Reiſebeſchreibungen giebt es bereits in ſolcher Menge, daß man Bibliotheken damit an - fuͤllen kann; mehrere hundert ſind ihre Zahl. Sie noch zu vermehren koͤnnte daher ſehr unnoͤthig ſchei - nen, wenn nicht viele von ihnen mehr eine Menge Papier, laͤcherliche und oft ungereimte Erzaͤhlun - gen, unbegreifliche Wunderdinge und unverſtaͤnd - liche oder verworrne Beſchreibungen von Thieren, Kraͤutern und andern Landesprodukten, als im Gegentheil nuͤtzliche und intereſſante Entdeckungen, zuverlaͤſſige Wahrheiten, bekannte und verſtaͤndli - che Nahmen und Kennzeichen von Thieren und Gewaͤchſen enthielten. Wie oft muß man nicht mit vielem Zeitverluſt einen ganzen Folianten durch - leſen, ehe man ſo viel wiſſenswuͤrdige und fuͤr Wahrheit anzunehmende Nachrichten findet, alsVorrede des Verfaſſers. auf einer einzigen Seite Platz haben koͤnnten? Wie oft haben nicht Naturforſcher und Oekono - mie-Verſtaͤndige vergeblich ſich bemuͤhet, in Reiſe - beſchreibungen etwas, das ſie gebrauchen koͤnnten, anzutreffen, weil ſie die barbariſchen Nahmen der Naturalien nicht verſtanden, die vielleicht die Ver - faſſer ſelbſt nicht gehoͤrig anzugeben gewußt, manchmahl wohl ſelbſt nicht verſtanden haben moͤ - gen? Iſt nicht die Muskatennuß, von der faſt alle Beſchreibungen Oſtindiſcher Reiſen ein Langes und Breites ſagen, und die verſchiedne Jahrhun - derte hindurch einer der eintraͤglichſten Handlungs - zweige fuͤr die Europaͤer geweſen iſt, dem Geſchlech - te nach, wozu ſie gehoͤrt, zum Theil noch unbe - kannt? Hat man nicht von den in der Bibel vor - kommenden Thieren und Gewaͤchſen, obgleich je - ne das aͤlteſte, heiligſte und allgemeinſte Buch iſt, bis auf die letzten Zeiten, großentheils nur eine un - zuverlaͤſſige Kenntniß gehabt? und gilt dies nicht noch von unſrer jetzigen Zeit? Unwiſſende Reiſen - de benennen oft auslaͤndiſche und fremde Thiere mit den Nahmen ſolcher Thiere, die ſie vorher kannten. — So nennt mancher alle Arten wilde Katzen Tiger, und verſchiedne Gattungen vom Ge - ſchlechte der Hunde Fuͤchſe. So vermiſcht man - cher den Jakhal oder SimſonsFuchs, entwederVorrede des Verfaſſers. mit dem gemeinen Europaͤiſchen Fuchſe, oder mit dem Haushunde, ſo wenig er auch zu der einen oder andern dieſer Thierarten gehoͤrt.
Jeder Reiſende glaubt Beruf zum Schrift - ſteller zu haben, und ſeinen Landsleuten etwas wunderbares erzaͤhlen zu duͤrfen, ſollte er auch ſelbſt ſo arm an Einſicht und Kenntniß ſeyn, daß er das, was er ſah und hoͤrte, weder ſelbſt ver - ſtand, und ſich eine richtige Vorſtellung davon machen, noch andern richtig und deutlich beſchrei - ben konnte. Schon aus dieſer einzigen Quelle ſind mehr unverſtaͤndliche Buͤcher, als man glau - ben ſollte, hervorgefloſſen.
Wenn daher Reiſebeſchreibungen entweder das Dunkle in aͤltern Reiſenachrichten aufhellen, oder uͤber Geographie, politiſche Geſchichte, Na - turlehre, Oekonomie, Naturhiſtorie, Medicin und andre Wiſſenſchaften neues Licht verbreiten, alsdann, aber auch nur alsdann ſind ſie gewiß nicht uͤberfluͤſſig. Iſt denn der Reiſende fremde Laͤnder mit den Kenntniſſen, der Einſicht, der Gabe, was man ſieht und hoͤrt, geſund und richtig zu beurthei - len, und der Aufmerkſamkeit, wie ein Theil der Neuern gethan hat, durchreiſet, ſo glaubt man beym Leſen ſeiner Beſchreibung ihm gleichſam Schritt fuͤr Schritt nachzureiſen, und was er ſah,Vorrede des Verfaſſers. auch mit eignen Augen zu ſehen. Wird dabey zu - gleich alles kenntlich gemacht und verſtaͤndlich und deutlich erzaͤhlt und beſchrieben, ſo kommt man in den Stand, wahren Vortheil daraus zu ziehen.
Vom Vorgebirge der guten Hoffnungund dem dazu gehoͤrigen Theile von Afrikahaben ſchon mehrere uns Nachrichten und Beſchreibungen ge - liefert. Einige haben uns dieſe in großen Baͤnden zu leſen gegeben, worin man alles, was dieſes Stuͤck des ſuͤdlichen Afrikaund die daſigen Nieder - laſſungen der Hollaͤnder betrifft, zu erwarten be - rechtigt iſt. Kleinerer Beſchreibungen und Samm - lungen von Nachrichten nicht zu gedenken, gab Kolbeim Jahr 1727 ein Werk in zwey Foliobaͤn - den in Hollaͤndiſcher Sprache heraus, die hernach in verſchiednen Sprachen uͤberſetzt, zu nicht gerin - gem Gewinn der Verleger, dem uͤbrigen Europamitgetheilt wurden. Vor nicht langer Zeit, in den Jahren 1777 und 1778 kamen zwey Beſchrei - bungen vom Cap, auch in Hollaͤndiſcher Sprache, in Octav heraus, die aber, einige Zuſaͤtze abge - rechnet, nichts anders als Auszuͤge aus dem weit - laͤuftigen Kolbeſchen Werke ſind. Die kurze Nach - richt, welche de la Caille, der im Jahr 1751 nach Capkam, und 1753 wieder wegreiſete, vom Capgiebt, enthaͤlt beynahe nichts anders, als was erVorrede des Verfaſſers. von andern hoͤrte, und manches darunter iſt ziem - lich unzuverlaͤſſig. Sparrmannbreitet ſich in ſeiner 1783 erſchienenen Reiſebeſchreibung hauptſaͤchlich uͤber die Geographie und Zoologie dieſes Landes aus, und da Kolbe’sNachrichten von den Thieren auf die alte unbeſtimmte und verworrene Art abge - faßt ſind, hat die Thierkunde durch ſeine Unterſu - chungen, Nachforſchungen und Entdeckungen in verſchiednen Hinſichten gewonnen. Da alſo bereits ſo viel von dieſem Lande geſchrieben iſt, mithin vie - les ſchon bekannt ſeyn muß, haͤtte ich vielleicht mir die Muͤhe, meine Reiſe auch zu beſchreiben, und den Kaͤufern meiner Reiſebeſchreibung das Geld dafuͤr erſparen koͤnnen. Allein da nicht nur viele meiner Landsleute, ſondern auch verſchiedne mei - ner auswaͤrtigen Freunde, mir theils ihren Wunſch, die auf meiner Reiſe mich betroffnen Schickſale ſowohl, als die von mir gemachten Be - merkungen zu leſen, zu erkennen gaben, theils zur Bekanntmachung derſelben mich uͤberredeten und auf mehr als eine Art ermunterten, glaubte ich, es ihnen nicht wohl abſchlagen zu koͤnnen, in den we - nigen freyen Stunden, die meine anderweitigen ſehr uͤberhaͤuften Geſchaͤffte und Arbeiten mir uͤbrig laſſen wuͤrden, die unter meinen Papieren zerſtreut liegenden Anmerkungen, welche ich auf meinerVorrede des Verfaſſers. Reiſe ſchriftlich aufgezeichnet hatte, zu ſammeln, in einige Ordnung zu bringen, und dem Publikum vorzulegen.
Meine Reiſebeſchreibung habe ich in drey Theile vertheilt. Der erſte begreift die Reiſe von Stockholmdurch Hollandund Frankreichnach dem Cap, insbeſondre den Aufenthalt in Hollandund zu Paris; ferner den Aufenthalt zu Capnach mei - ner Ankunft daſelbſt; dann die erſte Reiſe ins Land bis nach der Kuͤſte der Kaffern; und endlich den Aufenthalt zu Capnach meiner Zuruͤckkunft; welches alles in die Jahre 1770 bis 1773 faͤllt. Im zweyten Theile wird mein fernerer Aufenthalt zu Cap, die zweyte Reiſe in die noͤrdlichern Gegen - den bis nach dem Kafferlande, und die Reiſe auf der andern noͤrdlichen Seite bis ins Land der Na - maquas vorkommen. Der dritte wird die Reiſe nach Javaund Japan, meinen Aufenthalt in Ja - pan, (unter andern auch die Reiſe nach dem Hof - lager des Kaiſers), und meine Ruͤckreiſe uͤber Java, Ceilon, das Cap, Holland, Englandund Deutſchlandliefern.
Weitlaͤuftige naturhiſtoriſche Beſchreibungen von Thieren oder Gewaͤchſen, zumahl in lateini - ſcher Sprache einfließen zu laſſen, fand ich nicht rathſam, weil dergleichen dem allergroͤßten TheilVorrede des Verfaſſers. der Leſer Langeweile verurſacht haben wuͤrden. Zum etwanigen Gebrauche der Botaniker und Zoologen habe ich dieſe in eignen Abhandlungen herausgegeben. Jehes Gewaͤchs und Thier aber, ſo viel moͤglich mit ſeinem rechten und eigentlichen Nahmen zu benennen, hielt ich demungeachtet doch fuͤr noͤthig. Manchmahl haͤtte ich weit mehr ſagen oder erzaͤhlen koͤnnen, als ich thue, wenn ich jedes - mahl das, was andre mir ſagten oder erzaͤhlten, haͤtte anfuͤhren wollen. Weil ich aber die meiſte Zeit nicht wiſſen konnte, wie zuverlaͤſſig, glaub - wuͤrdig oder genau dergleichen ſey, hielt ich es fuͤr meine Schuldigkeit, es nur ſelten einzumiſchen. Meiſtens erzaͤhle und beſchreibe ich alſo nur, was ich ſelbſt that, ſah und erfuhr.
Sollten hie und da einzelne Nachrichten vor - kommen, die mit den vorhergehenden oder folgen - den in keiner Verbindung oder Verwandtſchaft ſte - hen, und ſollte man uͤberhaupt einen gewiſſen Plan, eine gewiſſe Ordnung der Gegenſtaͤnde ver - miſſen, ſo bitte ich desfalls um Entſchuldigung. Die Menge meiner Geſchaͤffte und Arbeiten, die vielen Stoͤhrungen und Verhinderungen, unter de - nen ich meine Nachrichten ſammeln und ordnen mußte, ließen dies nicht immer zu. Ich mußte deswegen meiſtens damit zufrieden ſeyn, die Sa -Vorrede des Verfaſſers. chen in der Folge zu erzaͤhlen, als ich ſie in meinem Tagbuche angezeichnet fand. Daher kommts denn, daß ich die Materien weder der Sachordnung noch der Zeitordnung gemaͤß gehoͤrig zuſammenſtellen konnte. Eben ſo habe ich, und zwar auch um je - ner Gruͤnde willen, große Urſache um Nachſicht zu bitten, wenn man am Ausdrucke, am Style und der ganzen Schreibart in meiner Reiſebeſchreibung manches und mit Recht zu tadeln finden ſollte. Es iſt unglaublich, wie ſehr nicht nur meine faſt unzaͤh - ligen Geſchaͤffte, als in Anſehung meiner akademi - ſchen Vorleſungen, der Aufſicht uͤber den mir an - vertrauten hieſigen botaniſchen Garten, beſonders aber uͤber die mir ebenfalls uͤbergebnen hieſigen oͤf - fentlichen Naturalien-Sammlungen, die ich ganz neu in Ordnung zu bringen und zu inventiren hat - te, ſondern auch die Verfaſſung meiner andern auf die Naturgeſchichte ſich beziehenden Schriften und gelehrten Arbeiten mir die Zeit geraubt haben, auf das Gewand, worin ich dem Publikum meine Nachrichten darzuſtellen haͤtte, die noͤthige Auf - merkſamkeit und Sorgfalt zu wenden.
Ich bin inzwiſchen verſichert, daß in dieſem erſten Theile, ſo weit er auf die ſuͤdliche Spitze von AfrikaBezug hat, verſchiedne Gegenſtaͤnde vor - kommen, die von andern ganz uͤbergangen ſind. Vorrede des Verfaſſers. Daher kann ich mich damit ſchmeicheln, verſchied - nes geſagt und erzaͤhlt zu haben, durch deſſen Be - kanntmachung der Landwirthſchaft, der Naturhi - ſtorie, der Arzneywiſſenſchaft, der Phyſik, der Erdbeſchreibung und der Voͤlkerkunde — Wiſſen - ſchaften, worauf ich vorzuͤglich Ruͤckſicht nahm, — Vortheil und Gewinn zuwachſen wird. Etwas Vollkommnes wird man aber auch in dieſem Stuͤcke nicht von mir verlangen, wenn man bedenkt, daß ich in einem Lande reiſete, das nicht viel anders als oͤde und wuͤſte iſt, wo man in großer Geſchwin - digkeit weite Strecken durchfaͤhrt, wo die Einge - bohrnen meiſtens Wilde ſind, wo man auch nicht den kleinſten Funken von Aufklaͤrung, Kenntniſ - ſen, Wiſſenſchaften oder Geiſtes-Cultur antrifft, und wo die ganze Natur noch in den Kinderwin - deln eingewickelt zu ſeyn ſcheint.
