PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Staatengeſchichte der neueſten Zeit.
Vierundzwanzigſter Band.
Deutſche Geſchichte im neunzehnten Jahrhundert Erſter Theil.
LeipzigVerlag von S. Hirzel. 1879.
[III]
Deutſche Geſchichte im Neunzehnten Jahrhundert
Erſter Theil. Bis zum zweiten Pariſer Frieden.
LeipzigVerlag von S. Hirzel. 1879.
[IV]
[V]

An Max Duncker.

Nehmen Sie, mein verehrter Freund, die Widmung dieſer Blätter als ein Zeichen alter Treue freundlich auf. Sie haben mir bei den langwierigen Vorarbeiten ſo oft Ihre warme Theilnahme erwieſen; es thut mir wohl, zuerſt vor Ihnen auszuſprechen was ich über Anlage und Abſicht des Buchs den Leſern zu ſagen habe.

Mein Plan war urſprünglich, nur die Geſchichte des Deutſchen Bundes zu ſchreiben, nach einem kurzen Eingang ſofort mit den Ver - handlungen des Wiener Congreſſes zu beginnen. Ich erkannte jedoch bald, daß ein nicht ausſchließlich für Gelehrte beſtimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schickſale des Deutſchen Bundes bilden nur den Abſchluß des zweihundertjährigen Kampfes zwiſchen dem Hauſe Oeſter - reich und dem neu aufſteigenden deutſchen Staate; ſie bleiben dem Leſer unverſtändlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußiſchen Monarchie und den Untergang des heiligen Reichs unterrichtet iſt. Eine allen Gebil - deten gemeinſame nationale Geſchichtsüberlieferung hat ſich in unſerem kaum erſt wiedervereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politi - ſchen Helden entgegenbringen, hegen wir Deutſchen nur für die großen Namen unſerer Kunſt und Wiſſenſchaft; ſelbſt über die Frage, welche Thatſachen in dem weiten Wirrſal unſerer neuen Geſchichte die wahrhaft entſcheidenden waren, gehen die Meinungen noch weit auseinander.

Ich entſchloß mich daher in einem einleitenden Buche kurz zu ſchil - dern, wie ſich ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das neue DeutſchlandVI gebildet hat. Einem Kenner brauche ich nicht zu ſagen, wie ſchwer es iſt dieſen maſſenhaften Stoff in gedrängter Ueberſicht zuſammenzufaſſen. Der unendlichen Mannichfaltigkeit und Bedingtheit des hiſtoriſchen Lebens kann nur eine tief in das Einzelne eindringende Schilderung ganz Ge - nüge leiſten. Sie werden leicht zwiſchen den Zeilen leſen, wie oft ich in einem kurzen Satze meine Meinung über eine ſchwierige Streitfrage ſagen, wie oft ich jedes Wort abwägen mußte um beſtimmt zu reden ohne Härte, gerecht ohne Verſchwommenheit. Das Unternehmen war um ſo gewagter, da wir in Häuſſers Deutſcher Geſchichte bereits eine umfaſſende Darſtellung der letzten Jahrzehnte des heiligen Reichs beſitzen, ein Buch, das bei ſeinem Erſcheinen wie eine politiſche That wirkte und für immer eine Zierde unſerer hiſtoriſchen Literatur bleiben wird. Aber ſeit dem Tode des unvergeßlichen Mannes iſt unſere Kenntniß des napoleoniſchen Zeitalters, nicht zuletzt durch Ihre Arbeiten, weſentlich erweitert worden. Auch der Standpunkt des hiſtoriſchen Urtheils hat ſich verändert. Wer heute durch eine Schilderung jener Epoche das Verſtändniß der Gegen - wart fördern will, muß die innere Entwicklung des preußiſchen Staates und die großen Wandlungen des geiſtigen Lebens in den Vordergrund der Erzählung ſtellen.

In dem einleitenden Buche bin ich nicht darauf ausgegangen neue Thatſachen mitzutheilen. Ich habe mich auch nicht geſcheut, zuweilen Allbekanntes zu wiederholen; denn will der Hiſtoriker immer und überall neu ſein, ſo wird er nothwendig unwahr. Mein Beſtreben war, aus dem Gewirr der Ereigniſſe die weſentlichen Geſichtspunkte herauszuheben, die Männer und die Inſtitutionen, die Ideen und die Schickſalswechſel, welche unſer neues Volksthum geſchaffen haben, kräftig hervortreten zu laſſen. Darum ſind auch die inneren Zuſtände der kleineren deutſchen Staaten nur kurz behandelt; ich denke erſt im zweiten Bande, bei der Schilderung der ſüddeutſchen Verfaſſungskämpfe, mich auf dieſe Verhält - niſſe näher einzulaſſen. Möchten Sie und andere nachſichtige Richter finden, daß dieſe Ueberſicht einen annähernd richtigen Begriff giebt von den großen Gegenſätzen, welche den Staatsbau unſeres Mittelalters zer - ſtörten und den Boden ebneten für die weltlichen Staatsgebilde des neuen Jahrhunderts. Mehr als die Umriſſe des Bildes konnte ich auf ſo engem Raume nicht bieten.

VII

Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Darſtellung allmäh - lich ausführlicher, und mit den Tagen des erſten Pariſer Friedens be - ginnt dann die eingehende Geſchichtserzählung, die ich im zweiten Bande zunächſt bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für dieſen Zeitraum habe ich, mit Erlaubniß des Fürſten Reichskanzlers und des Freiherrn von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des Auswärtigen Miniſteriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug danken für die freiſinnige Bereitwilligkeit, die mir von der hieſigen Archiv - verwaltung, erſt unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer bewieſen wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es nicht mißbrauchen konnte. In der Geſchichte Preußens iſt nichts zu be - mänteln noch zu verſchweigen. Was dieſer Staat geirrt und geſündigt hat weiß alle Welt ſchon längſt, Dank der Mißgunſt aller unſerer Nach - barn, Dank der Tadelſucht unſeres eigenen Volks; ehrliche Forſchung führt in den meiſten Fällen zu der Erkenntniß, daß ſeine Staatskunſt ſelbſt in ihren ſchwachen Zeiten beſſer war als ihr Ruf.

Es giebt viele Arten Geſchichte zu ſchreiben, und jede iſt berechtigt wenn ſie nur ihren Stil rein und ſtreng einhält. Dies Buch will einfach erzählen und urtheilen. Sollte die Darſtellung nicht völlig formlos wer - den, ſo durfte ich den Leſern nur das fertige Ergebniß der Unterſuchung vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der Forſchung aufzuweiſen oder ſie mit polemiſchen Auseinanderſetzungen zu beläſtigen.

Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte, welche dieſer Band zu ſchildern verſucht, empfinde ich wieder, wie ſo oft beim Schreiben, den Reichthum und die ſchlichte Größe unſerer vater - ländiſchen Geſchichte. Kein Volk hat beſſeren Grund als wir, das An - denken ſeiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk, leider, erinnert ſich ſo ſelten, durch wie viel Blut und Thränen, durch wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen ſeiner Ein - heit geſchaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben ſchon in der Paulskirche den Traum vom preußiſchen Reiche deutſcher Nation geträumt und ſind im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs; denn Sie wiſſen, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart erſcheinen neben dem Jammer der alten kaiſerloſen Tage. Sie werden mich nicht tadeln, wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der hiſtoriſchen Rede dann undVIII wann ein hellerer Ton entgegenklingt. Der Erzähler deutſcher Geſchichte löſt ſeine Aufgabe nur halb, wenn er blos den Zuſammenhang der Er - eigniſſe aufweiſt und mit Freimuth ſein Urtheil ſagt; er ſolle auch ſelber fühlen und in den Herzen ſeiner Leſer zu erwecken wiſſen was viele un - ſerer Landsleute über dem Zank und Verdruß des Augenblicks heute ſchon wieder verloren haben: die Freude am Vaterlande.

Berlin 10. Februar 1879.

Heinrich von Treitſchke.

[1]

Erſtes Buch.

Einleitung. Der Untergang des Reichs.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 1[2][3]

Erſter Abſchnitt. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Die deutſche Nation iſt trotz ihrer alten Geſchichte das jüngſte unter den großen Völkern Weſteuropas. Zweimal ward ihr ein Zeitalter der Jugend beſchieden, zweimal der Kampf um die Grundlagen ſtaatlicher Macht und freier Geſittung. Sie ſchuf ſich vor einem Jahrtauſend das ſtolzeſte Königthum der Germanen und mußte acht Jahrhunderte nachher den Bau ihres Staates auf völlig verändertem Boden von Neuem be - ginnen, um erſt in unſern Tagen als geeinte Macht wieder einzutreten in die Reihe der Völker.

Sie hatte einſt in überſchwellendem Thatendrang die Kaiſerkrone der Chriſtenheit mit der ihren verbunden, ihr Leben ausgeſchmückt mit allen Reizen ritterlicher Kunſt und Bildung, Ungeheures gewagt und geopfert um die Führerſchaft des Abendlandes zu behaupten. In den weltumſpannenden Kämpfen ihrer großen Kaiſer ging die Macht der deutſchen Monarchie zu Grunde. Auf den Trümmern des alten Königthums erhebt ſich ſodann eine junge Welt territorialer Gewalten: geiſtliche und weltliche Fürſten, Reichs - ſtädte, Grafen und Ritter, ein formloſes Gewirr unfertiger Staatsgebilde, voll wunderbarer Lebenskraft. Mitten im Niedergange der kaiſerlichen Herr - lichkeit vollführen die Fürſten Niederſachſens, die Ritter des deutſchen Ordens und die Bürger der Hanſa mit Schwert und Pflug die größte Coloniſation, welche die Welt ſeit den Tagen der Römer geſehen: die Lande zwiſchen Elbe und Memel werden erobert und beſiedelt, die ſkandinaviſchen und die ſlaviſchen Völker auf Jahrhunderte hinaus deutſchem Handel, deutſcher Bildung unterworfen. Aber Fürſten und Adel, Bürgerthum und Bauerſchaften gehen Jeder ſeines eigenen Weges; der Haß der Stände vereitelt alle Verſuche, dieſe Ueberfülle ſchöpferiſcher Volkskräfte politiſch zu ordnen, die zerfallende Staatseinheit in bündiſchen Formen wieder aufzurichten.

Dann hat Martin Luther nochmals begeiſterte Männer aus allen Stämmen des zerſplitterten Volkes zu großem Wirken vereinigt. Der1*4I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Ernſt des deutſchen Gewiſſens führte die verweltlichte Kirche zurück zu der erhabenen Einfalt des evangeliſchen Chriſtenthums; deutſchem Geiſte entſprang der Gedanke der Befreiung des Staates von der Herrſchaft der Kirche. Unſer Volk erſtieg zum zweiten male einen Höhepunkt ſeiner Geſittung, begann ſchlicht und recht die verwegenſte Revolution aller Zeiten. In anderen germaniſchen Ländern hat der Proteſtantismus überall die nationale Staatsgewalt geſtärkt, die Vielherrſchaft des Mittel - alters aufgehoben. In ſeinem Geburtslande vollendete er nur die Auf - löſung des alten Gemeinweſens. Es ward entſcheidend für alle Zukunft der deutſchen Monarchie, daß ein Fremdling unſere Krone trug während jener hoffnungsfrohen Tage, da die Nation frohlockend den Wittenberger Mönch begrüßte und, bis in ihre Tiefen aufgeregt, eine Neugeſtaltung des Reiches an Haupt und Gliedern erwartete. Die kaiſerliche Macht, dermaleinſt der Führer der Deutſchen im Kampfe wider das Papſtthum, verſagte ſich der kirchlichen, wie der politiſchen Reform. Das Kaiſerthum der Habsburger ward römiſch, führte die Völker des romaniſchen Süd - europas ins Feld wider die deutſchen Ketzer und iſt fortan bis zu ſeinem ruhmloſen Untergange der Feind alles deutſchen Weſens geblieben.

Die evangeliſche Lehre ſucht ihre Zuflucht bei den weltlichen Landes - herren. Als Beſchützer des deutſchen Glaubens behaupten und bewähren die Territorialgewalten das Recht ihres Daſeins. Doch die Nation vermag weder ihrem eigenſten Werke, der Reformation, die Alleinherrſchaft zu bereiten auf deutſchem Boden, noch ihren Staat durch die weltlichen Gedanken der neuen Zeit zu verjüngen. Ihr Geiſt, von Alters her zu überſchwänglichem Idealismus geneigt, wird durch die tiefſinnige neue Theologie den Kämpfen des politiſchen Lebens ganz entfremdet; das leidſame Lutherthum verſteht nicht die Gunſt der Stunde zu befreiender That zu benutzen. Schimpflich geſchlagen im ſchmalkaldiſchen Kriege beugt das waffengewaltige Deutſchland zum erſten male ſeinen Nacken unter das Joch der Fremden. Dann rettet die wüſte Empörung Moritz’s von Sachſen dem deutſchen Proteſtantismus das Daſein und zerſtört die hispaniſche Herrſchaft, aber auch die letzten Bande monarchiſcher Ordnung, welche das Reich noch zuſammengehalten; in ſchrankenloſer Willkür ſchaltet fortan die Libertät der Reichsſtände. Nach raſchem Wechſel halber Erfolge und halber Niederlagen ſchließen die ermüdeten Parteien den vorzeitigen Religionsfrieden von Augsburg. Es folgen die häßlichſten Zeiten deutſcher Geſchichte. Das Reich ſcheidet freiwillig aus dem Kreiſe der großen Mächte, verzichtet auf jeden Antheil an der europäiſchen Politik. Unbe - weglich und doch unverſöhnt lebt die ungeſtalte Maſſe katholiſcher, lutheriſcher, calviniſcher Landſchaften durch zwei Menſchenalter träge träumend dahin, während dicht an unſern Grenzen die Heere des katho - liſchen Weltreichs ihre Schlachten ſchlagen, die niederländiſchen Ketzer um die Freiheit des Glaubens und die Herrſchaft der Meere kämpfen.

5Anfang der neuen deutſchen Geſchichte.

Da endlich bricht der letzte, der entſcheidende Krieg des Zeitalters der Glaubenskämpfe über das Reich herein. Die Heimath des Pro - teſtantismus wird auch ſein Schlachtfeld. Sämmtliche Mächte Europas greifen ein in den Krieg, der Auswurf aller Völker hauſt auf deutſcher Erde. In einer Zerſtörung ohne Gleichen geht das alte Deutſchland zu Grunde. Die einſt nach der Weltherrſchaft getrachtet, werden durch die unbarmherzige Gerechtigkeit der Geſchichte dem Ausland unter die Füße geworfen. Rhein und Ems, Elbe und Weſer, Oder und Weichſel, alle Zugänge zum Meere ſind fremder Nationen Gefangene ; dazu am Ober - rhein die Vorpoſten der franzöſiſchen Uebermacht, im Südoſten die Herr - ſchaft der Habsburger und der Jeſuiten. Zwei Drittel der Nation hat der gräuelvolle Krieg dahingerafft; das verwilderte Geſchlecht, das noch in Schmutz und Armuth ein gedrücktes Leben führt, zeigt nichts mehr von der alten Großheit des deutſchen Charakters, nichts mehr von dem freimüthig heiteren Heldenthum der Väter. Der Reichthum einer uralten Geſittung, was nur das Daſein ziert und adelt, iſt verſchwunden und vergeſſen bis herab zu den Handwerksgeheimniſſen der Zünfte. Das Volk, das einſt von Chriemhilds Rache ſang und ſich das Herz erhob an den heldenhaften Klängen lutheriſcher Lieder, ſchmückt jetzt ſeine verarmte Sprache mit fremden Flittern, und wer noch tief zu denken vermag, ſchreibt franzöſiſch oder lateiniſch. Das geſammte Leben der Nation liegt haltlos jedem Einfluß der überlegenen Cultur des Auslandes geöffnet. Auch die Erinnerung an die Hoheit wundervoller Jahrhunderte geht der Maſſe des Volks über dem Jammer der Schwedennoth, über den kleinen Sorgen des armſeligen Tages verloren; fremd und unheimlich ragen die Zeugen deutſcher Bürgerherrlichkeit, die alten Dome in die ver - wandelte Welt. Erſt anderthalb Jahrhunderte darauf hat die Nation durch mühſame gelehrte Forſchung die Schätze ihrer alten Dichtung wieder aufgegraben, erſtaunend, wie reich ſie einſt geweſen. Kein anderes Volk ward jemals ſo gewaltſam ſich ſelber und ſeinem Alterthum ent - fremdet; ſogar das heutige Frankreich iſt nicht durch eine ſo tiefe Kluft getrennt von den Zeiten ſeines alten Königthums.

Die grauenhafte Verwüſtung ſchien den Untergang des deutſchen Namens anzukündigen, und ſie ward der Anfang eines neuen Lebens. In jenen Tagen des Elends, um die Zeit des Weſtphäliſchen Friedens beginnt unſere neue Geſchichte. Zwei Mächte ſind es, an denen dies verſinkende Volk ſich wieder aufgerichtet hat, um ſeitdem in Staat und Wirthſchaft, in Glauben, Kunſt und Wiſſen ſein Leben immer reicher und voller zu geſtalten: die Glaubensfreiheit und der preußiſche Staat.

Deutſchland hatte durch die Leiden und Kämpfe der dreißig Jahre die Zukunft des Proteſtantismus für den geſammten Welttheil geſichert und zugleich den Charakter ſeiner eigenen Cultur unverrückbar feſtgeſtellt. Sein äußerſter Süden ragte hinein in die katholiſche Welt der Romanen,6I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſeine Nordmarken berührten das harte Lutherthum Skandinaviens, doch ſeine Kernlande blieben der Sammelplatz dreier Bekenntniſſe. Die deutſche Nation war das einzige paritätiſche unter den großen Völkern und darum gezwungen den blutig erkämpften kirchlichen Frieden in Staat und Geſellſchaft, in Haus und Schule durch die Gewöhnung jedes neuen Tages zu befeſtigen. Vor Zeiten, da die römiſche Kirche noch die allgemeine Kirche war und die Keime des Proteſtantismus in ſich umſchloß, hatte ſie unſer Volk für die Geſittung erzogen, ſeine Kunſt und Wiſſenſchaft reich befruchtet. Als ſie dieſe Mächte der Freiheit ausſtieß und geſtützt auf die romaniſchen Völker ſich umgeſtaltete zu einer ge - ſchloſſenen kirchlichen Partei, da gelang ihr zwar durch die Herrſcherkunſt des Hauſes Habsburg einen Theil des deutſchen Reiches zurückzuerobern; dem Gemüthe unſeres Volkes blieb der jeſuitiſche Glaube immer fremd. Die reichen geiſtigen Kräfte der neu-römiſchen Kirche entfalteten ſich prächtig in ihren romaniſchen Heimathlanden; in dieſem feindlichen deutſchen Boden, in dieſem Volke geborener Ketzer wollten ſie nicht Wurzel ſchlagen. Hier ſang kein Taſſo, kein Calderon, hier malte kein Rubens, kein Murillo. Niemand unter den faulen Bäuchen des deutſchen Mönch - thums wetteiferte mit dem Gelehrtenfleiße der ehrwürdigen Väter von St. Maur. Die Geſellſchaft Jeſu erzog unter den Deutſchen viele fromme Prieſter und gewandte Staatsmänner, auch manche plumpe Eiferer, welche, wie Pater Buſenbaum, mit ungeſchlachter Germanenderb - heit der Welt das Geheimniß verriethen, daß der Zweck die Mittel heilige; doch ihre geſammte Bildung war das Werk romaniſcher Köpfe, wie die ſinnberauſchenden Formen ihres Cultus. In Deutſchland wirkte der neue Katholicismus nur hemmend und verwüſtend; ſein geiſtiges Ver - mögen verhielt ſich zu der Gedankenwelt der deutſchen Proteſtanten wie die unfruchtbare Scholaſtik unſeres erſten Jeſuiten Caniſius zu der ſchlichten Weisheit der Werke Luthers. Rom wußte es wohl, Deutſchland blieb die feſte Burg der Ketzerei, trotz aller Maſſenbekehrungen der Gegen - reformation. Das Mark unſeres Geiſtes war proteſtantiſch.

Die theuer erkaufte kirchliche Duldung bereitete die Stätte für eine maßvolle Freiheit, eine beſonnene Verwegenheit des Denkens, die unter der Alleinherrſchaft einer Kirche niemals gedeihen kann. Auf ſolchem Boden erwuchs, ſobald das erſchöpfte Volk wieder geniale Naturen zu ertragen vermochte, unſere neue Wiſſenſchaft und Dichtung, die wirkſamſte Literatur der neuen Geſchichte, proteſtantiſch von Grund aus und doch weltlich frei und mild. Sie ſchenkte der verkümmerten Nation aufs Neue eine mächtige Sprache, gab ihr die Ideale der Humanität und den Glauben an ſich ſelbſt zurück. Alſo ſind unſerm Volke ſelbſt die Niederlagen der Reformation zuletzt zum Segen geworden. Gezwungen, alle die großen Gegenſätze des europäiſchen Lebens in ſeinem eigenen Schooße zu beher - bergen, ward Deutſchland fähig, ſie alle zu verſtehen und mit der Kraft7Die Reichsverfaſſung.des Gedankens zu beherrſchen. Seine Seele tönte von jedem Athemzuge der Menſchheit. Seine claſſiſche Literatur ward vielſeitiger, kühner, menſchlich freier, als die früher gereifte Bildung der Nachbarvölker. Hundertundfünfzig Jahre nach dem Untergange der alten deutſchen Cultur durfte Hölderlin das neue Deutſchland alſo anreden:

O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
Allduldend gleich der ſchweigenden Mutter Erd
Und allverkannt, wenn ſchon aus deiner
Tiefe die Fremden ihr Beſtes haben.

Zugleich erwachte wieder die ſtaatenbildende Kraft der Nation. Aus dem Durcheinander verrotteter Reichsformen und unfertiger Territorien hob ſich der junge preußiſche Staat empor. Von ihm ging fortan das politiſche Leben Deutſchlands aus. Wie einſt faſt um ein Jahrtauſend zuvor die Krone von Weſſex alle Königreiche der Angelſachſen zum Staate von England vereinigte, wie das Königthum der Franzoſen von der Isle de France aus, das ganze Mittelalter hindurch, die Theilſtaaten der Barone und Communen eroberte und bändigte, ſo hat die Monarchie der brandenburgiſch-preußiſchen Marken der zerriſſenen deutſchen Nation wieder ein Vaterland geſchaffen. Das harte Ringen um die Anfänge der Staatseinheit gelingt gemeinhin nur der derben bildſamen Lebens - kraft jugendlicher Völker; hier aber vollzog es ſich im hellen Mittagslichte der neuen Zeit, gegen den Widerſtand des geſammten Welttheils, im Kampfe mit den legitimen Gewalten des heiligen Reichs und den unzähligen durch eine alte Geſchichte verhärteten Gegenſätzen des vielgeſtaltigen deutſchen Lebens. Es war die ſchwerſte Einheitsbewegung, die Europa erlebte, und nur der letzte, volle, durchſchlagende Erfolg hat endlich die widerwillige Welt gezwungen, an das ſo oft ausſichtslos geſcholtene Werk zu glauben.

Von Kaiſer und Reich konnte die Neugeſtaltung des deutſchen Staates nicht mehr ausgehen. Die alte längſt ſchon brüchige Reichs - verfaſſung wurde ſeit dem Eindringen des Proteſtantismus zu einer häßlichen Lüge. Die letzten Folgen alles großen menſchlichen Thuns bleiben dem Thäter ſelber verhüllt. Wie Martin Luther, da er von der Kirche des Mittelalters ſich löſte, ahnungslos die Bahn brach für die weltliche Wiſſenſchaft unſerer Tage, die ſeinen frommen Sinn empören würde: ſo hat er auch, indem er den Staat von der Vormundſchaft der Kirche befreite, die Wurzeln jenes römiſchen Kaiſerthums untergraben, das er als treuer Unterthan verehrte. Sobald die Mehrheit der Nation der evangeliſchen Lehre ſich zuwandte, ward die theokratiſche Kaiſerwürde ebenſo unhaltbar wie ihre Stütze, das geiſtliche Fürſtenthum. Der ge - krönte Schirmvogt und die Biſchöfe der alten Kirche durften nicht herrſchen über ketzeriſchem Volke. Darum wurde ſchon in den erſten Jahren der Reformation, auf dem Reichstage von 1525, die Forderung8I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.laut, daß die geiſtlichen Gebiete heimgeramſcht, den benachbarten weltlichen Fürſten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik iſt der nothwendige Gedanke der Seculariſation ſeitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm ſprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch dieſe unabweisbare Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geiſtlichen Fürſten blieb er - halten, und mit ihnen die traumhaften Herrſchaftsanſprüche der Sacra Caesarea Majestas, obſchon das deutſche Königthum, das dieſe römiſche Krone trug, längſt aller Macht entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten Monarchie längſt übergegangen waren in die Hände der Landesherren.

Zwei Drittel des deutſchen Volkes außerhalb der kaiſerlichen Erb - lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürſtenhäuſer mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche Deutſchland aber blieb katholiſch. Die Altgläubigen behaupteten die Mehrheit im Kurfürſten - wie im Fürſtenrathe, und das Kaiſerthum be - wahrte noch immer ſeinen halb prieſterlichen Charakter. Der Kaiſer wurde durch die Krönung ein Theilhaber unſeres geiſtlichen Amtes , gelobte dem Papſte und der Kirche die gebührenden geiſtlichen Ehren zu erweiſen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholiſcher Stifter und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Geſtalt. Es iſt nicht anders, unter dieſer römiſchen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich nicht beſtehen. Die erſte große politiſche That der deutſchen Lutheraner war jene Proteſtation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen gab; ſie erklärte rund heraus, die Evangeliſchen würden der Mehrheit im Reiche ſich nicht fügen. Und alſo im Kampfe gegen das Reich, wie er begonnen, in beſtändiger Empörung hat ſich der Proteſtantismus auch fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensſchlüſſe, dem alten Kaiſereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs ſchnurſtracks zuwider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens - freiheit gegen die Mehrheit des Reichstags zu ſichern. Das Corpus Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anarchi - ſcher, ſtaatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polniſchen Adelsrepublik.

Nur ein revolutionärer Entſchluß, nur die Umwandlung des heiligen Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten aus ſolcher Unwahrheit ihres politiſchen Lebens; nur eine nationale Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Weſen eingeſtand, konnte den Altgläubigen wie den Evangeliſchen auf dem Boden des Geſetzes gerecht werden. Schon den beiden größten Publiciſten unſeres ſiebzehnten Jahr - hunderts drängte ſich dieſe Ueberzeugung auf: der Wortführer der ſchwe - diſchen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenſchaft den Vernichtungskrieg wider das Kaiſerthum; der beſonnenere Samuel9Das Kaiſerthum.Pufendorf ſah das Reich ſicher wie einen rollenden Stein der Umge - ſtaltung in einen Staatenbund entgegeneilen. Auch das amtliche Deutſchland empfand dunkel, wie ſinnlos die alten Formen in der neuen Zeit geworden. Die Religionsfriedensſchlüſſe gaben ſich ſelber nur für Waffenſtillſtände, vertröſteten die Nation auf beſſere Zeiten, da durch Gottes Gnade eine Vereinigung in Glaubensſachen zu Stande kommen wird . Der Weſtphäliſche Friede beauftragte den nächſten Reichstag, durch eine umfaſſende Verfaſſungsreviſion die neu errungene Macht der Reichsſtände in Einklang zu bringen mit den alten Rechten der Kaiſer - krone. Doch das Haus Oeſterreich verhinderte auch diesmal den Verſuch der Reform. Die Reichsverſammlung von 1654 ging unverrichteter Dinge auseinander, und da der folgende Reichstag durch anderthalb Jahrhunderte zu Regensburg tagte, ohne ſeine wichtigſte Aufgabe jemals in Angriff zu nehmen, ſo blieb der deutſche Staat in Wahrheit ver - faſſungslos. In ſeinem öffentlichen Rechte lagen die Trümmerſtücke dreier grundverſchiedener Staatsformen wirr und unverbunden neben einander: die ſchattenhaften Ueberbleibſel der alten monarchiſchen Einheit, die verkümmerten Anfänge einer neuen ſtaatenbündiſchen Ordnung, endlich, lebendiger als Beide, der Particularismus der territorialen Staats - gewalten.

Das Kaiſerthum hielt in allem Wandel der Zeiten die alten An - ſprüche monarchiſcher Machtvollkommenheit feſt und geſtattete niemals, daß ein Reichsgeſetz ihm den Umfang ſeiner Rechte feſt begrenzte. Der kaiſerliche Oberlehnsherr empfing noch immer ſitzend, mit bedecktem Haupte die Huldigung ſeiner knieenden Unterthanen, der Reichsſtände; er übte, ſoweit ſein Arm reichte, die Gerichtsbarkeit durch ſeinen Reichs - hofrath, als ſei er wirklich noch der höchſte Richter über Eigen und Lehen und über jeglichen Mannes Leib, wie einſt in den Tagen des Sachſen - ſpiegels. Noch immer ſchwenkte der Herold bei der Krönung das Kaiſer - ſchwert nach allen vier Winden, weil die weite Chriſtenheit dem Doppel - adler gehorche; noch ſprach das Reichsrecht mit feierlichem Ernſt von den Lehen des Reichs, die auf den Felsterraſſen der Riviera von Genua und tief in Toscana hinein lagen; noch beſtanden die drei Reichskanzlerämter für Germanien, Italien und Arelat; Nomeny und Biſanz und ſo viele andere, längſt den Fremden preisgegebene Stände wurden noch auf den Reichstagen zur Abſtimmung aufgerufen; der Herzog von Savoyen galt als Reichsvicar in Wälſchland, und Niemand wußte zu ſagen, wo des heiligen Reiches Grenzpfähle ſtanden. Dem Dichterauge des jungen Goethe wurde in dem altfränkiſchen Schaugepränge der Kaiſerkrönung die farben - reiche Herrlichkeit des alten Reiches wieder lebendig; wer aber mit dem nüchternen Sinne des Weltmannes zuſchaute, gleich dem Ritter Lang, dem erſchien dies Kaiſerthum der verblaßten Erinnerungen und der gren - zenloſen Anſprüche als ein fratzenhafter Mummenſchanz, ebenſo lächerlich10I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.und abgeſchmackt, wie das Schwert Karls des Großen, das den böhmiſchen Löwen auf der Klinge trug, oder wie die Chorknaben von St. Bartholomäi, die durch ihr hellſtimmiges fiat! vom hohen Chor herab im Namen der deutſchen Nation die Erwählung des Weltherrſchers genehmigten.

Die Umbildung des altgermaniſchen Wahlkönigthums zur erblichen Monarchie hat den meiſten Völkern Weſteuropas die Staatseinheit ge - ſichert. Deutſchland aber blieb ein Wahlreich, und die dreihundertjäh - rige Verbindung ſeiner Krone mit dem Hauſe Oeſterreich erweckte nur neue Kräfte des Zerfalles und des Unfriedens, denn das Kaiſerthum der Habsburger war unſerem Volke eine Fremdherrſchaft. Abgetrennt von der Mitte Deutſchlands durch das ſtarke Slavenreich in Böhmen, hatte die alte deutſche Südoſtmark ſchon früh im Mittelalter ihres eigenen Weges gehen und ſich einleben müſſen in die verſchlungene Politik des ungariſch-ſlaviſch-walachiſchen Völkergemiſches der unteren Donaulande. Sie wurde ſodann durch das Haus Habsburg zum Kernlande eines mächtigen vielſprachigen Reiches erhoben, durch falſche und echte Privi - legien aller ernſtlichen Pflichten gegen das deutſche Reich entbunden und erlangte bereits im ſechzehnten Jahrhundert eine ſo wohlgeſicherte Selbſtändigkeit, daß die Habsburger ſich mit dem Plane tragen konnten ihre deutſchen Erblande zu einem Königreich Oeſterreich zu vereinigen. Mitten im Gewimmel fremden Volksthums bewahrten die tapferen Stämme der Alpen und des Donauthales getreulich ihre deutſche Art; ſie nahmen mit ihrer friſchen herzhaften Sinnlichkeit rühmlich Theil an dem geiſtigen Schaffen unſeres Mittelalters. An dem lebensfrohen Hofe der Babenberger blühte die ritterliche Kunſt; der größte Dichter unſerer Staufertage war ein Sohn der Tyroler Alpen; die prächtigen Hallen von St. Stephan und St. Marien am Stiegen erzählten von dem Stolze und dem Kunſtfleiß des deutſchen Bürgerthums in Nieder - öſterreich. Alsdann wandte ſich auch hier der deutſche Geiſt in freudigem Erwachen der evangeliſchen Lehre zu; in Böhmen wurde das Huſſitenthum wieder lebendig, und am Ausgang des Jahrhunderts der Reformation war der größte Theil der deutſch-öſterreichiſchen Kronländer dem Glauben unſeres Volkes gewonnen. Da führte der Glaubenseifer des Kaiſerhauſes alle Schrecken des Völkermordes über Oeſterreich herauf. Unter blutigen Gräueln ward die Herrſchaft der römiſchen Kirche durch die kaiſerlichen Seligmacher wieder aufgerichtet. Was deutſchen Sinnes war und dem fremden Joche ſich nicht beugte, Hunderttauſende der Beſten vom böh - miſchen Volke fanden eine neue Heimath in den Landen der evangeliſchen Reichsfürſten. Die daheim geblieben, verloren in der Schule der Jeſuiten die Lebenskraft des deutſchen Geiſtes: den Muth des Gewiſſens, den ſittlichen Idealismus. Kirchlicher Druck zerſtört die tiefſten Wurzeln des Volkslebens. Der helle Frohmuth des öſterreichiſchen Deutſchthums ver - flachte in gedankenloſer Genußſucht, das leichtlebige Volk gewöhnte ſich11Oeſterreich und die Gegenreformation.raſch an die verlogene Gemüthlichkeit einer pfäffiſchen Regierung, die ihre kalte Menſchenverachtung hinter läßlich bequemen Formen zu verbergen wußte.

Der Weſtphäliſche Friede gab dieſem letzten großen Siege der Gegen - reformation die geſetzliche Weihe. Der Kaiſer genehmigte die Gleich - berechtigung der drei Bekenntniſſe im Reiche nur unter der Bedingung, daß ſeine Erblande der Regel nicht unterliegen ſollten. Seitdem ſchied Oeſterreich aus der Gemeinſchaft des deutſchen Lebens. Das Einzige, was der zerrütteten Reichsverfaſſung noch Sinn und Inhalt gab, die geſicherte Glaubensfreiheit, war für die habsburgiſchen Länder nicht vor - handen; zur ſelben Zeit, da Deutſchland in prunkenden Friedensfeſten ſich der endlich errungenen Verſöhnung freute, ließ ſein Kaiſer die päpſt - liche Bulle, welche den Friedensſchluß verdammte, in Wien und Prag, in Graz und Innsbruck an die Kirchthüren anſchlagen. Auch nach dem Frieden arbeitet das Kaiſerhaus unabläſſig an der Ausrottung der Ketzerei. Noch an hundert Jahre lang, bis zum Tode Karls VI., fluthet in immer kürzeren Wellenſchlägen die Auswanderung öſterreichiſcher Pro - teſtanten nach dem deutſchen Norden hinüber, bis endlich alle Erblande den Todesſchlaf der Glaubenseinheit ſchlummern. Zu Anfang des dreißigjährigen Krieges bekannte ſich die böhmiſche Grafſchaft Glatz, bis auf eine einzige römiſche Gemeinde, zum evangeliſchen Glauben; als die Grenadiere König Friedrichs dort einzogen, war das Volk katholiſch bis auf den letzten Mann, und mitten in dem neubekehrten Lande prangte die gnadenreiche Wallfahrtskirche von Albendorf, ein Siegesdenkmal für die Schlacht am Weißen Berge. Den katholiſchen Nachbarn in Baiern verfeindet durch Stammeshaß und uralte politiſche Gegnerſchaft, arg - wöhniſch abgeſperrt von jeder Berührung der norddeutſchen Ketzerei, führen die deutſch-öſterreichiſchen Länder fortan ein ſtilles Sonderleben. Der Verkehr zwiſchen Böhmen und der unteren Elbe, im Mittelalter ſo ſchwunghaft, daß Kaiſer Karl IV. hoffen durfte ein großes Elbreich von Prag bis Tangermünde aufzurichten alle die alten fruchtbaren Wechſel - wirkungen zwiſchen dem Nordoſten und dem Südoſten Deutſchlands verfallen gänzlich, und an der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze bildet ſich allmählich eine ſcharfe Völkerſcheide, ein grundtiefer Gegenſatz der Gedanken und Lebens - gewohnheiten. Von den ſeelenvollen Klängen der wiedererwachenden deutſchen Dichtung, von den freien Reden unſerer jungen Wiſſenſchaft drang kaum ein Laut in dieſe abgeſchiedene Welt. Während die deutſche Jugend um die Leiden des jungen Werther weinte und mit dem Räuber Moor auf die Thatenarmuth des tintenkleckſenden Seculums zürnte, ergötzte ſich das luſtige Wien an den platten Zerrbildern der Blumauer - ſchen Aeneide. Allein die Werke der großen Tonſetzer Oeſterreichs be - kundeten, daß die ſchöpferiſche Macht des deutſchen Geiſtes noch nicht ganz erloſchen war in der ſchönen Heimath Walthers von der Vogelweide. 12I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Erſt im neunzehnten Jahrhundert ſollte das zertretene Deutſchthum der Südoſtmarken wieder die Kraft finden allen Arbeiten der modernen deutſchen Cultur mit lebendigem Verſtändniß zu folgen.

Dergeſtalt hat die Politik der katholiſchen Glaubenseinheit die Donau - lande auf lange hinaus unſerem Volke entfremdet. Sie zerſpaltete das alte Reich, ſie ſchuf den vielbeklagten deutſchen Dualismus; ſo lange die Deutſchen ſich nicht ſelber aufgaben, durften ſie auch den Widerſtand gegen die Fremdherrſchaft der Habsburger nicht aufgeben. Das Haus Oeſterreich war im Verlaufe der Jahrhunderte mit der römiſchen Kaiſer - krone ſo feſt verwachſen, daß die Volksmeinung Beide kaum noch zu trennen wußte; der einzige Nicht-Oeſterreicher, der während dieſer letzten Jahrhunderte den deutſchen Thron beſtieg, Karl VII., erſchien den Zeit - genoſſen wie ein Gegenkaiſer. Eine tiefe innere Verwandtſchaft verband das entdeutſchte Kaiſerthum mit ſeinem alten Gegner, dem heiligen Stuhle. Die Wiener Politik zeigt wie die römiſche jenen Charakterzug heuchleriſcher Salbung, welcher die Theokratie zur unſittlichſten aller Staatsformen macht. In Wien wie in Rom die gleiche Unfähigkeit, das Recht des Gegners zu verſtehen. Alle Habsburger, die heitere Liebens - würdigkeit Maria Thereſias ſo gut wie der ſtumpfſinnige Hochmuth Leopolds I., ertragen die Schläge des Schickſals in dem zuverſichtlichen Glauben, daß ihr Haus dem Herzen Gottes am nächſten ſtehe und nur böſe, gottloſe Menſchen das fromme Erzhaus zu bekämpfen wagen. Hier wie dort dieſelbe ſtarre Unbeweglichkeit in allen Stürmen der Jahrhun - derte: jeder ſchmähliche Friede, den die lebendigen Mächte der Geſchichte dem alten Kaiſerhauſe auferlegen, wird von den Habsburgern unterzeichnet mit dem ſtillen Vorbehalt, daß zur rechten Stunde die unveräußerlichen Rechte kaiſerlicher Vollgewalt wieder in Kraft treten ſollen. Hier wie dort dieſelbe Dreiſtigkeit theokratiſcher Mythenbildung und Rechtsverdrehung. Indem Maria Thereſia ſich wider den rechtmäßigen Kaiſer Karl VII. empört, trägt ſie ſelber die ſittliche Entrüſtung der beleidigten kaiſerlichen Majeſtät zur Schau; als König Friedrich ſodann ihrem drohenden An - griffe zuvor kommt, da ſchwingt ihr Gemahl, der als ſchlichter Privatmann an ihrem Hofe lebt, das kaiſerliche Scepter und verurtheilt den Feind der Königin von Ungarn als Rebellen gegen Kaiſer und Reich; unbe - fangen, als verſtände ſich’s von ſelber, nimmt nachher das kleine Haus Lothringen alle die herriſchen Anſprüche des alten Kaiſergeſchlechtes wieder auf, und wie die Päpſte von dem Throne des Apoſtelfürſten fabeln, ſo gebärden ſich die Lothringer, als ſeien die Habsburger niemals ausge - ſtorben. In Wien wie in Rom derſelbe hoffärtig träge Kaltſinn gegen das Wohl des eigenen Volkes: ſobald die Glaubenseinheit feſt begründet und der ſchweigende Gehorſam der Unterthanen geſichert iſt, wird die geſammte Macht Oeſterreichs nach außen gewendet. Alles Leben des Staates geht in der europäiſchen Politik auf, im Innern wird gar nicht13Das neue Oeſterreich.regiert, die alte ſtändiſche Verwaltung ſchleppt ſich gemächlich dahin in ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge - ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlſtandes und der Bildung, an alle jene unſcheinbar großen Aufgaben der inneren Politik, welche einem geſunden weltlichen Staate den beſten Inhalt des Lebens bilden. Jahrhunderte lang hat die Geſchichte Oeſterreichs neben zahl - reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver - waltung aufzuweiſen. Erſt unter Maria Thereſia entſinnt ſich die Krone der nächſten Pflichten der Monarchie.

Indeſſen zeigte jene ſtaatenbildende Kraft der neuen Geſchichte, die überall zur feſten Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem bunten Ländergemiſch der habsburg-burgundiſchen Erbſchaft ihre Wirkſam - keit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erblich dem Hauſe Oeſterreich übertragen. Damit beginnt die Geſchichte der neuen öſterreichiſchen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur - fürſten die neue deutſche Geſchichte. Der Hausbeſitz der Habsburger wird zur geographiſchen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt ſeiner militäriſchen Macht in Ungarns kriegeriſchen Völkern. Starke wirth - ſchaftliche und politiſche Intereſſen verbinden fortan die deutſchen Erb - lande mit dem Völkergewimmel jener ſubgermaniſchen Welt, wo das Deutſchthum nur mühſam ein geiſtiges Uebergewicht behauptet; im Ver - laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entſteht unter den deutſchen, ungariſchen und ſlaviſchen Kampfgenoſſen ein Bewußtſein der Gemeinſchaft. Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oeſterreichs von Deutſch - land. So lange die Paſchas der Osmanen auf der Königsburg von Ofen hauſten, führte Oeſterreich den Markmannenkrieg für die deutſche Geſittung gegen die Barbarei des Oſtens; nur mit Deutſchlands Hilfe, durch das gute Schwert der Märker, der Sachſen, der Baiern gelang die Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche verſank, zerriß auch dies letzte Band gemeinſamer Gefahr, das unſere Nation noch an das Kaiſerthum gekettet hatte. Deutſchland und Oeſter - reich waren nunmehr zwei ſelbſtändige Reiche, allein durch die Formen des Staatsrechts künſtlich verbunden; die Zerſtörung dieſer unwahren Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutſchen Geſchichte.

Schritt für Schritt befeſtigte ſich ſeitdem die Staatseinheit des neuen Oeſterreichs. Die Pragmatiſche Sanction verkündete die Untheilbarkeit des kaiſerlichen Hausbeſitzes. Darauf gab der größte Herrſcher des Habsburger - ſtammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiſerhaus, den Clerus, den Adel und das Herr verbunden geweſen, eine nothdürftige gemeinſame Verfaſſung. Maria Thereſia begründete das Syſtem des öſterreichiſch - ungariſchen Dualismus. Sie ſtellte die böhmiſch-öſterreichiſche Hofkanzlei14I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.als höchſte Behörde über die Kronländer dieſſeits der Leitha, während die Lande der Stephanskrone in ihrem althiſtoriſchen ſtaatsrechtlichen Ver - bande blieben. Alſo ward mit ſicherem Griffe die Form gebildet, welche allein dies an Gegenſätzen überreiche Ländergewirr zuſammenhalten konnte; nach mannichfachen vergeblichen Anläufen zum Einheitsſtaate wie zum Staa - tenbunde iſt die Monarchie ſeitdem immer wieder zu den Gedanken der Kaiſerin zurückgekehrt. Auch die Noth und der Ruhm der thereſianiſchen Tage kräftigten den Beſtand des Staates: durch acht ſchwere Kriegsjahre behauptete die ſtolze Habsburgerin, beharrlich unterſtützt von ihren treuen Völkern, das Erbe ihres Hauſes gegen eine mächtige Coalition; und wie leuchtend auch während des ſiebenjährigen Krieges das Geſtirn König Friedrichs empor ſtieg, die Beſiegten ſelber zur Bewunderung zwingend, das kaiſerliche Heer trug doch die Kränze von Kollin und Hochkirch, freute ſich der Heldengröße ſeines Loudon, ging mit berechtigtem Selbſtgefühl aus dem gewaltigen Kampfe hervor. Lange bevor es ein Kaiſerthum Oeſterreich gab, redete der allgemeine Sprachgebrauch Europas ſchon von dem öſter - reichiſchen Staate und Heere.

Der Beſitz der Stephanskrone gewährte dem Kaiſerhauſe die Mög - lichkeit, in der europäiſchen Politik eine feſte Richtung folgerecht einzuhalten. Der Eroberer Ungarns, Eugen von Savoyen, wies dem Staate die ver - heißende Bahn nach dem Schwarzen Meere; vorzudringen bis zu den Mündungen des Stromes und die ſlaviſch-walachiſchen Völker auf beiden Ufern einer überlegenen Geſittung zu unterwerfen, dies ſchien fortan der natürliche Beruf des Donaureichs. Darum galt das ent - legene Belgien, das den Staat beſtändig in die Händel Weſteuropas zu verwickeln drohte, bald als eine unbequeme Laſt; ſchon zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege begannen die ſeitdem beharrlich wiederkehrenden Ver - ſuche, den unhaltbaren Außenpoſten gegen ein näher gelegenes Gebiet auszutauſchen. Gleichwohl lernte das Kaiſerhaus niemals, in weiſer Selbſtbeſchränkung die geſammelte Kraft des Staates gegen den Südoſten zu wenden. Eine nationale Politik war in dieſem Reiche der Völker - trümmer ohnehin unmöglich; zu keiner Zeit und am Wenigſten in jener Epoche des Abſolutismus hat die öffentliche Meinung auf Oeſterreichs diplomatiſche Haltung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Die europäiſche Stellung des Staates ward jederzeit allein durch das perſönliche Be - lieben ſeiner Herrſcher beſtimmt. Die Macht des Hauſes war einſt gegründet worden durch eine ſchlaue und kühne Familienpolitik, die planlos begehrlich nach allen Seiten hin um ſich griff, ohne nach der Weltſtellung und Eigenart der unterworfenen Länder zu fragen. Die Gedanken dieſer dynaſtiſchen Staatskunſt und die glänzenden Erinnerungen kaiſerlicher Weltherrſchaft bleiben auch in dem neuen Donaureiche noch lange lebendig. Die Hofburg hält ihre Herrſcherſtellung im deutſchen Reiche beharrlich feſt; ſie verſucht zugleich, durch die Eroberung Baierns15Die kaiſerliche Partei.die vorderöſterreichiſchen Beſitzungen am Rheine mit den Kernlanden der Monarchie zu verbinden; ſeit Karl VI. nimmt ſie auch die italieniſche Politik der ſpaniſchen Habsburger wieder auf und ſtrebt jenſeits der Alpen die Oberhand zu behaupten; dazwiſchen hinein ſpielen in raſchem Wechſel kecke Anſchläge gegen Polen und die Osmanen: ein Uebermaß unſteter Herrſchſucht, das den mächtigen Staat von einer Niederlage zur andern führt.

Alſo ſtand die kaiſerliche Macht der proteſtantiſch-deutſchen Bildung feindſelig, den europäiſchen Aufgaben der deutſchen Politik gleichgiltig, den Handelsintereſſen unſerer Küſten mit binnenländiſcher Beſchränktheit gegen - über. Die Habsburg-Lothringer konnten in den unklaren Befugniſſen des Kaiſerthums nur ein willkommenes Mittel ſehen um die gewaltige kriegeriſche Kraft deutſcher Nation auszubeuten für die Zwecke des Hauſes Oeſterreich, die Machtfragen dieſer Hauspolitik zu entſcheiden durch den Mißbrauch der Formen des Reichsrechts. Die altehrwürdige kaiſerliche Gerichtsbarkeit ward ein Tummelplatz für rabuliſtiſche Künſte, Deutſchlands auswärtige Politik ein unberechenbares Spiel. Das Reich, von der Hofburg bald fremden Angriffen preisgegeben, bald in undeutſche Händel hineingezogen, mußte regelmäßig den Preis für Oeſterreichs Niederlagen zahlen. Holland und die Schweiz, Schleswigholſtein, Pommern und das Ordensland, Elſaß und Lothringen gingen weſentlich durch die Schuld der Habsburger dem Reiche verloren: unerſetzliche Verluſte, minder ſchmachvoll für jene halbfremde Macht, welche die Kaiſerpflicht mit den Intereſſen ihres Hauſes nicht vereinigen konnte, als für die deutſche Nation, die nach ſolchem Unſegen der Fremdherrſchaft nimmer den Willen fand das Löwenbündniß mit Oeſterreich zu zerreißen.

Das Kaiſerthum wurzelte in einer überwundenen Vergangenheit und fand darum ſeinen natürlichen Gegner in dem erſtarkenden weltlichen Fürſtenthum, ſeine Anhänger unter den verfaulten und verkommenen Gliedern des Reichs. Das ſtiftiſche Deutſchland bildete den Kern der öſterreichiſchen Partei: jene reichgeſegneten geiſtlichen Gebiete, die, durch die Siege der Gegenreformation der römiſchen Kirche zurückgegeben, nunmehr unter der weichen Herrſchaft des Krummſtabs, im Behagen der Vetterſchaft und der Sinnlichkeit ein bequemes Stillleben führten. Sie konnten, rings umklammert und durchſchnitten von evangeliſchen Gebieten, dem Leben der Nation nicht ſo gänzlich entfremdet werden wie die kaiſerlichen Erblande; mancher milde und gelehrte Kirchenfürſt kam den Ideen des Zeitalters der Aufklärung freudig entgegen. Doch die politiſche Lebens - kraft der geiſtlichen Staaten blieb unrettbar verloren, und der Gedanken - arbeit des neuen Jahrhunderts ſtand die Maſſe des Volkes in Köln, Mainz und Trier ſo fern, daß ſpäterhin der Verluſt des linken Rhein - ufers dem geiſtigen Leben Deutſchlands kaum eine fühlbare Wunde ſchlug. Zum Kaiſer hielt desgleichen der mächtige katholiſche Adel, der in ſeinen16I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürſtenſtühle des Reichs verfügte, in den Dienſten des adelsfreundlichen Erzhauſes bequeme Verſorgung für ſeine Söhne fand. Auch die Landſtände der weltlichen Fürſtenthümer riefen die Hilfe des Kaiſers an, wenn ſie ihre habenden Freiheiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten. Der katholiſchen Mehrheit ſicher ſchaute die Hofburg gemächlich zu, wie die Parteien im Reiche ſich an einander zerrieben, das gegenſeitige Miß - trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erſtickte, jede dem Kaiſerthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürſten vor dem Erzhauſe, der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter auf die zahlreichen fürſtlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden und Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, ſicherten dem Kaiſerhauſe auch an den proteſtantiſchen Höfen jederzeit einen ſtarken Anhang; mancher fürſtliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel eines kaiſerlichen Miniſters und damit den Auftrag, die Sache Oeſterreichs an ſeinem Hofe zu vertreten. Die Kaiſerwürde, werthlos in der Hand eines kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannichfache Handhaben, den hohen Adel deutſcher Nation mittelbar zu beherrſchen; und dieſer mächtige Einfluß ſtand einem Fürſtenhauſe zu, das weder gewillt noch im Stande war, ſich den Geſetzen des Reichs, den Pflichten deutſcher Politik zu fügen. Ein gewandter Parteigänger des kaiſerlichen Hauſes, der Freiherr von Gemmingen, ſchrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung kurzab: Das Haus Oeſterreich kann nur das Oberhaupt oder der Feind des deutſchen Reiches ſein.

Neben dieſen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienenden monarchiſchen Gewalt enthielt die Reichsverfaſſung noch die Anfänge einer bündiſchen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachſen, Eitelfritz von Zollern an der Spitze unſeres Fürſtenſtandes den kühnen Verſuch gewagt hatten, das deutſche Gemeinweſen in einen kräftigen Bundesſtaat zu verwandeln. Von daher ſtammten die Kreisordnung und der von den Reichsſtänden beſetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber wie der Kaiſer die Wirkſamkeit dieſes ſtändiſchen Tribunals durch die con - currirende Gewalt ſeines monarchiſchen Reichshofraths beſtändig ſchwächte, ſo gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürſten, ihre Gebiete der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben, Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Biſchöfen und Reichsrittern, Fürſten und Reichsſtädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge durcheinander hauſte, genügte das Anſehen der Kreisoberſten und der Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht zu halten und die winzigen Contingente der Reichsſtände zu größeren Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Oſten hatte die Kreis -17Foederalismus und Territorialismus.ordnung niemals feſten Boden gewonnen. Hier waren die geiſtlichen Gebiete ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden faſt gänzlich vernichtet, die mächtigen weltlichen Fürſten meinten ſich ſelber zu genügen. Wie aus einer hellen modernen Welt blickte der Norddeutſche hochmüthig hinüber nach jenem bunten Gewirr der Kleinſtaaterei im Südweſten, das er ſpottend das Reich nannte. Was noch jung und ſtark war im alten Deutſchland, ſtrebte aus den beengenden Formen der Reichsver - faſſung hinaus.

Der Particularismus des weltlichen Fürſtenthums blieb doch die lebendigſte politiſche Kraft im Reiche. Das heilige Reich war in der That, wie Friedrich der Große es nannte, die erlauchte Republik deutſcher Fürſten. Seine Stände beſaßen ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das Recht der Bündniſſe und die Landeshoheit in geiſtlichen wie in weltlichen Dingen, eine unabhängige Staatsgewalt, die nur noch des Namens der Souveränität entbehrte. Sie trotzte der Reichsgewalt, wie das Leben dem Tode trotzt. Keiner der auf den Trümmern der alten Stammesherzogthümer emporgewachſenen weltlichen Staaten umfaßte ein abgerundetes Gebiet, keiner einen ſelbſtändigen deutſchen Stamm; ſie dankten alleſammt ihr Daſein einer dynaſtiſchen Staatskunſt, die durch Krieg und Heirath, durch Kauf und Tauſch, durch Verdienſt und Verrath einzelne Fetzen des zer - riſſenen Reiches zuſammenzuraffen und feſtzuhalten verſtand. Dieſe Hauspolitik ergab ſich nothwendig aus der Reichsverfaſſung ſelber. Die Nation war mediatiſirt, nur die Herrengeſchlechter galten als Reichs - unmittelbare; auf dem Reichstage waren nicht die Staaten, ſondern die Fürſtenhäuſer vertreten; das Glaubensbekenntniß des fürſtlichen Hauſes, nicht des Volkes, entſchied über die Frage, ob ein Reichsſtand den Evan - geliſchen oder den Katholiken zuzuzählen ſei; kurz, das Reichsrecht kannte keine Staaten, ſondern nur Land und Leute fürſtlicher Häuſer. Die Wechſelfälle einer wirrenreichen Geſchichte hatten die Grenzen der Terri - torien beharrlich durch einander geſchoben, jede Achtung vor dem Be - ſitzſtande der Genoſſen, jeden eidgenöſſiſchen Rechtsſinn im deutſchen Fürſtenſtande ertödet. Begehrlich ſah der Nachbar auf des Nachbars Land, ſtets bereit mit fremder Hilfe den Landsmann zu überwältigen. Die Ländergier und der Dynaſtenſtolz der großen Fürſtengeſchlechter be - drohten das Reich mit gänzlichem Zerfalle. Längſt ſtrebten Sachſen und Baiern nach der Königskrone; Kurpfalz hoffte ſeine niederrheiniſchen Lande zu einem Königreich bei Rhein zu erheben und alſo der Oberhoheit des Reiches ledig zu werden.

Gleichwohl lag in dem Leben dieſer weltlichen Fürſtenthümer nahezu Alles umſchloſſen, was noch deutſche Politik heißen konnte. Es bleibt der hiſtoriſche Ruhm unſeres hohen Adels, daß Deutſchlands Fürſten die der nationalen Monarchie entriſſene Macht nicht wie die polniſchen Magnaten allein verwendeten, um die Pracht und den Glanz ihresTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 218I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Hauſes zu mehren, ſondern ſich redlich bemühten in ihren engen Gebieten die politiſchen Pflichten zu erfüllen, denen das Reich ſich verſagte. Das Kaiſerhaus lebte ſeinen europäiſchen Plänen, der Reichstag haderte um leere Formen; in den Territorien wurde regiert. Hier allein fanden das Recht, der Wohlſtand, die Bildung des deutſchen Volkes Schutz und Pflege. Unſere Fürſten hatten einſt das Kleinod deutſcher Geiſtesfreiheit gerettet im Kampfe gegen das Haus Habsburg. In der langen matten Friedenszeit nachher blühte jene treufleißige Kurfürſtenpolitik, die, jedes großen Gedankens baar, ängſtlich zurückſchreckend vor den geſchwinden Händeln der europäiſchen Kämpfe, ihre wohlwollende Sorgfalt allein dem Gedeihen des eignen Ländchens widmete. Die durch wunderliche Glücksfälle zuſammengewürfelten Ländertrümmer verwuchſen nach und nach zu einer kümmerlichen politiſchen Gemeinſchaft. Die Territorien wurden zu Staaten. In der Enge ihres Sonderlebens bildete ſich ein neuer Particularismus. Der Kurſachſe, der Kurpfälzer, der Braunſchweig - Lüneburger hing mit feſter Treue an dem angeſtammten Fürſtenhauſe, das ſo lange Freud und Leid mit ſeinem Völkchen getheilt. In der Hand der landesfürſtlichen Obrigkeit lag ſein und ſeiner Kinder Glück; das große Vaterland ward ihm zu einer dunkeln Sage. Nach dem dreißigjährigen Kriege waren es wieder die Landesherren, nicht Kaiſer und Reich, die dem Bürger und Bauern halfen ſeine verwüſteten Wohn - plätze aufzubauen, kärgliche Trümmer des alten Wohlſtandes aus der großen Zerſtörung zu retten; ihrem Karl Ludwig dankte die Pfalz die Wiederkehr froherer Tage. Dies weltliche Fürſtenthum, das mit ſeiner dreiſten Selbſtſucht jedes Band nationaler Gemeinſchaft zu zerſprengen drohte, ſtand doch rührig und wirkſam mitten im Leben der Nation. War ein Neubau des deutſchen Geſammtſtaates noch möglich, ſo konnte er nur auf dem Boden dieſer Territorialgewalten ſich erheben.

In ſolchem Chaos von Widerſprüchen hatte jede Inſtitution des Reichs ihren Sinn, jedes Recht ſeine Sicherheit verloren. Der Mehrer des Reichs mehrte ſeine Hausmacht zu Deutſchlands Schaden. Das ehr - würdige Amt des Reichskanzlers in Germanien, der vormals der natürliche Führer der Nation in allen ihren Verfaſſungskämpfen geweſen, ward in den Händen des Mainzer Erzbiſchofs nach und nach ein gefügiges Werk - zeug öſterreichiſch-katholiſcher Parteipolitik. Die Wahlcapitulation, vor Zeiten beſtimmt den dynaſtiſchen Mißbrauch der kaiſerlichen Gewalt zu verhindern, diente jetzt die dynaſtiſche Willkür der Landesherren von jedem Zwange zu entfeſſeln. Der Reichstag hatte ſich gleich den Generalſtaaten der Niederlande aus einer Ständeverſammlung thatſächlich in einen Bundestag verwandelt und vermochte doch niemals, wie jene, ein geſundes bündiſches Leben auszubilden. Ueberall widerſprachen die Formen des Rechtes den lebendigen Mächten der Geſchichte. Die Reichsverfaſſung legte das Recht der Mehrheit in die Hand der ſchwächſten Stände; ſie zwang19Die Lüge des Reichsrechts.die Mächtigen zu dem trotzigen Bekenntniß: was dem Reiche zugeht wird unſerer Freiheit genommen. Ein dichter Nebel von Phraſen und Lügen lag über den gothiſchen Zinken und Zacken des alten Reichsbaues; in keinem Staate der modernen Welt iſt ſo beharrlich und feierlich von Amtswegen gelogen worden. Die frommen reichsväterlichen Vermahnun - gen der entdeutſchten kaiſerlichen Majeſtät, die inbrünſtigen reichspatrio - tiſchen Betheuerungen der mit dem Auslande verſchworenen Reichsſtände, die prahleriſchen Reden von deutſcher Libertät und dem ungebeugten Nacken der Nation, Alles, Alles in dieſem Regensburger Treiben erſcheint dem redlichen Sinne als eine grobe Unwahrheit.

Seit jenen müden Tagen nach dem Augsburger Frieden, die den alten deutſchen Stolz in zagen Philiſterſinn verwandelten, kam in unſerem Volke die kleinmüthige Neigung auf, nach Troſtgründen zu ſuchen für das Unleid - liche und Schmachvolle; die deutſche Geduld ließ ſichs nicht nehmen, ſelbſt den Aberwitz dieſer Reichsverfaſſung wiſſenſchaftlich zu erklären und zu rechtfertigen. Vergeblich erhob Samuel Pufendorf ſeine mahnende Stimme und ſchilderte das Reich wie es war, als ein politiſches Ungeheuer. Da die Leidenſchaft der Glaubenskriege allgemach verrauchte und die Unwahr - heit der theokratiſchen Reichsformen im täglichen Leben wenig mehr empfunden wurde, ſo ließ ſich die zünftige Rechtsgelahrtheit in ihrer unterthänigen Ruheſeligkeit nicht ſtören. Noch immer verſicherten einzelne Cäſarianer aus Reinkingks Schule, das heilige Reich ſei eine Monarchie und ſein Kaiſer der rechtmäßige Nachfolger des Divus Auguſtus. Andere prieſen die Ohnmacht des Reichs und die Zuchtloſigkeit ſeiner Glieder als das Palladium deutſcher Freiheit. Die Meiſten fanden in dem beglückten Deutſchland das Idealbild des gemiſchten Staates verwirklicht, der alle Vorzüge anderer Staatsformen in ſich vereinigen ſollte. Selbſt ein Leibnitz vermochte dem Bannkreiſe dieſer wiſſenſchaftlichen Traumwelt nicht zu entfliehen.

Die Fäulniß eines ſolchen Staatslebens begann bereits den recht - ſchaffenen Gradſinn des Volkscharakters zu zerſtören. Ein Menſchenalter voll namenloſer Leiden hatte den bürgerlichen Muth gebrochen, den kleinen Mann gewöhnt vor dem Mächtigen zu kriechen. Unſere freimüthige Sprache lernte in allerunterthänigſter Ergebenheit zu erſterben und bildete ſich jenen überreichen Wortſchatz von verſchnörkelten knechtiſchen Redensarten, den ſie noch heute nicht gänzlich abgeſchüttelt hat. Die gewiſſenloſe Staats - räſon des Jahrhunderts vergiftete auch den bürgerlichen Verkehr. Das geldgierige Geſchlecht warb, wetteifernd in Beſtechung und Ränkeſpiel, um die Gnade der Großen; kaum daß ſich noch in der Stille des häuslichen Lebens ein Hauch treuherziger Gemüthlichkeit verſpüren ließ. Der Edel - mann ſtrebte die Herrſchaft, die er in den Landtagen gegen die aufſteigende Monarchie nicht mehr behaupten konnte, durch höfiſchen Einfluß und durch die Mißhandlung des Landvolks von Neuem zu befeſtigen; niemals in2*20I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.unſerer Geſchichte war der Adel mächtiger, niemals ſchädlicher für das Leben der Nation. Der Fürſtenſtand vergaß ſeine alte landesväterliche Sorgſam - keit, ſeit das gleißende Vorbild des bourboniſchen Königthums den kleinen Herren den Sinn bethörte. Die größeren Höfe mißbrauchen das neu erwor - bene Recht der Bündniſſe, drängen ſich vorlaut, vielgeſchäftig ein in die Händel der europäiſchen Mächte, bilden glänzende Armeen mit Marſchällen und Generalen, und glücklich wer einen Admiral zu halten vermag wie der pfälziſche Kurfürſt auf ſeinen Rhein-Zollſchiffen. Alle, die großen wie die kleinen, wetteifern in prahleriſcher Pracht mit dem großen Ludwig; das ärmſte Land Weſteuropas überſtrahlt bald alle Nachbarn durch die Unzahl ſeiner prunkenden Fürſtenſchlöſſer. Kein Reichsgraf, der ſich nicht ſein Ver - ſailles, ſein Trianon erbaute; im Schloßgarten von Weikersheim bewachen die Standbilder der Welteroberer Ninus, Cyrus, Alexander und Caeſar den Eingang zu dem Herrſcherſitze des Hohenlohiſchen Reichs. Der deutſche Kleinfürſt fand weder in dem Pflichtgefühle der Monarchie noch in der Standesgeſinnung eines politiſchen Adels einen ſittlichen Halt; Mancher empfand voll Unmuth den Fluch eines zwecklos leeren Daſeins, Mancher vertobte ſeine Kraft in frecher Unzucht und grauſamen Sultanslaunen.

Für ein Zuſammenwirken des Adels mit dem Bürgerthum, für ein engliſches Unterhaus bot der alte deutſche Staat keinen Raum. Der Städtebund der Hanſa war zerfallen ſeit die geeinte nationale Macht der Völker des Weſtens die beiden Indien erobert hatte; jene glorreiche Flagge, die im Mittelalter auf allen nordiſchen Meeren herrſchte, ließ ſich kaum mehr blicken in dem neuen transatlantiſchen Verkehre. Die Nation ward dem Meere ſo fremd, wie ihr Kaiſerhaus. Unter allen Schriftſtellern unſeres achtzehnten Jahrhunderts iſt nur Einer, der Seeluft geathmet hat und die befreiende Macht des völkerverbindenden Handels zu ſchätzen weiß: Juſtus Möſer. Wie ein Hohn klang in der ſtockigen Luft dieſes binnen - ländiſchen Stilllebens der frohe Schifferſpruch, der noch am Hauſe Seefahrt in Bremen zu leſen ſtand: navigare necesse est, vivere non necesse. Engliſche und holländiſche Schiffe führten die Waaren der Colonien zur Elbe und den Rhein hinauf; faſt allein mit ſeiner Leinwand und ſeinen Metallwaaren beſchickte der deutſche Gewerbefleiß noch den Weltmarkt. Keine der altberühmten Städte des Reichs vermochte ihre hiſtoriſche Größe zu behaupten; die Trave verödete, der oberländiſche Handel verfiel, die Lübecker Baugeſchichte endete mit der Gothik, die Augsburger mit dem Zeitalter der Renaiſſance. Nur an einigen jüngeren Handelsplätzen, in Hamburg und Leipzig, ſammelte ſich wieder langſam ein neuer Verkehr. Die alten Reichsſtädte verſchloſſen ſich ſtill hinter ihren Wällen, ängſtlich das Stadtrecht und den Zunftbrauch hütend, kleinlaut auf den Reichstagen, voll Mißtrauens gegen die ausgreifende Gewalt der fürſtlichen Nachbarn ringsum; aus langen Jahrzehnten meldet kaum eine dürftige Kunde, daß dieſe ſtolzen Communen noch lebten. Und da auch in dem bedienten -21Wehrloſigkeit des Reichs.haften Treiben der neuen Reſidenzen der Bürgerſtolz nicht gedeihen wollte, ſo wurde das Land, deſſen hanſiſche Helden einſt die Königskronen Skan - dinaviens verſchenkten, zum claſſiſchen Boden kleinſtädtiſcher Armſeligkeit. Deutſchland bot das in aller Geſchichte unerhörte Schauſpiel eines alten Volkes ohne eine Großſtadt. Nirgends ein Brennpunkt des nationalen Lebens, wie ihn die Nachbarvölker in London, Paris und Madrid, ja ſelbſt in Kopenhagen, Stockholm und Amſterdam beſaßen. Nirgends eine Stelle, wo die Parteikämpfe eines politiſchen Adels mit der Bildung und dem Reichthum eines ſelbſtbewußten Bürgerthums befruchtet und be - fruchtend ſich berührten. Alle Kräfte der Nation ſtreben in unendlicher Zerplitterung auseinander, in tauſend Rinnſalen verſiegend gleich dem deutſchen Strome: jeder Stand, jede Stadt, jede Landſchaft eine Welt für ſich ſelber.

Die ganze Schmach dieſer Zerſplitterung zeigte ſich in der Wehr - loſigkeit des Reichs. In den Zeiten ſeiner Größe hatte Deutſchland ſeine gefährdete Oſtgrenze mit dem eiſernen Gürtel der kriegsbereiten Marken umſchloſſen. Jetzt, da beſtändig vom Weſten her der Angriff drohte, lagen dicht vor Frankreichs begehrlichen Händen die ſchwächſten, die waffenloſen Glieder des Reichs. Die lange Pfaffengaſſe des Rheines entlang erſtreckte ſich von Münſter und Osnabrück bis nach Conſtanz hinauf ein Gewirr winziger Staaten, unfähig zu jeder ernſthaften Kriegs - rüſtung, durch das Gefühl der Ohnmacht zum Landesverrathe gezwungen. Faſt alle rheiniſchen Höfe bezogen Penſionen aus Verſailles; der erſte Rheinbund von 1658 ward von begeiſterten Reichspatrioten als ein rühmliches Unternehmen zum Schutze deutſcher Freiheit geprieſen. Ein Gebiet von faſt dreitauſend ſechshundert Geviertmeilen gehörte ſolchen Kleinſtaaten, deren keiner mehr als 130 Geviertmeilen umfaßte; der Volkswitz verhöhnte die ſtrümpfeſtrickenden Kölniſchen Stadtſoldaten und das grimmige Kriegsvolk des Biſchofs von Hildesheim, das auf ſeinen Hüten die Inſchrift trug: Gieb Frieden, Herr, in unſern Tagen! Dies reichſte Drittel Deutſchlands diente in den Kriegen des Reiches nur als todte Laſt. Es bleibt ein glänzendes Zeugniß für die deutſche Tapfer - keit, daß die Nation nach ſolcher Selbſtverſtümmelung von den Heeren Frankreichs und Schwedens nicht gänzlich überwältigt wurde. Die Ge - ſammtheit des Reichs galt kaum noch als eine Macht zweiten Ranges, während ſeine mächtigeren Glieder längſt ſchon ſelbſtändig auf der freien Bühne der europäiſchen Politik ſich bewegten.

Die Reichsverfaſſung erſcheint wie ein wohldurchdachtes Syſtem, erſonnen um die gewaltigen Kräfte des waffenfroheſten der Völker künſtlich niederzudrücken. In der That wurde der unnatürliche Zuſtand nur durch die Wachſamkeit des geſammten Welttheils aufrecht erhalten. Das heilige Reich blieb durch ſeine Schwäche, wie einſt durch ſeine Stärke, der Mittelpunkt und die Grundlage des europäiſchen Staatenſyſtems. 22I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Auf der Ohnmacht Deutſchlands und Italiens ruhte die neue Macht - ſtellung von Oeſterreich und Frankreich, von Schweden, Dänemark und Polen, wie die Seeherrſchaft der Briten und die Unabhängigkeit der Schweiz und der Niederlande. Eine ſtille Verſchwörung des geſammten Auslandes hielt die Mitte des Feſtlands gebunden. Die Fremden lachten der querelles allemandes und der misère allemande; der Franzoſe Bouhours ſtellte die höhniſche Frage: ob es möglich ſei, daß ein Deutſcher Geiſt haben könne? Niemals früher war die Nation von den Nachbarn ſo tief verachtet worden; nur den alten Ruhm deutſcher Waffentüchtigkeit wagte man nicht zu beſtreiten. Der politiſche Zuſtand aber, der dies ſchmähliche Sinken des deutſchen Anſehens verſchuldete, ward überall in der Welt als die feſte Bürgſchaft des europäiſchen Friedens geprieſen; und dies Volk, das vormals durch ſeinen Hochmuth ſo übel berüchtigt geweſen wie heute die Briten, ſprach gelehrig nach, was die Eiferſucht der Nachbarn erfand, gewöhnte ſich das Vaterland mit den Augen der Fremden zu betrachten. Die deutſche Staatswiſſenſchaft des achtzehnten Jahrhunderts bereichert die alten Wahnbegriffe von deutſcher Freiheit noch durch das neue Schlagwort der Freiheit Europas. Alle unſere Publiciſten bis herab auf Pütter und Johannes Müller warnen die friedliebende Welt vor der verderblichen Macht der deutſchen Einheit und ſchließen das Lob des heiligen Reichs mit der inbrünſtigen Mahnung: wehe der Freiheit des Welttheils, wenn die hunderttauſende deutſcher Bajonette jemals Einem Herrſcher gehorchten!

Eine unerforſchlich weiſe Waltung züchtigt die Völker durch dieſelben Gaben, welche ſie einſt frevelhaft mißbrauchten. Die Weltſtellung, die angeborene Eigenart und der Gang der Geſchichte gaben unſerem Volke von früh auf einen Zug vielſeitiger weltbürgerlicher Weitherzigkeit. Die deutſche Nation beſaß ein natürliches Verſtändniß für die romaniſche Welt: war doch einſt das romaniſche Volksthum durch deutſche Eroberer auf den Trümmern der römiſchen Geſittung begründet worden; ſie war den Briten wie dem ſkandinaviſchen Norden blutsverwandt, mit den Slaven von Alters her durch Krieg und Handel wohlvertraut; im Mittel - alter hatte ſie als ein Volk der Mitte vom Süden und Weſten her Cultur empfangen, dem Norden und Oſten Cultur gegeben. So wurde ſie das weltbürgerlichſte der Völker, empfänglicher noch für fremdes Weſen als ihre Schickſalsgenoſſen, die Italiener. Der Drang in die Ferne ward uns zum Verhängniß, in ihm lag die Schuld und die Größe des deutſchen Lebens. Auf die Jahrhunderte der deutſchen Weltherrſchaftspläne folgte nunmehr eine Zeit des leidenden Weltbürgerthums. Das Volk der Mitte empfing die Befehle aller Welt. Sämmtliche mächtige Fürſten des Welttheils gehörten als Reichsſtände oder als Friedensbürgen dem deutſchen Reiche an und meiſterten ſein Leben. Die Nation aber lebte ſich ein in die Fremdherrſchaft, hing mit deutſcher Treue an den Fahnen des Aus -23Deutſches Weltbürgerthum.lands. Der partikulariſtiſche Dünkel, die Ueberhebung des Nachbarn über den nachbarlichen Stammgenoſſen trat nirgends trotziger auf als in den deutſchen Provinzen ausländiſcher Fürſten. Mit Stolz pries der Holſte ſeinen Danebrog; der Stralſunder freute ſich des Schlachtenruhmes der drei Kronen und bemitleidete den brandenburgiſchen Pommern, deſſen Landesherr nur einen deutſchen Kurhut trug; die Nachkommen der Er - oberer des Weichſellandes, die ſtolzen Geſchlechter der Hutten, Oppen, Roſenberg nahmen polniſche Namen an und ſpotteten, froh der ſarmatiſchen Adelsfreiheit, über den märkiſchen Despotismus im Herzogthum Preußen.

Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unverſieglich die alte abenteuernde Wanderluſt. Ungezählte Schaaren deutſcher Reisläufer ſtrömen in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, ſolange das Söldnerweſen blüht. Deutſche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde Europas, vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Inſel. Die Fahnen Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder undeutſche kaiſerliche Dienſt gelten für adlicher als das öde Einerlei des heimiſchen Garniſonlebens; auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutſche Degenknopf ſeine Söhne, dem Wappenſchilde des Hauſes Ruhm und Reichthum zu erwerben im Dienſte fremder Kronen. Die deutſchen Regimenter Bernhards von Weimar bildeten den Kern jener unüberwind - lichen Heere, welche Turenne und Condé zum Siege führten; nur in deutſcher Schule lernten die Nachbarn uns zu ſchlagen. Und dazu die lange Reihe deutſcher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der Fremde: kraftvolle Wildlinge vom deutſchen Stamme und alleſammt ver - loren für das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anblick: dieſe titaniſche Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede Darſtellung unſerer Geſchichte bleibt Stückwerk, wenn ſie dies über die weite Welt verzweigte Wirken deutſchen Geiſtes und deutſcher Waffen nicht würdigt. Um dieſelbe Zeit, da Frankreich die Weſtmarken des heiligen Reiches eroberte, ſchuf Peter der Große durch deutſche Kräfte den neuen ruſſiſchen Staat. Auch die Fürſtenhäuſer wurden von dem nationalen Wandertriebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutſche Hof trachtete nach fremden Thronen, und das Kaiſerhaus begünſtigte dies Beſtreben um läſtige Nebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich fielen alle Kronen Europas, allein Piemont und die bourboniſchen Staaten aus - genommen, in die Hände deutſcher Fürſtengeſchlechter; aber dieſe glänzende Herrenſtellung unſeres hohen Adels verſtärkte nur das Gewicht der cen - trifugalen Kräfte im Reiche, kettete den deutſchen Staat nur um ſo feſter an den Willen des Auslands.

Ueber dieſem verrotteten Gemeinweſen lag der Zauber einer tauſend - jährigen Geſchichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband das Heute mit dem Geſtern. Der Kenner der Reichsgeſchichte war zugleich ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge24I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Juriſt Wolfgang Goethe ſich aus Datt’s Folianten gewiſſenhaft über Land - frieden und Reichskammergericht unterrichtete, ſo ſah er die biderbe Geſtalt des Ritters Götz von Berlichingen leibhaftig auf dem Armenſünderbänkchen ſitzen. Die Reichsverfaſſung blieb immerhin das einzige Band politiſcher Einheit für dies zerriſſene Volk. Noch im Jahre ihres Unterganges ſchrieb der Hamburger Publiciſt Gaspari: Nur durch den Kaiſer ſind wir frei, ohne ihn ſind wir gar keine Deutſche mehr. Aus ihren ſchwerfälligen Formen ſprach noch immer jener altgermaniſche Staats - gedanke, der ſchon in den Anfängen unſerer Geſchichte den ſittlichen Ernſt und den Freiheitsmuth der Deutſchen bekundet hatte: die Reichsgewalt war die Schirmerin des gemeinen Friedens und darum ehrwürdig ſelbſt im Verfalle. Das Bewußtſein ſeiner Einheit konnte dem Volke niemals gänzlich verloren gehen, ſo lange noch das gemeine Recht beſtand und der rechtsbildende Gemeingeiſt der Nation in der Arbeit der Rechtswiſſen - ſchaft wie der Gerichte ſich bekundete; auch als das gemeine Recht nach und nach von partikulariſtiſchen Rechtsbildungen überwuchert wurde, blieb die nationale Form der Rechtsſprechung aufrecht, das Reich ſicherte der Nation die Unabhängigkeit und Ständigkeit der Richterämter. Auf dem Rechte des Kaiſers ruhte zuletzt jedes Recht im Reiche; wer der kaiſerlichen Majeſtät widerſtand, verlor den Boden unter den Füßen. Halte ich zum Kaiſer, ſo bleibe ich und mein Sohn immer noch Kurfürſt! mit ſolchen Worten hatte einſt der zaudernde Georg Wilhelm von Branden - burg die Anträge Guſtav Adolfs zurückgewieſen. Dieſelbe Erwägung hemmte noch im folgenden Jahrhundert jeden tapferen Entſchluß, ſobald ein revolutionärer Wille ſich anſchickte neue Wege zu bahnen durch die wuchernde Wildniß dieſes naturwüchſigen und doch ſo unnatürlichen Reichsrechts. Die Politik des Auslandes und des Hauſes Oeſterreich, die Selbſtſucht der kleinen Höfe und die Eiferſucht Jedes gegen Jeden, das Gleichgewicht der politiſchen Kräfte wie die Intereſſen einer dem Untergange zueilenden Geſellſchaftsordnung, das Weltbürgerthum und die Träume von deutſcher Freiheit, Rechtsgefühl und uralte Gewöhnung, die Macht der Trägheit und die deutſche Treue, Alles vereinigte ſich die beſtehende Unordnung aufrecht zu erhalten. Um die Mitte des acht - zehnten Jahrhunderts ſchien das heilige Reich, nach der Meinung aller Welt, noch einer unabſehbaren Zukunft ſicher.

Auf dem Boden dieſes Reichsrechts und ſeiner territorialen Staats - gebilde, und doch in ſcharfem Gegenſatze zu Beiden iſt der preußiſche Staat entſtanden. Die zähe Willenskraft der norddeutſchen Stämme war dem weicheren und reicheren oberdeutſchen Volksthum in der Kraft der Staatenbildung von Altersher überlegen. Nur ſo lange der Sach -25Anfänge Brandenburgs.ſenſtamm die Krone trug blieb die deutſche Monarchie ein lebendiges Königthum; ihre Macht zerfiel unter den Händen der Franken und der Schwaben, zumeiſt durch den trotzigen Ungehorſam der ſächſiſchen Fürſten. Dann erwuchſen in Niederdeutſchland die zwei mächtigſten politiſchen Schöpfungen unſeres ſpäten Mittelalters, die Hanſa und der deutſche Orden, beide unabhängig von der Reichsgewalt, oftmals mit ihr ver - feindet. Im Norden ſtand die Wiege der Reformation; an dem Wider - ſtande der Norddeutſchen ſcheiterte die hispaniſche Herrſchaft, und ſeit die undeutſche Politik der Habsburger den Dualismus im Reiche hervorge - rufen, blieb der Norden das Kernland der deutſchen Oppoſition. Die Führung dieſer Oppoſition ging im Laufe des ſiebzehnten Jahrhunderts von dem unfähigen Geſchlechte der Wettiner auf die Hohenzollern über. Der Schwerpunkt deutſcher Politik verſchob ſich nach dem Nordoſten.

Dort in den Marken jenſeits der Elbe war aus dem Grundſtock der niederſächſiſchen Eroberer, aus Einwanderern von allen Landen deutſcher Zunge und aus geringen Trümmern des alteingeſeſſenen Wenden - volks ein neuer norddeutſcher Stamm emporgewachſen, hart und wetter - feſt, geſtählt durch ſchwere Arbeit auf kargem Erdreich wie durch die unabläſſigen Kämpfe des Grenzerlebens, klug und ſelbſtändig nach Coloniſtenart, gewohnt mit Herrenſtolz auf die ſlaviſchen Nachbarn herab - zuſehen, ſo ſchroff und ſchneidig, wie es die gutmüthig geſpaßige Derbheit des niederdeutſchen Charakters vermag. Dreimal hatte dies vielgeprüfte Land das rauhe Tagewerk der Culturarbeit von vorn begonnen: zuerſt als die ascaniſchen Eroberer die Tannenwälder an den Havelſeen rodeten und ihre Städte, Burgen und Klöſter im Wendenlande erbauten; dann abermals zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts, als die erſten Hohenzollern den unter bairiſch-lützelburgiſcher Herrſchaft völlig zerrütteten Frieden und Wohlſtand ſorgſam wieder herſtellten; und jetzt wieder war Brandenburg durch die Schrecken der dreißig Jahre ſchwerer heimgeſucht als die meiſten deutſchen Lande, mußte ſich die erſten Anfänge der Ge - ſittung von Neuem erobern.

Die rauhe Sitte des armen Grenzlandes blieb während des Mittel - alters im Reiche übel berüchtigt. Der römiſchen Kirche iſt aus dem Sande der Marken niemals ein Heiliger erwachſen; ſelten erklang ein Minnelied an dem derben Hofe der ascaniſchen Markgrafen. Die fleißigen Ciſtercienſer von Lehnin trachteten allezeit mehr nach dem Ruhme tüchtiger Landwirthe als nach den Kränzen der Kunſt und Gelehrſamkeit; den handfeſten Bürgern der märkiſchen Städte verfloß das Leben in grober, hausbackener Arbeit, nur die Prenzlauer durften ihre Marienkirche mit den prächtigen Bauten der reichen Oſtſeeſtädte vergleichen. Allein durch kriegeriſche Kraft und ſtarken Ehrgeiz ragte der Staat der Brandenburger über die Nachbarſtämme hervor; ſchon die Ascanier und die Lützelburger haben mehrmals den Plan erwogen, hier in der günſtigen Lage zwiſchen26I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.dem Elb - und Odergebiete, zwiſchen den ſchwächlichen Kleinſtaaten Mecklen - burgs, Pommerns und Schleſiens eine Großmacht des Nordoſtens zu errichten. Noch größer ſchien ſich das Schickſal der Marken zu geſtalten, als die Burggrafen von Nürnberg den Kurhut empfingen: Friedrich I. war der Führer der deutſchen Fürſten bei der Reformbewegung in Reich und Kirche, Albrecht Achill der bewunderte Held des ritterlichen Adels in den Kämpfen gegen die Städte. Zugleich begann im Innern eine kühne und feſte monarchiſche Politik. Früher als das heilige Reich er - hielt die Mark ihren Landfrieden, durch Friedrich I.; früher als in anderen Reichslanden wurde hier die Untheilbarkeit des Staates geſetzlich ausgeſprochen durch die Geſetze Albrecht Achills. Adel und Städte beugten ihren trotzigen Nacken vor der Willenskraft der drei erſten Hohen - zollern. Aber dem vielverheißenden Anlaufe entſprach der Fortgang nicht. Die Nachfolger jener hochſtrebenden Helden ſanken bald zurück in die be - queme Enge deutſcher Kleinfürſtenpolitik. Sie verloren die kaum errungene landesherrliche Gewalt zum guten Theile wieder an den Landtag, hielten mit ihren übermüthigen Herren Ständen wohl oder übel Haus, ſuchten wie alle mächtigeren Reichsfürſten Verwaltung und Rechtspflege ihres Landes vor jedem Eingriff der Reichsgewalt zu behüten und blieben dabei dem Kaiſerhauſe hold und gewärtig; ſie traten ſpät und zögernd in die lutheriſche Kirche ein, überließen die Führung der proteſtantiſchen Parteien gemächlich an Kurſachſen und Kurpfalz.

Mit gutem Grunde ſagt König Friedrich in den Denkwürdigkeiten ſeines Hauſes: wie ein Fluß erſt werthvoll werde, wenn er ſchiffbar ſei, ſo gewinne die Geſchichte Brandenburgs erſt gegen Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts tiefere Bedeutung. Erſt unter Kurfürſt Johann Sigismund traten drei entſcheidende Ereigniſſe ein, welche den Marken eine große Zukunft, eine von dem Leben der übrigen Reichsländer grundverſchiedene Entwicklung verhießen: die Vereinigung des ſeculariſirten Deutſch - Ordenslandes mit Brandenburg, der Uebertritt des Fürſtenhauſes zur reformirten Kirche, endlich die Erwerbung der niederrheiniſchen Grenz - lande.

Auch andere Reichsfürſten, Katholiken wie Proteſtanten, hatten ihre Macht durch die Güter der alten Kirche erweitert. Im Ordenslande aber wagte die Politik der deutſchen Proteſtanten ihren verwegenſten Griff; auf Luthers Rath entriß der Hohenzoller Albrecht der römiſchen Kirche das größte ihrer geiſtlichen Territorien. Das geſammte Gebiet des neuen Herzogthums Preußen war entfremdetes Kirchengut; des Papſtes Bann und des Kaiſers Acht trafen den abtrünnigen Fürſten. Niemals wollte der römiſche Stuhl dieſen Raub anerkennen. Indem die märkiſchen Hohenzollern die Herzogskrone ihrer preußiſchen Vettern mit ihrem Kurhute verbanden, brachen ſie für immer mit der römiſchen Kirche; ihr Staat ſtand und fiel fortan mit dem Proteſtantismus. Zur ſelben27Preußen und Cleve mit Brandenburg vereinigt.Zeit nahm Johann Sigismund das reformirte Bekenntniß an. Er legte damit den Grund für die folgenreiche Verbindung ſeines Hauſes mit dem Heldengeſchlechte der Oranier und trat aus der leidſamen Trägheit des erſtarrten Lutherthums hinüber in die Gemeinſchaft jener Kirche, welche allein noch die politiſchen Gedanken der Reformation mit kriegeriſchem Muthe verfocht. Der calviniſche Landesherr beherrſchte in den Marken ein hart lutheriſches Volk; in Preußen ſaßen Lutheraner und Katholiken, in den niederrheiniſchen Landen die Bekenner aller drei großen Kirchen Deutſchlands bunt durcheinander. Von dem Glaubenshaſſe der eige - nen Unterthanen bedroht, ſah ſich das Fürſtenhaus gezwungen, allen kirchlichen Parteien durch duldſame Schonung gerecht zu werden. Der - geſtalt ward die eigenthümliche Doppelſtellung der Hohenzollern zu unſerem kirchlichen Leben begründet: ſie ſtanden, ſeit die Macht der Pfälzer zerfiel, an der Spitze des ſtreitbaren Proteſtantismus im Reiche und vertraten doch zugleich den Grundgedanken der neuen deutſchen Ge - ſittung, die Glaubensfreiheit. Mit dem Scharfblicke des Haſſes ſagte der kaiſerliche Vicekanzler Stralendorff in den Tagen Johann Sigis - munds voraus: es ſtehe zu befürchten, daß der Brandenburger nun - mehr der werden könne, den das calviniſche und lutheriſche Geſchmeiß erſehne.

Mit der preußiſchen Herzogskrone gewann das Haus Hohenzollern jene ſtolze Colonie des geſammten Deutſchlands, die mit dem Blute aller deutſchen Stämme noch reicher als die Mark benetzt war und ſich vor allen Landſchaften des Reiches einer großen und heldenhaften Geſchichte rühmte: hier in dem neuen Deutſchland hatte einſt der deutſche Orden die baltiſche Großmacht des Mittelalters aufgerichtet. Das entlegene, durch die Feindſchaft des polniſchen Lehnsherrn wie der ſkandinaviſchen und moskowitiſchen Nachbarn unabläſſig bedrohte Grenzland verwickelte den Staat der Hohenzollern in die wirrenreichen Kämpfe des nordiſchen Staatenſyſtems. Während er alſo an der Oſtſee feſten Fuß faßte, erwarb Johann Sigismund zugleich das Herzogthum Cleve nebſt den Grafſchaften Mark und Ravensberg, ein Gebiet von geringem Umfang, aber hoch - wichtig für die innere Entwicklung wie für die europäiſche Politik des Staates: Lande von treu bewahrter alter Bauern - und Städtefreiheit, reicher und höher geſittet als die dürftigen Colonien des Oſtens, un - ſchätzbare Außenpoſten an Deutſchlands ſchwächſter Grenze. In Wien und Madrid ward es als eine ſchwere Niederlage empfunden, daß eine neue evangeliſche Macht ſich feſtſetzte dort am Niederrheine, wo Spanier und Niederländer um Sein oder Nichtſein des Proteſtantismus kämpften, dicht vor den Thoren Kölns, der Hochburg des römiſchen Weſens im Reiche. Der junge Staat umſchloß auf ſeinen fünfzehnhundert Geviert - meilen bereits faſt alle die kirchlichen, ſtändiſchen, landſchaftlichen Gegen - ſätze, welche das heilige Reich mit lautem Hader erfüllten; mit geſpreizten28I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Beinen gleich dem Koloß von Rhodus ſtand er über den deutſchen Landen und ſtemmte ſeine Füße auf die bedrohten Marken am Rhein und Memelſtrom.

Eine Macht in ſolcher Lage konnte nicht mehr in dem engen Ge - ſichtskreiſe deutſcher Territorialpolitik verharren; ſie mußte verſuchen ihre weithin zerſtreuten Gebiete zu einer haltbaren Maſſe abzurunden, ſie war gezwungen für das Reich zu handeln und zu ſchlagen, denn jeder Angriff der Fremden auf deutſchen Boden ſchnitt ihr in ihr eignes Fleiſch. Und dieſer Staat, der nur deutſches Land beherrſchte, ſtand doch der Reichs - gewalt in glücklicher Unabhängigkeit gegenüber. Jenen Reichsſtänden, deren Gebiete alleſammt innerhalb der Reichsgrenzen lagen, war eine ſelbſtändige europäiſche Politik immerhin erſchwert; andere Fürſtengeſchlechter, die ſich durch die Erwerbung ausländiſcher Kronen den hemmenden Feſſeln der Reichsverfaſſung entzogen, gingen dem deutſchen Leben verloren. Auch dem Hauſe Brandenburg ſind oftmals lockende Rufe aus der Ferne erklungen: die Herrſchaft in Schweden, in Polen, in den Niederlanden, in England ſchien ihm offen zu ſtehen. Doch immer hat bald die Macht der Um - ſtände bald die verſtändige Selbſtbeſchränkung des Fürſtengeſchlechts dieſe gefährlichen Verſuchungen abgewieſen. Eine ſegensreiche Fügung, die dem ernſten Sinne nicht als Zufall gelten darf, nöthigte die Hohenzollern in Deutſchland zu verbleiben. Sie bedurften der fremden Kronen nicht; denn ſie dankten ihre unabhängige Stellung in der Staatengeſellſchaft dem Beſitze des Herzogthums Preußen, eines kerndeutſchen Landes, das mit allen Wurzeln ſeines Lebens an dem Mutterlande hing und gleichwohl dem ſtaatsrechtlichen Verbande des Reichs nicht angehörte. Alſo mit dem einen Fuß im Reiche, mit dem anderen draußen ſtehend, gewann der preußiſche Staat das Recht, eine europäiſche Politik zu führen, die nur deutſche Ziele verfolgen konnte. Er durfte für Deutſchland ſorgen, ohne nach dem Reiche und ſeinen verrotteten Formen zu fragen.

Dem Hiſtoriker iſt nicht geſtattet, nach der Weiſe der Naturforſcher das Spätere aus dem Früheren einfach abzuleiten. Männer machen die Geſchichte. Die Gunſt der Weltlage wird im Völkerleben wirkſam erſt durch den bewußten Menſchenwillen, der ſie zu benutzen weiß. Noch einmal ſtürzte der Staat der Hohenzollern von ſeiner kaum errungenen Machtſtellung herab; er trieb dem Untergange entgegen, ſolange Johann Sigismunds Nachfolger Georg Wilhelm aus matten Augen ſchläfrig in die Welt blickte. Auch dieſer neue Verſuch deutſcher Staatenbildung ſchien wieder in der Armſeligkeit der Kleinſtaaterei zu enden, wie vormals die unter ungleich günſtigeren Anzeichen aufgeſtiegenen Mächte der Welfen, der Wettiner, der Pfälzer. Da trat als ein Fürſt ohne Land, mit einem Stecken und einer Schleuder Kurfürſt Friedrich Wilhelm ein in das verwüſtete deutſche Leben, der größte deutſche Mann ſeiner Tage, und beſeelte die ſchlummernden Kräfte ſeines Staates mit der Macht des29Brandenburg das Land der Parität.Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens der werdenden deutſchen Großmacht unverloren. Man kann ſich die engliſche Geſchichte vorſtellen ohne Wilhelm III., die Geſchichte Frankreichs ohne Richelieu; der preußiſche Staat iſt das Werk ſeiner Fürſten. In wenigen andern Ländern bewährte das Königthum ſo ſtetig jene beiden Tugenden, die ſeine Größe bilden: den kühnen, weit vorausſchauenden Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und die ſtrenge Gerechtigkeit, die jede Selbſtſucht in den Dienſt des Ganzen zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in dieſen armſeligen Gebietstrümmern die Grundſteine einer neuen Großmacht zu erkennen. Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchiſchen Staatsge - danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen, welche dieſer Mikrokosmos des deutſchen Lebens umfaßte, ihren Schutz und ihren Frieden.

Schon in den erſten Jahren des großen Kurfürſten tritt die Eigen - art der neuen deutſchen Macht ſcharf und klar heraus. Der Neffe Guſtav Adolfs, der ſein junges Heer unter dem alten Proteſtantenrufe Mit Gott in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik ſeines Oheims wieder auf. Er zuerſt ruft in den Hader der Kirchen das erlöſende Wort hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amneſtie für alle drei Bekenntniſſe. Es war das Programm des Weſtphäliſchen Friedens. Und weit über die Vorſchriften dieſes Friedensſchluſſes hinaus ging die Duldung, welche die Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg galt vor dem Reichsrechte als ein evangeliſcher Stand und wurde doch der erſte Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das bunte Sektenweſen in den Niederlanden verdankte ſeine ungebundene Be - wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte die Gewiſſensfreiheit auf den Geſetzen einer kraftvollen Staatsgewalt, die ſich das Recht der Oberaufſicht über die Kirchen nicht rauben ließ. In den anderen deutſchen Territorien beſtand überall noch eine herrſchende Kirche, die den beiden anderen Confeſſionen nur den Gottesdienſt nicht gänzlich unterſagen durfte; in Brandenburg ſtand die Krone frei über allen Kirchen und ſchützte die Parität. Derweil Oeſterreich ſeine beſten Deutſchen gewaltſam austreibt, öffnet eine Gaſtfreundſchaft ohne Gleichen die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel tauſendmal iſt in den Marken das Danklied der böhmiſchen Exulanten erklungen: Dein Volk, das ſonſt im Finſtern ſaß, von Irrthum ganz umgeben, das findet hier nun ſein Gelaß und darf in Freiheit leben! Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine brandenburgiſche Herr als der Wortführer der proteſtantiſchen Welt kühn entgegen und bietet durch ſein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär - tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall wo noch die Flammen des alten Glaubenshaſſes aus dem deutſchen Boden emporſchlagen, ſchreiten die30I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Hohenzollern ſchützend und verſöhnend ein. Sie rufen die Wiener Judenſchaft an die Spree, ſie ſichern via facti , des Reiches ungefragt, den Proteſtanten Heidelbergs den Beſitz ihrer Kirchen, ſie bereiten den evan - geliſchen Salzburgern in Oſtpreußen eine neue Heimath. So ſtrömte Jahr für Jahr eine Fülle jungen Lebens in die entvölkerten Oſtmarken hinüber; das deutſche Blut, das die Habsburger von ſich ſtießen, befruchtete die Lande ihres Nebenbuhlers. Beim Tode Friedrichs II. beſtand etwa ein Drittel der Bevölkerung des Staates aus den Nachkommen der Ein - wanderer, die ſeit den Tagen des großen Kurfürſten zugezogen.

Erſt dieſe Kirchenpolitik der Hohenzollern hat das Zeitalter der Religionskriege abgeſchloſſen; ſie zwang ſchließlich die beſſeren weltlichen Fürſten zur Nachahmung und entzog zugleich den geiſtlichen Staaten das letzte Recht des Daſeins; denn wozu noch geiſtliche Reichsfürſten, ſeit die katholiſche Kirche unter den Flügeln des preußiſchen Adlers ge - ſicherte Freiheit fand? Friedrich Wilhelm erwarb im Weſtphäliſchen Frieden die großen Stifter Magdeburg, Halberſtadt, Minden, Cammin. Sein Staat ward wie kein anderer in Deutſchland durch die Güter der römiſchen Kirche bereichert; doch er rechtfertigte den Raub, denn er über - nahm mit dem Kirchengute zugleich die großen Culturaufgaben, welche die Kirche des Mittelalters einſt für den unreifen Staat erfüllt hatte, Armen - pflege und Volkserziehung, und er verſtand den neuen Pflichten zu ge - nügen. Daſſelbe Gebot der Selbſterhaltung, das die Hohenzollern nöthigte Frieden zu halten zwiſchen Katholiken und Proteſtanten, drängte ſie auch innerhalb der evangeliſchen Kirche zwiſchen den Gegenſätzen zu vermitteln. Der Gedanke der evangeliſchen Union blieb dem preußiſchen Staate eigenthümlich ſeit Johann Sigismund zuerſt den lutheriſchen Eiferern das Zetern wider die Calviniſten unterſagte, und was anfänglich die Noth erzwang, ward endlich zur politiſchen Ueberlieferung, zur Herzens - ſache des Fürſtenhauſes.

Wie der preußiſche Staat alſo der deutſchen Nation den kirchlichen Frieden ſicherte, der ihr erlaubte wieder theilzunehmen an dem Schaffen der Culturvölker, ſo gab er ihr auch zurück was ihr ſeit den Tagen der Glaubensſpaltung fehlte: einen Willen gegen das Ausland. Ueberall im Reiche verkamen reiche Kräfte in engen Verhältniſſen, und wer hoch hinausſtrebte eilte in die Fremde; da faßte Friedrich Wilhelms gewaltige Hand die dürftigen Mittel der ärmſten deutſchen Gebiete entſchloſſen zu - ſammen und zwang ſein Volk der Heimath zu dienen und zeigte dem Welt - theil wieder was das deutſche Schwert vermöge. Das Reich zehrte von alten Erinnerungen, bewahrte die Staatsformen des Mittelalters mitten im neuen Europa; dieſe norddeutſche Macht aber wurzelte feſt in der modernen Welt, über den Trümmern der alten Kirchenherrſchaft und der altſtändiſchen Rechte ſtieg ihre ſtarke Staatsgewalt empor, ſie lebte den Sorgen der Gegenwart und den Plänen einer großen Zukunft. Mit31Weltſtellung des preußiſchen Staates.einem Schlage führte Friedrich Wilhelm ſeinen mißachteten kleinen Staat in die Reihe der europäiſchen Mächte ein; ſeit der Schlacht von Warſchau ſtand Brandenburg den alten Militärſtaaten ebenbürtig zur Seite. Wie eine Inſel ſchien dieſe feſtgeeinte kriegeriſche Macht urplötzlich emporzu - ſteigen aus der tobenden See deutſcher Vielherrſchaft, vor den verwun - derten Blicken eines Volkes, das längſt verlernt an raſchen Entſchluß und großes Gelingen zu glauben. So ſcharf wehte der friſche Luftzug des bewußten politiſchen Willens durch die Geſchichte des neuen preußiſchen Staates, ſo ſtraff und gewaltſam ward jeder Muskel ſeines Volks zur Arbeit angeſpannt, ſo grell erſchien das Mißverhältniß zwiſchen ſeinem Ehrgeiz und ſeinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an - derthalb Jahrhunderte nur als eine künſtliche Schöpfung galt. Die Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks, was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der Deutſchen war.

Preußen behauptete wie in den deutſchen Glaubenshändeln, ſo auch in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine ſchwierige Mittelſtellung. So lange das proteſtantiſche Deutſchland willenlos darniederlag, zerfiel Europa in zwei getrennte Staatenſyſteme, die einander ſelten berührten. Die Staatenwelt des Südens und Weſtens kämpfte um die Beherrſchung Italiens und der rheiniſch-burgundiſchen Lande, während die Mächte des Nordens und Oſtens ſich um die Trümmerſtücke des deutſchen Ordens - ſtaates und um den Nachlaß der Hanſa, die Oſtſeeherrſchaft ſtritten. Der Oſten und der Weſten begegneten ſich nur in dem einen Verlangen, die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar offen zu halten. Nun erhob ſich die jugendliche deutſche Macht, das vielverſpottete Reich der langen Grenzen . Sie gehörte dem Welttheil an, ihr verſprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des Feſtlands. Sobald ſie anfing mit ſelbſtändigem Willen ſich zu bewegen, griffen die Mächte des Weſtens in die Händel des Oſtens ein, immer häufiger verſchlangen und durchkreuzten ſich die Intereſſen der beiden Staatenſyſteme.

Der geborene Gegner der alten, auf Deutſchlands Ohnmacht ruhenden Ordnung Europas, ſtand Preußen in einer Welt von Feinden, deren Eiferſucht ſeine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen Bundesgenoſſen, denn noch war der deutſchen Nation das Verſtändniß dieſer jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten Staatsraiſon, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des Nachbarn als ſeine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen ſich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour - bonen, ebenſo, doch ungleich ſchwerer bedrängt mußte Preußen ſich ſeinen Weg bahnen zwiſchen Oeſterreich und Frankreich hindurch, zwiſchen Schweden und Polen, zwiſchen den Seemächten und der trägen Maſſe32I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.des deutſchen Reichs, mit allen Mitteln rückſichtsloſer Selbſtſucht, immer bereit die Front zu wechſeln, immer mit zwei Sehnen am Bogen.

Kurbrandenburg empfand bis in das Mark ſeines Lebens, wie tief das ausländiſche Weſen ſich in Deutſchland eingefreſſen hatte. Alle die zuchtloſen Kräfte ſtändiſcher Libertät, welche der ſtrengen Ordnung der neuen Monarchie widerſtrebten, ſtützten ſich auf fremden Beiſtand. Hol - ländiſche Garniſonen lagen am Niederrhein und begünſtigten den Kampf der cleviſchen Stände wider den deutſchen Landesherrn, die Landtage von Magdeburg und der Kurmark rechneten auf Oeſterreich, der polenzende Adel in Königsberg rief den polniſchen Oberlehnsherrn zu Hilfe gegen den märkiſchen Despotismus. Im Kampfe mit der Fremdherrſchaft wurde die Staatseinheit dieſer zerſtreuten Gebiete und das Anſehen ihres Landesherrn begründet. Friedrich Wilhelm zerſtörte die Barriere der Niederländer im deutſchen Nordweſten, vertrieb ihre Truppen aus Cleve und Oſtfriesland; er befreite Altpreußen von der polniſchen Lehenshoheit und beugte den Königsberger Landtag unter ſeine Souveränität. Dann ruft er der tauben Nation ſein Mahnwort zu: Gedenke, daß du ein Deutſcher biſt! und verſucht die Schweden vom Reichsboden zu ver - drängen. Zweimal gelang der Mißgunſt Frankreichs und Oeſterreichs, den Brandenburger um den Lohn ſeiner Siege, um die Herrſchaft in Pommern zu betrügen; den Ruhm des Tages von Fehrbellin konnten ſie ihm nicht rauben. Endlich wieder, nach langen Jahrzehnten der Schande, ein glän - zender Triumph deutſcher Waffen über die erſte Kriegsmacht der Zeit; die Welt erfuhr, daß Deutſchland wieder wage ſein Hausrecht zu wahren. Der Erbe der deutſchen Kirchenpolitik Guſtav Adolfs zerſprengte den verwegenen Bau des ſkandinaviſchen Oſtſeereiches, den das Schwert jenes Schweden - königs zuſammengefügt. Die beiden künſtlichen Großmächte des ſiebzehnten Jahrhunderts, Schweden und Holland, begannen zurückzutreten in ihre natürlichen Schranken, und der neue Staat, der ſich an ihrer Stelle erhob, zeigte weder die ausſchweifende Eroberungsluſt der ſchwediſchen Militärmacht noch den monopolſüchtigen Kaufmannsgeiſt der Niederländer. Er war deutſch, er begnügte ſich das Gebiet ſeiner Nation zu ſchirmen und vertrat gegen die Weltherrſchaftspläne der Bourbonen den Gedanken des europäiſchen Gleichgewichts, der Staatenfreiheit. Als die Republik der Niederlande dem Angriff Ludwigs XIV. zu erliegen drohte, da fiel Brandenburg dem Eroberer in den erhobenen Arm; Friedrich Wilhelm führte den einzigen ernſthaften Krieg, den das Reich zur Wiederer - oberung des Elſaſſes gewagt hat, und noch auf ſeinem Sterbebette entwarf er mit ſeinem oraniſchen Neffen den Plan, das evangeliſche und parla - mentariſche England zu retten vor der Willkür der Stuarts, der Vaſallen Ludwigs. Ueberall wo dieſe junge Macht allein ſtand kämpfte ſie ſiegreich, überall unglücklich wo ſie dem Wirrwarr des Reichsheeres ſich anſchließen mußte.

33Der neue Mehrer des Reichs.

So erwies ſich die neue Staatsbildung ſchon in ihren Anfängen als eine europäiſche Nothwendigkeit. Deutſchland aber fand endlich wieder einen Mehrer des Reichs. Mit dem Aufſteigen Preußens be - gann die lange blutige Arbeit der Befreiung Deutſchlands von fremder Herrſchaft. Seit hundert Jahren von den Nachbarn beraubt ſah das Reich jetzt zum erſten male das ausländiſche Regiment von einigen Schollen deutſcher Erde zurückweichen. In dieſem einen Staate erwachte wieder, noch halb bewußtlos, wie trunken vom langen Schlummer, der alte herzhafte vaterländiſche Stolz. Das treue Landvolk der Grafſchaft Mark begann den kleinen Krieg gegen die Franzoſen, die Bauern von Oſtpreußen ſetzten in wilder Jagd den fliehenden Schweden nach. Wenn die Bauern - landwehr der Altmark, an den Elbdeichen Wache haltend wider die Schweden, auf ihre Fahnen ſchrieb: Wir ſind Bauern von geringem Gut und dienen unſerem gnädigſten Kurfürſten und Herrn mit Gut und Blut , ſo klingt uns aus den ungelenken Worten ſchon derſelbe Heldenſinn entgegen, welcher dereinſt in freieren Tagen Deutſchlands Schlachten ſchlagen ſollte unter dem Rufe: Mit Gott für König und Vaterland!

Während die Hausmacht der Habsburger aus Deutſchland hinaus wuchs, drängte ein ſtetig waltendes Schickſal den Staat der Hohenzollern tief und tiefer in das deutſche Leben hinein, zuweilen wider den Willen ſeiner Herrſcher. Friedrich Wilhelm hat es nie verwunden, daß er ſeine pommerſchen Erbanſprüche im Weſtphäliſchen Frieden gegen den Wider - ſtand Oeſterreichs und Schwedens nicht behaupten konnte. Er hoffte als ein König der Vandalen von dem Stettiner Hafen aus die Oſtſee zu beherrſchen und mußte ſich mit den ſächſiſch-weſtphäliſchen Stifts - landen, zum Erſatz für die Odermündungen, begnügen. Doch ſelbſt dieſe diplomatiſche Niederlage ward ein Glück für den Staat; ſie bewahrte ihn vor einem halbdeutſchen baltiſchen Sonderleben, verſtärkte ſeine centrale Stellung und zwang ihn theilzunehmen an allen Händeln der binnen - deutſchen Politik. Zudem war ganz Norddeutſchland überſponnen von einem Netze hohenzollerſcher Erbverträge, die dies bedachtſam rechnende Haus im Laufe der Jahrhunderte abgeſchloſſen; an jedem neuen Tage konnte ein Todesfall der ehrgeizigen Macht eine neue Vergrößerung bringen.

Das Haus Habsburg erkannte früher als die Hohenzollern ſelber, wie feindſelig dieſer moderne norddeutſche Staat der alten Verfaſſung des heiligen Reichs gegenüberſtand. Er war das Haupt des Proteſtan - tismus im Reiche, mochte immerhin Kurſachſen noch Director des Corpus Evangelicorum heißen; er bedrohte mit ſeiner monarchiſchen Ordnung den ganzen Bau jener ſtändiſchen und theokratiſchen Inſtitutionen, welche die Kaiſerkrone ſtützten; ſein ſtarkes Heer und ſein ſelbſtändiges Auf - treten in der Staatengeſellſchaft gefährdeten das altgewohnte Syſtem kaiſerlicher Hauspolitik. In Schleſien, in Pommern, in dem jülich-cleviſchenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 334I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Erbfolgeſtreite, überall trat Oeſterreich dem gefährlichen Nebenbuhler mißtrauiſch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs - fürſten den unruhigen Staat, der den geſammten deutſchen Rorden zu umklammern drohte; ſo oft er mit einiger Kühnheit ſich hervorwagte, erklang durchs deutſche Land der Jammerruf über den immer tiefer ins Reich dringenden brandenburgiſchen Dominat . Als der große Kurfürſt die Schweden aus Düppel und Alſen verjagte, ſchloſſen die Fürſten des Weſtens mit der Krone Frankreich jenen erſten Rheinbund zum Schutze des Reichsſtandes Schweden. Da das Kaiſerhaus noch durch den Breisgau und die oberſchwäbiſchen Lande ganz Süddeutſchland militäriſch beherrſchte, ſo war an den oberländiſchen Höfen die Furcht vor Oeſterreichs Länder - gier zuweilen ſtärker als die Angſt vor dem entlegenen Brandenburg; zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürſten die Erkenntniß, daß der kaiſer - liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordiſche Emporkömmling aber durch einen tiefen, unverſöhnlichen Gegenſatz von der alten Ordnung der deutſchen Dinge getrennt ſei.

Auch die Nation ſah mit Abſcheu und Beſorgniß auf den Staat der Hohenzollern, wie einſt die italiſchen Stämme auf das empor - ſteigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits ſich den Ideen des modernen Abſolutismus zuzuwenden; die Maſſe des Volks hing noch an den althergebrachten ſtändiſchen Formen, die in dem Hauſe Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgenoſſen; nach ſeinem kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elſaſſer Volkslied zuerſt mit dem Namen des Großen. Doch ſolche Stimmungen erregter Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied, das ſich neben das Reich ſtellte und noch nicht vermochte der Nation einen Erſatz zu bieten für die zerſtörte alte Ordnung; Leibnitz, der be - geiſterte Reichspatriot, erwies in beredter Denkſchrift, wie der Branden - burger von ſeinen Mitſtänden gezüchtigt werden müſſe, weil er eigen - mächtig ſein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzoſen geführt habe. Noch ahnte Niemand in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte, daß die Führung zerſplitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die Pflichten des Ganzen auf ſich nimmt. Um ſo lebhafter regte ſich die dunkle Sorge, dieſe thatenluſtige Macht müſſe wachſen oder untergehen; und wie ſchon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutſchen Stamm heimſuchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, ſo ergoſſen jetzt particulariſtiſche Seelenangſt und Selbſtgefälligkeit ihren Hohn auf die Marken.

Das Volk ſpottete über die Armuth der Streuſandbüchſe des heiligen Reichs, über die brandenburgiſche Knechtſchaft; wie Verzweifelte fochten die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der ſchwe - diſchen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkiſchen Blut -35Brandenburg und die deutſche Libertät.menſchen zu bewahren. Der Partieularismus aller Stände und aller Land - ſchaften vernahm mit Entſetzen, wie der große Kurfürſt ſeine Unterthanen zwang als eines Hauptes Glieder zu leben, wie er die Vielherrſchaft der Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und ſeine Krone ſtützte auf die beiden Säulen monarchiſcher Vollgewalt, den miles per - petuus und die ſtehende Steuer. In der Anſchauung des Volkes galten Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche Staatslaſt für Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer zu einer dauernden Inſtitution und ſchwächte die Macht der Landſtände, indem er in allen ſeinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: auf dem flachen Lande den Generalhufenſchoß, in den Städten die Acciſe, ein mannich - faltiges Syſtem von niedrigen directen und indirecten Abgaben, das auf die Geldarmuth der erſchöpften Volkswirthſchaft berechnet war und die Steuerkraft an möglichſt vielen Stellen anfaßte. Im Reiche war nur eine Stimme der Verwünſchung wider dieſe erſten Anfänge des modernen Heer - und Finanzweſens. Preußen blieb vom Beginne ſeiner ſelbſtändigen Geſchichte der beſtgehaßte der deutſchen Staaten; die Reichslande, welche dieſem Fürſtenhauſe zufielen, ſind faſt alle unter lauten Klagen und heftigem Widerſtande in die neue Staatsgemeinſchaft eingetreten, um ſämmtlich bald nachher ihr Schickſal zu ſegnen.

Das ungeheure, hoffnungsloſe Wirrſal der deutſchen Zuſtände, die erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiſerhauſe und die Be - drängniß ihres zwiſchen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver - hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue Deutſchland in offenem Kampfe auf einander ſtießen. Friedrich Wilhelm lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen feurigen Ungeſtüm ſeines heldenhaften Weſens betrieb er auf dem erſten Reichstage nach dem Weſtphäliſchen Frieden die zu Osnabrück verheißene Neugeſtaltung der Reichsverfaſſung. Da dieſer Verſuch ſcheiterte, faßte Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen - zoller ſelber dem Reiche eine neue Ordnung geben ſolle; er entwarf den Anſchlag zu einem deutſchen Fürſtenbunde unter der Führung des ver - größerten brandenburgiſchen Staates. Noch waren die Zeiten nicht erfüllt. Der Kurfürſt ließ ſeinen kühnen Rathgeber fallen, um der nächſten Noth zu begegnen und mit dem Kaiſer verbündet gegen die Schweden auszuziehen; er hat nachher ſogar den lang erwogenen Plan der Eroberung Schleſiens aufgegeben, weil er Oeſterreichs bedurfte im Kampfe wider Frankreich. Doch der Weg war gewieſen; jede neue große Erſchütterung des deutſchen Lebens hat den preußiſchen Staat wieder zurückgeführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und der bündiſchen Hegemonie.

Friedrich Wilhelms Nachfolger brachte mit der Königskrone ſeinem Hauſe einen würdigen Platz in der Geſellſchaft der europäiſchen Mächte,3*36I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſeinem Volke den gemeinſamen Namen der Preußen. Nur die Noth, nur die Hoffnung auf Preußens Waffenhilfe bewog den kaiſerlichen Hof, dem Nebenbuhler die neue Würde zuzugeſtehen. Ein Schrecken ging durch die theokratiſche Welt: Kurmainz proteſtirte, der deutſche Orden forderte nochmals ſeinen alten Beſitz zurück, der jetzt dem ketzeriſchen Königthum den Namen gab, und der Staatskalender des Papſtes kannte noch an hundert Jahre lang nur einen brandenburgiſchen Markgrafen. Die anſpruchsvolle königliche Krone erſchien dem Enkel Friedrichs I. als eine ernſte Mahnung, die Macht und Selbſtändigkeit des Staates zu befeſtigen. Von ſolchem Stolze wußte die ſchwache Seele des erſten Königs wenig. Er diente, ein getreuer Reichsfürſt, dem Kaiſerhauſe, kämpfte ritterlich am Rheine, in der argloſen Hoffnung, der Kaiſer werde die Feſte Straßburg dem Reiche zurückbringen; er half den Habsburgern die Türken zu ſchlagen, ließ ſein Heer als karg belohnte Hilfsmacht Oeſterreichs und der Seemächte an den Schlachten des ſpaniſchen Erbfolgekrieges theilnehmen. Damals zuerſt lernten die Franzoſen das preußiſche Fußvolk als die Kerntruppe des deutſchen Heeres fürchten; doch an der politiſchen Leitung des Krieges hatte der Berliner Hof keinen Antheil. Während ſeine tapferen Truppen in Ungarn und den Niederlanden, in Oberdeutſchland und Italien unfruchtbaren Kriegsruhm ernteten, führte Schweden den Verzweiflungs - kampf gegen die Mächte des Nordens; Preußen aber verſäumte die Gunſt ſeiner centralen Lage auszubeuten und durch eine kühne Schwenkung vom Rhein zur Oder dem nordiſchen Kriege die Entſcheidung zu geben. Mit Mühe hat nachher Friedrich Wilhelm I. die Fehler des Vaters geſühnt und aus dem Schiffbruch der ſchwediſchen Großmacht mindeſtens die Oder - mündungen für Deutſchland gerettet.

Von Altersher waren die Hohenzollern, nach gutem deutſchem Fürſten - brauche, für die idealen Aufgaben des Staatslebens treu beſorgt geweſen; ſie hatten die Hochſchulen von Frankfurt und Königsberg gegründet, die Duis - burger wiederhergeſtellt. Und jetzt, unter dem duldſamen Regimente des freigebigen Friedrich und ſeiner philoſophiſchen Königin, gewann es den An - ſchein, als ſollte Deutſchlands wiedererwachende Kunſt und Wiſſenſchaft in dem rauhen Brandenburg ihre Heimath finden. Die vier reformatoriſchen Denker des Zeitalters, Leibnitz, Pufendorf, Thomaſius, Spener wandten ſich dem preußiſchen Staate zu. Die neue Friedrichs-Univerſität zu Halle ward die Zufluchtſtätte freier Forſchung, übernahm für einige Jahrzehnte die Führung der proteſtantiſchen Wiſſenſchaft, trat in die Lücke ein, welche die Zerſtörung der alten Heidelberger Hochſchule ge - ſchlagen hatte. Die dürftige Hauptſtadt ſchmückte ſich mit den Pracht - bauten Schlüters; der ſchwelgeriſche Hof ſtrebte den Glanz und den Mäcenatenruhm des gehaßten Bourbonen zu überbieten. Zwar die frivole Selbſtvergötterung des höfiſchen Despotismus blieb dem Hauſe der Hohenzollern immer fremd; die üppige Pracht Friedrichs I. reichte an37Das Königreich Preußen.die ruchloſe Unzucht der ſächſiſchen Auguſte nicht von fern heran. Den ſchweren niederdeutſchen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer wieder, oft in hochkomiſchem Contraſte, brach das ernſthaft nüchterne nordiſche Weſen durch die erkünſtelten Verſailler Formen hindurch. Doch die Verſchwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu verzehren; für ein Gemeinweſen, das ſich alſo durch die Macht des Willens emporgehoben über das Maß ſeiner natürlichen Kräfte, war nichts ſchwerer zu ertragen, als die ſchlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für Deutſchland, daß die derben Fäuſte König Friedrich Wilhelms I. der Luſt und Herrlichkeit jener erſten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten.

Der unfertige Staat enthielt in ſich die Keime vielſeitigen Lebens und vermochte doch mit ſeiner geringen Macht faſt niemals, allen ſeinen Aufgaben zugleich zu genügen; ſeine Fürſten haben das Werk ihrer Väter ſelten in gerader Linie weitergeführt, ſondern der Nachfolger trat immer in die Breſche ein, welche der Vorgänger offen gelaſſen, wendete ſeine beſte Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachläſſigt hatte. Der große Kurfürſt hatte ſein Lebtag zu ringen mit dem Andrang feindlicher Nachbarn. Seine ſtarke Natur verlor über den großen Ent - würfen der europäiſchen Politik nicht jenen ſorgſam haushälteriſchen Sinn, der den Meiſten ſeiner Vorfahren eigen war und ſchon in den Anfängen des Hauſes an dem häufig wiederkehrenden Beinamen Oeconomus ſich erkennen läßt; er that das Mögliche den zerſtörten Wohlſtand des Landes zu heben, erzog den Stamm eines monarchiſchen Beamtenthums, begann den Staatshaushalt nach den Bedürfniſſen moderner Geldwirthſchaft umzugeſtalten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam in den Stürmen dieſer kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des Fürſten perſönliches Anſehen und die ſchwerfällige alte Centralbehörde, der Geheime Rath, hielten das ungeſtalte Bündel ſtändiſcher Territorien nothdürftig zuſammen. Erſt ſein Enkel zerſtörte den alten ſtändiſchen Staat.

König Friedrich Wilhelm I. ſtellte die Grundgedanken der inneren Ordnung des preußiſchen Staates ſo unverrückbar feſt, daß ſelbſt die Geſetze Steins und Scharnhorſts und die Reformen unſerer Tage das Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zerſtören konnten. Er iſt der Schöpfer der neuen deutſchen Verwaltung, unſeres Beamtenthums und Offizierſtandes; ſein glanzlos arbeitſames Wirken ward nicht minder fruchtbar für das deutſche Leben als die Waffenthaten ſeines Großvaters, denn er führte eine neue Staatsform, die geſchloſſene Staatseinheit der modernen Monarchie, in unſere Geſchichte ein. Er gab dem neuen Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte ſein Volk zur Gemein - ſchaft politiſcher Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für alle Zukunft dieſem Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die harten Ecken und Kanten des niederdeutſchen Volkscharakters kennt, wird38I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.dieſen gewaltigen Zuchtmeiſter verſtehen, wie er ſo athemlos durchs Leben ſtürmte, der Spott und Schrecken ſeiner Zeitgenoſſen, rauh und roh, ſcheltend und fuchtelnd, immer im Dienſt, ſein Volk und ſich ſelber zu heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutſchen Schrot und Korn, kerndeutſch in ſeiner kindlichen Offenheit, ſeiner Herzensgüte, ſeinem tiefen Pflichtgefühl, wie in ſeinem furchtbaren Jähzorn und ſeiner formlos ungeſchlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutſchen Volkes wider die alamodiſche Feinheit der wälſchen Sitten, wie er aus Laurenbergs nieder - deutſchen Spottgedichten ſprach, gewann Fleiſch und Blut in dieſem königlichen Bürgersmanne; auch ſeine Härte gegen Weib und Kind zeigt ihn als den echten Sohn jenes claſſiſchen Zeitalters der deutſchen Haus - tyrannen, das alle Leidenſchaft des Mannes aus dem unfreien öffentlichen Leben in die Enge des Hauſes zurückdrängte. Streng und freudlos, abſchreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banauſiſchen Regimente des geſtrengen Herrſchers. Die harte Einſeitigkeit ſeines Geiſtes ſchätzte nur die einfachen ſittlichen und wirthſchaftlichen Kräfte, welche den Staat im Innerſten zuſammenhalten; er warf ſich mit der ganzen Wucht ſeines herriſchen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und bewährte hier die urſprüngliche Kraft eines ſchöpferiſchen Geiſtes. So feſt und folgerecht, wie einſt Wilhelm der Eroberer in dem unter - worfenen England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheits - ſtaates über der Trümmerwelt ſeiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut ſeines Hauſes erſchien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen; vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürſten merk - würdig klar und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat beſtehe zum Beſten Aller, und der König berufen ſei in unparteiiſcher Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu vertreten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Dieſem Gedanken hat er ſein raſtloſes Schaffen gewidmet; und wenn ſein Fuß mit den lockeren Unſitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung gewaltſam zertrat, die unter Friedrich I. ſich zu ent - falten begannen, ſo that er doch das Nothwendige. Die feſte Manns - zucht eines wehrhaften, arbeitſamen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vorzeitige Blüthe der Kunſt und Wiſſenſchaft.

Eine ſanftere Hand als die ſeine war hätte die Zuchtloſigkeit altſtän - diſcher Libertät niemals unter die Majeſtät des gemeinen Rechts gebeugt; zartere Naturen als dieſe niederdeutſchen Kerneichen Friedrich Wilhelm und ſein Wildling Leopold von Deſſau hätten dem Sturmwinde wälſchen Weſens, der damals über die deutſchen Höfe dahinfegte, nie widerſtanden. Als Organiſatoren der Verwaltung ſind dieſem Soldatenkönige unter allen Staatsmännern der neuen Geſchichte nur zwei ebenbürtig: der erſte Conſul Bonaparte und der Freiherr vom Stein. Er verband mit der Kühnheit des Neuerers den peinlich genauen Ordnungsſinn des ſparſamen39Friedrich Wilhelm I. und die Staatseinheit.Hausvaters, dem weder die ſchwarzundweißen Heftfäden der Aktenbündel noch die Kamaſchenknöpfe der Grenadiere entgingen; er faßte verwegene Pläne, die erſt das neunzehnte Jahrhundert zu vollführen vermocht hat, und hielt doch im Handeln mit ſicherem Blicke die Grenzen des Möglichen ein. Sein proſaiſcher, auf das handgreiflich Nützliche gerichteter Sinn ging andere Wege als die ſchwungvolle Heldengröße des Großvaters, doch mitten im Sorgen für das Kleinſte und Nächſte bewahrte er ſtets das Bewußtſein von der ſtolzen Beſtimmung ſeines Staates; er wußte, daß er die Kräfte des Volkes ſammle und bilde für die Entſcheidungs - ſtunden einer größeren Zukunft, und ſagte oft: Ich weiß wohl, in Wien und Dresden nennen ſie mich einen Pfennigklauber und Pedanten, aber meinen Enkeln wird es zu gute kommen!

Durch das Heer wurde Preußen zur europäiſchen Macht erhoben, und durch das Heer ward auch in das alte Verwaltungsſyſtem des Staates die erſte Breſche geſchlagen. Der große Kurfürſt hatte für die Verwaltung der neuen Steuern, die er zur Erhaltung ſeiner Kriegsmacht verwendete, eine Reihe von Mittelbehörden, die Kriegscommiſſariate eingeſetzt; und ſo ſtand denn durch einige Jahrzehnte die Steuerwirthſchaft des werdenden modernen Staates unvermittelt neben der Verwaltung der Kammer - güter, dem letzten Trümmerſtücke der Naturalwirthſchaft des Mittelalters. Friedrich Wilhelm I. hob dieſen Dualismus auf. Er ſchuf in dem Gene - raldirectorium eine Oberbehörde, in den Kriegs - und Domänenkammern Mittelſtellen für die geſammte Verwaltung und gab dieſen Collegien zugleich die Gerichtsbarkeit für die Streitfragen des öffentlichen Rechts. Die bunte Mannichfaltigkeit des Staatsgebietes zwang den König freilich, eine zwiſchen dem Provinzial - und dem Realſyſteme vermittelnde Einrichtung zu treffen; er ſtellte an die Spitze der Abtheilungen des Generaldirec - toriums Provinzialminiſter, die zugleich einige Zweige der Verwaltung für den geſammten Staat zu leiten hatten. Doch im Weſentlichen wurde die Centraliſation der Verwaltung begründet, früher als irgendwo ſonſt auf dem Feſtlande. Was noch übrig geblieben von altſtändiſchen Behörden ward beſeitigt oder dem Befehle des monarchiſchen Beamtenthums unter - worfen; eine ſchonungsloſe Reform brach über die tief verderbte ſtädtiſche Verwaltung herein, beſeitigte den Nepotismus der Magiſtrate, erzwang ein neues gerechteres Steuerſyſtem, warf die drei Städte Königsbergs, die zwei Communen der Havelſtadt Brandenburg zu einer Gemeinde zuſammen, ſtellte das geſammte Städteweſen unter die ſcharfe Aufſicht königlicher Kriegsräthe.

Ueberall trat der Particularismus der Stände, der Landſchaften, der Gemeinden der neuen gleichmäßigen Ordnung feindlich entgegen. Murrend fügte ſich der adliche Landſtand den Geboten der bürger - lichen Beamten. Die ſtolzen Oſtpreußen klagten über Verletzung alter Freiheitsbriefe, da nun Pommern und Rheinländer in die Aemter des40I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Herzogthums eindrangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Ge - dankenkreiſe des altſtändiſchen Staates und nahmen, gleich den franzö - ſiſchen Parlamenten, faſt immer Partei für das verfallene Recht der Theile gegen das lebendige Recht des Ganzen. Alſo, im ſiegreichen Kampfe für Staatseinheit und Rechtsgleichheit, hat ſich Preußens neue regierende Klaſſe, das königliche Beamtenthum geſchult. Aus jenem heimathloſen Dienergeſchlechte, das im ſiebzehnten Jahrhundert von Hof zu Hof umherzog, ward nach und nach ein preußiſcher Stand, der ſein Leben dem Dienſte der Krone hingab und in ihrer Ehre die ſeine fand, ſtreng, thätig und gewiſſenhaft wie ſein König. Er ver - kümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten Zeit, in dem engen Geſichtskreiſe der Landſchaft und der Vetterſchaft; er gehörte dem Staate an, lernte ſich heimiſch fühlen in Königsberg wie in Cleve und wahrte in den Klaſſenkämpfen der Geſellſchaft gegen Hoch und Niedrig das Geſetz des Landes. Der König aber gab ſeinen Beamten durch eine feſte Rangordnung und geſicherten Gehalt eine geachtete Stellung im bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den Nachweis wiſſen - ſchaftlicher Kenntniſſe und begründete alſo eine Ariſtokratie der Bildung neben der alten Gliederung der Geburtsſtände. Die Folge lehrte, wie richtig er die lebendigen Kräfte der deutſchen Geſellſchaft geſchätzt hatte; die beſten Köpfe des Adels und des Bürgerthums ſtrömten der neuen regierenden Klaſſe zu. Das preußiſche Beamtenthum wurde für lange Jahre die feſte Stütze des deutſchen Staatsgedankens, wie einſt die Legiſten Philipps des Schönen die Pioniere der franzöſiſchen Staatsein - heit waren.

Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürſt ſeinen Unterthanen auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht hinzu; er ſtellte alſo die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten feſt, welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben. Ahnungslos brach ſein in der Beſchränktheit gewaltiger Geiſt die Bahn für eine ſtrenge, dem Bürgerſinne des Alterthums verwandte Staatsge - ſinnung. Der altgermaniſche Gedanke des Waffendienſtes aller wehrbaren Männer war in den kampfgewohnten deutſchen Oſtmarken ſelbſt während der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgeſtorben. In Oſtpreußen beſtanden noch bis ins achtzehnte Jahrhundert die Trümmer der alten Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine Landmiliz für den geſammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge ſeines Sohnes fanden ſolche Verſuche ungeregelter Volksbewaffnung keine Gnade. König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeſchulter ſtehender Heere; er ſah, daß ſein Staat nur durch die Anſpannung aller Kräfte beſtehen und doch die Koſten der Werbungen auf die Dauer nicht er - ſchwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politiſchen Pflicht jede andere Rückſicht zurücktrat, ſo gelangte er zu dem kühnen41Verwaltung und Heer.Schluſſe, daß alle Preußen durch die Schule des ſtehenden Heeres gehen müßten. Von den politiſchen Denkern der jüngſten Jahrhunderte hatten allein Machiavelli und Spinoza den einfach großen Gedanken der allge - meinen Wehrpflicht zu vertheidigen gewagt; Beide ſchöpften ihn aus der Geſchichte des Alterthums, Beide blieben unverſtanden von den Zeit - genoſſen. Die Noth des Staatshaushalts und eine inſtinctive Erkennt - niß der Natur ſeines Staates führten dann den derben Praktiker auf Preußens Throne zu derſelben Anſicht, obgleich er von der ſittlichen Kraft eines nationalen Heeres nur wenig ahnte. Er zuerſt unter den Staats - männern des neuen Europas ſprach den Grundſatz aus: jeder Unterthan wird für die Waffen geboren und arbeitete ſein Lebenlang ſich dieſem Ideale anzunähern, ein Heer von Landeskindern zu bilden. Das Canton - reglement von 1733 verkündete die Regel der allgemeinen Dienſtpflicht.

Freilich nur die Regel. Der Gedanke war noch unreif, da die lange Dienſtzeit jener Epoche ihm ſchnurſtracks zuwiderlief. Die Armuth des Landes und die Macht der ſtändiſchen Vorurtheile zwangen den König zahlreiche Ausnahmen zuzulaſſen, ſo daß die Laſt des erzwungenen Waffendienſtes thatſächlich allein auf den Schultern des Landvolkes lag; und ſelbſt die alſo beſchränkte Wehrpflicht konnte nicht vollſtändig durch - geführt werden. Unbeſiegbar blieb der ſtille Widerſtand gegen die uner - hörte Neuerung, der Abſcheu des Volkes vor dem langen und harten Dienſte. Selten gelang es, mehr als die Hälfte des Heeres mit einhei - miſchen Cantoniſten zu füllen; der Reſt ward durch Werbungen gedeckt. Viele der meiſterloſen deutſchen Landsknechte, die bisher in Venedig und den Niederlanden, in Frankreich und Schweden ihre Haut zu Markte getragen, fanden jetzt eine Heimath unter den Fahnen der norddeutſchen Großmacht; der Süden und Weſten des Reichs wurde das ergiebigſte Werbegebiet der preußiſchen Regimenter. Auf ſo wunderlichen Umwegen iſt unſere Nation zur Macht und Einheit aufgeſtiegen. Jenes waffenloſe Drittel des deutſchen Volkes, deſſen Staatsgewalten zum Schutze des Reichs kaum einen Finger regten, zahlte den Blutzoll an das Vaterland durch die tauſende ſeiner verlorenen Söhne, die als Söldner in Preußens Heeren fochten; jene Kleinfürſten in Schwaben und am Rhein, die in Preußen ihren furchtbaren Gegner ſahen, halfen ſelber die Kriegsmacht ihres Feindes zu verſtärken. Seit das preußiſche Heer entſtand, hörte das Reich allmählich auf der offene Werbeplatz aller Völker zu ſein, und als dies Heer erſtarkte war Deutſchland nicht mehr das Schlachtfeld aller Völker.

Das Heer bot dem Könige die Mittel den aufſäſſigen Adel mit der monarchiſchen Ordnung zu verſöhnen. Wohl war das Anſehen des Kriegsherrn ſchon erheblich geſtiegen ſeit jenen argen Tagen, da der große Kurfürſt ſeine eigenen Kriegsoberſten gleich Raubthieren auf der Jagd umſtellen ließ und ſie zwang ihm allein den Eid der Treue zu42I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſchwören; aber erſt dem Enkel glückte, was der Großvater vergeblich er - ſtrebte, die Ernennung aller Offiziere in ſeine Hand zu bringen, das erſte rein monarchiſche Offizierskorps der neuen Geſchichte zu bilden. Sein organiſatoriſcher Sinn, der überall die politiſche Reform den gege - benen Zuſtänden der Geſellſchaft anzupaſſen verſtand, fühlte raſch heraus, daß die abgehärteten Söhne der zahlreichen armen Landadelsgeſchlechter des Oſtens die natürlichen Führer der cantonpflichtigen Bauerburſchen waren. Er ſtellte das Offizierscorps als eine geſchloſſene Ariſtokratie über die Mannſchaft, ſchuf in dem Cadettenhauſe die Pflanzſchule für den Sponton, eröffnete Jedem, der den geſtickten Rock trug, die Ausſicht auf die höchſten Aemter des Heeres, wachte ſtreng über der Standesehre, ſuchte in jeder Weiſe den Adel für dieſen ritterlichen Stand zu gewinnen, während er die gelehrte Bildung des Bürgerthums lieber im Verwaltungs - dienſte verwendete. Wie oft hat er bittend und drohend die trotzigen Edelleute von Oſtpreußen ermahnt, ihre rohen Söhne in die Zucht des Cadettenhauſes zu geben; er ſelber ging mit ſeinem Beiſpiele voran, ließ alle ſeine Prinzen im Heere dienen. Verwundert pries Karl Friedrich Moſer dieſe Erbmaxime des preußiſchen Hauſes, die den Adel an das Militär - und Finanzſyſtem der Krone gewöhnen ſolle . Und es gelang, aus verwilderten Junkern einen treuen und tapferen monarchiſchen Adel zu erziehen, der für das Vaterland zu ſiegen und zu ſterben lernte und ſo feſt wie Englands parlamentariſcher Adel mit dem Leben des Staates verwuchs. Ueberall ſonſt in der hochariſtokratiſchen Welt der Oſtſeelande blühte die ſtändiſche Anarchie: in Schweden und Schwediſch-Pommern, in Mecklenburg, Polniſch-Preußen und Livland; nur in Preußen wurde der Adel den Pflichten des modernen Staates gewonnen. Die Armee erſchien wie ein Staat im Staate, mit eigenen Gerichten, Kirchen und Schulen; der Bürger ſah mit Entſetzen die eiſerne Strenge der unmenſchlichen Kriegszucht, welche die rohen Maſſen der Mannſchaft gewaltſam zuſammen - hielt, ertrug unwillig den polternden Hochmuth der Leutnants und jenen Centaurenhaß gegen die Gelehrſamkeit der Federfuchſer, der ſeit den Tagen des feurigen Prinzen Karl Aemil in den Offizierskreiſen zur Schau getragen wurde und in der Berſerkerroheit des alten Deſſauers ſich ver - körperte. Und doch war dies Heer nicht blos die beſtgeſchulte und beſt - bewaffnete Kriegsmacht der Zeit, ſondern auch das bürgerlichſte unter allen großen Heeren der modernen Völker, das einzige, das ſeinem Kriegs - herrn nie die Treue brach, das nie verſuchte dem Geſetze des Landes mit Prätorianertrotz entgegenzutreten.

Ebenſo unheimlich wie dieſe Heeresorganiſation erſchien den Deutſchen der preußiſche Schulzwang; die Unwiſſenheit des großen Haufens galt den herrſchenden Ständen noch für die ſichere Bürgſchaft ſtaatlicher Ordnung. König Friedrich Wilhelm aber bewunderte, wie ſein Großvater, die proteſtantiſchen Niederlande als das gelobte Land bürgerlicher Wohl -43Die Krone und die Stände.fahrt; er hatte dort den ſittlichen und wirthſchaftlichen Segen einer weit verbreiteten Schulbildung kennen gelernt und fühlte dunkel, daß die Lebenskraft der proteſtantiſchen Cultur in der Volksſchule liegt. Da er einſah, daß die gedrückten und verdumpften Volksmaſſen des Nordoſtens nur durch die Zwangsgewalt des Staates ihrer Roheit entriſſen werden konnten, ſo ſchritt er auch hier der Geſetzgebung aller anderen Großmächte entſchloſſen voraus und legte durch das Schulgeſetz von 1717 jedem Hausvater kurzab die Pflicht auf ſeine Kinder in die Schule zu ſchicken. Sehr langſam hat ſich auf dem Boden dieſes Geſetzes das preußiſche Volksſchulweſen ausgebildet. Die Entwicklung ward erſchwert nicht blos durch die Armuth und Trägheit des Volks, ſondern auch durch die Schuld des Königs ſelber; denn alle Volksbildung ruht auf dem Gedeihen ſelbſtändiger Forſchung und ſchöpferiſcher Kunſt, und für dies ideale Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott des Barbaren.

So, durch die Gemeinſchaft ſchwerer Bürgerpflichten, durch die Ein - heit des Beamtenthums und des Heerweſens wurden die Magdeburger und Pommern, die Märker und Weſtphalen zu einem preußiſchen Volke, und Friedrich II. gab nur dem Werke ſeines Vaters den rechtlichen Ab - ſchluß, als er allen ſeinen Unterthanen das preußiſche Indigenat verlieh. Aber wie ſchroff und herriſch auch dies Königthum ſeine Souveränität als einen rocher von bronze jedem Ungehorſam entgegenſtellte, das Werk der Einigung ſchritt doch weit ſchonender vorwärts als im Nachbarlande die gewaltſame Einebnung des franzöſiſchen Bodens . Der Staat konnte ſeine germaniſche Natur nicht verleugnen; ein Zug hiſtoriſcher Pietät lag tief in ſeinem Weſen. Wie er die kirchlichen Gegenſätze zu verſöhnen ſuchte, ſo mußte er auch in der Politik eine mittlere Richtung einhalten um die Ueberfülle der centrifugalen Kräfte zu beſchwichtigen. Geduldige Achtung ward den alten Erinnerungen der Landſchaften überall erwieſen; noch heute prangt der Doppeladler Oeſterreichs faſt auf jedem Ring der ſchleſiſchen Städte, und der Schutzheilige Böhmens blickt noch von der Glatzer Citadelle auf die ſchöne Grafſchaft hernieder. Jene übermüthigen Herren Stände, die dem großen Kurfürſten noch verbieten wollten ſeinen Vater nach calviniſchem Brauche zu beerdigen, waren endlich nach gewaltigem Ringen in die Reihen der gemeinen Unterthanen herabgedrückt. Die Landtage verloren ihre alten Regierungsrechte ſowie jeden Einfluß auf Staatshaushalt und Heerweſen; doch nachdem dieſer Kampf ſiegreich beendigt war, ließ man ihnen den Schein des Lebens.

Preußens Krone hat bis zum Untergange des heiligen Reiches in allen den Landſchaften, die ſie nach und nach erwarb, nur dreimal eine land - ſtändiſche Verfaſſung förmlich aufgehoben: in Schleſien, in Weſtpreußen und im Münſterlande, da dort die Stände den Heerd einer ſtaatsfeind - lichen Partei bildeten, die dem Eroberer bedrohlich ſchien. Ueberall ſonſt kamen die Landtage in die neueren Tage hinüber, ein ſeltſames Getrümmer44I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.aus jenen alten Zeiten, da der deutſche Norden noch in kleine Territorien zerfiel. Sie waren die Eierſchale, die der junge Aar noch auf ſeinem Kopfe trug; ſie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone, Beamten - thum und Heer ſeine Gegenwart. Sie vertraten den Particularismus und das ſtändiſche Privilegium gegen die Staatseinheit und das gemeine Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der monarchiſchen Geſetzgebung zuweilen zu erſchweren, nicht mehr um ihn gänzlich aufzu - halten. Den Landtagsausſchüſſen blieb die Vertheilung einiger Steuern und die Verwaltung des landſchaftlichen Schuldenweſens; auf dieſem engen Gebiete beſtanden der Nepotismus, der Schlendrian und das leere Formel - weſen des altſtändiſchen Staates noch ungebrochen, und der märkiſche Edelmann nannte ſein Brandenburg noch gern einen ſelbſtändigen Staat unter der Krone Preußen. Auch das altſtändiſche Landrathsamt ward nicht aufgehoben, ſondern behutſam in die Ordnung des monarchiſchen Beamten - thums eingefügt; der Landrath, auf Vorſchlag der Stände durch die Krone ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterſchaft und königlicher Beamter, der Kriegs - und Domänenkammer untergeben. Der König hegte ein gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen Uebermuth ſeiner Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um die neue Heeres - verfaſſung aufrecht zu halten, ſuchte die Murrenden durch Ehren und Würden zu beſchwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil der alten Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter der Aufſicht der königlichen Beamten.

Nur dieſe kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung ſeiner großen wirthſchaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen - thümliche Syſtem monarchiſcher Organiſation der Arbeit, das während zweier Menſchenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz und jedem Stande wies die Krone gewiſſe Zweige volkswirthſchaftlicher und politiſcher Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der geſammten Monarchie, ſollten in der Kurmark und den weſtphäliſchen Provinzen die Manufacturen, in den Küſtenländern der Handel, im Magdeburgiſchen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte allein der große Grundbeſitz und ein nahezu ausſchließlicher Anſpruch auf die Offiziersſtellen, dem Bauernſtande die ländliche Kleinwirthſchaft und der Soldatendienſt, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem entſprechend, hohe Steuerlaſt.

Dieſe Rechte der Stände und Landſchaften vor jedem Eingriff zu ſichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und ſie war nirgends ſo ſchwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Coloniſtenboden, wo die Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen Frieden bedrohlich wurde. Die menſchlichſte der Königspflichten, die Beſchützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein45Der König der Bettler.Gebot der Selbſterhaltung; ſie führten mit Stolz den Namen Könige der Bettler , den ihnen Frankreichs Hohn erſann. Die Krone verbot das Auskaufen der Bauerngüter, das in Mecklenburg und Schwediſch - Pommern dem Adel die Alleinherrſchaft auf dem flachen Lande ver - ſchaffte; ſie rettete den ländlichen Mittelſtand vom Untergange, und ſeit Friedrich Wilhelm I. arbeitete eine durchdachte Agrargeſetzgebung an der Entfeſſelung des Landvolkes. Der König wünſchte die Erbunterthänigkeit aufzuheben, allen bäuerlichen Beſitz in freies Grundeigenthum zu ver - wandeln; ſchon im Jahre 1719 ſprach er aus, was es denn für eine edle Sache ſei, wenn die Unterthanen ſtatt der Leibeigenſchaft ſich der Freiheit rühmen, das Ihrige deſto beſſer genießen, ihr Gewerbe und Weſen mit um ſo mehr Begierde und Eifer als ihr eigenes treiben . Dieſen Herzenswunſch der Krone zu erfüllen blieb freilich noch auf lange hinaus unmöglich; zu leidenſchaftlich war der Widerſpruch des mächtigen Adels, der ſchon die Aufhebung des Lehensweſens als eine Kränkung empfand, zu zähe das ſtille Widerſtreben der rohen Bauern ſelber, die jede Aenderung des Hergebrachten mit Argwohn betrachteten. Aber ſtetig und unaufhaltſam hat ſich der König ſeinem Ziele angenähert. Sein Prügelmandat ſchützte den Gutsunterthan vor Mißhandlung; die bäuer - lichen Dienſte und Abgaben wurden erleichtert, die Auftheilung der Ge - meinheiten und die Zuſammenlegung der Grundſtücke begonnen, überall die Bahn gebrochen für die Befreiung der Scholle und der Arbeitskraft. Die Reformen Steins und Hardenbergs konnten nur darum einen ſo durchſchlagenden Erfolg erringen, weil ſie vorbereitet waren durch die Geſetzgebung dreier Menſchenalter. Bei dem Beamtenthum der Krone fand der kleine Mann Schutz gegen adlichen Uebermuth, ſachkundigen Rath und unerbittlich ſtrenge Aufſicht; kein Opfer ſchien dem ſparſamen Könige zu ſchwer für das Beſte ſeiner Bauern; die geſammte Staatsein - nahme eines vollen Jahres hat er aufgewendet um ſein Schmerzenskind, das von Peſt und Krieg verheerte Oſtpreußen der Geſittung zurückzu - geben, die weite Wüſte am Memel und Pregel mit fleißigen Arbeitern zu bevölkern.

Der treuen Sorgfalt für das Wohl der Maſſen, nicht dem Glanze des Kriegsruhms dankten die Hohenzollern das in aller Noth und Ver - ſuchung unerſchütterliche Vertrauen des Volkes zu der Krone. Zeiten der Erſtarrung und Ermattung blieben dem preußiſchen Staate ſo wenig erſpart wie andern Völkern; ſie erſcheinen ſogar in ſeiner Geſchichte auffälliger, häßlicher als irgendwo ſonſt, weil immer tauſend feindſelige Augen nach ſeinen Schwächen ſpähten und der vielumkämpfte zu verſinken drohte ohne die Spannkraft des Willens. Wer längere Zeiträume ruhig überblickt, kann gleichwohl das ſtetige Fortſchreiten der Monarchie zur Staatseinheit und Rechtsgleichheit nicht verkennen. Wie die Bilder der Hohenzollern zwar nicht die geiſtlos eintönige Gleichheit habsburgiſcher46I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Fürſtenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, ſo auch ihr politiſcher Charakter. Alle, die großen wie die ſchwachen, die geiſtreichen wie die beſchränkten, bekunden mit ſeltenen Ausnahmen einen nüchtern verſtändigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht verſchmäht im Kleinen groß zu ſein, und alle denken hoch von ihrer Fürſtenpflicht.

Die Geſinnung des erſten märkiſchen Hohenzollern, der ſich Gottes ſchlichten Amtmann an dem Fürſtenthum nannte, waltet in allen Enkeln; ſie kehrt wieder in dem Wahlſpruche des großen Kurfürſten Für Gott und das Volk ; ſie ſpricht aus dem fieberiſchen Dienſteifer des Soldaten - königs, der ſich immer bewußt blieb mit ſeiner Seelen Seligkeit dereinſt ein - ſtehen zu müſſen für das Wohl ſeines Volkes; ſie findet endlich einen tieferen und freieren Ausdruck in dem fridericianiſchen Worte: Der König iſt der erſte Diener des Staates. Viele der Hohenzollern haben gefehlt durch allzu gewiſſenhafte Scheu vor dem Würfelſpiele des Krieges, Wenige durch unſtete Kampfluſt; die überlieferte Politik des Hauſes ſuchte den Herrſcherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohlge - ſchonten Kräfte des Staates nach außen auch hierin wie überall das ſchroffe Gegenbild der gänzlich den europäiſchen Fragen zugewendeten Staatskunſt der Habsburger. Die Dynaſtie hatte längſt gleich den alt - franzöſiſchen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; ſie lebte allein dem Ganzen. Während faſt alle anderen Territorien des Reichs den Namen und das Wappenſchild ihres Fürſtenhauſes annahmen, trugen die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den ſich die ferne Oſtmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die Deutſch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politiſche König - thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zuſtände deutſcher Landſchaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußiſchen Staat vergleichen mochte, in Pommern, in Oſtpreußen, in Cleve und der Graf - ſchaft Mark, überall hatte der Klang der preußiſchen Trommeln den Deutſchen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus - lands und von der Tyrannei ſtändiſcher Vielherrſchaft. Auf dem Boden des gemeinen Rechtes iſt dann unter ſchweren Kämpfen, doch in natür - licher, nothwendiger Entwicklung eine neue reifere Form der politiſchen Freiheit erwachſen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung des Staates. Nicht das Genie, ſondern der Charakter und die feſte Mannszucht gab dieſem Staate ſittliche Größe; nicht der Reichthum, ſondern die Ordnung und die raſche Schlagfertigkeit ſeiner Mittel gab ihm Macht.

Doch jetzt am wenigſten konnte die deutſche Nation ein Verſtändniß gewinnen für die ſeltſame Erſcheinung dieſes waffenſtarken Staates, wie47Haß der Deutſchen gegen Preußen.er ſo daſtand, eine jugendlich unreife Geſtalt, knochig und ſehnig, Kraft und Trotz im Blicke, aber unſchön, ohne die Fülle der Formen, aller Anmuth, alles Adels baar. Die alte Abneigung der Deutſchen gegen das vordringliche Brandenburg wurde durch die böotiſche Rauheit Friedrich Wilhelms I. bis zu leidenſchaftlichem Widerwillen geſteigert. Dem Hiſto - riker ziemt es nicht, die erſchreckend grellen Farben unſerer neuen Geſchichte mit weichem Pinſel zu verwiſchen; es iſt nicht wahr, daß dieſer tiefe Haß der Nation nur verhaltene Liebe geweſen ſei. Damals bildete ſich in der öffentlichen Meinung jene aus Wahrem und Falſchem ſeltſam gemiſchte Anſicht vom Weſen des preußiſchen Staates, die in den Kreiſen der deutſchen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrſcht hat und noch heutzutage in der Geſchichtſchreibung des Auslands die Oberhand be - hauptet. Dies Land der Waffen erſchien den Deutſchen wie eine weite Kaſerne. Nur der dröhnende Gleichtritt der Potsdamer Rieſengarde, der barſche Commandoruf der Offiziere und das Jammergeſchrei der durch die Gaſſe gejagten Deſerteure klang aus der dumpfen Stille des großen Kerkers ins Reich hinüber; von den Segenswünſchen, welche der dankbare litthauiſche Bauer für ſeinen geſtrengen König zum Himmel ſchickte, hörte Deutſchland nichts. Der Adel im Reich ſah eben jetzt goldene Tage. In Hannover waltete das Regiment der Herren Stände ſchrankenlos, ſeit der Kurfürſt im fernen England weilte; das ſächſiſche Junkerthum benutzte den Uebertritt ſeines Polenkönigs zur römiſchen Kirche um ſich neue ſtändiſche Privilegien zu erringen und tummelte ſich in Saus und Braus an dem ſchamloſen Hofe der albertiniſchen Landver - derber; zornig zugleich und geringſchätzig ſchauten die ſtolzen Geſchlechter der Nachbarlande auf den bürgerlich-ſoldatiſchen Despotismus der Hohen - zollern, der die fröhliche Zeit der Adelsherrſchaft ſo gewaltſam ſtörte.

Auch der Bürgersmann wollte ſich zu dem preußiſchen Weſen kein Herz faſſen. Er betrachtete bald mit ironiſchem Mitleid bald mit ſcheuer Furcht den eiſernen Fleiß und die unbeſtechliche Strenge der preußiſchen Beamten; er meinte alle Heiligkeit des Rechtes bedroht, wenn er die neue Verwaltung, in beſtändigem Kampfe mit den Gerichten, über die alten Freiheitsbriefe der Landſchaften und Communen rückſichtslos hinweg - ſchreiten ſah, und ahnte nicht, daß dies alte Leben, das hier zertreten ward, nur das wimmelnde Leben der Verweſung war. Mit beſſerem Rechte zürnten die Gelehrten. Die geſammte akademiſche Welt fühlte ſich ſchmählich beleidigt, als der rohe König mit dem ehrwürdigen J. J. Moſer und den Frankfurter Profeſſoren ſeine höhniſchen Poſſen trieb. Wie der Anblick der ſteifen trocknen ſoldatiſchen Ordnung auf reiche Künſtler - ſeelen wirkte, das bekundet uns noch der überſtrömende Haß, welchen der größte Preuße jener Tage ſeinem Vaterlande widmete. Mit glühender Sehnſucht ſtrebte Winkelmann hinaus aus der ſchweren und erſtickenden Luft des vermaledeiten Landes, und als er endlich den Staub der alt -48I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.märkiſchen Schulſtube von ſeinen Füßen geſchüttelt und an den Gemälden der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken ſchwelgte, da ſandte er noch, unbefangen wie ein großer Heide, ſeine Flüche der Heimath zu: Ich gedenke mit Schaudern an dieſes Land; auf ihm drückt der größte Des - potismus, der je gedacht iſt. Beſſer ein beſchnittener Türke werden als ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine ſehr ideale Bezeichnung des Regiments des Corporalſtocks!) können die Künſte nicht gedeihen und müſſen gepflanzt ausarten. So weit ſtrebten jene ſchöpferiſchen Kräfte noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutſchland gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünſchten den König von Preußen wegen der Landplage ſeiner Werbungen. Wachſe nicht, dich fangen die Werber! rief die ſchwäbiſche Mutter ängſtlich ihrem Sohne zu; Jedermann am Rhein wußte hundert unheimliche Geſchichten aus dem Wirthshauſe zu Frankfurt, wo die preußiſchen Werboffiziere ihr Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Geſellen nicht zutraute.

Und all dieſe Liſt und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskoſten, welche volle vier Fünftel der preußiſchen Staatseinnahmen verſchlangen, dienten, ſo meinte man im Reiche, doch nur der zweckloſen Soldaten - ſpielerei eines närriſchen Tyrannen. Ein Menſchenalter war verfloſſen ſeit jenem Heldenkampfe von Caſſano, da das Blut der märkiſchen Gre - nadiere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden die tapferen Prussiani zum erſten male mit den rauſchenden Klängen des Deſſauer Marſches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weiſe jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erklang, ſo lachten die Deutſchen über den preußiſchen Wind . Friedrich Wilhelms Regierung fiel in die armſelig ideenloſe Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künſte der Fleury, Alberoni, Walpole beherrſchten die europäiſche Politik. Rathlos ſtand der gradſinnige Fürſt in dem durchtriebenen Ränkeſpiel der Diplomatie. Er hielt in altdeutſcher Treue zu ſeinem Kaiſer, wollte ſeinen Kindern Säbel und Piſtolen in die Wiege legen um die fremden Nationen vom Reichsboden zu ſchmeißen; wie oft hat er mit dem vater - ländiſchen Bierkrug in der Hand ſein ſchallendes Vivat Germania teutſcher Nation! gerufen. Nun mußte der Argloſe erleben, wie die Wiener Hofburg mit ſeinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und Sachſen insgeheim die Zerſtückelung Preußens verabredete, wie ſie dann den Albertinern zur polniſchen Krone verhalf, Lothringen den Franzoſen preisgab und in ſeinem eigenen Hauſe den Unfrieden ſchürte zwiſchen Vater und Sohn, wie ſie ihm endlich ſein gutes Erbrecht auf Berg und Oſtfriesland treulos zu entwinden ſuchte. So ward er ſein Leben lang hin und her geſtoßen zwiſchen Gegnern und falſchen Freunden; erſt am Ende ſeiner Tage hat er Oeſterreichs Argliſt durchſchaut und ſeinen Sohn ermahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging49Friedrich II. die Rede, der König ſtehe beſtändig mit geſpanntem Hahn auf der Wacht ohne jemals abzudrücken; und wenn den deutſchen Mann im Reiche zuweilen eine ſtille Angſt vor der Potsdamer Wachparade überkam, dann tröſtete ihn das Spottwort: So ſchnell ſchießen die Preußen nicht!

Der Spott verſtummte, als Preußen einen Herrſcher fand, der mit dem Sinne für das Mögliche, mit der glücklichen Nüchternheit der Hohen - zollern die Kühnheit und den freien Blick des Genius vereinte. Der helle Sonnenſchein der Jugend ſtrahlt über den Anfängen der fridericianiſchen Zeit, da endlich nach langem Stocken und Zagen die zähe Maſſe der er - ſtarrten deutſchen Welt wieder in Fluß gerieth und die mächtigen Gegenſätze, welche ſie barg, in nothwendigem Kampfe ſich maßen. Seit den Tagen jenes Löwen aus Mitternacht hatte Deutſchland nicht mehr das Bild eines Helden geſehen, zu dem die geſammte Nation bewundernd emporblickte; der aber jetzt in ſtolzer Freiheit, wie einſt Guſtav Adolf, mitten durch die großen Mächte ſeines Weges ſchritt und die Deutſchen zwang wieder an die Wunder des Heldenthums zu glauben, er war ein Deutſcher.

Der ſpringende Punkt in dieſer mächtigen Natur bleibt doch die erbarmungslos grauſame deutſche Wahrhaftigkeit. Friedrich giebt ſich wie er iſt und ſieht die Dinge wie ſie ſind. Wie in der langen Bändereihe ſeiner Briefe und Schriften keine Zeile ſteht, darin er verſuchte ſeine Thaten zu beſchönigen, ſein eignes Bild für die Nachwelt auszuſchmücken, ſo trägt auch ſeine Staatskunſt, wenngleich ſie die kleinen Künſte und Liſten des Zeitalters als Mittel zum Zwecke nicht verſchmäht, das Gepräge ſeines königlichen Freimuths: ſo oft er zum Schwerte greift, verkündet er mit unumwundener Beſtimmtheit, was er von dem Gegner fordert, und legt die Waffen erſt nieder am erreichten Ziele. Seit er zum Denken er - wacht fühlt er ſich froh und ſtolz als den Sohn eines freien Jahr - hunderts, das mit der Fackel der Vernunft in die ſtaubigen Winkel einer Welt alter Vorurtheile und entgeiſteter Ueberlieferungen hineinleuchtet; er läßt ſich das Bild des Sonnengottes, der ſiegreich durch die Morgen - wolken aufſteigt, an die Decke ſeines heiteren Rheinsberger Saales malen. Mit der dreiſten Zuverſicht des Jüngers der Aufklärung tritt er an die Erſcheinungen des hiſtoriſchen Lebens heran und prüft eine jede, wie ſie beſtehe vor dem Urtheil des ſcharfen Verſtandes. In den ſchweren Machtkämpfen der Staaten achtet er nur das Lebendige, nur die von raſcher Thatkraft klug benutzte Macht. Unterhandlungen ohne Waffen ſind wie Noten ohne Inſtrumente , ſagt er unbefangen, und auf die Nachricht von dem Tode des letzten Habsburgers fragt er ſeine Räthe: Ich gebe Euch ein Problem zu löſen; wenn man im Vortheil iſt, ſoll man ſich deſſen zu nutze machen oder nicht? Die prahleriſche Ohn - macht, die ſich als Macht gebärdet, das unſittliche Vorrecht, das mit der Heiligkeit des hiſtoriſchen Rechtes prunkt, die Thatenſcheu, die ihre Rath - loſigkeit hinter leeren Formbedenken verbirgt, fanden niemals einenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. 450I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſtolzeren Verächter; und nirgends konnte dieſer unerbittliche Realismus ſo reinigend und zerſtörend, ſo revolutionär wirken wie in der großen Fabel - welt des römiſchen Reichs. Nichts ſchonungsloſer als Friedrichs Hohn wider die heilige Majeſtät des Kaiſers Franz, der am Schürzenbande ſeiner Gemahlin gegängelt wird und, ein würdiger König von Jeruſalem, für die Heere der Königin von Ungarn einträgliche Lieferungsgeſchäfte be - ſorgt; nichts grauſamer als ſein Spott über das Phantom der Reichs - armee, über die dünkelhafte Nichtigkeit der kleinen Höfe, über die Formel - krämerei dieſer verfluchten Perrücken von Hannover, über den leeren Hochmuth des ſtaatloſen Junkerthums in Sachſen und Mecklenburg, über dieſe ganze Raſſe von Prinzen und Leuten Oeſterreichs : wer vor den Großen dieſer Welt die Kniee beugt, der kennt ſie nicht!

Im vollen Bewußtſein der Ueberlegenheit hält er den Schattenbildern des Reichsrechtes die geſunde Wirklichkeit ſeines modernen Staates ent - gegen; eine ingrimmige Schadenfreude ſpricht aus ſeinen Briefen, wenn er die Pedanten von Regensburg des Krieges eherne Nothwendigkeit empfinden läßt. Friedrich vollzog durch die That was die ſtreitbaren Publiciſten des vergangenen Jahrhunderts, Hippolithus und Severinus, nur mit Worten verſucht hatten: er hielt dem unheimlich leichenhaften Angeſicht Germaniens den Spiegel vor, erwies vor aller Welt die rettungsloſe Fäulniß des heiligen Reichs. Mochten wohlmeinende Zeit - genoſſen ihn ſchelten, weil er das altehrwürdige Gemeinweſen dem Gelächter preisgegeben: die Nachwelt dankt ihm, denn er hat die Wahrheit wieder zu Ehren gebracht in der deutſchen Politik, wie Martin Luther einſt im deutſchen Denken und Glauben.

Friedrich hatte jene ſtreng proteſtantiſche Anſicht von deutſcher Ge - ſchichte und Reichspolitik, die ſeit Pufendorf und Thomaſius unter den freieren Köpfen Preußens vorherrſchte, frühe in ſich aufgenommen und ſie dann, unter den erbitternden Erfahrungen ſeiner mißhandelten Jugend, ſcharf und ſelbſtändig weiter gebildet. Er ſieht in der Erhebung der Schmalkaldener, im dreißigjährigen Kriege, in allen Wirren der jüngſten zwei Jahrhunderte nichts als den unabläſſigen Kampf der deutſchen Freiheit wider den Despotismus des Hauſes Oeſterreich, das die ſchwachen Fürſten des Reichs mit eiſernem Scepter als Sklaven beherrſche und nur die ſtarken frei gewähren laſſe. Nicht ohne Willkür legt er ſich die Thatſachen der Geſchichte nach dieſer einſeitigen Auffaſſung zurecht; die dem Lichte und dem Leben zugewandte Einſeitigkeit bleibt ja das Vorrecht des ſchaffenden Helden. Jenen alten Kampf ſiegreich hinauszuführen ſcheint ihm die Aufgabe des preußiſchen Staates. In ſeinen jungen Jahren ſteht er noch treu zur evangeliſchen Sache; er preiſt die rühm - liche Pflicht des Hauſes Brandenburg die proteſtantiſche Religion überall im deutſchen Reiche und in Europa zu fördern und bemerkt in Heidel - berg voll Unmuth, wie hier in der alten Herrſcherſtätte unſerer Kirche51Friedrichs Jugendpläne.die Mönche und Prieſter Roms wieder ihr Weſen treiben. Aber auch als er ſpäterhin dem Kirchenglauben ſich entfremdet und von der Höhe ſeiner ſelbſtgewiſſen philoſophiſchen Aufklärung herunter wegwerfend ab - urtheilt über die mittelmäßigen Pfaffennaturen Luther und Calvin, bleibt ihm doch das Bewußtſein lebendig, daß ſein Staat mit allen Wurzeln ſeines Weſens der proteſtantiſchen Welt angehört. Er weiß, wie alle Helfershelfer des römiſchen Stuhles insgeheim an der Vernichtung der neuen proteſtantiſchen Großmacht arbeiten; er weiß, daß ſein menſch - liches Ideal der Glaubensfreiheit, das Recht eines Jeden nach eigener Façon ſelig zu werden, vorderhand nur möglich iſt auf dem Boden des Proteſtantismus; er weiß, daß er in neuen, weltlichen Formen die Kämpfe des ſechszehnten Jahrhunderts weiterführt, und ſetzt noch über ſein letztes Werk, den Plan des deutſchen Fürſtenbundes, die vielſagende Ueber - ſchrift: entworfen nach dem Muſter des Bundes von Schmalkalden.

Das früheſte der uns erhaltenen politiſchen Schriftſtücke Friedrichs zeigt uns die Blicke des Achtzehnjährigen ſchon jenem Gebiete des Staats - lebens zugewendet, auf dem er die höchſten und eigenſten Kräfte ſeiner Begabung entfalten ſollte: den Fragen der großen Politik. Der Kron - prinz betrachtet die Weltſtellung ſeines Staates, findet die Lage des zer - ſtückelten Gebietes ſchwer gefährdet und entwirft dann, noch halb ſcherzend, im übermüthigen Spiele, verwegene Anſchläge, wie die entlegenen Provinzen abzurunden ſeien, damit ſie ſich nicht mehr gar ſo einſam, ohne Geſell - ſchaft befinden. Nur kurze Zeit, und die unreifen jugendlichen Einfälle kehren wieder als tiefe und mächtige Gedanken; drei Jahre vor ſeiner Thron - beſteigung ſieht er bereits ahnungsvoll, in wunderbarer Klarheit, den großen Weg ſeines Lebens offen vor ſich liegen: Es ſcheint, ſo ſchreibt er, der Himmel hat den König beſtimmt, alle Vorbereitungen zu treffen, welche die weiſe Umſicht vor Beginn eines Krieges erheiſcht. Wer weiß, ob nicht die Vorſehung mir vorbehalten hat, dereinſt einen glorreichen Gebrauch zu machen von dieſen Kriegsmitteln und ſie zu verwenden zur Ver - wirklichung der Pläne, wofür die Vorausſicht meines Vaters ſie beſtimmte! Er bemerkt, wie ſein Staat in unhaltbarer Mittelſtellung zwiſchen den Kleinſtaaten und den Großmächten daherſchwankt, und zeigt ſich entſchloſſen dieſem Zwitterweſen einen feſten Charakter zu geben (décider cet être): die Vergrößerung des Staatsgebietes, das corriger la figure de la Prusse iſt zur Nothwendigkeit geworden, wenn anders Preußen auf eignen Füßen ſtehen, den großen königlichen Namen mit Ehren führen will.

Von Geſchlecht zu Geſchlecht hatten ſeine Ahnen dem Hauſe Oeſter - reich treue Heeresfolge geleiſtet, jederzeit gewiſſenhaft verſchmähend die Ver - legenheit des Nachbarn zum eignen Vortheil auszubeuten; Undank, Betrug und Verachtung war ihr Lohn geweſen. Auch Friedrich ſelber hatte den Uebermuth, die Anmaßung, den wegwerfenden Hochmuth dieſes hochtraben - den Wiener Hofes in den Schmerzensſtunden ſeiner mißhandelten Jugend4*52I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſchwer empfunden; ſein Herz war geſchworen von Haß gegen die kaiſerliche Bande , die mit ihren Schlichen und Lügen ihm das Herz ſeines Vaters verfeindet hatte. Sein unzähmbarer Stolz bäumte ſich auf, wenn man an dem väterlichen Hofe den vornehmen Ton kalter Abweiſung gegen die Zumuthungen Oeſterreichs gar nicht finden wollte; dann ſchrieb er zornig, ein König von Preußen ſolle dem edlen Palmbaum gleichen, von dem der Dichter ſage: wenn du ihn fällen willſt, ſo hebt er ſeinen ſtolzen Wipfel. Zugleich war er mit wachſamen Augen der Verſchiebung der Machtverhältniſſe im Staatenſyſteme gefolgt und zu der Einſicht gelangt, daß die alte Politik des europäiſchen Gleichgewichts ſich gänzlich überlebt hatte: ſeit den Siegen des ſpaniſchen Erbfolgekrieges war es nicht mehr an der Zeit, im Bunde mit Oeſterreich und England die Bourbonen zu bekämpfen; jetzt galt es, den neuen deutſchen Staat durch den Schrecken ſeiner Waffen auf eine ſolche Stufe der Macht emporzuheben, daß er gegen jede Nachbarmacht, auch gegen das Kaiſerhaus ſeinen freien Willen behaupten durfte.

So erhält denn der viel mißbrauchte Ausdruck deutſche Freiheit in Friedrichs Munde einen neuen, edleren Sinn. Er bedeutet nicht mehr jene ehrloſe Kleinfürſtenpolitik, welche das Ausland gegen den Kaiſer zu Hilfe rief und die Marken des Reichs an die Fremden verrieth; er bedeu - tet die Aufrichtung einer großen deutſchen Macht, die das Vaterland im Oſten und im Weſten mit ſtarker Hand vertheidigt, aber nach ihrem eigenen Willen, unabhängig von der Reichsgewalt. Seit hundert Jahren galt die Regel, daß wer nicht gut öſterreichiſch war gut ſchwediſch ſein mußte, wie Hippolithus a Lapide, oder gut franzöſiſch, wie die Fürſten des Rheinbundes, oder gut engliſch, wie die Sippe des Welfenhauſes; ſelbſt der große Kurfürſt konnte, in der furchtbaren Preſſung zwiſchen über - legenen Nachbarn, nur von Zeit zu Zeit eine ſelbſtändige Haltung be - haupten. Es iſt Friedrichs Werk, daß neben jenen beiden gleich verderb - lichen Tendenzen der verhüllten und der unverhüllten Fremdherrſchaft eine dritte Richtung ſich erhob, eine Politik, die nur preußiſch war und nichts weiter; ihr gehörte Deutſchlands Zukunft.

Vom Vaterlande viel zu reden war nicht die Weiſe dieſes Haſſers der Phraſe; und doch lebte in ſeiner Seele ein reizbarer, ſchroff abweiſender Nationalſtolz, unzertrennlich verwachſen mit ſeinem gewaltigen Selbſtgefühle und ſeinem Fürſtenſtolze. Daß fremde Nationen auf deutſchem Boden die Herren ſpielen ſollten, erſchien ihm wie eine Beleidigung ſeiner perſönlichen Ehre und des erlauchten Blutes in ſeinen Adern, das der philoſophiſche König, naiv wie der Genius iſt, immer ſehr hoch hielt. Wenn das wunderliche Wirrſal der deutſchen Dinge ihn zuweilen zum Bunde mit dem Auslande zwang, niemals hat er fremden Mächten eine Scholle deutſchen Landes ver - heißen, niemals ſeinen Staat für ihre Zwecke mißbrauchen laſſen. Sein Leben lang ward er der treuloſen Argliſt geziehen, weil kein Vertrag53Friedrichs deutſche Politik.und kein Bündniß ihn je vermochte auf das Recht der freien Selbſtbe - ſtimmung zu verzichten. Alle Höfe Europas ſprachen grollend vom travailler pour le roi de Prusse; von Altersher gewohnt das deutſche Leben zu beherrſchen vermochten ſie kaum zu faſſen, daß ſich endlich wieder die entſchloſſene Selbſtſucht eines unabhängigen deutſchen Staates ihrem Willen entgegenſtemmte. Der königliche Schüler Voltaires hat für den deutſchen Staat daſſelbe Werk der Befreiung begonnen, das Voltaires Gegner, Leſſing, für unſere Dichtung vollführte. Schon in ſeinen Jugendſchriften verdammt er in ſcharfen Worten die Schwäche des heiligen Reichs, das ſeine Thermopylen, das Elſaß, dem Fremdling geöffnet habe; er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen an Frankreich preisgegeben; er will es der Königin von Ungarn nie verzeihen, daß ſie die wilde Meute jener Grazien des Oſtens, Jazygen, Croaten und Tolpatſchen auf das deutſche Reich losgelaſſen und die moskowitiſchen Barbaren zum erſten male in Deutſchlands innere Händel herbeigerufen hat. Dann während der ſieben Jahre entladet ſich ſein deutſcher Stolz und Haß oft in Worten grimmigen Hohnes. Den Ruſſen, die ihm ſeine neumärkiſchen Bauern ausplündern, ſendet er den Segenswunſch: O könnten ſie ins Schwarze Meer mit Einem Sprunge ſich verſenken, köpflings, den Hintern hinterher, ſich ſelber und ihr Angedenken. Und als die Franzoſen das Rheinland überfluthen, da ſingt er, freilich in franzöſiſcher Sprache, jene Ode, die an die Klänge des Befreiungskrieges gemahnt:

Bis in ſeine tiefſte Quelle
Schäumt der alte Rhein vor Groll,
Flucht der Schmach, daß ſeine Welle
Fremdes Joch ertragen ſoll!

Die Klugheit iſt ſehr geeignet zu bewahren was man beſitzt, doch allein die Kühnheit verſteht zu erwerben mit dieſem Selbſtgeſtändniß hat Friedrich in ſeinen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn ſein innerſtes Weſen zu raſcher Entſchließung, zu ſtürmiſcher Verwegenheit drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die oberſte Pflicht des Staatsmannes, und unter allen denkbaren Entſchlüſſen ſcheint ihm der ſchlimmſte keinen zu faſſen. Doch er zeigt auch darin ſein deutſches Blut, daß er die feurige Thatenluſt von frühauf zu bändigen weiß durch kalte, nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in ſich fühlte, beſchied ſich, das Dauernde zu ſchaffen in dem engen Kreiſe, darein ihn das Schickſal geſtellt. Im Kriege läßt er dann und wann ſeinem Feuergeiſte die Zügel ſchießen, fordert das Unmögliche von ſeinen Truppen und fehlt durch die ſtolze Geringſchätzung des Feindes; als Staatsmann bewährt er immer eine vollendete Mäßigung, eine weiſe Selbſtbeſchränkung, die jeden abenteuerlichen Plan ſogleich an der Schwelle abweiſt. Keinen Augenblick bethört ihn der Gedanke ſeinen Staat los - zureißen von dem verfallenen deutſchen Gemeinweſen; die Reichsſtandſchaft54I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.beengt ihn nicht in der Freiheit ſeiner europäiſchen Politik, ſie gewährt ihm das Recht einzugreifen in die Geſchicke des Reichs, darum will er den Fuß im Bügel des deutſchen Roſſes behalten. Noch weniger kommt ihm bei, ſelber nach der Kaiſerkrone zu greifen. Seit den Weiſſagungen der Hofaſtrologen des großen Kurfürſten blieb in der Umgebung der Hohen - zollern immer die dunkle Ahnung lebendig, daß dieſem Hauſe beſtimmt ſei dereinſt noch Scepter und Schwert vom heiligen Reiche zu tragen; die Heißſporne Leopold von Deſſau und Winterfeldt vermaßen ſich zu - weilen ihren königlichen Helden als den deutſchen Auguſtus zu begrüßen. Der aber wußte, daß ſein weltlicher Staat die römiſche Krone nicht tragen konnte, daß ſie den Emporkömmling unter den Mächten in ausſichts - loſe Händel verwickeln mußte, und meinte trocken: für uns wäre ſie nur eine Feſſel.

Als er kaum den Thron beſtiegen, trat jene große Wendung der deutſchen Geſchicke ein, welche ſchon Pufendorfs Seherblick als die ein - zig mögliche Gelegenheit zu einer durchgreifenden Reichsreform bezeichnet hatte. Das alte Kaiſerhaus ſtarb aus, und vor den flammenden Blicken des jungen Königs, der die einzige feſt geordnete Kriegsmacht Deutſch - lands in ſeinen Händen hielt, erſchloß ſich eine Welt von lockenden Aus - ſichten, die einen minder tiefen, minder geſammelten Geiſt zu über - ſchwänglichen Träumen begeiſtern mußte. Friedrich fühlte lebhaft den ſchweren Ernſt der Stunde; Tag und Nacht, ſo geſtand er, liegt mir das Schickſal des Reichs auf dem Herzen, ich allein kann und ſoll es jetzt aufrecht halten. Das ſtand ihm feſt, daß dieſer große Augenblick nicht verfliegen durfte, ohne dem preußiſchen Staate die volle Freiheit der Bewegung, einen Platz im Rathe der großen Mächte zu ſchenken; doch er ahnte auch, wie unberechenbar, bei der Begehrlichkeit der aus - ländiſchen Nachbarn, bei der rathloſen Zwietracht des Reichs, die Lage Deutſchlands ſich verwirren mußte, ſobald die Monarchie der Habsburger in Trümmer fiel. Darum will er Oeſterreich ſchonen und begnügt ſich aus der Maſſe der längſt bedachtſam erwogenen alten Anſprüche ſeines Hauſes den einen wichtigſten hervorzuholen. Allein, ohne die lauernden fremden Mächte nur eines Wortes zu würdigen, in überwältigendem Anſturm bricht er in Schleſien ein. Das an die feierlichen Bedenken und Gegenbedenken ſeiner Reichsjuriſten gewöhnte Deutſchland empfängt mit Erſtaunen und Entrüſtung die Lehre, daß die Rechte der Staaten nur durch die lebendige Macht behauptet werden. Dann erbietet ſich der Eroberer, dem Gemahl Maria Thereſias die Kaiſerkrone zu verſchaffen und für den Beſtand Oeſterreichs gegen Frankreich zu fechten. Erſt der Widerſtand der Hofburg treibt ihn weiter, zu umfaſſenden Plänen der Reichsreform, die an Waldecks verwegene Träume erinnern.

Nicht Friedrich hat den deutſchen Dualismus geſchaffen, wie Mit - und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus beſtand ſeit Karl V., und55Die beiden erſten ſchleſiſchen Kriege.Friedrich war der Erſte, der ernſtlich ihn zu vernichten verſuchte. Sobald die Verſtändigung mit dem Wiener Hofe ſich als unmöglich erwies, faßte der König den kühnen Gedanken, die Kaiſerkrone für immer dem Hauſe Oeſterreich zu entwinden und alſo das letzte Band zu zerreißen, das dieſe Dynaſtie noch an Deutſchland kettete. Er näherte ſich den bairiſchen Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutſchen Fürſtenge - ſchlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutſche Lande beherrſchte und gleich ihnen in Oeſterreich ſeinen natürlichen Gegner ſah; er begrün - dete zuerſt jenes Bündniß zwiſchen den beiden größten rein deutſchen Staaten, das ſich ſeitdem ſo oft, und immer zum Heile für das Vater - land erneuert hat. Der Kurfürſt von Baiern empfing die kaiſerliche Würde, und Friedrich hoffte dieſem neuen Kaiſerthume, das er ſelber mein Werk nannte, an der Krone Böhmen einen feſten Rückhalt zu ſichern.

Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener rettende Gedanke der Seculariſation, der ſich allezeit unabwendbar auf - drängte ſobald man die heilende Hand legte an den ſiechen Körper des Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsſtände, welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte, auf Koſten der theokratiſchen und republikaniſchen Territorien zu verſtärken; eine rein weltliche Staatskunſt ſchickte ſich an die politiſchen Ideen der Reformation zu verwirklichen. Einige geiſtliche Gebiete Oberdeutſchlands ſollten ſeculariſirt, auch mehrere Reichsſtädte den benachbarten fürſtlichen Gebieten zugeſchlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Oeſterreich, wie ſchwer dies von Preußen geleitete bairiſche Kaiſerthum den Adel und die Kirche zu ſchädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins Leben, ſo war der deutſche Dualismus nahezu beſeitigt, die Reichsver - faſſung, ſelbſt wenn ihre Formen blieben, in ihrem Weſen umgeſtaltet; Deutſchland wurde ein Bund weltlicher Fürſten unter Preußens beherr - ſchendem Einfluß; die geiſtlichen Staaten, die Reichsſtädte, der Schwarm der kleinen Grafen und Herren, des habsburgiſchen Rückhalts beraubt, verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutſchland im Herzen des Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germaniſche Geſittung erobert. So konnte Deutſchland aus eigener Kraft jene nothwendige Revolution vollziehen, die ihm zwei Menſchenalter ſpäter der Machtſpruch des Aus - landes ſchimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin dem deutſchen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frank - reich wie durch die Härte katholiſcher Glaubenseinheit, erwies in großer Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verſtändniß für die verheißungsvolle Gunſt des Augenblicks. Auf einer Rundreiſe durch das Reich gewann der König einen ſo troſtloſen Einblick in die Zwietracht, die Habgier, die ſklaviſche Angſt der kleinen Höfe, daß er für immer ſeine deutſchen Hoffnungen herabzuſtimmen lernte; auch ſeine eigene Macht56I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.reichte noch nicht aus, den tapferen Widerſtand der Königin von Ungarn gänzlich zu brechen. Der zweite ſchleſiſche Krieg endete trotz der Triumphe von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf mit der Wiederherſtellung des öſter - reichiſchen Kaiſerthums. Das Reich verblieb in ſeiner verfaſſungsloſen Zerrüttung, Franz von Lothringen beſtieg den Kaiſerthron nach dem Tode Karls VII., und von Neuem ſchloß ſich der alte Bund zwiſchen Oeſterreich und der katholiſchen Reichstagsmehrheit.

Die Löſung des deutſchen Dualismus war mißlungen; ſchroffer, feindſeliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander. Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn geſichert: die Groß - machtſtellung Preußens. Er hatte Baiern vom Untergange gerettet, die Macht ſeines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verſtärkt, die lange Kette habsburgiſch-wettiniſcher Gebiete, welche den preußiſchen Staat im Süden und Oſten umſchloß, mit einem kühnen Stoße zerſprengt, das ſtolze Kaiſerhaus zum erſten male vor einem Reichsfürſten tief gedemüthigt. Er dankte alle ſeine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten mit ſo feſtem Stolze entgegen, daß ſelbſt Horatio Walpole geſtehen mußte, dieſer Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäiſchen Gleichgewichts in ſeinen Händen. Sachſen, Baiern, Hannover, alle die Mittelſtaaten, welche ſoeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die ſchleſiſchen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und hoch über den zahlloſen kleinen Gegenſätzen, die das Reich zerklüfteten, erhob ſich die eine Frage: Preußen oder Oeſterreich? Die Frage der deutſchen Zukunft war geſtellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf das Gewimmel der deutſchen Reichsſtände hernieder, gab auf beleidigende Zumuthungen gern die ſpöttiſche Antwort, ob man ihn etwa für einen Herzog von Gotha oder für einen rheiniſchen Fürſten halte; er ſpielte bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden Gönners und Beſchützers, die er in ſeinem Anti-Machiavell als die ſchöne Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und ſchon ſammelte ſich am Reichstage eine kleine preußiſche Partei, die norddeutſchen Höfe begannen ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu laſſen.

Unterdeſſen verwuchs die neue Erwerbung überraſchend ſchnell mit der Monarchie; der Staat erprobte zum erſten male auf einem weiten Gebiete jene ſtarke Anziehungs - und Anbildungskraft, die er ſeitdem in deutſchen und halbdeutſchen Landen überall bewährt hat. Die friſchen Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloſte, unter ſtändiſchem und geiſtlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das monarchiſche Beamtenthum verdrängte die Adelsherrſchaft, das ſtrenge Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewiſſenszwang, das deutſche Schulweſen den tiefen Seelenſchlaf pfäffiſcher Bildung; der träge knechtiſche Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und ſein König erbot ihm dem Beamten knieend den Rock zu küſſen.

57Befreiung Schleſiens.

Noch kein anderer Staat hatte in jenem Jahrhundert der Machtkämpfe ſeinem Wirken ſo vielſeitige, ſo menſchliche Aufgaben geſtellt. Erſt die fried - liche Arbeit der Verwaltung gab der Eroberung Schleſiens die ſittliche Recht - fertigung und führte den Beweis, daß jenes vielgeſcholtene Wagniß eine deutſche That geweſen. Das von unheimiſchen Gewalten ſchon halb über - fluthete herrliche Grenzland wurde durch das preußiſche Regiment dem deutſchen Volksthum zurückgegeben. Schleſien war das einzige der deutſch - öſterreichiſchen Erblande, wo die Politik der Glaubenseinheit eines vollen Sieges ſich nicht rühmen konnte. Mit unüberwindlicher Zähigkeit hatte der leichtlebig heitere deutſche Stamm in den Thälern des Rieſengebirges den Blutthaten der Lichtenſteinſchen Dragoner wie den Ueberredungs - künſten der Jeſuiten widerſtanden. Die Mehrzahl der Deutſchen blieb dem proteſtantiſchen Bekenntniß treu; gedrückt und mißachtet, aller Güter beraubt, friſtete die evangeliſche Kirche ein ärmliches Leben; nur die Drohungen der Krone Schweden verſchafften ihr zu den wenigen Gottes - häuſern, die ihr geblieben, noch den Beſitz einiger Gnadenkirchen. Die katholiſchen Polen Oberſchleſiens und jene czechiſchen Coloniſten, die der Kaiſerhof zum Kampfe gegen die deutſchen Ketzer ins Land gerufen, waren die Stützen der kaiſerlichen Herrſchaft. Beim Einmarſch des preußiſchen Heeres erhob das Deutſchthum wieder froh ſein Haupt; jubelnd erklang in den Gnadenkirchen das Lob des Herrn, der ſeinem Volke ein Hartes erzeigt hat und ihm jetzund endlich ein Panier aufſteckt. Der Proteſtan - tismus gewann unter dem Schutze der preußiſchen Glaubensfreiheit bald das Bewußtſein ſeiner geiſtigen Ueberlegenheit wieder, das Polenthum verlor zuſehends an Boden, und nach wenigen Jahrzehnten ſtanden die preußiſchen Schleſier in Gedanken und Sitten ihren norddeutſchen Nach - barn näher als den Schleſiern jenſeits der Grenze. Die römiſche Kirche aber beließ der proteſtantiſche Sieger im Beſitze faſt des geſammten evangeliſchen Kirchenguts, und während England ſeine iriſchen Katholiken zwang die anglikaniſche Staatskirche durch ihre Abgaben zu unterhalten, mußte in Schleſien der Proteſtant nach wie vor Steuern zahlen für die katholiſche Kirche. Erſt die landesverrätheriſchen Umtriebe des römiſchen Clerus während des ſiebenjährigen Krieges nöthigten den König zurückzu - kommen von dieſem Uebermaße der Schonung, das zur Ungerechtigkeit gegen die Evangeliſchen führte; doch auch dann noch blieb die katholiſche Kirche günſtiger geſtellt als in irgend einem anderen proteſtantiſchen Staate.

Das Aufblühen des ſchleſiſchen Landes unter dem preußiſchen Scepter zeigte genugſam, daß die neue Provinz ihren natürlichen Herrn ge - funden hatte, daß die Entſcheidung im deutſchen Oſten unabänderlich gefallen war. Doch unbeirrt hielt der Wiener Hof die Hoffnung feſt, die erlittene Schmach zu rächen und den Eroberer Schleſiens wieder in den bunten Haufen der deutſchen Reichsſtände hinabzuſtoßen, gleich allen58I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.den anderen Vorwitzigen, die ſich früherhin der Empörung gegen die alte Kaiſermacht erdreiſtet hatten. Auch König Friedrich wußte, daß der letzte entſcheidende Waffengang noch bevorſtand. Er verſuchte einmal während der kurzen Friedensjahre, den Sohn Maria Thereſias von der Kaiſerwürde auszuſchließen, für die Zukunft mindeſtens das Reich von dem Hauſe Oeſterreich zu trennen; der Plan ſcheiterte an dem Widerſpruche der katholiſchen Höfe. Der unverſöhnliche Gegenſatz der beiden führenden Mächte Deutſchlands beſtimmte auf lange hinaus den Gang der euro - päiſchen Politik, entzog dem heiligen Reiche die letzte Lebenskraft. Die Nation ſah in banger Ahnung einen neuen dreißigjährigen Krieg herauf - ziehen. Was in der ſtillen Arbeit ſchwerer Jahrzehnte langſam gereift war erſchien dem nächſten Menſchenalter nur als ein wunderſamer Zu - fall, als das glückliche Abenteuer eines genialen Kopfes. Ganz einſam ſteht in dem diplomatiſchen Briefwechſel des Zeitraums jenes Seherwort des Dänen Bernſtorff, der im Jahre 1759 traurig an Choiſeul ſchrieb: Alles was Sie heute unternehmen um zu verhindern, daß ſich in der Mitte Deutſchlands eine ganz kriegeriſche Monarchie erhebe, deren eiſerner Arm bald die kleinen Fürſten zermalmen wird das Alles iſt verlorene Arbeit! Alle Nachbarmächte im Oſten und im Weſten grollten dem Glücklichen, der aus den Wirren des öſterreichiſchen Erbfolgekrieges allein den Siegespreis davongetragen, und wahrlich nicht nur der perſönliche Haß mächtiger Frauen wob an dem Netze der großen Verſchwörung, das ſich über Friedrichs Haupte zuſammenzuziehen drohte. Europa fühlte, daß die altüberlieferte Geſtalt der Staatengeſellſchaft ins Wanken kam, ſobald die ſieghafte Großmacht in der Mitte des Feſtlands ſich befeſtigte. Der römiſche Stuhl ſah mit Sorgen, wie die verhaßte Heimath der Ketzerei ihren eigenen Willen wiederfand; nur durch Roms Mithilfe iſt es gelungen, daß die alten Feinde, die beiden katholiſchen Großmächte Oeſterreich und Frankreich zum Kampfe gegen Preußen ſich vereinten. Es galt, die Ohnmacht Deutſchlands zu verewigen.

Durch einen verwegenen Angriff rettete der König ſeine Krone vor dem ſicheren Verderben, und als er nun durch ſieben entſetzliche Jahre ſeinen deutſchen Staat am Rhein und Pregel, an der Peene und den Rieſenbergen gegen fremde und halbfremde Heere vertheidigt hatte und im Frieden den Beſtand ſeiner Macht bis auf das letzte Dorf behauptete, da ſchien Preußen wieder an derſelben Stelle zu ſtehen wie beim Beginn des mörderiſchen Kampfes. Kein Fußbreit deutſcher Erde war ihm gewonnen, das halbe Land lag verwüſtet, die reiche Friedensarbeit dreier Geſchlechter war nahezu vernichtet, die unglückliche Neumark begann die Arbeit der Cultur zum vierten male von vorn. Der König ſelber konnte niemals ohne Bitterkeit jener ſchrecklichen Tage gedenken, da das Unglück alle Pein, die ein Mann ertragen mag, bis über das Maß des Menſchlichen hinaus, auf ſeine Schultern häufte; was er damals gelitten erſchien ihm wie die ſinnlos59Der ſiebenjährige Krieg.boshafte Laune eines tückiſchen Schickſals, wie ein Trauerſpiel ohne Gerechtigkeit und Abſchluß. Dennoch lag ein ungeheurer Erfolg in dem Ergebniß des ſcheinbar ſo unfruchtbaren Kampfes: die neue Ordnung der deutſchen Dinge, die mit der Begründung der preußiſchen Macht begonnen, hatte ſich in der denkbar ſchwerſten Prüfung als eine unwiderrufliche Nothwendigkeit erwieſen. Hundert Jahre zuvor vermochte Deutſchland nur durch die Kämpfe eines vollen Menſchenalters ſich der habsburgiſchen Herrſchaft zu erwehren und mußte dann ausländiſchen Bundesgenoſſen ſchmählichen Helferlohn zahlen; jetzt genügten den ärmſten Gebieten des Reichs ſieben Jahre um den Anſturm einer Welt in Waffen abzuſchlagen, und deutſche Kraft allein entſchied den Sieg, denn die einzige fremde Macht, die dem Könige zur Seite ſtand, gab ihn treulos preis. Deutſch - lands Stern war wieder im Aufſteigen; es galt den Deutſchen was in allen Kirchen Preußens frohlockend gebetet ward: Sie haben mich oft be - dränget von meiner Jugend auf, aber ſie haben mich nicht übermocht.

Beim Beginne des zweiten Feldzugs hat Friedrich die ſtolze Hoffnung gehegt, die Schlacht von Pharſalus gegen das Haus Oeſterreich zu ſchlagen und vor den Mauern Wiens den Frieden zu dictiren, wie denn dieſe reiche Zeit überall die erſten Keime der großen Neubildungen einer fernen Zukunft erkennen läßt und auch ein Bund Preußens mit Oeſterreichs anderem Nebenbuhler, mit Piemont, ſchon verſucht wurde. Dann warf die Schlacht von Kollin den König in die Vertheidigung zurück, er kämpfte nur noch für das Daſein ſeines Staates. Was er verſuchte um einen Gegen-Reichstag zu berufen, eine norddeutſche Union der kaiſerlichen Liga entgegenzuſtellen, ward zu nichte an der unbeſieglichen Eiferſucht der kleinen Höfe und vornehmlich an dem hochmüthigen Widerwillen des welfiſchen Bundesgenoſſen. Für die Beſeitigung des deutſchen Dualismus, für einen Neubau des Reichs war die Stunde noch immer nicht gekommen; aber durch die furchtbare Wahrhaftigkeit dieſes Krieges wurden die ver - lebten alten Formen des deutſchen Gemeinweſens ſittlich vernichtet, der letzte Schleier hinweggeriſſen von der großen Lüge des heiligen Reichs. So hirnlos hatte noch nie ein Kaiſer an dem Vaterlande gefrevelt, wie dieſer lothringiſche Mehrer des Reichs, der alle Thore Deutſchlands den fremden Plünderern aufthat, die Niederlande den Bourbonen, die Oſt - marken den Moskowitern preisgab. Und derweil der Kaiſer ſeinen Eid mit Füßen trat, ſeinem Hauſe jedes Anrecht auf die deutſche Krone ver - wirkte, ſpielte zu Regensburg die freche Poſſe des reichsrechtlichen Straf - verfahrens. Der Reichstag rief dem Eroberer Schleſiens ſein darnach hat Er, Kurfürſt, Sich zu richten zu, der brandenburgiſche Geſandte warf den Boten der erlauchten Verſammlung die Treppe hinunter, die eilende Reichsarmee ſammelte ſich unter den Fahnen des bourboniſchen Reichs - feindes um ſofort vor Seydlitz’s Reitergeſchwadern wie Spreu im Winde zu zerſtieben. Die deutſche Nation aber feierte mit hellem Jubel den Sieger60I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.von Roßbach, den Rebellen gegen Kaiſer und Reich. Mit dieſem wüſten Satyrſpiele ging die große Tragödie der Reichsgeſchichte in Wahrheit zu Ende; was noch übrig blieb von dem alten deutſchen Gemeinweſen bewahrte kaum noch den Schein des Lebens.

Der Sieger aber, der im Donner der Schlachten die alten theokra - tiſchen Formen über den Haufen warf, war der Schirmherr des Proteſtantis - mus. Wie verblaßt auch die kirchlichen Gegenſätze dem Zeitalter der Aufklä - rung erſchienen, Friedrich erkannte doch, daß der Beſtand des weſtphäliſchen Friedens, die Parität der Glaubensbekenntniſſe im Reiche unhaltbar wurde ſobald die beiden katholiſchen Großmächte triumphirten; die gemeinſame proteſtantiſche Sache bot ihm die einzige Handhabe um die zagenden kleinen Fürſten in den Kampf gegen Oeſterreich zu drängen. Wachſam folgte ſein Auge den geheimen Umtrieben der prêtraille an den proteſtan - tiſchen Höfen; ſein Machtwort ſchützte die Freiheit der evangeliſchen Kirche in Württemberg und Heſſen, als dort die Thronfolger zum römiſchen Bekenntniß übertraten. Und noch klarer als er ſelber erkannten ſeine kleinen norddeutſchen Bundesgenoſſen die religiöſe Bedeutung des Krieges: in den Briefen des heſſiſchen Miniſters F. A. v. Hardenberg heißen die Verbündeten Preußens ſtets kurzweg die evangeliſchen Stände , und das treue Feſthalten an der preußiſchen Partei wird als das natürliche Syſtem aller proteſtantiſchen Staaten des Reichs geprieſen. Unter den Klängen lutheriſcher Kirchenlieder zog der preußiſche Grenadier zur Schlacht, die evangeliſchen Soldaten des ſchwäbiſchen Kreiſes liefen fluchend ausein - ander, weil ſie nicht gegen ihre Glaubensgenoſſen fechten wollten; in den Conventikeln der engliſchen Diſſenters beteten gottſelige Prediger für den Maccabäer des Evangeliums, den Freigeiſt Friedrich. Der Papſt aber beſchenkte den Feldmarſchall der Kaiſerin mit geweihtem Hut und Degen, und jede neue Siegesbotſchaft aus dem preußiſchen Lager rief im Vatican einen Sturm des Unwillens und der Angſt hervor. Wie zerfahren und zerfallen hatte hundert und zwanzig Jahre zuvor die proteſtantiſche Welt zu den Füßen Roms gelegen, als die Fahnen der Wallenſteiner am Oſtſeeſtrande wehten und die Stuarts das Parlament ihrer römiſchen Königskunſt zu unterwerfen trachteten. Jetzt gab eine proteſtantiſche Großmacht dem heiligen Reiche den Gnadenſtoß, und durch die Schlachten am Ohio und am Ganges wurde für alle Zukunft entſchieden, daß die Herrſchaft über das Weltmeer und die Colonien den proteſtantiſchen Germanen gehörte.

Der Kampf um Preußens Daſein war der erſte europäiſche Krieg; er ſchuf die Einheit der neuen Staatengeſellſchaft und gab ihr die ariſto - kratiſche Form der Pentarchie. Als die neue mitteleuropäiſche Großmacht ſich die Anerkennung der Nachbarmächte erzwang, da verſchmolzen die beiden alten Staatenſyſteme des Oſtens und des Weſtens zu einer einzigen unzertrennlichen Gemeinſchaft, und zugleich ſank das Anſehen der min -61Die neue Staatengeſellſchaft.dermächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu einer Coalition den Ausſchlag in einem großen Kriege gegeben hatten, doch jetzt den ſchweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweiſe nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beſchieden ſich fortan, die Leitung der europäiſchen Dinge den großen Kriegs - und See - mächten zu überlaſſen. Unter dieſen fünf führenden Mächten aber waren zwei proteſtantiſch, eine ſchismatiſch; die Rückkehr Europas unter die Herrſchaft des gekrönten Prieſters blieb nunmehr undenkbar. Die Be - feſtigung der proteſtantiſch-deutſchen Großmacht war die ſchwerſte Nieder - lage, welche der römiſche Stuhl ſeit dem Auftreten Martin Luthers er - litten; König Friedrich hat wirklich, wie der engliſche Geſandte Mitchell von ihm ſagte, für die Freiheit des Menſchengeſchlechts gefochten.

In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke Preußens eine lebendige Staatsgeſinnung; ſie berechtigte den König von ſeiner nation prussienne zu reden. Ein Preuße zu ſein war vordem eine ſchwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates, des Vaterlandes drang erregend und ſtärkend in Millionen Herzen; auch die gedrückte Seele des kleinen Mannes ſpürte einen Hauch von dem antiken Bürgerſinne, der aus den ſchlichten Worten des Königs ſprach: Es iſt nicht nöthig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue und für mein Vaterland kämpfe. Ueberall in Preußen regten ſich unter den ſteifen Formen des abſoluten Königthums der Opfermuth und die große Leidenſchaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrichs letzte Schlachten ſchlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten ſich von ſelber in der Noth der Zeit. Die Stände der Marken rüſteten freiwillig jene Regimenter aus, welche die Feſtungen Magdeburg, Stettin und Küſtrin dem Staate retteten; die pommerſchen Seeleute traten zuſammen um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Be - amten kein Gehalt und verſahen ruhig ihren Dienſt, als verſtünde ſichs von ſelber. Wetteifernd thaten alle Provinzen ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete: von den tapferen Bauern der rheiniſchen Grafſchaft Mörs bis hinüber zu den unglücklichen Oſtpreußen, die dem ruſſiſchen Eroberer ihren zähen ſtillen Widerſtand entgegenſtemmten und ſich in ihrer feſten Treue gar nicht ſtören ließen, als der unerbittliche König ſie des Abfalls zieh und mit Beweiſen der Ungnade überhäufte.

Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in dieſen norddeutſchen Stämmen zuerſt wieder jenen ſchroffen Stolz, der einſt die Romfahrer und die Slavenbeſieger unſeres Mittelalters beſeelte; das kecke Selbſtge - fühl der Preußen ſtach ſeltſam ab von der harmlos gemüthlichen Beſchei - denheit der anderen Deutſchen. Voll Zuverſicht widerlegt Graf Hertz - berg die Lehre Montesquieus von der republikaniſchen Tugend: wo ſei62I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.denn je in Republiken eine feſtere Bürgertugend gediehen, als hier unter dem ſtählenden nordiſchen Himmel, bei den Nachkommen jener heroiſchen Nationen, der Gothen und Vandalen, die einſt das Römerreich in Trümmer ſchlugen? Derſelbe Sinn lebt in den Maſſen des Volks; er verräth ſich bald in dreiſter Prahlerei, in den tauſend landläufigen Spottgeſchichten von kaiſerlicher Dummheit und preußiſcher Huſarenliſt, bald in rührenden Zügen gewiſſenhafter Treue. Der junge Seemann Joachim Nettelbeck kommt noch Danzig und wird gedungen, den König von Polen über den Hafen zu rudern; man ſetzt ihm einen Hut auf mit dem Namenszuge König Auguſts; er ſträubt ſich lange, denn das fremde Hoheitszeichen zu tragen ſcheint ihm ein Verrath an ſeinem Preußen - könig; endlich muß er ſich fügen, doch der verdiente Ducaten brennt ihm in der Hand, und ſobald er nach Pommern heimkehrt ſchenkt er das Sündengeld dem erſten preußiſchen Invaliden, der ihm in den Weg kommt. So reizbar ward jetzt der politiſche Stolz in dieſem Volke, das vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armſeligkeit ſeiner häuslichen Sorgen verkam.

Es ließ ſich doch nicht vergeſſen, daß zu den zwei großen Kriegsfürſten der Geſchichte, zu Caeſar und Alexander, ſich nunmehr ein Preuße als Dritter geſellte. Im Gemüthe des norddeutſchen Volks liegt dicht neben der feſten Ausdauer ein Zug übermüthigen Leichtſinns, der mit der Gefahr vermeſſen zu ſpielen liebt, und dies ihr eigenes Weſen fanden die Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit geſteigert wieder: wie er, nach harter Lehrzeit raſch zum Meiſter gereift, die behut - ſamen Regeln der ſchwerfälligen alten Kriegskunſt zur Seite warf und ſelber dem Feinde das Geſetz des Krieges dictirte , ſtets bereit die Entſcheidung in freier Feldſchlacht zu ſuchen; wie er die kühnſte der Waffen, die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen Kriege gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder ſeiner drei Niederlagen immer von Neuem das ſtolze Vorrecht der Initiative behauptete. Der Erfolg lehrte, wie glücklich der König und ſein Volk einander verſtanden; ein dichter Kreis von Helden ſchaarte ſich um den Feldherrn und verbreitete bis in die unterſten Schichten des Heeres die frohe Wageluſt, jenen Geiſt der Offenſive, der in allen ihren großen Zeiten die Stärke der preußiſchen Armee geblieben iſt; aus märkiſchen Junkern und pommerſchen Bauerburſchen erzog ſich Friedrich die ge - fürchteten Regimenter Ansbach-Baireuth-Dragoner und Zieten-Huſaren, die im tollen Dahinjagen und ſchneidigen Einhauen bald die wilden Reitervölker Ungarns übertrafen. Mit Stolz ſprach der König aus, für ſolche Soldaten gebe es kein Wagniß: ein General, der in anderen Heeren für tollkühn gelten würde, thut bei uns nur ſeine Pflicht. Die zwölf Feldzüge der fridericianiſchen Zeit haben dem kriegeriſchen Geiſte des preußiſchen Volkes und Heeres für immer ſeine Eigenart gegeben;63Die deutſche Nation und Friedrich.noch heute verfällt der Norddeutſche, wenn auf den Krieg die Rede kommt, unwillkürlich in die Ausdrucksweiſe jener heroiſchen Tage und ſpricht wie Friedrich von brillanten Campagnen und fulminanten Attaken.

Die gutherzige Gemüthlichkeit der Deutſchen außerhalb Preußens bedurfte langer Zeit um das Grauen zu überwinden vor dem harten Realismus dieſer fridericianiſchen Politik, die ihre Gegner ſo ungroß - müthig immer angriff, wenn es ihnen am wenigſten willkommen war. Aber als das große Jahr 1757 über das deutſche Land dahinbrauſte, ſiegreicher Angriff und ſchwere Niederlage, neue verwegene Erhebung und neue ſtrahlende Siege in ſinnverwirrender Haſt ſich drängten und aus der wilden Flucht der Ereigniſſe immer gleich groß und beherrſchend das Bild des Königs heraustrat, da fühlte ſich das Volk in Herz und Nieren gepackt und erſchüttert von dem Anblick echter Menſchengröße. Die verwitterte und verknöcherte Geſtalt des alten Fritz, wie der Hammerſchlag des unerbittlichen Schickſals ſie zurecht geſchmiedet, übte ihren dämoniſchen Zauber auf unzählige treue Gemüther, die zu der glänzenden Erſcheinung des jugendlichen Helden von Hohenfriedberg nur mit befangener Scheu emporgeblickt hatten. Die Deutſchen waren, wie Goethe von ſeinen Frankfurtern ſagt, fritziſch geſinnt denn was ging uns Preußen an? und lauſchten mit verhaltenem Athem, wie der unzähmbare Mann jahraus jahrein ſich des Verderbens erwehrte. Jener überwäl - tigende Einmuth ungetheilter Liebe und Freude, der die Geſchichte glück - licherer Völker zuweilen mit goldenem Lichte verklärt, blieb freilich dem zerriſſenen Deutſchland auch jetzt noch verſagt. Wie Luther und Guſtav Adolf, die beiden einzigen Helden vordem, deren Bild ſich den Maſſen unſeres Volkes unvergeßlich ins Herz prägte, ſo ward auch Friedrich in den Krummſtabslanden am Rhein und Main als der große Feind ge - fürchtet. Doch die ungeheure Mehrheit des proteſtantiſchen, auch weite Kreiſe des katholiſchen Volks, und vor Allem ſämmtliche Wortführer der jungen Wiſſenſchaft und Dichtung folgten ihm mit warmer Theilnahme; man haſchte nach ſeinen Witzworten, erzählte Wunder über Wunder von ſeinen Grenadieren und Huſaren. Dem verſchüchterten Geſchlechte ward die Seele weit bei dem Gedanken, daß der erſte Mann des Jahrhun - derts unſer war, daß der Ruhm des großen Königs bis nach Marokko und Amerika drang.

Noch wußten Wenige, daß in dem preußiſchen Schlachtenruhme nur die uralte Waffenherrlichkeit der deutſchen Nation wieder zu Tage kam; ſelbſt Leſſing ſpricht von den Preußen zuweilen wie von einem halbfremden Volke und meint verwundert, denen ſei der Heldenmuth ſo angeboren wie den Spartanern. Nach und nach begannen doch ſelbſt die Maſſen zu fühlen, daß Friedrich für Deutſchland focht. Die Schlacht von Roßbach, die bataille en douceur, wie er ſie ſpottend nennt, ward der folgenreichſte ſeiner Siege für unſer nationales Leben. Wenn in dieſem64I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Volke von Privatmenſchen noch irgend eine politiſche Leidenſchaft lebte, ſo war es die ſtille Erbitterung gegen den franzöſiſchen Hochmuth, der, ſo oft vom deutſchen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das Feld behauptet hatte und jetzt wieder die rheiniſchen Lande mit Blut und Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrichs guter Degen und ſtürzte ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle deutſchen Gauen, und der Schwabe Schubart rief: Da griff ich ungeſtüm die goldne Harfe, darein zu ſtürmen Friedrichs Lob. Damals zuerſt überkam die Deutſchen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem National - ſtolze ähnlich ſah, und ſie ſangen mit dem alten Gleim: Laßt uns Deutſche ſein und bleiben! Die von den deutſchen Schlachtfeldern heimkehrenden franzöſiſchen Offiziere verkündeten in Paris ſelber unbefangen das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals ernſtlich bedrohen könnte; im deutſchen Luſtſpiel aber erhielt der einſt gefürchtete Franzoſe jetzt zuweilen die Rollen der komiſchen Perſon und des windigen Abenteurers.

Ein politiſches Verſtändniß für das Weſen des preußiſchen Staates ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte Volk lebte in einer wunderbaren Unwiſſenheit über die entſcheidenden Thatſachen ſeiner neuen Geſchichte wie über die Inſtitutionen ſeiner mächtigſten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrichs den alten Haß gegen Preußen etwas beſchwichtigt hatten, ſo pries ſich doch ſelbſt in den proteſtantiſchen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein Preuße war. Die geſchäftigen Erdichtungen der öſterreichiſchen Partei fanden überall willige Hörer; dieſe freien Leute, ſchrieb Friedrich Nicolai um das Jahr 1780 aus Schwaben, ſehen auf uns arme Brandenburger wie auf Sklaven herab. Nur auf ſtarke und hochſtrebende Naturen wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den fridericia - niſchen Tagen begann eine ſtattliche Schaar junger Talente aus dem Reiche in preußiſche Dienſte einzutreten; die Einen trieb die Bewunderung für den König, Andere die Sehnſucht nach reicher Thätigkeit, Mancher ahnte auch dunkel die Beſtimmung dieſer Krone. Die Monarchie war jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig entwachſen, nahm alle geſunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand in den Kreiſen der Einwanderer viele ihrer treueſten und fähigſten Diener, auch ihren Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.

Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutſchen Norden vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich geſegnete Friedenszeit, deren der alte Goethe ſpäterhin ſo oft mit dankbarer Rührung gedachte. Da - mals begann die alte Ueberlieferung von Preußens Armuth zur Fabel zu werden. Das ſociale Leben, vornehmlich in der Hauptſtadt, gewann reichere und freiere Formen, der Volkswohlſtand nahm einen über -65Befreiung Weſtpreußens.raſchenden Aufſchwung, die deutſche Dichtung trat in ihre großen Jahre. Der Krieg hatte die Lage des Reiches zugleich vereinfacht und erſchwert. Von der alten Ordnung war nichts mehr lebendig als der ungelöſte Gegenſatz der beiden Großmächte. Das Vorgefühl einer ſchweren Ent - ſcheidung ging durch die deutſche Welt; die kleinen Höfe beriethen in ge - ſchäftigen Verhandlungen, wie ſie durch einen Bund der Mindermächtigen ſich decken ſollten, falls ein neuer Zuſammenſtoß der beiden Koloſſe Deutſchlands ſie zu zermalmen drohe. König Friedrich aber, gründlich belehrt über die unendliche Macht der Trägheit in dieſem alten Reiche, beſchied ſich die erſchöpften Kräfte ſeines eigenen Staates von Neuem zu ſammeln; ſeine deutſche Politik zielte fortan nur dahin, jedes Einwirken fremder Mächte vom Reiche fern und dem Einfluß Oeſterreichs das Gleich - gewicht zu halten.

Eine ſchwere Gefahr, die vom Oſten her der deutſchen Macht drohte, riß ihn aus ſeinen friedlichen Plänen. Die polniſche Republik war ſeit dem Kriege dem Willen der Czarin unterthänig, die förmliche Vereinigung des zerrütteten Staates mit dem ruſſiſchen Reiche ſchien nur noch eine Frage der Zeit. Da entſprang aus Friedrichs Haupte der Gedanke der Theilung Polens, der die Abſichten der Ruſſen durchkreuzte, ihrem Ehrgeiz Schranken ſetzte. Es war ein Sieg der deutſchen Politik, zugleich über Rußlands ausgreifende Ländergier und über die Weſtmächte, die von den dreiſt vorgehenden Mächten des Oſtens rückſichtslos zur Seite geſchoben wurden. Die nothwendige That eröffnete freilich die Ausſicht auf unab - ſehbare Verwicklungen, da das verfaulte Reich des ſarmatiſchen Adels nunmehr rettungslos dem Untergange entgegentrieb; doch ſie war noth - wendig, ſie rettete das treue Oſtpreußen vor der Wiederkehr der mosko - witiſchen Herrſchaft und ſicherte dem Staate die Brücke zwiſchen dem Pregel - und dem Oderlande, welche ſchon der Kronprinz Friedrich als un - entbehrlich erkannt hatte. Der König erſchien zum zweiten male als der Mehrer des Reichs, er ſchenkte das Kernland der Deutſchordens-Macht, das ſchöne Weichſelthal, das einſt der deutſche Ritter den Barbaren, der deutſche Bauer der Wuth der Elemente abgerungen, dem großen Vaterlande wieder. Als die Stände von Weſtpreußen im Remter des Hochmeiſterſchloſſes zu Marienburg der wiederhergeſtellten Herrſchaft Treue ſchwuren wie die Denkmünze des Huldigungsfeſtes bezeichnend ſagt da ward geſühnt, was drei Jahrhunderte zuvor der Ueber - muth der Polen und der Landesverrath der ſtändiſchen Libertät an dieſem deutſchen Lande gefrevelt hatten. Der halbtauſendjährige Kampf der Deutſchen und der Polen um den Beſitz der Oſtſeeküſte war zu Deutſch - lands Gunſten entſchieden.

Alsdann begann der Staat, der ſelber noch aus den Wunden des letzten Krieges blutete, die ſchwere Arbeit der friedlichen Wieder - eroberung. Entſetzlich hatte der ſarmatiſche Adel im WeichſellandeTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 566I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.gehauſt, mit jener hoffärtigen Mißachtung fremden Rechtes und fremden Volksthums, welche die Polen vor allen Nationen Europas auszeichnet. Noch rühriger als vordem in Schleſien mußte hier der neue Herrſcher ſchalten, um in den alten ehrenreichen Stätten deutſchen Kriegsruhms und Bürgerfleißes, in Thorn, Culm und Marienburg deutſches Weſen wieder zu Ehren zu bringen, die erſten Anfänge wirthſchaftlichen Verkehrs wieder über das gänzlich verödete flache Land zu leiten. Und wie einſt die erſten deutſchen Eroberer die Kornkammer der Werder den Strömen entriſſen, ſo ſtieg jetzt aus den Sümpfen neben dem aufblühenden Bromberg der fleißige Netzegau empor, die Schöpfung des zweiten Eroberers. Friedrich ſelber ahnte nur dunkel, was die Wiedererwerbung des Ordens - landes in dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte bedeutete; der Nation aber war ihr eigenes Alterthum fremd geworden, ſie wußte kaum noch, daß dieſe Gauen jemals deutſch geweſen. Die Einen ver - dammten mit dem herben Dünkel des Sittenrichters das zweideutige diplomatiſche Spiel, das den Heimfall des Landes vorbereitet hatte; Andere wiederholten gläubig, was Polens alte Bundesgenoſſen, die Franzoſen erdichteten um die Theilungsmächte zu brandmarken; die Meiſten blieben kalt und befeſtigten ſich nur von Neuem in der landläufigen Meinung, daß der alte Fritz den Teufel im Leibe habe. Für die neue Wohlthat, die er unſerem Volke erwieſen, dankte ihm Niemand im Reiche.

Der unruhige Ehrgeiz Kaiſer Joſephs II. führte den König am Abend ſeines Lebens zu den Ideen der Reichspolitik zurück, welche ſeine Jugend beſchäftigt hatten. Der Wiener Hof gab die conſervative Haltung auf, welche dem Kaiſerhauſe allein noch Anſehen im Reiche ſichern konnte, und unternahm ſich in Baiern für den Verluſt von Schleſien zu entſchädigen; der ganze Verlauf der öſterreichiſchen Geſchichte ſeit zweihundert Jahren, das ſtetige Hinauswachſen des Kaiſerſtaates aus dem Reiche ſollte durch einen abenteuerlichen Einfall urplötzlich zum Rücklaufe gebracht werden. Da ſchloß König Friedrich zum zweiten male ſeinen Bund mit den Wittelsbachern und verbot dem Hauſe Oeſterreich mit dem Schwerte, ſeine Macht auf deutſchem Boden zu erweitern; ſcharf und klar wie niemals früher trat der Gegenſatz der beiden Nebenbuhler an den Tag. Der bairiſche Erbfolgekrieg zeigt in ſeinem Feldzugsplane wie in ſeinen politiſchen Zielen manche überraſchende Aehnlichkeit mit dem Entſcheidungskriege von 1866, doch nicht um Deutſchland von Oeſterreichs Herrſchaft zu befreien zog Preußen das Schwert, wie drei Menſchenalter ſpäter, ſondern lediglich zur Abwehr öſterreichiſcher Uebergriffe, zur Wahrung des Beſitzſtandes. Obſchon der alternde Held nicht mehr die Verwegenheit beſaß, ſeinen Kriegsplan ſo groß wie er gedacht war durchzuführen, ſo erwies ſich doch Preußens Macht ſtark genug den Wiener Hof auch ohne glänzende Kriegs - erfolge zum Nachgeben zu zwingen. Baiern ward zum zweiten male gerettet, der ſtolze Kaiſerhof mußte ſich herbeilaſſen vor dem Berliner67Bairiſcher Erbfolgekrieg.Tribunale zu plaidiren , und der erbitterte Fürſt Kaunitz ſprach jene Weiſſagung, die auf dem Felde von Königgrätz wider den Sinn des Propheten ſich erfüllen ſollte: wenn je die Schwerter Oeſterreichs und Preußens nochmals auf einander ſchlügen, dann würden ſie nicht eher wieder in die Scheide fahren, als bis die Entſcheidung offenbar, voll - kommen, unwiderruflich gefallen ſei. Noch werthvoller faſt als der augenblickliche Erfolg war der mächtige Umſchwung der Meinung im Reiche. Der gefürchtete Störenfried, der Rebell gegen Kaiſer und Reich erſchien der Nation jetzt als der weiſe Beſchirmer des Rechtes; die kleinen Höfe, die ſo oft vor dem preußiſchen Degen gezittert, blickten nunmehr, aufgeſcheucht durch Kaiſer Joſephs raſtloſe Pläne, hilfeſuchend nach dem Schiedsrichter in Sansſouci. An den Bauernhäuſern im bairiſchen Hochgebirge hing das Bild des Alten mit dem dreiſpitzigen Hute neben dem Volksheiligen Corbinian. In den Chor der ſchwäbiſchen und nord - deutſchen Poeten, die von dem Ruhme des Königs erzählten, miſchten ſich bereits einzelne Stimmen aus dem tief verfeindeten Kurſachſen; der Barde Ringulph beſang in verzückten Oden, wie aus der Allmacht Schooße, König Friedrich, deine große ſchlachtenfrohe Seele ging . Vor Kurzem noch hatte K. F. Moſer ausgeſprochen, der Blick des gewöhnlichen Menſchen vermöge dieſem Adler nicht in ſeine Höhen zu folgen, vielleicht erſcheine dereinſt ein Newton der Staatswiſſenſchaft, der die Bahnen der fridericianiſchen Politik ermeſſe. Jetzt aber begannen die Deutſchen zu fühlen, daß dieſe räthſelhafte Politik im Grunde wunderbar einfach war, daß der Staatsmann Friedrich, jedes Haſſes, jeder Liebe baar, gleichſam unper - ſönlich, immer nur wollte was die klar erkannte Lage ſeines Staates gebot.

Als die Empörung in Nordamerika ausbrach und die aufgeklärte Welt der neuen Sonne, die im Weſten aufging, zujubelte, da hat auch Friedrich ſeine Freude nicht verhehlt. Seiner jungen Großmacht war ein neuer Staat, der ſich in den Kreis der alten Mächte eindrängte, willkommen; es that ihm wohl, dies England, das ihn im letzten Kriege ſo ſchmählich verrathen und ihn dann während der polniſchen Händel an der Erwerbung von Danzig gehindert hatte, jetzt in peinlicher Ver - legenheit zu ſehen. Er erklärte offen, daß er nicht zum zweiten male Hannover für das undankbare England vertheidigen werde; er hat einmal ſogar den Durchmarſch der in Deutſchland erkauften engliſchen Hilfs - völker verboten, weil ihn dieſer ſchmutzige Menſchenhandel empörte und mehr noch weil er der jungen Männer aus dem Reiche für ſein eignes Heer bedurfte. Er benutzte die Noth der Meereskönigin um durch den Bund der bewaffneten Neutralität die Rechte der Marinen zweiten Ranges zu wahren; er ſchloß nach dem Frieden, der Erſte unter den europäiſchen Fürſten, einen Handelsvertrag mit der jungen Republik und bekannte ſich darin zu jener freien, menſchlichen Auffaſſung des Völkerrechts, welche ſeitdem eine treu bewahrte Ueberlieferung des preußiſchen Staates ge -5*68I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.blieben iſt. Doch weder ſein Haß gegen die Goddam-Regierung , noch die überſchwängliche Volksgunſt, die ihm aus den Colonien entgegenklang, bewog ihn jemals nur einen Schritt über das Intereſſe ſeines Staates hinauszugehen. Sein alter Feind Kaunitz konnte ſich noch immer den ſtolzen Gang der fridericianiſchen Politik nur aus der unberechenbaren Argliſt einer dämoniſchen Natur erklären. Im Reiche aber ſchwand das alte Mißtrauen nach und nach; die Nation merkte, daß nirgendwo ihre Angelegenheiten ſo ſachlich und maßvoll, ſo wachſam und ſo kalt er - wogen wurden, wie in der Einſiedelei von Sansſouci.

So konnte denn das Unerhörte geſchehen, daß der hohe Adel des Reichs ſich von freien Stücken um Friedrichs Fahnen ſchaarte. Kaiſer Joſeph nahm ſeine bairiſchen Pläne wieder auf um Preußens Macht zu erſchüttern, wie er ſelber eingeſtand; er bedrohte zugleich durch haſtige Seculariſationsgedanken den Beſtand ſeiner geiſtlichen Nachbarn. Ein jäher Schrecken ergriff die kleinen Staaten, da ſie alſo ihren natür - lichen Beſchützer zum Feinde werden ſahen; man berieth über einen Bund der Mittelmächte, über eine Liga der geiſtlichen Fürſten, bis ſich endlich die Erkenntniß aufdrängte, daß man ohne Preußens Hilfe nichts vermöge. Mit jugendlichem Feuer griff der alte König in den Streit ein. Alle die lockenden Anträge, die ihm vorſchlugen ſich mit dem Kaiſer in den Beſitz von Deutſchland zu theilen, wies er weit von ſich als Köder für die gemeine Habgier ; er bezwang ſeine Verachtung gegen die Kleinfürſten und begriff, daß er ces gens nur durch ſtrenge Gerechtigkeit an ſich feſſeln konnte. Es gelang ihm, die große Mehrheit des Kurfürſtenrathes und die meiſten der mächtigeren Fürſten für ſeinen deutſchen Fürſtenbund zu ge - winnen, die alte Reichsverfaſſung und den Beſitzſtand der Reichsſtände gegen den Kaiſer zu behaupten. Allein die Liebe zu meinem Vaterlande und die Pflicht des guten Bürgers, ſo ſchrieb er, treibt mich in meinem Alter noch zu dieſem Unternehmen. Was er in ſeiner Jugend geträumt, ging dem Greiſe glänzender in Erfüllung: nicht mehr verſteckt hinter einem bairiſchen Schattenkaiſer, wie einſt in den ſchleſiſchen Kriegen, ſondern mit offenem Viſier trat die Krone Preußen jetzt auf den Plan, als der Protector von Deutſchland. Alle die Nachbarmächte, die auf Deutſchlands Schwäche zählten, ſahen die unerwartete Wendung der Reichspolitik mit ernſter Beſorgniß; Frankreich und Rußland näherten ſich dem Wiener Hofe, die Allianz von 1756 drohte ſich von Neuem zu ſchließen. Das Turiner Cabinet dagegen begrüßte den Fürſtenbund mit Freuden als den Schutzgott der italieniſchen Staaten .

Die Politik des Foederalismus war im Reiche ſeit zweihundert Jahren nicht über halbe Anläufe hinausgekommen; nun da ſie ſich auf die Macht des preußiſchen Staates ſtützte errang ſie plötzlich einen großen Erfolg. Die Erinnerung an die Zeiten Maximilians I. und die Reformverſuche Kurfürſt Bertholds tauchte wieder auf. Der Fürſtenbund war geſchloſſen um69Deutſcher Fürſtenbund.das alte reichsſtändiſch-theokratiſche Deutſchland aufrecht zu halten. Doch wenn er dauerte, wenn Preußen ſeine Führerſtellung an der Spitze der großen Reichsſtände behauptete, ſo mußten die alten Formen des Reichsrechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete ſich die Ausſicht, das öſterreichiſche Syſtem in ſeinen Grundlagen zu erſchüttern, wie Graf Hertzberg freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutſchen Stiftern auszuſchließen, bei der nächſten Wahl die Kaiſerkrone auf ein anderes Haus zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigſten Stände zu legen. Der junge Karl Auguſt von Weimar ſchlug bereits vor, jene alten Privilegien, welche dem Hauſe Oeſterreich ſeine Sonder - ſtellung ſicherten, einer Prüfung von Reichswegen zu unterwerfen. Faſt ſchien es, als ſollte das große Räthſel der deutſchen Zukunft im Frieden gelöſt werden. Aber der Fürſtenbund konnte nicht dauern; und am wenigſten der nüchterne Sinn des alten Königs hat ſich dieſe bittere Wahrheit verborgen. Nur eine Verkettung zufälliger Umſtände, nur der Abfall Kaiſer Joſephs von den altbewährten Ueberlieferungen der öſter - reichiſchen Staatskunſt hatte die kleinen Fürſten in Friedrichs Arme hinübergeſcheucht; ihr Vertrauen zu Preußen reichte nicht weiter als ihre Angſt vor Oeſterreich. Mit äußerſtem Widerſtreben fügte ſich Kur - ſachſen der Führung des jüngeren und minder vornehmen Hauſes Bran - denburg, kaum weniger mißtrauiſch zeigte ſich Hannover; ſelbſt die er - gebenſten und ſchwächſten der verbündeten Stände, Weimar und Deſſau beriethen insgeheim, ſo erzählt uns Goethe, wie man ſich decken könne gegen die Herrſchſucht des preußiſchen Beſchützers. Sobald die Hofburg ihre begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte ſich auch die alte natürliche Partei - bildung wiederherſtellen; die geiſtlichen Fürſten, die jetzt in Berlin Hilfe ſuchten, konnten in dem proteſtantiſchen Preußen nur den geſchworenen Feind ihrer Herrſchaft ſehen. Weil Friedrich dies wußte, weil er mit ſeinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundesgenoſſen bis in Mark und Nieren ſchaute, darum ließ er auch durch den Erfolg des Tages ſich nicht darüber täuſchen, daß dieſer neue ſchmalkaldiſche Bund nur ein Noth - behelf war, nur ein Mittel zur Wahrung des augenblicklichen Gleichge - wichts. Karl Auguſt entwarf in großherziger Schwärmerei kühne Pläne für den Ausbau der neuen Reichsaſſociation, er dachte an einen Zoll - verband, an Militär-Conventionen, an ein deutſches Geſetzbuch; Johannes Müller verherrlichte den Fürſtenbund in ſchwülſtigen Pamphleten, Schubart in ſchwungvollen lyriſchen Ergüſſen, und Dohm gelangte in einer geiſt - reichen Flugſchrift zu dem Schluſſe: Deutſches und preußiſches Intereſſe können ſich nie im Wege ſtehen. Den überlegenen Verſtand des greiſen Königs berührten ſolche Träume nicht; er wußte, daß nur ein ungeheurer Krieg die Herrſchaft Oeſterreichs im Reiche brechen konnte; ihm genügte, ſie in den Schranken des Rechts zu halten, da er des Friedens für ſein Land bedurfte.

70I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Für eine ernſtliche Reform des Reichs fehlten noch immer alle Vor - bedingungen, es fehlte vor Allem der Wille der Nation. Ueber das alte Wahngebilde der deutſchen Freiheit kamen auch die reichspatriotiſchen Ver - theidiger des Fürſtenbundes nicht hinaus. Die joſephiniſche Politik, ſo verſichert Hertzberg beweglich, drohe die Kräfte Deutſchlands zu einer Maſſe zuſammenzuballen, das freie Europa einer Univerſalmonarchie zu unterwerfen; und in Dohms Augen erſcheint es als eine preiswürdige Aufgabe des neuen Bundes, die Weſtgrenzen Oeſterreichs offen zu halten, damit Frankreich jederzeit zu Gunſten deutſcher Freiheit einſchreiten könne. Das Volk empfand dunkel, daß das Beſtehende nicht werth ſei zu beſtehen; in Schubarts Schriften werden die kleinen ſchwäbiſchen Territorien oft geſchildert als ein offener Taubenſchlag, der dem fürſtlichen Marder dicht vor den Klauen liege. Doch alle ſolche Einfälle und Ahnungen wurden darniedergehalten von einem Gefühle hoffnungsloſer Entſagung, das die kräftigere Gegenwart kaum noch verſteht; den Deutſchen war zu Muthe, als ob eine unerforſchlich geheimnißvolle Schickſalsmacht dies Volk ver - dammt hätte, für alle Ewigkeit in einem widerſinnigen Zuſtande zu ver - harren, der jedes Recht des Daſeins längſt verloren. Als der große König ſchied, da hinterließ er zwar ein Geſchlecht, das froher und ſtolzer in die Welt blickte denn die Väter, und gewaltig hatte ſich die Macht des Staates gehoben, der vielleicht dereinſt einen neuen Tag über Deutſchland heraufführen konnte. Doch die Frage: durch welche Mittel und Wege eine lebensfähige Ordnung für das deutſche Gemeinweſen zu ſchaffen ſei? erſchien bei Friedrichs Tode faſt noch ebenſo räthſelhaft wie bei ſeiner Thronbeſteigung; ja ſie wurde von der ungeheuren Mehrzahl der Deutſchen nicht einmal ernſtlich aufgeworfen. Noch beſtanden kaum die erſten Anfänge einer Parteibildung in der Nation; nur ein Wunder des Himmels ſchien der rathloſen Hilfe bringen zu können. Die entſetzliche Verſchrobenheit aller Verhältniſſe erhellt mit unheimlicher Klarheit aus der einen Thatſache, daß der Held, der einſt mit ſeinem guten Schwerte die Nichtigkeit der Inſtitutionen des Reichs erwieſen hatte, nun damit enden mußte, dieſe entgeiſteten Formen ſelber gegen das Reichsoberhaupt zu vertheidigen.

Wenn Friedrich die Entſcheidung der deutſchen Verfaſſungsfrage nur vorbereiten, nicht vollenden konnte, ſo hat er dagegen auf die innere Politik der deutſchen Territorien tief und nachhaltig eingewirkt und unſer Volk zu einer edleren Staatsgeſinnung, einer würdigeren Anſicht vom Weſen des Staates erzogen. Er ſtand am Ende der großen Tage der unbeſchränkten Monarchie und erſchien gleichwohl den Zeitgenoſſen als der Vertreter eines neuen Staatsgedankens, des aufgeklärten Despotismus. Nur der Genius beſitzt die Kraft der Propaganda, vermag die wider - ſtrebende Welt um das Banner neuer Gedanken zu ſchaaren. Wie die Ideen der Revolution erſt durch Napoleon wirkſam verbreitet wurden, ſo71Höchſte Ausbildung der abſoluten Monarchie.iſt auch jene ernſte Auffaſſung der Pflichten des Königthums, die ſeit dem großen Kurfürſten auf dem preußiſchen Throne herrſchte, erſt durch Friedrich in das Bewußtſein der Menſchen übergegangen. Erſt ſeit den blendenden Erfolgen der ſchleſiſchen Kriege wendeten ſich die Blicke der Welt, die bisher an der Hofpracht von Verſailles bewundernd gehangen, nachdenklich auf die prunkloſe Krone der Hohenzollern. Im Kriege und in der auswärtigen Politik zeigte der König die unvergleichliche ſchöpferiſche Macht ſeines Geiſtes; in der inneren Verwaltung war er der Sohn ſeines Vaters. Er hat die überlieferten Formen des Staates durch die Kraft des Genius belebt, das Unfertige in freiem und großem Sinne weitergebildet; einen Neubau unternahm er nicht. Doch er wußte den Gedanken des politiſchen Königthums, den ſein Vater als ein handfeſter Praktiker verwirklicht hatte, mit der Bildung des Jahrhunderts in Ein - klang zu bringen; unabläſſig gab er ſich und Andern Rechenſchaft von ſeinem Thun. Schon als Kronprinz errang er ſich einen Platz unter den politiſchen Denkern des Zeitalters; ſein Anti-Machiavell bleibt, bei allen Schwächen jugendlicher Unreife, doch das Beſte und Tiefſte, was jemals über die Pflichten des fürſtlichen Amts in der abſoluten Monarchie geſagt wurde. Nachher, in den erſten Jahren des Siegerglückes, ſchrieb er den Fürſtenſpiegel für den jungen Herzog von Württemberg; doch mächtiger denn alle Lehren ſprachen ſeine Thaten, da er in den Tagen der Prüfung ſeine Worte bewährte und der Welt zeigte was es heiße als König denken, leben, ſterben . Zuletzt ward ihm noch jene Schickſalsgunſt, deren auch der Genius bedarf, wenn er einem ganzen Zeitalter den Stempel ſeines Geiſtes aufprägen ſoll: das Glück, in einem reichen Alter ſich völlig auszuleben. Er war jetzt der Neſtor, der anerkannt erſte Mann des euro - päiſchen Fürſtenſtandes; ſein Ruhm hob den Glanz aller Throne, aus ſeinen Worten und Werken lernten die Könige groß zu denken von ihrem Berufe.

Die althergebrachte Vorſtellung des Kleinfürſtenthums, daß Land und Leute dem durchlauchtigen Fürſtenhauſe zu eigen gehörten, verlor an Boden, ſeit dieſer König trocken ausſprach: Der Fürſt hat keinen nähern Verwandten als ſeinen Staat, deſſen Intereſſen immer den Banden des Blutes voranſtehen müſſen. Die dynaſtiſche Selbſtüberhebung der Bourbonen erſchien in ihrer Nichtigkeit, ſeit er bei ſeiner Thronbe - ſteigung den leichten Genüſſen des Lebens den Rücken wandte mit den Worten mein einziger Gott iſt meine Pflicht und nun durch ein halbes Jahrhundert mit allen Kräften ſeiner Seele dieſem einen Gotte diente und auf jeden Dank ſeines Volkes immer nur die gelaſſene Antwort gab: Dafür bin ich da. So weltlich unbefangen hatte noch nie ein gekröntes Haupt von der fürſtlichen Würde geredet, wie dieſer Selbſtherrſcher, der unbedenklich die Berechtigung der Republik wie des parlamentariſchen Königthums anerkannte und die Größe der abſoluten Monarchie allein72I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.in der Schwere ihrer Pflichten ſuchte: Der Fürſt ſoll Kopf und Herz des Staates ſein, er iſt das Oberhaupt der bürgerlichen Religion ſeines Landes.

An Friedrichs Beiſpiel und an den menſchenfreundlichen Gedan - ken der neuen Aufklärung bildete ſich das heranwachſende Geſchlecht des hohen Adels. Auf die kleinen Sultane, die zur Zeit Friedrich Wilhelms I. gehauſt, folgte jetzt eine lange Reihe wohlmeinender pflicht - getreuer Landesväter, wie Karl Friedrich von Baden, Friedrich Chriſtian von Sachſen. Schon geſchah es häufiger, daß die Prinzen nach preußiſcher Weiſe eine militäriſche Erziehung erhielten; kirchliche Duldſamkeit, För - derung des Wohlſtandes und der Schulen galten als Fürſtenpflicht; einzelne Kleinſtaaten, wie Braunſchweig, gewährten der Preſſe noch größere Freiheit als Preußen ſelber. Selbſt in einigen geiſtlichen Gebieten trat eine Wendung zum Beſſeren ein, das Münſterland pries die milde und ſorgſame Verwaltung ſeines Fürſtenberg. Nicht überall freilich und nicht mit einem Schlage konnten die tief eingewurzelten Sünden des kleinfürſt - lichen Despotismus verſchwinden; die alte Unſitte des Soldatenhandels erreichte eben jetzt, während des amerikaniſchen Krieges, den Gipfelpunkt ihrer Ruchloſigkeit und zeigte, weſſen das deutſche Kleinfürſtenthum fähig war. Das fridericianiſche Syſtem der Völkerbeglückung von Oben führte in der Enge der Kleinſtaaten oft zu leerer Spielerei oder zu erdrückender Bevormundung. Der badiſche Markgraf nannte ſeine Hofkammer kurzweg die natürliche Vormünderin unſerer Unterthanen ; mancher wohldenkende kleine Herr mißhandelte ſein Ländchen durch das neumodiſche phyſio - kratiſche Steuerſyſtem, durch allerhand unreife philanthropiſche Experi - mente, und das fürſtlich Oettingen-Oettingen’ſche Landesdirectorium mußte dem wißbegierigen Landesherrn über Namen, Gattung, Gebrauch und äußerliche Geſtalt ſämmtlicher in fürſtlichen Landen befindlichen Hunde genauen Bericht erſtatten nebſt beigefügtem ohnmaßgeblichen aller - unterthänigſten Gutachten. Doch im Ganzen war die Fürſtengeneration der achtziger Jahre die ehrenwertheſte, die ſeit Langem auf den deutſchen Thronen geſeſſen. Wo er nur konnte trat der König den Ausſchreitungen ſeiner Standesgenoſſen entgegen, befreite den alten Moſer aus dem Kerker, ſicherte den Württembergern den Beſtand ihrer Verfaſſung. Das Reich als Ganzes lag hoffnungslos darnieder, aber in vielen ſeiner Glieder pulſte wieder ein neues hoffnungsvolles Leben.

Und weit hinaus über Deutſchlands Grenzen wirkte das Vorbild Friedrichs. Maria Thereſia wurde ſeine gelehrigſte Schülerin, ſie hat den Gedanken der fridericianiſchen Monarchie in der katholiſchen Welt verbreitet. Von ſchwachen Nachbarn umgeben hatte das alte Oeſter - reich bisher ſorglos und ſchläfrig dahingelebt; erſt das Erſtarken des ehrgeizigen Nebenbuhlers im Norden zwang den Kaiſerſtaat ſeine Kräfte tapfer anzuſpannen. Der Norddeutſche Haugwitz geſtaltete die Ver -73Heerweſen.waltung Oeſterreichs, ſoweit es anging, nach preußiſchem Muſter um, und von dieſen öſterreichiſchen Reformen wiederum lernte der aufge - klärte Despotismus, der nunmehr in allen romaniſchen Landen, in Neapel und Toscana, in Spanien und Portugal ſeine raſtlos gewalt - ſame Völkerbeglückung begann. Am Längſten ſträubte ſich der Stolz der franzöſiſchen Bourbonen wider die neue Auffaſſung der Mo - narchie; mit ſpöttiſchem Lächeln erzählte man ſich zu Verſailles, daß am Potsdamer Hofe der Oberkammerherr noch niemals dem Könige das Hemd gereicht habe. Erſt da es zu ſpät war, da die Mächte der Revo - lution ſchon an die Thore klopften, begann man etwas zu ahnen von den Pflichten des Königthums. Die Krone der Bourbonen iſt aus dem trüben Dunſtkreiſe höfiſcher Selbſtvergötterung und Menſchenverachtung niemals gänzlich hinausgekommen, darum ging ſie ſchimpflich zu Grunde. Den Deutſchen aber wurde die monarchiſche Geſinnung, die unſerem Volke im Blute lag und ſelbſt in den Jahrhunderten der ſtändiſchen Vielherr - ſchaft nicht völlig verloren ging, durch König Friedrich aufs Neue ge - kräftigt. In keiner andern Nation der neuen Geſchichte hat das König - thum ſeine Aufgaben ſo groß und hochſinnig verſtanden; darum blieb das deutſche Volk, ſelbſt als die Zeit der parlamentariſchen Kämpfe kam, das am treueſten monarchiſch geſinnte unter den großen Culturvölkern.

Die Friedensliebe des hohenzollernſchen Hauſes blieb auch in ſeinem größten Kriegsfürſten lebendig. Friedrich ſchätzte die Macht, doch nur als ein Mittel für den Wohlſtand und die Geſittung der Völker; daß ſie jemals Selbſtzweck ſein, daß der Kampf um die Macht als ſolche ſchon hiſtoriſchen Ruhm verleihen ſollte, erſchien ihm als eine Beleidigung der fürſtlichen Ehre. Darum ſchrieb er ſeine leidenſchaftliche Streitſchrift gegen Machiavelli. Darum kam er in ſeinen Schriften immer wieder auf das abſchreckende Beiſpiel Karls XII. von Schweden zurück. Er mochte insgeheim fühlen, daß in ſeiner eigenen Bruſt dämoniſche Kräfte arbeiteten, die ihn zu ähnlichen Verirrungen mißleiten konnten, und ward nicht müde die Hohlheit des zweckloſen Kriegsruhms zu ſchildern, ließ im runden Saale zu Sansſouci die Büſte des Schwedenkönigs verächtlich unter den Füßen der Muſe aufſtellen. Schon in ſeinen brauſenden Jünglingsjahren war er mit ſich im Reinen über die ſittlichen Zwecke der Macht: dieſer Staat muß ſtark werden, ſo ſchrieb er damals, damit er die ſchöne Rolle ſpielen kann den Frieden zu erhalten allein aus Liebe zur Gerechtigkeit, nicht aus Furcht. Wenn aber jemals in Preußen Unrecht, Parteilichkeit und Laſter überhand nähmen, dann wünſche ich dem Hauſe Brandenburg ſchleunigen Untergang. Das ſagt Alles. Als er nach dem ſiebenjährigen Kriege ſich ſtark genug fühlte aus Gerechtigkeit den Frieden zu wahren, da wendete er ſeine Sorge mit ſolchem Eifer der Wiederherſtellung des Volkswohlſtandes zu, daß die Armee geradezu geſchädigt wurde.

Es iſt nicht anders: der Feldherr, der die Fahnen Preußens mit74I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Lorbeeren überſchüttet hatte, hinterließ die Armee in ſchlechterem Zuſtande als er ſie bei ſeiner Thronbeſteigung vorgefunden, reichte als militäriſcher Organiſator an ſeinen rauhen Vater nicht heran. Er bedurfte der fleißigen Hände um ſein verwüſtetes Land zu heben und begünſtigte darum grund - ſätzlich die Anwerbung von Ausländern für das Heer. Die Regiments - commandeure ſollten ihre Kantonsliſten im Einverſtändniß mit den Land - und Steuerräthen aufſtellen; ſeitdem ſpielte alljährlich in jedem Kreiſe jener Streit zwiſchen den militäriſchen Anforderungen und den bürger - lichen Intereſſen, der nachher unter wechſelnden Formen in der Geſchichte Preußens immer wiederkehrte. Für diesmal ward der Kampf zu Gunſten der Volkswirthſchaft entſchieden. Die bürgerlichen Behörden ſuchten jeden irgend fähigen oder vermögenden jungen Mann vor der rothen Kanto - niſten-Halsbinde zu bewahren. Der König ſelbſt griff helfend ein, befreite zahlreiche Klaſſen der Bevölkerung, die Neueingewanderten, die Familien aller Gewerbtreibenden, die Hausdienerſchaft der Grundherren von der Dienſt - pflicht; viele Städte, ja ganze Provinzen, wie Oſtfriesland, erhielten Pri - vilegien. Das Heer beſtand bald nach dem Frieden ſchon zur größeren Hälfte aus Ausländern. Friedrich dachte hoch von der Armee, nannte ſie gern den Atlas, der dieſen Staat auf ſeinen ſtarken Schultern trage; der Kriegsruhm der ſieben Jahre wirkte noch nach, der Dienſt des gemeinen Soldaten galt in Preußen zwar, wie überall ſonſt in der Welt, als ein Un - glück, doch nicht als eine Schande, wie draußen im Reiche. Der König brachte die großen Sommerübungen auf der Mockerauer Heide zu einer techniſchen Vollendung, welche die Kunſt des Manövrirens ſeitdem wohl nie wieder erreicht hat, ſchärfte ſeinen Offizieren unermüdlich ein, das Detail zu lieben, das auch ſeinen Ruhm hat, ſchrieb zu ihrer Belehrung ſeine militäriſchen Abhandlungen, die reifſten ſeiner Werke. Seinen Blicken entging kein Fortſchritt des Kriegsweſens; noch im hohen Alter bildete er die neue Waffe der leichten Infanterie, die grünen Füſiliere, nach dem Vorbilde der amerikaniſchen Riflemen. Der Ruhm des Potsdamer Exer - cierplatzes zog Zuſchauer aus allen Landen herbei; in Turin ahmte Victor Amadeus mit ſeinen Generalen jede Bewegung des großen preußiſchen Drillmeiſters bis auf die gebeugte Haltung des Kopfes andächtig nach; und wenn der junge Leutnant Gneiſenau die ſpitzen Blechmützen der Grenadiere beim Parademarſche in der Sonne funkeln ſah, dann rief er begeiſtert: Sagt, welches unter allen Völkern ahmet wohl ganz dies wunderbare Schauſpiel nach?

