Buchdruckerei der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung in Stuttgart.
Mit dem vorliegenden Bande betritt der Verfaſſer dasjenige Gebiet der Verwaltungslehre, von welchem er ſich ſelbſt ſagen muß, daß es wohl bei der gegenwärtigen Entwicklung der Wiſſenſchaft und der Erfahrungen nicht mehr möglich ſein dürfte, daß Ein Menſch im Stande ſei, es gründlich zu bewältigen. Schon jetzt ſind viele Theile dieſes Gebietes zu ſelbſtändigen Fachwiſſenſchaften geworden, deren Kenntniß und Beherrſchung ein volles Menſchenleben erfordern. Und das Bewußtſein, das ihn bei dem Beginne dieſer Arbeit erfaßt hat, wird daher naturgemäß jeden erfaſſen, der in gleicher Weiſe Aehnliches unternimmt — das Bewußtſein, daß ſeine Kraft nicht mehr ausreicht, einer ſolchen Aufgabe zu genügen.
Damit aber tritt uns die Frage entgegen, ob es denn über - haupt noch eine wirthſchaftliche Verwaltungslehre als Ganzes geben könne, wenn niemand die Kraft hat, ſie im Einzelnen zu bewäl - tigen? Und wenn es eine ſolche geben muß und ewig geben wird, was iſt dann ihre Aufgabe im Ganzen, da ſie dieſelbe im Einzelnen zu löſen nicht mehr im Stande iſt?
Wir glauben, die Antwort liegt nicht ferne.
So tief verſchieden und ſo unendlich reich auch alle einzelnen Gebiete der wirthſchaftlichen Verwaltung ſein mögen, dennoch ſind ſie innerlich Eins. Sie ruhen auf derſelben Grundlage, ſie werden begriffen aus demſelben Princip; ſie werden beherrſcht von denſelben Geſetzen. Und wenn die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, um jedes derſelben zu erſchöpfen, ſo iſt ſie allerdings groß genug, ſie alle in ihrem höheren Zuſammenhange zu begreifen. Und das iſt es, was der Wiſſenſchaft der wirthſchaftlichen Verwaltung übrig bleibt.
In Wahrheit aber iſt das weder ein dem Umfange nach Ge - ringes, noch iſt es ein Werthloſes. Denn ſo mächtig und hoch - bedeutend auch die Maſſe des Einzelnen hier wie immer ſein mag, und ſo entſcheidend auch die Wichtigkeit desjenigen iſt, was wirVI praktiſches Leben und Bedürfniß nennen mögen, immer hat das Allgemeine ſeinen Einfluß und ſeinen Werth für die richtige Erkennt - niß auch des Einzelnſten. Es iſt überflüſſig, darüber zu reden. Aber ſelbſt das bloß formale Syſtem gehört zu denjenigen Dingen, die man in ihrer ganzen Bedeutung erſt würdigen lernt, wenn man in dieſelben tiefer eindringt. Ein Syſtem, das nichts iſt als eine zweckmäßige Ordnung des Stoffes, iſt in Wahrheit kein Syſtem. Das wahre Syſtem bedeutet vielmehr das organiſche Verhältniß des Einzelnen zum Ganzen; es zeigt, wie der Theil durch das Ganze ſeine Beſtimmung und ſeine Grenze empfängt; es iſt der Träger derjenigen Gewalt, welche aus dem Ganzen hervorgehend im Einzelnen lebt; es gibt kein Verſtändniß und keine vollſtändige Beherrſchung dieſes Einzelnen ohne ein Verſtändniß und ein klares Bild ſeines Zuſammenhanges mit dem Ganzen; und das bietet allein das Syſtem. Ein wahres Syſtem iſt daher niemals die Grund - lage der Behandlung des Stoffes, ſondern es iſt ſelbſt wieder nur das Ergebniß des höheren Weſens deſſelben; darum wird es nie fertig, ehe man das ganze Gebiet vollſtändig durchgearbeitet hat; daher iſt man ſich über die Sache im Ganzen erſt einig, wenn man ſich über die ſyſtematiſche Ordnung im Einzelnen klar iſt; und wenn man daher nach dem Verhältniß der Wiſſenſchaft der wirth - ſchaftlichen Verwaltung zu den einzelnen Gebieten fragt, ſo kann man jetzt antworten, daß die erſtere vor allen Dingen das zu geben hat, was die letztere nie ohne dieſelben empfangen können, das Syſtem als formalen Ausdruck der organiſchen Auffaſſung des Geſammtlebens aller einzelnen Theile.
Möge man nun das Streben des Verfaſſers zunächſt von dieſem Standpunkte aus auffaſſen.
Was nun die Behandlung des vorliegenden erſten ſpeciellen Theiles, der Entwährungslehre, betrifft, ſo iſt dieſelbe allerdings etwas anders geworden, als was manche ſich darunter vielleicht vorſtellen mögen.
Ich habe zu dem, was in der Arbeit enthalten iſt, nichts im Allgemeinen hinzuzufügen, als daß ſich dieſelbe in der That zu den Elementen der Geſchichte der europäiſchen Agrarver - faſſung auf Grundlage der Geſchichte der Geſellſchaft hat geſtalten müſſen. Der nächſte Werth dieſer Arbeit beſteht viel - leicht zumeiſt darin, daß noch niemals jemand verſucht hat, eineVII ähnliche zu unternehmen. Es war nicht leicht, gerade hier in die engliſchen und franzöſiſchen Verhältniſſe einzudringen und noch ſchwieriger, aus der ſcheinbar tiefen Verſchiedenheit derſelben wieder einmal zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß die europäiſchen Rechts - und Verwaltungsverhältniſſe viel weniger von einander abweichen, als man gewöhnlich annimmt. Es zeigte ſich hier wieder einmal, daß der größte Fehler unſerer ſonſt ſo achtungs - werthen deutſchen Rechtsgeſchichte darin beſteht, eben nur deutſche Rechtsgeſchichte ſein zu wollen, und nicht zu begreifen, daß ſie ſelbſt nur ein Zweig an dem Baume der großen europäiſchen Rechts - geſchichte iſt und ſich als ſolchen erkennen muß, will ſie ſich über - haupt aus gelehrtem Detail zu einer wirklichen geiſtigen Bedeutung erheben. Ich geſtehe es offen, daß ich zu hoffen wage, in der vorliegenden Arbeit einen Theil der Grundlagen dieſer Rechts - geſchichte Europa’s gegeben zu haben. Unſere größeren Nachfolger werden darüber urtheilen.
Das Enteignungsrecht im Beſonderen hat endlich in der Ent - währungslehre ſeine richtige Stellung gefunden, und die Vergleichung zeigt uns auch hier, daß wir Deutſche darin wie in der Entlaſtung hinter England und Frankreich weſentlich zurückſtehen. Ich will hier auf Einzelnes nicht eingehen. Aber das Reſultat ſteht wohl feſt, daß die gewaltige Macht, welche jene beiden Länder über die ganze Welt und namentlich über Deutſchland ausgeübt haben und ja zum Theil noch ausüben, auf der früheren und großartigen Durchführung des Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft in den Rechtsord - nungen des Grundbeſitzes, alſo ſpeciell in der Durchführung der Entlaſtung beruht. Und das iſt von ſo hoher Bedeutung, daß wir glauben müſſen, es ſei dieſe Entlaſtungs - und Entwährungslehre unter allen Gebieten der praktiſchen Staatswiſſenſchaften dasjenige, welches am meiſten ſich eignet, die wahre Vorbildung für die Staatskunſt der Zukunft zu werden.
Schließlich muß ich bedauern, die neueſte Arbeit über die Enteignung von Dr. G. Meyer (das Recht der Expropriation 1868) nicht haben benützen zu können. Der Verfaſſer zeichnet ſich vor allen bisherigen Behandlungen dadurch aus, daß er mit richtigem Gefühl die Agrarverhältniſſe Roms an die Spitze der Enteignungs - lehre ſtellt, und ſo den Zuſammenhang von Entlaſtung und Ent - eignung erkennt. Allein ſeine ſtrenge, juriſtiſche Beſchränkung aufVIII die Enteignung läßt ihn ſpäter dieſen Zuſammenhang wieder ver - lieren, und während der hiſtoriſche Theil daher die erſten Anklänge des Verſtändniſſes der Entwährung enthält, iſt der dogmatiſche eine fleißige und ſehr tüchtige Bearbeitung des Enteignungsrechts. Ueber ſeine principielle Löſung der Frage wollen wir hier nicht rechten. Es gibt eben keine ſolche Löſung, die nicht zugleich die Entlaſtung, die Ablöſungen u. ſ. w. umfaßte, kurz, es gibt keine Löſung der Enteignungsfrage für ſich, ſondern nur eine Löſung der Entwährungsfrage. Daß er als guter Deutſcher das römiſche Recht ſehr gründlich, und die lebendige Welt des deutſchen Rechts - lebens im 17. und 18. Jahrhundert, namentlich das dominium eminens ſehr kurz und ungründlich behandelt, liegt wohl mehr in unſrer allgemeinen verkehrten Bildung auf den deutſchen Univerſi - täten, als an ihm ſelber. Eben ſo iſt es bezeichnend, daß er viel genauer die deutſche Literatur als die Geſetzgebung kennt; der §. 7 iſt wohl der ſchwächſte Theil des Buches, während der dogmatiſche Theil mit großer Gründlichkeit und Umſicht ausgearbeitet iſt. Die Frage nach dem, für das Enteignungsverfahren competenten Organe iſt bei ihm leider in der Frage nach dem zur Beſtimmung der Entſchädigung geeigneten Behörden einigermaßen untergegangen; was er S. 318 ff. ſagt, iſt nicht mit voller Klarheit über die Sache geſchrieben. Das franzöſiſche Recht iſt keineswegs genug gewürdigt; daß er das engliſche Recht nicht weiter kannte, als Cox und May, die gar nicht davon ſprechen, und Gneiſt und Thiel, denen die Hinweiſung auf die Lands Clauses entgangen iſt, iſt wohl ſehr zu entſchuldigen (S. 331). Vom Staatsnothrecht geſchieht gar keine Erwähnung. Im Ganzen iſt jedoch das Werk als ein höchſt werth - voller Beitrag zur Lehre von der Entwährung anzuerkennen.
Die gründliche Umarbeitung meiner erſten Auflage der voll - ziehenden Gewalt, für deren freundliche Aufnahme ich ſchon hier meinen Dank ausſprechen darf, wird die Fortſetzung der wirthſchaft - lichen Verwaltung, zunächſt die Behandtung des Waſſer -, Feuer - und Verſicherungsweſens, wohl einige Zeit hinausſchieben.
Wien, Anfang Juni 1868.
L. Stein.
(Volkswirthſchaftspflege.)
Indem wir jetzt zum dritten großen Hauptgebiet der inneren Ver - waltung übergehen, müſſen wir mit einer Aufgabe beginnen, die zwar keineswegs zu den angenehmen gehört, aber die dennoch unerläßlich iſt.
In keinem Theile der geſammten Staatswiſſenſchaft nämlich gibt es eine ſolche faſt unabſehbare Maſſe von Vorarbeiten für die eigent - liche Verwaltungslehre, als in demjenigen, der ſich auf die volks - wirthſchaftlichen Verhältniſſe bezieht. Dieſelben ſind theils ſelbſtändig aufgetreten, theils erſcheinen ſie in einzelnen Abhandlungen und Unter - ſuchungen aller Art, theils ſind ſie mit der gewöhnlichen Volkswirth - ſchaftslehre ſo verſchmolzen und verflochten, daß ſie mit ihr ein faſt untrennbares Ganze bilden. Allein, ſo hart das Urtheil auch klingen mag, ſo müſſen wir es dennoch ausſprechen, daß hier auf allen Punkten eine vollſtändige Verwirrung oder doch Unklarheit und Syſtemloſigkeit der Begriffe herrſcht, die, wie wir glauben, in gar keinem andern Theile der Wiſſenſchaften überhaupt ihres Gleichen hat. Es iſt nicht bloß keine Einigung über Begriff und Wort erzielt, ſondern ſie wird auch nicht einmal angeſtrebt; ja was für die wiſſenſchaftliche Entwicklung das Uebelſte iſt, es wird kaum noch empfunden, daß dieſe Verwirrung da iſt, und die beinahe vollſtändige Willkür in der Behandlungsweiſe erzeugt, welche unſere Zeit in dieſer Beziehung auszeichnet. Es iſt dabei unmöglich geworden, ſich irgend etwas Beſtimmtes bei den Aus - drücken zu denken, welche man hier gebraucht, um alle dieſe Gebiete je nach individuellem Ermeſſen zuſammen zu faſſen, zu ſcheiden, halb oder ganz zu verſchmelzen, von einem zum andern überzugehen. Schon die Worte, welche man gebraucht, zeigen jene vollſtändige Unklarheit, die über dieſem weiten Felde wie ein dunkler Nebel ſchwebt. Bald wird man in der reinen Nationalökonomie ganze Ausführungen finden, welche bereits „ Anwendungen “derſelben ſind; bald nennt man das,4 was aus der Vermengung der Nationalökonomie und der Volkswirth - ſchaftspflege entſteht, angewandte Nationalökonomie, ohne ſich zu fra - gen, wer ſie anwendet, und noch weniger, ob dieſe Anwendung nicht eine weſentlich andere iſt, wenn der Einzelne und wenn der Staat ſie macht; bald ſpricht man von Nationalökonomik, mit einem bar - bariſchen Worte ein unaufgelöstes Verhalten ſehr verſchiedener Dinge zudeckend; bald ſpricht man von Staatswirthſchaft und Staatswirth - ſchaftslehre, Nationalökonomie, Finanzen und Volkswirthſchaftspflege darunter begreifend, ohne ihr Verhältniß zu beſtimmen; bald hat man daneben eine „ Polizeiwiſſenſchaft “und neben dieſer wieder ein „ Ver - waltungsrecht. “ Bald aber bemüht man ſich grundſätzlich um gar keinen ſyſtematiſchen Begriff, und mithin auch um gar keine ſyſtema - tiſche Behandlung, läßt ſich hin und wieder mit einer Formeldefinition begnügen, reiht dann Paragraphen an Paragraphen, ohne irgend welchen leitenden Gedanken, wirft in das leere Gefäß eines ſolchen Paragraphen allerlei Material hinein, was irgendwie damit im Zu - ſammenhang ſteht, geſchichtliche, philoſophiſche, ſtatiſtiſche, literariſche, praktiſche Notizen, und dazu in rückſichtsloſer Vermengung franzöſiſche, deutſche, engliſche Citate, auch „ intereſſante “ſpaniſche, ruſſiſche, ſchwe - diſche Kleinigkeiten, nimmt Nationalökonomie, Technik, Verwaltung, Geſetzgebung hinzu, und dieß wird ſo eine „ Wiſſenſchaft. “ Es iſt nicht möglich, auf dieſer Baſis weiter zu arbeiten.
