Seit lange habe ich folgendes Buch als das liebſte Kind meiner Muße und Phantaſie gehegt und übergebe es nun Dir, geliebter Leſer, mit dem Wunſche, daß es Dir gefallen möge. Wenn Du die Kunſt liebſt, ſo erdulde das nach¬ ſichtig, was Du darüber geſagt findeſt. IVAm meiſten habe ich bei dieſem Werke meiner Laune an Euch, ihr Jünger der Kunſt, gedacht, die Ihr Euch mit unermüdetem Streben zu den großen Meiſterwerken hinandrängen wollet, die Ihr Euer wechſelndes Gemüth und die wunderbaren Stimmungen die Euch be¬ herrſchen, nicht begreift, die Ihr gern die Widerſprüche löſen möchtet, die Euch in manchen Stunden ängſtigen. Euch widme ich dieſe Blätter mit beſonderer Liebe und mit herzlichen Wünſchen, daßV Euch hie und da vielleicht eine Wolke ſchwindet, die Eure Ausſicht verdeckte.
Man rechne mir kleine chronologi¬ ſche Fehler nicht zu ſtrenge nach, man behandle dies kleine Buch nicht wie die Geſchichte eines Staats. Meine Schwächen empfinde ich ſelber und wie ich das Ideal nicht erreichen kann, das in meinem Innern ſteht. Es iſt mit mir und meiner Erfindung ſo, wie der große Dichter dem Künſtler in den Mund legt:
VISo ſind wir denn nun endlich aus den Thoren der Stadt, ſagte Sebaſtian, in dem er ſtille ſtand und ſich freier umſah.
Endlich? antwortete ſeufzend Franz Sternbald ſein Freund. — Endlich? Ach nur zu früh, allzufrüh.
Die beiden Menſchen ſahen ſich bei die¬ ſen Worten lange an, und Sebaſtian legte ſeinem Freunde zärtlich die Hand an die Stirne und fühlte, daß ſie heiß ſei. — Dich ſchmerzt der Kopf ſagte er beſorgt, und Franz antwortete: Nein, das iſt es nicht, aber daß wir uns nun bald trennen müſſen.
Noch nicht! rief Sebaſtian mit einem weh¬ mühtigen Erzürnen aus, ſo weit ſind wir4 noch lange nicht, ich will dich wenigſtens eine Meile begleiten.
Sie gaben ſich die Hände und giengen ſtillſchweigend auf einem ſchmalen Wege ne¬ beneinander.
Jetzt ſchlug es in Nürnberg vier Uhr und ſie zählten aufmerkſam die Schläge, obgleich beide recht gut wußten, daß es keine andere Stunde ſeyn konnte; indem warf das Morgenroth ſeine Flammen immer höher und es giengen ſchon undeutliche Schatten neben ihnen und die Gegend trat rund umher aus der ungewiſſen Dämmerung heraus.
Wie alles noch ſo ſtill und feierlich iſt, ſagte Franz und bald werden ſich dieſe gu¬ ten Stunden in Saus und Braus, in Ge¬ tümmel und tauſend Abwechſelungen verlie¬ ren. Unſer Meiſter ſchläft wohl noch und arbeitet an ſeinen Träumen, ſeine Gemählde ſtehen aber auf der Staffelei und warten5 ſchon auf ihn. Es thut mir doch leid, daß ich ihm dem Petrus nicht habe können aus¬ mahlen helfen.
Gefällt er dir? fragte Sebaſtian.
Ueber die maßen, rief Franz aus, es ſol¬ te mir faſt bedünken, als könnte der gute Apoſtel der es ſo ehrlich meinte, der mit ſeinem Degen ſo raſch bei der Hand war und nachher doch aus Lebensfurcht das Verläugnen nicht laſſen konnte, und ſich von einem Hahn müſte eine Buß - und Gedächtnißpredigt hal¬ ten laſſen, als wenn ein ſolcher beherzter und furchtſamer, ſtarrer und gutmüthiger Apoſtel nicht anders habe ausſehn können als ihn Meiſter Dürer ſo vor uns hinge¬ ſtellt hat. Wenn er Dich zu dem Bilde läßt, lieber Sebaſtian, ſo wende ja allen deinen Fleiß darauf und denke nicht, daß es für ein ſchlechtes Gemälde gut genug ſei. Willſt du mir das verſprechen?
6Er nahm ohne eine Antwort zu erwar¬ ten ſeines Freundes Hand und drückte ſie ſtark, Sebaſtian ſagte: Deinen Johannes will ich recht aufheben und ihn behalten, wenn man mir auch viel Geld dafür böte.
Mit dieſen Reden waren ſie an einen Fußſteig gekommen, der einen nähern Weg durchs Korn führte. Rothe Lichter zitterten an den Spitzen der Halme und der Mor¬ genwind rührte ſich darin und machte Wel¬ len. Die beiden jungen Mahler unterhiel¬ ten ſich noch von ihren Werken und von ihren Planen für die Zukunft, Franz ver¬ ließ jezt Nürnberg ſeine vaterländiſche Stadt, um in der Fremde ſeine Kenntniß zu erweitern und nach einer mühſeligen Wanderſchaft dann als ein vollendeter Mei¬ ſter zurückzukehren. Sebaſtian blieb noch bei den wohlverdienten Albrecht Dürer deſ¬ ſen Name im ganzen Lande ausgebreitet7 war. Die Sonne gieng nun in aller Maje¬ ſtät hervor und Sebaſtian und Franz ſahen abwechſelnd nach den Thürmen von Nürn¬ berg zurück, deren Kuppeln und Fenſter blendend im Schein der Sonne glänzten.
Die jungen Freunde fühlten ſtillſchwei¬ gend den Druck des Abſchieds, der ihrer wartete, ſie ſahen jedem kommenden Augen¬ blicke mit Furcht entgegen, ſie wußten, daß ſie ſich trennen mußten und konnten es doch immer noch nicht glauben.
Das Korn ſteht ſchön, ſagte Franz um nur das ängſtigende Schweigen zu unter¬ brechen, wir werden eine ſchöne Erndte haben.
Diesmahl, antwortete Sebaſtian, wer¬ den wir nicht miteinander das Erndtefeſt be¬ ſuchen, wie ſeither geſchah; ich werde gar nicht hingehn, denn du fehlſt mir und all' das luſtige Pfeiffen und Schallmeygetöne8 würde[nur] ein bittrer Vorwurf für mich ſein, daß ich ohne dich käme.
Dem jungen Franz ſtanden bei dieſem Worten die Thränen in den Augen, denn alle Scenen die ſie einer mit dem andern ge¬ ſehn, alles was ſie in brüderlicher Geſell¬ ſchaft erlebt hatten, gieng ſchnell durch ſein Gedächtniß; als nun Sebaſtian noch hinzu ſezte: wirſt du mich auch in der Ferne noch immer lieb behalten? konnte er ſich nicht mehr faßen, ſondern fiel dem Fragen¬ den mit lautem Schluchzen um den Hals und ergoß ſich in tauſend Thränen, er zit¬ terte, es war, als wenn ihm das Herz zer¬ ſpringen wollte. Sebaſtian hielt ihn feſt in ſeinen Armen geklammert und muſte nun mit ihm weinen, ob er gleich älter, und von einer härteren Conſtitution war. Kom¬ me wieder zu dir! ſagte er endlich zu ſei¬ nem Freunde wir müßen uns faßen, wir ſehn uns ja wohl wieder.
9Franz antwortete nicht, ſondern troknete ſeine Thränen ab, ohne ſein Geſicht zu zei¬ gen. Es liegt im Schmerze etwas, deßen ſich der Menſch ſchämt, er mag ſeine Thrä¬ nen ſelbſt vor ſeinem Buſenfreunde, auch wenn ſie dieſem gehören, gern verbergen.
Sie erinnerten ſich nun daran, wie ſie ſchon oft von dieſer Reiſe geſprochen hätten, wie ſie ihnen alſo nichts weniger als uner¬ wartet käme, wie ſehr ſie Franz gewünſcht und ſie immer als ſein höchſtes Glück ange¬ ſehn hätte. Sebaſtian konnte nicht begreif¬ fen, warum ſie jezt ſo traurig wären, da im Grunde nichts vorgefallen ſei, als daß nun endlich der langgewünſchte Augenblick wirklich herbeigekommen wäre. Aber ſo iſt das Glück des Menſchen, er kann ſich deſ¬ ſen nur freuen, wenn es aus der Ferne auf ihn zuwandelt, kömmt es ihm nahe und er¬ greift ſeine Hand, ſo ſchaudert er oft zu¬10 ſammen, als wenn er die Hand des Todes faßte.
Soll ich dir die Wahrheit geſtehn? fuhr Franz fort, du glaubſt nicht wie ſeltſam mir geſtern Abend zu Sinne war. Ich hat¬ te meinen Gedanken ſo oft die Pracht Roms, den Glanz Italiens vorgemahlt, ich konnte mich bei der Arbeit ganz darin ver¬ lieren, daß ich mir vorſtellte, wie ich auf unbekannten Fußſteigen, durch ſchattige Wälder wanderte, und dann fremde Städ¬ te und niegeſehene Menſchen meinem Blik¬ ke begegneten; ach, die bunte, ewigwechſeln¬ de Welt mit ihren noch unbekannten Bege¬ benheiten, die Künſtler, die ich ſehn würde, das hohe gelobte Land der Römer, wo einſt die Helden würklich und wahrhaftig gewan¬ delt ſind, deren Bilder mir ſchon Thränen entlockt hatten, ſieh, alles dies zuſammen hatte oft meine Gedanken ſo gefangen ge¬11 nommen, daß ich zuweilen nicht wußte, wo ich war, wenn ich wieder auf ſah. Und das alles ſoll würklich werden! rief ich dann manchmal aus, es ſoll eine Zeit geben kön¬ nen, ſie naht ſich, in der du nicht mehr vor der alten, ſo wohlbekannten Staffeley ſitzeſt, eine Zeit, wo du in all die Herrlichkeit hinein¬ leben darfſt und immer mehr ſehn, mehr erfah¬ ren, nie aufwachen, wie es dir jezt wohl[ge¬ ſchieht], wenn du ſo zu Zeiten von Italien träumſt; — ach, wo, wo, bekömmſt du Sinne, Gefühl genug her, um alles treu und wahr, lebendig und urkräftig aufzufaſ¬ ſen? — Und dann war es, als wenn ſich Herz und Geiſt innerlich ausdehnten und wie mit Armen jene zukünftige Zeit erha¬ ſchen, an ſich reiſſen wollten — und nun —
Und nun Franz?
Kann ich es dir ſagen? antwortete je¬12 ner, — kann ich es ſelber ergründen? Als wir geſtern Abend um den runden Tiſch un¬ ſers Dürers ſaßen und er mir noch Lehren zur Reiſe gab, als die Hausfrau indeß den Braten ſchnitt und ſich nach dem Kuchen er¬ kundigte, den ſie zu meiner Abreiſe gebacken hatte, als du nicht eßen konnteſt, und mich immer von der Seite betrachteteſt, o Seba¬ ſtian, es wollte mir immer mein armes ehr¬ liches Herz zerreißen. Die Hausfrau kam mir ſo gut vor, ſo oft ſie auch mit mir ge¬ ſcholten hatte, ſo oft ſie auch unſern braven Meiſter Dürer betrübt hatte; hatte ſie mir doch ſelbſt meine Wäſche eingepakt, war ſie doch gerührt, daß ich abreiſen wollte. Nun war unſere Mahlzeit geendigt, und wir al¬ le waren nicht fröhlich geweſen, ſo ſehr wir es uns auch vorher vorgenommen hatten. Jetzt nahm ich Abſchied von Meiſter Al¬ brecht, ich wollte ſo hart ſeyn und konnte13 vor Thränen nicht reden; ach mir fiel es zu ſehr ein, wie viel ich ihm zu danken hatte, was er ein vortreflicher Mann iſt, wie herrlich er mahlt, und ich ſo nichts gegen ihn bin und er doch in den lezten Wochen immer that, als wenn ich ſeines gleichen wäre; ich hatte das alles noch nie ſo zu¬ ſammen empfunden, und nun warf es mich auch dafür nieder. Ich ging fort, und du gingſt ſtillſchweigend in deine Schlafkammer: nun war ich auf meiner Stube allein. Kei¬ nen Abend werd 'ich mehr hier hereintre¬ ten, ſagte ich zu mir ſelber, indem ich das Licht auf den Boden ſtellte: für dich, Franz, iſt nun dieſes Bette zum leztenmale in Ord¬ nung gelegt, du wirfſt Dich noch einmal hin¬ ein und ſiehſt dieſe Kiſſen, denen du ſo oft deine Sorgen klagteſt, auf denen du noch öfter ſo ſüß ſchlummerteſt, nie ſiehſt du ſie wieder. — Sebaſtian, geht es allen Men¬14 ſchen ſo, oder bin ich nur ein ſolches Kind? Es war mir faſt, als ſtünde mir das größte Unglück bevor, daß dem Menſchen begegnen könnte, ich nahm ſogar die alte Lichtſcheere mit Zärtlichkeit, mit einem wehmüthigen Ge¬ fühl in die Hand und puzte damit den lan¬ gen Docht des Lichtes. Ich war überzeugt, daß ich vom guten Dürer nicht zärtlich ge¬ nug Abſchied genommen hatte, ich machte mir heftige Vorwürfe darüber daß ich ihm nicht alles geſagt hatte, wie ich von ihm dachte, welch' ein vortreflicher Mann er in meinem Augen ſei, daß er nun von mir ſo entfernt würde, ohne daß er wüſte, welche kindliche Liebe, welche brennende Verehrung, welche Bewunderung ich mit mir nähme. Als ich ſo über die alten Giebel hinüber ſah, und über den engen dunkeln Hof, als ich dich neben an gehen hörte und die ſchwarzen Wolken ſo unordentlich durch den15 Himmel zogen, ach! Sebaſtian! wie wenn ihr mich aus dem Hauſe würfet, als wenn ich nicht mehr euer Freund und Geſellſchaf¬ ter ſein dürfte, als wenn ich allein als ein Unwürdiger verſtoßen ſei, verſchmäht und verachtet, — ſo regte es ſich in meinem Bu¬ ſen. Alle meine Plane, meine Hofnungen, alles war vorüber gezogen und ich konnte es mir gar nicht denken, daß es mich je ge¬ freut hatte. Ich hatte keine Ruhe, ich gieng noch einmal vor Dürers Gemach nnd hör¬ te ihn drinnen ſchlafen, o ich hätte ihn gern noch einmal umarmt, alles genügte mir nicht, ich hätte mögen dableiben, an kein Verreiſen hätte müßen gedacht werden und ich wäre vergnügt geweſen. — — Und noch jetzt! ſieh wie die fröhlichen Lichter des Morgens um uns ſpielen, und ich trage noch alle Empfindungen der dunkeln Nacht in mir. Warum müßen wir immer früheres16 Glück vergeſſen, um von neuem glücklich ſein zu können? — Ach! laß uns hier einen Augenblick ſtille ſtehen, horch, wie ſchön die Gebüſche flüſtern; wenn du mir gut biſt, ſo ſinge mir hier nocheinmahl das altdeutſche Lied vom Reiſen.
Sebaſtian ſtand ſogleich ſtill und ſang, ohne vorher zu huſten, folgende Verſe.
