PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Franz Sternbalds Wanderungen.
Eine altdeutſche Geſchichte
Erſter Theil.
BerlinbeiJohann Friedrich Unger. 1798.
[II][III]

Vorrede.

Seit lange habe ich folgendes Buch als das liebſte Kind meiner Muße und Phantaſie gehegt und übergebe es nun Dir, geliebter Leſer, mit dem Wunſche, daß es Dir gefallen möge. Wenn Du die Kunſt liebſt, ſo erdulde das nach¬ ſichtig, was Du darüber geſagt findeſt. IVAm meiſten habe ich bei dieſem Werke meiner Laune an Euch, ihr Jünger der Kunſt, gedacht, die Ihr Euch mit unermüdetem Streben zu den großen Meiſterwerken hinandrängen wollet, die Ihr Euer wechſelndes Gemüth und die wunderbaren Stimmungen die Euch be¬ herrſchen, nicht begreift, die Ihr gern die Widerſprüche löſen möchtet, die Euch in manchen Stunden ängſtigen. Euch widme ich dieſe Blätter mit beſonderer Liebe und mit herzlichen Wünſchen, daßV Euch hie und da vielleicht eine Wolke ſchwindet, die Eure Ausſicht verdeckte.

Man rechne mir kleine chronologi¬ ſche Fehler nicht zu ſtrenge nach, man behandle dies kleine Buch nicht wie die Geſchichte eines Staats. Meine Schwächen empfinde ich ſelber und wie ich das Ideal nicht erreichen kann, das in meinem Innern ſteht. Es iſt mit mir und meiner Erfindung ſo, wie der große Dichter dem Künſtler in den Mund legt:

VI
Ich zittre nur, ich ſtottre nur
Und kann es doch nicht laſſen,
Ich fühl's, ich kenne dich Natur,
Und ſo muß ich dich faſſen.
[1]

Franz Sternbalds Wanderungen.

Erſtes Buch.

A[2][3]

Erſtes Kapitel.

So ſind wir denn nun endlich aus den Thoren der Stadt, ſagte Sebaſtian, in dem er ſtille ſtand und ſich freier umſah.

Endlich? antwortete ſeufzend Franz Sternbald ſein Freund. Endlich? Ach nur zu früh, allzufrüh.

Die beiden Menſchen ſahen ſich bei die¬ ſen Worten lange an, und Sebaſtian legte ſeinem Freunde zärtlich die Hand an die Stirne und fühlte, daß ſie heiß ſei. Dich ſchmerzt der Kopf ſagte er beſorgt, und Franz antwortete: Nein, das iſt es nicht, aber daß wir uns nun bald trennen müſſen.

Noch nicht! rief Sebaſtian mit einem weh¬ mühtigen Erzürnen aus, ſo weit ſind wir4 noch lange nicht, ich will dich wenigſtens eine Meile begleiten.

Sie gaben ſich die Hände und giengen ſtillſchweigend auf einem ſchmalen Wege ne¬ beneinander.

Jetzt ſchlug es in Nürnberg vier Uhr und ſie zählten aufmerkſam die Schläge, obgleich beide recht gut wußten, daß es keine andere Stunde ſeyn konnte; indem warf das Morgenroth ſeine Flammen immer höher und es giengen ſchon undeutliche Schatten neben ihnen und die Gegend trat rund umher aus der ungewiſſen Dämmerung heraus.

Wie alles noch ſo ſtill und feierlich iſt, ſagte Franz und bald werden ſich dieſe gu¬ ten Stunden in Saus und Braus, in Ge¬ tümmel und tauſend Abwechſelungen verlie¬ ren. Unſer Meiſter ſchläft wohl noch und arbeitet an ſeinen Träumen, ſeine Gemählde ſtehen aber auf der Staffelei und warten5 ſchon auf ihn. Es thut mir doch leid, daß ich ihm dem Petrus nicht habe können aus¬ mahlen helfen.

Gefällt er dir? fragte Sebaſtian.

Ueber die maßen, rief Franz aus, es ſol¬ te mir faſt bedünken, als könnte der gute Apoſtel der es ſo ehrlich meinte, der mit ſeinem Degen ſo raſch bei der Hand war und nachher doch aus Lebensfurcht das Verläugnen nicht laſſen konnte, und ſich von einem Hahn müſte eine Buß - und Gedächtnißpredigt hal¬ ten laſſen, als wenn ein ſolcher beherzter und furchtſamer, ſtarrer und gutmüthiger Apoſtel nicht anders habe ausſehn können als ihn Meiſter Dürer ſo vor uns hinge¬ ſtellt hat. Wenn er Dich zu dem Bilde läßt, lieber Sebaſtian, ſo wende ja allen deinen Fleiß darauf und denke nicht, daß es für ein ſchlechtes Gemälde gut genug ſei. Willſt du mir das verſprechen?

6

Er nahm ohne eine Antwort zu erwar¬ ten ſeines Freundes Hand und drückte ſie ſtark, Sebaſtian ſagte: Deinen Johannes will ich recht aufheben und ihn behalten, wenn man mir auch viel Geld dafür böte.

Mit dieſen Reden waren ſie an einen Fußſteig gekommen, der einen nähern Weg durchs Korn führte. Rothe Lichter zitterten an den Spitzen der Halme und der Mor¬ genwind rührte ſich darin und machte Wel¬ len. Die beiden jungen Mahler unterhiel¬ ten ſich noch von ihren Werken und von ihren Planen für die Zukunft, Franz ver¬ ließ jezt Nürnberg ſeine vaterländiſche Stadt, um in der Fremde ſeine Kenntniß zu erweitern und nach einer mühſeligen Wanderſchaft dann als ein vollendeter Mei¬ ſter zurückzukehren. Sebaſtian blieb noch bei den wohlverdienten Albrecht Dürer deſ¬ ſen Name im ganzen Lande ausgebreitet7 war. Die Sonne gieng nun in aller Maje¬ ſtät hervor und Sebaſtian und Franz ſahen abwechſelnd nach den Thürmen von Nürn¬ berg zurück, deren Kuppeln und Fenſter blendend im Schein der Sonne glänzten.

Die jungen Freunde fühlten ſtillſchwei¬ gend den Druck des Abſchieds, der ihrer wartete, ſie ſahen jedem kommenden Augen¬ blicke mit Furcht entgegen, ſie wußten, daß ſie ſich trennen mußten und konnten es doch immer noch nicht glauben.

Das Korn ſteht ſchön, ſagte Franz um nur das ängſtigende Schweigen zu unter¬ brechen, wir werden eine ſchöne Erndte haben.

Diesmahl, antwortete Sebaſtian, wer¬ den wir nicht miteinander das Erndtefeſt be¬ ſuchen, wie ſeither geſchah; ich werde gar nicht hingehn, denn du fehlſt mir und all' das luſtige Pfeiffen und Schallmeygetöne8 würde[nur] ein bittrer Vorwurf für mich ſein, daß ich ohne dich käme.

Dem jungen Franz ſtanden bei dieſem Worten die Thränen in den Augen, denn alle Scenen die ſie einer mit dem andern ge¬ ſehn, alles was ſie in brüderlicher Geſell¬ ſchaft erlebt hatten, gieng ſchnell durch ſein Gedächtniß; als nun Sebaſtian noch hinzu ſezte: wirſt du mich auch in der Ferne noch immer lieb behalten? konnte er ſich nicht mehr faßen, ſondern fiel dem Fragen¬ den mit lautem Schluchzen um den Hals und ergoß ſich in tauſend Thränen, er zit¬ terte, es war, als wenn ihm das Herz zer¬ ſpringen wollte. Sebaſtian hielt ihn feſt in ſeinen Armen geklammert und muſte nun mit ihm weinen, ob er gleich älter, und von einer härteren Conſtitution war. Kom¬ me wieder zu dir! ſagte er endlich zu ſei¬ nem Freunde wir müßen uns faßen, wir ſehn uns ja wohl wieder.

9

Franz antwortete nicht, ſondern troknete ſeine Thränen ab, ohne ſein Geſicht zu zei¬ gen. Es liegt im Schmerze etwas, deßen ſich der Menſch ſchämt, er mag ſeine Thrä¬ nen ſelbſt vor ſeinem Buſenfreunde, auch wenn ſie dieſem gehören, gern verbergen.

Sie erinnerten ſich nun daran, wie ſie ſchon oft von dieſer Reiſe geſprochen hätten, wie ſie ihnen alſo nichts weniger als uner¬ wartet käme, wie ſehr ſie Franz gewünſcht und ſie immer als ſein höchſtes Glück ange¬ ſehn hätte. Sebaſtian konnte nicht begreif¬ fen, warum ſie jezt ſo traurig wären, da im Grunde nichts vorgefallen ſei, als daß nun endlich der langgewünſchte Augenblick wirklich herbeigekommen wäre. Aber ſo iſt das Glück des Menſchen, er kann ſich deſ¬ ſen nur freuen, wenn es aus der Ferne auf ihn zuwandelt, kömmt es ihm nahe und er¬ greift ſeine Hand, ſo ſchaudert er oft zu¬10 ſammen, als wenn er die Hand des Todes faßte.

Soll ich dir die Wahrheit geſtehn? fuhr Franz fort, du glaubſt nicht wie ſeltſam mir geſtern Abend zu Sinne war. Ich hat¬ te meinen Gedanken ſo oft die Pracht Roms, den Glanz Italiens vorgemahlt, ich konnte mich bei der Arbeit ganz darin ver¬ lieren, daß ich mir vorſtellte, wie ich auf unbekannten Fußſteigen, durch ſchattige Wälder wanderte, und dann fremde Städ¬ te und niegeſehene Menſchen meinem Blik¬ ke begegneten; ach, die bunte, ewigwechſeln¬ de Welt mit ihren noch unbekannten Bege¬ benheiten, die Künſtler, die ich ſehn würde, das hohe gelobte Land der Römer, wo einſt die Helden würklich und wahrhaftig gewan¬ delt ſind, deren Bilder mir ſchon Thränen entlockt hatten, ſieh, alles dies zuſammen hatte oft meine Gedanken ſo gefangen ge¬11 nommen, daß ich zuweilen nicht wußte, wo ich war, wenn ich wieder auf ſah. Und das alles ſoll würklich werden! rief ich dann manchmal aus, es ſoll eine Zeit geben kön¬ nen, ſie naht ſich, in der du nicht mehr vor der alten, ſo wohlbekannten Staffeley ſitzeſt, eine Zeit, wo du in all die Herrlichkeit hinein¬ leben darfſt und immer mehr ſehn, mehr erfah¬ ren, nie aufwachen, wie es dir jezt wohl[ge¬ ſchieht], wenn du ſo zu Zeiten von Italien träumſt; ach, wo, wo, bekömmſt du Sinne, Gefühl genug her, um alles treu und wahr, lebendig und urkräftig aufzufaſ¬ ſen? Und dann war es, als wenn ſich Herz und Geiſt innerlich ausdehnten und wie mit Armen jene zukünftige Zeit erha¬ ſchen, an ſich reiſſen wollten und nun

Und nun Franz?

Kann ich es dir ſagen? antwortete je¬12 ner, kann ich es ſelber ergründen? Als wir geſtern Abend um den runden Tiſch un¬ ſers Dürers ſaßen und er mir noch Lehren zur Reiſe gab, als die Hausfrau indeß den Braten ſchnitt und ſich nach dem Kuchen er¬ kundigte, den ſie zu meiner Abreiſe gebacken hatte, als du nicht eßen konnteſt, und mich immer von der Seite betrachteteſt, o Seba¬ ſtian, es wollte mir immer mein armes ehr¬ liches Herz zerreißen. Die Hausfrau kam mir ſo gut vor, ſo oft ſie auch mit mir ge¬ ſcholten hatte, ſo oft ſie auch unſern braven Meiſter Dürer betrübt hatte; hatte ſie mir doch ſelbſt meine Wäſche eingepakt, war ſie doch gerührt, daß ich abreiſen wollte. Nun war unſere Mahlzeit geendigt, und wir al¬ le waren nicht fröhlich geweſen, ſo ſehr wir es uns auch vorher vorgenommen hatten. Jetzt nahm ich Abſchied von Meiſter Al¬ brecht, ich wollte ſo hart ſeyn und konnte13 vor Thränen nicht reden; ach mir fiel es zu ſehr ein, wie viel ich ihm zu danken hatte, was er ein vortreflicher Mann iſt, wie herrlich er mahlt, und ich ſo nichts gegen ihn bin und er doch in den lezten Wochen immer that, als wenn ich ſeines gleichen wäre; ich hatte das alles noch nie ſo zu¬ ſammen empfunden, und nun warf es mich auch dafür nieder. Ich ging fort, und du gingſt ſtillſchweigend in deine Schlafkammer: nun war ich auf meiner Stube allein. Kei¬ nen Abend werd 'ich mehr hier hereintre¬ ten, ſagte ich zu mir ſelber, indem ich das Licht auf den Boden ſtellte: für dich, Franz, iſt nun dieſes Bette zum leztenmale in Ord¬ nung gelegt, du wirfſt Dich noch einmal hin¬ ein und ſiehſt dieſe Kiſſen, denen du ſo oft deine Sorgen klagteſt, auf denen du noch öfter ſo ſüß ſchlummerteſt, nie ſiehſt du ſie wieder. Sebaſtian, geht es allen Men¬14 ſchen ſo, oder bin ich nur ein ſolches Kind? Es war mir faſt, als ſtünde mir das größte Unglück bevor, daß dem Menſchen begegnen könnte, ich nahm ſogar die alte Lichtſcheere mit Zärtlichkeit, mit einem wehmüthigen Ge¬ fühl in die Hand und puzte damit den lan¬ gen Docht des Lichtes. Ich war überzeugt, daß ich vom guten Dürer nicht zärtlich ge¬ nug Abſchied genommen hatte, ich machte mir heftige Vorwürfe darüber daß ich ihm nicht alles geſagt hatte, wie ich von ihm dachte, welch' ein vortreflicher Mann er in meinem Augen ſei, daß er nun von mir ſo entfernt würde, ohne daß er wüſte, welche kindliche Liebe, welche brennende Verehrung, welche Bewunderung ich mit mir nähme. Als ich ſo über die alten Giebel hinüber ſah, und über den engen dunkeln Hof, als ich dich neben an gehen hörte und die ſchwarzen Wolken ſo unordentlich durch den15 Himmel zogen, ach! Sebaſtian! wie wenn ihr mich aus dem Hauſe würfet, als wenn ich nicht mehr euer Freund und Geſellſchaf¬ ter ſein dürfte, als wenn ich allein als ein Unwürdiger verſtoßen ſei, verſchmäht und verachtet, ſo regte es ſich in meinem Bu¬ ſen. Alle meine Plane, meine Hofnungen, alles war vorüber gezogen und ich konnte es mir gar nicht denken, daß es mich je ge¬ freut hatte. Ich hatte keine Ruhe, ich gieng noch einmal vor Dürers Gemach nnd hör¬ te ihn drinnen ſchlafen, o ich hätte ihn gern noch einmal umarmt, alles genügte mir nicht, ich hätte mögen dableiben, an kein Verreiſen hätte müßen gedacht werden und ich wäre vergnügt geweſen. Und noch jetzt! ſieh wie die fröhlichen Lichter des Morgens um uns ſpielen, und ich trage noch alle Empfindungen der dunkeln Nacht in mir. Warum müßen wir immer früheres16 Glück vergeſſen, um von neuem glücklich ſein zu können? Ach! laß uns hier einen Augenblick ſtille ſtehen, horch, wie ſchön die Gebüſche flüſtern; wenn du mir gut biſt, ſo ſinge mir hier nocheinmahl das altdeutſche Lied vom Reiſen.

Sebaſtian ſtand ſogleich ſtill und ſang, ohne vorher zu huſten, folgende Verſe.

Willt du dich zur Reiſ 'bequemen
Über Feld
Berg und Thal
Durch die Welt,
Fremde Städte allzumahl
Mußt Geſundheit mit dir nehmen.
Neue Freunde aufzufinden
Läßt die alten du dahinten,
Früh am Morgen biſt du wach
Mancher ſieht dem Wandrer nach
Weint dahinten
Kann die Freud 'nicht wiederfinden.
El¬17
Eltern, Schweſter, Bruder, Freund,
Auch vielleicht das Liebchen weint,
Laß ſie weinen, traurig und froh
Wechſelt das Leben bald ſo bald ſo
Nimmer ohne Ach! und O!
Heimath bleibt dir treu und bieder,
Kehrſt du nur als Treuer wieder,
Reiſen und Scheiden
Bringt des Wiederſehens Freuden.

Franz hatte ſich in's hohe Gras geſetzt und ſang die lezten Verſe inbrünſtig mit, er ſtand auf und ſie kamen an die Stelle wo Sebaſtian hatte umkehren wollen.

Grüße noch einmal! rief Franz aus! al¬ le, die mich kennen und lebe du recht wohl.

Und du gehſt nun? fragte Sebaſtian. Muß ich denn nun ohne dich umkehren?

Sie hielten ſich beide feſt umſchloßen. Ach nur eins noch! rief Sebaſtian aus, es quält mich gar zu ſehr und ich kann dich ſo nicht laſſen.

B18

Franz wünſchte den Abſchied im Herzen vorüber, es war, als wenn ſein Herz von dieſen gegenwärtigen Minuten erdrückt wür¬ de, er ſehnte ſich nach der Einſamkeit, nach dem Walde um dann von ſeinem Freunde entfernt ſeinen Schmerz ausweinen zu kön¬ nen. Aber Sebaſtian verlängerte die Au¬ genblicke des Abſchieds, weil er ſich durch kein neues Leben, durch keine neue Gegend konnte tröſten laßen, er kannte alles genau wozu er zurückkehrte. Willſt du mir ver¬ ſprechen? rief er aus.

Alles! alles!

Ach Franz! fuhr jener klagend fort, ich laſſe dich nun los und du biſt nicht mehr mein, ich weiß nicht, was dir begegnet, ich kann dir nicht ins Geſicht ſehen und ſo ſetze ich deine Liebe, ja dich ſelbſt auf ein unge¬ wißes Spiel. Wirſt du auch noch in der weiten Ferne an deinen einfältigen Freund19 Sebaſtian denken? Ach, wenn du nun unter klugen und vornehmen Leuten biſt, wenn es nun ſchon lange her iſt, daß wir hier Ab¬ ſchied genommen haben, willſt du mich auch dann nie verachten?

O mein liebſter Sebaſtian! rief Franz ſchluchzend.

Wirſt du immer noch Nürnberg ſo lie¬ ben, fuhr jener fort, und deinen Meiſter ſo lieben, den wackern Albrecht? Wirſt du dich nie klüger fühlen? O verſprich mir, daß du derſelbe Menſch bleiben willſt, daß du dich nicht vom Glanz des Fremden willſt verfüh¬ ren laßen, daß alles dir noch eben ſo theuer iſt, daß ich dich noch eben ſo angehe.

O Sebaſtian ſagte Franz, mag die gan¬ ze Welt klug und überklug werden, ich will immer ein Kind bleiben.

Sebaſtian ſagte: O wenn du einſt mit fremden abgebettelten Sitten wieder kämſt,B 220alles beßer wüſteſt und dir das Herz nicht mehr ſo warm ſchlüge, wenn du dann mit kaltem Blute nach Dürers Grabſtein hin¬ ſehn könnteſt und du höchſtens über die Ar¬ beit und Innſchrift ſprächeſt, o ſo möcht 'ich dich gar nicht wiederſehn, dich gar nicht für meinen Bruder erkennen.

Sebaſtian! bin ich denn ſo? rief Franz heftig aus; ich kenne ja dich, ich liebe ja dich und mein Vaterland und die Stube, worinn unſer Meiſter wohnt und die Natur und Gott. Immer werd 'ich daran hangen, immer, immer! Sieh, hier, an dieſem alten Eichenbaum verſpreche ich es dir, hier haſt du meine Hand darauf.

Sie umarmten ſich und giengen ſtumm auseinander, nach einer Weile ſtand Franz ſtill, dann lief er dem Sebaſtian nach und umarmte ihn wieder. Ach, Bruder, ſagte er, und wenn Dürer den Ecce homo fertig21 hat, ſo ſchreibe mir doch recht umſtändlich wie der geworden iſt und glaube ja an die Göttlichkeit der Bibel, ich weiß, daß du manchmal übel davon dachteſt.

Ich will es thun, ſagte Sebaſtian und ſie trennten ſich wieder, aber nun kehrte keiner um, oft wandten ſie das Geſicht, ein Wald trat zwiſchen beide.

22

Zweites Capitel.

Als Sebaſtian nach der Stadt zurückkehrte und Franz ſich nun allein ſah, ließ er ſeinen Thränen ihren Lauf. Lebe wohl, tauſend¬ mahl wohl, ſagte er immer ſtill vor ſich hin, wenn ich dich nur erſt wieder ſähe!

Die Arbeiter auf den Feldern waren nun in Bewegung, alles war thätig und rührte ſich; Bauern fuhren vor ihm vorüber, in den Dörfern war Getümmel, in den Scheu¬ ren wurde gearbeitet. Wie viel Menſchen ſind mir heut ſchon begegnet, dachte Franz bei ſich und unter allen dieſen weiß vielleicht kein einziger von dem großen Albrecht Dü¬ rer, der mit ſeinen Werken meinen ganzen Kopf einnimmt, den zu erreichen mein einzi¬ ges Trachten iſt; ſie wißen vielleicht alle kaum, daß es eine Mahlerey giebt und23 doch fühlen ſie ſich nicht unglücklich. Ich weiß es nicht und kann nicht einſehn, wie man ſo leben könnte, ſo einſam und verlaſ¬ ſen und doch treibt jeder ämſig ſein Ge¬ ſchäft, und es iſt gut, daß es ſo iſt und ſo ſeyn muß.

Die Sonne war indeß hoch geſtiegen und brannte heiß herunter, die Schatten der Bäume waren kurz, die Arbeiter giengen zum Mittagseſſen nach ihren Häuſern. Franz dachte daran, wie ſich nun Sebaſtian dem Albrecht Dürer gegen über zu Tiſche ſezte, wie man von ihm ſpreche. Er be¬ ſchloß auch im nächſten Gehölze ſtill zu lie¬ gen, und ſeinen mitgenommenen Vorrath hervorzuholen. Wie erquickend war der kühle Duft, der ihm aus den grünen Blät¬ tern entgegen wehte, als er in das Wäld¬ chen hineintrat! Alles war ſtill und nur das Rauſchen der Bäume ſchallte manchmal24 durch die liebliche Einſamkeit und ein ferner Bach, der durchs Gehöltz floß. Franz ſezte ſich auf den weichen Raſen und zog ſeine Schreibtafel heraus, um den Tag ſeiner Auswanderung anzumerken, dann hohlte er friſchen Athem, und ihm war leicht und wohl, er war jezt über die Abweſenheit ſei¬ nes Freundes getröſtet, er fand alles gut, ſo wie es war. Er breitete ſeine Tafel aus und mit Wohlbehagen von ſeinem mit¬ genommenen Vorrathe, er fühlte jezt nur die ſchöne ruhige Gegenwart, die ihn um¬ gab.

Indem kam ein Wandersmann die Straſ¬ ſe gegangen und grüßte Franzen ſehr freund¬ lich es war ein junger rothbakkiger Bur¬ ſche, er ſchien müde und Franz bat ihn da¬ her, ſich neben ihn niederzuſetzen und mit ihm vorlieb zu nehmen. Der junge Reiſen¬ de nahm ſogleich dieſen Vorſchlag an, und25 beide verzehrten gutes Muths ihre Mittags¬ mahlzeit und tranken den Wein, den Franz aus Nürnberg mitgenommen hatte. Der Fremde erzählte hierauf unſerm Freunde, daß er ein Schmiedegeſelle ſei und eben auf der Wanderſchaft begriffen, er gehe nun, die hochberühmte Stadt Nürnberg in Augen¬ ſchein zu nehmen und da etwas Rechtes für ſein Handwerk bei den kunſtreichen Meiſtern zu lernen.

Und was treibt ihr für ein Gewerbe? fragte er, indem er ſeine Erzählung geen¬ digt hatte.

Ich bin ein Mahler ſagte Franz, und bin heute Morgen aus Nürnberg ausge¬ wandert.

Ein Mahler? rief jener aus, ſo einer von denen, die für die Kirchen und Klöſter die Bilder verfertigen.

Recht, antwortete Franz, mein Meiſter26 O, ſagte der Schmidt, was ich mir ſchon oft gewünſcht habe, einen ſolchen Mann bei ſeiner Arbeit zu ſehn, denn ich kann es mir gar nicht vorſtellen. Ich habe immer geglaubt, daß die Gemählde in den Kirchen ſchon ſehr alt wären, und daß jezt gar keine Leute lebten, die dergleichen ma¬ chen könnten.

Grade umgekehrt, ſagte Franz, die Kunſt iſt jezt höher geſtiegen, als ſie nur jemals war, ich darf Euch ſagen, daß man jezt ſo mahlt, wie es die frühern Meiſter nie ver¬ mocht haben, die Manier iſt jetzt edler, die Zeichnung richtiger und die Ausarbeitung bei weitem fleißiger, ſo daß die jetzigen Bilder den wirklichen Menſchen ungleich ähnlicher ſehn, als die vormaligen.

Und könnt 'Ihr Euch denn davon ernäh¬ ren? fragte der Schmidt.

Ich hoffe es, antwortete Franz, daß27 mich die Kunſt durch die Welt bringen wird.

Aber im Grunde nützt doch das zu nichts, fuhr jener fort.

Wie man es nimmt, ſagte Franz und war innerlich über dieſe Rede böſe. Das menſchliche Auge und Herz findet ein Wohl¬ gefallen daran, die Bibel wird durch Ge¬ mählde verherrlichet, die Religion unterſtützt, was will man von dieſer edlen Kunſt mehr verlangen?

Ich meine, ſagte der Geſell, ohne ſehr darauf zu achten, es könnte doch zur Noth entbehrt werden, es würde doch kein Un¬ glück daraus entſtehn, kein Krieg, keine Theurung, kein Mißwachs, Handel und Wandel bliebe in gehöriger Ordnung; daß alles iſt nicht ſo mit dem Schmiedehandwerk der Fall, als worauf ich reiſe, und darum dünkt mich, müſtet Ihr mit einiger Beſorg¬28 niß ſo in die Welt hineingehn, denn Ihr ſeid immer doch ungewiß, ob Ihr Arbeit finden werdet.

Franz wußte darauf nichts zu antworten und ſchwieg ſtill, er hatte noch nie darüber nachgedacht, ob ſeine Beſchäftigung den Menſchen nützlich wäre, ſondern ſich nur ſeinem Triebe überlaßen. Er wurde betrübt, daß nur irgend jemand an dem hohen Wer¬ the der Kunſt zweifeln könne, und doch wuſte er jezt nicht jenen zu widerlegen. Iſt doch der heilige Apoſtel Lukas ſelbſt ein Mahler geweſen! fuhr er endlich auf.

Wirklich? ſagte der Schmidt und ver¬ wunderte ſich, das hätt 'ich nicht gedacht, daß das Handwerk ſchon ſo alt wäre.

Möchtet Ihr denn nicht, fuhr Franz mit einen hochrothen Geſichte fort, wenn Ihr einen Freund oder Vater hättet, dem Ihr ſo recht von Herzen liebtet und Ihr müßtet29 nun auf viele Jahre auf die Wanderſchaft gehn, und könntet ſie in der langen langen Zeit nicht ſehen, möchtet Ihr denn da nicht ein Bild wenigſtens haben, das Euch vor den Augen ſtände, und jede Miene jedes Wort zurückriefe, daß ſie ſonſt geſprochen haben? Iſt es denn nicht ſchön und herr¬ lich, wenigſtens ſo im gefärbten Schatten das zu beſitzen, was wir für theuer achten?

Der Schmid wurde nachdenkend und Franz öfnete ſchnell ſeinen Mantelſak und wickelte einige kleine Bilder aus, die er ſelbſt vor ſeiner Abreiſe gemahlt hatte. Seht hieher, fuhr er fort, ſeht vor einigen Stun¬ den habe ich mich von meinem liebſten Freunde getrennt und hier trage ich ſeine Geſtalt mit mir herum, der da iſt mein theurer Lehrer Albrecht, Dürer genannt, gra¬ de ſo ſieht er aus, wenn er recht freundlich iſt, hier habe ich ihn noch einmal, wie er in ſeiner Jugend ausgeſehen hat.

30

Der Schmid betrachtete die Gemählde ſehr aufmerkſam und bewunderte die Arbeit, daß die Köpfe ſo natürlich vor den Augen ſtänden, daß man beinahe glauben könnte, lebendige Menſchen vor ſich zu ſehn. Iſt es denn nun nicht ſchön, ſprach der junge Mahler weiter, daß ſich männiglich bemüht, die Kunſt immer höher zu treiben und im¬ mer wahrer das natürliche Menſchenange¬ ſicht darzuſtellen? War es denn nicht für die übrigen Apoſtel und für alle damaligen Chriſten herrlich und eine liebliche Erquik¬ kung wenn Lukas ihnen den Erlöſer der todt war, wenn er ihnen Maria und Mag¬ dalena und die übrigen hinmahlen konnte, daß ſie ſie glaubten mit Augen zu ſehen und mit den Händen zu erfaßen? Und iſt es dann auch nicht in unſerm Zeitalter über¬ aus ſchön, für alle Freunde des großen Man¬ nes, des kühnen Streiters, den wackern31 Doktor Luther treflich zu konterfeyen, und dadurch die Liebe der Menſchen und ihre Bewunderung zu erhöhn? Und wenn wir al¬ le längſt todt ſind, müßen es uns nicht En¬ kel und ſpäte Urenkel Dank wißen, wenn ſie nun die jezigen Helden und großen Män¬ ner von uns gemahlt antreffen? O wahrlich, ſie werden dann Albrecht ſegnen und mich auch vielleicht loben, daß wir uns ihnen zum Beſten dieſe Mühe gaben und keiner wird denn die Frage aufwerfen: wozu kann dieſe Kunſt nützen?

Wenn Ihr es ſo[betrachtet], ſagte der Schmid, ſo habt Ihr ganz recht, und wahr¬ lich, das iſt dann ganz etwas anders, als Eiſen zu hammern. Schon oft habe ich es mir auch gewünſcht, ſo irgend etwas zu thun, das bliebe und wobei die künftigen Men¬ ſchen meiner gedenken könnten, ſo eine recht überaus künſtliche Schmiedearbeit, aber ich32 weiß immer noch nicht, was es wohl ſein könn¬ te und ich kann mich auch oft nicht darin finden, warum ich das grade will, da keiner meiner Handwerksgenoßen darauf gekom¬ men iſt. Bei Euch iſt das auf die Art frei¬ lich etwas leichtes und Ihr habt dabei nicht einmal ſo ſaure Arbeit, wie unſer eins. Aber darin denkt Ihr grade wie ich, ſeht, Tag und Nacht wollt 'ich arbeiten und mich keinen Schweiß verdrießen laßen wenn ich etwas zu Stande brächte, das länger dauer¬ te wie ich, das der Mühe werth wäre, daß man ſich meiner dabei erinnerte und darum möcht' ich gern etwas ganz Neues und Un¬ erhörtes erfinden, oder entdecken, und ich halte die für ſehr glückliche Menſchen, denen ſo etwas gelungen iſt.

Bei dieſen Worten hörte Franzens Zorn nun völlig auf, er ward dem Schmiedege¬ ſellen darüber ſehr gewogen und erzählteihm33ihm noch mancherlei von ſich und Nürnberg, er erfuhr daß der junge Schmid aus Flan¬ dern komme und ſich Meſſys nannte. Wollt Ihr mir einen großen Gefallen thun? frag¬ te der Fremde.

Gern, ſagte Franz.

Nun ſo ſchreibt mir einige Worte auf und gebt mir ſie an Euren Meiſter und Eu¬ ren jungen Freund mit, ich will ſie dann beſuchen und ſie müſſen mich bei ihrer Ar¬ beit zuſehn laſſen, weil ich es mir gar nicht vorſtellen kann, wie ſich die Farben ſo künſt¬ lich übereinander legen: dann will ich auch nachſehn, ob Eure Bilder da ähnlich ſind.

Das iſt nicht nöthig, ſagte Franz. Ihr dürft nur ſo zu Ihnen gehen, von mir er¬ zählen und einen Gruß bringen, ſo ſind ſie gewiß ſo gut und laſſen Euch einen ganzen Tag nach Herzensluſt zuſehn. Sagt ihnen dann, daß wir viel von ihnen geſprochenC34haben, daß mir noch die Thränen in den Augen ſtehen.

Sie ſchieden hierauf von einander und ein jeder gieng ſeine Straße. Indem es ge¬ gen Abend kam, fielen dem jungen Sternbald viele Gegenſtände zu Gemählden ein, die er in ſeinen Gedanken ordnete und mit Liebe bei dieſen Vorſtellungen verweilte: je röther der Abend wurde, je ſchwermüthiger wurden ſeine Träumereien, er fühlte ſich wieder ein¬ ſam in der weiten Welt, ohne Kraft, ohne Hülfe in ſich ſelber. Die dunkelgewordenen Bäume, die Schatten die ſich auf den Fel¬ dern ausſtreckten, die rauchenden Dächer eines kleinen Dorfs und die Sterne die nach und nach am Himmel hervortraten, alles rührte ihn innig, alles bewegte ihn zu[einem] wehmühtigen Mitleiden mit ſich ſelber.

Er kehrte in die kleine Schenke des Dorfs ein, begehrte ein Abendeſſen und eine Ruheſtel¬35 le. Als er allein war und ſchon die Lampe ausgelöſcht hatte, ſtellte er ſich ans Fenſter lag. und ſah nach der Gegend hin wo Nürn¬ berg Dich ſollt 'ich vergeſſen? rief er aus, dich ſollt' ich weniger lieben? O mein liebſter Sebaſtian, was wäre dann aus meinem Herzen geworden? Wie glücklich fühl 'ich mich darinn, daß ich ein Deutſcher, daß ich Dein und Albrechts Freund bin; ach! wenn ihr mich nur nicht verſtoßt, weil ich Eurer unwürdig bin.

Er legte ſich nieder, verrichtete ſein Abendgebet und ſchlief dann beruhigter ein.

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Drittes Capitel.

Am Morgen weckte ihn das muntre Gir¬ ren der Tauben vor ſeinem Fenſter, die manchmal in ſeine Stube hineinſahen und mit den Flügeln ſchlugen, dann wieder wegflogen und bald wieder kamen, um mit dem Halſe nickend vor ihm auf und abzu¬ gehn. Durch einige Lindenbäume warf die Sonne ſchräge Strahlen in ſein Gemach und Franz ſtand auf und kleidete ſich hur¬ tig an; er ſah mit feſten Augen durch den reinen blauen Himmel und alle ſeine Plane wurden lebendiger in ihm, ſein Herz ſchlug höher, alle Gefühle ſeiner Bruſt erklangen geläuterter. Er hätte jezt mit der Farben¬ pallette vor einer großen Tafel ſtehn mögen und er hätte dreiſt die kühnen Figuren hin¬ gezeichnet, die ſich in ſeiner Bruſt bewegten.

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Der friſche Morgen giebt dem Künſtler Stärkung und in den Strahlen des Früh¬ roths regnet Begeiſterung auf ihn herab: Der Abend lößt und ſchmelzt ſeine Gefühle, er weckt Ahndungen und unerklärliche Wün¬ ſche in ihm auf, er fühlt dann näher, daß jenſeits dieſes Lebens ein andres kunſtreiche¬ res liege, und ſein inwendiger Genius ſchlägt oft vor Sehnſucht mit den Flügeln, um ſich frei zu machen und hineinzuſchwärmen in das Land, das hinter den goldnen Abend¬ wolken liegt.

Franz ſang ein Morgenlied, und fühlte keine Müdigkeit vom geſtrigen Wege mehr, er ſetzte mit friſchen Kräften ſeine Reiſe fort. Das rege Geflügel ſang aus allen Gebü¬ ſchen, das bethaute Gras duftete und alle Blätter funkelten wie Kriſtall. Er gieng mit ſchnellen Schritten über eine ſchöne Wie¬ ſe, und das Geſchmetter der Lerchen zog38 über ihn hinweg, ihm war faſt noch nie ſo wohl geweſen.

Das Reiſen, ſagte er zu ſich ſelber, iſt etwas trefliches, dieſe Freiheit der Natur, dieſe Regſamkeit aller Kreaturen, der reine weite Himmel und der Menſchengeiſt der alles dies zuſammenfaſſen und in Einen Ge¬ danken zuſammenſtellen kann o glücklich iſt der, der bald die enge Heimath verläßt, um wie der Vogel ſeinen Fittig zu prüfen und ſich auf unbekannten, noch ſchönern Zweigen zu ſchaukeln. Welche Welten ent¬ wickeln ſich im Gemüthe, wenn die freie Natur umher mit kühner Sprache in uns hineinredet, wenn jeder ihrer Töne unſer Herz trift und alle Empfindungen zugleich anrührt. Ich möchte von mir glauben, daß ich ein guter Mahler würde, denn warum ſollte ich es nicht werden können, da mein ganzer Sinn ſich ſo der Kunſt zuwendet,39 da ich keinen andern Wunſch habe, da ich gern alles übrige in dieſer Welt aufgeben mag? Ich will nicht ſo zaghaft ſeyn, wie Sebaſtian, ich will mir ſelber vertrauen.

Am Mittage ruhte er in einem Dorfe aus, das eine ſehr ſchöne Lage hatte; hier traf er einen Bauer, der mit einem Wagen noch denſelben Tag vier Meilen nach ſeinem Wohnort zu fahren gedachte. Franz wurde mit ihm einig und ließ ſich von ihm mitneh¬ men. Der Bauer war ſchon ein alter Mann und erzählte unterwegs unſerm Freunde viel von ſeiner Haushaltung, von ſeiner Frau und ſeinen Kindern. Er war ſchon ſiebenzig Jahr alt und hatte im Lau¬ fe ſeines Lebens mancherlei erfahren, er wünſchte jetzt nichts ſo ſehnlich, als vor ſeinem Tode nur noch die berühmte Stadt Nürn¬ berg ſehen zu können, wo er nie hingekom¬ men war. Franz ward durch die Reden des40 alten Mannes ſehr gerührt, es war ihm ſonderbar, daß er erſt am geſtrigen Morgen Nürnberg verlaſſen hatte, und dieſer alte Bauer davon ſprach, als wenn es ein frem¬ der wunderweit entlegener Ort ſei, ſo daß er die als Auserwählte betrachtete, denen es gelinge, dorthin zu kommen.

Mit dem Untergange der Sonne kamen ſie vor die Behauſung des Bauers an; kleine Kinder ſprangen ihnen entgegen, die Erwachſenen arbeiteten noch auf dem Felde, die alte Mutter erkundigte ſich eifrig nach den Verwandten die ihr Mann beſucht hat¬ te, ſie wurde nicht müde zu fragen und er beantwortete alles überaus treuherzig. Dann ward das Abendeſſen zubereitet und alle im Hauſe waren ſehr geſchäftig. Franz be¬ kam den bequemſten Stuhl, um[auszuruhen], ob er gleich gar nicht müde war.

Das Abendroth glänzte noch im Graſe41 vor der Thür und die Kinder ſpielten darin, wie niedergeregnetes Gold funkelte es durch die Scheiben, und lieblich roth waren die Angeſichter der Knaben und Mädchen, knur¬ rend ſetzte ſich die Hauskatze neben Franz und ſchmeichelte ſich vertraulich an ihn, und Franz fühlte ſich ſo wohl und glücklich, in der kleinen beengten Stube ſo ſeelig und frei, daß er ſich kaum ſeiner vorigen trüben Stunden erinnern konnte, daß er glaub¬ te, er könne in ſeinem Leben nie wieder be¬ trübt werden. Als nun die Dämmerung einbrach, fingen vom Heerde der Küche die Heimchen ihren friedlichen Geſang an, am Waſſerbach ſang aus Birken eine Nachtigall heraus, und noch nie hatte Franz das Glück einer ſtillen Häuslichkeit, einer beſchränkten Ruhe ſich ſo nahe empfunden.

Die großen Söhne kamen aus dem Fel¬ de zurück und alle nahmen fröhlich und gu¬42 tes Muths die Abendmahlzeit ein, man ſprach von der bevorſtehenden Erndte, vom Zuſtande der Wieſen. Franz lernte nach und nach das Befinden und die Eigenſchaften je¬ des Hausthiers, aller Pferde und Ochſen kennen. Die Kinder waren gegen die Alten ſehr ehrfurchtsvoll, man fühlte es, wie der Geiſt einer ſchönen Eintracht ſie alle be¬ herrſchte.

Als es finſter geworden war, vermehrte ein eisgrauer Nachbar die Geſellſchaft, um den ſich beſonders die Kinder herumdrängten und verlangten, daß er ihnen wieder eine Ge¬ ſchichte erzählen ſollte, die Alten miſchten ſich auch darunter und baten, daß er ihnen wieder von heiligen Märtyrern vorſa¬ gen möchte, nichts Neues, ſondern was er ihnen ſchon oft erzählt habe, je öfter ſie es hörten, je lieber würde es ihnen. Der Nach¬ bar war auch willig und trug die Geſchichte43 der heiligen Genovefa vor, dann des heiligen Laurentius und alle waren in tiefer Andacht, verlohren. Franz war überaus gerührt. Noch in derſelben Nacht fing er einen Brief an ſei¬ nen Freund Sebaſtian an, am Morgen nahm er herzlich von ſeinen Wirthen Abſchied, und kam am folgenden Tage in eine kleine Stadt, wo er den Brief an ſeinen Freund beſchloß. Wir theilen unſern Leſern dieſen Brief mit.

Liebſter Bruder!

« Ich bin erſt ſeit ſo kurzer Zeit von Dir « und doch dünkt es mir ſchon ſo lange zu « ſeyn. Ich habe Dir eigentlich nichts zu « ſchreiben und kann es doch nicht unterlaſſen, « denn Dein eignes Herz kann Dir alles ſa¬ « gen, was Du in meinem Briefe finden ſoll¬ « teſt, wie ich immer an Dich denke, wie un¬ « aufhörlich das Bild meines theuren Mei¬44 « ſters und Lehrers vor mir ſteht. Ein « Schmiedegeſelle wird Euch beſucht haben, « den ich am erſten Tage traf, ich denke « Ihr habt ihn freundlich aufgenommen um « meinetwillen. Ich ſchreibe dieſen Brief in « der Nacht, beim Schein des Vollmonds, « indem meine Seele überaus beruhigt iſt; « ich bin hier auf einem Dorfe bei einem « Bauer, mit dem ich vier Meilen hieher ge¬ « fahren bin. Alle im Hauſe ſchlafen, und « ich fühle mich noch ſo munter, darum « will ich noch einige Zeit wach bleiben, « Lieber Sebaſtian, es iſt um das Treiben « und Leben der Menſchen eine eigne Sache. « Wie die meiſten ſo gänzlich ihres Zwecks « verfehlen, wie ſie nur immer ſuchen und « nie finden, und wie ſie ſelbſt das Gefun¬ « dene nicht achten mögen, wenn ſie ja ſo « glücklich ſind. Ich kann mich immer nicht « darinn finden, warum es nicht beſſer iſt,45 « warum ſie nicht zu ihrem eigenen Glücke « mit ſich einiger werden. Wie lebt mein « Bauer hier für ſich und iſt zufrieden und « iſt wahrhaft glücklich. Er iſt nicht blos « glücklich, weil er ſich an dieſen Zuſtand « gewöhnt hat, weil er nichts beſſeres kennt, « weil er ſich findet, ſondern alles iſt ihm « recht, weil er innerlich von Herzen ver¬ « gnügt iſt und weil ihm Unzufriedenheit « mit ſich etwas Fremdes iſt. Nur Nürn¬ « berg wünſcht er vor ſeinem Tode noch zu « ſehen und lebt doch ſo nahe dabei; wie mich « das gerührt hat! «

« Wir ſprechen immer von einer goldnen « Zeit und denken ſie uns ſo weit weg und « mahlen ſie uns mit ſo ſonderbaren und « buntgrellen Farben aus. O theurer Se¬ « baſtian, oft dicht vor unſern Füßen liegt « dieſes wundervolle Land, nach dem wir « jenſeits des Oceans und jenſeits der Sünd¬46 « fluth mit ſehnſüchtigen Augen ſuchen. Es « iſt nur das, daß wir nicht redlich mit uns » ſelber umgehen. Warum ängſtigen wir « uns in unſern Verhältniſſen ſo ab, um « nur das bischen Brod zu haben, das wir « ſelber darüber nicht einmahl in Ruhe ver¬ « zehren können? Warum treten wir denn « nicht manchmal aus uns heraus und ſchüt¬ « teln alles das ab, was uns quält und « drückt, und holen darüber friſchen Athem « und fühlen die himmliſche Freiheit, die « uns eigentlich angebohren iſt? Dann müſ¬ « ſen wir der Kriege und Schlachten, der « Zänkereien und Verläumdungen auf einige « Zeit vergeſſen, alles hinter uns laſſen und « die Augen davor zudrücken, daß es in die¬ « ſer Welt ſo kunterbunt hergeht und ſich « alles toll und verworren durcheinander « ſchiebt, damit irgend einmahl der himmli¬ « ſche Friede eine Gelegenheit fände, ſich auf47 « uns herab zu ſenken und mit ſeinen ſüßen « lieblichen Flügeln zu umarmen. Aber wir « wollen uns gern immer mehr in dem « Wirwarr der gewöhnlichen Welthändel « verſtricken, wir ziehn ſelber einen Flor über « den Spiegel, der aus den Wolken herun¬ « terhängt, und in welchem Gottheit und « Natur uns ihre himmliſchen Angeſich¬ « ter zeigen, damit wir nur die Eitelkeiten « der Welt deſto wichtiger finden dürfen. « So kann der Menſchengeiſt ſich nicht aus « dem Staube aufrichten und getroſt zu den « Sternen hinblicken und ſeine Verwand¬ « ſchaft zu ihnen empfinden. Er kann die « Kunſt nicht lieben, da er das nicht liebt, « was ihn von der Verworrenheit erlöſt, « denn mit dieſem ſeeligen Frieden iſt die « Kunſt verwandt. Du glaubſt nicht, wie « gern ich jezt etwas mahlen möchte, was « ſo ganz den Zuſtand meiner Seele aus¬48 « drückte, und ihn auch bei andern wecken « könnte. Ruhige fromme Heerden, alte « Hirten im Glanz der Abendſonne und En¬ « gel die in der Ferne durch Kornfelder gehn, « um ihnen die Geburt des Herrn, des Er¬ « löſers, des Friedefürſten zu verkündigen. « Kein wildes Erſtarren, keine erſchreckten « durcheinandergeworfenen Figuren, ſondern « mit freudiger Sehnſucht müſten ſie nach « den Himmliſchen hinſchauen, die Kinder « müſten mit ihren zarten Händlein nach den « goldnen Strahlen hindeuten, die von den « Bothſchaftern ausſtrömten. Jeder An¬ « ſchauer müſte ſich in das Bild hineinwün¬ « ſchen und ſeine Prozeſſe und Plane, ſeine « Weisheit und ſeine politiſchen Konnexionen « auf ein Viertelſtündchen vergeſſen, und ihm « würde dann vielleicht ſo ſeyn, wie mir jezt « iſt, indem ich dieſes ſchreibe und denke. « Laß Dich manchmal, lieber Sebaſtian, vonder49« der guten freundlichen Natur anwehen, « wenn es Dir in deiner Bruſt zu enge wird, « ſchau auf die Menſchen je zuweilen hin, « die im Strudel des Lebens am wenigſten « bemerkt werden, und heiße die ſüße Fröm¬ « migkeit willkommen, die unter alten Ei¬ « chen beim Schein der Abendſonne, wenn « Heimchen zwitſchern und Feldtauben gir¬ « ren, auf Dich niederkömmt. Nenne mich « nicht zu weich und vielleicht phantaſtiſch, « wenn ich Dir dieſes rathe, ich weiß, daß « Du in manchen Sachen anders denkſt, und « vernünftiger und eben darum auch härter « biſt.