Ob ich indeſſen gleich in meiner Reiſebeſchrei - bung uͤberhaupt manche Anmerkungen, welche die Geographie, die phyſikaliſche Kenntniß der Laͤn - der, beſondre die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ange - hende Anſtalten und Einrichtungen, buͤrgerliche und oͤkonomiſche Verfaſſungen, die Bauart der Haͤuſer, die Sitten und Lebensart der Voͤlker, be - treffen, beygebracht habe: ſo werden die Leſer doch bald finden, daß auf Entdeckungen, die mit derVorrede des Verfaſſers. Naturgeſchichte, der Medicin, und der Oekonomie, dieſen meinen Lieblingswiſſenſchaften, in Verbin - dung ſtehen, mein Hauptaugenmerk gerichtet gewe - ſen ſey. Mein ſorgfaͤltiges, eifriges und nicht ganz fruchtloſes Bemuͤhen, dergleichen aufzufinden, ſetz - te mich deswegen auch in den Stand, in dieſem erſten Theile meines Werks von verſchiednen Ge - waͤchſen und andern Naturprodukten einen Nutzen und Gebrauch anzugeben, den man bisher, ſo viel mir bewußt iſt, wenig oder gar nicht kannte. Als eßbar und zur Nahrung dienlich wird man ken - nen lernen: den Capſchen Cavia (Cavia Capenſis), das Stachelſchwein (Hyſtrix), den Ameiſenbaͤr (Myrmecophaga), die geſpaltne Siegwurz (Gla - diolus plicatus), die Aniswurzel, die Gatagay - wurzel, das Aponogeton diſtachyon, die zwey - ſtachlige Arduine (Arduina biſpinoſa), die eßba - re Zaſerblume (Meſembryanthemum edule), die wellenfoͤrmige Euclee (Euclea undulata), die Stre - litzie (Strelitzia), der Rankenweinſtock (Vitis vi - tigenea), das ſtrauchartige Glasſchmalz (Salicor - nia fruticoſa), die Kafferſche Keulpalme (Zamia Caffra), das Afrikaniſche Pockenholz (Guajacum Afrum), die große Stiftblume (Albuca major), und den Gagel (Myrica). Als heilſame und be - waͤhrte Arzneymittel bey verſchiednen innerlichenVorrede des Verfaſſers. Krankheiten und aͤußerlichen Schaͤden: den ſtach - ligen Baͤrenfuß (Arctopus echinatus), die Afrika - niſche Zaunruͤbe (Bryonia Africana), die wellenfoͤr - mige und die krauſe Aeſkulapie (Aſclepia undulata et criſpa), den Wollkopf (Eriocephalus), die ſchar - lachrothe Blutblume (Haemanthus coccineus), den baͤrtigen Knoͤterich oder Wegtritt (Polygo - num barbatum), die durchſtochne Klapperſchote (Crotalaria perſoliata), den Capſchen Pfeffer (Pi - per Capenſe), die Capſche Fagara (Fagara Capen - ſis), die oben genannte eßbare Zaſerblume, das campherartige und das getuͤpfelte Oſmites (Oſmites camphorina er aſteriſcoides), die Capſche Adonis (Adonis Capenſis), die blaſenziehende Atragene (Atragene veſicatoria), den Aethiopiſchen Krull - farrn (Adianthum Aethiopicum), den honigtra - genden und den großblumigen Silberbaum (Pro - tea mellifera et grandiflora), den umgebognen Saͤuerling (Oxalis cernua), die Tulbaghie (Tul - baghia), die Montinie (Montinia), den gemeinen Wunderbaum (Ricinus communis), den ſchwar - zen Nachtſchatten (Solanum nigrum), die gemuͤs - artige Gaͤnſediſtel (Sonchus oleraceus), das vier - eckige Dickblatt (Craſſula tetragona), den krebs - heilenden Kugelſchwamm (Lycoperdon carcino - male), und die Bucken (Seriphium). — AlsVorrede des Verfaſſers. nuͤtzlich und brauchbar in der Haushaltung und Landwirthſchaft auf mancherley Art: zu Seilen und Stricken: den Baſt von der Wollblume (An - thyllis); zu Schalen und Naͤpfen: die Schildkroͤten - ſchalen; zu Rollgardinen (Rouleaux) und Stuͤh - len: duͤnnes Rohr; zu Rauchtobak: den gemei - nen Hanf (Cannabis ſativa); zu Zunder: das rie - ſenmaͤſſige Haſenoͤhrlein (Bupleurum giganteum); zu Thee: die herzfoͤrmige Borbonie (Borbonia cor - data); zu Kaffee: den ſternblaͤttrichten Scepter - baum (Brabejum ſtellatum); zu Seife: das blaͤt - terleere Salzkraut (Salſola aphyllis); zu Licht: den herzblaͤttrichten und den eichenblaͤttrichten Gagel (Myrica cordifolia er quercifolia); zu Trompeten: den Trompetentang (Fucus buccinalis); zu Beſen und zum Dachdecken: das zweyzeilige Strickgras (Reſtio dichotomus); zu Matten und ebenfalls zu Daͤchern: das flechtbare Cypergras (Cyperus tex - tilis); zu Zaͤunen und Huͤrden: die Aegyptiſche Sinnpflanze (Mimoſa Nilotica), die bereits ange - fuͤhrte zweyſtachlige Arduine, und die Afrikaniſche Galenie (Galenia Africana); zu Hecken: die Aloe (Succotrina), die Morgſane oder das Doppel - blatt (Zygophyllum Morgſana), Quittenbaͤu - me, Aepfel - und Birnbaͤume, Hagdorn, den Spillbaum (Evonymus), Weiden, Roſenſtauden,Vorrede des Verfaſſers. den Baͤrentraubenſtrauch, Eibenbaͤume, Ulmen, die gemeine Stechpalme (Ilex aquifolium), Buchs - baum, Linden, die gemeine Cornelle (Cornus maſcula), Geißblatt, Kirſchbaͤume, den gemeinen Judasbaum (Cercis ſiliquaſtrum), den fremden Bocksbaum (Lycium barbarum), die beilkrautar - tige Peltſche (Coronilla ſecuridaca), Eichen, Lor - beerbaͤume, Myrtenbaͤume und andre, wie auch Schafknochen; zu Brennholz: den ſchon erwaͤhn - ten honigtragenden und den großblumigen, wie auch den kegeltragenden (conocarpa), den rau - hen (hirta), den praͤchtigen (ſpecioſa), und den wahren (argentea) Silberbaum, Heide und die Brunie (Brunia); zu allerhand Meublen, Haus - geraͤth und dergleichen, folgende Afrikaniſche Holz - arten: den Kamaſſiebaum, die ſafranfarbne Stechpalme (Ilex crocea), den Capſchen und den Europaͤiſchen Oehlbaum, das Stinkholz, die Gar - denia Thunbergia, das Bambusrohr und die Curtiſie (Curtiſia).
Ich weiß zwar ſehr wohl, daß nicht alles in meiner Reiſebeſchreibung allen gefallen werde, auch daß nicht alle gleichen Nutzen daraus werden ziehen koͤnnen. Die Hoffnung mache ich mir aber doch, daß allezeit etwas vorkommen werde, wel - ThunbergsReiſe. Erſter Theil. bVorrede des Verfaſſers. ches einer oder der andre, wenn nicht nuͤtzlich, doch intereſſant finden wird. Auch gebe ich gern zu, daß die beyden erſten Theile, welche hauptſaͤchlich vom Capund den Hottentotten handeln, einem Lande und einem Volke, wo man gar keine Cul - tur und wenig Veredlung durch Kunſt, ſondern faſt bloß die rohe Natur antrifft, unmoͤglich ſo un - terhaltend werden koͤnnen, als der dritte, welcher Nachrichten von einem cultivirten Volke enthalten wird, das foͤrmliche Regierung und andre gute Einrichtungen hat, und ſelbſt mit den Europaͤiſchen Laͤndern wetteifern kann. Allein ich hoffe, jenen geringern Reichthum an intereſſanten Nachrichten werden die Leſer nicht einem Mangel an Aufmerk - ſamkeit auf meiner Seite beymeſſen, ſondern auf die Rechnung des Landes und Volkes ſchreiben, das auch dem am ſorgfaͤltigſten beobachtenden Rei - ſenden nicht mehr Stoff zum Erzaͤhlen geben kann, als es ſelbſt hat. Upſala, den 2. Februar 1789.
Karl Peter Thunberg.
Ich hatte drey Jahr auf der Univerſitaͤt zu Upſalazu - gebracht, und hierauf die akademiſche Wuͤrde eines Doc - tors der Arzneykunſt angenommen, als mir eins von den daſigen, zu dreyjaͤhriger Unterſtuͤtzung angehender Gelehrten auf auswaͤrtigen Reiſen beſtimmten Stipen - dien, deren jedes jaͤhrlich ungefaͤhr 275 Deutſche Reichs - thaler betraͤgt, zu Theil wurde. Mit dieſem und meinem etwanigen eignen Vermoͤgen unternahm ich eine Reiſe nach Paris, um mir da in der Medicin, Chirurgie und Naturgeſchichte noch mehr Kenntniſſe zu erwerben.
Den 13. Auguſt 1770 reiſete ich in Geſellſchaft eines meiner Freunde, des Apothekers Barkenmeyer, von Upſalaab. Wir gingen gerades Weges nach Hel - ſingoͤr. Ich verließ alſo mein Vaterland, ohne den ge - ringſten Gedanken daran, daß ich es nicht eher, als nach einer Zeit von neun Jahren, und nach ſehr weiten Reiſen in die entfernteſten Laͤnder, wiederſehen wuͤrde. ThunbergsReiſe. Erſter Theil. A2Erſte Abtheilung. Erſter Abſchnitt. Auf unſrer Fahrt uͤber den Sundſegelte uns eine Men - ge Schiffe vorbey, eine andre Menge lag, um erſt bey Kronborgden Zoll zu entrichten, auf der Rhede. Je - nes ſah einem emporragenden Walde, dieſes einer ſchwimmenden Stadt aͤhnlich. Aber zu ſehen, daß ein einziges Reich hier allen Nationen Zoll abfordert, iſt verdrießlich, zumahl fuͤr einen Schweden. Man aͤrgert ſich, daß das Schwediſche Reich nicht Theil daran nehmen kann. Hieran iſt indeſſen wohl vornehmlich die Seich - tigkeit des Waſſers an den Schwediſchen Kuͤſten Schuld, die von dem großen Sandſtriche bis an den Helſingbor - ger Strand, durch groben Sand, Tang (Zoſtera) und Waſſerriemen (Fucus), welches alles vom Waſſer dahin getrieben wird, von Jahr zu Jahr zunimmt.
Weil zu Helſingoͤrdamahls kein Schiff nach Am - ſterdamſegelfertig war, entſchloß ich mich, noch am Ta - ge meiner Ankunft eine Reiſe zu Lande nach Kopenhagenzu machen. Der Weg dahin iſt ſehr ſchoͤn, laͤuft eine Strecke an der See hin, und geht hernach durch unge - mein angenehme Buͤchen - und Eichenwaͤlder, und durch den Thiergarten. In dieſem letztern darf man bey Le - bensſtrafe kein Gewehr abſchießen. Am Wege ſah ich perennirende Maßliebe (Bellis perennis), gewoͤhnlichen Baldrian (Valeriana officinalis), wilde Wegwarte (Cichorium inrybus) und Maͤuſeg[er]ſte (Hordeum mu - rinum) in Menge. Die letztere waͤchſt auch haͤufig auf den Straßen zu Kopenhagen. Auch faͤhrt man hier, be - ſonders wenn man dieſer Stadt naͤher kommt, durch vor - treffliche Alleen von gemeinen Kaſtanienbaͤumen, mit nie - dergebognen Staͤmmen. An den Befriedigungen der Gaͤr - ten ſieht man viele Weinſtoͤcke mit ausgebreiteten Ranken.
Zu Kopenhagenbeſah ich den botaniſchen Garten, mit deſſen Verſetzung man jetzt beſchaͤfftigt war. Her -3Reiſe von Upſalanach Holland. nach ging ich nach dem Hoſpitale, das, wie man mir ſagte, nebſt der dazu gehoͤrigen Apotheke von der Koͤni - gin Karoline Mathildeangelegt iſt, und gegenwaͤrtig et - wa zweyhundert Kranke beherbergte. Auch ließ ich mir einige Naturalien-Sammlungen zeigen. Die erſten aber, welche ich aufſuchte, waren die beyden Profeſſoren Zoͤgaund Fabricius, meine Freunde und ehemahligen Univer - ſitaͤts-Genoſſen. Dieſe verſchafften mir, andrer Freund - ſchaftsdienſte nicht zu gedenken, freyen Zutritt zum bo - taniſchen Garten ſowohl, als zu ihren Privat-Sammlun - gen; der letztere hat beſonders ein vortreffliches Inſecten - Cabinet. Sie haͤtten mir auch meinen Aufenthalt in Kopenhagennoch angenehmer und nuͤtzlicher gemacht, wenn ſie nicht ſchon an demſelben Tage gegen Abend eine nothwendige Reiſe nach Schleswighaͤtten antreten muͤſ - ſen. Ohne Zweifel haͤtte ich auch um ihrentwillen laͤn - ger da verweilt. Ich beſah noch verſchiedne Merkwuͤr - digkeiten, als das Koͤnigliche Schloß, die Akademie, die Boͤrſe, den Schiffswerft, den Friedrichsmarkt, die Haͤ - fen und dergleichen. In der Stadt fiel es mir auf, daß die Rinnen oder Goſſen auf den Straßen mit Bre - tern oder flachen Steinen belegt ſind, welches fuͤr die Fußgaͤnger von großer Bequemlichkeit iſt; und daß ſelbſt unter der Erde Wohnungen ſind.
Die Abreiſe geſchah auf einem dazu gemietheten Wagen, der mich aber nur eine Strecke lang fahren ſoll - te; hernach wollte ich bis Helſingoͤreinen Poſtwagen nehmen. Allein als wir nicht mehr weit vom Thiergar - ten waren, (es war an einem Sonntagabend) fanden wir alle Wirthshaͤuſer und Kruͤge mit Menſchen, Mu - ſik und Tanz ſo angefuͤllt, daß ich nirgend, weder Pfer - de, noch ein Zimmer zum Nachtquartier bekommen konn - te. Dieſe Geſellſchaften hatten ſich hier von allen Sei -A 24Erſte Abtheilung. Erſter Abſchnitt. ten verſammelt, und es fehlte ihnen nicht an geſchminkten und ungeſchminkten Schoͤnen. Laͤrmen von Muſik und Tanzgetuͤmmel in ſo hohem Grade hatte ich nie geſehen noch gehoͤrt. Ich konnte mich ſo wenig damit vertragen, daß ich mein Buͤndel Kraͤuter unter den Arm nahm, und zu Fuß von dannen ging, um weiterhin eine andre Her - berge zu ſuchen. Aber da ich die Gegend nicht kannte, und auch keinen Wegweiſer hatte, ging ich in der Irre umher, bis mich die Dunkelheit der Nacht uͤberfiel. Ich mußte alſo am Fuße eines großen Baumes, mitten zwiſchen zahmen und wilden Thieren unter freyem Him - mel mir eine Lagerſtaͤtte ſuchen. Am folgenden Morgen begab ich mich wieder zu Fuß auf den Weg. Es war ein ſehr ſchoͤner und warmer Tag, und der ſchwere Man - tel, der mir die Nacht hindurch gegen die Kaͤlte ſo herr - liche Dienſte gethan hatte, wurde mir nunmehr bey der ſtarken Sonnenhitze zu großer Laſt. Erſt gegen Mittag traf ich ein Wirthshaus, wo ich einen Poſtwagen be - kommen konnte, der mich nach Helſingoͤrbrachte. Am Strande ſah ich unterwegs deutlich, daß die See hier durch hingeſchwemmten Sand und Meergras an Tiefe verliert, wiewohl bey weitem nicht ſo ſtark, als auf der Schwediſchen Seite: ein Umſtand, woraus ſich der wahr - ſcheinliche Schluß ziehen laͤßt, daß der Sundbereits ſchmaler geworden ſey, und man Urſache habe zu glau - ben, er werde es mit der Zeit noch mehr werden. Am Ufer fand ich einige Arten Tang, Waſſerriemen und Salzkraut (Salſola), wie auch gemeine Miesmuſcheln (Mytilus edulis). Laͤngs dem Wege liegen verſchiedne ſchoͤne Gaͤrten mit Alleen und Lauben.
Zu Helſingoͤrſind die Haͤuſer zum Theil ganz von Ziegelſteinen erbauet, zum Theil aber von Fachwerk und Ziegelſteinen. Die ungemein vielen Brunnen auf den5Reiſe von Upſalanach Holland. Marktplaͤtzen und in mehreren Straßen gehoͤren zu den vortrefflichſten und nuͤtzlichſten Einrichtungen in einer Stadt, wo ſonſt die Theurung ihren Hauptwohnſitz auf - geſchlagen zu haben ſcheint. Man kann denn doch gutes Waſſer bequem und wohlfeil haben.
