das allgemeine Haftungsrecht der Polizei, das unten zu bezeichnen iſt. Wenn aber für eine Verfügung eine ge - ſetzliche Form vorgeſchrieben, und dieſe nicht eingehalten iſt, ſo iſt in der That die Verfügung ſelbſt keine Verfügung mehr, und gibt offenbar das Recht des Widerſtandes, ſo weit eben die Verfügung ſelber geht.
Dieß ganze allgemeine Verfügungsrecht iſt nun wohl eigentlich nie - mals zweifelhaft geweſen und daher auch in der Theorie nur ſo weit beachtet, als es ſich um die Competenzverhältniſſe handelte. Eine be - ſtimmte Geſtalt gewinnt die Frage erſt in dem Recht der Polizeiſtrafe. Und es iſt nicht zu verkennen, daß der einzige Mangel der über den letztern Punkt vorliegenden Arbeiten weſentlich nur in dem Fehlen der Unterſcheidung zwiſchen Polizeiverfügungs - und Polizeiſtrafrecht liegt, die wir nunmehr beſonders zu betrachten haben.
Wir glauben daher auch hier für Literatur und Geſetzgebung mit einigen kurzen Andeutungen ausreichen zu können, ſpeziell über die Literatur der Competenz zur Polizeiverfügung überhaupt und ihre Ge - ſchichte. Das Beſte iſt noch immer für die frühere Zeit Malchus, Politik der innern Staatsverwaltung (I. Theil Organismus der Be - hörden 1823). Speziell §. 33. Klüber, Oeffentliches Recht §. 380 ff. Vergl. Aretin, Conſtitutionelles Staatsrecht II. Bd. 2. Abth. S. 172. Mohl, Polizeiwiſſenſchaft I. Rau, Begriff und Weſen der Polizei. Zeitſchrift für Staatswiſſenſchaft 1853. Ein recht guter Artikel im Staatswörterbuch „ Polizei. “ Der Gedanke, daß die Sicherheits - polizei ſelbſtändig, und in jedem Staate individuell entwickelt und ge - ſtaltet iſt, wird nicht genug feſtgehalten. Ueber Begriff und Weſen des Organismus ſ. Stein, Vollziehende Gewalt S. 223 ff. Geſetzgebung und Recht.
England. Frühere Geſchichte: Gneiſt, Engliſches Verfaſſungs - und Verwaltungsrecht I. 105 und a. a. O. — Gegenwärtig: Oberſtes Organ: Miniſter des Innern als oberſter Friedensrichter. Beamtete: Friedensrichter mit amtlicher Competenz, aber unter voller Haft - barkeit vor dem bürgerlichen Gericht. Selbſtverwaltung: Die Gemeinden haben das Recht auf örtliche Polizeigeſetze, bye-laws, und Organe derſelben, gleichfalls unter richterlicher Haftung. DieStein, die Verwaltungslehre. IV. 334höhere Polizei iſt durch die ſtaatsbürgerlichen Rechte begränzt. (Gneiſt I. und II.)
Frankreich. Die klarſte Organiſation in Europa, aber mit dem Princip der völligen Ausſchließung der Selbſtverwaltungspolizei. Selbſtändiges Auftreten der königlichen Polizei gegenüber der Patri - monialgerichtsbarkeit des Seigneurs. (Akten des Parlaments. Dec. 1561.) Verbot an die Juges seigneuriaux de faire des actes de police; der Chancelier de France wird chef de la justice et de la police. (Arr. vom 28. Sept. 1584.) Lieutenant de Police. (Edikt vom 15. März 1667 und Okt. 1699.) Loiseau, Traité des Seigneuries. — Seit der Revolution Uebertragung der Polizei an den amtlichen Organismus: Präfekt für das Departement, Maire für die Commune, nebſt ört - licher Organiſation, und neben ihnen die Commissaires de police (Geſetz vom 28. Pluv. an VIII) für je 10,000 Einw. in den Städten, ſtreng durchgeführt durch Arrêté vom 10. März 1855. Polizeidirektion neben dem Bürgermeiſter, unmittelbar unter dem Präfekten, mit Competenz über die niederen Sicherheitspolizeiorgane der Gardes champêtres und forestiers auf dem Lande, die sergeants de ville und agents de police in den Städten, die vom Maire eingeſetzt werden und zugleich Voll - zugsorgane der Rechtspflege (police judiciaire) ſind. Préfet de police für das Depart. der Seine (Arr. 3. Brum. a. X). Daneben das Inſtitut der Gendarmerie, welche ein integrirender Theil des Heeres, aber verpflichtet iſt zu Berichten an den Präfekten und zur Hülfe für die Commiſſäre. Neueſte Organiſationsordre vom 29. Oct 1820. Reglement vom 21. Nov. 1823 und Decret vom 1. März 1854. (ſ. unten). — Dieſer Gewalt gegenüber wird das Bedürfniß einer ſtreng um - ſchriebenen Competenz um ſo lebhafter gefühlt; daher deren oberſter Grundſatz: gänzliche Scheidung aller Rechtspflege in polizei - lichen Sachen durch Errichtung der tribunaux de police correctio - nelle (Maire und Juge de paix, bei welchem der Commissaire de police die Staatsanwaltſchaft bildet), bis zu Bußen von 15 Frcs.; bei größeren Bußen iſt das tribunal de première instance das competente Gericht (Code d’Instr. crim. 1808). So iſt hier der Organismus der Sicherheitspolizei reine vollziehende Gewalt geworden, was wir in Deutſchland noch zu erſtreben haben. (Laferrière, Dr. admin. I. Literatur bei Block, Dict. de l’admin. v. police. Malchus, Politik der innern Staatsverwaltung I. S. 140 ff. Klüber, Oeffentliches Recht §. 387.)
Oeſterreich. Neue Organiſation der Polizeibehörden nach Aufhebung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit: Grundzüge vom 10. Dec. 1850. Wirkungskreis der Polizeibehörden von demſelben35 Datum. Dann: