PRIMS Full-text transcription (HTML)
Phantaſus.
Eine Sammlung von Maͤhrchen, Erzaͤhlungen, Schauſpielen und Novellen,
Erſter Band.
Berlin,1812. In der Realſchulbuchhandlung.

An A. W. Schlegel.

(Anſtatt einer Vorrede.)

Es war eine ſchoͤne Zeit meines Lebens, als ich Dich und Deinen Bruder Friederich zuerſt kennen lernte; eine noch ſchoͤnere als wir und Novalis fuͤr Kunſt und Wiſſenſchaft vereinigt lebten, und uns in mannichfaltigen Beſtre - bungen begegneten. Jetzt hat uns das Schick - ſal ſchon ſeit vielen Jahren getrennt. Ich verfehlte Dich in Rom, und eben ſo ſpaͤter in Wien und Muͤnchen, und fortdauernde Krankheit hielt mich ab, Dich an dem Orte Deines Aufenthaltes aufzuſuchen; ich konnte nur im Geiſt und in der Erinnerung mit Dir leben.

Von verſchiedenen Seiten aufgefordert, war ich ſchon ſeit einiger Zeit entſchloſſen, meine jugendlichen Verſuche, die ſich zerſtreut haben, zu ſammeln, diejenigen hinzuzufuͤgen, welche bis jetzt noch ungedruckt waren, und andre zu vollenden und auszuarbeiten, die ich ſchon vor Jahren angefangen, oder ent - worfen hatte. Dieſe Maͤhrchen, Schauſpiele und Erzaͤhlungen, welche alle eine fruͤhere Periode meines Lebens charakteriſiren, verei - nigt durch mannichfaltige Geſpraͤche gleichge - ſinnter Freunde uͤber Kunſt und Literatur, machen den Inhalt dieſes Buches. Man - ches, was ich in dieſen Dialogen nur fluͤch - tig beruͤhren konnte, werde ich an andern Orten beſtimmter darzuſtellen und auszufuͤh - ren ſuchen. Diejenigen Dichtungen, welche ſchon bekannt gemacht waren, erſcheinen hier mit Verbeſſerungen, und in der Summe der ſieben verſchiedenen Abtheilungen wird man eben ſo viele neue, als in den Volksmaͤhr - chen, oder anderswo ſchon abgedruckte, an - treffen. Die groͤßeren Werke, wie der Zer - bino oder die Genoveva ſchließen ſich von dieſer Sammlung aus.

Es war meine Abſicht, meinen Freun - den dieſe Spiele der Phantaſie, die ſie fruͤ - her ſchon guͤtig aufgenommen haben, in einer annehmlichern Geſtalt vorzulegen. Du warſt unter dieſen einer der erſten, die mein Talent erhoben und ermunterten, Dein maͤnn - lich heiterer Sinn findet auch im Scherze den Ernſt, ſo wie er Gelehrſamkeit und gruͤndliche Forſchung durch Anmuth belebt: Du wirſt guͤ - tig dieſe Blaͤtter aufnehmen, die das Bild vo - riger Zeit und Deines Freundes in dir erneuern.

[1]

Einleitung.

I. [I][2][3]

Dieſes romantiſche Gebirge, ſagte Ernſt, erin - nert mich lebhaft an einen der ſchoͤnſten Tage meines Lebens. In der heiterſten Sommerszeit hatte ich die Fahrt uͤber den Lago maggiore ge - macht und die Borromaͤiſchen Inſeln beſucht; von einem kleinen Flecken am See ritt ich dann mit dem fruͤhſten Morgen nach Belinzona, das mit ſeinen Zinnen und Thuͤrmen auf Huͤgeln und im engen Thal ganz alterthuͤmlich ſich dar - ſtellt, und uns alte Sagen und Geſchichten wun - derlich vergegenwaͤrtigt, und von dort reiſete ich am Nachmittage ab, um am folgenden Tage den Weg uͤber den Sankt Gotthard anzutreten. Am Fuße dieſes Berges liegt aͤußerſt anmuthig Giar - nito, und einige Stunden vorher fuͤhrt dich der Weg durch das reizendſte Thal, in welchem Weingebirge und Wald auf das mannigfaltigſte wechſelt, und von allen Bergen große und kleine Waſſerfaͤlle klingend und wie muſizirend nieder - tanzen; immer enger ruͤcken die Felſen zuſam - men, je mehr du dich dem Orte naͤherſt, und endlich ziehn ſich Weinlauben uͤber dir hinweg von Berg zu Berg, und verdecken von Zeit zu4Einleitung.Zeit den Anblick des Himmels. Es wurde Abend, eh ich die Herberge erreichte, beim Sternenglanz, den mir die gruͤnen Lauben oft verhuͤllten, rauſch - ten naͤher und vertraulicher die Waſſerfaͤlle, die ſich in mannigfachen Kruͤmmungen Wege durch das friſche Thal ſuchten; die Lichter des Ortes waren bald nahe, bald fern, bald wieder ver - ſchwunden, und das Echo, das unſere Reden und den Hufſchlag der Pferde wiederholte, das Fluͤſtern der Lauben, das Rauſchen der Baͤume, das Brauſen und Toͤnen der Waſſer, die wie in Freundſchaft und Zorn abwechſelnd naͤher und ferner ſchwazten und zankten, vom Bellen wach - ſamer Hunde aus verſchiedenen Richtungen un - terbrochen, machten dieſen Abend, indem noch die gruͤnenden Borromaͤiſchen Inſeln in meiner Phantaſie ſchwammen, zu einem der wundervoll - ſten meines Lebens, deſſen Muſik ſich oft wa - chend und traͤumend in mir wiederholt. Und wie ich ſagte dieſes romantiſche Gebirge hier erinnert mich lebhaft an den Genuß jener ſchoͤ - nen Tage.

Warum, ſagte ſein Freund Theodor, haſt du nie etwas von deinen Reiſen deinen nahen und fernen Freunden oͤffentlich mittheilen wollen?

Nenn 'es, antwortete jener, Traͤgheit, Zag - haftigkeit, oder wie du willſt: vielleicht auch ruͤhrt es von einem einſeitigen, zu weit getriebenen Ab - ſcheu gegen die meiſten Reiſebeſchreibungen aͤhn - licher Art her, die mir bekannt geworden ſind. 5Einleitung.Wenigſtens ſchwebt mir ein ganz andres Bild einer ſolchen Beſchreibung vor; den aͤltern, un - aͤſthetiſchen laſſe ich ihren Werth: doch jene, in denen Natur und Kunſt und Voͤlker aller Art, nebſt Sitten und Trachten und Staatsverfaſ - ſungen der witzig-philoſophiſchen Eitelkeit des Schriftſtellers, wie Affen zum Tanze, aufgefuͤhrt werden, der ſich in jedem Augenblick nicht ge - nug daruͤber verwundern kann, daß er es iſt, der alle die Gaukeleien mit ſo ſtolzer Demuth beſchreibt, und der ſo weltbuͤrgerlich ſich mit allen dieſen Thorheiten einlaͤßt; o, ſie ſind mir von je ſo widerlich geweſen, daß die Furcht, in ihre Reihe geſtellt, oder gar unvermerkt bei aͤhn - licher Beſchaͤftigung ihnen verwandt zu werden, mich von jedem Verſuche einer oͤffentlichen Mit - theilung abgeſchreckt hat.

Doch giebt es vielleicht, ſagte Theodor, eine ſo ſchlichte und unſchuldige Manier, eine ſo einfache Anſicht der Dinge, daß ich mir wohl nach Art eines Gedichtes die Beſchreibung eines Landes, oder einer Reiſe, denken kann.

Gewiß, ſagte Ernſt, manche der aͤltern Rei - ſen, naͤhern ſich auch dieſem Bilde, und es ver - haͤlt ſich ohne Zweifel damit eben ſo, wie mit der Kunſt zu reiſen ſelbſt. Wie wenigen Menſchen iſt das Talent verliehn, Reiſende zu ſein! Sie verlaſſen niemals ihre Heimath, ſie werden von allem Fremdartigen gedruͤckt und verlegen, oder bemerken es durchaus gar nicht. Wie gluͤcklich,6Einleitung.wem es vergoͤnnt iſt, in erſter Jugend, wenn Herz und Sinn noch unbefangen ſind, eine große Reiſe durch ſchoͤne Laͤnder zu machen, dann tritt ihm alles ſo natuͤrlich und wahr, ſo vertraut wie Geſchwiſter, entgegen, er bemerkt und lernt, ohne es zu wiſſen, ſeine ſtille Begeiſterung um - faͤngt alles mit Liebe, und durchdringt mit freund - lichem Ernſt alle Weſen: einem ſolchen Sinn er - haͤlt die Heimath nachher den Reitz des Frem - den, er verſteht nun einheimiſch zu ſein, das Ferne und Nahe wird ihm eins, und in der Vergleichung mannigfaltiger Gegenſtaͤnde wird ihm ein Sinn fuͤr Richtigkeit. So war es wohl gemeint, wenn man ſonſt junge Edelleute nach Vollendung ihrer Studien reiſen ließ. Der Menſch verſteht wahrhaft erſt das Nahe und Einheimiſche, wenn ihm das Fremde nicht mehr fremd iſt.

An dieſe Reiſenden ſchließe ich mich noch am erſten, ſagte Theodor, wenn du mir auch unaufhoͤrlich vorwirfſt, daß ich meine Reiſen, wie das Leben ſelbſt, zu leichtſinnig nehme. Frei - lich iſt wohl in meiner Sucht nach der Fremde zu viel Widerwille gegen die gewohnte Umgebung, und ſehr oft iſt es mir mehr um den Wechſel der Gegenſtaͤnde, als um irgend eine Belehrung zu thun.

Die zweite und vielleicht noch ſchoͤnere Art zu reiſen, fuhr Ernſt fort, iſt jene, wenn die Reiſe ſelbſt ſich in eine andaͤchtige Wallfahrt7Einleitung.verwandelt, wenn die jugendliche Neugier und die ſcharfe Luſt an fremden Gegenſtaͤnden ſchon gebrochen ſind, wenn ein reifes Gemuͤth mit Kenntniß und Liebe gleich ſehr erfuͤllt, an die Ruinen und Grabmaͤler der Vorzeit tritt, die Natur und Kunſt wie die Erfuͤllung eines oft getraͤumten Traums begruͤßt, auf jedem Schritte alte Freunde findet, und Vorwelt und Gegen - wart in ein großes, ruͤhrend erhabenes Gemaͤlde zerfließen.

Dieſe elegiſchen Stimmungen wuͤrden mich nur aͤngſtigen, unterbrach ihn Theodor. Ihr andern, ihr ernſthaften Leute, verbindet ſo wi - derwaͤrtige Begriffe mit dem Zerſtreutſein, da es doch in einfachen Menſchen oft nur das wahre Beiſammenſein mit der Natur iſt, wie mit einem frohen Spielkameraden; eure Sammlung, euer tiefes Eindringen ſehr haͤufig eine unermeßliche Ferne. Auf welche Weiſe aber, mein Freund, wuͤrdeſt du deine Anſicht uͤber dergleichen Gegen - ſtaͤnde mittheilen, im Fall du einmal deinen Wi - derwillen kuͤnftig etwas mehr bezwingen ſollteſt.

Schon fruͤh, ſagte Ernſt, bevor ich noch die Welt und mich kennen gelernt hatte, war ich mit meiner Erziehung, ſo wie mit allem Un - terricht, den ich erfuhr, herzlich unzufrieden. War es doch nicht anders, als verſchwiege man ge - fliſſentlich das, was wiſſenswuͤrdig ſei, oder er - waͤhnte es zuweilen nur, um mit hochmuͤthigem Verhoͤhnen das zu erniedrigen, was ſelbſt in die -8Einleitung.ſer Entſtellung mein junges Herz bewegte. Da - fuͤr aber ſuchte ich nachher auch, gleichſam wie zum Trotz der Zeit in dieſer falſchen Bildung, alles als ein Befreundetes und Verwandtes auf, was mir meine Buͤcher und Lehrer nur zu oft als das Abgeſchmackte, Dunkle und Widerwaͤr - tige bezeichnet hatten; ich berauſchte mich auf meinem erſten Ausfluge in allen Erinnerungen des Alterthums, begeiſterte mich an den Denk - malen einer laͤngſt verloſchenen Liebe, ja that wohl manchem Guten und Nuͤtzlichen mit erwie - dertem Verfolgungsgeiſt unrecht, und ſtand bald unter meiner Umgebung ſelbſt wie eine unver - ſtaͤndliche Alterthuͤmlichkeit, indem ich ihr Nicht - begreifen nicht begriff, und verzweifeln wollte, daß allen andern der Sinn und die Liebe ſo gaͤnz - lich fehlten, die mich bis zum Schmerzhaften er - regten und ruͤhrten.

Freilich, fiel Theodor lachend ein, erſchienſt du damals mit deiner Bekehrungsſucht als ein hoͤchſt wunderlicher Kauz, und ich erinnere mich noch mit Freuden des Tages, als wir uns vor vielen Jahren zuerſt in Nuͤrnberg trafen, und wie einer deiner ehemaligen Lehrer, der dich dort wieder aufgeſucht hatte, und fuͤr alles Nuͤtzliche, Neue, Fabrikartige faſt fantaſtiſch begeiſtert war, dich aus den dunkeln Mauern nach Fuͤrth fuͤhrte, wo er in den Spiegelſchleifereien, Knopf - Manufakturen und allen klappernden und rumo - renden Gewerben wahrhaft ſchwelgte, und dein9Einleitung.Nichtachten ebenfalls nicht begriff und dich faſt fuͤr ſchlechten Herzens erklaͤrt haͤtte, da er dich nicht ſtumpfſinnig nennen wollte: endlich, bei den Goldſchlaͤgern, lebteſt du zu ſeiner Freude wieder auf, es geſchah aber nur, weil du hier die Gelegenheit hatteſt, dir die Pergamentblaͤt - ter zeigen zu laſſen, die zur Arbeit gebraucht wer - den; du bedauerteſt zu ſeinem Verdruß ſogar die zerſchnittenen Meßbuͤcher, und wuͤhlteſt herum, um vielleicht ein Stuͤck eines altdeutſchen Ge - dichtes zu entdecken, wofuͤr der aufgeklaͤrte Leh - rer kein Blaͤttchen Goldſchaum aufgeopfert haͤtte.

Es iſt gut, ſagte Ernſt, daß die Menſchen verſchieden denken und ſich auf mannigfaltige Weiſe intereſſiren, doch war die ganze Welt da - mals zu einſeitig auf ein Intereſſe hingeſpannt, das ſeitdem auch ſchon mehr und mehr als Irr - thum erkannt iſt. Dieſes Nord-Amerika von Fuͤrth konnte mir freilich wohl neben dem alt - buͤrgerlichen, germaniſchen, kunſtvollen Nuͤrnberg nicht gefallen, und wie ſehnſuͤchtig eilte ich nach der geliebten Stadt zuruͤck, in der der theure Duͤrer gearbeitet hatte, wo die Kirchen, das herrliche Rathhaus, ſo manche Sammlungen, Spuren ſeiner Thaͤtigkeit, und der Johannis - Kirchhof ſeinen Leichnam ſelber bewahrte; wie gern ſchweifte ich durch die krummen Gaſſen, uͤber die Bruͤcken und Plaͤtze, wo kuͤnſtliche Brun - nen, Gebilde aller Art, mich an eine ſchoͤne Pe - riode Deutſchlands erinnerten, ja! damals noch10Einleitung.die Haͤuſer von außen mit Gemaͤhlden von Rie - ſen und alt deutſchen Helden geſchmuͤckt waren.

Doch ſagte Theodor, wird das jetzt alles dort, ſo wie in andern Staͤdten, von Geſchmack - vollen angeſtrichen, um, wie der Dichter ſagt: zu mahlen auf das Weiß, ihr Antlitz oder ihren Steiß. Allein Fuͤrth war auch bei alle dem mit ſeinen geputzten Damen, die gedraͤngt am Jahrmarktsfeſt durch die Gaſſen wandelten, nebſt dem guten Wirthshauſe, und der Ausſicht aus den Straßen in das Gruͤn an jenem war - men ſonnigen Tage nicht ſo durchaus zu verach - ten. Behuͤte uns uͤberhaupt nur der Himmel, (wie es ſchon hie und da angeklungen hat) daß dieſelbe Liebe und Begeiſterung, die ich zwar in dir als etwas Aechtes anerkenne, nicht die Thor - heit einer juͤngeren Zeit werde, die dich dann mit leeren Uebertreibungen weit uͤberfluͤgeln moͤchte.