Denn in der That, nicht um Einzelkritik und nicht um dialektiſche Experimente handelt es ſich, wenn wir nicht umhin können, dieſe Art und Weiſe auf das Entſchiedenſte zu bekämpfen. Und auch das iſt nicht einmal das Letzte, was wir darüber zu ſagen haben, daß wir dadurch unſern eigenſten Werth, den des organiſchen Beherrſchens des geiſtigen Stoffes, die große Function, welche dem deutſchen Geiſte verliehen iſt, an der Nachahmerei der engliſchen und franzöſiſchen Un - klarheit und ihrer intereſſanten Darſtellungsweiſe verlieren, ohne doch mit Notizengelehrſamkeit den Glanz und die praktiſche Fülle derſelben erſetzen zu können. Niemand leiſtet das Beſte, wenn er nicht ſeinem eigenſten Weſen Ausdruck zu ſchaffen vermag. Wir Deutſche aber ſind doch das Volk der „ Denker, “das iſt des unterſcheidenden, ordnenden, organiſchen Gedankens. Und deßhalb werden wir nur dann das Höchſte leiſten, wenn wir auch in der Staatswiſſenſchaft das organiſche Wiſſen zur Geltung bringen. Doch das iſt nicht das Einzige, nicht einmal das Wichtigſte um deſſentwillen wir die Feder zu dieſen Bemerkungen ergreifen.
Denn keine Wiſſenſchaft überhaupt kann zur vollen Entwicklung gelangen, wenn ſie nicht ihr eigenes Princip kennt, und mit Bewußtſein5 ihren Stoff als den ihrigen zu beherrſchen und zu erleuchten weiß. Alle andern Wiſſenſchaften ſind ſich über ſich ſelber einig; und das iſt die Grundlage ihrer Größe. Nur die Wiſſenſchaft des wirthſchaft - lichen Lebens iſt es nicht, am wenigſten die der Verwaltung deſſelben. Und dennoch fordert man von der letzteren, daß ſie ihrem Weſen nach für wirthſchaftliche Zwecke thätig ſein ſoll. Sagt mir nicht die ein - fachſte Logik, daß ich nicht im Stande bin, dieſe Aufgabe der Ver - waltung zu verſtehen, wenn ich nicht die Nationalökonomie — das Objekt — von der Verwaltung — dem Subjekt — ſtreng unterſcheide? Haben nicht beide ihr Weſen für ſich? Muß ich daher nicht ver - nünftiger Weiſe damit beginnen, daß ich zuerſt jedes von beiden in dieſem ſeinem Weſen für ſich betrachte, um wiſſen zu können, wie das eine mit dem andern agiren ſoll? Muß ich dieſe Unterſcheidung nicht auf jedem Punkte feſthalten und durchführen? Und iſt ein genügen - des Ergebniß denkbar, wenn ich den bequemen Ausdruck der „ An - wendung “an die Stelle des Nachdenkens über die Natur des An - wendenden ſetze, die doch über Inhalt und Gränze der Anwendung entſcheidet? — Doch es führt nicht weiter, mehr über dieſe Dinge hier zu reden. Wir unſererſeits hoffen, daß dieſe Epoche eine über - wundene iſt. Zu der Arbeit des wahrhaft deutſchen Geiſtes aber, durch den wir aus der franzöſiſch-engliſchen Nachahmerei heraus zu einer organiſchen Wiſſenſchaft gelangen, wollen wir hier, was an uns iſt, beitragen. Und unſere nächſte Aufgabe wird es daher ſein, den logiſchen und organiſchen Begriff der wirthſchaftlichen Verwaltung oder Volkswirthſchaftspflege aus ſeiner Vermengung mit den verwandten Begriffen oder Vorſtellungen von Volkswirthſchaft, Staatswirthſchaft, Polizei und andern heraus zu heben und damit die Baſis unſerer Wiſſenſchaft zu finden. Das nun iſt freilich unmöglich, ohne jeden jener Begriffe zunächſt für ſich zu beſtimmen.
Die große, gewaltige Erſcheinung, welche der Volkswirthſchafts - lehre zum Grunde liegt, iſt die die ganze Menſchheit umfaſſende und die ganze Geſchichte erfüllende Thatſache, daß der Menſch die Welt der natürlichen Dinge ſeinen Zwecken unterwirft und dem natürlichen Leben eine perſönliche Beſtimmung gibt. Wir nennen den Proceß, durch den dieß geſchieht, die Volkswirthſchaft, nach ihrem letzten6 Theile, und die Wiſſenſchaft der Begriffe und Geſetze, auf welchen er beruht, die Volkswirthſchaftslehre.
Die Volkswirthſchaftslehre hat drei Hauptgebiete: die Güterlehre, Wirthſchaftslehre und die Volkswirthſchaftslehre.
a) Die Güterlehre beruht ihrem höheren, ethiſchen Standpunkte nach darauf, daß die Erfüllung des Lebens der Perſönlichkeit nicht bloß in dem phyſiſchen Daſein der Perſon und nicht bloß in der geiſtigen Welt liegt, ſondern daß ſich dieſelbe auch das rein natürliche Daſein unterwirft und ihren Zwecken dienſtbar macht. In der Güterlehre ſehen wir daher eine zweite Welt, eine zweite Ordnung der Dinge, ſich über die rein natürliche ausbreiten. Es iſt der Menſch, der dem natürlichen Daſein den Stempel ſeines Daſeins aufdrückt. Er reißt mit ſeiner Arbeit die Dinge aus dem Kreiſe ihrer natürlichen Exiſtenz heraus; er ändert und geſtaltet ſie; er trennt das natürlich Verbundene und verbindet das Getrennte; er gibt ihnen einen neuen Zweck, der nicht in ihrem natürlichen Daſein liegt, und indem er ſie ſo in dem Leben der Natur erfaßt und in das der Perſönlichkeit aufnimmt, macht er aus dem natürlichen Daſein ein Gut. Der gewaltige, die ganze Welt umfaſſende Proceß, mit welchem alle die Millionen Menſchen auf dieſe Weiſe die natürliche Welt dem menſchlichen Willen unterwerfen und ſie zu einem Theile und Inhalt der menſchlichen Beſtimmung erheben, indem ſie aus den Dingen und Weſen Güter erzeugen, nennen wir das Güterleben. Das Güterleben hat ſeine Grundbegriffe, ſeinen Organismus, ſeine Geſetze zunächſt für ſich. Dieſe darzuſtellen iſt die Aufgabe des erſten Theiles der Wiſſenſchaft der Nationalökonomie, des Güterlebens.
Dieſe nun kann allerdings in verſchiedener Weiſe aufgefaßt werden. Allein wie immer man ſich dieſelbe denken mag, ſtets wird dieß Güter - leben eine der großen Bedingungen der perſönlichen Entwicklung, das Gut eine, durch das Weſen der Perſönlichkeit ſelbſt geforderte und unmittelbar erzeugte Erfüllung der letzteren ſein. Es iſt daſſelbe mit allen ſeinen Momenten ein organiſches Element des perſönlichen Lebens; die in ihm gegebene Herrſchaft über das natürliche Daſein iſt zugleich eine Vorausſetzung und ein Maß für die Verwirklichung der Idee der Perſönlichkeit. Es iſt kein Zweifel, daß in dieſem Leben der Güter auf dieſe Weiſe zugleich ein ſehr praktiſches und ein hohes ethiſches Moment liegt. Das Verſtändniß des letzteren iſt es, welches das erſtere über die Linie einer mechaniſchen Ordnung und äußeren Zweckmäßigkeit erhebt. Die innere und formelle Verbindung beider iſt es, welche die Grundbegriffe und Geſetze, die dieß Leben der Güter bilden und be - herrſchen, zur Wiſſenſchaft der Güter, zur Nationalökonomie im höheren Sinne des Wortes macht.
7Auf dieſe Weiſe enthält das, was wir die Lehre vom Güterleben an ſich nennen, die großen und allgemeinen Grundbegriffe für Gut, Werth und Güterentwicklung, welche auf dem allgemeinen Weſen der Perſönlichkeit und des natürlichen Daſeins beruhen und daher für alle Einzelnen, für alle Zeiten und Völker eine gleichmäßige, unerſchütter - liche Gültigkeit haben. Die Darſtellung des Güterlebens an ſich gibt daher das, was wir als die ewigen, unabänderlichen organiſchen Geſetze der Nationalökonomie zu bezeichnen haben. Es iſt kein Zweifel, daß die Verwaltungslehre dieſe Geſetze vorauszuſetzen, und ſie, da keine ſtaatliche Macht oder Einrichtung ſie zu verändern vermag, ein - fach als maßgebend anzuerkennen hat.
Bezeichnet man dieſe allgemeinen Geſetze und Erſcheinungen des Güterlebens nun als den erſten Theil der Güterlehre, ſo entſtehen der zweite und dritte Theil derſelben dadurch, daß nicht etwa das Güterleben, ſondern das Weſen der Perſönlichkeit, die ſich in ihm be - wegt, ein anderes wird.
Die Perſönlichkeit iſt nämlich in der Wirklichkeit zunächſt eine einzelne Perſon, und an ſie und das Weſen der Individualität knüpft ſich der zweite Theil, die Wirthſchaftslehre.
b) Die Wirthſchaftslehre. — Jede einzelne Perſönlichkeit, ihrem Weſen nach frei und ſelbſtbeſtimmt, weiß nämlich ſich ſelbſt ihr eigenes Güterleben zu bilden. Sie erzeugt ſich mit ihrem Kapital und ihrer Arbeit, mit ihrer Conſumtion und Reproduktion, ihre eigene, ihr perſönlich angehörige Güterordnung. Dieſelbe gewinnt dadurch ihre individuelle Geſtalt und ihr individuelles Leben. Dieſe indi - viduelle Geſtalt des Güterlebens iſt es, welche wir die Wirth - ſchaft nennen. Die Wirthſchaft iſt das Güterleben als individuelle Perſönlichkeit; ſie iſt der wirthſchaftliche Körper der Perſon. Wo aber mehrere ſolche Perſönlichkeiten als Einheit zuſammentreten und ein gemeinſchaftliches Güterleben erzeugen, ſprechen wir von einer Unter - nehmung. Es iſt kein Zweifel, daß Wirthſchaft und Unternehmung die beiden Formen ſind, in denen ſich das Güterleben verwirklicht. Wie der einzelne Menſch die Wirklichkeit des Begriffs des Menſchen iſt, ſo ſind Wirthſchaft und Unternehmen die Wirklichkeit des Begriffs des Güterlebens.
c) Die Volkswirthſchaft. — Dieſe Wirthſchaften und Unter - nehmungen erſcheinen nun wieder äußerlich zuſammengefaßt durch Land und Volk. Land und Volk ſind die beiden Formen, in denen für die ihnen angehörigen Wirthſchaften und Unternehmungen gleichartige Bedingungen geboten werden: im Lande die natürlichen, im Volke die geiſtigen. Dieſelben weiſen daher die einzelnen Wirthſchaften und8 Unternehmungen auf einander an; ſie geben denſelben durch die in ihnen liegenden objektiven, unabweisbaren Momente eine gewiſſe Ge - meinſchaft in Auffaſſung und Thätigkeit, in Stoff und Arbeit, in Produktion und Conſumtion, in Kapitalbildung, Credit und äußerer wirthſchaftlicher Sitte; und dieſe Gemeinſchaft, auf den Thatſachen des Landes und Volkes baſirt, erzeugt das, was wir die Volks - wirthſchaft nennen.
Dieß nun ſind die elementaren Begriffe der Nationalökonomie. Die Wiſſenſchaft des Güterlebens hat ſie auszuführen. Um von ihr weiter zu gelangen, müſſen wir eben den Begriff der Perſönlichkeit als die Grundlage der Geſtaltung des Güterlebens weiter entwickeln.
Diejenige Geſtalt der Perſönlichkeit nun, welche eine neue Geſtalt des Güterlebens neben und über Wirthſchaft und Volkswirthſchaft erzeugt, iſt der Staat. Es liegt uns fern, hier auf den Begriff des Staats an ſich zurückzukommen; allein ſo viel Vorſtellungen ſich auch über das Weſen des Staats kreuzen und ſcheiden, darüber ſind alle einig, daß er ſein ſelbſtändiges wirthſchaftliches Leben, das nach ſeiner Natur, und bei jedem wirklichen Staate nach ſeiner Individualität geartet iſt, nicht bloß theoretiſch haben muß, ſondern auch praktiſch hat. Und dieſe individuelle Wirthſchaft des perſönlichen Staats nennen wir die Staatswirthſchaft.
Begriff und Inhalt der Staatswirthſchaft entſtehen daher durch die Anwendung des Begriffs der Wirthſchaft auf den Staat; und dieß iſt zugleich der Punkt, der die Staatswirthſchaft von der Volkswirth - ſchaftspflege definitiv ſcheidet. Das Weſen jeder Wirthſchaft nämlich beruht darauf, daß in ihr die einzelne, wirthſchaftende Perſönlichkeit ihr eigener perſönlicher Zweck iſt, und alle Elemente und Geſetze des Güterlebens nur gebraucht, um das eigene Intereſſe zu fördern. Die Gränze ihrer Thätigkeit iſt hier deßhalb nur da gegeben, wo das was ſie nimmt, zuletzt ihrem eigenen Intereſſe nachtheilig, aber das was ſie thut, ihrem eigenen Intereſſe vortheilhaft werden kann. Jede Wirthſchaft, und ſo naturgemäß auch die Staatswirthſchaft, hat zuletzt nur ſich ſelbſt im Auge. Die Wirthſchaft kennt an ſich kein Opfer, keine Hingabe, keine Sorge für Andere als für ſich, ſie nimmt jedes andere wirthſchaftliche Leben nur ſo weit in ſich auf, als es Nachtheil oder Vortheil bringt; ohne dieſes Weſen der Wirthſchaft iſt ſie ſelbſt gar nicht denkbar. Iſt dem ſo, ſo iſt dem auch ſo für den Staat und ſeine Wirthſchaft; ſie iſt nur für den Staat als Individuum vor -9 handen; es iſt ein vollſtändiger Widerſpruch, in den Begriff der Staats - wirthſchaft die Förderung der Einzelwirthſchaft außerhalb ihrer wirthſchaftlichen Verpflichtung aufzunehmen, ſo ſehr wie es ein Wider - ſpruch wäre, die Hülfe an andere als einen Theil einer Einzelwirth - ſchaft zu ſetzen. Die Grundbegriffe der Staatswirthſchaft liegen daher in dem Weſen des wirthſchaftlichen Güterlebens des Staats, die Ge - ſetze derſelben in dem Weſen des perſönlichen Staatsintereſſes; die allgemeine Entwicklung hat mit derſelben nur ſo weit zu thun, als das Staatsintereſſe durch das Volksintereſſe bedingt erſcheint; und die Geſammtheit jener Begriffe und Geſetze bilden die Staatswirth - ſchaftslehre.