Und dennoch iſt das Heer in Friedrichs letzten Jahren unzweifelhaft geſunken. Die Blüthe des alten Offizierscorps lag auf den Schlachtfel - dern; während der ſieben Jahre waren ein beiſpielloſer Fall in der Kriegs - geſchichte ſämmtliche namhafte Generale bis auf ſpärliche Ausnahmen geblieben oder kampfunfähig geworden. Die jetzt emporkamen hatten den Krieg nur in ſubalternen Stellungen kennen gelernt, ſuchten das Ge -75Ständiſche Gliederung.heimniß der fridericianiſchen Siege allein in den Handgriffen des Parade - platzes. Unter den ausländiſchen Offizieren war mancher zweideutige Abenteurer; man jagte nach Gunſt und Gnade, für den ſtolzen Freimuth eines York oder Blücher war kein Raum. Der König, minder bürger - freundlich als ſein Vater, glaubte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe habe, entfernte die bürgerlichen Offiziere aus den meiſten Truppentheilen. In den adlichen Offizierscorps entſtand ein Junkerſinn, der dem Volke bald noch unleidlicher wurde als die ungeſchlachte Roheit früherer Zeiten. Die geworbenen alten Soldaten endlich lebten bequem mit Weib und Kind, in bürgerlicher Hantirung, und verabſcheuten den Krieg für ein Land, das ihnen fremd blieb. Schon im bairiſchen Erbfolgekriege bemerkte Friedrich mit Befremden, wie wenig dies Heer leiſte; den Grund des Verfalls durchſchaute er nicht. Der Eudämonismus ſeines Zeitalters ließ ihn die ſittlichen Kräfte des Heerweſens verkennen. Er hatte einſt, nach dem Brauche der Zeit, preußiſche Regimenter aus öſterreichiſchen und ſächſiſchen Kriegsgefangenen gebildet und ſelbſt durch die maſſenhaften Deſertionen der Unglücklichen ſich nicht belehren laſſen; er hatte in den letzten Jahren des Krieges genugſam erfahren, was ein Heer von Landes - kindern vermochte, doch ein ſo gewaltſames Aufgebot der geſammten Volkskraft blieb ihm ſtets nur ein Nothbehelf für verzweifelte Tage, da es auf den Schutz des Vaterlandes und eine preſente Gefahr ankommt . Unter ſeinen Staatsmännern hat allein Hertzberg die kühnen Ideen Friedrich Wilhelms I. heilig gehalten; der wollte das Heer nach und nach von allen Ausländern ſäubern: dann werden wir unüberwindlich ſein wie die Griechen und Römer. Der alte König aber ſah mit Genug - thuung, wie ſein unglückliches Land wirthſchaftlich erſtarkte, und bezeich - nete jetzt das Ideal des Heerweſens mit den wunderlichen Worten: Der friedliche Bürger ſoll es gar nicht merken, wenn die Nation ſich ſchlägt. So gerieth eine der Säulen, welche dieſen Staatsbau trugen, der Ge - danke der allgemeinen Wehrpflicht, langſam ins Wanken.

Die überlieferte Gliederung der Stände und die hierauf beruhende Organiſation der Arbeit hielt der König noch ſtrenger aufrecht als ſein Vater; er half durch Belehrung und rückſichtsloſen Zwang, durch Ge - ſchenke und Darlehen nach, ſo oft der Bauer, der Bürger, der Edelmann der Rolle, die ihm im Haushalte der Nation vorgeſchrieben war, nicht mehr zu genügen ſchien. Der Adel ſollte der erſte Stand im Staate bleiben, denn ich brauche ihn für meine Armee und meine Staatsver - waltung . Durch die Pfandbriefsanſtalten und durch erhebliche Unter - ſtützungen mit baarem Gelde erreichte Friedrich die Conſervirung des adlichen Großgrundbeſitzes nach den Verwüſtungen der Kriegsjahre. Darum wagte er auch ſo wenig wie ſein Vater, die Unfreiheit des Landvolks, die ſeinen großen Sinn empörte, gänzlich aufzuheben. Durch das Allge - meine Landrecht wurde zwar die rohe Form der Leibeigenſchaft beſeitigt,76I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.doch die um ein Geringes leichtere Erbunterthänigkeit überall aufrecht erhalten. Die Verwaltung begnügte ſich, im Einzelnen die Härten der be - ſtehenden Klaſſenherrſchaft zu mildern. Von dem alternden Fürſten nicht bemerkt und nicht gewollt, begann unterdeſſen eine folgenreiche Ver - ſchiebung der ſocialen Machtverhältniſſe. Die neue Literatur erzog ein aus allen Ständen gemiſchtes gebildetes Publicum; die Kaufleute und Gewerbtreibenden der größeren Städte, die bürgerlichen Pächter des ausgedehnten Domaniums der Monarchie gelangten nach und nach zu geſichertem Wohlſtande und zu einem kräftigen Selbſtbewußtſein, das die Vorrechte des Adels auf die Dauer nicht mehr ertragen konnte. Der Adel verlor allmählich die ſittlichen wie die wirthſchaftlichen Grundlagen ſeiner Herrenſtellung. Der Bau der alten ſtändiſchen Gliederung ward unmerklich untergraben.

Auch die Verwaltungsorganiſation des Vaters blieb unter dem Sohne unverändert, nur daß er den Provinzialdepartements des Generaldirec - toriums vier neue, den ganzen Staat umfaſſende, für Kriegsverwaltung, Handelspolitik, Berg - und Forſtweſen, hinzufügte und alſo einen Schritt weiter that auf dem Wege zum Einheitsſtaate. Die Krone ſtand noch immer hoch über ihrem Volke. Landdragoner mußten den Bauern an - halten die vom Könige geſchenkten Saatkartoffeln zu verwenden; der Befehl des Landraths und der Kammer erzwang, gegen den zähen paſſiven Widerſtand der Betheiligten, die Gemeinheitstheilungen und Entwäſſerungen, alle Fortſchritte der landwirthſchaftlichen Technik. Der völlig ermattete Unternehmungsgeiſt der bürgerlichen Gewerbe konnte nur durch die gewaltſamen Mittel des Prohibitivſyſtems geweckt werden. Die Gebrechen der fridericianiſchen Volkswirthſchaftspolitik lagen nicht in dem Alles meiſternden Beglückungseifer der Staatsgewalt, dem die Zeit noch keineswegs entwachſen war, ſondern in den fiscaliſchen Künſten, wozu der König durch die Bedrängniß ſeines Haushalts genöthigt wurde: er mußte volle drei Viertel ſeiner ordentlichen Ausgaben für das Heer verwenden und ſuchte was am Nothwendigen fehlte durch die Monopolien und in - directen Steuern ſeiner Regie einzubringen. Das Finanzweſen glich in ſeiner Schwerfälligkeit noch einem großen Privathaushalte. Faſt die Hälfte der regelmäßigen Einnahmen kam aus den Domänen und Forſten; nur dieſer reiche Grundbeſitz des Staates ermöglichte ihm ſeine hohen Ausgaben, er diente zugleich zur techniſchen Erziehung des Landvolks. Die Summe der Hauptſteuern ſtand geſetzlich feſt; für die außerordent - lichen Ausgaben der Coloniſationen und Urbarmachungen mußte der beweg - liche Ertrag der Regie herangezogen werden. Der ſorgſam vermehrte Schatz genügte für einige kurze Feldzüge; doch einen langen ſchweren Krieg konnte das alte Preußen ohne fremde Hilfsgelder nicht führen, da die Rechte der Landtage, die überlieferten Anſchauungen des Beamtenthums und die Unreife der Volkswirthſchaft jede Anleihe verboten. Wie kräftig auch der77Das Allgemeine Landrecht.bürgerliche Wohlſtand anwuchs, der weite Vorſprung der glücklicheren Nachbarvölker ließ ſich ſo ſchnell nicht einholen. Der preußiſche Staat blieb noch immer die ärmſte der Großmächte des Weſtens, im Weſentlichen ein Ackerbauland, ſpielte im Welthandel eine beſcheidene Rolle, auch nach - dem ihm Friedrich durch die Erwerbung Oſtfrieslands den Zugang zur Nordſee eröffnet hatte; den Häfen der Ems wie der Oder fehlte ein reiches gewerbfleißiges Hinterland.

Als ein Reformator wirkte Friedrich nur in jenem Bereiche des inne - ren Staatslebens, das ſein Vorgänger nicht verſtand: er ſchuf den neuen preußiſchen Richterſtand, wie ſein Vater das moderne deutſche Verwaltungsbeamtenthum gebildet hatte. Er wußte, daß die Rechts - ſprechung ein politiſches Amt iſt, unzertrennlich mit dem Staate ver - wachſen; er erwirkte ſich für alle ſeine Lande die Unabhängigkeit von den Reichsgerichten, verbot Gutachten der Juriſtenfacultäten einzuholen, ſtellte ein Juſtizminiſterium neben das Generaldirectorium, gab die geſammte Rechtspflege in die Hände eines hierarchiſch gegliederten Staatsbeamten - thums, das ſich ſeinen jungen Nachwuchs ſelbſt erzog und die in der unterſten Inſtanz noch fortbeſtehende Privatgerichtsbarkeit unter ſtrenge Aufſicht nahm. Die unbedingte Selbſtändigkeit der Gerichte gegenüber der Verwaltung ward feierlich verheißen und, bis auf wenige Fälle einer wohlmeinend willkürlichen Cabinetsjuſtiz, unverbrüchlich gehalten. Der neue Richterſtand bewahrte ſich in beſcheidener wirthſchaftlicher Lage eine ehrenhafte Standesgeſinnung, und während an den Gerichten des Reichs Beſtechlichkeit und parteiiſche Gunſt ihr Weſen trieben, galt in Preußen auch gegen den Willen des Königs das ſtolze Wort: il y a des juges à Berlin. Dem Jünger der Aufklärung, dem der Staat das Werk des zweckbewußten Menſchenwillens war, drängte ſich von ſelber das Verlangen auf, daß im Staate nicht ein gegebenes und überliefertes, ſondern ein gewußtes und gewolltes Recht herrſchen müſſe; ſein Leben lang trug ſich Friedrich mit dem Gedanken, die erſte umfaſſende Codification des Rechts, die ſeit den Zeiten Juſtinians gewagt worden, durchzuführen. Erſt nach ſeinem Tode kam das Allgemeine Landrecht zu Stande, das deutlich, wie kein anderes Werk der Epoche, den Januskopf der fridericianiſchen Staats - anſicht erkennen läßt. Das Geſetzbuch wahrt einerſeits die überlieferten ſocialen Unterſchiede ſo ſorgſam, daß das geſammte Rechtsſyſtem ſich der ſtändiſchen Gliederung einfügen muß, dem Adel ſogar zuwider dem gemeinen Rechte ein ſtändiſches Eherecht gewährt wird, und führt andererſeits den Gedanken der Souveränität des Staates mit ſolcher Kühnheit bis in ſeine letzten Folgerungen, daß mancher Satz ſchon die Ideen der franzöſiſchen Revolution vorausnimmt, und Mirabeau meinen konnte, mit dieſem Werke eile Preußen dem übrigen Europa um ein Jahrhundert voraus. Zweck des Staates iſt das gemeine Wohl, nur um dieſes Zweckes willen darf der Staat die natürliche Freiheit ſeiner Bürger78I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.beſchränken, aber auch alle beſtehenden Privilegien aufheben. Der König iſt nur das Oberhaupt des Staates, hat nur als ſolches Rechte und Pflichten und dies in Tagen, da Biener und andere namhafte Juriſten das Privateigenthumsrecht der deutſchen Fürſten an Land und Leuten noch als einen unbeſtreitbaren Rechtsſatz verfochten. Die alſo über das Bereich des Privatrechts hinausgehobene Staatsgewalt greift ordnend und lehrend in alle Privatverhältniſſe ein, ſchreibt Eltern und Kindern, Grundherren und Dienſtboten ihre ſittlichen Pflichten vor, ſie vermißt ſich durch ihre Alles vorausbedenkende geſetzgeberiſche Weisheit jeden möglichen Rechtsſtreit der Zukunft von vornherein zu erledigen.

Mit dieſem Geſetzbuche ſprach der alte Abſolutismus ſein letztes Wort: er umgab ſeine Gewalt mit feſten Schranken, erhob das Gemeinweſen zum Rechtsſtaate; er betrat zugleich, indem er die Herrſchaft des römiſchen Rechts zerſtörte, ahnungslos den Weg, der zu einer neuen Rechtseinheit des deutſchen Volkes führen mußte. Der mechaniſche Staatsbegriff der fride - ricianiſchen Tage iſt bald nachher durch eine tiefer eindringende Philo - ſophie, die unfertige juriſtiſche Bildung der Carmer und Suarez durch die Arbeiten der hiſtoriſchen Rechtswiſſenſchaft überwunden worden; und gleichwohl blieb das Allgemeine Landrecht noch auf Jahrzehnte hinaus der kräftige Boden, dem alle weiteren Reformen des preußiſchen Staates entwuchſen. Der Glaube an die Herrſchaft des Geſetzes, die Vorbedingung aller politiſchen Freiheit, ward eine lebendige Macht im Beamtenthum wie im Volke. Wenn der Staat beſtand um des gemeinen Wohles willen, ſo führte eine unaufhaltſame Nothwendigkeit, von der Friedrich nichts ahnte, zu dem Verlangen: Aufhebung der Privilegien der höheren Stände und Theilnahme der Nation an der Staatsleitung. Und dieſe Schlüſſe mußten früher oder ſpäter gezogen werden, da ſchon jetzt in dem vergrößerten Staatsgebiete nur eine geniale Manneskraft den ſchweren Aufgaben, welche dies Königthum ſich ſtellte, genügen konnte.

Bei Weitem nicht in gleichem Maße hat Friedrich das geiſtige Leben ſeines Volkes gefördert. Wohl wiſſen wir aus Goethes Bekenntniſſen, wie das Heldenthum der ſieben Jahre befruchtend und befreiend auf die deutſche Bildung wirkte, wie in jenen Jahren des Waffenruhmes zuerſt wieder ein nationaler Gehalt, ein ſchwellendes Gefühl der Lebenskraft in die ermattete Dichtung drang, wie die verarmte Sprache, die längſt ſchon ſtammelnd nach dem Ausdruck mächtigen Gefühles ſuchte, jetzt endlich aus der Plattheit und Leere ſich emporrang und das große Wort fand für die große Empfindung: recht eigentlich unter dem Trommelſchlag des preußiſchen Kriegslagers ward das erſte deutſche Luſtſpiel, Minna von Barnhelm, geſchaffen. Preußens Volk nahm an dem wunderbaren Er - wachen der Geiſter ſeinen reichen Antheil, ſchenkte der literariſchen Be - wegung mehrere ihrer bahnbrechenden Talente, von Winkelmann bis herab auf Hamann und Herder. Und ganz und gar von preußiſchem79Kirche und Schule.Geiſte erfüllt war jene neue reifere Form des deutſchen Proteſtantismus, welche endlich aus den Gedankenkämpfen der gährenden Zeit ſiegreich hervorging und ein Gemeingut des norddeutſchen Volkes wurde: die Ethik Kants. Der kategoriſche Imperativ konnte nur auf dieſem Boden der evangeliſchen Freiheit und der entſagenden pflichtgetreuen Arbeit er - dacht werden. Wo vordem rauhe Befehle die ſchweigende Unterwerfung erzwangen, da ſah ſich jetzt jedes freimüthige Urtheil herausgefordert durch das Vorbild des Königs, der furchtlos auf die Kraft des forſchenden Verſtandes baute und gern bekannte: wer zum Beſten räſonnirt, bringt es am Weiteſten. Friedrich führte die altpreußiſche Politik der kirchlichen Duldung in freiem Sinne fort, verkündete in ſeinem Geſetzbuche den Grundſatz: die Begriffe der Einwohner von Gott und göttlichen Dingen können kein Gegenſtand von Zwangsgeſetzen ſein. Auch die Unionsbe - ſtrebungen ſeiner Ahnen hat der Freigeiſt nicht aufgegeben, ſondern ſtreng darauf gehalten, daß die beiden evangeliſchen Kirchen einander im Noth - fall die Sacramentsgemeinſchaft nicht verſagten. Die oberſtbiſchöfliche Gewalt, die er für ſeine Krone in Anſpruch nahm, ſicherte ihn gegen ſtaatsfeindliche Umtriebe der Geiſtlichkeit, erlaubte ihm ſogar die vom Papſte aufgehobene Geſellſchaft Jeſu in ſeinem Staate zu dulden. Er ge - währte der Preſſe eine ſelten beſchränkte Freiheit, denn Gazetten, wenn ſie intereſſant ſein ſollen, dürfen nicht genirt werden . Er erklärte alle Schulen für Veranſtaltungen des Staates , ſprach gern und geiſtvoll von der Pflicht des Staates, das junge Geſchlecht zu ſelbſtändigem Denken und aufopfernder Vaterlandsliebe zu erziehen. Wie oft hat er den Glanz der Gelehrſamkeit und Dichtung als den ſchönſten Schmuck der Kronen geprieſen; auch darin zeigte er ſich als ein Deutſcher und ein Friedens - fürſt, daß er den claſſiſchen Unterricht für den[Quell] aller höheren Bil - dung anſah, nicht die exacten Wiſſenſchaften, wie der Soldat Napoleon. Trotz Alledem hat der König für die Pflege der Volksbildung unmittelbar nur wenig geleiſtet.

Die Knappheit der Geldmittel, der Mangel an brauchbaren Volksſchul - lehrern und die unabläſſigen Kämpfe bald mit auswärtigen Feinden bald mit der wirthſchaftlichen Noth daheim erſchwerten ihm die Ausführung ſeiner Pläne; und ſchließlich brach auch bei dem Sohne der trockene Nützlich - keitsſinn des Vaters immer wieder durch. Für alles Andere wußte der Sparſame leichter Rath zu ſchaffen als für die Zwecke des Unterrichts. Wenn die Deutſchen im Reiche ſpotteten, dies Preußen habe ſich groß gehungert, ſo dachten ſie dabei zunächſt an die preußiſchen Gelehrten. Für die Volksſchulen geſchah nur das Nothdürftige; die wiederholt einge - ſchärfte Regel der allgemeinen Schulpflicht blieb für weite Striche des platten Landes noch ein todter Buchſtabe. Keine der preußiſchen Uni - verſitäten reichte an den Ruhm der neuen Georgia Auguſta heran. Erſt gegen das Ende der fridericianiſchen Zeit, als Zedlitz, der Freund Kants,80I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.die Leitung der Bildungsanſtalten übernahm, kam ein etwas freierer Zug in das Unterrichtsweſen. Damals verbeſſerte der treffliche Abt Felbiger die katholiſche Volksſchule und fand draußen im Reich eifrige Anhänger, alſo daß endlich auch das katholiſche Deutſchland des beſten Segens der Reformation theilhaftig wurde.

Es ſchien ein Leichtes, in Berlin einen glänzenden Kreis der beſten Köpfe Deutſchlands zu reicher Thätigkeit zu verſammeln. Jedes junge Talent im Reiche ſuchte nach dem Auge des Helden der Nation. Selbſt jener Winkelmann, der einſt in heißem Haſſe den Marken entflohen war, empfand jetzt, mit wie ſtarken Banden dieſer Staat die Herzen ſeiner Söhne feſthält. Es läſſet ſich, ſo ſchrieb er, zum erſten male die Stimme des Vaterlandes in mir hören, die mir vorher unbekannt war. Er brannte vor Begier, dem Ariſtoteles der Kriegskunſt zu zeigen, daß ein geborener Unterthan etwas Würdiges hervorbringen könne, unterhandelte jahrelang über eine Anſtellung in Berlin. Aber an Friedrichs franzö - ſiſcher Akademie war kein Platz für deutſche Denker. Die mediceiſchen Tage, die man einſt von dem kunſtbegeiſterten Prinzen des Rheinsberger Muſenhofes erhoffte, kamen nur für die ausländiſchen Schöngeiſter der Tafelrunde von Sansſouci; das junge Leben, das in den tiefen ſeines eigenen Volkes ſich unbändig regte, wollte und konnte der Zögling franzö - ſiſcher Bildung nicht mehr verſtehen. Während die Berliner Geſellſchaft an den Gedanken der neuen Literatur ſich bis zur Ueberbildung berauſchte, ſpöttiſche Freigeiſterei und verfeinerte Genußſucht bereits die alte ſtrenge Sitteneinfalt verdrängten, behielt die preußiſche Verwaltung auch jetzt die einſeitige Richtung auf das handgreiflich Nützliche. Jener unausſteh - lich ſteife, hausbacken proſaiſche Geiſt, den der alte Soldatenkönig ſeinem Staate eingeflößt, wurde durch Friedrich etwas gemildert, nicht gebrochen; nur die barocke Pracht des Neuen Palais und die mächtigen Kuppeln der Gensdarmenkirchen ließen erkennen, daß mindeſtens der barbariſche Bil - dungshaß der dreißiger Jahre allmählich zu entweichen begann.

Der preußiſche Staat vertrat noch immer nur die eine Seite unſeres nationalen Lebens; die Zartheit und die Sehnſucht, der Tiefſinn und die Schwärmerei des deutſchen Weſens gelangten in dieſer Welt der Nüchtern - heit nicht zu ihrem Rechte. Der Mittelpunkt der deutſchen Politik wurde nicht die Heimath der geiſtigen Arbeit der Nation; das claſſiſche Zeitalter unſerer Dichtung fand ſeine Bühne in den Kleinſtaaten. In dieſer folgenſchweren Thatſache liegt der Schlüſſel zu manchem Räthſel der neuen deutſchen Geſchichte. Der kühl ablehnenden Haltung König Friedrichs dankt unſere Literatur das Köſtlichſte was ſie beſitzt, ihre unvergleichliche Freiheit; aber dieſe Gleichgiltigkeit der Krone Preußen während der Tage, welche den Charakter der modernen deutſchen Bildung beſtimmten, hat auch verſchuldet, daß es den Helden des deutſchen Gedankens noch lange ſchwer fiel, den einzigen lebenskräftigen Staat unſeres Volkes zu verſtehen. 81Friedrichs franzöſiſche Bildung.Nach Friedrichs Tode vergingen noch zwei volle Jahrzehnte bis Preußen den geiſtigen Mächten des neuen Deutſchlands eine gaſtliche Stätte be - reitete; und dann ſind nochmals lange Jahrzehnte verfloſſen, bis die deutſche Wiſſenſchaft erkannte, daß ſie eines Blutes ſei mit dem preußiſchen Staate, daß die ſtaatenbildende Kraft unſeres Volkes in demſelben ſtarken Idealismus wurzelte, der deutſchen Forſchermuth und Künſtlerfleiß zu kühnem Wagen begeiſterte.

Friedrichs Kaltſinn gegen die deutſche Bildung iſt wohl die traurigſte, die unnatürlichſte Erſcheinung in der langen Leidensgeſchichte des neuen Deutſchlands. Der erſte Mann der Nation, der den Deutſchen wieder den Muth erweckt hatte an ſich ſelber zu glauben, ſtand den ſchönſten und eigenſten Werken ſeines Volkes wie ein Fremdling gegenüber; an - ſchaulicher, erſchütternder läßt ſich’s nicht ausſprechen, wie ſchwer und langſam dies Volk die arge Erbſchaft der dreißig Jahre, die Uebermacht unheimiſcher Gewalten, wieder abgeworfen hat. Friedrich war nicht, wie Heinrich IV. von Frankreich, ein getreuer Vertreter der nationalen Art und Unart, dem Volksgemüthe verſtändlich in jeder Wallung ſeiner Laune. In ſeiner Seele ſtritten zwei Naturen: der philoſophiſche Schöngeiſt, der in den Klängen der Muſik, in dem Wohllaut franzöſiſcher Verſe ſchwelgte, der den Dichterruhm für das höchſte Glück der Erde hielt, der ſeinem Voltaire in ehrlicher Bewunderung zurief: Mir ſchenkte das Geſchick des Ranges leeren Schein, dir jegliches Talent; das beßre Theil iſt dein und der kernhafte norddeutſche Mann, der ſeine brandenburgiſchen Kerls mit grobem märkiſchen Jod anwetterte, dem harten Volke ein Vorbild kriegeriſchen Muthes, raſtloſer Arbeit, eiſerner Strenge. Die franzöſiſche Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts krankt an einer tiefen Unwahr - heit, ſie beſitzt weder die Luſt noch die Kraft, das Leben in Einklang zu bringen mit der Idee: man ſchwärmt für die heilige Einfalt der Natur und gefällt ſich doch unſäglich in den unnatürlichſten Sitten und Trachten, welche jemals die europäiſche Welt beherrſchten; man ſpottet über den albernen Zufall der Geburt, träumt von der urſprünglichen Freiheit und Gleichheit und lebt doch luſtig drauf los in der frechen Menſchenverachtung und allen den ſüßen Sünden der alten höfiſchen Geſellſchaft, befriedigt mit der Hoffnung, daß irgend einmal in einer fernen Zukunft über den Trümmern alles Beſtehenden die Vernunft ihren Herrſcherthron aufſchlagen werde. Am preußiſchen Hofe war der geiſt - reich boshafte Prinz Heinrich ein getreuer Vertreter dieſer neuen Bildung: theoretiſch ein Verächter jenes leeren Rauches, der beim Pöbel Ruhm und Größe heißt, praktiſch ein Mann der harten Staatsräſon, ſkrupellos, aller Liſten und Ränke kundig. Auch Friedrich hat in ſeiner Weiſe dies Doppelleben der Männer der franzöſiſchen Aufklärung geführt. Ihm ward das tragiſche Schickſal, in zwei Sprachen zu denken und zu reden, von denen er keine ganz beherrſchte. Das rohe Kauderwälſch, dasTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 682I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.in dem Tabakscollegium ſeines Vaters gepoltert wurde, erſchien dem ſchönheitstrunkenen Jüngling ebenſo widerwärtig wie das ſchwerfällige Schriftdeutſch der gelahrten Pedanterei, das er aus den Werken hart - gläubiger Theologen kennen lernte; wohl oder übel behalf er ſich mit dieſer ungeſchlachten Sprache, erledigte die laufenden Geſchäfte bald im rauhen Dialekt, bald im ſteifen Kanzleiſtile. Für die Welt der Ideen, die in ſeinem Kopfe gährte, fand er den würdigen Ausdruck allein in der Sprache der weltbürgerlichen Bildung. Er wußte wohl, daß ſeine bizarre und tudeske Muſe ein barbariſches Franzöſiſch rede, und ſchlug im Be - wußtſein dieſer Schwäche den Kunſtwerth ſeiner Verſe noch niedriger an als ſie es verdienten. Das Eine mindeſtens was den Dichter macht, die proteiſche Begabung, war ihm keineswegs verſagt. Seine Muſe gebot über die ganze Tonleiter der Stimmungen; ſie konnte bald in wür - digem Ernſt das Große und Erhabene ausſprechen, bald in ſatiriſcher Laune mit der Bosheit eines Kobolds oder, die Wahrheit zu ſagen: mit dem Muthwillen eines Berliner Gaſſenjungen ihre Opfer necken und zauſen. Und doch ſagte ihm ein richtiges Gefühl, daß in ſeinen Verſen der Reichthum ſeiner Seele nicht ſo voll und rein ausſtrömte wie in den Klängen ſeiner Flöte; die höchſte Fülle des Wohllauts, die letzte Tiefe der Empfindung blieb dem Deutſchen unerreichbar in der fremden Sprache.

Der Philoſoph von Sansſouci wurde nie ganz heimiſch in der frem - den Bildung, die er ſo lebhaft bewunderte. Vor Allem trennte ihn von den franzöſiſchen Genoſſen die Strenge ſeiner ſittlichen Weltanſchauung. Es iſt die Größe des Proteſtantismus, daß er die Einheit des Denkens und des Wollens, des religiöſen und des ſittlichen Lebens gebieteriſch fordert. Friedrichs ſittliche Bildung wurzelte zu tief im deutſchen pro - teſtantiſchen Leben, als daß er die geheime Schwäche der franzöſiſchen Philoſophie nicht empfunden hätte. Er ſtand der Kirche mit freierem Gemüthe gegenüber als der Katholik Voltaire, der in ſeiner Henriade, dem Evangelium der neuen Toleranz, endlich doch zu dem Schluſſe ge - langte, daß alle anſtändigen Menſchen der römiſchen Kirche angehören ſollen; er hat niemals wie dieſer ſeinen Nacken gebeugt unter religiöſe Formen, die ſein Gewiſſen verwarf, und konnte mit der gelaſſenen Heiterkeit des geborenen Ketzers ertragen, daß die römiſche Curie ſeine Werke auf den Index der verbotenen Bücher ſetzte. Mag er die Philo - ſophie zuweilen herablaſſend als ſeine Paſſion bezeichnen, das Nachdenken über die großen Probleme des Daſeins iſt ihm doch weit mehr als ein geiſt - reicher Zeitvertreib; nach der Weiſe der Alten ſucht und findet er in der Gedankenarbeit die Ruhe des mit ſich ſelber einigen Geiſtes, die über allen Wechſelfällen des Geſchicks erhabene Sicherheit der Seele. Nach den Verirrungen leidenſchaftlicher Jugend lernt er früh, den Zug künſtleriſcher Weichheit und Sinnlichkeit, der ihn zu beſchaulichem Genuſſe treibt,83Der Philoſoph von Sansſouci.gewaltſam zu bändigen. So kühn und frech der Zweifel und der Spott in ſeinem Kopfe ſich regen, die ſittliche Weltordnung, der Gedanke der Pflicht ſteht ihm unantaſtbar feſt. Die furchtbare Ernſthaftigkeit ſeines ganz der Pflicht geweihten Lebens iſt wie durch eines Himmels Weite getrennt von der lockeren und weichlichen Moral der Pariſer Aufklärung. Wie ſeine Schriften in jenem klaren und ſcharfen Stile, der zu - weilen trivial, doch nie verſchwommen wird immer mit unaufhalt - ſamer Willenskraft auf einen ſicheren, beſtimmten, greifbaren Schluß los - drängen, ſo will er auch das Leben nach der erkannten Wahrheit geſtalten; ſoweit es der Widerſtand einer barbariſchen Welt erlaubt, ſucht er der Humanität, die er die Cardinaltugend jedes denkenden Weſens nennt, die Herrſchaft in Staat und Geſellſchaft zu ſichern und geht dem Tode entgegen mit dem ruhigen Bewußtſein die Welt überhäuft mit meinen Wohlthaten zurückzulaſſen .

Gleichwohl gelingt ihm niemals den Zwieſpalt ſeiner Seele völlig zu überwinden. Der innere Widerſpruch verräth ſich ſchon in Friedrichs beißen - dem Witze, er tritt darum ſo grell heraus, weil der Held in ſeiner ſtolzen Wahrhaftigkeit nie daran denkt ihn zu verſtecken. Das Leben des Genius iſt immer geheimnißvoll, ſelten erſcheint es ſo ſchwer verſtändlich wie in dem Reichthum dieſes zwiegetheilten Geiſtes. Der König ſieht mit überlegener Ironie auf die plumpe Unwiſſenheit ſeiner märkiſchen Edelleute herunter, er athmet auf, wenn er von der Langeweile dieſer geiſtloſen Geſellſchaft ſich erholen kann bei dem einzigen Manne, zu dem er bewundernd empor - ſchaut, dem Meiſter der galliſchen Muſenſprache; dabei fühlt er doch, was er der guten Klinge jenes rauhen Geſchlechtes verdankt, er findet nicht Worte genug, den Muth, die Treue, den ehrenhaften Sinn ſeines Adels zu preiſen, er zügelt ſeinen Spott vor dem handfeſten Bibelglauben des alten Zieten. Die Franzoſen ſind ihm willkommene Gäſte für die heiteren Stunden des Nachtiſches; ſeine Achtung gehört den Deutſchen. Niemand von den ausländiſchen Genoſſen iſt dem Herzen Friedrichs ſo nahe ge - treten wie jener Seelenmenſch Winterfeldt, der ſeine deutſche Art auch gegen den königlichen Freund tapfer behauptete. Oftmals ſehnt ſich Friedrich in ſeinen Briefen hinüber nach dem neuen Athen an der Seine und beklagt den Neid mißgünſtiger Götter, der den Sohn der Muſen verdammt hat im kimmeriſchen Winterlande über Sklaven zu herrſchen; und dennoch theilt er unverdroſſen wie ſein Vater die Sorgen und Mühen dieſes armen Volkes, von Herzen froh des neuen Lebens, das unter den harten Fäuſten ſeiner Bauern aufſprießt, und ruft ſtolz: Ich ziehe unſere Einfachheit, ſelbſt unſere Armuth jenen verdammten Reichthümern vor, welche die Würde unſeres Geſchlechts verderben. Wehe den fremden Poeten, wenn ſie ſich unterſtehen dem Könige einen politiſchen Rathſchlag zu geben; hart und höhniſch weiſt er ſie dann in die Schranken ihrer Kunſt zurück.

6*84I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Wie lebhaft ihn auch die Ideen des neuen Frankreichs beſchäftigen, ein großer Schriftſteller iſt er nur wenn er deutſche Gedanken mit franzöſi - ſchen Worten ausſpricht, wenn er in ſeinen politiſchen, militäriſchen und hiſtoriſchen Schriften als ein deutſcher Fürſt und Feldherr redet. Nicht in der Schule der Fremden, ſondern durch eigene Kraft und eine unvergleichliche Erfahrung wurde Friedrich der erſte Publiciſt unſeres achtzehnten Jahrhunderts, der einzige Deutſche, der mit ſchöpferiſcher Kritik an den Staat herantrat und in großem Stile von den Pflichten des Bürgers ſprach: ſo warm und tief wie der Verfaſſer der Briefe des Philopatros wußte noch Niemand aus jenem ſtaatloſen Geſchlechte über die Vaterlandsliebe zu reden. Der greiſe König hielt es nicht mehr der Mühe werth, von der Höhe ſeines franzöſiſchen Parnaſſes hinabzu - ſteigen in die Niederungen deutſcher Kunſt und mit eigenen Augen zu prüfen, ob die Dichterkraft ſeines Volkes nicht endlich erwacht ſei. In dem Aufſatze über die deutſche Literatur, ſechs Jahre vor ſeinem Tode, wiederholt er noch die alten Anklagen der regelrechten Pariſer Kritik wider die zuchtloſe Verwilderung der deutſchen Sprache, fertigt die ab - ſcheulichen Plattheiten des Götz von Berlichingen, den er ſchwerlich je geleſen, mit ſchnöden Worten ab. Und doch giebt gerade dieſe berüchtigte Abhandlung ein beredtes Zeugniß von dem leidenſchaftlichen Nationalſtolze des Helden. Er weiſſagt der Zukunft Deutſchlands eine Zeit geiſtigen Ruhmes, die den Ahnungsloſen ſchon mit ihrem Morgenſcheine beſtrahlte. Wie Moſes ſieht er das gelobte Land in der Ferne liegen und ſchließt hoffnungsvoll: Vielleicht werden die zuletzt kommen alle ihre Vorgänger übertreffen! So nah und ſo fern, ſo fremd und ſo vertraut ſtand Deutſchlands großer König zu ſeinem Volke.

Die große Zeit der alten Monarchie ging zur Rüſte. Um den König ward es ſtill und ſtiller; die Helden, die ſeine Schlachten geſchlagen, die Freunde, die mit ihm gelacht und geſchwärmt, ſanken Einer nach dem Andern ins Grab; der Fluch der Größe, die Einſamkeit kam über ihn. Er war gewohnt kein menſchliches Gefühl zu ſchonen; waren ihm doch ſelber einſt alle wonnigen Träume der Jugend durch den unbarmherzigen Vater zertreten worden. Im Alter ward die rückſichtsloſe Strenge zur unerbittlichen Härte. Der ernſte Greis, der in ſpärlichen Mußeſtunden einſam mit ſeinen Windſpielen an den Gemälden der Galerie von Sans - ſouci entlang ſchritt oder im runden Tempel des Parkes ſchwermüthig der verſtorbenen Schweſter gedachte, ſah tief unter ſeinen Füßen ein neues Geſchlecht kleiner Menſchenkinder dahin ziehen; ſie ſollten ihn fürchten und ihm gehorchen, an ihrer Liebe lag ihm nichts. Die Uebermacht des einen Mannes laſtete drückend auf den Gemüthern. Wenn er zuweilen noch in das Opernhaus kam, dann ſchienen Oper und Sänger vor den Zu - ſchauern zu verſinken, Alles blickte hinüber nach der Stelle im Parterre, wo der verfallene Alte mit den großen harten Augen ſaß. Als die Nach -85Friedrichs Tod.richt ſeines Todes kam, rief ein ſchwäbiſches Bäuerlein, unzähligen Deutſchen aus der Seele: wer ſoll nun die Welt regieren? Bis zu ſeinem letzten Athemzuge ſtrömte alle Willenskraft der preußiſchen Monarchie von dieſem einen Manne aus; der Tag ſeines Todes war der erſte Raſttag ſeines Lebens. Sein Teſtament erzählte der Nation noch einmal, wie anders als die Hauspolitik der kleinen Höfe das politiſche Königthum der Hohenzollern ſeinen Beruf verſtanden hatte: Meine letzten Wünſche im Augenblicke meines Todes werden dem Glücke dieſes Staates gelten; möge er der glücklichſte der Staaten ſein durch die Milde ſeiner Geſetze, der am gerechteſten verwaltete in ſeinem Haushalt, der am tapferſten vertheidigte durch ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm athmet, und möge er blühend dauern bis an das Ende der Zeiten!

Anderthalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit jener Friedrich Wilhelm unter den Trümmern des alten Reichs die erſten Werkſtücke zuſammenſuchte für das Gebäude der neuen Großmacht. Hunderttauſende preußiſcher Männer hatten den Heldentod gefunden, eine ungeheure Arbeit war aufge - wendet um das neue deutſche Königthum zu ſichern, und mindeſtens ein reicher Segen dieſer furchtbaren Kämpfe ward im Reiche lebhaft empfunden: die Nation fühlte ſich wieder daheim, als Herrin auf eigenem Boden. Ein lang entbehrtes Bewußtſein der Sicherheit verſchönte den Deutſchen im Reiche das Leben; ihnen war, als ſei dies Preußen von der Natur be - ſtimmt die Friedenswerke der Nation gegen alle fremden Störer mit ſeinem Schilde zu decken; ohne dies kräftige Gefühl bürgerlichen Behagens hätte unſere deutſche Dichtung den frohen Muth zu großem Schaffen nicht gefunden. Die öffentliche Meinung begann ſich nach und nach mit dem Staate zu verſöhnen, der wider ihren Willen emporgewachſen war; man nahm ihn hin als eine Nothwendigkeit des deutſchen Lebens, ohne viel um ſeine Zukunft zu ſorgen. Die ſchwere Frage: wie eine ſo verwegene Staatsbildung ohne die belebende Kraft des Genie’s ſich behaupten ſolle? ward in vollem Ernſt nur von einem Zeitgenoſſen aufgeworfen, von Mirabeau. Die alte und die neue Zeit begrüßten einander noch einmal freundlich, als der Tribun der nahenden Revolution kurz vor dem Tode des Königs am Tiſche von Sansſouci weilte. Mit der glühenden Farbenpracht ſeiner Rhetorik hat Mirabeau dann den größten Menſchen, der ſeinen Blicken begegnet war, geſchildert; er nannte den Staat Friedrichs ein wahrhaft ſchönes Kunſtwerk, den einzigen Staat der Gegenwart, der einen geiſtreichen Kopf ernſtlich beſchäftigen könne, doch ihm entging nicht, daß dieſer kühne Bau leider auf allzuſchwachem Grunde ruhe. Von den Preußen jener Tage wurden ſolche Zweifel nicht verſtanden; die Glorie der fridericianiſchen Zeit erſchien ſo wunderbar, daß ſelbſt dies tadelſüchtigſte aller europäiſchen Völker davon geblendet wurde. Für die nächſte Generation ward der Ruhm Friedrichs zum Verderben; man lebte dahin in trügeriſcher Sicherheit und vergaß, daß nur neue ſchwere86I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Arbeit das Werk unſäglicher Mühen aufrechthalten konnte. Als aber die Tage der Schande und der Prüfung kamen, da hat Preußen wieder die langnachwirkende ſegenſpendende Macht des Genius erfahren; die Erinnerung an Roßbach und Leuthen war die letzte ſittliche Kraft, welche das lecke Schiff der deutſchen Monarchie noch über dem Waſſer hielt; und als der Staat dann nochmals die Waffen zum Verzweiflungskampfe hob, da ſah ein ſüddeutſcher Dichter die Geſtalt des großen Königs aus den Wolken niederſteigen und dem Volke zurufen: Auf, meine Preußen, unter meine Fahnen! und ihr ſollt größer ſein als eure Ahnen!

Unterdeſſen hatte das deutſche Volk mit einer jugendlichen Schnell - kraft, die in der langſamen Geſchichte alter Völker einzig daſteht, eine Revolution ſeines geiſtigen Lebens vollendet: kaum vier Menſchenalter nach der troſtloſen Barbarei des dreißigjährigen Kriegs erſchienen die ſchönſten Tage deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft. Aus den ſtarken Wurzeln der Glaubensfreiheit erwuchs eine neue weltlich freie Bildung, die den verknöcherten Formen der deutſchen Geſellſchaft ebenſo feindlich gegenüber - ſtand wie der preußiſche Staat dem heiligen römiſchen Reiche. Bei allen anderen Völkern war die claſſiſche Literatur ein Kind der Macht und des Reichthums, die reife Frucht einer alten durchgebildeten nationalen Cultur; Deutſchlands claſſiſche Dichtung hat ihr Volk erſt wieder einge - führt in den Kreis der Culturvölker, ihm erſt die Bahn gebrochen zu reinerer Geſittung. Niemals in aller Geſchichte hat eine mächtige Literatur ſo gänzlich jeder Gunſt der äußeren Lebensverhältniſſe entbehrt. Hier beſtand kein Hof, der die Kunſt als eine Zierde ſeiner Krone hegte, kein großſtädtiſches Publikum, das den Dichter zugleich ermuthigen und in den Schranken einer überlieferten Kunſtform halten konnte, kein ſchwung - hafter Handel und Gewerbfleiß, der dem Naturforſcher fruchtbare Auf - gaben ſtellte, kein freies Staatsleben, das dem Hiſtoriker die Schule der Erfahrung bot; ſelbſt die große Empfindung, die aus großen Erlebniſſen ſtammt, kam den Deutſchen erſt durch Friedrichs Thaten. Recht eigentlich aus dem Herzen dieſer Nation des Idealismus ward ihre neue Dichtung geboren, wie einſt die Reformation aus dem guten deutſchen Gewiſſen hervorging. Die Mittelklaſſen lebten dahin, faſt gänzlich ausgeſchloſſen von der Leitung des Staates, eingepfercht in die Langeweile, den Zwang und die Armuth kleinſtädtiſchen Treibens, und doch in ſo leidlich geſicherten wirthſchaftlichen Verhältniſſen, daß der Kampf um das Leben noch nicht das Leben ſelber dahinnahm und die wilde Jagd nach Erwerb und Genuß dem befriedeten Daſein noch völlig fremd blieb. Unter dieſen unbegreiflich genügſamen Menſchen erwacht nun die leidenſchaftliche Sehnſucht nach dem Wahren und dem Schönen. Ihre guten Köpfe fühlen ſich als freie87Die neue Literatur.Kinder Gottes und flüchten aus der jämmerlichen Wirklichkeit in die reine Welt der Ideale. Große Talente geben den Ton an, hundert begeiſterte Stimmen fallen ein in vollem Chore. Ein Jeder redet wie es ihm um’s Herz iſt, und befolgt getroſten Muthes die frohe Botſchaft des jungen Goethe: denn es iſt Drang, und ſo iſt’s Pflicht! und ſetzt ſeine volle Kraft ein, als ob das Schaffen des Denkers und des Dichters allein auf der weiten Welt des freien Mannes würdig wäre, und lebt ſich fröhlich aus, wenig bekümmert um den Lohn der Arbeit, ganz verloren im Dichten, Schauen und Forſchen, beglückt durch den überſtrömenden Beifall warm - herziger Freude, glücklicher noch durch das Bewußtſein das Göttliche geſchaut zu haben.

So haben ſeit dem Jahre 1750 etwa drei Generationen deutſcher Männer, neben und nach einander wirkend und oft in leidenſchaft - lichem Kampfe mit einander ringend, die jüngſte der großen Litera - turen Europas geſchaffen, die, ſelber vom Auslande lange kaum be - merkt, unendlich empfänglich den dauernden Gehalt der claſſiſchen Dichtung Englands und Frankreichs, Spaniens und Italiens in ſich zu - ſammenfaßte und ſchöpferiſch neu geſtaltete um ſchließlich in dem viel - ſeitigſten aller Dichter, in Goethe, ihre Vollendung zu finden. Es war eine Bewegung ſo völlig frei, ſo ganz aus dem innerſten Drange des übervollen Herzens heraus, daß ſie zuletzt bei dem verwegenen Idealis - mus Fichtes anlangen mußte, der den ſittlichen Willen als das einzig Wirkliche, die geſammte Außenwelt nur als eine Schöpfung des denkenden Ich anſah; und doch ein nothwendiges natürliches Werden. Die ſchöpfe - riſche Kraft des deutſchen Geiſtes hatte lange gleich einer Puppe ſchlummernd in zarter Schale gelegen, und ihr geſchah, wie der Dichter ſagte: Es kommt die Zeit, ſie drängt ſich ſelber los, und eilt auf Fittichen der Roſe in den Schooß. Ein lauterer Ehrgeiz, der das Wahre ſuchte um der Wahrheit, das Schöne um der Schönheit willen, ward in den hellen Köpfen der deutſchen Jugend lebendig. Keine der modernen Nationen hat jemals ſo in vollem Ernſt, mit ſo ungetheilter Hingebung in die Welt der Ideen ſich verſenkt, keine zählt unter den Talenten ihrer claſſiſchen Literatur ſo viele reine, menſchlich liebenswerthe Charaktere; darum wird das Gedächtniß der Tage von Weimar unſerem Volke in allen Zeiten, da ſein Geſtirn ſich zu verdunkeln ſcheint, ein unerſchöpflicher Quell des Troſtes und der Hoffnung bleiben. Die Kunſt und Wiſſenſchaft ward den Deutſchen zur Herzensſache, ſie iſt hier niemals, wie einſt bei den Romanen, ein elegantes Spiel, ein Zeitvertreib für die müßigen Stunden der vornehmen Welt geworden. Nicht die Höfe erzogen unſere Literatur, ſondern die aus dem freien Schaffen der Nation entſtandene neue Bildung unterwarf ſich die Höfe, befreite ſie von der Unnatur ausländiſcher Sitten, gewann ſie nach und nach für eine mildere, menſchlichere Geſittung.

Und dieſe neue Bildung war deutſch von Grund aus. Während das88I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.politiſche Leben in unzählige Ströme zertheilt dahinfloß, waltete auf dem Gebiete der geiſtigen Arbeit die Naturgewalt der nationalen Einheit ſo über - mächtig, daß eine landſchaftliche Sonderbildung niemals auch nur ver - ſucht wurde. Alle Helden unſerer claſſiſchen Literatur, mit der einzigen Ausnahme Kants, ſind gewandert und haben ihre reichſte Wirkſamkeit nicht auf dem Boden ihrer Heimath gefunden. In ihnen allen lebte das Bewußtſein der Einheit und Urſprünglichkeit des deutſchen Weſens und das leidenſchaftliche Verlangen, die Eigenart dieſes Volksthums wieder in der Welt zu Ehren zu bringen; ſie alle wußten, daß das ganze große Deutſchland ihren Worten lauſchte, und empfanden es als ein ſtolzes Vorrecht, daß allein der Dichter und der Denker zu der Nation reden, für ſie ſchaffen durfte. Alſo wurde die neue Dichtung und Wiſſenſchaft auf lange Jahrzehnte hinaus das mächtigſte Band der Einheit für dies zer - ſplitterte Volk, und ſie entſchied zugleich den Sieg des Proteſtantismus im deutſchen Leben. Die geiſtige Bewegung hatte ihre Heimath im evan - geliſchen Deutſchland, riß erſt nach und nach die katholiſchen Gebiete des Reichs mit in ihre Bahnen hinein. Aus der Gedankenarbeit der Philo - ſophen ging eine neue ſittliche Weltanſchauung, die Lehre der Humanität, hervor, die, aller confeſſionellen Härte baar, gleichwohl feſt im Boden des Proteſtantismus wurzelte und ſchließlich allen denkenden Deutſchen, den Katholiken wie den Proteſtanten, ein Gemeingut wurde; wer ſie nicht kannte, lebte nicht mehr mit dem neuen Deutſchland.

Jene mittleren Schichten der Geſellſchaft aber, welche die neue Bildung trugen, rückten dermaßen in den Vordergrund des nationalen Lebens, daß Deutſchland vor allen anderen Völkern ein Land des Mittelſtandes wurde; ihr ſittliches Urtheil und ihr Kunſtgeſchmack beſtimmten die öffentliche Mei - nung. Der claſſiſche Unterricht, vordem nur ein Mittel für die Fachbildung der Juriſten und Theologen, wurde die Grundlage der geſammten Volks - bildung; aus den zerfallenden alten Ständen erhob ſich die neue Ariſto - kratie der ſtudirten Leute, die an hundert Jahre lang der führende Stand unſeres Volkes geblieben iſt. Nach allen Seiten hin wirkte die litera - riſche Bewegung erweckend und befruchtend: ſie veredelte die rohen Sitten, gab der Frau das gute Recht der Herrin im geſelligen Verkehre zurück; ſie ſchenkte einem gedrückten und verſchüchterten Geſchlechte wieder die helle Luſt am Leben. Sie ſchuf, indem ſie die Schriftſprache Martin Luthers ausbaute, eine gemeinſame Umgangsſprache für alle deutſchen Stämme; erſt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts begannen die gebildeten Klaſſen das reine Hochdeutſch auch im täglichen Leben in Ehren zu halten. Unberührt von dem Lärm und der Haſt der großen Welt konnte ſich die deutſche Dichtung wunderbar lange den unſchuldigen Frohmuth, die geſammelte Andacht und die friſche Werdeluſt der Jugend bewahren; das war es, was Frau von Staël noch in den Glanztagen der Weimariſchen Kunſt ſo mächtig bezauberte, ſie meinte an der Ilm89Charakter der neuen Bildung.inmitten der Höchſtgebildeten des deutſchen Volkes die reine Waldluft eines urſprünglichen Menſchenlebens zu trinken und athmete wieder auf von dem Dunſt und dem Staube ihrer heimiſchen Weltſtadt. Und wie es das Recht des Jünglings iſt Unendliches zu verſprechen, nach allen Kränzen des Ruhmes zugleich die Hände auszuſtrecken, ſo zeigte auch die deutſche Nation in jenem zweiten Jugendalter ihrer Dichtung ein wunder - bar vielſeitiges Streben, ſie war unermüdlich im Aufwerfen neuer Pro - bleme, im Erfinden neuer Kunſtformen, verſuchte ihre Kraft an allen Wiſſenſchaften zugleich, mit einziger Ausnahme der Politik.

Freilich waren mit dieſer eigenthümlichen Entſtehung unſerer neuen Literatur auch ihre Schwächen gegeben. Da der Dichter hier nicht unmittel - bar aus den großen Leidenſchaften eines bewegten öffentlichen Lebens ſeine Stoffe ſchöpfen konnte, ſo gewann die Kritik ein Uebergewicht, das der unbefangenen künſtleriſchen Schöpferkraft oft gefährlich wurde; die meiſten dramatiſchen Helden unſerer claſſiſchen Kunſt zeigen einen kränklichen Zug der Entſagung, der Thatenſcheu. Die regelloſe Freiheit des Schaffens ver - führte die Poeten leicht zu willkürlichen Einfällen, zu geſuchter Künſtelei, zu vielverheißenden Anläufen, die keinen Fortgang fanden, und es iſt kein Zufall, daß der erſte unſerer Dichter unter allen großen Künſtlern der Geſchichte die meiſten Fragmente hinterlaſſen hat. Die eigenartige Bega - bung durfte ſich noch ungeſtört ausleben in urſprünglicher Kraft, ward noch nicht durch das politiſche Parteileben über einen Kamm geſchoren; ſtürmiſch war die Liebe, zärtlich die Freundſchaft, überſchwänglich der Ausdruck jeder Empfindung; eine beneidenswerth gedankenreiche Geſelligkeit erzog einzelne Männer von allſeitiger Bildung, wie ſie ſeit den Tagen des Cinquecento der europäiſchen Welt nicht wieder erſchienen waren. Doch mit der Eigenart entfaltete ſich auch die Unart der freien Perſönlichkeit in der Stille dieſes rein privaten Lebens. Lieben, haſſen, fürchten, zittern, hoffen, zagen bis ins Mark ſo hieß das Loſungswort der neuen Stürmer und Dränger; ein unbändiges Selbſtgefühl, ein himmelſtürmender Trotz ward in dem jungen Geſchlechte rege, wunderlich abſtechend von der Unfreiheit der öffentlichen Zuſtände. Unberechenbare Launen, perſönlicher Haß und per - ſönliche Neigung traten anmaßend auf den Markt hinaus; viele Werke jener Epoche ſind ſchon heute nur dem verſtändlich, der die Briefe und Tage - bücher ihrer Dichter kennt.

Eine Literatur von ſolchem Urſprung und Charakter konnte nicht im vollen Sinne volksthümlich werden, konnte nur langſam und mittelbar auf die Maſſen wirken. Während die Gebildeten an den reinen Formen der Antike ſich begeiſterten, blieb das Schönheitsgefühl der Volksmaſſen, obgleich ſie beſſere Schulbildung genoſſen als ihre romaniſchen Nachbarn, weit ſtum - pfer als in Frankreich und Italien. Eine leidliche Durchbildung des Formen - ſinnes iſt dieſem nordiſchen Volke nur einmal beſchieden geweſen: in den Tagen der Staufer, da die Pfalzen und Dome des ſpätromaniſchen Stils90I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſich erhoben und die herrlichen Lieder unſerer älteren claſſiſchen Dichtung in jedem Dorfe am Rhein und Main von den Bauern und Mägden verſtanden wurden. Seitdem iſt noch auf jeder Entwicklungsſtufe der deutſchen Cultur ein häßlicher Bodenſatz ungebrochener Barbarei an den Tag getreten. Als die prächtige Renaiſſance-Façade des Otto-Heinrichs - baus zu Heidelberg entſtand, lag die deutſche Dichtkunſt tief darnieder, und das edle Bauwerk ward durch klägliche Knittelverſe verunziert. Und wieder, als die frohe Zeit unſerer zweiten claſſiſchen Dichtung anhob, wurden die bildenden Künſte, die nur in der weichen Luft behäbigen Wohlſtands gedeihen, von dem friſchen Hauche der neuen Zeit kaum be - rührt, und Goethe verſchwendete die Pracht ſeiner Verſe an lächerliche Bauten, wie jenes römiſche Haus zu Weimar, das mit ſeinen antiki - ſirenden Formen dem Volke fremd bleibt, den gebildeten Sinn durch kahle Nüchternheit beleidigt. Wohl iſt es ein rührender Anblick, dies Heroengeſchlecht des Idealismus, das inmitten der ſchmuckloſen Arm - ſeligkeit kleinfürſtlicher Reſidenzdörfer um die höchſten Güter der Menſch - heit warb: unnatürlich weit blieb doch der Abſtand zwiſchen dem Reichthum der Ideen und der Armuth des Lebens, zwiſchen den verwegenen Ge - dankenflügen der Gebildeten und dem grundproſaiſchen Treiben der hart arbeitenden Maſſen. Der Adel einer harmoniſch durchgebildeten Geſittung, wie ſie die Italiener in den Tagen Leonardos beglückte, blieb den Deutſchen noch immer verſagt.

Aber wie ſie nun war mit allen ihren Mängeln und Gebrechen, dieſe literariſche Revolution hat den Charakter der neuen deutſchen Cultur beſtimmt. Sie erhob dies Land wieder zum Kernlande der Ketzerei, indem ſie den Grundgedanken der Reformation bis zu dem Rechte der voraus - ſetzungslos freien Forſchung weiterbildete. Sie erweckte mit den Idealen reiner Menſchenbildung auch den vaterländiſchen Stolz in unſerem Volke; denn wie unreif auch die politiſche Bildung der Zeit erſcheint, wie ver - ſchwommen ihre weltbürgerlichen Träume, in allen ihren Führern lebte doch der edle Ehrgeiz, der Welt zu zeigen, daß, wie Herder ſagt, der deutſche Name in ſich ſelbſt ſtark, feſt und groß ſei . Nicht im Kampfe mit den Ideen der Humanität, ſondern recht eigentlich auf ihrem Boden iſt die vaterländiſche Begeiſterung der Befreiungskriege erwachſen. Als grauſame Schickſalsſchläge den in den Wolken fliegenden deutſchen Genius wieder an die endlichen Bedingungen des Daſeins erinnert hatten, da gelangte die Nation durch einen nothwendigen letzten Schritt zu der Er - kenntniß, daß ihre neue geiſtige Freiheit nur dauern konnte in einem geachteten, unabhängigen Staate; der Idealismus, der aus Kants Ge - danken und Schillers Dramen ſprach, gewann eine neue Geſtalt in dem Heldenzorne des Jahres 1813. Alſo hat unſere claſſiſche Literatur von ganz verſchiedenen Ausgangspunkten her dem nämlichen Ziele zugeſtrebt wie die politiſche Arbeit der preußiſchen Monarchie. Dieſen beiden bildenden91Verweltlichung der Wiſſenſchaft.Mächten dankt unſer Volk ſeine Stellung unter den Nationen, den beſten Inhalt ſeiner neueſten Geſchichte; und merkwürdig, wie ſie beide in ihrer Entwicklung an hundert Jahre lang mit einander Schritt gehalten haben: ein innerer Zuſammenhang, der ebendarum nicht zufällig ſein kann, weil eine unmittelbare Wechſelwirkung ſelten ſtattfand. In derſelben Zeit, da der große Kurfürſt den neuen weltlichen Staat der Deutſchen ſchuf, geſchah auch in der Literatur die entſcheidende That, die Befreiung der Wiſſenſchaft von dem Joche der Theologie. Als darauf der preußiſche Staat unter Friedrich Wilhelm I. in ſtiller Arbeit ſeine Kräfte ſammelte, trat auch das geiſtige Leben der Nation in einen Zuſtand der Selbſtbe - ſinnung: die dürre Proſa der Wolffiſchen Philoſophie lehrte die Mittel - klaſſen wieder logiſch zu denken und zu ſchreiben. Um das Jahr 1750 endlich, gleichzeitig mit dem Heldenruhme König Friedrichs, begann das Erwachen der ſchöpferiſchen Kraft in der Literatur, und die erſten dauern - den Werke der neuen Dichtung erſchienen.

Dem Mittelalter erſchien die ſittliche Welt als eine geſchloſſene ſichtbare Einheit; Staat und Kirche, Kunſt und Wiſſenſchaft empfingen die ſittlichen Geſetze ihres Lebens aus der Hand des Papſtes. Es war die Abſicht der Reformation, dieſe Herrſchaft der geiſtlichen Gewalt zu zerſtören, dem Staate wie der Wiſſenſchaft das Recht auf ein ſelbſtän - diges ſittliches Daſein zurückzugewinnen. Doch ſie hielt ein bei einem halben Erfolge. Wie die Theokratie des heiligen Reichs aufrecht blieb und alle weltlichen Staaten dem Glaubenseifer der Kirchen ihren ſtreit - baren Arm liehen, ſo fiel auch die Wiſſenſchaft wieder zurück in die theologiſche Verbildung; die alte Königin der Wiſſenſchaften behauptete ihren Herrſcherthron, alle Lehrer der Univerſitäten wurden auf ein kirchliches Bekenntniß verpflichtet. Da hob, zunächſt in Deutſchlands höher ge - ſitteten Nachbarländern, die große Arbeit des mathematiſchen Jahrhun - derts an: eine ſtrenge und klare, weltlich freie Forſchung erklärte die Geheimniſſe der Natur, und gegen das Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts, als Newton die Geſetze der Mechanik des Himmels fand, war nach und nach eine grundtiefe Veränderung in der Weltanſchauung der Menſch - heit vorgegangen. Das kirchliche Bekenntniß hatte bisher als der einzige feſte Maßſtab für das unſichere Denken gegolten, jetzt erſchien das Wiſſen ſicherer als der Glaube. Es wird nun immer eine ſtolze Erinnerung unſeres Volkes bleiben, wie kühn und frei das getretene Geſchlecht des dreißigjährigen Krieges an dieſer mächtigen Bewegung ſich betheiligte: zuerſt empfangend und lernend denn dahin war es mit uns gekommen, daß Leibnitz ſagen mußte, der deutſchen Nation ſei als einzige Begabung der Fleiß geblieben nachher ſelbſtändig und ſelbſtthätig. Nach langem erbitterten Kampfe vertrieb Pufendorf die Theologen aus der Staats - wiſſenſchaft und begründete für Deutſchland eine weltliche Lehre vom Staate. Andere Wiſſenſchaften folgten und ſtellten ſich auf ihre eignen92I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Füße; die Heidelberger Hochſchule gab zuerſt den Grundſatz der Glaubens - einheit auf. In Leibnitz erſtand ein Denker, deſſen behutſam vermitteln - der Geiſt innerlich ſchon ganz frei war von dem Banne des Dogmas und der vorausſetzungsloſen Forſchung der deutſchen Philoſophie die Bahnen brach; und bald durfte Thomaſius frohlockend rufen: Ungebundene Freiheit allein giebt dem Geiſte das wahre Leben. Durch die Verwelt - lichung der Wiſſenſchaften wurde die politiſche Macht der Kirchen all - mählich von innen heraus zerſtört. Von der Herrſchaft, welche die Oberhofprediger und Conſiſtorien einſt in den lutheriſchen Reichslanden beſaßen, war um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wenig mehr übrig; das neue Beamtenthum ſtand feſt zu der Souveränität des Staates. Zugleich wagte Thomaſius die deutſche Sprache in den aka - demiſchen Unterricht einzuführen, und ſeit alle proteſtantiſchen Hochſchulen ſeinem Beiſpiele folgten, ſah ſich die lateiniſche Gelehrſamkeit der Jeſuiten außer Stande, den Wettkampf mit der proteſtantiſchen Wiſſenſchaft auf - zunehmen; wer im katholiſchen Deutſchland nach lebendiger Bildung ver - langte, eilte den proteſtantiſchen Univerſitäten zu. Wenngleich der Zunft - ſtolz der Gelehrten, die Roheit der akademiſchen Jugend noch nicht gänz - lich überwunden wurde, die erſte Brücke zwiſchen der Wiſſenſchaft und dem Leben der Nation war doch geſchlagen.

Zugleich brach für die evangeliſche Kirche ein neues Leben an, das in der jungen Halliſchen Hochſchule ſeinen Heerd fand und mit der duldſamen Kirchenpolitik des preußiſchen Staates feſt zuſammen - hing. Die Nation war verekelt an dem wüthenden Dogmenſtreite des Zeitalters der Religionskriege. Die Unionsbeſtrebungen der Calixtiner, die fromme Glaubensinnigkeit der Pietiſten und die rationaliſtiſche Kritik des Thomaſius fanden ſich zuſammen im gemeinſamen Kampfe gegen die Herrſchſucht des theologiſchen Buchſtabenglaubens. Der über dem Gezänk der Glaubenseiferer faſt vergeſſene ſittliche Gehalt des Chriſtenthums trat wieder in ſein Recht, ſeit Franke und Spener ihre Gemeinden mahnten das Evangelium zu leben in gemeiner, brüderlicher Liebe; der werkthätige Sinn chriſtlicher Frömmigkeit bekundete ſich in der großartigen Stiftung des Halli - ſchen Waiſenhauſes und anderen Werken der Barmherzigkeit; die Predigt des Pietismus ſprach zum Herzen und erlaubte den Frauen, ſich wieder als lebendige Glieder der Gemeinde zu fühlen. Die Neubelebung des deutſchen Proteſtantismus führte nicht wie die Beſtrebungen der hollän - diſchen Arminianer und der engliſchen Latitudinarier, zur Bildung neuer Sekten; ſie ging vielmehr darauf aus den ganzen evangeliſchen Namen zu vereinigen, die Kirche wieder mit dem Geiſte des urſprünglichen Chriſten - thums zu durchdringen und das Wort zu erfüllen: in meines Vaters Hauſe ſind viele Wohnungen. Nach manchen Kämpfen und Ver - irrungen blieb doch das dauernde Ergebniß, daß der deutſche Proteſtan - tismus die mildeſte, freieſte und weitherzigſte aller chriſtlichen Glaubens -93Deutſche und franzöſiſche Aufklärung.genoſſenſchaften wurde und auch für die kühnſten Wagniſſe der Philoſophie noch einen Raum bot, daß die religiöſe Duldung allmählich in alle Lebensgewohnheiten der Deutſchen drang, zahlreiche gemiſchte Ehen und bald auch gemiſchte Schulen den kirchlichen Frieden dieſes paritätiſchen Volkes ſicherten.

Nur dieſe Wiedererhebung des deutſchen Proteſtantismus erklärt jene eigenthümlichſten Charakterzüge der neuen deutſchen Cultur, welche den meiſten Nicht-Germanen und ſelbſt den Engländern räthſelhaft bleiben; nur ſie hat es ermöglicht, daß der Deutſche zugleich fromm und frei ſein konnte, daß ſeine Literatur proteſtantiſch wurde und doch nicht confeſſionell. Der engliſch-franzöſiſchen Aufklärung ſteht es auf der Stirn geſchrieben, daß ſie emporkam im Kampfe mit der Herrſchſucht unfreier Kirchen und der finſteren Hartgläubigkeit dumpfer Volksmaſſen; ſelbſt der Deismus der Briten iſt irreligiös, denn ſein Gott redet nicht zum Gewiſſen, verſieht nur das Amt des großen Maſchinenmeiſters der Welt. Die deutſche Aufklärung dagegen wurzelte feſt im Proteſtantismus; ſie ging der kirchlichen Ueberlieferung mit noch ſchärferen Waffen zu Leibe als die Philoſophie der Nachbarvölker, doch die Kühnheit ihrer Kritik ward ermäßigt durch eine tiefe Ehrfurcht vor der Religion. Sie weckte die Gewiſſen, welche der engliſch-franzöſiſche Materialismus einſchläferte; ſie bewahrte ſich den Glauben an den perſönlichen Gott und an den letzten Zweck der vollkommenen Welt, die unſterbliche Seele des Menſchen. Der fanatiſche Kirchenhaß und die mechaniſche Weltanſchauung der fran - zöſiſchen Philoſophen erſchienen den Deutſchen als ein Zeichen der Un - freiheit; mit Widerwillen wendete ſich Leſſing von Voltaires Spöttereien, und der Student Goethe lachte mit der Selbſtgewißheit der zukunftsfrohen Jugend über die greiſenhafte Langeweile des Système de la nature. Das evangeliſche Pfarrhaus behauptete das achtzehnte Jahrhundert hin - durch noch ſeinen alten wohlthätigen Einfluß auf das deutſche Leben, nahm an dem Schaffen der neuen Literatur warmen Antheil. Wenn unſere Kunſt nicht zum Beſitzthume des ganzen Volkes zu werden vermochte, ſo danken wir doch der Verjüngung des deutſchen Proteſtantismus den großen Segen, daß die ſittlichen Anſchauungen der Höchſtgebildeten Fühlung behielten mit dem Gewiſſen der Maſſe, daß endlich Kants Ethik auf die evangeliſchen Kanzeln und bis in die niedrigſten Schichten des norddeutſchen Volkes drang. Die ſittliche Kluft zwiſchen den Höhen und den Tiefen der Geſellſchaft war in Deutſchland ſchmäler als in den Län - dern des Weſtens.

Dieſe erſte Epoche der modernen deutſchen Literatur trägt noch einen hart proſaiſchen Zug. Gelehrte ſtehen an der Spitze der Bewegung; die Dichtung wird von dem Geiſte der neuen Tage noch kaum berührt: nur in Schlüters Bauten und Bildſäulen, in den Tonwerken von Bach und Händel tritt der heldenhafte Charakter des Zeitalters groß und frei hervor. 94I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Und doch erſcheinen uns heute jene gewaltigen Kämpfe gegen den Jeſuitis - mus und das erſtarrte Lutherthum ebenſo bahnbrechend, ebenſo radical wie die politiſchen Thaten des Großen Kurfürſten. Sie haben den feſten Grund gelegt für Alles was wir heute deutſche Geiſtesfreiheit nennen. Aus den reiferen Werken von Leibnitz und Thomaſius, aus Pufendorfs Schrift über das Verhältniß von Staat und Kirche ſpricht ſchon der freie Geiſt einer unbedingten Duldung, welcher im Auslande weder Locke noch Bayle ganz zu folgen vermochte.

Dem nächſten Menſchenalter gebrach die ſchöpferiſche Kraft faſt völlig; es waren die öden Tage, da Kronprinz Friedrich die beſtimmenden Eindrücke ſeiner Jugend empfing. Eine unfruchtbare Vielwiſſerei beherrſchte den Markt der Gelehrſamkeit, und ihren weitſchweifigen Werken fehlte, was der Rheinsberger Muſenhof vor Allem ſchätzte, Maß, Schärfe, Beſtimmtheit des Ausdrucks. Gottſcheds Dichtung folgte ſklaviſch den ſteifen Regeln der franzöſiſchen Poetik, ohne ſich jemals aus breitſpuriger Plattheit zu dem redneriſchen Pathos der Romanen zu erheben. Kurſachſen war das einzige deutſche Land, das ſich geſchmackvoller Bildung und einer fruchtbaren künſtle - riſchen Thätigkeit rühmen konnte; aber die prächtigen Opern und die reichen Barock-Bauten des Dresdener Hofes bezeichnen nur eine phantaſtiſche Nachblüthe der wälſchen Kunſt, nicht einen Fortſchritt unſeres nationalen Lebens. Gleichwohl ſtand das Wachsthum des deutſchen Geiſtes auch jetzt nicht ſtill. Die gemeinfaßlichen Ergebniſſe der Gedankenarbeit der hoch - begabten letzten Generation wurden allmählich dem Volke geläufig. Die Philoſophie Chriſtian Wolffs vollzog eine Verſöhnung zwiſchen Glauben und Wiſſen, welche den Bedürfniſſen des Zeitalters genügte, gab dem heran - wachſenden Geſchlechte eine feſte, in ſich übereinſtimmende Weltanſchauung. Die Durchſchnittsbildung der Mittelklaſſen fand ihren Frieden in dem Glauben, daß Gott nach den Naturgeſetzen wirke. Wolff ging mit Abſicht über die Schranken der gelehrten Welt hinaus, weckte in weiten Kreiſen die Luſt zu denken und zu ſchreiben, gewöhnte die Gebildeten ihr Scherf - lein beizutragen zu dem Werke der allgemeinen Aufklärung. Zugleich wirkte der Pietismus in der Geſellſchaft fort. Der rauhe Ton tyranniſcher Härte verſchwand aus dem Familienleben. In den gefühlsſeligen Con - ventikeln der ſchönen Seelen begann der Cultus der Perſönlichkeit. Das Leben jedes Einzelnen erhielt einen ungeahnten neuen Werth und Inhalt; die Deutſchen erkannten wieder, wie reich die Welt des Herzens iſt, und wurden fähig, tief empfundene Werke der Kunſt zu verſtehen.

Und nun, urplötzlich wie die Macht des fridericianiſchen Staates und überraſchend ſtark wie ſie, traten die in langen Jahren der Samm - lung ſtill gereiften Kräfte des deutſchen Genius in den Kampf hinaus. Im Jahre 1747 erſchienen die erſten Geſänge von Klopſtocks Meſſias. Die Wärme und Innigkeit des Gefühls, die in den Gebeten und Tage - büchern der Erweckten nur einen unreifen, oft lächerlichen Ausdruck ge -95Klopſtock. Winkelmann.funden, ſchuf ſich hier endlich eine würdige poetiſche Form; die ernüch - terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des Erhabenen wurde der deutſchen Phantaſie von Neuem aufgethan. Merk - würdig ſchnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung ſei angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte ſich um den Sänger, der auch in ſeiner perſönlichen Haltung die Hoheit der neuen Kunſt ſtattlich vertrat, und erging ſich in der naiven Selbſtüberhebung, die allen kräftig aufſteigenden Epochen eigenthümlich iſt, ſtellte das Epos des deutſchen Meiſters über Homer, ſeine Oden über Pindar. Eine phantaſtiſche Schwärmerei für das Vaterland berauſchte dieſe Dichterkreiſe und iſt von da, langſam aber mächtig fortwirkend, bis in die unterſten Schichten des deutſchen Mittelſtandes hinabgedrungen. Wie jede Nation, wenn ſie in einen Wendepunkt ihres Daſeins eintritt, aus den großen Erinnerungen der heimiſchen Vorzeit friſchen Muth zu ſchöpfen pflegt, ſo wendete ſich die Sehnſucht jener Tage der einfältigen Größe der germaniſchen Urzeit zu: nur im Schatten deutſcher Eichenhaine, nur in dem Lande Hermanns und der Barden ſollten Wahrheit und Treue, Kraft und Gluth urſprünglicher Empfindung heimiſch ſein. Wie jubelte das neue Deutſchland, als der Sänger des Meſſias die junge bebende Streiterin, die deutſche Muſe aufrief, den Wettlauf zu wagen mit der Dichtung Englands.

Unterdeſſen erſchloß Winkelmann unſerem Volke die Erkenntniß der antiken Kunſt und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die Kunſt die Darſtellung des Schönen iſt. Er ſchuf zugleich die erſten formvollendeten Werke der neuen deutſchen Proſa. Klar, tief und weihevoll erklang die Rede dieſes Prieſters der Schönheit, mächtige Leidenſchaft und große Gedanken zuſammengedrängt in maßvoll knapper Form; durch die erleuchtete Kürze ſeines Stiles wurde die formlos breite Redſeligkeit der gelehrten Pedanterei zuerſt überwunden. Seine Schriften gaben der jungen Literatur die Richtung auf das claſſiſche Ideal. Wetteifernd, in leidenſchaftlichem Entzücken, ſtrebten Dich - tung und Wiſſenſchaft ſich zu erfüllen mit dem Geiſte des Alter - thums; und da der Menſch nur ſchätzt was er überſchätzt, ſo wollte dies ſchönheitsfrohe Geſchlecht, berauſcht von der Freude der erſten Entdeckung, in der antiken Geſittung nichts ſehen als reine Menſchlichkeit, Geſundheit, Natur. Den Romanen war eigentlich nur die altrömiſche Welt wahr - haft vertraut geworden; die Deutſchen zog ein Gefühl der Wahlver - wandtſchaft zu dem helleniſchen Genius. Ihnen zuerſt unter den modernen Völkern ging das volle Verſtändniß des griechiſchen Lebens auf, und als ihre neue Bildung gereift war, durfte ihr Dichter frohlockend rufen: aber die Sonne Homers, ſiehe, ſie lächelt auch uns! Durch die Einkehr in die Formenwelt des Alterthums erlangte die ſo oft arm und hart ge - ſcholtene deutſche Sprache nicht nur einen guten Theil ihres alten96I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Reichthums wieder; ſie zeigte auch eine ungeahnte bildſame Weichheit und Schmiegſamkeit. Sie allein unter den neuen Culturſprachen erwies ſich fähig, alle Versmaße der Hellenen treu und lebendig nachzubilden; ſie wurde allmählich, ſeit der Voſſiſche Homer den Weg gewieſen, die erſte Ueberſetzerſprache der Welt, bot den Geſtalten der Dichtung aller Völker und Zeiten gaſtfreundlich eine zweite Heimath. Und dieſe reizbare Empfänglichkeit war doch nicht unſelbſtändige Schwäche: die deutſchen Jünger des Alterthums ſtanden dem claſſiſchen Ideale innerlich frei gegenüber, ſie ließen ſich nicht, wie einſt die Humaniſten am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts, durch die ſittlichen Anſchauungen der an - tiken Welt in der feſten Führung des eigenen Lebens beirren. Winkel - mann ſelber freilich erinnert in manchem Zuge an die unbefangenen Heiden des Cinquecento; aber die Mehrzahl der Dichter und Denker, die ſeinen Spuren folgten, blieb deutſch, nahm von helleniſcher Bildung nur an was deutſchem Weſen zuſagte, und das Gedicht, das unter allen Werken der modernen Kunſt dem Geiſte des Alterthums am nächſten kam, Goethes Iphigenie, ward doch durchweht von einem Sinne liebevoller Milde, den die Herzenshärtigkeit der Heiden nie verſtanden hätte.

Unabhängig von dieſen beiden Richtungen, aber einig mit ihnen in dem Kampfe für das Recht des freien Künſtlergeiſtes, ging Leſſing ſeinen Weg; der productivſte Kritiker aller Zeiten, ſtand er zu Klopſtocks pathetiſcher Ueberſchwänglichkeit, wie einſt Pufendorf und Thomaſius zu dem Pietismus geſtanden hatten, ablehnend zugleich und ergänzend. Seiner ſchöpferiſchen Kritik gelang, was der Enthuſiasmus der neuen Lyrik allein nie vermocht hätte, die geſpreizte Unnatur der Gottſchediſchen Verskunſt für immer zu vernichten, die Zwittergattung der Lehrgedichte vom deutſchen Parnaß zu vertreiben, die Nation zu befreien von dem Joche der Kunſtregeln Boileaus; und ſo wenig wir dem Manne, der den Patriotismus für eine heroiſche Schwachheit erklärte, das bewußte vaterländiſche Gefühl unſerer Tage andichten dürfen, durch jene mächtigen Streitſchriften, welche die Dramen Voltaires dem Gelächter der Deutſchen preisgaben, geht doch derſelbe große Zug erſtarkenden nationalen Lebens wie durch Friedrichs Heldenlaufbahn. Leſſings Kritik wies die deutſchen Poeten von der höfiſchen Dichtung der Bourbonen hinweg zu dem recht verſtandenen Ariſtoteles, zu den einfachen Vorbildern der antiken Kunſt und lehrte ſie die naturgetreue Wahrheit über alle erklügelten Regeln zu ſtellen. Sie zeigte ihnen in Shakeſpeares Dramatik einen Quell urſprünglichen germaniſchen Lebens, der ein Jungbrunnen wurde für die deutſche Kunſt; der Dichter des fröhlichen alten Englands fand bei dem weltlich freien Sinne der Deutſchen bald ein tieferes Verſtändniß, als in ſeinem eigenen, durch das Puritanerthum ernüchterten Vaterlande. Leſſing vor Allen hat das neue Publicum erzogen; er wurde der erſte deutſche Literat, der Erſte, der durch ſeine perſönliche Würde den Beruf des97Leſſing. Herder.freien Schriftſtellers zu Ehren brachte und zu allen Gebildeten der Nation wirkſam zu reden verſtand. Die dunkelſten Probleme der Theologie, der Aeſthetik, der Archäologie erſchienen durchſichtig klar, wenn er ſie behandelte in dem leichten Tone des lebhaften oberſächſiſchen Geſprächs, in jener kunſt - voll einfachen Proſa, die überall ſein innerſtes Weſen, die Heiterkeit im Verſtande, widerſpiegelte.

Und hier, ſchon in den Jugendjahren der claſſiſchen deutſchen Proſa, zeigte ſichs, daß unſere freie Sprache jeden individuellen Stil ertrug, jeden ſchöpferiſchen Kopf nach ſeiner Weiſe gewähren ließ: der offenbar an franzöſiſchen Muſtern gebildete Stil Leſſings war ebenſo deutſch wie die majeſtätiſchen Perioden Winkelmanns, denn Beide ſchrieben wie ſie mußten. Die rechte Sicherheit des literariſchen Selbſtgefühles kam den Deutſchen aber erſt da der große Kritiker ſich auch als ein Künſtler zeigte und unſerer Bühne die erſten Werke ſchenkte, die nicht beſchämt wurden durch die reiche Wirklichkeit des fridericianiſchen Zeitalters und mit der Dramatik des Auslandes in die Schranken treten durften Werke des ſchärfſten Kunſtverſtandes und doch voll leidenſchaftlicher dramatiſcher Bewegung, bühnengerecht und doch in voller Freiheit erfunden, Geſtalten von unver - gänglichem menſchlichen Gehalt, und doch mit kecker Hand aus dem be - wegten Leben der nächſten Gegenwart herausgegriffen. So ſtieg er hoch und höher, nach allen Seiten hin den Samen einer freien Bildung ſtreuend: durch ſeine Emilia weckte er der jungen Literatur den Muth, ihre Stimme zu erheben gegen die Unfreiheit in Staat und Geſellſchaft; ſeine theologiſchen Streitſchriften legten den Grund für eine neue Epoche unſerer theologiſchen Wiſſenſchaft, für die Evangelienkritik des neunzehnten Jahrhunderts; ſeine letzte Dichtung ſchuf die Form für das Drama hohen Stils, das nachher durch Schiller ſeine Ausbildung erhalten ſollte, und verkündete zugleich jenes Glaubensbekenntniß deutſcher Aufklärung, deſſen heitere Milde anderen Völkern erſt nach den Stürmen der Revolution verſtändlich wurde.

In den ſiebziger Jahren trat eine neue, noch reichere Generation auf den Plan. Herders univerſaler Geiſt vereinte in ſich die Verſtandes - kühnheit Leſſings und die Gemüthsfülle Klopſtocks. Er fand die in langen Jahrhunderten barbariſcher Ueberbildung verlorene Wahrheit wieder, daß die Dichtung nicht das Beſitzthum Einzelner, ſondern eine gemeine Gabe aller Völker und Zeiten iſt, und führte die deutſche Lyrik zu unſeren alten volksthümlichen Formen und Stoffen zurück: der ſeelenvolle Klang des deutſchen Reims trat von Neuem in ſein Recht, in Liedern und Balladen gewann das erregte Gefühl einen warmen, tiefen und natür - lichen Ausdruck. Einem durchaus unhiſtoriſchen Zeitalter, das im Zer - ſtören einer verrotteten Welt hiſtoriſcher Trümmer ſeinen Ruhm fand, erweckte Herder das Verſtändniß des geſchichtlichen Lebens. Sein freier Sinn verachtete die Armſeligkeit jenes ſelbſtzufriedenen Wahnes, derTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 798I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.alle Menſchenkinder nur für das was wir Cultur nennen geſchaffen glaubte; er erkannte, daß jedes Volk ſein eigenes Maß der Glückſelig - keit, ſein eigenes goldenes Zeitalter hat, und mit wunderbarem Ahnungs - vermögen fand er das Eigenſte aus dem Seelenleben der Völker heraus: der Gegenſatz der naiven Cultur des Alterthums und der ſentimentalen Bildung der modernen Welt iſt ihm zuerſt klar geworden. Seinem prophetiſchen Blicke enthüllte ſich ſchon der Zuſammenhang von Natur und Geſchichte; er faßte den grandioſen Gedanken dem Schöpfer nach - zugehen, nachzuſinnen , die Offenbarung Gottes in den weltbauenden Kräften des Alls wie in den Wandlungen der Menſchengeſchichte aufzu - ſuchen; er vertiefte die Idee der Humanität, indem er den Menſchen ver - ſtand als einen Ton im Chorgeſang der Schöpfung, ein lebend Rad im Werke der Natur . Schärfer als Herder hat kein Mann des achtzehnten Jahrhunderts über die endlichen Erſcheinungsformen des Chriſtenthums geurtheilt, und doch iſt Keiner in das Verſtändniß des Glaubens tiefer eingedrungen als dieſer von Grund aus religiöſe Geiſt. Die Religion zu reinigen von allem geiſtloſen und unfreien Weſen blieb das höchſte Ziel ſeines Strebens. Durch jede ſeiner Schriften weht der Hauch einer tiefen Frömmigkeit, ein inniges, glückſeliges Zutrauen zu der Weisheit und Güte Gottes, das alle Launen einer ſelbſtquäleriſchen, leicht verſtimm - ten Natur ſchließlich niederzwingt; darum konnte der ſchonungsloſe Be - kämpfer der Verirrungen der Kirche ohne Heuchelei ein hoher Geiſtlicher und Kirchenbeamter bleiben ein glänzendes Zeugniß für die maßvolle Freiheit des Zeitalters.

Die neue univerſale Bildung, welcher Herders kühne Ahnungen und Andeutungen nur den Weg wieſen, empfing nun endlich ihre reine künſt - leriſche Form durch den ſprachgewaltigen Dichter, dem ein Gott gab zu ſagen was er litt. Dieſe geheimnißvolle Macht der unmittelbaren Ein - gebung war es, was die Zeitgenoſſen zuerſt an dem jungen Goethe be - wunderten. Bald fühlten ſie auch die Kraft ſeiner unendlichen Liebe, ſeiner unerſchöpflichen Empfänglichkeit für alles Menſchliche. Es klang wie ein Selbſtgeſtändniß, wenn er ſeinen Gottesſohn ſagen ließ: O mein Ge - ſchlecht, wie ſehn ich mich nach dir! und du mit Herz - und Liebesarmen flehſt du aus tiefem Drang zu mir. Er dichtete nur Erlebtes gleich den Sängern der Zeitalter naiver Kunſt; doch dieſer Geiſt war ſo reich und vielgeſtaltig, daß ſeine Dichtung nach und nach den weiten Umkreis des deutſchen Lebens umſpannte, und während langer Jahrzehnte faſt jeder neue Gedanke, den die raſtlos ſchaffende Zeit emporwarf, in Goethes Werken ſeinen tiefſten und mächtigſten Ausdruck fand, bis endlich die ganze Welt der Natur und des Menſchenlebens in dem ruhigen Auge des Greiſes ſich widerſpiegelte; und ſo iſt ihm geworden was er ſich wünſchte, daß heute noch da Enkel um ihn trauern, zu ihrer Luſt noch ſeine Liebe dauert. Im ſicheren Bewußtſein einer ungeheuren Begabung trat er ſeine Laufbahn99Goethes Anfänge.an und hieß den Schwager Kronos ins Horn ſtoßen, daß der Orkus vernehme: ein Fürſt kommt! drunten von ihren Sitzen ſich die Ge - waltigen lüften. Wohl war es Fürſtenwerk, wie er ſchon durch ſeine Jugendgedichte der deutſchen Lyrik das neue Leben brachte, das Herder nur ahnte. Alle die holden und zarten, die ſüßen und ſehnſüchtigen Gefühle des deutſchen Herzens, die von Klopſtocks pathetiſchem Oden - ſtile übertäubt wurden, gewannen jetzt auf einmal Sprache; die uralten Lieder vom Röslein auf der Haide entzückten wieder die gebildete Jugend, ſeit Goethe ſie den Hirten und den Jägern ablauſchte, ihre Einfalt adelte durch den Zauber ſeiner Kunſt; an ſeinen geſelligen Liedern lernten die Deutſchen wieder, ſo recht aus Herzensgrunde froh zu ſein, unbefangen aufzugehen im himmliſchen Behagen des Augenblicks. Dann führte der Götz die derbe unverſtümmelte Kraft und Großheit des alten deutſchen Lebens der Nation wieder vor die Augen; dann fanden Werthers Leiden das erlöſende Wort für den Sturm und Drang ſchwärmeriſcher Leidenſchaft, der die Herzen des jungen Geſchlechts erfüllte, und es ward auch politiſch bedeutſam, daß einmal doch in dieſem zerriſſenen Volke ein Dichter einen unwiderſtehlichen, allgemeinen Erfolg errang, wie einſt Cervantes, und Alles was jung war in ſchöner Begeiſterung ſich zuſammenfand. Als das fridericianiſche Zeitalter zu Ende ging, riß der Dichter ſich los aus jenen Herzenskämpfen, denen wir die ſchönſten Liebesgedichte deutſcher Sprache verdanken, um nach zehn Jahren höfiſchen Lebens voll Arbeit und Zer - ſtreuung wieder ein Künſtler zu werden; er eilte in jenes Land, wo für jeden Empfänglichen die eigenſte Bildungsepoche beginnt , dort im Süden lernte er nordiſche Leidenſchaft und Gemüthstiefe mit antiker Formen - reinheit zu verſöhnen.

So groß er war und ſo gewaltig ſein Einfluß, die Herrſchaft über unſere Dichtung hat er nie beanſprucht, und deutſche Freiheit hätte ſie Keinem geſtattet. Nach wie vor, auch nachdem jener übermächtige Genius erſtanden war, fluthete die literariſche Bewegung in fröhlicher Unge - bundenheit dahin: hunderte ſelbſtändiger Köpfe nach eigenem Willen thätig; überall in den Dichterbünden und Freimaurerlogen ein begeiſtertes Suchen nach reiner Menſchlichkeit, nach der Erkenntniß des Ewigen; und überall in dem bewegten Treiben die frohe Ahnung einer wundervollen Zukunft. Dies Geſchlecht fühlte ſich wie emporgehoben über die gemeine Wirklichkeit der Dinge, wie auf Windesflügeln dahingetragen dem Tage des Lichts, der Vollendung der Menſchheit entgegen. Die gedankenloſe Maſſe freilich verlangte auch damals, wie zu allen Zeiten, nur nach behaglicher Unter - haltung; Wielands ſchalkhafte Munterkeit war ihr bequemer als Klop - ſtocks Pathos, wie ſpäterhin Kotzebue populärer wurde als Schiller und Goethe. Aber in den beſten Kreiſen der Geſellſchaft herrſchte ein freudiger Idealismus; er gab der Bildung des Zeitalters das Gepräge.

Indeſſen entdeckte die Nation, daß ſie neben dem größten Dichter auch7*100I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.den größten wiſſenſchaftlichen Kopf des Zeitalters beſaß. Den Gegen - ſatz der deutſchen und der franzöſiſch-engliſchen Weltanſchauung bezeichnet Goethe mit den einfachen Worten: Die Franzoſen begreifen nicht, daß etwas im Menſchen ſei, wenn es nicht von außen in ihn hineingekommen iſt. Dem deutſchen Idealismus erſchien umgekehrt gerade dies räthſel - haft: wie etwas von außen in die Seele hineingelangen könne. Der Aufklärung des Weſtens galt die Welt der ſinnlichen Erfahrung als die ſchlechthin unbeſtreitbare Wirklichkeit; da unternahm Kant die Thatſachen der menſchlichen Erkenntniß zu erklären und ſtellte die tiefe Frage: wie iſt ein wiſſenſchaftliches Erkennen der Natur überhaupt möglich? Es war der große Wendepunkt der neuen Philoſophie. Mit dem gleichen könig - lichen Selbſtgefühle wie Goethe hatte Kant die Arbeit ſeines Lebens be - gonnen: nichts ſoll mich hindern meinen Lauf fortzuſetzen ; er war aus - gegangen von den Ideen des mathematiſchen Jahrhunderts und darauf jeder Bewegung der neueren Jahrzehnte ſelbſtändig gefolgt. Gegen das Ende des fridericianiſchen Zeitalters trat er dann mit jenen Werken her - vor, welche die ſittlichen Grundgedanken des gereiften Proteſtantismus auf lange hinaus feſtſtellten. Verwegner als irgend einer der Gottes - leugner der Encyclopädie bekämpfte er den Wahn, als ob es je eine Wiſſenſchaft vom Ueberſinnlichen geben könne; doch auf dem Gebiete der praktiſchen Vernunft fand er die Idee der Freiheit wieder. Aus der Nothwendigkeit des ſittlichen Handelns ergab ſich ihm, nicht geſtützt auf theologiſche Krücken und ebendarum unwiderſtehlich ſiegreich, die große Erkenntniß, daß das Unbegreiflichſte das Allergewiſſeſte iſt: das empiriſche Ich unterliegt den Geſetzen der Cauſalität, das intelligible Ich handelt mit Freiheit. Und dem freien Handeln ſtellte er jenen Imperativ, bei dem die Einfalt wie die höchſte Bildung ihren Frieden finden konnte: handle ſo, als ob die Maxime deines Handelns Naturgeſetz werden müßte. Auch Kants Gedanken, wie Alles was dieſe lebenſprühende Zeit geſchrieben hat, empfingen ihre volle Wirkung erſt durch die Macht der Perſönlich - keit. Die heitere Weisheit des Königsberger Denkers, der von dem Menſchen forderte, daß er ſelbſt in guter Laune ſterben müſſe, die ſchlichte Größe dieſes ganz von der Idee erfüllten Lebens packte die Gewiſſen. Kant wurde der Bildner ſeiner altpreußiſchen Heimath, er hat die entlegene Oſtmark wieder als ein thätiges Glied in die Werkſtatt deutſcher Geiſtes - arbeit zurückgeführt; und die Erhebung von 1813 bewährte, wie tief dem tapferen Volke das Wort zu Herzen gedrungen war, daß überall nichts in der Welt für gut dürfe gehalten werden, als allein ein guter Wille.

Und ſchon erhob ſich der junge Dichter, dem beſtimmt war dereinſt die Ideen der Kantiſchen Ethik in den weiteſten Kreiſen der Nation zu verbreiten. Roh und formlos erſchienen Schillers Jugendwerke, wie ſie eine unbändige Willenskraft dem Zwange kleinlich unfreier Verhältniſſe abgetrotzt hatte; doch der kühne Wurf der Fabel, das mächtige Pathos,101Kant. Schillers Jugend.der volle langanhaltende Athemzug der Leidenſchaft und der gewaltig aufſteigende Gang der Handlung ließen ſchon ahnen, daß Deutſchland ſeinen größten Dramatiker gefunden hatte einen dictatoriſchen, zum Herrſchen und Siegen geborenen Geiſt, der jetzt in den Tagen jugend - licher Gährung ſeinen Hörern das Wilde und Gräßliche unwiderſtehlich aufzwang und nachher, gereift und geläutert, die Tauſende mit ſich empor - riß über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Aus der lärmenden Rhetorik dieſer Tragödien ſprach eine Welt von neuen Gedanken, glühende Sehn - ſucht nach Freiheit und der Haß einer großen Seele wider die ſtarren Formen der alten Geſellſchaft; Rouſſeaus Schriften und die politiſche Be - wegung der Nachbarlande warfen bereits ihre erſten Funken nach Deutſch - land hinüber. Ein Verächter alles Platten, Engen, Alltäglichen, ſtrebte dieſer Sohn des kleinbürgerlichen Schwabenländchens hinaus in die großen Kämpfe der hiſtoriſchen Welt; er zuerſt band unſerer dramatiſchen Muſe den Kothurn an die Sohlen, führte ſie unter Könige und Helden, auf die Höhen der Menſchheit.

Neben ſolchem Reichthum der Kunſt und der Wiſſenſchaft erſcheint die eigentlich politiſche Literatur unheimlich klein und dürftig. Wie noch jede große Umgeſtaltung unſeres geiſtigen Lebens in den Schickſalen einer deutſchen Univerſität ſich widergeſpiegelt hat, ſo läßt ſich auch wohl ein Zuſammenhang nachweiſen zwiſchen den Anfängen unſerer claſſiſchen Literatur und der erſten Blüthe der Georgia Auguſta. Die eifrige Pflege der Rechts - und Staatswiſſenſchaften, die von Göttingen ausging, ſtand in Wechſelwirkung mit der großen Gedankenſtrömung des Jahrhunderts, die ſich überall den exacten Wiſſenſchaften ab - und der Freiheit der hiſtoriſchen Welt zuwandte. Und es war lebendiges Recht was die Göt - tinger Publiciſten lehrten; die Rechte des Proteſtantismus und der welt - lichen Reichsſtände gegen die ſchattenhaften Anſprüche des Kaiſerthums zu vertheidigen galt als Ehrenpflicht der welfiſchen Profeſſoren. Doch weder Schlözers derber Freimuth noch Pütters Sammlerfleiß, weder die Gelehrſamkeit der beiden Moſer noch irgend eine andere unter den vielen ſtattlichen publiciſtiſchen Erſcheinungen der Zeit trägt den Stempel des Genies. Keine Spur von Pufendorfs kühnem Weitblick, keine Spur von jener ſchöpferiſchen Kritik, welche die Dichter mit feurigem Odem be - rührte; nichts von der köſtlichen Prägnanz des Ausdruckes, die uns an der ſchönen Literatur der Zeit entzückt: neben dem Silbertone Leſſingſcher und Goetheſcher Proſa giebt die Sprache Pütters einen blechernen Klang.

Während die deutſche Dichtkunſt und Philoſophie die Werke der Nach - barvölker überflügelte, behielten in der Staatswiſſenſchaft Engländer und Franzoſen die Führung. An der großen politiſchen Gedankenbewegung des Jahrhunderts nahm Deutſchland einen wirkſamen Antheil allein durch die Thaten und die Schriften des großen Königs, den der literariſche Aufſchwung ſeines Volkes nicht berührte. Wie ſchwach ſind ſelbſt in102I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Herders Ideen die politiſchen Abſchnitte neben der Fülle der cultur - hiſtoriſchen. Der einzige ſtark und eigenthümlich angelegte politiſche Denker, der Deutſchlands jungem literariſchen Leben angehörte, Juſtus Möſer, hat auf die Zeitgenoſſen eigentlich nur äſthetiſch gewirkt durch ſeine geiſtvolle Schilderung des deutſchen Alterthums; ſeine tiefſinnige geſchichtliche Auffaſſung vom Staate ward erſt weit ſpäter, in den Tagen der hiſtoriſchen Rechtsſchule, von der Nation verſtanden. Die deutſchen Leſer brachten dem Publiciſten ein reicheres Maß von Geſchichtskennt - niſſen entgegen als die Briten und Franzoſen, aber keinen Schimmer von politiſcher Leidenſchaft und politiſchem Verſtändniß. Die durch und durch unpolitiſche Zeit verſtand die Kunſt ſich wohl zu befinden unter Zuſtänden, deren vollendeten Widerſinn Jedermann fühlte. Derweil der Forſchermuth deutſcher Denker kühnlich an die dunkelſten Räthſel des Kosmos herantrat, erſchien ſelbſt nach den furchtbaren Lehren der ſieben Jahre kein einziger Mann, der den Finger in die Wunden des deutſchen Staates legte und der Nation mit ſchonungsloſem Freimuth die ent - ſcheidende Frage vorhielt: was dies Aufſteigen einer neuen deutſchen Groß - macht für unſere Zukunft bedeute?

Weder in dem Gedankenreichthum der Literatur noch in der That - kraft des preußiſchen Staates fand das deutſche Leben einen erſchöpfenden Ausdruck. Wohl kamen Augenblicke, da die beiden ſchöpferiſchen Mächte unſerer neuen Geſchichte einander zu berühren und zu verſtehen ſchienen. Wir Nachlebenden vernehmen mit Rührung, wie die bärbeißigen Offiziere des fridericianiſchen Heeres in Leipzig bei dem frommen Gellert Herzens - rath und Erbauung ſuchten; der Dichter des Frühlings, Ewald Kleiſt, der preußiſche Werbeoffizier, der ſich in Zürich von den Strapazen der Menſchenjagd im Kreiſe Klopſtockiſcher Schöngeiſter erholte und dann bei Kunnersdorf den Soldatentod fand, erſcheint uns heute bedeutender als mancher begabtere Poet, weil er den Heldenſinn und die Dichterſehnſucht dieſer reichen Zeit in ſich vereinigte. Im Ganzen bleibt doch ſicher, daß das alte Preußen ebenſo unäſthetiſch war wie die deutſche Literatur un - politiſch. Die preußiſche Hauptſtadt war zu Leſſings Zeiten einige Jahre lang die Hochburg der deutſchen Kritik; ſeit den ſiebziger Jahren beſaß ſie wohl das kunſtſinnigſte Publicum Deutſchlands, eine verfeinerte, geiſt - reiche Geſelligkeit; ſchöpferiſches Vermögen zeigte ſie noch wenig. Vielmehr führte gerade an der Spree der ſeichte Eudämonismus das große Wort. Dem platten Menſchenverſtande Nicolais ging der Flug der jungen Dich - tung zu hoch; unter den Jammerrufen der Berliner Kritik wurden draußen im Reich die großen Schlachten der neuen deutſchen Cultur geſchlagen. Unſerer claſſiſchen Literatur fehlte der feſte Boden der nationalen Macht. Sie hat für alle Zukunft erwieſen, daß die ſtolze Freiheit der Poeſie der Sonne des Glücks entrathen kann, daß eine neue Gedankenwelt, ſobald ſie ſich in der Seele eines Volkes angeſammelt hat, auch unfehlbar103Ausgang des fridericianiſchen Zeitalters.Form und Ausdruck finden muß. Aber die Nation lief Gefahr einer krankhaften Ueberſchätzung der geiſtigen Güter zu verfallen, da ihr litera - riſches Leben ſo viel herrlicher war als das politiſche. Der Patriotismus ihrer Dichter blieb zu innerlich um unmittelbar auf das Volksgefühl zu wirken. Der edle weltbürgerliche Zug, der die geſammte Literatur des achtzehnten Jahrhunderts erfüllte, fand hier nicht wie in Frankreich ein Gegengewicht an einem durchgebildeten Nationalſtolze, er drohte die Deut - ſchen ihrem eigenen Staate zu entfremden.

So glänzend hatte Deutſchland ſeit Luthers Tagen nicht mehr in der europäiſchen Welt dageſtanden wie jetzt, da die erſten Helden und die erſten Dichter eines reichen Jahrhunderts unſerem Volke angehörten. Und ſolche Fülle des Lebens nur hundert Jahre nach der Schande der Schwedennoth! Wer damals die Lande der größeren weltlichen Reichsſtände in Mittel - und Norddeutſchland durchreiſte, gewann den Eindruck, als ob hier ein edles Volk in friedlicher Entwicklung einer ſchönen Zukunft entgegenreifte. Die humane Bildung der Zeit bethätigte ſich in zahlreichen gemeinnützigen Anſtalten; die alte Landplage der Bettler verſchwand von den Landſtraßen, die größeren Städte ſorgten freigebig für ihre Armen - und Krankenhäuſer; eifrige Paedagogen bemühten ſich nach neu erfundenen Syſtemen die Jugend wiſſenſchaftlich zu bilden ohne ihr die Unſchuld des Rouſſeau’ſchen Naturmenſchen zu rauben. Ueberall rüttelte die aufgeklärte Welt an den trennenden Schranken der alten ſtändiſchen Ordnung; ſchon fanden ſich einzelne Edelleute, die freiwillig ihren Gutsunterthanen die Freiheit ſchenkten; die Philoſophen vernahmen mit Befriedigung, daß eines Schinders Sohn in Leipzig Arzt geworden, ein junger Frankfurter Doctor im adelſtolzen Weimar über die Schultern der eingeborenen Edelleute hinweg zum Miniſterpoſten aufgeſtiegen war. Eine heitere Naturſchwärmerei verdrängte die alte Angſt vor den Unbilden der freien Luft, die philiſterhaften Gewohnheiten des Stubenlebens; die Gelehrten fingen an ſich wieder heimiſch zu fühlen auf Gottes Erde. Und doch war dies Volk im Innerſten krank. Unbewegt und unverſöhnt ſtand die große Lüge des Reichsrechts neben der neuen Bildung und dem neuen Staate der Deutſchen; alle Fäulniß, alle Niedertracht des deutſchen Lebens lag wie ein ungeheurer Scheiterhaufen angeſammelt in den Kleinſtaaten des Südens und Weſtens, dicht neben dem ruheloſen Nach - barvolke, das den Feuerbrand über die Grenze ſchleudern ſollte. Der Ruhm des fridericianiſchen Zeitalters war kaum verblichen, als das heilige römiſche Reich ſchmachvoll zuſammenſtürzte.

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Zweiter Abſchnitt. Revolution und Fremdherrſchaft.

Nur ein königlicher Feldherr oder ein reformatoriſcher Geſetzgeber konnte das Erbe Friedrichs ungeſchmälert behaupten. Die alte Form der fridericianiſchen Monarchie ſtand auf zwei Augen. Wenn es nicht gelang die kriegeriſchen Kräfte dieſes Volkes noch einmal zu kühnem Wagen zuſammenzuraffen und dem heiligen Reiche durch Preußens Waffen eine neue Verfaſſung zu ſchaffen, ſo ließ ſich die gewaltſame Vereinigung der geſammten Staatsgewalt in einer Hand nicht mehr für die Dauer aufrechterhalten. Der erweiterte Umfang des Staatsgebietes, die geſteigerten Anſprüche an die Leiſtungen des Staates und das mächtig erſtarkte Selbſtgefühl der wohlhabenden Klaſſen geboten eine umfaſſende Reform, welche den Staatshaushalt beweglicher geſtaltete, die unhaltbar gewordene alte Gliederung der Stände beſeitigte und dem Unterthan er - laubte, bei der Verwaltung von Kreis und Gemeinde ſelber Hand anzu - legen. Unterblieb der Neubau, ſo drohte der Monarchie Siechthum und Erſtarrung; jener Geiſt der Kritik, der von Friedrich ſelber geweckt aber durch die Scheu vor ſeinem Genius in Schranken gehalten worden war, konnte leicht den ſittlichen Halt des Staates, die alte preußiſche Treue und Mannszucht, zerſtören.

Es ward Deutſchlands Verhängniß, daß Friedrichs Nachfolger weder die eine noch die andre Aufgabe zu löſen vermochte. Friedrich Wilhelm II. beſaß die ritterliche Tapferkeit ſeiner Ahnen und ein lebendiges Gefühl für ſeine königliche Würde, für die Großmachtſtellung ſeines Staates, doch weder die Sachkenntniß und den ausdauernden Fleiß, noch die Sicherheit des Urtheils und die feſte Willenskraft, welche ſein ſchweres Amt erheiſchte. Ebenſo mild und wohlwollend, wie ſein alternder Oheim menſchenfeindlich geweſen, leicht erregbar, reich an guten Einfällen, empfänglich für hoch - gehende Entwürfe, ließ er das raſch und feurig Ergriffene wieder fallen, wenn zäher Widerſtand ihn ermüdete oder ſchlaue Gegner ſeiner Großmuth zu ſchmeicheln wußten. Die Kleinheit der Menſchen athmete erleichtert auf, als105Friedrich Wilhelm II. die erdrückende Größe des alten Helden von hinnen ging; aufrichtiger Jubel begrüßte den Vielgeliebten, der ſo traulich und warmherzig mit ſeinem Volke verkehrte. Wieder wie in den Tagen Friedrichs I. rühmte man die inepui - ſablen Hände des Königs, und noch lange ging im Lande die Rede von den Geſchenken und Adelsbriefen des großen Gnadenjahres 1786. Manche Härten des fridericianiſchen Regiments wurden beſeitigt: die verhaßte Regie fiel, die Werbeoffiziere empfingen zum Beſten der Menſchheit die Weiſung, ihr hartes Handwerk mit Mäßigung zu betreiben. Doch im Weſentlichen blieb die alte Verwaltung unverändert, nur daß jetzt der Herrſchergeiſt fehlte, der ſie zu beſeelen verſtanden. Das Heerweſen ſank unter greiſenhaften Führern; den Veteranen, die noch die Kränze der ſieben Jahre um die Stirn trugen, wagte der König nicht den Abſchied zu geben. Die philanthropiſchen Ideen des Zeitalters und eine wohlmeinend ſchwächliche Nachgiebigkeit gegen die bürgerlichen Intereſſen entfremdeten den Staat der ſpartaniſchen Strenge Friedrich Wilhelms I.: durch das Cantonreglement von 1792 wurde zwar der altpreußiſche Grundſatz der allgemeinen Wehrpflicht nochmals als Regel verkündigt, aber zugleich die Ueberzahl der früherhin zugeſtandenen Ausnahmen geſetzlich anerkannt und erweitert, alſo daß der Waffendienſt faſt ausſchließlich die Bauernſöhne belaſtete.

Der lebensluſtige Hof blieb von wüſter Verſchwendung weit ent - fernt: die Hofſtaats-Kaſſe, die jetzt auch an Künſtler und Gelehrte er - hebliche Unterſtützungen gab, brauchte im jährlichen Durchſchnitt blos 580,000 Thaler nicht mehr als unter Friedrich Wilhelms ſparſamem Nachfolger. Der unwirthſchaftliche Sinn des Königs zeigte ſich nur in dem leichtſinnigen Verſchenken der Staatsgüter; und noch verderblicher wurde, daß ſeine Gutmüthigkeit ſich nicht entſchließen konnte, anſtatt der aufgehobenen drückenden Abgaben rechtzeitig neue, gerechter vertheilte Steuern aufzulegen. Die Ueberſchüſſe, deren dieſer Staatshaushalt nicht entbehren konnte, geriethen bald ins Stocken. Es fehlte der Muth, die ſchweren Hinderniſſe zu überwinden, welche die ſtändiſche Verfaſſung jeder Erhöhung der Steuerlaſt entgegenſtellte; der König rühmte ſich gern der Erleichterungen, die er ſeinem geliebten Volke gebracht habe. Als eine Mobilmachung und zwei Feldzüge den fridericianiſchen Kriegsſchatz faſt geleert hatten, ſah ſich die Monarchie bald in der demüthigenden Lage ihre Machtſtellung durch ausländiſche Hilfsgelder behaupten zu müſſen. Die Sittenloſigkeit in der Hauptſtadt nahm furchtbar überhand, ſeit ſie an dem Vorbilde des Hofes eine willkommene Entſchuldigung fand; ſie ſchoß noch üppiger ins Kraut, ſeit der nothwendige Rückſchlag gegen die flache Freigeiſterei der fridericianiſchen Tage eintrat und eine krankhaft myſtiſche Frömmigkeit in den Hofkreiſen modiſch wurde. Es bezeichnet die ungeheure Macht des neuen literariſchen Idealismus, daß die öffentliche Meinung fortan jedes preußiſche Regierungsſyſtem nach106I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dem Geiſte beurtheilt hat, der in der Leitung des Kirchen - und Unter - richtsweſens vorherrſchte. Ganz Deutſchland hallte wider von zornigem Tadel, als der hochverdiente Zedlitz den Abſchied erhielt und der geiſtloſe Heuchler Wöllner mit ſeinen Religions - und Cenſuredicten die freien Gedanken des Jahrhunderts niederzuhalten verſuchte. Mit Mühe gelang es die Verkündigung des Allgemeinen Landrechts gegen den Widerſtand der höfiſchen Frömmler durchzuſetzen. Der geſunde Kern des Beamten - thums blieb freilich unzerſtörbar, aber der ſchwerfällige Gang der Ver - waltung konnte dem raſcheren Zuge des bürgerlichen Verkehrs nicht mehr folgen; die erſchlaffte Zucht verrieth ſich in manchen Unterſchleifen und Beſtechungen, die unter den beiden letzten Königen unerhört geweſen.

Und nun, in ruhmloſen Tagen, zeigte ſich doch, auf wie ſchwachen Füßen noch jene Staatsgeſinnung ſtand, welche Friedrich in ſeinem Volke erweckt hatte. Der Nationalſtolz der Preußen war weſentlich Verehrung für den großen König, er ermattete mit dem Tode des Helden. Berlin lag für die Maſſe der Oſtpreußen und Schleſier ganz aus der Welt; in Königsberg, Breslau, Magdeburg fand der ſtillvergnügte Particularismus der Landſchaften den Mittelpunkt ſeiner Intereſſen. Tiefe, verſtändniß - volle Theilnahme an den Geſchicken des Staates war nur in engen Kreiſen lebendig. Um ſo lauter lärmte die anmaßende Tadelſucht. Der politiſche Trieb, der in dem Beamtenſtaate keine Bühne für gemein - nütziges Wirken fand, warf ſich auf die Literatur. Eine Fluth von Schmähſchriften überſchwemmte das Land, erzählte den urtheilslos gläu - bigen Leſern ungeheuerliche Märchen von der aſiatiſchen Schwelgerei Sauls des Zweiten, Königs von Kanonenland: ein unſauberes Treiben, hochgefährlich, weil in der abſoluten Monarchie jeder Tadel ſeine Pfeile gradeswegs gegen die Perſon des Königs richten mußte, gefährlicher noch weil aus dieſem Schwalle gehäſſiger Vorwürfe nirgends ein furchtbarer Gedanke auftauchte, nirgends eine Ahnung von den wirklichen Gebrechen des Gemeinweſens. Trauriger Wandel der Zeiten: noch erzählte die Welt von den geiſtſprühenden Geſprächen der Tafelrunde von Sansſouci, und jetzt trieb nahebei im Marmorpalais am Heiligen See der Kammer - diener Rietz mit der Gräfin Lichtenau ſein plattes Weſen, und der Nachfolger Friedrichs beſtaunte andachtsvoll die Geiſtererſcheinungen im Zauberſpiegel des Oberſten Biſchoffswerder.

Friedrichs letztes Werk, der deutſche Fürſtenbund, zerbrach dem Erben unter den Händen. Der alte König war freilich über die Herzens - geſinnungen ſeiner kleinen Bundesgenoſſen, über die Unzuverläſſigkeit der Freundſchaft von Hannover und Sachſen nie im Zweifel geweſen, man kannte ſeinen verächtlichen Ausſpruch mit dieſen Herren iſt nichts zu machen ; aber nicht umſonſt hatte er den Fürſtenbund als ein Ver - mächtniß an ſeine Nachkommen bezeichnet. So lange die außerordentliche Gunſt der Lage währte, ſo lange die Angſt vor Oeſterreichs Uebergriffen107Zerfall des Fürſtenbundes.den hohen Adel Deutſchlands unter Preußens Fahnen bannte, mußte ein ſtarker Wille die glänzende Stellung an der Spitze des deutſchen Fürſtenſtandes als ein Mittel zu bleibender Machterweiterung zu ver - werthen wiſſen. Die Erledigung des Kaiſerthrones ſtand nahe bevor, da Kaiſer Joſeph kränkelte; ein geheimer Artikel des Bundesvertrages ver - pflichtete die Genoſſen des Fürſtenbundes, das Ob und Wie (an und quomodo) der neuen Kaiſerwahl nur nach gemeinſamem Einverſtändniß zu entſcheiden. Preußen gebot über die Mehrheit im Kurfürſtenrathe; ſoeben wurde die Coadjutorwahl in dem wichtigſten der geiſtlichen Staaten, in Kurmainz, zu Preußens Gunſten entſchieden. Mindeſtens der Verſuch mußte gewagt werden, die Politik des zweiten ſchleſiſchen Krieges unter ungleich glücklicheren Umſtänden zu erneuern, die todte Maſſe der deutſchen Mittelſtaaten unter Preußens Führung zu einer lebendigen Macht zu er - heben. Noch einmal ſchien es möglich, die deutſche Krone auf ein deutſches Haus zu übertragen oder auch das Kaiſerthum ganz zu beſeitigen und die erlauchte Republik deutſcher Fürſten in bündiſchen Formen neu zu geſtalten; einem ſiegreichen Preußen mußten die kleinen Genoſſen, wie ungern immer, gehorchen. Der leichtblütigen vertrauensvollen Natur des neuen Königs lagen die ſkeptiſchen Anſichten ſeines welterfahrenen Vor - gängers fern. Schon als Prinz hatte er auf den Gedanken des Fürſten - bundes glänzende Hoffnungen gebaut; jetzt überließ er die Leitung ſeiner deutſchen Politik eine Zeit lang den Händen Karl Auguſts von Weimar.

Kühne, großartige Reformpläne gährten in dem Kopfe dieſes hoch - herzigen Patrioten; unermüdlich bereiſte er die Höfe als der Curier des Fürſtenbundes. Er ſah in dieſem Vertheidigungsbündniß eine dauernde Inſtitution, den feſten Kern einer neuen Reichsverfaſſung, dachte dem Bunde ein ſtehendes Heer und in Mainz einen großen Waffenplatz zu ſchaffen: ein Bundestag, nach Mainz berufen, ſollte das Werk der Reichs - reform in Angriff nehmen, den Unwahrheiten des beſtehenden Rechtes herzhaft zu Leibe gehen. Die Ausſichten ſchienen günſtig. Alle Klein - ſtaaten Europas fühlten ſich bedroht durch die abenteuerlichen Eroberungs - pläne der Hofburg und hofften auf Preußen als den Schirmer des Gleich - gewichts. In Piemont und der Schweiz wurde ſchon die Frage erwogen, ob man nicht dem Fürſtenbunde beitreten und ſich alſo gegen Oeſterreich decken ſolle; als Belgien wider die Neuerungen Kaiſer Joſephs die Waffen erhob, tauchte der Vorſchlag auf, auch dies kaiſerliche Kronland als einen ſelbſtändigen Staat in die Reichsaſſociation aufzunehmen.

Underdeſſen war Preußen noch einmal ſelbſtbewußt als die Vormacht Mitteleuropas aufgetreten; der König hatte den glücklichen Gedanken ge - faßt, die von inneren Kämpfen erſchütterte Republik der Niederlande der Herrſchaft der Patriotenpartei das will ſagen: dem Einfluß Frank - reichs zu entreißen. Seine Truppen rückten in Holland ein, trieben in leichtem Siegeszuge die Schaaren der Patrioten auseinander, ſtellten108I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.das Anſehen des Hauſes Oranien wieder her. Jetzt galt es den Sieg auszubeuten, dies blutsverwandte, durch Preußens Waffen wieder ein - geſetzte Herrſcherhaus feſt an das preußiſche Syſtem anzuſchließen. Karl Auguſt rieth, die Republik ſolle dem Fürſtenbunde beitreten und durch regelmäßige Soldzahlungen den Kleinfürſten den Unterhalt eines ſtehen - den Heeres ermöglichen. Doch hier zuerſt zeigte ſich die verhängnißvolle Unbeſtändigkeit des Königs, der keinen ſeiner guten Gedanken bis zum Ende verfolgen mochte. Der Eifer für den Fürſtenbund war längſt im Erkalten; Friedrich Wilhelms weiches Gemüth verehrte die altheiligen Formen der deutſchen Verfaſſung mit reichsfürſtlicher Devotion, eine Re - form an Haupt und Gliedern widerſtrebte ſeiner Pietät. Die Berliner Staatsmänner verhehlten kaum ihre Geringſchätzung gegen den Bund der deutſchen Kleinfürſten, Graf Hertzberg nannte ihn oft das Kreuz der großen Politik. Die Berufung des Bundestags nach Mainz unterblieb, da Sachſen und Hannover böſen Willen zeigten; von den Entwürfen Karl Auguſts kam keiner zur Reife, und ſchon zwei Jahre nach Friedrichs Tode war von der Ausbildung und Befeſtigung des Fürſtenbundes kaum noch die Rede. Die preußiſche Armee räumte die Niederlande, und die leicht - ſinnige Großmuth des Königs erließ dem reichen Nachbarvolke den Erſatz der Kriegskoſten. Das ſo glänzend begonnene Unternehmen ſchloß mit einer diplomatiſchen Niederlage. Nicht Preußen, ſondern England gewann im Haag die Oberhand, das alte Bündniß der beiden Seemächte ſtellte ſich wieder her. Mehr als ſechs Millionen Thaler waren zwecklos ver - ſchleudert; ſeitdem begannen die verderblichen Geldverlegenheiten dieſer Regierung. Im Heere aber nahm nach den unblutigen holländiſchen Triumphen ein gefährlicher Dünkel überhand; mit grenzenloſer Verachtung ſah der Berufsſoldat auf jede Volksbewaffnung herab.

Noch war die wunderbare Gunſt des Glückes nicht erſchöpft. Aber - mals bot ſich dem Könige die Gelegenheit, ſeine Machtſtellung in Deutſch - land und Europa zugleich zu verſtärken. Kaiſer Joſeph konnte die Nieder - lagen der ſchleſiſchen und bairiſchen Kriege nicht verwinden. Beherrſcht von dem leidenſchaftlichen Verlangen die Ehre ſeines Hauſes an dem preußiſchen Gegner zu rächen, ſeine Uebermacht im Reiche wiederherzu - ſtellen, gab er die Intereſſen Oeſterreichs im Oriente preis; er verſtän - digte ſich mit Rußland und ging auf die byzantiniſchen Pläne Katharinas ein, gegen die Zuſage großer Gebietserweiterungen in Baiern, in Italien, in den türkiſchen Grenzlanden. Während nun die Heere der beiden Kaiſer - mächte an der Donau einen mühſeligen Feldzug gegen die Osmanen be - gannen, erwachte in den öſterreichiſchen Erblanden überall der Widerſtand gegen die haſtigen Reformen, die gewaltſamen Centraliſationsverſuche des Kaiſers: Belgien war in offenem Aufſtande, die Magyaren ſo tief ver - ſtimmt, daß bereits Sendboten des unzufriedenen Adels den König von Preußen baten ihnen einen neuen Ungarnkönig vorzuſchlagen. Alle Cabi -109Die Kriſis von 1790.nette geriethen in Aufruhr, da die ungeheuerlichen Vergrößerungspläne der Kaiſerhöfe an den Tag kamen. König Friedrich Wilhelm ſchloß mit den Seemächten einen Dreibund zur Wahrung des Beſitzſtandes im Oriente; Schweden hatte ſchon den Krieg gegen Rußland eröffnet; auch die Polen dachten an eine Schilderhebung wider die Czarin, traten mit Preußen in Bündniß. Frankreich, das noch von den Zeiten Choiſeuls her mit Oeſterreich verbündet war, ſah ſich durch den Ausbruch der Re - volution an jeder kühnen auswärtigen Politik verhindert; der Berliner Hof begrüßte die Anfänge der großen Umwälzung mit Freuden, weil ſie den Beſtand der öſterreichiſch-franzöſiſchen Allianz gefährdete; ſeine Diplo - maten ſorgten dafür, Pétion und andere Wortführer der Nationalverſamm - lung bei friedlicher Stimmung zu halten. Noch nie war die Lage der Welt ſo verlockend geweſen für einen Waffengang wider Oeſterreich; wenn das preußiſche Heer, das ſich an der ſchleſiſchen Grenze verſammelte, den Stoß ins Herz der öſterreichiſchen Macht wagte, ſo ſtand ihm auf der Straße nach Wien nirgends eine ebenbürtige Truppenmaſſe gegenüber, faſt die geſammte Streitkraft des Kaiſers weilte ferne im Türkenkriege. Jetzt oder niemals war der Augenblick, den deutſchen Dualismus mit dem Schwerte zu löſen und, wie einſt Friedrich, in ſtolzer Freiheit, mitten hindurch zwiſchen Feinden und halben Freunden, die Schickſalsfrage zu ſtellen: Preußen oder Oeſterreich?

Aber weder der König noch ſein Miniſter Hertzberg erkannte ganz, was der große Augenblick für Deutſchlands Zukunft bedeutete. Dieſer geiſtreiche Mann, ein ſtolzer Preuße voll glühender Vaterlandsliebe, ganz erfüllt von der Ueberzeugung, daß der unverſöhnliche Gegenſatz der beiden deutſchen Großmächte in einer geographiſchen Nothwendigkeit begründet ſei, war dem alten Könige ein unſchätzbar treuer und geſchickter Helfer ge - weſen, gleich thätig als Publiciſt wie als Unterhändler bei allen diplo - matiſchen Verhandlungen vom Beginne des ſiebenjährigen Krieges bis herab zur Stiftung des Fürſtenbundes; die fridericianiſche Politik in ihrer einfachen Großheit ſelbſtändig weiter zu führen vermochte er nicht. Er fühlte ſich ſelbſtgefällig als den rechten Erben des großen Königs und des alten kraftvollen brandenburgiſchen Syſtems , als den gewiegteſten Kenner aller Machtverhältniſſe des Welttheils; ſo lange er das Ruder führte, ſollte kein Fehler möglich ſein und Preußen immerdar die erſte Rolle in Europa ſpielen. Statt der einfachen Pläne, welche der alte Held mit rückſichtsloſer Offenheit verfolgte, liebte ſein Schüler geſuchte, künſt - liche Combinationen zur Wahrung des europäiſchen Gleichgewichts auszu - klügeln; während Friedrich allezeit der nüchternen Meinung blieb, daß Preußen auf der weiten Welt nur offene und verſteckte Feinde habe, baute Hertzberg mit unbeirrtem Dünkel auf die ſiegreiche Macht ſeiner Beweis - gründe. Jetzt wähnte er den unfehlbaren Weg zur Beilegung der orien - taliſchen Händel gefunden zu haben: die Abtretung der nördlichen Pro -110I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.vinzen der Türkei ſollte die Mittel gewähren für eine weitumfaſſende Ländervertauſchung in Oſteuropa, welche ſämmtliche Mächte des Oſtens mit Freuden ergreifen würden; dem preußiſchen Vermittler war die Er - werbung von Schwediſch-Pommern, Danzig und Thorn, Kaliſch und Poſen zugedacht, kurz die Ausfüllung der Lücken in ſeiner Nord - und Oſtgrenze, und dies Alles ohne daß er das Schwert zu ziehen brauchte, allein durch die Zauberkraft der diplomatiſchen Federn!

Der überfeine Plan ſtieß ſofort auf den Widerſpruch der preußiſchen Bundesgenoſſen ſelber: der König erfuhr wie einſt ſein Oheim die Un - treue der engliſchen Freundſchaft. Die Seemächte ſcheuten den offenen Bruch mit den Kaiſerhöfen weil ſie den ergiebigen ruſſiſchen Handel zu verlieren fürchteten; darum hatte England im ſiebenjährigen Kriege die einzige für Preußen werthvolle Bundeshilfe, die Abſendung einer ſtarken Flotte in die Oſtſee, verweigert, und noch weit weniger mochte der eng - liſche Handelsneid jetzt eine Politik unterſtützen, die dem preußiſchen Staate die Einverleibung des Danziger Hafens bringen ſollte. Auch der Hoch - muth der Polen widerſtrebte dieſer Abtretung, welche vielleicht den Fort - beſtand der polniſchen Republik noch hätte retten können. Die Pforte endlich wollte von einer Verkleinerung ihres Gebietes nichts hören. In ſolcher Verlegenheit ſetzte Preußen ſeine Forderungen herab und ver - langte nur die Wiederherſtellung des Beſitzſtandes im Oriente. Auch jetzt noch konnten die Verhandlungen die entſcheidende Abrechnung mit Oeſter - reich herbeiführen, wenn man ſie alſo verſchärfte, daß die Hofburg den Krieg annehmen mußte. Eben dies verſäumte Hertzberg, während der König mit richtigem Gefühle eine Entſcheidung durch die Waffen ver - langte. Inmitten dieſer gewaltigen Verwicklung ſtarb Kaiſer Joſeph, und nun rächte ſich die hochmüthige Geringſchätzung, welche Hertzberg dem Fürſtenbunde erwieſen. Der Bund war bereits dermaßen geſchwächt, die Geſinnung der kleinen Höfe ſo unſicher, daß die große Frage der Kaiſer - wahl kaum noch als eine Frage erſchien. König Friedrich Wilhelm be - ruhigte ſich bei der Erwägung, daß ſein Oheim ſelber die Erwerbung der Kaiſerwürde für ſein Haus nicht gewünſcht hatte, und bot unbedenk - lich dem Nachfolger Joſephs, Leopold II. die Kaiſerwürde an, als dieſer ihm mit nachgiebigen Erklärungen entgegenkam. Er war zufrieden mit einem halben Siege und ſchloß am 26. Juli 1790 den unſeligen Reichen - bacher Vertrag, der einfach den Beſitzſtand vor dem orientaliſchen Kriege wiederherſtellte.

Wohl war es ein Erfolg, daß Preußens Drohungen das Haus Loth - ringen zwangen das eroberte Belgrad wieder herauszugeben, den mit aus - ſchweifenden Hoffnungen und großem Aufwande unternommenen Türken - krieg ruhmlos zu beendigen. Und doch wußte Leopold wohl, warum er froh aufathmend ſchrieb: Es iſt der am wenigſten ſchlechte Friede, den wir ſchließen konnten. Der Tod Joſephs II. wurde für Preußens deutſche111Vertrag von Reichenbach.Politik ebenſo unheilvoll wie einſt der Tod Karls VII. Joſephs kluger Nachfolger rettete die Machtſtellung Oeſterreichs im Reiche, indem er die orientaliſchen Pläne ſeines Bruders aufgab; er empfing ſo geſtand er ſelber die Kaiſerkrone ohne jede Bedingung als ein großmüthiges Geſchenk aus der Hand des Königs von Preußen. Oeſterreichs diplo - matiſche Niederlage gereichte allein der Türkei und den Seemächten zum Vortheil; die Pforte wurde durch Preußens Dazwiſchentreten von einem gefährlichen Gegner befreit, die hartconſervative orientaliſche Politik Eng - lands verdankte der Ueberklugheit Hertzbergs einen leichten Triumph. Der Berliner Hof aber ſah binnen Kurzem die Lage der Welt zu ſeinem Nach - theil verändert. Die aufſäſſigen Kronlande wurden durch Leopolds ge - wandte Nachgiebigkeit zum Gehorſam zurückgeführt, durch ſeine floren - tiniſche Geheimpolizei in Ruhe gehalten; in Polen errang Oeſterreich bald beherrſchenden Einfluß; Schweden ſchloß einen nachtheiligen Frieden mit Rußland; England verſagte offen ſeine Mitwirkung zu Hertzbergs polni - ſchen Plänen. Und vor Allem, der Reichenbacher Vertrag war der Tod des Fürſtenbundes, war das Ende der deutſchen Politik des großen Königs. Die kleinen Fürſten traten jetzt, da ſie in Berlin den ſtolzen, gebieteriſchen Willen vermißten und von Leopolds Mäßigung nichts mehr zu fürchten hatten, einer nach dem andern in ihre natürliche Parteiſtellung zurück; ſie verſöhnten ſich mit Oeſterreich, der Fürſtenbund verſchwand ſpurlos, nicht einmal eine ernſtliche Reform der Wahlcapitulation ließ ſich erreichen.

Die letzte günſtige Stunde, da Preußen die heilloſe Wirrniß der Reichspolitik vielleicht noch lichten konnte, war unwiederbringlich verloren; führerlos ſchwankte das unförmliche deutſche Gemeinweſen der Vernich - tung durch fremde Gewalt entgegen. Karl Auguſt klagte bitter über den Schlummergeiſt der Deutſchen, der dies Chaos für das unantaſtbare Ideal einer guten Verfaſſung halte; und derweil im Weſten ſchon das Unwetter heraufzog, das die geſammten alten Formen der europäiſchen Welt zu zerſtören drohte, faßte der wohlmeinende Kurfürſt von Köln die Herzens - wünſche des deutſchen hohen Adels für die Zukunft des Vaterlandes in den Worten zuſammen: Wir brauchen einen friedlichen Kaiſer, der das deutſche Weſen nothdürftig zuſammenhält; aber den Kleinen muß man die Illuſion laſſen, als ob ſie auch an der Maſchine mitzögen. Auch dem Volke fehlte jedes Verſtändniß für den Ernſt der Zeit. Einzelne geiſtreiche Publiciſten, wie Georg Forſter, prieſen den Triumph der preu - ßiſchen Staatskunſt, ihre Unterlaſſungsſünden bemerkte Niemand. Die Maſſe der Nation freute ſich harmlos des wiederhergeſtellten Friedens; als der König während der Reichenbacher Verhandlungen einmal der modiſchen Naturſchwärmerei ſeinen Zoll zahlte und den Gipfel der Heu - ſcheuer erkletterte, da errichteten ihm die treuen Schleſier droben auf dem Grenzgebirge ein Denkmal voll warmer Dankesworte: Den Frieden wahrt ſein ſichrer Schild!

112I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Es war die nothwendige Folge dieſer kleinmüthigen Friedenswahrung, daß Hertzberg ſchon im nächſten Jahre entlaſſen wurde; wenig glücklich in der Wahl der Mittel, hatte er doch den Grundgedanken der fridericianiſchen Staatskunſt niemals aufgegeben, die ſtolze Unabhängigkeit der preußiſchen Politik von den Befehlen der Hofburg immer zu behaupten geſucht. Mit Biſchoffswerder, der nunmehr das Ohr des Königs gewann, kam eine völlig neue Richtung ans Regiment: die Politik des friedlichen Dualismus. Sie hoffte, in ſchroffem Gegenſatze zu den Anſchauungen der jüngſten glorreichen fünfzig Jahre, durch ein öſterreichiſches Bündniß den Beſtand des Staates, vornehmlich gegen Rußland, zu ſichern; ſie verzichtete auf jeden Gedanken der Reichsreform und dachte in treuem Einvernehmen mit dem Kaiſer - hauſe die deutſchen Dinge zu leiten. Im Frühjahr 1791 begann Biſchoffs - werder die Verhandlungen über das öſterreichiſch-preußiſche Bündniß. Unklarer, unglücklicher konnten ſich Deutſchlands Geſchicke nicht geſtalten. Der Bund der beiden unverſöhnten Feinde war von Haus aus eine Un - wahrheit; es fehlte hüben wie drüben das rückhaltloſe Vertrauen. Die große Mehrzahl der preußiſchen Staatsmänner hing noch feſt an den fridericianiſchen Ueberlieferungen, verfolgte mit wachem Argwohn jeden Schritt des Wiener Cabinets; in der Hofburg hatte man weder die Er - oberung Schleſiens noch die Reichenbacher Demüthigung verziehen und war keineswegs geſonnen, den nordiſchen Emporkömmling als einen gleich - berechtigten Genoſſen zu behandeln. Von allen den großen Machtfragen, welche ſich trennend zwiſchen die beiden Nebenbuhler ſtellten, war keine einzige gelöſt. Das Bündniß zwiſchen Oeſterreich und Rußland blieb vorderhand noch aufrecht, zum Trotz den Reichenbacher Zuſagen. Die reichsfürſtliche Ergebenheit des Königs beirrte den Kaiſer nicht in der alten Ueberzeugung, daß jede Erweiterung der preußiſchen Macht im Reiche ein Unheil für Oeſterreich ſei; der Wiener Hof ſah mit ſchwerer Beſorgniß, wie Preußen die alten Stammlande Ansbach-Baireuth mit der Monarchie vereinigte und alſo zum erſten male im Süden Deutſchlands feſten Fuß faßte, die gefährliche Poſition in der Flanke Böhmens gewann. Noch greller zeigte ſich der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Bundesgenoſſen in der polniſchen Frage.

Beide Mächte wünſchten die polniſche Adelsrepublik aufrecht zu halten als ein Bollwerk gegen Katharinas raſtlos ausgreifende Eroberungspolitik. Die mechaniſche Staatsauffaſſung der Zeit gefiel ſich in Künſteleien; durch ein erklügeltes Syſtem des Gleichgewichts, durch willkürlich gebildete Klein - ſtaaten, die man als Polſterkiſſen zwiſchen die großen Mächte einſchob, meinte ſie den Frieden zu ſichern, den nur die innere Geſundheit lebens - kräftiger nationaler Staaten verbürgen konnte. Weder in Wien noch in Berlin war man zu der Erkenntniß gelangt, daß dieſer Staat des zucht - loſen Junkerthums nicht mehr leben konnte, daß die polniſche Freiheit nichts anderes war als die Fremdherrſchaft ſarmatiſcher Magnaten und113Die polniſche Verfaſſung von 1791.Slachtizen über Millionen ſlaviſcher, litthauiſcher, deutſcher, jüdiſcher, wallachiſcher Unterthanen, die mit ihren grauſamen Herren kein Recht und kein Gefühl gemein hatten. Oeſterreich, dem katholiſchen Adelsſtaate innerlich verwandt und ſeit Jahrhunderten beſtändig mit ihm verbündet, konnte von einer neuen Theilung keinen weſentlichen Gewinn mehr er - warten und hoffte vielmehr in einem erſtarkten polniſchen Reiche eine Deckung zugleich gegen Rußland und gegen Preußen zu finden. Der preußiſche Staat dagegen war im Kampfe wider den ſarmatiſchen Nachbarn aufgewachſen und hatte von dem Wiederaufleben der polniſchen Macht eine ſchwere Gefährdung ſeiner deutſchen Weichſellande zu befürchten. Er durfte ſich bei dem Ergebniß der erſten Theilung nur dann beruhigen, wenn Polen eine unſchädliche Mittelmacht blieb und mindeſtens Thorn und Danzig mit Weſtpreußen vereinigt wurden; es war unmöglich, die beiden wichtigſten Plätze des deutſchen Weichſelthales jetzt, da ſie rings von preußiſchem Gebiete umſchloſſen waren, noch auf die Dauer in den Händen eines fremden Eroberers zu laſſen, der ſeinen alten Raub nicht mehr zu behaupten vermochte. Alle Erwägungen der Klugheit drängten die polniſchen Großen, die Freundſchaft Preußens durch nachgiebiges Ent - gegenkommen zu gewinnen. Aber ſelbſt die furchtbare Erfahrung des Jahres 1772 hatte den kopfloſen Uebermuth dieſes Adels nicht zur Be - ſinnung gebracht. Nach wie vor zerfleiſchte ſich das unſelige Volk in wüthenden Parteikämpfen; in Warſchau blieb die Hoffnung unverloren den weißen Adler dereinſt noch auf der Grünen Brücke von Königsberg aufzurichten.

Nach einem kurzen Verſuche der Annäherung zeigte ſich die pol - niſche Politik dem weſtlichen Nachbarn wieder entſchieden feindſelig; der alte Todhaß gegen die Deutſchen, die Proteſtanten, die Eroberer der Weichſelmündung brach wieder aus. Der Staatsſtreich einer ſiegreichen Partei legte dem Lande am 3. Mai 1791 eine neue Verfaſſung auf, die in Preußen als eine Kriegserklärung gelten mußte: die polniſche Krone wurde mit verſtärkter Macht ausgeſtattet und dem albertiniſchen Hauſe erblich übertragen. Jene unnatürliche Verbindung zwiſchen Sachſen und Polen, die ſchon einmal lange Jahrzehnte hindurch, wie Friedrich Wilhelm I. zu ſagen pflegte, den preußiſchen Staat in einen Käficht geſperrt hatte, ſollte alſo für alle Zukunft ſich erneuern; eine ſlaviſch-katholiſche Macht, zweimal ſo volkreich als Preußen ſelber, dem deutſchen Norden verfeindet durch Volksthum, Glauben und uralte Erinnerungen, beherrſcht von einem Fürſtenhauſe, das unfehlbar dem Einfluß des römiſchen Nuntius und des öſterreichiſchen Geſandten verfallen mußte, drohte bis in die Mitte Deutſchlands vorzudringen, den preußiſchen Staat im Süden wie im Oſten zu umklammern. Und dieſer Plan, der das Daſein der preußiſchen Großmacht, die geſammte Arbeit der Hohenzollern ſeit dem großen Kur - fürſten wieder in Frage ſtellte, fand eifrige Förderung bei Kaiſer Leopold,Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 8114I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dem Verbündeten des Königs von Preußen. Wenn der König in einer Wallung großmüthiger Laune die neue polniſche Verfaſſung gebilligt hatte, ſo mußte doch bald der Augenblick kommen da er ſeinen Irrthum einſah und erkannte, daß die Politik der Hofburg dem preußiſchen Intereſſe in Polen ebenſo feindlich war wie in Deutſchland.

So ſtand es: die Verfaſſung des heiligen Reichs unheilbar zerrüttet, jede Möglichkeit einer Reform von innen heraus verloren, die beiden führenden Mächte ſcheinbar verbündet, aber durch alten Groll und ſtreitige Intereſſen ſchärfer denn jemals geſchieden. In ſolcher Lage wurde Deutſch - land von jener elementariſchen Bewegung berührt, die das alte Frankreich in ſeinen Tiefen erſchütterte. Goethe hat uns geſchildert, wie dies un - ſchuldige, für jede Großthat des Auslands neidlos empfängliche Geſchlecht aufjubelte als ſich der erſte Glanz der neuen Sonne heranhob, als man hörte vom Rechte des Menſchen, das Allen gemein ſei . Der frohe Glaube an den unendlichen Fortſchritt der Menſchheit, dieſer Lieblingsgedanke des philoſophiſchen Jahrhunderts, ſchien jetzt Recht zu behalten, da das Höchſte, was der Menſch ſich denkt, als nah und erreichbar ſich zeigte . Der äſthetiſche Freiheitsdrang der jungen Dichter berauſchte ſich ſchon längſt an dem Ideale der freien Perſönlichkeit, die alles Zwanges ledig allein der Stimme des eigenen Herzens folgen ſollte. Genialiſches Belieben rüttelte an jeder überlieferten Sitte, ſelbſt an dem Bande der häuslichen Treue; Ehebruch und leichtfertige Scheidung nahmen in den Kreiſen der Schöngeiſter bedenklich überhand, durften auf die lächelnde Nachſicht aller freien Köpfe zählen. Und nun, ſeit der Nacht des vierten Auguſt, erſchien auch die verhaßte Zwangsanſtalt des Staates nur noch wie ein Gebilde menſchlicher Willkür, wie weicher Thon, den der Wille freier Männer jederzeit in neue Formen kneten konnte. Die Künſtlerſehnſucht nach Frei - heit vom Staate ſah ihre liebſten Träume überſchwänglich erfüllt durch die Erklärung der Menſchenrechte; nach der Freiheit im Staate zu ſuchen, nach den Pflichten zu fragen, welche den Bürger an das Gemeinweſen binden, lag der äſthetiſchen Weltanſchauung dieſes Geſchlechtes fern. Die einzige der beſtehenden politiſchen Einrichtungen, welche in den literariſchen Kreiſen leidenſchaftlichen Unwillen erregte, war die rechtliche Ungleichheit der Stände; ſie ward um ſo bitterer empfunden, da ſie in dem freien geſelligen Verkehre der gebildeten Klaſſen thatſächlich längſt überwunden war. Welches Entzücken nun, da Frankreich die Gleichheit Alles deſſen was Menſchenangeſicht trägt verkündigte, da die Weiſſagungen Rouſſeaus, der wie kein anderer Franzoſe dem ſchwärmeriſchen Idealismus der deutſchen Jugend zum Herzen ſprach, ſich zu verwirklichen ſchienen. Alle Herzens - neigungen der Zeit, der edle Drang nach Anerkennung der Menſchen - würde und der himmelſtürmende Trotz des ſouveränen Ich, fanden ſich be - friedigt durch den vermeſſenen Trugſchluß des Genfer Philoſophen, daß im Zuſtande der vollkommenen Gleichheit jeder Menſch nur ſich ſelber gehorche.

115Eindruck der Revolution in Deutſchland.

Die Sünden der Revolution erſchienen den harmloſen deutſchen Zu - ſchauern kaum minder verführeriſch als ihre Größe. Der an Plutarchs Heldengeſchichten geſchulte Geſchmack begeiſterte ſich treuherzig für das geſpreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapoſtel, die unhiſtoriſchen Ab - ſtractionen ihrer Staatslehre entſprachen der philoſophiſchen Selbſtgefällig - keit des Zeitalters. Die ſchwärmeriſche Jugend, der noch die Kraftworte des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte ſich hingeriſſen von dem rhetoriſchen Pathos der Franzoſen, bewunderte arglos die republikaniſche Tugend der Girondiſten zur ſelben Zeit, da dieſe Partei in frevel - haftem Leichtſinn den Krieg gegen Deutſchland anſtiftete. Die romantiſche Verherrlichung des alten Kaiſerthums, die während der letzten Jahre unter den ſchwäbiſchen Poeten in Schwung gekommen war, verſtummte jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopſtock ſelber wendete ſeine Blicke von den cheruskiſchen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptſtadt der Welt, beſang den hundertarmigen, hundertäugigen Rieſen und rief: Hätt ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er - reichendem Ton, ſänge die göttliche ſchwach. Weltbürgerliche Freiheits - begeiſterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers und Proſa gegen Tyrannen und Sklaven: Ketten raſſeln ihnen Silber - ton! In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres - tage des Baſtilleſturmes das Feſt der Brüderlichkeit gefeiert und der Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der ſich um Klopſtock ſchaarte Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus und die Stolberge ſchwelgten im Rauſche des ſeligen Völkerglücks. Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren ſahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren ſchien zu der Unſchuld urſprünglicher Menſchheit. Für Oberdeutſchland wurde Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die jungen Brauſeköpfe aus Schwaben um das neufränkiſche Evangelium kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu - denten ließen ſich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politiſche Rufe vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi - granten, der Hochmuth und die Unzucht dieſer Landesverräther ſchienen jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbſt in Berlin ſah man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geſchmückt, und der Rector des Joachimsthaler Gymnaſiums pries am Geburtstage des Königs in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem Beifall des Miniſters Hertzberg.

Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be - wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war in ſeiner ſtillen Weiſe auch der politiſchen Gedankenarbeit des Zeitalters wachſam nachgegangen, namentlich mit Rouſſeau und Adam Smith tief vertraut geworden und brachte nun den metaphyſiſchen Freiheitskämpfen8*116I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.des Jahrhunderts den wiſſenſchaftlichen Abſchluß durch die großen Sätze: in jedem Menſchen ſei die Würde des ganzen Geſchlechts zu ehren, kein Menſch dürfe blos als ein Mittel benutzt werden. Was er alſo in ein - ſamen Nachdenken gefunden, ſah er jetzt verwirklicht durch die Thaten der Franzoſen, und da er in ſeinem heiteren Stillleben von den dämo - niſchen Kräften des keltiſchen Volksthums gar nichts ahnte, ſo ließ er ſich in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens - herrſchaft nicht ſtören, denn ſelbſt die Blutmenſchen der Guillotine be - riefen ſich auf das Recht der Idee. In Kants Schule iſt der echte und wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am treueſten be - wahrt worden.

Doch dieſe Begeiſterung der deutſchen gebildeten Welt für das re - volutionäre Frankreich war und blieb rein theoretiſch. Wie die Staats - rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer Vorleſungen aus der Idee heraus ein Syſtem des Vernunftrechts auf - bauten um dann im beſonderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen - theil des Vernunftſtaats, das Labyrinth der deutſchen Reichsverfaſſung darzuſtellen, ſo legten ſich auch die deutſchen Bewunderer der Revolution niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Fleiſch und Blut gewinnen ſollten. Der Weiſe von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes Recht des Widerſtandes. Selbſt Fichte, der radicalſte ſeiner Schüler, der noch in den Tagen Robespierres die franzöſiſche Freiheit zu vertheidigen wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung ſeiner eigenen Gedanken; er ſah keine Brücke zwiſchen der ebenen Heerſtraße des Naturrechts und den finſtern Hohlwegen einer halbbarbariſchen Politik und ſchloß entſagend: Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen, die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen. So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche trafen, hielt die theoretiſche Begeiſterung der Deutſchen Stand; man glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine Rotte gefährlicher Verſchwörer bekämpften, und wer fiel hatte unrecht . Aber als der Parteikampf immer wüſter und roher dahinraſte, als die fanatiſche Gleichheitswuth ſich vermaß ſelbſt die letzte Ariſtokratie, die des Lebens, zu vernichten, da vermochte der treue und ſchwere deutſche Sinn den launiſchen Zuckungen der galliſchen Leidenſchaft nicht mehr zu folgen. Der deutſche Schwärmer kehrte ſich weinend ab von den Barbaren, die ihm ſein Heiligthum geſchändet. Klopſtock klagte: Ach des goldenen Traums Wonn iſt dahin. Man war erſchreckt und entrüſtet. Das Gefühl kalter Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer politiſch reifen Nation erregen mußten, kam bei der deutſchen Gutherzigkeit nicht auf; ſie bemerkte nicht, daß die Maſſenmorde des Wohlfahrtsausſchuſſes von einer winzigen Minderheit einem ſklaviſch gehorchenden Volke auferlegt wurden. Die Enttäuſchten ſanken zurück in die alte politiſche Gleich -117F. Gentz.giltigkeit und wandten ihre ganze Thatkraft wieder auf die Arbeit der Kunſt und Wiſſenſchaft. Es war der großen Mehrzahl der Gebildeten aus der Seele geſprochen, wenn Goethe das Franzthum anklagte, das heute, wie einſt das Lutherthum, die ruhige Bildung ſtöre, wenn Schiller ſeine Horen mit den Worten ankündigte: der Dichter und Philoſoph ge - höre dem Leibe nach ſeiner Zeit an, weil er es müſſe, dem Geiſte nach ſei er der Zeitgenoſſe aller Zeiten.

Das bedeutendſte literariſche Werk, das in Deutſchland durch die Revolution veranlaßt wurde, kam aus dem gegneriſchen Lager. Es konnte nicht fehlen, daß die conſervativen Kräfte zur Abwehr der revolutionären Ideen ſich zuſammenſchaarten. Unter den preußiſchen Offizieren erregte vor Allem der Eidbruch der franzöſiſchen Truppen tiefe Entrüſtung; es bildete ſich ein royaliſtiſcher Verein, der ſeinen Genoſſen die Heiligkeit des Fahneneides einſchärfte. Brandes und Rehberg ſchrieben im Sinne der alten Geſellſchaft, wohlmeinend und ſachkundig, doch ohne Kraft und Tiefſinn; Spittler beurtheilte Segen und Unſegen der gewaltigen Bewegung mit der unparteiiſchen Sicherheit des Hiſtorikers. Der Scharfblick des Hauptmanns Gneiſenau fand ſchon im Jahre 1790 die Franzoſen reif zur Knechtſchaft und ſah voraus, daß eine Umwälzung ohne gleichen die Grenzen aller Länder bedrohe. Länger währte es, bis Friedrich Gentz über die Zeichen der Zeit ins Reine kam. Noch im April 1791 wollte er Burkes Anklagen wider die Revolution nicht gelten laſſen; anderthalb Jahre ſpäter überſetzte er ſelber das Buch des Briten und fügte jene köſtlichen Abhandlungen hinzu, die einen Wendepunkt in der Geſchichte unſerer politiſchen Bildung bezeichnen. Hier zuerſt ward erkennbar, daß die große Zeit unſerer Literatur auch das politiſche Denken der Nation zu verjüngen und zu läutern beſtimmt war. Ein Jünger der neuen Bildung, ausgerüſtet mit dem Gedankenreichthum der Kantiſchen Philo - ſophie und dem reinen Formenſinne der claſſiſchen Dichtung, bewährte zum erſten male jene Kraft der productiven Kritik, welcher die Kunſt und Wiſſenſchaft ein neues Leben dankten, nicht in abſtracten naturrecht - lichen Speculationen, ſondern in der Beurtheilung der lebendigen That - ſachen der Zeitgeſchichte; er verſtand das Wirkliche zu ſehen, in den un - fertigen Gebilden des Augenblicks ſchon die Umriſſe zukünftiger Geſtaltung zu erkennen. Mit einer Macht und Fülle der Sprache, wie ſie Deutſch - land bisher nur an ſeinen Dichtern kannte, geißelte er die Thorheit, die in Horden geht, und weiſſagte: Frankreich wird von Fall zu Fall, von Kataſtrophe zu Kataſtrophe ſchreiten. Wohl ließ ſich bereits errathen, daß die Charakterſtärke dieſes erſten Publiciſten der Epoche ſeinem Talente nicht entſprach; ſein Haß gegen die Revolution war nicht frei von nervöſer Aengſtlichkeit, er zitterte vor dem Uebermaße des Wiſſens, vor dieſem wilden Jahrhundert, das anfängt des Zügels zu bedürfen . Dennoch hoben ſich aus ſeiner Schrift ſcharf und klar die Grundgedanken einer118I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.neuen, lebensvollen Staatsanſchauung heraus, die mit dem erwachenden hiſtoriſchen Sinne der deutſchen Wiſſenſchaft feſt zuſammenhing. Dem weltbürgerlichen Radicalismus der Revolution trat eine hiſtoriſche Staats - lehre entgegen; ſie bekämpfte den ſelbſtgefälligen Wahn ſeichter Köpfe, welche die überwundene Grille einer alleinſeligmachenden Kirche in die Politik einzuführen, die reiche Mannichfaltigkeit nationaler Staats - und Rechtsbildung durch einen Katechismus naturrechtlicher Gemeinplätze zu verdrängen gedächten; ſie widerlegte den Aberglauben an die Vernunft der Mehrheit durch den ſchneidigen Satz: nicht die Mehrheitsherrſchaft, ſondern das liberum veto ſei natürlichen Rechtens; ſie vertheidigte die Macht des Staates wider den zügelloſen Individualismus des Zeitalters und hielt der Begehrlichkeit des ſouveränen Ich die tiefe Wahrheit ent - gegen: politiſche Freiheit iſt politiſch beſchränkte Freiheit.

Lange Jahre voll ſchwerer Erfahrungen ſollten noch vergehen, bis die Gebildeten der Nation dieſe Sprache verſtehen lernten. Vorläufig ließ man ſich in ſeiner Ruheſeligkeit nicht ſtören, und noch weniger war in den niederen Schichten des Volks irgendwelche gefährliche politiſche Aufregung zu bemerken. Deutſchlands Unheil lag in der Kleinſtaaterei und der Fäulniß der Reichsverfaſſung; und wie hätte der ſtillvergnügte Par - ticularismus der Maſſen dieſe Grundſchäden des deutſchen Lebens erkennen ſollen? Die inneren Zuſtände der größeren weltlichen Staaten, ſoweit ſie der Geiſt des fridericianiſchen Zeitalters berührt hatte, boten zu leiden - ſchaftlichem Unwillen keinen Anlaß. Viele der politiſchen Gedanken, welche die Halbbildung heutzutage als Ideen von 89 zu feiern pflegt, waren in Preußen längſt durchgeführt oder der Verwirklichung nahe: die Ge - wiſſensfreiheit beſtand von Altersher, desgleichen eine wenig beſchränkte Freiheit der Preſſe, die Kirchen waren im evangeliſchen Norden faſt überall der Hoheit des Staates untergeordnet und ihre Güter ſeculariſirt; eine wohlmeinende landesherrliche Verwaltung ſetzte den Herrenrechten des Adels enge Schranken, und was noch aufrecht ſtand von den Ueberreſten einer überlebten Geſellſchaftsordnung konnte durch einen feſten reforma - toriſchen Willen friedlich beſeitigt werden. Nur in den Kleinſtaaten, die der Gerechtigkeit der Monarchie entbehrten, fanden die Sünden der alt - franzöſiſchen Adelsherrſchaft ein Gegenbild. Dort im ſtiftiſchen Deutſch - land blühte noch die katholiſche Glaubenseinheit und die Hoffart adlicher Domcapitel, in den Reichsſtädten waltete die Trägheit und die Corruption altbürgerlicher Vetterſchaft, in den Territorien der Fürſten, Grafen und Reichsritter die Willkür kleiner Winkeltyrannen; das ganze Daſein dieſer verderbten und verknöcherten Staatsgewalten war ein Hohn auf die Ideen des Jahrhunderts.

Faſt allein in dieſen winzigſten Gebieten des Reichs ließ ſich, da aus Frankreich die frohe Kunde der großen Bauernbefreiung kam, eine leiſe Gährung im Volke verſpüren. Es geſchah, daß die Aebtiſſin von119Drohende Verwicklung mit Frankreich.Herrenalb durch ihre Unterthanen aus dem Lande gejagt, ihrer Genoſſin in Elten der Eid verweigert wurde. Kleine Bauernunruhen brachen aus im Trierſchen, in den Herrſchaften einiger Reichsritter und vor Allem in Speyer, dem verrufenſten der deutſchen Bisthümer, wo ſeit den Zeiten des Bauernkrieges eine harte Pfaffenherrſchaft ſchaltete und die Geſetztafel für die weltliche Dienerſchaft den Beamten die Erfüllung des Willens des Herrn, ſomit das gemeine Beſte als höchſtes Ziel vorhielt. In Mecklenburg rotteten ſich mißhandelte Fröhner zuſammen und drohten: den Edelmann wille wi dodſlagen. Die armſeligen örtlichen Zänkereien, welche den meiſten Reichsſtädten die Würze des Lebens bildeten, zeigten neuerdings einen ungewohnt gehäſſigen Ton; die Sprache gegen die Obrig - keit ward etwas lauter und ſchärfer; die geiſtlichen Fürſten den Rhein entlang erließen ſchon in ihrer Herzensangſt geſtrenge Strafmandate wider die Aufſäſſigkeit der Unterthanen.

Das Alles bedeutete wenig; der politiſche Schlummer war in Wahr - heit nirgends im Reiche ſo tief wie hier, auch die literariſche Bewegung des evangeliſchen Deutſchlands hatte das verkommene Völkchen der Krumm - ſtabslande noch kaum berührt. Aber wenn ein Umſturz von unten her nicht drohte, wenn ſelbſt Forſter in den Tagen ſeiner radicalen Schwärmerei geſtehen mußte, dies Deutſchland ſei für eine Revolution nicht reif, ſo fehlte doch dem halt - und waffenloſen Kleinſtaatenthum auch jede Kraft des Widerſtands gegen fremde Gewalt. Die erſtorbenen Glieder des Reichs waren Frankreichs Nachbarn, ſeit zwei Jahrhunderten gewohnt den Macht - geboten des Verſailler Hofes ſich zu beugen; ſie lagen im Gemenge mit den Gebieten der lebenskräftigeren weltlichen Staaten. Verſuchte das revolutionäre Frankreich die alte Herrſcherſtellung der Bourbonen am deutſchen Rhein in neuen Formen gewaltſam herzuſtellen, ſo konnte das ſtiftiſche Deutſchland leicht mit einem Schlage zuſammenbrechen, die letzten Trümmer des heiligen Reichs im Sturze mit ſich niederreißen.

Und ſolche Gefahr drohte ſchon ſeit den erſten, den ſogenannten un - ſchuldigen Tagen der Revolution. Es war die Größe und der Fluch dieſer Bewegung, daß ſie über Frankreichs Grenzen hinausfluthen mußte. Der gräßliche Bauernkrieg des Sommers 1789 und die neuen Geſetze, welche das Ergebniß dieſer Maſſenbewegung anerkannten, verwirklichten nur eine Welt von Wünſchen und Gedanken, welche das ganze Jahrhundert hin - durch über alle Völker des Weſtens ſich verbreitet hatten; was Wunder, daß die franzöſiſche Nation ſich jetzt als das Meſſias-Volk der Freiheit fühlte. Sie ſchrieb den furchtbar plötzlichen Zuſammenbruch des bourbo - niſchen Staates nicht der Thatſache zu, daß die alte Ordnung in Frank - reich noch ungleich verfaulter war als in den Nachbarlanden, ſondern der Ueberlegenheit des franzöſiſchen Genies. Der Unwille über die tief ge - ſunkene europäiſche Machtſtellung des Staates war unter den Urſachen der Revolution nicht die ſchwächſte geweſen; nun, da die Kraft dieſes120I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Volkes ſich ſo herrlich zu bewähren ſchien und das Ausland bewundernd nach der Hauptſtadt der Welt blickte, meinte man ſich berufen der weiten Erde Geſetze zu geben. Die Nation war gewöhnt jedes fremde Recht zu mißachten, ſie wähnte, daß ihre Bildung noch immer der ganzen Welt zum Muſter diene, wie einſt in dem Zeitalter Ludwigs XIV. ; von der neuen eigenartigen Cultur, die in Deutſchland erwacht war, wußte ſie nichts. Schon die Erklärung der Menſchenrechte erhob den anmaßenden Anſpruch allen Völkern als Richtſchnur zu gelten, und Lafayette begrüßte die neue Tricolore mit der Weiſſagung, ſie werde die Runde um den Erdkreis machen. Seitdem wuchs die Macht der revolutionären Propa - ganda; die innere Zerrüttung aller Nachbarlande, Italiens und Spaniens, Hollands und Belgiens, der Schweiz und der deutſchen Kleinſtaaten ver - ſprach ihr leichte Beute. Ein Weltkampf, wie ihn Europa ſeit den Tagen der Religionskriege nicht mehr geſehen, war im Anzuge, wenn alle die gräßliche Fäulniß, die ſich unter der Bourbonenherrſchaft in Frankreich angeſammelt, die Sittenloſigkeit der höheren, die rohe Unwiſſenheit der niederen Stände, und mit ihr zugleich die dämoniſche Macht der Gedanken eines neuen Zeitalters über dieſe wehrloſe Staatenwelt verheerend herein - flutheten.

Bereits war der erſte Schlag gegen die Rechte des deutſchen Reichs gefallen: die Reichsſtände im Elſaß wurden ihrer grundherrlichen Rechte, die Kirchenfürſten ihrer geiſtlichen Güter beraubt, offenkundigen Verträgen zuwider, des Reiches ungefragt. So trat die alte große Machtfrage, die zwiſchen den beiden Nachbarvölkern ſchwebte, der niemals völlig ausge - tragene Kampf um die rheiniſchen Lande in wunderlich verzerrter Geſtalt abermals an Deutſchland heran. Die Nothwendigkeit des Gewaltſtreiches ließ ſich nicht ſchlechthin beſtreiten; Jedermann kannte die troſtloſe Lage jener unglücklichen Elſaſſer Bauern, die zugleich der Krone Frankreich Steuern und den kleinen deutſchen Herren Lehensabgaben zu leiſten hatten; erſt durch dieſe befreiende That der Revolution wurden die Herzen des Land - volks in dem deutſchen Lande ganz für Frankreich gewonnen. Sollte Preußen, ſollten die verſtändigen weltlichen Reichsfürſten, die ſelber mit dem Kirchengute längſt aufgeräumt hatten und bedachtſam an der Be - freiung ihrer Bauern arbeiteten, jetzt mit den Waffen eintreten für die Zehnten der Biſchöfe von Trier und Speyer, für die Herrengerichte der Wurmſer und Leiningen, für dies Gewimmel kleiner Fürſten und Herren, das am Reichstage gehorſam in omnibus sicut Austria ſtimmte und im Norden nur mit Achſelzucken angeſehen wurde? Der Kampf gegen Frank - reich konnte leicht zu einem Principienkriege gegen die Revolution werden, denn der Radicalismus des Krieges duldet keine Mittelſtellung. Die Emi - granten ſchürten und drängten an allen Höfen; fuhr das Schwert aus der Scheide, ſo lag die Gefahr nahe, daß dieſe geſchworenen Feinde der Revolution die Oberhand gewannen und die deutſchen Mächte fortriſſen121Pläne Katharinas II. zu dem thörichten Unternehmen einer Wiederherſtellung der altbourbo - niſchen Zuſtände. Aber die Privilegien der Elſaſſer Reichsſtände bildeten zugleich das einzige ſtaatsrechtliche Band, das die avulsa imperii noch mit dem heiligen Reiche verkettete; ſie bedingungslos der Souveränität der Pariſer Nationalverſammlung unterordnen hieß die letzten Anſprüche des Reichs auf das Elſaß preisgeben; und ſo tief war der deutſche Staat noch nicht geſunken, daß er das Werk Ludwigs XIV. freiwillig hätte zum Abſchluß bringen ſollen eben jetzt da Frankreich zwar in lärmenden Drohungen ſich erging, doch weder Geldmittel noch ein ſchlagfertiges Heer beſaß.

Alſo zogen im Weſten wie im Oſten drohende Wolken herauf, und längſt ſtand eine große Feindin Deutſchlands auf der Lauer und berechnete die Stunde, da beide Unwetter zugleich über unſerem Vaterlande ſich entladen, da der Untergang Polens und der franzöſiſche Krieg, gleichzeitig hereinbrechend, die deutſchen Großmächte völlig lähmen würden. Kaiſerin Katharina trug es dem preußiſchen Hofe in gekränkter Seele nach, daß König Friedrich ihre polniſchen Pläne, ſein Nachfolger ihre byzantiniſchen Kaiſerträume durchkreuzt hatte. Sie ſah das Einverſtändniß Preußens und Oeſterreichs mit Beſorgniß, fand aber raſch das Mittel dieſen Bund für Rußland unſchädlich zu machen: wenn ihr gelang die deutſchen Mächte in den unabſehbaren Krieg mit Frankreich zu verwickeln, ſo war ſie Herrin in Polen und konnte die unausbleibliche Vernichtung des Adelsſtaates nach ihrem Sinne durchführen. Sie bemühte ſich kaum ihre Hoffnungen zu verbergen, erklärte ihren Räthen offen: Ich will die Ellenbogen frei haben und die deutſchen Höfe mit den franzöſiſchen Händeln beſchäftigen. Darum eilte ſie, den Türkenkrieg zu beendigen, darum redete die Freundin Diderots jetzt als fanatiſche Gegnerin der Revolution; ſie beſchützte die Emigranten, mahnte die Nachbarn unabläſſig an die gemeinſame Pflicht aller Souveräne, an die Wiederaufrichtung der alten Krone Frankreichs; ſie wünſchte eine Gegenrevolution durch die Brüder König Ludwigs, ſtellte auch mit unbeſtimmten Worten die Waffenhilfe Rußlands für den großen Kreuzzug des Royalismus in Ausſicht, da es doch in ihrer Hand lag ſich nach Belieben zurückzuhalten. Dies Verfahren des Petersburger Hofes ergab ſich ſo nothwendig aus Rußlands wohlgeſicherter geographiſcher Stellung, daß der preußiſche Miniſter Alvensleben, ein Mann von keines - wegs ungewöhnlichen Gaben, die Hintergedanken der Czarin ſofort durch - ſchaute und dem Könige die Politik ſeiner raſtloſen Nachbarin genau vorausſagte.

Weder der Kaiſer noch die preußiſchen Staatsmänner verkannten völlig die unberechenbaren Gefahren eines Krieges in ſo verworrener Lage. Leopolds nüchterner Kaltſinn blieb lange ganz unempfindlich gegen die hilfeflehenden Briefe ſeiner unglücklichen Schweſter Marie Antoinette, die ſich von weiblicher Leidenſchaft und gekränktem Fürſtenſtolze bis dicht an die Grenzen des Landesverraths fortreißen ließ. Das preußiſche Cabinet122I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.war Anfangs von dem Auftreten der conſtitutionellen Parteien ſehr be - friedigt, ſein Geſandter v. d. Goltz erkannte die Berechtigung der Re - volution unbefangen an, zeigte ein offenes Auge für die gehäuften Thor - heiten des verblendeten Hofes. Das wüſte Treiben der Emigranten wurde in Wien und Berlin mit der gleichen Strenge verurtheilt. Erſt ſeit dem Frühjahr 1791, ſeit König Ludwig ſeinen mißlungenen Fluchtverſuch durch unerhörte perſönliche Demüthigungen büßen mußte, begannen die beiden Höfe ernſtlich an eine Abwehr der revolutionären Gewaltthaten zu denken. Die aufregende Nachricht fiel grade in den verhängnißvollen Zeitpunkt, da Biſchoffswerder ſoeben die erſten Fäden angeknüpft hatte zur dauernden Verbindung der beiden Mächte. Friedrich Wilhelms ritterlicher Sinn flammte auf bei dem Gedanken die beleidigte Majeſtät in Frankreich mit ſeinem königlichen Degen zu rächen. Einzelne gewandte Köpfe der Emi - granten gewannen doch nach und nach geheimen Einfluß am Hofe; es war kein Zufall, daß eben jetzt das neue unpreußiſche Weſen in der Ver - waltung aufkam, die Abwendung von dem ſtolzen Freiſinn des großen Königs, die kleinen Nadelſtiche gegen die Aufklärer; der mächtige Günſt - ling führte Buch über die Demagogen und Verſchwörer in Preußen. Als der unheilvolle Mann im Sommer 1791 zum zweiten male nach Oeſter - reich hinüberging um die im Frühjahr eingeleitete Verſtändigung zu be - feſtigen, fand er den Kaiſer zu Mailand in erregter Stimmung; drohende Worte fielen: es werde Zeit das Uebel der Revolution mit der Wurzel auszurotten, den Unruheſtiftern überall, auch in Deutſchland entgegenzu - treten. Gleich nachher forderte Leopold durch das Rundſchreiben von Padua die europäiſchen Mächte auf, ſich ſeines mißhandelten Schwagers anzunehmen, jede Beleidigung der Ehre des Königs durch kräftige Maß - regeln zu rächen, keine Verfaſſung Frankreichs anzunehmen, die nicht von der Krone frei genehmigt ſei. Dann unterzeichnete Biſchoffswerder eigen - mächtig, gegen ſeine Inſtructionen, den Wiener Vertrag vom 25. Juli, wodurch beide Mächte ſich gegenſeitig ihren Beſitzſtand verbürgten und einander Hilfe verſprachen für den Fall innerer Unruhen.

Damit war die abſchüſſige Bahn, die man in Reichenbach betreten, bis zum Ende durchlaufen. Leopolds Klugheit hatte den Günſtling des Königs völlig überliſtet. Preußen gab die ſtolze Selbſtändigkeit der frideri - cianiſchen Politik auf, verpflichtete ſich, ohne jeden Entgelt dem kaiſerlichen Hofe in ſeiner Bedrängniß Dienſte zu leiſten; denn nur Oeſterreich, nicht Preußen war in ſeinem Beſitzſtande bedroht, in Belgien ſchwelte der Brand des inneren Unfriedens noch fort und mochte leicht durch einen Einfall der Franzoſen zu hellen Flammen angefacht werden. Der eigen - mächtige Unterhändler wurde in Berlin mit Vorwürfen überhäuft; mehrere Miniſter verwahrten ſich feierlich gegen dieſe verhängnißvolle Aenderung des politiſchen Syſtems: die Kräfte des Staates ſorgſam zu Rathe zu halten ſei die wirkſamſte Bekämpfung der Revolution, der Wiener Ver -123Padua und Pillnitz.trag lege dem Staate unberechenbare Verbindlichkeiten auf, die dem Heere und dem Haushalt zum Verderben gereichen könnten. Auch die öffentliche Meinung in Preußen begrüßte die öſterreichiſche Freundſchaft mit tiefem Mißtrauen. Die Erinnerungen der ſieben Jahre waren noch unvergeſſen; die Rechte der Reichsſtände im Elſaß und das Schickſal des linken Rhein - ufers lagen dem Geſichtskreiſe der Norddeutſchen ſo fern, daß ſpäter noch, als der Reichskrieg am Rheine ſchon durch anderthalb Jahre währte, einer der erſten politiſchen Köpfe der Zeit, Spittler, ganz unbefangen ſchreiben konnte: wir Deutſchen im Genuſſe unſerer glücklichen Ruhe! König Friedrich Wilhelm aber billigte die willkürlichen Schritte ſeines Freundes; er traf bald darauf mit Leopold in Pillnitz zuſammen, fühlte ſich hin - geriſſen von der würdigen perſönlichen Haltung des ſchlauen Florentiners und jubelte: der Bund der beiden deutſchen Großmächte werde zum Segen kommender Geſchlechter für ewige Zeiten dauern.

Eine unmittelbare Bedrohung Frankreichs lag freilich in allen dieſen Mißgriffen nicht. Wenn Friedrich Wilhelm ſelber einen Kreuzzug gegen die franzöſiſchen Rebellen lebhaft wünſchte, ſeine Miniſter wieſen den Ge - danken eines Angriffskrieges ebenſo entſchieden von ſich wie der durchaus friedfertige Kaiſer. In Pillnitz wurden die zum Kriege drängenden Emi - granten hart zur Seite geſchoben, und es kam nur die inhaltloſe Er - klärung vom 27. Auguſt zu Stande: die beiden Mächte ſprachen aus, daß ſie die Sache König Ludwigs für eine gemeinſame Angelegenheit aller Souveräne hielten; eine Einmiſchung in Frankreichs innere Händel ſolle erfolgen, falls alle europäiſchen Mächte zuſtimmten. Das ſagte gar nichts, da Jedermann wußte, daß England an einer bewaffneten Intervention niemals theilnehmen wollte. Und ſogar dieſe unklaren Andeutungen ließ man in Wien wieder fallen als König Ludwig im Herbſt in ſeine Würde wieder eingeſetzt wurde und die neue Verfaſſung freiwillig beſchwor. Die Revolution ſchien zum Stillſtande gelangt, der Kaiſer war völlig beruhigt, und ſelbſt der alte Fürſt Kaunitz, der ernſtlich an einen europäiſchen Krieg gegen die wüthigen Narren Frankreichs gedacht hatte, geſtand: nunmehr ſei jede Kriegsgefahr vorüber. Die Verhandlungen über die Rechte des Reichs im Elſaß führte Leopold nach altem Reichsbrauch mit einer Mäßi - gung, die der Schwäche gleich kam; er unterließ alle militäriſchen Sicher - heitsmaßregeln und forderte nur Entſchädigung, nicht Wiederherſtellung der Beraubten. Oeſterreich und Preußen bewogen auf Frankreichs Wunſch den Kurfürſten von Trier, daß er die Rüſtungen des Emigrantenheeres zu Coblenz unterſagte dieſes winzigen Heeres, das ohnehin, bei dem Todhaſſe der Franzoſen wider die adlichen Verräther, dem neuen Frank - reich nie gefährlich werden konnte; und wenn Leopold hinzufügte, er wolle durch ſeine belgiſchen Truppen den Trierer gegen den Ueberfall fran - zöſiſcher Freiſchaaren decken, ſo that er nur was die unabweisbare Pflicht des Reichsoberhauptes gebot.

124I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Frankreich war es, Frankreich allein, das Angeſichts dieſer fried - fertigen Haltung der deutſchen Mächte den Krieg erzwang. Das Grund - geſetz der conſtitutionellen Monarchie war kaum vereinbart, ſo arbeiteten die Doctrinäre der Gironde bereits an ſeiner Vernichtung; ſie wollten die Republik und erkannten raſch, daß eine Kriegserklärung gegen den Schwager des Königs das Anſehen des Thrones unrettbar erſchüttern, daß die letzten armſeligen Ueberreſte des alten Königthums zuſammenbrechen mußten, ſobald die Sturmfluth der revolutionären Propaganda über den Welt - theil dahin fegte. Der Widerwille der ungeheuren Mehrheit der Nation gegen die Republik ſollte durch den Glanz kriegeriſcher Erfolge, durch das alte theuere Traumgebilde der natürlichen Grenzen beſchwichtigt, die Geld - noth des Staates durch einen großen Beutezug geheilt werden. Bei dem reizbaren Stolze der tief erregten Nation und ihrer gründlichen Unkennt - niß ausländiſcher Zuſtände fiel es der wilden Rhetorik der Briſſot, Guadet und Genſonné nicht ſchwer, aus Wahrem und Falſchem ein kunſtvolles Trugbild zu weben, die thörichten Briefe des unglücklichen Hofes, den offenen Verrath der Emigranten in Zuſammenhang zu bringen mit den unvorſichtigen Worten der Erklärungen von Padua und Pillnitz. Das Volk begann zu glauben, daß ſeine neue Freiheit durch eine finſtere Ver - ſchwörung aller alten Mächte gefährdet ſei, daß man das Schwert ziehen müſſe um das Recht der nationalen Selbſtbeſtimmung gegen die Vor - mundſchaft Europas zu wahren. Derweil die kriegeriſche Stimmung in der Geſetzgebenden Verſammlung von Tag zu Tage wuchs, zeigte man in den Verhandlungen mit dem Kaiſer ſchnöden Uebermuth, bot den Reichs - ſtänden im Elſaß nicht einmal eine beſtimmte Entſchädigung. Dann forderte das Haus, hingeriſſen von den flammenden Reden der Gironde, die feierliche Erklärung des Kaiſers, daß er den Plan einer europäiſchen Vereinigung aufgebe und, gemäß den alten Bundesverträgen der Bour - bonen, Frankreich zu unterſtützen bereit ſei bei Strafe ſofortigen Krieges. Da Leopold eine würdige maßvolle Antwort gab, wurde am 20. April 1792 der Krieg gegen Oeſterreich erklärt. Frevelhafter waren ſelbſt die Raubzüge Ludwigs XIV. nicht begonnen worden als dieſer Kampf, der nach allem menſchlichen Ermeſſen das ungerüſtete Frankreich in ſchimpf - liche Niederlagen ſtürzen mußte. Eine doctrinäre Rede Condorcets ver - kündete ſodann der Welt, wie das Princip der republikaniſchen Freiheit ſich gegen den Despotismus erhebe. Dem geſammten alten Europa ward der Handſchuh hingeworfen; für Preußen aber trat der Wiener Vertrag in Kraft, der unterdeſſen durch ein förmliches Vertheidigungsbündniß ergänzt worden war.

Der Krieg wurde den deutſchen Mächten aufgedrungen. Faſt im ſelben Augenblicke rückten die ruſſiſchen Truppen jeden Widerſtand nieder - ſchmetternd in Polen ein, der Wille der Czarin gebot an der Weichſel. Wieder wie ſo oft ſchon befand ſich die centrale Macht des Feſtlandes125Frankreich erklärt den Krieg.zwiſchen zwei Feuern. Preußens Staatsmänner ſtanden vor der Wahl: ob ſie entweder das zerrüttete, zum Angriff kaum fähige Heer der Re - volution durch eine zähe Vertheidigung hinhalten und unterdeſſen mit der geſammelten Kraft des Staates die deutſchen Intereſſen im Oſten wahren oder umgekehrt die polniſche Entſcheidung vorläufig hinausſchieben ſollten um zunächſt den franzöſiſchen Krieg mit raſchen, wuchtigen Schlägen zu beenden. Da Frankreich ſelber durch ſeine Kriegserklärung die alten Ver - träge zerriſſen hatte, ſo durfte ein heldenhafter Sinn jetzt wohl die Hoff - nung faſſen, die von König Friedrich ſo oft beklagten deutſchen Thermo - pylen, die Vogeſen, dem Reiche zurückzubringen. Was man auch wählen mochte, die Stunde drängte; es galt die ganze Macht Preußens ſofort einzuſetzen, mit überwältigender Schnelligkeit im Oſten oder im Weſten einen durchſchlagenden Erfolg zu erringen. Aber das Adlerauge des großen Königs wachte nicht mehr über ſeinem Staate; die kleinen Leute, welche ſeinen Nachfolger umgaben, riethen zu dem Verkehrteſten, was geſchehen konnte: ſie begannen einen Angriffskrieg gegen das Innere Frankreichs und verwendeten für dies gewagte Unternehmen kaum die Hälfte des preußiſchen Heeres.

Der Krieg der erſten Coalition ging verloren durch diplomatiſche Fehler, nicht durch Niederlagen auf dem Schlachtfelde. Es ward ent - ſcheidend für ſeinen Verlauf, daß grade jetzt in Wien und Berlin alle Sünden und Lügen jener gierigen ideenloſen Cabinetspolitik des acht - zehnten Jahrhunderts wieder emporkamen, welche der Gradſinn Friedrich Wilhelms I. nicht verſtanden, der Heldenſtolz ſeines Sohnes verachtet hatte. Kaiſer Leopold ſtarb ſchon zu Anfang des Krieges. Sein junger Nachfolger Franz II. glaubte an das althabsburgiſche AEJDU mit der ganzen Starrheit eines gedankenleeren Kopfes, blieb allezeit der einfachen Anſicht, daß ſein Erzhaus niemals genug Land beſitzen könne; er nahm die joſephiniſchen Eroberungspläne wieder auf, hoffte durch den fran - zöſiſchen Krieg den Austauſch von Belgien gegen Baiern zu erreichen. Auch die preußiſche Staatskunſt zeigte nicht mehr den alten Charakter nüchterner Selbſtbeſchränkung; ſeit dem Abſchluß des öſterreichiſchen Bünd - niſſes ward auch ſie von der unſteten Begehrlichkeit der habsburg-loth - ringiſchen Hauspolitik ergriffen und ſchweifte unſicher ins Schrankenloſe ſtatt nach guter Hohenzollernweiſe ein feſt begrenztes Ziel mit eiſerner Ausdauer zu verfolgen. Den größten Gewinn an Land und Leuten, wo es auch ſei, mit den kleinſten Opfern herauszuſchlagen, das war die Weis - heit der pfiffigen Ränkeſchmiede Haugwitz und Lucheſini. Sie ſahen ein, daß der Wiener Vertrag, welcher dem Kaiſer den Beiſtand Preußens un - bedingt zur Verfügung ſtellte, eine ſträfliche Thorheit geweſen, und ver - langten nun, noch ehe Oeſterreich ſeine bairiſchen Pläne kundgab, zur Belohnung für die Kriegshilfe ein Stück von Polen und die pfälziſchen Lande am Niederrhein; Pfalzbaiern mochte dafür im Elſaß entſchädigt126I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.werden. Sie faßten alſo die Wiedereroberung der deutſchen Weſtmark ins Auge und gedachten zugleich den alten jülich-cleviſchen Erbfolgeſtreit gänzlich zum Vortheil Preußens zu beendigen. Der geſunde Kern dieſer Gedanken war unverkennbar, doch wie durfte man hoffen, einen ſo glän - zenden Gewinn, die Erwerbung von Poſen und der Rheinprovinz zugleich, anders zu erreichen als durch das Aufgebot aller Kräfte der Monarchie? Ein häßlicher Anblick, wie nun die begehrlichen Wünſche der beiden Höfe einander wechſelſeitig überboten und ſteigerten. Um nur der polniſchen Entſchädigung ſicher zu ſein, geſtattete Preußen, daß Oeſterreich ſich durch Baiern vergrößere. Der oberſte Grundſatz der fridericianiſchen Politik, der ſo oft mit dem Schwert und der Feder behauptete Entſchluß des großen Königs, dem Hauſe Oeſterreich unter keinen Umſtänden eine Macht - erweiterung im Reiche zu geſtatten, wurde in kläglicher Schwäche auf - gegeben aus feiger Habgier , wie Friedrich einſt auf ähnliche Vor - ſchläge geantwortet hatte. Und dabei war man doch der treuen Freundſchaft des neuen Bundesgenoſſen keineswegs verſichert.

Im Juli 1792 verſammelte ſich der hohe Adel deutſcher Nation zu Mainz um ſeinen neuen Kaiſer Franz. Es war das Henkermahl des heiligen Reichs. Noch einmal prunkten durch die engen Gaſſen des goldenen Mainz die Karoſſen der geiſtlichen Kurfürſten, das glänzende Diener - gefolge von hunderten reichsfreier Fürſten, Grafen und Herren, die ganze Herrlichkeit der guten alten Zeit zum letzten male bevor das neue Jahrhundert den Urväterhausrath der rheiniſchen Biſchofsmützen und Fürſtenkronen mit ehernen Sohlen zermalmte. Während dieſer rauſchen - den Feſte verhandelten die beiden Großmächte insgeheim über den Sieges - preis. Das Schickſal Baierns ſchien entſchieden; Preußen gab ſeinen alten Schützling, das Haus Wittelsbach völlig preis, und bei der mili - täriſchen Schwäche der ſüddeutſchen Staaten unterlag es keinem Zweifel, daß Oeſterreich den bairiſch-belgiſchen Tauſch ſogleich erzwingen konnte. Da traten die kaiſerlichen Unterhändler mit der Erklärung hervor, ihr Herr verlange nicht blos Baiern, ſondern auch das ſoeben durch Preußen rechtmäßig erworbene Ansbach-Baireuth; kein Zweifel mehr, die Hofburg trachtete nach der Theilung Deutſchlands, nach der Unterwerfung des ganzen Südens. Die Miniſter in Berlin fühlten ſich wahrhaft empört , der König empfand den Anſchlag wider ſeine fränkiſchen Stammlande als eine perſönliche Beleidigung. Auch über die polniſche Frage kam eine klare Verſtändigung nicht zu Stande. Obgleich Oeſterreich einer Gebiets - erweiterung Preußens im Oſten nicht gradezu widerſprach, ſo fühlten doch beide Theile, daß ihre Anſichten über Polens Zukunft weit aus - einander gingen; der Berliner Hof hatte ſich endlich überzeugt, daß die von Wien her begünſtigte polniſche Maiverfaſſung dem preußiſchen Intereſſe ſchnurſtracks zuwiderlief.

Verſtimmt, grollend, ohne jede feſte Verabredung über das Ziel des127Der Krieg von 1792.Kampfes, zogen die Verbündeten in den Krieg hinaus. Der kaiſerliche Hof führte den Feldzug ungern als einen aufgezwungenen Vertheidigungs - krieg; die preußiſchen Staatsmänner leiſteten ebenſo widerwillig eine Hilfe, die nach den Verträgen nicht verweigert werden konnte; beide Mächte tröſteten ſich mit der unbeſtimmten Hoffnung, das widerwärtige Unter - nehmen werde doch irgend einen Landgewinn abwerfen. Nur König Friedrich Wilhelm ſchwelgte in ritterlichen Hochgedanken; er ſah ſich jetzt als den Vorkämpfer des rechtmäßigen Königthums, auch die Geſtalten des Arminius und anderer Retter des deutſchen Vaterlandes erſchienen ihm in ſeinen Träumen. Welche Ordnung er dem beſiegten Frankreich auferlegen ſollte blieb ihm freilich ſelber unklar.

Noch bevor die Heere aufeinander trafen enthüllte ſich, außer der Zwietracht der Verbündeten, auch die andere heilloſe Unwahrheit, daran die Coalition krankte. Da die Redner der Gironde den Principienkrieg für die republikaniſche Freiheit predigten, ſo konnten ihre Feinde ſich dem Einfluß der contrerevolutionären Partei nicht ganz entziehen. Oeſterreich galt in Paris als der Schirm und Träger aller jener alten Staats - gedanken, die man dort mit dem geduldigen Geſammtnamen Feudalismus bezeichnete; gegen dieſe Macht der Finſterniß fochten die Wortführer der Revolution mit freudigem Eifer. Daß aber der Staat des Philoſophen von Sansſouci, der Rebell gegen Kaiſer und Reich, jetzt das alte Europa mit ſeinen Waffen ſchützte, erſchien ihnen ganz ungeheuerlich; ſie gaben die Hoffnung nicht auf, dieſen Staat der Aufklärung noch zu ſich hinüber - zuziehen. Gleichwohl vermochte das preußiſche Hauptquartier nicht, die immer lauter und zuverſichtlicher auftretenden Emigranten von ſich fern zu halten. Der Oberbefehlshaber, der Herzog von Braunſchweig, unter - ſchrieb in einem Augenblicke kopfloſer Schwäche ein fanatiſches Kriegs - manifeſt, das durch einen Heißſporn des emigrirten Adels ſeine Färbung erhalten hatte und im preußiſchen Cabinet Entſetzen erregte: der geiſt - reiche Schüler der franzöſiſchen Philoſophie, dem der Pariſer Kriegsminiſter vor Kurzem erſt die Führung des Revolutionsheeres angeboten hatte, be - drohte in grimmigen Worten das revolutionäre Frankreich mit Verderben und Zerſtörung. Die Gironde frohlockte; die contrerevolutionären Pläne der verbündeten Despoten ſchienen erwieſen, über allen Zweifel hinaus.

Unſelig wie die Politik, welche den Kampf begann, war auch die Weiſe der Kriegführung. Wohl blieben die wohlgedrillten Regimenter Oeſterreichs und Preußens den zerlumpten und verwilderten Haufen des Revolutionsheeres noch lange militäriſch überlegen. Wo es zum Schlagen kam wurden die Franzoſen von den fridericianiſchen Truppen regelmäßig geworfen; den preußiſchen Reitern und namentlich dem gefürchteten rothen König, dem Oberſt Blücher von den rothen Huſaren, wagten ſie ſelten Stand zu halten. Der märkiſche Bauer ſpottete noch nach Jahren über die franzöſiſchen Katzköppe, wie er die Chaſſeurs nannte. Blücher gab128I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nach Abſchluß der drei Rheinfeldzüge ſein Campagne-Journal heraus und ſchilderte beſcheiden doch mit herzhaftem Selbſtgefühl, wie oft er die Feinde geſchmiſſen habe; die Offiziere zogen aus dem Kampfe heim mit dem Bewußtſein rühmlicher Pflichterfüllung. Und doch führten dieſe drei Feld - züge, die den preußiſchen Fahnen ſo viele ſtattliche Einzel-Erfolge brachten, zu einem ſchmachvollen Frieden. Der Charakter der Kriegführung wird überall und zu allermeiſt in Coalitionskriegen bedingt durch die Ziele der Staatskunſt, welcher ſie dient; eine Politik, die ſich vor dem Siege fürchtet, kann große Feldherren nicht ertragen. Die ſchwankende Rathloſigkeit der preußiſchen Politik fand in der Willensſchwäche, in dem bedachtſamen Zaudern des Herzogs von Braunſchweig ihren getreuen Ausdruck. König Friedrich war in den letzten Zeiten des ſiebenjährigen Krieges durch die erdrückende Uebermacht der Feinde zu einer Behutſamkeit gezwungen worden, die ſeinen Neigungen und Grundſätzen widerſprach. Was ihm allein die Noth auferlegte, erſchien den Generalen der Friedensjahre als die Blüthe militäriſcher Weisheit. Sie hielten für die Aufgabe des Feld - herrn, die Truppen in einen weiten Cordon auseinanderzuziehen, jeden irgend bedrohten Punkt zu decken, den Berg durch das Bataillon und das Bataillon durch den Berg zu ſichern; jener Geiſt der Initiative, den Friedrich ſo oft für den Nerv des Kriegshandwerks erklärt hatte, ging dem friedensfrohen Geſchlechte verloren. Die Künſtelei dieſer bedacht - ſamen Kriegsmethode entſprach zugleich dem Temperament des Braun - ſchweigers und ſeinen politiſchen Anſichten; denn er allein unter den Generalen des verbündeten Heeres fürchtete die dämoniſchen Kräfte der Revolution, er ſcheute das Wagniß der offenen Feldſchlacht.

Nach altöſterreichiſchem Brauche kam von den zugeſagten kaiſerlichen Hilfsvölkern nur der kleinſte Theil zur Stelle. Der Oberfeldherr eroberte zunächſt die Feſtungen der Maaslinie und rückte dann, widerwillig dem Befehle des Königs gehorchend, weſtwärts gegen Paris vor, obgleich ſein Heer viel zu ſchwach war um die Eroberung der feindlichen Hauptſtadt verſuchen zu können. Schon am 20. September fiel die Entſcheidung des Feldzugs. Der Herzog wagte nicht, die Franzoſen auf den Höhen von Valmy anzugreifen, ſondern gab den ſicheren Sieg aus der Hand und räumte darauf den franzöſiſchen Boden vor den anrückenden Verſtärkungen des Feindes. Mit dem Seherblick des Dichters durchſchaute Goethe die Folgen dieſer großen Wendung; er ſagte zu den preußiſchen Offizieren: Am heutigen Tage beginnt eine neue Epoche der Weltgeſchichte. Inzwiſchen war die Krone der Capetinger durch den Aufſtand des zehnten Auguſt zerbrochen worden; aus dem gräßlichen Blutbade der Septembermorde ſtieg die franzöſiſche Republik empor, und triumphirend konnten die Gewalt - haber des neuen Frankreichs dem Convente als Brautgabe die große Kunde bringen, daß die fridericianiſche Armee den Heerſchaaren der Freiheit un - rühmlich den Rücken gekehrt habe.

129Erſte Erfolge der Franzoſen.

Und noch waren die Ueberraſchungen dieſes wilden Jahres 92 nicht zu Ende; es ſchien, als wollte das unerforſchliche Schickſal die Thorheit aller menſchlichen Vorausſicht erweiſen. Ein franzöſiſches Freicorps unter unfähigem Führer drang in einem tollen Abenteurerzuge an der Flanke des preußiſchen Heeres vorbei bis gegen Mainz; die erſte Feſtung Deutſch - lands öffnete ohne Widerſtand ihre Thore. Die Herrlichkeit der rheiniſchen Kleinſtaaterei brach wie ein Kartenhaus zuſammen; Fürſten und Biſchöfe ſtoben in wilder Flucht auseinander. Pfalzbaiern erklärte ſich neutral, nach der alten landesverrätheriſchen Gewohnheit des Hauſes Wittelsbach; das heilige Reich ſpürte den Anfang des Endes. Das willenloſe Volk der geiſtlichen Lande ließ ſich von einer Handvoll lärmender Feuerköpfe das Poſſenſpiel einer rheiniſchen Republik vorführen, ſprach in ehrfürchtiger Scheu alle Kraftworte der Pariſer Völkerbeglücker nach, obgleich das Phlegma, das uns die Natur auferlegt hat, uns nur erlaubt die Fran - zoſen zu bewundern ; an dem Anblick dieſes Zerrbildes der Freiheit iſt dem edelſten der rheiniſchen Enthuſiaſten, Georg Forſter, das Herz ge - brochen. Währenddem fielen auch Savoyen und Belgien, ſchlecht ver - theidigt, den ſchlechten Truppen der Republik in die Hände. Wunderbare, ſtrahlende Erfolge, die ſelbſt ein nüchternes Volk berauſchen konnten! Ein maßloſes Selbſtgefühl ſchwellte den Führern der neuen Republik die Seele; ſie boten allen Völkern, die ſich für die Freiheit erheben wollten, den Bei - ſtand Frankreichs an. Der Kampf der revolutionären Propaganda ward feierlich verkündigt: Krieg den Paläſten, Friede den Hütten! In dieſer fanatiſchen Siegeszuverſicht lag eine unermeßliche ſittliche Kraft. Auch die militäriſche Macht der Republik war im Erſtarken, obgleich noch Alles in ihrem Heerweſen wüſt und wirr durcheinander gährte. Den unge - heuren Maſſen, welche der Convent ins Feld führte, konnte die methodiſche Kriegführung der fridericianiſchen Generale wohl auf dem Schlachtfelde den Sieg entreißen, doch eine ſolche Volkserhebung völlig niederzuwerfen war für die kleinen Heere der alten Zeit unmöglich. Unter den Frei - willigen von 1792 fand ſich eine Fülle junger Talente, ein großer Theil der Marſchälle und Generale des Kaiſerreichs; die neue Gleichheit bot allen aufſtrebenden Köpfen freie Bahn, der Schrecken der Guillotine ſpornte Jeden das Höchſte zu wagen.

Alſo kündigte ſich hier eine neue Kriegsweiſe an und eine neue Staats - kunſt, welche die Ländergier der alten Cabinetspolitik mit einer unerhörten Mißachtung aller überlieferten Formen des Völkerrechts verband. Sollte das Reich dem Angriff dieſer unberechenbaren jugendlichen Macht wider - ſtehen, ſo mußten vor Allem die Rheinlande eine neue kräftigere politiſche Ordnung erhalten und zum Widerſtande befähigt werden. Durch die Schuld der kleinen Höfe war das feſte Mainz in die Hände Cuſtines gefallen, und auch nach der Niederlage wußten ſie dem bedrängten Vater - lande nichts zu bieten als jammernde Klagen und RechtsverwahrungenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 9130I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.und einige leidenſchaftliche Flugſchriften, die den getreuen Unterthan gegen das Bürgerchen Cuſtine aufregen ſollten. Durfte man dieſe verlebten politiſchen Gewalten, die vor den erſten Schlägen des Feindes zuſammen - gebrochen waren, wieder aufrichten? Der Gedanke der Seculariſation drängte ſich nochmals unabweisbar auf; rechtzeitig und durch die deutſchen Mächte allein ausgeführt, bot er das letzte Mittel den Beſtand des Reichs - gebietes zu retten. In Berlin wie in Paris wurde die Beſeitigung der geiſtlichen Staaten damals ſchon ernſtlich erwogen. Indeß auf Oeſterreichs Widerſpruch ließen die preußiſchen Staatsmänner den Plan fallen, und wieder begann das traurige geiſtloſe Feilſchen um ein billiges Super - plus . Man beſchloß endlich, nachdem die Preußen bereits Frankfurt und das rechte Rheinufer von den Franzoſen geſäubert hatten, im nächſten Jahre Belgien und Mainz zurückzuerobern; dafür ſollte der Kaiſer an bairiſchen, Preußen an polniſchen Landſtrichen ſich ſchadlos halten. Beide Mächte führten den leidigen Krieg nur noch weiter um ſich eine Gebiets - abrundung zu ſichern. Der Plan einer royaliſtiſchen Gegenbewegung, der den ehrlichen Sinn des Königs von Preußen noch immer beſchäftigte, verlor jeden Boden, ſeit die Republik begründet war und bald nachher der Kopf König Ludwigs fiel.

Währenddem befeſtigten ſich die Ruſſen in ihrer Machtſtellung an der Weichſel. Katharina war durch den Frieden von Jaſſy des Türken - krieges entledigt, und da ſie nun mit geſammelter Kraft ſich auf die polniſche Beute ſtürzte, fand ſie abermals einen Bundesgenoſſen an der Parteiwuth des ſarmatiſchen Adels. Mit Hilfe der Tarnowicer Con - foederation warf ſie die Neuerungen von 1791 über den Haufen und ſtellte die alte Landesverfaſſung wieder her, das will ſagen: ihre eigene Herr - ſchaft über die Krone Polen. Seit dreißig Jahren arbeitete ſie unab - läſſig an dem Plane, das Czarenreich durch die Eroberung Polens in unmittelbaren Verkehr mit der Cultur des Weſtens zu bringen; jetzt ſchien ſie am Ziele ihrer Wünſche, ſie gebot über die Weichſellande und konnte nach Belieben entſcheiden, wann und in welchen Formen die völlige Ein - verleibung des eroberten Gebietes erfolgen ſollte. Wer durfte ihr wider - ſtehen? Die Macht Rußlands war durch die Zwietracht der deutſchen Nachbarn, durch den Zerfall der weſteuropäiſchen Staatengeſellſchaft gewaltig angewachſen und wurde überdies von allen Zeitgenoſſen überſchätzt; Nie - mand bemerkte, daß das menſchenarme Land durch die Kriege ſeiner ruhe - loſen Czarin eine Million Menſchen verloren hatte und zu einem An - griffskriege nur mäßige Mittel beſaß. Eine Parteinahme der deutſchen Höfe für die polniſchen Patrioten war durch Katharinas diplomatiſche Kunſt von Haus aus verhindert. Da der Petersburger Hof die jaco - biniſchen Königsmörder mit Worten leidenſchaftlicher Entrüſtung bekämpfte, ſo warb die Warſchauer Patriotenpartei um die Hilfe der Franzoſen; wer Frankreichs Feind war konnte nicht der Bundesgenoſſe Polens ſein.

131Zweite Theilung Polens.

Dergeſtalt durch die überlegene, ſkrupelloſe Politik der Czarin von allen Seiten her umſtellt fand ſich König Friedrich Wilhelm wieder in ähnlicher Lage wie ſein Vorgänger zwanzig Jahre früher. Er mußte ſich entſcheiden, ob er die Alleinherrſchaft der Ruſſen in Polen dulden oder durch eine neue Theilung das Anſchwellen der moskowitiſchen Macht be - ſchränken ſollte. Die Wahl konnte nicht zweifelhaft ſein. Das preußiſch - polniſche Bündniß war durch die Polen ſelber zerriſſen, als ſie dem Hauſe Wettin die erbliche Krone anboten. Der Berliner Hof that jetzt endlich was die Intereſſen Preußens längſt geboten: er erklärte ſich offen gegen die Maiverfaſſung von 1791, freilich mit Worten erkünſtelter Entrüſtung, welche von ſeiner bisherigen Haltung häßlich abſtachen. Er verſammelte die Hälfte ſeines Heeres an der Oſtgrenze, und da Katharina bei der unheimlichen Gährung, die das polniſche Land erfüllte, ſich nicht ſicher fühlte, ſo willigte ſie im Januar 1793 widerſtrebend in die zweite Theilung Polens. Dann ſah die Welt den Selbſtmord eines weiland mächtigen Volkes. Alle Gräuel der Pariſer Conventsherrſchaft erſchienen unſchuldig neben dem entſetzlichen Schauſpiele der ſtummen Sitzung des Reichstags von Grodno: durch ein verabredetes Gaukelſpiel, durch den Schein des Zwanges ließen ſich die beſtochenen Landboten und Magnaten die Ge - nehmigung der Theilung ihres Vaterlandes abtrotzen. Preußen erwarb, außer Thorn und Danzig, jene großpolniſchen Lande um Poſen und Gneſen, welche Friedrich im ſiebenjährigen Kriege ſo ſchmerzlich vermißt hatte. Sie bildeten die natürliche Verbindung zwiſchen Schleſien und Altpreußen und konnten, da ſie bereits einen ſtarken Bruchtheil deutſcher Bewohner enthielten und mit dem Reiche lebhaften Verkehr unterhielten, im Laufe der Jahre vielleicht ganz für die germaniſche Geſittung gewonnen werden. Die weite Lücke in unſerer Oſtgrenze war endlich geſchloſſen; all das Unrecht, das der polniſche Adel ſeit Jahrhunderten den deutſchen Culturbringern angethan, fand nunmehr ſeine Sühne. Aber wenn die Theilung ſelber eine That gerechter Nothwehr war, ſo zeigte doch die Wahl der Mittel den ſittlichen Verfall des preußiſchen Staates. Durch Wortbruch und Lüge, durch Beſtechung und Ränke jeder Art erreichte er ſein Ziel; nicht befriedigt mit der Sicherung ſeiner Grenzen griff er ſchon weit über das Maß des Nothwendigen hinaus, bis zur Bzura, tief in reinpolniſches Land hinein. Das alſo verſtümmelte Polen konnte nicht mehr beſtehen; die zweite Theilung führte unaufhaltſam zu einem letzten Umſturz, der für Deutſchland verderblich werden mußte.

Die nächſte Folge des Theilungsvertrages war der Zerfall der preu - ßiſch-öſterreichiſchen Allianz. Kaiſer Franz hatte zwar der Vergrößerung Preußens im Voraus zugeſtimmt, weil er ohne den Beiſtand der nord - deutſchen Macht Belgien nicht wiedererobern konnte; dennoch vernahm er mit Unmuth, wie ſein Bundesgenoſſe eigenmächtig, früher als er ſelber, ſich den Siegespreis geſichert hatte; es klang ihm wie Hohn, als Katharina9*132I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſchrieb, er möge ſein eigenes Werk krönen durch die Genehmigung der neuen polniſchen Theilung. Erzürnt entließ er ſeine Räthe und vertraute die Leitung der auswärtigen Geſchäfte dem Miniſter Thugut. Dieſer ge - häſſigſte aller Feinde Preußens, durch rührige Schlauheit und gewiſſen - loſe Thatkraft den Berliner Staatsmännern weit überlegen, dachte nach dem Vorbilde Katharinas die ungeheure Verwirrung der europäiſchen Lage für eine Eroberungspolitik im großen Stile auszubeuten; überallhin ſchweiften ſeine begehrlichen Wünſche, nach Flandern und dem Elſaß, nach Baiern, nach Italien, nach den Donaulanden, nach Polen. Sein Haß gegen den norddeutſchen Verbündeten ſtieg noch, ſeit der Erbe von Pfalz - baiern, der Herzog von Zweibrücken ſich wider den bairiſch-belgiſchen Tauſchplan verwahrte, und Preußen, den begangenen Fehler endlich er - kennend, rundweg erklärte, ohne die freie Zuſtimmung des Hauſes Wittels - bach dürfe der Tauſch nicht ſtattfinden. Zunächſt ging der öſterreichiſche Staatsmann darauf aus, die Macht Preußens in Polen niederzuhalten. Nichts konnte der Czarin willkommener ſein; ſie empfand es bitter, daß ihr die polniſche Beute zum zweiten male durch Preußens Dazwiſchen - treten geſchmälert wurde, und benutzte geſchickt den gegenſeitigen Haß der deutſchen Mächte um den einen Nachbarn durch den anderen zu ſchwächen. Schon im Sommer 1793 traten die Höfe von Wien und Petersburg einander näher; über die feindſeligen Abſichten dieſes neuen Kaiſerbundes konnte man ſich in Berlin nicht täuſchen.

Der Zerfall der Coalition zeigte ſich ſofort in den Kriegsereigniſſen. Die Preußen überſchritten den Rhein nahe der alten Pfalz bei Caub, an derſelben Stelle, wo ſie zwei Jahrzehnte ſpäter den Kampf um den deutſchen Strom von Neuem begonnen haben; ſie vertrieben den Feind vom linken Ufer, belagerten und eroberten Mainz. Unter dem Schutze ihrer Waffen kehrte der entflohene hohe Adel zurück und ſtellte unbeläſtigt allen Unfug der Kleinſtaaterei wieder her, deren rettungsloſe Verderbniß man doch in Berlin wohl kannte. Dann ſtand die preußiſche Armee lange im pfälziſchen Gebirge, mit der Front ſüdwärts gegen das Elſaß, überall ſiegreich wo der Feind einen Angriff verſuchte; doch ſie wagte keinen Vorſtoß, denn das Berliner Cabinet mißtraute den Abſichten ſeines Ver - bündeten. Der kaiſerliche General Wurmſer, der den linken Flügel des Heeres vor den Weißenburger Linien befehligte, verlangte den Einmarſch ins Elſaß, um auch dort wie am Mittelrhein die Herrſchaft ſeiner Standes - genoſſen vom Reichsadel wiederherzuſtellen, und trotzte dem preußiſchen Oberbefehlshaber in offenem Ungehorſam. Da trat gegen das Ende des Jahres General Hoche an die Spitze der franzöſiſchen Truppen, der reinſte Menſch unter den jungen militäriſchen Talenten der Republik. Von den Preußen bei Kaiſerslautern zurückgeſchlagen, wendete er ſich mit dem Ungeſtüm des genialen Naturaliſten gegen Wurmſers Corps, ſchlug die Kaiſerlichen auf dem Gaisberge, bei Wörth, bei Fröſchweiler, auf jenen133Feldzug von 1793.Vorhöhen des Gebirges, wo dereinſt die erſten Schläge des großen Ver - geltungskrieges fallen ſollten, befreite das von den Verbündeten belagerte Landau und zwang Wurmſer zum Rückzuge. Das preußiſche Heer konnte nach den Niederlagen der Oeſterreicher das Gebirge nicht mehr halten und räumte die Pfalz. Das unglückliche Land lernte in den Schrecken des Plünderwinters die Wohlthaten der franzöſiſchen Freiheit kennen.

Schwere Niederlagen wecken die ſittliche Kraft in einem tüchtigen Heere; dieſer durch fremde Schuld verlorene Feldzug zerrüttete die Mannszucht unter den preußiſchen Offizieren. Man ſchalt und klagte laut, forderte die Heimkehr aus dem unnützen Kriege. Das unpreußiſche Weſen, das die Verwaltung lähmte, drang auch in das Heer; die Armee glich einer militäriſchen Republik; der Groll gegen die Oeſterreicher entlud ſich in hundert gehäſſigen Händeln. Auch auf dem niederländiſchen Kriegstheater war die jetzt durch England verſtärkte Coalition wenig glücklich. Sie hatte Belgien zurückgewonnen, und im Sommer, nach der Einnahme von Valenciennes und Mainz, lag die Straße nach Paris offen vor den ver - bündeten Heeren, wenn man den Entſchluß fand die Armeen zu einem gemeinſamen Vorſtoße zu vereinigen. Aber die engliſche Handelspolitik verlangte nach dem Beſitze von Dünkirchen, Thugut forderte die Eroberung der Picardie; über dem Gezänk der Diplomaten ging der günſtige Zeit - punkt verloren, und zu Ausgang des Feldzugs ſtand man wieder in der Defenſive an der belgiſchen Südgrenze. Unterdeſſen war die Kriegsmacht der Republik in beſtändigem Wachſen. Die Schreckensherrſchaft der Jaco - biner unterwarf das geſammte Land der Dictatur der Hauptſtadt; ſie bedurfte des Krieges, weil ſie jedes wirthſchaftliche Gedeihen zerſtörte. Der Gedanke der revolutionären Propaganda ward zur furchtbaren Wahr - heit; eine ruheloſe Verſchwörung ſpannte ihre Netze über den halben Welt - theil, bis nach Warſchau und Turin, nach Amſterdam und Irland, ver - ſuchte die Grenzen aller Länder ins Wanken zu bringen. Das Volk brachte zitternd die ungeheuren Opfer, welche das Gebot der Pariſer Gewalt - haber ihm auferlegte. Wenngleich der Terrorismus der Conventscom - miſſäre die deutſchen Provinzen Frankreichs erbitterte und im katholiſchen Elſaß da und dort ſogar altöſterreichiſche Erinnerungen wachrief, die Maſſe der Bauerſchaft im Oſten hielt doch treu zu der Tricolore, weil ſie von dem Siege der Coalition die Rückkehr der Zehnten und Frohnden fürchtete. In Straßburg wurde das hohe Lied der Revolution gedichtet. Carnots Genie gab dem Heere eine neue Organiſation, fügte Linientruppen und Nationalgarden in der taktiſchen Einheit der Halbbrigaden zuſammen, beſeitigte die unbrauchbaren gewählten Führer, bildete aus den friſcheſten Kräften der altbourboniſchen Offiziere und der neuen Freiwilligen ein fähiges Offizierscorps. Die wilde Verwegenheit der ungeſchulten republi - kaniſchen Generale, die mit rückſichtsloſer Vergeudung von Menſchenleben und Kriegsmaterial auf den Gegner losſtürmten, wurde den bedachtſamen134I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Schülern der alten Kriegskunſt ſehr läſtig; auch die Haltung der fran - zöſiſchen Mannſchaften beſſerte ſich etwas durch die lange Kriegsübung.

So erſtarkte der Gegner; Preußen dagegen fand ſich zu Anfang des dritten Feldzugs völlig gelähmt durch die Erſchöpfung der Geldmittel. Sein Staatsſchatz war nahezu geleert. Der König hatte ſchon im zweiten Kriegsjahre engliſcher Hilfsgelder nicht entbehren können. Ihm und ſeinem Heere allein verdankte das Reich die Wiedereroberung der rheiniſchen Hauptfeſtung. Er erbot ſich nun den Reichskrieg auch im nächſten Jahre fortzuführen, wenn die übrigen Reichsſtände, die bisher für die Vertheidigung der Weſtgrenze kaum 20,000 Mann ins Feld ge - ſtellt, ihm in ſeiner Geldnoth aushülfen und den Unterhalt ſeines Heeres am Rheine übernähmen. Aber der Scharfblick des kleinfürſtlichen Par - ticularismus ſah in dem preußiſchen Vorſchlage das Wiederaufleben der Ideen des Fürſtenbundes. Zagheit und Selbſtſucht überall; an manchen Höfen ſchon offener Verrath, da Frankreich längſt darauf hinarbeitete die kleinen Herren unter ſeinen Einfluß zu bringen. Auch Oeſterreich war der Neuerung nicht günſtig, die den König von Preußen als Reichsfeld - herrn, ſeine Truppen als Reichsheer hätte erſcheinen laſſen. Selbſt eine Anleihe, welche Hardenberg von den kleinen Höfen des Weſtens zu er - langen hoffte, brachte nur einen kaum nennenswerthen Ertrag. Von ſeinen Mitſtänden verlaſſen entſchloß ſich Friedrich Wilhelm endlich, ſein geſammtes rheiniſches Heer in den Sold der Seemächte zu geben. Dieſes ohnehin für eine Großmacht kaum erträgliche Verhältniß führte zu den ärgſten Zwiſtigkeiten, da der Subſidienvertrag unklare, vieldeutige Sätze enthielt. Die Seemächte meinten über die Truppen ihres Verbündeten willkürlich verfügen zu können und wollten im Intereſſe ihrer Handelspolitik die ſämmtlichen Heere der Coalition in den Niederlanden verſammeln. Preußen aber behielt ſich ſelber die Wahl des Kriegsſchauplatzes vor und verſuchte nochmals die Reichsgrenze am Mittelrhein zu vertheidigen. Oeſterreich wiederum hoffte auf Eroberungen in Flandern und Lothringen. Feld - marſchall Möllendorf eröffnete den Feldzug durch einen zweiten Sieg bei Kaiſerslautern; nachdem er im Sommer aus dem Gebirge hatte zurück - gehen müſſen, drang er im Herbſt wieder vor und die preußiſchen Regi - menter behaupteten zum dritten male ſiegreich die blutgetränkten Höhen an der Lauter. Auch in den Niederlanden fehlte es nicht an glänzenden Kriegsthaten der norddeutſchen Hilfsvölker; der heldenkühne Ausfall des hannoverſchen Hauptmanns Scharnhorſt aus Menin bewies, daß die alte deutſche Waffentüchtigkeit noch nicht erſtorben war. Jedoch der Muth der Einzelnen konnte nicht ſühnen was die Schwäche der Heerführung und die Zweideutigkeit der kaiſerlichen Politik verdarben. Im October ging das öſterreichiſche Heer aus Belgien über den Rhein zurück. Der Feind rückte nach, beſetzte das Rheinland bis nach Coblenz hinauf, und alſo im Rücken bedroht mußten die Preußen jetzt ebenfalls das linke Ufer räumen.

135Feldzug von 1794.

Zur ſelben Zeit erprobte der König abermals die Zuverläſſigkeit britiſcher Freundſchaft; England, erbittert über die ſelbſtändige Haltung der preußiſchen Generale, verweigerte ihm die Zahlung der Hilfsgelder, machte ihm die Fortſetzung des Kampfes unmöglich. So ging das beſte Heer der Coalition durch Englands eigenſinnigen Hochmuth dem euro - päiſchen Kriege verloren. Gegen Weihnachten drang dann Pichegru über das Eis der großen Ströme in Holland ein, die Flotte des weiland ſee - beherrſchenden Staates ſtrich ihre Flagge vor einer franzöſiſchen Reiter - ſchaar. Die bataviſche Republik ward ausgerufen, der große Freiſtaat des Weſtens begann ſich mit einem Walle von Tochterrepubliken zu um - geben. Auch der dritte rheiniſche Feldzug war vergeblich geführt, und für den nächſten Sommer mußten die weſtphäliſchen Lande einen Angriff der Franzoſen von Holland her erwarten. Preußen ſtand völlig vereinſamt; man vernahm bald, daß die britiſche Treuloſigkeit in Petersburg und Wien mit lauter Schadenfreude begrüßt wurde. Im preußiſchen Volke aber ahnte Niemand, wie tief die Macht des Staates durch eine Politik der Halbheit und Unklarheit geſchädigt war. Die Hauptſtadt jubelte über die drei Siege von Kaiſerslautern; ein Rauſch patriotiſchen Stolzes und royaliſtiſcher Hingebung erfüllte die Gemüther. Damals zuerſt, in den Jahren 93 und 94, erklang zu Berlin das Heil dir im Siegerkranz , der neue preußiſche Text zu der alten Händelſchen Melodie. Das prächtige Siegesdenkmal der alten Monarchie, das Brandenburger Thor ward ein - geweiht; frohlockend drängte ſich das Volk herbei, als die liebliche Braut des jungen Kronprinzen durch dies Triumphthor einzog. Preußiſche Schriftſteller verglichen in ehrlicher Verblendung das ungetrübte Glück ihrer treuen und ſiegreichen Nation mit der Zerrüttung und der Ohn - macht des Staates der galliſchen Königsmörder.

Inzwiſchen wurde die wankende Eintracht der Coalition gänzlich zerſtört durch die polniſchen Händel. In der Oſterwoche 1794 brach zu Warſchau ein blutiger Aufſtand aus, die Ruſſen wurden aus dem Lande vertrieben. Von Paris her unterſtützt griff der Aufruhr unaufhaltſam um ſich, bis tief in das preußiſche Polen. Auch diesmal, im letzten Verzweiflungs - kampfe, ließ der polniſche Adel nicht von den alten Sünden der Zwie - tracht und Zuchtloſigkeit. Immerhin zeigte die unſelige Nation mehr Widerſtandskraft als die Theilungsmächte ihr zugetraut, und ein gnädiges Schickſal ſchenkte ihr das Glück ſich noch einmal das Herz zu erheben an dem Anblick eines wahrhaftigen Helden. Kosciuszko beſaß weder das Genie des großen Feldherrn noch den Weitblick des Staatsmannes, doch ſeine reine Seele barg neben allen ritterlichen Tugenden ſeines Volkes eine unerſchütterliche Rechtſchaffenheit, eine treue Hingebung an das Vater - land, wie ſie Polen ſeit Jahrhunderten nicht mehr kannte; gleich einem Schutzengel erſchien Vater Thaddäus den polniſchen Bauern, wenn der ſchwermüthige Held im weißen Bauernflausrock auf ſeinem Klepper durch136I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die Reihen der Senſenmänner ritt. In Rußland dagegen flammte der alte Haß der Byzantiner gegen die Lateiner, der Weſtſlaven gegen die Oſtſlaven drohend auf; wie ein Mann forderte das weite Czarenreich die Vernichtung Polens zur Sühne für die erlittene Schmach. Nie war ein Krieg dem ruſſiſchen Volke heiliger. Es lag am Tage, in der blutigen Woche von Warſchau hatte Polens letzte Stunde geſchlagen. Da war es Preußens Pflicht, ſogleich, ehe noch die ruſſiſchen Heerſäulen aus dem entlegenen Innern des Reichs heranrücken konnten, ſelber den Aufſtand niederzuwerfen um nachher bei der unvermeidlichen letzten Theilung in unangreifbarer Stellung das entſcheidende Wort zu ſprechen.

Der König erkannte was auf dem Spiele ſtand. Er ließ ſein Heer einrücken, ſchlug die Polen bei Rawka, eroberte Krakau und wendete ſich dann gegen Warſchau, das mangelhaft gerüſtet, von Parteikämpfen erfüllt, einem Sturmangriffe der Preußen nicht gewachſen war. Aber jene un - glückliche Bedachtſamkeit und Ueberfeinheit, welche den rheiniſchen Krieg verdorben hatte, betrog den König auch um die Früchte ſeiner polniſchen Siege. Der ritterliche Fürſt wollte Praga mit Sturm nehmen und dann, wie ſein Ahnherr der große Kurfürſt, als Sieger in der polniſchen Haupt - ſtadt einziehen. Da mahnte ihn Biſchoffswerder ſeine Kräfte zu ſchonen für die Abrechnung mit Rußland; ein Agent Katharinas, der Prinz von Naſſau-Siegen, ſtimmte dem kleinmüthigen Rathe eifrig zu; man begann eine regelmäßige Belagerung, die ſchon nach wenigen Tagen abgebrochen wurde. Während das preußiſche Heer verſtimmt und erbittert von War - ſchau abzog, rückte Suworow mit der Hauptmacht Katharinas heran, der geniale Barbar, in dem die wilde nationale Leidenſchaft der Moskowiter Fleiſch und Blut gewann: dem weißen Czaren und der orthodoxen Kirche blind ergeben wie ein großruſſiſcher Bauer, und doch ein Meiſter in der Kriegskunſt der Abendländer, ein großer Feldherr, zum Befehlen geboren, gewohnt das Ungeheure von dem Todesmuthe ſeiner Soldaten zu fordern, gewohnt zu handeln nach ſeinem Lieblingsworte: die Kugel iſt eine Närrin, das Bajonett ein ganzer Mann. Er vollführte was die preußiſchen Feld - herren verſäumt, ſchlug das Heer Kosciuszkos aufs Haupt, erſtürmte Praga nach mörderiſchem Kampfe. Warſchau lag zu den Füßen Katha - rinas, ihre Truppen behaupteten die beherrſchende Stellung zwiſchen Bug und Weichſel. Nicht Preußen, ſondern Rußland hatte den Aufſtand ge - bändigt, und prahlend verkündete der Petersburger Hof: Polen iſt gänz - lich unterworfen und erobert durch die Waffen der Kaiſerin.

Die Unterlaſſungsſünden der preußiſchen Heeresleitung beſtraften ſich ſofort, als die drei Oſtmächte zu Petersburg über die letzte Theilung ver - handelten. Preußen verlangte die Weichſellinie mit Warſchau, Sandomierz und Krakau. Da Oeſterreich, das zur Dämpfung des Aufſtandes ſehr wenig gethan, dieſe letzteren zwei Bezirke für ſich begehrte, gab General Tauentzien eine Antwort, die ſchon den gänzlichen Zerfall der Coalition137Bund der Kaiſerhöfe gegen Preußen.ankündigte; er ſagte: dieſe zwei Provinzen in Eurer Hand würden uns mehr Noth machen als alle Demokratien der Welt. Rußland aber ſtand auf Oeſterreichs Seite; mit glücklichem Erfolg hatte Thugut ſeit andert - halb Jahren um Katharinas Gunſt geworben. Die beiden Kaiſerhöfe waren einig den preußiſchen Ehrgeiz mit jedem Mittel zu bändigen und ſchloſſen, da Preußen nicht nachgab, am 3. Januar 1795 ein geheimes Kriegsbündniß gegen ihren Bundesgenoſſen. Der Vertrag beſtimmte: Theilung Polens dergeſtalt, daß Rußland und Oeſterreich die Hauptmaſſe erhalten, Preußen mit Warſchau und einem ſchmalen Striche an der oſt - preußiſchen Grenze abgefunden wird. Außerdem ward ein umfaſſender Eroberungsplan verabredet: Rußland ſoll in den Donauprovinzen eine Secundogenitur gründen, Oeſterreich erhält freie Hand zur Erwerbung von Baiern, Bosnien und Serbien, ſowie der venetianiſchen Republik; ja die Kaiſerin giebt im Voraus ihre Zuſtimmung zu allen anderen Eroberungen, welche ihr Bundesgenoſſe noch für nöthig halten ſollte; widerſpricht Preußen, ſo wird es mit Aufbietung aller Kraft durch die Waffen gezwungen. Alle die vermeſſenen Wünſche Kaiſer Joſephs lebten alſo wieder auf; an der unteren Donau, im Herzen Süddeutſchlands und vor Allem an der Adria dachte Thugut die Macht ſeines Staates zu er - weitern, und Katharina ließ ihn gern gewähren, weil ſie in dem allge - meinen Umſturz das zweite große Ziel ihrer Staatskunſt, die Herrſchaft über Byzanz zu erreichen hoffte.

Dahin alſo war der preußiſche Staat in den fünf Jahren ſeit dem Reichenbacher Tage gelangt: die Seemächte und das deutſche Reich weigerten ihm die Mittel zur Kriegführung, Rußland und Oeſterreich bedrohten ihn mit einem Angriff. Der Vertrag vom 3. Januar blieb in Berlin noch mehrere Monate lang unbekannt, doch über die Geſinnungen der Kaiſerhöfe beſtand kein Zweifel. Längſt hatte Thugut in Böhmen Truppen angeſammelt um wider den preußiſchen Alliirten vorzubrechen. Konnte Preußen, ohne Geldmittel wie man war, mit ſolchen Bundesgenoſſen den franzöſiſchen Krieg fortſetzen, deſſen letzte Ziele in dem verworrenen Ränke - ſpiele der Diplomatie immer dunkler und räthſelhafter wurden? Sämmt - liche Räthe des Königs verlangten ſchon längſt Frieden oder Bündniß mit Frankreich: auch der geiſtreiche Miniſter Hardenberg, der die fränkiſchen Markgrafſchaften durch eine treffliche Verwaltung für die Monarchie ge - wonnen hatte und jetzt zuerſt auf die auswärtige Politik einzuwirken an - fing. Der Armee, ſelbſt dem tapferen Blücher, war der Krieg an der Seite der Oeſterreicher gänzlich verleidet, nicht minder dem Volke, das der Lorbeeren genug zu haben glaubte. Der junge Vincke ſprach allen aufgeklärten Preußen aus der Seele, wenn er bitter fragte: wie lange wollen wir noch ein freiwilliges Opfer öſterreichiſcher Falſchheit bleiben? Hans von Held, die böſeſte Zunge der literariſchen Oppoſition, mahnte beweglich: Friedrich Wilhelm, ruf es wieder, ruf dein tapfres Heer138I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.zurück! Laß uns ſein der Franken Brüder, ſo gebeut es das Geſchick. Auch im Reiche rief Alles nach Frieden; ſo allgemein war die Ermattung, daß ſogar Karl Auguſt von Weimar lebhaft zur Beendigung des Krieges rieth. Thugut andrerſeits drohte in leidenſchaftlicher Erbitterung, er werde ſich mit Frankreich vertragen, wenn man ihm Krakau vorenthalte; der übereilte Abzug der Oeſterreicher aus den Niederlanden und manche bedenkliche Nachrichten, die über das Treiben des toscaniſchen Geſandten Carletti in Paris umliefen, beſtärkten den preußiſchen Hof in ſeinem Ver - dachte gegen die Hofburg.

Kaum minder dringend war das Friedensbedürfniß in dem tief er - ſchöpften Frankreich; man wünſchte ſehnlich, mindeſtens mit Preußen ins Reine zu kommen. Da die Schreckensherrſchaft geſtürzt, die gemäßigten Parteien in Paris zur Herrſchaft gelangt waren, ſo ſchmeichelten ſich die Berliner Staatsmänner mit der Erwartung, ein preußiſcher Sonderfriede werde den allgemeinen Frieden einleiten, den alten Beſitzſtand des Reiches wiederherſtellen. Widerſtrebend ließ ſich der König endlich die Erlaub - niß zur Eröffnung der Friedensverhandlungen abdringen; im Stillen wünſchte er noch immer als getreuer Reichsfürſt einen neuen Rheinkrieg zu führen. Die Baſeler Unterhandlungen verliefen unglücklich, trotz Hardenbergs diplomatiſcher Gewandtheit, weil die Miniſter in Berlin nicht den Muth hatten den Gegnern mit der Wiederaufnahme der Feind - ſeligkeiten zu drohen. Auch dem Gedanken der Seculariſation, der von den Franzoſen wieder aufgegriffen wurde und vielleicht noch einen leid - lichen Ausweg eröffnen konnte, wagten die preußiſchen Diplomaten nicht ernſthaft ins Geſicht zu ſehen. Sie begnügten ſich mit einer armſeligen Halbheit und ſchloſſen am 5. April 1795 den Frieden von Baſel, kraft deſſen Preußen einfach aus dem Coalitionskriege ausſchied; gelang den Franzoſen ſich auf dem linken Ufer zu behaupten, ſo ſollte der König für ſeinen überrheiniſchen Beſitz entſchädigt werden durch ſeculariſirtes geiſtliches Land, wie beide Theile ſtillſchweigend vorausſetzten.

Der Friedensſchluß war, wie die Menſchen und die Dinge in Preußen augenblicklich ſtanden, das letzte verzweifelte Mittel um den Staat aus einer unhaltbaren Lage zu retten. Er war die nothwendige Folge viel - jähriger Fehler und Mißgeſchicke, eines unwahren Bündniſſes, das den Keim des Verrathes in ſich trug, einer kraftloſen Politik, die ſich zwiſchen Polen und dem Rheine unſtet hin und her warf ohne jemals einen ent - ſcheidenden Schlag zu führen. Er war die Schuld nicht einzelner Männer, ſondern des geſammten Volkes, das, einmal durch einen großen Mann aus ſeinem politiſchen Schlummer aufgerüttelt, ſich wieder in ein waches Traumleben verlor und wieder lernte mit gelaſſenem Wohlgefallen an ſeiner politiſchen Zukunft zu verzweifeln. Er war, trotz aller zwingenden Gründe, die ihn entſchuldigten oder erklärten, der ſchwerſte politiſche Fehler unſerer neuen Geſchichte, eine Untreue des preußiſchen Staates gegen ſich139Baſeler Friede.ſelber, die durch zwei Jahrzehnte der Entehrung und der Noth, durch beiſpielloſe Opfer und Kämpfe gebüßt worden iſt.

Als der Mehrer des Reichs war dies Preußen über die Nichtigkeit des Kleinſtaatenthums hinausgewachſen; keine Niederlage in freier Feld - ſchlacht konnte dieſen Staat je tiefer beugen als er ſich ſelber demüthigte, da er ungeſchlagen ſeine Hand abzog von der deutſchen Weſtmark und das ſoeben erſt durch Preußens Heer dem Reiche wiedergeſchenkte Mainz einem ungewiſſen Schickſale preisgab. Durch die Kraft des Willens hatte Preußen ſich allezeit unter übermächtigen Nachbarn behauptet; unziem - licher ſogar als ein offener Bund mit dem Reichsfeinde war für dieſe Macht der träge Kleinmuth, der gemächlich abwarten wollte, ob vielleicht Oeſterreich noch die Franzoſen aus dem Reiche hinausſchlüge. Ein ehren - haftes Gefühl reichsfürſtlichen Stolzes bewog den König dem Baſeler Friedenswerke bis zum letzten Augenblicke zu widerſprechen: er war der Erbe jenes großen Kurfürſten, der, nicht minder ſchnöde von Oeſterreich betrogen, doch immer wieder den Kampf um die rheiniſchen Lande gewagt hatte; zudem empfand er dunkel, wie der wackere alte Miniſter Finken - ſtein, daß die Behauptung der Weſtgrenze des Reichs für die Macht - ſtellung Preußens weit wichtiger war als der Beſitz von Sandomierz und Krakau. Verrathen von ſeinen Verbündeten war er unzweifelhaft berech - tigt von der Coalition zurückzutreten ſobald Frankreich einen ehrenvollen Frieden bot und die alten Grenzen des Reichs anerkannte; doch ein ſolcher Friedeließ ſich nur erreichen wenn man den Willen hatte einen vierten rheiniſchen Feldzug zu wagen. Noch hatte der Krieg die Kernlande der Monarchie nicht berührt; der Wohlſtand zeigte überall ein nachhaltiges Gedeihen, obgleich der Mißwachs des Jahres 1794 augenblickliche Ver - legenheiten bereitete. Von einer Ueberbürdung des Volkes war keine Rede; das um tauſende von Geviertmeilen vergrößerte Staatsgebiet brachte ſeinem gutherzigen Fürſten kaum eine Million Thaler mehr an jährlichen Ein - künften als einſt der kleine Staat Friedrichs II. Ein großer Staatsmann mußte in ſolcher Lage die Mittel zu finden wiſſen für einen neuen Feld - zug, trotz der ſchwerfälligen Formen des Finanzweſens, trotz der üblen Erfahrungen, die man ſoeben mit einer ausländiſchen Anleihe gemacht hatte. Aber im Rathe des Königs fehlte ein ſchöpferiſcher Kopf; der un - glückliche Fürſt ſah keinen Ausweg mehr und beſchwichtigte ſein Gewiſſen mit dem trübſeligen Troſte, daß der Friede mindeſtens keine förmliche Ab - tretung deutſchen Landes ausſpreche.

Alle Berechnungen und Erwartungen ſeiner ſchlauen Rathgeber er - wieſen ſich ſofort als ein großer Irrthum. Sie dachten den Reichskrieg zu beendigen; Hardenberg glaubte, Frankreich werde freiwillig auf die Rheingrenze verzichten um nur mit dem Reiche ſich abzufinden, und hoffte arglos auf ein dauerndes Freundſchaftsverhältniß zwiſchen Preußen und der Republik. Wie ahnten ſie doch ſo gar nichts von dem Charakter des140I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.revolutionären Frankreichs! In Paris kam bald nach den Baſeler Ver - trägen die Kriegspartei wieder ans Ruder, die von Preußen Waffenhilfe erwartete und, getäuſcht in ihrer Hoffnung, den ruheſeligen neutralen Nachbarn mit unverhohlener Geringſchätzung behandelte. Immer deutlicher zeigte ſich, daß ein Friede mit dem Staate der revolutionären Propa - ganda erſt möglich war wenn die alte Staatenwelt in Trümmern lag. Die Haugwitz und Alvensleben wähnten durch den Friedensſchluß freie Hand zu erhalten für die polniſchen Händel und mußten ſchließlich doch den Theilungsplan der beiden Kaiſerhöfe mit geringen Aenderungen an - nehmen; denn nur als Frankreichs Bundesgenoſſe konnte Preußen dem herriſchen Willen Thuguts und Katharinas entgegentreten, und wider ein offenes Bündniß mit der Revolution ſträubte ſich das Ehrgefühl des Königs wie die Thatenſcheu der Mehrzahl ſeiner Räthe. Gleichwohl war Preußen bereits durch den Baſeler Vertrag ein Mitſchuldiger, ein geheimer Ver - bündeter der franzöſiſchen Eroberungspolitik geworden; man wußte in Berlin, daß die Republik das linke Rheinufer behaupten wollte, man er - wartete von ihrer Freundſchaft Entſchädigungen für die cleviſchen Lande und war alſo, wie lebhaft man ſich auch gegen den Verdacht verwahrte, an Frankreichs Siegeswagen angekettet.

Der erſte Schritt führte weiter. Am 5. Auguſt wurde ein Ergänzungs - vertrag abgeſchloſſen, der ſchon beſtimmte Erwerbungen in Ausſicht ſtellte: ging das linke Ufer dem Reiche verloren, ſo ſollte der König das Bis - thum Münſter erhalten und ſein oraniſcher Schwager ebenfalls mit geiſt - lichen Gebieten im Reiche ſchadlos gehalten werden. So verlor der große Gedanke der Seculariſation ſeinen reinen Sinn; König Friedrich hatte ihn verſtanden als ein Mittel zur Reform des Reichs, jetzt diente er nur noch zur Beraubung Deutſchlands. Preußen gewann durch den Frieden ſcheinbar eine großartige Erweiterung ſeiner Macht. Die norddeutſchen Kleinſtaaten folgten raſch dem Beiſpiele ihres mächtigen Mitſtandes. Eine Demarcationslinie wurde den Rhein entlang und dann quer durch Mittel - deutſchland gezogen; hinter ihr lag der neutrale Norden, durch Preußens Waffen vor den Schrecken des Krieges behütet. Die klugen Leute in Berlin jubelten: ſo ſei die Herrſchaft des ſchwarzen Adlers über das ge - ſammte Norddeutſchland durch die friedlichen Künſte der Diplomatie be - gründet. Und doch war dieſe glänzende Stellung nur ein nichtiger Schein. Der Rhein bildete keine haltbare Grenze, die Republik vermochte das linke Ufer nur zu behaupten wenn ſie auch das rechte mittelbar oder unmittelbar beherrſchte; unaufhaltſam fluthete der Krieg tief nach Oberdeutſchland hinein, mehrere der ſüddeutſchen Staaten ſchloſſen bereits Unterwerfungs - verträge mit Frankreich, es waren die Vorboten des Rheinbundes. Im Süden wie im Weſten durch Frankreich und ſeine Vaſallen umklammert, konnte Norddeutſchland ſeine Unabhängigkeit nur ſo lange bewahren, als Frankreich ſich im eigenen Intereſſe genöthigt fand ſie zu ſchonen. Die141Neutralität Norddeutſchlands.friedensſelige Thatenſcheu allein hielt das nordiſche Neutralitätsbündniß zuſammen; wurde der Schirmherr Norddeutſchlands in einen neuen Krieg mit Frankreich verwickelt, ſo mußte dieſer Bund, der jedes ſittlichen In - haltes, jedes poſitiven Zweckes entbehrte, augenblicklich zuſammenbrechen, der Abfall der kleinen Genoſſen von dem beſiegten Preußen ſtand dann un - vermeidlich bevor. Nicht einmal die dauernde Unterordnung der kleinen norddeutſchen Contingente unter Preußens Oberbefehl war von der Selbſt - ſucht dieſer Höfe zu erlangen. Die Gedankenarmuth der Berliner Politik verſuchte kaum ernſtlich, die thatſächliche Herrſchaft, welche der Staat im Norden beſaß, zu einer ſtaatsrechtlichen Hegemonie auszubilden; und doch ließ ſich der Friedensſchluß nur dann entſchuldigen, wenn man ihn benutzte um in Norddeutſchland die Politik des Fürſtenbundes wieder aufzunehmen.

Die Trennung des Nordens von dem Süden hatte der alte König immer unerbittlich zurückgewieſen ſo oft Kaiſer Joſeph ſie zu Oeſterreichs Vortheil durchſetzen wollte; jetzt wurde die Theilung Deutſchlands ver - wirklicht zu Frankreichs Vortheil. Sobald Preußen ſich in das Stillleben der norddeutſchen Neutralität zurückzog, ging der beſte politiſche Gewinn, welchen die Wiedererwerbung der fränkiſchen Stammlande den Hohen - zollern verhieß, unrettbar verloren; der kräftige Schritt mittenhinein in das oberdeutſche Leben war umſonſt gethan. Unter den Süddeutſchen beſtanden fortan nur noch zwei Parteien: eine franzöſiſche und eine öſter - reichiſche ſoweit dies ermüdete Geſchlecht überhaupt noch politiſche Ge - ſinnung beſaß. Das Volk wußte nichts von den Hintergedanken der Hof - burg, ſah die kaiſerlichen Truppen noch jahrelang gegen den Reichsfeind fechten, während Preußen thatlos zur Seite ſtand, und ehrte ſie als die letzten treuen Beſchützer des heimiſchen Bodens. Im Herbſt 1795 focht der Landſturm der Bauern auf dem Taunus und dem Weſterwalde mit den Oeſterreichern vereinigt gegen die plündernde Löffelgarde der Sans - culotten. Als Oeſterreich dann in dem jungen Erzherzog Karl wieder einen Helden fand, da gewann der ſeit Langem faſt verſchollene Name des Kaiſerhauſes bei den Oberdeutſchen wieder einen hellen Klang; noch heute erinnern alte Holzſchnitte in den Bauernhäuſern des Schwarzwalds an die Schlachten des kaiſerlichen Oberfeldherrn. In jenen Jahren bildete ſich grade unter den beſten Deutſchen des Oberlandes eine öſterreichiſche Geſchichtsüberlieferung, die noch durch Jahrzehnte mächtig fortgewirkt hat; damals, da die Szekler und Kroaten im Neckarthale ſtanden, empfing der junge Ludwig Uhland die beſtimmenden politiſchen Eindrücke ſeines Lebens. Preußen aber, das den Oberdeutſchen niemals recht vertraut geweſen, verfiel jetzt auf lange hinaus der allgemeinen Mißachtung. Alſo wirkten die Baſeler Verträge nach allen Seiten hin verderblich; und wenn Hardenberg erwartete, der Friede werde ſeinem Staate eine lange Reihe innerer Reformen, die Einführung der berechtigten Gedanken der Re - volution ermöglichen, ſo ſollte auch dieſe Hoffnung trügen. Der neu -142I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.gewonnene polniſche Beſitz verhinderte vielmehr jahrelang jede Fortbildung der Verwaltung.

Der Baſeler Vertrag, der dem Könige die angeſehene Stellung eines europäiſchen Friedensvermittlers hatte bringen ſollen, bewirkte nur, daß die geſammte Staatengeſellſchaft ſich von Preußen abwendete. An den beiden Kaiſerhöfen erregte die Botſchaft aus Baſel leidenſchaftliche Entrüſtung; ſie hielten für ſchwarzen Verrath was rathloſe Schwäche war ein ſehr begreiflicher Irrthum, da Preußen nur noch von den Siegen der Republik Vortheil ziehen konnte. Beide Höfe blieben feſt davon überzeugt, daß Preußen mit Frankreich unter einer Decke ſpiele; ſie trauten den Rathgebern des Königs das Aergſte zu, ſie glaubten im Ernſte, daß Preußen auf einen Angriffskriegs ſinne, insgeheim die Türken und Schweden gegen Katharina aufzuſtacheln ſuche. Thugut verſammelte bereits ein Heer an der ſchleſiſchen Grenze, mahnte das ruſſiſche Cabinet in ungeſtümen Depeſchen zum Vernichtungskriege gegen den natürlichen Feind , entwarf einen abenteuerlichen Plan: wie man Preußen aller ſeiner polniſchen Provinzen, auch Weſtpreußens, berauben wolle; Suworow ſollte die Ruſſen gegen die preußiſche Hauptſtadt führen. Die Kriegsrüſtungen gegen die norddeutſche Macht brachten den rheiniſchen Krieg während des ganzen Sommers zum Stillſtande. Erſt im Herbſt überzeugte man ſich, daß von Preußens Schwäche nichts zu fürchten ſei, und zugleich erkannte Thugut die Unmöglichkeit einer Verſtändigung mit der Republik. Die Erhaltung der Reichsgrenzen lag dem Gedankengange ſeiner harten Inter - eſſenpolitik fern; er war bereit das linke Rheinufer zu opfern, wenn Oeſterreich die bairiſchen Erblande erhielte. Der Pflichten des Kaiſer - thums gedachte in der Hofburg Niemand; ſtellte man doch dem Peters - burger Hofe ausdrücklich frei, die ruſſiſchen Truppen möchten in Deutſch - land nach Gutdünken hauſen und die von Oeſterreich abgefallenen Reichsſtände züchtigen. Nur über die italieniſchen Dinge konnte man ſich nicht einigen: Thugut hoffte das Gebiet der neutralen Republik Venedig zu der Lombardei hinzu zu gewinnen, während Frankreich den Schlüſſel Italiens, Mailand, nicht in Oeſterreichs Händen laſſen wollte. Deshalb fuhren die Schwerter im Herbſt 1795 abermals aus der Scheide; der Wiener Hof dachte am Rhein Venetien zu erobern. Und wie der Krieg um Italiens willen erneuert wurde, ſo ſollte er auch in Italien ſeine Entſcheidung finden. Mit Rußland und England durch eine neue Tripel - Allianz feſter denn je verbündet, von Pitt mit reichlichen Hilfsgeldern unter - ſtützt, ſtürzte ſich Thugut in den unabſehbaren Kampf. Hüben und drüben herrſchte die rohe Begierde, die Verhöhnung jedes Rechtes; ob Frankreich, ob Oeſterreich ſiegte, der Untergang des alten Völkerrechtes war gewiß. Und während dieſes unheimlichen Ringens blieb der Staat neutral, dem einſt Freund und Feind nachſagten, daß er die Wage des europäiſchen Gleichgewichts in ſeinen Händen halte!

143Dritte Theilung Polens.

Erſtaunlich nun, wie man in Norddeutſchland ſich gar nichts träumen ließ von der ungeheuren Einbuße, welche Preußens Ruf und Anſehen durch den kleinmüthigen Friedensſchluß erlitten, von der völligen Ver - wüſtung jeder Pietät und jedes Rechtsgefühls, die über Deutſchland herein - brechen mußte ſeit der einzige lebendige deutſche Staat das Reich verlaſſen hatte. Alle Welt im Norden rief den weiſen Friedensſtiftern Beifall zu. Handel und Wandel blühten; Preußens Rhederei und Getreideausfuhr genoſſen der Vortheile der neutralen Flagge, nahmen durch den allge - meinen Seekrieg einen ungeahnten Aufſchwung. In ungeſtörter Sicher - heit entfalteten ſich alle Kräfte der neuen Literatur; eben jetzt ſah Weimar ſeine goldenen Tage. Halb verächtlich, halb gleichgiltig blickte der bildungs - ſtolze Norddeutſche aus der Fülle geiſtigen Lebens, die ihn umfing, hinüber nach dem wüſten Kriegsgetümmel jenſeits der Demarcationslinie. Der alte Kant wurde durch die frohe Nachricht aus Baſel angeregt ſeine Abhandlung vom ewigen Frieden niederzuſchreiben und träumte von dem nahen Untergange der Barbarei des Krieges zur ſelben Stunde, da ein neues eiſernes Zeitalter über das aufgeklärte Europa heraufzog. Auch der König, der ſo lange dem Frieden widerſtrebt, beruhigte ſich bald beim Anblick der allgemeinen Zufriedenheit, er lernte aus der Noth eine Tugend zu machen, ſchrieb voll Selbſtgefühls an Katharina: er glaube nur dem Beiſpiele ſeines Vorgängers zu folgen, der ebenfalls zuerſt die Grenzen ſeiner Staaten erweitert und ſich’s dann zum Syſteme gemacht habe das neu Erworbene im Frieden zu regieren und zu behaupten.

In der That hatte außer Johann Sigismund und Friedrich II. noch kein Hohenzoller der Monarchie eine ſo unverhältnißmäßige Vergrößerung gebracht; das Gebiet wuchs in den zehn Jahren dieſer Regierung von 3500 auf nahezu 5600 Geviertmeilen. Mit den fränkiſchen Markgraf - ſchaften trat wieder ein geſegnetes Land alter Cultur zu den dürftigen überelbiſchen Coloniallanden hinzu. Unter Hardenbergs Leitung bildete ſich eine fränkiſche Schule preußiſcher Beamten; Alexander Humboldt war für den Bergbau im Fichtelgebirge thätig, Altenſtein, Kircheiſen, Nagler lernten dort die ſtrengen Grundſätze der altpreußiſchen Verwaltung den behäbigen Lebensverhältniſſen freier Bauern und wohlhabender Kleinbürger anzupaſſen. Dieſe Franken und die philoſophiſchen Oſtpreußen, welche, wie der junge Schoen, in Königsberg zu Kants Füßen geſeſſen und durch den trefflichen Kraus die Ideen Adam Smiths kennen gelernt hatten, wurden nachher der Stamm der Reformpartei des Beamtenthums. Die neue Grenze am Bug und der Pilica war militäriſch und wirthſchaftlich ſehr günſtig, ſie eröffnete den Häfen der Provinz Preußen freien Verkehr mit dem Holz - und Getreidereichthum des inneren Polens, gab dem Staate die vielbewunderte uneinnehmbare Poſition zwiſchen Weichſel, Bug und Narew. Das unglückliche Volk in Großpolen und Maſovien lernte zum erſten male ſeit Jahrhunderten den Segen einer gerechten und fürſorgen -144I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.den Verwaltung kennen. Man ehrte das Unglück durch milde Behand - lung der Aufſtändiſchen, während über das ruſſiſche Polen ein grauſames Strafgericht erging. Der Edelmann ward endlich zum Unterthan, mußte ſich dem Anſehen des Geſetzes unterwerfen; der Bauer und der Jude durften wieder für die Zukunft ſchaffen, der friedlichen Arbeit nachgehen ohne vor der Karbatſche des Slachtizen zu zittern. Die dem alten Polen völlig unbekannte Sicherheit der Rechtspflege lockte zahlreiche Anſiedler und Capitalien aus den deutſchen Provinzen auf dieſen reichen jung - fräulichen Boden; der Landbau hob ſich zuſehends, die Hypothekenordnung ermöglichte eine intenſivere Wirthſchaft, neue Straßen und Waſſerwege entſtanden, Warſchau nahm überraſchend ſchnell den Charakter einer deutſchen Stadt an. Das Aufblühen der Volkswirthſchaft war überall unverkennbar.