Franz hatte ſich in's hohe Gras geſetzt und ſang die lezten Verſe inbrünſtig mit, er ſtand auf und ſie kamen an die Stelle wo Sebaſtian hatte umkehren wollen.
Grüße noch einmal! rief Franz aus! al¬ le, die mich kennen und lebe du recht wohl.
Und du gehſt nun? fragte Sebaſtian. Muß ich denn nun ohne dich umkehren?
Sie hielten ſich beide feſt umſchloßen. Ach nur eins noch! rief Sebaſtian aus, es quält mich gar zu ſehr und ich kann dich ſo nicht laſſen.
B18Franz wünſchte den Abſchied im Herzen vorüber, es war, als wenn ſein Herz von dieſen gegenwärtigen Minuten erdrückt wür¬ de, er ſehnte ſich nach der Einſamkeit, nach dem Walde um dann von ſeinem Freunde entfernt ſeinen Schmerz ausweinen zu kön¬ nen. Aber Sebaſtian verlängerte die Au¬ genblicke des Abſchieds, weil er ſich durch kein neues Leben, durch keine neue Gegend konnte tröſten laßen, er kannte alles genau wozu er zurückkehrte. Willſt du mir ver¬ ſprechen? rief er aus.
Alles! alles!
Ach Franz! fuhr jener klagend fort, ich laſſe dich nun los und du biſt nicht mehr mein, ich weiß nicht, was dir begegnet, ich kann dir nicht ins Geſicht ſehen und ſo ſetze ich deine Liebe, ja dich ſelbſt auf ein unge¬ wißes Spiel. Wirſt du auch noch in der weiten Ferne an deinen einfältigen Freund19 Sebaſtian denken? Ach, wenn du nun unter klugen und vornehmen Leuten biſt, wenn es nun ſchon lange her iſt, daß wir hier Ab¬ ſchied genommen haben, willſt du mich auch dann nie verachten?
O mein liebſter Sebaſtian! rief Franz ſchluchzend.
Wirſt du immer noch Nürnberg ſo lie¬ ben, fuhr jener fort, und deinen Meiſter ſo lieben, den wackern Albrecht? Wirſt du dich nie klüger fühlen? O verſprich mir, daß du derſelbe Menſch bleiben willſt, daß du dich nicht vom Glanz des Fremden willſt verfüh¬ ren laßen, daß alles dir noch eben ſo theuer iſt, daß ich dich noch eben ſo angehe.
O Sebaſtian ſagte Franz, mag die gan¬ ze Welt klug und überklug werden, ich will immer ein Kind bleiben.
Sebaſtian ſagte: O wenn du einſt mit fremden abgebettelten Sitten wieder kämſt,B 220alles beßer wüſteſt und dir das Herz nicht mehr ſo warm ſchlüge, wenn du dann mit kaltem Blute nach Dürers Grabſtein hin¬ ſehn könnteſt und du höchſtens über die Ar¬ beit und Innſchrift ſprächeſt, — o ſo möcht 'ich dich gar nicht wiederſehn, dich gar nicht für meinen Bruder erkennen.
Sebaſtian! bin ich denn ſo? rief Franz heftig aus; ich kenne ja dich, ich liebe ja dich und mein Vaterland und die Stube, worinn unſer Meiſter wohnt und die Natur und Gott. Immer werd 'ich daran hangen, immer, immer! Sieh, hier, an dieſem alten Eichenbaum verſpreche ich es dir, hier haſt du meine Hand darauf.
Sie umarmten ſich und giengen ſtumm auseinander, nach einer Weile ſtand Franz ſtill, dann lief er dem Sebaſtian nach und umarmte ihn wieder. Ach, Bruder, ſagte er, und wenn Dürer den Ecce homo fertig21 hat, ſo ſchreibe mir doch recht umſtändlich wie der geworden iſt und glaube ja an die Göttlichkeit der Bibel, ich weiß, daß du manchmal übel davon dachteſt.
Ich will es thun, ſagte Sebaſtian und ſie trennten ſich wieder, aber nun kehrte keiner um, oft wandten ſie das Geſicht, ein Wald trat zwiſchen beide.
22Als Sebaſtian nach der Stadt zurückkehrte und Franz ſich nun allein ſah, ließ er ſeinen Thränen ihren Lauf. Lebe wohl, tauſend¬ mahl wohl, ſagte er immer ſtill vor ſich hin, wenn ich dich nur erſt wieder ſähe!
Die Arbeiter auf den Feldern waren nun in Bewegung, alles war thätig und rührte ſich; Bauern fuhren vor ihm vorüber, in den Dörfern war Getümmel, in den Scheu¬ ren wurde gearbeitet. Wie viel Menſchen ſind mir heut ſchon begegnet, dachte Franz bei ſich und unter allen dieſen weiß vielleicht kein einziger von dem großen Albrecht Dü¬ rer, der mit ſeinen Werken meinen ganzen Kopf einnimmt, den zu erreichen mein einzi¬ ges Trachten iſt; ſie wißen vielleicht alle kaum, daß es eine Mahlerey giebt und23 doch fühlen ſie ſich nicht unglücklich. Ich weiß es nicht und kann nicht einſehn, wie man ſo leben könnte, ſo einſam und verlaſ¬ ſen und doch treibt jeder ämſig ſein Ge¬ ſchäft, und es iſt gut, daß es ſo iſt und ſo ſeyn muß.
Die Sonne war indeß hoch geſtiegen und brannte heiß herunter, die Schatten der Bäume waren kurz, die Arbeiter giengen zum Mittagseſſen nach ihren Häuſern. Franz dachte daran, wie ſich nun Sebaſtian dem Albrecht Dürer gegen über zu Tiſche ſezte, wie man von ihm ſpreche. Er be¬ ſchloß auch im nächſten Gehölze ſtill zu lie¬ gen, und ſeinen mitgenommenen Vorrath hervorzuholen. Wie erquickend war der kühle Duft, der ihm aus den grünen Blät¬ tern entgegen wehte, als er in das Wäld¬ chen hineintrat! Alles war ſtill und nur das Rauſchen der Bäume ſchallte manchmal24 durch die liebliche Einſamkeit und ein ferner Bach, der durchs Gehöltz floß. Franz ſezte ſich auf den weichen Raſen und zog ſeine Schreibtafel heraus, um den Tag ſeiner Auswanderung anzumerken, dann hohlte er friſchen Athem, und ihm war leicht und wohl, er war jezt über die Abweſenheit ſei¬ nes Freundes getröſtet, er fand alles gut, ſo wie es war. Er breitete ſeine Tafel aus und aß mit Wohlbehagen von ſeinem mit¬ genommenen Vorrathe, er fühlte jezt nur die ſchöne ruhige Gegenwart, die ihn um¬ gab.
Indem kam ein Wandersmann die Straſ¬ ſe gegangen und grüßte Franzen ſehr freund¬ lich es war ein junger rothbakkiger Bur¬ ſche, er ſchien müde und Franz bat ihn da¬ her, ſich neben ihn niederzuſetzen und mit ihm vorlieb zu nehmen. Der junge Reiſen¬ de nahm ſogleich dieſen Vorſchlag an, und25 beide verzehrten gutes Muths ihre Mittags¬ mahlzeit und tranken den Wein, den Franz aus Nürnberg mitgenommen hatte. Der Fremde erzählte hierauf unſerm Freunde, daß er ein Schmiedegeſelle ſei und eben auf der Wanderſchaft begriffen, er gehe nun, die hochberühmte Stadt Nürnberg in Augen¬ ſchein zu nehmen und da etwas Rechtes für ſein Handwerk bei den kunſtreichen Meiſtern zu lernen.
Und was treibt ihr für ein Gewerbe? fragte er, indem er ſeine Erzählung geen¬ digt hatte.
Ich bin ein Mahler ſagte Franz, und bin heute Morgen aus Nürnberg ausge¬ wandert.
Ein Mahler? rief jener aus, ſo einer von denen, die für die Kirchen und Klöſter die Bilder verfertigen.
Recht, antwortete Franz, mein Meiſter26 O, ſagte der Schmidt, was ich mir ſchon oft gewünſcht habe, einen ſolchen Mann bei ſeiner Arbeit zu ſehn, denn ich kann es mir gar nicht vorſtellen. Ich habe immer geglaubt, daß die Gemählde in den Kirchen ſchon ſehr alt wären, und daß jezt gar keine Leute lebten, die dergleichen ma¬ chen könnten.
Grade umgekehrt, ſagte Franz, die Kunſt iſt jezt höher geſtiegen, als ſie nur jemals war, ich darf Euch ſagen, daß man jezt ſo mahlt, wie es die frühern Meiſter nie ver¬ mocht haben, die Manier iſt jetzt edler, die Zeichnung richtiger und die Ausarbeitung bei weitem fleißiger, ſo daß die jetzigen Bilder den wirklichen Menſchen ungleich ähnlicher ſehn, als die vormaligen.
Und könnt 'Ihr Euch denn davon ernäh¬ ren? fragte der Schmidt.
Ich hoffe es, antwortete Franz, daß27 mich die Kunſt durch die Welt bringen wird.
Aber im Grunde nützt doch das zu nichts, fuhr jener fort.
Wie man es nimmt, ſagte Franz und war innerlich über dieſe Rede böſe. Das menſchliche Auge und Herz findet ein Wohl¬ gefallen daran, die Bibel wird durch Ge¬ mählde verherrlichet, die Religion unterſtützt, was will man von dieſer edlen Kunſt mehr verlangen?
Ich meine, ſagte der Geſell, ohne ſehr darauf zu achten, es könnte doch zur Noth entbehrt werden, es würde doch kein Un¬ glück daraus entſtehn, kein Krieg, keine Theurung, kein Mißwachs, Handel und Wandel bliebe in gehöriger Ordnung; daß alles iſt nicht ſo mit dem Schmiedehandwerk der Fall, als worauf ich reiſe, und darum dünkt mich, müſtet Ihr mit einiger Beſorg¬28 niß ſo in die Welt hineingehn, denn Ihr ſeid immer doch ungewiß, ob Ihr Arbeit finden werdet.
Franz wußte darauf nichts zu antworten und ſchwieg ſtill, er hatte noch nie darüber nachgedacht, ob ſeine Beſchäftigung den Menſchen nützlich wäre, ſondern ſich nur ſeinem Triebe überlaßen. Er wurde betrübt, daß nur irgend jemand an dem hohen Wer¬ the der Kunſt zweifeln könne, und doch wuſte er jezt nicht jenen zu widerlegen. Iſt doch der heilige Apoſtel Lukas ſelbſt ein Mahler geweſen! fuhr er endlich auf.
Wirklich? ſagte der Schmidt und ver¬ wunderte ſich, das hätt 'ich nicht gedacht, daß das Handwerk ſchon ſo alt wäre.
Möchtet Ihr denn nicht, fuhr Franz mit einen hochrothen Geſichte fort, wenn Ihr einen Freund oder Vater hättet, dem Ihr ſo recht von Herzen liebtet und Ihr müßtet29 nun auf viele Jahre auf die Wanderſchaft gehn, und könntet ſie in der langen langen Zeit nicht ſehen, möchtet Ihr denn da nicht ein Bild wenigſtens haben, das Euch vor den Augen ſtände, und jede Miene jedes Wort zurückriefe, daß ſie ſonſt geſprochen haben? Iſt es denn nicht ſchön und herr¬ lich, wenigſtens ſo im gefärbten Schatten das zu beſitzen, was wir für theuer achten?
Der Schmid wurde nachdenkend und Franz öfnete ſchnell ſeinen Mantelſak und wickelte einige kleine Bilder aus, die er ſelbſt vor ſeiner Abreiſe gemahlt hatte. Seht hieher, fuhr er fort, ſeht vor einigen Stun¬ den habe ich mich von meinem liebſten Freunde getrennt und hier trage ich ſeine Geſtalt mit mir herum, der da iſt mein theurer Lehrer Albrecht, Dürer genannt, gra¬ de ſo ſieht er aus, wenn er recht freundlich iſt, hier habe ich ihn noch einmal, wie er in ſeiner Jugend ausgeſehen hat.
30Der Schmid betrachtete die Gemählde ſehr aufmerkſam und bewunderte die Arbeit, daß die Köpfe ſo natürlich vor den Augen ſtänden, daß man beinahe glauben könnte, lebendige Menſchen vor ſich zu ſehn. Iſt es denn nun nicht ſchön, ſprach der junge Mahler weiter, daß ſich männiglich bemüht, die Kunſt immer höher zu treiben und im¬ mer wahrer das natürliche Menſchenange¬ ſicht darzuſtellen? War es denn nicht für die übrigen Apoſtel und für alle damaligen Chriſten herrlich und eine liebliche Erquik¬ kung wenn Lukas ihnen den Erlöſer der todt war, wenn er ihnen Maria und Mag¬ dalena und die übrigen hinmahlen konnte, daß ſie ſie glaubten mit Augen zu ſehen und mit den Händen zu erfaßen? Und iſt es dann auch nicht in unſerm Zeitalter über¬ aus ſchön, für alle Freunde des großen Man¬ nes, des kühnen Streiters, den wackern31 Doktor Luther treflich zu konterfeyen, und dadurch die Liebe der Menſchen und ihre Bewunderung zu erhöhn? Und wenn wir al¬ le längſt todt ſind, müßen es uns nicht En¬ kel und ſpäte Urenkel Dank wißen, wenn ſie nun die jezigen Helden und großen Män¬ ner von uns gemahlt antreffen? O wahrlich, ſie werden dann Albrecht ſegnen und mich auch vielleicht loben, daß wir uns ihnen zum Beſten dieſe Mühe gaben und keiner wird denn die Frage aufwerfen: wozu kann dieſe Kunſt nützen?
Wenn Ihr es ſo[betrachtet], ſagte der Schmid, ſo habt Ihr ganz recht, und wahr¬ lich, das iſt dann ganz etwas anders, als Eiſen zu hammern. Schon oft habe ich es mir auch gewünſcht, ſo irgend etwas zu thun, das bliebe und wobei die künftigen Men¬ ſchen meiner gedenken könnten, ſo eine recht überaus künſtliche Schmiedearbeit, aber ich32 weiß immer noch nicht, was es wohl ſein könn¬ te und ich kann mich auch oft nicht darin finden, warum ich das grade will, da keiner meiner Handwerksgenoßen darauf gekom¬ men iſt. Bei Euch iſt das auf die Art frei¬ lich etwas leichtes und Ihr habt dabei nicht einmal ſo ſaure Arbeit, wie unſer eins. Aber darin denkt Ihr grade wie ich, ſeht, Tag und Nacht wollt 'ich arbeiten und mich keinen Schweiß verdrießen laßen wenn ich etwas zu Stande brächte, das länger dauer¬ te wie ich, das der Mühe werth wäre, daß man ſich meiner dabei erinnerte und darum möcht' ich gern etwas ganz Neues und Un¬ erhörtes erfinden, oder entdecken, und ich halte die für ſehr glückliche Menſchen, denen ſo etwas gelungen iſt.
Bei dieſen Worten hörte Franzens Zorn nun völlig auf, er ward dem Schmiedege¬ ſellen darüber ſehr gewogen und erzählteihm33ihm noch mancherlei von ſich und Nürnberg, er erfuhr daß der junge Schmid aus Flan¬ dern komme und ſich Meſſys nannte. Wollt Ihr mir einen großen Gefallen thun? frag¬ te der Fremde.