« Ein Nachbar beſuchte uns noch nach « dem Abendeſſen und erzählte in ſeiner ein¬ « fältigen Art einige Legenden von Mär¬ « tyrern. Der Künſtler ſollte nach meinem « Urtheil bei Bauern oder Kindern manchmal « in die Schule gehn, um ſich von ſeinerD50« kalten Gelehrſamkeit oder zu großen Künſt¬ « lichkeit zu erholen, damit ſein Herz ſich « wieder einmal der Einfalt aufthäte, die « doch nur einzig und allein die wahre Kunſt « iſt. Ich wenigſtens habe aus dieſen Er¬ « zählungen Vieles gelernt: die Gegenſtände, « die der Mahler daraus darſtellen müßte, « ſind mir in einem ganz neuen Lichte er¬ « ſchienen. Ich weiß Kunſtgemählde, wo der « rührendſte Gegenſtand von unnützen ſchö¬ « nen Figuren, von Gemähldegelehrſamkeit « und treflich ausgedachten Stellungen ſo « eingebaut war, daß das Auge lernte, « das Herz aber nichts dabei empfand, als « worauf es doch vorzüglich müßte abgeſehen « ſeyn. So aber wollen einige Meiſter grö¬ « ßer werden als die Größe, ſie wollen ih¬ « ren Gegenſtand nicht darſtellen, ſondern « verſchönern, und darüber verlieren ſie ſich « in Nebendingen. Ich denke jezt an alles51 « das, was uns der vielgeliebte Albrecht ſo « oft vorgeſagt hat, und fühle wie er immer « recht und wahr ſpricht. Grüße ihn; ich « muß hier aufhören, weil ich müde bin. « Morgen komme ich nach einer Stadt, « da will ich den Brief ſchließen und ab¬ « ſchicken.

Ich bin angekommen, und habe Dir, Se¬ « baſtian, nur noch wenige Worte zu ſagen « und auch dieſe dürften vielleicht überflüßig « ſeyn. Wenn nur das ewige Auf - und Ab¬ « treiben meiner Gedanken nicht wäre! Wenn « die Ruhe doch, die mich manchmal wie im « Vorbeifliegen küßt, bei mir einheimiſch « würde, dann könnt 'ich von Glück ſagen, « und es würde vielleicht mit der Zeit ein « Künſtler aus mir, den die Welt zu den « angeſehenen zählte, deſſen Namen ſie mit « Achtung und Liebe ſpräche. Aber ich ſehe « es ein, noch mehr fühl' ich es, das wirdD 252« mir ewig nicht gegönnt ſeyn. Ich kann « nicht dafür, ich kann mich nicht im Zaume « halten, und alle meine Entwürfe, Hofnun¬ « gen, mein Zutrauen zu mir geht vor « neuen Empfindungen unter, und es wird « leer und wüſt in meiner Seele, wie in « einer rauhen Landſchaft, wo die Brücken « von einem wilden Waldſtrome zuſammen¬ « geriſſen ſind. Ich hatte auf dem Wege « ſo vielen Muth, ich konnte mich ordent¬ « lich gegen die großen herrlichen Geſtalten « nicht ſchützen und mich ihrer nicht erweh¬ « ren, die in meiner Phantaſie aufſtiegen, « ſie überſchütteten mich mit ihrem Glanze, « überdrängten mich mit ihrer Kraft und er¬ « oberten und beherrſchten ſo ſehr meinen « Geiſt, daß ich mich freute und mir ein « recht langes Leben wünſchte, um der Welt, « den Kunſtfreunden und Dir geliebter, Se¬ « baſtian, ſo recht ausführlich hinzumahlen53 « was mich innerlich mit unwiderſtehlicher « Gewalt beherrſchte. Aber kaum habe ich « nun die Stadt, dieſe Mauern, und die « Ämſigkeit der Menſchen geſehen, ſo iſt al¬ « les in meinem Gemüthe wieder wie zuge¬ « ſchüttet, ich kann die Plätze meiner Freu¬ « de nicht wiederfinden, keine Erſcheinung « ſteigt auf. Ich weiß nicht mehr, was ich « bin; mein Sinn iſt gänzlich verwirrt. « Mein Zutrauen zu mir ſcheint mir Raſe¬ « rey, meine inwendigen Bilder ſind mir ab¬ « geſchmackt, ſie kommen mir ſo vor, als « wenn ſie ſich nie wirklich fügen würden, « als wenn kein Auge daran Wohlgefallen « finden könnte. Mein Brief verdrießt mich; « mein Stolz iſt beſchämt. Was iſt es, « Sebaſtian, warum kann ich nicht mit mir « einig werden? Ich meine es doch ſo gut « und ehrlich. Lebe wohl und bleibe immer « mein Freund und grüße Meiſter Albrecht.

54

Viertes Kapitel.

Franz hatte in dieſer Stadt einen Brief von Dürer an einen Mann abzugeben, der der Vorſteher einer anſehnlichen Fabrik war. Er ging zu ihm und traf ihn gerade in Ge¬ ſchäften, ſo daß Herr Zeuner den Brief nur ſehr flüchtig las und mit dem jungen Sternbald nur wenig ſprechen konnte, er bat ihn aber, zum Mittagseſſen wieder zu kommen.

Franz ging betrübt durch die Gaſſen der Stadt, und fühlte ſich ganz fremd. Zeuner hatte für ihn etwas zurückſtoßendes und kaltes, und er hatte eine ſehr freundliche Aufnahme erwartet, da er einen Brief von ſeinem ihm ſo theuren Lehrer brachte. Als es Zeit zum Mittagseſſen war, gieng er nach Zeuners Hauſe zurück, das eins der55 größten in der Stadt war; mit Bangigkeit ſchritt er die großen Treppen hinauf und durch den prächtig verzierten Vorſaal; im ganzen Hauſe merkte man, daß man ſich bei einem reichen Manne befinde. Er ward in einen Saal geführt, wo eine ſtattliche Verſammlung von Herren und Damen, alle mit ſchönen Kleidern angethan nur auf den Augenblick des Eſſens zu warten ſchie¬ nen. Nur wenige bemerkten ihn, und die zufälligerweiſe ein Geſpräch mit ihm anfin¬ gen, brachen bald wieder ab, als ſie hörten, daß er ein Mahler ſei. Jezt trat der Herr des Hauſes herein, und alle drängten ſich mit höflichen und freundlichen Glück¬ wünſchen um ihn herum; jeder ward freund¬ lich von ihm bewillkommt, auch Franz im Vorbeigehn. Dieſer hatte ſich in eine Ecke des Fenſters zurückgezogen, und ſah mit Bangigkeit und ſchlagendem Herzen auf56 die Gaſſe hinunter, denn es war zum er¬ ſtenmale, daß er ſich in einer ſolchen gro¬ ßen Geſellſchaft befand. Wie anders kam ihm hier die Welt vor, da er von anſtändi¬ gen, wohlgekleideten und unterrichteten Leu¬ ten über tauſend nichtswürdige Gegenſtän¬ de, nur nicht über die Mahlerei reden hör¬ te, ob er gleich geglaubt hatte, daß ſie je¬ dem Menſchen am Herzen liegen müſſe, und daß man auf ihn, als einen vertrauten Freund Albrecht Dürers, beſonders aufmerk¬ ſam ſeyn würde.

Man ſetzte ſich zu Tiſche, er ſaß faſt unten. Durch den Wein belebt ward das Geſpräch der Geſellſchaft bald munterer, die Frauen erzählten von ihrem Putze die Män¬ ner von ihren mannichfaltigen Geſchäften, der Hausherr ließ ſich weitläuftig darüber aus, wie ſehr er nun nach und nach ſeine Fabrik verbeſſert habe und wie der Gewinn57 alſo um ſo einträglicher ſei. Was den gu¬ ten Franz beſonders ängſtigte, war, daß von allen abweſenden reichen Leuten mit einer vorzüglichen Ehrfurcht geſprochen wurde; er fühlte, wie hier das Geld das einzige ſei, was man achte und ſchätze: er konnte faſt kein Wort mitſpre¬ chen. Auch die jungen Frauenzimmer wa¬ ren ihm zuwider, da ſie nicht ſo züchtig und ſtill waren, wie er ſie ſich vorgeſtellt hatte, alle ſetzten ihn in Verlegenheit, er fühlte ſeine Armuth, ſeinen Mangel an Umgang zum erſtenmal in ſeinem Leben auf eine bittere Art. In der Angſt trank er vie¬ len Wein und ward dadurch und von den ſich durchkreuzenden Geſprächen ungemein erhitzt. Er hörte endlich kaum mehr darauf hin, was geſprochen ward, die groteskeſten Figuren beſchäftigten ſeine Phantaſie, und als die Tafel aufgehoben ward, ſtand er58 mechaniſch mit auf, faſt ohne es zu wiſſen. Die Geſellſchaft verfügte ſich nun in ei¬ nen angenehmen Garten, und Franz ſetzte ſich etwas abſeits auf eine Raſenbank nie¬ der, es war ihm, als wenn die Geſträuche und Bäume umher ihn über die Menſchen tröſteten, die ihm ſo zuwider waren. Seine Bruſt ward freier, er wiederholte in Ge¬ danken einige Lieder, die er in ſeiner Ju¬ gend gelernt hatte und die ihm ſeit lange nicht eingefallen waren. Der Hausherr kam auf ihn zu, er ſtand auf und ſie gingen ſprechend in einem ſchattigen Gange auf und ab.

Ihr ſeid jezt auf der Reiſe? fragte ihn Zeuner.

Ja, antwortete Franz, vorjezt will ich nach Flandern und dann nach Italien.

Wie ſeid Ihr grade auf die Mahler¬ kunſt gerathen?

59

Das kann ich Euch ſelber nicht ſagen, ich war plözlich dabei, ohne zu wiſſen wie es kam; einen Trieb, etwas zu bilden, fühl¬ te ich immer in mir.

Ich meine es gut mit Euch, ſagte Zeu¬ ner, Ihr ſeid jung und darum laßt Euch von mir rathen. In meiner Jugend gab ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen ab, als ich aber älter wurde, ſah ich ein, daß mich das zu nichts führen könne. Ich leg¬ te mich daher eifrig auf ernſthafte Geſchäfte und widmete ihnen alle meine Zeit, und ſeht, dadurch bin ich nun auch das geworden was ich bin. Eine große Fabrik und viele Ar¬ beiter ſtehn[unter] mir, zu deren Aufſicht, ſo wie zum Führen meiner Rechnungen ich immer treue Leute brauche. Wenn Ihr wollt, ſo könnt Ihr mit einem ſehr gu¬ ten Gehalte bei mir eintreten, weil mir grade mein erſter Aufſeher geſtorben iſt. 60Ihr habt ein ſichres Brod und ein gutes Auskommen, Ihr könnt Euch hier verhei¬ rathen und ſogleich antreffen was Ihr in einer ungewiſſen zukünftigen Ferne ſucht. Wollt Ihr alſo Eure Reiſe einſtellen und bei mir bleiben?

Franz antwortete nicht.

Ihr mögt vielleicht viel Geſchick zur Kunſt haben, fuhr jener fort, aber was habt Ihr mit alle dem gewonnen? Wenn Ihr ein großer Meiſter werdet, ſo führt Ihr doch immer ein kümmerliches und höchſt armſeliges Leben. Ihr habt ja das Bei¬ ſpiel an Eurem Lehrer. Wer erkennt ihn, wer belohnt ihn? Mit allem ſeinem Fleiße muß er ſich doch von einem Tage zum an¬ dern hinübergrämen, er hat keine frohe Stunde, er kann ſich nie recht ergötzen, Niemand achtet ihn, da er ohne Vermögen iſt, ſtatt daß er reich, angeſehen und von61 Einfluß ſeyn könnte, wenn er ſich den bür¬ gerlichen Geſchäften gewidmet hätte.

Ich kann Euren Vorſchlag durchaus nicht annehmen, rief Franz aus.

Und warum nicht? iſt denn nicht alles wahr, was ich Euch geſagt habe?

Und wenn es auch wahr iſt, antwortete Franz, ſo kann ich es doch ſo unmöglich glauben. Wenn Ihr das Zeichnen und Bil¬ den ſogleich habt unterlaſſen können, als Ihr es wolltet, ſo iſt das gut für Euch, aber ſo habt Ihr auch unmöglich einen recht kräftigen Trieb dazu verſpürt. Ich wüſte¬ nicht, wie ich es anfinge, daß ich es unter¬ ließe, ich würde Eure Rechnungen und al¬ les verderben, denn immer würden meine Gedanken darauf gerichtet bleiben, wie ich dieſe Stellung und jene Mine gut ausdrük¬ ken wollte, alle Eure Arbeiter würden mir nur eben ſo viele Modelle ſeyn, Ihr wärt62 ein ſchlechter Künſtler geworden, ſo wie ich zu allen ernſthaften Geſchäften verdorben bin, denn ich achte ſie zu wenig, ich habe keine Ehrfurcht vor dem Reichthum, ich könnte mich nimmer zu dieſem kunſtloſen Le¬ ben bequemen. Und was Ihr mir von mei¬ nem Albrecht Dürer ſagt, gereicht den Menſchen, nicht aber ihm zum Vorwurf. Er iſt arm, aber doch in ſeiner Armuth glückſeliger als Ihr. Oder haltet Ihr es denn für ſo gar nichts, daß er ſich hinſtel¬ len darf und ſagen: nun will ich einen Chriſtuskopf mahlen! und das Haupt des Erlöſers mit ſeinen göttlichen Minen in Kurzem wirklich vor Euch ſtehet und Euch anſieht und Euch zur Andacht und Ehrfurcht zwingt, ſelbſt wenn Ihr gar nicht dazu aufgelegt ſeid? Seht, ſo ein Mann iſt der verachtete Dürer.

Franz hatte nicht bemerkt, daß während63 ſeiner Rede ſich das Geſicht ſeines Wirths zum Unwillen verzogen hatte; er nahm kurz Abſchied und ging mit weinenden Au¬ gen nach ſeinem Wirthshauſe. Hier hatte er auf ſeinem Fenſter das Bildniß Albrecht Dürers aufgeſtellt, und als er in die Stu¬ be trat, fiel er laut weinend und klagend davor nieder und ſchloß es in ſeine Arme, drückte es an die Bruſt und bedekte es mit Küſſen. Ja, mein guter, lieber, ehrlicher Meiſter! rief er aus, nun lerne ich erſt die Welt und ihre Geſinnungen kennen! Das iſt das, was ich Dir nicht glauben wollte, ſo oft Du es mir auch ſagteſt. Ach wohl, wohl ſind die Menſchen undankbar gegen Dich und Deine Herrlichkeit und gegen die Freuden die Du ihnen zu genießen giebſt. Freilich haben Sorgen und ſtete Arbeit die¬ ſe Furchen in Deine Stirne gezogen, ach! ich kenne dieſe Falten ja nur zu gut.

64

Welcher unglückſelige Geiſt hat mir dieſe Liebe und Verehrung zu Dir eingeblaſen, daß ich wie ein lächerliches Wunder unter den übrigen Menſchen herumſtehen muß, daß ich auf ihr Reden nichts zu antworten weiß, daß ſie meine Fragen nicht verſtehen? Aber ich will Dir und meinem Triebe getreu bleiben; was thuts, wenn ich arm und ver¬ achtet bin, was hinderts, wenn ich auch am Ende aus Mangel umkommen ſollte! Du und Sebaſtian, ihr beide werdet mich we¬ nigſtens deshalb lieben!

Er hatte noch einen Brief von Dürers Freund Pirkheimer, an einen angeſehe¬ nen Mann in der Stadt abzugeben. Er war unentſchloſſen, ob er ihn ſelber hintra¬ gen ſollte. Endlich nahm er ſich vor, ihn eilig abzugeben und noch an dieſem Abend die Stadt die ihm ſo ſehr zuwider war, zu verlaſſen.

Man65

Man wieß ihn auf ſeine Fragen nach einem abgelegenen kleinen Hauſe, in welchem die größte Ruhe und Stille herrſchte. Ein Diener führte ihn in ein geſchmackvolles Zimmer, in welchem ein ehrwürdiger alter Mann ſaß; es war derſelbe, an den der Brief gerichtet war. Ich freue mich, ſagte der Greis, wieder einmahl Nachrichten von meinem lieben Freunde Pirkheimer zu erhal¬ ten; aber verzeiht, junger Mann, meine Augen ſind zu ſchwach, daß Ihr ſo gut ſeyn müßt, ihn mir vorzuleſen.

Franz ſchlug den Brief auseinander und las unter Herzklopfen, wie Pirkheimer ihn als einen edlen und ſehr hofnungsvollen jungen Maler rühmte, und ihn den beſten Schüler Albert Dürers nannte. Bei die¬ ſen Worten konnte er kaum ſeine Thränen zurückdrängen.

So ſeyd Ihr ein Schüler des großenE66Mannes, meines theuren Albrechts? rief der Alte wie entzückt aus, o ſo ſeyd mir von Herzen willkommen! Er umarmte mit die¬ ſen Worten den jungen Mann, der nun ſeine ſchmerzliche Freude nicht mehr mäßigen konnte, laut ſchluchzte und ihm alles er¬ zählte.

Der Greis tröſtete ihn, und beide ſetzten ſich. O wie oft, ſagte der alte Mann, ha¬ be ich mich an den überaus köſtlichen Wer¬ ken dieſes wahrhaft einzigen Mannes er¬ götzt, als meine Augen noch in ihrer Kraft waren! Wie oft hat nur er mich über alles Unglück dieſer Erde getröſtet! O wenn ich ihn doch einmahl wieder ſehen könnte!

Franz vergaß nun, daß er noch vor Sonnenuntergang hatte die Stadt verlaſ¬ ſen wollen; er blieb gern, als ihn der Alte zum Abendeſſen bat. Bis ſpät in die Nacht mußte er ihm von Albrechts Werken, von67 ihm erzählen, dann von Pirkheimer und von ſeinen eigenen Entwürfen. Franz er¬ götzte ſich an dieſem Geſpräch und konnte nicht müde werden, dies und jenes zu fra¬ gen und zu erzählen, er freute ſich, daß der Greis die Kunſt ſo ſchätzte, wie er von ſeinem Lehrer mit eben der Wärme ſprach.

Sehr ſpät giengen ſie auseinander, und Franz fühlte ſich ſo getröſtet und ſo glück¬ lich, daß er noch lange in ſeinem Zimmer auf und abgieng, den Mann betrachtete, und an großen Gemählden in Gedanken ar¬ beitete.

E 268

Fünftes Kapitel.

Wir treffen unſern jungen Freund wieder an vor einem Dorfe an der Tauber. Er hatte einen Umweg gemacht, um hier ſeine Eltern zu beſuchen, denn er war als ein Knabe von zwölf Jahren zufälligerweiſe nach Nürnberg gekommen und auf ſein in¬ ſtändiges Bitten bei Meiſter Albrecht in die Lehre gebracht, er hatte in Nürnberg einige weitläuftige Verwandten die ihn unterſtütz¬ ten. Jetzt hatte er von ſeinen Eltern, die Bauern waren, lange keine Nachrichten be¬ kommen.

Es war noch am Morgen, als er in dem Wäldchen ſtand, das vor dem Dorfe lag. Hier war ſein Spielplatz geweſen, hier war er oft in der ſtillen Einſamkeit des Abends voll Nachdenken gewandelt, wenn69 die Schatten immer dichter zuſammenwuch¬ ſen und das Roth der ſinkenden Sonne tief unten durch die Baumſtämme äugelte und mit zuckenden Strahlen um ihn ſpielte. Hier hatte ſich zuerſt ſein Trieb entzündet, und er betrat den Wald mit einer Empfin¬ dung wie man in einen heiligen Tempel tritt. Er hatte vor allen einen Lieblings¬ baum gehabt, von dem er ſich immer kaum hatte trennen können; dieſen ſuchte er jetzt mit großer Emſigkeit auf. Es war eine dicke Eiche mit vielen weit ausgebreiteten Zweigen, die Kühlung und Schatten gaben. Er fand den Baum und den Raſen am Fuße deſſelben noch eben ſo weich und friſch, als ehemals. Wie vieler Gefühle aus ſeiner Kindheit erinnerte er ſich an dieſer Stelle! wie er gewünſcht hatte, oben in dem krau¬ ſen Wipfel zu ſitzen und von da ins weite Land hineinzuſchauen, mit welcher Sehn¬70 ſucht er den Vögeln nachgeſehn hatte, die von Zweig zu Zweig ſprangen und auf den dunkelgrünen Blättern ſchertzten, die nicht wie er nach einem Hauſe rückkehrten, ſon¬ dern im ewig frohen Leben von glänzenden Stunden angeſchienen, die friſche Luft ein¬ athmeten und Geſang zurückgaben, die das Abend - und Morgenroth ſahen, die keine Schule hatten und keinen ſtrengen Lehrer. Ihm fiel alles ein, was er vormals gedacht hatte, alle kindiſche Begriffe und Empfin¬ dungen gingen an ihm vorüber und reich¬ ten ihm die kleinen Hände und hießen ihn ſo herzlich willkommen, daß er heftig im Innerſten erſchrak, daß er nun wieder unter dem alten Baume ſtehe und wieder daſſelbe denke und empfinde, er noch derſelbe Menſch ſey. Alle zwiſchenliegenden Jahre, und alles was ſie an ihm vermocht hatten, fiel in einem Augenblicke von ihm ab und er71 ſtand wieder als Knabe da, die Zeit ſeiner Kindheit lag ihm ſo nah, ſo nah, daß er alles übrige nur für einen vorbeifliegenden Traum halten wollte. Ein Wind rauſchte herüber und gieng durch die großen Aeſte des Baums, und alle Gefühle, die fernſten und dunkelſten Erinnerungen wurden mit herübergeweht und wie Vorhänge fiel es immer mehr von Franzens Seele zurück und er ſah nur ſich und die liebe Vergan¬ genheit. Alle frommen Empfindungen gegen ſeine Eltern, der Unterricht den ihm ſeine erſten Bücher gaben, ſein Spielzeug fiel ihm wieder bei und ſeine Zärtlichkeit gegen lebloſe Geſtalten.

Wer bin ich? ſagte er zu ſich ſelber und ſchaute langſam um ſich her. Was iſt es, daß die Vergangenheit ſo lebendig in mei¬ nem Innern aufſteigt? Wie konnte ich alles, wie konnte ich meine Eltern ſo lange, faſt,72 wenn ich wahr ſein ſoll, vergeſſen? Wie wäre es möglich, daß uns die Kunſt gegen die beſten und theuerſten Gefühle verhärten könnte? Und doch kann es nur das ſeyn, daß dieſer Trieb mich zu ſehr beſchäftigte, ſich mir vorbaute und die Ausſicht des übri¬ gen Lebens verdeckte.

Er ſtand in Gedanken und die Mahler¬ ſtube und Albrecht und ſeine Kopien kamen ihm wieder in die Gedanken, er ſetzte ſeinen Freund Sebaſtian ſich gegenüber und hörte ſchnell wieder durch, was ſie nur je mit einander geſprochen hatten; dann ſah er wieder um ſich und die Natur ſelbſt, der Himmel, der rauſchende Wald und ſein Lieblingsbaum ſchienen Athem und Leben zu ſeinen Gemählden herzugeben, Vergangen¬ heit und Zukunft bekräftigten ſeinen Trieb und alles was er gedacht und empfunden, war ihm nur deswegen werth, weil es ihn zur73 Kunſtliebe geführt hatte. Er gieng mit ſchnellen Schritten weiter und alle Bäume ſchienen ihm nachzurufen, aus jedem Bu¬ ſche traten Erſcheinungen hervor und woll¬ ten ihn zurückhalten, er taumelte aus einer[Erinnerung] in die andere, und verlohr ſich in ein Labyrinth von ſeltſamen Empfin¬ dungen.

Er kam auf einen freien Platz im Wal¬ de, und plötzlich ſtand er ſtill. Er wuſte ſelbſt nicht, warum er inne hielt und ver¬ weilte um darüber nachzudenken. Ihm war, als habe er ſich hier auf etwas zu beſinnen, das ihm ſo lieb, ſo unausſprechlich theuer geweſen ſey; jede Blume im Graſe nickte ſo freundlich als wenn ſie ihm auf ſeine Er¬ innerungen helfen wollte. Es iſt hier, ge¬ wißlich hier! ſagte er zu ſich ſelber, und ſuchte ämſig nach dem glänzenden Bilde, das wie von ſchwarzen Wolken in ſeiner74 innerſten Seele zurückgehalten wurde. Mit einemmahle brachen ihm die Thränen aus den Augen, er hörte vom Felde herüber eine einſame Schalmeye eines Schäfers, und nun wuſte er alles. Als ein Knabe von ſechs Jahren war er hier im Walde gegangen, auf dieſem Platze hatte er Blumen geſucht, ein Wagen kam daher gefahren und hielt ſtill, eine Frau ſtieg ab und hob ein Kind her¬ unter, und beide gingen auf dem grünen Platze auf und ab und vor dem kleinen Franz vorüber. Das Kind, ein liebliches blondes Mädchen, kam zu Franz und bat um ſeine Blumen, er ſchenkte ſie ihr alle, ohne ſelbſt ſeine Lieblinge zurückzubehalten, indeß ein alter Bedienter auf einem Wald¬ horne blies, und Töne hervorbrachte, die dem jungen Franz damals äußerſt wunderbar in die Ohren klangen. So vergieng eine Zeit, und Franz hatte alles vergeſſen; dann fuh¬75 ren die Fremden wieder fort, und er er¬ wachte wie aus einem Entzücken zu ſich und den gewöhnlichen Empfindungen, den ge¬ wöhnlichen Spielen, dem gewöhnlichen Le¬ ben von einem Tage zum andern hinüber. Dazwiſchen klangen immer die holden Wald¬ hornstöne in ſeine Exiſtenz hinein, und vor ihm ſtand wie der Mond das holde Ange¬ ſicht des Kindes, dem er ſeine Blumen ge¬ ſchenkt hatte, nach denen er im Schlummer oft die Hände ausſtreckte, weil ihn dünkte, er erhielte ſie von dem Mädchen wieder. Alles Liebe und Holde entlehnte er von ih¬ rem Bilde, alles Schöne was er ſah, trug er zu ihrer Geſtalt hinüber; wenn er von Engeln hörte, glaubte er einen zu kennen, und ſich von ihm gekannt, er war es über¬ zeugt, daß die Feldblumen einſt ein Erken¬ nungszeichen zwiſchen ihnen beiden ſeyn würden.

76

Als er ſo deutlich wieder an alles dieſes dachte, als ihm einfiel, daß er es in ſo langer Zeit gänzlich vergeſſen hatte, ſetzte er ſich ins grüne Gras nieder und weinte; er drückte ſein heißes Geſicht an den Boden und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die dort ſtanden. Er hörte in der Trunkenheit wieder die Melodie eines Waldhorns, und konnte ſich vor Wehmuth, vor Schmerzen der Erinnerung und ſüßen ungewiſſen Hoff¬ nungen nicht faſſen. Bin ich wahnſinnig, oder was iſt es mit dieſem thörigten Her¬ zen? rief er aus. Welche unſichtbare Hand fährt ſo zärtlich und grauſam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg, und ſcheucht alle Träume und Wundergeſtal¬ ten, Seufzer und Thränen und verklungne Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor? O mein Geiſt, ich fühle es in mir, ſtrebt[nach] etwas Überirdiſchem, das keinem Men¬77 ſchen gegönnt iſt. Mit magnetiſcher Gewalt zieht der unſichtbare Himmel mein Herz an ſich und bewegt alle Ahndungen durcheinan¬ der, die längſt ausgeweinten Freuden, die unmöglichen Wonnen, die Hofnungen, die keine Erfüllung zugeben. Und ich[kann] es keinem Menſchen, keinem Bruder einmahl klagen, wie mein Gemüth zugerichtet iſt, denn keiner würde meine Worte verſtehen. Daher aber gebricht mir die Kraft, die den übrigen Menſchen verliehen iſt, und die uns zum Leben nothwendig bleibt, ich matte mich ab in mir ſelber und keiner hat deſſen Gewinn, mein Muth verzehrt ſich, ich wün¬ ſche was ich ſelbſt nicht kenne. Wie Ja¬ kob ſeh im Traume die Himmelsleiter mit ihren Engeln, aber ich kann nicht ſelbſt hin¬ aufſteigen, um oben in das glänzende Pa¬ radies zu ſchauen, denn der Schlaf hat meine Glieder bezwungen, und was ich ſe¬78 he und höre, ahnde und hoffe und lieben möchte, iſt nur Traumgeſtalt in mir.

Jetzt ſchlug die Glocke im Dorfe. Er ſtand auf und trocknete ſich die Augen, in¬ dem er weiter gieng, und nun ſchon die Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬ ne Laub auf ſich zuſchimmern ſah. Er gieng an einem Garten vorbei, und über dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬ ther ſchöner Kirſchen. Er konnte es nicht unterlaſſen, einige abzubrechen und ſie zu koſten, weil die Frucht dieſes Baumes ihn in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren dieſelben Zweige, die ſich ihm auch jetzt freundlich entgegenſtreckten, aber die Frucht ſchmeckte ihm nicht wie damals. In der Kindheit wird der Menſch von den blanken, glänzenden, und vielfarbigen Früchten und ihrem ſüßen lieblichen Geſchmacke angelockt, das Leben liebzugewinnen, wie es die79 Schulmeiſter in den Schulen machen, die mit Süßigkeiten dem Kinde Luſt zum Ler¬ nen beibringen wollen; nachher verliert ſich im Menſchen dieſes frohe Vorgefühl des Lebens, er iſt der Lockungen gewohnt und dagegen abgeſtumpft.

Franz gieng über den Kirchhof und las die Kreuze im Vorbeigehn ſchnell, aber an keinem war der Name ſeines Vaters oder ſeiner Mutter angeſchrieben, und er fühlte ſich zuverſichtlicher. Die Mauer des Thurms kam ihm nicht ſo hoch vor, alles war ihm beengter, das Haus ſeiner Eltern kannte er kaum wieder. Er zitterte als er die Thür anfaßte, und doch war es ihm ſchon wieder ſo gewöhnlich, dieſe Thür zu öffnen. In der Stube ſaß ſeine Mutter mit verbunde¬ nem Kopf und weinte; als ſie ihn erkannte weinte ſie noch heftiger; der Vater lag im Bette und war krank. Er umarmte ſie bei¬80 de mit gepreßtem Herzen, er erzählte ihnen, ſie ihm, ſie ſprachen durcheinander und frag¬ ten ſich, und wuſten doch nicht recht was ſie reden ſollten. Der Vater war matt und bleich. Franz hatte ihn ſich ganz anders vorgeſtellt, und darum war er nun ſo ge¬ rührt und konnte ſich gar nicht wieder zu¬ frieden geben. Der alte Mann ſprach viel vom Sterben, von der Hofnung der Selig¬ keit, er fragte den jungen Franz, ob er auch Gott noch ſo treu anhange, wie er ihm immer gelehrt habe. Franz drückte ihm die Hand und ſagte: Haben wir in dieſem irr¬ diſchen Leben etwas anders zu ſuchen, als die Ewigkeit? Ihr liegt nun da an der Gränze, Ihr werdet nun bald in Eurer Andacht nicht mehr geſtört werden, und ich will mir gewiß auch alle Mühe geben, mich von den Eitelkeiten zu entfernen.

Liebſter Sohn, ſagte der Vater, ich ſehe,mein81mein Lehren iſt an Dir nicht verlohren ge¬ gangen. Wir müſſen arbeiten, ſinnen und denken, weil wir einmahl in dieſem Leben, in dieſem Joch eingeſpannt ſind, aber da¬ rum müſſen wir doch nie das Höhere aus den Augen verliehren. Sey redlich in Dei¬ nem Gewerbe, damit es Dich ernährt, aber laß nicht Deine Nahrung, Deine Beklei¬ dung den letzten Gedanken Deines Lebens ſeyn; trachte auch nicht nach dem irrdiſchen Ruhme, denn alles iſt doch nur eitel, alles bleibt hinter uns, wenn der Tod uns for¬ dert. Mahle, wenn es ſeyn kann, die heili¬ gen Geſchichten recht oft, um auch in weltli¬ chen Gemüthern die Andacht zu erwecken.

Franz wenig zu Mittage, der Alte ſchien ſich gegen Abend zu erholen. Die Mutter war nun ſchon daran gewöhnt, daß Franz wieder da ſey; ſie machte ſich ſeinetwegen viel zu thun, und vernachläßig¬F82te den Vater beinahe. Franz war unzufrie¬ den mit ſich, er hätte dem Kranken gern al¬ le glühende Liebe eines guten Sohns ge¬ zeigt, auf ſeine letzten Stunden gern alles gehäuft, was ihn durch ein langes Leben hätte begleiten ſollen, aber er fühlte ſich ſo verworren und ſein Herz ſo matt, daß er über ſich ſelber erſchrak. Er dachte an tau¬ ſend Gegenſtände die ihn zerſtreuten, vor¬ züglich ein Gemählde von Kranken, von[trauernden] Söhnen und wehklagenden Müttern, und darüber machte er ſich dann die bitterſten Vorwürfe.

Als ſich die Sonne zum Untergange neig¬ te, gieng die Mutter hinaus, um aus ih¬ rem kleinen Garten, der etwas entfernt war, Gemüſe zu holen zur Abendmahlzeit. Der Alte ließ ſich von ſeinem Sohn mit einem Seſſel vor die Hausthür tragen, um ſich von den rothen Abendſtrahlen beſcheinen zu laſſen.

83

Es ſtand ein Regenbogen am Himmel, und in Weſten regnete der Abend in gold¬ nen Strömen nieder. Schaafe weideten ge¬ genüber, und Birken ſäuſelten, der Vater ſchien ſtärker zu ſeyn. Nun ſterb ich gerne, rief er aus, da ich Dich doch noch vor mei¬ nem Tode geſehen habe.

Franz konnte nicht viel antworten, die Sonne ſank tiefer und ſchien dem Alten feurig in's Geſicht, der ſich wegwendete und ſeufzte: Wie Gottes Auge blickt es mich noch zu guter letzt an und ſtraft mich Lü¬ gen; ach! wenn doch erſt alles vorüber wä¬ re! Franz verſtand dieſe Worte nicht, aber er glaubte zu bemerken, daß ſein Vater von Gedanken beunruhigt würde. Ach! wenn man ſo mit hinunterſinken könnte! rief der Alte aus, mit hinunter mit der lie¬ ben Gottes Sonne! O wie ſchön und herr¬ lich iſt die Erde, und jenſeit muß es nochF 284ſchöner ſeyn; dafür iſt uns Gottes Allmacht Bürge. Bleib immer fromm und gut, lie¬ ber Franz, und höre mir aufmerkſam zu, was ich Dir noch jetzt zu entdecken habe.

Franz trat ihm näher, und der Alte ſagte: Du biſt mein Sohn nicht, liebes Kind. Indem kam die Mutter zurück; man konnte ſie aus der Ferne hören, weil ſie mit lauter Stimme ein geiſtliches Lied ſang, und der Alte brach ſehr ſchnell ab und ſprach von gleichgültigen Dingen. Morgen, ſagte er heimlich zu Franz, morgen!

Die Heerden kamen vom Felde mit den Schnittern, alles war fröhlich, aber Franz war ſehr in Gedanken verſunken, er be¬ trachtete die beiden Alten in einem ganz neuen Verhältniſſe zu ſich ſelber, er konnte kein Geſpräch anfangen, die letzten Worte ſeines vermeintlichen Vaters ſchallten ihm85 noch immer in den Ohren, und er erwarte¬ te mit Ungeduld den Morgen.

Es ward finſter, der Alte ward hinein¬ getragen, und legte ſich nieder ſchlafen; Franz mit der Mutter. Plötzlich hörten ſie nicht mehr dem Athemzug des Vaters, ſie eilten hinzu und er war verſchieden. Sie ſahen ſich ſtumm an, und nur Brigitte konnte weinen. Ach! ſo iſt er denn geſtor¬ ben ohne von mir Abſchied zu nehmen? ſag¬ te ſie ſeufzend; ohne Prieſter und Einſeg¬ nung iſt er entſchlafen! Ach! wer auf der weiten Erde wird nun noch mit mir ſprechen, da ſein Mund ſtumm geworden iſt? Wem ſoll ich mein Leid klagen, wer wird mir ſagen wenn die Bäume blühen, und wenn wir die Früchte abnehmen? Ach! der gute alte Vater, nun iſt es alſo vorbei mit unſerm Umgang, mir unſern Abendgeſprächen, und ich kann gar nichts86 dazu thun, ſondern ich muß mich nun ſo eben darin finden. Unſer aller Ende ſey eben ſo ſanft!

Die Thränen machten ſie ſtumm, und Franz tröſtete ſie. Er ſah in Gedanken be¬ tende Einſiedler, die verehrungswürdigen Märtyrer, und alle Leiden der armen Menſchheit gingen in mannichfaltigen Bil¬ dern ſeinem Geiſte vorüber.

87

Sechtes Kapitel.

Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz ſtand ſinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬ ten herzu und tröſteten ihn; Brigitte weinte von neuem, ſo oft darüber geſprochen wur¬ de, ſein Herz war zu, ſeine Augen waren wie vertrocknet, tauſend neue Bilder zogen durch ſeine Sinne, er konnte ſich ſelber nicht verſtehn, er hätte gern mit Jemand ſprechen mögen, er wünſchte Sebaſtian herbei, um ihm alles klagen zu können.

Am dritten Tage war das Begräbniß, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe als ſie nun den mit Erde zudeckten, den ſie ſeit zwanzig Jahren ſo genau ge¬ kannt hatte, den ſie faſt einzig liebte. Sie wünſchte auch bald zu ſterben, um wie¬ der in ſeiner Geſellſchaft zu ſeyn, um mit88 ihm die Geſpräche fortzuſetzen, die ſie hier hatte abbrechen müſſen. Franz ſchweifte in¬ deß im Felde umher, und betrachtete die Bäume die ſich in einem benachbarten Tei¬ che ſpiegelten. Er hatte noch nie eine Land¬ ſchaft mit dieſem Vergnügen beſchaut, es war ihm noch nie vergönnt geweſen, die mannichfaltigen Farben mit ihren Schatti¬ rungen, das Süße der Ruhe, die Wirkung des Baumſchlages in der Natur zu entdek¬ ken, wie er es jetzt im klaren Waſſer ge¬ wahr ward. Über alles ergötzte ihn aber die wunderbare Perſpektive die ſich bildete, und der Himmel dazwiſchen mit ſeinen Wol¬ kenbildern, das zarte Blau, das zwiſchen den krauſe Figuren und dem zitternden Laube ſchwamm. Franz zog ſeine Schreib¬ tafel hervor, und wollte die Landſchaft an¬ fangen zu zeichnen; aber ſchon die wirkliche Natur erſchien ihm trocken gegen die Abbil¬89 dung im Waſſer, noch weniger aber wollten ihm die Striche auf dem Papiere genügen, die durchaus nicht nachbildeten, was er vor ſich ſah. Er war bisher noch nie darauf gekommen eine Landſchaft zu zeichnen, er hatte ſie immer nur als eine nothwendige Zugabe zu manchen hiſtoriſchen Bildern an¬ geſehn, aber noch nie empfunden, daß die lebloſe Natur etwas für ſich Ganzes und Vollendetes ausmachen könne, und ſo der Darſtellung würdig ſey. Unbefriedigt gieng er nach der Hütte ſeines Pflegevaters zu¬ rück.

Seine Mutter kam ihm entgegen, die ſich in der ungewohnten Einſamkeit nicht zu laſſen wuſte. Sie ſetzten ſich beide auf eine Bank die vor dem Hauſe ſtand, und unter¬ redeten ſich von mancherlei Dingen. Franz ward durch jeden Gegenſtand den er ſah, durch jedes Wort das er hörte, niedergeſchla¬90 gen, die weidenden Heerden, die ziehenden Töne des Windes durch die Bäume, das friſche Gras und die ſanften Hügel weckten keine Poeſie in ſeiner Seele auf. Er hatte Vater und Mutter verlohren, ſeine Freun¬ de verlaſſen, er kam ſich ſo verwaiſt und verachtet vor, beſonders hier auf dem Lan¬ de, wo er mit Niemand über die Kunſt ſprechen konnte, daß ihn faſt aller Muth zum Leben verließ. Seine Mutter nahm ſeine Hand und ſagte: Lieber Sohn, Du willſt jetzt in die weite Welt hineingehen, wenn ich Dir rathen ſoll ſo thu es nicht, denn es bringt Dir doch keinen Gewinn. Die Fremde thut keinem Menſchen gut, wo er zu Hauſe gehört, da blüht auch ſeine Wohlfahrt; fremde Menſchen werden es nie ehrlich mit Dir meinen, das Vaterland iſt gut, und warum willſt Du ſo weit weg und Deutſchland verlaſſen, und was ſoll ich91 indeſſen anfangen? Dein Mahlen iſt auch ein unſicheres Brod, wie Du mir ſchon ſel¬ ber geſagt haſt, Du wirſt darüber alt und grau; Deine Jugend vergeht, und mußt noch obenein wie ein Flüchtling aus Deinem Lande wandern. Bleib hier bei mir, mein Sohn, ſieh, die Felder ſind alle im beſten Zuſtande, die Gärten ſind gut eingerichtet, wenn Du Dich des Hausweſens und des Ackerbaues annehmen willſt, ſo iſt uns bei¬ den geholfen, und Du führſt doch ein ſich¬ res und ruhiges Leben, Du weißt doch dann wo Du Deinen Unterhalt hernimmſt. Du kannſt hier heirathen, es findet ſich wohl eine Gelegenheit; Du lernſt Dich bald ein, und die Arbeit des Vaters wird dann von Dir fortgeſetzt. Was ſagſt zu dem al¬ len mein, Sohn?

Franz ſchwieg eine Weile ſtill, nicht weil er den Vorſchlag bei ſich überlegte, ſondern92 weil an dieſem Tage alle Vorſtellungen ſo ſchwer in ſeine Seele fielen, daß ſie lange hafteten. Ihm lag Herr Zeuner von neuem in den Gedanken, er ſah die ganze Geſell¬ ſchaft noch einmahl, und fühlte alle Beäng¬ ſtigungen wieder, die er dort erlitten hatte. Es kann nicht ſeyn, liebe Mutter, ſagte er endlich. Seht, ich habe ſo lange auf die Gelegenheit zum Reiſen gewartet, jetzt iſt ſie gekommen, und ich kann ſie nicht wieder aus den Händen gehen laſſen. Ich habe mir ängſtlich und ſorgſam all' mein Geld, deſſen ich habhaft werden konnte, dazu ge¬ ſammelt, was würde Dürer ſagen, wenn ich jetzt alles aufgäbe?

Die Mutter wurde über dieſe Antwort ſehr betrübt, ſie ſagte ſehr weichherzig: Was aber ſuchſt Du in der Welt, lieber Sohn? Was kann Dich, ſo heftig antreiben ein ungewiſſes Glück zu erproben? Iſt denn93 der Feldbau nicht auch etwas Schönes, und immer in Gottes freier Welt zu handthie¬ ren und ſtark und geſund zu ſeyn? Mir zu Liebe könnteſt Du auch etwas thun, und wenn Du noch ſo glücklich biſt, kömmſt Du doch nicht weiter, als daß Du Dich ſatt eſ¬ ſen kannſt und eine Frau ernährſt und Kin¬ der groß zieheſt die Dich lieben und ehren. Alles dies zeitliche Weſen kannſt Du nun hier ſchon haben, hier haſt Du es gewiß, und Deine Zukunft iſt noch ungewiß. Ach lieber Franz, und es iſt denn doch auch eine herzliche Freude das Brod zu eſſen, das man ſelber gezogen hat, ſeinen eignen Wein zu trinken, mit dem Pferden und Kü¬ hen im Hauſe bekannt zu ſeyn, in der Wo¬ che zu arbeiten und des Sonntags zu ra¬ ſten. Aber Dein Sinn ſteht Dir nach der Ferne, Du liebſt Deine Eltern nicht, Du gehſt in Dein Unglück und verlierſt gewiß94 Deine Zeit, vielleicht noch Deine Geſundheit. Es iſt nicht das, liebe Mutter! rief Franz aus, und Ihr werdet mich auch gar nicht verſtehn wenn ich es Euch ſage. Es iſt mir gar nicht darum zu thun, Leinwand zu nehmen und die Farben mit mehr oder minder Geſchicklichkeit aufzutragen, um da¬ mit meinen täglichen Unterhalt zu erwerben, denn ſeht, in manchen Stunden kömmt es mir ſogar ſündhaft vor, wenn ich es ſo be¬ ginnen wollte. Ich denke an meinen Er¬ werb niemals wenn ich an die Kunſt denke, ja ich kann mich ſelber haſſen wenn ich zu¬ weilen darauf verfalle. Ihr ſeid ſo gut, Ihr ſeid ſo zärtlich gegen mich, aber noch weit mehr als Ihr mich liebt, liebe ich meine Handthierung. Nun iſt es mir ver¬ gönnt, alle die Meiſter wirklich zu ſehn die ich bisher nur in der Ferne verehrt habe; von Vielen habe ich nur die Namen gehört. 95Wenn ich dies erleben kann, und beſtändig neue Bilder ſehn, und lernen, und die Meiſter hören; wenn ich durch ungekannte Gegenden mit feilchem Herzen ſtreifen kann, ſo mag ich keines ruhigen Lebens genießen. Tauſend Stimmen rufen mir herzſtärkend aus der Ferne zu, die ziehenden Vögel die über meinem Haupte wegfliegen, ſcheinen mir Bothen aus der Ferne, alle Wolken er¬ innern mich an meine Reiſe, jeder Gedanke, jeder Pulsſchlag treibt mich vorwärts, wie könnt 'ich da wohl in meinen jungen Jah¬ ren ruhig hier ſitzen und den Wachsthum des Getraides abwarten, die Einzäunung des Gartens beſorgen und Rüben pflanzen! Nein, laßt mir meinen Sinn, ich bitte Euch darum und redet mir nicht weiter zu, denn Ihr quält mich nur damit.