Auf dieſer Grundlage iſt nun auch der Inhalt derſelben leicht verſtändlich. Die Staatseinnahmen (oder die Finanzen im engern Sinne) erſcheinen als die Produktion, die Staatsausgaben als die Conſumtion in der Staatswirthſchaft, und die Reproduktion iſt das - jenige ſtaatswirthſchaftliche Geſetz, nach welchem die Ausgaben ſo ein - gerichtet werden müſſen, daß ſie, im ganz ſpeciellen Intereſſe der Staatswirthſchaft, ſelbſt wieder die Staatseinnahmen befördern und vermehren. Die Lehre von den Einnahmen heißt nun die Finanz - wiſſenſchaft; bei den Ausgaben dagegen bietet die Staatswirthſchaft nur noch die Mittel dar, welche die Verwaltung anwendet, um das wirthſchaftliche Wohl zu befördern. Hier nun ſcheinen, für die Staats - ausgaben, Staatswirthſchaft und Volkswirthſchaftspflege zuſammen zu fallen, und das iſt der Grund, weßhalb bedeutende Männer, wie Lotz und Kraus, ſie wirklich verſchmolzen haben. Allein es iſt klar, daß formell die wirthſchaftlichen Aufgaben des Staats nicht bloß da exiſtiren, wo es ſich um Ausgaben handelt, ſondern daß es Aufgaben, und ent - ſcheidende, gibt, die es mit Ausgaben gar nicht zu thun haben; im Gegentheil ſind die Ausgaben nur die materielle Bedingung für einen Theil jener Aufgaben; wir erinnern nur an die Enteignungsrechte, an die Grundlage für Straßen - und Bahnnetze, an das Maß und Ge - wichtsweſen, an hundert andere Dinge, die überhaupt nicht exiſtiren würden, wenn es nur eine Staatswirthſchaft gäbe, da bei ihnen keine Ausgaben vorkommen. Dem Weſen nach aber iſt das Princip der Ausgaben des Staats ſein eigenes Intereſſe, und wenn Staats - wirthſchaft und Verwaltung gleich wären, ſo würde der leitende Ge - danke für die erſtere immer nur die Vermehrung der Einnahmen und nie das Wohl der Bürger ſein, das auch bei verringerten Einnahmen ſteigen kann. Man muß daher ſagen, daß der Begriff der Staats - wirthſchaftslehre in dem Theile, der die Ausgaben betrifft, die Lehre nicht von dem Princip, ſondern von dem materiellen Maßſtabe10 für die Volkswirthſchaftspflege abgibt. Ohne Staatswirthſchaft gibt es für das Staatsleben zwar Geſetze, aber keine auf materielle Mittel gebaute Ausführung derſelben. Das iſt die Stellung der Staats - wirthſchaft.
Die Volkswirthſchaftspflege iſt demnach weder die Volkswirthſchaft, noch die Staatswirthſchaft, ſondern ſie iſt die Anwendung des großen Princips der Verwaltung auf das wirthſchaftliche Leben überhaupt. Ihr Begriff, ihre Gränze und das Weſen ihres Syſtems werden daher jetzt leicht klar ſein.
1) Ihrem Begriffe nach beruht die wirthſchaftliche Verwaltung weder auf den Geſetzen der Nationalökonomie, noch auf den Forde - rungen der Staatswirthſchaft, ſondern auf der in der Natur der be - ſchränkten Einzelkraft liegenden Thatſache, daß der Einzelne viele Bedingungen ſeiner individuellen wirthſchaftlichen Entwicklung nicht herſtellen kann, ohne welche nach den in der Volkswirthſchaftslehre gegebenen Geſetzen der wirthſchaftliche Fortſchritt unmöglich iſt. Ihrem Princip nach beruht ſie auf dem allgemeinen Geſetz, daß die höchſte Entwicklung des Ganzen ſtets durch die höchſte Entwicklung des Ein - zelnen auch im wirthſchaftlichen Leben gegeben iſt, und daß ſomit die Vollendung der Idee der Perſönlichkeit auch in der wirthſchaftlichen Welt in der Vollendung des Einzelnen beſteht. Ihrem Inhalt nach iſt ſie demnach die Geſammtheit der Thätigkeit des Staats, ver - möge deren derſelbe dem Einzelnen die für ihn unerreichbaren Bedin - gungen ſeiner individuellen wirthſchaftlichen Entwicklung durch die Kraft und die Mittel der Gemeinſchaft gibt.
Während daher die Verwaltung der Volkswirthſchaft ihre Geſetze aus der Güterlehre und ihre Mittel aus der Staatswirthſchaft nimmt, nimmt ſie ihr Princip aus dem Weſen des Staats. Und an dieß Princip knüpft ſich nun die zweite Frage nach der Gränze der Volks - wirthſchaftspflege.
2) Dieſe Gränze für die Thätigkeit der Volkswirthſchaftspflege entſteht ihrerſeits, indem der Einzelne, deſſen Entwicklung das Ziel der - ſelben iſt, auch im Staate eine ſelbſtändige Perſönlichkeit bleibt. Dieſe ſeine Selbſtändigkeit fordert nämlich, daß der Staat ihm nicht etwas arbeitslos gebe, ſondern daß in allem, was die Verwaltung für das wirthſchaftliche Leben des Einzelnen thut, der Einzelne den Gebrauch und Werth dieſer Leiſtungen erſt durch ſeine eigene individuelle Arbeit ſich gewinnen müſſe. Die Volkswirthſchaftspflege ſoll daher nie Güter11 geben, ſondern nur die Bedingungen des Erwerbs derſelben. Sie ſoll ſie nie vertheilen, ſondern die Vertheilung der freien Arbeit unter - ordnen. Sie ſoll den Erwerb nie begränzen, ſondern nur beſchützen. Sie ſoll ſtets da beginnen, wo die Kraft des Einzelnen ihrer Natur nach aufhält, und ſtets da aufhalten, wo die Einzelkraft beginnt. In dieſer ihrer Begränzung liegt einerſeits die äußere Freiheit des wirthſchaftlichen Lebens, andererſeits die innere Tüchtigkeit. Jede Verwaltung, die dieſe Gränze überſchreitet, wird zu einem Widerſpruche mit ſich ſelbſt und zu einem Unheil für die Volks - wirthſchaft.
Aus der Verbindung jenes Princips für das Weſen der Volks - wirthſchaftspflege mit dieſem Grundſatz für ihre Gränze ergibt ſich nun die Grundlage deſſen, was wir das Syſtem derſelben nennen müſſen.
3) Das Syſtem der Volkswirthſchaftspflege liegt nämlich dem - gemäß weder in dem Begriff der Volkswirthſchaft, noch in dem der Staatswirthſchaft, ſondern entſteht vielmehr an denjenigen Verhält - niſſen, welche ihrerſeits die Bedingungen für die Einzelwirthſchaft ent - halten. Wir werden es unten genauer darſtellen. Die Verwaltung bildet ſich auch hier in dieſem Theile wie im Ganzen nicht durch die Entwicklung ihres an ſich einfachen Grundgedankens, ſondern durch die Anwendung deſſelben auf das wirthſchaftliche Leben des Volkes aus. Und daher iſt es denn auch natürlich, daß ſie nicht bloß eine Geſchichte, ſondern vielmehr in den verſchiedenen Epochen eine höchſt verſchiedene Geſchichte gehabt hat, und daß in der Volkswirthſchaftspflege die ex - tremſten Grundſätze zum geltenden Recht geworden ſind. Dieß nun werden wir ſogleich darſtellen. Hier darf nur noch das Eine bemerkt werden, was wiederum Volkswirthſchaft und Staatswirthſchaft von jener auf das Klarſte ſcheidet. Da nämlich jene Bedingungen nicht im Begriff von Gut oder Staat, ſondern in den gegebenen Lebensverhält - niſſen der natürlichen oder perſönlichen Kräfte und Zuſtände liegen, ſo kann man auch zu keiner vollſtändigen Volkswirthſchaftspflege gelangen, ſo lange man ſie mit der Volks - oder Staatswirthſchafts - lehre verſchmilzt. Alle ſogenannten angewandten Nationalökono - mieen, alle Staatswirthſchaftslehren und ſelbſt die Polizeiwiſſenſchaft ſind daher nicht bloß zufällig und vorübergehend, ſondern principiell unvollſtändig, abgeſehen von der Syſtemloſigkeit, der ſie eben ſo nothwendig unterliegen, da es ja doch abſolut unmöglich iſt, aus den Begriffen von Gut und Werth z. B. auf die beſte Einrichtung der Poſt oder des Bauweſens eher zu gelangen, als von dem Begriffe der Staatsausgaben zum Inhalt des geltenden Rechts über geiſtiges12 Eigenthum oder Expropriation. Und dieſes wird im weitern Verlaufe der Darſtellung ſich genauer ergeben.
Dieß nun ſind die Elemente des Begriffs der Volkswirthſchafts - pflege. Wie es nun möglich geworden iſt, zu der gegenwärtig geltenden Unklarheit und Verwirrung zu kommen, das zeigt ſich allerdings in ſehr einfacher Weiſe, wenn man die ſtaatswiſſenſchaftliche Natur oder den Charakter der engliſchen und franzöſiſchen Literatur einerſeits und den Gang der Geſchichte andererſeits ins Auge faßt.
Wir glauben nun, daß nichts den tiefen Unterſchied von Volks - wirthſchaft, Staatswirthſchaft und Volkswirthſchaftspflege, und die Nothwendigkeit einer durchaus ſelbſtändigen Behandlung der letztern ſo beſtimmt erſcheinen läßt, als die Darſtellung der Elemente der Geſchichte der wirthſchaftlichen Verwaltung. Wollte man dieſe Geſchichte im Einzelnen gründlich verfolgen, ſo müßte man bei der thatſächlichen Ver - ſchmelzung jener drei Gebiete die Geſchichte der geſammten Staats - wiſſenſchaft ſchreiben. Dieß liegt außerhalb der Aufgabe der Verwal - tungslehre. Allerdings iſt die letztere nun dadurch in der Lage, etwas behandeln zu müſſen, was ſie eigentlich als ihre Vorausſetzung anzunehmen verpflichtet iſt. Sie kann daher der mißlichen Alternative nicht entgehen, entweder zu viel oder zu wenig vollſtändig zu werden, ſelbſt für ihre eigenen Zwecke. Allein noch kann ſie ihrerſeits dieſen Widerſpruch nicht vermeiden. Sie muß ihn mildern, indem ſie die leitenden Gedanken angibt, nach denen jeder bei jedem Werke ſich die eigene Beurtheilung über das Verhältniß deſſelben zur obigen Frage ſelbſt formuliren könne. Dieſe leitenden Gedanken, deren tiefere Begründung einer andern Ar - beit überwieſen werden muß, ſind folgende.
I. Das was man wohl auch die „ reine “Nationalökonomie etwa im Gegenſatz zur angewandten, nennt, von der gründlich verkehrten Vorſtellung ausgehend, als ob es irgend einen Theil der National - ökonomie gäbe, der nicht bei jedem wirthſchaftlichen Leben zur Er - ſcheinung gelangte, oder das, was wir eben die Güter - und Volks - wirthſchaftslehre in ihrer Selbſtändigkeit nennen, iſt ein Theil der Erkenntniß des Lebens der Perſönlichkeit ſelbſt, das in dem Weſen derſelben, alſo unabhängig von Staat und Verwaltung als ein ewig lebendiges Gebiet deſſelben gegeben iſt. Um daſſelbe in dieſer Selbſt -13 ſtändigkeit zu erkennen, muß man von dem Weſen der Perſönlichkeit, und innerhalb deſſelben von Begriff und Inhalt der That ausgehen; denn das Gut iſt das perſönliche Ergebniß der wirthſchaftlichen Arbeit, wie der Begriff das der geiſtigen; jenes iſt die wirthſchaftlich lebendige, dieſes die geiſtige ſelbſtändig gewordene That der Menſchen. Die ganze geiſtige Welt aber hat niemals nach Begriff und Weſen der That geſucht. Daher hat von jeher für die „ reine “Nationalökonomie die wahre Baſis gefehlt; ſie hat in Ermanglung derſelben niemals ſelbſtändig werden können, und es gilt daher, daß nie und nirgends die Nationalökonomie aus ſich ſelbſt heraus entſtanden iſt. Die wahre Geſchichte der National - ökonomie wird erſt dann gefunden werden, wenn man davon ausgeht, daß das, was wir die Nationalökonomie in all ihren Formen, und ſelbſt bei den Deutſchen nennen, erſt da erſcheint, wo die wirthſchaftlichen Lebensverhältniſſe der Völker zum Gegenſtande der Ver - waltung ihrer Staaten werden. Und ſelbſt nachdem ſie in dieſer Weiſe auftritt, wird ſie Jahrhunderte hindurch nirgends Gegenſtand einer ſelbſtändigen Unterſuchung und Darſtellung, ſondern ſie wird nur unter - ſucht und herbeigezogen, ſo weit ſie als Beweis oder Ziel für die volkswirthſchaftliche Thätigkeit des Staats nothwendig er - ſcheint. Alles, was darüber hinausgeht, bleibt gänzlich unerörtert; alles was von der Nationalökonomie in Frage kommt, wird unbewußt nur von dem Geſichtspunkte betrachtet, von welchem aus es als Gegenſtand oder Motiv für die Geſetzgebung zu gelten vermag. Daher verſchmilzt das, was unſere Zeit die Nationalökonomie nennt, Jahrhunderte lang ſo eng mit den praktiſchen Gebieten der Staatswiſſenſchaften, daß weder der Name noch die Thatſache derſelben ſelbſtändig erſcheinen, und bekannt - lich haben noch jetzt weder die Franzoſen noch die Engländer weder ein Wort noch einen Begriff für die Nationalökonomie, noch jetzt iſt ſie ihnen nicht ein ſelbſtändiger Theil der Staatswiſſenſchaft, ſondern die Geſammtheit der im öffentlichen Leben und in der Staatsverwaltung zur Geltung kommenden wirthſchaftlichen Geſetze und Begriffe; ſie können weder das Wort „ Gut, “noch das Wort „ Volkswirthſchaft “recht über - ſetzen; der Standpunkt ihrer Auffaſſung iſt die Économie politique, political Economy; ſo lange das deutſche Volk ſich über die Sphäre der Schülerſtellung bei dieſen Völkern nicht erheben kann, wird es auch bei uns nicht beſſer werden.
II. Aus dieſem Grunde aber hat ſich zunächſt ergeben, daß man auch den Umfang der Verwaltungslehre gründlich falſch verſtanden, und ihn mit dem der Anwendung wirthſchaftlicher Begriffe und Geſetze identificirt hat. Dadurch iſt eine Geſtaltloſigkeit in die ganze Auffaſſung hinein gerathen, die für eine wiſſenſchaftliche Behandlung14 geradezu unglaublich iſt. Bald werden ganze Gebiete weggelaſſen, bald willkürlich einzelne Momente hervorgehoben, bald notizenweiſe andere erledigt, bald, und das iſt noch das Günſtigſte, die „ Volkswirthſchafts - pflege “als alleiniger Repräſentant der ganzen Verwaltung hingeſtellt, bald auch wieder in die Polizeiwiſſenſchaft der Verſuch einer Syſtemi - ſirung gemacht. Das Schlimmſte iſt, daß über das wahre Verhältniß gar kein Bewußtſein vorhanden iſt, und keines angeſtrebt wird, was freilich nur auf Baſis abſtrakter wiſſenſchaftlicher Grundbegriffe begonnen und erreicht werden kann. Wir müſſen noch einmal wieder - holen, daß ohne gründliche Aenderung dieſes Verhältniſſes an einen wahren Fortſchritt nicht zu denken iſt. Um ihn aber zu machen, muß man wohl den Punkt bezeichnen, von dem er auszugehen hat, und der daher auch dieſer Seite der Geſchichte der menſchlichen Wiſſenſchaft zu Grunde liegt.