Gern, ſagte Franz.
Nun ſo ſchreibt mir einige Worte auf und gebt mir ſie an Euren Meiſter und Eu¬ ren jungen Freund mit, ich will ſie dann beſuchen und ſie müſſen mich bei ihrer Ar¬ beit zuſehn laſſen, weil ich es mir gar nicht vorſtellen kann, wie ſich die Farben ſo künſt¬ lich übereinander legen: dann will ich auch nachſehn, ob Eure Bilder da ähnlich ſind.
Das iſt nicht nöthig, ſagte Franz. Ihr dürft nur ſo zu Ihnen gehen, von mir er¬ zählen und einen Gruß bringen, ſo ſind ſie gewiß ſo gut und laſſen Euch einen ganzen Tag nach Herzensluſt zuſehn. Sagt ihnen dann, daß wir viel von ihnen geſprochenC34haben, daß mir noch die Thränen in den Augen ſtehen.
Sie ſchieden hierauf von einander und ein jeder gieng ſeine Straße. Indem es ge¬ gen Abend kam, fielen dem jungen Sternbald viele Gegenſtände zu Gemählden ein, die er in ſeinen Gedanken ordnete und mit Liebe bei dieſen Vorſtellungen verweilte: je röther der Abend wurde, je ſchwermüthiger wurden ſeine Träumereien, er fühlte ſich wieder ein¬ ſam in der weiten Welt, ohne Kraft, ohne Hülfe in ſich ſelber. Die dunkelgewordenen Bäume, die Schatten die ſich auf den Fel¬ dern ausſtreckten, die rauchenden Dächer eines kleinen Dorfs und die Sterne die nach und nach am Himmel hervortraten, alles rührte ihn innig, alles bewegte ihn zu[einem] wehmühtigen Mitleiden mit ſich ſelber.
Er kehrte in die kleine Schenke des Dorfs ein, begehrte ein Abendeſſen und eine Ruheſtel¬35 le. Als er allein war und ſchon die Lampe ausgelöſcht hatte, ſtellte er ſich ans Fenſter lag. und ſah nach der Gegend hin wo Nürn¬ berg Dich ſollt 'ich vergeſſen? rief er aus, dich ſollt' ich weniger lieben? O mein liebſter Sebaſtian, was wäre dann aus meinem Herzen geworden? Wie glücklich fühl 'ich mich darinn, daß ich ein Deutſcher, daß ich Dein und Albrechts Freund bin; ach! wenn ihr mich nur nicht verſtoßt, weil ich Eurer unwürdig bin.
Er legte ſich nieder, verrichtete ſein Abendgebet und ſchlief dann beruhigter ein.
36Am Morgen weckte ihn das muntre Gir¬ ren der Tauben vor ſeinem Fenſter, die manchmal in ſeine Stube hineinſahen und mit den Flügeln ſchlugen, dann wieder wegflogen und bald wieder kamen, um mit dem Halſe nickend vor ihm auf und abzu¬ gehn. Durch einige Lindenbäume warf die Sonne ſchräge Strahlen in ſein Gemach und Franz ſtand auf und kleidete ſich hur¬ tig an; er ſah mit feſten Augen durch den reinen blauen Himmel und alle ſeine Plane wurden lebendiger in ihm, ſein Herz ſchlug höher, alle Gefühle ſeiner Bruſt erklangen geläuterter. Er hätte jezt mit der Farben¬ pallette vor einer großen Tafel ſtehn mögen und er hätte dreiſt die kühnen Figuren hin¬ gezeichnet, die ſich in ſeiner Bruſt bewegten.
37Der friſche Morgen giebt dem Künſtler Stärkung und in den Strahlen des Früh¬ roths regnet Begeiſterung auf ihn herab: Der Abend lößt und ſchmelzt ſeine Gefühle, er weckt Ahndungen und unerklärliche Wün¬ ſche in ihm auf, er fühlt dann näher, daß jenſeits dieſes Lebens ein andres kunſtreiche¬ res liege, und ſein inwendiger Genius ſchlägt oft vor Sehnſucht mit den Flügeln, um ſich frei zu machen und hineinzuſchwärmen in das Land, das hinter den goldnen Abend¬ wolken liegt.
Franz ſang ein Morgenlied, und fühlte keine Müdigkeit vom geſtrigen Wege mehr, er ſetzte mit friſchen Kräften ſeine Reiſe fort. Das rege Geflügel ſang aus allen Gebü¬ ſchen, das bethaute Gras duftete und alle Blätter funkelten wie Kriſtall. Er gieng mit ſchnellen Schritten über eine ſchöne Wie¬ ſe, und das Geſchmetter der Lerchen zog38 über ihn hinweg, ihm war faſt noch nie ſo wohl geweſen.
Das Reiſen, ſagte er zu ſich ſelber, iſt etwas trefliches, dieſe Freiheit der Natur, dieſe Regſamkeit aller Kreaturen, der reine weite Himmel und der Menſchengeiſt der alles dies zuſammenfaſſen und in Einen Ge¬ danken zuſammenſtellen kann — o glücklich iſt der, der bald die enge Heimath verläßt, um wie der Vogel ſeinen Fittig zu prüfen und ſich auf unbekannten, noch ſchönern Zweigen zu ſchaukeln. Welche Welten ent¬ wickeln ſich im Gemüthe, wenn die freie Natur umher mit kühner Sprache in uns hineinredet, wenn jeder ihrer Töne unſer Herz trift und alle Empfindungen zugleich anrührt. Ich möchte von mir glauben, daß ich ein guter Mahler würde, denn warum ſollte ich es nicht werden können, da mein ganzer Sinn ſich ſo der Kunſt zuwendet,39 da ich keinen andern Wunſch habe, da ich gern alles übrige in dieſer Welt aufgeben mag? Ich will nicht ſo zaghaft ſeyn, wie Sebaſtian, ich will mir ſelber vertrauen.
Am Mittage ruhte er in einem Dorfe aus, das eine ſehr ſchöne Lage hatte; hier traf er einen Bauer, der mit einem Wagen noch denſelben Tag vier Meilen nach ſeinem Wohnort zu fahren gedachte. Franz wurde mit ihm einig und ließ ſich von ihm mitneh¬ men. Der Bauer war ſchon ein alter Mann und erzählte unterwegs unſerm Freunde viel von ſeiner Haushaltung, von ſeiner Frau und ſeinen Kindern. Er war ſchon ſiebenzig Jahr alt und hatte im Lau¬ fe ſeines Lebens mancherlei erfahren, er wünſchte jetzt nichts ſo ſehnlich, als vor ſeinem Tode nur noch die berühmte Stadt Nürn¬ berg ſehen zu können, wo er nie hingekom¬ men war. Franz ward durch die Reden des40 alten Mannes ſehr gerührt, es war ihm ſonderbar, daß er erſt am geſtrigen Morgen Nürnberg verlaſſen hatte, und dieſer alte Bauer davon ſprach, als wenn es ein frem¬ der wunderweit entlegener Ort ſei, ſo daß er die als Auserwählte betrachtete, denen es gelinge, dorthin zu kommen.
Mit dem Untergange der Sonne kamen ſie vor die Behauſung des Bauers an; kleine Kinder ſprangen ihnen entgegen, die Erwachſenen arbeiteten noch auf dem Felde, die alte Mutter erkundigte ſich eifrig nach den Verwandten die ihr Mann beſucht hat¬ te, ſie wurde nicht müde zu fragen und er beantwortete alles überaus treuherzig. Dann ward das Abendeſſen zubereitet und alle im Hauſe waren ſehr geſchäftig. Franz be¬ kam den bequemſten Stuhl, um[auszuruhen], ob er gleich gar nicht müde war.
Das Abendroth glänzte noch im Graſe41 vor der Thür und die Kinder ſpielten darin, wie niedergeregnetes Gold funkelte es durch die Scheiben, und lieblich roth waren die Angeſichter der Knaben und Mädchen, knur¬ rend ſetzte ſich die Hauskatze neben Franz und ſchmeichelte ſich vertraulich an ihn, und Franz fühlte ſich ſo wohl und glücklich, in der kleinen beengten Stube ſo ſeelig und frei, daß er ſich kaum ſeiner vorigen trüben Stunden erinnern konnte, daß er glaub¬ te, er könne in ſeinem Leben nie wieder be¬ trübt werden. Als nun die Dämmerung einbrach, fingen vom Heerde der Küche die Heimchen ihren friedlichen Geſang an, am Waſſerbach ſang aus Birken eine Nachtigall heraus, und noch nie hatte Franz das Glück einer ſtillen Häuslichkeit, einer beſchränkten Ruhe ſich ſo nahe empfunden.
Die großen Söhne kamen aus dem Fel¬ de zurück und alle nahmen fröhlich und gu¬42 tes Muths die Abendmahlzeit ein, man ſprach von der bevorſtehenden Erndte, vom Zuſtande der Wieſen. Franz lernte nach und nach das Befinden und die Eigenſchaften je¬ des Hausthiers, aller Pferde und Ochſen kennen. Die Kinder waren gegen die Alten ſehr ehrfurchtsvoll, man fühlte es, wie der Geiſt einer ſchönen Eintracht ſie alle be¬ herrſchte.
Als es finſter geworden war, vermehrte ein eisgrauer Nachbar die Geſellſchaft, um den ſich beſonders die Kinder herumdrängten und verlangten, daß er ihnen wieder eine Ge¬ ſchichte erzählen ſollte, die Alten miſchten ſich auch darunter und baten, daß er ihnen wieder von heiligen Märtyrern vorſa¬ gen möchte, nichts Neues, ſondern was er ihnen ſchon oft erzählt habe, je öfter ſie es hörten, je lieber würde es ihnen. Der Nach¬ bar war auch willig und trug die Geſchichte43 der heiligen Genovefa vor, dann des heiligen Laurentius und alle waren in tiefer Andacht, verlohren. Franz war überaus gerührt. Noch in derſelben Nacht fing er einen Brief an ſei¬ nen Freund Sebaſtian an, am Morgen nahm er herzlich von ſeinen Wirthen Abſchied, und kam am folgenden Tage in eine kleine Stadt, wo er den Brief an ſeinen Freund beſchloß. Wir theilen unſern Leſern dieſen Brief mit.
Liebſter Bruder!
« Ich bin erſt ſeit ſo kurzer Zeit von Dir « und doch dünkt es mir ſchon ſo lange zu « ſeyn. Ich habe Dir eigentlich nichts zu « ſchreiben und kann es doch nicht unterlaſſen, « denn Dein eignes Herz kann Dir alles ſa¬ « gen, was Du in meinem Briefe finden ſoll¬ « teſt, wie ich immer an Dich denke, wie un¬ « aufhörlich das Bild meines theuren Mei¬44 « ſters und Lehrers vor mir ſteht. Ein « Schmiedegeſelle wird Euch beſucht haben, « den ich am erſten Tage traf, ich denke « Ihr habt ihn freundlich aufgenommen um « meinetwillen. Ich ſchreibe dieſen Brief in « der Nacht, beim Schein des Vollmonds, « indem meine Seele überaus beruhigt iſt; « ich bin hier auf einem Dorfe bei einem « Bauer, mit dem ich vier Meilen hieher ge¬ « fahren bin. Alle im Hauſe ſchlafen, und « ich fühle mich noch ſo munter, darum « will ich noch einige Zeit wach bleiben, « Lieber Sebaſtian, es iſt um das Treiben « und Leben der Menſchen eine eigne Sache. « Wie die meiſten ſo gänzlich ihres Zwecks « verfehlen, wie ſie nur immer ſuchen und « nie finden, und wie ſie ſelbſt das Gefun¬ « dene nicht achten mögen, wenn ſie ja ſo « glücklich ſind. Ich kann mich immer nicht « darinn finden, warum es nicht beſſer iſt,45 « warum ſie nicht zu ihrem eigenen Glücke « mit ſich einiger werden. Wie lebt mein « Bauer hier für ſich und iſt zufrieden und « iſt wahrhaft glücklich. Er iſt nicht blos « glücklich, weil er ſich an dieſen Zuſtand « gewöhnt hat, weil er nichts beſſeres kennt, « weil er ſich findet, ſondern alles iſt ihm « recht, weil er innerlich von Herzen ver¬ « gnügt iſt und weil ihm Unzufriedenheit « mit ſich etwas Fremdes iſt. Nur Nürn¬ « berg wünſcht er vor ſeinem Tode noch zu « ſehen und lebt doch ſo nahe dabei; wie mich « das gerührt hat! «
« Wir ſprechen immer von einer goldnen « Zeit und denken ſie uns ſo weit weg und « mahlen ſie uns mit ſo ſonderbaren und « buntgrellen Farben aus. O theurer Se¬ « baſtian, oft dicht vor unſern Füßen liegt « dieſes wundervolle Land, nach dem wir « jenſeits des Oceans und jenſeits der Sünd¬46 « fluth mit ſehnſüchtigen Augen ſuchen. Es « iſt nur das, daß wir nicht redlich mit uns » ſelber umgehen. Warum ängſtigen wir « uns in unſern Verhältniſſen ſo ab, um « nur das bischen Brod zu haben, das wir « ſelber darüber nicht einmahl in Ruhe ver¬ « zehren können? Warum treten wir denn « nicht manchmal aus uns heraus und ſchüt¬ « teln alles das ab, was uns quält und « drückt, und holen darüber friſchen Athem « und fühlen die himmliſche Freiheit, die « uns eigentlich angebohren iſt? Dann müſ¬ « ſen wir der Kriege und Schlachten, der « Zänkereien und Verläumdungen auf einige « Zeit vergeſſen, alles hinter uns laſſen und « die Augen davor zudrücken, daß es in die¬ « ſer Welt ſo kunterbunt hergeht und ſich « alles toll und verworren durcheinander « ſchiebt, damit irgend einmahl der himmli¬ « ſche Friede eine Gelegenheit fände, ſich auf47 « uns herab zu ſenken und mit ſeinen ſüßen « lieblichen Flügeln zu umarmen. Aber wir « wollen uns gern immer mehr in dem « Wirwarr der gewöhnlichen Welthändel « verſtricken, wir ziehn ſelber einen Flor über « den Spiegel, der aus den Wolken herun¬ « terhängt, und in welchem Gottheit und « Natur uns ihre himmliſchen Angeſich¬ « ter zeigen, damit wir nur die Eitelkeiten « der Welt deſto wichtiger finden dürfen. « So kann der Menſchengeiſt ſich nicht aus « dem Staube aufrichten und getroſt zu den « Sternen hinblicken und ſeine Verwand¬ « ſchaft zu ihnen empfinden. Er kann die « Kunſt nicht lieben, da er das nicht liebt, « was ihn von der Verworrenheit erlöſt, « denn mit dieſem ſeeligen Frieden iſt die « Kunſt verwandt. Du glaubſt nicht, wie « gern ich jezt etwas mahlen möchte, was « ſo ganz den Zuſtand meiner Seele aus¬48 « drückte, und ihn auch bei andern wecken « könnte. Ruhige fromme Heerden, alte « Hirten im Glanz der Abendſonne und En¬ « gel die in der Ferne durch Kornfelder gehn, « um ihnen die Geburt des Herrn, des Er¬ « löſers, des Friedefürſten zu verkündigen. « Kein wildes Erſtarren, keine erſchreckten « durcheinandergeworfenen Figuren, ſondern « mit freudiger Sehnſucht müſten ſie nach « den Himmliſchen hinſchauen, die Kinder « müſten mit ihren zarten Händlein nach den « goldnen Strahlen hindeuten, die von den « Bothſchaftern ausſtrömten. Jeder An¬ « ſchauer müſte ſich in das Bild hineinwün¬ « ſchen und ſeine Prozeſſe und Plane, ſeine « Weisheit und ſeine politiſchen Konnexionen « auf ein Viertelſtündchen vergeſſen, und ihm « würde dann vielleicht ſo ſeyn, wie mir jezt « iſt, indem ich dieſes ſchreibe und denke. « Laß Dich manchmal, lieber Sebaſtian, vonder49« der guten freundlichen Natur anwehen, « wenn es Dir in deiner Bruſt zu enge wird, « ſchau auf die Menſchen je zuweilen hin, « die im Strudel des Lebens am wenigſten « bemerkt werden, und heiße die ſüße Fröm¬ « migkeit willkommen, die unter alten Ei¬ « chen beim Schein der Abendſonne, wenn « Heimchen zwitſchern und Feldtauben gir¬ « ren, auf Dich niederkömmt. Nenne mich « nicht zu weich und vielleicht phantaſtiſch, « wenn ich Dir dieſes rathe, ich weiß, daß « Du in manchen Sachen anders denkſt, und « vernünftiger und eben darum auch härter « biſt.