Wenn nur das wahrhaft Gute und Große mehr erkannt und ins Bewußtſein gebracht wird, ſagte Ernſt, wenn wir nur mehr ſammeln und lernen, und jene Vorurtheile der neuern Hoffarth ganz ablegen, und die Vorzeit und alſo das Vaterland wahrhafter und inniger lieben, ſo kann der Nachtheil einer ſich bald erſchoͤpfenden Thor - heit ſo groß nicht werden. In jenen jugend - lichen Tagen, als ich zuerſt deine Freundſchaft gewann, gerieth ich oft in die wunderlichſte Stim - mung, wenn ich die Beſchreibungen unſers Va - terlandes, die gekannt und geruͤhmt waren, und11Einleitung.welche auf allgemein angenommenen Grundſaͤtzen ruhten, mit dem Deutſchland verglich, wie ich es mit meinen Augen und Empfindungen ſah; je mehr ich uͤberlegte, nachſann und zu lernen ſuchte, je mehr wurde ich uͤberzeugt, es ſei von zwei ganz verſchiedenen Laͤndern die Frage, ja unſer Vaterland ſei uͤberall ſo unbekannt, wie ein tief in Aſien oder Afrika zu entdeckendes Reich, von welchem unſichre Sagen umgingen, und das die Neugier unſrer wißbegierigen Lands - leute eben ſo, wie jene mythiſchen Gegenden reizen muͤſſe; und ſo nahm ich mir damals, in jener Fruͤhlingsſtimmung meiner Seele, vor, der Entdecker dieſer unbekannten Zonen zu werden. Auf dieſe Weiſe bildete ſich in jenen Stunden in mir das Ideal einer Reiſebeſchreibung durch Deutſchland, das mich auch ſeitdem noch oft uͤberſchlichen und mich gereizt hat, einige Blaͤt - ter wirklich nieder zu ſchreiben. Doch jetzt koͤnnt 'ich leider Elegien dichten, daß es nun auch zu jenen Elegien zu ſpaͤt iſt.

Einige Toͤne dieſer Elegie, ſagte Theodor, klingen doch wohl in den Worten des Kloſter - bruders.

Am fruͤhſten, ſagte Ernſt, in den wenigen Zeilen unſers Dichters uͤber den Muͤnſter in Straßburg, die ich niemals ohne Bewegung habe leſen koͤnnen, dann in den Blaͤttern von deut - ſcher Art und Kunſt; in neueren Tagen hat unſer Freund, Friedrich Schlegel, mit Liebe an das12Einleitung.deutſche Alterthum erinnert, und mit tiefem Sinn und Kenntniß manchen Irrthum entfernt, auch hat ſich die Stimmung unſrer Zeit auffallend zum Beſſern veraͤndert, wir achten die deutſche Vorzeit und ihre Denkmaͤler, wir ſchaͤmen uns nicht mehr, wie ehemals, Deutſche zu ſein, und glauben nicht unbedingt mehr an die Vorzuͤge fremder Nationen, das oͤkonomiſche Treiben, die Verehrung kleinlicher Liſt, die Vergoͤtterung der neuſten Zeit iſt faſt erſtorben, eine hoͤhere Sehn - ſucht hat unſern Blick in die Vergangenheit ge - ſchaͤrft, und Ungluͤck fuͤr vergangene große Jahr - hunderte den edlern Sinn in uns aufgeſchloſſen. In jenen fruͤheren Tagen aber hatten wir noch mehr Ueberreſte der alten Zeit ſelbſt vor uns, man fand noch Kloͤſter, geiſtliche Fuͤrſtenthuͤmer, freie Reichsſtaͤdte, viele alte Gebaͤude waren noch nicht abgetragen oder zerſtoͤrt, altdeutſche Kunſt - werke noch nicht verſchleppt, manche Sitte noch aus dem Mittelalter heruͤber gebracht, die Volks - feſte hatten noch mehr Charakter und Froͤhlich - keit, und man brauchte nur wenige Meilen zu reiſen, um andre Gewohnheiten, Gebaͤude und Verfaſſungen anzutreffen. Alle dieſe Mannigfal - tigkeit zu ſehn, zu fuͤhlen und in ein Gemaͤhlde darzuſtellen war damals mein Vorſatz, was unſre Nation an eigenthuͤmlicher Mahlerei, Sculptur und Architektur beſitzt, welche Sitten und Ver - faſſungen jeder Provinz und Stadt eigen, und wie ſie entſtanden, zu erforſchen, um den Miß -13Einleitung.verſtaͤndniſſen der neuern kleinlichen Geſchicht - ſchreiber zu begegnen; welche Natur jeden Men - ſchenſtamm umgiebt, ihn bildet und von ihm ge - bildet wird: alles dieſes ſollte wie in einem Kunſtwerke geloͤſt und ausgefuͤhrt werden. Den edlen Stamm der Oeſterreicher wollte ich gegen den Unglimpf jener Tage vertheidigen, die in ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden Bergen den alten Frohſinn bewahren; die krie - geriſchen und fromm glaͤubigen Bayern loben, die freundlichen, ſinnvollen, erfindungsreichen Schwaben im Garten ihres Landes ſchildern, von denen ſchon ein alter Dichter ſingt:

Ich hab der Schwaben Wuͤrdigkeit
In fremden Landen wohl erfahren;

die beruhrigen, muntern Franken, in ihrer roman - tiſchen, vielfach wechſelnden Umgebung, denen damals ihr Bamberg ein deutſches Rom war; die geiſtvollen Voͤlker den herrlichen Rhein hin - unter, die biederben Heſſen, die ſchoͤnen Thuͤrin - ger, deren Waldgebirge noch die Geſtalt und den Blick der alten Ritter aufbewahren; die Niederdeutſchen, die dem treuherzigen Hollaͤnder und ſtarken Englaͤnder aͤhnlich ſind: bei jeder merkwuͤrdigen Stelle unſrer vaterlaͤndiſchen Erde wollte ich an die alte Geſchichte erinnern, und ſo dachte ich die lieben Thaͤler und Gebirge zu durchwandeln, unſer edles Land, einſt ſo bluͤhend und groß, vom Rhein und der Donau und alten Sagen durchrauſcht, von hohen Bergen und alten14Einleitung.Schloͤſſern und deutſchem tapfern Sinn beſchirmt, gekraͤnzt mit den einzig gruͤnen Wieſen, auf denen ſo liebe Traulichkeit und einfacher Sinn wohnt. Gewiß, wem es gelaͤnge, auf ſolche Weiſe ein geliebtes Vaterland zu ſchildern, aus den unmittelbarſten Gefuͤhlen, der wuͤrde ohne alle Affektation zugleich ein hinreißendes Dich - terwerk erſonnen haben.

Oft, fiel Theodor ein, habe ich mich dar - uͤber wundern muͤſſen, daß wir nicht mit mehr Ehrfurcht die Fußſtapfen unſrer Vorfahren auf - ſuchen, da wir vor allem Griechiſchen und Roͤ - miſchen, ja vor allem Fremden oft mit ſo heili - gen Gefuͤhlen ſtehn und uns durch edle Erinn - rungen entzuͤckt fuͤhlen; ſo wie auch daruͤber, daß unſre Dichter noch ſo wenig gethan haben, dieſen Geiſt zu erwecken.

Manche, ſagte Ernſt, haben es eine Zeit - lang verſucht, aber ſchwach, viele verkehrt, und ein hoher Sinn, der Deutſchland ſo liebte und einheimiſch war, wie der große Shakſpear ſeinem Vaterlande, hat uns bisher noch gefehlt.

Wir vergeſſen aber, rief Theodor, die herr - liche Gegend zu genießen, auf die Voͤgel aus dem Dickicht des Waldes und auf das Gemur - mel dieſer lieblichen Baͤche zu horchen.

Alles toͤnt auch unbewußt in unſre Seele hinein, ſagte Ernſt; auch wollten wir ja noch die ſchoͤne Ruine beſteigen, die dort ſchon vor uns liegt, und auch mit jedem Jahre mehr ver -15Einleitung.faͤllt: hier arbeitet die Zeit, anderswo die Nach - laͤſſigkeit der Menſchen, an vielen Orten der ver - achtende Leichtſinn, der ganze Gebaͤude nieder - reißt, oder ſie verkauft, um alles Denkmal im - mer mehr dem Staube und der Vergeſſenheit zu uͤberliefern; indeß, wenn der Sinn dafuͤr nur um ſo mehr erwacht, um ſo mehr in der Wirk - lichkeit zu Grunde geht, ſo haben wir doch mehr gewonnen als verloren.

Iſt dieſe Gegend nicht, durch welche wir wandeln, fing Theodor an, einem ſchoͤnen roman - tiſchen Gedichte zu vergleichen? Erſt wand ſich der Weg labyrinthiſch auf und ab durch den dich - ten Buchenwald, der nur augenblickliche raͤthſel - hafte Ausſicht in die Landſchaft erlaubte: ſo iſt die erſte Einleitung des Gedichtes; dann gerie - then wir an den blauen Fluß, der uns ploͤtzlich uͤberraſchte und uns den Blick in das unvermu - thete friſch gruͤne Thal goͤnnte: ſo iſt die ploͤtz - liche Gegenwart einer innigen Liebe; dann die hohen Felſengruppen, die ſich edel und majeſtaͤ - tiſch erhuben und hoͤher bis zum Himmel wuch - ſen, je weiter wir gingen: ſo treten in die alten Erzaͤhlungen erhabene Begebenheiten hinein, und lenken unſern Sinn von den Blumen ab; dann hatten wir den großen Blick auf ein weit aus - gebreitetes Thal, mit ſchwebenden Doͤrfern und Thuͤrmen auf ſchoͤn geformten Bergen in der Ferne, wir ſahen Waͤlder, weidende Heerden, Huͤtten der Bergleute, aus denen wir das Ge -16Einleitung.toͤſe heruͤber vernahmen: ſo oͤffnet ſich ein gro - ßes Dichterwerk in die Mannigfaltigkeit der Welt und entfaltet den Reichthum der Charaktere; nun traten wir in den Hain von verſchiedenem duftenden Gehoͤlz, in welchem die Nachtigall ſo lieblich klagte, die Sonne ſich verbarg, ein Bach ſo leiſe ſchluchzend aus den Bergen quoll, und murmelnd jenen blauen Strom ſuchte, den wir ploͤtzlich, um die Felſenecke biegend, in aller Herrlichkeit wieder fanden: ſo ſchmilzt Sehnſucht und Schmerz, und ſucht die ver - wandte Bruſt des troͤſtenden Freundes, um ſich ganz, ganz in deſſen lieblich erquickende Fuͤlle zu ergießen, und ſich in triumphirende Woge zu verwandeln. Wie wird ſich dieſe reizende Land - ſchaft nun ferner noch entwickeln? Schon oft habe ich Luſt gefuͤhlt, einer romantiſchen Muſik ein Gedicht unterzulegen, oder gewuͤnſcht, ein genialiſcher Tonkuͤnſtler moͤchte mir voraus arbei - ten, um nachher den Text ſeiner Muſik zu ſuchen; aber wahrlich, ich fuͤhle jetzt, daß ſich aus ſol - chem Wechſel einer anmuthigen Landſchaft eben - falls ein reizendes erzaͤhlendes Gedicht entwickeln ließe.

Zu wiederholten malen, erwiederte Ernſt, hat mich unſer Freund Manfred mit dergleichen Vorſtellungen unterhalten, und indem du ſprachſt dachte ich an den unvergleichlichen Parceval und ſeine Krone, den Titurell. Jeder Spaziergang, der uns befriedigt, hat in unſrer Seele ein Ge -dicht17Einleitung.dicht abgeloͤſet, und wiederholt und vollendet es, wenn er uns immer wieder mit unſichtbarem Zauber umgiebt.

Sehn wir die Entwickelung der romanti - ſchen Verſchlingung! rief Theodor; Wald und Fluß verſchwinden links, unſer Weg zieht ſich rechts, und viele kleine Waſſerfaͤlle rauſchen aus buſchigen Huͤgeln hervor, und tanzen und jauch - zen wie muntre Nebenperſonen zur Wieſe hinab, um jenem ſchluchzenden Bach zu widerſprechen, und in Freude und Luſt den glaͤnzenden Strom aufzuſuchen, den ſchon die Sonne wieder be - ſcheint, und der ſo laͤchelnd zu ihnen heruͤber winkt.

Sieh doch, rief Ernſt, wenn mein geuͤbtes Auge etwas weniger ſcharf waͤre, ſo koͤnnte ich mich uͤberreden, dort ſtaͤnde unſer Freund An - ton! aber ſeine Stellung iſt matter und ſein Gang ſchwankender.

Nein, rief Theodor, dein Auge iſt nicht ſcharf genug, ſonſt wuͤrdeſt du keinen Augen - blick zweifeln, daß er es nicht ſelbſt in eigner Perſon ſein ſollte! Sieh, wie er ſich jetzt buͤckt, und mit der Hand Waſſer ſchoͤpft, nun ſchuͤttelt er die Tropfen ab und dehnt ſich; ſieh, nur er allein kann nun mit ſolchem leutſeligen Anſtande die Naſe in die Sonne halten, und ſein Auge hat uns auch ſchon gefunden!

Die Freunde, die ſich lange nicht geſehn hatten, und ſich in ſchoͤner Einſamkeit ſo unver -I. [2]18Einleitung.muthet wieder fanden, eilten mit frohem Ausruf auf einander zu, umarmten ſich, thaten tauſend Fragen und erwarteten keine Antwort, druͤckten ſich wieder an die Bruſt und genoſſen im Tau - mel ihrer freudigen Verwunderung immer wieder die Luſt der Ueberraſchung. O der Freude, dich wieder zu haben, rief Theodor aus, du lieber, lieber Freund! Wie faͤllſt du ſo unvermuthet (doch brauchts ja keine Motive) aus dieſen allerlieb - ſten Epiſoden hier in unſre Haupthandlung und Wandlung hinein!

Aber du ſiehſt matt und krank aus, ſagte Ernſt, indem er ihn mit Wehmuth betrachtete.

So iſt es auch, erwiederte Anton, ich habe mich erſt vor einigen Wochen vom Krankenlager erhoben, fuͤhlte heut zum erſtenmal die Schoͤn - heit der Natur wieder, und ließ mir nicht traͤu - men, daß ihr wie aus dem Himmel noch heut in meinen Himmel fallen wuͤrdet. Aber ſeid mir tauſend und tauſendmal willkommen!

Man ging, man ſtand dann wieder ſtill, um ſich zu betrachten, ſich zu befragen, und jeder erkundigte ſich nun nach den Geſchaͤften, nach den Abſichten des andern. Meine Reiſe, ſagte Ernſt, hat keinen andern Entzweck, als mich in der Naͤhe, nur einige Meilen von hier, uͤber einige alte, ſogenannte gothiſche Gebaͤude zu unterrichten, und dann in der Stadt ein alt - deutſches Gedicht aufzuſuchen.

Und ich, ſagte Theodor, bin meiner Gewohn -19Einleitung.heit nach nur ſo mitgenommen worden, weil ich eben weder etwas zu thun, noch zu verſaͤumen hatte.

Ich beſuche unſern Manfred, ſagte Anton, der mich auf ſein ſchoͤnes Landgut, ſieben Mei - len von hier, eingeladen hat, da er von meiner Krankheit und Geneſung Nachricht bekommen.

Wohnt der jetzt in dieſem Gebirge? fragte Ernſt.

Ihr wißt alſo nicht, fuhr Anton fort, daß er ſchon ſeit mehr als zwei Jahren verheirathet iſt und hier wohnt?