Nun ſo magſt Du es[haben], ſagte Bri¬ gitte in halben Unwillen, aber ich weiß daß96 es Dich noch einmahl gereuet, daß Du Dich wieder hieher wünſcheſt, und denn iſt's zu ſpät, daß Du dann das hoch und theuer ſchätzeſt was Du jetzt ſchmäheſt und ver¬ achteſt.

Ich habe Euch etwas zu fragen, liebe Mutter, fuhr Franz fort. Der Vater iſt geſtorben ohne mir Rechenſchaft davon zu geben; er ſagte mir ich ſey ſein Sohn nicht, und brach dann ab. Was wißt Ihr von meiner Herkunft?

Nichts weiter lieber, Franz, ſagte die Mut¬ ter, und Dein Vater hat mir darüber nie etwas anvertraut. Als ich ihn kennen lern¬ te und heirathete, warſt Du ſchon bei ihm, und damals zwei Jahr alt; er ſagte mir, daß Du ſein einziges Kind von ſeiner ver¬ ſtorbenen Frau ſeiſt. Ich verwundre mich, warum der Mann nun zu Dir anders ge¬ ſprochen hat.

Franz97

Franz blieb alſo über ſeine Herkunft im¬ mer noch in Ungewißheit; dieſe Gedanken beſchäftigten ihn ſehr, und er wurde in manchen Stunden darüber verdrüßlich und traurig. Das Erndtefeſt war indeß heran¬ gekommen, und alle Leute im Dorfe waren ſehr fröhlich; jedermann war nur darauf bedacht ſich zu vergnügen; die Kinder hüpf¬ ten umher und konnten den Tag nicht er¬ warten. Franz hatte ſich vorgenommen die¬ ſen Tag in der Einſamkeit zuzubringen, ſich nur mit ſeinen Gedanken zu beſchäftigen, und ſich nicht um die Fröhlichkeit der übri¬ gen Menſchen zu bekümmern. Er war in der Woche, die er hier bei ſeinem Pflegeva¬ ter zubrachte, überhaupt ganz in ſich ver¬ ſunken, nichts konnte ihm rechte Freude machen, denn ihm war hier ganz anders, und alles ereignete ſich ſo ganz anders, als er es vorher vermuthet hatte. Am TageG98vor dem Erndtefeſt erhielt er einen Brief von ſeinem Sebaſtian, denn es war vorher aus¬ gemacht daß er ihm ſchreiben ſollte, wäh¬ rend er hier auf dem Dorfe ſey. Wie wenn nach langen Winternächten und trüben Ta¬ gen der erſte Frühlingstag über die ſtarre Erde geht, ſo erheiterte ſich Franzens Ge¬ müth als er dieſen Brief in der Hand hielt; es war als wenn ihn plötzlich ſein Freund Sebaſtian ſelber anrühre, und ihm in die Arme fliege; er hatte ſeinen Muth wieder, er fühlte ſich nicht mehr ſo verlaſſen, er er¬ brach das Siegel.

Wie erſtaunte und freute er ſich zu glei¬ cher Zeit, als er drinnen noch ein andres Schreiben von ſeinem Albrecht Dürer fand, welches er nie erwartet hatte. Er war un¬ gewiß, welchen Brief er zuerſt leſen ſollte; doch ſchlug er Sebaſtians Brief auseinan¬ der welcher folgendermaßen lautete:99 Liebſter Franz.

« Wir gedenken Deiner in allen unſern Geſprächen, und ſo kurze Zeit Du auch entfernt biſt, ſo dünkt es mich doch ſchon recht lange. Ich kann mich immer noch in dem Hauſe ohne Dich nicht ſchicken und fü¬ gen, alles iſt mir zu leer und doch zu enge, ich kann nicht ſagen ob ſich das wieder än¬ dern wird. Als ich von Dir an jenem ſchö¬ nen und traurigen Morgen durch die Korn¬ felder zurückgieng, als ich alle die Stellen wieder betrat wo ich mit Dir gegangen war, und der Stadt mich nun immer mehr näherte; o Franz! ich kann es Dir nicht ſa¬ gen was da mein Herz empfand. Es war mir alles im Leben taub und ohne Reiz, und ich hätte vorher niemals geglaubt, daß ich Dich ſo lieb haben könnte. Wie wollte ich jetzt mit den Stunden geizen, die ichG 2100ſonſt unbeſehn und ungenoſſen verſchwende te, wenn ich nur mit Dir wieder zuſammen ſeyn könnte! Alles was ich in die Hände nehme erinnert mich an Dich, und meine Pallette, mein Pinſel, alles macht mich wehmüthig, ohne daß ich begreifen kann wie es zugeht. Als ich in die Stadt wieder hineinkam, als ich die gewohnten Treppen unſers Hauſes hinaufſtieg, und da wieder alles liegen und ſtehn ſah wie ich es am frühen Morgen verlaſſen hatte, konnt 'ich mich der Thränen nicht enthalten, ob ich gleich ſonſt nie ſo weich geweſen bin. Hal¬ te mich nicht für härter oder vernünftiger, lieber Franz, wie Du es nennen magſt, denn ich bin es nicht, wenn es ſich bei mir auch anders äußert als bei Dir. Ich war den ganzen Tag verdrüßlich, ich maulte mit Jedermann; was ich that war mir nicht recht, ich wünſchte Staffeley, und das Portrait, das101 ich vor mir hatte, weit von mir weg, denn mir gelang kein Zug, und ich ſpürte auch nicht die mindeſte Luſt zum Mahlen. Mei¬ ſter Dürer war ſelbſt an dieſem Tage be¬ trübter als gewöhnlich, alles war im Hauſe ſtill, und wir fühlten es, daß mit Deiner Abreiſe eine andre Epoche unſers Lebens anfieng.

Dein Schmidt hat uns beſucht; es iſt ein lieber Burſche, wir haben viel über ihn gelacht, uns aber auch recht an ihm ge¬ freut. Unermüdet hat er uns einen ganzen Tag lang zugeſehn, und wunderte ſich im¬ mer darüber daß das Mahlen ſo langſam von der Stelle gienge. Er ſetzte ſich nach¬ her ſelber nieder und zeichnete ein paar Verzierungen nach, die ihm ziemlich gut ge¬ riethen, es gereut ihn jetzt daß er das Schmiedehandwerk erlernt und ſich nicht lieber ſo wie wir auf die Mahlerei gelegt102 hat. Meiſter Dürer meint daß viel aus ihm werden könnte, wenn er noch anfienge; und er ſelber iſt halb und halb dazu ent¬ ſchloſſen. Er hat Nürnberg ſchon wieder verlaſſen; von Dir hat er viel geſprochen und Dich recht gelobt.

Daß Du Dich von Deinen Empfindun¬ gen ſo regieren und zernichten läſſeſt, thut mir ſehr weh, Deine Überſpannungen rau¬ ben Dir Kräfte und Entſchluß, und wenn ich es Dir ſagen darf, ſuchſt Du ſie etwas. Doch mußt Du darüber nicht zornig wer¬ den, jeder Menſch iſt einmal anders einge¬ richtet als der andere. Aber ſtrebe darnach etwas härter zu ſeyn, und Du wirſt ein viel ruhigeres Leben führen, wenigſtens ein Leben, in welchem Du weit mehr arbeiten kannſt als in dem Strom dieſer wechſelnden Empfindungen, die Dich nothwendig ſtören, und von allem abhalten müſſen. « 103« Lebe recht wohl, und ſchreibe mir ja fleißig, damit wir uns einander nicht fremde werden, wie es ſonſt gar zu leicht geſchieht. Theile mir alles mit was Du denkſt und fühlſt, und ſey überzeugt, daß in mir be¬ ſtändig ein mitempfindendes Herz ſchlägt, das jeden Ton des Deinigen beantwortet.

Ach! wie lange wird es währen bis wir uns wieder ſehn! Wie traurig wird mir je¬ desmahl die Stunde vorkommen, in welcher ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke, und die ſchreckliche leere Richtigkeit der Trennung ſo recht im Innerſten fühle. Es iſt um unſer menſchliches Leben eine dürftige Sache, ſo wenig Glanz und ſo viele Schatten, ſo viele Erdfarben die durchaus keinen Firniß vertragen wollen. Adieu. Gott ſey mit Dir. «

Der Brief des wackern Albrecht Dürer lautete alſo:104 Mein lieber Schüler und Freund!

« Es hat Gott gefallen, daß wir nun nicht mehr neben einander leben ſollen, ob mich gleich kein Zwiſchenraum gänzlich von Dir wird trennen können. So wie die Ab¬ wechſelungen des Lebens gehen, ſo iſt es nun unter uns dahin gekommen, daß wir nun an einander denken an einander ſchreiben können. Ich habe Dir alle meine Liebe, al¬ le meine herzlichſten Wünſche mit auf den Weg gegeben, und der allmächtige Gott leite jeden Deiner Schritte. Bleib ihm und der Redlichkeit treu, und Du wirſt mit Freu¬ den dieſes Leben überſtehn können, indem uns mancherlei Leiden ſuchen irre zu ma¬ chen. Es freut mich, daß Du der Kunſt ſo fleißig gedenkſt, und zwar Vertrauen, aber kein übermüthiges zu Dir ſelber haſt. Das Zagen das Dich oft überfällt, kömmt einem105 in der Jugend oft, und iſt viel eher ein gutes als ein ſchlimmes Zeichen. Es iſt im¬ mer etwas Wunderbares darinnen, daß wir Mahler nicht ſo recht unter die übrigen Menſchen hineingehören, daß unſer Trei¬ ben und unſre Geſchäftigkeit, die Welthän¬ del und ihre Ereigniſſe ſo um gar nichts aus der Stelle rückt, wie es doch bei den übrigen Handwerkern der Fall iſt; das be¬ fällt uns ſehr oft in der Einſamkeit oder unter kunſtloſen Menſchen, und dann möch¬ te uns ſchier aller Muth verlaſſen. Ein ein¬ ziges gutes Wort das wir plötzlich hören, iſt aber auch wieder im Stande, alle ſchaf¬ fende und wirkende Kraft in uns zurückzu¬ liefern, und Gottes Segen obendrein, ſo daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an unſre Arbeit gehen mögen. Ach Lieber! die ganze menſchliche Geſchäftigkeit läuft im Grunde ſo auf gar nichts hinaus, daß wir106 nicht einmahl ſagen können: dieſer Menſch iſt unnütz, jener aber nützlich. Es iſt die Erde zum Glück ſo eingerichtet, daß wir alle darauf Platz finden mögen; Groß und Klein, Vornehm und Geringe. Mir iſt es in meinen jüngern Jahren oft eben ſo wie Dir ergangen, aber die guten Stunden kommen doch immer wieder zurück. Wärſt Du ohne Anlage und Talent, ſo würdeſt Du dieſe Leere in Deinem Herzen niemals empfinden.

Mein Weib läßt Dich grüßen. Bleib nur immer der Wahrheit treu, das iſt die Haupt¬ ſache. Deine fromme Empfindung, ſo ſchön ſie iſt, kann Dich zu weit leiten, wenn Du Dich nicht von der Vernunft regieren läßt. Nicht eigentlich zu weit; denn man kann gewiß und wahrlich nicht zu fromm und andächtig ſeyn, ſondern ich meine nur, Du dürfteſt endlich etwas Falſches in Dein Herz aufneh¬ men, das Dich ſelber hintergienge, und ſo107 unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬ migkeit entſtehn. Doch ſage ich dieſes gar nicht, um Dich zu tadeln, ſondern es ge¬ ſchieht nur, weil ich an manchen ſonſt gu¬ ten Menſchen dergleichen bemerkt habe, wenn ſie an Gott und die Unſterblichkeit mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬ her Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirſchung und nicht mit erhabner Muthigkeit, ſo ſind ſie am Ende in einen Zuſtand der Weichlichkeit verfallen, in dem ſie die tröſtende wahre Andacht ver¬ laſſen hat, und ſie ſich und ihrem Kleinſinn überlaſſen blieben. Doch wie ich ſage, es gilt nicht Dich, denn Du biſt zu gut, zu herz¬ lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬ teſt, und weil Du große Gedanken hegſt, und mit warmer brünſtiger Seele die Bi¬ bel lieſeſt und die heiligen Geſchichten, ſo wirſt Du auch gewißlich ein guter Mahler108 werden, und ich werde noch einſt ſtolz auf Dich ſeyn.

Suche recht viel zu ſehen, und betrachte alle Kunſtſachen genau und wohl, dadurch wirſt Du Dich endlich gewöhnen mit Sicher¬ heit ſelbſt zu arbeiten und zu erfinden, wenn Du an allen das Vortrefliche erkennſt, und auch dasjenige, was einen Tadel zuge¬ ben dürfte. Dein Freund Sebaſtian iſt ein ganz melancholiſcher Menſch geworden ſeit Du von uns gereiſet biſt; ich denke es ſoll ſich wohl wieder geben wenn erſt einige Wochen verſtrichen ſind. Gehab Dich wohl, und denke unſrer fleißig. »

Durch Franzens Geiſt ergoß ſich Heiter¬ keit und Stärke, er fühlte wieder ſeinen Muth und ſeine Kraft. Albrechts Stimme berührte ihn wie die Hand einer ſtärkenden Gottheit, und er fühlte in allen Adern ſei¬109 nen Gehalt und ſein künftiges arbeitreiches Leben. Wie wenn man oft alte längſt ver¬ geſſene Bücher wieder aufſchlägt, und in ihnen Belehrungen oder unerwarteten Troſt im Leiden antrift, ſo kamen vergangene Zeiten mit ihren Gedanken in Franzens Seele zurück, alte Entwürfe die ihm von neuem gefielen. Ja, ſagte er, indem er die Briefe zuſammenfaltete, und ſorgfältig in ſeine Schreibtafel legte, es ſoll ſchon mit mir werden, weiß ich doch daß mein Meiſter was von mir hält; warum will ich denn ver¬ zagen?

Es war am folgendem Tage, an[wel¬ chem] das Erndtefeſt gefeiert werden ſoll¬ te. Franz hatte nun keinen Widerwillen mehr gegen das frohe aufgeregte Menſchengetüm¬ mel, er ſuchte die Freude auf, und war darum auch bei dem Feſte zugegen. Er erinnerte ſich einiger guten Kupferſtiche von Albrecht110 Dürer, auf denen tanzende Bauern darge¬ ſtellt waren, und die ihm ſonſt überaus gefallen hatten; er ſuchte nun beim Klange der Flö¬ ten dieſe poſſierliche Geſtalten wieder, und fand ſie auch wirklich; er hatte hier Gele¬ genheit zu bemerken, welche Natur Albrecht auch in dieſe Zeichnungen zu legen gewußt hatte.

Der Tag des Feſtes war ein ſchöner warmer Tag, an dem alle Stürme und un¬ angenehme Winde von freundlichen Engeln zurückgehalten wurden. Die Töne der Flö¬ ten und Hörner giengen wie eine liebliche Schaar ruhig und ungeſtört durch die ſanf¬ te Luft hin. Die Freude auf der Wieſe war allgemein, hier ſah man tanzende Paa¬ re, dort ſcherzte und neckte ſich ein junger Bauer mit ſeiner Liebſten, dort ſchwatzten die Alten und erinnerten ſich ihrer Jugend. Die Gebüſche ſtanden ſtill und waren friſch grün111 und überaus anmuthig, in der Ferne lagen krauſe Hügel mit Obſtbäumen bekränzt. Wie, ſagte Franz zu ſich, ſucht ihr Schüler und Meiſter immer nach Gemälden, und wißt nie¬ mals recht wo ihr ſie ſuchen müßt? Warum fällt es keinem ein, ſich mit ſeiner Staffeley unter einen ſolchen unbefangenen Haufen niederzuſetzen, und uns auf einmahl dieſe Natur ganz wie ſie iſt darzuſtellen. Keine abgeriſſene Fragmente aus der alten Hiſto¬ rie und Göttergeſchichte, die ſo oft weder Schmerz noch Freude in uns erregen, keine kalte Figuren aus der Legende, die uns oft gar nicht anſprechen, weil der Mahler die heiligen Männer nicht ſelber vor ſich ſah, und er ohne Begeiſterung arbeitete. Dieſe Geſtalten wörtlich ſo und ohne Abän¬ derung niedergeſchrieben, damit wir lernen, welche Schöne, welche Erquickung in der einfachen Natürlichkeit verborgen liegt. 112Warum ſchweift Ihr immer in der weiten Ferne, und in einer ſtaubbedeckten unkennt¬ lichen Vorzeit herum, uns zu ergötzen? Iſt die Erde wie ſie jetzt iſt keiner Darſtellung mehr werth; und könnt 'Ihr die Vorwelt mahlen wenn Ihr gleich noch ſo ſehr wollt? Und wenn Ihr größeren Geiſter nun auch hohe Ehrfurcht in unſer Herz hineinbannt; wenn Eure Stücke uns mit ernſter feierlicher Stimme anreden; warum ſollen nicht auch einmahl die holden Strahlen einer weltli¬ chen Freude aus einem Gemählde heraus¬ brechen? Warum ſoll ich in einer freien herz¬ lichen[Stunde] nicht auch einmahl Bäuerlein, und ihre Spiele und Ergötzungen lieben? Dort werden wir beim Anblick der Bilder äl¬ ter und klüger, hier kindiſcher und fröhlicher.

So ſtritt Franz mit ſich ſelber, und un¬ terhielt ſeinen Geiſt mit ſeiner Kunſt, wenn er gleich nicht arbeitete. Es konnte ihmüber¬113überhaupt nicht leicht etwas begegnen, wo¬ bei er nicht an Mahlereyen gedacht hätte, denn das war ſo ſeine Art, ſeine Beſchäfti¬ gung in allem was er in der Natur oder unter Menſchen ſah und hörte, wiederzufin¬ den. Alles gab ihm Antworten zurück, nir¬ gends traf er eine Lücke, in der Einſamkeit ſah ihm die Kunſt zu, und in der Geſell¬ ſchaft ſaß ſie neben ihm, und er führte mit ihr ſtille Geſpräche; darüber kam es denn aber auch, daß er ſo manches in der Welt gar nicht bemerkte, was weit einfältigern Gemüthern ganz geläufig war, weshalb es auch geſchah, daß ihn die beſchränkten Leu¬ te leicht für unverſtändig oder albern hiel¬ ten. Dafür bemerkte er aber manches das jedem andern entgieng, und die Wahrheit und Feinheit ſeines Witzes ſetzte dann die Menſchen oft in Erſtaunen. So war Franz Sternbald um dieſe Zeit, ich weiß nicht obH114ich ſagen ſoll ein erwachſenes Kind, oder ein kindiſcher Erwachſener. O wohl Dir, daß Dir das Auge noch verhüllt iſt, über die Thorheit und Armſeligkeit der Menſchen, daß Du Dir und Deiner Liebe Dich ſelbſt mit aller Unbefangenheit ergeben kannſt! Seeliges Leben wenn der Menſch nur noch in ſich lebt, und die übrigen umher nicht in ſein Innres einzudringen vermögen, und ihn ſo beherrſchen. Es kommt bei den Meiſten eine Zeit, wo der Winter beſtändig in ihren Sommer hineinſcheint, wo ſie ſich vergeſſen, um es den andern Menſchen recht zu machen, wo ſie ihrem Geiſte keine Opfer mehr bringen, ſondern ihr eigenes Herz als ein Opfer auf den Altar der weltli¬ chen Eitelkeit niederlegen. Darum biſt Du mir eben ſo lieb, mein Franz Sternbald, weil Du darin ſo ganz anders biſt; meine eigene Jugend kömmt in meine Seele zu¬115 rück, indem ich keine Geſchichte ſchreibe, und alles was ich litt ſo wie alles was mich beſeligte.

Als es Abend geworden war, und der rothe Schimmer bebend an den Gebüſchen hing, war ſeine Empfindung ſanfter und ſchöner geworden. Er wiederholte den Brief Dürers in ſeinen Gedanken, und zeichnete ſich dabei die ſchönen Abendwolken in ſei¬ nem Gedächtniſſe ab. Er hatte ſich im Garten in eine Laube zu einem friſchen Bauermädchen geſetzt, das ſchon ſeit lange viel und lebhaft mit ihm geſprochen hatte. Jetzt lag das Abendroth auf ihren Wangen, er ſah ſie an, ſie ihn, und er hätte ſie gern geküßt; ſo ſchön kam ſie ihm vor. Sie fragte ihn, wenn er zu reiſen gedächte; und es war das erſtemahl daß er ungern von ſeiner Reiſe ſprach. Iſt Italien weit von hier? fragte die unwiſſende Gertrud.

H 2116

O ja, ſagte Franz: manche Stadt, man¬ ches Dorf, mancher Berg liegt zwiſchen uns und Italien. Es wird noch lange währen, ehe ich dort bin.

Und Ihr müßt dahin? fragte Gertrud.

Ich will, und muß, antwortete er; ich denke dort viel zu lernen für meine Mah¬ lerkunſt. Manches alte Gebäude, manchen vortreflichen Mann habe ich zu beſuchen, manches zu thun und zu erfahren, ehe ich mich für einen Meiſter halten darf.

Aber Ihr kommt doch wieder?

Ich denke, ſagte Franz, aber es kann lange währen, und dann iſt hier vielleicht alles anders, ich bin hier dann längſt ver¬ geſſen, meine Freunde und Verwandten ſind vielleicht geſtorben; die Burſchen und Mäd¬ chen die eben ſo frölich ſingen, ſind denn alt und haben Kinder. Daß das Menſchen¬ leben ſo kurz iſt, und das in der Kürze117 dieſes Lebens ſo viele und betrübte Ver¬ wandlungen mit uns vorgehn!

Gertrud ward von ihren Eltern abgeru¬ fen, und ſie gieng nach Hauſe; Franz blieb allein in der Laube. Freilich, ſagte er zu ſich, iſt es etwas Schönes, ruhig nur ſich zu leben, und recht früh das ſtille Land aufzuſuchen wo wir einheimiſch ſeyn wollen. Wem die Ruhe gegönnt iſt, der thut wohl daran; mir iſt es nicht ſo. Ich muß erſt äl¬ ter werden, denn jetzt weiß ich ſelber noch nicht was ich will.

118

Siebendes Kapitel.

Faſt ſeit ſeiner Ankunft auf dem Dorfe hatte ſich Franz eine Arbeit vorgenommen, es war nehmlich nichts Geringers, als daß er ſeinem Geburtsorte ein Gemälde von ſich hinterlaſſen wollte. Der Gedanke der Ver¬ kündigung der Geburt Chriſti lag ihm noch im Sinn, und er bildete ihn weiter aus, und mahlte fleißig. Aber nun fehlte ihm dieſe Seelenruhe, die er damals in ſei¬ nem Briefe geſchildert hatte, alles hatte ihn betäubt, und die bildende Kraft erlag oft den Umſtänden. Er fühlte es lebhaft wieder, wie es ganz etwas anders ſey, in einer glücklichen Minute ein kühnes und edles Kunſtwerk zu entwerfen, und es nach¬ her mit unermüdeter Ämſigkeit, und dem nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzu¬ führen. Mitten in der Arbeit verzweifelte119 er oft an ihrer Vollendung, er wollte es ſchon unbeendigt ſtehn laſſen, als ihm Dü¬ rers Brief zur rechten Zeit Kraft und Er¬ quickung ſchenkte. Jetzt endigte er ſchneller, als er erwartet hatte.

Wir wollen hier dem Leſer, dieſes Bild Franzens ganz kurz beſchreiben. Ein dunk¬ les Abendroth lag auf den fernen Bergen, denn die Sonne war ſchon ſeit lange unter¬ gegangen, in dem bleichrothen Scheine la¬ gen alte und junge Hirten mit ihren Heer¬ den, dazwiſchen Frauen und Mädchen; die Kinder ſpielten mit Lämmern. In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn, und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landſchaft. Die Hirten ſahen mit ſtiller Sehnſucht nach ihnen, die Kinder ſtreckten die Hände nach den Engeln aus, das An¬ geſicht des einen Mädchens ſtand in roſen¬ rothem Schimmer, vom fernen Strahl der120 Himmliſchen erleuchtet. Ein junger Hirt hatte ſich umgewendet, und ſah mit ver¬ ſchränkten Armen und tiefſinnigem Geſichte der untergegangenen Sonne nach, als wenn mit ihr die Freude der Welt, der Glanz des Tages, die anmuthigen und erquicken¬ den Strahlen verſchwunden wären; ein al¬ ter Hirte faßte ihn beim Arm um ihn um¬ zudrehen, ihm die Freudigkeit zu zeigen die von Morgenwärts herſchritt. Dadurch hat¬ te Franz der untergegangenen Sonne gegen¬ über, gleichſam eine neuaufgehende darſtel¬ len wollen, der alte Hirte ſollte den jungen beruhigen, und zu ihm ſagen: » Seelig ſind die nunmehr ſterben, denn ſie werden in dem Herrn ſterben! Einen ſolchen zarten und troſtreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Be¬ ſchauer in ſein Gemählde zu bringen ge¬ ſucht.

121

Er hatte es nun vollendet, und ſtand lange nachdenkend und ſtill vor ſeinem Wer¬ ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬ mung die er an ſich nicht gewohnt war, es ängſtigte ihn, von dem theuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit ſo vieler Lie¬ be gearbeitet hatte, Abſchied zu nehmen. Das glänzende Bild der erſten Begeiſterung war während der Arbeit aus ſeiner Seele gänzlich hinweggelöſcht, und er fühlte dar¬ über eine trübe Leere in ſeinem Innern, die er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte. Iſt es nicht genug, ſagte er zu ſich ſelber, daß wir von unſern lebenden Freunden ſcheiden müſſen? müſſen auch noch jene befreundeten Lichter in unſere Seele Abſchied von uns neh¬ men? So gleicht unſer Lebenslauf einem Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren, wo wir halb verrückt ſtets etwas Neues122 einſetzen das uns koſtbar iſt, und niemals keinen Gewinn dafür austauſchen. Es iſt wunderbar, daß unſer Geiſt uns treibt, die innere Entzückung durch das Werk unſrer Hände zu offenbaren, und daß wir, wenn wir vollendet haben, in unſerm Fleiß uns ſelber nicht wieder erkennen.

Das Mahlergeräthe ſtand unordentlich um das Bild herum, die Sonne ſchien glän¬ zend auf den friſchaufgetragenen Firniß, er hörte das tacktmäßige Klappen der Dreſch¬ flegel in den Scheuren, in der Ferne das Vieh auf dem Anger brüllen, und die kleine Dorfglocke gab mit beſcheidenen Schlägen die Zeit des Tages an; alle Thätigkeit, alle menſchliche Arbeit kam ihm in dieſen Augen¬ blicken ſo ſeltſam vor, daß er lächelnd die Hütte verließ, und wieder ſeinem geliebten Walde zueilte, um ſich von der innern Ver¬ wirrung zu erholen.

123

Im Walde legte er ſich ins Gras nieder, und ſah über ſich in den weiten Himmel, er überblickte ſeinen Lebenslauf, und ſchäm¬ te ſich daß er noch ſo wenig gethan habe. Er betrachtete jedes Werk eines Künſtlers als ein Monument, das er den ſchönſten Stunden ſeiner Exiſtenz gewidmet habe; um jedes wehen die himmliſchen Geiſter, die dem bildenden Sinn die Entzückungen brach¬ ten, aus jeder Farbe, aus jedem Schatten ſprechen ſie hervor. Ich bin nun ſchon zwei und zwanzig Jahr alt, rief er aus, und noch iſt von mir nichts geſchehen das der Rede würdig wäre; ich fühle nur den Trieb in mir, und meine Muthloſigkeit; der friſche thätige Geiſt meines Lehrers iſt mir nicht verliehen, mein Beginnen iſt zaghaft, und alle meine Bildungen werden die Spur dieſes zagenden Geiſtes tragen.

Er kehrte zurück als es Abend war, und124 las ſeiner Pflegemutter einige fromme Ge¬ ſänge aus einem alten Buche vor, das er in ſeiner Kindheit ſehr geliebt hatte. Die frommen Gedanken und Ahndungen redeten ihn wieder an wie damals, er betrachtete ſinnend den runden Tiſch mit allen ſeinen Furchen und Narben die ihm ſo wohl be¬ kannt waren, er fand die Figuren wieder die er manchmal am Abend heimlich mit ſei¬ nem Meſſer eingeritzt hatte, er lächelte über dieſe erſten Verſuche ſeiner Zeichenkunſt. Mutter, ſagte er zu der alten Brigitte, am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬ mählde in unſrer Kirche aufgeſtellt, da müßt Ihr den Gottesdienſt nicht verſäumen. Ge¬ wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte, das neue Bild wird mir zu einer ſonderli¬ chen Erbauung dienen; unſer Altargemählde iſt kaum mehr zu erkennen, das erweckt keine Rührung wenn man es anſieht. Aber125 ſage mir, was wird am Ende aus ſolchen alten Bildern?

Sie vergehn, liebe Mutter, antwortete Franz ſeufzend, wie alles übrige in der Welt. Es wird eine Zeit kommen, wo man keine Spur mehr von den jetzigen großen Meiſtern antrift, wo die unerbittliche, un¬ künſtliche Hand der Zeit alle Denkmahle ausgelöſcht hat.

Das iſt aber ſchlimm, ſagte Brigitte, daß alle dieſe mühſelige Arbeit ſo ganz vergeblich iſt; ſo unterſcheidet ſich ja Deine Kunſt, wie Du es nennſt, von keinem an¬ derm Gewerbe auf der Erde. Der Mann, deſſen Altarblatt nun abgenommen werden ſoll, hat ſich auch gewiß recht gefreut, als ſeine Arbeit fertig war, er hat es auch gut damit gemeint; und doch iſt das alles um¬ ſonſt, denn nun wird das vergeſſen, und er hat vergeblich gearbeitet.

126

So geht es mit aller unſrer irdiſchen Thätigkeit, antwortete Franz, nichts als unſre Seele iſt für die Unſterblichkeit ge¬ ſchaffen, unſre Gedanken an Gott ſind das Höchſte in uns, denn ſie lernen ſich ſchon in dieſem Leben für die Ewigkeit ein, und folgen uns nach. Sie ſind das ſchönſte Kunſtwerck das wir hervorbringen können, und ſie ſind unvergänglich.

Am Sonntage gieng Franz mit einigen Arbeitsleuten früh in die Kirche. Das alte Bild wurde los gemacht; Franz wiſchte den Staub davon ab, und betrachtete es mit vieler Rührung. Es ſtellte die Kreuzigung vor, und manche Figuren waren ganz ver¬ loſchen, es war eins von denen Gemählden, die noch ohne Öl gearbeitet waren, die Kö¬ pfe waren hart, die Gewänder ſteif, und Zettul mit Sprüchen giengen aus dem Mun¬ de der Perſonen heraus. Sternbald bemüh¬127 te ſich ſehr, den Namen des Meiſters zu entdecken, aber vergebens; er ſorgte dann dafür, daß das Bild nicht weggeworfen wurde, ſondern er verſchloß es ſelbſt in ei¬ nen Schrank in der Kirche, damit auch künftig ein Kunſtfreund dies alte Überbleib¬ ſel wiederfinden könne.

Jetzt war ſein Gemählde befeſtigt, die Glocke fieng zum erſtenmahle an durch das ruhige Dorf zu läuten, Bauern und Bäue¬ rinnen waren in ihren Stuben, und beſorg¬ ten ämſig ihren feſtlichen Anzug. Man hör¬ te keinen Arbeiter, ein ſchöner heitrer Tag glänzte über die Dächer, die alten Weiden ſtanden ruhig am kleinen See, denn kein Wind rührte ſich. Franz gieng auf der Wieſe die hinter dem Kirchhofe lag auf und ab, er zog die ruhige heitre Luft in ſich, und ſtillentzückende Gedanken regierten ſei¬ nen Geiſt. Wenn er nach dem Walde ſah,128 empfand er eine ſeltſame Beklemmung; in manchen Augenblicken glaubte er, daß dieſer Tag für ihn ſehr merkwürdig ſeyn würde; dann verflog es wie eine ungewiſſe Ahndung aus ſeiner Seele, die zuweilen nächtlich um den Menſchen wandelt, und beim Schein des Morgens ſchnell entflieht. Es war jetzt nicht mehr ſein Gemählde das ihn beſchäf¬ tigte, ſondern etwas Fremdes das er ſelbſt nicht kannte.

So iſt die Seele des Künſtlers oft von wunderlichen Träumereyen befangen, denn jeder Gegenſtand der Natur, jede bewegte Blume, jede ziehende Wolke iſt ihm eine Erinnerung, oder ein Wink in die Zukunft. Heereszüge von Luftgeſtalten wandeln durch ſeinen Sinn hin und zurück, die bei den übrigen Menſchen keinen Eingang antreffen; beſonders iſt der Geiſt des Dichters ein ewig bewegter Strom, deſſen murmelnde Melo¬die129die in keinem Augenblicke ſchweigt, jeder Hauch rührt ihn an und läßt eine Spur zurück, jeder Lichtſtrahl ſpiegelt ſich ab, er bedarf der läſtigen Materie am wenigſten, und hängt am meiſten von ſich ſelber ab, er darf in Mondſchimmer und Abendröthe ſeine Bilder kleiden, und aus unſichtbaren Harfen niegehörte Töne locken, auf denen Engel und zarte Geiſter herniedergleiten, und jeden Hörer als Bruder grüßen, ohne daß ſich dieſer oft aus den himmliſchen Gru¬ ße vernimmt und nach irrdiſchen Geſchäften greift, um nur wieder bei ſich ſelber zu ſeyn. In jenen beklemmten Zuſtänden des Künſtlers liegt oft der Wink auf eine neue niebetretene Bahn, wenn er mit ſeinem Geiſte dem Liede folgt, das aus ungekann¬ ter Ferne herübertönt. Oft iſt jene Ängſt¬ lichkeit ein Vorgefühl der unendlichen Man¬ nigfaltigkeit der Kunſt, wenn der KünſtlerI130glaubt, Leiden, Unglück oder Freuden zu ahnden.

Jetzt hatte die Glocke zum letzenmahle geläutet, die Kirche war ſchon angefüllt, Sternbalds Mutter hatte ihren gewöhnli¬ chen Platz eingenommen. Franz ſtellte ſich in die Mitte der kleinen Kirche und das Orgelſpiel und der Geſang hub an; die Kirchthür Franzen gegen über war offen, und das Geſäuſel der Bäume tönte herein. Franz war in Andacht verlohren, der Ge¬ ſang zog wie mit Wogen durch die Kirche, die ernſten Töne der Orgel ſchwollen maje¬ ſtätiſch herauf, und ſprachen wie ein melo¬ diſcher Sturmwind auf die Hörer herab; aller Augen waren während des Geſanges nach dem neuen Bilde gerichtet. Franz ſah auch hin und erſtaunte über die Schönheit und rührende Bedeutſamkeit ſeiner Figuren, ſie waren nicht mehr die ſeinigen, ſondern131 er empfand eine Ehrfurcht, einen andächtigen Schauer vor dem Gemählde. Es ſchien ihm, als wenn ſich unter den Orgeltönen die Farbengebilde bewegten und ſprächen und mitſängen, als wenn die fernen Engel näher kämen, und jeden Zweifel, jede Ban¬ gigkeit mit ihren Strahlen aus dem Gemü¬ the hinwegleuchteten, er empfand eine un¬ ausſprechliche Wonne in dem Gedanken ein Chriſt zu ſeyn. Von dem Bilde glitt dann ſein Blick nach dem grünen Kirchhofe vor der Thüre hin, und es war ihm, als wenn Baum und Geſträuch außerhalb auch mit Frömmigkeit beteten, und unter der umar¬ menden Andacht ruhten. Aus den Gräbern ſchienen leiſe Stimmen der Abgeſchiedenen herauszuſingen, und mit Geiſterſtimme den ernſten Orgeltönen nachzueilen; die Bäume jenſeit des Kirchhofs ſtanden betrübt und einſam da und hoben ihre Zweige wie ge¬J 2132faltene Hände empor, und freundlich legten ſich durch die Fenſter die Sonnenſtrahlen weit in die Kirche hinein. Die unförmli¬ chen ſteinernen Bilder an der Mauer wa¬ ren nicht mehr ſtumm, die fliegenden Kin¬ der mit denen die Orgel verzieret war, ſchie¬ nen in lieber Unſchuld auf ihrer Leyer zu ſpielen, und den Herrn, den Schöpfer der Welt zu loben.

Sternbalds Gemüth ward mit unaus¬ ſprechlicher Seligkeit angefüllt, er empfand zum erſtenmahle den harmoniſchen Einklang aller ſeiner Kräfte und Gefühle, ihn ergriff und beſchirmte der Geiſt der die Welt re¬ giert und in Ordnung hält, er geſtand es ſich deutlich, wie die Andacht der höchſte und reinſte Kunſtgenuß ſey, deſſen unſre menſchliche Seele nur in ihren ſchönſten und erhabenſten Stunden fähig iſt. Die ganze Welt, die mannichfaltigſten Begebenheiten,133 Unglück und Glück, das Niedre und Hohe, alles ſchien ihm in dieſen Augenblicken zu¬ ſammenzufließen, und ſich ſelbſt nach einem kunſtmäßigen Ebenmaaße zu ordnen. Thrä¬ nen floſſen ihm aus den Augen, und er war mit ſich, mit der Welt, mit allem zu¬ frieden.

Schon in Nürnberg war es oft für Franz eine Erquickung geweſen, ſich aus dem Getümmel des Markts, und des ver¬ worrenen geräuſchvollem Lebens in eine ſtille Kirche zu retten; da hatte er oft ge¬ ſtanden, und die Pfeiler, das erhabne Chor betrachtet und das Gewühl vergeſſen, er hatte es immer empfunden wie dieſe heilige Einſamkeit auf jedes Gemüth gut wirken müſſe, aber noch nie hatte er dieſe reine, erhabne Entzückung genoſſen.

Die Orgel ſchwieg, und man vernahm aus der Ferne über die Wieſe her das134 Schnauben von Pferden und einen ſchnell¬ rollenden Wagen. Franz hob ſeine Augen auf; in demſelben Augenblick eilte das Fuhr¬ werk der Kirche vorüber, ein Rad fuhr ab, der Wagen fiel um, und ein alter Mann und ein junges Frauenzimmer ſtürtzten her¬ ab. Franz eilte ſogleich hinaus, das junge Mädchen hatte ſich ſchon aufgerichtet und war unbeſchädigt, der Mann ſchien vom Falle betäubt, erholte ſich aber bald. Franz war erſchrocken und ſehr geſchäftig die Fremden zu bedienen; der Fuhrmann richte¬ te indeſſen den Wagen wieder ein. Die Fremde betrachtete unſern Freund ſehr auf¬ merkſam, er ſchien mehr erſchrocken als ſie, er bat ſie, ſich erſt wieder zu erholen. Er wuſte nicht was er ſagen ſollte; die blauen Augen des Mädchens begegneten ihm, und er erröthete, der alte Mann war ſehr ſtill. Alles war wieder im Stande,135 und Franz ängſtigte ſich, daß ſie nun wie¬ der fortfahren würden; alle Drey gingen unter den nahen Bäumen auf und ab, und aus der Kirche tönte ihnen der Geſang ent¬ gegen. Endlich ſtiegen die Fremden wieder ein; der junge Mahler fühlte ſein Herz hef¬ tig klopfen, das ſchöne Mädchen dankte ihm noch einmahl, und nun fllog der Wa¬ gen fort. Er ſah ihnen nach ſo weit er konnte; ſchon wurde die Geſtalt undeutlich und er konnte vom Fuhrwerke nichts mehr unterſcheiden. Jetzt nahten ſie ſich einem[ fer¬ nen] Gebüſche, der Wagen verſchwand, er war wie betäubt.

Als er wieder zu ſich erwachte, ſah er im Graſe wo er geſtanden hatte, eine kleine zierliche Brieftaſche liegen. Er nahm ſie ſchnell auf, und entfernte ſich damit; es war kein Zweifel, daß ſie den Fremden gehören müſſe. Es war unmöglich dem Wagen136 nachzueilen, er hatte auch nicht gefragt, wo¬ hin ſie ſich wenden wollten, er wuſte den Na¬ men der Reiſenden nicht, und ob das Frauen¬ zimmer die Tochter oder die Gattinn des Mannes ſey. Alles dies beunruhigte ihn erſt jetzt, als er die Brieftaſche in ſeinen Händen hielt. Er mußte ſie behalten, und ſie war ihm theuer, er wagte es nicht ſie zu eröff¬ nen, ſondern eilte damit ſeinem geliebten Walde zu; hier ſetzte er ſich auf dem Pla¬ tze nieder der ihm ſo theuer war, hier mach¬ te er ſie mit zitternden Händen auf, und das erſte was ihm in die Augen fiel, war ein Gebinde wilder vertrockneter Blumen. Er blickte um ſich her, er beſann ſich, ob es Traum ſeyn könne, er konnte ſich nicht zurückhalten, er küßte die Blumen und weinte heftig, innerlich ertönte der Geſang des Waldhorns, den er in der Kindheit ge¬ hört hatte.

137

So biſt Du es geweſen mein Genius, mein ſchützender Engel? rief er aus: Du biſt mir wieder vorübergegangen und ich kann mich nicht finden, ich kann mich nicht zufrieden geben. Auf dieſem Platze hier ſind dieſe Blumen gewachſen, ſchon vierzehn Sommer ſind indeſſen über die Erde gegan¬ gen, und auf dieſem Platze halte ich das theure Geſchenk wieder in meinen Händen. O wann werd 'ich Dich wiederſehn? Kann es Zufall ſeyn, daß Du mir wieder begeg¬ net biſt?

Es giebt Stunden, in denen das Leben des Menſchen einen gewaltſamen ſchnellen Anlauf nimmt, wo die Blüthen plötzlich aufbrechen und alles ſich verändert in und um den Menſchen. Dieſer Tag war für Sternbald ein ſolcher; er konnte ſich gar nicht wieder erholen, er wünſchte nichts, und dürſtete doch nach den wunderbarſten138 Begebenheiten, er ſah über ſeine Zukunft wie über ein glänzendes Blumenfeld hin, und doch genügte ihm keine Freude, er war unzufrieden mit allem was da kommen konnte, und doch fühlte er ſich ſo überſelig.

Auſſerdem enthielt das Taſchenbuch nichts, woraus er den Namen oder den Aufenthalt ſeiner Geliebten hätte erfahren können. Auf der einen Seite ſtand:

« zu Antwerpen ein ſchönes Bild von Lu¬ kas von Leyden geſehn. » und dicht darunter:

« eben daſelbſt, ein unbeſchreib¬ lich ſchönes Crucifix vom gro¬ ßen Albert Dürer. »

Er küßte das Blatt zu wiederholtenmah¬ len, er konnte heut ſeine Empfindungen durchaus nicht bemeiſtern. Es war ihm zu ſeltſam und zu erfreulich, daß die Engels¬ geſtalt, die er ſo fernab im Traum ſeiner139 Kindheit geſehn hatte, jetzt ſeinen Dürer ver¬ ehrte den er ſo genau kannte, deſſen Schüler und Freund er war. Sein Schickſal ſchien ein wunderbares Konzert zu ſeyn, er konnte nicht genug darüber ſinnen, er konnte an dieſem Tage vor Entzücken nicht müde wer¬ den.

140

Achtes Kapitel.

Franz hatte ſeinem Sebaſtian dieſe Bege¬ benheiten geſchrieben die ihm ſo merkwürdig waren; es war nun die Zeit verfloſſen die er ſeinem Aufenthalte in ſeinem Geburtsor¬ te gewidmet hatte, und er beſuchte nun noch einmahl die Plätze, die ihm in ſeiner Kindheit ſo bekannt geworden waren; dann nahm er Abſchied von ſeiner Mutter.

Er war wieder auf dem Wege, und nach einiger Zeit ſchrieb er ſeinem Seba¬ ſtian folgenden Brief:

Liebſter Bruder!

Manchmal frage ich mich ſelbſt mit der größten Ungewißheit, was aus mir werden ſoll? bin ich nicht plötzlich ohne mein Zu¬ thun in ein recht ſeltſames Labyrinth ver¬141 wickelt? Meine Eltern ſind mir genommen, und ich weiß nun nicht wem ich angehöre, meine Freunde habe ich verlaſſen, jenen glänzenden Engel den ich nicht zu meinen Freunden rechnen darf, habe ich nur wie ein vorbeifliegendes Schattenbild wahrge¬ nommen. Warum treten mir dieſe Verwicke¬ lungen in den Weg, und warum darf ich nicht wie die übrigen Menſchen einen ganz einfachen Lebenslauf fortſetzen?

Ich glaube manchmal, und ſchäme mich dieſes Gedankens, daß mir meine Kunſt zu meinem Glücke nicht genügen dürfte, auch wenn ich endlich weiter und auf eine hohe Stufe gekommen ſeyn ſollte. Ich ſage nur Dir dieſes im Vertrauen, mein liebſter Se¬ baſtian, denn jeder Andre würde mir ant¬ worten: nun, warum legſt Du nicht Pallet¬ te und Pinſel weg, und ſuchſt durch ge¬ wöhnliche Thätigkeit den Menſchen nützlich142 zu werden und Dein Brod zu erwerben? Es kann ſeyn daß ich beſſer thäte, aber al¬ le dergleichen Gedanken fallen mir jetzt ſehr zur Laſt. Es iſt etwas trübſeliges darinn, daß das ganze große menſchliche Leben mit allen ſeinen unendlich ſcheinenden Verwickelungen durch den allerarmſeligſten Mechaniſmus umgetrieben wird; die kümmerliche Sorge für morgen ſetzt ſie alle in Bewegung, und die Meiſten dünken ſich noch was rechts zu ſeyn, wenn ſie dieſer Beweggrund in recht heftige und ängſtliche Thätigkeit ſetzt.