« Ein Nachbar beſuchte uns noch nach « dem Abendeſſen und erzählte in ſeiner ein¬ « fältigen Art einige Legenden von Mär¬ « tyrern. Der Künſtler ſollte nach meinem « Urtheil bei Bauern oder Kindern manchmal « in die Schule gehn, um ſich von ſeinerD50« kalten Gelehrſamkeit oder zu großen Künſt¬ « lichkeit zu erholen, damit ſein Herz ſich « wieder einmal der Einfalt aufthäte, die « doch nur einzig und allein die wahre Kunſt « iſt. Ich wenigſtens habe aus dieſen Er¬ « zählungen Vieles gelernt: die Gegenſtände, « die der Mahler daraus darſtellen müßte, « ſind mir in einem ganz neuen Lichte er¬ « ſchienen. Ich weiß Kunſtgemählde, wo der « rührendſte Gegenſtand von unnützen ſchö¬ « nen Figuren, von Gemähldegelehrſamkeit « und treflich ausgedachten Stellungen ſo « eingebaut war, daß das Auge lernte, « das Herz aber nichts dabei empfand, als « worauf es doch vorzüglich müßte abgeſehen « ſeyn. So aber wollen einige Meiſter grö¬ « ßer werden als die Größe, ſie wollen ih¬ « ren Gegenſtand nicht darſtellen, ſondern « verſchönern, und darüber verlieren ſie ſich « in Nebendingen. Ich denke jezt an alles51 « das, was uns der vielgeliebte Albrecht ſo « oft vorgeſagt hat, und fühle wie er immer « recht und wahr ſpricht. — Grüße ihn; ich « muß hier aufhören, weil ich müde bin. « Morgen komme ich nach einer Stadt, « da will ich den Brief ſchließen und ab¬ « ſchicken. —
Ich bin angekommen, und habe Dir, Se¬ « baſtian, nur noch wenige Worte zu ſagen « und auch dieſe dürften vielleicht überflüßig « ſeyn. Wenn nur das ewige Auf - und Ab¬ « treiben meiner Gedanken nicht wäre! Wenn « die Ruhe doch, die mich manchmal wie im « Vorbeifliegen küßt, bei mir einheimiſch « würde, dann könnt 'ich von Glück ſagen, « und es würde vielleicht mit der Zeit ein « Künſtler aus mir, den die Welt zu den « angeſehenen zählte, deſſen Namen ſie mit « Achtung und Liebe ſpräche. Aber ich ſehe « es ein, noch mehr fühl' ich es, das wirdD 252« mir ewig nicht gegönnt ſeyn. Ich kann « nicht dafür, ich kann mich nicht im Zaume « halten, und alle meine Entwürfe, Hofnun¬ « gen, mein Zutrauen zu mir geht vor « neuen Empfindungen unter, und es wird « leer und wüſt in meiner Seele, wie in « einer rauhen Landſchaft, wo die Brücken « von einem wilden Waldſtrome zuſammen¬ « geriſſen ſind. Ich hatte auf dem Wege « ſo vielen Muth, ich konnte mich ordent¬ « lich gegen die großen herrlichen Geſtalten « nicht ſchützen und mich ihrer nicht erweh¬ « ren, die in meiner Phantaſie aufſtiegen, « ſie überſchütteten mich mit ihrem Glanze, « überdrängten mich mit ihrer Kraft und er¬ « oberten und beherrſchten ſo ſehr meinen « Geiſt, daß ich mich freute und mir ein « recht langes Leben wünſchte, um der Welt, « den Kunſtfreunden und Dir geliebter, Se¬ « baſtian, ſo recht ausführlich hinzumahlen53 « was mich innerlich mit unwiderſtehlicher « Gewalt beherrſchte. Aber kaum habe ich « nun die Stadt, dieſe Mauern, und die « Ämſigkeit der Menſchen geſehen, ſo iſt al¬ « les in meinem Gemüthe wieder wie zuge¬ « ſchüttet, ich kann die Plätze meiner Freu¬ « de nicht wiederfinden, keine Erſcheinung « ſteigt auf. Ich weiß nicht mehr, was ich « bin; mein Sinn iſt gänzlich verwirrt. « Mein Zutrauen zu mir ſcheint mir Raſe¬ « rey, meine inwendigen Bilder ſind mir ab¬ « geſchmackt, ſie kommen mir ſo vor, als « wenn ſie ſich nie wirklich fügen würden, « als wenn kein Auge daran Wohlgefallen « finden könnte. Mein Brief verdrießt mich; « mein Stolz iſt beſchämt. — Was iſt es, « Sebaſtian, warum kann ich nicht mit mir « einig werden? Ich meine es doch ſo gut « und ehrlich. — Lebe wohl und bleibe immer « mein Freund und grüße Meiſter Albrecht.
54Franz hatte in dieſer Stadt einen Brief von Dürer an einen Mann abzugeben, der der Vorſteher einer anſehnlichen Fabrik war. Er ging zu ihm und traf ihn gerade in Ge¬ ſchäften, ſo daß Herr Zeuner den Brief nur ſehr flüchtig las und mit dem jungen Sternbald nur wenig ſprechen konnte, er bat ihn aber, zum Mittagseſſen wieder zu kommen.
Franz ging betrübt durch die Gaſſen der Stadt, und fühlte ſich ganz fremd. Zeuner hatte für ihn etwas zurückſtoßendes und kaltes, und er hatte eine ſehr freundliche Aufnahme erwartet, da er einen Brief von ſeinem ihm ſo theuren Lehrer brachte. Als es Zeit zum Mittagseſſen war, gieng er nach Zeuners Hauſe zurück, das eins der55 größten in der Stadt war; mit Bangigkeit ſchritt er die großen Treppen hinauf und durch den prächtig verzierten Vorſaal; im ganzen Hauſe merkte man, daß man ſich bei einem reichen Manne befinde. Er ward in einen Saal geführt, wo eine ſtattliche Verſammlung von Herren und Damen, alle mit ſchönen Kleidern angethan nur auf den Augenblick des Eſſens zu warten ſchie¬ nen. Nur wenige bemerkten ihn, und die zufälligerweiſe ein Geſpräch mit ihm anfin¬ gen, brachen bald wieder ab, als ſie hörten, daß er ein Mahler ſei. Jezt trat der Herr des Hauſes herein, und alle drängten ſich mit höflichen und freundlichen Glück¬ wünſchen um ihn herum; jeder ward freund¬ lich von ihm bewillkommt, auch Franz im Vorbeigehn. Dieſer hatte ſich in eine Ecke des Fenſters zurückgezogen, und ſah mit Bangigkeit und ſchlagendem Herzen auf56 die Gaſſe hinunter, denn es war zum er¬ ſtenmale, daß er ſich in einer ſolchen gro¬ ßen Geſellſchaft befand. Wie anders kam ihm hier die Welt vor, da er von anſtändi¬ gen, wohlgekleideten und unterrichteten Leu¬ ten über tauſend nichtswürdige Gegenſtän¬ de, nur nicht über die Mahlerei reden hör¬ te, ob er gleich geglaubt hatte, daß ſie je¬ dem Menſchen am Herzen liegen müſſe, und daß man auf ihn, als einen vertrauten Freund Albrecht Dürers, beſonders aufmerk¬ ſam ſeyn würde.
Man ſetzte ſich zu Tiſche, er ſaß faſt unten. Durch den Wein belebt ward das Geſpräch der Geſellſchaft bald munterer, die Frauen erzählten von ihrem Putze die Män¬ ner von ihren mannichfaltigen Geſchäften, der Hausherr ließ ſich weitläuftig darüber aus, wie ſehr er nun nach und nach ſeine Fabrik verbeſſert habe und wie der Gewinn57 alſo um ſo einträglicher ſei. Was den gu¬ ten Franz beſonders ängſtigte, war, daß von allen abweſenden reichen Leuten mit einer vorzüglichen Ehrfurcht geſprochen wurde; er fühlte, wie hier das Geld das einzige ſei, was man achte und ſchätze: er konnte faſt kein Wort mitſpre¬ chen. Auch die jungen Frauenzimmer wa¬ ren ihm zuwider, da ſie nicht ſo züchtig und ſtill waren, wie er ſie ſich vorgeſtellt hatte, alle ſetzten ihn in Verlegenheit, er fühlte ſeine Armuth, ſeinen Mangel an Umgang zum erſtenmal in ſeinem Leben auf eine bittere Art. In der Angſt trank er vie¬ len Wein und ward dadurch und von den ſich durchkreuzenden Geſprächen ungemein erhitzt. Er hörte endlich kaum mehr darauf hin, was geſprochen ward, die groteskeſten Figuren beſchäftigten ſeine Phantaſie, und als die Tafel aufgehoben ward, ſtand er58 mechaniſch mit auf, faſt ohne es zu wiſſen. Die Geſellſchaft verfügte ſich nun in ei¬ nen angenehmen Garten, und Franz ſetzte ſich etwas abſeits auf eine Raſenbank nie¬ der, es war ihm, als wenn die Geſträuche und Bäume umher ihn über die Menſchen tröſteten, die ihm ſo zuwider waren. Seine Bruſt ward freier, er wiederholte in Ge¬ danken einige Lieder, die er in ſeiner Ju¬ gend gelernt hatte und die ihm ſeit lange nicht eingefallen waren. Der Hausherr kam auf ihn zu, er ſtand auf und ſie gingen ſprechend in einem ſchattigen Gange auf und ab.
Ihr ſeid jezt auf der Reiſe? fragte ihn Zeuner.
Ja, antwortete Franz, vorjezt will ich nach Flandern und dann nach Italien.
Wie ſeid Ihr grade auf die Mahler¬ kunſt gerathen?
59Das kann ich Euch ſelber nicht ſagen, ich war plözlich dabei, ohne zu wiſſen wie es kam; einen Trieb, etwas zu bilden, fühl¬ te ich immer in mir.
Ich meine es gut mit Euch, ſagte Zeu¬ ner, Ihr ſeid jung und darum laßt Euch von mir rathen. In meiner Jugend gab ich mich auch wohl zuweilen mit Zeichnen ab, als ich aber älter wurde, ſah ich ein, daß mich das zu nichts führen könne. Ich leg¬ te mich daher eifrig auf ernſthafte Geſchäfte und widmete ihnen alle meine Zeit, und ſeht, dadurch bin ich nun auch das geworden was ich bin. Eine große Fabrik und viele Ar¬ beiter ſtehn[unter] mir, zu deren Aufſicht, ſo wie zum Führen meiner Rechnungen ich immer treue Leute brauche. Wenn Ihr wollt, ſo könnt Ihr mit einem ſehr gu¬ ten Gehalte bei mir eintreten, weil mir grade mein erſter Aufſeher geſtorben iſt. 60Ihr habt ein ſichres Brod und ein gutes Auskommen, Ihr könnt Euch hier verhei¬ rathen und ſogleich antreffen was Ihr in einer ungewiſſen zukünftigen Ferne ſucht. — Wollt Ihr alſo Eure Reiſe einſtellen und bei mir bleiben?
Franz antwortete nicht.
Ihr mögt vielleicht viel Geſchick zur Kunſt haben, fuhr jener fort, aber was habt Ihr mit alle dem gewonnen? Wenn Ihr ein großer Meiſter werdet, ſo führt Ihr doch immer ein kümmerliches und höchſt armſeliges Leben. Ihr habt ja das Bei¬ ſpiel an Eurem Lehrer. Wer erkennt ihn, wer belohnt ihn? Mit allem ſeinem Fleiße muß er ſich doch von einem Tage zum an¬ dern hinübergrämen, er hat keine frohe Stunde, er kann ſich nie recht ergötzen, Niemand achtet ihn, da er ohne Vermögen iſt, ſtatt daß er reich, angeſehen und von61 Einfluß ſeyn könnte, wenn er ſich den bür¬ gerlichen Geſchäften gewidmet hätte.
Ich kann Euren Vorſchlag durchaus nicht annehmen, rief Franz aus.
Und warum nicht? iſt denn nicht alles wahr, was ich Euch geſagt habe?
Und wenn es auch wahr iſt, antwortete Franz, ſo kann ich es doch ſo unmöglich glauben. Wenn Ihr das Zeichnen und Bil¬ den ſogleich habt unterlaſſen können, als Ihr es wolltet, ſo iſt das gut für Euch, aber ſo habt Ihr auch unmöglich einen recht kräftigen Trieb dazu verſpürt. Ich wüſte¬ nicht, wie ich es anfinge, daß ich es unter¬ ließe, ich würde Eure Rechnungen und al¬ les verderben, denn immer würden meine Gedanken darauf gerichtet bleiben, wie ich dieſe Stellung und jene Mine gut ausdrük¬ ken wollte, alle Eure Arbeiter würden mir nur eben ſo viele Modelle ſeyn, Ihr wärt62 ein ſchlechter Künſtler geworden, ſo wie ich zu allen ernſthaften Geſchäften verdorben bin, denn ich achte ſie zu wenig, ich habe keine Ehrfurcht vor dem Reichthum, ich könnte mich nimmer zu dieſem kunſtloſen Le¬ ben bequemen. Und was Ihr mir von mei¬ nem Albrecht Dürer ſagt, gereicht den Menſchen, nicht aber ihm zum Vorwurf. Er iſt arm, aber doch in ſeiner Armuth glückſeliger als Ihr. Oder haltet Ihr es denn für ſo gar nichts, daß er ſich hinſtel¬ len darf und ſagen: nun will ich einen Chriſtuskopf mahlen! und das Haupt des Erlöſers mit ſeinen göttlichen Minen in Kurzem wirklich vor Euch ſtehet und Euch anſieht und Euch zur Andacht und Ehrfurcht zwingt, ſelbſt wenn Ihr gar nicht dazu aufgelegt ſeid? Seht, ſo ein Mann iſt der verachtete Dürer.