Nicht lange nach meiner Zuruͤckkunft fand ſich ein Schiff, das nach Amſterdamgehen wollte: es war mit Getraide von Pillaugekommen. Ich ging an Bord, und ſegelte den 11. September ab. Wir verloren zwar ſowohl die Daͤniſche als Schwediſche Kuͤſte bald aus den Augen; allein ein Sturm noͤthigte uns nach eini - gen Tagen, drey Meilen von Friedrichshafenin einen Norwegiſchen Hafen einzulaufen, wo wir ebenfalls un - ter andern ein Schwediſches Schiff vorfanden. Die dieſen kleinen Hafen umringenden Berge gewaͤhren einen fuͤrchterlichen Anblick, und am Strande giebt es viele ſteile Tiefen. Im Waſſer umher ſah ich eine Menge Watt (Ulva) und Tang, wie auch viele Kreb - ſe, Seeſterne (Aſteriae), Meereicheln (Lopades) und andre Seethiere. Hummer werden hier nicht geachtet. So theuer zu Helſingoͤralles iſt, ſo wohlfeil kann man hier alles haben. Auf den Klippen der Berge ſah man jetzt nur die Felſenſilene (Silene rupeſtris), und eine Art wilder Roſen, auch ſchwarze Rauſchbeer (Empetrum nigrum).
Am 24. gingen wir mit gutem Winde wieder un - ter Segel. Bald aber bekamen wir abermahls anhal - tenden widrigen Wind mit Sturm und Regenwetter. Mehrere Tage lang ſahen wir nichts anders, als dicke Wolken und See.
Jetzt hatte ich Gelegenheit, die Lebensart des Hol - laͤndiſchen Schiffsvolks zu bemerken. Ich kann mich nicht enthalten, hier ein kleines Gemaͤhlde davon zu ent -6Erſte Abtheilung. Erſter Abſchnitt. werfen. Sie eſſen faſt lauter ſehr nahrhafte Speiſen: Tuͤrkiſche Bohnen mir ſuͤßſaurer Bruͤhe, Stockfiſch mit Senf und Kartoffeln; geſtobte braune, und gekochte gelbe Erbſen; ſteife dicke Gruͤtze mit etwas Fett, Mehl - kluͤmpe mit geſchmolznem Fett und Syrup, nebſt gro - bem Hollaͤndiſchem geſaͤuertem Brot mit Butter und ei - nem Stuͤck Kaͤſe. Thee und Kaffee wird mehreremahl am Tage getrunken: der Thee gewoͤhnlich ſtark, und bis - weilen mit etwas Safran, beſonders bey ſchlechtem Wetter, der Kaffee hingegen ſchwach, gemeiniglich oh - ne Zucker, nie mit Milch oder Rohm; uͤbrigens beydes ſehr reichlich: zehn bis zwoͤlf Taſſen jedesmahl. Nur der Schiffer und ich hatten das Gluͤck, den Kaffee mit etwas Kandiszucker zu trinken, und Engliſches Weiß - brot mit Butter, auch Reiß mit Roſinen und Butter, zu eſſen. Fleiſch und Speck eſſen ſie allemahl mit Senf. Branntwein trinken ſie ſelten, hoͤchſtens wenn ein Lootſe an Bord kommt, oder die Witterung ſehr uͤbel iſt; Wein noch ſeltner. Bier haben ſie in Kruken bey ſich, trinken aber nicht oft davon. Trockne und ſtarke Spei - ſen mit vielem Fett zubereitet ſind alſo ihre vorzuͤglichſte Koſt. Auf Reinlichkeit und Sauberkeit im Schiffe ſe - hen ſie mit beynahe uͤbertriebner Puͤnktlichkeit; ſie ſcheuern und mahlen faſt beſtaͤndig.
Den 1. October kamen wir in Hollandan. Zuerſt zeigte ſich uns die Inſel Texel. Wir bekamen einen Lootſen an Bord, der uns nach Amſterdamfuͤhren mußte. Auf der See ſahen wir eine unzaͤhlbare Menge Fahr - zeuge: Weſt - und Oſtindienfahrer, Kriegsſchiffe, man - cherley Arten mittelmaͤßiger und kleiner Schiffe; alle von ſo mannigfaltiger Geſtalt und Bauart; einige lagen ſtill, andre ſegelten, einige hiehin, andre dorthin: ein wahrhaftig bezaubernder Anblick fuͤr ein daran nicht gewoͤhntes Auge.
7Reiſe von Upſalanach Holland.Als wir gegen Bergen, einen kleinen Ort an der See, kamen, wurde uns unter Lebensſtrafe verboten, an Land zu gehen, weil das Schiff von der Pohlniſchen Graͤnze kam, und man daher der Peſt wegen beſorgt war. Ich war zwar nicht mit von Pillau, ſondern nur von Helſingoͤr, gekommen; meine Koffer wurden aber doch mit an Land genommen, und mußten da Quaran - taine halten. Das Schiff erhielt gleichwohl mit der ganzen Beſatzung Erlaubniß, nach Amſterdamſeinen Lauf fortzuſetzen. Indeſſen kam doch vorher ein Feldſcheer an Bord, um zu ſehen, ob wir alle geſund waͤren. Fuͤr dieſe Bemuͤhung, und fuͤr die, daß er fuͤnf Perſonen nach dem Pulſe fuͤhlte, ließ er ſich ſeinen Ducaten bezahlen: ſein Amt muß ihm viel einbringen.
Auf unſrer weitern Reiſe nach Amſterdamuͤber die Suͤderſeekamen wir vor einer Menge Inſeln vorbey, die mit Staͤdten gleichſam bebauet ſind. In der Ferne zeigten ſich ganze Waͤlder von Schiffen, die nach allen Seiten ſegelten. Beydes zuſammen verſchaffte einen Anblick, der ſich nicht beſchreiben laͤßt. Die See hat hier Ebbe und Fluth, und bildet bey deren Abwechſelung lange und krumme Buchten, wo Windſtille herrſcht. Auf einem Wege von achtzehn Meilen mußten wir ver - ſchiedne Tage zubringen, weil entweder der Wind bald ganz ſtill, bald ſehr ſchwach war, oder wir dem Strome folgen mußten. Wenn wir auf dieſe Art ſtill lagen, be - ſchaͤfftigten die Matroſen ſich mit Scheuern, Waſchen und Mahlen: ſogar die Koje, worin der Hund liegt, wurde angemahlt. Einmahl hatte ich waͤhrend dieſer Zeit das Vergnuͤgen, ein großes Schiff auf ſogenann - ten Kameelen nach dem Texelbringen zu ſehen: eine Me - thode, deren man ſich hier des niedrigen Waſſers wegen bedient, um die groͤßern Fahrzeuge von der Stadt nach8Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. der Muͤndung des Hafens zu transportiren. Uebrigens ſah ich in dieſem Meerbuſen nichts anders, als Tang von der groͤßern Gattung, der auf dem Waſſer umherſchwamm.
Den 5. October 1770 gegen Abend langten wir endlich zu Amſterdaman. Dieſe praͤchtige und volk - reiche Handelsſtadt hat an der Seeſeite die Geſtalt eines halben Mondes, und wird von einer faſt allen Glauben uͤberſteigenden Menge Schiffe umgeben. Die groͤßern Fahrzeuge liegen auch ganz herum, aber weiter weg, und gleichen einer auf dem Waſſer ſchwimmenden Stadt. Sie liegen Bord an Bord in ſolcher Ordnung neben einander, daß ſie wie eine Mauer ausſehen, da - bey aber in mehreren Reihen hinter einander; und ihrer ſind ſo unzaͤhlig viele, daß man die Stadt ſelbſt vor ih - nen nicht ſehen kann. Innerhalb derſelben iſt die Stadt auf der Seeſeite mit Pfaͤhlen eingeſchloſſen, ebenfalls in mehreren Reihen, ſo daß kleine Fahrzeuge und Boͤte daranher liegen, und durch die gelaßnen Oeffnungen oder Bruͤcken gehen koͤnnen. Nicht nur nach der See zu, ſondern auch in der Stadt ſind an den Kanaͤlen Mauern von Backſteinen aufgefuͤhrt, und Boͤte und kleine Fahrzeuge koͤnnen da bequem anlegen.
Die Haͤuſer ſind durchgaͤngig ſehr geſchmuͤckt und nett, obwohl nicht alle gleich bequem. Sie ſind faſt alle einander ganz aͤhnlich und regelmaͤßig gebauet, von Ziegelſteinen, fuͤnf Stockwerke hoch, mit Zie - geldaͤchern, die nicht nach der Straße und dem Hofe,9Aufenthalt und Reiſen in Holland. ſondern nach den Seiten herabgehen, und einen nach vorn ſehenden und auf den Seiten treppenweiſe gebroch - nen Giebel haben, welches den Haͤuſern weit mehr An - ſehen giebt, als wenn die Daͤcher nach der Gaſſe her - abgehen. Unter der Erde pflegt auch ein Stockwerk zu ſeyn, das zu Werkſtaͤtten, Kuͤchen, bisweilen auch zu Wohnzimmern, gebraucht wird. Die Fenſter ſind im zweyten Stockwerke ſehr hoch und haben zwey Abſaͤtze, weil ſie zugleich auch mit zum erſten Stockwerke gehoͤren, welches in den gewoͤhnlichen Haͤuſern mit dem zweyten gleichſam zuſammenfließt. In den breiten Straßen fin - det man vor den Haͤuſern huͤbſche Treppen, welche zu dem erſten Stockwerke uͤber der Erde fuͤhren. Die Mauern und Waͤnde ſind ſehr duͤnn, weil der Boden ſumpfig iſt, und nur ein ſchwacher Grund gelegt werden kann. Daher kommts auch, daß hier fuͤnf Stockwerke kaum ſo hoch, als an andern Orten drey ſind. Inwen - dig ſieht man manchmahl ganze Zimmer, ſehr oft aber die Gaͤnge, Dielen und Vorſaͤle, mit Porzellan in kleinen viereckigen Platten, und den Fußboden mit weißem und anderm Marmor, belegt. Die Hausſtellen ſind ge - meiniglich ſchmal, und die Haͤuſer haben deswegen in der Breite wenige, oft nur ein Zimmer, außer die in gewiſſen Gegenden der Stadt, wo man mehr pallaſtaͤhn - liche Gebaͤude antrifft. Kleine Kanaͤle an den Seiten leiten nach allen Straßen und Haͤuſern Waſſer aus den Graͤben, und ebenfalls von den Straßen und Haͤuſern wieder weg. Oefen und deren vorzuͤglichen Nutzen kennt man faſt in ganz Hollandnicht, ſondern man gebraucht nur Kamine. Auch moͤchte wohl die gewoͤhnliche Feu - rung, der Torf, nicht ſo tauglich zum Heizen der Oefen ſeyn, und zugleich mehr Gefahr wegen Dunſtes mit ſich fuͤhren. Die Gaſſen ſind in der Mitte mit ausgeſuch -10Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. ten und laͤnglichen Granitſteinen, und zu beiden Sei - ten mit gelben ſogenannten Klinkers gepflaſtert. Die Plaͤtze dicht an den Haͤuſern ſind, ſo weit die Treppen vorſpringen, mit flachen Steinen, entweder Marmor, oder blauen Kalkſteinen, belegt. Obgleich alle Steine zum Pflaſtern der Straße von andern Orten weit her - gehohlt werden muͤſſen, ſo ſieht man doch nirgend ſo aus - geſuchte Steine dazu gebraucht, oder ein ſo ebenes Pfla - ſter. Die Klinkers an den Seiten, welche taͤglich ge - waſchen und immer rein gehalten werden, verſchaffen den Fußgaͤngern den angenehmſten Weg, wo ſie weder vom Reiten noch Fahren belaͤſtigt oder mit Koth be - ſpruͤtzt werden. In Wagen, Cariolen und dergleichen faͤhrt man hier faſt gar nicht; gewoͤhnlich thun es nur Aerzte, die in Geſchwindigkeit mehrere Kranke zu be - ſuchen haben. Wenn man in der Stadt faͤhrt, be - dient man ſich gemeiniglich großer Cariolen mit hohen Raͤdern, und einem oder zwey Pferden. In bedeckten Wagen, wenn man dies ſo nennen will, faͤhrt man zwar auch wohl, aber die Kutſchkaſten werden von ei - nem Pferde auf Schlitten gezogen, wodurch weder die Haͤuſer erſchuͤttert, noch die Straßen unrein werden. Auf Schlitten und beſonders dazu eingerichteten Schub - karren werden auch Laſten und Waaren in der Stadt von einem Orte zum andern gebracht. Durch die ganze Stadt gehen Graͤben, in welchen kleine und mittelmaͤ - ßige Fahrzeuge mit allerhand Waaren bis an die ge - mauerten Ufer kommen koͤnnen. Zu beyden Seiten die - ſer Kanaͤle ſteht eine Reihe Baͤume und zwiſchen den Baͤumen Pfaͤhle mit Leuchten. Die kleinen Straßen ſind ſehr ſchmal, und die Querſtraßen bisweilen aͤußerſt eng.
So wie zu Amſterdamdie ſchoͤnen und zierlichen Gebaͤude und ſo mancherley andre Gegenſtaͤnde das Auge11Aufenthalt und Reiſen in Holland. eines Fremden beſchaͤfftigen, ſo wird das Ohr durch die vielen Glockenſpiele entzuͤckt. Beynahe von allen Kirch - thuͤrmen und vom Rathhauſe laſſen dieſe ſich mehrere - mahl in einer Stunde hoͤren. Sie ſpielen alle fuͤnf Mi - nuten ſehr kurz, alle Viertelſtunden etwas laͤnger, und alle Stunden, ehe es ſchlaͤgt, ein ganzes Stuͤck.
Zu den vornehmſten und merkwuͤrdigſten Gebaͤu - den gehoͤren das Rathhaus, welches ſchwerlich ſeines Gleichen hat; der Prinzenhof, wo alle Schiffe ihre La - dung angeben muͤſſen; und die große Boͤrſe. Das Rathhaus iſt auswendig mit Quaderſteinen bekleidet; im zweyten Stockwerke befindet ſich ein großer hoher Saal, der mit verſchiednen Arten Marmor ausgelegt, und mit mehreren marmornen Statuͤen ausgeziert iſt.
In einer ſo großen Stadt, wo eine ſolche Menge Leute in Bewegung iſt, und ſo anſehnliche Handlung ge - trieben wird, kann wohl nicht anders als viel Laͤrm und Geſchrey auf den Gaſſen ſeyn. Bald hoͤrt man jemand Obſt oder Gartengewaͤchſe ausrufen. Bald ſchreyet ein Weib: Fiſche zu Kauf. Eine andre kommt alle Mor - gen, traͤgt zwey ſo weiß als moͤglich geſcheuerte Eimer, und ruft ihre Milch aus. Bald hoͤrt man einen lum - picht gekleideten Juden, der alte Kleidungsſtuͤcke feil hat, ſeine Stimme erheben. Bald ſchreyet ein altes Weib: kauft friſches Brot. Und dergleichen mehr hoͤrt man jeden Augenblick. Dies gereicht indeſſen denen, welche etwas kaufen wollen, zur Bequemlichkeit. Denn man darf nur die Magd nach der Hausthuͤr ſchicken, ohne irgend etwas weit herhohlen zu laſſen. Sogleich beym Eintritte in die Stadt begegnete mir auf der Straße ein Kerl mit einer Klapper, durch deren Geraſſel er ankuͤn - digte, daß die Gaſſe gefegt werden ſollte. Alle Mor - gen fahren große Bretkarren umher, die mehrere Abthei -12Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. lungen haben, worin man aus den Haͤuſern ſowohl die Aſche als den Unrath abhohlt, welches, ſobald der Fuhr - mann ruft, vor die Hausthuͤre geſetzt wird. Man hat alſo nicht noͤthig, dergleichen in die Graͤben zu werfen, welches Verſchlemmung derſelben, Geſtank und Krank - heiten zur Folge haben wuͤrde.