Manfred verheirathet? rief Theodor aus; er, der ſo viel gegen alle Ehe deklamirt, ſo uͤber alle geprieſene Haͤuslichkeit geſpottet hat, der es zu ſeiner Aufgabe zu machen ſchien, das Phan - taſtiſche mit dem wirklichen Leben aufs innigſte zu verbinden, der vor nichts ſolchen Abſcheu aͤu - ßerte, als vor jener geſetzten, kaltbluͤtig morali - ſchen Philiſterei? Wie iſt es moͤglich? Ei! der mag ſich denn nun auch ſchoͤn veraͤndert haben! Gewiß hat ihn das Dreherchen der Zeit ſo um - gedreht, daß er nicht wieder zu erkennen iſt.

Vielleicht, ſagte Ernſt, konnte es ihm gera - de am erſten gelingen, die Jugend beizubehal - ten, in welcher er ſich ſcheinbar ſo wild beweg - te, denn ſein Charakter neigte immer zum Ernſt, und eben darum war ſein Widerwille gegen den geheuchelten, laͤppiſchen Ernſt unſerer Tage oft ſo grotesk und bizarr: bei manchen Menſchen20Einleitung.dient eine wunderliche Außenſeite nur zum noth - wendigen Gegengewicht eines gehaltvollen, oft faſt melankoliſchen Innern, und zu dieſen ſcheint mir unſer Freund zu gehoͤren.

Ich habe ihn ſchon im vorigen Jahre geſehn, ſagte Anton, und ihn gar nicht veraͤndert gefun - den, er iſt eher juͤnger geworden; ſeine Haus - haltung mit ſeiner Frau und ihrer juͤngern Schweſter Clara, mit ſeiner eignen Schweſter und Schwiegermutter iſt die liebenswuͤrdigſte, die ich noch geſehn habe, ſo wie ſein Landgut die ſchoͤnſte Lage im ganzen Gebirge hat: ihr thaͤtet klug, mich dahin zu begleiten, was ſich auch ſehr gut mit deinen gelehrten antiquariſchen Unterſuchungen vereinigen laͤßt.

Er muß! rief Theodor, oder ich laß ihn im Stich der gothiſchen, oder, wie er will, alt - deutſchen Spitzgewoͤlbe.

Daruͤber laͤßt ſich noch ſprechen, ſagte Ernſt halb zweifelnd; da ihm aber Anton noch erzaͤhlte, daß ſie im naͤchſten Staͤdtchen die beiden laͤngſt geſuchten Freunde Lothar und Friedrich finden wuͤrden, die ihn erwarteten, um mit ihm zum gemeinſchaftlichen Freunde Manfred zu reiſen, und ſich einige Wochen bei dieſem aufzuhalten, ſo ließ ſich Ernſt bewegen, ſeine Antiquitaͤten, auch noch ſo lange beiſeit zu thun, um nach vielen Jahren einmal wieder im Kreiſe ſeiner Geliebten eine neue Jugend zu leben, und die alten theuern Erinnerungen ſeinem Herzen zu erwecken.

21Einleitung.

Die Freunde wanderten weiter, und nach geraumer Zeit fragte Theodor: wie haſt du nur ſo lange krank ſein koͤnnen?

Verwundre dich doch lieber, antwortete der Kranke, wie ich ſo bald habe geneſen koͤnnen, denn noch iſt es mir ſelber unbegreiflich, daß meine Kraͤfte ſich ſo ſchnell wieder hergeſtellt haben.

Wie wird ſich der gute Friedrich freuen, ſagte Theodor, dich einmal wieder zu ſehn; denn immer warſt du ihm unter ſeinen Freunden der liebſte.

Sagt vielmehr, antwortete der Geneſene, daß wir uns in manchen Punkten unſers Weſens am innigſten beruͤhrten und am beſten verſtanden; denn, meine Geliebten, man lebt, wenn man das Gluͤck hat, mehre Freunde zu beſitzen, mit jedem Freunde ein eignes, abgeſondertes Leben; es bil - den ſich mannichfache Kreiſe von Zaͤrtlichkeit und Freundſchaft, die wohl die Gefuͤhle der Liebe zu andern in ſich aufnehmen und harmoniſch mit ihnen fortſchwingen, dann aber wieder in die alte eigenthuͤmliche Bahn zuruͤck kehren, daher eben ſo wie mir der Vertrauteſte in vielen Ge - ſinnungen fremd bleibt, ſo hebt eben derſelbe auch vieles Dunkle in meiner eignen Natur bloß durch ſeine Gegenwart hervor, und macht es licht, ſein Geſpraͤch, wenn es dieſe Punkte trifft, erweckt es zum klarſten innigſten Leben, und eben ſo wirkt meine Gegenwart auf ihn zu - ruͤck. Vielleicht war manches in Friedrich und22Einleitung.mir, was ihr uͤbrigen mißverſtandet, was ſich in uns ergaͤnzte und durch unſre Freundſchaft zum Bewußtſein gedieh, ſo daß wir uns man - cher Dinge wohl ſogar erfreuten, die andre uns lieber haͤtten abgewoͤhnen moͤgen.

Was du da ſagſt iſt ſehr wahr, fuͤgte Ernſt hinzu, der Menſch, der uͤberhaupt das Leben und ſich verſteht wird mit jedem ſeiner Freunde ein eignes Vertrauen, eine andre Zaͤrtlichkeit fuͤh - len und uͤben wollen. O das iſt ja eben das Himmliſche der Freundſchaft, ſich im geliebten Gegenſtande ganz zu verlieren, neben dem Ver - wandten ſo viel Fremdartiges, Geheimnißvolles ahnden, mit herzlichem Glauben und edler Zu - verſicht auch das Nichtverſtandne achten, durch dieſe Liebe Seele zu gewinnen und Seele dem Geliebten zu ſchenken! Wie roh leben diejeni - gen, und verletzen ewig ſich und den Freund, die ſo ganz und unbedingt ſich verſtehn, beurthei - len, abmeſſen, und dadurch nur ſcheinbar ein - ander angehoͤren wollen! das heißt Baͤume faͤl - len, Huͤgel abtragen und Baͤche ableiten, um allenthalben flache Durchſicht, Mittheilung und Verknuͤpfung zu gewinnen, und einen ſchoͤnen romantiſchen Park deshalb verderben. Nicht fruͤh genug kann der Juͤngling, der ſo gluͤcklich iſt, einen Freund zu gewinnen, ſich von dieſer ſelbſti - ſchen Forderung unſrer roheren Natur, von die - ſem Mißverſtaͤndniß der jugendlichen Liebe ent - woͤhnen.

23Einleitung.

Was du da beruͤhrſt, ſagte Anton, beruͤhrt zugleich die Wahrheit, daß es nicht nur erlaubt, ſondern faſt nothwendig ſei, daß Freunde vor einander Geheimniſſe haben, ja es erklaͤrt gewiſ - ſermaßen die ſeltſame Erſcheinung, daß man dem einen Freunde wohl etwas anvertrauen mag, was man gern dem verſchweigt, mit dem man vielleicht in noch vertrautern Verhaͤltniſſen lebt. Es iſt eine Kunſt in der Freundſchaft wie in allen Dingen, und vielleicht daher, daß man ſie nicht als Kunſt erkennt und treibt, entſpringt der Mangel an Freundſchaft, uͤber welchen alle Welt jetzt klagt.

Hier kommen wir ja recht, rief Theodor leb - haft aus, in das Gebiet, in welchem unſer Friedrich ſo gerne wandelt! Ihn muß man uͤber dieſe Gegenſtaͤnde reden hoͤren, denn er verlangt und ſieht allenthalben Geheimniß, das er nicht geſtoͤrt wiſſen will, denn es iſt ihm das Element der Freundſchaft und Liebe. Verarge doch dem Freunde nicht, ſprach er einmal, wenn du ahn - deſt, daß er dir etwas verbirgt, denn dies iſt ja nur der Beweis einer zaͤrteren Liebe, einer Scheu, die ſich aͤngſtlich um dich bewirbt, und ſittſam an dich ſchmiegt; o ihr Liebenden, ver - geßt doch niemals, wie viel ihr wagt, wenn ihr ein Gefuͤhl dem Worte anvertrauen wollt! was laͤßt ſich denn uͤberall in Worten ſagen? Iſt doch fuͤr vieles ſchon der Blick zu ungeiſtig und koͤrperlich! O Bruͤder, Engelherzen, wie24Einleitung.viel thoͤrichtes Zeug wollen wir mit einander ſchwatzen!

Thoͤricht? ſagte Anton etwas empfindlich; ja freilich, wie alles thoͤricht iſt, was das Ma - terielle zu verlaſſen ſtrebt, und wie die Liebe ſelbſt in dieſer Hinſicht Krankheit zu nennen iſt, wie Novalis ſo ſchoͤn ſagt. Haſt du noch nie ein Wort bereut, daß du ſelbſt in der vertrauteſten Stunde dem vertrauteſten Freunde ſagteſt? Nicht, weil du ihn fuͤr einen Verraͤther halten konnteſt, ſondern weil ein Gemuͤthsgeheimniß nun in einem Elemente ſchwebte, das ſo leicht ſeine rohe Natur dagegen wenden kann: ja du trauerſt wohl ſelbſt uͤber manches, das der Freund in dein Herz nie - der legen will, und das Wort klingt ſpaͤterhin mißmuͤthig und disharmoniſch in deiner inner - ſten Seele wieder. Oder verſtehſt du dies ſo gar nicht und haſt es nie erlebt?

Nicht boͤſe, du lieber Kranker, ſagte Theo - dor, indem er ihn umarmte; du kennſt ja meine Art. Schatz, warſt du denn nicht eben einver - ſtanden daruͤber, daß es unter Freunden Miß - verſtaͤndniſſe geben muͤſſe? dieſe meine Dumm - heit iſt auch ein Geheimniß, glaubt es nur, das ihr auf eine etwas zartere Art ſolltet zu ahnden oder zu entwirren ſtreben.

Alle lachten, worauf Anton ſagte: das Lachen wird mir noch beſchwerlich und greift mich an, ich werde muͤde und matt in unſre Herberge ankom - men. Er ſchoͤpfte hierauf wieder aus einem25Einleitung.voruͤberrollenden Bache etwas Waſſer, um ſich zu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm Ernſt anbot, indem er ſagte: ihr koͤnnt es nicht wiſſen, wie erquickend, wie paradieſiſch dem Gene - ſenden die kuͤhle Woge iſt, ſchon indem ſie mein Auge ſieht und mein Ohr murmeln hoͤrt, bin ich entzuͤckt, ja Gedanken von friſchen Waͤldern und Waſſern, von kuͤhlenden Schatten ſaͤuſeln immer - fort anmuthig durch mein ermattendes Gemuͤth und faͤcheln ſehnſuchtvoll die Hitze, die immer noch dort brennt. Viel zu koͤrperlich und ſchwer iſt dieſer ſuͤße, ſonſt ſo labende Wein, zu heiß und duͤrr, und wuͤrde mir alle Traͤume meines Innern in ihrem lieblichen Schlummer ſtoͤren.

Jeder nach ſeinem Geſchmack, ſagte Theo - dor, indem er einen herzhaften Trunk aus der Flaſche that; es lebe die Verſchiedenheit der Geſin - nungen! Womit aber haſt du dich in deiner Krankheit beſchaͤftigen koͤnnen?

Der Arzt verlangte, ſagte Anton, ich ſollte mich durchaus auf keine Weiſe beſchaͤftigen, wie denn die Aerzte uͤberhaupt Wunder von den Kran - ken fodern; ich weiß nicht, welche Vorſtellungen der meinige von den Buͤchern haben mußte, denn er war hauptſaͤchlich gegen das Leſen eingenom - men, er hielt es in meinem Zuſtande fuͤr eine Art von Gift, und doch bin ich uͤberzeugt, daß ich dem Leſen zum Theil meine Geneſung zu dan - ken habe.

Unmoͤglich, ſagte Ernſt, kann im Zuſtand26Einleitung.des Fiebers, des Ueberreizes und der Abſpan - nung dieſe Anſtrengung eine heilſame ſein, und ich fuͤrchte, dein Arzt hat nur zu ſehr Recht gehabt.

Was Recht! rief Anton aus; er hatte einen ganz falſchen Begriff von der deutſchen Litera - tur, ſo wie von meiner Kunſt des Leſens, denn ich huͤtete mich wohl von ſelbſt vor allem Vor - trefflichen, Hinreißenden, Pathetiſchen und Spe - kulativen, was mir in der That haͤtte uͤbel bekom - men koͤnnen; ſondern ich wandte mich in jene anmuthige Gegend, die von den Kunſtverſtaͤndi - gen meiſtentheils zu ſehr verachtet und vernach - laͤſſigt wird, in jenen Wald voll aͤcht einheimi - ſcher und patriotiſcher Gewaͤchſe, die mein Ge - muͤth gelinde dehnten, gelinde mein Herz beweg - ten, ſtill mein Blut erwaͤrmten, und mitten im Genuß ſanfte Ironie und gelinde Langeweile zulie - ßen. Ich verſichre euch, einen Tempel der Dank - barkeit moͤcht 'ich ihnen geneſend widmen; und wie viele auch vortrefflich ſein moͤgen, ſo waren es doch hauptſaͤchlich drei Autoren, die ich ſtudirt und ihre Wirkungen beobachtet habe.

Ich bin begierig, ſagte Ernſt.

Als ich am ſchwaͤchſten und gefaͤhrlichſten war, fuhr Anton fort, begann ich ſehr weislich, gegen des Arztes ausdruͤckliches Verbot, mit un - ſerm deutſchen La Fontaine. Denn ohne alles Leſen aͤngſtigten mich meine Gedanken, die Trauer uͤber meine Krankheit, tauſend Plane und Vor -27Einleitung.ſtellungen ſo ab, daß ich in jener anbefohlnen Muße haͤtte zu Grunde gehen muͤſſen. Kann man nun laͤugnen, daß dieſer Autor nicht manches wahr und gut auffaßt, daß er manche Zuſtaͤnde, wie Charaktere, treffend ſchildert, und daß die meiſten ſeiner Buͤcher ſich durch eine gewiſſe Rein - lichkeit der Schreibart empfehlen? Ohne alle Iro - nie ſei es geſagt, viele ſeiner kleinen Erzaͤhlun - gen haben mich wahrhaft ergoͤtzt und befriedigt. Seine groͤßeren Werke, denen die meiſten dieſer guten Eigenſchaften abgehn, erſetzen dieſen Man - gel durch die unerſchoͤpfliche Liebe, die ſchon in Kinderſeelen heroiſch arbeitet, durch einige Ver - fuͤhrer im großen Styl und anſehnliche Graͤuel, oder gar durch Kunſturtheile, die mich vorzuͤglich inniglich erfreuten, und die er leider ſeinen Buͤ - chern nur zu ſelten einſtreut. Wie war ich hin - geriſſen, als ich in einem ſeiner Romane an die ausgefuͤhrte Meinung gerieth, mit welcher er den Hogarth uͤber Rafael ſetzt. Ja, meine Freunde, es giebt gewiſſe Vorſtellungen, die unmittelbar uns Elaſticitaͤt des Koͤrpers und der Seele zu - fuͤhren, und ſo ſchelte mir keiner die großartige Albernheit, denn ich war nach dieſem Kapitel unverzuͤglich beſſer, und durfte doch noch keine China gebrauchen.

So, ſagte Theodor, wurde der ganz geſunde Spartaner durch Tyrtaͤus Hymnenklang zum Krie - gestanze befluͤgelt. Was folgte nun auf dieſe Periode?

28Einleitung.

Dieſe ſuͤßen Traͤume der Kindheit und Sehn - ſucht, fuhr Anton fort, lagen ſchon hinter mir, meine muͤndig werdende Phantaſie forderte ge - haltvolleres Weſen. Treflich kamen meinem Be - duͤrfniß alle die wundervollen, bizarren und tol - len Romane unſers Spieß entgegen, von denen ich ſelbſt die wieder las, die ich ſchon in fruͤ - heren Zeiten kannte. Die Tage vergingen mir un - glaublich ſchnell, und am Abend hatte ich freund - liche Beſuche, in deren Geſpraͤchen die Toͤne jener graͤßlichen, geſpenſtigen Begebenheiten wieder ver - hallten. So ward mein Leben zum Traum, und die angenehme Wiederkehr derſelben Gegenſtaͤnde und Gedanken fiel mir nicht beſchwerlich, auch war ich nun ſchon ſo ſtark, daß ich einer guten Schreibart entbehren konnte, und die herzliche Abgeſchmacktheit der Luftregenten, Petermaͤnn - chen, Kettentraͤger, Loͤwenritter, gab mir durch die vielfache und mannichfaltige Erfindung einen ſtaͤrkern Ton; meine Ironie konnte ſich nun ſchon mit der Compoſition beſchaͤftigen, und der Arzt fand die ſtaͤrkenden Mittel ſo wie eine Nachlaſ - ſung der zu ſtrengen Diaͤt erlaubt und nicht mehr gefaͤhrlich.