Aber man erfuhr bald, daß Macht und Glück der Staaten nicht allein von militäriſchen und handelspolitiſchen Bedingungen abhängen. Die hohe Gerechtigkeit des hiſtoriſchen Schickſals bleibt darum ewig un - erforſchlich und nur der ahnenden Andacht erkennbar, weil ſie die Ein - zelnen wie die Völker nicht mit gleichem Maße mißt. Unter den Staaten wie unter den Menſchen giebt es Glückskinder, denen jeder leichte Er - werb gedeiht, und wieder Andere von härterem Metall, denen nur das ſchwer Erkämpfte zum Heile gereicht. Was der preußiſche Staat beſaß war der Lohn ernſter Arbeit; dieſe neue gewaltige Gebietserweiterung aber fiel ihm in den Schooß nach ſchwächlichen Feldzügen und ruhmloſen Unter - handlungen, ſie wirkte wie Spielgewinn auf einen geordneten Haushalt. Wie oft hatten die Hohenzollern verlockenden Rufen aus dem Auslande widerſtanden; diesmal waren ſie der Verſuchung unterlegen. Preußen beſaß jetzt unter zehntehalb Millionen Einwohnern an vier Millionen Slaven und lief Gefahr ſeiner großen deutſchen Zukunft entfremdet zu werden. Die Erwerbung von Warſchau und Pultusk war freilich ein nothwendiger Schritt, unbedingt geboten nach den Anſchauungen der Zeit, da Preußen den Schlüſſel zu ſeiner Oſtgrenze weder an Oeſterreich noch an Ruß - land überlaſſen durfte; den König trifft kein perſönlicher Vorwurf, weil er über die Gleichgewichtslehre der Epoche nicht hinausſah und von der Macht der nationalen Gegenſätze ebenſo wenig ahnte wie alle ſeine Zeit - genoſſen. Doch es blieb unmöglich, dieſe Tauſende feindſeliger Slachtizen, dieſe verdummten, den Kaplänen blind gehorchenden Bauern mit dem proteſtantiſchen deutſchen Staate zu verſöhnen; während der rheiniſchen Kriege ſah man polniſche Rekruten in Ketten geſchloſſen nach dem Weſten marſchiren, und es geſchah zuweilen, daß die Hälfte unterwegs entſprang. Die polniſchen Provinzen ſchwächten die ſittliche Kraft des Staates, der ohne die willige Hingebung ſeiner Bürger nicht beſtehen konnte, und brachten ſeine innere Entwicklung zum Stillſtande. Die Theilung Polens ſteht obenan unter den mannichfaltigen Urſachen jener unheimlichen Er -145Ausgang Friedrich Wilhelms II. ſtarrung, welche während des folgenden Jahrzehntes Verwaltung und Heerweſen lähmte. Die Kräfte des deutſchen Beamtenthums genügten kaum, um dieſen halbbarbariſchen Landen, die für die altpreußiſche Ver - waltung noch nicht reif waren, die Anfänge geſitteten Menſchenlebens zu ſichern. Wie durfte man vollends an Reformen denken? an die Ein - führung der Selbſtverwaltung, die in zwei Fünfteln der Monarchie nur der Tyrannei des polniſchen Junkerthums zu gute gekommen wäre? oder an die Bildung eines rein nationalen Heeres, das unter zehn Soldaten je vier Polen gezählt hätte?

Während der Staat früherhin mit heilſamer Strenge alle ſeine In - ſtitutionen und namentlich die Steuerverfaſſung ſofort in ſeinen neu - erworbenen Provinzen eingeführt hatte, waltete jetzt am Hofe eine nach - ſichtige Milde, die nur allzugeneigt war jeden Herzenswunſch der neuen Landeskinder zu erhören, jede berechtigte und unberechtigte Eigenthümlich - keit zu ſchonen. Man gab den neuen Provinzen, ſtatt ſie in die Organi - ſation der alten Behörden einfach einzufügen, eine proviſoriſche Verwal - tung; in Franken regierte Hardenberg, in Südpreußen Graf Hoym mit der Machtvollkommenheit eines Vicekönigs. Die alten Abgaben blieben erhalten, ſelbſt an dem verworrenen und verderbten polniſchen Steuerweſen wurden nur einzelne ſchreiende Mißſtände beſeitigt, und ſo geſchah das Unerhörte, daß die weiten polniſchen Gebiete zu den Ausgaben des Ge - ſammtſtaates nur eine winzige Summe, kaum 200,000 Thaler, bei - ſteuerten, während das reiche Franken ſogar einen jährlichen Zuſchuß beanſpruchte. Es war, als ob der erſchlaffte Staat ſich’s nicht mehr zu - traute ſeine neuen Erwerbungen mit ſeinem Geiſte zu erfüllen; der alte mannhafte Grundſatz der rückſichtsloſen Anſpannung aller Kräfte erſchien der weichlichen Philanthropie des Zeitalters grauſam. Zudem bot die Einziehung der Staroſten - und Kirchengüter in Polen der Großmuth des Königs eine unwiderſtehliche Verſuchung; er verſchenkte einen großen Theil dieſer Latifundien nach Gunſt und Laune, ſtatt ſie zu zerſchlagen und unter deutſche Einwanderer zu vertheilen. Der gierige Wettbewerb um die ſüdpreußiſchen Krongüter ſchädigte die ohnehin gelockerte Zucht des Beamtenthums ſchwer; der polniſche Bauer vergaß den Dank für die Wohlthaten der preußiſchen Verwaltung, wenn er die vielen ſchimpflich erworbenen Vermögen der neuen Herren betrachtete.

Von allen Unterlaſſungsſünden dieſer müden Jahre ward keine ſo verderblich wie die Vernachläſſigung des Heerweſens. Die Gutmüthigkeit des Königs, die falſche Sparſamkeit einer ſchlaffen Friedenspolitik und das ſtille Mißtrauen gegen die Treue der polniſchen Soldaten bewirkten, daß die nothwendige Verſtärkung der Armee unterblieb. Während die Bevölkerung ſich faſt verdoppelte, wurden die Truppen nur um etwa 35,000 Mann vermehrt, die Ausgaben für das Heerweſen ſtiegen ſeit Friedrichs Tode von 11 12 auf etwa 14 Millionen Thaler. IndeſſenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 10146I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſchwollen die Heere aller Nachbarreiche zu ungeheuren Maſſen an, die Weltſtellung des Staates ward durch die Verſchiebung der Grenzen im Oſten und im Weſten ſchwieriger denn je.

Als der zweite Friedrich Wilhelm die Augen ſchloß, war Preußens Macht im Innern wie nach Außen ſchwächer denn beim Tode ſeines Oheims. Aus dem feſtgefügten deutſchen Staate, dem ein genialer Wille das Ungeheure zumuthen konnte, war ein ſchwerfälliges deutſch-ſlaviſches Miſchreich geworden, das weder die Heeresmacht noch die Geldmittel beſaß um ſein weites Gebiet zu vertheidigen und langen Friedens bedurfte um nur wieder zu innerer Einheit zu gelangen. Die großen Strafgerichte der Geſchichte ſind ſchwachen Gemüthern unheimlich, denn der Vollſtrecker des gerechten Urtheils iſt faſt immer ſelbſt Partei, ſelbſt ſchuldbelaſtet. So ward die durch gehäufte Frevel verdiente Zerſtörung des polniſchen Staates jetzt von unreinen Händen vollzogen. Die Schuld, die an der nothwendigen That haftete, wurde an Rußland beſtraft durch eine lange Reihe ſchwerer innerer Kämpfe, an Oeſterreich durch die Mißerfolge der franzöſiſchen Kriege, doch von keiner der drei Theilungsmächte iſt ſie ſo ſchwer gebüßt worden wie von Preußen; denn keine von ihnen war durch die Eroberung reinpolniſchen Landes ſoweit abgeirrt von den Bahnen ihrer natürlichen Politik, wie dieſer deutſche Staat. Durch den Klein - muth von Baſel wie durch das Ränkeſpiel von Grodno hatte Preußen an ſeinem Theile dazu geholfen, daß nunmehr jene ruchloſe Ländergier in Europa zur Alleinherrſchaft gelangte, die kein Recht anerkannte als das Recht des Starken und in Napoleon ihren größten Vertreter fand. Deutſchland aber war, da alle ſeine Staaten ſich dem unabweisbaren Werke der Reform verſagten, wieder in der gleichen Lage wie zur Zeit Guſtav Adolfs: wie damals die Parität der Kirchen, ſo konnte jetzt die Verweltlichung des heiligen Reichs, die Vernichtung der Theokratie nur noch durch das Eingreifen ausländiſcher Gewalten erreicht werden.

So lagen die Dinge, als König Friedrich Wilhelm III. den Thron beſtieg. Ernſt und pflichtgetreu, fromm und rechtſchaffen, gerecht und wahrhaft, in Art und Unart ein deutſcher Mann, beſaß er alle Tugenden, die den guten und reinen Menſchen bilden, und ſchien wie geſchaffen, einen wohlgeordneten Mittelſtaat in Ehren durch eine ruhige Zeit hin - durchzuführen; dieſem tiefen Gemüthe war es ein Bedürfniß von ſeinen Unterthanen geliebt zu werden. Sein Geiſt umſpannte nur ein enges Gebiet; doch über alle Fragen, die in ſeinen Geſichtskreis fielen, urtheilte er klar und richtig, nach tiefer, gründlicher Erwägung, und bewährte immer ein angeborenes glückliches Verſtändniß für die Mächte der Wirklich - keit. Seine Erziehung hatte Alles verabſäumt, was dieſe edle, aber ſchwungloſe und im Grunde unpolitiſche Natur zu der Freiheit königlicher147Friedrich Wilhelm III. Weltanſchauung emporheben konnte. Erſt wurde die unbefangene Heiter - keit des Knaben durch die gallige Laune eines pedantiſchen Lehrers, des Theologen Behniſch, gewaltſam niedergedrückt; dann mußte der ſitten - ſtrenge Prinz das leichtfertige Treiben des väterlichen Hofes mit anſehen und den tiefen Ekel, den ſein ſchamhafter Sinn empfand, ſcheu ver - bergen. So lernte er, in ſich einzukehren und die Welt zu meiden. Eine unbezwingliche Schüchternheit lähmte ihm die Thatkraft; es ward ſein Verhängniß, daß er nie vermochte leicht zu leben und mit heiterem Selbſt - gefühle unter ſeine Menſchen zu blicken. Jedes Hinaustreten in die Oeffentlichkeit, ſelbſt das Reden in größerem Kreiſe fiel ihm läſtig; in barſchen, abgeriſſenen Sätzen ſprach er dann ſein verſtändiges Urtheil, ſeine zarte Empfindung aus; das gedrückte, verlegene Weſen ließ die hohe ritterliche Geſtalt mit den ſchönen treuen blauen Augen nicht zur rechten Geltung kommen. Von Jugend auf an den Umgang mit mittelmäßigen Köpfen gewöhnt, hat er den Widerwillen gegen das Geniale, Kühne, Außerordentliche ſelten überwunden. Ihn erſchreckte jener laute rückſichts - loſe Freimuth, der den großen Germanen eignet. Von allen den hoch - begabten Männern, die ihm dienten, iſt ihm nur Einer wahrhaft lieb und theuer geworden: Scharnhorſts einfältig anſpruchsloſe Größe.

Es iſt die Stärke und die Schuld treuer Gemüther, daß ſie ſchwer vergeſſen. Friedrich Wilhelm verzieh leicht, doch er vergaß nicht. Wie er jedes Verdienſt und jede unſcheinbare Gefälligkeit dankbar im Gedächt - niß bewahrte und die Trennung von treuen Unterthanen als ein tiefes Herzeleid empfand, ſo konnte er auch den Zorn jahrelang in ſich ver - ſchließen, bis er ſich einmal das Herz faßte auf gut deutſch ſeine Mei - nung zu ſagen ; dann wurde der gütige Fürſt in polternder Heftigkeit auf gut deutſch ungerecht und kleinlich. Am Wenigſten vergaß er eigen - mächtiges Handeln ſeiner Diener. Denn er wollte der König ſein, und er war es. Niemand hat ihn je beherrſcht. Unſäglich ſchwer fiel ihm jeder große Entſchluß; er zauderte und überlegte, ließ die Dinge gehen, duldete lange was ihm mißfiel, weil er ſich mit ſeinem Urtheil nicht heraustraute; doch wenn entſchieden ſein mußte, dann folgte er immer und überall nur ſeinem Gewiſſen. Er hat aus Unentſchloſſenheit Vieles unterlaſſen, wozu ſein gerader Verſtand ihn drängte, aber nie etwas ge - than, was nicht aus eigener wohlerwogener Ueberzeugung kam. Sein langſamer, doch zäher und feſter Geiſt nahm von den Gedanken größerer Köpfe nur auf was ſeinem Weſen zuſagte; keine Macht der Ueberredung hätte ihn je beſtimmt, die ſittlichen und politiſchen Grundſätze, die ihm heilig waren, aufzugeben. Von der Schuld wie von dem Ruhme ſeiner langen Regierung gebührt ihm ſelber weit mehr als die Zeitgenoſſen an - nahmen, die den ſchlichten Fürſten neben den glänzenden Geſtalten ſeiner Generale und Staatsmänner zuweilen faſt aus den Augen verloren. Er trägt die Hauptſchuld an jener ſchlaffen Friedenspolitik, welche dem alten10*148I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Staate den Untergang bereitete; aber er hat auch, als er nach zehn Jahren des Zauderns und nach grauſamen Schickſalsſchlägen endlich wagte ganz er ſelber zu ſein, aus freiem Entſchluſſe den Neubau des Staates in Angriff genommen, die Reformgedanken ſeiner Räthe genau ſo weit durch - geführt, wie es ihm richtig ſchien, und den lang vorbereiteten Befreiungs - krieg nicht eher geſtattet, als bis er ſelber einſah, der rechte Augenblick ſei gekommen. Er hat in der zweiten Hälfte ſeiner Regierung den An - ſchluß der preußiſchen Politik an Oeſterreich, die Sünden der Demagogen - jagd und das Ausbleiben der verheißenen Verfaſſung verſchuldet, aber auch die Neugründung des preußiſchen Einheitsſtaates mit zäher Geduld geleitet und mit richtigem Blicke die gute Stunde erkannt, da die orien - taliſchen Wirren und die Kämpfe der deutſchen Handelspolitik dem Staate erlaubten wieder ſelbſtändig ſeines Weges zu gehen. Ohne ihn und das allgemeine Zutrauen zu ſeiner Rechtſchaffenheit war die Verſöhnung der zahlloſen landſchaftlichen Gegenſätze in dem neuen Preußen ebenſo un - möglich wie die friedliche Entſtehung jenes Zollvereins, der das nicht - öſterreichiſche Deutſchland unauflöslich mit dem preußiſchen Staate ver - kettete und die Grenzpfähle aufrichtete für das neue deutſche Reich.

Dieſer König konnte nicht, wie der erſte Friedrich Wilhelm und ſein Sohn, den Stempel ſeines eigenen Weſens dem Staate aufprägen, ſon - dern mußte die ſchöpferiſchen Gedanken von anderen, reicheren Geiſtern entlehnen. Und doch iſt er der Herr geblieben; der monarchiſche Charakter des preußiſchen Staates hat ſich, im Guten wie im Böſen, auch unter ſeiner Regierung nie verleugnet. In Noth und Schande, unter De - müthigungen, die einen freieren und kühneren Geiſt zur Verzweiflung bringen konnten, hat er unentwegt ausgehalten bei ſeiner Pflicht. So iſt ſein Name unzertrennlich verbunden mit den dunkelſten und den reinſten Erinnerungen unſerer neuen Geſchichte. Seine Pflichttreue und ein natür - liches Gefühl für die Ehre des Königthums gaben ihm die Kraft, allmäh - lich hineinzuwachſen in das Verſtändniß ſeiner Stellung. Nach und nach lernte er ſelbſt ſolche Gebiete des nationalen Lebens ſchätzen, die ſeinem nüchternen hausbackenen Weſen urſprünglich fremd waren. Er lernte ſich zurechtfinden in der auswärtigen Politik; und dieſer proſaiſche Menſch, der in ſeinen jungen Jahren an der weinerlichen Plattheit Lafontaine’ſcher Romane Gefallen fand, iſt ſchließlich der Mäcenas ſeines Hauſes gewor - den, ein Beſchützer der Künſte und Wiſſenſchaften wie kein Anderer unter den Hohenzollern. Wer ihn in ſeiner menſchlichen Liebenswürdigkeit ſehen wollte, der mußte ihn aufſuchen im einſamen Schlößchen zu Paretz. Dort unter den alten Bäumen am blauen Havelſee verlebte der junge Fürſt ſeine glücklichſten Tage, an der Seite ſeiner lieblichen Gemahlin Luiſe, in dem munteren Kreiſe der ſchönen kleinen Flachsköpfe, die ihm heran - wuchſen; dort thaute er auf und brachte durch drollige Einfälle ſelbſt die geſtrenge Wächterin der Etikette, die Gräfin Voß zu reſpectwidrigem Lachen. 149Abſichten des jungen Königs.Wohl war es ein Segen für ſeine ſchwere, zum Trübſinn geneigte Natur, daß er in den Armen eines heiteren und hochherzigen Weibes einmal erwarmen und die ganze Luſt des Lebens empfinden durfte; dennoch hat das Glück der Ehe ihn, wie ſo viele germaniſche Gemüthsmenſchen, eine Zeit lang mehr gedrückt als gehoben. Er fand als junger Gatte an den unſchuldigen Freuden ſeines Hauſes volles Genügen und widmete dem Staate nur ehrlichen Fleiß, doch nicht jene Hingebung des ganzen Denkens, die das Fürſtenamt fordert; befangen in der unbewußten Selbſtſucht der Glücklichen, trat er ungern aus der reinen Luft ſeines Heimweſens hinaus und begnügte ſich, die Fäulniß, welche den Staat und die Geſellſchaft zerfraß, von ſeiner perſönlichen Umgebung fern zu halten, ſtatt ſie nach Königspflicht unbarmherzig zu bekämpfen.

Der Kronprinz wurde von ſeinem freimüthigen Lehrer Sack früh auf den althohenzollernſchen Gedanken der evangeliſchen Union hingewieſen, an eine innige und doch freie Auffaſſung des chriſtlichen Glaubens ge - wöhnt. Er lernte durch Engel die philanthropiſchen Ideen des Zeitalters der Aufklärung, durch Suarez die Staatslehren der Juriſten des All - gemeinen Landrechts kennen, bewährte ſich in den Feldzügen am Rhein und in Polen wie in den Friedensübungen als ein tapferer ſachkundiger Offizier. Aber wie oft hat er es ſelbſt beklagt allen Staatsgeſchäften hielt man ihn fern. Als der Siebenundzwanzigjährige die Herrſchaft an - trat, ſtand er in einer fremden Welt, ſelber voll tiefer Ehrfurcht vor den Werken ſeines Großoheims, umgeben von alten eigenrichtigen Herren, die dem Schüchternen mit dem ganzen Dünkel fridericianiſcher Allwiſſenheit begegneten. Nichts lag ihm ferner als eine phantaſtiſche Ueberſchätzung der königlichen Würde; wie der Name Staat aus den Geſetzen Friedrichs II. allmählich in den Sprachgebrauch des Volks hinübergedrungen war, ſo verſtand es ſich auch längſt von ſelbſt, daß jeder König von Preußen ſein hohes Amt als eine ſchwere politiſche Pflicht auffaßte. Der junge König hatte ein warmes Herz für den geringen Mann, ſchlicht bürgerliche Nei - gungen wie ſein Urgroßvater, gar keine Vorliebe für den Adel; ſein Wunſch war, die von ſeinen Vorfahren ſeit hundert Jahren ſchrittweis vorbereitete Befreiung des Landvolks zu vollenden. In demſelben Sinne wie der erſte Friedrich Wilhelm konnte er ſagen: ich denke wie ein Republikaner. Nicht als ob ihn die Ideen der franzöſiſchen Revolution bezaubert hätten; das blutige Schauſpiel der gewaltſamen Volkserhebung blieb ſeiner Fried - fertigkeit und ſeinem Rechtsſinne gleich widerwärtig. Doch ſein natür - liches Billigkeitsgefühl, die Ueberlieferungen ſeines Hauſes und die in Suarez’s Schule aufgenommenen politiſchen Gedanken drängten ihn auf die Bahn der ſocialen Reformen. Menſchenfreundlicher Sinn machte ihn zum Freihändler, zum Gegner jener Geſetze, welche den kleinen Leuten die Lebensbedürfniſſe vertheuerten oder die Verwerthung der Arbeitskraft erſchwerten. Sein geſunder Verſtand entdeckte bald faſt alle die einzelnen150I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Gebrechen, daran der erſtarrte Staat krankte; als die Zerſtörung über das alte Preußen hereinbrach, da ſprach ſich der König mit einer Klar - heit, die ſeiner Umgebung ſchier unheimlich erſchien, über die Urſachen des tiefen Sturzes aus. Auch über die Mittel und Wege zur Beſſerung dachte er oft, und mit eindringendem Verſtändniß nach; es war die volle Wahrheit, wenn er ſpäterhin auf die meiſten Reformvorſchläge Steins und Scharnhorſts zu antworten pflegte: dieſe Idee habe ich ſchon längſt gehabt. Nur das Eine, worauf Alles ankam, erkannte er nicht: die Un - möglichkeit, durch Einzelreformen an dem fridericianiſchen Staate etwas Weſentliches zu ändern.

Jenes harte Syſtem monarchiſcher Arbeitsvertheilung, das der erſte Friedrich Wilhelm und ſein Sohn aufgerichtet, war das Werk eines plan - vollen bewußten Willens; darin lag die einſeitige Größe, der Charakter des alten Preußens. Das ganze Werk war aus einem Guſſe, wie von eiſernen Klammern gehalten; ein Pfeiler ſtützte den andern, die Gliederung der Stände und die Ordnung der Verwaltung hingen untrennbar zuſammen; fiel ein Stein heraus, ſo ſtürzte das ganze Gebäude. Wollte man die Vorrechte des Adels im Heere beſeitigen, ſo mußte dem Edelmann erlaubt werden bürgerliche Gewerbe zu treiben und Bauernhufen zu kaufen. Wollte man den Bauern der Dienſte und Frohnden entlaſten, ſo konnte auch die Trennung von Stadt und Land, das Zunftweſen und die Acciſe nicht mehr aufrecht bleiben. Die Monarchie bedurfte einer Reform an Haupt und Gliedern, ſobald man einmal erkannte, daß die alten Formen der Geſellſchaft ſich überlebt hatten. Aber zu ſolcher Einſicht war in Preußen noch Niemand gelangt, auch nicht der Freiherr vom Stein.

Das erſte Jahrzehnt Friedrich Wilhelms III., die beſtverleumdete und unbekannteſte Epoche der preußiſchen Geſchichte, war eine Zeit wohl - gemeinter, aber völlig unfruchtbarer Reformverſuche. Vor wenigen Jahren noch war dieſer Staat mit Recht als der beſtregierte des Feſtlandes ge - prieſen worden; er hatte ſoeben erſt ſo wähnte der geſammte Norden im Kampfe gegen die Revolution ſeine Lebenskraft bewährt. Und ſo ge - ſchah, daß ſelbſt der tadelſüchtige Freimuth der Norddeutſchen kaum be - merkte, wie Alles morſch ward in dem Gemeinweſen. Daß das neue Jahrhundert auf Windesflügeln dahineilte, daß jetzt in kurzen Jahren gewaltige Neubildungen der Geſchichte ſich vollzogen, welche vordem kaum in Jahrzehnten gereift waren, daß in ſolchen Tagen zurückging wer nicht vorwärts ſchritt, von dieſem großen Wandel der Zeiten ahnte man nichts in dem friedlichen Volke, das hinter dem Walle ſeiner Demar - cationslinie mit philoſophiſcher Ruhe beobachtete, wie zwo gewalt’ge Na - tionen ringen um der Welt alleinigen Beſitz .

Die deutſche Gutherzigkeit iſt immer geneigt von einem Thronfolger das Höchſte zu erwarten, doch ſelten hat ſie in ſo überſchwänglichen Hoff - nungen geſchwelgt wie bei dem Regierungsantritt dieſes anſpruchsloſen151Erwartungen im Volke.Fürſten. Schon durch ſeine ſchlichten Sitten gewann er das Herz der Mittelklaſſen, und dieſe Schichten der Geſellſchaft wurden mehr und mehr die Träger unſerer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte ſich praktiſch wohl in einer ungebundenen Geſelligkeit voll heiterer ſinnlicher Luſt, doch ſie hegte eine lebhafte theoretiſche Begeiſterung für die abſtracte Tugend ; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebenſinn der philiſterhaften Leere. Das preußiſche Volk hatte ſeit den Zeiten des großen Kurfürſten das Schauſpiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht mehr geſehen; welcher Jubel nun unter dieſen deutſchen Familienmenſchen, als der Thron ſich in ein Heiligthum, der Hof ſich in eine Familie ver - wandelte ſo ſang Novalis in ehrlicher Begeiſterung. Die unbarm - herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Maſſen in ſcheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erſt durch die heitere Herzensgüte der Königin Luiſe gewann das Verhältniß zwiſchen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen Zug der Vertraulichkeit, der ſich ſonſt nur in dem Stillleben der Klein - ſtaaten zeigt.

Die Preußen fühlten ſich ſtolz als Royaliſten, als Gegner der Re - volution. Nicht blos der Heißſporn des märkiſchen Junkerthums, der junge v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen den Geſandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen Blicken, als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe bei dem altväteriſchen Gepränge des Huldigungsfeſtes erſchien. Die auf - geklärte Berliner Geſellſchaft ſtand aber zugleich in bewußtem Gegenſatze zu Oeſterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzoſen zu verſtehen, der König ſei Demokrat auf ſeine Weiſe, werde mit Maß und Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man wiſſen, daß ein Jacobiner geklagt habe: dieſer Fürſt verdirbt uns die Revolution. Als der junge König nun unter der zweideutigen Um - gebung ſeines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen Cabinetsordres eine Fülle guter Vorſätze und menſchenfreundlicher An - ſichten ausſprach, da rief Marcus Hertz frohlockend: die reine Vernunft iſt vom Himmel niedergekommen und hat ſich auf unſerem Throne nieder - gelaſſen. Ein Verein von Berliner Schriftſtellern veröffentlichte Jahr - bücher der preußiſchen Monarchie , welche das Walten des königlichen Reformators auf jedem Schritte begleiten ſollten. Die hoffnungsvolle Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach Berlin berufen wurde, ſchrieb er befriedigt: ich gehe in einen liberalen, unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat . Auch Schiller und Johannes Müller ſprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge - nuſſe grundſatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie raſch Berlin zu einer Freiſtätte deutſcher Art und Bildung werde.

Der König mußte bald erfahren, wie beſchränkt in Wahrheit ſeine152I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.abſolute Gewalt war, beſchränkt durch die Schwerfälligkeit der Verwaltung und durch den ſtillen Widerſtand der öffentlichen Meinung, der ſtändiſchen Vorurtheile, des militäriſch-bureaukratiſchen Kaſtengeiſtes. In der ver - größerten Monarchie hätte ſelbſt ein Friedrich kaum noch die unmittelbare Leitung aller Staatsgeſchäfte in der Hand behalten können. Die perſönliche Regierung wurde zur Unmöglichkeit, doch ihre Formen blieben aufrecht mit verändertem Sinne. Die Cabinetsräthe waren unter Friedrich nur willenloſe Secretäre geweſen, verpflichtet die Befehle des Königs den Be - hörden zu übermitteln; unter ſeinen beiden Nachfolgern erlangten ſie eine gefährliche Macht. Aus Schreibern wurden Rathgeber, da der Fürſt die Unmaſſe der Berichte nicht mehr überſehen konnte. Man wählte die Räthe des Cabinets meiſt aus den Reihen der bürgerlichen Richter; ſie allein hielten dem Monarchen regelmäßigen Vortrag und fühlten ſich bald als Volkstribunen, als Vertreter des friedlichen Bürgerthums gegenüber dem Adel und dem Heere. Ein unberechenbarer ſubalterner Einfluß drängte ſich zwiſchen die Krone und ihre Miniſter. Unter dieſen ver - trauten Räthen war Keiner, der den jungen Fürſten aus dem lauen Ele - mente der guten Vorſätze in die friſche Luft der kräftigen Entſchließung emporheben konnte. Der bedeutendſte unter ihnen, Cabinetsrath Mencken wurde dem Königspaare werth durch die Milde ſeiner aufgeklärten moral - philoſophiſchen Anſichten und bemühte ſich redlich für allerhand Verbeſſe - rungen im Einzelnen; der umfaſſende Blick des Staatsmannes war auch ihm nicht gegeben. Nachher hatte Beyme den Vortrag über die wichtig - ſten inneren Angelegenheiten, Lombard über das Auswärtige Jener ein tüchtiger Juriſt von humanen Anſchauungen, aber nur im Kleinen groß, Dieſer ein leerer, frivoler Wüſtling. Auch die Perſönlichkeit der Generaladjutanten ſtimmte zu dem Geiſte trivialer Mittelmäßigkeit, der in dieſem Kreiſe vorherrſchte. Oberſt Zaſtrow war ein dünkelhafter Gegner jeder Reform; Oberſt Köckeritz eine enge Philiſterſeele, ſeinem jungen Herrn bequem durch phlegmatiſche Gutmüthigkeit, glückſelig wenn er ſich bei der Pfeife und einem ruhigen Spielchen von den Geſchäften des Tages er - holte, aber ſehr unwirſch, wenn ein junger Edelmann ſichs beikommen ließ Verſche zu machen , wie der arme Heinrich von Kleiſt. Obgleich der König dieſe kümmerlichen Menſchen weit überſah, ſo ließ er ſich doch unmerklich zu ihrer Zagheit und Kleinheit hinabziehen.

Wie die Neubildung des Staates einſt von dem Heere ausgegangen war, ſo wurde auch jetzt zuerſt im Heerweſen fühlbar, daß die neue Zeit neue Formen forderte. Das beſte Werbegebiet der alten Monarchie ging verloren, als das linke Rheinufer an Frankreich kam und bald nachher die neuen Mittelſtaaten des Südweſtens ſich ihre eigenen kleinen Armeen bildeten. Daher befahl der König ſchon zu Beginn ſeiner Regierung eine ſtärkere Aushebung der cantonpflichtigen Inländer wegen Abnahme der Reichswerbung . Dieſem erſten Schlage mußten andere folgen. Die153Unfruchtbare Reformverſuche.Armee war fortan allein auf preußiſche Kräfte angewieſen; ſollte ſie die dringend gebotene Verſtärkung erhalten, ſo mußte mindeſtens ein Theil der privilegirten Klaſſen zum Waffendienſte herangezogen werden, und dies war unmöglich, ſo lange das Offizierscorps wie eine geſchloſſene Kaſte in unnahbarer Höhe über der Mannſchaft thronte, ſo lange jene grauſame alte Kriegszucht beſtand, welche den philanthropiſchen, bis zur Weichlichkeit milden Anſchauungen des Zeitalters ins Geſicht ſchlug. So - bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausſtarb, war ein radi - kaler Umbau der Heeresverfaſſung unvermeidlich, das will ſagen: eine völlige Verſchiebung aller gewohnten ſtändiſchen Verhältniſſe, vor Allem der Stellung des Adels in Staat und Geſellſchaft.

Mannichfache Reformvorſchläge tauchten auf. Einige freie Köpfe unter den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten ſchon die voll - ſtändige Durchführung des altpreußiſchen Gedankens der allgemeinen Wehr - pflicht; Kneſebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen die Bildung einer Landmiliz. Aber einerſeits ſträubte ſich der Dünkel der alten Generale gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch an die Unübertrefflich - keit des fridericianiſchen Heeres. Sogar Friedrich Gentz, der zum Aergerniß der zahmen Zeit ſich unterſtand ein ermahnendes Sendſchreiben an den neuen Monarchen zu richten, ſagte über das Heer kurzweg: von dieſer Seite bleibt uns nichts zu wünſchen übrig ; und Blücher, der Mann ohne Menſchenfurcht, ſprach noch im Frühjahr 1806 unbedenklich von unſerer unbeſiegbaren Armee. Wenn nun der hochmüthige alte Feld - marſchall Möllendorff jeden Neuerungsvorſchlag mit ſeinem ſchnarrenden das iſt vor mir zu hoch begrüßte, dann wollte der König er hat es ſpäter bitter bereut nicht klüger ſein als die Grauköpfe von be - währtem Ruhme. Auf der anderen Seite regte ſich in der aufgeklärten Welt eine doctrinäre Friedensſeligkeit, die zu der blutigen Staatspraxis des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegenſatz bildete und gleich - wohl bei der deutſchen Gemüthlichkeit lebhaften Anklang fand. Salbungs - volle Flugſchriften erörterten ſchon die Frage: ſind ſtehende Heere in Friedenszeiten nöthig? Es bezeichnet den inneren Zerfall des geſtrengen Abſolutismus, daß ſolche Stimmen aus dem Publikum jetzt einigen Ein - druck machten, daß man anfing mit der öffentlichen Meinung zu rechnen. Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die alte Anſicht des Beamtenthums, daß die Laſt der Heereskoſten zu ſchwer ſei; auch der König wollte nur das Unerläßliche thun, da er vor Allem die unter ſeinem Vater ange - ſammelte Schuldenlaſt abzutragen wünſchte. Dazu endlich die verzweifelte Frage: wie aus den widerſpänſtigen Polen zuverläſſige Regimenter gebildet werden ſollten?

So zwiſchen entgegengeſetzten Erwägungen hin und her geſchleudert gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorſchlägen zu keiner weſent - lichen Reform. Das Heer wurde nur um ein Geringes, auf 250,000 Mann154I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16 17 Millionen Thaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver - ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer - den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe - rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen, ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch - muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen, den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich, die die Armee unterhalten . Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete.

Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo harmoniſche Heer der ſchleſiſchen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des Befreiungskriegs gehörten längſt der Armee an, die meiſten ſchon als Stabsoffiziere. In manchen Kreiſen des Offizierscorps rührte ſich ein friſcher wiſſenſchaftlicher Sinn, ein lebendiges Verſtändniß für die Gegen - wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberſt Scharnhorſt ſeine Vorleſungen der niederſächſiſche Bauernſohn, der im adlichen Hannover - lande kein Feld für ſeine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte ſchon die der alten be - dachtſamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man nie concentrirt ſtehen, aber ſich immer concentrirt ſchlagen müſſe; er erläuterte ſeine Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die fridericianiſchen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen. Und vergeſſen in ſeiner kleinen ſchleſiſchen Garniſon ſaß der ewige Haupt - mann Gneiſenau über ſeinen Karten, verfolgte mit geſpannten Blicken jeden Schritt des Corſen ſeit dem erſten italieniſchen Feldzuge, lebte ſich ein in die Eigenart des dämoniſchen Mannes, als ob er ahnte, daß er der - einſt dem Unüberwindlichen entgegentreten ſollte. Das neue geiſtige Leben der Nation begann endlich auch auf dieſe militäriſchen Kreiſe, die ihm bisher ganz verſchloſſen geweſen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, ſogar der friedliche Weltbürgergeiſt der Kantiſchen Philoſophie; beweglich klagte der Leutnant Heinrich Kleiſt, wie er in den Rheinfeldzügen ſeine Zeit ſo unmoraliſch töden müſſe.

Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten alten Offiziere trugen gefliſſentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver -155Heerweſen und Verwaltung.hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmeiſter Scharnhorſt. Da nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie eingeſtellt wurden, ſo war die ſchwere und dankbare Aufgabe der militäriſchen Volkserziehung, die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den beſten Lebens - inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder - holung derſelben Paradekünſte mit denſelben alten Berufsſoldaten wurde für feurige Naturen unerträglich. Die ſchüchternen Berliner Bürger entſetzten ſich, und der König griff mit ſtrengen Strafen ein, da die jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen - dem Maskenzuge die Straßen durchraſten und der baumlange Karl Noſtitz, als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz - peitſche ſchwenkte; in ſolchen rohen Späßen tobte ſich das heiße jugend - liche Blut aus, das in der Langeweile des Kamaſchendienſtes nichts mit ſich anzufangen wußte. Der ganze Jammer dieſes Friedensheeres ver - körpert ſich in dem tragiſchen Schickſale des Prinzen Louis Ferdinand; ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge - borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern ſeine Kraft vergeudete, weil er ein leeres Daſein nicht zu tragen vermochte. Mehr und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerweſens in Vergeſſenheit. Der Orden pour le mérite, vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen, wurde jetzt ſchon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver - feldes. Pedantiſche Kleinmeiſterei überwachte die Länge der Zöpfe, die Form der Heubündel, das Geklirr der präſentirten Musketen; aber die Geſchütze waren der Erſparniß halber ohne Beſpannung. Eine majeſtätiſche Langſamkeit ſchien der fridericianiſchen Armee allein noch würdig zu ſein; es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marſch von Berlin nach Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der nebenbei mit Weib und Kind ein bürgerliches Gewerbe trieb, dachte ebenſo friedfertig wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlaubungen der Friedensjahre einträgliche Erſparniſſe für den eigenen Beutel brachten. Es ſchien, als ſollte der preußiſche Degen nie mehr aus der Scheide fahren. Wörtlich erfüllte ſich die Weiſſagung Friedrichs, der einſt die Lieblingskinder des Mars gewarnt hatte, ſie möchten ihre männlichen Sitten nicht verderben laſſen durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit.

Ebenſo wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung. Der König getraute ſich nicht, nach der Weiſe ſeines Großoheims Alles ſelber zu entſcheiden, ſchon weil ſein Billigkeitsgefühl zurückſchrak vor dem harten, von ſolcher Allmacht unzertrennlichen fridericianiſchen Grundſatze, daß der Monarch niemals einen Irrthum eingeſtehen dürfe. Er wies daher alle Bittſchriften wo irgend thunlich an die zuſtändigen Behörden. Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Geſchäftslaſt der Beamten. Seit die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium unterſtellt wurden, zeigte ſich die einſt in einfacheren Verhältniſſen ſo156I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſchlagfertige Centralbehörde als völlig unzulänglich; jedes Departement ging ſelbſtändig ſeines Wegs, es fehlte die Einheit der Leitung. Noch immer war dies Beamtenthum der Bureaukratie der deutſchen Nachbar - ſtaaten weit überlegen, thätig, voll patriotiſchen Stolzes, hochgebildet, ob - gleich da und dort einzelne Präſidenten mit dem Bildungshaſſe der Generale zu wetteifern ſtrebten. Aber die veraltete, zwiſchen dem Provinzial - und dem Realſyſtem mitteninne ſtehende Organiſation der Behörden bewirkte, daß Niemand in Wahrheit Miniſter war und den Gang der Verwaltung überſah. Jedes einfache Geſchäft führte zu peinlichen Streitigkeiten über die Competenz; die Vermehrung der Miniſterſtellen verſtärkte nur das Uebel. In den alten Beamtenfamilien, die nun ſeit vielen Jahrzehnten dem Staatsdienſte angehörten, vererbte ſich zwar ein lebendiges Gefühl der Standesehre vom Vater auf den Sohn, aber auch der Dünkel des grünen Tiſches; Neulinge, welche aus der naturfriſchen Thätigkeit des Land - baus in dieſe Welt des Bureaus hinübertraten, wie der Freiherr vom Stein, bemerkten mit Unwillen, wie das Actenſchreiben hier zum Selbſtzweck zu werden drohte. Eine formenſelige Papierthätigkeit nahm überhand und konnte durch die ſalbungsvollen Ermahnungen der königlichen Cabinets - ordres nicht überwunden werden, weil ſich der ſtaatsmänniſche Kopf nicht fand, der dem Beamtenthum neue poſitive Aufgaben geſtellt hätte. Und dazu wieder das leidige Bleigewicht der polniſchen Provinzen: es blieb doch ein unerträglicher Zuſtand, daß die regierende Klaſſe aus den weiten Slavenlanden faſt gar keinen jungen Nachwuchs erhielt. Die Spottrede der Gegner, dies Preußen ſei ein künſtlicher Staat, ſchien jetzt doch Recht zu behalten.

Bald nach ſeiner Thronbeſteigung ſprach der König gegen den Finanz - miniſter Struenſee ſeine Mißbilligung aus über das unhaltbare Prohibitiv - ſyſtem, das beſtändig übertreten werde. Erſt ſieben Jahre nachher gelang ihm, die erſte Breſche in dieſe alte Ordnung zu ſchlagen und durch Struenſees Nachfolger Stein die Binnenzölle größtentheils aufzuheben. Noch galt die Einrichtung gleichmäßig geordneter Grenzzölle überall in der Welt als ein vermeſſenes Wagniß. Wie hoffnungslos ſprach Necker in ſeinem Rechenſchaftsberichte von 1781 über die Frage, ob es wohl möglich ſei die constitution barbare der Provinzialzölle zu beſeitigen. Erſt die Revolution begründete die Zolleinheit Frankreichs. Als man ſich jetzt in Preußen an die Aufhebung der Binnenzölle heranwagte, erfuhr man ſofort, daß dieſe Reform eine halbe Maßregel blieb. Denn noch beſtand die Acciſe mit ihren 67 verſchiedenen Tarifen; vergeblich mahnte eine Cabinetsordre des Königs, in dies Durcheinander endlich Klarheit zu bringen. Noch beſtand der Gewerbezwang, der die Städte von dem flachen Lande ſchied; nur in der Grafſchaft Mark hatte Stein ſchon gewagt dieſe trennende Schranke zu beſeitigen. Mit den Provinzialzöllen fiel zugleich die Zollfreiheit der eximirten Klaſſen, und dieſer erſte leiſe Stoß gegen die157Widerſtand der alten Stände.Steuerprivilegien des Adels regte ſogleich die Frage an, ob die weit ſchwerer drückende Ungleichheit der directen Beſteuerung noch fortdauern dürfe. Im Jahre 1806 zahlten in der Kurmark die Städte faſt Millionen, die Bauern 644,000, die ſämmtlichen Rittergutsbeſitzer nur 21,000 Thaler an Staatsſteuern. Aber die Zeit für eine radikale Umgeſtaltung der Staats - wirthſchaft war noch nicht gekommen. Die nationalökonomiſchen Anſichten gährten wirr durcheinander; die meiſten guten Köpfe unter den jüngeren Beamten ſchwärmten mit Vincke für den göttlichen Smith , die Grund - beſitzer neigten zur phyſiokratiſchen Lehre.

Das ſtärkſte Hinderniß jeder Reform lag jedoch in der Oppoſition der Landtage. Der zähe paſſive Widerſtand der alten Stände hatte ſchon den agrariſchen Geſetzen des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder die Spitze abgebrochen; jetzt, unter einer nur allzu milden Regierung, zeigte er eine ganz unerwartete Stärke. Es war einer der erſten Schritte des Königs, daß er einem Theile des Bauernſtandes, den Köllmern, das Recht der Vertretung unter den oſtpreußiſchen Ständen gewährte. Alſo verjüngt wurde der Königsberger Landtag die einzige leidlich geſunde unter den verfallenen ſtändiſchen Körperſchaften der Monarchie; er nannte ſich mit einigem Rechte die Vertretung der Nation . Als aber der König nun - mehr die Beſeitigung der Patrimonialgerichte vorſchlug, da widerſprach ſelbſt der oſtpreußiſche Landtag wiederholt und nachdrücklich. Auch ein anderer Lieblingsplan des bauernfreundlichen Fürſten, die Aufhebung der bäuerlichen Dienſte und die Verwandlung aller unterthänigen Bauern - güter in freies Eigenthum, ſtieß auf den Widerſtand des Adels. Der Gedanke war keineswegs durch die franzöſiſche Revolution angeregt, ſon - dern ergab ſich nothwendig aus der alten Geſetzgebung der Hohenzollern, die ſeit hundert Jahren auf die Befreiung des Landvolks losſteuerte; gleichzeitig und ganz unabhängig von einander empfahlen Beamte wie Stein und Hippel, Schriftſteller wie Leopold Krug die Aufhebung der Erb - unterthänigkeit. Auf den Domänen in Weſt - und Oſtpreußen gelang dem wackeren Präſidenten Auerswald die Beſeitigung des Scharwerks, und wo ein Edelmann freiwillig zu der gleichen Reform bereit war, da ermunterte ihn der König in jeder Weiſe; doch ein umfaſſendes Geſetz für die ganze Monarchie wagte man nicht zu erlaſſen. Der Widerſpruch ging nicht blos von den Grundherren aus, ſondern auch von den rohen Bauern, welche jede Aenderung des Beſtehenden mit zähem Mißtrauen anſahen; ſogar die Baumpflanzungen an den neuen Landſtraßen waren vor den Fäuſten dieſer Barbaren nicht ſicher.

Derſelbe unbelehrbare Trotz zeigte ſich auch, als der König, ganz aus dem freien Antriebe ſeines guten Herzens, die Verbeſſerung der Elementar - ſchulen in Angriff nahm und die allgemeine Schulpflicht in vollem Ernſt zu verwirklichen ſuchte. Die Regierung ſtand noch immer ſehr hoch über ihrem Volke. Während die gehäſſigen Schmähſchriften der Oppoſition ſich158I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nach wie vor durch eine klägliche Gedankenarmuth auszeichneten, fanden in den Kreiſen des Beamtenthums alle die großen ſocialen Reformen des folgenden Jahrzehnts ſchon jetzt eine gründliche Beſprechung; ſelbſt die Aufhebung des Zunftweſens wurde bereits von J. G. Hoffmann empfohlen. Doch es fehlte die Kraft, dieſe guten Gedanken dem wider - ſtrebenden Volke aufzuzwingen. Aus Rückſicht auf die Opinion wurde das Tabaksmonopol aufgehoben, das doch, richtig gehandhabt, eine ſehr ergiebige und für den Verkehr wenig beſchwerliche Einnahmequelle werden konnte. Als der wackere Struenſee im Jahre 1798 die Ausgabe einer mäßigen Summe Papiergeld vorſchlug, da genügte eine leiſe Regung der Unzufriedenheit im Berliner Handelsſtande, und alle Miniſter erklärten wie aus einem Munde, ſie fühlten ſich außer Stande eine ſo gehäſſige Maßregel zu vertreten. Die Ohnmacht der Krone offenbarte ſich nament - lich an den ſittlichen Zuſtänden der Hauptſtadt. Während am Hofe an - ſpruchsloſe Einfachheit und altväteriſcher Anſtand mit peinlicher Strenge gehütet wurden, lebte die Berliner vornehme Welt, als ſei dies Muſter - bild ſchlichter Familienſitte gar nicht vorhanden. Die Stadt zählte nun ſchon 182,000 Einwohner; der Verkehr der höheren Stände zeigte bereits die Freiheit großſtädtiſchen Lebens, während in den Mittelklaſſen noch ein ſchwerfälliges Pfahlbürgerthum vorherrſchte. Die Geſelligkeit wurde zu einer verfeinerten Kunſt, wie ſeitdem nie wieder in Deutſchland. Zügellos entfalteten ſich Witz und Kritik; die Liederlichkeit und ein grauſamer geiſtiger Hochmuth traten ſo keck heraus, daß ſelbſt Goethe mit einiger Scheu von dieſem gefährlichen Völkchen ſprach. In ſolcher Luft erwuchſen Naturen von der unendlichen Empfänglichkeit und Reizbarkeit Schleier - machers, Virtuoſen des Genuſſes und des Denkens wie Wilhelm Hum - boldt und Friedrich Gentz, aber auch die eitlen Anempfinder und Geiſt - verkäufer des Varnhagenſchen Kreiſes, und Virtuoſen des Verbrechens wie die Giftmörderin Urſinus.

Im Einzelnen iſt während dieſes Jahrzehntes der halben Anläufe und der wohlgemeinten Verſuche manches Gute geſchehen. Die Land - wirthſchaft erlebte eine Zeit großartiger Fortſchritte; der Getreidepreis ſtieg in den zwanzig Jahren ſeit Friedrichs Tode auf das Doppelte, die Preiſe der Landgüter noch ſchneller, faſt ſchwindelhaft hoch. Thaer lenkte die Augen der Norddeutſchen zuerſt auf das Vorbild des engliſchen Landbaues, und ſeit der beredte Vertheidiger der freien Arbeit in Möglin ſeine Lehr - anſtalt eröffnet hatte, wuchs unter den jüngeren Landwirthen die techniſche Einſicht und die volkswirthſchaftliche Bildung. Ohne Thaers Wirken wäre die Durchführung der Stein-Hardenbergſchen Geſetze kaum möglich ge - weſen. Die noch überall im Reiche traurig verwahrloſten Land - und Waſſerwege fanden jetzt endlich ernſte Beachtung. Durch Stein wurde die Ruhr der Schifffahrt eröffnet; der König ſelber nahm ſich mit Eifer des Weichſelthales an, wo die mächtigen Deichbauten des deutſchen Ordens159Geiſtiges Leben in Berlin.unter der polniſchen Herrſchaft ganz verfallen waren. Der Bergbau, der ſchon durch Heynitz, den Lehrer Steins, erheblich gewonnen hatte, nahm einen neuen Aufſchwung als Graf Redern die großen Grubenwerke in Oberſchleſien einrichtete. In dem neugegründeten ſtatiſtiſchen Bureau waren Krug und Hoffmann thätig, für die Leitung der Bank ward Nie - buhr aus Dänemark berufen.

In der öffentlichen Meinung wurde der neuen Regierung nichts ſo hoch angerechnet wie die Entlaſſung des verhaßten Wöllner und die that - ſächliche Beſeitigung ſeines harten Religions-Edictes. Die Verſicherung des jungen Fürſten, Vernunft und Philoſophie ſeien die unzertrennlichen Begleiter der Religion, war der aufgeklärten Welt recht aus dem Herzen geſprochen, weil ſich Jeder etwas Anderes dabei denken konnte. Als der König aber den von ſeinem Lehrer Sack entworfenen Vorſchlag zu einer gemeinſamen evangeliſchen Agende den Kirchenbehörden empfahl, da zeigte ſich wieder, daß die Krone ihrem Volke um eine gute Strecke voraus war. Er mußte ſeine Unionspläne auf beſſere Zeiten vertagen, denn in den zarten kirchlichen Fragen wollte er noch bedachtſamer und rückſichtsvoller vorgehen als in der Politik. Dieſelbe Bedächtigkeit verſchuldete auch, daß die in unzähligen Denkſchriften und Abhandlungen erwogene Reform des Schul - weſens vorläufig unterblieb; man wurde nicht ſchlüſſig zwiſchen all den verſchiedenen Erziehungsmethoden, welche das Zeitalter Peſtalozzis uner - müdlich zu Tage förderte. Für die Gelehrſamkeit wurde mit einem in Preußen unerhörten Eifer geſorgt; die Scheidewand, welche den alten Staat ſo lange von der deutſchen Wiſſenſchaft getrennt hatte, brach end - lich zuſammen. Alexander Humboldt, Johannes Müller, Hufeland und eine lange Reihe namhafter Gelehrten wurden nach Berlin gerufen; auch Fichte, durch den Glaubenseifer der kurſächſiſchen Lutheraner aus Jena vertrieben, fand eine Zuflucht an der Spree. Das wiſſenſchaftliche Leben der Hauptſtadt fing an in einem großen Zuge ſich zu bewegen. Schon im Winter 1786 wurden dort einundzwanzig Curſe öffentlicher Vorleſungen angekündigt, ſeitdem gewannen ſie noch an Zahl und Bedeutung; in Berlin hielt A. W. Schlegel jene literarhiſtoriſchen Vorträge, welche das wiſſenſchaftliche Programm der romantiſchen Schule ausſprachen. Die Sammlungen des königlichen Hauſes, die der junge König zuerſt dem Publi - cum öffnete, und vor Allem das Theater, damals unter Ifflands Leitung noch eine große nationale Bildungsanſtalt, beförderten einen bewegten Gedankenaustauſch; und ſo wurde ganz von ſelber die Frage laut, ob dieſer Reichthum geiſtigen Lebens nicht in einer Hochſchule einen wiſſen - ſchaftlichen Mittelpunkt finden ſolle. Keine der deutſchen Univerſitäten iſt ſo naturgemäß entſtanden wie die Berliner; ſie war im Grunde ſchon vorhanden bevor ſie förmlich eingerichtet wurde. Doch auch dieſer Plan gelangte für jetzt nicht über Berathungen im Cabinet hinaus. Die ganze Zeit ſchien wie verwunſchen, nichts Weſentliches wollte zu Ende kommen.

160I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Die banauſiſche Gleichgiltigkeit des Staates gegen die bildende Kunſt war endlich überwunden. Er veranſtaltete jetzt öffentliche Gemäldeaus - ſtellungen und beſaß in Berlin bereits eine Schule aufſtrebender Künſtler von ſelbſtändiger Eigenart. Neben Langhans, dem ſtreng antikiſirenden Er - bauer des Brandenburger Thores, kam Schadows derber Realismus empor; und wenn der Wagen der ſchönen Königin vorfuhr, dann ſtand am Schlage mit dem Hute in der Hand der junge Lakai Chriſtian Rauch, der einſt die Andern alle überflügeln ſollte als ſeine gütige Herrin ihm den Weg zu großem Schaffen geebnet hatte. Aber auch hier wieder die gleiche un - heimliche Erſcheinung: köſtliche Kräfte, die nicht benutzt, vielverheißende Entwürfe, die nicht vollendet wurden. Nachdem man eine Menge ver - ſchiedener Pläne berathen und wieder fallen gelaſſen, kam nur ein ein - ziges größeres öffentliches Bauwerk zu Stande: die Neue Münze, von Schadow mit lebenswahren, trefflichen Reliefs geſchmückt, doch das Ge - bäude ſelber abſchreckend kahl und nüchtern, ein getreues Sinnbild dieſer ſchwungloſen Zeit.

Dergeſtalt war auf allen Gebieten des politiſchen Lebens das Alte noch nicht zerſtört, das Neue noch nicht entwickelt. Der Staat hatte an Charakter verloren was er an humaner Milde gewonnen, er erſchien wie ein noch im Verfalle mächtiger gothiſcher Bau, dem zaghafte Hände da und dort ein niedliches zopfiges Thürmchen aufgeſetzt hatten. Und in dieſen unhaltbaren Zuſtänden fühlte ſich das treue Volk unzweifelhaft glücklich; die kindlichen Aeußerungen der Freude, welche auf den Reiſen des Landesvaters und der Landesmutter überall, am Lauteſten unter den warmblütigen Franken, erklangen, kamen ebenſo gewiß aus ehrlichem Herzen, wie nachher die traurigen Abſchiedsbriefe der verlorenen Pro - vinzen.

Die Reformgedanken des Königs gingen über ſociale Verbeſſerungen nicht hinaus; auch Hardenberg wünſchte damals nur die Durchführung der bürgerlichen Rechtsgleichheit nach dem Vorbilde Frankreichs. Eigentlich politiſche Reformpläne hegte nur ein einziger Mann, der Freiherr vom Stein. Der hatte als Kammerpräſident in Weſtphalen die alte Gemeinde - freiheit der Grafſchaft Mark kennen gelernt, aus ſolchen Erfahrungen und aus dem Studium der engliſchen Geſchichte ſich die Anſicht gebildet, daß eine geſunde politiſche Ordnung nur da beſtehe, wo das Volk ſelber hand - anlegend das Regieren lerne. Als die altſtändiſche Verfaſſung in dem neu erworbenen Münſterlande aufgehoben wurde, ſchrieb er dem Könige*)Bericht an den König, Münſter 30. Oct. 1804.: dieſe Landtage, die bisher bei dem Beamtenthum nur als die Feinde jeder Reform verrufen geweſen, könnten, zweckmäßig eingerichtet, vielmehr die Stützen der Rechtsordnung werden: Sie verhindern die willkürlichen Ab - weichungen von Verfaſſung und geſetzlicher Ordnung, die ſich die Landes -161Auswärtige Politik Friedrich Wilhelms III. collegien bei dem Drange der Geſchäfte nicht ſelten zu Schulden kommen laſſen, und ſie ſind durch Eigenthum und Anhänglichkeit an das Vater - land feſt an das Intereſſe eines Landes gekettet, das den fremden öffent - lichen Beamten gewöhnlich unbekannt, oft gleichgiltig und bisweilen ſelbſt verächtlich und verhaßt wird. Die Regenten haben von Ständen, die aus Eigenthümern beſtehen, nichts zu fürchten, mehr von der Neuerungsſucht jüngerer, der Lauigkeit und dem Miethlingsgeiſte älterer öffentlicher Be - amten und von der alle Sittlichkeit verſchlingenden Weichlichkeit und dem Egoismus, der alle Stände ergreift. Dem Könige blieben ſolche Ge - danken noch ganz unverſtändlich. Er ließ ſich zwar nicht zu ſo gehäſſigen Urtheilen über die Revolution hinreißen, wie die übereifrigen Royaliſten an ſeinem Hofe, ſondern erkannte die Berechtigung der franzöſiſchen Bauern - befreiung unbefangen an; aber was irgend an die conſtitutionelle Monarchie erinnerte war ihm durch die Blutthaten der Franzoſen verdächtig und un - heimlich geworden. Wie ſollte er auch bei der allgemeinen Zufriedenheit des Volkes auf die Frage kommen, ob dieſer pflichtgetreue Abſolutismus, der den Staat gebildet hatte, ſich ſchon überlebt habe? Auch Stein ſelber wußte noch keineswegs, wie morſch die alte Ordnung ſei und wie dringend geboten der Neubau. Es ſteht nicht anders, Hoch und Niedrig lebte be - fangen in einer ungeheuren Selbſttäuſchung. Das hiſtoriſche Urtheil ver - mag nicht abzuſehen, wie die Demüthigung von 1806 der alten Monarchie hätte erſpart werden ſollen. Nur die durchſchlagende Beweiskraft des Krieges konnte dem verblendeten Geſchlechte den inneren Verfall jener fridericianiſchen Formen zeigen, welche durch den Zauber alten Ruhmes alle Thatkraft lähmten. Nur eine Niederlage konnte die unnatürliche Epi - ſode der deutſchen Herrſchaft in Warſchau beendigen, den Staat ſich ſelber und ſeinem deutſchen Weſen zurückgeben.

Für keine ſeiner königlichen Pflichten war Friedrich Wilhelm von Haus aus ſo wenig vorbereitet wie für die Leitung der auswärtigen Politik; langſam, bedächtig wie er war hat er einer ſehr ſchweren Schule bedurft bis ſein weiches Gemüth ſich an die Härte der großen politiſchen Macht - fragen gewöhnte. Neigung und Pflichtgefühl ſtimmten ihn friedlich. Er hätte es für einen Frevel gehalten, dies emſig arbeitende Norddeutſchland, deſſen ruhiges Glück von Jedermann, ſelbſt von Friedrich Gentz, geprieſen wurde, ohne dringende Noth den Wechſelfällen des Krieges, den verſchul - deten Staatshaushalt neuen Verwirrungen preiszugeben; nur zur Ab - wehr eines unmittelbaren Angriffs wollte er ſein Schwert ziehen. Die allgemeine Friedensſeligkeit der Norddeutſchen fand nirgends eifrigere Ver - treter als am preußiſchen Hofe; ſie hatte ſich hier ſogar eine eigene ſtaats - rechtliche Doctrin erklügelt. Ein König , ſagte Oberſt Köckeritz zu ſeinem fürſtlichen Freunde, hat gar nicht das Recht das Daſein ſeines Staates aufs Spiel zu ſetzen, das darf nur eine Republik. Ueber Frankreichs gefährliche Abſichten täuſchte ſich der geſunde Sinn des Königs nicht. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 11162I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Sein Vater war dem alten Widerwillen gegen die Republik immer treu geblieben, hatte noch als ſterbender Mann das Anerbieten eines fran - zöſiſchen Bündniſſes zurückgewieſen und ſich nicht beirren laſſen, als Caillard ihm die Erwerbung der deutſchen Kaiſerkrone in Ausſicht ſtellte. Auch Graf Haugwitz war jetzt voll Mißtrauens gegen die Pariſer Macht - haber. So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Mächten ſehr kühl, und der junge König geſtand zuweilen: er wolle die Kräfte ſeines Staates ſammeln und aufſparen für den Augenblick, da vielleicht einmal ein ent - ſcheidender Kampf mit dieſer räuberiſchen Macht nothwendig würde. Ver - muthlich wußte er ſelbſt nicht recht, ob er ſolche Aeußerungen ernſtlich meinte oder nur nach einem Vorwande für ſeine Friedfertigkeit ſuchte. Als guter Deutſcher wünſchte er die Befriedung des geſammten Reichs und die Wiederherſtellung der alten Grenzen; den Franzoſen gönnte er weder das durch ſeine Truppen eroberte Mainz noch ſeine niederrheiniſchen Erblande.

Der Fürſt, unter deſſen Herrſchaft die größten Gebietsveränderungen der preußiſchen Geſchichte erfolgen ſollten, verabſcheute von jeher das Ver - handeln von Land und Leuten; ſelbſt kleine Grenzberichtigungen waren ſeiner Gewiſſenhaftigkeit widerwärtig. Zu der Abtretung von Cleve und Geldern hat er ſich ſchließlich nur darum verſtanden, weil dieſe vorläufig von den Franzoſen beſetzten Lande ihm perſönlich noch nicht gehuldigt hatten. Denn noch wurde das Verhältniß zwiſchen Fürſt und Unterthan überall in Deutſchland als eine perſönliche Verpflichtung angeſehen; ſobald ein Herrſcher ſtarb, ſchloß man eiligſt die Thore der Städte und ver - eidigte die Truppen ſofort für den neuen Herrn. Die romantiſche Ver - ehrung, welche ſein Vater für die altehrwürdigen Formen der Reichs - verfaſſung gehegt, beirrte den nüchternen Kopf des Sohnes nicht; er erkannte den unaufhaltſamen Zerfall des Reichs und empfand als ein treuer Proteſtant wenig Mitleid mit dem Jammer der geiſtlichen Staaten. Aber da er über die Möglichkeit einer Reichsreform noch nicht ernſtlich nachgedacht hatte, ſo wäre die einfache Wiederherſtellung der alten Beſitz - verhältniſſe in Deutſchland ſeinem Rechtsgefühle und ſeiner Friedensliebe das Willkommenſte geweſen. Gelang dies nicht, ſo wollte er mindeſtens das Gleichgewicht zwiſchen Oeſterreich und Preußen wahren, jede Er - weiterung der öſterreichiſchen Macht durch eine Vergrößerung ſeines eigenen Staates ausgleichen. Ohne Groll gegen die Hofburg, nahm er doch die bairiſche Politik ſeines Großoheims wieder auf und trat für die Rechte der Wittelsbacher gegen die kaiſerlichen Eroberungspläne ein. Der leitende Gedanke ſeiner deutſchen Politik blieb freilich die Erhaltung des Friedens für den Norden: nur diplomatiſche Mittel ſollten die Machtſtellung der Monarchie gegen Frankreich wie gegen Oeſterreich ſichern.

So, mit der Geſinnung eines rechtſchaffenen Hausvaters trat der unerfahrene junge Fürſt jenen dämoniſchen Mächten entgegen, welche wäh - rend der jüngſten Monate das Anſehen der Welt verwandelt hatten. Die163Krieg von 1796.Helden der Schreckensherrſchaft hatten ſich einſt vermeſſen, die Revolution ſolle tiefe Furchen ziehen; und ſo war es geſchehen, über alle Beſchreibung gräßlich. In den neun Jahren ſeit dem Baſtilleſturme waren zweiund - zwanzigtauſend dreihundert und einunddreißig neue Geſetze über das un - glückliche Frankreich dahin geſtürmt, jede Brücke zwiſchen der Vergangen - heit und der Gegenwart zerſtört, von allen Inſtitutionen des bourboniſchen Staates keine einzige mehr übrig außer der Pariſer Akademie. Ein volles Drittel des franzöſiſchen Bodens war ſeinen alten Eigenthümern gewalt - ſam entriſſen. Dazu mehr als 47000 Millionen Franken entwertheten Papiergeldes, dazu die völlige Verwirrung aller Beſitzverhältniſſe und die langjährige Ausbeutung des Landes durch den praktiſchen Communismus des Pariſer Pöbels. Aller Wohlſtand, alle Sicherheit des Rechtes war dahin, und dahin auch aller Adel feiner Bildung. Auf den Altären der geſchändeten Kirchen thronte die Göttin der Vernunft; das geſchmackvollſte Volk Europas verehrte die rothe Mütze der Züchtlinge des Bagnos als das Sinnbild ſeiner neuen Freiheit und taufte die Tage des Kalenders auf die Namen des Schweines, des Eſels und der Kartoffel. Wohl hatte die Guillotine endlich ihre entſetzliche Arbeit eingeſtellt, doch die grauſamen Strafgeſetze gegen Prieſter und Emigranten wurden mit unverſöhnlicher Rachſucht aufrecht erhalten. Noch immer blieb die Habe und das bürger - liche Daſein von Tauſenden der unberechenbaren Willkür der herrſchenden Partei preisgegeben. Neun Jahre voll unerhörten Elends hatten den letzten Funken des politiſchen Idealismus zertreten, den Kämpfen des öffentlichen Lebens jeden Inhalt genommen; der Streit der Parteien war, wie ſeitdem immer in Frankreich, nur noch ein Ringen um den Beſitz der Macht ſchlechthin.

Die franzöſiſche Nation verlangte nach Frieden, nach rechtlicher Sicherheit für die neue Vertheilung des Volksvermögens, nach Wiederher - ſtellung der alten Kirche. Ließ man ſie frei gewähren, ſo ſchien die Zurück - berufung des alten Königshauſes unausbleiblich, nicht weil das ermüdete Volk noch irgend ein Gefühl dynaſtiſcher Treue gehegt hätte, ſondern weil die monarchiſche Ordnung ein Zeitalter friedlichen Wohlſtandes zu ver - ſprechen ſchien. Das Heer allein bewahrte in der allgemeinen Zerrüttung noch einige Mannszucht, in der allgemeinen Ermattung noch einigen ſitt - lichen Schwung; ſo viele verdiente und unverdiente Erfolge hatten den kriegeriſchen Ehrgeiz, den Stolz auf die unbeſiegte Tricolore, vornehmlich unter den jungen Generalen, wach gerufen. Durch dies Heer, die einzige geordnete und begeiſterte Macht im neuen Frankreich, behaupteten die radicalen Parteien des Convents ihre Herrſchaft gegen den Willen der Nation. General Bonaparte warf am 13. Vendemiaire 1795 den Auf - ſtand der Royaliſten nieder und erzwang, daß zwei Drittel der Mitglieder des Convents in die Volksvertretung der neuen Directorialverfaſſung ein - traten. Damit war die Fortdauer des Krieges abermals entſchieden, denn11*164I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nur im Kriege konnte die ſiegreiche Minderheit hoffen ſich im Beſitze der Gewalt zu befeſtigen.

Mit dem italieniſchen Feldzuge des Jahres 1796 begann die zweite, die für den Welttheil fruchtbarere Epoche des Zeitalters der Revolution. Die revolutionäre Propaganda wurde jetzt erſt wahrhaft wirkſam; eine neue Ordnung der Dinge verdrängte die alte Ländervertheilung, die über - lieferten Formen von Staat und Geſellſchaft in Mitteleuropa. Erſt durch Bonapartes Siege erlangten Frankreichs Waffen ein unbeſtreitbares Ueber - gewicht. Als der junge Held, die Alpen umgehend, vom Süden her in Oberitalien einbrach, erwies er ſich ſofort als Meiſter einer neuen, kühneren Kriegsweiſe, die ohne Magazine den Krieg durch den Krieg, durch die Hilfsquellen des eroberten Landes zu ernähren verſtand und ſich nicht ſcheute, auf die Gefahr der Vernichtung hin, mit verwandter Front dem Feinde den Kampf anzubieten. Die Schlachten waren nicht mehr, wie zur Zeit der alten Lineartaktik, ein einfaches Ringen zweier feſtgeſchloſſenen Linien, die einander zu durchbrechen verſuchten. Bonaparte gab ihrem Verlaufe dramatiſche Bewegung und Steigerung; durch die überwältigen - den Maſſenſchläge ſeiner aufgeſparten Reſervetruppen erzwang er die Ent - ſcheidung, wenn die Kraft der vorderen Treffen vernutzt war, und Keiner wußte wie er, die Gunſt des Glückes bis zum Letzten auszubeuten. Nicht die Schonung der eigenen Truppen galt ihm als die erſte Aufgabe des Heerführers, wie einſt den Feldherren der koſtbaren alten Söldnerheere denn jeden Verluſt konnte die Conſcription leicht erſetzen: ſondern die Zertrümmerung der feindlichen Macht. In raſchem Zuge durch die Länder dahinfegend ſtrebte er dem Gegner ins Herz zu ſtoßen, ihm ſeine Hauptſtadt zu entreißen. Begeiſtert für ſich ſelber und den Glanz ſeiner Fahnen, ganz durchglüht von der finſteren, majeſtätiſchen Poeſie des Krieges, erzog er ſeine Truppen zu blinder Zuverſicht auf ſeinen Stern, wies ihnen Ehre, Ruhm und Reichthümer als des Krieges höchſte Ziele und erfüllte ſie bis ins Mark mit einer raſtloſen, abenteuerlichen Lands - knechtsgeſinnung, die alles Reden von Völkerglück und Völkerfreiheit als hohles Geſchwätz verachtete. Er taufte die Franzoſen mit dem klug er - fundenen Namen der großen Nation und riß das an den Parteikämpfen verekelte Volk in einen Rauſch der Selbſtüberhebung und der Kriegsluſt hinein, der ſich ſtärker und nachhaltiger zeigte als die Freiheitsbegeiſterung der erſten Tage der Revolution.

Wie die Kriegsweiſe ſo erhielt auch die europäiſche Politik Frankreichs durch den Sieger von Montenotte und Rivoli einen veränderten Charakter. Die Pläne der Republik waren, trotz der kosmopolitiſchen Schlagworte, womit ſie zu prunken liebte, doch nicht weſentlich hinausgegangen über die alten Ziele, welche das bourboniſche Haus der nationalen Politik gewieſen hatte: ſie wollte ihre Grenzen gegen Oſten erweitern, durch die Schwächung Deutſchlands dem franzöſiſchen Staate das Uebergewicht im Rathe Europas165Friede von Campo Formio.und die Führerſtellung unter den romaniſchen Völkern ſichern; nach un - mittelbarer Beherrſchung des Welttheils ſtrebte ſie nicht. Jener Uner - ſättliche aber, der jetzt in Italien ſeinen byzantiniſchen Hof hielt, die er - oberten Gebiete nach Gefallen zu Vaſallenſtaaten zuſammenballte, jeden Widerſpruch des Directoriums bald durch Drohungen bald durch reiche Beuteſendungen beſchwichtigte, war ein Mann ohne Vaterland. Als Jüngling hatte er einſt für die Befreiung ſeiner italieniſchen Heimath geſchwärmt, doch ſeine frühreife Weltklugheit überwand die jugendlichen Träume ſchnell; unbedenklich trat er bei den Eroberern Corſicas in Dienſt, weil er einſah, daß die Auflöſung aller alten Ordnung in dem revolutio - nären Frankreich hier der höchſten Begabung die höchſten Erfolge verhieß. Nun fühlte er ſich als den geborenen Herrſcher, in der Kraft des Wollens und Vollbringens allen anderen Sterblichen überlegen. Er ſchwelgte in dem Hochgefühle der einzigen Größe dieſer Zeit, die das Unmögliche zu ermöglichen ſchien, und in dem ſtolzen Bewußtſein, daß ihm, ihm allein auferlegt ſei, den Rathſchluß eines fürchterlichen Schickſals zu vollziehen. Er ſah vor ſich das alte Europa, zertheilt durch ſtreitige Intereſſen, ge - lähmt durch ein ſchwerfälliges Heerweſen und durch veraltete Verfaſſungen eine erſtarrte Staatenwelt, die das Recht ihres Daſeins nur noch auf den hiſtoriſchen Beſtand zu ſtützen wußte; hinter ſich die gewaltigen kriege - riſchen Kräfte des franzöſiſchen Volkes, das mit ſeiner Vergangenheit ge - brochen hatte und ſich vermaß der weiten Erde Geſetze zu geben.

So iſt in dem Kopfe des großen Heimathloſen, dem das Seelenleben der Völker, die Welt der Ideen immer unverſtändlich blieb, jetzt ſchon der entſetzliche Gedanke eines neuen Weltreichs entſtanden. Die Bilder der Caeſaren und der Karolinger ſtanden leuchtend vor ſeinem Geiſte; die reiche Geſchichte eines Jahrtauſends ſollte durch ein gigantiſches Abenteuer ver - nichtet werden, die vielgeſtaltige Culturwelt des Abendlandes dem Macht - gebote eines ungeheuren Menſchen gehorchen. Mit einer wunderbaren Sicherheit und Gewiſſensfreiheit ſtürmte dieſe neue, durchaus unfranzöſiſche Politik der Welteroberung ihren Zielen entgegen. Bonapartes Scharfblick erkannte ſofort, durch welche Mittel das in Deutſchland ſiegreiche, in Italien beſiegte Oeſterreich zu einem vorläufigen Frieden zu zwingen ſei; er durch - ſchaute Thuguts adriatiſche Pläne, verſchaffte ſich durch unerhörten Ver - rath den Vorwand die neutrale Republik Venedig zu bekriegen, warf die waffenloſe nieder und bot dann für Mailand, Belgien und das linke Rheinufer dem kaiſerlichen Hofe den Beſitz Venetiens an eine Ab - rundung, die für Oeſterreich faſt willkommener war als die verlorenen unhaltbaren Außenpoſten. Außerdem wurde dem Kaiſer das ſeculariſirte Hochſtift Salzburg und Baiern bis zum Inn, ſeinem aus Modena ver - triebenen Vetter der Breisgau verſprochen. Auf ſolche Bedingungen hin wurde am 17. October 1797 der Friede von Campo Formio geſchloſſen.

Wieder einmal ſollte das heilige Reich die Buße zahlen für Oeſter -166I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.reichs Niederlagen, und wieder, heuchleriſcher denn je zuvor, erklangen am Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phraſen, womit die un - deutſche Kaiſermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte. Während in den geheimen Artikeln von Campo Formio die Verſtümmelung der deut - ſchen Weſtgrenze, die Seculariſation geiſtlichen Gebietes, die Entſchädigung ausländiſcher Fürſten auf Koſten des Reiches ausbedungen war, ſprach der veröffentlichte Wortlaut des Friedensſchluſſes von der unangetaſteten Integrität des Reichs. Ein kaiſerliches Hofdecret lud die Reichsſtände zu einem Congreſſe nach Raſtatt, damit dort auf der Baſis der Integrität Deutſchlands Verfaſſung und Wohlfahrt zur bleibenden Wonne der fried - liebenden Menſchheit auf Jahrhunderte befeſtigt werde . Auf dem Raſtatter Congreſſe traten die Geſandten der Republik als die herriſchen Schieds - richter der deutſchen Händel auf. An dreihundert deutſche Diplomaten waren verſammelt; viele Gelehrte darunter, begierig, die große Räthſel - ſammlung des Reichsrechts durch einige neue Ungeheuerlichkeiten zu be - reichern. Man warb wetteifernd durch Schmeichelei und Beſtechung um die Gnade der hochmüthigen Fremden. Franzöſiſche Sprache und Sitte herrſchten vor; allabendlich rief das amtliche Deutſchland den franzöſiſchen Schauſpielern Beifall, wenn ſie ihre Witze über die bêtes allemandes zum Beſten gaben. Den öſterreichiſchen Staatsmännern fiel die Aufgabe zu, die Verabredungen von Campo Formio vor den Geſandten der Reichs - ſtände geheim zu halten. Das unwahre Spiel glückte eine Zeit lang, da der Kaiſer durch drei Geſandtſchaften, als Kaiſer, als Erzherzog von Oeſterreich, als König von Ungarn, vertreten war und immer der eine ſeiner Geſandten ſich gemächlich hinter den beiden anderen verſtecken konnte.

Endlich mußte das unſelige Geheimniß doch kund werden. Auf Weih - nachten 1797 wurde Mainz von den kaiſerlichen Truppen geräumt. Die ganze hoffnungslos verworrene Lage der beiden ſchickſalsverwandten Na - tionen Mitteleuropas kam an den Tag, da zur nämlichen Zeit die Franzoſen das unbeſiegte Bollwerk des Rheinlandes beſetzten und die beſiegten Oeſter - reicher in der Stadt des heiligen Marcus einrückten. Bald darauf traten Frankreichs Bevollmächtigte in Raſtatt offen mit der Forderung des linken Rheinufers heraus. Es war die erſte amtliche Ankündigung der Vernich - tung des heiligen Reichs. Denn nach der patrimonialen Staatsauffaſſung des Reichsrechts verſtand es ſich von ſelbſt, daß die Häuſer der weltlichen Erbfürſten für ihre linksrheiniſchen Verluſte entſchädigt werden mußten, während man die geiſtlichen Wahlfürſten in den franzöſiſchen Staats - ſchriften erhielten ſie den bezeichnenden Namen: princes usufruitiers für ihre Nutznießungsrechte durch Penſionen abfinden konnte. Der Ge - danke einer allgemeinen Seculariſation, der ſich ſeit Jahren immer un - abwendbarer aufgedrängt hatte, erſchien jetzt als das letzte Mittel die dynaſtiſchen Wünſche des deutſchen Fürſtenſtandes zu befriedigen. Der große Beutezug des hohen Adels gegen das Kirchengut begann. Der Kaiſer167Raſtatter Congreß.ſelber hatte der Bewegung die Schleußen geöffnet durch die geplante Ein - verleibung des Salzburger Hochſtiftes. In wilder Gier drängten ſich die reichsfürſtlichen Geſandten an die Bevollmächtigten des Directoriums heran um durch die Gunſt des Reichsfeindes ein reiches Stück aus den Gebieten ihrer geiſtlichen Mitſtände zu gewinnen.

Nach Thuguts Abſicht ſollte Preußen bei dieſer Beraubung der geiſt - lichen Fürſten leer ausgehen. In den geheimen Artikeln von Campo Formio war ausdrücklich nur die Abtretung des linken Rheinufers von Baſel bis zur Nette bewilligt worden, damit Preußen ſeine niederrheiniſchen Beſitzungen behielte und keinen Anſpruch auf Entſchädigung erheben könne. Die Verabredung ſtand in offenbarem Widerſpruche mit jenem Auguſt - vertrage von 1796, der dem Berliner Hofe für den Fall der Abtretung des linken Rheinufers eine vortheilhafte Abrundung verſprochen hatte. So hatte denn Frankreich durch zwei widerſprechende geheime Verträge die beiden verfeindeten deutſchen Großmächte an ſich gekettet, von denen die eine aus ihren Niederlagen, die andere aus ihrer Unthätigkeit Vortheil zu ziehen dachte. Unvermeidlich mußte jene dritte Macht, die ihre An - ſprüche auf ihr ſiegreiches Schwert ſtützte, in ſolchem widerwärtigen Streite die Oberhand behaupten.

Für eine entſchloſſene preußiſche Politik war der Weg, nach Allem was geſchehen, klar vorgezeichnet. Preußens niederrheiniſcher Beſitz wurde unhaltbar, ſeit der Kaiſer Belgien, Mainz und die Moſellande an Frank - reich abgetreten. Das geſammte linke Ufer war durch die Verträge von Campo Formio für Deutſchland verloren. Man mußte ſich dieſe That - ſache eingeſtehen und verſuchen, mindeſtens dem rechtsrheiniſchen Deutſch - land eine haltbare weltliche Verfaſſung zu geben. Es war an Preußen, dem natürlichen Gegner der geiſtlichen Staaten, das nunmehr unver - meidliche Werk der allgemeinen Seculariſation, der Verweltlichung des heiligen Reichs, ſelber in die Hand zu nehmen, die Macht der Hofburg in Deutſchland durch die Vernichtung ihres geiſtlichen Anhangs zu brechen, das Reich in einen Fürſtenbund unter Preußens Führung zu verwandeln. Nicht aus Frankreichs, ſondern aus Preußens Händen mußten die kleinen weltlichen Fürſten ihre Entſchädigung empfangen; es galt, ſie durch das einzige Band, das ihnen heilig war, durch das dynaſtiſche Intereſſe für die preußiſche Sache zu gewinnen. In der That hat Dohm, der Geſandte in Raſtatt, ſeinem Könige gerathen, die Seculariſation alſo in großem Stile zu betreiben, als ein Mittel zu einer umfaſſenden Reichsreform nicht zur Befriedigung kleinlicher Habgier. Aber der rathloſen Gedanken - armuth des Berliner Hofes blieb jede kühne Entſchließung unfaßbar. Die preußiſche Politik war während des Krieges wohlmeinend bemüht geweſen, auf der Grundlage der Reichsintegrität den Frieden zwiſchen Oeſterreich und Frankreich herbeizuführen; man hatte ſie ſchroff zurückgewieſen, weil Thugut ſein finſteres Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden konnte,168I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.und weil ein Staat, der unter keinen Umſtänden ſchlagen wollte, auch nicht fähig war in einem Weltkriege zu vermitteln. Als darauf die Ab - tretung der Rheinlande gegen den Wunſch des Königs entſchieden war, wirkten ſeine Diplomaten in Raſtatt, wie es Preußens natürliche Politik gebot, für eine möglichſt reiche Entſchädigung der weltlichen Fürſten, wäh - rend der Wiener Hof den Umfang der Seculariſationen zu beſchränken und namentlich die bewährten Stützen des habsburgiſchen Kaiſerthums, die drei geiſtlichen Kurfürſten, zu ſchonen wünſchte. Auch den bairiſchen Eroberungsplänen der Hofburg wurde von Berlin her ſcharf widerſprochen.

Preußen und Baiern erſchienen wieder, wie einſt in Friedrichs Tagen, als die Führer der anti-öſterreichiſchen Partei; doch dieſe Oppoſition wurde nicht, wie vormals, gehoben durch das ſtolze Bewußtſein der eigenen Kraft. Es zeigte ſich bald, wie hinfällig jene ſcheinbar ſo glänzende Machtſtellung war, die ſich der preußiſche Staat durch die norddeutſche Neutralität er - rungen hatte. Seine kleinen Schützlinge fühlten ſchnell heraus, daß die Erfüllung ihrer begehrlichen Wünſche nur von der gewiſſenloſen Thatkraft der jungen Republik, nicht von der Berliner Friedensſeligkeit zu erwarten ſei. Frankreichs Geſandte beherrſchten den Congreß; Preußen ſpielte in Wahrheit nur die traurige Rolle des Erſten unter den beuteluſtigen Klein - ſtaaten, wagte nicht einmal den Vorſchlag zu einer durchgreifenden Neu - ordnung der deutſchen Verfaſſung. So tief war das Reich geſunken, als der gefürchtete Italiker bei einem flüchtigen Beſuche in Raſtatt zum erſten male einen Blick in das deutſche Leben warf. An dem durchtriebenen Ränkeſpiele dieſes unfruchtbaren Congreſſes hat ſich Bonaparte ſein Ur - theil über unſer Vaterland gebildet. Er durchſchaute die vollendete Nichtig - keit des Reichsrechts und meinte befriedigt: wenn dieſe Verfaſſung nicht beſtünde, ſo müßte ſie zu Frankreichs Vortheil erfunden werden. Er beobachtete mit der verächtlichen Schadenfreude des Plebejers die knechtiſche Demüthigung des deutſchen Fürſtenſtandes. Doch ihm entging auch nicht, daß dies Land in Folge der Haltloſigkeit ſeiner Territorialgewalten nur zu reif ſei für die nationale Einheit; es ſchien ihm hohe Zeit, die kleinen Dynaſten durch Befriedigung ihrer Ländergier ganz für Frankreich zu gewinnen und alſo das zertheilte Deutſchland ſeines Volksthums zu be - rauben (dépayser l’Allemagne).

Der Raſtatter Congreß wurde durch den Wiederausbruch des Krieges auseinander getrieben. Thugut hatte die Verträge von Campo Formio nur widerwillig angenommen, da er außer Venetien auch die päpſtlichen Legationen zu erwerben hoffte. Als Frankreich ſich dieſem Wunſche ver - ſagte und, der Abrede zuwider, auf die allgemeine Seculariſation in Deutſchland, das will ſagen: auf die Vernichtung des alten Kaiſerthums, hinarbeitete, fühlte ſich die Hofburg in den Grundfeſten ihrer Macht be - droht; denn ſo ſchrieb der Miniſter nach Petersburg Teutſchland beſtehet nicht durch Italien, ſondern Italien beſtehet durch Teutſchland . 169Coalition von 1799.Währenddem erfolgten neue Gewaltthaten der franzöſiſchen Staatskunſt: mitten im Frieden wurde der Kirchenſtaat zu einer römiſchen Republik umgeſtaltet und der ſchweizeriſche Einheitsſtaat aufgerichtet. Den alten Mächten drängte ſich die Einſicht auf, daß mit dieſer raſtloſen Politik der Welteroberung kein friedliches Zuſammenleben möglich ſei. Schon im Sommer 1798 verhandelten Oeſterreich, England und der neue Czar Paul über die Bildung der zweiten Coalition. Die Verbündeten ſchritten in vollem Ernſt, mit dem Aufgebot ihrer beſten Kraft ans Werk. Auf der weiten Linie vom Texel bis nach Calabrien, an allen ſeinen Grenzen zu - gleich dachten ſie den Staat der Revolution zuſammt ſeinen Tochter - republiken anzugreifen, und ſie durften um ſo ſicherer auf den Erfolg ihrer furchtbaren Rüſtungen hoffen, da von den beiden namhafteſten Feld - herren der Republik der Eine, Hoche, ſoeben geſtorben war, Bonaparte aber fern in Aegypten weilte. Der junge Held hatte den grandioſen Ge - danken gefaßt, die Macht Englands, das er als den gefährlichſten Feind ſeiner Weltmachtspläne haßte, an ihrer verwundbarſten Stelle, im Oriente zu ſchlagen.

Für Preußen war der Anſchluß an die neue Coalition keineswegs unbedenklich; denn jede der verbündeten Mächte verfolgte Ziele, welche der deutſchen Politik fremd oder geradezu bedrohlich waren. Rußland dachte den Beſitzſtand im Oſten aufrechtzuhalten um dereinſt die orientaliſche Frage nach ſeinem Sinne zu löſen. Im engliſchen Parlamente enthüllten ſich immer dreiſter und übermüthiger die Pläne einer gewaltthätigen Han - delspolitik, die, nach dem Worte des deutſchen Dichters, das Reich der freien Amphitrite ſchließen wollte wie ihr eigenes Haus; den Seemächten zweiten Ranges konnte weder Englands Alleinherrſchaft im Mittelmeere noch die gänzliche Vernichtung des franzöſiſch-holländiſchen Colonialbeſitzes willkommen ſein. Der Wiener Hof endlich hoffte auf große Eroberungen in Italien und auf die Herſtellung der alten kaiſerlichen Vollgewalt im Reiche. Seine Lohnſchreiber ſchlugen wieder den herausfordernden Ton ferdinandeiſchen Hochmuths an, mahnten den deutſchen hohen Adel, die Pflicht der Lehensfolge gegen die kaiſerliche Majeſtät zu erfüllen. Ueber - haupt trug die zweite Coalition einen ausgeſprochen reactionären Charakter, der mit den gemäßigten Anſichten des preußiſchen Hofes wenig gemein hatte. Czar Paul ſprach in ſeiner ungeſtüm phantaſtiſchen Weiſe von der Zurück - führung des altfranzöſiſchen Königthums. Fanatiſche Flugſchriften predig - ten den Vernichtungskrieg gegen die gottloſen Neufränkler: alle Rottirer Europas blicken nach Paris. Schon der Raſtatter Geſandtenmord am Beginne des Krieges ließ die blinde Erbitterung der Vorkämpfer des hiſtoriſchen Rechts errathen, obſchon die blutige That nicht unmittelbar von der Hofburg anbefohlen war. Noch deutlicher bekundete nachher die gräuelvolle Wiederherſtellung der bourboniſchen Tyrannei, welche unheim - lichen Leidenſchaften die Raſerei der Jacobiner erweckt hatte, und welchen170I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Wirren Europa entgegenging, wenn dies mächtigſte von allen Kriegsbünd - niſſen der Gegenrevolution den Sieg errang.

Gleichwohl ſprachen überwiegende Gründe für den Zutritt Preußens zu dem Dreibunde. In der Abſicht, den Fluthen der Welteroberung endlich Schranken zu ſetzen, ſtimmten die Berliner Staatsmänner mit den drei Mächten überein; Graf Haugwitz war über den Charakter der franzöſiſchen Politik endlich ins Klare gekommen. Und wenn jede der verbündeten Mächte ihre Hintergedanken verfolgte, ſo konnte Preußen um ſo gewiſſer durch entſchloſſenes Handeln ſeine deutſche Machtſtellung befeſtigen. Eng - land bereitete eine Landung an der holländiſchen Küſte vor, Oeſterreich verſammelte ſeine Heere in Oberdeutſchland und Italien. Warf Preußen, diesmal an ſeinen Oſtgrenzen unbedroht, ſeine geſammten Streitkräfte in die weite Lücke zwiſchen dieſen beiden Kriegsſchauplätzen, ſo ging nach menſchlichem Ermeſſen der ehrliche Herzenswunſch des jungen Königs, die Wiedereroberung der Rheinlande, in Erfüllung, und der ſiegreiche Staat erwarb ſich durch deutſche Thaten die nordiſche Hegemonie, die er bisher nur ſcheinbar beſaß. Es war die Schuld des Königs und ſeiner alters - ſchwachen Generale, daß die große Stunde unbenutzt blieb. Der zaudernde Fürſt hielt den Augenblick zur Niederwerfung der Revolution noch nicht gekommen, er wollte die Ereigniſſe abwarten, ſeine Kräfte aufſparen für eine mögliche letzte Entſcheidung. Das ruheſelige Norddeutſchland ſtimmte dem kleinmüthigen Entſchluſſe freudig zu; ſeine Fürſten und Stämme ſegneten die Wiederkehr der Baſeler Neutralitätspolitik.

So begann denn ohne Preußens Zuthun der ungeheure Kampf. Die Schlacht von Abukir begründete die mediterraniſche Herrſchaft der Briten, vereitelte Bonapartes orientaliſche Pläne; Suworows Siege ent - riſſen Italien den Franzoſen; Erzherzog Karl drang in Oberdeutſchland ſiegreich vorwärts, und abermals ſchloß ſich die Bauerſchaft des deutſchen Südens den kaiſerlichen Truppen an. Das Gebiet der Republik lag offen vor den Heeren der Coalition, aber nochmals wurde die Zwietracht der Verbündeten die Rettung Frankreichs. Der Hochmuth der ruſſiſchen Heer - führer erſchien der Hofburg ebenſo unleidlich wie die ehrlich-fanatiſchen Reſtaurationsgedanken des Czaren. Nicht auf die Herſtellung der alten Regierungen, ſondern auf die Unterwerfung der Halbinſel war Thuguts Sinn gerichtet; um für dieſe Pläne freie Hand zu behalten, ſendete er Suworow von der offenen Siegesſtraße hinweg nach der Schweiz. Wäh - rend der große Ruſſe ſeinen heroiſchen und doch militäriſch unfruchtbaren Zug über die Alpen wagte, verlangte England den Abmarſch der Oeſter - reicher nach dem Mittelrheine. Als das mit ſo glänzenden Hoffnungen begonnene Jahr 1799 ſich zum Ende neigte, ging der gewaltige Dreibund in bitterem Unfrieden auseinander; der Czar rief ſeine Truppen heim, von einer Bedrohung des Gebietes der Republik war keine Rede mehr.

Aber ſo tief waren die Gedanken der Welteroberung bereits in das171Der Bonapartismus.Leben des neuen Frankreichs eingedrungen: die franzöſiſche Nation empfand den Verluſt ihrer italieniſchen Machtſtellung als eine unerträgliche Schmach, begrüßte den heimkehrenden ägyptiſchen Helden mit aufrichtigem Jubel als ihren Erretter. Der Staatsſtreich vom 18. Brumaire brachte kraft einer inneren Nothwendigkeit die Staatsgewalt in die Hände des Heerführers, der ſchon ſeit drei Jahren durch den Schrecken ſeiner Waffen die radicale Kriegspartei am Ruder erhalten hatte, und ſchenkte dem neuen Frankreich jene Verfaſſung, die mit unweſentlichen Aenderungen fortbeſteht bis zum heutigen Tage. Die beiden einzigen neuen politiſchen Ideen, welche in der Nation feſte Wurzeln geſchlagen hatten, die Gedanken der Staatseinheit und der ſocialen Gleichheit, wurden bis in ihre letzten Folgen durchgeführt, die veränderte Vertheilung des Eigenthums anerkannt und durch eine ſtrenge Rechtspflege geſichert. Ueber der ungegliederten Maſſe dieſes Volkes der Gleichen erhob ſich der homme-peuple, der demokratiſche Selbſtherrſcher, in deſſen ſchrankenloſer Macht die eine und untheilbare Nation mit Genug - thuung ihre eigene Größe genoß. Ihm gehorchte die feſtgefügte Hierarchie des ſchlagfertigen neuen Beamtenthums, das jedem Ehrgeiz, wenn er ſich nur dem Herrſcher unterwarf, Befriedigung verſprach und den Regierten alle Sorge und Arbeit für das gemeine Wohl abnahm. Ihm diente blind - lings das Heer der Conſcribirten aus den niederen Ständen; eine den Zwecken der Eroberungspolitik glücklich angepaßte Heeresorganiſation ſtellte dem erſten Conſul zugleich die Maſſen eines Volksaufgebotes und die techniſche Tüchtigkeit einer langgedienten Söldnertruppe zur Verfügung. Die beſitzenden Klaſſen aber ſahen, befreit von der Laſt der Wehrpflicht, in bequemer Sicherheit den Triumphen der dreifarbigen Fahnen zu und lernten die aufregenden Nachrichten von Krieg und Sieg als einen un - entbehrlichen Zeitvertreib ſchätzen.

Es war zugleich der höchſte Triumph und die Selbſtvernichtung der Volksſouveränität. Es war der ſtolzeſte, der geſcheidteſte, der beſtgeordnete Despotismus der neuen Geſchichte, der nothwendige Abſchluß des Entwick - lungsganges, welchen der franzöſiſche Staat ſeit der Thronbeſteigung der Bourbonen eingeſchlagen hatte. Auch der altüberlieferte katholiſche Charakter der franzöſiſchen Bildung wurde jetzt durch das Concordat wiederhergeſtellt. Alle die fruchtbaren neuen Gedanken, welche die Geſetzgebung der National - verſammlung und des Convents verwirklicht oder vorbereitet hatte, fanden in dem Präfectenſyſteme, den Rechtsbüchern, dem Finanz - und Heerweſen der neuen Selbſtherrſchaft ſachkundige Verwerthung, ſoweit ſie den beiden Zwecken der Demokratiſirung der Geſellſchaft und der Centraliſation des Staates entſprachen. Hingegen von den Freiheitswünſchen der Revolution, von der Theilnahme der Nation an der Staatsleitung blieb nichts übrig als ein leeres Schaugepränge werthloſer parlamentariſcher Formen. Die Verfaſſung des napoleoniſchen Frankreichs war, wie die des altbourbo - niſchen, in Wahrheit nur eine Verwaltungsordnung. Der in den Partei -172I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.kämpfen des jüngſten Jahrzehntes völlig zerrüttete Handel und Wandel erholte ſich raſch, Dank der Rechtsſicherheit und der freien Bewegung, welche die neuen Geſetze den wirthſchaftlichen Kräften gewährten. Doch an dem anderen traurigen Vermächtniß der Revolution, an der geiſtigen Verödung des franzöſiſchen Lebens wollte und konnte der neue Herrſcher nichts ändern. Er rechnete nur mit dem gemeinen Ehrgeiz der Menſchen; alle Freiheit des Gedankens, alles ſelbſtändige Schaffen der Kunſt und Wiſſenſchaft war ihm hohle Ideologie, halb lächerlich, halb furchtbar.

Alſo trat das ſeltſam zweiſchneidige Syſtem des Bonapartismus auf die Bühne, an Selbſtgefühl, Schlagfertigkeit und organiſatoriſcher Kraft vorderhand den verknöcherten Staaten der Nachbarlande noch weit über - legen: ein Gebilde der Revolution, demokratiſch von Grund aus, der natürliche Gegner der hiſtoriſchen Staatsgewalten und Geſellſchaftsformen im alten Europa; aber auch despotiſch von Grund aus, der geſchworene Feind aller Freiheit und nationalen Eigenart des Völkerlebens. Zunächſt mußte der Sieger des 18. Brumaire die Verluſte des letzten Jahres einbringen, den Beſitzſtand von Campo Formio wiederherſtellen. Sein genialer Verſuch, die Seeherrſchaft Englands durch einen Bund aller See - mächte des Nordens und des Südens zu erſchüttern, ſcheiterte gänzlich; doch im Feſtlandskriege war ihm das Glück hold. Der theatraliſche Zug über den St. Bernhard zeigte dem befriedigten Frankreich, daß Suworows Lorbeeren für franzöſiſche Soldaten nicht unerreichbar ſeien. Der Sieg von Marengo brachte die Herrſchaft über Italien wieder in Bonapartes Hand; die Entlaſſung Thuguts ließ erkennen, daß die zähe Ausdauer des Wiener Hofes zu erlahmen begann. Aber noch bedurfte es eines letzten Schlages, der Schlacht von Hohenlinden, um das erſchöpfte Oeſterreich zum Frieden zu bewegen. Am 9. Februar 1801 verkündete der Friede von Luneville öffentlich und unzweideutig, was der Vertrag von Campo Formio nur insgeheim und unklar beſtimmt hatte: daß der Rhein fortan Deutſchlands Grenze ſei.

Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und faſt vier Millionen Ein - wohnern war für Deutſchland verloren, beinah ein Siebentel von der Bevölkerung des alten Reichs, das ohne Schleſien auf 28 Millionen Köpfe geſchätzt wurde. Mit unheimlichem Kaltſinn ließ die deutſche Nation den furchtbaren Schlag über ſich ergehen. Kaum ein Laut vaterländiſchen Zornes ward vernommen, als Mainz und Köln, Aachen und Trier, die weiten ſchönen Heimathlande unſerer älteſten Geſchichte, an den Fremden kamen; und wie viele bittere Thränen hatte einſt das verkümmerte Ge - ſchlecht des dreißigjährigen Kriegs um das eine Straßburg vergoſſen!

Es war die Schuld der Krummſtabsregierung, daß die linksrheiniſchen Lande ihrem Volke ſo fremd geworden. An Friedrichs Siegen und Goethes Gedichten, an Allem, was dem neuen Deutſchland das Leben erfüllte, hatten die geiſtlichen Gebiete keinen Antheil genommen. Jetzt ertrugen173Friede von Luneville.ſie ihr Schickſal mit ſtummer Ergebung; nur die niederrheiniſchen Pro - vinzen Preußens bekundeten laut ihren Schmerz über die Trennung von einem ehrenwerthen Staate. Natürlich hatte die rührige Propaganda der Revolution während der langen Jahre der franzöſiſchen Occupation nicht ganz umſonſt gearbeitet: man erlebte da und dort ein beſcheidenes Nach - ſpiel des Mainzer Clubiſtentreibens. Die Jugend berauſchte ſich eine Zeit lang an der Hoffnung, ihre Heimath würde eine ſelbſtändige Tochter - republik unter Frankreichs Schutze bilden. In Koblenz tanzten die Foede - rirten der cisrheiniſchen Republik um den grünweißrothen Freiheitsbaum. Der Kölniſche Brutus Biergans bemühte ſich mit treuem Fleiße, die wüthenden Kraftworte der Marat und Desmoulins nachzuahmen; doch die Nachbildung gerieth kaum beſſer als die deutſche Marſeillaiſe, das ſpießbürgerlich zahme Bundeslied der rheiniſchen Republikaner: Auf, jubelt ihr Brüder, Vernunft hat geſiegt. Nur der junge Joſeph Görres ver - ſtand die dem deutſchen Weſen fremde Sprache des Fanatismus zu reden. Mit dem ganzen Ungeſtüm ſeines phantaſtiſchen Kopfes und mit der ganzen Unreife jener Halbbildung, die in den geiſtlichen Schulen der Biſchofs - lande gedieh, warf ſich der ehrlich begeiſterte Jüngling in den Strudel der revolutionären Bewegung, pries in Reden und Flugſchriften die Wunder der galliſchen Freiheit. Als die Räumung von Mainz über das Schickſal der Rheinlande entſchieden hatte, da hielt er dem heiligen Reiche die Leichenrede dem friedfertigen leidſamen Kindlein, das einſt unter dem Zeichen eines unglückſchwangeren Perrückenkometen geboren wurde, jetzt aber den General Bonaparte zum Teſtamentsvollzieher einſetzt und rief drohend: Die Natur ſchuf den Rhein zur Grenze von Frankreich; wehe dem ohnmächtigen Sterblichen, der ihre Grenzſteine verrücken und Koth und Steinhaufen ihren ſcharf gezogenen Umriſſen vorziehen will! Mit ſolchem Hohne nahm der begabteſte Sohn des Rheinlandes von ſeinem Vaterlande Abſchied; ſolche Empfindungen hatte der Anblick des geiſtlichen Regiments in dem heißen Herzen des Mannes hervorgerufen, der bald nachher der begeiſterte Apoſtel des Deutſchthums am Rheine werden ſollte!

Bei den Maſſen des rheiniſchen Volks fand das jacobiniſche Treiben keinen Boden. Sie lebten dahin ſeufzend über die hohen Kriegslaſten und die Unſicherheit der endloſen proviſoriſchen Zuſtände; ſie ſahen mit Un - muth, wie die fremden Beamten das Land ausplünderten, die Denkmäler ſeines Alterthums roh zerſtörten, die Gebirge entwaldeten, die alten Säulen vom Grabe Karls des Großen nach Paris entführten. Erſt nach der end - giltig vollzogenen Einverleibung lernten ſie auch die Wohlthaten der neuen Regierung ſchätzen. Die franzöſiſche Herrſchaft wurde für die geiſtlichen Gebiete des Rheinlandes, wie für Italien, die Bahnbrecherin des modernen Staatslebens; ſie ſchenkte ihnen die Anfänge bürgerlicher Rechtsgleichheit, welche in Preußen und vielen ſeiner weltlichen Nachbarſtaaten längſt be - ſtanden, und dazu manche andere politiſche Reformen, deren das übrige174I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Deutſchland noch entbehrte. Durch ſie lernte das ſtaat - und waffenloſe Volk der Krummſtabslande zum erſten male den Kriegsruhm und das Selbſtgefühl eines großen Gemeinweſens kennen.

Die durcheinander gewürfelten Gebiete von 97 Biſchöfen, Aebten, Fürſten, Grafen und Reichsſtädten und einer ungezählten Schaar Reichs - ritter wurden zu vier wohlabgerundeten Departements zuſammengeſchlagen. Eine ſtrenge Polizei jagte die Banden des Schinderhannes auseinander, brachte den Gebirgslanden der Eifel und des Hunsrückens einen Zuſtand friedlicher Sicherheit, den die Zeiten kleinſtaatlicher Ohnmacht nie gekannt. Die Aufhebung der Leibeigenſchaft wollte hier in den Landen alter Bauern - freiheit wenig bedeuten. Um ſo tiefer und heilſamer wirkte die Beſeitigung der feudalen Laſten und der hohen Kirchenzehnten, vornehmlich aber der Verkauf der Nationalgüter; auf den Trümmern der alten geiſtlichen Lati - fundien entſtand ein neuer wohlhäbiger Kleingrundbeſitz. Die Thore des Bonner Ghettos thaten ſich auf, die Proteſtanten von Köln und Aachen erbauten ſich ihre erſten Kirchen. Die öffentliche Rechtspflege der Schwur - gerichtshöfe verdrängte jene ungeheuerlichen Proceßformen, welche vordem von den dreizehn Gerichten der guten Stadt Köln, von den zahlloſen Tribu - nalen geiſtlicher und weltlicher Gerichtsherren gehandhabt wurden. Statt der verſchwiegerten und verſchwägerten Herren vom Rathe, denen das Volk den Spottnamen des Kölniſchen Klüngels anhing, ſtatt der hochedlen und hochweiſen Patricier, die einſt das Reich von Aachen beherrſchten, ge - boten jetzt überall die Präfecten und die Maires, des erſten Conſuls unterthänige Diener. Jede Selbſtändigkeit der Gemeinden war dahin; doch die neue Beamtenregierung zeigte ſich nicht nur rühriger, ſondern auch ehrlicher und gerechter als die alte Vetternherrſchaft.

Wohl vertheidigten die Rheinländer ihre deutſche Sprache und Sitte mit zähem Widerſtande gegen alle Verſuche gewaltſamer Verwälſchung. Die willkürliche Unnatur der neuen Flußgrenze wurde ſchwer empfunden; überall den Strom entlang führte das Volk den kleinen Krieg gegen die verhaßten Zollwächter und ließ ſich den nachbarlichen Umgang mit den rechtsrheiniſchen Landsleuten nicht verbieten. Man ſpürte jedoch bald, mit wie feſten Banden ein kräftiger Staat ſeine Glieder zuſammenhält. Der freie Handel mit dem weiten weſtlichen Hinterlande, die Vernichtung der alten Zunft - und Bannrechte rief neue gewerbliche Unternehmungen, neue Verkehrsverhältniſſe hervor; das gute Frankengeld, das ſeit Bonapartes Beutezügen und Finanzreformen in Frankreich umlief, ſah ſich doch anders an als die Petermännchen und Kaſtemännchen und das andere bunte Münzengewirr der biſchöflichen Tage. Die Stämme am Mittel - und Niederrhein ſind niemals ſo mit ganzem Herzen franzöſiſch geworden wie das Soldatenvolk des Elſaſſes; der wachſende Steuerdruck und die furcht - baren Menſchenopfer der napoleoniſchen Kriege ließen, trotz der Befreiung des Ackerbaus und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthſchaftlichen175Abtretung des linken Rheinufers.Behagens recht aufkommen. Aber allgemein war die Meinung, daß man für immer zu Frankreich gehöre. Die Rheinländer hatten mit ihrer Geſchichte gebrochen und von ihren alten Ueberlieferungen in die neue Zeit nichts mit hinübergenommen als den katholiſchen Glauben; daher das Gefühl innerer Verwandtſchaft, das ſie noch auf lange hinaus mit der neufran - zöſiſchen Bildung verband. Die alte Ordnung war ſpurlos vernichtet, jede Möglichkeit einer Wiederherſtellung verloren; bald ſchwand ſelbſt die Erinnerung an die Zeiten der Kleinſtaaterei. Die Geſchichte, die in den Herzen des aufwachſenden rheiniſchen Geſchlechtes wirklich lebte, begann erſt mit dem Einzuge der Franzoſen. Nur vereinzelte tiefere Naturen, wie Görres und die Gebrüder Boiſſeree, erkannten nach und nach den Fluch aller Fremdherrſchaft, die Verdumpfung und Verwüſtung des geiſtigen Lebens; ſie wendeten ihre ſehnſüchtigen Blicke den Jahrhunderten des Mittelalters zu, da das Rheinland noch ein lebendiges Glied des deutſchen Reichs geweſen, fanden in Schmerz und Reue ihr verlorenes Vaterland wieder. Die große Mehrzahl nahm das Geſchehene hin wie eine unab - änderliche Nothwendigkeit, zumal da die Zuſtände im Reiche ſo wenig Grund zur Sehnſucht boten. Auch drüben auf dem rechten Ufer glaubte Jedermann, die neue Weſtgrenze Deutſchlands ſei für alle Zukunft feſt - geſtellt.

Den Reichsgewalten lag nun die Aufgabe ob, das große Entſchädi - gungswerk durchzuführen, das ſich aus der Verkleinerung des Reichs er - gab. Der ſiebente Artikel des Luneviller Friedens verpflichtete das Reich, die Erbfürſten des linken Rheinufers im Innern Deutſchlands (dans le sein de l’Empire) zu entſchädigen; die Raſtatter Verabredungen ſollten dabei zur Richtſchnur dienen. Alſo wurde die Verweltlichung des heiligen Reichs, die Vernichtung der geiſtlichen Staaten dem Reichstage auferlegt durch das Schwert des fremden Siegers. Was in den Zeiten der ſchle - ſiſchen Kriege die Rettung und Verjüngung des deutſchen Staates geweſen wäre, das war jetzt Deutſchlands Theilung. Während der verwickelten Unterhandlungen, die nunmehr zwei Jahre lang zwiſchen Paris und Regensburg, Berlin, Petersburg und Wien hin und her ſpielten, trat ganz von ſelber wieder jene Gruppirung der deutſchen Parteien hervor, die ſich ſchon auf dem Raſtatter Congreſſe angekündigt hatte. Der Wiener Hof blieb noch lange in dem wunderlichen Wahne, Bonaparte werde ſich um die Neugeſtaltung Deutſchlands nicht kümmern, und ſtrebte möglichſt viele von den theokratiſchen Gewalten des alten Reichs, vor Allen die geiſtlichen Kurfürſten zu retten: nicht das Maß ihres Einkommens, ſon - dern ihr Daſein iſt für die deutſche Verfaſſung werthvoll hieß es in einer öſterreichiſchen Staatsſchrift. Preußen und Baiern dagegen, die mächtigſten der weltlichen Stände, verfochten das gemeinſame Intereſſe der Erbfürſten, die allgemeine Seculariſation, und galten daher bei aller Welt als die Bundesgenoſſen Frankreichs.

176I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Trotzdem hat ein rückhaltloſes Einvernehmen zwiſchen dem erſten Conſul und der Krone Preußen auch damals nie beſtanden. Einen Bundes - genoſſen, der die Selbſtändigkeit einer Großmacht beanſpruchte, konnte Bonaparte nicht ertragen; das neue Foederativſyſtem , das er an die Stelle der alten Staatengeſellſchaft zu ſetzen dachte, bot nur Raum für ein herrſchendes Frankreich und ohnmächtige Vaſallen. Er war der Feind jeder unabhängigen Macht, und auch für Preußen empfand er niemals aufrichtiges Wohlwollen. Dem Leben Bonapartes fehlt jede Entwicklung; er hat nicht, wie die echten Helden der Geſchichte, gelernt von dem Wandel der Zeiten, ſondern ungerührt und unbelehrt bis zum Ende gearbeitet an der Verwirklichung eines weltumſpannenden Planes, der ihm von Haus aus feſt ſtand. Darum erſcheint er am größten in der Zeit des Con - ſulats, als dieſe mächtigen Gedanken ſich zum erſten male enthüllten. In vier Nachbarlanden zugleich trat er jetzt als Friedensvermittler und Or - ganiſator auf. In der Schweiz warf er das willkürliche Gebilde des Ein - heitsſtaates über den Haufen und gab den Eidgenoſſen eine verſtändige Bundesverfaſſung, denn die Natur ſelbſt hat Euch zum Staatenbunde beſtimmt, die Natur zu bezwingen verſucht kein vernünftiger Mann . Mit demſelben durchdringenden Scharfblick erkannte er, daß in Holland die bün - diſchen Staatsformen ſich überlebt hatten; er ließ den bataviſchen Einheits - ſtaat beſtehen und legte ihm eine Verfaſſung auf, welche den Uebergang zur Monarchie erleichterte. Den Italienern erweckte er eine Welt glän - zender Erinnerungen und Erwartungen indem er den alten Namen des Landes wieder zu Ehren brachte und den Vaſallenſtaat am Po zur italie - niſchen Republik erhob; auch hier wurde die Monarchie und die verhüllte Fremdherrſchaft umſichtig vorbereitet. Für ſeine deutſche Politik endlich hatte er ſich längſt den Weg vorgezeichnet, der zur Vernichtung des deutſchen Namens führen ſollte. Nie ward ein unmöglicher Plan mit ſchlauerer Berechnung erſonnen, mit heißerer Thatkraft ins Werk geſetzt.

Wenn der erſte Conſul in Reden und Staatsſchriften das deutſche Reich als unentbehrlich für das europäiſche Gleichgewicht bezeichnete, ſo meinte er damit nur die Anarchie der deutſchen Kleinſtaaterei, keineswegs die theokratiſchen Formen der Reichsverfaſſung. Die karolingiſchen Tra - ditionen des heiligen Reichs ſtanden den Weltherrſchaftsplänen des Corſen ebenſo feindlich im Wege, wie die mittelalterlichen Inſtitutionen des alten Deutſchlands dem demokratiſch-modernen Charakter der neuen Tyrannis widerſprachen. Die deutſche Verfaſſung war, wie der Moniteur ſich aus - drückte, der Mittelpunkt aller feudalen Vorurtheile Europas und zu - gleich eine Stütze der öſterreichiſchen Macht. Der Wiener Hof aber galt in Paris nächſt England als der bitterſte Feind der Revolution; die Zer - trümmerung ſeiner deutſchen Machtſtellung war dort längſt beſchloſſene Sache. Schon im Sommer 1800 mußten Talleyrands Lohnſchreiber den Brief eines deutſchen Patrioten ausarbeiten, ein erſtes Probſtück jener177Bonaparte der Beſchützer der Mittelſtaaten.diaboliſchen Halbwahrheiten, wodurch der Bonapartismus ſo verführeriſch auf unſer Volk gewirkt hat: das Libell zählte mit beredten Worten auf, was Oeſterreich am heiligen Reiche geſündigt hatte, und empfahl den auf - geklärten Deutſchen die Beſeitigung der habsburgiſchen Herrſchaft. Um die wehrloſen Kleinſtaaten von Mittel - und Weſtdeutſchland ganz in ſeine Gewalt zu bringen wollte Bonaparte vorerſt Oeſterreich und Preußen ſo weit als möglich in den Oſten zurückſchieben. Darum wurde der Breis - gau dem Herzog von Modena gegeben; darum erhob Frankreich, diesmal mit dem Wiener Hofe einverſtanden, entſchiedenen Widerſpruch, als Harden - berg den Vorſchlag wagte, Preußen ſolle ſeine Entſchädigung in Franken ſuchen. Darum fanden die Wünſche Baierns, das jetzt ſchon begehrliche Blicke auf Ansbach-Baireuth warf, in Paris gnädige Aufnahme; darum endlich ließ der erſte Conſul in Berlin anfragen, ob nicht Mecklenburg eine bequeme Abrundung für Preußen bieten würde, das alte Herzogs - haus mochte dann in den preußiſchen Rheinlanden entſchädigt werden. Es blieb für diesmal bei einem halben Erfolge, da König Friedrich Wilhelm ſich ſtandhaft weigerte, Mecklenburg wider den Willen der Herzöge zu be - ſetzen; doch das Eine wurde erreicht, daß Preußen ſeinen fränkiſchen Beſitz nicht vergrößern durfte und im Süden allen Einfluß verlor.

Für die Beherrſchung dieſer ſüd - und weſtdeutſchen Gebiete nun er - ſann ſich der große Menſchenverächter ein unfehlbares Mittel. Nicht umſonſt hatte er auf dem Raſtatter Congreſſe dem deutſchen hohen Adel bis in die innerſten Falten des Herzens geblickt. Er wurde der Schöpfer unſerer neuen Mittelſtaaten um durch ſie Deutſchlands Zerſplitterung für immer zu ſichern. Das kleine Volk der Fürſten, Grafen und Reichsritter war ihm läſtig, weil ſie zumeiſt zur öſterreichiſchen Partei gehörten und im Kriege nichts leiſten konnten. Unter den Kurfürſten und Herzögen dagegen fand ſich des brauchbaren Stoffs genug zur Bildung einer fran - zöſiſchen Vaſallenſchaar. Sie waren zu ſchwach um auf eigenen Füßen zu ſtehen, zu dünkelhaft um ſich einer nationalen Staatsgewalt zu beugen, grade mächtig genug um einige kleine Contingente zu ſtellen, die unter der Führung des Welteroberers die alte deutſche Waffentüchtigkeit wieder bewähren konnten; ſie hatten faſt alleſammt während der jüngſten Kriege Sonderverträge mit dem Reichsfeinde geſchloſſen, als Rebellen gegen Kaiſer und Reich den Rechtsboden verlaſſen und die Brücken hinter ſich abge - brochen. Wenn der Gewaltige dieſe politiſchen Zwitterweſen, die nicht leben noch ſterben konnten, unter ſeinen Schutz nahm, wenn er ihrer Habgier einige Brocken aus den Gütern der kleineren Mitſtände zuwarf, ihre Eitelkeit durch anſpruchsvolle Titel und den Schein der Unabhängig - keit kirrte; wenn er alſo die hunderte winziger Territorien zu einigen Dutzend neuer Zufallsſtaaten zuſammenballte, die mit einer Geſchichte von geſtern, jedes Rechtstitels entbehrend, allein von Frankreichs Gnaden leb - ten; wenn er die Satrapen dann zu frechen Kriegen gegen das Vaterland,Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 12178I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.von einer Felonie zur andern führte und neuen Schergendienſt durch neue Beute belohnte, ſo hatten ſie ihm ihre Seele verſchrieben, und er durfte darauf rechnen, daß ſie lieber dem Fremden die Schuhe küſſen als jemals freiwillig einem deutſchen Gemeinweſen ſich unterordnen würden. Er war nicht der Mann ſeinen Schützlingen die Schuld der Dankbarkeit zu er - laſſen. Frankreich , ſo ſchrieb er dem Kurfürſten von Baiern, und Frankreich allein kann Sie auf der Höhe Ihrer Macht erhalten; und nochmals: von uns allein hat Baiern ſeine Vergrößerung, und nur bei uns kann es Schutz finden.

Inſoweit erſcheint Bonapartes deutſche Politik nur als eine groß - artige Weiterbildung der altfranzöſiſchen Staatskunſt, die ſeit dem zweiten und dem vierten Heinrich beſtändig nach der Schirmherrſchaft über die deutſchen Kleinſtaaten getrachtet hatte; das verführeriſche Wort Souverä - nität, das die Diplomaten Frankreichs einſt beim Weſtphäliſchen Friedens - ſchluſſe zuerſt auf die deutſche Landeshoheit angewendet hatten, tauchte jetzt in den Staatsſchriften des erſten Conſuls wieder auf. Aber die Ge - danken des Raſtloſen ſchweiften ſchon weit über dieſe Ziele hinaus: war erſt Weſtdeutſchland unterworfen, ſo ſollten auch Oeſterreich und Preußen gebändigt werden. Bonapartes Freundſchaft für Preußen war niemals mehr als ein verſchlagenes diplomatiſches Spiel. Obgleich er gegen die ängſtliche Politik des Berliner Hofes eine tiefe und wohlberechtigte Ver - achtung hegte, ſo theilte er doch in jenen Jahren den Irrthum aller Welt und überſchätzte die Macht Preußens; für die unerſchöpflichen ſittlichen Kräfte, welche in dem erſtarrten Staate ſchlummerten, hatte der Verächter der Ideologen freilich kein Auge, er wußte aber ſehr wohl, was der preu - ßiſche Soldat in den Rheinfeldzügen geleiſtet hatte, und war über den fortſchreitenden Verfall des fridericianiſchen Heeres nicht genugſam unter - richtet. Den Kampf mit einem ſolchen Gegner wollte er nur unter gün - ſtigen Umſtänden und mit der Hilfe des geſammten übrigen Deutſchlands aufnehmen. Für jetzt konnte er Preußens Mitwirkung noch nicht miſſen. Während des Krieges hatte er mehrmals gehofft, durch die Vermittlung der friedfertigſten der Großmächte zum allgemeinen Frieden zu gelangen, und nachher das erwachende Mißtrauen des Berliner Hofes durch un - beſtimmte Zuſagen hingehalten. Nach dem Frieden betrachtete er die Zertrümmerung der öſterreichiſchen Partei im Reiche als ſeine nächſte Aufgabe; dazu war die Hilfe des alten Nebenbuhlers der Lothringer un - entbehrlich. Die Briefe des erſten Conſuls an den jungen König floſſen über von zärtlichen Betheuerungen: wie jeder Wunſch des königlichen Freundes für das franzöſiſche Cabinet ein Befehl ſei, und wie ſie Beide, der Nachfolger und der Bewunderer Friedrichs, ſelbander in den Fuß - tapfen des großen Königs weiter wandeln wollten. Eine reichliche Ent - ſchädigung ließ ſich dem mächtigſten der weltlichen Reichsſtände nicht ab - ſchlagen; nur jede Verſtärkung der preußiſchen Partei im Reiche mußte179Begründung der preußiſch-ruſſiſchen Allianz.vermieden werden. Daher erhielt Talleyrand die Weiſung, das preußiſch geſinnte Haus Mecklenburg von dem neuen Kurfürſtenrathe auszuſchließen, er dürfe aber nicht davon ſprechen.

Der Berliner Hof ſeinerſeits war von der Ehrlichkeit der franzöſiſchen Freundſchaft durchaus nicht überzeugt. Man hatte dort, wie faſt an allen Höfen, den Staatsſtreich des 18. Brumaire willkommen geheißen, weil eine geordnete Regierung in Frankreich den Weltfrieden zu verbürgen ſchien; man war wieder, wie ſo oft ſchon, bemüht geweſen durch diplo - matiſche Vermittlung die Integrität des Reichs zu retten. Aber wie ſollte ein deutſcher Staat, der ſelbſt nach der Erklärung des Reichskriegs im Jahre 1799 ſein Schwert in der Scheide hielt, ſo hohe Ziele erreichen? Die Losreißung der Rheinlande wurde vollzogen, und Preußen hatte nichts Ernſtliches gewagt um den Schlag abzuwenden. Noch einmal ermannte man ſich dann zu einem tapferen Schritte, als Frankreich und Rußland im Jahre 1801 Hannover zu beſetzen, die Schließung der deutſchen Häfen zu erzwingen drohten; da kam Preußen den Fremden zuvor und nahm ſelber das deutſche Land in Beſchlag ein entſchloſſenes Auftreten, das in England richtig gewürdigt, von Bonaparte nie verziehen wurde. Unter - deſſen bemerkte der König mit Beſorgniß, wie vereinzelt ſein Staat ſtand. Er mißtraute den unberechenbaren Abſichten Bonapartes und wies deſſen Anfragen, ob Preußen ſeine Entſchädigung nicht in Hannover ſuchen wolle, wiederholt zurück, nicht blos aus Rechtlichkeit, ſondern weil er die Hinter - gedanken der franzöſiſchen Politik errieth. Auf der anderen Seite ſah er die Intereſſen der preußiſchen Schifffahrt durch die engliſche Handelspolitik ſchwer beeinträchtigt. Von dem Wiener Hofe endlich war er durch das alte unbelehrbare gegenſeitige Mißtrauen geſchieden: hatte doch Oeſterreich noch im Kriege von 1799 abermals einen großen Theil ſeines Heeres in Böhmen aufgeſtellt um Preußen in Schach zu halten.

So kam der König zu dem Entſchluſſe eine Verſtändigung mit Ruß - land zu ſuchen; dieſen Staat hielt er, nach ſeiner geographiſchen Lage, für eine weſentlich defenſive Macht. Es geſchah zum erſten male, daß der junge Fürſt in der auswärtigen Politik ſich mit einem ſelbſtändigen Gedanken herauswagte; er fing jetzt an auch in dieſen Fragen nach ſeiner erwägſamen Art ſich zurechtzufinden. Da am Petersburger Hofe jederzeit eine ſtarke preußiſche Partei beſtand, ſo ward ein gutes Einvernehmen mit dem Czaren Paul bald erreicht; Preußen war es, das im Jahre 1800 den Frieden zwiſchen Frankreich und Rußland herbeizuführen ſuchte. Die Annäherung wurde zur Freundſchaft, als der junge Czar Alexander über die Leiche ſeines Vaters hinweg den Thron beſtieg. Am 10. Juni 1802 hielten die beiden Nachbarfürſten in Memel jene denkwürdige Zuſammen - kunft, die für Friedrich Wilhelms ganze Regierung folgenſchwer werden ſollte. Beide jung, Beide erfüllt von den philanthropiſchen Ideen der völkerbeglückenden Aufklärung, fanden ſie ſich raſch zuſammen, beſprachen12*180I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die gemeinſame Gefahr, die von der Weltmacht im Weſten drohe, und gelobten einander feſte Treue. Auf den noch knabenhaft unreifen Czaren machte die ritterliche ernſthafte Haltung des Königs und die bezaubernde Anmuth der Königin lebhaften Eindruck, ſoweit ſein aus Schwärmerei, Selbſtbetrug und Schlauheit ſeltſam gemiſchter Charakter tiefer Empfin - dungen fähig war; und immer wieder klagte ſein polniſcher Freund Czar - toryski, der unverſöhnliche Gegner Preußens: dieſer Tag von Memel ſei der Anfang alles Unheils. Friedrich Wilhelm aber hing an dem neuen Freunde mit der unwandelbaren Treue ſeines ehrlichen Herzens. Perſön - liche Neigung beſtärkte ihn in dem Entſchluſſe, den ſein gerader Verſtand gefunden hatte: nur im Bunde mit Rußland wollte er einen Krieg gegen Frankreich wagen. Er drängte den ruſſiſchen Hof, an den Verhandlungen über die deutſchen Entſchädigungsfragen theilzunehmen, damit Frankreich nicht der alleinige Schiedsrichter im Reiche ſei.

Wie der König alſo ſich insgeheim den Rücken zu decken ſuchte für einen möglichen Krieg gegen Frankreich, ſo verfolgte auch ſeine deutſche Politik Gedanken, welche den Plänen des erſten Conſuls ſchnurſtracks zuwiderliefen; es war nur die Folge der verworrenen Parteiungen des Augenblicks, daß der preußiſche Hof eine Zeit lang mit dem franzöſiſchen Cabinette Hand in Hand zu gehen ſchien. Die allgemeine Seculariſation konnte dem preußiſchen Staate nur willkommen ſein ſobald einmal die Abtretung der Rheinlande entſchieden war. Alle ſeine proteſtantiſchen Ueberlieferungen wieſen ihn auf dies Ziel hin. Zudem herrſchte damals in der aufgeklärten Welt die Lehre von der Allmacht des Staates, die alle Kirchengüter von Rechtswegen der Nation zuwies; Stephani’s Buch über die abſolute Einheit von Staat und Kirche machte die Runde im deutſchen Norden. Der König von Preußen war ſelber von dieſen An - ſchauungen durchdrungen, ließ eben jetzt in ſeinem Cabinet einen um - faſſenden Plan für die Einziehung des geſammten preußiſchen Kirchenguts ausarbeiten. Desgleichen glaubte er ganz im Sinne ſeines Großoheims zu handeln, wenn er ſich auf die Seite Baierns und der neuen Mittel - ſtaaten ſtellte; auch Friedrich hatte ja bei ſeinen Reichsreformplänen die Verſtärkung der größeren weltlichen Reichsſtände immer im Auge gehabt. Bonaparte begünſtigte die Mittelſtaaten, weil er ſich aus ihnen den Stamm einer franzöſiſchen Partei bilden wollte; der preußiſche Hof unterſtützte dieſe Politik, weil er umgekehrt hoffte durch die Vernichtung der aller - unbrauchbarſten Kleinſtaaten die Widerſtandskraft des Reiches gegen Frank - reich zu erhöhen. Unumwunden erklärte Haugwitz dem öſterreichiſchen Geſandten Stadion, dies ſei ſchon ſeit Jahren die feſtſtehende Anſicht ſeines Hofes. Im gleichen Sinne ließ Rußland dem Wiener Hofe aus - ſprechen, man habe aus den preußiſchen Staatsſchriften die Ueberzeugung gewonnen, daß die allgemeine Seculariſation zur Kräftigung des deutſchen Weſtens nothwendig ſei. Und wieder mit den nämlichen Gründen recht -181Preußen und die Mittelſtaaten.fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entſchädi - gungsforderungen: er müſſe ſich ſtärken für den Fall, daß einſt ein großer deutſcher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde.

Im Hintergrunde aller dieſer Pläne und Wünſche ſtand die ſchüch - terne, unbeſtimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich oder mindeſtens den Norden in bündiſchen Formen neu zu ordnen. Die Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiſerthums brach ſich allmählich in immer weiteren Kreiſen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrichs Tode hatte eine Flugſchrift kurzab die Frage aufgeworfen: warum ſoll Deutſch - land einen Kaiſer haben? Während des Krieges der zweiten Coalition ſodann erſchienen die Winke über Deutſchlands Staatsverfaſſung und mahnten: o ihr Deutſchen, ſchließet einen feſten deutſchen Bund! Aehn - liche foederaliſtiſche Gedanken wurden auch unter den preußiſchen Staats - männern beſprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800, nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunſchweig, ſeine ſchon in Raſtatt geäußerten Vorſchläge weiter aus und entwarf den Plan für einen norddeutſchen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzuſtellen; darum müſſe der Baſeler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Foederation umgeſtaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren Mittelſtaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und ſtehende Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußiſchem Reglement geſchult. Mit ſolchen Entwürfen unterhielt man ſich wohl am Berliner Hofe, ſie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm ſelber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be - rechnungen der preußiſchen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte, die Neubefeſtigung der deutſchen Macht laſſe ſich durch friedliche Mittel erreichen, der erſte Conſul werde nicht widerſprechen wenn man ihm nur die Idee der nationalen Unabhängigkeit nachdrücklich vorhalte!

Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die Machtverhältniſſe im Reiche ſeit Friedrichs Tagen ſich verſchoben hatten. Nicht Preußen, ſondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutſchen Gleich - gewichts in ſeinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunſt und Laune die Trümmer der geiſtlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den Verhandlungen konnte, wie die Dinge ſtanden, nur eine ſcheinbare ſein; ſie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte Fürſtenhäuſer bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der preußiſche Staat unter ſolchen Umſtänden die Bildung der neuen Mittel - ſtaaten beförderte, ſo ſtärkte er nur die franzöſiſche Partei im Reiche ohne ſich ſelber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonapartes Mit - ſchuldiger ohne ſich die Bundesgenoſſenſchaft des Uebermächtigen auf die Dauer zu ſichern.

Wie viel geſchickter als dieſe wohlmeinende Politik der Halbheit und182I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.der Selbſttäuſchung wußte die dreiſte Gewiſſenloſigkeit des neuen Münchener Hofes ihren Vortheil wahrzunehmen. Dort war ſoeben das Haus Pfalz - Zweibrücken auf den Thron gelangt, den ihm Oeſterreichs Habgier ſo oft beſtritten hatte. Der leitende Miniſter Graf Montgelas verkannte keinen Augenblick, daß die junge Dynaſtie von der Hofburg Alles zu fürchten, von Bonaparte Alles zu hoffen habe. Raſch entſchloſſen trat er bald nach dem Frieden an die Spitze der franzöſiſchen Partei in Deutſchland und empfing dafür die herablaſſende Zuſicherung des erſten Conſuls: Frank - reichs Größe und Edelmuth wolle die früheren Schwankungen des bairiſchen Hofes vergeſſen. Der ſcrupelloſe Realiſt ſah in Baierns Vorzeit nur eine Geſchichte der verſäumten Gelegenheiten; jetzt endlich da die Welt aus den Fugen ging galt es das Glück an der Locke zu faſſen, dem Siegeszuge des Welteroberers ſich anzuſchließen, durch treuen Vaſallendienſt und un - abläſſiges Feilſchen ſo viel Beute zu erhaſchen als des Herrſchers Gnade bewilligen mochte. Was irgend an das Reich, an den tauſendjährigen Verband der deutſchen Nation erinnerte, erſchien dieſer Politik des folge - rechten Particularismus lächerlich; alle Scham, alle Pietät, alles Rechts - gefühl war ihr fremd. Begierig griff ſie den Gedanken einer deutſchen Trias auf, der einſt nach dem Hubertusburger Frieden zuerſt hervor - getreten und neuerdings wieder in Schwang gekommen war, als Preußen die ſüddeutſchen Kleinſtaaten verließ, Oeſterreich ſie bedrohte. Der naſſauiſche Miniſter Gagern, ein wohlmeinender Reichspatriot, nach der dilettantiſchen Weiſe der kleinſtaatlichen Diplomaten immer raſch bei der Hand mit leichtfertigen, unklaren Projecten, hatte ſchon zur Zeit des Vertrags von Campo Formio dem kaiſerlichen Hofe arglos die Bildung eines Bundes der kleinen Höfe unter ruſſiſcher Garantie angerathen; in gleichem Sinne ſchrieb der ehrliche ſchwäbiſche Publiciſt Pahl eine Appellation an den Luneviller Friedenscongreß. Wenn aber jetzt die Federn des pfalzbairiſchen Lagers einen Sonderbund aller Mindermächtigen ohne Oeſterreich und Preußen empfahlen, ſo wollten ſie nicht, wie jene redlichen Phantaſten, dem deutſchen Süden die nationale Unabhängigkeit retten. Ihre Abſicht war: die Unterwerfung der Mittelſtaaten unter Frankreichs Willkür, die Vernichtung Deutſchlands. Vorläufig, ſo lange man noch die öſterreichiſche Partei zu bekämpfen hatte, blieb die Dynaſtie Zweibrücken mit ihrem alten Beſchützer Preußen in gutem Vernehmen. Bonaparte ließ ſie gewähren; er wußte, wie leicht dieſe Freundſchaft zu trennen ſei, lagen doch die fränkiſchen Markgrafſchaften des Königs von Preußen der bairiſchen Be - gehrlichkeit dicht vor der Thür.

Während der ſchwerſten Kriſis, welche je den alten deutſchen Staat erſchüttert hat, verſcherzte ſich Oeſterreich jeden Einfluß durch eine ſtarr - ſinnige Politik, die einen unhaltbaren Zuſtand zu retten ſuchte; der preu - ßiſche Hof verkannte nicht die Nothwendigkeit des Umſturzes, doch er hatte für den Neubau des Reichs nur unbeſtimmte, ſchwächliche Wünſche und183Oeſterreichs Widerſtand.Hoffnungen. So fiel die Entſcheidung über Deutſchlands Zukunft un - ausbleiblich dem fremden Sieger zu, der von ſich rühmte: ich allein, ich weiß, was ich zu thun habe. Der Regensburger Reichstag war den ſchläfrigen Gewohnheiten ſeines geſpenſtiſchen Daſeins auch während dieſer argen Jahre ſo treu geblieben, daß ein warmherziger Reichspatriot mitten im Reichskriege alles Ernſtes über die Frage ſchreiben konnte: womit die hohe Reichsverſammlung ſich in der nächſten Zeit beſchäftigen ſolle? Das Reich genehmigte den Luneviller Frieden, und die geiſtlichen Stände fanden nicht den Muth ihrem eigenen Todesurtheile zu widerſprechen. Dann verging faſt das ganze Jahr 1801, bis Oeſterreich und Preußen endlich die Bildung einer Reichsdeputation durchſetzten; nach abermals acht Monaten waren die Berathungen dieſes Ausſchuſſes noch nicht eröffnet. Der zer - rüttete Körper des heiligen Reichs beſaß nicht mehr die Kraft, mit eigenen Händen ſeinen letzten Willen aufzuſetzen; der Kampf Aller gegen Alle und die Verblendung des öſterreichiſchen Hofes verhinderten jeden Beſchluß.

Die Hofburg wollte noch immer nicht begreifen, daß ſie ſelber in Luneville die geiſtlichen Stände preisgegeben hatte; ſie verſuchte Alles, die unausbleiblichen Folgen des Geſchehenen rückgängig zu machen, ließ ſogar eben jetzt durch ihre Anhänger einen Erzherzog auf die erledigten fürſt - lichen Biſchofſtühle von Köln und Münſter erwählen. Zugleich bewahrte ſie ihren alten Widerwillen gegen jede Vergrößerung Preußens: man könne leichter, hieß es in Wien, auf drei reiche türkiſche Provinzen ver - zichten, als Münſter und Hildesheim an die proteſtantiſche Großmacht überlaſſen. Und währenddem wurde der bairiſche Nachbar beſtändig durch öſterreichiſche Tauſch - und Vergrößerungspläne geängſtigt. Dieſer Kaiſer, der nicht Worte genug finden konnte um ſeine Entrüſtung über die Ver - gewaltigung der geiſtlichen Stände zu bekunden, ſtellte dem Münchener Hofe frei, ſich im Südweſten die Gebiete der benachbarten Reichsſtädte, Grafen und Herren anzueignen, wenn nur Oeſterreich dafür das öſtliche Baiern erhielte; er zuerſt ſprach das verhängnißvolle Wort: Vernichtung der kleinen weltlichen Stände aus, während bisher amtlich nur von der Seculariſation der geiſtlichen Staaten die Rede geweſen. Es war die Folge dieſer zugleich ſtarr conſervativen und rückſichtslos begehrlichen Hal - tung des kaiſerlichen Hofes, daß Preußen und Baiern ſich genöthigt ſahen, ihre eigenen Entſchädigungen durch Sonderverträge mit Frankreich ſicher zu ſtellen. Der preußiſch-franzöſiſche Vertrag enthielt den vielſagenden Satz, die Krone Preußen erwerbe ihre Entſchädigungslande mit der un - beſchränkten Landeshoheit und Souveränität auf den nämlichen Fuß, wie Se. Maj. ihre übrigen deutſchen Staaten beſitzen während doch das Reichsrecht eine Souveränität der Reichsſtände nicht kannte. Man hielt es nicht mehr der Mühe werth, auch nur den Schein der kaiſerlichen Oberhoheit zu wahren. Des Reiches ungefragt nahm Preußen ſodann am 3. Auguſt 1802 die ihm von Bonaparte zugeſtandenen Erwerbungen in Beſitz.

184I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Inzwiſchen weidete ſich der Spott der Pariſer an dem Anblicke der Fürſten und Staatsmänner des heiligen Reichs, die in Schaaren zu dem Herrſcherſitze des erſten Conſuls eilten. Die leichtlebige Stadt hatte nach den Schreckensjahren der Revolution ihre alte keltiſche Munterkeit raſch wiedergefunden; Bonaparte kannte ihre unerſättliche Luſt an nervöſer Aufregung und verſtand, ihr durch die glänzenden Spektakelſtücke ſeiner Triumph - und Beutezüge zu genügen. Unterhaltſamer als alle dieſe Feſte war doch das unerhörte Schauſpiel der freiwilligen Selbſtentwürdigung des deutſchen hohen Adels. Wie oft, alle dieſe ſchweren Jahre hindurch, war die bange Ahnung, daß es zu Ende gehe mit der alten Herrlichkeit, den armen Seelen der deutſchen Kleinfürſten nahe getreten; ſie waren geflohen und nochmals geflohen vor den Heeren der Revolution und hatten zu Gelde gemacht was ſich irgend zuſammenraffen ließ von den Gütern ihres Staates. Nun ſchlug die Stunde der Entſcheidung; es ſchien noch möglich dem theuren Hauſe den angeſtammten Thron zu retten. In der Raſerei der Angſt ging aller Stolz und alle Scham verloren. Jene edlere Auffaſſung der Fürſtenpflichten, die in Friedrichs Tagen an den deutſchen Höfen Fuß gefaßt hatte, wurde durch Bonapartes Gewaltherr - ſchaft zerſtört; die Geſinnungen der fürſtlichen Soldatenverkäufer der guten alten Zeit gewannen wieder die Oberhand. Aus den Erfahrungen dieſer Tage der Fürſtenflucht und der Fürſtenſünden ſchöpfte der deutſche Dichter den ernſten Spruch: Man ſteigt vom Throne nieder wie ins Grab.

Wie das Geſchmeiß hungriger Fliegen ſtürzte ſich Deutſchlands hoher Adel auf die blutigen Wunden ſeines Vaterlandes. Talleyrand aber er - öffnete mit cyniſchem Behagen das große Börſenſpiel um Deutſchlands Land und Leute und ſagte gleichmüthig, wenn ein deutſcher Edelmann noch eine Regung der Scham empfand: il faut étouffer les regrets. Die hoch - gebornen Bekämpfer der Revolution bettelten um ſeine Gnade, machten ſeiner Maitreſſe den Hof, trugen ſeinen Schooßhund zärtlich auf den Händen, ſtiegen dienſtfertig zu dem kleinen Dachſtübchen hinauf, wo ſein Gehilfe Matthieu hauſte der Schlaueſte aus jener langen Reihe be - gabter Elſaſſer, deren Arbeitskraft und Sachkenntniß Bonaparte gern bei ſeinen deutſchen Geſchäften benutzte. Das Gold der kleinen Höfe, das ſie niemals finden konnten wenn das Reich ſie zur Vertheidigung des Vater - landes aufrief, floß jetzt in Strömen; Jedermann in der diplomatiſchen Welt kannte den Tarif der franzöſiſchen Unterhändler und wußte, wie hoch der Curswerth einer Stimme im Fürſtenrathe des Reichstags ſich ſtellte. Ein Fürſt von Löwenſtein, ein Nachkomme des ſiegreichen Friedrich von der Pfalz, ſpielte den Makler bei dem ſchmutzigen Handel. Auch die Pariſer Gaunerſchaft nahm die gute Gelegenheit wahr; mancher der gie - rigen deutſchen Fürſten lief in ſeiner kleinſtädtiſchen Plumpheit einem falſchen Agenten Talleyrands ins Garn, bis Bonaparte ſelber gegen den Unfug einſchritt.

185Der Länderhandel in Paris.

Alle, die Guten wie die Böſen, wurden in das wüſte Treiben hinein - geriſſen; denn von den Regensburger Verhandlungen ſtand doch nichts zu erwarten, und wer hier in Paris nicht mit dreiſten Händen zugriff, ward von den Nachdrängenden unerbittlich unter die Füße getreten. Selbſt der Wackerſte der deutſchen Kleinfürſten, der alte Karl Friedrich von Baden, mußte ſeine feilſchenden Unterhändler gewähren laſſen. Mitten im Ge - tümmel der bittenden und bietenden Kleinen ſtand mit ſelbſtgewiſſer Gönner - miene der vielumworbene preußiſche Geſandte Luccheſini; der pfiffige Luc - cheſe traute ſichs zu den Meiſter aller Liſten ſelber zu überliſten und bemerkte nicht, wie ſchwer Preußen ſein eigenes Anſehen ſchädigte durch die Begünſtigung eines unſauberen Schachers, der an den Reichstag von Grodno, an die ſchmachvolle Selbſtvernichtung des polniſchen Adels er - innerte. Dieſer Wettkampf der dynaſtiſchen Habgier vernichtete was im Reiche noch übrig war von Treu und Glauben, von Pflicht und Ehre. Bonaparte frohlockte: kein ſittliches Band hielt den alten deutſchen Staat mehr zuſammen. Jeder Hof forderte ungeſcheut was ihm bequem und gelegen ſchien; die Entſchädigung für wirklich erlittene Verluſte diente kaum noch als Vorwand. Bald ergab ſich, daß die rechtsrheiniſchen geiſtlichen Gebiete zur Befriedigung aller dieſer begehrlichen Wünſche nicht aus - reichten, und man ward einig, auch den Reichsſtädten den Garaus zu machen, da ja die Reichsſtädte des linken Ufers ebenfalls ohne Ent - ſchädigung vernichtet waren. Endlich wurde die große Länder-Verſteigerung geſchloſſen; der Zuſchlag erfolgte theils an die Meiſtbietenden, theils an die Günſtlinge Preußens und Rußlands, vornehmlich aber an jene Höfe, welche ſich Bonaparte zu Stützen ſeiner deutſchen Politik auserleſen hatte. Unumwunden ſchrieb er nach vollzogenem Geſchäfte dem mit dem Czaren nahe verwandten Markgrafen Karl Friedrich: das badiſche Haus habe nun - mehr den Rang erlangt, welchen ſeine vornehme Verwandtſchaft und das wahre Intereſſe Frankreichs erheiſchen .

Nachdem in Paris das Weſentliche geordnet war, ſchritten Frankreich und Rußland in Regensburg als Vermittler ein; Bonaparte ließ dem Czaren eine ſcheinbare Mitwirkung um deſſen Eiferſucht zu beſchwichtigen und einen Wunſch Preußens zu erfüllen. Die Mediatoren erklärten mit gutem Grunde, die Eiferſucht und der Gegenſatz der Intereſſen am Reichs - tage mache ihre Vermittlung nothwendig; ſie legten ihren Entſchädigungs - plan vor und ſchloſſen herriſch: es ſei ihr Wille, daß nichts daran ge - ändert werde. Der Kaiſer widerſtrebte noch immer und gab erſt nach, als Preußen und Baiern mit Frankreich ein förmliches Bündniß ſchloſſen und eine drohende Note aus Petersburg eintraf; dann aber trug der uneigennützige Beſchützer der geiſtlichen Staaten kein Bedenken, ſeine Erb - lande durch die Bisthümer Trient und Brixen abzurunden. In der Reichsdeputation währte der landesübliche Hader noch eine Weile fort. Die ruſſiſchen Staatsmänner klagten voll Ekels, wie langweilig und ermüdend186I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dies deutſche Gezänk werde; um jedes kleinen Länderfetzens willen müſſe man einen eigenen Curier ſchicken. Aber die Würfel waren geworfen, die mächtigeren Fürſten hatten ihre Beute bereits in Sicherheit gebracht.

Am 25. Februar 1803 kam der Reichsdeputationshauptſchluß zu Stande, am 27. April wurde durch den Jüngſten Reichsſchluß die Ver - nichtung von hundert und zwölf deutſchen Staaten ausgeſprochen. Von den geiſtlichen Ständen blieben nur drei übrig: die beiden Ritterorden weil man dem ſo ſchwer geſchädigten katholiſchen Adel noch einen letzten Unter - ſchlupf für ſeine Söhne gönnen wollte und der Reichskanzler in Ger - manien, weil Bonaparte in der fahrigen Eitelkeit des Mainzer Coadjutors Dalberg ein brauchbares Werkzeug für Frankreichs Pläne erkannte. Die Reichsſtädte verſchwanden bis auf die ſechs größten. Mehr als zweitauſend Geviertmeilen mit über drei Millionen Einwohnern wurden unter die welt - lichen Fürſten ausgetheilt. Preußen erhielt fünffachen Erſatz für ſeine linksrheiniſchen Verluſte, Baiern gewann an 300,000 Köpfe, Darmſtadt ward achtfach, Baden faſt zehnfach entſchädigt. Auch einige fremdländiſche Fürſtenhäuſer nahmen ihr Theil aus dem großen Raube, ſo Toscana und Modena, die Vettern Oeſterreichs, ſo Naſſau-Oranien, der Schütz - ling Preußens. Vergeſſen war der fridericianiſche Grundſatz, daß Deutſch - land ſich ſelber angehöre. Die Mitte Europas erſchien den Fremden wieder, wie im ſiebzehnten Jahrhundert, als eine herrenloſe Maſſe, eine Verſorgungsſtelle für die Prinzen aus allerlei Volk. Das heilige Reich war vernichtet; nur ſein geſchändeter Name lebte noch fort durch drei klägliche Jahre.

Wenige unter den großen Staatsumwälzungen der neuen Geſchichte erſcheinen ſo häßlich, ſo gemein und niedrig wie dieſe Fürſtenrevolution von 1803. Die harte, ideenloſe Selbſtſucht triumphirte; kein Schimmer eines kühnen Gedankens, kein Funken einer edlen Leidenſchaft verklärte den ungeheuren Rechtsbruch. Und doch war der Umſturz eine große Nothwendigkeit; er begrub nur was todt war, er zerſtörte nur was die Geſchichte dreier Jahrhunderte gerichtet hatte. Die alten Staatsformen verſchwanden augenblicklich, wie von der Erde eingeſchluckt, und niemals iſt an ihre Wiederaufrichtung ernſtlich gedacht worden. Die fratzenhafte Lüge der Theokratie war endlich beſeitigt. Mit den geiſtlichen Fürſten ſtürzten auch das heilige Reich und die Weltherrſchaftsanſprüche des römi - ſchen Kaiſerthums zuſammen. Selbſt der alte Bundesgenoſſe der Habs - burgiſchen Kaiſer, der römiſche Stuhl, wollte jetzt nur noch von einem imperium Germanicum wiſſen; das feine Machtgefühl der Italiener er - kannte, daß die Schirmherrſchaft über die römiſche Kirche nunmehr auf Frankreich übergegangen war, und der Papſt ſchrieb ſeinem geliebteſten Sohne Bonaparte: an ihn wolle er fortan ſich wenden ſo oft er Hilfe brauche. Das heilige Reich verwandelte ſich in einen Fürſtenbund, und nicht mit Unrecht ſprach Talleyrand jetzt ſchon amtlich von der fédération187Der Reichsdeputationshauptſchluß.Germanique. Dies lockere Nebeneinander weltlicher Fürſtenthümer wurde vorderhand faſt allein durch den Namen Deutſchland zuſammengehalten, und in der nächſten Zukunft ließ ſich eher die Auflöſung des deutſchen Gemeinweſens als ſeine foederative Neugeſtaltung erwarten. Aber mit den theokratiſchen Formen war auch jener Geiſt der ſtarren Unbeweglich - keit entſchwunden, der bisher die politiſchen Kräfte der Nation gebunden hielt. Das neue weltliche Deutſchland war der Bewegung, der Entwicklung fähig; und gelang dereinſt die Befreiung von der Vormundſchaft des Aus - lands, ſo konnte ſich auf dem Boden des weltlichen Territorialismus vielleicht ein nationaler Geſammtſtaat bilden, der minder verlogen war als das heilige Reich.

Durch die Seculariſationen wurde auch jene künſtliche Stimmen - vertheilung beſeitigt, welche dem Katholicismus bisher ein unbilliges Ueber - gewicht in der Reichsverſammlung verſchafft hatte. Die Mehrheit des Reichstags war nunmehr evangeliſch, wie die Mehrheit der deutſchen Nation außerhalb Oeſterreichs. In den Kurfürſtenrath traten für Köln und Trier die neuen Kurfürſten von Salzburg, Württemberg, Baden und Heſſen ein; er zählte ſechs proteſtantiſche Stimmen unter zehn. Die noch übrigen Mitglieder des Collegiums der Reichsſtädte waren, bis auf das paritätiſche Augsburg, alleſammt proteſtantiſch. Im Fürſtenrathe ver - blieben noch dreiundfünfzig evangeliſche neben neunundzwanzig katholiſchen Ständen. Als die neuen Herren der ſeculariſirten Lande, dem Reichs - rechte gemäß, auch die Stimmen der entthronten Stände für ſich be - anſpruchten, da entſpann ſich der letzte große Streit im Schooße der Regensburger Verſammlung. Sein Verlauf bekundete den ſtarken Um - ſchwung der Meinungen wie die radikale Veränderung der alten Macht - verhältniſſe im Reiche. Einſt hatten die Proteſtanten durch den Sonder - bund des Corpus Evangelicorum ſich decken müſſen gegen die Uebergriffe der katholiſchen Mehrheit; jetzt berief ſich der Kaiſer im Namen der Katho - liken auf den Grundſatz der Parität und forderte für ſeine Glaubens - genoſſen ſo viele neue Stimmen, bis die Gleichheit hergeſtellt ſei. Doch die Zeitgenoſſen Kants waren der Gehäſſigkeit der Religionskriege ent - wachſen. Die große Mehrheit des Reichstags, Preußen und Baiern voran, wollte nicht zugeben, daß das Weſen der Parität in der Gleichheit der Kopfzahl zu ſuchen ſei; ja man ſprach es offen aus, der alte Unterſchied von katholiſchen und proteſtantiſchen Stimmen habe ſeinen Sinn ver - loren, wenn nur erſt in jedem deutſchen Staate ein vernünftiges Tole - ranzſyſtem beſtünde. Kaiſer Franz hingegen dachte die Macht der öſter - reichiſchen Partei um jeden Preis wiederherzuſtellen; er gebrauchte, der Verfaſſung zuwider, zum letzten male das höchſte Recht der kaiſerlichen Majeſtät, er legte ſein Veto ein, und der Streit blieb ungeſchlichtet bis das Reich ſich förmlich auflöſte. Ein parteiiſcher Mißbrauch der Rechte der Krone zum Beſten des Hauſes Oeſterreich und der katholiſchen Partei188I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. das war die letzte That des deutſchen Kaiſerthums der Habsburg - Lothringer, der würdige Abſchluß für die lange Sündengeſchichte der Ferdi - nande und der Leopolde.

Im römiſchen Lager war der Klagen kein Ende, da mit einem male die letzten Theokratien, welche die chriſtliche Welt außer dem Kirchenſtaate noch beſaß, zerſchmettert wurden, und mit der politiſchen Macht auch der ungeheure Reichthum des deutſchen Clerus dahinſank; denn nicht blos die Güter der reichsunmittelbaren geiſtlichen Herren verfielen der Seculari - ſation, ſondern auch die mittelbaren Stifter und Klöſter wurden durch den Reichsdeputationshauptſchluß der freien Verfügung der Landesherren preisgegeben. Alle Welt glaubte, es ſei zu Ende mit dem römiſchen Weſen im Reiche; Niemand ahnte, daß die Seculariſationen der Macht des römiſchen Stuhls zuletzt faſt ebenſo viel Gewinn als Schaden bringen ſollten. Die hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts waren zumeiſt verwöhnte Weltkinder, läſſig in ihrem kirchlichen Berufe, aber durch ihr ariſtokratiſches Standesgefühl wie durch die Pflichten der Landesherrſchaft feſt mit dem nationalen Staate verbunden; ſie konnten, ſchon um des nachbarlichen Zuſammenlebens willen, dem Geiſte der Duldung, der dies paritätiſche Volk erfüllte, ſich nicht gänzlich entziehen, ſie befolgten den Weſtphäliſchen Frieden, den der Papſt verdammte, und beugten ihren ſtolzen Nacken nur ungern unter den Fuß des wälſchen Prieſters. Der Gedanke einer deutſchen Nationalkirche fand unter ihnen jederzeit einige Anhänger und zuletzt in Hontheim-Febronius einen geiſt - reichen Wortführer. Durch die Seculariſationen wurde der Kirchendienſt dem Adel verleidet; während der napoleoniſchen Epoche iſt, ſo viel bekannt wurde, kein einziger junger Edelmann aus altem Hauſe in ein Pfarramt eingetreten. Der neue plebejiſche Clerus, der nun heranwuchs, ſtand der bürgerlichen Geſellſchaft fern; er grollte dem neuen Deutſchland wegen des großen Kirchenraubes, er kannte keine Heimath als die Kirche und fügte ſich, als ſpäterhin die römiſchen Weltherrſchaftspläne wieder er - wachten, den Geboten des Papſtes mit einem blinden Dienſteifer, der für die Curie kaum weniger werthvoll war als vordem die landesfürſtliche Macht der ſelbſtbewußten alten Prälatur.

Noch weit ſchwerer wurde der katholiſche Adel getroffen. Er verlor durch die Einziehung von 720 Domherrenpfründen nicht blos einen guten Theil ſeines Reichthums, ſondern ſeine geſammte politiſche Machtſtellung. Die letzten Trümmer einer ſelbſtändigen Ariſtokratie verſchwanden aus dem Reiche; die Zeit war dahin, da man die Macht der weſtphäliſchen Grafen zweien Kurfürſten gleich ſchätzte. Es war der Fluch dieſer alten Geſchlechter, daß ihnen das Bewußtſein der politiſchen Pflicht fehlte. Gleich dem bourboniſchen Hofadel, hatten ſie den Vorzug ihres Standes immer nur in trägem Wohlleben geſucht und lernten niemals, nach dem Vor - bilde des altpreußiſchen Junkerthums, ſich einzuleben in die modernen189Folgen der Seculariſationen.monarchiſchen Formen, ſondern zogen ſich verdroſſen, grollend zurück von dem Leben der Nation; nur dem Erzhauſe Oeſterreich gaben ſie noch nach altem Brauche ihre Söhne in den Dienſt. Aus den Kreiſen dieſes katho - liſchen Adels erwuchs dem neuen weltlichen Deutſchland eine tief verbitterte Oppoſition, die, im Stillen einflußreich, bis zum heutigen Tage den inneren Frieden oft geſtört, doch am letzten Ende durch unfruchtbares Verneinen nur den demokratiſchen Zug unſerer jüngſten Geſchichte gefördert hat.

Am Leichteſten fügten ſich die mediatiſirten Reichsſtädte in die neue Ordnung der Dinge. Wohl ſtieß da und dort der ſchwerfällige Stolz der ehrenfeſten Patricier mit der durchfahrenden Willkür der mittelſtaat - lichen Bureaukratie hart zuſammen, und Mancher ſelbſt aus dem jüngeren Geſchlechte bewahrte ſich, wie Friedrich Liſt, ſein Leben lang das trotzige Selbſtgefühl des alten Reichsbürgers; indeß das Bewußtſein hilfloſer Ohn - macht ließ nirgends einen ernſten Widerſtand aufkommen. Am Reichs - tage bemerkte man kaum die Zerſtörung des dritten Collegiums, das vor Zeiten ſo mächtig geweſen war wie die beiden oberen zuſammen. Die wenigen Reichsſtädte, welche der Vernichtung vorläufig noch entgangen waren, bedeuteten nichts mehr neben der Uebermacht der Fürſten, ja ſie wurden durch den Reichsdeputationshauptſchluß von der großen Politik geradezu ausgeſchloſſen: an den Berathungen über Krieg und Frieden ſollten ſie nicht theilnehmen und im Reichskriege einer unbedingten Neutralität genießen. Das friedensſelige Geſchlecht fand an dieſer ungeheuerlichen Beſtimmung kein Arg. Den Hamburger Rhedern ging ein alter Herzens - wunſch in Erfüllung, den der wackere Büſch oftmals unbefangen ausge - ſprochen hatte; auch die Preſſe im Binnenlande rief Beifall: ſolche weiſe Begünſtigung des Handels gereiche der Aufklärung unſerer Tage zur Ehre.

So ging denn aus den vielhundertjährigen Kämpfen der politiſchen Kräfte im Reiche die fürſtliche Gewalt als die einzige Siegerin hervor. Die hierarchiſchen, die communalen, die ariſtokratiſchen Staatsbildungen des alten Deutſchlands waren bis auf wenige Trümmer vernichtet. Was nicht fürſtlichen Blutes war ſank in die Maſſe der Unterthanen hinab; der Abſtand zwiſchen den Fürſten und dem Volke, der in dem Zeitalter der abſoluten Monarchie immer größer geworden, erweiterte ſich jetzt noch mehr. Und wie ungeheuer ſtark zeigte ſich wieder die Einwirkung des Fürſtenſtandes auf unſer nationales Leben! Wie einſt die kirchliche Re - formation bei den Landesherren ihren Schutz und ihre Rettung gefunden hatte, ſo wurde nun die politiſche Revolution von oben her einem gelaſſen ſchweigenden Volke auferlegt. Nicht die Propaganda der überrheiniſchen Republikaner, ſondern die dynaſtiſche Politik der deutſchen Höfe hat die Grundſätze des revolutionären Frankreichs auf unſerem Boden eingebürgert; und ſie ſchritt vorwärts mit derſelben durchgreifenden Rückſichtsloſigkeit wie die Parteien des Convents, im Namen des salut public zerſtörte ſie achtlos das hiſtoriſche Recht.

190I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Für Oeſterreich war die Fürſtenrevolution eine ſchwere Niederlage. Die alte kaiſerliche Partei wurde zerſprengt, die Kaiſerwürde zu einem leeren Namen, und ſelbſt dieſen Namen aufzugeben ſchien jetzt räthlich, da der neue Kurfürſtenrath ſchwerlich geneigt war im Falle der Neuwahl abermals einen Erzherzog zu küren. Durch die Preisgabe ihrer weſt - lichen Provinzen erlangte die Monarchie zwar eine treffliche Abrundung im Südoſten, und die Diplomaten der Hofburg wünſchten ſich Glück, daß man endlich aus einem gefährlichen und gewaltſamen Zuſtande befreit ſei. Die Höfe von München und Stuttgart hatten jetzt wenig Grund mehr vor der Wiener Eroberungsluſt zu zittern, und es ſchien möglich dereinſt wieder ein freundnachbarliches Verhältniß mit ihnen anzuknüpfen. Aber die militäriſche Herrſchaft im deutſchen Südweſten war verloren, ja Oeſterreich ſchied in Wahrheit aus dem Reiche aus. Seine Politik mußte ganz neue Wege einſchlagen, wenn ſie noch irgend einen Einfluß auf Deutſchland ausüben wollte; denn die Machtmittel des alten Kaiſerthums waren vernutzt.

Auch Preußens Macht hatte durch den Reichsdeputationshauptſchluß nicht gewonnen. Wohl war es ein Vortheil, daß die öſterreichiſche Partei ver - ſchwand und im Reichstage ein leidliches Gleichgewicht zwiſchen dem Norden und dem Süden ſich herſtellte; vormals hatten die Staaten des Südens und Weſtens durch ihre Ueberzahl den Ausſchlag gegeben, jetzt konnten auch die Stimmen Norddeutſchlands zu ihrem Rechte kommen. Trotzdem war Preußens Anſehen im Reiche tief geſunken. Seine kraftloſe Politik hatte überall das Gegentheil ihrer guten Abſichten erreicht: ſtatt der Ver - ſtärkung der deutſchen Widerſtandskraft vielmehr die Befeſtigung der fran - zöſiſchen Uebermacht, ſtatt des Neubaues der Reichsverfaſſung vielmehr eine wüſte Anarchie, die der völligen Auflöſung entgegentrieb. Selbſt der neue Ländergewinn ſchien glänzender als er war. Preußen verlor die getreuen, für ſeine Macht wie für ſeine Cultur gleich werthvollen nieder - rheiniſchen Gebiete und erwarb dafür, außer Hildesheim, Erfurt und einigen kleineren Reichsſtädten und Stiftslanden, die feſte Burg des un - zufriedenen katholiſchen Adels, das Münſterland. Hier zum erſten male auf deutſchem Boden begegnete dem preußiſchen Eroberer nicht blos eine flüchtige particulariſtiſche Verſtimmung, ſondern ein tiefer nachhaltiger Haß, wie in den ſlaviſchen Provinzen. Die ſchwerfällige neue Verwaltung ge - wann wenig Anſehen in dem widerhaarigen Lande, ſie brauchte drei Jahre bis ſie ſich nur entſchloß den Heerd aller ſtaatsfeindlichen Umtriebe, das Domcapitel zu beſeitigen. Das Einkommen des Staates wurde durch die Gebietserweiterung nicht vermehrt, da er wieder, wie früher in Franken und in Polen, die Steuerkraft der neuen Unterthanen allzu ängſtlich ſchonte; auch die Armee erhielt nur eine geringe Verſtärkung, um etwa drei Regi - menter. Zudem hatte man durch die neuen Verträge nicht einmal eine haltbare Grenze erlangt, ſondern lediglich den preußiſchen Archipel im191Das neue Süddeutſchland.Weſten durch einige neue Inſeln bereichert, wie die Berliner ſpotteten. Der König fühlte es wohl, ohne Hannover ließen ſich in ſo ſchwüler Zeit die weſtphäliſchen Provinzen nicht behaupten. Die Beſetzung der welfiſchen Stammlande konnte bald zu einer unumgänglichen Nothwendigkeit werden, und doch geſchah nichts, den Staat zu rüſten für dieſe ernſte Zukunft. Das ſchlaffe Syſtem der landesväterlichen Milde und Sparſamkeit lebte ſo dahin, als ſei die Zeit des ewigen Friedens gekommen.

Währenddem holte der deutſche Süden mit einem gewaltſamen Schlage nach was Preußen durch die Arbeit zweier Jahrhunderte langſam erreicht hatte. In Norddeutſchland war die Mehrzahl der geiſtlichen Gebiete ſchon während des ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts mit den weltlichen Nachbarſtaaten vereinigt worden; der Reichsdeputationshauptſchluß brachte dieſen Staaten nur eine mäßige Vergrößerung ohne ihren hiſtoriſchen Charakter zu verändern. Im Südweſten dagegen brach der geſammte überkommene Länderbeſtand jählings zuſammen; ſelbſt das ruhmvollſte der alten oberdeutſchen Territorien, Kurpfalz, wurde zwiſchen den Nachbarn aufgetheilt. Hier führte die Fürſtenrevolution nicht blos eine Gebiets - veränderung, ſondern eine neue Staatengründung herbei. Den willkürlich zuſammengeworfenen Ländertrümmern, welche man jetzt Baden, Naſſau, Heſſen-Darmſtadt nannte, fehlte jede Gemeinſchaft geſchichtlicher Erinne - rungen; auch in Baiern und Württemberg war das alte Stammland der Dynaſtie bei Weitem nicht ſtark genug um die neuerworbenen Landſchaften mit ſeinem Geiſte zu erfüllen. So ward unſer vielgeſtaltiges Staatsleben um einen neuen Gegenſatz reicher, der ſich bis zum heutigen Tage nicht völlig verwiſcht hat. Das neue Deutſchland zerfiel in drei ſcharf ge - ſchiedene Gruppen. Auf der einen Seite ſtanden die kleinen norddeutſchen Staaten mit ihrem alten Ständeweſen und ihren angeſtammten Fürſten - häuſern, auf der anderen die geſchichtsloſen, modern-bureaukratiſchen Staatsbildungen Oberdeutſchlands, die Geſchöpfe des Bonapartismus, mitteninne endlich Preußen, das in ſtetiger Entwicklung den altſtändiſchen Staat überwunden hatte ohne ſeine Formen gänzlich zu zerſtören. Ueber den Süden brach nun urplötzlich und mit der Roheit einer revolutionären Macht der moderne Staat herein. Eine übermüthige, dreiſte, vielgeſchäftige Bureaukratie, die ſich Bonapartes Präfecten zum Muſter nahm, riß die Doppeladler von den Rathhäuſern der Reichsſtädte, die alten Wappen - ſchilder von den Thoren der Biſchofsſchlöſſer, warf die Verfaſſungen der Städte und der Länder über den Haufen, ſchuf aus dem Chaos bunt - ſcheckiger Territorien gleichförmige, ſtreng centraliſirte Verwaltungsbezirke; ſie bildete in dieſen waffenloſen Landſchaften eine unverächtliche junge Militärmacht, die für Preußen leicht läſtig werden konnte, ſie ſtrebte mit jedem Mittel ein neues bairiſches, württembergiſches, naſſauiſches National - gefühl großzuziehen.

Dennoch iſt der große Umſturz in ſeinen letzten Nachwirkungen nicht192I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dem Particularismus zu gute gekommen, ſondern der nationalen Einheit. Er war nur ein mächtiger Schritt weiter auf dem Wege, welchen unſere Geſchichte ſeit drei Jahrhunderten eingeſchlagen. Immer wieder hatte ſeitdem eine unerbittliche Nothwendigkeit verlebte Kleinſtaaten zerſtört und zu größeren Maſſen zuſammengeballt; jetzt brachen ihrer abermals mehr denn hundert zuſammen. Aus ſolchen Erfahrungen mußte das deutſche Volk früher oder ſpäter die Erkenntniß ſchöpfen, daß auch die neue Länder - vertheilung nur eine vorläufige war, daß ſein Geſchick unaufhaltſam der Vernichtung der Kleinſtaaterei, dem nationalen Staate zuſtrebte. Die Fürſtenrevolution vernichtete für immer jenen Zauber hiſtoriſcher Ehr - würdigkeit, der das heilige Reich ſo unantaſtbar erſcheinen ließ. Das alte Recht war gebrochen; die neuen Verhältniſſe erweckten nirgends Ehrfurcht, machten die willkürliche Unnatur der deutſchen Zerſplitterung jedem ge - ſunden Sinne fühlbar. Es war ein Widerſinn, daß die Franken in Bam - berg, die Schwaben in Memmingen ſich nunmehr als Baiern, die Pfälzer im Neckarthale ſich als Badener fühlen ſollten. Die tiefe Unwahrheit dieſes neuen künſtlichen Particularismus hat nachher, als die Nation endlich zu politiſchem Selbſtgefühle erwachte, ihre freieſten und edelſten Männer mit leidenſchaftlichem Haſſe erfüllt und ſie dem Einheitsgedanken zugeführt. Auch der gedankenloſen Maſſe ging manches gehäſſige particulariſtiſche Vorurtheil verloren, ſeit ſie ſich gewaltſam aus dem alten Stillleben auf - geſtört ſah. Wie Lombarden und Romagnolen in den neuen italieniſchen Zufallsſtaaten ſich zuſammenfanden, ſo wurden in den deutſchen Mittel - ſtaaten Reichsſtädter, Kurfürſtliche und Biſchöfliche gewaltſam durcheinander gerüttelt und lernten den gehaßten und verhöhnten Nachbarn als treuen Landsmann ſchätzen. In Italien wie in Deutſchland hat die Willkür der Fremdherrſchaft den alten naiven Glauben an die Ewigkeit des Beſtehen - den mit den Wurzeln ausgerottet und alſo den Boden geebnet für neue Kataſtrophen, deren Ziele Bonaparte nicht ahnte.

Mit der Revolution von 1803 begann für Deutſchland das neue Jahrhundert, das in Frankreich ſchon vierzehn Jahre früher angebrochen war. Das große neunzehnte Jahrhundert ſtieg herauf, das reichſte der neuen Geſchichte; ihm war beſchieden, die Ernte einzuheimſen von den Saaten des Zeitalters der Reformation, die kühnen Ideen und Ahnungen jener gedankenſchweren Epoche zu geſtalten und im Völkerleben zu ver - wirklichen. Erſt in dieſem neuen Jahrhundert ſollten die letzten Spuren mittelalterlicher Geſittung verſchwinden und der Charakter der modernen Cultur ſich ausbilden; es ſollte die Freiheit des Glaubens, des Denkens und der wirthſchaftlichen Arbeit, wovon Luthers Tage nur redeten, ein geſichertes Beſitzthum Weſteuropas werden; es ſollte das Werk des Colum - bus ſich vollenden und die transatlantiſche Welt mit den alten Cultur - völkern zu der lebendigen Gemeinſchaft welthiſtoriſcher Arbeit ſich ver - binden; und auch das Traumbild der Hutten und Machiavelli, die Einheit193Volksſtimmung während der Fürſtenrevolution.der beiden großen Nationen Mitteleuropas, ſollte noch Fleiſch und Blut gewinnen. In dieſe Zeiten der Erfüllung trat Deutſchland ein, als der theokratiſche Staatsbau ſeines Mittelalters zuſammenſtürzte und alſo das politiſche Teſtament des ſechzehnten Jahrhunderts endlich vollſtreckt wurde.

Aber wie viele Kämpfe und Stürme noch, bevor alle die großen Wandlungen des neuen Zeitalters vollbracht waren! Vorderhand bot das deutſche Reich den troſtloſen Anblik der Zerſtörung; kein Seher ahnte, welches junge Leben dereinſt aus dieſen Trümmern erblühen ſollte. Nur das Eine war unverkennbar, daß eine zweite Umwälzung nahe bevorſtand. Die Revolution hatte ihr Werk nur halb gethan, da Bonaparte von vornherein beabſichtigte die deutſchen Dinge im Fluß zu halten. Seit dem glücklichen Beutezuge durchbrach die alte Ländergier des deutſchen Fürſtenſtandes alle Schranken; ſie ergriff die Glückskinder des Bona - partismus wie ein epidemiſcher Wahnſinn und beſtimmte während des nächſten Jahrzehntes die geſammte Politik der neuen Mittelſtaaten. Die Reichsritter, Grafen und Herren konnten in dieſer unruhigen monarchiſchen Welt ſich nicht mehr behaupten; durch den Untergang ihrer Standes - genoſſen am linken Rheinufer ſowie durch die Aufhebung der Domcapitel hatten ſie den Boden unter den Füßen verloren und waren ſelber nur darum vorläufig verſchont geblieben, weil die franzöſiſche Politik ſich noch nicht in der Lage befand alle ihre Pläne durchzuſetzen. Der Reichsdepu - tationshauptſchluß war kaum unterzeichnet, da begannen bereits mehrere Fürſten die benachbarte Reichsritterſchaft gewaltſam zu mediatiſiren, wie der modiſche Ausdruck lautete. Der Kaiſer nahm ſich in Regensburg ſeiner verfolgten Getreuen an, aber Preußen ergriff wieder die Partei der Fürſten, und unterdeſſen ward ein Reichsritter nach dem andern von den gierigen Nachbarn gebändigt.

Die Haltung des neuen Reichstags unterſchied ſich in nichts von dem alten; Jean Paul verglich ihn witzig mit einem großen Polypen, der ſeine formloſe Geſtalt nicht ändere und wenn er noch ſo viel heruntergeſchlungen habe. Mit dem altgewohnten unfruchtbaren Gezänk kam auch die her - gebrachte reichspatriotiſche Phraſe in die neue Zeit mit hinüber. Der Geſandte des Erzkanzlers Dalberg bewillkommnete die Vertreter der neuen Kurfürſten mit dem pomphaften Gruße: das alte ehrwürdige Reichs - gebäude, das ſeinem gänzlichen Untergange ſo nahe ſchien, wird heute durch vier neue Hauptpfeiler unterſtützt. Aber Niemand theilte die Zu - verſicht des ewig begeiſterten flachen Leichtſinns. Dumpf, leer und träge ſchleppten ſich die Verhandlungen dahin; keiner der Geſandten wagte auch nur die Frage aufzuwerfen, ob das in ſeinen Grundlagen veränderte Reich noch die alte Verfaſſung behalten könne. Jedermann fühlte, daß in Wahr - heit ſchon Alles vorüber war, und ſah mit verſchränkten Armen die Stunde nahen, die den Regensburger Jammer für immer beendete.

Im Volke blieb Alles ſtill. Keine Hand erhob ſich zum WiderſtandeTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 13194I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.gegen die neuen Gewalthaber, ſogar die Klage um den Verluſt der viel - belobten alten Libertät erklang matt und ſchüchtern. Der reichspatriotiſche Juriſt Gaspari fand in ſeinem Herzeleide doch ein Wort gutmüthig deutſcher Dankbarkeit für die Reichsdeputation, weil ſie durch ihre Penſionen die Unglücklichen wenigſtens getröſtet habe ; und ſelbſt der conſervative Bar - thold Niebuhr wollte dieſe Todten nicht beweinen, die Nothwendigkeit dieſes Rechtsbruchs nicht beſtreiten. Die Wenigen unter den gebildeten Welt - bürgern Norddeutſchlands, die ſich noch zuweilen aus dem Himmel der Ideen in die Niederungen der Politik hinabließen, begrüßten den Triumph des Fürſtenthums als eine Sieg der modernen Cultur; ſie hofften, wie Harl in ſeiner Schrift über Deutſchlands neueſte Staatsveränderungen ſich ausdrückte, das ſchöne Morgenroth der Aufklärung werde jetzt endlich die Finſterniß aus den geiſtlichen Landen verdrängen. Richtiger als die meiſten der Zeitgenoſſen urtheilte der junge Hegel über die Lage des Reichs. Er ſah in dieſem Chaos den geſetzten Widerſpruch, daß ein Staat ſein ſoll und doch nicht iſt , und fand den letzten Grund des Elends in der geprieſenen deutſchen Freiheit. Aber ſein Scharfſinn erſcheint wie die unheimliche Hellſichtigkeit eines hoffnungslos Erkrankten, kein Hauch der Leidenſchaft weht durch ſeine klugen Worte; darum ließ er auch, nachdem das Problem wiſſenſchaftlich erörtert war, ſeine Abhandlung ungedruckt im Pulte liegen. Dem Uebermuthe der Berliner, der mit der Schwäche ihres Staates zu wachſen ſchien, hatte die Fürſtenrevolution noch nicht genug gethan. In den kritikluſtigen hauptſtädtiſchen Kreiſen, wo die Held und Buchholz das große Wort führten, ſchalt man auf den König, weil er nicht dreiſt genug zugegriffen habe; warum, ſo fragte der Patrioten - ſpiegel für die Deutſchen , hat Preußen nicht alles norddeutſche Land ver - ſchlungen ohne viel Complimente und ohne ſich an Schulmoral und ſo - genannte Rechtsbegriffe zu kehren ? Die große Mehrheit der Nation kümmerte ſich weder um ſolche frivole Prahlereien noch um den ſtillen Jammer der Entthronten, ſie verharrte in unverwüſtlicher Gleichgiltigkeit.

Nur ein Mann wagte mit ſittlichem Ernſt und ſtaatsmänniſcher Einſicht über die Schmach des Vaterlandes öffentlich zu reden. Als der Fürſt von Naſſau das alte reichsritterliche Haus vom Stein ſeiner Landes - hoheit zu unterwerfen verſuchte, da richtete Freiherr Karl vom Stein einen offenen Brief an den kleinen Despoten, mahnte ihn in markigen Worten an das richtende Gewiſſen und die ſtrafende Gottheit und ſchloß: ſollen die wohlthätigen großen Zwecke der Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit Deutſchlands erreicht werden, ſo müſſen die kleinen Staaten mit den beiden großen Monarchien, von deren Exiſtenz die Fortdauer des deutſchen Namens abhängt, vereinigt werden, und die Vorſehung gebe, daß ich dieſes glückliche Ereigniß erlebe. Durch dieſen Brief wurde der Name des weſtphäliſchen Kammerpräſidenten zuerſt über Preußens Grenzen hinaus bekannt; man verwunderte ſich über ſeinen ſtolzen Freimuth, aber noch195Die goldenen Tage von Weimar.war die Nation nicht fähig den Gedanken ihres tapferſten Sohnes zu folgen.

Und doch war dies Land kein Polen, und doch lebte in dieſem Volke, das ſo gleichmüthig die Nackenſchläge der Fremden dahin nahm, das freu - dige Bewußtſein einer großen Beſtimmung. Daſſelbe Jahrzehnt, das den alten deutſchen Staat ins Grab führte, brachte der neuen Dichtung ihre reinſten Erfolge. Wie weit zurück ſchien jetzt ſchon die Zeit zu liegen, da Klopſtock einſt pochenden Herzens die deutſche Muſe in den ungewiſſen Streitlauf ſtürmen ſah; nun ſang Schiller mit ruhigem Stolze: wir dürfen muthig einen Lorbeer zeigen, der auf dem deutſchen Pindus ſelbſt gegrünt! Die Deutſchen wußten längſt, daß ſie den Schatz der überlieferten euro - päiſchen Bildung mit neuen, ſelbſtändigen Idealen bereichert hatten und in der großen Gemeinſchaft der Culturvölker einen Platz einnahmen, den Niemand ſonſt auf der Welt ausfüllen konnte. Begeiſtert ſprach die Jugend von deutſcher Tiefe, deutſchem Idealismus, deutſcher Univerſalität. Frei hinwegzuſchauen über alle die trennenden Schranken des endlichen Da - ſeins, nichts Menſchliches von ſich fern zu halten, in lebendiger Gemein - ſchaft mit den Beſten aller Völker und Zeiten das Reich der Ideen zu durchmeſſen das galt für deutſch, das ward als Vorrecht deutſcher Art und Bildung geprieſen. Der Nationalſtolz dieſes idealiſtiſchen Geſchlechtes fand ſich befriedigt in dem Gedanken, daß kein anderes Volk den ver - meſſenen Flügen des deutſchen Genius ganz zu folgen, zu der Freiheit unſeres Weltbürgerſinnes ſich emporzuſchwingen vermöge.

In der That trug unſere claſſiſche Literatur das ſcharfe Gepräge nationaler Eigenart, und Frau von Staël ſelbſt geſtand: wer nicht, wie ſie, halbdeutſches Blut in den Adern habe werde ſich kaum verſucht fühlen der wunderſamen Eigenthümlichkeit des deutſchen Denkens nachzuſpüren. Alle Thatkraft, alle Leidenſchaft unſerer Jugend ging in dieſen literariſchen Kämpfen auf, die nun bereits die dritte Generation deutſcher Männer in ihren Zauberkreis zogen. Eine unüberſehbare Menge neuer Ideen war im Umlauf; ein argloſer Fremder auch dies iſt ein Geſtändniß der geiſtreichen Franzöſin konnte einen gewandten deutſchen Schwätzer, der nur Anderer Gedanken nachſprach, leicht für ein Genie halten. Jener unerſättliche Drang nach Mittheilung, der allen geiſtig productiven Zeit - altern gemein iſt, machte ſich Luft durch einen maſſenhaften gehaltreichen Briefwechſel. Wie einſt Hutten jede neue Offenbarung, die ihm aufging, alsbald frohlockend ſeinen humaniſtiſchen Freunden verkündigte, ſo ſchaarte ſich jetzt die unſichtbare Kirche der deutſchen Gebildeten zu gemeinſamer freudiger Andacht zuſammen. Im Gerichtsſaale hinter den Aktenſtößen verſchlang der Vater Theodor Körners begierig die Werke der Weimariſchen Freunde; und wie oft iſt Prinz Louis Ferdinand früh morgens nach durch - ſchwelgter Nacht aus ſeiner weſtphäliſchen Garniſon nach Detmold hinüber - geritten um mit einem alten Lehrer den Sophokles zu leſen. Jedes Ge -13*196I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dicht war ein Ereigniß, ward in ausführlichen Briefen und Kritiken be - trachtet, zergliedert, bewundert. Alle die unvermeidlichen Unarten litera - riſcher Epochen, Klatſch und Parteigeiſt, Gefühlsſchwelgerei, Paradoxie und eitler Selbſtbetrug hatten freies Spiel; doch ſelbſt aus den Schwächen der Zeit ſprach die Lebenskraft und Lebensluſt eines hochbegabten und hoch - ſinnigen Geſchlechtes, dem die Welt der Ideen die allein wirkliche war. Ganz unbefangen lobte Wilhelm Humboldt die göttliche Anarchie des päpſt - lichen Roms, weil ſie den Denker im Sinnen und Schauen nicht ſtöre: was galten ihm die Römer von Fleiſch und Blut neben den Geiſter - ſtimmen, die aus den Marmorbildern des Vaticans redeten? Im ſelben Sinne beklagte Schiller die Leere ſeines revolutionären Zeitalters, das den Geiſt aufrege ohne ihm einen Gegenſtand das will ſagen: ein äſthetiſches Bild zu bieten.

Wer den tiefen heiligen Ernſt dieſes Idealismus und die Fülle geiſtiger Kräfte, welche er zu ſeiner Durchbildung aufbrauchte, gerecht würdigt, der wird die politiſche Unfähigkeit des Zeitalters nicht mehr räthſelhaft finden. Die Kargheit der Natur ſetzt der Schöpferkraft der Völker wie der Einzelnen ein feſtes Maß, verhängt über jedes große menſchliche Wirken den Fluch der Einſeitigkeit. Es war unmöglich, daß ein Geſchlecht von ſolcher Energie des geiſtigen Schaffens zugleich die kalte Berechnung, den liſtigen Welt - ſinn, den entſchloſſenen Einmuth und den harten Nationalhaß hätte be - ſitzen ſollen, welche den unerhörten Gefahren der politiſchen Lage allein Trotz bieten konnten. Wie Luther ſeines Gottes voll für die Bilderpracht des leoniniſchen Roms kaum einen Blick übrig hatte, ſo wendeten die Helden der neuen deutſchen Bildung abſichtlich ihre Augen hinweg von der Ver - heerung, die über den deutſchen Südweſten dahinfluthete, und dankten mit Goethe dem Schickſal, weil wir in der unbeweglichen nordiſchen Maſſe ſtecken, gegen die man ſich ſo leicht nicht wenden wird .

In der Freundſchaft Schillers und Goethes fand die menſchliche Liebenswürdigkeit und die ſchöpferiſche Macht der neuen Bildung ihren vollendeten Ausdruck. Die Deutſchen rühmten ſich von Altersher, kein anderes Volk habe die Blüthe der Männerfreundſchaft, das neidloſe treue Zuſammenwirken großer Menſchen zu großem Zwecke ſo oft geſehen; und unter den vielen ſchönen Freundſchaftsbünden ihrer Geſchichte war dieſer der herrlichſte. Zehn reiche Jahre hindurch überſchütteten die beiden Freunde ihr Volk unabläſſig mit neuen Geſchenken und bewährten ſelbander den Goethiſchen Spruch: Genie iſt diejenige Kraft des Menſchen, welche durch Handeln und Thun Geſetz und Regel giebt. Und in ſolcher Fülle des Schaffens gaben ſie doch nur einen Theil ihres Weſens aus; ſie wußten, daß dauernder Nachruhm Keinem gebührt, der nicht größer war als ſeine Werke.

Unvergeßlich prägte ſich in die Herzen der Jugend dies einzige Bild künſtleriſcher und menſchlicher Größe: wie dieſe beiden durch Schickſal,197Schiller und Goethe.Bildungsgang und Begabung ſo weit Geſchiedenen nach langer Ver - kennung ſich endlich fanden und dann auf der Höhe des Lebens in ſchlichter Germanentreue feſt zuſammenſtanden, ſo einig in ihrem Wirken, daß ſie ſelber nicht mehr wußten, wer die einzelnen Diſtichen des Xenien - kampfes alle geſchrieben hatte, und doch ein Jeder des eigenen Werthes klar bewußt, in voller Freiheit gebend und empfangend, nicht im Mindeſten gemeint des Freundes Eigenart zu ſtören. Dort der verwöhnte Lieblings - ſohn des Glücks, mit Rang und Reichthum, Schönheit und Geſundheit verſchwenderiſch ausgeſtattet; hier der Hartgeprüfte, der jahrelang mit Krankheit und Entbehrung kämpfte und dabei in ſeinem Gemüthe ſo ſtolz und frei blieb, daß keine Zeile ſeiner Werke die gemeinen Nöthe ſeines Lebens errathen ließ. Der Eine verweilte gelaſſen in ſich ſelber, ganz unbekümmert um den Erfolg des Augenblicks; er ließ die goldenen Früchte ſeiner Dichtung ruhig reifen, bis er ſie zur guten Stunde mit einem Drucke der Hand vom Aſte brach; die deutſche Sprache offenbarte ihm ihre holdeſten Geheimniſſe, folgte gelehrig jedem Winke des Meiſters; aus den Tiefen einer ewig friſchen und lauteren Phantaſie, aus den Weiten eines unermeßlichen Wiſſens ſtrömten ihm die Bilder und Gedanken un - geſucht von ſelber zu. Den Anderen durchglühte ein edler Ehrgeiz: er wollte ſiegen, jetzt und hier, er wollte die lichten Gedanken, die ihm das Herz bewegten, groß und prächtig ausgeſtalten, die träge Welt hinreißen, daß ſie daran glaube und allen Unrath der Wirklichkeit von ſich ſchüttle; er nutzte jede Stunde, wie im Vorgefühle des nahen Todes, wußte die Lücken ſeiner minder vielſeitigen Bildung durch raſtloſen Fleiß immer zur rechten Zeit auszufüllen und als ein umſichtiger königlicher Haushalter jedes Wort aus ſeinem minder reichen Sprachſchatze ſicher und wirkſam zu verwerthen; den letzten Hauch ſeines feurigen Willens ſetzte er ein, bis ein erhebender und erſchütternder Schluß gefunden war, während Goethe gemächlich ſo manchen herrlichen Torſo halb behauen liegen ließ.

Dem weſentlich lyriſchen Genius Goethes wurde jede Dichtung zum Bekenntniß, doch mitten in der Erregung des ſubjectiven Gefühls erhielt er ſich immer jene gutmüthige ins Reale verliebte Beſchränktheit , die er ſo gern als den unſchuldigen productiven Zuſtand des naiven Dichters pries. Wenn er mit ſeinen inneren Erfahrungen abſchloß, ſo blieben die Leſer ſtets in dem holden Wahne, als ob er ganz verſchwände hinter den Ge - ſtalten, die von dem Blute ſeines Herzens getrunken hatten. Schillers dramatiſches Genie ſchritt kühner in die objective Welt hinaus. Suchend und wählend griff er oft nach Stoffen, die mit ſeinem inneren Leben ur - ſprünglich nichts gemein hatten; aber wenn dieſe fremden Geſtalten erſt unter ſeinen bildenden Händen erwarmten, dann blies er ſie an mit dem Odem ſeines eigenen heldenhaften Weſens und ließ ſie das hohe Pathos ſeiner eigenen feurigen Empfindung ſo mächtig, ſo unmittelbar ausſprechen, daß die Hörer immer nur ſeine Stimme zu vernehmen glaubten und ihn198I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.für einen ſubjectiven Dichter hielten. Beide Dichter verbanden mit der traumgängeriſchen Sicherheit des Genius die dem geſammten Zeitalter eigenthümliche klare Bewußtheit des Denkens, ſie liebten, ſich und Anderen Rechenſchaft zu geben von den Geſetzen ihrer Kunſt. Beide ſuchten die große Aufgabe der Zeit nicht in der äſthetiſchen Cultur allein; als Staats - mann, Naturforſcher und Pſycholog wirkte der Eine, als Hiſtoriker und Philoſoph der Andere für die Vertiefung und Läuterung einer allſeitigen Bildung. Beide fühlten ſich eins mit ihrem Volke; ſie ahnten es wohl, daß ihre Werke dereinſt noch auf fremdem Boden Frucht bringen ſollten, doch ſie wußten auch, daß ſie dem deutſchen Leben ihre eigenſte Kraft ver - dankten und das volle, innige, unwillkürliche Verſtändniß nur da finden konnten wo deutſche Herzen ſchlugen: Im Vaterlande ſchreibe was dir gefällt! Da ſind Liebesbande, da iſt deine Welt!

Es gereicht aber der deutſchen Rechtſchaffenheit zur Ehre, daß ſelbſt in dieſem Zeitalter der äſthetiſchen Weltanſchauung Schiller in der Gunſt des Volkes höher ſtieg als ſein größerer Freund. Der Durchſchnitt der Menſchen erhebt ſich nicht über den ſtofflichen Reiz der Dichtung, darum darf er auch die einſeitig moraliſche Schätzung der Kunſt nicht ganz auf - geben. Einem geſunden Volke mußte Poſas edle Schwärmerei und die Hochherzigkeit Max Piccolominis theurer ſein als das loſe Treiben der Philinen und Mariannen. Nur reiche Gemüther blickten dem tiefen Strome der ſpäteren Goethiſchen Dichtung bis auf den Grund, nur den Lebenskundigen ging das geheimnißvolle Leben ſeiner Geſtalten auf, nur ſinnige Naturen erkannten in ſeinen proteiſchen Wandlungen den immer ſich ſelbſt getreuen Genius wieder. Ueber dieſe Höchſtgebildeten der Nation gewannen Goethes Leben und Werke nach und nach eine ſtille unwider - ſtehliche Gewalt, die von Jahrzehnt zu Jahrzehnt nur immer mächtiger wurde; es iſt ſein Verdienſt, daß Wilhelm Humboldt ſagen konnte, nirgendwo ſonſt werde das eigentliche Weſen der Poeſie ſo tief verſtanden wie in Deutſchland. Aus Luthers Tiſchreden hatten die Deutſchen einſt erfahren, was es heiße ganz in Gott zu leben, in jeder einfachen Schickung der vierundzwanzig Tagesſtunden die Allmacht und Liebe des Schöpfers zu empfinden. Jetzt verkörperte ſich die neue Humanität in einem gleich mächtigen und urſprünglichen Menſchendaſein; aus Goethes Leben lernte der frohe Kreis der dankbar Verſtehenden, wie dem Künſtlergeiſte jede Er - fahrung zum Bilde wird, wie die freieſte Bildung zur Natur zurückkehrt, wie vornehmer Stolz mit Herzenseinfalt und demokratiſcher Menſchenliebe ſich verträgt. Schillers Wirkſamkeit ging, wie es das Recht des Drama - tikers iſt, mehr in die Breite; ihm gehörte das Herz der ſchwärmeriſchen Jugend; ſein ſittlicher Ernſt packte die Gewiſſen; ſein freudiger Glaube an den Adel der Menſchheit war Allen ebenſo verſtändlich wie die funkelnde Pracht ſeiner nichts verhüllenden Sprache. Es iſt ſein Verdienſt, daß die Freude an der neuen Bildung ſich in weiten Kreiſen verbreitete ſo199Goethe nach der italieniſchen Reiſe.weit dieſe Literatur volksthümlich ſein konnte; durch die mächtige Rhetorik ſeiner Jungfrau von Orleans wurden ſogar die Höfe von Berlin und Dresden aus ihrer gründlichen Proſa aufgeſchüttelt. Goethe hatte ſchon als Jüngling an dem Bilde des Straßburger Münſters ſich begeiſtert und damals ſchon, zuerſt unter den Zeitgenoſſen, einen Einblick gewonnen in das Leben unſeres Mittelalters; er liebte, das Alterthümliche in den Reichthum ſeiner Sprache aufzunehmen und neu zu beleben. Schiller dagegen war ein durchaus moderner Menſch, modern in Empfindung und Rede, ohne Sinn für das deutſche Alterthum und ebendeßhalb populärer; denn die Nation, die ihrer Vorzeit vergeſſen hatte, verlangte nach dem Neuen und Blanken.

In Italien verbrachte Goethe ſeine zweite Jugendzeit, er lebte ſich ein in die claſſiſche Formenwelt und ward im Alterthume heimiſch wie Niemand ſeit Winkelmann. Nach den neuen Anſchauungen, die ihm dort zuſtrömten, formte er nun die in den letzten zehn Jahren ſtill empfangenen Werke und überraſchte die Nation durch eine Reihe von Dichtungen, welche mit der Anſchaulichkeit und der Lebenswärme ſeiner Jugendſchriften eine den Deutſchen noch ganz unbekannte ſtilvolle Hoheit und getragene Würde verbanden. Doch er mußte erfahren, daß die Maſſe der Leſer ſeinem neuen Stile noch nicht folgen konnte und weder die zarte ſinnvolle Schön - heit der Iphigenia noch die verhaltene tiefe Leidenſchaft des Taſſo recht verſtehen wollte. Die Deutſchen verloren den Dichter ganz aus den Augen, da er jetzt in ſeiner Dachshöhle ſich vergrub und durch jahre - lange Forſchung und Betrachtung ein Vertrauter der Natur wurde. Er wagte ſich an das titaniſche Unternehmen, ſchrittweis aufſteigend von der einfachſten zu der höchſten Organiſation die ganze Natur zu verſtehen und verſtehend mit ihr zu leben. Und dies wiſſenſchaftliche Erkennen, nie geſchloſſen, oft geründet , war zugleich künſtleriſche Anſchauung; er gab ſich der Natur hin mit allen Kräften ſeiner Seele, ſo innig, ſo liebe - voll, daß er ſeine geologiſchen Studien mit Recht meine Erdfreundſchaft nennen durfte. Die Forſchung beirrte ihn nicht, ſie beſtärkte ihn in der naiven Weltanſchauung des Dichters, der immer den Schwerpunkt der Welt im Herzen des Menſchen ſucht. Das All belebte ſich vor ſeinen ahnenden Blicken, und indem er erkannte, wie das Ewige ſich in allen Weſen fort regt, hielt er nur um ſo freudiger den Glauben feſt an das ſelbſtändige Gewiſſen, die Sonne unſeres Sittentages. Seit er den Gott ahnte, der die Welt im Innerſten bewegt, erſchien die heitere Weltfreudig - keit ſeines Dichtergeiſtes verklärt durch die Weihe einer frommen, heiligen Andacht: ſtrömt Lebensluſt aus allen Dingen, dem kleinſten wie dem größten Stern, und alles Drängen, alles Ringen iſt ew’ge Ruh in Gott dem Herrn!

Unterdeſſen hatte Schiller, wie er ſelbſt geſteht, im Poetiſchen einen völlig neuen Menſchen angezogen und durch ernſte philoſophiſche Forſchung200I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die Erkenntniß gewonnen, daß unſer Geſchlecht nur durch die Kunſt zur harmoniſchen Vollendung erzogen werde; nur in der Kunſt ſei der Menſch zugleich thätig und frei, nach außen wirkſam und ganz bei ſich ſelber. Damit war das innerſte Herzensgeheimniß des Zeitalters kühnlich aus - geſprochen. Tauſend jubelnde Stimmen antworteten dem weckenden Rufe: fliehet aus dem engen dumpfen Leben in des Ideales Reich! und ver - kündeten die frohe Botſchaft, daß der Künſtler der vollkommene Menſch, daß alles Schöne gut und gut nur das Schöne ſei. Zugleich ging der Dichter mit der Formloſigkeit ſeiner eigenen Jugendwerke ſtreng, ja grau - ſam ins Gericht und eroberte ſich die lebendige Anſchauung der antiken Formenreinheit. Erſt durch Schiller ward Winkelmanns Werk vollendet; erſt ſeit er in den Göttern Griechenlands die an der Freude leichtem Gängelbande regierten ſeligen Geſchlechter des Alterthums in brennender Farbenpracht verherrlicht hatte, wurde die Sehnſucht nach der erhabenen Einfalt der Antike, der Cultus des claſſiſchen Ideals zum Gemeingute der gebildeten Deutſchen. Wunderbar ſchnell lebte Schiller ſich ein in dieſe Welt, die ſeiner Jugend ſo fremd geweſen, und fand mit genialer Sicherheit die treibende Kraft der alten Geſchichte heraus, den letzten und höchſten Gedanken des Hellenenthums: iſt der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch!

Als die beiden großen Dichter ſich verbündeten, da galt es zunächſt, dieſen neuen Idealismus in der Welt durchzuſetzen und zu behaupten, die Afterweisheit der hausbackenen Moral, der platten Nützlichkeitslehren, der phantaſtiſchen Unklarheit hinauszufegen aus dem Tempel der deutſchen Muſe, freie Bahn zu ſchaffen für das wahrhaft Bedeutende und Schöpfe - riſche, der Mittelmäßigkeit zu zeigen, daß die Kunſt für ſie keinen Raum bietet. Dieſem Zwecke diente der Xenienſtreit, ein Parteikampf großen Stiles, der mit aller ſeiner Grobheit und Gehäſſigkeit doch nothwendig war für die Entwicklung unſeres nationalen Lebens; die Deutſchen wußten wohl, daß hier um eine Lebensfrage ihrer Cultur gefochten wurde. Von dem thatenluſtigen Freunde zu friſchem Schaffen angeregt zeigte ſich nun Goethe in immer neuen Wandlungen. Schönheitstrunken, heidniſch un - befangen wie ein roſenbekränzter Poet des Alterthums beſang er in den Römiſchen Elegien die Freuden des lieberwärmeten Lagers, und nur zu - weilen, wenn er den majeſtätiſchen Ausblick auf das ewige Rom eröffnete, ließ er die Leſer errathen, daß der Gedankenreichthum eines die Jahr - hunderte überſchauenden Geiſtes ſich hinter der herzhaften Sinnlichkeit dieſer lieblichen Verſe verbarg. Bald darauf ſtand er wieder mitten in der deutſchen Gegenwart und ſchilderte mit homeriſcher Einfalt die geſunde Kraft unſerer Mittelſtände, die ſchlichte Größe, die in der Kleinheit des befriedeten Hauſes wohnt, und mahnte ſein Volk, ſich ſelber treu zu bleiben, in ſchwankender Zeit das Seine zu behaupten. Die warme treue Liebe zum Vaterlande, die aus Hermann und Dorothea ſprach, machte201Schillers Dramen.auf die bildungsſtolzen Zeitgenoſſen geringen Eindruck. Aber mit Ent - zücken erkannten ſie ſich ſelber wieder in den Geſtalten des Wilhelm Meiſter: in dieſen ſtaatloſen Menſchen ohne Vaterland, ohne Familie, ohne Beruf, die von aller Gebundenheit des hiſtoriſchen Daſeins frei, nur einen Lebensinhalt kennen: den leidenſchaftlichen Drang nach menſchlicher Bildung. In dieſer Odyſſee der Bildung hielt Goethe ſeinem Zeitalter einen Spiegel vor, der alle Züge jener literariſchen Epoche, ihre Schwächen wie ihre Lebensfülle, in wunderbarer Klarheit wiedergab, und löſte zu - gleich, was noch keinem Poeten ganz gelungen war, die höchſte Aufgabe des Romandichters: er zeigte, wie das Leben den ſtrebenden und irrenden Menſchen erzieht.

Minder vielſeitig, aber raſtlos mit ſeinem Pfunde wuchernd errang ſich Schiller indeſſen die Herrſchaft auf der deutſchen Bühne. Die ge - waltſame dramatiſche Aufregung, welche Goethe gern von ſich fern hielt, war ihm Bedürfniß; glänzende Bilder von Kampf und Sieg ſchritten durch ſeine Träume, das Schmettern der Trompeten, das Rauſchen der Fahnen und der Klang der Schwerter verfolgten ihn noch bis auf ſein Todesbette. Die Leidenſchaften des öffentlichen Lebens, die Kämpfe um der Menſchheit große Gegenſtände, um Herrſchaft und um Freiheit, jene mächtigen Schickſalswandlungen, die über Völkerleid und Völkergröße ent - ſcheiden, boten ſeinem dramatiſchen Genius den natürlichen Boden. Auch ſeine kleineren Gedichte verweilten mit Vorliebe bei den Anfängen des Staatslebens, veranſchaulichten in mannichfachen geiſtvollen Wendungen, wie der heilige Zwang des Rechts die friedloſen Menſchen menſchlich an - einander bindet, wie die rohen Seelen zerfließen in der Menſchlichkeit erſtem Gefühl. Schöner als in dem Liede von der Glocke iſt die Ver - kettung des einfachen Menſchenlebens mit den großen völkererhaltenden Mächten des Staates und der Geſellſchaft niemals geſchildert worden.

Wie tief er auch ſeine proſaiſche Zeit verachtete, wie ſtolz er auch jeden Verſuch tendenziöſer Dichtung von ſich wies, dieſer ganz auf die hiſtoriſche Welt gerichtete Geiſt war doch erfüllt von einem hohen politiſchen Pathos, das erſt die Nachlebenden völlig begreifen ſollten. Es war kein Zufall, daß er ſich ſo lange mit dem Gedanken trug, die Thaten Friedrichs in einem Epos zu beſingen. Als die Deutſchen ſelbſt zur Befreiung ihres Landes ſich rüſteten, da ward ihnen erſt das farbenglühende Bild der Volkserhebung in der Jungfrau von Orleans recht verſtändlich; als ſie unter dem Drucke der Fremdherrſchaft ſich wieder auf ſich ſelber be - ſannen, da würdigten ſie erſt ganz die Größe des Dichters, der ihnen in ſeinen beiden ſchönſten Dramen die vaterländiſche Geſchichte ſo menſchlich nahe gebracht hatte. Die entſetzlichſte Zeit unſerer Vergangenheit gewann durch ſeine Dichtung ein ſo friſches, freudiges Leben, daß der Deutſche ſich noch heute im Lager Wallenſteins faſt heimiſcher fühlt als unter fridericianiſchen Soldaten; aus den Kämpfen der handfeſten deutſchen202I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Bauern des Hochgebirges geſtaltete er das verklärte Bild eines großen Freiheitskrieges und legte Alles darin nieder was nur ein hoher Sinn über die ewigen Rechte des Menſchen, über den Muth und Einmuth freier Völker zu ſagen vermag. Der Tell ſollte bald für unſer politiſches Leben noch folgenreicher werden als einſt Klopſtocks Bardengeſänge. An dieſem Gedichte vornehmlich nährte das heranwachſende Geſchlecht ſeine Begeiſterung für Freiheit und Vaterland; die ganz dramatiſch gedachte Mahnung: ſeid einig, einig, einig! erſchien den jungen Schwärmern wie ein heiliges Vermächtniß des Dichters an ſein eignes Volk.

Die nationale Bühne freilich, worauf ſeit Leſſing alle unſere Drama - tiker hofften, iſt auch durch Schiller den Deutſchen nicht geſchenkt worden, weil kein einzelner Mann ſie zu ſchaffen vermochte. Schiller ſtrebte nach einem nationalen Stile, der das Echte und Große der älteren Dramatik, den Geſtaltenreichthum, die bewegte Handlung und die tiefe Charakteriſtik Shakeſpeares, den lyriſchen Schwung der antiken, und die ſtrenge Com - poſition der franzöſiſchen Tragödie bewußt und ſelbſtändig in ſich ver - einigen und darum dem Charakter unſerer neuen Bildung entſprechen ſollte. Aber es fehlte dem Dichter der lebendige Verkehr mit dem Volke. Nur der brauſende Jubelruf einer großſtädtiſchen Hörerſchaft zeigt dem Dramatiker, wann er das Allen Gemeine, das wahrhaft Volksthümliche gefunden hat. Die Handvoll trübſeliger Kleinbürger im Parterre des Weimariſchen Theaterſchuppens waren kein Volk, und die vornehmen Schöngeiſter in den Logen des Hofes zollten den Experimenten geiſtreich ſpielender Willkür den gleichen, ja vielleicht noch lebhafteren Beifall wie dem einfach Großen. Es fehlte den Deutſchen überhaupt, wie Goethe klagte, eine Nationalcultur, die den Dichter zwingt die Eigenheiten ſeines Genies ihr zu unterwerfen . Faſt nur gebend, wenig empfangend ſtanden die Dioskuren von Weimar ihrem Volke gegenüber, das ſie erſt empor - hoben zu reinerer Bildung. Darum ſind Beide nach mannichfachen Ver - ſuchen mit Trilogien und Einzeldramen, mit Jamben und Reimpaaren, mit Chorgeſängen und melodramatiſchen Einlagen doch nicht dahin gelangt für unſer Drama eine Kunſtform zu ſchaffen, die als die nationale an - erkannt wurde. Wie die feierliche, übertrieben pathetiſche Declamation der Weimariſchen Schauſpieler im übrigen Deutſchland nicht zur Herrſchaft gelangte, ſo trieben auch die dramatiſchen Dichter nach Willkür und Laune ihr Weſen, Jeder von vorn beginnend, Jeder bemüht durch neue Künſte und Künſteleien alle Anderen zu übertreffen. Unſere Bühne bot ein Bild der Anarchie, das freilich auch allen Zauber der ungebundenen Frei - heit zeigte. Nicmand hat die kleinliche Zerſplitterung des deutſchen Lebens und ihre verderbliche Einwirkung auf die Kunſt ſchmerzlicher empfunden als Goethe. Ueber ſeinen Wilhelm Meiſter ſagte er geradezu: da habe er nun den allerelendeſten Stoff, Komödianten und Landedelleute wählen müſſen, weil die deutſche Geſellſchaft dem Dichter keinen beſſeren biete;203Komiſche Dichtung.und im Taſſo ſchilderte er die trotz aller Feinheit der Bildung doch drückende Enge des Lebens an kleinen Höfen mit einer Bitterkeit, welche nur aus ſelbſterlebter Pein ſtammen konnte.

Nicht blos die natürliche Anlage des deutſchen Geiſtes, der am Ge - ſtalten der Charaktere mehr Freude findet als am Erfinden ſpannender Situationen, ſondern vor Allem die Verkümmerung unſeres öffentlichen Lebens hat es verſchuldet, daß der Humor, der noch in unſerem lebensfrohen ſechzehnten Jahrhundert ſo prächtige Funken ſchlug, in dieſer Blüthezeit deutſcher Dichtung ſich ſo ſelten zeigte. Das Luſtſpiel konnte dem kühnen Aufſchwunge der Tragödie nicht folgen. Die Komödie wurzelt immer in der Gegenwart und blüht nur in Völkern, die unbefangen an ſich ſelber glauben, ſich herzhaft wohl fühlen in der eigenen Haut; ſie bedarf feſter nationaler Sitten und Anſtandsbegriffe, wenn ſie nicht willkürlich, gemein - verſtändlicher ſocialer Kämpfe und Intereſſen, wenn ſie nicht platt werden ſoll. Von Alledem waren in der langſam wieder auflebenden deutſchen Nation erſt ſchwache Anfänge vorhanden. Der beliebteſte Luſtſpieldichter der Zeit, Kotzebue, ein Talent von unverächtlicher komiſcher Kraft, widerte edlere Naturen an nicht blos durch die angeborene Gemeinheit eines durchaus flachen Geiſtes, ſondern mehr noch durch die Erbärmlichkeit der Verhältniſſe, die er ſchilderte, und durch die Unſicherheit ſeines ſittlichen Gefühls, das zwiſchen weinerlicher Schwäche und ſchmunzelnder Frechheit haltlos ſchwankte. Auch Jean Paul, der Einzige, der damals mit hohen künſtleriſchen Abſichten ſich dem Dienſte der komiſchen Muſe widmete, ward durch die zerfahrene Unfertigkeit des deutſchen geſelligen Lebens zu Grunde gerichtet. Seine Geſtalten bewegen ſich bald in der ſchweren Stickluft unfreier, armſeliger Kleinſtädterei, bald in dem dünnen Aether idealer Bedürfnißloſigkeit, wo die Menſchenbruſt nicht mehr athmen kann. Die Schwärmerei ſeiner warmherzigen Menſchenliebe giebt ihm doch keinen feſten ſittlichen Halt; nach Luſt und Laune rüttelt er in frivolem Spiele an den ewigen Geſetzen der ſittlichen Welt um nachher wieder in ver - himmelten Gefühlen zu ſchwelgen und ſeine Liebenden im kurzen ſeligen Elyſium des erſten Kuſſes wohnen zu laſſen. Das unſichere Stilgefühl der Leſer geſtattet ſeinem Humor jede Willkür; ungeſcheut läßt er der natürlichen Formloſigkeit des deutſchen Geiſtes die Zügel ſchießen, ver - renkt die Sprache und überladet ſie mit ſchwülſtiger Künſtelei.

Goethes klaren Blicken entgingen die ſittlichen Gefahren der äſthe - tiſchen Weltanſchauung nicht; warnend hat er der Jugend zugerufen: daß die Muſe zu begleiten, doch zu leiten nicht verſteht! Aber ein reiches Geſchlecht war es doch, das ſo zügellos dem Drange ſeines Herzens nachging. Alle Schleußen des deutſchen Genius ſchienen aufgezogen: unſere Muſik erlebte ihr claſſiſches Zeitalter, in der Philologie ſchlug F. A. Wolf, in den bildenden Künſten Asmus Carſtens neue kühne Bahnen ein. Selbſt die geſellige Anmuth, die ſonſt deutſcher Wahrhaftigkeit wenig zuſagt, kam204I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.in den Kreiſen der Auserwählten zu reizender Entfaltung; geiſtreicher, verführeriſcher als in Caroline Schellings Briefen hat Weiberliebe und Weiberbosheit ſelten geredet. Und wie mochte man ohne Freude den edlen Fürſten betrachten, der alle dieſe großen Menſchen frei gewähren ließ, der ſie alle verſtand und dabei ſo feſt und ſtattlich ſich ſelbſt behauptete? Ganz unbekümmert ſtürmte Karl Auguſt ins junge Leben, bis eigene Er - kenntniß, nicht fremder Rath ihn lehrte nach und nach die freie Seele einzuſchränken .

Wenn die altfranzöſiſchen Edelleute, die Talleyrand, Segur, Ligne, damals zu behaupten pflegten, wer nicht die letzten Zeiten des alten Königthums vor dem Jahre 89 mit erlebt, der wiſſe nicht was leben heißt, ſo konnten Deutſchlands Dichter und Denker mit beſſerem Rechte das Gleiche von ihrem goldenen Zeitalter ſagen. Eine wunderbare Dich - tigkeit des geiſtigen Daſeins geſtattete Jedem ſeine Gaben in Genuß und That nach allen Seiten hin harmoniſch zu entfalten; und es entſprach nur den wirklichen Zuſtänden, wenn die ſchöne Geſelligkeit ſich beſſer dünkte als der geiſtloſe Staat, wenn die Briefe Schillers und Goethes immer wieder die Sorge ausſprachen, daß nur der Staat ja nicht die Freiheit der Particuliers antaſte. Wie dieſe Künſtlerwelt ſich zum Staate ſtellte, das zeigte Wilhelm Humboldt vornehm und geiſtvoll in ſeiner Abhandlung über die Grenzen der Wirkſamkeit des Staates: der höchſte Zweck des Lebens, die Erziehung des Menſchen zur Eigenthümlichkeit der Kraft und Bildung, wird nur erreicht, wenn der Einzelne in Freiheit und in mannichfaltigen Situationen ſich bewegt; darum muß die Zwangs - anſtalt des Staates auf die Sicherung von Hab und Leben ſich be - ſchränken, in Allem ſonſt den königlichen Menſchen frei ſchalten laſſen; der Staat ſteht um ſo höher, je reicher und ſelbſtändiger ſich die Eigen - art der Perſonen in ihm geſtalten darf. So wurde die Kantiſche Lehre vom Rechtsſtaate im äſthetiſchen Sinne weiter gebildet; die dürre Doctrin des naturrechtlichen Individualismus gewann Reiz und Leben ſeit ſie mit dem Cultus der freien Perſönlichkeit ſich vermählte. Die Bewunderer des claſſiſchen Alterthums predigten die Flucht vor dem Staate, das ge - naue Gegentheil helleniſcher Tugend.

Bald genug ſollte ein furchtbares Erwachen dem ſeligen Traume folgen; bald genug ſollte der Bildungsſtolz erfahren, daß für edle Völker Eines noch ſchrecklicher iſt als das Banauſenthum: die Schande. Den - noch trifft die Heroen der deutſchen Dichtung in keiner Weiſe der Vor - wurf, als ob ſie irgend eine Mitſchuld trügen an der Demüthigung ihres Vaterlandes. Der Zerfall des alten deutſchen Staates war entſchieden; die Theilnahme unſerer Dichter an den politiſchen Ereigniſſen der Zeit konnte das Verhängniß nicht wenden, konnte nur ſie ſelber dem Ewigen entfremden. Sie hüteten das Eigenſte unſeres Volkes, das heilige Feuer des Idealismus, und ihnen vornehmlich danken wir, daß es noch immer205Anfänge der Romantik.ein Deutſchland gab als das deutſche Reich verſchwunden war, daß die Deutſchen mitten in Noth und Knechtſchaft noch an ſich ſelber, an die Unvergänglichkeit deutſchen Weſens glauben durften. Aus der Durch - bildung der freien Perſönlichkeit ging unſere politiſche Freiheit, ging die Unabhängigkeit des deutſchen Staats hervor.

In dem Gedichte, das ſtolz und ſpröde wie kein zweites die Verachtung der Idealiſten gegen die ſchlechte Wirklichkeit ausſprach, in Schillers Reich der Schatten ſtanden die Worte:

Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und ſie ſteigt von ihrem Weltenthron!

Der Dichter ließ ſie unverändert, obgleich Humboldt ihm treffend bemerkte, ſie gäben den äſthetiſchen Grundgedanken des Gedichtes nicht rein wieder. Und er wußte was er that. Denn die Bildung, welche er mit ſeinen Freun - den verkündigte, war nicht beſchaulicher Genuß, ſondern freudiges Handeln, Hingabe des ganzen Menſchen in den Dienſt der Idee; ſie ſchwächte nicht, ſie ſtählte ihren Jüngern die Kraft des Willens, erfüllte ſie mit jener Sicherheit der Seele, die ſchlechterdings Alles was Schickſal heißt als ganz gleichgiltig anſah, wie Gentz von ſeinem Humboldt rühmte. Dieſer active Humanismus war weder weichmüthig noch ſtaatsfeindlich, er hatte nur das Weſen des Staates noch nicht verſtanden und bedurfte nur der Schule der Erfahrung um alle Tugenden des Bürgers und des Helden aus ſich heraus zu bilden. Wenn derſelbe Humboldt, der jetzt die Flucht vor dem Staate predigte, ſpäterhin in feſter Treue ſeinem Staate diente, ſo widerſprach er ſich nicht ſelber, ſondern ſchritt nur weiter auf dem einge - ſchlagenen Wege: er hatte gelernt, daß der Adel freier Menſchenbildung in einem unterdrückten und entehrten Volke nicht beſtehen kann.

Unterdeſſen begann bereits in der Literatur ſelbſt eine neue Strö - mung, welche die Deutſchen zu einem tieferen Verſtändniß von Staat und Vaterland führen ſollte. Das erſte Auftreten der jungen roman - tiſchen Schule erſchien zunächſt als ein ſittlicher und künſtleriſcher Verfall. Waren die beiden letzten literariſchen Generationen an edlen, liebens - werthen Menſchen überreich geweſen, ſo nahm jetzt die Zahl der Eitlen, der Lüſternen, der Ueberbildeten bedenklich zu. Der Sturm und Drang, deſſen das aufſteigende Dichtergeſchlecht ſich rühmte, war nicht mehr naive jugendliche Leidenſchaft, ſondern zeigte bereits den Charakter des Epigonen - thums. Statt der einfältigen Luſt am Schönen herrſchte ein krankhafter Ehrgeiz, der um jeden Preis das Niedageweſene leiſten wollte, und treffend ſagte Goethe von ſeinen Nachfolgern: ſie kommen mir vor wie Ritter, die, um ihre Vorgänger zu überbieten, den Dank außerhalb der Schranken ſuchen.

Die dichteriſche Kraft der Romantiker blieb weit hinter ihren großen Abſichten zurück; ſchon den Zeitgenoſſen fiel es auf, daß ihre Phantaſie immer laut rauſchend mit den Flügeln ſchlug ohne je in rechten Schwung206I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.zu kommen. Ihre Führer waren, obgleich ſie hochmüthig lärmend auf das Recht des Genies zu trotzen liebten, mehr feingebildete Kenner als ſchöpferiſche Dichter, ihre Kunſt mehr ein abſichtliches Experimentiren als unbewußtes Schaffen; ſtatt jener Goethiſchen Verliebtheit ins Reale ſollte die Ironie, die Todfeindin aller Naivität, jetzt die echte poetiſche Stimmung ſein. Der ſchöne Ausſpruch: edle Naturen zahlen mit dem was ſie ſind diente der anmaßlichen Unfruchtbarkeit zum Lotterbette. Spielende Willkür verwiſchte die Grenzen aller Kunſtformen, verdarb die Keuſchheit der Tragödie durch Operngeſänge, führte die Zuſchauer als Mitredende in die dramatiſche Handlung ein, brachte die unverſtänd - lichen Empfindungen entlegener Völker und Zeiten auf die Bühne, die doch ſtets im edlen Sinne zeitgemäß bleiben und nur darſtellen ſoll was die Hörer mitfühlen. Die Sprache war nunmehr, nach Schillers Worten, durch große Meiſter ſo weit gebildet, daß ſie für den Schriftſteller dichtete und dachte; das junge Geſchlecht muthete ihr das Unmögliche zu, ſang von klingenden Farben und duftenden Tönen. Die Schranken zwiſchen Poeſie und Proſa ſtürzten ein, die Dichtung erging ſich in Betrachtungen über die Kunſt, die Kritik in phantaſtiſchen Bildern. Die Kunſt war Wiſſenſchaft, die Wiſſenſchaft Kunſt; alle Offenbarungen des Seelenlebens der Menſchheit, Glauben und Wiſſen, Sage und Dichtung, Muſik und bildende Künſte entſtrömten dem einen Ocean der Poeſie um wieder in ihn zurückzufließen.

So gelangten die Romantiker, während ſie beſtändig von volksthüm - licher Dichtung ſprachen, zu einer phantaſtiſchen und überbildeten Welt - anſchauung, die nur wenigen Eingeweihten, und auch dieſen kaum, ver - ſtändlich war. Von ihrer Zuchtloſigkeit und zugleich von ihrem Unver - mögen gab Friedrich Schlegels Lucinde ein trauriges Zeugniß: da ſchwelgte eine künſtlich erhitzte Phantaſie in Dithyramben über die ſchönſte Situa - tion , ohne jemals ſinnlich warm und anſchaulich zu werden, es war wie das Irrcreden eines trunkenen Pedanten. Auch die Philoſophie wurde von dem Uebermuthe und der Unklarheit der Romantik angekränkelt. Sie war bisher von den weltbürgerlichen Einwirkungen, welche die übrige Literatur ergriffen, gar nicht berührt worden, ſondern hatte ſich eine ſelb - ſtändige Ideenwelt geſchaffen, die dem Auslande ebenſo unfaßbar blieb wie die Terminologie der deutſchen Philoſophen. Der Genius unſerer Sprache, der zu geiſtvoller, vielſagender Unbeſtimmtheit neigt, kam den myſtiſchen Neigungen der deutſchen Natur nur zu bereitwillig entgegen; die roman - tiſche Schwärmerei mußte ihnen vollends verhängnißvoll werden. Wenn der junge Schelling, durch Goethes Ideen angeregt, ſich vermaß, die Natur zu verfolgen, wie ſie ſich in allem Lebendigen auseinanderſetzt, ſo er - öffnete er allerdings mit erſtaunlicher Kühnheit dem philoſophiſchen Denken ein völlig neues Gebiet; doch ihm fehlte gänzlich jene tiefe Beſcheidenheit, welche Kant in ſeinen verwegenſten Speculationen nie verleugnet hatte. 207Romantiſche Weltanſchauung.Die Inſpiration der intellectuellen Anſchauung , die im Bereiche der Erfahrungswiſſenſchaften ſchlechterdings nur zu genialen Hypotheſen an - regen kann und ſich immer erſt durch empiriſche Beweiſe rechtfertigen muß, ſollte ihm die Beobachtung und Vergleichung erſetzen. Durch will - kürliches Conſtruiren, aus der Phantaſie heraus, wähnte er der Natur die Geheimniſſe zu entreißen, welche ſie allein dem liebevollen, entſagenden Fleiße enthüllt. Das nüchterne Forſchen überließ man verächtlich den geiſtloſen Handwerkern; die gute Geſellſchaft ſchwärmte für die Natur - philoſophie oder lernte befriedigt aus Galls Schädellehre, wie leicht und ſpielend der geniale Menſch die dunkelſten Probleme der Pſychologie und Naturwiſſenſchaft bewältigen könne. Alle Schäden der Ueberbildung be - gannen ſich zu zeigen: der geiſtige Hochmuth ſtellte launiſch die welterhal - tenden Geſetze des ſittlichen Lebens in Frage, ſchaute mit geringſchätzigem Lächeln auf den moraliſchen Pedanten Schiller herunter. Schwächere Naturen verfielen einer übergeiſtreichen Mattherzigkeit, lernten alle Dinge von allen Seiten zu betrachten und verloren inmitten der entgegengeſetzten Geſichtspunkte, welche der Gedankenreichthum der Zeit einem Jeden dar - bot, die Kraft zu ſelbſtändigem Denken und Wollen; wer eine hiſtoriſche Erſcheinung theoretiſch erklärt und verſtanden hatte, wähnte ſie auch ge - rechtfertigt zu haben.

Gleichwohl iſt die romantiſche Dichtung für unſer Leben überaus fruchtbar geworden, weniger durch ihre eigenen Kunſtwerke, als durch die Anregung, die ſie der Wiſſenſchaft gab, durch den neuen weiten Geſichts - kreis, den ſie dem geſammten Fühlen und Denken der Nation erſchloß. Sie verfeinerte und vertiefte das Naturgefühl, weckte das Verſtändniß für die Seele der Landſchaft, für den ahnungsvollen Zauber der Wald - einſamkeit, der Felſenwildniß, der moosbedeckten Brunnen. Das acht - zehnte Jahrhundert hatte ſich, gleich den Alten, in der reichangebauten fruchtbaren Ebene wohl gefühlt, die neue Zeit ſuchte nach den roman - tiſchen Reizen der Natur; die Jugend lernte die unſchuldigen Freuden der friſchen, freien Wanderluſt wieder ſchätzen, das Volk bis tief in die Mittelſtände herab ward nach und nach um eine Fülle neuer Anſchauungen reicher. Die Welt des Märchenhaften, Geheimnißvollen, Dunkelklaren wurde jetzt erſt der deutſchen Dichtung ganz erſchloſſen. Ihre Traum - geſtalten traten nicht ſo rund, klar und fertig heraus wie die Gebilde der claſſiſchen Kunſt; doch ſie hoben ſich ab von einem tiefen Hintergrunde und ſchienen ins Unendliche hinauszudeuten, und über ihnen lag der Dämmerſchein der mondbeglänzten Zaubernacht, die den Sinn gefangen hält . Uralte, längſt verſchollene Empfindungen des germaniſchen Volks - gemüths wurden wieder lebendig.

Die Romantiker fühlten, daß die claſſiſchen Ideale das innerſte Leben unſeres Volkes nicht vollſtändig wiedergaben; ſie ſuchten nach neuen Stoffen, durchſtreiften als wageluſtige Conquiſtadoren die weite Welt, bis zu der208I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Wiege der Menſchheit in Indien, bis zu den ſtillen Naturvölkern in den vergeſſenen Winkeln der Erde. Ueberall wo nur die Allerzeugerin Poeſie in Sprache, Kunſt und Religion ſich entfaltet hatte, ſuchte man ſie auf und ſtrebte ihre Offenbarungen dem deutſchen Genius zu vermählen: wie einſt die Römer die Götterbilder der Unterworfenen in ihrem Pan - theon aufſtellten, ſo ſollte das neue Herrſchervolk im Reiche des Geiſtes, das alle anderen Nationen zu durchſchauen und zu überſchauen meinte, die Dichtungen aller Länder in getreuen Nachbildungen ſich zu eigen machen. Der feine Formenſinn und die ſinnige weibliche Empfänglichkeit A. W. Schlegels brachten die deutſche Ueberſetzerkunſt zur Blüthe. Raſch nach einander erſchienen Shakeſpeare, Cervantes, Calderon, eine Menge anderer glücklicher Ueberſetzungen. Die deutſche Poeſie zeigte ſich jeder noch ſo fremdartigen Aufgabe gewachſen, ja ſie lief ſchon Gefahr einer virtuoſen Formenſpielerei zu verfallen, die ihrem innerſten Weſen wider - ſprach; denn in allen ihren großen Zeiten hatten die Germanen den In - halt höher geſchätzt als die Form. Aber einen unſchätzbaren, bleibenden Gewinn brachten die kühnen Entdeckerfahrten der Romantiker: in ihrem Kreiſe zuerſt erwachte der hiſtoriſche Sinn, der dem philoſophiſchen Jahr - hundert immer fremd geblieben. In ſeinen literarhiſtoriſchen Vorleſungen führte A. W. Schlegel, an Herders Ahnungen anknüpfend, den großen Gedanken durch, daß die Kunſt im nationalen Boden wurzele, daß jedes Volkes Sprache, Religion und Dichtung als ein nothwendiges Werden, als die Entfaltung des Volksgeiſtes zu verſtehen ſei. So ward der Grund gelegt, auf dem ſich dereinſt der ſtolze Bau der vergleichenden Sprach - forſchung, der Literatur - und Kunſtgeſchichte erheben ſollte.

Und eben dies Schweifen in die Ferne führte die Romantiker wieder zur Heimath zurück. Da ſie überall in der Geſchichte nach dem Volks - thümlichen und Urſprünglichen ſuchten, ſo gelangten ſie endlich auf ſelt - ſamen Umwegen zu der Frage: wie ſich denn dies neue deutſche Volk gebildet habe? Sie faßten ſich das Herz dem vaterländiſchen Alterthume wieder ins Geſicht zu ſchauen, und es erſchien dem neuen Geſchlechte zuerſt ſo fremd, wie dem Manne ſein eigenes Knabenbildniß. Die Deutſchen entdeckten mit freudiger Beſchämung, wie lächerlich wenig ſie doch von dem Reichthum des eigenen Landes gekannt hatten. Die verrufene finſtere Nacht des Mittelalters leuchtete wieder in freudigem Glanze. Ein farbenreiches Gewimmel fremdartiger Geſtalten, Mönche und Minneſänger, heilige Frauen und Gottesſtreiter, bewegte ſich vor den entzückten Blicken; die Stauferkaiſer, deren Name kaum noch in Schwaben dem Volke bekannt war, erſchienen wieder als die ritterlichen Helden der Nation. Der Händler auf den Jahrmärkten, der die Löſchpapierausgaben alter Volksbücher für den kleinen Mann feil bot, ſetzte ſeine Waare jetzt zuweilen auch an gelehrte Herren ab. Die vornehmen Leute horchten auf, wenn die Magd den Kin - dern Märchen erzählte, und unter den Eingeweihten ging die Rede, daß209Einkehr in das deutſche Leben.in den Mythen des altgermaniſchen Heidenthums noch ein unerſchöpf - licher Schatz gemüthvollen Tiefſinns verborgen liege. Johannes Müller gab in ſeiner Schweizergeſchichte zum erſten male eine ausführliche Schilde - rung mittelalterlichen Lebens, die trotz ihrer geſchraubten und geſuchten Rhetorik doch tief und lebendig war und eine Menge neuer Geſichtspunkte aufſtellte; er war es auch, der zuerſt auf die heldenhafte Großheit des Nibelungenliedes hinwies. Im Jahre 1803 erſchien Tiecks Sammlung der deutſchen Minnelieder. Drei Jahre darauf ließ Schenkendorf ſeinen Hilferuf erſchallen gegen die Nützlichkeitsbarbaren, die ſich an dem alt - ehrwürdigen Hochmeiſterſchloſſe zu Marienburg vergreifen wollten; die viel - verſpottete Gothik wurde jetzt unter dem Namen der altdeutſchen Baukunſt geprieſen.

So begann von allen Seiten her die Einkehr in das deutſche Leben; ein großer Umſchwung kündigte ſich an, der bald nachher durch den Druck des fremden Joches, durch das Erwachen des Nationalhaſſes beſchleunigt wurde. Die äſthetiſche Freude am Alten und Volksthümlichen machte die Romantiker zu Gegnern der Revolution; ſie haßten den glattgewalzten Raſen der modernen Rechtsgleichheit, ſie haßten das Naturrecht, das die ſchöne Mannichfaltigkeit der hiſtoriſchen Erſcheinungen unter die Scheere ſeiner kahlen Regeln nahm, ſie verabſcheuten das neue Weltreich, das den Reichthum nationaler Staats - und Rechtsbildungen zu zerſtören drohte. Es geſchah zum erſten male in aller Geſchichte und konnte nur in einem ſo durchaus idealiſtiſchen Volke geſchehen, daß eine urſprünglich rein äſthe - tiſche Bewegung die politiſchen Anſchauungen verjüngte und umgeſtaltete. Für dies Geſchlecht war die Poeſie wirklich der Ocean, dem Alles ent - ſtrömte. Wenn Wiſſenſchaft, Glauben und Kunſt als die nothwendigen Gebilde des Volksgeiſtes verſtanden werden ſollten, ſo doch ſicherlich auch Recht und Staat; früher oder ſpäter mußte dieſer nothwendige Schluß gezogen und der Gedanke des nationalen Staates für die deutſche Wiſſen - ſchaft erobert werden. Die Verbindung zwiſchen Friedrich Gentz und der romantiſchen Schule beruhte auf dem Gefühle einer tiefen inneren Verwandtſchaft, und gradeswegs aus den geſchichtsphiloſophiſchen Ideen und Ahnungen der Romantiker iſt nachher die hiſtoriſche Staatslehre Nie - buhrs und Savignys hervorgegangen.

Ebenſo folgenreich wurde die Wiederbelebung des religiöſen Gefühls, die ſich in dem jungen Geſchlechte vorbereitete. Die claſſiſche Dichtung hielt ſich dem kirchlichen Leben fern; ſie wollte aus Religion keine der beſtehenden Religionen bekennen, obgleich ſie mit den ſittlichen Grund - gedanken des Proteſtantismus innig verwachſen war. Kant ſah in der Religion die Erkenntniß unſerer Pflichten als göttlicher Gebote, die Auf - nahme des Göttlichen in den Willen; ſeine erhabene Strenge wurde den Gefühlen des gläubigen Herzens, dem Drange der Erhebung und Er - gebung nicht völlig gerecht. Eben dieſe wunderbare Welt des Gefühles,Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 14210I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.der ahnenden Sehnſucht zog die Blicke der Romantiker unwiderſtehlich an. Während ihre Schwarmgeiſter an der ſinnlichen Schönheit des katholiſchen Cultus ſich berauſchten oder nach einer neuen äſthetiſchen Weltreligion ſuchten, ſtand der junge Schleiermacher feſt auf dem Boden des Pro - teſtantismus. Sein Geiſt war zu ſehr auf die Welt des Handelns ge - richtet um, gleich den Weimariſchen Poeten, die Wirklichkeit über dem heiteren Spiele der Kunſt zu vergeſſen, und doch zu künſtleriſch um bei der unerbittlichen allgemeinen Regel des kategoriſchen Imperativs ſich zu beruhigen. Die Perſönlichkeit, die ihre Eigenart frei entfaltet und zugleich den großen objectiven Ordnungen des Staates und der Geſellſchaft ſich mit Bewußtſein einfügt, war ihm die individuelle Form des allgemeinen Sittengeſetzes. In ſeinen Reden über die Religion hielt er ihren ge - bildeten Verächtern die Mahnung entgegen: die Religion haßt die Ein - ſamkeit und zeigte, wie ſie ihre Wurzeln im Gefühle habe, wie ſie ein urſprüngliches, allem Handeln und aller Lehre vorangehendes Leben ſei, eine ſittliche Macht, wirkſam in allen Menſchen; nur durch ſie könne der Menſch mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig ſein in jedem Augenblicke. Und mit einem patriotiſchen Stolze, der ſchon die Stimmungen ſpäterer Jahre voraus nahm, wies er auf die unbezwingliche Macht der Heimath des Proteſtantismus: denn Deutſch - land iſt immer noch da, und ſeine unſichtbare Kraft iſt ungeſchwächt. Wie er die philoſophiſche Selbſtgenügſamkeit zum religiöſen Gemeinleben heranrief, ſo wollte er ſie auch die Würde des Staates erkennen lehren: der Staat iſt das ſchönſte Kunſtwerk der Menſchheit, giebt dem Einzelnen erſt den höchſten Grad des Lebens, ſein Zwang darf alſo nicht als läſtige Beſchränkung empfunden werden.

Zu verwandten Anſchauungen gelangte auch jener geſtrenge ſteif - nackige Denker, dem Schleiermachers Gemüthsreichthum als weibiſche Schwäche erſchien; denn nur unter beſtändigen Kämpfen trotziger, eigen - richtiger Perſönlichkeiten vollendete ſich die literariſche Bewegung, die uns Rückſchauenden heute ſo einfach, ſo nothwendig erſcheint. Mit Fichtes Philoſophie ſprach der transcendentale Idealismus ſein letztes Wort. Er beſtritt der Welt der Erfahrung kurzweg jede Realität: nur weil das ſitt - liche Handeln eine Bühne fordere, nur deßhalb ſei der Geiſt gezwungen eine Außenwelt aus ſich herauszuſchauen und als wirklich anzunehmen. Auch in ſeinen politiſchen Schriften ſchien der verwegene Mann alle Schranken der hiſtoriſchen Wirklichkeit zu mißachten. Das Ideal des Zeit - alters, den ewigen Frieden, wollte er verwirklichen durch die völlige Auf - hebung des Welthandels, dergeſtalt daß die geſchloſſenen Handelsſtaaten nur noch durch den Austauſch wiſſenſchaftlicher Gedanken mit einander verkehrten; und in ſeinen Reden über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters rühmte er geradezu als das Vorrecht des ſonnenverwandten Geiſtes, daß er ſich von der Scholle löſe und als ein Weltbürger ſein211Literariſcher Nationalſtolz.Vaterland da finde wo Licht iſt und Recht . Und doch redete ſchon aus dieſen Vorträgen ein thatenfroher Sinn, der über die Welt der Theorie hinausſtrebte. Jeder Satz predigte den ſtrengen Dienſt der Pflicht; es giebt nur eine Tugend: ſich ſelbſt als Perſon zu vergeſſen, und nur ein Laſter: an ſich ſelbſt zu denken. Der alſo ſprach, wußte ſelber noch nicht recht, daß er in ſeinen herben Mahnungen an die ſchlaffe Zeit die mannhaften Tugenden des alten Preußens verherrlichte. Nur als eine kühne Ahnung warf er den Gedanken hin, der mit ſeinen weltbürgerlichen Träumen in ſchneidendem Widerſpruche ſtand: am letzten Ende ſei doch der Staat der Träger aller Cultur und darum berechtigt jede Kraft des Einzelnen für ſich in Anſpruch zu nehmen.

Alſo bereitete ſich im Schooße der Literatur ſelber eine neue politiſche Bildung vor. Wer die unheimlichen Widerſprüche der deutſchen Zuſtände nur flüchtig betrachtete ſolche Blüthe des geiſtigen und ſolchen Jammer des politiſchen Lebens dicht neben einander der mochte ſich wohl an jene Zeiten des makedoniſchen Philippos gemahnt fühlen, da die Thebaner auf dem Grabe griechiſcher Freiheit, auf dem Schlachtfelde von Chaironeia das herrliche Löwendenkmal errichteten und Lykurgos das beſiegte Athen mit ſeinen Prachtbauten ſchmückte: ganz ſo unſicher wie einſt Hellas zwiſchen Perſien und Makedonien ſtand das gedankenſchwere Deutſchland zwiſchen Oeſterreich und Frankreich. In Wahrheit lagen die deutſchen Dinge keineswegs ſo hoffnungslos. Der trübſelige Spruch, daß die Eule der Minerva erſt in der Dämmerung ihren Flug beginne, gilt für Hellas, nicht für Deutſchland. Unſere claſſiſche Literatur war nicht das Aus - klingen einer alten Geſittung, ſondern der vielverheißende Anfang einer neuen Entwicklung. Hier faßte kein Ariſtoteles die letzten Ergebniſſe einer Cultur, die zu Grabe ging, in einem großen Gedankenſyſteme zuſammen, ſondern ein junges, in allen ſeinen Verirrungen lebensfrohes und zukunfts - ſicheres Geſchlecht überraſchte die Welt mit immer neuen Entdeckungen. Keinen Augenblick iſt den geiſtigen Führern der Nation der Glaube an Deutſchlands große Beſtimmung abhanden gekommen. Trotz ihrer elenden Verfaſſung, ſagte A. W. Schlegel, und trotz ihrer Niederlagen bleiben die Deutſchen doch die Rettung Europas. Im ſelben Sinne ſchrieb Novalis: während andere Völker in Parteikämpfen oder in der Jagd nach dem Gelde ihre Kraft vergeudeten, bilde ſich der Deutſche mit allem Fleiße zum Zeitgenoſſen einer höheren Epoche der Cultur und werde im Laufe der Zeit ein großes Uebergewicht über die anderen erlangen. Selbſt der ſchwermüthige Hölderlin, dem die Ohnmacht der thatenarmen und ge - dankenvollen Deutſchen am Herzen fraß, rief doch in freudiger Ahnung:

Oder kommt, wie der Blitz aus dem Gewölke kommt,
Aus Gedanken die That? Leben die Bücher bald?

Die Geſinnung der Knechte iſt dieſem Geſchlechte von Dichtern und Denkern immer fremd geblieben. Wohl ſendete auch Deutſchland ſeine14*212I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Pilger zu dem großen Fremdenzuge, der während des Conſulats und der erſten Jahre des Kaiſerreichs von allen Enden Europas nach Paris ſtrömte. Die erſten Kunſtſchätze der Erde lagen dort aufgeſpeichert wie einſt im kaiſerlichen Rom, und wieder wie in den Tagen des Auguſtus verſammelte ſich ein weltbürgerliches Publikum, das mit feinem Urtheil aus dem Schönen das Schönſte herausfand; erſt in der Weltgalerie des Louvre iſt die überwältigende Größe Rafaels erkannt worden. Den deut - ſchen Schöngeiſtern ward es in den heimiſchen Kleinſtädten zu eng, ſie eilten nach der Seine und berauſchten ſich an den edlen wie an den ge - meinen Freuden der Hauptſtadt der Welt. Aber mitten in dem ſinn - berückenden Glanze blieb ihnen das Gefühl der eigenen Ueberlegenheit; ſie vergaßen es nicht, daß die Franzoſen an dieſer zuſammengeraubten Herrlichkeit gar kein Verdienſt hatten, ſondern ſoeben erſt, durch die Werke Laplaces, langſam begannen aus der Barbarei wieder zur Cultur emporzu - ſteigen. Während Friedrich Schlegel die Schildkrötenſuppen und die nackten Actricen der neuen Babylon bewundert, ſchreibt er zugleich: Paris hat den einzigen Fehler, daß ziemlich viel Franzoſen dort ſind , und ſeine Dorothea fügt hinzu: wie dumm die Franzoſen ſind, das iſt ganz unglaublich. Schöner als dieſe ſpottluſtigen Weltkinder hat Schiller den Nationalſtolz ſeines Denkervolkes ausgeſprochen. Er wußte, daß die Siege Kants und Goethes ſchwerer wogen als die Lorbeeren von Marengo, daß die Deutſchen noch immer ein Recht hatten ihre prahleriſchen Nachbarn an die ewigen Güter der Menſchheit zu erinnern, und ſagte über das Pantheon der Pariſer Plünderer ſtolz und groß:

Der allein beſitzt die Muſen,
Der ſie hegt im warmen Buſen;
Dem Vandalen ſind ſie Stein!

Dahin war es nun ſchon gekommen, daß nur noch ein Bund der vier großen Mächte das übermächtige Frankreich in ſeine Schranken zurück - weiſen konnte. Aber Oeſterreich hatte die Schläge der letzten Kriege noch nicht verwunden. Der junge Czar begann zwar ſeit dem Frühjahr 1803 ernſtlich beſorgt zu werden über die Unerſättlichkeit der napoleoniſchen Politik, die er in den deutſchen Entſchädigungshändeln genugſam kennen gelernt, doch ſeine knabenhafte Unſicherheit fand noch keinen feſten Ent - ſchluß. Preußen bemühte ſich ängſtlich das Gleichgewicht zu behaupten zwiſchen den gefürchteten beiden Koloſſen des Oſtens und des Weſtens, Rußlands Freundſchaft zu bewahren ohne Frankreich zu verletzen. Nur in der glücklichen Sicherheit des britiſchen Inſelreichs fühlte man ſich ſtark genug den Dingen ins Geſicht zu ſehen. Der Friede von Amiens, der den Krieg zwiſchen den beiden Todfeinden abgeſchloſſen hatte, erwies ſich ſofort als ein unſicherer Waffenſtillſtand: in Italien, in Holland, in der213Wiederausbruch des engliſch-franzöſiſchen Krieges.Schweiz, in Deutſchland, überall drang der erſte Conſul herriſch vor, ohne jede Rückſicht auf die Verträge. Schwerer als all dies wog in den Augen des Handelsvolks die Verletzung der wirthſchaftlichen Intereſſen der Inſel: die Nation fühlte ſich in den Grundfeſten ihrer Macht bedroht, als Frankreich, Spanien, Italien und Holland durch Bonaparte den engliſchen Waaren verſchloſſen wurden. In voller Uebereinſtimmung mit ſeinem Volke weigerte ſich der Hof von St. James, Malta zu räumen ſo lange Holland und die Schweiz von franzöſiſchen Truppen beſetzt ſeien. Bona - parte hatte unterdeſſen längſt beſchloſſen den Krieg mit dem unangreif - baren Feinde wieder aufzunehmen. Schon im März 1803, lange bevor der Bruch zwiſchen den beiden Weſtmächten erfolgte, ſendete er ſeinen Vertrauten Duroc nach Berlin mit der Anzeige, daß er ſich genöthigt ſehe Hannover in Beſchlag zu nehmen. Da er Englands Seemacht nicht bewältigen konnte, dachte er durch die Beſetzung von Tarent und Hannover dem britiſchen Handel die Abſatzwege nach Italien und dem deutſchen Norden zu ſperren.

So war der letzte und einzige Stolz der preußiſchen Politik, die Neutralität Norddeutſchlands in Frage geſtellt. Um den gleichen Schlag vom deutſchen Reiche abzuwenden hatte einſt Friedrich den Weſtminſter - Vertrag geſchloſſen, die Gefahren des ſiebenjährigen Krieges auf ſich ge - nommen, und dies in Zeiten, da das linke Rheinufer noch deutſch, die Macht Frankreichs bei Weitem weniger furchtbar war. Selbſt Graf Haugwitz rieth dringend durch einen entſchloſſenen Einmarſch dem erſten Conſul zuvorzukommen. Die Lage war freilich keineswegs einfach. In Wien ſah man die Verlegenheiten Preußens mit offenbarer Genugthuung, ein Hilfegeſuch der hannoverſchen Regierung wurde kurz abgewieſen, von den Pflichten des Reichsoberhauptes war keine Rede mehr. England that gar nichts um das Stammland ſeiner Könige, die Pflanzſchule ſeiner beſten Soldaten vor einem Ueberfalle zu ſichern. In Hannover ſelbſt war die Occupation, welche Preußen vor zwei Jahren zum Beſten des Landes gewagt, ſehr übel aufgenommen worden; ſtatt der freundnachbar - lichen Geſinnung der fridericianiſchen Zeiten herrſchten Verſtimmung und Mißtrauen. Doch was wogen dieſe Bedenken gegenüber dem drängenden Gebote der Ehre und der Selbſtbehauptung? Der letzte Reſt des preu - ßiſchen Anſehens fiel dahin, wenn franzöſiſche Truppen ungehindert mitten - hinein zwiſchen die öſtlichen und die weſtlichen Provinzen, bis dicht vor die Wälle der Hauptfeſtung Magdeburg drangen. Aus Bonapartes ſpäteren Aeußerungen geht mit Sicherheit hervor, daß ein rechtzeitiger kräftiger Ent - ſchluß des Berliner Hofes in jenem Augenblicke den Krieg mit Frankreich nicht herbeigeführt hätte. Der erſte Conſul lebte und webte damals in den grandioſen Plänen der Eroberung Englands. Er verſammelte ſein Heer an der Küſte von Boulogne, und dort in der ſtrengen militäriſchen Schule eines zweijährigen Uebungslagers brachte er die techniſche Aus -214I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.bildung ſeiner großen Armee zur Vollendung. Im Volke wallte der Nationalhaß des fünfzehnten Jahrhunderts wieder auf; eine Transport - flotte, durch freiwillige Beiträge der Nation erheblich verſtärkt, lag bereit das Heer an die feindliche Küſte zu führen. Wenn es nur gelang zwölf Stunden lang den Canal zu beherrſchen, dann mußte die Landung gewagt werden, und dann wird England nicht mehr ſein , ſagen Bonapartes Briefe; die Unabhängigkeit Irlands und die Zerſtörung des britiſchen Reichthums ſollten die Macht des Inſelreichs für immer vernichten. In ſolchen Träumen verloren konnte Bonaparte für jetzt einen Bruch mit Preußen nicht wünſchen.

König Friedrich Wilhelm wollte, getreu dem leitenden Gedanken ſeiner auswärtigen Politik, das Wagniß nur unternehmen, wenn er ſich im Rücken durch Rußland gedeckt wußte. Er ließ, nachdem er in Paris und London ſchüchtern zur Erhaltung des Friedens gemahnt hatte, bei dem Czaren anfragen, ob Preußen auf Rußlands Hilfe rechnen könne. In Petersburg aber gab die blinde Preußenfeindſchaft des hannoverſchen Junkerthums den Ausſchlag. Der engliſch-hannoverſche Geſandte am ruſſiſchen Hofe, Graf Münſter theilte den unauslöſchlichen Haß der eng - liſchen Hochtorys gegen den Erben der Revolution, aber auch den tiefen Widerwillen des hannoverſchen Adels gegen die Rechtsgleichheit und das ſchlichte, bürgerlich ſoldatiſche Weſen des preußiſchen Staates: in Preu - ßens Anerbieten ſah er nur eine Falle, nur einen feindſeligen Anſchlag gegen die Unabhängigkeit Hannovers. Auf Münſters Rath ertheilte Czar Alexander ſeinem königlichen Freunde eine ablehnende Antwort. Und da überdies England ſich weigerte, zu Gunſten der preußiſchen Flagge ſeine harten Schifffahrtsgeſetze zu mildern, ſo wurde die hannoverſche Regierung, als ſie endlich eigenmächtig in der elften Stunde um Preußens Hilfe bat, abſchlägig beſchieden.