Jedermann lebt hier uͤbrigens in voͤlliger Freyheit, ohne allen Zwang: Selbſtgewalt kann niemand aus - uͤben. Der eine erſcheint geſchmuͤckt, der andre in Lumpen, ohne daß man Acht darauf giebt. Im Hauſe und ſogar in der Kirche haben die Leute den Hut auf dem Kopfe, ohne Ruͤckſicht auf Perſon oder Umſtaͤnde. Eben ſo hat ein jeder, von welcher Nation oder Reli - gion er ſey, die Freyheit, ſich mit dem was er verſteht, ſeinen Unterhalt zu verdienen, wofern es nur ehrlicher Weiſe geſchieht. Innungen, Zuͤnfte, Monopolien, ausſchließende Privilegien legen niemand Hinderniß in den Weg, auf eine oder andre Art ſich etwas zu erwer - ben. Reiſende ſind weder der Unbequemlichkeit, in den Stadtthoren viſitirt, noch weniger aber der Gefahr, dabey gemißhandelt zu werden, ausgeſetzt; denn Land - zoͤlle kennt man hier gar nicht.
Am Tage nach meiner Ankunft wurden verſchie - dene Verbrecher oͤffentlich beſtraft. Nahe beym Rath - hauſe war ein Schafott errichtet, auf welchem einige mit Ruthen gepeitſcht, und einer geraͤdert wurde. Waͤhrend der Execution ſahen die Rathsherren in ihrer Amtskleidung aus den Rathhausfenſtern zu. Dies ſchien der Strafe kein geringes Anſehen zu geben, weil diejenigen, welche die Unterſuchung angeſtellt und das Urtheil geſprochen hatten, ſelbſt zugegen waren, nicht aber die Vollziehung des Richterſpruchs einem Fiſkale oder Untergerichts-Bedienten anvertraueten: Leute, die13Aufenthalt und Reiſen in Holland. oft nicht verſtehen eine Execution zu dirigiren, und ent - weder zu nachſichtig oder zu ſtrenge ſind.
Bey meinem Wirthe ſah ich eine artige Methode, Kinder gehen zu lehren, ohne daß ſie fallen koͤnnen, und ohne daß eine Waͤrterin etwas dabey zu thun hat. Man hatte dem Kinde unter den Armen ein ſtarkes Band umgebunden, deſſen beyde Enden um einen Ring ge - knuͤpft waren, der ſich an einer in der Decke des Zimmers befeſtigten Stange bewegte, ſo daß das Kind durch das Band gehalten, hin und her gehen konnte. Die Wiege war zur Haͤlfte mit Bogenreifen uͤberſetzt, woruͤber man ein Tuch breitete, um die Fliegen abzuhalten, wobey das Kind gleichwohl Raum genug zum Athemholen hatte.
Meinen erſten Beſuch in Amſterdamlegte ich bey den Herren Profeſſoren Burmannab, die mich mit vie - ler Freundſchaft und Hoͤflichkeit aufnahmen. Dies munterte mich auf, dieſen Beſuch jeden Tag zu wieder - hohlen. Hiedurch wurde ich ſo gluͤcklich, nicht nur ihre vortrefflichen, zahlreichen und uͤber mehrere Arten ſich erſtreckenden Naturalien-Sammlungen zu beſehen, ſon - dern auch ihre koſtbare Bibliothek zu benutzen. Dieſe letztere enthaͤlt meiſtentheils mediciniſche und naturhiſto - riſche Buͤcher; und in jenen zeichneten ſich beſonders ſchoͤne und ſeltene Verſteinerungen und Korallen aus. Ihr Haus iſt es, wo Linneeſeine Bibliotheca botanica vollendete, und taͤglich ſpeiſete. Er ordnete und nannte ihnen auch eine Menge ihnen bis dahin unbekannter Mi - neralien, Inſekten und Kraͤuter, beſonders viele Graͤ - ſer und Mooſe.
Auf dieſe Art wurde mir mein hieſiger Aufenthalt eben ſo nuͤtzlich als angenehm. Ich wuͤrde auch, des ſpaͤten Herbſtes ungeachtet, nicht weggeeilt haben, wenn ich nicht meines kleinen Vorraths von Kleidungsſtuͤcken14Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. und Buͤchern haͤtte entbehren muͤſſen. Dieſe hatte man mir genommen, und ſie mußten Quarantaine halten: ein Verfahren, das ich nicht nur fuͤr unbillig, ſondern auch fuͤr unvorſichtig halte. Unvorſichtig iſt es doch wohl immer, ein Schiff, wovon man glaubt, es koͤnne mit der Peſt angeſteckt ſeyn, in den Hafen einer großen und volkreichen Stadt einlaufen, und die Beſatzung und Paſſagiere mehrere Tage in der Stadt ungehindert ſich aufhalten laſſen, und hernach das Fahrzeug mit ſei - ner Ladung Getreide wieder nach dem Texelin die Qua - rantaine zu ſchicken. Waͤre irgend etwas von Peſt auf dem Schiffe geweſen, ſo haͤtten ja die Leute ſie nothwen - dig in die Stadt bringen und darin verbreiten muͤſſen. Unbillig war es aber auch. Denn im Schiffe war nie - mand krank, und nicht die geringſte Spur oder Anzeige von Peſt. Warum nahm man nun bloß den Paſ - ſagieren, welche nicht mit dem Fahrzeuge von ver - daͤchtigen Oertern gekommen waren, ihre Koffer, daß ſie wohl verſchloſſen, (welches gegen alle in ſolchen Faͤllen vernuͤnftige Anſtalten ſtreitet) Qua - rantaine halten mußten. Ich konnte nicht umhin, bey dieſer Gelegenheit die Regenten eines Staats zu be - dauern, welche ſelbſt in ſo gefaͤhrlichen und bedenklichen Sachen nicht ſelten auf unverſtaͤndige und unvorſichtige Bediente ſich verlaſſen muͤſſen. Inzwiſchen hielt ich durch den Schwediſchen Agenten bey der Admiralitaͤt dar - um an, daß meine Koffer mir ausgeliefert werden moͤch - ten. Dies wurde mir aber nur ſo fern bewilligt, daß ich ſie, wenn ich vor dem Texelvorbeyreiſete, abhohlen koͤnnte. Ich ſah mich daher genoͤthigt, den Plan mei - ner Reiſe zu aͤndern, und hernach ganz unſchuldiger Weiſe eine Menge Ausgaben mir gefallen zu laſſen, zur Bezahlung theils fuͤr die Zeit, da man meine Sachen15Aufenthalt und Reiſen in Holland. in Quarantaine gehalten hatte, theils fuͤr den Trans - port vom Lande ins Schiff.
In der Zwiſchenzeit, ehe ein Schiff nach Frank - reichabging, reiſete ich etwas in Hollandumher, um einige der Naturalien-Sammlungen, Gaͤrten und andere Merkwuͤrdigkeiten, die man in dieſem Lande findet, in Augenſchein zu nehmen. Unter andern reiſete ich mit Profeſſor Burmannusnach ſeinem nicht weit von der Stadt belegenen Landhauſe. Hier iſt ein ſchoͤner Engli - ſcher Garten, wo die Hecken aus Taxus, Stechpalmen, Hagbuchen und Eichen beſtehen. Unter den vielen ſelt - nen Gewaͤchſen, die jetzt bluͤheten, waren die Ceylan - ſche Amaryllis und die traurige Siegwurz (Gladiolus triſtis). Unter den Baͤumen, die wie wild ſtanden, bemerkte ich die breitblaͤttrige Kalmie (Calmia latifolia), den Kaſtanienbaum mit Weidenblaͤttern (Aeſculus pa - via), die erlenblaͤttrichte Clethre (Clethra alnifolia), und die großblumige Magnolie (Magnolia grandiflora).
Von dieſem Landhauſe reiſete ich des Abends mit einer ſogenannten Treckſchuit nach Leiden. Auf ſolchen Poſtboͤten reiſet man in Hollanddurchgaͤngig, weil das ganze Land mit Kanaͤlen durchgraben iſt. Sie ſind ſehr lang und haben ein Obdach, ſo daß man allezeit gegen Regen und Wind geſchuͤtzt iſt. An dem einen Ende iſt eine Kajuͤte, die der Schiffer ſolchen, die ſchlafen oder allein ſeyn wollen, bisweilen fuͤr Geld uͤberlaͤßt. Dieſe Fahrzeuge gehen wie Poſtwagen an gewiſſen Tagen, zu gewiſſen Stunden und nach gewiſſen Oertern ab, und kommen jedesmahl zu der feſtgeſetzten Zeit an. Mitten in der Schute iſt ein Maſt, von deſſen Spitze ein lan - ges Tau herabgeht, woran ein Pferd geſpannt wird; auf dieſe Art wird die Schute gezogen. Wenn der Wind guͤnſtig iſt, ſpannt man auch Segel auf, und16Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. durch das Steuerruder hindert man alsdann, daß das Boot nicht ans Ufer ſtoßt. So viel Gepaͤcke als man mit ſich tragen kann, darf man ohne beſondre Bezah - lung mitnehmen. Sobald das Boot in vollem Gange iſt, bezahlt man die Fracht. Dieſe iſt ſehr maͤßig, und die Reiſe ſelbſt ungemein bequem und gemaͤchlich.
Zu Leidenließ ich mein erſtes Geſchaͤfft ſeyn, Herrn Profeſſor van Royenzu beſuchen. Er zeigte mir ſeine Capſche Kraͤuterſammlung, wie auch eine andre, die er neulich von Ceylonbekommen hatte. Ferner beſah ich das hieſige Naturalien-Cabinett, deſſen Aufſeher Pro - feſſor Allemandiſt. Im botaniſchen Garten ſammelte ich viele ſeltene Gewaͤchſe fuͤr mein Herbarium, nebſt mancherley Saamen, Zwiebeln und Wurzeln fuͤr den upſalaiſchen Garten. Jener ſtoͤßt auf drey Seiten ans akademiſche Gebaͤude, die Wohnungen des Profeſſors der Botanik und des Gaͤrtners, an das Naturalien-Ca - binett und einige andre dahin gehoͤrige Haͤuſer; der uͤbrige Theil iſt von einer Mauer eingeſchloſſen. Groß iſt er eben nicht, aber ſchoͤn und nett, an raren Gewaͤchſen reich, und in vier Abtheilungen eingetheilt. Unter an - dern ſah ich ein Herbarium, das zum Gebrauch bey den Vorleſungen beſtimmt war, und aus allen denjenigen Kraͤutern beſtand, die im Garten aufgezogen waren und gebluͤhet hatten. Dergleichen iſt immer ein Zeichen des Eifers des Lehrers fuͤr ſeine Wiſſenſchaft, und des Nutzens, den die Studierenden haben koͤnnen. Der Gaͤrtner, Namens Meetburg, zeigte mir auch ver - ſchiedene ihm gehoͤrende recht gute Sammlungen, nicht nur von Gewaͤchſen, ſondern auch von Thieren in Wein - geiſt und von Inſekten. Ich bekam von ihm theils durch Tauſch, theils fuͤr Geld einige Amerikaniſche und Oſtin - diſche Schmetterlinge.
Das17Aufenthalt und Reiſen in Holland.Das akademiſche Gebaͤude iſt in mehrere Saͤle oder Auditorien abgetheilt. Die Katheder ſind klein, und fuͤr die Studenten ſind Bankſtuͤhle mit Schreibpulpeten eingerichtet. Die Univerſitaͤts-Bibliothek hat gute Buͤ - cher, iſt aber nicht ſehr groß, auch nicht praͤchtig. Das Verzeichniß der Buͤcher iſt gedruckt. Unter dem Bibliothekſaale iſt der anatomiſche Saal.
Bey dem gelehrten und jetzt ziemlich alten Biblio - thekar Gronoviusſtattete ich nur einen kurzen Beſuch ab. Er nahm mich ſehr wohl auf, und wußte den ge - lehrten Swedenborg, der vor einigen Wochen in Hol - landgeweſen, und von da nach Englandgereiſet war, nicht genug zu ruͤhmen.
Den Rathsherrn oder Schoͤpfen Gronoviusbe - ſuchte ich auch. Er iſt ein ſehr artiger, aufgeweckter und gelehrter Mann. Ungeachtet ſeiner vielen Geſchaͤffte war er doch ſo gefaͤllig, mir alle ſeine koſtbaren Samm - lungen von Korallen, Fiſchen, Amphibien, Inſekten, wurmartigen Thieren, Steinen, Kraͤutern und Buͤ - chern zu zeigen. Die Glaͤſer, worin er die Thiere in Weingeiſt aufbewahrt, ſind mit einer Glasſcheibe zuge - deckt, die mit rothem Kitt befeſtigt iſt. Dieſer Kitt iſt ſo vortrefflich, daß der Weingeiſt gar nicht merklich aus - gedunſtet war, obgleich die Glaͤſer vor ſieben Jahren ge - fuͤllt waren. Er lehrte mich die Beſtandtheile und Ver - fertigung deſſelben. Das Fuͤllen der Glaͤſer muß des Sommers, nicht aber im Fruͤhlinge geſchehen, ſonſt ſprengt die Luft die Glasſcheibe entzwey. Unter Herrn GronoviusMineralien fand ich viele Stufen aus Schweden, die Herr Gotherihm geſchickt hatte. In Anſehung der Eiſenerze aͤußerte er die Meinung: alles dasjenige Eiſen, welches vom Magneten angezogen wird, ſey gediegenes Eiſen.
ThunbergsReiſe. Erſter Theil. B18Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.Die Haͤuſer in Leidenhaben eben das Anſehen und eben die Bauart, als die zu Amſterdam; nur daß un - ter der Erde keine Wohnungen ſind.
Pfirſchen, Weintrauben, ſowohl rothe als gruͤne, und Wallnuͤſſe ſind hier im Ueberfluß. Man verkauft deren jetzt taͤglich in großer Menge.
Außerhalb der Stadt beſah ich den Garten des weitberuͤhmten Blumiſten, van Hazen; aus welchem jaͤhrlich eine Menge Blumenzwiebeln und Blumenſaa - men, auch Buͤſche und Stauden, nach vielen Orten verkauft wird.
Zu Zuydwyk, nahe bey Leiden, beſuchte ich einen Landsmann, den Schwediſchen Gaͤrtner Wittbom. Ich nahm die Gewaͤchſe, welche ich in Leidenfuͤr den botani - ſchen Garten zu Upſalagekauft hatte, mit dahin, und gab ſie ihm, daß er ſie fuͤrs erſte aufbewahren, und kuͤnftiges Fruͤhjahr zu Waſſer nach Schwedenſchicken moͤchte. Der große und praͤchtige Garten, dem dieſer Mann hier vorſteht, gehoͤrt einem Grafen Hahn. Er pranget mit Alleen, Hecken, Teichen, Grotten, Engli - ſchen Luſthaͤuſern und Lauben, Waſſerkuͤnſten, Chineſi - ſchen Tempeln und Bruͤcken, und dergleichen mehr. Zur Befriedigung hat er nichts weiter noͤthig, als die tiefen und mit Waſſer angefuͤllten Graͤben, welche hier uͤber - haupt die Grenze zwiſchen Landguͤtern, Feldern, Gaͤr - ten und Wieſen ausmachen, und wo nicht einmahl das auf der Weide gehende Vieh hinuͤberſchwimmt.
Nach Haagreiſete ich zu Fuß. Der Weg iſt ſan - dig und unbequem, aber anmuthig. Zu beyden Sei - ten ſind große Graͤben, die mit Baͤumen oder beſchnit - tenem Gebuͤſche beſetzt ſind. Rund um ſich ſieht man die ſchoͤnſten Hoͤfe und Landhaͤuſer. Am Wege bemerkte ich die weiße Eſpe, die Erle, das beſemartige Pfriem -19Aufenthalt und Reiſen in Holland. kraut (Spartium ſcopavium), den deutſchen Geniſte, das rohrartige Glanzgras (Phalaris arundinacea) und andre Gewaͤchſe. In den Wirthshaͤuſern, deren man auf dieſer Straße viele antrifft, findet man zur Erfri - ſchung ſtarkes Bier, Wein und Meet. Das Prinzliche Schloß vor Haag, welches einen ſchoͤnen Garten hat, ging ich vorbey. Doch beſah ich, ehe ich zur Stadt kam, den mediciniſchen Garten, welcher ziemlich klein iſt, aber gleichwohl einige ungemein ſeltne Gewaͤchſe enthielt.