Ich weiß nicht wie Du dieſe Aeuſſerun¬ gen vielleicht anſehn wirſt, ich fühle es ſelbſt, wie nothwendig der Fleiß der Men¬ ſchen iſt, eben ſo, wie man ihn mit Recht edel nennen kann. Aber wenn alle Men¬ ſchen Künſtler wären, oder Kunſt verſtän¬ den, wenn ſie das reine Gemüth nicht be¬ flecken und im Gewühl des Lebens abäng¬143 ſtigen dürften, ſo wären doch gewiß Alle um vieles glücklicher. Dann hätten ſie die Freiheit und die Ruhe die wahrhaftig die größte Seligkeit ſind. Wie beglückt müßte ſich dann der Künſtler fühlen, der die rein¬ ſten Empfindungen dieſer Geſchöpfe darzu¬ ſtellen unternähme! dann würde es erſt möglich ſeyn, das Erhabene zu wagen, dann würde jener falſche Enthuſiasmus, der ſich an Kleinigkeiten und Spielwerk ſchließt, erſt eine Bahn finden, auf der er eine herr¬ liche Erſcheinung wandeln dürfte. Aber al¬ le Menſchen ſind ſo abgetrieben, ſo von Mühſeligkeiten, Neid, Eigennutz, Planen, Sorgen verfolgt, daß ſie gar nicht das Herz haben, die Kunſt und Poeſie, den Himmel und die Natur als etwas Göttliches anzu¬ ſehn. In ihre Bruſt kömmt ſelbſt die An¬ dacht nur mit Erdenſorgen vermiſcht, und indem ſie glauben klüger und beſſer zu wer¬144 den, vertauſchen ſie nur eine Jämmerlichkeit mit der andern.

Du ſiehſt, ich führe noch immer meine alten Klagen, und ich habe vielleicht ſehr Unrecht. Ich ſehe vielleicht alles anders an wenn ich älter werde, aber ich wünſche es nicht. Ach Sebaſtian, ich habe manch¬ mal eine unausſprechliche Furcht vor mir ſelber, ich empfinde meine Beſchränktheit, und doch kann ich es nicht wünſchen, dieſe Gefühle zu verlieren, die ſo mit meiner Seele verwebt ſcheinen, die vielleicht mein eigentlichſtes Selbſt ausmachen. Wenn ich daran denke daß ich mich ändern könnte, ſo iſt mir eben ſo als wenn Du ſterben ſoll¬ teſt.

Wenn ich nur wenigſtens mehr Stolz und Feſtigkeit hätte! denn ich muß doch vorwärts, und kann nicht immer ein weich¬ herziges Kind bleiben, wenn ich auch wollte. Ich145Ich glaube faſt, daß der Geiſt am leichte¬ ſten unterſin[kt]und verlohren geht, der ſich zu blöde und beſcheiden betrachtet, man muß mit kaltem Vertrauen zum Altar der Göttinn hinzutreten, und dreiſt eine von ihren Gaben fordern, ſonſt drängt ſich der Unwürdige vor, und trägt über den Beſſern den Sieg davon. Ich möchte manchmal darüber lachen, daß ich alles in der Welt ſo ernſthaft betrachte, daß ich ſo viel ſinne, wenn es doch nicht anders ſeyn kann, und mit Schwingen der Seele das zu ereilen trachte, wonach andre nur die Hand aus¬ ſtrecken. Denn wohin führt mich meine Lie¬ be, meine Verehrung der Künſtler und ih¬ rer Werke? Viele große Meiſter haben ſich vielleicht recht kaltblütig vor die Staffeley geſetzt, ſo wie auch gewöhnlich unſer Al¬ brecht arbeitet, und dann dem Werke ſeinenK146Lauf gelaſſen, überzeugt, daß es ſo werden müſſe wie es ihnen gut dünkt.

Meine Wanderung bringt oft wunderba¬ re Stimmungen in mir hervor. Jetzt bin ich in einem Dorfe, und ſehe den Nebel auf den fernen Bergen liegen: matte Schimmer bewegen ſich im Dunſte, und Wald und Berg tritt oft plötzlich aus dem Schleier hervor. Ich ſehe Wagen und Wandrer ih¬ re Straße forteilen, und ferne Thürme und Städte ſind das Ziel, wonach ſie in man¬ nichfaltiger Richtung ſtreben. Ich befinde mich mit unter dieſem Haufen, und die übrigen wiſſen nichts von mir, ſie gehn mir vorüber und ich kenne ſie nicht, jeder un¬ ſichtbare Geiſt wird von einem verſchiedenen Intereſſe beherrſcht, und jeder beneidet und be¬ mitleidet aufs Gerathewohl den andern. Ich denke mir nun alle die mannichfaltigen We¬ ge durch Wälder, über Berge, an Strömen147 vorüber, wie jeder Reiſende ſich umſieht, und in des andern Heimath ſich in der Fremde fühlt, wie jeder umherſchaut und nach dem Bruder ſeiner Seele ſucht, und ſo wenige ihn finden, und immer wieder durch Wälder und Städte, bergüber an Strömen vorbei weiter reiſen und ihn immer nicht finden. Viele ſuchen ſchon gar nicht mehr, und dieſe ſind die Unglücklichſten, denn ſie haben die Kunſt zu leben verlernt, da das Leben nur darin beſteht, immer wieder zu hoffen, immer zu ſuchen, der Augenblick, wo wir dies aufgeben, ſollte der Augenblick un¬ ſers Todes ſeyn. So iſt es auch vielleicht, und jene wahrhaft Elenden müſſen dann an der Zeit hinſterben und wiſſen und em¬ pfinden nicht, woran ſie das Leben ver¬ liehren.

Ich will daher immer ſuchen und erwar¬ ten, ich will meine Entzückung und Vereh¬K 2148rung der Herrlichkeit in meinem Buſen auf bewahren, weil dieſer ſchöne Wahnſinn das ſchönſte Leben iſt. Der Vernünftige wird mich immer als einen Berauſchten betrach¬ ten, und mancher wird mir vielleicht furcht¬ ſam oder auch verachtend aus dem Wege gehn. Welche Gegend ihr Blick wohl jetzt durchwandert! Ich ſchaue nach Oſten und Weſten um ſie zu entdecken, und ängſtige mich ab, daß ſie vielleicht in meiner Nähe iſt, und daß ich es nicht weiß. Nur einmahl ſehn, nur einmahl ſprechen möcht 'ich ſie noch, ich kann mein Verlangen darnach nicht mit Worten ausdrücken, und doch wüßt' ich ich nicht was ich ihr ſagen ſollte, wenn ich ſie plötzlich wiederfände. Ich kann es nicht ſagen was meine Empfindung iſt, und ich weiß nicht, ob Du nicht vielleicht über Dei¬ nen Freund lächelſt. Aber Du biſt zu gut, als daß Du über mich ſpotten ſollteſt, auch bin ich zu ehrlich gegen Dich.

149

Wenn ich an die reizenden Züge denke, an dieſe heilige Unſchuld ihrer Augen, dieſe zar¬ ten Wangen. wenigſtens möcht 'ich ein Gemälde, ein treues, einfaches der jetzigen Geſtalt beſitzen. Tod und Trennung ſind es nicht allein die wir zu bejammern ha¬ ben; ſollte man nicht jeden dieſer ſüßen Zü¬ ge, jede dieſer ſanften Linien beweinen, die die Zeit nach und nach vertilgt, der unge¬ ſchickte Künſtler der ſein Bild verdirbt, das er erſt ſo ſchön ausgearbeitet hatte. Ich ſehe ſie vielleicht nach vielen, vielen Jahren wieder, vielleicht auch nie. Es giebt ein Lied eines alten Minneſängers, ich weiß nicht, ob Du Dich deſſen noch erinnerſt.

Wohlauf und geh in den vielgrünen Wald,
Da ſteht der rothe friſche Morgen,
Entlade Dich der bangen Sorgen
Und ſing 'ein Lied das fröhlich durch die Zweige
ſchallt.
150
Es blitzt und funkelt Sonnenſchein
Wohl in das grüne Gebüſch hinein
Und munter zwitſchern die Vögelein.
Ach nein! ich geh nimmer zum vielgrünen Wald,
Das Lied der ſüßen Nachtigall ſchallt,
Und Thränen
Und Sehnen
Bewegt mir die bange, die ſtrebende Bruſt,
Im Walde, im Walde wohnt mir keine Luſt.
Denn Sonnenſchein
Und hüpfende Vögelein
Sind mir Marter und Pein.
Einſt fand ich den Frühling im grünenden Thal,
Da blühten und dufteten Roſen zumahl,
Durch Waldesgrüne
Erſchiene
Im Eichenforſt wild
Ein ſüßes Gebild.
Da blitzte Sonnenſchein,
Es ſangen Vögelein
Und riefen die Geliebte mein.
151
Sie ging mit Frühling Hand in Hand,
Die Weſte küßten ihr Gewand
Zu Füßen
Die ſüßen
Viol und Primeln hingekniet
Indem ſie ſtill vorüberzieht,
Da gingen ihr die Töne nach,
Da wurden alle Stimmen wach.
Mich traf ihr wunderſüßer Blick;
Woher? wohin du goldnes Glück?
Die Schöne,
Die Töne,
Die rauſchenden Bäume,
Wie goldne Träume!
Iſt dies noch der Eichengrund?
Grüßt mich dieſer ſüße Mund?
Bin ich todt, bin ich geſund?
Da ſchwanden mir die alten Sorgen
Und neue kehrten bei mir ein,
Ich traf die Maid an jedem Morgen,
152
Und ſchöner grünte ſtets der Hayn.
Lieb wie ſüße
Deine Küſſe!
Glänzendſchönſte Zier
Wohne ſtets bei mir,
Im vielgrünen Walde hier.
Ich ging hinaus im Morgenlicht
Da kam die ſüße Liebe nicht;
Vom Baum herab
Schrie laut ein Rab,
Da weint und klagt ich laut,
Doch nimmer kam die Braut,
Und Morgenſchein
Und Vögelein,
Nur Angſt und Pein.
Ich ſuchte ſie auf und ab, bergwärts, thalwärts,
Ich ſah manche fremde Ströme fließen,
Aber ach, mein liebend banges Herz
Nimmer fands die Gegenwart der ſüßen;
Einſam blieb der Wald
Da kam der Winter kalt,
153
Vöglein,
Sonnenſchein
Flohen aus dem Walde mein.
Ach ſchon viele Sommer fliegen nieder,
Oftmals der Zug der Vögel wieder,
Oft hat ſich der Wald in Grün gekleidt,
Niemals kam zurück die ſüße Maid.
Zeit! Zeit!
Warum trägſt Du ſo grauſamen Neid?
Ach! ſie kommt vielleicht auf fremden Wegen
Ungekannter weiſ 'mir bald entgegen,
Aber Jugend iſt von mir gewichen,
Ihre ſchönen Wangen ſind erblichen,
Kömmt ſie auch hinab zum Eichengrund
Kenn' ich ſie nicht mehr am rothen Mund.
O Leide
Fremd ſind wir uns beide!
Keiner kennt den andern
Im Wandern.
154
Wer Jüngling iſt, der wandle munter
Den Wald hinunter,
Wohl mags, daß ihm Treulieb 'entgegen ziehet
Dann blühet
Aus allen Knoſpen Frühling auf ihn ein:
Doch niemals treff ich die verlohrne Jugend mein,
Drum iſt mir Sonnenſchein
Die Nachtigall im Hayn
Nur Quaal und Pein.

Wie wahr finde ich den kindiſchen Aus¬ druck in dieſen Reimen! Vielleicht iſt für mich auch einſt der vielgrüne Wald ſo ab¬ geſtorben.

Oft möcht 'ich alles in Gedichten nieder¬ ſchreiben, und ich fühle es jetzt, wie die Dichter entſtanden ſind. Du vermagſt das Weſen was Dein innerſtes Herz bewegt, nicht anders auszuſprechen.

Ich habe neulich einen neuen Kupfer¬ ſtich von unſerm Albert geſehn, den er ſeit meiner Abweſenheit gemacht hat, denn die Zeichnung und alles war mir noch neu. Du155 wirſt ihn kennen, es iſt der leſende Einſied¬ ler. Wie ich da wieder unter Euch war! denn ich kannte die Stube, den Tiſch und die runden Scheiben gleich wieder, die Dü¬ rer auf dieſem Bilde von ſeiner eigenen Wohnung abgeſchrieben hat. Wie oft ha¬ be ich die runden Scheiben betrachtet, die der Sonnenſchein an der Täfelung oder an der Decke zeichnete; der Eremit ſitzt an Dü¬ rers Tiſch. Es iſt ſchön, daß unſer Meiſter in ſeiner frommen Vorliebe für das was ihn ſo nahe umgiebt, der Nachwelt ein Kon¬ terfey von ſeinem Zimmer gegeben hat, wo doch alles ſo bedeutend iſt, und jeder Zug Andacht und Einſamkeit ausdrückt.

Ich gehe auf meine Wege oft in die kleinen Kapellen hinein und verweile mich dabei, die Gemählde und Zeichnungen zu betrachten. Ob es meine Unerfahrenheit, oder meine Vorliebe für das Alter macht,156 ich ſehe ſelten ein ganz ſchlechtes Bild; ehe ich die Fehler entdecke, ſehe ich immer die Vorzüge an jedem. Ich habe gemeiniglich bei jungen Künſtlern die entgegengeſetzte Gemüthsart gefunden, und ſie wiſſen ſich immer recht viel mit ihrem Tadel. Ich ha¬ be oft eine fromme Ehrfurcht vor unſern treuherzigen Vorfahren, die zuweilen recht ſchöne und erhabene Gedanken mit ſo weni¬ gen Umſtänden ausgedrückt haben.

Ich will meinen Brief ſchließen. Möge der Himmel Dich und meinen theuren Al¬ bert geſund erhalten! Dieſer Brief dürfte ſei¬ nem ernſten Sinne ſchwerlich gefallen. Laß mich bald Nachrichten von Dir und von allen Bekannten hören.

In der Ferne geht die Liebe
Ungekannt durch Nacht und Schatten,
Ach! wozu, daß ich hier bliebe
Auf den vaterländſchen Matten?
157
Wie mit ſüßen Flötenſtimmen
Rufen alle goldnen Sterne:
Weit muß manche Woge ſchwimmen,
Deine Lieb 'iſt in der Ferne.
Jenes Bild vor dem Du knieteſt,
Dich ihm ganz zu eigen gybſt,
Ihm mit allen Sinnen glühteſt,
An dem Schatten Dich erlabſt
Was Dein Geiſt als Zukunft dachte,
Dein Entzücken Kunſt genannt,
Was als Morgenroth Dir lachte,
Immer ſich Dir abgewandt:
Sie nur iſt es, dein Verzagen
Hat ſie fort von Dir geſcheucht,
Willſt Du es nur männlich wagen,
Wird das[Ziel] noch einſt erreicht.
Alle Ketten ſind geſprungen,
Frei ſind alle Geiſter dann,
Jeder Knechtſchaft kühn entſchwungen
In dem Wolluſtocean.
158
Rückwärts flieht das zage Bangen,
Und die Muſe reicht die Hand,
Führet ſicher das Verlangen
In der Gotter Himmelsland.
O wer darf mit Kunſt und Liebe
Von den Sterblichen ſich meſſen?
Groß im ſcheuvermählten Triebe
Wird der Künſtler nie vergeſſen.

Dieſe ungeſchickten Zeilen habe ich ge¬ ſtern in einem angenehmen Walde gedichtet; meine ganze Seele war darauf hingewandt, und ich bin nicht erröthet, ſie Dir, Sebaſtian, niederzuſchreiben; denn warum ſollte ich Dir einen Gedanken meiner Seele verheimli¬ chen? Lebe wohl.

[159]

Zweites Buch.

[160][161]

Erſtes Capitel.

Wie gern wandelt mein Geiſt in jener gu¬ ten alten Zeit, und beſucht ihre Künſtler und Helden, die jetzt zum Theil vergeſſen ſind! Wie gern höre und leſe ich von Euch ihr Meiſter, die ihr damals die Niederlän¬ diſche Kunſt berühmt machtet, Lukas von Leyden, Engelbrecht, Johann von Mabuſe, und den übrigen, mit welcher Freude habe ich immer Eure Werke betrachtet, vor de¬ nen die meiſten vorübergehn! Wird der Geiſt des Leſers mir auch willig in jene Zeiten folgen, die ich mit kindlicher Vorlie¬ be betrete? Werdet Ihr Euch gern von der jetzigen Welt trennen, die ſo nahe um Euch liegt, und in der dem Menſchen auch dasL162Kleinſte leicht wichtig wird? Könnte ich doch Allen die liebende Empfindung mittheilen die mir die Feder in die Hand giebt, die mich ſo oft die alten Bücher aufſchlagen läßt, die meinen Blick vor jenen geliebten Bildniſſen feſt hält, ſo daß ſich jeder Zug und jede Mine dieſer alten Meiſter meinem Gedächt¬ niſſe einprägt! Aber ich will mit keinem hndern der zu ungeduldig dieſe Blätter ver¬ läßt, und lieber ſeinen Sinn neuen Bege¬ benheiten hingiebt, die ihn faſt noch berüh¬ ren. Ich widme dieſe kleine unbedeutende Geſchichte jenen jungen Seelen, die ihre Lie¬ be noch mit ſich ſelber beſchäftigen, und ſich noch nicht dem Strome der Weltbegebenhei¬ ten hingegeben haben, die ſich noch mit In¬ nigkeit an den Geſtalten ihrer innern Phan¬ taſie ergötzen, und ungern durch die wirkli¬ che Welt in ihren Träumen geſtört werden. Wenn Ihr, die ich meine, von d〈…〉〈…〉 Kunſt163 entzückt werdet, wenn Ihr einen Trieb in Euch ſpüret, der Euer Herz den großen Meiſterwerken oder den Helden der Vorzeit entgegendrängt, wenn Ihr Euer Vaterland liebt, und nicht mit voreiligem Enthuſiaſmus, aus Vorſatz zu gut zu ſeyn, Eure Brüder verdammt, die es anders meinen, wenn Ihr Euren Geiſt von großſcheinenden Gegenſtän¬ den zurückziehen, und auch Kleinigkeiten mit Liebe betrachten könnt, ſo habe ich für Euch geſchrieben. Dann rede ich Euch in Gedan¬ ken an, dann glaube ich von Euch daß Ihr mich verſteht, und daß Euch jener Dünkel fremd iſt, der ſich ſo gern über die größten Geiſter die die menſchliche Natur gebohren hat, hinausſchwingt. Euch iſt mein ganzes Buch geweiht und ich tröſte mich damit, daß ich glaube, daß Ihr irgendwo ſeid, und mir gerne zuhört.

Es war gegen Mittag als Franz Stern¬L 2164bald auf dem freien Felde unter einem Baume ſaß und die große Stadt Leyden be¬ trachtete, die vor ihm lag. Er war an die¬ ſem Tage ſchon früh ausgewandert, um ſie noch zeitig zu erreichen; jetzt ruhte er aus, und es war ihm wunderbar, daß nun die Stadt, die weltberühmte, mit ihren hohen Thürmen wie ein Bild vor ihm ſtand, die er ſonſt ſchon öfter im Bilde geſehn hatte. Er kam ſich jetzt vor als eine von den Figuren die immer in den Vordergrund eines ſolchen Proſpektes geſtellt werden, und er ſah ſich nun ſelber gezeichnet oder gemahlt da lie¬ gen unter ſeinem Baume, und die Augen nach der Stadt vor ihm wenden. Sein gan¬ zes Leben erſchien ihm überhaupt oft als ein Traumgeſicht, und er hatte dann einige Mühe ſich von den Gegenſtänden die ihn umgaben wirklich zu überzeugen. Da er gan¬ ze Bilder, Verſammlungen mit allen ihren165 Menſchen getreu und lebhaft in ſeiner Phanta¬ ſie aufbewahren und ſie dann von neuem vor ſich hinſtellen konnte, ſo war er in manchen Augenblicken ungewiß, ob alles was ihn um¬ gab, nicht auch vielleicht eine Schöpfung ſeiner Einbildung ſey.

Er hielt ſeine Schreibtafel in ſeiner Hand, und vor ihm im Graſe lag die frem¬ de gefundene. Er hatte den Umriß eines Kopfes entworfen, den er eben wieder aus¬ ſtrich, weil ihm keine Ähnlichkeit darinn zu liegen ſchien; es ſollte das Geſicht des frem¬ den Mädchens vorſtellen, die ſeine Phanta¬ ſie unaufhörlich beſchäftigte. Er rief ſich dabei jeden Umſtand, jedes Wort das ſie geſprochen hatte, in die Gedanken zurück, er ſah alle die lieblichen Minen, den ſü߬ lächenden Mund, die unausſprechliche Gra¬ zie jeder Bewegung, alles dies zog wieder durch ſein Gedächtniß, und er fühlte ſich166 darüber ſo entfremdet, ſo entfernt von ihr, ſo auf ewig geſchieden, daß ihm der helle Tag, das funkelnde Gras, die klaren Waſ¬ ſer trübe und melancholiſch wurden; ihm blühten und dufteten nur die wenigen ver¬ welkten Blumen, die er mit ſüßer Zärtlich¬ keit betrachtete; dann lehnte er ſich an den Stamm des Baums der mit ſeinen Zweigen und Blättern über ihm rauſchte und liſpelte, als wenn er ihm Troſt zuſprechen möchte, als wenn er ihm dunkle Prophezeihungen von der Zukunft ſagen wollte. Franz hörte aufmerkſam hin als wenn er die Töne ver¬ ſtände; denn die Natur redet uns mit ihren Klängen zwar in einer fremden Sprache an, aber wir fühlen doch die Bedeutſam¬ keit ihrer Worte, und merken gern auf ihre wunderbaren Accente.

Er hörte auf zu zeichnen, da ihm keiner ſeiner Striche Ausdruck und Würde genug167 hatte, er betrachtete wieder die Thürme der Stadt, auf deren Schieferdächern die Sonne hell glänzte. So werde ich jetzt Deine Straßen betreten, ſagte er zu ſich ſelber, ſo werde ich den großen Lukas ſehn dürfen, von dem mir Albrecht Dürer mit ſo vieler Liebe geſprochen hat, der ſchon als Kind ein Künſtler war, deſſen Namen man ſchon in ſeinem ſechzehnten Jahre kannte. Ich werde ihn ſprechen hören und von ihm ler¬ nen, ich werde ſeine neuſten Werke ſehn, ich werde ihm ſagen können wie ich ihn be¬ wundre; wenn ich mich nur nicht ſchämen dürfte, ihm unter die Augen zu treten! Dennoch habe ich nichts gethan, noch darf ich mich ihm nicht als Künſtler nennen, ich bin noch nichts, und ich ſchäme mich vor je¬ dem treflichen Manne.

Er ſtand eilig auf und näherte ſich mit ſchnellen Schritten der Stadt; ſchon ſtand168 er nahe vor dem Thore, und ſah die Leute aus und eingehn, als er das fremde Ta¬ ſchenbuch vermißte, und merkte, daß er es beim Aufſtehn unter dem Baume hatte lie¬ gen laſſen; er erſchrak heftig, und ging mit noch ſchnellern Schritten zurück. Der Baum war ſo weit entfernt, daß er ihn jetzt nicht mit den Augen wiederfinden konn¬ te, er lief ſich auſſer Athem. Endlich ent¬ deckte er ihn wieder ganz in der Ferne, aber zugleich bemerkte er zwei Wandersleu¬ te die nach derſelben Stelle zu gehen ſchie¬ nen. Seine Angſt, daß ſie den Baum frü¬ her als er erreichen möchten, iſt nicht zu be¬ ſchreiben, er war überzeugt daß ſie ihm das Taſchenbuch nimmermehr zurückgeben wür¬ den wenn ſie es finden ſollten. Endlich kam er an; die Schreibtafel lag noch im Graſe, er hob ſie eilig auf, und warf ſich nieder unter den Baum, indem er ſie betrachtete169 und küßte; die Wandrer gingen vorbei ohne nach ihm umzuſehn. Franz fühlte ſein Herz heftig ſchlagen, der Schweiß floß ihm die Stirn hinab, er war ſo froh als wenn er die Tafel erſt jetzt zum erſtenmahl gefunden hätte; es rührte ihn innig, daß ſie beinah für ihn verlohren geweſen ſey. Die beiden Wandrer waren ihm jetzt beinahe ſchon aus den Augen verſchwunden, er beſchloß nun unter dieſem Baume, der ihm ſo lieb ge¬ worden war, zu ruhen, bis die Mittagshitze vorüber ſeyn würde.

Ohne daß er bemerkte ſchlief er nach und nach ein; die Stille, das liebliche Ge¬ räuſch der Blätter, ein Gewäſſer in der Entfernung, luden ihn dazu. Er hörte alles noch leiſe in ſeinen Schlummer hinein, und ihm dünkte als wenn er über eine Wie¬ ſe ginge auf der fremde Blumen ſtanden, die er bis dahin noch nie geſehn hatte. Unter170 den Blumen waren auch die Feldblumen ge¬ wachſen die er bei ſich trug, aber ſie waren nun wieder friſch geworden, und verdunkel¬ ten an Farbe und Glanz alle übrigen. Franz grämte ſich bei aller ihrer Schönheit, und wollte ſie wieder pflücken, als er am Ende der Wieſe, in einer Laube ſitzend, ſei¬ nen Lehrer Albert Dürer wahrnahm, der nach ihm ſah und ihm zu winken ſchien. Er ging ſchnell hinzu, und als er näher kam, bemerkte er deutlich, daß Albrecht ämſig an einem Gemählde arbeitete, es war der Kopf der Fremden, das Geſicht war zum Sprechen ähnlich. Franz wußte nicht was er zu ſeinem Lehrer ſagen ſollte, ſeine Augen waren auf das Gemählde hingehef¬ tet, und es war ihm, als wenn es über ſeine Verlegenheit und Aufmerkſamkeit zu lächeln anfinge. Indem er noch darüber nachdachte, war er in einem dunkeln Wal¬171 de und alles übrige war verſchwunden; lieb¬ liche Stimmen riefen ihn bei ſeinem Namen, aber er konnte ſich aus dem Gebüſche nicht herausfinden, der Wald ward immer grüner und immer dunkler, aber Sebaſtians Stim¬ me und die Stimme der Fremden wurden immer deutlicher, ſie riefen ihn mit Ängſt¬ lichkeit, als wenn er ſich in einer Gefahr befände. Er fürchtete ſich, und die dichten Bäume und Gebüſche kamen ihm entſetzlich vor, er zagte weiter zu gehn, er wünſchte das freie helle Feld wieder anzutreffen. Nun war es Mondſchein. Wie vom Schimmer erregt, klang von allen ſilbernen Wipfeln ein ſüßes Getöne nieder; da war alle Furcht verſchwunden, der Wald brannte ſanft im ſchönſten Glanze, und Nachtigallen wurden wach, und flogen dicht an ihm vorüber, dann ſangen ſie mit ſüßer Kehle, und blie¬ ben immer im Tackte mit der Muſik des172 Mondſcheins. Franz fühlte ſein Herz ge¬ öffnet, als er in einer Klauſe im Felſen einen Waldbruder wahrnahm, der andäch¬ tig die Augen zum Himmel aufhob und die Hände faltete. Franz trat näher: Hörſt Du nicht die liebliche Orgel der Natur ſpie¬ len? ſagte der Einſiedel, bete wie ich thue. Franz war von dem Anblicke hingeriſſen, aber er ſah nun Tafel und Pallette vor ſich und mahlte unbemerkt den Eremiten, ſeine Andacht, den Wald mit ſeinem Mondſchim¬ mer, ja es gelang ihm ſogar, und er konn¬ te nicht begreifen wie es kam, die Töne der Nachtigall in ſein Gemählde hineinzubrin¬ gen. Er hatte noch nie eine ſolche Freude empfunden, und er nahm ſich vor, wenn das Bild fertig ſey, ſogleich damit zu Dürer zu¬ rückzureiſen, damit dieſer es ſehn und beur¬ theilen möge. Aber in einem Augenblicke verließ ihn die Luſt weiter zu mahlen, die173 Farben erloſchen unter ſeinen Fingern, ein Froſt überfiel ihn, und er wünſchte den Wald zu verlaſſen.

Franz erwachte mit einer unangenehmen Empfindung, es war einer der letzten war¬ men Tage im Herbſt geweſen, jetzt ging die Sonne in dunkelrothen Wolken hinter der Stadt unter, und ein kalter Herbſtwind ſtrich über die Wieſe. Franz ging wieder nach der Stadt, ſein Traum lag ihm ſtets in den Gedanken, er ſah noch immer den ſchönen mondglänzenden Wald, den Eremiten, und die Stimmen ſeiner Freunde tönten noch immer in ſeinen Ohren. Das Gedränge am Thore war groß, denn jedermann eilte nun aus den Feldern, und von den benach¬ barten Dörfern zur Stadt zurück, er beo¬ bachtete die mannichfaltigen Geſichter, er hörte einzelne abgeriſſene Geſpräche und Namen nennen, deren kurze Geſchichte er174 durch die Sprechenden erfuhr. Nun war er in der Stadt; er empfand es ſeltſam, nun wieder an einem fremden großen Orte, unter ſo vielen ihm ganz unbekannten Men¬ ſchen zu ſeyn, er ſchweifte hin und wie¬ der; der Mond ſtand am hellen Himmel und ſchien auf die Dächer der Kirchen und auf die freien Plätze; endlich kehrte er in eine Herberge ein.

Franz fühlte ſich müde und darum ging er bald zu Bette, aber er konnte noch lan¬ ge nicht einſchlafen. Die Scheibe des Mon¬ des ſtand ſeinem Kammerfenſter gerade ge¬ gen über, er betrachtete ihn mit ſehnſüchti¬ gen Augen, er ſuchte auf dem glänzenden Runde, und in ſeinen Flecken Berge und Wälder; bald ſchien er erhabene Thürme zu entdecken, bald die See mit ihren ſegelnden Schiffen; ach dort! dort! rief eine innerliche Stimme ſeiner Bruſt, iſt die Heimath aller175 unſrer Wünſche, dort iſt die Liebe zu Hau¬ ſe, dort wohnt das Glück, von da herab ſcheint es auf uns nieder, und ſieht uns wehmüthig an, daß wir noch hier ſind.

Er verſchloß ſein Auge, da erſchien ihm die Fremde mit allen ihren Reizen, ſie wink¬ te ihm, und vor ihm lag ein ſchöner dunk¬ ler Lindengang welcher blühte, und den ſü¬ ßeſten Duft verbreitete. Sie ging hinein, er folgte ihr ſchüchtern nach, er gab ihr die Blumen zurück, und erzählte ihr wer er ſey. Da umfing ſie ihn mit ihren zarten Armen, da kam der Mond mit ſeinem Glanze näher, und ſchien ihnen beiden hell ins Angeſicht, ſie geſtanden ſich ihre Liebe, ſie waren un¬ ausſprechlich glücklich. Dieſen Traum ſetz¬ te Franz fort, die frühſten Erinnerungen aus ſeinen Kinderjahren kamen zurück, alle ſchönen Empfindungen die er einſt gekannt hatte, zogen wieder an ihm vorbei und be¬176 grüßten ihn. So iſt der Schlaf oft ein Ausruhn in einer ſchönern Welt; wenn die Seele ſich von dieſem Schauplatze hinweg¬ wendet, ſo eilt ſie nach jenem unbekann¬ ten magiſchen, auf welchem liebliche Lichter ſpielen, und kein Leiden erſcheinen darf; dann dehnt der Geiſt ſeine großen Flügel auseinander und fühlt ſeine himmliſche Frei¬ heit, die Unbegränztheit die ihn nirgends beengt und quält. Beim Erwachen ſehn wir oft zu voreilig mit Verachtung auf die¬ ſes ſchönere Daſeyn hin, weil wir unſre Träume nicht in unſer Tagesleben hineinwe¬ ben können, weil ſie nicht da fortgefahren ſind wo unſre Menſchenthätigkeit am Abend aufhörte, ſondern ihre eigene Bahn wan¬ delten.

Am Morgen erkundigte ſich Franz mit glühendem Geſichte nach der Wohnung des berühmten Lukas von Leyden. Man be¬zeich¬177nete ihm die Straße und das Haus, und er ging mit hochſchlagendem Herzen hin. Er ward in ein anſehnliches Haus geführt, und eine Magd ſagte ihm, daß der Herr ſich ſchon in ſeiner Mahlerſtube befinde und arbeite. Franz bat, daß man ihn hinein¬ führen möchte. Die Thür öffnete ſich, und Franz ſah einen kleinen, freundlichen, ziem¬ lich jungen Mann vor einem Gemählde ſiz¬ zen, an dem er fleißig arbeitete, um ihn her ſtanden und hingen vielerlei Schilde¬ reien, einige Farbenkaſten, Zeichnungen und Anatomien, aber alles in der beſten Ord¬ nung. Der Mahler ſtand auf und ging Franzen entgegen, der Schüler war jetzt mit ſeinen Augen dem Geſicht des berühm¬ ten Meiſters gegen über, und vermochte in der erſten Verwirrung kein Wort hervor¬ zubringen. Endlich faßte er ſich, und nann¬ te ſeinen Namen und den Namen ſeines Leh¬M178rers. Lukas hieß ihn von Herzen willkom¬ men, und beide ſetzten ſich nun in der Werkſtatt nieder, und Franz erzählte ganz kurz ſeine Reiſe, und ſprach von einigen merkwürdigen Gemählden die er unterwegs angetroffen hatte. Er beſchaute während dem Sprechen aufmerkſam das Bild, an welchem Lukas eben arbeitete; es war eine heilige Familie, und er traf darinnen vieles von einigen Dürerſchen Arbeiten an, denſel¬ ben Fleiß, dieſelbe Genauigkeit im Ausmah¬ len, nun ſchien ihm an Lukas Bildern Dü¬ rers ſtrenge Zeichnung zu fehlen, ihm dünk¬ te, als wären die Umriſſe weniger dreiſt und ſicher gezogen, dagegen hatte Lukas etwas Liebliches und Anmuthiges in den Wendungen ſeiner Geſtalten, ja auch in ſeiner Färbung, das dem Dürer mangelte. Dem Geiſte nach, glaubte er, müſten ſich dieſe beiden großen Künſtler ſehr nahe ver¬179 wandt ſeyn, er ſah hier dieſelbe Simplici¬ tät in der Zuſammenſetzung, dieſelbe Ver¬ ſchmähung unnützer Nebenwerke, die rüh¬ rende und ächt deutſche Behandlung der Geſichter und Leidenſchaften, daſſelbe Stre¬ ben nach Wahrheit.

Lukas war in ſeinem Geſpräche ein mun¬ trer, fröhlicher Mann, ſeine Augen waren ſehr lebhaft, und ſeine ſchnellveränderlichen Minen begleiteten und erklärten jedes ſeiner Worte. Franz konnte ihn noch immer nicht genug betrachten, denn in ſeiner Einbildung hatte er ſich ihn ganz anders gedacht, er hatte einen großen, ſtarken, ernſthaften Mann erwartet, und nun ſah er eine klei¬ ne, ſehr behende, aber faſt kränkliche Figur vor ſich, deſſen Reden alle das Gepräge ei¬ nes luſtigen freien Gemüthes trugen.

Es freut mich ungemein Euch kennen zu lernen, rief Lukas mit ſeiner LebhaftigkeitM 2180aus, aber vor allen Dingen wünſchte ich einmahl Euren Meiſter zu ſehen, ich wüßte nichts Erfreulichers das mir begegnen könn¬ te, als wenn er ſo wie Ihr heut thatet, in meine Werkſtatt hereinträte; bin auch auf keinen andern Menſchen in der Welt ſo neugierig als auf ihn, denn ich halte ihn für den größten Künſtler den die Zeiten hervorgebracht haben. Er iſt wohl ſehr fleißig?

Er arbeitet faſt immer, antwortete Franz, und er kennt auch kein größeres Vergnügen als ſeine Arbeit. Seine Ämſigkeit geht ſo weit, daß er dadurch ſo gar manchmal ſei¬ ner Geſundheit Schaden thut.

Ich will es gern glauben, antwortete Lu¬ kas, es zeugen ſeine Kupferſtiche von einer faſt unbegreiflichen Sorgfalt, und doch hat er davon ſchon ſo viele ausgehn laſſen! Man kann nichts Sauberers ſehn als ſeine181 Arbeit, und doch leidet unter dieſem Fleiße die Wahrheit und der eigentliche Ausdruck ſeiner Darſtellungen niemals, ſo daß ſeine Ämſigkeit nicht bloß zufällige Zier, ſondern Weſen und Sache ſelbſt iſt. Und dann be¬ greife ich kaum die mannichfaltigen Arten ſeiner Arbeiten, von den kleinſten und fein¬ ſten Gemählden bis zu den lebensgroßen Bildern, dann ſeine Holzſtiche, ſeine Ku¬ pferarbeiten, ſeine ſaubern Figuren die er auf Holz in erhabener Arbeit geſchnitten, und die ſo leicht ſo zierlich ſind, daß man trotz ih¬ rer Vollendung die Arbeit ganz daran ver¬ gißt, und gar nicht an die vielen mühſeligen Stunden denkt, die der Künſtler darüber zugebracht haben muß. Wahrlich Albert iſt ein äußerſt wunderbarer Mann, und ich halte den Schüler für ſehr glücklich, dem es vergönnt iſt, unter ſeinen Augen ſeine er¬ ſte Laufbahn zu eröffnen.

182

Franz war immer gerührt, wenn von ſei¬ nem Lehrer die Rede war; aber das Lob, dieſe Verehrung ſeines Meiſters aus dem Munde eines andern großen Künſtlers ſetz¬ te ſein Herz in die gewalſamſte Bewegung. Er drückte Lukas Hand, und ſagte mit Thränen: Glaubt mir, Meiſter, ich habe mich vom erſten Tage glücklich geſchätzt, da ich Dürers Haus betrat.

Es iſt eine ſeltſame Sache mit dem Flei¬ ße, fuhr Lukas fort, ſo treibt es auch mich Tag und Nacht zur Arbeit, ſo daß mich manchmal jede Stunde, ja jede Minute ge¬ reut, die ich nicht in dieſer Stube zubringen darf. Von Jugend auf iſt es ſo mit mir geweſen, und ich habe auch nie an Spielen, Erzählungen, oder dergleichen zeitvertreiben¬ den Dingen Gefallen gefunden. Ein neues Bild liegt mir manchmal ſo ſehr im Sinne, daß ich davor nicht ſchlafen kann. Ich183 weiß mir auch keine größere Freude, als wenn ich nun endlich ein Gemählde, an dem ich lange arbeitete, zu Stande gebracht habe, wenn nun alles fertig geworden iſt, was mir bis dahin nur in den Gedanken ruhte, wenn man nun zugleich mit jedem Bilde merkt, wie die Hand geübter und dreiſter wird, wie nach und nach alles das von ſelbſt ſich einſtellt, was man anfangs mit Mühe erringen und erkämpfen mußte. O mein lieber Sternbald, ich könnte manch¬ mal Stundenlang davon ſchwatzen, wie ich nach und nach ein Mahler geworden bin, und wie ich noch hoffe, mit jedem Tage weiter zu kommen.

Ihr ſeid ein ſehr glücklicher Mann, ant¬ wortete Franz. Wohl dem Künſtler der ſich ſeines Werths bewußt iſt, der mit Zuver¬ ſicht an ſein Werk gehn darf, und es ſchon gewohnt iſt daß ihm die Elemente gehor¬184 chen. Ach mein lieber Meiſter, ich kann es Euch nicht ſagen. Ihr könnt es vielleicht kaum faſſen, welchen Drang ich zu unſrer edlen Kunſt empfinde, wie es meinen Geiſt unaufhörlich antreibt, wie alles in der Welt, die ſeltſamſten und fremdeſten Gegenſtände ſogar nur von der Malerey zu mir ſpre¬ chen; aber je höher meine Begeiſterung ſteigt, je tiefer ſinkt auch mein Muth, wenn ich irgend einmahl an die Ausführung gehn will. Es iſt nicht, daß ich die Übung und den wiederholten Fleiß ſcheue, daß es ein Stolz in mir iſt, gleich das Vortreflichſte hervorzubringen das keinen Tadel mehr zu¬ laſſen dürfte, ſondern es iſt eine Angſt, eine Scheu, ja ich möchte es wohl eine Anbe¬ tung nennen, beides der Kunſt und des Ge¬ genſtandes, den ich darzuſtellen unternehme.

Ihr erlaubt mir wohl, ſagte Lukas, in¬ dem wir ſprechen, an meinem Bilde weiter185 zu mahlen. Und wirklich zog er auch die Staffeley herbei und vermiſchte die Farben auf der Pallette die er auftragen wollte. Wenn ich Euch mit meinem Geſchwätze nur nicht ſtöhre, ſagte Franz, denn dieſe Arbeit da iſt äußerſt kunſtreich Gar nicht, ſag¬ te Lukas, thut mir den Gefallen und fahrt fort.

Wenn ich mir alſo, ſagte Franz, eine der Thaten unſers Erlöſers in ihrer ganzen Herrlichkeit denke, wenn ich die Apoſtel, die Verehrungswürdigen vor mir ſehe, die ihn umgaben, ſeine göttliche Milde mit der er lehrt und ſpricht; wenn ich mir einen der hei¬ ligen Männer aus der erſten chriſtlichen Kir¬ che denke, die mit ſo kühnem Muthe das Leben und ſeine Freuden verachteten, und alles hingeben was den übrigen Menſchen ſo vie¬ le Sehnſucht, ſo manche Wünſche ablockt, um nur das innerſte Bekenntniß ihres Her¬186 zens, das Bewußtſeyn der großen Wahrheit ſich zu behaupten, und Andern mitzuthei¬ len; wenn ich dann dieſe erhabenen Ge¬ ſtalten in ihrer himmliſchen Glorie vor mir ſehe, und nun noch bedenke, daß es einzel¬ nen Auserwählten gegönnt iſt, daß ſich ih¬ nen das volle Gefühl, daß ſich ihnen jene Helden und der Sohn Gottes in eigenthüm¬ lichern Geſtalten und Farben als den übri¬ gen Menſchen offenbaren, und daß ſie durch das Werk ihrer Hände ſchwächern Geiſtern dieſe Offenbahrungen wieder mittheilen dür¬ fen; wenn ich mich meiner Entzückungen vor herrlichen Gemählden erinnere, ſeht, ſo ent¬ ſchwindet mir dann aller Muth, ſo wage ich es nicht, mich jenen auserwählten Gei¬ ſtern zuzurechnen und ſtatt zu arbeiten, ſtatt fleißig zu ſeyn, verliere ich mich in ein leeres unthätiges Staunen.

Ihr ſeid brav, ſagte Meiſter Lukas, oh¬187 ne von ſeinem Bilde aufzuſehn, aber das wird ſich fügen, daß Ihr auch Muth be¬ kommet.

Schon mein Lehrer, fuhr Franz fort, hat mich deshalb getadelt, aber ich habe mir niemals helfen können, ich bin von Kindheit auf ſo geweſen. Aber ſo lange ich in Nürn¬ berg war, in der Gegenwart des theuren Albrecht, bei meinem Freunde, und von al¬ le dem bekannten Geräthe umgeben, konn¬ te ich mich doch immer noch etwas aufrecht erhalten. Ich lernte mich aus Gewohnheit ein, den Pinſel zu führen; ich fühlte wie ich nach und nach etwas weiter kam, weil es immer derſelbe Ort war den ich wieder be¬ trat, weil dieſelben Menſchen mich aufmun¬ terten, und weil ich nun auf einer gebahn¬ ten Straße gerade ausging, ohne mich wei¬ ter rechts oder links umzuſehn. Freilich durfte ich keine neue Erzählung hören, kei¬188 nen neuen verſtändigen Mann kennen ler¬ nen ohne etwas irre zu werden, doch fand ich mich bald wieder zurecht. Aber ſeit mei¬ ner Abreiſe aus Nürnberg hat ſich alles das geändert. Meine innerlichen Bilder vermeh¬ ren ſich bei jedem Schritte den ich thue, je¬ der Baum, jede Landſchaft, jeder Wanders¬ mann, Aufgang der Sonne und Untergang, die Kirchen die ich beſuche, jeder Geſang den ich höre, alles wirkt mit quälender und ſchöner Geſchäftigkeit in meinem Buſen, und bald möcht 'ich Landſchaften, bald heilige Ge¬ ſchichten, bald einzelne Geſtalten darſtellen, die Farben genügen mir nun nicht, die Ab¬ wechſelung iſt mir nicht mannichfaltig ge¬ nug, ich fühle das Edle in den Werken an¬ drer Meiſter, aber mein Gemüth iſt nun¬ mehr ſo verwirrt, daß ich mich durchaus nicht unterſtehen darf, ſelber an die Arbeit zu gehn.