Franz hatte nicht bemerkt, daß während63 ſeiner Rede ſich das Geſicht ſeines Wirths zum Unwillen verzogen hatte; er nahm kurz Abſchied und ging mit weinenden Au¬ gen nach ſeinem Wirthshauſe. Hier hatte er auf ſeinem Fenſter das Bildniß Albrecht Dürers aufgeſtellt, und als er in die Stu¬ be trat, fiel er laut weinend und klagend davor nieder und ſchloß es in ſeine Arme, drückte es an die Bruſt und bedekte es mit Küſſen. Ja, mein guter, lieber, ehrlicher Meiſter! rief er aus, nun lerne ich erſt die Welt und ihre Geſinnungen kennen! Das iſt das, was ich Dir nicht glauben wollte, ſo oft Du es mir auch ſagteſt. Ach wohl, wohl ſind die Menſchen undankbar gegen Dich und Deine Herrlichkeit und gegen die Freuden die Du ihnen zu genießen giebſt. Freilich haben Sorgen und ſtete Arbeit die¬ ſe Furchen in Deine Stirne gezogen, ach! ich kenne dieſe Falten ja nur zu gut.
64Welcher unglückſelige Geiſt hat mir dieſe Liebe und Verehrung zu Dir eingeblaſen, daß ich wie ein lächerliches Wunder unter den übrigen Menſchen herumſtehen muß, daß ich auf ihr Reden nichts zu antworten weiß, daß ſie meine Fragen nicht verſtehen? Aber ich will Dir und meinem Triebe getreu bleiben; was thuts, wenn ich arm und ver¬ achtet bin, was hinderts, wenn ich auch am Ende aus Mangel umkommen ſollte! Du und Sebaſtian, ihr beide werdet mich we¬ nigſtens deshalb lieben!
Er hatte noch einen Brief von Dürers Freund Pirkheimer, an einen angeſehe¬ nen Mann in der Stadt abzugeben. Er war unentſchloſſen, ob er ihn ſelber hintra¬ gen ſollte. Endlich nahm er ſich vor, ihn eilig abzugeben und noch an dieſem Abend die Stadt die ihm ſo ſehr zuwider war, zu verlaſſen.
Man65Man wieß ihn auf ſeine Fragen nach einem abgelegenen kleinen Hauſe, in welchem die größte Ruhe und Stille herrſchte. Ein Diener führte ihn in ein geſchmackvolles Zimmer, in welchem ein ehrwürdiger alter Mann ſaß; es war derſelbe, an den der Brief gerichtet war. Ich freue mich, ſagte der Greis, wieder einmahl Nachrichten von meinem lieben Freunde Pirkheimer zu erhal¬ ten; aber verzeiht, junger Mann, meine Augen ſind zu ſchwach, daß Ihr ſo gut ſeyn müßt, ihn mir vorzuleſen.
Franz ſchlug den Brief auseinander und las unter Herzklopfen, wie Pirkheimer ihn als einen edlen und ſehr hofnungsvollen jungen Maler rühmte, und ihn den beſten Schüler Albert Dürers nannte. Bei die¬ ſen Worten konnte er kaum ſeine Thränen zurückdrängen.
So ſeyd Ihr ein Schüler des großenE66Mannes, meines theuren Albrechts? rief der Alte wie entzückt aus, o ſo ſeyd mir von Herzen willkommen! Er umarmte mit die¬ ſen Worten den jungen Mann, der nun ſeine ſchmerzliche Freude nicht mehr mäßigen konnte, laut ſchluchzte und ihm alles er¬ zählte.
Der Greis tröſtete ihn, und beide ſetzten ſich. O wie oft, ſagte der alte Mann, ha¬ be ich mich an den überaus köſtlichen Wer¬ ken dieſes wahrhaft einzigen Mannes er¬ götzt, als meine Augen noch in ihrer Kraft waren! Wie oft hat nur er mich über alles Unglück dieſer Erde getröſtet! O wenn ich ihn doch einmahl wieder ſehen könnte!
Franz vergaß nun, daß er noch vor Sonnenuntergang hatte die Stadt verlaſ¬ ſen wollen; er blieb gern, als ihn der Alte zum Abendeſſen bat. Bis ſpät in die Nacht mußte er ihm von Albrechts Werken, von67 ihm erzählen, dann von Pirkheimer und von ſeinen eigenen Entwürfen. Franz er¬ götzte ſich an dieſem Geſpräch und konnte nicht müde werden, dies und jenes zu fra¬ gen und zu erzählen, er freute ſich, daß der Greis die Kunſt ſo ſchätzte, wie er von ſeinem Lehrer mit eben der Wärme ſprach.
Sehr ſpät giengen ſie auseinander, und Franz fühlte ſich ſo getröſtet und ſo glück¬ lich, daß er noch lange in ſeinem Zimmer auf und abgieng, den Mann betrachtete, und an großen Gemählden in Gedanken ar¬ beitete.
E 268Wir treffen unſern jungen Freund wieder an vor einem Dorfe an der Tauber. Er hatte einen Umweg gemacht, um hier ſeine Eltern zu beſuchen, denn er war als ein Knabe von zwölf Jahren zufälligerweiſe nach Nürnberg gekommen und auf ſein in¬ ſtändiges Bitten bei Meiſter Albrecht in die Lehre gebracht, er hatte in Nürnberg einige weitläuftige Verwandten die ihn unterſtütz¬ ten. Jetzt hatte er von ſeinen Eltern, die Bauern waren, lange keine Nachrichten be¬ kommen.
Es war noch am Morgen, als er in dem Wäldchen ſtand, das vor dem Dorfe lag. Hier war ſein Spielplatz geweſen, hier war er oft in der ſtillen Einſamkeit des Abends voll Nachdenken gewandelt, wenn69 die Schatten immer dichter zuſammenwuch¬ ſen und das Roth der ſinkenden Sonne tief unten durch die Baumſtämme äugelte und mit zuckenden Strahlen um ihn ſpielte. Hier hatte ſich zuerſt ſein Trieb entzündet, und er betrat den Wald mit einer Empfin¬ dung wie man in einen heiligen Tempel tritt. Er hatte vor allen einen Lieblings¬ baum gehabt, von dem er ſich immer kaum hatte trennen können; dieſen ſuchte er jetzt mit großer Emſigkeit auf. Es war eine dicke Eiche mit vielen weit ausgebreiteten Zweigen, die Kühlung und Schatten gaben. Er fand den Baum und den Raſen am Fuße deſſelben noch eben ſo weich und friſch, als ehemals. Wie vieler Gefühle aus ſeiner Kindheit erinnerte er ſich an dieſer Stelle! wie er gewünſcht hatte, oben in dem krau¬ ſen Wipfel zu ſitzen und von da ins weite Land hineinzuſchauen, mit welcher Sehn¬70 ſucht er den Vögeln nachgeſehn hatte, die von Zweig zu Zweig ſprangen und auf den dunkelgrünen Blättern ſchertzten, die nicht wie er nach einem Hauſe rückkehrten, ſon¬ dern im ewig frohen Leben von glänzenden Stunden angeſchienen, die friſche Luft ein¬ athmeten und Geſang zurückgaben, die das Abend - und Morgenroth ſahen, die keine Schule hatten und keinen ſtrengen Lehrer. Ihm fiel alles ein, was er vormals gedacht hatte, alle kindiſche Begriffe und Empfin¬ dungen gingen an ihm vorüber und reich¬ ten ihm die kleinen Hände und hießen ihn ſo herzlich willkommen, daß er heftig im Innerſten erſchrak, daß er nun wieder unter dem alten Baume ſtehe und wieder daſſelbe denke und empfinde, er noch derſelbe Menſch ſey. Alle zwiſchenliegenden Jahre, und alles was ſie an ihm vermocht hatten, fiel in einem Augenblicke von ihm ab und er71 ſtand wieder als Knabe da, die Zeit ſeiner Kindheit lag ihm ſo nah, ſo nah, daß er alles übrige nur für einen vorbeifliegenden Traum halten wollte. Ein Wind rauſchte herüber und gieng durch die großen Aeſte des Baums, und alle Gefühle, die fernſten und dunkelſten Erinnerungen wurden mit herübergeweht und wie Vorhänge fiel es immer mehr von Franzens Seele zurück und er ſah nur ſich und die liebe Vergan¬ genheit. Alle frommen Empfindungen gegen ſeine Eltern, der Unterricht den ihm ſeine erſten Bücher gaben, ſein Spielzeug fiel ihm wieder bei und ſeine Zärtlichkeit gegen lebloſe Geſtalten.
Wer bin ich? ſagte er zu ſich ſelber und ſchaute langſam um ſich her. Was iſt es, daß die Vergangenheit ſo lebendig in mei¬ nem Innern aufſteigt? Wie konnte ich alles, wie konnte ich meine Eltern ſo lange, faſt,72 wenn ich wahr ſein ſoll, vergeſſen? Wie wäre es möglich, daß uns die Kunſt gegen die beſten und theuerſten Gefühle verhärten könnte? Und doch kann es nur das ſeyn, daß dieſer Trieb mich zu ſehr beſchäftigte, ſich mir vorbaute und die Ausſicht des übri¬ gen Lebens verdeckte.
Er ſtand in Gedanken und die Mahler¬ ſtube und Albrecht und ſeine Kopien kamen ihm wieder in die Gedanken, er ſetzte ſeinen Freund Sebaſtian ſich gegenüber und hörte ſchnell wieder durch, was ſie nur je mit einander geſprochen hatten; dann ſah er wieder um ſich und die Natur ſelbſt, der Himmel, der rauſchende Wald und ſein Lieblingsbaum ſchienen Athem und Leben zu ſeinen Gemählden herzugeben, Vergangen¬ heit und Zukunft bekräftigten ſeinen Trieb und alles was er gedacht und empfunden, war ihm nur deswegen werth, weil es ihn zur73 Kunſtliebe geführt hatte. Er gieng mit ſchnellen Schritten weiter und alle Bäume ſchienen ihm nachzurufen, aus jedem Bu¬ ſche traten Erſcheinungen hervor und woll¬ ten ihn zurückhalten, er taumelte aus einer[Erinnerung] in die andere, und verlohr ſich in ein Labyrinth von ſeltſamen Empfin¬ dungen.
Er kam auf einen freien Platz im Wal¬ de, und plötzlich ſtand er ſtill. Er wuſte ſelbſt nicht, warum er inne hielt und ver¬ weilte um darüber nachzudenken. Ihm war, als habe er ſich hier auf etwas zu beſinnen, das ihm ſo lieb, ſo unausſprechlich theuer geweſen ſey; jede Blume im Graſe nickte ſo freundlich als wenn ſie ihm auf ſeine Er¬ innerungen helfen wollte. Es iſt hier, ge¬ wißlich hier! ſagte er zu ſich ſelber, und ſuchte ämſig nach dem glänzenden Bilde, das wie von ſchwarzen Wolken in ſeiner74 innerſten Seele zurückgehalten wurde. Mit einemmahle brachen ihm die Thränen aus den Augen, er hörte vom Felde herüber eine einſame Schalmeye eines Schäfers, und nun wuſte er alles. Als ein Knabe von ſechs Jahren war er hier im Walde gegangen, auf dieſem Platze hatte er Blumen geſucht, ein Wagen kam daher gefahren und hielt ſtill, eine Frau ſtieg ab und hob ein Kind her¬ unter, und beide gingen auf dem grünen Platze auf und ab und vor dem kleinen Franz vorüber. Das Kind, ein liebliches blondes Mädchen, kam zu Franz und bat um ſeine Blumen, er ſchenkte ſie ihr alle, ohne ſelbſt ſeine Lieblinge zurückzubehalten, indeß ein alter Bedienter auf einem Wald¬ horne blies, und Töne hervorbrachte, die dem jungen Franz damals äußerſt wunderbar in die Ohren klangen. So vergieng eine Zeit, und Franz hatte alles vergeſſen; dann fuh¬75 ren die Fremden wieder fort, und er er¬ wachte wie aus einem Entzücken zu ſich und den gewöhnlichen Empfindungen, den ge¬ wöhnlichen Spielen, dem gewöhnlichen Le¬ ben von einem Tage zum andern hinüber. Dazwiſchen klangen immer die holden Wald¬ hornstöne in ſeine Exiſtenz hinein, und vor ihm ſtand wie der Mond das holde Ange¬ ſicht des Kindes, dem er ſeine Blumen ge¬ ſchenkt hatte, nach denen er im Schlummer oft die Hände ausſtreckte, weil ihn dünkte, er erhielte ſie von dem Mädchen wieder. Alles Liebe und Holde entlehnte er von ih¬ rem Bilde, alles Schöne was er ſah, trug er zu ihrer Geſtalt hinüber; wenn er von Engeln hörte, glaubte er einen zu kennen, und ſich von ihm gekannt, er war es über¬ zeugt, daß die Feldblumen einſt ein Erken¬ nungszeichen zwiſchen ihnen beiden ſeyn würden.
76Als er ſo deutlich wieder an alles dieſes dachte, als ihm einfiel, daß er es in ſo langer Zeit gänzlich vergeſſen hatte, ſetzte er ſich ins grüne Gras nieder und weinte; er drückte ſein heißes Geſicht an den Boden und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen die dort ſtanden. Er hörte in der Trunkenheit wieder die Melodie eines Waldhorns, und konnte ſich vor Wehmuth, vor Schmerzen der Erinnerung und ſüßen ungewiſſen Hoff¬ nungen nicht faſſen. Bin ich wahnſinnig, oder was iſt es mit dieſem thörigten Her¬ zen? rief er aus. Welche unſichtbare Hand fährt ſo zärtlich und grauſam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg, und ſcheucht alle Träume und Wundergeſtal¬ ten, Seufzer und Thränen und verklungne Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor? O mein Geiſt, ich fühle es in mir, ſtrebt[nach] etwas Überirdiſchem, das keinem Men¬77 ſchen gegönnt iſt. Mit magnetiſcher Gewalt zieht der unſichtbare Himmel mein Herz an ſich und bewegt alle Ahndungen durcheinan¬ der, die längſt ausgeweinten Freuden, die unmöglichen Wonnen, die Hofnungen, die keine Erfüllung zugeben. Und ich[kann] es keinem Menſchen, keinem Bruder einmahl klagen, wie mein Gemüth zugerichtet iſt, denn keiner würde meine Worte verſtehen. Daher aber gebricht mir die Kraft, die den übrigen Menſchen verliehen iſt, und die uns zum Leben nothwendig bleibt, ich matte mich ab in mir ſelber und keiner hat deſſen Gewinn, mein Muth verzehrt ſich, ich wün¬ ſche was ich ſelbſt nicht kenne. Wie Ja¬ kob ſeh im Traume die Himmelsleiter mit ihren Engeln, aber ich kann nicht ſelbſt hin¬ aufſteigen, um oben in das glänzende Pa¬ radies zu ſchauen, denn der Schlaf hat meine Glieder bezwungen, und was ich ſe¬78 he und höre, ahnde und hoffe und lieben möchte, iſt nur Traumgeſtalt in mir.