Haagiſt eine huͤbſche Stadt. Die Haͤuſer ſind viel breiter, als man ſie in Hollandgemeiniglich findet, und kommen den Haͤuſern zu Stockholmund Parisnahe. Die Daͤcher gehen nach vorn, und haben kei - nen Giebel. Die Maͤrkte ſind außerordentlich groß und mit Baͤumen bepflanzt.
Zu Haaglogirte ich bey einem Schweden aus Cal - mar. In ſeinem Hauſe ſah ich einen Schwediſchen Ka - chelofen. In ganz Hollandbedient man ſich, wie ich ſchon bemerkt habe, der Kamine, die man mit Torf heitzt. Dieſe ſind auch nicht ſo eingerichtet, daß man die Roͤhre mit einer eiſernen Platte zuſchieben oder zudecken kann, damit die Waͤrme nicht herausgehe. Die Einwohner glauben, ſolche Kamine, ſo wie auch Oefen, wuͤrden in einem ſo feuchten Lande mehr nachtheilig als muͤtzlich ſeyn, und bilden ſich ein, ſie moͤchten dadurch noch mehr Schnupfen, Fluͤſſe und Gicht bekommen. Die wahre Urſache aber ſcheint wohl die zu ſeyn, daß es an Holz fehlt, oder dieſes doch wenigſtens im ganzen Lande hoͤchſt theuer iſt, und Oefen ſich nicht recht gut mit Torf heitzen laſſen. Der Torf wird hier bald tonnenweiſe, bald nach der Zahl verkauft. Er dunſtet auf eine unangenehme Art, beynahe wie Fett, ſo daß jemand, der deſſen nichtB 220Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. gewohnt iſt, Kopfweh und Uebelkeit davon bekommt. Er wird beym Ausgraben in laͤnglichen Stuͤcken geſtochen, wird langſam zu Kohlen und brennt nicht in Flammen, giebt aber viel Hitze. Anfangs zuͤndet man ihn mit kleinen Sticken an.
Von Haagbegab ich mich wieder nach Amſterdam. So oft die Schute unterwegs bey einem Wirthshauſe ſtille hielt, kamen Sellerweiber und boten Brot, Fi - ſche und andre Waaren zu Kauf. Der Weg zwiſchen den beyden Staͤdten iſt uͤbrigens unbeſchreiblich ange - nehm, beſonders wegen der vielen Hoͤfe, die zu beyden Seiten des Kanals bey einander wie in einer Reihe lie - gen, und mit den ſchoͤnſten Gaͤrten und Schloͤſſern pran - gen. Die Waͤnde der Haͤuſer ſind manchmahl mit Epheu ganz bedeckt, und den Buchsbaum bildet die Scheere in tauſend verſchiedne Geſtalten von Thieren, Pyramiden und Hecken mancher Art.
Waͤhrend der Zeit, da ich auf den Abgang eines nach Rouenbeſtimmten Schiffes wartete, beſuchte ich taͤglich Profeſſor Burmannus, und benutzte deſſen Sammlungen und Bibliothek. Jetzt ſah ich den Vor - theil ein, welchen ein Lehrer einer ſolchen Wiſſenſchaft davon hat, wenn er ſeinen Buͤchervorrath ſo nahe zur Hand hat, jeden Augenblick ohne die mindeſte Unbe - quemlichkeit dahin gehen, ſie nach der Norm, welche die verſchiednen Zweige der Wiſſenſchaft ſelbſt vorſchrei - ben, ordnen, und mit den Beſchreibungen und Abbil - dungen in den Buͤchern ſeine ebenfalls in der Naͤhe be - findlichen Naturalien-Sammlungen vergleichen kann, zumahl wenn der Fall eintritt, daß er nicht etwa ein oder anderes Buch, ſondern bisweilen wohl hundert Schrift - ſteller zugleich nachſchlagen und vergleichen muß. Gro - ße oͤffentliche Buͤcherſaͤle, die nur an gewiſſen Tagen ge -21Aufenthalt und Reiſen in Holland. oͤffnet werden, oft einem einzigen Bibliothekar, der un - moͤglich ſich fuͤr alle Faͤcher der Gelehrſamkeit gleich in - tereſſiren kann, zur Aufſicht uͤbergeben ſind, nicht im - mer gedruckte Katalogen haben, wo man nicht allezeit ſo viel Buͤcher als man gebraucht, abhohlen laſſen darf, und wo dies Abhohlen denn doch auch niemahls ohne Um - ſtaͤnde und Belaͤſtigung geſchehen kann, ſind daher in je - ner Hinſicht allezeit weniger brauchbar. Ein Lehrer, der dieſe Bequemlichkeit und dieſen vorzuͤglichen Nutzen von Buͤchern haben will, kann deswegen nicht fuͤglich um - hin, ſich ſelbſt mit einer Bibliothek zu verſehen, und was man von der Einrichtung und den Vortheilen gro - ßer und weitlaͤuftiger Buͤcherſammlungen ruͤhmt, wird durch die Sache ſelbſt widerlegt. Unter den vielen ra - ren Buͤchern, die ich hier antraf, waren die rumphi - ſchen mit Farben illuminirten Abbildungen von Sc[h]ne - cken und Fiſchen, die RumphiusSohn auf der Inſel Amboinemit eigner Hand verfertigt hat; PetiveriusOri - ginal-Abbildungen von Kraͤutern; die merianſchen Ab - bildungen von Schmetterlingen und die rumphiſchen von amboiniſchen Gewaͤchſen, beyde illuminirt. Unter den mehreren Herbarien aus Oſt - und Weſtindien, und Afrika, welche ich genau durchſah und unterſuchte, wa - ren mir beſonders Herrmannsund OldenlandsSamm - lungen merkwuͤrdig: ſie waren wie Buͤcher eingeheftet. Als Profeſſor Burmannusmich dabey antraf, daß ich bey dieſer Gelegenheit verſchiedne Kraͤuter von den weit - laͤuftigſten Geſchlechtern, als der Ixie, der Heide, und der Witſche (Aſpalathus), unterſuchte, fuͤr mich nach dem Syſtem ordnete, und beſchrieb, aͤußerte er, daß er ſich bemuͤhen wolle, mir Gelegenheit zu verſchaffen, entweder nach Surinam, oder dem Vorgebirge der gu - ten Hoffnungzu reiſen, wozu ich das Geld aus Hol -22Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. land erhalten ſolle, ſo daß mir die Reiſe nichts koſten werde. Fuͤr dieſen ſich ſo ſehr auszeichnenden Beweis ſeines Wohlwollens gegen mich bezeugte ich ihm meine innige Dankbarkeit, und erklaͤrte, ich ſey bereit, eine ſolche Reiſe zu unternehmen, und einige Jahre darauf zu verwenden. Zugleich gab ich ihm meine Verwunde - rung zu erkennen, daß er in dieſem Stuͤcke ſo viel Zu - trauen in einen Fremden ſetzen koͤnne, den er nur ſeit ei - nigen Tagen etwas kenne. Er antwortete mir, er habe ſchon ſeit der Zeit, da er ſelbſt einen Sommer in Schwe - denauf der Univerſitaͤt zu Upſalazugebracht, die Schwe - diſche Nation ſehr lieb gewonnen, und mir ſey er beſon - ders zugethan, da er wahrgenommen, mit wie vieler Fertigkeit ich eine Menge ſeiner, von ihm ſelbſt bis da - hin nicht genau gekannten Naturalien geordnet, mit ih - ren Nahmen belegt, und beſchrieben habe, woruͤber er mir in ſehr ſchmeichelhaften Ausdruͤcken viel Lob beylegte, das ich zu verdienen zu ſuchen mir vornahm. Zugleich beklagte er ſich daruͤber, daß ſeine Profeſſor-Beſoldung ſo gering ſey, daß er nur ſeine jaͤhrliche Hausmiethe davon beſtreiten koͤnne; er faͤnde ſich daher genoͤthigt, ſich durch eine ſo ſehr als moͤglich ausgebreitete Ausuͤbung der Arz - neywiſſenſchaft das Nothwendige zu erwerben; dies habe denn freylich die ſehr unangenehme Folge fuͤr ihn, daß es ihn von demjenigen Studium abziehe, welches ſeine Lieblingsbeſchaͤfftigung ausmache und von Amts wegen ſeine erſte Pflicht ſey. Hier konnte ich nicht anders, als die Profeſſoren auf den Schwediſchen Univerſitaͤten gluͤcklich preiſen, die nicht noͤthig haben, einen Theil ih - rer Zeit dem Erwerbe ihres Unterhalts zu widmen, und ſich dadurch von ihrer Hauptwiſſenſchaft und dem Unter - richte der Studierenden zu entfernen.
23Aufenthalt und Reiſen in Holland.Nunmehr nahm ich auch den Amſterdamer medici - niſchen Garten, wie auch die verſchiednen Hoſpitaͤler, welche theils in, theils außer der Stadt ſtehen, in Au - genſchein. Der botaniſche Garten liegt ſeitwaͤrts von der Stadt, iſt groß und ſchoͤn, und hat mehrere Orangerien und Treibhaͤuſer, nebſt einer Menge von den ſogenann - ten ſucculenten Gewaͤchſen, auch viele Capſche Pflan - zen. Die große Amerikaniſche Aloe ſtand in voller Bluͤ - the, und war alle Tage fuͤr Geld zu ſehen. Zum Vor - ſteher des Noſocomiums, das in der Stadt angelegt iſt, war Herrn BurmannusSohn bereits an des Vaters Stelle ernannt: dieſer letztere bedarf auch ſeines hohen Alters wegen wohl etwas Freyheit von Geſchaͤften. In dem Hauſe werden ſieben bis achthundert Kranke unent - geldlich verſorgt. Von den Weibsleuten liegen meiſten - theils zwey in Einem Bette, und jeder Kranke hat ſei - ne Nummer. Beym Morgenbeſuche wird die Nummer eines jeden, und die Arzney fuͤr dieſen Tag, auf einer Tafel angeſchrieben. Die Apotheke iſt dicht dabey. Das ſogenannte Peſthaus ſteht eine Strecke außerhalb der Stadt.
Die Luft war jetzt in dieſem niedrigen Lande ſehr feucht und ungeſund, und ſah ganz dick, wie die Luft in einer Badſtube aus. Das Haar konnte man nicht oh - ne Nadeln friſirt halten, und kein Kraut anders als mit vieler Muͤhe am Feuer trocknen. Es regnete haͤufig, aber faſt immer war es nur ein anhaltender Staub - oder Nebelregen. Nicht ſelten ſtieg auch ein ſo dicker Nebel auf, daß viele, die ſich nicht vorſahen, in die Graͤben fielen, welches ſich bey ſolcher Gelegenheit in Amſter - damoft zutraͤgt. Manchmahl ſieht man alsdann auch dicken Nebel ploͤtzlich den Himmel uͤberziehen, und wenn dieſer nach kurzer Zeit allmaͤhlig niederfaͤllt, erblickt man24Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. von den Leuten auf der Straße anfangs nur den Kopf, hernach den halben Menſchen, und ſo weiter: eine gar auffallende Erſcheinung. Jetzt fingen auch Flußfieber an, ſich zu zeigen und ziemlich allgemein zu werden. Die Frauensperſonen von geringerm Stande gebrauchen in der kalten Jahrszeit Torfkohlen in einem Feuerbecken, das in einem mit verſchiednen Loͤchern verſehenen Kaſten ſteht, welchen ſie unter den Rock ſetzen, um ſich zu waͤrmen.
Da die Hollaͤnder uͤberhaupt viel Tobak rauchen, ſieht man auch in den meiſten, beynahe allen, Haͤuſern auf dem Tiſche ein kupfernes Gefaͤß mit Torfkohlen, um die Pfeife anzuzuͤnden, und ein Spuckgeſchirr mit breitem Rande und enger Oeffnung, um hinein zu ſpeyen, damit der Fußboden rein bleibe. — Da man in Hollandeben nicht viel Bier trinkt, bedient man ſich mehr des Kaffees und Thees, um den Durſt zu loͤſchen. Der Kaffee wird gewoͤhnlich des Morgens mit Milch und Zuckerkandi getrunken, von welchem letztern man ein Stuͤck in den Mund nimmt. Die Bohnen werden nur wenig gebrannt und der Kaffee ſchwach getrunken, viele Taſſen jedesmahl, und oft ohne Milch und Zucker. Thee trinkt man hauptſaͤchlich des Nachmittags, biswei - len mit, bisweilen ohne Milch und Zuckerkandi, alle - zeit aber im Ueberfluß und viele Taſſen nach einander. Am Bord wurde manchmahl Milch mit Waſſer ver - miſcht auf Thee oder Salbeyblaͤtter gegoſſen, und des Abends getrunken. Suppen ißt man ſelten, ſon - dern der Hollaͤnder lebt mehr von ſteifen Gerichten, oder auch von Gartengewaͤchſen, Fiſchen und Fleiſch. Fiſche ſind faſt das gewoͤhnlichſte Eſſen, und zugleich das wohlfeilſte. Kartoffeln und Fiſche ſind die vor - nehmſte Nahrung der Aermeren. Hechte, Barße25Aufenthalt und Reiſen in Holland. und aͤhnliche Fiſche ſind gleichwohl rar und theuer. Fleiſchſpeiſen ißt man nicht ſo haͤufig, und ſie ſind ge - meiniglich auch theurer. Geringere Leute pflegen bey jeder Mahlzeit Butterbrot von zweyerley Brot mit Kaͤſe zu eſſen. Geſalzne Speiſen ißt man ſelten.
Die Frauensperſonen tragen durchgaͤngig kleine Fiſchbeinroͤcke, und viele haben einen Beutel mit einem großen ſilbernen Schloſſe an der Seite hangen.
Den 26. October begab ich mich an Bord eines nach Rouenbeſtimmten Fahrzeuges. So lange ich im Hafen lag, ſah ich taͤglich Milch, Gartengewaͤchſe, Obſt und andre Victualien zur Stadt bringen. Nach einigen Tagen ſegelte ich von Amſterdamab. Beym Texelbekam ich zu Ausgell, wo alle nach Amſterdamkommende ſowohl, als alle von da abgehende Schiffe ſich klariren muͤſſen, meine beyden Koffer endlich wieder, die auf einem der hier zu beyden Seiten liegenden Qua - rantaine-Schiffen, verſchiedne Wochen hindurch in ſehr guter, aber eben ſo unnoͤthiger, Verwahrung geweſen waren. Um ſie abzuhohlen, bediente ich mich eines hier gewoͤhnlichen Fuhrwerks, das den daͤniſchen Wa - gen, die vorn eine Kruͤmmung haben, voͤllig aͤhnlich iſt. Die Inſel iſt rings mit einem Walle oder Damme um - geben, der aus Tang beſteht, welchen man auf einan - der gepackt hat. Der Weg geht am Strande hin, und iſt erhoͤhet, beſteht aber meiſtens aus Lehmerde, weswegen er bey jetziger Jahrszeit, da es viel geregnet hatte, ziem - lich tief und weich war.