III. Offenbar kann nun die Selbſtändigkeit der Volkswirthſchafts - lehre und der Volkswirthſchaftspflege nur dann gewonnen werden, wenn man dasjenige Element an die Spitze der letztern ſtellt, das weſentlich von dem ganzen Gebiete der erſtern verſchieden, und eben dadurch ein ganz neues Gebiet zu erſchaffen beſtimmt und fähig iſt. Dieß Element iſt der perſönliche Staat, als ein ſelbſtändiger Wille und ein ſelb - ſtändiger, thätiger Organismus. So wie dieſer Begriff in irgend einer, beinahe gleichgültig welcher, Formulirung feſtſteht, ſo ergibt ſich, daß dieſer Staat die Volkswirthſchaft weder erzeugt, noch daß er ſie, oder daß ſie ihn ausfüllt, ſondern daß vielmehr die großen, unabhängig vom Staate gegebenen Thatſachen und Geſetze der Volkswirthſchaft zum Gegenſtande des Staatswillens werden, weil ſie die elementaren Grund - verhältniſſe für ſeine Intereſſen darbieten. Erſt hier zeigt es ſich dann, daß die höchſte Selbſtherrlichkeit des Staats nicht ſo weit geht, um an den von ihm gänzlich unabhängigen Geſetzen der Volkswirthſchaft auch nur das Geringſte ändern zu können; daß ſie daher ein, vom Staatswillen ganz unabhängiges Gebiet bilden, und daher Gegenſtand einer ſelbſtändigen Wiſſenſchaft ſein können und ſein müſſen. Das Entſtehen der Volkswirthſchaftslehre iſt daher mit dem Punkte gegeben, wo der Begriff des Staats ſich von dem der Güter ſcheidet, und jeder in ſeiner Beſonderheit aufgefaßt wird. Und daher ſcheint es zweifellos, daß die wahre Grundlage ſowohl der Geſchichte der National - ökonomie, als die der Verwaltungslehre keine andere iſt, als der Proceß der Unterſcheidung und Trennung der Güterlehre und des Staatsbegriffes. Während die wahre Volkswirthſchaftspflege erſt da beginnt, wo es ſich darum handelt, das Verhältniß der an und für ſich beſtehendenden Geſetze der Volkswirthſchaft auf die Zwecke15 des Staats anzuwenden, enthält dagegen die wirthſchaftliche Verwaltung diejenigen Aufgaben des Staats, welche durch das Weſen deſſelben für das wirthſchaftliche Leben gegeben ſind. Daraus ergeben ſich die entſcheidenden Elemente für die Geſtalt und Geſchichte der letztern.
IV. Es folgt nämlich zuerſt, daß ein Volk und eine Literatur, die keinen Begriff vom Staate haben, auch niemals zu einer Lehre von der Verwaltung überhaupt, oder im beſondern zur Volkswirthſchafts - pflege gelangen können. Es wird vielmehr ein ganz anderer Proceß, und damit auch eine ganz andere Geſtalt jener Wiſſenſchaften eintreten. Da nämlich der Staat die Verwaltung überhaupt, und mithin auch die volkswirthſchaftliche Verwaltung im beſondern ſeiner Natur nach pflegen muß, ſo wird er ſtets ein beſtimmtes Recht der Volkswirth - ſchaftspflege, eine poſitive volkswirthſchaftliche Geſetzgebung und Ver - waltung erzeugen, ſeinerſeits ganz gleichgültig dagegen, ob die Wiſſen - ſchaft Volkswirthſchaftslehre und - Pflege zu unterſcheiden verſteht. So wie das geſchehen iſt, wird ſich nun allerdings die Wiſſenſchaft dieſes poſitiven Rechts bemächtigen, und es wird dieſelbe im Anſchluß an die Beſtimmungen deſſelben eine Geſetzes - und Rechtskunde der wirth - ſchaftlichen Verwaltung des Staats werden. Dieß iſt wieder theils ſyſtematiſch der Fall, wie in Frankreich als droit administratif, oder in Deutſchland als die ſog. „ Verwaltungsrechte “oder „ Geſetzkunden “; theils aber auch ſtückweiſe für einzelne Geſetze, was ſich in allen Län - dern wiederholt. Von einem allgemeinen, aus dem Weſen des Staats fließenden, den ganzen Stoff beherrſchenden und erleuchtenden Princip iſt dabei natürlich keine Rede; eine Wiſſenſchaft kann man das wohl kaum nennen. Daneben aber wird die Vermengung der volkswirth - ſchaftlichen und verwaltungsrechtlichen Begriffe und Geſetze einfach in hundert verſchiedenen Formen fortdauern, manche im Einzelnen nützliche Anregung erzeugen, aber unvermeidlich anſtatt einer ihrer ſelbſt gewiſſen Wiſſenſchaft, wie die Logik, oder Rechtswiſſenſchaft, oder Heilkunde u. ſ. w. eine unabſehbare Verwirrung hervorbringen. Denn dieſe Be - handlungsweiſe wird und muß eine gänzlich ſyſtemloſe ſein, da ihre beiden verſchmolzenen Elemente, Volkswirthſchaft und Verwaltung eben zwei weſentlich verſchiedene Syſteme enthalten. Es wird daher bei viel Trefflichem im Einzelnen und Ganzen weder eine Volkswirthſchaft, noch eine Verwaltung erſcheinen. Und das iſt in der That der gegen - wärtige Zuſtand.
Daran knüpft ſich dann eine weitere Folge, welche man in jenem chaotiſchen Zuſtande bequemer Behandlung gar nicht zu erkennen vermag.
V. Da nämlich, wie geſagt, trotzdem der Staat ſeine wirthſchaft -16 liche Verwaltung nicht liegen läßt, ſondern zum Theil mit großer Energie fortſetzt, ſo ergibt ſich leicht, daß die Volkswirthſchaftslehre, die ſelbſt ohne Syſtem iſt, ſich unbewußt dem an Macht und Bedeutung weit überwiegenden Gange der Verwaltung anſchließt; ſie wird ihre Hauptaufgabe darin ſuchen, eben dieſes Syſtem und dieſe Maßregeln der Verwaltung zu erklären, zu fördern, auch zu bekämpfen; ſie wird aus einer Wiſſenſchaft zu einem großen Commentar der wirklichen Ver - waltung; ſie findet ſich ſelbſt nur in demjenigen, was ſie für oder gegen jene Richtung der Verwaltung zu ſagen weiß, und ſchließt damit, das verwaltungsrechtliche Princip für das nationalökono - miſche zu halten, und eine beſtimmte Grundauffaſſung für die Thä - tigkeit der Verwaltung in wirthſchaftlichen Dingen für eine Schule der Volkswirthſchaftslehre anzuſehen. Damit iſt denn der Boden feſter Beſtimmungen verloren; jetzt erſcheinen die Begriffe der „ reinen “Nationalökonomie nur noch in dem Lichte, in welchem jene — ihres eigenen Weſens unbewußte — Verwaltungs - lehre ſie fordert oder braucht; ſie werden nur ſo weit herbeigezogen, als man ſie braucht; ſie werden nur in ſo weit entwickelt, als ſie auf jene volkswirthſchaftlichen Maßregeln Bezug haben; und da es keine ſolche gibt, die nicht mit großen und allgemein wirthſchaftlichen Intereſſen in Berührung ſtünden, ſo kann es geſchehen, daß jetzt in der Volks - wirthſchaft ſtatt eines wiſſenſchaftlichen Syſtems vielmehr Parteien und Parteiintereſſen entſtehen, jede mit ihrer Volkswirthſchafts - lehre als Troß und Dienerin des beſtimmten adminiſtrativen Zweckes, den man ins Auge faßt. Damit verliert denn die reine Wiſſenſchaft ihren Werth, und die Wahrheiten gewinnen die alte Eigenſchaft, um ſo ernſtlicher bekämpft zu werden, je weniger ſie ſich den ſpeciellen Zwecken dienſtbar erzeigen können. Die Volkswirthſchaftslehre aber, will ſie in einem ſolchen Zuſtand noch Bedeutung haben, muß von ihrer Stellung herabſteigen, und aus einer großen organiſchen Wiſſen - ſchaft zu einer geiſtigen Räumlichkeit werden, in die man Ueberflüſſiges hineinſtellt oder Nothwendiges aufbewahrt, eine ordnungs - und vor allen Dingen charakterloſe Sammlung von Einzelheiten, die für und gegen alles Gründe und Citate hat, ein Nachſchlagebuch für jedes Intereſſe, eine bereite Dienerin, die niemandem abſolut wider - ſpricht, allen in etwas nützt, dafür aber auch ſelbſtändig weder Mühe noch Gefahr, weder tiefen Ernſt noch ernſte Tiefe hat, und zu einer Berieſelungs-Anſtalt für alle möglichen Anſichten des ſogenannten „ praktiſchen Lebens “wird. Das iſt zum Theil die Lage dieſer Wiſſen - ſchaft geworden; nirgends deutlicher iſt dieſelbe, als in dem bekannten Streit über Freihandel und Schutzzoll, die durchaus volkswirthſchaftliche17 Begriffe ſein ſollten, während ſie verwaltungsrechtliche Principien ſind. Nirgends aber wird die Sache ernſter, als in der ſocialen Frage, wo man die Geſellſchaftslehre zu einem Theil der Nationalökonomie ge - macht, und dieſe mit der (geſellſchaftlichen) Verwaltung ſo verſchmolzen hat, daß man in vollſtändiger Verwirrung der Begriffe den Socialis - mus und Communismus, Vorſchußkaſſen und Armenweſen, Credit - organiſation und Gütertheilung als volkswirthſchaftliche Begriffe fungiren läßt, die Forderungen, welche Ein Intereſſe an die Verwaltung ſtellt, als abſolutes Geſetz der „ reinen “Nationalökonomie bezeichnend, ohne ſich zu erinnern, daß die Verwaltung als Thätigkeit des Staats den einzigen Charakter der letzteren, die Vertretung der Harmonie aller In - tereſſen enthalten muß. — Doch es iſt hier nicht der Ort, darauf ein - zugehen.
Dieß nun, denken wir, wird ſich klarer herausſtellen, wenn wir jetzt den kurzen Nachweis liefern, daß das, was man auch hiſtoriſch die nationalökonomiſchen Schulen nennt, in der That nichts anderes iſt, als eine Reihe von Principien der wirthſchaftlichen Verwal - tung auf Grundlage nationalökonomiſcher Begriffe und Intereſſen.
Indem wir es eigener Arbeit nunmehr überlaſſen, die Geſchichte der Nationalökonomie und die der Verwaltung im Einzelnen mit Wür - digung aller Geſichtspunkte und Namen und Beleuchtung aller bedeu - tenden Erſcheinungen zu behandeln, dürfen wir doch die Behauptung hier begründen und bis zu einem gewiſſen Grad auch entwickeln, daß in der That in jenen Schulen oder Syſtemen nicht wie man auch noch in neueſter Zeit feſt gehalten hat, die Grundlagen der Geſchichte der Nationalökonomie, ſondern vielmehr die der Verwaltung des wirthſchaftlichen Lebens gegeben iſt. Und die Sache ſelbſt iſt, mit Beziehung auf den geſammten Gang der europäiſchen Entwicklung in der That ſo einfach, daß auch weniges für vorurtheilsfreie Auf - faſſung genügen wird.
Zu dem Ende müſſen wir zuerſt bezeichnen, wie dieſe „ Syſteme “entſtanden ſind, und was ſie eigentlich bedeuten.
Die Geſchichte Europas zeigt uns bekanntlich mit dem 17. Jahr - hundert den Keim einer Neugeſtaltung aller europäiſchen Dinge, den wir bereits früher auf den Beginn des Kampfes der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnungen und ihres Princips mit der Geſchlechter - undStein, die Verwaltungslehre. VII. 218Ständeordnung zurückgeführt haben. Doch iſt das, warum es ſich hier handelt, nicht die Entwicklungsgeſchichte der Geſellſchaft. Es iſt vielmehr die, der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft entſprechende Staats - idee, welche uns an der Schwelle dieſer Zeit entgegentritt. Der Staat, im Königthum vertreten, iſt bis zu dieſer Epoche auf allen Punkten in der Gewalt der herrſchenden geſellſchaftlichen Klaſſen. Daß er als ſolcher, frei von ihnen, ja ihnen gegenüber, eine auf ſich ſelbſt ruhende Exiſtenz haben könne und ſolle, das fiel niemandem ein. Jetzt aber löst er ſich aus dieſer Gebundenheit los; er ſtellt ſich ſelbſtändig dem Adel, der Geiſtlichkeit, dem Bürgerſtande gegenüber; er nimmt die Rechte und Funktionen, die er bisher allein in ihrem Namen be - ſeſſen und ausgeübt, für ſich als ſein in Anſpruch; er erzeugt ſich ſeine Organe im Beamtenthum, ſeine Macht im ſtehenden Heer, ſeine Symbole im Wappen und Titel, ſeine Wirthſchaft in den Fi - nanzen, ja ſeine Begriffe in Imperium, potestas und Obrigkeit. Er wird eine Macht für ſich, kämpft gegen die geſellſchaftlichen Gewalten, reißt ſich von ihrem Einfluß los, und beginnt ſeinen eigenen Weg. Wir haben ihn im Allgemeinen nicht weiter zu verfolgen.
Allein auf dieſem Wege muß er mit Einer Erkenntniß beginnen, die alle andern überragt. Die materiellen Mittel ſeiner Exiſtenz liegen nicht allein in ſeinem Willen, die materielle Aufgabe ſeiner Thätig - keit auch nicht allein in ſeiner eigenen Finanz. Indem er jetzt alle beherrſcht, muß er dieſe Aufgabe für alle erfüllen, dieſe Mittel von allen nehmen. Und in dem Kampfe der Staaten untereinander wird es bald klar, daß die Macht und der Glanz des einen Staates gegen - über dem andern keineswegs in Würde und Alter beſtehe, ſondern in der wirthſchaftlichen Kraft, in dem Reichthum und Vermögen ſeiner Angehörigen. Da und nirgends anders iſt die Quelle des Wohlſeins und der Kraft des jungen Königthums. Und bald zeigen erſchöpfende Kriege und verderbliche Hofwirthſchaft gleich nachdrücklich, daß darüber kein Zweifel ſtattfinden könne. Der Staat aber, hoch über jedes einzelne Recht und jedes einzelne Intereſſe erhaben, erkennt, daß ſeine Pflicht, für das Wohl ſeiner Angehörigen zu ſorgen, mit ſeinem ſpeciellen In - tereſſe identiſch ſei. Er will dieß thun, weil er es um ſein ſelbſt willen thut; er muß es thun, weil die Bedingungen ſeiner eigenen Macht in den Bedingungen des Wohles ſeiner Angehörigen liegen. Aber noch iſt das Leben der Völker ein einfaches, noch iſt auch das Gebiet der Aufgaben des Staats kein vielfach verworrenes, in tauſend Geſtalten auftretendes; noch iſt auch kein Bewußtſein davon lebendig, daß jenes Leben in ſich ſelbſt Geſetze trage, die unabänderlich daſtehen, wie die Geſetze der Natur. Der junge ſelbſtändige Staat19 hat daher noch Grund zu dem Glauben, daß er mit Einem Grund - gedanken, mit Einer Richtung, mit Einem Princip das wirthſchaftliche Wohlſein ſeines Volkes, die wirthſchaftliche Entwicklung deſſelben beherr - ſchen könne. Er bildet ſich daher zunächſt Einen ſolchen leitenden Ge - danken für ſeine ganze, auf das volkswirthſchaftliche Leben des Volkes gerichtete Thätigkeit aus; dieſen Gedanken verwirklicht er in hundert Formen, in hundert Maßregeln; er wird zu einem Syſtem, und dieß „ Syſtem, “theoretiſch behandelt, nennt die folgende Zeit eine „ Schule. “ So ſind die „ Schulen “entſtanden.