Mitten im Frieden des Reichs rückte das Armeecorps Mortiers un - geſtört in das Reichsland Hannover ein, das nach Völkerrecht mit dem engliſch-franzöſiſchen Kriege nichts gemein hatte. Die Unfähigkeit der alten Staatsgewalten bereitete den bonapartiſchen Heerſchaaren abermals ein leichtes Spiel. Das treue Volk haßte den Franzoſen als den Erb - feind, noch von den Siegen Ferdinands von Braunſchweig her, und war gern bereit den alten niederſächſiſchen Schlachtenmuth wieder an dem Franzmann zu erproben, wenn hei nich ruhig ſin kann . Aber das feige Adelsregiment in Hannover gab den Truppen den Befehl, keine Ombrage zu erregen , und überlieferte, ohne jeden Verſuch ernſten Wider - ſtandes, durch den Vertrag von Suhlingen das ganze Land dem feind - lichen Heerführer. Zum zweiten male binnen fünfzig Jahren ward die tapfere hannoverſche Armee durch eine ehrloſe Politik zur Capitulation gezwungen. Und diesmal folgte nicht, wie einſt auf den Tag von Kloſter Zeven, ein rettendes Eingreifen der britiſchen Regierung: England ließ die215Beſetzung von Hannover.Franzoſen gewähren. Am 4. Juni 1803 zogen die franzöſiſchen Truppen, zur Feier des Geburtstages Georgs III., in die Stadt Hannover ein. Mortier ſperrte die Elbe und Weſer, erhob Contributionen im Gebiete der Hanſeſtädte. Zwei Jahre lang währte die Beſetzung und Ausſaugung des hannoverſchen Landes; Bonaparte gab eigenhändig Anweiſungen, wie der königliche Marſtall nach Paris geſchafft, die Forſten zum Beſten der fran - zöſiſchen Flotte verwüſtet werden ſollten. Eine zweite noch ſchimpflichere Capitulation führte ſodann zur Entwaffnung der kleinen Armee. Den Tod im Herzen, fluchend auf die Hundsvötter von der Regierung und den Land - ſtänden, ließen die verrathenen Soldaten die Schande über ſich ergehen. Hunderte entkamen einzeln an Bord engliſcher Schiffe und traten in die deutſche Legion des Königs von Großbritannien. Jedermann im Lande unterſtützte die Flüchtigen und half ihnen weiter; das Volk hielt zuſammen wie in einer großen Verſchwörung. Die unglücklichen Capitulanten von Suhlingen bildeten den Kern jener glorreichen Regimenter, welche nachher in Spanien den Kampf gegen Frankreich wieder aufnahmen und das ſtolze Peninsula auf ihre Fahnen ſchrieben. So unverwüſtlich dauerte die alte Treue im deutſchen Volke; nur der große Wille fehlte, der ſolche herrliche Kräfte würdig zu benutzen verſtand.

Als es zu ſpät war erkannte Czar Alexander den begangenen Fehler. Das Berliner Cabinet aber bemühte ſich in vergeblichen Unterhandlungen den erſten Conſul zur Räumung des hannoverſchen Landes zu bewegen. Die holden Täuſchungen, welche der leichtgläubige Lombard von einer Unter - redung mit Bonaparte aus Brüſſel heimbrachte, verflogen ſchnell. Bald erfuhr man, daß Frankreich die preußiſche Allianz verlangte, ohne irgend eine ernſte Gegenleiſtung zu verſprechen. Der König fühlte, daß er einen ſolchen Schritt vor ſeinem Lande nicht verantworten könne, und wendete ſich wieder an Rußland um ſeinen Staat aus einer unerträglichen Preſſung zu befreien. Es war ſein Verdienſt, daß am 4. Mai 1804 Preußen und Rußland ſich zu gegenſeitiger Hilfe verpflichteten, falls Bonaparte noch in andere deutſche Reichslande übergreifen ſollte. Aber zugleich unterhandelte man mit Frankreich, erhielt die unbeſtimmte Zuſage, daß die franzöſiſchen Truppen nicht über die hannoverſchen Grenzen hinausſchreiten würden, und verbürgte ſich für die Neutralität Norddeutſchlands. Noch immer fehlte es in Berlin nicht an guten Einfällen und Abſichten. Man ließ in Weimar wegen einer Erneuerung des Fürſtenbundes anfragen, und Hardenberg, der ſeit April 1804 dem Miniſterium angehörte, ſprach bereits die Idee aus, welche nachher in der zweiten Hälfte ſeines öffentlichen Lebens den Grundgedanken ſeiner deutſchen Politik gebildet hat: den Plan, ganz Deutſchland zu einem Staatenbunde unter der gemeinſamen Führung Oeſterreichs und Preußens zu vereinigen. Doch jedem guten Einfall brach die friedensſelige Aengſtlichkeit des Cabinets die Spitze ab. Alle preußiſchen Staatsmänner ſchmeichelten ſich mit dem Wahne, der durch216I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die Erfahrungen der jüngſten fünfzehn Jahre beſtätigt zu werden ſchien: als ob der Staat durch friedliche Verhandlungen einen Gewinn, eine Verſtärkung ſeines unhaltbaren Beſitzſtandes erlangen könne. Auch der gewandte neue Miniſter des Auswärtigen war noch weit entfernt von der Einſicht, daß allein ein europäiſcher Bund gegen Frankreich die Rettung bringen konnte, ſondern erhoffte von Frankreichs Freundſchaft eine Ver - größerung des preußiſchen Gebiets.

Indeſſen mußte das heilige Reich den Becher der Schande bis zur Hefe leeren. Als Bonaparte den Herzog von Enghien auf badiſchem Ge - biete aufheben und zum Tode führen ließ, da wagten in Regensburg nur die fremden Mächte Rußland, Schweden und England Genugthuung zu fordern für die frevelhafte Verletzung des Reichsfriedens. Baden dagegen erſuchte, auf Napoleons Befehl, inſtändig, die peinliche Angelegenheit nicht zu verfolgen, die übrigen Geſandten aber traten vor der Zeit ihre Ferien an, ſchnitten durch die Flucht jede weitere Verhandlung ab. Im Mai 1804 wurde das napoleoniſche Kaiſerthum gegründet; und es lag vor Augen: die Krone, womit dieſer Uſurpator unter dem Segen des Papſtes ſeinen Scheitel ſchmückte, war das Diadem der Caeſaren und der Karolinger. Das römiſche Kaiſerthum ging von den Habsburg-Lothringern auf die Napoleons über. Unverhohlen ſprach der Gewaltige ſchon von dem Kaiſer - thum des Abendlandes; alle die altrömiſchen Erinnerungen, die in der galliſchen Miſchcultur ſich erhalten hatten, rief er wach; die Adler des kaiſerlichen Roms prangten auf den Feldzeichen ſeiner Legionen. Und ſchon fragte er drohend in ſeinen Briefen: ob wohl Oeſterreich oder Rußland die Narrheit begehen würden die Fahne der Empörung zu erheben?

Vergeblich beſchwor Gentz den Wiener Hof: die Anerkennung dieſer angemaßten Krone werde den Unerſättlichen, der nur groß ſei durch die Kleinheit ſeiner Knechte, zu neuen Uebergriffen ermuthigen. Der geiſtvolle Anwalt der alten Staatengeſellſchaft erfand bereits die vieldeutige Formel, welche nachher den Höfen bei der Bekämpfung des Bonapartismus zur Richtſchnur gedient hat; es gelte, ſo ſchrieb er, das hiſtoriſche Recht zu behaupten gegen das Recht der Empörung, gegen die Idee der Volks - ſouveränität. Die ermüdete öſterreichiſche Politik blieb für ſolche Ideen vorderhand noch ganz unempfänglich. Die Krone Karls des Großen war ihrem rechtmäßigen Träger längſt verleidet, zumal da das Haus Lothringen auf die Stimmen der Kurfürſten nicht mehr ſicher rechnen konnte. Kaiſer Franz benutzte alſo die Aufrichtung der napoleoniſchen Monarchie um den hohen Rang ſeines Hauſes für alle Zukunft ſicher zu ſtellen. Mit Zuſtimmung Napoleons nahm er den Namen eines Kaiſers von Oeſter - reich an, und zum Danke erhielt der Uſurpator die Anerkennung des alten Kaiſerhauſes. So wurde das Kaiſerthum Oeſterreich, das in Wahr - heit ſchon ſeit Leopold I. beſtand, förmlich begründet; die Hauspolitik der Habsburg-Lothringer, die ſeit drei Jahrhunderten allein auf die Wahrung217Napoleoniſches Kaiſerthum.ihrer Erblande bedacht geweſen, erreichte ihr natürliches Ziel. Die Titel des römiſchen Kaiſers behielt der Wiener Hof vorläufig noch bei, doch unmöglich konnte er ſein bizarres Doppelkaiſerthum, wie Talleyrand es ſpottend nannte, auf die Dauer behaupten. Ueber lang oder kurz mußte der jedes Sinnes entkleidete altheilige Name verſchwinden; die Macht der karolingiſchen Kaiſerkrone lag in Napoleons Händen.

In Berlin begrüßte man das bonapartiſche Kaiſerthum als eine neue Bürgſchaft für die bürgerliche Ordnung Frankreichs und ſäumte nicht die Anerkennung auszuſprechen; aber von der norddeutſchen Kaiſerkrone, welche Napoleons Diplomaten in unbeſtimmten Andeutungen darboten, wollte Friedrich Wilhelms beſcheidener Sinn nichts hören. Die kleinen Reichs - ſtände, die guten wie die ſchlechten, Baden und Heſſen-Rothenburg, Fürſten - berg und Leiningen, Bremen und Augsburg ſendeten dem gekrönten Plebejer unterwürfige Glückwunſchſchreiben, deren byzantiniſche Niedertracht ſelbſt die Schmeicheleien der Franzoſen in Schatten ſtellte. Sie unterzeichneten ſich als Seiner Majeſtät allerunterthänigſte und allergehorſamſte Diener, feierten den Hort und Beſchützer der deutſchen Verfaſſung, den Helden und Friedensbringer, zu deſſen glänzendem und wohlthätigem Genie der Welttheil in ſtummer Bewunderung aufblicke, ſchilderten beweglich, mit welcher Freude alle deutſchen Herzen dieſen neuen Caeſar empfingen, der ihrem erſten Kaiſer Karl ſo ähnlich ſei, dankten inbrünſtig für die bei den deutſchen Entſchädigungshändeln empfangenen Wohlthaten und empfahlen ſich ſchließlich zu huldvoller Berückſichtigung für den Fall einer neuen Ländervertheilung.

Um das Maß der deutſchen Entwürdigung zu füllen hielt Napoleon im Herbſt 1804 eine Rundreiſe durch die neugewonnenen rheiniſchen Lande. In der alten Kaiſerſtadt Aachen übergab ihm der Geſandte des Kaiſers Franz ſein neues Beglaubigungsſchreiben; aufrichtiger Jubel des Volks empfing den Friedensfürſten in allen rheiniſchen Städten. Dann hielt er in Mainz ſeinen prunkenden Hoftag, in denſelben Räumen, wo zwölf Jahre zuvor das alte Reich ſeine letzten Feſte gefeiert hatte. Die Fürſten des Südens und des Weſtens eilten herbei dem Nachfolger Karls des Großen ihre Huldigungen darzubringen. Alles ſchwelgte in karo - lingiſchen Erinnerungen; ſchon beſprach man die Pläne für einen zweiten rheiniſchen Bund. Aber im einſamen Zimmer fiel der redliche alte Karl Friedrich von Baden dem Erzkanzler Dalberg ſchluchzend in die Arme und bejammerte den Untergang ſeines Vaterlandes. Was hatte dieſer Fremdling gemein mit dem alten königlichen Bauersmanne der Germanen, der Nachts die Reben des rheiniſchen Winzers ſegnet? was wußte er von jenem Zauberringe der Faſtrade, der einſt den deutſchen Karl zum deutſchen Strome zog? Eine harte, mißtrauiſche Fremdherrſchaft laſtete auf Deutſchland noch bevor ſeine Fürſten ſich dem Imperator förmlich unterworfen hatten. Ueberall im Reiche hielt Napoleon ſeine Späher;218I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.zehn Spione, ſo ſchrieb er, genügen kaum für eine Stadt wie Hamburg. Niemand war ſicher vor den Griffen ſeiner Polizei. Der in Hamburg von den Franzoſen aufgegriffene engliſche Agent Rumbold wurde zwar auf die Verwendung des Königs von Preußen wieder freigegeben; doch Napoleons Vertraute wußten, ihr Herr würde dem Hohenzollern dieſe Auflehnung gedenken.

Während die deutſchen Mächte die neue Kaiſerkrone anerkannten, herrſchte am Petersburger Hofe eine erregte kriegeriſche Stimmung. Der junge Czar hatte ſeit der Ermordung des Herzogs von Enghien gänzlich mit Frankreich gebrochen; er erſah dann aus Napoleons herausfordernden Er - widerungen, daß dieſer einen neuen Feſtlandskrieg wünſchte, begann Ver - handlungen in Wien und London und erging ſich bereits in dem ſchwärme - riſchen Traume einer großen Völkerbefreiung, den er acht Jahre ſpäter wieder aufnahm. Er wollte ſich ſchlagen für die Freiheit Europas, nicht Frankreich bekämpfen, ſondern die Perſon des Uſurpators, die wiederher - geſtellten alten Staaten durch freiſinnige Verfaſſungen beglücken, das befriedete Europa zu einem dauernden heiligen Völkerbunde vereinen. Nach langem Zaudern kam Oeſterreich dem Drängen Alexanders um einen Schritt entgegen und ſchloß im December 1804 ein Vertheidigungs - bündniß mit Rußland für den Fall, daß Napoleon in Italien weiter um ſich griffe.

Wenn die preußiſche Politik die Zeichen der Zeit verſtand, ſo mußte ſie den kriegeriſchen Eifer Alexanders zugleich zu benutzen und zu zügeln ſuchen. Nicht ein unzeitiger Krieg konnte die Freiheit des Welttheils retten, ſondern allein eine wohlvorbereitete, im rechten Augenblicke gleich - zeitig gewagte Schilderhebung der drei Oſtmächte. Napoleons Gedanken verweilten noch immer bei ſeiner armée navale und dem Plane der Landung in England. Er brannte vor Begier ſechs Jahrhunderte der Schmach und der Beleidigung zu rächen: iſt dies größte aller Ziele erreicht, ſo fällt alles Uebrige von ſelbſt! Mit Abſicht reiſte er im Sommer 1805 lange in Italien, um die Augen der Welt von den Küſten des Canals hinwegzulenken und dann urplötzlich in Boulogne zu erſcheinen, das große Ereigniß, dem ganz Europa entgegenzittert , zu vollenden.

Die Klugheit gebot, den wahrſcheinlichen Mißerfolg dieſer abenteuer - lichen Pläne abzuwarten und unterdeſſen in der Stille für den Feſtlandskrieg zu rüſten; waren doch Oeſterreichs Heer und Haushalt in ſo kläglichem Zu - ſtande, daß der bedeutendſte Mann der kaiſerlichen Armee, Erzherzog Karl dringend zum Frieden mahnte. Eine Verſöhnung zwiſchen den Höfen von Berlin und Wien ſchien jetzt nicht mehr unmöglich. Erzherzog Johann und der patriotiſche Kreis, der ſich um ihn ſchaarte, vertraten längſt die Anſicht, daß man ohne Preußen nichts ausrichten könne; auch Gentz, der ſich in ſeinem Haſſe gegen die Revolution mehr und mehr verbitterte und bereits alle Sünden der neuen Geſchichte auf den Proteſtantismus zurückführte,219Dritte Coalition.blieb doch Staatsmann genug um die Verſtändigung mit Preußen zu fordern. Wie tief ſich auch das Mißtrauen gegen den nordiſchen Neben - buhler eingefreſſen hatte, die Unentbehrlichkeit der preußiſchen Waffenhilfe konnte man in der Hofburg nicht ganz verkennen; im Verlaufe der ge - heimen Verhandlungen von 1805 ließ Oeſterreich einmal alles Ernſtes in Berlin eine Neugeſtaltung der deutſchen Verfaſſung vorſchlagen alſo daß der Norden unter Preußens, der Süden unter Oeſterreichs Ober - hoheit käme. Aber am preußiſchen Hofe überwog noch immer der landes - väterliche Wunſch nach geſicherter Ruhe; man hoffte den Frieden auf dem Feſtlande zu erhalten, wo nicht, die Neutralität Norddeutſchlands zu be - haupten. Selbſt Hardenberg erging ſich noch in optimiſtiſchen Träumen; er fand, die Macht Frankreichs werde allgemein überſchätzt, und wollte die Hände frei behalten um nöthigenfalls ſelbſt durch ein franzöſiſches Bünd - niß die nothwendige Verſtärkung der Monarchie, vor Allem die Einver - leibung Hannovers, zu erreichen. Es war ſein Werk, daß Preußen auf die Anfragen der beiden Kaiſerhöfe gar keine beruhigende Zuſage gab.

So überließ ſich denn der junge Czar, durch keinen überlegenen Willen gebändigt, haltlos den Einfällen ſeines unruhigen Kopfes. Dem großen Staatsmanne, der ſeit zehn Jahren faſt ununterbrochen den zähen Kampf Englands gegen Frankreich leitete, fehlte, wie allen britiſchen Diplomaten, die gründliche Kenntniß feſtländiſcher Verhältniſſe. Unbedacht ging William Pitt auf die verworrenen Pläne Alexanders ein; ſchon im April 1805 wurde das geheime Kriegsbündniß zwiſchen Rußland und England ab - geſchloſſen. Unterdeſſen ſetzte ſich Napoleon die italieniſche Königskrone auf das Haupt und ſchrieb dem Czaren wie zum Hohne: nur der Wunſch der italieniſchen Nation nöthige ihn dies Opfer ſeiner Größe zu bringen. Dann wurde die liguriſche Republik dem Kaiſerreiche einverleibt und da - durch auch das zaudernde Oeſterreich in das Lager der dritten Coalition hinübergedrängt. Gewaltige, weitausſehende Entwürfe beſchäftigten die verbündeten Höfe: man wollte Frankreichs Grenzen bis zum Rhein und zur Moſel zurückſchieben, für Deutſchland, Holland und die Schweiz die volle Unabhängigkeit wiedergewinnen, die Kronen von Frankreich und Italien für immer trennen; man hoffte, ganz im Sinne der alten engliſch - niederländiſchen Barrierenpolitik, die ausgreifende Macht des franzöſiſchen Staats durch die Verſtärkung von Holland, Piemont und der Schweiz zu bändigen. Für Preußen war, wenn es noch beitrat, das oraniſche Fulda und das niederrheiniſche Land von der Moſel bis zur niederländiſchen Grenze in Ausſicht genommen. Ein allgemeiner Congreß ſollte nach dem Siege die neue Ländervertheilung ordnen; ſelbſt die Entthronung des Corſen hielt man nicht für unerreichbar. Aber zu ſo kühnen Abſichten ſtanden die langſamen, ſchwächlichen Rüſtungen in einem ſchreienden Miß - verhältniß. So gefährlich die zweite Coalition von 1799 für Frankreich geweſen, ebenſo leichtſinnig und ausſichtslos war die dritte.

220I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Unter den zahlreichen Mißgriffen der ungeduldig dahinſtürmenden ruſſiſchen Politik rächte ſich keine ſo ſchwer, wie die übermüthige Gering - ſchätzung gegen Preußen. Der zu Memel geſchloſſene Freundſchaftsbund wurde jetzt zum erſten male geſtört durch die polniſchen Pläne des Czaren, die ſeitdem für das gute Einvernehmen der beiden Nachbarmächte noch auf lange hinaus bedrohlich blieben. Erzogen in den Anſchauungen der modiſchen Aufklärung hatte Alexander von früh auf, wie ſein Lehrer Laharpe, die Theilung Polens mit dem Blicke des franzöſiſchen Philo - ſophen betrachtet. Er ſah in der furchtbaren Kataſtrophe nicht eine un - erbittliche hiſtoriſche Nothwendigkeit, ſondern eine ſchlechthin bejammerns - werthe Gewaltthat, die Rechtfertigung aller Gräuel der Revolution. Der Gedanke, dieſe blutbefleckte Erbſchaft aus den Händen ſeiner Großmutter empfangen zu müſſen, laſtete ſchwer auf ſeinem ſchwachen Gemüthe. In ſolcher Stimmung lernte er noch als Großfürſt den Prinzen Adam Czar - toryski kennen, den Sohn jenes alten Fürſten, den eine polniſche Adels - partei als ihren König Adam I. feierte. Unwiderſtehlich trat der gewandte Pole dem Czarenſohne entgegen, geiſtreich, hochgebildet, an Jahren und Welterfahrung dem Großfürſten überlegen, ein Meiſter in den Künſten ſarmatiſcher Schmeichelei und Schmiegſamkeit; den Fremden erſchien er gleich einem irrenden Ritter, der ſein verlorenes Vaterland ſucht, verklärt und geadelt durch einen Hauch patriotiſcher Schwermuth. Viele Jahre lang haben die beiden Freunde nunmehr ſelbander tief geheime Entwürfe geſchmiedet, wie die Unthat Katharinas zu ſühnen und Polen wieder her - zuſtellen ſei. In Alexanders Geiſte lag die Berechnung dicht neben der Gefühlsſeligkeit, ſeine menſchenfreundlichen Abſichten ſtimmten ſtets genau mit ſeinem perſönlichen Vortheil überein; wenn er von der Befreiung Polens träumte, ſo ſah er bereits die Krone der Jagiellonen auf ſeinem eigenen Haupte glänzen.

Czartoryski verfolgte ſeine ſarmatiſchen Pläne mit einer Dreiſtigkeit, die jedem Ruſſen als Landesverrath erſcheinen mußte, und mißbrauchte ſein Amt als Curator der Univerſität Wilna um die polniſch-katholiſche Bildung, den Todhaß wider die Ruſſen zu pflegen. Jetzt, da ihm die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten anvertraut wurde, begrüßte er den Krieg der Coalition als ein willkommenes Mittel um Preußen auf Napoleons Seite hinüberzudrängen und dann den gehaßten Nachbarſtaat ſeiner polniſchen Provinzen zu berauben. Man wußte, daß die polniſchen Patrioten noch immer hoffnungsvoll auf ihren alten Bundesgenoſſen Frankreich blickten. Jahrelang hatte eine polniſche Legion unter dem Banner der Tricolore gefochten; Napoleon überlegte bereits, wie ſich dies unglückliche Volk als eine Waffe gegen die Oſtmächte gebrauchen ließe. Darum rieth Czartoryski, der Czar möge den Franzoſen zuvorkommen und ſelber die Freiheit Polens ausrufen. Der polniſche Leichtſinn traute ſichs zu den Krieg gegen Preußen nebenbei mit abzuthun; Oeſterreich mochte221Alexander und Czartoryski.dann in Schleſien und Baiern die Entſchädigung finden für ſeinen gali - zianiſchen Beſitz. Noch war der Czar nicht gänzlich für dieſe luftigen Entwürfe gewonnen; aber ſo viel hatte der gewandte Pole doch erreicht, daß ſein kaiſerlicher Freund völlig rückſichtslos gegen Preußen auftrat. Die brünſtigen Freundſchaftsbetheuerungen von Memel ſchienen vergeſſen; die Verhandlungen in Berlin wurden ruſſiſcherſeits mit einem beleidigen - den Uebermuthe geführt als ob man beabſichtigte den preußiſchen Hof von der Coalition hinweg zu ſcheuchen. Als König Friedrich Wilhelm unbeirrt bei ſeiner Neutralität beharrte, war Alexander entſchloſſen, das ruſſiſche Heer ſelbſt gegen den Willen des Königs durch preußiſches Gebiet nach Oeſterreich zu führen.

Währenddem wurde der Erfolg der napoleoniſchen Anſchläge gegen England immer fraglicher; den großartigen Plan, die Flotte Nelſons nach Weſtindien zu locken und unterdeſſen den Canal zu ſäubern, vereitelte die Wachſamkeit des britiſchen Seehelden. Napoleon erwog ſchon die Frage, ob es nicht räthlich ſei das gewagte Unternehmen zwar nicht gänzlich auf - zugeben denn noch fünf Jahre ſpäter hielt Arthur Wellesley aus guten Gründen einen neuen Landungsverſuch für wahrſcheinlich doch auf eine günſtigere Gelegenheit zu vertagen. Nichts konnte dem Impe - rator in ſolcher Lage willkommener ſein als die Nachricht von den Rüſtungen der Coalition. Begierig ergriff er den Vorwand, den ihm ſeine Gegner boten, und frohlockte bei der Ausſicht dies Skelett Franz den Zweiten, den das Verdienſt ſeiner Vorfahren auf den Thron gebracht hat , gänzlich aus dem deutſchen Reiche verdrängen; Deutſchland wird mehr Soldaten ſehen als je zuvor! Indeß die große Armee unbemerkt in wunderbarer Ordnung von Boulogne zum Rheine eilte, wurde der Kriegsſchauplatz an der oberen Donau von franzöſiſchen Spähern ſorgfältig ausgekundſchaftet und zugleich der glänzendſte der napoleoniſchen Feldzüge durch eine kluge diplomatiſche Action umſichtig vorbereitet.

Vom heiligen Reiche ſtand kein Widerſtand zu befürchten. Der Regensburger Reichstag vertiefte ſich ſoeben in die wichtigen Verhand - lungen über die Eutiner Gemeinweiden und füllte mit dieſer Berathung die Galgenfriſt, die ihm noch vergönnt war, würdig aus. Zu ſeinen alten Schützlingen, den Höfen der ſüddeutſchen Mittelſtaaten, ſprach der Imperator jetzt offen als Schirmherr des dynaſtiſchen Particularis - mus: er komme Deutſchlands Freiheit zu retten, nimmermehr dürften deutſche Fürſten als Unterthanen des deutſchen Kaiſers behandelt wer - den. Auf Napoleons Befehl hielt Kurfürſt Max Joſeph von Baiern die öſterreichiſchen Unterhändler, die ihn herriſch und drohend zum An - ſchluß an die Coalition drängten, durch erheuchelte friedliche Betheue - rungen hin. Der deutſche Fürſt gab ſein heiliges Ehrenwort, daß ſeine Truppen keinen Schwertſtreich führen ſollten, bat in der fürchterlichen Verzweiflung ſeines geängſteten Vaterherzens nur um einige Geduld, da222I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſein in Frankreich reiſender Sohn der Rache des Corſen preisgegeben ſei, und eilte dann mit ſeinem Heere von den betrogenen Oeſterreichern hin - über zu den Franzoſen. Im bairiſchen Volke hatte Niemand ein Auge für die Niedertracht des Hofes. Der alte Stammeshaß gegen die kaiſer - lichen Koſtbeutel, das alte nur allzuſehr gerechtfertigte Mißtrauen gegen die Begehrlichkeit der Hofburg erwachten von Neuem; jubelnd vernahm die tapfere kleine Armee den Aufruf des Imperators: Ihr kämpft für die erſten Güter der Nationen, für Unabhängigkeit und politiſches Daſein! Baden und Darmſtadt ſchloſſen ſich an, nach einigem Zaudern auch Würtem - berg; alle die vier Mittelſtaaten, welche Napoleon bereits als die Stützen meines künftigen deutſchen Bundes bezeichnete, ſtanden in ſeinem Lager.

Auch Preußen dachte er durch einen plumpen Betrug zu gewinnen. Er ließ in Berlin den Erwerb von Hannover anbieten, wenn Preußen dafür das rechtsrheiniſche Cleve mit Weſel abträte und an dem Kriege gegen die Coalition theilnähme. Die preußiſche Monarchie ſollte alſo mit Oeſterreich und Rußland brechen, ſie ſollte ihre letzte Poſition am Rheine räumen und ſich freiwillig in den Oſten zurückſchieben laſſen, ſie ſollte Italien, die Schweiz und Holland dem Welteroberer preisgeben: denn ausdrücklich behielt ſich Napoleon die freie Verfügung über dieſe Länder vor; er ſah die Zeit ſchon kommen, da die Holländer ihrer Einſamkeit müde werden und die Vereinigung mit Frankreich fordern würden. Und für alle dieſe Opfer bot man dem Könige nichts als jenes Hannover, das, unter ſolchen Umſtänden erworben, nur durch einen langen Krieg gegen England behauptet werden konnte! Mit unverantwortlichem Leicht - ſinn ging Hardenberg auf dieſe Zumuthungen ein; dringend rieth er zum Anſchluß an Frankreich. Nur der gebotene Preis genügte ihm nicht, viel - mehr hoffte er durch Napoleons Hilfe außer Hannover auch Böhmen und Sachſen zu gewinnen. Allein die Nüchternheit des Königs bewahrte den Staat vor einem verderblichen Schritte, der jede Verſtändigung mit den Oſtmächten, jede gemeinſame Erhebung gegen das napoleoniſche Welt - reich für immer zu verhindern drohte. Friedrich Wilhelm wies das fran - zöſiſche Bündniß zurück, doch er erfuhr alsbald die Wahrheit der Worte des großen Kurfürſten, daß Neutralität für dieſen Staat das undankbarſte aller politiſchen Syſteme ſei. Denn während Napoleon durch neue Ver - handlungen eine für Frankreich vortheihafte Neutralität zu erwirken ſuchte, ſah man ſich zugleich von Oſten her bedrängt. Czar Alexander kündigte in unverblümten Drohungen den Durchmarſch ſeiner Ruſſen an; der König that was die Ehre gebot, ſetzte einen großen Theil ſeines Heeres auf den Kriegsfuß und verſammelte die Truppen an der Wartha. Er - ſchreckt ſtand der Czar von dem Friedensbruche ab, zur Verzweiflung Czartoryskis, und ſein thörichtes Vorhaben hatte nur die Folge, daß die Vereinigung ſeiner Armee mit den öſterreichiſchen Bundesgenoſſen ſich noch mehr verſpätete.

223Ulm und Ansbach.

In dieſer unhaltbaren Stellung, mit Frankreich nicht im Reinen, mit Rußland geſpannt und faſt verfeindet, von allen Seiten beargwohnt und mißachtet, ſah der preußiſche Hof dem Ausbruche des Titanenkrieges zu, wie der Feigling Lombard in ſeiner Seelenangſt zu ſagen pflegte. Mit zermalmenden Schlägen traf Napoleon das öſterreichiſche Heer an der oberen Donau, noch bevor die Ruſſen herankamen; die Welt erfuhr zum erſten male, was es bedeutete, daß die franzöſiſche Militärmacht jetzt durch die kriegeriſche Kraft der rheiniſchen Lande und des deutſchen Südens verſtärkt war. Die Glorie des großen Tages von Trafalgar, der die Flotte Napoleons vernichtete, verſchwand faſt neben den Schreckensnach - richten, die aus Oberdeutſchland kamen: wie die einzelnen Corps der öſterreichiſchen Armee in einer Reihe glänzender Gefechte geſchlagen, das Hauptheer unter Mack bei Ulm zu ſchimpflicher Capitulation gezwungen wurde, wie die Raſerei der verzweifelnden Angſt durch die Reihen der Kaiſerlichen flog, überall im Heer und Beamtenthum Kopfloſigkeit, Schwäche und Feigheit, alle Sünden eines tiefverderbten Staatsweſens heraustraten, wie die große Armee endlich in unaufhaltſamem Vormarſch bis zur Haupt - ſtadt Oeſterreichs vordrang.

Aber zum Glücke für die Verbündeten hatte der Sieger ſchon bei Beginn des Feldzugs eine That des Uebermuths ſich erlaubt, welche, recht benutzt, dem ausſichtsloſen Kriege der Coalition eine andere Wen - dung geben, der unhaltbaren Neutralität Preußens ein Ende bereiten mußte. Um das Corps Bernadottes bei Ulm rechtzeitig zur Stelle zu bringen, that Napoleon unbedenklich was der Czar nur angedroht hatte, ließ die Truppen durch das neutrale preußiſche Gebiet in Franken mar - ſchiren. Dieſem Staate glaubte er Alles bieten zu dürfen, denn Preu - ßen ſo ſchrieb er ſchon früher Preußen iſt, was es auch ſagen mag, in die Reihe der Mächte zweiten Ranges hinabgeſunken . Auf dieſe Nachricht flammte der König auf, ſein hohenzollernſches Blut gerieth in Wallung. Er verwahrte ſein Recht durch eine muthige Erklärung, ſagte ſich los von allen Verbindlichkeiten gegen Napoleon, geſtattete den Ruſſen den Durchzug durch Schleſien, befahl die Mobilmachung der geſammten Armee; ſein gerader Sinn hielt für ſelbſtverſtändlich, daß der diplomatiſche Verkehr mit Frankreich ſofort aufzuhören habe. Auch das Volk empfand die erlittene Beleidigung lebhaft. Die Berliner ſtimmten im Theater jubelnd mit ein in die kriegeriſchen Klänge des Reiterliedes der Wallen - ſteiner, lärmten übermüthig vor den Fenſtern des Geſandten Laforeſt; die märkiſchen Stände erklärten ſich bereit zu unentgeltlichen Lieferungen für die Armee; die jungen Offiziere zogen mit der Zuverſicht fridericianiſcher Un - beſiegbarkeit den Grenzen zu. Lombard und die franzöſiſche Partei wagten den gewohnten Verkehr mit Laforeſt nur noch insgeheim fortzuführen.

Auch Hardenberg erkannte jetzt die Nothwendigkeit entſchloſſener Ab - wehr, doch die ganze drängende Gefahr des Augenblicks ermaß er nicht. 224I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Er ſah weder, daß die jüngſten Schritte des Königs jede ehrliche Ver - ſtändigung mit dem rachſüchtigen Corſen abſchnitten, noch daß dieſer Held nicht gewohnt war ſich durch Unterhandlungen in der Verfolgung ſeiner Siege aufhalten zu laſſen. Der Hoffnungsvolle glaubte noch immer an die Möglichkeit eines friedlichen Ausgangs und rieth daher, während nur das raſche Eintreten in den Krieg noch Heil verſprach, vielmehr zu einer bewaffneten Vermittlung, welche leicht durch neue Kriegserfolge der Fran - zoſen überholt werden konnte. Unterdeſſen kam der Czar ſelbſt nach Berlin, und am 3. November wurde der Potsdamer Vertrag unterzeichnet. Preußen verpflichtete ſich, Napoleon durch diplomatiſche Verhandlungen zur Aner - kennung des Beſitzſtandes von Luneville zu bewegen. Lehnte er ab, wie vorauszuſehen, ſo trat die vermittelnde Macht der Coalition bei und empfing als Siegespreis eine Gebietsvergrößerung; Rußland verhieß durch ſeine guten Dienſte die Abtretung von Hannover in London durchzuſetzen, während die engliſchen Staatsmänner lieber Holland an Preußen geben wollten. Genug, der große europäiſche Kriegsbund ſchien geſchloſſen. Der Czar verzichtete auf ſeine polniſchen Hintergedanken, ſagte reumüthig: man wird mich nicht wieder darüber ertappen. Eine zärtliche Umarmung über dem Sarge des großen Friedrich einer jener rührenden Auftritte, wie ſie Alexanders Schauſpielernatur liebte beſiegelte das Bündniß zwiſchen den beiden wiederverſöhnten Freunden.

Die preußiſche Armee konnte, nach der Rechnung des Herzogs von Braunſchweig, nicht vor dem 15. December in den Kampf eingreifen; denn die an der Oſtgrenze verſammelten Truppen wurden nicht geradeswegs nach Mähren geführt zur Vereinigung mit dem ruſſiſch-öſterreichiſchen Heere, ſondern auf weitem Umwege nach Thüringen um von dort aus den Franzoſen in den Rücken zu fallen. Dieſe weitläuftige Bewegung entſprach den Wünſchen Oeſterreichs und der Vorliebe des Braunſchweigers für künſtliche Evolutionen; ſicherlich hat dem bedachtſamen alten Herrn auch der Gedanke vorgeſchwebt, vielleicht könne der Krieg doch noch ver - mieden werden. Der König aber hielt den einmal gefaßten ſchweren Ent - ſchluß mit zäher Treue feſt. Er hatte den Einmarſch in Hannover be - fohlen, Heſſen und Sachſen für die Coalition gewonnen. Ein Heer von 200,000 Mann verſammelte ſich an den Südgrenzen der Monarchie um die Unabhängigkeit des deutſchen Nordens zu vertheidigen; dazu die eng - liſchen und ruſſiſchen Truppen, die in Hannover landeten, dazu die Schweden König Guſtavs IV., des Todfeindes der Revolution. Gleich - zeitig zog die ruſſiſche Reſervearmee durch Schleſien gegen Mähren, aus Ungarn führte Erzherzog Karl das öſterreichiſche Südheer herbei.

Das Schickſal der Welt hing an der klugen Verzögerung des Kampfes. Wurde Napoleon von den Alliirten in Mähren durch eine behutſame Defen - ſive hingehalten, bis alle jene Zuzüge herankamen, bis mit dem verhängniß - vollen 15. December auch die preußiſche Armee in die Action eintrat, ſo ſchien225Schlacht von Auſterlitz.ſeine Niederlage unausbleiblich: er ſtand über hundert Meilen von Frank - reichs Grenzen entfernt, konnte keine Verſtärkungen erwarten, und ſein Heer war ſchon jetzt kaum ſo ſtark wie der Feind gegenüber. Aber auch dies - mal ſollten ihn die Fehler ſeiner Gegner retten. Bei den Unterhand - lungen, die er angeknüpft hatte, ſtellte er ſich nachgiebig und friedfertig um den Glauben zu erwecken, als ob er ſich fürchte. Alexander durch - ſchaute das Spiel, betheuerte wiederholt, keine Liſt des Feindes ſolle ihn zu vorzeitigem Losſchlagen verlocken; alle kriegserfahrenen Offiziere riethen ihm zur Vorſicht. Da brachte eine glänzende Heerſchau den Czaren um alle ſeine guten Vorſätze; ſein Uebermuth erwachte bei dem Anblick dieſer ſchönen Regimenter, die noch die Lorbeeren der Suworowſchen Feldzüge an den Fahnen trugen. Den jungen Heißſporn durchzuckte der Gedanke, die Welt durch einen entſcheidenden Sieg zu überraſchen noch bevor Preußen am Kriege theilnahm; jene eleganten jungen Generale vom Hofe, die ſo oft in der ruſſiſchen Geſchichte leichtfertige Entſchließungen verſchuldet haben, ſtimmten dem unbeſonnenen Einfall lärmend zu. Man beſchloß zum Angriff auf Napoleons wohlgeſicherte Stellung vorzugehen, in der Richtung von Oſten nach Weſten, dergeſtalt daß die Armee, wenn ſie ge - ſchlagen wurde, nach Ungarn zurückweichen mußte und die Verbindung mit Schleſien verlor, wo 40,000 Preußen bei Neiße zur Aufnahme bereit ſtanden. Am Jahrestage der napoleoniſchen Kaiſerkrönung empfing Alexander durch die Schlacht von Auſterlitz den Lohn für die größte Thorheit ſeines Lebens. Und nun verlor auch Kaiſer Franz die Beſinnung, bat den Sieger um einen Waffenſtillſtand. Napoleon gewährte die Bitte unter der Bedingung, daß die Hofburg das Bündniß mit dem Czaren aufgab, die ruſſiſchen Truppen durch Ungarn heimzogen und kein fremdes Heer den Boden Oeſterreichs betreten durfte.

So wurde der große europäiſche Kriegsbund durch die Mißgriffe der beiden Kaiſer ſchon im Entſtehen zerſprengt. Preußens militäriſche Lage blieb indeß noch immer vortheilhaft. Der Czar gab den Krieg noch nicht gänzlich auf, ſondern ſtellte ſeine Armeecorps, die in Schleſien und Preußiſch-Polen ſtanden, unter die Befehle des Königs. Friedrich Wilhelm gebot mithin über 300,000 Mann kriegsbereiter friſcher Truppen; mit einer ſolchen Macht durfte er wohl hoffen die Freiheit Norddeutſchlands zu ſchützen und dem bedrängten Oeſterreich zu einem leidlichen Frieden zu verhelfen. Daß auch dieſe Hoffnung trog, war die Schuld des preu - ßiſchen Unterhändlers, des Grafen Haugwitz. Der charakterloſe Mann hatte während der jüngſten Jahre manchen Beweis diplomatiſchen Scharf - ſinns gegeben und die feindſeligen Abſichten Napoleons mehrmals richtiger beurtheilt als ſein Amtsgenoſſe Hardenberg, doch in der gegenwärtigen Verwicklung ſchien ihm die Neutralität allein geboten. Als er nun in das franzöſiſche Hauptquartier geſendet wurde um im Namen ſeines Königs ein kurzes Entweder Oder auszuſprechen, um dem ErobererTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 15226I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.entweder die preußiſchen Friedensbedingungen aufzuerlegen oder ihm den Krieg zu erklären, da erdreiſtete er ſich zu einer eigenmächtigen Pflicht - verletzung, die in dieſem Staate der ſtrengen Mannszucht ohne Vorgang war. Er reiſte langſam, wie befohlen, damit der verabredete Termin des 15. Decembers herankäme; endlich bei Napoleon eingetroffen ſagte er in einer mehrſtündigen Unterredung kein Wort von den Friedensbedingungen des Königs, kein Wort von bewaffneter Vermittlung und kriegeriſchen Drohungen, ſondern ließ ſich mit leeren Worten vertröſten und ging dann nach Wien den Gang der Ereigniſſe abzuwarten. Dort traf ihn die Nachricht von der Auſterlitzer Schlacht, und ſofort war er entſchloſſen, um jeden Preis die Verſöhnung mit dem Uebermächtigen zu Stande zu bringen; in ſeiner Seelenangſt redete er ſich ein, Oeſterreich ſtehe bereits im Begriff, mit Napoleon vereint gegen Preußen zu kämpfen. Abermals eigenmächtig, ohne jede Vollmacht, unterzeichnete er am 15. December zu Schönbrunn ein Schutz - und Trutzbündniß mit Frankreich: Preußen er - kannte alle die Abtretungen, welche Napoleon vom Kaiſer Franz zu er - zwingen hoffte, ſchon im Voraus an, übergab das rechtsrheiniſche Cleve an Frankreich, das treue Ansbach an Baiern und erhielt dafür Hannover.

Der Sieger jubelte: bin ich Preußens ſicher, ſo muß auch Oeſter - reich gehen wohin ich will! Mit dem Schönbrunner Vertrage in der Hand nöthigte er den rathloſen Wiener Hof ſchon am 26. December die drückenden Bedingungen des Preßburger Friedens anzunehmen. Das Haus Oeſterreich verlor Venetien, Tyrol und den Reſt ſeiner ſchwä - biſchen Beſitzungen; die abgetretenen deutſchen Provinzen wurden den ſüddeutſchen Satrapen Frankreichs zugetheilt. Baiern und Württem - berg erlangten durch Napoleons Gnade die Königskrone und dazu das höchſte aller Güter, das letzte Ziel zweier Jahrhunderte des Verrathes und der Felonie die volle und unbeſchränkte Souveränität. Kaiſer Franz mußte zum Voraus alle aus dieſem neuen Rechte ſich ergebenden Folgerungen genehmigen. Damit ſchwand der letzte Schatten der alten nationalen Monarchie; über ſouveränen Königskronen konnte das deutſche Königthum nicht mehr beſtehen. In der Friedensurkunde wurde das Reich bereits mit dem Namen des deutſchen Bundes bezeichnet. Schon ſeit längerer Zeit berieth der Imperator mit den ſüddeutſchen Höfen, was wohl an die Stelle der elenden Aefferei des Regensburger Reichstages treten könne. Nunmehr kündigte er in herablaſſenden Briefen den Ge - treuen ihre neue Herrlichkeit an: Baden ſei alſo in den Kreis der großen Mächte emporgehoben, Baiern ſolle bei nächſter Gelegenheit noch weitere Vergrößerungen empfangen. Er ſtand jetzt auf der Höhe ſeiner Erfolge; noch hatte kein Mißgeſchick die wundervollen Triumphe ſeiner glückhaften Fahnen getrübt. Staunend blickte Frankreich zu dem Unüberwindlichen empor; das deutſche Straßburg fühlte ſich ſtolz, dem neuen Kaiſerreiche als Ausfallspforte gegen ſein altes Vaterland zu dienen und taufte ſein227Friede von Preßburg.Metzgerthor auf den Namen der Dreikaiſerſchlacht; in Paris ſollte eine Trajansſäule den Ruhm des Imperators verherrlichen.

Auf der Rückreiſe in München empfing Napoleon die unterthänige Dankſagung des neuen Baiernkönigs, feierte die Vermählung ſeines Stief - ſohnes mit einer Tochter des Wittelsbachers und vernahm befriedigt, wie Max Joſeph dem jubelnden Volke die angebliche Wiederherſtellung der angeſtammten, urſprünglichen bairiſchen Königswürde ankündigte: alle Baiern ſollten fortan die blauweiße Kokarde tragen um ſich gleichſam als Brüder zu erkennen und im Auslande die ihnen gebührende Aus - zeichnung zu erhalten . Der Erzkanzler Dalberg eilte herbei zur Ein - ſegnung der Neuvermählten. Der Vielgewandte hatte während des Krieges in einer Aufwallung patriotiſcher Gefühle ein verworrenes Manifeſt an den deutſchen Adel gerichtet und wehmüthig gefragt: ſollte der Name Deutſchland, der Name deutſche Nation, der Name eines Volksſtamms erlöſchen, der ehemals den römiſchen Koloß beſiegte? Er mußte jetzt harte Scheltworte hören weil er ſich unterſtanden den deutſchen Geiſt aufzu - wecken . Um den Gewaltigen ganz zu verſöhnen ernannte er bald darauf den Oheim Napoleons, Cardinal Feſch, zu ſeinem Coadjutor; die komiſche Perſon des Hauſes Bonaparte, ein Corſe, der kein Wort deutſch verſtand, ſollte alſo demnächſt den vornehmſten Fürſtenſtuhl Deutſchlands beſteigen. Um dieſelbe Zeit vermählte ſich der badiſche Thronfolger mit Stephanie Beauharnais. Seinem Schwager Murat aber hatte Napoleon das preu - ßiſche Cleve und das Herzogthum Berg zugedacht, das, einem alten Münchener Plane gemäß, jetzt von Baiern gegen Ansbach ausgetauſcht wurde. Alſo hielt die Familie Bonaparte ihren fröhlichen Einzug in die Reihen des hohen Adels deutſcher Nation; der deutſche Fürſtenſtand erkannte die Gleichberechtigung der vierten Dynaſtie Frankreichs förmlich an.

Unterdeſſen traf Napoleon alle Anſtalten um die Krone Preußen zur Annahme des Schönbrunner Vertrags zu zwingen. Die große Armee und die ſüddeutſchen Truppen rückten gegen den Main vor, andere Corps wurden in Raſſau und Holland bis dicht an Preußens Grenzen vor - geſchoben. Als der Imperator nach Frankreich ging, ließ er Berthier in München, ſeine Pferde in Straßburg zurück; ſchnell wie der Blitz wollte er jederzeit zurückkehren um zugleich vom Weſten und Süden her ſeine Schaaren in Preußen einbrechen zu laſſen. So ſtanden die Dinge als Haugwitz nach langſamer Reiſe heimkehrte; er ſchmeichelte ſich, durch ſeinen Schönbrunner Vertrag den Staat gerettet zu haben. Sollte der König den pflichtvergeſſenen Unterhändler für ſeine unerhörte Eigenmacht durch ſchimpfliche Entlaſſung ſtrafen und mit dem Schwerte in der Fauſt die Herrſchaft über Norddeutſchland, zuſammt Hannover, das thatſächlich in Preußens Händen war, behaupten oder dies Hannover als ein Geſchenk aus Napoleons Händen entgegennehmen und dafür Cleve und Ansbach abtreten, ein Schutz - und Trutzbündniß mit Frankreich ſchließen und ſich15*228I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.in den Krieg gegen England verwickeln laſſen? Die Frage durfte für einen ehrenhaften Staat keine Frage ſein. Und dennoch rieth Harden - berg zu einem Mittelwege: er rieth den Schönbrunner Vertrag anzu - nehmen, aber unter Vorbehalten, welche dem Zerwürfniß mit England vorbeugen ſollten; denn obgleich er das Verfahren ſeines Gegners Haugwitz ſcharf verdammte, ſo hoffte er doch noch jetzt durch neue Verhandlungen mit Napoleon vielleicht neuen Landgewinn zu erreichen. Dergeſtalt lieferte man dem liſtigen Gegner ſelber den willkommenen Vorwand, ſich auch ſeiner - ſeits nicht mehr an den Schönbrunner Vertrag zu binden. Dem ſchweren Fehler folgte ſogleich ein zweiter, noch gröberer. Während Napoleon ſich in verdächtiges Schweigen hüllte und ſeine Heerſäulen von allen Seiten her gegen Preußens Grenzen heranrückten, wurde die Abrüſtung des preußiſchen Heeres beſchloſſen. Getäuſcht durch Laforeſts zweideutige Zu - ſagen, hielt man Frankreichs Zuſtimmung für ſicher und wollte den Staatshaushalt nicht noch mehr belaſten; war doch bereits zur Beſtreitung der Koſten der Mobilmachung eine Anleihe aufgenommen und die Aus - gabe von fünf Millionen Thalern Treſorſcheinen angeordnet worden. Die ängſtliche Sparſamkeit ſollte dem Staate theuer zu ſtehen kommen. Rapo - leon hatte nur auf den Heimzug der preußiſchen Armee gewartet um einen noch weiteren Vertrag zu erzwingen; nun Preußen waffenlos vor ihm lag, ließ er alsbald die Maske fallen. Hardenberg hoffte noch arg - los, ſich mit dem Imperator über die Neugeſtaltung Deutſchlands freund - ſchaftlich zu verſtändigen; er dachte an eine deutſche Trias, alſo daß Oeſterreich für ſich bliebe, Preußen im Norden, Frankreich im Süden den beherrſchenden Einfluß erlangte, und hielt in ſolchen ungeheuerlichen Formen noch eine gewiſſe politiſche Gemeinſchaft der deutſchen Nation für möglich.

Da ſendete Haugwitz, der in Paris die Verhandlungen abſchließen ſollte, die niederſchmetternde Nachricht, daß Napoleon den Schönbrunner Vertrag nicht mehr anerkenne. Am 15. Februar 1806 unterzeichnete der geängſtete Unterhändler den Pariſer Vertrag, der die harten Schönbrunner Bedingungen noch verſchärfte: Preußen verſprach die hannoverſchen Flüſſe zu ſperren, mithin ſofort einen Krieg gegen England zu beginnen, der den preußiſchen Handel völlig lähmen mußte, und von der in Schönbrunn verheißenen Entſchädigung für Ansbach war nun keine Rede mehr. Welch eine Lage! Die Regimenter ſtanden längſt auf Friedensfuß, zerſtreut in ihren Garniſonen; vom Main und Rhein her zugleich einbrechend konnten die franzöſiſchen Heerſäulen den Staat in wenigen Wochen überrennen. Oeſterreich hatte ſeinen Frieden geſchloſſen; der Czar hielt ſich zurück, ſtellte ſeinem Freunde anheim ſich wohl oder übel mit der Uebermacht abzufinden. Auch von England ſtand raſche Hilfe nicht zu erwarten; dem großen Pitt war das Herz gebrochen nach dem Tage von Auſterlitz, nach ſeinem Tode ſchwankte die britiſche Politik eine Zeit lang unſicher umher. Alle Generale, ſelbſt der grimmige Franzoſenfeind Rüchel, er -229Verträge von Schönbrunn und Paris.klärten den Widerſtand für unmöglich; Hardenberg aber, in tiefſter Seele erſchüttert und empört, überließ die Entſcheidung dem Könige, da ja die Miniſter noch keine ſelbſtändige Verantwortlichkeit trugen. Friedrich Wil - helm entſchied wie er mußte; er genehmigte den Pariſer Vertrag.

So jammervoll verlief der erſte Verſuch die bequeme Baſeler Neu - tralitätspolitik zu verlaſſen. Die Coalition war durch den Vorwitz des Czaren und den Kleinmuth des Kaiſers Franz zerſtört, das iſolirte Preußen durch Napoleon aus einer falſchen Stellung in die andere gelockt und endlich zu Gnaden und Ungnaden unterworfen worden. Unter den Ver - wünſchungen der Hannoveraner wurden die ſchwarzen Adler an die Thore der alten Welfenſtädte angeſchlagen; ungehört verhallten die Klagen der getreuen Ansbacher, die in verzweifelten Adreſſen den König baten, er möge ſie nicht verſtoßen. Aber mitten in dieſer Demüthigung zeigten ſich ſchon die erſten Spuren einer ſittlichen Widerſtandskraft, die in den trägen Jahren des friedlichen Behagens ganz verſchwunden ſchien. Während des Winters war die alte unbelehrbare Selbſtgefälligkeit oft ſehr prahleriſch hervorgetreten; noch im Januar konnte ein begabter, thatenluſtiger Offizier wie der junge Bardeleben triumphirend ſchreiben: wir haben das Glück des Friedens mit großem, wahrem Ruhme herbeigeführt! Nach dem Pariſer Vertrage ſchlug die Stimmung um. Unter den aufgeklärten Publiciſten der Hauptſtadt fanden ſich zwar einige pfiffige Köpfe, die den König lobten, weil er ohne Schwertſtreich eine ſchöne Provinz gewonnen habe. Der Adel dagegen und das Heer empfanden mit Unmuth, daß die Glorie der fridericianiſchen Zeiten dahin war; tiefere Naturen wie Gneiſenau ſahen den Entſcheidungskampf mit ſchnellen Schritten heranrücken und ſetzten ihre Hoffnung auf ein Bündniß der zwei deutſchen Großmächte. Niemand fühlte den Schimpf ſchwerer als die ehrliche Natur des Königs. Er erklärte ſeinen Vertrauten rund heraus: der Pariſer Vertrag ſei nicht bindend, ſei durch Lug und Trug erſchlichen, die Pflicht gebiete bei dem nächſten Uebergriffe Frankreichs das Schwert zu ziehen.

Während der Schützling Napoleons Haugwitz die amtliche Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernahm und den Staat im Fahrwaſſer der franzöſiſchen Allianz ſteuerte, blieb Hardenberg der vertraute Rathgeber des Königs und knüpfte, in der Vorausſicht des nahen Krieges, insgeheim die Verbindung mit Rußland wieder an. Auch dieſem Hoffnungsvollen waren jetzt die Augen aufgegangen. Er hatte an den politiſchen Sünden der letzten zwei Jahre ſeinen reichen Antheil und galt gleichwohl in Paris als der Führer der antifranzöſiſchen Partei, weil er ein Gegner von Haugwitz war und den König wiederholt beſchworen hatte, ſich von dieſem homme sans foi et sans loi*)Hardenbergs Journal, 6. Sept. 1806. zu trennen. Napoleon witterte in Hardenberg mit feiner Spürkraft den tapferen und hochherzigen230I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Staatsmann, wollte ſich rächen für die Verlegenheiten des vergangenen Herbſtes, überhäufte den Miniſter mit öffentlichen Schmähungen, die der Angegriffene freimüthig beantwortete, und forderte endlich die Entlaſſung des Verhaßten. Dieſen Angriffen Napoleons verdankte Hardenberg einen Ruf, den ſeine Thaten noch nicht verdienten; alle Guten blickten hoffend zu ihm auf, der tapfere Patriot v. d. Marwitz, der ſtolze Führer des märkiſchen Adels, verehrte ihn ſeit dem Herbſt 1805 wie das Ideal des Mannes, der den Staat retten ſollte *)So geſteht Marwitz in einem Briefe an Hardenberg vom 11. Febr. 1811.. Doch erſt in dieſen furcht - baren Frühlingswochen von 1806 wurde Hardenberg wirklich wofür die Welt ihn hielt. Mit Entſetzen ſah er, an welchem Abgrunde Preußen dahinſchwankte; Alles was edel und hochherzig war in dieſer reichbegabten Natur, wurde lebendig, und fortan iſt er bis zum Ende der unermüdliche Feind des napoleoniſchen Weltreichs geblieben.

Der letzte Troſt des Grafen Haugwitz beim Abſchluſſe des Pariſer Vertrages war die Hoffnung auf die baldige Heimkehr der franzöſiſchen Truppen. Aber auch dieſe Erwartung erwies ſich eitel. Die große Armee blieb in Deutſchland, bedrohte vom Inn her Oeſterreichs, vom Rhein und Main her Preußens Grenzen. Sie ſollte die Hofburg zwingen, die förm - liche Aufhebung des heiligen Reichs, welche der Imperator plante, gut zu heißen; und zugleich war Napoleon entſchloſſen, den Frieden mit England nöthigenfalls durch die Preisgabe des ſoeben erſt an Preußen abgetretenen hannoverſchen Landes herbeizuführen. Widerſetzte ſich der preußiſche Hof dieſer neuen Beleidigung, ſo ſtand das franzöſiſche Heer zum Einbruch bereit. Indeſſen wurden die feſten Plätze Kehl, Kaſtel, Weſel von Frank - reich in Beſitz genommen; die niederrheiniſche Feſtung war beſtimmt einem Angriffskriege gegen Preußen als Stützpunkt zu dienen.

Alſo gerüſtet ſchritt Napoleon daran, den Gedanken der deutſchen Trias, womit Hardenberg ſoeben noch geſpielt hatte, nach ſeiner Weiſe zu verwirklichen. Nicht im Bunde mit Oeſterreich und Preußen, ſondern unabhängig von beiden und im Gegenſatze zu ihnen ſollte Frankreichs alter Schützling, la troisième Allemagne ſich politiſch geſtalten. Eine phantaſtiſche Denkſchrift Dalbergs, die von der Wiederherſtellung des Karolingerreichs, von der Verjüngung der ehrenwerthen deutſchen Nation redete, und eine kurze ergebnißloſe Vorverhandlung mit den größeren ſüddeutſchen Staaten in München überzeugten den Imperator, wie ſchwer es hielt dieſe deutſchen Köpfe unter einen Hut zu bringen; darum be - ſchloß er ihnen die neue Ordnung kurzerhand aufzuerlegen, wie einſt Karl V. die Fürſten Italiens durch halb erzwungene Verträge an ſich ge - kettet hatte. Er wußte, daß er den Höfen der Mittelſtaaten Alles zumuthen durfte, wenn er ihnen einen neuen Beutezug gegen ihre kleinen Mitſtände geſtattete. An Unterwürfigkeit hatten es dieſe kleinen Herren des Südens231Der Rheinbund.freilich nicht fehlen laſſen. Die Mehrzahl war zu einer Frankfurter Union zuſammengetreten und hielt ſich in Paris einen gemeinſchaft - lichen Geſandten. Fort und fort wurde der Gewaltige von den geäng - ſteten Kleinfürſten mit Bitten und Anliegen behelligt; wenn er bei guter Stimmung war, ſo ließ er ſich auch wohl durch ſeinen Talleyrand be - richten ce que c’est que ce prince-là und gab eine gnädige Antwort. Doch mit waffenloſen Vaſallen wußte der Eroberer nichts anzufangen; auch beargwöhnte er die Freundſchaft, welche einige dieſer kleinen Herren mit Preußen, die Meiſten mit Oeſterreich verband. Sein Entſchluß war gefaßt: es liegt in der Natur der gegenwärtigen Verhältniſſe, daß die kleinen Fürſten vernichtet werden. Schon erhob ſich über den Trümmern der alten Staatengeſellſchaft das neue Foederativſyſtem: die Sonnen - Nation Frankreich umgeben von Trabantenſtaaten. Zwei Brüder des Imperators beſtiegen die Throne von Holland und Neapel; das übrige Italien und die Schweiz hielt er unter ſeiner Botmäßigkeit. Für den Deutſchen Bund, der die Reihe dieſer Trabantenvölker zu verſtärken be - ſtimmt war, rechnete er zunächſt auf die vier ſüddeutſchen Mittelſtaaten und auf das neue niederrheiniſche Großherzogthum Joachim Murats; von den kleineren dachte er nur wenige zu verſchonen, die ſich durch Unter - thänigkeit oder hohe Verwandtſchaft empfahlen.

Im Frühjahr 1806 verbreitete ſich an den deutſchen Höfen das Ge - rücht, eine neue umfaſſende Mediatiſirung ſei im Anzuge. Abermals wie vier Jahre zuvor eilten die Geſandten unſeres hohen Adels nach Paris um durch Schmeichelei und Beſtechung ihren Herren den Beutetheil zu ſichern. Wieder wie damals mußte ein Elſaſſer das Geſchäft der deutſchen Ländervertheilung beſorgen: der alte Reichspubliciſt Pfeffel unter der Leitung Talleyrands und Labesnardieres. Währenddem gelangte die Ver - faſſung des Rheinbundes in Napoleons Cabinet zum Abſchluß; mit keinem der deutſchen Höfe wurden Unterhandlungen geführt, ſelbſt von den Ge - ſandten in Paris erhielten nur vier die Urkunde zum Leſen, bevor Talley - rand am 12. Juli die Getreuen zur Sitzung berief. Hier hielt er ihnen-ihre hilfloſe Lage vor, wie ſie als Rebellen gegen das Reich nicht mehr auf halbem Wege ſtehen bleiben dürften; dann wurde die Urkunde ohne jede Berathung angenommen. Der rheiniſche Bund Ludwigs XIV. lebte wieder auf, in ungleich ſtärkeren Formen. Sechzehn deutſche Fürſten ſagten ſich vom Reiche los, erklärten ſich ſelbſt für ſouverän, jedes Geſetz des altehr - würdigen nationalen Gemeinweſens für nichtig und wirkungslos; ſie er - kannten Napoleon als ihren Protector an, ſtellten ihm für jeden Feſtlands - krieg Frankreichs ein Heer von 63,000 Mann zur Verfügung. Unbedingte Unterwerfung in Sachen der europäiſchen Politik und ebenſo unbeſchränkte Souveränität im Innern das waren die beiden aus gründlicher Kennt - niß des deutſchen Fürſtenſtandes geſchöpften leitenden Gedanken der Rhein - bundsverfaſſung. Die Höfe ertrugen die Unterwerfung, weil ſie eingepreßt232I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.zwiſchen Oeſterreich und Frankreich eines Schutzes bedurften und auf neue Geſchenke napoleoniſcher Gnade hofften; einige tröſteten ſich wohl ins - geheim mit dem Gedanken, die franzöſiſche Uebermacht werde nicht ewig dauern; die Souveränität aber hielten ſie ſämmtlich feſt als einen Schatz für alle Zeiten. Der deutſche Particularismus trat in ſeiner Sünden Blüthe.

Napoleon verſagte ſichs nicht, in einem Briefe an Dalberg an den uralten Landesverrath der deutſchen Kleinfürſten höhniſch zu erinnern; er nannte die Politik des Rheinbundes conſervativ, denn ſie ſtelle nur von Rechtswegen ein Schutzverhältniß her, das in der That ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten beſtanden habe. Doch zugleich ſchmeichelte er klug dem dynaſtiſchen Dünkel: kein Oberlehnsherr ſtehe mehr über den deutſchen Fürſten, kein fremdes Gericht dürfe ſich in ihre Landesangelegenheiten miſchen; er ſelber übe nur die einfache Pflicht des Schutzes, die keinen höheren Zweck habe als den Verbündeten die volle Souveränität zu gewähr - leiſten. Das verheißene Fundamentalſtatut des Rheinbundes iſt nie er - ſchienen, der Bundestag mit ſeinen zwei Räthen nie zuſammengetreten; dieſem Werke der rohen Gewalt fehlte von Haus aus die Fähigkeit recht - licher Weiterbildung. Dem Protector, der ſchon ſeinem zahmen Geſetz - gebenden Körper in Paris ein unwilliges vous chicanez le pouvoir! zurief, lag wenig daran, auch noch durch die ſchwerfälligen Berathungen eines rheiniſchen Bundestags beläſtigt zu werden; ihm genügte, daß er jetzt mit den deutſchen Regimentern vom linken Rheinufer an 150,000 deutſche Soldaten unter ſeinem Befehle hielt. Die beiden Könige des Rheinbundes aber verhehlten nicht ihren Widerwillen gegen jede bündiſche Unterordnung und verwarfen kurzweg alle die Pläne für den Ausbau des Bundes, welche der neue Fürſtprimas Dalberg mit unerſchöpflicher Be - geiſterung entwarf.

Das Bundesgebiet erſtreckte ſich vom Inn bis zum Rhein über den ganzen Südweſten, reichte dann nordwärts bis tief nach Weſtphalen hinein, den preußiſchen Staat und ſeine kleinen Verbündeten in weitem Bogen umklammernd; und der Artikel 39 der Rheinbundsakte kündete bereits drohend an, daß auch anderen deutſchen Staaten der Eintritt vorbehalten bleibe. Was im Süden und Weſten noch übrig war von kleinen Reichs - ſtänden wurde der Landeshoheit der ſechzehn Verbündeten unterworfen: alle Fürſten und Grafen, alle Reichsritter, ſo viele ſich in den Stürmen der jüngſten Jahre noch behauptet hatten, die beiden Ritterorden, die Reichsſtädte Nürnberg und Frankfurt, zuſammen ein Gebiet von 550 Ge - viertmeilen und faſt fünfviertel Millionen Einwohnern. Aller Schmutz, der an dem Reichsdeputationshauptſchluſſe haftete, verſchwand neben der entſetzlichen Roheit dieſer neuen Gewaltthat; denn nicht durch das Reich ſelber und nicht unter dem Vorwande der Entſchädigung, ſondern durch die nackte Willkür einer Handvoll eidbrüchiger Fürſten und unter dem Schutze des napoleoniſchen Heeres wurde jetzt die Vernichtung verhängt über233Neue Mediatiſirungen.die Lobkowitz und Schwarzenberg, über alle jene öſterreichiſchen Standes - herren, welche ſo lange den Stamm der kaiſerlichen Partei unter den weltlichen Fürſten gebildet hatten. Mit ihnen fielen auch die alten ruhm - vollen Geſchlechter der Fürſtenberg und Hohenlohe, die vor wenigen Jahr - zehnten noch faſt ebenſo mächtig geweſen wie ihre glücklichen Nachbarn in Carlsruhe und Stuttgart; und Einer mindeſtens unter den Mediatiſirten ließ mit Bewußtſein, um der Ehre willen das Verhängniß über ſich er - gehen. Fürſt Friedrich Ludwig von Hohenlohe-Oehringen wies alle die Lockungen, wodurch Napoleon den berühmten preußiſchen General für den Rheinbund zu gewinnen ſuchte, ſtolz zurück; er wollte die Treue nicht brechen, die ſein Haus ſeit Jahrhunderten mit den Hohenzollern vereinte, er verlor ſeine Landeshoheit, weil er ſich muthig auf Preußens Seite ſtellte. Noch unmittelbarer wurde der Berliner Hof verletzt durch die Beraubung der Naſſau-Oranier; dies Haus, dem die Krone Preußen auf deutſchem Boden eine Entſchädigung für den verlorenen niederländiſchen Beſitz verſchafft hatte, ſah ſich jetzt aus einem Theile ſeiner deutſchen Lande vertrieben, ohne daß man auch nur eine Anzeige in Berlin für nöthig hielt. Zufall und Laune entſchieden über Beſtand und Untergang der Kleinſtaaten; der kleine Graf von der Leyen wurde als ſouveräner Fürſt in den Rheinbund aufgenommen weil er ein Neffe Dalbergs war. Und doch waltete eine heilige Nothwendigkeit, den Frevlern unbewußt, auch über dieſer Gewaltthat. Wieder verſchwand eine ganze Schaar jener un - fruchtbaren Staatsbildungen, die ſich einſt mit den Spolien der alten deutſchen Monarchie bereichert hatten; es ebnete ſich der Boden, auf dem dereinſt ein neuer Bau der deutſchen Einheit emporſteigen ſollte.

Bis tief in den Sommer hinein blieb Napoleon darauf gefaßt, daß der rechtmäßige Kaiſer der Vernichtung des alten Reiches widerſprechen werde; beſtimmte doch der Preßburger Friede ausdrücklich, daß die neuen Könige nicht aufhören ſollten dem Deutſchen Bunde anzugehören. Aber Oeſterreich war tief erſchöpft von dem unglücklichen Kriege; Erzherzog Karl und der neue Miniſter des Auswärtigen Graf Philipp Stadion hofften in Frieden die Kräfte der Monarchie wiederherzuſtellen. Zudem waren in jenem Preßburger Vertrage alle Folgen der bairiſch-württembergiſchen Souveränität bereits gutgeheißen, alſo mittelbar die kaiſerlichen Majeſtäts - rechte ſchon preisgegeben. Wollte und konnte man die Anſprüche des alten Kaiſerthums nicht mit den Waffen behaupten, ſo erforderte die Würde des kaiſerlichen Hauſes, daß man dem werthloſen Titel rechtzeitig, von freien Stücken entſagte, bevor Napoleon den Verzicht erzwang. So lautete auch Stadions Rath; doch die alte Begehrlichkeit der habsburgiſchen Dynaſtenpolitik wollte ſelbſt in dieſen finſteren Tagen, da eine tauſend - jährige Geſchichte ihren tragiſchen Abſchluß fand, nicht zur Ruhe gelangen. Wie ſeine Ahnen den Beſitz des Kaiſerthrones immer nur als ein Mittel zur Vermehrung ihrer Hausmacht angeſehen hatten, ſo dachte Kaiſer Franz234I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.auch die Niederlegung der Krone noch zu einem einträglichen Handels - geſchäfte zu verwerthen. Der Zeitpunkt zur Abtretung der Kaiſerwürde ſo ſchrieb er iſt jener, wo die Vortheile, die aus ſolcher für meine Monarchie entſpringen, durch die Nachtheile, die durch eine fernere Bei - behaltung derſelben entſtehen könnten, überwogen werden. Darum ſolle Graf Metternich nach Paris eilen um dort die Kaiſerwürde recht hoch anzurechnen und keine Abneigung zur Abtretung der gedachten Würde, vielmehr eine Bereitwilligkeit hierzu, jedoch nur gegen große für meine Monarchie zu erhaltende Vortheile merken zu laſſen . Mit ſolchen Ge - ſinnungen nahm der letzte römiſch-deutſche Kaiſer Abſchied von dem Purpur der Salier und der Staufer. Der altgewohnte Phraſenſchwall von reichs - väterlicher Treue und reichsoberhauptlicher Fürſorge verfing nicht mehr; die Politik des Hauſes Oeſterreich bekannte endlich mit dürren Worten, wie ſie zu Deutſchland ſtand. Aber das geplante Handelsgeſchäft miß - lang. Als Metternich in Paris eintraf, war die Rheinbundsakte bereits abgeſchloſſen. Der deutſche Kaiſer ſtand der vollendeten Thatſache gegen - über und mußte noch erleben, daß in Regensburg Napoleon und ſeine Vaſallen die förmliche Aufhebung des Reiches ausſprachen.

Dem Reichstage war inzwiſchen durch einen der treueſten Reichs - ſtände noch die letzte Beſchimpfung geboten worden; der Heißſporn des Royalismus, König Guſtav von Schweden, rief ſeinen Geſandten ab, denn es ſei unter ſeiner Würde theilzunehmen an Beſchlüſſen, die unter dem Einfluß der Uſurpation und des Egoismus ſtänden. Als in Paris die Vorbereitungen zur Stiftung des Rheinbundes getroffen wurden, ließ Dalberg vorſorglich die Regensburger Verſammlung in die Ferien reiſen. Am 1. Auguſt erklärten dann acht Geſandte im Namen der rheinbündiſchen Fürſten, daß ihre durchlauchtigen Herren es ihrer Würde und der Rein - heit ihrer Zwecke angemeſſen fänden, ſich feierlich loszuſagen von dem heiligen Reiche, das in der That ſchon aufgelöſt ſei; ſie ſtellten ſich unter den mächtigen Schutz des Monarchen, deſſen Abſichten ſich ſtets mit dem wahren Intereſſe Deutſchlands übereinſtimmend gezeigt haben . Gleich - zeitig verkündete der franzöſiſche Geſandte, Napoleon erkenne das Reich nicht mehr an, das längſt ſchon nur ein Schatten ſeiner ſelbſt geweſen.

In den alten Jahrhunderten der Gewalt und der Roheit blieb ein letztes Gefühl der Scham den Germanen immer unverloren; der Mörder mied die Nähe ſeines Opfers, weil er fürchtete das rothe Blut wieder aus den Wunden des Leichnams hervorbrechen zu ſehen. Anders empfand dies neue vorurtheilsfreie Geſchlecht; als die Erklärung vom 1. Auguſt ver - leſen wurde, da waren im Reichstage faſt allein die Geſandten der Rhein - bundshöfe, die den alten deutſchen Staat vernichtet hatten, zugegen. Ohne weitere Verhandlungen ging der Reichstag auseinander. Darauf legte Kaiſer Franz durch ein kühl und farblos gehaltenes Manifeſt vom 6. Auguſt die deutſche Krone nieder und erklärte zugleich, dem Rechte zuwider, das235Auflöſung des Reichs.reichsoberhauptliche Amt und Würde für erloſchen, ſein Kaiſerthum Oeſter - reich für ledig aller Reichspflichten. Die Verbindung zwiſchen Deutſch - land und den kaiſerlichen Erblanden war aber ſeit Langem ſo locker, daß die förmliche Trennung in den inneren Zuſtänden Oeſterreichs gar keine Spuren zurückließ. Durch einen Staatsſtreich des letzten Habsburger - kaiſers ging alſo jene Krone zu Grunde, die ſeit tauſend Jahren mit den ſtolzeſten und den ſchmachvollſten Erinnerungen des deutſchen Volkes ver - wachſen war; der Heldenruhm der Ottonen haftete an ihr, aber auch der Fluch des dreißigjährigen Krieges und die lächerliche Schande von Roßbach. Den ganzen Umkreis irdiſcher Schickſale hatte ſie durchmeſſen, aus einer Zierde Deutſchlands war ſie zu einem widrigen Zerrbilde geworden, und als ſie endlich zuſammenbrach, da ſchien es als ob ein Geſpenſt verſänke. Die Nation blieb ſtumm und kalt; erſt als ſie die Schmach der kaiſer - loſen Zeit von Grund aus gekoſtet hatte, iſt der Traum von Kaiſer und Reich wieder lebendig geworden in deutſchen Herzen.

Im Lager des Bonapartismus lärmte die freche Schadenfreude. Die Mainzer Zeitung ſchrieb: Es iſt kein Deutſchland mehr. Was man für Anſtrengungen einer gegen ihre Auflöſung kämpfenden Nation zu halten verſucht werden könnte, ſind nur Klagen weniger Menſchen an dem Grabe eines Volkes, das ſie überlebt haben. Deutſchland iſt nicht heute erſt untergegangen. Was der Geſchichte der Völker Inhalt und Leben giebt, iſt der Geiſt einiger größeren hervorragenden Menſchen worauf dann die übliche Kniebeugung vor dem Helden des Jahrhunderts folgte. Im Oberlande und am Rhein war die Meinung weit verbreitet, daß nur Englands Gold und Oeſterreichs Uebermuth den jüngſten Krieg und den Untergang des Kaiſerthums verſchuldet habe; im Norden aber kannte die Maſſe das Reich kaum dem Namen nach, den Ernſt der Zeit hatte ſie noch gar nicht empfunden. Gedeckt durch die große Armee nahmen die Fürſten des Rheinbundes ihre Beute in Beſitz, und wieder wie vor drei Jahren ließ das Volk leiſe klagend Alles über ſich ergehen. Alle rhein - bündiſchen Höfe meinten ſich kraft ihrer neuen Souveränität berechtigt, die letzten Trümmer der alten ſtändiſchen Rechte zu zerſtören; das napo - leoniſche Machtwort c’est commandé par les circonstances rechtfertigte jede Gewaltthat. Friedrich von Württemberg ließ gleich nach der Er - werbung der Königskrone dem Landtagsausſchuſſe die Schlüſſel zu der ſtändiſchen Kaſſe abfordern und beſeitigte die alte von den tapferen Schwa - ben in dreihundertjährigen Kämpfen vertheidigte Landesverfaſſung, die einzige lebenskräftige im deutſchen Süden, als eine nicht mehr in die itzige Zeit paſſende Einrichtung ; ſeine Miniſter jubelten, jetzt endlich ſei der Schlange des ſtändiſchen Trotzes der Kopf zertreten. Auch die Krone Dänemark benutzte die Auflöſung des Reichs um Holſtein ihrem Geſammt - ſtaate einzuverleiben; König Guſtav nahm ſeinen Pommern ihr altes Landesrecht und führte die ſchwediſche Verfaſſung ein.

236I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Die Anarchie eines neuen Interregnums brach über Deutſchland her - ein; das Fauſtrecht herrſchte, nicht mehr von adlichen Wegelagerern, ſondern von fürſtlichen Höfen gehandhabt. Mißtrauiſch verfolgte Napoleon jede Regung des nationalen Gefühls in dem unterjochten Lande; Frankreichs Intereſſe verlangt, ſo ſchrieb er ſeinem Talleyrand, daß die Meinung in Deutſchland getheilt bleibe. Als nun ein Ansbacher Yelin eine anonyme Flugſchrift Deutſchland in ſeiner tiefen Erniedrigung herausgab ein treugemeintes, gefühlsſeliges Schriftchen, das in eiſerner Zeit nur den friedlichen Rath fand: weine laut auf, edler, biederer Deutſcher! da ſchien dem Imperator ſelbſt dieſer Stoßſeufzer des harmloſen Spießbürger - thums bedenklich, und er ließ den Buchhändler Palm, der das Buch verbreitet haben ſollte, ſtandrechtlich erſchießen. Es war der erſte Juſtiz - mord des Bonapartismus auf deutſchem Boden; die klugen Leute in Baiern fingen an zu zweifeln, ob der Rheinbund wirklich den Sieg der Freiheit und der Aufklärung gebracht habe.

Wie anders als jener weinerliche Ansbacher wußte Friedrich Gentz zu ſeinem Volke zu reden! Die ſchönſte ſeiner Schriften, die Fragmente aus der neueſten Geſchichte des politiſchen Gleichgewichts verriethen freilich ſchon, daß der geiſtvolle Mann jetzt im Solde Oeſterreichs ſchrieb; für das ehrwürdige Erzhaus hatte er nur Worte des Lobes und die offenkundigen Pläne der Hofburg gegen Baiern leugnete er kurzweg ab. Doch was wollten ſolche Bemäntelungen bedeuten neben der großartigen Offenheit, die hier mit flammenden Worten die letzten Gründe der deutſchen Schande beleuchtete? Das alte Gleichgewicht der Mächte iſt durch eine neue Welt - herrſchaft zerſtört; nicht Napoleons Genie, ſondern Deutſchlands ſelbſt - verſchuldete Wehrloſigkeit hat das Verhängniß heraufgeführt, und die große Frage der Zukunft lautet: ſoll Deutſchland in ſeinem ganzen Umfange werden, was heute ſchon die Hälfte davon iſt, was Holland und die Schweiz und Spanien und Italien wurde? Europa iſt durch Deutſch - land gefallen; durch Deutſchland muß es wieder emporſteigen. Einen Retter und Rächer ruft er auf, der uns einſetze in unſer ewiges Recht, der Deutſchland und Europa wieder aufbaue; und mit der Wucht ſeines Hohnes erdrückt er die Thoren, die von Frankreich das Heil der Welt erwarten: eben der rächende Dämon, der ſie zur Strafe ihrer hoch - müthigen Plattheit durch den ganzen ermüdenden Kreis politiſcher Raſereien gepeitſcht hat, ſchuf ſie endlich aus Enthuſiaſten der Freiheit, einer ſcheu - ſeligen fieberhaften Freiheit, zu Lobrednern der vollkommenſten Sklaverei, die jemals die Völker gebeugt hatte, um.

Auch aus dem ſtillen Norden erklangen jetzt endlich wieder mächtige Worte vaterländiſchen Zornes. Als ein ergebener Unterthan der drei Kronen Schwedens hatte Ernſt Moritz Arndt, der tapfere Sohn der Inſel Rügen, bisher dahin gelebt; erſt da die Schande den Deutſchen in den Nacken ſchlug wallte das deutſche Blut in ihm auf und er237Palm. Gentz. Arndt.entſann ſich ſeines Vaterlandes. Während des Krieges von 1805 ſchrieb er den erſten Theil des Geiſtes der Zeit , und ſeitdem blieb er ſeinem unglücklichen Volke unerſchütterlich als ein getreuer Eckart, ein Wecker der Gewiſſen zur Seite. Weder Gentzens umfaſſende Sachkenntniß, noch die ſtahlharte Schärfe und die bewußte Berechnung des großen Publi - ciſten ſtanden ihm zu Gebote; ein Kind der Natur wie er war brauchte er langer Jahre um die landſchaftlichen Vorurtheile ſeiner ſchwediſch - pommerſchen Heimath zu überwinden: die unklare Begeiſterung für das Land der Wälder und der Freiheit, Skandinavien, und den Widerwillen gegen dies ärmlich nüchterne Preußen, das mit ſeinem verſtandeskalten Friedrich doch allein die Spaltung Deutſchlands verſchuldet habe. Aber friſch und kräftig, wie die Wogen ſeines heimiſchen Meeres, mit einer ur - ſprünglichen, unmittelbaren Macht der Empfindung, die ſo keinem anderen politiſchen Schriftſteller jener Tage gegeben war, ſtrömte ihm die Rede aus dem übervollen liebeglühenden Herzen; jedes Wort war treu, muthig, wahr - haft wie die tiefen blauen Augen des ewig jugendlichen Mannes. Während die hart politiſchen Gedanken des Wiener Publiciſten nur von Wenigen in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte verſtanden wurden, ſchloß Arndt ſein Buch mit dem kindlichen Ausruf: ich liebe die Menſchen ; er ergriff die Ge - müther, weil er die Politik von der menſchlichen Seite nahm. Er zuerſt erkannte und ſtrafte die ſittlichen Schäden der geiſtigen Ueberbildung und rief dem klugen Jahrhundert zu: beſſer iſt Leben als vom Leben ſchwatzen. Ohne das Volk iſt keine Menſchheit und ohne den freien Bürger kein freier Menſch. Ein Menſch iſt ſelten ſo erhaben, daß er äußere Knecht - ſchaft und Verachtung dulden kann ohne ſchlechter zu werden; ein Volk iſt es nie. Verwandte Stimmungen regten ſich auch in der Berliner literariſchen Jugend; ſeit den unſeligen Ansbacher Händeln wollte das alte behagliche Selbſtgefühl nicht wiederkehren. In den Kreiſen Schleier - machers träumte man gern von einem nordiſchen Bunde, der durch Ver - kehrsfreiheit und gemeinſames Heerweſen die Deutſchen des Nordens wieder zu Brüdern machen ſollte.

Eben dieſen Gedanken, den einzigen der noch Rettung verhieß, hatte die preußiſche Regierung ſelbſt ſoeben aufgenommen. Während das heilige Reich unterging, der Süden und Weſten ſich der franzöſiſchen Herrſchaft beugten, unternahm König Friedrich Wilhelm ſo ſagte nachher ſein Kriegsmanifeſt die letzten Deutſchen unter Preußens Fahnen zu ver - ſammeln. Vor zwei Jahren hatte er die norddeutſche Kaiſerkrone, die ihm Napoleon anbieten ließ, rundweg zurückgewieſen weil er den Geſchenken der Danaer mißtraute, und mit aufrichtigem Bedauern ſah er jetzt das Reich zu Grunde gehen. Erſt als die alte Rechtsgemeinſchaft der deutſchen Nation ſich völlig auflöſte, entſchloß ſich der gewiſſenhafte Fürſt, jene bün - diſchen Reformpläne, die ſeit dem Fürſtenbunde am Berliner Hofe immer wieder aufgetaucht waren, endlich durchzuführen, und der Schirmherrſchaft238I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Preußens über den Norden, die ſeit dem Baſeler Frieden thatſächlich beſtand, eine feſte rechtliche Form zu geben. Er wollte, ſo ſchrieb er an Friedrich Auguſt von Sachſen, dem Rheinbunde ein Foederativſyſtem entgegenſetzen, welches das nördliche Deutſchland retten könnte. Preußen lenkte endlich wieder ein in die Bahnen einer geſunden deutſchen Politik, und grade dieſe Rückkehr zu ſeinen großen Ueberlieferungen ſollte dem Staate eine ſchreckliche Demüthigung, die Strafe für vergangene Sünden bringen. Der König glaubte kein Wort mehr von den glatten Schmeichelreden, womit ihn Napoleon noch während des Winters überſchüttet hatte. Seit dem Pariſer Vertrage war er auf das Aergſte gefaßt; er nannte die Stiftung des Rheinbundes, die dem alliirten Berliner Hofe nicht ein - mal im Voraus angezeigt wurde, eine Revolution und eine offenbare Feindſeligkeit gegen Preußen; auch fühlte er ſich keineswegs ſicher im Beſitze von Hannover, das er für das Bollwerk der Unabhängigkeit des Nordens hielt. Die Vereinigung dieſes Landes mit der norddeutſchen Großmacht entſprach ſo ſehr dem europäiſchen Intereſſe, daß ſogar in England einzelne Einſichtige zu einer friedlichen Verſtändigung mit dem Berliner Cabinet riethen; doch der Welfenſtolz Georgs III. widerſtand hart - näckig. Während Preußen alſo um Hannovers willen mit England einen unfruchtbaren Krieg führte, mußte der König zugleich fürchten, daß die Tücke ſeines Alliirten ihm das ſo theuer erkaufte Land wieder entreißen würde.

Es ward hohe Zeit die letzten Lande, die noch deutſch und frei waren, in wehrhaften Stand zu ſetzen. Jene Dreitheilung Deutſchlands, wovon Hardenberg im Frühjahr träumte, war jetzt nahezu vollzogen, ganz anders freilich als der Vertrauensvolle gedacht hatte; dem preußiſchen Hofe blieb nur noch übrig, ohne Rückſicht auf Oeſterreich und Frankreich vorzugehen und das Drittel Deutſchlands, das in ſein Machtgebiet fiel, ſelbſtändig zu geſtalten. Da auch Haugwitz längſt über Napoleons Ab - ſichten ins Klare gekommen war, ſo begann Preußen ſchon im Juli, noch bevor der Rheinbund abgeſchloſſen wurde, Verhandlungen mit dem Dresdner und dem Caſſeler Hofe wegen der Errichtung eines Norddeutſchen Bundes. Der preußiſche Plan lehnte ſich eng an die altgewohnten Inſtitutionen des Reichs an, forderte von den kleinen Höfen nur die unerläßlichen militäriſchen Leiſtungen. Man verlangte die Kaiſerwürde für Preußen, für die beiden Kurfürſten die längſt erſehnten Königskronen; ferner einen Geſandtencongreß unter dem Directorium dieſer drei Staaten und für jeden von ihnen die Stellung eines Kreisoberſten in einem der drei Kreiſe des Bundes; endlich ein Bundesgericht und ein Bundesheer von 240,000 Mann, das im Kriege unter Preußens Oberbefehl ſtehen ſollte. Aengſtlich war Alles vermieden was den Dünkel der Bundesgenoſſen erbittern konnte: Congreß und Tribunal erhielten ihren Sitz nicht in Berlin, ſondern nach altem Reichsbrauch in zwei kleinen Städten. Um239Der Norddeutſche Bund.den Ehrgeiz Sachſens und Heſſens zu befriedigen ſchlug man auch die Mediatiſirung der Reichsritterſchaft und einiger der allerkleinſten Grafen und Herren vor, wobei den beiden Mittelſtaaten der Löwentheil zuge - dacht war.

Aber man erfuhr nochmals, daß dieſem Staate ohne harte Arbeit kein Erfolg gelang: nicht ſo als ein Nothbehelf der Verlegenheit und nicht durch friedliche Unterhandlungen konnte die kühne Idee des preußiſchen Kaiſerthums ins Leben treten. Die räthſelhaften Schwankungen der Berliner Staatskunſt hatten an allen Höfen tiefes Mißtrauen erregt; ihre zaudernde Verlegenheit erſchien der Welt als durchtriebene Berechnung. Selbſt an dem befreundeten Petersburger Hofe bezweifelte man eine Zeit lang, ob dieſer Norddeutſche Bund nicht ein napoleoniſches Ränkeſpiel ſei. Oeſterreich vollends konnte eine Politik, die einen Bruchtheil der alten Kaiſer - herrlichkeit auf Preußen zu übertragen ſuchte, nicht mit günſtigen Augen an - ſehen. Kaiſer Franz blieb voll Argwohns, zumal da Preußen die Verhand - lungen ſtreng geheim hielt; durch die Vermittlung des öſterreichiſchen Ge - ſandten in Paris erhielt der Kurfürſt von Sachſen zuerſt die Nachricht, daß Napoleon ihn vor dem Berliner Ehrgeiz warnen laſſe. Was ließ ſich unter ſolchen Umſtänden von der guten Geſinnung jener Kleinſtaaten erwarten, die von jeher gewohnt waren den Zweck zu wollen ohne die Mittel, Preußens Schutz zu beanſpruchen ohne die geringſte Gegenleiſtung?

Der Kurfürſt von Heſſen hatte ſoeben erſt wegen des Zutritts zum Rheinbunde geheime Verhandlungen geführt und war nur deßhalb mit Frankreich nicht handelseins geworden, weil Napoleon dem Habgierigen das Land der Darmſtädter Vettern nicht ſchenken wollte. Nun betrieb er, immer in der Hoffnung auf Landgewinn, freudig den Plan des Nord - deutſchen Bundes; doch ſein Eifer erkaltete gänzlich ſobald ſich heraus - ſtellte, daß Friedrich Wilhelms Rechtlichkeit die Mediatiſirungen auf ein ſehr beſcheidenes Maß beſchränken wollte. Das ſächſiſche Cabinet zeigte wieder denſelben ſteifen Hochmuth, wie einſt bei den Berathungen über Friedrichs Fürſtenbund. Von einer Unterordnung des Rautenkranzes unter ein preußiſches Kaiſerthum durfte gar nicht die Rede ſein. Da Preußen nachgiebig die Kaiſerwürde fallen ließ, forderte der Dresdner Hof ein Bundesdirectorium, das zwiſchen Preußen, Sachſen und Heſſen reihum gehen ſollte, und ſtatt des Bundesheeres und des Bundesgerichts viel - mehr drei Kreisheere und drei Kreistribunale unter der Leitung der drei Vormächte. Die alte Sehnſucht der Albertiner nach der Einverleibung der erneſtiniſchen Lande wurde wieder lebendig und blieb ſeitdem durch zwei Menſchenalter der Lieblingswunſch der Dresdner Staatskunſt. Auch die Hanſeſtädte verhielten ſich ablehnend, obgleich ihnen der Norddeutſche Bund ſchonend nur eine Geldzahlung ſtatt der Kriegsleiſtungen zumuthete; ſie beriethen insgeheim über die Bildung eines hanſeatiſchen Sonderbundes. Als ſodann die Kriegsgefahr näher rückte und Preußen von ſeinen kleinen240I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Schützlingen einen Beitrag zu den Verpflegungskoſten der Armee ver - langte, da bekundete der Schweriner Hof die patriotiſchen Gefühle des deutſchen Kleinfürſtenſtandes in der unvergeßlichen Erklärung: ſo dankbar des Herzogs Durchlaucht den Allerhöchſten königlichen Schutz benutzen würde, wenn Sie Sich in Gefahr glaubten, ſo dringend müßten Sie unter den gegenwärtigen Umſtänden eine Beitragsleiſtung Sich verbitten. Der aufrichtige Schweriner Herr gab freilich ſofort nach, als Preußen ihn an die National-Ehre des zertretenen Vaterlandes erinnerte und mit dem Einmarſch ſeiner Truppen bedrohte. Indeß der ganze Verlauf der ſchleppenden Unterhandlungen lehrte, daß ein feſter Bund mit dieſen Höfen nicht anders als durch den Zwang der Waffen begründet werden konnte.

Das Widerſtreben der kleinen Staaten fand ſeinen Rückhalt in Paris; durch Napoleons Treuloſigkeit wurde der Norddeutſche Bund ſchon im Werden zerſtört. Am 22. Juli hatte Talleyrand ſelbſt den Berliner Hof aufgefordert, er möge Vortheil ziehen aus der Stiftung des Rheinbundes und ſich ein norddeutſches Kaiſerthum gründen. Die freundliche Einladung bezweckte ſelbſtverſtändlich nur, Preußens Zuſtimmung zu der Auflöſung des alten Reichs zu gewinnen. War doch der Rheinbund von Haus aus, wie der Schluß-Artikel ſeiner Verfaſſung deutlich ausſprach, auf den Eintritt aller deutſchen Kleinſtaaten berechnet; kaum abgeſchloſſen ward er ſchon erweitert durch die Aufnahme des neuen Großherzogs von Würz - burg. Im nämlichen Augenblicke, da Napoleon ſeinem Verbündeten die norddeutſche Kaiſerkrone antrug, warnte er die Höfe von Dresden und Caſſel vor dem preußiſchen Bündniß und ermuthigte insgeheim die groß - ſächſiſchen Pläne wie die Sonderbundsverſuche der Hanſeaten. Am 13. Auguſt trat er noch weiter aus dem Dunkel heraus, ließ durch Dalberg den beiden Kurfürſten ſeinen Schutz gegen Preußens Mißwollen zuſichern, falls ſie dem Rheinbunde beitreten wollten; und vier Wochen darauf erklärte er dem Fürſten - Primas rundweg: er habe die volle Souveränität aller deutſchen Fürſten an - erkannt und werde keinen Oberherrn über ihnen dulden. Nirgends hinter - ließen dieſe franzöſiſchen Umtriebe tieferen Eindruck als am Dresdner Hofe; ſobald das Kriegswetter heraufzog, verſuchte der geängſtete Kurfürſt ein ähnliches Doppelſpiel zwiſchen Preußen und Frankreich, wie es Baiern ein Jahr zuvor zwiſchen Frankreich und Oeſterreich durchgeführt hatte. Zu furchtſam und zu ehrlich um dem Nachbarn die Bundeshilfe zu ver - ſagen, dachte er ſich doch für alle Fälle ſicherzuſtellen und bat um plötz - lichen Einmarſch der preußiſchen Truppen, weil er vor Napoleon als ein unfreiwilliger Bundesgenoſſe Preußens erſcheinen wollte.

Durfte Preußen nach allen den kläglichen Demüthigungen der jüngſten Monate ſichs auch noch bieten laſſen, daß Napoleon ihm verbot die letzten Trümmer Deutſchlands vor der Fremdherrſchaft zu bewahren? Sollte man zuwarten bis der Treuloſe, der die Monarchie mit ſeinen Heeren umzingelt241Scheitern des Norddeutſchen Bundes.hielt und in ſeinen Rheinfeſtungen unabläſſig rüſtete, auf der Spitze ſeines Degens dem Könige einen neuen noch ſchimpflicheren Unterwerfungsantrag entgegenreichte? Napoleon greift uns an das Herz , ſo ſchrieb General Rüchel, er bedroht Sachſen und Heſſen wider die heiligſten ſeiner Verſicherungen. Nur das Schwert bot noch einen Ausweg aus der völlig unhaltbaren Lage. Schon ſeit dem Winter ahnten die einſichtigen Patrioten am Hofe, daß der Entſcheidungskampf unaufhaltſam heran - nahe. Im Vorgefühle der nahen Kataſtrophe verſuchte der Finanzminiſter Stein während des Frühjahrs den König von dem Einfluß ſeiner ſub - alternen Rathgeber zu befreien. Er entwarf eine Denkſchrift über die Gebrechen der Staatsregierung, das erſte Programm ſeiner großen Re - formpolitik: da Preußen keine Staatsverfaſſung hat und die oberſte Ge - walt nicht zwiſchen dem Oberhaupt und den Stellvertretern der Nation getheilt iſt, ſo ſcheint die Regierungsverfaſſung um ſo wichtiger; die Ge - walt iſt der Raub einer untergeordneten Influenz geworden; darum Auf - hebung der geheimen Cabinetsregierung, und ſtatt ihrer ein Staatsrath und fünf Fachminiſter, in unmittelbarem Verkehre mit dem Könige; dazu neue kräftige Männer, denn man muß die Perſonen ändern, wenn man Maßregeln ändern will. Auch Blücher ſchalt mit ſeinem kühnen Frei - muth laut wider die Rotte niederer Faulthiere, die den edlen König um - lagere. Im September, kurz bevor die Würfel fielen, brachten dann mehrere Prinzen des königlichen Hauſes, Stein, Blücher und Rüchel eine gemeinſame Vorſtellung vor den Thron: ſie ſagten dem Könige was ganz Preußen, ganz Deutſchland und Europa weiß , beſchworen ihn, Haugwitz, Beyme und Lombard zu entlaſſen. Wie tief mußte das feſte Gefüge des alten Abſolutismus erſchüttert ſein, wenn königliche Prinzen einen ſolchen Schritt wagen durften! Friedrich Wilhelm aber war nicht geſonnen das Anſehen ſeiner Krone gefährden zu laſſen, er nannte das Unterfangen eine Meuterei, gab den Bittenden einen ungnädigen Beſcheid. So blieben denn die alte und die neue Zeit in den entſcheidenden Aemtern unver - mittelt neben einander: im Heere ſtand der Generalquartiermeiſter Scharn - horſt neben dem Oberfeldherrn, dem Herzog von Braunſchweig, im Mini - ſterium ſaß Stein neben Haugwitz, im Cabinet trieb Lombard ſein Weſen, während Hardenberg dem Monarchen vertraulichen Rath ertheilte. Unter ſolcher Leitung nahm die unförmliche alte Monarchie den Kampf auf wider den Gewaltigen, von dem die Franzoſen mit ſcheuer Bewunderung ſagten: er weiß Alles, er will Alles, er kann Alles!

Eine neue Verrätherei Napoleons führte endlich den Ausbruch des unvermeidlichen Krieges herbei. Wie oft und feierlich hatte Frankreich ſeinem preußiſchen Verbündeten den Beſitz von Hannover gewährleiſtet; nun erfuhr man plötzlich in Berlin, daß der Imperator, der den Sommer über eine große Friedensverhandlung mit England und Rußland führte, ſich unbedenklich erboten habe den Welfen ihr Stammland wieder auszu -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 16242I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.liefern. Auf dieſe Nachricht ſchrieb Friedrich Wilhelm ſofort (9. Auguſt) an den Czaren: wenn Napoleon mit London über Hannover verhandelt, ſo will er mich verderben. Der König ſah voraus, daß binnen Kurzem der unwürdige Zuſtand vom Februar ſich erneuern mußte, daß Preußen nur noch die Wahl hatte abermals eine ſchimpfliche Beraubung ſchweigend zu ertragen oder den Einbruch der großen Armee mit den Waffen abzuweiſen. Darum wurde das preußiſche Heer auf Kriegsfuß geſetzt und im Magde - burgiſchen verſammelt. Mit dieſem Schritte berechtigter Nothwehr war der Krieg entſchieden. Denn obwohl Frankreichs Verhandlungen mit Eng - land ſich zerſchlugen und der geplante Handel mit Hannover vorläufig nicht zu Stande kam, ſo ſtand doch, nach den geheimen Umtrieben der franzöſiſchen Diplomatie in Dresden und Caſſel, mit voller Sicherheit zu erwarten, daß Napoleon freudig den bequemen Anlaß benutzen werde, um den einzigen Staat niederzuwerfen, der noch die Ausbreitung des Rheinbundes über das geſammte Deutſchland verhinderte. Der König mußte gewärtig ſein, daß in den nächſten Tagen ſchon Frankreich drohend die Abrüſtung des preußiſchen Heeres und die Auflöſung des werdenden Norddeutſchen Bundes forderte. Mit vollem Rechte ſchrieb er ſeinem ruſſiſchen Freunde: der Friede ſei nur noch unter zwei Bedingungen mög - lich, wenn Napoleon ſeine Truppen aus Deutſchland zurückziehe und ſich verpflichte, dem Norddeutſchen Bunde nichts mehr in den Weg zu legen; es bleibe nichts mehr übrig als der Krieg, denn wer könne dieſem Manne Geſetze vorſchreiben?

Wenn der Imperator gleichwohl mit ſeinen letzten Forderungen nicht ſofort heraustrat, ſo geſchah es nur, weil er vorerſt den Erfolg der mit Rußland eingeleiteten Friedensverhandlungen abwarten wollte. Mit vollendeter Umſicht, jeden Schritt berechnend, betrieb er ſeit Monaten die diplomatiſchen und militäriſchen Vorbereitungen für den preußiſchen Krieg; keinen andern ſeiner Eroberungszüge hatte er je ſo behutſam eingeleitet, denn er dachte noch immer hoch von dem fridericianiſchen Heere. Es gelang ihm, den Gegner von den anderen Großmächten faſt völlig zu trennen, und er hielt ſein Spiel ſo wohl verdeckt, daß Mit - und Nach - welt ihm die Lüge glaubte, dieſer dem preußiſchen Staate aufgezwungene Vertheidigungskrieg ſei durch einen verzweifelten Entſchluß des Königs muthwillig vom Zaune gebrochen worden. Das Märchen fand in Preußen ſelbſt Anklang, da nach dem unheilvollen Verlaufe des Waffenganges Jedermann die Politik von 1806 verwünſchte.

Durch die Abtretung Hannovers hatte Napoleon den preußiſchen Hof mit England verfeindet; nun beredete er den ruſſiſchen Bevollmächtigten Oubril zum Abſchluß eines Sonderfriedens. Verſagte der Czar dem eigenmächtigen Schritte ſeines Geſandten die Genehmigung, ſo lag noch eine andere Waffe bereit, die den Petersburger Hof von dem preußiſchen Kriege fern halten ſollte. Schon im Auguſt ging der Corſe Sebaſtiani243Vorbereitungen zum Kriege.nach Konſtantinopel, um den Sultan Selim zum Kriege gegen Rußland zu verlocken. Er fand den Divan in zorniger Aufregung, weil Czartoryskis unſtäte plänereiche Politik die aufſtändiſchen Serben insgeheim ermuthigt, die Hospodare der Donauprovinzen unter ruſſiſchen Einfluß gebracht und Unruhen unter den Inſelgriechen angezettelt hatte. Es hielt nicht ſchwer die Pforte vorwärts zu drängen. Als Czar Alexander den Oubril’ſchen Sonderfrieden verwarf, wußte man in Paris bereits, daß Rußland jeden - falls nur mit halber Kraft in den preußiſchen Krieg eingreifen konnte. Bald nach den Schlachten in Thüringen brach der Kampf an der Donau aus, und Napoleon mahnte den Sultan: jetzt iſt es Zeit Deine Unab - hängigkeit zu erobern! Durch dieſe orientaliſchen Händel ſicherte ſich Napo - leon zugleich die Neutralität Oeſterreichs. Der Haß wider den Sieger von Auſterlitz war in Wien ſtärker, als das Mißtrauen gegen Haugwitz, ſtärker ſogar als die Befriedigung über die Noth des norddeutſchen Nebenbuhlers. Aber die Macht Oeſterreichs war durch den letzten Krieg ſo tief erſchüttert, daß ſie in der Verwicklung des Augenblicks kaum noch mitzählte, und jetzt wurde ſie vollends gelähmt durch die unberechenbaren türkiſchen Wirren. Sobald Alexanders Truppen in der Wallachei einrückten, rieth Erzherzog Karl ſeinem kaiſerlichen Bruder zur Beſetzung von Belgrad; monatelang blieb das Wiener Cabinet gefaßt auf einen Krieg gegen Rußland. Die Hofburg nahm daher die preußiſchen Aufforderungen ebenſo kühl auf, wie Napoleons Anfragen wegen einer Allianz zum Schutze der Unabhängig - keit Sachſens; um ſich die Gunſt des Imperators zu ſichern verrieth ſie ſogar dem Tuilerienhofe einige kriegeriſche Depeſchen des preußiſchen Miniſters.

Alſo war Haugwitz durch die diplomatiſche Meiſterſchaft des Gegners umgarnt und in Wahrheit ſchon geſchlagen; gleichwohl wiegte er ſich in glück - ſeligen Hoffnungen. Er rechnete zuverſichtlich auf Oeſterreichs Beiſtand, wozu gar kein Grund vorlag, und wähnte, das Volk des Rheinbundes werde frei - willig den Fahnen des Königs zuſtrömen, während überall Mißtrauen und Kaltſinn den Preußen begegneten. Nur Rußlands Hilfe hatte der König durch geheime Verhandlungen in Petersburg ſeinem Staate geſichert; aber auch der Czar ahnte nichts von der Größe der Gefahr, ſondern meinte durch ein Hilfsheer von 70,000 Mann genug zu leiſten und ließ ſich in den orientaliſchen Krieg hineinziehen, derweil der Kampf um Preußens Daſein anbrach. Dazu quälte wieder die Sorge um die unzuverläſſigen polniſchen Provinzen. Der wohlmeinende Fürſt Radziwill rieth, der König möge den Namen eines Königs von Polen, der Czar den eines Königs von Litthauen annehmen, dieſe Titel würden jedes andere Gefühl verwiſchen . Friedrich Wilhelm hütete ſich wohl dem zweiſchneidigen Rathe zu folgen; doch unter - deſſen entwarf man in Paris ein Manifeſt, das die Polen aufrief an der Seite ihrer alten franzöſiſchen Bundesgenoſſen für die Freiheit zu kämpfen. Für die Eröffnung des Feldzugs konnte Preußen allein auf Kurſachſens16*244I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Mitwirkung rechnen, und dieſes einen Freundes Treue wankte ſchon längſt. Mehrmals ließ Napoleon dem Dresdner Hofe erklären, er be - trachte Sachſens Theilnahme an dem Kriege als erzwungen; der ängſt - liche Kurfürſt wagte den offenbaren Verrath noch nicht, doch beließ er ſeinen Geſandten in Paris und ſprach, ſchon bevor die Nachricht von der Jenaer Schlacht eintraf, dem franzöſiſchen Kaiſer ſeinen Dank aus für die freundſchaftliche Geſinnung. Mit Sicherheit durfte Napoleon auf Kur - ſachſens Abfall rechnen; der heſſiſche Kurfürſt aber blieb neutral, da ſeine Habgier von dieſem Kriege nichts erwarten konnte, und Haugwitz ließ ihn gewähren.

In ſolcher Vereinſamung erhob Preußen die Waffen wider die Macht des geſammten Weſteuropas. Nur eine vorſichtige Vertheidigung konnte dem un - gleichen Kampfe einen leidlichen Ausgang ſichern; geſtützt auf jenes Feſtungs - dreieck zwiſchen Elbe und Oder, das ſo oft ſchon die Rettung des bedrängten Staates geweſen, durfte man vielleicht hoffen die Uebermacht des Feindes ſo lange hinzuhalten, bis das Hilfsheer aus dem Innern Rußlands heran - kam. Aber Haugwitz wollte der mißtrauiſchen Welt unzweideutig beweiſen, daß es ihm Ernſt ſei mit dem Kriege; er rieth zum Angriff, auch die fridericianiſchen Traditionen des Heeres ſprachen für die verwegene Offen - ſive. So beſchloß man durch Thüringen gegen Süddeutſchland vorzu - brechen und ſetzte für dies tollkühne Unternehmen nicht einmal die geſammte Armee in Marſch. Alle oſtpreußiſchen und die Mehrzahl der ſüdpreußiſchen Regimenter, an vierzigtauſend Mann, blieben in der Heimath zurück. Wie anders wußte Napoleon für Krieg und Sieg zu rüſten. Noch im Auguſt ſchob er die Truppen des Rheinbundes bis an die Grenzen Thüringens heran; in den erſten Septembertagen erließ er ſodann ſeine Marſchbefehle an die große Armee, jeden Tagemarſch mit peinlicher Genauigkeit be - ſtimmend. Seine Spione bereiſten die Straßen von Bamberg bis Berlin; eine Kriegskaſſe von 24,000 Fr. war ihm genug, alles Weitere ergab ſich von ſelbſt nach dem ſicheren Siege.

Noch beſtimmter als im vorigen Jahre bezeichnete der Imperator diesmal die Zertheilung Deutſchlands, die Unabhängigkeit aller deutſchen Kronen als das Ziel des Krieges; für dieſen Zweck verlangte er in einem Rundſchreiben die Heeresfolge der Rheinbundshöfe. Dem Senate erklärte eine kaiſerliche Botſchaft, wie Napoleon ſich verpflichtet fühle das überfallene Sachſen vor dem Ehrgeiz eines ungerechten Nachbars zu ſichern, und nach Ausbruch des Krieges verkündete ein Manifeſt den Völkern Sachſens : Frankreich komme ſie zu befreien. Die Franzoſen, ſo viele in dem abge - ſtumpften Geſchlechte ſich noch um politiſche Fragen kümmerten, ſtimmten ihrem Herrſcher freudig bei; galt doch die Beſchützung der deutſchen Klein - ſtaaterei allgemein als die Aufgabe der nationalen Politik, ſeit Heinrich II. ſich zuerſt zum ewigen Defenſor deutſcher Libertät aufgeworfen hatte. Ebenſo bereitwillig folgten die Fürſten des Rheinbundes dem Schirmherrn des245Krieg von 1806.deutſchen Particularismus; Friedrich von Württemberg tobte im Zorne der beleidigten Majeſtät, als der Herzog von Braunſchweig ihn an das gemein - ſame Vaterland und an die Pflichten deutſcher Fürſten mahnte. Die ſüd - deutſchen Offiziere frohlockten bei dem Gedanken endlich einmal dieſen übermüthigen Preußen die Schande von Roßbach und von Leuthen zu vergelten; die Lanzknechtsroheit der bairiſchen und württembergiſchen Sol - daten hauſte in den preußiſchen Quartieren noch ärger als die Fran - zoſen ſelbſt.

Wohl war es ein heiliger Krieg; erſt durch ihn und ſein ſchreckliches Mißlingen wurde die alte Ordnung des deutſchen Lebens völlig vernichtet. Was dort in Regensburg zuſammenſtürzte war ein leerer Schatten; was aber auf den Schlachtfeldern Thüringens und Oſtpreußens zertrümmert wurde, das war der lebendige deutſche Staat, der einzige, der dem poli - tiſchen Daſein dieſes Volkes einen Inhalt und ein Ziel gegeben hatte. Ihn traf das Verderben, als er nach langer Verirrung ſich wieder auf ſich ſelbſt beſann, den Kampf aufnahm wider die Zwingherrſchaft der Fremden und die Felonie der heimiſchen Fürſten. Nichts konnte ehrlicher ſein als der ſchonungslos aufrichtige Abſagebrief des Königs an Napoleon; nichts berechtigter als die drei Forderungen des preußiſchen Ultimatums vom 1. October: Abzug der Franzoſen aus Deutſchland, Anerkennung des Norddeutſchen Bundes, friedliche Verſtändigung über die andern zwiſchen den beiden Mächten noch ſchwebenden Streitfragen. Selbſt aus dem weit - läuftigen ungeſchickten Kriegsmanifeſte brach doch zuweilen ein Ton würdigen nationalen Stolzes hervor: der König ergreift die Waffen um das un - glückliche Deutſchland von dem Joche, worunter es erliegt, zu befreien; vor allen Tractaten haben die Nationen ihre Rechte!

Im Volke wie im Heere regte ſich noch kaum eine Ahnung von dem großen Sinne des Krieges. Wie ein Prediger in der Wüſte ſtand Schleier - macher auf der Kanzel der Ulrichskirche zu Halle und deutete den Verblen - deten die Zeichen der Zeit: unſer Aller Leben iſt eingewurzelt in deutſcher Freiheit und deutſcher Geſinnung; und dieſe gilt es! Auch Fichte blieb noch einſam, von Wenigen verſtanden. Sobald der Ernſt des Kampfes an Preußen herantrat, erwachte in dem tapferen Manne die lebendige Staatsgeſinnung; alle ſeine weltbürgerlichen Träume warf er entſchloſſen hinter ſich, und mit flammenden Worten pries er den Beruf des vaterländiſchen Kriegers: was iſt der Charakter des Kriegers? opfern muß er ſich können. In ihm kann die wahre Geſinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu etwas, was über das Leben und ſeine Genüſſe hinausliegt. In den ſelbſtgenügſamen Kreiſen des Offizierscorps hatte man kaum ein geringſchätziges Lächeln übrig für die begeiſterten Reden des ſonderbaren Schwärmers; hier herrſchte noch der ſteife Dünkel der fridericianiſchen Zeiten und daneben eine freche Tadelſucht, die an jedem Befehle der Vor - geſetzten ihren Witz übte. Niemand überſah noch vollſtändig, wie ſchwer246I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die Armee durch den tiefen Schlummer des jüngſten Jahrzehnts gelitten hatte. Am Richtigſten vielleicht urtheilte der König ſelbſt; die Unordnung, das Beſſerwiſſen, die Schwerfälligkeit in Allem und Jedem entgingen ſeinem klaren Blicke nicht; doch wie hätte der Schüchterne gegen den welt - berühmten alten Braunſchweiger ſein Anſehen brauchen ſollen? Der ge - meine Soldat that mechaniſch ſeine Schuldigkeit. Die Maſſen des Volkes blieben kalt und gleichgiltig; nur die Alten, die den großen König noch gekannt, vertrauten feſt auf die ſcharfen Fänge des preußiſchen Adlers, ſprachen prahlend von dem Zuge nach Paris.

So begann der einzige gänzlich verlorene Feldzug der glückhaften preußiſchen Kriegsgeſchichte. Beiſpiellos wie das Aufſteigen dieſes Staates geweſen, ſollten auch ſeine Niederlagen werden, allen kommenden Ge - ſchlechtern unvergeßlich wie ſelbſterlebtes Leid, allen eine Mahnung zur Wachſamkeit, zur Demuth und zur Treue. Napoleon flammte auf in wilder Schadenfreude, als er die ruhmreichſte der alten Mächte ſo hilf - los unter ſeinen Griffen ſah; die Schmähungen troffen ihm von den Lippen; noch niemals war er ſo ganz Leidenſchaft, ſo ganz Haß und Grimm geweſen. Er fühlte, daß in dieſem Staate Deutſchlands letzte Hoff - nung lag; er ahnte mit dem Inſtinkte der Gemeinheit, daß dieſe Hohen - zollern doch von anderem Metall waren als Kaiſer Franz und die Satrapen des Rheinbundes. In ſeinen Anſprachen an die Armee überſchüttete er vor Allen die edle Königin mit pöbelhaftem Schimpf; ſie, die an den ent - ſcheidenden Berathungen des Auguſts gar keinen Antheil genommen, ſollte die Schuld tragen an dem Bürgerkriege , der das argloſe Frankreich ſo ganz unvermuthet überraſchte; ſie dürſtete nach Blut, ſie ſetzte, eine andere Armida, im Wahnſinn ihr eigenes Schloß in Brand. Noch bevor die Schwerter an einander ſchlugen war bereits entſchieden, daß zwiſchen Napo - leon und den Hohenzollern nie wieder ein ehrlicher Friede beſtehen konnte. Höhnend ſchloß der Imperator ſein Kriegsmanifeſt: möge Preußen lernen, daß, wenn es leicht iſt durch die Freundſchaft der großen Nation Land und Leute zu gewinnen, ihre Feindſchaft ſchrecklicher iſt als die Stürme des Oceans!

Wie Haugwitz durch die Eigenmächtigkeiten des letzten Winters den Staat in ſeine verzweifelte diplomatiſche Lage gebracht hatte, ſo verſchuldete er auch die verfehlte Einleitung des Feldzugs. Trotz ihres ungeheuren Troſſes hatte die preußiſche Armee ihren Aufmarſch in Thüringen früher beendet als der Feind; aber der beabſichtigte Einfall in Franken unter - blieb, weil Haugwitz erſt den Erfolg ſeines Ultimatums abwarten wollte. Man verlor einige unſchätzbare Tage in zweckloſem Verweilen nördlich des Thüringerwaldes. Da kam die Nachricht, daß der Feind durch das öſtliche Thüringen auf der Nürnberg-Leipziger-Straße heraneile, die linke Flanke der Preußen bedrohend. Der Herzog von Braunſchweig fürchtete für ſeine Rückzugslinie und befahl den Abmarſch nach der Elbe. Auf247Schlacht von Jena.dieſem Rückzuge wurde die Armee zugleich vom Süden und vom Oſten her angegriffen. Der Kaiſer ſelbſt rückte durch das Saalthal nordwärts. Die Vorhut der Preußen ward bei Saalfeld geworfen; der Tod des hochher - zigen Prinzen Louis Ferdinand ſchlug als ein unheilvolles Vorzeichen die Zuverſicht der Truppen völlig nieder, und mit Entſetzen hörten die Offi - ziere aus den zerſtreuten Haufen den in der preußiſchen Armee noch un - bekannten Ruf: wir ſind Verſprengte!

Fürſt Hohenlohe aber verlor jetzt in einem Tage den einſt am Rheine ritterlich erworbenen Soldatenruhm. Er ging mit ſeinem preu - ßiſch-ſächſiſchen Corps auf die Hochebene des linken Saalufers über Jena zurück, und da ihm verboten war ſich in ein ernſtes Gefecht einzulaſſen, ſo verſäumte er nicht nur die Flußübergänge, ſondern auch die das Thal und die Hochfläche überſchauenden Höhen zu beſetzen. Napoleon bemerkte den Fehler ſofort, bemächtigte ſich alsbald der Höhenränder, führte ſelber Nachts, mit der Fackel in der Fauſt, das Geſchütz die ſteilen Abhänge hinauf; und als der nebelgraue Morgen des 14. Octobers anbrach, hielt der Imperator ſchon den ſicheren Sieg in Händen. Wie ſollte dieſer Bruchtheil der preußiſchen Armee die Poſition von Vierzehnheiligen be - haupten gegen das franzöſiſche Hauptheer, das jetzt mit erdrückender Ueber - macht von den beherrſchenden Höhen aus den Angriff begann? Der deutſche Soldat focht tapfer, des alten Ruhmes würdig, die preußiſche Reiterei zeigte ſich den Wälſchen wie immer überlegen; nur im zerſtreuten Gefechte konnte das ſchwerfällige Fußvolk mit den flinken Tirailleurs Napoleons ſich nicht meſſen. Die Franzoſen beflügelte das kriegeriſche Feuer junger ſieggewohnter Führer, die Alliirten lähmte die Bedachtſamkeit ihrer hilf - loſen alten Stabsoffiziere; voyez donc le pauvre papa saxon! rief der franzöſiſche Soldat mit ſpöttiſcher Verwunderung einem gefangenen greiſen Oberſten zu. Noch konnte General Rüchel mit ſeinen friſchen Truppen der geſchlagenen Armee einen geordneten Rückzug ſichern, aber er führte die Regimenter vereinzelt zu nutzloſem Kampfe vor. Alſo ward auch die Reſerve mit in die Niederlage verwickelt, und als nun in der frühen Herbſtnacht der Rückmarſch gegen Weimar angetreten wurde, da zerriſſen die letzten ſittlichen Bande, welche dies Heer noch zuſammenhielten. Taub gegen die Mahnungen ungeliebter Führer dachte der Soldat nur an ſich ſelber. In einem unförmlichen Klumpen wälzten ſich die Trümmer der Bataillone und der Batterien, dazwiſchen eingekeilt der unendliche Troß, über die Hochebene dahin; jeder Hornruf des nachſetzenden Feindes ſteigerte die Verwirrung, weckte die gemeine Angſt um das Leben. Das waren Gräuel, ſagte Gneiſenau, dieſer fürchterlichen Nacht gedenkend; tauſendmal lieber ſterben, als das noch einmal erleben! Vergeblich ſammelte er einige Haufen der Flüchtigen am Rande des Webichtholzes nahe vor Weimar um den Rückzug des Corps zu decken. Er ſollte lernen, was die dämoniſche Macht des Schreckens über ein geſchlagenes Heer ver -248I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.mag; ein letzter Angriff der franzöſiſchen Reiter, aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineingeführt, warf Alles in wilder Flucht auseinander. Unauslöſchlich haftete dies Bild des Entſetzens in der Seele des Helden, ein Vermächtniß für die Tage der Vergeltung.

Gleichzeitig erfocht Davouſt einige Meilen weiter flußab einen un - gleich ſchwereren Sieg über die preußiſche Hauptarmee. Er zog auf der Straße von Naumburg weſtwärts um den Preußen den Weg zur Elbe zu verlegen. Als ſeine Colonnen am Morgen des Vierzehnten ſoeben aus dem Köſener Engpaſſe auf die wellige Hochfläche hinaufgerückt waren, die zwiſchen Heſſenhauſen und Auerſtädt ſteil über dem linken Saalufer emporſteigt, da ſtießen die beiden Heere plötzlich im dichten Nebel auf einander, beide im Marſch, beide des Kampfes nicht gewärtig, die Preußen hier dem Feinde an Zahl reichlich gewachſen. Schon während der erſten Stunden der Schlacht wurde der Herzog von Braunſchweig tödlich ver - wundet; das preußiſche Heer blieb in den entſcheidenden Augenblicken ohne Oberbefehl. Wohl drang Scharnhorſt mit dem linken Flügel ſieg - reich vor, doch die Reiterei des rechten Flügels ward ungeſchickt verwendet, und das zweite Treffen nahm an dem Kampfe gar nicht theil, denn in dieſem Friedensheer wagte kein General auf eigne Fauſt zu handeln. So glückte es dem Feinde, freilich nur mit dem Aufgebote ſeiner letzten Re - ſerven, den rechten Flügel der Preußen zu werfen, und nunmehr mußte auch Scharnhorſt weichen. In leidlicher Ordnung ging das Heer zurück um weiter weſtlich bei Buttſtedt gegen Norden abzubiegen und den Weg über Sangerhauſen nach Magdeburg einzuſchlagen. Dieſelbe Rückzugsſtraße hatte auch Hohenlohe von Weimar aus genommen, und jetzt erſt da die beiden geſchlagenen Heere im Dunkel der Nacht auf einander trafen, ward der Schrecken allgemein und die Hauptarmee in die Zerrüttung des Hohen - lohiſchen Corps mit hineingeriſſen. Die Mannſchaft ſah ſtumpf und theil - nahmlos den Untergang des alten Preußens, ſchaarenweiſe verließ ſie die Fahnen; ſelbſt Gefangene, die ein beherzter Reitertrupp wieder befreit hatte, weigerten ſich die Waffen wieder aufzunehmen. Als man der Heimath näher kam, ſtahl ſich auch mancher treue Mann zu den Seinigen hinweg; die Altgedienten ſagten: ich habe lang genug den Kuhfuß getragen, der König hat der jungen Burſche genug, die mögen es ausfechten! Der Zauber der fridericianiſchen Unbeſiegbarkeit war gebrochen, ein Kriegsruhm ohne Gleichen war verloren.

Schon am 15. October legte Napoleon allen preußiſchen Provinzen dieſſeits der Weichſel eine Contribution von 159 Mill. Fr. auf, denn das Ergebniß der geſtrigen Schlacht ſei die Eroberung aller dieſer Lande. Vermeſſener hatte der Glückliche noch nie geprahlt, und doch ſollte die frevelhafteſte der Lügen durch ein wunderbares Geſchick zur buchſtäblichen Wahrheit werden. Der Dresdner Hof vollzog ſogleich nach der Nieder - lage den längſt geplanten Abfall und trat zu Napoleon über. Acht Tage249Die Capitulationen.nach der Schlacht wurden die preußiſchen Gebiete links der Elbe, ſowie die Beſitzungen der Oranier und des heſſiſchen Kurhauſes vorläufig dem franzöſiſchen Kaiſerreiche einverleibt. Das Syſtem zweideutiger Neutra - lität, das der Kurfürſt von Heſſen mit Napoleons Zuſtimmung einge - halten, fand jetzt ſeine Strafe: der Sieger wollte den geheimen Feind in ſeinem Rücken nicht mehr dulden. In Münſter feierte die altſtändiſche Libertät jubelnd die Erlöſung vom preußiſchen Joche; man riß die ſchwarz - weißen Schlagbäume nieder, franzöſiſche und münſterländiſche Fahnen ver - herrlichten den Einzug der napoleoniſchen Truppen. Auch in Hannover wurden die ſchwarzen Adler eilfertig abgenommen und die Entfernung der preußiſchen Beamten mit unverhohlener Schadenfreude begrüßt.

Während alſo die neuen Provinzen verloren gingen, erlitt die Reſerve - armee bei Halle eine Niederlage, und da ſie nach Magdeburg zurückwich ſtatt die Hauptſtadt zu ſichern, ſo konnte Napoleon ungehindert auf der Sehne des weiten Bogens, den die Beſiegten beſchrieben, ſeinen Siegeszug nach Berlin fortſetzen. Furchtbar rächte ſich nun der ſelbſtgefällige Hochmuth der bequemen Friedenszeiten. Keiner der feſten Plätze war gerüſtet; denn Niemand hatte das Vordringen des Feindes bis in das Herz der Mo - narchie für denkbar gehalten; der ſchwerfällige Staatshaushalt, der nach der Weiſe eines guten Hausvaters die Ausgaben nach den Einnahmen bemaß, gebot auch gar nicht über die Mittel für außerordentliche Fälle. Mancher der abgelebten alten Feſtungscommandanten war in jungen Jahren ein wackerer Offizier geweſen, doch ihr Pflichtgefühl entſprang nicht der Vaterlandsliebe, ſondern dem Standesſtolze; das Heer war ihnen Alles, erfroren in ſteifem Dünkel erwarteten ſie gelaſſen den un - fehlbaren Sieg der fridericianiſchen Regimenter. Als nun die ſinnver - wirrende Kunde von der Niederlage durch das Land flog, als die elenden Trümmer dieſes unüberwindlichen Heeres in Magdeburg anlangten, die ganze Stadt mit Schrecken und Verwirrung füllend, da ward den alten Herren zu Muthe, als ginge die Welt unter; jeder Widerſtand ſchien ihnen nutzlos, was ihrem Leben Halt gegeben war zerbrochen. Nach dem Falle von Erfurt, das ſogleich nach der Schlacht ſchimpflich capitulirte, öffneten bald auch die Hauptfeſtungen des alten Staates, Magdeburg, Küſtrin, Stettin, und mehrere kleinere Plätze ihre Thore.

Mit richtigem Gefühle warf das treue Volk ſeinen Zorn zumeiſt auf die Federbüſche , die Generale; denn wie der Verluſt der Doppelſchlacht weſent - lich durch die Führung verſchuldet war, ſo auch dieſe letzte Schmach. Ueberall zeigte die Haltung der Beſatzungen, daß ſie eines beſſeren Looſes würdig waren. Junge Offiziere zerbrachen in wilder Verzweiflung ihre Degen, gemeine Soldaten ſetzten einander die Muskete auf die Bruſt und feuerten ab um nur den Schimpf der Capitulation nicht zu erleben; in Küſtrin meuterten mehrere Bataillone gegen den ehrloſen Commandanten. Aber ſo machtlos war noch das öffentliche Urtheil: keiner dieſer pflichtvergeſſe -250I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nen Alten hat nachher, als die ſchimpfliche Strafe ihn ereilte, ein be - ſchmutztes Leben durch freiwilligen Tod geſühnt. Auch Fürſt Hohenlohe ging mit Unehren zu Grunde: unter unſäglichen Entbehrungen hatte er die Trümmer ſeines Corps auf weiten Umwegen bis in die Ukermark ge - führt, da ereilten ihn die Franzoſen bei Prenzlau, in den Sümpfen am Ukerſee. Erſchöpft an Leib und Seele, tief erſchüttert durch die Unglücks - botſchaften, die ihm von allen Seiten zuſtrömten, ließ er ſich durch Murats Lügen über die Stärke des Feindes gröblich täuſchen; der Schwager Napo - leons verpfändete nach dem Brauche dieſer Abenteurer des Kaiſerreichs unbedenklich ſein Ehrenwort für eine bewußte Unwahrheit. Ein letzter verzweifelter Angriff des tapferen Prinzen Auguſt ſcheiterte; das Hohen - lohiſche Corps capitulirte im freien Felde. So endete jener ritterliche Fürſt, der einſt die Zierde des preußiſchen Heeres war, der in den Ver - ſuchungen der rheinbündiſchen Tage allein unter den Fürſten des Südens ehrenhaften Muth und deutſche Treue bewährt hatte.

Die Armee war vernichtet. Durch den Fall von Stettin und Küſtrin ward auch die Oderlinie unhaltbar, und völlig ausſichtslos ſchien der Ge - danke, mit den oſtpreußiſchen Regimentern jenſeits der Weichſel noch einen letzten Widerſtand zu verſuchen. Napoleon ſchrieb dem Sultan befriedigt: Preußen iſt verſchwunden ; und ſelbſt Gentz meinte: es wäre mehr als lächerlich, an die Wiederauferſtehung Preußens auch nur zu denken! Wie viele Stürme waren über dieſen Staat dahin gegangen ſeit ſeine Herrſcher ihm den ſteilen Weg zur Größe wieſen; ſchon oft hatte die Hauptſtadt den Landesfeind in ihren Mauern geſehen; doch jetzt zum erſten male in Preußens ehrenreicher Geſchichte geſellte ſich dem Unglück die Schande. Scham und Reue brannten verzehrend in Aller Herzen, und die rohe Schadenfreude des Eroberers unterließ nichts, was ſolche Empfindungen ſtärken konnte. Gefliſſentlich trug er die Verachtung gegen Alles was preußiſch hieß zur Schau; im Königsſchloſſe der Hohenzollern ſchrieb er neue unfläthige Schmähungen gegen die Königin Luiſe. Rock und Degen Friedrichs des Großen ſchenkte er den Invaliden in Paris unter Hohnreden gegen dieſen Hof, der das Grab ſeines größten Mannes ſo ſchmucklos laſſe; den Obelisken auf dem Roßbacher Schlachtfelde zer - trümmerte die kaiſerliche Garde; die Victoria vom Brandenburger Thore wurde herabgeriſſen um an der Seine in einem Schuppen zu verſchwinden. Welch ein Anblick, als das glänzende Regiment der Gensdarmes, entwaffnet, abgeriſſen und halbverhungert, in jammervollem Zuſtande wie eine Vieh - heerde die Linden hinab getrieben wurde. Unter Trommelwirbel und Trompetengeſchmetter, in feierlichem Aufzuge trug man die alten Fahnen mit dem ſonnenwärts fliegenden Adler, ganze Körbe voll ſilberner Pauken und Trompeten durch die Stadt, beredte Zeugen alten Ruhmes, neuer Schande. Von den Truppen, die im Felde geſtanden, war die Garde du Corps wohl das einzige Regiment, das alle ſeine alten Ehrenzeichen ge -251Napoleon in Berlin.rettet hatte. Bald wurde verboten, daß irgend eine preußiſche Uniform ſich in Berlin blicken laſſe; auch die penſionirten alten Offiziere ſollten den blauen Rock ausziehen. Dazu die unerſchwinglichen Contributionen, dazu der Uebermuth, die Völlerei, die Erpreſſungen der Einquartierung. Am 21. November erließ Napoleon aus Berlin jenes unerhörte Decret, das allen Handel mit England verbot, alle engliſchen Waaren zur Confis - cation verurtheilte: das Syſtem der Continentalſperre ward begründet, Deutſchlands Wohlſtand auf Jahre hinaus gewaltſam unterbunden.

Es fehlte nicht an Zügen ehrloſer Unterwürfigkeit; die Niedertracht, die in keinem Volke mangelt, erſchien hier häßlicher als anderswo, denn deutſche Formloſigkeit verſteht ſich nicht, wie die feinere Bildung der Ro - manen, auf die zweifelhafte Kunſt den äußeren Anſtand mitten in der Gemeinheit zu wahren. Mancher ſchlechte Geſell bot dem Eroberer kriechend ſeine Dienſte an. Lange, Buchholz und andere Chorführer der Berliner Auf - klärung verherrlichten den Sieg der Vernunft über das adliche Vorurtheil; der Haß des Volkes gegen den Uebermuth der Offiziere bekundete ſich in einigen empörenden Auftritten roher Spötterei. Auch die ſchwerfällige Pedanterei und die gedankenloſe Pünktlichkeit des Beamtenthums lähmten dem Staate die Widerſtandskraft; alle Behörden beſorgten in der wilden Zeit ruhig ihr gewohntes Tagewerk, alſo daß die einrückenden Sieger überall einen geordneten Verwaltungsapparat zu ihren Dienſten vorfanden und mancher wohlmeinende alte Kriegsrath, ohne es ſelber recht zu merken, ein Werkzeug des Feindes wurde. Unter den Fällen offenbaren Verrathes erſchien keiner ſo ſchmählich wie der Abfall Johannes Müllers. Den pathe - tiſchen Lobredner altdeutſcher und ſchweizeriſcher Freiheit riſſen die Triumphe des Imperators zu knechtiſcher Bewunderung hin; er hielt es an der Zeit ſich gänzlich umzudenken, feierte in ſchwülſtigen Perioden Napoleon und Friedrich als die Heroen der modernen Welt. Da ſagte ihm ſein alter Genoſſe Gentz empört die Freundſchaft auf und wünſchte ihm nur die eine Strafe von allmächtigem Gewicht: daß er den Uſurpator geſtürzt und Deutſchland wieder frei und glücklich ſehen möge! Minder unwürdig, doch ebenſo krankhaft war die wiſſenſchaftliche Gelaſſenheit, womit Hegel ſich den Untergang ſeines Vaterlandes zurechtlegte: der meinte die Weltſeele zu ſehen, als Napoleon über das Feld von Jena ſprengte, und zog aus dem Falle des alten Preußens die kluge Lehre, daß der Geiſt immer über geiſt - loſen Verſtand und Klügelei den Sieg davontrage. Ueberhaupt wurde dort in Thüringen der erſte betäubende Eindruck des Unglücks raſch ver - wunden; erſt unter dem unbarmherzigen Drucke der folgenden Jahre lernte das mitteldeutſche Volk, wie feſt ſein eigenes Leben mit dem Schickſale des preußiſchen Staates verwachſen war.

In den alten preußiſchen Provinzen begann der Umſchwung der Stimmungen ſchon früher, unmittelbar nach den erſten Niederlagen. Napoleons zügelloſer, beſtändig wachſender Haß gegen Preußen nährte ſich252I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.an dem geheimen Argwohne, daß in dieſem Staate, trotz aller Schmach und Thorheit der jüngſten Wochen, doch eine unzähmbare Willenskraft ſchlummere, wie ſie dem Imperator auf dem Feſtlande noch nie begegnet war. Was der preußiſche Soldat unter kräftiger Führung zu leiſten ver - mochte, das lehrte der Rückzug des Blücherſchen Corps; in dieſen Kämpfen wurden mehrere jener Helden, welche dereinſt eine neue beſſere Zeit über den Staat heraufführen ſollten, zuerſt bei Freund und Feind bekannt. Blücher ging mit den Ueberreſten der Reſervearmee und einigen anderen Truppen im Magdeburgiſchen über die Elbe um das Hohenlohiſche Corps zu erreichen, und Oberſt York mit ſeinen Jägern wehrte dem nachrückenden Feinde viele Stunden lang den Uebergang über den Fluß in dem glänzenden Gefechte von Altenzaun. Als die Vereinigung mit Hohenlohe durch die Nachricht von der Prenzlauer Capitulation vereitelt wurde, faßte Scharnhorſt den verwegenen Plan ſich gegen Flanke und Rücken der Franzoſen zu wenden, damit ein Theil des feindlichen Heeres von den Marken hinweggezogen würde. Die kleine Schaar warf ſich nach Mecklenburg, und es gelang ihr wirklich, drei franzöſiſche Armeecorps hinter ſich herzulocken. Inmitten der Sorgen und Nöthe dieſes harten Rückzugs ſtiegen in Scharnhorſts freier Seele ſchon die erſten ſchöpferiſchen Gedanken der Heeresreform auf: mit überzeugender Klarheit erörterte er in Gadebuſch, in einem Geſpräche mit Müffling: wie die Theilnahmloſigkeit des gemeinen Soldaten unter den niederſchlagenden Erfahrungen der letzten Wochen doch die ſchwerſte, der letzte Grund alles Unglücks ſei, und wie es jetzt gelte die Armee alſo umzugeſtalten, daß ſie ſich eins wiſſe mit dem Vaterlande. *)So erzählt Müffling in einer Denkſchrift über die Landwehr, die er am 12. Juli 1821 an Hardenberg überſendete.Dann kämpfte das Corps noch mit verzweifeltem Muthe an den Thoren und in den Straßen Lübecks gegen die Uebermacht des Feindes; erſt als alle Munition und aller Proviant verloren, jeder Widerſtand unmöglich war, legte Blücher bei Rattkau die Waffen nieder. Es waren Kämpfe voll Heldenzornes, wie ſie der elende Feldzug von 1805 nie geſehen; und ganz anders als die gedankenloſe Neugierde der Wiener erſchien auch die würdige Haltung der großen Mehrheit des Berliner Volkes beim Einzuge Napoleons. So hatte noch Niemand zu dem Imperator geredet wie jener ehrwürdige Prediger Erman, der bei der Begrüßung am Thore rund her - aus ſagte, ein Diener des Evangeliums dürfe nicht die Lüge ausſprechen, daß er ſich freue über den Einzug des Feindes.

Die ſchonungsloſe Wahrhaftigkeit des Krieges vernichtete die Phraſen der aufgeklärten Eitelkeit, zerſtörte jene Traumwelt des Verſtandes, worin die großſtädtiſche Ueberbildung ſich zu verlieren pflegt, und zwang die er - ſchlafften Gemüther wieder aus Herzensgrunde zu haſſen und zu lieben. Mit dem Wohlleben der geiſtreichen Geſelligkeit ging auch die papierene253Umſchlag der Volksſtimmung.Zeit zu Ende. Nun da das Elend in jedem Hauſe wohnte, ſah auch der Bildungsſtolz die gewaltige Hand des lebendigen Gottes; der Gelehrte wie der Einfältige erkannte, was dies räthſelvolle Leben iſt ohne den Glauben und was der armſelige Menſch ohne ſein Volk. Je länger die Einquartierung währte, um ſo ernſter, geſammelter, preußiſcher wurde die Stimmung, und bald war die Stadt der frivolen Kritik kaum mehr wiederzuerkennen. Alles lauſchte in athemloſer Spannung auf die Nach - richten vom oſtpreußiſchen Kriegsſchauplatze. Die Invaliden ſpielten auf ihren Drehorgeln das Klagelied um Prinz Louis Ferdinand, das einzige Volkslied, das in dem dumpfen Jammer dieſes Krieges entſtanden war, und am Geburtstage der geliebten Königin flammten, dem Verbote des fran - zöſiſchen Gouverneurs zum Trotz, in allen Berliner Häuſern die Lichter hinter den verhängten Fenſtern. Auch auf dem Lande begann die Schlummer - ſucht der Friedenszeiten zu ſchwinden; mancher wetterfeſte Bauersmann blickte grimmig auf zu dem Bilde des großen Königs an der Wand.

So in Noth und Schmach lernte Barthold Niebuhr das preu - ßiſche Volk zuerſt kennen und ſchloß ſich ihm an mit aller Leidenſchaft ſeines großen Herzens, denn er ſah an ihm, daß edle Naturen im Unglück größer erſcheinen als im Glücke. Unmittelbar vor der Jenaer Schlacht war er aus Dänemark in den preußiſchen Staatsdienſt hinüber - gekommen, und als er dann auf der Flucht nach Königsberg mit den Pommern und Altpreußen verkehrte, da ſchrieb er zuverſichtlich: ich habe in dieſen Tagen nirgends mehr ſo viel Kraft, Ernſt, Treue und Gut - müthigkeit vereinigt zu finden erwartet; mit einem großen Sinne geleitet wäre dies Volk der ganzen Welt unbezwinglich geweſen! Doch die Menge will immer erſt fühlen bevor ſie hört; früher und bewußter als in der Maſſe, die erſt durch die anhaltende Noth der kommenden Jahre ganz für den Gedanken der Befreiung gewonnen wurde, erwachte der vater - ländiſche Zorn unter dem Kriegsadel und unter den Gelehrten. Der militäriſche Stolz des alten Preußenthums und der kühne Idealismus der jungen deutſchen Literatur begegneten ſich plötzlich in einem Ge - danken. Mitten im Niedergange der alten Monarchie bereitete ſich ſchon die große Wendung vor, welche den Gang unſerer Geſchichte im neun - zehnten Jahrhundert beſtimmt hat: die Verſöhnung des preußiſchen Staates mit der Freiheit deutſcher Bildung. Während in den alten Soldaten - geſchlechtern ingrimmige Erbitterung gegen die Fremdherrſchaft vorherrſchte, mancher tapfere Mann aus dieſen Kreiſen dem Könige freiwillig ſeine Dienſte anbot, ging auch Fichte von freien Stücken nach Königsberg, weil er ſein Haupt nicht unter das Joch des Treibers biegen wollte. Um Schleiermacher aber ſammelte ſich ſchon in der Stille ein Kreis warm - herziger Patrioten. Der treue Mann ſah aus dem tiefen Falle die Re - generation Deutſchlands emporſteigen; er wollte dabei ſein mit Wort und Schrift und jetzt am wenigſten ſeinen König verlaſſen: eine freie Rede254I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.iſt für Napoleon das ſchärfſte Gift ; keinen Augenblick glaubte er an die Dauer der franzöſiſchen Triumphe, denn dieſer Sieger hat zu wenig den Sinn eines Königs .

Völlig überwältigt von der unerwarteten Niederlage hatte König Fried - rich Wilhelm ſogleich nach der Schlacht unter demüthigenden Bedingungen den Frieden angeboten. Es waren die häßlichſten Tage ſeines Lebens; einige ſeiner Räthe empfahlen ſchon den Eintritt Preußens in den Rhein - bund. Erſt der Uebermuth des Siegers gab dem unglücklichen Fürſten das Bewußtſein ſeiner königlichen Pflichten wieder. Napoleon ſteigerte ſeine Forderungen im Verlaufe der Unterhandlungen, verlangte außer der Abtretung aller Lande links der Elbe auch noch, daß Preußen von dem ruſſiſchen Bündniß zurücktrete. Da erwachte der Stolz des Königs; ſein Gewiſſen konnte ſich nicht entſchließen, daſſelbe zu thun, was Kaiſer Franz vor einem Jahre in ungleich günſtigerer Lage unbedenklich gethan, und den Bundesgenoſſen zu verlaſſen, den er ſoeben ſelbſt um Hilfe gebeten hatte. Als am 21. November im Hauptquartier zu Oſterode Rath ge - halten wurde über die Annahme des Waffenſtillſtandes, welchen Luccheſini und Zaſtrow kleinmüthig unterſchrieben hatten, da kam der Augenblick, der die Männer von den Buben und den Klüglingen ſchied. Nicht blos Stein, der die Kaſſen des Staates, die Mittel zur Fortſetzung des Krieges, nach Oſtpreußen gerettet hatte, ſtimmte für die Verwerfung des Vertrages, ſondern auch ſein politiſcher Gegner, der hochconſervative Graf Voß, einer der Führer des märkiſchen Adels. Der König entſchied in ihrem Sinne, nahm die Waffen wieder auf hier in der entlegenen Oſtmark des Reichs, dem letzten Bollwerk deutſcher Freiheit. Gleich darauf erhielt Haugwitz ſeine Entlaſſung. Von jenem Tage an hat der vielverkannte Monarch, wie oft er auch im Einzelnen irrte und ſchwankte, doch unverbrüchlich durch ſechs entſetzliche Jahre den Gedanken feſtgehalten: kein ehrlicher Friede mit Frankreich als nach der Wiederherſtellung des alten Preußens. So begann der Feldzug in Oſtpreußen, der erſte, während deſſen die Sonne des Glücks dem Imperator nicht ungetrübt leuchtete, der erſte, der dem verzweifelnden Welttheil wieder die Ahnung erweckte, daß auch dieſer Allgewaltige nicht unüberwindlich ſei.

Napoleons ſcharfes Auge erkannte raſch, daß er in Norddeutſchland die Zügel ſeiner Herrſchaft ſtraffer anziehen mußte als in den Kernlanden des Rheinbundes. Im Süden umgaben ihn Frankreichs erprobte Bundes - genoſſen, die ihre neugebildeten Staaten gelehrig nach neufranzöſiſchen Grundſätzen regierten; im Norden fand er ein zäheres, dem galliſchen Weſen völlig unzugängliches Volksthum, eine ſtreng proteſtantiſche Cultur, ſchwerfällige altſtändiſche Verfaſſungen, alte mit Preußen, England und Rußland eng verbundene Fürſtengeſchlechter. Darum griff er hier von Haus aus ſchärfer ein, behielt ſich die ganze Maſſe des Nordweſtens, die Lande der Welfen, Heſſen und Oranier, zur Ausſtattung ſeiner eigenen255Unterwerfung der norddeutſchen Fürſten.Verwandten vor. Nur eine der eingeſeſſenen norddeutſchen Dynaſtien war ihm als ein natürlicher Freund willkommen: die alten Nebenbuhler der Hohenzollern, die Albertiner, für deren Souveränität er ja angeblich die Waffen ergriffen hatte. Am 11. December wurde Kurſachſen durch den Poſener Frieden in den Rheinbund aufgenommen und mit der Königs - krone begnadigt. Um den neuen König für immer von Preußen zu trennen ſchenkte ihm Napoleon die preußiſche Niederlauſitz, das treue Cottbuſer Land, und befahl ihm, ſofort ein Hilfscorps gegen den verrathenen Bundes - genoſſen ins Feld zu ſenden. Auch die perſönliche Dankbarkeit des bigotten Friedrich Auguſt gewann ſich der Imperator, da er die Gleichberechtigung der Katholiken und der Proteſtanten in Sachſen anordnete, eine Neuerung, welche der Dresdner Hof bei ſeinen hartlutheriſchen Ständen niemals hätte durchſetzen können. Dieſer letztere Schritt Napoleons war übrigens mehr als ein diplomatiſcher Schachzug; denn immer deutlicher von Jahr zu Jahr trat die innere Verwandtſchaft hervor, welche jedes moderne Weltreich mit der römiſchen Weltkirche verbindet. Auch der Erbe der Re - volution konnte den Beiſtand Roms nicht entbehren, ſo wenig wie einſt Karl der Fünfte; ſeine Briefe an den heiligen Stuhl wie ſeine Botſchaften an den Senat betonten nachdrücklich, wie er überall unſere heilige Religion von ihren proteſtantiſchen Verfolgern befreit habe und den Todfeind der römiſchen Kirche, England, unabläſſig bekämpfe.

In Kurſachſen aber feierte die deutſche Unterthänigkeit ihre Satur - nalien, gemeiner noch als ein Jahr zuvor in Baiern. Wie fühlte man ſich ſo glücklich, dem ſtolzen preußiſchen Nachbarn endlich wieder im Range gleich zu ſtehen! Auf Neujahr 1807, während an der Weichſel um die letzten Splitter deutſcher Freiheit gefochten wurde, veranſtaltete die Stadt Leipzig ein prächtiges Freudenfeſt zu Ehren der neuen Rautenkrone. Die Sonne Napoleons, das prahleriſche Sinnbild, das er von ſeinem Vor - fahren Ludwig XIV. entlehnt hatte, leuchtete weithin durch die geſchmückten Gaſſen. Auf dem Markte prangte der Altar des Vaterlandes; die Stu - denten rückten in feierlichem Zuge heran und verbrannten dort ihre Fackeln unter dem Jubelgeſange: gerettet iſt das Vaterland! Auch die Cadaver in der akademiſchen Anatomie ſchloſſen ſich dem kurſächſiſchen National - vergnügen an; eine erleuchtete Inſchrift über der Eingangsthüre verkündete: Selbſt die Todten rufen: Lebe!

Die übrigen kleinen Herren des Nordens waren in Napoleons Augen nur preußiſche Vaſallen und Offiziere, gern hätte er ſie alle - ſammt entfernt. Aber die zerſtreute Lage dieſer wunderſamen Staats - gebilde erſchwerte die Einverleibung, auch ſtand ein zuverläſſiger Rhein - bundskönig, dem man ſie ſchenken konnte, augenblicklich nicht zur Ver - fügung. Den Imperator quälten ernſtere Sorgen, er legte auf die Frage nicht mehr Werth als ſie verdiente und wünſchte vor Allem raſchen Abſchluß des Handels, weil er die kleinen Contingente ſogleich in dem preußiſchen256I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Kriege verwenden wollte. So fanden denn die Kleinfürſten Thüringens und Weſtphalens eine leidliche Aufnahme, als ſie, die Einen perſönlich, die Andern durch ihre Miniſter, im Hauptquartiere zu Poſen die Gnade des Siegers anflehten. Zum dritten male begann das ekelhafte Schau - ſpiel des deutſchen Länderhandels, zum dritten male floß das Gold deutſcher Fürſten in die unergründlichen Taſchen der napoleoniſchen Diplomatie, und das Geſchäft verlief glücklich, da die bedrängten Kleinen in dem naſſauiſchen Staatsmanne Hans von Gagern einen rührigen und un - eigennützigen Makler fanden. Dieſer wunderliche Verehrer der altdeutſchen Freiheit hatte aus ſeinen gelehrten reichsgeſchichtlichen Forſchungen den Schluß gezogen, daß der reine Germanismus, die wahre Größe Deutſch - lands in der buntſcheckigen Zerſplitterung ſeines Staatslebens beſtehe. Als er nun von den Aengſten der kleinen Herren des Nordens erfuhr, eilte er ſpornſtreichs herbei, nahm ſich der Bedrohten an und hielt durch ſeine vielgeſchäftige Zudringlichkeit ſeinen alten Gönner Talleyrand der - maßen in Athem, daß der Franzoſe, ohnehin ein ſtolzer Ariſtokrat und dem deutſchen hohen Adel wohlgeſinnt, endlich auf alle Wünſche des Unermüdlichen einging. Auch der Humor fehlte nicht, der eines ſolchen Gegenſtandes würdig war. Schenken Sie mir einige Ihrer kleinen Fürſten , rief einmal Talleyrands Gehilfe Labesnardiere. Nicht einen , erwiderte der heitere Lebensretter der Kleinſtaaterei, Sie müſſen ſie alle hinunterſchlucken, und ſollten Sie daran erſticken!

So geſchah es, daß die Erneſtiner und die Ascanier, die Reuß und Schwarzburg, die Lippe und Waldeck als Souveräne in den Rheinbund eintraten. Der Graf von Bückeburg erſchlich ſich nebenbei den Fürſtentitel, da die Franzoſen das Geſchäft mit geringſchätziger Leichtfertigkeit betrieben und in dem Vertrage kurzweg von den beiden Fürſten von Lippe ſprachen. Napoleon aber klagte nachher ärgerlich, in dieſem Handel ſei er zum erſten male betrogen worden; hätte er gewußt, wo die Reuß, Lippe und Waldeck eigentlich ſäßen, ſo würden ſie ihre Throne nicht behalten haben. Er ver - gaß auch niemals, daß dieſe Dynaſten des Nordens einſt den Kern der preußiſchen Partei im Reiche gebildet hatten. Darum blieb er ihnen ſtets ein geſtrenger Herr, gönnte ihnen keine Vergrößerung, nahm ſie nicht in ſeine Verwandtſchaft auf, während er dem Dresdner und den ſüddeutſchen Höfen nach ſeiner brutalen Art einiges Wohlwollen erwies. Darum blieb auch das patriarchaliſche Völkchen der norddeutſchen Kleinſtaaten ganz un - berührt von dem Napoleonscultus, der in Kurſachſen und Süddeutſchland ſo viele Anhänger fand; der Bauersmann in Thüringen und Mecklenburg fühlte ſich perſönlich gekränkt, wenn er ſeinen angeſtammten Herzog in demüthiger Haltung neben den fremden Gewalthabern ſah. Genug, noch während des Krieges wurde Preußen, wie im Sommer vorher Oeſterreich, aus Deutſchland hinausgeſtoßen, die Geſammtheit der Mittel - und Klein - ſtaaten dem Protector des Rheinbundes unterworfen.

257Abfall der Polen.

Derweil Preußens deutſche Bundesgenoſſen abfielen, ereilte den un - glücklichen Staat zugleich die Vergeltung für die Theilung Polens. Dieſe ſlaviſchen Gebiete, die während des letzten Jahrzehnts die innere Entwick - lung der Monarchie ins Stocken gebracht hatten, erwieſen ſich im Augen - blicke der Gefahr als ein unhaltbarer Beſitz. Vier Wochen nach der Jenaer Schlacht erhob Dombrowsky in Poſen das Banner der Empörung, der geſammte Adel eilte den Fahnen des weißen Adlers zu, und bald er - griff der Aufruhr alle Lande, die durch die beiden letzten Theilungen an Preußen gelangt waren. Dem Könige war es ein Herzensbedürfniß von ſeinen Unterthanen geliebt zu werden; er ahnte, daß ſittliche Bande den Staat zuſammenhalten. Der Anblick des großen Abfalls erfüllte ſein Gemüth mit tiefer Erbitterung, doch erkannte er nüchtern, wie unhemm - bar dieſe nationale Bewegung dahinfluthete, und ließ ſich nicht ein auf die phantaſtiſchen Vorſchläge des Fürſten Radziwill, der von einer roya - liſtiſchen Gegenbewegung träumte. Dem Imperator kam die Erhebung der alten Bundesgenoſſen Frankreichs hochwillkommen; eifrig ermuthigte er den Aufruhr, ließ Waffen an die Empörer vertheilen, die Polen in den preußi - ſchen Regimentern zur Deſertion verleiten, rühmte in ſeinen Bulletins, wie dies Volk ſich in wahrhaft intereſſanten Farben zeige. Dabei hütete er ſich wohl den Polen eine feſte Zuſage zu geben; kalt und ſicher durch - ſchaute er dieſe ſarmatiſchen Junker, ihre brauſende Tapferkeit, aber auch ihren Leichtſinn, ihre Selbſtſucht, ihre politiſche Unfähigkeit. Das Land war ihm werthvoll als ein Lager ſtreitbarer Hilfstruppen und als ein Mittel um die längſt geplante Demüthigung Rußlands vorzubereiten; je nach Umſtänden behielt er ſich vor, den Polen wieder den Schein politiſcher Selbſtändigkeit zu gewähren.

Der polniſche Aufſtand nöthigte den Czaren, die Unterſtützung, die er ſeinem preußiſchen Freunde zugeſagt, jetzt endlich zu leiſten. Aber nicht als ein Hilfsheer, wie man im Herbſt angenommen, erſchien die ruſſiſche Armee auf preußiſchem Boden; ſie hatte die Hauptlaſt des Kampfes zu tragen, und ſchwer rächte ſich jetzt der leichtſinnig begonnene Türkenkrieg, denn nur ein Theil der ruſſiſchen Streitkräfte war für Preußen verfügbar. In dem unglücklichen Grenzlande erneuerten ſich die Schrecken des ſieben - jährigen Krieges. Bald wurde die zuchtloſe Roheit der ruſſiſchen Freunde dem ausgeplünderten preußiſchen Landmanne noch verhaßter als die Wuth des Feindes; dazu die kopfloſe Heeresleitung der Ruſſen und der unerträg - liche Uebermuth ihrer Offiziere gegen das tapfere kleine preußiſche Corps des Generals Leſtocq. Trotzdem hat dieſer Feldzug, wie er ſich viele Monate lang unentſchieden durch die verödeten Ebenen Polens und Preußens fortſchleppte, zum erſten male die feſte Siegeszuverſicht des napoleoniſchen Heeres ins Wanken gebracht. Der an raſche Erfolge und reiche Beute, an das Wohlleben der Weinlande des Südens gewöhnte Soldat begann zu murren und fragte, ob der Unerſättliche des Schlachtens gar kein EndeTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 17258I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.finde. Mehrere Wochen hindurch vertheidigte Leſtocq mit altpreußiſcher Zähigkeit die Weichſelübergänge im Kulmerlande, und als er endlich zu der ruſſiſchen Armee nach Oſten zurückgerufen wurde, da gaben dieſe armen Trümmer des preußiſchen Heeres den Ausſchlag in der erſten Schlacht, welche der Sieggewohnte nicht gewann. Am 7. und 8. Februar 1807 verſuchte Napoleon bei Eylau durch einen überwältigenden Angriff das Heer der Verbündeten oſtwärts zu drängen. Schon war am zweiten Schlachttage der rechte Flügel der Ruſſen nach mörderiſchem Kampfe ge - worfen; da erkannte Scharnhorſts Feldherrnblick die entſcheidende Stunde. Auf ſeinen Rath ſchwenkte Leſtocq, der nach anſtrengendem Marſche ſoeben erſt auf dem äußerſten rechten Flügel der Verbündeten eingetroffen war, gegen das Centrum ein, und endlich wieder ſchien über den Deutſchen der Glücksſtern der fridericianiſchen Tage zu glänzen, als das kleine preußiſche Corps mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen durch die fliehenden Ruſſen hindurch gegen den Wald von Kutſchitten vorbrach und dann weiter über Anklappen hinaus die Feinde vor ſich hertrieb.

Der Angriff der Franzoſen war geſcheitert. Allen ſeinen Gewohn - heiten zuwider mußte der Imperator nach der unentſchiedenen Schlacht die Winterquartiere beziehen, und ſo gewaltig war der Eindruck dieſes erſten Mißerfolges, daß Napoleon alsbald nach dem Kampfe mit neuen Friedensvorſchlägen ſich dem Könige näherte. Das ſei der ſchönſte Augen - blick ſeines Lebens, ſchrieb er ſchmeichelnd und drohend; die preußiſche Nation müſſe wiederhergeſtellt werden als ein Schutzwall zwiſchen Ruß - land und Frankreich, ſei es unter dem Hauſe Brandenburg oder unter irgend einem anderen Fürſtengeſchlechte; alle Länder dieſſeits der Elbe wolle er zurückgeben, an die Polen denke er nicht mehr ſeit er ſie kenne. Aber allzu unverkennbar war doch die Abſicht des Verſuchers, Preußen von ſeinem Verbündeten zu trennen um dann nach der Niederwerfung Rußlands den von aller Welt verlaſſenen König aufs Neue zu demüthigen. Friedrich Wilhelm ſchwankte keinen Augenblick, wies die franzöſiſchen Zumuthungen entſchieden zurück. Erſt im Unglück kamen die paſſiven Tugenden der Treue und der Ausdauer, worin die Stärke ſeines Charakters lag, zur rechten Wirkſamkeit. Das königliche Haus, das jetzt im letzten Winkel deutſcher Erde, in Memel ſeinen ärmlichen Hofhalt aufſchlug, wurde dem ganzen Lande ein Vorbild würdiger Faſſung, frommen Gott - vertrauens. Herzlicher, inniger als in den Tagen des Glücks ſchloß ſich das ſtolze Volk Oſtpreußens an das Herrſcherhaus an; Jedermann im Lande erzählte bewundernd von der ſchönen Königin, wie ſie krank bei wildem Schneeſturm über die Oede der kuriſchen Nehrung geflohen war um lieber in Gottes Hand als in die Hände des Feindes zu fallen, und wie ſie dann dem tiefgebeugten Gatten tröſtend und mahnend zur Seite ſtand.

Freilich fehlte noch viel daran, daß ſich ſofort in der Leitung des Staates ein freier und kühner Sinn gezeigt hätte; ſo mit einem Schlage259Schlacht von Eylau.waren die Nachwirkungen eines Jahrzehntes der Schwäche und der Halb - heit nicht zu überwinden. Wohl ergingen ſcharfe Mahnungen an die Truppen, ſtrenge Strafen gegen die pflichtvergeſſenen Feſtungscomman - danten. Die kleine Armee Leſtocqs zeigte eine muſterhafte Haltung, und Scharnhorſt beſeitigte bereits in dieſem Winterfeldzuge thatſächlich die ſchwerfällige alte Lineartaktik, leitete die Bewegungen des Heeres nach den Grundſätzen der neuen kühneren Kriegsführung, welche der König ſelbſt in einer eingehenden Inſtruction ſeinen Offizieren eingeſchärft hatte. Aber die Ausrüſtung der neunzehn Reſervebataillone ging ſo langſam von ſtatten, daß keines mehr im Felde zur Verwendung kam. Ein von dem Könige bereits unterſchriebener Aufruf zur allgemeinen Volksbewaffnung blieb liegen, weil die treuen Stände Oſtpreußens dringend vorſtellten: der Adel könne nur in der königlichen Armee, nimmermehr in einem Landſturme dienen. Auch die Civilverwaltung kam noch monatelang aus einem unerquicklichen Uebergangszuſtande nicht heraus. Der Monarch wollte noch nicht einſehen, daß die altgewohnte Cabinetsregierung mit der ſelb - ſtändigen Verantwortlichkeit der Miniſter ſich nicht vertrug, und entließ den Miniſter Stein mit harten und ungerechten Worten, als der ſtolze Freiherr ſchroff und leidenſchaftlich auf der Beſeitigung des Cabinets beſtand. Richtiger verſtand Hardenberg den König zu behandeln. Sein Freimuth, der immer in liebevollen, ruhigen Formen blieb, drang endlich durch, und am 26. April 1807 vollzog ſich in aller Stille eine Ver - faſſungsveränderung, die folgenreichſte, welche der alte Abſolutismus ſeit den Zeiten Friedrich Wilhelms I. erlebt hatte. Die Cabinetsregierung wurde aufgehoben, Hardenberg als erſter Miniſter mit der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten ſowie aller mit dem Kriege zuſammenhängen - den Geſchäfte beauftragt.

Die Lage der Verbündeten blieb auch nach dem halben Erfolge von Eylau ſchwer bedrängt. So erfolgreich der zäheſte Gegner Napoleons auf den Meeren kämpfte, in der Behandlung der feſtländiſchen Dinge zeigte Englands Handelspolitik nach wie vor ein Ungeſchick, das bereits anfing ſprichwörtlich zu werden. Während ſich drei Jahre früher in Lon - don keine Hand gerührt hatte um Hannover gegen die Franzoſen zu ver - theidigen, wurde Preußen für die Beſetzung des Kurfürſtenthums ſofort durch eine Kriegserklärung beſtraft; und auch als der preußiſche Hof im Januar 1807 mit England Frieden geſchloſſen, alle ſeine Anſprüche auf Hannover aufgegeben hatte, that das Cabinet von St. James gar nichts um den neuen Bundesgenoſſen gegen den gemeinſamen Feind zu unter - ſtützen. Nicht einmal ein Subſidienvertrag kam zu Stande. Graf Münſter, deſſen Rath in London bei allen deutſchen Angelegenheiten den Ausſchlag gab, konnte das alte welfiſche Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden. Oeſterreich wurde ſelbſt durch die erſchreckende Kunde von dem polniſchen Aufruhr nicht aus ſeiner Neutralität aufgeſcheucht. Beide Theile warben17*260I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.wetteifernd um die Hofburg. Napoleon bot ihr Schleſien zum Austauſche gegen Galizien; der Czar ſendete den Todfeind des Hauſes Bonaparte, Pozzo di Borgo, mit dringenden Mahnungen nach Wien; der König von Preußen erklärte ſich in ſeiner Bedrängniß ſogar bereit, einem öſter - reichiſchen Hilfsheere die vorläufige Beſetzung der ſchleſiſchen Feſtungen zu geſtatten. Doch Erzherzog Karl blieb obenauf mit ſeiner friedfertigen Politik; um die Unthätigkeit zu bemänteln erbot ſich Oeſterreich endlich zu einer Friedensvermittlung, die in ſolcher Lage nichts fruchten konnte. Die Freundſchaft des Czaren bot der wankenden preußiſchen Monarchie die letzte Stütze, und an ſchönen Worten ließ es der ſchwärmeriſche junge Herr nicht fehlen, als er im Frühjahr ſelber auf dem Kriegsſchauplatze erſchien. Wie ſtrahlte er in zärtlicher Liebenswürdigkeit inmitten der könig - lichen Familie: verzückte blaue Augen, und doch verſchwommen, ohne Tiefe; edle und doch unreife, halb durchgearbeitete Züge. Nicht wahr? Keiner von uns Beiden fällt allein! ſagte er inbrünſtig zu ſeinem un - glücklichen Freunde. Mancher ehrliche Preuße meinte nun erſt Alexanders großes Herz ganz zu verſtehen.

Es bezeichnet Hardenbergs ganzes Weſen, ſeinen unerſchrockenen Muth wie ſeine leichtlebige Beweglichkeit, daß er in ſolcher Zeit, während Preußens Daſein noch in Frage ſtand, bereits einen großgedachten, weit - umfaſſenden Plan für die Neuordnung Deutſchlands und des geſammten Staatenſyſtems zu entwerfen wagte. Mehr als zehn Jahre lang hatte er der Hoffnung gelebt, mit Frankreichs Beiſtand eine norddeutſche Groß - macht, die dem Hauſe Oeſterreich die Stange hielte, zu bilden; ſobald er die Hohlheit dieſer Träume erkannte, ergriff er ſofort ein neues Syſtem deutſcher Politik, dem er dann bis zum Tode treu blieb: die Politik des geregelten Dualismus. Gar zu vernehmlich hatte doch das Schickſal ge - ſprochen: vereinzelt waren Oeſterreich und Preußen unterlegen, nur ihre treue Eintracht konnte Deutſchland befreien. In dieſem Gedanken be - gegnen ſich während der folgenden Jahre alle preußiſchen Patrioten ohne Unterſchied der Partei; wie ein Naturlaut bricht er gleichzeitig aus hunderten beſorgter Herzen hervor. In den Schriften von Gentz kehrt er als ein ceterum censeo wieder; auf den kunſtvollen Zeichnungen, worin Oberſt Kneſebeck die Zukunft des Welttheils darzuſtellen liebte, wird die Wage Europas immer durch den Bund Oeſterreichs und Preußens aufrecht erhalten. Arndt und Kleiſt beſchwören die beiden mächtigſten Söhne Germaniens ſich zu vertragen; die Königin Luiſe erſehnt den Tag, da die verſöhnten deutſchen Brüder gemeinſam in den heiligen Krieg ziehen werden. Nur der König hielt in aller Stille ſeine alte Meinung feſt und dachte, wenn er auf ein europäiſches Bündniß gegen Frankreich rechnete, ſtets in erſter Linie an Rußland. Hardenberg dagegen betrachtete jetzt die Nebenbuhlerſchaft der beiden deutſchen Mächte als ein überwundenes un - glückſeliges Vorurtheil, ihre Intereſſen als ſchlechthin gleich. Arglos, groß -261Vertrag von Bartenſtein.herzig, ohne jeden Hintergedanken betrieb er dieſe Pläne; keine einzige ſeiner geheimen Staatsſchriften verrieth noch irgendwelche verſteckte Feind - ſeligkeit gegen Oeſterreich. Er glaubte durch den guten Vorſatz freund - nachbarlicher Geſinnung einen uralten Gegenſatz der Intereſſen völlig be - ſeitigen zu können, und unleugbar entſprach ſeine Politik dem Bedürfniß der nächſten Zukunft.

In dieſem Sinne war auch der neue Bundesvertrag gehalten, welchen Preußen und Rußland am 26. April in Bartenſtein unterzeich - neten. Die zwei Mächte verpflichteten ſich die Waffen erſt niederzulegen, wenn Deutſchland befreit und Frankreich über den Rhein zurückgeworfen ſei; das deutſche Gebiet ſollte durch eine Feſtungsreihe auf dem linken Rheinufer, Oeſterreich im Südweſten durch Tyrol und die Minciolinie ge - ſichert werden; ſtatt des Rheinbundes ein deutſcher Bund von ſouveränen Staaten unter der gemeinſamen Führung der beiden Großmächte, der - geſtalt, daß Oeſterreich im Süden, Preußen im Norden den Oberbefehl erhielte; Wiederherſtellung Preußens auf den Beſitzſtand von 1805, mit Abrundungen und verſtärkten Grenzen; endlich Vergrößerung des welfiſchen Hausbeſitzes auf deutſchem Boden und wo möglich Wiederaufrichtung der Unabhängigkeit Hollands. Ein beſonderer Artikel behielt der Hofburg den Zutritt zu dem Bündniß ausdrücklich vor; auch auf den Anſchluß Eng - lands und Schwedens rechnete man ſicher. Mit erſtaunlicher Zuverſicht wurden hier ſchon faſt alle die Gedanken verkündigt, welche das Jahr 1814 verwirklichen ſollte.

Doch eben die Kühnheit dieſer Politik erſchreckte den Wiener Hof. Graf Stadion hörte befremdet, daß man ſo verwegene Pläne ohne das Zuthun der Hofburg zu entwerfen wagte, und wollte behutſam nicht über den Preßburger Frieden hinausgehen. Und wie wenig entſprach doch die ruſſiſche Kriegführung dem ſtolzen Fluge der Hardenbergiſchen Entwürfe. Allein die Laune des Glücks und die Tapferkeit der Soldaten hatten der Mittelmäßigkeit des Generals Bennigſen die Lorbeeren von Eylau in den Schooß geworfen; er hütete ſich ſorgſam ſeinen Ruhm wieder auf das Spiel zu ſetzen, blieb vier Monate lang faſt unbeweglich. Währenddem entfaltete Napoleon im Winterquartier zu Oſterode eine fieberhafte Thätig - keit, verſtärkte ſein Heer, ließ die Conſcription von 1808 zum Voraus ausheben, die Rheinbundfürſten eine Reſerve-Armee bilden, leitete aus der Ferne die Vertheidigung von Konſtantinopel gegen die engliſche Flotte und betrieb zugleich die Belagerung von Danzig. Da dieſer Platz ihm als Stützpunkt für die Fortſetzung des Feldzugs dienen ſollte, ſo entſchloß er ſich, zum zweiten und letzten male in ſeinem Feldherrnleben, zu der langſamen Arbeit des Feſtungskrieges, die er ſeit den Kämpfen um Mantua immer verſchmäht hatte. Die Feſtung wurde durch General Kalkreuth tapfer vertheidigt; bei den Entſatzverſuchen that ſich ſchon ein großer Name des neuen deutſchen Heeres, Oberſt Bülow, glänzend hervor. Aber262I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.da Bennigſen zur Befreiung des wichtigen Platzes nichts Entſcheidendes wagte, ſo mußte Kalkreuth am 27. Mai ehrenvoll capituliren.

Glücklicher behauptete ſich der grimmige alte General Courbiere in Graudenz. Doch alle anderen Thaten des verbündeten Heeres überſtrahlte die heldenhafte Vertheidigung der kleinen hinterpommerſchen Feſte Colberg. Hier in der treuen Stadt, die ſchon im ſiebenjährigen Kriege dreimal dem überlegenen Feinde widerſtanden hatte, ſtand die Wiege des neuen preußiſchen Waffenruhms; hier erwachte zuerſt jener heilige Völkerzorn, der nach ſechs argen Jahren die Befreiung der Welt erzwingen ſollte; hier trat jener Mann auf die Bühne der Geſchichte, der herrlich wie kein Zweiter den echten preußiſchen Soldatengeiſt, ſchneidige Verwegen - heit und helle Einſicht, in ſich verkörperte. Zwanzig Jahre der Lange - weile im ſubalternen Garniſonleben hatten Gneiſenaus jugendliche Friſche nicht gebrochen. Gütig und wahrhaftig, ganz frei von Selbſtſucht, im Innerſten beſcheiden trotz des ſcharfen Spottes, womit er die Dumm - heit und Gemeinheit zu treffen wußte, ſtand er auf den freien Höhen der Bildung. Sein Blick umfaßte den ganzen Umkreis der Völkerge - ſchicke einer ungeheuren Zeit, doch der Reichthum der Gedanken beirrte ihn nicht in dem frohen Glauben, daß eines ſtarken Volkes Kräfte un - erſchöpflich ſeien, ſtörte ihm nicht die tollkühne Luſt am Wagen und am Schlagen. In dem Feuer ſeiner Blicke, in der heiteren Majeſtät ſeiner Erſcheinung lag etwas von jenem Zauber, der einſt den jungen König Friedrich umſtrahlte. Wie wurde in der bedrängten Feſtung plötzlich Alles anders, als der unbekannte Major unter die Hoffnungsloſen trat, aus dem buntſcheckigen Haufen von Verſprengten, den er als Garniſon vor - fand, binnen Kurzem eine treffliche, ſiegesgewiſſe Truppe bildete und die tapfere Bürgerſchaft, den wagehalſigen alten Seemann Nettelbeck voran, zu den Arbeiten der Vertheidigung mit heranzog. Ich nahm Alles auf meine Hörner , ſo erzählt er ſelbſt, verfuhr als ein unabhängiger Fürſt, manchmal etwas despotiſch, kaſſirte feigherzige Offiziere, lebte fröhlich mit den Braven, kümmerte mich nicht um die Zukunft und ließ brav donnern. Die feindlichen Generale bemerkten mit Erſtaunen, wie hier ein genialer Wille eine neue, der franzöſiſchen ebenbürtige Kriegsweiſe anwendete: der Vertheidiger wechſelte die Rollen mit dem Angreifer, beunruhigte die Be - lagerer durch überraſchende Ausfälle, warf Erdwerke im freien Felde auf, die den Feind wochenlang von den Wällen der Feſtung fern hielten. Auch die alte hochgemuthe Liederluſt des deutſchen Soldaten, die ſonſt in dieſem düſteren Kriege gänzlich ſchwieg, regte ſich hier zuerſt wieder; neckend klang es von den unbezwungnen Wällen: wir haben Kanonen, wir haben kein Bang; marſchirt nur nach Hauſe und wartet nicht lang!

Zugleich führte der tapfere Huſar Schill in der Nähe von Colberg einen abenteuerlichen Parteigängerkrieg, und Gneiſenau vernahm mit neidloſer Freude, wie die Maſſe den wackeren beſchränkten Mann als den Helden des263Gneiſenau. Schlacht von Friedland.Vaterlandes pries: ihm war es recht, wenn nur die gedrückte Seele dieſes Volkes ſich wieder hoffend emporhob, gleichviel an weſſen Bilde. In Vor - pommern ſammelte Marwitz ein Freicorps, zur Befreiung des deutſchen Vaterlandes, wie der tapfere Junker ſeinen Leuten ſagte; in Weſtphalen ver - ſuchte der treue Vincke einen Aufſtand anzuzetteln. Blücher aber ſchickte ſich an, mit einem kleinen preußiſchen Corps, mit ſchwediſchen Hilfstruppen und einer engliſchen Landungsarmee, die auf Rügen erwartet wurde, eine Diverſion im Rücken Napoleons zu unternehmen. Dem Imperator wurde das zähe preußiſche Weſen täglich verhaßter. In überſtrömendem Zorne nannte er Schill einen Räuber, ließ in ſeinen Zeitungen den König ver - höhnen als einen Einfältigen, der neben Alexander kaum ſo viel gelte wie ein Adjutant; er war entſchloſſen den unbequemen Staat, den er nie mehr verſöhnen konnte, gänzlich zu vernichten.

Da fiel die Entſcheidung in Oſtpreußen. Der allgemeine Unwille über den Fall von Danzig nöthigte den ruſſiſchen Oberbefehlshaber, im Juni endlich wieder ſeine Armee in Bewegung zu ſetzen. Ein Angriff der Franzoſen wurde bei Heilsberg glücklich zurückgewieſen. Als aber Napoleon nunmehr die Alle abwärts zog um die Ruſſen zu umgehen, da unternahm Bennigſen, ohne Kenntniß der Stärke des Feindes, einen unbedachten Vorſtoß gegen die franzöſiſchen Marſchcolonnen und erlitt bei Friedland am 14. Juni eine vollſtändige Niederlage. Am Jahrestage von Marengo ging der preußiſche Krieg zu Ende, denn nach dieſem einen Schlage brach Alexanders Muth ebenſo plötzlich zuſammen wie vordem nach der Auſter - litzer Schlacht. Noch war ſein Land vom Feinde unberührt, aber er fürchtete einen Aufſtand im ruſſiſchen Polen; ſein Bruder Konſtantin und die große Mehrzahl der Generale verwünſchten laut dieſen Krieg für fremde Zwecke, auch Stadion hatte ſchon früher den ruſſiſchen Geſandten gefragt, warum ſich der Czar für Preußen opfern wolle. Der Unbeſtän - dige meinte der Großmuth genug gethan zu haben; ohne den König, der unerſchütterlich auf die Betheurungen ſeines Freundes vertraute, auch nur zu benachrichtigen bot Alexander dem Sieger einen Waffenſtillſtand an. Napoleon griff freudig zu; er war außer Stande jetzt ſchon den Krieg bis in das Innere Rußlands zu tragen, und zudem ängſtigte ihn die ſchwankende Haltung Oeſterreichs, das um die nämliche Zeit einen Unterhändler zu den Verbündeten ſendete. In wenigen Tagen gelang es ihm dann den Czaren für das franzöſiſche Bündniß zu gewinnen. Nicht als ob Alexanders Schlauheit dieſem Bundesgenoſſen jemals getraut hätte. Nur für einige Jahre mindeſtens hoffte er von der neuen Freundſchaft Vortheil zu ziehen: waren erſt mit Frankreichs Hilfe zwei Lieblingswünſche des thatenluſtigen jungen Kaiſers erfüllt, war erſt Finnland erobert und auf der Balkanhalbinſel feſter Fuß gefaßt, ſo konnte das verſtärkte Ruß - land vielleicht dereinſt mit beſſerem Erfolge das Werk der Weltbefreiung wieder aufnehmen. Geblendet von ſolchen lockenden Ausſichten bemerkte264I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Alexander kaum, daß das napoleoniſche Weltreich und die Continental - ſperre ohne die Unterwerfung Rußlands nicht beſtehen konnten, daß der Imperator ſchon jetzt durch die Beſetzung Danzigs und die Wiederaufrich - tung eines polniſchen Staates den Entſcheidungskrieg gegen ſeinen neuen Freund von langer Hand her vorbereitete.

Nachdem die beiden Kaiſer über ein Schutz - und Trutzbündniß und einen gemeinſamen Krieg gegen England ſich geeinigt, wurde auch der ver - laſſene Bundesgenoſſe herbeigerufen. Der König hatte ritterlich ausge - halten bis faſt der letzte Fußbreit ſeines Landes verloren war; jetzt mußte er ſich beugen, denn was konnte ein Aufruf an die Deutſchen, wie ihn Hardenberg wünſchte, in dieſer Stunde noch nützen? Als Friedrich Wil - helm auf dem Floße im Memelſtrome dem Eroberer begegnete, vermochte er nicht den tiefen Widerwillen ſeines ehrlichen Herzens zu verbergen, und der Sieger hatte für den Geſchlagenen nur ſchnöde Geringſchätzung, grol - lende Vorwürfe. Auch die Bitten der mißhandelten Königin, die ihrem Lande ſelbſt den weiblichen Stolz opferte und dem rohen Peiniger perſön - lich nahte, glitten von Napoleon ab ſo ſchrieb er ſchadenfroh wie das Waſſer vom Wachstuch.

Am 7. und 9. Juli 1807 wurde der Friede von Tilſit unterzeichnet, der grauſamſte aller franzöſiſchen Friedensſchlüſſe, unerhört nach Form und Inhalt. Nicht der rechtmäßige König von Preußen trat dem Sieger einige Landestheile ab, ſondern der Eroberer bewilligte aus Achtung für den Kaiſer aller Reußen die Rückgabe der kleineren Hälfte des preu - ßiſchen Staates an ihren Monarchen. Und dieſer empörende Satz, den die Zeitgenoſſen nur für eine Ungezogenheit napoleoniſchen Uebermuths anſahen, ſagte die nackte Wahrheit. Denn wirklich nur aus Rück - ſicht auf den Czaren führte Napoleon die feſt beſchloſſene Vernichtung Preußens vorläufig blos zur Hälfte aus. Er bedurfte der ruſſiſchen Allianz um zunächſt ſeinen großen Anſchlag gegen Spanien ungeſtört ins Werk zu ſetzen; Alexander aber wollte den letzten ſchmalen Damm, der das ruſſiſche Reich noch von den franzöſiſchen Vaſallenlanden trennte, nicht gänzlich niederreißen laſſen und verhehlte ſein Mißtrauen nicht, als Napoleon vorſchlug, auch Schleſien und Oſtpreußen von der preußiſchen Monarchie abzutrennen. Preußen behielt von den 5700 Geviertmeilen, welche der Staat, Hannover ungerechnet, vor dem Kriege beſaß, nur etwa 2800, von ſeinen dreiundzwanzig Kriegs - und Domänenkammern nur die acht größten, von Millionen Einwohnern nur Million. Das Werk Friedrichs des Großen ſchien vernichtet. Der Staat war nur noch wenig umfangreicher als im Jahre 1740 und weit ungünſtiger ge - ſtellt; zurückgedrängt auf das rechte Elbufer, aller ſeiner Außenpoſten im Weſten beraubt ſtand er unter der Spitze des franzöſiſchen Schwertes. Seine geretteten Provinzen, Schleſien, das verkleinerte Altpreußen, die noch übrigen Stücke von Brandenburg und Pommern, lagen wie die265Friede von Tilſit.drei Blätter eines Kleeblatts durch ſchmale Streifen verbunden; jeden Augenblick konnten, auf einen Wink des Imperators, die Polen vom Oſten, die Sachſen vom Süden her, die Weſtphalen aus Magdeburg, die Franzoſen aus Mecklenburg und Hamburg gleichzeitig gegen Berlin vorbrechen und das Netz über dem Haupte der Hohenzollern zuſammen - ziehen.

Die geſammten polniſchen Provinzen der Monarchie wurden, mit Ausnahme eines Theiles von Weſtpreußen, dem Könige von Sachſen zu - getheilt, der den Namen eines Großherzogs von Warſchau annahm. Dieſe vierte Theilung Polens ſtellte alſo die verderbliche ſächſiſch-polniſche Union wieder her, und zugleich gewann das Haus Wettin eine Etappenſtraße durch Schleſien, die von den polniſchen Auguſten ſo oft erſtrebte Via regia. Das neue Herzogthum bildete ſich nach franzöſiſchem Muſter raſch eine tüchtige Armee, wie ſie die alte Adelsrepublik nie gekannt. Der Deutſchen - haß des ſarmatiſchen Adels ſchaltete zügellos unter der weichen Herrſchaft des ängſtlichen Wettiners, der den ſtolzen Königswählern nichts wehren mochte, und jagte ſofort alle deutſche Beamten aus dem Lande, gegen die ausdrückliche Vorſchrift des Tilſiter Friedens aber mit der geheimen Zuſtimmung des franzöſiſchen Schutzherrn. Um dem polniſchen Fanatis - mus einen Rückhalt zu ſichern erhob Napoleon die Feſtung Danzig zu einer freien Stadt mit ſtarker franzöſiſcher Beſatzung. Und um den Czaren für immer mit ſeinen preußiſchen Freunden zu entzweien beredete er ihn ſich auf Koſten ſeines unglücklichen Bundesgenoſſen zu bereichern und den Bezirk von Bialyſtock mit dem ruſſiſchen Reiche zu vereinigen. Ge - fügig wie Friedrich Auguſt von Sachſen ging Alexander auf die häßliche Zumuthung ein; ſein Gewiſſen tröſtete ſich mit der Erwägung, ſonſt wäre der Landſtrich doch mit Warſchau verbunden worden. Aus den preußiſchen Landen rechts der Elbe, aus den welfiſchen und kurheſſiſchen Gebieten wurde ein Königreich Weſtphalen gebildet und dem Bruder des Impera - tors Hieronymus übergeben mit der ſtrengen Weiſung, daß er den Ge - horſam gegen Frankreich als ſeine erſte Fürſtenpflicht zu betrachten habe; eine regelmäßige Verfaſſung ſollte hier alle jene leeren und lächer - lichen Unterſchiede der Stände und Landſchaften beſeitigen, welche der bureaukratiſchen Centraliſation des Weltreichs gefährlich ſchienen.

An den Höfen des Rheinbundes herrſchte lauter Jubel, da der einzige deutſche Staat, der eine Geſchichte, ein eigenes Leben beſaß, alſo wieder hinabgeſtoßen wurde in das allgemeine deutſche Elend. Die Mittelſtaaten ſtanden am Ziele ihrer Wünſche, ſie hatten keine deutſche Macht mehr zu fürchten und zu beneiden. Ihre Offiziere prahlten gern, wie wacker ſie ſelber mitgeholfen hätten bei der Demüthigung des norddeutſchen Ueber - muths, wußten nicht genug zu erzählen von den Wundern der preu - ßiſchen Dummheit. Hörte man auf die Stimmen der amtlichen Preſſe in München und Stuttgart, ſo war die Schlacht von Jena die einzige266I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.denkwürdige Waffenthat der preußiſchen Kriegsgeſchichte. Dieſem ver - kleinerten Preußen war der Rheinbund an Flächengehalt zweifach, an Bevölkerung dreifach überlegen; ſchon Baiern allein durfte ſich jetzt dem Staate Friedrichs ebenbürtig dünken, da dies Kernland des Rheinbundes nur etwa eine Million Köpfe weniger zählte und unvergleichlich wohl - habender war. Die Spaßvögel in Dresden und Leipzig beſchauten ergötzt das engliſche Spottbild, das die Zuſammenkunft auf dem Floße zu Tilſit darſtellte: wie der prahleriſche kleine Bony den jungen Czaren ſo ſtürmiſch umarmte, daß das Floß ins Wanken gerieth und der zuſchauende Fried - rich Wilhelm jämmerlich ins Waſſer fiel.

Der neue König von Sachſen aber wurde der unterthänigſte aller Rhein - bundsfürſten. Der ſchwerfällige, peinlich gewiſſenhafte Mann war grau ge - worden in den Traditionen des alten Reichsrechts, in den ſteifen Formen einer ſpaniſchen Etikette; er allein unter den größeren Reichsfürſten hatte nicht theilgenommen an dem großen Beutezuge gegen die geiſtlichen Staaten was ihm freilich leicht fiel, da er keine Entſchädigungen zu fordern hatte. Noch im vergangenen Herbſt entſchloß er ſich nur ſchwer dem ſieg - reichen Plebejer ſeine Huldigung darzubringen; da er endlich in Berlin eintraf, fand er den Imperator nicht mehr vor und fragte rathlos den hilfsbereiten Gagern: wie lebt man eigentlich mit dieſen Menſchen? Doch als nachher der Verrath an Preußen mit reichen Geſchenken belohnt wurde, als Napoleon auf der Heimkehr ſelbſt in Dresden erſchien und gegen - über der raſch durchſchauten Beſchränktheit die Miene des wohlwollenden Gönners annahm, da wurde der ſchwache Fürſt durch die Caeſarengröße des Protectors völlig geblendet, baute mit abergläubiſcher Zuverſicht auf den Stern ſeines großen Alliirten . Ehrgeizige junge Männer traten an die Spitze der Armee, wider allen Brauch dieſes langſamen Staatsweſens, und erfüllten die tapfere Truppe, die nur widerwillig zu den Franzoſen übergetreten war, bald mit der gewiſſenloſen Wageluſt rheinbündiſcher Landsknechte; das rothe Band der Ehrenlegion wurde hier wie in Baiern und Württemberg als das höchſte Ehrenzeichen des Soldaten verehrt. In Allem und Jedem war Friedrich Auguſt ſeinem Herrn zu Willen; er be - durfte kaum der Mahnung des Imperators: was Ihr für Preußen thut, das thut Ihr gegen Euch!

So ging das alte Preußen unter dem Frohlocken der deutſchen Klein - ſtaaterei zu Grunde. Anders dachten die Bewohner der alten preußiſchen Provinzen, als ihr König ihnen mit würdigen Worten verkündete: was Jahr - hunderte und biedere Vorfahren, was Verträge, was Liebe und Vertrauen verbunden hatten mußte getrennt werden. Stumpf und gelaſſen hatte das Volk der hunderte von deutſchen Staaten, die in den Stürmen dieſer wilden Zeit dahingeſunken, ſein Schickſal ertragen; die aber jetzt von Preußen los - geriſſen wurden, empfanden bis in das Mark ihres Lebens, was ein ehren - hafter Staat dem Menſchen bedeutet. Der unglückliche Monarch konnte kaum267Preußens Verluſte.ſeine Faſſung behaupten, da ihm aus Oſtfriesland und Magdeburg, aus Thorn und Weſtphalen, aus allen ſeinen verlorenen deutſchen Landen Briefe voll heißen Dankes, voll erſchütternder Klagen zukamen; die treuen Bauern der Grafſchaft Mark ſchrieben in ihrem derben Platt: das Herz wollte uns brechen, als wir Deinen Abſchied laſen; ſo wahr wir leben, es iſt nicht Deine Schuld! Auch die deutſchen Einwanderer in den polniſchen Provinzen ſchieden ſchweren Herzens von der alten Monarchie; einer der erſten Grundherren dort zu Lande, ein Keudell, erſchoß ſich weil er unter ſlaviſcher Herrſchaft nicht leben wollte. Und wie furchtbar war das Land verwüſtet, das dem Könige noch blieb; ein einziges Jahr hatte die reiche Friedensarbeit dreier Jahrzehnte zerſtört. Erſt ſeit dieſem Kriege nahm das häusliche Leben Norddeutſchlands durchweg den Charakter kahler Dürftig - keit an. Vorher hatten doch einige Zweige des Kunſtgewerbes noch in leidlicher Blüthe geſtanden; jetzt erſt kam die Zeit der allgemeinen Form - und Geſchmackloſigkeit. Das Elend verrieth ſich überall: in den nüchternen Bauten, dem häßlichen Geräth, der kargen Koſt; ängſtliche Sparſamkeit beſtimmte alle Gewohnheiten des Lebens. In dem unglücklichen Oſt - preußen lagen weite Landſtriche wie ausgeſtorben, ganze Dorfſchaften an der Paſſarge waren verſchwunden; die Prediger mahnten von der Kanzel: wer da wolle möge ernten, daß nur das Korn nicht auf dem Halme ver - derbe. Der Sieger aber ſorgte auch nach dem Frieden mit peinlicher Strenge für die Ausplünderung des verhaßten Landes. Alle Kranken aus den Hoſpitälern in Warſchau und Weſtphalen ließ er ſofort nach Preußen ſchaffen; wo eines ſeiner Regimenter abzog, wurden zuvor alle königlichen Magazine und Vorräthe verkauft, bis herab zu den Beſtänden der Salz - werke und der Porzellanfabrik. Keine Flinte, ſo befahl er, und kein Pulverkorn darf im Lande verbleiben, auch nicht wenn die Preußen ſie baar bezahlen wollen; ich habe keinen Grund mehr Preußen zu ſchonen. Gegen den klaren Wortlaut des Tilſiter Vertrages wurde Neu-Schleſien ſofort mit Warſchau vereinigt; die Beſchwerden des Königs, hieß es kurzab, ſeien ſinnlos, keiner Widerlegung werth.

Das Entſetzlichſte blieb doch, daß mit allen dieſen Opfern die Ruhe des Friedens noch immer nicht erkauft war. Der preußiſche Bevollmäch - tigte, Feldmarſchall Kalkreuth, ein warmer Verehrer Napoleons, hatte die Tilſiter Verhandlungen mit einem vertrauensvollen Leichtſinn geführt, der alle militäriſchen Verdienſte des Vertheidigers von Danzig in Schatten ſtellte und von dem Staate hart gebüßt werden mußte. Die Räumung des Landes und der Feſtungen ſollte zwar bis zum 1. November erfolgen, doch nur wenn zuvor die geſammte Kriegscontribution abgezahlt ſei; und da über den Betrag dieſer Summe gar nichts Beſtimmtes ausbedungen war, ſo blieb nach wie vor faſt das geſammte preußiſche Gebiet durch Napoleons Heer beſetzt. Alſo gewann der Imperator freie Hand für ſeine iberiſchen Pläne, da die große Armee in Preußen die beiden Kaiſermächte268I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.des Oſtens in Ruhe hielt, und verſchaffte ſich zugleich durch die preu - ßiſchen Contributionen die Geldmittel für den ſpaniſchen Krieg.

Entwaffnet, geknebelt, verſtümmelt lag die preußiſche Monarchie zu Napoleons Füßen; mit vollendeter Schlauheit hatte er Alles vorbereitet um ſie zur gelegenen Stunde gänzlich zu vernichten. Nur Eines entging dem Scharfblick des Verächters der Ideen: daß dieſer Staat an innerer Einheit und ſittlicher Spannkraft gewann was er an äußerer Macht ver - lor. Der ungetreuen Polen war er ledig; die alten deutſchen Stamm - lande, die ihm blieben, hielten zuſammen wie ein Mann. Von dieſen Adlerlanden war einſt der Siegeszug des großen Kurfürſten, der ver - wegene Verſuch der neuen deutſchen Staatenbildung ausgegangen; auf ihnen lag jetzt wieder Deutſchlands ganze Zukunft. Sie allein unter allen rein-deutſchen Landen blieben dem Rheinbunde fern. Vor der letzten Schmach der freiwilligen Knechtſchaft hatte Friedrich Wilhelms ehrenhafter Sinn ſeine Preußen bewahrt. Die ſchwere Schuld der letzten Jahre war nicht nur gebüßt, ſie war auch erkannt; noch in Tilſit entſchloß ſich der König, auf Hardenbergs Rath, den Freiherrn vom Stein mit der Neu - bildung der Verwaltung zu beauftragen. Was nur ein ſtarkes Volk zu verzweifelten Entſchlüſſen entflammen kann, Stolz und Haß, Schmerz und Reue gährte in tauſend tapferen Gemüthern; jede neue Unbill der fremden Peiniger ſteigerte die Erbitterung, bis endlich Alles was preu - ßiſch war ſich vereinigte in dem leidenſchaftlichen Verlangen nach Ver - geltung. Wenn es gelang, die ſchwere Kraft dieſes zornigen Volkes zu ſammeln und zu ordnen, ſeinen Staat zu verjüngen durch den Idealis - mus der neuen Bildung, ſo war Deutſchlands Rettung noch möglich. Schon während des Krieges ſchrieb ein geiſtvoller Franzoſe, der in der deutſchen Wiſſenſchaft eine neue Heimath gefunden hatte, Karl v. Villers, ahnungsvoll: Die franzöſiſchen Heere haben die deutſchen geſchlagen, weil ſie ſtärker ſind; aus demſelben Grunde wird der deutſche Geiſt ſchließlich den franzöſiſchen Geiſt beſiegen. Ich glaube ſchon einige An - zeichen dieſes Ausganges zu ſehen. Die Vorſehung hat ihre eigenen Wege.

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Dritter Abſchnitt. Preußens Erhebung.

Schon mehrmals hatte Preußen durch das plötzliche Hervorbrechen ſeiner verborgenen ſittlichen Kräfte die deutſche Welt in Erſtaunen geſetzt: ſo einſt, da Kurfürſt Friedrich Wilhelm ſeinen kleinen Staat hineindrängte in die Reihe der alten Mächte; ſo wieder, als König Friedrich den Kampf um Schleſien wagte. Aber keine von den großen Ueberraſchungen der preußiſchen Geſchichte kam den Deutſchen ſo unerwartet, wie die raſche und ſtolze Erhebung der halbzertrümmerten Großmacht nach dem tiefen Falle von Jena. Während die gefeierten Namen der alten Zeit ſammt und ſonders verächtlich zu den Todten geworfen wurden und in Preußen ſelbſt Jedermann den gänzlichen Mangel an fähigem jungem Nachwuchs beklagte, ſchaarte ſich mit einem male ein neues Geſchlecht um den Thron: mächtige Charaktere, begeiſterte Herzen, helle Köpfe in unabſehbarer Reihe, eine dichte Schaar von Talenten des Rathes und des Lagers, die den litera - riſchen Größen der Nation ebenbürtig an die Seite traten. Und wie einſt Friedrich auf den Schlachtfeldern Böhmens nur erntete was ſein Vater in mühereichen Friedenszeiten ſtill geſät hatte, ſo war auch dies ſchnelle Wiedererſtarken der gebeugten Monarchie nur die reife Frucht der ſchweren Arbeit langer Jahre. Indem der Staat ſich innerlich zuſammenraffte, machte er ſich Alles zu eigen, was Deutſchlands Dichter und Denker während der letzten Jahrzehnte über Menſchenwürde und Menſchenfreiheit, über des Lebens ſittliche Zwecke gedacht hatten. Er vertraute auf die be - freiende Macht des Geiſtes, ließ den vollen Strom der Ideen des neuen Deutſchlands über ſich hereinfluthen.

Jetzt erſt wurde Preußen in Wahrheit der deutſche Staat; die Beſten und Kühnſten aus allen Stämmen des Vaterlandes, die letzten Deutſchen ſammelten ſich unter den ſchwarzundweißen Fahnen. Der ſchwung - volle Idealismus einer lauteren Bildung wies der alten preußiſchen Tapferkeit und Treue neue Pflichten und Ziele, erſtarkte ſelber in der Zucht des politiſchen Lebens zu opferfreudiger Thatkraft. Der Staat gab270I. 3. Preußens Erhebung.die kleinliche Vorliebe für das handgreiflich Nützliche auf; die Wiſſenſchaft erkannte, daß ſie des Vaterlandes bedurfte um menſchlich wahr zu ſein. Das alte harte kriegeriſche Preußenthum und die Gedankenfülle der mo - dernen deutſchen Bildung fanden ſich endlich zuſammen um nicht wieder von einander zu laſſen. Dieſe Verſöhnung zwiſchen den beiden ſchöpferiſchen Mächten unſerer neuen Geſchichte giebt den ſchweren Jahren, welche dem Tilſiter Frieden folgten, ihre hiſtoriſche Größe. In dieſer Zeit des Leidens und der Selbſtbeſinnung haben ſich alle die politiſchen Ideale zuerſt ge - bildet, an deren Verwirklichung die deutſche Nation bis zum heutigen Tage arbeitet.

Nirgends hatte die Willkür des Eroberers grauſamer gehauſt als in Preußen; darum ward auch der große Sinn des Kampfes, der die Welt erſchütterte, nirgends tiefer, bewußter, leidenſchaftlicher empfunden als unter den deutſchen Patrioten. Gegen die abenteuerlichen Pläne des napo - leoniſchen Weltreichs erhob ſich der Gedanke der Staatenfreiheit, derſelbe Gedanke, für den einſt der Neugründer des preußiſchen Staates gegen den vierzehnten Ludwig gefochten hatte. Den kosmopolitiſchen Lehren der bewaffneten Revolution trat die nationale Geſinnung, die Begeiſterung für Vaterland, Volksthum und heimiſche Eigenart entgegen. Im Kampfe wider die erdrückende Staatsallmacht des Bonapartismus erwuchs eine neue lebendige Anſchauung vom Staate, die in der freien Entfaltung der perſönlichen Kraft den ſittlichen Halt der Nationen ſah. Die großen Gegenſätze, die hier auf einander ſtießen, ſpiegelten ſich getreulich wieder in den Perſonen der leitenden Männer. Dort jener eine Mann, der ſich vermaß, er ſelber ſei das Schickſal, aus ihm rede und wirke die Natur der Dinge der Uebermächtige, der mit der Wucht ſeines herriſchen Genius jeden anderen Willen erdrückte; tief unter ihm ein Dienergefolge von tapferen Landsknechten und brauchbaren Geſchäftsmännern, aber faſt kein einziger aufrechter Charakter, faſt Keiner, deſſen inneres Leben ſich über das platt Alltägliche erhob. Hier eine lange Schaar ungewöhnlicher Menſchen, ſcharf ausgeprägte, eigenſinnige Naturen, jeder eine kleine Welt für ſich ſelber voll deutſchen Trotzes und deutſcher Tadelſucht, jeder eines Biographen würdig, zu ſelbſtändig und gedankenreich um kurzweg zu ge - horchen, doch alleſammt einig in dem glühenden Verlangen, die Freiheit und Ehre ihres geſchändeten Vaterlandes wiederaufzurichten.

Einer aber ſtand in dieſem Kreiſe nicht als Herrſcher, doch als der Erſte unter Gleichen: der Freiherr vom Stein, der Bahnbrecher des Zeit - alters der Reformen. Das Schloß ſeiner Ahnen lag zu Naſſau, mitten im bunteſten Ländergemenge der Kleinſtaaterei; von der Lahnbrücke im nahen Ems konnte der Knabe in die Gebiete von acht deutſchen Fürſten und Herren zugleich hineinſchauen. Dort wuchs er auf, in der freien Luft, unter der ſtrengen Zucht eines ſtolzen, frommen, ehrenfeſten alt - ritterlichen Hauſes, das ſich allen Fürſten des Reiches gleich dünkte. 271Der Freiherr vom Stein.Standen doch die Stammburgen der Häuſer Stein und Naſſau dicht bei einander auf demſelben Felſen; warum ſollte das alte Wappenſchild mit den Roſen und den Balken weniger gelten als der ſächſiſche Rautenkranz oder die württembergiſchen Hirſchgeweihe? Der Gedanke der deutſchen Einheit, zu dem die geborenen Unterthanen erſt auf den weiten Umwegen der hiſtoriſchen Bildung gelangten, war dieſem ſtolzen reichsfreien Herrn in die Wiege gebunden. Er wußte es gar nicht anders: ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutſchland, und da ich nach alter Verfaſſung nur ihm und keinem beſonderen Theile deſſelben angehöre, ſo bin ich auch nur ihm und nicht einem Theile deſſelben von ganzem Herzen ergeben. Wenig berührt von der äſthetiſchen Begeiſterung der Zeitgenoſſen verſenkte ſich ſein thatkräftiger, auf das Wirkliche gerichteter Geiſt früh in die hiſto - riſchen Dinge. Alle die Wunder der vaterländiſchen Geſchichte, von den Cohortenſtürmern des Teutoburger Waldes bis herab zu Friedrichs Grena - dieren, ſtanden lebendig vor ſeinen Blicken. Dem ganzen großen Deutſch - land, ſo weit die deutſche Zunge klingt, galt ſeine feurige Liebe. Keinen, der nur jemals von der Kraft und Großheit deutſchen Weſens Kunde ge - geben, ſchloß er von ſeinem Herzen aus; als er im Alter in ſeinem Naſſau einen Thurm erbaute zur Erinnerung an Deutſchlands ruhmvolle Thaten, hing er die Bilder von Friedrich dem Großen und Maria Thereſia, von Scharnhorſt und Wallenſtein friedlich neben einander. Sein Ideal war das gewaltige deutſche Königthum der Sachſenkaiſer; die neuen Theil - ſtaaten, die ſich ſeitdem über den Trümmern der Monarchie erhoben hatten, erſchienen ihm ſammt und ſonders nur als Gebilde der Willkür, heimiſchen Verrathes, ausländiſcher Ränke, reif zur Vernichtung ſobald irgendwo und irgendwie die Majeſtät des alten rechtmäßigen Königthums wieder erſtünde. Sein ſchonungsloſer Freimuth gegen die gekrönten Häupter entſprang nicht blos der angeborenen Tapferkeit eines helden - haften Gemüthes, ſondern auch dem Stolze des Reichsritters, der in allen dieſen fürſtlichen Herren nur pflichtvergeſſene, auf Koſten des Kaiſer - thums bereicherte Standesgenoſſen ſah und nicht begreifen wollte, warum man mit ſolchen Zaunkönigen ſo viel Umſtände mache.

Er hatte die rheiniſchen Feldzüge in der Nähe beobachtet und die Ueberzeugung gewonnen, die er einmal der Kaiſerin von Rußland vor verſammeltem Hofe ausſprach: das Volk ſei treu und tüchtig, nur die Erbärmlichkeit ſeiner Fürſten verſchulde Deutſchlands Verderben. Er haßte die Fremdherrſchaft mit der ganzen dämoniſchen Macht ſeiner natur - wüchſigen Leidenſchaft, die einmal ausbrechend unbändig wie ein Berg - ſtrom daherbrauſte; doch nicht von der Wiederaufrichtung der verlebten alten Staatsgewalten noch von den künſtlichen Gleichgewichtslehren der alten Diplomatie erwartete er das Heil Europas. Sein freier großer Sinn drang überall gradaus in den ſittlichen Kern der Dinge. Mit dem Blicke des Sehers erkannte er jetzt ſchon, wie Gneiſenau, die Grund -272I. 3. Preußens Erhebung.züge eines dauerhaften Neubaues der Staatengeſellſchaft. Das unnatür - liche Uebergewicht Frankreichs ſo lautete ſein Urtheil ſteht und fällt mit der Schwäche Deutſchlands und Italiens; ein neues Gleichgewicht der Mächte kann nur erſtehen, wenn jedes der beiden großen Völker Mitteleuropas zu einem kräftigen Staate vereinigt wird. Stein war der erſte Staatsmann, der die treibende Kraft des neuen Jahrhunderts, den Drang nach nationaler Staatenbildung ahnend erkannte; erſt zwei Men - ſchenalter ſpäter ſollte der Gang der Geſchichte die Weiſſagungen des Genius rechtfertigen. Noch war ſein Traum vom einigen Deutſchland mehr eine hochherzige Schwärmerei als ein klarer politiſcher Gedanke; er wußte noch nicht, wie fremd Oeſterreich dem modernen Leben der Nation geworden war, wollte in den Kämpfen um Schleſien nichts ſehen als einen beklagenswerthen Bürgerkrieg.

Immerhin hatte er ſchon in jungen Jahren die lebendige Macht des preußiſchen Staates erkannt und, weit abweichend von den Gewohnheiten des Reichsadels, ſich in den Dienſt der proteſtantiſchen Großmacht begeben. Wie ward ihm ſo wohl in der naturfriſchen, den Körper ſtählenden Thätig - keit des Bergbaus, und nachher, da er als Kammerpräſident unter den freien Bauern und dem ſtolzen alteingeſeſſenen Adel der weſtphäliſchen Lande eine zweite Heimath fand, bei Wind und Wetter immer ſelbſt zur Stelle um nach dem Rechten zu ſehen, herriſch durchgreifend, raſtlos an - feuernd, aber auch gütig und treuherzig, durch und durch praktiſch, nicht minder beſorgt um die Kühe der kleinen Kötter wie um die Waſſerwege für die reichen Kohlenwerke ein echter Edelmann, vornehm zugleich und leutſelig, großartig in Allem, ein kleiner König in ſeiner Provinz. Den Oſten der Monarchie kannte er wenig. Der Rheinfranke konnte das landſchaftliche Vorurtheil gegen die dürftigen Coloniſtenlande jenſeits der Elbe lange nicht überwinden; er meinte in den ernſthaften verwitterten Zügen der brandenburgiſchen Bauern, die freilich die Spuren langer Noth und Unfreiheit trugen, einen ſcheuen, böſen Wolfsblick zu erkennen, und mit dem naiven Stolze des Reichsritters ſah er auf das arme an - ſpruchsvolle Junkerthum der Marken herunter, das doch für Deutſchlands neue Geſchichte unvergleichlich mehr geleiſtet hatte als der geſammte Reichs - adel. Sold zu nehmen und ſeinen ſteifen Nacken in das Joch des Dienſtes zu ſchmiegen fiel dem Reichsfreiherrn von Haus aus ſchwer. Als er dann auf der rothen Erde die noch lebensfähigen Ueberreſte altgermaniſcher Ge - meindefreiheit und altſtändiſcher Inſtitutionen kennen lernte, als er die gemeinnützige Wirkſamkeit der Landſtände, der bäuerlichen Erbentage, der Stadträthe und der Kirchenſynoden beobachtete und damit die formenſteife Kleinmeiſterei, die allfürſorgende Zudringlichkeit des königlichen Beamten - thums verglich, da überkam ihn eine tiefe Verachtung gegen das Nichtige des todten Buchſtabens und der Papierthätigkeit. Mit harten und oftmals ungerechten Worten ſchalt er auf die beſoldeten, buchgelehrten, intereſſe -273Steins Anſicht vom Staate.loſen, eigenthumsloſen Buraliſten, die, es regne oder es ſcheine die Sonne, ihren Gehalt aus der Staatskaſſe erheben und ſchreiben, ſchrei - ben, ſchreiben.

So in rüſtigem Handeln, in lebendigem Verkehre mit allen Ständen des Volkes bildete er ſich nach und nach eine ſelbſtändige Anſicht vom Weſen politiſcher Freiheit, die ſich zu den demokratiſchen Doctrinen der Revolution verhielt wie die deutſche zur franzöſiſchen Staatsgeſinnung. Adam Smiths Lehre von der freien Bewegung der wirthſchaftlichen Kräfte hatte ſchon dem Jüngling einen tiefen Eindruck hinterlaſſen; nur lag dem deutſchen Freiherrn nichts ferner als jene Ueberſchätzung der wirthſchaft - lichen Güter, worein die blinden Anhänger des Schotten verfielen, viel - mehr bekannte er ſich laut zu der fridericianiſchen Meinung, daß über - mäßiger Reichthum das Verderben der Völker ſei. Juſtus Möſers lebenswahre Erzählungen von der Bauernfreiheit der germaniſchen Urzeit ergriffen ihn lebhaft, das Studium der deutſchen und der engliſchen Ver - faſſungsgeſchichte kam ſeiner politiſchen Bildung zu ſtatten, und ſicher hat die romantiſche Weltanſchauung des Zeitalters, die allgemeine Schwär - merei für die ungebrochene Kraft jugendlichen Volkslebens unbewußt auch auf ihn eingewirkt. Doch der eigentliche Quell ſeiner politiſchen Ueber - zeugung war ein ſtarker ſittlicher Idealismus, der, mehr als der Freiherr ſelbſt geſtehen wollte, durch die harte Schule des preußiſchen Beamten - dienſtes geſtählt worden war.

Die Verwaltungsordnung des erſten Friedrich Wilhelm hatte einſt das dem öffentlichen Leben ganz entfremdete Volk in den Dienſt des Staates hineingezwungen. Stein erkannte, daß die alſo Erzogenen nunmehr fähig waren unter der Aufſicht des Staates die Geſchäfte von Kreis und Ge - meinde ſelbſt zu beſorgen. Er wollte an die Stelle der verlebten alten Geburtsſtände die Rechtsgleichheit der modernen bürgerlichen Geſellſchaft ſetzen, aber nicht die unterſchiedsloſe Maſſe ſouveräner Einzelmenſchen, ſondern eine neue gerechtere Gliederung der Geſellſchaft, die den Eigen - thümern , den Wohlhabenden und vornehmlich den Grundbeſitzern, die Laſt des communalen Ehrendienſtes auferlegte und ihnen dadurch erhöhte Macht gäbe eine junge auf dem Gedanken der politiſchen Pflicht ruhende Ariſtokratie. Er dachte die Revolution mit ihren eigenen Waffen zu be - kämpfen, den Streit der Stände auszugleichen, die Idee des Einheits - ſtaates in der Verwaltungsordnung vollſtändig zu verwirklichen; doch mit der Thatkraft des Neuerers verband er eine tiefe Pietät für das hiſtoriſch Gewordene, vor Allem für die Macht der Krone. Eine Verfaſſung bilden, ſagte er oft, heißt das Gegenwärtige aus dem Vergangenen entwickeln. Er ſtrebte von jenen künſtlichen Zuſtänden der Bevormundung und des Zwanges, die ſich einſt aus dem Elend des dreißigjährigen Krieges heraus - gebildet hatten, wieder zurück zu den einfachen und freien Anſchauungen der deutſchen Altvordern, denen der Waffendienſt als das Ehrenrecht jedesTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 18274I. 3. Preußens Erhebung.freien Mannes, die Sorge für den Haushalt der Gemeinde als die natür - liche Aufgabe des Bürgers und des Bauern erſchien. Dem begehrlichen revolutionären Sinne, der von dem Staate unendliche Menſchenrechte heiſchte, trat das ſtrenge altpreußiſche Pflichtgefühl entgegen, dem dreiſten Dilettantismus der Staatsphiloſophen die Sach - und Menſchenkenntniß eines gewiegten Verwaltungsbeamten, der aus den Erfahrungen des Lebens die Einſicht gewonnen hatte, daß der Neubau des Staates von unten her beginnen muß, daß conſtitutionelle Formen werthlos ſind wenn ihnen der Unterbau der freien Verwaltung fehlt.

Dieſe Gedanken, wie neu und kühn ſie auch erſchienen, ergaben ſich doch nothwendig aus der inneren Entwickelung, welche der preußiſche Staat ſeit der Vernichtung der alten Ständeherrſchaft bis zum Erſcheinen des Allgemeinen Landrechts durchlaufen hatte; ſie berührten ſich zugleich ſo nahe mit dem ſittlichen Ernſt der Kantiſchen Philoſophie und dem wieder er - wachenden hiſtoriſchen Sinne der deutſchen Wiſſenſchaft, daß ſie uns Nach - lebenden wie der politiſche Niederſchlag der claſſiſchen Zeit unſerer Litera - tur erſcheinen. Gleichzeitig, wie auf ein gegebenes Stichwort, wurden ſofort nach dem Untergange der alten Ordnung die nämlichen Ideen von den beſten Männern des Schwertes und der Feder geäußert, von Keinem freilich ſo umfaſſend und eigenthümlich wie von Stein. In den Briefen und Denkſchriften von Scharnhorſt und Gneiſenau, von Vincke und Nie - buhr kehrt überall derſelbe leitende Gedanke wieder: es gelte, die Nation zu ſelbſtändiger, verantwortlicher politiſcher Arbeit aufzurufen und ihr da - durch das Selbſtvertrauen, den Muth und Opfermuth der lebendigen Vaterlandsliebe zu erwecken. Ein geſchloſſenes Syſtem politiſcher Ideen aufzubauen lag nicht in der Weiſe dieſer praktiſchen Staatsmänner; ſie rühmten vielmehr als einen Vorzug des engliſchen Lebens, daß dort die politiſche Doctrin ſo wenig gelte. Und ſo war auch das einzige literariſche Werk, das unter Steins Augen entſtand, Vinckes Abhandlung über die britiſche Verwaltung, der Betrachtung des Wirklichen zugewendet. Die kleine Schrift gab zum erſten male ein getreues Bild von der Selbſt - verwaltung der engliſchen Grafſchaften, die bisher neben der bewunderten Gewaltentheilung des conſtitutionellen Muſterſtaates noch gar keine Be - achtung gefunden hatte; ſie enthielt zugleich eine ſo unzweideutige Kriegs - erklärung gegen die rheinbündiſch-franzöſiſche Bureaukratie, daß ſie erſt nach dem Sturze der napoleoniſchen Herrſchaft gedruckt werden durfte. Darum iſt den Zeitgenoſſen der ganze Tiefſinn der Staatsgedanken Steins niemals recht zum Bewußtſein gekommen. Erſt die Gegenwart erkennt, daß dieſer ſtolze Mann mit der Idee des nationalen Staates auch den Gedanken der Selbſtverwaltung, eine edlere, aus uralten un - vergeſſenen Ueberlieferungen der germaniſchen Geſchichte geſchöpfte Auf - faſſung der Volksfreiheit für das Feſtland gerettet hat. Jeder Fortſchritt unſeres politiſchen Lebens hat die Nation zu Steins Idealen zurückgeführt.

275Steins Charakter.

Es war der Schatten ſeiner Tugenden, daß er in den verſchlungenen Wegen der auswärtigen Politik ſich nicht zurecht fand und die unentbehr - lichen Künſte diplomatiſcher Verſchlagenheit als niederträchtiges Finaſſiren verachtete. Ihm fehlte die Liſt, die Behutſamkeit, die Gabe des Zauderns und Hinhaltens. Auf dem Gebiete der Verwaltung bewegte er ſich mit vollendeter Sicherheit, jede ſeiner Verordnungen war ein Muſter geſchäft - licher Klarheit und Beſtimmtheit. Wenn aber eine Ausſicht auf die Be - freiung ſeines Vaterlandes ſich zu eröffnen ſchien, ſo verließ ihn die beſonnene Ruhe, und fortgeriſſen von dem wilden Ungeſtüm ſeiner patrio - tiſchen Begeiſterung rechnete er dann leicht mit dem Unmöglichen.

Den Staat bedachtſam zwiſchen den Klippen hindurchzuſteuern, bis der rechte Augenblick der Erhebung erſchien, war dieſem Helden des heiligen Zornes und der ſtürmiſchen Wahrhaftigkeit nicht gegeben. Doch Niemand war wie er für die Aufgaben des politiſchen Reformators geboren. Der zerrütteten Monarchie wieder die Richtung auf hohe ſittliche Ziele zu geben, ihre ſchlummernden herrlichen Kräfte durch den Weckruf eines feurigen Willens zu beleben das vermochte nur Stein, denn Keiner beſaß wie er die fortreißende, überwältigende Macht der großen Perſön - lichkeit. Jedes unedle Wort verſtummte, keine Beſchönigung der Schwäche und der Selbſtſucht wagte ſich mehr heraus, wenn er ſeine ſchwerwiegen - den Gedanken in markigem, altväteriſchem Deutſch ausſprach, ganz kunſt - los, volksthümlich derb, in jener wuchtigen Kürze, die dem Gedanken - reichthum, der verhaltenen Leidenſchaft des echten Germanen natürlich iſt. Die Gemeinheit zitterte vor der Unbarmherzigkeit ſeines ſtachligen Spottes, vor den zermalmenden Schlägen ſeines Zornes. Wer aber ein Mann war ging immer leuchtenden Blicks und gehobenen Muthes von dem Glaubensſtarken hinweg. Unauslöſchlich prägte ſich das Bild des Reichs - freiherrn in die Herzen der beſten Männer Deutſchlands: die gedrungene Geſtalt mit dem breiten Nacken, den ſtarken, wie für den Panzer ge - ſchaffenen Schultern; tiefe, funkelnde braune Augen unter dem mächtigen Gehäuſe der Stirn, eine Eulennaſe über den ſchmalen, ausdrucksvoll be - lebten Lippen; jede Bewegung der großen Hände jäh, eckig, gebieteriſch: ein Charakter wie aus dem hochgemuthen ſechzehnten Jahrhundert, der unwillkürlich an Dürers Bild vom Ritter Franz von Sickingen erinnerte ſo geiſtvoll und ſo einfach, ſo tapfer unter den Menſchen und ſo demüthig vor Gott der ganze Mann eine wunderbare Verbindung von Naturkraft und Bildung, Freiſinn und Gerechtigkeit, von glühender Leiden - ſchaft und billiger Erwägung eine Natur, die mit ihrer Unfähigkeit zu jeder ſelbſtiſchen Berechnung für Napoleon und die Genoſſen ſeines Glücks immer ein unbegreifliches Räthſel blieb. Er war der Mann der Lage; ſelbſt ſeine Schwächen und einſeitigen Anſichten entſprachen dem Bedürf - niß des Augenblicks. Wenn er das Beamtenthum und den kleinen Adel ungebührlich hart beurtheilte, die Oeſterreicher ſchlechtweg als Preußens18*276I. 3. Preußens Erhebung.deutſche Brüder anſah: um ſo beſſer für den Staat, der jetzt die adlichen Privilegien, die Alleinherrſchaft der Bureaukratie zerſtören und Alles was trennend zwiſchen den beiden deutſchen Großmächten ſtand, hochherzig ver - geſſen mußte.

Nach ſeinem vergeblichen Kampfe gegen die Cabinetsregierung und ſeiner ſchnöden Entlaſſung hatte Stein ſtill in Naſſau gelebt und dort ſchon in einer umfaſſenden Denkſchrift einige Umriſſe für die Neugeſtal - tung des Staates aufgezeichnet. Da traf ihn die Kunde von dem un - ſeligen Frieden und warf den Heißblütigen auf das Krankenbette. Bald darauf kam die Aufforderung zur Rückkehr. Er nahm an; jede Kränkung war vergeſſen; nach drei Tagen wurde ſein Wille des Fiebers Herr. Am 30. September 1807 traf er in Memel ein, und der König legte ver - trauensvoll die Leitung des geſammten Staatsweſens in die Hände des Miniſters. Welch eine Lage! An ſeinem letzten Geburtstage hatte Friedrich Wilhelm, da die Räumung des Landes gar nicht beginnen wollte, in einem eigenhändigen Briefe dem Imperator gradezu die Frage geſtellt, ob er Preußen zu vernichten beabſichtige. Napoleon blieb ſtumm, die Thaten gaben die Antwort. Mitten im Frieden ſtanden 160,000 Franzoſen in den Feſtungen und in großen Lagern, über das ganze Staatsgebiet ver - theilt, allein Oſtpreußen ausgenommen. Der Kern der alten preußiſchen Armee, mehr als 15,000 Mann, lag noch kriegsgefangen bei Nancy, und woher ſollte die ausgeplünderte Monarchie die Mittel nehmen für die Bildung eines neuen Heeres? An verfügbarem jährlichem Einkommen ver - blieben dem Staate noch 13½ Mill. Thlr., kaum zwei Drittel ſeiner früheren Einnahmen. Ueberall wo Napoleons Truppen ſtanden wurden die Staatseinkünfte, als ob der Krieg noch fortwährte, für Frankreich in Beſchlag genommen, ſo daß der König nahezu nichts erhielt, hunderte der auf halben Sold entlaſſenen Offiziere unbezahlt darben mußten. Die einſt vielbeneidete Seehandlung hatte, wie die Bank, ihre Zahlungen ein - geſtellt; ihre Obligationen ſanken im Curſe bis auf 25. Die Treſorſcheine fielen bis auf 27, da an die Einlöſung nicht mehr zu denken war und die franzöſiſchen Behörden das Papiergeld zu Wuchergeſchäften mißbrauchten. Maſſen entwertheter Scheidemünzen ſtrömten aus den abgetretenen Pro - vinzen in das Land zurück, und die Franzoſen ließen um das Unheil zu vermehren in der Berliner Münze noch für 3 Mill. Thlr. neues Kleingeld prägen. Der Staatscredit war ſo gänzlich vernichtet, daß eine Prämien - anleihe von einer Million, in kleinen Scheinen zu 25 Thlr. ausgegeben, nach drei Jahren noch immer nicht vergriffen war. Die franzöſiſche Militärverwaltung unter Darus brutaler Leitung hauſte im Frieden ärger als im Kriege; eine Contribution drängte die andere, und monate - lang blieb es ein tiefes Geheimniß, wie viel der unerſättliche Feind noch von dem erſchöpften Lande fordern wolle. In Oſt - und Weſtpreußen wurde zur Abtragung der Kriegslaſten eine progreſſive Einkommenſteuer,277Wirthſchaftliche Erſchöpfung des Staates.die bis zu 20 vom Hundert ſtieg, ausgeſchrieben; ein keineswegs reicher Stettiner Kaufmann mußte in dem Jahre nach dem Frieden für Contri - bution und Einquartierung mehr als 15,000 Thlr. zahlen.

Handel und Wandel ſtockten. Der britiſche Kaufmannsneid hatte den letzten Krieg rückſichtslos benutzt um die ſtärkſte Handelsmarine der Oſt - ſeeküſten zu zerſtören. Als nachher der Krieg gegen Frankreich ausbrach, der Friede mit England noch nicht geſchloſſen war, ſah ſich die preußiſche Flagge gleichzeitig durch die britiſchen und die franzöſiſchen Kreuzer be - droht. Dann kam der Jammer der Continentalſperre. Die Rhederei der pommerſchen Häfen verringerte ſich in kurzer Zeit von 34,000 auf 20,000 Laſt. Die alten natürlichen Straßen des Welthandels lagen verödet; die baltiſchen Provinzen verloren, da ihnen gute Landſtraßen noch faſt gänz - lich fehlten, den Abſatzweg für ihren einzigen Exportartikel, das Getreide. Ein heilloſer Schmuggelhandel führte von Gothenburg und Helgoland, dem neuen Klein-London, die Waaren der Colonien in’s Land; andere Waarenzüge kamen aus Malta und Corfu durch Bosnien und Ungarn. Der preußiſche Mittelſtand konnte die Preiſe der gewohnten Genußmittel nicht mehr erſchwingen; man trank Cichorienwaſſer, rauchte Huflattich und Nußblätter. Bettelhaftes Elend in jedem Haushalt, jedem Gewerb: die Königsberger Buchdrucker verlangten drei Wochen Friſt um ein ſechs Bogen langes Geſetz zu drucken, weil ſie nur für einen Bogen Satz hatten. Schoen, der gewiegte Finanzmann, der ſich gern ſeines altpreu - ßiſchen Muthes rühmte, fand die Zuſtände ſo hoffnungslos, daß er ſchon vier Monate nach dem Frieden in einer Denkſchrift ausführte: man müſſe den Sieger durch die Abtretung des Magdeburgiſchen rechts der Elbe und eines Theiles von Oberſchleſien befriedigen, ſonſt gehe das Land durch den Steuerdruck zu Grunde.

Alles erinnerte an jene jammervollen Zeiten, da einſt die Wallen - ſteiner in den Marken hauſten und Georg Wilhelm als ein Fürſt ohne Land in Königsberg weilte. Aber welche Saat von Liebe und Treue war während der ſechs Menſchenalter ſeitdem aufgegangen! Damals wider - ſetzte ſich der Königsberger Landtag in ſtörriſchem Trotze ſeinem Kurfürſten; jetzt ſtanden Fürſt und Volk zu einander wie eine große Familie. Das ärmliche Landhaus bei Memel und die düſteren Räume des alten Ordens - ſchloſſes in Königsberg wurden nicht leer von Beſuchern, die ihrem Könige in ſeiner Noth eine Freude bereiten, ein gutes Wort ſagen wollten; zu der Taufe der neugeborenen Königstochter erſchienen die Stände von Oſt - preußen als Pathen; an allen Läden hing das neue Bild, das den König in der häßlichen Uniform der Zeit inmitten ſeiner Kinder darſtellte. Und wie viel königlicher als der Vater des großen Kurfürſten wußte Friedrich Wilhelm ſein hartes Loos zu tragen. Eine tiefe Bitterkeit erfüllte ihm die Seele, mehr als je bedurfte er des herzlichen Zuſpruchs ſeiner Ge - mahlin; er hatte Stunden, wo ihm zu Muthe war, als ob nichts ihm278I. 3. Preußens Erhebung.gelänge, als ob er nur für das Unglück geboren ſei. Als er im Königs - berger Dome die Inſchriften auf den Gräbern der preußiſchen Herzöge las, wählte er ſich den Sinnſpruch für ſein hartes Leben: meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott! Doch dieſe Hoffnung hielt ihn auf - recht. Niemals wollte er ſich überzeugen, daß die gemeinen Seelen aus der Familie Bonaparte, die jetzt Europas Kronen trugen, wirkliche Fürſten ſeien, daß dies mit allem ſeinem Ruhm und Glanz ſo windige, ſo ſchwindel - hafte Abenteuer des napoleoniſchen Weltreichs in der vernünftigen Gottes - welt auf die Dauer beſtehen könne. Willig und ohne Vorbehalt ging er auf die Vorſchläge ſeines großen Miniſters ein. An Steins Geſetzen hatte er weit größeren Antheil als die Zeitgenoſſen wußten. Vieles was ſich jetzt vollendete war ja nur die kühne Durchführung jener Reformgedanken, worüber der unentſchloſſene Fürſt ein Jahrzehnt hindurch gebrütet hatte. Nur ſo werden die raſchen, durchſchlagenden Erfolge des einen kurzen Jahres der Steinſchen Verwaltung verſtändlich.

Auch unter den Beamten fand der neue Miniſter willige Helfer. Ein Glück für ihn, daß er ſein Reformwerk grade auf oſtpreußiſchem Boden beginnen mußte. Hier wurde die Unhaltbarkeit der alten ſtändiſchen Gliede - rung beſonders lebhaft empfunden, da die Provinz in ihren Köllmern einen freien nichtadlichen Grundbeſitzerſtand beſaß; hier waren die Gebildeten, namentlich die Beamten, längſt vertraut mit den freien ſittlichen und poli - tiſchen Anſchauungen, welche die beiden wirkſamſten Lehrer der Königs - berger Hochſchule, Kant und der ſoeben verſtorbene Kraus, ſeit Jahren verbreitet hatten. Ganz und gar von dieſen Ideen erfüllt war Schoen, in mancher Hinſicht ein getreuer Vertreter des ſtolzen, freiſinnigen, ge - dankenreichen oſtpreußiſchen Weſens, freilich auch ein Doctrinär der un - bedingten Freihandelslehre, zudem maßlos eitel, unfähig fremdes Verdienſt beſcheiden anzuerkennen und, ganz gegen die Art ſeines edlen Stammes, unwahrhaftig. Neben ihm wirkte Staegemann, ein hochgebildeter, kundiger Geſchäftsmann von ſeltenem Fleiße und ſeltener Beſcheidenheit, der ſeine treue Liebe zum preußiſchen Staate zuweilen in tief empfundenen unge - lenken Gedichten ausſprach; dann Niebuhr, der geniale Gelehrte, zu reiz - bar, zu abhängig von der Stimmung des Augenblicks um ſich leicht in die gleichmäßige Thätigkeit der Bureaus zu finden, aber Allen unſchätzbar durch den unerſchöpflichen Reichthum eines lebendigen Wiſſens, durch die Weite ſeines Blicks, durch den Adel einer hohen Leidenſchaft; dann Nico - lovius, ein tiefes, von der religiöſen Strömung der Zeit im Innerſten bewegtes Gemüth; dann Sack, Klewitz, Wilken und viele Andere, ein ſchöner Verein ungewöhnlicher Kräfte. Unter Allen ſtand wohl der weſt - phäliſche Freiherr v. Vincke den Anſchauungen Steins am nächſten. Auch er hatte ſich ſeine Anſicht vom Staate unter dem Adel und den Bauern der rothen Erde gebildet, nur daß der geborene Preuße die Verdienſte des Soldbeamtenthums unbefangener anerkannte als der Reichsritter; er279Hardenbergs Rigaer Denkſchrift.rechnete ſich ſelber nicht zu den ſchöpferiſchen Köpfen, ſeine Stärke war die Ausführung, die raſtloſe Thätigkeit des Verwaltungsbeamten.

Hardenberg, der auf Napoleons Befehl zum zweiten male das Mini - ſterium hatte verlaſſen müſſen, ſendete aus Riga eine große Denkſchrift über die Reorganiſation des preußiſchen Staats, die er dort im Verein mit Altenſtein ausgearbeitet. Sie berührte ſich vielfach mit den Ideen des neuen Miniſters, manche ihrer Vorſchläge waren ſeinen Aeußerungen wörtlich entlehnt ſo der Gedanke einer Ständeverſammlung für den geſammten Staat. Doch verrieth ſich hier auch ſchon jener feine und tiefe Gegenſatz, welcher den Jünger der Aufklärung von Steins hiſtoriſcher Staatsanſchauung immer getrennt hat. Hardenberg war zuerſt Diplo - mat, in Verwaltungsſachen bei weitem nicht ſo gründlich unterrichtet wie Stein, und nahm daher unbedenklich in ſeine Denkſchrift einige allgemeine theoretiſche Sätze auf, wie ſie Altenſtein, der Freund Fichtes, liebte. Sein Reformplan war nach der höchſten Idee des Staates bemeſſen; in der Handelspolitik ſollte ohne Einſchränkung der Grundſatz des laisser faire gelten. Während Stein die Revolution von frühauf mit dem Mißtrauen des Ariſtokraten betrachtet hatte und nur einige ihrer probehaltigen Er - gebniſſe auf deutſchen Boden verpflanzen wollte, war Hardenberg von den franzöſiſchen Ideen ungleich ſtärker berührt worden. Er bezeichnete gradezu als das Ziel der Reform: demokratiſche Grundſätze in einer monarchiſchen Regierung , ſchloß ſich im Einzelnen eng an das Vorbild Frankreichs an, verlangte für das Heer die Conſcription mit Stellver - tretung, und die altpreußiſchen Ehrenämter der Landräthe hätte er gern durch bureaukratiſche Kreisdirectoren verdrängt. Von der Selbſtverwal - tung der Gemeinden ſprach er gar nicht. Gemeinſam war beiden Staats - männern die ſittliche Hoheit der Staatsgeſinnung. Beide wollten, wie Altenſteins Entwurf ſich ausdrückte, eine Revolution im guten Sinne, gradehin führend zu dem großen Zwecke der Veredlung der Menſchheit ; Beide wußten, daß Frankreich nur eine untergeordnete, auf bloße Kraft - äußerung gerichtete Tendenz verfolge, und forderten von dem verjüngten deutſchen Staate, daß er Religion, Kunſt und Wiſſenſchaft, alle idealen Beſtrebungen des Menſchengeſchlechts um ihrer ſelber willen beſchütze und alſo durch ſittliche Kräfte ſich den Sieg über die feindliche Uebermacht ſichere.

Stein beſaß in hohem Maaße die dem Staatsmanne unentbehrliche Kunſt die Gedanken Anderer zu benutzen. Alle die Vorſchläge, die ihm aus den Kreiſen des Beamtenthums entgegengebracht wurden, ließ er auf ſich wirken, doch ſeine letzten Entſchließungen faßte er ſtets nach eigenem Ermeſſen. Als er in Memel eintraf, fand er bereits einen Entwurf vor für die Aufhebung der Erbunterthänigkeit in Oſt - und Weſtpreußen. Schoen, Staegemann und Klewitz hatten den Plan, auf Befehl des Königs, aus - gearbeitet und ſich namentlich darauf berufen, daß in dem benachbarten Großherzogthum Warſchau die Beſeitigung der Leibeigenſchaft bevorſtehe. 280I. 3. Preußens Erhebung.Der Miniſter gab dem Geſetze ſofort einen größeren Sinn, verlangte die Ausdehnung der Reform auf das geſammte Staatsgebiet. Seit er po - litiſch zu denken vermochte hatte er die Unfreiheit des Landvolks als den Fluch unſeres Nordoſtens betrachtet; jetzt ſchien es ihm an der Zeit, dies uralte Leiden endlich zu heilen, mit einem kühnen Schritte das Ziel zu erreichen, worauf die Geſetze der Hohenzollern ſeit Friedrich Wilhelm I. immer mit halbem Erfolge hingearbeitet hatten. Der König ſtimmte freudig zu; die tapfere Zuverſicht des Miniſters erweckte ihm den Muth ernſtlich zu wollen was er ſein Lebelang nur gehofft und gewünſcht. So erſchien denn am 9. October 1807 das Edict über den erleichterten Beſitz und den freien Gebrauch des Grundeigenthums die Habeas Corpus Acte Preußens, wie Schoen ſagte. In anſpruchsloſen Formen ward eine tief - greifende ſociale Revolution vollzogen: etwa zwei Drittel der Bevölkerung des Staates gewannen die unbeſchränkte perſönliche Freiheit, am Martini - tage 1810 ſollte es nur noch freie Leute in Preußen geben. Daſſelbe Geſetz vernichtete mit einem Schlage die ſtändiſche Ordnung des frideri - cianiſchen Staates. Der Edelmann erhielt das Recht, ein Bauer zu wer - den und bürgerliche Gewerbe zu treiben ein Recht, das zugleich als Erſatz galt für die bisherige Bevorzugung des Adels in der Armee. Jede Art von Grundbeſitz und Geſchäftsbetrieb war fortan jedem Preußen zugänglich.

Aber Stein war nicht gewillt, die alten volksfreundlichen Grundſätze der Monarchie preiszugeben und unter dem Vorwande des freien Wett - bewerbs die Vernichtung des kleinen Grundbeſitzes zu erlauben; ein freier kräftiger Bauernſtand erſchien ihm als die feſteſte Stütze des Staates, als der Kern der Wehrkraft. Darum wurde den Rittergutsbeſitzern das Auskaufen der Bauergüter nur unter Beſchränkungen und mit Zuſtim - mung der Staatsbehörden geſtattet. Und während Schoen, getreu den Dogmen der engliſchen Freihandelsſchule, den Untergang der alten land - ſäſſigen Geſchlechter als eine unabänderliche wirthſchaftliche Nothwendig - keit hinnehmen wollte, griff Stein den verſchuldeten Großgrundbeſitzern mit einem General-Indult unter die Arme. So gelang es, dem Landadel über die nächſte ſchwere Zeit hinwegzuhelfen, die Mehrzahl der Rittergüter ihren alten Beſitzern zu erhalten. Ebenſo maßvoll bei aller Kühnheit war auch das neue Edict, das den Einſaſſen der Domänen in Oſt - und Weſtpreußen, etwa 47,000 bäuerlichen Familien, das freie Eigenthum ver - lieh: ſie ſollten befugt ſein, drei Viertel der auf ihren Gütern haftenden Dienſte und Abgaben binnen vierundzwanzig Jahren durch Geldzahlun - gen abzulöſen. Ein Viertel blieb als unablösliche Contribution fortbe - ſtehen; Stein verwarf die vollſtändige Beſeitigung aller dinglichen Laſten der Bauerngüter als eine allzu radikale Störung der gewohnten Beſitz - verhältniſſe. Daran ſchloß ſich die Aufhebung des Mühlenzwanges, der Zünfte und Verkaufsmonopolien für Bäcker, Schlächter und Höker. Ver - wandlung aller Dienſte und Naturalabgaben in Geldzahlungen, Beſeitigung281Befreiung des Landvolks.der Zwangs - und Bannrechte, der Servituten, der Gemeinheiten war das Ziel, dem der Geſetzgeber zuſtrebte; das freie Privateigenthum ſollte überall zu ſeinem Rechte kommen. In ſcharfem Gegenſatze zu dem fridericianiſchen Syſteme der monarchiſchen Arbeitsorganiſation wollten die neuen Geſetze Alles entfernen, was den Einzelnen bisher hinderte den Wohlſtand zu erwerben, den er nach dem Maaße ſeiner Kräfte zu erreichen fähig war . Die nach Steins Abgang erlaſſene Inſtruction an die Verwaltungsbehörden ſagte kurzab in der Form vielleicht etwas abſtracter als Stein ſelbſt geſchrieben hätte: die Gewerbe ſollten ihrem natürlichen Gange über - laſſen bleiben; es ſei nicht nothwendig den Handel zu begünſtigen, er müſſe nur nicht erſchwert werden.

Im Auslande wurde der mächtige Umſchwung, der das alte Preußen in ſeinen ſocialen Grundfeſten erſchütterte, kaum beachtet. Die bewegte Zeit hatte der radikalen Neuerungen genug erlebt, und wie viele, die mit größerem Lärm begannen, waren im Sande verlaufen. Die Franzoſen ſpotteten, wie bedachtſam man in Königsberg den Spuren der großen Revolution folge. In Preußen ſelbſt empfand man um ſo lebhafter, wie tief die neue Geſetzgebung in alle Lebensverhältniſſe einſchnitt. Das ge - bildete Bürgerthum begrüßte die Befreiung des Landvolks mit Freuden; in Breslau wurden die Thaten des königlichen Reformators auf der Bühne verherrlicht. Aber der kurmärkiſche Adel, der tapfere Marwitz voran, zürnte auf den dreiſten Ausländer, der mit ſeiner fränkiſchen und oſtpreußiſchen Beamtenſchule das alte gute brandenburgiſche Weſen zerſtöre. Unerhört erſchien außer dem revolutionären Inhalt auch die jacobiniſche Sprache der Stein’ſchen Geſetze, die ſich wiederholt auf das Wohl des Staates, auf die Fortſchritte des Zeitgeiſtes beriefen. Und nun gar die den märkiſchen Junkern ganz unbekannte Menſchenklaſſe der Landbe - wohner , die man am grünen Tiſche erfunden hatte! In der Priegnitz rotteten ſich ſelbſt die Bauern zuſammen, tobend gegen die neue Frei - heit , und der König mußte ſeine gelben Reiter wider ſie ausſenden. Auf der Junkergaſſe zu Königsberg tagte der Perponcher’ſche Club, würdige Herren vom Hofe, vom Landadel, von der Armee, alleſammt tief entrüſtet über das Nattergezücht der Reformer. Niemand dort ſchalt grimmiger als General York: der ſah die alte ſtrenge Zucht aus der Welt ver - ſchwinden, ſah die Zeit gekommen, wo jeder Fähnrich an ſeinem Oberſten zum Marquis Poſa werden wollte. Selbſt Gneiſenau konnte der Kühn - heit des Miniſters nicht folgen, er meinte den Untergang des großen Grundbeſitzes vor Augen zu ſehen bis ihn die Erfahrung eines Beſſeren belehrte. Einige der wackerſten Männer aus den alten oſtpreußiſchen Ge - ſchlechtern der Dohna, der Auerswald, der Finkenſtein beſchworen den König in einer Eingabe, die Rechte des Adels zu ſchützen, ihm mindeſtens die Befreiung vom Kriegsdienſte und die Patrimonialgerichte zu erhalten. Aber das Anſehen des Königlichen Befehls ſtand ebenſo feſt wie das Ver -282I. 3. Preußens Erhebung.trauen zu der Rechtſchaffenheit Friedrich Wilhelms. Daß dieſer Fürſt ein offenbares Unrecht gebieten könne, wollten doch ſelbſt die Unzufriedenen nicht glauben. Die Reform ging ihren Gang. Wieder, wie ſo oft ſchon, wurde eine That der Befreiung dem preußiſchen Volke durch den Willen ſeiner Krone auferlegt.

Die zweite große Aufgabe, welche Stein ſich ſtellte, war die Vollendung der Staatseinheit. Er hatte aus den Verhandlungen der Pariſer National - verſammlung die Nothwendigkeit eines centraliſirten Kaſſenweſens, aus der Verwaltungsorganiſation des erſten Conſuls die Vorzüge einer überſicht - lichen Eintheilung der Staatsgeſchäfte kennen gelernt und ſchon vor dem Kriege die Einſetzung von Fachminiſtern für den geſammten Staat em - pfohlen. Das wunderliche Nebeneinander von Provinzial - und Fach - miniſtern, die Vermiſchung des Realſyſtems mit dem Provinzialſyſteme genügte nicht mehr für die Bedürfniſſe der ſchlagfertigen modernen Ver - waltung. War doch die ängſtliche Schonung der landſchaftlichen Eigen - thümlichkeiten während der letzten Jahrzehnte ſo weit getrieben worden, daß die Beamten der alten Schule die preußiſche Monarchie gradezu einen Föderativſtaat nennen konnten. Bei näherer Prüfung ergab ſich indeß, wie geſund und lebensfähig die Verwaltungsordnung Friedrich Wilhelms I. noch immer war. Nun man ſich anſchickte ſein Werk weiterzuführen lernte man den ſicheren Blick des alten geſtrengen Organiſators erſt völlig wür - digen; Schoen pries ihn gern als Preußens größten inneren König. Nicht ein Umſturz, nur die Fortbildung und Vereinfachung der alten Inſtitu - tionen wurde beſchloſſen. Das Geſetz vom 16. December 1808 über die veränderte Verfaſſung der oberſten Staatsbehörden ſtellte fünf Fachminiſter, für das Innere, die Finanzen, das Auswärtige, den Krieg und die Juſtiz, an die Spitze der geſammten Staatsverwaltung, vereinigte die alten Ge - neralkaſſen zu einer General-Staatskaſſe unter der Leitung des Finanz - miniſters. Stein ſah voraus, wie gefährlich die ungeheure Macht jener fünf Männer werden konnte; er beabſichtigte daher, als höchſte Behörde der Monarchie einen Staatsrath zu bilden, der alle hervorragenden Kräfte des Staatsdienſtes, auch die Miniſter ſelbſt, in ſich vereinigen, die Geſetz - entwürfe berathen, die großen Streitfragen des öffentlichen Rechts ent - ſcheiden ſollte. Aber dieſer Theil ſeiner Entwürfe blieb unter ſeinen Nach - folgern unausgeführt.

Durch die Einſetzung der Fachminiſter war das Generaldirectorium beſeitigt. Dagegen blieben die altbewährten Kriegs - und Domänenkammern unter dem neuen Namen: Regierungen beſtehen. Man trennte Rechts - pflege und Verwaltung vollſtändig, nahm den Regierungen die Gerichts - geſchäfte der alten Kammern; man ſäuberte ſie von unbrauchbaren Mit - gliedern, wie denn Stein überall die thatſächliche Unabſetzbarkeit des alten Beamtenthums bekämpfte und der Krone das Recht vorbehielt, die Ver - waltungsbeamten nach Belieben zu entlaſſen; man erleichterte den Ge -283Der Einheitsſtaat in der Verwaltung.ſchäftsgang, gab dem Präſidenten und den Decernenten für die einzelnen Fächer größere Selbſtändigkeit. Jedoch die Vorzüge des deutſchen Collegial - ſyſtems, Unparteilichkeit und ſorgſame Berückſichtigung aller Verhältniſſe des einzelnen Falls, ſtanden in Steins Augen zu hoch, als daß er ſie gegen die raſchere Beweglichkeit der bureaukratiſchen Präfecten-Verwaltung hingegeben hätte. Die Mittelſtellen der preußiſchen Verwaltung blieben Collegien und haben in dieſer Geſtalt noch durch zwei Menſchenalter er - ſprießlich gewirkt. Statt des leeren Schaugepränges der Generalräthe, die den napoleoniſchen Präfecten mit unmaßgeblichem Beirath zur Seite ſtanden, verlangte der deutſche Staatsmann vielmehr eine thätige, regel - mäßige Theilnahme der Nation an den Geſchäften der Verwaltung; dann ſtröme den Männern am grünen Tiſche ein aus der Fülle der Natur genommener Reichthum von Anſichten und Gefühlen zu, und im Volke belebe ſich der Sinn für Vaterland, Selbſtändigkeit, Nationalehre.

Doch wie dieſe verwaltende Thätigkeit der Regierten einfügen in die feſtgeordnete Hierarchie des Soldbeamtenthums? Einzelne Verwaltungs - geſchäfte den Landtagen zu übertragen verbot ſich von ſelbſt; der Nepotis - mus, die Schwerfälligkeit, die Händelſucht der alten landſtändiſchen Aus - ſchüſſe ſtanden noch in allzu üblem Andenken. Daher kamen Stein und Hardenberg Beide auf den ſonderbaren Einfall, in jede Regierung, immer auf drei Jahre, neun von den Landſtänden vorgeſchlagene Repräſentanten zu berufen, die mit vollem Stimmrecht an allen Arbeiten der Behörde ſich betheiligen ſollten. Der Gedanke zeigt deutlich, wie gründlich man mit den alten Anſchauungen bureaukratiſcher Selbſtgerechtigkeit gebrochen hatte; doch er war verfehlt. Die neue Einrichtung trat nur in Oſtpreußen in’s Leben; überall ſonſt zeigten die Landſtände geringe Neigung die Tage - gelder für die Notabeln aufzubringen. Die oſtpreußiſchen Repräſentanten fühlten ſich bald ſehr einſam unter der Ueberzahl ihrer bureaukratiſchen Amtsgenoſſen, ſie ſtanden wie Dilettanten unter Fachmännern; die vom Lande wollten nicht ſo lange im Bureau aushalten; die Tagegelder blieben aus, der Eifer erkaltete raſch, und im Jahre 1812 wurde der verunglückte Verſuch aufgegeben*)Bericht des Miniſters v. Schuckmann an den König, 24. Mai 1812.. Ganz anders bewährte ſich das neue Amt der Oberpräſidenten. Während das revolutionäre Frankreich ſeine alten Pro - vinzen in ohnmächtige Departements zerſchlug, wollte Stein, in bewußtem Gegenſatze, die ſchwachen Regierungsbezirke zu großen lebensfähigen Pro - vinzen vereinigen. Drei Oberpräſidenten, für Schleſien, für die altpreu - ßiſchen, für die märkiſch-pommerſchen Lande, erhielten die Oberaufſicht über die Regierungen, nicht als eine Zwiſcheninſtanz, ſondern als ſtän - dige Commiſſare des Miniſteriums und als Vertreter der gemeinſamen Intereſſen ihrer Provinz.