Wieder eine Lebens-Periode beendigt, ſagte Theodor.

Nun war aber guter Rath theuer, ſprach Anton weiter. Ich hatte die Schwaͤrmereien des Juͤnglings uͤberſtanden, Geſchichte und wirkliche Welt lockten mich an, zuſammt der nicht zu ver -29Einleitung.achtenden Lebens-Philoſophie. Mein Fieber hatte zwar nachgelaſſen, konnte aber immer wieder ge - faͤhrlich werden, ich litt unausſprechlichen Durſt, und durfte nicht trinken, was mein Schmachten begehrte, immer nur wenig und nichts Kuͤhles, und ich traͤumte nur von kalten Orangen, von Citronen, ja Eſſig, machte Salat in meiner Phan - taſie zu ungeheuern Portionen und verzehrte ſie, trank aus Flaſchen im Felſenkeller ſelbſt den kuͤhl - ſten Nierenſteiner, und badete mich dann in Mor - genluft in den Wogen des gruͤn rauſchenden Rheins. In dieſer ſchwelgenden Stimmung begegnete mir nun der vortrefliche Cramer mit ſeinen Ritter - und andern Romanen, und wie ſoll ich wohl einem kalten, gefunden, vernuͤnf - tigen Menſchen, der trinken darf, wann und wie viel er will, die Wonne ſchildern, die mich auf meinem einſamen Lager dieſe vortreflichſten Werke genießen ließen? Ich kann nun ſagen: werdet krank, lieben Freunde und leſet, und ihr unterſchreibt alles, was neben euch gehender Re - zenſent ſo eben behauptet.

Maͤßige dich nur, ſagte Theodor, ſonſt biſt du gezwungen, wieder Waſſer zu ſchoͤpfen, um dir den Kopf naß zu machen, und auf dieſem anmuthigen Huͤgel haben wir keine Quelle in der Naͤhe.

Ja, rief Anton aus, Dank dieſem biederſten Deutſchen fuͤr ſeine Kaͤmpen, fuͤr ſeinen Has - par a Spada und den Raugrafen zu Daſſel! 30Einleitung.Wie ſaß ich mit ihnen allen zu Tiſche und ſah und half die Kannen Ruͤdesheimer und Nieren - ſteiner leeren; wir verachteten es, in Bechern nur einzuſchenken, nein, aus dem vollen Humpen ſelbſt tranken wir Großherzigen das kuͤhle, herr - liche, duftende Naß, und ich lachte in dieſer Geſellſchaft meinen Arzt rechtſchaffen aus: ent - zuͤckt war ich mit dir, und begleitete dich be - wundernd, du edelſter Bomſen, ich zechte Zug fuͤr Zug mit dir, du Großer, der ſchon des Mor - gens um vier Uhr betrunken zu Roſſe ſteigt, um Thaten eines deutſchen Mannes adlich zu verrich - ten. Wie deine Geſinnungen, du großer Dichter, ſo iſt auch dein Styl gediegen und deutſch, und alle die Pruͤgel und Puͤffe, die den Feinden oder ſchlechten Menſchen zugetheilt werden, oder gar den boshaften Pfaffen, waren mir eben ſo viele Herzſtaͤrkungen und Browniſche Curmittel, und darum trug ich auch kein Bedenken, deine vor - zuͤglichſten Werke nach der Beendigung wieder von vorn zu beginnen, denn hier war ja Erfin - dung, Charakter, Eſſen, Trinken, Lebens-Philo - ſophie, Wirklichkeit und Geſchichte alles meiner draͤngenden Sehnſucht dargebracht, und alles gleich vortrefflich. Mein ſchmachtender Durſt trieb ſich nun nicht mehr in gigantiſchen Bildern zweck - los um, ſondern fand ſeine Bahn vorgezeichnet und große Beiſpiele, denen er ſich anſchloß; nun traͤumte ich nicht mehr als Polyphem unter den ſteinernen Treppen eines Weinberges zu liegen,31Einleitung.und daß ſich vom Himmel herunter eine unge - heure Kelterpreſſe druͤcke, die mit Einem Wurf den ganzen Weinberg ausquetſche, ſo daß in Caskaden der Wein die Marmorſtufen herunter rauſche und wie in ein großes Baſſin ſich unten in meinen durſtenden Schlund ergoͤſſe. Von dieſen Rieſenbildern war ich geheilt, und ſchon durft 'ich mit Vorſicht kuͤhlende Getraͤnke genie - ßen, ſchon widerſtanden mir Fleiſchſpeiſen nicht mehr, und mein Arzt ſchrieb ſich die Namen der vornehmſten Cramerſchen Romane auf, um ſie aͤhnlichen Kranken zu empfehlen; ich wandelte ſchon im Zimmer, ſah bei der erſten Fruͤhlings - waͤrme aus dem Fenſter, durfte wieder phanta - ſiren, und nach einigen Wochen konnt' ich ſchon die Hoffnung faſſen, bald dies Gebirge zu be - treten, in welchem ich euch, ihr Lieben, zur Vol - lendung meiner Geneſung, gefunden. Aber eilt, man laͤutet ſchon die Abendglocke, wir ſind vor dem Staͤdtchen, dort treffen wir die Freunde und vernehmen vielleicht wunderliche Dinge von ihnen.

Im Baumgarten des Gaſthofes ſaßen am andern Morgen die fuͤnf Vereinigten um einen runden Tiſch, ihre Stimmung war heiter wie der ſchoͤne Morgen, nur Friedrich ſchien ernſt und in ſich gekehrt, ſo ſehr auch Lothar jede Gelegenheit ergriff, ihn durch Scherz und Froh - ſinn zu ermuntern.

32Einleitung.

Wahrlich! rief Theodor aus, es giebt kein groͤßeres Gluͤck, als Freunde zu beſitzen, ſie nach Jahren in ſchoͤner Gegend in anmuthiger Fruͤh - lingszeit wieder zu finden, mit ihnen zu ſchwatzen, alle ihre Eigenheiten wieder zu erkennen, ſich der Vergangenheit zu erinnern und mit dem Zu - trauen allen in die Augen zu blicken, wie ich es Gottlob! hier thun kann. Nur der Friedrich iſt nicht, wie ſonſt. Haſt du Gram, mein Lieber?

Laß mich, guter heitrer Freund, ſagte Frie - drich, es ſoll nicht lange waͤhren, ſo wirſt du und ihr alle mehr von mir erfahren. Weißt du doch nicht, ob ich nicht vielleicht am Gluͤcke krank liege.

Wenn das iſt, ſagte Theodor, ſo moͤge Gott nur den Arzt noch recht lange von dir entfernt halten. O waͤrſt du doch lieber gar inkurabel! Aber leider iſt die Heilung dieſer Krankheit nur gar zu gewiß; o die Zeit, die boͤſe, liebe, gute, alte, vergeßliche und doch mit dem unverwuͤſt - lichen Gedaͤchtniß, das wiederkaͤuende große ernſte Thier, die alles erzeugt und alles verwandelt, ſie wird freilich machen, daß wir einer den an - dern und uns ſelbſt nach wenigen Jahren mit ganz veraͤnderten Augen anſehn.

Dadurch koͤnnteſt du ihn noch trauriger machen, fiel Lothar ein; freilich will uns alles uͤberreden, daß das Leben kein romantiſches Luſt - ſpiel ſei, wie etwa Was ihr wollt, oder Wie es euch gefaͤllt, ſondern daß es aus dieſen Regio -nen33Einleitung.nen entrinnt, wir moͤchten es auch noch ſo gerne ſo wollen und wenn es uns auch uͤber die Maßen gefiele; der Himmel verhuͤtet auch, daß es ſel - ten in ein großes Trauerſpiel ausartet, ſondern es verlaͤuft ſich freilich meiſt, wie viele unerquick - liche Werke mit einzelnen ſchoͤnen Stellen, oder gar wie der herrliche Rhein in Sand und Sumpf.

O nein, ſagte Friedrich, glaubt es mir, meine Freunde, das Leben iſt hoͤheren Urſprungs, und es ſteht in unſerer Gewalt es ſeiner edlen Ge - burt wuͤrdig zu erziehn und zu erhalten, daß Staub und Vernichtung in keinem Augenblicke daruͤber triumphiren duͤrfen: ja, es giebt eine ewige Jugend, eine Sehnſucht, die ewig waͤhrt, weil ſie ewig nicht erfuͤllt wird; weder getaͤuſcht noch hintergangen, ſondern nur nicht erfuͤllt, damit ſie nicht ſterbe, denn ſie ſehnt ſich im innerſten Herzen nach ſich ſelbſt, ſie ſpiegelt in unendlich wechſelnden Geſtalten das Bild der nimmer ver - gaͤnglichen Liebe, das Nahe im Fernen, die himm - liſche Ferne im Allernaͤchſten. Iſt es denn moͤg - lich, daß der Menſch, der nur einmal aus die - ſer Quelle des heiligen Wahnſinnes trinken durfte, je wieder zur Nuͤchternheit, zum todten Zweifel erwacht?

Bei alledem, ſagte Theodor, waͤre ein Jung - brunnen, von dem die Alten gedichtet haben, nicht zu verſchmaͤhn; waͤr 'es auch nur der grauen Haare wegen.

Wie koͤnntet ihr, fuhr Friedrich fort, dochI. [3]34Einleitung.die Schoͤnheit nur empfinden, oder gar lieben, wenn ſie unverwuͤſtlich waͤre? Die ſuͤße Elegie in der[Entzuͤcknng], die Wehklage um den Adonis und Balder iſt ja der ſchmachtende Seufzer, die wolluͤſtige Thraͤne in der ganzen Natur! dem Fluͤchtigen nacheilen, es feſthalten wollen, das uns ſelbſt in feſtgeſchloſſenen Armen entrinnt, dies macht die Liebe, den geheimnißvollen Zau - ber, die Krankheit der Sehnſucht, das vergoͤt - ternde Schmachten moͤglich.

Und, fuhr Ernſt fort, wie milde redet uns die Ewigkeit an mit ihrem majeſtaͤtiſchen Ant - litz, wenn wir auch das nur als Schatten und Traum beſitzen, oder uns ihm naͤhern koͤnnen, was das Goͤttlichſte dieſer Erde iſt? das muß ja unſer Herz zum Unendlichen ermuntern und ſtaͤrken, zur Tugend, zum Himmel, zu jener Schoͤne uns fuͤhren, die nie verbluͤht, deren Entzuͤckung ewige Gegenwart iſt.

Muͤßten wir nur nicht vorher aus dem Le - the trinken, ſagte Anton, und zur Freude ſpre - chen: was willſt du? und zum Lachen: du biſt toll!

Theodor ſprang vom Tiſche auf, umarmte jeden und ſchenkte von dem guten Rheinwein in die Roͤmer: ei! rief er aus, daß wir wieder ſo beiſammen ſind! daß wir wieder einmal unſre zuſammen gewickelten Gemuͤther durchklopfen und ausſtaͤuben koͤnnen, damit ſich keine Motten und andres Geſpinſt in die Falten niſten! Wie wohl35Einleitung.thut das dem deutſchen Herzen beim Glaſe deut - ſchen Weins! Ja, unſre Herzen ſind noch friſch, wie ehedem, und daß ſich auch keiner von uns das Tabackrauchen angewoͤhnt hat, thut mir in der Seele wohl.

Immer der Alte! ſagte Lothar, du pflegſt immer die Geſpraͤche da zu ſtoͤren, wo ſie erſt recht zu Geſpraͤchen werden wollen; ich war begie - rig, wohin dieſe ſeltſamen Vorſtellungen wohl fuͤhren, und wie dieſe Gedankenreihe oder dieſer Empfindungsgang endigen moͤchte.

Wie? ſagte Theodor, das kann ich dir aufs Haar ſagen: ſieh, Bruderſeele, ſtehn wir erſt an der Ewigkeit und ſolchen Gedanken oder Wor - ten, die ſich gleichſam ins Unendliche dehnen, ſo koͤmmt es mir vor, wie ein Abloͤſen der Schild - wachen, daß nun bald eine neue Figur auf der - ſelben Stelle auf und ab ſpatzieren ſoll. Ich wette, nach zweien Sekunden haͤtten ſie ſich ange - ſehn, kein Wort weiter zu ſagen gewußt, das Glas genommen, getrunken und ſich den Mund abgewiſcht.

Weiter bringt es kein Menſch, ſtell er ſich auch wie er will. O das iſt das Erquickliche fuͤr unſer einen, daß das Groͤßte wieder ſo an das Kleinſte graͤnzen muß, daß wir denn doch Alle Menſchen, oder gar arme Suͤnder ſind, jeder, nachdem ſein Genius ihn lenkt.

Du ſcheuſt nur, ſagte Anton, die liebliche Stille, das Saͤuſeln des Geiſtes, welches in der36Einleitung.Mitte der innigſten und hoͤchſten Gedanken wohnt und deſſen heilige Stummheit dem unverſtaͤnd - lich iſt, der noch nie an den Ohren iſt beſchnit - ten worden.

Ohren, antwortete Theodor, klingt im Deut - ſchen immer gemein, Gehoͤrwerkzeuge affektirt, Hoͤr - vermoͤgen philoſophiſch, und die Hoͤrer oder die Hoͤrenden iſt nicht gebraͤuchlich, kurzum, man kann ſie ſelten nennen, ohne anſtoͤßig zu ſein. Der Spanier vermeidet auch gern, ſo ſchlecht hin Ohren zu ſagen. Am beſten braucht man wohl Gehoͤr, wo es paßt, oder das Ohr einzeln, wodurch ſie beide gleich edler werden.

Dein Tabakrauchen hat aber das vorige Geſpraͤch erſtickt, ſagte Lothar; freilich iſt es die unkuͤnſtleriſchſte aller Beſchaͤftigungen und der Genuß, der ſich am wenigſten poetiſch erheben laͤßt.

Mir iſt es uͤber die Gebuͤhr zuwider, ſagte Theodor, und darum betrachtete ich euch ſchon alle geſtern Abend darauf, denn es giebt einen eignen Pfeifenzug im Winkel des Mundes und unter dem Auge, der ſich an einem ſtarken Rau - cher unmoͤglich verkennen laͤßt; deshalb war ich ſchon geſtern uͤber eure Phyſtognomien beruhigt. Mir ſcheint die neuſte ſchlimmſte Zeit erſt mit der Verbreitung dieſes Krautes entſtanden zu ſein, und ich kann ſelbſt auf den geprieſenen Compaß boͤſe ſein, der uns nach Amerika fuͤhrte,37Einleitung.um dies Unkraut mit manchen andern Leiden zu uns heruͤber zu holen.

Wie einige Zuͤge im Geſicht durch die Pfeife entſtehn, ſagte Lothar, ſo werden die feinſten des Witzes und gutmuͤthigen Spottes, ſo wie die Grazie die Lippen durchaus, durch die oft angelegte Pfeife vernichtet.

Ich ließe noch die kalte Pfeife gelten, ſagte Ernſt, ſo hielt ſich einer meiner Freunde eine von Thon, um ſie in der gemuͤthlichſten Stim - mung zuweilen in den Mund zu nehmen, und dann recht nach ſeiner Laune zu ſprechen; aber der boͤſe, beizende, uͤbel riechende Rauch macht das Ding fatal. Ich lernte einmal einen Mann kennen, der mir ſehr intereſſant war, und der ſich auch in meiner Geſellſchaft zu gefallen ſchien, wir ſprachen viel mit einander, endlich, um uns recht genießen zu koͤnnen, zog er mich in ſein Zimmer, ließ ſich aber beigehn, zu groͤßerer Ver - traulichkeit ſeine Pfeife anzuzuͤnden, und von dieſem Augenblick konnte ich weder recht hoͤren und begreifen, was er vortrug, noch weniger aber war ich im Stande, eine eigne Meinung zu haben, oder nur etwas anders als Fluͤche auf den Rauch in meinem Herzen zu denken, nicht laute, aber tiefe wie Macbeth ſagt.