Das Erſte nun, was uns dabei klar wird, iſt das, daß alle dieſe Schulen genau daſſelbe wollen — den wirthſchaftlichen Wohl - ſtand des Volks, zunächſt um des Staats willen. In dem letzten Zweck, in der unterſten Baſis, der Vorſtellung vom reichen Staatsbürger, gibt es daher keine verſchiedenen „ Syſteme. “ Dieſe beginnen offenbar erſt da, wo der Staat ſich die Frage aufſtellen muß, nicht was er will, denn das weiß er ja ohnehin, ſondern wie er es will — wo der Staat ſich die Frage aufſtellt, welche Maßregeln er nun ergrei - fen müſſe, um ſein Ziel, den Reichthum des Volkes zu erlangen. Offenbar nun hängen dieſe Maßregeln vor allem von der weitern Frage ab, worin denn dieſer Reichthum des Volkes beſtehe. Die Antwort auf dieſe Frage hätte nun allerdings die „ reine “Nationalökonomie geben ſollen; allein dieſelbe exiſtirte eben nicht. Der Staat aber konnte nicht warten, bis ſie etwa entſtanden wäre. Er mußte viel - mehr, ohne ſich viel um wiſſenſchaftliche Grundlagen zu kümmern, eben aus ſeiner Selbſtändigkeit heraus, dasjenige für Volksreichthum halten, was am meiſten geeignet war, ſeine Wirthſchaft zu heben. Es kam deßhalb gar nicht zu der Frage, was an und für ſich Reichthum ſei, ſondern nur zu der, welche Art des Reichthums ihm am faßbarſten Vortheil bringe, das iſt, die Einnahmen ſeiner Kaſſe vermehre. Es war natürlich, daß das als Reichthum überhaupt galt. So geſchah es, daß man den Begriff der Güter mit demjenigen verwechſelte, was den Staat reich machte; daß eine reine Güterlehre daraus nicht ent - ſpringen könne, war um ſo klarer, als die Folge jener Auffaſſung nicht etwa die war, daß der Staat mit ſeinen Forderungen da aufhören müſſe, wo die Bedingungen des Einzelwohles angegriffen würden, ſondern daß es ſich überhaupt nur darum handle, vermöge des Einzelwohles den Staat zu bereichern. So konnte es jetzt verſchiedene „ Schulen “geben, je nachdem dieſer Zweck bei dieſer oder jener Art der Güter leichter erreicht werden konnte. Das Weſen dieſer Schulen überhaupt beſtand demnach darin, das Syſtem von Verwaltungsmaßregeln zu entwickeln, welches die beſten Mittel für die Vermehrung des Volksreichthums20 durch die Verwaltungsmaßregeln des Staats enthielt. Die einzelne Schule dagegen entſtand, indem ſich jene Ideen und Forderungen der Art von Gütern anpaſſen mußten, in der man den Reichthum des Volkes ſah. Die Stellung der Nationalökonomie in dieſen Schulen war nun ſehr einfach. Die Schulen ſelbſt ſind zwar nicht die Geſchichte der Nationalökonomie, aber ſie enthalten dieſelbe. Im Mer - kantilſyſtem iſt die letztere noch gar nichts, als ein einfaches Beweis - mittel, ein Correlat des großen Syſtems der Volkswirthſchaftspflege, das wir mit jenem Worte bezeichnen, ohne Bewußtſein ihrer Selbſtän - digkeit, ohne eigene Begriffe und Definitionen. Die Nationalökonomie erſcheint hier faſt nur in den Folgen, welche das Merkantilſyſtem an - ſtrebt. Im phyſiokratiſchen Syſtem dagegen beginnt die Güterlehre, ihre erſte Selbſtändigkeit zu entwickeln. Allerdings wird ſie noch eigent - lich nicht um ihrer ſelbſt willen unterſucht; daß es eine Lehre von den Gütern gebe, die einen Werth und eine Bedeutung habe, auch ohne praktiſche Anwendung für die Verwaltung, wird nicht erkannt, ſondern höchſtens geahnt. Aber doch iſt das Verhältniß ſchon ein ganz anderes. Die nationalökonomiſche Grundlage des Merkantilſyſtems iſt eine Be - hauptung, die des phyſiokratiſchen Syſtems aber ſchon ein Beweis. Die Geſetze der Nationalökonomie ſcheiden ſich hier zuerſt von den Ge - ſetzen des Staats, welche von jenen gefordert werden; aber auch jetzt noch ſtehen die erſtern noch nicht um ihrer ſelbſt willen da; ſie werden noch immer nur deßhalb geſucht und entwickelt oder geglaubt, um einen Beweis für die Forderungen zu haben, die man in ihrem Namen an die Verwaltung ſtellt. Deßhalb findet auch in den nationalökonomiſchen Grundſätzen derſelben kein Fortſchritt, keine Bewegung ſtatt, während die adminiſtrative Anwendung nach allen Richtungen hin ſich ausdehnt. Dieß wird erſt anders in dem ſogenannten „ Induſtrie-Syſtem, “deſſen Gründer Adam Smith iſt. Hier iſt die Scheidung zwiſchen National - ökonomie und Verwaltungslehre im Principe vollbracht; das iſt der erſte und prägnante Charakter dieſer Schule; aber ſie wird in der Wirklichkeit nicht durchgeführt, und darauf beruht der zweite Cha - rakter derſelben. Dieſelbe bietet daher ein durchſtehendes Gemiſch von rein nationalökonomiſchen und adminiſtrativen Begriffen, Geſetzen und Maßregeln; aber während die Elemente der Güterlehre in Arbeit und Werth hier zum erſtenmal zur Geltung gelangen, fehlt der Begriff des Staats und der der Verwaltung. Dagegen tritt ein anderes, dieſes Syſtem von den früheren tief unterſcheidendes Merkmal auf. Durch das Eingehen auf die ſelbſtändigen Elemente der reinen Güterlehre entſteht die Erkenntniß, daß die Geſetze derſelben an ſich von der Ver - waltung ganz unabhängig, und die Meinung, daß die Intereſſen der21 Nationalökonomie im Gegenſatze zu den Intereſſen des Staats daſtehen. Die Nationalökonomie tritt daher der Staatsverwaltung direkt und faſt feindlich gegenüber, und dennoch kann ſie derſelben nicht entbehren. So entſteht in dem geſammten Gebiete jenes Syſtems eben das veränder - liche Verhältniß, das daſſelbe bis zum heutigen Tage charakteriſirt. Die neue Nationalökonomie, ohne Verſtändniß des Staatsbegriffes und des Weſens der Verwaltung und in der Selbſtgewißheit ihrer eigenen Ge - ſetze, ordnet ſich die erſtere als einen immanenten Theil unter; ſie fordert, daß die Verwaltung des wirthſchaftlichen Lebens gleichſam als ein Moment an ihr ſelbſt erſcheinen ſolle; ſie negirt den nationalöko - nomiſchen Charakter aller derjenigen Thätigkeiten des Staats, die nicht mit ihren einfachen Principien in äußerer Harmonie ſtehen; ſie löst da - herden Begriff und Inhalt der ſelbſtändigen Verwaltungs - lehre in lauter rein nationalökonomiſche Sätze und For - derungen auf, zerbröckelt den in der Rechtsphiloſophie ſich erhaltenden ſelbſtändigen Staatsbegriff, weist ſeine Anwendung auf ihr Gebiet als eine ihr fremde Potenz ab, und verliert dadurch den lebendigen Zuſammenhang zwiſchen ſich und der Verwaltung, der noch in der phyſiokratiſchen Schule beſtanden hat. Die Verwaltung ihrerſeits, ob - wohl des Werthes der Nationalökonomie ſich wohl bewußt, hat ſich unterdeſſen mit mächtigen und großen Schritten weiter gebildet. Es iſt gar keine Frage, daß ſie trotz jener Verſchmelzung dennoch etwas ſehr Selbſtändiges neben der Güterlehre iſt. Sie geht daher ihren eigenen Weg in Geſetzen, Verordnungen und Anſtalten; das was ſie ihrerſeits ſchafft und ſchaffen will, ſtellt ſich mit gleicher Berechtigung neben jene Nationalökonomie; es bedarf auch ſeinerſeits der wiſſenſchaftlichen Ver - arbeitung, und ſo entſteht das Verwaltungsrecht, deſſen Begriff und Inhalt wir von Frankreich empfangen, während die älteſte Nationalökonomie engliſchen Urſprungs iſt. Das Verwaltungsrecht ſeinerſeits aber iſt weſentlich poſitiv, es kann nur de lege lata handeln, es kann ſich, an das Gegebene ſtreng anſchließend, nicht auf Gebiete beziehen, die kein poſitives Recht haben, es iſt daher beſchränkt auf ſein Gebiet; es iſt eine mehr interpretative, als rationelle Lehre. Es genügt daher nicht. Es muß neben ihm ein Syſtem geben, das das Ganze umfaßt, und nach einem organiſchen Bilde trachtet, dem Staate ent - ſprechen, den es zum Ausdruck bilden ſoll. So entſteht die Polizei - wiſſenſchaft. Allein dieſe hat nirgends einen feſten Boden, da ihr zwar die Aufgabe des Staats, nicht aber der Begriff deſſelben klar wird. Sie hat weder die Kraft, ſich denſelben ſelbſt zu verſchaffen, noch die, ihn von der Rechtsphiloſophie aufzunehmen. Sie kann daher auch nicht in ordnungsloſe Geſtalt der Nationalökonomie eingreifen; ſie22 bleibt ein machtloſes Scheinbild neben dieſer und dem Verwaltungs - recht; ſo iſt hier auf allen Punkten die ganze Ordnung der Begriffe aufgelöst; nur die Nationalökonomie überragt durch ihre Maſſe alle übrigen Theile, ohne doch genügen zu können, und in dieſem Zuſtand verläuft das Induſtrieſyſtem. Es iſt nun wohl klar, daß wir auf dieſem Wege zu keinem rechten Abſchluß gedeihen. Der Fortſchritt, der uns zur Beherrſchung dieſes mächtigen Gebietes der inneren Geſchichte Europas bringen wird, liegt offenbar zunächſt darin, daß wir jene „ Schulen “oder „ Syſteme “als die Grundlage der ſich entwickelnden Volkswirthſchaftspflege und nicht mehr als die der Nationalökonomie anſehen. Allein dabei iſt nur Eins feſtzuhalten, das man betonen muß.
Jedes dieſer Syſteme iſt nämlich nicht etwa ein Syſtem der wirth - ſchaftlichen Verwaltung im Ganzen, ſondern es enthält ſtets nur eine ganz beſtimmte Anforderung an dieſe Verwaltung. Eben darum geht es mit ſeinem Inhalt keineswegs unter, ſondern es erhält dieſen Inhalt und ſeine Forderung als eine dauernde, wenn auch in verän - derter Geſtalt, in allen Zeiten und Wandlungen der Volkswirth - ſchaftspflege. Die Geſchichte jener Syſteme hat daher mit der Zeit ihrer Geltung und Herrſchaft keineswegs abzuſchließen; man ſoll und kann ihre Wirkung und ihren Inhalt bis in alle Zeiten verfolgen. Sie ſind daher nicht ſelbſt die Geſchichte der Verwaltung, aber keine Geſchichte der Verwaltung kann ohne ſie vollſtändig ſein.
Eben deßhalb muß man ſich für die letztere wohl dahin einigen, daß dieſelbe zwar in ihrem höchſten Principe durch jene Syſteme aus - gedrückt wird, daß aber in Beziehung auf den Inhalt der wirthſchaft - lichen Verwaltung jeder Theil ſeine eigene Geſchichte hat. Dadurch wird nun der Stoff, der uns hier vorliegt, ſo mächtig, wie gar kein anderer der ganzen Wiſſenſchaft. Der Verwaltungslehre als Ganzem bleibt daher vor der Hand wohl nur Eins erreichbar; das iſt das Zuſammenfaſſen aller dieſer ſelbſtändigen Theile in Ein organiſches Ganze. Wir werden dieß verſuchen.
Doch mag es uns geſtattet ſein, im obigen Sinne einen Blick auf jene drei Syſteme in ihrer hiſtoriſchen Bedeutung und Entwicklung zu werfen.
Indem wir uns nun dieſen einzelnen Syſtemen und ihrer kurzen Charakteriſtik zuwenden, tritt uns Eine Thatſache entgegen, die für ihr Verſtändniß entſcheidend wirkt.
23In der That nämlich haben dieſe drei Syſteme allerdings für ganz Europa gegolten. Allein von der Verwaltung ausgehend und für ſie beſtimmt, werden ſie dem Weſen nach für alle gleich, doch in der Wirklichkeit von der individuellen, nationalen Geſtalt des concreten Staatslebens der einzelnen Staaten erfaßt und nehmen dadurch ſelbſt eine ſpecifiſche, nationale Geſtalt an. Sie ſind andere in jedem Staate. Es genügt nicht, einfach ihre Theorie hinzuſtellen; man muß ſie in den einzelnen Staaten je nach der Beſonderheit derſelben wirkſam ſehen; und das wieder beruht darauf, daß ſie ſich an beſtimmte prak - tiſche Zuſtände und Aufgaben der Verwaltung anſchließen und ihre Verſchiedenheit von der Verſchiedenheit der Verhältniſſe empfangen, auf die ihr Princip angewendet wird. Die Geſchichte Europas iſt auch hier eine Geſchichte großer individueller Geſtaltungen auf gleichartiger Grundlage; in dem Verſtändniß dieſes Elementes des Werdens ruht ſein Reichthum.
Wir werden daher, wenn auch nur in Andeutung, die einzelnen Syſteme von dieſem Standpunkt charakteriſiren. Ihren allgemeinen Inhalt dürfen wir als bekannt vorausſetzen.
England. Daß und warum England, ſeinem ganzen auf Selbſt - verwaltung beruhenden Staatsleben nach, von jeher unfähig war und iſt, ein Eingreifen der Regierung in das Leben des Volkes zu erzeugen oder zu ertragen, iſt ſchon früher bezeichnet. Wenn daher trotzdem hier ein „ Syſtem “für die Verwaltung der wirthſchaftlichen Intereſſen auftreten und zur Geltung gelangen konnte, ſo mußte ſich daſſelbe naturgemäß zunächſt und vor allem auf dasjenige Gebiet beziehen, auf dem der Einzelne und ſogar die Selbſtverwaltung ohnmächtig iſt. Das iſt die Thätigkeit der Staatsverwaltung für den auswärtigen Verkehr, bei der die Rückwirkungen derſelben auf den inneren dann der Natur der Sache überlaſſen werden. Und dieß iſt das Verhältniß des Mer - kantilſyſtems in England.