Steins ſociale Reformen und die Befeſtigung der Staatseinheit gingen284I. 3. Preußens Erhebung.hervor aus der ſelbſtändigen, eigenthümlichen Durchbildung von Gedanken, welche ſeit dem Ausbruche der Revolution in der Luft lagen und allen hellen Köpfen des preußiſchen Beamtenthums als ein Gemeingut ange - hörten. Eine durchaus ſchöpferiſche That, das freie Werk ſeines Genius, war dagegen die Städte-Ordnung vom 19. November 1808. Als die letzte und höchſte Aufgabe ſeines politiſchen Wirkens erſchien ihm die Er - hebung der Nation aus der dumpfen Enge ihres häuslichen Lebens; er ſah ſie in Gefahr, der Sinnlichkeit zu verfallen oder den ſpeculativen Wiſſenſchaften einen übertriebenen Werth beizulegen, und wollte ſie erziehen zu gemeinnütziger Thätigkeit, zu kräftigem Handeln. Ein glücklicher prak - tiſcher Blick hieß ihn ſein Werk bei den Städten beginnen. Erſt wenn unter der gebildeten ſtädtiſchen Bevölkerung wieder ein ſelbſtändiges Ge - meindeleben erwacht war, konnten den rohen, ſoeben erſt der Erbunter - thänigkeit entwachſenen Bauern, die ihren Grundherren noch voll Grolles gegenüberſtanden, die Rechte und Pflichten der Selbſtverwaltung auferlegt werden. Die Städte erhielten die ſelbſtändige Verwaltung ihres Haus - halts, ihres Armen - und Schulweſens und ſollten auf Verlangen des Staates in ſeinem Namen auch die Geſchäfte der Polizei beſorgen. Die alten buntſcheckigen Abſtufungen des Bürgerrechts fielen hinweg, wie die Vorrechte der Zünfte. Die Einwohner der Städte zerfielen nur noch in zwei Klaſſen, Bürger und Schutzverwandte. Wer das leicht zu erwerbende Bürgerrecht erlangt hatte, war verbunden zur Uebernahme aller Gemeinde - ämter; denn war die Freiheit des Eigenthums ein leitender Gedanke der Stein’ſchen Geſetze, ſo nicht minder der Grundſatz, daß der Eigenthümer dem Gemeinweſen zum Dienſt verpflichtet ſei. Ein erwählter Magiſtrat, aus unbeſoldeten und wenigen beſoldeten Mitgliedern zuſammengeſetzt, und eine von der geſammten Bürgerſchaft nach Bezirken gewählte Stadt - verordnetenverſammlung leiteten die ſtädtiſche Verwaltung. So ward end - lich gebrochen mit der zweihundertjährigen Verkümmerung des deutſchen Communallebens.

Die Reform erſcheint um ſo bewunderungswürdiger in ihrer ein - fachen Klarheit und Zweckmäßigkeit, da Stein nirgends in Europa ein Vorbild fand. Die verwahrloſten engliſchen Stadtverfaſſungen konnten ihm ebenſo wenig zum Muſter dienen wie die Patricierherrſchaft in ſeinen geliebten weſtphäliſchen Städten. Nun erſt gab es in Deutſchland moderne Gemeinden unabhängige Corporationen, die doch zugleich als zuverläſſige Organe den Willen der Staatsgewalt vollſtreckten, der Auf - ſicht der Regierungen unterworfen blieben. Bisher war ein Theil der Städte jeder Selbſtändigkeit beraubt geweſen. Andere hatten, wie die Grundherrſchaften des flachen Landes, kleine Staaten im Staate gebildet mit patrimonialer Gerichtsbarkeit und Polizei, und wie oft waren die Ge - bote des Königs an Unſere Vaſallen, Amtleute, Magiſtrate und liebe Getreue durch den paſſiven Widerſtand dieſer altſtändiſchen Communal -285Die Städteordnung.herrſchaften zu Schanden geworden. Jetzt endlich erhielt die Staatsver - waltung in dem Städteweſen einen kräftigen Unterbau, der ihrem eigenen ſtaatlichen Charakter entſprach.

Auch dieſe Reform mußte der Nation durch den Befehl des Königs aufgezwungen werden. Der märkiſche Adel und die alte Schule des Be - amtenthums klagten über die republikaniſchen Grundſätze der Städteordnung. Welch ein Entſetzen in dieſen Kreiſen, als man erfuhr, daß einer der erſten Staatsbeamten, der Präſident v. Gerlach die Wahl zum Oberbürgermeiſter von Berlin angenommen habe! Der ermattete Gemeinſinn des Bürgerthums zeigte anfangs geringe Neigung für den erzwungenen Ehrendienſt; auch ent - deckte man bald, daß jede Selbſtverwaltung theuer iſt, während Stein und ſeine Freunde vielmehr eine Verminderung der Koſten erwartet hatten. Die von Friedrich Wilhelm I. regulirten, an ſtrenge Haushaltung gewöhnten Städte fanden ſich meiſt williger in die neue Ordnung als die alten Communen, die noch das Vetterſchaftsweſen ſelbſtherrlicher Magiſtrate ſich bewahrt hatten. Das rechte Verſtändniß für den Segen ihrer Freiheit erwachte den Bürgern jedoch erſt während der Befreiungskriege, als die Staatsbehörden faſt überall ihre Arbeit einſtellten und jede Stadt ſich ſelber helfen mußte. Seitdem erſt kam unſerem Städteweſen eine zweite Blüthezeit, minder glänzend aber nicht weniger ehrenreich als die große Epoche der Hanſa; das Schulweſen, die Armenpflege, die gemeinnützigen Stiftungen des deutſchen Bürgerthums verſuchten wieder zu wetteifern mit der älteren und reicheren ſtädtiſchen Cultur der Romanen. Wie der erſte Friedrich Wilhelm das moderne deutſche Verwaltungsbeamtenthum geſchaffen hatte, ſo wurde Steins Städteordnung der Ausgangspunkt für die deutſche Selbſtverwaltung. Auf ihr fußten alle die neuen Gemeinde - geſetze, welche durch zwei Menſchenalter, ſo lange der Parlamentarismus noch unreif und unfertig daſtand, den bewährteſten, den beſtgeſicherten Theil deutſcher Volksfreiheit gebildet haben. Durch Steins Reformen wurde der lebendige Gemeinſinn, die Freude am verantwortlichen poli - tiſchen Handeln wieder im deutſchen Bürgerthum erweckt. Ihnen danken wir, daß der deutſche conſtitutionelle Staat heute auf feſtem Boden ſteht, daß unſere Anſchauung vom Weſen der politiſchen Freiheit, ſo oft wir auch irrten, doch nie ſo leer und ſchablonenhaft wurde wie die Doctrinen der franzöſiſchen Revolution.

Durch die Verluſte des Tilſiter Friedens war Preußen wieder weſent - lich ein Ackerbauland geworden. Darum dachte Stein der Städteordnung ſo bald als möglich eine Landgemeinde-Ordnung folgen zu laſſen. Er verlangte freie Landgemeinden mit Schulzen und Dorfgerichten. Die letzten und ſtärkſten Stützen der altſtändiſchen Geſellſchaftsordnung, die gutsherr - liche Polizei und die Patrimonialgerichtsbarkeit, mußten fallen, denn Re - gierung könne nur von der höchſten Gewalt ausgehen. An dem alt - hiſtoriſchen Charakter des Landrathsamtes änderten Steins Pläne nichts;286I. 3. Preußens Erhebung.der Landrath ſollte wie bisher ein Staatsdiener ſein, aber zugleich ein gering beſoldeter Ehrenbeamter, ein Grundbeſitzer aus dem Kreiſe ſelbſt, der Vertrauensmann der Kreiseingeſeſſenen. Nur der Umfang der Kreiſe ſchien dem erfahrenen Auge des Miniſters zu groß für die Kräfte eines Mannes, und er erwog bereits mit ſeinem Freunde Vincke die Anſtellung mehrerer Landräthe in jedem Kreiſe; ſie ſollten wie die engliſchen Friedens - richter von Zeit zu Zeit in Quarter-Seſſionen zuſammentreten. Neben dem Landrathe ein Kreistag aus ſämmtlichen Rittergutsbeſitzern und einigen Abgeordneten der Städte und Dörfer. Die ſtarke Vertretung des großen Grundbeſitzes gebot ſich von ſelbſt in einem Augenblicke, da Jedermann noch bezweifelte, ob der rohe Ruſticalſtand , die kaum erſt freigewordenen Bauern überhaupt fähig ſeien den Kreistag zu beſchicken.

Den Oberpräſidenten wollte Stein Provinziallandtage an die Seite ſtellen, damit die Eigenart und die Sonderintereſſen der großen Land - ſchaften innerhalb der Staatseinheit zu ihrem Rechte kämen. Er rühmte ſich gern, ſein Verfaſſungsplan ſei auf freies Eigenthum gegründet, gebe das Wahlrecht allen Eigenthümern und dies bedeutete in ſeinem Munde ausſchließlich oder doch überwiegend: die Grundbeſitzer in Stadt und Land. Mit verwegener Hand hatte er die rechtlichen Schranken zwi - ſchen den alten Ständen niedergeriſſen, es gab in Preußen keine Geburts - ſtände mehr; jedoch über die thatſächlich noch vorhandenen, im Volksbewußt - ſein noch lebendigen Unterſchiede der Berufsſtände und Intereſſengruppen wollte er nicht leichtfertig hinweggehen. Darum forderte er ſtändiſche Wahlen für die Provinziallandtage, dergeſtalt daß Ritterſchaft, Städte, Bauerſchaft für ſich ihre Vertreter ernennen ſollten, und verwarf die Vorſchläge ſeines ſchleſiſchen Freundes Rhediger, die von der alten ſtän - diſchen Gliederung gänzlich abſahen. Ihm war es genug, wenn die Ge - ſammtheit der Stadtbürger und der Bauern ſtändiſche Vertretung erhielt, während an den altſtändiſchen Landtagen nur einige bevorrechtigte Im - mediatſtädte und von den Bauern allein die oſtpreußiſchen Köllmer theil - genommen hatten. Ein erſter Schritt nach dieſem Ziele hin geſchah noch unter ſeiner Verwaltung. Oſtpreußen erhielt, damit die Regierung durch die allgemeine Intelligenz unterſtützt werde , eine neue Landſchaftsordnung, die den Köllmern gleiches Recht mit den Edelleuten und Zutritt zu den landſtändiſchen Ausſchüſſen gewährte.

Aus dieſen neuen Provinzialſtänden ſollten endlich die preußiſchen Reichsſtände gewählt werden, als eine Stütze für die Krone, als das un - umgängliche Mittel den Nationalgeiſt zu erwecken und zu beleben. Der alte Abſolutismus fühlte in dieſen wilden Zeiten überall ſeine eigene Ohnmacht. Als die Bedrängniß des Staatshaushalts den Verkauf der Domänen gebot, wollte der König die Verantwortung für einen ſo ge - wagten Schritt nicht allein auf ſich nehmen; er ließ daher das neue Hausgeſetz über die Veräußerung der Domänen den Ständen aller Pro -287Steins Verfaſſungsplan.vinzen in Schleſien, das keine Stände hatte, den Vertretern der Pfand - briefsinſtitute und einiger Städte zur Mitunterzeichnung vorlegen, ob - gleich er ausdrücklich erklärte, daß er dazu nicht verpflichtet ſei. Ein ſolcher Zuſtand der Unſicherheit des öffentlichen Rechts durfte nicht dauern. Stein trug ſich mit dem Plane einer großen Steuerreform, er wollte brechen mit der ängſtlichen hausväterlichen Sparſamkeit, welche die Ausgaben nach den Einnahmen bemaß, und auch in Preußen den kühnen Grundſatz ein - führen, der für jede Finanzwirthſchaft großen Stiles gilt, daß die Ein - nahmen ſich nach den Ausgaben richten ſollen. Für dieſe Reform und für alle die anderen Opfer, die er ſonſt noch der wiedererſtehenden Nation zudachte, ſchien ihm der Beiſtand einer reichsſtändiſchen Verſammlung unentbehrlich; nur müſſe ſie vorläufig, wegen der Unreife des Volks, auf das Recht der Berathung beſchränkt bleiben.

So im Weſentlichen Steins Entwürfe für eine Reform an Haupt und Gliedern das Größte und Kühnſte, was der politiſche Idealismus der Deutſchen je gedacht hatte. Durch ähnliche Pläne hatte einſt Tur - got die nahende Revolution abzuwenden gehofft, doch der Entwurf des deutſchen Staatsmannes überbot die Gedanken des Franzoſen weitaus in ſeiner beſcheidenen Größe, ſeiner folgerechten Beſtimmtheit, ſeiner Schonung für den hiſtoriſchen Beſtand. Der König war mit Allem einverſtanden, am wenigſten mit der Berufung der Reichsſtände. Nicht als ob er die Beſchränkung ſeiner Macht gefürchtet hätte; doch der Lärm der Debatte, die Leidenſchaft des parlamentariſchen Kampfes, die Noth - wendigkeit, ſelber öffentlich aufzutreten, war ſeiner Schüchternheit pein - lich. Aufgewachſen in den Ueberlieferungen eines milden Abſolutismus, voll Widerwillens gegen die Sünden der Revolution, konnte er von der Nothwendigkeit des Repräſentativſyſtems ſich noch nicht vollſtändig über - zeugen. In der That ſchien es fraglich, ob die Reichsſtände, bei dem kläglichen Zuſtande der politiſchen Bildung, nicht eher hemmend als fördernd wirken würden. Von dem Adel, der doch nach Steins Ent - würfen das mächtigſte Glied des Vereinigten Landtags bilden ſollte, ſtand die freie Zuſtimmung zu einem gerechteren Steuerſyſteme und zu den anderen Neuerungsplänen des Miniſters ſchwerlich zu erwarten. Auch die Städter und die Bauern bewieſen nur zu oft, wie wenig ſie den Reformgedanken der Krone zu folgen vermochten.

Wenn aber Steins gewaltiger Wille am Ruder blieb, wenn die Reform, wie er plante, ſchrittweis vorging, wenn zunächſt durch die Auf - hebung der gutsherrlichen Polizei die Herrenſtellung des Adels auf dem flachen Lande zerſtört wurde und dann über den befreiten Gemeinden die Kreistage und die Provinziallandtage ſich erhoben, ſo durfte er hoffen, den König zu der Erkenntniß zu bringen, daß die Berufung einer reichs - ſtändiſchen Verſammlung um der Staatseinheit willen geboten ſei als ein Gegengewicht gegen die centrifugalen Kräfte der Provinzialſtände. Und ſo288I. 3. Preußens Erhebung.konnte durch den freien Entſchluß der Krone der Uebergang von der ab - ſoluten Monarchie zum Repräſentativſyſtem vollzogen, dem preußiſchen Staate vielleicht ein Menſchenalter taſtender Verſuche erſpart werden. Stein baute auf die wachſende Einſicht in dem treuen, gutherzigen Volke. Die tiefe Kluft, welche die überfeinerte, weltfremde Bildung der Gelehrten von der gründlichen Roheit der Maſſen trennte, entging ſeinem Blicke nicht; er dachte ſie zu überbrücken durch die Neugeſtaltung des Unter - richtsweſens, und nur ſein plötzlicher Sturz ließ dieſe Pläne nicht zur Reife kommen. Daß auch dieſer Zweig der inneren Verwaltung ſeinem freien, umfaſſenden Geiſte nicht fremd war, hatte er ſchon vor Jahren in Münſter bewieſen, als er dort den Jeſuitismus auf der Hochſchule be - kämpfte und an der erſtarrten Univerſität ein neues Leben erweckte.

Hand in Hand mit der Verwaltungsreform ging die Neugeſtaltung des Heeres, ebenfalls unter Steins perſönlicher Theilnahme. Der König ſelbſt gab den erſten Anſtoß. Auf dieſem ſeinem eigenſten Gebiete behielt er immer die unmittelbare Leitung in der Hand, zeigte ſtets treffendes Urtheil und eindringende Sachkenntniß. Schon im Juli 1807 berief er Scharnhorſt zum Vorſitzenden einer Commiſſion für die Reorganiſation der Armee und legte ihr eine eigenhändige Denkſchrift vor, worin er alle die wunden Stellen des Heerweſens mit ſicherem Griffe heraushob, die Mittel der Heilung richtig angab. Zu Scharnhorſt aber geſellte ſich eine Schaar jüngerer Talente, die, wie er, der geſammten geiſtigen Arbeit der Zeit mit lebendigem Verſtändniß folgten, ſtaatsmänniſche Köpfe, die das Heer als eine Schule des Volks, die Kriegskunde als einen Zweig der Politik betrachteten. Ihr ſtilles Wirken hat nicht nur die Waffen geſchliffen für den Kampf der Befreiung, ſondern auch die preußiſche Armee wieder in Einklang ge - bracht mit der neuen Cultur, dem deutſchen Heerweſen für alle Zukunft den Charakter ernſter Bildung, geiſtiger Friſche und Rührigkeit aufgeprägt.

Eine merkwürdige, inſtinctive Uebereinſtimmung der ſittlichen und politiſchen Ueberzeugungen verband dieſe Offiziere von Haus aus mit dem leitenden Staatsmanne. Klang es doch wie ein Bekenntniß aus Steins eignem Munde, wenn Gneiſenau, gegenüber den Menſchenrechten der Franzoſen, die Mäßigung anrief: begeiſt’re Du das menſchliche Geſchlecht für ſeine Pflicht zuerſt, dann für ſein Recht! Wie der Schüler Adam Smiths den Grundſatz der Arbeitstheilung nicht unbedingt auf die Staats - verwaltung anwenden wollte, ſondern die Geſchäftsgewandtheit des Berufs - beamtenthums geringer ſchätzte als die in der Selbſtverwaltung bewährte Mündigkeit des Volks, ſo lebten auch dieſe militäriſchen Fachmänner des Glaubens, daß im Kriege zuletzt die ſittlichen Mächte entſcheiden. Wie hoch ſie den Werth der gründlichen techniſchen Ausbildung anſchlugen, höher ſtand ihnen doch, nach Scharnhorſts Worten, die innige Verbindung der Armee mit der Nation. Auch ihnen, wie dem Miniſter, galt als der Eckſtein aller Freiheit das alte deutſche: ſelbſt iſt der Mann! Man muß289Scharnhorſt. ſo ſchrieb Scharnhorſt bald nach dem Frieden der Nation das Ge - fühl der Selbſtändigkeit einflößen, man muß ihr Gelegenheit geben, daß ſie mit ſich ſelbſt bekannt wird, daß ſie ſich ihrer ſelbſt annimmt; nur erſt dann wird ſie ſich ſelbſt achten und von Anderen Achtung zu er - zwingen wiſſen. Darauf hinzuarbeiten, dies iſt Alles was wir können. Die Bande des Vorurtheils löſen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und in ihrem freien Wachsthum nicht hemmen, weiter reicht unſer hoher Wirkungskreis nicht.

Scharnhorſt war längſt der anerkannt erſte Militärſchriftſteller, der größte Gelehrte unter den deutſchen Offizieren; aber auch ein ſeltener Reichthum praktiſcher Erfahrungen ſtand ihm nach einem wechſelreichen Leben zu Gebote. Er hatte in allen Waffengattungen, im Generalſtabe und in den Militärbildungsanſtalten gedient. Er lernte, als er auf der Kriegsſchule des Wilhelmſteins ſeinen erſten militäriſchen Unterricht em - pfing, jene berühmte kleine Muſtertruppe kennen, welche ſich der geiſtvolle alte Kriegsheld Graf Wilhelm von Bückeburg aus der geſammten waffen - fähigen Jugend ſeines Ländchens gebildet hatte; dann wurde er als han - noverſcher Offizier auf dem niederländiſchen Kriegsſchauplatze genau ver - traut mit der engliſchen Armee, die unter allen europäiſchen Heeren noch am treueſten den Charakter des alten Söldnerweſens bewahrte; er zog zu Felde gegen die lockeren Milizen der Republik wie gegen das wohlgeſchulte Conſcriptionsheer Napoleons und ſtand im Kriege von 1806 der Heeres - führung nahe genug um die Gebrechen der fridericianiſchen Armee, die letzten Gründe ihres Unterganges ganz zu durchſchauen. Jene ſtramme ſoldatiſche Haltung, wie ſie der König von ſeinen Offizieren verlangte, war dem einfachen Niederſachſen fremd. In unſcheinbarer, faſt nach - läſſiger Kleidung ging er daher, den Kopf geſenkt, die tiefen ſinnenden Denkeraugen ganz in ſich hineingekehrt. Das Haar fiel ungeordnet über die Stirn herab, die Sprache klang leiſe und langſam. In Hannover ſah man ihn oft, wie er an dem Bäckerladen beim Thore ſelber anklopfte und dann mit Weib und Kindern draußen unter den Bäumen der Ellen - riede zufrieden ſein Vesperbrot verzehrte. So blieb er ſein Leben lang, ſchlicht und ſchmucklos in Allem. Die Einfalt des Ausdrucks und der Empfindung in ſeinen vertraulichen Briefen erinnert an die Menſchen des Alterthums; auch in ſeinen Schriften iſt ihm die Sache Alles, die Form nichts. Doch die Ueberlegenheit eines mächtigen, beſtändig productiven und durchaus ſelbſtändigen Geiſtes, der Adel einer ſittlichen Geſinnung, die gar nicht wußte was Selbſtſucht iſt, verbreiteten um den ſchlichten Mann einen Zauber natürlicher Hoheit, der die Gemeinen abſtieß, hoch - herzige Menſchen langſam und ſicher anzog. Seine Tochter, Gräfin Julie Dohna, dankte dem frühverwittweten Vater Alles, man nannte ſie eine königliche Frau und nahm ſie in der vornehmen Geſellſchaft auf als müßte es ſo ſein.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 19290I. 3. Preußens Erhebung.

Dem Könige war die gleichmäßige Ruhe des Generals behaglicher als Steins aufregendes und aufgeregtes Weſen; Keiner unter ſeinen Räthen ſtand ihm ſo nahe. Scharnhorſt erwiderte das Vertrauen ſeines könig - lichen Freundes mit unbedingter Hingebung; er fand es niedrig, jetzt noch vergangener Fehler zu gedenken, er bewunderte die Seelenſtärke des un - glücklichen Monarchen und hat in ſeiner Treue nie geſchwankt, auch dann nicht, als manche ſeiner Freunde in ihrer patriotiſchen Ungeduld an dem bedachtſamen Fürſten irr wurden. Ein echter Niederdeutſcher, war er ſchamhaften Gemüthes, ſtill und verſchloſſen von Natur; das Lob klang ihm faſt wie eine Beleidigung, ein zärtliches Wort wie eine Entweihung der Freundſchaft. Nun führte ihn das Leben einen rauhen Weg, immer zwiſchen Feinden hindurch; in Hannover hatte der Plebejer mit der Miß - gunſt des Adels, in Preußen der Neuerer mit dem Dünkel der alten Generale zu kämpfen. Als ihn jetzt das Vertrauen des Königs, die all - gemeine Stimme der Armee an die Spitze des Heerweſens ſtellten, da mußte er fünf Jahre lang das finſtre Handwerk des Verſchwörers treiben, unter den Augen des Feindes für die Befreiung rüſten. So lernte er jedes Wort und jede Miene zu beherrſchen, und der einfache Mann, der für ſich ſelber jeden Winkelzug verſchmähte, wurde um ſeines Landes willen ein Meiſter in den Künſten der Verſtellung, ein unergründlicher Schweiger, liſtig und menſchenkundig. Mit einem raſchen forſchenden Blicke las er dem Eintretenden ſofort die Hintergedanken von den Augen ab, und galt es ein Geheimniß des Königs zu verſtecken, dann wußte er mit halben Worten Freund und Feind auf die falſche Fährte zu locken. Die Offiziere ſagten wohl, ſeine Seele ſei ſo faltenreich wie ſein Geſicht; er gemahnte ſie an jenen Wilhelm von Oranien, der einſt in ähnlicher Lage, ſtill und verſchlagen, den Kampf gegen das ſpaniſche Weltreich vorbereitet hatte. Und wie der Oranier, ſo barg auch Scharnhorſt in verſchloſſener Bruſt die hohe Leidenſchaft, die Kampfluſt des Helden; ſie hatte ihm während des jüngſten Krieges die Freundſchaft des thatenfrohen Blücher erworben. Er kannte die Furcht nicht, er wollte nicht wiſſen, wie ſinn - bethörend die Angſt nach einer Niederlage wirken kann; in den Kriegs - gerichten war ſein Urtheilsſpruch immer der ſtrengſte, ſchonungslos hart gegen Zagheit und Untreue. Niemand vielleicht hat die Bitterniß jener Zeit in ſo verzehrenden Qualen empfunden wie dieſer Schweigſame; Tag und Nacht folterte ihn der Gedanke an die Schande ſeines Landes. Alle nahten ihm mit Ehrfurcht, denn ſie fühlten unwillkürlich, daß er die Zu - kunft des Heeres in ſeinem Haupte trage.

Unter den Männern, die ihm bei der Reorganiſation des Heeres zur Hand gingen, ſind Vier gleichſam die Erben ſeines Geiſtes geworden, ſo daß Jeder einen Theil von der umfaſſenden Begabung des Meiſters überkam: die Feldherrennaturen Gneiſenau und Grolmann, der Organi - ſator Boyen, der Gelehrte Clauſewitz alle Vier, wie Scharnhorſt ſelber,291Scharnhorſts Freunde.arm, genügſam, bedürfnißlos, ohne jede Selbſtſucht allein der Sache dienend und bei allem Freimuth tief innerlich beſcheiden, wie es dem be - gabten Soldaten natürlich iſt; denn das einſame Schaffen des Künſtlers und des Gelehrten verführt leicht zur Eitelkeit, der Soldat wirkt nur als ein Glied des großen Ganzen und kann nicht zeigen was er vermag, wenn ihn das unerforſchliche Schickſal nicht zur rechten Zeit an die rechte Stelle führt. Allzu beſcheiden nannte ſich Gneiſenau ſelber nur einen Pygmäen neben dem Rieſen Scharnhorſt. Ihm fehlte die ſchwere Ge - lehrſamkeit des Meiſters und er empfand, gleich ſo vielen Männern der That, die Lücken ſeines Wiſſens wie ein Gebrechen der Begabung; dafür beſaß er in weit höherem Maaße die begeiſternde Zuverſicht des Helden, jenen freudigen Fatalismus, der den Feldherrn macht. Wie ſtolz und ſicher ſpannte er jetzt ſeine Segel aus, da er endlich nach den Irrfahrten einer leidenſchaftlichen Jugend und nach der langen traurigen Windſtille des ſubalternen Dienſtes auf die hohe See des Lebens gelangt war. Jede Aufgabe, die ihm das Schickſal bot, griff er mit glücklichem Leichtſinn an, unbedenklich übernahm der Infanteriſt das Commando der Ingenieure und die Aufſicht über die Feſtungen. Während Scharnhorſt bedächtig die Gefahren des nächſten Tages erwog, dachte Gneiſenau immer mit glühen - der Sehnſucht an die Stunde der Erhebung und hieß auch die Narren freundlich willkommen, wenn ſie nur mithelfen wollten bei der großen Verſchwörung.

Eine verwandte Natur war Grolmann, hochherzig, hell und freudig, geſchaffen für das Schlachtgewühl, für das kühne Ergreifen der Gunſt des Augenblicks; doch er ſollte die Grauſamkeit des Soldatenſchickſals ſchwer erfahren und niemals im Kriege an erſter Stelle ſtehen. In der Weiſe ſeines Auftretens ſchien Boyen dem General am Aehnlich - ſten, ein ernſthafter, verſchloſſener Oſtpreuße, der zu den Füßen von Kant und Kraus geſeſſen hatte, auch als Poet mit der neuen Literatur in regem Verkehre ſtand. Nur die feurigen Augen unter den buſchigen Brauen verriethen, welche ſtürmiſche Verwegenheit in dem einfachen, wort - kargen Manne ſchlummerte. Er hat die organiſatoriſchen Ideen Scharn - horſts nach ſeiner ſtillen Art in ſich verarbeitet und fortgebildet und nach den Kriegen dem neuen Volksheere ſeine bleibende Verfaſſung gegeben. Der Jüngſte endlich aus dieſem Freundeskreiſe, Carl von Clauſewitz, war mehr als die Aelteren ein vertrauter Schüler Scharnhorſts, tief eingeweiht in die neuen kriegswiſſenſchaftlichen Theorien, womit Jener ſich trug; nach - her hat ſie er ſelbſtändig ausgeſtaltet und durch eine Reihe von Werken, deren claſſiſche Form die Schriften des Meiſters weit übertraf, der Lehre vom Kriege ihren Platz in der Reihe der Staatswiſſenſchaften geſichert. Ein großer wiſſenſchaftlicher Kopf, ein Meiſter des hiſtoriſchen Urtheils war er vielleicht zu kritiſch und nachdenklich um ſo beherzt wie Gneiſenau das Glück der Schlachten bei der Locke zu faſſen, aber keineswegs blos19*292I. 3. Preußens Erhebung.ein Mann der Bücher, ſondern ein praktiſcher, tapferer Soldat, der mit offenem Auge in das Getümmel des Lebens ſchaute. Soeben kehrte er mit dem Prinzen Auguſt aus der Kriegsgefangenſchaft zurück. Dort in Frankreich hatte ſich ſeine Liebe für die jugendliche Wahrhaftigkeit und Friſche der Germanen bis zum Enthuſiasmus geſteigert; er brachte die Ueberzeugung mit heim: dieſe Franzoſen ſeien im Grunde noch immer ein ebenſo unmilitäriſches Volk wie einſt in den Tagen der Hugenotten - kriege, da ſie vor den deutſchen Lansquenets und Reitres zitterten; wie könne der uralte Charakter der Nationen ſich in zehn Jahren verändern? wie ſollten die hundertmal Beſiegten auf die Dauer das waffenmächtige Deutſchland beherrſchen?

Mit ſolchen Kräften ſchritt der König an das Werk der Wiederher - ſtellung. Die ganze Armee wurde neu formirt. Sechs Brigaden, zwei ſchleſiſche, zwei altpreußiſche, je eine aus Pommern und den Marken, das war Alles was von dem fridericianiſchen Heere noch übrig blieb, das war der letzte Anker für Deutſchlands Hoffnungen. Der Zopf fiel hinweg, die Truppen erhielten zweckmäßigere Waffen und Kleider, die Künſte des Paradeplatzes traten zurück hinter der angeſtrengten Arbeit des Felddienſtes. Alle Vorräthe mußten von Neuem angeſchafft werden; Napoleons Mar - ſchälle hatten die Ausplünderung mit ſolcher Gründlichkeit beſorgt, daß die ſchleſiſche Artillerie einmal monatelang, aus Mangel an Pulver, ihre Schießübungen einſtellen mußte. Eine Unterſuchungscommiſſion prüfte das Verhalten jedes einzelnen Offiziers im Kriege, entfernte unerbittlich die Schuldigen und Verdächtigen. Gneiſenau forderte in der Zeitſchrift der Volksfreund , die der wackere Bärſch herausgab, die Freiheit des Rückens für die Armee, fragte bitter, ob der preußiſche Soldat den An - trieb zum Wohlverhalten auch fernerhin im Holze ſuchen ſolle, ſtatt im Ehrgefühle. Seine Meinung drang durch; die neuen Kriegsartikel be - ſeitigten die alten grauſamen Körperſtrafen. Wie hatte ſich doch die Welt verwandelt, daß jetzt preußiſche Offiziere in der Preſſe die Mängel des Heerweſens beſprechen durften!

In einem anderen Zeitungsaufſatze ſchilderte Gneiſenau ſarkaſtiſch, wie bequem es doch für die adlichen Eltern ſei, daß ihre Söhne ſchon im Kindesalter als Junker die Soldaten des Königs befehligen dürften. Er ſprach damit nur aus was alle verſtändigen Offiziere dachten. Die Beſeitigung der Junkerſtellen ſowie aller anderen Vorrechte des Adels im Heere ergab ſich von ſelbſt aus dem Geiſte der neuen Geſetzgebung, und da man die Tüchtigkeit der jugendlichen Heerführer Napoleons kennen ge - lernt, ſo verlangte mancher Heißſporn die Nachahmung des vielgerühmten freien Avancements der Franzoſen. Scharnhorſt aber ging ſeines eigenen Weges; er durchſchaute, welche ſittlichen Schäden der napoleoniſche Grund - ſatz junge Generale, alte Hauptleute hervorgerufen, wie viele rohe, un - ſaubere Elemente ſich in die unteren Schichten des franzöſiſchen Offiziers -293Reorganiſation der Armee.corps eingedrängt, und wie bedenklich dort ein zügelloſer Ehrgeiz die Bande der treuen Kameradſchaft gelockert hatte. Der deutſche Bauern - ſohn wußte wohl, warum Waſhington den Amerikanern zugerufen: nehmt nur Gentlemen zu Offizieren warum König Friedrich Wilhelm I. ſeinen Offizieren erlaubt hatte dann nicht zu gehorchen, wenn ihnen etwas gegen die Ehre angeſonnen würde. Er wollte den alten ariſtokratiſchen Charakter des preußiſchen Offizierscorps nicht zerſtören, ſondern nur die Ariſtokratie der Bildung an die Stelle des adlichen Vorrechts ſetzen.

Das Reglement vom 6. Auguſt 1808 über die Beſetzung der Stellen der Portepeefähnriche ſtellte den Grundſatz auf: im Frieden gewähren nur Kenntniſſe und Bildung, im Kriege nur ausgezeichnete Tapferkeit und Um - ſicht einen Anſpruch auf die Offiziersſtellen; keine Junker mehr, dafür Porte - peefähnriche, die erſt im ſiebzehnten Jahre und nach einer wiſſenſchaftlichen Prüfung zugelaſſen werden, erſt nach einer zweiten Prüfung und auf Vor - ſchlag des Offizierscorps die Epauletten erlangen können. Den Offizieren ſchärfte der König ein, ſie ſollten ſich ihre ehrenvolle Beſtimmung, die Er - zieher und Lehrer eines achtbaren Theiles der Nation zu ſein, immer ver - gegenwärtigen. In den unteren Graden bis zum Hauptmann erfolgte das Aufrücken in der Regel nach dem Dienſtalter; bei der Auswahl der Stabs - offiziere und bei der Beſetzung der höheren Commandos entſchied das Verdienſt allein. Durch dieſe unſcheinbaren Vorſchriften erhielt der Offi - ziersſtand eine neue Verfaſſung, die uns heute ſelbſtverſtändlich erſcheint, während ſie doch einen unterſcheidenden nationalen Charakterzug des deut - ſchen Heerweſens bildet. Jetzt erſt wurde das Offizierscorps dem Civil - beamtenthum innerlich gleichartig, durch einen geiſtigen Cenſus über die Mannſchaft erhoben. Dem Talente war die Ausſicht auf raſches Auf - ſteigen eröffnet, doch die langſame Beförderung auf den niederen Stufen, die Gleichheit der Bildung und der Lebensgewohnheiten bewirkten, daß ſich Jeder ſchlechtweg als Offizier fühlte, ein ariſtokratiſches Standes - bewußtſein alle Glieder des Corps durchdrang. Die ſociale Schranke, welche in Frankreich den aus der Mannſchaft emporgeſtiegenen Capitän von ſeinen gebildeten Kameraden trennte, konnte hier nicht entſtehen.

Für Niemand wurde die Umgeſtaltung des Heerweſens ſo folgen - reich wie für die alten Geſchlechter vom Landadel, die noch immer den Stamm des Offizierscorps bildeten. Es währte noch viele Jahre, bis die thatſächliche Begünſtigung des Adels in der Armee aufhörte. Aber der Grundſatz ſtand doch feſt, daß auch der Edelmann durch den Nachweis wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe ſich das Offizierspatent erwerben mußte, und den neuen ſchärferen Anforderungen des Dienſtes konnten nur Männer von einiger Bildung genügen. Der Staatsdienſt bot dem völlig Unwiſſenden nirgends mehr ein Unterkommen, die Reformer nannten das neue Preußen zuweilen ſchon einen Staat der Intelligenz. Erſt durch Scharnhorſt wurde die naturwüchſige Roheit des oſtdeutſchen Junkerthums294I. 3. Preußens Erhebung.völlig gebrochen, was dem Cadettenhauſe Friedrich Wilhelms I. nur halb gelungen war. Das alte Geſchlecht, das die Federfuchſer verhöhnte, ſtarb hinweg, der junge Nachwuchs kannte und achtete die Macht des Wiſſens.

Allen dieſen Reformen lag der Gedanke zu Grunde, daß die Armee fortan das Volk in Waffen ſein ſolle, ein nationales Heer, dem jeder Wehrfähige angehöre. Die Werbung wurde abgeſchafft, die Aufnahme von Ausländern verboten, nur einzelne Freiwillige von deutſchem Blute ließ man zu. Die neuen Kriegsartikel und die Verordnung über die Militärſtrafen hoben ſogleich mit der Verheißung an, künftig würden alle Unterthanen, auch junge Leute von guter Erziehung, als gemeine Sol - daten dienen, und begründeten damit die Nothwendigkeit einer milderen Behandlung der Mannſchaft. Ueber die Verwerflichkeit der alten Be - freiungen vom Waffendienſte waren alle denkenden Offiziere einig. Der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht war ſchon vor dem Kriege von Boyen, Loſſau und anderen Offizieren vertheidigt, von dem Könige ſelbſt reiflich erwogen worden; während des unglücklichen Feldzugs hatte er dann in der Stille ſeinen Weg gemacht, und jetzt war jedem einſichtigen Soldaten klar, daß der ungleiche Kampf nur mit dem Aufgebote der geſammten Volkskraft wieder aufgenommen werden konnte. Gleich nach dem Frieden bat Blücher ſeinen lieben Scharnhorſt vor einer National-Armee zu ſorgen, Niemand auf der Welt muß eximirt ſein, es muß zur Schande gereichen wer nicht gedient hat . Prinz Auguſt ſendete noch aus der Kriegsge - fangenſchaft einen Plan für die Neubildung des Heeres, worin die all - gemeine Wehrpflicht als leitender Gedanke obenan ſtand. Scharnhorſt aber wußte, was die meiſten der Zeitgenoſſen ganz vergeſſen hatten, daß damit nur ein altpreußiſcher Grundſatz erneuert wurde. Er erinnerte den König daran, ſein Ahnherr Friedrich Wilhelm I. habe zuerſt unter allen Fürſten Europas die allgemeine Conſcription eingeführt; dieſer Grundſatz habe Preußen einſt groß gemacht und ſei in Oeſterreich und Frankreich nur nachgeahmt worden; jetzt erſcheine es geboten, zu dem alt - preußiſchen Syſteme zurückzukehren und den Mißbrauch der Exemtionen kurzerhand hinwegzufegen; nur ſo bilde ſich eine wahre ſtehende Armee, eine ſolche, die man jederzeit in gleicher Größe erhalten könne. Faſt genau mit den Worten des alten Soldatenkönigs begann Scharnhorſt ſeinen Entwurf für die Bildung einer Reſerve-Armee alſo: §. 1. Alle Bewohner des Staates ſind geborene Vertheidiger deſſelben.

Die preußiſchen Offiziere faßten den Gedanken der allgemeinen Dienſt - pflicht von Haus aus in einem freieren und gerechteren Sinne auf als vormals die Bourgeois der franzöſiſchen Directorialregierung. Die Be - ſiegten dachten zu ſtolz um die Inſtitutionen des Siegers einfach nach - zuahmen. Man hatte es ertragen, daß der Befehl des Königs einzelne Volksklaſſen kraft ihrer Standesprivilegien oder aus volkswirthſchaftlichen Rückſichten von der Cantonspflicht befreite. Aber die Vorſtellung, daß der295Das Volk in Waffen.Bemittelte ſich von der Dienſtpflicht loskaufen, ein Unterthan für den anderen ſeine Haut zu Markte tragen ſolle, war ganz und gar unpreußiſch, widerſprach allen Traditionen der Armee. Das franzöſiſche Syſtem der Stellvertretung wurde wohl von einigen Civilbeamten, aber von keinem einzigen namhaften Offizier empfohlen. Man dachte demokratiſcher als die Erben der Revolution, verlangte kurz und gut die Wehrpflicht für Alle und nicht blos als ein Kriegsmittel für den Befreiungskampf, ſondern als eine dauernde Inſtitution zur Erziehung des Volkes. Ein Verächter aller müſſigen militäriſchen Künſtelei blieb Scharnhorſt doch ein ſtreng geſchulter Fachmann; er wußte, wie wenig die Begeiſterung allein die Ausdauer, die Kunſtfertigkeit, die Mannszucht des geübten Soldaten erſetzen kann. Aus ſeiner reichen Geſchichtskenntniß hatte er die Ueber - zeugung gewonnen: je weicher die Sitten würden, um ſo nöthiger ſei den Nationen die militäriſche Erziehung, damit die männlichen Tugenden ein - facher Zeiten der Culturwelt erhalten blieben, die rüſtige Kraft des Leibes und des Willens den fein Gebildeten nicht verloren gehe. Mit hellem Jubel ging Gneiſenau auf dieſe mannhafte Anſchauung des hiſtoriſchen Lebens ein; er wollte die militäriſchen Uebungen ſchon in der Volksſchule beginnen laſſen, dann ſei der Heldenruhm der Spartaner für die moderne Menſchheit nicht mehr unerreichbar. Allen Freunden Scharnhorſts aus der Seele ſchrieb Boyen die Verſe: wehrhaft ſei im ganzen Lande jeder Mann mit ſeinem Schwert, denn es ziemet jedem Stande zu vertheidigen Thron und Heerd!

Ueber den Grundſatz alſo beſtand kein Zweifel. Doch wie die un - überwindlichen Schwierigkeiten, welche ſich der Ausführung entgegenſtellten, beſiegen? Die Söhne der gebildeten Klaſſen in Friedenszeiten ohne Weiteres in das ſtehende Heer einzureihen erſchien dieſer Zeit, die ſoeben erſt der Barbarei der alten Kriegszucht entwuchs, als eine unerträgliche Härte; und zudem erzwang Napoleon im September 1808 den Pariſer Vertrag, kraft deſſen der mißhandelte Staat ſich verpflichten mußte, nicht mehr als 42,000 Mann Truppen zu halten.

So blieb nur übrig, den Eroberer zu überliſten, die Verträge zu umgehen und neben dem ſtehenden Heere eine Reſerve-Armee, eine Landwehr für Kriegsfälle zu ſchaffen. Aber auch zu dieſem Ziele war der gerade Weg verſperrt. Scharnhorſt erkannte ſofort, das Einfachſte ſei die Landwehr durch die Schule des ſtehenden Heeres gehen zu laſſen, die Reſerve-Armee aus ausgedienten Soldaten zu bilden. Und doch war dies für jetzt unmöglich. Die Einſtellung einer ſo großen Anzahl von Rekruten hätte alsbald den Argwohn Napoleons erregt, und über - dies konnte eine ſo gebildete Landwehr offenbar erſt nach Jahren eine erhebliche Stärke erreichen, während man in jedem neuen Monat den Wiederausbruch des Krieges erwartete. Darum mußte man ſich mit einer Miliz begnügen, welche ohne ſichtbaren Zuſammenhang mit dem ſtehen -296I. 3. Preußens Erhebung.den Heere, ſcheinbar nur für den inneren Sicherheitsdienſt beſtimmt, aber durch wiederholte Uebungen militäriſch geſchult und mit genügenden Waffen - vorräthen verſehen ſofort beim Ausbruch des Krieges als Reſerve-Armee auftreten ſollte. Viermal hat Scharnhorſt während der Jahr 1807 10 dieſe Landwehrpläne wiederaufgenommen und mit dem Monarchen be - rathen. Seinen erſten Entwurf brachte er bereits am 31. Juli 1807 zu Stande, ganz ſelbſtändig, lange bevor die öſterreichiſche Landwehr beſtand.

Die älteren Pläne verfolgten den Hauptzweck, die Söhne der wohlhaben - den Klaſſen, die ſich ſelber bewaffnen und bekleiden konnten, für den Dienſt im Kriege vorzubereiten; unter dem harmloſen Namen einer Bürgergarde oder Nationalwache ſollten ſie im Frieden eingeübt werden. Im Sommer 1809 gab der Raſtloſe ſeinen Entwürfen eine großartigere Geſtalt, welche bereits die Grundzüge der Organiſation von 1813 erkennen läßt. Er dachte hoch von der Heldenkraft eines zornigen Volkes, doch er ſah auch nüchtern voraus, wie viele Zeit vergehen muß bevor aus einem bewaffneten Haufen eine kriegstüchtige Truppe wird. Sein Plan war: das ſtehende Heer beginnt den Angriff; unterdeſſen bildet ſich die Reſerve-Armee aus den ausgedienten und überzähligen Soldaten ſowie aus allen jüngeren Cantonpflichtigen; die Wohlhabenden treten als freiwillige Jäger ein. Dieſe Landwehr übernimmt den Feſtungsdienſt und die Belagerung der vom Feinde beſetzten Plätze; ſobald ſie genügend ausgebildet iſt, zieht ſie dem Heere nach und an ihre Stelle rückt die inzwiſchen verſammelte Miliz, ein Landſturm, der alle noch übrigen Wehrhaften umfaßt. Scharnhorſt wußte, wie ungern Napoleon ſich der Vendeeer Kämpfe erinnerte, wie ſehr er den Volksaufſtand fürchtete; er hoffte den Befreiungskampf mit einem kleinen Kriege zu eröffnen, der ſich auf einige Feſtungen oder ver - ſchanzte Lager ſtützen ſollte, und ließ das für ſolchen Zweck ſo ungünſtige Terrain der norddeutſchen Ebene ſorgſam auskundſchaften. Gneiſenau dachte ſogar aus dem kleinen Spandau ein Torres Vedras der Ebene zu machen, als er von Wellingtons portugieſiſchen Siegen erfuhr.

Aber alle dieſe Hoffnungen wurden zu Schanden. Sobald Napoleon von einem neuen preußiſchen Landwehrplane hörte, griff er ſtets ſofort mit herriſcher Drohung ein: nicht einen Schritt durfte ihm der verhaßte Gegner über die Pariſer Verſprechungen hinausgehen, nur er ſelber be - hielt ſich vor ſie mit Füßen zu treten. Man mußte endlich einſehen, daß die Bildung einer Landwehr ſchlechterdings unmöglich blieb ſo lange Preußen noch nicht in der Lage war an Frankreich den Krieg zu er - klären. Das Einzige was bis dahin geſchehen konnte ohne das Miß - trauen des Imperators aufzuſtacheln, war die raſchere Ausbildung der Mannſchaften des ſtehenden Heeres. Die geſetzliche zwanzigjährige Dienſt - zeit der Cantonspflichtigen blieb unverändert, doch man hob ihrer ſo viele aus als irgend möglich und beurlaubte dann dieſe leidlich ausexercirten Krümper nach einigen Monaten. Die vertragsmäßige Heeresziffer wurde297Die Schmähſchriften.dabei nicht allzu ſtreng eingehalten; das Leibregiment in Berlin ließ jahre - lang, ſo oft die Truppe zum Felddienſt ausrückte, einen Theil der Mann - ſchaft in der Kaſerne zurück, damit Napoleons Späher die Stärke der Bataillone nicht bemerkten. Es konnte nicht fehlen, daß manche Wehr - pflichtigen ſich der ſtrengeren Aushebung durch die Flucht entzogen, wie umgekehrt viele Conſcribirte aus den Rheinbundslanden nach Preußen hinüberflohen; es gab beſtändig kleine Unruhen an den Landesgrenzen, der arme Mann wurde ganz irr an der wüſten Zeit. Im Ganzen zeigte das Volk dem Könige hingebende Treue; geſchah es doch ein - mal, daß Bauern aus der Umgegend Nachts eine Kanone von den Wällen der weſtphäliſchen Feſtung Magdeburg ſtahlen und ſie zu Schiff nach Spandau entführten: ihr angeſtammter Herr brauche Waffen gegen den Franzmann. Durch dies Krümperſyſtem bildete Scharnhorſt nach und nach 150,000 Soldaten nothdürftig aus. Ein tragiſches Schau - ſpiel, wie der große Mann ſo jahraus jahrein mit tauſend Liſten und Schlichen dem allwiſſenden Feinde zu entſchlüpfen ſuchte. Seine Seele ſchmachtete nach der Freude der Schlacht; den letzten Hauch von Mann und Roß, Alles was an die Wände piſſen konnte wollte er dahingeben damit Deutſchland wieder ſei; und immer wieder vereitelte der wachſame Gegner die Pläne der Rüſtung. Erſt als die Stunde des offenen Kampfes ſchlug, trat mit einem Schlage ins Leben was in fünf Jahren voll auf - reibender Arbeit, voll namenloſer Sorge ſtill bereitet war. Scharnhorſt und Niemand ſonſt iſt der Vater der Landwehr von 1813.

Unterdeſſen brachten Haß und Noth in den gebildeten Klaſſen Nord - deutſchlands eine grundtiefe Umſtimmung der Geſinnungen zur Reife, die durch die Gedankenarbeit der romantiſchen Literatur längſt vorbereitet war. Nach den großen Heimſuchungen des Völkerlebens erhebt ſich ſtets ein Sturm von Klagen und Anklagen, die gequälten Gewiſſen ſuchen die Schuld Aller auf die Schultern Einzelner hinüberzuwälzen, Schmähreden und Schmutzſchriften kriechen wie ekle Würmer aus dem Leichnam der gefallenen alten Ordnung. So ſtürzte ſich auch auf den gedemüthigten preußiſchen Staat ein Schwarm frecher Läſterer zumeiſt dieſelben Menſchen, die vor dem Kriege den Bund Norddeutſchlands mit Frank - reich verherrlicht hatten. Cöllns Feuerbrände, Maſſenbachs Denkwürdig - keiten, Buchholzs Gallerie preußiſcher Charaktere und ähnliche Schriften trugen geſchäftig allen Unrath zuſammen, der ſich nur irgend in den Winkeln der alten Monarchie aufwühlen ließ, bis herab zu den Domänen - käufen der Zeiten Friedrich Wilhelms II. Jene dünkelhafte, unfruchtbare Altklugheit, die ſeit Nicolais Tagen in den Kreiſen der Berliner Halb - bildung nicht mehr ausſterben wollte, fand jetzt ihren politiſchen Ausdruck. Wie jener ehrliche Alte einſt im Namen der Aufklärung alles Freie und Lebendige der jungen Dichtung bekämpft hatte, ſo wurde jetzt im Namen der Freiheit der Krieg gegen Napoleon getadelt und verhöhnt. Nur Eng -298I. 3. Preußens Erhebung.lands Kaufmannsſelbſtſucht und der Uebermuth der preußiſchen Offiziere hatten das friedliebende Frankreich zum Kampfe gezwungen; und nichts wollte Buchholz dem Staate Friedrichs weniger verzeihen als den un - würdigen Bund mit der ruſſiſchen Uncultur gegen die franzöſiſche Cultur.

Die Verfaſſer dieſer Libelle wurden die geiſtigen Ahnherren einer neuen politiſchen Richtung, welche ſeitdem unter mannichfachen Formen und Namen auf dem Berliner Boden heimiſch und ein Krebsſchaden des preußiſchen Staates blieb, einer gewerbmäßigen Tadelſucht, die unerſchöpflich im Skandal, unendlich eingebildet und doch wehrlos gegen die Macht der Phraſe, immer mit großen Worten von Freiheit und Fortſchritt prunkte und ebenſo regelmäßig die Zeichen der Zeit verkannte. Gemeinſam war dieſen Schriften auch ein echt deutſcher Charakterzug, eine nationale Schwäche, wovon nur wenige unſerer Publiciſten ganz frei geblieben ſind: die eigenthümliche Unfähigkeit die Dimenſionen der Menſchen und der Dinge recht zu ſehen, das Große und Echte von dem Kleinen und Ver - gänglichen zu unterſcheiden. Ganz in dem gleichen Tone wie Lombard und Haugwitz wurden auch Hardenberg und Blücher von jenen Alles - tadlern mißhandelt, und den Leſern blieb nur der troſtloſe Eindruck, daß in dem faulen Holze dieſes Staates kein Nagel mehr haften wolle.

Indeß die Noth des Tages drückte allzuſchwer; das Volk dachte zu ehrenhaft um ſich noch lange beim rückwärtsſchauenden Tadel aufzuhalten. Wer ein Mann war blickte vorwärts, dem Tage der Freiheit entgegen. Die Schmähſchriften fielen platt zu Boden; ſelbſt in Berlin fand die Kritik der Läſterer geringen Anklang. Ein tiefer Ernſt lagerte auf den Gemüthern; es war als ob alle Menſchen reiner und beſſer würden, als ob der Zorn über den Untergang des Vaterlandes alle gemeinen und niedrigen Regungen der Herzen ganz aufſöge. Niemals früher hatte ein ſo lebendiges Gefühl der Gleichheit Hoch und Niedrig im deutſchen Nor - den verbunden; man rückte traulich zuſammen wie die Hinterbliebenen im verwaiſten Hauſe. Unzählige Vermögen waren zerſtört, der ganze Reich - thum des preußiſchen Adels darauf gegangen; die willkürliche neue Länder - vertheilung hatte den altgewohnten Verkehr ganzer Landestheile vernichtet; tauſende treuer Diener konnte der verſtümmelte Staat nicht mehr be - ſchäftigen. Wer jung ins Leben eintrat und dem Glücksſterne der rhein - bündiſchen Untreue nicht folgen wollte, fand nirgends eine Stätte zu fröhlichem Wirken; man wußte in dieſen napoleoniſchen Tagen nichts mit ſich anzufangen, wie Dahlmann, ſeiner harten Jugendzeit gedenkend, ſagte. Die Erbitterung wuchs und wuchs, und je weiter ſich die Entſcheidung hinausſchob, um ſo mächtiger und leidenſchaftlicher ward der Glaube, dies Eintagsgebilde der Fremdherrſchaft könne und dürfe nicht dauern, dieſe Verwüſtung alles deutſchen Lebens ſei eine Sünde wider Gott und Ge - ſchichte, ſei der Fiebertraum eines hirnwüthigen Frevlers.

Während dieſer Tage krampfhafter Aufregung erwachte in Nord -299Die Idee der deutſchen Einheit.deutſchland zuerſt die Idee der deutſchen Einheit recht eigentlich ein Kind des Schmerzes, der hiſtoriſchen Sehnſucht, einer ebenſo ſehr poetiſchen als politiſchen Begeiſterung. Wie felſenfeſt hatte das achtzehnte Jahr - hundert an die Ewigkeit ſeines römiſchen Reichs geglaubt. Wie zahm, zufrieden und liebevoll hatte noch das Geſchlecht der neunziger Jahre an ſeinen Fürſten gehangen, als Georg Forſter in dem Gedenkbuche des Jahres 1790 mit beweglichen Worten die menſchenfreundliche Handlung eines deutſchen Fürſten ſchilderte und Chodowiecki in einem Kupferſtiche dieſen großen Menſchenfreund verewigte den Erzherzog Max nämlich, wie er einer Marktfrau den Korb auf den Kopf zu nehmen half! Jetzt war das Reich dahin, die Deutſchen waren kein Volk mehr, nur noch Sprachgenoſſen. Wie bald konnte auch dies letzte Band zerreißen, da das linke Rheinufer für immer der wälſchen Geſittung verfallen ſchien und im Königreich Weſtphalen die franzöſiſche Amtsſprache bis zur Elbe hin herrſchte; unſere Fürſten aber, die vielgeliebten, heißbewunderten, trugen die Ketten des Fremdlings, ſie alle bis auf zwei! Und mitten im Niedergange ihres alten Volksthums blieb den Deutſchen doch das ſtolze Gefühl, daß die Welt ihrer nicht entbehren könne, daß ſie eben jetzt, durch ihre Dichter und Denker, für die Menſchheit mehr gethan als jemals ihre Beſieger. Aus dem Jammer der Gegenwart flüchtete die Sehnſucht in die fernen Zeiten deutſcher Größe; das Kaiſerthum, vor Kurzem noch ein Kinderſpott, erſchien jetzt wieder als ein Ruhm der Nation. In allen den aufgeregten Briefen, Reden und Schriften dieſer bedrängten Tage klingen die beiden bitteren Fragen wieder: warum ſind die Deutſchen als Einzelne ſo groß, als Nation ſo gar nichts? warum ſind die einſt der Welt Geſetze gaben jetzt den Fremden unter die Füße geworfen?

Die Dichter und Gelehrten waren gewohnt, vor einem idealen Deutſch - land zu reden, über die Grenzen der Länder und Ländchen hinweg an alle Söhne deutſchen Blutes ſich zu wenden. Nun da die Literatur mit politiſcher Leidenſchaft ſich erfüllte, übertrug ſie dieſe Anſchauungen kurzerhand auf den Staat. Fichte richtete ſeine politiſchen Ermahnungen als Deutſcher ſchlechtweg an Deutſche ſchlechtweg, nicht anerkennend, ſondern durchaus bei Seite ſetzend alle die trennenden Unterſcheidungen, welche unſelige Ereigniſſe ſeit Jahrhunderten in der einen Nation gemacht haben. Die Deutſchheit, die echte alte unverſtümmelte deutſche Art ſollte wieder zu Ehren kommen. Eine hochherzige Schwärmerei pries in überſchwänglicher Begeiſterung den angeborenen Adel deutſchen Weſens, denn nur durch die Ueberhebung konnte ein ſo unpolitiſches Geſchlecht wieder zur rechten Schätzung des Heimathlichen, zum nationalen Selbſtgefühle gelangen. An die Stelle der alten leidſamen Ergebung trat ein verwegener Radicalis - mus, der alle die Gebilde unſerer neuen Geſchichte als Werke des Zu - falls und des Frevels verachtete: was blieb denn noch ehrwürdig und der Schonung werth in dieſem rheinbündiſchen Deutſchland? Waren nur erſt300I. 3. Preußens Erhebung.die fremden Tyrannen geſtürzt, ihre freiwilligen Sklaven gezüchtigt und die widerwilligen befreit, ſo ſollte ein neues mächtiges Deutſchland, glänzend im Schmucke heller Gedanken und ruhmreicher Waffen, ſich politiſch geſtalten gleichviel in welchen Formen, aber einig und aus dem ureigenen Geiſte der Nation heraus und dann mußten die Deutſchen, ließ man ſie nur frei gewähren, auch in Kunſt und Wiſſenſchaft die reichſten Kränze, die je ein helleniſches Haupt geſchmückt, ſich auf die Siegerſtirne drücken. Von dem einen Gewaltigen, der unſerer Nation ſchon einmal den Weg zur politiſchen Macht gewieſen, ſprach man ungern. Was dies neue Ge - ſchlecht brauchte war ſcheinbar das Gegentheil der fridericianiſchen Gedanken; Friedrichs Werk ſchien vernichtet, und Viele der jungen Schwärmer wollten ihm nie verzeihen, daß er das Schwert gegen die geſalbte kaiſerliche Maje - ſtät erhoben hatte. Großherziges Vergeſſen der alten Bruderkämpfe, treue Eintracht aller deutſchen Stämme, das war es was man forderte für den gemeinſamen Kampf; nicht von einem gegebenen politiſchen Mittelpunkte aus, ſondern durch die Erhebung der geſammten Nation ſollte das Welt - reich zerſchmettert werden, und alles Weitere fand ſich dann von ſelbſt.

Es wurde verhängnißvoll für unſer politiſches Leben und hängt uns nach bis zum heutigen Tage, daß der Gedanke der nationalen Einheit bei uns nicht wie in Frankreich langſam die Jahrhunderte hindurch heranreifte, die natürliche Frucht einer ſtetigen, immer auf daſſelbe Ziel gerichteten monarchiſchen Politik, ſondern ſo urplötzlich nach langem Schlummer wie - der erwachte, unter zornigen Thränen, unter Träumen von Zeiten die geweſen. Daher jener rührende Zug idealiſtiſcher Schwärmerei, treuher - ziger Begeiſterung, der die deutſchen Patrioten der folgenden Generationen ſo liebenswürdig erſcheinen läßt. Daher ihre krankhafte Verbitterung: denn auch nachdem der rauhe Franzoſenhaß jener gequälten Zeit ver - raucht war, blieb ein tiefer Groll gegen das Ausland in den Herzen der begeiſterten Teutonen zurück; man konnte nicht träumen von Deutſchlands künftiger Größe, ohne die fremden Völker zu ſchelten, die ſich ſo oft und ſo ſchwer an der Mitte Europas verſündigt hatten. Daher auch die wunder - bar verſchwommene Unklarheit der politiſchen Hoffnungen der Deutſchen. Ein durch unbeſtimmte hiſtoriſche Bilder erhitzter Enthuſiasmus berauſchte ſich für die Idee eines großen Vaterlandes in den Wolken, das irgend - wie die Herrlichkeit der Ottonen und der Staufer erneuern ſollte, begrüßte Jeden, der in die gleichen Klagen, in die gleiche Sehnſucht mit einſtimmte, Männer der verſchiedenſten politiſchen Richtungen, willig als Parteigenoſſen und bemerkte kaum die lebendigen Kräfte der wirklichen deutſchen Einheit, die in dem preußiſchen Staate ſich regten. Daher endlich die haltloſe Schwäche des deutſchen Nationalgefühls, das bis zur Stunde noch nicht die untrügliche Sicherheit eines naiven volksthümlichen Inſtinktes erlangt hat. Der Traum der deutſchen Einheit drang ſehr langſam aus den ge - bildeten Ständen in die Maſſen des Volkes hinab, und auch dann noch301Das neue Deutſchthum.blieb der große Name des Vaterlandes dem geringen Manne lange nur ein unbeſtimmtes Wort, eine wundervolle Verheißung, und die ehrliche Liebe zum einigen Deutſchland vertrug ſich wohl mit einem engherzigen, handfeſten Particularismus.

In Preußen ſtand die alte Königstreue zu feſt, als daß ſich die Hoff - nungen der Patrioten ſo ganz ins Grenzenloſe hätten verlieren können. Es iſt kein Zufall, daß Keiner unter den Publiciſten und Volksrednern der Zeit ſo viel nüchterne realpolitiſche Einſicht zeigte, wie Schleiermacher, der geborene Preuße: wenn er von Deutſchlands Befreiung ſprach, ſo blieb ihm die Wiederherſtellung der alten preußiſchen Macht immer die ſelbſt - verſtändliche Vorausſetzung. Wenn Schenkendorf in begeiſterten Verſen vom Kaiſer und vom Reiche predigte, wenn Heinrich Kleiſt die Deutſchen beſchwor, voran den Kaiſer in den heiligen Krieg zu ziehen, ſo nahmen auch ſie ſtillſchweigend an, daß Preußen unter dieſem neuen Kaiſerthum eine würdige Stelle behaupten müſſe. Auf dem Turnplatze in der Haſen - haide, in den Kreiſen von Jahn, Harniſch und Frieſen, vernahm man ſogar ſchon die zuverſichtliche Weiſſagung: Preußen habe immerdar Deutſchlands Schwert geführt und müſſe in dem neuen Reiche die Krone tragen. Fichte dagegen wuchs erſt nach und nach in dieſe preußiſchen Anſchauungen hin - ein, gelangte erſt im Frühjahr 1813 zu der Erkenntniß, daß allein der König von Preußen der Zwingherr zur Deutſchheit werden könne. Auch Arndt lernte erſt durch Preußens Siege die Nothwendigkeit der frideri - cianiſchen Staatsbildung verſtehen. Gemeinſam war aber allen jugend - lichen Patrioten, auch den Preußen, der kindliche Glaube an ein unbe - ſtimmtes wunderbares Glück, das da kommen müſſe wenn Deutſchland nur erſt wieder ſich ſelber angehöre. Die ganze Macht überſchwänglicher Gefühle, die ſich in dem claſſiſchen Zeitalter unſerer Dichtung ange - ſammelt hatte, ergoß ſich jetzt in das politiſche Leben. Niemals hatte die norddeutſche Jugend ſo ſtolz, ſo groß gedacht von ſich ſelber und von der Zukunft ihres Volkes, wie jetzt da dies Land vernichtet ſchien; ihr war kein Zweifel, das ganze große Deutſchland, das einträchtig wie eine an - dächtige Gemeinde den Worten ſeiner Dichter gelauſcht hatte, mußte als eine geſchloſſene Macht wieder eintreten in die Reihe der Völker. Doch nirgends ein Verſuch zur Bildung einer politiſchen Partei mit klar be - grenzten erreichbaren Zielen; nicht einmal ein Meinungskampf über die Frage, in welchen Formen ſich das verjüngte Vaterland neu geſtalten ſollte. Aus der Fülle von Ahnungen und Hoffnungen, welche die un - geduldigen Gemüther bewegte, trat nur ein einziger greifbarer politiſcher Gedanke hervor und dieſer eine freilich ward mit grimmigem Ernſt er - griffen der Entſchluß zum Kampfe gegen die Herrſchaft der Fremden.

Noch anderthalb Jahre nach dem Frieden blieb der Feind im Lande, und auch nachher, als die franzöſiſchen Truppen Preußen endlich ge - räumt hatten, ſtand ganz Deutſchland unter der ſcharfen Aufſicht der302I. 3. Preußens Erhebung.napoleoniſchen Spione. Alle franzöſiſchen und rheinbündiſchen Diplo - maten mußten Bericht erſtatten über die Stimmung im Volke. Bignon in Stuttgart und der weſtphäliſche Geſandte Linden in Berlin trieben das unſaubere Gewerbe mit beſonderem Eifer; Napoleons Geſandter in Caſſel, der geiſtreiche Schwabe Reinhard, ein Freund Goethes, benutzte ſeine Ver - bindungen mit der deutſchen literariſchen Welt um den Imperator über jede Regung deutſcher Gedanken zu unterrichten. Darum mußten die Patrioten, ganz wider die Neigung und Begabung der deutſchen Natur, zu geheimen Vereinen zuſammentreten. Hardenberg ſelbſt ſagte in jener Rigaer Denkſchrift dem Könige, in ſolcher Zeit ſeien Geheimbünde unentbehrlich, und empfahl namentlich die Logen zur Verbreitung guter politiſcher Grund - ſätze, da auch Napoleon den noch immer einflußreichen Freimaurerorden für ſeine Zwecke zu benutzen ſuchte und ſeinen Schwager Murat zum Groß - meiſter ernennen ließ.

Nur Wenige unter den deutſchgeſinnten Preußen ſind, ſo lange die Feinde das Land beſetzt hielten, dieſem unterirdiſchen Treiben ganz fern geblieben. Auch Stein traf, wie Schoen erzählt, in Königsberg zu - weilen in tiefem Geheimniß mit Gneiſenau, Süvern und anderen Freun - den zuſammen um die Lage des Vaterlandes, die Möglichkeit der Wieder - erhebung zu beſprechen. Selbſt die hellen Köpfe ſo gewaltig war die Aufregung wollten nicht ganz laſſen von der bodenloſen Hoffnung, daß vielleicht ein glücklicher Handſtreich, eine plötzliche Erhebung des Volks den franzöſiſchen Spuk verſcheuchen könnte. In den Geſellſchaften des Berliner Adels thaten ſich Einige, zumal unter den Damen, durch die urwüchſige Kraft ihres Franzoſenhaſſes, durch lautes Schelten gegen die Halben und Schwächlinge hervor; man nannte ſie unter den Uneinge - weihten den Tugendbund, und alle Welt wußte, wann ſie ſich insgeheim verſammelten, da die deutſche Ehrlichkeit ſich auf die dunklen Künſte der Verſchwörer ſchlecht verſtand. Ernſthaftere Pläne verfolgte eine Reihe anderer formloſer patriotiſcher Vereine, denen Lützow und Chaſot, Reimer, Eichhorn, Schleiermacher, wackere Männer des Heeres, des Bürgerthums und der Wiſſenſchaft angehörten. Hier kaufte man Waffen auf, ſo weit die ärmlichen Mittel reichten, ſuchte die Geſinnungsgenoſſen ringsum in Deutſchland zu ſammeln, zu ermahnen, zu ermuthigen; wie oft iſt Leut - nant Hüſer von Berlin nach Baruth hinübergeritten um Briefe an den Mitverſchworenen Heinrich Kleiſt auf die ſächſiſche Poſt zu geben. Später ſtiftete Jahn mit einigen ſeiner Turnfreunde einen Deutſchen Bund; wie die Eidgenoſſen auf dem Rütli traten die Verſchworenen Nachts im Walde bei Berlin zuſammen und weihten ſich zum Kampfe für das Vaterland. Als der Ausbruch des Krieges ſich weiter und weiter hinausſchob, ging unter den Heißſpornen zuweilen die Rede: wenn dieſer Zauderer Fried - rich Wilhelm durchaus nicht wolle, ſo müſſe ſein Bruder, der ritterliche Prinz Wilhelm den Thron beſteigen.

303Die Geheimbünde.

Die Zeit lag im Fieber. Es war ein ewiges geheimnißvolles Kommen und Gehen unter den Patrioten; ſie zogen verkleidet umher, ſammelten Nachrichten über die Stellungen des Feindes, über die Stärke der feſten Plätze; auch der Offenherzige mußte lernen mit ſympathetiſcher Tinte zu ſchreiben, unter falſchem Namen zu reiſen. Wie hatte ſich doch die ſtille norddeutſche Welt verwandelt, welche Wildheit dämoniſcher Leidenſchaft flammte jetzt in den vormals ſo friedlichen Herzen! Die ganze neue Ord - nung der Dinge ſtand auf zwei Augen; unwillkürlich ward der Gedanke laut, ob dieſe ſich denn niemals ſchließen ſollten? Die treue Gräfin Voß flehte im ſtillen Kämmerlein zu ihrem Gott, er möge dieſen Mann des Unheils von der Erde hinwegnehmen. Unter den jungen Leuten im Magde - burgiſchen, den Freunden Immermanns, war die Frage, wie man wohl den Corſen aus dem Wege räumen könne, ein gewöhnlicher Gegenſtand des Geſprächs, und Keiner fand ein Arges daran. Schwerere Naturen ergriffen den unheimlichen Gedanken mit grimmigem Ernſt; Heinrich Kleiſt trug ihn monatelang mit ſich herum in ſeiner umnachteten Seele. Nach - her lernte Napoleon mit Entſetzen aus dem Mordanfalle des unglücklichen Staps, wie tief ſich der Haß ſelbſt in fromme, ſchlichte Gemüther einge - freſſen. Natürlich daß ſich auch die akademiſche Jugend auf ihre Art an den verbotenen Vereinen betheiligte. Schon vor der Kataſtrophe von Jena bildeten Marburger Studenten, unter dem Eindrucke der Ermordung Palms, einen geheimen Bund zur Wahrung deutſcher Art und Freiheit. Der berühmteſte aber unter jenen Geheimbünden, mit deſſen Namen die Franzoſen alle anderen zu bezeichnen pflegten, der Königsberger Tugendbund, zählte nie mehr als etwa 350 Mitglieder, darunter nur vier Berliner. Einige wohlmeinende, aber wenig einflußreiche Patrioten, wie Bärſch, Lehmann, Mosqua und der junge Juriſt Bardeleben, hatten ihn mit Erlaubniß des Königs geſtiftet um den ſittlichen und vaterlän - diſchen Sinn zu beleben und löſten ihn ſofort gehorſam wieder auf als nach dem Abzuge der Franzoſen die rechtmäßige Staatsgewalt zurückkehrte und das alte Verbot der geheimen Geſellſchaften wieder einſchärfte. Weder Stein noch Scharnhorſt gehörten ihm an, und von ihren nahen Freunden nur zwei, Grolmann und Boyen.

Ueberhaupt blieb die Wirkſamkeit der Geheimbünde weit geringer als die geängſteten Franzoſen annahmen, die ſich den Sturz der napoleoniſchen Herrſchaft nur aus dem Walten geheimnißvoller Mächte erklären konnten. Mancher wackere Mann wurde durch dies Vereinsleben für die vater - ländiſche Sache gewonnen; einige der Beſten aus der jungen Generation, die ſpäterhin an die Spitze der Verwaltung traten, Eichhorn, Merckel, Ingersleben ſind durch dieſe Schule gegangen. Scharnhorſt, der Alles ſah und Alles wußte, betraute dann und wann einzelne der Verſchworenen mit gefährlichen Aufträgen, wenn es etwa galt einen Waffentransport über die Grenze zu ſchaffen. Im Jahre 1812 nahm das ſtillgeſchäftige304I. 3. Preußens Erhebung.Treiben einen neuen Aufſchwung; man unterſtützte deutſche Offiziere, die in ruſſiſchen Dienſt treten wollten, man verbreitete im Rücken der großen Armee die Nachrichten von ihren Niederlagen, fing auch wohl einmal einen franzöſiſchen Courier ab. Doch im Ganzen war der augenblickliche Erfolg unerheblich; um ſo ſtärker, und keineswegs erfreulich, die Nachwirkung. Jenes phantaſtiſche Weſen, das dem jungen Deutſchthum von Haus aus eigen war, gewann durch die Geheimbünde neue Nahrung. Ein Theil der Jugend gewöhnte ſich mit dem Unmöglichen zu ſpielen, die harten That - ſachen der gegebenen Machtverhältniſſe zu mißachten, und ſetzte dann nach dem glücklich erkämpften Frieden ein Treiben fort, das allein in dem Drucke der Fremdherrſchaft ſeine Rechtfertigung gefunden hatte. Die Re - gierungen andererſeits wurden, als ſpäterhin das Mißtrauen gegen die befreiten Völker erwachte, durch die Erinnerung an jene Zeit der Gährung in ihrer kleinlichen Angſt beſtärkt.

Genug, der preußiſche Staat blieb auch in dieſer Bedrängniß ſeinem monarchiſchen Charakter treu. Was auch Einzelne auf eigene Fauſt für die Befreiung des Vaterlandes planen mochten, ihre verwegenſten Hoff - nungen gingen doch nur darauf, den Monarchen mit ſich fortzureißen, ſie gedachten für den König, wenn auch ohne ſeinen Befehl zu kämpfen. Das treue Volk aber konnte zu den Verſuchen eigenmächtiger Schilder - hebung niemals Vertrauen faſſen; der Aufſtand gelang erſt als der König ſelbſt die Seinen zu den Waffen rief. Die Unfreiheit, die im Weſen jedes Geheimbundes liegt, ſagte dem trotzigen Selbſtgefühle der Deutſchen nicht zu. Grade die Beſten und Stärkſten wollten ſich nicht alſo ſelber die Hände binden, ſie ſagten wie Gneiſenau: mein Bund iſt ein anderer, ohne Zeichen, ohne Myſterien, Gleichgeſinntheit mit Allen, die ein fremdes Joch nicht ertragen wollen. Ungleich mächtiger als die Thätigkeit der geheimen Vereine war jene große Verſchwörung unter freiem Himmel, die überall wo treue Preußen wohnten ihre Fäden ſchlang. Wer verzagen wollte, fand überall einen Tröſter, der ihn mahnte zu harren auf die Er - füllung der Zeiten. Niemand aber im ganzen Lande ſah dem Tage der Entſcheidung mit ſo unerſchütterlicher, leuchtender Zuverſicht entgegen, wie General Blücher. Der wußte großen Sinnes das Weſentliche aus der Flucht der Erſcheinungen herauszufinden, die innere Schwäche und Un - möglichkeit des napoleoniſchen Weltreichs ſtand ihm außer allem Zweifel. Zaghafte Gemüther hielten ihn für toll, als er in ſeiner derben Weiſe über den Herrſcher der Welt kurzab ſagte: laßt ihn machen, er iſt doch ein dummer Kerl!

In der alten Zeit des geiſtigen Schwelgens konnte ein feingebildeter Berliner nicht leicht auf den Gedanken kommen, daß es Pflicht ſei die Genüſſe der reizvollen geiſtſprühenden Geſelligkeit dahinzugeben für die Rettung des in langweiliger Steifheit erſtarrten Staates. Jetzt fühlten Alle, daß der Reichthum der Bildung Keinem den Frieden der Seele305Schleiermacher. Fichte.ſicherte, daß die Schande des Vaterlandes einem Jeden die Ruhe und Freude des Hauſes ſtörte, und in den beladenen Herzen fanden Schleier - machers Predigten eine gute Stätte. Er vor allen Anderen wurde der politiſche Lehrer der gebildeten Berliner Geſellſchaft. Dichte Schaaren An - dächtiger drängten ſich in den engen Rundbau der dürftigen kleinen Drei - faltigkeitskirche, wenn er in ſeinen breit dahinrauſchenden, echt redneriſchen Perioden, in immer neuen Wendungen den ſittlichen Grundgedanken dieſer neuen Zeit verkündigte: daß aller Werth des Menſchen in der Kraft und Reinheit des Willens, in der freien Hingabe an das große Ganze liege: mehr denn jemals gelte jetzt die Mahnung des Apoſtels, zu haben als hätten wir nicht, Beſitz und Leben nur als anvertraute Güter zu be - trachten, die dahinfahren müßten für höhere Zwecke, und die Feinde nicht zu fürchten, die nur den Leib töden können; wie viel höher ſei doch die ſittliche Würde deſſen, der in Liebe ſeinem Lande lebe, und wie ver - komme in weichlicher Empfindſamkeit der Sinn, der nur an ſich ſelber denke; wie viel Grund zur Liebe und Treue biete dieſer Staat, der einſt den anderen Deutſchen ein Muſter geweſen und noch immer eine Frei - ſtatt ſei für jeglichen Glauben, ein Staat der Rechtlichkeit und des ehr - lichen Freimuths. Das Alles ſo einfach fromm, dem ſchlichteſten Sinne verſtändlich, und doch ſo geiſtvoll, tief aus dem Borne der neuen Cultur geſchöpft; ſo glaubensinnig und doch ſo klug auf die politiſchen Nöthe des Augenblicks berechnet. Die praktiſche Theologie, die ſo lange ſeitab von den geiſtigen Kämpfen der Zeit im Hintertreffen geſtanden, wagte ſich wieder heraus auf die freien Höhen der deutſchen Bildung, und die ge - tröſteten Hörer empfanden, daß das Chriſtenthum in jedem Wandel der Geſchicke immer neu und lebendig, immer zeitgemäß zu wirken vermag.

Der ungeheure Umſchwung der Meinungen, die gewaltſame Umkehr der Zeit von ſelbſtgenügſamer Bildung zum politiſchen Wollen zeigt ſich wohl in keiner Schrift jener Tage ſo anſchaulich wie in Fichtes Abhand - lung über Machiavelli. Der Icarus unter den deutſchen Idealiſten, der Verächter des Wirklichen feierte jetzt den härteſten aller Realpolitiker, weil er in dem willensſtarken Florentiner den Propheten ſeines Vaterlandes erkannte. Während die Trommeln der franzöſiſchen Garniſon drunten vor den Fenſtern der Akademie erklangen, hielt Fichte dann ſeine Reden an die deutſche Nation. Zerknirſcht und erſchüttert, im Gewiſſen gepackt lauſchte die Verſammlung, wenn der ſtolze Mann mit den ſtrafenden Augen und dem aufgeworfenen Nacken ſchonungslos in’s Gericht ging mit der tief geſunkenen Zeit, da die Selbſtſucht durch ihr Uebermaß ſich ſelbſt vernichtet habe, und endlich den Hörern ſein radikales Entweder Oder auf die Bruſt ſetzte: ein Volk, das ſich nicht ſelbſt mehr regieren kann, iſt ſchuldig ſeine Sprache aufzugeben. Darauf riß er die Gedemüthigten wieder mit ſich empor und ſchilderte ihnen die unverwüſtliche Kraft und Majeſtät des deutſchen Weſens ſo groß, ſo kühn, ſo ſelbſtbewußt, wie inTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 20306I. 3. Preußens Erhebung.dieſen zwei Jahrhunderten des Weltbürgerthums Niemand mehr zu unſerem Volke geredet hatte, aber auch mit der ganzen unklaren Ueberſchwänglich - keit des neuen literariſchen Nationalſtolzes: die Deutſchen allein ſind noch urſprüngliche Menſchen, nicht in willkürlichen Satzungen erſtorben, das Volk der Ideen, des Charakters; wenn ſie verſinken, ſo verſinkt das ganze menſchliche Geſchlecht mit. Soll der Menſchheit noch eine Hoffnung bleiben, ſo muß ein neues deutſches Geſchlecht erzogen werden, das in ſeinem Vaterlande den Träger und das Unterpfand der irdiſchen Ewigkeit ver - ehrt und dereinſt den Kampf aufnimmt gegen den vernunftloſen, haſſens - würdigen Gedanken der Univerſalmonarchie.

Die Predigten Schleiermachers erregten den Argwohn der fran - zöſiſchen Spione. Mit dem hochfliegenden Pathos dieſes Redners, der die Erfüllung ſeiner Träume auf eine zukünftige Generation verſchob, wußten die Fremden nichts anzufangen; ſie ahnten nicht, wie unwider - ſtehlich grade der überſchwängliche Idealismus die Gemüther dieſes philo - ſophiſchen Geſchlechts ergriff. Der Jugend ging das Herz auf bei der Lehre: ſich der Gattung zu opfern ſei der Triumph der Bildung, ſei die Seligkeit des Ich. Die Zeit erlebte, wie Fichte mit philoſophiſcher Herablaſſung ſagte, den ſeltenen Fall, wo Regierung und Wiſſenſchaft übereinkommen ; ſie fühlte, daß die Wiederaufrichtung des deutſchen Staates mehr noch eine ſittliche als eine politiſche Pflicht war; ſie brauchte nichts dringender als jenen feſten und gewiſſen Geiſt , den dieſer Redner ihr zu erwecken ſuchte. Unwillkürlich gedachten die Hörer bei dem herriſchen Weſen und der zermalmenden ſittlichen Strenge des Philoſophen an den Freiherrn vom Stein.

In gleichem Sinne ſchrieb Arndt während und nach dem Kriege neue Bände ſeines Geiſtes der Zeit. Er zog zu Felde wider unſere Viel - herrſchaft, die zur Allknechtſchaft geworden, wider die unpolitiſche Gerech - tigkeit der Deutſchen, die das Veraltete gewiſſenhaft verſchonten bis die Fremden damit aufräumten, und vor Allem wider die übergeiſtige, über - zärtliche Bildung, die da wähne, daß Kriegsruhm wenig, daß Tapferkeit zu kühn, daß Mannlichkeit trotzig und Feſtigkeit beſchwerlich ſei. Friſch - auf zum Rhein ſo lautete ſein Schluß und dann gerufen: Frei - heit und Oeſterreich! Franz unſer Kaiſer, nicht Bonaparte!

In dem polternden Treiben des wunderlichen Recken Jahn zeigten ſich ſchon einige der fratzenhaften Züge, welche das neue Deutſchthum ver - unzierten: rauher und hochmüthiger Fremdenhaß, vorlaute Prahlerei, Ver - achtung aller Anmuth und feinen Sitte ein formloſes Weſen, das für unſere Jugend um ſo ſchädlicher werden mußte, da der Germane ohne - hin geneigt iſt Grobheit und Wahrhaftigkeit zu verwechſeln. Es blieb ein krankhafter Zuſtand, daß die Söhne eines geiſtreichen Volkes einen lärmen - den Barbaren als ihren Lehrer verehrten. Indeß war die Wirkſamkeit des Alten im Bart während dieſer erſten Jahre noch überwiegend heilſam. 307Arndt. Jahn.Für den einen Gedanken, der damals noth that, für den Entſchluß zum Kampfe, langte ſein derber Bauernverſtand aus; auch beſaß er eine ſeltene Gabe die Jugend in Zucht zu nehmen, ihr einen ehrlichen Abſcheu gegen alle Schlaffheit und Verzärtelung einzuflößen. Die neue Turnkunſt ſtählte nicht nur die Kraft des Leibes dem verwöhnten Geſchlechte. Man bemerkte auch bald, wie die Sitten der Berliner Jugend reiner und mannhafter wurden ſeit im Jahre 1811 der Turnplatz auf der Haſenhaide eröffnet war; und dies wog für jetzt ſchwerer, als die Verwirrung, die der Turnvater in manchem jungen Kopfe anrichtete, wenn er mit dröhnender Stimme in ſeinem neuerfundenen Wortſturmſchritt den Genoſſen ſon - derbare Runenſprüche zurief. Sein Buch über das deutſche Volksthum brachte mitten in einem krauſen Durcheinander ſchrullenhafter Einfälle manche lebendige Schilderung von der Kraft und Geſundheit altgerma - niſcher Sitten.

Entſetzlich freilich, wie der rohe Naturaliſt, immer dem wahren Deutſchthum zu Ehren, die zarten Blätter und Blüthen unſerer Sprache zwiſchen ſeinen harten Fäuſten knetete. Alles wollte er ihr wieder rauben was ſie ſich redlich erworben hatte im Gedankenaustauſche mit anderen Völkern. Dabei widerfuhr ihm zuweilen, daß er ein neues ur - teutſches Wort aus romaniſcher Wurzel bildete ſo ſein geliebtes Turnen ſelbſt; aber da er wie Luther den Bauern und den Kindern auf das Maul ſah, ſo gelang ihm auch mancher glückliche Griff: das gute Wort Volksthum wurde von ihm erfunden. Und ſo übermächtig war noch der idealiſtiſche Schwung der Zeit, daß ſelbſt dieſer Eulenſpiegel die eigent - liche Größe ſeiner Nation in ihrem geiſtigen Schaffen ſuchte; er pries die Griechen und die Deutſchen als der Menſchheit heilige Völker und nannte Goethe den deutſcheſten der Dichter. In den gewaltigen Kämpfen zwiſchen Oeſterreich und Preußen wollte er, ebenſo harmlos wie mancher Größere unter den Zeitgenoſſen, nichts weiter ſehen als die Balgereien von zwei kräftigen Jungen, die in ihrem Uebermuthe ſich raufen und endlich zur Vernunft gekommen ſich vertragen. Doch behielt er Mutterwitz genug um den tiefen Unterſchied zwiſchen den beiden Mächten zu erkennen: der große Völkermang Oeſterreich könne niemals ganz verdeutſcht werden, von Preußen ſei die Verjüngung des alten Reiches ausgegangen, und nur dieſer Staat werde die Deutſchen wieder zu einem Großvolke erheben. Hinweg mit dem deutſchen Staatskrebs, der kindiſchen Landsmannſchafts - ſucht, der Völkleinerei; eine oberſte Gewalt im Reiche, eine Hauptſtadt, Einheit der Zölle, der Münzen und Maße; dazu Reichstage und Land - tage und eine mächtige Landwehr aus allen Waffenfähigen gebildet, denn unter Germanen gilt der Grundſatz: wehrlos, ehrlos!

Solche Gedanken in die Welt hinausgerufen mit einer berſerkerhaften Zuverſicht, als könne es gar nicht anders ſein, und von der Jugend mit jubelnder Begeiſterung aufgegriffen und dies in einem Augenblicke, da20*308I. 3. Preußens Erhebung.Preußen wenig mehr als vier Millionen Köpfe zählte und Niemand auch nur nachgedacht hatte über die Frage, wie man den öſterreichiſchen Völker - mang mit dem reinen Deutſchland unter einen Hut bringen könne! Wie ſchwer mußten dieſe ſtolzen Träume dereinſt zuſammenſtoßen mit der harten Wirklichkeit der particulariſtiſchen Staatsgewalten! Gelang ſelbſt die Befreiung von der Herrſchaft des Auslandes, eine grauſame Ent - täuſchung, eine lange Zeit erbitterter bürgerlicher Kämpfe ſtand dieſem hoffenden Geſchlechte unausbleiblich bevor.

Nicht allein die Publiciſtik, ſondern die geſammte Literatur wurde jetzt von der nationalen Leidenſchaft ergriffen. Dem jungen Nachwuchs der Romantiker ſtellte Achim v. Arnim die Aufgabe: die friſche Morgenluft altdeutſchen Wandels zu athmen, ſich andächtig zu vertiefen in die Herr - lichkeit der alten heimiſchen Sage und Geſchichte, damit wir erkennen wie wir geworden und mit neuem Selbſtvertrauen in der Gegenwart kämpfen. Im Bewußtſein eines hohen patriotiſchen Berufes und mit dem ganzen überſpannten Selbſtgefühle, das der Literatur unſeres neunzehnten Jahr - hunderts eigenthümlich blieb, ſchritten die jungen Dichter und Gelehrten an’s Werk. Sie haben immer, ganz wie ſpäterhin die Redner des Liberalis - mus und die Schriftſteller des jungen Deutſchlands, der feſten Ueber - zeugung gelebt, die neue Ordnung der deutſchen Dinge ſei eigentlich von ihnen geſchaffen, die Staatsmänner und Soldaten hätten nur ausgeführt was ſie ſelber ſo viel ſchöner und größer erdacht. Noch einmal kam der deutſchen Literatur eine Zeit der Jugend. Wie vormals das Geſchlecht von 1750 die Welt des Herzens entdeckt und mit naiver Verwunde - rung in ihren Schätzen gewühlt hatte, ſo begrüßte die neue Romantik mit trunkenem Entzücken jeden glücklichen Fund, der eine Kunde brachte von der alten Größe des Vaterlandes. Sie beſtaunte das deutſche Alterthum mit großen verwunderten Kinderaugen; durch Alles was ſie dachte und träumte geht ein Zug hiſtoriſcher Pietät, ein bewußter Gegenſatz zu der Verſtandesbildung und der Pflege der exacten Wiſſenſchaften im napo - leoniſchen Reiche. Aus der Gährung dieſer romantiſchen Tage ſtieg die große Zeit der hiſtoriſch-philologiſchen Wiſſenſchaften hervor, welche nun - mehr, die Dichtung überflügelnd, auf lange hinaus in den Vordergrund unſeres geiſtigen Lebens traten.

Einige Jahre lang war Heidelberg der bevorzugte Sammelplatz der jungen literariſchen Welt. Wie ſchmerzlich hatte der ehrwürdige Karl Friedrich von Baden, alle dieſe böſen Jahre über, die ſchmähliche Lage der deutſchen Kleinfürſten empfunden; nun konnte er doch auf ſeine alten Tage noch einmal durch eine gute That dem Vaterlande ſeine Liebe be - währen. Er ſtellte die unter bairiſcher Herrſchaft ganz verfallene Heidel - berger Hochſchule wieder her, von vornherein mit der Abſicht, daß ſie mehr ſein ſolle als eine Landesuniverſität, eröffnete am Neckar der jungen Literatur eine Freiſtatt die einzige faſt in dem verödeten rheinbündiſchen309Die Heidelberger Romantiker.Deutſchland und erlebte noch die Freude, daß die alte Rupertina zum dritten male, wie einſt in den Zeiten Otto Heinrichs und Karl Ludwigs, mit neuen ſchöpferiſchen Gedanken in den Gang des deutſchen Lebens eingriff.

Hier in dem lieblichſten Winkel unſerer rheiniſchen Lande ſtand die Wiege der neuen romantiſchen Schule. Das epheuumrankte, in den Blüthen der Bäume wie verſchneite Schloß, die Thürme der alten Dome drunten in der ſonnigen Ebene, die geborſtenen Ritterburgen, die wie Schwalbenneſter an den Felſen hängen, Alles erinnerte hier an eine hochgemuthe Vorzeit, die der Sehnſucht ſo viel tröſtlicher ſchien als die nüchterne Gegenwart. Achim Arnim und Clemens Brentano fanden ſich hier zuſammen, auch Görres, der phantaſtiſche Schweber, der es drüben auf dem franzöſiſchen Ufer, ſo nahe dem Pariſer Höllenſchlunde nicht mehr ausgehalten. Die Dichter des achtzehnten Jahrhunderts hatten ſich auf deutſcher Erde überall wohl gefühlt wo ſie warmherzige Freunde fanden und ungeſtört ihren Idealen leben konnten; jetzt begannen die Nord - deutſchen mit Sehnſucht nach den ſchönen Landen der Reben und der Sagen hinüberzuſchauen. Wie frohlockte Heinrich Kleiſt als er aus ſeinem armen Brandenburg in die Berge Süddeutſchlands hinaufzog. Erſt in dieſen romantiſchen Kreiſen ſind Land und Leute unſeres Südens und Weſtens wieder recht zu Ehren gekommen. Die Vorliebe für den Rhein, die jedem Deutſchen im Blute liegt, wurde zu einem ſchwärmeriſchen Cultus, nun da man ihn in fremden Händen ſah. Wie oft wenn die vollen Römergläſer an einander klangen, wiederholte man die Klage Friedrich Schlegels:

Du freundlich ernſte ſtarke Woge,
Vaterland am lieben Rheine,
ſieh, die Thränen muß ich weinen
weil das Alles nun verloren!

Der Rhein war jetzt Deutſchlands heiliger Strom, über jeder ſeiner Kirchen ſchwebte ein Engel, um jedes verfallene Gemäuer ſpielten die Nixen und Elfen oder die Heldengeſtalten einer großen Geſchichte. Eine Menge von Liedern und Romanzen, wie ſie die Luſt des Weines und des Wanderns eingab, verſuchte dieſe Bilder feſtzuhalten. Die Balladen der claſſiſchen Dichtung hatten zumeiſt irgendwo in grauer Vorzeit, auf einem unbe - ſtimmten idealen Schauplatze geſpielt; jetzt mußte der Dichter auch ſeinen kurzen Erzählungen einen beſtimmten landſchaftlichen Hintergrund, ſeinen Figuren ein hiſtoriſches Coſtüm geben. Man wollte die Wellen des Rheins und des Neckars hinter den Sagenbildern des Dichters rauſchen hören, die biderben Sitten der deutſchen Altvordern in ſeinen Helden wiederfinden.

Jener Theil der vaterländiſchen Geſchichte, der allein noch in der Er - innerung des Volkes lebte, die letzten hundertundfünfzig Jahre waren den Patrioten widerwärtig als die Zeit der deutſchen Zerriſſenheit, den Poeten abſchreckend durch die Proſa ihrer Lebensformen. Nur im Mittelalter310I. 3. Preußens Erhebung.ſollte die ungebrochene Kraft des deutſchen Volksthums ſich zeigen, und man verſtand darunter mit Vorliebe den Zeitraum vom vierzehnten bis zum ſechzehnten Jahrhundert. Die fröhlichen Zunftbräuche der alten Hand - werker, das geheimnißvolle Treiben der Bauhütten, die Wanderluſt der fahrenden Schüler, die Abenteuer ritterlicher Wegelagerer das war das echte deutſche Leben, und ſein Schauplatz lag in den maleriſchen Gefilden des Südweſtens, in dem eigentlichen alten Reiche. Bei Alledem war von einer landſchaftlichen Sonderbildung nicht die Rede. Die Norddeutſchen ſammt einigen proteſtantiſchen Schwaben und Franken gaben noch immer den Ton an für das ganze Deutſchland; auch die geborenen Rheinländer unter den Romantikern, Görres, Brentano, die Boiſſerees die erſten Katholiken, die in der Geſchichte unſerer neuen Literatur wieder mit - zählten verdankten ihres Lebens beſten Inhalt jener geſammtdeutſchen Bildung, die aus dem Proteſtantismus erwachſen war. Wer noch deutſch empfand und dachte wurde von der hiſtoriſchen Sehnſucht der Zeit er - griffen; ſelbſt die unäſthetiſche Natur des Freiherrn vom Stein blieb da - von nicht unberührt. An den Bildern der heimiſchen Vorzeit erbaute ſich das nationale Selbſtgefühl und Vorurtheil. Nur unter den Germanen das ſtand dem jungen Geſchlechte feſt gedieh die Urſprünglichkeit perſönlicher Eigenart; in Frankreich hatte die Natur, wie A. W. Schlegel ſpottete, freigebig von einem einzigen Originalmenſchen dreißig Millionen Exemplare aufgelegt. Nur aus deutſcher Erde ſprang der Quell der Wahrheit; unter den Wälſchen herrſchte der Lügengeiſt ſo hieß jetzt kurzerhand Alles was der romantiſchen Jugend unfrei, langweilig, un - natürlich erſchien: die akademiſch geregelte Kunſt, die mechaniſche Ordnung des Polizeiſtaates, die Nüchternheit der harten Verſtandesbildung.

Unter den Schriften jenes Heidelberger Kreiſes wurde keine ſo folgen - reich wie des Knaben Wunderhorn, die Sammlung alter deutſcher Lieder von Arnim und Brentano. Der friſche Junge auf dem Titelbilde, wie er ſo dahinſprengte auf freiem ungeſatteltem Roſſe, das Liederhorn in der erhobenen Hand ſchwingend, ſchien gleich einem Herold zum fröhlichen Kampfe gegen den Lügengeiſt zu rufen. Nicht ohne Beſorgniß ſendeten die Freunde dieſe übelangeſchriebenen Lieder in die bildungsſtolze Welt hinaus und baten Goethe ſie mit dem Mantel ſeines großen Namens zu decken. Ihnen lag daran, daß Deutſchland nicht ſo verwirthſchaftet werde wie die abgeholzten Berge am Rhein; ſie hofften auf eine neue Zeit voll Sang und Spiel und herzhafter Lebensfreude, wo die Waffenübung wieder die allgemeine höchſte Luſt der Deutſchen wäre und Jedermann ſo froh und frei durch die Welt zöge wie heutzutage nur die herrlichen Studenten , die letzten Künſtler und Erfinder in dieſer proſaiſchen Zeit.

Die Sammlung erſchien zur rechten Stunde; denn eben jetzt begann Schillers Tell auf weite Kreiſe zu wirken und weckte überall die Empfäng - lichkeit für die einfältige Kraft der Altvordern. Man fand der freudigen311Deutſche Sprach - und Sagenforſchung.Verwunderung kein Ende, als die Glocken des Wunderhorns mit ſüßem Schall erzählten, wie überſchwänglich reich dies alte Deutſchland mit der Gottesgabe der Poeſie begnadet geweſen, welche Fülle von Liebe und Sehn - ſucht, Muth und Schelmerei tauſende namenloſer Studenten und Lands - knechte, Jäger und Bettelleute in ihren kunſtloſen Liedern niedergelegt hatten. Herders große Offenbarung, daß die Dichtung ein Gemeingut Aller ſei, fand nun erſt allgemeines Verſtändniß. Nachher gab v. d. Hagen in Berlin die Nibelungen heraus, und ſo ſchülerhaft die Bearbeitung war, die mächtigen Geſtalten des grimmen Hagen und der lancrächen Chriem - hild erregten in der Seele der Leſer doch die frohe Ahnung, daß unſer Volk ſechshundert Jahre vor Goethe ſchon einmal eine große Zeit der Dichtung geſehen habe. Noch überwog der Dilettantismus. Mittelalter - lich und deutſch galt faſt für gleichbedeutend; man warf die grundver - ſchiedenen Epochen der mittelalterlichen Cultur kritiklos durch einander, und die Begeiſterten ließen ſichs nicht träumen, daß die verhaßten Fran - zoſen in der Blüthezeit des Ritterthums eigentlich die Tonangeber, die Culturbringer geweſen waren. Der ſchwächlich phantaſtiſche Fouqué, dem doch nur zuweilen ein ſtimmungsvolles, den Geheimniſſen des Waldes und des Waſſers abgelauſchtes Märchenbild oder eine kräftige Schilde - rung altnordiſcher Reckengröße gelang, wurde für einige Jahre der Mode - dichter der vornehmen Welt. Die Berliner Damen ſchwärmten für ſeine ſinnigen, ſittigen, minniglichen Jungfrauen, für die ausbündige Tugend ſeiner Ritter, ſchmückten ihre Putztiſche mit eiſernen Crucifixen und ſilber - beſchlagenen Andachtsbüchern.

Die germaniſtiſche Sprachforſchung war bisher bei anderen Wiſſen - ſchaften zu Gaſte gegangen, nur nebenher von einzelnen Hiſtorikern, Juriſten und Theologen gefördert worden. Nunmehr verſuchte ſie endlich ſich auf eigne Füße zu ſtellen, Herders kühne Ahnungen und F. A. Wolfs An - ſichten über die Entſtehung der homeriſchen Gedichte für das deutſche Alter - thum zu verwerthen. Die Gebrüder Grimm gaben ihr zuerſt den Charakter einer ſelbſtändigen Wiſſenſchaft. Man achtete der beiden Anſpruchsloſen wenig, als ſie in der Einſiedlerzeitung der Heidelberger auftraten; doch bald ſollten ſie ſich als die Reinſten und Stärkſten unter den Genoſſen bewähren. Durch ſie vornehmlich iſt der echte, fruchtbare Kern der romantiſchen Weltanſchauung nachher einer gänzlich verwandelten Welt erhalten und in das geiſtige Vermögen der Nation aufgenommen worden. Sie nahmen den alten Glaubensſatz der Romantiker, daß dem Oceane der Poeſie Alles entſtröme, in vollem Ernſt, ſuchten auf jedem Gebiete des Volkslebens, in Sprache, Recht und Sitte nachzuweiſen, wie ſich Bil - dung und Abſtraction überall aus dem Sinnlichen, Natürlichen, Urſprüng - lichen heraus geſtaltet habe. Wie vornehm herablaſſend hatten die Schrift - ſteller des achtzehnten Jahrhunderts noch zum Volke geſprochen, wenn ſie ſich ja einmal um den geringen Mann kümmerten; jetzt ging die zünftige312I. 3. Preußens Erhebung.Wiſſenſchaft bei den kleinen Leuten in die Schule, hörte andächtig auf das Geplauder der Spinnſtuben und der Schützenhöfe. Eine alte Bauerfrau half den Brüdern Grimm bei der Sammlung der deutſchen Volksmärchen, und ſo entſtand ein Buch wie Luthers Bibel: ein edles Gemeingut der europäiſchen Völker erhielt durch congeniale Nachdichtung ſein bleibendes nationales Gepräge. Die altindiſchen Märchengeſtalten, der Däumling, Hans im Glücke, Dornröschen und Schneeweißchen, zeigten ſo grundehr - liche deutſche Geſichter, die einfältige Heiterkeit, die ihnen auf der weiten Wanderung durch Deutſchlands Kinderſtuben angeflogen war, ſprach ſo anheimelnd aus der ſchmucklos treuherzigen Erzählung, daß wir uns heute die Lieblinge unſerer Kindheit nur noch in dieſer Geſtalt denken können, wie wir auch die Bergpredigt nur mit Luthers Worten hören wollen.

Um die nämliche Zeit wurde ein anderer, noch ärger verwahrloſter Schatz der Vorzeit der Nation wieder geſchenkt. Was hatten doch unſere alten Dome Alles ausſtehen müſſen von der Selbſtverliebtheit des letzten Jahrhunderts; die Bilderpracht ihrer Wände war mit Gips und Mörtel überdeckt, an den gothiſchen Altären klebten Propfenzieherſäulen und Po - ſaunenengel. Nun führten der Kirchenhaß und der harte Nützlichkeits - ſinn der rheinbündiſch-franzöſiſchen Bureaukratie einen neuen Bilderſturm über Baiern, Schwaben und die Rheinlande herauf. Eine Menge ehr - würdiger Kirchen ward ausgeplündert und kam unter den Hammer; ein jammervoller Anblick, wenn beim Abbrechen der Mauern der Mörtel her - abfiel und die ſchönen alten Fresken auf wenige Augenblicke wieder im Tageslichte glänzten um alsbald für immer zu verſchwinden. Da faßten ſich die Brüder Boiſſeree das Herz, zu retten was noch zu retten war aus der großen Zerſtörung; ihre ſtille treue Thätigkeit war das erſte Lebenszeichen der wiedererwachenden deutſchen Geſinnung am linken Ufer. Unermüdlich ſuchten ſie unter dem Gerümpel auf den Böden der rheiniſchen Patricierhäuſer die vergeſſenen altdeutſchen Gemälde zuſammen. Ihre alte Mutter begleitete das fromme Werk mit ihrem Segen, die romantiſchen Freunde draußen im Reiche halfen treulich mit. Wie freuten ſich Görres und Savigny, wenn ſie ein ſchönes Altarſchnitzwerk für wenige Kreuzer irgendwo von einem Bauern oder Trödler erſtanden hatten und den Brüdern ſenden konnten. Alles war willkommen und fand Bewunderung was nur die echten Züge altdeutſchen Geiſtes trug: die idealiſtiſche Weichheit der Köl - niſchen Malerſchule ſo gut wie Dürers Tiefſinn und der kräftige Realis - mus der alten Niederländer. Dann fand Sulpiz Boiſſeree einige der alten Riſſe des Kölner Domes wieder auf und entwarf nun frohen Muthes die Zeichnungen für ſein großes Dom-Werk. Mitten in den argen Tagen, da Napoleon einmal ſeine gute Stadt Köln beſuchte und das ſchönſte Gottes - haus der Deutſchen nach wenigen Minuten eilig wieder verließ um ein Küraſſierregiment zu inſpiciren, träumte jener treue Sohn des Rheinlandes ſchon von dem Wiederauferſtehen der Kölner Bauhütte, die einſt durch313Die hiſtoriſche Rechtslehre.Jahrhunderte der lebendige Heerd der deutſchen Kunſt am Rheine geweſen.

Derſelbe feſte Glaube an die Unſterblichkeit des deutſchen Volkes be - ſeelte auch den Schöpfer unſerer Staats - und Rechtsgeſchichte, K. F. Eich - horn. Die alte Herrſchaft des gemeinen Rechts ſchien für immer ge - brochen, das Gebiet des Code Napoleon erſtreckte ſich bis zu den Ufern der Elbe, die Juriſten des Rheinbundes legten das deutſche Recht ſchon zu den Todten. Da zeigte Eichhorn, wie der rechtsbildende Gemeingeiſt der deutſchen Nation in allem Wandel der Staatsverfaſſungen doch immer lebendig geblieben, wie allein aus dieſer bleibenden Naturkraft das Wer - den und Wachſen des deutſchen Rechtes zu erklären ſei. Dieſe hiſtoriſche Anſicht von dem Weſen des Rechts, die ſchon durch Herder und die älteren Romantiker vorbereitet war, kam jetzt mit einem male zur Reife, ſie entſprang ſo nothwendig aus der Weltanſchauung des neuen Zeit - alters, daß ſie gleichzeitig von Männern der verſchiedenſten Anlage ver - treten wurde: ſo von Savigny, dem juriſtiſchen Lehrer der Brüder Grimm, der in Landshut durch ſeine Lehre von der rechtserzeugenden Kraft des Volksgeiſtes bereits den Argwohn der bonapartiſtiſchen bairiſchen Bureaukratie erregte ſo vor Allen von Niebuhr, deſſen Römiſche Ge - ſchichte als die größte wiſſenſchaftliche That der Epoche raſch allgemeine Bewunderung fand. Auch bei ihm erſchien der Geiſt des Römervolkes ein der pragmatiſchen Geſchichtſchreibung des achtzehnten Jahrhunderts ganz unbekannter Begriff als die treibende Kraft, die geſtaltende Noth - wendigkeit der römiſchen Geſchichte; und zugleich wies er der hiſtoriſchen Forſchung neue Bahnen durch eine ſcharfe Quellenkritik, die mit ſichern Streichen die geſammte alte Ueberlieferung der römiſchen Königsgeſchichte über den Haufen warf. Doch er ſagte auch: der Hiſtoriker bedarf Poſi - tives. Die todten Buchſtaben der Quellen gewannen Leben vor ſeinen Augen, und durch ein wahrhaft ſchöpferiſches Vermögen geſtaltete er über den Trümmern der zerſtörten Tradition ein Bild des wirklich Geſchehenen. Und welche maßvolle Freiheit des politiſchen Urtheils, ganz in Steins vornehmem Sinne; warmes Lob für die Mäßigung der Plebes, ſcharfer Tadel gegen den Uebermuth der Patricier und dazu der echt preußiſche Schluß: unter einer ſtarken Krone wäre eine ſolche Härte des Standes - dünkels niemals möglich geweſen. So zeigte ſich die Wiſſenſchaft faſt in allen Fächern noch lebendiger, noch productiver als die Mehrzahl der jungen Poeten. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß Alexander v. Humboldts Anſichten der Natur zum erſten male in Deutſchland die Ergebniſſe ſchwerer naturwiſſenſchaftlicher und geographiſcher For - ſchung in einfacher claſſiſcher Darſtellung der ganzen Nation zu frohem Genuſſe darboten.

Es war eine Zeit der Dämmerung. Friſcher Morgenwind verkündete das Nahen eines ſchönen Tages, doch die Formen und Maſſen der jugend - lichen Welt traten im unſicheren Zwielicht noch nicht ſcharf und klar aus314I. 3. Preußens Erhebung.einander. Grundverſchiedene Geſinnungen, die ſich bald leidenſchaftlich bekämpfen ſollten, gingen noch harmlos Hand in Hand. Der Reactionär Fouqué lebte mit dem Radikalen Fichte wie der Sohn mit dem Vater. Von den romantiſchen Poeten dachten einige gläubigfromm, während andere mit den mittelalterlichen Idealen nur ironiſch ſpielten. Auf dem hiſtoriſchen Gebiete erſchienen neben Niebuhrs und Eichhorns ſtreng metho - diſchen Forſchungen auch phantaſtiſche Werke, wie Creuzers Symbolik, der erſte Verſuch, die geheimnißvolle Nachtſeite der antiken Cultur, die Re - ligion und die Myſterien der Alten zu verſtehen ein Buch voll geiſt - reicher Ahnungen, aber auch voll ſpielender Willkür, dunkel wie die Träumerei der Naturphiloſophie. Die wiſſenſchaftliche Beſchaulichkeit der hiſtoriſchen Juriſtenſchule war nicht frei von Angſt und Thatenſcheu; ſie hatte im Grunde wenig gemein mit Arndts hoffnungsvollem, unerſchrockenen Freiſinn und berührte ſich vielfach mit den Anſichten von F. Gentz, der jetzt, erſchöpft durch Ausſchweifungen, innerlich erkältet und blaſirt, in dem verflachenden, gedankenloſen Wiener Leben mehr und mehr ein un - bedingter Lobredner der guten alten Zeit wurde. Der unerſchöpfliche Ge - ſtaltenreichthum der deutſchen Geſchichte erlaubte Jedem, wes Sinnes er auch war, ſich für irgend ein Stück der vaterländiſchen Vorzeit zu er - wärmen. Die Einen reizte der fremdartig phantaſtiſche Zauber, die Andern der friſche biderbe Volkston des mittelalterlichen Lebens. Während Fichte ſeine Hörer auf die Bürgerherrlichkeit der Hanſa und die Schmalkaldener Glaubenskämpfer hinwies, verdammte F. Schlegel den Erbfeind Fried - rich den Großen, und der prahleriſche Phantaſt Adam Müller feierte das heilige römiſche Reich als den Ausbau der Perſönlichkeit Chriſti.

Noch verworrener wogten die religiöſen Stimmungen durch ein - ander. Zwar die proteſtantiſchen Kernmenſchen, Schleiermacher, Fichte, die Gebrüder Grimm, ſchwankten niemals in ihrer evangeliſchen Ueber - zeugung. Savigny aber wurde durch den trefflichen katholiſchen Theo - logen Sailer den Anſchauungen der vorlutheriſchen Kirche näher geführt. Schenkendorf ſang verzückte Lieder auf die ſüße Königin Maria und auf den feſten, treuen Max von Baiern , den fanatiſchen Helden der katho - liſchen Liga; der Uebertritt F. Schlegels und F. Stolbergs zur römiſchen Kirche warf ein grelles Licht auf die ſittliche Schwäche der noch immer überwiegend äſthetiſchen Weltanſchauung des Zeitalters. Ein finſterer Judenhaß verdrängte die weitherzige Duldſamkeit der fridericianiſchen Tage. Mancher unter den mittelalterlichen Schwarmgeiſtern meinte in jedem Judengeſicht die Marterwerkzeuge Chriſti deutlich eingegraben zu ſehen. Politiſcher Haß ſpielte mit hinein, da Napoleon geſchickt und nicht ohne Erfolg das europäiſche Judenthum für die Sache ſeines Weltreichs zu gewinnen ſuchte. Alle dieſe Beſtrebungen ſtanden für jetzt in leid - lichem Einklang, und der alte Voß fand noch geringen Beifall, als er mit geſundem Menſchenverſtande und ungeſchlachter Grobheit im Namen315Heinrich von Kleiſt.der proteſtantiſchen Gedankenfreiheit die Traumwelt der Romantik be - kämpfte. Niemand befand ſich wohler in dem chaotiſchen Treiben als der lärmende Görres, der ehrliche Jakobiner in der Mönchskutte, der es verſtand zugleich ein Radikaler und ein Bewunderer des Mittelalters, ein Deutſchthümler und ein Verehrer des römiſchen Papſtes zu ſein, immer geiſtreich, anregend und angeregt, ſprudelnd von äſthetiſchen, hiſto - riſchen, naturphiloſophiſchen Einfällen, aber auch immer befangen in einem rhetoriſch-poetiſchen Rauſche. In einem Entſchluſſe waren Alle einig: ſie wollten ihres deutſchen Weſens wieder ſo recht von Herzen froh werden, dieſe heimiſche Eigenart behaupten und in voller Freiheit weiterbilden ohne jede Rückſicht auf fremdländiſche Weltbeglückung und Weltbeherrſchung.

Die politiſche Leidenſchaft der Zeit fand ihren mächtigſten künſtle - riſchen Ausdruck in den Werken Heinrich von Kleiſts, jenes tief unſeligen Dichters, der alle die Poeten der jungen Generation überragte. Durch die urſprüngliche Kraft dramatiſcher Leidenſchaft und leibhaftig wahrer Charakteriſtik übertraf er ſelbſt Schiller; doch der Ideenreichthum und die hohe Bildung, der weite Blick und die ſtolze Selbſtgewißheit unſeres erſten Dramatikers blieben dem Unglücklichen verſagt; ein friedloſer Sinn ſtörte ihm das Ebenmaß der Seele. Kaum beachtet von den Zeitgenoſſen, durch ein räthſelhaft grauſames Schickſal um alle Freuden eines reichen Schaffens betrogen, erſcheint er uns Rückſchauenden heute als der eigent - lich zeitgemäße Dichter jener bedrückten Tage, als der Herold jenes dämo - niſchen Haſſes, den fremde Unbill in die Adern unſeres gutherzigen Volkes goß. Die Pentheſilea war die wildeſte, das Käthchen von Heilbronn die zarteſte und holdeſte unter den dämmernden Traumgeſtalten der deutſchen Romantik, die Hermansſchlacht aber ein hohes Lied der Rache, eine mäch - tige Hymne auf die Wolluſt der Vergeltung jeder Zug ebenſo ſinnlich wahr, anſchaulich, lebensvoll wie einſt Klopſtocks Bardengeſänge unbe - ſtimmt und verſchwommen geweſen, jedes Gefühl unmittelbar aus dem Herzen der rachedürſtenden Gegenwart heraus empfunden. Kleiſt hatte ſich nicht, wie die patriotiſchen Gelehrten, die Idee des Vaterlandes erſt durch Nachdenken erwerben müſſen; er empfand den naiven, naturwüchſigen Haß des preußiſchen Offiziers, er ſah die alten glorreichen Fahnen, die ſein und ſeines Hauſes Stolz geweſen, zerriſſen im Staube liegen und wollte den züchtigen, der ihm das gethan. Ueberall wohin der Unſtete ſeinen Wanderſtab ſetzte verfolgte ihn wie der Ruf der Erinnyen die wilde Frage: ſtehſt du auf, Germania? iſt der Tag der Rache da? Stür - miſch, furchtbar wie noch nie aus eines Deutſchen Munde erklang von ſeinen Lippen die Poeſie des Haſſes:

Rettung von dem Joch der Knechte,
Das, aus Eiſenerz geprägt,
Eines Höllenſohnes Rechte
Ueber unſern Nacken legt!
316I. 3. Preußens Erhebung.

Es war dieſelbe unbändige Naturkraft der nationalen Leidenſchaft, wie einſt in den wilden Klängen des Marſeillermarſches, nur ungleich poetiſcher, wahrer, tiefer empfunden. Nachher ſchuf der unglückliche Dichter in dem Prinzen von Homburg das einzige künſtleriſch vollendete unſerer hiſto - riſchen Dramen, das ſeinen Stoff aus der neuen, noch wahrhaft leben - digen deutſchen Geſchichte herausgriff, die ſchönſte poetiſche Verklärung des preußiſchen Waffenruhms. Als auch dies Werk an den Zeitgenoſſen ſpurlos vorüberging und die Lage des Vaterlandes ſich immer trauriger geſtaltete, da ſtarb der Ungeduldige durch eigene Hand ein Opfer ſeiner angeborenen krankhaften Verſtimmung, aber auch ein Opfer ſeiner finſteren hoffnungsloſen Zeit. Es bezeichnet den großen Umſchwung des nationalen Lebens, daß jetzt ein Mann aus den alten brandenbur - giſchen Soldatengeſchlechtern mit der ganzen Farbenpracht der neuen Dichtung dies preußiſche Soldatenthum verherrlichte, das ſo lange, ver - ſtändnißlos und unverſtanden, der modernen deutſchen Bildung fern ge - blieben war. Wie lebhaft betheiligte ſich doch nunmehr das ſtarre trotzige Junkerthum der Marken an dem geiſtigen Schaffen der Nation: eine lange Reihe ſeiner Söhne, Kleiſt, Arnim und Fouqué, die Humboldts und L. v. Buch ſtanden mit obenan unter Deutſchlands Dichtern und Gelehrten. Das banauſiſche Weſen des alten Preußenthums war endlich völlig überwunden.

Und ſeltſam, Niemand hat dieſe große Wandlung im deutſchen Volks - gemüthe, das Erſtarken des freudigen nationalen Selbſtgefühls mächtiger gefördert als Goethe. Er that es faſt wider ſeinen Willen, durch ein Werk, das urſprünglich einem ganz anderen Zeitalter angehörte. Es blieb ſein Schickſalsberuf immer das rechte Wort zu finden für die eigenſten und geheimſten Empfindungen der Deutſchen. Im Jahre 1808 erſchien der Fauſt, der erſte Theil ganz und einige Scenen des zweiten. Goethe war jetzt an ſechzig Jahr alt, ſeit nahezu vier Jahrzehnten eine anerkannte Macht im deutſchen Leben; eine Wallfahrt nach Weimar zu dem würde - vollen, feierlich ernſthaften Altmeiſter gehörte längſt zu den Anſtandspflichten der jungen Schriftſteller. Aber Niemand erwartete von dem alten Herrn noch eine ſchöpferiſche That, eine Theilnahme an den Kämpfen des neuen Deutſchlands; wußte man doch, wie kühl und vornehm er die Heißſporne der Romantik von ſich abwies. Wohl nahm er die Widmung des Wunder - horns freundlich auf und gab der Sammlung den Segenswunſch mit auf den Weg, ſie möge in jedem deutſchen Hauſe ihren Platz unter dem Spiegel finden. Er ſelber hatte einſt in ſeinen glücklichen Straßburger Zeiten, von Wenigen verſtanden, das Lob der gothiſchen Baukunſt ver - kündigt. Wenn er jetzt nach langen Jahren ſeine Saat aufgehen und alle Welt für die alte deutſche Kunſt begeiſtert ſah, ſo meinte er befriedigt, die Menſchheit zuſammen ſei erſt der wahre Menſch, und hatte ſeine Freude an Sulpiz Boiſſerees liebenswürdigem Eifer. Doch das aufge -317Fauſt.regt phantaſtiſche Weſen und das trotzige nationale Pathos des jungen Geſchlechts blieben ihm zuwider.

Seine Bildung wurzelte in dem weltbürgerlichen alten Jahrhundert. Niemals wollte er vergeſſen, was er und alle ſeine Jugendgenoſſen den Franzoſen verdankten. Kleiſts dämoniſche Unruhe erregte dem Beſchau - lichen Grauen; in den Briefen an ſeinen Altersgenoſſen Reinhard ur - theilte er ſehr ſcharf über Arnims und Brentanos fratzenhaftes Treiben und vertheidigte den alten ehrlichen Rationalismus gegen die zweizün - gelnde neue Naturphiloſophie; ja er hatte Stunden, wo er das Ro - mantiſche kurzab das Krankhafte nannte, im Unterſchiede von dem Ge - ſunden, dem Claſſiſchen. Am Wenigſten verzieh er den jungen Leuten, daß ihre literariſche Bewegung zugleich politiſche Zwecke verfolgte; jedes unmittelbare Hinüberwirken der Kunſt auf die Proſa des Staatslebens war ihm eine Entweihung. Die große Zerſtörung, die über Deutſchland hereingebrochen, nahm er hin als ein unentrinnbares Verhängniß; die natürliche Wahlverwandtſchaft des Genius hieß ihn feſt an Napoleons Glücksſtern glauben. Was wußte er auch von Preußen und dem tödtlich beleidigten preußiſchen Stolze? Wie konnte der Sohn der guten alten Zeit, der in Frankfurt, Straßburg, Leipzig, Weimar unter einem harmlos friedſamen Völkchen gelebt, einen deutſchen Volkskrieg für möglich halten? Schon die Mitlebenden empfanden es ſchmerzlich, und in alle Zukunft wird es den Deutſchen eine traurige Erinnerung bleiben, daß unſer größter Dichter in dem Feinde ſeines Vaterlandes nichts ſehen wollte als den großen Mann, daß er zu alt war um die wunderbare, heilvolle Wandlung, die über ſein Volk gekommen, ganz zu verſtehen. Wie fühlte er ſich ſo einſam ſeit Schillers Tode. Wehmüthig der lieben Schatten froher Tage gedenkend ließ er das Lieblingswerk ſeines Lebens in die un - bekannte Menge hinausgehen. Als anderthalb Jahrzehnte früher einige Bruchſtücke daraus erſchienen waren, hatte Niemand viel Aufhebens da - von gemacht.

Und doch ſchlug das Gedicht jetzt ein, zündend, unwiderſtehlich wie einſt der Werther als wären dieſe Zeilen, über denen der Dichter alt geworden, erſt heute und für den heutigen Tag erſonnen. Die bange Frage, ob es denn wirklich aus ſei mit dem alten Deutſchland, lag auf Aller Lippen; und nun, mitten im Niedergange der Nation, plötzlich dies Werk ohne jeden Vergleich die Krone der geſammten modernen Dich - tung Europas und die beglückende Gewißheit, daß nur ein Deutſcher ſo ſchreiben konnte, daß dieſer Dichter unſer war und ſeine Geſtalten von unſerem Fleiſch und Blut! Es war wie ein Wink des Schickſals, daß die Geſittung der Welt unſer doch nicht entbehren könne, und Gott noch Großes vorhabe mit dieſem Volke. Schon Schiller hatte dem Drama höhere Aufgaben geſtellt als Shakeſpeare, obwohl er die grandioſe Ge - ſtaltungskraft des Briten nicht erreichte; die Tragödie der Leidenſchaften318I. 3. Preußens Erhebung.genügte ihm nicht, er wollte verſinnlichen, daß die Weltgeſchichte das Weltgericht iſt. Hier aber war noch mehr; hier wurde, zum erſten male ſeit Dante, der Verſuch gewagt die ganze geiſtige Habe des Zeitalters poetiſch zu geſtalten. Die Conception war dem Dichter, er ſelbſt geſtand es, von vornherein klar; doch wie er nun die geliebten Geſtalten viele Jahre hindurch mit ſich im Herzen trug, in allen guten Stunden immer wieder zu ihnen heimkehrte, da wuchſen ſie mit ihm und er mit ihnen. Das alte Puppenſpiel mit ſeiner Derbheit und ſeinem Tiefſinn, ſeinen ſaftigen Späßen und ſeinen unheimlichen Schrecken erweiterte ſich zu einem großen Weltgemälde, das freilich die Formen der dramatiſchen Kunſt zerſprengte, zu einem Bilde des prometheiſchen Dranges der Menſch - heit. Der Dichter legte den ganzen philoſophiſchen Inhalt ſeines Zeit - alters darin nieder. Der moderne Poet konnte nicht wie jener Sohn des dreizehnten Jahrhunderts von der Höhe einer zweifellos fertigen Welt - anſchauung herunter ſeinen Richterſpruch fällen über die Welt. Er hatte deſſen kein Hehl, daß er ein Strebender ſei, daß er mit dieſem Gedichte eigentlich nie zu Ende kommen könne, und eben darum wirkte ſeine Dichtung ſo gewaltig auf die gährende Zeit, weil ſie Jeden unwillkür - lich zum Weiterdichten und Weiterſinnen einlud. Der Grundgedanke der Goethiſchen Weltanſchauung ſtand gleichwohl feſt: die Menſchheit blieb ihm die Mitte der Schöpfung, und nur um ihretwillen beſtand die Welt. Die Erlöſung des Menſchen durch die That, durch die liebende Hingabe des Ich an das Ganze, der Triumph des Göttlichen über den Geiſt der Verneinung, der ſtets das Böſe will und ſtets das Gute ſchafft das war der freudige Glaube dieſes größten aller Optimiſten, das war das Thema der Dichtung ſeines Lebens.

Wenn je ein Gedicht erlebt war, ſo war es dieſes. Alles kehrte hier wieder was je die proteiſche Natur des Dichters ergriffen und be - wegt: die lockere Munterkeit der Leipziger, das Liebesglück der Straß - burger Tage, Merck und Herder, Spinoza und Winkelmann, die Erd - freundſchaft des Gelehrten und die Erfahrungen des Staatsmannes, die Schönheitstrunkenheit der römiſchen Elegien und die reife Lebens - weisheit des Greiſenalters. Die Deutſchen aber feſſelte der Fauſt noch durch einen anheimelnden Zauber, den bis zum heutigen Tage kein Ausländer ganz verſtanden hat. Das Gedicht erſchien wie ein ſym - boliſches Bild der vaterländiſchen Geſchichte. Wer ſich darein vertiefte überſah den ganzen weiten Weg, den die Germanen durchmeſſen hatten ſeit den dunklen Tagen, da ſie noch mit den Göttern des Waldes und des Feldes in traulicher Gemeinſchaft lebten, bis zu dem lebensfrohen Volksgetümmel, das aus unſeren alten Städten, aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht in’s Freie drängte. Hier war des deutſchen Lebens Ueberſchwang: der wilde Teufels - ſpuk unſeres Volksaberglaubens und die zarte Innigkeit deutſcher Frauen -319Cornelius.liebe, der Humor der Studenten, die Schlagluſt der Soldaten und die Sonnenflüge des deutſchen Gedankens faſt Alles was unſer Leben aus - macht. In keinem ſeiner größeren Werke ſeit dem Götz hatte Goethe ſo volksthümlich geſchrieben. Die einfachen Reimpaare der alten Faſtnachts - ſchwänke gaben mit wunderbarer Kraft und Klarheit jeden Farbenwechſel der Stimmung wieder; dem ſchlichten Leſer ſchien Alles verſtändlich, dem geiſtvollen unergründlich.

Die jungen Poeten prieſen den Fauſt als die Vollendung der roman - tiſchen Kunſt; ſie fühlten ſich beſtärkt und ermuthigt in ihrem eigenen Thun, da nun auch der Fürſt der claſſiſchen Dichtung in die Nebel - welt der Romantik ſich verlor und die Hexen um den Blocksberg tanzen ließ. Der alte Herr zeigte freilich bald, wie hoch er über den literariſchen Parteien des Tages ſtand. Kurz nach dem Fauſt gab er die Wahlver - wandtſchaften heraus. Man bewunderte den pſychologiſchen Tiefſinn und den hohen Kunſtverſtand des Meiſters denn eine ſo vollendete, ſo feſt geſchloſſene Compoſition war ihm noch nie gelungen doch man fühlte auch mit Befremden, daß dieſe Dichtung mit den Empfindungen der Zeit gar nichts gemein hatte; ſie ſchien geſchrieben für ein Geſchlecht das nicht mehr war. Was verſchlug es? der Jugend blieb Goethe der ver - götterte Dichter des Fauſt, und da auch Schillers Werke erſt jetzt die volle Würdigung fanden, ſo wurde die gemeinſame Verehrung für die Heroen von Weimar ein Band der Einheit für alle Gebildeten. Auch dieſer Cultus kam dem Selbſtgefühle der unglücklichen Nation zu gute.

Selbſt in den bildenden Künſten erwachte endlich wieder fröhliche Werdeluſt; die Anfänge unſerer neuen Malerei verknüpften ſich unmittel - bar mit der Wiederentdeckung des deutſchen Alterthums. Wie einſam war noch Asmus Carſtens geblieben mit ſeinem genialen Drange nach der Einfalt der Natur und der Großheit der Antike der Prophet einer ſchöneren Zeit, die er nicht mehr ſehen ſollte. Jetzt aber fand ſich in dem Kloſter von San Iſidoro zu Rom eine ganze Schaar deutſcher Maler zuſammen, ein begeiſtertes, ſtreitbares junges Geſchlecht, das für Dürer, Memling, van Eyck ſchwärmte und ſich berufen hielt, zu Ehren Gottes und des deutſchen Vaterlandes die akademiſche Kunſt der Franzoſen durch die Treue und den Tiefſinn des alten chriſtlich-germaniſchen Weſens zu beſiegen. Die Katholiken waren unter den jungen Malern von Haus aus ſtärker vertreten als unter den Dichtern und Gelehrten; ein Katholik war auch der Größte unter ihnen, Peter Cornelius, nur daß auch er an dem Borne der norddeutſchen Bildung getrunken hatte und ſein Bekenntniß in einem weiten und großen Sinne auffaßte. Ein heiliger Ehrgeiz ſchwellte ihm die Seele und er betete: ſo ſchufſt Du dies Herz nach himmliſchen Thaten ſich ſehnend, in der Demuth groß und in unendlicher Liebe zu Dir. Glühend und ſtrenge, nach Düreriſcher Art, ſollte die deutſche Malerei ſich zeigen, denn nur durch die Deutſchen könne die Kunſt eine320I. 3. Preußens Erhebung.neue Richtung erhalten, von dieſer Nation aus wolle Gott ein neues Reich ſeiner Kraft und Herrlichkeit über die Welt verbreiten. Das Reiſe - geld zur Romfahrt, das ihm der Fürſtprimas Dalberg anbot, wies der junge Künſtler kurzerhand zurück, weil man ihm zumuthete franzö - ſiſchen Muſtern zu folgen. Aus der vaterländiſchen Sagenwelt, aus Fauſt und den Nibelungen entnahm er die Stoffe zu ſeinen erſten größeren Werken eine echt deutſche Natur, ernſt, tief und groß, unerſchöpflich reich an Ideen, aber hart und ungelenk in der Form, faſt mehr ein Dichter als ein Maler. Auch für ihn galt der Name poeta tacente, womit man einſt treffend die Eigenart Dürers bezeichnet hatte.

Als Cornelius endlich nach Rom kam, wuchs er bald hinaus über das einſeitige Nazarenerthum Overbecks und der Kloſterbrüder von San Iſidoro, die nur in der nordiſchen und der älteren italieniſchen Kunſt das wahre Chriſtenthum wiederfinden wollten. In ſeinem Geiſte fanden neben Siegfried und Fauſt auch die Geſtalten der Ilias und der Aeneide Raum; auch die heidniſche Schönheit der Werke des Cinquecento genoß er mit tiefem Verſtändniß. So hat er, unerbittlich an ſich ſelber arbeitend und mit jedem neuen Blatte des Nibelungencyclus wachſend und erſtarkend, den Grund gelegt für den monumentalen Stil der deutſchen Malerei. Und wie vormals die claſſiſche Dichtung, ſo entſprang auch dieſe Er - neuerung unſerer bildenden Kunſt in köſtlicher Freiheit, ohne jedes Zu - thun der Höfe, gradeswegs aus den Tiefen des Volksgeiſtes. Erſt als die neue Richtung ſich ihres Weſens und ihrer Ziele ſchon klar bewußt war, ſollte ſie den Mäcenas finden, der ihr die Mittel bot zu großem Schaffen.

Einige Monate lang that Stein ſeinem heißen Zorne Gewalt an. Er gewann es über ſich, nachgiebig, faſt unterwürfig mit den Franzoſen zu unterhandeln, da die verſprochene Räumung des Landes um jeden Preis erlangt werden mußte. Napoleon dagegen wollte den Aufenthalt ſeiner Truppen ins Unabſehbare verlängern, die zu Tilſit nur halb gelungene Vernichtung des preußiſchen Staates jetzt im Frieden vollenden. Schon im November 1807 erklärte er ſich bereit die Donauprovinzen an Ruß - land zu überlaſſen, wenn er dafür Schleſien erhielte und dem Könige von Preußen nur noch ein Gebiet von zwei Millionen Köpfen übrig bliebe. Auf alle Bitten der Preußen hieß es kurzab: die gegenwärtige Lage ge - fällt dem Kaiſer, nichts drängt ihn ſie zu ändern und wieder: der König hat Geld genug, er braucht keine Armee, da er ja mit Niemand Krieg führt! Daru aber meinte trocken: dieſe Kriegskoſtenrechnung ſei eine Frage der Politik, nicht der Arithmetik; im Uebrigen bleibe der Wille des Kaiſers unabänderlich wie das Fatum, auch glaube man gar nicht was ein Land Alles aushalten könne. Vergeblich ging Prinz Wilhelm nach321Die preußiſche Contribution.Paris, vergeblich erbot er ſich, ſammt ſeiner edlen Gemahlin als Geiſel in franzöſiſcher Haft zu bleiben bis zur Abtragung der Kriegsſchuld. Der Imperator ſagte dem Prinzen drohend: ich weiß, daß alle Preußen mich haſſen, und ließ ſeine Intendanten hauſen wie in Feindesland. Während der zwei Jahre der Occupation wurden dem verarmten Lande an Con - tributionen, Verpflegungen und Lieferungen eine Milliarde und 129 Mil - lionen Franken abgepreßt, etwa der ſechzehnfache Jahresbetrag der ge - ſammten Roh-Einnahme des Staats*)Nach der Berechnung von M. Duncker, Aus der Zeit Friedrichs d. Gr. und Fr. Wilhelms III. S. 505 f.; die Provinz Preußen allein zahlte 113 Mill. Thaler. Nie und nirgends ward ein geſittetes Volk grauſamer mißhandelt.

Als die Sieger nach Monaten ſich endlich herbeiließen den Betrag ihrer Forderungen anzugeben, berechneten ſie einen Reſt von 154½ Mill. Fr., während die preußiſchen Behörden nachwieſen, daß nach Napoleons ausdrücklichem Verſprechen die Lieferungen von der Contribution abzu - rechnen ſeien und demnach nur noch eine Schuld von 19 Mill. Fr. verbleibe. Was wollte es dieſer ungeheuren Zumuthung gegenüber bedeuten, daß die Landſtände der Provinzen ſich für einen Theil der Kriegsſchuld ver - bürgten? Die Forderung blieb unerſchwinglich. Dazu die unabläſſigen Rüſtungen in Magdeburg, die franzöſiſchen Armeecorps in Schwediſch - Pommern, in Warſchau, überall in den Landen dieſſeits der Weichſel; und die wiederholte Verſicherung, der Imperator werde es als ein Zeichen des Vertrauens betrachten, wenn der König bald aus dem ſicheren Königs - berg nach Berlin überſiedle! Und endlich noch eine neue unerhörte Gau - nerei: Napoleon confiscirte, abermals den Tilſiter Verträgen zuwider, die von den preußiſchen Credit - und Wohlthätigkeitsanſtalten im Großherzog - thum Warſchau ausgeliehenen Capitalien, desgleichen die Schuldforderungen der preußiſchen Privatleute, und verkaufte dann ſeinen Raub, da geſtoh - lenes Gut immer niedrig im Preiſe ſteht, etwas unter dem Nennwerthe an den König von Sachſen, der für die Gnade dieſes Bayonner Vertrages ſeinen unterthänigen Dank ausſprach. Das preußiſche Volksvermögen war wieder um 30 Mill. Thlr. verringert, die Bank allein verlor an 10 Mill.

Unterdeſſen währte der Krieg zwiſchen dem Wolf und dem Fiſch mit ſteigender Erbitterung fort. Der völkerrechtswidrige Einbruch der Briten in Dänemark wurde von Napoleon gewandt benutzt um den öffentlichen Unwillen aufzuregen gegen dieſe Macht, die Alles was den Menſchen heilig unter die Füße trete. In der That fand das Märchen, daß das neue Weltreich nur die Freiheit der Meere bezwecke, noch immer manche gläubige Hörer. Die Cabinette des Oſtens zählten nicht zu ihnen. Keine der drei Oſtmächte hat ſeit dem Tilſiter Frieden je wieder ein rückhaltloſes Ver - trauen zu dem Weltherrſcher gefaßt, wie unſtet auch ihre Politik zuweilenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 21322I. 3. Preußens Erhebung.ſchwankte; die Erkenntniß, daß man dereinſt noch ſelbdritt gegen Frank - reich werde kämpfen müſſen, machte in der Stille ihren Weg. Die Hof - burg vernahm mit Beſtürzung von den weitausſehenden orientaliſchen Plänen, womit der Imperator ſeinen Tilſiter Freund unterhielt. Stadion wies den Gedanken nicht gradezu von ſich, ob man nicht äußerſten Falls an der Zerſtörung des osmaniſchen Reichs theilnehmen und den Weſten der Balkanhalbinſel, bis Saloniki, für Oeſterreich retten könne. Weit näher lag ihm indeß die Erwägung, daß der Weg von Napoleons adria - tiſchen Provinzen nach der Türkei durch das öſterreichiſche Iſtrien führte, und mithin ein neuer Ueberfall zu befürchten ſtand. Der Staat erholte ſich nachgerade von ſeinen Niederlagen; man rüſtete mit ungewohntem Eifer, ſchritt im Frühjahr 1808 ſogar zur Bildung einer Landmiliz, und Stadion meinte hoffnungsvoll: wir ſind wieder eine Nation.

Auch die ruſſiſch-franzöſiſche Allianz ſtand auf ſchwachen Füßen. So lebhaft die ruſſiſchen Generale vor Kurzem erſt den preußiſchen Krieg verwünſcht hatten, ebenſo unwillig empfingen der Hof und das Volk die Nachricht von dem unehrenhaften Friedensſchluſſe. Der nationale Inſtinkt fühlte raſch heraus, was die Errichtung des Herzogthums Warſchau für Rußlands Zukunft bedeutete. Der Haß gegen Frankreich nahm überhand und ergriff ſelbſt das Heer; man murrte, der Czar laſſe ſich von dem Corſen mißbrauchen. Alexanders erregbare Natur blieb nicht unempfind - lich für dieſe Volksſtimmungen. Als er in Tilſit ſeinen Bundesgenoſſen preisgab, war er keineswegs gemeint geweſen ſich von der gerechten Sache für immer zurückzuziehen; vielmehr verſicherte er noch jetzt im vertrauten Kreiſe: müſſe es ſein, ſo denke er den Krieg ſelbſt in den Wüſten Sibiriens wieder aufzunehmen. Doch zunächſt wollte er die Früchte des Tilſiter Bündniſſes ernten, ſein Reich durch Finnland und die Donauprovinzen verſtärken. Ein Meiſter in der Kunſt ſich ſelber zu belügen fand er der Vorwände genug, die ihm den kläglichen Entſchluß mundgerecht machten; zudem befürchtete er, ein vorzeitiger Krieg gegen Frankreich könne die vollſtändige Wiederherſtellung von Polen herbeiführen. So blieb er denn vorläufig im Fahrwaſſer der franzöſiſchen Allianz und begann den Krieg gegen Schweden.

Napoleon ließ ihn gern gewähren, und benutzte den Einmarſch der Ruſſen in Finnland um ſeinerſeits in Portugal einzurücken und dieſen wichtigen Brückenkopf Englands in ſeine Gewalt zu bringen. Seine Briefe an Alexander floſſen über von Schmeicheleien und unbeſtimmten Ver - heißungen: die Welt ſei groß genug für ſie Beide, nichts liege ihm mehr am Herzen als Rußlands Ruhm, Wohlfahrt und Vergrößerung; wenn die beiden Freunde vereinigt zum Bosporus vordrängen, ſo werde dieſer Schlag bis nach Indien widerhallen und England zur Unterwerfung zwingen. Sobald aber der Czar ſeine Hoffnungen auf den Beſitz der Donauprovinzen ſchärfer ausſprach, erhob Napoleon Bedenken und for -323Die Erhebung Spaniens.derte als Gegenleiſtung eine nochmalige Verſtümmelung des preußiſchen Staates. Alexander konnte ſich nicht verbergen, daß dieſe unheimlichen Pläne für Rußland ebenſo bedenklich waren wie für Deutſchland. Später erhielt man in Petersburg auch Nachrichten über die Umtriebe der fran - zöſiſchen Agenten im Oriente; in Teheran wie in Conſtantinopel ſuchte Frankreich die Pläne ſeines nordiſchen Verbündeten insgeheim zu durch - kreuzen. Der Tilſiter Bund war durch dieſelbe Kraft, die ihn begründet, durch die frivole Ländergier bereits in ſeinen Fugen erſchüttert.

Da wurde der Imperator durch eine ſelbſtverſchuldete Bedrängniß genöthigt, das wankende Bündniß nochmals zu befeſtigen. Die Welt hatte ſich längſt darein gefunden, in jedem neuen Monat von neuen Gewalt - ſtreichen zu vernehmen. So erfuhr ſie jetzt Schlag auf Schlag, daß Oſt - friesland mit Holland vereinigt worden, daß Toscana dem franzöſiſchen Kaiſerreiche, die adriatiſchen Provinzen des Kirchenſtaates dem Königreich Italien einverleibt ſeien, daß Napoleons Truppen in Rom eingerückt, daß ſie in Portugal eingebrochen waren und das Haus Braganza aufgehört hatte zu regieren. Aber faſt unglaublich klangen ſelbſt dieſer des Grauens gewohnten Zeit die entſetzlichen Nachrichten, die im Mai 1808 aus dem Schloſſe Marrac bei Bayonne kamen: wie Napoleon die ſpaniſchen Bour - bonen zu ſich gelockt, wie er dann den Vater und den Sohn gleich wüthen - den Beſtien auf einander gehetzt, Beide zur Abdankung gezwungen und ſeinen Bruder Joſeph auf den ſpaniſchen Thron erhoben hatte. Er ſchwelgte in Banditenſtreichen; eben dort brachte er jenes ſchmutzige Han - delsgeſchäft mit der Krone Sachſen-Warſchau zu Stande. In ſechs Wochen dachte er der ſpaniſchen Wirren ledig zu ſein und das alte Wort: es giebt keine Pyrenäen mehr! zur Wahrheit zu machen. Aber die Strafe folgte dem Frevel auf dem Fuße. Ganz Spanien erhob ſich wie ein Mann für ſeine Unabhängigkeit, für die Rechte ſeines Königshauſes und ſeiner alten Kirche. Die Halbinſel ſtarrte von Waffen. Die hochherzige Nation hatte die beiden jüngſten Jahrhunderte in einem wachen Traum - leben verbracht, kaum berührt von den Ideen des neuen Europas; ſie ſtürmte in den ungleichen Kampf mit maßloſem Selbſtgefühl, ohne jede Ahnung von der Stärke des Feindes, ſie wähnte noch immer das mäch - tigſte und das höchſtgebildete Volk der Welt zu ſein: wer durfte dem Reiche, in dem die Sonne nicht unterging, etwas anhaben? Niemand im Lande glaubte an die Abdankung des Königs Ferdinand. Alle edlen und alle finſteren Leidenſchaften der Spanier gährten in dem furchtbaren Auf - ſtande dieſer Royaliſten ohne König wild durcheinander: ihr patriotiſcher Stolz, ihre Treue, ihr Heldenmuth, aber auch ihr ſtarrer Fremdenhaß, ihre bigotte Unduldſamkeit, ihre unmenſchliche Grauſamkeit; und zugleich erwachten in dem unerfahrenen, ſich ſelber überlaſſenen Volke die unklaren Träume des politiſchen Radicalismus.

Die engliſche Politik erkannte ſchnell, daß ſie jetzt den Feind an einer21*324I. 3. Preußens Erhebung.ſchwachen Stelle treffen konnte, nachdem ſie bisher mit allen ihren feſt - ländiſchen Unternehmungen nur Mißerfolge geerntet. Sie unterſtützte den Aufſtand durch britiſche und deutſche Regimenter; die tapferen Han - noveraner der deutſchen Legion durften nun endlich die Schande von Suhlingen ſühnen. Wellingtons altväteriſch behutſame Kriegführung, die noch, wie ſein Heer, an den Ueberlieferungen des achtzehnten Jahrhunderts feſthielt und auf einem anderen Kriegsſchauplatze der napoleoniſchen Feld - herrnkunſt ſicher unterlegen wäre, bewährte ſich hier glänzend. Der be - dächtige Brite wagte ſelten eine Schlacht, niemals eine durchſchlagende Entſcheidung; immer wieder, nach jedem Kampfe im freien Felde, barg er ſeine kleine Armee in einer wohlgeſchützten feſten Stellung um erſt nach Wochen und Monaten wieder plötzlich aus ſeiner Höhle herauszu - brechen. So gelang ihm was auf dieſer Nebenbühne des Weltkriegs allein erreicht werden konnte: die Wunde an dem Leibe des Kaiſerreichs immer offen, eine letzte Kraft des Widerſtands fünf Jahre lang immer aufgeſpart zu halten; unterdeſſen ſchmolzen die franzöſiſchen Truppen dahin im Be - lagerungskampfe und in dem aufreibenden kleinen Kriege gegen die ſpaniſchen Guerillas. Schon das erſte Kriegsjahr brachte der napoleoni - ſchen Armee zwei in ihren Annalen unerhörte Niederlagen: in Portugal capitulirte Junot, bei Baylen ſtreckte Dupont mit ſeinem Corps die Waffen.

Durch dieſe ſpaniſchen Nachrichten wurde Oeſterreich zu raſcheren Rüſtungen ermuthigt; Stein aber ſah jetzt die Erfüllung ſeiner theuerſten Hoffnungen nahe gerückt und gab ſeine diplomatiſche Zurückhaltung auf. Es ſtand zu erwarten, daß Napoleon ſich entweder ſogleich auf Oeſterreich ſtürzen oder die große Armee aus Norddeutſchland abrufen würde um zunächſt den ſpaniſchen Aufſtand zu bändigen. In beiden Fällen ſchien dem kühnen Patrioten eine plötzliche Erhebung der deutſchen Mächte möglich. Seine edle Leidenſchaft erhob ſich zu verwegenen, unmöglichen Flügen: unter ſchwarzweißgelbem Bundesbanner, mit den Namen der Befreier der Nation, Herman und Wilhelm von Oranien auf den Fahnen ſollten die Truppen ins Feld ziehen. Und dies in einem Augenblicke, da die alte preußiſche Armee noch in der franzöſiſchen Kriegsgefangenſchaft weilte! Stein zählte auf die geſunde Kraft der Bauern und des Mittelſtandes; von der Weichlichkeit der oberen Stände und dem Miethlingsgeiſte der öffentlichen Beamten hoffte er wenig. Um den Ehrgeiz der Nation zu entflammen wollte der ahnenſtolze Freiherr ſogar den alten Geburtsadel abſchaffen und einen neuen Adel bilden aus Allen, die ſich in dieſem heiligen Kriege hervorthäten. Was Wunder, daß der tapfere Mann ſelbſt manchem ehrlichen Patrioten in Königsberg wie ein Verzweifelter erſchien, der ſich mit dem Könige auf eine Pulvertonne ſetzen wollte! Die enge und harte Despotenſeele des Kaiſers Franz hatte keinen Sinn für ſo über - ſchwängliche Entwürfe, doch da Napoleons Sprache gegen das Haus Loth - ringen von Tag zu Tag drohender und gereizter wurde, ſo ließ es die325Kriegspläne von 1808.Hofburg geſchehen, daß die preußiſche Kriegspartei unter der Hand mit öſter - reichiſchen Diplomaten in Verbindung trat. In Teplitz fand ſich ein Kreis öſterreichiſcher und norddeutſcher Patrioten zuſammen; Graf Goetzen in Schleſien und die hannoverſchen Diplomaten Hardenberg und Ompteda entfalteten eine emſige geheime Thätigkeit. So gering das augenblickliche Ergebniß blieb, mit dieſen vertraulichen Verhandlungen des Sommers 1808 begann doch die Wiederverſöhnung der beiden Großmächte. Man erkannte mindeſtens, daß eine Verſtändigung möglich ſei; die Gedanken des Bartenſteiner Vertrags gewannen einigen Boden.

Der König ſtand mit ſeinem Herzen auf der Seite des Miniſters, er nannte die Freunde Steins und Scharnhorſts kurzweg die gute Partei; auch in ſeinen Augen war der Tilſiter Friede nur ein Waffenſtillſtand. Doch er verhehlte der Kriegspartei nicht, daß er nur im Bunde mit Rußland die Waffen wieder aufnehmen werde. Selbſt der Tilſiter Treu - bruch beirrte ihn nicht in ſeinem Vertrauen zu dem Czaren, denn er wußte, wie wenig Alexander gemeint war für immer bei dem franzöſiſchen Bündniß zu verbleiben. Seine alte Anſicht, daß allein noch eine Coalition des geſammten Europas der napoleoniſchen Uebermacht gewachſen ſei, war durch die ſchrecklichen Erfahrungen der jüngſten Jahre nur befeſtigt wor - den. Die ſittliche Größe der nationalen Monarchie, der Weitblick und das Pflichtgefühl des echten Königthums hat ſich ſelten ſo ſchön bewährt, wie damals, da Friedrich Wilhelm ſchweigend ertrug, daß ihn die Be - ſten ſeines Volkes grauſam verkannten. Der Beſcheidene empfand nur zu lebhaft, wie wenig er ſich mit dem Genie Steins oder Scharnhorſts vergleichen konnte; gleichwohl beurtheilte er die europäiſche Lage klarer, richtiger als ſie Alle weil er der König war, weil er ſich eins fühlte mit dem Staate, weil das Bewußtſein ſeiner Verantwortlichkeit vor Gott und Menſchen ihm auf der Haut brannte. Die Stimmungen der Kriegs - partei hat Heinrich Kleiſt mit der naiven Wahrhaftigkeit des Dichters aus - geſprochen in den Verſen:

Nicht der Sieg iſts, den der Deutſche fodert,
hilflos wie er ſchon am Abgrund ſteht.
Wenn der Krieg nur fackelgleich entlodert,
werth der Leiche, die zu Grabe geht!

Unwillkürlich wendet ſich die Liebe der Nachwelt jenen Hochherzigen zu, die alſo dachten, die mit kaum fünf Millionen Menſchen den Kampf gegen das neue Karolingerreich wagen und, mußte es ſein, ſich unter den Trümmern des Staates begraben wollten. Gleichwohl war was ſie riethen eine Politik der Verzweiflung. Wenn der König den leidenſchaft - lich Erregten immer wiederholte, er werde das Schickſal der ſpaniſchen Bourbonen nicht über ſich ergehen laſſen, eine kleine politiſche Exiſtenz ſei immer noch beſſer als gar keine, ſo wollte er damit keineswegs ſagen, daß er ſich von dem Glanze des Thrones nicht zu trennen vermöge. Nach326I. 3. Preußens Erhebung.ſeinen anſpruchsloſen Neigungen war er vielmehr ganz einverſtanden mit der Meinung ſeines Miniſters: die Ruhe des Privatlebens ſei ehrenvoller als die Bürde dieſer Dornenkrone. Aber er fühlte, daß mit der Ent - thronung der Hohenzollern, mit der Vernichtung des preußiſchen Staats die letzte Hoffnung der Deutſchen dahin ſchwand, daß eine vorzeitige Schilderhebung der ſichere Untergang des Vaterlandes war. Sein Trüb - ſinn verwand die niederſchlagenden Eindrücke des Jahres 1806 ſo ſchnell nicht. Er unterſchätzte zuweilen, wie er ſpäterhin ſelbſt geſtand, die Kräfte des preußiſchen Volkes, würdigte nicht genugſam die mächtige Umſtimmung der Gemüther, meinte bitter, ihm werde die Sonne des Glücks nie wieder ſtrahlen. Dafür blieb er aber auch frei von jenen holden Täuſchungen, denen die feurigen Herzen der Kriegspartei unterlagen. Eine einfache Natur, wie alle tüchtigen Männer ſeines Hauſes, wollte er nicht glauben, daß die Nation die uralten Gewöhnungen monarchiſcher Ordnung ſogleich aufgeben würde. Von einem Aufſtande in den rheinbündiſchen Landen hoffte er nichts; nur ein geordneter Krieg, von obenher geleitet, ſchien ihm Rettung zu verheißen, und dies königliche Ich will! dachte er erſt dann auszuſprechen, wenn er mindeſtens die Möglichkeit eines Sieges erkannte und im Rücken durch Rußland gedeckt war. Der letzte Ausgang hat die verſtändigen Erwägungen des Königs gerechtfertigt. Der heißen Ungeduld der Zeitgenoſſen genügten ſie nicht, und auch die Nachwelt war lange ungerecht gegen den gewiſſenhaften Fürſten, weil die Hiſtoriker ihr Urtheil allein aus den vertrauten Briefen der guten Partei ſchöpften und kalten Blutes Alles wiederholten was einſt in der ſtürmiſchen Wal - lung edlen Zornes niedergeſchrieben wurde. War doch die Aufregung jener argen Tage ſo ungeheuer, daß ſelbſt der beſonnene Scharnhorſt einmal die harte Anklage ausſprach, der König baue nur noch auf Ruß - land, habe kein Vertrauen mehr zu ſeinem Volke.

Ein unvorſichtiger Schritt Steins durchkreuzte plötzlich die kriegeri - ſchen Pläne. Ein Brief des Miniſters, der den Fürſten Wittgenſtein aufforderte die Unzufriedenheit im Königreich Weſtphalen zu ſchüren, fiel den Spähern Napoleons in die Hände und erſchien am 8. September 1808 im Moniteur. Damit war Steins Fall entſchieden. Der Impe - rator verlangte ſofort die Entlaſſung des Verſchwörers ſonſt werde Friedrich Wilhelm ſein Schloß an der Spree nie wieder ſehen und benutzte zugleich den unglücklichen Brief um die preußiſchen Unterhändler, die in Paris die Räumung des Landes durchſetzen ſollten, einzuſchüchtern und ſeinem Machtgebote zu unterwerfen. Sein Plan war gefaßt: er wollte zunächſt das ruſſiſche Bündniß von Neuem befeſtigen, damit er in Sicher - heit die große Armee aus Deutſchland zurückziehen und gegen Spanien verwenden könne. Darum zeigte er ſich jetzt bereit auf Alexanders orien - taliſche Pläne einzugehen, verſicherte dem Czaren, die beabſichtigte Räu - mung Deutſchlands ſei nur ein der ruſſiſchen Freundſchaft gebrachtes327Erfurter Zuſammenkunft.Opfer, und lud ihn zu einer feierlichen Zuſammenkunft ein: das furcht - bare Bündniß der beiden Beherrſcher des Abendlandes und des Morgen - landes ſollte in ſeiner ganzen Pracht und Größe vor den erſchreckten Welttheil treten. In der That nahm Alexander die Einladung an; die Hofburg aber wurde durch die kühne diplomatiſche Schwenkung des Im - perators dermaßen eingeſchüchtert, daß ſie ihre Armee wieder auf Frie - densfuß zu ſetzen verſprach, wenngleich die Rüſtungen in der Stille weiter gingen.

Preußen ſtand wieder völlig vereinſamt, aller Mittel zum Wider - ſtande beraubt. Am 8. September unterzeichnete Prinz Wilhelm die drückenden Bedingungen des Pariſer Vertrags. Die rückſtändige Con - tribution wurde auf 140 Mill. feſtgeſetzt, die franzöſiſche Armee zurückge - rufen; der König ſollte endlich ſeine Staatseinkünfte wieder erhalten, doch dafür mußte er bis zur Abtragung der Kriegsſchuld die Oderfeſtungen Stettin, Cüſtrin und Glogau den Franzoſen einräumen und ſich ver - pflichten, weder ſeine Armee über 42,000 Mann hinaus zu verſtärken noch eine Landwehr zu bilden. Napoleon gewann alſo zu den feſten Plätzen der Elbe und der Weichſel auch noch den Beſitz der Oderlinie, dazu ſieben Etappenſtraßen quer durch das preußiſche Gebiet, dergeſtalt daß ſeinen Polen und Rheinbündnern und den 70,000 Franzoſen, die er zwiſchen Elbe und Rhein noch zurückhielt, jederzeit der Eintritt offen ſtand. Er beherrſchte Preußen militäriſch ſo vollkommen wie bisher auf un - beſtimmte Zeit hinaus, da die pünktliche Abzahlung der unerſchwinglichen Schuld ganz außer Frage ſtand; er unterbrach die Rüſtungen des ver - dächtigen Bundesgenoſſen und gewann zudem die freie Verfügung über ſeine große Armee ſowie das Verſprechen preußiſcher Hilfstruppen für den Fall eines Krieges mit Oeſterreich!

Der König ſchwankte lange, ob er dieſe neue Mißhandlung hin - nehmen dürfe. Er verlangte Herabſetzung der Contribution, wollte weder die Oderfeſtungen preisgeben noch die Stärke ſeiner Armee ſich vorſchreiben laſſen und am allerwenigſten ſich von ſeinem Miniſter tren - nen. Noch blieb ihm eine letzte Hoffnung: die Vermittlung Rußlands. Alexander aber hatte jetzt nur noch Augen für die Erwerbung der Moldau und Walachei; erſt wenn dies Ziel ſeines Ehrgeizes erreicht war durfte man ihm wieder von der Befreiung Europas ſprechen. Darum hielt er feſt an dem franzöſiſchen Bündniß und blieb, als er auf der Durchreiſe zu Napoleon den Königsberger Hof beſuchte, den Mahnungen ſeines preußi - ſchen Freundes völlig unzugänglich: wohl oder übel müſſe man ſich mit Frankreich vertragen, er wolle zuſehen, ob er von dem Imperator eine Milderung des Pariſer Vertrages erlangen könne.

Im October 1808 trafen die beiden Kaiſer in Erfurt zuſammen. Zum zweiten male, wie vier Jahre zuvor in Mainz, hielt der Protector Deutſchlands einen glänzenden Hoftag unter ſeinen deutſchen Vaſallen. 328I. 3. Preußens Erhebung.Talma ſpielte vor einem Parterre von Königen; in jeder Miene des Im - perators, in jeder Förmlichkeit des Hofceremoniells verrieth ſich die Ver - achtung des gekrönten Plebejers gegen ſeine hochgeborenen Bedienten. Taisez-vous! Ce n’est qu’un roi! rief der Offizier der Leibwache ſeinem Trommler zu, als dieſer vor einem Könige von Napoleons Gnaden das Spiel rühren wollte. Die Anweſenheit der deutſchen Könige ſollte lediglich dem Czaren die Macht ſeines Verbündeten greifbar vor die Augen ſtellen; von den Verhandlungen blieb das Dienergefolge ausgeſchloſſen. In einem geheimen Vertrage verpflichtete ſich Napoleon, der Eroberung von Finn - land und den Donaufürſtenthümern nichts in den Weg zu legen, dafür wurde Joſeph Bonaparte von Rußland als König von Spanien anerkannt. Ein gemeinſamer Brief der beiden Kaiſer forderte den König von England auf, ſeinerſeits dieſen Abmachungen beizutreten; wo nicht, ſo würden ſie den Krieg mit ganzer Kraft weiter führen. Für Preußen erreichte der Czar nur die Herabſetzung der Contribution um 20 Mill.; doch ſelbſt dies einzige Zugeſtändniß mußte durch eine nochmalige ſchnöde Verletzung des Tilſiter Friedens erkauft werden. In Tilſit war dem Könige ein Gebiet von 400,000 Einwohnern zur Entſchädigung verſprochen, falls Napoleon ſich das hannoverſche Land aneigne; dieſe Zuſage wurde jetzt mit Alexanders Zuſtimmung zurückgenommen.

Napoleon ſchied befriedigt, er konnte jetzt unbedenklich an die Bändi - gung des ſpaniſchen Aufſtandes gehen. Für die Ruhe in Deutſchland ſorgten der ruſſiſche Freund und die wohlgerüſteten Rheinbundſtaaten. Zum Abſchied erließ der Imperator noch ein drohendes Schreiben an Kaiſer Franz: daß er ſich nicht unterſtehe Widerſetzlichkeit zu zeigen; was Eure Majeſtät ſind, das ſind Sie durch meinen Willen! Der Czar da - gegen war tief verſtimmt und beunruhigt. Er hatte den pöbelhaften Uebermuth des Glückberauſchten aus der Nähe beobachtet, er hatte mit anſehen müſſen, wie Napoleon den Prinzen Wilhelm von Preußen zu einer Haſenjagd auf dem Jenaer Schlachtfelde einlud und in Gegen - wart ſeines ruſſiſchen Freundes die Soldaten, die ſich im Kriege gegen Rußland hervorgethan, mit dem Kreuze der Ehrenlegion ſchmückte. Alexan - der begann zu zweifeln, ob es denn nicht lächerlich ſei, mit dieſem Manne irgend etwas, und nun gar die Weltherrſchaft theilen zu wollen; er fand keine Antwort, wenn ihm der wackere preußiſche Geſandte Schladen vor - ſtellte, die Beſetzung der Oderlinie ſolle doch offenbar einen Krieg gegen Rußland vorbereiten. Sein Mißtrauen wuchs und wuchs. Doch erſt mußten ſeine Adler in Bukareſt und Jaſſy Wache halten; bis dahin ſollte das widerwärtige Bündniß noch aufrecht bleiben.

Dem Königsberger Hofe blieb jetzt keine Wahl mehr. Noch im Octo - ber fragte Graf Goetzen vertraulich in Wien an, ob Oeſterreich ſogleich die Waffen ergreifen wolle; es ſei die höchſte Zeit, daß Preußen ſich er - kläre. Scharnhorſt und ſeine Freunde wünſchten eine Berufung der Land -329Steins Fall.ſtände, damit man noch einige Friſt gewinne. Aber die Hofburg verſagte ſich, und was ſollte ein Aufſchub frommen, da die Franzoſen noch im Lande ſtanden und jede feindſelige Regung ſofort niederwerfen konnten? Der König that das Nothwendige, als er endlich ſchweren Herzens den Vertrag genehmigte. Der zögernde, behutſame Abmarſch der franzöſiſchen Truppen zeigte von Neuem, weſſen ſich Napoleon von dem verhaßten Preußen verſah; ſeine Kriegsgefangenen gab er erſt zu Anfang 1809 frei. Nun war auch Stein nicht mehr zu halten; am 24. November nahm er ſeine Entlaſſung. Die kleine franzöſiſche Partei am Hofe, der ängſtliche alte Köckeritz und die Hochconſervativen athmeten auf als der kühne Re - former ſchied; doch nicht dieſen innern Feinden war er erlegen, ſondern allein dem Machtworte Napoleons. Friedrich Wilhelm hatte das Aeußerſte gewagt, als er den Miniſter noch ein Vierteljahr lang gegen die Drohungen des Imperators beſchützte. Stein ſelber warf ſich ſpäterhin vor, daß er nicht ſchon früher ſeinen unhaltbaren Poſten verlaſſen habe, und Harden - berg ſchrieb bitter: welche Verblendung, daß ein Mann von Geiſt glau - ben konnte, dieſer abſcheuliche Brief würde ihm je verziehen werden! *)Hardenbergs Journal 6. Jan. 1809.

In einem von Schoen entworfenen Abſchiedsſchreiben erinnerte der Entlaſſene ſeine Beamten noch einmal an alle die gewaltigen Neuerungen dieſes reichen Jahres der unerſchütterliche Pfeiler jedes Thrones, der Wille freier Menſchen iſt gegründet und bezeichnete ſodann in großen Zügen was Noth thue: vor Allem die Aufhebung der gutsherr - lichen Gewalt und die Einführung der Reichsſtände jeder active Staatsbürger habe ein Recht zur Repräſentation. Stein unterzeichnete ungern, er liebte weder die großen Worte noch die unbeſtimmten Allge - meinheiten. Doch gerade die doktrinäre Faſſung dieſes Aktenſtücks gefiel nachher einem Zeitalter der liberalen Syſtemſucht; während die Welt die eigenſten Ideen des großen Reformers, die Gedanken der Selbſtverwal - tung, geringſchätzte und faſt vergaß, blieb dies ſein ſogenanntes politiſches Teſtament hoch in Ehren als das Programm der conſtitutionellen Par - teien. Der Scheidende nahm mit ſich den Dank ſeines Königs, daß er den erſten Grund, die erſten Impulſe zu einer erneuerten, beſſeren und kräftigeren Organiſation des in Trümmern liegenden Staatsgebäudes ge - legt habe ; er vertraute, die Hebung der niederen Klaſſen und die neuen freieren Ideen würden bleiben und ſich entwickeln.

Steins Fall war ein ſchlechthin unerſetzlicher Verluſt für Preußens inneres Leben, noch Jahrzehnte lang hat der Staat die Folgen dieſes Schlages empfunden. Und doch lag eine tragiſche Nothwendigkeit in dem tückiſchen Zufall, der jenen verhängnißvollen Brief in Napoleons Hände ſpielte. Es war unter allen Heimſuchungen, womit Preußen vergangene Sünden büßte, vielleicht die ſchwerſte, daß die Monarchie einen Staats -330I. 3. Preußens Erhebung.mann von ſo rückhaltloſem Freimuth jetzt nicht mehr zu ertragen ver - mochte. Dieſer vulkaniſche Geiſt konnte ſeine vaterländiſchen Hoffnungen nicht auf die Dauer ſchweigſam in ſich verſchließen das war ſein Charakter und alſo ſein Schickſal; er konnte das verdeckte diplomatiſche Spiel, deſſen der Staat bedurfte, nicht mit behutſamer Liſt durchführen und mußte früher oder ſpäter dem lauernden Gegner erliegen. Der Sturz des Miniſters genügte der Rachſucht Napoleons noch nicht. Am 16. December wurde durch ein kaiſerliches Decret aus Madrid le nommé Stein als ein Feind Frankreichs und des Rheinbundes geächtet und ſeine Güter eingezogen. Sie gehören nun der Geſchichte an, rief Gneiſenau dem Verbannten zu. Die Nation wußte jetzt, wen unter den Deutſchen der Imperator am bitterſten haßte. Stein ertrug den Verluſt mit ge - laſſener Hoheit; ich habe, meinte er nachher gleichmüthig, mehrmals im Leben mein Gepäck verloren. Als er einſam in der Winternacht durch das Rieſengebirge fuhr, den ſchützenden Grenzen Oeſterreichs entgegen, da erhob er ſich die Seele an den Troſtworten der Schleiermacher’ſchen Predigt: was der Menſch zu fürchten habe? Unwandelbar feſt ſtand ihm der fromme Glaube, daß Gott dieſe Herrſchaft der Gewalt und der Lüge nicht dulden könne.

In Oeſterreich aber wußte man mit einer ſolchen Kraft nichts an - zufangen. Kaiſer Franz glaubte der franzöſiſchen Polizei willig alle die finſteren Märchen von den Umſturzplänen der Tugendbündler, ließ den gefährlichen Jacobiner insgeheim überwachen. Nur dann und wann durfte Stein den kaiſerlichen Staatsmännern einen Rath ertheilen. In Troppau verkehrte er viel mit Pozzo di Borgo: der perſönliche Feind des Hauſes Bonaparte, den die Rachgier corſiſcher Vendetta ruhelos von Land zu Lande peitſchte, und der erſte Mann der deutſchen Nation fanden ſich zuſammen in gemeinſamem Haſſe. Drei Jahre lang blieb der Geächtete ohne politiſchen Einfluß. Es war die Zeit, da Gneiſenau die entſetzlichen Worte ſchrieb: wir dürfen es uns nicht verhehlen, die Nation iſt ſo ſchlecht wie ihr Regiment. Auch Stein unterlag während dieſer Jahre des Harrens zuweilen der Verbitterung des Emigranten; er verlebte Augen - blicke da er an dem unverbeſſerlichen Phlegma der nördlichen Deutſchen verzweifelte und troſtlos ſchrieb: möge denn Preußen untergehen! So feſt wie ſein König oder Hardenberg war dieſer Reichsritter doch nicht mit dem Staate Friedrichs verwachſen, zur Noth konnte er ſich ſein verjüngtes Deutſchland auch ohne Preußen denken. Jetzt ſah er in Europa nur noch zwei große Heerlager: dort das Weltreich, hier die Freiheit der Völker; mochten alle Theilfürſten und ſelbſt die Hohenzollern verſinken, wer immer den Deutſchen die Befreiung brachte der ſollte des Reiches Krone tragen. Erſt das Frühjahr 1813 hat den heißblütigen Franken wieder ausgeſöhnt mit dem norddeutſchen Volke und ihn für immer der preußiſchen Sache gewonnen.

331Miniſterium Altenſtein-Dohna.

Alsbald nach Steins Abgang gerieth ſein Reformwerk ins Stocken. Alle die bedeutenden Talente, die unter ihm gearbeitet, vermochten nichts mehr ſeit ſein belebender mächtiger Wille fehlte. Der Staat bedurfte, ſo lange die neue Organiſation nicht vollendet war, eines leitenden Staats - mannes, dem die Miniſter ſich unterordneten. Da indeß Hardenberg durch Napoleons Mißgunſt den Geſchäften noch immer fern gehalten wurde und Niemand ſonſt den Ausſcheidenden erſetzen konnte, ſo behalf man ſich mit einer collegialiſchen Miniſterregierung. Der neue Miniſter des Innern, Graf Alexander Dohna war ein feingebildeter ehrenhafter Patriot wie alle Söhne jenes alten proteſtantiſchen Heldengeſchlechts, von dem das oſtpreußiſche Sprichwort ſagte: gut wie ein Dohna doch weder ein ideenreicher Kopf noch ein Mann des durchgreifenden Entſchluſſes. Der König verhehlte ſich nicht, daß die neue Organiſation nicht mehr auf halbem Wege ſtehen bleiben durfte; er überwand jetzt ſogar ſeine Abnei - gung gegen das Repräſentativſyſtem, befahl dem Miniſter des Innern, die Neugeſtaltung der ſtändiſchen Verfaſſung ſowie der ländlichen Polizei - verwaltung ſchleunig in Angriff zu nehmen. *)Cabinets-Ordres v. 10. Jan. und 4. März 1809.Sein geſunder Verſtand erkannte, daß die Polizeigewalt der Gutsherrſchaften das feſte Bollwerk der alten ſtändiſchen Vorrechte bildete.

Kaum wurden dieſe Abſichten des Monarchen ruchbar, ſo erhob ſich wieder die Oppoſition der Landtage, und ſie trat jetzt dreiſter auf als unter Steins kraftvollem Regimente. Die Stände der Kurmark verlang - ten trotzig, daß man ſie zu der Berathung des Verfaſſungsentwurfes zu - ziehe. **)Bericht des Oberpräſidenten Sack an Dohna, 19. Sept. 1809.Die pommerſche Ritterſchaft proteſtirte auf ihrem Stargarder Landtage feierlich gegen jede Abänderung der alten Landſchafts-Verfaſſung, desgleichen gegen den Plan einer allgemeinen Einkommenſteuer, während die Städte des Landes umgekehrt den König beſchworen, bei ſeinen Plänen auszuharren, denn nur die Aufhebung der Privilegien könne die heute durch Mißmuth niedergeſchlagene thätige Vaterlandsliebe wieder erwecken. ***)Eingabe der hinterpommerſchen Städte an den König, Stargard 28. Sept. 1809.Die geſammte feudale Welt gerieth in Unruhe. Der neue brandenbur - giſche Oberpräſident Sack und die Mitglieder der Potsdamer Regierung, Vincke, Maaſſen, Beuth, Baſſewitz, durchweg eifrige Anhänger der Re - formpartei, lebten in beſtändiger Fehde mit den Ständen der Kurmark. Alle dieſe trefflichen Männer, die ſich nachher ſämmtlich einen ehrenvollen Platz in Preußens Annalen erworben haben, bezichtigte Marwitz der revolutionären Geſinnung. Vornehmlich Sack galt bei den Landſtänden als der Ausbund bureaukratiſchen Jacobinerthums. Und in der That ſtand die altväteriſche Schulden - und Steuerverwaltung, welche den Land - tagen noch verblieben war, ſchlechterdings nicht mehr im Einklang mit332I. 3. Preußens Erhebung.der neuen ſtrafferen Organiſation der Behörden; die Potsdamer Regie - rung beantragte mit vollem Rechte eine gründliche Umgeſtaltung der Pro - vinziallandtage und vor Allem Ausſchließung der Stände von aller Ad - miniſtration . *)Bericht der Potsdamer Regierung v. 6. Dec. 1809.Der alte Kampf zwiſchen der monarchiſchen Staatseinheit und dem altſtändiſchen Particularismus entbrannte von Neuem, und Graf Dohna fühlte ſich durch das leidenſchaftliche Treiben der Privilegirten ſo entmuthigt, daß er am Ende ſeiner Miniſterlaufbahn rundweg aus - ſprach: eine Reichsſtändeverſammlung in ſolcher Lage wäre das Verderben des königlichen Hauſes. In keinem Lande Europas, ſchloß er bitter, ſeien Sinn und Bildung für höhere Staatsangelegenheiten, überhaupt alle einem tüchtigen Repräſentanten nöthigen Eigenſchaften ſo unerhört ſelten wie in Preußen; dagegen fänden ſich auch in keinem anderen Lande ſo viele vortreffliche Kräfte für das Detail der Geſchäfte. **)Dohna an Hardenberg, 22. Aug. 1810.

Allerdings war die Zeit für die Einführung conſtitutioneller Staats - formen noch nicht gekommen. Ein preußiſcher Reichstag, jetzt berufen, drohte Steins ganzes Werk wieder in Frage zu ſtellen, zumal da der Freiherr ſelber nicht mehr mit der Wucht ſeiner Perſönlichkeit für die Reform ein - treten konnte. Unvermeidlich mußten in einer ſolchen Ständeverſammlung die unzufriedenen Großgrundbeſitzer den Ausſchlag geben, und auch das Bürgerthum bot den reformatoriſchen Abſichten des Königs keinen ſichern Rückhalt. Die Zünftler in den Städten fühlten ſchnell heraus, daß die Krone der Einführung der Gewerbefreiheit zuſteuerte, und hielten um ſo zäher ihre alten Vorrechte feſt; wiederholt mußte die kurmärkiſche Regierung gegen die Magiſtrate von Berlin und Potsdam einſchreiten, wenn dieſe die halb vergeſſenen alten Strafmandate gegen Pfuſcher und Auswärtige wieder anzuwenden verſuchten. Aber der neue Miniſter verſtand auch nicht einmal jenen Sinn für das Detail der Geſchäfte zu benutzen, den er ſelber ſeinen Landsleuten nachrühmte. Vinckes Entwürfe für eine neue Landgemeinde - ordnung blieben unbenutzt und für die Beſeitigung der gutsherrlichen Polizei geſchah gar nichts. Auch der Juſtizminiſter Beyme, der neuerdings ganz im Sinne der Reformpartei zu reden pflegte, brachte nichts weiter zu Stande, als daß er den alten Unterſchied der adlichen und der ge - lehrten Bank in den oberſten Gerichtshöfen endlich aufhob; an die Patri - monialgerichte wagte er ſich nicht heran, trotz der Mahnungen des Königs.

Und wie konnte vollends der ängſtliche, ſtillfleißige Gelehrte Altenſtein Ordnung bringen in das Chaos der Finanzen? Er ſollte außer den ordent - lichen Staatsausgaben monatlich 4 Mill. Fr. von der Contribution ab - zahlen, dazu die Schulden der letzten zwei Jahre, deren Höhe man noch gar nicht recht überſah, verzinſen, endlich Napoleons Truppen in den Oderfeſtungen verſorgen. Und der unverſöhnliche Feind fand der Miß -333Verhandlungen über die allgemeine Wehrpflicht.handlungen noch immer kein Ende: die Garniſonen in den Oderplätzen waren weit ſtärker als im Vertrage ausbedungen worden und erzwangen auf Befehl des Imperators eine Reihe völlig widerrechtlicher Leiſtungen und Lieferungen, ſo daß dem Lande in den drei Jahren nach dem Abzuge der großen Armee noch 10¾ Mill. Fr. vertragswidrig abgepreßt wurden. *)Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, welche W. v. Humboldt im Früh - jahr 1814 zu Paris den Großmächten überreichte. (Humboldts Bericht an Hardenberg 20. Mai 1814.)Die Monarchie konnte, wie einſt Frankreich vor dem Ausbruche der Re - volution, dem Bankrott nur entgehen, wenn eine radicale Umgeſtaltung des geſammten Finanzweſens die Steuerkraft der höheren Stände zu den Staatslaſten heranzog. Altenſtein aber befürchtete, daß neue Steuern das verarmte Volk erdrücken würden. Er ſuchte zu helfen durch einige Domänen-Verkäufe, durch eine freiwillige Zwangsanleihe, durch einen hohen Stempel auf Juwelen, Gold - und Silbergeräthe. Alles umſonſt; und ſo oft man im Auslande ein Anlehen abzuſchließen dachte, wurden die Verſuche der preußiſchen Agenten durch die Diplomatie Napoleons durchkreuzt. Der Finanzminiſter erklärte endlich verzweifelnd im Namen ſeiner Amtsgenoſſen, ſo lange dieſe Bedrängniß des Staatshaushaltes währe ſei an innere Reformen nicht zu denken. Die Regierung gerieth allmählich wieder in denſelben Zuſtand wohlwollender Unthätigkeit, wie vor der Jenaer Schlacht; und der Stillſtand war jetzt um Vieles gefähr - licher, zumal da neuerdings eine verhängnißvolle Unſitte einriß, die nach - her unter Hardenbergs Regimente noch zunahm. Während früherhin der Geſetzgeber, wie ſeines Amtes iſt, einfach befohlen hatte, wurde es in den neuen Geſetzen üblich, allerhand Reformen für die Zukunft in Ausſicht zu ſtellen, Verſprechen zu geben, deren Tragweite Niemand überſah; um ſo ſchlimmer nachher die Enttäuſchung, wenn man die Verheißungen nicht halten konnte.

Nur in zwei Zweigen der Verwaltung blieb der große Sinn der Stein’ſchen Tage noch lebendig: in der Armee und im Unterrichtsweſen. Die Wiederherſtellung des Heeres ſchritt unter Scharnhorſts Leitung rüſtig fort, und das Miniſterium ließ den unermüdlichen Organiſator gewähren. Als er aber endlich mit ſeinen letzten und liebſten Gedanken heraustrat und im Februar 1810 ein Conſcriptions-Geſetz vorlegte, das jeden vom Looſe Getroffenen ohne Unterſchied zum perſönlichen Dienſte verpflichtete, da entſpann ſich im Schooße der Regierung ein denkwürdiger Streit um die Grundgedanken der modernen deutſchen Heeresverfaſſung. Dort der alte ehrenwerthe Eifer des Civilbeamtenthums für die Schonung der volks - wirthſchaftlichen Kräfte; hier ein großherziger politiſcher Idealismus, der die ſittliche Bedeutung des Heerweſens höher anſchlug als nationalökonomiſche Bedenken. Der Finanzminiſter fürchtete, die Einführung der allgemeinen334I. 3. Preußens Erhebung.Wehrpflicht werde eine maſſenhafte Auswanderung veranlaſſen, und wollte nicht begreifen, was der Eintritt gebildeter junger Männer in die Reihen der Mannſchaft nützen ſolle, da doch die kräftigen Leute aus den niederen Klaſſen die beſten Soldaten abgäben. Die Offiziere hingegen, Scharn - horſt, Boyen, Hake, Rauch, beriefen ſich auf den im Allgemeinen Land - recht anerkannten Grundſatz der Gleichheit vor dem Geſetze; ſie fanden es ungerecht, daß der Unbemittelte zugleich Steuern zahlen und doch allein die Laſt des Waffendienſtes tragen ſolle; ſie erinnerten an die Ar - muth jener beiden Klaſſen, welche für den preußiſchen Staat das Größte leiſteten, des Adels und des Beamtenthums; ja ſie wagten zu behaupten was damals noch als eine Ketzerei erſchien: die gebildete Jugend ſtelle die brauchbarſten Soldaten, denn ſie bringe eine ſittliche Kraft, das Princip der Ehre, in das Heer, während die ärmeren Klaſſen nur ſelten eine dauernde Anhänglichkeit an das Vaterland haben könnten. In Frankreich, erklärte Scharnhorſt, habe die Stellvertretung einen unſittlichen Seelen - handel hervorgerufen; bei dem mannhaften Römervolke dagegen ſei der Waffendienſt ein Ehrenrecht der höheren Stände geweſen. Weder das Miniſterium Dohna-Altenſtein noch ſpäterhin Hardenberg vermochte ſich zu dieſer ethiſchen Auffaſſung des Kriegsweſens, welche Steins vollen Beifall fand, zu erheben, und überdies war die Einſtellung aller Wehr - fähigen unmöglich ſo lange der Staat nur 42,000 Mann Truppen halten durfte. Der große Plan blieb liegen bis zu der guten Stunde, da der Krieg erklärt und die Feſſeln des September-Vertrags geſprengt wurden.

Unterdeſſen war Wilhelm von Humboldt an die Spitze des Unter - richtsweſens getreten, jener perikleiſche Staatsmann, der zuerſt mit voller Klarheit erkannte, Preußens Beruf ſei durch wahre Aufklärung und höhere Geiſtesbildung den erſten Rang in Deutſchland zu behaupten. Keiner hatte ſo wie er in den Ideen und Geſtalten der claſſiſchen Dich - tung geſchwelgt und den Becher der Schönheit ſo bis zur Hefe geleert. Keiner unter allen Nordländern ſtand den Univerſalgenies des Cinque - cento ſo nahe, wie dieſer allſeitige Geiſt, der, heimiſch in allen Freuden der Sinnlichkeit und auf allen Gebieten des Denkens, zugänglich jedem Eindruck und doch immer geſammelt und ganz bei ſich ſelber, das wahr - haft ſchöne, von Kälte und Schwärmerei gleich ferne Daſein des ganzen Menſchen führte. Das Idealbild der freien Perſönlichkeit ward Fleiſch und Blut in dieſem Ariſtokraten des Geiſtes. Sich ſelber auszuleben, die reiche Fülle ſeiner Gaben in einem ſchönen Wechſel von Genuß und That harmoniſch zu entfalten, in gelaſſener Sicherheit erhaben über allem äußeren Zufall, das Leben ſelbſt zu einem Kunſtwerke zu geſtalten das war ihm die höchſte Weisheit:

nicht Schmerz iſt Unglück, Glück nicht immer Freude:
wer ſein Geſchick erfüllt, dem lächeln beide.
335W. v. Humboldt.

Niemals wollte er ſich trennen von dem Glauben, daß Schauen und Erkennen, Bilden und Dichten den eigentlichen Inhalt der Menſchenge - ſchichte bilde, daß in dieſem Scheine des Zeitlichen nur die Idee lebe, nur des Geiſtes Sein, das unverſtanden gefangen gehet in der Menſch - heit Banden . Ganz unbefangen, ohne jede Abſicht der Ueberhebung ſchrieb er an Schiller, als Bonapartes Geſtirn ſoeben aufging: Der Maßſtab der Dinge in mir bleibt feſt und unerſchütterlich; das Höchſte in der Welt bleiben und ſind die Ideen. Hätte ich einen Wirkungskreis wie den, der jetzt eigentlich Europa beherrſcht, ſo würde ich ihn doch immer nur als etwas jenem Höheren Untergeordnetes anſehen. Noch im Alter, nach einer langen und reichen ſtaatsmänniſchen Thätigkeit, ſagte er ein - mal zu Gottfried Herrmann, als er mit dem philologiſchen Freunde das Leipziger Schlachtfeld durchwanderte: ja ſehen Sie, Liebſter! Reiche gehen zu Grunde, wie wir hier ſehen, aber ein guter Vers beſteht ewig. *)Nach einer handſchriftlichen Aufzeichnung von F. G. Welcker.Ein großer Schriftſteller konnte und wollte er nicht werden. Die Kräfte ſeines Geiſtes hielten einander ſo vollkommen das Gleichgewicht, daß keine einzige als die beherrſchende heraustrat; darum fehlte ſeinem Stile, wie Schiller beklagte, die Kunſt der Maſſen, die nothwendige Kühnheit des Ausdrucks.

In jungen Jahren ſchon trat er mit den Dioskuren von Weimar und mit F. A. Wolf in vertrauten Verkehr, von Allen ſogleich als ein Ebenbürtiger begrüßt, und lebte ſich ein in das Schaffen der beiden Dichter. Sein feinſinniges Verſtändniß drang bis in die verborgenen Falten ihres Seelenlebens und ergründete, was noch kein Kritiker vermocht, das große Räthſel des künſtleriſchen Genies, die geheimnißvolle Verbindung von weiblicher Empfänglichkeit und ſchöpferiſcher Manneskraft. Dieſelbe Ge - nialität des Verſtehens und Urtheilens machte ihn nachher zum Liebling des römiſchen Volks, da er jahrelang als preußiſcher Geſandter, ein Hellene unter Römern lebte und auf den Bergen von Albano den Aeſchy - lus und Pindar überſetzte. Nach und nach ward er ſich auch der pro - ductiven Kräfte ſeines Geiſtes bewußt und begann mit ſeinen baskiſchen Forſchungen jene Studien der Sprachvergleichung, die ihm dienen ſollten das Höchſte und Tiefſte und die Mannichfaltigkeit der ganzen Welt zu durchfahren , den Schlüſſel zu finden zu dem Gemüthsleben der Völker.

Mit dieſem kühnen Idealismus verband Humboldt jedoch von früh auf ein ſicheres Verſtändniß für die harten Thatſachen des hiſtoriſchen Lebens. Die franzöſiſche Revolution widerte ihn an, weil er es für einen Frevel hielt den Staat allein aus der Vernunft heraus aufzubauen; die Friedensſeligkeit der Epoche bethörte ihn nicht, denn der Krieg ſei eines der heilſamſten Mittel zur Erziehung des Menſchengeſchlechts. Dem Hiſto - riker ſtellte er die Aufgabe, daß er ſich immer durch Ideen regieren laſſe336I. 3. Preußens Erhebung.und doch nicht in das Gebiet bloßer Ideen hinüberſchweife. Mitten in der äſthetiſchen Schwelgerei ſeiner römiſchen Jahre packte ihn oft die Sehnſucht nach den herzerhebenden Klängen der Mutterſprache; er liebte das deutſche Volk als den gottbegnadeten Träger der neuen europäiſchen Cultur und weiſſagte ihm eine vergeltende Zeit, wo es dem Folgege - ſchlecht zeichnet die leuchtende Bahn. So war es denn eine innere Nothwendigkeit, daß auch ihn endlich die mächtige politiſche Strömung jener Tage berührte. Das Pflichtgefühl des Patrioten und der Drang nach allſeitiger Bethätigung ſeiner Kräfte bewogen ihn dem Staate zu dienen, der ihm einſt nur als der läſtige Vormund der freien Geſelligkeit erſchie - nen war.

Seine Natur war nicht für alle Aufgaben des praktiſchen Staats - mannes geſchaffen. Ein tiefer politiſcher Denker wie Hugo Grotius, wurde Humboldt wie dieſer im diplomatiſchen Kampfe von vielen kleineren Köpfen übertroffen, weil ihm der grobe Ehrgeiz des Mannes der That und die Freude an den tauſend nothwendigen Nichtigkeiten des Geſandtenberufes fehlte. Er war zu groß für einen Diplomaten. Wo die Politik in die Welt der Ideale hineinragte, da zeigte ſich die lautere Hoheit ſeines Sinnes, die Thatkraft ſeines Humanismus. Von ganz anderen Aus - gangspunkten her gelangte er zu derſelben Anſicht von der Selbſtverwal - tung wie Stein; er verehrte den Schöpfer der Städteordnung, weil er in der freien Bewegung der Gemeinden die Schule ſah zur Erziehung ſittlicher, thatkräftiger Menſchen. Doch die dürre Proſa der internationa - len Machtfragen ließ ihn völlig kalt. Seine diplomatiſchen Denkſchriften ſind alleſammt zu breit und zu ſcharfſinnig. Sein reicher Geiſt ergeht ſich oft zwecklos im Genuſſe ſeiner eigenen Klarheit, wendet den Gegen - ſtand nach allen Seiten hin und her und findet kein Ende, ſieht den Wald vor lauter Bäumen nicht; ihm gebricht jene Luſt am Handeln, welche dem Leſer unwillkürlich einen beſtimmten Entſchluß abzwingt. Nicht ohne Grund nannte ihn Talleyrand le sophisme incarné. Von den ſchalen Freuden der vornehmen Welt genoß er nur was ſeinen helleniſchen Schönheitsſinn reizte; die ſchwere Kunſt ſich mit Anſtand zu langweilen, allerhand unbedeutende Menſchen über die Geheimniſſe des Augenblicks auszuforſchen wollte er niemals lernen. Mit peinlicher Gewiſ - ſenhaftigkeit, wie er Alles betrieb, hat er auch ſeine diplomatiſchen Pflichten erfüllt; doch jene leidenſchaftliche Freude am Erfolge, die zu allem großen menſchlichen Schaffen gehört, kannte er in dieſem Berufe nicht.

Dagegen war Niemand ſo wie er geeignet für die Leitung des Un - terrichtsweſens, die ihm der König im Frühjahr 1809 übertrug. Durch die kurze Wirkſamkeit von fünfviertel Jahren gab er der preußiſchen Un - terrichtsverwaltung jenen humanen, idealiſtiſchen Zug, der auch unter ſchwächeren Nachfolgern ſich nicht wieder ganz verlieren konnte. Sein univerſaler Geiſt wußte jeden Zweig der Wiſſenſchaften und Künſte in337Univerſität Berlin.ſeinem Rechte und ſeiner Eigenart zu würdigen. Selbſt dem kirchlichen Leben, das ſeiner äſthetiſchen Bildung am fernſten lag, brachte er ein ſo unbefangenes humanes Wohlwollen entgegen, daß der ſtreng gläubige Nicolovius einträchtig mit dieſem Heiden zuſammenwirken konnte; der Gottesdienſt war ihm heilig, weil er alle Glieder der Geſellſchaft nur als Menſchen vereinige. Mit Ehrfurcht trat er an die Fragen des Schul - weſens heran; er verwarf die Errichtung von Realſchulen, denn die ganze Zukunft der Nation ſchien ihm gefährdet, wenn auch nur ein Theil der gebildeten Jugend ohne die methodiſche Zucht der claſſiſchen Studien auf - wüchſe. Er kannte die Reizbarkeit der Gelehrten und verſöhnte ſie nicht blos durch urbane Milde und geduldige Nachſicht, ſondern vornehmlich durch ſeinen hochherzigen Freiſinn; denn er wußte, daß die harte Macht des Staates auf dem Gebiete der eigentlichen Cultur nur fördern und leiten, doch wenig ſchaffen kann, daß die ſchöpferiſche Kraft des freien Gedankens hier ſchlechterdings Alles iſt. Das ganze Geheimniß ſeiner organiſatori - ſchen Größe liegt in den einfachen Worten, die er über die Einrichtung der Berliner Univerſität ſchrieb: man beruft eben tüchtige Männer und läßt das Ganze allmählich ſich ancandiren. Er kannte nur ein Vaterland, das Land der deutſchen Bildung, und hielt es für eine Ehren - pflicht ſeines neuen Amts, das Bewußtſein dieſer unzerſtörbaren geiſtigen Einheit in der mißhandelten Nation zu beleben. Darum ſtellte er die alte Freizügigkeit wieder her, die vor Zeiten der Stolz unſerer Univerſi - täten geweſen und erſt im achtzehnten Jahrhundert durch die Scheelſucht des Particularismus verkümmert war, und erlaubte der preußiſchen Jugend den Beſuch aller deutſchen Hochſchulen. Allein durch ihre Leiſtungen, im freien Wetteifer, ſollten Preußens hohe Schulen ihre Anziehungskraft er - proben.

Während der erſten Jahre des neuen Jahrhunderts hatte die Uni - verſität Halle einen vielverheißenden Aufſchwung genommen. Sie war nochmals, wie einſt unter Friedrich I., in den Vordergrund des wiſſen - ſchaftlichen Lebens der Nation getreten; der Realismus der alten Göt - tinger fand ſich hier zuſammen mit der idealiſtiſchen Bildung von Jena und Königsberg. Dies junge Leben ward plötzlich zerſtört, als der Tilſiter Friede das Magdeburger Land dem Königreich Weſtphalen zutheilte. Gleich - zeitig verlor Preußen das aufblühende Erlangen und dazu die drei ſo - eben erſt neugewonnenen ſtiftiſchen Univerſitäten Erfurt, Münſter, Pa - derborn ſowie das verfallene Duisburg. Gleich nach dem Frieden baten die Hallenſer Profeſſoren den König, ihre Univerſität nach Berlin zu verlegen; er aber erwiderte, daß er eine neue Hochſchule in der Haupt - ſtadt ſtiften wolle, und fügte die ſchönen Worte hinzu: der Staat muß durch geiſtige Kräfte erſetzen was er an phyſiſchen verloren hat. Jene alten ſo oft erwogenen Berliner Pläne wurden alſo wieder aufgenommen, doch erſt Humboldt brachte friſchen Willen und großen Sinn in die ſtocken -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 22338I. 3. Preußens Erhebung.den Berathungen. Zur ſelben Zeit, da der Fürſt-Primas in der alten Heimath deutſcher zünftiger Rechtsgelahrtheit, in Wetzlar eine juriſtiſche Fachſchule nach napoleoniſchem Modell eröffnete, traute der preußiſche Idealiſt ſeinem erſchöpften Staate die Kraft zu, jetzt in Berlin zu vollenden was in Halle zerſtört war und der deutſchen Wiſſenſchaft eine vielleicht kaum jetzt noch gehoffte Freiſtatt zu eröffnen .

Die neue Stiftung ſollte durchaus etwas Anderes ſein als eine bloße Landesuniverſität , nicht in der Vorbereitung für praktiſche Berufe, ſon - dern in der Wiſſenſchaft ſelber den Zweck der wiſſenſchaftlichen Arbeit ſuchen und daher, vornehmlich für ihre philoſophiſche Facultät, die beſten Kräfte Deutſchlands an ſich ziehen. Wir wollen Euch zu lernen lehren ſagte Clemens Brentano bezeichnend in dem Feſtliede zur Eröffnungs - feier. Für die Verfaſſung der Univerſität fand Humboldt, Altes und Neues mit glücklichem Takte verbindend, jene einfachen und freien Formen, die ſeitdem allen deutſchen Hochſchulen zum Vorbilde gedient haben. Er gab ihr nicht die gefährliche Stellung eines Staates im Staate, ſondern ſtellte ſie als eine Staatsanſtalt auf den Boden des gemeinen Rechts. Dagegen blieben die alten Facultäten erhalten, desgleichen was Schleier - macher ſoeben in einer köſtlichen Schrift als das eigentliche Weſen der Univerſitäten im deutſchen Sinne bezeichnet hatte: die unbeſchränkte Freiheit des Lernens und des Lehrens. Die radicaleren Pläne Fichte’s wurden verworfen; Humboldt fühlte heraus, daß der freie Sinn der deutſchen Jugend den klöſterlichen Zwang einer neuen platoniſchen Aka - demie, wie ſie der begeiſterte Philoſoph vorſchlug, nicht ertragen würde. Es war die erſte königlich preußiſche Univerſität, und doch eine Stiftung für das geſammte Vaterland, das Werk einer freien und großen natio - nalen Geſinnung, welche die alten durch römiſch-kaiſerliche Privilegien ge - ſtifteten Univerſitäten ſo nicht kannten. Als die neue Hochſchule in ihr ſtattliches Prinzenſchloß, dem Palaſte des Königs gegenüber einzog, da bekannte der preußiſche Staat, daß er fortan die deutſche Wiſſenſchaft in ſein Herz ſchließen und ſich nicht mehr von ihr trennen wolle. Edler, würdiger konnte er ſeine geiſtige Ueberlegenheit dem prahleriſchen Sieger nicht zeigen. Wo war in der großen Wüſtenei des Imperatorenreichs ein Verein von Denkern, wie er ſich hier um die Wiege der neuen Stiftung ſchaarte: die Theologen Schleiermacher und Marheineke, die Juriſten Savigny und Eichhorn, der Arzt Hufeland, der Landwirth Thaer, in der philoſophiſchen Facultät Fichte, Böckh, Buttmann und vor allen An - deren doch Niebuhr, der mit ſeinen Vorleſungen über römiſche Geſchichte dem Berliner akademiſchen Leben ein für allemal das Gepräge ſittlichen Ernſtes und wiſſenſchaftlicher Strenge gab.

Als Humboldt, erbittert über die Unfähigkeit des Miniſteriums, ſeine Stellung aufgab und wieder in die diplomatiſche Laufbahn eintrat, die ihm mehr Muße gewährte ſich ſelber zu leben, da blieben doch einige339Friedrich Wilhelm in Petersburg.Räthe zurück, die in ſeinem Sinne weiter wirkten, namentlich der milde feinſinnige Süvern. Die großen Grundſätze für die Leitung des höheren Unterrichts ſtanden feſt ſeit den Verhandlungen über die Berliner Uni - verſität; man brauchte ſie nur anzuwenden als man jetzt daran ging auch die katholiſchen Bildungsanſtalten zu verjüngen. Die alte Jeſuiten - akademie zu Breslau wurde mit der ſtrengproteſtantiſchen Frankfurter Viadrina vereinigt und aus beiden die neue Breslauer Univerſität ge - bildet (1811). Auch dieſe Neugründung war ein Markſtein in der Ge - ſchichte unſeres geiſtigen Lebens. Wie viele ſchwere Kämpfe hatte der Gedanke der Parität an den deutſchen Hochſchulen beſtehen müſſen ſeit Pfalzgraf Karl Ludwig in ſeinem Heidelberg zuerſt den alten ſtarren Grundſatz der Glaubenseinheit beſeitigte. Jetzt war die Duldſamkeit der neuen Philoſophie tief in die Anſchauungen der gebildeten Klaſſen einge - drungen. Jedermann fand es in der Ordnung, daß allen Confeſſionen der Zutritt zu den weltlichen Facultäten der Berliner Hochſchule freige - ſtellt wurde. In Breslau ging der Staat ſchon einen Schritt weiter und ſtiftete zwei theologiſche Facultäten, für die Katholiken und die Pro - teſtanten. So entſtand die erſte paritätiſche Univerſität eine charak - teriſtiſche, dem Auslande kaum begreifliche Eigenthümlichkeit des deutſchen Lebens.

Welch ein Verhängniß nun, daß gerade in dieſer Zeit, da Preußen ſeinen erſten Staatsmann verbannen mußte, ein neues Kriegswetter über Oeſterreich heraufzog. Um Neujahr 1809 folgte das preußiſche Königs - paar einer dringenden Einladung Alexanders nach Petersburg. Mit bei - ſpielloſem Glanze empfing der Czar ſeine Gäſte, als ob er ſie entſchädigen wollte für die Untreue von Tilſit; auch der Hofadel ſuchte durch über - ſchwängliche Ehrenbezeigungen ſeinen Franzoſenhaß zu bekunden. Seit - dem verband die beiden Höfe ein Verhältniß perſönlicher Vertraulichkeit, wie es noch niemals zwiſchen Großmächten beſtanden hatte; der preußiſche Geſandte wurde fortan in Petersburg ſtets wie ein Angehöriger der kaiſer - lichen Familie behandelt. Das politiſche Ergebniß der Reiſe war gleich - wohl nur ein großer Mißerfolg. Der Czar hatte den Krieg mit Schweden noch nicht beendet, er war an der kaukaſiſchen Grenze mit Perſien in Händel gerathen und ſtand im Begriff die Türkei mit Krieg zu über - ziehen. So lange dieſe drei Kriege nicht abgewickelt, Finnland und die Donauprovinzen noch nicht in ſeinen Händen waren, wollte er ſich von Napoleon nicht trennen. Er geſtand ſeinem Freunde, daß er ſich ver - pflichtet habe Frankreich in einem Kriege gegen Oeſterreich mit den Waffen zu unterſtützen und rieth dem Könige dringend, die gleiche Politik zu er - greifen, durch die Rückkehr nach Berlin dem Imperator einen Beweis vertrauensvoller Freundſchaft zu geben. Friedrich Wilhelm kehrte heim, tief niedergeſchlagen, doch keineswegs überzeugt; nimmermehr wollte er an dem Feldzuge gegen Oeſterreich theilnehmen, vielmehr befahl er22*340I. 3. Preußens Erhebung.insgeheim zu rüſten um nöthigenfalls dem Wiener Hofe Beiſtand zu leiſten.

Napoleon war unterdeſſen nach Spanien geeilt und hatte in einem raſchen Triumphzuge die zur Feldſchlacht unfähigen Heere der Spanier geſchlagen, eine engliſche Armee bis an die Küſte zurückgeworfen. Kaum war alſo der Waffenruhm ſeiner Adler wieder hergeſtellt, ſo nahm er alsbald die im vorigen Herbſt nur vertagten Pläne gegen Oeſterreich wieder auf und traf ſeine Anſtalten die Hofburg für ihre Rüſtungen zu züchtigen. Noch im Januar 1809 befahl er, von Spanien aus, die Armee des Rheinbunds marſchbereit zu halten, ließ die Corps von Da - vouſt und Oudinot gegen die obere Donau marſchiren. Zu Ende des Monats war er ſelbſt wieder in Paris. Er rechnete, mit 260,000 Fran - zoſen, Polen und Rheinbündnern in Deutſchland, mit 150,000 Mann in Italien den Krieg zu eröffnen, ſchrieb ſeinen Vaſallen höhniſch: ob denn die Donau ein Letheſtrom geworden ſei, daß man in Wien alle früheren Niederlagen vergeſſen habe? Seine Abſicht war jedoch den Aus - bruch des Krieges bis zum Frühjahr hinauszuzögern; früher konnte ſeine Rüſtung nicht beendet ſein, auch wollte er als der Angegriffene erſcheinen weil Rußland nur für den Fall eines Vertheidigungskrieges zur Beihilfe verpflichtet war. Mein Streit mit Oeſterreich, ſagte er in einem Briefe an Friedrich von Württemberg, iſt die Fabel von dem Wolfe und dem Lamme; es wäre doch gar zu ergötzlich, wenn man uns dabei die Rolle des Lammes ſpielen laſſen wollte!

In dem alten Oeſterreich gährte eine ungeheure Aufregung; Jeder - mann meinte den Augenblick einer großen Entſcheidung gekommen. Frei - lich war in der liebenswürdigen, ritterlichen Natur des Grafen Stadion keine Ader von reformatoriſcher Größe; an ſeinem Franzoſenhaſſe hatte der Standesſtolz des mediatiſirten Reichsgrafen ſtarken Antheil. Immer - hin kam unter ſeiner Leitung ein etwas freierer und milderer Geiſt in die Verwaltung. Noch mehr hatte das Heer unter der Führung des Erz - herzogs Karl gewonnen. Wohl gerüſtet, wie ſeit Jahren nicht, konnte Oeſterreich die Waffen erheben. Mit hellem Jubel eilten die Landwehr - männer zu den Fahnen. Ueberall, vornehmlich unter den deutſchen Stäm - men, feſtes Vertrauen zu dem alten Kaiſerhauſe, freudige Bereitwilligkeit zu jedem Opfer. Das Jahr 1809 wurde das ſchönſte der öſterreichiſchen Geſchichte: die an Tapferkeit ſo reichen, an Genie und Begeiſterung ſo armen Annalen des kaiſerlichen Heeres ſollten doch noch einmal einige glänzende Züge echten Heldenthums aufweiſen. Wohl war es undenkbar, daß dieſe durch die Unterdrückung alles Volksthums emporgewachſene habsburgiſche Hausmacht den Kampf für die Freiheit der Völker ehrlich durchfechten ſollte; es lag eine grauſame Ironie darin, daß Erzherzog Karl in einem ſchwungvollen Aufrufe an die Deutſchen die fragwürdige Behauptung aufſtellte: mit Oeſterreich war Deutſchland ſelbſtändig und341Krieg von 1809.glücklich! und gleichzeitig ſein Bruder Johann den Italienern ſagte, ſie ſeien heute keine Italiener mehr, nur durch Oeſterreich könnten ſie ihre Freiheit wieder erlangen. Der heilige Zorn der Patrioten im Reiche hatte kein Auge für ſolche Widerſprüche. Die alte Kaiſertreue unſeres Volkes erwachte von Neuem; man wollte vergeſſen, daß dieſer ſelbe Kaiſer Franz vor drei Jahren erſt ſein hohes Amt kaltſinnig preisgegeben, daß ſein neues Kriegsmanifeſt mit keiner Silbe von der Herſtellung des Reiches ſprach. Genug, daß er das Schwert zog gegen ein Syſtem, das kein anderes Geſetz als das ſeine in Europa anerkennt . An ſeine Fahnen ſchien jetzt das Schickſal des ganzen Vaterlandes angekettet, ihm Heeres - folge zu leiſten hieß jetzt deutſche Ehrenpflicht ſelbſt unter den Norddeut - ſchen, die bisher von Kaiſer und Reich kaum geſprochen hatten.

Der Krieg war für Oeſterreich unvermeidlich, doch er wurde vor - zeitig begonnen, mit leichtſinniger Selbſtüberhebung, ohne genügende diplo - matiſche Vorbereitung. Getäuſcht durch die zuverſichtlichen Berichte des Grafen Metternich aus Paris, meinte die Hofburg den Streitkräften Napoleons weit überlegen zu ſein; ohne auf die Warnungen des Czaren zu achten übernahm ſie die gefährliche Rolle des Angreifers und theilte ihren Entſchluß in London und Berlin erſt ſo ſpät mit, daß England und Preußen im Anfange des Feldzugs gar nicht mitwirken konnten. War die kaiſerliche Diplomatie zu dreiſt vorgegangen, ſo fehlte Erzherzog Karl durch bedachtſames Zaudern. Er konnte, da die Hauptmaſſe der franzöſiſchen Armee noch nicht heran war und faſt nur Rheinbündner ihm gegenüberſtanden, durch einen kühnen Vorſtoß den Kriegsſchauplatz ſogleich nach Schwaben hinein verlegen, doch er verlor unſchätzbare Tage indem er ſeine geſammelte Armee theilte. Indem kam Napoleon ſelbſt herbei und nahm ſein Hauptquartier unter den bairiſchen Regimentern, wie ſonſt inmitten ſeiner Garde. Die tapferen Truppen fühlten ſich hoch geehrt; der alte Stammeshaß flammte wieder auf als der Imperator ihnen in ſtolzer Rede verſprach, er werde ſie zum Siege gegen Baierns ewigen Todfeind führen. Dienſtwilliger denn je folgten die Fürſten des Rheinbundes dem Heerbann ihres Protectors; verſicherte er ihnen doch, es gelte die Wiederaufrichtung des deutſchen Kaiſerthums der Habsburger zu verhindern. Nun erſt zeigte ſich ganz, was der Rheinbund für Frank - reichs militäriſche Macht bedeutete; nur der Beiſtand des deutſchen - dens ſicherte dem Imperator den Sieg in dieſem Feldzuge.

In einer Reihe glänzender Gefechte ſchlug er darauf die vereinzelten Corps der Oeſterreicher auf der bairiſchen Ebene zwiſchen Iſar und Donau und zwang den Erzherzog durch einen Feldzug von fünf Tagen, mit einem Verluſte von 50,000 Mann nach Böhmen zurückzugehen. Die mit ſo überſchwänglichen Hoffnungen unternommene Erhebung begann wieder ſo kläglich wie der Krieg von 1805, und wieder wie vor vier Jahren zog der Sieger unaufhaltſam die Donau abwärts, nahm die Hauptſtadt und be -342I. 3. Preußens Erhebung.fahl von dort aus die Vereinigung des Kirchenſtaates mit dem Kaiſer - reiche. Aber als er jetzt verſuchte im Angeſichte der Armee des Erzher - zogs die Donau zu überſchreiten, da bereitete ihm der Todesmuth der kaiſerlichen Soldaten bei Aspern ſeine erſte Niederlage. Furchtbar war der Eindruck dieſes erſten Mißerfolges auf die verwöhnten Kinder des Glücks. Jedermann fühlte, dies Weltreich ſtand auf zwei Augen. Wäh - rend Napoleon nach der Schlacht durch viele Stunden in ſtarrem Schlum - mer lag, beriethen ſeine Generale bereits, ob es möglich ſei das geſchlagene Heer nach Frankreich zurückzuführen, falls der Imperator nicht wieder erwachte.

Die Siegeskunde von Aspern ſchlug wie ein Blitzſtrahl in das deutſche Land; Alles jauchzte mit Heinrich Kleiſt dem Ueberwinder des Unüberwindlichen zu. Und dazu die herzerhebenden Nachrichten aus Tyrol: wie die tapferen frommen Bauern der Berge viermal binnen einem Jahre ſich gegen die verhaßten bairiſchen Herren erhoben um die Herrſchaft des geliebten Kaiſerhauſes und die katholiſche Glaubenseinheit wieder aufzurichten. Hier war Alles vereinigt was dies romantiſche Ge - ſchlecht erheben und begeiſtern konnte: die wilde Schönheit des Hochge - birges, die rauhe Heldenkraft treuherziger Naturmenſchen, der ehrliche Kampf für Sitte, Recht und Glauben der Väter, das maleriſche Gewim - mel einer freien Volkserhebung Kapuziner und Bauern, Gebirgsſchützen und Sennerinnen bunt durcheinander. Vor und nach ſeiner war und kommt auch Keiner in der Ehrlichkeit ſo lautet die Inſchrift unter dem Bilde Andreas Hofers in ſeinem Hauptquartiere, im Adler zu Inns - bruck. Die kindliche Einfalt und Treue ſeines Stammes verkörperte ſich in dem wackeren Sandwirth; und mit naiver Freude ſo gänzlich hatte der politiſche Zorn den alten Bildungsdünkel verdrängt begrüßten ihn die norddeutſchen Patrioten als einen Helden der Nation. Einſeitig - keit iſt das gute Recht jeder großen Leidenſchaft; die Erbitterten wollten und konnten nicht ſehen, daß die Mönche und die Bauern des Hochge - birges ſich vom deutſchen Vaterlande gar nichts träumen ließen, daß ihr Aufſtand ebenſo ſehr den wohlthätigen Reformen als der bureaukratiſchen Härte der bairiſchen Regierung galt, daß die Macht der gedankenloſen Gewohnheit, der finſtere Haß gegen die Ketzerei und die alte particula - riſtiſche Abneigung wider den bairiſchen Nachbarſtamm an dem Helden - muthe dieſes Bauernkrieges reichen Antheil hatten.

Bald da bald dort ſchlug der verhaltene Grimm in hellen Flammen aus dem deutſchen Boden; der Eroberer erkannte dies geduldige Volk nicht wieder, meinte ſich von tauſend Vendeen umgeben. Im Tauber - grunde kämpften die vormaligen Unterthanen des deutſchen Ordens ver - geblich gegen die Truppen ihres neuen württembergiſchen Herrn; ſie wollten zurück zu dem ſtillen Glücke der guten alten deutſchnärriſchen Zeit. Die treuen Preußen im Ansbachiſchen empfingen mit offenen Armen das343Schill.fliegende Corps, das der Heißſporn Karl von Noſtitz durch Franken gegen die Flanke des Feindes führte; die Nürnberger Reichsſtädter riſſen jubelnd die bairiſchen Wappen von den Thoren als die Freiſchaar nahte. Von Böhmen aus begann der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auer - ſtädt, Herzog Friedrich Wilhelm von Braunſchweig, den Parteigängerkrieg gegen die ſächſiſchen Lande ein echter Welf, tapfer, hart und herriſch; Viele der Beſten aus der norddeutſchen Jugend drängten ſich zu den Fahnen ſeiner ſchwarzen Schaar. Im Königreich Weſtphalen wurde zwei - mal, von den kurheſſiſchen Offizieren Dörnberg und Emmerich, eine Schilderhebung gewagt und blutig niedergeſchlagen; gegen das feſte Magde - burg verſuchte der preußiſche Leutnant Katt vergeblich eine Ueberrum - pelung.

Unter den Patrioten im preußiſchen Heere und Beamtenthum war nur eine Stimme; Alle dachten wie der alte Blücher: warum die Preußen es nicht den Tyrolern und den Spaniern gleich thun ſollten? trage Feſſeln wer will, ich nicht. Manche der entlaſſenen Offiziere fochten bereits in den Reihen der öſterreichiſchen Armee. Die Stimmung der preußiſchen Truppen war ſo offenkundig, daß Napoleon gar nicht wagte den König an die Stellung des verſprochenen Hilfscorps zu erinnern; ihm graute vor ſolchen Bundesgenoſſen. So ſtürmiſch flammte die Unge - duld, daß jetzt zum erſten male in der ehrenreichen Geſchichte des preußi - ſchen Heeres ein Treubruch möglich wurde ein Treubruch freilich, der nur den edlen Zweck verfolgte dem geliebten Könige ſein letztes Dorf zurückzugeben . Major Schill, der Held von Colberg, wie ihn der große Haufe nannte, war von dem Könige für ſeine wackere Haltung während des letzten Krieges dadurch belohnt worden, daß er zuerſt nach dem Ab - zuge der Franzoſen in die befreite Hauptſtadt einrücken durfte. Seine Soldaten hingen an ihm mit unbegrenztem Vertrauen; die Berliner Bür - ger trugen ihn auf den Händen, und da die Maſſe an Ideen erſt glaubt wenn ſie in einem Manne Fleiſch und Blut gewinnen, ſo galt der tapfere Huſar bald als der leibhaftige Vertreter des alten kriegeriſchen Preußen - thums. Unzählige hofften von ihm die Wiederkehr der alten Größe; man rauchte Schill-Kanaſter, in jedem Bauernhauſe der Marken prangte das Bild mit dem martialiſchen Schnurrbart und Fouqués Verſen darunter. Die Volksgunſt ſtieg dem ehrlichen Haudegen zu Kopfe; der Beſcheidene wähnte ſich jetzt auserkoren zu wunderbaren Dingen, und kaum war der Krieg im Süden ausgebrochen, ſo führte er ſeine kleine Truppe, wenige hundert Mann, von dem Berliner Exercirplatze hinweg zum Angriff gegen das Königreich Weſtphalen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! rief er den unglücklichen Verführten zu. Die treuen Männer folgten ihm nur weil er im Auftrag der Krone zu handeln vorgab und ſich vermaß, die alte Größe Preußens wiederherzuſtellen. Bald nach dem Ausmarſch ereilte ihn die Nachricht von den Niederlagen344I. 3. Preußens Erhebung.der Oeſterreicher an der oberen Donau; das unſinnige Unternehmen ſcheiterte ſchon im Beginne, von einem großen Volksaufſtande war jetzt keine Rede mehr. Der König ließ nicht nur, wie ſeine Pflicht gebot, den Ernſt des Geſetzes gegen die Deſerteure in Kraft treten, er ſprach auch in ſcharfen Worten ſeine Entrüſtung aus über Schills unglaubliche That mit vollem Rechte, denn was ſtand noch feſt in dem unglücklichen Staate, wenn der Gehorſam des Heeres ins Wanken kam? Die ver - wegene Schaar fand nach planloſen Kreuz - und Querzügen einen ehren - vollen Untergang in den Mauern von Stralſund, und Napoleon that das Seine um das Andenken dieſer verlorenen Söhne des deutſchen Volkes zu heiligen. Welch ein Eindruck, da man vernahm, daß der Leiche Schills der Kopf abgeſchnitten, ſeine gefangenen Offiziere allerdings nach dem Buchſtaben des Völkerrechts als Straßenräuber behandelt und theils erſchoſſen, theils auf die Galeeren geſchleppt wurden! Tauſende wiederholten tief empört die Strophen Schenkendorfs:

Stahl von Männerfauſt geſchwungen
rettet einzig dies Geſchlecht!

Auch den König drängte die Stimme des Herzens zur Theilnahme an dem Kampfe. Er war entſchloſſen zu ſchlagen, doch er blieb nüchtern inmitten des allgemeinen Fiebers, das Bewußtſein einer ungeheuren Ver - antwortung laſtete ſchwer auf ſeiner Seele; denn zog er diesmal vergeb - lich das Schwert, ſo war Preußen vernichtet nach menſchlichem Er - meſſen für immer. Die Tollkühnheit einer Kriegserklärung, während der Feind wohlgerüſtet in Danzig und Magdeburg ſtand und durch die Garni - ſonen der Oderlinie das Staatsgebiet mittendurch zerſchnitt dies furcht - bare Wagniß war ein Unrecht, wenn ſich nicht zum mindeſten eine Möglichkeit des Erfolges zeigte. Friedrich Wilhelm wollte nicht zum zweiten male, wie in den Tagen von Auſterlitz, durch Oeſterreichs Wan - kelmuth der Rache des Siegers preisgegeben werden; er verlangte Bürg - ſchaften, daß Kaiſer Franz den Krieg auch nach Mißerfolgen fortführe bis Preußen im Stande ſei in den Kampf einzugreifen. Er forderte ferner Geld und Waffen von England ſowie die Landung eines britiſchen Corps in Deutſchland. Sein Staat war von allen Mitteln entblößt. Um nur etwas für die Rüſtungen thun zu können hatte man ſchon, un - vorſichtig genug, die vertragsmäßigen Contributionszahlungen an Frank - reich eingeſtellt; und wie ſollte die kleine Armee, in Schach gehalten wie ſie war durch die Feſtungen des Feindes, ſich im Felde behaupten, wenn ſie nicht einen Rückhalt an der Küſte fand? Das Allerwichtigſte blieb doch die Gefahr, die von Rußland, dem Verbündeten Frankreichs, drohte; nur wenn er gegen den Oſten geſichert war, ſchien dem Könige das Unter - nehmen nicht völlig ausſichtslos. Napoleon durchſchaute ſehr wohl die verzweifelte Lage ſeines geheimen Gegners und meinte gleichmüthig:345Alexander verhindert den allgemeinen Krieg. Preußen iſt heute ſehr wenig; ich habe der Mittel genug es zu unter - werfen.

Der König hatte mit richtigem Blicke die unerläßlichen Vorausſetzun - gen bezeichnet, von denen Preußens Kriegserklärung abhing; bald genug mußte er erfahren, daß keine einzige dieſer Bedingungen ſich erfüllte. Noch vor Ausbruch des Krieges ſchrieb er inſtändig drängend an den Czaren und bat um die beſtimmte Zuſage, daß Rußland ihn unterſtützen oder doch nicht angreifen werde, wenn er ſich mit Oeſterreich verbinde. Alexander antwortete: erfülle Preußen ſeine Verpflichtungen gegen Frank - reich nicht, ſo könne er deßhalb ſich mit Napoleon nicht überwerfen. Am 12. Mai ſchrieb der König nochmals: eine unglückliche Schilderhebung würde leicht zur Vernichtung Preußens führen, er müſſe mindeſtens die Sicherheit haben, daß Rußland den Untergang dieſes Staates nicht dulden werde. Auch diesmal lautete die Antwort des Czaren abſchlägig; ſein Brief enthielt unter ſchwungvollen Worten und brünſtigen Freund - ſchaftsbetheuerungen nur dieſen greifbaren Inhalt: Rußland könne ſich für jetzt nicht rühren, auch wenn der preußiſche Staat von der Landkarte verſchwände. Es ſtand nicht anders: der ruſſiſche Freund wollte das preußiſche Schwert in der Scheide zurückhalten bis er ſich ſelbſt des Er - werbes der heißerſehnten Donauprovinzen verſichert hatte. Und es war ihm Ernſt damit. Die Hilfsarmee, welche der Czar ſeinem franzöſiſchen Verbündeten zugeſagt, rückte wirklich durch Warſchau gegen Galizien vor. Wenngleich ſie den Krieg mit äußerſter Schonung, faſt nur zum Scheine führte und die aufſtändiſchen Polen in Galizien weit mehr zu fürchten ſchien als die Oeſterreicher ſelber, ſo bewirkte ſie doch, daß ein Theil des öſterreichiſchen Heeres von den Entſcheidungsſchlachten an der Donau fern gehalten wurde. Ein ruſſiſches Armeecorps hielt dicht an der oſtpreußiſchen Grenze, konnte in jeder Stunde einmarſchiren ſobald Preußen Miene machte ſich zu regen. Dieſe Haltung Rußlands ward entſcheidend für das Verfahren des Königs.

Aber auch von England geſchah monatelang gar nichts was dem preußiſchen Hofe die Erhebung erleichtern konnte. Die Hofburg endlich konnte von dem alten Hochmuth der Ferdinande nicht laſſen. Ihr Be - vollmächtigter Steigenteſch trat in Preußen mit herausfordernder Keckheit auf, er hatte Befehl den König zu compromittiren wenn der ſich nicht füge, und verrieth die vertraulichen Aeußerungen des Königsberger Hofes an den weſtphäliſchen Geſandten Linden, der Alles getreulich dem Impe - rator meldete. War doch in Preußen ſelbſt die Erbitterung gegen den königlichen Zauderer ſo ſtark, daß einige Patrioten alles Ernſtes riethen, die öſterreichiſchen Truppen in Polen ſollten durch Schleſien marſchiren, damit der Hof gezwungen werde ſich zu erklären! Eine einfache Militär - convention und allenfalls noch eine Bürgſchaft für den gegenwärtigen Beſitzſtand, das war Alles was Kaiſer Franz dem preußiſchen Staate in346I. 3. Preußens Erhebung.Ausſicht ſtellte für einen Kampf der Verzweiflung! Friedrich Wilhelm aber verlangte, wie billig, einen förmlichen Staatsvertrag, der ſeiner Mo - narchie die Wiederherſtellung ihrer alten Macht mit haltbaren Grenzen gewährleiſte. Auch in allen anderen Fragen der deutſchen Politik gingen die Abſichten der beiden Mächte weit auseinander. Oeſterreich zeigte ſich geneigt, im Falle des Sieges Warſchau wieder an die Krone Preußen zu - rückzugeben. Der König dagegen war ſeit dem großen Treubruch von 1806 von der Werthloſigkeit dieſes Beſitzes überzeugt und wünſchte für ſeinen Staat nur ſoviel polniſches Gebiet als unentbehrlich war um die Verbindung zwiſchen Schleſien und Altpreußen zu ſichern; aus dem übrigen Lande hätte er gern ein nationales polniſches Herzogthum unter dem gemeinſamen Schutze der drei Oſtmächte gebildet, wenn Preußen dafür in Deutſchland, etwa in Sachſen, entſchädigt würde. Doch Kaiſer Franz war keineswegs geſonnen irgend eine Verſtärkung Preußens auf deutſchem Boden zuzugeben; und als der preußiſche Unterhändler Kneſe - beck im Spätſommer, nach Oeſterreichs Niederlagen, den alten Barten - ſteiner Plan einer zweifachen Hegemonie in Deutſchland zur Sprache brachte, da begegnete er kalter Abweiſung. Selbſt das Unglück hatte den Dünkel des Hauſes Lothringen nicht gebrochen. Der warme Freund Oeſterreichs ſchrieb traurig heim: man könne ſich nicht mehr darüber täuſchen, die Hofburg wolle den preußiſchen Staat nicht als eine ebenbür - tige Macht anerkennen.

Alſo thaten Oeſterreichs Hochmuth, die Unfähigkeit der engliſchen Politik und die durchtriebene Berechnung des Czaren wetteifernd das Ihre um der preußiſchen Krone den Eintritt in den Krieg unmöglich zu machen. Des Königs ruhiger Soldatenblick beurtheilte auch den Gang der Kriegs - ereigniſſe richtiger als ſeine aufgeregte Umgebung; er hielt die Schlacht von Aspern nur für die rühmliche Abwehr eines Angriffs, nicht für einen entſcheidenden Schlag, und der Erfolg gab ihm Recht. Erzherzog Karl verſtand den Sieg ſeiner Soldaten nicht zu benutzen, blieb wochenlang faſt unthätig auf dem Marchfelde ſtehen, während Napoleon raſtlos aus allen Ecken ſeines weiten Reiches Verſtärkungen heranzog und ſelbſt die Matroſen aus den Häfen des Canals herbeikommen ließ. Im Juli fühlte ſich der Imperator ſtark genug zum zweiten male den Uebergang über die Donau zu wagen; am 5. und 6. Juli wurde der Erzherzog bei Wagram geſchlagen, weſentlich durch die Schuld ſeines Bruders Johann, der mit den Truppen aus Ungarn nicht rechtzeitig zur Stelle kam. Und wieder wie nach der Auſterlitzer Schlacht überwältigte der Kleinmuth den kaiſerlichen Hof. Sechs Tage ſpäter ward der Waffenſtillſtand von Znaym abgeſchloſſen, der Erzherzog legte mißmuthig das Commando nieder.

Die Welt wußte längſt, daß Napoleon einen Waffenſtillſtand nur dann bewilligte, wenn er des Friedens ſicher war. Gleichwohl hielt König347Wiener Friede.Friedrich Wilhelm noch immer ſeine kriegeriſchen Entwürfe feſt und ver - ſammelte ſeine Armee in feſten Lagern; das Corps Blüchers ſtand in Pommern bereit auf den erſten Wink gegen die Oderlinie vorzubrechen. Noch einmal (24. Juli) ſchrieb der wackere Fürſt ſeinem ruſſiſchen Freunde: der Tag von Wagram habe keine endgiltige Entſcheidung gebracht; er - klärten Rußland und Preußen jetzt gleichzeitig den Krieg, ſo ſei die Be - freiung Deutſchlands noch immer möglich. Sein Geſandter Schladen bewies dem Czaren in einer eindringlichen Denkſchrift: wenn Oeſterreich falle, ſo komme an Rußland die Reihe. Doch Alexander ſchwieg; erſt als der Friede geſchloſſen war kam eine Antwort aus Petersburg. Wäh - renddem ging Gneiſenau in geheimer Sendung nach London und beſchwor das britiſche Cabinet, die bereits ausgerüſtete Landungsarmee an die deutſche Küſte zu werfen, dann werde ſie dem preußiſchen Heere zur Stütze dienen. George Canning ſtimmte dem feurigen Deutſchen zu; der geniale junge Staatsmann fand damals ſchon die inſulariſche Politik Alt-Eng - lands engherzig und kleinlich. Doch die Mittelmäßigkeit der anderen Miniſter hatte nur Augen für das kaufmänniſche Intereſſe. Die Expe - dition ging nach den Niederlanden, um für die britiſche Flotte einen Brückenkopf auf dem Feſtlande zu gewinnen, und fand vor den Wällen von Antwerpen und in den Sümpfen von Walcheren ein ſchmähliches Ende. Auch auf Oeſterreichs Ausdauer war nicht mehr zu rechnen; man hatte im Hauptquartier die ſtolzen Pläne vom Frühjahr längſt aufgegeben und fühlte ſich dem Gegner, der inzwiſchen abermals an 80,000 Mann Verſtärkungen herangezogen, nicht mehr gewachſen.

Napoleon aber vollzog jetzt eine meiſterhafte diplomatiſche Schwenkung. Das alte Kaiſerhaus war vorderhand genugſam geſchwächt; wenn er mit dem Beſiegten ſich verſöhnte, ſo konnte er den großen Anſchlag gegen Rußland, der dem Unermüdlichen jetzt vor allem Anderen am Herzen lag, ungeſtört reifen laſſen. Seine Haltung ward freundlicher; im Wiener Frieden (14. Octbr.) gewährte er dem Hauſe Habsburg etwas mildere Be - dingungen als kurz zuvor noch erwartet wurde. Oeſterreich mußte zwar ſeine letzte Poſition an der Adria, den ganzen Küſtenſaum bis zur Sau dem Imperator einräumen, im Weſten an Baiern, im Nordoſten an Warſchau umfangreiche Gebiete abtreten, doch ihm blieb ſeine Großmachtſtellung und der Kern ſeiner Wehrkraft, das Land der Stephanskrone. Baiern erlangte zur Belohnung für treue Rheinbundsdienſte den Beſitz von Bai - reuth und damit die vollſtändige Ausführung jenes ſeit Jahren in Mün - chen emſig betriebenen Tauſchplanes: der Kernſtaat des Rheinbundes ge - wann für die entlegenen rheiniſchen Provinzen, wo jetzt Murat hauſte, das geſammte preußiſche Franken.

Der Krieg war zu Ende. Der tapfere Welf durcheilte in verwegenem Zuge das Königreich Weſtphalen, genoß auf kurze Stunden die herzlichen Begrüßungen des treuen Völkchens in der Stadt ſeiner Väter und fand348I. 3. Preußens Erhebung.endlich mit ſeinen Schwarzen eine Zuflucht an Bord engliſcher Schiffe. Seine treuen Tyroler gab Kaiſer Franz ebenſo gleichmüthig preis, wie er ſich einſt von den Pflichten des deutſchen Kaiſerthums losgeſagt hatte; dieſe Volksbewegung war dem mißtrauiſchen Despoten immer verdächtig geweſen. Die Verrathenen wollten nicht glauben, daß ihr Franz ſie ver - laſſen könne; wie heilig hatte er doch betheuert, er werde keinen Frieden unterzeichnen, der das Land des rothen Adlers von der Monarchie trenne! Sie widerſtanden bis zum Aeußerſten; erſt mit der Hinrichtung Andreas Hofers fand das unheimliche Trauerſpiel ſeinen Abſchluß. Die Erhebung der Völker Oeſterreichs verſank in Blut und Koth. Betrogen in ſeinen ſchönſten Hoffnungen, verekelt an allen Idealen wendete ſich das leicht - lebige Volk wieder den Freuden des Sinnenlebens zu. Die Erbkrankheit des modernen Wienerthums, die peſſimiſtiſche Verſtimmung nahm über - hand; wer mochte noch von Ruhm und Ehre träumen, da die öſterreichi - ſche Dummheit doch nur zum Unglück beſtimmt war? Nachher brachte ein ſchmählicher Staatsbankrott Verwirrung und Unredlichkeit in jeden Haushalt; bei Spiel und Tanz und Praterfahrten vergaß man die Noth der ſchweren Zeit. Die enttäuſchten Sieger von Aspern erlabten ſich an den Schmutzgeſchichten der Briefe Eipeldauers; von Fichte, Kleiſt und Arndt wußten ſie nichts. Der Krieg von 1809 hatte das deutſche Blut der Oeſterreicher noch einmal in Wallung gebracht; ein Jahr darauf ſtan - den ſie dem Leben unſerer Nation unzugänglicher, fremder gegenüber als je zuvor.

So war der Boden bereitet für die Selbſtherrſchaft des Kaiſers Franz. Der verlogene Biedermann traute ſich jetzt endlich der Weisheit genug zu um die Zügel des Staates in die eigene Hand zu nehmen; war er doch immer klüger geweſen als alle die Ideologen, die ihm von der Freiheit Europas geredet. Mit der Seelenruhe der ſelbſtgewiſſen Beſchränktheit ſtellte er nun das althabsburgiſche Regierungsſyſtem wieder her, wie es vor Maria Thereſia jahrhundertelang beſtanden hatte. In den inneren Verhältniſſen wurde grundſätzlich nichts mehr geändert; eine argwöhniſche Polizei hielt jeden Gedanken politiſcher Neuerung, wie vor - mals die Lehren der Ketzer, ſorgfältig darnieder, verhinderte, daß die ge - waltigen nationalen Gegenſätze dieſes vielſprachigen Völkergewimmels zum Selbſtbewußtſein erwachten, ſicherte den Gehorſamen das Phäakenglück eines wachen Traumlebens. Die Thätigkeit der Staatsgewalt war wieder ganz auf die europäiſche Politik gerichtet, und vortrefflich paßte zu dieſem Syſteme der unfruchtbaren Ruheſeligkeit der neue Miniſter des Auswär - tigen, Graf Metternich, der Adonis der Salons, der vielgewandte Meiſter aller kleinen Mittel und Schliche. Er ſelber hat am Ende ſeiner Lauf - bahn die Summe ſeines Lebens gezogen in dem Geſtändniß: ich habe oft Europa regiert, doch niemals Oeſterreich. Im diplomatiſchen Ränkeſpiele ging all ſein Wiſſen und Können auf. Völlig unwiſſend in allen Fragen349Kaiſer Franz und Metternich.der Volkswirthſchaft und der inneren Verwaltung überließ er dieſe bür - gerlichen Dinge nach altöſterreichiſchem Cavalierbrauche den Hofräthen und den Schreibern. Er haßte und fürchtete, wie ſein Kaiſer, die dämo - niſche Kraft des nationalen Gedankens, der ſich drüben in Deutſchland regte; er fürchtete nicht minder den ruſſiſchen Nachbarn, deſſen Macht er jederzeit überſchätzt hat. Er kannte die Welt zu gut und rechnete zu nüchtern um an die Ewigkeit des napoleoniſchen Reiches zu glauben; bot ſich die Gunſt der Stunde, ſo war er bereit dieſe drückende Uebermacht abzuſchütteln. Doch ſo lange die Herrlichkeit der Weltmonarchie noch un - erſchüttert währte, ſollte ihre Freundſchaft dem Hauſe Oeſterreich Vortheil bringen. Mit ſchamloſer Herzenskälte warb Kaiſer Franz um die Gnade des Siegers. Im Frühjahr 1810, noch vor der Hinrichtung Andreas Hofers verlobte er die Erzherzogin Marie Luiſe mit Napoleon. Die Tochter des letzten römiſchen Kaiſers wurde die Gemahlin des neuen Weltbeherrſchers, und ſie ſchändete ihr altes Haus durch flachen Leichtſinn, durch unwürdige Schmeichelei gegen die Franzoſen. Derſelbe Erzbiſchof von Wien, der vor Kurzem die Fahnen der Landwehr geweiht, ſegnete jetzt die nach katholiſchen Begriffen unzweifelhaft ehebrecheriſche Verbin - dung der beiden Kaiſerhäuſer. Das Lieblingsblatt der Wiener ſchilderte mit unterthäniger Dankbarkeit, wie Gott ſeinen eingeborenen Sohn für die Erlöſung der Menſchheit dahin gegeben und der gute Kaiſer Franz nach dieſem Vorbilde ſeine Tochter für die Rettung des Vaterlandes opfere. So war Oeſterreich im Jahre 1810. Niemals iſt einer hochherzigen Erhebung ein tieferer ſittlicher Fall gefolgt.

Der Krieg hatte überall die innere Hohlheit des rheinbündiſchen Re - giments an den Tag gebracht. Wie viel Groll und Haß in dem Volke Frankens und Weſtphalens; welche Schwäche der Staatsgewalt in Sachſen, wo der König noch vor dem Einmarſch des Feindes mitſammt ſeinem Grünen Gewölbe das Land verließ! Um ſo bitterer zürnten die preußi - ſchen Patrioten, daß die große Stunde verſäumt ſei. Die Königin klagte ſchmerzlich: Oeſterreich ſingt ſein Schwanenlied, und dann ade Germa - nia! Und doch hatte der König nur gethan was die klar erkannte Pflicht gebot. Napoleon war im Rechte, wenn er nach dem Frieden den preußi - ſchen Geſandten anherrſchte: es iſt nicht Euer Verdienſt, daß Ihr ruhig bliebt; es wäre der Gipfel des Wahnſinns geweſen, wenn Ihr mir den Krieg erklärt hättet mit den Ruſſen im Rücken! Er wußte wohl, daß es ihm nöthigenfalls ein Leichtes geweſen wäre zunächſt den Kaiſer Franz durch eine neue Schlacht zu einem Sonderfrieden zu zwingen und dann mit zermalmender Wucht den Todesſtoß gegen das vereinzelte Preußen zu führen. Wir Nachlebenden wiſſen auch, was jene Zeit weder ſehen konnte noch wollte: daß ſelbſt der unwahrſcheinliche Fall eines öſterreichi - ſchen Sieges unſerem Vaterlande kein Heil bringen konnte. Dann wäre ein neues Wallenſteiniſches Zeitalter über Deutſchland hereingebrochen,350I. 3. Preußens Erhebung.die habsburgiſche Fremdherrſchaft an die Stelle der napoleoniſchen ge - treten.

Der Mann aber, der an der großen Enttäuſchung die Hauptſchuld trug, wurde ſchnell irr an der Klugheit ſeiner feinen Berechnungen. Ale - xander fürchtete nichts ſo ſehr wie die Wiederherſtellung Polens durch Na - poleon. Wenn Ihr daran denkt, ſagte er zu Caulaincourt, dann iſt die Welt nicht groß genug um einen Ausgleich zwiſchen uns zu erlauben; und wiederholt gab er dem franzöſiſchen Geſandten zu vernehmen: Ga - lizien dürfe ſchlechterdings nur an Rußland fallen, wenn es nicht bei Oeſterreich verbleibe. Nun mußte er erleben, daß Napoleon im Wiener Frieden eigenmächtig das ganze Neugalizien, an anderthalb Millionen Einwohner mit den wichtigen Plätzen Zamosc, Lublin und Krakau dem Herzogthum Warſchau ſchenkte lauter Gebiete, welche Rußland ſo - eben erobert hatte und noch beſetzt hielt. Dem Czaren ſelber wurde blos ein Brocken aus der Beute, der Landſtrich um Tarnopol, zugeworfen nur der Schande halber, nur damit die Welt ſehe, der Czar ſei doch Frankreichs Verbündeter geweſen; nebenbei ſollte dies Danaergeſchenk den Petersburger Hof mit dem Wiener gründlich verfeinden. Die Wiederauf - richtung der alten polniſchen Krone rückte bedrohlich nahe; das Verhältniß zwiſchen den Tilſiter Alliirten ward täglich kühler ſeit Napoleon den neuen Freundſchaftsbund mit Oeſterreich geſchloſſen hatte. Alexander fühlte, daß ihm ſelber ein Kampf um das Daſein bevorſtehe.

Zunächſt wurde Preußen ſtrenge zur Rechenſchaft gezogen für die kriegeriſchen Abſichten des vergangenen Jahres. Nun der Imperator des Hauſes Oeſterreich ſicher war, nahm er gar keine Rückſicht mehr. Er kannte die geheimſten Gedanken des königlichen Hofes, theils durch die Verrätherei der öſterreichiſchen Diplomaten, theils aus den Berichten ſeiner eigenen Spione, und er hatte Grund zur Beſchwerde, da Preußen durch die Einſtellung der Contributionszahlungen ſich ſelber ins Unrecht geſetzt hatte. Wenn der König jetzt die ſchleſiſchen Güter des geächteten Braunſchweigers confiscirte, ſo wußte Napoleon genau, daß dieſer Dienſteifer nur den Zweck verfolgte die Beſitzungen des Welfen vor der franzöſiſchen Raubgier zu retten. Mit polternder Ungeduld verlangte er die Zahlung der Rück - ſtände, berechnete Wucherzinſen für die Säumniß. Als der König die völlige Erſchöpfung der Finanzen einwendete und erzählte, wie er bereits ſeine Juwelen und ſein goldenes Tafelgeſchirr zur Deckung der Staats - ſchulden dahingegeben, da hieß es höhniſch: welche erbärmlichen Mittel, wenn man unnütze Lager hält, Pferde ankauft und zweckloſe Ausgaben für das Heer macht!

Um den Grollenden durch einen Beweis des Vertrauens zu beſchwich - tigen verlegte der König auf Weihnachten 1809 ſein Hoflager wieder nach Berlin, mitten zwiſchen die Garniſonen der Franzoſen. Wie oft waren einſt in den fridericianiſchen Zeiten die Victoria ſchmetternden Poſtillone351Ausgang des Miniſteriums Altenſtein.durch dieſe Thore eingeritten. Und nun der Einzug der Beſiegten durch das neue Königsthor! Die ſchöne Königin ſaß weinend in dem Wagen, den ihr die verarmte Stadt geſchenkt; darauf der König zu Roß; hinter ihm Scharnhorſt, inmitten der Generale, bleich und finſter im Sattel hängend, dann die jungen Prinzen im Zuge ihrer Regimenter. Mehrere hundert Männer aus den verlorenen Provinzen waren herbeigeeilt um ihren angeſtammten Herrn bei ſeiner Rückkehr zu begrüßen; auch Arndt und Jahn ſtanden im Volksgewühle, erſchüttert von dem Uebermaß der Liebe, das mit einem male aus tauſend Herzen brach. Kein Auge blieb trocken. Es war, als ob Fürſt und Volk und Heer einander gelobten, daß nunmehr alle alte Schuld vergeſſen und vergeben ſei. Kleiſt aber be - grüßte den König als den Sieger, der größer ſei als jener triumphirende Cäſar, und rief, auf die Thürme der Hauptſtadt weiſend:

ſie ſind gebaut, o Herr, wie hell ſie blinken,
für beſſ’re Güter in den Staub zu ſinken.

Dem weichen Gemüthe Friedrich Wilhelms war es eine Freude, nun auch ſeinerſeits, nach der patriarchaliſchen Weiſe der Zeit, dem treuen Volke eine Liebe zu erweiſen. Im nächſten Monat feierte er zum erſten male das Ordensfeſt, das demokratiſche Feſt einer bürgerlich ſoldatiſchen Monarchie, und lud bis zum Poſtboten herunter Alle, die ſich in ihrem Berufe hervorgethan, auf ſein Schloß zu Gaſte. Und bezeichnend genug, Wenige nahmen an der allgemeinen Freude, die dem heimgekehrten Fürſten entgegenjubelte, aufrichtiger theil als der franzöſiſche Geſandte Graf St. Marſan. Der ehrenhafte hochconſervative Savoyard mußte dem Könige das Aergſte und Schnödeſte ſagen was je einem preußiſchen Herr - ſcher geboten wurde; er that nach ſeiner Amtspflicht, doch er ſah mit ſtiller Bewunderung die ſittliche Größe dieſes gebeugten Staates und empfand bald tiefe Verehrung für den Charakter Friedrich Wilhelms. Zwiſchen dem unglücklichen Monarchen und dem Geſandten ſeines Tod - feindes entſtand ein feſtes Verhältniß gegenſeitiger Hochachtung; noch viele Jahre ſpäter, als der Graf piemonteſiſcher Miniſter war, ließ ihn der König wiederholt ſeines vollen Vertrauens verſichern. *)So noch in einem Briefe des Königs an K. Victor Emanuel von Sardinien vom 15. März 1821.

Was wog das Wohlwollen des Geſandten, da ſein Herr unerbittlich blieb? Immer drohender und ſtürmiſcher wurden Napoleons Mahnungen. Zwar einen Krieg gegen Preußen beabſichtigte er jetzt nicht: dann wäre der Entſcheidungskampf mit Rußland zur Unzeit ausgebrochen. Doch die Gelegenheit ſchien günſtig, dem verhaßten Staate im Frieden abermals eine Provinz zu entreißen. Bald erfuhr man, der Imperator wolle auf ſeine Geldforderungen verzichten gegen die Abtretung von Schleſien! 352I. 3. Preußens Erhebung.Auch die Miniſter ſahen keinen anderen Ausweg mehr, ſie kamen zurück auf jenen verzweifelten Gedanken einer neuen Gebietsverkleinerung, wel - chen Schoen bereits vor dritthalb Jahren ausgeſprochen hatte. Am 10. März 1810 geſtand Altenſtein dem Fürſten Wittgenſtein, der Staat ſei verloren, wenn man nicht auf einen Theil von Schleſien verzichte. Der alte Fürſt war ein Hofmann des gemeinen Schlages, ängſtlich, glatt, ſchlau und frivol, ein abgeſagter Gegner Steins. Die Ehrloſigkeit dieſes Vorſchlags brachte ihn doch in Harniſch; entrüſtet berichtete er Alles ſeinem könig - lichen Herrn und machte dringende Gegenvorſtellungen. Dem Könige, der dies unfähige Miniſterium nie ſonderlich geachtet, riß die Geduld: er war ſofort entſchloſſen ſeine Räthe zu entlaſſen. Seinem klugen Ober - kammerherrn hat er dieſe patriotiſche That nie vergeſſen; ſeit jenen Tagen beſaß Wittgenſtein einen mächtigen ſtillen Einfluß, der ſich noch oft, und meiſt zum Schaden der Monarchie zeigen ſollte. Darauf verſtändigte ſich Friedrich Wilhelm mit Hardenberg, und nach langen Verhandlungen in Paris ließ ſich auch Napoleon herbei, den Wiedereintritt des verfehmten Staatsmannes zu geſtatten. Er mußte einſehen, daß bei dem entſchiedenen Widerwillen des Königs die friedliche Erwerbung von Schleſien unmöglich war; genug vorderhand, wenn ein fähiger Mann die Leitung der preußi - ſchen Finanzen übernahm und die pünktliche Abzahlung der Contribution verbürgte. Zu Anfang Juni 1810 erhielt Altenſtein den Abſchied, und Hardenberg trat in das Amt. Die zweite Epoche der preußiſchen Re - formen begann.

Während das preußiſche Volk mit zorniger Ungeduld der Stunde der Befreiung entgegenſah, wurde im rheinbündiſchen Deutſchland die Schande des Vaterlandes nur in einigen Landſtrichen und in vereinzelten patriotiſchen Kreiſen tief und bitter empfunden, am lebhafteſten im prote - ſtantiſchen Norden und vor Allem in den abgetretenen preußiſchen Pro - vinzen. Wie ein Mann hielt das treue Volk der Grafſchaft Mark zu - ſammen unter der Herrſchaft des Großherzogs von Berg; man that was man nicht laſſen durfte, unterwürfige Schmeichelei kam den Fremden hier nie entgegen. Ueberall in dieſen Landſchaften fanden ſich einzelne treue Beamte der alten Zeit, die ſich im Grunde des Herzens noch als preu - ßiſche Staatsdiener und die neue Ordnung der Dinge nur als eine flüch - tige Epiſode betrachteten: ſo der treffliche Juriſt Sethe in Münſter und der junge Motz auf dem Eichsfelde. Der alte Präſident Rumann in Celle trat ſein weſtphäliſches Amt erſt an als ihm ſein König Georg III. die förmliche Erlaubniß gegeben hatte. Nur ſehr Wenige von den preußi - ſchen höheren Beamten gingen ohne zwingenden Grund in die Dienſte rheinbündiſcher Fürſten, und ſie verfielen der allgemeinen Verachtung:353Stimmungen im Rheinbunde.ſo General Schlieffen und der Miniſter Schulenburg-Kehnert. Auch Dohm, der geiſtreiche Publiciſt, der ſo oft für die Krone Preußen Für - ſtenbundspläne geſchmiedet, büßte ſein altes Anſehen ein, da er jetzt plötz - lich den Glauben an ſeinen Staat verlor und bei König Jerome Dienſte nahm. Da und dort führte ein trotziger Edelmann von altem Schrot und Korn auf ſeine Weiſe den kleinen Krieg gegen die Fremden. Der Freiherr von Wylich in Cleve brachte das Archiv des alten ſtändiſchen Landtags auf ſeinem Schloſſe unter, trat überall als der einzige recht - mäßige Vertreter des cleviſchen Landes auf, da ſeine ritterbürtigen Ge - noſſen unterdeſſen hinwegſtarben, und als die Preußen endlich wieder ein - zogen, verlangte er getroſt, daß ſie den zweibeinigen Landtag ſofort in ſeine alten Rechte einſetzen müßten. Wie lachte der magdeburgiſche Adel, als der unbändige Heinrich Kroſigk einmal die Gensdarmen des Königs Jerome in das Spritzenhaus ſperren ließ und dann befriedigt ſeine Feſtungs - haft abſaß; ſo lange die Franzoſenzeit währte hatte der wilde Junker die geladenen Piſtolen immer auf dem Tiſche liegen, und ſobald ſein alter König rief, eilte er ſpornſtreichs über die Elbe zu den geliebten Fahnen.

In Sachſen und in Süddeutſchland klagte man wohl über die tau - ſendfache Noth der Zeit; doch die vielhundertjährige Entfremdung vom öffentlichen Leben und die Verkümmerung der Kleinſtaaterei ließen einen rechtſchaffenen Haß ſelten aufkommen. Die Preußen glaubten nicht an die Dauer des Weltreichs; in den Kleinſtaaten gab man allmählich jede Hoffnung auf. Die leidſame deutſche Geduld machte aus der Noth eine Tugend, verehrte den Rheinbund als das letzte Band, das die Nation noch zuſammenhalte. Nicht blos der Schwächling Dalberg pries begeiſtert, wie durch den rheiniſchen Bund die Vaterlandsliebe in jeder reinen Seele erweckt werde. Auch Hans Gagern hoffte ein neues, weſentlich deutſches Karolingerreich aus den Staatenbildungen des Imperators hervorgehen zu ſehen. Der Bremer Smidt, ein durchaus patriotiſcher und nüchterner junger Staatsmann, beſchwor ſeine Hanſeſtädte ſich dem Rheinbunde an - zuſchließen, der doch bald zum germaniſchen Bunde werden müſſe; nur ſo könnten die Hanſeaten wieder Deutſche ſein!