Die Inſel Texel, nebſt einem großen Theile von Holland, liegt, wie man deutlich ſehen kann, niedriger als die Oberflaͤche des Meers. Daß dieſes nicht ein - dringen und das Land uͤberſchwemmen kann, hindern die koſtbaren aufgeworfnen Teiche oder Waͤlle, zu deren Un -26Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt. terhaltung jaͤhrlich unglaublich große Summen Geldes angewendet werden. Das Waſſer verſchafft gleichwohl den Niederlaͤndern unbeſchreibliche Vortheile. Nur ei - niger zu erwaͤhnen: die Schifffahrt, ſowohl die binnen Landes als die auswaͤrtige, macht es leicht und bequem; die Aenger und Wieſen macht es uͤber alle Vorſtellung fruchtbar und grasreich, und eben hierin liegt der Grund des ganzen Reichthums und Wohlſtandes dieſes Landes. Dagegen iſt es aber auch das Waſſer, welches ſo ſtar - ke und koſtbare Vormauern und Schleuſen erfordert, oft bey ſtarkem Sturme aus Nord-Weſt durchbricht, Ue - berſchwemmungen verurſacht, nicht nur das platte Land, ſondern auch die Staͤdte zum Theil unter Waſſer ſetzt, und die Einwohner nicht ſelten mit Furcht und Schre - cken erfuͤllt. Das Erdreich iſt ſelten hart und feſt, ſon - dern locker und ſumpfig. Mit Recht kann man daher ſagen, daß kaum irgend ein Land an ſich ſelbſt und von Natur unreiner iſt, aber durch Kunſt und uͤbertriebne Sorgfalt hinwiederum keines an Sauberkeit und Net - tigkeit ihm gleich kommt.
Die Nacht brachte ich in einem Dorfe zu, wel - chem gegenuͤber unſer Schiff geankert hatte. Bey mei - nem Wirthe aß ich Miesmuſcheln und Auſtern, der - gleichen ich zu Amſterdamſehr haͤufig zu Kauf hatte bringen geſehen, nicht nur roh, ſondern auch gekocht mit Eſſig, Oehl und Pfeffer. Wenn die Miesmuſchel, die man an den hieſigen, ſo wie an andern Kuͤſten in gro - ßer Menge findet, in Waſſer gekocht wird, ſo daß die Schale ſich oͤffnet, und wenn man ſie alsdann mit ſuͤß - ſaurer Bruͤhe iſſet, ſo iſt ſie ſowohl nahrhaft als wohl - ſchmeckend. So lange das Fahrzeug vor Anker lag, gingen die Matroſen des Abends ans Land, und hohlten ganze Eimer voll ſolcher Muſcheln. Spaniſche Zwie -27Aufenthalt und Reiſen in Holland. beln, abgeſchaͤlt und gekocht, aß das Schiffsvolk bis - weilen anſtatt Brots zu Erbſen oder andern Gerichten. So ſauber und rein dieſe Leute auch ſonſt auf ihren Schiffen alles halten, ſind ſie doch ſehr unreinlich beym Eſſen. Sie langen mit den Fingern in die Schuͤſſel, und ihre Finger ſind natuͤrlicher Weiſe nicht ſehr rein, ſondern im Gegentheil vom Handthieren des Tauwerks ſo mit Theer beſchmutzt, daß ſie gegen Faͤulniß aller Art ſehr gut verwahrt zu ſeyn ſcheinen.
Einmahl war es, waͤhrend wir noch vor Anker lagen, des Abends ganz ſtill, als wir ploͤtzlich das Waſſer in der offnen See rauſchen hoͤrten, und gegen das Land empor ſteigen ſahen. Das Waſſer glaͤnzte zugleich wie Feuer, oder vielmehr wie Mondſchein, aber doch nur, wenn es ſich bewegte, oder man etwas hinein warf, oder auch ruderte: ein ganz vortrefflicher Anblick.
Zwiſchen Calaisund Doverſahen wir an der Engli - ſchen Kuͤſte zwey Feuerbaken. Seit unſrer Abfahrt von Texelhatten wir beſtaͤndig Sturm gehabt, und dieſer wurde jetzt ſo ſtark, daß er verſchiedne Segel zerriß. Zugleich regnete es ſehr heftig. Endlich legte ſich der Ungeſtuͤm und wir ſegelten mit gutem Winde an der Kuͤ - ſte von Frankreichin der Naͤhe eines Steinwurfs hin. Das Ufer iſt ſehr ſteil, ſpringt oft in Landſpitzen und Vorgebirgen vor, und ſcheint aus roth geflammtem Kalk zu beſtehen.
28Erſte Abtheilung. Dritter Abſchnitt.Den 19. November 1770 kamen wir vor Havre de Gracean. In dem großen Meerbuſen, welchen das Land hier bildet, lagen verſchiedne Schiffe. Unſern Matroſen hatte das ſalzige Waſſer, welches uͤber das Schiff geſchlagen war, naſſe Fuͤße verurſacht; und jetzt fingen dieſe an zu ſchwellen, und an verſchiednen Stel - len große Blaſen zu bekommen. Das einzige Heilmit - tel, welches ſie gegen dieſe Unbequemlichkeiten gebrauch - ten, beſtand darin, daß ſie die Fuͤße mit Branntwein wuſchen. Der Schiffer mußte ſich jetzt nach der Stadt begeben, um einen ſogenannten Geſundheitsbrief, und einen Lootſen zu bekommen.
Havre de Graceliegt am Abhange einer Anhoͤhe zwiſchen Huͤgeln. Die Stadt iſt ſchoͤn, aber nicht ſehr groß; ſie hat eine gute Lage und einen vortrefflichen Ha - fen, der gegenwaͤrtig ungefaͤhr hundert und funfzig Fahrzeuge innerhalb der Mauern enthielt. Außerhalb lagen einige Hamburgiſche Schiffe, die Quarantaine hielten.
Von Havre de Graceſegelten wir bald ab, ohne an Land geſtiegen zu ſeyn, und fuhren nach Quilleboeuf, wo die Seineſich ins Meer ergießt. Hier kamen die Zollbedienten an Bord, um das Schiff zu verſiegeln; auch kam ein Lootſe, um uns nach Rouenzu fuͤhren. Hier lagen zwey in den Strom verſenkte Schiffe, wovon nur die Spitzen der Maſte ſichtbar waren. Das Waſſer ſieht hier von der Kreide ganz weißlich aus. — Gegen Abend warfen wir die Anker bey einem Dorfe, Vilcair, weil uns der Strom jetzt entgegen war, und der Wind ſich gelegt hatte. Von der Muͤndung der in vielen Buchten fortfließenden Seinebis nach Rouenzaͤhlt man dreißig Franzoͤſiſche Meilen, da eben dieſe Entfernung zu Lande nur zehn betraͤgt. Ich ging hier mit dem29Reiſe von Hollandnach Paris. Steuermanne an Land, um mich ein wenig umzuſehen. Am Strande machte der Lehm den Weg ſehr ſchluͤpfrig und weich, und waͤhrend der Ebbe wurde er tief hinein von Waſſer entbloͤßt.
Die Bauern wohnen hier dicht bey einander, und ihre Hoͤfe und Laͤndereyen ſind durch weiter nichts, als le - bendige Hecken, von Aepfel - und Birnbaͤumen, Weiß - dorn, Spillbaͤumen (Evonymus) und Weiden getrennt, zwiſchen denen Roſenſtraͤuche und Brombeerſtauden ſte - hen; und an den Baͤumen ſchlaͤngelt ſich Epheu hinauf. Als einem Schweden mußte mir hier der Wunſch aufſtei - gen, daß man in meinem Vaterlande doch auch einmahl ſo weit kommen moͤchte, daß lebendige Hecken die Felder und Wieſen des Landmanns einſchloͤſſen, daß die aus Pfaͤhlen und Latten beſtehenden Befriedigungen, die man in unzaͤhliger Menge antrifft, und wodurch nicht nur die Waͤlder ſehr ruinirt werden, ſondern die auch koſtbar ſind, verbannet und unſichtbar wuͤrden, und daß man Hirten annaͤhme, um die Heerden zu huͤten, um deren willen man ſo theure und unglaublich viele Schutzwehren an - legt und unterhaͤlt. Wuͤrde alsdann zugleich die Baum - zucht aufgemuntert und geſchuͤtzt, ſo duͤrfte das Land bin - nen kurzem zu einem irdiſchen Paradieſe werden koͤn - nen. — Wo ich jetzt war, ſtehen die Obſtbaͤume in or - dentlichen Reihen. Ein Stuͤbchen Cider koſtet hier nicht mehr, als drey Sous, und die Aepfel ſind hoͤchſt wohl - feil. Den Cider macht man hier auf die Art, daß die Aepfel in einer runden ausgehoͤhlten Maſchine vermittelſt eines laͤnglich runden Holzes, das darin herumgedrehet wird, zerquetſcht werden, dieſer Brey alsdann auf eine Strohhuͤrde geſchuͤttet und gepreſſet, und der herabflie - ßende Saft in einem Gefaͤße geſammelt wird. — Die Bauerhaͤuſer beſtehen aus Fachwerk und Lehmerde. Das30Erſte Abtheilung. Dritter Abſchnitt. Landvolk traͤgt hoͤlzerne Schuh, worin Socken oder Stroh liegt. — Die wilden Gewaͤchſe, welche ich hier an - traf, waren gemeine Moͤhren, Masliebe oder Tauſend - ſchoͤn, Kreutzpflanze (Senecio), Muͤnze, Betonien (Betonica), Miſtel; um die Baͤume fand ich viel Epheu.
Als wir gegen Abend in eine ſolche Gegend gekom - men waren, wo der Strom von hohen Huͤgeln umgeben wird, und der Wind nicht ſtark wehen kann, wurde das Schiff von vier, auch wohl mehr, Pferden an einem Taue den Strom hinaufgezogen. Die Pferde werden von den Bauern zu dieſem Gebrauche gem[i]ethet, und die - ſe geben ſie auch gern dazu her. Als wir Rouennaͤher kamen, ſchienen verſchiedne Inſeln ſich im Strome zu bilden. Den 25. November langten wir in dieſer Stadt endlich an.
Roueniſt eine ziemlich große und befeſtigte Stadt. Die Haͤuſer ſind theils ſteinern, theils von Fachwerk. Sie hat ein ſehr langes und großes Kloſter. Die Schiffe legen dicht bey der Bruͤcke an, gerade vor dem Markte und der Boͤrſe. Dieſe Boͤrſe iſt ein unbedeckter Platz und nur mit einem eiſernen Gitter umgeben. Sie wird nur bey ſchoͤnem Wetter gebraucht, und dient auch oft zum gewoͤhnlichen Spatziergange. Eine andre Boͤrſe liegt tie - fer in der Stadt. Die ganze Straße laͤngs dem Hafen iſt voll Buden, worin die Schiffsbeſucher ſich aufhalten; und vom Hafen in die Stadt geht man durch Thore, die des Abends um neun Uhr geſchloſſen werden. Die Haͤuſer ſind hier haͤufig mit Schiefer gedeckt. Die Pferde ſind klein, und haben einen uͤbeln Gang. Auch Frauensperſonen reiten, und oft ſitzt eine hintenauf. Waaren und Laſten werden auf großen und unbehuͤlf - lichen Karren gefahren, und man ſpannt vier bis fuͤnf Pferde hinter einander vor, die bisweilen großes und31Reiſe von Hollandnach Paris. ſchwerfaͤlliges Sielenzeug haben, bisweilen aber auch mit Franſen und Schellen geſchmuͤckt ſind. Eſel werden ſehr haͤufig gebraucht, und auch von dieſen Thieren ſieht man manchmahl mehrere in einer Reihe vor die großen Karren geſpannt, und mit Schellen behangen, die eine unangeneh - me Muſik machen. — Es war zwar noch eben nicht kalt, aber die Leute trugen doch ſchon Weſten mit Pelz - werk gefuͤttert. In den Haͤuſern bedient man ſich zwar durchgaͤngig der Oefen, aber von beſondrer Art. Sie ſind entweder von Eiſen oder von Porzellan, und dabey klein, haben eine lange eiſerne Roͤhre, aber keine eiſerne Klappe oder Schieber, um ſie auf - und zuzumachen. Gewoͤhnlich ſtehen ſie mitten im Zimmer, und werden im Fruͤhlinge aus der Stube genommen. Man heitzt ſie mit kleinen Splittern; ſie erwaͤrmen das Zimmer inner - halb einer Viertelſtunde, werden aber auch bald wieder kalt. Zu dem erſtern traͤgt die eiſerne Roͤhre viel bey, die bey ſtarkem Einheitzen gluͤhend wird. — Die Kauf - mannsladen und verſchiedne Werkſtaͤtte ſind offen ange - legt, und allezeit im unterſten Stockwerke. Buͤrger und Bauern ohne Unterſchied die Sprache, welche anderwaͤrts die Sprache der Vornehmen iſt, reden zu hoͤren, konnte nicht anders als mir ſehr auffallen; Dienſtmaͤgde aber wie Damen, mit Robesrondes und Kopfzeugen, zu - gleich aber mit hoͤlzernen Schuhen gehen zu ſehen, war mir hoͤchſt laͤcherlich. — An verſchiednen Stellen in der Stadt ſind Springbrunnen angelegt, zur Bequemlichkeit der Einwohner beym Waſſerhohlen. — Unter den Con - trabande Waaren iſt hier der Tobak am ſchaͤrfſten, und zwar bey Galeerenſtrafe, verboten. Aller Tobak, den wir am Bord hatten, wurde ſogleich aufgeſchrieben, und auf das ſorgfaͤltigſte verwahrt, und dem Schiffsvolke (man weiß, dieſe Leute koͤnnen ohne jenes widrige Kraut32Erſte Abtheilung. Dritter Abſchnitt. nicht leben, wurde woͤchentlich nur ſo viel davon ausgege - ben, als zum Gebrauch hinreichte. — Eine Menge Kaſtanien hat man hier; an allen Ecken werden ſie feil ge - boten, und ſie ſind zugleich ſehr groß. Man bratet ſie in einer Pfanne, und iſſet ſie ſo, bisweilen auch wohl mit friſcher Butter.
Zu Rouenbeſuchte ich Herrn Pinard, Profeſſor der Botanik, und beſah ſein Herbarium, das in Buͤndel ge - bunden und in Repoſitorien aufgeſtellt iſt. Der botani - ſche Garten liegt am Ende der Stadt, iſt nicht ſehr groß, hat aber in der Mitte einen runden Teich, und iſt in zwey Quartiere abgetheilt. Auch enthaͤlt er eine Orangerie, die aus drey Zimmern beſteht, aber nicht vorzuͤglich iſt.
Die Reiſe von Rouennach Parismachte ich in der gewoͤhnlichen Poſtkutſche, und ich mußte an das Poſtamt mit Inbegriff der Fracht fuͤr meine Sachen einen Louisd’or bezahlen. Ich war diesmahl der einzige Paſſagier. Eine ſolche Poſtkutſche iſt indeſſen ſo groß, daß zehn Perſonen darin Platz haben, auch wird ſie hinten und vorn mit ei - ner Menge Koffer und andrer Sachen bepackt. Dies - mahl waren acht Pferde vorgeſpannt. Wenn der Weg einen Berg hinabging, wurde eins von den Hinterraͤdern mit einer eiſernen Kette geſperret. Manchmahl rauchten die Raͤder von der ſtarken Friction. — Die Landſtraße, welche durchgaͤngig ſehr breit iſt, ſieht man zu beiden Sei - ten mit Baͤumen bepflanzt. An allen Bergen liegen blaue und gelbe Feuerſteine in Menge. Die Haͤuſer auf dieſem Wege ſind auch von ſolchen Feuerſteinen und Kalk aufge - fuͤhrt. Ich kam durch verſchiedne Staͤdte, von denen einige befeſtigt ſind. Die Meilenzeiger ſind von Stein, und mit einem Kreutze bezeichnet; die Viertel-Meilen - zeiger aber nur von Holz mit einer kupfernen Platte. Bey den Kloͤſtern trifft man Bettler, ſowohl Erwachſeneals33Reiſe von Hollandnach Paris. als Kinder haͤufig an: ſie beten das Vater Unſer Latei - niſch. Hie und da ſieht man Hecken von Brombeer; ſolche Hecken ſind zwar dornig, aber nicht dicht. Vor den Wirthshaͤuſern wird den Paſſagieren manchmahl ein Stuhl hingeſetzt, um ihnen das Ausſteigen aus dem Wa - gen bequem zu machen. Man kann in den Wirthshaͤu - ſern nach Belieben entweder mit mehrern Gaͤſten zuſammen an einem Tiſche ſpeiſen, oder auch ſich in der Kuͤche ſelbſt die Gerichte ausſuchen, die man haben will; in dieſem Falle bekommt man einen beſonders gedeckten kleinen Tiſch. Trinkgeld muß man allenthalben reichlich bezahlen, be - ſonders dafuͤr, daß man des Morgens, wenn die Poſt - kutſche abgehen will, geweckt wird: man nennt dies Trink - geld quelque choſe pour le garçon. — Auf dieſer gan - zen Reiſe empfand ich viel Kaͤlte: zugleich war faſt be - ſtaͤndig Nebel und Reif; auch ſah man ſchon Eis auf dem Waſſer.