In England zuerſt iſt das Merkantilſyſtem überhaupt nie zu einem Syſtem der inneren wirthſchaftlichen Verwaltung geworden, ſondern tritt von Anfang an als das Princip für die Volkswirthſchafts - pflege im internationalen Verkehr auf. Und zwar iſt das nicht bloß der Charakter deſſelben in der Theorie des 17. Jahrhunderts ſeit Man und Culpepper, ſondern eben ſo ſehr des wirklich geltenden Rechts. Das Merkantilſyſtem mit ſeinen nationalökonomiſchen Grund - gedanken des Geldreichthums wird für die Verwaltung zur Forderung24 nach dem Schutze der eigenen Flagge und der inneren Produktion, zur Grundlage des Krieges mit Holland um den Alleinhandel im trans - atlantiſchen Verkehr, zum Anſtoß der Verträge mit Portugal und an - dern Staaten. England will den Staat und ſeine Einmiſchung in ſein wirthſchaftliches Leben ſchon unter dem Merkantilſyſtem nur da, wo allein der Staat als ſolcher zu functioniren fähig iſt und die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht, in dem Gegenſatz der Intereſſen der ganzen Nation gegenüber den andern Nationen. Das war ſchon im 17. Jahrhundert der Charakter der engliſchen Volkswirthſchaftspflege und das iſt er noch. Das Merkantilſyſtem als Princip der Verwaltung unterſcheidet ſich in England daher von dem aller andern Staaten genau ſo, wie der Charakter dieſes Staates ſelbſt von den übrigen des Continents. Jede Einmiſchung der Regierung in die inneren Angelegenheiten wird auch unter dem Merkantilſyſtem grundſätzlich ab - gewieſen. Nicht erſt Adam Smith hat dieß Princip ausgeſprochen, ſondern er hat es nur auch auf den internationalen Verkehr ausgedehnt; ſein Freihandel iſt nichts anderes, als die Befreiung von jeder ſelb - ſtändigen Einmiſchung der Verwaltung auf dem einzigen Gebiete, auf dem die Nation ſie bisher zugelaſſen oder gefordert. Von dem, was wir den Colbertismus nennen, iſt in England gar keine Rede, eben ſo wenig unter der Herrſchaft des Merkantilſyſtems als ſpäter. Da exiſtirt keine Befreiung der Gewerbe, keine Erleichterung des inneren Handels, kein Kampf mit Monopolen, weil England ſie nicht hatte; es exiſtirt kein Verſuch, den Stand der Kaufleute und Producenten zu heben oder zur Ehre zu bringen, weil England deſſen nicht bedurfte; da entſteht kein Verſuch, Muſterfabriken, Kunſtſchulen oder ähnliches anzulegen, weil Englands Selbſtverwaltung, die ſtolze Selbſtgewißheit des Individuums, dem widerſprach. Von einem Syſtem der Volks - wirthſchaftspflege auf Grundlage der Principien des Merkantilſyſtems iſt daher auch damals keine Rede; die Verſchiedenheit von dem ſich büreaukratiſch organiſirenden Frankreich und dem an einzelnen Maß - regeln herum experimentirenden, auch hier einheitsloſen Deutſchland iſt eine durchgreifende; das verwaltungsrechtliche Princip des engliſchen Merkantilſyſtems iſt: Schutz des Verkehrs nach Außen und völlige Selbſtverwaltung ohne alle Regierungsthätigkeit im Innern. Nicht einmal das Nächſtliegende, das Bankweſen und das Straßenweſen, ordnet die Regierung; von einem Waſſerweſen, von einem Schifffahrts - weſen (die merchants chipping Act iſt bekanntlich erſt 1854 gegeben), von einer Wieſenpolizei, von einem Grundbuchsweſen, von Land -, Forſt - oder Bergbauordnungen im Sinne des Merkantilſyſtems iſt keine Spur vorhanden. Vergleicht man Englands Merkantilſyſtem mit dem25 des Continents, ſo iſt es keine Frage, daß daſſelbe überhaupt gar nicht vom Standpunkt einer nationalökonomiſchen Theorie, ſondern nur von dem des engliſchen Staatslebens aus verſtanden werden könne.
Weſentlich anders iſt dagegen das Bild des Merkantilſyſtems in Frankreich. Die Gewalt des perſönlichen Staats und der Gedanke, daß die höchſte Entwicklung des Einzelnen nur durch die Macht und den Glanz des Staats begründet werden könne — dieß ſpecifiſche Princip der romaniſchen Völker iſt bereits durch Richelieu feſt begründet. Es ſteht feſt, daß die Selbſtändigkeit des Einzelnen eine Gefahr für das Ganze iſt. Es folgt, daß wie in andern Dingen, ſo auch in volks - wirthſchaftlichen Intereſſen, der Fortſchritt des Einzelnen nur durch die Thätigkeit des Ganzen gewonnen werden kann. So wie daher im Merkantilſyſtem die entſcheidende Wichtigkeit der volkswirthſchaftlichen Entwicklung für den Staat zum Bewußtſein kommt, und die Regierung Ludwigs XIV. des Geldes und wieder des Geldes bedarf, ſo beginnt der Staat es als ſeine erſte Aufgabe anzuſehen, die geſammte Volks - wirthſchaftspflege im Sinne jener Principien in die Hand zu nehmen. Auf dieſe Weiſe entſteht das erſte, als ein Ganzes aufgefaßte und mit blendendem Glanze durchgeführte Syſtem der Volkswirthſchaftspflege in Europa. Und zwar iſt daſſelbe in Beziehung auf den internationalen Verkehr allerdings dem engliſchen natürlich gleichartig. Daß er den Schutz der einheimiſchen Produktion durch Navigationszölle und Schutzzölle gegen fremde Concurrenz will, iſt natürlich, und nicht das Eigenthüm - liche des franzöſiſchen Merkantilſyſtems. Daſſelbe beſteht vielmehr cha - rakteriſtiſch in dem großartig durchgeführten Verſuch, durch alle der Verwaltung zu Gebote ſtehenden Mittel die innere induſtrielle Produktion zu fördern. Es iſt wahr, daß die Volkswirthſchafts - pflege, die ſich daraus ergiebt, weſentlich nur eine Sorge für die höhere Induſtrie iſt; allein das iſt ſie in einem Maße, die ganz Europa blendet, und die allenthalben durch ihre glänzenden Erfolge zur Nach - ahmung oder wenigſtens zur Bewunderung hinreißt. Frankreich ſelbſt erkennt das; es folgt auf allen Punkten willig und dankbar der mäch - tigen Hand, die es leitet; es will auch in der Induſtrie beherrſcht werden von der Staatsgewalt, und es wird beherrſcht. Unter dem mächtigen Schutze der höchſten Gewalt regt ſich die induſtrielle Tüchtig - keit der Nation; ſie tritt alsbald ſiegreich auf dem ihr eigenthümlichen Gebiete auf; es iſt die Kunſt und der Geſchmack im Dienſte der wirth - ſchaftlichen Produktion, es iſt der unerſchöpfliche freie Werth, der ſich zur Baſis der induſtriellen Stellung Frankreichs mit der Welt macht, und die Regierung mit richtigem Verſtändniß des Charakters ihrer Nation geht voran. Sie errichtet Manufakturen und Fabriken, ſie26 gründet Sèvres und die Gobelins, ſie ehrt den Fabrikanten, ſie fördert die Kunſt und Wiſſenſchaft, ſie ſchafft die Académie und die École des Beaux-Arts; ſie geht weiter und gründet die großen Handelsgeſell - ſchaften mit ihren mächtigen Mitteln; ein allgemeines Wohlbehagen breitet ſich über das Ganze aus; ſelbſt die Finanzen gelangen zu einem nie geahnten Aufſchwung; und ſo iſt der wahre Kern des Merkantil - ſyſtems in Frankreich nicht mehr dieſe oder jene nationalökonomiſche Anſchauung, ſondern vielmehr der Gedanke, daß die Volkswirth - ſchaft nur unter der Hand der leitenden Regierung ihre höchſte Entwicklung erlangen könne.
Dieſes ächt franzöſiſche Syſtem iſt nur wenig durch eine eigene Literatur vertreten. Es war der große, ſtaatsmänniſche Blick eines einzelnen Mannes, der dieß vermochte. Hier wie immer hat Frank - reichs Schickſal auf der Individualität ſeines Herrſchers geruht. Das dankbare Volk aber nannte das Syſtem, das aus der abſtracten Lehre der Merkantiliſten zu einem praktiſchen Syſtem der wirthſchaftlichen Verwaltung geworden, und dem es ſeine induſtrielle Stellung in der Welt bis zum heutigen Tage dankt, mit gutem Recht nicht etwa das Merkantilſyſtem, ſondern den Colbertismus. Der Colbertismus iſt keine Nationalökonomie; er iſt die auf den Principien des Merkantil - ſyſtems gebaute innere Volkswirthſchaftspflege der höheren Induſtrie. Der Colbertismus iſt der Beginn der Volkswirthſchafts - pflege überhaupt; er gehört ganz der Verwaltungslehre. England war unfähig, ihn zu ertragen, Deutſchland war unfähig, ihn zu er - zeugen, und der Mangel eines Begriffs der Verwaltung und ihrer Scheidung von der Nationalökonomie macht es auch jetzt noch ſchwer, ihn recht zu verſtehen. Aber es iſt kein Zweifel, daß in ihm der Keim aller wirthſchaftlichen Verwaltung liegt, die noch immer ihre ganze Bedeutung für Europa nicht entfaltet hat. Denn in ihm zuerſt tritt der Staat als Staat handelnd auf; und jetzt erſt iſt es möglich, daß er auch Fehler begehe, die dann die Grundlage der Erkenntniß des Wahren werden. Und ſchon das 18. Jahrhundert thut eben in dieſer Richtung einen mächtigen Schritt vorwärts.
Was nun endlich das Merkantilſyſtem in Deutſchland betrifft, ſo iſt die Geſtalt, welche daſſelbe hier annimmt, eben ſo bezeichnend für dieß große Volk und ſeinen ganzen ſtaatlichen Charakter, als für Frankreich und England. Auch in Deutſchland muß man Weſen und Wirkung jenes Syſtems nicht etwa auf ſeinen einfachen nationalökono - miſchen Grundgedanken, ſondern auf die Elemente des öffentlichen Rechts zurückführen. Als im 17. Jahrhundert der Reichthum als eine der großen Grundlagen der ſtaatlichen Macht den Herrſchern zum27 Bewußtſein kommt, beſitzt Deutſchland als Ganzes überhaupt keine Verwaltung. Es beſteht aus lauter einzelnen Souveränetäten. Der deutſche Reichstag iſt gänzlich machtlos; die einzelnen Souveräne aber ſind innerhalb ihrer Territorien daſſelbe, was Ludwig XIV. in Frank - reich war, oder wollten es doch ſein. Wenn daher auch das deutſche Volk als Ganzes ſich einen volkswirthſchaftlichen Colbertismus hätte ge - fallen laſſen, ſo gab es doch niemanden, der ihn hätte einführen können. Die deutſchen Reichstage bleiben daher bei einem ſchwachen Verſuch ſtehen, namentlich im 16. Jahrhundert, wenigſtens negativ gewiſſe polizeiliche Maßregeln für die Volkswirthſchaft durchzuführen, Schutzzölle aufzuſtellen, allerlei Luxus zu verbieten u. a. m.; allein das Ganze bleibt ohne Bedeutung. Die Religionswirren und der dreißigjährige Krieg drücken jeden Aufſchwung zu Boden. Erſt nach demſelben bricht ſich ein ge - meinſames Bewußtſein Bahn. Und hier iſt es nun keinen Augenblick zu verkennen, daß auch auf dem Gebiete der Volkswirthſchaft nicht der engliſche, ſondern der franzöſiſche Gedanke zur Geltung gelangt. Auch in Deutſchland wollen die Regierungen die Völker durch ihr polizeiliches Eingreifen reich machen; das iſt der ſpecifiſche Charakter dieſer Epoche. Nur hat natürlich Deutſchland eben ſo wenig einen Colbert, wie es einen Ludwig XIV. hat. Ihre Stelle vertritt vielmehr auch hier die Wiſſenſchaft, und das deutſche Merkantilſyſtem erſcheint daher als die erſte Aufnahme volkswirthſchaftlicher Grundſätze in die neue Polizei - wiſſenſchaft. Hier nun muß man wohl das 17. und 18. Jahrhundert ziemlich beſtimmt ſcheiden. Als die beiden Hauptvertreter dieſer Zeiten kann man Seckendorff und Juſti anſehen. Seckendorff iſt der Erſte, der auf einer für ſeine Zeit wahrhaft großartigen Baſis die Volks - wirthſchaftspflege in die Staatswiſſenſchaft aufgenommen hat. Allerdings geht Klock de Aerario (1651) ihm voraus, in vieler Beziehung mit weiterem und freierem Blick, aber dennoch eigentlich ohne ſyſtematiſche Auffaſſung. Klock hat die Grundſätze des Merkantil - ſyſtems einſeitig vertreten, aber im Grunde iſt er kein Volkswirth, ſondern der erſte Vertreter der Finanzwiſſenſchaft in Deutſchland, und Vauban und Boisguillebert in Frankreich müſſen ihm als ſeine bedeutendſten Nachfolger zur Seite geſtellt werden. Seckendorff dagegen drückt der ſpäteren Zeit den Stempel der ſpecifiſch deutſchen Entwicklung auf. In Deutſchland war von jeher die Einheit ſeines Lebens nur in der Wiſſenſchaft, der Arbeit des Geiſtes, vorhanden, und Seckendorff iſt es, der die ganze volkswirthſchaftliche Verwaltung in dieſem Sinne zu einem Theile der deutſchen Wiſſenſchaft vom Staate gemacht hat. In ſeinem Teutſchen Fürſtenſtaat (1655) erſcheint dieſelbe als „ der Ander Hauptpunkt der Regierung, welcher beſteht in Aufrichtung guter28 Ordnung und Geſätze für die Wohlfahrt und gemeinen Nutz deß Vatter - landes. “ (Ander Theil C. VIII.) Allerdings iſt der Standpunkt Secken - dorffs charakteriſtiſch. Er ſpricht nur von Ordnung; die Geſetze ſollen Frieden und Ruhe herſtellen und namentlich „ eine gute Für - ſichtige Anſtalt und Ordnung über alle Handthierung und Nahrung im Lande “einrichten. Von einem poſitiven Eingreifen iſt eigentlich noch keine Rede; er hat kein eigentlich nationalökonomiſches Princip und die Ideen des Merkantilſyſtems ſind ihm offenbar ſo wenig be - kannt, als die engliſche Literatur. Sein Buch iſt dagegen anzuſehen als die Grundlage der ſpäteren Polizeiwiſſenſchaft in ihrer An - wendung auf die Volkswirthſchaft; er will auf allen Punkten den negativen Schutz gegen die innere Störung aller Produktionszweige, des Handels, der Gewerbe und auch der Landwirthſchaft; der in ihm zuerſt klar ausgeſprochene, wenn auch nicht philoſophiſch erfaßte Eudämonismus erſcheint noch bloß als Gericht und Polizei, beides aber ſtets zur „ Wohlfahrt und gemeinem Nutz “des Landes. Während nun das philoſophiſche Princip durch Pufendorf und beſonders durch Wolff in großartiger Weiſe entwickelt wird, wartet das volkswirthſchaftliche noch ein ganzes Jahrhundert, ehe es ſich zu einem wiſſenſchaftlichen Syſtem entwickelt, und dieß Syſtem iſt dann allerdings nichts als eine ausgearbeitete Theorie des Merkantilſyſtems. Der Hauptvertreter dieſer Richtung iſt J. G. v. Juſti. Seine erſte bedeutende Arbeit iſt „ Staatswirthſchaft, oder ſyſtematiſche Abhandlung aller ökonomiſchen und Cameral-Wiſſenſchaften “(1755, 2 Bde). Dieß Werk, das Kautz ein wenig mit Uebergehung Seckendorffs das „ erſte ſyſtematiſche Werk über Volks - und Staatswirthſchaft in Deutſchland “nennt, iſt aller - dings die erſte ſyſtematiſche Ausführung des Eudämonismus auf der nationalökonomiſchen Grundlage des Merkantilſyſtems; allein es iſt nicht richtig, es bloß für ſich zu betrachten. Denn es iſt vielmehr eine Vorarbeit Juſti’s, die noch einſeitig am Merkantilſyſtem hängt und vielmehr den Schlußpunkt ſeiner Herrſchaft in Deutſchland als den Mittelpunkt derſelben bildet. Juſti ſelbſt iſt raſch über denſelben hinweg gelangt. Schon fünf Jahre ſpäter ſchrieb er ſein Hauptwerk, das erſte wiſſenſchaftliche Syſtem der innern Verwaltung überhaupt, ſeine Polizeiwiſſenſchaft (1760 — 61, 2 Bde. 4.). Allerdings wird in dieſem Werke „ die Policey die Grundveſte der Glückſeligkeit der Staaten “(§. 6). Aber hier unterſcheidet Juſti bereits die „ un - beweglichen Güter “von den „ beweglichen, “und geht ſo ſelbſt den Phyſiokraten vorauf, den engen Standpunkt der Merkantiliſten zum Theil überwindend. Er ſagt ſchon §. 11: „ Die Beſchaffenheit der un - beweglichen Güter im Lande muß mit dem gemeinſchaftlichen Beſten29 beſtändig in der genaueſten Verbindung und Uebereinſtimmung ſtehen; “in §. 18 erkennt er zweitens: „ der Nahrungsſtand im Lande muß alle - zeit ſowohl mit der Wohlfahrt der einzelnen Familien als dem gemeinen Beſten in Verbindung ſtehen, “und endlich erkennt er (§. 19 ff. ), daß „ der ſittliche Zuſtand der Unterthanen ſowohl für die einzelnen Fami - lien als für das gemeine Beſte vom größten Einfluß iſt. “ Hier erkennt man deutlich das Durchgreifen der Wolffſchen Idee; es iſt die Erhebung zu einer ſyſtematiſchen, großartig angelegten Verwaltungslehre über - haupt, die aber ſchon bei Juſti nicht recht zu Stande kommt, weil auch ihm die unklare Vorſtellung von dem „ Gemeinen Beſten “an die Stelle des beſtimmten Begriffs vom Staat tritt, ohne den die Ver - mengung von Nationalökonomie und Verwaltungslehre unvermeidlich bleibt und ſelbſt die merkantiliſtiſche Vorſtellung vom Werthe des Gel - des und der Induſtrie überragt, welche jene Zeit charakteriſirt. Durch alles dieß zuſammengenommen kommt Deutſchland zwar nicht in ſeiner ſtaatlichen Ordnung, wohl aber in ſeiner Wiſſenſchaft zu einem Syſtem der Volkswirthſchaftspflege, wie es theoretiſch kein ander Volk aufzu - weiſen hat. Die praktiſche Durchführung der Ideen des Merkanti - lismus jedoch konnte nur in den einzelnen Staaten verſucht werden. Und hier traten wie immer die beiden deutſchen Großmächte, Oeſterreich und Preußen, an die Spitze; Oeſterreich weſentlich auf literariſchem Gebiet durch Becher und namentlich durch W. J. Horneck: Oeſterreich über alles, wenn es nur will (1654), ein Mann, der es bewies, daß es Deutſchland nicht an einem Colbert, ſondern nur an einem Reiche fehlte, das ihn verſtanden hätte. Die übrigen deutſchen Staaten waren damals wie jetzt für große Gedanken zu klein. Die Geſchichte dieſer Zeit und ihrer Erſcheinungen iſt noch zu ſchreiben; erſt wenn die deutſchen Kulturhiſtoriker die Kraft haben werden, Männer wie Horneck ſo meiſterhaft zu individualiſiren, wie es Roſcher in Hildebrands Jahrbüchern gethan, wird man wiſſen, was Leo geahnt, daß die Hälfte des innern Lebens auch dieſer Epoche in der nach den Grundſätzen des Merkantilſyſtems vorſchreitenden Volkswirthſchaftspflege beſtanden hat. Hier können wir es nur andeuten.