189

Lukas hielt eine Weile mit Mahlen in¬ ne und betrachtete Sternbald ſehr aufmerk¬ ſam, der ſich durch Reden erhitzt hatte, dann ſagte er: Lieber Freund, ich glaube daß Ihr ſo auf einem ganz unrechten We¬ ge ſeid. Ich kann mir Eure Verfaſſung wohl ſo ziemlich vorſtellen, aber ich bin nie¬ mals in ſolcher Gemüthsſtimmung gewe¬ ſen. Von der frühſten Jugend habe ich ei¬ nen heftigen Trieb in mir empfunden zu bil¬ den, und ein Künſtler zu ſeyn; aber von je an lag mir die Nachahmung klar im Sinne, daß ich nie zweifelhaft war oder zögerte, was aus einer Zeichnung werden ſollte. Schon während der Arbeit lag mir dann ein andrer Entwurf ſchon ganz deutlich im Kopfe, den ich aber ſo ſchnell und eben ſo unverzagt als den vorigen ausführte, und ſo ſind meine zahlreichen Werke entſtanden, ob ich gleich noch nicht alt bin. Euer Za¬190 gen, Eure zu große Verehrung des Gegen¬ ſtandes iſt, will mich dünken, etwas Un¬ künſtleriſches; denn wenn man ein Mahler ſeyn will, ſo muß man doch mahlen, man muß beginnen und endigen, Eure Entzü¬ ckungen könnt Ihr ja doch nicht auf die Tafel tragen. Nach dem was Ihr mir ge¬ ſagt habt, müßt Ihr viele Anlagen zu ei¬ nem Poeten haben, nur muß ein Dichter auch mit Ruhe arbeiten. Erlaubt mir, daß ich Euch noch etwas ſage: Ich habe mich von jeher über die Künſtler gewundert, die Wallfahrten nach Italien, wie nach ei¬ nem gelobten Lande der Kunſt anſtellen, aber nach dem, was Ihr mir von Euch erzählt habt, muß ich mich billig noch mehr ver¬ wundern. Warum wollt Ihr Eure Zeit al¬ ſo verderben? Mit Eurer Reizbarkeit wird Euch jeder neue Gegenſtand den Ihr erblickt, zerſtreuen, die größere Mannichfaltigkeit191 wird Eure Kräfte noch mehr niederſchlagen, ſie werden alle verſchiedene Richtungen ſuchen, und alle dieſe Richtungen werden für Euch nicht genügend ſeyn. Nicht, als ob ich die großen Künſtler Italiens nicht ſchätzte und liebte, aber man mag ſagen was man will, ſo hat doch jedes Land ſeine eigene Kunſt, und es iſt gut, daß es ſie hat. Ein Mei¬ ſter tritt dann in die Fußſtapfen des andern, und verbeſſert was bei ihm etwa noch man¬ gelhaft war; was dem erſten ſchwer war, wird dem zweiten und dritten leicht, und ſo wird die vaterländiſche Kunſt endlich zur höchſten Vortreflichkeit hingeführt. Wir ſind einmahl keine Italiäner, und ein Italiäner wird nimmermehr deutſch empfinden. Wenn ich Euch alſo rathen ſoll, ſo ſtellt lieber Eu¬ re Reiſe nach Italien ganz ein und bleibt im Vaterlande, denn was wollt Ihr dort? Meint Ihr, ihr werdet die Italiſchen Bilder192 mit einem andern als einem deutſchen Auge ſehen können? ſo wie auch kein Italiäner die Kraft und Vortreflichkeit Eures Albert Dürer jemals erkennen wird; es ſind wie¬ derſtrebende Naturen die ſich niemals in demſelben Mittelpunkte vereinigen können. Wenn Ihr hingeht, ſo wird jedes neue Ge¬ mählde, jede neue Manier eine neue Luſt in Euch erwecken, Ihr werdet in ewiger Ab¬ wechſelung vielleicht arbeiten, aber Euch niemals üben, Ihr werdet kein Italiäner werden, und könnt doch kein Deutſcher blei¬ ben, Ihr werdet zwiſchen beiden ſtreben, und die Muthloſigkeit und Verzagtheit wird Euch am Ende nur noch viel ſtärker, als jetzt ergreifen. Ihr findet meinen Ausſpruch vielleicht hart, aber Ihr ſeid mir werth, und darum wünſche ich Euer Beſtes. Glau¬ be mir, jeder Künſtler wird, was er werden kann, wenn er ruhig ſich ſeinem eignen Gei¬ſte193ſte überläßt, und dabei unermüdet fleißig iſt. Seht nur Euren Albert Dürer an; iſt er denn nicht ohne Italien geworden, was er iſt, denn ſein kurzer Aufenthalt in Vene¬ dig kann kaum in Rechnung gebracht wer¬ den, und denkt Ihr denn mehr zu leiſten als Er? Auch unſre beſten Meiſter in den Niederlanden haben Italien nicht geſehn, ſondern einheimiſche Natur und Kunſt hat ſie groß gezogen; manche mittelmäßige die dort geweſen ſind, haben eine fremde Ma¬ nier nachahmen wollen, die ihnen nimmer¬ mehr gelingt, und als etwas Erzwungenes herauskömmt, das ihnen nicht ſteht, und ſich in unſrer Gegend nicht ausnimmt. Mein lieber Sternbald, wir ſind gewiß nicht für die Antiken, wir verſtehen ſie auch nicht mehr, unſer Fach iſt die wahre nordiſche Na¬ tur; je mehr wir dieſe erreichen, je wahrer und lieblicher wir dieſe ausdrücken, je mehrN194ſind wir Künſtler. Und das Ziel wonach wir ſtreben, iſt gewiß eben ſo groß als der poetiſche Zweck den ſich die andern vorge¬ ſtellt haben.

Franz war noch in ſeinem Leben nicht ſo niedergeſchlagen geweſen. Er glaubte es zu empfinden wie er noch keine Verdienſte ha¬ be; dieſe Verehrung der Kunſt, dieſe Be¬ gier Italien mit ſeinen Werken zu ſehn, hatte er immer für ſein einziges Verdienſt gehal¬ ten, und nun vernichtete ein verehrungs¬ würdiger Meiſter ihm auch dieſes gänzlich. Zum erſtenmahle erſchien ihm ſein ganzes Beginnen thöricht und unnütz. Ihr mögt Recht haben, Meiſter! rief er aus, ich bin nun auch beinahe davon überzeugt, daß ich zum Künſtler verdorben bin; je mehr ich Eure Vortreflichkeit fühle, um ſo ſtärker empfinde ich auch meinen Unwerth, ich füh¬ re ein verlohrnes Leben in mir, das ſich an195 keine vernünftige Thätigkeit hinaufranken wird, ein unglückſeeliger Trieb iſt mir ein¬ gehaucht, der nur dazu nützt, mir alle Freuden zu verbittern, und mir aus den köſtlichſten Gerichten dieſes Lebens etwas Albernes und Nüchternes zuzubereiten.

Es iſt nicht ſo gemeint, ſagte Lukas mit einem Lächeln, das ſeinem freundlichen Ge¬ ſichte ſehr gut ſtand; ich merke, daß alles bei Euch aus einem zu heftigen Charakter entſpringt, und freilich, darinn kann ſich der Menſch nicht ändern und wenn er es auch noch ſo ſehr wollte. Gebt Euch zu¬ frieden, meine Worte ſind immer nur die Worte eines einzelnen Mannes, und ich kann mich eben ſo leicht irren als jeder andre.

Ihr ſeid nicht wie jeder andre, ſagte Franz mit der größten Lebhaftigkeit, das fühl ich zu lebendig in meinem Herzen, Ihr ſoll¬ tet es nur einmahl hören, mit welcher Ver¬N 2196ehrung mein Meiſter immer von Euch ſpricht; Ihr ſolltet es nur wiſſen können wie vortreflich Ihr mir vorkommt, welch Gewicht bei mir jedes Eurer Worte hat. Wie viele Künſtler dürfen ſich denn mit Euch meſſen? Wer auf ſolche Stimmen nicht hörte, verdiente gar nicht Euch ſo gegen über zu ſitzen, mit Euch zu ſprechen, und dieſe Freundſchaft und Güte zu er¬ halten.

Ihr ſeid jung, ſagte Lukas, und Euer Weſen iſt mir ungemein lieb, es giebt we¬ nig ſolcher Menſchen, die meiſten betrachten die Kunſt nur als ein Spielwerk, und uns als große Kinder, die albern genug bleiben um ſich mit derley Poſſen zu beſchäftigen. Aber laßt uns auf etwas anders kommen, ich bin jetzt überdies müde zu mahlen. Ich habe einen Kupferſtich von Eurem Albert erhalten, der mir bisher noch unbekannt197 war. Es iſt der heilige Hubertus, der auf der Jagd einem Hirſche mit einem Krucifixe zwiſchen dem Geweih begegnet, und ſich bei dieſem Anblicke bekehrt und ſeine Lebenswei¬ ſe ändert. Seht hieher, es iſt für mich ein merkwürdiges Blatt, nicht bloß der ſchönen Ausführung, ſondern vorzüglich der Gedan¬ ken halber die für mich darinn liegen. Die Gegend iſt Wald, und Dürer hat einen ho¬ hen Standtpunkt angenommen, weshalb ihn nur ein Unverſtändiger tadeln könnte, denn wenn auch ein dichter Wald, wo wir nur wenige große Bäume wahrnähmen, etwas natürlicher beim erſten Anblick in die Augen fallen dürfte, ſo könnte das doch nimmer¬ mehr das Gefühl der völligen Einſamkeit ſo ausdrücken und darſtellen wie es hier ge¬ ſchieht, wo das Auge weit und breit alles überſieht, einzelne Hügel und lichte Waldge¬ genden. Ich glaube auch, daß manche Leu¬198 te, die mehr guten Willen vernünftig zu ſeyn als Verſtand haben, den gewählten Gegenſtand ſelbſt als etwas Albernes tadeln dürften, ein Rittersmann der vor einer un¬ vernünftigen Beſtie kniet. Aber das iſt es gerade, wenn ich meine aufrichtige Meinung ſagen ſoll, was mir ſo ſehr daran gefällt und zu großem Vergnügen gereicht. Es iſt ſo etwas Unſchuldiges, Frommes und Lieb¬ liches darinn wie der Jagdmann hier kniet, und das Hirſchlein mit ſeiner kindiſchen Phyſiognomie ſo unbefangen drein ſieht, im Kontraſt mit der heiligen Ehrfurcht des Mannes; dies erweckt ganz eigene Gedan¬ den von Gottes Barmherzigkeit, von dem grauſamen Vergnügen der Jagd, und der¬ gleichen mehr. Nun beobachtet einmahl die Art wie der Ritter niederkniet; es iſt die wahrſte, frömmſte und rührendſte, mancher hätte hier wohl ſeine Zierlichkeit gezeigt,199 wie er Beine und Arme verſchiedentlich zu ſtellen wüßte, ſo daß er durch Annehmlich¬ keit der Figur ſich gleichſam vor jedem ent¬ ſchuldigt hätte, daß er ein ſo närriſches Bild zu ſeinem Gegenſtande gemacht. Denn manche zierliche Mahler ſind mir ſo vorge¬ kommen, daß ſie nicht ſowohl verſchiedent¬ liche Bilder mahlen, als vielmehr nur die Gegenſtände brauchen um immer wieder ih¬ re Verſchränkungen und Niedlichkeiten zu zeigen; dieſe putzen ſich mit der edlen Mah¬ lerkunſt, ſtatt daß ſie ihr freies Spiel, und eine eigne Bahn gönnen ſollten. So iſt es nicht mit dieſem Hubertus beſchaffen. Seine zuſammengelegten Beine, auf denen er ſo ganz natürlich hinkniet, ſeine gleichförmigen aufgehobenen Hände ſind das wahrſte was man ſehen kann; aber ſie haben nicht die ſpielende Anmuth die manche der heutigen Welt über alles ſchätzen.

200

Lukas ſprach noch mancherley; dann be¬ ſuchten ihn einige Freunde aus der Stadt, mit denen er und Franz ſich zu Tiſche ſez¬ ten. Man lachte und erzählte viel; von der Mahlerey ward nur wenig geſprochen.

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Zweytes Kapitel.

Franz hielt ſich längere Zeit in Leyden auf als er ſich anfangs vorgenommen hatte, denn Meiſter Lukas hatte ihm einige Kon¬ terfeye zu mahlen übergeben, die Franz zu deſſen Zufriedenheit beendigte. Beide hat¬ ten ſich oft von der Kunſt unterhalten. Franz liebte Lukas ungemein, aber doch konnte er in keiner Stunde das Vertrauen zu ihm faſſen das er zu ſeinem Lehrer hat¬ te, er fühlte ſich in ſeiner Gegenwart immer gedemüthigt, ſeine freieſten Gedanken waren gefeſſelt, ſelbſt Lukas fröhliche Laune konn¬ te ihn ängſtigen, weil ſie von der Art wie er ſich zu freuen pflegte, ſo gänzlich verſchieden war. Er kämpfte oft mit der Verehrung, die er vor den Niederländiſchen Meiſter empfand, denn er ſchien ihm in manchen202 Augenblicken nur ein Handwerker zu ſeyn; wenn er dann wieder den hurtigen erfinde¬ riſchen Geiſt betrachtete, den nie raſtenden Eifer, die Liebe zu allem Vortreflichen, ſo ſchämte er ſich ſeines Mißtrauens.

Als er an einem Morgen Lukas Werk¬ ſtelle beſuchte, wie erſtaunte er, was glich ſeiner Freude! als er ſeinen Lehrer, ſeinen über alles geſchätzten Dürer neben dem niederländiſchen Mahler ſitzen ſah. Erſt ſchien es ihm nur ein Blendwerk ſeiner Augen zu ſeyn; aber Dürer ſtand auf und ſchloß ihn herzlich in ſeine Arme; die drei Mahler waren überaus fröhlich ſich zu ſehn, Fragen und Antworten durchkreuzten ſich, beſonders hinderte der lebhafte Lukas auf alle Weiſe das Geſpräch, zu einer ſtillen Ruhe zu kommen, denn er fing immer wieder von neuem an ſich zu verwundern und zu freuen. Er rieb die Hände, und203 lief mit großer Geſchäftigkeit hin und wie¬ der; bald zeigte er dem Albert ein Bild, bald hatte er wieder eine Frage worauf er die Antwort wiſſen wollte. Franz bemerkte, wie gegen dieſe lebhafte Unruhe Alberts Gelaſſenheit, und ſeine ſtille Art ſich zu freuen, ſchön kontraſtirte. Auch wenn ſie nebeneinander ſtanden ergötzte ſich Franz an der gänzlichen Verſchiedenheit der beiden Künſtler, die ſich doch in ihren Werken ſo oft zu berühren ſchienen. Dürer war groß und ſchlank, lieblich und majeſtätiſch fielen ſeine lockigen Haare um ſeine Schläfe, ſein Geſicht war ehrwürdig und doch freundlich, ſeine Mienen veränderten den Ausdruck nur langſam, und ſeine ſchönen braunen Augen ſahen feurig und doch ſanft unter ſeiner Stirn hervor. Franz bemerkte deutlich wie die Umriſſe von Alberts Geſichte denen auffallend glichen, mit denen man204 immer den Erlöſer der Welt zu mahlen pflegt. Lukas erſchien neben Albert noch kleiner als er wirklich war; ſein Geſicht ver¬ änderte ſich in jedem Augenblicke, ſeine Au¬ gen waren mehr lebhaft als ausdrucksvoll, ſein hellbraunes Haar lag ſchlicht und kurz um ſeinen Kopf.

Albert erzählte, wie er ſich ſchon ſeit lange unpaß gefühlt habe, und die weite Reiſe nach den Niederlanden nicht geſcheut, um ſeine Geſundheit wieder herzuſtellen. Seine Hausfrau habe ihn begleitet; von Sebaſtian gab er unſerm Franz einen Brief, er ſelber ſey zwar nicht gefährlich, aber doch ſo krank daß er die Reiſe nicht habe unternehmen können, ſonſt würde er ihn mitgenommen haben. Euch zu ſehn, Meiſter Lukas, ſagte er, war der vornehmſte Bewe¬ gungsgrund meiner Reiſe, denn ich habe es mir ſchon lange gewünſcht, ich weiß auch noch205 nicht, ob ich einen andern Mahler beſuche, wenn der Wohnort mir aus dem Wege liegt, denn ſo viel ich ſie kenne, iſt mir nach dem berühmten Meiſter Lukas keiner merk¬ würdig.

Lukas dankte ihm und ſprang wieder durch die Stube, voller Freude den großen Albert Dürer bei ſich zu haben. Dann zeig¬ te er ihm einige ſeiner neueſten Bilder, und Albert lobte ſie ſehr verſtändig. Dieſer hat¬ te einige neue Kupferſtiche bei ſich die er dem Niederländer ſchenkte, und Lukas ſuch¬ te zur Vergeltung auch ein Blatt hervor, das er dem Albrecht in die Hände gab. Seht, ſagte er, dies Blatt, es wird von ei¬ nigen für meinen beſten Kupferſtich erklärt, es iſt das Konterfey des Tillen Eulenſpiegel, wie ich mir dieſen ſeltſamen Mann in den Gedanken vorgeſtellt habe. Es wollen eini¬ ge jetzt, die ſich mit der Gelehrſamkeit be¬206 faſſen, ſein Buch verachten, und es als den Sitten und der Zucht zuwieder verdammen, es möchte vielleicht einiges beſſer darinn mangeln können, aber ich muß geſtehen, daß es mich im Ganzen immer ſehr ergötzt hat. Die Schalkheit des Knechtes Eulen¬ ſpiegel iſt ſo eigen, viele ſeiner Streiche ge¬ ben zu ſo manchen kurioſen Gedanken Ver¬ anlaſſung, daß ich mich ordentlich dazu an¬ getrieben fühlte, ſein ſeltſames Konterfey in Kupfer zu bringen.

Ihr habt es auch wacker ausgerichtet, ſagte Albert Dürer, und ich danke Euch höchlich für Euer Geſchenk. Ihr habt den berüchtigten Schalksknecht da erſchaffen, wie er gewißlich ausgeſehn haben muß, die ſchielenden Augen und die verdrehte Naſe drücken ſein ſeltſames Gemüth vortreflich aus, in dieſen Lippen habt Ihr ſeinen Witz der oft beiſſend genug war, herrlich ange¬207 deutet, und es iſt mir ſehr erwünſcht daß Ihr das häßliche Geſicht doch nicht ſo ver¬ zerrt habt daß es uns zuwieder iſt, ſondern mit vieler Kunſt habt Ihr es ſo auszurich¬ ten gewußt daß man es gerne beſchaut, und den poſſigen Kerl ordentlich lieb gewinnt.

Es iſt eine Art von Dankbarkeit, ſagte Meiſter Lukas, daß ich ihn ſo mühſam in Kupfer gebracht habe, da ich über ſeine Schwänke oft ſo herzlich habe lachen müſſen. Wie ſchon geſagt, es verſtehen wenig Men¬ ſchen die Kunſt, ſich an Tills Narrenſtrei¬ chen ſo zu freuen als ich, weil ſie es ſogar mit dem Lachen ernſthaft nehmen; andern gefällt ſein Buch wohl, aber es kommt ih¬ nen als etwas Unedles vor, dies Bekenntniß abzulegen; andern fehlt es wieder an Übung das Poſſierliche zu verſtehen und zu faſſen, weil man ſich vielleicht eben ſo daran gewöh¬ men muß, wie man viele Gemählde ſieht208 ehe man über eins ein richtiges Urtheil faßt.

Ihr mögt ſehr Recht haben, Meiſter, ant¬ wortete Dürer, die meiſten Leute ſind wahrlich mit dem Ernſthaften und Lächerlichen gleich fremd. Sie glauben immer, das Verſtänd¬ niß von beiden müſſe ihnen von ſelbſt ohne ihr weiteres Zuthun kommen; und doch iſt das bei den allerwenigſten der Fall. Sie über¬ laſſen ſich daher mit Rohheit dem Augenbli¬ cke und ihrem damaligen Gefühl, und ſo tadeln und loben ſie alles unbeſehn. Ja ſie gehn mit der Mahlerkunſt eben ſo um, ſie koſten davon, wie man wohl ein Gemüſe oder Suppe zu koſten pflegt, ob die Magd zu viel oder zu wenig Salz daran gethan habe, und dann ſprechen ſie das Urtheil, ohne um die Einſicht und die Kenntniſſe die dazu gehören, beſorgt zu ſeyn. Ich muß immer noch lachen ſo oft ich daran denke,daß209daß es mir doch auch einmahl ſo ging. Ohne etwas davon zu verſtehn, und ohne die Anlagen von der Natur zu haben, fiel ich einmahl darauf ein Poet zu ſeyn. Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verſe müſſe ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich ſelber, daß ich nicht ſchon weit früher auf die Dichtkunſt verfallen ſey. Ich machte alſo ein zierlich großes Kupferblatt, und ſtach mühſam rund herum meine Verſe mit zierlichen Buchſta¬ ben ein: es ſollte ein moraliſches Gedicht vorſtellen, und ich unterſtund mich, der gan¬ zen Welt darinn gute Lehren zu geben. Wie nun aber alles fertig war, ſiehe da, ſo war es erbärmlich gerathen. Was ich da für Leiden von dem gelehrten Pirkheimer habe ausſtehn müſſen, der mir lange nicht meine Verwegenheit vergeben konnte! Er ſagte immer zu mir: Schuſter bleib beiO210Deinem Leiſten! Albert, wenn Du den Pin¬ ſel in der Hand haſt, ſo kömmſt Du mir als ein verſtändiger Mann vor, aber mit der Feder gebehrdeſt Du Dich als ein Thor. So ſollte man auch zu manchen ſagen die ſich auf Künſte legen, die ihnen nicht beſſer anſtehen als dem Eſel das Lau¬ tenſchlagen.

Ihr müßt Euch doch einige Zeit in Ley¬ den aufhalten, ſagte Lukas; denn ich möch¬ te gar zu gern recht viel mit Euch ſprechen, über ſo viele Dinge Euer Urtheil verneh¬ men, denn ich wüßte keinen Menſchen auf der Welt mit denn ich mich lieber unterre¬ dete als mit Euch.

Ich bleibe gewiß wenigſtens einige Tage, antwortete Dürer; ſeit Franz von mir fort¬ gezogen iſt, habe ich mir dieſe Reiſe vorge¬ ſetzt, und alles Geld was ich erübrigen konnte, dazu aufgeſpart.

211

Unter dieſen Geſprächen war die Mit¬ tagsſtunde herangekommen; eine junge hüb¬ ſche Frau trat herein, es war das Weib des Niederländers, ſie erinnerte ihren Mann mit freundlichem Geſichte, daß es Zeit ſey zu eſſen, er möchte mit ſeinen Gäſten in die Speiſeſtube treten. Sie folgten ihr gern, und man ſetzte ſich zu Tiſche. Die Haus¬ frau Albert Dürers hieß den Franz Stern¬ bald ſehr freundlich willkommen, Franz hat¬ te ſie noch nie ſo liebenswürdig geſehn, denn die Reiſe hatte ſie heiter gemacht, ihr Ge¬ ſicht war auch blühender und voller.

Der kleine Lukas ſchien nun bei Tiſche erſt recht an ſeinem Platze zu ſeyn; er wußte ſo gutmüthig zum Eſſen und Trinken einzuladen, daß keiner ſeine Einladung aus¬ zuſchlagen im Stande war; dabei erwies er ſich überaus artig gegen Dürers Frau, und wußte ihr auf ſeine Art tauſend kleineO 2212Schmeicheleien zu ſagen. Dürer war viel ernſter und unbeholfener, die ſchöne junge Frau des Lukas ſetzte ihn eher in Verlegen¬ heit, als daß ſie ihn unterhalten hätte, ſeine Sitten waren ernſt und deutſch, und wenn ſich ihm ein Scherz nicht von ſelber darbot, ſo hielt er es für eine unnütze Mühe ihn aufzuſuchen. Franz war in einer heiligen Stimmung, es war ihm gar nicht möglich, ſeine Augen von ſeinem geliebten Lehrer ab¬ zuwenden, vollends da es ihm beſtändig im Sinne lag, daß er morgen früh abreiſen müſſe und alſo Dürer nicht länger ſehn könne, denn er hatte eine Reiſegeſellſchaft gefunden, die ihn gegen ein Billiges mit nach Antwerpen nehmen wollte.

Ihr müßt mir erlauben, rief Lukas fröh¬ lich aus, Meiſter Albrecht (verzeiht mir, daß ich ſo vertraut thue, Euch bei Eurem Taufnamen zu nennen,) daß ich Euer Kon¬213 terfey abnehme ehe Ihr von hier reiſet, denn es liegt mir gar zu viel daran es zu beſitzen, und zwar recht treu und fleißig ge¬ mahlt, ich will mir alle Mühe dabei geben.

Und ich will Euch mahlen, ſagte Al¬ brecht, mir iſt gewiß Euer Geſicht eben ſo lieb, damit ichs dann mit mir nach Nürn¬ berg nehme.

Wißt Ihr wie wir es einrichten können? antwortete Lukas: Ihr mahlt Euer eignes Bildniß und ich das meinige, und wir tau¬ ſchen ſie nachher gegen einander aus, ſo be¬ ſitzt noch jeder etwas, von des andern Arbeit.

Es mag ſeyn, ſagte Dürer, ich weiß mit meinem Kopfe ſchon ziemlich Beſcheid, denn ich habe ihn ſchon etlichemahl gemahlt und geſtochen, und man hat die Kopey immer ähn¬ lich gefunden. Worüber ich mich aber billig wundern muß, fuhr er fort, iſt, daß Ihr Meiſter Lukas noch ſo jung ſeid, und daß214 Ihr doch ſchon ſo viele Kunſtſachen in die Welt habt ausgehn laſſen, und mit Recht einen ſo großen Namen habt; denn noch ſcheint Ihr keine dreißig Jahr alt zu ſeyn.

Lukas ſagte: ich bin auch noch nicht dreißig Jahre alt, ſondern kaum neun und zwanzig. Es iſt wahr, ich habe fleißig ge¬ mahlt, und faſt eben ſo viel in Kupfer ge¬ ſtochen als Ihr; aber mein lieber Albrecht ich habe auch ſchon ſehr früh angefangen; Ihr wißt es vielleicht nicht daß ich ſchon im neunten Jahre ein Kupferſtecher war.

Im neunten Jahre? rief Franz Stern¬ bald voller Verwunderung aus; ich glaubte immer im ſechszehnten hättet Ihr Euer er¬ ſtes Werk begonnen, und das hat ſchon im¬ mer mein Erſtaunen erregt.

Nein, erzählte Lukas weiter, denn ich zeichnete ſchon Bilder und allerhand natür¬ liche Sachen nach als ich kaum ſprechen215 konnte. Die Sprache und der Ausdruck durch die Reißkohle ſchien mir natürlicher als die wirkliche. Ich war unglaublich flei¬ ßig, und intereſſirte mich für gar nichts an¬ ders in der Welt, denn die übrigen Wiſſen¬ ſchaften, ſo wie Sprachen und dergleichen, waren mir völlig gleichgütig, ja es war mir verhaßt, meine Zeit mit ſolchem Unterrichte zuzubringen. Wenn ich auch nicht zeichnete, ſo gab ich genau auf alle die Dinge Acht, die mir vor die Augen kamen, um ſie nachher nachahmen zu können. Die größte Freude machte es mir, wenn meine Eltern oder andre Menſchen die Perſonen wieder erkannten die ich kopirt hatte. Kein Spiel machte mir Vergnügen, andre Knaben wa¬ ren mir zur Laſt und ich verachtete ſie und ging ihnen aus dem Wege, weil mir ihr Beginnen zu kindiſch vorkam; ſie verſpotte¬ ten mich auch deshalb, und nannten mich216 den kleinen alten Mann. Ich erkundigte mich, wie die Kupferſtiche entſtänden, und einige eben nicht geſchickte Leute, machten mich mit der Kunſt bekannt, ſo viel ſie ſelbſt da¬ von begriffen hatten. So machte ich im neunten Jahre mein erſtes Bild, das ich öf¬ fentlich herausgab, und das vielen Leuten nicht mißfiel; bald darauf thaten mich meine Eltern auf mein inſtändiges Bitten beim Meiſter Engelbrecht in die Lehre; ich fuhr fort zu arbeiten, und im ſechszehnten Jah¬ re war ich ſchon einigermaßen bekannt, ſo daß meine Werke geſucht wurden.

Ihr ſeid ein wahres Wunderkind gewe¬ ſen, Meiſter Lukas, ſagte Albert Dürer, und auf die Art muß man freilich nicht erſtau¬ nen, wenn die Welt ſo viele Arbeiten von Euch geſehn hat.

Wenn ich jetzt vielleicht etwas bin, ſagte Lukas ſehr lebhaft, ſo hab 'ich's nur Euch217 zu verdanken. Ihr wart mein Vorbild, Ihr gabt mir immer neues Feuer, wenn ich manchmal den Muth verlieren wollte, denn ich glaube, es giebt auch beim eifrigſten Künſtler Stunden, in denen er durchaus nichts hervorbringen mag, wo er ſich in ſich ſelber ausruht, und ihm die Arbeit mit den Händen ordentlich widerſteht; dann hörte ich wieder von Euch, ich ſah eins Eurer Kupferblätter, und der Fleiß kam mir mit friſcher Anmuth zurück. Ich muß es geſte¬ hen, daß ich Euch auch meine meiſten Erfin¬ dungen zu danken habe, denn ich weiß nicht wie es zugeht, einzelne Figuren oder Sa¬ chen ſtehn mir immer ſehr klar vor den Au¬ gen, aber das Zuſammenfügen, der wahre hiſtoriſche Zuſammenhang, der ein Bild erſt fertig macht, will ſich nie deutlich vor den Sinnen hinſtellen, bis ich dann ein andres Blatt in die Hande nehme, da fällt es mir218 denn ein daß ich das auch darſtel¬ len, und hie und da wohl noch verbeſſern könnte, aus dem Bilde das ich vor mir ſe¬ he, entwickelt ſich ein neues in meiner See¬ le, das mir dann nicht eher Ruhe läßt, als bis ich es fertig gemacht habe. Am liebſten habe ich Eure Bilder nachgemacht, Albrecht, weil ſie alle einen ganz eignen Sinn haben, den ich in andern nicht antreffe. Ihr habt mich am meiſten auf Gedanken geführt, und Ihr werdet es wiſſen, daß ich die meiſten Bilder die Ihr ausgeführt habt, auch dar¬ zuſtellen verſucht habe. Manchmal habe ich die Eitelkeit gehabt, Ihr verzeiht mir meinen freimüthigen Stolz, und Ihr ſeid ein gerader guter Mann, Eure Vorſtellung zu verbeſſern und dem Auge angenehmer zu machen.

Ich weiß es recht wohl, ſagte Albert mit der gutmüthigſten Freundlichkeit, und219 ich verſichere Euch, ich habe viel von Euch gelernt. Wie Ihr mit Eurem Körper behen¬ der und gewandter ſeid, ſo ſeid Ihr es auch mit dem Pinſel und Grabſtichel. Ihr wißt eine gewiſſe Anmuth mit Wendungen und Stellungen der Körper in Eure Bilder zu bringen, die mir oft fehlt, ſo daß meine Zeichnungen gegen die Eurigen hart und rauh ausſehn; aber Ihr erlaubt mir auch zu ſagen, daß es mir geſchienen hat, als wärt Ihr ein paarmal unnöthigerweiſe von der wahren Einfalt des Gegenſtandes abge¬ wichen. So gedenke ich an ein paar Ku¬ pferſtiche, wo vorne Leute mit großen Män¬ teln ſtehn, die dem Zuſchauer den Rücken zuwenden, da ſie uns wohl natürlicher das Angeſicht hätten zukehren dürfen. Hier habt Ihr nach meinem einfältigen Ur¬ theil nur etwas Neues anbringen und durch die großen Mantelfiguren die Kontra¬220 ſtirung mit den übrigen Perſonen im Bilde verſtärken wollen; aber es kömmt doch etwas gezwungen heraus.

Ihr habt Recht, Albert, ſagte Lukas, ich ſehe Ihr ſeid ein ſchlauer Kopf, der mir meine Münzen wieder zu geben weiß. Ich habe mich öfter darauf ertappt, daß ich ein Bild verdorben habe, wenn ich es habe beſ¬ ſer machen wollen als ich es auf Euren Platten geſehn hatte. Denn man verliert gar zu leicht den erſten Gedanken aus den Augen, der doch ſehr oft der allerwahrſte und beſte iſt; nun putzt man am Bilde her¬ um, und über lang oder kurz wird es ein Ding, das einen mit ganz fremden Augen anſieht, und ſich auf dem Papiere oder der Leinwand ſelber nicht zu finden weiß. Da ſeid Ihr glücklicher und beſſer daran daß Euch die Erfindung immer zu Gebote ſteht; denn ſo iſt es Euch faſt unmöglich in einen221 ſolchen Fehler zu fallen. Wie macht Ihr es aber, Albrecht, daß Ihr ſo viele Gedan¬ ken, ſo viele Erfindungen in Eurem Kopfe habt?

Ihr irrt Euch an mir, ſagte Albrecht, wenn Ihr mich für ſo erfindungsreich haltet. Nur wenige meiner Bilder ſind aus dem bloßen Vorſatz enſtanden, ſondern es war immer eine zufällige Gelegenheit die ſie ver¬ anlaßte. Wenn ich irgend ein Gemählde loben höre, oder eine der heiligen Geſchich¬ ten wieder erzählen höre, ſo regt ſich's dann plötzlich in mir, daß ich ein ganz neues Ge¬ lüſt empfinde, gerade das und nichts anders darzuſtellen. Das eigentliche Erfinden iſt gewiß ſehr ſelten, es iſt eine eigne und wunderbare Gabe, etwas bis dahin Uner¬ hörtes hervorzubringen. Was uns erfunden ſcheint, iſt gewöhnlich nur aus älteren ſchon vorhandenen Dingen zuſammengeſetzt, und222 dadurch wird es gewiſſermaßen neu; ja der eigentliche erſte Erfinder ſetzt ſeine Geſchich¬ te oder ſein Gemählde doch auch nur zu¬ ſammen, indem er theils ſeine Erfahrungen, theils was ihm dabei eingefallen, oder was er ſich erinnert; geleſen, oder gehört hat, nur in Eins faßt.

Ihr habt ſehr Recht, ſagte Lukas, et¬ was im eigentlichſten Verſtande aus der Luft zu greifen wäre gewiß das Seltſamſte das dem Menſchen begegnen könnte. Es wäre eine ganz neue Art von Verrückung, denn ſelbſt der Wahnſinnige erfindet ſeine Fieberträume nicht. Die Natur iſt alſo die einzige Erfinderinn, ſie leiht allen Künſten von ihrem großen Schatz; wir ahmen im¬ mer nur die Natur nach, unſre Begeiſte¬ rung, unſer Erſinnen, unſer Trachten nach dem Neuen und Vortreflichen, iſt nur wie das Achtgeben eines Säuglings, der keine223 Bewegung ſeiner Mutter aus den Augen läßt. Wißt Ihr aber wohl, Albrecht, wel¬ chen Schluß man aus dieſer Bemerkung ziehn könnte? daß es alſo in den Sachen ſelbſt, die der Poet oder Mahler, oder irgend ein Künſtler darſtellen wollte, durchaus nichts Unnatürliches geben könne, denn indem ich als Menſch auf den allertollſten Gedanken verfalle, iſt er doch ſchon natürlich, und der Darſtellung und Mittheilung fähig. Von dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen ſind wir durch eine hohe Mauer geſchieden, über die kein Blick von uns dringen kann. Wo wir alſo in irgend einem Künſtlerwerk Unnatürlichkeiten, Albern¬ heit oder Unſinn, wahrzunehmen glauben, die unſre geſunde Vernunft und unſer Gefühl empören, ſo müßte das im¬ mer nur daher rühren, daß die Sachen auf eine ungehörige und unvernünftige Art zu¬224 ſammengeſetzt wären, daß Theile darunter gemengt ſind, die nicht hineingehören, und die übrigen ſo verbunden wie es nicht ſeyn ſollte. So müßte alſo ein höherer Geiſt, als derjenige war, der es fehlerhaft gemacht hatte, aus allem Möglichen etwas Vortref¬ liches und Würdiges hervorbilden können.

Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall, und wollte eben das Geſpräch fortſetzen, als Lu¬ kas Frau ausrief: Aber lieben Leute, hört endlich mit Euren gelehrten Geſprächen auf, von denen wir Weiber hier kein Wort verſtehn. Wir ſitzen hier ſo ernſthaft wie in der Kirche, verſpart alle Eure Wiſſen¬ ſchaften bis das Mittagseſſen vorüber iſt. Sie ſchenkte hierauf einem jeden ein großes Glas Wein ein, und erkundigte ſich bei Dü¬ rer, was er auf der Reiſe Neues geſehn und gehört habe. Albrecht erzählte, und Franz Sternbald ſaß in tiefen Gedanken.

In225

In den lezten Worten des Lukas ſchien ihm der Schlüſſel, die Auflöſung zu allen ſeinen Zweifeln zu liegen, nur konnte er den Ge¬ danken nicht deutlich faſſen; er hatte von ſeinem Lehrmeiſter noch nie eine ähnliche Äuſſerung über die Kunſt gehört, ſie auch in keinem ſeiner Bücher angetroffen; es ſchien ihm ſogar, als wenn Dürer auf die¬ ſen Gedanken nicht ſo viel gebe als er werth ſey, daß er die Folgen nicht ſo be¬ merke, die alle in ihm lägen. Er konnte auf das jetzige Geſpräch nicht Acht geben, vorzüglich da die Niederländerinn anfing ſich nach allen Nürnbergiſchen Trachten der verſchiedenen Stände zu erkundigen, und den Anzug der Dürerſchen Hausfrau vom Kopfe bis zu den Füßen muſterte.

Plötzlich ſprang Lukas mit ſeiner Behen¬ digkeit vom Tiſche auf, fiel ſeiner Frau um den Hals, und rief aus: Mein liebſtes Kind,P226Du mußt es mir jetzt doch ſchon vergönnen, daß ich mit Meiſter Albrecht wieder etwas über die Mahlereikunſt anfange, denn mir iſt da eine Frage eingefallen. Es wäre ja Sünde, wenn ich den Mann hier in meinem Hauſe hätte, und nicht alles vom Herzen los ſprechen ſollte.

Meinetwegen magſt Du es halten wie Du willſt, antwortete ſie; aber was wird die Nürnbergiſche Frau dazu ſagen?

Ich bin es ſchon ſo gewohnt, ſagte Dü¬ rers Frau, dergleichen ſind bei Tiſche ſeine gewöhnlichen Geſpräche. Mein Mann iſt immer der letzte, der etwas von den Neuig¬ keiten der Stadt erfährt, und wenn er mir zuweilen etwas erzählen ſoll, weiß er nichts, es müßte ſich denn etwa wieder mit Martin Luther etwas zugetragen haben.

Daß wir den Mann vergeſſen konnten! rief Dürer aus, indem er ſein volles Glas227 in die Höhe hob: Er ſoll leben! noch lange ſoll der große Doktor Martin Luther leben! der Kirche, und uns allen zu Heil und Frommen!

Lukas ſtieß an und lächelte. Es iſt zwar eine ketzeriſche Geſundheit, ſagte er, aber Euch zu Gefallen will ich ſie doch trinken. Ich fürchte nur, die Welt wird viele Trüb¬ ſale zu überſtehen haben, ehe die neue Leh¬ re durchdringen kann.

Albrecht antwortete: Wann wir im Schweiß unſers Angeſichts unſer Brod eſſen müſſen, ſo verlohnt es ja wohl die Wahr heit, wenn wir Qual und Trübſal ihret¬ wegen aushalten.

Nun das ſind alles Meinungen, ant¬ wortete Lukas, die eigentlichen vor den Theologen und Doktor gehören, ich verſtehe davon nichts. Ich wollte vorher, Meiſter Albrecht, eine andre Frage an Euch thun. P 2228Es hat mir immer ſehr an Euren Bildern gefallen, daß Ihr manchmal die neuern Trachten auch in alten Geſchichten abkopirt, oder daß Ihr Euch ganze neue wunderliche Kleidungen erſinnt. Ich habe es ebenfalls nachgeahmt, weil es mir ſehr artlich dünkte.

Albrecht antwortete: Ich habe derglei¬ chen immer mit überlegtem Vorſatze gethan, weil mir dieſer Weg kürzer und beſſer ſchien, als die antikiſchen Trachten eines jeden Lan¬ des und eines jeden Zeitalters zu ſtudiren. Ich will ja den, der meine Bilder anſieht, nicht mit längſtvergeſſenen Kleidungsſtücken bekannt machen, ſondern er ſoll die darge¬ ſtellte Geſchichte empfinden; die Bekleidung iſt gleichſam nur ein nothwendiges Übel. Ich rücke alſo die bibliſche oder heidniſche Geſchichte manchmal meinen Zuſchauern da¬ durch recht dicht vor die Augen, daß ich die Figuren in den Gewändern auftreten laſſe¬229 in denen ſie ſich ſelber wahrnehmen. Da¬ durch verliert ein Gegenſtand das Fremde, beſonders da unſre Tracht, wenn man ſie gehörig auswählt, auch mahleriſch iſt. Und denken wir denn wohl an die alte Klei¬ dungsart, wenn wir eine Geſchichte leſen, die uns rührt und entzückt? Würden wir es nicht gerne ſehen, wenn Chriſtus unter uns wandelte, ganz wie wir ſelber ſind? Man darf alſo die Menſchen nur nicht an das ſogenannte Koſtum erinnern, ſo vergeſ¬ ſen ſie es gerne. Die Darſtellung der alten Gewänder wird überdies in unſern Gemähl¬ den leicht todt und fremd, denn der Künſt¬ ler mag ſich gebehrden wie er will, die Tracht ſetzt ihn in Verlegenheit, er ſieht Niemand ſo gehen, er iſt nicht in der ܬ bung dieſe Falten und Maſſen zu werfen, ſein Auge kann nicht mitarbeiten, die Ima¬ gination muß alles thun, die ſich dabei doch230 nicht ſonderlich intereſſirt. Ein Modell auf dem man die Gewänder ausſpannt, wird nimmermehr das thun, was dem Künſtler die Wirklichkeit leiſtet. Auſſerdem ſcheint es mir gut, wie ich auch immer geſucht habe, die Tracht der Menſchen phyſiognomiſch zu brauchen, ſo daß ſie den Ausdruck und die Bedeutung der Figuren erhöht. Daher ma¬ che ich oft aus meiner Einbildung Gewand und Kleidung, die vielleicht niemals getra¬ gen ſind. Ich muß geſtehen, ich ſetze gern einem wilden böſen Kerl eine Mütze von ſeltſamer Form auf's Haupt, und gebe ihm ſonſt im Auſſern noch ein Abzeichen; denn unſer höchſter Zweck iſt ja doch, daß die Fi¬ guren mit Hand und Fuß und dem ganzen Körper ſprechen ſollen.

Ich bin darinn völlig Eurer Meinung, ſagte Lukas Ihr werdet gefunden haben, daß ich dieſe Sitte auch von Euch ange¬231 nommen habe; nur habt Ihr vielleicht mehr als ich darüber nachgedacht. Auch in manchen Sachen die ich von Raphael Sanzius ge¬ ſehn habe, habe ich etwas Ähnliches be¬ merkt.

Wozu, rief Albrecht aus, die gelehr¬ te Umſtändlichkeit, das genaue Studium jener alten vergeſſenen Tracht, die doch immer nur Nebenſache bleiben kann und muß? Wahrlich, ich habe einen zu großen Reſpekt vor der Mahlerey ſelbſt, um auf derley Erkundigungen großen Fleiß und viel Zeit zu verwenden, vollends, da wir es doch nie recht akkurat erreichen mögen.

Trinkt, trinkt, ſagte Lukas, indem er die leeren Gläſer wieder füllte, und ſagt mir dann wie's kömmt, daß Ihr Euch mit ſo gar mancherlei Dingen abgebt, von de¬ nen man glauben ſollte, daß manche Eures hohen Sinnes unwürdig ſind. Warum232 wendet Ihr ſo viele Mühſeeligkeiten, Geſchich¬ ten fein und zierlich in Holz zu ſchneiden, und dergleichen?

Ich weiß es ſelbſt nicht recht, wie's zu¬ geht, antwortete ihm Albrecht. Seht, Freund Lukas, der Menſch iſt ein wunderliches We¬ ſen; wenn ich darüber zuweilen gedacht ha¬ be, ſo iſt mir immer zu Sinne geweſen, als wenn der wunderbarliche Menſchengeiſt aus dem Menſchen herausſtrebte, und ſich auf tauſend mannichfaltigen Wegen offenbaren wollte. Da ſucht er nun herum, und trift beim Dichter nur die Sprache, beim Spiel¬ mann eine Anzahl Inſtrumente mit ihren Saiten, und beim Künſtler die fünf Finger und Farben an. Er probiert nun wie es gelingt, wenn er mit dieſen unbeholfenen Werkzeugen zu handthieren anfängt, und keinmal iſt es ihm recht, und doch hat er immer wieder nichts Beſſeres. Mir hat der233 Himmel ein gelaſſenes Blut geſchenkt, und darum werde ich niemals ungeduldig. Ich fange immer wieder etwas Neues an, und kehre immer wieder zum Alten zurück. Wenn ich etwas Großes mahle, ſo befällt mich ge¬ wöhnlich nachher das Gelüſt, etwas recht Kleines und Zierliches in Holz zu ſchnitzeln, und ich kann nachher Tagelang ſitzen, um die kleine Arbeit aus der Stelle zu fördern. Eben ſo geht es mir mit meinen Kupferſti¬ chen. Je mehr Mühe ich darauf verwende, je lieber ſind ſie mir. Dann ſuche ich wie¬ der freyer und ſchneller zu arbeiten, und ſo wechſele ich in allerhand Manieren ab, und jede bleibt mir etwas Neues. Die Liebe zum Fleiß und zur Mühſeligkeit ſcheint mir überdies etwas zu ſeyn, was uns Deutſchen angebohren iſt; es iſt gleichſam unſer Element, in dem wir uns immer wohl¬ befinden. Alle Kunſtwerke die Nürnberg234 aufzuweiſen hat, tragen die Spuren an ſich, daß ſie der Meiſter mit ſonderbarer Liebe zu Ende führte, daß er keinen Nebenzweig vernachläßigte, und gering ſchätzte; und ich mag daſſelbe wohl von dem übrigen Deutſchlande und auch von den Niederlan¬ den ſagen.

Aber warum, ſagte Lukas, habt Ihr nun Eurem Schüler Sternbald da nicht abgerathen nach Italien zu gehn, da er doch gewiß bei Euch ſeine Kunſt ſo hoch bringen kann als es ihm nur möglich iſt?

Franz war begierig was Dürer antwor¬ ten würde. Dieſer ſagte: eben weil ich an dem zweiflle was Ihr da behauptet, Meiſter Lukas. Ich weiß es wohl, daß ich in mei¬ ner Wiſſenſchaft nicht der Letzte bin; aber es würde thöricht ſeyn, wenn ich dafür hal¬ ten wollte, daß ich alles geleiſtet und ent¬ deckt hätte, was man in der Kunſt vollbrin¬235 gen kann. Glaubt Ihr nicht, daß es den künftigen Zeiten möglich ſeyn wird Sachen darzuſtellen, und Geſchichten und Empfin¬ dungen auszudrücken, auf eine Art von der wir jetzt nicht einmahl eine Vorſtellung ha¬ ben?