Den 1. December 1770 kam ich zu Parisan. Mein Gepaͤcke wurde im Poſthauſe viſitirt. Ich miethete mir in der Nachbarſchaft ein Zimmer, um meine Saͤchen da - hin bringen zu laſſen, bis ich in mehrerer Naͤhe der Hoſpitaͤler und Akademien ein Logis tiefer in der Stadt bekommen wuͤrde. Dies waͤhrte auch nicht lange. Denn da ich von Aſſeſſor RibeAddreſſe an ſeinen vorigen Wirth, Namens Berth, hatte, ſuchte ich dieſen ſogleich auf, bekam Zimmer in ſeinem Hauſe, und ließ auch meine Koffer alsbald dahin bringen. Meine Ankunft ThunbergsReiſe. Erſter Theil. C34Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt. und meinen Nahmen meldete er unverzuͤglich dem Polizey - Lieutenant.
Unter meinen Landsleuten beſuchte ich darauf zuerſt Herrn Heſſeen, welcher ſo gefaͤllig war, mir manche noͤthi - ge und nuͤtzliche Nachrichten zu geben. Noch am ſelbigen Tage verfuͤgte ich mich nach dem ſchoͤnen und vortrefflichen Hoſpitale, la Charité. Bald begab ich mich auch in Ge - ſellſchaft meines Wirths nach dem großen Hoſpitale, Ho - tel-Dieu. Dies iſt der Ort, den ich hernach taͤglich be - ſuchte, und wo man allezeit Gelegenheit hat, etwas zu lernen, es betreffe die vielfaͤltigen chirurgiſchen Opera - tionen, welche da vorgenommen werden, oder die Pflege und Wartung der Kranken. Nicht lange nach meiner Ankunft ſtiftete ich auch mit zwey andern Landsleuten, die ſich hier aufhielten, um ſich in der Wundarzneykunſt zu vervollkommnen, Bekanntſchaft: mit den Herren Ru - dolphund Luͤcke. Da wir eine und dieſelbe Wiſſenſchaft trieben, war dieſer Umgang fuͤr mich ſo viel nuͤtzlicher. Denn weil ſie ſchon einige Zeit in Parisgeweſen waren, erhielt ich von ihnen ohne Muͤhe viele Nachrichten und Addreſſen. Sonſt kann ein Fremder in dieſer weitlaͤuf - tigen Stadt lange verweilen, ehe er nach und nach alle Gelegenheiten, die man hier findet, um in ſeiner Wiſſen - ſchaft weiter fortzuſchreiten, kennen und ſchaͤtzen lernt. Sie erboten ſich, mich nach den beyden oben genannten Hoſpitaͤlern zu begleiten. Als ſie hoͤrten, ich ſey ſchon da geweſen, bezeigten ſie ihre Verwunderung daruͤber, daß ich, nach einer Anweſenheit von kaum vier und zwanzig Stunden, nicht nur dieſe Hoſpitaͤler, ſondern auch man - ches andre ſchon geſehen hatte. Sie ſchloſſen hieraus, ich wuͤrde nicht ermangeln, fuͤr das Geld, welches ich in Pariszu verzehren gedaͤchte, mir den moͤglichſten Vor - theil in meinem Fache zu verſchaffen.
35Aufenthalt in Paris.Im Hotel-Dieu hatte ich bald Gelegenheit, den feyerlichen Aufzug anzuſehen, welcher gewoͤhnlich am er - ſten Sonntage jedes Monaths angeſtellt wird. Die Nonnen ſowohl als die Moͤnche, welche die Kranken hier bedienen, trugen bey dieſer Feſtlichkeit weiße Kleider und ſchwarze Maͤntel, und in den Haͤnden große Wachs - lichte. Vor dem Altare ſtanden drey junge Maͤochen, die ſehr ſchoͤn ſangen. Nachher habe ich dies in mehrern Kirchen bemerkt Die Notredame-Kirche beſah ich, nebſt andern Kirchen, auch in den erſten Tagen; ſie iſt das Muſter, wonach die Domkirche zu Upſalagebauet iſt. Die meiſten hieſigen Kirchen ſind auf gleiche Art ins Kreutz angelegt, nur meiſtentheils noch ſchoͤner und ohne Baͤnke und Stuͤhle. In der Schwediſchen Geſandtſchafts - Kapelle wohnte ich dem Gottesdienſte bey: die Predigt wurde in Deutſcher Sprache gehalten.
Sobald ich konnte, machte ich auch dem Schwedi - ſchen Bothſchafter, Grafen Creutz, die Aufwartung. Dieſer Herr bewies mir, waͤhrend meines ganzen hieſigen Aufenthalts, viel Wohlwollen. Er iſt es auch, der dazu beſtimmt war, nach Verlauf einiger Jahre in Schwedenmein Gluͤck zu befoͤrdern. Sein Andenken wird mein Herz, ſo lange ich lebe, mit der innigſten Dankbarkeit verehren.
Im Kloſter der heiligen Genevieve war die Biblio - thek, das Naturalien-Cabinett und der vortreffliche Garten fuͤr mich das Wichtigſte. Die Bibliothek iſt im obern Stockwerke befindlich; ſie iſt kreutzweiſe gebauet, und die Buͤcherbreter ſtehen rings an allen Waͤnden und unter den Fenſtern, und ſind mit geflochtenen Drahtthuͤren verſchloſſen. Die Buͤcher ſind numerirt. Zwiſchen zwey und zwey Repoſitorien ſteht die Buͤſte eines Regen - ten oder Philoſophen. Der Saal wird Montags,C 236Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt. Mittwochs und Freytags um zwey Uhr geoͤffnet, und ſteht jedesmahl drey Stunden offen. Man leihet auch Buͤcher aus. Zur Seite iſt das Antiquitaͤten-Cabinett und die Naturalien-Sammlung in zwey Zimmern. Die letztere enthaͤlt unterſchiedliche ausgeſtopfte Amphibien und Fiſche, Mumien, Mineralien, Conchylien und Koral - len; in dem erſtern iſt eine Menge Alterthuͤmer befindlich. Alles ſteht in verſchloſſenen Schraͤnken mit Thuͤren von geflochtnem Draht. Der Garten iſt huͤbſch, und hat artige Figuren von beſchnittnem Buchsbaum.
Am Weihnachtabend wohnte ich dem katholiſchen Gottesdienſte bey. Man feyert dergleichen hier in dieſer Nacht in allen Kirchen mit vielen Ceremonien. Die Kirchen ſind alsdann mit großen Kronleuchtern ſchoͤn erleuchtet.
Um die Zeit nicht ungenutzt vorbeyfließen zu laſſen, beſuchte ich zwar das Hoſpital taͤglich einmahl, zu Zeiten auch zweymahl; allein dabey ließ ich es nicht bewenden. Ich machte mich auch ſogleich zu anatomiſchen Sectionen bey Herrn du Mas, Wundarzt im Hotel-Dieu, anheiſchig. Ferner wohnte ich den oͤffentlichen Vorleſungen in der chi - rurgiſchen Akademie (Saint-Come), der mediciniſchen Akademie (Ecole de Medicine), dem botaniſchen Gar - ten (Jardin royal) und dem phyſikaliſchen Hoͤrſaale (Col - lege naval) bey. Außerdem verſaͤumte ich nicht, auch in der Anatomie, Chirurgie und Entbindungskunſt noch Privat-Unterricht zu benutzen. Die Anſtalten und Ein - richtungen, um die Unterweiſung in dieſen Theilen der mediciniſchen Gelehrſamkeit zu befoͤrdern, ſind hier zahl - reich und zu gleicher Zeit vortrefflich. Man ſtudiert ſie auch nicht alle auf einmahl, ſondern nach einander; und auf dieſe Art koͤnnen nicht nur die Profeſſoren, welche mit ihren Vorleſungen alterniren, viele Zuhoͤrer haben,37Aufenthalt in Paris. ſondern die Studierenden werden auch nicht mit zu man - cherley uͤberhaͤuft. Im Winter-Halbenjahre wird zuerſt die Anatomie, dann die chirurgiſchen Operationen, darauf die Chemie, Accouchir-Wiſſenſchaft, und zuletzt gegen den Sommer die Kraͤuterkunde, Pathologie und andre medici - niſche Wiſſenſchaften gelehrt. Keine Wiſſenſchaft wird bloß theoretiſch, ſondern eine jede zugleich praktiſch vorgetragen. Außer den oͤffentlichen Stunden leſen die meiſten Profeſſo - ren und Adjuncten, (welche letztere hier Prevots heißen) zugleich Privat-Collegia, und auch dieſe bisweilen unent - geldlich. In den oͤffentlichen Collegien faſt aller Profeſ - ſoren ſind ſogar die Adjuncten ihre Amanuenſes, und wenn der Profeſſor eine Sache vorgetragen hat, demon - ſtrirt der Adjunct ſie ſogleich praktiſch.
Den meiſten meiner Leſer, auch denen, welche nicht Aerzte ſind, oder die an akademiſchen Einrichtungen eben nicht Theil nehmen, wird es, glaube ich, nicht un - angenehm ſeyn, wenn ich hier ein ausfuͤhrliches Verzeich - niß der oͤffentlichen ſowohl als der Privat-Vorleſungen ein - ruͤcke, die in Pariszum Nutzen derer, welche die Medi - cin ſtudieren, gehalten werden. — Sabatierlieſet im Januar und den folgenden Monaten in Saint-Come oͤffentlich zuerſt uͤber die Zergliederungskunſt, und hernach uͤber die chirurgiſchen Operationen. Privatim traͤgt er die Anatomie in einer Zeit von ſechs Wochen fuͤr ſechs und dreyßig Livres vor; eben das thut er in Anſehung der chirurgiſchen Operationen. Auch nimmt er Penſionaͤre im Invalidenhauſe an, welchem er vorſteht. — De la Faye, dieſer ehrwuͤrdige Greis, lehrt ebenfalls in Saint - Come des Vormittags die chirurgiſchen Operationen, wel - ches Collegium des Nachmittags von ſeinem Adjuncten Gourſaudrepetirt wird. In gemahlten Abbildungen zeigt er die Krankheiten verſchiedner Theile des menſchli -38Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt. chen Koͤrpers zugleich. — Petit, ein artiger und muntrer Mann, traͤgt im Maͤrz und den naͤchſten Monathen die Anatomie und Phyſiologie, hernach die Lehre von den chi - rurgiſchen Operationen, und zwar im Jardin royal, vor. Die letzteren werden am Schluſſe jeder Lection vom De - monſtrator wirklich verrichtet. — Du Sçulieſet in Saint-Come Nachmittags ebenfalls die Zergliederungs - wiſſenſchaft auf gleiche Art, wie SabatierVormittags. Die Theile werden erſt in ihrer natuͤrlichen Lage gezeigt, und darauf zergliedert, um auch andre Theile zeigen zu koͤnnen Zugleich wird eben dieſer Theil an einem trock - nen Praͤparate, imgleichen in Abbildungen demonſtrirt; dieſe letzteren beſitzt du Sçuin großem Formate, und ſie ſind vorzuͤglich gut illuminirt. — Gegen den Fruͤh - ling traͤgt Tenonin Saint-Come die Lehre von den Krankheiten, und privatim die Lehre von den Augenkrank - heiten insbeſondre vor. — Im May und den folgen - den Monathen wird eben daſelbſt von BrasdorVormit - tags um eilf Uhr, und von HevinNachmittags um drey uͤber die Therapie geleſen. — Im Jardin royal haͤlt Macquervom Junius an uͤber die Chemie Vorleſungen. Waͤhrend der Lehrſtunde werden jedesmahl in einem durch ein Gitter abgeſonderten Zimmer die Operationen ange - ſtellt, welche am Schluſſe der Apotheker Roelzeigt und erklaͤrt. In eben dieſen Monathen traͤgt Juſſieudie Bo - tanik vor, theils im Auditorium, theils im Jardin royal, wo die Gewaͤchſe auf den Beeten vorgezeigt werden. — Louislehrt zu eben der Jahrszeit in Saint-Come die Phyſiologie Vormittags, welches da auch Nachmittags Bordenavethut. — Zu eben der Zeit und an eben dem Orte lieſet Fabredes Vormittags, und Tenondes Nach - mittags die Pathologie. Doch geſchieht dies nur woͤchent - lich an zwey Tagen, Dienſtags und Freytags, daher bis in39Aufenthalt in Paris. den November damit fortgefahren wird. — Peanlieſet in dieſen Monathen auch in Saint-Come und zwar die Entbindungskunſt fuͤr die, welche die Wundarzneykunde ſtudieren, Dienſtags und Donnerſtags um halb zwey. Ein gleiches geſchieht von Barbautfuͤr die Hebammen, Mittwochs und Sonnabends um eilf Uhr. — Gendronhandelt in zwey Monathen, May und Junius, Montags, Dienſtags und Freytags um eilf Uhr, die Wiſſenſchaft von den Augenkrankheiten ab. Die Theile des Auges zeigt er an Praͤparaten, und in großen illuminirten Abbil - dungen, und die Krankheiten der Augen ſelbſt in Email. — Im College naval wird des Winters, Mon - tags, Donnerſtags und Sonnabends die Phyſik gelehrt. Die Experimente werden immer zu gleicher Zeit angeſtellt. Die Maſchinen und Inſtrumente ſetzt man zu dieſem Ende auf einen Tiſch, der auf einer erhoͤheten Buͤhne ſteht, um welche die Zuhoͤrer auf ſtufenweiſe in die Hoͤhe gehen - den Baͤnken ſitzen. Dies Collegium wird um eilf Uhr ge - halten, und Leute aller Art, nicht bloß Studenten, wohnen ihm bey. — In der Ecole de Medicine wird woͤchent - lich in ſechs Stunden zuerſt die pathologiſche Anatomie, und hernach die Chemie gelehrt. Jene traͤgt der Profeſ - ſor in der erſten halben Stunde in Lateiniſcher Sprache vor. Wenn er geſchloſſen hat, zeigt der Demonſtrator die Theile ſelbſt vor, und lieſet daruͤber in Franzoͤſiſcher Sprache. In dem Collegium uͤber die Chemie macht le Rouxjederzeit die Experimente. — Auch wird in eben dieſem Inſtitute von Profeſſor Dionisin Lateiniſcher Sprache Anweiſung zu den chirurgiſchen Operationen gege - ben. Dies Collegium wird unmittelbar darauf vom De - monſtrator Francin Franzoͤſiſcher Sprache repetirt. — Den Hebammen wird in der Ecole de Medicine vom May an, von Mellinein Curſus der Entbindungs -40Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt. kunſt, nebſt den darauf ſich beziehenden Theilen der Anatomie vorgetragen. Goubellythut dabey als De - monſtrator Dienſte. — Dies ſind die oͤffentlichen Collegia.