Lothar lachte: mit einem troſtloſen Liebha - ber, fuhr er fort, iſt es mir einmal noch ſchlim - mer ergangen, er hatte mich hingeriſſen und ge - ruͤhrt; bei einer kleinen Ruheſtelle der Klage38Einleitung.ſuchte er ſeine Pfeife, Schwamm und Stein, ſchlug mit Virtuoſitaͤt ſchnell Feuer, und ver - ſicherte mich nachher in abgebrochenen rauchen - den Pauſen ſeiner Verzweiflung. Ich muſte lachen, und nur zum Gluͤck daß mich der Rauch in ein ſtarkes Huſten brachte, ſonſt haͤtt 'ich dem guten Menſchen als ein unnatuͤrlicher Barbar erſchei - nen muͤſſen.

Es laͤßt ſich wohl, ſagte Theodor, alles mit Grazie thun, ich kenne wenigſtens einen großen Philoſophen, dem in ſeiner Liebenswuͤr - digkeit auch dies edel ſteht. Mit dem Caffee wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht, die der Bediente anzuͤndet, es geſchehn ruhig und ohne alle Leidenſchaft einige Zuͤge, und eh man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, iſt die Sache ſchon wieder beſchloſſen. Aber ſchrecklich ſind freilich die kurzen, am Munde ſchwebenden Inſtrumente, die jede Bewegung mit machen muͤſſen und ſich jeder Thaͤtigkeit fuͤgen, die den ganzen Tag die Lippen preſſen und ſelbſt die Sprache veraͤndern.

Mir iſt es nicht unwahrſcheinlich, ſagte Anton, daß dieſe Gewohnheit, die ſo uͤberhand genommen, die Menſchen paſſiver, traͤger und unwitziger gemacht hat. Wir ſollen keinen Ge - nuß haben, der uns unaufhoͤrlich begleitet, der etwas Stetiges wird, er iſt nur erlaubt und edel durch das Voruͤbergehende. Darum ver - achten wir den Saͤufer, ob wir alle gleich gern39Einleitung.Wein trinken, und der Raͤſcher iſt laͤcherlich, der ſeine Zunge durch ununterbrochenes Koſten er - muͤdet; vom Raucher denkt man billiger, weil es eben Gewohnheit geworden iſt, die man nicht mehr beurtheilt, doch begreif 'ich es wenigſtens nicht, wie ſelbſt Frauen jetzt an vielen Orten da - gegen tolerant werden.

Koͤnnt ihr euch, ſagte Lothar, einen rauchen - den Apoſtel denken?

Eben ſo wenig, ſagte Ernſt, als den adli - chen Triſtan mit der Pfeife, oder den hochſtre - benden Don Quixote.

Dem Sancho aber, ſagte Lothar, fehlt ſie beinah; haͤtten manche umarbeitende Ueberſetzer mehr Genie gehabt, ſo haͤtten ſie dieſe lieber hinzu fuͤgen, als ſo manche Schoͤnheit weglaſſen duͤrfen.

Vielleicht iſt dieſes Beduͤrfniß, fiel Friedrich ein, ein Surrogat fuͤr ſo manches verlorne Be - duͤrfniß, des oͤffentlichen Lebens der Galanterie der Geſellſchaft, der Freiheit und der Feſte. Vielleicht ſoll ſich zu Zeiten der Menſch mehr betaͤuben, und dann iſt es wohl moͤglich, daß er ſeinen alten verrufenen blauen Dunſt fuͤr ein wirkliches Gut haͤlt. Nicht bloß Taback, auch philoſophiſche Phraſen, Syſteme, und manches andre wird heut zu Tage geraucht, und beſchwert den Nichtrauchenden ebenfalls mit unleidlichem Geruch.

Nicht ſo melankoliſch, ſagte Theodor, laßt40Einleitung.uns dieſe tiefſinnige Betrachtung wenden, denn am Ende koͤmmt doch in keiner Tugend der ganze Menſch ſo rein zum Vorſchein, als in den Thor - heiten. Die Berge rauchen oft und die Thaͤler ſind voll Nebel, viele Gegenden verlieren ihn oft in Monaten nicht, die See dampft, und ſo laßt denn unſerm guten Zeitalter auch ſeinen Dampf. Nur wir wollen unſrer Sitte treu blei - ben. Beſorgt bin ich aber fuͤr Manfred, daß er ſich dieſen Zuſtand als Appendix der Ehe moͤchte angewoͤhnt haben, um ſeine weiſen Lehr - ſpruͤche aus dampfendem Munde, wie Orakel aus rauchenden Hoͤlen, verehrlicher zu machen, und ich geſtehe uͤberhaupt, daß ich mich ihm nur mit einer gewiſſen heimlichen Furcht wieder naͤhern kann.

Du biſt ohne Noth beſorgt, ſagte Lothar. Seit lange kenne ich unſern Freund in ſeinem haͤuslichen Zuſtande, und ich habe nicht bemer - ken koͤnnen, daß er ſeinen jugendlichen Frohſinn und ſeine muthwillige Laune gegen jene altkluge Hausvaͤterlichkeit vertauſcht habe, im Gegentheil, kann er oft ſo ausgelaſſen ſein, daß die Schwie - germutter im Hauſe ſo wenig laͤſtig oder uͤber - fluͤſſig iſt, daß ſie vielmehr zuweilen als kuͤhlende und beſonnene Vernunft zum allgemeinen Beſten hervortreten muß.

Wenn alles uͤbrige, ſagte Theodor, auf den - ſelben Fuß eingerichtet iſt, ſo iſt ſeine Haushal - tung die vollkommenſte in der Welt.

41Einleitung.

Noch mehr, fuhr Lothar fort, dieſe Frau iſt noch anmuthig und reizend, und man glaubt es kaum, daß ſie zwei erwachſene Toͤchter haben koͤnne. Sie hat ſelbſt einige annehmlich ſchei - nende Parthieen ausgeſchlagen, und Maͤnner haben ſich um ſie beworben, die an Jahren weit juͤnger ſind.

Wenn die Mutter ſchon ſo gefaͤhrlich iſt, ſagte Theodor, ſo muß der Umgang mit den Toͤchtern gar herz - und halsbrechend ſein.

Die Gattin unſers Manfred, erzaͤhlte Lothar weiter, iſt ſehr ſtill und ſanft, von zartem Ge - muͤth und ruͤhrend ſchoͤner Geſtalt, er hat noch das Betragen des Liebhabers, und ſie das bloͤde geſchaͤmige Weſen einer Jungfrau; ihre juͤngere Schweſter Clara iſt der Muthwille und die Hei - terkeit ſelbſt, launig, witzig, und faſt immer lachend, im beſtaͤndigem kleinen Kriege mit Man - fred; man ſollte glauben, wenn man ſie beiſam - men ſieht, er haͤtte dieſe lieben muͤſſen, und die aͤltere, ihm ſo ungleiche Schweſter, haͤtte ihn nicht ruͤhren koͤnnen, allein die Liebe fodert viel - leicht eine gewiſſe Verſchiedenheit des Weſens und des Charakters.

Ich komme darauf zuruͤck, ſagte Ernſt, daß wir immer noch nicht wiſſen koͤnnen, wie viel in Manfred angewoͤhnte Manier iſt, und wie viel Natur; ich habe oft bemerkt, daß er ernſt, ja traurig war, wenn die Umgebung ihn fuͤr ausſchweifend luſtig hielt. Er hat es von je42Einleitung.geſcheut, ſeine innerſten Gefuͤhle kund zu thun, und ſo wirft er ſich oft gewaltthaͤtig in eine Laune, die ihn quaͤlen kann, indem ſie andre ergoͤtzt.

Wie wird es aber, fragte Theodor weiter, mit den Kindern gehalten? Wahrſcheinlich hat ſich doch auch zu ihm die neumodiſche und weich - liche Erziehung erſtreckt, jene allerliebſte Confu - ſion, die jeden Gegenwaͤrtigen im ununterbro - chenen Schwindel erhaͤlt, indem die Kinderſtube allenthalben, im Geſellſchaftszimmer, im Garten und in jedem Winkel des Hauſes iſt, und kein Geſpraͤch und keine Ruhe zulaͤßt, ſondern nur ewiges Geſchrei und Erziehen ſich hervor thut, eine unſterbliche Zerſtreutheit im ſcheinbaren Acht - geben; jenes Chaos der meiſten Haushaltungen, das mir ſo erſchrecklich duͤnkt, daß ich die neuen Paͤdagogen, die es veranlaßt haben, und jene Entdecker der Muͤtterlichkeit gern als Verdammte in einen eignen Kreis der Danteſchen Hoͤlle hin - ein gedichtet haͤtte, der nur eine ſolche neuer - fundene allgegenwaͤrtige Kinderſtube mit all ihrem Wirwarr und Schariwari moderner Elternliebe darzuſtellen brauchte, um ſich als ein nicht un - wuͤrdiger Beitrag jener furchtbaren Zirkel anzu - ſchließen.

Auch von dieſer neuen, faſt allgemein ver - breiteten Krankheit, erzaͤhlte Lothar, findeſt du in ſeinem Hauſe nichts: ſeine junge Gattinn iſt eine wahre Mutter, faſt ſo, wie es unſre Muͤt -43Einleitung.ter noch waren; ſie liebt ihre beiden Kinder uͤber alles, und hat eben darum eine Art von Scham, in Geſellſchaft die Mutter zu ſpielen, und die Kinder wie Dekorationen an ſich zu haͤngen; die Wartung und alle Erziehung der Kleinen wird von ihr ſtill im Heiligthum eines entlegenen Zim - mers beſorgt, und weil ſie ordentlich iſt, und weiß, was ſie befiehlt, ſo darf ſie die Kinder zu Zeiten dem gehorſamen Geſinde uͤberlaſſen, und ſie kann ruhig und heiter an der Geſellſchaft Theil nehmen, weil ſie die Stunde beobachtet; kurz, man nimmt an den allerliebſten Creaturen nur ſo viel Theil, als man ſelbſt will, und ich, der ich die Kinder kindlich liebe, bin immer gezwungen, ſie aufzuſuchen.

Vortrefflich! ſagte Ernſt, dies beweiſt am meiſten fuͤr die Schwiegermutter, die die Toͤch - ter ſehr gut und zur Ordnung muß erzogen haben. In deiner Beſchreibung finde ich gerade die ehr - wuͤrdigſten Muͤtter wieder, die ich je gekannt habe. Alles Gute und Rechte ſoll nur ſo geſchehn, daß es ein unachtſames Auge gar nicht gewahr wird. Unſer Vaterland aber iſt das Land der geraͤuſchvollſten Erziehung, und die Nation wird bald nur aus Erziehern beſtehen; fuͤr Muͤtter und Kinder ſind Bibliotheken, und hundert Journale und Almanache geſchrieben, alle ihre Tugenden und Pflichten hat man tauſendfaͤltig in Kupfer geſtochen und zur groͤßern Aufmunterung illumi - nirt, und aus dem Natuͤrlichſten und Einfach -44Einleitung.ſten, was kaum viele Worte zulaͤßt, haben wir mit Kunſt einen Goͤtzen der vollſtaͤndigſten Thor - heit geſchnitzt, und es im ausgefuͤhrten Syſtem ſo weit gebracht, daß wir durch Beobachtung, Philoſophie und Natur uns von allem Menſch - lichen und Natuͤrlichen auf unendliche Weite ent - fernt haben. Nicht genug, daß man die Kin - der faſt von der Geburt mit Eitelkeit verdirbt, man ruinirt auch die wenigen Schulen, die etwa noch im alten Sinn eingerichtet waren; man zwingt die Kinder im ſiebenten Jahr, zu lernen, wie ſie Scheintodte zum Leben erwecken ſollen, man verſchreibt Erzieher aus den Gegenden, in welchen dieſe Produkte am beſten gerathen; ja die Staaten ſelbſt verbieten das Buchſtabiren, und machen es zur Gewiſſensſache, das Leſen anders als auf die neue Weiſe zu erlernen, und faſt alle Menſchen, ſelbſt die beſſern Koͤpfe nicht ausgenommen, drehen ſich im Schwindel nach dieſem Orient, um von hier den Meſſias und das Heil der Welt baldigſt ankommen zu ſehn; aber gewiß, nach zwanzig Jahren verſpotten wir aus einer neuen Thorheit heraus dieſe jetzige. Dies ſind auch nur Schildwachen, die ſich abloͤ - ſen, und ſo viel neue Figuren auch kommen, ſo bleiben ſie doch immer auf derſelben Stelle wan - deln. Jeder Menſch hat etwas, das ſeinen Zorn erregt, und ich geſtehe, ich bin meiſt ſo ſchwach, daß die Paͤdagogik den meinigen in Bewegung ſetzt.

45Einleitung.

So ſcheint es, ſagte Lothar; ein geiſtreicher Mann ſagte einmal: wir ſind ſchlecht erzogen, und es iſt nichts aus uns geworden, wie wird es erſt mit unſern Kindern ausſehn, die wir gut erziehn!

Mir daͤucht, ſagte Theodor, es waͤre nun wohl an der Zeit, auch einmal eine Wochenſchrift der Kinderfeind zu ſchreiben, um die Thor - heiten laͤcherlich zu machen, und der ehemaligen Strenge und Einfalt wieder Raum und Auf - nahme vorzubereiten.

Du faͤndeſt keine Leſer, ſagte Ernſt, unter dieſer Ueberfuͤlle humaner Eltern und gereifter ausgebildter Erzieher.

Friedrich war ſchon vor einiger Zeit vom Tiſch und Geſpraͤch aufgeſtanden, und auf ſei - nen Wink hatte ſich Anton zu ihm geſellt. Sie gingen unter einen Baumgang, von welchem man weit auf die Landſtraße hinaus ſehn konnte, die ſich uͤber einen nahe liegenden Berg hinweg zog. Mich kuͤmmern alle dieſe Dinge nicht, ſagte Friedrich, treib 'es jeder, wie er mag und kann, denn mein Herz iſt ſo ganz und durchaus von einem Gegenſtande erfuͤllt, daß mich weder die Thorheiten noch die ernſthaften Begebenheiten unſerer Zeit ſonderlich anziehn. Er vertraute ſei - nem Freunde, der ſeine Verhaͤltniſſe ſchon kannte, daß es ihm endlich gelungen ſei, alle Bedenk - lichkeiten ſeiner geliebten Adelheid zu uͤberwin - den, und daß ſie ſich entſchloſſen habe, auf ir -46Einleitung.gend eine Weiſe das Haus ihres Oheims, des Geheimeraths, zu verlaſſen: dieſer wolle einen alten Lieblingsplan faſt gewaltthaͤtig durchſetzen, ſie mit ſeinem juͤngeren Bruder, einem reichen Gutsbeſitzer, zu vermaͤhlen, weil er ſich ſo an die Geſellſchaft des ſchoͤnen liebenswuͤrdigen Kin - des gewoͤhnt habe, daß er ſich durchaus nicht von ihr trennen koͤnne, er ſei geſonnen, nach der Heirath zu dieſem Bruder zu ziehn, um in ſei - nem kinderloſen Witwerſtande gemeinſchaftlich mit ihm zu hauſen. Es ſcheint vergeblich, ſo endete Friedrich, dieſem Plan unſre Liebe entgegen zu ſetzen, wenigſtens haͤlt es Adelheid fuͤr unmoͤg - lich, und zwar ſo ſehr, daß der Oheim noch gar nicht einmal von meinem Verhaͤltniſſe zu ihr weiß; ſo erwarte ich nun bei Manfred morgen oder uͤbermorgen einen Boten, der unſer Schickſal auf immer entſcheiden wird. Eine druͤckende Lage wird oft am leichteſten durch eine Gewaltthaͤtig - keit geloͤſt, und ich hoffe, daß Manfred mir durch ſeine Klugheit und ſeinen Muth beiſtehen wird. Ich wuͤrde mich unſerm Ernſt auch gern vertrauen, wenn er nicht gar zu gern tadelte, wo aller Rath zu ſpaͤt koͤmmt.