Jetzt ſchlug die Glocke im Dorfe. Er ſtand auf und trocknete ſich die Augen, in¬ dem er weiter gieng, und nun ſchon die Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬ ne Laub auf ſich zuſchimmern ſah. Er gieng an einem Garten vorbei, und über dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬ ther ſchöner Kirſchen. Er konnte es nicht unterlaſſen, einige abzubrechen und ſie zu koſten, weil die Frucht dieſes Baumes ihn in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren dieſelben Zweige, die ſich ihm auch jetzt freundlich entgegenſtreckten, aber die Frucht ſchmeckte ihm nicht wie damals. In der Kindheit wird der Menſch von den blanken, glänzenden, und vielfarbigen Früchten und ihrem ſüßen lieblichen Geſchmacke angelockt, das Leben liebzugewinnen, wie es die79 Schulmeiſter in den Schulen machen, die mit Süßigkeiten dem Kinde Luſt zum Ler¬ nen beibringen wollen; nachher verliert ſich im Menſchen dieſes frohe Vorgefühl des Lebens, er iſt der Lockungen gewohnt und dagegen abgeſtumpft.
Franz gieng über den Kirchhof und las die Kreuze im Vorbeigehn ſchnell, aber an keinem war der Name ſeines Vaters oder ſeiner Mutter angeſchrieben, und er fühlte ſich zuverſichtlicher. Die Mauer des Thurms kam ihm nicht ſo hoch vor, alles war ihm beengter, das Haus ſeiner Eltern kannte er kaum wieder. Er zitterte als er die Thür anfaßte, und doch war es ihm ſchon wieder ſo gewöhnlich, dieſe Thür zu öffnen. In der Stube ſaß ſeine Mutter mit verbunde¬ nem Kopf und weinte; als ſie ihn erkannte weinte ſie noch heftiger; der Vater lag im Bette und war krank. Er umarmte ſie bei¬80 de mit gepreßtem Herzen, er erzählte ihnen, ſie ihm, ſie ſprachen durcheinander und frag¬ ten ſich, und wuſten doch nicht recht was ſie reden ſollten. Der Vater war matt und bleich. Franz hatte ihn ſich ganz anders vorgeſtellt, und darum war er nun ſo ge¬ rührt und konnte ſich gar nicht wieder zu¬ frieden geben. Der alte Mann ſprach viel vom Sterben, von der Hofnung der Selig¬ keit, er fragte den jungen Franz, ob er auch Gott noch ſo treu anhange, wie er ihm immer gelehrt habe. Franz drückte ihm die Hand und ſagte: Haben wir in dieſem irr¬ diſchen Leben etwas anders zu ſuchen, als die Ewigkeit? Ihr liegt nun da an der Gränze, Ihr werdet nun bald in Eurer Andacht nicht mehr geſtört werden, und ich will mir gewiß auch alle Mühe geben, mich von den Eitelkeiten zu entfernen.
Liebſter Sohn, ſagte der Vater, ich ſehe,mein81mein Lehren iſt an Dir nicht verlohren ge¬ gangen. Wir müſſen arbeiten, ſinnen und denken, weil wir einmahl in dieſem Leben, in dieſem Joch eingeſpannt ſind, aber da¬ rum müſſen wir doch nie das Höhere aus den Augen verliehren. Sey redlich in Dei¬ nem Gewerbe, damit es Dich ernährt, aber laß nicht Deine Nahrung, Deine Beklei¬ dung den letzten Gedanken Deines Lebens ſeyn; trachte auch nicht nach dem irrdiſchen Ruhme, denn alles iſt doch nur eitel, alles bleibt hinter uns, wenn der Tod uns for¬ dert. Mahle, wenn es ſeyn kann, die heili¬ gen Geſchichten recht oft, um auch in weltli¬ chen Gemüthern die Andacht zu erwecken.
Franz aß wenig zu Mittage, der Alte ſchien ſich gegen Abend zu erholen. Die Mutter war nun ſchon daran gewöhnt, daß Franz wieder da ſey; ſie machte ſich ſeinetwegen viel zu thun, und vernachläßig¬F82te den Vater beinahe. Franz war unzufrie¬ den mit ſich, er hätte dem Kranken gern al¬ le glühende Liebe eines guten Sohns ge¬ zeigt, auf ſeine letzten Stunden gern alles gehäuft, was ihn durch ein langes Leben hätte begleiten ſollen, aber er fühlte ſich ſo verworren und ſein Herz ſo matt, daß er über ſich ſelber erſchrak. Er dachte an tau¬ ſend Gegenſtände die ihn zerſtreuten, vor¬ züglich ein Gemählde von Kranken, von[trauernden] Söhnen und wehklagenden Müttern, und darüber machte er ſich dann die bitterſten Vorwürfe.
Als ſich die Sonne zum Untergange neig¬ te, gieng die Mutter hinaus, um aus ih¬ rem kleinen Garten, der etwas entfernt war, Gemüſe zu holen zur Abendmahlzeit. Der Alte ließ ſich von ſeinem Sohn mit einem Seſſel vor die Hausthür tragen, um ſich von den rothen Abendſtrahlen beſcheinen zu laſſen.
83Es ſtand ein Regenbogen am Himmel, und in Weſten regnete der Abend in gold¬ nen Strömen nieder. Schaafe weideten ge¬ genüber, und Birken ſäuſelten, der Vater ſchien ſtärker zu ſeyn. Nun ſterb ich gerne, rief er aus, da ich Dich doch noch vor mei¬ nem Tode geſehen habe.
Franz konnte nicht viel antworten, die Sonne ſank tiefer und ſchien dem Alten feurig in's Geſicht, der ſich wegwendete und ſeufzte: Wie Gottes Auge blickt es mich noch zu guter letzt an und ſtraft mich Lü¬ gen; ach! wenn doch erſt alles vorüber wä¬ re! Franz verſtand dieſe Worte nicht, aber er glaubte zu bemerken, daß ſein Vater von Gedanken beunruhigt würde. Ach! wenn man ſo mit hinunterſinken könnte! rief der Alte aus, mit hinunter mit der lie¬ ben Gottes Sonne! O wie ſchön und herr¬ lich iſt die Erde, und jenſeit muß es nochF 284ſchöner ſeyn; dafür iſt uns Gottes Allmacht Bürge. Bleib immer fromm und gut, lie¬ ber Franz, und höre mir aufmerkſam zu, was ich Dir noch jetzt zu entdecken habe.
Franz trat ihm näher, und der Alte ſagte: Du biſt mein Sohn nicht, liebes Kind. — Indem kam die Mutter zurück; man konnte ſie aus der Ferne hören, weil ſie mit lauter Stimme ein geiſtliches Lied ſang, und der Alte brach ſehr ſchnell ab und ſprach von gleichgültigen Dingen. Morgen, ſagte er heimlich zu Franz, morgen!
Die Heerden kamen vom Felde mit den Schnittern, alles war fröhlich, aber Franz war ſehr in Gedanken verſunken, er be¬ trachtete die beiden Alten in einem ganz neuen Verhältniſſe zu ſich ſelber, er konnte kein Geſpräch anfangen, die letzten Worte ſeines vermeintlichen Vaters ſchallten ihm85 noch immer in den Ohren, und er erwarte¬ te mit Ungeduld den Morgen.
Es ward finſter, der Alte ward hinein¬ getragen, und legte ſich nieder ſchlafen; Franz aß mit der Mutter. Plötzlich hörten ſie nicht mehr dem Athemzug des Vaters, ſie eilten hinzu und er war verſchieden. Sie ſahen ſich ſtumm an, und nur Brigitte konnte weinen. Ach! ſo iſt er denn geſtor¬ ben ohne von mir Abſchied zu nehmen? ſag¬ te ſie ſeufzend; ohne Prieſter und Einſeg¬ nung iſt er entſchlafen! — Ach! wer auf der weiten Erde wird nun noch mit mir ſprechen, da ſein Mund ſtumm geworden iſt? Wem ſoll ich mein Leid klagen, wer wird mir ſagen wenn die Bäume blühen, und wenn wir die Früchte abnehmen? — Ach! der gute alte Vater, nun iſt es alſo vorbei mit unſerm Umgang, mir unſern Abendgeſprächen, und ich kann gar nichts86 dazu thun, ſondern ich muß mich nun ſo eben darin finden. Unſer aller Ende ſey eben ſo ſanft!
Die Thränen machten ſie ſtumm, und Franz tröſtete ſie. Er ſah in Gedanken be¬ tende Einſiedler, die verehrungswürdigen Märtyrer, und alle Leiden der armen Menſchheit gingen in mannichfaltigen Bil¬ dern ſeinem Geiſte vorüber.
87Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz ſtand ſinnend vor der Thür. Die Nachbarn tra¬ ten herzu und tröſteten ihn; Brigitte weinte von neuem, ſo oft darüber geſprochen wur¬ de, ſein Herz war zu, ſeine Augen waren wie vertrocknet, tauſend neue Bilder zogen durch ſeine Sinne, er konnte ſich ſelber nicht verſtehn, er hätte gern mit Jemand ſprechen mögen, er wünſchte Sebaſtian herbei, um ihm alles klagen zu können.
Am dritten Tage war das Begräbniß, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe als ſie nun den mit Erde zudeckten, den ſie ſeit zwanzig Jahren ſo genau ge¬ kannt hatte, den ſie faſt einzig liebte. Sie wünſchte auch bald zu ſterben, um wie¬ der in ſeiner Geſellſchaft zu ſeyn, um mit88 ihm die Geſpräche fortzuſetzen, die ſie hier hatte abbrechen müſſen. Franz ſchweifte in¬ deß im Felde umher, und betrachtete die Bäume die ſich in einem benachbarten Tei¬ che ſpiegelten. Er hatte noch nie eine Land¬ ſchaft mit dieſem Vergnügen beſchaut, es war ihm noch nie vergönnt geweſen, die mannichfaltigen Farben mit ihren Schatti¬ rungen, das Süße der Ruhe, die Wirkung des Baumſchlages in der Natur zu entdek¬ ken, wie er es jetzt im klaren Waſſer ge¬ wahr ward. Über alles ergötzte ihn aber die wunderbare Perſpektive die ſich bildete, und der Himmel dazwiſchen mit ſeinen Wol¬ kenbildern, das zarte Blau, das zwiſchen den krauſe Figuren und dem zitternden Laube ſchwamm. Franz zog ſeine Schreib¬ tafel hervor, und wollte die Landſchaft an¬ fangen zu zeichnen; aber ſchon die wirkliche Natur erſchien ihm trocken gegen die Abbil¬89 dung im Waſſer, noch weniger aber wollten ihm die Striche auf dem Papiere genügen, die durchaus nicht nachbildeten, was er vor ſich ſah. Er war bisher noch nie darauf gekommen eine Landſchaft zu zeichnen, er hatte ſie immer nur als eine nothwendige Zugabe zu manchen hiſtoriſchen Bildern an¬ geſehn, aber noch nie empfunden, daß die lebloſe Natur etwas für ſich Ganzes und Vollendetes ausmachen könne, und ſo der Darſtellung würdig ſey. Unbefriedigt gieng er nach der Hütte ſeines Pflegevaters zu¬ rück.
Seine Mutter kam ihm entgegen, die ſich in der ungewohnten Einſamkeit nicht zu laſſen wuſte. Sie ſetzten ſich beide auf eine Bank die vor dem Hauſe ſtand, und unter¬ redeten ſich von mancherlei Dingen. Franz ward durch jeden Gegenſtand den er ſah, durch jedes Wort das er hörte, niedergeſchla¬90 gen, die weidenden Heerden, die ziehenden Töne des Windes durch die Bäume, das friſche Gras und die ſanften Hügel weckten keine Poeſie in ſeiner Seele auf. Er hatte Vater und Mutter verlohren, ſeine Freun¬ de verlaſſen, er kam ſich ſo verwaiſt und verachtet vor, beſonders hier auf dem Lan¬ de, wo er mit Niemand über die Kunſt ſprechen konnte, daß ihn faſt aller Muth zum Leben verließ. Seine Mutter nahm ſeine Hand und ſagte: Lieber Sohn, Du willſt jetzt in die weite Welt hineingehen, wenn ich Dir rathen ſoll ſo thu es nicht, denn es bringt Dir doch keinen Gewinn. Die Fremde thut keinem Menſchen gut, wo er zu Hauſe gehört, da blüht auch ſeine Wohlfahrt; fremde Menſchen werden es nie ehrlich mit Dir meinen, das Vaterland iſt gut, und warum willſt Du ſo weit weg und Deutſchland verlaſſen, und was ſoll ich91 indeſſen anfangen? Dein Mahlen iſt auch ein unſicheres Brod, wie Du mir ſchon ſel¬ ber geſagt haſt, Du wirſt darüber alt und grau; Deine Jugend vergeht, und mußt noch obenein wie ein Flüchtling aus Deinem Lande wandern. Bleib hier bei mir, mein Sohn, ſieh, die Felder ſind alle im beſten Zuſtande, die Gärten ſind gut eingerichtet, wenn Du Dich des Hausweſens und des Ackerbaues annehmen willſt, ſo iſt uns bei¬ den geholfen, und Du führſt doch ein ſich¬ res und ruhiges Leben, Du weißt doch dann wo Du Deinen Unterhalt hernimmſt. Du kannſt hier heirathen, es findet ſich wohl eine Gelegenheit; Du lernſt Dich bald ein, und die Arbeit des Vaters wird dann von Dir fortgeſetzt. Was ſagſt zu dem al¬ len mein, Sohn?
Franz ſchwieg eine Weile ſtill, nicht weil er den Vorſchlag bei ſich überlegte, ſondern92 weil an dieſem Tage alle Vorſtellungen ſo ſchwer in ſeine Seele fielen, daß ſie lange hafteten. Ihm lag Herr Zeuner von neuem in den Gedanken, er ſah die ganze Geſell¬ ſchaft noch einmahl, und fühlte alle Beäng¬ ſtigungen wieder, die er dort erlitten hatte. Es kann nicht ſeyn, liebe Mutter, ſagte er endlich. Seht, ich habe ſo lange auf die Gelegenheit zum Reiſen gewartet, jetzt iſt ſie gekommen, und ich kann ſie nicht wieder aus den Händen gehen laſſen. Ich habe mir ängſtlich und ſorgſam all' mein Geld, deſſen ich habhaft werden konnte, dazu ge¬ ſammelt, was würde Dürer ſagen, wenn ich jetzt alles aufgäbe?