Faßt man nun den Einfluß des Merkantilſyſtems auf Europa und ſpeciell in Beziehung auf die wirthſchaftliche Verwaltung und die Nationalökonomie auf, ſo ergibt ſich folgendes Reſultat. Das Merkantilſyſtem iſt nie und nirgends zu einem Syſtem der National - ökonomie geworden, wohl aber iſt es dasjenige Syſtem, welches die Bedeutung der Volkswirthſchaft für das Geſammtleben zuerſt zum öffentlichen Bewußtſein gebracht hat. Es hat dadurch die wirthſchaft - lichen Lebensverhältniſſe des Volkes zuerſt in das Gebiet der Verwaltung30 hineingezogen, und iſt die erſte große Erſcheinung der europäiſchen Volkswirthſchaftspflege. Dabei iſt es einſeitig in ſeiner Zeit wie in ſeinen Grundgedanken; aber dieſer Grundgedanke iſt unbewußt ein Ausdruck der entſtehenden ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft, denn es iſt der erſte große Vertreter des Gedankens, daß die (das Geld ver - dienende) gewerbliche Arbeit des Volkes die Staaten reich mache. Es zwingt daher zum Nachdenken über die Geſetze, welche die Arbeit und den Erwerb durch Arbeit beherrſchen; aber es ſelbſt iſt noch keine Erkenntniß dieſer Geſetze. Es hat daher die Elemente der Nationalökonomie in ſich; aber es iſt dennoch nicht bloß ein reines, ſondern zunächſt einſeitiges Syſtem von wirthſchaftlichen Ver - waltungsprincipien und - Maßregeln. Das zweite große Gebiet der Arbeit, die landwirthſchaftliche Produktion, iſt ihm faſt gänzlich un - bekannt; doch erſcheint das Hinausgehen über die Arbeit des gewerb - lichen Lebens und den Credit bereits in den Banken, und zum Theil in den Handelsmagazinen, die jedoch in bezeichnender Weiſe beide nur als große Thatſache ohne alle Theorie daſtehen. Man ſieht, daß die Bahn geöffnet iſt; aber noch iſt eigentlich kein feſtes Reſultat, keine dauernde Grundlage gewonnen.
Die gewöhnliche Meinung iſt bekanntlich, daß die Schule der Phyſiokraten erſt durch Quesnay begründet ſei. Es iſt der Glanz ſeines allerdings etwas ſchematiſchen, aber doch immerhin großartigen Syſtems, das zu dieſer Anſicht auch bedeutende Männer verleitet hat. Dennoch iſt Quesnay eben ſo wenig der Erſte auf der von ihm ein - zuſchlagenden Bahn, als ſein Syſtem die Aufgabe und Abſicht hatte, vor allen Dingen eine rein nationalökonomiſche Theorie zu gründen. Denn gerade bei Quesnay zeigt es ſich am klarſten, wie die National - ökonomie entſtanden iſt. Sie iſt nichts an und für ſich, ſondern ſie iſt für ihn, und allerdings hier zum erſtenmale in der Geſtalt einer wirklichen Wiſſenſchaft, die großartige Begründung eines auf das Tiefſte in die geſellſchaftlichen und volkswirthſchaftlichen Verhältniſſe eingreifen - den Syſtems der wirthſchaftlichen Verwaltung, das wie es in Quesnay ſeinen Theoretiker, in Turgot ſeinen Praktiker und in Mirabeau ſeinen Socialiſten hatte. Es iſt wahr, daß erſt die Phyſiokraten der Na - tionalökonomie die theoretiſche Fähigkeit eigener Exiſtenz gegeben haben; aber die Franzoſen haben die letztere dennoch nicht ſelbſtändig auszu - tragen vermocht; bei ihnen iſt auch dieſe Schule zu einem Syſtem der31 Volkswirthſchaftspflege geworden, das allerdings viel großartiger und wir möchten ſagen ſeiner ſelbſt bewußter iſt, als das der Merkanti - liſten. Und dieß iſt im Allgemeinen nicht ſchwierig zu erkennen.
So heilſam auch Colberts Syſtem mit all ſeiner Einſeitigkeit ge - wirkt hatte, ſo haben dennoch die Kriege und der tyranniſche Luxus Ludwigs XIV. ſein ganzes Werk vernichtet. Das Elend Frankreichs wuchs von Jahr zu Jahr, und Vauban konnte ſchon in ſeiner Dîme royale (1698) die furchtbare Rechnung aufſtellen: „ Von je zehn Fran - zoſen iſt Einer ein Bettler; von den übrigen ſind fünf verarmt und außer Stande, jenen Bettlern ein Almoſen zu geben; von den übrigen vier ſind drei in ſehr ungünſtigen Verhältniſſen; auf das letzte Zehntel, den Adel, die Geiſtlichkeit, die Beamteten und den noch wohlhabenden Bürgerſtande, kann man kaum 100,000 Familien rechnen, und von dieſen wieder nur ein Zehntel als wirklich reich annehmen. “ (Dîme royale. Écon. fr. p. 36. 37.) Die Noth, neben der die Unwirthſchaft und die Verſchwendung hier wie immer ihre beiden Begleiter, mit gleichem Schritt einhergingen, ließ allmählig die Ueberzeugung entſtehen, daß der Merkantilismus nicht ausreiche; ſie zwang die Männer, welche ihr Vaterland liebten, zuerſt den Thatſachen ins Auge zu ſehen, dann über den Ruin der Finanzen nachzudenken, und endlich nach einem ganz andern Ausgangspunkte für die Aufgaben des Staats zu ſuchen, damit er ſelber wieder gut mache, was er verdorben hatte. So tritt ſchon hier auf allen Punkten der Staat in ſeiner Verwaltung ſtatt der allgemeinen Begriffe und Grundſätze der Nationalökonomie in den Vor - dergrund, und danach geſtaltet ſich nun die folgende Literatur, die in ihren Principien zwar Nationalökonomie, in ihren Ausführungen jedoch Verwaltungslehre und namentlich Volkswirthſchaftspflege iſt. Aus dem erſten der obigen Elemente entſprang die erſte volkswirthſchaftliche Statiſtik, die aus den obigen Gründen zugleich eine finanzielle war, und damit den Grund einerſeits zu einer hiſtoriſchen Betrachtung der volkswirthſchaftlichen Verwaltung, andererſeits zu einer rationellen Unterſuchung des Syſtems der Finanzen legte, aus dem dann ein halbes Jahrhundert ſpäter erſt das Steuerprincip Quesnays hervorging. Die beiden Männer, welche hier Bahn brachen, ſind Boisguillebert und Vauban. Boisguilleberts beide bekannteſten Arbeiten ſind der Détail de la France sous le règne présent (L. XIV. 1697) und das Factum de la France, ou moyen très facile de rétablir les finances de l’État (1707); für die Geſchichte der phyſiokratiſchen Schule nicht minder wichtig iſt ſein Traité de la nature, culture, commerce et intérêt des Grains, tant par rapport au public qu’à toutes les conditions d’un État, in der er zuerſt die Freiheit des Kornhandels32 als Grundlage der Herſtellung des wahren Kornpreiſes fordert zum Theil in Paradoxen (wie P. II: Ou l’on fait voir que plus on en - lèvera de blés en France, et moins on aura à craindre les ex - trêmes chertés). Zu einem Syſtem gelangt Boisguillebert jedoch ſo wenig, als ſein Zeitgenoſſe Vauban in ſeiner Dîme royale (1698), eine Arbeit, welche nicht bloß ein für die damalige Zeit hochwichtiges Syſtem der Staatseinnahmen vertrat, ſondern durch die an den großen Mathematiker der Befeſtigungskunſt erinnernde Genauigkeit ſeiner Auf - zeichnungen über die beſtehenden Grundlaſten in den Seigneuries die Koſten des Landbaus, die Schätzungs - und Verkehrspreiſe der Grund - ſtücke und des Korns eines der bedeutendſten — leider ſehr wenig be - nutztes — hiſtoriſches Document bildet. Beiden Männern aber iſt das gemeinſam, was eigentlich die Kraft der phyſiokratiſchen Schule aus - machte: das Verſtändniß der Bedeutung der Landwirthſchaft neben der Induſtrie; hält man ſie neben die eigentlichen Phyſiokraten, ſo erkennt man unzweifelhaft, daß die Grundgedanken der letzteren durch - aus nicht neu, ſondern nur eine organiſche Formulirung der Beobach - tungen und Ergebniſſe waren, die ſchon im Anfange des 18. Jahr - hunderts feſtſtanden. Denn beide ſind in gleicher Weiſe für die Befreiung des Handels und der inneren Produktion; vor allem aber iſt beiden das große ſociale Bewußtſein lebendig, das die wichtigſte Thatſache der ganzen phyſiokratiſchen Schule bildet. Boisguillebert ver - ſteht es bereits, die Klaſſe der Reichen von der der Armen zu ſcheiden und darauf eine Reihe von Beobachtungen über die Kornpreiſe zu gründen (ſo namentlich Traité des Grains, ch. VI). Vauban dagegen iſt ſchon in ſeiner ganzen Arbeit von dem Bewußtſein durchdrungen, „ que le même peuple qu’on accable et qu’on méprise est le véri - table soutien de l’État. “ Schon hier aber wendet ſich die große ſociale Frage nicht eben den Geſetzen der Nationalökonomie oder der Geſellſchaftslehre, ſondern dem „ Staate “zu; in ihm, ſeinem Begriffe, ſeinen Kräften und ſeinen Verpflichtungen culminirt dieſe wiſſenſchaft - liche Richtung, ohne es klar zu wiſſen und doch die folgende Zeit mit ſich fortreißend. Denn es iſt der Charakter der franzöſiſchen Entwicklung überhaupt, der hier in demſelben Geiſte wie unter Colbert, wenn auch von einem andern Standpunkte aus, vertreten wird. Das Gewicht jener unverkennbaren Thatſachen wendete aber naturgemäß den Blick von der abſtrakten Theorie ab, und vielleicht hätte ſchon damals die Verwaltung eine neue Bahn eingeſchlagen, wenn nicht Laws Experi - mente wieder alle Vorſtellungen verwirrt und die Gedanken und Hoff - nungen einſeitig auf das Geldweſen zurückgerichtet hätten. Die erſten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts vergeſſen in dem Papierſchwindel33 aller Art die Beachtung ſowohl der Landwirthſchaft als der ſocialen Unterſchiede; noch einmal waren Nationalökonomie und Finanzwiſſen - ſchaft nichts als die Kunſt, Geld für den Staat zu machen; noch ein - mal fällt die geiſtige Arbeit in die Fragen des Merkantilſyſtems; die übrigens hochbedeutenden Arbeiten Laws über Münzen und Banken (Considérations sur le Numéraire (nach Locke’s Considerations of the consequences of the raising of the interest and of raising of the value of money, 1691), und ſeine Mémoires sur les Banques) wurden weiter ausgearbeitet von Dutot (Réflexions sur le commerce et les Finances) und Melon (Essai politique sur le commerce, 1734) und öfter, ſo daß ſelbſt Montesquieu, hier der Sache nicht Herr und ohne rechtes Verſtändniß für das Weſen und die Bedeutung der capitalloſen Arbeit und ihrer Gefahren, das ganze Gebiet der Land - wirthſchaft mit ihrem damaligen unfreien Recht auf das Klima und ſeinen Einfluß reducirt (L. XVI. ) und ſich bloß mit dem Handel und dem Gelde — jenen beiden Hauptelementen des Merkantilſyſtems — in ihrem Verhältniß zur Verfaſſung beſchäftigt, geiſtreich wie immer und tief einſchneidend, aber hier einſeitiger als irgendwo (L. XX. XXI. und XXXI.). Auf dieſe Weiſe zeigt uns die erſte Hälfte des 18. Jahr - hunderts die Zeit des Schwankens zwiſchen den beiden großen Rich - tungen der Volkswirthſchaftspflege, der gewerblichen Arbeit und der Landwirthſchaft, beide durch große Anſichten und große Arbeiten ver - treten, noch ohne rechte Herrſchaft über die Frage und ohne Entſcheidung. Und das iſt nun das große Verdienſt und die wahre hiſtoriſche Stellung Quesnays, daß er eben mit dem Glanze ſeiner Theorie dieſe Ent - ſcheidung, und zwar eben in dem Sinne der Volkswirthſchaftspflege, gebracht hat. Wir haben über ſein Syſtem als ſolches nichts zu ſagen. Allein wenn je ſo iſt es hier klar, ſo wie man einen Blick auf die treffliche Zuſammenſtellung ſeiner Werke von Daire wirft, daß er ſein Tableau économique nicht aufgeſtellt hat, um eine neue national - ökonomiſche Theorie zu begründen. Mitten in den entſcheidenden Orga - nismus der Regierung geſtellt, war es ihm von Anfang an klar, daß es die wirthſchaftliche Verwaltung ſei, auf die es ankomme; und unmittelbar an das Tableau ſchließen ſich daher die Maximes générales du gouvernement économique d’un royaume agricole, et notes sur ce sujet (1758; die Originalausgabe iſt nicht mehr vor - handen). Dieſe maximes générales ſind in der That weſentlich ein Syſtem der Verwaltung; die einfachen Principien deſſelben ſind: „ die balance en argent, chose futile; dagegen préférence pour l’agricul - ture, liberté de culture, entière liberté du commerce, circulation complète, impôt non