Lukas ſchüttelte zweifelhaft mit dem Kopfe.

Ich bin ſogar davon überzeugt, fuhr Albrecht fort, denn jeder Menſch leiſtet doch nur das was er vermag; eben ſo iſt es auch mit dem ganzen Zeitalter. Erinnert Euch nur deſſen, was wir vorher über die Erfin¬ dung geſprochen haben. Dem alten Wohl¬ gemuth würde das Ketzerei geſchienen ha¬ ben was ich jetzt mahle ſo würde Euer Lehrer Engelbrecht ſchwerlich wohl auf die Erfindungen und die Manieren verfallen ſeyn, die Euch ſo geläufig ſind. Warum ſollen unſre Schüler nun uns nicht wieder übertreffen?

236

Was hätten wir aber dann mit unſere Arbeit gewonnen? rief Lukas aus.

Daß ſie ihre Zeit ausfüllt, ſagte Dürer gelaſſen, und daß wir ſie gemacht haben. Weiter wird es niemals einer bringen. Je¬ des gute Bild ſteht da an ſeinem eigenen Platze, und kann eigentlich nicht entbehrt werden, wenn auch viele andre in andern Rückſichten beſſer ſind, wenn ſie auch Sa¬ chen ausdrücken, die man auf jenem Bilde nicht antrifft. Ich habe mich immer darinn gefunden, daß vielleicht mancher zukünftige Mahler von meinen Gemählden verächtlich ſprechen mag, daß man meinen Fleiß, und und wohl auch mein Gutes daran verkennt. Viele machen es ſchon jetzt mit denen Mei¬ ſtern nicht beſſer, die vor uns geweſen ſind, ſie ſprechen von ihren Fehlern die jedem in die Augen fallen, und ſehn ihr Gutes nicht, ja es iſt ihnen unmöglich das Gute daran237 zu ſehn. Aber auch dieſes Schlimme rührt bloß vom beſſern Zuſtande unſrer Kunſt her, und darum müſſen wir uns darüber nicht erzürnen. Und alſo ſehe ich es im Gegen¬ theil gerne, daß mein lieber Franz Stern¬ bald Italien beſucht, und alle ſeine denk¬ würdigen Kunſtſachen recht genau betrach¬ tet, eben weil ich viel Anlage zur Mahle¬ rei bei ihm bemerkt habe. Aus wem ein guter Mahler werden ſoll, der wird es ge¬ wiß, er mag in Deutſchland bleiben oder nicht. Aber ich glaube, daß es Kunſtgeiſter giebt, denen der Anblick des Mannichfaltigen ungemein zu Statten kömmt, in denen im¬ mer neue Bildungen entſtehn, wenn ſie das Neue ſehn, die eben dadurch vielleicht ganz andre Wege auffinden, die wir noch nicht betreten haben, und ich glaube faſt, daß Sternbald zu dieſen gehört. Laßt ihn alſo immer reiſen, denn ſo viel älter ich bin,238 wirkt doch jede Veränderung, jede Neuheit noch immer auf mich. Glaubt nur, daß ich ſelbſt auf dieſer Reiſe zu Euch noch viel für meine Kunſt gelernt habe. Wenn Franz auch eine Zeitlang in Verwirrung lebt, und durch ſein Lernen in der eigentlichen Arbeit geſtört wird, und ich glaube wohl, daß ſein ſanftes Gemüth dem ausgeſetzt iſt; ſo wird er doch gewiß dergleichen überleben, und nachher aus dieſem Zeitpunkte einen de. ſto größern Nutzen ziehn. Ich bin über das Dorf gereiſet, mein lieber Franz, in dem Du Dich aufgehalten haſt, und ich muß Dir ſagen, daß ich eine rechte Freude empfunden habe. Du haſt in der Kirche dort ein Blatt aufgeſtellt, wozu ich Dir wirklich nicht die Kräfte zugetrauet hatte, und mich dünkt, es beweiſet eben, daß Du einen neuen Weg einſchlagen wirſt. Ich kann Euch, Meiſter Lukas, das Gemählde239 unmöglich beſchreiben; es iſt die Verkündi¬ gung des Heilandes, die den Hirten auf dem Felde geſchieht. Franz hat darin zwei wunderbaren Erleuchtungen angebracht, die das Bild ſehr rührend machen, und worauf ich noch niemals gefallen bin. Alles iſt zier¬ lich und lieblich, und verdrängt doch die Sache nicht, die dargeſtellt werden ſollte. Ich habe mich an dem Bilde recht ergötzt, und ich kann ſagen, daß ich in der That etwas davon gelernt habe. Nur war der Hirt, der der untergegangenen Sonne nach¬ ſieht, falſch gezeichnet, er iſt zu klein gegen die Figuren die hinter ihm ſind. Aber das Bild erweckt heilige und andächtige Empfin¬ dungen, und ich habe mich recht glücklich geſchätzt, daß Franz mein Schüler iſt.

So große Worte waren über den armen Franz noch niemals ausgeſprochen, und es ſchien ihm auch als wenn er ſie gar nicht240 verdiente, darum wurde er ſchamroth; aber innerlich war er ſo erfreut, ſo überglücklich, daß ſich gleichſam alle geiſtigen Kräfte in ihm auf einmahl bewegten, und nach Thä¬ tigkeit riefen. Er empfand die Fülle in ſei¬ nem Buſen, und ward von den mannichfal¬ tigſten Gedanken übermeiſtert.

Lukas, nachdem er eine Weile geſchwie¬ gen hatte, brach eine neue Weinflaſche an, und ging ſelber mit luſtigen Gebehrden um den Tiſch herum, um allen einzuſchenken. Fröhlich rief er aus: laßt uns munter ſeyn, ſo lange dies irrdiſche Leben dauert, wir wiſſen ja ſo nicht wie lange es währt!

Albrecht trank und lachte. Ihr habt ein leichtes Gemüth, Meiſter, ſagte er ſcher¬ zend, Euch wird der Gram niemals etwas anhaben können.

Wahrlich nicht! ſagte Lukas, ſo lange ich meine Geſundheit und mein Leben fühle,will239 [241]will guter Dinge ſeyn, mag es hernach wer¬ den wie es will. Mein Weib, Eſſen und Trinken, und meine Arbeit, ſeht, das ſind die Dinge die mich beſtändig vergnügen werden, und nach etwas Höherem ſtrebe ich gar nicht.

Doch, ſagte Meiſter Albrecht ernſthaft, die geläuterte wahre Religion, der Glaube an Gott und Seligkeit.

Davon ſpreche ich bei Tiſche niemals, ſagte Lukas. Aber ſo ſeid Ihr ein größerer Ketzer als ich. Mag ſeyn, rief Lukas, aber laßt die Dinge fahren, von denen wir ohne hin ſo wenig wiſſen können. Oft mag ich gern arbeiten, wenn ich ſo recht fröhlich geweſen bin. Wenn der Wein noch in den Adern und im Kopfe lebendig iſt, ſo gelingt der Hand oft ein kühner Zug, eine wilde Gebehrde weit beſſer, als in der nüchternen Überlegung. Ihr erlaubt mir wohl, daß ich nach Tiſche eine kleine Zeichnung entwerfe,Q240 [242]die ich ſchon ſeit lange habe ausarbeiten wol¬ len; nehmlich den Saul, wie er ſeinen Spieß nach David wirft. Mich dünkt, ich ſehe den wilden Menſchen jezt ganz deutlich vor mir, den erſchrocknen und doch muthigen David, die Umſtehenden und alles.

Wenn Ihr wollt, ſagte Dürer, ſo mögt Ihr jetzt gleich an die Arbeit gehn, da Ihr den kühnen Entſchluß einmahl gefaßt habt. Mir vergönnt im Gegentheil einen kleinen Schlaf, denn ich bin noch müde von der Reiſe.

Jezt ward der Tiſch aufgehoben. Lukas führte den Albert zu einem Ruhebette; die beiden Frauen gingen in ein anderes Zim¬ mer, um ſich nun in Ruhe allerhand zu er¬ zählen, er ſelbſt begab ſich nach ſeiner Werkſtätte. Franz eilte mit Sebaſtians Briefe hinunter in einen kleinen Garten, der dem Meiſter Lukas zugehörte.

141 [243]

Alle Geſträuche und Gewächſe ſtanden hier in der ſchönſten Ordnung; einige hatte der Herbſt ſchon entblättert, andre waren noch friſch grün, als wären ſie eben aufgebro¬ chen. Die Gänge waren ſehr reinlich gehal¬ ten, die ſpäten Herbſtblumen ſtanden im ſchönſten Flore. Franzens Gemüth war völ¬ lig erheitert, er fühlte eine holdſelige Ge¬ genwart um ſich ſcherzen, und die Zukunft ſah ihn mit freundlichen Gebehrden an. Er öffnete den Brief und las:

Trauter Bruder.

Wie weh thut es mir, daß ich unſern Dü¬ rer nicht habe begleiten können, um Dich in den Niederlanden vielleicht noch anzutreffen. Meine Krankheit iſt nicht gefährlich, aber doch hält ſie mich von dieſer Reiſe ab. Meine Sehnſucht nach Dir wird auf mei¬ nem einſamen Lager in jeder Stunde leben¬Q 2242 [244]diger; ich weiß nicht, ob Du an mich mit denſelben Empfindungen denkſt. Wann die Blumen des Frühlings wiederkommen, biſt Du noch weiter von mir entfernt, und da¬ bei weiß ich nicht einmahl zuverläſſig, ob ich Dich auch wiederſehe. Wie mühevoll und wie leer iſt unſer menſchliches Leben! ich leſe jetzt Deine Briefe zu wiederholten mah¬ len, und mich dünkt, als wenn ich ſie nun beſſer verſtände; wenigſtens bin ich jetzt noch mehr Deiner Meinung. Ich kann nicht mahlen, und darum leſe ich auch wohl jetzt in Büchern fleißiger als ich ſonſt that, und ich lerne manches Neue, und Manches das ich ſchon wußte, erſcheint mir wieder neu. Übel iſt es, daß es dem Menſchen oft ſo ſchwer ankömmt, ſelbſt das Einfältigſte recht ordentlich zu verſtehn, wie es gemeint ſeyn muß, denn ſeine jedesmahlige Lebens¬ art, ſeine augenblicklichen Gedanken hindern243 [245] ihn daran; wo er dieſe nicht wiederfindet, da dünkt ihm nichts recht zu ſeyn. Ich mögte Dich jetzt mündlich ſprechen, um recht viel von Dir zu hören, um Dir recht viel zu ſagen; denn je länger Du fort biſt, je mehr empfinde ich Deine Abweſen¬ heit, und daß ich mit Niemand, ſelbſt mit Dürer nicht das reden kann, was ich mit Dir gern ſprechen möchte.

Die Helden des Römiſchen Alterthums wandeln jetzt mit ihrer Größe durch mein Gemüth; ſo wie ich geneſe, will ich den Verſuch anſtellen, aus ihren Geſchichten et¬ was zu mahlen. Ich kann es Dir nicht be¬ ſchreiben, wie ſich ſeit einiger Zeit das Hel¬ denalter ſo lebendig vor mir regt; bis dahin ſah ich die Geſchichte als eine Sache an, die nur unſre Neugier angehe, aber es hat ſich mir darinn eine ganz andre Welt ent¬ wickelt. Vorzüglich gern möchte ich aus Cä¬ ſars Geſchichte etwas bilden, man nennt244 [246] dieſen Mann ſo oft, und nie mit der Ehr¬ furcht die er verdient. Wenn er auf dem Nachen ausruft: Du trägſt den Cäſar und ſein Glück! oder ſinnend am Rubikon ſteht, und nun noch einmahl kurz ſein Vorhaben erwägt, wenn er denn fortſchreitet, und die bedeutenden Worte ſagt: der Würfel iſt geworfen! dann bewegt ſich mein ganzes Herz vor Entzücken, alle meine Gedanken verſammeln ſich um dem einen großen Mann, und ich möchte ihn auf alle Weiſe verherrlichen. Am liebſten ſehe ich ihn vor mir, wenn er durch die kleine Stadt in den Alpen zieht, ſein Geſellſchafter ihn fragt: ob denn hier auch wohl Neid und Verfol¬ gung und Plane zu Hauſe wären, und er mit ſeiner höchſten Größe die tiefſinnigen Worte ſagt: Glaube mir, ich möchte lieber hier der Erſte, als in Rom der Zweyte ſeyn.

245 [247]

Dies iſt nicht bloßer Ehrgeiz, oder wenn man es ſo nennen will, ſo iſt es das Erha¬ benſte, wozu ſich der Menſch empor ſchwin¬ gen kann. Denn freilich, war Rom, das damals die ganze Welt beherrſchte, im Grunde etwas anders, als jene kleine un¬ bedeutende Stadt? Der höchſte Ruhm, die größte Verehrung des Helden, auch wenn ihm der ganze Erdkreis huldigt, was iſt es denn nun mehr? Wird er niemals wieder vergeſſen? iſt vor ihm nicht etwas Ähnliches da geweſen? Es liegt eine große Seele in Cäſars Worten, die hier ſo kühn das an¬ ſcheinend Höchſte, mit dem ſcheinbar Nie¬ drigſten zuſammenſtellt. Es iſt ein ſolcher Ehrgeiz, der dieſen Ehrgeiz wieder als et¬ was Gemeines und Verächtliches empfindet, der ſein großes Leben das er führt, nicht höher anſchlägt, als daß des unbedeuten¬ den Bürgers, der das ganze Leben gleichſam246 [248] nur ſo mitmacht, weil es eine herge¬ brachte Gewohnheit iſt, und der nun in der Fülle ſeiner Herrlichkeit, gleichſam als Zu¬ gabe, als einen angeworfenen Zierath, ſeinen Ruhm, ſeine glorwürdigen Thaten, ſein erhabe¬ nes Streben hineinlegt. Wo die Wünſche der übrigen Menſchen über ihre eigne Kühnheit erſtaunen, da ſieht er noch Alltäglichkeit und Beſchränktheit; wo andre ſich vor Wonne und Entzücken nicht mehr faſſen können, iſt er kaltblütig, und nimmt mit zurückhaltender Verachtung an, was ſich ihm aufdrängt.

Mir fallen dieſe Gedanken bei, weil viele jezt von den wahrhaft großen Män¬ nern mit engherziger Kleinmüthigkeit ſpre¬ chen, weil ſich dieſe es einkommen laſſen, Rieſen und Koloſſe auf einer Goldwage ab¬ zuwägen. Eben dieſe können es auch nicht begreifen, warum ein Sylla in ſeinem247 [249] höchſten Glanze das Regiment plötzlich nie¬ derlegt, und wieder Privatmann wird, und ſo ſtirbt. Sie können es ſich nicht vorſtellen, daß der menſchliche Geiſt, der hohe nehmlich, ſich endlich an allen Freuden dieſer Welt er¬ ſättige, und nichts mehr ſuche, nichts mehr wünſche. Ihnen genügt ſchon das bloße Da¬ ſeyn, und jeder Wunſch zerſpaltet ſich in tauſend kleine; ſie würden ohne Stolz, in ſchlechter Eitelkeit Jahrhunderte durchleben und immer weiter träumen, und keinen Le¬ benslauf hinter ſich laſſen.

Jezt iſt es mir ſehr deutlich, warum Ca¬ to und Brutus gerne ſtarben; ihr Geiſt hat¬ te den Glanz verlöſchen ſehn, der ſie an dieſes Leben feſſelte. Ich leſe viel, wie Du mich ſonſt oft dazu ermahnteſt, in der heiligen Schrift, und je mehr ich darinn le¬ ſe, je theurer wird mir alles darinn. Unbe¬ ſchreiblich hat mich der Prediger Salomo248 [250] erquickt, der alle dieſe Gedanken meiner Seele ſo einfältig und ſo erhaben ausdrückt; der die Eitelkeit des ganzen menſchlichen Treibens durchſchaut hat; der alles erlebt hat, und in Allem das Vergängliche, das Nichtige entdeckt, daß nichts unſerm Herzen genüget, und daß alles Streben nach Ruhm, nach Größe und Weisheit, Eitelkeit ſey; der im¬ mer wieder damit ſchließt: Darum ſage ich, daß nichts beſſer ſey, denn daß ein Menſch fröhlich ſey in ſeiner Arbeit, denn das iſt ſein Theil.

Was hat der Menſch von aller ſeiner Mühe die er hat unter der Sonnen? Ein Geſchlecht vergehet, das andre kömmt, die Erde aber bleibt ewiglich. Die Sonne ge¬ het auf und gehet unter, und läuft an ih¬ ren Ort, daß ſie daſelbſt wieder aufgehe. Der Wind gehet gegen Mittag, und kömmt herum zu Mitternacht, und wieder herum249 [251] an den Ort da er anfing. Alle Waſſer lau¬ fen ins Meer, noch wird das Meer nicht völler; an den Ort wo ſie herfließen, flie¬ ßen ſie wieder hin. Es iſt alles Thun ſo voll Mühe, daß Niemand ausreden kann. Das Auge ſiehet ſich nimmer ſatt, und das Ohr höret ſich nimmer ſatt. Was iſt's das geſchehen iſt? Eben das hernach geſchehen wird. Was iſt's, das man gethan hat? Eben das man hernach wieder thun wird, und geſchicht nichts Neues unter der Son¬ nen.

Und nachher ſagt er: Iſt's nun nicht beſſer dem Menſchen, eſſen und trinken, und ſeine Seele guter Dinge ſeyn in ſeiner Arbeit?

Wie es dem Guten gehet, ſo geht's auch dem Sünder. Das iſt ein böſes Ding, unter allem, das unter der Sonnen geſchicht, daß es einem geht wie dem andern, daher250 [252] auch das Herz des Menſchen voll Arges wird, und Thorheit in ihrem Herzen, die¬ weil ſie leben, darnach müſſen ſie ſterben. Denn die Lebendigen wiſſen daß ſie ſterben werden, aber die Todten wiſſen nichts, ſie verdienen auch nichts mehr, denn ihr Ge¬ dächtniß iſt vergeſſen; daß man ſie nicht mehr liebet, noch haſſet, noch neidet, und haben kein Theil mehr auf der Welt, in al¬ lem was unter der Sonnen geſchicht. So gehe hin, und Dein Brod mit Freuden, trink Deinen Wein mit gutem Muth, denn Dein Werk gefällt Gott. Laß Deine Klei¬ der immer weiß ſeyn, und Deinem Haupte Salbe nicht mangeln. Brauche des Lebens mit deinem Weibe das du lieb haſt, ſo lange du das eitel Leben haſt, das dir Gott unter der Sonnen gegeben hat, ſo lange dein eitel Leben währet, denn das iſt dein Theil im Leben, und in deiner Arbeit,251 [253] die du thuſt unter der Sonnen. Alles was dir vorhanden kommt zu thun, das thue friſch, denn in dem Tode, da Du hinfährſt, iſt weder Werk, Kunſt, Vernunft noch Weisheit. «

Liebſter Franz, ich habe viel daraus ge¬ lernt, höher bringt es der Menſch gewiß niemals, dies iſt die Weisheit.

Ich habe einen Nürnberger Hans Sachs kennen gelernt; einen wackern Mann und ſchönen Dichter, er hat ſich auf die Kunſt der Meiſterſänger gelegt, und es weit darinn gebracht, dabei iſt er ein gro¬ ßer Freund der Reformation, er hat viel herrlicher Gedichte darüber abgefaßt. Er iſt Bürger und Schumacher allhier.

Lebe wohl, und gieb mir bald Nachrich¬ ten von Dir; Deine Briefe können mir nie¬ mals zu weitläuftig ſeyn.

Sebaſtian.

252 [254]

Dieſer Brief ſetzte Franzen in ein tiefes Nachſinnen, er wollte ſeinem Gemüthe nicht recht eindringen, und er fühlte faſt et¬ was Fremdartiges in der Schreibart, das ſich ſeinem Geiſte wiederſetzte. Es quälte ihn, daß alles Neue mit einem zu gewalt¬ ſamen Eindrucke auf ſeine Seele fiel, und ihr dadurch die freie Bewegung raubte. So lag ihm wieder die Geſinnung und das Betragen des Meiſter Lukas in den Gedan¬ ken, manches in Sebaſtians Briefe ſchien ihm damit übereinzuſtimmen, und in ſolchen Augenblicken des Gefühls kam er ſich oft in der Welt ganz einſam vor.

Wunderlich ſeltſam iſt das Leben der Jugend, die ſich ſelbſt nicht kennt. Sie verlangt, daß die ganze übrige Welt, wie ein einziges Inſtrument, mit ihren Empfin¬ dungen eines jeden Tages zuſammenſtimmen ſoll, ſie mißt ſich mit der fremdartigſten253 [255] Natur, und iſt nur zu oft unzufrieden, weil ſie allenthalben Disharmonie zu hören glaubt. Sich ſelbſt genug, ſucht ſie doch auſſenwärts einen freundlichen Wiederhall der antworten ſoll, und ängſtigt ſich, wenn er ausbleibt.

Er ging nach einiger Zeit in das Haus zurück. Dürer war ſchon wieder munter, und beide ſuchten den Meiſter Lukas in ſei¬ ner Mahlerſtube auf. Er ſaß bei ſeiner Zeichnung, und war ſchon ziemlich weit da¬ mit gekommen. Franz verwunderte ſich ſehr über den kunſtreichen Mann, der in ſo kur¬ zer Zeit ſo viel hätte arbeiten können, die Zeichnung war beinahe fertig, und mit gro¬ ßem Feuer entworfen. Dürer betrachtete ſie und ſagte; Ihr ſcheint Recht zu haben, Mei¬ ſter Lukas, daß ſich nach einem guten Trun¬ ke beſſer arbeiten läßt, ob ich es gleich noch nie verſucht habe; denn mir ſteigt der Wein254 [256] in den Kopf, und verdunkelt mir die Ge¬ danken.

Man muß ſich nur nicht ſtöhren laſſen, ſagte Lukas, wenn einem auch anfangs et¬ was wunderlich dabei wird, ſondern dreiſt fortfahren, ſo findet man ſich bald in die Arbeit hinein, und alsdann geräth ſie ge¬ wißlich beſſer.

Die drei Künſtler blieben mit den Frauen auch am Abend zuſammen, und ſie ſezten ihre Geſpräche fort. Franz war gedrückt von dem Gedanken, daß er morgen abrei¬ ſe; ob er gleich ſeinen Dürer ganz unvermu¬ theter Weiſe gefunden hatte, ſo ſollte er ihn doch jetzt eben ſo plötzlich zum zweiten¬ mahle verlaſſen; er ſprach wenig mit, auch aus dem Grunde, weil er zu beſcheiden war.

Es war ſpät, der Mond war eben auf¬ gegangen als man ſich trennte. Franznahm257nahm von Lukas Abſchied; dann begleitete er ſeinen Lehrer mit ſeiner Hausfrauen nach ihrer Herberge. Hier ſagte er auch der Frau Lebewohl. Dürer ging wieder mit ihm zurück, ſie durchſtrichen einige Straßen, und kamen dann auf einen Spaziergang der Stadt.

Der Mond ſchien ſchräg durch die Bäu¬ me die beinahe ſchon ganz entblättert waren; ſie ſtanden ſtill, und Franz fiel ſeinem Meiſter mit Thränen an die Bruſt. Was iſt Dir? ſagte Dürer, indem er ihn in ſeine Arme ſchloß. O liebſter, liebſter Albrecht, ſchluchzte Franz, ich kann mich nicht dar¬ über zufrieden geben, ich kann es nicht ausſprechen, wie ſehr ich Euch verehre und liebe. Ich hab 'es mir immer gewünſcht Euch noch einmahl zu ſehn, um es Euch zu ſagen, aber nun habe ich doch keine Ge¬ walt dazu. O liebſter Meiſter, glaubt esR258mir nur auf mein Wort, glaubt es meinen Thränen.

Franz war indem zurückgetreten, und Dü¬ rer gab ihm die Hand, und ſagte: ich glau¬ be es Dir:

Ach! rief Franz aus, was ſeid Ihr doch für ein ganz anderer Mann als die übrigen Menſchen! das fühle ich immer mehr, ich werde keinen Eures Gleichen wieder antref¬ fen. An Euch hängt mein ganzes Herz, und wie ich Euch vertraue, werde ich keinem wieder vertrauen.

Dürer lehnte ſich nachdenkend an den Stamm eines Baumes, ſein Geſicht war ganz beſchattet. Franz, ſagte er langſam, Du machſt, daß mir Deine Abweſenheit im¬ mer trauriger ſeyn wird, denn auch ich wer¬ de niemals ſolchen Schüler, ſolchen Freund wieder antreffen. Denn Du biſt mein Freund; der einzige, der mich aus recht voller Seele259 liebt, der einzige, den ich ganz ſo wieder lieben kann.

Sagt das nicht, Albrecht, ſagte Franz, ich vergehe vor Euch.

Dürer fuhr fort: Es iſt nur die Wahr¬ heit, mein Sohn, denn als ſolchen liebe ich Dich. Meinſt Du, Deine getreue Anhänglich¬ keit von Deiner Kindheit auf habe mein Herz nicht geruht? O Du weißt nicht, wie mir an jenem Abend in Nürnberg war, und wie mir jetzt wieder iſt: wie ich damals den Abſchied von Dir abkürzte, und es jetzt gern wieder thäte; aber ich kann nicht.

Er umarmte ihn freiwillig, und Franz fühlte daß ſein theurer Lehrer weinte. Sein Herz wollte brechen. Die übrigen Men¬ ſchen, ſagte Dürer, lieben mich nicht wie Du; es iſt zu viel Irrdiſches in ihren Ge¬ danken. Ich ſtelle mich oft wohl äußerlich hart, und thue wie die übrigen; aber meinR 2260Herz weiß nichts davon. Pirkheimer iſt ein Patrizier, ein reicher Mann, er iſt brav, aber er ſchätzt mich nur der Kunſt wegen, und weil ich fleißig und aufgeräumt bin. Mein Weib kennt mich wenig, und weil ich ihr im Stillen nachgebe, ſo meint ſie, ſie mache mir alles recht. Sebaſtian iſt gut, aber ſein Herz iſt dem meinigen nicht ſo verwandt als das Deine. Von den übrigen laß mich gar ſchweigen. Ja wahrlich, Du biſt mir der Einzige auf der Erde.

Franz ſagte begeiſtert: O was könnte mir für ein größeres Glück begegnen, als daß Ihr die Liebe erkennt, die ich ſo innig¬ lich zu Euch trage?

Sei immer wacker, ſagte Dürer, und laß dein frommes Herz allerwege ſo bleiben, als es jetzt iſt. Komm dann nach Deutſchland und Nürnberg zurück, wenn es Dir gut däucht; ich wüßte mir keine größere Freude, als künftig immer mit Dir zu leben.

261

Ich bin eine verlaſſene Waiſe, ohne El¬ tern, ohne Angehörigen, ſagte Franz, Ihr ſeid mir alles.

Ich wünſche, ſagte Albrecht, daß Du mich wiederfindeſt, aber ich glaube es nicht; es iſt etwas in meiner Seele, was mir ſagt, daß ich es nicht lange mehr treiben werde. Ich bin in manchen Stunden ſo ernſthaft und ſo betrübt, daß ich zu ſterben wünſche, wenn ich auch nachher oft wieder ſcherze und luſtig ſcheine. Ich weiß auch recht gut, daß ich zu fleißig bin, und mir dadurch Schaden thue, daß ich die Kraft der Seele abſtumpfe, und es gewiß büßen muß; aber es iſt nicht zu ändern. Ich brauche Dir liebſter Franz, wohl die Urſache nicht zu ſa¬ gen. Meine Frau iſt gut, aber ſie iſt zu weltlich geſinnt, ſie quält ſich ewig mit Sorgen für die Zukunft und mich mit; ſie glaubt, daß ich niemals genug arbeiten262 kann, um nur Geld zu ſammeln, und ich arbeite um in Ruhe zu ſeyn, oft mit unlu¬ ſtiger Seele; aber die Luſt ſtellt ſich wäh¬ rend der Arbeit ein. Meine Frau empfin¬ det nicht die Wahrheit der himmliſchen Wor¬ te, die Chriſtus ausgeſprochen hat: Sorget nicht für euer Leben, was ihr eſſen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was Ihr anziehen werdet. Iſt nicht das Leben mehr denn die Speiſe? Und der Leib mehr denn die Kleidung? So denn Gott das Gras auf dem Felde kleidet, das doch heu¬ te ſtehet, und morgen in den Ofen gewor¬ fen wird, ſollt er das nicht vielmehr Euch thun? O Ihr Kleingläubigen! Darum ſollt Ihr nicht ſorgen und ſagen: Was werden wir eſſen? Was werden wir trinken? Wo¬ mit werden wir uns kleiden? Nun lebe wohl, mein liebſter Freund; ich will zurück, und Du ſollſt mich nicht begleiten, denn an263 einer Stelle müſſen wir uns ja doch trennen.

Franz hielt noch immer ſeine Hand. Ich ſollte Euch nicht wiederſehn? ſagte er, wa¬ rum ſollte ich dann wohl nach Deutſchland zurückkommen? Nein, Ihr müßt leben, noch lange, lange, Euch, mir und dem Vater¬ lande!

Wie wir uns trennen müſſen, ſagte Dü¬ rer, ſo muß ich doch irgend einmahl ſterben, es ſey wenn es ſey. Je früher, je weniger Lebensmühe; je ſpäter, je mehr Sorgen. Aber komm bald zurück wenn Du kannſt.

Er ſeegnete hierauf ſeinen jungen Freund, und betete inbrünſtig zum Himmel. Franz ſprach in Gedanken ſeine Worte nach, und war in einer frommen Entzückung; dann umarmten ſich beide, und Dürer ging wie ein großer Schatten von ihm weg. Franz ſah ihm nach, und der Mondſchimmer und264 die Bäume dämmerten ungewiß um ihn. Plözlich ſtand der Schatten ſtill, und beweg¬ te ſich wieder rückwärts. Dürer ſtand neben Franz, nahm ſeine Hand, und ſagte: Und wenn Du mir künftig ſchreibſt, ſo nenne mich in Deinen Briefen Du, und Deinen Freund, denn Du biſt mein Schüler nicht mehr. Mit dieſen Worten ging er nun wirklich fort, und Franz verlohr ihn gänz¬ lich aus den Augen. Die Nacht war kalt, die Wächter der Stadt zogen vorüber und ſangen, die Klocken ſchlugen feierlich. Franz irrte nach eine Zeitlang umher, dann begab er ſich nach ſeiner Herberge, aber er konnte nicht ſchlafen.

265

Drittes Capitel.

Der Morgen kam. Franz hatte eine Ge¬ ſellſchaft gefunden, die auf dem Kanal mit einem Schiffe nach Rotterdam fahren woll¬ te, dort wollten ſie ein größers nehmen, um vollends nach Antwerpen zu kommen.

Es war helles Wetter, als ſie in das Boot ſtiegen; die Geſellſchaft ſchien bei gu¬ ter Laune. Franz betrachtete ſie nach der Reihe, und keiner darunter fiel ihm beſon¬ ders auf, außer ein junger Menſch, der ei¬ nige zwanzig Jahre alt zu ſeyn ſchien, und ungemein ſchön im Geſicht und in ſeinen Gebährden war. Franz fühlte ſich immer mehr zu den jüngern als zu den ältern Leuten hingezogen; er ſprach mit den leztern un¬ gern, weil er nur ſelten in ihre Empfindun¬ gen einſtimmen konnte. Bei alten Leuten empfand er ſeine Beſchränkung noch quälen¬266 der, und er merkte es immer, daß er ihnen zu lebhaft, zu jugendlich war, daß er ſich gemeiniglich an Dingen entzückte, die jenen immer fremd geblieben, und daß ſie doch zuweilen mit einem gewiſſen Mitleiden, mit einer tyranniſirenden Duldung auf ihn hin¬ abblickten, als wenn er endlich allen dieſen Gefühlen und Stürmen vorüberſchiffen mü߬ te, um in ihr ruhiges kaltes Land fe[ſ][t]en Fuß zu faſſen. Vollends demüthigte es ihn oft, wenn ſie dieſelben Gegenſtände liebten, die er verehrte; Lob und Tadel, Anpreiſung und Nachſicht aber mit ſo ſcheinbarer Ge¬ rechtigkeit austheilten, daß von ihrer Liebe faſt gar nichts übrig blieb. Er dagegen war gewohnt aus vollem Herzen zu zahlen, ſeine Liebe nicht zu meſſen und einzuſchrän¬ ken, ſondern es zu dulden, daß ſie ſich in vollen Strömen durch das gelobte Land der Kunſt, ſein Land der Verheißung, ergoß; je267 mehr er liebte, je wohler ward ihm. Er konnte ſein Auge von dem Jünglinge gar nicht zurückziehn, die luſtigen hellen braunen Augen und das gelockte Haar, eine freie Stirn und dazu eine bunte, fremdartige Tracht machten ihn zum Gegenſtande von Franzens Neugier.

Das Schiff fuhr fort, und man ſah links weit in das ebene Land hinein. Die Geſell¬ ſchaft ſchien nachdenkend oder vielleicht mü¬ de, weil ſie alle früh aufgeſtanden waren: nur der Jüngling ſchaute unbefangen mit ſeinen großen Augen umher. Ein ältlicher Mann zog ein Buch hervor, und fing an zu leſen; doch es währte nicht lange ſo ſchlummerte er. Die übrigen ſchienen ein Geſpräch zu wünſchen.

Der Herr Vanſen ſchläft, ſagte der eine zu ſeinem Nachbar, das Leſen iſt ihm nicht bekommen.

268

Er ſchläft nicht ſo, Nachbar, daß er Euch nicht hören ſollte, ſagte Vanſen, indem er ſich ermunterte. Ihr ſolltet nur etwas erzählen, oder ein Iuſtiges Lied ſingen.

Ich bin heiſer, ſagte jener, Ihr wiß't es ſelber; auch hab 'ich eigentlich ſeit Jahr und Tag das Singen ſchon aufgegeben.

Der fremde Jüngling ſagte: Ich will mich wohl erbieten ein Lied zu ſingen, wenn ich nur wüßte, daß die Herren es mit der Poeſie nicht ſo gar genau nehmen wollten.

Sie verſicherten ihn alle, daß es nicht geſchehn würde, und jener fuhr fort. Es iſt auch nur, daß man ſich das bischen Freude verbittert; alle Lieder die ich gern ſinge, müſſen ſich hübſch gerade zu und ohne Umſchweife ausdrücken, auf eine andre Art gefallen ſie mir nicht. Ich will alſo mit Eurer Erlaubniß anfangen.

269
Über Reiſen kein Vergnügen,
Wenn Geſundheit mit uns geht,
Hinter uns die Städte liegen,
Berg und Waldung vor mir ſteht.
Jenſeit, jenſeit, iſt der Himmel heiter,
Treibt mich rege Sehnſucht weiter.
Schau Dich um, und laß die trüben Blicke.
Sieh, da liegt die große weite Welt,
In der Stadt blieb alles Gaun zurücke,
Das den Sinn gefangen hält.
Endlich wieder Himmel, grüne Flur,
Groß und lieblich die Natur
Auch ein Mädchen muß Dich nimmer quälen,
Kömmſt ja doch zu Menſchen wieder hin.
Nirgend wird es Dir an Liebe fehlen,
Iſt dier Lieben ein Gewinn:
Darum laß die trüben Blicke,
Allenthalben blüht Dein Glücke.
Immer munter, Freunde, munter,
Denn mein Mädchen wartet ſchon,
Treibt den Fluß nur raſch hinunter,
270
Denn mich dünkt mich lockt ihr Ton.
Günſtig ſind uns alle Winde,
Stürme ſchweigen, Lüfte ſäuſeln linde
Siehſt Du die Sonne nicht
Glänzen im Bach?
Wo Du biſt, ſpielt das Licht
Freundlich Dir nach.
Durch den Wald Funkelſchein,
Sieht in den Quell;
Kuckt in die Fluth hinein,
Macht tauſend Ströme hell.
So auch der Liebe Licht,
Wandelt mit Dir;
Löſchet wohl nimmer nicht,
Iſt dorten bald, bald, hier.
Liebſt Du die Morgenpracht,
Wenn nach der ſchwarzen Nacht
Auf diamantner Bahn,
Die Sonne ihren Weg begann?
Wenn alle Vögel jubeln laut
Begrüßen fröhlich des Tages Braut;
271
Wenn Wolken ſich zu Füßen ſchmiegen,
In Brand und goldnem Feuer fliegen?
Auch wenn die Sonne nun den Wagen lenkt,
Und hinter ihr das Morgenroth erbleicht,
O Freund, wie eilig Tag und Mittag weicht,
Das ſich zum Meer die Göttinn ſenkt!
Und dann funkeln neue Schimmer
Über See und über Land,
Erd 'und Himmel, in dem Flimmer
Sich zu einem Glanz verband.
Prächtig mit Rubinen und Sapphiren,
Siehſt Du dann den Abendhimmel prangen,
Goldenes Geſchmeide um ihn hangen,
Edelſteine Hals und Nacken zieren,
Und in holder Gluth die ſchönen Wangen.
Drängt ſich nicht mit leiſem Licht der Chor
Aller Sterne, ihn zu ſehen, vor?
Jubeln nicht die Lerchen ihre Lieder,
Tönt nicht Fels und Meer Geſänge wieder?
272
Alſo wenn die erſte Liebe Dir entſchwunden,
Mußt Du weibiſch nicht verzagen,
Sondern dreiſt Dein Glücke wagen,
Bald haſt Du die zweite aufgefunden;
Und kannſt Du im Rauſche dann noch klagen:
Nie empfand ich, was ich vor empfunden?
Nie vergißt der Frühling wiederzukommen,
Wenn Störche ziehn, wenn Schwalben auf der Wie¬ ſe ſind.
Kaum iſt dem Winter die Herrſchaft genommen,
So erwacht und lächelt das goldne Kind.
Dann ſucht er ſein Spielzeug wieder zuſammen,
Das der alte Winter zuſammengeſtört,
Er putzt den Wald mit grünen Flammen,
Der Nachtigall er die Lieder lehrt.
Er rührt den Obſtbaum mit röthlicher Hand,
Er klettert hinauf die Aprikoſenwand,
Wie Schnee die Blüthe ſich unter die Blätter dringt,
Er ſchüttelt froh das Köpfchen, daß ihm die Arbeit〈…〉〈…〉 gt.
Dann273
Dann geht er, und ſchläft im waldgen Grund
Und haucht den Athem aus, den ſüßen,
Um ſeinen zarten rothen Mund
Im Graſe Viol 'und Erdbeer ſprießen:
Wie röthlich und bläulich lacht
Das Thal, wann er erwacht.
In den verſchloſſnen Garten
Steigt er über's Gitter in Eil,
Mag auf den Schlüſſel nicht warten,
Ihm iſt keine Wand zu ſteil.
Er ränmt den Schnee aus dem Wege,
Er ſchneidet das Buxbaum-Gehege,
Und feiert auch am Abend nicht,
Er ſchaufelt und arbeitet im Mondenlicht.
Dann ruft er: wo ſäumen die Spielkameraden
Daß ſie ſo lange in der Erde bleiben?
Ich habe ſie alle eingeladen,
Mit ihnen die fröhliche Zeit zu vertreiben.
S274
Die Lilie kömmt, und reicht ihm die weißen Fingern,
Die Tulpe ſteht mit dickem Kopfputz da,
Die Roſe tritt beſcheiden nah,
Aurikelchen und alle Blumen, vornehm und geringer.
Der bunte Teppich iſt nun geſtickt,
Die Liebe tritt aus Jasminlauben hervor.
Da danken die Menſchen, Da jauchzet der Vögel
ganzes Chor,
Denn alle fühlen ſich beglückt.
Dann küßt der Frühling die zarten Blumen¬
wangen,
Und ſcheidet und ſagt: ich muß nun gehn.
Da ſterben ſie alle an ſüßem Verlangen,
Daß ſie mit welken Häuptern ſtehn.
Der Frühling ſpricht: vollendet iſt mein Thun,
Ich habe ſchon die Schwalben herbeſtellt,
Sie tragen mich in eine andre Welt,
Ich will in Indiens duftenden Gefilden ruhn.
275
Ich bin zu klein, das Obſt zu pflücken,
Den Stock der ſchweren Traube zu entkleiden,
Mit der Senſe das goldne Korn zu ſchneiden,
Dazu will ich den Herbſt Euch ſchicken.
Ich liebe das Spielen, bin nur ein Kind
Und nicht zur ernſten Arbeit geſinnt;
Doch wenn Ihr des Winters überdrüßig ſeid,
Dann komm ich zurück zu Eurer Freud.
Die Blumen, die Vögel nehm ich mit mir,
Wenn Ihr erndtet und keltert, was ſollen ſie hier?
Ade, ade, die Liebe iſt da,
Drum iſt Euch der Frühling ewiglich nah.

Ihr habt das Lied ſehr ſchön geſungen, ſagte Vanſen, aber es iſt wahr, daß man es mit dem Texte nicht ſo genau nehmen muß, denn das Letzte hängt gar nicht mit dem Erſten zuſamnen.

Ihr habt ſehr Recht, ſagte der Fremde; indeſſen Ihr kennt das Sprichwort: Ein Schelm giebts beſſer als er es hat.

S 2276

Ich habe einen guten und ſchönen Zu¬ ſammenhang darinn gefunden, ſagte Franz. Der Hauptgedanke darinn iſt der fröhliche Anblick der Welt; das Lied will uns von trüben Gedanken und Melancholie abziehn, und ſo kömmt es von einer Vorſtellung auf die andre. Zwar iſt nicht der Zuſammen¬ hang einer Rede darinn, aber es wandelt gerade ſo fort, wie ſich unſre Gedanken in einer ſchönen heitern Stunde bilden.

Ihr ſeid wohl ſelber ein Poet? rief der Fremde aus.

Franz ward roth, und ſagte dann, daß er ein Mahler ſey, der vor jetzt nach Ant¬ werpen, und dann nach Italien zu gehen geſonnen ſey.

Ein Mahler? ſchrie Vanſen auf, indem er Sternbald genau betrachtete. O ſo gebt mir Eure Hand! dann müſſen wir näher mit einander bekannt werden!

277

Franz war in Verlegenheit, er wußte nicht, was er ſagen ſollte; der Niederländer fuhr fort: Vor allen andern Künſten in der Welt ergötzt mich immer die Kunſt der Mahlerei am meiſten, und ich begreife es nicht, wie viele Menſchen ſo kalt dagegen ſeyn können. Denn was iſt Poeſie und Muſik, die ſo flüchtig vorüberrauſchen, und uns kaum anrühren! Jetzt vernehme ich die Töne, und denn ſind ſie vergeſſen ſie wa¬ ren, und ſie waren auch nicht; es ſind Klänge und Worte, und ich weiß niemals recht, was ſie mir ſollen. Sie ſind wirklich nichts als ein Spielwerk, das ein jeder an¬ ders handhabt. Dagegen verſtehn es die edeln Mahlerkünſtler, mir Sachen und Per¬ ſonen unmittelbar vor die Augen zu ſtellen, mit ihren freundlichen Farben, mit aller Wirklichkeit und Lebendigkeit, ſo daß das Auge, der klügſte und edelſte Sinn des Men¬278 ſchen, gleich im Augenblicke alles auffaßt und verſteht. Je öfter ich die Figuren wieder ſehe, je bekannter werden ſie mir, ja ich kann ſagen, daß ſie meine Freunde werden, daß ſie für mich eben ſo gut leben und da ſind, als die übrigen Menſchen. Darum liebe ich die Mahler ſo ungemein, denn ſie ſind gleichſam Schöpfer, und können ſchaf¬ fen und darſtellen, was ihnen gelüſtet.

Von dieſem Augenblicke bemühte ſich Vanſen ſehr um Sternbald; dieſer nannte Ihm ſeinen Namen, und ward von jenem ſehr dringend gebeten, ihn in Antwerpen in ſeinem Hauſe zu beſuchen, und etwas für ihn zu mahlen. Auf der fortgeſetzten Reiſe gerieth Franz mit dem unbekannten Jüng¬ linge in ein Geſpräch und erfuhr von dieſem, daß er ſich Rudolph Floreſtan nenne, daß er aus Italien ſey, jetzt Eng¬ land beſucht habe, und nach ſeiner Heimath279 zurückzukehren denke. Beide Jünglinge be¬ ſchloſſen die Reiſe zuſammen zu machen, denn ſie fühlten einen Zug der Freundſchaft zu einander, der ſie ſchnell vereinigte. Wir wollen recht vergnügt mit einander ſeyn, ſagte Rudolph; ich bin ſchon mehr als ein¬ mahl in Deutſchland geweſen, und habe lange unter Euren Landsleuten gelebt, ich bin ſelbſt ein halber Deutſcher, und liebe Eure Nation.

Franz verſicherte ihn, daß er ſich ſehr freue ſeine Bekanntſchaft gemacht zu haben. Er äußerte ſeine Verwunderung daß Ru¬ dolph noch ſo jung ſey, und doch ſchon von der Welt ſo viel geſehn habe. Das muß Euch nicht erſtaunen, ſagte jener, denn ich bin auch ſchon einmahl in Spanien gewe¬ ſen. Mein unruhiger Geiſt treibt mich im¬ mer umher, und wenn ich eine Weile ſtill in meiner Heimath geſeſſen habe, muß ich280 wieder reiſen, wenn ich nicht krank werden will. Wenn ich auf der Reiſe bin, geſchieht es mir wohl, daß ich mich nach meinem Hauſe ſehne, und mir vornehme, nie wie¬ der in der Ferne herumzuſtreifen; indeſ¬ ſen dauern dergleichen Vorſätze niemals lange, ich darf nur von fremden Ländern hören oder leſen, gleich iſt die alte Luſt in mir wieder aufgewacht.

Ein großer Theil der Geſellſchaft kam nun darauf, man ſolle, um die Zeit der Fahrt zu verkürzen, Geſchichten oder Mähr¬ chen erzählen. Alle trauten dem Rudolph zu, daß er am beſten im Stande ſey, ihr Begehren zu erfüllen; ſie erſuchten ihn da¬ her alle darum, auch Franz vereinigte ſich mit ihren Bitten. Ich will es gern thun, antwortete Rudolph, allein es geht mir mit meiner Geſchichte wie mit meinem Liede, ſie wird keinem recht gefallen. Alle behau¬281 teten, daß er ſie gewiß unterhalten würde, er ſolle nur getroſt anfangen. Rudolph ſagte: Ich liebe keine Geſchichte, und mag ſie gar nicht erzählen, in der nicht von Liebe die Rede iſt. Die alten Herren aber kümmern ſich um dergleichen Neuigkeiten nicht viel.