Wer das Schalten des Allgewaltigen ſcharf beobachtete, mußte freilich jetzt ſchon erkennen, daß dieſe Vaſallenlande alleſammt beſtimmt waren, dereinſt unmittelbar in die große Familie des Kaiſerreichs aufgenommen zu werden. Kaum waren die alten Fürſten entthront, ſo begann der Unerſättliche ſeine eignen Brüder zu berauben, die neu geſchaffenen Staa - ten wieder zu zerſtören. Kein Jahr verging, das nicht den Staaten des Rheinbundes neue Grenzverſchiebungen brachte. Der Erbe der Revolution betrachtete, genau wie die Cabinetspolitik des alten Jahrhunderts, den Beſitz von Land und Leuten nur als eine perſönliche Verſorgung für ſeine Angehörigen und Getreuen; als er das Großherzogthum Berg ver - größerte, ſagte er amtlich, das geſchehe um der Prinzeſſin Karoline einenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 23354I. 3. Preußens Erhebung.angenehmen und vortheilhaften Dienſt zu erweiſen. Was hinderte, ſolche Eintagsgebilde politiſcher Laune wieder nach Laune zu zerſtören? Ein Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Feſtung Erfurt im Herzen Deutſchlands für ſich behielt und ſie niemals einem ſeiner Sa - trapen anvertrauen wollte. In den Pariſer Salons war man über das künftige Schickſal der Rheinbundſtaaten nicht im Zweifel und begrüßte die Unterthanen des Königs Jerome, wenn ſie an die Seine kamen, ſcherzend als Français futurs.

Die Stämme im Süden und Weſten Deutſchlands ließen ſich von ſolchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß der Code Napoleon von tüchtigen deutſchen Juriſten, wie Daniels und Strombeck wiſſenſchaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht des Rheinbundes, das immer ein todter Buchſtabe blieb, reizte den Scharf - ſinn unterthäniger deutſcher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo Zachariä. Während Napoleon ſelbſt alle die föderaliſtiſchen Pläne des getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: ich lege keinen Werth auf den Bund als ſolchen, nur auf ſeine einzelnen Fürſten und ihre Unabhängigkeit entſtand in Deutſchland eine ganze Literatur, die mit liebevollem Fleiße jede Controverſe dieſes unfindbaren Bundesrechts er - örterte.

Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotiſche Jugend des Nor - dens über den Lügengeiſt der neuen Zeit, denn niemals früher war in den deutſchen Kleinſtaaten eine ſolche Fülle gehäſſiger Lügen über den Boruſſismus verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn - horſts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit hatte der preußiſche Staat unter der katholiſch-kaiſerlichen Partei ſeine leidenſchaftlichſten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die Münſterländer über den Untergang des preußiſchen Ketzerregiments; doch traten nunmehr, namentlich in den Kreiſen der bairiſchen Beamten, auch modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe franzöſiſcher Auf - klärung herunter hochmüthig abſprachen über die finſtere Macht des ſlavi - ſchen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu - rückgebliebene Oeſterreich und Preußen mit einer Verfaſſung nach galliſchem Muſter zu ſegnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die Erſtlinge jener neuen napoleoniſch-particulariſtiſchen Literatur, die ſeitdem durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutſchen Süden geblieben iſt. Der Vielgewandte verſtand ſehr geſchickt, zugleich den altbairiſchen Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der römiſchen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armſeligen Zeitungen des Rheinbunds von den preußiſchen Reformen nichts erzählten und die hirnverbrannten teutonomaniſchen Tugendbündler Stein und355Literatur des Particularismus.Scharnhorſt nur mit geringſchätzigem Spotte behandelten. Dann erſchie - nen plötzlich zu gleicher Zeit deutſch und franzöſiſch in zwei Buchhand - lungen des Rheinbundes die Memoiren der Markgräfin von Baireuth, gewiß nicht ohne das Zuthun eines der kleinköniglichen Höfe. Welcher Sturm der Schadenfreude im Lager des Particularismus! Der unver - dächtigſte Zeuge, die Lieblingsſchweſter des großen Friedrich beſtätigte Alles was man ſich im ſüddeutſchen Volke von der unerträglichen Härte des preußiſchen Staates, von der ſoldatiſchen Steifheit ſeiner Regierung und der herzloſen Grauſamkeit ſeines Königshauſes längſt erzählte! Wilhelmi - nens gallige Herzensergießungen wurden dem guten Rufe Preußens ge - fährlicher als irgend eine Schmähſchrift ſeiner Feinde, und es währte lange bis die hiſtoriſche Kritik die Unwahrhaftigkeit der verbitterten geiſt - reichen Fürſtin nachwies. Napoleon bemerkte zufrieden: alle deutſchen Höfe, namentlich der ſächſiſche, wünſchen die Theilung Preußens.

Die Wittelsbacher hatten längſt vergeſſen, daß ſie den Hohenzollern den Beſitz ihrer Erblande verdankten; Friedrich von Württemberg und mehrere andere Fürſten des Rheinbundes wurden nicht müde, den Im - perator vor Preußens gefährlichen Abſichten zu warnen; der ſächſiſche Miniſter Graf Senfft entwarf mit der oberflächlichen Haſtigkeit kleinſtaat - licher Ehrbegier Plan auf Plan, wie Preußen vernichtet und auf ſeinen Trümmern ein großes ſächſiſch-polniſches Centralreich aufgebaut werden ſolle. Der Geograph Mannert machte die Entdeckung, daß die Baiern keine Deutſchen ſeien, ſondern ein keltiſches Volk, den Franzoſen blutsver - wandt, wie man ſchon an ihrem nationalen Schnauzbarte erkenne. Ni - colaus Vogt aber bewies in ſeinem Buche die deutſche Nation und ihre Schickſale , wie die Deutſchen zweitauſend Jahre lang das Drama die feindlichen Brüder aufgeführt, bis endlich Napoleon die alte deutſche Verfaſſung in neuen Formen wieder aufgerichtet habe; ſeit der Vermäh - lung des Imperators mit Marie Luiſe hat Schönheit gepaart mit Hel - denkraft dauernden Frieden gegründet in dieſem zankenden Volke; drei große Segnungen bringt uns der Rheinbund: den Untergang der feuda - len Monarchie und der religiöſen Zwietracht, dazu die Gewißheit, daß im Innern Deutſchlands nie wieder ein Krieg geführt werden kann, end - lich die Herſtellung der nationalen Unabhängigkeit; küßt darum die Hand, welche Euch lehrt einig zu ſein, als Gotteshand! Die Völkchen dieſer Kleinſtaaten hatten ſich längſt gewöhnt jede Laune ihrer angeſtammten Herren ſich unterthänigſt unterthänig wohlgefallen zu laſſen , wie die herkömmliche Redensart in den Landtagsacten lautete; doch ſo ſchamlos, wie jetzt den fremden Gewalthabern gegenüber, war auf deutſchem Boden noch nie geheuchelt und geſchmeichelt worden. Mit unwandelbarer Begeiſte - rung feierte der Profeſſor der Beredſamkeit in Göttingen die Verdienſte Napoleons und Jeromes derſelbe Mann, der früher am Geburtstage Georgs III. und Friedrich Wilhelms III. patriotiſche Prachtreden gehalten23*356I. 3. Preußens Erhebung.hatte. Ueberall wo der Imperator erſchien mußten die Gemeinden und Corporationen ihm ihre Huldigungen darbringen, und das rheinbündiſche Beamtenthum verſtand vortrefflich den freien Ausdruck der Freude und öffentlichen Dankbarkeit anzufeuern . Byzantiniſche Adreſſen prieſen Na - poleons Unbeſiegbarkeit, ſeine weiſe Gerechtigkeit und vornehmlich ſeine menſchenfreundliche Friedensliebe. Jedesmal, ſagten ihm die Stände des Großherzogthums Berg, jedesmal wenn Sie gezwungen waren die Waffen zu ergreifen, ſchienen Sie grundſätzlich dem Kriege ſelbſt den Krieg zu erklären!

Wirkliche Geſinnung war im Rheinbunde wie im kaiſerlichen Frank - reich faſt allein noch bei den Truppen zu finden. Es ging zu Ende mit jenen philiſterhaften Friedensoffizieren der alten Reichsarmee, die ſich aus dem Kampfgetümmel wehmüthig zu den Schweinchen und Hühnern ihres heimiſchen Hofes zurückſehnten. Ein neues Geſchlecht wuchs heran, voll prahleriſchen militäriſchen Selbſtgefühls, begeiſtert für die Glorie der kaiſerlichen Adler; ein tüchtiger bairiſcher Offizier mußte zu jedem Früh - ſtück ein Dutzend Oeſterreicher verſpeiſen, denn was hatte Baierns Kriegs - geſchichte Herrlicheres aufzuweiſen als jene glänzenden Gefechte um Re - gensburg? Napoleon unterließ nichts was den vaterlandsloſen Landsknechts - geiſt dieſer Tapferen nähren konnte. Sie ſollten ihm ihre Seele ver - ſchreiben; darum verwendete er ſie gern zur Beſetzung der preußiſchen Feſtungen und ſchickte auch gegen die aufſtändiſchen Tyroler meiſtentheils rheinbündiſche Truppen, Baiern und Sachſen, ins Feld.

Das Syſtem der napoleoniſchen Präfectenverwaltung fand nirgends einen dankbareren Boden als in den geſchichtsloſen neuen Mittelſtaaten des Südens. Hier nahm das Organiſiren und Reorganiſiren kein Ende in Baden wurden die Verwaltungsbezirke binnen ſieben Jahren drei - mal völlig umgeſtaltet bis es ſchließlich gelang den verworrenen Hau - fen buntſcheckiger Staatentrümmer nach Flußläufen zu ordnen und in regelrechte Departements zurechtzuſchneiden. Der Protector hütete ſich weislich, den Dünkel ſeiner Getreuen durch unnützes Eingreifen in ihre Landesverwaltung zu reizen. Von ſelbſt verſtand ſich, daß ſeine Geſandten vor den Prinzen der Vaſallenſtaaten überall den Vortritt hatten. Brauchte er neue Truppen, ſo ließ er ſich die Einnahmebudgets ſeiner Könige und Großherzoge ohne Weiteres vorlegen und entſchied nach Gefallen. Auch hielt er als Schirmvogt der römiſchen Kirche ſtreng darauf, daß die Katho - liken im Staatsdienſte nicht zu kurz kamen, und befahl überall wachſame Beaufſichtigung der Feinde Frankreichs, namentlich unter dem Adel. Im Uebrigen durften die kleinen Despoten ziemlich ungeſtört ſchalten.

Am ſtärkſten und nachhaltigſten wirkte die bonapartiſtiſche Völkerbe - glückung in Baiern; kein anderer Theil Deutſchlands hat während der jüngſten drei Menſchenalter größere Wandlungen erlebt. Seit jenem Un - heilsjahre 1524, da die alten Wittelsbacher ihre Erblande der evangeli -357Baiern.ſchen Lehre eigenmächtig verſchloſſen und dadurch die kirchlich-politiſche Spaltung der deutſchen Nation begründeten, war der tapfere und treue, an rüſtiger Kraft des Leibes und des Willens den beſten Deutſchen eben - bürtige altbairiſche Stamm dem geiſtigen Leben dieſes paritätiſchen Volkes faſt ſo fremd geworden wie die Oeſterreicher. Am Schluſſe des alten Jahr - hunderts lebten in München drei Proteſtanten, die amtlich als Katholiken galten und zum Abendmahl nach Augsburg hinüberfuhren. *)Ich benutze hier die Aufzeichnungen des bair. Oberconſiſtorialraths v. Schmitt, die mir ſein Sohn, Herr Pfarrer Schmitt in Heidelberg mitgetheilt hat.Auf Schritt und Tritt begegnete der Wanderer den Erinnerungen des ſtreitbaren Katho - licismus; zu den Füßen der Marienſäule auf dem Schrannenplatze ſtand der Genius, der den Drachen der Ketzerei zerſchmettert. Das Volk glaubte feſt, ein Proteſtant ſehe ganz anders aus als ehrliche Chriſtenmenſchen; in den Faſtnachtszügen der Bauern erſchien der Luther mit ſeiner Kathi neben dem bairiſchen Hieſel und dem Schinderhannes; noch während der napoleoniſchen Feldzüge ließ ein altbairiſches Bataillon ein Bild des heiligen Petrus Spießruthen laufen, weil der Heilige ſeiner Heerde das erbetene gute Marſchwetter verſagt hatte. Die geſammte neue Literatur war luthe - riſch deutſch , blieb dieſen Hinterwäldlern verpönt und unbekannt.

Welch ein Umſchwung nun, als plötzlich ein ganzes Bündel evange - liſcher Territorien mit dem gelobten Lande der Klöſter und der geiſtlichen Schulen zuſammengeſchweißt wurde und gleichzeitig die Dynaſtie Zwei - brücken ihren Einzug hielt jene Nebenlinie des Hauſes Wittelsbach, die zwar wieder zur römiſchen Kirche zurückgekehrt, aber durch ihre ſchwe - diſch-proteſtantiſchen Traditionen und durch langjährigen Familienzwiſt mit der bigotten älteren Linie tief verfeindet war. Für große, ſchöpferiſche politiſche Ideen freilich blieb die flache gedankenloſe Gutmüthigkeit des neuen Königs Max Joſeph ebenſo unzugänglich wie die bureaukratiſche Härte und Herrſchſucht ſeines Miniſters Montgelas. Niemand verfiel auf den ſo naheliegenden Gedanken, den Schwerpunkt des jungen Königreichs in einen paritätiſchen Landſtrich, nach Nürnberg oder Augsburg zu verlegen. Die Reſidenz blieb in München, und die Hauptſtadt übte auf die Provinzen einen ſchädlichen Einfluß. Das Bier, das den Altbaiern, nach dem Ge - ſtändniß ihres Hiſtorikers Weſtenrieder, das fünfte Element des Lebens bildete, hielt ſeinen Siegeszug durch das ganze Land; die rührigen Schwa - ben und Franken nahmen bald Vieles an von der bequemen, läßlichen Sinnlichkeit der Altbaiern. Dieſe reichbegabten Stämme kamen langſam herab in ihrem geiſtigen Leben, ſie haben unter bairiſchem Scepter nie - mals wieder ſo Großes für die deutſche Cultur geleiſtet wie einſt in den Zeiten ihres reichsſtädtiſchen Glanzes. Für die altbairiſchen Lande dagegen wurde das Zuſammenleben mit den geiſtreicheren, aufgeweckten Nachbarn ein unermeßlicher Segen.

358I. 3. Preußens Erhebung.

Die Perſon des Landesherrn war in dieſem patriarchaliſchen Volke von jeher eine lebendige Macht; ſo recht aus Herzensgrunde begrüßten die Münchener Bürger den vergnüglich mit den Augen zwinkernden neuen Herrſcher: ’s iſt nur gut, Max, daß wir Dich haben! Wie horchte das Volk auf, als man vernahm, daß die Gemahlin des luſtigen Max, die edle Prinzeſſin Karoline von Baden, eine Ketzerin ſei, als dann der wackere Cabinetsprediger Schmitt, zuerſt beſcheiden im Nymphenburger Schloſſe, nachher öffentlich in der Hauptſtadt evangeliſchen Gottesdienſt hielt und Lutheranern wie Reformirten die Sacramentsgemeinſchaft ge - währte. Das hatte man nicht mehr erlebt, ſeit der Eroberer Guſtav Adolf in der Reſidenz der Wittelsbacher gehauſt. Dann kam eine Menge proteſtantiſcher Beamten ins Land, darunter manche Heißſporne der Auf - klärung wie Anſelm Feuerbach. Die Gleichberechtigung der Confeſſionen wurde verkündigt, und was das Wichtigſte war, das Schulweſen der Auf - ſicht des Staates unterworfen. Dem Feuereifer des Illuminaten Montgelas war damit noch nicht genug geſchehen; er haßte das Schamanenthum der römiſchen Kirche und die fromme Einfalt des altbairiſchen Volkes, dem er immer ein Fremder blieb. Eine Menge von Klöſtern wurde ge - ſchloſſen, hunderte von Kirchen ausgeräumt und ihr alter Schmuck unter den Hammer gebracht. Es war ein radicaler Umſturz, herzloſe Frivolität und brutaler Hochmuth führten das große Wort; doch mildere Hände hätten den Bann der Glaubenseinheit, der über dieſem Lande lag, nicht ge - brochen. Ein tief einſchneidendes Geſetz jagte das andere; die Leibeigenſchaft fiel, die Ablöſung der bäuerlichen Laſten und Zehnten ward ausgeſprochen, indeß blieben, Dank der fieberiſchen Haſt der Regierung, die meiſten dieſer mit lärmender Prahlerei angekündigten Reformen unausgeführt. Auch den neuen Landtag wagte der mißtrauiſche Miniſter niemals einzuberufen, obgleich dieſem ſonderbaren Parlamente nur das Recht zuſtehen ſollte, durch drei Commiſſäre ſeine Anſichten auszuſprechen und dann ſchweigſam über die Vorlagen der Regierung abzuſtimmen. Von den neuen Inſti - tutionen ſtand nichts feſt als das Conſcriptionsheer und die Allmacht des Beamtenthums, das noch immer ebenſo nachläſſig, roh und beſtechlich war wie in der guten alten Zeit.

Die junge Krone gefiel ſich in einem lächerlichen Dünkel; man ſprach amtlich nur von dem Reiche Baiern, und es that dem königlichen Selbſt - gefühle keinen Abbruch, daß der Protector ſeine Befehle an Max Joſeph jetzt mit einem einfachen il faut, il faut zu beginnen und zu ſchließen pflegte. Baiern ſollte der glückliche Erbe der preußiſchen Monarchie wer - den, ihrer Macht, ihres Kriegsruhms, ihrer Aufklärung. Um den Glanz von Berlin zu überbieten wurden die Münchener Akademie und die aus der alten Jeſuitenburg Ingolſtadt nach Landshut verlegte Univerſität reichlich ausgeſtattet; doch was konnten die tüchtigen aus dem Norden be - rufenen Gelehrten hier leiſten in der ſtockigen Luft dieſes napoleoniſchen359Württemberg.Satrapenlandes, dem der ſittliche Schwung des preußiſchen Lebens völlig fehlte? Wie ſchwer und langſam die zarte Pflanze der Bildung in dieſem harten Boden Wurzeln ſchlug, das lehrte der Mordanfall eines bairiſchen Studenten auf den Philologen Thierſch; der bigotte Bajuvare konnte den Anblick des norddeutſchen Ketzers nicht länger ertragen. Alles alte Her - kommen war zerſtört, Niemand fühlte ſich mehr ſicher im Beſitze wohler - worbener Rechte; dabei wuchs die Noth der Finanzen von Jahr zu Jahr, die gewiſſenloſe Verwaltung kannte den Betrag der Staatsſchulden ſelbſt nicht mehr. Und doch hat das gewaltthätige Regiment des Halbfranzoſen Montgelas eine glücklichere Zeit für Altbaiern vorbereitet; dieſer Verächter alles deutſchen Weſens ſo wenig überſieht der Menſch die letzten Wirk - ungen ſeines Schaffens führte ahnungslos den bairiſchen Stamm aus einem dreihundertjährigen Sonderleben wieder zu der Gemeinſchaft der modernen deutſchen Cultur zurück.

Jene alte Weiſſagung, die dem ehrgeizigen kleinen Hauſe Württem - berg die Königskrone von Schwaben verhieß, war nun endlich in Erfül - lung gegangen; aber auch ein anderes Sprichwort ſollte ſich bewähren, das die Altwürttemberger mit naivem Selbſtgefühle zu wiederholen pfleg - ten: unſere Fürſten ſind immer böſe Kerle geweſen. Ein hochbegabter Mann, neben Herzog Karl Auguſt vielleicht der beſte Kopf in jener Ge - neration deutſcher Fürſten, hatte König Friedrich den Sinn für edlere Bildung früh in ſich ertödet: alle Gelehrten waren ihm nur noch Schrei - ber, Schulmeiſter und Barbierer. Als er dann den Befehl Napoleons chassez les bougres! gelehrig befolgt und ſeine alten Landſtände aus - einandergejagt hatte, da kannte der Hochmuth des Selbſtherrſchers keine Schranken mehr, und er begann ein Sündenregiment, wie es der gedul - dige deutſche Boden noch nie geſehen. Breit und frech wie die neue Königskrone auf dem Dache des Stuttgarter Schloſſes prunkte die Willkür daher; der König verbarg es nicht, daß er Tarquinius und Nero als die Meiſter der Herrſcherkunſt bewunderte. Zweitauſend dreihundert Reſcripte der Sacra Regia Majestas warfen den geſammten Beſtand des hiſtori - ſchen Rechtes über den Haufen, verſchmolzen das bürgerlich-proteſtantiſche Altwürttemberg mit den geiſtlichen, reichsſtädtiſchen und adlichen Territo - rien Neuwürttembergs zu einer Maſſe. Der Wille des Königs und ſeiner zwölf Landvögte gebot unumſchränkt in den nördlichen wie in den ſüdlichen Provinzen des Reichs ſo lautete der beſcheidene Ausdruck der Amts - ſprache; ſämmtliche Gemeindebeamten ernannte der König. Alles zitterte, wenn der ruchloſe dicke Herr in ſeinem Muſchelwagen heranfuhr; die Werk - zeuge ſeiner unnatürlichen Lüſte ſowie einige habgierige mecklenburgiſche Junker bildeten ſeine tägliche Umgebung. Durch Zwangsaushebung ver - ſchaffte er ſich alle Arbeitskräfte, die er brauchte, ſogar ſeine Lakaien; in einem einzigen Oberamte wurden mehr als 21,000 Mann zur königlichen Jagdfrohne aufgeboten. Ein ſtrenges Verbot der Auswanderung raubte360I. 3. Preußens Erhebung.dem verzweifelnden Volke die letzte Hoffnung. Mit beſonderer Schadenfreude gab der König den erlauchten Herren vom Reichsadel ſeine ſelbſtherrliche Macht zu fühlen; er bedurfte kaum der Mahnungen des Protectors, der ſeine Vaſallen beſtändig vor den Umtrieben der Mediatiſirten warnte. Die alten Familiengeſetze der Fürſten, Grafen und Ritter wurden mit einem Schlage beſeitigt; die neue Hofrangordnung gab den adlichen Grund - herren ihren Platz hinter den Pagen und Stalljunkern, und wer nicht bei Hofe erſchien verlor ein Viertel ſeines Einkommens.

Gewiß entſprang auch dieſer Sultanismus wie Stein das Treiben der rheinbündiſchen Despoten zu nennen pflegte nicht allein der per - ſönlichen Laune. Der König verfolgte und erreichte das Ziel der würt - tembergiſchen Staatseinheit, und es bedurfte einer eiſernen Fauſt um dieſe klaſſiſchen Lande der Kirchthurmspolitik in etwas größere Verhältniſſe einzuführen. Ueberall wo die rheinbündiſche Bureaukratie die Erbſchaft der kleinen Reichsfürſten antrat, ſtieß ſie auf völlig verrottete, lächerliche Zuſtände. Als die Staaten der beiden Häuſer Leiningen-Weſterburg dem Großherzogthum Berg einverleibt wurden, da fand ſich in der gemein - ſchaftlichen Kreiskaſſe beider Lande als einziger Beſtand ein Vorſchuß von 45 Gulden, den der Rendant aus eigener Taſche vorgeſtreckt. Der Untergang ſolcher Staatsgebilde konnte kein Verluſt für die Nation ſein. In Württemberg aber wurde die unvermeidliche Revolution mit ſo grau - ſamer Roheit, mit ſo cyniſchem Hohne durchgeführt, daß die Maſſen nur die Härte, nicht die Nothwendigkeit des Umſturzes fühlen konnten. Wäh - rend die geknebelte Preſſe ſchwieg, ſammelte ſich im Volke ein ſtiller dumpfer Groll gegen den König an. Die Einwohner der Reichsſtädte, der hohen - lohiſchen, der Stifts - und Ordenslande wollten ſich an das neue Weſen ſchlechterdings nicht gewöhnen. Auch die Altwürttemberger vergaßen über dem ſchwereren Drucke der Gegenwart Alles was einſt die Vettern und Vet - tersvettern der Ehrbarkeit in ihren Landtagsausſchüſſen geſündigt hatten und ſehnten ſich zurück nach dem alten guten Rechte der ſtändiſchen Verfaſſung. Der Geſichtskreis dieſer kleinſtaatlichen Welt blieb freilich ſo eng, daß ſelbſt der geiſtvollſte und leidenſchaftlichſte Stamm des Südens von dem wilden Nationalhaſſe, der die preußiſchen Herzen bewegte, kaum berührt wurde. Die Schwaben verwünſchten ihren heimiſchen Tyrannen; an den letzten Grund ihrer Leiden, an die Schmach der Fremdherrſchaft dachten ſie wenig. Nur einzelne hochſinnige Naturen, wie der junge Ludwig Uhland, empfanden den ganzen Ernſt der Zeit.

So lange der milde und gerechte Karl Friedrich lebte wurde die Härte des rheinbündiſchen Regiments in Baden nicht allzu ſchwer empfun - den. Erſt unter ſeinem Nachfolger Großherzog Karl brach auch über dies Land die wüſte Willkür des Bonapartismus herein. Die Elſaſſer und Lothringer freuten ſich der Glorie des Kaiſerreichs, zählten mit Stolz die lange Reihe der Helden auf, welche ihr Land unter die Fahnen des Un -361Norddeutſche Rheinbundsſtaaten.beſieglichen geſendet hatte: Kleber, Kellermann, Lefevre, Rapp und den Tapferſten der Tapferen, Ney. Die übrigen Lande des linken Ufers ver - harrten in tiefem Schlummer. Den Alten lag die gedankenloſe Genießlich - keit der biſchöflichen Zeiten noch in den Gliedern, die Jungen wanderten mit dem breiten Bonaparthut geſchmückt in die franzöſiſchen Lyceen. Wagte ſich hier ja einmal ein deutſches Buch heraus, ſo begegnete ihm das Mißtrauen der kaiſerlichen Cenſoren, die kein Deutſch verſtanden; die Schrift des Naturforſchers Treviranus über die Organiſation der Blatt - laus ward beanſtandet, weil die Organiſation den Cenſor an den Tugend - bund erinnerte. Die letzten Spuren deutſcher Bildung ſchienen im Ver - ſchwinden. Namentlich die leichtlebigen Pfälzer fügten ſich ſchnell dem wälſchen Weſen; von den Beamten verlangte der gute Ton, daß ſie auch im Hauſe franzöſiſch radebrechten. Selbſt unter den preußiſchen Patrioten wurde vielfach bezweifelt, ob es noch möglich ſei dies Baſtardsvolk dem deutſchen Geiſte wiederzugewinnen. In Darmſtadt, in Naſſau, überall das gleiche Weſen: Kriecherei gegen den Protector, durchfahrende Strenge gegen das eigene Volk. Selbſt der feurige Verehrer der Kleinſtaaterei, Hans Gagern vermochte die tiefe Unſittlichkeit dieſes Treibens nicht mehr zu ertragen; die patriotiſche Strömung der neuen Literatur ergriff auch ihn, er verließ den naſſauiſchen Dienſt und ſchrieb in ſeiner verworrenen Weiſe eine Nationalgeſchichte der Deutſchen.

Den ſchärfſten Gegenſatz zu der revolutionären Politik der Staaten des Südens und Weſtens bildete das Stillleben der kleinen Territorien des Nordens. Hier blieben die alten Inſtitutionen auch unter dem Rhein - bunde ebenſo unverändert wie die Fürſtenhäuſer und die Landesgrenzen; nur die Conſcription mußte überall eingeführt werden. Im Königreich Sachſen war ſogar dieſe einzige Neuerung nicht durchzuſetzen; man be - gnügte ſich, den nach alter Weiſe angeworbenen Truppen durch die Ein - führung neufranzöſiſcher Reglements eine beſſere militäriſche Haltung zu geben. Die alte Geſellſchaftsordnung bewahrte hier noch immer eine überraſchend ſtarke Kraft des Widerſtandes. Napoleon verſchmähte die kleinlichſten Mittel nicht um ſich den Gehorſam des ſächſiſchen Hofes zu ſichern; jahrelang hielt er die albertiniſche Eitelkeit hin durch unbeſtimmte Andeutungen, als würde er vielleicht die Tochter des Königs heirathen - Friedrich Auguſt folgte den Befehlen des Protectors faſt noch unterwürfi - ger als ſeine Genoſſen in München und Stuttgart, er ließ in Warſchau den Code Napoleon und den ganzen Mechanismus der franzöſiſchen Prä - fectenverwaltung einführen. Doch ſeinen ſächſiſchen Ständen gegenüber wagte er nichts: weder die Aufhebung der Vorrechte des Adels noch die ſtaatsrechtliche Vereinigung der Erblande mit der Lauſitz und den ſtifti - ſchen Nebenlanden. Der unförmliche Bau des altſtändiſchen Staats - weſens blieb unwandelbar aufrecht, desgleichen die weltberühmte ſteife Etikette des Hofes, alſo daß der Emporkömmling Jerome ſeinem Geſandten362I. 3. Preußens Erhebung.Dohm die Weiſung gab, hier in Dresden an erſter Quelle die Geheim - niſſe des Ceremoniells zu ſtudiren und ausführlich darüber zu berichten. Unter den alteingeſeſſenen Herren des Nordens hat nur einer ſeinen Staat in napoleoniſche Formen umgegoſſen: der närriſche Herzog von Koethen. Der ruhte nicht bis ſein Reich in zwei Departements getheilt, mit einem Staatsrathe, Präfecten, Unterpräfecten und dem heilbringen - den Code geſegnet war: alle dieſe Herrlichkeiten verkündete das neue Bulletin des lois de l’Empire Anhaltin-Coethien.

Den beiden Napoleoniden, welche inmitten dieſer hochconſervativen norddeutſchen Welt ihre Throne aufrichteten, war eine revolutionäre Po - litik durch die Natur der Dinge geboten. Hier, in Staaten ohne Ver - gangenheit wie der weſtphäliſche Miniſter Malchus ſich wohlgefällig ausdrückte, lag kein Grund vor alte Ueberlieferungen zu ſchonen, hier konnte Alles was beſtand kurzerhand nach der Schablone der napoleoni - ſchen constitution régulière umgeformt werden. In Weſtphalen wie in Berg begann die Neugeſtaltung unter der Oberaufſicht des Imperators ſelber; beiden Vaſallen ſchärfte er ein, ſie ſollten durch die Zerſtörung aller Privilegien dahin wirken, daß die norddeutſchen Nachbarn, nament - lich die Preußen, ſich nach der napoleoniſchen Herrſchaft ſehnten. In der That galt das Staatsrecht des Königreichs Weſtphalen nicht blos im Rheinbunde, ſondern auch bei einem Theile der preußiſchen Patrioten als eine Muſterverfaſſung. Wie ſtattlich erhob ſich hier die Krone mit ihrem Scheinparlamente hoch über der eingeebneten, von allen Standesvorrechten völlig befreiten Geſellſchaft; und zudem die Schlagfertigkeit der Präfecten, die raſchere Rechtspflege, die ungewohnte Höflichkeit der meiſten Beamten, die Beſeitigung der Binnenmauthen, die Aufhebung der Leibeigenſchaft, der Patrimonialgerichte und der gutsherrlichen Gewalt! Die neue Herr - ſchaft wußte ſich viel mit ihrer Bauernfreundlichkeit. Nicht einmal die Namen der alten ſtändiſchen Gliederung des flachen Landes ließ ſie mehr gelten; das altgermaniſche Kothſaſſe ſchien den aufgeklärten Räthen des Königs ſchon darum anſtößig weil ſie das Wort von Koth ableiteten. Wer auf dem Lande wohnte war paysan. Der vielgeplagte Ruſticalſtand befand ſich in mancher Hinſicht wohler als vormals unter dem Regimente der hannoverſchen Junker und der heſſiſchen Soldatenverkäufer. Noch heute hat ſich unter den kleinen Leuten des Göttinger Landes der Name Piſänger erhalten. Die Bauern fühlten ſich geehrt, wenn ihre Repräſen - tanten im Schloſſe zu Caſſel unter den vornehmen Herren erſchienen und von der Wache mit präſentirtem Gewehr begrüßt wurden. Nach Jahren noch geſtanden die Pächter im Magdeburgiſchen dem preußiſchen Miniſter Klewitz treuherzig, eine ſolche Verfaſſung möchten ſie wohl wie - der haben. *)Klewitz Bericht über ſeine Rundreiſe in der Provinz Sachſen v. 29. Juli 1817.

363Weſtphalen. Berg.

Trotzdem war von Anhänglichkeit auch unter dem Landvolke nicht die Rede. Die Treue zu den alten heimiſchen Herren wankte nicht, und wie ſollte der Bauer Vertrauen faſſen zu Beamten, deren Sprache er nicht verſtand? Wenngleich Einzelne abfielen und in Weſtphalen wie in Berg mehrere ſtolze Adelsgeſchlechter durch Untreue ihre alten Namen ſchändeten, ſo ſah doch die ungeheure Mehrheit des Volks mit ſteigendem Abſcheu auf die Herrſchaft der Fremden. Die wüſten Orgien des flachen, leichtfertigen Jerome, die Frechheit der franzöſiſchen Gauner und Abenteu - rer, welche ſeine Verſchwendung mißbrauchten, die furchtbaren Menſchen - opfer der unabläſſigen Kriege, die hündiſche Schmeichelei gegen den, vor dem die Welt ſchweigt wie Johannes Müller in einer ſeiner parla - mentariſchen Schaureden ſagte die ſchlechten Künſte der geheimen Polizei, die Verfolgung der Deutſchgeſinnten und die Verhöhnung der Mutterſprache, die Euch in Europa iſolirt Alles, Alles an dieſem ausländiſchen Weſen erſchien dem kerndeutſchen Volke gehäſſig und ver - ächtlich, wie ein tolles Faſchingsſpiel, das binnen Kurzem ſpurlos ver - ſchwinden müſſe. Jerome fühlte bald ſelbſt, wie der Boden unter ſeinen Füßen ſchwankte; um ſo ſtraffer hieß ihn Napoleon die Zügel anziehen. Der wohlmeinende Miniſter Bülow, ein Neffe Hardenbergs, mußte dem Unwillen der franzöſiſchen Partei weichen; an ſeine Stelle trat Malchus, ein geſcheidter und geſchäftskundiger, aber harter und gewiſſenloſer Mann, dem Herrſcher ein gefügiges Werkzeug, in Allem das Ideal des rheinbün - diſchen Beamten.

Dabei waren die Napoleoniden ſelber keinen Augenblick ſicher vor den Gewaltſchlägen des unermüdlichen Kronenräubers und Kronenver - ſchenkers. Murat hatte ſein rheiniſches Herzogthum von vornherein nur als eine vorläufige Abfindung betrachtet und gab es bereitwillig wieder auf, als ſein Schwager ihm nach einigen Jahren befahl, augenblicklich zwiſchen den Kronen von Neapel und Portugal zu wählen: das muß in einem Tage abgethan werden! Das deutſche Ländchen wurde nunmehr dem unmündigen Sohne Ludwigs von Holland das will ſagen: dem Imperator ſelber zugetheilt. Der nördliche Theil von Hannover war unterdeſſen ſeit dem preußiſchen Kriege vorläufig unter franzöſiſcher Ver - waltung geblieben. Auch über das Schickſal der Hanſeſtädte hatte ſich Napoleon noch nicht entſchieden. Er haßte ſie ingrimmig als Englands getreue Kunden. Während der letzten drei Jahre hatte er aus Hamburg allein 44 Mill. Fr. erpreßt; auf die Klage über den Untergang des Han - dels hieß es höhniſch: um ſo beſſer! dann könnt Ihr nicht mehr Eng - lands Geſchäfte beſorgen! Im Herbſt 1809 verhandelte er mit den drei Städten zu Hamburg durch ſeinen vielgewandten Reinhard: ſie ſollten zuſammen einen halbſouveränen Staat des Rheinbundes bilden unter der Aufſicht von drei kaiſerlichen Beamten. Die Hanſeaten jedoch erhoben Bedenken, ſtatt raſch zuzugreifen, wie ihnen ihr kluger Landsmann Smidt364I. 3. Preußens Erhebung.gerathen hatte. Sie verlangten die volle Souveränität ſowie das Recht freien diplomatiſchen Verkehres, ſie wollten ihr Rheinbunds-Contingent durch Geldzahlungen abkaufen und hofften eine Zeit lang um ſo zuverſicht - licher auf die Erfüllung ihrer Wünſche, da inzwiſchen (1. März 1810) Nord-Hannover für immer mit dem Königreich Weſtphalen vereinigt wurde.

Bald aber wurde der Imperator wieder anderen Sinnes. Eine neue Dünenbildung ſollte aus dem Flugſande dieſer zertrümmerten Staaten - welt emporſteigen. Napoleon entthronte ſeinen Bruder Ludwig von Hol - land, riß das Münſterland von dem bergiſchen Herzogthume ab, nahm das ſoeben an Jerome verſchenkte nördliche Hannover wieder zurück und vereinigte alle dieſe Lande, mitſammt Oldenburg und den Hanſeſtädten, mit dem Kaiſerreiche (10. Dec. 1810). Das Alles war einfach durch die Umſtände geboten . Zu den ſieben deutſchen Departements des linken Rheinufers traten fünf niederdeutſche hinzu. Die Marken der unmittel - baren Herrſchaft des Kaiſers erſtreckten ſich im Süden bis über Rom hinaus, im Norden bei Lübeck bis an die Oſtſee. Durch den Beſitz der geſammten Nordſeeküſte ſchien die Durchführung der Continentalſperre endlich geſichert. Ein Kanal, binnen fünf Jahren zu vollenden, ſollte den Strand der Oſtſee mit der Hauptſtadt der Welt verbinden. Blieb das Glück dem Vermeſſenen hold, ſo war die Einverleibung noch anderer deutſcher Lande nur noch eine Frage der Zeit; beſaß der Imperator doch bereits tief im Innern der Rheinbundsſtaaten eine Menge von Domänen, die er theils ſich ſelber vorbehielt, theils an ſeine Würdenträger als Do - tationen vertheilte. Schon mehrmals hatte das Geſchick den Trunkenen an die Schranken alles irdiſchen Wollens erinnert: bei Eylau, bei Aspern und in Spanien. Er achtete es nicht. Sein Reich war jetzt größer denn je, ſeine Träume flogen bis über die Grenzen des Menſchlichen hinaus. Er beklagte bitter, daß er ſich nicht, wie einſt Alexander, für den Sohn eines Gottes ausgeben könne: jedes Fiſchweib würde mich auslachen; die Welt iſt heute zu aufgeklärt, es giebt nichts Großes mehr zu thun! Die Einverleibung von Spanien und Italien war längſt beſchloſſene Sache. Nur noch ein letzter ſiegreicher Vormarſch Maſſenas gegen Liſſa - bon; dann ſollte ein kaiſerliches Decret, das bereits fertig vorlag, den Völkern der iberiſchen Halbinſel verkünden, daß auch ſie jetzt dem großen Reiche angehörten und ihr Kaiſer Herr ſei über alle Küſten vom Sunde bis zu den Dardanellen: Der Dreizack wird ſich mit dem Schwerte ver - einen und Neptun ſich mit Mars verbinden zur Errichtung des römiſchen Reiches unſerer Tage. Vom Rhein bis zum atlantiſchen Ocean, von der Schelde bis zum adriatiſchen Meere wird es nur ein Volk, einen Willen, eine Sprache geben!

So war die Lage der Welt, als Hardenberg die Leitung der preußi - ſchen Politik übernahm. Wenige Wochen nach ſeinem Eintritt traf den365Einverleibung der Nordſeeküſte.Monarchen ein erſchütternder Schlag: Königin Luiſe ſtarb gebrochenen Herzens, ſie ſchwand dahin wie die Blume, die des Lichts entbehrt. Ihre letzten Sorgen noch hatten dem Vaterlande gegolten, Hardenbergs Rück - kehr war zum guten Theile ihr Werk. Dem Wittwer blieb eine namen - loſe Wehmuth im Herzen zurück; niemals konnte er der Entſchlafenen vergeſſen, niemals hat er das volle freudige Gefühl der Lebensluſt wiederge - funden. Das treue Volk trauerte mit ihm. So viel Raub, Hohn und Schmach hatte man ertragen; und nun war ſie auch noch hingegangen, zu Tode gequält von dem rohen Sieger, die Holdeſte und Edelſte der deutſchen Frauen! Die alte fromme Ehrfurcht der Germanen vor der Würde des Weibes ward wieder rege; mit ſchwärmeriſcher Andacht ſchaute dies romantiſche Geſchlecht zu dem Bilde der Verklärten empor, und zu all den zornigen Gedanken, die der preußiſchen Jugend das Herz bewegten, geſellte ſich jetzt noch der Entſchluß den Schatten dieſer hohen Frau zu rächen. Auf Aller Lippen war das ſtolze Wort, das ſie einſt in den Tagen der höchſten Noth geſprochen: wir gehen unter mit Ehren, ge - achtet von Nationen, und werden ewig Freunde haben weil wir ſie ver - dienen!

Hardenberg hatte das ſechzigſte Lebensjahr bereits vollendet; er brachte freilich nicht die ungebrochene Lebenskraft, doch den zuverſichtlichen Muth eines Jünglings mit in ſein ſchweres Amt. Ein vornehmer Herr aus altem reichem Hauſe, wie Stein, war er von dieſem durch Charakter, Lebensanſicht, Bildungsgang weit geſchieden. Die Schwächen des Einen lagen genau da wo der Andere ſeine Stärke zeigte, und nicht zufällig entſtand allmählich zwiſchen den beiden Reformern jene Abneigung, die zuerſt von Stein mit leidenſchaftlicher Heftigkeit ausgeſprochen, nachher von Hardenberg etwas gutmüthiger erwidert wurde. Weniger gründlich, aber vielſeitiger gebildet als der Reichsritter hatte Hardenberg ſchon in ſeinen lockeren Studenten - und Reiſejahren die Welt von allen Seiten her kennen gelernt, mit Menſchen jeden Schlages, auch mit dem jungen Goethe, munter und geiſtreich verkehrt. Die Aufklärungsphiloſophie des alten Jahrhunderts ergriff ihn weit ſtärker als jenen gläubigen Urgerma - nen; ſein religiöſes Gefühl blieb immer ſchwach, ſeine Duldſamkeit ehrlich und ohne Grenzen. Er ſah das Leben an wie ein luſtiger, feingebildeter Marquis der guten alten bourboniſchen Zeit. Das Geld wollte zwiſchen ſeinen Fingern niemals haften; ein großes Vermögen war raſch durch - gebracht. Bis in das höchſte Alter verfolgten ihn ärgerliche häusliche Händel und frivole Abenteuer mit ſchlechten Weibern. In ſeinem Auf - treten lag gar nichts von der überwältigenden Kraft und Großheit Steins; doch er war noch immer ein ſchöner Mann mit hellen, gütigen blauen Augen, mit einem herzgewinnenden Lächeln um den geiſtreichen Mund eine Erſcheinung verführeriſch für jede Frau, anmuthig und gewandt in allen Bewegungen, dabei immer heiter und harmlos witzig, ein Meiſter366I. 3. Preußens Erhebung.in der Kunſt die Menſchen zu behandeln. Und dieſe beſtrickende Liebens - würdigkeit kam wirklich aus einem guten, menſchenfreundlichen Herzen. Durchaus wahr ſchildert er einmal ſich ſelber in ſeinem Tagebuche: ich ſeufze über meine Schwächen, aber wenn ſie Tadel verdienen, ſo tröſte und erhebe ich mich an dem Gefühle des Wohlwollens, das den Grund meines Charakters bildet. *)Journal de Hardenberg, zum Jahresanfang 1810.Einen Jeden nahm er von der beſten Seite, dem Könige trat er mit einer ehrfurchtsvollen Zartheit entgegen, die dem gebeugten Monarchen in tiefſter Seele wohl that, und auch als mit den Jahren ſeine unglückliche Taubheit zunahm blieb ſein freundliches Herz ganz frei von dem natürlichen Fehler der Schwerhörigen, dem Mißtrauen. Wirklichen Haß hat er vielleicht nur gegen einen Menſchen gehegt, gegen Wilhelm Humboldt; der blieb ihm verdächtig, falſch wie Galgenholz , und niemals wollte er dieſen ſonderbaren Argwohn aufgeben, der irgend - welche bisher unbekannte perſönliche Gründe gehabt haben muß.

Die ariſtokratiſchen Vorurtheile ſeines hannoverſchen Heimathlandes berührten ihn wenig. Seinen Platz auf den Höhen der Geſellſchaft nahm er als ein ſelbſtverſtändliches Recht in Anſpruch, doch im täglichen Ver - kehre liebte er eine plebejiſche Umgebung, worunter einzelne Talente, wie Rother, aber noch mehr unwürdige Geſellen, die ſeine offene Hand miß - brauchten; hier war er der Herr und konnte ſich gehen laſſen. Auch in ſeinen politiſchen Ueberzeugungen verleugnete Hardenberg die Schule der franzöſiſchen Aufklärung nicht. Eine Nacht des vierten Auguſt für Preußen, nicht durch die ſtürmiſchen Leidenſchaften der Nation, ſondern von oben her durch den beſonnenen Willen der Krone herbeigeführt das war von jeher ſein Herzenswunſch. In dem neuen Königreich Weſtphalen fand er ſein Staatsideal nahezu verwirklicht, nur daß in Preußen Alles gerechter und ehrlicher zugehen ſollte. Der echt deutſche Grundgedanke des Stein’ſchen Reformwerkes, die Idee der Selbſtverwaltung ließ ihn immer kalt; ja er faßte mit den Jahren faſt eine Abneigung dawider, da er den erbitterten Gegnern ſeiner ſocialen Reformen, den märkiſchen Junkern, die Fähigkeit zur Verwaltung des flachen Landes nicht zutraute. Eine wohlgeordnete Bureaukratie, beſchränkt und berathen durch eine nicht allzu mächtige reichsſtändiſche Verſammlung, ſollte das freie Spiel der entfeſſelten ſocialen Kräfte in Ordnung halten.

Hardenberg hatte zuerſt im welfiſchen Staatsdienſte, nachher in Fran - ken jahrelang eine ſchwierige Landesverwaltung geleitet; ſobald es ihm be - hagte ſich um die Geſchäfte zu bekümmern, fand er ſich raſch auf den entlegenſten Gebieten zurecht. Er arbeitete erſtaunlich leicht; ſeine Ent - ſcheidungen, die er mit klaren, eleganten Schriftzügen, in gewandtem, durch - aus modernem Deutſch an den Rand der Akten ſchrieb, trafen immer den Nagel auf den Kopf. Doch jene liebevolle Freude am Detail, die den großen367Hardenberg.Verwaltungsbeamten macht, hat er ſich nie angeeignet; er gefiel ſich in einem vornehmen Dilettantismus. Die laufenden Geſchäfte überließ er gern den aufgeklärten jungen Beamten, die er ſich in Franken herangezogen; die Finanzfragen behandelte er im häuslichen wie im öffentlichen Leben mit der Gleichgiltigkeit des vornehmen Herrn. Seine Stärke war die diplo - matiſche Thätigkeit. Wenige verſtanden wie er, mit ſicherem Blicke den rechten Augenblick abzuwarten, in der peinlichſten Lage findig und hoff - nungsvoll immer einen neuen Ausweg zu entdecken, in allen Windungen und Wendungen einer finaſſirenden Politik unverrückt daſſelbe Ziel im Auge zu behalten. Selbſt in dieſem ſeinem eigenſten Berufe beirrte ihn freilich oft ein bequemer Leichtſinn, eine gutherzige Großmuth, die es nicht der Mühe werth hielt mit pedantiſcher Genauigkeit unerläßliche Forderungen feſtzuhalten. Schwer hatte er ſich einſt verſündigt durch ſein Vertrauen auf Frankreichs Freundſchaft. Jetzt durch eine grauſame Erfahrung von den alten Täuſchungen gründlich geheilt, richtete er all ſein Dichten und Trachten auf den Kampf der Befreiung. Wie oft hat er dem Grafen St. Marſan ins Geſicht geſagt, daß Preußen entſchloſ - ſen ſei mit dem Degen in der Hand zu ſiegen oder zu fallen. Aber nur im günſtigen Augenblicke, nach genügender diplomatiſcher Vorbereitung durfte der verzweifelte Krieg gewagt werden. Hardenberg war hochherzig genug, jahrelang eine ungeheure Verkennung von Seiten der Beſten der Nation ſchweigend zu ertragen; und, fügte er mit gerechtem Selbſt - gefühle hinzu, dazu gehört mehr Muth als um einer Batterie entgegen - zugehen.

Er war ein Preuße vom Wirbel bis zur Zehe; weit tiefer als Stein hatte er ſich mit der Staatsgeſinnung ſeines ſelbſtgewählten Vaterlandes erfüllt. Auch in den Tagen ſeiner napoleoniſchen Träume blieb Preußens Größe ſein höchſtes Ziel, und ohne jedes Bedenken rieth er zur Einver - leibung ſeiner welfiſchen Heimathlande, weil ſie für Preußen unentbehrlich ſeien. So innig er auch ſein großes Vaterland liebte, mit der idealen Größe des deutſchen Volksgeiſtes wollte er den Kampf gegen die harte Wirklichkeit des napoleoniſchen Reichs nicht beginnen; alle phantaſtiſche Deutſchthümelei lag ſeiner Beſonnenheit fern. Er rechnete, ruhiger als Stein, immer nur mit dieſem gegebenen preußiſchen Staate; nur ein Bund dieſer Monarchie mit Oeſterreich, das ſtand ihm feſt ſeit den Bar - tenſteiner Tagen, konnte das Weltreich zerſchmettern.

In Braunſchweig, in Franken und nachher als Cabinetsminiſter während des oſtpreußiſchen Feldzugs hatte er ein nahezu unumſchränktes Regiment geführt. So war durch die Gewohnheit des Befehlens nach und nach ein eigenrichtiger, herrſchſüchtiger Zug in ſeinen Charakter gekom - men, der zu ſeiner heiteren Liebenswürdigkeit wenig ſtimmte, doch mit den Jahren ſich verſchärfte. Menſchlich genug, daß er das Bedürfniß fühlte ſich wegen der vergangenen Irrthümer vor der Nachwelt zu recht -368I. 3. Preußens Erhebung.fertigen und in ſeinen Denkwürdigkeiten, nicht immer ganz ehrlich, alle Schuld der Kataſtrophe des alten Staates auf andere Schultern abzu - wälzen ſuchte. Aber auch in den Tagebüchern, die nur für ſein eigenes Auge beſtimmt waren, begegnet uns faſt niemals das Eingeſtändniß eines Irrthums; wer ihm widerſpricht wird mit ſchnöden Worten abgefertigt, auch den König ſelbſt trifft oft wegwerfender Tadel, und doch hatte Fried - rich Wilhelms Nüchternheit bei ſolchen Streitigkeiten faſt immer recht! Hardenberg blieb ſein Lebelang in dem völlig grundloſen Wahne, ſeine Rigaer Denkſchrift vom Herbſte 1807 bilde eigentlich den Ausgangspunkt für das preußiſche Reformwerk; er äußerte oft mit Bitterkeit, Andere hätten ihm den wohlverdienten Ruhm hinweggenommen. Die Seelengröße Steins hat an Fragen dieſer Art nie gedacht.

Als Hardenberg jetzt in die Geſchäfte zurückgerufen wurde, bedang er ſich eine Machtvollkommenheit aus, die allerdings zum Theile durch die Nothlage des Staates geboten war, aber weit über das Nothwendige hinausging und allen Traditionen des preußiſchen Beamtenthums wider - ſprach. Er wurde Staatskanzler, erhielt die oberſte Leitung des geſamm - ten Staatsweſens, übernahm die Miniſterien des Innern und der Finan - zen unmittelbar, und da auch der Miniſter des Auswärtigen, Graf Goltz in Allem und Jedem den Befehlen des Kanzlers zu folgen hatte, ſo blieben nur die Juſtiz und das Kriegsweſen in einiger Selbſtändigkeit. Ein feſtes Gehalt nahm der Staatskanzler nicht an; die Generalſtaats - kaſſe zahlte was er brauchte. Wie die Dinge lagen war es ein heilvolles Geſchick für Preußen, daß dieſe in jedem Sinne leichtere Natur jetzt die Erbſchaft des Freiherrn vom Stein antrat. Der Jünger der neufranzöſi - ſchen Philoſophie konnte dreiſter, als es der Reichsritter vermocht hätte, die nothwendigen Folgerungen ziehen aus den Geſetzen des Jahres 1808; die Verſchlagenheit des Diplomaten konnte gewandter als Steins dämo - niſche Leidenſchaft durch kluges Laviren die deutſchen Dinge hinhalten bis der offene Kampf möglich wurde.

Die erſte Sorge des Staatskanzlers ging, wie natürlich, auf die Abtragung der Contribution und die Wiederherſtellung des Finanzweſens, und in dieſen techniſchen Fragen zeigte ſichs ſogleich, wie gänzlich ihm die ſichere Sachkenntniß Steins abging. Nach der Weiſe geiſtreicher leicht - blütiger Dilettanten war er ſehr empfänglich für weit ausſehende Pro - jecte, wenn ſie mit dem Anſpruche theoretiſcher Unfehlbarkeit auftraten. Da zu jener Zeit alle Welt für die wunderbaren Leiſtungen der Bank von England ſchwärmte, ſo dachte er auch in dieſem unglücklichen Preu - ßen, dem augenblicklich alle Vorbedingungen für eine große Creditan - ſtalt fehlten, eine Nationalbank zu gründen und mit ihrer Hilfe die geſammten Schulden des Staates und der Provinzen zu conſolidiren. Außerdem ſollten zwei Anleihen, im Inlande und im Auslande, ſowie die Ausgabe von 26 Mill. Thlr. Treſorſcheinen dem Staate die Baarmittel369Hardenbergs Finanzpläne.zur Abtragung der Kriegsſchuld verſchaffen; auch einige neue Steuern waren beabſichtigt, nur nicht eine Einkommenſteuer, weil die Opinion gar zu laut dawider ſpreche. Mit ſchlagenden Gründen wies Niebuhr die Hohlheit dieſes Planes nach: es ſei ein Unglück, daß an die Vermeh - rung der Treſorſcheine auch nur gedacht werde, den heiligen Verſprechun - gen der Krone zuwider; und woher ſollten die fünfzehn Millionen kom - men, welche der Staatskanzler von ſeinen Anlehen erwarte? Hatte Niebuhr doch ſelbſt ſoeben nach langen peinlichen Verhandlungen unter ſehr demü - thigenden Bedingungen eine kleine Anleihe in Holland zu Stande ge - bracht die einzige, welche das Ausland während dieſer ganzen Zeit der creditloſen Monarchie gewährte! Der feinfühlige Gelehrte war in ſeinem Gewiſſen verletzt durch die ſchwindelhafte Oberflächlichkeit der Har - denbergiſchen Pläne; er wollte nicht ſehen, daß der leichtlebige Staats - kanzler auf die Einzelheiten des Entwurfs gar keinen Werth legte, und nahm zornig ſeinen Abſchied. Auch Schoen verweigerte ſeine Mitwirkung, da er Niebuhrs techniſche Bedenken theilte und nur als ſelbſtändiger, vom Staatskanzler unabhängiger Miniſter eintreten wollte; der conſequente Kantianer dachte überdies ſogleich Steins politiſches Teſtament vollſtändig zu verwirklichen und ſchalt auf den hannoverſchen Junker , als Harden - berg behutſam einige Bedenken erhob.

So entſpannen ſich gleich beim Eintritt des Staatskanzlers jene leidenſchaftlichen Kämpfe im Kreiſe des hohen Beamtenthums, welche ſeit - dem bis zu Hardenbergs Tode den ſicheren Gang des Staates ſo oft ge - fährdet haben. Schroff und hart platzten dieſe reichen Naturen auf ein - ander, treffliche Männer, die im Grunde Alle daſſelbe wollten, aber jeder auf ſeine Weiſe. Seit Steins Abgang fehlte der überlegene Charakter, der die unbändigen bemeiſtern konnte. Die hervorragenden Talente zogen ſich nach und nach von der Spitze der Regierung in die Provinzialbehör - den zurück; der einzige Finanzmann der Monarchie, der den ungeheuren Schwierigkeiten der Lage gewachſen war, Maaſſen, wurde noch nicht nach ſeinem ganzen Werthe gewürdigt. Hardenberg fand es bald bequem, ſich mit unbedeutenden Werkzeugen, wie Scharnweber und Jordan, zu behelfen, erlaubte auch eine Zeit lang dem wackeren jungen Gelehrten F. v. Rau - mer eine Rolle zu ſpielen, welche weit über das Maaß ſeines Talentes und ſeiner praktiſchen Erfahrung hinausging. Inzwiſchen hatte er den König auf einer Reiſe nach Schleſien begleitet, dort mit Stein, in einer geheimen Zuſammenkunft an der böhmiſchen Grenze, ſeine Finanzpläne beſprochen und aus der begeiſterten Freude, welche dem Monarchen überall entgegen jubelte, neue Zuverſicht geſchöpft: ein Wort von Ew. Majeſtät wirkt mehr als Alles.

Friſchen Muthes entfaltete er nach der Heimkehr eine erſtaunliche Thätigkeit. Zunächſt wurde durch die Verordnung vom 27. October 1810 die Vollgewalt des Staatskanzlers geſetzlich feſtgeſtellt. Die fünf MiniſterienTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 24370I. 3. Preußens Erhebung.blieben beſtehen, doch als Untergebene des Kanzlers; der von Stein ge - plante Staatsrath wurde endlich, auf dem Papiere mindeſtens, gebildet, doch in ſo beſcheidener Geſtalt, daß er der Allmacht des Kanzlers nicht bedrohlich werden konnte; das ſoeben erſt neu geſchaffene Amt der Ober - präſidenten fiel hinweg, die Regierungen ſollten wie Napoleons Präfecten unmittelbar unter der Centralverwaltung ſtehen. So verrieth ſich ſchon hier ein ſcharf bureaukratiſcher Zug; an einem ſelbſtändigen Leben der Provinzen lag dem Staatskanzler wenig. Am nämlichen Tage erſchien das Edict über die Finanzen des Staates ein Geſetz, deſſen gleichen die preußiſche Monarchie noch nie geſehen, nach Form und Inhalt ein denkwürdiges Zeugniß für die unternehmende Leichtfertigkeit des geiſtreichen Cavaliers, der jetzt die Zügel hielt. Während Steins Geſetze immer nur eine beſtimmte Frage ins Auge faßten und dieſe durch umſichtige, gründ - liche Vorſchriften nach allen Seiten hin erledigten, überſchüttete das neue Finanzedict die Nation mit einem Sturzbade herrlicher Verſprechungen. Von der Nationalbank, den Treſorſcheinen und den anderen gleißenden Projecten des vergangenen Sommers war der Staatskanzler freilich zu - rückgekommen; dafür entrollte er das Programm einer großartigen Steuer - reform zur Rettung des Landes . Er verſprach, daß fortan alle Auf - lagen nach gleichen Grundſätzen von Jedermann zu tragen ſeien, ver - ſprach ein neues Kataſter und die Ausgleichung der in den einzelnen Landestheilen grundverſchiedenen Grundſteuern, er verſprach die völlige Gewerbefreiheit, die Seculariſation der geiſtlichen Güter, die Vereinigung der geſammten Kriegsſchulden des Staates und der Provinzen, ebenſo die Einführung allgemeiner Conſumtions - und Luxusſteuern und ließ endlich nach allen dieſen Verſicherungen den König noch erklären: Seine Majeſtät behalte ſich vor der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Re - präſentation ſowohl in den Provinzen als für das Ganze zu geben. So wird ſich das Band der Liebe und des Vertrauens zwiſchen Uns und Unſerem treuen Volke immer feſter knüpfen! Welch ein Leichtſinn: die Krone alſo feierliche Verſprechungen geben zu laſſen, deren Sinn und Umfang ſie, wie ſich bald genug herausſtellte, noch gar nicht beurtheilen konnte! Als einzige Entſchuldigung für dieſe in Preußen unerhörte Leicht - fertigkeit wußte Hardenberg nur vorzubringen, daß man dem gefährlichen weſtphäliſchen Nachbar in der Gunſt der Opinion den Rang ablaufen müſſe!

Einige jener Verſprechungen löſte der Staatskanzler in der That ſo - fort ein. Schon am nächſten Tage wurde eine allgemeine Luxusſteuer für Jedermann, von Dienſtboten, Pferden, Hunden und Wagen, angeordnet, desgleichen eine Conſumtionsſteuer von etwa zehn der gangbarſten Verzeh - rungsartikel, Fleiſch, Mehl, Bier u. ſ. f., für die Städte wie für das flache Land. Man beabſichtigte dadurch die alte Acciſe, welche die Städte von den Dörfern abſperrte, zu Falle zu bringen; doch namentlich die371Die Reformen vom Herbſt 1810.Mahlſteuer begegnete bei dem Landvolke einem unbezwinglichen Wider - ſtande. Die Bauern in Altpreußen hatten, ſeit Stein den Mühlen - zwang aufgehoben, viele neue Windmühlen erbaut und ſich an den Ge - brauch der Handmühlen gewöhnt; ſie beharrten ſtörriſch bei ihrer neuen Freiheit, es kam mehrfach zu Widerſetzlichkeit und Aufruhr; die armen Leute in Litthauen und Weſtpreußen aßen Teig ſtatt des Brotes, um die Mahlſteuer zu erſparen. Der Staatskanzler mußte bald einſehen, daß er Unmögliches befohlen hatte. Am 30. October folgte die Seculariſation aller geiſtlichen Güter ein nothwendiger Gewaltſtreich, den der Geſetz - geber rechtfertigte durch den allgemeinen Zeitgeiſt , durch das Beiſpiel der Nachbarſtaaten und vornehmlich durch das Gebot der Gerechtigkeit, da das Vermögen der getreuen Unterthanen nicht unbillig angeſpannt werden dürfe. Die Maßregel wirkte wenig in den altproteſtantiſchen Provinzen, deren Kirchengut bis auf geringe Reſte ſchon ſeit Jahrhunderten eingezogen war. Um ſo tiefer griff ſie in Schleſien ein, wo das Bis - thum Breslau, das Kloſter Grüſſau und andere Stifter ſich noch von den öſterreichiſchen Zeiten her einen fürſtlichen Reichthum bewahrt hatten. Einen Theil der ſeculariſirten Güter verwendete man für Unterrichts - zwecke, namentlich für die Univerſität Breslau; was man verkaufte gab ge - ringen Ertrag, da das vermehrte Angebot die Güterpreiſe drückte und in dem erſchöpften Lande ſich wenig Käufer fanden. Am 2. November end - lich wurde eine allgemeine Gewerbeſteuer nach franzöſiſch-weſtphäliſchem Muſter eingeführt: jeder unbeſcholtene Volljährige durfte ſich gegen die geſetzliche Gebühr einen Gewerbeſchein löſen, nur für vierunddreißig Ge - werbszweige ſollte aus Rückſichten der öffentlichen Sicherheit noch ein Nach - weis beſonderer Befähigung verlangt werden. Es war der erſte Anfang der Gewerbefreiheit. Gleich darauf erſchien die neue Geſindeordnung, ein humanes Geſetz, das noch heutzutage den gänzlich veränderten Verhält - niſſen der dienenden Klaſſen im Weſentlichen entſpricht, damals aber, nachdem der harte Geſindezwang kaum erſt aufgehoben war, als eine radicale Neuerung von unerhörter Kühnheit erſchien.

Dergeſtalt hatte die Hardenbergiſche Geſetzgebung zum erſten male ihr Füllhorn geöffnet und neben einzelnen tauben Früchten auch einige Gaben von bleibendem Werthe ausgeſchüttet. So unſicher die Hand des Staatskanzlers in den finanziellen Angelegenheiten erſchien, ebenſo feſt ſtand ſein Entſchluß die bürgerliche Rechtsgleichheit und die Entfeſſelung aller wirthſchaftlichen Kräfte bis in ihre letzten Folgerungen durchzuſetzen. Steins ſchöpferiſche Ideen eilten der Zeit voraus, wurden nur von einem kleinen Kreiſe ganz verſtanden. Hardenbergs Gedanken lagen näher an der breiten Heerſtraße des Zeitalters der Revolution; darum fand er in der Preſſe jederzeit eine lebhafte Unterſtützung, deren Stein immer ent - behrte. Unter denen, die ſein Lob ſangen, ging die Rede, durch die Ge - ſetze dieſer großen ſieben Tage ſei ein Kreis umſchrieben, den das revo -24*372I. 3. Preußens Erhebung.lutionäre Frankreich erſt in zwei Jahren durchlaufen hätte ein Lob, das nachher in alle Geſchichtswerke der Schloſſer’ſchen Schule überge - gangen iſt.

In Wahrheit war gerade die wichtigſte der in Ausſicht geſtellten Re - formen, die gleichmäßige Beſteuerung aller Stände, vorläufig nur ver - heißen, nicht erfüllt. Aber ſchon dieſe Verheißung genügte um die ganze feudale Partei in Aufruhr zu bringen. Der kurmärkiſche Adel hatte die Ernennung des Staatskanzlers Anfangs mit Freuden begrüßt, da man von Hardenberg erwartete, er werde die Uebereilungen Steins rückgängig machen. Sobald der neue Regent ſein wahres Geſicht zeigte, brauſte ein Sturm der Entrüſtung durch die Kreiſe des Landadels, und Hardenberg wurde bald noch leidenſchaftlicher angefeindet als vordem Stein. Eine Fluth von Beſchwerden und Bitten wälzte ſich an den Thron; es giebt bei uns keine Hypotheken, es giebt bei uns kein Eigenthum mehr, klagte der Oſtpreuße von Domhardt unter heftigen Verwünſchungen gegen die neuen Nivelleurs und Jacobiner. *)Eingabe v. 4. Dec. 1810. Aehnliche Eingaben aus Altpreußen von v. Hülſen, v. Brederlow u. A.

Das claſſiſche Land des alten Ständeweſens blieb Brandenburg. Nirgends waren die ſtändiſchen Inſtitutionen verrotteter, nirgends den Ständen theuerer. In den Augen dieſes ſtolzen tapferen Adels galt der Pommer und der Schleſier noch als Ausländer. Noch einmal erhob ſich der altſtändiſche Particularismus zu offener Fehde gegen die Rechtsgleichheit und Staatseinheit der Monarchie. Als ſein Wortführer trat, ſo prall und patzig wie einſt Konrad von Burgsdorff wider den großen Kurfürſten, der Freiherr von der Marwitz auf den Plan das Urbild des brandenburgiſchen Junkers, einer der tapferſten Offiziere und der tollſte Reiter der Armee, grob, ſchroff und knorrig, ein grunddeutſcher Mann von ſcharfem Ver - ſtande und unbändigem Freimuth, voll feuriger Vaterlandsliebe aber auch voll harter Vorurtheile, ſo naiv in ſeinem Standesſtolze, daß er an die rechtliche Meinung eines Gegners kaum je zu glauben vermochte. Seit Langem ſchon lag er in heftigem Streite mit der Potsdamer Regierung, weil dieſe dem brandenburgiſchen Landtage einen Theil ſeiner ſtändiſchen Verwaltung, namentlich das verwahrloſte Landarmenweſen abnehmen wollte; man mußte endlich die Landarmenkaſſe gewaltſam aufbrechen und nach Potsdam entführen, der trotzige Mann gab die Schlüſſel nicht heraus. Die neuen Steuerpläne erſchienen ihm als ein frevelhafter Bruch des alten Landesrechts, das in dem kurbrandenburgiſchen Landtags-Receß von 1653 verbrieft und verſiegelt war. Unabläſſig beſtürmten die Ritter den Staatskanzler mit Proteſten und Rechtsverwahrungen, bald Einzelne allein, bald ganze Landſchaften, doch Niemand häufiger und lauter als die Stände der Lande Lebus, Beeskow und Storkow, wo Marwitz hauſte. Auch der373Die Landesdeputirten-Verſammlung.Romantiker Adam Müller ſtellte ſeine Feder den Vorkämpfern der ſtändi - ſchen Libertät zur Verfügung. Als der Staatskanzler nach ſeiner bureau - kratiſchen Weiſe fragte, woher dieſe Gutsbeſitzer das Recht nähmen ſich Stände zu nennen, da antwortete Marwitz*)Eingabe an Hardenberg 30. Jan. 1811.: die Qualität der Land - ſtandſchaft iſt uns angeboren ſo gut wie unſere Familiennamen, und wir können alſo eigentlich ebenſo wenig angeben, wodurch wir Stände ſind als wodurch wir unſere angeborenen Namen führen! Die Ritterſchaft der Priegnitz voran die Herren v. Quitzow und Wartensleben er - klärte**)Eingabe an den König, Perleberg 24. Jan. 1811.: die Kur - und Neumark Brandenburg, gleichſam der Kern der geſammten preußiſchen Monarchie, hat von jeher einen beſonderen, von den übrigen Provinzen abgeſonderten Staat gebildet, welcher ſeine ihm eigenthümliche Verfaſſung hat; ſie verlangte demgemäß, daß kein Steuer - geſetz ohne Genehmigung der Stände erlaſſen werde.

Der unerſchrockene Reformer ließ ſich nicht ſtören. Die allerdings ſehr zweifelhafte Rechtsfrage bekümmerte ihn wenig; war doch die geſammte Verfaſſung der neuen preußiſchen Monarchie aus der Bekämpfung der altſtändiſchen Rechte hervorgegangen. Ihm genügte die Einſicht, daß die Berufung der alten Provinziallandtage der ſichere Untergang der neuen Geſetze war. Um die Nation von der Nothwendigkeit des Geſchehenen zu überzeugen und ſie auf weitere Reformen vorzubereiten, wurde am 23. Febr. 1811 eine Landesdeputirten-Verſammlung in Berlin er - öffnet***)Ich benutze hier u. A. den im Berliner G. St. Archiv verwahrten Aktenmäßi - gen Bericht über die Verſammlung der ſtändiſchen Landesdeputirten von 1811 und der interimiſtiſchen Nationalrepräſentation 1812 15. (Von Riedel. 1841.): ein Beamter aus jeder der acht Provinzialregierungen, acht - zehn Ritter, elf Städter, acht Bauern, ſie alleſammt von der Krone er - nannt. Da die erbitterten Stände von Brandenburg und Pommern ſich beſchwerten und unaufgefordert Abgeordnete aus ihrer Mitte ſendeten, ließ der Staatskanzler auch noch einige dieſer Nebendeputirten zu. Alſo wurden zum erſten male ſeit dieſe Monarchie beſtand Vertreter aller Landes - theile zuſammenberufen, allein nach dem Ermeſſen der Krone, ohne Rück - ſicht auf die ſtändiſchen Rechte und Anſprüche der Territorien. Der Ein - tritt der acht bäuerlichen Deputirten galt in den altſtändiſchen Kreiſen als das erſte Signal einer furchtbaren Umwälzung. Mancher der Zeit - genoſſen erinnerte ſich an die Verſammlung der Notabeln beim Aus - bruche der franzöſiſchen Revolution; doch das Anſehen der preußiſchen Krone ſtand ungleich feſter als die Macht der Bourbonen, und ſie ge - währte ihren Notabeln von Haus aus ſehr beſcheidene Befugniſſe: nur das Recht der Berathung, nicht die Mitentſcheidung. Steins Geſetzgebung hatte die Grundlagen des großen Reformwerks längſt ſicher geſtellt, und374I. 3. Preußens Erhebung.auch die Geſetze, welche Hardenberg den Landesdeputirten vorlegte, waren zum Theil ſchon vollendete Thatſachen.

Der Staatskanzler verſammelte die Deputirten in ſeiner Wohnung und begrüßte ſie ſogleich in der väterlichen Weiſe des alten Abſolutismus: wie ein guter Vater von ſeinen Kindern ſo verlange der König von ſeinem geliebten Volke nicht blinden Gehorſam, ſondern freie Zuſtimmung zu ſeinen wohlthätigen Befehlen. Darauf wurden vier Abtheilungen ge - bildet, unter dem Vorſitze der vier anweſenden Regierungspräſidenten; jede berieth für ſich, ſchickte ihre Protokolle an Hardenberg, der dann nach Belieben noch einzelne Mitglieder zu ſich berief und endlich dem Monarchen Bericht erſtattete. Die Verhandlungen erſchienen wie eine vertrauliche Beſprechung mit der Perſon des höchſten Beamten, und doch wurden ſie dem Staatskanzler bald ſehr unbequem. Eine ganze Welt von bedrohten wirthſchaftlichen und örtlichen Intereſſen erhob ſich aufge - ſcheucht; gerechte und ungerechte Klagen ſchwirrten hin und her; keine Spur einer Parteibildung, nur ein krauſes Durcheinander von Lands - mannſchaften und ſtändiſchen Gruppen. Ueber die Härte der neuen Mahl - ſteuer waren die Vertreter des flachen Landes einig; die beabſichtigte Con - ſolidation der Kriegsſchulden rief ſtürmiſchen Widerſpruch hervor, da die Kurmark tief verſchuldet war, während Altpreußen einen großen Theil ſeiner Kriegslaſten durch Steuern gedeckt hatte.

Am Lauteſten lärmten die Vertreter der Ritterſchaft; ſie waren ver - traut mit der neuen engliſchen Theorie, wornach die Grundſteuer den Charakter einer Rente trug, behaupteten ſteif und feſt, die geplante Aus - gleichung der Grundſteuer ſei offenbarer Raub. Neben dem ehrlichen Rechtsgefühle ſpielte auch die nackte Selbſtſucht mit; dieſelbe kurmärkiſche Landſchaft, deren Redner ſo zäh an dem Rechtsboden ihrer alten Frei - heitsbriefe feſthielten, ſtellte dem Staatskanzler unbedenklich die Zumu - thung: es ſollten die Klagen ihrer Gläubiger durch einen königlichen Machtbefehl vorläufig eingeſtellt werden! *)Eingabe der kurmärkiſchen Landſchaft v. 10. Oct. 1810.Währenddem rückten die un - aufhaltſamen Stände von Lebus, Beeskow und Storkow mit einer neuen Verwahrung ihrer vertragsmäßigen Exemtionen und Freiheiten heran. Mit groben, unziemlichen Worten betheuerten ſie, durch die neuen Ge - ſetze werde das Grundgeſetz des Staates vernichtet, und fragten, ob man das alte ehrliche brandenburgiſche Preußen in einen neumodiſchen Juden - ſtaat verwandeln wolle. Unter den Unterzeichnern ſtand Marwitz natür - lich obenan; neben ihm der alte Graf Finkenſtein, einer jener pflichtge - treuen Richter, welche bei dem Proceſſe des Müllers Arnold die unverdiente Ungnade König Friedrichs erfahren hatten. Dem Staatskanzler riß jetzt die Geduld; er ließ die beiden erſten Unterzeichner ohne Urtheil und Recht nach Spandau auf die Feſtung bringen. Am 16. September ſchloß375Gewerbefreiheit. Agrargeſetze.er dann die Verſammlung der Landesdeputirten und zählte noch einmal die Grundgedanken des neuen Syſtems auf: ein Jeder ſolle frei ſeine Kräfte benutzen, Niemand dürfe einſeitige Laſten tragen; Gleichheit Aller vor dem Geſetze, freie Bahn für jedes Verdienſt; Einheit und Ordnung in der Verwaltung; ſo werde in Allen ein Nationalgeiſt, ein Intereſſe und ein Sinn geweckt werden. Kehren Sie nun ſo rief er endlich aus in Ihre Provinzen zurück und verbreiten Sie dort den guten Geiſt, der Sie ſelbſt beſeelt. Stärken Sie das Vertrauen zu einer Regierung, die es ſo redlich meint! Seine wirkliche Meinung entſprach dieſen freund - lichen Worten keineswegs. Vielmehr zog er, und gleich ihm der König, aus dem chaotiſchen Hin - und Herreden dieſer Notabelnverſammlung den richtigen Schluß, daß ein allgemeiner Landtag, jetzt berufen, den Fortgang der Reformen hemmen müſſe. So ſtand es: nur die Machtvollkommen - heit der abſoluten Krone konnte dem preußiſchen Volke den Weg zur Freiheit eröffnen.

Faſt gleichzeitig mit der Entlaſſung der Landesdeputirten erſchien die zweite große Sturzwelle der Hardenbergiſchen Geſetzgebung. Das Edict vom 7. Sept. 1811 über die Finanzen berückſichtigte einige Wünſche der Landesdeputirten, hob das Verbot der Handmühlen ſowie die Conſum - tionsſteuer auf dem flachen Lande größtentheils wieder auf und belegte ſtatt deſſen das Landvolk mit einer Kopfſteuer. Dagegen widerſprach das am ſelben Tage beſchloſſene Geſetz über die polizeilichen Verhältniſſe der Gewerbe ſchnurſtracks den Anſichten der Notabelnverſammlung: die Krone eilte wieder einmal den Anſchauungen des Volkes voraus, ſie gewährte vollſtändige Gewerbefreiheit, dergeſtalt daß Jeder, der einen Gewerbeſchein löſte, Lehrlinge und Geſellen halten, jeder Zünftler aus ſeiner Innung austreten, jede Zunft durch Mehrheitsbeſchluß oder durch den Befehl der Landespolizeibehörde aufgelöſt werden durfte. Es war ein Schritt von radicaler Verwegenheit. Nicht ohne Grund klagten Stein und Vincke, man hätte die Zünfte, ſtatt ſie aufzulöſen, vielmehr in einem freien Sinne neugeſtalten ſollen. Weit überwiegend blieb gleichwohl der Segen dieſer kühnen Neuerung. Der kleine Mann genoß fortan in Preußen einer wirthſchaftlichen Freiheit, wie nirgendwo ſonſt in Deutſchland, und obgleich die Verhältniſſe der Kleingewerbe, Dank der Zähigkeit unſerer Alltagsge - wohnheiten, ſich weit weniger veränderten als man erwartete, ſo war es doch weſentlich der Freiheit des gewerblichen Lebens zu verdanken, daß die Bevölkerung der Hauptſtadt ſelbſt in dieſen Jahren der bitteren Noth unaufhaltſam anwuchs.

Wie dies Geſetz der Städteordnung Steins erſt den Abſchluß brachte, ſo wurden auch die agrariſchen Geſetze des Reichsritters erſt vollendet durch die beiden Edicte vom 14. Sept. 1811 über die Regulirung der bäuerlichen Verhältniſſe und über die Beförderung der Landescultur. Dabei hatte Thaers kundige Hand die Feder mit angeſetzt. Die erblichen Beſitzer376I. 3. Preußens Erhebung.von bäuerlichen Gütern ohne Eigenthumsrecht ſollten das volle Eigenthum an ihrem Gute erlangen gegen die Abtretung von einem Drittel ihres Gutes oder gegen eine entſprechende Rente; wer nur die nichterbliche Nutz - nießung an ſeinem Bauerngute hatte, konnte durch die Abtretung der Hälfte ein freier Eigenthümer werden. Das Geſetz ſchnitt tief, ja grau - ſam ein in die gewohnten Verhältniſſe; ſogar einige freie Köpfe des Be - amtenthums, wie Hippel, fanden den Schritt allzu gewagt. Die Ritter - ſchaft in Pommern beſaß etwa 260 Geviertmeilen, davon 100 M. bäuerliches Land, jetzt wurden ihrer ſiebzig freies Eigenthum der Bauern. Begreiflich, daß der Adel murrte, auch Stein ſelber ſchloß ſich ihm an. Die Lage der Grundherren war ſchon längſt ſo troſtlos, daß ſich im Jahre 1810 die reichſte Gutsbeſitzerin in Preußen erbot, ihre Güter gegen eine jährliche Rente von 2000 Thlr. an den Staat abzutreten; ein ſchle - ſiſcher Grundherr machte Bankrott, obgleich er noch einen Werth von 300,000 Thlr. in Grund und Boden beſaß. Aber auch die Bauern lärmten. Mehrmals brachen Unruhen aus, namentlich in Schleſien, da der kleine Mann wähnte, er ſei mit einem male aller Pflichten ledig; die Ablöſung, die dem Adel unbillig niedrig ſchien, wurde von den Pflichtigen viel zu hoch gefunden. Gleichwohl ging die ſegensreiche Reform vorwärts. Sie ſtand, trotz aller äußeren Aehnlichkeit, in ſcharfem Gegen - ſatze zu den Geſetzen der franzöſiſchen Revolution, da die Berechtigten ehrlich entſchädigt wurden. Ihre Durchführung wurde weſentlich geför - dert durch das Landesculturedict, das die freie Veräußerung und Theilung der Landgüter geſtattete: dies bleibe das beſte Mittel, die Grundbeſitzer vor Verſchuldung zu bewahren, ihnen ein dauerndes Intereſſe für Ver - beſſerung ihrer Güter zu geben und die Cultur aller Grundſtücke zu beför - dern . Aus vollem Herzen ſchloß der König, es ſei für ſein Gefühl höchſt erfreulich, daß wir endlich dahin gekommen ſind alle Theile un - ſerer getreuen Nation in einen freien Zuſtand zu verſetzen und auch den geringſten Klaſſen die Ausſicht auf Glück und Wohlſtand eröffnen zu können . Gegen dies Edict vornehmlich richtete ſich Steins Zorn. Er ſchalt, nicht ohne die gallige Laune des Staatsmanns außer Dienſten, wider dies bureaukratiſche Nivelliren und fürchtete, die freie Theilbarkeit der Grundſtücke werde die Auskaufung, die Vernichtung ſeines geliebten Bauernſtandes herbeiführen eine Beſorgniß, die ſich doch als grundlos gezeigt hat.

Hieran ſchloß ſich endlich die Emancipation der Juden, welche bisher amtlich noch immer als Judenknechte gegolten hatten (11. März 1812): wenn ſie bleibende Familiennamen annahmen und ſich der Wehrpflicht unterwarfen, ſo wurden ſie, wie in den Ländern des Code Napoleon, vollberechtigte Staatsbürger, zu jedem Gewerbebetrieb in Stadt und Land, auch zu den akademiſchen, den Schul - und Gemeindeämtern zuge - laſſen. Unter den Jammerrufen der Feudalen geſchah nun die große377Die Nationalrepräſentation.Umtaufung der preußiſchen Judenſchaft. Die Levi, Cohn und Jacobſohn behielten ihre ſemitiſchen Namen bei, die Wolf und Kuh begnügten ſich mit den Spottnamen, welche ihnen der grauſame Volkshumor der Ger - manen angehängt, die Zwickauer und Bamberger nannten ſich einfach nach ihrer Heimath; jene ſinnigen Naturen aber, die der ſanfte Hauch dieſer ſentimentalen Epoche angeweht hatte, wählten holdere Namen um die Schönheit ihrer Seele getreulich auszudrücken, alſo daß die Thüren unſerer Börſen noch heute von Blümchen, Veilchen, Nelken und Roſen - zweigen dicht umrankt ſind.

In dieſen nothwendigen ſocialen Neuerungen lag die Größe der Hardenbergiſchen Reformen. In ſeinen Finanzmaßregeln dagegen blieb er nach wie vor unglücklich. Den Verkauf der Domänen betrieb er mit lebhaftem Eifer, theils weil er baarer Mittel bedurfte, theils weil ihn ſeine doctrinären Rathgeber von der Verwerflichkeit alles Staatsgrundbe - ſitzes überzeugt hatten: in Abſicht der Domänen, ſchrieb F. v. Raumer kurzab, iſt von den Briten nur zu lernen, daß man keine haben muß! Doch woher ſollten die Käufer kommen in dem verarmten Lande? Nach fünftehalb Jahren, bis zum Juni 1813 waren für verkaufte Staatsgüter nur 786,000 Thlr. baar eingegangen, dazu über Mill. in werth - loſen Papieren. Da auch die Conſumtionsſteuer wenig einbrachte und bald zum Theil wieder zurückgenommen wurde, ſo konnte Hardenberg, der mit ſo hoffnungsvollen Finanzplänen begonnen, von der franzöſiſchen Schuld nicht mehr abtragen als ſein ſchwerfälliger Vorgänger Altenſtein: im April 1811 war noch faſt die Hälfte der Contribution, etwa 59 Mill. Fr. ungetilgt. Die neuen ſchweren Kriegslaſten des Jahres 1812 nöthigten den Staatskanzler endlich gegen ſeine theoretiſchen Ueberzeugungen eine harte Vermögens - und Einkommenſteuer auszuſchreiben, die vom Vermögen 3 Procent, vom Einkommen 1 bis 5 Procent in Anſpruch nahm. Aber auch diesmal hatte er die troſtloſe wirthſchaftliche Erſchöp - fung des Landes nicht richtig geſchätzt. Das Edict mußte ſchon nach wenigen Wochen für Altpreußen außer Kraft geſetzt werden, da dieſe Provinz durch den Marſch der großen Armee völlig ausgeſogen wurde, und ſtatt der gehofften 25 Mill. Thlr. kamen nur Mill. ein, davon 4 Mill. baar.

Obgleich die ſocialen Reformen Hardenbergs nur durch den Willen des abſoluten Königthums durchgeſetzt werden konnten, ſo war die Krone doch nicht in der Lage, auf den Beiſtand popularer Kräfte ganz zu ver - zichten. Sie hatte bereits im October 1810, in dem verheißungsreichen Edict über die Finanzen, verſprochen, daß eine durch Repräſentanten der Communen und Provinzen verſtärkte General-Commiſſion über die Re - gulirung der Kriegsſchulden berathen ſolle. Die Landesdeputirten, nament - lich die Vertreter des Bürger - und Bauernſtandes verlangten lebhaft die Einlöſung dieſes Wortes. Darum erklärte der König*)Cabinets-Ordre v. 6. Sept. 1811.: ſeine Abſicht378I. 3. Preußens Erhebung.gehe noch immer dahin, der Nation eine zweckmäßig eingerichtete Reprä - ſentation zu geben; da die dazu erforderlichen Vorbereitungen indeſſen noch Zeit erforderten, ſo ſollten die für jene General-Commiſſion beſtimm - ten Abgeordneten auch vorerſt die Nationalrepräſentation conſtituiren. Unter dem hochtönenden Namen einer interimiſtiſchen Nationalrepräſen - tation trat alſo am 10. April 1812 in Berlin eine zweite Notabelnver - ſammlung von neununddreißig Mitgliedern zuſammen. Diesmal räumte man der Nation ein Wahlrecht ein. Die achtzehn Ritter wurden unmit - telbar von den Kreistagen, die zwölf Bürger und neun Bauern durch in - directe Wahl von den Städten und dem Ruſticalſtande erwählt; die Re - gierungspräſidenten ſollten aber die Gewählten prüfen, ob ſie einſichtsvolle, patriotiſche und vorurtheilsfreie Männer ſeien ein deutlicher Wink für die Feudalpartei!

Das Bedeutſamſte an dieſem überaus zahmen Repräſentationsver - ſuche blieb, daß der neugeſchaffene Bauernſtand jetzt durch einige ſelbſt - gewählte Vertreter an den Berathungen über Staatsangelegenheiten Theil nahm. Die märkiſchen Stände murrten auch diesmal; ſie beriefen ſich auf das allgemeine Mißtrauen des Landes gegen die neuen Steuer - pläne*)Eingabe der neumärkiſchen Stände, 4. Dec. 1812. und ſetzten durch, daß wieder einige Nebendeputirte aus ihrer Mitte zugelaſſen wurden. Hardenberg erſchien auch hier wieder als der Verfechter der neuen Staatseinheit. Er faßte die Stände im modernen Sinne als eine Intereſſenvertretung, er verlangte, der Repräſentant dürfe keinen anderen Richter als ſein Gewiſſen anerkennen: wer ſich nach altſtändiſcher Weiſe an die Aufträge ſeiner Wähler gebunden glaube, müſſe von den Berathungen ausgeſchloſſen werden. **)Inſtruction des Staatskanzlers an die Regierungen, 11. Febr. 1812.In den Provinzen verſammelten ſich die Wahldeputirten , welche die Nationalrepräſentation gewählt hatten, häufig aus eigenem Antriebe ganz regelmäßig in Ober - ſchleſien***)Bericht der Regierung in Oppeln 24. Oct. 1816. um öffentliche Angelegenheiten zu beſprechen und mit ihren Repräſentanten in Berlin einen regen Verkehr zu unterhalten. Der Sinn für das politiſche Leben begann überall im Volke zu erwachen. Die Wirkſamkeit der Nationalrepräſentation blieb gleichwohl ſogar noch geringfügiger als die Thätigkeit der erſten Notabelnverſammlung. Ihre häufig unterbrochenen Verhandlungen bewegten ſich weſentlich um die Regulirung des Kriegsſchuldenweſens und brachten ſelbſt dieſe Angelegen - heit nicht ins Reine. Kamen andere Fragen zur Beſprechung, ſo zeigte ſich ſtets ein ſtreng conſervativer, den Reformen feindlicher Geiſt; der Staatskanzler mußte ſich bald überzeugen, daß er die Ausgleichung der Grundſteuer gegen den zähen paſſiven Widerſtand des Landadels für jetzt noch nicht durchſetzen könne. Der Eifer der Repräſentanten und ihrer379Das Gensdarmerie-Edict.Wähler erlahmte ſchnell; es kam ſo weit, daß die Stände Vorpommerns ſich weigerten ihren Vertretern fernerhin Tagegelder zu zahlen. Von der Nation kaum noch bemerkt ſchleppte die Verſammlung ihr unfruchtbares Daſein bis zum 15. Juli 1815 dahin; ihr letztes Werk war die Verord - nung über die Vergütung der Kriegsleiſtungen v. 1. März 1815.

Je länger der Staatskanzler im Sattel ſaß, um ſo offenkundiger wurden ſeine bureaukratiſchen Neigungen. Ohne feſte Grundſätze wie er in Verwaltungsfragen immer war, fand er den aufreibenden Kampf mit dem trotzigen Landadel bald unbequem und beſchloß den feſten Grund der ritterſchaftlichen Macht, die Gutsherrſchaft zu zerſtören, aber nicht durch die Begründung einer gerechten Selbſtverwaltung auf dem flachen Lande, ſondern auf gut napoleoniſch-weſtphäliſche Art durch die Verſtärkung der Macht des Beamtenthums. Am 30. Juni 1812 erſchien das Edict wegen Errichtung der Gensdarmerie. Es war der ſchwerſte Mißgriff der Harden - bergiſchen Verwaltung, ein vollſtändiger Abfall von den hochſinnigen Ge - danken Steins. Das althiſtoriſche, mit dem Leben dieſes Staates feſt verwachſene Landrathsamt wurde aufgehoben. An die Stelle des Land - raths trat ein Kreisdirector, ein von der Krone nach freiem Ermeſſen ernannter, auskömmlich beſoldeter Staatsbeamter, der ſeinen Sitz in der Kreisſtadt angewieſen erhielt und lediglich ein Werkzeug der Staatsgewalt, nicht mehr, wie vormals der Landrath, zugleich ein Vertrauensmann der Kreisſtände war. Unter ihm ſollte ein Kreisbrigadier mit vier bis fünf Gensdarmerie-Offizieren die Polizeigewalt im Kreiſe handhaben und zu - gleich in den Geſchäften des Kreisdirectoriums thätig ſein, dergeſtalt daß dieſe Behörde einen rein bureaukratiſchen Charakter erhielt. Die Kreis - kaſſe wurde zur Staatskaſſe; nur als ein gerinfügiger Nebenfond ſollte noch eine Kreis-Communalkaſſe beſtehen. Da der Schwerpunkt der Selbſt - verwaltung überall im Finanzweſen liegt, ſo konnte demnach die aus zwei Abgeordneten der Ritterſchaft, zwei ſtädtiſchen und zwei bäuerlichen De - putirten gebildete Kreisverſammlung, welche der Kreisdirector von Zeit zu Zeit einberief, nur wenig bedeuten. Die Rittergutsbeſitzer verloren ihre Polizeigewalt, erhielten nur das Recht der Aufſicht über die Orts - polizei der Dorfgerichte, wurden der Disciplinargewalt des Kreisdirectors unbedingt unterworfen.

Hardenberg ging bei dem Gensdarmerie-Edicte von der berechtigten Abſicht aus, die Ausführung des Staatswillens auf dem flachen Lande beſſer als bisher zu ſichern und das Uebergewicht der Ritterſchaft in der Kreisverwaltung, das nach Einführung der Gewerbefreiheit und bei gleichem Intereſſe aller Klaſſen keinen Sinn mehr habe, zu beſeitigen. Doch ſein Heilmittel war ärger als die alten Uebel. Sein Kreisdirector mitſammt der Kreisverſammlung war nichts anderes als der Unterpräfect und der Arrondiſſementsrath des napoleoniſchen Frankreichs. Mit dieſem Edicte, das unter ſo anſpruchsloſem Namen auftrat, that der Staats -380I. 3. Preußens Erhebung.kanzler den verhängnißvollen erſten Schritt zur Einführung des Präfec - turſyſtems. Die Oberpräſidenten hatte er ſchon abgeſchafft, und nun verſprach er bereits das Staatsgebiet in neue Regierungs - und Militär - departements einzutheilen. Er war jetzt ſo ganz durchdrungen von der Herrlichkeit der ſchlagfertigen Präfectur, daß ſelbſt ſein ergebener F. v. Raumer ſich bewogen fand ihm die Vorzüge des alten preußiſchen Col - legialſyſtems in einem beweglichen Briefe vorzuhalten.

Zum Glück fehlte dem geiſtreichen Manne die Willenskraft zur Durchführung der undeutſchen, verderblichen Neuerung, die er plante. Vor - derhand ſollte nur ein Theil der Beſtimmungen des Gensdarmerie-Edicts proviſoriſch in Kraft treten. Dieſer Unfug der proviſoriſchen Geſetzge - bung war dem geſtrengen alten Abſolutismus ganz unbekannt geweſen und riß erſt jetzt ein, da der leitende Staatsmann zwiſchen Projecten und Experimenten unſtät hin und her griff. Proviſoriſch alſo ſollten die bisherigen Landräthe die Geſchäfte der neuen Kreisdirectorien über - nehmen, nur daß man zuvor gründlich unter ihnen aufräumte und eine große Zahl der Altſtändiſchgeſinnten entließ. Jedoch ſelbſt in dieſer pro - viſoriſchen Geſtalt ſtieß die neue Ordnung auf einen ungeheuren, völlig unbeſiegbaren Widerſtand. Der Landadel, in ſeinem Allerheiligſten bedroht, lärmte lauter denn je, die Nationalrepräſentanten in Berlin verwahrten ſich gegen die Verletzung der alten Gerechtſame. Mehrere der wärmſten perſönlichen Anhänger des Staatskanzlers ſtimmten mit ein in die be - rechtigten Vorwürfe, welche von Stein, Vincke und den anderen Vertre - tern des Gedankens der Selbſtverwaltung erhoben wurden; der geiſtreiche Hippel gerieth mit ſeinem alten Freunde Scharnweber, der bei dem Ge - ſetze mitgeholfen, ganz aus einander. Das Edict konnte nur in wenigen Regierungsbezirken, nirgends vollſtändig und in der Kurmark gar nicht, ausgeführt werden; bald nachher ſchwemmte die Sturmfluth des Krieges von 1813 auch dieſe ſchwachen Anfänge großentheils wieder hinweg. Die einzige geſunde Frucht des unglücklichen Geſetzes waren die Kreisverſamm - lungen. Erſt in der ſtillen Arbeit dieſer Verſammlungen lernte das Landvolk die neue Zeit kennen und lieben. Wo immer ſie ins Leben traten da war Jedermann des Lobes voll für das Verhalten der Bauern; ſie lieferten den Beweis, daß Steins Werk, die Befreiung des Bauern - ſtandes nicht zu früh erſchienen war. Alle Berichte der Behörden erzählten mit naivem Erſtaunen, wie willig, brauchbar, beſonnen dieſer neue Stand ſich zeige. *)Viele Belege hierfür giebt der Bericht des Miniſters v. Beyme v. 21. April 1818 über ſeine Rundreiſe durch Pommern und Preußen.

Welch ein Gegenſatz doch: die Geſetze Steins und die Experimente Hardenbergs! Steins Thun und Denken gemahnt immer an den alten Wappenſpruch ſeiner geliebten Grafſchaft Mark: vierecken Stein, wie er381Stein und Hardenberg.auch fällt, ſich immer auf ein Seiten ſtellt. In Hardenbergs Geiſte kom - men und gehen die Gedanken und Einfälle wie die Nebelbilder in einem Zauberſpiegel. Dort Alles planvoll, tief, gediegen und darum auch alsbald in vollem Ernſte durchgeführt; hier ein unſicheres Schwanken zwiſchen radicalen Doctrinen und despotiſchen Neigungen, eine Reihe verunglückter Finanzgeſetze, große gefährliche Verſprechungen für die Zukunft, kühne Anläufe, nach dem erſten Sprunge wieder aufgegeben, Alles planlos und haſtig; und mitten in dieſem unfertigen dilettantiſchen Treiben doch einige hochwichtige Reformen, des größten Staatsmannes würdig, eine Entfeſſe - lung der wirthſchaftlichen Kräfte, die dem Staate nachher ermöglicht hat die Wunden eines fürchterlichen Krieges auszuheilen. Jener Zug des Leichtſinns, welcher Hardenbergs proteiſche Natur ſo oft in die Irre führte, hing doch eng zuſammen mit der beſten Kraft ſeines Weſens, der unver - wüſtlichen hoffnungsvollen Freudigkeit. Während Stein den preußiſchen Staat ſchon faſt verloren gab und nur noch auf das Wunder einer allge - meinen deutſchen Volkserhebung rechnete, fand dieſer Leichtlebige ſtets neue Mittel und Behelfe für ſeinen wirklichen Staat und nach jedem neuen Fehlſchlage ſtand er wieder ſchnellkräftig auf ſeinen Füßen.

Inmitten der Aufregung dieſer inneren Parteikämpfe behielt Harden - berg immer ſeine beſte Kraft frei für die auswärtige Politik. Er wollte die wirthſchaftlichen und militäriſchen Kräfte des ausgeſogenen Landes noch einige Jahre lang ſammeln und unterdeſſen in der Stille ein gutes Einvernehmen mit den beiden anderen Oſtmächten herſtellen, bis nach der völligen Räumung der Oderfeſtungen der rechte Augenblick für die Schilderhebung herankäme. Bis dahin durfte man den Argwohn des Imperators nicht reizen. Darum wurde Scharnhorſt ſcheinbar der Leitung des Kriegsdepartements enthoben: in Wahrheit behielt er nach wie vor die militäriſchen Dinge in ſeiner Hand. Graf Goltz, ein wohlmeinen - der, ängſtlicher Mann, an dem die Franzoſen keinen Anſtoß nahmen, blieb dem Namen nach an der Spitze der auswärtigen Geſchäfte, während Hardenberg hinter ſeinem Rücken mit dem engliſchen Agenten Ompteda verhandelte. Der Polizeidirector von Berlin, Juſtus Gruner, ein leiden - ſchaftlicher, in die Pläne der geheimen Bünde tief eingeweihter Patriot, verlor ſeine Stelle. Die aufgeregten Gelehrten und Schriftſteller erhiel - ten freundſchaftliche Mahnungen ſich nicht bloßzuſtellen. Eine ſorgſame Cenſur überwachte nos deux gazettes: ſo hießen in der Sprache der preußiſchen Diplomatie die patriotiſche Spenerſche und die charakterloſe, vom Grafen St. Marſan insgeheim unterſtützte Voſſiſche Zeitung. Der Staatskanzler war unermüdlich im Beſchwichtigen und Entſchuldigen, ſo oft St. Marſan in Berlin oder Davouſt in Magdeburg ſich über die Umtriebe von Fichte, Schleiermacher und Schmalz beſchwerten.*)Hardenbergs Tagebuch 6. Nov. 1811. Indeß382I. 3. Preußens Erhebung.die Ereigniſſe gingen ſchneller als Hardenbergs verſtändige Wünſche. Bald nach dem Wiener Frieden ließ ſich ſchon errathen, daß der Entſcheidungs - kampf zwiſchen den Tilſiter Verbündeten nahte; nicht urplötzlich wie die meiſten anderen Kriege dieſer athemloſen Zeit, ſondern ſchrittweiſe, zwei Jahre zum Voraus erkennbar, rückte die neue Kriegsgefahr heran.

Der entſcheidende Grund lag wieder in dem unzähmbaren Charakter des Weltherrſchers. Wie der Löwe nicht blos aus Hunger mordet, ſon - dern weil er nicht anders kann, weil es ſeine Natur iſt zu rauben und zu zerfleiſchen, ſo konnte dieſer Allgewaltige nicht einen Augenblick bei einem erreichten Erfolge ſich beruhigen. Ins Grenzenloſe ſchweiften ſeine begehrlichen Träume; noch war ihm nichts gelungen was der Märchen - pracht des Alexanderzuges gleich kam. Kaum war mit Rußlands Hilfe Oeſterreich unterworfen, ſo ſollte der Czar mit dem Beiſtande der Hof - burg gedemüthigt werden. Doch nicht blos die verzehrende Gluth eines raſenden Ehrgeizes trieb den Imperator vorwärts, ſondern auch eine un - aufhaltſame politiſche Nothwendigkeit; ſein Weltreich konnte nicht beſtehen wenn er nicht über alle Küſten Europas unbedingt gebot. Leidenſchaft - licher denn je betrieb er jetzt den Handelskrieg gegen das unangreifbare England; durch das Edict von Trianon hoffte er die Sperrung des Con - tinents zu vollenden. Als er die Nordſeeküſte mit dem Kaiſerreiche ver - einigte, erklärte er den Abgeordneten der Hanſeſtädte kurzab: die Edicte über die Continentalſperre ſind die Grundgeſetze meines Reiches! Auf der ſpaniſchen Halbinſel wogte der gräuelvolle Krieg ins Unabſehbare dahin; aus den radicalen Beſchlüſſen der Cortes von Cadiz ſprach die verzwei - felte Entſchloſſenheit eines heldenhaften Volkes. Zwingende politiſche Gründe mahnten den Imperator zunächſt dieſe offene Wunde zu ſchließen; er aber wollte und konnte die ungeheure Macht der nationalen Leiden - ſchaft nicht würdigen. War erſt Rußland gebändigt und die engliſche Flagge von allen Häfen des Feſtlands ausgeſchloſſen, ſtanden die franzö - ſiſchen Zollwächter in Petersburg, dann mußte der ſpaniſche Aufſtand wie Schnee zerſchmelzen vor der Sonne des Kaiſerthums. Und ſchon brütete der Unerſättliche über noch kühneren, noch wunderbareren Plänen: nach dem Falle von Moskau ſollte von den Ufern der Wolga aus ein neuer Kriegszug, die Wunder Alexanders überbietend, beginnen, ein Zug zum Ganges, der dies Schaugerüſte der engliſchen Handelsgröße für immer vernichten mußte.

Der Czar konnte ſich die Gefahren des Tilſiter Bündniſſes nicht länger mehr verbergen. Ganz Rußland vernahm mit Unmuth, wie Na - poleon das von den Ruſſen eroberte öſterreichiſche Polen großentheils an Warſchau verſchenkte ohne den Verbündeten auch nur zu befragen. Man kannte in Petersburg den geheimen Verkehr zwiſchen dem polniſchen Adel und den Tuilerien, der durch Napoleons polniſche Flügeladjutanten ver - mittelt wurde. Die Wiederherſtellung Polens durch Frankreichs Gnade,383Auflöſung des Tilſiter Bündniſſes.nach Alexanders Meinung die ſchwerſte aller Gefahren, rückte näher und näher. Um ihr zu begegnen legte der Czar dem franzöſiſchen Geſandten einen Vertrag vor, wornach die beiden Alliirten ſich verpflichteten den polniſchen Staat niemals wieder aufzurichten, auch den Namen Polen nie zu dulden. Der Imperator wich aus; ſein frommes Gemüth ſcheute ſich die Sprache der Gottheit zu reden , ein Verſprechen für alle Zu - kunft zu geben. Nicht als ob er den Gedanken der Wiederherſtellung des polniſchen Reichs ſchon im vollen Ernſt ergriffen hätte. Die Bildung nationaler Staaten widerſprach dem Weſen ſeines Weltreichs. Auch die revolutionären Ideen, die in dem zweiſeitigen Weſen des Bonapartismus lagen, traten mit den Jahren ganz zurück. Wie die unterjochten Völker jetzt in Napoleon nur noch den Despoten ſahen, ſo fühlte er ſelber ſich wieder ganz als der Bändiger der Revolution und prahlte wieder, wie einſt nach dem achtzehnten Brumaire, auf ſeinen Schultern ruhe die Ordnung der bürgerlichen Geſellſchaft. Der Radicalismus der Sarmaten war ihm unheimlich; ihn beunruhigte der Gedanke, von einem halbre - publikaniſchen Polen könne eine teufliſche Propaganda ausgehen, die ſich mit dem Huſſitenthum im nahen Böhmen verbände. Gleichwohl wollte er ſich nicht die Hände binden, da die nationalen Hoffnungen der Polen ihm vielleicht noch als eine willkommene Waffe gegen Rußland dienen konnten; auch durfte der Uſurpator die Schwärmerei der Franzoſen für die Wiederaufrichtung des altverbündeten Polenreichs nicht offen verletzen. Genug, die Verhandlungen zwiſchen Paris und Petersburg zerſchlugen ſich, und der erbitterte Czar erklärte dem franzöſiſchen Geſandten: ich weiß jetzt, daß Ihr Polen wiederherſtellen wollt! Der Imperator aber gab auf den Vorwurf hinterhaltiger Ränkeſucht die unzweideutige Ant - wort: ich intrigire nicht, ſondern führe Krieg mit 400,000 Mann!

Nun drängten ſich Schlag auf Schlag die Beweiſe der Feindſeligkeit Napoleons. Kurz bevor er die Erzherzogin heimführte, ließ er um die Hand der Schweſter Alexanders anhalten; er rechnete, Kaiſer Franz werde lieber ſein eigen Fleiſch und Blut dem gekrönten Plebejer opfern, als eine Familienverbindung zwiſchen den Bonapartes und dem Hauſe Gottorp dulden. Der Plan gelang vollſtändig, der Czar aber ſagte ver - ſtimmt: Ihr habt ein doppeltes Spiel geſpielt! Es folgte die Einverleibung der deutſchen Küſten. Das Weltreich ſtreckte ſeine Polypenarme, den preußiſchen Staat umklammernd, bis zur Oſtſee, immer näher an Ruß - land heran, und der Imperator erklärte ausdrücklich, dieſe Reunionen ſeien nur die erſten! Dadurch wurde zugleich der Verbündete Frankreichs, der Herzog von Oldenburg, Alexanders naher Verwandter ſeines Erb - landes beraubt, ohne daß man den ruſſiſchen Alliirten auch nur zum Voraus von der Gewaltthat unterrichtete. Dann ſtellte Napoleon dem Czaren die Zumuthung, daß er alle neutralen Schiffe mit Beſchlag be - legen ſolle; das hieß den Ruſſen jede Verzehrung von Colonialwaaren ver -384I. 3. Preußens Erhebung.bieten. Alexander antwortete durch einen Ukas, der die Einfuhr franzö - ſiſcher Fabrikate hart traf. Ein gereizter Briefwechſel gab der Erbitterung der beiden Kaiſer lebhaften Ausdruck. Ew. Majeſtät hat keine Freund - ſchaft mehr für mich ſo ſchrieb Napoleon im Februar 1811 unſere Allianz beſteht nicht mehr in den Augen Englands und Europas.

Unterdeſſen betrieb er mit gewohnter Umſicht die Rüſtungen für einen Kampf ohne Gleichen. Schon ſeit dem Frühjahr 1810 ließ er un - geheure Waffenvorräthe im Warſchauiſchen aufhäufen und die Feſtungen des Herzogthums für den Krieg vorbereiten das Alles aus bloßer Vorſicht , wie er an Friedrich Auguſt von Sachſen ſchrieb. Im April 1811 erhielten die Fürſten des Rheinbundes den Befehl ihre Truppen marſchbereit zu halten; Magdeburg war von den Franzoſen beſetzt, die Garniſonen in Danzig und den Oderfeſtungen wurden verdoppelt, an der unteren Elbe ſammelte ſich ein Heer von 200,000 Mann. Es lag vor Augen: Preußen ſollte durch einen plötzlichen Einbruch vernichtet oder durch Drohungen zum Anſchluß an Frankreich gezwungen werden; dann begann der ruſſiſche Feldzug ſogleich von Warſchau aus. Am 15. Auguſt 1811 überſchüttete Napoleon in öffentlicher Verſammlung den ruſſiſchen Geſandten Kurakin mit gehäſſigen Scheltworten, und die Welt wußte bereits: durch ſolche Scenen pflegte der Imperator ſeine Kriege einzuleiten.

Wollte Alexander den ungleichen Kampf beſtehen, ſo war unerläßlich, daß er ſeine geſammte Macht bereit hielt und ſich mit den deutſchen Großmächten verſtändigte. Von den beiden goldenen Früchten, die er ſich von dem Tilſiter Bündniß verſprochen, war die eine bereits glücklich einge - heimſt. Das beſiegte Schweden hatte Finnland den Ruſſen abgetreten, und auch in den Donauprovinzen behaupteten ſich Alexanders Truppen. Aber die Pforte widerſtand noch immer hartnäckig, und Napoleon er - muthigte ſie insgeheim, denn er ſah voraus, daß der Kampf um die Donaumündungen jede Verſöhnung zwiſchen Rußland und Oeſterreich vereiteln mußte. Die Hofburg grollte dem Czaren, ſie ſchrieb ihm vor Allen das Mißlingen des letzten Krieges zu. Trotzdem unternahm Kaiſer Franz ſchon im December 1809 den Verſuch einer geheimen An - näherung, da er der franzöſiſchen Freundſchaft wenig traute. Alexander ſchlug freudig ein in die dargebotene Hand; er glaubte in jenem Augen - blicke noch an die Fortdauer des Tilſiter Bündniſſes und ſpielte mit dem Plane eines Dreikaiſerbundes, der die Theilung der Türkei herbeiführen ſolle. Indeß die Wiener Nüchternheit blieb für ſolche Träume unempfäng - lich. Erzherzog Karl vornehmlich zeigte wie immer ein offenes Verſtändniß für die orientaliſchen Intereſſen der Monarchie, er verwarf jede Verſtän - digung mit Rußland, ſo lange die untere Donau in der Hand des Czaren ſei, und Metternich erklärte endlich dem ruſſiſchen Geſandten: macht ein Ende mit der Türkei, dann erſt können wir mit Euch verhandeln!

385Alexanders polniſche Pläne.

Währenddem erkannte Alexander, daß der Bund von Tilſit zerriſſen war, und alsbald ſtiegen in der Seele des Leichtbeweglichen neue phan - taſtiſche Träume auf, Pläne ebenſo glückverheißend für die Freiheit der Welt wie vortheilhaft für die Ländergier des Hauſes Gottorp. Er kehrte zurück zu jenen polniſchen Projecten, die er vor Jahren mit Czartoryski beſprochen, und ſchrieb im December 1810 dem polniſchen Freunde: ſeine Abſicht ſei, dem Imperator den Rang abzulaufen und gleich beim Be - ginne des Krieges die Freiheit Polens auszurufen natürlich die Frei - heit unter ruſſiſchem Scepter. Er wollte als Selbſtherrſcher aller Reuſſen und König von Polen im Oſten despotiſch, im Weſten parlamentariſch regieren, als der Herſteller Polens in dem Gedächtniß ferner Jahrhun - derte leben und dem befreiten Nachbarlande eine muſterhafte Verfaſſung ſchenken, denn Sie wiſſen, die liberalen Formen habe ich immer vorge - zogen. Folgten die Polen dem Rufe ihres Befreiers, ſo könne er ohne einen Schuß zu thun bis an die Oder vorgehen, Preußen ſchließe ſich ſelbſtverſtändlich an, und mit entſchiedener Uebermacht, mit 230,000 Mann, die bald noch um weitere hunderttauſend verſtärkt würden, beginne dann der Kampf für die Befreiung Europas; mehr als 155,000 Mann habe Napoleon nicht entgegenzuſtellen, und darunter nur 60,000 Franzoſen! So tief unterſchätzten die alten Mächte noch immer die Macht des Welt - reichs. Selbſt einſichtige Offiziere kamen von dem allgemeinen Irrthum nicht los; berechnete doch Radetzky im Jahre 1810 ebenfalls, daß nur 60,000 Franzoſen gegen Rußland marſchiren könnten, und Gneiſenau ſchätzte noch ein Jahr darauf die Geſammtmaſſe der gegen den Oſten verfügbaren napoleoniſchen Streitkräfte auf 200,000 Mann.

Mit glückſeliger Zuverſicht baute der Czar auf ſeinen rettenden Ge - danken. Er hielt es für ſo ſchwer nicht, ſelbſt Oeſterreichs Zuſtimmung zu gewinnen und ſchrieb dem Kaiſer Franz: möge die Hofburg die Donau - provinzen und ſelbſt Serbien für ſich nehmen, wenn ſie ſich nur der großen Coalition anſchließe und die Wiederherſtellung Polens geſtatte. Dem Wiener Hofe aber erſchienen dieſe polniſchen Pläne, begreiflich genug, faſt noch unannehmbarer als vorher die Anſchläge gegen die Donaumün - dungen. Er lehnte jede Verhandlung ab; ſeine Staatsmänner ſagten unver - hohlen: die ruſſiſche Politik iſt wie ein Kind, ſie weiß nicht was ſie will. In der That ſollten die ſarmatiſchen Projecte raſch im Sande verlaufen. Czartoryski verſagte ſich den Mahnungen Alexanders; das polniſche Blut war ſtärker als die Freundſchaft für den Czaren. Der kluge Pole er - rieth ſofort, daß ſeine Landsleute, getreu den nationalen Ueberlieferungen, im franzöſiſchen Lager bleiben würden, und hoffte die Herſtellung ſeines Vaterlandes von Napoleons Siegen. Er wollte tout ce qui est Po - logne, alſo auch Danzig und Weſtpreußen wieder unter den Fahnen des weißen Adlers vereinigen und verhielt ſich kühl, ſobald er bemerkte, wie weit dieſe beſcheidenen Anſprüche über die Abſichten des Czaren hinausgingen.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 25386I. 3. Preußens Erhebung.

Im Mai 1811 ſah Alexander endlich ein, daß er beim Vorbrechen gegen Warſchau auf eine Schilderhebung der Polen nicht zählen könne, und beſchloß nunmehr, gründlich ernüchtert, den Angriff des Feindes im eigenen Lande zu erwarten. Er kannte ſeine Ruſſen; er wußte, daß ſie einen Krieg im Auslande als einen Kampf für die Heiden immer nur mit halbem Herzen führen, dagegen die bedrohte Erde des heiligen Ruß - lands noch immer ebenſo tapfer und glaubensfreudig, wie einſt gegen die Tartaren und Türken, vertheidigen würden. An Nachgiebigkeit dachte er nicht mehr der Krieg ſchien ihm unvermeidlich, und die Bedrängniß der Finanzen machte den bewaffneten Frieden auf die Dauer unerträglich.

Alſo drohten, wie die Zeitungen ſagten, die beiden Koloſſe des Oſtens und des Weſtens auf einander zu ſtoßen und das unglückliche Preußen beim erſten Anprall zu zermalmen. Neutralität war unmöglich, ſchon weil Napoleon ſeinen Heereszug durch Preußen führen mußte; die preu - ßiſchen Generale ſahen voraus, daß er dieſe Straße einſchlagen würde um in das Herz des ruſſiſchen Landes zu ſtoßen, den Norden und den - den des weiten Reichs getrennt zu halten. Alle ſeine perſönlichen Ge - fühle, der Haß wider den Unterdrücker und die Freundſchaft für den Czaren, drängten den König ſich dem Staate anzuſchließen, den er von jeher als ſeinen natürlichen Bundesgenoſſen betrachtet hatte. Unterlag Rußland, ſo war ſicher, daß der ſiegreiche Imperator den verhaßten preu - ßiſchen Staat vernichtete; ſein Groll gegen dieſe zähen Norddeutſchen wuchs von Tag zu Tage, er nannte die Preußen nur noch die Jacobiner des Nordens. Seine Hofblätter erzählten immer wieder von der großen anarchiſchen Verſchwörung, die in Preußen ihren Heerd finde; ſie wieder - holten gern die Weiſſagung des Clericalen Bonald, daß dieſer Staat, das Werk des Gottesleugners Friedrich, dem Untergange entgegeneile.

Aber wie nun, wenn Alexander ſich über Preußen hinweg mit Frank - reich verſtändigte? Schon dreimal, in Tilſit, in Erfurt und während des öſterreichiſchen Krieges, hatte er ſeine deutſchen Freunde kaltſinnig preisgegeben. Stand Preußen allein auf, ſo wurde das kleine Heer von der ſiebenfachen Uebermacht, die überall dicht an den Grenzen und in den Oderfeſtungen ſtand, höchſtwahrſcheinlich ſogleich überrannt. Wie durfte man hoffen die Truppen rechtzeitig an der Küſte im Lager bei Colberg zu verſammeln, da das nahe ſächſiſch-polniſche Heer die ſchleſi - ſchen Truppen ſofort von der Hauptmaſſe der Monarchie abſchneiden konnte? Ein Handſtreich der Danziger und der Stettiner Garniſon ge - nügte um die Dirſchauer Brücke und die neue Oderbrücke von Schwedt, die beiden einzigen noch offenen Verbindungswege zwiſchen Altpreußen, Pommern und den Marken, alsbald zu ſperren. Ueber Napoleons Ab - ſichten beſtand kein Zweifel mehr. Nachdem die Hälfte der Contribution abgezahlt war, hatte er dem Vertrage gemäß Glogau wieder an den König zurückzugeben; doch er verweigerte die Räumung trotz zweimaliger Mah -387Die Kriſis von 1811.nung. Der kluge Talleyrand, der noch zuweilen zur Mäßigung gerathen, war längſt aus dem auswärtigen Amte zurückgetreten; ſeine Nachfolger, Champagny und nachher Maret, folgten knechtiſch jeder Laune des Herr - ſchers. Eine geheime Denkſchrift Champagnys vom December 1810 fiel in Hardenbergs Hände; ſie entwickelte ausführlich den Plan der Vernich - tung Preußens. Der Staatskanzler durchſchaute die hinterhaltigen Ab - ſichten der napoleoniſchen Diplomaten, die jede Kriegsgefahr hartnäckig in Abrede ſtellten; noch im April 1811 verſicherte ihm Lauriſton, der ruſſiſch-franzöſiſche Streit ſei nur ein harmloſer Zwiſt zwiſchen Mann und Frau. *)Hardenbergs Journal 20. April 1811.Es war klar, man wollte Preußens Wachſamkeit einſchlä - fern; der Imperator ſchwankte nur noch, ob er den Hohenzollern vor oder nach dem ruſſiſchen Kriege den Gnadenſtoß geben ſolle. Aber eine Schilderhebung in ſo entſetzlicher Lage war ein Selbſtmord, wenn der Czar ſich nicht entſchloß den Krieg auf preußiſchem Boden zu eröffnen.

In dieſem Sinne ſchrieb Friedrich Wilhelm ſeinem Freunde, wieder - holt, nachdrücklich, in tiefſter Erregung. Alexander ſchwieg lange. Gegen Ende Mai antwortete er ſchließlich: er habe kein Mittel die Ueberfluthung Preußens durch die große Armee zu hindern und werde den Krieg nicht anders als im Innern ſeines Landes beginnen. Zum vierten male über - ließ er ſeinen Freund einem unheimlichen Schickſale. Unterdeſſen hatte Hardenberg verſucht, ob in Paris ein Bündniß unter ehrenvollen Be - dingungen zu erlangen ſei; er bot ein Hilfscorps, gegen die Rückgabe von Glogau, gegen den Erlaß der Contribution und die Erlaubniß zur Vermehrung des Heeres. Napoleon verwarf den Antrag: nicht als ein gleichberechtigter Bundesgenoſſe, ſondern gebunden und gezwungen ſollte ihm Preußen Heeresfolge leiſten. Unheil alſo und Verderben wohin man ſich auch wenden mochte!

Da, im Augenblicke der höchſten Noth, brach die heiße Leidenſchaft der Kriegspartei in hellen Flammen aus. Hardenberg ſelbſt trat auf die Seite Scharnhorſts, Gneiſenau wurde in den Staatsrath berufen zur Leitung der Rüſtungen, und ſo entſtanden im Sommer 1811 jene gran - dioſen Pläne für eine Maſſenerhebung des preußiſchen Volkes das Tollkühnſte vielleicht, was moderne Staatsmänner je erdacht haben, ein unvergängliches Denkmal für die Seelengröße Scharnhorſts und ſeiner Freunde. Wie man ſo dalag, dicht unter den Feuerſchlünden der großen Armee, die mit jedem Tage anwuchs, traute man ſich noch die Kraft zu, durch einen plötzlichen Aufſtand dem übermächtigen Feinde zuvorzukommen; in jedem Dorfe ſollte der Pfarrer den Landſturm aufbieten, wer nur irgend die Waffen ſchwingen konnte mußte mit heran. Bereits waren in aller Stille die Krümper einberufen, ſo viele man nur heranziehen konnte ohne den Argwohn der Franzoſen zu wecken; gegen Ende Auguſt25*388I. 3. Preußens Erhebung.ſtanden 75,000 Mann bereit. Die commandirenden Generale in den Provinzen erhielten außerordentliche Vollmachten um auf ein gegebenes Zeichen ſofort loszuſchlagen. Berlin war von Truppen faſt ganz ent - blößt, von allen Seiten her zogen die Regimenter nach dem feſten Lager bei Colberg, wo Blücher befehligte; dort und in Spandau ſollte der Volks - krieg ſeinen Stützpunkt finden. Gneiſenau jubelte: die Welt ſoll erſtaunen über unſere Kräfte! Wer den Hochherzigen in jenen Tagen ſah vergaß ihn nie mehr: ein Lichtſtrom der Begeiſterung ſchien von ihm auszu - ſtrahlen. Seine Freunde dachten ihm den Oberbefehl in Schleſien, wo er jeden Buſch und jeden Weg kannte, anzuvertrauen, und Clauſewitz begrüßte ihn bereits in prophetiſcher Ahnung als den Marſchall von Schleſien. Alle Gluth und allen Adel ſeiner Seele hatte er in dieſen Kriegsplänen niedergelegt; ſein ganzes Weſen war im Aufruhr, als er ſie dem Könige übergab mit einer poetiſchen Mahnung:

Trau dem Glücke, trau den Göttern,
ſteig trotz Wogendrang und Wettern
kühn wie Caeſar in den Kahn!

Und doch waren dieſe heldenkühnen Pläne nichts als eine edle Ver - irrung. Gneiſenau ſelber ſprach ſich ſein Urtheil, wenn er bekannte, er habe nur noch den Muth des Curtius. Ein ruhmvoller Untergang, ein Untergang ohne jede abſehbare Möglichkeit der Wiederauferſtehung war Preußens ſicheres Loos, wenn man ſich alſo kopfüber in den Kampf ſtürzte. Noch bevor der Volkskrieg recht in Zug kam, mußte Napoleon, der ſeine Augen überall hatte, das Land ſchon mit ſeinen Heerſäulen überſchwemmt haben, und wo bot dieſe offene, bebaute Ebene einen Anhalt für einen ſpaniſchen Guerillaskrieg? Es wurde die Rettung der Monarchie, daß Friedrich Wilhelm auch in dieſer ſchweren Verſuchung ſeine höchſte Königs - pflicht nicht aus den Augen verlor und das Daſein des Staates nicht einer Aufwallung heroiſcher Gefühle opfern wollte. Er prüfte die Pläne nach ſeiner tiefen, gründlichen Weiſe und warf ſchon jetzt in ſeinen Rand - bemerkungen einige gute Gedanken hin, welche zwei Jahre ſpäter ins Leben treten ſollten: ſo den erſten Entwurf für den Orden des eiſernen Kreuzes. Vieles ſah er allzu trübe; ſolchen Männern gegenüber fragte er klein - müthig wo denn die Heerführer ſeien für einen Volkskrieg? Aber die Stärke Napoleons, die Schwäche des ruſſiſchen Heeres ſchätzte er richtiger als die Generale, und ſeine an den geordneten Heeresdienſt gewöhnten Mär - ker kannte er zu gut um ſich viel von einer regelloſen Volksbewegung zu verſprechen. Als Poeſie gut hieß es in den Randgloſſen, und wieder: wenn ein Prediger erſchoſſen iſt, hat die Sache ein Ende. Der König war längſt auf das Aergſte gefaßt; ſeine Wagen ſtanden wochenlang reiſe - fertig im Schloßhofe um den Monarchen bei der erſten verdächtigen Be - wegung der nahen Franzoſen nach Königsberg zu bringen. Wiederholt389Die Kriegspartei.ſchrieb er an Alexander, wie gern er bereit ſei ſein Heer bis zum Rheine zu führen; aber die Befreiung Deutſchlands ſei nur möglich, wenn die drei Oſtmächte vereinigt den Kampf auf dem deutſchen Kriegstheater er - öffneten.

Im October erſchien Scharnhorſt in tiefem Geheimniß zu Petersburg und verſuchte durch ſeine geiſtige Ueberlegenheit den Czaren zu überzeugen, daß er den Kampf in Preußen eröffnen müſſe. Auch er brachte nur die Antwort heim: man werde den Feind in Rußland ſelbſt erwarten und könne für Preußen nichts thun, höchſtens ein Corps von zwölf Bataillonen nach Oſtpreußen ſenden. Gleich darauf eilte Scharnhorſt nach Wien; ſelbſt der Geſandte Humboldt ſo ſtark war Hardenbergs Mißtrauen durfte nichts von ſeiner Ankunft erfahren. Metternich empfing den ver - trauten Botſchafter nicht unfreundlich. Der öſterreichiſche Miniſter behielt die Möglichkeit eines Bundes der drei Oſtmächte immer im Auge, obgleich Kaiſer Franz die militäriſchen Jacobiner in Berlin nicht weniger verabſcheute als ſein Schwiegerſohn; doch er meinte den Zeitpunkt für eine Verſchiebung der Allianzen noch nicht gekommen und dachte ſehr niedrig von Alexanders Willenskraft. Unmöglich, ihm eine feſte Zuſage zu entreißen; ſelbſt für den Fall der Vernichtung Preußens verſprach er keinen Beiſtand. Auch England verweigerte wirkſame Hilfe. Preußen forderte nur das Unerläß - liche: Subſidien und eine Landung an der deutſchen Küſte. Die britiſche Regierung aber wollte noch immer nicht einſehen, daß die Entſcheidung des Weltkampfes allein in Deutſchland lag. Stolz auf ihre iberiſchen Erfolge meinte ſie genug zu thun durch die rüſtige Fortführung des ſpani - ſchen Krieges wie ja bis zum heutigen Tage noch die Durchſchnitts - meinung der Engländer dahin geht, daß Wellingtons ſpaniſche Siege das napoleoniſche Reich zertrümmert hätten. Dem bedrängten Berliner Hofe bot England nur eine Waffenlieferung, und trotzdem unterſtand ſich der welfiſche Staatsmann Graf Münſter, bei Scharnhorſt, Blücher und Gnei - ſenau anzufragen, ob ſie nicht gegen den Willen ihres Königs eine Schild - erhebung wagen wollten! Die gedemüthigte fridericianiſche Monarchie hatte alle Achtung in der Welt verloren; ſie ſchien nur noch ein willenloſer Trümmerhaufen, zählte gar nicht mehr mit in der Reihe der Mächte.

So ſtand man denn abermals allein. Eine Kriegserklärung in ſolcher Lage mußte den Staat vernichten bevor noch ein ruſſiſcher Säbel aus der Scheide fuhr. Was Wunder, daß nach Alledem im Januar 1812 die franzöſiſche Partei am preußiſchen Hofe ſich wieder hervorwagte. Ihr Wortführer war Ancillon der Hofpfaffe, wie Gneiſenau ihn nannte ein unterthäniger, ſeichter Schönredner, feigherzig von Natur, immer zum kleinmüthigſten Entſchluſſe geneigt. Der führte mit ſeiner widerlichen theologiſchen Salbung in breiter Denkſchrift aus, daß Napoleon freund - liche Abſichten gegen die preußiſche Monarchie hege, denn ſonſt hätte er ſie längſt zerſtört, und rieth dringend zum Anſchluß an Frankreich. Der390I. 3. Preußens Erhebung.König dachte anders. Nicht einen Augenblick glaubte er an die Groß - muth des Imperators; hatte er doch aus dem Schickſal des Oldenburger Herzogs ſoeben gelernt, daß ſelbſt ein Bündniß keine Sicherheit bot gegen die Gewaltſchläge dieſes Freundes. Aber er ſah die Lage wie ſie war: begann man den Krieg für Rußland und doch ohne ruſſiſche Hilfe, ſo opferte man ſich unfehlbar und völlig nutzlos; ſchloß man ſich dem Ver - haßten an, ſo wurde dem Staate freilich nur für ein Jahr das Daſein gefriſtet, jedoch ein Jahr war viel in ſo wilder Zeit, und vielleicht zeigte ſich dann noch irgend ein anderer Weg der Rettung. Erſchüttert, ver - zweifelt ſtand der unglückliche Fürſt zwiſchen ſeinen theuerſten Neigungen und dem Staatsintereſſe. Noch einmal verſuchte er einen Ausweg. Oberſt Kneſebeck, ein erklärter Anhänger der Friedenspartei, wurde nach Peters - burg geſchickt um den Czaren zu beſchwören, daß er einen Unterhändler nach Paris ſende, dieſen für Preußen auf jeden Fall verderblichen Krieg abzuwenden ſuche; komme es zum Schlagen, ſo ſei der König nicht in der Lage ſich dem franzöſiſchen Bündniß zu entziehen. Auch dieſe Sen - dung ſchlug fehl, und nun war die Allianz mit Napoleon unvermeidlich.

Der Imperator hatte unterdeſſen ſeinen Beſchluß gefaßt. Um den ruſſiſchen Krieg ohne Aufenthalt ſogleich am Niemen eröffnen zu können hielt er es doch für gerathen ſich vorläufig mit der friedlichen Unter - werfung Preußens zu begnügen. Die preußiſchen Rüſtungen waren, auf ſeine Drohung, ſchon im Herbſt theilweis eingeſtellt worden; jetzt hatte er an 300,000 Mann dicht an den Grenzen des Staates ſtehen. Noch bevor die Verhandlung zum Abſchluß kam ſtreiften franzöſiſche Truppen von Magdeburg und Schwediſch-Pommern aus in das preußiſche Gebiet hinüber; der Commandant der Artillerie der großen Armee erhielt ge - heimen Befehl, die Belagerungsparks für Spandau, Kolberg und Grau - denz bereit zu halten. Der König war verloren wenn er nicht unter - ſchrieb. So kam der Bundesvertrag vom 24. Febr. 1812 zu Stande. Preußen ſtellte ein Hilfscorps von 20,000 Mann, die Hälfte ſeines Heeres verſchwand als ſiebenundzwanzigſte Diviſion in den Maſſen der großen Armee; was übrig blieb genügte kaum die Feſtungen zu beſetzen, da der König ſich ausdrücklich verpflichten mußte, den Beſtand ſeiner Truppen nicht zu vermehren. Das ganze Land, außer Oberſchleſien und Breslau, ſtand den Heerſäulen Napoleons zum Durchmarſch offen und hatte für ihren Unterhalt zu ſorgen. Und für alle dieſe neuen Opfer nur das Verſprechen, daß die Verpflegungskoſten ſpäterhin vergütet und der rückſtändige Reſt der Contribution darauf angerechnet werden ſollte! Die beſetzten Feſtungen blieben nach wie vor in Napoleons Händen; ſelbſt die Hauptſtadt mußte den Franzoſen eingeräumt werden, da Napoleon einen Aufſtand des Berliner Pöbels fürchtete. Nur Potsdam blieb frei; dort hauſte jetzt der König, von wenigen hundert Mann ſeiner Garde umgeben, doch ließ er ſich nicht abhalten zuweilen in Berlin mitten unter den391Da preußiſch-franzöſiſche Bündniß.Truppen Napoleons zu erſcheinen. Gleich darauf ſchloß ſich auch Oeſter - reich den Franzoſen an, freiwillig und unter weit günſtigeren Bedingungen: ihm wurde die Wiedererwerbung der illyriſchen Provinzen in Ausſicht ge - ſtellt, falls Galizien mit dem wiederhergeſtellten Polen vereinigt werden ſollte.

Alſo war der geſammte Continent zum Kriege gegen das Czarenreich verbunden, und verheerend ergoß ſich die große Armee über Preußens Gefilde an 650,000 Mann, das gewaltigſte Heer, das die Welt ſeit den Tagen des Xerxes geſehen. Die beſte Kraft der europäiſchen Jugend vom Ebro bis zur Elbe, von Tarent bis zur Nordſee ſtand in Waffen. Keine Rede mehr von den Verträgen. Wider die Abrede wurden auch Pillau und Spandau die Citadelle Berlins, wie Napoleon ſagte von den Franzoſen beſetzt. Was man irgend noch im Jahre 1807 zu rauben vergeſſen hatte oder was von Kriegsvorräthen neu angeſchafft war in dieſen vier Jahren, fiel jetzt den durchziehenden Freunden in die Hände. Preußen verlor durch den Marſch der großen Armee noch minde - ſtens 146 Mill. Fr. über den ſchuldigen Reſt der Contribution hinaus*)Nach der Rechnung des Finanzminiſteriums, die in Paris am 17. Mai 1814 übergeben wurde. Der Anſatz iſt aber unzweifelhaft viel zu niedrig. Dem zweiten Pariſer Friedenscongreſſe überreichte Hardenberg im Septbr. 1815 eine andere Rech - nung, wornach Preußen 94 Mill. Fr. über den Reſt der Contribution hinaus gezahlt und außerdem noch durch den Durchmarſch der großen Armee einen Schaden von 309 Mill. Fr. erlitten hatte. eine Summe die niemals vergütet wurde. Es war Napoleons Ab - ſicht, den gefährlichen Bundesgenoſſen in ſeinem Rücken gänzlich unſchädlich zu machen; nöthigenfalls konnte ein Handſtreich auf Potsdam die Perſon des Königs in ſeine Gewalt bringen.

Entſetzlich, niederſchmetternd war der Eindruck dieſer Ereigniſſe in dem Kreiſe der preußiſchen Patrioten. Je höher im vorigen Sommer ihre Hoffnungen ſich erhoben hatten, um ſo ſtürmiſcher wallte nun die Entrüſtung auf. Die Urheber der Rüſtungen von 1811 konnten nach dem vollzogenen Syſtemwechſel ſelbſtverſtändlich nicht mehr in ihren Stel - len verbleiben. Blücher war ſchon im Herbſt, auf Napoleons dringendes Verlangen, ſeines Commandos enthoben worden, von dem Monarchen mit herzlichen Worten getröſtet. Jetzt wurde auch Scharnhorſt entlaſſen, behielt aber das Vertrauen des Königs nach wie vor. Gneiſenau erhielt ſcheinbar den Abſchied und reiſte mit geheimen Aufträgen nach Oeſterreich, Rußland, Schweden und England. Boyen und Clauſewitz gingen nach Rußland. Der Letztere richtete zum Abſchied noch eine feurige Mahnung für die Zukunft an ſeinen Schüler, den jungen Kronprinzen und legte das Programm der Kriegspartei nieder in ſeinen Bekenntniſſen einer claſſiſchen Denkſchrift, die noch heute jedes deutſche Herz erzittern macht. Noch einmal verſuchte er, ſtolz und groß, mit hinreißenden Worten, den Nachweis zu führen: es müſſe möglich ſein in dieſem mißhandelten Lande392I. 3. Preußens Erhebung.750,000 Mann auf die Beine zu bringen, wenn man nur aller falſchen Klugheit abſchwöre und die dumpfe Erwartung der ungewiſſen Zukunft aufgebe. Niemals iſt ein hochherziger Irrthum ſchöner und würdiger vertheidigt worden.

Von den anderen Offizieren waren Einzelne, wie der feurige hoch - gemuthe Graf Chaſot, ſchon während der Wirren von 1809 ausge - treten; ihnen bot jetzt der Czar in ſeiner neu gebildeten Deutſchen Legion eine Freiſtatt. Andere Tapfere, wie Grolmann, Oppen, die Gebrüder Hirſchfeld, fochten in Spanien; ſie dachten wie Gneiſenau: die Welt ſcheidet ſich in Feinde und Freunde Bonapartes, auf das Gebiet der Länder kommt es dabei weniger an als auf das der Grundſätze. Die ungeheure Mehrzahl des Offizierscorps aber gab ihrem Kriegsherrn einen Beweis deutſcher Treue, der ſchwerer wog als manche glänzende That des Kriegsmuthes. Kein Mann in dieſen Reihen, der den Krieg für Napoleon nicht verwünſchte; und doch ſind nur einundzwanzig active Offiziere, darunter nur drei Stabsoffiziere, in Folge der franzöſiſchen Allianz freiwillig ausgeſchieden um zumeiſt in die deutſch-ruſſiſche Legion einzutreten. *)Nachgewieſen von Max Lehmann, Kneſebeck und Schoen. S. 57.Die Anderen bezwangen ihren heißen Haß, und ſie ſollten dereinſt noch Größeres vollbringen als jene Ungeduldigen. Es ſtand doch anders als Gneiſenau in ſeinem heiligen Eifer meinte. Der Krieg für das Recht der Nationen verlangte nationale Heere; die Baſtardsbildung der deutſch-ruſſiſchen Legion blieb ein Gemiſch aus edlen und gemeinen Elementen, ſie hat weder im ruſſiſchen noch im deutſchen Kriege eine be - deutende Rolle geſpielt. Der König nahm die Abſchiedsgeſuche ſehr un - willig auf. Clauſewitz und noch Mehrere der Ausgeſchiedenen konnten nachher nur mit Mühe den Wiedereintritt in die Armee erlangen; wie oft haben noch in ſpäteren Jahren die Gegner der Reformpartei den Monarchen gefliſſentlich daran erinnert, daß einige der nächſten Freunde Scharnhorſts und Gneiſenaus nicht bei der Fahne geblieben waren.

Napoleon hatte noch immer keine Ahnung von der ungeheuren Um - ſtimmung des deutſchen Volkes. Vergeblich warnten ihn Davouſt und Rapp und ſelbſt ſein allezeit luſtiger Bruder Jerome. Er erwiderte ver - ächtlich: was ſoll denn zu fürchten ſein von einem ſo maßvollen, ſo ver - nünftigen, ſo kalten, ſo duldſamen Volke, einem Volke, dem jede Aus - ſchreitung ſo fern liegt, daß noch niemals einer meiner Soldaten während des Krieges gemordet wurde? Graf Narbonne aber, der ſich mitten im Gefolge des Imperators noch ein Gefühl für Recht und Scham bewahrt hatte, ſagte voraus, dieſe erzwungene preußiſche Freundſchaft könne nicht dauern; wie dürfe man Treue fordern von einem Bundesgenoſſen, den man in ſeiner eigenen Hauptſtadt bewache? In der That blieb das herz - liche Einvernehmen zwiſchen dem Könige und dem Czaren auch nach dem393Zuſammenkunft in Dresden.Februar-Vertrage ungeſtört. Alexander verſagte ſichs freilich nicht in einem ſalbungsvollen Briefe das Betragen des preußiſchen Hofes, das doch von ihm ſelber verſchuldet war, zu beklagen; indeß ließ er dem Staatskanzler durch Graf Lieven vertraulich eröffnen, daß ſeine Freundſchaft unwandel - bar dauere. *)Hardenbergs Tagebuch 11. März 1812.Beide Theile hofften auf die Zeit, da ihr natürliches Bündniß ſich wieder ſchließen würde. Auch die Hofburg gab dem Peters - burger Hofe beruhigende Erklärungen, ſie ſtand jetzt im Kriege ſogar freundlicher mit dem Czaren als vorher im Frieden, weil Alexander ſeine polniſchen Pläne vorläufig aufgegeben hatte; die diplomatiſche Verbindung zwiſchen Wien und Petersburg wurde niemals gänzlich abgebrochen. Die beiden deutſchen Höfe aber traten unter ſich und mit England in lebhaf - ten geheimen Verkehr.

Im Mai hielt der Nachfolger der Karolinger ſeinen dritten großen Hoftag auf deutſchem Boden, glänzender noch als einſt in Mainz und Erfurt. Während die Regimenter der großen Armee in unendlicher Reihe über die Elbbrücke zogen, verſammelten ſich Deutſchlands Fürſten im Dresdener Schloſſe um ihren Beherrſcher: unter ihnen der vormals deutſche Kaiſer und der Nachfolger des großen Friedrich. Wie that es dem Plebejer wohl, die Nacken ſeiner hochgeborenen Diener recht wund zu reiben unter ſeinem Joche! Er ſpielte ſelber den Wirth im Hauſe ſeines ſächſiſchen Vaſallen, lud ſeinen kaiſerlichen Schwiegervater täglich, den Hausherrn und den König von Preußen als Perſonen niederen Ranges nur einen Tag um den anderen zu Tiſch; derweil der Herrſcher tafelte, mußten die Herzöge von Weimar und Coburg mit einem Schwarme deutſcher Fürſten nebenan im Vorzimmer ſtehen. Ehrenhafte Franzoſen nannten es ſelber eine muthwillige Beſchimpfung, daß man dem Könige dieſe Reiſe zugemuthet habe; der Imperator aber verſagte ſeinem Gaſte den üblichen Kanonenſalut und redete den Eintretenden mit der Frage an: Sie ſind Wittwer? **)Hardenbergs Tagebuch 26. Mai 1812.Friedrich Wilhelm war empört, er wußte nur allzu wohl, wer ſeiner Gemahlin das Herz gebrochen hatte; ſeinem Kronprinzen, der mit zugegen geweſen, blieb für das ganze Leben ein tiefer Abſcheu gegen die Familie Bonaparte. Sogar die bedientenhafte Bevölkerung der ſchönen Elbeſtadt fühlte ſich entrüſtet über die grauſame Roheit des Corſen und ehrte die ſtille Größe des Unglücks wo immer der König von Preußen ſich zeigte. Indeſſen ſaßen Hardenberg und Metternich in tiefem Vertrauen beiſammen und ſchloſſen gute Freund - ſchaft, wenngleich die Abſichten der beiden Mächte noch weit auseinander gingen. Die Vernichtung Napoleons wünſchte Kaiſer Franz ſeit der Ver - mählung ſeiner Tochter nicht mehr; nur zu einer Beſchränkung der un - erträglichen franzöſiſchen Uebermacht war Metternich bereit. So viel394I. 3. Preußens Erhebung.hatte der öſterreichiſche Staatsmann aus den furchtbaren Lehren der jüng - ſten Jahre doch gelernt, daß er eine mäßige Verſtärkung der preußiſchen Macht, allerdings unter manchem ſtillen Vorbehalte, für nothwendig an - ſah. Die beiden Miniſter enthüllten einander gegenſeitig ihre geheimen Beziehungen zu England, ſie gelobten ſich, den vertraulichen Verkehr, den ſie ſeit Jahren pflegten, noch lebhafter als bisher fortzuſetzen und in gutem Einvernehmen die Stunde zu erwarten, die ihnen eine Verände - rung der Allianzen erlaubte.

Wann dieſe erſehnte Stunde ſchlagen würde, das lag freilich noch in tiefem Dunkel. Vorderhand konnte man nur auf irgend ein unvor - hergeſehenes Ereigniß, etwa auf den Tod Napoleons hoffen. An den Sieg Rußlands glaubten die Eingeweihten nicht. Es zeigte ſich bald, wie leichtſinnig Alexander ſeine Kräfte überſchätzt hatte. Er ſtellte nur etwa 175,000 Mann gegen die dreifache Uebermacht Napoleons ins Feld; erſt beim Beginne des Feldzugs entſchloß er ſich den Türkenkrieg zu be - endigen und im Bukareſter Frieden die Donauprovinzen größtentheils auf - zugeben, dergeſtalt daß ſeine Südarmee erſt ſpät in den Krieg eingreifen konnte. Bedeutende Generale hatte Rußland ſeit Suworows Tode kaum noch aufzuweiſen, und wie man den wetterwendiſchen Czaren kannte, mußten die Höfe für wahrſcheinlich halten, daß er nochmals, wie nach Auſterlitz und Friedland, nach der erſten verlorenen Schlacht das Spiel verloren geben würde.

Das Volk dachte anders. Während des heißen letzten Sommers, der den edlen Elfer zeitigte, hatte ein prächtiger Komet mit ſeiner rothen Flammenruthe allnächtlich den Himmel erleuchtet. Die Maſſen wußten ſeitdem, daß Großes, Unerhörtes bevorſtehe. Als nun das wilde fremde Kriegsvolk aus allerlei Landen durch die preußiſchen Dörfer ſtrömte die kleinen genügſamen braunen Spanier und die Hünengeſtalten der unerſättlichen bairiſchen Trinker, die langſamen Holländer und die behen - den Fanfarons aus der Gascogne da ſchien dem kleinen Manne Alles wie ein wüſter Spuk; er meinte, dies tolle Weſen nehme ein ſchlimmes Ende, und er beſtärkte ſich in ſolchem Glauben, wenn er, Wuth im Herzen, die zügelloſen Horden hauſen ſah, wie ſie in raſendem Uebermuthe das friſche Weißbrod haufenweis in den Koth traten, die vollen Flaſchen an der Wand zerſchmetterten. Die Politik der ideenloſen Eroberungsluſt entſittlicht auf die Dauer ihre eigenen Heere; die alte Mannszucht der napoleoniſchen Truppen war verſchwunden, ein frecher, meiſterloſer Lands - knechtsſinn nahm überhand. Auch die alte fröhliche Siegeszuverſicht war dahin. Der Soldat ſelbſt begann des ewigen Schlachtens endlich ſatt zu werden, er fürchtete die Schneewüſten des Oſtens; in den italieniſchen und deutſchen Regimentern zeigte ſich oft ein dumpfer Groll. Die Reiter klagten: in den früheren Kriegen hätten ihre Roſſe beim Ausmarſch luſtig gewiehert, heuer nicht.

395Der ruſſiſche Krieg.

Und ſeltſam, der naive Volksglaube urtheilte diesmal richtiger als die Berechnung der Cabinette. Die Staatsmänner überſahen in ihren ſchwarzſichtigen Erwartungen das Eine, worauf Alles ankam: daß Czar Alexander in dieſem Kriege ausharren mußte. Die Nachrichten von dem Zuge der Heiden gegen die heilige Moskau brachte das ganze ruſſiſche Volk in Aufruhr, und wenn unter dem Despotismus die ſonſt ſchlum - mernde öffentliche Meinung einmal erwacht, dann wirkt ſie mit unwider - ſtehlicher Gewalt. Alexander durfte nicht nachgeben, bei Verluſt ſeines Thrones. Er wußte es; in dieſen Tagen der Prüfung wurde der un - ſtete Knabe zum Manne, ſoweit ſein Charakter männlicher Tugenden fähig war. Wie der Epheu am Eichbaum klammerte er ſich feſt an dem eiſernen Muthe des Freiherrn vom Stein. Der große Deutſche eilte mit ſeinem getreuen Arndt nach Rußland und ſtand, eine Macht für ſich ſelber, dem Czaren zur Seite, erfüllte ihn mit einem Hauche ſeiner eigenen Leidenſchaft. Je näher die Gefahr ſich heranwälzte, um ſo freu - diger und zuverſichtlicher hoben ſich alle ſchneidigen und heldenhaften Kräfte ſeiner Seele: bis nach Kaſan, bis nach Sibirien hinein wollte er den Kampf fortführen, denn dieſer Krieg entſchied über die Freiheit der Welt.

Eine tiefe Stille lagerte ſich über Europa, als die letzten Kolonnen der großen Armee jenſeits der ruſſiſchen Grenze verſchwanden. In Nord - deutſchland ſchwebte auf tauſend Lippen die bange Frage, ob das Geſchick nicht endlich den Himmelsſtürmer ereilen werde. Wie ein fremder, greller Mißton klang in das erwartungsvolle Schweigen ein höfiſches Gedicht Goethes auf Marie Luiſe; der Alte konnte ſich in die verwandelte Zeit nicht finden und feierte den Caeſar, der ſoeben die Blüthe der europäiſchen Männerkraft zur Schlachtbank führte, mit dem Verſe: der Alles wollen kann will auch den Frieden! Napoleon war faſt ohne Aufenthalt durch Warſchau gezogen; denn die grenzenloſe Zukunft vor mir geſtattet mir nicht, in Polen auch nur eine Beiwacht zu halten . Er hatte ſich bereits, wie Hardenberg bei Maret erfuhr*)Hardenbergs Tagebuch 30. Mai 1812., mit dem Plane beſchäftigt ſeinen Bruder Jerome zum König von Polen zu erheben und ließ es ge - ſchehen, daß eine General-Confoederation in Warſchau die Wiederher - ſtellung des Polenreichs ausrief. Feſte Zuſagen gab er dem unglücklichen Volke auch jetzt nicht, ſondern wies ſeinen Botſchafter in Warſchau an die nationalen Beſtrebungen zu ermuntern ohne die liberalen zu er - wecken . Er ſtürmte vorwärts, aber ſchon bevor der Feind in Sicht kam begann ſich die Ordnung in dem Heere aufzulöſen. Vornehmlich an ihrer Zuchtloſigkeit iſt dieſe glänzende Armee zu Grunde gegangen. Die von obenher anbefohlene Ausplünderung der preußiſchen Lande hatte die Truppen an den Raub gewöhnt. Der Soldat lebte in beſtändigem Kriege mit den Feldgensdarmen, ein Gewölk von Marodeurs umſchwärmte Flan -396I. 3. Preußens Erhebung.ken und Rücken des Heeres; nur die deutſchen und die polniſchen Regi - menter hielten gut zuſammen. Die früher ſo treffliche Armeeverwaltung zeigte ſich durchweg unredlich und nachläſſig, der größte Theil der unge - heuren Vorräthe ging ſchon auf dem Hinwege zu Grunde. Als Napoleon in die altruſſiſchen Lande eindrang, da ließ er, wie einſt Karl XII. auf dem Zuge nach Pultawa, das von Parteien zerriſſene Polen und das gründlich verwüſtete Litthauen in ſeinem Rücken.

Scharnhorſt hatte dem Czaren gerathen, den Krieg nach Partherweiſe zu führen, den unendlichen Raum als Waffe zu benutzen und den Feind tief in das öde Innere des weiten Reiches zu locken. Der ruſſiſche Stolz verſchmähte den weiſen Rath, dem auch Gneiſenau und alle be - deutenden preußiſchen Offiziere beiſtimmten. Der Czar hoffte vielmehr, der Feind werde ſich an dem feſten Lager von Driſſa die Hörner ein - ſtoßen; das glänzende Beiſpiel von Torres Vedras blendete noch die Augen aller Welt. Nur das Gefühl der eigenen Schwäche nöthigte die ruſſiſche Heerführung, wider ihren Plan und Willen, zu beſtändigem Rück - zuge. Indeſſen begannen die Bauern auf eigene Fauſt den Partherkrieg; ſie erwarteten alles Gräßliche von dem heidniſchen Feinde, flüchteten ihre Heerden und Vorräthe in die Wälder, gaben die werthloſen leeren Holz - hütten preis, und wo ein Verſprengter in ihre Hände fiel ſchlugen ſie ihn nieder wie einen tollen Hund. Der Grimm des gläubigen Volkes wuchs noch als die heilige Stadt Smolensk mit ihren Kirchen und Gna - denbildern nach blutigen Gefechten von den Feinden beſetzt wurde. Weiter und weiter ging der Zug des Eroberers in das menſchenleere Land hinein; mit jedem neuen Tage lichteten ſich die Reihen ſeines Heeres. Die Leiden - ſchaft der Maſſen zwang endlich den ruſſiſchen Oberfeldherrn Kutuſow, bei Borodino eine Schlacht um den Beſitz von Moskau zu wagen; die Uebermacht und die Tapferkeit der Truppen, vor Allen der ſächſiſchen Reiterei, ſchenkten dem Imperator den Sieg, den blutigſten, den er noch erfochten. Nochmals hoffte er, wie ſo oft ſchon, in der eroberten Haupt - ſtadt den Frieden zu diktiren und vergeudete, nachdem der Feldzug ohnehin allzu ſpät im Jahre begonnen worden, noch fünf unſchätzbare Wochen durch fruchtloſe Friedensverhandlungen. Währenddem that der altruſſiſche Fanatismus ſein Aergſtes; der Brand von Moskau zeigte der Welt, weſſen ein in ſeinen heiligſten Gefühlen beleidigtes halbbarbariſches Volk fähig iſt. Bei der gräßlichen Plünderung der unglücklichen Stadt verlor das Heer ſeinen letzten ſittlichen Halt. Der Eroberer ſollte an ſeinen eigenen Truppen die Wahrheit ſeines oft wiederholten Ausſpruchs erfahren, daß Tapferkeit nur die zweite, Mannszucht und Ausdauer die erſte Tugend des Soldaten iſt.

Als der Rückzug aus der verödeten Stadt unvermeidlich wurde, konnte ſich Napoleons Hochmuth er ſelber nannte es ſeine Seelen - größe nicht entſchließen, die offene nördliche Straße einzuſchlagen; ſo397Rückzug aus Moskau.hätte er eingeſtanden, daß er vor dem ruſſiſchen Heere, das ſüdwärts von Moskau ſtand, zurückwich. Er gedachte vielmehr den Feind zu ſchlagen und ſich den Rückzug auf der ſüdlichen Straße zu erzwingen. Das über - müthige Unternehmen mißlang; durch die Schlacht von Malo-Jaroslawetz wurde die große Armee wieder auf die mittlere Straße abgedrängt, welche ſie beim Einmarſch benutzt hatte. Damit war ihr Untergang entſchieden. Der Heuſchreckenſchwarm mußte denſelben Weg zurück, den er ſchon bis auf den letzten Halm abgegraſt. Die Witterung blieb noch eine Zeit lang leidlich, und auch als der Froſt, ungewöhnlich ſpät, eintrat, ward die Kälte kaum ärger als vor ſechs Jahren in dem polniſch-oſtpreußiſchen Feldzuge. Aber vor dem unglücklichen Heere lag die unermeßliche Schnee - wüſte. Kein Dorf, keine Feuerſtatt ſo weit das Auge reichte; alle Vor - räthe verloren, alles Anſehen der Oberen vernichtet, dazu ringsum die ſchwärmenden Koſaken und in den Wäldern die erbitterten Bauern. Alles Elend, das nur irgend die Sterblichen heimſuchen kann, brach über die Unſeligen herein; es war als ob die Reiter der Apokalypſe über die Schneefelder daherraſten. Nach dem gräuelvollen Uebergange über die Bereſina löſte ſich jede Ordnung; in regelloſen Haufen ſchleppten ſich die armen Trümmer des ſtolzen Heeres, insgeſammt kaum 30,000 Mann, dahin wankende, hohlwangige Jammergeſtalten, viele blind und taub vor Kälte, mit wölfiſchem Hunger an jedem Aaſe nagend, waffenlos, in abenteuerliche Vermummung eine gräßliche Maskerade, wie das Volk in Deutſchland ſpottete, Trommeln ohne Trommelſtock, Küraſſier im Weiberrock, ſo hat ſie Gott geſchlagen mit Roß und Mann und Wagen. Aber auch der Sieger hatte durch Strapazen und Krankheiten den größten Theil ſeines Heeres verloren; kaum 40,000 Ruſſen erreichten die Grenze, alleſammt tief erſchöpft und über weite Entfernungen zerſtreut, völlig unfähig zum Kampfe gegen die friſchen Truppen Napoleons, welche das preußiſche Gebiet beſetzt hielten.

Die erſten unſicheren Nachrichten von der Kataſtrophe gelangten nach Dänemark, von da durch Dahlmann und ſeine deutſchen Freunde ins innere Deutſchland. Nachher erfuhr man, wie der Imperator, der allein mit Caulaincourt dem Heere vorauseilte, am 12. December in Glogau erſchienen war, wie er dann in Dresden, gleichmüthig einen Gaſſenhauer trällernd, ſeinem beſtürzten Vaſallen die Unheilsbotſchaft mitgetheilt hatte. Am 17. December brachte der Moniteur das neunundzwanzigſte Bulletin mit der Nachricht: die große Armee ſei vernichtet, die Geſundheit Sr. Ma - jeſtät ſei niemals beſſer geweſen. Tags darauf erſchien der Imperator ſelbſt in den Tuilerien. Bald nachher überſchritten die Spitzen des franzöſiſchen Heeres die preußiſche Grenze. Mit einem heiligen Entſetzen betrachtete das Volk die lebendigen Zeugen des geſchlagenen Hochmuths, und von Millionen Lippen klang wie aus einem Munde der Ausruf: das ſind Gottes Gerichte!

398I. 3. Preußens Erhebung.

Die Stunde für Deutſchlands Befreiung hatte geſchlagen. Niemand erkannte dies früher als Stein, der den ruſſiſchen Feldzug von Haus aus nur als ein Vorſpiel der deutſchen Erhebung betrachtete. Er ſtand während des Krieges an der Spitze des Deutſchen Comités in Peters - burg, betrieb die Ausrüſtung der Deutſchen Legion, die nach ſeinen Plänen den Kern des künftigen deutſchen Heeres bilden ſollte, und ſcheute ſich nicht, unter den Rheinbundstruppen Aufrufe verbreiten zu laſſen, die ſie zur Fahnenflucht verleiten ſollten. Was galten ihm auch die Eide, die den Sklaven des Zwingherrn geſchworen waren? Zugleich ſchrieb der tapfere Arndt ſeinen Katechismus für den deutſchen Kriegs - und Wehr - mann, ein köſtliches Volksbuch, das in vielen tauſenden von Exemplaren verbreitet, mit ſeiner einfältigen Wahrhaftigkeit, ſeiner frommen bibliſchen Sprache das gläubige Geſchlecht im Innerſten erſchütterte: denn wer Tyrannen bekämpft, iſt ein heiliger Mann, und wer Uebermuth ſteuert thut Gottes Dienſt; das iſt der Krieg, welcher dem Herrn gefällt; das iſt das Blut, deſſen Tropfen Gott im Himmel zählt! Bei Hofe kam man dem deutſchen Freiherrn anfangs mit Mißtrauen entgegen; doch wie er nun vom erſten Augenblicke an die Niederlage des Feindes unbeirrt vorausſagte und in ſeiner Herzensfreude über die Treue, den Opfermuth, die religiöſe Begeiſterung des ruſſiſchen Volkes immer froher und liebens - würdiger wurde, da flogen ihm alle edlen Herzen zu und vor Allen die Frauen empfanden die natürliche Verwandtſchaft, welche das ſichere Ge - fühl des Weibes mit dem Genius verbindet.

Lange bevor der Untergang der großen Armee ſich entſchied, ſchon im September entwarf er Pläne für Deutſchlands künftige Verfaſſung das Idealſte und Verwegenſte was je zuvor über deutſche Politik gedacht worden. Und dies bildet, nächſt ſeiner Theilnahme an der Umgeſtaltung Preußens und der Befreiung Europas, das dritte welthiſtoriſche Verdienſt des Mannes: er hat früher und ſchärfer als irgend ein Staatsmann die Einheit Deutſchlands, ohne Phraſen und Vorbehalte, als das höchſte Ziel deutſcher Staatskunſt aufgeſtellt. Wer ihm von Schonung der althergebrach - ten Zerſplitterung redete, dem erwiderte er: einen ſolchen Zuſtand wieder - herſtellen iſt gerade ſo als wollte man darauf beſtehen, daß ein todter Mann auf ſeinen Beinen ſtehen ſolle weil er es thun konnte ſo lange er noch lebte. Jede Rückſicht auf die Dynaſtien ſchien ihm unwürdig: als ob es in Deutſchland darauf ankäme, ob ein Mecklenburg oder Baiern exiſtire, und nicht ob ein ſtarkes, feſtes kampffähiges deutſches Volk ruhmvoll im Krieg und Frieden daſtehe; ſollte dieſer Krieg dahin führen, daß die alten Streitig - keiten der deutſchen Montecchi und Capuletti wieder auflebten, dann wäre der große Kampf mit einem Poſſenſpiele beendigt! Sein Ziel war die Einheit und, iſt ſie nicht möglich, ein Auskunftsmittel, ein Uebergang . Jetzt, da der geſammte Länderbeſtand Europas ins Wanken kam, meinte er ſelbſt das Höchſte erreichbar: eine große Monarchie von der Weichſel399Stein in Petersburg.bis zur Maas, ebenſo Italien zu einer geſchloſſenen Maſſe verbunden ganz Mitteleuropa zurückgeführt in einen Zuſtand der Kraft der Wider - ſtandsfähigkeit . Sei dies nicht möglich, ſo ſolle man Deutſchland nach dem Laufe des Mains zwiſchen Oeſterreich und Preußen theilen, die Rheinbundsfürſten als betitelte Sklaven und Untervögte des Eroberers behandeln, auch die von Napoleon verjagten Fürſten nicht wieder einſetzen. Könne man auch dies nicht erreichen, ſo bleibe als letzter Ausweg, daß man jedem der beiden verfaſſungsmäßigen Königreiche Oeſterreich und Preußen einige Kleinſtaaten als Vaſallen unterordne, etwa Baiern, Würt - temberg, Baden mit geſchmälertem Gebiete der ſüdlichen, Hannover, Heſ - ſen, Oldenburg, Braunſchweig der nördlichen Macht.

Wohl oder übel ſuchte er alſo ſeine unitariſchen Wünſche mit den Ideen des Bartenſteiner Vertrags in Einklang zu bringen. Auf jeden Fall ſollte der Befreiungskrieg mit radicaler Kühnheit geführt, das eroberte deutſche Land als herrenloſes Gut vorläufig von einem Verwaltungsrathe der Verbündeten regiert werden. Unter den Verbündeten dachte er ſich zu - nächſt Rußland, Oeſterreich und England; ihnen komme es zu das zaudernde Preußen mit ſich fortzureißen. So tief war ſein Widerwille gegen die liſten - reiche Politik Hardenbergs. Die zwingenden Gründe, welche das Verhalten des Königs in den Jahren 1809 und 1811 beſtimmt hatten, wollte der Er - zürnte niemals gelten laſſen, und obwohl die feurigen Patrioten, die ihn in Petersburg umgaben, alleſammt Norddeutſche waren, ſo glaubte er noch immer nicht recht an die kriegeriſche Leidenſchaft dieſer kalten und langſamen Stämme.

Gleichviel welcher Theil des Vaterlandes ſich zuerſt erhöbe daß der Krieg wie ein reißender Strom über die deutſchen Grenzen hinein - fluthen müſſe, verſtand ſich dem Reichsritter von ſelber. Für dieſen Ge - danken ſuchte er den Czaren zu gewinnen, und er fand leichtes Spiel. Alexander war in tiefſter Seele erſchüttert; in dem Rauſche des Sieges traten alle edlen und alle phantaſtiſchen Züge ſeiner Natur zu Tage. Vor Kurzem noch hatte er die ungeheure Laſt der Sorge kaum zu tragen vermocht, die Nachricht von dem Brande von Moskau hatte ſein Haar in einer Nacht gebleicht. Nun war Rußland befreit wie durch ein Wunder des Himmels, nun fühlte er ſich auserwählt durch Gottes Gnade, als ein Heiland der Welt die geknechtete Erde von ihrem Joche zu erlöſen; nichts billiger darum als ein reicher Lohn für den Weltbefreier. Sofort nahm er ſeine polniſchen Pläne wieder auf, doch in aller Stille; ſein deutſcher Rathgeber erfuhr kein Wort davon. Die Befreiung Deutſch - lands ſollte dem Czaren die Krone der Jagiellonen bringen; die Intereſſen der Menſchheit ſtimmten wieder einmal ganz wunderſam mit den dynaſti - ſchen Wünſchen des Hauſes Gottorp überein! Schon im November war Alexander ſo gut wie entſchloſſen ſeine Waffen nach Deutſchland zu tragen. Der Kanzler Rumänzow, der die Politik der freien Hand vertrat, verlor400I. 3. Preußens Erhebung.allen Einfluß; der deutſche Freiherr behauptete ſich in der Gunſt des Czaren und zeigte bereits in einer Denkſchrift der ruſſiſchen Regierung die Mittel, welche ihr nachher ermöglichten, vierzig Millionen Rubel Pa - piergeld in Deutſchland umzuſetzen und alſo den Krieg fortzuführen.

Wunderbar doch, wie ſicher der große Patriot den ſpringenden Punkt in der Lage der Welt die Nothwendigkeit der deutſchen Schilderhebung herausfand, und wie gröblich er ſich in allem Einzelnen irrte. Er kannte weder die Schwäche der ruſſiſchen Streitkräfte, noch die bedacht - ſame Aengſtlichkeit des Wiener Hofes, weder die Unfähigkeit des engliſchen Tory-Cabinets, noch den ſtumpfen Particularismus der Völkchen in den deutſchen Kleinſtaaten, die nirgends daran dachten ſich wider den Willen ihrer Dynaſtien zu erheben. Doch am allerwenigſten kannte er den heiligen Zorn, der in den Herzen der Preußen kochte, und die ehrenhaften Entſchlüſſe, womit ihr König ſich trug; eben dieſer Staat, den der Frei - herr ſich nur im Schlepptau der anderen Mächte denken konnte, ſollte den Anſtoß geben zu dem europäiſchen Kriege. Hardenberg hatte ſich während des Sommers bemüht das Einverſtändniß mit Oeſterreich zu befeſtigen und deßhalb im September den Flügeladjutanten v. Natzmer nach Wien geſendet. Der Bevollmächtigte fand in Wien eine überaus freundliche Aufnahme. In ſeinem Antwortſchreiben betheuerte Metternich mit Wärme, er vermöge die Intereſſen der beiden Staaten nicht von ein - ander zu trennen; greifbare Verſprechungen gab er jedoch nicht. Als nun der Krieg ſich in die Länge zog, da begann der König zu hoffen, daß ſein ruſſiſcher Freund diesmal endlich ausharren würde; ſchon am 29. October, noch ehe die Nachricht von dem Moskauer Brande einge - troffen war, erklärte er ſich bereit zu einem Wechſel des politiſchen Syſtems, aber nur im Bunde mit Oeſterreich. Neue vertrauliche An - fragen in Wien hatten geringen Erfolg. Die Hofburg behauptete noch die gleiche Haltung wie in der Kriſis von 1811: ſie hatte nichts dawider, wenn Preußen ſein Glück verſuchte, wollte aber ſelber aus ihrer ſo viel beſſer geſicherten Poſition nicht heraustreten. Gewaltigen Eindruck hin - terließ in Berlin wie überall die unglaubliche Nachricht von der Verſchwö - rung des Generals Mallet: wie dieſer Tollkopf durch das Märchen von Napoleons Tode die höchſten Behörden überrumpelt und während einiger Stunden Paris beherrſcht hatte. So morſch war ſchon der Grund, worauf das Weltreich fußte! Dann kam die Kunde von Napoleons Rück - kehr, bald darauf aus Dresden ein Schreiben des Flüchtlings an den König, das unbefangen, als ſei gar kein Zweifel möglich, die Verſtär - kung des preußiſchen Hilfscorps verlangte: kein Wort von Entſchädigung, kein Wort über die Bezahlung der preußiſchen Lieferungen vom letzten Frühjahr! Der Imperator meinte Preußen genugſam gefeſſelt und verſah ſich keiner Weigerung. In der That überſchätzte Hardenberg die Bedeu - tung der ruſſiſchen Kataſtrophe nicht. Er begriff, daß Napoleons unrit -401Umſchwung der preußiſchen Politik.terliche Flucht politiſch ebenſo wohl erwogen war wie einſt ſein heim - licher Abzug aus Aegypten; er wußte, was dieſer eine Mann bedeutete und ſah voraus, daß der Imperator in Kurzem mit einem gewaltigen Heere zurückkehren würde.

Der ſofortige offene Abfall war unmöglich, nicht blos weil die Ge - wiſſenhaftigkeit des Königs ſelbſt einen erzwungenen Bund nicht ohne ſtichhaltige völkerrechtliche Gründe auflöſen wollte, ſondern auch weil die franzöſiſchen Streitkräfte in den Marken vollauf genügten eine plötzliche Erhebung im Keime zu erſticken. Dagegen war alle Welt am Hofe darüber einig, daß die Gunſt des Glückes benutzt, der Anſchluß an Ruß - land und Oeſterreich ſofort vorbereitet werden müſſe. Jeder Unterſchied der Parteien verſchwand. Der bedächtige, conſervative Cabinetsrath Albrecht und der Mann des Friedens Kneſebeck mahnten jetzt nicht minder eifrig zum Kriege als vormals die Freunde Scharnhorſts; ſelbſt der ängſtliche Ancillon ſchloß ſich an und der ſchroffe Junker Marwitz eilte ungeladen zu ſeinem Todfeinde Hardenberg, ſtellte ſich ihm zur Verfügung. Am zweiten Weihnachtstage legte der Staatskanzler ſein Programm vor: der Augenblick der Befreiung ſei gekommen; man müſſe ſchlagen, nöthigenfalls ſelbſt ohne Oeſterreichs Hilfe, da dieſe Macht zum Mindeſten nicht feind - ſelig auftreten werde; den Feind im Lande, ſei man genöthigt die franzö - ſiſche Allianz noch ſcheinbar aufrechtzuhalten und die Rüſtungen ſo dar - zuſtellen als geſchähen ſie zu Frankreichs Gunſten. Sein Plan war, daß Oeſterreich und Preußen als bewaffnete Mediatoren zwiſchen die krieg - führenden Mächte treten ſollten; lehnte Napoleons Hochmuth, wie voraus - zuſehen, die Bedingungen der Vermittler ab, ſo war der Rechtsgrund zum Kriege gegeben. Mittlerweile ſolle ſich der König in das ſichere Schleſien begeben und von dort aus zur rechten Zeit ſein Volk unter die Waffen rufen. Der König genehmigte Alles und warnte nur beſonnen vor über - ſpannten Erwartungen: nicht am Rheine, wie der Staatskanzler gemeint hatte, ſondern im deutſchen Norden werde dieſer Krieg beginnen. Als dies unheimliche Jahr im Sterben lag, rief man in Berlin bereits die Beurlaubten ein, befahl die Bildung von Reſervebataillonen und entwarf die Inſtruction für Kneſebeck, der als Unterhändler nach Wien gehen ſollte. Das Eis war gebrochen, der große Entſchluß war gefaßt. Bange Wochen vergingen noch bis man vor dem überliſteten Feinde das Viſier aufſchlagen durfte; doch weder der König noch ſein Kanzler iſt dem einmal ergriffenen rettenden Gedanken je wieder untreu geworden.

Den Maſſen des Volkes, die mit wachſender Ungeduld den Ruf des Königs erharrten, blieb dieſer Umſchwung der preußiſchen Politik natür - lich verborgen. Ein Glück daher, daß von anderer Seite her eine That gewagt wurde, die dem Volke wie ein weithin leuchtendes Signal ver - kündete, die Zeit des Harrens ſei zu Ende. Die Nothwendigkeit der großen Wandlungen des hiſtoriſchen Lebens erſcheint dann am anſchau -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 26402I. 3. Preußens Erhebung.lichſten, wenn ſie durch widerwillige Werkzeuge vollſtreckt werden. Wer hätte auch nur für denkbar gehalten, daß General York, der Befehlshaber des preußiſchen Hilfscorps jemals an ſeinem Fahneneide deuteln könnte? Vor langen Jahren war der Jüngling einſt wegen Ungehorſams aus der fridericianiſchen Armee entlaſſen worden; als er dann nach langen aben - teuerlichen Fahrten gereift und geſetzt wieder eintrat, erſchien er den Soldaten wie der geſtrenge Geiſt der altpreußiſchen Manneszucht. Der Mannſchaft klopfte das Herz, wenn die hagere ſtraffe Geſtalt des alten Iſegrimm mit der drohenden Falte über der Adlernaſe auf dem Braunen daherritt. Kein Fehler entging den harten ſtechenden grauen Augen; jedes Schimpfwort ließ ſich leichter ertragen als der gemeſſene und doch ſo furchtbare, ſo tief demüthigende Tadel von dieſen ſtolzen herriſchen Lippen. Die Offiziere ſagten wohl, er ſei ſcharf wie gehacktes Eiſen; ſie erriethen aus dem raſtlos wechſelnden Mienenſpiele der finſteren Züge, wie viel Ehrgeiz, wie viel heiße Leidenſchaft, durch eiſerne Willenskraft mühſam gebändigt, in dem wortkargen, unliebenswürdigen Manne arbei - tete. Die Truppen vertrauten ihm unbedingt, denn ſie kannten ſeine Tapferkeit und Umſicht aus den Kämpfen von Altenzaun und Lübeck und ſie wußten, wie eifrig der durch und durch praktiſche Offizier für Kleidung, Proviant und Quartiere ſeiner Leute ſorgte. Wie in Marwitz die Stan - desgeſinnungen des Landadels, ſo verkörperte ſich in York der ſchroffe Stolz des alten Offizierscorps; gegen die neumodiſchen Narrheiten der Reformer war ihm kein Hohn zu giftig. Er haßte die Franzoſen, die ihm ſeine Fahnen entehrt und den ſtolzen Bau der altpreußiſchen Ord - nung über den Haufen geworfen hatten, mit dem ganzen Ingrimm ſeiner vulkaniſchen Natur; doch für die Kameraden, die den Dienſt des Königs verließen um nach Rußland zu gehen, hatte er nur Worte herber Ver - achtung, ſie waren ihm Verräther und Deſerteure.

Die preußiſche Diviſion gehörte während des Kriegs zu dem Corps Macdonalds und rückte auf dem äußerſten linken Flügel der großen Armee in die Oſtſeeprovinzen ein. So widerwillig die Truppen dem franzöſiſchen Oberbefehle folgten, ſie brannten vor Begier, jetzt unter den Augen der Sieger von Jena zu zeigen, was preußiſche Tapferkeit ver - möge. York durfte ſich rühmen, daß ſeine Schaar an kriegeriſcher Tüch - tigkeit keinem anderen Corps der großen Armee nachſtand, in feſter Manns - zucht alle übertraf; er hielt ſie geſchloſſen zuſammen, bewahrte ſie vor jener Vermiſchung mit fremdem Kriegsvolk, die in den Heeren des Welt - reichs grundſätzlich begünſtigt wurde, und zeigte den Franzoſen durch ſchroff abweiſenden Stolz, daß ſie nicht rheinbündneriſche Vaſallen, ſon - dern das Hilfscorps eines freien Königs vor ſich hätten. Die trübe, durch die jammervollen Erlebniſſe dieſer ſechs Jahre verbitterte Stimmung der Truppen wich einem kräftigen, trotzigen Selbſtgefühle, als ſie in dem glänzenden Treffen von Bauske und in vielen anderen rühmlichen Ge -403Convention von Tauroggen.fechten die alte fridericianiſche Kühnheit und zugleich ihre Gewandtheit in den Künſten der beweglichen neuen Taktik erprobt hatten. Die aus allen Waffengattungen gemiſchten Brigadeverbände bewährten ſich ebenſo trefflich wie die neuen Exercirreglements vom Januar 1812. York behauptete den Herbſt über ſeine gefährliche Poſition in Kurland; erſt der Untergang des Hauptheeres nöthigte auch den linken Flügel zum Rückzuge. Mac - donalds Corps erhielt Befehl die Trümmer der großen Armee im Rücken zu decken und den nachdrängenden Ruſſen den Einmarſch nach Oſtpreußen zu verbieten.

Schon ſeit Wochen hatten der ſchlaue Italiener Paulucci und andere ruſſiſche Befehlshaber den preußiſchen General zum Uebertritt zu bereden verſucht. Immer vergeblich. Auch die patriotiſchen Aufrufe in dem Rigaer Zuſchauer des wackeren Patrioten Garlieb Merkel ließen den Verächter der Literaten kalt. Aber dem ſcharfen Soldatenblicke Yorks entging nicht, daß ſein wohlgeordnetes kleines Corps es mochte jetzt noch an 13,000 Mann zählen nach der Kataſtrophe der Hauptarmee einen ganz un - geahnten Werth erlangte. Folgte er den Befehlen Macdonalds, ſo konnten die wenigen Ruſſen, die weiter ſüdlich ſchon in Oſtpreußen eingedrungen waren, ſich dort nicht halten, die Franzoſen blieben ſtark genug dem ruſſiſchen Corps des Fürſten Wittgenſtein die preußiſche Grenze zu ſper - ren, und der ruſſiſche Krieg endete nach menſchlichem Ermeſſen mit einem nutzloſen Koſakenſtreifzug am Niemen freilich nur wenn das preußi - ſche Corps mit übermenſchlicher Selbſtverleugnung ſich für ſeine gehaßten Bundesgenoſſen aufopferte. Schieden die Preußen aus dem Kriege aus, ſo drang das ruſſiſche Heer über die deutſche Grenze hinüber, und der König das ließ ſich vermuthen ward fortgeriſſen zu dem rettenden Entſchluſſe, welchen York ſeit Jahren erſehnte. Eine Welt von wider - ſprechenden Gedanken ſtürmte auf den eiſernen Mann ein; während der Schlacht kalt und ſicher, war er vor dem Kampfe immer aufgeregt und ſchwarzſichtig. Sollte er ſeine treuen Truppen, den Kern des preu - ßiſchen Heeres, preisgeben für die Rettung des Todfeindes der Deut - ſchen oder durch einen eigenmächtigen Schritt Thron und Leben ſeines Königs, der noch immer in der Gewalt der Fremden war, gefährden? Sollte er jetzt, in Ehren grau geworden, nochmals dem eiſernen Geſetze des Krieges den Gehorſam verſagen, wie einſt, da der vorwitzige Knabe aus der Armee verjagt wurde, und ſein Leben ſchimpflich auf dem Sand - haufen ſchließen oder dieſe große Stunde des Gottesgerichts unbenützt vorüberſtreichen laſſen? Auf wiederholte Anfragen in Berlin kam nur die Erwiderung: er möge nach den Umſtänden handeln eine Antwort, die lediglich errathen ließ, daß der König ſich an das franzöſiſche Bündniß nicht für immer binden wolle.

Den Ausſchlag gab ein Schreiben Alexanders vom 18. December, das beſtimmt verſicherte, der Czar ſei bereit mit dem Könige ein Bündniß26*404I. 3. Preußens Erhebung.abzuſchließen und die Waffen erſt niederzulegen wenn Preußen die Macht - ſtellung vom Jahre 1805 wieder erreicht habe. Hier alſo des Königs alter Freund und die Ausſicht auf Wiederherſtellung des alten Ruhmes, dort der arge Feind, von dem York wußte, daß er nur auf Preußens Vernichtung ſann. Bewegt wie ein Mann nur ſein kann kündete der General ſeinen Offizieren die gefaßte Entſcheidung an: ſo möge denn unter göttlichem Beiſtand das Werk unſerer Befreiung beginnen und ſich vollenden. Mit hellem Jubel ſtimmten ihm die Getreuen zu. Am 30. December traf York in der Poſcheruner Mühle bei Tauroggen mit den ruſſiſchen Unterhändlern zuſammen es waren durchweg geborene Preußen, Diebitſch, Clauſewitz, Friedrich Dohna und unterzeichnete eine Convention, kraft deren ſein Corps in den Landſtrich zwiſchen Memel und Tilſit zurückging, um dort die weiteren Befehle des Königs zu er - warten. Mehr wollte der pflichtgetreue Soldat nicht wagen. An dem Könige war es die Verbindung mit Rußland zu befehlen. Ihm legte York in einem Briefe, den er mit ſeinem Herzblute ſchrieb, ſeinen alten Kopf zu Füßen: Jetzt oder nie iſt der Moment, Freiheit, Unabhängig - keit und Größe wiederzuerlangen. In dem Ausſpruche Eurer Majeſtät liegt das Schickſal der Welt!

Die Convention von Tauroggen hat nicht, wie ihr kühner Urheber hoffte, den König fortgeriſſen zum Anſchluß an Rußland; der Entſchluß des Monarchen ſtand bereits feſt. Sie kam ſogar dem Staatskanzler ſehr ungelegen, da ſie ihn leicht nöthigen konnte ſein fein berechnetes Spiel allzufrüh aufzudecken. Aber ſie öffnete die deutſchen Grenzen den Ruſſen, ſie ermöglichte den Oſtpreußen ſich für Deutſchlands Befreiung zu erheben, ſie gab den Maſſen zuerſt die frohe Gewißheit, daß der Würfel gefallen ſei. Als der Morgen des ſchlachtenreichſten Jahres dieſer blutigen Zeit heraufgraute, erwachte überall wo Friedrichs Adler wehten die alte Waffenfreude der Germanen, und weithin über das preußiſche Land erklang der Weckruf des eiſernen York: Jetzt oder niemals!

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Vierter Abſchnitt. Der Befreiungskrieg.

Nichts unheimlicher im Leben der Völker als das langſame Nach - wirken der hiſtoriſchen Schuld. Wie viel ſchwere Arbeit war nun ſchon aufgewendet von den beſten Männern des deutſchen Nordens um die Unterlaſſungsſünden des unſeligen Jahrzehntes vor 1806 zu ſühnen. Feſter denn je ſtand die alte Königstreue der Preußen, ein neuer freier Geiſt belebte das Heer und die Verwaltung; was aber in Friedrichs Tagen der ſchönſte und eigenthümlichſte Vorzug der preußiſchen Politik geweſen, die ſtolze freimüthige Offenheit des Handelns blieb dem gedrückten Staate verſagt. Als die Krone ſich endlich anſchickte Gewaltthat und Treubruch mit dem Schwerte abzuwehren, den wagnißvollen Kampf für die Herſtellung Deutſchlands und die Freiheit der Welt zu beginnen, da fand ſie ſich außer Stande das Gerechte und Nothwendige mit Gradſinn und Würde zu thun. Sie war gezwungen zu einem zweizüngigen Spiele, das tauſende ehrlicher Gewiſſen beirrte und quälte, viele der Treueſten zu einem eigenmächtigen, für den Beſtand der monarchiſchen Ordnung hochgefährlichen Vorgehen nöthigte.

Zu Anfang des Jahres ſtanden etwa 40,000 Mann napoleoniſcher Truppen in Oſtpreußen, 10,000 in Polen, 70,000 in den Feſtungen der Weichſel - und Oderlinie; die Marken nebſt den Uebergängen über die Oder hielt Augereau mit dem noch ganz unberührten elften Armeecorps, mehr als 20,000 Mann, beſetzt, und täglich trafen friſche Zuzüge aus dem Weſten ein alſo daß die Garniſon von Berlin allein bald auf 24,000 Mann ſtieg. Genug, übergenug um die ſchwache, an vier weit entlegenen Stellen vertheilte preußiſche Armee in Schranken zu halten. Das gelichtete Corps Yorks überſchritt ſoeben die litthauiſche Grenze, an der Weichſel bildete Bülow ein Reſervecorps, um Kolberg befehligte General Borſtell die pommerſchen Regimenter, während eine vierte Abtheilung, die nachher unter Blüchers Befehle geſtellt wurde, ſich in Schleſien verſam - melte. Als die jammervollen Trümmer der großen Armee ins Land kamen, wurde der König von manchen Heißſpornen mit Bitten beſtürmt, er möge geſtatten, daß man ſich nach Spanierart auf dieſe Flüchtlinge406I. 4. Der Befreiungskrieg.ſtürze. Friedrich Wilhelm verſagte die Erlaubniß. Das Volk gehorchte ſchweigend, obgleich die haſtigen Neuerungen des Staatskanzlers viel Un - willen, gerechten und ungerechten, gegen die Regierung hervorgerufen hatten, und ſo geſchah was der Barmherzigkeit und dem geſetzlichen Sinne jenes tapferen Geſchlechts gleichmäßig zur Ehre gereicht: dieſe Schaaren wehr - loſer, tödlich gehaßter Feinde zogen ſicher ihres Wegs durch das preußiſche Land. Da und dort lärmte der Pöbel in wüſter Schadenfreude, die Schuljugend ließ ſich’s nicht nehmen die Flüchtlinge durch den Schreckens - ruf Koſak aus der Raſt aufzuſcheuchen. Es geſchah wohl, daß rhein - bündiſchen Offizieren das rothe Band von der Bruſt geriſſen wurde; dieſe Landesverräther haßte das Volk noch grimmiger als die Franzoſen ſelber. Die Maſſe der Unglücklichen blieb unbeläſtigt, fand in preußiſchen Häuſern Obdach und Pflege. Der Anblick des grauenhaften Elends erſchütterte ſelbſt rohe Gemüther; den kleinen Leuten ſchien es ſündlich ſich an denen zu ver - greifen, die Gott ſelbſt geſchlagen. Unter den Tauſenden, die alſo entkamen, war die große Mehrzahl der Generale und Oberſten des Imperators; die deutſche Gutherzigkeit rettete ihm ſeine Heerführer. Was aber beſtimmte die Haltung des Königs? Wahrlich nicht allein ſeine peinliche Gewiſſenhaftig - keit, die ſelbſt den heiligen Kampf der Nothwehr nicht ohne unanfechtbaren Rechtsgrund beginnen mochte, ſondern die richtige Erkenntniß der militäri - ſchen Lage. Ein vorzeitiger Losbruch ungeordneter Maſſen war das ſichere Verderben des Staates. Es galt, unter den Augen des Feindes das Heer, das ihn ſchlagen ſollte, erſt zu ſchaffen, den Beſtand der Streit - kräfte zu verſechsfachen und unterdeſſen die Allianz mit den beiden an - deren Oſtmächten abzuſchließen. Alles dies ward nur möglich durch die Mittel der Argliſt, welche der erfinderiſche Kopf des Staatskanzlers an - gab. Er ſpielte den treuen Verbündeten Napoleons, verſicherte beharr - lich, daß ſeine Rüſtungen für die Fortführung des ruſſiſchen Krieges be - ſtimmt ſeien.

Aber ſelbſt wenn die geheimen Verhandlungen günſtigen Fortgang nahmen und eine Coalition der ſämmtlichen alten Mächte zu Stande kam, ſo blieb Preußens politiſche Lage noch immer ſehr nachtheilig, faſt ver - zweifelt. Gewiß bedurfte Rußland der preußiſchen Hilfe. Denn hielt der König bei dem franzöſiſchen Bunde aus, ſo wurde die ſchwache ſchlecht - gerüſtete Armee des Czaren von dem zurückkehrenden Napoleon unzweifel - haft mit zermalmender Uebermacht vernichtet bevor der Nachſchub aus dem fernen Oſten herankommen konnte; der Eroberer, gewitzigt durch das Unglück des vergangenen Winters, hätte ſicherlich nicht zum zweiten male den abenteuerlichen Zug in das Innere des weiten Reiches gewagt, ſon - dern ſich begnügt, die Oſtſeeprovinzen und die polniſch-litthauiſchen Lande von dem Czarenreiche abzureißen. Trotzdem ſtanden die Ausſichten für die alten Mächte ſehr ungleich. Rußland und England hatten während der jüngſten Jahrzehnte ihre Macht erheblich vergrößert: jenes in Polen407Preußens diplomatiſche Lage.und Finnland, dieſes in den franzöſich-holländiſchen Colonien; auch Oeſter - reich war trotz ſchwerer Verluſte doch noch im Beſitze ſeiner Großmacht - ſtellung. Mißlang das Werk der Befreiung, ſo ſtand für England gar nichts, für Rußland und Oeſterreich nur ein Gebietsverluſt zu befürchten. Für den Fall des Sieges aber mußte England durch transatlantiſche Ge - biete, Rußland durch polniſche Landſtriche, Oeſterreich durch die Wieder - herſtellung und Vergrößerung ſeiner adriatiſchen Machtſtellung entſchädigt werden. Das lag in der Natur der Dinge, die geſammte diplomatiſche Welt war darüber einverſtanden, und alle drei Mächte durften, Dank ihrer geographiſchen Stellung, darauf zählen, daß ihnen Niemand dieſen Sieges - preis entriß falls das Weltreich unterging. Für Preußen dagegen war dieſer Krieg ein Kampf um Sein oder Nichtſein. Siegte Napoleon, ſo wurden die in Tilſit nur vertagten Vernichtungspläne unfehlbar durch - geführt. Siegte der preußiſche Staat, ſo war er gezwungen einen unver - hältnißmäßig größeren Lohn zu fordern als ſeine Verbündeten; er mußte die verlorene Hälfte ſeines Gebietes und den Wiedereintritt in die Reihe der großen Mächte verlangen. Der Kampf um die Befreiung der Welt blieb doch in erſter Linie ein Kampf um die Wiederaufrichtung Preußens. Seine entſcheidenden Schlachten, das ließ ſich vorausſehen, mußten auf preußiſchem Boden geſchlagen werden oder in jenen norddeutſchen Landen, die zu Preußens Entſchädigung dienen ſollten; jede Scholle deutſchen Landes, die der König für ſich forderte, war erſt durch gemeinſame An - ſtrengung zu erwerben, unterlag von Rechtswegen der Verfügung der Coa - lition. Der preußiſche Staat ſtand mithin in der denkbar ungünſtigſten diplomatiſchen Stellung, in einer Lage, deren Nachtheile weder der Muth des Heeres noch die Gewandtheit der Staatsmänner ganz ausgleichen konnte; er hatte den Preis ſeiner Anſtrengungen großentheils zu erwarten von dem guten Willen jener Höfe, die nach ihren Intereſſen und Ueber - lieferungen die Befeſtigung einer ſtarken mitteleuropäiſchen Macht nicht wünſchen konnten.

Doch was wogen ſolche Bedenken in dieſem Augenblicke, da Deutſch - lands Zukunft auf dem Spiele ſtand? Schritt für Schritt, mit bewun - derungswürdiger Umſicht näherte ſich Hardenberg ſeinem zweifachen Ziele: der Verſtärkung des Heeres und dem Abſchluß der großen Allianz. Schon am 20. December war die Bildung von 52 Reſervebataillonen, das will ſagen: die Verdoppelung der Infanterie, angeordnet worden. Auf allen Landſtraßen ſah man die Schaaren der Krümper zu ihren Regimentern ziehen; die treuen Männer ahnten dunkel wem die Rüſtung gelte. Den franzöſiſchen Truppen ward beklommen zu Muthe wenn ſie dieſen ſonder - baren Bundesgenoſſen auf dem Marſche begegneten; ſie bemerkten wohl die grimmigen Blicke der Preußen und vernahmen die herausfordernden Klänge der deutſchen Kriegslieder. Die Aufregung ſtieg von Tag zu Tage. Im Schloßhofe zu Königsberg wurde ein anmaßender franzöſiſcher408I. 4. Der Befreiungskrieg.Gensdarm unter den Augen des Königs von Neapel von preußiſchen Rekruten todtgeſchlagen; zwei franzöſiſche Offiziere, die ſich einmiſchen wollten, mußten mit zerbrochenen Degen vor den Preußen fliehen, und Murat wagte nicht die Schuldigen zu beſtrafen.

Am 2. Januar erhielt Kneſebeck ſeine Inſtruction für die geheime Sendung an den Wiener Hof. Friedrich Wilhelm erklärte ſich bereit Frankreich zu bekämpfen, aber auch Rußlands Herrſchaft in Deutſchland nicht zu dulden; darum ſolle Oeſterreich als bewaffneter Vermittler auf - treten, die Unabhängigkeit Deutſchlands bis zum Rheine, die Vernichtung des Rheinbundes fordern und im Falle der Weigerung die Waffen gegen Napoleon ergreifen; der König ſelbſt denke demnächſt nach Schleſien zu gehen, wo er in Freiheit ſeine Entſchlüſſe faſſen könne. Das befreite Deutſchland müſſe die einſt in Bartenſtein verabredete Verfaſſung erhal - ten: preußiſche Hegemonie im Norden, öſterreichiſche im Süden; ein Auf - ruf an die Italiener und die Neuordnung der Verhältniſſe der Halbinſel blieben dem freien Ermeſſen der Hofburg überlaſſen. Zugleich wurde Scharnhorſt, der ſeit ſeiner Entlaſſung in Schleſien lebte, über Alles was im Werke war unterrichtet. Am nämlichen Tage traf die Nachricht von der Tauroggener Convention in Potsdam ein. Sie war willkommen, weil man nunmehr das York’ſche Corps aus der Gewalt der Franzoſen befreit wußte, doch ſetzte ſie zugleich den Staatskanzler in Verlegenheit, da York allzufrüh dem Faſſe den Boden ausgeſchlagen hatte. Der König beſchloß den kühnen Schritt des Generals öffentlich zu mißbilligen, insgeheim zu genehmigen.

Faſt noch wichtiger als die Nachricht von der Convention ſelber er - ſchien jenes Schreiben des Czaren an Paulucci vom 18. December, wel - ches York dem Könige mittheilen ließ. Man war in Potsdam bisher über Alexanders Abſichten, über den Vormarſch der Ruſſen wie über die polniſchen Verhältniſſe ganz im Unklaren geblieben. Jetzt endlich erfuhr der König, daß ſein Freund in der That den Krieg auf deut - ſchem Boden fortzuſetzen bereit ſei, und ſofort gab er der Inſtruction für Kneſebeck den Zuſatz: er werde ſich für Rußland erklären, falls die Ruſſen die Weichſel überſchritten. Dann wurde der Flügeladjutant Major Natzmer zu Murat entſendet um die Abſetzung des eigenmächtigen Generals anzuzeigen und von da insgeheim zum Czaren zu reiſen. Währenddem lebte Hardenberg mit den franzöſiſchen Generalen und Diplomaten auf dem freundlichſten Fuße, gab Diner auf Diner, betheuerte inbrünſtig ſeine Entrüſtung über Yorks unerhörte That, wich mit ver - bindlichen Worten aus als Graf Narbonne ihm eröffnete, der Impe - rator werde ſich freuen, wenn der Kronprinz von Preußen mit einer Murat oder Beauharnais ſich verheirathe. *)Hardenbergs Journal 7. Januar 1813.Der Geſandte Kruſemark409Napoleons Pläne.in Paris mußte dringend mahnen an die Rückzahlung der von Preußen für den Durchmarſch der großen Armee geleiſteten Vorſchüſſe; die Regie - rung berechnete die Summe, ſehr niedrig, auf 94 Mill. Fr. Um die Täuſchung zu vollenden benutzte Hardenberg noch einen verbrauchten Kunſtgriff der alten Cabinetspolitik: er ſendete den unfähigſten ſeiner Diplomaten, den Fürſten Hatzfeld, einen erklärten Franzoſenfreund, der von den Abſichten des Staatskanzlers nicht das Mindeſte ahnte, nach Paris um die That Yorks zu entſchuldigen und nochmals an die Ab - zahlung der Vorſchüſſe zu erinnern.

Bei einiger Kenntniß der preußiſchen Dinge konnte der Imperator ſchon aus der Perſönlichkeit des Unterhändlers errathen, daß dieſe Sen - dung beſtimmt war zu ſcheitern. Er aber hatte für das kleine Preußen kein Auge, ſondern lebte und webte in den Entwürfen für einen zweiten ruſſiſchen Feldzug. Während prunkende Feſte in Fontainebleau die Welt über die wachſende Verſtimmung des franzöſiſchen Volkes täuſchen ſollten, wurde eine neue Aushebung von 350,000 Mann, im März nochmals eine Conſcription von 180,000 Mann angeordnet. Seit dem Jahre 1793 waren mehr denn drei Millionen Franzoſen unter die Fahnen gerufen und die Mehrzahl davon im Kriege umgekommen; der Miniſter Montalivet aber betheuerte in einer ſchwungvollen parlamentariſchen Prachtrede, die Con - ſcription habe eine erfreuliche Vermehrung der Bevölkerung herbeigeführt. Der Imperator rechnete, im Frühjahr von Magdeburg aus den zweiten Krieg gegen Rußland zu eröffnen, die Sachſen auf dem rechten, die Preußen auf dem linken Flügel; im Juni ſollte Danzig deblokirt, im Auguſt der Niemen abermals überſchritten werden. Kein Gedanke an Nachgiebigkeit. Ueberall, ſo verſicherte er ſeinem Schwiegervater, ſeien die Ruſſen in offener Feldſchlacht geſchlagen worden; auch nicht ein Dorf von Warſchau dürfe der Czar erhalten; nun gar die conſtitutionellen Grenzen des Kaiſerreichs, das Rom, Amſterdam und Hamburg zu ſeinen guten Städten zählte, blieben unantaſtbar für alle Zukunft! Seinen deutſchen Vaſallen gab er nochmals zu wiſſen, daß er für die Herrlichkeit des deutſchen Particularismus ſtreite: ſie hätten nicht blos den auswärti - gen Gegner zu bekämpfen, ſondern einen gefährlicheren Feind jenen Geiſt der Anarchie, welchen die Umſturzmänner Stein und Genoſſen heg - ten; die Dynaſtien des Rheinbundes zu entthronen und ein ſogenanntes Deutſchland zu ſchaffen (créer ce qu’ils appellent une Allemagne), das ſei das Ziel der deutſchen Aufrührer.

Der preußiſchen Monarchie meinte er ſicher zu ſein, wo nicht ihrer Treue ſo doch ihrer Ohnmacht; noch im März ſchrieb er geringſchätzig an Eugen Beauharnais, mehr als 40,000 Mann könnten die Preußen doch nicht aufbringen, und davon nur 25,000 für das freie Feld. Er ſelber hatte zu Anfang des letzten Feldzugs die treffliche militäriſche Haltung des York’ſchen Corps bewundert; er war gewarnt, hundertmal gewarnt durch410I. 4. Der Befreiungskrieg.die rheinbündiſchen Diplomaten, er wußte, daß jene gefährlichen deutſchen Aufrührer nirgends mächtiger waren als in Preußen, und doch wollte er nicht eingeſtehen, daß dieſe verhaßte Macht ihm je bedrohlich werden könne. Gefliſſentlich trug er ſeine Verachtung gegen Preußen zur Schau, als wollte er ſeine geheimen Sorgen übertäuben: die Preußen ſind keine Nation, ſie haben keinen nationalen Stolz, ſie ſind die Gascogner von Deutſchland! Die einfachſte Klugheit gebot ihm den Bundesvertrag von 1812 gewiſſenhaft zu halten, der Krone Preußen keinen Vorwand zum Verlaſſen der erzwungenen Allianz zu bieten. Doch auf ſeiner einſamen Höhe hielt er es nicht mehr der Mühe werth nach den Empfindungen derer, die ſein Fuß zertrat, zu fragen. Auf alle Mahnungen der preu - ßiſchen Unterhändler antwortete er mit leeren Reden, nicht einmal eine Prüfung ihrer Rechnungen konnten ſie erreichen; und gleichzeitig erging an die Befehlshaber der Oderfeſtungen der vertragswidrige Befehl, daß ſie ſich Alles was ſie brauchten durch Requiſitionen verſchaffen ſollten. Alſo that der Imperator genau was Friedrich Wilhelms Gewiſſenhaftigkeit insgeheim wünſchte; er ſetzte ſich ins Unrecht, er ſelber zerriß das Bündniß, und der König war nach Völkerrecht unzweifelhaft befugt ſich loszuſagen von einem Vertrage, deſſen Satzungen ſammt und ſonders von dem an - deren Theile mißachtet wurden.

Auf Kneſebecks Sendung baute Hardenberg ſtolze Hoffnungen. Wäh - rend der König den Czaren für ſeinen nächſten und natürlichſten Freund anſah, erſtrebte der Staatskanzler ſeit Jahren zunächſt ein Bündniß der drei deutſchen Großmächte denn auch England wurde wegen Han - nover noch zu den deutſchen Mächten gerechnet. Seine hochgeſpannten Er - wartungen ſollten gründlich getäuſcht werden. Der ſofortige Eintritt des Kaiſerſtaates in ein Kriegsbündniß war ſchon deßhalb ganz außer Frage, weil Napoleon in ſolchem Falle ſicher wieder die wohlbekannte Sieges - ſtraße der Donau entlang eingeſchlagen und, bei dem elenden Zuſtande der Armee und der Finanzen Oeſterreichs, raſch ſeinen dritten Einzug in die Kaiſerſtadt gehalten hätte. Eben dies wollte Kaiſer Franz um jeden Preis verhindern. Von Natur friedfertig, ein Freund der ſanften Mittel und der kleinen Ränke fand Graf Metternich die Lage der Welt durchaus nicht reif für eine große Entſcheidung. Wie ſollte ein durch - ſchlagender Erfolg erfochten werden ſo äußerte ſich Gentz da alle Mächte des Feſtlandes tief ermattet ſeien und auch Englands Kräfte durch die Subſidienzahlungen für einen europäiſchen Krieg leicht erſchöpft werden könnten? Dazu die natürliche Angſt vor der nationalen Leiden - ſchaft der norddeutſchen Patrioten. In Wien dieſer Ruhm wird der Nüchternheit der öſterreichiſchen Staatskunſt verbleiben in Wien iſt ſeit den Tagen des großen Kurfürſten bis zum Jahre 1866 nicht einen Augenblick der gutmüthige Wahn gehegt worden, als ob die Verſtärkung des norddeutſchen Nebenbuhlers im Intereſſe Oeſterreichs liege. Wenn411Oeſterreichs Haltung.man auch wünſchte, daß Preußen wieder einigermaßen zu Kräften käme, eine ſelbſtändige, der Hofburg ebenbürtige Macht durfte ſich im Norden nicht bilden jetzt am Allerwenigſten, da jeder neue Tag von der ſtürmi - ſchen Erregung des norddeutſchen Volkes Kunde brachte, da der preußiſche Staat haltlos den dämoniſchen Mächten der Revolution verfallen, ſein König nur an der Seite , nicht an der Spitze der Nation zu ſtehen ſchien. Darüber war Kaiſer Franz mit ſeinem Schwiegerſohne durchaus einverſtanden, daß nur Aufruhrſtifter ein ſogenanntes Deutſchland wollen könnten. Willig glaubte er alle Märchen der napoleoniſchen Polizei über das revolutionäre Treiben der preußiſchen Geheimbünde; noch im März bat ſein Geſandter den König von Preußen, natürlich vergeblich, um Auf - löſung der geheimen Vereine. Von der deutſchen Geſinnung ſeines eige - nen Volkes hatte er freilich wenig zu fürchten; der edle Rauſch des Jahres 1809 kehrte niemals wieder, das Teutonenthum der norddeutſchen Dichter und Volksredner erregte bei den ermüdeten Wienern nur Spott und Hohn. Indeß ſelbſt die vereinzelten Spuren patriotiſchen Sinnes waren dem Despoten unheimlich. Er vergaß es nicht, daß auch einige öſter - reichiſche Offiziere in ruſſiſchen Dienſt getreten waren. Der gefährliche preußiſche Verſchwörer Juſtus Gruner war längſt auf die Feſtung ge - ſchafft worden, und als im Frühjahr Hans von Gagern mit einigen Patrioten in Vorarlberg und Tyrol eine Volkserhebung vorzubereiten ver - ſuchte, griff der Kaiſer ſofort mit Verhaftungen und Ausweiſungen ein.

Ein anderer leitender Gedanke der Hofburg war die Furcht vor Rußland. In ſpäteren Jahren geſtand Metternich dem preußiſchen Staats - kanzler: ſeit dem Augenblicke, da die napoleoniſche Macht ins Wanken gekommen, habe ihn vorwiegend die eine Sorge beſchäftigt: die Unmög - lichkeit, zu verhindern, daß eine ungeheuere Machtvergrößerung Rußlands das nothwendige Ergebniß der Zertrümmerung des franzöſiſchen Koloſſes würde. *)Metternich an Hardenberg 9. Januar 1818.Und wie vortheilhaft war es doch andererſeits, einen ſo mäch - tigen Schwiegerſohn zu beſitzen einen ſo wohlgeſinnten Mann, der die Revolution überwunden hatte und mit gleichem Abſcheu wie Metternich von dem Jacobiner Stein redete! Auch perſönliche Rückſichten ſpielten mit. Metternich war durch die franzöſiſche Allianz ans Ruder gelangt; trat ein plötzlicher Wechſel des Syſtems ein, ſo mußte faſt unver - meidlich ſein Gegner Stadion die Leitung der Geſchäfte übernehmen. Zudem wichen die Abſichten der Hofburg für Deutſchlands Zukunft ſehr weit ab von den Gedanken des preußiſchen Staatskanzlers. Harden - berg nahm ſeine dualiſtiſchen Pläne in vollem Ernſt, wünſchte für Oeſter - reich eine feſte Stellung am Oberrhein, für Preußen am Mittel - und Niederrhein, damit alſo eine gemeinſame Vertheidigung des künftigen Deutſchen Bundes möglich würde. Und gewiß, war der Deutſche Bund412I. 4. Der Befreiungskrieg.mit Oeſterreich, den jene Zeit erhoffte, überhaupt lebensfähig, ſo konnte er nur durch ein treues Einvernehmen der beiden führenden Staaten und durch eine ehrliche Abgrenzung ihrer Machtgebiete erhalten werden. Darum ſind auch ſpäterhin die Gedanken des friedlichen Dualismus am Berliner Hofe immer von Neuem wieder aufgetaucht ſo lange man noch nicht gänzlich an dem Deutſchen Bunde verzweifelte. Der Staatskanzler hatte dieſe Ideen während der letzten Jahre wiederholt ſeinem öſterreichi - ſchen Freunde ausgeſprochen und ſchloß aus einigen hingeworfenen Worten halber Zuſtimmung leichtſinnig auf Metternichs volles Einverſtändniß. Die vertrauten Hannoveraner Ompteda und Hardenberg wußten jedoch ſehr wohl, daß die Hofburg keineswegs geſonnen war ihrem Nebenbuhler die Hegemonie in Norddeutſchland zuzugeſtehen.

Metternich erkannte, daß Oeſterreich die durch eine ehrloſe Politik verſcherzte Kaiſerkrone nicht wieder verlangen durfte. Ein erbliches Kaiſer - thum der Lothringer hätte alle Mittelſtaaten dem Hauſe Oeſterreich ver - feindet; eine Wahlkrone konnte, da die alten getreuen geiſtlichen Kurfürſten nicht mehr beſtanden, vielleicht dereinſt den Hohenzollern in die Hände fallen. Es galt alſo, durch kluge Schonung der dynaſtiſchen Intereſſen der Mittelſtaaten den herrſchenden Einfluß in Deutſchland zu gewinnen. Darum verzichtete Metternich nicht nur auf Belgien, das in der Hofburg von jeher als ein ſehr läſtiges Beſitzthum gegolten hatte, ſondern auch auf die Wiedererwerbung der vorderöſterreichiſchen Lande. Durch dieſen vorgeſcho - benen Poſten hatte das Kaiſerhaus einſt die ſüddeutſchen Höfe beſtändig bedroht und die Geängſtigten bald in Preußens bald in Frankreichs Arme geſcheucht. Als ein wohlwollender primus inter pares wollte Oeſterreich fortan, wohl abgerundet an der Adria, mit den alten Feinden Baiern und Württemberg ehrlich Frieden halten und ihnen vor Allem das köſt - lichſte Gut, das ſie der Gnade Napoleons verdankten, die Souveränität ſicher ſtellen. Einige Andeutungen dieſer politiſchen Grundſätze gab Metternich ſchon in ſeinen Unterredungen mit Kneſebeck; noch beſtimmter erklärte er etwas ſpäter in einer Depeſche an Lebzeltern (23. März), den Staaten des Rheinbundes müſſe der Beſitzſtand, die Souveränität und die Unabhängigkeit vollſtändig gewahrt bleiben.

Aus Alledem ergab ſich mit Nothwendigkeit, daß Metternich die augenblickliche Kriſis benutzte um den großen Plan einer allgemeinen Pacification zu verwirklichen, wie Gentz in einem vertrauten Briefe an den Hospodar Karadja ausſprach. Es gelang ihm während des Früh - jahrs, durch geheime Verhandlungen mit Rußland, das öſterreichiſche Hilfs - corps, das noch an der Seite der Franzoſen in Polen ſtand, in die Heimath zurückzuführen und ſich von der franzöſiſchen Allianz thatſächlich loszuſagen. So ſtand Oeſterreich frei, in beherrſchender Flankenſtellung, den kriegführenden Mächten zur Seite und konnte hoffen durch ſeine Ver - mittlung den Ausſchlag zu geben. Während Metternich in Paris dringend413Verhandlungen mit Rußland.zum Frieden mahnte, ſprach er, dem preußiſchen Unterhändler gegenüber, ebenſo warm für den Anſchluß Preußens an Rußland; ja Kneſebeck er - hielt ſogar ein eigenhändiges Schreiben des Kaiſers an den König mit auf den Weg, worin beſtimmt erklärt war, der Uebertritt Preußens zu den Ruſſen werde das Vertrauen der Hofburg in keiner Weiſe erſchüttern. Die Abſicht war klar: wurde Rußland durch Preußens Zutritt verſtärkt, ſo ſtanden die Ausſichten für den neuen Krieg annähernd gleich, und Oeſterreich konnte mit ſeinen Friedensvorſchlägen um ſo leichter durch - dringen.

Der ſchlaue Rechner überſah nur Eines: die ſittlichen Mächte, die unverſöhnlichen Gegenſätze, welche über dieſem Kampfe walteten; er würdigte weder Napoleons unbeugſamen Caeſarenſtolz noch die Naturge - walt des nationalen Haſſes, die in Preußen erwacht war. Seine Frie - densmahnungen in Paris waren durchaus ernſt gemeint, obgleich er ſie dem Czaren gegenüber als eine Komödie darſtellte, und nichts konnte ehrlicher ſein als die Verſicherung, welche Kaiſer Franz ſpäterhin dem Könige von Baiern gab: wenn Frankreich den Frieden gewollt hätte, ſo hätte es ihn haben können. Metternich hoffte noch lange den Krieg gänzlich zu verhindern und gab eine ausweichende Antwort, als Alexander am 12. Februar verlangte, Oeſterreich ſolle ſeine Vermittlungsvorſchläge nöthigenfalls mit den Waffen aufrechthalten. Indeß blieb der Behutſame auch auf den unerwünſchten Fall, daß der ruſſiſch-franzöſiſche Krieg von Neuem anhob, gefaßt; dann ſollte Oeſterreich ſeine wohlgeſchonte Kraft aufſparen, bis die Kriegführenden durch ein ſchweres unentſchiedenes Ringen erſchöpft und für die Vorſchläge des Vermittlers empfänglich wären. So wurde das alte Kaiſerhaus vielleicht ohne alle Opfer, jeden - falls ohne unmittelbare Gefahr, wieder das Zünglein in der Waage Europas, der Friedensbringer und Mediator des Welttheils, die Macht des kaiſerlichen Schwiegerſohns ward nicht vernichtet, ſondern nur in ge - wiſſe Schranken zurückgewieſen, und die Führung in dem Bunde der ſouveränen deutſchen Staaten fiel dem Hauſe Oeſterreich von ſelber zu. Radetzky, der beſte Kopf des kaiſerlichen Generalſtabs, führte noch im März in einer militäriſchen Denkſchrift aus, wie Oeſterreich eine große Armee bereit halten müſſe um die Partei, welche ſich ſeinen Vorſchlägen widerſetzte, niederzuſchlagen; ohne Liebe noch Haß ſtellte er ſich über die Parteien und wagte nur die Vermuthung, daß Frankreich der muthmaß - liche Gegner ſein werde. Genug, Kneſebecks Sendung brachte nur einen halben Erfolg. Der begeiſterte Verehrer der kaiſerlichen Hochherzig - keit trug aus der Hofburg nichts heim als die Zuſage, daß Oeſterreich gegen einen preußiſch-ruſſiſchen Bund nicht feindlich auftreten werde.

Weit glücklicher verliefen die Verhandlungen mit Rußland. Major Natzmer traf den Czaren am 13. Januar zu Bobersk in Litthauen und bot ihm im Namen des Königs ein Schutz - und Trutzbündniß an, falls414I. 4. Der Befreiungskrieg.Rußland die Weichſel und Oder überſchreiten, den Krieg mit ganzer Kraft fortführen wolle. Der Czar ſtrahlte von Zuverſicht: der König allein könne Europa retten oder für immer verderben. Er ging auf Alles freudig ein, verſprach ſogleich 10 15,000 Mann gegen die Oder zu ſenden und ſchätzte die Truppen, die bald nachkommen ſollten, auf 100,000 Mann. Erſt am 20. Januar langte Natzmer auf weiten Um - wegen wieder bei dem Staatskanzler an, da Eugen Beauharnais Verdacht geſchöpft und ſeinen Truppen befohlen hatte, den Adjutanten ſeines könig - lichen Bundesgenoſſen gefangen zu nehmen.

Sofort nach der Rückkehr des Unterhändlers wurden die Vorbe - reitungen getroffen für die Abreiſe des Königs nach Breslau und zu - gleich befohlen, daß alle irgend kriegsfähigen Cadetten nach Schleſien abgehen ſollten. Der alte Commandeur der Pflanzſchule des Offiziers - corps wußte ſich gar nicht mehr zu helfen in der wilden Zeit. Die ganzen Weihnachtsferien über hatten ſeine Jungen gezecht und gejubelt in einem ununterbrochenen Siegesfeſte von wegen der Nachrichten aus Rußland. Nun fuhren die Großen glückſelig in mächtigen Korbwagen die hartgefrorenen Straßen dahin, den ſchleſiſchen Bergen zu; die Kleinen aber, die traurig im Hauſe blieben, legten ihr Taſchengeld zuſammen für den heiligen Krieg, denn Niemand zweifelte, wem es galt. Am 21. Ja - nuar feierte das königliche Haus die Confirmation des Kronprinzen. Wie viele herrliche, ach ſo bitter getäuſchte Hoffnungen hingen damals an dem reichbegabten, geiſtſprühenden Jüngling! Kein Auge blieb thränenleer; Allen war, als ob der Schatten der verklärten Königin unter ihren Kindern erſchiene, während das bedeutungsvolle Bekenntniß des Thronfolgers ver - leſen wurde: Feſt und ruhig glaube ich an den, der zum Uebermuthe ſpricht: hier ſollen ſich legen deine ſtolzen Wellen! Das Morgenroth eines beſſeren Tages bricht an. Zwei Tage darauf reiſte der König plötzlich nach Breslau ab, und hier, endlich wieder auf freiem preußiſchen Boden, nicht mehr den Handſtreichen franzöſiſcher Truppen ausgeſetzt, konnte er etwas offener auftreten.

Schlag auf Schlag folgten die Befehle zur Einleitung der kriege - riſchen Action. In ſeinen finanziellen Maßregeln war der Staatskanzler freilich auch jetzt wieder unglücklich; ein Verſuch den entwertheten Treſor - ſcheinen durch den Zwangscurs aufzuhelfen mußte ſchon nach wenigen Wochen zurückgenommen werden. Um ſo feſter und ſicherer ſchritten die Rüſtungen vorwärts. Der König bildete ein Comité zur Verſtärkung der Armee , berief dazu Hardenberg, den Kriegsminiſter Hacke und Scharn - horſt, deſſen Name ſchon allen Kundigen ſagte, daß es nunmehr ganzer, ſchwerer Ernſt war. Mit Feuereifer ging der geiſtreiche Hippel, dem der Staatskanzler die Militärſachen übertrug, auf die Entwürfe des Generals ein. Der Waffenſchmied der deutſchen Freiheit ſah nun endlich ſeine Saaten aufgehen; ſeine Kräfte ſchienen verdoppelt, ſein ganzes Weſen415Der König nach Breslau.gehoben und durchleuchtet von ſtolzer Zuverſicht. Tag und Nacht war er thätig, bald in Berathungen und Unterredungen mit dem Könige, bald daheim in ſeinem weißen Mantel am Schreibtiſch kniend. Am 3. Februar unterzeichnete der König einen Aufruf, der die jungen Männer der eximirten Klaſſen aufforderte, als freiwillige Jäger in das Heer ein - zutreten. Schon Tags darauf legte Scharnhorſt den Operationsplan vor für die preußiſch-ruſſiſche Armee. Am 9. folgte das Edict, das für die Dauer dieſes Krieges alle Befreiungen von der Wehrpflicht aufhob. Wenige Tage ſpäter übergab der General dem getreuen Hippel den eigen - händig geſchriebenen Entwurf des Landwehrgeſetzes. Unterdeſſen wurde Kneſebeck aus Wien zurückgerufen; er ſollte, da er über die Pläne der Hofburg am Genaueſten unterrichtet war, in das ruſſiſche Hauptquartier gehen und empfing am 8. ſeine neuen Inſtructionen. Am 13. ergingen die Weiſungen nach Paris, die den offenen Bruch mit Frankreich herbei - führen mußten: der König verlangte alsbaldige Zahlung der Hälfte ſeiner Vorſchüſſe und Abzug der Franzoſen über die Elbe; dann ſei er bereit, einen Waffenſtillſtand zwiſchen Rußland und Frankreich zu vermitteln. Lehnte Napoleon ab, ſo war der Krieg erklärt.

So bereitete die Krone feſt und umſichtig den Kampf vor. Doch über ihren letzten Abſichten lag ein unverbrüchliches Geheimniß. Selbſt die Oberregierungscommiſſion, welche der König unter dem Vorſitze des Grafen Goltz in Berlin zurückgelaſſen, erfuhr kein Wort von den diplo - matiſchen Verhandlungen, ſie war angewieſen, mit den franzöſiſchen Mi - litärbehörden auf freundlichem Fuße zu bleiben. Der ohnehin langſame Verkehr wurde durch die Truppenzüge der Franzoſen faſt ganz unter - brochen. In den Provinzen wußte man lange nur das Eine, daß der König unfrei ſei, von franzöſiſchen Bajonetten umgeben. Wo ſollte das hinaus? Ward es nicht hohe Zeit, daß die Nation ohne die Krone und doch für ſie handelte, durch einen heroiſchen Entſchluß den König be - freite und ſich ſelber zurückgab? Die verzweifelte Frage lag auf Aller Lippen, nirgends aber ward die quälende Ungewißheit bitterer empfunden, als in dem treuen Altpreußen. Hier dieſe alten tapferen Grenzenhüter der Germanen, denen die rothen Mauern ihrer Ordensburgen von den Wundern einer großen Geſchichte erzählten ſollten ſie thatlos zu - ſchauen, wie der Moskowiter den Franzmann verjagte um dann vielleicht die ſchöne Provinz, die ſchon während des ſiebenjährigen Krieges fünf Jahre lang unter ruſſiſcher Herrſchaft geſtanden hatte, für immer mit dem Czarenreiche zu vereinigen? Jedermann fühlte, daß irgend etwas ge - ſchehen, daß die Provinz ſich durch eigene Kraft die Freiheit verdienen müſſe. Schon zu Anfang Januars erſchienen einige Mitglieder der preußiſchen Stände bei dem General Wittgenſtein und erboten ſich, Truppen auszuheben, die unter Yorks Führung an der Seite der Ruſſen kämpfen ſollten.

416I. 4. Der Befreiungskrieg.

York ſelbſt war in der peinlichſten Lage. Er hatte gehofft, ſein Abfall würde die Ruſſen zu raſtloſer Verfolgung des Feindes ermuthigen, den König zu einem raſchen Entſchluſſe hinreißen, überall im deutſchen Norden den Volkskrieg entzünden. Einige Tage lang gaben ſich ſeine Truppen den froheſten Hoffnungen hin; in Tilſit, an der äußerſten Oſt - mark deutſcher Erde, verſprach Oberſt Below ſeinen litthauiſchen Dra - gonern, er werde ſeinen Säbel nicht niederlegen, bis ſie die Thürme von Paris geſehen hätten. Aber Wittgenſtein betrieb die Verfolgung ſo ſaum - ſelig, daß Macdonald ſich in Königsberg mit den übrigen Reſten der großen Armee vereinigen und dann, wenig beläſtigt, über die Weichſel zurückgehen konnte. Damit die Bewegung nicht ganz ins Stocken ge - riethe mußte York ſich zu einem zweiten eigenmächtigen Schritte ent - ſchließen: am 8. Januar kam er nach Königsberg, übernahm das Com - mando der Provinz. Unbeſchreiblicher Jubel empfing ihn, aus dem Munde des Studenten Hans von Auerswald nahm er die feierliche Verſicherung entgegen, die preußiſche Jugend ſei bereit, für König und Vaterland in den Tod zu gehen. Die Provinz war des beſten Sinnes voll, zu jedem Opfer bereit, obgleich ſie furchtbar gelitten und ſoeben noch durch den Marſch der großen Armee über 33 Millionen Thaler verloren hatte.

Doch was thun ohne die Krone? Dies Volk war monarchiſch bis in das Mark der Knochen; wer durfte ihm gebieten anders als im Namen des Königs? Rathlos ſchwirrten die Meinungen und Vorſchläge durch einander. Einige ſtändiſche Deputirte richteten eine Eingabe an den König, beſchworen ihn, ſich an Rußland anzuſchließen, den Untergang des ruhmwürdigen deutſchen Namens zu verhüten; Andere forderten laut, daß der Landtag ſich eigenmächtig verſammele und die Aushebung der Landwehr anbefehle. Manchen treuen Beamten quälte die Sorge vor der Ländergier der Ruſſen, die doch noch Feinde waren alſo nach Völker - recht ſich des Landes bemächtigen durften. Noch traten ſie überall ſcho - nend auf; der Ehrgeiz des Czaren war auf Warſchau gerichtet und nichts lag ihm in jenen Tagen ferner, als ein argliſtiger Anſchlag gegen Alt - preußen. Als der heißblütige Bärſch in Königsberg einen Aufruf zur Volks - bewaffnung drucken wollte, verſagte der ruſſiſche Commandant gewiſſenhaft das Imprimatur: ſolche Aufrufe dürften nur im Namen des Landesherrn oder ſeiner Beauftragten erlaſſen werden. Aber wie lange konnte dieſe Schonung währen, wenn Preußen ſich nicht offen für Rußland erklärte?

Präſident Wißmann eilte mit einigen anderen Beamten nach Berlin, um den Staatskanzler anzuflehen, daß der König um Gotteswillen ein entſcheidendes Wort ſpreche, ſonſt drohe der Aufruhr oder vielleicht die ruſſiſche Eroberung. York ſchrieb an Bülow, verſuchte ihn zu bereden, daß er mit ſeinem Corps gegen die Oder und Elbe aufbreche: Die Armee will den Krieg gegen Frankreich. Das Volk will ihn, der König will ihn, aber der König hat keinen freien Willen. Die Armee muß ihm417Stein in Oſtpreußen.dieſen Willen frei machen. Erkämpfen, erwerben wollen wir unſere na - tionale Freiheit. Dieſe Selbſtändigkeit als ein Geſchenk annehmen heißt die Nation an den Schandpfahl der Erbärmlichkeit ſtellen! Indeß be - gann der eiſerne Mann doch unſicher zu werden, als vom Hofe noch immer keine Antwort kam und endlich die Berliner Zeitungen die nieder - ſchmetternde Nachricht brachten, die Convention von Tauroggen ſei durch den König verworfen, er ſelber des Commandos entſetzt. Der General wagte gleichwohl den Oberbefehl fortzuführen, da ihm die Abſetzung nicht amtlich mitgetheilt wurde. Aber die Unkenntniß der wirklichen Abſichten der Krone quälte und verſtörte das Gemüth des ſtrengen Royaliſten; ſich auflehnen gegen den Willen des Königs das hatte er nie gewollt! Wie ein Miſſethäter ging er umher, von finſteren Ahnungen gepeinigt; er ſah ſein ehrenreiches Leben in unverdienter Schande ausgehen und wollte zum Mindeſten nicht die Schuld eines neuen Ungehorſams auf ſich laden. Darum begnügte er ſich, ſein Corps durch die Cantonpflichtigen der Provinz zu verſtärken; an ein Maſſenaufgebot dachte er für jetzt nicht mehr. Ein rührender Anblick die Rathloſigkeit dieſer Monarchiſten ohne Monarchen! Das treue Volk lief Gefahr, trotz aller Opfer - und Thatenluſt eine köſtliche Zeit zu verlieren, wenn ſich der überlegene Wille nicht fand, der durch einen rettenden Entſchluß vollbrachte und geſtaltete, was die Tauſende erſehnten und hofften.

Und dieſer mächtige Wille kam mit dem Freiherrn vom Stein. Der große Patriot hatte ſchon am 16. December aus Petersburg dem Prä - ſidenten Schoen angekündigt, er hoffe bald mit ſeinem Arndt in Altpreußen einzutreffen: jetzt iſt es Zeit, daß ſich Deutſchland erhebe, daß es Frei - heit und Ehre wieder erringe, daß es beweiſe, wie nicht das Volk, ſon - dern ſeine Fürſten ſich freiwillig unter das Joch gebeugt haben. Nichts war dem ſtolzen Deutſchen entſetzlicher, als die Vorſtellung, daß ſein Vaterland durch die Ruſſen befreit werden ſollte. Obwohl er an den guten Abſichten Alexanders ſelbſt nicht zweifelte, ſo hegte er doch ein ſtarkes Mißtrauen gegen die Pläne der altruſſiſchen Partei; noch ſpäter - hin hat er den Staatskanzler dringend gewarnt, ja keine preußiſche Feſtung den Ruſſen zu öffnen. Als er nun bemerkte, wie das altpreu - ßiſche Volk ſich in heißer Ungeduld verzehrte, da ließ er ſich von dem Czaren die Vollmacht ertheilen, die Leitung der Provinzialbehörden zu übernehmen und die Hilfsquellen des Landes zum Beſten der guten Sache nutzbar zu machen das Alles nur vorläufig, bis zum förm - lichen Abſchluß des preußiſch-ruſſiſchen Bündniſſes. Ausdrücklich wurde dem Könige mitgetheilt, nicht ein Ruſſe, ſondern einer der getreueſten preußiſchen Unterthanen erhalte dieſe durch den Drang der Umſtände gerechtfertigte Vollmacht. Am 21. Januar erſchien Stein in Königsberg, und augenblicklich veränderte ſich die Lage. Alle tapferen Herzen genaſen bei dem Anblick des gewaltigen Mannes. Er ſelber fühlte ſich wie inTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 27418I. 4. Der Befreiungskrieg.einem unbekannten Lande, da er überall nur Treue, Hingebung, Tapfer - keit, nirgends mehr eine Spur der alten Schlaffheit fand, und ſein ehr - liches Gemüth bat dem norddeutſchen Volke die ungerechten Vorwürfe vergangener Tage ab. Er verſicherte beſtimmt, der Zweck der ruſſiſchen Heere ſei nicht Eroberung, ſondern Wiederherſtellung der Selbſtändigkeit Deutſchlands und Preußens, doch forderte er ſeine Landsleute auf, in Hinſicht der Größe des Zweckes und der Reinheit der Geſinnungen über Formbedenken hinwegzuſehen. Das Land wurde ſofort als thatſächlich mit Rußland verbündet behandelt, die Oeffnung der Häfen und die Auf - hebung der Continentalſperre angeordnet, eine Anleihe bei der Kaufmann - ſchaft der Hafenſtädte aufgenommen, die baare Bezahlung aller Lieferungen mit ruſſiſchem Papiergelde befohlen.

Zugleich verhandelte Stein mit York, Schoen und den Provinzialbehör - den über die Anſtalten zur Volksbewaffnung; Clauſewitz, der mit ſeinen Ruſſen im Lande ſtand, erhielt Befehl, den Entwurf eines Landwehrgeſetzes auszuarbeiten. Ein Landtag wurde ausgeſchrieben oder vielmehr nur eine formloſe Verſammlung der ſtändiſchen Deputirten, da der gewiſſenhafte Präſident Auerswald Bedenken trug, in die Rechte der Krone einzugreifen. Schoen lehnte behutſam den Vorſitz ab. Am 5. Februar begannen jene an - ſpruchsloſen und doch ſo folgenſchweren Verhandlungen des Königsberger Landtags, mit denen die Colonie des deutſchen Mittelalters dem großen Vaterlande die Schuld des Dankes hochherzig heimzahlte. Kurz und gut, nach alter Preußenweiſe ohne Redeprunk und Lärm, ward das Nothwendige beſchloſſen. Graf Alexander Dohna war der Führer des Adels: der würdige Mann mochte jetzt an ſich ſelber und ſeiner Provinz lernen, wie ſchwer er einſt geirrt, da er als Miniſter ſeinen Landsleuten die Fähigkeit zum conſti - tutionellen Leben abſprach. An der Spitze der Bürgerlichen ſtand der Königs - berger Bürgermeiſter Heidemann. York ſelbſt erſchien und legte einem Ausſchuſſe der Stände das Landwehrgeſetz vor, das der Lieblingsſchüler Scharnhorſts, ſelbſtverſtändlich ganz nach den Ideen des Meiſters, im Weſentlichen übereinſtimmend mit den Plänen von 1811, entworfen hatte; und ſo geſchah das Seltſame, daß die Oſtpreußen eigenmächtig die näm - lichen Gedanken vorausnahmen, welche Scharnhorſt um dieſelbe Zeit in Breslau für den König niederſchrieb. Nicht in Allem freilich konnten dieſe wohlmeinenden Vertreter der bürgerlichen Intereſſen an die kühnen Entwürfe des militäriſchen Organiſators hinanreichen. Auf den Wunſch der Städte geſtattete der Landtag die Stellvertretung, während gleichzeitig in Breslau die Aufhebung aller Befreiungen von der Wehrpflicht aus - geſprochen wurde. Auch ſollte die oſtpreußiſche Landwehr nur eine Pro - vinzialarmee ſein, ausſchließlich zur unmittelbaren Vertheidigung der Lande dieſſeits der Weichſel verpflichtet; die Bataillonsführer mußten in der Pro - vinz angeſeſſen ſein, eine ſtändiſche Generalcommiſſion übernahm die Lei - tung der geſammten Rüſtungen.

419Der Königsberger Landtag.

Ueberhaupt war Scharnhorſts Anſicht, daß die Armee das Volk in Waffen, eine regelmäßige Schule der Nation ſein ſolle, noch durchaus nicht in die öffentliche Meinung eingedrungen. In dieſen Krieg, aber auch nur in dieſen ſollten alle Wehrfähigen hinausziehen, denn er war heilig, er galt allen höchſten Gütern des Lebens; nach dem Siege jedoch das war die natürliche Hoffnung jenes an endloſen Kriegen verekelten Geſchlechtes mußte die Nation durch eine weſentliche Verringerung des Heeres für ihre Opfer belohnt werden. Selbſt Arndt, der ſoeben im Auftrage Steins ſeine feurige Schrift: Was bedeutet Landwehr und Landſturm? herausgab, erhob ſich nicht über die allgemeine Anſicht. Er ſchilderte zwar mit beredten Worten, wie in einer Zeit der Entartung der Bauer wehrſcheu geworden ſei und nun endlich wieder der alte ger - maniſche Glaube obenauf komme, daß ein ganzes Volk waffengerüſtet und waffengeübt ſein müſſe, wenn es nicht Freiheit, Ehre, Glück, Gut und Muth verlieren wolle. Doch zugleich verwahrte er ſich dawider, daß man die Landwehr als eine Art Conſcription anſehe: es iſt blos eine Einrichtung für den Krieg, und ſie wird ermöglichen, daß ſpäterhin viel - leicht zwei Drittel der ſtehenden Heere aufgehoben werden.

Immerhin blieben die Opfer, welche das ausgeſogene, menſchenarme Land brachte, ſtaunenswerth. Dieſe eine Provinz von einer Million Ein - wohnern ſtellte außer 13,000 Mann Reſerve für das York’ſche Corps noch 20,000 Mann Landwehr, ein trefflich berittenes National-Cavallerie - regiment und 700 Freiwillige als Stamm für das Offizierscorps. Am 8. Februar, ſobald der Landtag die Landwehrordnung angenommen hatte, eilte Stein zu dem Czaren zurück; er ſah, daß Alles in guten Händen lag und wollte nicht einmal den Schein erregen, als ob dieſe preußiſche Erhebung ein Werk der Ruſſen ſei.

Das alte Ordensland aber hallte wieder vom Klange der Waffen, wie vor Zeiten, wenn das Kriegsgeſchrei der deutſchen Herren die Grenzer zur Heidenjagd aufbot. Was nur den Säbel ſchwingen konnte, eilte herbei; da galt kein Unterſchied des Standes noch des Alters. Alexander Dohna war der Erſte, der als Gemeiner in die Landwehr eintrat. Die Uni - verſität ſtand leer, die oberen Klaſſen der Gymnaſien wurden geſchloſſen. Welch ein Eindruck, als der ehrwürdige Rector Delbrück in Königsberg ſeinen Primanern, die zu Felde zogen, zum Abſchied Klopſtocks Ode von Herman und Thusnelda vortrug. Wie oft hatte dies gefühlsſelige Geſchlecht mit thränenden Augen die überſchwänglichen Verſe von der alten Schlachten - größe der Germanen gehört; jetzt trat es leibhaftig vor Aller Augen, das neue Deutſchland, hehrer und herrlicher als des Dichters Traumbild, aber auch ſtreng und furchtbar, das Höchſte heiſchend von ſeinen Söhnen, über tauſende junger Leiber ſollte ſein Siegeswagen dahingehen. Das Alles aber geſchah unter ausdrücklichem Vorbehalt der Genehmigung des Königs. Nach Abſchluß der Berathungen ſchrieben die Stände dem Mo -27*420I. 4. Der Befreiungskrieg.narchen: Nur was unſer allgeliebter Landesvater will, wollen wir, nur unter ſeiner erhabenen Leitung Preußens und Deutſchlands Schmach rächen, für die Selbſtändigkeit unſeres theuren Vaterlandes kriegend ſiegen oder ſterben. Dann beſchworen ſie ihn nochmals, der Begeiſterung ſeines treuen Volkes freien Lauf zu laſſen: In dem großen Plane der Vor - ſehung kann die Vernichtung des preußiſchen Staates nicht liegen. Dieſer Staat iſt der Welt und der wahren Aufklärung nöthig. Mit dieſen Beſchlüſſen der Altpreußen traf Graf Ludwig Dohna am 21. Februar in Breslau ein.

Dort harrte man unterdeſſen in höchſter Spannung auf günſtige Nach - richten von Kneſebeck, der in Kaliſch mit dem Czaren über das Kriegs - bündniß verhandelte. Die Abſicht Preußens ging, wie natürlich, auf die Wiedererlangung ſeiner alten Machtſtellung, auf die Aufhebung des Rhein - bundes und die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine. Da trat jene unſelige polniſche Frage, die ſo oft ſchon das gemeinſame Handeln der drei Oſtmächte verhindert hatte, trennend zwiſchen die Freunde. Der Czar war zu Allem bereit, nur über das Schickſal des Warſchauer Landes wollte er vor dem ſiegreichen Ende des Krieges ſich nicht ausſprechen; er deutete an, ſein Verbündeter könne für den polniſchen Beſitz reiche Ent - ſchädigung[finden] in den norddeutſchen Rheinbundsſtaaten, etwa in Sachſen, wenn deſſen König dem franzöſiſchen Bunde treu bliebe.

Alexander ſtand längſt wieder in geheimem Verkehre mit Czartoryski. Kaum waren die napoleoniſchen Träume des vielgewandten Polen in den Flammen von Moskau zu nichte geworden, ſo drängte er ſich abermals an ſeinen kaiſerlichen Freund heran, mit jener glücklichen Unbefangenheit, die in der langen Schule jeſuitiſcher Erziehung den Helden ſarmatiſcher Freiheit zur andern Natur geworden iſt, und einigte ſich endlich mit dem Czaren über die Aufrichtung eines ſelbſtändigen conſtitutionellen Polen - reichs unter dem Scepter des ruſſiſchen Selbſtherrſchers. Der Czar hoffte eine Zeit lang, die Polen würden auf ſeinen Ruf ſich ihm freiwillig an - ſchließen. Aber keine Hand im Lande rührte ſich. Die Maſſe des Volks hatte in dem raſenden Schickſalswechſel der jüngſten Jahre jeden Willen, jede Hoffnung verloren. Die deutſchen Einwanderer, die Juden und wer von den Polen in ruhigem Gewerbfleiße thätig war ſehnten ſich zurück nach der Ordnung und Rechtsſicherheit des preußiſchen Regiments. Der größte Theil des Adels blieb im franzöſiſchen Lager, gleich ihm ſein Her - zog, der König von Sachſen. Dem ruſſiſchen Erbfeinde traute Niemand, ja man erfuhr bald, daß eine große Verſchwörung gegen die Moskowiter im Werke ſei. So fiel denn das Herzogthum Warſchau, nach einem kurzen Kampfe gegen die napoleoniſche Süd-Armee, als erobertes Feindes - land in Alexanders Hände.

Die Ruſſen betrachteten die Beute bereits als eine neugewonnene Provinz; Niemand unter ihnen hätte auch nur für möglich gehalten, daß421Kneſebeck in Kaliſch.die Beſiegten fortan größerer Freiheit genießen ſollten als die Sieger. Jeder Widerſtand pflegt aber den politiſchen Schwärmer nur in ſeinen Träumen zu beſtärken. Nach der Geſinnung ſeiner Ruſſen hatte der Czar niemals viel gefragt; geiſtreiche Ausländer blieben ihm der liebſte Umgang. Auch das Mißtrauen der Polen beirrte ihn nicht; das überſchwängliche Glück, das er ihnen zudachte, mußte ihren Starrſinn brechen, wollte er doch ſogar die längſt mit Rußland vereinigten litthauiſchen Provinzen von dem Czarenreiche abtrennen und der conſtitutionellen Krone des weißen Adlers unterwerfen. Grenzenlos erſchien ihm jetzt die Macht ſeines Reiches; ich weiß es wohl, ſagte er ſpäter zu ſeiner Rechtfertigung, Rußlands Ueber - macht beginnt für Europa gefährlich zu werden; um dieſe Gefahr zu be - ſeitigen will ich Polen zu einem ſelbſtändigen Staate erheben. Für jetzt aber mußten die glänzenden Entwürfe vor aller Welt geheim gehalten werden. Der polniſche Freund durfte nicht im kaiſerlichen Hauptquartier erſcheinen; denn die Kunde von unſeren Plänen , ſchrieb der Czar, würde Oeſterreich und Preußen ſofort in Frankreichs Arme treiben.

Noch mehrere Monate ſpäter, als die beiden Monarchen ſchon viele Wochen lang zuſammen im Feldlager geweſen, klagte König Friedrich Wil - helm, er habe trotz wiederholter Fragen von Alexander niemals etwas Be - ſtimmtes über ſeine polniſchen Abſichten erfahren können; und der Hanno - veraner Ompteda, ein ſcharfer Beobachter und gründlicher Kenner der Höfe, ſchrieb noch zu Ende Juni völlig unbeſorgt: Fürſt Anton Radziwill und die anderen polniſchen Patrioten, die den Czaren umlagerten, wür - den ſicherlich eine ſchlechte Aufnahme finden. Das Geheimniß blieb ge - wahrt. Der preußiſche Hof ahnte vorderhand noch gar nichts von der drohenden Wiederherſtellung Polens; er konnte aus den Nachrichten über den Gang der Kaliſcher Verhandlungen nur den Schluß ziehen, der Czar wünſche einen Theil des Großherzogthums Warſchau dem ruſſiſchen Reiche einzuverleiben. Er ſtand mithin vor der Frage: ob man den Krieg gegen Napoleon wagen dürfe auf die Gefahr hin, beim Friedensſchluſſe das Vor - rücken Rußlands gen Weſten und eine ſchlecht geſicherte deutſche Oſtgrenze hinnehmen zu müſſen?

Für den ſchlichten Verſtand des Königs war dieſe Frage längſt keine Frage mehr. Er kannte die polniſche Treue. Danke ſchön; ſchon genug haben von dieſer Sorte pflegte er ärgerlich zu ſagen. In dem Augen - blicke, da man die Deutſchen zur Befreiung des Vaterlandes aufrufen wollte, durfte eine verſtändige preußiſche Staatskunſt wahrhaftig nicht jenen unheilvollen ſlaviſchen Beſitz vollſtändig zurück fordern. Jeder Strich nord - deutſchen Landes, den man gegen Warſchau, Pultusk und Plock eintauſchte, war ein offenbarer Gewinn für die nationale Politik, die man endlich wieder aufgenommen. Nur die Landſtriche um Poſen und Gneſen, das natürliche Verbindungsglied zwiſchen Schleſien und Weſtpreußen, blieben für Preußen unentbehrlich. Verzichtete man aber auf die Poſition von422I. 4. Der Befreiungskrieg.Warſchau, ſo hatte die Frage, wie weit das preußiſche Gebiet ſich oſtwärts erſtrecken ſollte, nur noch geringe Bedeutung; denn weſtlich von Warſchau bot weder die Prosna noch die Warthalinie eine geſicherte natürliche Grenze. Eine Oſtgrenze, welche den preußiſchen Staat zugleich militäriſch geſichert und vor einer allzu ſtarken Beimiſchung fremdartigen Volksthums be - wahrt hätte, ließ ſich ſchlechterdings nicht finden. Man mußte den Muth haben, ſich dieſe unbequeme Wahrheit einzugeſtehen, und man durfte die militäriſchen Bedenken dann den Erwägungen der nationalen Politik opfern, wenn die mittleren Weichſellande in Rußlands Hände kamen. Der ruſſiſche Staat war für Preußen unzweifelhaft ein weniger läſtiger Nachbar als weiland die polniſche Republik, er war nicht wie dieſe durch uralten Haß dem preußiſchen Volke verfeindet, nicht wie dieſe durch das Gebot der Selbſterhaltung gezwungen nach der Eroberung von Altpreußen zu trachten. Das weite Reich, das ſchon ſo viele andere Häfen beſaß, konnte zur Roth ohne den Beſitz der Weichſelmündungen beſtehen, wie Deutſchland ohne das Rheindelta, Oeſterreich ohne die Donaumündung beſtehen kann. Kamen Warſchau und Maſovien unter Rußlands Herrſchaft, ſo wurden voraus - ſichtlich die Handelsintereſſen von Altpreußen wie von Ruſſiſch-Polen ſchwer geſchädigt; dennoch konnte die neue Ländervertheilung dauern, ein leidliches nachbarliches Verhältniß zwiſchen Preußen und Rußland war nicht un - möglich. Alle Mißſtände an der Oſtgrenze wurden reichlich aufgewogen, wenn Preußen auf deutſchem Boden eine wohlgeſicherte Abrundung erlangte.

In der That ſah Hardenberg ein, daß irgend ein Zugeſtändniß an die ruſſiſchen Wünſche unvermeidlich war, und beauftragte ſeinen Unter - händler nöthigenfalls das vormalige Neu-Oſtpreußen dem Czaren preis - zugeben. Oberſt Kneſebeck aber dachte anders, ging eigenmächtig über ſeine Inſtructionen hinaus. Der gelehrte, vielerfahrene Offizier hatte einſt die Ideale der Revolution mit Frohlocken begrüßt und war auch in ſpäteren Jahren keineswegs ſo hart reactionär geſinnt wie man ihm nachſagte; von den Grundgedanken der alten diplomatiſch-militäriſchen Schule iſt er gleich - wohl niemals losgekommen. Er ſah nach der Weiſe des achtzehnten Jahr - hunderts in jeder Nachbarmacht ſchlechtweg den natürlichen Feind des Nachbars. Wie er im Felde die Landkarte unabläſſig durchforſchte, von dem Beſitze beherrſchender Plateaus und Bergrücken entſcheidende kriege - riſche Erfolge erwartete, ſo hatte er ſich auch bei der Lampe ein Bild der europäiſchen Waage, eine neue allen Forderungen des Gleichgewichts ent - ſprechende Karte von Europa niedergezeichnet und hielt daran mit doctri - närem Selbſtgefühle feſt. Ein Jahr darauf ſtellte er*)Kneſebecks Denkſchrift an Hardenberg, Freiburg 7. Januar 1814. für die neue Ge - bietsvertheilung drei leitende Geſichtspunkte auf: daß der Weſt ſein Ueber - gewicht verliere, daß das Centrum wieder Gewicht bekomme, und daß der Oſt nicht in die Fehler des Weſt verfalle. Darum muß der preußiſche423Vertrag von Kaliſch.Staat die Grenzen von 1805 wieder erhalten, ſonſt wird er durch Ruß - land flankirt und vom Oſt abhängig: die Eigenſchaften und Verbindungen der Perſonen können temporell dies etwas mäßigen, aber nie heben. Be - harrlich kam Kneſebeck auf dieſen Lieblingsgedanken zurück; er überſchätzte, wie faſt alle ſeine Zeitgenoſſen die Aggreſſivkraft des ruſſiſchen Koloſſes . Mit überſchwänglichem Entzücken pries er die Schriftzüge der Natur, die auch hier mit mütterlicher Hand für den Schutz ihrer Kinder ſorgte und dem preußiſchen Staate in den Moräſten des Narew ſeine natürliche Grenze vorgezeichnet hat. Zudem hegte der Oberſt ein tiefes Mißtrauen gegen Alexander. So hoffnungsvoll er in die geliebte Hofburg gezogen war, ebenſo argwöhniſch trat er dem Czaren entgegen und hielt ſich ver - pflichtet den diplomatiſchen Fehler vom Jahre 1806 zu vermeiden: nicht zum zweiten male ſollte Preußen ein ruſſiſches Bündniß abſchließen ohne den Freund bindend verpflichtet zu haben. Die Verhandlungen zwiſchen dem Kaiſer und dem hypochondriſchen, peinlich bedachtſamen, maßlos eitlen Manne rückten nicht von der Stelle. Während die freiwilligen Jäger bereits zu den Fahnen ſtrömten und die oſtpreußiſche Landwehr ſich ver - ſammelte, drohte das kühne Werk der Befreiung Deutſchlands noch vor dem Beginne zu ſcheitern weil Kneſebeck am Bug und Narew die Schriftzüge der mütterlichen Natur entdeckt hatte.

Die Lage war um ſo ernſter, da im ruſſiſchen Hauptquartiere außer dem Czaren faſt Niemand den deutſchen Krieg ernſtlich wollte. Die ruſſi - ſchen Generale, vor Allen der beſchränkte alte Kutuſow, ſchwelgten in übermüthigem Selbſtgefühl; ſie ſchrieben die großen Erfolge, die man zu - meiſt den Fehlern Napoleons verdankte, allein der Ueberlegenheit der ruſſiſchen Waffen zu und hielten den Krieg für beendigt. Vor einem neuen Angriffe des gedemüthigten Frankreichs glaubte man ſicher zu ſein; Warſchau und vielleicht auch Altpreußen mußten dem ruſſiſchen Sieger von ſelbſt zufallen. Ging der preußiſche Hof dem Czaren nicht um einige Schritte entgegen, ſo kam das Bündniß nicht zu Stande, und Deutſch - lands Hoffnungen fielen nochmals zu Boden.