destructeur, und endlich l’aisance pour lesStein, die Verwaltungslehre. VII. 334pauvres citoyens. Mit dieſen Grundſätzen, getragen durch die Neuheit und den Glanz des erſten nationalökonomiſchen Syſtems, das die Geſchichte unſerer Wiſſenſchaft kennt, und das in den Problèmes éco - nomiques auch dialektiſch entwickelt ward, beginnt für Frankreich eine neue Auffaſſung der Idee der Verwaltung. Der Grundgedanke dieſer phyſiocratiſchen Volkswirthſchaftspflege iſt: der Staat ſoll eine Be - ſteuerung einrichten, welche den Landmann nicht mehr ruinirt; die Verwendung ſeiner Einnahmen ſoll nicht mehr auf den luxe de déco - ration gehen; er ſoll daran feſthalten, daß er nicht ſo ſehr auf die Zunahme der Bevölkerung als auf die der Einnahmen zu ſehen habe; zu dem Ende ſoll er die volkswirthſchaftliche Bewegung ſowohl in Be - ziehung auf Gewerbe als auf Handel frei geben (pleine liberté de la concurrence, M. XXV.). Die Verwaltung namentlich ſoll in Ver - wendungen der Staatsgelder für öffentliche Zwecke nicht ſparſam ſein; „ car de très grandes dépenses peuvent cesser d’être excessives par l’augmentation des richesses “(M. XXVII. ); ja die Verwaltung ſoll ſogar die nationalökonomiſche Bildung neben der juriſtiſchen aufſtellen: l’étude de la jurisprudence humaine ne suffit pas pour former les hommes d’État; il est nécessaire que ceux qui se destinent aux emplois de l’administration soient assujettis à l’ordre naturel le plus avantageux aux hommes réunis en société (M. II.). Das iſt offenbar keine Nationalökonomie mehr; das iſt ſchon etwas, was man in unſerer Zeit ein ſehr beſtimmtes Programm der wirthſchaftlichen Verwaltung nennen würde. Für Quesnay iſt die Nationalökonomie, deren orga - niſche Geſetze ihm die Ordre naturel bilden und für welche ſein Tableau nur die ſchematiſche Darſtellung iſt, von dem Gouvernement auf das Beſtimmteſte geſchieden; das letztere hat ſeine ganz feſtſtehende Function, und die Nationalökonomie iſt ihrerſeits nur das Subſtrat dieſer Thä - tigkeit der Verwaltung. So ſind hier die Grundlagen des Verſtänd - niſſes der letzteren gelegt, und wenn er nicht ſchon damals die ſelbſtän - dige Volkswirthſchaftspflege von der Güterlehre ſchied, ſo war wohl die Haupturſache davon, daß Frankreich eben auf ſeinen Univerſitäten die Staatswiſſenſchaften auch in der Form des Jus naturae ſo gut als gar nicht lehrte, und daher aus dieſen einfachen Principien kein Syſtem zu machen verſtand. Man gelangte daher nicht einmal zu einer Po - lizei - oder Cameralwiſſenſchaft, wie in Deutſchland; Güterlehre und wirthſchaftliche Verwaltung verſchmelzen wieder in Eins und der Name der „ Économistes, “den die Phyſiokraten annahmen, bedeutete nur die große Forderung, daß die Verwaltung ſich an die Principien der Nationalökonomie anſchließen ſolle, und das Bewußtſein, daß ſie un - mächtig bleiben müſſe, wenn ſie mit ihnen in Widerſpruch trete, wie35 es Dupont de Nemours am klarſten in ſeinem Abrégé des prin - cipes d’Économie politique (2me section, société, Ed. Daire p. 371) ausſpricht: „ La société donc ne peut se faire des lois qu’en dedans du cercle tracé par les lois naturels. “ Daneben erhält ſich aber mit gleicher Beſtimmtheit in dieſer ganzen Schule das Verſtändniß, daß aus dieſer Verſchiedenheit der Geſetze des Güterlebens und der Ver - waltung nicht eben ein Gegenſatz zwiſchen Volk und Staat hervorgehe, ſondern daß vielmehr die höchſte Aufgabe der Verwaltung zugleich die höchſte Identität der Intereſſen für beide enthalte. Quesnay hält dieſen Grundton ſeiner ganzen Auffaſſung feſt, und die Verhältniſſe machten es wohl erklärlich, daß er die finanzielle Frage in dem be - kannten Satz zum Ausgangspunkte nahm: „ Pauvre paysan, pauvre royaume; pauvre royaume, pauvre roi. “ Seine Schule aber kommt faſt auf jedem Punkte auf den Satz zurück, „ que l’intérêt du sou - verain est identique avec celui des sujets. “ Dieß allgemeinſte Princip der wirthſchaftlichen Verwaltung durchdringt die ganze phyſiokratiſche Schule, wenn es auch nur auf die Vor - und Nachproduktion ange - wendet wird, und die beiden Haupterſcheinungen, die ſich aus den Werken Quesnays entwickeln, gehören darum in der That der Ver - waltung und nicht mehr der Güterlehre. Wir dürfen ſie hier nicht verfolgen; aber ſie ſind bedeutend genug, um der künftigen Geſchichte als Grundlage zu dienen. Was Colbert für die volkswirthſchaftlichen Principien des Merkantilſyſtems geweſen, das wollte Turgot für die der Phyſiokraten ſein. Turgots Miniſterium iſt die direkte Anwendung der phyſiokratiſchen Verwaltungslehre auf die franzöſiſchen Zuſtände; es iſt der große Verſuch, zuerſt den Handel und das Gewerbe und dann den Bauern durch die Maßregeln der Regierung frei zu machen. Aber er vermochte nicht einmal das negative Element ſeiner Schule durchzuſetzen, jene „ liberté de la concurrence; “zu der poſitiven Seite derſelben, zur Idee der Grundentlaſtung, die der phyſiokratiſchen Schule ihre höchſte volkswirthſchaftliche Begründung verdankt, ohne daß ſie dieſelbe doch auszuſprechen gewagt hätte, hat auch Turgot ſich nicht erhoben: vielleicht eben deßhalb nicht, weil ſie ſelbſt die gründ - liche Umgeſtaltung der ſocialen Ordnung vorausſetzte, die niemand deutlicher kommen ſah, als eben die Phyſiokraten. Denn ſie ſind die wahren Socialiſten des 18. Jahrhunderts. Ihr Kampf gegen die Merkantiliſten wird zu einer in furchtbarem Ernſt ihnen entgegentretenden Ahnung der kommenden Revolution, die in der Ver - zweiflung an dem guten Willen der herrſchenden Klaſſe und an dem Verſtändniß ihrer Gefahren prophetiſch den nahenden Vernichtungskampf der ſtändiſchen Ordnung vorherſieht. „ Modérez votre enthousiasme,36 aveugles admirateurs des faux produits de l’industrie! Avant de crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont pauvres, du moins malaisés, ces mêmes ouvriers qui ont l’art de changer vingt sous en une valeur de mille écus. Au profit de qui passe donc cette multiplication énorme des valeurs? Quoi? ceux par les mains desquels elle s’opère ne connaissent pas l’aisance? Ah, dé - fiez-vous de ce contracte! “ (Mercier de la Rivière, Ordre na - turel et essentiel des sociétés politiques, I. p. 199, cf. 280, 81.) Und neben dieſen Ausbrüchen des Gefühls ein Mann wie Mirabeau mit ſeinem Ami de l’homme (1770), der erſte, der die eudämoniſtiſche Idee der Verwaltung auf allen Punkten mit ſpecieller Beziehung auf die niedere Klaſſe durchführt! Gewaltig waren dieſe Geiſter, und tief war ihr Verſtändniß deſſen, was den Keim der Gefahr in ſich trug. Aber dennoch waren ſchon damals die Dinge zu weit gediehen, um noch mit einzelnen, wenn auch noch ſo großartig angelegten Verwaltungs - maßregeln geändert werden zu können.
Das nun iſt die phyſiokratiſche Schule in ihren Hauptrichtungen. Allerdings iſt ſie zunächſt und vor allem eine franzöſiſche Erſcheinung. Allein ſie ſteht ſo wenig vereinzelt wie die Merkantiliſten Englands. Jene eigenthümliche Auffaſſung, welche die Bewegung und das Leben der Geiſter eben nur in der Bücherwelt findet und es ſtets an einzelne literariſche Namen knüpft, ohne ſich um alles andere zu kümmern, was neben und über denſelben vorgeht, hat auch hier eine höchſt enge und einſeitige Anſchauung jener Schule erzeugt. In der That nämlich ſind die Phyſiokraten nur eine ganz beſtimmte Geſtalt der großen Bewegung, welche das 18. Jahrhundert charakteriſirt und alle continentalen Länder ergreift. Dieſe Bewegung iſt keine geringere, als die Richtung der Verwaltung in Geſetzen und Thätigkeit auf die Hebung der nie - deren landwirthſchaftlichen Klaſſe und der Rohproduktion überhaupt. Die Phyſiokraten, über die ſelbſt die Literaturgeſchichte ihre Vorgänger, deren wir erwähnt haben, vergißt, ſind nichts als der franzöſiſche, auf dem erſten nationalökonomiſchen Syſtem begründete Ausdruck dieſer neuen Bahn, welche die Volkswirthſchaftspflege einſchlägt. Es wird daher die Aufgabe der künftigen Geſchichtſchreibung ſein, die Geſammtheit aller dieſer großen Maßregeln nicht als eine Schule der Nationalökonomie, welche letztere nur beiläufig darin vor - kommt, ſondern als eine neue Epoche der wirthſchaftlichen Verwaltung zuſammenzufaſſen. Selbſt in England, wo die Verwaltung der inneren Angelegenheiten ſtets auf dem niedrigſten Standpunkt ſteht, erkennt man deutlich in Literatur wie in Praxis dieſe Richtung. Die großen Arbeiten von Arthur Young und zum Theil auch die von John37 Stuart löſen ſich von der einſeitig merkantiliſtiſchen Färbung los, und namentlich der erſtere iſt bekanntlich der erſte eigentlich landwirthſchaft - liche Schriftſteller Englands. In Deutſchland aber tritt jener Grund - zug des 18. Jahrhunderts noch viel deutlicher zu Tage. Hier beginnt die Verwaltung wirklich praktiſch in die landwirthſchaftlichen Verhält - niſſe einzugreifen, und zwar in zwei Richtungen; zuerſt in den erſten großen Verſuchen, eine durchgreifende Aenderung in der Lage der unfreien ländlichen Beſitzer hervorzubringen, gemeſſene Frohnden ſtatt der un - gemeſſenen einzuführen, Ablöſungen auf dem Wege freier Vereinbarung zu erzielen, namentlich aber die Leibeigenſchaft vollſtändig aufzuheben; dann in der Herſtellung eigener Organe für die landwirthſchaftliche Verwaltung, den Landesökonomie-Collegien und ähnlicher Inſtitute, deren Geſchichte die Vorläuferin der gegenwärtigen Miniſterien der Landwirthſchaft und der öffentlichen Bauten bildet. Wir werden unten in der Geſchichte der Entlaſtungen, Ablöſungen und Gemeinheits - theilungen, und ſpäter in der Landwirthſchaftspflege das Einzelne dar - ſtellen. Hier möge zunächſt nur die Thatſache feſtſtehen, daß die phy - ſiokratiſche Schule ſich von dieſem großen europäiſchen Hintergrund nur durch ihren ſyſtematiſchen Inhalt und durch den großartigen, wenn auch mißlungenen Verſuch Turgots abhebt, während gegenüber der allerdings viel bedeutenderen literariſchen Bewegung in Frankreich in der Verwaltung Deutſchlands viel mehr wirklich geſchieht, als jene theokratiſche Schule Frankreichs dort möglich machen konnte. Und erſt in dieſem Sinne kann man von jenem Syſtem als dem Führer und Haupt einer zweiten ſelbſtändigen Epoche der Volkswirthſchaftspflege und der neueren Verwaltung des geſammten Europas reden.
In ganz ähnlicher Weiſe muß nun der eigentliche Charakter der Schule von Adam Smith eben ſo ſehr in dem Verhältniß zur Verwal - tung, als in ihrem nationalökonomiſchen Inhalt geſucht werden. Und dieß wollen wir gleichfalls hier kurz andeuten.
Es kann natürlich auch nicht entfernt unſere Abſicht ſein, hier die ohnehin wohlbekannte Lehre von Adam Smith im Allgemeinen darzu - ſtellen. Indem wir dieſelbe nach allen Seiten hin vorausſetzen, müſſen wir jedoch den Standpunkt deſſelben in Beziehung auf die Verwaltung, die Gründe, warum er einen ſo mächtigen Anklang namentlich in Deutſchland fand, und endlich die Geſtalt der Volkswirthſchaftspflege, wie ſie aus dieſem Einfluſſe Adam Smiths hervorgeht, ſo kurz und beſtimmt als möglich charakteriſiren.
38Das achtzehnte Jahrhundert iſt im Guten wie im Böſen die Zeit der polizeilichen Bevormundung des Volks. Die ganze Theorie des Eudämonismus, wie ſie Chriſtian Wolf zuerſt zu einem Syſteme ver - arbeitet, iſt zum Inhalt der ganzen innern Verwaltung, namentlich alſo auch der Volkswirthſchaftspflege geworden. Die Abſichten dabei waren meiſt vortrefflich, die Mittel oft ſehr rationell, das Ziel ein großes. Allein das