Doch kann Vorſicht nicht ſchaden, ſagte Anton, und huͤte dich nur, dich von Manfred, der alles Abentheuerliche uͤbertrieben liebt, in einen Plan verwickeln zu laſſen, deſſen Verdrieß - lichkeiten vielleicht dein ganzes Leben verwirren. Denn es iſt gar zu anlockend, auf Unkoſten eines47Einleitung.andern muthig und unternehmend zu ſein, der Menſch genießt alsdann das Vergnuͤgen des Wa - gehalſes zugleich mit der Luſt der Sicherheit.

Mein Freund, ſagte Friedrich, ich habe lange geduldet, gefuͤhlt und gepruͤft, und mich gereut, daß ich nicht ſchon fruͤher gethan habe, was du uͤbereilt nennen wuͤrdeſt. Sind wir ganz von einem Gefuͤhl durchdrungen, ſo handeln wir am ſtaͤrkſten und konſequenteſten, wenn wir ohne Reflexion dieſem folgen. Doch, laß uns jetzt davon abbrechen.

Ich mißverſtehe dich wohl nur, ſagte Anton, weil du mir nicht genug vertraut haſt.

Auch dazu werden ſich die Stunden finden, antwortete Friedrich. In der Entfernung hatte ich mir vorgeſetzt, dir alles zu ſagen, und nun du zugegen biſt, ſtammelt meine Zunge, und jedes Bekenntniß zittert zuruͤck. Ihre Geſtalt und Holdſeligkeit toͤnt wie auf einer Harfe ewig in meinem Herzen und jede ſaͤuſelnde Luft weckt neue Klaͤnge auf; ich liebe dich und meine Freunde inniger als ſonſt, aber ohne Worte fuͤhl 'ich mich in eurer Bruſt, und jetzt wenigſtens ſchiene mir jedes Wort ein Verrath.

Traͤume nur deinen ſchoͤnen Traum zu En - de, ſagte Anton, berauſche dich in deinem Gluͤck, du gehoͤrſt jetzt nicht der Erde; nachher finden wir uns wieder alle beiſammen, denn irgend einmal muß der arme Menſch doch erwachen und nuͤchtern werden.

48Einleitung.

Nein, mein lieber zagender Freund, rief Friedrich ploͤtzlich begeiſtert aus, laß dich nicht von dieſer anſcheinenden Weisheit beſchwatzen, denn ſie iſt die Verzweiflung ſelbſt! Kann die Liebe ſterben, dies Gefuͤhl, das bis in die fern - ſten Tiefen meines Weſens blitzt und die dun - kelſten Kammern und alle Wunderſchaͤtze meines Herzens beleuchtet? Nicht die Schoͤnheit meiner Geliebten iſt es ja allein, die mich begluͤckt, nicht ihre Holdſeligkeit allein, ſondern vorzuͤglich ihre Liebe; und dieſe meine Liebe, die ihr entgegen geht, iſt mein heiligſter, unſterblichſter Wille, ja meine Seele ſelbſt, die ſich in dieſem Gefuͤhl losringt von der verdunkelnden Materie; in die - ſer Liebe ſeh 'ich und fuͤhl' ich Glauben und Unſterblichkeit, ja den Unnennbaren ſelbſt inmit - ten meines Weſens und alle Wunder ſeiner Of - fenbarung. Die Schoͤnheit kann ſchwinden, ſie geht uns nur voran, wo wir ſie wieder treffen, der Glaube bleibt uns. O, mein Bruder, geſtor - ben, wie man ſagt, ſind laͤngſt Iſalde und Sy - gune, ja, du laͤchelſt uͤber mich, denn ſie haben wohl nie gelebt, aber das Menſchengeſchlecht lebt fort, und jeder Fruͤhling und jede Liebe zuͤndet von neuem das himmliſche Feuer, und darum werden die heiligſten Thraͤnen in allen Zeiten dem Schoͤnſten nachgeſandt, das ſich nur ſcheinbar uns entzogen hat, und aus Kin - deraugen, von Jungfraunlippen, aus Blumen und Quellen uns immer wieder mit geheimniß -vollem49Einleitung.vollem Erinnern anblitzt und anlaͤchelt, und darum ſind auch jene Dichtergebilde belebt und unſterb - lich. An dieſer heiligen Staͤtte habe ich mich ſelbſt gefunden, und ich muͤßte mir ſelbſt ver - loren gehn, ich muͤßte vernichtet werden koͤn - nen, wenn dieſe Entzuͤckung in irgend einer Zeit erſterben koͤnnte.

Seinem Freunde traten die Thraͤnen in die Augen, weil ihn die Krankheit weicher gemacht hatte, und er ohnedies ſchon reizbar war; er um - armte den Begeiſterten ſchweigend, als beide die Landſtraße einen offenen Wagen mit vier geſchmuͤck - ten huͤpfenden Pferden herunter kommen ſahn, von einem mit Baͤndern und Federbuͤſchen auf - geputzten Kutſcher gefuͤhrt: in wunderlicher bun - ter Tracht folgte ein Reuter dem Wagen, und die Sprechenden nebſt den andern drei Freun - den gingen vor das Thor des Gaſthofes hin - aus, um das ſonderbare Schauſpiel naͤher in Augenſchein zu nehmen. Iſts moͤglich? rief ploͤtz - lich Theodor aus, er ſelbſt, Manfred iſt es! und eilte den brauſenden Pferden entgegen. Dieſe ſtanden, auf den Ruf ihres Fuͤhrers, er ſprang vom Sitz, indem er die Leinen vorſichtig in der Hand behielt, und umarmte Theodor und die uͤbrigen Freunde nach der Reihe. Er war freu - dig uͤberraſcht, auch Ernſt zu finden, den er ſo wenig wie Theodor hatte erwarten koͤnnen. Ich komme, euch abzuholen; ſo ſteigt nur gleich ein! rief er in zerſtreuter Freude aus.

I. [4]50Einleitung.

Der Reuter war indeß abgeſtiegen und An - ton erkannte ihn zuerſt: Wie? der verſtaͤndige Wilibald laͤßt ſich auch zu ſolchen bunten Mum - mereien gebrauchen? rief er verwundert aus.

Muß man nicht, erwiederte dieſer, mit den Thoͤrichten thoͤricht ſein? Wir wollten euch recht glaͤnzend abholen, und euch zu Ehren ſeh ich faſt ſo wie der Luſtigmacher bei herumziehenden Comoͤdianten aus.

Alle betrachteten und umarmten ihn, lach - ten, und ſtiegen dann ein, um in einer Wald - ſchenke einige Stunden vom Staͤdtchen anzuhal - ten, und dann noch bei guter Zeit die letzten Meilen bis zu Manfreds Wohnung zuruͤck zule - gen. Manfred begab ſich ernſthaft auf ſeinen Sitz, Wilibald auf ſein Pferd, und ſo rollten ſie im Gallopp auf der Felſenſtraße davon, indem ihnen aus jedem Fenſter der Stadt ein verwun - dertes oder lachendes Angeſicht nachblickte.

Iſt es nicht ein reizender Aufenthalt? fragte Wilibald, indem er mit Theodor in den Gaͤngen des anmuthigen Gartens auf und nieder ſchritt.

Manfred iſt ſehr gluͤcklich, antwortete Theo - dor; aber wo iſt unſre Geſellſchaft?

Ernſt und Lothar ſind ausgeritten, erwie - derte jener, um einen alten Thurm und Mauer - werk in der Naͤhe zu betrachten, Friedrich und Manfred haben ſich eingeſchloſſen, und rath - ſchlagen, ſo ſcheint es, uͤber Herzensangelegen -51Einleitung.heit, und Anton, duͤnkt mich, wandelte vor kur - zem noch in empfindſamen Geſpraͤchen mit Ro - ſalien, der jungen Frau, und Manfreds Schwe - ſter, Auguſten. Ich fuͤrchte, das Ende vom Liede iſt, daß wir uns hier alle verlieben.

Und warum nicht? ſagte Theodor. Ich ſehe wenigſtens kein Ungluͤck darin. Im Gegen - theil finde ich es natuͤrlich und ſchicklich, daß in jeder gemiſchten Geſellſchaft, in welcher ſich junge Maͤnner und anmuthige Frauen und rei - zende Maͤdchen befinden, kleine Romane geſpielt werden, dies eben erweckt den Witz und belebt und ſchafft den feinern Geiſt der Unterhaltung; auch kleine Eiferſucht kann nicht ſchaden und artige Verlaͤumdung, ſamt allen Kuͤnſten eines edlen Spiels und jener Laune, die den Wei - bern angeboren ſcheint und wodurch ſie die Maͤn - ner ſo unwiderſtehlich feſſeln. Dadurch koͤnnen verlebte Tage von ſolchem poetiſchen Glanz be - ſtrahlt werden, daß wir das ganze Leben hin - durch mit Freuden an ſie denken, da ſie uns außer - dem ziemlich trivial und langweilig verfloſſen waͤren.

Es kann aber mit Anton bei ſeiner Reiz - barkeit Ernſt werden, wandte Wilibald ſchuͤch - tern ein; nicht jeder hat die Geſchicklichkeit be - hutſam genug mit der Flamme zu ſpielen.

Dafuͤr laß du ihn ſorgen, ſagte Theodor; oder ſollte etwa ſchon die Eiferſucht aus dir ſprechen, mein Theurer? O ja, wahrlich, deine52Einleitung.graͤmliche Mine und dein ſuchender umſchauen - der Blick ſagen mir nichts geringeres. Nun, wer iſt denn deine Schoͤne? Klara? oder die junge anmuthige Gattinn? oder Manfreds Schwe - ſter, Auguſte? oder die liebenswuͤrdige Schwie - germutter, die ihr alle lieber Emilie nennt, und die auch freundlich dieſem Taufnamen entgegen horcht? oder liebſt du ſie gar alle?

Du bleibſt ein Thor, fuhr Wilibald halb lachend auf, und ihr alle ſeid ſo ſeltſame liebe und unausſtehliche Menſchen, daß man eben ſo wenig ohne euch, als mit euch leben kann. In der Ferne ſehn 'ich mich nach euch allen und bin ungemuth, und in der Naͤhe aͤrgre ich mich uͤber alle eure mannigfaltigen Thorheiten.

Nun, fragte Theodor, was haſt du denn Großes an uns auszuſetzen?

Du ſollteſt mich nicht zu ſolchen Klagelie - dern auffordern, antwortete Wilibald: daß ihr alle immer nur ſo ſehr vernuͤnftig und geiſtreich ſeid, wo es nicht hin gehoͤrt, und niemals da, wo ihr Vernunft zeigen muͤßtet! da iſt der Man - fred, der ſich fuͤr einen Heros der Maͤnnlichkeit haͤlt, welcher meint, ſich und ſeine Empfindun - gen ſo ganz in der Gewalt zu haben, und ſich heraus nimmt, jeden zu verachten, den irgend ein Kummer quaͤlt, und der doch ſelbſt ohne alle Veranlaſſung ſo unertraͤglich melankoliſch ſein kann, daß er uͤber die ganze Welt die Schul - tern zuckt, weil ſie eben ſchwach genug iſt, nur53Einleitung.zu exiſtiren; ſo ſitzt er in dieſer Stimmung Ta - gelang im Winkel und findet jeden Scherz geiſt - los und jedes Geſpraͤch albern, ſein Blick und kuͤmmerliches Geſicht ſchlagen aber auch jede Freude und Heiterkeit aus ſeiner Geſellſchaft zu - ruͤck; er iſt zu traͤge, ſpazieren zu gehn, oder irgend etwas zu treiben: aber nun faͤllt ihn die Laune an, nun ſoll jedermann luſtig ſein, nun findet er es unbegreiflich, wenn irgend jemand nicht an ſeinen ſchwaͤrmenden Phantaſieen Theil nimmt, nun iſt jeder ein Philiſter, der nicht zum Zeitvertreib halb mit dem Kopf gegen die Felſen rennt, nun muß man mit ihm durch Garten und Gebirge laufen, fallen und klettern; oder er zwingt alles Muſik zu machen und zu ſingen; oder, was das Schlimmſte iſt, er lieſt vor, und verlangt, jedermann ſoll an irgend einer Schnurre, oder einem alten vergeſſenen Buche denſelben krampfhaften Antheil nehmen, zu welchem er ſich ſpornt. So geſchah es geſtern, als er ploͤtz - lich den Philander von Sitenwald herbei holte, ewig lange las, und ſich verwunderte, daß wir nicht alle mit demſelben Heißhunger daruͤber her - fielen, wie er, der das Buch in Jahren viel - leicht nicht angeſehn hat; und ſo bringt er wohl morgen den Fiſchart, oder Hans Sachs. Wobei er ſich auch nicht einreden laͤßt, ſondern auf ſeine Lebenszeit hat er ſich verwoͤhnt, daß alle Men - ſchen ihm nur eben als Werkzeuge dienen, an welchen ſich ſeine ſchnell wandelnde Laune offen -54Einleitung.bart. Nur ein ſolcher Engel von Frau kann mit ihm fertig werden, und mit ihm gluͤcklich ſein.

Fahre fort, ſagte Theodor; und Friedrich, der ſich mit ihm eingeſchloſſen hat.

O, ihr! ſagte Wilibald, waͤrt ihr nur nicht ſonſt ſo gute Menſchen, ſo ſollte euch ein Verſtaͤndiger wohl ſo abſchildern koͤnnen, daß ihr vielleicht in euch ginget, und ordentlicher und beſſer wuͤrdet. Dieſer Friedrich, der immer in irgend einen Himmel verzuͤckt iſt, und den Tag fuͤr verloren haͤlt, an welchem er nicht eine ſeiner verwirrten Begeiſterungen erlebt hat, wie koͤnnte er ſein Talent und ſeine Kenntniſſe brauchen, um etwas Edles hervor zu bringen, wenn er ſich nicht ſo unbedingt dieſem ſchwel - genden Muͤſſiggange ergaͤbe. Auch erſchrickt er alle Augenblick ſelbſt in ſeinem boͤſen Gewiſſen, wenn er von dieſem oder jenem thaͤtigen Freunde hoͤrt, wenn er ihre Fortſchritte gewahr wird. Will man nun recht von Herzen mit ihm zan - ken, ſo wirft er ſich in ſeine vornehme hyper - poetiſche Stimmung, und beweiſt auch von oben herab, daß ihr andern die Taugenichtſe ſeid, er aber bleibt der Weiſe und Thaͤtige. Man ſoll ſeinem Freunde nichts Boͤſes wuͤnſchen, aber ſo wie er ſich nun, weiß Gott wegen welches raren Geheimniſſes mit dem Manfred eingeſchloſſen hat, ſo waͤre es mir doch vielleicht nicht ganz unlieb, wenn dieſer die Gelegenheit der Einſam -55Einleitung.keit benutzte, um ihm auf proſaiſche Weiſe etwas der uͤberfluͤſſigen Poeſie auszuklopfen.

Sacht! ſacht! rief Theodor, woher dieſe Neroniſche Geſinnung? Ergieb dich der Billig - keit, Freund, oder du ſollſt ſo mit albernen Spaͤßen und Wortſpielen, welche dir verhaßt ſind, gegeißelt werden, daß du den Werth der Humanitaͤt einſehn lernſt. Nun ſchau auf, geht druͤben nicht unſer Anton einſam, ſanft und ſtille, ſein Gemuͤth und die ſchoͤne Natur be - trachtend? Wie unrecht haben wir ihm ſo eben gethan.