Die Mutter wurde über dieſe Antwort ſehr betrübt, ſie ſagte ſehr weichherzig: Was aber ſuchſt Du in der Welt, lieber Sohn? Was kann Dich, ſo heftig antreiben ein ungewiſſes Glück zu erproben? Iſt denn93 der Feldbau nicht auch etwas Schönes, und immer in Gottes freier Welt zu handthie¬ ren und ſtark und geſund zu ſeyn? Mir zu Liebe könnteſt Du auch etwas thun, und wenn Du noch ſo glücklich biſt, kömmſt Du doch nicht weiter, als daß Du Dich ſatt eſ¬ ſen kannſt und eine Frau ernährſt und Kin¬ der groß zieheſt die Dich lieben und ehren. Alles dies zeitliche Weſen kannſt Du nun hier ſchon haben, hier haſt Du es gewiß, und Deine Zukunft iſt noch ungewiß. Ach lieber Franz, und es iſt denn doch auch eine herzliche Freude das Brod zu eſſen, das man ſelber gezogen hat, ſeinen eignen Wein zu trinken, mit dem Pferden und Kü¬ hen im Hauſe bekannt zu ſeyn, in der Wo¬ che zu arbeiten und des Sonntags zu ra¬ ſten. Aber Dein Sinn ſteht Dir nach der Ferne, Du liebſt Deine Eltern nicht, Du gehſt in Dein Unglück und verlierſt gewiß94 Deine Zeit, vielleicht noch Deine Geſundheit. Es iſt nicht das, liebe Mutter! rief Franz aus, und Ihr werdet mich auch gar nicht verſtehn wenn ich es Euch ſage. Es iſt mir gar nicht darum zu thun, Leinwand zu nehmen und die Farben mit mehr oder minder Geſchicklichkeit aufzutragen, um da¬ mit meinen täglichen Unterhalt zu erwerben, denn ſeht, in manchen Stunden kömmt es mir ſogar ſündhaft vor, wenn ich es ſo be¬ ginnen wollte. Ich denke an meinen Er¬ werb niemals wenn ich an die Kunſt denke, ja ich kann mich ſelber haſſen wenn ich zu¬ weilen darauf verfalle. Ihr ſeid ſo gut, Ihr ſeid ſo zärtlich gegen mich, aber noch weit mehr als Ihr mich liebt, liebe ich meine Handthierung. Nun iſt es mir ver¬ gönnt, alle die Meiſter wirklich zu ſehn die ich bisher nur in der Ferne verehrt habe; von Vielen habe ich nur die Namen gehört. 95Wenn ich dies erleben kann, und beſtändig neue Bilder ſehn, und lernen, und die Meiſter hören; wenn ich durch ungekannte Gegenden mit feilchem Herzen ſtreifen kann, ſo mag ich keines ruhigen Lebens genießen. Tauſend Stimmen rufen mir herzſtärkend aus der Ferne zu, die ziehenden Vögel die über meinem Haupte wegfliegen, ſcheinen mir Bothen aus der Ferne, alle Wolken er¬ innern mich an meine Reiſe, jeder Gedanke, jeder Pulsſchlag treibt mich vorwärts, wie könnt 'ich da wohl in meinen jungen Jah¬ ren ruhig hier ſitzen und den Wachsthum des Getraides abwarten, die Einzäunung des Gartens beſorgen und Rüben pflanzen! Nein, laßt mir meinen Sinn, ich bitte Euch darum und redet mir nicht weiter zu, denn Ihr quält mich nur damit.
Nun ſo magſt Du es[haben], ſagte Bri¬ gitte in halben Unwillen, aber ich weiß daß96 es Dich noch einmahl gereuet, daß Du Dich wieder hieher wünſcheſt, und denn iſt's zu ſpät, daß Du dann das hoch und theuer ſchätzeſt was Du jetzt ſchmäheſt und ver¬ achteſt.
Ich habe Euch etwas zu fragen, liebe Mutter, fuhr Franz fort. Der Vater iſt geſtorben ohne mir Rechenſchaft davon zu geben; er ſagte mir ich ſey ſein Sohn nicht, und brach dann ab. Was wißt Ihr von meiner Herkunft?
Nichts weiter lieber, Franz, ſagte die Mut¬ ter, und Dein Vater hat mir darüber nie etwas anvertraut. Als ich ihn kennen lern¬ te und heirathete, warſt Du ſchon bei ihm, und damals zwei Jahr alt; er ſagte mir, daß Du ſein einziges Kind von ſeiner ver¬ ſtorbenen Frau ſeiſt. Ich verwundre mich, warum der Mann nun zu Dir anders ge¬ ſprochen hat.
Franz97Franz blieb alſo über ſeine Herkunft im¬ mer noch in Ungewißheit; dieſe Gedanken beſchäftigten ihn ſehr, und er wurde in manchen Stunden darüber verdrüßlich und traurig. Das Erndtefeſt war indeß heran¬ gekommen, und alle Leute im Dorfe waren ſehr fröhlich; jedermann war nur darauf bedacht ſich zu vergnügen; die Kinder hüpf¬ ten umher und konnten den Tag nicht er¬ warten. Franz hatte ſich vorgenommen die¬ ſen Tag in der Einſamkeit zuzubringen, ſich nur mit ſeinen Gedanken zu beſchäftigen, und ſich nicht um die Fröhlichkeit der übri¬ gen Menſchen zu bekümmern. Er war in der Woche, die er hier bei ſeinem Pflegeva¬ ter zubrachte, überhaupt ganz in ſich ver¬ ſunken, nichts konnte ihm rechte Freude machen, denn ihm war hier ganz anders, und alles ereignete ſich ſo ganz anders, als er es vorher vermuthet hatte. Am TageG98vor dem Erndtefeſt erhielt er einen Brief von ſeinem Sebaſtian, denn es war vorher aus¬ gemacht daß er ihm ſchreiben ſollte, wäh¬ rend er hier auf dem Dorfe ſey. Wie wenn nach langen Winternächten und trüben Ta¬ gen der erſte Frühlingstag über die ſtarre Erde geht, ſo erheiterte ſich Franzens Ge¬ müth als er dieſen Brief in der Hand hielt; es war als wenn ihn plötzlich ſein Freund Sebaſtian ſelber anrühre, und ihm in die Arme fliege; er hatte ſeinen Muth wieder, er fühlte ſich nicht mehr ſo verlaſſen, er er¬ brach das Siegel.
Wie erſtaunte und freute er ſich zu glei¬ cher Zeit, als er drinnen noch ein andres Schreiben von ſeinem Albrecht Dürer fand, welches er nie erwartet hatte. Er war un¬ gewiß, welchen Brief er zuerſt leſen ſollte; doch ſchlug er Sebaſtians Brief auseinan¬ der welcher folgendermaßen lautete:99 Liebſter Franz.
« Wir gedenken Deiner in allen unſern Geſprächen, und ſo kurze Zeit Du auch entfernt biſt, ſo dünkt es mich doch ſchon recht lange. Ich kann mich immer noch in dem Hauſe ohne Dich nicht ſchicken und fü¬ gen, alles iſt mir zu leer und doch zu enge, ich kann nicht ſagen ob ſich das wieder än¬ dern wird. Als ich von Dir an jenem ſchö¬ nen und traurigen Morgen durch die Korn¬ felder zurückgieng, als ich alle die Stellen wieder betrat wo ich mit Dir gegangen war, und der Stadt mich nun immer mehr näherte; o Franz! ich kann es Dir nicht ſa¬ gen was da mein Herz empfand. Es war mir alles im Leben taub und ohne Reiz, und ich hätte vorher niemals geglaubt, daß ich Dich ſo lieb haben könnte. Wie wollte ich jetzt mit den Stunden geizen, die ichG 2100ſonſt unbeſehn und ungenoſſen verſchwende te, wenn ich nur mit Dir wieder zuſammen ſeyn könnte! Alles was ich in die Hände nehme erinnert mich an Dich, und meine Pallette, mein Pinſel, alles macht mich wehmüthig, ohne daß ich begreifen kann wie es zugeht. Als ich in die Stadt wieder hineinkam, als ich die gewohnten Treppen unſers Hauſes hinaufſtieg, und da wieder alles liegen und ſtehn ſah wie ich es am frühen Morgen verlaſſen hatte, konnt 'ich mich der Thränen nicht enthalten, ob ich gleich ſonſt nie ſo weich geweſen bin. Hal¬ te mich nicht für härter oder vernünftiger, lieber Franz, wie Du es nennen magſt, denn ich bin es nicht, wenn es ſich bei mir auch anders äußert als bei Dir. Ich war den ganzen Tag verdrüßlich, ich maulte mit Jedermann; was ich that war mir nicht recht, ich wünſchte Staffeley, und das Portrait, das101 ich vor mir hatte, weit von mir weg, denn mir gelang kein Zug, und ich ſpürte auch nicht die mindeſte Luſt zum Mahlen. Mei¬ ſter Dürer war ſelbſt an dieſem Tage be¬ trübter als gewöhnlich, alles war im Hauſe ſtill, und wir fühlten es, daß mit Deiner Abreiſe eine andre Epoche unſers Lebens anfieng.
Dein Schmidt hat uns beſucht; es iſt ein lieber Burſche, wir haben viel über ihn gelacht, uns aber auch recht an ihm ge¬ freut. Unermüdet hat er uns einen ganzen Tag lang zugeſehn, und wunderte ſich im¬ mer darüber daß das Mahlen ſo langſam von der Stelle gienge. Er ſetzte ſich nach¬ her ſelber nieder und zeichnete ein paar Verzierungen nach, die ihm ziemlich gut ge¬ riethen, es gereut ihn jetzt daß er das Schmiedehandwerk erlernt und ſich nicht lieber ſo wie wir auf die Mahlerei gelegt102 hat. Meiſter Dürer meint daß viel aus ihm werden könnte, wenn er noch anfienge; und er ſelber iſt halb und halb dazu ent¬ ſchloſſen. Er hat Nürnberg ſchon wieder verlaſſen; von Dir hat er viel geſprochen und Dich recht gelobt.
Daß Du Dich von Deinen Empfindun¬ gen ſo regieren und zernichten läſſeſt, thut mir ſehr weh, Deine Überſpannungen rau¬ ben Dir Kräfte und Entſchluß, und wenn ich es Dir ſagen darf, ſuchſt Du ſie etwas. Doch mußt Du darüber nicht zornig wer¬ den, jeder Menſch iſt einmal anders einge¬ richtet als der andere. Aber ſtrebe darnach etwas härter zu ſeyn, und Du wirſt ein viel ruhigeres Leben führen, wenigſtens ein Leben, in welchem Du weit mehr arbeiten kannſt als in dem Strom dieſer wechſelnden Empfindungen, die Dich nothwendig ſtören, und von allem abhalten müſſen. « 103« Lebe recht wohl, und ſchreibe mir ja fleißig, damit wir uns einander nicht fremde werden, wie es ſonſt gar zu leicht geſchieht. Theile mir alles mit was Du denkſt und fühlſt, und ſey überzeugt, daß in mir be¬ ſtändig ein mitempfindendes Herz ſchlägt, das jeden Ton des Deinigen beantwortet.
Ach! wie lange wird es währen bis wir uns wieder ſehn! Wie traurig wird mir je¬ desmahl die Stunde vorkommen, in welcher ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke, und die ſchreckliche leere Richtigkeit der Trennung ſo recht im Innerſten fühle. Es iſt um unſer menſchliches Leben eine dürftige Sache, ſo wenig Glanz und ſo viele Schatten, ſo viele Erdfarben die durchaus keinen Firniß vertragen wollen. Adieu. Gott ſey mit Dir. — «
Der Brief des wackern Albrecht Dürer lautete alſo:104 Mein lieber Schüler und Freund!
« Es hat Gott gefallen, daß wir nun nicht mehr neben einander leben ſollen, ob mich gleich kein Zwiſchenraum gänzlich von Dir wird trennen können. So wie die Ab¬ wechſelungen des Lebens gehen, ſo iſt es nun unter uns dahin gekommen, daß wir nun an einander denken an einander ſchreiben können. Ich habe Dir alle meine Liebe, al¬ le meine herzlichſten Wünſche mit auf den Weg gegeben, und der allmächtige Gott leite jeden Deiner Schritte. Bleib ihm und der Redlichkeit treu, und Du wirſt mit Freu¬ den dieſes Leben überſtehn können, indem uns mancherlei Leiden ſuchen irre zu ma¬ chen. Es freut mich, daß Du der Kunſt ſo fleißig gedenkſt, und zwar Vertrauen, aber kein übermüthiges zu Dir ſelber haſt. Das Zagen das Dich oft überfällt, kömmt einem105 in der Jugend oft, und iſt viel eher ein gutes als ein ſchlimmes Zeichen. Es iſt im¬ mer etwas Wunderbares darinnen, daß wir Mahler nicht ſo recht unter die übrigen Menſchen hineingehören, daß unſer Trei¬ ben und unſre Geſchäftigkeit, die Welthän¬ del und ihre Ereigniſſe ſo um gar nichts aus der Stelle rückt, wie es doch bei den übrigen Handwerkern der Fall iſt; das be¬ fällt uns ſehr oft in der Einſamkeit oder unter kunſtloſen Menſchen, und dann möch¬ te uns ſchier aller Muth verlaſſen. Ein ein¬ ziges gutes Wort das wir plötzlich hören, iſt aber auch wieder im Stande, alle ſchaf¬ fende und wirkende Kraft in uns zurückzu¬ liefern, und Gottes Segen obendrein, ſo daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an unſre Arbeit gehen mögen. Ach Lieber! die ganze menſchliche Geſchäftigkeit läuft im Grunde ſo auf gar nichts hinaus, daß wir106 nicht einmahl ſagen können: dieſer Menſch iſt unnütz, jener aber nützlich. Es iſt die Erde zum Glück ſo eingerichtet, daß wir alle darauf Platz finden mögen; Groß und Klein, Vornehm und Geringe. Mir iſt es in meinen jüngern Jahren oft eben ſo wie Dir ergangen, aber die guten Stunden kommen doch immer wieder zurück. Wärſt Du ohne Anlage und Talent, ſo würdeſt Du dieſe Leere in Deinem Herzen niemals empfinden.
Mein Weib läßt Dich grüßen. Bleib nur immer der Wahrheit treu, das iſt die Haupt¬ ſache. Deine fromme Empfindung, ſo ſchön ſie iſt, kann Dich zu weit leiten, wenn Du Dich nicht von der Vernunft regieren läßt. Nicht eigentlich zu weit; denn man kann gewiß und wahrlich nicht zu fromm und andächtig ſeyn, ſondern ich meine nur, Du dürfteſt endlich etwas Falſches in Dein Herz aufneh¬ men, das Dich ſelber hintergienge, und ſo107 unvermerkt ein Mangel an wahrer Fröm¬ migkeit entſtehn. Doch ſage ich dieſes gar nicht, um Dich zu tadeln, ſondern es ge¬ ſchieht nur, weil ich an manchen ſonſt gu¬ ten Menſchen dergleichen bemerkt habe, wenn ſie an Gott und die Unſterblichkeit mit zu großer Rührung und nicht mit fro¬ her Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirſchung und nicht mit erhabner Muthigkeit, ſo ſind ſie am Ende in einen Zuſtand der Weichlichkeit verfallen, in dem ſie die tröſtende wahre Andacht ver¬ laſſen hat, und ſie ſich und ihrem Kleinſinn überlaſſen blieben. Doch wie ich ſage, es gilt nicht Dich, denn Du biſt zu gut, zu herz¬ lich, als daß Du je darinn verfallen könn¬ teſt, und weil Du große Gedanken hegſt, und mit warmer brünſtiger Seele die Bi¬ bel lieſeſt und die heiligen Geſchichten, ſo wirſt Du auch gewißlich ein guter Mahler108 werden, und ich werde noch einſt ſtolz auf Dich ſeyn.