Privat-Vorleſungen werden von verſchiednen Profeſ - ſoren uͤber allerhand mediciniſche und chirurgiſche Wiſ - ſchaften, in großer Anzahl gehalten. Noͤthig ſcheint dies kaum zu ſeyn, da uͤber alle Theile der Medicin und Chirurgie, und die dazu gehoͤrigen Vorbereitungs - und Huͤlfswiſſenſchaften, ſo viele oͤffentliche Collegia geleſen werden. Indeſſen pflegt man doch jenen haͤufig beyzuwoh - nen, und zwar hauptſaͤchlich deswegen, um bey den chi - rurgiſchen Operationen und in Anſehung des Accouche - ments ſelbſt Hand anzulegen. Aus dieſer Urſache ver - pflichtete ich mich auch ſogleich bey du Butund du Maszu einem Curſus uͤber die ausuͤbende Wundarzneykunſt, ſo wie bey Salayreszu einem Privat-Collegium uͤber die Entbindungswiſſenſchaft; dies letztere beſonders in der Ab - ſicht, um die Wendungen und Handgriffe bey ſchlimmen La - gen des Kindes praktiſch zu lernen. — Nun von andern Privat-Lehrſtunden. Didier, ein ſehr geſchickter Wundarzt, traͤgt die Lehre von den Krankheiten der Knochen, nebſt dem, was damit in Verbindung ſteht, vor. — Bey Riellegt man Hand an das Disſeciren ganzer Cadaver, und er lehrt zugleich die Theorie davon. Man bezahlt dafuͤr dreyßig Livres. — Du Sçulaͤßt ſich dagegen fuͤr ſein anatomiſches Collegium, das er in vier Monathen en - digt, hundert Livres entrichten. — Ferrandlieſet uͤber die chirurgiſchen Operationen. — Guerinhandelt die Lehre von den Krankheiten der Augen ab. — Ueber die Entbindungskunſt wird von nicht weniger als ſechs Pro - feſſoren privatim geleſen. Levretlehrt dieſelbe in Zeit von ſechs bis ſieben Wochen fuͤr zwey Louisd’ors; Goubelly,41Aufenthalt in Paris. Lauverjat, du Sçuund Pean, auch la Rietragen ſie ebenfalls vor; der letztere in den Haͤuſern zweyer Hebam - men. La Rienimmt zwar kein Geld, denn er will gern viel Zuhoͤrer anlocken; aber er laͤßt ſich hernach fuͤr Zei - gung der Handgriffe einen Louisd’or bezahlen. — Ohne Bezahlung zu nehmen lehren Didierdie Oſteologie, und Moreaudie praktiſche Chirurgie woͤchentlich vier Stun - den in der dritten Etage des Hotel-Dieu. Auch halten die Geiſtlichen in der Charité bisweilen anatomiſche Vor - leſungen umſonſt.
Außerdem haben die Studierenden beſtaͤndig Zu - gang zu den hieſigen oͤffentlichen ſowohl als einigen Pri - vat-Einrichtungen, durch deren Benutzung man ſeine Kenntniſſe in der Botanik und Materia medica, auf eine vorzuͤgliche Art vermehren und berichtigen kann. Herr Royer, Material - und Spezereyhaͤndler in der Haupt - ſtraße der Vorſtadt Saint-Germainoͤffnet nach vorher geſchehener Bekanntmachung alle Dienſtage, Donnerſta - ge und Freytage im May ſeine Gaͤrten den Botanikern, und zu andern Zeiten den Hebammen und den Apotheker - geſellen. Auch ſtellt er Mittwochs und Sonnabends bo - taniſche Spatziergaͤnge an. Seine Sammlung von Spe - zereyen und Naturalien zeigt er ebenfalls den Studieren - den gern. Herr Barbau du Bourghaͤlt gleichfalls Vor - leſungen uͤber die Kraͤuterkunde. In dem ſogenannten Apothekergarten (Jardin des Apothicaires) bekommt man alle da bluͤhende Gewaͤchſe fuͤr achtzehn Livres*)Seit der Verfaſſer dieſes ſchrieb, ſind verſchiedne beruͤhmte Lehrer, die er hier anfuͤhrt, geſtorben, und manche andere verdienſtvolle Maͤnner an ihre Stelle gekommen..
Aus dem jetzt mitgetheilten Verzeichniſſe erhellet, daß in Parisnicht nur die anſehnlichſte mediciniſche Fa - cultaͤt iſt, und keine andre Univerſitaͤt in dieſem Stuͤcke42Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt. dagegen ſich vergleichen kann, ſondern auch, daß zur Er - lernung der Arzneywiſſenſchaft hier mehr Anſtalten vor - handen ſind, als ſonſt irgendwo. Welch ein Gluͤck waͤ - re es, wenn auch alles eben ſo gut und auf die gehoͤrige Art beobachtet, bewerkſtelliget und ausgefuͤhrt wuͤrde! Die Anzahl der Studenten, welche Medicin ſtudiren, iſt auch wohl gewiß an keinem Orte ſo groß als hier: ſie geht uͤber dreytauſend.
Ein ſogenanntes ſchwarzes Bret, wo die Anzei - gen der zu haltenden Vorleſungen angeſchlagen werden, findet man auf der hieſigen Unwerſitaͤt nicht. Die Pro - feſſoren pflegen daher Billette auszutheilen, um von ih - ren Privat-Collegien und andern Sachen Nachricht zu ge - ben. Und da die Studenten zu jenen ſich in den oͤffent - lichen Collegien aufſchreiben, wird zu dieſem Ende bis - weilen ein foͤrmlicher Aufruf angeſtellt.
Die Hoͤrſaͤle ſind meiſtens rund gebauet. Die Baͤn - ke machen ein Amphitheater und ſind ohne Ruͤcklehne. In der Mitte ſteht ein Tiſch, an welchem der Profeſſor ſitzt, ungefaͤhr ſo, wie man es in einem anatomiſchen Saale anzutreffen pflegt. Vor der Thuͤre ſteht allezeit ei - ne Wache, ſowohl um Unordnung und Laͤrm zu verhuͤten, als auch um der Handlung mehr Anſehen und Wuͤrde zu geben. Mit Degen oder Hirſchfaͤnger wird niemand ein - gelaſſen, damit niemand dadurch den andern im Gedraͤn - ge hindern oder auch Misbrauch davon machen koͤnne. Die Thuͤr des Auditoriums wird nicht eher geoͤffnet, als bis die Glocke ſchlaͤgt; manche von den Zuhoͤrern ſtehen daher eine halbe Stunde davor, und warten, bis aufge - macht wird, um auf einer der unterſten und dem Pro - feſſor naͤchſten Baͤnke einen bequemen Platz zu bekommen. Oft wird der Profeſſor mit Haͤndeklatſchen begruͤßt, ſo - wohl wenn er kommt, als wenn er weggeht.
43Aufenthalt in Paris.Disputationen werden hier im mediciniſchen Fache auch genug gehalten. In der Ecole de Medicine wird Dienſtags und Donnerſtags disputirt: die Saͤtze, wel - che alsdann vertheidigt werden, betragen einen halben Bogen. Der Disputations-Saal iſt alsdann abgetheilt. Draußen ſitzt einer in ſchwarzer Kleidung mit einem Kra - gen an einem Tiſche und theilt die Theſes aus. Inwendig ſitzen die Officianten in uͤberzognen Baͤnken und auf Ka - thedern. Der Praͤſes und der Reſpondent haben weiße Hemden an. Der Reſpondent ſitzt dem Praͤſes zur Sei - te. Die Opponenten erſcheinen in ſchwarzen Kleidern mit Maͤnteln und blauen Kragen. — In der Ecole de Chirurgie wird auf gleiche Art disputirt. Die Katheder ſind alsdann mit Sammet, der mit goldnen Treſſen beſetzt iſt, geſchmuͤckt. Rund herum ſtehen Baͤnke, und in der Mitte Stuͤhle. Alle dieſe Anſtalten geben dem Acte viel Anſehen. Eben ſo giebt es den oͤffentlichen Vorleſungen der Profeſſoren eine nicht geringe Feyerlichkeit, daß dieſe dabey in ihrer Amtstracht erſcheinen, welche in ſchwarzer Kleidung und einem weißen Kragen beſteht. — Beym Disputiren hoͤrt man die Franzoſen das Lateiniſche bey - nahe ſo wie das Franzoͤſiſche ausſprechen, und man hat anfangs Muͤhe, ſie zu verſtehen.
Aufmunterung zum Fleiß und zur Lernbegierde ſchei - net an einem Orte nicht noͤthig zu ſeyn, wo ſo viele vor - treffliche Gelegenheiten, in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten weit zu kommen, vorhanden ſind. Allein man hat auch jene nicht aus der Acht gelaſſen. Es werden naͤmlich oͤffentliche Pruͤfungen angeſtellt, da die Geſchickteſten Belohnungen bekommen, die in goldnen und ſilbernen Schaumuͤnzen, nebſt gewiſſen Vortheilen und Vorzuͤgen beſtehen. Einem ſolchen Examen wohnte ich einmahl in Saint-Come bey, wo die Studenten wechſelsweiſe einan -44Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt. der fragten und antworteten. Bey einem andern eben daſelbſt war ich auch zugegen, da ſechs Profeſſoren exa - minirt wurden. Zu einem ſolchen Examen kann jeder, der will, ſich melden, nur kein Auslaͤnder und kein Pa - riſer. Diejenigen, welche zu der Ecole practique, oder der gedachten Pruͤfung zugelaſſen werden, und daſelbſt den Preis erhalten, genießen hernach den Vortheil, daß ſie, ohne dafuͤr beſonders zu bezahlen, todte Koͤrper ſe - ciren und chirurgiſche Operationen daran vornehmen duͤrfen.
Unter den Hoſpitaͤlern zu Paris, und vermuthlich unter allen Hoſpitaͤlern in der Welt, iſt das Hotel - Dieu das groͤßte. Der Fond zu ſeiner Unterhaltung wird auf ſechs Millionen Livres angegeben, die ehemahls nach und nach, meiſtentheils als freywillige Geſchenke geſammelt ſind. Die Kranken genießen hier Arzney und Pflege umſonſt, ohne Anſehen der Perſon, und ohne auf die Anzahl Ruͤckſicht zu nehmen. Gemeiniglich wer - den ſie auf langen Baaren hingebracht. Im Aufnahme - zimmer werden ſie eingeſchrieben. Der Eingang geht durch die Kirche. Sogleich beym Eingange faͤngt ein Zimmer fuͤr Kranke mit einer Reihe Betten an. Dieſe Betten ſind aber nicht immer in Ordnung. Am Ende dieſes Zimmers ſind die Eingaͤnge in die groͤßern Saͤle. In dieſen ſtehen mehrere Reihen Betten, und in jedem Bette liegen mehrere Kranke, beſonders Kinder, manch - mahl vier beyſammen. Im mittlern Stockwerke liegen diejenigen Patienten, welche des Beyſtandes der Wund - aͤrzte beduͤrfen, und im oberſten die Frauensperſonen, welche entbunden ſind oder ihre Niederkunft erwarten. Den Kranken maͤnnlichen Geſchlechts warten Moͤnche, und den weiblichen Nonnen auf. Das Eſſen wird den Kranken in Naͤpfen oder kleinen Schalen gereicht. Bey45Aufenthalt in Paris. dem Bette ſteht ein behangener Nachtſtuhl. Große Lam - pen erleuchten das Zimmer. Wenn ein Patient geſtor - ben iſt, wird er in das Todtenzimmer (Salle des morts) getragen. Die, welche Vormittags ſterben, werden beſonders, und die, welche Nachmittags, auch beſonders hingelegt. Gewoͤhnlich ſterben in Zeit von vier und zwanzig Stunden zwiſchen zehn und zwanzig Perſonen. Wenn ſie begraben werden ſollen, naͤhet man ſie in grobe greiſe Leinwand. Die Zahl der Kranken erſtreckt ſich ungefaͤhr bis dreytauſend, wovon zweytauſend von Aerz - ten, und tauſend von Chirurgen bedient werden. Den 1. Maͤrz waren der Kranken 3950, und in der folgen - de Woche 3978.
Die Charité iſt netter und ſchoͤner, aber viel klei - ner. Sie enthaͤlt etwa dreyhundert Betten, und hat eine eigne Apotheke. Man nimmt hier nur eine beſtimm - te Anzahl Kranke an, denen Herr du Sçu, welcher Vor - ſteher iſt, Zettel giebt, auf deren Vorzeigung ſie aufge - nommen werden.
Das Invalidenhaus, wo alte und gebrechliche Sol - daten unterhalten werden, hat auch ein großes Zimmer fuͤr Kranke, und liegt an der einen Seite der Stadt. Die dazu gehoͤrige Kirche iſt groß, und hat einen ſehr ſchoͤnen erhabnen Chor, der mit Marmor ausgelegt iſt, und in der Mitte einen etwas niedrigern Platz hat, wo - hin niemand, außer dem Koͤnige, erlaubt wird hinabzuge - hen. Daher wird hier auch, ſo wie bey den Thuͤren, Wache gehalten. Die Wache beſteht ſehr oft aus ge - brechlichen Leuten. — Neben dem Invalidenhauſe iſt die Ecole militaire.
Das Bicetre oder Lazaret fuͤr veneriſche Kranke iſt außerhalb der Stadt. Wer da aufgenommen werden will, muß vorher Erlaubniß dazu haben.
46Erſte Abtheilung. Vierter Abſchnitt.Der botaniſche Garten (Jardin royal) ſteht unter der vortrefflichen Aufſicht des geſchickten Thouin. Er iſt groß und beſteht aus zwey langen Quartieren, die mit Hecken umgeben ſind. Die Beete ſind mit Buchsbaum umpflanzt. Der unterſte Theil des Gartens gleicht ei - nem wilden Walde, der aus allerhand Baͤumen beſteht. Zur linken Seite ſind die Orangerien und Treibhaͤuſer. Draußen vor dieſen iſt ein Platz, wohin die Gewaͤchs - toͤpfe des Sommers geſetzt werden, wie auch verſchiedne durch Taxus-Hecken abgeſonderte kleine Felder fuͤr Ge - waͤchſe. Oberhalb derſelben ſtehen auf einer kleinen An - hoͤhe ebenfalls einige Treibhaͤuſer, nebſt der Wohnung des Gaͤrtners, wie auch ein Gemach zur Aufbewahrung der Saͤmereyen. Hinter den Treibhaͤuſern und der Orangerie auf dieſer Anhoͤhe ſind Spatziergaͤnge und ein kleiner Wald, wie auch ein Berg, der ſo hoch iſt, daß man von da ganz Parisuͤberſehen kann. Jeder Botaniker hat hier freyen Zutritt, ſo wie der Garten auch zum Spatzieren offen ſteht. Die Hecken beſtehen aus Eibenbaum, Ul - men, Stechpalmen, Buchsbaum, Linden, Cornel - Kirſchbaum, Geißblatt, Kirſchbaum mit doppelter Blu - me, Judasbaum, Bocksdorn, Peltſchen (Coronilla ſecu - ridaca), Feldmaßholder, Flieder oder Syringen, und dergleichen. Unter den Baͤumen, die im Garten ſtehen, bemerkte ich verſchiedne Arten Maßholder, die Stein - eiche, den Kermesbaum, die immergruͤne Cypreſſe, den Bermudiſchen Wachholder, den Taxus, die Ulm