Dieſes mal, antwortete Wilibald, und wiſ - ſen wir doch nicht, ob ihn die Weiber nicht ſo eben verlaſſen haben, denen er mit ſeinem ſanf - ten, lieben, zuvorkommenden Naturell ſtets nach - ſchleicht, und die ihm gern entgegen kommen, weil ſie ihm anfuͤhlen, daß er auch das Schwaͤchſte und Verwerflichſte in ihnen ehrt und verthei - digt; denn nicht in ein Individuum, ſondern in das ganze Geſchlecht iſt er verliebt: macht er hier nicht Claren, ihrer Mutter, der jungen Frau und Auguſten emſig den Hof? die uͤbrigen laͤcheln ihn auch ſtets an, nur ſollte er es doch fuͤhlen, daß er der letztern zur Laſt faͤllt und ſie in Ruhe laſſen. Alle andere Menſchen aͤndern ſich doch von Zeit zu Zeit und legen ihre Albernheiten ab, ihn aber kannſt du nach Jahren wieder antref - fen, und er traͤgt dir noch dieſelben Kindereien und Meinungen mit ſeiner ruhigen Salbung ent -56Einleitung.gegen, ja, wenn man ihn erinnert, daß er vor geraumer Zeit die und jene Angewoͤhnung gehabt, oder jene Sinnesart geaͤußert, ſo dankt er dir ſo herzlich, als wenn du ihm einen verlornen Schatz wieder faͤndeſt, und ſucht beides von neuem hervor, im Fall er es vergeſſen haben ſollte.

Dann muß dir aber doch der wandelbare und empfaͤngliche Lothar ganz nach Wunſche ſein, erwiederte Theodor.

Noch weniger als Anton, fuhr Wilibald in ſeiner Kritik fort, denn eben ſeine zu große Em - pfaͤnglichkeit hindert ihn, ſich und andre zu der Ruhe kommen zu laſſen, die durchaus unent - behrlich iſt, wenn aus Bildung oder Geſelligkeit irgend etwas werden ſoll. Er kann weder in einer guten noch ſchlechten Geſellſchaft ſein, daß ihn nicht die Luſt anwandelt, Comoͤdie zu ſpie - len, ex tempore oder nach memorirten Rollen; es ſcheint faſt, daß ihm in ſeiner eigenen Haut ſo unbehaglich iſt, daß er lieber die eines jeden andern Narren uͤber zieht, um ſeiner ſelbſt nur los zu werden. Die heilige Stelle in der Welt, ſein Tempel, iſt das Theater, und ſelbſt jedes ſchlechte Subjekt, das nur einmal die Bretter oͤffentlich betreten hat, iſt ihm mit einer gewiſ - ſen Glorie umgeben. Geſtern den ganzen Abend unterhielt er uns mit ſeiner ehemaligen Bekeh - rungsſucht und Proſelytenmacherei, wie er jeden armen Suͤnder zum Shakſpear wenden und ihn von deſſen Herrlichkeit hatte durchdringen wol -57Einleitung.len; er erzaͤhlte ſo lannig, wie und auf welchen Wegen er nach ſo manchen komiſchen Verirrun - gen von dieſer Schwachheit zuruͤck gekommen ſei, und, ſiehe, noch in derſelben Stunde nahm er den alten Landjunker von druͤben in die Beichte und ſuchte ihm das Verſtaͤndniß fuͤr den Ham - let aufzuſchließen, der nur immer wieder darauf zuruͤck kam, daß man beim Auffuͤhren die Tod - tengraͤber-Scene nicht auslaſſen duͤrfe, weil ſie die beſte im ganzen Stuͤcke ſei. Mir ſcheint es eine wahre Krankheit, ſich in einen Autor, habe er Namen wie er wolle, ſo durchaus zu ver - tiefen, und ich glaube, daß durch das zu ſtarre Hinſchauen das Auge am Ende eben ſo geblen - det werde, wie durch ein irres Herumfahren von einem Gegenſtande zum andern. Selbſt bei Wei - bern, die Schmeicheleien von ihm erwarten, bricht er in Lobpreiſungen des Lear und Macbeth aus, und die einfaͤltigſte kann ihm liebenswuͤrdig und klug erſcheinen, wenn ſie nur Geduld genug hat, ihm ſtundenlang zuzuhoͤren.

Gegen unſern Ernſt kannſt du wohl ſchwer - lich dergleichen einwenden? fragte Theodor.

Er iſt mir vielleicht der verdrießlichſte von allen, fiel Wilibald ein; er, der alles beſſer weiß, beſſer wuͤrde gemacht haben, der ſchon ſeit Jahren geſehn hat, wohin alles kommen wird, der ſelten jemand ausſprechen laͤßt, ihn zu verſtehn ſich aber niemals die Muͤhe giebt, weil er ſchon im voraus uͤberzeugt iſt, er muͤſſe58Einleitung.erſt hinzufuͤgen, was in der fremden Meinung etwa Sinn haben koͤnne. Er iſt der thaͤtigſte und zugleich der traͤgſte aller Menſchen; bald iſt er auf dieſer, bald auf jener Reiſe, weil er alles mit eigenen Augen ſehen will, alles will er ler - nen, keine Bibliothek iſt ihm vollſtaͤndig genug, kein Ort ſo entfernt, von dem er nicht Buͤcher verſchriebe; bald iſt es Geſchichte, bald Poeſie oder Kunſt, bald Phyſik, oder gar Myſtik, was er ſtudirt, und wieder von neuem ſtudirt; er laͤ - chelt nur, wenn andre ſprechen, als wollt 'er ſagen: laßt mich nur gewaͤhren, laßt mich nur zur Rede kommen, ſo ſollt ihr Wunder hoͤren! Und wenn man nun wartet, und Jahre lang wartet, ihn dann endlich auffordert, daß er ſein Licht leuchten laſſe, ſo muß er wieder dieſes Werk nachleſen, jene Reiſe erſt machen, ſo fehlt es gerade am Allernothwendigſten, und ſo vertroͤ - ſtet er ſich ſelbſt und andre auf eine nimmer er - ſcheinende Zukunft. Die uͤbrigen aͤrgern mich nur, er aber macht mich boͤſe; denn das iſt das ver - druͤßlichſte am Menſchen, wenn er vor lauter Gruͤndlichkeit auch nicht einmal an die Oberflaͤche der Dinge gelangen kann: es iſt die Gruͤndlich - keit der Danaiden, die auch immer hofften, der naͤchſte Guß wuͤrde nun der rechte und letzte ſein, und nicht gewahr wurden, daß es eben an Bo - den mangle.

Wollt ihr mir nun nicht auch von mir ein liebes kraͤftig Woͤrtchen ſagen? neckte ihn Theodor.

59Einleitung.

An dir, ſagte Wilibald, iſt auch das ver - loren, denn ſo wie du mit jeder Feder eine andere Hand ſchreibſt, klein, groß, aͤngſtlich oder fluͤchtig, ſo biſt du auch nur der Anhang eines jeden, mit dem du lebſt; ſeine Leidenſchaften, Liebhabereien, Kenntniſſe, Zeitverderb, haſt und treibſt du mit ihm, und nur dein Leichtſinn iſt es, welcher alles, auch das widerſprechendſte, in dir verbindet. Du biſt hauptſaͤchlich die Urſach, daß wir, ſo oft wir noch beiſammen geweſen ſind, zu keinem zweckmaͤßigen Leben haben kom - men koͤnnen, weil du dir nur in Unordnung und leerem Hintraͤumen wohlgefaͤllſt. Heute ſind wir einmal recht vergnuͤgt geweſen! pflegſt du am Abend zu ſagen, wenn du die uͤbrigen verleiteſt haſt, recht viel dummes Zeug zu ſchwatzen; bei einer Albernheit geht dir das Herz auf, doch ich verſchwende nur meinen Athem, denn ich ſehe du lachſt auch hieruͤber.

Allerdings, rief Theodor im froheſten Muthe aus, o mein zorniger, mißmuthiger Camerad! du Ordentlicher, Bedaͤchtlicher, der die ganze Welt nach ſeiner Taſchenuhr ſtellen moͤchte, du, der in jede Geſellſchaft eine Stunde zu fruͤh kommt, um ja nicht eine halbe Viertelſtunde zu ſpaͤt an - zulangen, du, der du wohl ins Theater gegan - gen biſt, bevor die Caffe noch eroͤffnet war, der auch dann im ledigen Hauſe beim ſchoͤnſten Wet - ter ſitzen bleibt, um ſich nur den beſten Platz auszuſuchen, mit dem er nachher im Verlauf des60Einleitung.Stuͤckes doch wieder unzufrieden wird. Ich habe es ja erlebt, daß du zu einem Balle fuhrſt, und mich und meine Geſellſchaft ſo uͤber die Gebuͤhr triebſt, daß wir anlangten, als die Bedienten noch den Tanzſaal ausſtaͤubten und kein einziges Licht angezuͤndet war. Dieſe deine Ordnung willſt du in jede Geſellſchaft einfuͤhren, um nur alles eine Stunde fruͤher als gewoͤhnlich zu thun, und gaͤbe man dir ſelbſt dieſe Stunde nach, ſo wuͤrdeſt du wieder eine Stunde zu verlangen, ſo daß man, um mit dir ordentlich zu leben, immer im Zirkel um die vier und zwanzig Stunden des Tages mit Fruͤhſtuͤck, Mittag - und Abendeſſen herum fahren muͤßte. Weil geſtern die Geſell - ſchaft noch nicht verſammelt war, als die Suppe auf dem Tiſche ſtand, und jeder nach ſeiner Ge - legenheit etwas ſpaͤter kam, daruͤber biſt du noch heut verſtimmt, du Heimtuͤckiſcher, Nachtragender! noch mehr aber daruͤber, daß wir aus Scherz die geheime Abrede trafen, dich durchaus von Au - guſtens Seite wegzuſchieben, zu der du dich mit oͤffentlichem Geheimniß ſo gefliſſentlich draͤngſt, und meinſt, wir alle haben keine Augen und Sinne, um deine feurigen Augen und wohl - geſetzten verliebten Redensarten wahrzunehmen. Sieh, Freund, man kennt dich auch, und weiß auch deine empfindliche Seite zu treffen.

Wilibald zwang ſich zu lachen und ging empfindlich fort; indem ſah man Lothar und Ernſt von der Straße des Berges, der uͤber dem61Einleitung.Garten und Hauſe lag, herunter reiten. Der einſame Anton geſellte ſich zu Theodor und beide ſprachen uͤber Wilibald; es iſt doch ſeltſam, ſagte Anton, daß die Furcht vor der Affektation bei ei - nem Menſchen ſo weit gehen kann, daß er da - ruͤber in ein herbes widerſpaͤnſtiges Weſen geraͤth, wie es unſerm Freunde ergeht; er argwoͤhnt al - lenthalben Affektation und Unnatuͤrlichkeit, er ſieht ſie allenthalben und will ſie jedem Freunde und Bekannten abgewoͤhnen, und damit man ihm nur nicht etwas Unnatuͤrliches zutraue, faͤllt er lieber oft in eine gewiſſe rauhe Manier, die von der Liebenswuͤrdigkeit ziemlich entfernt iſt.

So will er die Weiber auch immer maͤnn - lich machen, ſagte Theodor, ging es nach ihm, ſo muͤſten ſie gerade alles das ablegen, was ſie ſo unbeſchreiblich liebenswuͤrdig macht.

Eine eigene Rubrik, fuͤgte Anton hinzu, haͤlt er, welche er Kindereien uͤberſchreibt, und in die er ſo ziemlich alles hinein traͤgt, was Sehnſucht, Liebe, Schwaͤrmerei, ja Religion genannt wer - den muß. Wie die Welt wohl uͤberhaupt aus - ſaͤhe, wenn ſie nach ſeinem vernuͤnftigen Plane formirt waͤre?

Selbſt Sonne und Mond, ſagte Theodor, halten nicht einmal die gehoͤrige Ordnung, des Uebrigen zu geſchweigen. Die Abweichung der Magnetnadel muß nach ihm entweder Affekta - tion oder Kinderei ſein, und ſtatt ſich in den Euripus zu ſtuͤrzen, weil er die vielfache Ebbe62Einleitung.und Fluth nicht begreifen konnte, haͤtte er ru - hig am Ufer geſtanden, und bloß den Kopf ein wenig geſchuͤttelt und gemurmelt: laͤppiſch! laͤp - piſch!

Bis zum Abentheuerlichen unnatuͤrlich ſind die Cometen, verſetzte Anton, ja alle Exiſtenz hat wohl nur wie ein umgekehrter Handſchuh die unrechte Seite herausgedreht, und iſt dadurch exiſtirend geworden.

Zweifelt ihr daran, ihr armen Suͤnder? rief Wilibald aus dem naͤchſten Laubengange heraus, in welchem er alles gehoͤrt hatte; koͤnnt ihr euch euren doppelten unbefriedigten Zuſtand anders er - klaͤren? Habt ihr dies nicht ſchon oft im Ernſt denken muͤſſen, wenn ihr uͤberhaupt daruͤber ge - dacht habt, was ihr jetzt als Spaß ausſprecht? Und wenn die Menſchenſeele ſich ſelbſt unvollen - det und umgedreht empfindet, warum ſoll denn alles uͤbrige Geſchaffene richtiger und beſſer ſein? Ihr hoffaͤrtigen Erdenwuͤrmer neigt euch in den Staub, und macht euch nicht uͤber Leute luſtig, die, wenn es die Noth erfordert, auch wohl uͤber Milchſtraßen und Trabanten und Sonnenſyſteme zu ſprechen wiſſen.

Ernſt und Lothar traten hinzu und erzaͤhl - ten viel von der anmuthigen Lage der merkwuͤr - digen Ruine, und Ernſt zuͤrnte uͤber den fre - velnden Leichtſinn der Zeit, der ſchon ſo viel Herrliches zerſtoͤrt habe und es allenthalben zu vernichten fortfahre. Wie tief, rief er aus, wird63Einleitung.uns eine beſſere Nachwelt verachten, und uͤber unſern anmaßlichen Kunſtſinn und die faſt krank - hafte Liebhaberei an Poeſie und Wiſſenſchaft laͤ - cheln, wenn ſie hoͤrt, daß wir Denkmale aus gemeinem, faſt thieriſchen Nichtachten, oder aus klaͤglichem Eigennutz abgetragen haben, die aus einer Heldenzeit zu uns heruͤber gekommen ſind, an der wir unſern erlahmten Sinn fuͤr Vater - land und alles Große wieder aufrichten koͤnnten. So braucht man herrliche Gebaͤude zu Wollſpin - nereien und ſchlaͤgt duͤrftige Kammern in die Pracht alter Ritterſaͤle hinein, als wenn es uns an Raum gebraͤche, um die Armſeligkeit unſers Zuſtandes nur recht in die Augen zu ruͤcken, der in Pallaͤſten der Heroen ſeine traurige Thaͤtigkeit ausſpannt, und große Kirchen in Scheuern und Rumpelkammern verwandelt.

Iſt ihnen doch die Vorzeit ſelbſt nichts an - ders, ſagte Lothar, und des Vaterlandes ruͤhrende Geſchichte, eben ſo haben ſie ſich in dieſe mit ihren unerſprießlichen Zwecken hinein geklemmt, und verwundern ſich laͤchelnd daruͤber, wie man ehemals nur das Beduͤrfniß ſolcher Groͤße haben mochte.

Jetzt zeigte ſich die uͤbrige Geſellſchaft. Man - fred fuͤhrte ſeine Schwiegermutter, Friedrich, wel - cher verweinte Augen hatte, die ſchoͤne Roſalie, Anton bot ſeinen Arm der freundlichen Clara, und Wilibald geſellte ſich zu Auguſten, indem er dem laͤchelnden Theodor einen triumphirenden64Einleitung.Blick zuwarf. Man wandelte in den breiten Gaͤn - gen, welche oben gegen den eindringenden Son - nenſtrahl gewoͤlbt und dicht verflochten waren, in heitern Geſpraͤchen auf und nieder, und Lothar ſagte nach einiger Zeit: wir ſprachen eben von den Ruinen altdeutſcher Baukunſt, und bedauer - ten, daß viele Schloͤſſer und Kirchen gaͤnzlich verfallen, die mit geringen Koſten als Denkmale unſern Nachkommen koͤnnten erhalten werden, aber indem ich den Schatten dieſer Gaͤnge genieße, erinnere ich mich der ſeltſamen Verirrung, daß man jetzt vorſaͤtzlich auch viele Gaͤrten zerſtoͤrt, die in dem ſogenannten Franzoͤſiſchen Geſchmack angelegt ſind, um eine unerfreuliche Verwirrung von Baͤumen und Geſtraͤuchen an die Stelle zu ſetzen, die man nach dem Modeausdrucke Park benamt, und ſo bloß einer todten Formel froͤhnt, indem man ſich im Wahn befindet, etwas Schoͤ - nes zu erſchaffen.