O doch, ſagte Vanſen; nur finde ich es in vielen Geſchichten der Art unnatürlich, wie die ganze Erzählung vorgetragen wird; gewöhnlich macht man doch zu viel Aufhe¬ bens davon, und das iſt, was mir mißfällt. Wenn es aber alles ſo recht natürlich und wahr fortgeht, kann ich mich ſehr daran ergötzen.

Das iſt es gerade, rief Rudolph aus, was ich ſagte; die meiſten Menſchen wollen al¬ les gar zu natürlich haben, und wiſſen doch eigentlich nicht, was ſie ſich darunter vor¬ ſtellen; ſie fühlen den Hang zum Seltſamen und Wunderbaren, aber doch ſoll das alles282 wieder alltäglich werden; ſie wollen wohl von Liebe und Entzücken reden hören, aber alles ſoll ſich in den Schranken der Billig¬ keit halten. Doch, ich will nur meine Ge¬ ſchichte anfangen, weil ich ſonſt ſelber Schuld daran bin, wenn Ihr gar zu viel erwartet.

Die Sonne ging eben auf, als ein jun¬ ger Edelmann, den ich Ferdinand nen¬ nen will, auf dem freien Felde ſpazierte. Er war damit beſchäftigt, die Pracht des Morgens zu betrachten und zu ſehn, wie ſich nach und nach das Morgenroth und das lichte Gold des Himmels immer brennender zuſammendrängten, immer hö¬ herleuchteten. Er verließ gewöhnlich an jedem Morgen ſein Schloß, auf dem er unverheirathet lebte, denn ſeine Eltern waren ſeit einiger Zeit geſtorben. Dann ſetzte er ſich in dem benachbarten Wäld¬283 chen nieder, und las einen italiäniſchen Dichter, die er ſehr liebte.

Jetzt war die Sonne heraufgeſtiegen, und er wollte ſich eben nach dem einſamen Waldplatze begeben, als er aus der Ferne einen Reuter heranſprengen ſah. Auf dem Hute und Kleide des Reuters glänzten Gold und Edelgeſteine im Schein des Morgens, und als er näher kam, glaubte Ferdinand einen vornehmen Ritter vor ſich zu ſehn. Der Fremde ritt eiligſt vorüber, und ver¬ ſchwand im Walde; kein Diener folgte ihm.

Ferdinand wunderte ſich noch über dieſe Eile, als er zu ſeinen Füßen im Graſe et¬ was Glänzendes ſah. Er ging hinzu, und hob das Bild eines Mädchens auf, das mit koſtbaren Diamanten eingefaßt war. Er ging damit nach dem Walde zu, indem er es aufmerkſam betrachtete; er ſetzte ſich an der gewohnten Stelle nieder, und ver¬284 gaß ſein Buch herauszuziehn; ſo ſehr war er mit dem Bilde beſchäftigt.

Was war der Edelmann für ein Lands¬ mann? fragte Vanſen.

Je nun, ich denke, antwortete Rudolph, er wird wohl ein Deutſcher geweſen ſeyn, ja, und jetzt erinnere ich mich deutlich, er war ein Franke.

Nun ſo ſeid ſo gut, und fahrt fort.

Er kam nach Hauſe, und nicht. Leo¬ pold, ſein vertrauteſter Freund beſuchte ihn, aber er ſprach nur wenig mit dieſem. War¬ um biſt Du ſo in Gedanken, fragte Leo¬ pold? Mir iſt nicht wohl, antwortete jener, und mit dieſer Antwort mußte der Freund zufrieden ſeyn.

So verſtrichen einige Wochen, und Fer¬ dinand ward mit ſeinen Worten immer ſpar¬ ſamer. Sein Freund ward beſorgt, denn er bemerkte, daß Ferdinand alle Geſellſchaf¬285 ter vermied, daß er faſt beſtändig im Wal¬ de, oder auf der Wieſe war, daß er jedem Geſpräche aus dem Wege ging. An einem Abende hörte Leopold folgendes Lied ſingen:

Soll ich harren? ſoll mein Herze
Endlich brechen?
Soll ich niemals von dem Schmerze
Meines Buſens ſprechen?
Warum geh ich in der Irre?
Ach was eile
Ich nicht ſchnell aus dem Gewirre?
Wozu träge Weile?
Irgendwo muß ich ſie finden;
Such die Ferne,
Durch den Wald, durch blühende Linden,
Lächeln Dir die Sterne.

Leopold hörte aufmerkſam dem räthſel¬ haften Liede zu; dann ging er in den Wald286 hinein, und traf ſeinen Freund in Thränen. Er ward bei dieſem Anblicke erſchüttert, und redete ihn ſo an: Liebſter, warum willſt Du mich ſo ſehr bekümmern, daß Du mir kein Wort von Deinem Leiden anvertraueſt? Ich ſehe es täglich, wie Dein Leben ſich aufzehrt, und unwiſſend muß ich mit Dir leiden, ohne daß ich rathen und tröſten könnte. Warum nennſt Du mich Deinen Freund? Ich bin es nicht, wenn Du mich nicht Deines Vertrauen würdig achteſt. Jezt gilt es, daß ich Deine Liebe zu mir auf die Probe ſtelle, und was fürchteſt Du, Dich mir zu entdecken? Wenn Du unglücklich biſt, wo findeſt Du ſicherer Troſt, als im Buſen eines Freundes? Biſt Du Dich eines Fehlers bewußt, wer verzeiht Dir williger als die Liebe?

Ferdinand ſah ihn eine Weile an, dann antwortete er: Keines von beiden, mein lie¬287 ber Freund, iſt bei mir der Fall; ſondern eine wunderſeltſame Sache belaſtet mein Herz ſo gewaltſam, die ich Dir noch nicht habe anvertrauen wollen, weil ich mich vor Dir ſchäme. Ich fürchte Deine Vernunft, ich fürchte, daß Du mir das ſagſt, was ich mir ſelber täglich und ſtündlich ſage; ich fürchte, daß Du wohl Deinen Freund, aber nicht ſeine unbegreifliche Thorheit liebſt. Ich will mich Dir alſo anvertrauen. Sieh dies Gemählde, das ich vor einigen Wochen gefunden habe, und das ſeitdem meinen Sinn ſo gänzlich umgewandelt hat. Mit ihm habe ich mein höchſtes Glück, ja mich ſelber gefunden, denn ich lebte vorher ohne Seele, ich kannte mich und das Glück der Welt nicht, denn ich wurde ohne alles Glück in der Welt fertig. Seitdem iſt mir, als wenn ein unbekanntes Weſen mir aus den Morgenwolken die Hand gereicht, und mich288 mit ſüßer Stimme bei meinem Namen ge¬ nannt hätte. Aber zugleich habe ich in die¬ ſem Bilde meinen größten Feind gefunden, der mir keine Minute Ruhe läßt, der mich auf jeden Schritt verfolgt, der mir alle übrigen Freuden dieſer Erde, als etwas Armſeeliges und Verächtliches darſtellt. Ich darf mein Auge nicht davon hinweg¬ wenden, ſo befällt mich eine marternde Sehnſucht, und wenn ich nun darauf blik¬ ke, und dieſen ſüßen Mund, und dieſe ſchönen Augen antreffe, ſo ergreift eine ſchreckliche Beklemmung mein Herz, ſo daß ich in unnützen Kämpfen, in Streben und Wünſchen vergehe und mein Leben ſich ver¬ zehrt, wie Du richtig geſagt haſt. Aber es muß ſich nun endigen; mit dem kommenden Morgen will ich mich aufmachen und das Land durchziehn, um diejenige wirklich auf¬ zufinden, von der ich bis jetzt nur das Ge¬mähl¬289mählde beſitze. Sie muß irgendwo ſeyn, ſie muß meine Liebe kennen lernen, und ich ſterbe dann entweder in öder Einſamkeit, oder ſie erwiedert dieſe Liebe.

Leopold ſtand lange ſtaunend, und be¬ trachtete ſeinen Freund; endlich rief er aus: Unglücklicher! Wohin haſt Du Dich verirrt? An dieſen Schmerzen hat ſich bisher viel¬ leicht noch keiner der Sterblichen verblutet. Was ſoll ich Dir ſagen? Wie ſoll ich Dir rathen? Der Wahnſinn hat ſich Deiner ſchon bemeiſtert, und alle Hülfe kömmt zu ſpät. Wenn nun das Original dieſes Bil¬ des auf der ganzen weiten Erde nicht zu finden iſt! und wie leicht kann es bloß die Imagination eines Mahlers ſeyn, die die¬ ſes zierliche Köpfchen hervorgebracht hat! oder ſie kann gelebt haben, und iſt nun ſchon geſtorben, oder ſie iſt die Gatinn ei¬ nes andern, und nun ſchon alt und vollT290Runzeln, ſo daß Du ſie gar nicht einmahl wieder kennſt. Glaubſt Du, daß ſich Dir zu Gefallen das Wunder des Pygmalion er¬ neuern wird? Iſt es nicht eben ſo gut, als wenn Du die Helena von Griechenland, oder die ägyptiſche Cleopatra liebteſt? Bedenke Dein eigen Wohl, und laß Dich nicht von einer Leidenſchaft unterjochen, die offenbar völlig aberwitzig iſt. Hier iſt es gerade, wo Dich Deine Vernunft aus dem Labyrinthe erretten muß, und mich wundert, wie Du ſie ſo haſt unterdrücken können, daß es ſo weit mit Dir gekommen iſt.

Nun, der Mann hat doch wahrlich völ¬ lig Recht, rief Vanſen aus, und ich bin neugierig, was der verliebter Schwärmer wohl darauf wird antworten können.

Gewiß gar nichts, ſagte ein andrer, er wird einſehn, wie gut es ſein Freund mit ihm meint, und das wunderliche Abentheuer fahren laſſen.

291

Rudolf fuhr fort: Ferdinand ſchwieg eine Weile ſtill, dann ſagte er: Liebſter Freund, Deine Worte können mich auf keine Weiſe beruhigen, und wenn Du mich und mein Herz nur etwas kennſt, ſo wirſt Du auch darauf gar nicht ausgehn. Ich gebe Dir Recht, Du haſt vollkommen vernünftig ge¬ ſprochen; allein was iſt mir damit geholfen? Ich kann Dir nichts antworten, ich fühle nur daß ich elend bin, wenn ich nicht gehe und jenes Bild aufſuche, das meine Seele ganz regiert. Denn könnt 'ich hier vernünf¬ tig ſeyn, ſo würde ich gewiß nicht einen Traum lieben; könnt' ich auf Deinen Rath hören, ſo würde ich mich nicht in der Nacht ſchlaflos auf meinem Lager wälzen. Denn wenn ich nun auch wirklich die Helena, oder die ägyptiſche Cleopatra liebte, mit der hei¬ ßen brennenden Liebe des Herzens; wenn ich nun auch ginge, und ſie in der weitenT 2292Welt aufſuchte, ſo wie ich jetzt ein Bild ſuche, das vielleicht nirgendwo iſt, was könn¬ te mir auch da all' dein Reden nützen? Doch nein, ſie lebt, mein Herz ſagt es mir, daß ſie für mich lebt, und daß ſie mich mit ſtil¬ ler Ahndung erwartet. Und wenn ich ſie nun gefunden habe, wenn die Sterne gün¬ ſtig auf mein Thun herunter ſcheinen, wenn ich ſie in meinen Armen zurückbringe, dann wirſt Du mein Glück preiſen, und mein jez¬ ziges Beginnen nicht mehr unvernünftig ſchelten. Sieh ſo hängt es bloß von Glück und Zufall ab, ob ich vernünftig oder un¬ vernünftig handle, ob die Leute mich ſchelten oder loben; wie kann alſo Dein Rath gut ſeyn, wie könnte ich vernünftig ſeyn, wenn ich ihm folgte? Wer nie wagt, kann nie gewinnen, wer nie den erſten Schritt thut, kann keine Reiſe vollbringen, wer das Glück nicht auf die Probe ſtellt,293 kann nicht erfahren, ob es ihm günſtig iſt. Ich will alſo getroſt dieſen Weg einſchla¬ gen, und ſehn, wohin er mich führt. Ich komme entweder vergnügt, oder nicht zu¬ rück.

Er nahm hierauf ſeinen Freund Leopold in die Arme, und drückte ihn herzlich. Laß mich gehen, ſagte er, ſey nicht traurig, denn Du ſiehſt mich gewiß wieder, ich bleibe ge¬ wiß nicht aus. Vielleicht verändert ſich auch unterwegs mein Gemüth, wenn ich die man¬ nigfaltige Welt mit ihren wechſelnden Ge¬ ſtalten erblicke; darum ſey nicht betrübt. Wie ſich dies Gefühl wunderbarlich meines Herzens bemeiſtert hat, ſo kann es mich ja auch plötzlich wieder loslaſſen.

Sie gingen nach Hauſe, und am folgen¬ den Morgen trat Ferdinand wirklich ſeine ſeltſame Wanderſchaft an. Leopold ſah ihm mit Thränen nach, denn er hielt die Leiden¬294 ſchaft ſeines Freundes für Wahnſinn, er hätte ihn gern begleitet, aber Ferdinand wollte es durchaus nicht zugeben.

Dieſer wußte nicht, wohin er ſeinen Weg richten ſollte, er ging daher auf der erſten Straße fort, auf die er traf. Seine Seele war unaufhörlich mit dem geliebten Bilde beſchäftigt, in der reizendſten Geſtalt ſah er es vor ſich hinſchweben und folgte ihm wie unwillkührlich nach. In den Wäldern ſaß er oft ſtill und dichtete ein wunderbares Lied auf ſeine wunderbare Leidenſchaft; dann hörte er dem Geſange der Nachtigallen zu, und vertiefte und verlohr ſich in ſich ſelber, daß er die Nacht über im Walde bleiben mußte.

Zuweilen erwachte er wie aus einem tie¬ fen Schlafe, und überdachte dann ſeinen Vorſatz mit kälterem Blute, alles was er wollte und wünſchte, kam ihm dann wie295 eine Traumgeſtalt vor, er beſtrebte ſich oft ſich des Zuſtandes ſeiner Seele zu erinnern, ehe er das Bildniß im Graſe gefunden hat¬ te, aber es war ihm unmöglich. So wan¬ derte er fort, und verirrte ſich endlich von der Straße, indem er in einen dicken Wald gerieth, der gar kein Ende zu haben ſchien.

Er ging weiter, und traf immer noch keinen Ausweg, das Gehölz ward immer dichter, Vögel ſchrien und lärmten mit ſelt¬ ſamen Tönen durch die ſtille Einſamkeit. Ferdinand dachte jetzt an ſeinen Freund, ihm ſchien ſelber ſein Unternehmen wahnſinnig, und er nahm ſich vor, am folgenden Tage nach ſeinem Schloſſe zurück zu kehren. Es wurde Nacht, und wie wenn eine Verblen¬ dung plötzlich von ihm genommen wäre, ſo verſchwand ſeine Leidenſchaft, es war wie ein Erwachen aus einem ſchweren Traume. Er wanderte durch die Nacht weiter, denn296 der Mond warf ſeinen Schimmer durch die Zweige hinein, er ſah ſchon ſeinen Freund vergnügt und verſöhnt vor ſich ſtehn, er dachte ſich ſein künftiges ruhiges Leben. Unter dieſen Betrachtungen brach der Mor¬ gen an, die Sonne ſandte ihre frühen Strahlen durch das grüne Gebüſch, und neuer Muth und neue Heiterkeit ward in ihm wach. Er betrachtete das Gemählde wieder, und wußte nicht, was er thun ſoll¬ te. Alle ſeine Entſchlüſſe fingen an zu wan¬ ken, jedes andre Leben erſchien ihm leer und nüchtern, er wünſchte und dachte nur ſie. Wohin ſoll ich mich wenden? rief er aus. O Morgenroth! zeige mir den Weg! ruft mich ihr Lerchen, und zieht auf meiner Bahn voran, damit ich wiſſen möge, wohin ich den irren Fuß ſetzen ſoll. Meine Seele ſchwankt in Leid und Freude, kein Entſchluß kann Wurzel faſſen, ich weiß nicht was ich297 bin, ich weiß nicht was ich ſuche. Warum kann ich mich nicht an den gewöhnlichen Wünſchen begnügen?

Indem er ſo mit ſich ſelber ſprach, trat er aus dem Walde heraus, und eine ſchöne Ebne mit angenehmen Hügeln lag vor ihm. In der Ferne ſtanden Crucifixe und einige kleine Kapellen im Glanz der Morgenſonne. Der wunderbare Trieb weiter zu wandeln, und den Innhalt ſeiner Gedanken aufzuſu¬ chen, ergriff den Jüngling mit neuer Ge¬ walt. Er ſah in der Entfernung ſich eine weiße Geſtalt auf der grünen Wieſe bewe¬ gen, und als er weiter fortging, unterſchied er, daß es eine Pilgerinn ſei. Die Gegen¬ wart eines Menſchen zog ihn nach der lan¬ gen Einſamkeit an, er verdoppelte ſeine Schritte. Jetzt war er näher gekommen, als die Pilgerinn vor einem Crucifix am Wege niederknieete, die Hände in die Höhe298 hob, und andächtig betete. Indem kam ein Reuter vom nächſten Hügel heruntergeſtürzt; als er näher kam, ſah Ferdinand das es derſelbe ſei, der ihm an jenem Morgen vor¬ überſprengte, als er ſein geliebtes Bildniß fand. Der Reuter ſtieg ſchnell ab, und nä¬ herte ſich der Betenden; als er ſie mit einem genauen Blicke betrachtet, ergriff er ſie mit einer ungeſtümen Bewegung. Sie ſtreckte die Hände aus und rief um Hülfe. Zwei Diener kamen mit ihren Pferden, und woll¬ ten ſich auf Befehl ihres Herrn der Pilgerinn bemächtigen. Ferdinands Herz ward durch dieſen Anblick bewegt, er zog den Degen und ſtürzte auf die Räuber ein, die ſich zur Wehre ſetzten. Nach einem kurzen Gefech¬ te verwundete er den Reuter; dieſer ſank nieder, und die erſchrockenen Diener nahmen ſich ſeiner ſogleich an. Da er in Ohnmacht lag, ſo trugen ſie ihn zu ſeinem Pferde,299 das ſie hinter ſich führten, um ſo im näch¬ ſten Orte Hülfe zu ſuchen. Die Pilge¬ rinn hatte die Zeit des Kampfs benutzt, und war indeſſen feldeinwärts geflohen. Ferdinand erblickre ſie in einer ziemlichen Entfernung. Er eilte ihr nach, und ſagte: Ihr ſeid gerettet, Pilgerinn, Ihr mögt nun ungehindert Eures Weges fortziehn, die Räuber haben ſich davon gemacht. Sie konnte vor Angſt noch nicht antworten, ſie dankte ihm mit einem ſcheuen Blicke. Er glaubte ſie zu kennen, doch konnte er ſich nicht erinnern, ſie ſonſt ſchon geſehn zu ha¬ ben. Ich bin Euch meinen herzlichſten Dank ſchuldig, ſagte ſie endlich, ich wollte nach einem wunderthätigen Bilde der Mutter Gottes wallfahrten, als jener Räuber mich überfiel. O daß er uns nur nicht wieder einholt!

Ich will Euch begleiten, ſagte Ferdinand,300 bis Ihr völlig in Sicherheit ſeid; aber fürch¬ tet nichts, er iſt vielleicht todt, wenigſtens ſehr ſchwer verwundet. Aber kehrt zur Straße zurück, denn auf dieſem Wege gehn wir nur in der Irre.

Indem kam ein Gewitter heraufgezogen, und ein Hagelſchauer fiel nieder. Die bei¬ den Wandrer retteten ſich vor dem Platzre¬ gen in eine kleine Kapelle, die dicht vor ei¬ nem Walde ſtand. die Pilgerinn war ſehr ängſtlich, wenn die Donnerſchläge in den Bergen wiederhallten, und Ferdinand ſuchte ſie zu beruhigen; ſie ſchien ſehr mit ihren Gedanken beſchäftigt. Endlich hörte das Gewitter auf, und ein lieblicher Regenbogen ſtand am Himmel, der Wald war friſch und grün, und alle Blätter fun¬ kelten von Tropfen, die Schwüle des Tages war vorüber, die ganze Natur durchwehte ein kühler Athem, alle Bäume, alle Blu¬301 men waren fröhlich. Sie ſtanden beide und ſahen in die erfriſchte Welt hinaus, und die Pilgerinn lehnte ſich an Ferdinands Schulter. Da war es ihm, als wenn ſich ihm alle Sinne aufthäten, als wenn auch aus ſeinem Gemüthe die drückende Schwüle fortzöge, denn er erkannte nun das liebe Geſicht, das ihm ſo vertraulich nahe war; es war das Original jenes Gemähldes, das er mit ſo heftiger Sehnſucht geſucht hatte. So freut ſich der Durſtende, wenn er lange ſchmachtend in der heißen Wüſte umherirrte, und nun den Quell in ſeiner Nähe rieſeln hört; ſo der verirrte Wandersmann, der nun endlich am ſpäten Abend die Klocken der Heerden vernimmt, das abendliche Ge¬ töſe des nahen Dorfes, und dem nun von allen Menſchen ein alter Herzensfreund zu¬ erſt entgegen tritt.

Ferdinand zog das Gemählde hervor,302 die Pilgerinn erkannte es. Sie erzählte, daß ein junger Ritter aus der Nachbarſchaft ſie habe mahlen laſſen, derſelbe, von dem Ferdinand ſie heute befreit habe; ſie ſey el¬ ternlos, und bei armen Bauern auferzogen, aber ſie habe ſich entſchloſſen, der Liebe des Ritters zu entfliehen, weil ſie ihn nicht lieben könne. So hab 'ich, ſagte ſie, nach dem heiligen wunderthätigen Marienbilde eine Wallfarth thun wollen, und bin dabei unter Euren Schutz gerathen, den ich Euch nie genug verdanken kann.

Ferdinand konnte erſt vor Entzücken gar nicht ſprechen, er traute ſeiner eignen Über¬ zeugung nicht, daß er den geſuchten Schatz wirklich erbeutet habe; er erzählte der Frem¬ den, die ſich Leonore nannte, wie er das Bildniß gefunden, und wie es ihn bewegt habe, wie er endlich den Entſchluß gefaßt, ſie in weiter Welt aufzuſuchen, um zu ſter¬303 ben, oder ſein Gemüth zu beruhigen. Sie hörte ihm geduldig und mit Lächeln zu, und als er geendigt hatte, nahm ſie ſeine Hand, und ſagte: Wahrlich, Ritter, ich bin Euch unendlich vielen Dank ſchuldig, und noch gegen Niemand habe ich die Freundſchaft empfunden, die ich zu Euch trage. Aber kommt, und laßt uns irgend eine Herberge ſuchen, denn der Abend bricht herein.

Die untergehende Sonne färbte die Wolken ſchon mit Gold und Purpur, der Weg führte ſie durch den Wald, in welchem ein kühler Abendwind ſich in den naſſen Blättern bewegte. Ferdinand führte die Pil¬ gerinn, und drückte ihre Hand an ſein klopfen¬ des Herz; ſie war ſtumm. Die Nacht näherte ſich immer mehr, und noch trafen ſie kein Dorf und keine Hütte; dem Mädchen ward bange, der Wald ward dichter, und einzelne Sterne traten ſchon aus dem blauen Him¬304 mel hervor. Da hörten ſie plötzlich von ab¬ ſeits her ein geiſtliches Lied ertönen, ſie gin¬ gen dem Schalle nach, und ſahen in einiger Entfernung die Klauſe eines Einſiedels vor ſich, ein kleines Licht brannte in der Zelle und er kniete vor einem Crucifixe nieder, in¬ dem er mit lauter Stimme ſang. Sie hör¬ ten eine Weile dem Liede zu, die Nacht war hereingebrochen, die ganze übrige Welt war ſtill; dann gingen ſie Hand in Hand näher. Als ſie vor der Zelle ſtand, fragte Ferdinand das Mädchen leiſe: Liebſt Du mich? Sie ſchlug die Augen nieder, und drückte ihm die Hand; er wagte es und drückte einen Kuß auf ihren ſchönen Mund; ſie wiederſezte ſich nicht. Zitternd traten ſie zum Eremiten hinein, und baten um ein Nachtlager als verirrte Wanderer. Der al¬ te Einſiedels hieß ſie willkommen, und ließ ſie niederſitzen, dann trug er ihnen ein klei¬nes305nes Mahl von Milch und Früchten auf, an dem ſie ſich erquickten. Ferdinand war ſich vor Glückſeligkeit kaum ſeiner ſelbſt bewußt, er fühlte ſich wie in einer neuen Welt, al¬ les was vor heute geſchehen war, gehörte gleichſam gar nicht in ſeinen Lebenslauf; von dieſem entzückende Kuſſe, der ihm alle Sinnen geraubt hatte, begann ihm ein neues Geſtirn, eine neue Sonne emporzuleuchten, alles vorige Licht war nur matte Finſterniß geweſen. Dann wies der Einſiedel Leonoren ein Lager an, und Ferdinand mußte ſich ge¬ genüber in eine kleine leere Hütte begeben.

Ferdinand konnte in der Nacht nicht ſchlafen, ſeine glückliche Zukunft trat vor ſein Lager, und erhielt ſeine Augen wach, er ward nicht müde hinunter zu ſehn, und in dem glücklichen Reiche der Liebe auf und ab zu wandeln. Leonorens Stimme ſchien ihm beſtändig wiederzutönen, er glaubte ſieU306nahe, und ſtreckte die Arme nach ihr aus, er rief ſie laut und weinte, indem er ſich allein ſah. Als der Mondſchimmer erblaßte, und die Morgenröthe nach und nach am Himmel heraufſpielte, da verließ er die Hütte, ſetzte ſich unter einem Baume nieder und ſang:

Bin ich denn gewiß des Glückes?
Iſt denn Hand und Lippe mein?
Mir der ſüße Gruß des Blickes?
Ach woher du goldner Schein?
Trübe hing ein dichter Schleier
Über Buſch und Wald daher.
Sagt: wo iſt die Frühlingsfeier?
Iſt der Wald an Tönen leer?
Rührt kein Wind ſich in den Zweigen,
Treibt die Wolken über's Feld?
Dumpfes, ödes, todtes Schweigen,
Die Natur gefangen hält.
307
Und mir ward im Buſen bange,
Denn kein Stimmlein ſprach mich an,
Seufzte tief und harrte lange,
Klagte; Sonne, komm heran!
Aber dichter ward der Schatten,
Wolken hingen tiefer ab,
Dunkler ſchwärzten ſich die Matten,
Alles Feld ein enges Grab.
Durch den Nebel warf ich Blicke
Wie man in die Ferne ſchaut,
Alle kamen mir zurücke,
Finſterniß war vorgebaut.
Da warf ich mich weinend nieder,
Wünſcht 'im Unmuth todt zu ſein;
Todt ſind alle Lerchenlieder,
Abgeſtorben Sonnenſchein,
Warum ſoll denn ich noch leben
In der wüſten Dunkelheit,
Hier wo Schrecken um mich weben,
U 2308
Alle Freuden abwärts ſtreben,
In mir ſelber Angſt und Leid?
Plötzlich war's, wie wenn an Saiten,
Abendwind vorüberſchwebt
Und in Harfentönen webt,
Über Blumen hinzuſchreiten,
An der fernſten, fernſten Gränze
Theilte ſich die dunkle Nacht,
Und ein Sonnenblick voll Pracht
Wand ſich durch die Nebelkränze.
Als ich kaum zu athmen wagte,
Schoß der Strahl, ein goldner Pfeil
Schnell in glühendrother Eil
Hin zum Orte wo ich klagte.
Schreckenfroh ſah ich den Schein,
Kriegte Muth zu neuem Leben:
Sollte das der Frühling ſein?
Könnt 'es doch wohl Freuden geben?
309
Da erglühten ſchon die Wogen,
Funkeln ging auf grüner Flur,
Morgenroth ſprang kühn in Bogen,
Glänzend, taumelnd die Natur.
Und die Waldung blieb nicht träge,
Alle Vögel ſprangen auf,
Jubelten durch das Gehäge,
Jagten ſich im muntern Lauf.
In des Jauchzens Luſt verlohren
Dacht 'ich nicht an Sterben mehr,
Fühlte mich nun neugebohren
In dem goldnen Freudenmeer.
Ach! ſie iſt mir endlich nahe,
Nach der meine Sehnſucht rang,
Seit ich ihre Augen ſahe
Fühl 'ich neuen Lebensdrang.
Alle Klagen ſind verſchwunden,
Fort der Seufzer banger Schwarm,
Um mich tanzen goldne Stunden,
310
Mit der Liebe feſt verbunden
Ruh 'ich in des Glückes Arm.

Er hatte die letzten Worte noch nicht geendigt, als er den Ritter wieder aus dem Dickicht kommen ſah, den er geſtern auf dem Felde verwundet hatte; zwei Diener folgten ihm. Eben ſollte der Kampf von neuem beginnen, als der Eremit aus ſeiner Klauſe trat. Er hörte den Verwundeten Bertram nennen, und erkundigte ſich nach dem Orte ſeines Aufenthalts und nach ſeinen Verwandten. Der Fremde nannte beides, und der Einſiedler fiel ihm weinend um den Hals, indem er ihn ſeinen Sohn nannte. Er war es wirklich; als ſich der Vater aus der Welt zurückzog, übergab er dieſen Sohn ſeinem Bruder, der aber nach einiger Zeit in den Unruhen des Krieges ſeinen Wohn¬ ort änderte, und ſo dem Einſiedler näher kam, als er es glaubte. Wenn ich jezt311 noch Nachrichten von meiner Tochter über¬ käme, rief der Einſiedler aus, ſo wäre ich unausſprechlich glücklich! Leonore trat aus der Thür, weil ſie das Geräuſch vernom¬ men hatte. Ferdinand ging auf ſie zu, und Bertram ſtürzte ſogleich herbei, als er die Pilgerinn gewahr ward. Der Einſiedler be¬ trachtete ſie aufmerkſam; dann fragte er, woher ſie die Ohrringe habe, die ſie trage. Leonore erzählte ihre Geſchichte kurz, daß ſie von Bauern erzogen ſei, und als dieſe ſtarben, hätten ſie andre gutherzige arme Leute zu ſich genommen, die aber der Krieg ebenfalls von ihrem Wohnorte vertrieben habe.

Du biſt meine Tochter! ſagte der alte Eremit, ich übergab Dich Bauern, als ich von meinem Wohnſitze durch der Feinde ſiegreiches Heer vertrieben wurde. O wie glücklich macht mich dieſer Tag!

312

Was kann das für ein Krieg geweſen ſein? rief Vanſen aus.

O irgend einer, antwortete Rudolph ha¬ ſtig, Ihr müßt die Sachen nie ſo genau nehmen, es iſt mir in der Geſchichte um einen Krieg zu thun, und da müßt Ihr gar nicht fragen: Wie? Wo? Wann geſcha¬ he das? denn ſolche Erzählungen ſind im¬ mer nur aus der Luft gegriffen, und man muß ſich für die Geſchichte, aber für nichts anders auſſer ihr, intereſſiren.

Erlaubt, ſagte Franz beſcheiden, daß ich Euch widerſpreche, denn ich bin hierin ganz anderer Meinung. Wenn mir eine Erzählung, ſei ſie auch nur ein Märchen, Zeit und Ort beſtimmt, ſo macht ſie da¬ durch alles um ſo lebendiger, die ganze Er¬ de wird dadurch mit befreundeten Geiſtern bevölkert, und wenn ich nachher den Boden betrete, von dem mir eine liebe Fabel ſag¬313 te, ſo iſt er dadurch gleichſam eingeweiht, jeder Stein, jeder Baum hat dann eine poe¬ tiſche Bedeutung für mich. Eben ſo iſt es mit der Zeit. Höre ich von einer Begeben¬ heit, werden Namen aus der Geſchichte ge¬ nannt, ſo fallen mir zugleich jene poetiſchen Schatten dabei in's Gedächtniß, und ma¬ chen mir den ganzen Zeitraum lieber.

Nun das iſt alles auch gut, ſagte Rudolf, das andre aber auch, wenn man ſich weder um Zeit noch um Ort bekümmert. So laßt es alſo den Huſſitenkrieg geweſen ſein, der alle dieſe Verwirrungen in unſrer Familie angerichtet hat.

Der Schluß der Geſchichte findet ſich übrigens von ſelbſt. Alle waren voller Freude, Leonore und Ferdinand waren durch gegenſeitige Liebe glücklich, der Ere¬ mit blieb im Walde, ſo ſehr ihm auch alle zuredeten, zur Welt zurück zu kehren.

314

Es vermehrte noch eine Perſon die Ge¬ ſellſchaft, und zwar Niemand anders als Leopold, der ausgereiſet war, ſeinen Freund aufzuſuchen. Dieſer erzählte ihm ſein Glück, und ſtellte ihm Leonoren als ſeine Braut vor. Leopold freute ſich mit ihm, und ſagte: Aber liebſter Freund, danke dem Himmel, denn du haſt bei weitem mehr Glück als Verſtand gehabt. Das begeg¬ net jedem Sterblichen, erwiederte Ferdinand, und wie elend müßte der Menſch ſein, wenn es irgend einmal einen geben ſollte, der mehr Verſtand als Glück hätte?

Hier ſchwieg Rudolf. Einige von den Herren waren während der Erzählung ein¬ geſchlafen; Franz war ſehr nachdenkend ge¬ worden. Faſt alles was er hörte und ſah, bezog er auf ſich, und ſo traf er in dieſer Erzählung auch ſeine eigne Geſchichte an. Sonderbar war's, daß ihn der Schluß be¬315 ruhigte, daß er dem Glücke vertraute, daß er ihn ſeine Geliebte und ſeine Eltern wür¬ de finden laſſen. Franz und Rudolf wur¬ den auf der Reiſe vertrauter mit einander, ſie freuten ſich darauf, in Geſellſchaft nach Italien zu gehn. Rudolf war immer luſtig, ſein Muth verließ ihn nie, und das war für Franz in vielen Stunden ſehr erquicklich, der faſt beſtändig ein Mißtrauen gegen ſich ſelber hatte. Es fügte ſich, daß einige Meilen vor Antwerpen das Schiff eine Zeitlang ſtill liegen mußte, ein Boot ward ausgeſetzt, und Franz und Rudolf beſchloſ¬ ſen den kleinen Reſt der Reiſe zu Lande zu machen.

Es war ein ſchöner Tag. Die Sonne breitete ſich hell über die Ebene aus, Ru¬ dolf war Willens, nach einem Dorfe zu gehn, um ein Mädchen dort zu beſuchen, das er vor zwei Jahren hatte kennen ler¬316 nen. Du mußt nicht glauben, Franz, ſag¬ te er, daß ich meiner Geliebten in Italien untreu bin, oder daß ich ſie vergeſſe, denn das iſt unmöglich, aber ich lernte dieſe Nie¬ derländerinn auf eine wunderliche Weiſe kennen, wir wurden ſo ſchnell mit einander bekannt, ſo daß mir das Andenken jener Stunden immer theuer ſein wird.

Dein frohes Gemüth iſt eine glückliche Gabe des Himmels, antwortete Franz, Dir bleibt alles neu, und keine Freude veraltet Dir, und Du biſt mit der ganzen Welt zu¬ frieden.

Warum ſollte man es nicht ſein! rief Franz aus; iſt die Welt denn nicht ſchön, ſo wie ſie iſt? Mir iſt das ernſthafte Kla¬ gen zuwider, weil die wenigſten Menſchen wiſſen was ſie wollen, oder was ſie wün¬ ſchen. Sie ſind blind und wollen ſehn, ſie ſehn, und ſie wollen blind ſein.

317

Biſt Du aber nie traurig oder verdrü߬ lich?

O ja, warum das nicht? Es kehren bei jedem Menſchen Stunden ein, in denen er nicht weiß, was er mit ſich ſelber anfangen ſoll, wo er herumgreift, und nach allen ſei¬ nen Talenten oder Kenntniſſen, oder Narr¬ heiten ſucht, um ſich zu tröſten, und nichts will ihm helfen. Oft iſt unſer eignes närri¬ ſches Herz die Quelle dieſer Übel. Aber bei mir dauert ein ſolcher Zuſtand nie lange. So könnt 'ich mich grämen, wenn ich an Bianka denke, ſie kann krank ſein, ſie kann ſterben, ſie kann mich vergeſſen, und dann mache ich mir Vorwürfe darüber, daß ich mich zu dieſer Reiſe drängte, die auch jeder andre hätte unternehmen können. Doch, was hilft alles Sorgen?

Er warf ſich unter einen Baum, und zog ein kleines Inſtrument hervor, das die318 Italiäner Cornetto nennen, und blies dar¬ auf ein ſehr luſtiges Stückchen. Franz ſetz¬ te ſich zu ihm. Liebſt Du nicht auch das Waldhorn ganz vorzüglich? fragte ihn dieſer.

Ich liebe alle Inſtrumente, antwortete Rudolf, ſie mögen einen Namen haben, welchen ſie wollen, denn jegliches hat etwas Eigenthümliches, das allen übrigen wieder abgeht. Es iſt mir eine trefliche Freude, ſo eins nach dem andern zu hören, und den Empfindungen nachzugehn, die ſie mir im Herzen erregen. Wenn Du Geduld haſt, will ich Dir einige Lieder ſingen, die ich vor einiger Zeit darüber gemacht habe, und die den Charakter etlicher Inſtrumente ausdrük¬ ken ſollten. Denke Dir zum Beiſpiel hier dies ebene Land gebirgig, mit vielen ab¬ wechſelnden Waldſcenen. Du kommſt nun einen Hügel herunter, ein einſames Thal319 liegt vor Dir, und Du hörſt nun von ge¬ genüber eine Schalmey ſpielen.

Schalmeyklang.
Himmelblau,
Hellbegrünte Frühlingsau,
Lerchenlieder,
Zur Erde nieder.
Friſches Blut,
Zur Liebe Muth;
Beim Geſang
Hüpfende Schäfchen auf Bergeshang.
Froh und zufrieden
Mit mir und der Welt,
Was Gott mir beſchieden,
Mein Liebchen hienieden,
Die Sorgen in Dunkel weit von mir ge¬
ſtellt.
Wie fern liegt dies Thal
Von der Welt Herrlichkeit,
Hier wohnen zumahl
320
Nur Fried und Freud '
Ach! Herzeleid,
Wie weit
Um Größe und Geld das nagende Herzeleid!
Nun iſt es May,
Sie iſt mir treu,
Und fährt auch Frühling und Sommer hin,
Und wenn ich auch nicht mehr Bräutigam bin,
So kömmt der Sommer doch balde zurück,
Und Eheſtand iſt noch ſchöneres Glück.
Friſch und froh,
Ohne Ach! und O!
Vergehen, verwehen die Tage mir ſo.

Das Lied gefällt mir ſehr, ſagte Franz, denn es führt eine gewiſſe kindliche Spra¬ che, und mir iſt oft beim Klang einer Schallmey dergleichen in den Sinn ge¬ kommen.

Du wirſt Dich oft, ſagte Rudolf, wun¬ dervoll beim Schall eines Poſthorns be¬wegt321wegt gefühlt haben. In einer trüben Stun¬ de, als ich ſelber ſo reiſte, ſchrieb ich fol¬ gendes nieder.

Poſthornsſchall.
Weit weg, weit weg,
Von allen Schmerzen weg,
Durch die Wälder möcht 'ich eilen,
Niederwärts,
Aufwärts,
Klüften vorüber und von den ſteilen
Gebirgen raſſeln zu tiefen Gründen,
Ruhe zu finden.
Pfeifender Wind,
Treibe geſchwind,
Schnell und ſchneller die Roſſe in's Dickicht hinein,
Laß, o laß die trüben Stunden,
Eilend verſchwunden,
Raſtlos nimmer Stillſtand ſeyn.
X322
Wo ſoll ich ſie ſuchen?
Auf Bergeshöhn?
Im Schatten der Buchen?
Wo werd 'ich ſie ſehn?
Die Stunden verfliegen,
Tag wechſelt mit Nacht,
Die Schmerzen beſiegen,
Die Freuden erliegen
Der ſtürmenden Macht.
Ach! weiter, weiter ohne Stillſtand,
Hin wo der Strom brauſt,
Wo von ſteiler moosger Felswand
Wind und Woge niederſauſt.
Wo Walddunkel ſchattet,
Wo Wolken ſich jagen,
Und Nacht und banges Zagen
Mit ſchwarzen Träumen ſich gattet.
Thal nieder, bergauf,
Echo ſpricht, und grüßt herüber,
Ach! ſtatt dieſes Treibens, ende lieber,
Ende, ende dieſen trüben Lauf.
323
Käm 'ich nur zum fremden Orte
In ein wundervolles Land
Das kein Auge je gekannt,
Aber wechſelnd Hier mit Dort
Weiß ich ſchon die Einſamkeiten
Die ſich tückiſch mir bereiten.
Kenne ſchon die trüben Leiden;
Leiden, Leiden.

Nun verliehrt ſich der Schall, ſagte Ru¬ dolf, in die einſame Luft, er bricht ſo plötz¬ lich ab, als er entſtanden iſt, und man hört den unmelodiſchen Wagen raſſeln. Ich dich¬ tete dieſes Lied in einer großen Beängſti¬ gung des Gemüths. Nun denke Dir ei¬ nen ſchönen dichten Wald, in welchem ein Waldhorn mit ſeinen tiefen Tönen ſpricht, wie aus voller, und doch ruhiger Bruſt die¬ ſer Geſang hervorſtrömt.

Waldhornsmelodie.
Hörſt! wie ſpricht der Wald Dir zu,
Baumgeſang,
X 2324
Wellenklang:
» Komm und finde hier die Ruh.
Ruhe aus in dem Gedanken,
Daß ſie Dich ja wieder liebt,
Sieh, wie alle Zweige ſchwanken,
Echo Töne wiedergiebt.
Spricht's herüber Dir in's Herze?
Sei getroſt und geh 'in's Thal,
Weide Dich an Deinem Schmerze,
Deinem Glücke allzumahl.
Biſt und wandelſt in der grünen Waldnacht,
Von dem Treiben der Welt ſo weit, weit,
Weißt, daß ſie mit Sonnenaufgang bald wacht,
Denkſt, empfindeſt ihre Holdigkeit.
Trarah! ſo ſpringe muntrer Klang
Durch die Berge, durch das grüne Gebüſch;
Fühlſt doch nach der Größe, nach Ruhm nicht
Drang,
Schlägt Dir's Herz vor Liebe doch ſo friſch.
325
Und ſie hat Dir ja verſprochen,
Treu zu ſeyn bis an den Tod;
Hat ihr Wort noch nie gebrochen,
Nun, was haſt Du dann für Noth?
Und auch wieder wird ſie kommen
Mit dem ſüßen, holdgen Mund,
Gram hat dann ein End genommen,
Küſſeſt Dich an ihm geſund.

Du haſt vielleicht ſchon, fuhr Rudolf fort, ein ſchweizeriſches Alphorn gehört. Man ſagt, daß bei einem gewiſſen Liede jeder Schweizer in der Fremde, eine unnen¬ bare Sehnſucht nach ſeiner Heimath empfin¬ de; eine ähnliche Vaterlandsliebe haben auch die Niederländer. Ich habe neulich ein ſol¬ ches Schweizerlied verfertigt.

Alphornlied.
Wo biſt Du treuer Schweizer hingerathen?
Vergiſſeſt Du Dein Vaterland?
326
Dein liebes Vaterland!
Die wohlbekannten Berge? die friſchen grünenden
Thale?
Wandelſt unter Fremden?
Wer grüßt Dich hier mit vaterländſchem Gruß?
Darfſt Du umherſchaun?
Wo ſind die Schneegipfel?
Wo klingt das luſtge Horn?
Wo findeſt Du den Landsmann?
Herüber ſehnt ſich doch Dein Sinn,
Wo der biedre Gruß auf Dich wartet,
Wo die Alpe ſteht,
Die Sennenhütte,
Der weite blaue See,
Die hohen freien Gebirge.
Komm edler Sprößling Te[l][l]s,
Freigeborner,
In die ſtillen Thäler wieder herab,
Zum einfachen Mahl,
Das Vaterlandsliebe köſtlich macht.
Was ſuchſt Du hier?
327
Den Freund? die Geliebte?
Nimmer ſchlagen Dir Schweizerherzen entgegen.

Rudolf ſtand auf. Lebe wohl, ſagte er ſchnell, es iſt zu kalt zum Sitzen; ich muß noch weit gehn, das Mädchen wird auf mich warten, denn ich ſprach ſie, als ich nach England hinüberging. Lebe wohl, in Antwerpen ſehn wir uns wieder.

Er eilte ſchnell davon, und Franz ſetzte ſeinen Weg nach der Stadt fort. Die Ta¬ ge waren aber ſchon kurz, er mußte in ei¬ nem Dorfe vor Antwerpen übernachten. Die Sonne ſtieg prächtig herauf, als Franz ſich niederſetzte, und folgende Verſe in ſeine Schreibtafel einſchrieb:

Der Dichter und die Stimme.