Endlich verlor Alexander die Geduld und ſendete den Elſaſſer Freiherrn von Anſtett, einen ſeiner rührigſten Diplomaten, nach Breslau um mit dem Könige ſelbſt zu verhandeln. Er rechnete auf das richtige Gefühl ſeines Freundes, und die Hoffnung trog ihn nicht. Auch Har - denberg fand es thöricht, über das Fell des noch nicht erlegten Bären allzu heftig zu ſtreiten. Die Generale vollends verlangten raſchen Ab - ſchluß; Scharnhorſt ſagte zu Hippel in ſeiner großen Weiſe: unſere Auf - gabe iſt den Sieg zu ſichern, über die Vertheilung der Beute wird der Friedenscongreß entſcheiden. Der König nahm die Vorſchläge Alexanders ohne jede Aenderung an; Scharnhorſt ging mit dem günſtigen Beſcheide nach Kaliſch, und am 28. Februar kam der Bundesvertrag zu Stande. Der Czar verpflichtete ſich die Waffen nicht niederzulegen bis Preußen424I. 4. Der Befreiungskrieg.die Macht, welche es vor dem Kriege von 1806 beſaß, wieder erlangt habe; er verbürgte ſeinem Verbündeten den Beſitz Altpreußens ſowie der polniſchen Landſtriche, welche die Verbindung zwiſchen Schleſien und Weſt - preußen bildeten; er verſprach endlich, daß die in Norddeutſchland zu er - wartenden Eroberungen, mit Ausnahme der Beſitzungen des Hauſes Hannover, zur Entſchädigung Preußens, zur Bildung eines abgerundeten und zuſammenhängenden preußiſchen Staatsgebietes verwendet werden ſollten. In einem zärtlichen Briefe dankte Alexander ſeinem Freunde: er habe, ſchrieb er, an dieſer ſchnellen und offenen Art das Herz des Königs erkannt.

Der Kaliſcher Vertrag war durch die Lage der Dinge vollkommen gerechtfertigt; um einen geringeren Preis ließ ſich Rußlands Hilfe nicht erlangen. Wie Cavour das Nothwendige that als er Savoyen und Nizza preisgab für die Befreiung Oberitaliens, ebenſo und mit weit beſſerem Rechte opferte in ähnlicher Lage König Friedrich Wilhelm der Befreiung Deutſchlands einen Theil ſeiner polniſchen Anſprüche, die er ſelbſt als eine Laſt für Preußen anſah. Er gewann dafür jenes weſtliche Stück Polens, deſſen ſein Staat nicht entbehren konnte, und eine feſte Zuſage vollſtändiger Entſchädigung in Deutſchland ein Verſprechen das Czar Alexander ritterlich gehalten hat. Daß der Vertrag weder die künftige Oſtgrenze noch die norddeutſchen Entſchädigungslande beſtimmt bezeichnete, war für Preußen ſehr nachtheilig, aber ganz unvermeidlich; wer wußte denn in jenem Augenblicke, welche Lande das gute Schwert der Verbün - deten erobern würde? Um Preußen nicht allein mit unſicheren Hoffnun - gen abzuſpeiſen, wurde nachher zwiſchen den beiden Verbündeten der Grundſatz mündlich vereinbart und auch thatſächlich ausgeführt, daß alle altpreußiſchen Gebiete in Deutſchland, die man zurück eroberte, ſofort wieder unter preußiſche Verwaltung geſtellt werden ſollten.

Aus dem Kaliſcher Bunde erwuchs eine ſehr feſte Intereſſengemein - ſchaft der beiden Höfe. Je weiter die Waffen der Verbündeten weſtwärts drangen, je mehr deutſches Gebiet zur Entſchädigung Preußens frei ward, um ſo gewiſſer mußte Rußland ſeine polniſchen Anſprüche ſteigern; das ließ ſich nach den Ueberlieferungen der ruſſiſchen Politik nicht anders er - warten und billigerweiſe auch nicht tadeln, nach einem Siegeszuge, der die Fahnen Rußlands von der Moskwa bis zum Rheine führte. Nicht allein die beredten Mahnungen des Freiherrn vom Stein wie hoch man auch ihren Einfluß auf Alexanders erregbaren Sinn anſchlagen mag auch nicht allein die ſtolzen Träume der Weltbefreiung, ſondern zu allermeiſt ſeine polniſchen Pläne beſtimmten den Czaren, den deutſchen Krieg mit Nachdruck zu führen: er kämpfte am Rhein für ſeine polniſche Eroberung, wurde durch ſein eigenſtes Intereſſe ein treuer Verbündeter der deutſchen Patrioten. Der faule Fleck des Kaliſcher Vertrages lag allein in jenen Plänen der Wiederherſtellung Polens, welche der Czar425Folgen des Kaliſcher Vertrags.ſeinem preußiſchen Freunde beharrlich verſchwieg. Dieſe Hinterhaltigkeit Alexanders erſcheint nicht nur ſehr häßlich neben der treuherzigen Offen - heit Friedrich Wilhelms; ſie erwies ſich auch bald als ein politiſcher Fehler, denn ſie erſchütterte, als das Geheimniß endlich an den Tag kam, das Vertrauen zwiſchen den beiden Mächten, brachte das preußiſch-ruſſiſche Bündniß eine Zeit lang ins Schwanken.

Die Lage Preußens blieb freilich nach wie vor dem Vertrage ſehr unſicher. Der Czar eilte das Herzogthum Warſchau ganz in Beſitz zu nehmen. Preußiſche Ingenieure und Batterien wirkten mit bei der Be - lagerung von Thorn und Modlin; dieſer polniſche Feſtungskrieg ſchwächte die für die Feldarmee verfügbaren Streitkräfte und hat, wie die preußi - ſchen Offiziere zornig bemerkten, weſentlich dazu beigetragen, daß der Frühjahrsfeldzug in Sachſen verloren ging. Alſo brachte Preußen harte Opfer für die Eroberung Polens und ſah dann ruhig mit an, wie eine von dem Czaren eingeſetzte proviſoriſche Regierung die Verwaltung des geſammten Herzogthums leitete. Die Ruſſen waren ihrer Beute ſicher, Preußen konnte nur auf die Zukunft hoffen. Ueber Deutſchlands künftige Verfaſſung ging man vorläufig mit Stillſchweigen hinweg, da Alexander bereits wußte, daß weder Oeſterreich noch England noch Schweden mit Hardenbergs dualiſtiſchen Plänen einverſtanden war. Auch die Beſtim - mungen des Vertrags über die militäriſchen Leiſtungen der Verbündeten brachten dem preußiſchen Staate ſchweren Nachtheil. Die Regierung konnte im Februar ſelbſt noch nicht überſehen, welche gewaltigen Streit - kräfte der unvergleichliche Opfermuth der Nation entfalten würde; ſie war hochherzig entſchloſſen das Größte zu thun, wollte aber nicht mehr ver - ſprechen als was ſie ſicher leiſten könnte. Czar Alexander dagegen ſchätzte ſeine Feldarmee faſt auf das Vierfache ihrer augenblicklichen Stärke, theils weil er als die führende Macht der Coalition erſcheinen wollte, theils weil er im Rauſche ſeines Caeſarenſtolzes ſich ſelber täuſchte; man weiß bei ihm niemals recht, wo der Selbſtbetrug aufhört und der Betrug be - ginnt. Freund und Feind glaubte noch ſeinen Uebertreibungen; zu An - fang Februars, in einer Unterredung mit Kneſebeck, rechnete Metternich, Preußen werde wohl die 150,000 Ruſſen durch 50 oder 60,000 Mann ver - ſtärken können. Die Kaliſcher Vereinbarung verpflichtete Rußland 150,000 Mann, Preußen 80,000 Mann ins Feld zu ſtellen. Die wirklichen Streit - kräfte der beiden Verbündeten aber ſtanden lange im umgekehrten Verhält - niß; Preußen leiſtete von vornherein weit mehr als der Vertrag bedang, Ruß - lands Feldarmee erreichte erſt gegen den Herbſt die vertragsmäßige Stärke. Hardenberg legte beim Abſchluß der Verhandlung geringen Werth auf jene Ziffern, doch ſie bildeten bei den ſpäteren Verträgen mit England den Maßſtab für die Subſidien; ſie wurden alſo für die ohnedies zerrütteten Finanzen Preußens ſehr ſchädlich und ſie erregten in der diplomatiſchen Welt den Glauben, als ob Preußen nur die Hilfsmacht Rußlands ſei.

426I. 4. Der Befreiungskrieg.

Allerhand geringfügige Umſtände haben dieſen ſchlimmen Schein ge - fördert. Das ruſſiſche Heer glänzte von jeher durch eine Ueberzahl mit Orden beladener Generale; das verarmte Preußen ließ ſeine Brigaden durch Oberſten, ſeine Regimenter durch Majore führen; daher fiel, wenn ein Zuſammenwirken der Alliirten nöthig ward, der Oberbefehl faſt immer in ruſſiſche Hände. Auch die ſchüchterne Zurückhaltung des Königs, der ſo willig neben der glänzenden Erſcheinung des Czaren verſchwand, ja ſelbſt ſeine edle ſoldatiſche Einfachheit war für Preußens diplomatiſche Stellung nachtheilig. Welch ein Abſtand, wenn man den leichten Halb - wagen des Königs mit kleinem Gefolge daherrollen ſah, und nachher den ungeheuren Wagentroß des Czaren oder gar die vielen Tauſende von Maul - eſeln, welche das Gepäck des Kaiſers Franz mitſammt dem berüchtigten k. k. Leib-Grenadier-Streichquartett ſchleppten! Der Staat, in deſſen Heere die ſittliche Kraft des großen Krieges lag, erſchien vor den Augen der Diplomatie wie eine Macht zweiten Ranges neben den beiden Kaiſer - höfen, und in den verwickelten Verhältniſſen eines Coalitionskrieges iſt der Schein der Macht faſt ebenſo werthvoll wie die Macht ſelber.

Es war die höchſte Zeit, daß die Ungewißheit ein Ende nahm. Wäh - rend Kneſebeck in Kaliſch zauderte, geriethen die zwiſchen den kriegführen - den Parteien eingeklemmten preußiſchen Generale aus einer falſchen Stel - lung in die andere. Die Ruſſen drangen weſtwärts vor, ſehr langſam freilich, da ſich die Unzulänglichkeit ihrer Streitkräfte mit jedem Tage deutlicher herausſtellte. Erſt zu Anfang Februars erſchienen die erſten Koſaken in der Neumark. Ueberall nahm das Volk die wildfremden Bundesgenoſſen mit offenen Armen auf. Welcher Jubel, wenn der Baſch - kire ſeinen Bogen und ſeine Pfeile betaſten ließ, wenn der bärtige Koſak, den Mantel behangen mit Ehrenlegionskreuzen und den Fetzen franzöſi - ſcher Uniformen, ſeine Reiterkünſte zeigte; glückſelig jeder deutſche Junge, den die gutmüthigen Kinderfreunde auf ihren Kleppern aufſitzen ließen. Alle Welt ſang das neue Lied Schöne Minka, ich muß ſcheiden , das ein gefühlvoller Sohn der Steppe am Ufer des blauen Don gedichtet haben ſollte. Beſorgte Mütter hielten es freilich für nöthig ihre Kleinen, wenn ſie von den Fremden abgeküßt waren, in die Badewanne zu ſtecken, und als man mit den diebiſchen Neigungen dieſes Kindervolkes näher bekannt wurde, erkaltete die Begeiſterung ein wenig.

Mit Sorgen ſah York den Vormarſch der Ruſſen; er fühlte, daß man die Befreiung der Marken nimmermehr den Fremden allein überlaſſen durfte, und brach mit ſeinem Corps auf um die Weichſel zu überſchreiten. Von ähnlichen Zweifeln wurde General Bülow gepeinigt; der hatte ſich wochenlang geſchickt zwiſchen den Zumuthungen der Ruſſen und der Fran - zoſen hindurchgewunden, mitten zwiſchen den Kriegführenden ſein Reſerve - corps verſtärkt und völlig ſelbſtändig erhalten. Flehentlich bat er den König, das von Allen erſehnte befreiende Wort zu ſprechen: freiwillig427Ungewißheit in Berlin.werden die größten Opfer gebracht werden und Quellen werden ſich öffnen, die man längſt verſiegt glaubte! Als immer noch keine beſtimmte Ant - wort erfolgte, entſchloß er ſich endlich auf eigene Fauſt zu handeln, ver - abredete mit York und Wittgenſtein (22. Febr.) das gemeinſame Vorrücken gegen die Oder. Auch General Borſtell, ein geſtrenger Mann der alten militäriſchen Schule und abgeſagter Feind der Scharnhorſtiſchen Refor - men, begann am Ende einzuſehen, daß der blinde Gehorſam in ſolcher Lage nicht mehr ausreichte; auch er beſchwor den König: laſſen Sie uns los, ſchrieb nach England um Geld und Waffen und zeigte ſchließlich (27. Febr.) dem Monarchen an, er breche jetzt mit ſeinen Pommern in die Neumark auf um mit York und Bülow vereinigt gegen die Haupt - ſtadt vorzugehen. In denſelben Tagen kehrte Gneiſenau zur See aus England heim, hielt ſeinen fröhlichen Einzug in Kolberg, der Wiege ſeines Ruhms, feſt entſchloſſen die Truppen gradeswegs gegen den Feind zu führen. Noch nie war die Mannszucht des Heeres auf ſchwerere Proben geſtellt worden; Alle empfanden es wie eine Erlöſung, als endlich York aus Breslau den Befehl erhielt ſich an Wittgenſtein anzuſchließen und bald darauf öffentlich von aller Schuld freigeſprochen wurde. Am 2. März überſchritt Wittgenſtein die Oder, am 10. folgten die Preußen. Das Kriegsbündniß trat in Kraft.

Und welcher Wirrwarr unterdeſſen in der Hauptſtadt! Da ſaß noch immer Goltz mit ſeiner unglücklichen Regierungscommiſſion, noch immer ohne jede Kenntniß von den Plänen des Staatskanzlers, unabläſſig be - müht durch ſtrenge Verbote die Zuſammenrottungen und Aufläufe in der krampfhaft erregten Stadt niederzuhalten. Der ängſtliche Mann wußte ſich kaum mehr zu helfen als der Aufruf an die freiwilligen Jäger er - ſchien. Einzelne Vorwitzige fragten wohl: für und gegen wen? Die un - geheure Mehrzahl durchſchaute ſofort was der König meinte, in dichten Schaaren drängten ſich die Freiwilligen herbei; der Magiſtrat nahm die Sammlungen für die unbemittelten Krieger in ſeine Hand; Tauſende junger Männer gaben den letzten Linientruppen, die aus Berlin nach Schleſien abzogen, unter kriegeriſchen Geſängen das Geleite. Am 20. Fe - bruar ſprengte ein kleiner Trupp Koſaken durch die öſtlichen Thore herein. Mehrere Deutſche hatten ſich angeſchloſſen; Einer davon, der junge Alexan - der von Blomberg fiel hier als des deutſchen Krieges erſtes Opfer. Mit Mühe wurden die Maſſen von einem unzeitigen Straßenkampf abgehalten. Napoleon begann erſt ernſtlich beſorgt zu werden als er von der Bildung der Jägerdetachements hörte; ſofort befahl er ſeinem Stiefſohne, der den Oberbefehl im Nordoſten führte, keine weiteren Aushebungen in Preußen mehr zu dulden: die Stellung in den Marken ſollte mit aller Kraft be - hauptet, Berlin nöthigenfalls verbrannt werden. In der That war Eugen Beauharnais noch ſtark genug um den Streitkräften Wittgenſteins und der drei vereinigten preußiſchen Generale die Spitze zu bieten. Aber den428I. 4. Der Befreiungskrieg.Soldaten brannte der Boden unter den Füßen, das dumpfe Getöſe dieſer grollenden Volksbewegung ſchlug ſie mit Schrecken; ſie rechneten, bald werde Berlin mehr bewaffnete Preußen zählen als Franzoſen. Am 4. März räumte der Feind die Hauptſtadt, und die nachſetzenden Ruſſen lieferten ihm noch am Thore ein Gefecht. Am 11. hielt Wittgenſtein ſeinen Ein - zug, am 17. ritt der Mann von Tauroggen die Linden entlang, ſtreng und finſter ſchweifte ſein Blick über die hoch aufjubelnden Maſſen. Am nämlichen Tage nahm Leutnant Bärſch mit ſeinen Koſaken die Schlüſſel von Hamburg in Empfang; gleich darauf beſetzte der luſtige Huſar Tet - tenborn, der unterwegs die mecklenburgiſchen Fürſten zum Anſchluß an die Coalition bewogen hatte, die alte Hanſeſtadt mit ſeinen leichten Trup - pen, und das freudetrunkene Volk riß die verfluchten franzöſiſchen Aas - vögel von den Mauern herunter. Einige Wochen lang blieben die Deut - ſchen in dem frohen Glauben, die Lande bis zur Elbe ſeien ohne Schwert - ſtreich befreit.

Den franzöſiſchen Geſandten hielt der Staatskanzler immer noch mit freundlichen Worten hin; je länger der offene Bruch ſich hinausſchob, um ſo ſicherer konnte die Ausrüſtung der Linien-Armee vollendet werden. St. Marſan war dem Hoflager nach Breslau gefolgt und ließ ſich nach einigen Verwahrungen ſogar über den Aufruf vom 3. Februar beruhigen, da Hardenberg ihm nachwies, daß der mittelloſe Staat ohne die freiwilli - gen Opfer ſeiner Bürger nicht beſtehen könne. Er ſah noch mit an, wie die Schaaren der Freiwilligen aus allen Provinzen in der ſchleſiſchen Hauptſtadt eintrafen, wie der König, um der herzerhebenden allgemei - nen Aeußerung treuer Vaterlandsliebe ein äußeres Kennzeichen zu geben, das Tragen der Nationalkokarde anordnete und dann an Luiſens Todestage ſeinen alten Plan, die Stiftung des eiſernen Kreuzes, aus - führte. Der Wohlmeinende wollte nicht glauben, daß dies kleine Preußen den lächerlich ungleichen Kampf wagen könne, und reiſte erſt ab als mit dem Einzuge des Czaren in Breslau (15. März) jede Täuſchung unmög - lich wurde. Noch beim Abſchied beſchwor er den Staatskanzler, dieſen Fürſten und dies Land, die er lieb gewonnen, nicht ins Verderben zu ſtürzen; alle dieſe Knaben und Jünglinge würden den König gegen die Uebermacht ſeines Kaiſers nicht ſchützen. Am 16. März erfolgte die Kriegserklärung.

Am folgenden Tage unterzeichnete Friedrich Wilhelm das Landwehrge - ſetz und den Aufruf an Mein Volk . Es war die Rückkehr zur Wahrheit und zum freien Handeln, wie Schleiermacher in einer freudevollen Predigt ſagte. Das treue Volk athmete auf, da nun endlich jeder Zweifel ſchwand, die allzu harte Prüfung der Geduld und des Gehorſams vorüber war. So hatte noch nie ein unumſchränkter Herrſcher zu ſeinem Lande geredet. Ein Hauch der Freiheit, wie er einſt die äſchyleiſchen Kriegslieder der Hellenenſöhne erfüllte, wehte durch die ſchlichten, eindringlichen Worte,429Der Aufruf an Mein Volk.die der geiſtvolle Hippel in guter Stunde entworfen hatte. Mit herz - lichem Vertrauen rief der König ſeine Brandenburger, Preußen, Schleſier, Pommern und Litthauer bei ihren alten Stammesnamen an und entbot ſie zum heiligen Kampfe: Keinen anderen Ausweg giebt es, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Untergang. Auch dieſem würdet Ihr getroſt entgegengehen, weil ehrlos der Preuße und der Deutſche nicht zu leben vermag! Und nun ſtand es auf, das alte waffengewaltige Preußen, das Volk der Slavenkämpfe, der Schwedenſchlachten und der ſieben Jahre, und ihm geſchah wie jenem Helden der germaniſchen Sage, der beim Anblick ſeiner Feſſeln ſo in heißem Zorn entbrannte, daß die Ketten ſchmolzen. Kein Zweifel, kein Abwägen der Uebermacht des Feindes; Alle dachten wie Fichte: Nicht Siegen oder Sterben ſoll unſere Loſung ſein, ſondern Siegen ſchlechtweg! Mag Napoleon noch ſo oft Schlachten gewinnen ſchrieb Scharnhorſt die ganze Anlage des Krieges iſt ſo, daß im Verlaufe dieſes Feldzugs uns ſowohl die Ueberlegenheit als der Sieg nicht entgehen kann. Schon der Aufruf vom 3. Februar hatte Erfolge, welche Niemand außer Scharnhorſt für möglich gehalten. Es war der ſtolzeſte Augenblick in Scharnhorſts Leben, als er den König einſt in Breslau ans Fenſter führte und ihm die jubelnden Schaaren der Freiwilligen zeigte, wie ſie in maleriſchem Gewimmel, zu Fuß, zu Roß, zu Wagen, ein endloſer Zug, ſich an den alten Giebelhäuſern des Ringes vorüberdrängten. Dem Könige ſtürzten die Thränen aus den Augen. Treu und gewiſſenhaft hatte er ſeines ſchweren Amtes gewartet in dieſer langen Zeit der Leiden und oftmals richtiger gerechnet als die Kriegspartei; was ihm fehlte, war der frohe Glaube an die Hingebung ſeiner Preußen, jetzt fand er ihn wieder.

Seit dem 17. März traten auch die breiten Maſſen des Volkes in das Heer ein. Durch den Wetteifer aller Stände wurde die größte kriegeriſche Leiſtung möglich, welche die Geſchichte von geſitteten Nationen kennt. Dies verarmte kleine Volk verſtärkte die 46,000 Mann der alten Linienarmee durch 95,000 Rekruten und ſtellte außerdem über 10,000 frei - willige Jäger, ſowie 120,000 Mann Landwehr, zuſammen 271,000 Mann, einen Soldaten auf ſiebzehn Einwohner, unvergleichlich mehr, als Frank - reich einſt unter dem Drucke der Schreckensherrſchaft aufgeboten hatte das Alles noch im Verlaufe des Sommers, ungerechnet die ſtarken Nach - ſchübe, welche ſpäterhin zum Heere abgingen. Natürlich, daß die ent - laſſenen Offiziere ſich ſofort herbeidrängten, um die Ehre ihrer alten Fahnen wiederherzuſtellen. Sobald General Oppen auf ſeinem mär - kiſchen Landgute von dem Anrücken des vaterländiſchen Heeres hörte, nahm er ſeinen alten Säbel von der Wand und ritt, wie ein Rittersmann in den Tagen der Wendenkriege, mit einem Knechte ſpornſtreichs hinüber zu ſeinem alten Waffengefährten Bülow. Der ſtellt den herculiſchen Mann mit den blitzenden Augen lachend ſeinen Offizieren vor: Das430I. 4. Der Befreiungskrieg.iſt Einer, der das Einhauen verſteht überträgt ihm den Befehl über die Reiterei, und einmal bei der Arbeit, bleibt der Wildfang fröhlich da - bei, ein unerſättlicher Streiter, bis zum Einzuge in Paris.

Neben den alten Soldaten empfand die gebildete Jugend den Ernſt der Zeit am Lebhafteſten; in ihr glühte die ſchwärmeriſche Sehnſucht nach dem freien und einigen deutſchen Vaterlande. Kein Student, der irgend die Waffen ſchwingen konnte, blieb daheim; vom Katheder hinweg führte Profeſſor Steffens nach herzlicher Anſprache ſeine geſammte Hörer - ſchaft zum Werbeplatze der freiwilligen Jäger. Der König rief auch ſeine verlorenen alten Provinzen zu den Fahnen: Auch Ihr ſeid von dem Augenblicke, wo mein treues Volk die Waffen ergriff, nicht mehr an den erzwungenen Eid gebunden. Da aber eine Maſſenerhebung in den un - glücklichen Landen vorerſt noch ganz unmöglich war, ſo eilten mindeſtens die Oſtfrieſen und Markaner von der Göttinger Univerſität zu den preu - ßiſchen Regimentern, desgleichen die geſammte Studentenſchaft aus dem treuen Halle, das unter weſtphäliſcher Herrſchaft die Erinnerungen an den alten Deſſauer und die gute preußiſche Zeit nicht vergeſſen hatte. Derſelbe Geiſt lebte in den Schulen. Aus Berlin allein ſtellten ſich 370 Gymna - ſiaſten. Mancher ſchwächliche Junge irrte betrübt, immer wieder abgewieſen, von einem Regimente zum andern, und glücklich wer, wie der junge Vogel von Falkenſtein, zuletzt doch noch von einem nachſichtigen Commandeur angenommen wurde. Die Beamten meldeten ſich ſo zahlreich zum Waffen - dienſte, daß der König durch ein Verbot den Gerichten und Regierungen die unentbehrlichen Arbeitskräfte ſichern mußte; in Pommern waren die königlichen Behörden während des Sommers nahezu verſchwunden, jeder Kreis und jedes Dorf regierte ſich ſelber, wohl oder übel.

Aber auch der geringe Mann hatte in Noth und Plagen die Liebe zum Vaterlande wiedergefunden: ſtürmiſch, wie nie mehr ſeit den Zeiten der Religionskriege, war die Seele des Volkes bewegt von den großen Leidenſchaften des öffentlichen Lebens. Der Bauer verließ den Hof, der Handwerker die Werkſtatt, raſch entſchloſſen, als verſtünde ſichs von ſelber: die Zeit war erfüllet, es mußte ſein. War doch auch der König mit allen ſeinen Prinzen ins Feldlager gegangen. In tauſend rührenden Zügen bekundete ſich die Treue der kleinen Leute. Arme Bergknappen in Schleſien arbeiteten wochenlang unentgeltlich, um mit dem Lohne einige Kameraden für das Heer auszurüſten; ein pommerſcher Schäfer verkaufte die kleine Heerde, ſeine einzige Habe, und ging dann wohlbewaffnet zu ſeinem Regimente. Mit Verwunderung ſah das alte Geſchlecht alle jene herzerſchütternden Auftritte, woran der Ernſt der allgemeinen Wehrpflicht uns Nachlebende längſt gewöhnt hat: Hunderte von Brautpaaren traten vor den Altar und ſchloſſen den Bund für das Leben, einen Augenblick bevor der junge Gatte in Kampf und Tod hinauszog. Nur die Polen in Weſtpreußen und Oberſchleſien theilten die Hingebung der Deutſchen431Die Volkserhebung.nicht; auch in einzelnen Städten, die bisher vom Heerdienſte frei geweſen, ſtießen die neuen Geſetze auf Widerſtand. Das deutſche und litthauiſche Landvolk der alten Provinzen dagegen war ſeit dem geſtrengen Friedrich Wilhelm I. mit der Wehrpflicht vertraut. Zugleich wurden überall öffent - liche Sammlungen veranſtaltet, wie ſie bisher nur für wohlthätige Zwecke üblich waren: dies arme Viertel der deutſchen Nation brachte mit der Blüthe ſeiner männlichen Jugend auch die letzten kargen Reſte ſeines Wohlſtandes zum Opfer für die Wiederauferſtehung des Vaterlandes. Von baarem Gelde war wenig vorhanden, aber was ſich noch auftreiben ließ von altem Schmuck und Geſchmeide ging dahin. In manchen Strichen der alten Provinzen galt es nach dem Kriege als eine Schande, wenn ein Haushalt noch Silberzeug beſaß. Kleine Leute trugen ihre Trauringe in die Münze, empfingen eiſerne zurück mit der Inſchrift: Gold für Eiſen; manches arme Mädchen gab ihr reiches Lockenhaar als Opfer.

Eine wunderbare, andächtige Stille lag über dem in allen ſeinen Tiefen aufgeregten Volke. Den Lärm der Preſſe und der Vereine kannte die Zeit noch nicht; aber auch im vertrauten Kreiſe wurde ſelten eine prahleriſche Rede laut. In den Tagen ihres häuslichen Stilllebens hatten die Deutſchen gern überſchwänglichen Ausdruck an nichtigen Gegenſtand verſchwendet; jetzt ward das Leben ſelber reich und ernſt, Jeder empfand die Größe der That, die Armuth des Wortes. Jeder fühlte, wie Niebuhr geſtand, ſtill die Seligkeit, mit ſeinem ganzen Volke, den Gelehrten und den Einfältigen, daſſelbe Gefühl zu theilen , und Allen ward liebend, friedlich und ſtark zu Muthe . Recht nach dem Herzen ſeines Volkes hatte Friedrich Wilhelms frommer Sinn den Wahlſpruch mit Gott für König und Vaterland der Landwehr gegeben und angeordnet, daß die ausgehobenen Wehrmänner vom Sammelplatze ſogleich zu einer kirch - lichen Feier geführt wurden. In jeder Kirche des Landes ſollte eine Gedächtnißtafel die Namen der ruhmvoll gefallenen Söhne der Gemeinde bewahren. Schwer hatte die Hand des lebendigen Gottes auf den Bil - dungsſtolzen gelaſtet; ergeben und erhoben blickte dies neue Geſchlecht wieder mit feſtem Vertrauen zu dem alten deutſchen Gott empor und hoffte mit ſeinem Dichter:

Wer fällt, der kanns verſchmerzen,
Der hat das Himmelreich.

Als die erſten Freiwilligen nach Breslau zogen, ſangen ſie noch das Reiterlied der Wallenſteiner. Bald aber ſchuf ſich das Heer ſeine eigenen Geſänge. Unverſieglich wie einſt den frommen Landsknechten floß den neuen Wehrmännern der Quell der Lieder. Beim Ausmarſch klang es: Die Preußen haben Alarm geſchlagen! und dann ſchlang ſich ein dichter Kranz kunſtloſer Volksweiſen um jedes Erlebniß des langen Krieges,432I. 4. Der Befreiungskrieg.bis zuletzt der fröhliche Zapfenſtreich: Die Preußen haben Paris genom - men! noch einmal ein Zeugniß gab von der kriegsmuthigen und doch zugleich tief innerlich friedfertigen Stimmung dieſes Volkes in Waffen.

Alsbald ward es auch auf den Höhen des deutſchen Parnaſſes le - bendig. Nur der alte Goethe wollte ſich zu der neuen Zeit kein Herz faſſen; verſtimmt und hoffnungslos zog er ſich von dem kriegeriſchen Treiben zurück und meinte: Schüttelt nur an Euren Ketten; der Mann iſt Euch zu groß! Doch wer ſonſt im Norden dichteriſches Feuer in den Adern fühlte, jauchzte auf beim Anbruch ſeines Vaterlandes , wie Fichte ſagte. Was politiſch gereifte Völker in der Preſſe, in Reden und publiciſtiſchen Abhandlungen ausſprechen, gewann in dieſem Geſchlechte, dem die Dichtung noch immer die Krone des Lebens war, ſofort poetiſche Geſtalt; und ſo entſtand die ſchönſte politiſche Poeſie, deren irgend ein Volk ſich rühmen kann eine Reihe von Gedichten, an denen wir Nachkommen uns verſündigen würden, wenn wir dies Vermächtniß einer Heldenzeit jemals blos mit äſthetiſchen Blicken betrachteten. An Kleiſts mächtige Geſtaltungskraft reichten die Dichter des Befreiungskrieges nicht heran; wer aber in der Poeſie den Herzenskündiger der Nationen ſieht, wendet ſich gleichwohl von jenen dämoniſchen Klängen des Haſſes auf - athmend hinweg zu den hellen und friſchen Liedern, welche die Freude des offenen Kampfes gebar. Welch ein Segen doch für unſer Volk, daß ſein gepreßtes Herz wieder froh aufjubeln durfte, daß nach langem, dumpfem Harren und Grollen wieder der Eidſchwur freier Männer zum Himmel ſtieg:

Und hebt die Herzen himmelan
Und himmelan die Hände,
Und ſchwöret Alle, Mann für Mann:
Die Knechtſchaft hat ein Ende!

Freudig wie die Signale der Flügelhörner tönten Fouqués Verſe: Friſchauf zum fröhlichen Jagen! und in Arndts Liede: Was blaſen die Trompeten? Huſaren heraus! klang das ſchmetternde Marſch! Marſch! der deutſchen Reiter wieder. Keiner hat den Sinn und Ton jener ſchwärmeriſchen Jugend glücklicher getroffen als der ritterliche Jüngling mit der Leier und dem Schwerte, Theodor Körner. Jetzt zeigte ſich erſt ganz, was Schillers Muſe den Deutſchen war. Ihr hohes ſittliches Pathos ſetzte ſich um in patriotiſche Leidenſchaft, ihre ſchwungvolle Rhe - torik ward das natürliche Vorbild für die Jünglingspoeſie dieſes Krieges. Der Sohn von Schillers Herzensfreunde erſchien dem jungen Geſchlechte als der Erbe des großen Dichters wie er ſo ſiegesfroh mit den Lützower Jägern in den Kampf hinausritt, ganz durchglüht von deut - ſchem Freiheitsmuthe, ganz unberührt von den kleinen Sorgen des Lebens, wie er auf jeder Raſt und jeder Beiwacht ſeine feurigen Lieder von der Herrlichkeit des Krieges dichtete und endlich, den Sang von der Eiſen -433Die patriotiſche Dichtung.braut noch auf den Lippen, durch einen tapferen Reitertod den heiligen Ernſt ſeiner Reden bezeugte in Wort und That ein rechter Vertreter jener warmherzigen Männlichkeit, welche die begabten Oberſachſen aus - zeichnet, wenn ſie ſich nur erſt losgeriſſen haben aus der zahmen Schüch - ternheit ihres heimathlichen Lebens.

Friſchauf, mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht

mit dieſen Worten hat Körner ſelbſt den Urſprung und Charakter der großen Bewegung geſchildert. Sie blieb durchaus auf den deutſchen Norden beſchränkt. Wohl war die Lützow’ſche Freiſchaar ausdrücklich zur Aufnahme von Nicht-Preußen beſtimmt, in ihr ſollte ſich der Gedanke der Einheit Deutſchlands verkörpern. Mancher junge Mann aus den Kleinſtaaten meldete ſich im Scepter zu Breslau, wo die Lützower ihren Werbeplatz aufgeſchlagen hatten; auch zwei ſüddeutſche Poeten, Rückert und Uhland, ſtimmten mit ein in den lauten Chor der patriotiſchen Dich - tung. Die Maſſe des Volkes jedoch außerhalb Preußens empfand von dem Heldenzorne dieſes Krieges wenig. Steins Hoffnungen auf eine ein - müthige Erhebung der Nation erwieſen ſich als irrig. Nur in den vor - mals preußiſchen Provinzen und in einzelnen, unmittelbar von den Na - poleoniden beherrſchten Strichen des Nordweſtens ſtand das Volk frei - willig auf, ſobald die Heerſäulen der Befreier nahten; überall ſonſt erwartete man geduldig den Befehl des Landesherrn und die Macht der vollendeten Thatſachen. Die Mecklenburger Herzöge ſchloſſen ſich den altbefreundeten preußiſchen Nachbarn an; ein weimariſches Bataillon ließ ſich gleich beim Anbruche des Krieges von den Preußen gefangen nehmen, um nachher, wie die tapferen Strelitzer Huſaren, in das York’ſche Corps einzutreten. Alle anderen Rheinbündner folgten dem Befehle des Pro - tectors, die meiſten noch mit dem ganzen Feuereifer napoleoniſcher Lands - knechtsgeſinnung. Der deutſche Befreiungskrieg war in ſeiner erſten, ſchwereren Hälfte ein Kampf Preußens gegen die von Frankreich beherrſchten drei Viertel der deutſchen Nation.

Wie einſt der Beginn der modernen deutſchen Staatenbildung, ſo ging auch die Wiederherſtellung der nationalen Unabhängigkeit allein vom Norden aus. Die neuen politiſchen und ſittlichen Ideale der erregten Jugend trugen das Gepräge norddeutſcher Bildung; der alte deutſche Gott, zu dem ſie betete, war der Gott der Proteſtanten, all ihr Thun und Denken ruhte, bewußt oder unbewußt, auf dem ſittlichen Grunde der ſtrengen Kantiſchen Pflichtenlehre. Es wurde folgenreich für lange Jahrzehnte der deutſchen Geſchichte, daß doch nur die norddeutſchen Stämme wirklichen Antheil hatten an den ſchönſten Erinnerungen dieſes neuen Deutſchlands, während der Süden erſt zwei Menſchenalter ſpäter des Glückes theilhaftig ward, für das große Vaterland zu kämpfen und zu ſiegen.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 28434I. 4. Der Befreiungskrieg.

Bald genug zeigte ſich die prophetiſche Wahrheit, die in den harten Worten Fichtes lag: Auch im Kriege wird ein Volk zum Volke; wer dieſen Krieg nicht mitführt, kann durch kein Decret dem deutſchen Volke einverleibt werden. Das neue Preußen, ſein Staat und ſein Heer, hatte ſich gebildet im bewußten Gegenſatze zu allem ausländiſchen Weſen; die Staaten des Südens verdankten der Herrſchaft Frankreichs ihr Daſein, ihre Inſtitutionen, ihre militäriſchen Erinnerungen; darum war im Norden die Liebe zum Vaterlande ein ſtarkes, ſicheres nationales Gefühl, während im Süden die franzöſiſchen Ideen noch lange vorherrſch - ten und der Name Deutſchland nur ein leeres Wort blieb. Wohl ſchlug ſich der kurmärkiſche Bauer und der ſchleſiſche Weber nur für Weib und Kind und für ſeinen angeſtammten König; aber die Blücher, York und Bülow, die er als ſeine Preußenhelden ehrte, waren doch wirklich die Helden des neuen Deutſchlands. Der ſüddeutſche Landmann wußte nichts von ihnen. Und etwas von den deutſch-patriotiſchen Gedanken, welche die bewaffnete Jugend der gebildeten Stände erfüllten, drang doch allmählich bis in die niederen Schichten des preußiſchen Volkes herab. Jener demokratiſche Zug, der ſeit der Befeſtigung der abſoluten Monarchie im preußiſchen Staate lebendig war, verſtärkte ſich mächtig während dieſes Krieges. Wie vormals die gemeinſame Freude an den Werken der deutſchen Dichtung die Unterſchiede der Stände etwas ausgeglichen hatte, ſo fanden ſich jetzt alle Klaſſen zuſammen in der ungleich wirkſameren Gemeinſchaft poli - tiſcher Pflichterfüllung. Die Geſchäfte der Landwehr-Ausſchüſſe, die Uebun - gen des Landſturms, die öffentlichen Sammlungen und die Liebesarbeit in den Hoſpitälern brachten auch die Daheimgebliebenen einander näher; der ſchroffe Junker lernte mit den Bürgersleuten der Kreisſtadt freund - nachbarlich zu verkehren; wer in dieſer Zeit ſich hervorgethan, blieb ſein Leben lang ein geachteter Mann.

Vollends das Heer verwuchs zu einer großen Gemeinde, und nach dem Frieden lebte die alte treue Waffenbrüderſchaft in den Vereinen und Feſten der Kameraden fort. Das eigenthümliche ſcharfe und ſchneidige Weſen der fridericianiſchen Armee blieb erhalten, desgleichen das ſtolze Gefühl ariſtokratiſcher Standesehre unter den Offizieren. Aber die alten Berufsſoldaten mußten ſich gewöhnen mit den gebildeten jungen Mann - ſchaften ruhig und freundlich umzugehen. Grade die Beſten unter ihnen erkannten willig an, wie viel geſunde Kraft dem Offizierscorps aus den Reihen der freiwilligen Jäger zuſtrömte; mit herzlicher Freude lobte Gnei - ſenau die jungen Freiwilligen: es wird mir ſchwer mich der Thränen zu enthalten, wenn ich dieſen Edelmuth, dieſen hohen deutſchen Sinn ge - wahr werde. Da die Hauptmaſſe der Freiwilligen aus Studenten und ſtudirten Leuten beſtand, ſo behauptete der jugendliche Ton akademiſcher Fröhlichkeit auch im Feldlager ſein Recht, nur daß er ſich der ſtrengen Mannszucht fügen mußte. Wie oft haben die Lützower Jäger den Landes -435Norddeutſcher Charakter der Bewegung.vater geſungen; das alte Lied war ihnen jetzt doppelt theuer, da ſie in vollem, heiligem Ernſt ihr gutes Schwert zum Hüter weihten für das Vaterland, das Land des Ruhmes. Die jungen Freiwilligen wurden wirklich, wie Scharnhorſt vorausgeſagt, die beſten Soldaten; die Haltung der geſammten Mannſchaft ward freier und geſitteter durch den Verkehr mit den gebildeten jungen Männern. Auch der rohe Bauerburſch lernte einige von den ſchwungvollen Liedern der Freiwilligen. Als dann die Zeit der Siege kam und die Preußen immer wieder in befreite deutſche Städte ihren jubelnden Einzug hielten, als endlich der deutſche Rhein zu den Füßen der Sieger lag, da ahnte ſelbſt der geringe Mann, daß er nicht blos für ſeine heimathliche Hofſtatt focht. Der Gedanke des Vaterlandes ward lebendig in den tapferen Herzen, die Preußen fühlten ſich ſtolz als die Vorkämpfer Deutſchlands. Seit Cromwells eiſernen Dragonern hatte die Welt nicht mehr ein Heer geſehen, das ſo durchdrungen war von heiligem ſittlichem Ernſt, und es war nicht wie jene eine fanatiſche Partei, ſondern ein ganzes Volk. Alle die alten trennenden Gegenſätze des politiſchen Lebens verſchwanden in dem Einmuth dieſes Kampfes: Marwitz, der abgeſagte Gegner der Volksheere, übernahm willig den Be - fehl über eine Landwehrbrigade, hatte ſeine Luſt an dem feſten Muthe ſeiner märkiſchen Bauern.

Alle die heißen Leidenſchaften, die nur ein mannhaftes Volk zum höchſten Wagen entflammen können, waren erwacht, und doch blieb die ungeheure Bewegung in den Schranken der Geſittung. Nichts von jenem finſteren kirchlich-nationalen Fanatismus, der die Erhebung der Ruſſen und der Spanier ſo unheimlich erſcheinen ließ. Dies junge Deutſch - land, das jetzt mit flammenden Augen ſeine Speere ſchütterte, trug die Kränze der Kunſt und Wiſſenſchaft auf ſeinem Scheitel, und mit gerech - tem Stolze durfte Boeckh am Ausgang dieſes ſchlachtenreichen Sommers rufen: ſiehe hier iſt Germanien mit Waffen ſo gut wie mit Gedanken gerüſtet! Die dieſen Kampf mit Bewußtſein führten, fühlten ſich auser - wählt durch Gottes Gnade, das Reich der Argliſt und der ideenloſen Ge - walt zu zerſtören, einen dauerhaften Frieden zu begründen, der allen Völkern wieder erlauben ſollte nach ihrer eigenen Art, in ſchönem Wett - eifer ſich ſelber auszuleben. Der deutſche Krieg galt der Rettung der alten nationalen Formen der abendländiſchen Cultur, und als er ſieg - reich zu Ende ging, ſagte der Franzoſe Benjamin Conſtant: die Preußen haben das menſchliche Angeſicht wieder zu Ehren gebracht!

Ueber die künftige Verfaſſung des befreiten Deutſchlands hatte dies kindlich treuherzige Geſchlecht freilich noch nicht nachgedacht. War nur erſt Alles was in deutſcher Zunge ſprach wieder beiſammen, ſo konnte es ja gar nicht fehlen, daß ein ſtarkes, einiges, volksthümlich freies Reich ſich wieder erhob. Nach den Mitteln und Wegen fragte Niemand, jeder Zweifler wäre des Kleinmuths bezichtigt worden. Der Krieg, allein der28*436I. 4. Der Befreiungskrieg.Krieg nahm Aller Gedanken in Anſpruch. Außer jenen rohen Schmäh - ſchriften wider den Feind, welche in keinem ſchweren Kriege fehlen, er - ſchienen in jenem Frühjahr nur ſolche politiſche Schriften, die unmittel - bar auf die Erregung der Kampfluſt berechnet waren: ſo Arndts köſtliche Büchlein und Pfuels Erzählung von dem Rückzuge der Franzoſen aus Rußland, die erſte getreue Darſtellung der großen Kataſtrophe, ein kleines Buch von mächtiger Wirkung. Auch die einzige norddeutſche Zeitung, welche eine beſtimmte politiſche Richtung verfolgte, Niebuhrs Preußiſcher Cor - reſpondent, befaßte ſich nicht näher mit den großen Fragen der deutſchen Zukunft.

Nur Fichte wollte und mußte ſich Klarheit verſchaffen. In der frohen Erregung dieſer hoffnungsreichen Tage war dem Philoſophen die Majeſtät des Staatsgedankens aufgegangen. Er erkannte dankbar, daß die Wieder - geburt des alten Deutſchlands doch früher erfolgte, als er einſt in ſeinen Reden angenommen, ſah mit Freuden ſeine Hörer alleſammt zum Kampfe ziehen, trat ſelber mit Säbel und Pike in die Reihen des Berliner Land - ſturms. Und da er nun mit Händen griff, welche Opfer eine geliebte und geachtete Staatsgewalt ihrem Volke zumuthen darf, lernte er größer denken von dem Weſen der politiſchen Gemeinſchaft und ſchilderte in ſeiner Staatslehre den Staat als den Erzieher des Menſchengeſchlechts zur Frei - heit: ihm ſei auferlegt die ſittliche Aufgabe auf Erden zu verwirklichen. Dann verkündete er kurz vor ſeinem Tode, in dem Fragmente einer politiſchen Schrift , zum erſten male mit voller Beſtimmtheit die Mei - nung, daß allein dem preußiſchen Staate die Führung in Deutſchland gebühre. Alle Kleinfürſten hätten immer nur ihrem lieben Hauſe gelebt, auch Oeſterreich brauche die deutſche Kraft nur für ſeine perſönlichen Zwecke. Nur Preußen iſt ein eigentlich deutſcher Staat, hat als ſolcher durchaus kein Intereſſe, zu unterjochen oder ungerecht zu ſein; der preu - ßiſche Staat iſt Deutſchlands natürlicher Herrſcher, er muß ſich erweitern zum Reiche der Vernunft, ſonſt geht er zu Grunde. Das Fragment war ein theueres Vermächtniß, das der tapferſte und einflußreichſte Lehrer der norddeutſchen Jugend ſeinen Schülern hinterließ, zugleich ein bedeutungs - volles Symptom der Ahnungen und Wünſche, welche in den Kreiſen der Patrioten gährten. Jedoch die Abſicht einzugreifen in die Politik des Tages lag dem Idealiſten fern. Er ſchrieb ſeine prophetiſchen Gedanken nur nieder damit ſie nicht untergehen in der Welt , und erſt geraume Zeit nach ſeinem Tode ſind ſie veröffentlicht worden. Für die harten Aufgaben des politiſchen Parteilebens hatte die Zeit noch gar kein Verſtändniß. Nur das eine Ziel der Vernichtung der Fremdherrſchaft ſtand den Patrioten klar und ſicher vor Augen; was darüber hinaus lag waren hochſinnige Träume, ſo unbeſtimmt, ſo geſtaltlos wie das in jenem Königsberger Winter gedichtete Lied: Was iſt des Deutſchen Vaterland?

Das ruſſiſche Hauptquartier und die Wiener Hofburg konnten ſich437Die Landwehr.nicht genug verwundern, wie unbegreiflich ſchnell das Werk der preußiſchen Rüſtungen von ſtatten ging. In Scharnhorſts Händen liefen alle Fäden des ungeheuren Netzes zuſammen, und er verfuhr nach einem feſten, ſeit Jahren durchdachten Plane. Da man raſch mit einer zahlreichen Feld - armee den Angriff beginnen wollte und überdies wünſchen mußte den bei - den anderen Oſtmächten durch die baldige Aufſtellung ſtarker Streitkräfte die Leiſtungsfähigkeit Preußens zu zeigen, ſo ergab ſich als erſte Aufgabe die Vermehrung der Linientruppen. Darum wurde ſchon ſeit dem De - cember die Bildung der Reſervebataillone betrieben und vollendet. Weſent - lich demſelben Zwecke diente das Aufgebot der freiwilligen Jäger; ſie ſollten den Stamm bilden für die Offiziere und Unteroffiziere der Armee, und in der That iſt ein großer Theil der Generale und Stabsoffiziere, welche ſpäterhin in müden Friedensjahren die Geſinnungen einer großen Zeit dem Heere erhielten, aus der Schule jener Freiwilligen hervorgegangen.

Die Einberufung der Freiwilligen ließ ſich allenfalls noch vor den Franzoſen beſchönigen ohne daß man die diplomatiſche Maske völlig ab - nahm. Sie erfolgte unter kluger Schonung der tiefeingewurzelten Vorur - theile, welche ſich der allgemeinen Dienſtpflicht noch entgegenſtemmten. Die Söhne der höheren Stände kurzab als Gemeine einzuſtellen ging ſchlechter - dings nicht an; deßhalb wurden die Freiwilligen, die ſich ſelber ausrüſte - ten, in beſondere, den Regimentern aggregirte Jägerdetachements eingereiht und durch die grüne Jägeruniform vor der Maſſe der Mannſchaft aus - gezeichnet, ſie erfuhren eine ihren Standesgewohnheiten entſprechende Be - handlung, erhielten eine beſonders ſorgfältige Ausbildung und das Recht, nach einigen Monaten ihre Offiziere ſelbſt zu wählen. Darauf erfolgte die Aufhebung aller Exemtionen und die Verordnung vom 22. Februar, die jede Umgehung der Wehrpflicht mit ſtrengen Strafen belegte. Auch dieſe Schritte konnten zur Noth noch vor dem franzöſiſchen Geſandten entſchuldigt werden. Sie erregten viel Unwillen in dem treuen Volke denn wozu der Zwang, da doch freiwillig ſo viel mehr geleiſtet wurde als der König verlangte? und doch waren ſie unerläßlich. Der Staat mußte für die Linie und die Landwehr mit Sicherheit auf alle Wehr - fähigen zählen können, auch in den Bezirken, welche geringeren Eifer zeigten.

Dann erſt, als die diplomatiſchen Verhandlungen abgebrochen, die Cadres der Linie ſchon formirt und nahezu gefüllt waren, erſchien das Landwehrgeſetz, das einer offenen Kriegserklärung gleich kam. Scharn - horſts Landwehrplan war von Haus aus in einem größeren Sinne ge - dacht als die Entwürfe des Königsberger Landtags. Auch er rechnete, wie die Oſtpreußen, zunächſt auf die Thätigkeit der Kreis - und Provinzial - ſtände, wendete die Grundſätze der neuen Selbſtverwaltung auf das Heer - weſen an. In jedem Kreiſe traten zwei ritterſchaftliche, ein ſtädtiſcher und ein bäuerlicher Deputirter zu einem Ausſchuſſe zuſammen um aus der Geſammtheit der Männer zwiſchen ſiebzehn und vierzig Jahren, die438I. 4. Der Befreiungskrieg.nicht in der Linie dienten, die Wehrmänner auszulooſen; zwei General - commiſſare, ein königlicher und ein ſtändiſcher, leiteten die Aushebung und Ausrüſtung in jeder Provinz. Die Mannſchaften trugen an Kragen und Mütze die Farben ihrer Provinz, die Offiziere die Uniform der Landſtände. Die Formation der Bataillone und Compagnien folgte ſo weit als mög - lich den Grenzen der Kreiſe und Gemeinden, dergeſtalt daß der Nachbar in der Regel mit dem Nachbarn in einem Gliede ſtand; die Offiziere bis zum Hauptmann aufwärts wurden gewählt, die Stabsoffiziere, zum Theil auf Vorſchlag der Stände, vom Könige ernannt. Gleichwohl war dieſe armée bourgeoise, wie Napoleon ſie höhnend nannte, keineswegs blos ein für die Vertheidigung der nächſten Heimath beſtimmtes Provinzial - heer. Vielmehr wurde die Landwehr auf die Kriegsartikel vereidigt und zu Allem verpflichtet, was dem ſtehenden Heere oblag; ſie war uniformirt freilich ſehr einfach, mit der Dienſtmütze und der Litewka, die ſich aus dem blauen Sonntagsrocke der Bauern leicht zurechtſchneiden ließ und der König behielt ſich vor, die einzelnen Wehrmänner oder auch ganze Batail - lone zur Feldarmee heranzurufen. Die geſammte männliche Bevölkerung bis zum vierzigſten Jahre ſollte alſo, wenn es noth that, zur Verſtärkung der offenſiven Streitkräfte des Staates dienen; die Oſtpreußen mußten auf Befehl des Königs ihren enger gedachten Entwurf abändern, ihre Landwehr ebenfalls zum Dienſte außerhalb der Provinz verpflichten. Die Mehrzahl der Mannſchaften beſtand aus Bauern und kleinen Leuten, zumal in Schleſien, wo faſt alle gebildeten jungen Leute bei den freiwil - ligen Jägern eingetreten waren. Die Offiziere waren zumeiſt Gutsbeſitzer, zum Theil auch Beamte oder junge Freiwillige, nur Wenige darunter mili - täriſch geſchult. Für die Ausrüſtung konnte der erſchöpfte Staat nur küm - merlich ſorgen; das erſte Glied des Fußvolks trug Piken, bewaffnete ſich erſt im Verlaufe des Kriegs zum Theil mit erbeuteten feindlichen Gewehren.

Monate mußten vergehen bis eine ſolche Truppe in der Feldſchlacht verwendet werden konnte. Während des Frühjahrsfeldzugs wurde die Landwehr nur nothdürftig eingeübt oder zum Feſtungskriege benutzt; erſt nach dem Waffenſtillſtande rückte ſie in größeren Maſſen ins Feld. Auch dann noch bildete die Linie, der ja alle höheren Führer und die techniſchen Truppen ausſchließlich angehörten, ſelbſtverſtändlich den feſten Kern des Heeres. Kleiſt hatte unter den 41 Bataillonen ſeines Corps 16 Land - wehrbataillone, Bülow unter der gleichen Zahl blos 12; nur in Yorks Corps überwog die Landwehr mit 24 Bataillonen unter 45. Die Wehrmänner hatten noch eine Zeit lang mit den natürlichen Untugenden ungeſchulter Truppen zu kämpfen: beim erſten Angriff hielten ſie nicht leicht Stand, wenn ein unerwartetes Bataillonsfeuer ſie in Schrecken ſetzte; kam es zum Handgemenge, dann entlud ſich die lang verhaltene Wuth der Bauern in fürchterlicher Mordgier; nach dem Siege waren ſie ſchwer wieder zu ſammeln, da ſie den geſchlagenen Feind immer bis an439Der Landſturm.das Ende der Welt verfolgen wollten. Nach einigen Wochen wurde ihre Haltung ſicherer, und gegen den Herbſt hin begann Napoleons Spott über dies Gewölk ſchlechter Infanterie zu verſtummen. Die kampfgewohnten Bataillone der Landwehr waren allmählich faſt ebenſo kriegstüchtig ge - worden wie das ſtehende Heer, wenngleich ſie mit der Disciplin und der ſtattlichen äußeren Haltung der Linientruppen nicht wetteifern konnten: eine in der Kriegsgeſchichte beiſpielloſe Thatſache, die nur möglich ward durch den ſittlichen Schwung eines nationalen Daſeinskampfes. Schwerer, natürlich, gelang die Ausbildung der Landwehrreiter; doch haben auch ſie unter kundigen Führern manches Vortreffliche geleiſtet. Marwitz ließ ſeine märkiſchen Bauernjungen ihre kleinen Klepper nur auf der Trenſe reiten, ohne Kandare und Sporen, ſtörte ſie nicht in ihren ländlichen Reiterkünſten, verlangte nur, daß ſie Pferd und Waffen mit Sicherheit zu brauchen lern - ten, und brachte dieſe naturwüchſige Cavallerie nach kurzer Zeit ſo weit, daß er von ihr im Felddienſte Alles fordern konnte.

Nach der Einberufung der Landwehr vergingen wieder fünf Wochen bis am 21. April das Geſetz über den Landſturm unterzeichnet wurde. Die Cadres der Landwehrbataillone mußten erſt formirt ſein bevor man zum Aufgebote der letzten Kräfte des Volks ſchreiten konnte. Scharnhorſt ſtand damals ſchon fern von Breslau im Feldlager. Schwerlich iſt der General ganz einverſtanden geweſen mit Form und Inhalt dieſes von einem Civilbeamten Bartholdi verfaßten Geſetzes, das einem geſitteten Volke Unmögliches zumuthete und, vollſtändig durchgeführt, der Krieg - führung beider Theile das Gepräge fanatiſcher Barbarei hätte geben müſſen. Ausdrücklich war der furchtbare Grundſatz ausgeſprochen, daß dieſer Krieg der Nothwehr jedes Mittel heilige. Sobald der Feind heran - nahte, ſollten auf das Geläute der Sturmglocken alle Männer vom fünf - zehnten bis zum ſechzigſten Jahre aufſtehen, ausgerüſtet mit Piken, Bei - len, Senſen, Heugabeln, mit jeder Waffe, die nur ſtechen oder hauen konnte; denn auf die Länge habe der Vertheidiger in jedem Terrain immer das Uebergewicht. Der Landſturm wird verpflichtet zur Späherei und zum kleinen Kriege: der Feind muß wiſſen, daß alle ſeine zerſtreuten Abthei - lungen ſofort erſchlagen werden. Der Feigling, der Sklavenſinn zeigt, iſt als Sklave zu behandeln und mit Prügeln zu beſtrafen. Auf Befehl des Militärgouverneurs müſſen ganze Bezirke verwüſtet, Vieh und Ge - räthe weggeſchafft, die Brunnen verſchüttet, das Getreide auf dem Halme verbrannt werden. Wird eine Gegend überraſcht, ſo ſind alle Behörden alsbald aufgelöſt offenbar eine Erinnerung an die tragikomiſchen Er - fahrungen von 1806. Wer genöthigt ward dem Feinde einen Eid zu leiſten iſt an den erzwungenen Schwur nicht gebunden. Auch dieſen un - geheuren Anforderungen kam das treue Volk mit Freuden nach ſo weit es möglich war. In jedem Kreiſe trat eine Schutzdeputation zuſammen zur Leitung des Landſturms. Die müden Alten und die unbärtigen440I. 4. Der Befreiungskrieg.Jungen übten ſich eifrig im Gebrauche ihrer rohen Waffen ſowie in der freien Kunſt des Pfeifens, die den Landſtürmern anempfohlen war. Mit Vorliebe pflegte dies Volksheer unbeſetzte Höhen zu erſtürmen ſo machte man ſeinem Namen doch Ehre. In dem Berliner Landſturm exercirten die Profeſſoren der Univerſität zuſammen in einer Compagnie einer reiſigen Schaar, die allerdings mehr durch wiſſenſchaftlichen Ruhm als durch kriegeriſche Kunſtfertigkeit glänzte; ja es geſchah, daß ſogar die Berliner Damen aufgeboten wurden zum Bau der Feldſchanzen im Süden der Hauptſtadt. Die Errichtung des Landſturms brachte den großen militäriſchen Vortheil, daß nach und nach faſt die geſammte Linie und Landwehr für den Feld - und Feſtungskrieg verfügbar wurde. Von der Oſtſee bis zu den Rieſenbergen ſtanden auf allen Höhen die Fanale, von Landſtürmern behütet.

Das Volksaufgebot erwies ſich nützlich im Wach - und Botendienſte, auch zum Wegfangen der Marodeure und Verſprengten. Im offenen Kampfe dagegen iſt der Landſturm nur ganz ausnahmsweiſe verwendet worden: ſo erklangen während der erſten Apriltage, noch bevor das Geſetz erſchienen war, die Sturmglocken in allen Dörfern an der Havel und bewaffnete Bauernhaufen ſchloſſen ſich freiwillig den Truppen an, die gegen Magdeburg zogen. In den großen Städten rief die fanatiſche Härte des Geſetzes begründete Beſchwerden hervor. Da überdies die Ge - fahr anarchiſcher Zügelloſigkeit ſehr nahe lag, das bürgerliche Leben der Arbeitskräfte nicht entbehren konnte und die Beamten der alten Schule vor bewaffneten Volkshaufen ein inſtinctives Grauen empfanden, ſo wurden ſchon im Laufe des Sommers die übertriebenen Anſprüche des Edicts durch einige neue Erlaſſe gemildert. Der Landſturm ſtand fortan unter den Kriegsartikeln und diente weſentlich zur Ausbildung der Reſerveba - taillone für die Landwehr; in den großen Städten fiel er ganz hinweg, aus dem brauchbarſten Drittel ſeiner Mannſchaft wurden Bürger-Com - pagnien für den Sicherheitsdienſt gebildet. Gleichwohl war die Einrich - tung des Landſturms ſehr folgenreich. Sie belebte in dem Volke das Bewußtſein, daß dieſer heilige Krieg die gemeinſame Sache Aller ſei; wie vielen wackeren Alten iſt es ein Troſt geblieben bis zum Grabe, daß ſie doch auch die Waffen für das Vaterland getragen hatten. Noch ſtärker war die Wirkung auf die Feinde, die nach ihren ſpaniſchen Erfahrungen nichts ſo ſehr fürchteten als einen Krieg Aller gegen Alle. Schon der glücklich gewählte Name dieſes Volksaufgebotes erregte Schrecken im Lager der Rheinbündner; wie unheimlich klang das Landſturmlied:

Ha Windsbraut, ſei willkommen,
willkommen, Sturm des Herrn!

Die übereilte Räumung der Marken im Frühjahr und nachher die un - ſicheren Operationen der Marſchälle auf ihren Zügen gegen Berlin er - klären ſich nur aus der unbeſtimmten Angſt vor einer Maſſenerhebung.

441Scharnhorſts große Tage.

Ein wunderbarer Anblick, wie dieſer von allen Geldmitteln entblößte Mittelſtaat ſo mit einem male wieder eintrat in die Reihe der großen Militärmächte. Nur ein Meiſter konnte allen den ungeſtümen Kräften, die ſo urplötzlich aus den Tiefen unſeres Volkslebens hervorbrachen, Form, Maaß und Richtung geben. Unbeirrt durch Widerſpruch und Verkennung führte Scharnhorſt ſeine militäriſch-politiſchen Pläne durch, und ihm ge - lang was in der modernen Geſchichte für unmöglich gegolten hatte: ein ganzes Volk zu einem kriegsfertigen Heer umzubilden. Ihm ward das höchſte Glück das dem großen Menſchen beſchieden iſt: er durfte endlich zeigen was er vermochte. Er wußte, daß die Geſchicke ſeines Landes auf ſeinen Schultern lagen, und einmal doch kam ein Wort des Stolzes über die Lippen des Anſpruchsloſen: ich verfahre despotiſch, ſo ſchrieb er ſeiner Tochter, und lade viel Verantwortung auf mich, aber ich glaube dazu berufen zu ſein.

Durch den Abfall Preußens wurden die Kriegspläne des Imperators verändert. An einen Angriff auf das Czarenreich ließ ſich vorerſt nicht mehr denken, die nächſte Aufgabe war die Vernichtung Preußens. Schon am 27. März ließ Napoleon der Hofburg die Auftheilung des preußi - ſchen Staates vorſchlagen, dergeſtalt, daß Schleſien an Oeſterreich zurück - fiele, Sachſen und Weſtphalen durch je eine Million preußiſcher Unter - thanen vergrößert würden und dem Hauſe Hohenzollern nur noch ein Kleinſtaat mit einer Million Einwohnern an der Weichſel verbliebe. Auf die preußiſche Kriegserklärung ward mit blutigen Beleidigungen er - widert: wenn Preußen ſein Erbe zurückfordere, ſo wiſſe die Welt, daß dieſer Staat alle ſeine Erwerbungen in Deutſchland nur der Verletzung der Geſetze und Intereſſen des deutſchen Reichskörpers verdanke. Und in einem veröffentlichten Berichte an den Kaiſer erhob Maret die An - klage: der preußiſche Hof verſammle um ſich die Chorführer jener fanati - ſchen Partei, welche den Umſturz der Throne und die Zerſtörung der bürgerlichen Ordnung predige. Dieſe Kriegserklärung, ſo ſchloß er höhnend, iſt der Dank für den Tilſiter Vertrag, der den König wieder auf ſeinen Thron erhob, und für den Pariſer Vertrag von 1812, der ihn zur franzöſiſchen Allianz zuließ!

In einem ſolchen Kampfe war jeder Ausgleich undenkbar. Und wie unſicher ſtanden die Ausſichten für das große Wagniß! Mit Oeſterreich kamen die Alliirten keinen Schritt weiter. Auf wiederholte dringende Mahnungen ließ ſich Metternich endlich am 2. April dahin aus: von einem ſofortigen Bruche mit Frankreich könne keine Rede ſein; dagegen ſei Kaiſer Franz bereit mit den Verbündeten zuſammenzuwirken, falls Napoleon die von Oeſterreich beabſichtigten Friedensvorſchläge zurückwieſe. Selbſt der junge Graf Neſſelrode, der ſoeben anfing im Rathe des Czaren eine Rolle zu ſpielen, allezeit ein warmer Freund Oeſterreichs, fand dieſe Erklärung nichtsſagend und ungenügend.

442I. 4. Der Befreiungskrieg.

Auch Großbritanniens Hilfe blieb aus. Engliſche Subſidien waren für den Krieg ebenſo unentbehrlich, wie der gute Wille Hannovers für den Beſtand des künftigen deutſchen Bundes; deßhalb wurde die Wieder - herſtellung der welfiſchen Beſitzungen in Deutſchland im Kaliſcher Ver - trage ausdrücklich ausbedungen. Die glückliche Inſel, die allein unter allen Staaten Europas dem Imperator ſtandhaft die Anerkennung ver - weigert hatte, galt bei allen deutſchen Patrioten als die feſte Burg der Freiheit, ihre ſchlaue und gewaltthätige Handelspolitik als ein heroiſches Ringen um die höchſten Güter der Menſchheit. Mit glühender Begeiſte - rung ward das hochſinnige Welfenhaus verherrlicht. Graf Münſter träumte von einem freien Welfenreiche Auſtraſien, das alle deutſchen Lande zwiſchen Elbe und Schelde umfaſſen ſollte, und fand mit dieſem tollen Plane bei manchem deutſchen Patrioten Anklang. Wie oft hatte England einſt, als Pitt noch lebte, dem preußiſchen Staate glänzende Er - werbungen, vornehmlich den Beſitz der Niederlande verheißen, wenn er ſich dem Bunde gegen Frankreich anſchlöſſe. Nun endlich ſtand Preußen in Waffen, und nichts ſchien dem Staatskanzler ſicherer, als daß England jetzt mit vollen Händen dem neuen Bundesgenoſſen entgegenkommen würde.

Das Miniſterium der Mittelmäßigkeiten aber, das die Erbſchaft Pitts angetreten, hatte von ſeinem großen Vorfahren nur den zähen Haß gegen die Revolution überkommen, nicht den freien und weiten politiſchen Blick. Dieſe Hochtorys bildeten den Heerd der europäiſchen Reaction, ſie erwarteten, wie Lord Caſtlereagh einmal trocken ausſprach, von dem großen Kampfe einfach die Wiederherſtellung der alten Zuſtände , verfolgten mit ängſtlichem Mißtrauen jede junge Kraft, die im Welttheile ſich regte, blickten mit grenzenloſem Hochmuth auf die zur Knechtſchaft beſtimmten Völker des Feſtlands herab. Die conſtitutionelle Verfaſſung, ſagte Caſtle - reagh, iſt nicht geeignet für Länder, die ſich noch in einem Zuſtande ver - hältnißmäßiger Unwiſſenheit befinden; das äußerſt gewagte Princip der Freiheit muß man eher hemmen als befördern. Das Aufſteigen der ruſſiſchen Macht war dem Cabinet von St. James ſchon längſt unheim - lich, und kaum minder erſchrocken als Kaiſer Franz beobachtete der Prinz - regent die ſtürmiſche Begeiſterung der norddeutſchen Jugend, den ſtolzen Freimuth der preußiſchen Generale. Schwer beſorgt ſchrieb Wellington über die fieberiſche Erhitzung des preußiſchen Heeres, das allerdings nicht, wie die Peninſula-Regimenter des eiſernen Herzogs, durch den Idealismus der neunſchwänzigen Katze in Zucht gehalten wurde.

Da die alte Schwäche der engliſchen Staatsmänner, die Unkenntniß der feſtländiſchen Verhältniſſe, in dieſem Tory-Cabinet unglaublich reich entwickelt war, ſo wurde Englands deutſche Politik in Wahrheit durch den Grafen Münſter, den vertrauten hannoverſchen Rath des Prinzregenten geleitet. Die Tage waren vorüber, da Graf Münſter durch ſeine aus - dauernde Feindſchaft gegen das napoleoniſche Weltreich ſich die Achtung443Welfiſcher Länderhandel.des Freiherrn vom Stein verdient hatte; ſeit Preußen ſich erhob, traten nur noch die kleinlichen Züge ſeines politiſchen Charakters hervor: der Welfenneid gegen den ſtärkeren Nachbarn und die gehäſſigen alten Vor - urtheile wider den preußiſchen Prügel und Ladeſtock . Hardenbergs duali - ſtiſche Pläne erſchienen ihm faſt noch ſchrecklicher als Steins unitariſche Träume; nun und nimmer durfte die Welfenkrone ſich einer höheren Macht beugen. Da ſein alter Lieblingsplan, Preußen als eine Macht dritten Ranges auf die Lande zwiſchen Elbe und Weichſel zu beſchränken, durch die Macht der Ereigniſſe vereitelt und damit das Welfenkönigreich Auſtraſien leider unmöglich geworden war, ſo ſollte der preußiſche Staat zum Mindeſten die engliſchen Subſidien theuer bezahlen, er ſollte nicht nur mit ſeinem guten Schwerte Hannover für die Welfen zurück erobern, ſondern dies Land, das ſelbſt nach ſeiner Befreiung nicht das Mindeſte für den deutſchen Krieg geleiſtet hat, auch noch durch altpreußiſche Pro - vinzen vergrößern. Ohne ſolche Verſtärkung, erklärte der welfiſche Staats - mann vertraulich, könne Hannover neben Preußen nicht in Sicherheit und Ruhe leben. Der Prinzregent ging auf dieſe Gedanken um ſo eifriger ein, da ſeiner Tochter Charlotte das Thronfolgerecht in England zuſtand und mithin der welfiſche Mannsſtamm erwarten mußte bald wieder auf ſeine deutſchen Erblande beſchränkt zu werden; in ſeinen Brie - fen freilich verſicherte er ſalbungsvoll, daß er nicht aus perſönlichem In - tereſſe handele, ſondern ſich lediglich verpflichtet fühle ſein Kurland für die Leiden der Franzoſenherrſchaft zu belohnen. Sir Charles Stewart, der zu Anfang April nach Deutſchland hinüberkam, war beauftragt, das Hildesheimer Land, das die Welfen ſchon im Jahre 1802 nur ungern den Hohenzollern gegönnt hatten, ſowie die altpreußiſchen Gebiete Minden und Ravensberg für das Welfenreich zu verlangen.

Der alternde Staatskanzler war, trotz ſeiner raſchen Feder, der er - drückenden Arbeitslaſt ſeines Amtes nicht mehr gewachſen und doch nicht gewillt, ſeine Herrſcherſtellung über den Miniſtern aufzugeben. In dem Strudel von Arbeiten und frivolen Zerſtreuungen ſah er ſeinen könig - lichen Herrn allzu ſelten, der Geſchäftsgang in der Staatskanzlei begann ſchleppend und nachläſſig zu werden. Leichtfertige Freigebigkeit den welfi - ſchen Anſprüchen gegenüber ließ ſich ihm gleichwohl nicht vorwerfen. Faſt ein Vierteljahr lang hat er dieſe widerwärtigen Verhandlungen geführt, erſt durch Niebuhr, nachher perſönlich. Welch ein Anblick! Dies reiche England, das ſich ſtolz den Vorkämpfer der Freiheit Europas nennt, läßt ſeinen tapferſten Bundesgenoſſen, der zum Verzweiflungskampfe ſtürmt, monatelang in unerträglicher Bedrängniß, feilſcht mit ihm um Seelen und Schillinge und dies wegen der dynaſtiſchen Laune eines unfähigen Fürſten, die das Wohl des engliſchen Staates nicht im Entfernteſten be - rührt! Genug, als der Feldzug begann war man noch immer nicht im Reinen und der preußiſche Staat in erdrückender Geldnoth.

444I. 4. Der Befreiungskrieg.

Selbſt das mit Rußland bereits verbündete Schweden hatte mit Preu - ßen noch keinen Vertrag abgeſchloſſen. Als die Schweden einſt den ſchlauen Karl Johann Bernadotte zu ihrem Thronfolger wählten, erwarteten ſie beſtimmt, der napoleoniſche Marſchall würde, getreu den alten Traditionen ſchwediſcher Politik, ſich an Frankreich anſchließen und mit Napoleons Hilfe das verlorene Finnland von den Ruſſen zurückgewinnen. Der kluge Kronprinz ging jedoch andere Wege. Er ſah, daß ſein Ackerbauland die Continentalſperre nicht ertragen konnte, desgleichen daß die Wieder - eroberung von Finnland ſehr unwahrſcheinlich war. Darum beſchloß er, durch die Erwerbung von Norwegen ſein neues Vaterland zu entſchädigen, ſeine junge Dynaſtie im Volke zu befeſtigen. Schon ſeit dem Beginne des ruſſiſchen Krieges ſtand er mit dem Czaren im Bündniß. Seitdem wurde der Kopenhagener Hof von Rußland, England und Schweden dringend aufgefordert, Norwegen aufzugeben und der großen Allianz bei - zutreten; ſelbſtverſtändlich ſollten die Dänen ſich ſchadlos halten an jener großen Entſchädigungsmaſſe, die man Deutſchland nannte. Der ruſſiſche Geſandte in Stockholm verſprach dem däniſchen Geſchäftsträger, dem jungen Grafen Wolf Baudiſſin, im Namen Englands: beide Mecklen - burg, das ſchwediſche und vielleicht auch das preußiſche Pommern, zwei Dörfer in Deutſchland für eines in Norwegen. Bernadotte ſelbſt ging noch weiter und verhieß: Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg und Lübeck. Zum Heile für Deutſchland vertraute Friedrich VI. von Dänemark auf Napoleons Glück und fand monatelang keinen feſten Entſchluß. Dem Grad - ſinne König Friedrich Wilhelms waren dieſe häßlichen nordiſchen Händel von Haus aus widerwärtig. Er hoffte Dänemark durch ehrliche Mittel für die Coalition zu gewinnen, wollte ſeine Hand nicht bieten zu der Beraubung des kleinen Nachbarn und verweigerte die Genehmigung, als ſein Geſandter in Stockholm einen Allianz-Vertrag abgeſchloſſen hatte, der den Schweden die Erwerbung von Norwegen verbürgte. So geſchah das Sonderbare, daß Bernadotte im Frühjahr mit einem kleinen ſchwediſchen Heer in Stralſund landete, um Norwegen in Deutſchland zu erobern, und doch mit Preußen noch nicht verbündet war. England gewährte dem zweideutigen Bundesgenoſſen für ſeine ſchwache Schaar freigebig eine Mil - lion Pfund Sterling Subſidien.

Was ließ ſich vollends von den Staaten des Rheinbundes erwarten! Mit Baiern verhandelte der Staatskanzler insgeheim ſchon ſeit dem Ja - nuar. Der Untergang der 30,000 Baiern, die in den Schneefeldern Rußlands ihren Tod gefunden, hatte den Münchener Hof doch tief er - ſchüttert; wie leidenſchaftlich Montgelas die norddeutſchen Patrioten haßte, ſo begann er doch der Opfer für den Protector müde zu werden ſeit ſie nichts mehr einbrachten. Die Königin, Kronprinz Ludwig, Anſelm Feuer - bach und mehrere andere einflußreiche Männer warben rührig für die gute Sache. Ein ſchweres Hinderniß der Verſtändigung räumte Hardenberg445Die Kaliſcher Proclamation.gewandt hinweg, indem er verſprach, die fränkiſchen Markgrafſchaften nicht zurückzufordern; beide Theile ſetzten dabei voraus, daß Preußen durch die vormals pfalzbairiſchen Provinzen am Niederrhein entſchädigt werden ſollte. Schon war Montgelas bereit, einen Neutralitätsvertrag abzuſchließen, da hörte er von Napoleons ungeheuren Rüſtungen und von Oeſterreichs zu - wartender Haltung. Bei ſolcher Ungleichheit der Streitkräfte ſchien ihm Preußens Niederlage ſicher. Er brach ab und erfüllte wieder mit gewohntem Eifer ſeine Vaſallenpflichten gegen den Beherrſcher des Rheinbundes.

Während die Alliirten alſo vergeblich verſuchten, den mächtigſten Staat des Südens durch freundſchaftliche Verhandlungen zu gewinnen, kündigten ſie den norddeutſchen Staaten ſchärfere Maßregeln an. Der Breslauer Vertrag vom 19. März bedrohte ganz im Sinne jener Petersburger Denkſchrift Steins alle deutſchen Fürſten, die ſich nicht in beſtimmter Friſt dem Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes an - ſchlöſſen, mit dem Verluſt ihrer Staaten: ein Centralverwaltungsrath unter dem Vorſitze des Freiherrn ſollte in ſämmtlichen norddeutſchen Landen allein Hannover und die vormals preußiſchen Provinzen aus - genommen proviſoriſche Regierungen einrichten, die militäriſchen - ſtungen leiten und die Staatseinkünfte für die Verbündeten einziehen. Den Süden ließ man ſtillſchweigend aus dem Spiele, da Hardenberg an ſeinen dualiſtiſchen Plänen gewiſſenhaft feſthielt und demnach dem öſter - reichiſchen Hofe in Süddeutſchland nicht vorgreifen wollte. In Wien, in London und an allen Rheinbundshöfen erregte dieſer erſte Verſuch praktiſcher deutſcher Einheitspolitik ſtürmiſchen Unwillen. Man fragte zornig, ob dieſer Jacobiner Stein deutſcher Kaiſer werden ſolle. Metter - nich und Münſter waren ſofort entſchloſſen, die Wirkſamkeit der unheim - lichen unitariſchen Behörde zu beſchränken.

Noch ſchärfer redete die Kaliſcher Proclamation des ruſſiſchen Ober - befehlshabers Kutuſow vom 25. März. Sie ſprach die Hoffnung aus, kein deutſcher Fürſt werde der deutſchen Sache abtrünnig bleiben und alſo ſich reif zeigen der verdienten Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung und durch die Macht gerechter Waffen . Ein junger Oberſachſe, Karl Müller, hatte das pathetiſche Schriftſtück entworfen, ein fanatiſcher Teutone, der den Generalſtab gern in ein Hildamt verwandeln, die Generaladjutanten zu Hauptwernolden umtaufen wollte. Ganz ſo haltlos und verſchwommen wie die vaterländiſchen Träume der begei - ſterten Jugend waren auch die Verheißungen für Deutſchlands Verfaſſung, welche der Feldmarſchall im Namen der verbündeten Monarchen gab. Er ver - ſprach, daß die Wiedergeburt des ehrwürdigen Reichs allein den Fürſten und Völkern Deutſchlands anheimgeſtellt bleiben, der Czar nur ſeine ſchützende Hand darüber halten ſolle. Je ſchärfer in ſeinen Grundlagen und Um - riſſen das Werk heraustreten wird aus dem ureigenen Geiſte des deutſchen Volkes, deſto verjüngter, lebenskräftiger und in Einheit gehaltener wird446I. 4. Der Befreiungskrieg.Deutſchland wieder unter Europas Völkern erſcheinen können! Hoch - tönende, wohlgemeinte Worte, nur ſchade, daß ſie jedes klaren Sinnes entbehrten. Sie ſollten nachher in einem Menſchenalter der Verbitterung und Verſtimmung eine ganz ungeahnte Bedeutung gewinnen. Auf ſie vornehmlich beriefen ſich ſpäterhin die enttäuſchten Patrioten, um zu be - weiſen, daß die Nation von ihren Fürſten betrogen ſei während doch leider der ureigene Geiſt des deutſchen Volkes ſelber von den unerläß - lichen Vorbedingungen der deutſchen Einheit damals noch eben ſo wenig ahnte, wie ſeine Fürſten.

Die Drohungen der Verbündeten entſprangen der richtigen Erkennt - niß, daß die Satrapen Napoleons nur noch für die Sprache der Gewalt empfänglich waren. Aber ſollten die ſtarken Worte wirken, ſo mußte die That der Drohung auf dem Fuße folgen. Und ſie folgte nicht. Seine natürliche Gutmüthigkeit und die ſtille Rückſicht auf Oeſterreich verhin - derten den König, durch die Entthronung ſeines ſächſiſchen Nachbars recht - zeitig den deutſchen Fürſten ein warnendes Beiſpiel zu geben. Als die Aufforderung an Friedrich Auguſt von Sachſen herantrat, daß er um Deutſchlands willen den Treubruch wiederholen ſollte, den er im Herbſt 1806 um ſeines Hauſes willen begangen hatte, da war die Lage des ſchwachen Fürſten allerdings ſchwierig: er mußte früher als die anderen Rheinbundskönige einen Entſchluß faſſen, in einem Augenblicke, da der Ausgang des Krieges noch unſicher war, und er konnte nicht hoffen, das durch die Ruſſen eroberte Warſchau wiederzugewinnen. Es lag jedoch in ſeiner Hand, durch rechtzeitigen Anſchluß ſich einen Erſatz für ſeinen polniſchen Beſitz zu ſichern; der Czar hatte ſich dazu längſt bereit er - klärt. Die Entſchädigung für eine ſo unſichere Krone konnte freilich nicht bedeutend ſein: Warſchau war, wie Jedermann wußte, nur vorläufig in Friedrich Auguſts Hände gegeben bis auf weitere Verfügung des Impe - rators; niemals hatte der wettiniſche Herzog ſich unterſtanden, den vor - nehmen polniſchen Königswählern und ihrem wilden Deutſchenhaſſe ent - gegenzutreten, niemals gewagt, ſeinen polniſchen Truppen irgend einen Befehl zu geben. Friedrich Auguſt wollte trotzdem von dieſer polniſchen Krone, die ſchon ſo viel Unheil über Sachſen gebracht, nicht laſſen und hielt zudem die Niederlage ſeines Großen Alliirten für undenkbar. Er that beim Heranrücken der Verbündeten, was er ſchon in der Kriegsgefahr des Jahres 1809 gethan: er floh mit ſeinem Grünen Gewölbe aus dem Lande. Auf die dringende Frage des Königs von Preußen, ob er ein Widerſacher der edelſten Sache bleiben wolle, gab er eine nichtsſagende Antwort und verwies auf ſeine beſtehenden Verbindlichkeiten.

Sein Miniſter Graf Senfft eine jener aufgeblaſenen Mittel - mäßigkeiten, woran die diplomatiſche Geſchichte der Mittelſtaaten ſo reich iſt entwarf den kindiſchen Plan einer mitteleuropäiſchen Allianz, welche Frankreich und Rußland zugleich demüthigen und Preußen auf der Stufe447Sachſens Haltung.einer Macht dritten Ranges darniederhalten ſollte; er fühlte jedoch, daß man des Schutzes bedurfte und verſuchte daher ſich an die zuwartende Neutralitätspolitik Oeſterreichs anzuſchließen. Dies Beginnen war nicht nur unausführbar, da Sachſen unvermeidlich den Kriegsſchauplatz bilden mußte, ſondern auch eine Verletzung des Völkerrechts. Sachſen befand ſich noch im Zuſtande des Krieges gegen Rußland, alſo auch gegen Preußen; ſoeben noch kämpften ſächſiſche Truppen in den Gaſſen von Lüneburg mit Dörnbergs tapferen Schaaren. Nach einer ſelbſtverſtändlichen Regel des Völkerrechts darf aber eine kriegführende Macht nicht ohne die Ge - nehmigung des Feindes ſich für neutral erklären, weil ſonſt jeder Be - ſiegte ſich den Folgen ſeiner Niederlage entziehen könnte. Dem öſter - reichiſchen Hofe wurde dieſe Erlaubniß ertheilt, da Napoleon ſowohl wie die Alliirten ihn ſchonen wollten und auf ſeinen Beitritt hofften; von dem ſächſiſchen Könige verlangten beide Theile ſofortigen Anſchluß.

Faſt die geſammte ſächſiſche Armee ſtand in Torgau unter den Be - fehlen Thielmanns, der beauftragt war den wichtigen Elbepaß keinem der beiden kämpfenden Theile zu öffnen. Der General war ein tapferer Soldat, aber eitel, großſprecheriſch, maßlos ehrgeizig; ein eifriger Diener Napoleons hatte er ſich neuerdings urplötzlich der deutſchen Sache zuge - wendet. Es ſtand in ſeiner Gewalt, durch einen eigenmächtigen verwegenen Entſchluß, nach dem Vorbilde Yorks, ſeinem Könige Thron und Heer zu retten, den Verbündeten den Beginn der Operationen weſentlich zu erleich - tern. Er aber that zu viel für einen ſächſiſchen General, zu wenig für einen deutſchen Patrioten. Insgeheim verhandelte er mit den Preußen und ſpielte ihnen ſogar einige Fähren in die Hände, welche den Uebergang der Alliirten über die Elbe ermöglichten; doch ſeine Truppen mit dem deutſchen Heer zu vereinigen wagte er nicht. In ſolcher Lage waren die Verbündeten unzweifelhaft berechtigt Sachſen als Feindesland zu behan - deln; ſie traten jedoch mit übel angebrachter Milde auf, nahmen das Land nur im Namen des landesflüchtigen Fürſten in Verwahrung. Scharnhorſt vornehmlich hat dieſen Fehler verſchuldet; er beurtheilte die Geſinnung des ſächſiſchen Hofes unrichtig, nach den Schilderungen ſeines Jugend - freundes, des Generals Zeſchau, der zu den nächſten Vertrauten Friedrich Auguſts zählte. Auch Stein hoffte noch auf die freiwillige Bekehrung der Albertiner. Wohl ſchalt er grimmig auf die Mattherzigkeit dieſer weichen ſächſiſchen Wortkrämer , die von der Begeiſterung des preußiſchen Volkes kaum angeweht wurden, auf den Stumpfſinn der Dresdener Phi - liſter, denen unter allen Schickungen einer ungeheuren Zeit nichts ſo wichtig war wie die Zerſtörung ihrer Elbbrücke. Aber ſtatt das beſetzte Land, dem Breslauer Vertrage gemäß, ſofort der Dictatur des Central - verwaltungsrathes zu unterwerfen, ließ Stein die von dem flüchtigen Könige eingeſetzte Regierungscommiſſion ruhig gewähren und verſchmähte ſogar die Staatskaſſen mit Beſchlag zu belegen.

448I. 4. Der Befreiungskrieg.

Alſo trat die geplante deutſche Centralbehörde in ihrem urſprüng - lichen radicalen Sinne niemals ins Leben; der erſte Verſuch unitariſcher Politik gerieth nach halbem Anlauf ins Stocken. Noch ehe der große Krieg begann, ward ſchon erkennbar, welche Macht der Particularismus im Volke und in den Dynaſtien noch beſaß. Die Fremdherrſchaft war reif zum Untergange; für den Staatsbau der deutſchen Einheit fehlte noch der Boden.

Zeiten der Noth heben den rechten Mann raſch an die rechte Stelle. Da der König in ſeiner Schüchternheit ſich nicht getraute nach dem Brauche ſeiner Vorfahren das Heer ſelber zu führen, ſo durfte nur ein Mann den Befehl über die preußiſche Hauptarmee übernehmen der erſte Feldſoldat der deutſchen Heere, General Blücher. Wohin waren ſie doch, die Träume der gebildeten Menſchenfreunde vom ewigen Frieden? Gereift und gekräftigt in harter Prüfung glaubten die Deutſchen wieder an den Gott der Eiſen wachſen ließ, und jene einfachen Tugenden ur - ſprünglicher Menſchheit, die bis an das Ende der Geſchichte der feſte Grund aller Größe der Völker bleiben werden, gelangten wieder zu ver - dienten Ehren: der kriegeriſche Muth, die friſche Kraft des begeiſterten Willens, die Wahrhaftigkeit des Haſſes und der Liebe. In ihnen lag Blüchers Stärke, und dieſe Nation, die ſich ſo gern das Volk der Dichter und der Denker nannte, beugte ſich vor der Seelengröße des bildungs - loſen Mannes; ſie fühlte, daß er werth war ſie zu führen, daß der Heldenzorn und die Siegesfreude der Hunderttauſende ſich in ihm ver - körperten. Was hatte der Alte nicht Alles durchgemacht in dem halben Jahrhundert, ſeit die Belling-Huſaren einſt den ſchwediſchen Cornet ein - fingen und der alte Belling ſelber den unbändigen Junker in Kunſt und Brauch der fridericianiſchen Reiter unterrichtete. Er hatte an der Peene gegen die Schweden, bei Freiberg gegen die Kaiſerlichen, in Polen gegen die Confoederirten gefochten, war auf jenem unblutigen Siegeszuge durch Holland dem Bürger und Bauern überall ein wohlwollender Beſchützer geweſen und dann während der rheiniſchen Feldzüge von Freund und Feind bewundert worden. Die ſchneidige Tollkühnheit, die behende Liſt, die unermüdliche Ausdauer des alten Zieten lebten wieder auf in dem neuen Könige der Huſaren. Sein Lebelang blieb er der Anſicht, für das Fußvolk genüge zur Noth der nachhaltige Muth, der Reiterführer aber bedürfe einer angeborenen Begeiſterung, um die ſeltenen und flüch - tigen Augenblicke, die ſeiner Waffe eine große Wirkung erlaubten, immer ſofort mit Ungeſtüm zu ergreifen.

Seit dem Jahre 1806 und dem kühnen Zuge auf Lübeck war er die Hoffnung der Armee; Scharnhorſt lernte damals an Blüchers Seite, daß man mit Muth und Willenskraft Alles auf der Welt überwinde und ſagte zu ihm: Sie ſind unſer Anführer und Held und müßten Sie uns449Blücher.in der Sänfte vor - und nachgetragen werden. Nur mit Ihnen iſt Ent - ſchloſſenheit und Glück! Und es war unendlich mehr als die Tapfer - keit des Haudegens, was die Treuen und Furchtloſen ſo unwiderſtehlich anzog. Aus Blüchers ganzem Weſen ſprach die innere Freudigkeit des ge - borenen Helden, jene unverwüſtliche Zuverſicht, welche das widerwillige Schickſal zu bändigen ſcheint. Den Soldaten erſchien er herrlich wie der Kriegsgott ſelber, wenn der ſchöne hochgewachſene Greis noch mit jugend - licher Kraft und Anmuth ſeinen feurigen Schimmel tummelte; gebieteriſche Hoheit lag auf der freien Stirn und in den großen tiefdunkeln flammenden Augen, um die Lippen unter dem dicken Schnurrbart ſpielte der Schalk der Huſarenliſt und die herzhafte Lebensluſt. Ging es zur Schlacht, ſo ſchmückte er ſich gern mit allen ſeinen Orden wie für ein bräutliches Feſt, und niemals in allen den Fährlichkeiten ſeines Kriegerlebens iſt ihm auch nur der Einfall gekommen, daß eine Kugel ihn hinſtrecken könnte. Gewaltig war der Eindruck, wenn er zu ſprechen anhob mit ſeiner ſchönen, mäch - tigen Stimme, ein Redner von Gottes Gnaden, immer der höchſten Wir - kung ſicher, mochte er nun in gemüthlichem Platt mit Wachtſtubenſpäßen und heiligen Donnerwettern die ermüdeten Truppen aufmuntern oder den Offizieren klar, bündig, nachdrücklich ſeine Befehle ertheilen oder end - lich in feſtlicher Verſammlung mit ſchwungvollen Worten einen vater - ländiſchen Ehrentag verherrlichen. Wer täglich mit ihm verkehrte wurde ihm ganz zu eigen; ſeine geliebten rothen Huſaren hatte er ſo bis auf den letzten Mann in ſeiner Gewalt, daß nach der unglücklichen Ratkauer Capitulation kein einziger der Rothen nach Frankreich geführt werden konnte: alle entkamen den Siegern, die meiſten ſchlichen ſich nach Oſt - preußen zu ihrem Könige durch.

Blücher kannte Land und Leute des deutſchen Nordens wie Niemand ſonſt unter den preußiſchen Generalen. Während eines langen wechſel - reichen Dienſtlebens war er in jeder Landſchaft vom Rheine bis zur pol - niſchen Grenze heimiſch, auch als Landwirth mit den Verhältniſſen des bürgerlichen Lebens wohl vertraut geworden. Ueberall wohin er kam ge - wann er die Herzen, wie er ſo fröhlich lebte und leben ließ, mit Hoch und Niedrig zechte und ſpielte, immer aufgeknöpft und guter Dinge und doch gewiß ſich niemals wegzuwerfen. So ſtärkte ihm die Schule des Lebens den deutſch-vaterländiſchen Sinn, den einſt Klopſtocks Oden in der Seele des Jünglings geweckt hatten. Wie feſt er auch an ſeinen preußi - ſchen Fahnen hing, er fühlte ſich doch immer, gleich Stein, ſchlechtweg als einen deutſchen Edelmann. Grenzenlos war ſein Zutrauen zu der un - verwüſtlichen Kraft und Treue ſeines Volkes. Das Herz ging ihm auf wo er die urſprüngliche Friſche und Freiheit germaniſchen Weſens fand; daher ſeine Vorliebe für das freie Volk der Frieſen und das ſelbſtbewußte Bürger - thum der Hanſeſtädte, ſein Abſcheu wider den Kaſtenſtolz und die vater - landsloſe Geſinnung des münſterländiſchen Adels. Im Alter beklagte erTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 29450I. 4. Der Befreiungskrieg.oft, daß er über dem Saus und Braus des luſtigen Huſarenlebens ſeine Bildung ſo ganz vernachläſſigt habe. Ein angeborener Freiſinn, der ſichere Inſtinkt eines großmüthigen königlichen Herzens ließ ihn gleichwohl fort - ſchreiten mit der wachſenden Zeit. Lange vor den Reformen von 1807 hatte er die Prügelſtrafe bei ſeinen Rothen thatſächlich abgeſchafft; der pedantiſche Zwang unnützer Paradekünſte war ihm ein Gräuel, und frühe ſchon ſprach er es aus, daß die Armee zu einem Volksheere werden müſſe. Von dem junkerhaften Weſen ſeiner mecklenburgiſchen Standes - genoſſen blieb er ganz frei. Wie er ſelber ſeine Erfolge allein der eigenen Tüchtigkeit verdankte, ſo hieß er freudig Alles willkommen, was die per - ſönliche Kraft, die freie Thätigkeit, das Selbſtvertrauen in der Nation er - weckte. Steins Reformen und namentlich die Städteordnung fanden an ihm einen beredten Vertheidiger. So wurzelte auch ſein grimmiger Haß gegen die Fremdherrſchaft in dem ſtarken Selbſtgefühle einer freien Seele: er empfand es wie eine perſönliche Entwürdigung, daß er auf deutſchem Boden ſich nach dem Belieben franzöſiſcher Gewalthaber richten ſollte, und wetterte: ich bin frei geboren und muß auch ſo ſterben.

Der alte Kriegsmann zählt zu jenen echten hiſtoriſchen Größen, die bei jeder näheren Kenntniß gewinnen. Welche Schärfe des politiſchen Blicks in dem barbariſchen Deutſch ſeiner vertrauten Briefe! In jeder politiſchen Lage findet er ſich raſch zurecht, erkennt ſofort den ſpringenden Punkt im Gewirr der Ereigniſſe, weiſſagt mit prophetiſcher Sicherheit den letzten Ausgang. Niemals läßt er ſich täuſchen durch die Ueberklug - heit der Haugwitz’ſchen Politik, niemals glaubt er an die Möglichkeit einer ehrlichen Verſtändigung zwiſchen Preußen und Napoleon. Im Frühjahr 1807, nach einem einzigen Geſpräche mit Bennigſen, weiß er augenblicklich, was ſein Staat von den Ruſſen zu erwarten hat, und ruft ingrimmig: wir ſind verrathen und verkoft! Und dann die langen Jahre der Knecht - ſchaft: oft genug iſt er der Verzweiflung nahe, doch immer wieder er - mannt er ſich zu dem frohen Glauben: er werde ſein Preußen wieder im alten Glanze ſehen, dieſer Napoleon müſſe herunter und ihm ſelber ſei beſtimmt dabei mitzuhelfen: der deutſche Muth ſchläft nur, ſein Erwachen wird fürchterlich ſein! Wohl hat auch Blücher in dieſer Zeit des Harrens manche der holden Täuſchungen getheilt, welche die tapferen Herzen der Kriegspartei in die Irre führten; er ſetzte gern bei allen Deutſchen den Heldenſinn, der ihn ſelber beſeelte, voraus und traute ſich’s zu mit 16,000 Mann die weſtlichen Provinzen wieder zu erobern. Doch wie übereilt auch manche der Erhebungspläne waren, die er damals mit ſeinem Lieb - lingsſohne Franz unermüdlich entwarf: das Weſentliche, die innere Schwäche des napoleoniſchen Weltreichs erkannte er richtig. Die Kleinmeiſter ent - ſetzten ſich über den Jüngling im Greiſenhaar, der noch zuweilen auf den Hofbällen mit den eleganten jungen Gardeoffizieren eine Quadrille tanzte; tiefere Naturen fühlten bald, daß dies ausgelaſſene Treiben nur der natür -451Blücher und die Nation.liche Ausdruck einer unbändigen überſchäumenden Lebenskraft war. Die Patriotenpartei verließ ſich auf ihn als auf ihre treueſte Stütze. Stein hatte ſich ihm ſchon vor Jahren in herzlicher Freundſchaft angeſchloſſen; er ſchätzte das treffende, immer aus der Fülle lebendiger Erfahrung ge - ſchöpfte Urtheil des Generals und ahnte in ihm denſelben kühnen Schwung der Seele, denſelben Muth der Wahrheit, der in ſeiner eigenen Bruſt lebte.

Ganz frei von Menſchenfurcht, mit unumwundenem Freimuth ſagte Blücher Jedem ſeine Meinung ins Geſicht; und doch lag ſelbſt in ſeinen gröbſten Worten nichts von Steins verletzender Schärfe. Seine Zornreden kamen ſo gutlaunig und treuherzig heraus, daß ſich ſelten Jemand gekränkt fühlte und ſelbſt der König ſich von ihm Alles bieten ließ. Denn bei allem Ungeſtüm war er von Grund aus klug, nicht blos im Kriege ſo verſchlagen und aller Liſten kundig, daß ihn Napoleon ärgerlich le vieux renard nannte, ſondern auch ein gewiegter Menſchenkenner, der Jeden an der rechten Stelle zu packen wußte. Die Kunſt des Befehlens ver - ſtand er aus dem Grunde; von der Mannſchaft durfte er das Unmög - liche verlangen, wenn ſein Vorwärts aus ſeinen Augen blitzte, und auch von dem trotzigen Selbſtgefühle ſeiner Generale erzwang er ſich Gehor - ſam, da er ſtets nur an die Sache dachte, nach jedem Mißerfolge Alles hochherzig auf ſeine Kappe nahm und bei Streitigkeiten der Untergebenen immer gutmüthig vermittelte. Die unverwüſtliche Kraft des Hoffens und Vertrauens wurzelte bei ihm wie bei Stein in einer ſchlichten Frömmig - keit. Obgleich er nach Huſarenart den Herrgott zuweilen einen guten Mann ſein ließ und alles ſcheinheilige Weſen verabſcheute, ſo blieb er doch in tiefſter Seele ſeines einfältigen Glaubens froh; in ſchweren Stunden tröſtete ſich der Bibelfeſte gern an einem tapferen Worte der Apoſtel. Und wie weitab lag doch die Schlagluſt dieſes gütigen, menſchenfreund - lichen Mannes von der herzloſen Roheit des Landsknechtes! Für die Kranken und Verwundeten zu ſorgen war ihm heilige Chriſtenpflicht. Der junge Kronprinz vergaß es nie, wie ihn der alte Held einmal auf einem Schlachtfelde tief ergriffen bei der Hand genommen und ihm all den fürchterlichen Jammer ringsum gezeigt hatte: das ſei der Fluch des Krieges, und wehe dem Fürſten, der aus Eitelkeit und Uebermuth ſolches Elend über ſeine Brüder bringe!

Blücher wußte längſt, daß er das Zutrauen der Nation und die Liebe des Heeres für ſich hatte, daß ihm die Führung der Armee ge - bührte. Als nun die heiß erſehnte Stunde ſchlug und das Reich der tauſendmal verfluchten Sicherheitscommiſſare und Faulthiere zu Ende ging, da fühlte er ſich verjüngt trotz ſeiner ſiebzig Jahre und dachte froh an die langlebige Heldenkraft des Derfflingers und des Deſſauers und die vielen anderen glorreichen Grauköpfe der preußiſchen Kriegsgeſchichte. Glückſelig wiegte er ſich auf den hohen Wogen dieſer brauſenden Volksbe -29*452I. 4. Der Befreiungskrieg.wegung; wie that es ihm wohl, daß der friſche Luftzug der Wahrhaftig - keit wieder durch das deutſche Leben ging und Jeder tapfer von der Leber weg ſprach. Dichten Sie man druf, ſagte er ſeelenvergnügt zu einem patriotiſchen Poeten; in ſolchen Zeiten muß Jeder ſingen wie es ihm ums Herz iſt, der Eine mit dem Schnabel, der Andere mit dem Sabel!

So war der Held, den die Stimme der Nation zum Führer wählte ein echter Germane, nur germaniſchen Menſchen ganz verſtändlich in der rauhen Größe, der formloſen Urſprünglichkeit ſeines Weſens. Die Franzoſen haben ihm niemals auch nur jene bedingte Anerkennung geſchenkt, welche der anhaltende Erfolg ſelbſt dem Beſiegten abzuzwingen pflegt. Er ſelber konnte in die feine romaniſche Art ſich nicht finden und meinte noch als die Wuth des Kampfes längſt verraucht war: dies Volk iſt mich zu - wider! während ihm der laute Freimuth und der derbe Humor des närriſchen Volkes der Engländer von Herzen behagten. Sobald der Krieg begann widmete er ſich mit ganzer Kraft ſeinem Berufe und legte ſogar die geliebten Spielkarten aus der Hand um ſie nicht wieder zu berühren vor dem Einzuge in Paris. Er kannte die Gebrechen ſeiner Bildung und wußte, daß er eines methodiſch geſchulten Kopfes bedurfte, der ihm die Gedanken für die Kriegführung angab. So hatte er im Feldzuge von 1806 die Ideen Scharnhorſts ausgeführt; neidlos, in aufrichtiger Be - ſcheidenheit erkannte er die geiſtige Ueberlegenheit des Freundes an und freute ſich ihn auch diesmal als Generalquartiermeiſter an ſeiner Seite zu ſehen. Mit dieſem hellen Kopfe und ſeiner eigenen Verwegenheit dachte er der ganzen Welt zu trotzen denn einen vielköpfigen Kriegsrath hat der Alte nie gehalten.

Doch vorläufig ſtand er ſelbſt noch unter ruſſiſchem Oberbefehle. Nach dem Tode des unfähigen alten Feldmarſchalls Kutuſow übernahm General Wittgenſtein die Führung des verbündeten Heeres, ein tapferer wohlmeinender Soldat ohne die Gaben des Feldherrn. Das ruſſiſche Hauptquartier war, ſtolz auf die Erfolge des jüngſten Jahres, wenig ge - neigt auf die Rathſchläge der Preußen zu hören. Schon am Tage nach dem Aufrufe des Königs brach Blücher aus Breslau auf, überſchritt die Elbe bei Dresden, unterwarf faſt ganz Sachſen bis auf die Feſtungen und rückte in den erſten Tagen des April bis in die Altenburger Gegend; ſeine leichten Truppen ſchweiften weit nach Weſten, über Gotha hinaus. Gleichzeitig näherten ſich im Norden York und Bülow der Elbe, ſchlugen den Vicekönig Eugen in dem glänzenden Gefechte von Möckern dem erſten größeren Treffen, das den Franzoſen zeigte, daß ſie nicht mehr mit dem Heere von 1806 zu thun hatten und gingen im Anhaltiſchen auf das linke Ufer des Stromes hinüber.

Wenn Scharnhorſt und ſeine Freunde anfangs hofften, es werde gelingen vor Napoleons Ankunft einen großen Theil von Weſtdeutſchland zu beſetzen und überall die Volksbewaffnung in Gang zu bringen, ſo453Beginn des Frühjahrsfeldzugs.mußten ſie bald erkennen, wie wenig die verfügbaren Streitkräfte vorder - hand noch für ſo großartige Entwürfe ausreichten. Ein glücklicher An - griff des kleinen Dörnberg’ſchen Corps auf Lüneburg gab zwar ein er - hebendes Zeugniß von der Tapferkeit des jungen Heeres die Soldaten prieſen den erſten Ritter des eiſernen Kreuzes, Major Borcke, die Poe - ten beſangen das Heldenmädchen Johanna Stegen, das den Kämpfern im dichten Kugelregen Pulver und Blei zutrug jedoch das vereinzelte Unternehmen hatte keine bleibenden Folgen. Eine Schilderhebung der Patrioten im Bremiſchen wurde durch Vandamme, den roheſten und wüſteſten der napoleoniſchen Generale, raſch niedergeworfen und grauſam beſtraft. Auch von den Feſtungen dieſſeits der Elbe waren bis zu Ende April nur Thorn und Spandau den Franzoſen entriſſen. Eine kühne Kriegführung, wie ſie Scharnhorſt verlangte, konnte gleichwohl die Armee des Vicekönigs im Magdeburger Lande vernichten bevor Napoleons Haupt - heer herankam. Aber das ruſſiſche Hauptquartier blieb wochenlang un - beweglich in Polen. Der Czar bedurfte längerer Zeit um ſeine Armee, deren Schwäche mit ſeinen eigenen prahleriſchen Angaben in lächerlichem Widerſpruche ſtand, zu verſtärken; auch wollte er Polen nicht verlaſſen bevor die Ruhe in dem aufgeregten Lande durch eine genügende Truppen - macht geſichert war. Dazu die Unluſt ſeiner Generale und die peinlichen Zweifel über die Abſichten Oeſterreichs, das aus ſeiner ſtarken Flanken - ſtellung heraus den Verbündeten hochgefährlich werden konnte. Erſt am 24. April zog das ruſſiſche Hauptheer in Dresden ein um ſich dann nach langſamen Märſchen ſüdlich von Leipzig mit Blücher zu vereinigen.

Mittlerweile hatte Napoleon ſeine Rüſtungen mächtig gefördert. Wohl lagen tauſende der erprobten Veteranen im ruſſiſchen Schnee begraben. Die jungen Conſcribirten ſtanden den alten Kameraden weit nach, viele hatte man in Ketten zu den Regimentern ſchleppen müſſen; auch die Marſchälle begannen der unendlichen Kriegsarbeit ſatt zu werden und ſehnten ſich nach friedlichem Genuſſe der erbeuteten Schätze. Die Ueber - legenheit der ſittlichen Spannkraft und des kriegeriſchen Feuers, die vor - dem den napoleoniſchen Heeren eigen geweſen, war jetzt ganz und gar auf die Preußen übergegangen. Immerhin blieb das Weltreich, das ſeit Jahren von keinem Feinde betreten worden, durch ſeine unermeßlichen Hilfsquellen den Verbündeten weitaus überlegen. Während Bertrand aus Italien durch Baiern heranzog, verſammelten ſich die übrigen Corps der Franzoſen und Rheinbündner am Niederrhein, bei Frankfurt und im Würzburgiſchen. In den letzten Tagen des April rückte Napoleon ſelbſt mit dem Hauptheere auf der Frankfurt-Leipziger Straße durch Thü - ringen oſtwärts und vereinigte ſich am 29. bei Naumburg mit der Armee des Vicekönigs. Er gebot über eine Feldarmee von mindeſtens 180,000 Mann, ungerechnet die Garniſonen der deutſchen Feſtungen, und die Verbündeten konnten ihm zunächſt nur etwa 98,000 Mann454I. 4. Der Befreiungskrieg.entgegenſtellen. Scharnhorſt wünſchte anfangs die Schlacht in der freien Ebene von Leipzig, wo die überlegene Reiterei der Verbündeten zur vol - len Wirkſamkeit gelangen konnte. Das ruſſiſche Hauptquartier dagegen beſchloß, ſüdlich von dem alten Lützener Schlachtfelde, in dem ſumpfigen, von Gräben, Hecken und Hohlwegen durchſchnittenen Wieſenlande bei Großgörſchen, das zur Entfaltung großer Reitermaſſen wenig Raum bot, einen Vorſtoß gegen die rechte Flanke des nach Leipzig vorrückenden Fein - des zu wagen. Höchſtwahrſcheinlich war es Scharnhorſt, der zuerſt den einfach kühnen Rath gab: man ſolle die Uebermacht des Feindes ſchon auf dem Anmarſch überraſchen, ſeine Marſchkolonnen durch einen Flanken - angriff durchbrechen. Der verwegene Plan konnte nur durch Ueberraſchung, durch die höchſte Schnelligkeit der Ausführung gelingen. General Die - bitſch, der in Wittgenſteins Auftrag die Anordnungen traf, leitete jedoch den Aufmarſch ſo unglücklich, daß die Corps von Blücher und York ein - ander durchkreuzten.

Erſt um Mittag des 2. Mai konnten die Preußen den Angriff be - ginnen auf die zwiſchen den Büſchen verſteckten vier Dörfer Groß - und Klein-Görſchen, Rahna und Caja, welche Ney mit gewaltiger Uebermacht hielt. Unter brauſendem Hurrahruf ſtürmten ihre Regimenter heran, noch niemals waren die franzöſiſchen Legionen einem ſolchen Ungeſtüm kriegeriſcher Begeiſterung begegnet. Nichts von der natürlichen Unſicherheit junger Truppen; ein Sturm des Zornes ſchien Jeden fortzureißen; Niemand konnte ſich auszeichnen, ſo groß war die Tapferkeit Aller! Nach zweiſtün - digem mörderiſchem Kampfe wurden drei von den Dörfern den Franzoſen entriſſen. Da eilte Napoleon ſelbſt von der Leipziger Straße herbei, ver - ſuchte mit friſchen Truppen die Schlacht herzuſtellen. Er mußte mit an - ſehen, wie die preußiſche Garde durch einen zweiten furchtbaren Angriff die vier Dörfer ſämmtlich nahm; kam die Reſerve der Verbündeten rechtzeitig heran, ſo war die Marſchlinie der Franzoſen durchbrochen, ihrem Hauptheere eine ſchwere Niederlage bereitet. Auf einen Augenblick wurde der Imperator unſicher. Glaubt Ihr, daß mein Stern unter - geht? fragte er zweifelnd ſeinen Berthier, und beim Anblick des Todes - muthes der Preußen entfuhr ihm der Ausruf: Dieſe Thiere haben etwas gelernt. Doch Wittgenſteins Reſerven blieben aus; das Corps von Miloradowitſch wurde durch ein unglückliches Mißverſtändniß dem Schlachtfelde fern gehalten, und die ruſſiſchen Garden erſchienen erſt auf der Wahlſtatt als mit dem Anbruch der Nacht der Kampf zu Ende ging. Die Reiterei der Verbündeten gelangte nicht zu entſcheiden - dem Eingreifen, da Wittgenſtein ſich völlig unfähig zeigte die Leitung des Heeres in der Hand zu behalten und eigentlich Niemand den Oberbefehl führte; ihr Fußvolk verbiß ſich in den blutigen Kampf um die Dörfer, der bei der Ueberlegenheit der feindlichen Infanterie keinen günſtigen Aus - gang verſprach. Währenddem zog Napoleon vom Norden her neue Ver -455Schlacht bei Großgörſchen.ſtärkungen heran, und gegen ſieben Uhr fühlte er ſich ſtark genug um, nach ſeiner Gewohnheit, unter dem Schutze einer mächtigen Artilleriemaſſe einen entſcheidenden Stoß zu wagen. Als die Finſterniß hereinbrach be - haupteten ſich die Preußen nur noch in Großgörſchen, die drei anderen Dörfer waren von den Franzoſen zurückgewonnen, der Feind hielt das Heer der Alliirten in weitem Bogen umklammert. Ein letzter verzweifelter Angriff der Reiterei, von Blücher auf gut Glück in das Dunkel der Nacht hinein geführt, ſcheiterte an der Ungunſt des Terrains.

Noch war die Schlacht nicht gänzlich verloren; Jedermann im preu - ßiſchen Lager erwartete die Wiederaufnahme des Gefechts für den folgen - den Morgen; aber hatten die Verbündeten ſchon am Abend mit ihren 70,000 Mann gegen eine faſt zweifache Uebermacht gefochten, ſo mußten ſie am nächſten Tage, wenn Napoleon alle ſeine Streitkräfte aus der Leipziger Umgegend herangezogen hatte, einem noch ungleicheren Kampfe entgegenſehen. Unverfolgt traten ſie den Rückzug nach der oberen Elbe an. Mindeſtens 10,000 Mann von jedem Theile waren auf dem Schlacht - felde geblieben. Die Truppen fühlten ſich unbeſiegt, ſie hatten ſelber mehrere Trophäen erbeutet und keine einzige in den Händen des glückli - chen Gegners zurückgelaſſen; überall wo ſie den Feind in gleicher Anzahl getroffen, waren ſie ihm überlegen geweſen. Die Koſaken riefen auf dem Rückzuge fröhlich ihr: Paſcholl! Franzos kaput! Im preußiſchen Heere lebte das ſtolze Bewußtſein, daß man unter fremden und unfähigen Füh - rern die Ehre der Fahnen wieder hergeſtellt, den Siegern von Jena ſich ebenbürtig erwieſen habe. Hingeriſſen von dem Anblick der wieder erwachten deutſchen Waffengröße ſang Arndt ſein Lied auf den Tag von Großgörſchen:

Tapfre Preußen, tapfre Preußen,
Heldenmänner, ſeid gegrüßt!
Beſte Deutſche ſollt Ihr heißen
Wenn der neue Bund ſich ſchließt!

Unter den Opfern des blutigen Tages war auch Scharnhorſt. Im ſiebenjährigen Kriege hatte ein grauſames Geſchick faſt alle preußiſchen Heerführer dahingerafft; während des Befreiungskrieges blieben ſie ſämmt - lich verſchont. Nur dieſer Eine fiel der mächtige Geiſt, aus deſſen lichtem Haupte das deutſche Volksheer gepanzert aufſtieg wie Pallas aus dem Haupte des Zeus. Er wollte die leichte Wunde, die er bei Groß - görſchen empfangen, nicht ruhig heilen laſſen. Seit man die Schwäche der ruſſiſchen Armee und die Lauheit ihrer Führer vor Augen ſah, ſtand im preußiſchen Hauptquartiere die Ueberzeugung feſt, daß nur Oeſterreichs Beiſtand den Sieg verbürge. Bald nach der Schlacht kündigte der König in einem Parolebefehle ſeinen Truppen an: in wenigen Tagen wird uns eine neue mächtige Hilfe zur Seite ſtehen. Scharnhorſt wußte, auf wie ſchwachen Füßen dieſe Hoffnung noch ſtand, und beſchloß daher,456I. 4. Der Befreiungskrieg.trotz der Warnungen der Aerzte, ſelber nach Wien zu gehen um durch perſönliche Ueberredung den öſterreichiſchen Staatsmännern den entſchei - denden Entſchluß zu entreißen. Unterwegs verſchlimmerte ſich die Wunde. Während er in Böhmen einſam auf dem Krankenbette lag, ſchweiften ſeine Gedanken hinüber zu dem vaterländiſchen Heere. So viel herrliche Kraft war vergeudet durch die Fehler der ruſſiſchen Heeresleitung; er hatte die Preußen gerüſtet und fühlte, daß er ſie zum Siege führen würde wenn man ihn frei gewähren ließ an Blüchers Seite. Der ſter - bende Mann konnte den großen Ehrgeiz, der ihn verzehrte, nicht länger in ſeiner verſchloſſenen Bruſt verbergen und ſchrieb an ſeine Tochter nur für ſie, damit ſie wiſſe wie Dein Vater dachte, wenn ich einſt nicht mehr da ſein ſollte: An Diſtinctionen iſt mir nichts gelegen. Da ich die nicht erhalte, welche ich verdiene, ſo iſt mir jede andere eine Beleidigung, und ich würde mich verachten wenn ich anders dächte. Alle Orden und mein Leben gäbe ich für das Commando eines Tages! Es ſollte nicht ſein. Am 28. Juni erlag er ſeiner Wunde; ſeine letzten Worte weiſſagten den Deutſchen die Freiheit. Tragiſcher hat Keiner geendet von den ſchöpferiſchen Geiſtern unſerer Geſchichte. Ohne Scharnhorſt kein Leipzig, kein Belle-Alliance, kein Sedan, und der die Saat ſo vieler Siege ſtreute ſollte ſelber Preußens Fahnen niemals glücklich ſehen! Erſchütternd trat das große Räthſel des Menſchenſchickſals den Ueberlebenden vor die Seele; immer wieder, wenn ſie dieſes Todten gedachten, überkam ſie die Ahnung, daß unſer Leben nicht abſchließt mit dem letzten Athemzuge. Wie oft hat Blücher nach erfochtenem Siege in feuriger Rede den Schatten ſeines Scharnhorſt angerufen, er ſolle niederſchauen auf die Vollendung ſeines Werkes! Dem Dichter aber erſchien der Gefallene wie ein Siegesbote, den die befreiten Germanen ihren Ahnen nach Walhalla ſendeten:

Nur ein Held darf Helden Botſchaft tragen.
Darum muß Germaniens beſter Mann,
Scharnhorſt muß die Botſchaft tragen:
Unſer Joch das wollen wir zerſchlagen,
Und der Rache Tag bricht an!

So viel Ehre die Schlacht von Großgörſchen den jungen preußiſchen Truppen brachte, ſie war doch eine Niederlage, verhängnißvoll durch ihre politiſchen Folgen. Der Ruf der napoleoniſchen Unüberwindlichkeit ſtand nunmehr wieder aufrecht; kein Gedanke mehr an einen Abfall der rhein - bündiſchen Höfe. Auf die Nachricht von Napoleons Siege kehrte Friedrich Auguſt von Sachſen ſofort, noch bevor eine drohende Mahnung des Pro - tectors ihn ereilte, wieder zu den Fahnen zurück, denen ſein Herz immer angehangen; hatte er doch ſchon vor Wochen ſeinen Oberſten Odeleben in das franzöſiſche Hauptquartier geſendet um dem Imperator als Führer durch Thüringen zu dienen! Senfft, der Vertreter der Neutralitätspolitik, ward entlaſſen, die Armee und das Land dem Großen Alliirten zur Ver -457Scharnhorſts Tod.fügung geſtellt. General Thielmann erhielt Befehl, Torgau den Franzo - ſen zu öffnen und trat, da ſeine Truppen den Weiſungen ihres Königs unbedingt gehorchten, allein zu den Verbündeten über, nur begleitet von dem genialen Aſter, dem deutſchen Vauban. Der Beſitz der ſächſiſchen Feſtungen erlaubte den Franzoſen den Krieg um Monate zu verlängern. Ein hartes Strafgericht erging über die treuen Preußen in Cottbus, die im März, als Blüchers Heer einzog, ſich ſofort jubelnd der deutſchen Sache angeſchloſſen, zahlreiche Freiwillige unter die Fahnen ihres alten Landesherrn geſtellt hatten. Sobald die ſächſiſche Herrſchaft zurückkam, wurde das Cottbuſer Land von den Franzoſen in Belagerungszuſtand erklärt, eine Anzahl der angeſehenſten Patrioten, der wackere Landrath von Normann voran, auf die Anzeige der ſächſiſchen Beamten in das Ge - fängniß geworfen und den Familien der Freiwilligen, bei Strafe der Vermögenseinziehung, anbefohlen ihre Söhne zur Heimkehr aufzufordern. Dieſe boshafte Verfolgung erfüllte die Bewohner des Landes mit ſo in - grimmigem Haſſe, daß ſie nach der Wiederbefreiung den König baten, er möge ſie der Kurmark, nicht der Provinz Sachſen zutheilen: wir wün - ſchen nie wieder mit den ſächſiſchen Behörden in ein näheres Verhältniß zu treten, auch dann nicht wenn ſie den k. preußiſchen Unterthanen zu - geſellt werden ſollten. *)Eingabe der Deputirten des Cottbuſer Kreiſes an den König, Berlin 25. Aug. 1814.

Auf Befehl des Protectors eilte Friedrich Auguſt ſelbſt aus Prag herbei um durch die Spaliere franzöſiſcher Truppen in der ſächſiſchen Hauptſtadt einzuziehen, und das neutrale Oeſterreich ließ den Rheinbunds - fürſten ungehindert in das napoleoniſche Feldlager zurückkehren. Der Imperator empfing ihn um ſo freudiger, da er aus dem Hergange er - rieth, daß Kaiſer Franz noch keineswegs entſchloſſen war zu den Verbün - deten überzutreten. Fortan fuhr der ſächſiſche Hof wieder mit vollen Segeln im Fahrwaſſer der franzöſiſchen Allianz: er hoffte abermals auf Preußens Koſten ſich zu vergrößern und erbat ſich bei dem Protector für den Fall des Friedens: Glogau und einen Strich von Schleſien, dergeſtalt daß Kurſachſen mit Warſchau ein zuſammenhängendes Gebiet bilden ſollte. König Friedrich Wilhelm aber ſagte ſchon im Mai einem ſächſiſchen Edelmanne voraus: der Untergang der albertiniſchen Krone werde die unvermeidliche Folge ſolcher Treuloſigkeit ſein.

Die Verbündeten waren mittlerweile über die Elbe bis in die Ober - lauſitz zurückgewichen. Napoleon folgte; ſein Heer ſtand zerſtreut auf der weiten Linie von Dresden bis Wittenberg. Er faßte jetzt zum erſten male den Plan zu einem Angriff auf Berlin einen Gedanken, der ſeitdem in allen Berechnungen dieſes Feldzugs immer wiederkehrte: wäh - rend er ſelbſt der Armee der Alliirten oſtwärts folgte, ſollte Ney durch458I. 4. Der Befreiungskrieg.einen raſchen Zug gen Norden den gehaßteſten und gefährlichſten der Feinde in ſeiner Hauptſtadt bedrohen. Das preußiſche Hauptquartier war auf das Aergſte gefaßt und traf bereits Anſtalten, Berlin nöthigen - falls im Straßenkampfe durch den Landſturm zu vertheidigen. Die Armee jedoch blieb mit den Ruſſen vereinigt; der König wollte die Stellung in der Nähe der öſterreichiſchen Grenze behaupten, er hoffte durch einen Sieg des vereinigten Heeres die zaudernde Hofburg zum Anſchluß zu be - wegen. In der That war ein Erfolg möglich, wenn Wittgenſtein ſogleich mit ſeinem geſammelten Heere einen Angriff auf Napoleon unternahm, bevor dieſer ſeine Armee vereinigt hatte. Die ruſſiſche Führung aber, die in jenen Tagen weſentlich durch die dilettantiſchen Einfälle des Czaren ſelber beſtimmt wurde, beſchloß, dem Rathe der preußiſchen Generale zu - wider, bei Bautzen eine Defenſivſchlacht anzunehmen und gewährte alſo dem Imperator, der die Gedanken der Gegner alsbald durchſchaute, ge - nügende Zeit um ſeine Streitkräfte zu verſammeln und auch Neys Armee zurückzurufen. Während die Hauptarmee unthätig bei Bautzen ſtand, ſollten die zwei ſchwachen Corps von York und Barclay de Tolly durch ein Ausfallsgefecht die heranrückenden dreifach überlegenen Heerſäulen Neys und Lauriſtons zurückwerfen. Mit höchſter Kühnheit verſuchte York ſich des unmöglichen Auftrags zu entledigen; durch das blutige Waldgefecht von Königswartha (19. Mai) hat er ſich zuerſt den Namen des Schlachtengenerals, ſeinen altpreußiſchen Regimentern ein furchtbares Anſehen bei Freund und Feind geſichert; wunderbar zäh und verwegen hielt er aus in dem ungleichen Kampfe und brachte ſeine kleine Schaar in guter Ordnung wieder zu dem Hauptheere zurück. Aber mit entſetz - lichen Opfern hatten die Preußen die Thorheit des Czaren bezahlen müſ - ſen; mehr als die Hälfte der Brigade Steinmetz lag auf dem Schlacht - felde, und die Vereinigung Neys mit der franzöſiſchen Hauptarmee war doch nicht verhindert.

So konnte denn Napoleon am 20. Mai ſeine geſammten 170,000 Mann gegen die 80,000 Alliirten zur Schlacht vorführen. Die Ver - bündeten erwarteten den Angriff in weitgedehnter Stellung auf dem ſteilen rechten Ufer des tiefen Spreethals, mit der Front nach Weſten; ihr linker Flügel lehnte ſich an jene waldigen Höhen des Lauſitzer Gebirges, von denen einſt Laudon gegen das Hochkircher Lager herniedergeſtürmt war, der rechte ſtand ungedeckt in der freien Ebene. Napoleon griff am erſten Schlachttage den linken Flügel der Gegner an, überſchritt den Fluß, be - ſetzte Bautzen und verleitete alſo den Czaren zu dem Glauben, daß die Franzoſen die Entſcheidung auf der Linken der Alliirten ſuchten, das ver - bündete Heer vom Gebirge abſchneiden wollten. Die Abſicht des Impe - rators ging aber vielmehr dahin, den bloßgeſtellten rechten Flügel der Ver - bündeten zu werfen, dann ihr Centrum zu umklammern und die geſchlagene Armee zu dem gefahrvollen Rückzuge ſüdwärts ins Gebirge hinein zu459Schlacht von Bautzen.zwingen. Während nun die Ruſſen ihre wohlgeſicherte Linke noch mehr verſtärkten, warf ſich Napoleon am zweiten Schlachttage mit Macht auf den ſchwachen rechten Flügel unter Barclay de Tolly, ſchlug ihn gänz - lich und drang dann gegen die Kreckwitzer Höhen vor, welche Blücher mit dem Centrum hielt. Nach langem mörderiſchen Kampfe war auch dieſe Poſition faſt umgangen, die Linien der Verbündeten bildeten bereits einen weit zurückgebogenen Haken. Da erkannte Kneſebeck die Gefahr einer völligen Niederlage; er beſtand darauf, daß die Schlacht abgebrochen wurde und rettete alſo das Heer. Gegen drei Uhr trat Blücher in muſter - hafter Ordnung den Rückzug an, und als der Abend hereinbrach, hatte der Sieger durch die blutige Arbeit zweier Tage nichts weiter gewonnen als den Beſitz des Schlachtfeldes. Was? rief er grimmig kein Ergebniß, keine Trophäen, keine Gefangene nach einer ſolchen Schläch - terei? 40,000 Mann waren gefallen, davon 25,000 Franzoſen; die Flammen der brennenden Dörfer ringsum beleuchteten die gräßliche Wahlſtatt.

Sofort nach dem unfruchtbaren Siege nahm Napoleon ſeine alten Pläne wieder auf und entſendete Oudinots Corps gegen Berlin; der aber wurde von Bülow und Oppen nach einem wüthenden Kampfe in der brennenden Vorſtadt von Luckau zurückgeworfen (4. Juni). Es war das erſte jener vier blutigen Treffen und Schlachten, wodurch Preußen ſich in dieſem Sommer den Beſitz ſeiner Hauptſtadt ſicherte. In denſelben Tagen jedoch ging das befreite Hamburg wieder an die Franzoſen verloren. Die unkriegeriſchen Gewohnheiten der reichen Han - delsſtadt rächten ſich in der Zeit der Noth. Der ſchwerfällig bedachtſame Senat wußte nichts anzufangen mit dem tapferen Bürger Mettlerkamp und den vielen anderen wackeren Patrioten, die ſich zur Vertheidigung der Vaterſtadt erboten. Tettenborns Leichtſinn hatte für die Sicherung des gefährdeten Platzes wenig gethan; Bernadotte wollte, da er in Pom - mern das verſprochene ruſſiſche Hilfscorps nicht vorfand, ſeine kleine ſchwediſche Armee nicht auf das Spiel ſetzen und unterließ jeden Entſatz - verſuch. Schon am 30. Mai konnte Davouſt in die rebelliſche gute Stadt des Kaiſerreichs wieder einziehen. Eine Schreckensherrſchaft brach herein, wie der deutſche Boden ſie noch nie geſehen; Standgerichte und Brand - ſchatzungen zeigten den deutſchen Bürgern was es heiße, dem Kaiſer der Franzoſen den Gehorſam aufzuſagen. Der offene Platz wurde raſch mit Feſtungswerken umgeben, wobei die unglücklichen Bewohner ſelber ſchanzen mußten, und durch die Vertreibung von 25,000 armen Leuten für eine lange Vertheidigung eingerichtet. Die feſte Elblinie von Dresden bis zur See war wieder in Frankreichs Händen.

In einem Kriegsrathe der Monarchen zu Lauban vertrat Harden - berg, unterſtützt von den preußiſchen Generalen, die Anſicht, daß die alliirte Armee, ſtatt gradeswegs nach Oſten zurückzugehen, vielmehr ſüd -460I. 4. Der Befreiungskrieg.wärts nach Schweidnitz an die Abhänge des Rieſengebirges ausbiegen ſolle. *)Hardenbergs Journal 22. Mai 1813.So gab man zwar, Alles auf eine Karte ſetzend, die Hauptmaſſe der preußiſchen Monarchie rückſichtslos dem Feinde preis, doch man hielt die Verbindung mit Oeſterreich feſt und damit die letzte Möglichkeit des Sieges. Der Rath ward befolgt. Dann ließ Blücher in der Ebene von Haynau ſeine ſchweren Reiter plötzlich aus einem Hinterhalte gegen die Spitzen der nachdrängenden franzöſiſchen Armee vorbrechen (26. Mai) und warf die Feinde ſo weit zurück, daß ſie die Fühlung mit den Alliirten verloren und die veränderte Richtung des Rückzugs nicht bemerkten. Mit Befremden entdeckte Napoleon nach einigen Tagen, daß die Verbündeten in ſeiner rechten Flanke ſtanden. Wie gern hat der greiſe preußiſche Held noch in ſpäteren Tagen dieſes erſten fröhlichen Empfanges gedacht, den er dem Feinde auf preußiſchem Boden bereitet; zum erſten male in dieſem Feldzuge lächelte ihm das Glück, und ſeiner Lieblingswaffe allein verdankte er den ſchönen Erfolg. Zuverſichtlich wie er ſah das geſammte preußiſche Heer neuen Schlachten entgegen; in allen den hartnäckigen Kämpfen dieſes Rückzugs zeigte der deutſche Soldat eine unverwüſtliche Freudigkeit und Friſche. Mehr als zwanzig Gefechte und zwei große Schlachten waren geſchlagen, fünfzig Kanonen und viele Gefangene den Franzoſen abge - nommen, Napoleon aber hatte keine einzige Trophäe in ſeinen Händen. Anders war die Stimmung im ruſſiſchen Lager. Die von Haus aus mäßige Kriegsluſt der Generale erlahmte gänzlich ſeit ſie ſich wieder in die äußerſte Oſtecke Deutſchlands zurückgedrängt ſahen; abermals wie vor ſechs Jahren vernahm man die unmuthige Frage: wozu uns opfern für fremde Zwecke? Barclay de Tolly, der unterdeſſen den Oberbefehl über - nommen, erklärte beſtimmt, ſein erſchöpftes Heer bedürfe der Ruhe, müſſe in Polen wiederhergeſtellt und verſtärkt werden. Schon war der Ab - marſch der Ruſſen über die Oder angeordnet, das Kaliſcher Bündniß drohte auseinanderzugehen. Da brachte ein ſchwerer Mißgriff Napoleons den Alliirten die Waffenruhe, die ihre Rettung werden ſollte.

Wie laut er auch in ſeinen Bulletins prahlte, ſo unterſchätzte Na - poleon doch nicht die Gefahren ſeiner ſcheinbar ſo glänzenden Lage. Wohl hielt er alle Lande des rechten Elbufers, dazu die Lauſitz und einen Theil von Schleſien in ſeiner Gewalt, jedoch er ſah auch die zunehmende Ver - wilderung ſeines Heeres und fürchtete die unberechenbaren Mächte eines verzweifelten Volkskrieges. Wenn er jetzt, mit den Kränzen zweier neuer Siege um die Stirn, die Hand zum Frieden bot, ſo ließ ſich vielleicht ein Abkommen erreichen, das dem Kaiſerreiche ſeine conſtitutionellen Gren - zen ſicherte, und der Vernichtungskampf gegen Preußen mochte nach einiger Zeit unter günſtigeren Umſtänden wieder aufgenommen werden. Der ſo oft erprobte beſte Bundesgenoſſe des kaiſerlichen Frankreichs, die Zwietracht461Waffenſtillſtand von Poiſchwitz.der Oſtmächte konnte wohl auch diesmal noch ſeine Dienſte thun. Von den Vermittlungsverſuchen ſeines Schwiegervaters verſprach ſich der Im - perator nichts Gutes; er vergaß es nicht, daß Schwarzenberg ihm vor Kurzem ins Geſicht geſagt: die Politik hat dieſen Ehebund geſchloſſen, die Politik kann ihn auch löſen! Dieſer heimtückiſchen Hofburg, die ohne den Muth zu ſchlagen nach Ländergewinn trachte, gönnte er keinen Vortheil. Vielmehr hoffte er eine Zeit lang auf den Wankelmuth Alexanders, den er ſchon vor der Bautzener Schlacht vergeblich durch lockende Friedens - vorſchläge zu gewinnen verſucht hatte. Der bewährte Caulaincourt ſollte die Unterhandlungen mit Rußland führen: vielleicht wiederholten ſich die Tilſiter Vorgänge, wenn man dem Czaren eine goldene Brücke baute , wenn Warſchau zwiſchen Rußland und Preußen aufgetheilt, der preußiſche Staat über die Oder zurückgeſchoben und alſo dem Czaren völlig unter - worfen würde! Trog dieſe Hoffnung, ſo mußten freilich Napoleon und ſeine Marſchälle fühlten es wohl die Verbündeten aus dem Waffen - ſtillſtande größeren Gewinn ziehen als der Imperator ſelber. Aber auch für den Fall der Fortſetzung des Krieges ſchien ihm die Waffenruhe unentbehr - lich. Er brauchte Zeit um ſein Heer, namentlich die Reiterei zu verſtärken und er wollte durch ſtarke Rüſtungen in Illyrien ſich gegen den Abfall Oeſterreichs ſicherſtellen. Dieſe beiden Beweggründe gab er ſeinen Ge - neralen als die entſcheidenden an. Am 4. Juni ſchloß er den Waffen - ſtillſtand von Poiſchwitz. Wie ſcharf er auch rechnete, er täuſchte ſich über die Kräfte des preußiſchen Staates und über das Weſen dieſes Krieges, das jede halbe Löſung ausſchloß.

Graf Metternich ſtand am Ziele ſeiner Wünſche. Eine ſeltene Gunſt des Glücks fügte Alles nach ſeinen Hoffnungen, warf dem Staate, der für die Befreiung der Welt noch nichts gethan, die Entſcheidung in den Schooß. Die kämpfenden Theile hielten einander durchaus das Gleich - gewicht, wie man in Wien immer vorausgeſagt; ſie mußten, trotz Napo - leons Widerwillen, die Mediation der Hofburg annehmen. Nun konnte Oeſterreich ihnen nach ſeinem Ermeſſen den Frieden auferlegen oder, falls wider Verhoffen die Waffen nochmals aufgenommen wurden, mit ſeiner wohlgeſchonten Kraft als führende Macht in die Coalition eintreten. Stein und Arndt, Blücher und die geſammte preußiſche Armee empfingen die Nachricht von der Einſtellung der Feindſeligkeiten mit tiefem Unmuth: nichts entſetzlicher als ein fauler Friede nach ſolchen Opfern! Der In - grimm wuchs noch als man erfuhr, daß die Lützower Freiſchaar in den erſten Tagen der Waffenruhe von Rheinbündnern verrätheriſch überfallen und faſt vernichtet worden war. Der König hielt für nöthig ſein treues Volk durch eine Proclamation zu beruhigen: der Waffenſtillſtand, ſagte er ſtolz, ſei angenommen, damit die Nationalkraft ſich völlig entwickeln könne; wir haben den alten Waffenruhm wieder gewonnen, bald werden wir ſtark genug ſein auch unſere Unabhängigkeit zu erkämpfen. Zugleich462I. 4. Der Befreiungskrieg.befahl er bei Spandau ein verſchanztes Lager anzulegen, damit Preußen im Nothfalle, nach den Plänen der Kriegspartei von 1811, den Ver - zweiflungskampf allein fortſetzen könne. Auf Gneiſenaus Wunſch ver - faßte Clauſewitz ſeine köſtliche Schrift über den Frühjahrsfeldzug und führte darin den Nachweis, daß die Streitkräfte der Alliirten während der Waffenruhe unverhältnißmäßig wachſen müßten. Ebenſo faßte Har - denberg die Lage auf; ſein Tagebuch enthält hinter der Nachricht vom Waffenſtillſtande die lakoniſche Bemerkung: war doch gut. Wie er Napoleons Stolz kannte, hielt er für ganz undenkbar, daß der noch un - beſiegte Imperator auf Oeſterreichs Friedensvorſchläge eingehen würde; ſeine Zuverſicht war um ſo feſter, da er die freundlichen Abſichten der Hofburg weit überſchätzte.

Während Oeſterreich ſich anſchickte den Weltfrieden zu vermitteln, führte der Staatskanzler die Verhandlungen mit England weiter und ſchloß am 14. Juni den Vertrag von Reichenbach, kraft deſſen die beiden Mächte ſich verpflichteten die Unabhängigkeit der von Frankreich unter - drückten Staaten wieder herzuſtellen. Schritt für Schritt hatte er mit der welfiſchen Habgier ringen müſſen, und wenn er ſchließlich zur Hälfte nachgab, ſo befand er ſich in der Lage des Bedrängten, der in höchſter Geld - noth einem Wucherer Wucherzinſen zahlt. Ohne die engliſchen Subſidien war Preußen völlig außer Stande den Krieg fortzuführen, das hatte Har - denberg ſchon im Februar dem britiſchen Cabinet erklärt. Als er ein - mal dem General Stewart vorhielt, das Parlament und die engliſche Nation würden ein ſo kleinliches Verfahren in großer Sache ſicherlich nicht billigen, da erwiderte Jener mit unfreiwilligem Humor: ich bin weder von der Nation noch von dem Parlament hierhergeſchickt worden, ſondern von S. K. Hoheit dem Prinzregenten! Stewart und ſein Amts - genoſſe, der hölzerne, ſteif pedantiſche Lord Clancarty trugen die Ueber - legenheit des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigenthümlichen Rückſichtsloſigkeit zur Schau; nach einer glaubwürdigen Ueberlieferung iſt dem preußiſchen Staate ſogar die zollfreie Einfuhr aller engliſchen Waaren zugemuthet worden. Dazu die bodenloſe Unwiſſenheit dieſer Torys; aus Clancartys Briefen mußte Hardenberg erſehen, daß der Lord den Kaliſcher Vertrag entweder nie geleſen oder gröblich mißverſtanden hatte. Von ſelbſt verſtand ſich, daß Preußen nur halb ſo viel Subſidien erhalten ſollte als Rußland, das überdies, Dank ſeiner geographiſchen Lage, vor welfiſchen Landforderungen bewahrt blieb; die unglücklichen Zif - fern des Kaliſcher Vertrags zeigten jetzt ihre praktiſche Bedeutung. Endlich einigte man ſich über 666,666 Pfd. St., wofür Preußen 80,000 Mann ins Feld ſtellen ſollte; und dieſe für einen ſolchen Krieg armſelige Summe, um ein Drittel niedriger als die an Schweden bewilligten Subſidien, ward nachher zum Theil in unbrauchbaren Uniformen bezahlt.

Gegen die Abtretung altpreußiſcher Gebiete ſträubte ſich das Pflicht -463Bündniß mit England.gefühl des Königs. Er wollte zur Noth Hildesheim, das nur vier Jahre lang preußiſch geweſen, den Welfen überlaſſen, doch weder die getreuen Ravensberger, noch das feſte Minden, das der Kriegskunſt jener Zeit als der Schlüſſel der Weſerlinie galt. Auch als die welfiſchen Unterhändler ſtatt deſſen die Abtretung von Oſtfriesland vorſchlugen, blieb der König ſtandhaft; es kam zu einem heftigen Auftritt zwiſchen ihm und dem Staats - kanzler. Die Welfen mußten ſich zuletzt begnügen mit dem Verſprechen, daß Preußen ihrem Stammlande eine Abrundung von 250 300,000 Seelen, einſchließlich Hildesheim, verſchaffen werde. Die Ausſichten der preußiſchen Diplomatie wurden von Tag zu Tag trüber; ſie hatte neue drückende Verpflichtungen übernommen und zum Entgelt wieder nur die allgemeine Zuſage erlangt, daß Preußen zum Mindeſten ebenſo mächtig werden ſolle wie vor dem Kriege von 1806. Einen Tag darauf ſchloß Rußland ſein Kriegsbündniß mit England. Der Czar blieb für die Frie - denswünſche ſeiner Generale wie für Napoleons Anerbietungen ganz un - zugänglich: der Ruhm des Weltbefreiers und die polniſche Königskrone ſtanden ſo glänzend vor ſeiner Seele, daß er der Ermahnungen Steins jetzt kaum bedurfte, und der Kanzler Rumänzoff, der alte Gegner der Coalition, entmuthigt um Entlaſſung bat. Die preußiſchen Patrioten fanden ſich nach kurzer Verſtimmung raſch wieder zuſammen in der frohen Gemeinſchaft der unſichtbaren Kirche, wie Niebuhr zu ſagen pflegte; ſie bemerkten bald, wie ſehr die Waffenruhe der Ausbildung der Landwehr zu gute kam. In Schleſien entfaltete Gneiſenau im Verein mit dem wackeren Präſidenten Merkel eine gewaltige Thätigkeit, ſo daß bei Ablauf des Stillſtands 68 Bataillone Landwehr formirt waren. Blücher ſchrieb ihm zufrieden: Landwehren Sie man druff, aber wenn die Fehde wieder beginnt, dann geſellen Sie Sich wieder zu mich!

Wie dieſe Rüſtungen, ſo bewieſen auch die Friedensvorſchläge des Czaren und des Königs, daß die Verbündeten nicht geſonnen waren auf halbem Wege ſtehen zu bleiben. Sie verlangten: Wiederherſtellung der alten Macht von Preußen und Oeſterreich, Auflöſung des Rheinbundes und des Herzogthums Warſchau, Rückgabe der Nordſeeküſte, endlich die Unabhängigkeit von Holland, Spanien und Italien. Es waren im We - ſentlichen die Pläne von Bartenſtein; nur ein ungeheurer Krieg konnte ſie verwirklichen. Ganz anders ſah Kaiſer Franz die Lage an. Ihm graute vor dieſem Kriege, vor dem Enthuſiasmus der norddeutſchen Ju - gend; aus tiefſter Seele hatte er ſeinem Schwiegerſohne zu der Groß - görſchener Schlacht Glück gewünſcht und die Hoffnung ausgeſprochen, dies erſte Treffen werde viele Leidenſchaften abgekühlt, viele Chimären zerſtört haben. Furchtbar war ihm der Gedanke, daß er die unmilitäriſchen Ge - wohnheiten ſeines ſchläfrigen Schreiberlebens aufgeben und, wie die beiden verbündeten Monarchen, ins Feldlager gehen ſollte. Regungen der Zärt - lichkeit für ſeine Tochter in Paris beirrten freilich den Hartherzigen nicht,464I. 4. Der Befreiungskrieg.dem die Diplomaten nachrühmten, er habe ganz politiſche Eingeweide. Aber wozu ein wagnißvoller Krieg, wenn man im Frieden die Ueberlegen - heit Frankreichs ein wenig einſchränken und eine glänzende Stellung an der Seite des mächtigen Schwiegerſohns erlangen konnte? Auch ſeine Staatsmänner waren von kriegeriſchen Entſchlüſſen noch weit entfernt. Gentz ſchrieb noch am 24. Juni vertraulich an Karadja: die Hofburg hege die Ueberzeugung, daß die Mittel zur Niederwerfung der franzöſiſchen Uebermacht noch nicht reif ſeien; er fand es ſonderbar, daß die Alliirten, während ſie Oeſterreich zur Friedensvermittlung aufforderten, gleichzeitig mit England ein Kriegsbündniß ſchlöſſen.

Noch deutlicher ſprachen die Friedensvorſchläge ſelbſt, welche der Mediator den Verbündeten vorlegte; ſie zeigten unzweideutig, daß die Hofburg nichts dringender wünſchte als den Frieden, daß ihre bisherigen Verhandlungen mit Napoleon keineswegs eine Komödie geweſen waren. Oeſterreichs Wünſche beſchränkten ſich auf vier Punkte: Aufhebung des Herzogthums Warſchau, das unter die Oſtmächte vertheilt werden ſollte; Verſtärkung des preußiſchen Staates durch dieſe Theilung, durch die Rück - gabe von Danzig und durch die Räumung der Feſtungen; Rückfall der illyriſchen Provinzen an Oeſterreich; dazu die Wiederherſtellung von Ham - burg und Lübeck und für den unwahrſcheinlichen Fall, daß England ſich zu einem allgemeinen Frieden bereit fände, auch noch die Herausgabe der deutſchen Nordſeeküſte. Alle Herzenswünſche der Hofburg kamen in dieſem Programme an den Tag. Mit Illyrien erhielt Oeſterreich ſeine adriatiſche Machtſtellung wieder; durch die Auflöſung von Warſchau verſchwand jener Herd polniſcher Verſchwörungen, welchen Metternich immer als hochge - fährlich für die drei Oſtmächte angeſehen hatte; Preußen aber empfing durch die neue Theilung Polens grade jene Provinzen zurück, an denen dem Könige wenig lag, wurde kaum wieder eine Macht zweiten Ranges; der Rheinbund endlich blieb erhalten, nach Metternichs altem Grundſatze, daß man die kleinen Höfe durch nachgiebige Güte gewinnen müſſe.

Welche Zumuthung für die Verbündeten! Sie ſchwankten lange, ver - handelten ſeit dem 10. Juni mit Stadion im Hauptquartier zu Reichenbach und gleichzeitig in wiederholten perſönlichen Zuſammenkünften mit dem kaiſerlichen Hofe, der ſeine Reſidenz in die Schlöſſer an der böhmiſch-ſchleſi - ſchen Grenze verlegt hatte. Trotz aller Bedenken blieb Hardenberg des zu - verſichtlichen Glaubens, daß Napoleon niemals in dieſe beſcheidenen Bedin - gungen willigen werde; forderten ſie doch von ihm was er noch in ſtarker Hand feſthielt! Am 27. Juni unterzeichneten endlich Stadion, Neſſelrode und Hardenberg den Reichenbacher Vertrag, welcher die öſterreichiſchen Vorſchläge guthieß, aber zugleich der Hofburg zum erſten male eine halb - wegs ſichere Verpflichtung auferlegte. Oeſterreich mußte verſprechen, falls Napoleon die Friedensbedingungen bis zum 20. Juli nicht annähme, ſo - fort die Waffen zu ergreifen, mit mindeſtens 150,000 Mann an dem465Reichenbacher Vertrag v. 27. Juni.Feldzuge theilzunehmen und einen gemeinſamen Kriegsplan mit den Ver - bündeten zu vereinbaren; trat der Kriegsfall ein, ſo ſollte der von den Alliirten urſprünglich vorgeſchlagene Plan einer gründlichen Neugeſtaltung Europas als das Ziel des gemeinſamen Kampfes gelten, und man ver - pflichtete ſich dieſen Plan im weiteſten Sinne auszulegen. Alſo eröffnete ſich doch eine Ausſicht, die ſchwankende Hofburg in einen Krieg großen Stiles hineinzureißen.

Aber auch nur eine Ausſicht. Denn unterdeſſen war Metternich nach Dresden gegangen, in der feſten Abſicht Napoleon für den Frieden zu gewinnen. Dort ging es hoch her, im Palaſte Marcolini: der ge - ſammte kaiſerliche Hofſtaat war verſammelt, Talma und die Mars ſpielten vor dem Imperator. Die franzöſiſche Nation ſollte glauben, daß ihr Be - herrſcher den Frieden ernſtlich wolle und ſich auf die langen Verhand - lungen eines großen europäiſchen Congreſſes einrichte. In Wahrheit war all ſein Sinnen nur noch auf die Wiederaufnahme des Krieges gerichtet; die Anwandlungen friedlicher Gedanken verflogen ſeit er den guten Fort - gang ſeiner gewaltigen Rüſtungen ſah und die unbeirrte Feſtigkeit des Czaren erkannte. Als er mit dem Abgeſandten des vermittelnden Hofes in einer langen Unterredung unter vier Augen ſich beſprach, da brach ſein beleidigter Stolz und der verhaltene Zorn über alle die getäuſchten Hoffnungen, die er einſt an die öſterreichiſche Familienverbindung geknüpft, in ſo leidenſchaftlichen und gehäſſigen Worten durch, daß Metternich jetzt zum erſten male ernſtlich zu bezweifeln begann, ob eine Verſtändigung mit dieſem Manne möglich ſei. Die Ueberhebung des Imperators, der ſich längſt gewöhnt hatte die Habsburg-Lothringer als ſtörriſche Vaſallen der Krone Frankreich zu behandeln, erſchien dem weltkundigen öſter - reichiſchen Diplomaten wie Raſerei; und dabei ſagte ſich der vollendete Weltmann mit ſtillbefriedigtem Lächeln, dieſer unbändig polternde Allge - waltige ſei doch nur ein Plebejer. Trotzdem trennte man ſich zuletzt in leidlichem Einvernehmen ſo ſtark waren noch immer Oeſterreichs Friedenswünſche und verabredete zugleich, daß ein förmlicher Frie - denscongreß in Prag zuſammentreten, der Ablauf des Waffenſtillſtandes aber vom 20. Juli auf den 10. Auguſt hinausgeſchoben werden ſolle. Napoleon hatte ſeine Rüſtungen noch nicht beendet, und auch die Hofburg hieß jede Vertagung willkommen, da ihr Heer ſich noch in unfertigem Zu - ſtande befand.

Darauf neue peinliche Erwägungen im Hauptquartiere der Alliirten, denen weder der Congreß noch die Verlängerung der Waffenruhe gelegen kam. Am 4. Juli traf Hardenberg mit Neſſelrode, Metternich und Sta - dion im Schloſſe Ratiborziz zuſammen. Es entſpann ſich eine lange ſtürmiſche Verhandlung; Neſſelrode geſteht, daß er im ganzen Verlaufe ſeiner langen diplomatiſchen Laufbahn kaum je einer bewegteren Sitzung beigewohnt habe. Die Alliirten legten ſchließlich die Leitung der PragerTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 30466I. 4. Der Befreiungskrieg.Verhandlungen vertrauensvoll in Oeſterreichs Hände, da Metternich drohte, ſein Kaiſer werde ſonſt vielleicht in bewaffneter Neutralität verharren; aber ſie erklärten zugleich ihren feſten Entſchluß den Krieg im äußerſten Falle auch ohne Oeſterreich fortzuſetzen. Damit war Oeſterreichs Eintritt in den Kampf nahezu entſchieden. Denn offenbar konnten Metternichs Pläne nur gelingen, wenn er ſich von den Verbündeten nicht gänzlich trennte; wurden die Waffen wieder aufgenommen und der öſterreichiſche Hof blieb neutral, ſo mußte er fürchten von den Früchten der Siege der Coalition ausgeſchloſſen, doch in die Folgen ihrer Niederlagen mit verwickelt zu werden. Eine politiſche Nothwendigkeit, die ſtärker war als eines Men - ſchen Wille, drängte den Wiener Hof aus ſeiner zuwartenden Haltung heraus. Gleichwohl kehrten noch im Juli, ja bis zur Stunde der letzten Entſcheidung bange Augenblicke des Zweifels wieder. Im preußiſchen Hauptquartiere ſprach Ancillon nach ſeiner kleinmüthigen Weiſe für den Frieden, und Kneſebeck führte in einer Denkſchrift*)Die Abſchrift, die mir vorlag, trägt kein Datum. Das Memoire kann aber, nach Form und Inhalt, nur während des Waffenſtillſtandes geſchrieben ſein. aus: auf die Auf - löſung des Rheinbundes ſei für jetzt nicht zu hoffen, der preußiſche Staat könne aber zur Noth auch ohne Magdeburg beſtehen, wenn er nur auf dem rechten Elbufer durch Mecklenburg und Schwediſch-Pommern wohl abgerundet würde und eine feſte Poſition an der Weichſel erhielte! Der König ſelbſt dachte muthiger, hielt dem Kaiſer Franz in einem eigen - händigen Briefe vor: der preußiſche Staat müſſe in Deutſchland erheblich vergrößert werden, wenn Oeſterreich an ihm einen ſtarken und zuver - läſſigen Nachbar haben wolle.

Währenddem ward man auch mit Schweden endlich handelseinig. Da Dänemark wieder förmlich zu dem franzöſiſchen Bündniß zurückkehrte, ſo fielen Friedrich Wilhelms Bedenken hinweg, und er verbürgte durch den Vertrag vom 22. Juli der Krone Schweden, die nunmehr dem Kali - ſcher Bunde beitrat, die Erwerbung von Norwegen. Ein geheimer Artikel verhieß den Dänen nöthigenfalls auf deutſchem Boden eine Entſchädigung für Norwegen. Hardenbergs Leichtſinn fand daran kein Arg; er meinte, dieſe Entſchädigung könne höchſtens in einem kleinen Fetzen Landes be - ſtehen, da man ja Dänemark durch die Waffen bezwingen wollte, und glaubte zu wiſſen, daß Schwediſch-Pommern auf keinen Fall den Kauf - preis für Norwegen bilden werde. Hatte ihm doch Bernadotte mündlich verſichert, Schweden ſei geneigt, den letzten Reſt ſeiner deutſchen Be - ſitzungen an Preußen abzutreten**)Hardenbergs Tagebuch 24. Januar 1814.. Aber was war auf ſolche unbe - ſtimmte Zuſagen des Treuloſen zu geben?

Mit jedem neuen Tage wuchſen die Hoffnungen auf Oeſterreichs Beitritt; auch die Nachricht von Wellingtons ſtrahlendem Siege bei Vit -467Prager Congreß.toria und der gänzlichen Befreiung Spaniens wirkten ermuthigend auf die Hofburg. Napoleon war unterdeſſen nach Mainz gegangen, auf Frank - reichs claſſiſchen Boden, wie er das linke Rheinufer zu nennen pflegte. Noch einmal hielt er dort großen Hoftag; Dalberg und die Fürſten von Baden, Darmſtadt, Naſſau überbrachten perſönlich ihre unterthänigen Glückwünſche zu den Siegen des Frühjahrs. Er freute ſich an dem An - blick ſeiner herrlichen Truppen und kehrte dann nach Dresden zurück mit dem ſtolzen Bewußtſein, daß er wieder ſtark genug ſei um der Welt Ge - ſetze zu geben. Im Rauſche ſeines Stolzes that er gefliſſentlich Alles was den vermittelnden Hof beleidigen und verletzen mußte, alſo daß Kaiſer Franz zuletzt geradezu durch die gekränkte Fürſtenehre genöthigt ward mit dem Schwiegerſohne zu brechen.

Die Geſandten der Alliirten in Prag, Anſtett und Humboldt, hatten Beide ſehr beſchränkte Vollmacht und waren insgeheim Beide entſchloſſen den Verhandlungen jedes mögliche Hinderniß in den Weg zu legen. Nie - mand war für eine ſolche Aufgabe beſſer geeignet als Humboldt, der Meiſter aller dialektiſchen Künſte; auch er fühlte ſich ergriffen von der Begeiſterung der Zeit, ſo weit ſeine kühle Natur dazu fähig war, und legte willig ſeine gelehrten Arbeiten zur Seite um einmal ganz der Politik zu leben. Napoleons Hochmuth überhob ihn jedoch aller Anſtrengung. Mehrere Tage lang mußte er mit Anſtett warten bevor ein franzöſiſcher Bevollmächtigter eintraf; endlich erſchien Narbonne, aber ohne genügende Beglaubigung. Wieder vergingen einige Tage bis Caulaincourt am 28. Juli ankam. Dann begann ein Austauſch von diplomatiſchen Noten über die Form der Verhandlungen; die franzöſiſchen Bevollmächtigten warfen dabei mit hämiſchen Bemerkungen nach allen Seiten hin um ſich und ſetzten den leeren Formenſtreit hartnäckig fort bis zum letzten Tage der Waffenruhe, dergeſtalt daß auf dieſem wunderlichſten aller Congreſſe nicht einmal eine gemeinſame Sitzung der Bevollmächtigten ſtattfinden konnte.

Der offenbare Hohn, der aus dem Auftreten der Franzoſen ſprach, ſagte dem öſterreichiſchen Miniſter genug. Er fühlte, daß ſein Hof nicht mehr zurück konnte und traf in der Stille ſeine Maßregeln um dem Kaiſer - hauſe einen reichen Kriegslohn zu ſichern. Noch während des Congreſſes wurde zu Prag am 27. Juli mit dem altbefreundeten England eine geheime Vereinbarung geſchloſſen, wonach Oeſterreich das Königreich Italien und Illyrien erhalten ſollte; der König von Sardinien erhielt ſein Erbe zurück, Mittelitalien zuſammt Genua wurde unter den Erzherzögen der öſter - reichiſchen Vetterſchaft aufgetheilt; Sicilien blieb dem von England be - ſchützten Bourbonen. Ja England verſprach ſogar im Voraus Alles gut - zuheißen was Oeſterreich auf der Halbinſel thun würde*)Der Wortlaut dieſes Vertrags iſt noch unbekannt. Sein weſentlicher Inhalt. Die Abſicht30*468I. 4. Der Befreiungskrieg.des britiſchen Cabinets war einfach die franzöſiſche Herrſchaft aus Italien zu verdrängen; eine italieniſche Nation wollten die Torys nicht anerkennen, auch über die Anſprüche des Papſtes ging man gleichmüthig hinweg. Das Abkommen blieb tief geheim, da Rußland, der alte Gönner Piemonts, unter Kaiſer Paul die italieniſchen Pläne Oeſterreichs lebhaft bekämpft hatte. Von Preußen ſtand freilich kein Einſpruch zu erwarten. Daß die Hofburg die alten Thugut’ſchen Projecte wieder aufnehmen würde, galt dem Staatskanzler von vornherein als ſelbſtverſtändlich. Er hat ſogar Oeſter - reich aufgefordert, die Italiener zum Freiheitskampfe aufzubieten; in Kne - ſebecks Denkſchriften hieß es kurzab: was Oeſterreich in Italien verlangt liegt ja in der Natur der Dinge.

Die Stellung des Mediators, der alſo bereits durch zwei geheime Verträge ſeine Unparteilichkeit aufgegeben hatte, wurde täglich unhaltbarer; das Poſſenſpiel des Congreſſes drängte zum Ende. Vier Tage vor Ab - lauf der Waffenruhe wendete ſich Napoleon noch einmal mit einer ver - traulichen Anfrage an Oeſterreich allein offenbar nur um nachher der friedensluſtigen franzöſiſchen Nation ſeine Verſöhnlichkeit beweiſen zu können. Als Metternich darauf ein Ultimatum ſtellte, das die Reichenbacher Vor - ſchläge in etwas ſchärferer Faſſung wiederholte, gab der Imperator eine im Weſentlichen ablehnende Antwort und ließ dieſe abſichtlich zu ſpät von Dresden abgehen, ſo daß ſie erſt am 11. Auguſt in Prag eintreffen konnte. Der Waffenſtillſtand war abgelaufen ohne daß Frankreich die Friedens - bedingungen angenommen hatte. Mit dem letzten Glockenſchlage des 10. Auguſt erklärten Humboldt und Anſtett, ihre Vollmacht ſei erloſchen, der Congreß beendigt. Die Verpflichtungen von Reichenbach traten nunmehr in Kraft, der Trotz Napoleons hatte Oeſterreich in das Lager der Coali - tion getrieben.

Jener große europäiſche Bund, woran die Staatsmänner ſeit acht - zehn Jahren immer vergeblich gearbeitet, jetzt ſtand er endlich in Waffen: alle die vier alten Großmächte, mit ihnen Schweden und demnächſt auch die wiederbefreiten Staaten der iberiſchen Halbinſel. Und diesmal führte nicht das Ungefähr diplomatiſcher Verwickelungen die Höfe zuſammen, ſondern eine hohe Nothwendigkeit: es galt, die Freiheit der Welt, das lebendige Nebeneinander der Nationen, worauf die Größe der abendlän - diſchen Geſittung beruht, wiederherzuſtellen. Wohl traten mit England und Oeſterreich zwei Mächte in das Bündniß ein, denen jedes Verſtänd - niß abging für die Sehnſucht des norddeutſchen Volkes. Sonderbar genug ſtach die gewundene Sprache des öſterreichiſchen Kriegsmanifeſtes von dem herzerwärmenden ehrlichen Tone der preußiſchen Aufrufe ab. Wie war*)erhellt aus einer Note Metternichs an Caſtlereagh, Paris 27. Mai 1814, welche Farini (Storia d’Italia dall anno 1814. I. 27) im Turiner Hausarchive gefunden hat. Vieles an dem Hergang erſcheint noch räthſelhaft.469Ende der Waffenruhe.doch Gentzens reicher Geiſt in Wien verknöchert und verdorrt, daß er jetzt mit byzantiniſchem Redeſchwall den kaiſerlichen Schwiegervater verherrlichte, der über gewöhnliche Bedenklichkeiten weit erhaben, für das heiligſte Intereſſe der Menſchheit hingegeben habe was ſeinem Herzen das Theuerſte war! Auch die bitteren Bemerkungen des Manifeſtes über die dem regelmäßigen Gange der Regierungen zuvoreilenden ungeduldigen Wünſche der Völker ließen ahnen, daß der Krieg durch Oeſterreichs Theilnahme ſeinen Charakter ver - ändern, manche Hoffnung der Patrioten in Enttäuſchung enden würde. Doch es ſtand nicht anders, ohne Oeſterreichs Zutritt konnte die Coali - tion ſich gegen das Weltreich nicht behaupten. Der Ausgang des Prager Congreſſes war ein großer diplomatiſcher Erfolg; Friedrich Wilhelm wußte, daß er ihn gutentheils der Gewandtheit ſeines Staatskanzlers verdankte. Erleichterten Herzens eilte Humboldt in jener verhängnißvollen Mitternacht des 10. Auguſt auf den Hradſchin um das verabredete Zeichen zu geben; bald flammten die Fanale auf den Kuppen der Rieſenberge und trugen noch in derſelben Nacht nach Schleſien hinüber zu dem aufjubelnden preußiſchen Heere die frohe Kunde, daß in ſechs Tagen der Krieg von Neuem beginne.

Durch den glücklichen Fortgang der preußiſch-ruſſiſchen Rüſtungen und durch den Zutritt von 110,000 Mann Oeſterreichern wurde endlich das Gleichgewicht der Kopfſtärke zwiſchen den beiden Parteien annähernd hergeſtellt. Die Coalition verfügte über eine Feldarmee von über 480,000 Mann, worunter etwa 165,000 Preußen und nahezu ebenſo viel Ruſſen, ſie war dem Feinde namentlich durch die Stärke ihrer Reiterei und Artil - lerie überlegen. Napoleon hatte ſein Heer auf 440,000 Mann gebracht. Die Fürſten des Rheinbundes leiſteten willig Heeresfolge, zumal da der Protector wieder den Schirmherrn des Particularismus ſpielte und ihnen die Gefahr der Wiederherſtellung des alten deutſchen Reichs, des Verluſtes der Souveränität in finſteren Farben ſchilderte. Nur der Münchener Hof zeigte eine verdächtige Saumſeligkeit; er nahm die Kriegserklärung Oeſter - reichs zum Vorwande um die Hauptmaſſe ſeines Heeres im Lande zurück - zuhalten, ſtellte nur eine ſchwache Diviſion auf den norddeutſchen Kriegs - ſchauplatz. Verließ das Glück die franzöſiſchen Fahnen, ſo war Baiern zum Abfall vorbereitet. Unter den unglücklichen Truppen des Rheinbundes nahm der Unmuth überhand ſeit den theuer erkauften fruchtloſen Siegen des Frühjahrs. Napoleon traute ihnen nicht, am wenigſten den Weſt - phalen. Trotzdem ſah er dem Kriege mit Zuverſicht entgegen. Die ge - ringe Ueberzahl der Feldarmee der Verbündeten wurde reichlich aufge - wogen durch den Beſitz der Feſtungen des Nordoſtens, deren Einſchließung faſt die Hälfte der preußiſchen Landwehr ſowie einen großen Theil des ruſſi - ſchen Heeres in Anſpruch nahm, vornehmlich aber durch die günſtige centrale Stellung an der Elblinie, die von Glückſtadt und Hamburg bis hinauf470I. 4. Der Befreiungskrieg.nach Dresden und Königſtein in Napoleons Händen war. Faſt auf der nämlichen Stelle hatte einſt König Friedrich ſechs Jahre lang eine un - gleich bedrohlichere Uebermacht in Schach gehalten; warum ſollte dem Kriegsfürſten des neuen Jahrhunderts nicht auch gelingen, durch gewandte Benutzung der kurzen inneren Operationslinien, die er beherrſchte, die Gegner zu überraſchen, ihre weit von einander getrennten Heere vereinzelt zu ſchlagen?

Den ſittlichen Kräften der Coalition erwuchs aus dem Beitritt Oeſter - reichs kein Gewinn. Die kaiſerlichen Truppen ſchlugen ſich tapfer wie zu allen Zeiten; von der ſtürmiſchen Begeiſterung des norddeutſchen Volkes empfanden ſie wenig, weniger ſogar als die Ruſſen, die nicht nur ihren alten Ruhm unerſchütterlicher paſſiver Todesverachtung wieder bewährten, ſondern auch durch das lange Zuſammenleben mit den Preußen und durch die Gunſt des Glücks nach und nach Freude gewannen an dem unwillig begonnenen deutſchen Kriege. Der Geiſt von 1809 erwachte nicht wieder. Die Völker Oeſterreichs ſahen ſich ungern aufgeſtört aus der bequemen Ruhe der jüngſten vier Jahre, ſie ſprachen ihre Furcht vor einem neuen Einbruche der franzöſiſchen Eroberer ſo lebhaft aus, daß Erzherzog Johann ſeinen Grazern Muth einſprechen mußte; ſie bemitleideten die ausziehenden Soldaten und behielten von den Thaten dieſes Krieges nichts im Gedächtniß, während die Erinnerung an Aspern und Wagram in Aller Herzen fortlebte. Die breite Kluft, welche das geiſtige Leben der Oeſterreicher von den übrigen Deutſchen trennte, wurde durch den Befreiungskrieg nicht überbrückt. Nur Anſtands halber, nur um nicht allzu weit hinter Preußen zurückzubleiben ließ auch Kaiſer Franz eine Deutſche Legion für Freiwillige aus dem Reiche bilden, ein Freicorps, das niemals irgend eine Bedeutung erlangte. Die altgewohnte unbehilfliche Schwerfälligkeit der Führung und Verwal - tung des öſterreichiſchen Heeres erregte wieder den Spott der franzöſiſchen Soldaten über die Kaiſerlicks; glänzenden Kriegsruhm erwarb ſich, außer einigen kühnen Reiteroffizieren, kein einziger der k. k. Generale.

Da die Hofburg den Krieg nur mit halbem Herzen führte, beſtändig in Angſt vor der nationalen Begeiſterung der Preußen und den polniſchen Plänen des Czaren, ſo konnte ſie auch ihren tüchtigſten Feldherrn nicht verwenden; überdies war Erzherzog Karl ſeinem mißtrauiſchen kaiſerlichen Bruder verdächtig und als alter Gegner der ruſſiſchen Allianz dem Peters - burger Hofe unwillkommen. Fürſt Schwarzenberg erhielt den Oberbefehl, ein tapferer Reiterführer und ehrenhafter Cavalier, der mit feinem diplo - matiſchem Takte die mächtigen ſtreitenden Intereſſen im großen Haupt - quartiere auszugleichen, unter den ſchwierigſten Verhältniſſen, trotz der Anweſenheit von drei Monarchen die buntſcheckige Maſſe der verbün - deten Heere leidlich zuſammenzuhalten verſtand; doch dem Genie Napo - leons fühlte er ſich nicht gewachſen, der große Ehrgeiz des geborenen Feld - herrn blieb ihm fremd. Sein trefflicher Generalſtabschef Radetzky beſaß471Beginn des Herbſtfeldzugs.geringen Einfluß; in der Regel gaben die Generale Duca und Langenau den Ausſchlag im Kriegsrathe, zwei Theoretiker aus Lloyds behutſam methodiſcher Kriegsſchule, denen nichts ſchrecklicher war als das Wagniß der Feldſchlacht. Noch war der Zauber des napoleoniſchen Namens un - gebrochen. Selbſt Czar Alexander begann zu glauben, daß die neufran - zöſiſche Kriegskunſt allein durch ihre eigenen Schüler zu überwinden ſei; er ſetzte ſein Vertrauen vornehmlich auf Bernadotte und zwei andere franzöſiſche Ueberläufer, Moreau und Jomini, ja er erwartete ſogar, daß dieſe Abtrünnigen Zwieſpalt und Parteikampf im napoleoniſchen Heere her - vorrufen könnten eine Hoffnung, die an dem ehrenwerthen Patriotis - mus der Franzoſen zu Schanden wurde. Nur im preußiſchen Lager lebte das leidenſchaftliche Verlangen nach großen durchſchlagenden Entſcheidungen und das ſtolze Selbſtvertrauen, das den Sieg verbürgt; aber erſt im Ver - laufe des Kriegs, nach errungenem Erfolge erlangten die preußiſchen Heer - führer, die bedeutendſten militäriſchen Talente der Coalition, Macht und Anſehen.

Die Abſicht Metternichs ſeinem Hofe die führende Stellung in der Allianz zu verſchaffen, erfüllte ſich vollſtändig. Wie der Oberbefehl der geſammten Streitkräfte dem Fürſten Schwarzenberg anvertraut wurde, ſo berückſichtigte auch der Kriegsplan der Verbündeten in erſter Linie die Intereſſen Oeſterreichs. General Toll, der fähigſte Generalſtabsoffizier der ruſſiſchen Armee, vereinbarte am 12. Juli zu Trachenberg mit Kne - ſebeck und dem ſchwediſchen Kronprinzen die Bildung dreier Heere, deren jedes aus Truppen der verſchiedenen Nationen gemiſcht ſein ſollte, während Blücher umgekehrt ſeine Preußen unter ſeinem eigenen Befehle zu ver - einigen wünſchte. Die Hauptarmee von 235,000 Mann verſammelte ſich an der Nordgrenze von Böhmen unter Schwarzenbergs unmittelbarer Führung; dadurch wurde Kaiſer Franz ſeiner ſchwerſten Sorge ledig, eine Verlegung des Kriegsſchauplatzes nach dem Innern Oeſterreichs war kaum noch zu befürchten. In den Marken und an der Niederelbe ſtand die Nordarmee unter Bernadotte, über 150,000 Mann, in Schleſien Blücher mit 95,000 Mann. Alle drei Heere ſollten die Offenſive er - greifen und ihren Sammelplatz im Lager des Feindes ſuchen; wendete ſich Napoleon von ſeinem Stützpunkte Dresden aus mit überlegener Macht gegen eine der drei Armeen, ſo wich dieſe aus und die beiden anderen bedrohten ihn in Rücken und Flanke. So hatte das alte Europa doch endlich etwas gelernt von der neuen großartigen Kriegsweiſe: nicht mehr die Beſitznahme einzelner geographiſcher Punkte, ſondern die Beſiegung des Feindes wurde als der Zweck der Operationen bezeichnet. Frei - lich ſtimmten die überbehutſamen Vorſchriften für die Ausführung wenig zu der Kühnheit des ſtrategiſchen Grundgedankens. Der ſchleſiſchen Armee dachte das große Hauptquartier nur die beſcheidenen Aufgaben eines großen Obſervationscorps zu, da ſie die ſchwächſte von allen war472I. 4. Der Befreiungskrieg.und der ſtärkſten Poſition des Feindes gegenüberſtand; mit Mühe erwirkte ſich Blücher die Erlaubniß unter außerordentlich günſtigen Umſtänden eine Schlacht anzunehmen. Seine Offiziere klagten über die beſcheidene Rolle, die man ihnen zuwies, und beneideten ihre nach Böhmen zur Hauptarmee abmarſchirenden Kameraden; der alte Held aber nahm ſich vor, ſeine Voll - macht im allerweiteſten Sinne auszulegen. Ein Glück übrigens, daß man im großen Hauptquartiere die feindlichen Streitkräfte um volle 100,000 Mann unterſchätzte; ſo gewannen die Bedachtſamen doch einigen Muth.

Auch Napoleon war über die Stärke und die Stellungen der Ver - bündeten ſchlecht unterrichtet; er ſuchte ihre Hauptarmee in Schleſien und ſchlug die Kopfzahl der Nordarmee viel zu niedrig an. Sein nächſtes Ziel blieb noch immer die Vernichtung der preußiſchen Macht. Derweil der Imperator ſelbſt die ſchwierige Aufgabe übernahm, von Dresden aus zugleich die böhmiſche und die ſchleſiſche Armee zurückzuhalten, ſollte Oudinot Berlin erobern, die Landwehr entwaffnen, die preußiſche Volkser - hebung völlig niederwerfen. Glückte dieſer Schlag, ſo ſchien es möglich Stettin und Küſtrin zu verſtärken, vielleicht ſelbſt Danzig zu entſetzen; der Zauderer Bernadotte wich dann unzweifelhaft an die Küſte zurück, Preußen und Rußland aber mußten ihre geſammten Streitkräfte in den bedrohten Nordoſten werfen und ſich von Oeſterreich trennen. Alſo wurde die Coalition gelockert, und vielleicht gelang es alsdann der diplomatiſchen Kunſt Napoleons, ſie gänzlich zu zerſprengen. Da er an den vollen Ernſt der Hofburg auch jetzt noch nicht glaubte, ſo vermied er abſichtlich einen Zug gegen Böhmen; Kaiſer Franz durfte an der wohlwollenden Mäßigung des liebevollen Schwiegerſohnes nicht zweifeln. Die Befürchtung, daß er umgangen und vom Rheine abgeſchnitten werden könne, wies der Kriegs - erfahrene lachend zurück: ein Heer von 400,000 Mann umgeht man nicht. Er wußte wohl, welchen Vortheil ihm die Einheit des Oberbefehls und die concentrirte Stellung ſeines Heeres boten, und zog was irgend verfügbar war nach Oberſachſen heran. Nur das Corps Davouſts wurde aus politiſchen Gründen an der Niederelbe zurückgehalten, denn das feſte Hamburg durfte um keinen Preis einer engliſchen Landungsarmee zum Brückenkopfe dienen.

Während Oudinot den Marſch nach den Marken antrat, wendete ſich Napoleon zunächſt gegen die ſchleſiſche Armee, in der Hoffnung den thatenfrohen Blücher zu einer Schlacht zu verleiten. Der preußiſche Feldherr wich der Uebermacht aus und ging erſt nach einigen Tagen wieder zum Angriff vor, als Napoleon mit einem Theile ſeines Heeres nach Dresden zurückeilte um die heranrückende böhmiſche Armee abzu - wehren. Macdonald, der in Schleſien zurückgeblieben, wähnte die Ver - bündeten noch im vollen Rückzuge und marſchirte am 26. Auguſt, keiner Schlacht gewärtig, gegen Jauer; ſeine Truppen drängten die Vorhut der Preußen zurück, überſchritten die vom Regen hoch angeſchwellten Ge -473Schlacht an der Katzbach.wäſſer der Katzbach und der wüthenden Neiße, ſtiegen dann ſorglos an den ſteilen Thalrändern empor auf die Hochebene, die ſich über dem Zu - ſammenfluß der beiden Gebirgsbäche erhebt. Droben aber ſtand York, hinter ſanften Anhöhen verſteckt, mit dem Centrum des Blücher’ſchen Heeres; er ließ einen Theil der Feinde auf die Hochebene heraufkommen und brach alsdann urplötzlich mit zermalmendem Ungeſtüm aus dem Hinterhalt hervor, auf ſeinem rechten Flügel von Sackens Ruſſen kräftig unterſtützt. Ein furchtbares Blutbad begann. Der überraſchte Feind ſtand eingepreßt in dem Winkel zwiſchen den beiden Gebirgswaſſern; Kolben und Bajonett bildeten die einzigen Waffen des Fußvolks, da die Musketen im Regen verſagten. Bei Anbruch der Nacht warf Katzelers Reiterei die aufgelöſten Trümmer des feindlichen Heeres in das Thal der wüthenden Neiße hinunter, Tauſende fanden den Tod in den wilden Wogen. Nur die Saumſeligkeit Langerons, der mit ſeinem ruſſiſchen Corps auf dem linken Flügel dem Kampfe fern blieb, rettete die Armee Macdonalds vor gänzlichem Untergange. Gneiſenau aber gedachte jener Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena und befahl die letzte Kraft von Roß und Mann an die Verfolgung zu ſetzen. Erſchöpft von der Schlacht und den Hin - und Hermärſchen der jüngſten Tage lagerten die ſiegreichen Truppen während der Nacht auf dem aufgeweichten Boden, ohne Feuer, hungernd und frierend, in abgeriſſenen dünnen Kleidern, die Meiſten ohne Schuhe; ihrer Viele erlagen der übermenſchlichen Anſtrengung. Dann brach man auf, den Geſchlagenen nach. Am 29. wurde die Diviſion Puthod bei Plagwitz von den Nachſetzenden erreicht und völlig zerſprengt noch bevor ſie das Wildwaſſer des Bobers überſchreiten konnte; auch die iriſche Legion, die unter franzöſiſchem Banner gegen den engliſchen Todfeind focht, fand ihr Grab in den Wellen des deutſchen Fluſſes. So hielt die wilde Jagd noch Tagelang an, immer bei ſtrömendem Regen, verluſtreich für die Sieger, verderblich für die Fliehenden, bis endlich am 1. September Blücher ſeinem Heere triumphirend verkünden konnte, das geſammte ſchleſiſche Land ſei vom Feinde geſäubert.

Die Schlacht an der Katzbach war der erſte wahrhaft fruchtbare Sieg dieſes Feldzugs. Sie befreite Schleſien, ſie hob die Zuverſicht im Heere der Verbündeten und brachte dem Werke Scharnhorſts eine glänzende Rechtfertigung, da die neue Landwehr ſich den beſten Linientruppen eben - bürtig zeigte; ſie erweckte was jedem nationalen Kriege unentbehrlich iſt, die Freude an einem volksthümlichen Helden, zu dem der kleine Mann bewundernd aufſchauen konnte. Der Name Blüchers war in Aller Munde.

Wer den Dingen näher ſtand wußte freilich, daß die Kriegspläne des alten Helden aus Gneiſenaus Kopfe ſtammten. So war der königliche Mann nun doch der Marſchall von Schleſien geworden, wie ihm Clauſewitz geweiſ - ſagt. Er hatte einſt in unheilvollen Tagen auf den Wällen Kolbergs die geſchändeten preußiſchen Fahnen zuerſt wieder zu Ehren gebracht. Jetzt wußte474I. 4. Der Befreiungskrieg.er die ſchleſiſche Armee ſo ganz zu durchdringen mit der feurigen That - kraft ſeines heldenhaften Geiſtes, daß dies kleinſte Heer der Coalition bald der Schwerpunkt ihrer Streitkräfte wurde; denn das ſtand ihm außer Zweifel, daß ein Muthiger Muthige ſchaffen könne. Bald hatte ſich zwi - ſchen ihm und Blücher jenes menſchlich ſchöne Verhältniß unverbrüchlichen Vertrauens gebildet, das für Deutſchlands Geſchicke ebenſo ſegensreich werden ſollte wie vormals die Freundſchaft von Luther und Melanchthon, von Schiller und Goethe. Willig ging der Alte auf die Ideen ſeines Generalquartiermeiſters ein und fand ſich darin zurecht als wären ſie ſein eignes Werk. Der Jüngere aber wahrte mit feinem Takte das Anſehen des Commandirenden, befahl immer nur in Blüchers Namen, hielt ſich ſo beſcheiden zurück, daß ſeine Frau ſelber lange nichts von der eigent - lichen Wirkſamkeit ihres Gatten erfuhr, und ertrug es ohne Murren, daß er der Mannſchaft faſt ebenſo unbekannt blieb wie einſt P. v. Weſtphalen den Soldaten Ferdinands von Braunſchweig. Beim Ausbruch des Krieges hatte er nur die Karten von Weſtdeutſchland und Frankreich mit ins Feld - lager genommen ſo beſtimmt rechnete er auf einen raſchen Siegeszug; nun warf ihn das Geſchick wieder in dieſe Oſtmark Deutſchlands, wo er einſt ſeine beſten Jahre im Einerlei ſubalternen Dienſtes verbracht hatte. Die Langeweile jener öden Zeit kam ihm jetzt zu gute; er kannte Weg und Steg im Lande, er wußte, daß die heimtückiſchen kleinen Bäche des Rieſengebirges bei Unwetter raſch zu reißenden Strömen werden, und baute darauf ſeinen Plan. Nichts ſchien ihm erbärmlicher als das Aus - ruhen auf den errungenen Lorbeeren; kaum war Schleſien befreit, ſo faßte er alsbald das Ziel der Vereinigung der drei Armeen ins Auge. Nur ſo konnte eine große Entſcheidung erzwungen werden, und dieſes letzten Erfolges fühlte ſich der Kühne ſo ſicher, daß er ſchon im September, zu einer Zeit da die Meiſten kaum auf die Eroberung von Dresden zu hoffen wagten, ſeinen Offizieren vorausſagte, ſie ſollten noch in dieſem Herbſt Trauben am Rheine pflücken. Er nannte Napoleon gern ſeinen Lehrer, denn von ihm hatte er gelernt die Künſtelei der alten militäriſchen Schule zu verachten; erſt in der Hauptſtadt des Feindes hoffte er die Waffen niederzulegen. So ſtand er unter den Heerführern der Verbündeten als der Pfadfinder des Sieges, wie ihn der Meißel Chriſtian Rauchs dargeſtellt hat, mit vorgeſtrecktem Arm hinweiſend auf des Krieges letztes Ziel, der einzige Mann, der ſich der Feldherrngröße Napoleons gewachſen fühlte. Fortiter, fideliter, feliciter! ſo lautete der hochgemuthe Wahlſpruch ſeines Wappens.

Die Begeiſterung der Jugend und die Gunſt der Frauen wendeten ſich der heiteren Kraft und Friſche des genialen Mannes von ſelber zu; vor den älteren Kameraden mußte er ſich erſt durch den Erfolg rechtfer - tigen. Die drei Corpsführer der ſchleſiſchen Armee fügten ſich ungern den Weiſungen des jungen Generalmajors; immerhin war Sackens475Das ſchleſiſche Heer.Eigenſinn und Langerons Ungehorſam noch erträglicher als das gallige Tadeln und Klagen Yorks. Der Hochconſervative hatte den alten Groll gegen die Reformpartei noch nicht überwunden, nannte Blücher einen rohen Huſaren, Gneiſenau ein phantaſtiſches Kraftgenie, ſchalt über die Heer - verderber, die den erſchöpften Truppen unmögliche Entbehrungen und Gewaltmärſche zumutheten, forderte wiederholt ſeinen Abſchied. Blüchers Hochherzigkeit ließ ſich von Alledem gar nicht anfechten; er meinte gleich - müthig: der York iſt ein giftiger Kerl, er thut nichts als räſonniren, aber wenn es losgeht dann beißt er an wie Keiner.

Unbeirrt von Blüchers vorwärtsdrängendem Ungeſtüm wie von den beſorgten Warnungen der Generale ſchritt Gneiſenau ſeines Weges. Durch den Sieg an der Katzbach entwaffnete er den Widerſtand. Der Tadel wagte ſich nicht mehr ſo laut hervor, obſchon er nicht gänzlich verſtummte; und als auch im weiteren Verlaufe des Krieges faſt immer die ſchönſten Kränze dieſem kleinen Heere zufielen, da galt es bald als ein Ruhm der ſchleſiſchen Armee anzugehören. Ein frohes Selbſtgefühl verband alle ihre Glieder; ſie wußte, daß ſie wirklich, wie Clauſewitz ſagte, die ſtählerne Spitze war an dem ſchwerfälligen eiſernen Keile der Coalition. Selbſt die Ruſſen ver - ſpürten etwas von der eigenthümlichen Siegesfreudigkeit, die von Blüchers Hauptquartier ausſtrahlte. Einige ihrer Führer, wie Sacken und der toll - kühne Reitergeneral Waſſiltſchikow lebten mit den Preußen in vertrau - licher Kameradſchaft; die Koſaken begrüßten den greiſen Feldherrn mit endloſen Hurrahrufen wo er ſich zeigte und erzählten einander, der Alte ſei eigentlich ein Koſakenkind, am blauen Don geboren.

Einem jungen Deutſchen mochte wohl das Herz aufgehen in dem Heldenkreiſe, der ſich um Blücher verſammelte. Da ſtanden neben York die Brigadeführer Steinmetz, jener Horn, dem die Franzoſen vor’m Jahre den Namen des preußiſchen Bayard gegeben hatten, und der Bruder der Königin Luiſe, Karl von Mecklenburg; die verwegenen Reiterführer Jür - gaß und Sohr, der Liebling Blüchers Katzeler und der tolle Platen mit ſeiner ewig brennenden Pfeife; unter den Jüngeren Schack und Graf Branden - burg, der Miniſter von 1848, jene Beiden, die ſich York gern als Preußens künftige Feldherren dachte; neben Gneiſenau der ſchwunglos nüchterne Müffling, der Einzige faſt, der zu dem jugendlichen Tone dieſes Kreiſes nicht paßte, dann Rühle von Lilienſtern, der Freund von Heinrich Kleiſt, ein hochgebildeter, geiſtvoller Offizier, der immer zur Hand ſein mußte wenn es galt durch perſönliche Ueberredung auf die beiden anderen Haupt - quartiere einzuwirken, dann Fehrentheil, der nachher in der demagogiſchen Phantaſterei des Teutonenthums unterging, während der junge Gerlach ſpäterhin ein Führer der Hochconſervativen wurde; dazu die Schriftgelehr - ten, wie Blücher ſie ſpottend nannte: der liebenswürdige, fromme Naturfor - ſcher Karl v. Raumer, der philoſophiſche Schwärmer Steffens, endlich Eich - horn, der die Erinnerungen dieſer reichen Monate wie ein heiliges Vermächt -476I. 4. Der Befreiungskrieg.niß im Herzen bewahrte und nachher durch den Ausbau des Zollvereins das Werk des Befreiungskrieges zu vollenden ſtrebte. Es war wie ein Mikro - kosmos des neuen Deutſchlands: faſt alle die Parteien der Politik und Lite - ratur, welche in den folgenden Jahrzehnten das deutſche Leben erfüllten, fanden hier ihre Vertreter. Keine Spur mehr von dem rohen Bildungshaſſe der alten Armee; an müßigen Abenden laſen die Offiziere zuweilen Shake - ſpeare’ſche Dramen mit vertheilten Rollen. Mit rückſichtsloſer Offenheit ſagte Jeder ſeine Meinung grade heraus wie Blücher ſelber; nirgends wurde die Felonie der deutſchen Fürſten ſchärfer verurtheilt, die Ver - nichtung der rheinbündiſchen Souveränität und die Verſtärkung der preu - ßiſchen Macht ſtürmiſcher gefordert als in der Umgebung des preußiſchen Feldherrn. Geht es nach mir, ſagte General Hünerbein zu dem Kur - prinzen von Heſſen, ſo bekommt Ihr Vater nicht ſo viel Land zurück als ich Schmutz unter meinen Nägeln habe!

Welch ein Gegenſatz zu dem Hauptquartiere Napoleons! Wie war es doch ſo unheimlich ſtill geworden um den neuen Caeſar ſeit das Glück ihn mied; finſter brütend ſaß er am Wachefeuer, um ihn in weitem Kreiſe ſcheu flüſternd das Gefolge, bis er dann plötzlich mit barſchem Ruf den Befehl zum Aufbruch gab und unter einer Fluth grober Schimpfwörter, die vom Marſchall bis zum Stallknechte herniederregnete, der Zug ſich wieder in Bewegung ſetzte. Den Diplomaten und gelehrten Strategen im Hauptquartiere der drei Monarchen erſchien die ſchleſiſche Armee wie eine geſchloſſene politiſche Partei. Mit Entſetzen hörten Metternich und Langenau von der freudigen Kampfluſt und dem lauten Freimuth, von dem preußiſchen Stolze und der nationalen Leidenſchaft des Blücher’ſchen Lagers. Auch in der Umgebung König Friedrich Wilhelms wurden ſchon ängſtliche Stimmen laut, die vor den gefährlichen Plänen der ſchleſiſchen Heißſporne warnten; in Flüſterworten und Zwiſchenträgereien kündigte ſich bereits ein Parteikampf an, der auf Jahre hinaus für Preußen ver - hängnißvoll werden ſollte. Nur Stein ſtand unentwegt auf Blüchers Seite und legte bei dem Czaren ſein Fürwort ein für jeden Vorſchlag des alten Helden. Von dem ſchleſiſchen Heere gingen alle großen Ent - ſchließungen der Allianz aus, und mit vollem Rechte ſagte Gneiſenau, die Nachwelt werde ſtaunen, wenn ſie dereinſt die geheime Geſchichte dieſes Krieges erfahre.

Inzwiſchen war auch Napoleons dritte Unternehmung gegen Berlin geſcheitert. Die natürliche Schwerfälligkeit und Zwietracht aller Coali - tionsheere zeigte ſich nirgends ſo grell wie in der Nordarmee. Was hatte auch dieſer napoleoniſche Marſchall Bernadotte gemein mit dem heiligen Zorne des deutſchen Volkes? Sein Vaterland hatte er aufgegeben, doch nicht das franzöſiſche Selbſtgefühl. Vor ſieben Jahren war er denſelben preußiſchen Generalen, die ſich nun ſeinen Befehlen fügen ſollten, als Sieger gegenübergetreten; er dachte klein von ihrer Begabung und fragte477Die Nordarmee.verächtlich, ob das die Männer ſeien, die den großen Napoleon ſchlagen ſollten. Von den abgeriſſenen, elend verpflegten preußiſchen Truppen, die ſich mit fünferlei verſchiedenen Gewehren und ſchlechten eiſernen Ka - nonen behelfen mußten, erwartete er nichts; von ihren Geſinnungen wußte er ſo wenig, daß er ihnen die Großthaten der Franzoſen von 1792 als leuchtendes Beiſpiel vorhielt. Ein vorſichtiger Feldherr war er immer geweſen und jetzt am Wenigſten wollte er Großes wagen, da eine Nieder - lage ſeinem Hauſe leicht den noch ungeſicherten ſchwediſchen Thron rauben konnte. Gewichtige politiſche Gründe geboten ihm ſeine Schweden ängſt - lich zu ſchonen; der Krieg war in Schweden nicht beliebt, der feine Plan Norwegen in Deutſchland zu erobern blieb dem Volke unverſtändlich, und woher ſollte das menſchenarme Land Erſatz ſchaffen für ein verlorenes Heer? An den Preußen war es ſo ſagte er unverhohlen ihre Haupt - ſtadt mit ihrem Blute zu vertheidigen. Da er in ſeiner Eitelkeit ſich ſelber für den gefährlichſten Gegner Napoleons hielt, ſo erwartete er ſicher, der Imperator werde ſeine beſte Kraft gegen ihn wenden, und erklärte einen Vormarſch gegen Oberſachſen hin für hochbedenklich; die Stellung der Nordarmee ſüdlich von Berlin war allerdings ſchwierig, ſie konnte im Rücken von Hamburg aus, von Magdeburg her in der Flanke bedroht werden und hatte vor ſich die Feſtungen Wittenberg und Torgau. Noch andere tiefgeheime politiſche Pläne nöthigten Karl Johann zur Vorſicht. Der ſchlaue Bearner hatte ſchon in Frankreich die Rolle des freiſinnigen Oppoſitionsmannes geſpielt und ſtand jetzt wieder in vertraulichem Ver - kehre mit Lafayette und anderen franzöſiſchen Unzufriedenen; unmöglich ſchien es ihm nicht, daß der Wille der Franzoſen und die Gunſt der großen Mächte ihn ſelber auf den Thron Frankreichs beriefen wenn ſein perſönlicher Feind Napoleon fiel. Wollte er aber den Stolz ſeiner ohne - hin gegen den Abtrünnigen erbitterten alten Landsleute nicht tödlich ver - letzen, ſo durfte er die entſcheidenden Schläge des Krieges nicht ſelber führen. *)Ich kann nicht finden, daß G. Swederus (in ſeinem galligen Buche: Schwedens Politik und Kriege in d. J. 1808 14) etwas Weſentliches zu Gunſten ſeines Helden Karl Johann erwieſen hätte.

Den preußiſchen Offizieren gefiel anfangs die gewinnende Liebens - würdigkeit des geiſtreichen, redſeligen Südländers, doch bald wurden ſie mit Befremden gewahr, daß ihr Feldherr auch jetzt noch, an der Spitze einer großen Armee, ebenſo zaudernd und bedachtſam verfuhr wie im Frühjahr, als er Hamburg in die Hände des Feindes fallen ließ. Ein widerwärtiger Streit brach aus. Die Generale Bülow und Borſtell, Beide unter den preußiſchen Kameraden bekannt als unbequeme Unter - gebene von ſtarkem Eigenſinn, fühlten ſich in ihrem Gewiſſen gedrungen, mit Rathſchlägen und Vorſtellungen dem Commandirenden entgegenzu -478I. 4. Der Befreiungskrieg.treten, und begreiflich genug, daß die tapferen Degen dem verdächtigen Fremdling in der Hitze des Zornes zuweilen unrecht thaten.

Oudinots Armee rückte von Sachſen aus heran, 70,000 Mann ſtark, Truppen aus allerlei Volk: Franzoſen, Italiener, Croaten, Polen, Illyrier, dazu die übelberufene Diviſion Durutte mit ihren Schaaren begnadigter Deſerteure und Verbrecher. Die Hauptmaſſe aber bildeten Deutſche aus Sachſen, Weſtphalen, Baiern, Würzburg; ein glorreicher Einzug in Berlin ſollte die Rheinbündner wieder feſter an die franzöſiſche Sache ketten. Die halbkreisförmige ſtarke Vertheidigungslinie, welche die moraſtigen Ge - wäſſer der Nuthe und der Notte ſechs Stunden ſüdlich von Berlin bilden, wurde nach lebhaften Gefechten von den Franzoſen überſchritten, da Ber - nadotte das ſumpfige Waldland mit ungenügenden Streitkräften beſetzt hatte. Bereits drang ihre Vorhut durch die Waldungen bis nach Großbeeren vor; gelang ihr ſich dort zu behaupten, ſo hatte das feindliche Heer nur noch die freie Ebene des Teltower Landes zu durchſchreiten und konnte ohne Aufenthalt in Berlin einziehen. Dem ſchwediſchen Kronprinzen lag wenig an der Behauptung der preußiſchen Hauptſtadt, längſt hatte er ſchon alle Vorbereitungen für die Räumung Berlins, für den Rückzug über die Spree getroffen. In fieberiſcher Spannung lauſchten die Bürger auf den Kanonendonner, der vom Süden herüber klang. Sie wußten was ihnen drohte; Napoleon hatte befohlen die verhaßte Stadt in Brand zu ſchießen.

Da, am Nachmittage des 23. Auguſt, entſchloß ſich Bülow eigen - mächtig das Corps Reyniers bei Großbeeren anzugreifen bevor Oudinot und Bertrand zur Unterſtützung herankamen. Während Borſtell den Feind in der rechten Flanke faßte, richtete Bülow ſelbſt ſeinen Angriff gegen das Centrum in Großbeeren. Wieder wie faſt an allen Schlachttagen dieſes Herbſtes lag ein dicker Wolkenſchleier über der Landſchaft. Triefend von Regen ſtürmten die Truppen vor, viele Landwehren darunter, alle voll Kampfluſt, doch Niemand ergrimmter als die Märker, die hier recht eigentlich für Weib und Kind, für Haus und Heerd fochten; ſie drehten die unbrauchbaren Flinten um und hieben unter dem Rufe ſo flutſcht et bäter mit ſchmetternden Kolbenſchlägen auf die Schädel der Feinde ein. Gegen Abend war Großbeeren genommen, trotz des heldenhaften Widerſtandes der Sachſen, und Reynier trat den verluſtreichen Rückzug durch das Waldland an. Daß ſein Corps nicht gänzlich aufgerieben wurde, verdankte er allein dem ſchwediſchen Kronprinzen, der, taub für alle Bitten Bülows, nur eine einzige ſchwediſche Batterie und einen Theil der ruſſi - ſchen Geſchütze am Kampfe theilnehmen ließ ſtatt durch einen rechtzeitigen Angriff auf Reyniers linken Flügel dem geſchlagenen Feinde den Garaus zu machen. Hier wie in Schleſien fiel den Preußen die ſchwerſte Arbeit zu, und nicht durch einen Zufall, denn nur für ſie war dieſer Krieg ein Kampf um das Daſein. Oudinot gab das Spiel verloren, ging mit ſeiner geſammten Armee auf Wittenberg zurück.

479Großbeeren. Bülow.

Am folgenden Morgen eilten die Berliner in Schaaren auf das Schlachtfeld hinaus ihre Befreier zu begrüßen; lange Züge hochbepackter Wagen brachten Bettzeug für die Verwundeten, Wein und Speiſen für die Ermatteten. Welche Ausbrüche des Jubels und der Klage unter allen dieſen Eltern und Geſchwiſtern, die ihre Söhne, ihre Brüder ſuchten; es war des Dankes und der Umarmungen kein Ende; in tauſend rührenden Zügen bekundete ſich die heilige Macht der Liebe, die ein gerechter Krieg in edlen Völkern erweckt. Auch mancher ältere Berliner Bürger hatte mitgeholfen, ſo der reiche Buchhändler G. A. Reimer, der Freund Nie - buhrs und Schleiermachers, der unermüdliche Patriot; der ſtand als Hauptmann bei der kurmärkiſchen Landwehr, eilte nach der Schlacht auf Urlaub heim ſein jüngſtes Töchterlein über die Taufe zu halten, dann wieder hinaus zu ſeinem Bataillon.

Das Beſte blieb doch, daß die Preußen abermals einen vaterländiſchen Helden lieben lernten, den allezeit glücklichen Bülow: ſo hieß er jetzt ſeit den Siegen von Luckau und Großbeeren; in dem Kriege von 1807 hatten die Kameraden wohl ſeine Tüchtigkeit gelobt aber ſein ewiges Unglück bedauert. Auch er zählte wie York zu den Soldaten der alten Schule und war den Beſtrebungen der Reformpartei nicht hold, wenngleich er den Groll des alten Iſegrimm nicht theilte. Doch die Schande ſeines Landes empfand er in tief - ſter Seele und als der Kampf ausbrach führten ihn ſein gerader Soldaten - verſtand und der angeborene feurige Muth von ſelber zu einer kühnen Kriegs - weiſe, die den Theorien Scharnhorſts entſprach; zudem ſtand Boyen als Ge - neralquartiermeiſter an ſeiner Seite. Geiſtreich und fein gebildet, in jungen Jahren eine Zierde der Salons des Prinzen Louis Ferdinand, ein Kenner der Künſte und begabter Componiſt, zeigte er in ſeinem äußeren Auftreten gar nichts von jener fortreißenden begeiſternden Macht, die aus Blüchers Flammenaugen blitzte. Wer hätte den unſcheinbaren kleinen Mann für einen Feldherrn gehalten, wenn er ſo ſtill in Ueberrock und Feldmütze, einen Kantſchu über der Schulter, auf ſeinem kleinen dauerhaften Rothſchimmel dahertrabte? Aber die Offiziere wußten, was ſie an dem gerechten und wohlwollenden, durchaus wahrhaftigen und gradſinnigen Führer hatten; der Mannſchaft war er ein ſorgſamer Vater, ſie ſchwor auf ihn und glaubte feſt, unter dem könne es nicht fehlgehen. Und auch die Furcht fehlte nicht, die zur Beherrſchung eines Heeres nothwendig iſt; der ſtille Mann konnte zuweilen in unbändigem Jähzorn aufflammen, wenn er etwa gefangenen Rheinbundsoffizieren mit ſchonungsloſen Worten die Schande ihres Scher - gendienſtes vorhielt oder durch einen Adjutanten Bernadottes einen Befehl zum Rückzuge empfing. Seit dem Erfolge von Großbeeren trat er dem Kronprinzen mit der ganzen Schroffheit ſeines Selbſtgefühls entgegen; er wagte ſogar in den Zeitungen dem parteiiſch gefärbten Schlachtberichte des Oberfeldherrn zu widerſprechen. Die preußiſchen Generale nahmen ſich vor, dem hinterhaltigen Zauderer nicht zu gehorchen, falls er wieder480I. 4. Der Befreiungskrieg.einmal die günſtige Stunde zum Angriff verſäumen ſollte ein gefähr - licher Entſchluß, der allein durch die unnatürlichen Verhältniſſe in dieſem Coalitionsheere entſchuldigt werden konnte.

Gleichzeitig mit Oudinot war Davouſt von Hamburg aus gegen Berlin aufgebrochen, aber auf die Nachricht von Großbeeren wieder zurückgewichen. Auch das Corps Girards, das von Magdeburg her der Nordarmee in die Flanke fallen ſollte, trat nach Eintreffen der Unheilsbotſchaft den Rück - marſch an; da wurden die Abziehenden am 27. Auguſt in ihrem Lager auf den Sandhügeln der Zauche bei Hagelberg von den kurmärkiſchen Land - wehrregimentern des Generals Hirſchfeld angegriffen. Der würdige alte Herr, ein wieder eingetretener Veteran aus dem ſiebenjährigen Kriege, leitete das Gefecht nach den Regeln der fridericianiſchen Lineartaktik; er erwartete nicht allzu viel von ſeinen rohen, faſt ganz ungeſchulten Truppen, und wie er dachte Marwitz, der Führer der Reſervebrigade. In der That hielt die junge Mannſchaft dem unerwarteten Feuer der franzöſiſchen Batterien anfangs nicht Stand; jedoch als der erſte Schrecken überwunden war, ſtürmten die brandenburgiſchen Bauern unaufhaltſam vor, und dann brach ſie los, die alte furia tedesca, jene Wildheit des nordiſchen Berſerker - zornes, wovon die Sagen der Romanen ſeit den Zeiten des Varus ſo viel Gräßliches zu erzählen wußten. Welch ein Anblick, wie die Bauern auf ein dichtgedrängtes Viereck franzöſiſchen Fußvolks an der Hagelberger Dorfmauer losſchlugen, ſchweigſam, unerbittlich, in namenloſer Wuth; als das dumpfe Krachen der Gewehrkolben endlich verſtummte, da lag ein ſcheußlicher Leichenhaufen hoch aufgeſchichtet bis zum Rande der Mauer, das Hirn quoll den Todten aus den zerſchmetterten Schädeln. Von ſeinen 9000 Mann rettete Girard nur 1700 aus dem Entſetzen dieſer Land - wehrſchlacht. Um ſolchen Preis ward die Befreiung der Mark erkauft.

Minder glücklich verlief der Zug der böhmiſchen Armee nach Dresden. Ihre unbehilflichen Maſſen überſchritten langſam den Kamm des Erzge - birges, zogen anfangs nordweſtwärts in der Richtung auf Leipzig um dann erſt nach Oſten gegen Dresden abzubiegen. Ermüdet von den ſchwierigen Märſchen im Gebirge langte etwa ein Drittel des Heeres, gegen 60,000 Mann, am Nachmittage des 25. Auguſt auf den Höhen an, welche die Stadt auf dem linken Elbufer umſchließen. Faßte man ſich das Herz, das ungleich ſchwächere Corps von St. Cyr, das zur Vertheidigung des Platzes zurückgeblieben, ſofort anzugreifen, ſo wurde der wichtige Stütz - punkt des napoleoniſchen Heeres durch einen Handſtreich genommen. Die Bevölkerung, die nach dem großen Sinne dieſes Krieges wenig fragte, gab bereits Alles verloren, der geängſtete König flüchtete in die Neuſtadt, auf das ſichere rechte Ufer. Aber in dem vielköpfigen Kriegsrathe der drei Monarchen regierte die bedachtſame Vorſicht; man beſchloß den Angriff zu verſchieben bis die geſammte Armee verſammelt war. Unſelige Zöge - rung. Denn unterdeſſen kam Napoleons Heer aus Schleſien in Eil -481Schlacht von Dresden.märſchen auf der Bautzener Straße heran. An dem grauen, trüben Morgen des 26. erreichte der Imperator die Höhe am Mordgrunde dicht über dem Strome, wo ſich der Ausblick öffnet auf den lieblichen Keſſel des Elbthals, und betrachtete lange das majeſtätiſche Schauſpiel, wie jen - ſeits auf dem linken Ufer die dunklen Maſſen des Heeres der Verbün - deten, in weitem Halbkreiſe die Stadt umklammernd, mit beiden Flügeln an den Fluß gelehnt, ſich langſam von den Hügeln niederſenkten.

Noch einmal, zum letzten male auf deutſchem Boden, umſtrahlte ihn die Herrlichkeit des Sieges. Wohl war ſein Heer augenblicklich noch um die Hälfte ſchwächer als die Verbündeten, aber mit jeder Stunde kamen neue Zuzüge und bis ſie alle eintrafen mußte die nothdürftig befeſtigte Stadt ſich halten. Er war des Erfolges gewiß, ſprengte mit verhängten Zügeln in die Stadt, hielt dann ſtundenlang auf dem Schloßplatze jenſeits der Brücke, mit kalter Ruhe ſeine Befehle ertheilend, während die Regimenter der Garde im Laufſchritt an ihm vorüber nach den weſtlichen Thoren zogen. Mit donnerndem Hochruf begrüßten die tapferen Bärenmützen ihren kleinen Corporal, wo ſein Auge wachte da winkten Sieg und Beute. Ein ſächſiſcher Offizier, der droben auf dem Kreuzthurme das weite Schlachtfeld wie einen Teppich zu ſeinen Füßen liegen ſah, meldete pünktlich den Anmarſch jedes Truppentheiles der Verbündeten. Im Kriegsrathe der Monarchen erregte die Nachricht, daß der Unüberwindliche ſelber zur Stelle ſei, Klein - muth und Schrecken; die gelehrten Kriegskünſtler des öſterreichiſchen Haupt - quartiers dachten ſchon ohne Schlacht abzuziehen, nur der entſchiedene Widerſpruch des Königs von Preußen zwang ſie den Angriff zu wagen. Statt ſeine beſte Kraft auf dem linken Flügel zu verſammeln und mit ihr in die unbefeſtigte Friedrichsſtadt einzubrechen ließ Schwarzen - berg das Centrum und den rechten Flügel gegen die Vorſtädte der Alt - ſtadt vorgehen, wo einige Feſtungswerke an den Thoren ſowie die hohen Gartenmauern der Paläſte und Landhäuſer dem Vertheidiger die Arbeit erleichterten. Nach blutigen aber völlig planloſen Kämpfen erſtürmten die Oeſterreicher im Centrum die Lunette am Falkenſchlage, auf dem rechten Flügel beſetzte Kleiſt mit ſeinen Preußen den Großen Garten dicht vor den Stadtthoren und verſuchte von da in die Stadt ſelbſt einzudringen, unſanft empfangen von den Geſchützen, die hinter den gefährlichen Mauer - lücken der Rococo-Gärten, den Aha’s, verdeckt ſtanden. Der Abend kam. Napoleon fühlte ſich jetzt ſtark genug ſelber zum Angriff zu ſchreiten, ließ plötzlich aus allen Thoren zugleich gewaltige Maſſen friſcher Truppen vor - brechen, entriß den Verbündeten die wenigen Stellen der Stadt, wo ſie bereits Fuß gefaßt, und drängte ſie ſchließlich auf ihrer ganzen Linie bis in die Dörfer an den Höhen zurück. Der Angriff war abgeſchlagen.

Verwirrung und Entmuthigung herrſchten im großen Hauptquartiere, als während der Nacht noch die unheimliche Kunde eintraf, daß die große Armee bereits im Rücken bedroht ſei. Tauſende ſächſiſcher Landleute hattenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 31482I. 4. Der Befreiungskrieg.während der jüngſten Monate an einem breiten Kanonenwege arbeiten müſſen, der auf dem linken Elbufer über den Ziegenrücken mitten durch die Felſen der ſächſiſchen Schweiz führte, unter den Kanonen des Königſteins den Fluß überbrückte und jenſeits in die große Teplitzer Straße ein - mündete. Auf dieſem Wege eilte jetzt das Corps Vandammes, gegen 40,000 Mann, herbei den Verbündeten den Rückzug zu verlegen. In ſolcher Lage ſchien dem Kriegsrathe ein Sieg unmöglich; man erneuerte die Schlacht am Morgen des 27. nur um ſich einen geſicherten Abzug zu erkämpfen. Selbſt dieſer beſcheidene Zweck ward verfehlt. Während der rechte Flügel der Alliirten im Verlaufe des Tages langſam von dem Fluſſe und der Teplitzer Straße abgedrängt wurde, erlitt der linke eine ſchwere Niederlage. Die Oeſterreicher dort ſtanden auf den Höhen zwiſchen der Elbe und dem Plauenſchen Grunde; ſie waren rechts durch den tiefen Einſchnitt dieſes ſteil abfallenden Felſengrundes von der übrigen Armee getrennt und hatten verſäumt ihre Poſten links bis dicht an den Fluß heranzuſchieben. So konnte denn Murat, von ortskundigen ſächſiſchen Offizieren geleitet, eine gewaltige Reitermaſſe durch die Hohlwege, die vom Elbthale aufſteigen, unbemerkt auf die Hochebene führen. Mehrere Vier - ecke des öſterreichiſchen Fußvolks wurden niedergehauen als er nun plötz - lich in Rücken und Flanke der Ueberraſchten erſchien; eine ganze Diviſion mußte, eingekeilt zwiſchen dem Feinde und dem tiefen Felſenthale, die Waffen ſtrecken. Der Plauenſche Grund, und damit die Straße nach Freiberg, war in den Händen der Franzoſen. Am Nachmittage trat die geſchlagene Armee den Rückzug an. Zwanzigtauſend Gefangene lagerten in den Kirchen Dresdens und im Hofe des Zwingers, dreißig erbeutete Kanonen ſtanden im Schloßhofe zur Schau. Die unterthänige Reſidenz frohlockte über die Befreiung von den ruſſiſchen Plünderern und erzählte ſich ſtaunend die wunderſame Märe von dem großen ſächſiſchen Kanonier, der durch einen wohlgezielten Schuß den Verräther Moreau an der Seite Alexanders getödet haben ſollte.

War ſchon der Anmarſch der böhmiſchen Armee ſchwerfällig und ohne Ordnung erfolgt, was ließ ſich jetzt von dem Rückzuge erwarten? Ein geſchlagenes Heer von 200,000 Mann, und nur eine einzige Land - ſtraße die Straße, welche über Altenberg nach Dux in das Teplitzer Thal hinüberführt. Was dort nicht Platz fand mußte wohl oder übel die Neben - wege einſchlagen, die den Gebirgsbächen entlang in engen Felſenthälern allmählich zum Kamme des Erzgebirges emporſteigen und nachher an dem ſteilen ſüdlichen Abhange in unzähligen Windungen ſich herniederſchlängeln. Bald waren die ſchmalen Felſengründe vollgeſtopft von den unbeweglichen Maſſen des ungeheuren Wagentroſſes; der Regen ſtrömte vom Himmel; Unordnung, Angſt und Hunger überall, kein Gedanke mehr an eine ge - meinſame Leitung der in den Engpäſſen eingeklemmten Heerestheile. Dem Oberfeldherrn fielen die Zügel aus den Händen; in ſeiner Angſt ließ er483Schlacht von Kulm.Blücher auffordern, der großen Armee aus Schleſien Hilfe zu bringen. Die Diplomaten des Hauptquartiers begannen zu verzweifeln, und faſt ſchien es als ſollte die Coalition nach einem erſten Mißerfolge ſich auf - löſen. Wer ſtand dafür, daß Kaiſer Franz nicht wieder wie nach dem Auſterlitzer Tage die Flinte ins Korn warf? War doch der definitive Bundesvertrag mit Oeſterreich noch immer nicht abgeſchloſſen! Eine kraftvolle Verfolgung verſprach dem Sieger glänzende Ergebniſſe. Zum Glück erhielt Napoleon unterwegs die Nachricht von der Großbeerener Schlacht und eilte mit dem Kerne ſeines Heeres nach Dresden zurück um ſofort einen neuen Vernichtungszug gegen Berlin vorzubereiten; dies eine Ziel ſtand ihm über allen anderen. Auch jetzt noch blieb die Lage der böhmiſchen Armee ſchwer gefährdet. Wenn Vandamme auf ſeinem kürzeren Wege früher als die Verbündeten im Teplitzer Thale anlangte, ſo konnte er die vereinzelten Corps, die ſich aus den Engpäſſen des Gebirges müh - ſam herauswanden, leicht mit Uebermacht ſchlagen.

Der junge Prinz Eugen von Württemberg, der mit einem ruſſiſchen Corps nahe beim Königſtein den Truppen Vandammes gegenüber ſtand, erkannte mit ſicherem Blicke was auf dem Spiele war. Er warf ſich auf die große, öſtliche, Teplitzer Straße, von der die Maſſe der Verbündeten abgedrängt war, ſprengte die Vortruppen Vandammes aus einander und gelangte alſo noch vor den Franzoſen auf den Kamm des Gebirges bei Peterswalde. Am Morgen des 29. Auguſt vom Feinde angegriffen ſtiegen die Ruſſen am Südabhange des Gebirges langſam herab bis gegen Kulm. Bereits hatten ihre Generale gegen die Meinung des Prinzen beſchloſſen das Feld zu räumen und weiter ſüdwärts über die Eger auszuweichen. Da kam von dem Könige von Preußen, der unterdeſſen der Armee vor - aus in Teplitz angelangt war, der wiederholte Befehl, Stand zu halten um jeden Preis: nur wenn dies Corps hier im Oſten dem Vordringen Vandammes einen Riegel vorſchob, konnte die böhmiſche Armee weiter weſt - lich ungefährdet das Teplitzer Thal erreichen. Friedrich Wilhelm zeigte jetzt, daß er ein ganzer Soldat war ſobald er ſich nur das Herz faßte zu befehlen. Er eilte zu den Ruſſen, ermuthigte die Generale zu verzwei - feltem Widerſtande, ſendete nach allen Ausgängen des Gebirges ſeine Boten aus um heranzurufen was ſich irgend loswinden konnte aus den verſtopften Päſſen, befahl ſelber dem Oberſten des tapferen öſterreichiſchen Dragonerregiments Erzherzog Johann ſogleich in die Gefechtslinie einzu - rücken. Die Ruſſen nahmen die Schlacht an; der Stolz ihres Heeres, die wohlgeſchonte Garde, war mit zur Stelle. Den ganzen Tag lang behauptete ſich die tapfere Schaar, an 15,000 Mann, mit unerſchütter - licher Standhaftigkeit gegen die ſtürmiſchen Angriffe einer zweifachen Ueber - macht. Aber die Garden hatten furchtbar gelitten; was ſollte der nächſte Tag bringen?

Am Abend ſchickte der König an General Kleiſt, der noch hoch in31*484I. 4. Der Befreiungskrieg.den Bergen bei Zinnwald ſtand, die Weiſung: er ſolle verſuchen oſtwärts quer über den Kamm des Gebirges die Teplitzer Landſtraße zu erreichen und dann von den Nollendorfer Höhen her den Franzoſen in den Rücken fallen. Als die Botſchaft eintraf, hatte Kleiſt ſchon von freien Stücken den nämlichen glücklichen Entſchluß mit ſeinem Generalquartiermeiſter Grolmann verabredet. Der General, ein ruhiger, beſonnener Mann von feinen gemeſſenen Formen, konnte mit ſeinem Corps nicht mehr vorwärts in den verrammelten Gebirgswegen und begriff, daß die höchſte Kühnheit hier die einzige Rettung war. Während die Ruſſen drunten im Thale, jetzt durch Oeſterreicher erheblich verſtärkt, am Morgen des 30. den Kampf von Neuem aufnahmen, hielt Czar Alexander auf einem Hügel bei Kulm, die Wahlſtatt überſchauend: ſüdwärts die maleriſchen Kegel des Mittelgebirges, im Norden meilenlang die ungeheure ſteile Wand des Erzgebirges, dazwiſchen in der üppigen Ebene die wogende Schlacht. Da bemerkte er mit Erſtaunen, wie droben bei Nollendorf Geſchütze auf - fuhren, dichte Truppenmaſſen das Gebirge herab den Franzoſen nach - zogen. Es waren Kleiſts Preußen, die hungernd und ermattet nach ſchwie - rigem Nachtmarſch die Höhen im Rücken des Feindes erreicht hatten. So von zwei Seiten her gepackt wurde Vandammes Corps nach langem heißem Kampfe gänzlich zerſprengt. Ueber 9000 Mann fielen in Gefangen - ſchaft, unter ihnen der rohe Führer ſelbſt, der Henker des Bremiſchen Landes; mit Mühe rettete man ihn vor den Fäuſten der deutſchen Sol - daten.

An dem Tage von Kulm verwelkten die Lorbeeren von Dresden. Die wankende Coalition ſtand wieder aufrecht. Je bänger in den letzten Tagen die Stimmung geweſen, um ſo lauter lärmte jetzt die Freude über den ſchönen Bundesſieg. Die drei verbündeten Nationen hatten wetteifernd ihr Beſtes gethan: Eugen mit der ruſſiſchen Garde, die tapferen öſter - reichiſchen Reiter, Friedrich Wilhelm und die Helden von Nollendorf. Und dazu die Siegesbotſchaften aus der Mark und aus Schleſien; ſelbſt die an Alledem ganz unſchuldigen Strategen des großen Hauptquartiers fingen an zu glauben, daß ein Erfolg doch möglich ſei. Napoleon hatte binnen einer Woche eine ganze Armee, gegen 80,000 Mann, verloren und fand ſich wieder auf derſelben Stelle wie beim Beginne des Herbſtfeldzugs.

Nach abermals acht Tagen traf ihn ein neuer ſchwerer Schlag. Die Abſicht, ſelber auf die preußiſche Hauptſtadt vorzurücken hatte er aufgege - ben ſobald er von Blüchers Erfolgen hörte. Während er ſelbſt nach der Lauſitz der ſchleſiſchen Armee entgegenzog, übertrug er dem Marſchall Ney die Leitung des vierten Zuges gegen Berlin. Der tapfere Marſchall, der zu dem Unternehmen von Haus aus wenig Zutrauen hatte, verſam - melte ſeine Armee bei Wittenberg, warf nach blutigem Gefechte eine ver - einzelte preußiſche Abtheilung zurück und marſchirte am 6. September, ohne die Nähe des Gegners zu ahnen, über die ſandige Ebene auf Jüterbog. Da485Schlacht bei Dennewitz.ſtieß Bertrand mit der Vorhut auf Tauentziens Preußen, und derweil hier ein hitziger Kampf begann, brach Bülow der franzöſiſchen Marſchkolonne bei Dennewitz in die linke Flanke. So entſpann ſich eine unerwartete, weit aus - gedehnte Begegnungsſchlacht. Bülow wagte mit 40,000 Preußen den Kampf gegen den um die Hälfte überlegenen Feind, weil er auf das Eingreifen des Kronprinzen rechnete, der mit der Hauptmaſſe der Nordarmee im An - marſch war. Die Franzoſen ſtanden in einem großen Bogen, mit der Rechten nordwärts gegen Tauentzien gerichtet, mit der Linken weſtwärts gegen Bülow. Der Marſchall hielt auf dem rechten Flügel, hatte nur Augen für die Vorgänge in ſeiner Nähe. Sobald er hier die Seinen weichen ſah, befahl er dem Corps Oudinots vom linken Flügel zur Un - terſtützung herbeizueilen. So wurde die Linke entblößt, und es gelang Bülow, die Sachſen aus Göhlsdorf herauszuſchlagen und bis Dennewitz vorzudringen. Ueberall waren die Preußen im Vorgehen, da verkündeten gewaltige Staubwolken das Nahen des Kronprinzen mit ſeinen ſiebzig Bataillonen. Bei dem Anblick dieſer gewaltigen Maſſen ergriff die Ge - ſchlagenen ein jäher Schrecken, Neys Armee ſtob in wilder Flucht aus einander.

Der Lieblingsplan Napoleons war abermals zu nichte geworden. Den Preußen allein gebührte die Ehre des Tages. Wieder hatte die Landwehr mit den alten Kerntruppen gewetteifert, und wieder hatten Deutſche mit Deutſchen in wüthendem Kampfe gerungen. In der würt - tembergiſchen Armee, deren beſte Truppen auf Neys rechtem Flügel ge - ſtanden, erzählten ſich die Soldaten noch im Jahre 1866 mit zähem Groll, wie erbarmungslos die preußiſche Landwehr, vor Allen die hand - feſten pommerſchen Reiter bei Jüterbog unter den Schwaben aufgeräumt hatten. Die tapferen Sachſen fochten ihres alten Waffenruhmes würdig und wurden zum Dank in den napoleoniſchen Bulletins der Feigheit be - zichtigt. Die unglückliche kleine Armee begann die Schmach rheinbündi - ſcher Dienſtbarkeit zu fühlen; nach der Dennewitzer Schlacht ging ein Bataillon des Leibregiments zu den Preußen über. König Friedrich Auguſt aber legte ſogleich die Uniform der entehrten Truppe ab, blieb dem Großen Alliirten, der ihm ſein Heer beſchimpfte, unwandelbar ergeben.

Nach den Anſtrengungen dieſer wilden Tage bedurfte die böhmiſche Armee einiger Erholung. Während die Waffen ruhten arbeitete die Diplomatie um ſo eifriger. Kaiſer Franz war ſeit dem Siege von Kulm nicht mehr geneigt auf die zärtlichen Betheuerungen zu hören, die ihm der Schwiegerſohn noch immer zuſendete. Am 9. September wurden zu Teplitz drei faſt gleichlautende Bundesverträge, die an die Stelle der vor - läufigen Reichenbacher Abrede traten, von den Alliirten unterzeichnet. Sie ſetzten feſt was Preußen von vornherein verlangt hatte: Auflöſung des Rheinbundes, gänzliche Beſeitigung der Herrſchaft Frankreichs und der Napoleoniden auf dem rechten Rheinufer, Herſtellung des Beſitz -486I. 4. Der Befreiungskrieg.ſtandes von 1805 für Oeſterreich und Preußen. Die Mächte verpflichteten ſich in feierlichſter Form keinen Friedensvorſchlag Frankreichs auch nur anzuhören, ohne ihn ſofort den Verbündeten mitzutheilen. Trotzdem ward ein rückhaltloſes Einverſtändniß keineswegs erreicht. Der Czar hüllte ſeine polniſchen Pläne noch immer in ein tiefes Dunkel. Er hatte in Reichenbach zugeſtanden, das Herzogthum Warſchau ſolle unter den drei Oſtmächten vertheilt werden. Dies Verſprechen ſchloß, buchſtäblich verſtanden, ein Königreich Polen unter ruſſiſchem Scepter nicht aus, vor - ausgeſetzt nur, daß Preußen und Oeſterreich einige Theile von Warſchau erhielten. In dem Teplitzer Vertrage wurde die Zuſage ſogar noch ab - geſchwächt; er beſtimmte einfach, daß eine freundſchaftliche Verſtändigung zwiſchen den drei Höfen über das künftige Schickſal Warſchaus erfolgen ſolle. Der glückliche Beſitzer von Warſchau hatte alſo gar keine beſtimmte Verpflichtung übernommen.

Seitdem hing die polniſche Frage wie eine Wetterwolke über der großen Allianz. Alle Eingeweihten wußten, wie Graf Münſter in ſeinen Berichten dem Prinzregenten oft wiederholte, daß vornehmlich die Sorge um die Zukunft Polens den zaudernden Gang der öſterreichiſchen Politik während des Krieges verſchuldete. Wie die Dinge lagen, konnten nur Preußen und Rußland von der gänzlichen Demüthigung Frankreichs einen großen Gewinn für ſich ſelber erwarten, während England ſeine erbeuteten Colonien wohlgeborgen wußte und Oeſterreich auch nach einem halben Siege auf die Herrſcherſtellung in Italien hoffen durfte. Dazu die Angſt der Welfen und der Lothringer vor dem ehrgeizigen Preußen, das ihnen nach jedem neuen Siege widerwärtiger wurde. So ergab ſich eine Parteiung im Lager der Alliirten, die von Tag zu Tag ſchärfer heraus - trat. Oeſterreich und England zögerten, Preußen und Rußland drängten vorwärts; dies blieb doch der feſte Kern in den diplomatiſchen Händeln des großen Krieges, obgleich ſowohl der Czar als der König auf Augen - blicke ſchwankten. In Schwarzenbergs ſchlaffer Bedachtſamkeit und Gnei - ſenaus genialer Kühnheit fand der Gegenſatz der öſterreichiſch-engliſchen und der preußiſch-ruſſiſchen Politik ſeinen getreuen Ausdruck. Laut und heftig ſprachen die Preußen und die Ruſſen ihren Unmuth aus über die kläglichen Leiſtungen des großen Hauptquartiers. Der König ſelbſt war ſehr unzufrieden. Er hatte ſchon vor dem Zuge gen Dresden vergeblich vorgeſchlagen, der Oberbefehl ſolle dem Czaren anvertraut werden, der durch ſein kaiſerliches Anſehen und mit dem Beiſtande des geiſtreichen Toll vielleicht etwas ausrichten konnte. *)Hardenbergs Tagebuch 18. Auguſt 1813.Als darauf die Ereigniſſe ſein Miß - trauen nur zu ſehr gerechtfertigt hatten, verbarg er ſeinen Unmuth nicht und weigerte ſich zu Hardenbergs Kummer entſchieden, dem k. k. Oberfeld - herrn auch nur die übliche Höflichkeit einer Ordensverleihung zu gewähren.

487Der Teplitzer Vertrag.

Die bedenklichſte Beſtimmung des Teplitzer Vertrags lag in dem erſten geheimen Artikel, welcher den zwiſchen Oeſterreich, Preußen und dem Rheine gelegenen Staaten die volle und unbedingte Unabhängigkeit zu - ſicherte. Damit war ſtreng genommen jede Unterordnung der Rhein - bundsfürſten unter eine nationale Centralgewalt, jede irgend ernſthafte Geſammtſtaatsverfaſſung für Deutſchland unmöglich gemacht, und dahin ging auch Metternichs geheime Abſicht. Hardenberg hingegen verſtand unter jenen verhängnißvollen Worten nur die Aufhebung des napoleoni - ſchen Protectorats und unterzeichnete unbedenklich, arglos auf Oeſterreichs patriotiſche Abſichten vertrauend. Nicht im Mindeſten war er geſonnen den Rheinbundsfürſten die Souveränität zuzugeſtehen; vielmehr ſchien ihm, und ſo auch den Freunden Stein und Humboldt, jetzt die rechte Stunde gekommen um mit Oeſterreich die Grundzüge einer ſtarken Bun - desverfaſſung zu vereinbaren.

Stein übergab den Monarchen eine Denkſchrift, die er zu Prag in den letzten Auguſttagen entworfen hatte eines der beredteſten und mächtigſten Werke ſeiner Feder. Mit feierlichen Worten hielt er ſeinen erlauchten Leſern vor, Mit - und Nachwelt würden ſie verdammen, wenn ſie jetzt nicht mit ganzem Ernſt an die Neuordnung der deutſchen Nation heranträten. Es iſt von der höchſten irdiſchen Angelegenheit die Rede. Fünfzehn Millionen gebildeter, ſittlicher, durch ihre Anlagen und den Grad der erreichten Entwicklung achtbarer Menſchen, die durch Grenzen, Sprache, Sitten und einen inneren unzerſtörbaren Charakter der Natio - nalität mit zwei anderen großen Staaten verſchwiſtert ſind! Hierauf ſchildert er in ſeinem markigen Lapidarſtile, wie im alten Reiche, Dank den Reichsgerichten und den Landſtänden, Jedermann doch ſeiner Perſon und ſeines Eigenthums ſicher geweſen ſei, und knüpft daran eine furcht - bare Anklage gegen den Rheinbund, der dieſe fünfzehn Millionen der Willkür von ſechsunddreißig kleinen Despoten preisgegeben habe. Einer Neuerungsluſt, einer tollen Aufgeblaſenheit und einer grenzenloſen Ver - ſchwendung und thieriſchen Wolluſt iſt es gelungen jede Art des Glücks den beklagenswerthen Bewohnern dieſer einſt blühenden Länder zu zer - ſtören. Dauere dieſe Zerſtückelung fort, ſo werde der Deutſche fort - ſchreitend ſchlechter, kriechender, unedler werden, die Entfremdung der verſchiedenen Länder drohe mit jedem Jahre zu wachſen, der Einfluß Frankreichs ſich immer feſter einzuniſten. Darum muß mit dem Rhein - bunde auch die Despotie der ſechsunddreißig Häuptlinge verſchwinden. Dann kommt er auf ſeine Petersburger Pläne zurück und verlangt, da die vollſtändige Einheit der alten großen Kaiſerzeiten unmöglich ſei, die Bil - dung zweier großen Bundesſtaaten, alſo daß Preußen, durch Sachſen, Mecklenburg und Holſtein bis auf elf Millionen Einwohner verſtärkt, den Norden, Oeſterreich mit einem deutſchen Beſitze von zehn Millionen den Süden beherrſche. In dieſem dualiſtiſchen Gemeinweſen ſollen alle noch488I. 4. Der Befreiungskrieg.brauchbaren Inſtitutionen des alten Reichs wieder aufleben. Daher Wie - derherſtellung der Mediatiſirten von 1806 die Opfer des Reichsdepu - tationshauptſchluſſes gab der Freiherr verloren und Verkleinerung der Mittelſtaaten, die zum Unheile des Reichs durch Frankreich vergrößert wurden und dem Vaterlande weit gefährlicher ſind als der ohnmächtige Particularismus der Kleinen. Daher ferner Wiederaufrichtung des Kaiſer - thums für Oeſterreich; dieſer halbfremde Staat muß durch ſein Intereſſe an Deutſchland gebunden werden, während in Preußen das deutſche Blut ſich von ſelbſt freier und reiner erhält. Heerweſen und auswärtige Politik gebühren dem Reiche, dergeſtalt daß ein von dem öſterreichiſchen ver - ſchiedenes deutſches diplomatiſches Corps gebildet wird; desgleichen Münze und Zölle und die Reichsgerichte. Ein Reichstag in Regensburg, mit drei Bänken wie vor Alters, jedoch ſeine Mitglieder ſind nicht Geſandte, ſondern Repräſentanten; die Bank der Reichsſtädte wird verſtärkt durch Abgeordnete der Landtage, die in allen deutſchen Staaten einzuberufen ſind. Ein ſolcher Bund, meinte der Reichsritter, könne vielleicht dereinſt den Franzoſen das Land zwiſchen Rhein und Schelde wieder entreißen; auf die ſofortige Befreiung des linken Rheinufers wagte ſelbſt Stein in jenem Augenblicke noch nicht zu hoffen.

Große, zukunftsreiche Gedanken waren in dieſer Denkſchrift nieder - gelegt, ſo das zweifache Verlangen nach landſtändiſchen Rechten und einem deutſchen Parlamente, doch Alles gährte noch roh und unfertig durchein - ander. Der eigentliche Kern der deutſchen Frage blieb dem erſten Manne der Nation noch völlig dunkel. In ſeiner hochherzigen Begeiſterung für die Größe der Ottonen und der Staufer wollte er den dreihundertjährigen Jammer jener Fremdherrſchaft wiederherſtellen, die den Verfall der alten Kaiſerherrlichkeit herbeigeführt hatte. Wie Preußens norddeutſche Hege - monie mit dem öſterreichiſchen Kaiſerthum und dem Regensburger Reichs - tage ſich vertragen, ob auch Preußen zu Gunſten dieſer Kaiſerkrone auf ſeine Militärhoheit und auf ſeine ſelbſtändige europäiſche Politik verzichten ſollte alle dieſe verhängnißvollen Machtfragen ließ der Reichsritter un - erörtert.

Der Staatskanzler zeigte ſich mit mehreren Grundgedanken der Denk - ſchrift einverſtanden. Gleich Stein hielt er die Mittelſtaaten für Deutſch - lands ärgſte Feinde und dachte ihnen die ſchmählichen Erwerbungen der letzten ſieben Jahre wieder abzunehmen: der Beſitzſtand von 1805 ſollte wie für die Wiederherſtellung der beiden Großmächte ſo auch für die übrigen deutſchen Staaten die Richtſchnur bilden. Aber Hardenberg wollte das alſo gewonnene Land nicht den Mediatiſirten zurückgeben, ſondern zur Verſtärkung von Oeſterreich und Preußen verwenden. Wie Stein war auch er überzeugt von der Nothwendigkeit des Dualismus, und ſo ernſthaft, ſo uneigennützig verfolgte er dieſe alten Bartenſteiner Pläne, daß er die öſterreichiſchen Staatsmänner wiederholt und dringend bat die489Steins und Hardenbergs deutſche Pläne.vorderöſterreichiſchen Lande am Oberrhein wieder mit dem Kaiſerſtaate zu vereinigen; nur ſo werde Oeſterreich in Wahrheit der Herr von Süd - deutſchland und durch ſein eigenes Intereſſe genöthigt jeden Uebergriff Frankreichs zurückzuweiſen. Die Sicherung des deutſchen Bodens gegen neue Gewaltthaten des weſtlichen Nachbars blieb in Hardenbergs Augen der wichtigſte Zweck des künftigen deutſchen Bundes. Dagegen verwarf er entſchieden die Wiederherſtellung des Kaiſerthums; in dieſem Gedanken fanden ſich Humboldt und, außer Stein, alle preußiſchen Staatsmänner mit dem Staatskanzler zuſammen. So ſtark war das Selbſtgefühl der norddeutſchen Macht doch angewachſen, daß ſie eine förmliche Unterord - nung nicht mehr ertragen konnte; nur in voller Gleichberechtigung durften die beiden Großmächte an die Spitze der kleinen Staaten treten. Unter den norddeutſchen Patrioten vernahm man ſogar ſeit den Siegen der jüngſten Wochen immer häufiger die Frage: warum denn dies Preußen, das die Waffen Deutſchlands führe, nicht ſelber an Oeſterreichs Stelle die Herrſchaft im Reiche übernehmen ſolle?

Wenn Metternichs Angſt vor den norddeutſchen Jacobinern überhaupt noch wachſen konnte, ſo mußte ſie durch dieſe Denkſchrift geſteigert werden. In jedem Satze fand er das genaue Gegentheil ſeiner eigenen Meinung. Was war entſetzlicher: Steins ſchonungsloſe Sprache gegen den Rheinbund oder das Verlangen nach der Einverleibung Sachſens oder die Forderung eines deutſchen Parlaments? Der furchtſame Gentz, der alle die ſchönen Erinnerungen ſeiner kräftigen Jahre längſt über Bord geworfen hatte, klagte bereits beweglich: dieſer Befreiungskrieg beginne einem Freiheits - kriege ähnlich zu ſehen, drohe mit einer Revolution zu enden, ſtatt mit einer Reſtauration! Das Angebot der kaiſerlichen Würde reizte den öſter - reichiſchen Staatsmann jetzt ſo wenig wie im Frühjahr. Auch England, Rußland, Schweden hatten ihm in den jüngſten Wochen wiederholt von der Erneuerung des Kaiſerthums geſprochen. Der conſervative Zug ward an den Höfen immer ſtärker, ſeit das revolutionäre Weltreich ins Sinken kam; unwillkürlich regte ſich überall der Wunſch nach einfacher Wieder - herſtellung der alten Zuſtände. Der Oeſterreicher aber blieb bei ſeiner Weigerung: nimmermehr ſollte ſich das Haus Lothringen mit dem leeren Prunke einer Krone belaſten, welche ihm jetzt nur noch den Haß Frank - reichs und der Mittelſtaaten zuziehen konnte.

Eben dieſe franzöſiſchen Vaſallen, denen alle Preußen Verachtung und Groll entgegentrugen, wollte Metternich um jeden Preis ſchonen. Er gedachte die deutſche Politik Napoleons mit ihren eigenen Waffen zu ſchlagen, ſpielte den Gönner der rheinbündiſchen Höfe, erklärte ſich bereit im Nothfalle ſogar einige der kleinſten Fürſten zum Beſten dieſer Könige zu mediatiſiren. Da er den Haß der Mittelſtaaten gegen jede ſtarke Bundesgewalt kannte, ſo durfte die deutſche Frage nur im freien Ein - verſtändniß mit den Rheinbundsfürſten entſchieden werden. Die ver -490I. 4. Der Befreiungskrieg.trauten engliſch-hannoverſchen Staatsmänner überraſchte er ſogar durch die Frage: wozu überhaupt eine deutſche Bundesverfaſſung, die doch nur böſes Blut errege? wie viel einfacher doch, ſich zu begnügen mit einem ausgedehnten Syſteme von Verträgen und Allianzen , das die ſouveränen deutſchen Staaten für den Kriegsfall zu gegenſeitigem Beiſtande verbände! Darum wies er jede nähere Verabredung mit Hardenberg von der Hand und erreichte wirklich, daß zu Teplitz gar nichts über die deutſche Ver - faſſung vereinbart wurde. Sein Vertrauter, Hofrath Binder, meinte gemüthlich: wie einſt das Verfaſſungswerk des Weſtphäliſchen Friedens unmittelbar aus dem Chaos des großen Krieges emporgeſtiegen ſei, ſo werde auch die Verfaſſung des Deutſchen Bundes zur rechten Zeit ganz von ſelber durch die Umſtände geſchaffen werden. Nebenbei wurde Hum - boldt, der alte Freund von Gentz, der tägliche Genoſſe von Metternichs Abenteuern und Vergnügungen, bei dem Staatskanzler verleumdet. Die Oeſterreicher haßten ihn nächſt Stein als den Haupturheber der preußi - ſchen Bundespläne, und es hielt nicht ſchwer, dem ohnehin voreingenom - menen Staatskanzler zu beweiſen, daß der verdächtige Mann mit Hilfe der Exaltirten ſich des Staatsruders zu bemächtigen ſtrebe.

Die Haltung Metternichs ergab ſich nicht blos aus der natürlichen Ruheſeligkeit und Gedankenarmuth ſeines Geiſtes, der bei aller Schlau - heit völlig unfruchtbar die Idee eines großen ſchöpferiſchen Verfaſſungs - planes niemals hätte faſſen können, ſondern auch aus einer richtigen Würdigung der Leiſtungsfähigkeit ſeines Staates. Wie Preußen an ſeiner Schwäche, ſo krankte Oeſterreich von jeher an ſeiner Stärke, an jener Ueberfülle grundverſchiedener politiſcher Ziele, die ihm durch die bunte Mannichfaltigkeit ſeines Ländergewirrs geſtellt wurden. Dieſer alte Fluch des Kaiſerſtaates wurde jetzt erneuert durch die blinde Gier einer ſich unendlich klug dünkenden Staatskunſt. Das neue Oeſterreich wollte zu - gleich Italien beherrſchen, die Führung in Deutſchland behaupten und das zwieträchtige Völkergewimmel an der Donau zuſammenhalten drei ſchwierige Aufgaben, denen kein Staat der Welt, und am Allerwenigſten ein Staat von ſo geringen geiſtigen Kräften, auf die Dauer genügen konnte. Die Zeit ſollte kommen, da die kurzſichtige Thorheit dieſer Politik ſich grauſam beſtrafte; damals hatte noch Niemand die tiefe Unſittlichkeit, die innere Unmöglichkeit der Pläne Metternichs durchſchaut. Die Cabinette ſahen vielmehr nicht ohne Neid, wie glücklich und ſicher der gewandte Mann ſich ſeinen Zielen näherte. Er erkannte richtig, daß ſein Oeſter - reich eine Macht des Beharrens war und alle verwegenen Neuerungen von ſich weiſen mußte; ein Staat in ſolcher Lage hatte keinen ärgeren Feind als das Verlangen der Nationen nach Einheit und Freiheit, er durfte dieſſeits wie jenſeits der Alpen ſich nur auf das dynaſtiſche Intereſſe der Höfe ſtützen.

Der öſterreichiſche Staatsmann wollte ſich alſo behutſam mit der491Metternichs deutſche Pläne.mittelbaren Herrſchaft über das geſammte Deutſchland begnügen ohne die Könige von Napoleons Gnaden durch die anſpruchsvollen Formen kaiſerlicher Majeſtät zu verletzen. An eine Mitherrſchaft Preußens dachte er um ſo weniger, da er wohl wußte, daß die Mittelſtaaten ſämmtlich die Hegemonie der aufſtrebenden preußiſchen Macht im Norden noch weit mehr fürchteten als das öſterreichiſche Kaiſerthum. Allen irgend unterrichteten Diplomaten war dieſe Anſicht Metternichs wohl bekannt. Auch Hardenberg konnte ſie leicht errathen, wenn er nur die Augen offen hielt; woher kam es denn, daß Oeſterreich ſich ſo beharrlich weigerte, die Herrſchaft über die ober - ſchwäbiſchen Lande von Neuem zu übernehmen? Hier aber begann die lange Reihe der diplomatiſchen Fehler des Staatskanzlers. Seine Ver - träge mit Rußland und England waren, einzelner Mißgriffe ungeachtet, doch gerechtfertigt durch das Gebot der Noth. Sein Verhalten gegen Oeſterreich entſprang einem folgenſchweren Irrthum. Er ſetzte leichtſinnig eine freundnachbarliche Geſinnung voraus, wovon in der Hofburg keine Spur vorhanden war; höchſtwahrſcheinlich iſt er in ſolcher Meinung ab - ſichtlich beſtärkt worden durch ſeinen Vetter Graf Hardenberg, den hanno - verſchen Agenten in Wien, einen anrüchigen, zweizüngigen Menſchen, der lange den Vermittler zwiſchen den beiden deutſchen Großmächten ſpielte, doch in Wahrheit nur ein Werkzeug Metternichs war.

Geſchickt wußte die öſterreichiſche Politik dies ſorgloſe Vertrauen des Bundesgenoſſen zu mißbrauchen. Metternich hat wohl in ſpäteren Jahren, als er ernſter und arbeitſamer wurde, zuweilen ein kunſtvoll angelegtes, fein durchdachtes Ränkeſpiel geführt; in jener Zeit war er noch ganz der leicht - fertig frivole Lebemann, brachte den leidenſchaftlichen Gentz, der den Kampf gegen Preußen und Rußland mit grimmigem Ernſte führte, durch ſeine träge Sorgloſigkeit und ſeine faden Liebesabenteuer oft zur Verzweiflung. Gegen Hardenbergs kindliche Argloſigkeit genügte aber ſchon ein gemächliches Zu - warten und gelegentlich eine freundliche Lüge. Da der Oeſterreicher jeder Erörterung der deutſchen Verfaſſungsfrage auswich, ſo blieb der preußiſche Staatsmann hartnäckig in dem Glauben, die Hofburg werde ſich doch noch bewegen laſſen das gefährliche Wächteramt am Oberrheine zu über - nehmen. Noch mehr, er handelte, als ob ſeine dualiſtiſchen Pläne bereits die Zuſtimmung des Wiener Hofes gefunden hätten, und bewilligte ver - trauensvoll, daß Oeſterreich als die führende Macht Süddeutſchlands mit den Südſtaaten über ihren Beitritt zur Coalition unterhandeln ſollte; das ſchien ſich ohnehin von ſelbſt zu verſtehen, da die öſterreichiſchen Truppen bereits an der bairiſchen Grenze ſtanden. So wurde das Schickſal der deutſchen Verfaſſung in Oeſterreichs Hände gelegt; und dies in einem Augenblicke, da der Abfall der Rheinbündler an dem Gange des Krieges nichts mehr ändern konnte! Von den Verträgen mit den Königskronen des Südens hing die Form des künftigen Deutſchen Bundes ausſchließlich ab; in Norddeutſchland, dem Machtgebiete Preußens, war nichts zu unter -492I. 4. Der Befreiungskrieg.handeln, dort galt es zunächſt nur den König Jerome und die napoleoniſchen Präfecten zu verjagen. Was die hoffenden Patrioten von der Hofburg zu er - warten hatten, das lehrte im October ein cyniſcher Aufſatz von Gentz in der Prager Zeitung: der Sieg ſei der Uebergang aus dem Zuſtande der Ent - ſagung in den Zuſtand der Ruhe und des Genuſſes! Das lehrten noch deutlicher die endloſen Verhandlungen über Steins Centralverwaltungsrath.