Du erinnerſt mich, ſagte Ernſt, an die Ere - mitags bei Bayreuth und manchen andern Gar - ten; wenn dieſe Einſiedelei auch manche aufge - mauerte Kindereien zeigt, ſo war ſie doch in ih - rer alten Geſtalt hoͤchſt erfreulich, ich verwun - derte mich nicht wenig, ſie vor einigen Jahren ganz verwildert wieder zu finden.

Es fehlt unſrer Zeit, ſagte Friedrich, ſo ſehr ſie die Natur ſucht, eben der Sinn fuͤr Natur, denn nicht allein dieſe regelmaͤßigen Gaͤrten, die dem jetzigen Geſchmacke zuwider ſind, bekehrt manzum65Einleitung.zum Romantiſchen, ſondern auch wahrhaft ro - mantiſche Wildniſſe werden verfolgt, und zur Re - gel und Verfaſſung der neuen Gartenkunſt erzo - gen. So war ehemals nur die große wunder - volle Heidelberger Ruine eine ſo gruͤne, friſche, poetiſche und wilde Einſamkeit, die ſo ſchoͤn mit den verfallenen Thuͤrmen, den großen Hoͤfen, und der herrlichen Natur umher in Harmonie ſtand, daß ſie auf das Gemuͤth eben ſo wie ein vollen - detes Gedicht aus dem Mittelalter wirkte, ich war ſo entzuͤckt uͤber dieſen einzigen Fleck unſrer deutſchen Erde, daß das gruͤnende Bild ſeit Jah - ren meiner Phantaſie vorſchwebte, aber vor eini - ger Zeit fand ich auch hier eine Art von Park wieder, der zwar dem Wandelnden manchen ſchoͤ - nen Platz und manche ſchoͤne Ausſicht goͤnnt, der auf bequemen Pfaden zu Stellen fuͤhrt, die man vormals nur mit Gefahr erklettern konnte, der ſelbſt erlaubt, Erfriſchungen an anmuthigen Raͤu - men ruhig und ſicher zu genießen, doch wiegen alle dieſe Vortheile nicht die großartige und ein - zige Schoͤnheit auf, die hier aus der beſten Ab - ſicht iſt zerſtoͤrt worden.

Hier wurde das Geſpraͤch unterbrochen, in - dem der Bediente meldete, daß angerichtet ſei.

Man ging durch die großen offenen Thuͤren des Speiſeſaales, der unmittelbar an den Gar - ten ſtieß, und aus dem man den gegenuͤber lie -I. [5]66Einleitung.genden Berg mit ſeinen vielfach gruͤnenden Ge - buͤſchen und ſchoͤnen Waldparthieen vor ſich hatte; zunaͤchſt war ein runder Wieſenplan des Gartens, welchen die lieblichſten Blumengrup - pen umdufteten, und als Krone des gruͤnen Platzes glaͤnzte und rauſchte in der Mitte ein Springbrunnen, der durch ſein liebliches Getoͤn gleich ſehr zum Schweigen wie zum Sprechen einlud.

Alle ſetzten ſich, Wilibald zwiſchen Auguſte und Clara, neben dieſer ließ Anton ſich nieder, und ihm zunaͤchſt Emilie, zwiſchen ihr und Ro - ſalien hatte Friedrich ſeinen Platz gefunden, an welche ſich Lothar ſchloß, und neben ihm ſaßen die uͤbrigen Maͤnner. Auf dem Tiſche prang - ten Blumen in geſchmackvollen Gefaͤßen und in zierlichen Koͤrben fruͤhe Kirſchen. Wie kommt es, fing die aͤltere Emilie nach einer Pauſe an, daß es bei jeder Tiſchgeſellſchaft im Anfang ſtill zugeht? Man iſt nachdenkend und ſieht vor ſich nieder, auch erwartet Niemand ein lebhaftes Ge - ſpraͤch, denn es ſcheint, daß die Suppe eine gewiſſe ernſte, ruhige Stimmung veranlaßt, die gewoͤhnlich ſehr mit dem Beſchluß der Mahlzeit und dem Nachtiſche kontraſtirt.

Vieles erklaͤrt der Hunger, ſagte Wilibald, der ſich meiſtentheils erſt durch die Naͤhe der Speiſen meldet, beſonders, wenn man ſpaͤter zu Tiſche geht, als es feſtgeſetzt war, denn War - ten macht hungrig, dann durſtig, und wenn es67Einleitung.zu lange ſpannt, erregt es wahre Uebelkeit, faſt Ohnmacht.

Sehr wahr, ſagte Roſalie, und die Herren ſollten das nur bedenken, die uns Frauen faſt immer warten laſſen, wenn ſie eine Jagd, einen Spatzierritt, oder ein ſogenanntes Geſchaͤft vor - haben.

Laſſen denn die Damen nicht eben ſo oft auf ſich warten, erwiederte Wilibald, und wohl laͤnger, wenn ſie mit ihrem Anzug nicht einig oder fertig werden koͤnnen? Da uͤberdies die meiſten niemals wiſſen, wie viel es an der Uhr iſt, ja daß es uͤberhaupt eine Zeitabtheilung giebt.

Recht! ſagte Manfred; neulich wollten ſie einen Beſuch in der Nachbarſchaft machen, noch vorher eine Oper durchſingen, und ein wenig ſpatzieren gehen, um dabei zugleich das kranke Kind im Dorfe zu beſuchen, dann wollte man bei Zeiten wieder zu Hauſe ſein und etwas fruͤ - her eſſen als gewoͤhnlich, weil wir den Nach - mittag einmal recht genießen wollten; als man aber, um doch anzufangen, nach der Uhr ſah, fand ſichs, daß es gerade nur noch eine halbe Stunde bis zur gewoͤhnlichen Tiſchzeit war, und die lieben Zeitloſen kaum noch Zeit ſich umzu - kleiden hatten.

Doch bitt 'ich mich auszunehmen, ſagte Ro - ſalie, tadelſt du mich doch ſonſt immer, daß ich zu puͤnktlich, zu ſehr nach der Stunde bin, ſonſt68Einleitung.wuͤrde es auch mit den Einrichtungen der Wirth - ſchaft uͤbel ausſehn.

Dich nehm 'ich aus, ſagte Manfred, und einer Hausfrau ſteht auch nichts ſo liebenswuͤr - dig, als eine ſtille, unerſchuͤtterliche Ordnung: aber auch nur die ſtille Ordnung, denn noch ſchlimmer als die Unordentlichen ſind die fuͤr die Ordnung Wuͤthenden, in deren Haͤuſern nichts als Einrichtung, Abrichten der Domeſtiken, Auf - raͤumen und Staubabwiſchen zu finden iſt; eine ſolche Frau haben, waͤre eben ſo wie unter der großen Kirchenuhr und den Glocken wohnen, wo man nichts als den Perpendikel und das fuͤrchterliche Schlagen der Stunden hoͤrt: auch eine maͤnnlich ordentliche und unternehmende Thereſe iſt widerwaͤrtig. Aber in aller liebens - wuͤrdigen weiblichen Unordnung ſchweift meine theure Schweſter Auguſte etwas zu ſehr aus.

Das weiß Gott! fuhr Wilibald etwas uͤber - eilt heraus; denn wenn ein Spatziergang abge - redet iſt, ſo muß man wohl anderthalb Stun - den mit dem Stock in der Hand unten ſtehn und warten, und dann hat die liebenswuͤrdige Dame entweder den Spatziergang ganz vergeſſen, und beſinnt ſich erſt darauf, wenn man einige - mal hat erinnern laſſen, oder ſie kommt auch wohl endlich, aber nun hat man nicht an Hand - ſchuh und Sonnenſchirm und Tuch gedacht; man geht zuruͤck, man kramt, und faͤllt dabei nicht ſelten wieder in eine Beſchaͤftigung, die69Einleitung.den Spatziergang von neuem mit Schiffbruch bedroht. O Gott! und nach allen dieſen Leiden ſoll unſer eins nachher noch liebenswuͤrdig ſein!

Das iſt ja eben die Liebenswuͤrdigkeit, ſagte Auguſte, denn wenn euch alles entgegen getra - gen, allen euren Launen geſchmeichelt wird, wenn man euch ſo ſchlicht hin fuͤr Herrſcher er - klaͤrt, daß ihr dann zuweilen ein wenig liebens - wuͤrdig ſeid, iſt doch wahrlich kein Verdienſt.

Um wieder auf die Suppe zu kommen, die jetzt genoſſen iſt, ſagte Lothar, ſo ruͤhrt es wohl nicht ſo ſehr von einem materiellen Beduͤrfniß her, daß man bei ihr wenig ſpricht, ſondern mich duͤnkt jedes Mahl und Feſt iſt einem Schauſpiel, am beſten einem Shakſpearſchen Luſt - ſpiel, zu vergleichen, und hat ſeine Regeln und Nothwendigkeiten, die ſich auch unbewußt in den meiſten Faͤllen ausſprechen.

Wie koͤnnte es wohl einem verſtaͤndigen Menſchen etwas anders ſein? unterbrach ihn Wilibald mit Lachen; o wie oft iſt doch unbe - wußt der Luſtſpieldichter ſelbſt ein erfreulicher Gegenſtand fuͤr ein Luſtſpiel!

Laß ihn ſprechen, ſagte Manfred, magſt du doch die Mahlzeit nachher mit einer Schlacht, oder gar mit der Weltgeſchichte vergleichen; am Tiſch muß unbedingte Gedanken - und Eßfreiheit herrſchen.

Daß die abwechſelnden Gerichte und Gaͤnge, fuhr Lothar fort, ſich mit Akten und Scenen70Einleitung.ſehr gut vergleichen laſſen, faͤllt in die Augen; eben ſo ausgemacht iſt es fuͤr den denkenden und hoͤheren Eſſer (ich ignorire jene gemeinere Naturen, die an allem zweifeln, und etwa in materieller Dumpfheit meinen koͤnnen, das Eſ - ſen geſchehe nur, um den Hunger zu vertreiben), daß eine gewiſſe allgemeine Empfindung ausge - ſprochen werden ſoll, der in der ganzen Compo - ſition der Tafel nichts widerſprechen darf, ſei es von Seiten der Speiſen, der Weine, oder der Geſpraͤche, denn aus allem ſoll ſich eine romantiſche Compoſition entwickeln, die mich unterhaͤlt, befriedigt und ergoͤtzt, ohne meine Neu - gier und Theilnahme zu heftig zu ſpannen, ohne mich zu taͤuſchen, oder mir bittre Ruͤckerinn - rungen zu laſſen. Die epigrammatiſchen Ge - richte zum Beiſpiel, die manchmal zur Taͤuſchung aufgetragen werden, ſind gerade zu abgeſchmackt zu nennen.

Im noͤrdlichen Deutſchland, ſagte Ernſt, ſah ich einmal Zuckergebacknes als Torf auf - ſetzen, und es gefiel den Gaͤſten ſehr.

O ihr unkuͤnſtlich Speiſenden! rief Lothar aus; warum laßt ihr euch den Marzipan nicht lieber als die Phyſiognomien eurer Gegner backen, und zerſchneidet und verzehrt ſie mit Wohlge - fallen und Herzenswuth? duͤrften nicht Rezen - ſenten, oder ſonſt verhaßte Menſchen, gleich ſo auf den Maͤrkten zum Verkauf ausgeboten werden?

Von hoͤchſt abentheuerlichen Feſten, ſagte71Einleitung.Clara, habe ich einmal im Vaſari geleſen, welche die Florentiniſchen Maler einander gaben, und die mich nur wuͤrden geaͤngſtigt haben, denn dieſe trieben die Verkehrtheit vielleicht auf das aͤußerſte. Nicht bloß, daß ſie Pallaͤſte und Tem - pel von verſchiedenen Speiſen errichteten und verzehrten, ſondern ſelbſt die Hoͤlle mit ihren Geſpenſtern mußte ihrem poetiſchen Uebermuthe dienen, und Kroͤten und Schlangen enthielten gut zubereitete Gerichte, und der Nachtiſch von Zucker beſtand aus Schaͤdeln und Todtenge - beinen.

Gern, ſagte Manfred, haͤtt 'ich an dieſen bizarren, phantaſtiſchen Dingen Theil genommen, ich habe jene Beſchreibung nie ohne die groͤßte Freude leſen koͤnnen. Warum ſollte denn nicht Furcht, Abſcheu, Angſt, Ueberraſchung zur Ab - wechſelung auch einmal in unſer naͤchſtes und alltaͤglichſtes Leben hinein geſpielt werden? Al - les, auch das Seltſamſte und Widerſinnigſte hat ſeine Zeit.

Freilich mußt du ſo ſprechen, ſagte Lothar, der du auch die Abentheuerlichkeiten des Hoͤllen - Breughels liebſt, und der du, wenn deine Laune dich anſtoͤßt, allen Geſchmack gaͤnzlich laͤugneſt und aus der Reihe der Dinge ausſtreichen willſt.

Wuͤſten wir doch nur, ſagte Manfred, wo dieſe Sphinx ſich aufhaͤlt, die alle wollen geſe - hen haben, und von der doch Niemand Rechen - ſchaft zu geben weiß: bald glaubt man an das72Einleitung.Geſpenſt bald nicht, wie an die Dulcinea des Don Quixote, und das iſt wohl der Spaß an dieſem Tagegeiſte, daß er zugleich iſt und nicht iſt.

Seltſam, aber nicht ſelten, fiel Friedrich ein, iſt die Erſcheinung (die deinen Unglauben faſt beſtaͤtigen koͤnnte), daß Menſchen, die von Jugend auf ſich ſcheinbar mit dem Geiſte des klaſſiſchen Alterthums genaͤhrt, die immer das Ideal von Kunſt im Munde fuͤhren, und unbillig ſelbſt das Schoͤnſte der Modernen verachten, ſich doch ploͤtz - lich aus wunderlicher Leidenſchaft ſo in das Ab - geſchmackte und Verzerrte der neuern Welt ver - gaffen koͤnnen, daß ihr Zuſtand ſehr nahe an Verruͤcktheit graͤnzt.

Weil ſie die neue Welt gar nicht kannten, antwortete Lothar, war ihre Liebe zur alten auch keine freie und gebildete, ſondern nur Aberglaube, der die Form fuͤr den Geiſt nahm. Mir kam auch einmal ein ſcheinbar gebildeter junger Mann vor, der, nachdem er lange nur den Sophokles und Aeſchylus angebetet hatte, ziemlich ploͤtzlich und ohne ſcheinbaren Uebergang als aͤchter Pa - triot unſern ungriechiſchen Kotzebue vergoͤtterte.

Ich bin deiner Meinung, ſo nahm Ernſt das Wort: kein Menſch iſt wohl ſeiner Ueberzeugung oder ſeines Glaubens verſichert, wenn er nicht die gegenuͤber liegende Reihe von Gedanken und Empfindungen ſchon in ſich erlebt hat, darum iſt es nie ſo ſchwer geweſen, als es beim erſten Anblick ſcheinen moͤchte, die ausgemachteſten Frei -73Einleitung.geiſter zu bekehren, weil von irgend einer Seite ihres Weſens ſich gewiß die Glaubensfaͤhigkeit erwecken laͤßt, die dann, einmal erregt, alle Em - pfindungen mit ſich reißt, und die ehemaligen Anſichten und Gedanken zertruͤmmert. Eben ſo wenig aber ſteht der Fromme, der nicht mit al - len ſeinen Kraͤften ſchon die Regionen des Zwei - fels durchwandert hat, ſeine Seele muͤſte dann etwa ganz Glaube und einfaͤltiges Vertrauen ſein, auf einem feſten Grunde.

Vorzuͤglich, ſagte Friedrich, ſind es die Lei - denſchaften, die ſo oft im Menſchen das zerſtoͤ - ren, was vorher als ſein eigenthuͤmlichſtes We - ſen erſcheinen konnte. Ich habe Wuͤſtlinge ge - kannt, wahre Gotteslaͤugner der Liebe und freche Verhoͤhner alles Heiligen, die lange mit der ſtol - zeſten Ueberzeugung ihr veraͤchtliches Leben fuͤhr - ten, und endlich, ſchon an der Graͤnze des Al - ters, von einer hoͤhern Leidenſchaft,