Suche recht viel zu ſehen, und betrachte alle Kunſtſachen genau und wohl, dadurch wirſt Du Dich endlich gewöhnen mit Sicher¬ heit ſelbſt zu arbeiten und zu erfinden, wenn Du an allen das Vortrefliche erkennſt, und auch dasjenige, was einen Tadel zuge¬ ben dürfte. Dein Freund Sebaſtian iſt ein ganz melancholiſcher Menſch geworden ſeit Du von uns gereiſet biſt; ich denke es ſoll ſich wohl wieder geben wenn erſt einige Wochen verſtrichen ſind. Gehab Dich wohl, und denke unſrer fleißig. — »
Durch Franzens Geiſt ergoß ſich Heiter¬ keit und Stärke, er fühlte wieder ſeinen Muth und ſeine Kraft. Albrechts Stimme berührte ihn wie die Hand einer ſtärkenden Gottheit, und er fühlte in allen Adern ſei¬109 nen Gehalt und ſein künftiges arbeitreiches Leben. Wie wenn man oft alte längſt ver¬ geſſene Bücher wieder aufſchlägt, und in ihnen Belehrungen oder unerwarteten Troſt im Leiden antrift, ſo kamen vergangene Zeiten mit ihren Gedanken in Franzens Seele zurück, alte Entwürfe die ihm von neuem gefielen. Ja, ſagte er, indem er die Briefe zuſammenfaltete, und ſorgfältig in ſeine Schreibtafel legte, es ſoll ſchon mit mir werden, weiß ich doch daß mein Meiſter was von mir hält; warum will ich denn ver¬ zagen?
Es war am folgendem Tage, an[wel¬ chem] das Erndtefeſt gefeiert werden ſoll¬ te. Franz hatte nun keinen Widerwillen mehr gegen das frohe aufgeregte Menſchengetüm¬ mel, er ſuchte die Freude auf, und war darum auch bei dem Feſte zugegen. Er erinnerte ſich einiger guten Kupferſtiche von Albrecht110 Dürer, auf denen tanzende Bauern darge¬ ſtellt waren, und die ihm ſonſt überaus gefallen hatten; er ſuchte nun beim Klange der Flö¬ ten dieſe poſſierliche Geſtalten wieder, und fand ſie auch wirklich; er hatte hier Gele¬ genheit zu bemerken, welche Natur Albrecht auch in dieſe Zeichnungen zu legen gewußt hatte.
Der Tag des Feſtes war ein ſchöner warmer Tag, an dem alle Stürme und un¬ angenehme Winde von freundlichen Engeln zurückgehalten wurden. Die Töne der Flö¬ ten und Hörner giengen wie eine liebliche Schaar ruhig und ungeſtört durch die ſanf¬ te Luft hin. Die Freude auf der Wieſe war allgemein, hier ſah man tanzende Paa¬ re, dort ſcherzte und neckte ſich ein junger Bauer mit ſeiner Liebſten, dort ſchwatzten die Alten und erinnerten ſich ihrer Jugend. Die Gebüſche ſtanden ſtill und waren friſch grün111 und überaus anmuthig, in der Ferne lagen krauſe Hügel mit Obſtbäumen bekränzt. Wie, ſagte Franz zu ſich, ſucht ihr Schüler und Meiſter immer nach Gemälden, und wißt nie¬ mals recht wo ihr ſie ſuchen müßt? Warum fällt es keinem ein, ſich mit ſeiner Staffeley unter einen ſolchen unbefangenen Haufen niederzuſetzen, und uns auf einmahl dieſe Natur ganz wie ſie iſt darzuſtellen. Keine abgeriſſene Fragmente aus der alten Hiſto¬ rie und Göttergeſchichte, die ſo oft weder Schmerz noch Freude in uns erregen, keine kalte Figuren aus der Legende, die uns oft gar nicht anſprechen, weil der Mahler die heiligen Männer nicht ſelber vor ſich ſah, und er ohne Begeiſterung arbeitete. Dieſe Geſtalten wörtlich ſo und ohne Abän¬ derung niedergeſchrieben, damit wir lernen, welche Schöne, welche Erquickung in der einfachen Natürlichkeit verborgen liegt. 112Warum ſchweift Ihr immer in der weiten Ferne, und in einer ſtaubbedeckten unkennt¬ lichen Vorzeit herum, uns zu ergötzen? Iſt die Erde wie ſie jetzt iſt keiner Darſtellung mehr werth; und könnt 'Ihr die Vorwelt mahlen wenn Ihr gleich noch ſo ſehr wollt? Und wenn Ihr größeren Geiſter nun auch hohe Ehrfurcht in unſer Herz hineinbannt; wenn Eure Stücke uns mit ernſter feierlicher Stimme anreden; warum ſollen nicht auch einmahl die holden Strahlen einer weltli¬ chen Freude aus einem Gemählde heraus¬ brechen? Warum ſoll ich in einer freien herz¬ lichen[Stunde] nicht auch einmahl Bäuerlein, und ihre Spiele und Ergötzungen lieben? Dort werden wir beim Anblick der Bilder äl¬ ter und klüger, hier kindiſcher und fröhlicher.
So ſtritt Franz mit ſich ſelber, und un¬ terhielt ſeinen Geiſt mit ſeiner Kunſt, wenn er gleich nicht arbeitete. Es konnte ihmüber¬113überhaupt nicht leicht etwas begegnen, wo¬ bei er nicht an Mahlereyen gedacht hätte, denn das war ſo ſeine Art, ſeine Beſchäfti¬ gung in allem was er in der Natur oder unter Menſchen ſah und hörte, wiederzufin¬ den. Alles gab ihm Antworten zurück, nir¬ gends traf er eine Lücke, in der Einſamkeit ſah ihm die Kunſt zu, und in der Geſell¬ ſchaft ſaß ſie neben ihm, und er führte mit ihr ſtille Geſpräche; darüber kam es denn aber auch, daß er ſo manches in der Welt gar nicht bemerkte, was weit einfältigern Gemüthern ganz geläufig war, weshalb es auch geſchah, daß ihn die beſchränkten Leu¬ te leicht für unverſtändig oder albern hiel¬ ten. Dafür bemerkte er aber manches das jedem andern entgieng, und die Wahrheit und Feinheit ſeines Witzes ſetzte dann die Menſchen oft in Erſtaunen. So war Franz Sternbald um dieſe Zeit, ich weiß nicht obH114ich ſagen ſoll ein erwachſenes Kind, oder ein kindiſcher Erwachſener. O wohl Dir, daß Dir das Auge noch verhüllt iſt, über die Thorheit und Armſeligkeit der Menſchen, daß Du Dir und Deiner Liebe Dich ſelbſt mit aller Unbefangenheit ergeben kannſt! Seeliges Leben wenn der Menſch nur noch in ſich lebt, und die übrigen umher nicht in ſein Innres einzudringen vermögen, und ihn ſo beherrſchen. Es kommt bei den Meiſten eine Zeit, wo der Winter beſtändig in ihren Sommer hineinſcheint, wo ſie ſich vergeſſen, um es den andern Menſchen recht zu machen, wo ſie ihrem Geiſte keine Opfer mehr bringen, ſondern ihr eigenes Herz als ein Opfer auf den Altar der weltli¬ chen Eitelkeit niederlegen. Darum biſt Du mir eben ſo lieb, mein Franz Sternbald, weil Du darin ſo ganz anders biſt; meine eigene Jugend kömmt in meine Seele zu¬115 rück, indem ich keine Geſchichte ſchreibe, und alles was ich litt ſo wie alles was mich beſeligte.
Als es Abend geworden war, und der rothe Schimmer bebend an den Gebüſchen hing, war ſeine Empfindung ſanfter und ſchöner geworden. Er wiederholte den Brief Dürers in ſeinen Gedanken, und zeichnete ſich dabei die ſchönen Abendwolken in ſei¬ nem Gedächtniſſe ab. Er hatte ſich im Garten in eine Laube zu einem friſchen Bauermädchen geſetzt, das ſchon ſeit lange viel und lebhaft mit ihm geſprochen hatte. Jetzt lag das Abendroth auf ihren Wangen, er ſah ſie an, ſie ihn, und er hätte ſie gern geküßt; ſo ſchön kam ſie ihm vor. Sie fragte ihn, wenn er zu reiſen gedächte; und es war das erſtemahl daß er ungern von ſeiner Reiſe ſprach. Iſt Italien weit von hier? fragte die unwiſſende Gertrud.
H 2116O ja, ſagte Franz: manche Stadt, man¬ ches Dorf, mancher Berg liegt zwiſchen uns und Italien. Es wird noch lange währen, ehe ich dort bin.
Und Ihr müßt dahin? fragte Gertrud.
Ich will, und muß, antwortete er; ich denke dort viel zu lernen für meine Mah¬ lerkunſt. Manches alte Gebäude, manchen vortreflichen Mann habe ich zu beſuchen, manches zu thun und zu erfahren, ehe ich mich für einen Meiſter halten darf.
Aber Ihr kommt doch wieder?
Ich denke, ſagte Franz, aber es kann lange währen, und dann iſt hier vielleicht alles anders, ich bin hier dann längſt ver¬ geſſen, meine Freunde und Verwandten ſind vielleicht geſtorben; die Burſchen und Mäd¬ chen die eben ſo frölich ſingen, ſind denn alt und haben Kinder. Daß das Menſchen¬ leben ſo kurz iſt, und das in der Kürze117 dieſes Lebens ſo viele und betrübte Ver¬ wandlungen mit uns vorgehn!
Gertrud ward von ihren Eltern abgeru¬ fen, und ſie gieng nach Hauſe; Franz blieb allein in der Laube. Freilich, ſagte er zu ſich, iſt es etwas Schönes, ruhig nur ſich zu leben, und recht früh das ſtille Land aufzuſuchen wo wir einheimiſch ſeyn wollen. Wem die Ruhe gegönnt iſt, der thut wohl daran; mir iſt es nicht ſo. Ich muß erſt äl¬ ter werden, denn jetzt weiß ich ſelber noch nicht was ich will.
118Faſt ſeit ſeiner Ankunft auf dem Dorfe hatte ſich Franz eine Arbeit vorgenommen, es war nehmlich nichts Geringers, als daß er ſeinem Geburtsorte ein Gemälde von ſich hinterlaſſen wollte. Der Gedanke der Ver¬ kündigung der Geburt Chriſti lag ihm noch im Sinn, und er bildete ihn weiter aus, und mahlte fleißig. Aber nun fehlte ihm dieſe Seelenruhe, die er damals in ſei¬ nem Briefe geſchildert hatte, alles hatte ihn betäubt, und die bildende Kraft erlag oft den Umſtänden. Er fühlte es lebhaft wieder, wie es ganz etwas anders ſey, in einer glücklichen Minute ein kühnes und edles Kunſtwerk zu entwerfen, und es nach¬ her mit unermüdeter Ämſigkeit, und dem nie ermattenden Reiz der Neuheit durchzu¬ führen. Mitten in der Arbeit verzweifelte119 er oft an ihrer Vollendung, er wollte es ſchon unbeendigt ſtehn laſſen, als ihm Dü¬ rers Brief zur rechten Zeit Kraft und Er¬ quickung ſchenkte. Jetzt endigte er ſchneller, als er erwartet hatte.
Wir wollen hier dem Leſer, dieſes Bild Franzens ganz kurz beſchreiben. Ein dunk¬ les Abendroth lag auf den fernen Bergen, denn die Sonne war ſchon ſeit lange unter¬ gegangen, in dem bleichrothen Scheine la¬ gen alte und junge Hirten mit ihren Heer¬ den, dazwiſchen Frauen und Mädchen; die Kinder ſpielten mit Lämmern. In der Ferne gingen zwei Engel durch das hohe Korn, und erleuchteten mit ihrem Glanze die Landſchaft. Die Hirten ſahen mit ſtiller Sehnſucht nach ihnen, die Kinder ſtreckten die Hände nach den Engeln aus, das An¬ geſicht des einen Mädchens ſtand in roſen¬ rothem Schimmer, vom fernen Strahl der120 Himmliſchen erleuchtet. Ein junger Hirt hatte ſich umgewendet, und ſah mit ver¬ ſchränkten Armen und tiefſinnigem Geſichte der untergegangenen Sonne nach, als wenn mit ihr die Freude der Welt, der Glanz des Tages, die anmuthigen und erquicken¬ den Strahlen verſchwunden wären; ein al¬ ter Hirte faßte ihn beim Arm um ihn um¬ zudrehen, ihm die Freudigkeit zu zeigen die von Morgenwärts herſchritt. Dadurch hat¬ te Franz der untergegangenen Sonne gegen¬ über, gleichſam eine neuaufgehende darſtel¬ len wollen, der alte Hirte ſollte den jungen beruhigen, und zu ihm ſagen: » Seelig ſind die nunmehr ſterben, denn ſie werden in dem Herrn ſterben! “ Einen ſolchen zarten und troſtreichen und frommen Sinn hatte Franz für den vernünftigen und fühlenden Be¬ ſchauer in ſein Gemählde zu bringen ge¬ ſucht.
121Er hatte es nun vollendet, und ſtand lange nachdenkend und ſtill vor ſeinem Wer¬ ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬ mung die er an ſich nicht gewohnt war, es ängſtigte ihn, von dem theuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit ſo vieler Lie¬ be gearbeitet hatte, Abſchied zu nehmen. Das glänzende Bild der erſten Begeiſterung war während der Arbeit aus ſeiner Seele gänzlich hinweggelöſcht, und er fühlte dar¬ über eine trübe Leere in ſeinem Innern, die er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte. Iſt es nicht genug, ſagte er zu ſich ſelber, daß wir von unſern lebenden Freunden ſcheiden müſſen? müſſen auch noch jene befreundeten Lichter in unſere Seele Abſchied von uns neh¬ men? So gleicht unſer Lebenslauf einem Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren, wo wir halb verrückt ſtets etwas Neues122 einſetzen das uns koſtbar iſt, und niemals keinen Gewinn dafür austauſchen. Es iſt wunderbar, daß unſer Geiſt uns treibt, die innere Entzückung durch das Werk unſrer Hände zu offenbaren, und daß wir, wenn wir vollendet haben, in unſerm Fleiß uns ſelber nicht wieder erkennen.
Das Mahlergeräthe ſtand unordentlich um das Bild herum, die Sonne ſchien glän¬ zend auf den friſchaufgetragenen Firniß, er hörte das tacktmäßige Klappen der Dreſch¬ flegel in den Scheuren, in der Ferne das Vieh auf dem Anger brüllen, und die kleine Dorfglocke gab mit beſcheidenen Schlägen die Zeit des Tages an; alle Thätigkeit, alle menſchliche Arbeit kam ihm in dieſen Augen¬ blicken ſo ſeltſam vor, daß er lächelnd die Hütte verließ, und wieder ſeinem geliebten Walde zueilte, um ſich von der innern Ver¬ wirrung zu erholen.
123Im Walde legte er ſich ins Gras nieder, und ſah über ſich in den weiten Himmel, er überblickte ſeinen Lebenslauf, und ſchäm¬ te ſich daß er noch ſo wenig gethan habe. Er betrachtete jedes Werk eines Künſtlers als ein Monument, das er den ſchönſten Stunden ſeiner Exiſtenz gewidmet habe; um jedes wehen die himmliſchen Geiſter, die dem bildenden Sinn die Entzückungen brach¬ ten, aus jeder Farbe, aus jedem Schatten ſprechen ſie hervor. Ich bin nun ſchon zwei und zwanzig Jahr alt, rief er aus, und noch iſt von mir nichts geſchehen das der Rede würdig wäre; ich fühle nur den Trieb in mir, und meine Muthloſigkeit; der friſche thätige Geiſt meines Lehrers iſt mir nicht