Der Dichter.
Wie Du mich anlachſt, holdes Morgenroth,
328
Und Muth herab mir in die Seele glühſt,
Ich fühl's, die Sorgen ſind nun alle todt,
Den Sinn mit goldnen Ketten zu Dir ziehſt.
Die Stimme.
Noch ſchönres Roth, als dieſe Morgenſtralen,
Wird einſt Dein Angeſicht mit Purpur mahlen.
Der Dichter.
O nun erwacht ſchon wieder das Verlangen,
Mir gönnt's, mir gönnt's nicht eine Stunde Ruh,
Aus allen Wolken ſeh ich Bilder hangen
Und alle lächeln wehmuthsvoll mir zu.
O wäre nur der trübe Tag zu Ende,
Daß ich im Abendſcheine wandeln könnte,
Und unter dichten Eichen, dunkeln Buchen
Dem Unmuth fliehn, dich Einſamkeit zu ſuchen.
Die Stimme.
Was hoffſt Du auf den zarten Abendſchimmer?
Der Unmuth ruht im Buſen nimmer.
329
Der Dichter.
So will ich mich zu Harfentönen retten
Im Waldhornsklang einheimiſch ſeyn!
Mein Sinn ſoll ſich in Flötenwolluſt betten
Mich lullen Zaubermelodien ein.
Die Stimme.
Und dort werd 'ich in jedem Tone klingen,
Dir ſüße Bilder vor die Seele bringen.
Der Dichter.
So will ich ſchlafen, mich in Schlummer hüllen
Und ſo des Herzens bange Sehnſucht ſtillen.
Die Stimme.
Kennſt Du die Träume nicht, die dann er¬
wachen,
Dein Auge ſchnell mit Thränen füllen,
Verlangen in der Bruſt anfachen
Und nimmer Deine Sehnſucht ſtillen?
Nein, Du biſt mein, ich will Dich nach mir
ziehen,
330
Und nirgends hin kannſt Du vor mir ent¬
fliehn.
Der Dichter.
Wer biſt Du denn, gewaltge Zauberinn,
Daß Du ſo quälſt und marterſt mich zum Tode
hin?
Die Stimme.
Erinnerung heiß 'ich; denk der ſchönen[Stunden]!
Ach ſind ſie nicht zu ſchnell, zu ſchnell verſchwunden?
Der Dichter.
Kannſt Du nur quälen, giebſt kein tröſtend
Wort?
Und ängſteſt mich nur immer fort und fort?
Wird nichts die bange Quaal dann wenden?
Wann wirſt Du die Verfolgung enden?
Die Stimme.
Wann Du ſie wiederſiehſt,
Und ſchöner als vom Morgenroth
331
Du ihr entgegen glühſt,
Dann endet Deine Noth.
Dann freut Dich Abendſchein,
Dann iſt Muſik Geſpielinn Dir,
Nennſt Du die Holde balde Dein,
Blüht Dir ein Paradies ſchon hier.
Dann wirſt Du ſelber Dir vertrauen,
Sehnſt Dich nach keinen Himmelsauen.
332

Viertes Capitel.

Die große Handelsthätigkeit in Antwerpen war für Franz ein ganz neues Schauſpiel. Es kam ihm wunderbar vor, wie ſich hier die Menſchen unter einander verliefen, wie ſie ein ewig bewegtes Meer darſtellten, und jeglicher nur ſeinen Vortheil vor Augen hat¬ te. Hier fiel ihm kein Kunſtgedanke ein, ja wenn er die Menge der großen Schiffe ſah, die Betriebſamkeit, Geld zu gewinnen, die Spannung aller Gemüther auf den Handel, die Verſammlungen auf der Börſe, ſo kam es ihm als etwas Unmögliches vor, daß einer von dieſen ſich der ſtillen Kunſt ergeben ſolle. Er hörte nur immer, welche Schiffe gekommen und abgegangen waren, die Namen der vornehmſten Kaufleute wa¬ ren jedem Knaben geläufig,[auf] allen Spa¬333 ziergängen ſetzten die Handelsleute ihre kaufmänniſchen Geſpräche und Spekulatio¬ nen fort. Franz ward von dieſem neuen Anblicke des Lebens zu betäubt, als daß er ihn hätte niederſchlagen können.

Vanſen lebte hier als ein Kaufmann vom zweiten oder dritten Range, der nur unbedeutende Geſchäffte machte, der in der Stadt ſelbſt nur wenig bekannt war, ſich aber durch Aufmerkſamkeit und Sparſam¬ keit ein ziemliches Vermögen geſammelt hat¬ te. Sternbald ſuchte ihn bald auf, und das Haus ſeines neuen Freundes war ihm wie ein Schutzort, wie ein ſtilles Aſyl gegen das tobende Gewühl der Stadt. Vanſen wohn¬ te etwas abſeits, ein kleiner Garten war hinter ſeinem Hauſe; dabei ſprach er nur ſelten von ſeinen kaufmänniſchen Geſchäf¬ ten, und hatte nicht die Eitelkeit, andern die nichts davon begriffen, ſeine Spekula¬334 tionen mitzutheilen: ſondern er liebte es, von der Kunſt zu ſprechen, er ſuchte eine Ehre darinn, für einen Kenner zu gelten. Sternbalds kindliches Gemüth ſchloß ſich bald an dieſen Mann an, in ſeiner Unbe¬ fangenheit hielt er ihn für mehr, als er wirklich war, denn Vanſens Liebe zur Mahlerey war nichts als ein blinder Trieb, der ſich zufälligerweiſe auf dieſe Kunſt geworfen hatte. Er hatte angefangen Gemählde zu kaufen, und nachdem er ſich einige Kenntniſſe erworben hatte, war es nur Eitelkeit und Sucht zu ſammeln und aufzuhäufen, daß er es nicht müde ward, ſich um Gemählde und ihre Meiſter zu be¬ kümmern. So treiben die meiſten Menſchen irgend eine Wiſſenſchaft oder Beſchäftigung, und der gute Künſtler irrt ſehr, wenn er unter dieſen die verwandten Geiſter, die Verehrer der Kunſt ſucht.

335

Vanſen hatte nur eine einzige Tochter, die er ungemein liebte. Sie galt in der Nachbarſchaft für ſchön, und ihr Geſicht war wirklich liebenswürdig. Der Kaufmann bat unſern jungen Mahler, das Bildniß ſeiner Tochter zu mahlen, und Franz mach¬ te ſich hurtig an die Arbeit. Seine Phan¬ taſie war weniger angeſpannt, er foderte nicht zu viel von ſich, und das Bild rückte ſchnell fort, und gelang ihm ungemein. Er hatte indeß einige Gemählde geſehn, die aus Italien gebracht waren, und er bemüh¬ te ſich, nach dieſen ſeine[Färbung] zu ver¬ beſſern.

Franz bemerkte, daß die Tochter immer ſehr traurig war; er ſuchte ſie zu erheitern, er ließ oft, wenn er mahlte, auf einem Inſtrumente luſtige Lieder ſpielen, aber es hatte gewöhnlich die verkehrte Wirkung, ſie wurde noch trauriger, oder weinte gar; vor336 dem Vater ſuchte ſie ihre Melancholie gefliſ¬ ſentlich zu verbergen. Franz war zu gut, um ſich in das Vertrauen eines Leidenden einzudrängen, er kannte auch die Künſte nicht, oder verſchmähte ſie, ſich zum Theil nehmer eines Geheimniſſes zu machen; da¬ her war er in ihrer Gegenwart in Verlegen¬ heit.

In Vanſens Hauſe verſammelten ſich oft Leute von den verſchiedenſten Charakte¬ ren, die eine Art von Akademie bildeten, und von denen der Wirth manche Redens¬ arten lernte, mit denen er nachher wieder gegen andre glänzte. Franz hörte dieſen Geſprächen mit großer Aufmerkſamkeit zu, denn bis dahin hatte er noch nie ſo verſchie¬ dene Meinungen oft ſchnell hinter einander gehört. Vorzüglich zog ihn ein alter Mann an, dem er beſonders gern zuhörte, weil je¬ des ſeiner Worte das Gepräge eines eige¬nen337nen feſten Sinnes trug. An einem Abend fing der Wirth, wie er oft that, an, über die Kunſt zu reden, und den herrlichen Genuß zu preiſen, den er vor guten Gemählden empfände. Alle ſtimmten ihm bei, nur der Alte ſchwieg ſtill, und als man ihn endlich ausdrücklich um ſeine Meinung fragte, ſag¬ te er:

Ich mag ungern ſo ſprechen, wie ich darüber denke, weil Niemand weiter meiner Meinung ſeyn wird; aber es thut mir immer innerlich wehe, ja ich ſpüre ein gewiſſes Mitleid gegen die Menſchen, wenn ich ſie mit einer ſo ernſthaften Verehrung von der ſogenannten Kunſt reden höre. Was iſt es denn alles weiter als eine un¬ nütze Spielerei, wo nicht gar ein ſchädlicher Zeitverderb? Wenn ich bedenke, was die Menſchen in einer verſammelten Geſellſchaft ſeyn könnten, wie ſie durch die VereinigungY338ſtark und unüberwindlich ſeyn müßten, wie jeder dem Ganzen dienen ſollte und nichts da ſeyn, nichts ausgeübt werden dürfte, was nicht den allgemeinen Nutzen beförderte: und ich betrachte dann die menſchliche Ge¬ ſellſchaft, wie ſie wirklich iſt, ſo weiß ich nicht, was ich dazu ſagen ſoll. Es ſcheint faſt, als wäre die Vereinigung nicht ent¬ ſtanden, um allgemein beſſer zu werden, ſondern um ſich gegenſeitig zu verſchlim¬ mern. Da iſt keine Aufmunterung zur Tu¬ gend, keine Abhärtung zum Kriege, keine Liebe des Vaterlands und der Religion, ja es iſt keine Religion und kein Vaterland da, ſondern jeder glaubt ſich ſelbſt der näch ſte zu ſeyn, und häuft, ohne auf den gemei¬ nen Nutzen zu ſehn, die Güter auf erlaub te und unerlaubte Art zuſammen, und ver tändelt übrigens ſeine Zeit mit dem erſten dem beſten Steckenpferde. Die Kunſt vor339 züglich ſcheint ordentlich dazu erfunden, die beſſern Kräfte im Menſchen zu erlahmen, und nach und nach abzutödten. Ihre gau¬ kelnde Nachäffung, dieſe armſelige Nachah¬ mung der Wirklichkeit, worauf doch alles hinausläuft, zieht den Menſchen von allen ernſten Betrachtungen ab, und verleitet ihn, ſeine angeborne Würde zu vergeſſen. Wenn unſer innrer Geiſt uns zur Tugend antreibt, ſo lehren uns die mannichfaltigen Künſtler ſie zu verſpotten; wenn die Erhabenheit mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, ſo unterlaſſen es die Reimer oder Poeten nicht, ſie mit Nichtswürdigkeiten zu überſchreien. Und daß ich namentlich von der geprieſenen Mahlerey rede Ich habe den Mahler, der mir Figuren, oder Bäume und Thiere auf flacher Leinwand hinzeichnet, nie höher an¬ geſchlagen, als den Menſchen, der mit ſei¬ nem Munde Vögel - und Thiergeſchrei nach¬Y 2340zuahmen verſteht. Es iſt eine Künſtelei die keinem frommt, und die dabei doch die Wirklichkeit nicht erreicht. Jeder Mahler erlernt von ſeinem Meiſter eine gewiſſe Fer¬ tigkeit, einige Handgriffe, die er immer wie¬ der anbringt, und wir ſind dann gutmüthi¬ ge Kinder genug, ſtellen uns vor ſein Machwerk hin, und verwundern uns dar¬ über. Wie da von Genuß der[Kunſt] die Rede ſeyn kann, oder von Schönheit, be¬ greife ich nicht: da dieſe Menſchen die Be¬ geiſtrung nicht kennen, da ihre Schöpfun¬ gen nicht aus ihren ſchönſten Stunden ent¬ ſtehn, ſondern ſie ſich des Gewinnſtes we¬ gen niederſetzen und Farben über Farben ſtreichen, bis ſie nach und nach ihre Figu¬ ren zuſammengebettelt haben, und nun den Lohn an Geld dafür empfangen. Wie ſol¬ len dieſe knechtiſchen Arbeiten auf edle See¬ le wirken können, da ſie es ſelber nicht ein341 mal wollen? Sie dienen, höchſtens der Sinn¬ lichkeit, und trachten vielleicht, elende Be¬ gierden zu erwecken, oder uns ein Lächeln über ihre verzerrten Geſtalten abzuzwingen, damit ſie doch irgend was verurſachen. Ich meine alſo, daß man auf jeden Fall ſeine Zeit beſſer anwenden könne, als wenn man ſich mit der Kunſt beſchäftiget.

Franz konnte ſich im Unwillen nicht län¬ ger halten, ſondern er rief aus: Ihr habt da nur von unwürdigen Künſtlern geſprochen, die keine Künſtler ſind, die die Göttlichkeit ihres Berufs ſelber nicht kennen, und weil Ihr Euer Auge nur auf dieſe wendet, ſo wagt Ihr es, alle übrigen zu verkennen. O Albert Dürer! wie könnte ich es dulden, daß man ſo von Deinem ſchönſten Lebens¬ laufe ſprechen darf? Ihr habt entweder noch keine guten Bilder geſehn, oder die Augen ſind Euch für ihre Göttlichkeit verſchloſſen342 geblieben, daß Ihr Euch erkühnt, ſie ſo zu läſtern. Es mag gut ſeyn, wenn in einem Staate alles zn Einem Zwecke dient, es mag in gewiſſen Zeiträumen nöthig ſeyn, für das Wohl der Bürger, für die Freiheit, daß ſie nur ihr Vaterland, nur die Waffen, die bürgerliche Freiheit, und nichts weiter lieben; aber ihr bedenkt nicht, daß in ſol¬ chen Staaten jedes eigene Gemüth zu Grunde geht, um nur das allgemeine Bild des Ganzen aufrecht zu erhalten. Die Gü¬ ter, um derentwillen die Freiheit dem Men¬ ſchen theuer ſeyn muß, die Regung aller ſeiner Kräfte, die Entwickelung aller Schä¬ tze ſeines Geiſtes, dieſe koſtbarſten Klei¬ nodien müſſen wieder aufgeopfert werden, um nur jene Freiheit zu bewahren. Über die Mittel geht der Zweck verlohren, nach wel¬ chem jene Mittel ſtreben ſollten. Iſt es nicht die herrlichſte Erſcheinung, den Menſchen¬343 geiſt kühn in tauſend Richtungen, in tau¬ ſend mannichfaltigen Strömen, wie die Röh¬ ren eines künſtlichen Springbrunnens, der Sonne entgegen ſpielen zu ſehn? Eben daß nicht alle Geiſter ein und daſſelbe wollen, iſt erfreulich; darum laßt der unſchuldigen kindiſchen Kunſt ihren Gang. Denn ſie iſt es doch, in der ſich am reinſten, am lieb¬ lichſten, und auf die unbefangenſte Weiſe die Hoheit der Menſchenſeele offenbart, ſie iſt nicht ernſt wie die Weisheit, ſondern ein frommes Kind, deſſen unſchuldige Spiele jedes reine Gemüth rühren und erfreuen müſſen. Sie drückt den Menſchen am deut¬ lichſten aus, ſie iſt Spiel mit Ernſt gemiſcht und Ernſt durch Lieblichkeit gemildert. Wo¬ zu ſoll ſie dem Staate, der verſammelten Geſellſchaft nützen? Wann hat ſich je das Große und Schöne ſo tief erniedrigt, um zu nützen? Ein neues Feuer facht der große344 Mann, die edle That in einem einzelnen Buſen an; der Haufe ſtaunt dumm, und begreift nicht und fühlt nicht, er betrachtet eben ſo ein noch nie geſehenes Thier, er be¬ lächelt die Erhabenheit, und hält ſie für Fabel. Wen verehrt die Welt, und wel¬ chem Geiſte wird gehuldigt? Nur das Nie¬ drige verſteht der Pöbel, nur das Verächt¬ liche wird von ihm geachtet. Zufälle und Nichtswürdigkeiten ſind die Wohlthäter des Menſchengeſchlechts geweſen, wenn Du den häuslichen Nutzen dieſer armen Welt ſo hoch anſchlägſt. Und was drückſt Du mit dem Worte Nutzen aus? Muß denn alles auf Eſſen, Trinken und Kleidung hinaus¬ laufen? daß ich ſicherer ſchlafe, oder beſſer, ein Schiff regiere, bequemere Maſchinen er¬ finde, wieder nur um beſſer zu eſſen? Ich ſage es noch einmal, das wahrhaft Hohe darf und kann nicht nützen; dieſes Nützlich¬345 ſeyn iſt ſeiner göttlichen Natur ganz fremd, und es fodern, heißt, die Erhabenheit enta¬ deln, und zu den gemeinen Bedürfniſſen der Menſchheit herüberwürdigen. Denn freilich bedarf der Menſch vieles, aber er muß ſeinen Geiſt nicht zum Knecht ſeines Knechtes, des Körpers erniedrigen: er muß wie ein guter Hausherr ſorgen, aber dieſe Sorge für den Unterhalt muß nicht ſein Lebenslauf ſeyn. So halte ich die Kunſt für ein Unterpfand unſrer Unſterblichkeit, für ein geheimes Zei¬ chen, an dem die ewigen Geiſter ſich wun¬ derbarlich erkennen; der Engel in uns ſtrebt ſich zu offenbaren, und trifft nur Menſchen¬ kräfte an, er kann von ſeinem Daſeyn nicht überzeugen, und wirkt und regiert nun auf die lieblichſte Weiſe, um uns, wie in einem ſchönen Traum, den ſüßen Glauben beizu¬ bringen. So entſteht in der Ordnung, in wirkender Harmonie die Kunſt. Was der346 Weiſe durch Weisheit erhärtet, was der Held durch Aufopferung bewährt, ja, ich bin kühn genug, es auszuſprechen, was der Märtyrer durch ſeinen Tod beſiegelt, das kann der große Mahler durch ſeinen Pinſel auswirken und bekräftigen. Es iſt der himmliſche Strahl, der dieſen Geiſtern nicht die müſſige Ruhe erlaubt, ſondern ſie zu ei¬ ner glänzenden Thätigkeit weckt. Und da¬ her ſind es wohl die ſchönſten, die erhaben¬ ſten Stunden, die ein Meiſter vor ſeinem Werke zubringt; er legt bildlich die Liebe hinein, mit der er die ganze Welt an ſein Herz drücken möchte, die Urſchönheit, das erhabne Bild der Hoheit, vor dem er nie¬ derkniet; alles dies trifft der verwandte Geiſt in den lieblichen Zeichen wieder, die dem Barbaren unverſtändlich ſind, er wird bei die¬ ſen Winken entzückt, er fühlt ſeinen Geiſt in ſeiner Bruſt emporſteigen, er gedenkt alles347 Schönen, alles Großen, das ihn ſchon einſt bewegt hat, und es iſt nun nicht mehr das irrdiſche Bild, das ihn entzückt, liebliche Schatten vom Himmel herab fallen in ſein Gemüth, und erregen eine bunte Welt von Wohllaut, und ſüßer Harmonie in ihm. O wenn uns die holde Natur lieb iſt, wenn wir gern die Pracht des Morgens, die Schimmer des Abends ſehn, wenn die Schönheit in Menſchengeſtalten uns an¬ ſpricht, wie könnten wir uns dann gegen die liebliche Kunſt ſo unfreundlich bezeigen? Gegen die Kunſt, die ſich beſtrebt, uns al¬ les das noch werther und theurer zu ma¬ chen, uns mit uns ſelbſt zu befreunden, die äußre Welt, die oft ſo hart um uns ſteht, mit unſerm weichen Herzen zu verſöhnen? Nein, es iſt unmöglich, daß ſich der Sinn irgend eines Menſchen freiwillig abwende; es ſind nur Mißverſtändniſſe, die ihn vom348 himmliſchen Genuſſe zurückhalten dürfen.

Zweifelt nicht, daß der Künſtler in ſeinem ſchönen Wahne, die ganze Welt, und jede Empfindung ſeines Herzens in ſeine Kunſt verflicht, er führt ſein Leben nur für die Kunſt, und wenn die Kunſt ihm abſtürbe, würde er nicht wiſſen, was er mit ſeinem übrigen Leben weiter anfangen ſollte. Ihr erwähnt es als etwas Schändliches, daß der arme Künſtler ſich genöthigt ſieht, um Lohn zu arbeiten, daß er das Werk ſeines Geiſtes fortgeben muß, um ſeinem Körper dadurch fortzuhelfen; er iſt aber deshalb eher zu beklagen, als zu verachten. Ihr kennt die Empfindung nicht, wenn ein Mann ſein liebſtes Werk, mit dem er ſo innig vertraut geworden iſt, aus dem ihm ſein Fleiß, und ſo viele liebe mühevolle Stunden anlächeln, wenn er es nun auf¬ opfern muß, es verſtoßen, und von ſich ent¬349 fremden, daß er es vielleicht niemals wie¬ derſieht, bloß des ſchnöden Gewinnſtes we¬ gen, und weil eine Familie ihn umgiebt, die Nahrung fordert. Es iſt zu bejammern, daß in unſerm irrdiſchen Leben der Geiſt ſo von der Materie abhängig iſt. O war¬ lich, kein größeres Glück könnte ich mir wünſchen, als wenn mir der Himmel ver¬ gönnte, daß ich arbeiten könnte, ohne an den Lohn zu denken, daß ich ſo viel Ver¬ mögen beſäße, und ganz ohne weitere Rück¬ ſicht meiner Kunſt zu leben, denn ſchon oft hat es mir Thränen ausgepreßt, daß ſich der Künſtler muß bezahlen laſſen, daß er mit den Ergießungen ſeines Herzens Han¬ del treibt, und oft von kalten Seelen in ſeiner Noth die Begegnung eines Sklaven erfahren muß.

Franz hielt eine kleine Weileein, weil er ſich wirklich die Thränen abtrocknete; dann fuhr350 er fort: Auch kann es der Kunſt zu keinem Vorwurfe gereichen, daß ihr unwürdige Menſchen zu nahe treten, und ſich ihr als Prieſter aufdrängen. Eben daß es Abwege und Irrthümer geben kann, beweiſt ihre Erhabenheit. Der Handwerker kann nur auf eine Art vortreflich ſeyn, in den mecha¬ niſchen Künſten iſt eine Erfindung die beſte; nicht alſo mit der göttlichen Mahlerey. Je tiefer einige ſinken, um ſo höher ſteigen an¬ dre: wenn es jenen vergönnt iſt, den Weg zu verfehlen, ſo dürfen dieſe dafür das Göttliche erreichen, und uns durch Offenba¬ rung mittheilen.

Ihr habt Eure Sache recht wacker ver¬ theidigt, ſagte der Alte, ob ich gleich noch Manches dagegen einwenden möchte.

Hier wurde das Geſpräch durch die Nachricht unterbrochen, daß Vanſens Toch¬ ter plötzlich krank geworden ſey. Der Va¬351 ter war in der größten Unruhe, er ſchickte ſogleich nach[einem] Arzte, und beſuchte ſeine geliebte Sara. Der Arzt kam, und verſi¬ cherte, daß keine Gefahr zu beſorgen ſey; es war ſpät, die Geſellſchaft ging ausein¬ ander.

Franz ging nicht nach ſeiner Wohnung, ſondern begleitete die übrigen. Jezt hatten ſich alle entfernt, und er war mit dem al¬ ten Manne allein. Ihr vergebt mir wohl, fing er an, meine Hitze, da ich Euch heute als ein junger Menſch ſo unbeſonnen wi¬ derſprochen habe; es kam, ohne daß ich ſa¬ gen könnte, wie es geſchah.

Ich habe Euch nichts zu vergeben, ſagte der Alte, ihr ſeid ein wackrer Menſch, und das freut mich.

Ihr mögt vielleicht Recht haben, ſagte Franz Laßt das, fiel ihm der Alte ein; haben352 nicht alle Zungen Recht und alle Unrecht?

Jeder trachte darnach, daß er es wahr und redlich mit ſich meine, das iſt die Haupt¬ ſache.

Franz ſagte: wenn Ihr mir alſo nicht böſe ſeid, ſo reicht mir zum Zeichen Eure Hand, denn mich gereut meine Heftigkeit.

Der Alte drückte ihm die Hand herzlich; dann umarmte er ihn, und ſagte: ſey im¬ mer glücklich mein Sohn und bleib bei Deiner herzlichen Liebe zu allem Guten. Franz ging hierauf ſehr vergnügt nach ſeiner Her¬ berge.

Fünf¬353

Fünftes Kapitel.

Der Winter war beinahe verfloſſen, Ru¬ dolf Floreſtan war indeß nach Antwerpen zurückgekommen. Franz hatte noch einige andre Bilder ausgearbeitet, er beſuchte aber ſeinen Freund Vanſen immer noch ſehr fleiſ¬ ſig; die Tochter war wieder hergeſtellt, doch blieb ſie immer traurig und mißvergnügt.

An einem Morgen traf er Vanſen al¬ lein, es war ein Sonntag und der Kauf¬ mann hatte daher keine Geſchäfte. Ihr ſeid mir ſehr willkommen, rief er dem Mahler entgegen, ich habe ſchon längſt über eine Sache mit Euch ſprechen wollen, wozu ich noch immer nicht die gelegene Zeit habe treffen können.

Sie ſetzten ſich und Vanſen fuhr in ei¬ nem vertraulichen Tone fort: Je mehr ich Euch kennen lerne, lieber Sternbald, jeZ354mehr muß ich Euch hochſchätzen, denn die jugendliche Schwärmerei, die Euch zu Zei¬ ten mit ſich fortreißt, wird ſich gewiß mit den Jahren verlieren. Seht, das iſt das Einzige, was ich allenfalls gegen Euch hätte, aber ſonſt lieb 'ich Euch ſo ſehr, wie ich bis jetzt noch keinen Menſchen werth gehalten habe. Dazu bekennt Ihr Euch zu einer Kunſt, die ich von Jugend auf vor¬ züglich verehrt habe. Doch ich will Euch näher kommen. Ich weiß nicht, ob Ihr das ſonderbare Betragen meiner Tochter bemerkt habt, ſeit Ihr in unſerm Hauſe bekannt ge¬ worden ſeid; meine Sara war ſonſt nie ſo melancholiſch, ſondern die Luſtigkeit ſelbſt, ſeit ſie Euch geſehn hat, iſt ihr ganzer Sinn umgewandt. Nun ſagt mir aufrichtig, wie gefällt ſie Euch?

Franz verſicherte, daß er ſie ſehr lie¬ benswürdig finde, und der Vater fuhr fort:355 Seit vielen Jahren habe ich es mir feſt vorgenommen, und es iſt ein Vorſatz, von dem ich gewiß nicht weiche, daß Niemand als ein geſchickter Mahler mein Eidam wer¬ den ſoll. Es kömmt nun bloß auf Euch an, ob ich in Euch meinen Mann gefunden ha¬ be. Ich weiß alles, was Ihr mir antwor¬ ten könnt, aber laßt mich ausreden. Ich will Euch damit keineswegs von Eurer Reiſe zurückhalten, ſondern ich muntre Euch viel¬ mehr ſelber auf, Italien zu beſuchen und dort zu ſtudiren. Meine Tochter liebt Euch, Ihr verſprecht Euch mit ihr, und mein Vermögen macht Euch die Reiſe bequemer und nützlicher. Ihr kommt dann zurück, und was ich beſitze, ſichert Euch wenigſtens vor dem Mangel. Ihr könnt dann Eurer Kunſt, wie Ihr Euch immer gewünſcht habt, mit allen Kräften obliegen, Ihr wer¬ det bekannt und berühmt, meine Tochter iſtZ 2356mit Euch glücklich und alle meine Wünſche ſind erfüllt.

Franz war heftig bewegt, er dankte in den wärmſten Ausdrücken dem Kaufmanne für ſein Wohlwollen, er bat ihn, noch jetzt keine entſcheidende Antwort zu verlangen und ſein Zögern nicht übel zu deuten. Er verließ ihn, und ſchweifte mit tauſend Vor¬ ſtellungen durch die Straßen umher. So nahe auf ihn zu war das wirkliche Leben noch nie getreten, um ſein inneres poeti¬ ſches zu verdrängen; er fühlte ſich angezo¬ gen und zurückgeſtoßen, das ſchöne Bild ſeiner Phantaſie ſtand bald ganz hell vor ihm, bald rückte es tief in den Hintergrund hinab. Hier bot ſich ihm eine ſichre Zukunft an, ganz unverhoft, eine Lebensweiſe, wie ſie immer ſein Wunſch geweſen war, und man forderte nichts weiter von ihm, als ei¬ nen Schatten, ein Traumbild aufzuopfern,357 das nicht ſein war. Doch fürchtete er ſich wieder, ſo ſeinen Lebenslauf zu beſtimmen und ſich ſelber Gränzen zu ſetzen; die Sehnſucht rief ihn wieder in die Ferne hin¬ ein, ſeltſame Töne lockten ihn und verſpra¬ chen ihm ein goldenes Glück, das weit ab ſeiner warte. In dieſer Stimmung beſuchte er ſeinen Freund Rudolf. So vertraut er mit dieſem war, ſo konnte er ihm doch nie ſeine Geſchichte, ſo wie ſeine wunderbare Liebe entdecken, es war nur Sebaſtian, dem er dergleichen vertrauen durfte. Aber er erzählte ihm jetzt Vanſens Vorſchlag und bat um ſeinen Rath. Wie ſoll ich dir hier¬ inn rathen? rief Rudolf lachend aus; das Rathgeben iſt überall eine unnütze Sache, aber vollends bei der Ehe; jeder Menſch muß ſich ſein eignes Glück machen, und dann kömmt auch deine Frage viel zu früh, denn du weißt ja nicht einmahl, ob dich das Mädchen haben will.

358

Franz ſtutzte. Das Wort Ehe erweckte überdem mancherlei Vorſtellungen bei ihm. Er ſah alle die Scenen einer ruhigen Häus¬ lichkeit vor ſich, Kinder die ihn umgaben, er hörte die Geſpräche ſeines Schwiegerva¬ ters und der Freunde, er fühlte ſeine friſche Jugend verſchwunden und ſich eingelernt in die ernſteren Verhältniſſe des Lebens; ſeine wunderbaren Gefühle und Wünſche, das zauberiſche Bild ſeiner Geliebten, alles hat¬ te Abſchied genommen und ſein Herz hing an nichts mehr glühend. Es war wie ein klarer geſchäftiger Tag, der nach der Pracht des Morgenroths erwacht; wie eine Rede nach einem ausgeklungenen Liede. Seine Bruſt war beängſtigt, er wußte ſich nicht zu laſſen und verließ unmuthig den lachen¬ den Floreſtan. Wie iſt es mit dem Leben? dachte er bei ſich ſelber; irgend einmahl iſt dieſer Taumel der Jugend doch verflogen,359 endlich einmal nimmt mich doch jenes Leben in Empfang, dem ich jetzt ſo ſcheu aus dem Wege trete. Wie wird mir ſeyn, wenn meine ſchönen Träume hinter mir liegen?

Er kam in Vanſens Haus zurück. Die Tochter war allein und ſpielte auf der Zit¬ ter. Er nahte ihr mit großer Verlegenheit; das Mädchen bemerkte ſeine Angſt und fragte ihn, ob er krank ſei. Franz war im Begriff, alles zu erzählen, was ihm der Vater vertraut hatte, als Sara von der Magd heimlich eine Bothſchaft erhielt, über die ſie ſehr zu erſchrecken ſchien. Die Magd entfernte ſich wieder und Sara ging weinend auf Sternbald zu und ſagte: Nein, mein liebſter Freund, ich habe mich nicht mehr in meiner Gewalt, ich muß Euch mein Leiden klagen, Euch vertraue ich al¬ lein, und Ihr werdet mein Vertrauen nicht mißbrauchen. O Sternbald, ſeit acht Wo¬360 chen leide ich unausſprechlich. Ihr ſeid gut, Ihr habt Mitleiden mit mir getragen, ich habe es wohl bemerkt, und darum will ich Euch alles ſagen. Nicht weit von uns wohnt ein junger Schmid, den ich ſchon ſeit lange kenne, der mich liebt und der jetzt krank liegt. Es ſoll mit ſeiner Krank¬ heit immer ſchlimmer werden; er fürchtet jetzt, mein Vater will mich verheirathen, er iſt arm, ein Handwerker und nun der Ver¬ zweiflung nahe. O wollt Ihr ſo gütig gegen mich ſeyn und ihn beſuchen und trö¬ ſten? Ihr glaubt nicht, wie gut, wie brav er iſt. Ihr würdet gewiß ſein Freund wer¬ den, wenn Ihr ihn kennen ſolltet, denn je¬ dermann muß ihn lieben, der ihm nahe kömmt.

Franz war gerührt; er ließ ſich das Haus bezeichnen und ging ſogleich hin. Er kam in eine armſelige Stube, in der der361 Kranke in einem Bette lag, und vor ſich Papiere hatte, auf denen er zeichnete. Als Sternbald näher kam, erſtaunte er, denn es war derſelbe Schmid, mit dem er vor Nürnberg am Tage ſeiner Auswanderung geſprochen hatte. O mein lieber Freund, rief er aus, wie werfe ich es mir vor, daß ich Euch ſo vergeſſen und nicht früher auf¬ geſucht habe! Der junge Schmiedegeſell er¬ kannte ihn ebenfalls und nun eröffnete ihm Franz, aus welcher Abſicht er zu ihm ge¬ kommen ſei. Meſſys weinte, als er hörte, wie zärtlich ſeine Sara für ihn beſorgt ſei. O Mahler, rief er aus, Ihr glaubt nicht, was ich ausgeſtanden habe, ſeitdem ich Euch damals geſprochen hatte. Seit ich Euren Dürer ſah, hatte ich keine Ruhe mehr in mir ſelber, es war, als wenn es an allen meinen Sinnen zöge und arbeitete, daß ich immer an Mahlereien, an Zeichnungen den¬362 ken mußte; an nichts in der Welt fand ich mehr Gefallen, die Schmiedearbeit war mir zur Laſt. Ich zeichnete täglich etwas, und ſelbſt in der Krankheit kann ich es nicht laſ¬ ſen; ſeht, da habe ich eine herrliche Figur von Lukas Leyden.

Franz betrachtete ſie; der junge Menſch hatte ſie ſehr gut kopirt und Franz ver¬ wunderte ſich darüber, daß er es ohne al¬ len Unterricht ſo weit habe bringen können. Meſſys fuhr fort: So kam ich nach Ant¬ werpen zurück und nichts war mir hier recht. Ich hatte immer noch den Dürer und ſeine Werkſtätte im Kopf, es kam ſo weit, daß ich mich meines Hammers ſchämte, ich verdarb die Arbeit, ich konnte nicht mehr fort. Schon lange hatte ich die Tochter un¬ ſers Nachbars gekannt, aber es war mir nie eingefallen, ſie als ein reiches und vor¬ nehmes Mädchen ſo anzuſehen, als ob ich363 ſie lieben könnte. Aber als ob ein böſer Geiſt recht darauf ausginge, mich zu Grun¬ de zu richten, ſo kam nun alles zuſammen. Ich konnte die Augen nicht mehr von ihr abwenden; wenn ich an's Zeichnen dachte, wollte ich ihr Geſicht nur immer auf dem Papiere entwerfen. Ich ging auf's Feld, ich kam zurück, ich wollte ſie nicht anſehen, o ich hatte es nicht nöthig, denn allenthal¬ ben war ſie mir vor die Augen wie hinge¬ bannt, ich ſah nichts anders als ſie. Bei jedem Geſichte dacht 'ich an das ihrige, alle Menſchen ſah ich darauf an, ob ſie ihr ähnlich wären. Sie bemerkte meine Leiden¬ ſchaft, ſie ſah mich freundlich an, ſie ſah mir nach, wenn ich vorbeiging; da war mir, als wenn mich der Blitz angerührt hätte, ſo oft es geſchah, wußte ich nicht, ob ich es glauben ſollte. Ihr Vater hatte in Leyden Geſchäfte und reiſte dorthin; ich364 weiß nicht, wie ich mich unterfing, ſie eines Abends anzureden, ich konnt' es nicht laſ¬ ſen, ich ſprach lange mit ihr und nachher ſchallte mir nur der Ton ihrer Rede, nur einzelne Worte in den Ohren, aber ich wu߬ te nicht, was ſie geſagt hatte. So ſah ich ſie öfter; wir gingen heimlich mit einander ſpatzieren, ich wurde vertraulicher, ſie ge¬ ſtand mir, daß ſie mir gut ſei und nun war ich im Himmel. Da fing ich an aus allen Kräften zu arbeiten; des Abends wenn ich ſie nicht ſprechen konnte, zeichnete ich ihr Bild, oder ſtellte mich dem Hauſe ge¬ genüber und ließ ſo die Nacht heranrücken. O ich bin geſchwätzig wie ein Kind. Ehe wir es uns verſahen kam der Vater zurück. Nun war es mit unſern Zuſammenkünften aus; ich konnte ſie nur manchmal im Vor¬ beigehn grüßen. Wie eine Decke fiel es mir von den Augen und mein Herz wollte365 ſpringen. Ich ſah nun wieder den Unter¬ ſchied unter uns beiden, wie mich der reiche Vater verachten müße, wie ich in meinem Stande ſo nichts gegen ihn ſei. Nun hörte ich noch dazu, Sara würde bald verheira¬ thet werden; ach! und es geſchieht auch ge¬ wiß. Was ſoll ich anfangen? Mein Hand¬ werk war mir ein Abſcheu, alles, worauf ich mich ſonſt wohl freuen konnte, Meiſter zu werden und bei Gelegenheit eine künſt¬ liche Arbeit, einen Springbrunnen, Gitter¬ werk, oder dergleichen zu unternehmen, kam mir nun kläglich vor. Ich wußte gar nicht, was ich in der Welt ſollte. Ein Mahler zu werden, dazu bin ich nun zu alt; die Sara darf ich nicht ſehen, nichts hoffen, ſo geh 'ich zu Grunde. Alles das zuſammen hat mich ſo krank und ſchwach gemacht, daß ich bald zu ſterben hoffe.

Franz ſagte weinend: Nein, das dürft366 Ihr nicht hoffen; glaubt mir, daß Ihr ge¬ wiß noch Zeit genug habt, ein guter Mah¬ ler zu werden, wenn Ihr dieſe Liebe zur Kunſt behaltet. Ihr zeichnet ſchon ſo gut, als wenn Ihr lange in der Lehre geweſen wäret, und es kommt alſo nur auf Euch an, ein Mahler zu werden. Dann dürft Ihr auch auf Eure Geliebte hoffen, denn der Vater achtet die Mahlerei und will nur einen Mahlerkünſtler zum Eidam haben; darum hat er mir noch heut, ſo arm ich auch bin, ſeine Tochter angetragen. Darum tröſtet Euch, ſammelt wieder Luſt zum Le¬ ben und Kräfte, denn Ihr könnt noch recht glücklich werden.

Meſſys ſchüttelte mit dem Kopfe, als wenn er nicht daran glauben könne, doch Franz fuhr ſo lange fort, ihn zu tröſten, bis jener etwas beruhigt war. Sternbald eilte ſogleich zu Vanſen, den er bei einer367 Flaſche Wein und bei guter Laune antraf. Jetzt will ich Euch meine Antwort bringen, ſagte Franz, aber Ihr müßt mir mit Ge¬ duld zuhören. Er erzählte hierauf die Ge¬ ſchichte ſeines Freundes und ſprach von der gegenſeitigen Liebe der beiden jungen Leute. Ihr wolltet mir, ſchloß er, als einem ar¬ men Menſchen, der nicht mehr, als dieſer Schmid beſitzt, Eure Tochter geben, Ihr wolltet auf meine Zurückkunft warten, nun ſo thut es mit dieſem, um das Glück Eurer einzigen Tochter zu begründen; ſie iſt jung, ich verſichere Euch, Meſſys iſt in wenigen Jahren ein guter Mahler, der Euch Ehre macht, und ſo ſind alle Eure Wünſche er¬ füllt.

Und Ihr ſeid überzeugt, daß er mit der Zeit gut mahlt? fragte Vanſen.

Gewiß, ſagte Sternbald, ſeht nur dieſe Zeichnungen, die warlich einen guten Süch ler verrathen.

368

Er zeigte ihm hierauf einige Bilder, die er von Meſſys Hand mitgebracht hatte, und Vanſen betrachtete ſie lange mit prüfenden Blicken; doch ſchien er endlich mit ihnen zufrieden zu ſeyn. Ihr ſeid ein braver jun¬ ger Menſch, rief er aus, Ihr könntet mich zu allem bewegen, es iſt viel, daß Ihr ſo uneigennützig ſeid. So geht alſo zu dem armen Teufel und grüßt ihn von mir, ſagt, er ſoll nur geſund werden und wir wollen dann weiter mit einander ſprechen.

Franz ſprang auf. Im Vorſaal begeg¬ nete ihm Sara, der er mit wenigen Wor¬ ten alles erzählte; dann eilte er zu Meſſys. Seid getroſt, rief er aus, alles iſt gut, der Vater bewilligt Euch die Tochter, wenn Ihr Euch auf die Mahlerei legt. Darum wer¬ det geſund, damit Ihr ihn ſelber beſuchen könnt.

Der Kranke wußte nicht, ob er recht höreund369und ſehe. Franz mußte ihm die Verſiche¬ rung öfters wiederholen. Als er ſich end¬ lich überzeugte, ſprang er auf und kleidete ſich ſchnell an. Dann ſprang und tanzte er in der Stube herum, wobei er alte nieder¬ ländiſche Bauernlieder ſang, umarmte bald und küßte Sternbald, dann weinte er wie¬ der und trieb ein ſeltſames Spiel mit ſeiner Freude, das den jungen Mahler innig bewegte. Sie machten ſich hierauf auf den Weg nach Vanſens Hauſe. Auf der Straße taumelte der Kranke, als ihn die ungewohnte freye Luft umfing; Franz unterſtützte ihn und ſo kamen ſie hin. Das erſte was ſie im Hauſe ſahen, war Sara, und Meſſys geberdete ſich wie ein Verrückter; ſie ſchrie laut auf, da ſie ihn ſo unvermuthet und ſo blaß ſah. Sie kamen in des Vaters Zimmer, der ſehr freundlich war. Meſſys war gegen dieſenA a370verlegen und blöde. Ihr liebt meine Toch¬ ter, ſagte der Kaufmann, und Ihr ver¬ ſprecht, Euch auf die Mahlerei zu legen, ſo daß Ihr Euch in einigen Jahren als ein geſchickter Mann zeigen könnt; unter dieſer Bedingung verſpreche ich ſie Euch, aber da¬ zu müßt Ihr reiſen und trefflich ſtudiren, ich will Euch zu dieſem Endzweck auf alle Weiſe unterſtützen. Vor allen Dingen müßt Ihr ſuchen geſund zu werden.

Die beiden Liebenden kamen hierauf in Gegenwart ihres Vaters zuſammen und fühlten ſich unausſprechlich glücklich. Meſ¬ ſys mußte eine beſſere Wohnung beziehen und nach einigen Tagen war er faſt ganz hergeſtellt. Er wußte nicht, wie er unſerm Freunde genug danken ſollte.

Es waren jetzt die letzten Tage des Fe¬ bruars und die erſte Sonnenwärme brach durch die neblichte Luft. Franz und Rudolf371 machten ſich auf die Reiſe. Ehe ſie Ant¬ werpen verließen, erhielt Franz von Van¬ ſen ein anſehnliches Geſchenk; der Kauf¬ mann liebte den jungen Mahler zärtlich. Sternbald und Floreſtan halten jetzt ſchon die Thore der Stadt weit hinter ſich, ſie hörten die Kloken aus der Ferne ſchlagen und Rudolf ſang mit lauter Stimme:

Wohlauf! es ruft der Sonnenſchein
Hinaus in Gottes freie Welt:
Geht munter in das Land hinein
Und wandelt über Berg und Feld!
Es bleibt der Strom nicht ruhig ſtehn
Gar luſtig rauſcht er fort;
Hörſt du des Windes muntres Wehn?
Er brauſt von Ort zu Ort.
Es reiſt der Mond wohl hin und her,
Die Sonne ab und auf,
Guckt übern Berg und geht in's Meer,
Nie matt in ihrem Lauf.
A a 2372
Und Menſch, du ſitzeſt ſtets daheim
Und ſehnſt dich nach der Fern,
Sei friſch und wandle durch den Hain
Und ſieh die Fremde gern.
Wer weiß wo dir dein Glücke blüht,
So geh und ſuch es nur,
Der Abend kömmt, der Morgen flieht,
Betrete bald die Spur.
Laß Sorgen ſeyn und Bangigkeit
Iſt doch der Himmel blau,
Es wechſelt Freude ſtets mit Leid,
Dem Glücke nur verttau.
So weit dich ſchließt der Himmel ein,
Geräth der Liebe Frucht,
Und jeglich Herz bekömmt das Sein
Wenn es nur ämſig ſucht.

Ende des erſten Theils.

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Nachſchrift an den Leſer.

Dieſes Buch ſollte erſt unter dem Nahmen des Verfaſſers der Herzensergießungen eines kunſtliebenden Kloſterbruders erſcheinen: da¬ her muß ſich der Leſer den Ton in manchen Stellen dieſes Theils erklären. Die meiſten Geſpräche, die ich ſeit mehreren Jahren mit meinem nun verſtorbenen Freunde Wacken¬ roder führte, betrafen die Kunſt; wir waren in unſern Empfindungen einig und wurden nicht müde, unſre Gedanken darüber gegen¬ ſeitig zu wiederholen. Er war beſonders gegen die zergliedernde Kritik, die dem ver¬ ehrenden Enthuſiasmus entgegenſteht, und aus unſern Geſprächen über die Anſicht der Kunſt und der Künſtler entſtanden die Her¬ zensergießungen des Kloſterbr ders, die 1797 herauskamen. Mein Freund ſuchte in dieſem Buche unſre Gedanken und374 ſeine innige Kunſtliebe niederzulegen, er wählte abſichtlich dieſe Maske eines religiö¬ ſen Geiſtlichen, um ſein frommes Gemüth, ſeine andächtige Liebe zur Kunſt freier aus¬ drücken zu können; der Vortrag in den meiſten Aufſätzen gehört ganz ihm. Von meiner Hand iſt die Vorrede, Sehn¬ ſucht nach Italien, S. 23. Ein Brief des Mahlers Antonio und die Antwort, S. 52, Brief eines jungen deutſchen Mahlers S. 179, und die Bildniſſe der Mahler, S. 194. Nach jenem Buche hatten wir uns vorgenommen, die Ge¬ ſchichte eines Künſtlers zu ſchreiben, und ſo entſtand der Plan zu gegenwärtigem Ro¬ man. In einem gewiſſen Sinne gehört meinem Freunde ein Theil des Werks, ob ihn gleich ſeine Krankheit hinderte, die Stellen wirklich, auszuarbeiten, die er über¬375 nommen hatte. Der Leſer verliehrt gewiß viel dabei, daß ich es ohne ſeine Beihülfe zu Ende führen muß.

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TextFranz Sternbalds Wanderungen
Author Ludwig Tieck
Extent390 images; 46883 tokens; 7621 types; 304968 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationFranz Sternbalds Wanderungen Eine altdeutsche Geschichte Erster Theil Ludwig Tieck. . VI, 375 S. UngerBerlin1798.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yw 3951-1<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=549026096

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:47Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Yw 3951-1<a> R
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