Ein Unſtern ſchwebte von Haus aus über dieſer Schöpfung des Frei - herrn; monatelang fand ſie keine rechte Thätigkeit, da man noch wenig erobert hatte. Alle die fremden Mächte, die noch zu Deutſchland gerechnet wurden, England, Schweden, Oeſterreich äußerten wiederholt ihr Mißtrauen. Die ent - thronten Kleinfürſten dagegen drängten ſich heran, und natürlich durfte der unaufhaltſame Gagern nicht fehlen; der alterprobte Lebensretter der Klein - ſtaaterei zeigte Vollmachten vor von dem Kurfürſten von Heſſen und dem Fürſten von Oranien, forderte Sitz und Stimme für die beiden Herren ohne Land. Sobald Oeſterreich der Allianz beigetreten war, verlangte Metternich ſogleich gänzliche Umgeſtaltung der verdächtigen Behörde: ſie dürfe nichts ſein als ein militäriſches Verpflegungsamt. Der ruſſiſche Geſandte Alopeus, der bisher die proviſoriſche Verwaltung in Mecklen - burg geführt, ein vertrauter Freund der preußiſchen Patrioten, mußte auf den Wunſch der Hofburg abberufen werden. In Teplitz legte Humboldt einen veränderten Entwurf vor, der aber zu Metternichs Entſetzen die Vorſchrift enthielt, daß die Centralverwaltung in den eroberten Ländern die Landſtände einberufen ſolle. Neue Bedenken, neue Verſchleppung. Auch Neſſelrode, Alexanders neuer Rathgeber, der ſich immer gelehriger in Metternichs Anſchauungen einlebte, zeigte lauen Willen. Die Sache blieb liegen, und erſt nach der Leipziger Schlacht, am 21. October wurde ein neuer Vertrag unterzeichnet, welcher die mit ſo ſtolzen Erwartungen begründete Behörde jeder politiſchen Bedeutung beraubte. Stein und ſein treuer Mitarbeiter Eichhorn wünſchten, daß den zur Coalition über - tretenden Kleinfürſten nur die vorläufige Fortführung der Regierung unter der Aufſicht der Centralverwaltung belaſſen würde; dann hätten ſie jedes Hoheitsrecht, das ihnen die künftige Bundesacte zurückgab, als ein Ge - ſchenk von Seiten des Deutſchen Bundes betrachten müſſen. Metternich wollte umgekehrt die kleinen Fürſten dadurch gewinnen, daß er ihnen den Fortbeſtand ihrer durch die Beraubung des alten Reichs geſchaffenen Machtvollkommenheit verbürgte; die Centralverwaltung erſchien ihm um ſo gefährlicher weil er fürchtete, daß ſie die Vereinigung Sachſens mit dem preußiſchen Staate vorbereiten könnte. Seine Anſicht drang durch. Die Wirkſamkeit der Centralverwaltung wurde beſchränkt auf die Leitung der Rüſtungen und der Heeresverpflegung in den eroberten Gebieten; Stein mit einem Rathe von Agenten der verbündeten Regierungen er - hielt die oberſte Aufſicht; die von ihm angeſtellten Militärgouverneure ſollten immer nur durch die beſtehenden Obrigkeiten ihre Befehle aus -493Vertrag von Ried.führen laſſen. Wer freiwillig der Coalition beitrat, durfte durch Vertrag ſein Land vor der Einmiſchung der Centralverwaltung ſicherſtellen. In ſeinem alſo beſchränkten Wirkungskreiſe hat der Centralverwaltungsrath unter Steins kraftvollen Händen ſehr Tüchtiges geleiſtet, obgleich er be - ſtändig mit dem böſen Willen der rheinbündiſchen Souveräne zu kämpfen hatte; aber der urſprüngliche kühne Plan, die Gebiete der Kleinfürſten als herrenloſes Gut zu behandeln, war durch Oeſterreich vereitelt.

Unterdeſſen hatte Metternich ſeine koſtbare Vollmacht benutzt und mit Baiern abgeſchloſſen. Trotz der günſtigen militäriſchen Lage der Alliirten hegte man in dem zaghaften Hauptquartiere drei Wochen vor der Ent - ſcheidungsſchlacht noch ſo wenig feſte Siegeszuverſicht, daß ſelbſt der Czar die kleine bairiſche Armee als eine ſehr werthvolle Verſtärkung anſah. Noch höheren Werth legte Metternich auf den Zutritt Baierns; er hoffte durch eine raſche Verſtändigung mit dem Münchener Hofe die in den letz - ten acht Jahren verlorenen Weſtprovinzen ſofort zurückzugewinnen, Tyrol, und damit die Pforte Italiens dem öſterreichiſchen Heere zu öffnen, endlich allen Rheinbundskönigen durch die That zu beweiſen, daß ſie in der Hof - burg einen nachſichtigen Gönner fänden. Im September war das Mün - chener Cabinet endlich zu der Einſicht gelangt, daß es Zeit ſei das ſinkende Schiff zu verlaſſen. Die beiden Kaiſer ermuthigten den König von Baiern durch freundliche Briefe; Hofrath Hruby, einer der gewandteſten öſter - reichiſchen Diplomaten, deſſen Wirkſamkeit der preußiſche Staat noch oft ſchmerzlich empfinden ſollte, reiſte geſchäftig hin und her. Am 8. October ſchloſſen Oeſterreich und Baiern den Rieder Vertrag. Beide Theile konnten ſich eines großen diplomatiſchen Erfolges rühmen, des größern doch Oeſter - reich. Die Hofburg gewann für ſich Tyrol, Salzburg, das Inn - und Hausruckviertel und führte zugleich drei ſchwere Schläge gegen Preußen. Der Kernſtaat des Rheinbundes trat als gleichberechtigte Macht in die Coalition ein, wurde feierlich aller vergangenen Schuld entlaſtet; und jetzt zeigte ſich, welchen Sinn Oeſterreich mit jenen verhängnißvollen Worten des Teplitzer Vertrages verband: die verheißene ganze und unbedingte Unabhängigkeit wurde kurzweg dahin erläutert, daß Baiern, von jedem fremden Einfluß befreit, ſeiner vollkommenen Souveränität genießen ſolle. Damit war den Bundesplänen Preußens die Spitze abgebrochen. Baiern erhielt ferner die Anerkennung ſeines Beſitzſtandes; das will ſagen: Har - denbergs Plan den Rheinbundsſtaaten den Raub der jüngſten Jahre wieder abzunehmen, fiel platt zu Boden, und Ansbach-Baireuth ging für Preußen verloren. Der Münchener Hof empfing endlich für die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen die Lande Würzburg und Aſchaffenburg ſowie die geheime Zuſage noch anderer deutſcher Landſtriche, die mit ſeinem Gebiete in ununterbrochenem Zuſammenhange ſtehen ſollten; durch dieſe Ausſicht ward das Haus Wittelsbach für die nächſte Zeit feſt an Oeſterreich gekettet.

Die geheimen Artikel des Rieder Vertrages wurden vor dem preußi -494I. 4. Der Befreiungskrieg.ſchen Cabinet noch längere Zeit verborgen gehalten*)Hardenbergs Tagebuch 17. November 1813. und erregten, als ſie endlich ans Licht traten, lebhaften Unwillen. Hardenberg und Hum - boldt hatten in Teplitz einen Artikel für den bairiſchen Vertrag vorge - ſchlagen, worin Baierns Unterwerfung unter die deutſche Bundesgewalt ausbedungen war; ſie waren damit weder bei dem Czaren noch bei Met - ternich durchgedrungen, und nun mußten ſie erleben, daß Oeſterreich den gefährlichſten und böswilligſten Staat des Rheinbundes von jeder Ver - pflichtung gegen Deutſchland freiſprach! Montgelas hielt es nicht einmal für nöthig ſeine bonapartiſtiſchen Neigungen zu verbergen; in der öffent - lichen Erklärung, die den vollzogenen Fahnenwechſel verkündigte, ſprach er unbefangen die Hoffnung aus auf baldige Wiederherſtellung der freund - ſchaftlichen Beziehungen, denen der König nur im letzten Augenblicke und in höchſter Bedrängniß entſagt habe. Und dieſem Staate hatte Oeſter - reich die alten Stammlande der Hohenzollern preisgegeben!

Zu Anfang des Jahres, in einem Augenblicke da Baierns Abfall den ganzen Verlauf des Krieges ändern konnte, war der Staatskanzler allerdings bereit geweſen auf die fränkiſchen Markgrafſchaften zu verzichten. Jetzt in völlig verwandelter Lage dachte man nicht mehr daran für geringen Gewinn ein ſolches Opfer zu bringen; vielmehr hatte Friedrich Wilhelm eben jetzt den Oberſten Krauſeneck beauftragt von Böhmen aus einen Streifzug gegen Ansbach-Baireuth zu unternehmen und die Franken zur Erhebung für ihren alten Fürſten aufzurufen. Da erfuhr man, daß Metternich die preußiſche Vollmacht mißbraucht hatte um zu erreichen, was die Hofburg ſchon ſeit dem Hubertusburger Frieden unabläſſig erſtrebte, um den nord - deutſchen Staat aus dem Süden zu verdrängen und ihn der Poſition in der Flanke Böhmens zu berauben. Der König war nicht minder er - bittert als das Volk der Markgrafſchaften. Es bezeichnet die kindliche politiſche Bildung der Zeit, daß ſobald die Feſſeln des Rheinbundes ſich lockerten alle deutſchen Stämme ohne Ausnahme zu ihren altangeſtammten Fürſtenhäuſern zurück verlangten. Nirgendwo äußerte ſich dieſe legitimiſtiſche Geſinnung ſo lebhaft wie unter den Franken; ſie waren einſt durch Har - denbergs Verwaltung aus tiefem wirthſchaftlichem Verfalle emporgehoben worden und hatten dann unter der Willkürherrſchaft der Präfecten Mont - gelas ſchwer gelitten. Sie beſtürmten den König ſie nicht aufzuopfern, beſchworen nachher den Wiener Congreß in einer rührenden Adreſſe um die Rückkehr des alten Fürſten, deſſen weiſe Verwaltung allein das Land in den Stand geſetzt habe die Leiden der letzten acht Jahre zu überſtehen. Durch viele Jahrzehnte blieb im Fichtelgebirge die Erinnerung lebendig an die gute alte Zeit, da die Königin Luiſe mit ihrem jungen Gemahl die Felsklüfte der Luxburg durchwandert hatte; die Kinder ſuchten im Walde nach dem Adlerfarrenkraut, das im Querſchnitt den brandenburgi -495Blüchers Zug über die Elbe.ſchen Adler zeigt. Der König empfand es bitter ſo viel herzliche Treue zurückweiſen zu müſſen; ſein Staatskanzler mußte ſobald die Rieder Ver - abredungen bekannt wurden Preußens Anſprüche auf Ansbach-Baireuth feierlich vorbehalten. Aber die Verwahrung kam zu ſpät. Um doch nicht gänzlich leer auszugehen beſetzte Preußen bald nach der Leipziger Schlacht das Herzogthum Berg und behielt dies Land, das in München von jeher als das Aequivalent der fränkiſchen Markgrafſchaften angeſehen wurde, in ſeiner Verwaltung.

Dergeſtalt war bereits entſchieden, daß Oeſterreich die Geſtaltung der deutſchen Zukunft in ſeiner Gewalt hielt. Indeſſen wuchs die Bedrängniß des Imperators. Neue gewaltige Aushebungen wurden dem erſchöpften Frank - reich zugemuthet: die Nation ſolle ſich ein Beiſpiel nehmen an den unge - heuren Anſtrengungen des kleinen Preußens, ihr Alles einſetzen in dieſem Kriege gegen England; denn nur darum dauere der Kampf fort weil der unverſöhnliche engliſche Feind verlange, daß die Franzoſen wie die Hindus allein für ihn arbeiteten. Das elende Weib, das in Napoleons Namen die Regentſchaft führte, die Tochter des letzten deutſchen Kaiſers, hatte die Stirn im Senate auszuſprechen: ich weiß mehr als irgend Jemand, was unſere Bevölkerung zu gewärtigen hätte, wenn ſie ſich jemals be - ſiegen ließe! Umringt von den drei feindlichen Heeren verſuchte Napo - leon noch mehrmals durch einen Angriff ſich Luft zu machen; zweimal wendete er ſich gegen das ſchleſiſche Heer, das bis in die Lauſitz vorge - drungen war, einmal gegen die böhmiſche Armee; aber Blücher wich ihm gewandt aus, und als der Imperator am 10. September von der Höhe des Geiersberges in das Teplitzer Thal hinabſchaute, da fand er doch nicht den Entſchluß, dem böhmiſchen Heere die Schlacht anzubieten. Es war ein ewiges va et vient, wie Napoleon ſagte. Das nutzloſe Spiel drohte ſich ins Unendliche zu verlängern. Die große Armee rührte ſich nicht vom Flecke. Karl Johann benutzte den Sieg von Dennewitz nicht, wollte die Elbe nicht überſchreiten ſo lange Wittenberg noch in franzöſi - ſchen Händen war. Wohl vereitelte das Corps Wallmodens durch das Gefecht an der Göhrde einen Verſuch Davouſts die Beſatzung von Magde - burg zu verſtärken; die Parteigänger Colomb und Thielmann errangen manchen ſchönen Erfolg im Rücken des Feindes, ja den Koſaken Czer - nitſcheffs glückte es ſogar für einige Tage Caſſel zu beſetzen und den König Jerome aus ſeiner Hauptſtadt zu verjagen. Doch was bedeutete das Alles für den Ausgang des großen Krieges? Clauſewitz ſpottete, die beiden Theile ſtänden ſich gegenüber wie der Hund und die Feldhühner, die einander ſtarr anſehen bis der Jäger ſein Faß an! ruft.

Von Blücher und Gneiſenau ward endlich dieſer fröhliche Jägerruf angeſtimmt. Sie hatten den wiederholten Befehl zum Abmarſch nach Böhmen unbefolgt gelaſſen, weil ſie der ſchleſiſchen Armee die Freiheit der Bewegung erhalten wollten. Als der Krieg völlig ins Stocken kam496I. 4. Der Befreiungskrieg.entſchloſſen ſie ſich eigenmächtig, nordweſtwärts über die Elbe zu ziehen und den Zauderer Bernadotte mit ſich fortzureißen; gelang dies, ſo mußte das große Hauptquartier endlich den Muth finden das Erzgebirge zu über - ſchreiten, und etwa in der Gegend von Leipzig konnten die drei Armeen ſich vereinigen. Zog Napoleon mittlerweile nach Schleſien, um ſo beſſer für die Verbündeten, dann verlegten ſie ihm mit geſammelter Kraft den Rück - zug; nicht die Sicherung einer Provinz, ſondern das Lager des Feindes war Gneiſenaus Ziel. Wir alſo, ſchrieb er ſtolz, wollen die Scene eröffnen und die Hauptrolle übernehmen, da die Andren es nicht wollen. Der König war mit dem kühnen Entſchluſſe einverſtanden, aber der ruſſiſche Bevoll - mächtigte im Blücher’ſchen Hauptquartier legte förmlich Verwahrung ein.

Am 26. September traf Bennigſen mit der ruſſiſchen Reſervearmee aus Polen im Teplitzer Thale ein; Schwarzenberg gebot fortan über eine gewaltige Uebermacht, wenn er ſie nur zu vereinigen verſtand. Am ſelben Tage brach Blücher aus der Lauſitz auf; es war die entſcheidende Wen - dung des Feldzugs. Am 3. October überſchritt er die Elbe bei Warten - burg, in jener ſumpfigen Niederung, wo die Schwarze Elſter ſich mit dem Strome vereinigt. Drüben auf dem linken Ufer ſtand das Corps Bertrands, Franzoſen, Italiener, Rheinbündner, zwiſchen Wartenburg und Bleddin, den Augen der Preußen völlig entzogen, geſchützt durch hohe Dämme und durch die ſumpfigen Altwaſſer der Elbe. Gegen dieſe faſt unangreifbare Stellung ließ Blücher das York’ſche Corps vorgehen. York fluchte wieder über die Tollheit der Pläne Gneiſenaus, doch er übernahm das Wag - niß, und nach wiederholtem vergeblichem Sturme gelang es wirklich dem unvergleichlichen Muthe ſeiner Truppen die Dämme zu erſteigen, den Feind zum Abzuge zu nöthigen. Abermals war ein glänzender Sieg allein durch die Preußen erfochten, und abermals bekamen die unglücklichen Württemberger die Schärfe des preußiſchen Schwertes zu koſten. Der Kampf ward mit ſolcher Wuth geführt, daß die ſchwarzen Huſaren einmal gefangene italieniſche Kanoniere zwangen das Geſchütz auf ihre eigenen Kameraden zu richten. Glückſelig focht General Oppen mitten im Ge - tümmel; der war von der nahen Nordarmee herübergeritten und ließ ſichs nicht nehmen als gemeiner Reiter mit ins Feuer zu gehen. Ein grauſiger Anblick, wie die armen Leineweber von der ſchleſiſchen Landwehr ſchaaren - weiſe mit durchſchoſſener Bruſt auf dem naſſen Boden lagen unter den Obſtbäumen an den Elbdeichen; vor der Schlacht hatten ſie ſich noch ge - mächlich Pflaumen geſchüttelt. Als Eichhorn dieſe kümmerlichen Leiber betrachtete, in denen ſo viel Liebe und ſo viel Heldenmuth gewohnt, da durchſchauerte ihn heilige Andacht und er erkannte was es heiße, daß der Herr auch in den Schwachen mächtig iſt. Der höchſte Preis gebührte doch dem Kolbergiſchen Leibregimente, jener tapferen Schaar, die ſchon an Gneiſenaus Seite geſtanden als das Geſtirn des Helden zuerſt aufging; vor dieſer Truppe entblößte der geſtrenge York ſein Haupt, wie einſt497Schlacht von Wartenburg.König Friedrich vor den Ansbach-Baireuth-Dragonern. Blücher aber rief, als Abends im Wartenburger Schloſſe der Becher kreiſte, den Sohn Scharnhorſts an ſeine Seite, gedachte des Vaters in bewegten Worten, nannte ſich ſelber beſcheiden einen Handwerker, der nur ausführe was jener Unvergeßliche geplant.

Die Elbe war überſchritten. In einer perſönlichen Unterredung be - wog Blücher den ſchwediſchen Kronprinzen, ſeinem Zuge zu folgen; der - weil Bernadotte in den ſüßeſten Artigkeiten ſich erging, rief der Alte ſeinem Dolmetſcher zu: ſagen Sie dem Kerl, der Teufel ſoll ihn holen wenn er nicht will! Schon am 8. October ſtand die ſchleſiſche Armee in der Nähe von Düben, wenige Meilen nördlich von Leipzig, hinter ihr bei Deſſau das Nordheer. Blüchers Vormarſch brachte Alles in Bewegung. Während das böhmiſche Heer ſich endlich anſchickte auf Leipzig zu marſchiren, nahm Napoleon ſeine Truppen vom rechten Elbufer zurück, mit dem Befehle vorher Alles bis auf den letzten Obſtbaum zu zerſtören, ſicherte Dresden durch eine ſtarke Garniſon und eilte ſelber nordweſtwärts, den beiden vereinigten Armeen entgegen. Doch Blücher wich abermals aus, zog ſich weſtlich über die Saale, ſo daß ihm der Weg nach Leipzig offen blieb, und der diplomatiſchen Kunſt Rühle von Lilienſterns gelang es auch den Kron - prinzen, der ſchon über die Elbe zurückweichen wollte, zu dem Marſche über die Saale zu bewegen. Napoleon erkannte zu ſpät, daß er in die Luft geſtoßen hatte. Jetzt, in der höchſten Bedrängniß, kam er nochmals auf ſeinen Lieblingsplan zurück und dachte an einen fünften Zug gegen Berlin: ſo leidenſchaftlich war ſein Verlangen den Heerd der deutſchen Volksbewegung zu züchtigen. Seine Vortruppen drangen bereits über die Elbe, Tauentzien trat mit ſeinem Corps einen übereilten Rückzug an, und am 13. October befürchtete die preußiſche Hauptſtadt noch einmal einen feindlichen Angriff. Doch inzwiſchen hatte der Imperator ſeinen Entſchluß wieder geändert und wendete ſich nach Leipzig zurück. Sein Stolz ver - ſchmähte die offene Rückzugsſtraße nach dem Rheine; er hoffte dicht vor den Mauern Leipzigs der von Süden heranrückenden böhmiſchen Armee die Schlacht anzubieten, bevor die beiden anderen Heere eintrafen. Das edle Wild war geſtellt; das gewaltige Keſſeltreiben dieſes Herbſtes näherte ſich dem Ende.

Gneiſenaus Augen leuchteten, als er am Morgen des 16. Octobers das ungeheure Schlachtfeld überblickte, wie vom Nordweſten und Norden, vom Südoſten und Süden her die Heerſäulen der Verbündeten im weiten Halbkreiſe gegen Leipzig heranzogen. Er wußte, die Stunde der Erfül - lung hatte geſchlagen, und wie er empfand das Volk. Wie oft hatten ſich die Deutſchen erfreut an den Schilderungen der Kaufleute von dem vielſprachigen Völkergewimmel, das von Zeit zu Zeit marktend und ſchachernd die hochgiebligen Straßen der alten Meßſtadt erfüllte; jetzt ſtrömten wieder alle Völker des Welttheils vom Ebro bis zur Wolga inTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 32498I. 4. Der Befreiungskrieg.den ſchlachtgewohnten Ebenen Oberſachſens zuſammen. Die große Zahl - woche kam heran, die Abrechnung für zwei Jahrzehnte des Unheils und der Zerſtörung. Nach der Schlacht erzählte ſich das Volk in der Pfalz, wie die acht Kaiſer aus den Grüften des Speierer Domes ſich erhoben hatten und Nächtens über den Rhein gefahren waren um bei Leipzig mitzukämpfen; nach vollbrachter Arbeit ruhten ſie wieder ſtill im Grabe. Die Verbündeten hatten für ſich den dreifachen Vortheil der Ueberzahl an Mannſchaft und Geſchütz, des concentriſchen Angriffs und einer ſiche - ren Flügelanlehnung. Napoleon ſtand im Halbkreiſe auf der Ebene öſtlich von Leipzig; hinter ihm lagen die Stadt und die Auen jene wild - reichen dichten Laubwälder, die ſich meilenlang zwiſchen der Elſter, der Pleiße und ihren zahlreichen ſumpfigen Armen ausdehnen, ein für die Entfaltung großer Truppenmaſſen völlig unbrauchbares Wald - und Sumpfland, das die beiden Flügel der Verbündeten gegen jede Umgehung ſicherte. Gelang der Angriff, ſo konnte der Imperator vielleicht verſuchen irgendwo den eiſernen Ring der alliirten Heere zu durchbrechen und ſich oſtwärts nach Torgau durchzuſchlagen ein tollkühnes Wagniß, das bei einiger Wachſamkeit der Verbündeten ſicher ſcheitern mußte. Sonſt blieb ihm nur noch der Rückzug nach Weſten offen, erſt durch die enge Stadt, dann auf einer einzigen Brücke über die Elſter, endlich auf dem hohen Damme der Frankfurter Landſtraße quer durch die naſſen Wieſen der Auen der denkbar ungünſtigſte Weg für ein geſchlagenes Heer.

Am 15. war Rühle von Lilienſtern mit einer Botſchaft des ſchle - ſiſchen Hauptquartiers bei dem Oberfeldherrn in Pegau angelangt. Gneiſenau ſchlug vor, am erſten Schlachttage das Gefecht hinzuhalten, weil mindeſtens 80,000 Mann von der verbündeten Armee noch nicht zur Stelle waren. Sobald dieſe Verſtärkungen eingetroffen, ſollte der Angriff auf allen Stellen des Halbkreiſes mit entſchiedener Uebermacht wieder aufgenommen und indeſſen durch ein in Napoleons Rücken entſendetes Corps dem Feinde die einzige Rückzugsſtraße geſperrt werden; dann war nicht nur ein Sieg, ſondern eine Vernichtungsſchlacht, eine in aller Ge - ſchichte unerhörte Waffenſtreckung möglich. Zu ſo hohen Flügen ver - mochte ſich freilich Schwarzenberg nicht aufzuſchwingen. Eine Zeit lang hoffte er ſogar die Schlacht gänzlich zu vermeiden, ſchon durch das Er - ſcheinen der drei vereinigten Armeen den Imperator zum Rückzuge zu nöthigen. Auch als er ſich endlich überzeugen mußte, daß ein Napoleon ſo leichten Kaufes nicht zu verdrängen ſei, entwarf er einen überaus un - glücklichen Schlachtplan. Da die böhmiſche Armee vom Süden, die bei - den anderen Heere vom Norden herankamen, ſo mußte der Oberfeldherr das war die Meinung des ſchleſiſchen Hauptquartiers die Entſchei - dung auf ſeiner rechten Flanke ſuchen, dort auf der Rechten ſich mit der Nordarmee zu verbinden ſtreben um die Umklammerung des Feindes zu vollenden. Statt deſſen ballte er eine Maſſe von 35,000 Mann, lauter499Schlacht von Möckern.Oeſterreicher, auf ſeinem äußerſten linken Flügel zuſammen und ließ ſie durch das unwegſame Buſchland der Auen gegen Connewitz vorgehen, in der ſonderbaren Hoffnung, dort auf ganz unzugänglichem Boden Napoleons rechten Flügel von der Stadt abzudrängen. Sein General Langenau hatte dieſen unſeligen Anſchlag eingegeben; der ehrgeizige Sachſe, der erſt im Frühjahr zugleich mit dem Miniſter Senfft in öſterreichiſche Dienſte übergetreten war, brannte vor Begier ſich in der Gnade ſeines Kaiſers feſt zu ſetzen und wollte darum den Hauptſchlag durch die Oeſter - reicher allein ausführen, den Preußen, die er mit dem ganzen Ingrimm des Particulariſten haßte, eine untergeordnete Rolle zuweiſen. Der klein - liche Gedanke ſollte ſich grauſam beſtrafen.

Napoleon ſammelte die Hauptmaſſe ſeiner Streitkräfte bei Wachau, drei Stunden ſüdöſtlich der Stadt. Da er von dem Zauderer Bernadotte nichts befürchtete und die ſchleſiſche Armee noch weitab im Nordweſten bei Merſeburg wähnte, ſo gab er dem Marſchall Marmont, der im Nor - den bei Möckern ſtand, den Befehl ſich mit der Hauptarmee zu vereinigen um die Niederlage des böhmiſchen Heeres vollſtändig zu machen. In der That entſprach Karl Johann den Erwartungen des Imperators. Die Nordarmee erſchien am 16. gar nicht auf dem Schlachtfelde, dergeſtalt daß die Alliirten nur eine geringfügige Ueberzahl, 192,000 gegen 177,000 Mann, in das Gefecht führen konnten; eine weite Lücke blieb zwiſchen den beiden Hälften der verbündeten Heere offen, die Kämpfe des erſten Tages zerfielen in Wahrheit in zwei ſelbſtändige Schlachten, bei Möckern und bei Wachau.

Blücher dagegen kam nicht auf dem Umwege über Merſeburg, ſon - dern gradeswegs von Halle auf der Landſtraße am Oſtrande der Auen heran und zwang Marmont durch ſein unerwartetes Erſcheinen, bei Möckern ſtehen zu bleiben. Wie lieblich war den tapferen Schleſiſchen das Leben eingegangen die letzten Tage über, als ſie jubelnd in Halle einzogen, von den Bürgern der endlich befreiten treuen Stadt auf den Händen getragen, und dann bei Becherklang und vaterländiſchen Geſängen, nach altem Burſchenbrauche die Nacht verbrachten. Dem Rauſche der jugendlichen Luſt folgte die ernſte Arbeit, die blutigſte des ganzen Krieges, denn wieder fiel dem York’ſchen Corps die ſchwerſte Aufgabe zu. Als York am Morgen des 16. in Schkeuditz unter ſeinen Fenſtern die Huſaren zum Aufſitzen blaſen hörte, da hob er ſein Glas und ſprach den Kern - ſpruch ſeines lieben Paul Gerhard: den Anfang, Mitt und Ende, Herr Gott, zum Beſten wende! Wohl mochte er ſich einer höheren Hand empfehlen, denn unangreifbar wie bei Wartenburg ſchien wieder die Stel - lung des Feindes. Marmont lehnte ſich mit ſeiner linken Flanke bei Möckern an den ſteilen Thalrand der Elſter, hatte die Mauern des Dorfes zur Vertheidigung eingerichtet, weiter rechts auf den flachen Höhen eine Batterie von 80 Geſchützen aufgefahren. Gegen dieſe kleine Feſtung ſtürmten die Preußen heran auf der ſanft anſteigenden baumloſen Ebene;32*500I. 4. Der Befreiungskrieg.ſechsmal drangen ſie in das Dorf und verloren es wieder; das Gefühl der einzigen Größe des Tages beſchwingte beiden Theilen die Kraft. End - lich führt York ſelber ſeine Reiterei zum Angriff gegen die Höhen unter dem Rufe: marſch, marſch, es lebe der König; nach einem wüthenden Häuſerkampfe ſchlägt das Fußvolk den Feind aus dem Dorfe heraus; am Abend muß Marmont gegen die Stadt zurückweichen, 53 Kanonen in den Händen der Preußen laſſen, und an den Wachtfeuern der Sieger ertönt das Lied: Herr Gott Dich loben wir, wie in der Winternacht von Leuthen. Aber welch ein Anblick am nächſten Morgen, als die Truppen zum Sonntagsgottesdienſt zuſammentraten. Achtundzwanzig Comman - deure und Stabsoffiziere lagen todt oder verwundet; von ſeinen 12,000 Mann Infanterie hatte York kaum 9000 mehr, ſeine Landwehr war im Auguſt mit 13,000 Mann ins Feld gezogen und zählte jetzt noch 2000. So waren an dieſer einen Stelle die Verbündeten bis auf eine kleine Stunde an die Thore von Leipzig herangelangt.

Das Ausbleiben der Nordarmee hatte die üble Folge, daß Blücher ſeine Armee nicht ſchwächen durfte und nicht, wie ſeine Abſicht war, ein Corps weſtlich durch die Auen auf die Rückzugslinie Napoleons ent - ſenden konnte. Dort im Weſten ſtand alſo Giulai mit ſeinen 22,000 Oeſterreichern den 15,000 Mann des Bertrand’ſchen Corps allein gegen - über und er verſtand nicht ſeine Uebermacht zu verwerthen; die große Frankfurter Straße blieb dem Imperator geſichert. Auch auf dem Haupt - ſchauplatze des Kampfes, bei Wachau fochten die Verbündeten nicht glück - lich. Hier hatte zwei Tage vorher ein großartiges Vorſpiel der Völker - ſchlacht ſich abgeſpielt, ein gewaltiges Reitergefecht, wobei König Murat nur mit Noth dem Säbel des Leutnants Guido v. d. Lippe von den Neumärkiſchen Dragonern entgangen war. Heute hielt Napoleon ſelber mit der Garde und dem Kerne ſeines Heeres die dritthalb Stunden lange Linie von Dölitz bis Seifertshain beſetzt, durch Zahl und Stellung den Verbündeten überlegen, 121,000 gegen 113,000 Mann. Auf dem linken Flügel der Alliirten, zwiſchen den beiden Flüſſen, vergeudeten die unglück - lichen Opfer der Feldherrnkunſt Langenaus ihre Kraft in einem tapferen, aber ausſichtsloſen Kampfe; eingeklemmt in dem buſchigen Gelände ver - mochten ſie ihre Macht nicht zu gebrauchen. General Merveldt ſelbſt gerieth mit einem Theile ſeines Corps in Gefangenſchaft; mit Mühe wurden die Reſerven dieſer Oeſterreicher aus den Auen über die Pleiße rechtsab auf die offene Ebene hinauf gezogen. Es war die höchſte Zeit, denn hier im Centrum konnten Kleiſts Preußen und die Ruſſen des Prinzen Eugen ſich auf die Dauer nicht behaupten in dem verzweifelten Ringen gegen die erdrückende Uebermacht, die unter dem Schutze von 300 Geſchützen ihre Schläge führte. Die volle Hälfte dieſer Helden von Kulm lag auf dem Schlachtfelde. Schon glaubt Napoleon die Schlacht gewonnen, befiehlt in der Stadt Victoria zu läuten, ſendet Siegesboten501Schlacht bei Wachau.an ſeinen Vaſallen König Friedrich Auguſt, der in Leipzig angſtvoll der Entſcheidung harrt. Noch dreht ſich die Welt um uns ruft er froh - lockend ſeinem Daru zu. Ein letzter zerſchmetternder Angriff der ge - ſammten Reiterei ſoll das Centrum durchbrechen. Noch einmal dröhnt die Erde von dem Feuer der 300 Geſchütze, dann raſen 9000 Reiter in ge - ſchloſſener Maſſe über das Blachfeld dahin, ein undurchdringliches Dickicht von Roſſen, Helmen, Lanzen und Schwertern. Da kommen die öſter - reichiſchen Reſerven aus der Aue heran, und während die Reitermaſſen, athemlos von dem tollen Ritt, allmählich zurückgedrängt werden, ſetzen ſich die Verbündeten nochmals in den verlorenen Dörfern feſt und am Abend behaupten ſie faſt wieder dieſelbe Stellung wie am Morgen. Schwarzenbergs Angriff war geſcheitert, doch der Sieger hatte nicht ein - mal den Beſitz des Schlachtfeldes gewonnen.

Trat Napoleon jetzt den Rückzug an, ſo konnte er ſein Heer in guter Ordnung zum Rheine führen; denn die ſchleſiſche Armee, die einzige Siegerin des erſten Schlachttags, ſtand von der Frankfurter Straße noch weit entfernt und war überdies tief erſchöpft von dem verluſtreichen Kampfe. Aber der Liebling des Glücks vermochte das Unglück nicht zu ertragen. Nichts mehr von der gewohnten Kälte und Sicherheit der politiſchen Be - rechnung; ſein Hochmuth wollte ſich den ganzen Ernſt der Lage nicht ein - geſtehen, wollte nicht laſſen von unmöglichen Hoffnungen. Der Impe - rator that das Verderblichſte was er wählen konnte, verſuchte durch den gefangenen Merveldt Unterhandlungen mit ſeinem Schwiegervater anzu - knüpfen und gewährte alſo den Verbündeten die Friſt ihre geſammten Streitmaſſen heranzuziehen. Am 17. October ruhten die Waffen, nur Blücher konnte ſich die Luſt des Kampfes nicht verſagen, drängte die Franzoſen bis dicht an die Nordſeite der Stadt zurück.

Am 18. früh hatte Napoleon ſeine Armee näher an Leipzig heran - genommen, ihr Halbkreis war nur noch etwa eine Stunde von den Thoren der Stadt entfernt. Gegen dieſe 160,000 Mann rückten 255,000 Ver - bündete heran. Mehr als einen geordneten Rückzug konnte der Impe - rator nicht mehr erkämpfen; er aber hoffte noch auf Sieg, wies den Ge - danken an eine Niederlage gewaltſam von ſich, verſäumte Alles was den ſchwierigen Rückmarſch über die Elſter erleichtern konnte.

Die Natur der Dinge führte endlich den Ausgang herbei, welchen Gneiſenaus Scharfblick von vornherein als den einzig möglichen angeſehen hatte: die Entſcheidung fiel auf dem rechten Flügel der Verbündeten. Na - poleon überſah von der Höhe des Thonbergs, wie die Oeſterreicher auf dem linken Flügel der Alliirten abermals mit geringem Glück den Kampf um die Dörfer an der Pleiße eröffneten, wie dann das Centrum der Ver - bündeten über das Schlachtfeld von Wachau herankam. Es waren die kampferprobten Schaaren Kleiſts und des Prinzen Eugen; über die un - beſtatteten Leichen der zwei Tage zuvor gefallenen Kameraden ging der502I. 4. Der Befreiungskrieg.Heerzug hinweg, man hörte die Knochen der Todten unter den Hufen der Roſſe und den Rädern der Kanonen knarren. Vor der Front der Angreifer lagen langhingeſtreckt die hohen Lehmmauern von Probſthaida, auf beiden Seiten durch Geſchütze gedeckt der Schlüſſel des franzöſiſchen Centrums. Unter dem Kreuzfeuer der Batterien begann der Angriff, ein ſechsmal wiederholtes Stürmen über das offene Feld, doch zuletzt behauptete ſich Napoleons Garde in dem Dorfe, und auch Stötteritz nebenan blieb nach wiederholtem Sturm und mörderiſchem Häuſerkampfe in den Händen der Franzoſen; man ſah nachher in den Gärten und Häuſern die Leichen von Ruſſen und Franzoſen, die einander gegenſeitig das Bajonett durch den Leib gerannt, angeſpießt auf dem Boden liegen. Unmittelbar unter den Augen des Imperators ward auch heute den Verbündeten kein entſcheiden - der Erfolg, obgleich ſie dicht an den Schlüſſelpunkt ſeiner Stellung heran - gelangten. Indeſſen rückte auf ihrem rechten Flügel das Nordheer in die Schlachtlinie ein, füllte die Lücke, welche die böhmiſche Armee von der ſchleſiſchen trennte, ſchloß den großen Schlachtenring, der die Franzoſen umfaßte. Es hatte der Mühe genug gekoſtet, bis Karl Johann, der am 17. endlich bei Breitenfeld auf der alten Stätte ſchwediſchen Waffenruhmes angelangt war, zur thätigen Theilnahme beredet wurde; um den Bedacht - ſamen nur in den Kampf hineinzureißen hatte Blücher ſeiner eignen That - kraft das ſchwerſte Opfer zugemuthet, 30,000 Mann ſeines Heeres an die Nordarmee abgetreten und damit ſelber auf den Ruhm eines neuen Sieges verzichtet. Einmal entſchloſſen zeigte Bernadotte die Umſicht des bewährten Feldherrn. Während Langerons Ruſſen auf der äußerſten Rechten der Angriffslinie durch wiederholten Sturm den Feind aus Schönefeld zu verdrängen ſuchten, traf die Hauptmaſſe der Nordarmee am Nachmittag auf der Oſtſeite von Leipzig ein. Bülow führte das Vordertreffen und ſchlug das Corps Reyniers aus Paunsdorf hinaus.

So ſtießen die alten Feinde von Großbeeren abermals auf einander, doch wie war ſeitdem die Stimmung in den ſächſiſchen Regimentern um - geſchlagen! Wunderbar lange hatte die ungeheure Macht des deutſchen Fahneneides die Truppen des Rheinbundes bei ihrer Soldatenpflicht feſt - gehalten; außer einigen vereinzelten Bataillonen waren bisher nur zwei weſtphäliſche Reiterregimenter zu den Verbündeten übergegangen. Mit dem Glücke ſchwand auch das Selbſtgefühl der napoleoniſchen Lands - knechte; ſie begannen ſich des Krieges gegen Deutſchland zu ſchämen, ſie empfanden nach was ihr Landsmann Rückert ihnen zurief:

Ein Adler kann vielleicht noch Ruhm erfechten,
Doch ſicher Ihr, ſein Raubgefolg, Ihr Raben
Erfechtet Schmach bei kommenden Geſchlechten!

Die Sachſen fühlten ſich zudem in ihrer militäriſchen Ehre gekränkt durch die Lügen der napoleoniſchen Bulletins; ſie ſahen mit Unmuth wie ihre Heimath ausgeplündert, ihr König von Ort zu Ort hinter dem Protector503Der 18. Oktober.her geſchleppt wurde; und ſollten ſie mit nach Frankreich entweichen, wenn Napoleon die Schlacht verlor und Sachſen ganz in die Gewalt der Ver - bündeten fiel? Selbſt die Franzoſen empfanden Mitleid mit der unnatür - lichen Lage dieſer Bundesgenoſſen; Reynier hatte bereits den Abmarſch der Sachſen nach Torgau angeordnet, als das Anrücken der Nordarmee die Ausführung des wohlgemeinten Befehles verhinderte. Nur König Fried - rich Auguſt zeigte kein Verſtändniß für die Bedrängniß ſeiner Armee noch für ſeine eigene Schande. Unwandelbar blieb ſein Vertrauen auf den Glücksſtern des Großen Alliirten; noch während der Schlacht verwies er ſeine Generale trocken auf ihre Soldatenpflicht als ſie ihn baten die Tren - nung des Contingents von dem franzöſiſchen Heere zu geſtatten. Die deutſche Gutmüthigkeit wollte dem angeſtammten Herrn ſo viel Verblen - dung nicht zutrauen. Die Offiziere glaubten feſt, ihr König ſei unfrei; keineswegs in der Meinung ihren Fahneneid zu brechen, ſondern in der Abſicht das kleine Heer dem Landesherrn zu erhalten beſchloſſen ſie das Aergſte was der Soldat verſchulden kann, den Uebergang in offener Feld - ſchlacht. In der Gegend von Paunsdorf und Sellerhauſen ſchloſſen ſich etwa 3000 Mann der ſächſiſchen Truppen an die Nordarmee an; mit ihnen eine Reiterſchaar aus Schwaben. Die Preußen und Ruſſen nahmen die Flüchtigen mit Freuden auf; nur den württembergiſchen General Nor - mann, der einſt bei Kitzen die Lützower verrätheriſch überfallen hatte, wies Gneiſenau mit verächtlichen Worten zurück. Friedrich Wilhelms Ehrlich - keit aber hielt den Vorwurf nicht zurück: wie viel edles Blut die Sachſen dem Vaterlande erſparen konnten, wenn ſie ihren Entſchluß früher, vor der Entſcheidung, faßten! Der traurige Zwiſchenfall blieb ohne jeden Ein - fluß auf den Ausgang der Völkerſchlacht, doch warf er ein grelles Schlag - licht auf die tiefe ſittliche Fäulniß des kleinſtaatlichen Lebens. Das Gewiſſen des Volkes begann endlich irre zu werden an der Felonie des napoleo - niſchen Kleinkönigthums; trotz aller Lügenkünſte particulariſtiſcher Volks - verbildung erwachte wieder die Einſicht, daß auch nach dem Untergange des alten Reiches die Deutſchen noch ein Vaterland beſaßen und ihm ver - bunden waren durch heilige Pflichten.

Gegen 5 Uhr vereinigte Bülow ſein ganzes Corps zu einem gemein - ſamen Angriff, erſtürmte Sellerhauſen und Stüntz, drang am Abend bis in die Kohlgärten vor, dicht an die öſtlichen Thore der Stadt. Da während - dem auch Langeron auf der Rechten das hart umkämpfte Schönefeld end - lich genommen hatte und ebenfalls gegen die Kohlgärten herandrängte, ſo war Ney mit dem linken Flügel der Franzoſen auf ſeiner ganzen Linie geſchlagen. Durch dieſe Niederlage ward Napoleons Stellung im Centrum unhaltbar. Noch am Abend befahl er den Rückzug des geſammten Heeres. Nun wälzten ſich die dichten Maſſen der geſchlagenen Armee durch drei Thore zugleich in die Stadt hinein um dann alleſammt in entſetzlicher Verwirrung auf der Frankfurter Straße ſich zu vereinigen. Daß dieſer504I. 4. Der Befreiungskrieg.eine Weg noch offen blieb, war das Verdienſt des unglücklichen Giulai, der auch am dritten Schlachttage auf der Weſtſeite nichts ausgerichtet hatte; bis zur Saale hin hielt Bertrand den Franzoſen die Rückzugsſtraße frei. Die Hunderttauſende, die beim Feuerſcheine von zwölf brennenden Dörfern auf dem theuer erkauften Schlachtfelde lagerten, empfanden tief erſchüttert den heiligen Ernſt des Tages; unwillkürlich ſtimmten die Ruſſen eines ihrer frommen Lieder an, und bald klangen überall, in allen Zungen der Völker Europas, die Dankgeſänge zum Himmel auf. Die Sieger beugten ſich unter Gottes gewaltige Hand; recht aus dem Herzen der fromm bewegten Zeit heraus ſang der deutſche Dichter:

O Tag des Sieges, Tag des Herrn,
wie feurig ſchien dein Morgenſtern!

Nur der Feldherr, der von Amtswegen als der Beſieger Napoleons gefeiert wurde, vermochte die Größe des Erfolges nicht zu faſſen. Schwar - zenberg weigerte ſich die noch ganz unberührten ruſſiſchen und preußiſchen Garden zur Verfolgung auszuſenden nicht aus Argliſt, wie manche der grollenden Preußen annahmen, ſondern weil ſein Kleinmuth die Ge - ſchlagenen nicht zur Verzweiflung treiben wollte. Blücher hatte den Tag über, wegen des verſpäteten Eintreffens der Nordarmee, ſein kleines Heer zuſammenhalten müſſen um einen Ausfall in der Richtung auf Torgau, den man noch immer befürchtete, zurückweiſen zu können; darum ward York erſt am Abend auf dem weiten Umwege über Merſeburg dem fliehen - den Feinde nachgeſendet. Alſo konnte Napoleon noch 90,000 Mann, faſt durchweg Franzoſen, aus der Schlacht retten. Die Deckung des Rück - zugs, die Vertheidigung der Stadt überließ er ſeinen Vaſallen, den Rhein - bündnern, Polen und Italienern; mochten ſie noch einmal für ihn bluten, dem Kaiſerreiche waren ſie doch verloren.

So mußte denn am 19. der Kampf um den Beſitz der Stadt ſelber von Neuem begonnen werden. Während Blücher im Norden ſeine Ruſſen gegen das Gerberthor führt und dort zuerſt von den Koſaken mit dem Ehrennamen Marſchall Vorwärts begrüßt wird, bricht Bülows Corps aus den Kohlgärten gegen die Oſtſeite der Stadt auf. Borſtells Brigade dringt in den Park der Milchinſel, Friccius mit der oſtpreußiſchen Landwehr er - ſtürmt das Grimmaiſche Thor. Noch ſtehen die Regimenter des Rhein - bundes dicht gedrängt auf dem alten Markte, da tönen ſchon die Flügel - hörner der pommerſchen Füſiliere die Grimmaiſche Straße herunter, da - zwiſchen hinein der donnernde Ruf: Hoch Friedrich Wilhelm! Bald blitzen die Bajonette, lärmen die Trommeln und gellen die Querpfeifen auch in den andern engen Gaſſen, die nahe bei dem alten Rathhauſe münden. Alles ſtrömt zum Marktplatze; die Sieger von der Katzbach, von Kulm und Dennewitz feiern hier in Gegenwart der gefangenen Feinde jubelnd ihr Wiederſehen. Neue ſtürmiſche Freudenrufe, als der Czar und der König ſelber einreiten; ſelbſt die Rheinbündner ſtimmen mit ein; Alle505Der Sturm auf Leipzig.fühlen, wie aus Schmach und Gräueln der junge Tag des neuen Deutſch - lands leuchtend emporſteigt. Während den König von Preußen ſein tapferes Heer frohlockend umdrängt, ſteht nahebei ein klägliches Bild der alten Zeit, die nun zu Grabe geht Friedrich Auguſt von Sachſen entblößten Hauptes, mitten im Gewühle an der Thüre des Königshauſes. Der hat während der Stunden des Sturmes ängſtlich im Keller geſeſſen, betrogen von den prahleriſchen Verheißungen des Protectors noch bis zum letzten Augenblicke auf die ſiegreiche Rückkehr des Unüberwindlichen gehofft. Nun würdigen ihn die Sieger keines Blickes, ſein eigenes Volk beachtet ihn nicht, vor ſeinen Augen wird ſeine rothe Garde von Friedrich Wilhelms Adju - tanten Natzmer zur Verfolgung der Franzoſen hinweggeführt. Mit naiver Freude wie ein Held des Alterthums ſchreibt Gneiſenau die Siegesbotſchaft den entfernten Freunden in allen Ecken des Vaterlandes: Wir haben die Nationalrache in langen Zügen genoſſen. Wir ſind arm geworden, aber reich an kriegeriſchem Ruhme und ſtolz auf die wiedererrungene Unabhängigkeit.

Dreißigtauſend Gefangene fielen den Siegern in die Hände. Die Um - zingelung der Stadt von den Auen her war bereits nahezu vollendet, als die Elſterbrücke an der Frankfurter Landſtraße in die Luft geſprengt und damit den Wenigen, die ſich vielleicht noch retten konnten, der letzte Aus - weg verſperrt wurde. Ein ganzes Heer, an hunderttauſend Mann, lag todt oder verwundet. Was vermochte die Kunſt der Aerzte, was die menſchenfreundliche Aufopferung des edlen Oſtfrieſen Reil gegen ſolches Uebermaß des Jammers? Das Medicinalweſen der Heere war überall noch nicht weit über die Weisheit der fridericianiſchen Feldſcheerer hinaus - gekommen, und über der wackeren, gutherzigen Leipziger Bürgerſchaft lag noch der Schlummergeiſt des alten kurſächſiſchen Lebens, ſie verſtand nicht rechtzeitig Hand anzulegen. Tagelang blieben die Leichen der preußiſchen Krieger im Hofe der Bürgerſchule am Wall unbeerdigt, von Raben und Hunden benagt; in den Concertſälen des Gewandhauſes lagen Todte, Wunde, Kranke auf faulem Stroh beiſammen, ein verpeſtender Brodem erfüllte den ſcheußlichen Pferch, ein Strom von zähem Koth ſickerte lang - ſam die Treppen hinab. Wenn die Leichenwagen durch die Straßen fuhren, dann geſchah es wohl, daß ein Todter der Kürze halber aus dem dritten Stockwerke hinabgeworfen wurde, oder die begleitenden Soldaten bemerkten unter den ſtarren Körpern auf dem Wagen einen, der ſich noch regte, und machten mit einem Kolbenſchlage mitleidig dem Gräuel ein Ende. Draußen auf dem Schlachtfelde hielten die Aasgeier ihren Schmaus; es währte lange bis die entflohenen Bauern in die verwüſteten Dörfer heim - kehrten und die Leichen in großen Maſſengräbern verſcharrten. Unter ſolchem Elend nahm dies Zeitalter der Kriege vom deutſchen Boden Ab - ſchied, die fürchterliche Zeit, von der Arndt ſagte: dahin wollte es faſt mit uns kommen, daß es endlich nur zwei Menſchenarten gab, Menſchen - freſſer und Gefreſſene! Dem Geſchlechte, das Solches geſehen, blieb für506I. 4. Der Befreiungskrieg.immer ein unauslöſchlicher Abſcheu vor dem Kriege, ein tiefes, für minder heimgeſuchte Zeiten faſt unverſtändliches Friedensbedürfniß.

Am 24. October beſuchte König Friedrich Wilhelm ſeine Hauptſtadt. Es drängte ihn am Grabe ſeiner Gemahlin zu beten, denn überall auf dieſer wilden Kriegsfahrt war ihr Bild ihm zur Seite geweſen, und auch unter den Truppen hieß es immer wieder: warum durfte die Königin das nicht mehr erleben? Dann erſchien er im Theater; das Heil Dir im Siegerkranz brauſte durch den Saal, diesmal mit beſſerem Rechte als einſt da das dünkelhafte Geſchlecht der neunziger Jahre ſich zuerſt an den prächtigen Klängen weidete. Vor ſieben Jahren am nämlichen Tage war Na - poleon durch das Brandenburger Thor eingeritten, und welch ein Wandel ſeitdem! Wie hatte ſich doch dieſer verſtümmelte Staat mit ſeinen fünf Millionen Menſchen wieder aufgeſchwungen auf die Höhen der Geſchichte! Mochten die Männer der Kriegspartei von 1811 geirrt haben in der Wahl des Augenblicks, zu groß hatten ſie nicht gedacht von ihrem Volke. Jetzt galt er wieder, der alte Wahlſpruch Nec soli cedit! In jenen Tagen ſchrieb eine engliſche Zeitung: Wer gab Deutſchland das erſte Bei - ſpiel des Abfalls von Napoleon? Die Preußen. Wer hielt die Schlachten von Lützen und Bautzen? Die Preußen. Wer ſiegte bei Haynau? Die Preußen. Wer bei Großbeeren, bei Katzbach und Dennewitz? Immer die Preußen. Wer bei Culm, Wartenburg, Möckern und Leipzig? Die Preußen, immer die Preußen. Wie eine Drohung klang dies ſtolze the Prussians, ever the Prussians! dem Kaiſer Franz und den Fürſten des Rheinbundes. Welcher Zukunft ging Deutſchland entgegen, wenn dieſer Staat ſeine alte Macht zurück erlangte?

Durch die Leipziger Schlacht war das urſprüngliche Ziel des Krieges geſichert: die Auflöſung des Rheinbundes und die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine. Aber mit dem Erfolge wuchs die Hoffnung. Am Tage nach dem Sturme trafen ſich Stein und Gneiſenau auf dem Markte zu Leipzig und gaben einander die Hand darauf, daß dieſer Kampf nicht anders enden dürfe als mit dem Sturze Napoleons und der Wieder - eroberung des linken Rheinufers. Was vor wenigen Wochen noch den Kühnen ſelber unmöglich däuchte erſchien jetzt mit einem male nah und erreichbar. Auf Steins Geheiß ging der getreue Arndt ſofort an die Arbeit; er ſammelte aus dem reichen Schatze ſeines Wiſſens alle die hiſto - riſchen Erinnerungen und romantiſchen Bilder, deren er bedurfte um auf ſein gelehrtes Volk zu wirken, und lebte ſich ein in eine Anſchauung, welche damals noch neu, bald eine treibende Kraft des Jahrhunderts wer - den ſollte: in den Gedanken, daß am letzten Ende die Sprache und hiſto - riſche Eigenart der Nationen die Grenzen der Staaten beſtimme. Und ſo, noch unter dem friſchen Eindruck der herrlichen Schlacht , ſchrieb er das wirkſamſte ſeiner Bücher, die fröhliche Loſung für die Kämpfe der nächſten Monate: der Rhein Deutſchlands Strom, nicht Deutſchlands Grenze!

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Fünfter Abſchnitt. Ende der Kriegszeit.

Die Schlacht von Leipzig brachte allen deutſchen Landen bis zum Rheine die Befreiung, trotz der matten Verfolgung des geſchlagenen Heeres. Der öſterreichiſchen Politik erſchien der errungene Sieg faſt allzu groß, ſobald ſich ſein voller Umfang überſehen ließ. Die Vernichtung der napoleoniſchen Macht ſtand in ſicherer Ausſicht, ſie ward abgewendet durch die Schuld des großen Hauptquartiers. Die Armee Bennigſens ging an die Elbe zurück, das böhmiſche Heer rückte langſam durch Franken und Thüringen weſtwärts, die Nordarmee wendete ſich nach Hannover und Weſtphalen. Blücher aber, der auf der Frankfurter Straße dem Feinde dicht auf den Hacken ſaß, nur einen Tagemarſch hinter dem Haupt - quartiere des Kaiſers, erhielt plötzlich Befehl, vom geraden Wege ab nach der Wetterau und dem Lahnthale auszubiegen. So im Rücken unbe - läſtigt führte Napoleon ſeine Truppen durch die ſchwierigen Engpäſſe des Rhöngebirges. Tauſende waren ausgetreten und trieben als Fricoteurs ihr Unweſen, Mancher auch ward von den ergrimmten Bauern erſchlagen. Der Kern des Heeres hielt noch zuſammen, erreichte glücklich die Main - ebene bei Hanau und ſchlug dort, aus dem Lamboy-Walde vorbrechend, die bairiſch-öſterreichiſche Armee des Generals Wrede, die den Flüchtigen den Weg zu verlegen ſuchte (30. 31. October). Der bairiſche Heerführer, der roheſte Prahler unter den Landsknechten des Rheinbundes, dachte durch einen glänzenden Sieg ſeinem Staate die Gunſt der verbündeten Mächte zu ſichern, jedoch er hatte koſtbare Tage vor den Wällen von Würzburg verſäumt und gelangte nicht rechtzeitig in die vortheilhafte Stellung an den Kinzigpäſſen, wo ſich den Franzoſen die Rückzugsſtraße leicht verſperren ließ. Alſo ward dem Imperator die Genugthuung, daß er ſeine deutſchen Heerfahrten mit der Demüthigung eines abtrünnigen Vaſallen beſchließen konnte. An 70,000 Mann gelangten noch auf das linke Rheinufer. Hier aber brach die letzte Kraft der Unglücklichen zuſammen; furchtbare Krankheiten lichteten ihre Reihen, und während einiger Wochen war Frank - reich ohne Heer, widerſtandslos gegen jeden Angriff. Die 190,000 Mann,508I. 5. Ende der Kriegszeit.die noch zerſtreut in den Feſtungen Norddeutſchlands und Polens ſtanden, gab Napoleon ſelbſt verloren; er erbot ſich zur Räumung der Oder - und Weichſellinie, wenn nur die Garniſonen freien Abzug erhielten, aber die Verbündeten durchſchauten die Kriegsliſt und weigerten ſich dem Ver - zweifelnden ein neues Heer zu ſchenken.

Dem Corps Bülows wurde die Freude, die verlorenen weſtlichen Provinzen wieder in Beſitz zu nehmen. Sobald die Kunde von der Leip - ziger Schlacht kam, holte der weſtphäliſche Steuerdirector von Motz ſofort ſeine alte Uniform hervor und trat in Mühlhauſen als königlich preußi - ſcher Landrath auf; das Volk gehorchte als verſtünde ſichs von ſelber. Ueberall wurden die Befreier mit offenen Armen aufgenommen, nirgends mit lauterem Jubel als in Oſtfriesland, dem Lieblingslande des großen Königs. Die alten Fahnen und Embleme der fridericianiſchen Zeit, wohl geborgen in dem ſchönen Waffenſaale des Rathhauſes zu Emden, kamen als bald wieder zum Vorſchein, als die Blücher’ſchen Huſaren einzogen und nach ihnen Friccius mit der oſtpreußiſchen Landwehr. Wie viel Zorn und Kummer hatte der treue Vincke die letzten Jahre über hinuntergewürgt, während er ſtill auf ſeinem Gute in der Grafſchaft Mark ſaß. Die Franzoſen witterten wohl, daß ſeine ökonomiſche Leſegeſellſchaft in Hamm ſich nicht blos mit der Landwirthſchaft beſchäftigen mochte; eine Zeit lang verwieſen ſie ihn auf das linke Rheinufer, denn der Freund und Nachfolger Steins dürfe nicht dieſſeits des Rheins bleiben, ſo lange die Ruſſen dieſſeits der Oder ſtänden. Endlich wieder frei gelaſſen erwartete er ſtünd - lich eine neue Verhaftung. Da kam ein Eilbote von den rothen Huſaren aus Hamm; ſpornſtreichs eilte Vincke hinüber, befahl ſogleich in einem Rundſchreiben allen Bürgermeiſtern bis zum Rheine ſich dem rechtmäßigen alten Herrn wieder zu unterwerfen, übernahm die Leitung der Verwaltung in allen altpreußiſchen Gebieten Weſtphalens und dehnte ſeine Gewalt ohne Weiteres auch über einige Enclaven, Dortmund, Limburg, Corvey aus. Ein Rauſch der Freude ging durch das befreite Land; man er - kannte die ſtillen, ernſthaften Menſchen der rothen Erde kaum wieder.

Dieſelben herzerſchütternden Auftritte opferfreudiger Erhebung, welche das Frühjahr in den öſtlichen Provinzen geſehen, wiederholten ſich jetzt im Weſten. Zwei der angeſehenſten Grundherren erließen einen Aufruf, natürlich mit dem preußiſchen Adler darüber, begrüßten die Befreier mit überſchwänglichen Worten wer, biedere Landsleute, ward nicht von einem heiligen Wonneſchauer durchdrungen, wie er die erſten Preußen als ſeine Erretter in unſerer Mitte ſah? und forderten die Markaner auf, nach dem Vorbilde dieſer wahren Hermansſöhne Freiwillige zu ſtellen und eine Landwehr zu bilden. Auch in Cleve überall derſelbe jubelnde Empfang. Es war ein großes häusliches Feſt, ein fröhliches Wiederſehen lange getrennter Brüder, eine handgreifliche Widerlegung der in den Kleinſtaaten landläufigen Anſicht, daß dieſes Preußen ein künſt -509Befreiung von Weſtphalen und Oſtfriesland.licher Staat ſei. Nur unter dem Adel des Münſterlandes zeigte ſich wieder der alte pfäffiſche Haß gegen die preußiſchen Ketzer. Die Jugend eilte frohlockend zu den Fahnen; am Eifrigſten in den altpreußiſchen Gebieten wie ja noch bis zum heutigen Tage jene Striche Deutſch - lands, die durch die harte Schule König Friedrich Wilhelms I. gegangen ſind, die größte Bereitwilligkeit zum Waffendienſte zeigen. In den meiſten Kreiſen von Cleve und der Grafſchaft Mark war eine förmliche Aus - hebung nicht nöthig, da die Zahl der Freiwilligen den Bedarf über - reichlich deckte. Selbſt die Oſtfrieſen, denen König Friedrich die Befreiung von der Cantonspflicht geſchenkt hatte, überwanden den Widerwillen des Seemanns gegen den Landdienſt und ſtellten ſich zahlreich. Ein Theil der alſo in höchſter Eile gebildeten Truppen konnte in der That noch rechtzeitig zur Einſchließung der franzöſiſchen Feſtungen abgehen. Den bibelfeſten Markanern predigten die Pfarrer von dem eifrigen Herrn Zebaoth, der ſein Volk aufruft zum heiligen Kampfe; nach dem Kriege ward auf den grauen Felſen über der Grüne ein Gedächtnißkreuz errichtet mit der Inſchrift: Und im Namen unſeres Gottes warfen wir Panier auf! Selbſt der Landſturm kam mehrmals, öfter als im Oſten, zur Verwen - dung. Die oſtfrieſiſchen Landſtürmer nahmen theil an der Belagerung von Delfzyl, die cleviſchen lagen wochenlang vor Weſel; in dem alt - berühmten cleviſchen Dorfe Brünen, das ſchon im ſiebenjährigen Kriege ſeine Treue erprobt hatte, trugen nach dem Frieden alle Männer die Kriegsdenkmünze.

Merkwürdig aber, wie ſtreng conſervativ dies Volk ſich zeigte ſobald es wieder ſich ſelber angehörte: man wollte zurück zu der guten alten Zeit, zu allen ihren Segnungen, auch zu ihrem Ständeweſen. Ständiſche Ausſchüſſe beſorgten hier wie im Oſten die Aushebung der Landwehr unter der Oberleitung eines königlichen und eines ſtändiſchen Commiſſars. Was Wunder, daß ſich die alten Landſtände ſofort wieder als die recht - mäßigen Vertreter des Landes fühlten. Alsbald nach der Befreiung be - rief der Landesdirector von Romberg den Landtag der Grafſchaft Mark ein: die wohlthätige ſtändiſche Verfaſſung tritt wieder in Wirkung*)Rombergs Rundſchreiben an die Stände der Grafſchaft Mark vom 22. No - vember 1813.. Dann wurde der Führer der altſtändiſchen Partei, Freiherr von Bodel - ſchwingh-Plettenberg, zum Könige nach Frankfurt geſchickt, um die Freude der Grafſchaft über die Wiedervereinigung auszuſprechen, aber auch die Bitte, daß keine Veränderung der alten Landesverfaſſung erfolge, es ſei denn nach Anhörung des Landtags. In gleichem Sinne ſchrieb der Vor - ſitzende von Ritterſchaft und Ständen Oſtfrieslands, Freiherr zu Inn - und Knyphauſen zum nächſten Geburtstage des Königs, betheuerte mit warmen Worten, wie ſehr das Land ſich freue ſeinen alten herrlichen510I. 5. Ende der Kriegszeit.Feſttag wieder feiern zu dürfen, wie tief man beklage, daß nur ein Theil des Landſturms, nicht die Landwehr ins Feuer gekommen; zugleich baten die Stände um gänzliche Aufhebung der franzöſiſchen Einrichtungen und Herſtellung der alten Verfaſſung*)Eingabe Knyphauſens an den König, 25. Juli 1814.. Hardenberg erwiderte behut - ſam: der König werde gern das Glück einer ihrem rechtmäßigen Landes - herrn und ihrer Verfaſſung ſo ergebenen Provinz dauerhaft begründen. Ein feſtes Verſprechen gab er nicht, denn was ſollte aus den Reform - plänen der jüngſten Jahre werden, wenn man alle dieſe von der Fremd - herrſchaft längſt aufgehobenen kleinen Landtage wieder anerkannte? So begann bereits im Augenblicke der Befreiung jene altſtändiſche Bewegung, welche nachher, verbündet mit den verwandten Beſtrebungen des branden - burgiſchen Adels, der Staatseinheit der wiederhergeſtellten Monarchie be - drohlich werden ſollte.

Unter den nichtpreußiſchen Gebieten zeigte das Herzogthum Berg den freudigſten patriotiſchen Eifer. Das Land ſtand von Altersher in freund - lichem Verkehre mit den preußiſchen Nachbarn in der Grafſchaft Mark, ſeine Proteſtanten hatten ſchon in der fridericianiſchen Zeit immer zur preußiſchen Partei gehalten; jetzt war Alles erbittert gegen die napoleoni - ſchen Präfecten, die ſchon zu Anfang des Jahres einen Aufſtandsverſuch mit blutiger Strenge niedergeworfen hatten. Das ganze Land fiel der deutſchen Sache zu, als der Generalgouverneur Juſtus Gruner einzog und nach ſeiner leidenſchaftlichen Weiſe mit ſchwungvollen, enthuſiaſtiſchen Worten das Volk zur Rüſtung aufforderte. Faſt ſo ſchnell wie in den altpreußiſchen Gebieten verſammelte ſich die junge Mannſchaft. Der Land - ſturm verſuchte ſogar am 3. Januar bei Müllheim und am Fuße des Siebengebirges den Uebergang über den Rhein zu erzwingen, und lange noch blieben die Namen der beiden Führer des verunglückten Unternehmens, Boltenſtern und Genger, dem bergiſchen Volke im Gedächtniß. Es war das erſte Wiedererwachen eines ernſten politiſchen Wollens in dieſen er - matteten rheiniſchen Landen. Das erbitterte Volk wollte alle Inſtitutionen der Fremdherrſchaft ſogleich beſeitigt ſehen. Fort mit dem wälſchen Rechte! hieß es überall; am Jahrestage der Leipziger Schlacht wurde in Düſſel - dorf die Guillotine als das Symbol der fremden Tyrannei feierlich ver - brannt. Gruner aber begnügte ſich das Heerweſen neuzugeſtalten und bezeichnend genug für den idealiſtiſchen Zug der Zeit das franzöſiſche Weſen aus den Schulen auszutreiben: das altehrwürdige Düſſeldorfer Gymnasium illustre wurde ſofort wieder auf deutſchen Fuß eingerichtet. Auch die härteſten der napoleoniſchen Steuern, die berüchtigten droits réunis und die den rauchluſtigen Deutſchen beſonders verhaßte Tabaks - regie fielen dahin. Sonſt blieb die Organiſation der Verwaltung und der Gerichte vorläufig unverändert, nur daß den Kreisdirectoren, wie jetzt511Das linke Rheinufer.die Unterpräfecten hießen, nach deutſcher Weiſe größere Selbſtändigkeit ge - währt wurde*)Gruners Bericht über die Verwaltung des General-Gouvernements Berg, 24. Januar 1814.. Im Ganzen war das Volk zufrieden und ertrug willig die ſchweren Laſten dieſes proviſoriſchen Regimentes, das in anderthalb Jahren dem ausgeſogenen Lande noch Mill. Franken an Kriegs - ſteuern und Zwangsanlehen abfordern mußte.

Wie anders die Stimmungen und Zuſtände am linken Ufer. Als die Verbündeten im December das Elſaß betraten, begegnete ihnen überall ein finſterer fanatiſcher Haß; das tapfere Volk war völlig berauſcht von dem Kriegsruhme der napoleoniſchen Adler, der Bauer glaubte jetzt noch weit feſter als in den neunziger Jahren, daß der Sieg der Coalition ihm den Jammer der Zehnten und der Herrendienſte wiederbringen werde. Weiter abwärts am Rheine zeigte ſich zwar ſolche offene Feindſeligkeit nur ſelten; jedoch nach zwei Jahrzehnten der Fremdherrſchaft baute alle Welt auf Frankreichs Unüberwindlichkeit. Wenige hielten den Untergang des napoleoniſchen Reiches ſchon für entſchieden, Niemand wünſchte die alten Zuſtände zurück. Die unter dem Schutze des Continentalſyſtems emporgekommene Induſtrie fürchtete den reichen franzöſiſchen Markt zu verlieren; die Frauen der höheren Stände, die ja ſelbſt im Innern Deutſchlands ſich nur zu oft ſchwach gezeigt hatten gegen die wälſche Liebenswürdigkeit, verhehlten hier ſelten ihre Vorliebe für die leichte An - muth der franzöſiſchen Sitten. Die Maſſen des Volkes waren des fremden Weſens müde; man bereitete da und dort den deutſchen Truppen feſt - lichen Empfang, ließ ſich die Aufhebung der verwünſchten droits réunis und den wieder eröffneten Verkehr mit den überrheiniſchen Landsleuten wohl gefallen, half auch wohl ſelber beim Niederreißen der verhaßten Zollhäuſer.

In jenen Kreiſen der gebildeten Jugend, die von dem Hauche der neuen chriſtlich-germaniſchen Romantik berührt waren, herrſchte fröh - liche Begeiſterung; freudeſtrahlend zog der junge Ferdinand Walter mit den Doniſchen Koſaken ins Feld, auch einzelne ältere Männer ſchloſſen ſich freiwillig den preußiſchen Bataillonen an. Doch von einer allgemeinen Volkserhebung war nicht die Rede. Die Sieger ſelbſt wagten kaum, dieſe grunddeutſchen Menſchen ſchlechtweg als Deutſche zu behandeln. Der Courrier d’Aix la Chapelle ſchrieb noch faſt ein Jahr lang franzöſiſch, das Journal du Bas Rhin et du Rhin Moyen brachte ſeine amtlichen Bekanntmachungen in beiden Sprachen. Der neue Generalgouverneur, Oberpräſident Sack, ſelber ein geborener Rheinländer, verſtand mit den Leuten umzugehen; war er doch wie ſie ein abgeſagter Feind aller ſtän - diſchen Vorrechte und dem brandenburgiſchen Adel ſeit Jahren verdächtig. So weit es anging ſuchte er das Volk ſelber zu den Verwaltungsgeſchäften512I. 5. Ende der Kriegszeit.heranzuziehen. Mehrmals wurden die alten Generalräthe Landes - deputirte hießen ſie jetzt nach Aachen berufen um über die Vertheilung der Kriegsſteuern und Lieferungen zu berathſchlagen; in jedem Canton ward ein unbeſoldeter Commiſſär aus der Mitte der Eingeſeſſenen er - nannt, der die Wünſche und Beſchwerden des Bezirks dem Gouvernement vortragen ſollte*)Sacks Generalbericht über die proviſoriſche Verwaltung am Mittel - und Nieder - rhein, 31. März 1816.. Aber die Maſſe der neuen Beamten, die in die Stellen der entflohenen Franzoſen einrückten, der unvermeidliche Druck der Kriegs - ſteuern und die Unſicherheit der proviſoriſchen Zuſtände erweckten bald Unwillen in dem leicht erregbaren Volke. Nicht lange, und der Ruf: da möchte man doch gleich proviſoriſch werden war eine beliebte rhein - ländiſche Verwünſchung. Jetzt ſchon ließ ſich erkennen, wie viel ſchwere Arbeit dereinſt noch nöthig ſein würde um dieſe halbverwälſchten Krumm - ſtabslande wieder einzufügen in das neue deutſche Leben. Nur die alt - preußiſchen Unterthanen im linksrheiniſchen Cleve, in Mörs und Geldern ſchloſſen ſich mit ungemiſchter Freude der vaterländiſchen Sache an und begannen bereits auf Bülows Aufforderung ihre Landwehr zu bilden. Da fuhr plötzlich der Oberbefehlshaber Bernadotte, der noch immer auf Frankreichs Krone hoffte, mit einem Verbote dazwiſchen und erklärte: franzöſiſche Unterthanen dürften nicht gegen Frankreich fechten!

Wunderbarer Kreislauf der Geſchicke! Von dieſen ſchönen rheiniſchen Landen war vor einem Jahrtauſend unſere Geſchichte ausgegangen; jetzt fluthete der mächtige Strom des deutſchen Lebens aus den jungen Colo - niſtenlanden des Nordoſtens wieder nach Weſten zurück in ſein verſchüt - tetes altes Bette. Keiner unter den Söhnen des Rheinlandes grüßte den neuen Morgen, der über der Weſtmark aufging, mit ſo ſchwärmeriſchem Entzücken wie Joſeph Görres. Der Heißſporn trat jetzt in die glücklichſte und fruchtbarſte Zeit ſeines wechſelreichen Lebens; er kehrte von ſeinen wunderlichen wiſſenſchaftlichen Irrfahrten zurück zu der publiciſtiſchen Thätigkeit ſeiner Jugend und begann in dem Rheiniſchen Mercur den Federkrieg für das neue Deutſchthum noch ganz ſo ſtürmiſch, un - bändig, gewaltſam wie vor Jahren als er die Heilswahrheiten der Re - volution verkündete, ein Redner großen Stiles, ſprachgewaltig, unerſchöpf - lich in prächtigen, grandioſen Bildern, ein ehrlicher, freimüthiger Eiferer, ein Wecker der Gewiſſen, und bei Alledem doch ein unpolitiſcher Kopf, ohne eindringende Sachkenntniß, ohne Verſtändniß für die Machtverhält - niſſe der Staatenwelt. Der Rheiniſche Mercur war nicht, wie er ſich ſelber nannte, eine Stimme der Völker dieſſeits des Rheines, die nun - mehr eine Vormauer für das Vaterland werden ſollten. Am Rheine fand die überſchwängliche Sprache der patriotiſchen Leidenſchaft nur in vereinzelten Kreiſen Anklang. Um ſo lauter war der Widerhall in Nord -513Der Rheiniſche Mercur.deutſchland. Das entlegene Coblenz wurde zwei Jahre lang die Hochburg der deutſchen Preſſe: ſo nach Zufällen und Perſönlichkeiten wechſelte der Mittelpunkt des politiſchen Lebens in dieſem Volke ohne Hauptſtadt. Die erzürnten Franzoſen nannten Görres die fünfte unter den verbündeten Großmächten, die Diplomaten der Hofburg zitterten vor ihm. Der Rhei - niſche Mercur ward bald noch mehr geleſen als vordem Schlözers Staats - anzeigen und gewann unter den gebildeten Klaſſen ein Anſehen wie ſeit - dem kein anderes deutſches Blatt; bei ausgebildetem Parteileben iſt eine ſolche Machtſtellung einer einzelnen Zeitſchrift unmöglich. Der Mercur diente den Patrioten aller Farben zum parlamentariſchen Sprechſaale; Jeder war willkommen, wenn er nur nicht franzöſiſch dachte, auch Stein und Gneiſenau verſchmähten nicht Beiträge zu ſenden.

Eine beſtimmte politiſche Richtung gab ſich nur in der Polemik des Blattes kund; Görres wußte in Wahrheit nur was er nicht wollte. Wenn er die geheimen verrätheriſchen Umtriebe der rheinbündiſchen Fürſten geißelte oder ſeine Donnerkeile ſchleuderte gegen die Lohnſchreiber Montgelas und die ſeichte Aufklärung von Zſchokkes Aarauer Zeitung, dann war der alte Kämpe in ſeinem Elemente. Schonungslos, mit packender Wahrheit ſchilderte er die Sünden, die den Fall des alten Reiches herbeigeführt, und ließ den geſtürzten Napoleon ſagen: ein Volk ohne Vaterland, eine Ver - faſſung ohne Einheit, Fürſten ohne Charakter und Geſinnung, ein Adel ohne Stolz und Kraft, das Alles mußte leichte Beute mir verſprechen! Seine Pläne für Deutſchlands Zukunft aber waren um nichts klarer als die hochtönenden Worte des Kaliſcher Aufrufs. Der Romantiker ſchwärmte für die Wiederherſtellung der Karolingerkrone und ſuchte ſeine Kaiſer - träume wohl oder über zu verſchmelzen mit den dualiſtiſchen Plänen, die ihm aus der preußiſchen Staatskanzlei mitgetheilt wurden; doch ſelbſt dieſen verſchrobenen Gedanken einer zweifachen Hegemonie unter habs - burgiſcher Oberhoheit vermochte er nicht feſtzuhalten, ſondern legte in ſeinem Blatte, zur Auswahl gleichſam, eine bunte Reihe grundverſchiede - ner Verfaſſungspläne vor, wie ſie ihm gerade von warmherzigen Patrio - ten eingeſendet wurden. Bei einigem guten Willen der Regierungen das ſchien Allen zweifellos war die Neuordnung des befreiten Vater - landes ein Kinderſpiel; wer die Wiederkehr der alten Machtkämpfe zwiſchen Oeſterreich und Preußen auch nur für möglich gehalten hätte, wäre als ein Läſterer verrufen worden. Die Dankbaren nahmen jeden Vorſchlag für den Staatsbau der deutſchen Zukunft freundlich auf, wenn der Ver - faſſer nur recht kräftig von deutſchem Weſen, von der Eintracht der beiden Großmächte, von Einheit und von Freiheit ſprach und das ſtolze Selbſt - gefühl zur Schau trug, das die Nation von ihren Tribunen verlangte.

Die hier redeten fühlten ſich als die Vertreter des Volks, und dies Volk glaubte mitten in ſeinen verſchwommenen Träumen ſeines Zieles ſicher und der Weisheit der Cabinette weit überlegen zu ſein. Etwas GanzesTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 33514I. 5. Ende der Kriegszeit.und Rechtes ſoll da werden, rief Görres den Diplomaten zu, und man ſoll dabei die Stimme des Volkes hören, die vernehmlich und deutlich aller Orten ſpricht! Gleichwohl war der Rheiniſche Mercur das Beſte was eine Zeitſchrift ſein kann, ein treues Spiegelbild der Gegenwart, ehrlich, geiſtvoll, jugendlich begeiſtert wie dies ganze Geſchlecht, noch ganz unberührt von jenen unlauteren Nebenzwecken, welche die Preſſe in Zeiten entwickelten Verkehres zu verfolgen pflegt. Die clericalen Neigungen des phantaſtiſchen Herausgebers traten noch nicht verletzend hervor. Seine Verehrung für das kaiſerliche Erzhaus hinderte ihn nicht das Lob der preußiſchen Helden mit brauſendem Jubel zu ſingen; und wenn er die Deutſchen aufforderte den Kölner Dom als ein Ehrendenkmal für das wiedererſtandene Vaterland auszubauen, wenn er den Papſt Pius VII., den ſtandhaften Märtyrer der napoleoniſchen Tyrannei, für den erſten Helden dieſes Weltbefreiungskampfes erklärte, ſo nahm die romantiſch er - regte Zeit daran keinen Anſtoß. Eine verwandte Richtung verfolgten die Teutſchen Blätter in Freiburg, eine vielgeleſene Zeitſchrift, welche die Kriegsberichte des großen Hauptquartiers aus erſter Hand brachte.

Ebenſo freudig wie die Bewohner der altpreußiſchen Provinzen empfingen die Hannoveraner, die Braunſchweiger, die Kurheſſen ihre wiederkehrende alte Herrſchaft. Vor den Thoren von Braunſchweig prangte ein feſtlich geſchmückter Tempel auf der Stelle, wo Braunſchweigs Welfe Friedrich Wilhelm vier Jahre zuvor mit ſeiner ſchwarzen Schaar gelagert hatte. Die Hannoveraner fühlten ſich wieder ſtolz als Großbritannier und begeiſterten ſich für den geiſteskranken engliſchen König, der während einer halbhundertjährigen Regierung ihr Land niemals eines Beſuches gewürdigt hatte. In Caſſel zog der böſe Kurfürſt Wilhelm wieder ein, nachdem König Jerome zum zweiten male geflohen war; die Bürger ſpannten ihm die Pferde vom Wagen ab und fuhren den Landesvater mit dem dicken Kropfe und dem langen Zopfe jauchzend vor das Schloß ſeiner Ahnen. Ueber ſeine Fürſtentugenden täuſchte ſich freilich das ge - treue Völkchen ſelber nicht; doch er war der angeſtammte Herr, und was fragt die Liebe nach Gründen? Treffender als die unterthänigen Federn der amtlichen Blätter drückte ein alter Bauer von der Schwelm die Fami - liengefühle dieſer verkommenen kleinſtaatlichen Welt aus in den unwider - leglichen Worten: und ob er ſchon ein alter Eſel iſt, wir wollen ihn doch wieder haben! Das große, mit dem Blute der verkauften heſſiſchen Solda - ten erworbene Vermögen des kurfürſtlichen Hauſes war während der Jahre des Exils in Frankfurt bei Amſchel Rothſchild verwahrt worden, der mit dieſen Geldern die Weltmacht ſeiner Firma begründete, und der geizige Fürſt hatte nicht das Mindeſte von ſeinen Schätzen aufgeopfert für die Befrei - ung Deutſchlands. Trotzdem nahmen ihn die Verbündeten als einen wiedergefundenen Freund auf; die Gutmüthigkeit König Friedrich Wilhelms wollte dem treuloſen Nachbarn das zweideutige Spiel von 1806 nicht515Reſtauration in den norddeutſchen Kleinſtaaten.nachtragen, die Hofburg begünſtigte grundſätzlich die dynaſtiſchen In - tereſſen.

Alsbald nach der Wiedereinſetzung begann in Heſſen das unſinnige Regiment der Siebenſchläfer : die jüngſten ſieben Jahre mit Allem was mein Verwalter Jerome geſchaffen ſollten ſpurlos verſchwinden. Auch über die welfiſchen Lande brach eine gehäſſige Reſtauration herein, die alle Schöpfungen der Fremdherrſchaft unbeſehen hinwegfegte, während Preußen in ſeinen wiedergewonnenen Provinzen mit verſtändiger Scho - nung verfuhr. Den militäriſchen Anforderungen der Coalition kamen die wiederhergeſtellten Kleinfürſten des Nordweſtens mit der höchſten Saum - ſeligkeit nach. Aus Oldenburg und Hannover rückten gar keine Truppen ins Feld; die Göttinger Studenten, die ſich als Freiwillige ſtellten, wurden von der welfiſchen Adelsregierung barſch abgewieſen. Der heſſiſche Land - verderber begann zwar ſogleich wieder ſeine altgewohnte Soldatenſpielerei und beglückte die Heſſen durch den Kriegsorden vom eiſernen Helm, da ja die Preußen ihr eiſernes Kreuz hatten; jedoch die Ausrüſtung der Land - wehr ging ſehr langſam von ſtatten, unter fortwährendem gehäſſigem Zanke mit der Centralverwaltung, alſo daß Stein zornig rief: geben Sie mir Kanonen, mit Vernunftgründen iſt bei dem nichts anzufangen! Der heſſiſche Landſturm ward erſt im April 1814 einberufen, als Paris bereits erobert war.

Warmen Eifer für die deutſche Sache zeigten unter allen Fürſten des Nordweſtens nur die kleinen mediatiſirten Herren weil ſie hofften ſich durch ihren Kriegsmuth ihre Kronen zurückzugewinnen. Im Schloſſe zu Anholt ſtickten die zarten Hände der Prinzeſſinnen bereits an der Fahne, welche der Kriegsmacht der Sayn-ſayniſchen Nation zu Kampf und Sieg voranleuchten ſollte; da drohte General Bülow, er werde alle weſtphäliſchen Kleinfürſten verhaften wenn ſie ſich unterſtünden wieder als regierende Herren aufzutreten. Glücklicher als dieſe Mediatiſirten waren die Hanſeſtädte. Schon am 5. November verſammelte ſich eigen - mächtig der alte Bremiſche Senat, dann wurde die Wiederherſtellung der alten Republik feierlich ausgerufen und der kluge Smidt in das Haupt - quartier nach Frankfurt geſendet. Der gewandte Diplomat bewog ſofort die Hamburger und Lübecker ebenfalls Abgeordnete an die Monarchen zu ſenden und verſtand die öſterreichiſchen Staatsmänner ſo geſchickt zu be - handeln, daß ſie ihr Mißtrauen gegen alles republikaniſche Weſen über - wanden. Preußen hatte ſchon bei den Friedensverhandlungen in Prag die Unabhängigkeit der Hanſeſtädte gefordert, und wie konnte man Ham - burg als eine feindliche Stadt behandeln, da die Hamburgiſche Bürger - garde, geführt von dem tapferen Mettlerkamp, ſchon ſeit Monaten in den Reihen der Nordarmee kämpfte? Die drei Städte erhielten die Zuſage der Wiederherſtellung, und durch Steins Schuld wurde noch eine vierte Republik in das neue monarchiſche Deutſchland eingeführt, die alte Krö -33*516I. 5. Ende der Kriegszeit.nungsſtadt Frankfurt. So verſchroben und hoffnungslos lagen bereits die deutſchen Dinge, daß der tapfere Vorkämpfer der nationalen Einheit ſich mit Eifer und Erfolg für die Wiederaufrichtung eines lebensunfähigen Stadtſtaates verwendete. Der Reichsritter hegte von jeher eine Vorliebe für das reichsſtädtiſche Leben und wollte um jeden Preis die ſchöne Main - ſtadt erretten vor den benachbarten Rheinbundsfürſten, die ſchon alleſammt ihre gierigen Hände nach der reichen Beute ausſtreckten.

Dieſe Rheinbündner drängten ſich jetzt nach der Entſcheidung ge - ſchäftig an die Verbündeten heran. Wieder wie einſt in Raſtatt, Paris, Poſen bettelte Deutſchlands hoher Adel um die Gnade der Sieger und diesmal brauchte er kein Gold zur Handſalbe zu geben. Als Kaiſer Franz in Frankfurt einzog, begrüßte ihn das jauchzende Volk als den Herrſcher Deutſchlands; der Name unſer Kaiſer übte wieder ſeinen mächtigen Zauber auf die deutſchen Herzen. Er aber wollte von dieſem unbedeu - tenden Titel nichts hören: auf ſolche Weiſe geſtand Metternich einem franzöſiſchen Unterhändler gehört uns Deutſchland noch mehr als früher. Die Beherrſchung des deutſchen Bundes durch eine dem Hauſe Oeſter - reich ergebene Fürſtenmehrheit war das nächſte Ziel der deutſchen Politik der Hofburg. Darum blieb Metternich unerbittlich gegen die Mediatiſir - ten; er erkannte richtig, daß die Freundſchaft dieſer alten Parteigenoſſen Oeſterreichs wenig mehr bedeutete ſeit die geiſtlichen Fürſtenthümer ver - ſchwunden waren, und wendete ſein Wohlwollen ihren glücklichen Erben, den rheinbündiſchen Fürſten zu. Ebenſo dachten alle fremden Höfe, denn ſie alle wünſchten Deutſchlands Schwäche und waren zudem mit den Kleinkönigen verſchwiegert und vervettert. Ueber dieſe durchlauchtigen Familienverbindungen, die bis zum heutigen Tage die ſtärkſte Stütze der deutſchen Kleinſtaaterei bilden, ſprach ſich der Czar in Frankfurt offenherzig aus, als er einmal in einem unbewachten Augenblicke zu Stein ſagte: woher ſollte ich Gemahlinnen für meine Großfürſten bekommen, wenn alle dieſe kleinen Fürſten entthront würden? Zornig fuhr der Freiherr heraus: das habe ich freilich nicht gewußt, daß Ew. Majeſtät Deutſch - land als eine ruſſiſche Stuterei betrachten. Gleich ihm erwarteten alle preußiſchen Generale eine kräftige Abſtrafung des Rheinbundsgeſindels, wie Blücher ſich ausdrückte. York ließ nach dem Einmarſch in Wiesbaden ſogleich die naſſauiſchen Wachpoſten abziehen und gab einem Kammerherrn, der ihn fragte, ob er denn Seine Hoheit entthronen wolle die barſche Antwort: noch habe ich keinen Befehl dazu.

Im Frankfurter Hauptquartiere aber trug man die reumüthigen Rheinbundsfürſten auf den Händen und feierte den Baiern Wrede, von wegen der Hanauer Niederlage, wie einen ruhmgekrönten Feldherrn. Unter den größeren Fürſten des Rheinbundes wurde, außer den beiden Napoleoniden, allein der Fürſtprimas Dalberg entthront, keineswegs wegen ſeines unwürdigen Verhaltens, ſondern weil er nicht fürſtlichen Blutes517Verträge mit den ſüddeutſchen Höfen.und Eugen Beauharnais zu ſeinem Nachfolger beſtimmt war. Mit ihm fiel ſein Vetter, der Fürſt von der Leyen; auch den Fürſten von Iſen - burg mußte Oeſterreich dem Zorne König Friedrich Wilhelms opfern, da er aus preußiſchen Deſerteuren und Vagabunden ein franzöſiſches Regi - ment gebildet hatte. Jene kleinen weſtphäliſchen Rheinbundsfürſten, welche Napoleon erſt vor drei Jahren entthront hatte, erlangten ihre Kronen nicht wieder, da Niemand ſich ihrer annahm. Man hielt ſich an das bequeme beati possidentes, nahm Alle zu Gnaden auf, die im Augen - blicke noch regierten. Zufall, Gunſt und Laune hatten zwei Dutzend von den zahlloſen Staatsgewalten des heiligen Reichs durch die Stürme des napoleoniſchen Zeitalters hindurch gerettet; dieſelbe Willkür entſchied jetzt über ihren Fortbeſtand. Die Fürſtenberg und Hohenlohe blieben media - tiſirt, die Reuß und Bückeburg behielten ihre Throne; den Verräthern am Vaterlande aber ward die im Dienſte des Landesfeindes erworbene ſchimpfliche Beute erhalten.

Schon auf dem Marſche nach Frankfurt hatte Metternich mit Würt - temberg abgeſchloſſen. Der Vertrag von Fulda vom 2. November war dem Rieder ähnlich, nur wurde, aus Rückſicht auf Preußen, ein Vorbe - halt zu Gunſten des künftigen deutſchen Bundes eingeſchaltet. König Friedrich trat in die Coalition ein und behielt ſeine Souveränität ſowie ſeine Beſitzungen unter der Garantie der politiſchen Beziehungen, welche ſich ergeben werden aus den Anordnungen, die beim künftigen Frieden zur Herſtellung und Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit Deutſch - lands getroffen werden ſollen. Das einzig Klare in dieſen nichtsſagen - den, gewundenen Sätzen war die Zuſage der Souveränität und des Be - ſitzſtandes. Auf Steins Andringen wurde ſodann für die Acceſſionsver - träge der übrigen Mittelſtaaten eine etwas beſtimmtere Clauſel, die freilich noch immer unklar genug blieb, verabredet. Baden, Darmſtadt, Naſſau, Kurheſſen mußten verſprechen ſich den Pflichten zu fügen, welche die für die Unabhängigkeit Deutſchlands nothwendige Ordnung erfordern würde, ſowie die für den obigen Zweck nothwendigen Gebietsabtretungen gegen volle Entſchädigung zu ertragen. Doch was wog dies Verſprechen, da auch ihnen Beſitzſtand und Souveränität verbürgt wurde? Hardenbergs duali - ſtiſche Hoffnungen verloren damit jeden Boden, desgleichen ſein Plan das befreundete Oeſterreich am Oberrheine anzuſiedeln; zugleich ward das deutſche Gebiet, das für Preußens Entſchädigung verfügbar blieb, mit jedem neuen Acceſſionsvertrage kleiner. Der Staatskanzler war voll Unmuths, aber nachdem er einmal der Hofburg den Vortritt bei den ſüddeutſchen Verträgen eingeräumt hatte konnte er dem Unheil nicht mehr wehren. Und trotz ſo vieler bitterer Erfahrungen kam der Vertrauensvolle über die Abſichten des Wiener Hofes noch immer nicht ins Klare. Er beklagte lebhaft die fehlerhafte, ganz thörichte, übereilte Art jener Verhandlungen*)Hardenbergs Tagebuch 1. December 1813.518I. 5. Ende der Kriegszeit.und erkannte nicht, daß Metternich keineswegs aus leichtſinniger Gut - müthigkeit fehlte, ſondern vielmehr geſchickt und folgerecht das bereits in Teplitz ausgeſprochene Ziel der Selbſtändigkeit aller deutſchen Fürſten verfolgte.

Sechs Wochen nach der Entſcheidungsſchlacht waren die Fürſten - revolutionen von 1803 und 1806 durch eine große Amneſtie geſühnt, Frankreichs deutſche Vaſallen alleſammt in die große Allianz aufgenommen. Einzelne der kleinen norddeutſchen Fürſten freuten ſich ehrlich der Er - löſung vom fremden Joche, keiner aufrichtiger als Herzog Karl Auguſt. Der Weimariſche Hof war auch während dieſer argen Jahre eine Heim - ſtätte deutſchen Geiſtes geblieben; Napoleon ſelbſt hatte die fürſtliche Hal - tung der Herzogin-Mutter bewundert, als ſie ihm nach der Jenaer Schlacht ſtolz und würdig entgegentrat. Ihr aber blieb ein tiefer Ab - ſcheu gegen den Imperator; ſie errieth, wie Luiſe von Preußen und Ka - roline von Baiern, mit dem ſicheren Inſtincte des edlen Weibes den Zug der Gemeinheit in dem Weſen des großen Mannes. Wie ſie empfand ihr Sohn; die Franzoſen wollten dem leichtlebigen, luſtigen Herrn nichts Arges zutrauen und ahnten nicht, daß er jahrelang mit den preußiſchen Patrioten in geheimem Verkehre ſtand. Sobald er die Hände wieder frei hatte trat er als ruſſiſcher General in das Heer der Verbündeten ein und ſagte traurig über ſeinen noch immer hoffnungslos verſtimmten Freund Goethe: Laßt ihn, er iſt alt geworden!

Ganz anders war die Stimmung der ſüddeutſchen Höfe. Sie thaten nur was ſie nicht laſſen und ließen nur was ſie nicht thun durften. Unver - hohlen ſprach Montgelas ſeinen Groll aus wider die fatale Deutſchheit . Der württembergiſche Despot verbot bei Feſtungsſtrafe alle politiſchen Ge - ſpräche, entließ ſofort den bei Leipzig übergegangenen General und herrſchte einen ſeiner Landvögte, der ſich im deutſchen Sinne ausgeſprochen hatte, mit der Weiſung an: Es iſt die Pflicht eines jeden guten Dieners, nur die Sache, für welche ſein Souverän ſich erklärt hat, als die wahre gute Sache anzuſehen. Von ſeinem Beſuche im Frankfurter Hauptquartier kehrte er ſehr unwirſch heim. Keinen Fetzen nachbarlichen Landes hatten ihm die Verbündeten zum Lohne für den Fahnenwechſel gewährt, wie viel einträglicher war doch der Dienſt des Imperators geweſen! Sofort trat er wieder in geheimen verrätheriſchen Verkehr mit dem freigebigen Protector. Auch in Baden währte es eine geraume Weile, bis die Carlsruher Staatszeitung ſtatt des gewohnten Seine Majeſtät der Kaiſer erſt Napoleon und endlich der Feind ſchrieb; als der Uebertritt un - vermeidlich wurde, ſprach Großherzog Karl dem Protector noch ſein leb - haftes Bedauern aus. Napoleon aber verſtand ſeine Leute zu behandeln, er ſchwor im Falle der Rückkehr ihre Länder zu verwüſten, wie einſt Lud - wig XIV. die Pfalz. Mit geballter Fauſt und einem grimmigen: Du ſollſt mirs bezahlen, mein Fürſt! ſchied ſein Geſandter Vendeuil von519Stimmung in Süddeutſchland.dem Großherzog Ludwig von Darmſtadt, als dieſer das Bündniß auf - kündigte.

Die Drohungen des Imperators verfehlten ihren Zweck nicht, ſie lähmten die Thatkraft auch der beſſer geſinnten Rheinbundsfürſten. Eine Volksbewaffnung nach preußiſcher Weiſe war in der Mehrzahl dieſer Länder ohnehin unmöglich, da die Gewalthaber ihrem eigenen Volke nicht trauten. In Baiern wurden die Freiwilligen von den Behörden mit Hohn heimgeſchickt. In Württemberg wollte der König weder Freiwillige noch eine Landwehr dulden; die Bildung des Landſturms benutzte er nur als einen willkommenen Vorwand um ſeine Unterthanen zu entwaffnen und bei Zuchthausſtrafe die Einlieferung aller Gewehre anzubefehlen. Niemand war bei dieſen Höfen ſchlimmer verrufen als Stein; wußten ſie doch, daß der Freiherr ſoeben in Frankfurt beantragt hatte, ihre Re - gierungsgewalt vorläufig zu ſuspendiren. Auch die trefflichen Männer, die er in ſeiner deutſchen Centralverwaltung anſtellte, hießen bald alle - ſammt moskowitiſche Jacobiner: die Preußen Frieſen und Eichhorn, der Ruſſe Turgeniew, der Leiter des Hospitalweſens Graf Solms-Laubach, der Organiſator der Volksbewaffnung Rühle von Lilienſtern. Tagaus tagein verſuchten der particulariſtiſche Dünkel und die Niedertracht der ſüd - deutſchen Cabinette die Wirkſamkeit der Centralverwaltung zu durchkreuzen. Montgelas bedrohte Steins Beamte mit Ausweiſung, als ſie ſich von dem Zuſtande der bairiſchen Lazarethe überzeugen wollten. Friedrich von Würt - temberg weigerte ſich ausländiſche Verwundete in ſeine Hospitäler aufzu - nehmen; als die Oeſterreicher ihre Kranken aus dem überfüllten Villingen nach Rottweil hinüberbrachten, ließen die württembergiſchen Behörden die Jammernden auf der Straße liegen, bis man mit Gewalt die Thüren des Krankenhauſes öffnete. So erprobte ſich die bundesfreundliche Geſinnung jener Höfe, denen Oeſterreich bedingungslos die Souveränität zurückgab. Stein ſelber meinte jetzt traurig, man thue beſſer, die Verhandlungen über Deutſchlands Verfaſſung bis zum Frieden zu vertagen, ſonſt könne die lockere Coalition ſich leicht ganz auflöſen. Um aber die Nation über die Denkweiſe ihrer Gewalthaber zu belehren, ließ er ſeinen treuen Eichhorn eine Schrift über die Centralverwaltung veröffentlichen, welche ohne Um - ſchweife die Sünden der Kleinkönige aufdeckte. Seitdem kannte der Haß der rheinbündiſchen Höfe gegen das preußiſche Deutſchthum keine Grenzen mehr.

Auch das Volk des Südens wurde von dem Sturme der Begeiſte - rung, der über Norddeutſchland dahin brauſte, nur obenhin berührt, ob - gleich ſich überall ehrlicher Wille zeigte und viele junge Männer aus den gebildeten Ständen auf Arndts und Görres Worte ſchworen. So tief wie in Preußen hatte der Haß gegen die Fremdherrſchaft hier niemals Wurzeln ſchlagen können, denn hier war kein verlorener Ruhm zurück - zugewinnen. Als die Stunde der Befreiung ſchlug, thaten zwar die520I. 5. Ende der Kriegszeit.Meiſten ihre Schuldigkeit, doch ein ſtarker kriegeriſcher Thatendrang, der die böswilligen Regierungen mit fortgeriſſen hätte, zeigte ſich nirgends. Nichts bezeichnender als Rückerts Lied für die Coburger Landwehr: Man hat uns eh gerufen nicht, ſobald uns aber rief die Pflicht war’n wir bereit zu gehn! Ruh und Frieden war nach dem Jammer dieſer end - loſen Kriegszeit der allgemeine Wunſch. Im Mannheimer Theater wurde, bei einer feſtlichen Aufführung zum Beſten der Volksbewaffnung, das Schiller’ſche Reiterlied geſungen mit der von A. von Duſch verübten zeit - gemäßen Verſchönerung:

Und ſetzet Ihr nicht die Ruhe ein,
Nie wird Euch die Ruhe gewonnen ſein.

Leider führte auch der weitere Verlauf des Krieges Nord - und Süd - deutſche einander nicht näher. Das einzige ſüddeutſche Generalgouverne - ment der Centralverwaltung, das Frankfurter, wurde, den dualiſtiſchen Plänen Hardenbergs entſprechend, öſterreichiſchen Beamten und Offizieren übergeben; im Elſaß riſſen die Baiern eigenmächtig die proviſoriſche Ver - waltung an ſich ohne nach Stein zu fragen. Treue Waffenbrüderſchaft verband die Ruſſen und die Preußen nach ſo vielen gemeinſamen Siegen. Die ruſſiſchen Truppen vergötterten den König Friedrich Wilhelm, der ſie in ihrer Mutterſprache anzureden wußte, und ihren Marſchall Vorwärts; der preußiſche Soldat blickte zwar nur mit gemäßigter Hochachtung auf den ruſſiſchen Leutnant, der von ſeinem Major vor der Front geohrfeigt wurde, doch die Tapferkeit der Mannſchaften ſchätzte er hoch. Von den bairiſchen und württembergiſchen Regimentern dagegen hörte er wenig, da ſie, den Verträgen gemäß, der öſterreichiſchen Armee zugetheilt wurden; nur die badiſche Garde focht mit der preußiſchen vereinigt. So konnte, zum Unheil für Deutſchland, ein lebendiges Gefühl der Kameradſchaft zwiſchen den Preußen und den Truppen der Kleinſtaaten ſich nicht bilden, die gehäſſigen Erinnerungen aus den blutigen Schlachten des Sommer - feldzugs blieben unvergeſſen. Ein eigener Unſtern wollte, daß die kleinen Contingente an dem Kriegsruhme der Verbündeten geringen Antheil ge - wannen. Ein großer Theil von ihnen wurde zur Einſchließung von Mainz und in dem thatenarmen flandriſchen Feſtungskriege verwendet; die Frei - willigen des ſächſiſchen Banners bekamen den Feind nie zu ſehen. Die Baiern und Württemberger zogen zwar mit gen Paris und ſchlugen ſich mit ihrer gewohnten Tapferkeit, jedoch einen glänzenden Sieg, der die Triumphe von Regensburg, Wagram und Borodino verdunkelt hätte, errangen ſie nicht. Darum behauptete der Stern der Ehrenlegion nach wie vor ſein Anſehen unter den Veteranen der Mittelſtaaten. Die Bauern in Franken und im Schwarzwalde, die noch immer viel vom Erzherzog Karl und den Feldzügen der neunziger Jahre erzählten, wußten von dieſem Kriege wenig. Der rückhaltloſe Einmuth einer allgemeinen Erhebung521Verhandlungen über den Kriegsplan.war den Deutſchen auch jetzt noch nicht beſchieden. Erſt in weit ſpäteren Tagen erregten die hiſtoriſche Wiſſenſchaft und der endlich erwachte Ein - heitsdrang unter den Süddeutſchen eine nachträgliche Begeiſterung für den Befreiungskrieg, wie ſie die Zeitgenoſſen in ſolchem Maaße nicht gehegt hatten.

Während die Mächte mit den ſüddeutſchen Höfen verhandelten, be - riethen ſie zugleich unter ſich über die Fortführung des Krieges. Frank - reich lag wehrlos vor der Spitze ihres Schwertes; es ſtand wirklich ſo, wie Ney ſpäterhin ſpottete: Die Herren Alliirten konnten Marſch für Marſch ihre Nachtquartiere bis nach Paris im Voraus beſtimmen. Radetzky wies in einer lichtvollen Denkſchrift auf die entſcheidende That - ſache hin, daß Napoleon kein Heer mehr beſitze und mithin der Winter - feldzug ſeine Schrecken verliere. Selbſt Schwarzenberg war für den Ein - marſch in Frankreich, ſchon weil er nicht abſah, wie er dieſe ungeheuren Heeresmaſſen in den ausgeſogenen deutſchen Landen verpflegen ſollte; meine Baſis, meinte er zuverſichtlich, iſt Europa vom Eismeere bis zum Hellespont, für dieſe wird doch Paris das Operationsobject ſein dürfen? Noch weit nachdrücklicher mahnte Gneiſenau ſeinen König zu raſchem Vorgehen, bevor die lockere Coalition ſich auflöſe; wenn man ſogleich von den Niederlanden und dem Mittelrheine her das franzöſiſche Land an ſeiner verwundbarſten Stelle packe, ſo ſei der gefürchtete drei - fache Feſtungsgürtel der Oſtgrenze für Napoleon nicht ein Schutz, ſon - dern ein Nachtheil, da dem Imperator die Truppen zur Beſetzung der feſten Plätze fehlten. Blücher endlich war von Haus aus nicht darüber in Zweifel geweſen, daß dieſer Krieg nur an der Seine enden dürfe: der Tyrann hat alle Hauptſtädte beſucht, geplündert und beſtohlen; wir wollen uns ſo was nicht ſchuldig machen, aber unſere Ehre fordert das Vergel - tungsrecht, ihn in ſeinem Neſte zu beſuchen.

Dem ſchlichten Verſtande erſchien die Lage ſo einfach, daß ſogar Erzherzog Johann, ein keineswegs heroiſcher Geiſt, die Einnahme von Paris als ſicher anſah. Aber in der diplomatiſchen Welt herrſchte ſeit Jahrhunderten unerſchütterlich wie ein Glaubensſatz die Meinung, Frankreich ſei auf ſeinem eigenen Boden unbeſiegbar. Hatten doch ſelbſt Karl V. und Prinz Eugen, die allezeit Glücklichen, nichts ausgerichtet, als ſie in das Innere des Landes einzudringen wagten; und wie kläg - lich war der Feldzug von 1792 verlaufen, obgleich Frankreich auch da - mals kein ſchlagfertiges Heer beſaß. Die Franzoſen Bernadotte und Jomini ſchilderten die Gefahren des vermeſſenen Unternehmens in den dunkelſten Farben. Kneſebeck rieth beſorglich die Götter nicht zu ver - ſuchen. York grollte über den elenden Zuſtand ſeines tapferen Corps und verlangte mindeſtens eine kurze Ruhe für die erſchöpften Truppen. Auch König Friedrich Wilhelm unterlag für einige Zeit einem Anfalle ſeines Kleinmuths. Der Zweck, um deſſentwillen er im Frühjahr das522I. 5. Ende der Kriegszeit.Schwert gezogen hatte, die Befreiung Deutſchlands bis zum Rheine, war erreicht; ſeine langſame Natur bedurfte einer geraumen Weile, um ſich in die gänzlich veränderte Lage zu finden und einzuſehen, daß alles bisher Errungene nur durch die Vernichtung der franzöſiſchen Uebermacht ge - ſichert werden konnte. Am Lebhafteſten aber wünſchte der Wiener Hof die ſchleunige Beendigung des unbequemen Krieges.

Schon zu Anfang Novembers hatte Metternich, gegen Sinn und Wortlaut des Teplitzer Vertrags, einſeitig Verhandlungen angeknüpft mit dem gefangenen franzöſiſchen Diplomaten St. Aignan und ihm zuge - ſichert, Niemand denke an Napoleons Entthronung; wenn der Imperator die Unabhängigkeit von Spanien, Italien und Holland anerkenne, ſo möge Frankreich innerhalb ſeiner natürlichen Grenzen, zwiſchen Rhein, Alpen und Pyrenäen, ſeine alte Machtſtellung behaupten und über die kleinen deutſchen Staaten, ohne förmliche Oberherrlichkeit, jenen Einfluß ausüben, welcher jedem großen Staate den minder mächtigen gegenüber nothwendig zuſtehe. Gelang dann noch eine Verſtändigung über die Grenzen des öſterreichiſchen Machtgebietes in Italien, ſo war in der That Alles erfüllt, was Metternich wünſchte. Die Befreiung des linken Rheinufers lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes; ſeine Anſchau - ungen gingen über die mechaniſche Gleichgewichtslehre der alten Barrieren - politik nicht hinaus. Ihm genügte vollauf, wenn eine Handvoll will - kürlich gebildeter Kleinſtaaten zwiſchen das ſtreitluſtige Frankreich und die Oſtmächte eingeſchoben und alſo die Reibung der großen politiſchen Maſſen durch einige Polſterkiſſen abgeſchwächt wurde; war doch ſein Haus Oeſterreich der natürliche Feind jeder kräftigen nationalen Staatsbildung. Der engliſche Bevollmächtigte im Hauptquartiere, Lord Aberdeen, folgte in allen continentalen Fragen blindlings der Anſicht Metternichs und meinte, dem engliſchen Intereſſe ſei genug geſchehen, wenn nur Hannover und die Niederlande wiederhergeſtellt würden. Zum Glück hatte er keine genügende Vollmacht. Daher wurde Pozzo di Borgo nach London ge - ſendet, um die Zuſtimmung des Prinzregenten einzuholen, während St. Aignan in Paris ſeinem Kaiſer die Friedensvorſchläge Metternichs unterbreiten ſollte.

Indeſſen kam Stein nach Frankfurt, den die öſterreichiſchen Staats - männer bisher in Leipzig zurückgehalten hatten, und trat alsbald mit flammendem Eifer für die Fortſetzung des Krieges ein. Es gelang, den Czaren, dann auch den König zu gewinnen. Napoleons Stolz konnte ſich nicht entſchließen, ſofort auf die übergünſtigen Vorſchläge Oeſter - reichs einzugehen. Als er ſich endlich zu den Friedensverhandlungen bereit erklärte freilich unter dem Vorbehalte, daß die Kleinſtaaten Deutſchlands und Italiens keiner Oberherrlichkeit irgend welcher Art unterworfen werden ſollten da war im Hauptquartier bereits der Entſchluß gefaßt, zwar die Unterhandlungen nicht abzubrechen, doch523Das Kriegsmanifeſt vom 1. December.gleichzeitig den Krieg weiterzuführen. Damit hatte Stein gewonnenes Spiel; denn jeder neue Waffenerfolg der Verbündeten mußte unvermeid - lich die Friedensbedingungen verſchärfen. Die Zuverſicht wuchs von Tag zu Tag und bald galt es ohne förmliche Abrede als ausgemachte Sache, daß man nunmehr mindeſtens einen Theil des linken Ufers, etwa die Grenzen von 1792, zurückfordern werde. Die Kriegspartei triumphirte. Als Blücher in Frankfurt von dem Staatskanzler Abſchied nahm, ſagte er auf die Frage: Wo werden wir uns wiederſehen? mit ſeinem fröhlichſten Lachen: Im Palais Royal! *)Hardenbergs Tagebuch, 16. December 1813.

Die Worte und Thaten des großen Hauptquartiers ließen freilich von ſolcher friſchen Entſchloſſenheit nichts erkennen. Das Manifeſt vom 1. December, das den Franzoſen den bevorſtehenden Angriff ankündigte, ſchien geradezu darauf berechnet, den franzöſiſchen Hochmuth, der die Welt ſeit zwei Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen ließ, auf das Aeußerſte zu ſteigern. Mit ſchmeichelnden Worten, deren gleichen noch nie in einer Kriegserklärung vorgekommen, entſchuldigten die Verbündeten ihr Unter - nehmen: ſie wollten nicht Frankreich bekriegen, ſondern die Uebermacht Napoleons, ſie wünſchten, daß Frankreich groß, ſtark und glücklich ſei, und verſprachen dem franzöſiſchen Staate einen größeren Gebietsumfang, als er jemals unter ſeinen Königen gehabt, denn eine tapfere Nation dürfe darum noch nicht von ihrer Höhe herabſinken, weil ſie in einem heldenhaften Kampfe unglücklich geweſen ſei!

Kläglich, mattherzig wie dieſe Worte war auch der von Duca und Lan - genau ausgeklügelte Kriegsplan. Vergeblich vertheidigte Gneiſenau die da - mals noch neue Anſicht, daß dieſes centraliſirte Frankreich nur in ſeiner Hauptſtadt ganz beſiegt werden könne. Die k. k. Kriegstheoretiker hatten auf der Landkarte das Plateau von Langres entdeckt, jene beſcheidene Bodener - hebung an den Grenzen von Hochburgund, welche die Waſſerſcheide dreier Meere bildet; ſie nahmen an, daß auch Napoleon bei ſeinen Feldzügen ſich durch die Erwägungen geographiſcher Gelehrſamkeit beſtimmen laſſe, und mithin eine Demonſtration, eine Winterbewegung gegen dieſe merkwürdige Hochebene den Imperator zum Frieden zwingen werde. Im December ſetzte ſich die große Armee langſam in Bewegung, um auf dem ungeheuren Um - wege durch Baden, das Elſaß und die Schweiz nach Langres zu gelangen. Die Hofburg verfolgte dabei zugleich politiſche Nebenzwecke: ſie dachte in der Schweiz das alte ariſtokratiſche Regiment herzuſtellen und den Feind zur Räumung des italieniſchen Kriegsſchauplatzes, der ihr ungleich wich - tiger war als der franzöſiſche, zu nöthigen. Ihre Strategen rechtfertigten die unnatürliche Künſtelei dieſes Kriegsplanes, der die Uebermacht der Verbündeten willkürlich von der geraden und ſicheren Siegesſtraße ab - lenkte, mit der wunderſamen Behauptung: auf dieſe Weiſe gewinne man524I. 5. Ende der Kriegszeit.den Beiſtand der Armee Wellingtons, die im äußerſten Südweſten Frank - reichs, nahe den Pyrenäen, ſtand. Die läſtigen Stürmer und Dränger des ſchleſiſchen Heeres wollte Langenau durch die Belagerung von Mainz beſchäftigen und dem Kriegsſchauplatze fern halten. Erſt nach langem, heftigem Streite erwirkte ſich Blücher die Erlaubniß, am Mittelrhein die franzöſiſche Grenze zu überſchreiten; von da ſollte er durch die Saar - lande und Lothringen ebenfalls jene wunderbare Hochebene zu erreichen ſuchen, wo man ſein Waſſer nach drei Meeren zugleich abſchlagen konnte wie der derbe Lagerwitz der erbitterten Schleſier ſpottete.

Alſo gewährte die Unfähigkeit einer altväteriſchen Politik und Stra - tegie dem Imperator abermals eine Möglichkeit der Rettung. Sie ſchenkte ihm drei Monate Friſt um ein neues Heer zu ſchaffen und berechnete ihre Kriegspläne auf das behutſame Vermeiden jeder durchſchlagenden Ent - ſcheidung. Mochten immerhin Lainé und einige andere muthige Männer in dem zahmen Geſetzgebenden Körper jetzt ihre Stimme erheben und den Unwillen des Landes über die endloſen Kriege ausſprechen, der Despot herrſchte ſie mit verächtlichen Worten an. Noch galt der Wahlſpruch des Kaiſerreichs: die Herrſchaft der Schwätzerei iſt zu Ende! Napoleon förderte ſeine Rüſtungen mit der alten Umſicht und rechnete zugleich auf den Erfolg der diplomatiſchen Verhandlungen, auf den Zerfall der lockeren Coalition. Wiederholt ließ er den Staatsmännern der Hofburg ſagen, ein großer Sieg liege nicht im Intereſſe Oeſterreichs, könne leicht das europäiſche Gleichgewicht zum Nachtheile für Oeſterreich verſchieben. Keine Rede von Nachgiebigkeit. Die alten Grenzen, ſchrieb er an Caulaincourt, wären eine Erniedrigung für Frankreich; alle unſere Eroberungen wiegen nicht auf was Preußen, Oeſterreich, Rußland, England während der letzten Jahrzehnte gewonnen haben. Seine Unterhändler ſollten ihre Friedensvorſchläge ſo unbeſtimmt als möglich halten, denn wir haben Alles von der Zeit zu gewinnen!

Währenddem fielen einige der Feſtungen des Nordoſtens, die von den Franzoſen alleſammt mit ehrenhafter Ausdauer vertheidigt wurden, ſo Danzig und Torgau. Am 13. Januar wurde Wittenberg von den Truppen Tauentziens erſtürmt nach einer ſchweren Beſchießung, die der junge Bardeleben umſichtig leitete; es war der einzige einigermaßen großartige Belagerungskampf in dieſem ſchlachtenreichen Kriege. Ungleich wichtiger ward die Eroberung von Holland. Da Bernadotte ſchon im November von Hannover aus gegen Dänemark zog um ſeine norwegiſche Beute in Sicherheit zu bringen, ſo machte ſich Bülow von dem verhaßten Oberfeldherrn los, brach aus Weſtphalen in die Niederlande ein, und ſo - fort erfuhr die Welt wieder, was die Nordarmee vermochte wenn man ſie frei gewähren ließ. General Oppen erſtürmte das feſte Doesborgh, das Kolbergiſche Regiment und die Königin Dragoner, die alten Ansbach - Baireuther, flochten ſich ein neues Blatt in ihren Lorbeerkranz. Dann525Eroberung von Holland.ward auch Arnheim mit ſtürmender Hand genommen, der Uebergang über den Rhein und die Maas erzwungen, Herzogenbuſch mußte ſeine Thore öffnen, und abermals, wie in den Tagen des großen Kurfürſten, war Frankreichs Machtſtellung in den Niederlanden durch Preußens Waffen in Stücke geſchlagen. Erſt vor den Mauern von Antwerpen kam Bülows reißender Siegeszug ins Stocken. Hier befehligte Carnot; der unbeug - ſame Republikaner hatte ſeinen Parteihaß hochherzig bezwungen um des Vaterlandes willen und behauptete ſich in dem wichtigen Platze ſtandhaft bis zum Friedensſchluſſe.

Die klugen Holländer verſtanden das Glück an der Locke zu faſſen. Die Mitglieder der alten Ariſtokratie, die Altregenten, hatten ſchon ſeit Jahren die Wiederherſtellung des Staates vorbereitet. Auf ihren Wink erhob ſich das Volk von Amſterdam, ſobald die erſten Koſakenſchwärme ſich an der Grenze zeigten, und hißte die Orangeflagge auf (15. Nov.). Die franzöſiſchen Beamten flohen, die Truppen zogen ſich in die feſten Plätze. Die Altregenten bildeten eine proviſoriſche Regierung und riefen den Prinzen von Oranien zurück. Ueberall erklang das alte Oranje boven! und das neue: Met Willem komt de vrede! So konnte denn das unkriegeriſche Handelsvolk mit einigem Scheine behaupten, das Land habe ſich ſelbſt befreit, obgleich die Blutarbeit der Eroberung allein den Preußen und Ruſſen überlaſſen wurde.

Da Jedermann wußte, daß Oeſterreich ſich Belgiens zu entledigen wünſchte, ſo war der Plan, die beiden Hälften der alten Niederlande zu vereinigen, bereits mehrmals während der Coalitionskriege beſprochen worden; ſchon im Jahre 1794 hatte der Rathspenſionär v. d. Spiegel dieſen Vorſchlag vertheidigt. Der Gedanke lag in der Luft, er ergab ſich von ſelbſt aus dem Ideengange jener alten diplomatiſchen Schule, die ohne Verſtändniß für das hiſtoriſche Leben ihre Staatengebilde allein nach den Rückſichten der geographiſchen Lage und Abrundung zurechtzuſchneiden pflegte. Mit Eifer nahm die engliſche Handelspolitik jetzt den alten Ge - danken auf. Die Briten hatten das holländiſche Colonialreich erobert und wollten aus der reichen Beute die für die indiſche Herrſchaft wichtigſten Plätze, Ceylon und das Cap, mitſammt der holländiſchen Flotte und einem Theile von Guyana behalten. Nach den Anſchauungen des achtzehnten Jahrhunderts war das herrenloſe Deutſchland ſelbſtverſtändlich verpflichtet den Holländern dieſen Verluſt zu erſetzen; die Befeſtigung der engliſchen Seeherrſchaft ſollte durch den burgundiſchen Kreis des deutſchen Reichs bezahlt werden. Und wie nun überall die gute alte Zeit zurückzukehren ſchien, ſo lebten auch die wilhelminiſchen Ueberlieferungen, die Erinnerungen an das langlebige Bündniß der beiden Seemächte wieder auf. England gedachte in den verſtärkten Niederlanden einen zuverläſſigen Bundes - genoſſen, in dem Antwerpener Hafen einen wohlgedeckten Brückenkopf für ſeine Feſtlandskriege zu finden; man hoffte durch die Verheirathung des526I. 5. Ende der Kriegszeit.Erbprinzen von Oranien mit der Erbin der engliſchen Krone dieſen Bund noch feſter zu begründen. Die Angſt vor dem jacobiniſchen Geiſte des preußiſchen Heeres beſtärkte das Tory-Cabinet in ſolchen Anſchauungen: dieſe exaltirte kriegeriſche Macht mußte um des Friedens willen durch einen friedfertigen Handelsſtaat von dem unruhigen Frankreich abgetrennt werden.

So geſchah es, daß die engliſchen Staatsmänner die Herſtellung der Vereinigten Niederlande rührig wie eine britiſche Angelegenheit betrieben; ſie zeigten noch mehr Eifer dafür als für die Vergrößerung des hanno - verſchen Welfenreichs. Schon ſeit dem Frühjahr 1813 ſtand das Lon - doner Cabinet mit dem Prinzen von Oranien in Verbindung und ſuchte die europäiſchen Höfe von der Nothwendigkeit des oraniſchen Geſammt - ſtaates zu überzeugen. In der diplomatiſchen Welt galt das neue König - reich ſo gänzlich als eine britiſche Schöpfung, daß man von jedem Land - ſtriche, der an die Niederlande kam, kurzab zu ſagen pflegte: dies Gebiet wird engliſch. Ein gewandter Kaufmann pflegt, wenn er den Käufer um die Hälfte des Preiſes übervortheilt, heilig zu betheuern, daß er nur aus perſönlicher Verehrung für den Kunden den Handel ſchließe. So hat auch die engliſche Handelspolitik immer verſtanden, ihre Abſichten hinter großen Worten von Freiheit und Gleichgewicht zu verbergen. Sie wollte ihrem niederländiſchen Schützling die Hälfte ſeiner Colonien vor - enthalten; Lord Caſtlereagh aber erklärte ſtolz, ſein Staat ſei hochherzig bereit einen Theil ſeiner Eroberungen herauszugeben, er könne jedoch dies Opfer nur bringen, wenn die Niederlande auf dem Feſtlande vergrößert und alſo in den Stand geſetzt würden, den zurückgewonnenen Theil ihres Colonialreiches gegen Frankreich zu vertheidigen. England beraubte die Niederlande jenes überſeeiſchen Beſitzes, worauf ihre alte Machtſtellung beruht hatte, und beanſpruchte dann noch den Dank Europas für ſeine Großmuth. Das neue niederländiſche Reich war an arrangement for an European object; nur um die Rheinlande vor Frankreich zu ſichern, ſollte Deutſchland wieder einige ſeiner alten Reichslande verlieren. Zu - gleich wurde mit begeiſterten Worten der Heldenmuth der Holländer ge - prieſen; Europa war verpflichtet den noble élan dieſes Volkes zu be - lohnen. Das engliſche Märchen ward mit ſolcher ausdauernden Ernſt - haftigkeit wiederholt, daß man im Großen Hauptquartier ſchließlich daran glaubte und die Phraſe von Hollands Verdienſten um Europa in das Wörterbuch der Diplomatie aufnahm.

Durch Bülows Siegeszug kam der preußiſche Hof zum erſten male während dieſes Krieges in die günſtige Lage zu bieten, nicht blos zu bitten; er konnte jetzt dem engliſchen Cabinet erklären, über dieſe durch Preußen mit eroberten Lande dürfe erſt verfügt werden, wenn England eine bindende Zuſage für die Einverleibung Sachſens gäbe. Aber dieſer Gedanke kam gar nicht zur Sprache, da das preußiſche Cabinet ſelber527Die Vereinigten Niederlande.durchaus beherrſcht war von jener Gleichgewichtspolitik, worauf Englands niederländiſche Pläne fußten. In allen Entwürfen Hardenbergs wurde als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt, daß die Schweiz und die Niederlande in der Regel den Frieden zwiſchen Deutſchland und Frankreich behüten, im Falle des Krieges den erſten Anprall der franzöſiſchen Angreifer aus - halten müßten; erſt in zweiter Linie ſollten Oeſterreich und Preußen den Kampf aufnehmen. Die Vergrößerung der Niederlande ſchien um ſo mehr im deutſchen Intereſſe zu liegen, da Hardenberg noch zuverſichtlich hoffte, Holland und die Schweiz durch ein foederatives Band als Bundes - verwandte , wie man zu ſagen pflegte mit Deutſchland zu verketten. Zudem ward der den Hohenzollern ſo nahe verwandte Prinz von Ora - nien bei Hofe faſt wie ein Mitglied des königlichen Hauſes angeſehen, obgleich die Offiziere ihm die ſchimpfliche Capitulation von Erfurt nicht verziehen. Er hatte wegen ſeiner Theilnahme am Kriege von 1806 Land und Leute verloren; es ſchien Ehrenpflicht ihn reichlich zu belohnen. Da - her ging Hardenberg kaum minder lebhaft als die engliſchen Staats - männer für die oraniſche Sache ins Zeug; er umarmte unter Freuden - thränen den niederländiſchen Geſandten Gagern, als die Nachricht von der Eroberung Hollands kam. Die Bildung dieſes Zwiſchenſtaates erſchien in den Augen der europäiſchen Höfe als ein Erfolg der preußiſchen Politik, keineswegs als ein Rechtstitel, kraft deſſen Preußen neue Forderungen ſtellen durfte.

Hier liegt ohne Zweifel der zweite große Fehler der Politik Harden - bergs; doch dieſe niederländiſchen Träume ſind, wie jene Pläne des deutſchen Dualismus, die Schuld nicht eines Mannes, ſondern des ge - ſammten Zeitalters. Lange bevor man auf die Eroberung des linken Rheinufers zu hoffen wagte, hatte Stein ſchon den verſtärkten niederländi - ſchen Staat als eine europäiſche Nothwendigkeit gefordert, und Jedermann ſtimmte bei. Nachher, da die Ländergier des Oraniers ſich allzu dreiſt herauswagte, ſind wohl Manchem Zweifel aufgeſtiegen. Der Rheiniſche Mercur beklagte, daß der am wenigſten kriegeriſche deutſche Stamm mit der Grenzhut betraut werden ſolle, und ſelbſt Caſtlereagh fragte in ſeinen Briefen einmal bedenklich, ob dies Handelsvolk ſeiner europäiſchen Aufgabe genügen könne. Ludwig Vincke, der von ſeiner theueren rothen Erde aus die niederländiſchen Dinge lange beobachtet, ſagte voraus, dies willkürlich ausgeklügelte Staatsgebilde müſſe untergehen; in den Niederlanden er - wachte ſofort wieder der alte Groll, der die katholiſchen Belgier und die proteſtantiſchen Holländer ſeit einem Vierteljahrtauſend getrennt hielt. Die deutſche Diplomatie aber blieb von ſolchen Bedenken unberührt. Harden - berg brachte der engliſchen Politik ein unbeſchränktes Vertrauen entgegen. Nach der Einnahme von Antwerpen genehmigte er ſofort, daß die dort im Hafen von den Preußen und Ruſſen erbeuteten Kriegsſchiffe nach England entführt wurden. Für die Seemacht fehlte der deutſchen Politik528I. 5. Ende der Kriegszeit.noch jedes Verſtändniß; Niemand hat auch nur die Frage aufgeworfen, ob nicht jene köſtliche Beute den Stamm einer preußiſchen Flotte bilden könne.

Der Prinz von Oranien, alſo mit Geſchenken verſchwenderiſch über - ſchüttet, fand ſich noch immer nicht genug belohnt für ſeine unbekannten Verdienſte um Europa, entwarf mit unbeſchämter Stirn neue Vergröße - rungspläne: bald ſollte ein links-rheiniſches Königreich Neu-Burgund bis zur Moſel und Nahe, bald ein rechts-rheiniſches Groß-Naſſau von Düſſel - dorf bis Bieberich in den unerſättlichen Schlund ſeines Hauſes fallen. Das Volk am Rhein, ermüdet durch den Druck der napoleoniſchen Prä - fecten, verſprach ſich goldene Berge von den reichen Holländern, fürchtete die militäriſche Strenge der Preußen. Gegen dieſe Befreier ſeines Landes hegte der Oranier, gleich ſeinen britiſchen Gönnern, ein tiefes Mißtrauen. Faſt auf jedem Blatte des engliſch-niederländiſchen Depeſchenwechſels wird die Beſorgniß ausgeſprochen, daß nur Preußen nicht Luxemburg erhalte, nicht durch eine ſtarke rheiniſche Provinz erdrückend auf die Niederlande wirke, denn die preußiſche Schlauheit wird ſich ſchwerlich mit Wärme an die engliſche Ehrlichkeit anſchließen . Von dieſer feindſeligen Geſinnung der welfiſch-oraniſchen Staatsmänner ahnte Hardenberg nichts, vielmehr förderte er die oraniſche Sache wie ſeine eigene und zeigte ſich ſogar be - reit einige rein deutſche Striche am Niederrhein dem niederländiſchen Ge - ſammtſtaate zu überlaſſen.

Erſt nachdem die Eroberung des linken Rheinufers beſchloſſen war, konnte das preußiſche Cabinet einen beſtimmten Plan für die Wiederher - ſtellung der Monarchie aufſtellen, denn jetzt erſt ließ ſich überſehen, welche deutſche Gebiete für Preußen frei wurden. Ungeſäumt benutzte der Staats - kanzler die Gunſt des Augenblicks und begann mit den Alliirten über die preußiſchen Landforderungen zu verhandeln. Seit der Leipziger Schlacht hielten die Verbündeten das Königreich Sachſen in ihrer Gewalt. Niemand hätte an jenem Tage, da König Friedrich Auguſt als Kriegsgefangener aus der erſtürmten Stadt abgeführt wurde, die ungeheuerliche Behaup - tung gewagt, daß dieſer ergebenſte Vaſall Napoleons ein wiedergefundener befreiter Freund der Verbündeten ſei. Der Imperator ſelbſt bewahrte dem Könige immer eine wohlverdiente Dankbarkeit und forderte noch mehr - mals während dieſes Winters die Warſchauer Krone für Friedrich Auguſt zurück, weil es wider ſeine Ehre gehe den treuen Verbündeten zu ver - laſſen. Der Wettiner hatte von Napoleons Siegen die Vergrößerung Sachſens erhofft und mußte mithin auch die Folgen der franzöſiſchen Niederlagen über ſich ergehen laſſen. Sein Land war in gerechtem Kriege bis auf das letzte Dorf erobert und unterlag nach Völkerrecht allein der Verfügung der Sieger. Der wider den Befehl des Königs erfolgte, poli - tiſch und militäriſch gleich wirkungsloſe Uebertritt eines Theiles der ſäch - ſiſchen Armee konnte an ſolchen Thatſachen nichts ändern. Nach der529Preußens Gebietsforderungen.Gefangennahme Friedrich Auguſts begrüßte Hardenberg triumphirend ſeinen königlichen Herrn als König von Sachſen und Großherzog von Poſen.

Durch die Eroberung Sachſens war die naturgemäße Entſchädigung für Preußen gefunden. Der preußiſche Staat erhielt durch dieſe Erwer - bung das Mittel ſich mit Rußland über die polniſche Frage ganz zu verſtändigen; er gewann eine wohlgeſicherte Südgrenze, die um ſo unent - behrlicher ſchien, da ſein Gebiet gegen Oſten hin offen blieb, und eine deutſche Provinz, die durch Stammesart und Bildung, durch das kirch - liche Bekenntniß wie durch die Intereſſen des Verkehres mit den nordi - ſchen Nachbarlanden eng verbunden war. Für das Gedeihen des künf - tigen deutſchen Bundes war die Entfernung eines Fürſtenhauſes, das faſt in allen Kriſen unſerer neueren Geſchichte ſchwer an dem großen Vater - lande gefrevelt hatte, ein unzweifelhafter Segen. Da man leider nicht alle Könige von Napoleons Gnaden nach Verdienſt behandeln konnte, ſo blieb es doch nothwendig mindeſtens an einem Rheinbundsfürſten eine wohlthätige Züchtigung zu vollſtrecken; wie heilſam ein ſolches Beiſpiel auf die Gemüther des deutſchen hohen Adels wirken mußte, iſt durch die Erfahrungen des Jahres 1866 überzeugend erwieſen. Aber alle die guten Gründe, welche der preußiſch-deutſchen Politik die Einverleibung Sachſens empfahlen, konnten dem Wiener Hofe nur als dringende Warnungen erſcheinen.

Der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Großmächte trat gerade in der ſächſiſchen Frage mit ſo ſchneidender Schärfe hervor, daß nur Har - denbergs Vertrauensſeligkeit ſich darüber zu täuſchen vermochte. Gneiſenaus Scharfſinn war über die einfache Wahrheit keinen Augenblick zweifelhaft. Die Hofburg mußte wünſchen die norddeutſche Großmacht möglichſt weit in den Oſten zu ſchieben. Sie durfte nicht dem Staate, der ſchon durch die vorſpringende Gebirgsfeſte der Grafſchaft Glatz das öſtliche Böhmen bedrohte, auch noch die Päſſe des Erzgebirges ausliefern; ſie konnte noch weniger ein katholiſches, dem kaiſerlichen Hofe nahe verwandtes Fürſten - haus preisgeben, das von jeher ein brauchbares Werkzeug gegen Preußen geweſen. Und wie ſollte ſie die Entthronung eines napoleoniſchen Sa - trapen billigen, da ſie ſich ja aus den Mittelſtaaten eine ergebene öſter - reichiſche Partei bilden wollte? Am 29. October ſchrieb Gentz ſchwer be - ſorgt an Metternich: die täglich mehr ans Licht tretenden länderſüchtigen Projecte der Preußen werden uns dereinſt mehr zu ſchaffen machen als die Hauptverhandlung mit Napoleon ſelbſt. Radetzky aber ſagte zu Frankfurt in einer vertraulichen Denkſchrift: es ſei dringend zu wünſchen, daß die Preußen, wie ſie ſich jetzt zeigen, beim einſtigen Frieden mög - lichſt wenig Truppen übrig behielten.

Noch ſchien es nicht an der Zeit, ſolche Geſinnungen offen auszu - ſprechen. Zu laut erklang noch ſelbſt im ſächſiſchen Volke der allgemeine Unwille wider die Sünden des albertiniſchen Hofes; ſogar der WelfeTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 34530I. 5. Ende der Kriegszeit.Münſter meinte noch, man müſſe Friedrich Auguſt nicht achten ſondern ächten. Wer den hinterhaltigen Biederſinn des öſterreichiſchen Monar - chen durchſchaute, konnte freilich die Herzenswünſche der Lothringer leicht errathen; Kaiſer Franz forderte nämlich, der gefangene König ſolle nach Prag überſiedeln, ſeine Truppen dem öſterreichiſchen Heere angeſchloſſen werden. Preußen und Rußland erwirkten jedoch, daß Friedrich Auguſt nach Berlin abgeführt wurde und Sachſen vorläufig einem ruſſiſchen Gouverneur untergeordnet wurde. Die Einſetzung einer preußiſchen Verwaltung, welche den Uebergang zur Einverleibung ver - mittelt hätte, blieb vorderhand unmöglich, da man ohne Oeſterreichs Zu - ſtimmung nicht über die gemeinſame Eroberung verfügen durfte. Die Mitglieder des ſächſiſchen Königshauſes hielten unter dem Schutze der franzöſiſchen Waffen in dem belagerten Dresden aus; ſobald die Haupt - ſtadt capitulirte, bot Kaiſer Franz ſeinen Verwandten Wohnſitze in Oeſter - reich an. Prinz Anton, des Kaiſers Schwager, begann von Prag aus eine emſige geheime Thätigkeit zur Rettung ſeines gefangenen Bruders; die Umgebung Friedrich Auguſts ſetzte von vornherein ihre beſten Hoff - nungen auf Oeſterreichs Gunſt.

Der Staatskanzler bemerkte nichts von Alledem. Er theilte, während des Aufenthalts der Monarchen in Freiburg, dem öſterreichiſchen Miniſter ſeine ſächſiſchen Pläne vertrauensvoll mit und nahm, da der verſchlagene Oeſterreicher bei einem freundſchaftlichen Diner ihm einige ſüße Worte erwiderte, leichten Sinnes als ſicher an, daß Metternich den preußiſchen Abſichten zuſtimme. *)Hardenbergs Tagebuch 8. Januar 1814.Dort im Breisgau wurde der alte Landesvater Kaiſer Franz mit überſtrömender Freude empfangen. War doch dies Vor - deröſterreich immer eine der beſtverwalteten Provinzen des Kaiſerhauſes geweſen. Das Volk ſehnte ſich zurück nach dem ſchlaffen, bequemen Re - gimente, der mächtige katholiſche Adel grollte der bürgerlich aufgeklärten badiſchen Bureaukratie und konnte den Verluſt ſeiner alten landſtändi - ſchen Verfaſſung nicht verſchmerzen. Der Kaiſer begegnete in der lieb - lichen Dreiſamſtadt überall altöſterreichiſchen Erinnerungen: dort lag die Dauphinenſtraße, die einſt den Brautzug Marie Antoinettens geſehen, da das Denkmal am Martinsthore, das von den Kämpfen der Breisgauer Freiwilligen in den neunziger Jahren erzählte, hier das ſchöne alte Kauf - haus mit den Standbildern der Habsburger, das der Stadtrath zur Er - innerung an den kaiſerlichen Beſuch wiederherzuſtellen beſchloß. Zahlreiche Breisgauer meldeten ſich, den badiſchen Dienſt verſchmähend, zum Eintritt in das öſterreichiſche Heer; wiederholt ward der Kaiſer in vertraulichen Unterredungen beſchworen ſeine Kinder wieder an ſein Vaterherz zu nehmen, ja bereits war der Stempel fertig für eine Denkmünze welche die Wiedervereinigung verherrlichen ſollte. Kaiſer Franz zeigte ſich den Wün -531Verhandlungen in Freiburg und Baſel.ſchen ſeiner Getreuen keineswegs abgeneigt, aber Metternich blieb ſtand - haft bei dem Syſteme ſeiner Arrondirungspolitik. Er wollte die rhein - bündiſchen Höfe nicht reizen, und obwohl das Carlsruher Cabinet noch zwei Jahre lang durch die öſterreichiſche Geſinnung lebhaft beunruhigt wurde, ſo hat doch die Hofburg niemals während dieſer ganzen Zeit auch nur verſucht mit Baden wegen des Rückfalls der vorderöſterreichiſchen Lande zu verhandeln. Hardenberg ſah mit Kummer, daß Oeſterreich ſelber für die ſüddeutſche Machtſtellung, welche er ihm zudachte, gar keine Neigung offenbarte.

Nachdem die Schwankungen jener Frankfurter Tage überwunden waren, ſtellte ſich raſch das natürliche Verhältniß der Parteien unter den Verbündeten wieder her. Preußen und Rußland forderten eine entſchloſ - ſene Kriegführung, Oeſterreich und England wichen der Entſcheidung ängſtlich aus. Die Spannung im großen Hauptquartiere nahm bedenk - lich zu. Ueberall ſtießen die beiden Parteien feindlich auf einander. In der Schweiz verſuchte Metternich durch den Grafen Senfft der Berner Ariſtokratie wieder ihre alte Vollgewalt ſowie die Herrſchaft über den Aargau und das Waadtland zu verſchaffen. Czar Alexander dagegen ſpielte den Gönner der liberalen Ideen, unterſtützte die Landsleute ſeines waadtländiſchen Lehrers Laharpe und erreichte, mit Preußen vereint, daß die Unabhängigkeit der neuen Cantone anerkannt und alſo doch etwas von den berechtigten Neubildungen der jüngſten Jahre in das Zeitalter der Reſtauration hinübergerettet wurde.

Der langſame Marſch gewährte den preußiſchen Staatsmännern genügende Muße um über die Friedensbedingungen zu berathſchlagen. Zu Freiburg ſtellte Kneſebeck in einer Denkſchrift die Forderungen zuſammen, die ihm, Angeſichts der Stimmungen der Hofburg, noch erreichbar ſchienen. Während im ſchleſiſchen Hauptquartiere bereits das Verlangen nach der Rückerwerbung der deutſchen Thermopylen, der Vogeſen erhoben wurde, hielten ſich die öſterreichiſchen Diplomaten ſtreng an das Manifeſt vom 1. December, das ihnen ſchon allzu kühn vorkam. Kneſebeck meinte alſo: da man einmal hingeſprochen hat, daß Frankreich größer als unter den Königen ſein, der Rhein einen Theil ſeiner Grenze ausmachen ſoll, ſo bleibe der Rhein Grenze von Baſel bis Landau. *)Kneſebecks Denkſchrift über die Reconſtruction Preußens, 7. Januar 1814.Nur Straßburg hoffte er als eine freie Stadt für Deutſchland zurückzugewinnen. Für Preußen forderte er: Sachſen, Weſtphalen, Berg, das linke Rheinufer und vor Allem das geſammte polniſche Land bis zum Narew. Die fixen Ideen der Ruſſenfurcht ließen den pedantiſchen Mann nicht ſchlafen.

Hardenberg aber wollte ſich zunächſt über Rußlands Abſichten Klar - heit verſchaffen. Daher bat er in Freiburg und nachher in Baſel, wie es ſein König ſchon oft gethan, den Czaren dringend um die bündige Er -34*532I. 5. Ende der Kriegszeit.klärung, wie viel polniſches Land Rußland für ſich verlange. Erſt als Alexander abermals jede beſtimmte Antwort vor dem Friedensſchluſſe ver - weigerte, ging Preußen auf eigene Fauſt vor. Der Staatskanzler ent - warf eine genaue Berechnung der für Preußen nothwendigen Enſchädi - gungen und übergab dieſe Denkſchrift, während des Aufenthalts zu Baſel im Januar 1814, dem öſterreichiſchen Hofe. Sie forderte ganz Sachſen, Vorpommern, die Rheinlande von Mainz bis zur niederländi - ſchen Grenze, ſowie Polen bis zur Wartha; die Einwohnerzahl der Mo - narchie war auf 10 11 Millionen berechnet. Als einzige Antwort er - hielt Hardenberg ein franzöſiſches Billet des Grafen Stadion. *)Stadion an Hardenberg, Baſel 21. Januar 1814.Im Tone vertraulicher Freundſchaft, mit der wohlbekannten k. k. Gemüthlich - keit bemerkt der Oeſterreicher, die preußiſchen Zahlen ſeien doch gar zu hoch, über zehn Millionen dürfe man nicht hinausgehen. Dann wagt er eine ſchüchterne Bemerkung zu Gunſten des unglücklichen ſächſiſchen Kur - hauſes, deſſen gänzliche Vertreibung aus Deutſchland mir allzuſehr das Gefühl der politiſchen Moral zu verletzen ſcheint . Er deutet an, Preu - ßen könne ſich wohl mit der Lauſitz und dem rechten Elbufer begnügen und ſchließt harmlos: Ew. Excellenz werden mir dieſe Betrachtungen eines Biedermannes verzeihen; ich erlaube mir dergleichen zuweilen in der Politik. Hardenberg antwortete ſogleich:**)Hardenberg an Stadion, 21. Januar 1814. Von Allem was Sach - ſen widerfahren könnte wäre die Theilung des Landes ohne Zweifel das Schlimmſte. Er hielt ſeine Forderungen entſchieden aufrecht, verwies zum Schluß auf die ſoeben eingetroffene Meldung von der Erſtürmung Wittenbergs und auf alle die anderen Rechtstitel, welche ſich Preußen durch ſeine kriegeriſchen Leiſtungen erworben habe. Damit hatte der Schriftwechſel ein Ende; Metternich weigerte ſich, vor dem Frieden irgend welche Zuſage zu geben.

Bei einiger Wachſamkeit konnte der Staatskanzler ſich über die Be - weggründe der Stadion’ſchen Biedermanns-Bemerkungen nicht täuſchen. Eben in jenen Tagen erhielt er die ſichere Nachricht, daß derſelbe Mann, der das Vertrauen des Kaiſers Franz beſaß und die Operationspläne des großen Hauptquartiers entwarf, der Sachſe Langenau, mit den ſäch - ſiſchen Royaliſten insgeheim in Verbindung ſtand. Metternich, wegen dieſer Umtriebe zur Rede geſtellt, gab ſogleich eine beſchwichtigende Zuſage. Trotz aller ſolcher Anzeichen wollte Hardenberg ſeinen Glauben an Oeſter - reichs treue Freundſchaft nicht aufgeben.

Auch eine andere theuere Hoffnung des Vertrauensvollen erwies ſich als ſehr unſicher. Bernadotte hatte ſeinen däniſchen Krieg beendigt und im Kieler Frieden den Beſiegten die Abtretung von Norwegen abgezwungen (14. Ja - nuar 1814); zur Entſchädigung wurde daſſelbe Schwediſch-Pommern, das533Blücher über den Rhein.der Kronprinz im letzten Sommer dem preußiſchen Staatskanzler zuge - ſagt hatte, an Dänemark abgetreten. Hardenberg erging ſich in bitteren Anklagen gegen die Treuloſigkeit des Bearners und nahm ſich feſt vor, dieſen Streich unter keinen Umſtänden zu ertragen. Zu ſeiner Genug - thuung erhielt er bald darauf eine Zuſchrift von dem erſten Grundherrn Schwediſch-Pommerns, dem Fürſten Putbus, der ſich im Namen ſeiner Landsleute feierlich gegen die Abtretung an Dänemark verwahrte*)Eingabe des Fürſten Malte zu Putbus, Januar 1814.. Jedoch das Alles lag noch in weitem Felde. Als der Krieg von Neuem anhob, war Preußen wohl des Sieges ſicher, doch nicht des Siegespreiſes.

In der Neujahrsnacht von 1814 ſaßen zu Caub am Rhein die Offiziere des ſchleſiſchen Hauptquartiers beim vollen Römer und gedachten in froh bewegtem Geſpräche des großen Wandels der Zeiten. Vor einem Jahre gerade hatte York noch jenſeits der deutſchen Oſtgrenze jenen Ver - trag geſchloſſen, der den Preußen den Anbruch des Entſcheidungskampfes ankündigte; heute ſtand Blücher mit Yorks ſiegreichen Truppen vor den Thoren der deutſchen Weſtmark, an der nämlichen Stelle, wo er vor zwanzig Jahren den erſten Krieg um die Befreiung der linksrheiniſchen Lande eröffnet hatte. Mittlerweile ſchlugen die Ruſſen draußen bei ſchar - fem Froſt eine Schiffbrücke hinüber nach der kleinen Inſel, die das graue Gemäuer der alten Pfalz trägt; dort beſtieg Graf Brandenburg mit den brandenburgiſchen Füſilieren in tiefer Stille die Kähne, und um Mitter - nacht erklang am linken Ufer der donnernde Hurrahruf der Landenden. Die Glücklichen hatten das anbefohlene Schweigen doch nicht bewahren können; der Jubel mußte heraus, zu herrlich war die Stunde, die der Sehnſucht ſo vieler arger Jahre die Erfüllung brachte. Am nächſten Tage feierte drüben die fröhliche Pfalz ihr luſtiges Neujahrsfeſt: Muſik und Geſang und Freudenrufe überall, wo die Preußen einzogen; die treuen Proteſtanten auf dem Hunsrücken waren allezeit gut deutſch ge - blieben und begrüßten ihre Befreier mit wärmerem Danke als ihre Nach - barn in den Krummſtabslanden. Gleichzeitig zog General St. Prieſt mit ſeinen Ruſſen in Coblenz ein, und als er neben der Caſtorkirche den neuen Brunnen ſah mit der prahleriſchen Inſchrift zu Ehren der Ein - nahme von Moskau, ließ er vorgnüglich ſein Geſehen und genehmigt darunter ſchreiben.

Ohne ernſten Widerſtand zu finden marſchirte das ſchleſiſche Heer durch Lothringen. Die mit Rekruten ſchwach bemannten Feſtungen konnten, wie Gneiſenau vorausgeſagt, den Verbündeten nicht gefährlich werden; und bald zog das große Publikum aus den außerordentlichen Erfahrungen534I. 5. Ende der Kriegszeit.dieſes Feldzuges den übereilten Schluß, die Zeit der Feſtungen ſei vor - über. In Nancy feierte Blücher zu ſeiner lebhaften Genugthuung das preußiſche Krönungsfeſt, in derſelben Stadt, die zwei Jahre lang ſeine unglücklichen kriegsgefangenen Kameraden beherbergt hatte. Dann wen - dete er ſich in kühner Schwenkung ſüdweſtwärts, überſchritt die Marne und langte in den letzten Tagen des Januar bei Brienne an der Aube an. So ſchob er ſein Heer mitten hinein zwiſchen den von Chalons heranrückenden Imperator und die Große Armee, die nach einem Marſche von mehr als einem Monat endlich das Plateau von Langres erreicht hatte. Der alte Held hoffte den zaudernden Schwarzenberg mit ſich zum gewiſſen Siege fortzureißen.

Im großen Hauptquartier herrſchte wieder Zwietracht und Rath - loſigkeit. Die wunderſame Hochebene, von deren Beſitznahme Langenau die Entſcheidung des Krieges erwartet hatte, war glücklich erreicht, die Feſtung Langres ſelber hatte faſt ohne Widerſtand ihre Thore geöffnet und doch war mit Alledem gar nichts gewonnen. Die Thorheit dieſer gegen Berge und Flüſſe gerichteten Kriegführung drängte ſich jedem un - befangenen Kopfe auf. Nur um ſo zäher hielten die gelehrten Strategen an ihren Principien feſt. Kneſebeck erklärte die Waſſerſcheide von Langres für den Rubicon, der nicht überſchritten werden dürfe. General Duca empfahl, durch die Belagerung von Mainz einen methodiſchen Feſtungs - krieg zu eröffnen. Schwarzenberg bemerkte verächtlich, mit welcher kin - diſchen Wuth Blücher und Gneiſenau, alle Regeln der Kriegskunſt ver - achtend, nach Paris drängten; er fand dieſe preußiſchen Köpfe zu klein für ein ſo großes Ereigniß : ſie verfolgten ja doch nur den Zweck ſichs wohl ſein zu laſſen in den Reſtaurants des Palais Royal! Ueber Alexanders Kriegseifer urtheilte er, ganz im Sinne ſeines Hofes: nicht Gründe, ſondern Lüſternheit leiten Alexanders Schritte; denn jeder neue Sieg konnte nur noch die Machterweiterung Rußlands und die Wiederher - ſtellung Preußens ſichern. Die zärtlichen Briefe, womit Marie Luiſe das Herz ihres Vaters beſtürmte, richteten freilich bei der Gemüthloſigkeit des Kaiſers Franz nichts aus; jedoch ſah er mit ſteigendem Unmuthe, daß er die Kräfte ſeines Staates und ſeine eigene Bequemlichkeit für fremde Zwecke opfern ſollte. Die Wiederherſtellung der getreuen geiſtlichen Kur - fürſten war doch unmöglich; wie durfte man ihm zumuthen, das linke Rheinufer für Preußen zu erobern? Er verlangte Frieden, ſchleunigen Abſchluß mit Anerkennung jener natürlichen Grenzen , welche Metternich ja ſchon in Frankfurt zugeſtanden hatte. Seine Unluſt an dem Kriege ſteigerte ſich bis zum Abſcheu, ſeit er errieth, daß Alexander auf Napoleons Abſetzung hinarbeitete. Denn der Sturz des Schwiegerſohnes war nicht nur an ſich gegen das Intereſſe des Hauſes Oeſterreich; es ſtand auch zu be - fürchten, daß der Czar auf die neue Regierung Frankreichs wer immer die Erbſchaft des Entthronten antrat einen entſcheidenden Einfluß gewänne.

535Das Hauptquartier in Langres.

Die öſterreichiſchen Staatsmänner hatten ſich in die Schande jener Jahre ſo gemächlich eingelebt, daß ihnen der Todfeind des alten Europas bereits als die Stütze der öffentlichen Ordnung, ſeine Beſei - tigung als eine gefährliche revolutionäre Gewaltthat erſchien. Derſelbe Gentz, der vor neun Jahren vor der Anerkennung des napoleoniſchen Kaiſerthums gewarnt hatte, ſchrieb nun in ſchlotternder Angſt: geſtatte man den Franzoſen die Berufung eines anderen Herrſchers, ſo werde der Grundſatz anerkannt, den man in unſeren Zeiten ohne Zittern kaum ausſprechen kann, daß es von der Nation abhänge, ob ſie den wirklich regierenden Souverän toleriren will oder nicht. Dies Princip der Volksſouveränität iſt ganz eigentlich der Angel, um welchen alle re - volutionären Syſteme ſich drehen. Der Leidenſchaftliche fand jetzt kaum Worte genug, um ſeine Verehrung für die ſtabile Friedenspolitik des Hauſes Oeſterreich, ſeinen Renegatenhaß gegen das unruhige Preußen, ſeine Angſt vor Rußland auszuſprechen. Als die Exaltirten des ſchle - ſiſchen Hauptquartiers nachher den Zug gegen Paris durchſetzten, meinte er ingrimmig: dieſer Marſch ſei im Grunde wohl nicht weniger gegen uns als gegen den Kaiſer Napoleon gerichtet . Nur eine Hoffnung blieb ſeinem bekümmerten Herzen bei dem Vorwärtsſtürmen der ſchleſiſchen Jacobiner: daß der Imperator baldigſt Frieden ſchlöſſe. Jeden an - deren Ausweg wird die mächtige Partei, die uns halb ſchon zum Weichen gebracht hat, nicht blos als einen Sieg über Napoleon, ſondern als einen Sieg über uns feiern. Daß die Coalition, die nun ausgedient und mehr als ausgedient hat, zerfalle, macht mir wenig Kummer. Aber wie ſie endigen wird, kann uns nicht gleichgiltig ſein.

Einer ſolchen Geſinnung mußte freilich die franzöſiſche Hauptſtadt, die ſo dicht vor den Füßen des Eroberers lag, ganz uneinnehmbar erſcheinen. Metternichs Gewandtheit brachte bald faſt die ſämmtlichen Diplomaten des Hauptquartiers auf ſeine Seite. Alle engliſchen Staats - männer, Caſtlereagh, Stewart, Cathcart, Aberdeen bewunderten die weiſe Mäßigung des öſterreichiſchen Staatsmannes, wenn er, der bald nachher das Banner des Interventionsprincips erheben ſollte, jetzt dem Czaren beweglich vorhielt: die Ehrfurcht, die man allen rein nationalen Ange - legenheiten ſchulde, verbiete die Entthronung Napoleons. Aberdeen fand es gradezu unwürdig hinauszugehen über die Frankfurter Bedingungen, welche Napoleon doch ſelbſt verworfen hatte. Mehr und mehr befeſtigte ſich das engliſche Cabinet in dem Glauben, die Demüthigung Rußlands ſei die nächſte Aufgabe der britiſchen Politik. Metternich aber verſtand, den Verzicht auf Belgien, der in der Hofburg von Haus aus beſchloſſene Sache war, geſchickt ſo darzuſtellen, als ob Oeſterreich dem theueren eng - liſchen Freunde ein ſchweres Opfer brächte, und gewann ſich dadurch das volle Vertrauen der Briten. Wie hätten ſolche Köpfe vollends die Biedermannsmaske des guten Kaiſers Franz durchſchauen ſollen? Ganz536I. 5. Ende der Kriegszeit.hingeriſſen ſchrieb Caſtlereagh über dieſen reinen Charakter, der über aller Verſtellung hoch erhaben ſei. Auch Neſſelrode neigte ſich der Friedens - partei zu; Hardenberg klagte über Steins Intrigen und gab ſich der beſtrickenden Liebenswürdigkeit des öſterreichiſchen Staatsmannes mit einem argloſen Vertrauen hin, das auch durch die härteſten Enttäuſchungen nicht belehrt wurde. Die Coalition war nahe daran, bevor noch eine Schlacht auf franzöſiſchem Boden gewagt worden, den Frieden auf die Frankfurter Bedingungen hin abzuſchließen. Und dies unter den denkbar günſtigſten militäriſchen Ausſichten, während man nur acht Märſche von Paris entfernt ſtand!

Das Heer Schwarzenbergs zählte 190,000, das Blüchers 84,000 Mann eine erdrückende Uebermacht, obgleich die Heerhaufen von Genf bis zur Moſel verzettelt waren. Napoleon war zwar nicht mehr, wie er im November ſelbſt geſtanden, zu jedem kriegeriſchen Unternehmen unfähig, ſondern hatte, Dank dem Zaudern der Alliirten, eine neue Feldarmee gebildet, aber nur 70,000 Mann, meiſtentheils ungeſchulte muthloſe Rekruten, während die Truppen der Verbündeten aus krieggewohnten, ſiegesfrohen Soldaten beſtanden. Der Schimpf eines Friedensſchluſſes in ſolcher Lage wurde durch die Monarchen von Rußland und Preußen, mit Steins Hilfe, abgewendet. Alexander drohte den Feldzug nöthigen - falls allein fortzuführen, und da der König erklärte, daß er ſich von ſeinem Freunde nicht trennen werde, ſo gab Oeſterreich zur Hälfte nach und man einigte ſich über ein Compromiß: der Krieg ſollte fortgeſetzt, aber gleichzeitig eine große Friedensverhandlung in Chatillon eröffnet werden. Von der Abſetzung Napoleons, überhaupt von Frankreichs in - neren Verhältniſſen ſah man vorläufig ab. Auch über die Entſchädigungs - anſprüche der einzelnen Mächte ſollte erſt nach dem Kriege verhandelt werden; dies verlangte Alexander nicht blos weil er ſeine polniſchen Pläne nicht aufdecken wollte, ſondern auch weil die Coalition in der That ſchon auf zu ſchwachen Füßen ſtand als daß ſie die Erörterung ſo pein - licher Fragen jetzt noch hätte ertragen können.

Widerwillig nahm Metternich dieſe Beſchlüſſe an, widerwillig führte Schwarzenberg ſie aus. Blücher hatte am 28. Januar bei Brienne mit geringem Glücke ein Gefecht gegen Napoleon beſtanden; er brannte vor Be - gier, hier im Angeſichte des Schloſſes, wo der große Kriegsfürſt des Jahr - hunderts einſt auf der Schule geweſen, ſein Examen abzulegen: die Fran - zoſen ſollen doch ſehen, daß wir Deutſchen in der Kriegskunſt auch etwas gelernt haben! Auf die dringenden Vorſtellungen der preußiſchen Ge - nerale geſtattete der Oberfeldherr endlich, daß Blücher am 1. Februar, verſtärkt durch zwei Corps der großen Armee, von den Höhen von Trannes hinabſtieg und den Imperator in ſeiner weit ausgedehnten Aufſtellung bei La Rothière angriff. Schwarzenberg ſelbſt ſah mit zwei Dritteln der vereinigten Armeen der Schlacht unthätig zu. Aber ſchon jenes eine537Schlacht von La Rothière.Drittel war den 40,000 Mann, welche Napoleon zur Stelle hatte, weit - aus überlegen. Im Centrum drang Sacken mit ſeinen Ruſſen bei wildem Schneegeſtöber gegen La Rothière vor und behauptete ſich dort wider die kaiſerliche Garde. Dann ward auch der rechte Flügel der Franzoſen durch Wrede und den Kronprinzen von Württemberg geſchlagen, und obwohl der Unglücksmann Giulai wieder, wie einſt bei Leipzig, gegen die Linke des Feindes wenig ausgerichtet hatte, ſo war doch am Abend ein voll - ſtändiger Sieg erfochten. Ein großer Theil des franzöſiſchen Heeres floh in wüſter Verwirrung; wurde der Sieg von der Uebermacht der Ver - bündeten recht benutzt, ſo konnten die Geſchlagenen der Vernichtung nicht entgehen. Sacken ſchrieb triumphirend: An dieſem denkwürdigen Tage hört Napoleon auf ein gefährlicher Feind der menſchlichen Geſellſchaft zu ſein. Zum erſten male hatte der Marſchall Vorwärts in offener Feld - ſchlacht ſelbſtändig dem Imperator gegenüber geſtanden, zum erſten male ſeit Jahrhunderten war das ſtolze Frankreich auf ſeinem eigenen Boden in einer ernſten Schlacht beſiegt. Gewaltig war der Eindruck bei Freund und Feind. Napoleon ſelber gab für jetzt das Spiel verloren und bevoll - mächtigte ſeinen Unterhändler in Chatillon, Caulaincourt, um jeden Preis die Hauptſtadt zu retten und den Frieden abzuſchließen; freilich ſah er in einem ſolchen Vertrage, wie er ſeinem Bruder Joſeph ſchrieb, nur eine Capitulation und nahm ſich vor nach zwei Jahren den Krieg von Neuem zu beginnen.

Da bereitete die öſterreichiſche Politik dem Imperator nochmals die Rettung. Statt mit vereinten Kräften die Geſchlagenen nachdrücklich zu verfolgen, theilte Schwarzenberg ſein Heer angeblich, weil er die ge - waltigen Maſſen nicht zu verpflegen vermochte, in Wahrheit weil die Oeſterreicher ſich der ſchleſiſchen Stürmer und Dränger entledigen wollten. Während die große Armee an der Seine entlang marſchirte um den Hauptſtoß gegen den Feind zu führen, ſollte Blücher ſich nordweſtwärts an die Marne wenden und von da die linke Flanke Napoleons umgehen. Wohlgemuth zog der Alte ſeines Wegs über die kahle baumloſe Hochfläche der Cham - pagne, die im Norden von den rebenreichen weißen Kreidefelſen des Marne - thals, im Süden von den lieblichen Hügeln der Seine begrenzt wird. Der Wind pfiff ſchneidend über das offene Land, der Regen ſtrömte her - nieder; mühſelig wateten die Truppen durch jene berüchtigten Schlamm - wege der Champagne pouilleuse, die bei den älteren Offizieren noch vom Jahre 1792 in üblem Andenken ſtanden. Nachher trat hartes Froſt - wetter ein und zwang die Soldaten, die von den Bauern verlaſſenen Häuſer und Scheunen anzuzünden, wenn ſie ſich nur irgend wärmen wollten in dem holzarmen Lande. Ein Unſtern hatte die Armee grade in den häßlichſten Theil des ſchönen Frankreichs verſchlagen; die Preußen meinten, neben dieſen öden Flächen erſchiene die grüne Ebene der Mark wie ein Garten, ſie ſpotteten über die höhlenartigen, unwohnlichen Häuſer538I. 5. Ende der Kriegszeit.mit den gepflaſterten Stuben und den rauchenden Kaminen. Doch ihr Sinn blieb fröhlich; ſie wußten, daß der ſieggewohnte Alte ſie gradeswegs nach der Hauptſtadt führte, zum glücklichen Ende aller Leiden und Kämpfe.

Ein unbändiges Selbſtgefühl lebte in den tapferen Regimentern des York’ſchen Corps; war doch den Litthauer Dragonern in dieſem ganzen Kriege noch keine einzige Attake fehlgeſchlagen. Wer ſollte den Heurichs des alten Iſegrimm etwas anhaben? An dieſem Scherznamen, den die Wäl - ſchen nicht nachſprechen konnten, erkannten die York’ſchen einander im Dun - kel der Nacht. Soeben erſt war York mit ſeinen Reitern bei La Chauſſee in die Marſchkolonnen des Macdonald’ſchen Corps eingebrochen, und die Soldaten erzählten ſich noch lange, wie die Eiſenreiter der napoleoniſchen Küraſſier - und Carabiniersregimenter dem Angriffe der leichten branden - burgiſchen Huſaren nicht hatten widerſtehen können, wie dann die Litthauer und die Landwehrreiter den gefürchteten Weißmänteln, den polniſchen Lan - ciers, der beſten Reitertruppe Napoleons, die Standarte abgenommen hatten. Darauf hatte York ſeinen alten Vorgeſetzten Macdonald, den ein tückiſches Schickſal immer wieder dem verhaßten Untergebenen in die Hände jagte, zum Abzuge aus Chalons gezwungen und ſich wieder mit dem ſchleſiſchen Heere vereinigt.

Die einzelnen Corps der Armee zogen weit von einander getrennt weſtwärts. Gneiſenau hatte nichts gethan um die linke Flanke zu ſichern; war doch mit Schwarzenberg verabredet, daß Wittgenſteins Corps die Verbindung zwiſchen den beiden Armeen unterhalten, den weiten Raum zwiſchen dem rechten Seineufer und der Marſchlinie der Schleſier decken ſollte. Der Oberfeldherr aber hielt ſein Verſprechen nicht, ſondern wendete ſich nach langſamen Märſchen und wiederholter Raſt ſüdwärts auf das linke Seineufer, ſo daß zwiſchen ſeinem und Blüchers Heere eine weite Lücke offen blieb. Ein geheimer Befehl ſeines Monarchen zwang ihn zu dieſer verderblichen Bewegung, die dem Erfolge nach einem Verrathe gleich kam; der gute Kaiſer, deſſen kindliche Unſchuld die britiſchen Staatsmänner bewunderten, wollte verhindern, daß ein Sieg der vereinigten Armeen die ſchwebenden Friedensverhandlungen ſtöre.

Wie durch ein Wunder ſah ſich Napoleon von dem ſicheren Untergange gerettet. Er zog alle ſeine Streitkräfte ſogleich nach Sezanne heran, in der Mitte zwiſchen den beiden Heeren der Verbündeten, brach dann plötzlich gegen die linke Flanke der überraſchten ſchleſiſchen Armee vor und ſchlug ihre ver - einzelten Corps mit ſeiner geſammelten Uebermacht in einer Reihe glänzen - der Gefechte während der fünf Tage vom 10. bis 14. Februar. Zuerſt zer - ſprengte er Olſuwieffs ſchwache Diviſion bei Champaubert und drängte ſich alſo mitten in die Kolonnen des ſchleſiſchen Heeres hinein. Folgenden Tags entging Sackens Corps bei Montmirail dem Untergange nur durch Yorks heroiſche Aufopferung; die verwegenen Litthauer lernten hier zum erſten male den Unbeſtand des Kriegsglücks kennen. Am 12. zogen ſich die Tags539Unfälle des ſchleſiſchen Heeres.zuvor geſchlagenen Generale bei Chateau-Thierry nach hitzigem Gefechte auf das rechte Ufer der Marne zurück. Am 13. hielt Napoleon ſeinen triumphi - renden Einzug in die eroberte Stadt um ſchon am 14. bei Etoges und Vau - champs dem letzten noch unberührten Corps der ſchleſiſchen Armee, das der Feldmarſchall ſelber, noch ohne nähere Kenntniß von den Unfällen der letzten Tage, heranführte, einen unerwarteten blutigen Empfang zu bereiten. Auch diesmal war das Glück den Franzoſen günſtig. Während des Ge - fechtes kam ein furchtbarer Augenblick, der leicht dem ganzen Kriege ein ſchmähliches Ende bereiten konnte. Blücher, Gneiſenau, Prinz Auguſt, Kleiſt, Grolmann, faſt alle die beſten Männer des deutſchen Heeres hielten eingepreßt in einem Viereck preußiſchen Fußvolks, von überlegenen feind - lichen Reiterſchaaren rings umſchwärmt. Blücher ſelbſt ſuchte den Tod, lebendig ſollte ihn der Feind nicht fangen. Grolmann aber ſprach mit mächtiger Stimme zu den Truppen, die ſichere Ruhe der majeſtätiſchen Heldengeſtalt flößte den Verzweifelnden neuen Muth ein, mit dem Bajo - nette griffen ſie die Reiter an und bahnten den Generalen den Weg bis zu dem nahen ſchützenden Walde. Unerſchütterlich wie nur je in den Zeiten des Glücks hatten die Regimenter während dieſer Tage der Prü - fung Stand gehalten. Selbſt jener ſtumme hagere Engländer, der immer mit demſelben langweiligen, ſteifen Geſichte, mit dem Stocke die Luft durchfuchtelnd, neben Gneiſenau einherzutraben pflegte, ſelbſt Hudſon Lowe fand kaum Worte genug um den Löwenmuth dieſer abgeriſſenen, halbverhungerten Helden zu preiſen. Aber wie ruhmvoll immer das beſte Heer der Verbündeten war geſchlagen, hatte 15,000 Mann und an fünfzig Kanonen verloren, nicht ohne die Schuld ſeiner Führer, die doch die Zuverläſſigkeit der öſterreichiſchen Bundesgenoſſen kennen mußten.

Noch einmal erhob ſich ſtrahlend das Geſtirn des Kaiſerreichs. Napo - leon hatte mit ſeinen 30,000 Mann einen faſt zweifach ſo ſtarken Feind angegriffen und war doch überall auf dem Schlachtfelde mit Uebermacht erſchienen. Wieder wie in den Auſterlitzer Zeiten wurden lange Züge von Gefangenen unter den Klängen der Feldmuſik, den Pariſern zur Augenweide, an der Vendomeſäule vorübergeführt. Wieder wie damals jubelten die Truppen, wenn die prächtigen ſtahlblauen Ordonnanzoffiziere des Kaiſers auf den reichgeſchirrten Roſſen mit den Tigerſchabracken heran - ſprengten um einen Befehl des Unüberwindlichen zu überbringen. Selbſt die ſchwächſte Waffe der Franzoſen, die Reiterei, konnte wieder von Siegen erzählen, da Schwarzenberg von ſeinen gewaltigen Reitermaſſen der ſchleſi - ſchen Armee nichts abgetreten hatte. Was Wunder, daß das Selbſtver - trauen im Heere wie im Volke mächtig anwuchs. Die ermüdeten Maſſen hatten anfangs mit ſcheuem Staunen zugeſchaut, wie die langen Züge hochgewachſener blonder Männer ins Land hereinſtrömten, da und dort ſogar ihre Freude kundgegeben, wenn die Eroberer die drückenden Steuern des Kaiſerreichs beſeitigten. Indeß der ehrenhafte patriotiſche Stolz der540I. 5. Ende der Kriegszeit.Franzoſen zeigte ſich ſtärker als der Parteihaß. Nirgends fanden die Fremden zuverläſſige Wegweiſer und Spione, überall mußten die Reiter fürchten, daß der Hufſchmied ihnen die Roſſe vernagelte; die Frauen be - wahrten durchweg eine würdige Zurückhaltung, zeigten gar nichts von der gutmüthigen Schwäche der Deutſchen. Als der Krieg ſich in die Länge zog, ſchwoll den Bauern der Kamm; nach den erſten Siegesnachrichten folgten ſie dem Rufe ihres Kaiſers, der alle erwachſenen Franzoſen zum Kampfe aufbot, und ſchaarten ſich zuſammen gegen den étranger. Aller - dings beſchränkte ſich dieſer kleine Krieg auf die unmittelbare Nachbarſchaft der verödeten Dörfer. Napoleon ſelber wußte wohl, daß ſein centraliſirter Beamtenſtaat für einen Volksaufſtand großen Stiles keinen Raum bot; eine levée en masse, ſagte er oft, iſt eine Chimäre in dieſem Lande, wo Adel und Geiſtlichkeit durch die Revolution und die Revolution durch mich zerſtört worden iſt. Immerhin ward der Kampf mit dem auf - ſäſſigen Landvolke den Eroberern ſehr beſchwerlich; beide Theile verwil - derten in der ruheloſen Fehde.

In dem Charakter der Franzoſen zeigte ſich ſeit jenen Tagen ein Zug rauhen Fremdenhaſſes, den ſie in den Jahrhunderten ihrer über - müthigen Selbſtgewißheit nie gekannt hatten, und dieſer Haß traf am ſchärfſten die Preußen. Napoleon pflegte in ſeinen Briefen von Preußen gar nicht mehr zu ſprechen; ſein Stolz ſträubte ſich gegen das Einge - ſtändniß, daß Frankreich ſeine ſchwerſten Schläge durch das Schwert dieſes mißachteten kleinen Staates erlitten hatte. Und doch wußte er ſo gut wie ſein Volk, wer ſein furchtbarſter Gegner war. Dem Pariſer Witze waren die Prussiens: les plus chiens, noch gräulicher als les Rustres und les autres chiens. Die Siege der Ruſſen, der Briten, der Oeſter - reicher nahm man hin als Unglücksfälle, die der Preußen erſchienen wie ein Unrecht, eine unverſchämte Ueberhebung. Es konnte nicht fehlen, daß ſolche Geſinnungen auf die Stimmung des preußiſchen Heeres zurück - wirkten. Jene Gutmüthigkeit, die der deutſche Soldat im vergangenen Jahre trotz ſeiner Erbitterung bewahrt hatte, verlor ſich mehr und mehr. Die durch Schwarzenbergs Schlaffheit verſchuldete Verlängerung des Krieges erſchütterte den ſittlichen Ernſt der Truppen; namentlich die Landwehr war oft ſchwer in Zucht zu halten. Das Plündern wurde faſt zur Noth - wendigkeit, da die Dörfer alleſammt leer ſtanden und die räuberiſchen Ruſſen den preußiſchen Kameraden wenig übrig ließen. In tiefſter Seele empört hielt York einmal ſeinen Tapferen ihre Zügelloſigkeit vor und zeigte ihnen das Suum cuique auf ſeinem Ordensſterne. Napoleon ließ im Volke ungeheuerliche Märchen von den Greueln der kinderfreſſenden Fremdlinge verbreiten; er betrachtete die zunehmende Verwilderung des Krieges mit cyniſchem Behagen: um ſo beſſer, rief er aus, dann greift der Bauer zur Flinte! Das Aergſte freilich, was preußiſche Soldaten während dieſer letzten wilden Wochen des Krieges verübten, reichte nicht541Blüchers Marſch an die Seine.von fern an die Unthaten der Franzoſen in Deutſchland heran; und während die napoleoniſchen Marſchälle ihrer Mannſchaft mit ſchmählichem Beiſpiele vorangingen, thaten die preußiſchen Offiziere und Freiwilligen das Menſchenmögliche um die Roheit der Maſſe zu bändigen. Kein ein - ziger deutſcher General, der nicht mit reinen Händen aus dem reichen Frankreich zurückkehrte.

Genug, bei der erſten Gunſt des Kriegsglücks flammte der alte Na - tionalhaß wieder auf und die Friedenswünſche verflogen. Mit vollem Rechte fühlte Napoleon ſich ſeines Thrones ſicher. Von innen heraus drohte ihm keine Gefahr. Der Name der Bourbonen war überall ver - ſchollen, bis auf einige royaliſtiſche Gegenden des Südens und Weſtens; was über die Tage des Baſtillenſturmes hinauslag lebte nicht mehr im Gedächtniß dieſes durch und durch modernen Volkes. Kam ja einmal die Rede auf das alte Königshaus, ſo dachte der Bauer grollend an den Druck der Zehnten und Frohnden. Bernadotte galt allgemein als ein elender Landesverräther, und wer ſonſt ſollte noch die Erbſchaft des Im - perators antreten? Wenn Napoleon die geſchlagene ſchleſiſche Armee un - aufhaltſam verfolgte, ſo ſtand außer Zweifel, daß die große Armee den Rückzug zum Rheine antrat, und dann war ein glorreicher Friedensſchluß dem Kaiſerreiche ſicher. Aber wie Schwarzenberg aus Furchtſamkeit die Früchte des Sieges von La Rothiere zu pflücken verſäumt hatte, ſo unter - ließ jetzt Napoleon aus Uebermuth die Ausbeutung ſeiner Erfolge. Die ſchleſiſche Armee beſteht nicht mehr rief er frohlockend; er meinte wieder näher an München als an Paris zu ſein und vermaß ſich bald nochmals die Weichſel zu erreichen. Von der ſittlichen Widerſtandskraft, die in Blüchers Hauptquartiere lebte, ahnte er noch immer nichts. Statt dieſe gefährlichſten Feinde bis zur Vernichtung zu bedrängen, warf er ſein Heer plötzlich ſüdwärts an die Seine, ſchlug einige vereinzelte Corps der großen Armee, zwang den Kronprinzen von Württemberg die ſteilen Ab - hänge des Seinethals bei Montereau zu verlaſſen und bewirkte in der That, daß der erſchreckte Schwarzenberg mit ſeinem ungeheuren Heere an der Seine aufwärts zurückwich und an Blücher dringende Bitten um Hilfe ſendete.

Der Alte aber und ſein genialer Freund zeigten ſich nie größer als in dieſen Tagen der Noth. Freimüthig geſtanden ſie die begangenen Fehler ein und verſprachen Alles wieder gut zu machen; ſie wollten ver - geſſen, daß Schwarzenberg durch ſeinen Marſch über die Seine den An - griff Napoleons auf die Schleſier verſchuldet und ihnen auch nachher, als zwei Tage lang der Kanonendonner von Champaubert und Mont - mirail zu der großen Armee hinüberklang, jeden Beiſtand verweigert hatte. Sie dachten nur an den Sieg. Vier Tage nach dem Gefechte von Etoges ſtand ihr Heer wieder in guter Ordnung, begierig die Scharte auszuwetzen. In Eilmärſchen ging es nun gen Süden, und ſchon am 21. Februar542I. 5. Ende der Kriegszeit.vereinigte ſich Blücher bei Mery an der Seine wieder mit der großen Armee. Seine Soldaten erwarteten mit Zuverſicht einen Tag wie den von Leipzig, eine Hauptſchlacht, die mit einem Schlage den Krieg beenden mußte: ſtand man doch mit faſt dreifacher Uebermacht dicht am Feinde, 150,000 Mann gegen 60,000.

Mittlerweile hatte die Diplomatie in Chatillon ihre Friedensverhand - lungen eröffnet. Nur die Großmächte waren dort vertreten, denn mit dem Untergange des Weltreiches kehrte die ariſtokratiſche Verfaſſung, welche König Friedrich der Staatengeſellſchaft gegeben, ſofort zurück. Die Ueber - macht der europäiſchen Pentarchie ward täglich fühlbarer, die Staaten zweiten und dritten Ranges bedeuteten weniger denn je, und es war Hardenbergs Stolz, daß er ſeinen Staat wieder in die Reihe jener leitenden Mächte eingeführt hatte. Die Verbündeten verlangten die Grenzen von 1792, einige Berichtigungen vorbehalten, und ſtellten zu - gleich die Bedingung, daß die Mächte der Coalition allein, ohne Zu - ziehung Frankreichs, über die Vertheilung der von Napoleon und ſeinen Bundesgenoſſen abgetretenen Gebiete entſcheiden ſollten. Auf dieſem Satze beſtanden Preußen und Rußland entſchieden; hart und demüthigend wie er für Frankreich war legte er dem Beſiegten doch nur eine Beſchämung auf, die von der tief empörten öffentlichen Meinung in Deutſchland und England ſtürmiſch gefordert wurde. Hardenberg wünſchte ſogar Frankreich gänzlich auszuſchließen von dem allgemeinen Congreſſe, der nach Abſchluß des Friedens zur endgiltigen Feſtſtellung der neuen Verhältniſſe Europas berufen werden ſollte. Er täuſchte ſich nicht über den tödlichen Haß, den die Franzoſen ihrem kühnſten Feinde bewahrten, und ſah voraus, daß Frankreich im Vereine mit ſeinen alten Bundesgenoſſen auf dem Con - greſſe ein hochgefährliches Ränkeſpiel anzetteln würde. Auf eine ſo tiefe Demüthigung des Gegners wollte jedoch Metternich nicht eingehen, und nur nach lebhaftem Widerſtreben ſchloß er ſich mindeſtens der Forderung an, daß die Vertheilung der Eroberungen den Alliirten ausſchließlich zu - ſtehen ſolle. Caulaincourt trat anfangs ſehr verſöhnlich auf, ſo lange der Schrecken von La Rothiere noch nachwirkte. Einige Tage lang ſchien Alles im beſten Gange.

Gleich beim Beginne des Congreſſes von Chatillon benutzte England die Geldverlegenheit ſeiner Bundesgenoſſen um einen Meiſterſtreich ſeiner Handelspolitik zu vollführen. War irgend einer von Napoleons Plänen berechtigt geweſen, ſo doch ſicherlich ſein Kampf für die Freiheit der Meere. Jenes Gleichgewicht der Mächte, wornach die ermüdete Welt ver - langte, war nicht geſichert, ſo lange ein einziger Staat auf allen Meeren nach Willkür und Laune ſchaltete und der Seekrieg, zur Schande der Menſchheit, noch den Charakter des privilegirten Raubes trug. Preußen und Rußland hatten ſeit dem Bunde der bewaffneten Neutralität alle - zeit die Grundſätze eines menſchlichen, dem Handel der Neutralen unbe -543Congreß von Chatillon.ſchwerlichen Seerechtes vertreten; ſie hofften jetzt dieſe Gedanken Friedrichs und Katharinas durch einen Beſchluß des geſammten Europas anerkannt zu ſehen. England aber fühlte ſich dadurch in den Grundfeſten ſeiner Macht bedroht. Lord Cathcart erklärte rund heraus: hätten wir je die Grundſätze der bewaffneten Neutralität anerkannt, ſo wäre der franzöſiſche Handel nicht zerſtört worden und Napoleon regierte noch heute über die Welt; niemals wird Großbritannien auf den Meeren ein anderes Geſetz an - erkennen als die allgemeinen Regeln des Völkerrechts . Wie die Dinge ſtanden, lagen andere Fragen für jetzt den drei Feſtlandsmächten ungleich näher; zudem bedurften ſie alleſammt neuer Geldmittel für den Krieg, und der reiche Alliirte war bereit abermals 5 Mill. Pfd. St. Subſidien zu zahlen. Daher ſetzte England ſchon in der erſten Sitzung, am 5. Fe - bruar, durch, daß über die Angelegenheiten des Seerechts nicht verhandelt werden dürfe. Caulaincourt widerſprach nicht; auch er hatte dringendere Sorgen. So iſt es geſchehen, daß der faulſte Fleck des modernen Völ - kerrechts während der langen Friedensverhandlungen zu Chatillon, Paris und Wien gar nicht berührt wurde. Die öffentliche Meinung, blind be - geiſtert wie ſie war für das glorreiche Albion, fand an Alledem kein Arg.

Einmal im Zuge ſuchte Lord Caſtlereagh ſogleich noch einen zweiten Lieblingsgedanken der britiſchen Politik zu verwirklichen und den Nieder - landen eine genügende Abrundung zu ſichern. Niemand widerſprach, ob - gleich man doch ſoeben erſt beſchloſſen hatte alle Entſchädigungsforderungen bis zum Friedensſchluſſe zu vertagen; denn Niemand mochte es mit der großen Geldmacht verderben, und über die europäiſche Nothwendigkeit des niederländiſchen Geſammtſtaates waren Alle einig. Am 15. Februar kam im Hauptquartiere zu Troyes ein Vertragsentwurf zu Stande, wonach die alte holländiſche Republik unter die erbliche Herrſchaft des Hauſes Oranien geſtellt und durch Belgien ſowie durch ein Stück des deutſchen Rheinufers mit Köln und Aachen vergrößert werden ſollte. Auch Harden - berg ſtimmte im Weſentlichen zu und machte nur einen Vorbehalt zu Gunſten der deutſchen Nordweſtgrenze; ganz ſo tief in rein deutſches Land wollte er die Holländer doch nicht hinübergreifen laſſen. *)Hardenbergs Tagebuch 15. Februar 1814. Caſtlereaghs Denkſchrift über die Niederlande, 28. Jan. 1815.

Unterdeſſen waren die erſten Nachrichten von Blüchers Unglücksfällen im großen Hauptquartiere angelangt. Es fehlte nicht an ſpöttiſchen Be - merkungen: ſo hatte ſich der Vorwitz der kleinen Köpfe des ſchleſiſchen Heeres doch beſtraft; warum wollten ſie auch klüger ſein als die Weis - heit der Duca und Langenau? Stärker als die Schadenfreude war doch der Schrecken. In höchſter Angſt verlangte Metternich die ſchleunige Be - endigung des unglückſeligen Krieges; es kam ſo weit, daß Oeſterreich geradezu drohte ſich von der Coalition loszuſagen. **)Hardenbergs Tagebuch 14. Februar 1814.Und im ſelben544I. 5. Ende der Kriegszeit.Maße wuchs Napoleons Starrſinn. Alsbald nach ſeinem erſten Erfolge nahm er die an Caulaincourt ertheilte Vollmacht zurück und befahl dem Geſandten, auf keine Forderung der Alliirten einzugehen. Mit meinen Gefangenen, meinte er trotzig, pflege ich nicht zu unterhandeln. Die Coa - lition ſchien der Auflöſung nahe. Die hochmüthige Gönnermiene, welche der Czar zur Schau trug, verletzte den öſterreichiſchen Stolz. Auch Har - denberg gerieth in Unruhe, als er erfuhr, wie die Ruſſen ſich in Danzig häuslich einrichteten und ihre preußiſchen Waffengefährten kaum in die Stadt einlaſſen wollten. Nur ein großer Waffenerfolg konnte die ver - ſtimmten Gemüther verſöhnen. Schwarzenberg aber war auch jetzt, nach der Wiedervereinigung mit Blücher, nicht gewillt ſeine offenbare Ueber - macht zu brauchen; er gab den Gedanken einer Entſcheidungsſchlacht wieder auf und befahl, ſicherlich auf das Andringen der öſterreichiſchen Diplo - maten, den Rückzug nach dem unglückſeligen Plateau von Langres. Hefti - ger denn je geriethen die beiden Parteien aneinander. Der König ſagte nach ſeiner ehrlichen Art dem Oberfeldherrn die härteſten Wahrheiten ins Geſicht, der Czar ſtritt ſich lebhaft mit den Lords Aberdeen und Caſt - lereagh.

Da kam Rettung durch die ſchleſiſchen Helden. Oberſt Grolmann ſtellte ſeinem Feldmarſchall vor: angeſchmiedet an den k. k. Kriegsrath gelange man doch nimmermehr ans Ziel; wie nun, wenn die ſchleſiſche Armee ſich abermals von dem Hauptheere trennte, nochmals nordwärts an die Marne marſchirte, dort die Corps von Bülow und Wintzingerode, die aus Belgien heranrückten, an ſich zöge und alſo verſtärkt gradeswegs gegen Paris vorginge? Es war als ob Scharnhorſt ſelber durch den Mund ſeines feurigen Schülers redete; ſo einfach, groß und kühn erſchien der Plan. Blücher griff mit Freuden den glücklichen Gedanken auf, ſchrieb ſofort an den König und den Czaren, bat ſie um Genehmigung des Unternehmens. Am 25. Februar wurde zu Bar ein großer Kriegs - rath gehalten und nach heftigem Streite der Antrag Blüchers angenom - men. Jenes ſonderbare Verhältniß, das im letzten Sommer nur that - ſächlich beſtanden hatte, erhielt jetzt die amtliche Anerkennung: das kleine ſchleſiſche Heer übernahm den Hauptſtoß zu führen, die große Armee ver - hielt ſich abwartend! Der Ausgang des Feldzugs, ſchrieb Friedrich Wil - helm ſeinem Feldmarſchall, liegt von nun an zunächſt in Ihrer Hand.

Während Blücher ſeelenfroh, ohne erſt die Erlaubniß der Monarchen abzuwarten ſeinen zweiten Marſch gegen Paris antrat, wiederholte ſich im großen Hauptquartiere tagaus tagein das alte Spiel. Die Erbitte - rung und das Mißtrauen Oeſterreichs ſind auf dem Gipfel klagte der Staatskanzler. *)Hardenbergs Tagebuch, 27. Februar 1814.Unaufhörlich ließ der Imperator die Oeſterreicher durch geheime Zuſchriften bearbeiten, und Kaiſer Franz ging auf dieſe545Blüchers zweiter Marſch auf Paris.vertragswidrigen Sonderverhandlungen mit verdächtigem Eifer ein. Wollt Ihr noch immer, ſo fragte Berthier den Oberfeldherrn der Alliirten, Euer reinſtes Blut vergießen um die übel berechnete Rachſucht Rußlands und die ſelbſtſüchtige Politik Englands zu befriedigen? Die Angſt vor der Uebermacht des Czaren laſtete ſchwer und ſchwerer auf dem Wiener Ca - binette. Das Gleichgewicht in Oſteuropa zu ſichern dies bezeichnete Gentz in ſeinen Briefen an Karadja als die Hauptaufgabe der nächſten Zukunft; ein Friede, der den Franzoſen das linke Rheinufer überlaſſe, ſei immer noch weniger traurig als der Sturz Napoleons. Und was anders als die Entthronung des Schwiegerſohnes konnte die Folge ſein wenn der Zug der Schleſier gelang? Die Unmöglichkeit mit dieſem Manne einen ehrlichen Frieden zu ſchließen ließ ſich ſeit den Erfahrungen von Chatillon nicht mehr verkennen. Der Menſch muß herunter! darüber war nur eine Stimme in der preußiſchen Armee. Und ſchon traten ſeine glücklichen Erben auf den Schauplatz; der Graf von Artois erſchien in Frankreich, im Rücken der verbündeten Heere und fand an Stein einen warmen Fürſprecher. Der deutſche Staatsmann wußte wohl, welch ein Wagniß es ſei ein Herrſcherhaus, das einer längſt verſunkenen Zeit an - gehörte, zurückzuführen. Der Czar haßte die ſteife Hoffart der Bour - bonen, der König liebte ſie nicht; unter den verbündeten Monarchen zeigte allein der welfiſche Prinzregent, als unbedingter Anhänger des göttlichen Königsrechts, lebhaften Eifer für die alte Dynaſtie. Gleichwohl gewann ihre Sache täglich an Boden, denn Niemand wußte einen anderen Nachfolger für Napoleon vorzuſchlagen.

Um ſo ängſtlicher ging Oeſterreich der Entſcheidung aus dem Wege. Hatte man den Zug Blüchers leider nicht verhindern können, ſo durfte mindeſtens Schwarzenberg nichts Entſcheidendes wagen. Seine Truppen fühlten ſich ſchon ganz niedergeſchlagen von dem ewigen Rückzuge und den zielloſen Hin - und Hermärſchen. In der zweiten Hälfte des Decem - bers waren die Spitzen der großen Armee in Frankreich eingerückt, und jetzt, nach mehr als zwei Monaten, hatten dieſe gewaltigen Maſſen noch keine einzige Schlacht geſchlagen. Wie ein Nebelbild ſchien die nahe Hauptſtadt vor den Augen der Entmuthigten zu verſchwinden. Da ſeht Ihr was der Schrecken iſt ſagte Napoleon befriedigt zu ſeiner Garde. Auch als am 27. Februar das Corps Oudinots, eine lächerliche Minder - zahl, bei Bar auf den Höhen über der Aube erſchien, vermied Schwarzen - berg abermals die Schlacht, räumte Bar, ließ die Feinde ſich gemächlich in der Stadt und im Thale der Aube ausbreiten. Da verlor endlich König Friedrich Wilhelm die Geduld, überwand ſeine Schüchternheit und zeigte wieder wie bei Kulm ſein geſundes militäriſches Urtheil. Er zwang den Oberfeldherrn den Angriff zu befehlen. Mit lautem Jubel vernahmen die Soldaten die heißerſehnte Kunde. Obwohl der Oeſter - reicher allzuſpät und nur mit einem Theile ſeines Heeres das TreffenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 35546I. 5. Ende der Kriegszeit.begann, ſo wurde doch ein ſchöner Sieg erfochten. Es war ein froher Tag für das königliche Haus, denn heute ritt Friedrich Wilhelms zweiter Sohn, Prinz Wilhelm an der Seite des Vaters zum erſten male in die Schlacht. Die Offiziere lächelten zufrieden, als der ſchöne ſiebzehnjährige Jüngling im furchtbaren Kugelregen ganz unbefangen ſeinen Adjutanten - dienſt verſah und nachher mit dem altberühmten ruſſiſchen Regimente Kaluga den beherrſchenden Hügel von Malepin hinaufſtürmte. Sie meinten, aus dem könne noch einmal ein anderer Prinz Heinrich werden; Unehrerbietige ſtellten auch ſchon Vergleichungen an zwiſchen dieſem friſchen Heldenſinne und der äſthetiſchen, ganz unſoldatiſchen Natur des geiſtreichen Kronprinzen.

Der Sieg wurde, nach der Gewohnheit des großen Hauptquartiers, nicht verfolgt; immerhin ſtellte er den Einmuth in der Coalition noth - dürftig wieder her. Wie einſt der Teplitzer Vertrag auf die Kulmer Schlacht, ſo folgte auf die Schlacht von Bar der Vertrag von Chaumont. Am 1. März wurde die große Allianz feierlich auf zwanzig Jahre er - neuert. Spanien, Italien, die Schweiz und die verſtärkten Niederlande ſollten beim Friedensſchluſſe ihre volle Unabhängigkeit erlangen, die deut - ſchen ſouveränen Fürſten vereinigt werden durch eine foederative Verbin - dung welche die Unabhängigkeit Deutſchlands ſichert und verbürgt .

Indeſſen erreichte Blücher das Marnethal; aber da Napoleon, die Gefährdung der Hauptſtadt raſch erkennend, ihm folgte, ſo wichen die Schleſier in Eilmärſchen gen Norden aus und trafen bei Soiſſons mit Bülows Heer zuſammen. Der Eroberer von Holland entſetzte ſich, als er neben ſeinen vollzähligen, in den behäbigen flandriſchen Winterquar - tieren wohl genährten Schaaren die ſchwachen Bataillone Yorks, dies ſchmutzige, verwilderte und verwahrloſte Kriegsvolk erblickte. Unwillkür - lich gedachten die Generale an jene Tage vor der Zorndorfer Schlacht, da König Friedrich ſeine biſſigen Grasteufel mit Dohnas friſchen Truppen vereinigte. Und welche Ausſichten für die Zukunft! Das preußiſche Heer hatte das Größte gethan und das Schwerſte gelitten, die Blüthe der nord - deutſchen Jugend lag auf den Schlachtfeldern. Selbſt Gneiſenau verlor, wenn er die gelichteten Schaaren muſterte, zuweilen ſeinen königlichen Frohmuth und fragte beſorgt, wie dieſer Staat mit erſchöpftem Haushalt und geſchwächter Kriegsmacht den ſchweren Kampf um die Theilung der Beute beſtehen ſolle. Doch die Stunde drängte. Napoleon hatte die Ruſſen bei Craonne, allerdings unter furchtbaren Verluſten, zum Rück - zuge genöthigt und ſchritt am nebligen Morgen des 9. März durch die ſumpfigen Niederungen der Lette zum Angriff vor gegen die Felſenſtadt Laon, den Stützpunkt des Blücher’ſchen Heeres. Der Schlachttag verlief ohne Entſcheidung. Am ſpäten Abend erſt warfen ſich York und Kleiſt auf Marmonts Corps, den rechten Flügel des Feindes, und hier, bei Athis, entſpann ſich jenes ſchaurige Nachtgefecht, das den Preußen nach547Schlacht von Laon.ſo vielen Mißerfolgen wieder die erſte Siegesfreude ſchenkte. Zuerſt führte Prinz Wilhelm ſeine oſtpreußiſchen Bataillone im Sturmſchritt, bei rauſchender Feldmuſik, Alles niederſchmetternd durch das Dorf und dar - über hinaus; dann räumten die Litthauer, Sohrs brandenburgiſche Huſaren und die ſchwarzen Reiter mit den Todtenköpfen unter den er - ſchreckten Feinden auf. Das ganze Corps ward zerſprengt, ließ fünfund - vierzig Geſchütze in den Händen der Sieger. York aber hatte in der wilden Hetzjagd dieſer Tage einen Freund gefunden; das Herz ward ihm doch warm, wenn er den Mann von Nollendorf ſo neben ſich ſchalten ſah, immer klar, ſicher, ganz bei der Sache. Noch eine Weile, und die Heurichs erzählten ſich verwundert, der harte Alte habe nach altem ger - maniſchen Kriegerbrauche mit ſeinem Kameraden Kleiſt Brüderſchaft getrun - ken. Am nächſten Morgen ſchien das Schickſal des Imperators entſchie - den. Keine Möglichkeit, nach der völligen Auflöſung des rechten Flügels noch dem nunmehr dreifach überlegenen Heere der Verbündeten zu wider - ſtehen; und dazu wieder wie bei Leipzig nur eine einzige Rückzugsſtraße, durch das Sumpfland der Lette! Allem Anſchein nach mußte dies alte Felſenneſt, das vor neunhundert Jahren der einzige Beſitz und die letzte Zuflucht des jungen franzöſiſchen Königthums geweſen, nun den Unter - gang des neuen Kaiſerthums ſehen.

Jetzt aber zeigte ſich, was Blüchers Flammenblick, was ſein gebieteri - ſcher Wille dem deutſchen Heere war. Der Feldmarſchall war erkrankt, er - ſchöpft an Leib und Seele von den furchtbaren Aufregungen dieſer Wochen, und ſeit er nicht mehr befahl, erfüllten Haß und Streit das Hauptquar - tier. Jene Ueberfülle von ſchroffen, ſtarken Charakteren, worin die Stärke des preußiſchen Heeres lag, wurde nun gefährlich. Weder York noch Kleiſt noch Bülow wollte ſich dem Phantaſten Gneiſenau unterordnen. Der alte Groll brach wieder aus; es kam ſo weit, daß York die Armee zu verlaſſen drohte. Gneiſenau aber verlor zum erſten male in ſeiner Feldherrnlaufbahn die Spannkraft des Entſchluſſes, mochte nach ſo vielen Opfern die Verantwortung für einen neuen blutigen Kampf nicht über - nehmen. Es war die patriotiſche Sorge um Preußens Zukunft, was dieſen einzigen großen Mißgriff ſeines Feldherrnlebens verſchuldete. Durfte man jetzt, da Napoleons Sturz doch in ſicherer Ausſicht ſtand, die Trup - pen abermals ſchwächen und alſo dem Hauſe Oeſterreich die Freude be - reiten, daß Preußen beim Friedensſchluſſe kein Heer mehr beſaß, wie dies Radetzky ſchon in Frankfurt freundnachbarlich gewünſcht hatte? Boyen vornehmlich hob dieſe politiſchen Bedenken mit Nachdruck hervor und überzeugte ſeinen feurigen Freund. Noch einmal rettete den Impe - rator eine wunderbare Gunſt des Glückes. Unverfolgt durfte er abziehen und alsbald wendete er ſich, den Vortheil der inneren Operationslinie geſchickt benutzend, wieder gegen die große Armee. Schwarzenberg war nach dem Siege von Bar, ſtatt gradezu auf Paris loszugehen oder den35*548I. 5. Ende der Kriegszeit.Imperator im Rücken zu bedrohen, wieder nach Süden ausgewichen. Weitab von der offenen Siegesſtraße, bis nach Sens im freundlichen Thale der Yonne, ſtanden ſeine Heerſäulen zerſtreut. Die Preußen grollten: ob es denn wider die Natur eines öſterreichiſchen Generals ſei, ſein Ziel auf dem kürzeſten Wege zu erreichen? Nachher drängte der Zauderer ein ſchwaches franzöſiſches Corps von der Seine zurück und getraute ſich wieder eine kleine Strecke nordwärts, bis zur Aube vorzugehen. Das Elend dieſes jämmerlichen Feldzugs wollte kein Ende nehmen.

Da wendete ſich plötzlich die Politik des Wiener Hofes. Hatten vor ſechs Wochen die Unglücksfälle der ſchleſiſchen Armee den Gang des Con - greſſes von Chatillon durchkreuzt, ſo wirkte jetzt umgekehrt der Abbruch der diplomatiſchen Verhandlungen ſtärkend und anfeuernd auf die Führung des Krieges zurück. Vergeblich warteten die Bevollmächtigten der Alliirten ſeit dem 17. Februar auf die Beantwortung ihres Ultimatums, vergeblich ſuchte Kaiſer Franz noch am 10. März durch einen mahnenden Brief den Starr - ſinn ſeines Schwiegerſohnes zu brechen. Erſt am 15. März gab Caulaincourt eine beſtimmte Erwiderung, und ſie lautete in weſentlichen Punkten ab - lehnend, ja ſie war für Oeſterreich noch weniger annehmbar als für die anderen Mächte; denn während Napoleon die Abtretung der Rheinlande endlich zugeſtand, die Auflöſung des Rheinbundes zugab und nur Berg und Sachſen ihren bisherigen Souveränen ſichern wollte, behielt er an - dererſeits den italieniſchen Königsthron ſeinem Stiefſohne Eugen vor. So ſtieß der Verblendete wie mit Abſicht die einzige der verbündeten Mächte, die ihm aufrichtig wohl wollte, zurück, und mit gutem Grunde ſagte Gneiſenau: Napoleon hat uns beſſere Dienſte geleiſtet als das ganze Heer der Diplomatiker. Metternich mußte endlich erkennen, daß dem Unſeligen nicht mehr zu helfen, daß der Untergang des Kaiſerreichs un - vermeidlich war. Am 19. März erklärten die Verbündeten den Congreß für beendigt, und ſofort offenbarte ſich der Umſchwung der öſterreichiſchen Politik in der gehobenen Stimmung des Hauptquartiers. Mit ungewohnter Entſchloſſenheit zeigte ſich Schwarzenberg am 20. März bei Arcis an der Aube bereit eine Schlacht gegen den Imperator zu wagen. Die Ausführung des glücklichen Gedankens war freilich ſchlaff wie immer; nur die Truppen Wredes gelangten ins Gefecht. Immerhin wurde Na - poleon genöthigt, am nächſten Tage nach ſchweren Verluſten das Schlacht - feld zu verlaſſen, und was das Beſte war, die große Armee fing doch wieder an ſich zu regen.

Der Geſchlagene faßte nun einen tolldreiſten, auf den Charakter des Gegners berechneten Entſchluß; er umging in weitem Bogen den rechten Flügel der Sieger und zog oſtwärts nach St. Dizier, um in den Rücken der Verbündeten zu gelangen. Er hoffte, Schwarzenberg werde, beſorgt für ſeine Rückzugslinie, ſofort den Abmarſch nach dem Rheine antreten. Einige Wochen früher ausgeführt wäre der kecke Anſchlag ſicherlich ge -549Schwarzenbergs Zug nach Paris.lungen. Jetzt aber fühlten alle Mächte, auch Oeſterreich, daß das un - würdige Schauſpiel der zitternden Uebermacht ein Ende nehmen mußte. Es ſtand wirklich ſo wie Gneiſenau nachher dem alten Rüchel ſchrieb: So zogen wir endlich nach Paris, nicht aus Ueberlegenheit der dafür ſprechenden Gründe, ſondern weil nichts Anderes übrig blieb und das Verhängniß die große Armee dahin ſtieß. Als der Czar in Sommepuis am 24. März aus einem Briefe Napoleons, den die Koſaken Blüchers auf - gefangen, die Abſichten des Feindes erfuhr, da forderte zuerſt Toll das Selbſtverſtändliche, das den Ueberklugen ſo lange unfaßbar geweſen: den Marſch auf Paris. Die Straße war nahezu offen. Vereinigt mit der nahen ſchleſiſchen Armee konnte man die ſchwachen Corps des Feindes, die noch im Wege ſtanden, leicht überwältigen; ein ſtarkes Reitercorps unter Wintzingerode ſollte zurückbleiben, um den Imperator, deſſen Name jetzt doch allmählich ſeinen alten Zauber verlor, über den Zug der großen Armee zu täuſchen. Alexander ſtimmte zu, er ſchmachtete nach Vergeltung für den Einzug in Moskau. Am ſelben Tage erklärten auch der König und Schwarzenberg in einem Kriegsrathe zu Vitry ihre Zuſtimmung.

Aufathmend empfing Blücher die entſcheidende Botſchaft: nun heißt es nicht mehr blos bei uns, ſondern überall Vorwärts! Dort in Vitry erließen die Verbündeten auch eine öffentliche Erklärung, worin ſie die franzöſiſche Nation gradezu aufforderten, durch ihren freien Willen dem verderblichen Syſteme dieſes Kaiſerthums ein Ziel zu ſetzen; nur dann ſei der Frieden Europas geſichert. Die letzte Brücke war abgebrochen. Selbſt Kaiſer Franz hatte ſeinen Schwiegerſohn aufgegeben, er blieb in Burgund zurück um der Entthronung nicht perſönlich beiwohnen zu müſſen. So ging es denn endlich weſtwärts, quer über die unheimlichen Schlachtfelder des Februars, und noch einmal raſten über dieſe blut - gedüngten Gefilde alle Schrecken des Krieges, als die Diviſion Pacthod am 25. März bei La Fère Champenoiſe gleichzeitig von der ſchleſiſchen und der Hauptarmee ereilt wurde. Rettungslos verloren verſchmähte der tapfere franzöſiſche General die Capitulation, die ihm Friedrich Wilhelm an - bot; ſo blieb nichts übrig als eine grauſige Schlächterei. Schaudernd ſahen der König und ſein Sohn Wilhelm, wie die Kanonenkugeln durch den zuſammengekeilten Menſchenhaufen lange Furchen zogen und dann die Reiter mit der blanken Waffe hineinſchmetterten. Ihrer viertauſend ergaben ſich endlich, fünftauſend lagen todt am Boden. Es war ein Schauſpiel der Vernichtung, wie es in prahleriſchen Schlachtberichten oft geſchildert, ſelten wirklich erlebt wird; alte wetterfeſte Offiziere ſah man erbleichen, wenn auf dieſen Tag die Rede kam.

Wohl war es die höchſte Zeit, daß den verſtimmten Truppen endlich wieder die Zuverſicht des Gelingens kam. Heuer fand ſich kein Clauſewitz, der, wie nach den verlorenen Schlachten des letzten Frühjahrsfeldzugs, dem Heere die unvermeidliche Nothwendigkeit des Geſchehenen erwieſen hätte. 550I. 5. Ende der Kriegszeit.Die denkenden Offiziere wußten alleſammt, daß eine beiſpiellos mattherzige Kriegsführung das Blut der Deutſchen und der Ruſſen in Strömen nutzlos vergoſſen hatte; die fade Schönfärberei der amtlichen Kriegsberichte des großen Hauptquartiers begann der Armee ſelber zum Ekel zu werden. Nun endlich war der Bann gebrochen, aller Groll verſtummte vor der beſeligenden Gewißheit der nahen letzten Entſcheidung. Napoleon blieb in der That einige Tage lang in dem Wahne, daß die große Armee ihm gen Oſten folge; als er endlich ſeinen Irrthum erkannte und in Gewaltmärſchen herbeieilte, konnte er die bedrohte Hauptſtadt nicht mehr rechtzeitig er - reichen, das Verhängniß nicht mehr wenden.

Auf dem Wege der Verbündeten ſtanden nur noch die gelichteten Corps von Marmont und Mortier. Schwarzenbergs langſamer Marſch gewährte ihnen die Zeit Paris zu erreichen. Die beiden Marſchälle be - ſchloſſen, obgleich Marie Luiſe mit dem Könige von Rom an die Loire flüchtete, vor den Mauern der Hauptſtadt eine letzte Schlacht zu wagen. Verſtärkt durch Nationalgarden beſetzten ſie mit 34,000 Mann die Dörfer der Bannmeile und die ſteilen Anhöhen, welche die Stadttheile des rechten Seineufers auf der Nord - und Oſtſeite in weitem Bogen umkränzen. Marmont ſtand auf der Rechten bis hinüber zum Walde von Vincennes, dicht am Zuſammenfluß der Seine und Marne, Mortier hielt jenſeits des Ourcq-Canals und lehnte ſich mit dem äußerſten linken Flügel an den Hügel des Montmartre. Der Kampf gegen die 100,000 Mann der Verbündeten war, trotz der feſten Poſitionen der Franzoſen, von vorn - herein ausſichtslos; gleichwohl ward er überaus blutig, Dank den un - glücklichen Anordnungen des großen Hauptquartiers, das ſeine Uebermacht wieder nicht rechtzeitig zur Stelle brachte. Schon ſeit dem Morgen des 30. März kämpfte Prinz Eugen mit ſeinen Ruſſen gegen das Centrum der Franzoſen, nahm das Dorf Pantin, verſuchte die Hochebene von Ro - mainville zu erreichen, ward geworfen und hart bedrängt, bis endlich die ruſſiſchen und die allzu lange pedantiſch geſchonten preußiſchen Garden ihm Luft machten. Die Garde erſtürmte unter Oberſt Alvensleben die Batterien bei Pantin, während die Ruſſen den Bergkirchhof Père La Chaiſe mit der blanken Waffe nahmen. Weit ſpäter ward das Gefecht auf dem rechten Flügel der Franzoſen eröffnet; der Kronprinz von Würt - temberg ſetzte ſich im Walde von Vincennes feſt, behauptete ſich dort und drang am Nachmittage bis an das Ufer des Fluſſes vor. Auch die ſchle - ſiſche Armee gelangte erſt kurz vor Mittag zum Kampfe gegen den linken Flügel des Feindes. Wer hätte dem kranken Blücher verbieten dürfen, an ſolchem Ehrentage dem Sturme der Deutſchen auf den Sankt Märten beizuwohnen? Die entzündeten Augen mit einem Damenhut und Schleier bedeckt hielt er mitten im Getümmel und ſah mit an, wie ſeine vielge - prüften Schleſier noch einmal, wie einſt bei Möckern, unter dem Kreuz - feuer der feindlichen Batterien kämpften. Am Nachmittage war die ganze551Schlacht von Paris.Linie der Verbündeten im ſiegreichen Vorgehen; Prinz Wilhelm der Aeltere hatte bereits die Barrieren der Stadt erreicht, nahebei erſtürmten Kleiſts Truppen mit gefälltem Bajonett den Hügel mit den fünf Windmühlen neben dem Montmartre, und auf der Linken der Franzoſen drangen Langerons Ruſſen an den ſteilen Abhängen der Steinbrüche des Mont - martre empor bis hinauf zu den ſtaffelförmig aufgeſtellten Batterien. Da ſprengten Adjutanten heran, weiße Tücher in den Händen; die Schlacht war beendet, Paris hatte capitulirt.

Lange hielten die Generale neben den Mühlen auf der Höhe und be - trachteten ſchweigend die bezwungene Stadt; die ſtumpfen Thürme von Notre Dame und die Kuppel des Pantheon glänzten im Abendlichte. Auch Oberſt Below trabte herauf mit ſeinen Litthauern; er mußte doch halten was er in Tilſit verſprochen und ſeinen Jungen die Hauptſtadt des Feindes zeigen. Neuntehalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit unſer Kaiſer Otto II. auf dieſen Hügeln ſeine Adlerfahnen aufpflanzte und die Stadt da drunten durch die Hallelujahrufe ſeiner Streiter ſchreckte; ſeitdem waren Engländer und Spanier und auch einzelne Reiterhaufen deutſcher Lands - knechte bis in das Herz der franzöſiſchen Macht eingedrungen, doch nie - mals wieder ein deutſches Heer. Wie furchtbar war dann das unglück - liche Deutſchland durch die Uebermacht und den Uebermuth dieſes böſeſten aller Nachbarn mißhandelt worden, alſo daß ſchon der große Kurfürſt zu der Einſicht kam, nur ein Zug nach Paris könne dem Welttheil die Staatenfreiheit, das dauernde Gleichgewicht der Mächte wiedergewinnen. Nun lag das neue Rom gebändigt, eine unabſehbare Zukunft voll fried - lichen Völkerglücks ſchien ſich aufzuthun vor den entzückten Blicken der kampfesmüden Welt. Die Deutſchen glaubten das Unrecht zweier Jahr - hunderte geſühnt, als am nächſten Tage der Czar, der König und Schwar - zenberg an der Spitze der verbündeten Heere ihren Einritt hielten durch das Martinsthor, das noch an König Ludwigs deutſche Eroberungsfahrten erinnerte; darauf ging der Zug unter dem raſenden Jubel der dichtge - drängten Volksmaſſen die breiten Boulevards entlang nach dem Platze Ludwigs XV., wo einſt die Guillotine ihre Blutarbeit gethan, dann auf die Elyſäiſchen Felder zur prunkenden Heerſchau. Wer hätte ſich auch nur träumen laſſen, daß dieſelben preußiſchen Fahnen noch zweimal binnen zweier Menſchenalter deſſelben Weges ziehen würden? Glück - licher war doch Niemand als jene beiden großen Deutſchen, die nun glorreich erfüllt ſahen, was ſie ſich einſt auf dem Leipziger Markte in die Hand verſprochen hatten. Gneiſenau ſchrieb: Was Patrioten träumten und Egoiſten belächelten iſt geſchehen; Stein aber ſagte in ſeiner wuch - tigen Weiſe: Der Menſch iſt am Boden!

In der alten Heimath der galliſchen Unbeſtändigkeit, in der Stadt Paris war die Erbitterung gegen das Kaiſerreich früher und lebhafter er -552I. 5. Ende der Kriegszeit.wacht als in den Provinzen. Die ſo lange entſchlummerte Luſt an Kritik und Widerſpruch wurde wieder rege, die Reden der Oppoſition im Geſetz - gebenden Körper fanden lauten Widerhall, die conſtitutionellen Ideen aus den Anfängen der Revolution lebten auf, das geiſtreiche Volk begann die dumpfe Stille, die über ſeinem öffentlichen Leben lag, als einen unnatür - lichen Zwang zu empfinden. Der Imperator hatte mit wunderbarer Kenntniß des Volkscharakters die nationale Staatsform des neuen Frank - reichs, den centraliſirten Beamtenſtaat auf viele Menſchenalter hinaus feſt begründet. Die Spitze dieſes mächtigen Gebäudes blieb gleichwohl unge - ſichert. Sobald das Glück den Herrſcher floh mußte er empfinden, daß er doch nur der Erwählte des Volkes und den Millionen perſönlich ver - antwortlich war; auf Treue konnte ein Regiment nicht rechnen, das grundſätzlich nur den gemeinen Ehrgeiz benutzte. Schon als man im Februar die Gefangenen von den Schlachtfeldern der Champagne durch die Pariſer Straßen führte, wurden ſie nicht mehr wie ſonſt mit triumphi - renden Rufen, ſondern mit Bedauern und Mitleid empfangen. Seit den Niederlagen des März vollendete ſich die Umſtimmung der Hauptſtadt, ein Geſinnungswechſel ſo jäh, ſo durchgreifend, ſo übermächtig wie vor Zeiten als Heinrich IV. ſeinen Frieden mit der alten Kirche ſchloß und das katholiſche Paris ſich mit einem male jauchzend in die Arme des ver - haßten Ketzers ſtürzte.

Mit richtigem Inſtinkte begriff das Volk, daß nunmehr nur die alte Dynaſtie noch möglich war; nicht Royaliſten, ſondern Männer der Re - volution und des Kaiſerreichs erhoben am Lauteſten ihre Stimme für die vergeſſenen und verlachten Bourbonen. Bei ihrem Einzuge bemerkten die Verbündeten mit Verwunderung, wie die Maſſen verſuchten das Bild des glorreichen Imperators von der Vendomeſäule herabzuſtürzen, wie National - gardiſten den vielgefeierten Stern der Ehrenlegion ihren Roſſen an den Schweif banden. Schon ſah man an vielen Hüten die weiße Kokarde. Ueberall Verwünſchungen gegen den Tyrannen, donnernde Jubelrufe für die Befreier. Die franzöſiſche Eitelkeit ließ ſich’s nicht nehmen, daß die weiße Armbinde, welche die buntſcheckigen Kriegsvölker des alten Europas als Erkennungszeichen trugen, eine Huldigung ſei für Frankreichs Könige; die Alliirten erſchienen den Erregten wie ein royaliſtiſches Kreuzfahrer - heer, das im Namen und Auftrag der franzöſiſchen Nation das Urtheil an dem Tyrannen vollſtreckte. Den König von Preußen begrüßte im Theater das Lied: Vive Guillaume et ses guerriers vaillants, de ce royaume il sauve les enfants! Der ſchlichte Friedrich Wilhelm war, wie Frau von Staël ſagte, ganz erſtaunt, daß es dieſen Leuten ſo viel Vergnügen machte beſiegt zu ſein. In ſeinem Heere ward der alte Na - tionalhaß durch den Anblick ſolcher Untreue nur verſchärft. Mit tiefer Geringſchätzung ſprachen alle Norddeutſchen von dieſer herzloſeſten aller Nationen. Für die unverwüſtliche elaſtiſche Lebenskraft, die in dem beweg -553Die Alliirten in Paris.lichen franzöſiſchen Charakter liegt, hatten ſie kein Auge. Ein ruhiges Ver - hältniß gegenſeitiger Achtung ſtellte ſich nicht her, zum Unheil für beide Nationen. Jene ganze Generation preußiſcher Staatsmänner und Generale hielt immer die Ueberzeugung feſt, daß eine letzte Abrechnung mit Frank - reich noch bevorſtehe; Gneiſenau und Stein haben bis zu ihrem Todes - tage in ſolcher Ahnung gelebt.

Indeſſen genoſſen die Sieger mit vollen Zügen die Freuden des üppigen hauptſtädtiſchen Lebens. Den Pariſern brachte die Eroberung durchaus kein Ungemach, da die Alliirten aus zärtlicher Schonung gegen die Gefühle der Beſiegten ihre Truppen längere Zeit auf den Plätzen bivouakiren ließen, ſondern nur Gelegenheit zu leichtem Gewinne. Viele reiche engliſche Familien eilten an die Seine zu den lang entbehrten Ge - nüſſen der Stadt des Vergnügens. Das Gold floß in Strömen. Die Cafehäuſer in den Gallerien des Palais Royal und die Spielhöllen an den Boulevards freuten ſich der glänzenden Geſchäfte und der guten Kundſchaft des preußiſchen Feldmarſchalls, der nach vollbrachter Kriegs - arbeit das Blüchern nicht mehr laſſen konnte; allabendlich ſaß er ſtunden - lang mit Frack und Ordensſtern über den geliebten Karten, mit kalt - blütiger Ruhe ſeine Goldrollen ſetzend, am grünen Tiſche ebenſo kühn und glücklich wie im Kriege. Ganz unbegreiflich blieb den an die Roheit der Conſcribirten gewöhnten Franzoſen der Charakter des preußiſchen Volks - heeres. Sie ſchüttelten den Kopf, wenn die preußiſchen Freiwilligen, faſt ſo eifrig wie ihr Kronprinz, zu den Kunſtſchätzen des Louvre wallfahrteten. Kein Murillo und kein Rafael zog dieſe teutoniſche Jugend ſo unwider - ſtehlich an wie Memlings Weltgericht mit der fürchterlich ernſten Geſtalt des richtenden Erzengels jenes Danziger Bild , das Napoleon aus der Marienkirche geraubt hatte; hier ſtanden die jungen Deutſchen immer dicht gedrängt, als ob ſie ſich mitten in der wälſchen Herrlichkeit ihres heimiſchen Weſens recht bewußt werden wollten. Für das ſtille Gefühl der Beſchämung, das ſie doch nicht los werden konnten, rächten ſich die Pariſer nach ihrer Weiſe durch Couplets und Caricaturen.

Ihre ganze Liebenswürdigkeit aber wendete ſich dem Czaren zu. Die be - rechnete Schmeichelei berauſchte den glücklichen Sieger, der Einfluß Steins ſank von Tag zu Tage. Alexander wohnte im Palaſte Talleyrands, und der ſchlaue Hausherr fand der Bewunderung kein Ende für den erſten Mann des Jahrhunderts, der allein die Befreiung Europas vollendet habe. Die Behörden, die Gelehrten der Akademie und vor Allen die Damen ſchwan - gen wetteifernd ihre Weihrauchsfäſſer vor dem ſanften, liebevollen Engel des Friedens . Alexanders Eitelkeit fühlte ſich lebhaft geſchmeichelt, als die Vorſteherin einer weiblichen Irrenanſtalt ihm erzählte, daß die Zahl der aus unglücklicher Liebe erkrankten jungen Damen ſeit der Anweſen - heit des ruſſiſchen Selbſtherrſchers bedenklich zugenommen habe. Der Ezar gebärdete ſich wieder als der mächtige Schirmherr der Völkerfreiheit554I. 5. Ende der Kriegszeit.und dachte die Welt durch ſeine Großmuth in Erſtaunen zu ſetzen, zu - mal da ſein Rußland unmittelbar von Frankreich nichts gewinnen konnte. Das engliſche Cabinet, voll höchſter Eiferſucht gegen Rußland, ſuchte jetzt ebenfalls durch nachſichtige Schonung die Freundſchaft der Franzoſen zu gewinnen. Oeſterreich, das ſchon längſt den Frieden um jeden Preis wünſchte, ſteuerte in derſelben Richtung. So ſtand denn Preußen bald völlig einſam mit ſeinem Verlangen nach rückſichtsloſer Benutzung des Sieges.

Die veränderte Stellung der Parteien im Lager der Coalition zeigte ſich bereits bei den Verhandlungen mit Napoleon. Am 25. März end - lich hatte Caulaincourt und immer noch in ſehr unbeſtimmten, allge - meinen Ausdrücken an Metternich geſchrieben, daß er Vollmacht habe den Frieden zu unterzeichnen. Der Brief kam zu ſpät, die Entſcheidung war gefallen. Sogleich nach ihrem Einzuge erklärten die Alliirten, daß ſie nicht mehr mit Napoleon unterhandeln würden, und forderten den Senat auf eine vorläufige Verwaltung einzurichten. Dieſe proviſoriſche Regierung verfuhr nach dem einfachen Grundſatze ihres Führers Talley - rand: es iſt nicht Jedermanns Sache ſich von dem einſtürzenden Ge - bäude begraben zu laſſen und ſprach unter nichtswürdigen Schmähungen die Abſetzung des Imperators aus. Daß die tauſende von Beamten und Rittern der Ehrenlegion alleſammt alsbald ihres Eides vergaßen, war in dem neuen Frankreich ſelbſtverſtändlich. Talleyrand meinte ſeine Zeit ge - kommen, hoffte im Namen des unmündigen Napoleon II. die Regentſchaft zu führen; ſobald er ſich aber überzeugte, daß dieſer Plan bei den Siegern keinen Anklang fand, ſtellte er ſich ſofort mit gewandter Schwenkung auf die Seite der Bourbonen und verſtändigte ſich mit ſeinem kaiſerlichen Gaſte über die Reſtauration des alten Königshauſes.

Napoleon wurde, als er nach dem Falle der Hauptſtadt in Fontaine - bleau anlangte, bald von ſeinen eigenen Marſchällen verlaſſen; er fand den Muth nicht, durch einen freiwilligen Tod ein Leben zu beenden, das nunmehr jedes Zwecks entbehrte, und unterzeichnete am 11. April ſeine Abdankung. Vergeblich rieth Hardenberg den Monarchen, den gefährlichen Mann in ein entlegenes Exil zu verweiſen, vergeblich empfahl das preußiſche Cabinet noch mehrmals während der folgenden Monate die Inſel St. Helena als den beſtgeeigneten Verbannungsort. Kaiſer Franz war nicht geſonnen den Schwiegerſohn gänzlich ins Verderben zu ſtürzen, obgleich er unbe - denklich ſeine Tochter von dem Geſtürzten trennte; die Briten rechneten auf die Wachſamkeit ihrer Mittelmeerflotte. Den Ausſchlag gab, daß Czar Alexander ſeinen Edelſinn zeigen wollte. Alſo wurde der unbegreiflich thörichte Beſchluß gefaßt, dieſen gewaltigen Menſchen mit ſeinem raſtloſen Ehrgeiz auf die Inſel Elba zu ſenden. Dort ſollte er friedlich hauſen, inmitten der aufgeregten Nationen Frankreichs und Italiens, denen er beiden gleich nahe ſtand der Titane, der eben jetzt zu ſeinem Augereau555Sturz Napoleons.ſagte: Aſien bedarf eines Mannes! Man ließ ihm Würde und Rechte eines ſouveränen Fürſten, alſo auch das Recht der Kriegführung, und wähnte ſeine Laufbahn beendet, zumal da er auf der Reiſe durch die royaliſtiſchen Striche Südfrankreichs nur mit Noth der Wuth des Pöbels entging.

Alexander hoffte nun, ſeinen neuen liberalen Grundſätzen gemäß, durch einen Beſchluß der franzöſiſchen Nation die Bourbonen zurückzu - rufen und ſie ſogleich auf eine Verfaſſung zu verpflichten. Der Prä - tendent dachte anders, desgleichen ſein Bruder Artois, der ſogleich als Monsieur, Fils de France in Paris auftrat. Wer im Bourboniſchen Hauſe hätte jemals bezweifelt, daß die Krone der Capetinger am Todes - tage des unglücklichen Knaben, den man Ludwig XVII. nannte, von Gottes Gnaden auf den Roy Louis XVIII. übergegangen war? Ludwig vergaß es dem Czaren nicht, daß dieſer ihn einſt aus Mitau ausgewieſen, trug gefliſſentlich ſeine Vorliebe für England, den Nebenbuhler Rußlands, zur Schau; hier ward ihm wohl bei dem hart reactionären Prinzregenten und ſeinen Hochtorys, die von dem göttlichen Rechte des franzöſiſchen Königthums ſo feſt überzeugt waren. Mit der Verſicherung, daß er die Wiederherſtellung ſeines Hauſes nächſt Gott dieſem großen Reiche ver - danke, verließ er England an Bord einer britiſchen Flotte, trat in Frank - reich ſofort als der rechtmäßige König auf, verkündete noch unterwegs, trotz der perſönlichen Abmahnungen des Czaren, ſeinen Entſchluß den ge - treuen Unterthanen kraft ſeines königlichen Rechtes eine Charte zu ſchenken, und langte am 3. Mai in Paris an. Wie er ſo in ſeine Hauptſtadt einfuhr, der dicke gichtbrüchige Greis, auf dem Rückſitze die beiden noch älteren Herzöge von Condé und Bourbon, der Eine von ihnen feſt ein - geſchlafen, da fragten die verwundert zuſchauenden preußiſchen Offiziere, ob dies Greiſenregiment die Erbſchaft eines Napoleon antreten ſolle. Und dann jenes ſonderbare Gegenſtück zu den majeſtätiſchen Siegesfeſten des Soldatenkaiſers, die Heerſchau vor den Tuilerien: droben auf dem Altane der alte Herr in ſeinem Lehnſtuhle, drunten die Truppen gehorſam ihr vive le Roy rufend, und zuletzt ein gnädiges Kopfnicken des Königs und ein herablaſſendes je suis content! Der Bourbone fühlte ſich ſeines Thrones völlig ſicher, trat den Verbündeten mit naiver Anmaßung ent - gegen, beanſpruchte als vornehmſter Fürſt der Chriſtenheit in ſeinem eigenen Schloſſe den Vortritt vor den drei Monarchen, denen er Alles verdankte.

Den Siegern dagegen entgingen die ſchweren Gefahren nicht, welche dies aus dem Grabe erſtandene Regiment bedrohten. Sie ſahen mit wachſen - der Sorge, wie weder das knechtiſche Betragen der ſofort zum Royalis - mus bekehrten napoleoniſchen Marſchälle noch die Soldatenſpielerei des Herzogs von Berry die napoleoniſchen Geſinnungen des Heeres unter - drücken konnte, wie die abgeſetzten Beamten grollten und ſchürten, wie556I. 5. Ende der Kriegszeit.zwiſchen den heimkehrenden Emigranten und der Maſſe des Volks eine tiefe unüberſteigliche Kluft ſich aufthat. Vom erſten Tage der neuen Re - gierung an hatten die Alliirten geringes Vertrauen zu ihrem Beſtande. Aber ſtatt aus ſolchen unheimlichen Anzeichen den Schluß zu ziehen, daß Frankreichs Nachbarn verſtärkt und zum Widerſtande gegen dieſe unbe - rechenbare Macht in Stand geſetzt werden müßten, dachten die Staats - männer von Rußland, England und Oeſterreich vielmehr durch milde Friedensbedingungen dem alten Königshauſe ſeine dornige Aufgabe zu er - leichtern.

In Deutſchland hatten unterdeſſen jene Töne, welche Arndt in ſeiner Schrift über den Rhein angeſchlagen, mannichfachen Widerhall gefunden. Der vielgeſchäftige Reichspatriot Gagern forderte in einem wunderlichen Büchlein zur Berichtigung einiger politiſchen Ideen die avulsa imperii, Elſaß und Lothringen für das Reich zurück: dies ſei der Weg für Oeſter - reich zur Kaiſerkrone; die Krone Preußen aber wird ohne Unbill dadurch den Raum gewinnen, der zur Haltung dieſes Reichs nothwendig ſcheint, und ein Zutrauen, ohne welches unſere Zukunft trübe wäre. Ein Herman Teuthold ſchrieb einen Appell an die Nation , wollte alle Lande des linken Ufers zu einem Königreiche Burgund vereinigen. In gleichem Sinne ſprachen der Rheiniſche Mercur und die Teutſchen Blätter. Arndt, Görres und ihre Freunde huldigten faſt alle der Hardenbergiſchen An - ſicht, daß Oeſterreich im Elſaß, Preußen in den Moſellanden die Grenz - hut übernehmen müſſe. Ein beliebtes Lied ſagte:

Gehalten hier von Oeſterreichs Macht,
Von Preußens Helden dort bewacht,
Am Rhein, am Rhein
Muß Deutſchlands Markung eiſern ſein.

Ein allgemeines leidenſchaftliches Verlangen nach der Vogeſengrenze zeigte ſich in dieſem Jahre jedoch noch nicht. Es gab ihrer doch Viele, die mit einem gelehrten Poeten das Jahr 1814 ſprechen ließen: jam vicisse sat est, victor non ultor habebor. Der wunderbare Siegeszug vom Memel bis zur Seine hatte die kühnſten Hoffnungen übertroffen. Mancher er - klärte ſich befriedigt, wenn nur die alte Grenze im Nordweſten wieder - hergeſtellt und der Tyrann gezüchtigt würde: den Tod des Corſen forderte man faſt allgemein, die Zeitungen ſprachen viel von Harmodios und Ariſtogeiton.

Nach Allem was geſchehen, war eine Verſchärfung der Friedensbe - dingungen in der That faſt unmöglich. Der Czar hatte ſoeben noch, beim Einzuge, erklärt, daß die Verbündeten das alte Königthum und die alten Grenzen Frankreichs wiederherſtellen wollten. Es ging kaum an, dieſe ſo oft wiederholte Zuſage jetzt plötzlich zu brechen und den befreun - deten Bourbonen härtere Zumuthungen zu ſtellen als dem Feinde Na - poleon. Daher wagten die preußiſchen Diplomaten gar nicht einen förm -557Deutſchlands Forderungen.lichen Antrag auf die Wiedererwerbung von Elſaß-Lothringen zu ſtellen, obgleich der Staatskanzler perſönlich dieſen Wunſch hegte und alle ſeine Generale ihm eindringlich vorſtellten, wie ſchwer die Sicherheit Süddeutſch - lands gefährdet würde, wenn jener mächtige Keil franzöſiſchen Gebietes von Landau bis Hüningen tief in unſer Oberland hineinragte. Harden - berg und ſogar Stein begnügten ſich den Rückfall von Straßburg und Landau zu verlangen; denn dieſe Forderung durften ſie ſtellen ohne den früheren Verſprechungen der Coalition untreu zu werden. Beim Ausbruche der Revolutionskriege war ja ein volles Viertel des Elſaſſes, 245 Ge - meinden mit 252,000 Einwohnern, noch im Beſitze deutſcher Reichsſtände geweſen, freilich zum größten Theile unter franzöſiſcher Oberhoheit. Ga - ben die Deutſchen dieſe alten Anſprüche auf, verzichteten ſie auf den Wiedergewinn der ſchönen Herrſchaften Saarwerden, Lützelſtein, Rappolt - ſtein, Mömpelgard, Dagsburg, Hanau-Lichtenberg, ſo waren ſie ſicherlich berechtigt, zur Entſchädigung die beiden gefährlichen Hauptfeſtungen des Oberrheins zu fordern. Aber einſtimmig traten die drei verbündeten Mächte dieſer beſcheidenen Forderung Preußens entgegen. Talleyrand betheuerte ſalbungsvoll: das einzige Mittel zur Verhinderung künftiger Kriege ſei eine große und ſtarke Nation nicht zu entehren, und fand nur zu ſchnell Gehör bei dem Czaren, bei Metternich und Caſtlereagh.

Schon am 23. April wurde mit Monſieur ein vorläufiger Vertrag abgeſchloſſen, kraft deſſen die Civilverwaltung in allen den Gebieten, welche am 1. Januar 1792 franzöſiſch geweſen, ſofort an die franzöſiſchen Be - hörden zurückgegeben werden ſollte; auch die Entfernung der verbündeten Heere aus dieſen Landſtrichen wurde zugeſagt, ſobald Frankreich die noch in Italien und Deutſchland beſetzten Feſtungen geräumt habe. Stein machte den Staatskanzler darauf aufmerkſam, durch dieſen Vertrag ſeien keineswegs ganz Elſaß-Lothringen und Burgund der franzöſiſchen Ver - waltung preisgegeben, vielmehr lägen dort überall noch eingeſprengte alt - deutſche Gebiete; als Leiter der Centralverwaltung befahl er ſogleich, daß im Moſeldepartement alle die Ortſchaften, die erſt im Jahre 1793 erobert worden, den Franzoſen nicht ausgeliefert werden ſollten*)Stein an Hardenberg, 11. Mai 1814.. Jedoch dieſe ehrliche Auslegung des Vertrags fand bei den Verbündeten Preußens keinen Anklang. Die ſchnelllebige Zeit hatte in der That ſchon ganz vergeſſen, daß jenes deutſch gebliebene Viertel des Elſaſſes einſt den erſten Anlaß zu den Revolutionskriegen gegeben hatte; allgemein glaubte man in der diplo - matiſchen Welt, was die Franzoſen gefliſſentlich ausſprengten, das geſammte oberrheiniſche Land ſei ſchon ſeit zweihundert Jahren franzöſiſch. Jeden - falls wollte man ſich auf ſchwierige hiſtoriſche Unterſuchungen nicht ein - laſſen und beſchloß das ganze Elſaß ſowie das ganze Moſeldepartement ſogleich den franzöſiſchen Behörden auszuliefern. Damit war die Grund -558I. 5. Ende der Kriegszeit.lage des Friedensſchluſſes bereits feſtgeſtellt noch bevor der Friedenscongreß eröffnet wurde. Die Coalition hatte, gegen den Widerſpruch Preußens, that - ſächlich ſchon den Grundſatz anerkannt, daß die Grenzen vom 1. Januar 1792 zwar im Allgemeinen die Regel bilden, doch im Einzelnen zu Gunſten des Beſiegten verändert werden müßten. Jene Frankfurter Verheißung: Frankreich wird größer ſein als unter ſeinen Königen ſollte ſich erfüllen.

Die Verhandlungen über den Friedensvertrag konnten erſt am 9. Mai beginnen*)Metternich an Hardenberg, 8. Mai 1814., ſobald wieder eine anerkannte Staatsgewalt in Frankreich beſtand. Die Bevollmächtigten verſammelten ſich in Talleyrands Hauſe. Metternich und Stadion, Hardenberg und Humboldt, Neſſelrode und Raſſumowsky, endlich Caſtlereagh, Stewart, Aberdeen und Cathcart ver - traten die Coalition. Der ſoeben zum Miniſter des Auswärtigen ernannte Talleyrand und jener Laforeſt, der vor 1806 in Berlin die Geſchäfte Napo - leons geführt hatte, verhandelten im Namen des Allerchriſtlichſten Königs. Mit gewohnter Dreiſtigkeit ſprach der franzöſiſche Miniſter ſein Befrem - den darüber aus, daß man dem unbefleckten Lilienbanner dieſelben Zu - muthungen ſtellte, wie der revolutionären Tricolore, und wiederholte pathetiſch die in Napoleons letzten Erklärungen ſo oft erneuerte Verſiche - rung: alle anderen Großmächte hätten ſich unmäßig vergrößert; kehre Frankreich wieder in die Grenzen von 92 zurück, ſo werde das Gleich - gewicht Europas bedenklich verſchoben. Indeß ſah der kluge Mann wohl ein, daß alles Weſentliche in Wahrheit ſchon entſchieden war; er wußte, daß dies entwaffnete Frankreich nach Lage der Umſtände ſich gar nichts Beſſeres wünſchen konnte als die nachſichtigen Anerbietungen der Coalition, und beſchränkte ſich daher bald auf den Verſuch, die Grenzen von 92 möglichſt vortheilhaft abzurunden. Die wenigen kurzen Sitzungen des Congreſſes, die in Eile mitten in einem Strudel von Bällen, Schmäuſen und Vergnügungen aller Art abgehalten wurden, galten nur der Erle - digung von Fragen zweiten Ranges; darum iſt auch in den Archiven wenig darüber zu finden. Bei der Gönnerſchaft, welche Rußland, Eng - land und Oeſterreich den Franzoſen wetteifernd entgegentrugen, konnte von einer Verſchärfung der urſprünglichen Bedingungen nicht mehr die Rede ſein; die Frage war nur, wie viel Land Talleyrands Schlauheit noch zu dem alten Gebiete hinzu erhandeln würde. Wohl bäumte ſich der franzöſiſche Hochmuth noch zuweilen auf. Am 11. Mai verlangten die Marſchälle im Staatsrathe die Wiedereröffnung des Krieges, offenen Widerſtand gegen die ſchimpflichen Anforderungen der Coalition, und die preußiſchen Generale befürchteten einige Tage lang den Ausbruch eines Straßenkampfes in Paris. **)Gneiſenau an Hardenberg, 13. Mai 1814.Doch das Gewölk zog vorüber, die Nüchtern - heit König Ludwigs wollte ſich auf den tollen Vorſchlag nicht einlaſſen.

559Frankreichs neue Grenzen.

Jene Vereinbarung von Chaumont, kraft deren die Vertheilung der abgetretenen Provinzen den Alliirten allein überlaſſen blieb, wurde auf - recht erhalten, Dank der Feſtigkeit Hardenbergs. Indeß erreichte Talley - rand, daß man dieſen Satz in den geheimen Artikeln des Friedensver - trags begrub; die Franzoſen durften nichts erfahren von jener Beſtimmung, die ihrem Stolze am unerträglichſten war. Bei der Berathung über die einzelnen Punkte der Grenze bereitete die Nachgiebigkeit der drei Verbün - deten Preußens dem franzöſiſchen Miniſter einen Triumph nach dem andern. Er bewirkte nicht nur, daß alle von franzöſiſchem Gebiete ein - geſchloſſenen Herrſchaften, Avignon und Venaiſſin, Mömpelgard und die elſäſſiſchen Reichslande, bei Frankreich verblieben, ſondern erlangte auch noch einige köſtliche Außenpoſten über die alten Grenzen hinaus: ſo Sa - voyen und einen Landſtrich an der belgiſchen Grenze mit der wichtigen Maasfeſtung Givet. Mit der äußerſten Zähigkeit marktete er um jeden Brocken Landes; nur durch Humboldts entſchiedenen Widerſpruch wurde Kaiſerslautern für Deutſchland gerettet. *)Humboldt an Hardenberg, 17. Mai 1814.Dagegen überließ man die altpfälziſchen Gebiete, die zwiſchen den Weißenburger Linien und der Enclave Landau lagen, an Frankreich, und um die Grenze bei Saarlouis abzurunden wurde ſogar Saarbrücken mit ſeinem unſchätzbaren Kohlen - becken und der alten naſſauiſchen Fürſtengruft von St. Arnual preisge - geben. Die treue deutſche, altproteſtantiſche Stadt war in Verzweiflung. Sie hatte ſo ganz feſt gebaut auf die Verſicherung des Generalgouver - neurs Gruner: wer deutſch ſpricht ſoll deutſch bleiben. Nun vernahm Stein tief erſchüttert die rührenden Klagen dieſer wackeren Lothringer über ihre ſchreckliche Lage, die in dem Herzen jedes Deutſchen Trauer erregen müſſe, und legte ein gutes Wort ein für die Bitte der Saarbrücker, daß man ihre Söhne mindeſtens im deutſchen Staatsdienſte anſtellen möge. **)Eingabe des Oberbürgermeiſters Laukhard an Gruner, Saarbrücken 7. Juni 1814. Stein an Hardenberg, 15. Juni 1814.Beſſer ward für die Schweiz geſorgt, natürlich wieder auf Deutſchlands Koſten: man konnte gar nicht genug thun die gerühmten Polſterkiſſen an der deutſchen Grenze zu verſtärken. Die Eidgenoſſenſchaft erhielt das Bis - thum Baſel, und Metternich erklärte ſich auch bereit ihr das altöſter - reichiſche Frickthal mit Rheinfelden und Laufenburg zu laſſen.

Tag für Tag hatten die preußiſchen Staatsmänner mit der unerſchöpf - lichen Freigebigkeit ihrer Verbündeten zu kämpfen, bis Humboldt ſich end - lich von Metternich und Neſſelrode das Wort darauf geben ließ, daß es nun genug ſei und kein Zollbreit deutſchen Bodens mehr abgetreten wer - den ſolle. ***)Humboldt an Hardenberg, 20. Mai 1814.Talleyrand aber durfte mit Befriedigung ſein Werk be - trachten: Frankreich blieb nach einem viertelhundertjährigen Kriege, den560I. 5. Ende der Kriegszeit.allein ſein Hochmuth über die Welt verhängt, um hundert Geviertmeilen und mehr als eine Million Einwohner ſtärker denn zuvor.

Im Rauſche ſeiner Großmuth wollte der Czar, allem völkerrechtlichen Brauche zuwider, dem Beſiegten die Bezahlung der Kriegskoſten erlaſſen; er fand es unedel, dieſem wohlhabenden, durch die Ausplünderung aller Länder bereicherten Frankreich einen beſcheidenen Theil des ruchloſen Raubes wieder abzunehmen. Da auch Oeſterreich und England dieſer eigenthümlichen Anſicht beiſtimmten, ſo mußten die Preußen nach lebhaf - tem Widerſtreben ſich fügen und verzichteten auf jede Vergeltung für die unerſchwingliche Tilſiter Contribution. Es war, als wollte man die Franzoſen abſichtlich beſtärken in dem übermüthigen Wahne, daß für ſie allein das Völkerrecht nicht vorhanden ſei. Außerdem hatte Preußen noch die Rückerſtattung der von ihm an Frankreich gezahlten Vorſchüſſe zu fordern. Das Finanzminiſterium berechnete, ſehr niedrig: 136 Mill. für den Durchmarſch der großen Armee nach Rußland, ferner 10,7 Mill. für die vertragswidrig erpreßten Leiſtungen und Lieferungen aus den Jahren 1808 12, endlich über 23 Mill. rückſtändige Zahlungen an das Königreich Sachſen und die Stadt Danzig, die man beide ſchon als preußiſche Ge - biete anſah, zuſammen 169,8 Mill. Fr. Die Zahlung dieſer Summe war eine Lebensfrage für die preußiſchen Finanzen; der ungleiche Kampf hatte den Staatshaushalt dermaßen erſchöpft, daß Hardenberg eben jetzt bei Lord Caſtlereagh dringend um ein ſofortiges baares Darlehen von 100,000 Pfd. St. bitten mußte! Alle jene Millionen waren für den Un - terhalt der franzöſiſchen Armee verwendet worden, an der Rechtmäßigkeit der Schuldforderung beſtand gar kein Zweifel. Hardenberg hielt die Be - richtigung der Schuld jetzt um ſo mehr für unausbleiblich, da ja im letzten Frühjahr die vertragswidrige Verweigerung der Zahlung der un - anfechtbare Rechtsgrund für Preußens Kriegserklärung geweſen war. Darum hatte er auch verſäumt, während des Krieges eine Bürgſchaft der Alliirten für ſeine Anſprüche zu verlangen.

Es war eine folgenſchwere Unterlaſſungsſünde, freilich ein Fehler, den wohl auch ein minder vertrauensvoller Staatsmann als Hardenberg war hätte begehen können; denn wer mochte glauben, daß eine ſo ſonnen - klare, unbeſtreitbare Forderung nicht die Unterſtützung der Bundesgenoſſen finden würde? Als Preußen ſeine Rechnung dem Congreſſe zuerſt vor - legte, widerſprach Niemand unter den Verbündeten. In der Sitzung vom 17. Mai verlangte Humboldt ſodann eine beſtimmte Erklärung der Fran - zoſen. Da erwiderte Laforeſt: ſein König habe ihm unbedingt verboten über dieſe Frage auch nur zu verhandeln und zwar unmittelbar nach einem Geſpräche mit dem Czaren. *)Humboldts Bericht an den Staatskanzler über die Sitzung v. 17. Mai 1814.Nachher erfuhr der preußiſche Be - vollmächtigte vertraulich von Metternich und Anſtett: die beiden Kaiſer -561Kriegskoſten und Kunſtſchätze.mächte ſeien einig durchaus keine Geldforderungen an Frankreich zu ſtellen ſie allerdings hatten von Frankreich keine Schulden einzutreiben und überließen den Preußen was ſie thun wollten. Alſo war Preußen von ſeinen Alliirten völlig preisgegeben, in einer bizarren Situation, wie Hum - boldt ſagte; und, fügte er mit bitterem Vorwurf gegen den Staatskanzler hinzu, mit etwas weniger Verſchämtheit und etwas mehr Geſchick hätten wir unſere gerechten Anſprüche ſchon vor dem Einzuge in Paris durch - ſetzen können. König Ludwig kannte den Haß ſeines Volkes gegen die Preußen und gab daher, ſobald er von den drei Mächten nichts mehr zu befürchten hatte, die hochtrabende Antwort: lieber dreihundert Millio - nen aufwenden um Preußen zu bekämpfen, als hundert um es zu be - friedigen! Sollte die norddeutſche Macht, mittellos wie ſie war, mit ihrem gelichteten Heere den Krieg allein wieder aufnehmen? Es blieb kein Aus - weg; man mußte die Folgen der Fehler Hardenbergs tragen. Durch die Artikel 18 und 19 des Friedensvertrags verzichteten die europäiſchen Mächte vorbehaltlich einiger Anſprüche von Privatleuten wechſel - ſeitig auf alle ihre Schuldforderungen, ein Verzicht, der für Oeſterreich und Rußland nichts, für Preußen eine ungeheure Einbuße bedeutete.

Ueberall bei den Berathungen des Congreſſes erſchienen die Preußen als die Dränger und Treiber und überall zogen ſie den Kürzeren. Friedrich Wilhelm nahm, wie ſein treues Volk, als ſelbſtverſtändlich an, daß die mit Verhöhnung alles Völkerrechts zuſammengeraubten Kunſtſchätze jetzt zu ihren rechtmäßigen Eigenthümern zurückkehren würden; er forderte Alles zurück was ſeinem Staate an Büchern, Kunſtwerken und Trophäen abgenommen war und erreichte in der That eine mündliche Zuſage. Als aber Humboldt den franzöſiſchen Miniſter ernſtlich über das Wann und Wie zur Rede ſtellte, wurde Talleyrand ſichtlich verlegen und meinte: er glaube wohl, daß ſein Herr Alles wieder herausgeben wolle; König Friedrich Wilhelm möge noch einmal mit dem Monarchen ſprechen; wahrſcheinlich habe der premier gentilhomme du Roy dieſe Sache zu beſorgen. *)Humboldt an Hardenberg, 27. Mai 1814.Auf erneutes Drängen kam endlich die Berliner Victoria aus ihrem Schuppen hervor; wie jubelte Jacob Grimm, als er ſich eines Morgens auf die eherne Quadriga ſetzte und dort ſein Frühſtück verzehrte. Auch der Degen Friedrichs des Großen fand ſich wieder, und Grimm entdeckte mit dem Spürſinne des Sammlers noch einige Schätze der Caſſeler Bibliothek in ihrem Verſteck. Das war Alles. Freiherr von Oelſſen, den der König im Spätſommer zur Abholung der preußiſchen Kunſtwerke nach Paris ſendete, wurde monatelang mit Ausflüchten und leeren Reden hingehalten. **)Berichte des Geſandten Grafen von der Goltz aus Paris vom 31. Oktober 1814 u. ſ.Da die anderen dreiTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 36562I. 5. Ende der Kriegszeit.Mächte für Preußens Anſprüche kaum einen Finger regten, ſo hielt ſich König Ludwig ſeines Wortes entbunden. Sein geſammtes Volk ſtand hinter ihm wie ein Mann; kein Franzoſe, der nicht die Zurückforderung des völkerrechtswidrigen Raubes für ein himmelſchreiendes Unrecht ge - halten hätte. Mit erſchreckender Klarheit trat zu Tage, wie von Grund aus die Plünderungszüge des Kaiſerreichs das Rechtsgefühl in dieſer Nation verwüſtet hatten und wie nöthig es war, ſie durch eine ſtrenge Züchtigung wieder an die ſittlichen Grundgedanken jeder friedlichen Staa - tengeſellſchaft zu erinnern.

Stand es alſo, wie durfte man hoffen, daß die Alliirten ſogleich auf die von Preußen beanſpruchte Gebietsentſchädigung eingehen würden? Seinen eigenen Antheil an der Beute hatte Oeſterreich ſoeben in Sicher - heit gebracht. Am 20. April zogen die Oeſterreicher nach einem ſchlaffen, unrühmlichen Feldzuge in Venedig ein; am ſelben Tage warf ein unbe - ſonnener Aufſtand der Mailänder das Königreich Italien über den Hau - fen. So erlangte Kaiſer Franz faſt mühelos durch eine ſeltene Gunſt des Glückes den Beſitz von Ober - und Mittelitalien und war daher weniger denn je geneigt, dem beargwöhnten Preußen gegenüber irgend eine Ver - pflichtung zu übernehmen. Gleichwohl wagte Hardenberg, wie ſeine Pflicht gebot, den ausſichtsloſen Verſuch und legte am 29. April jene Forde - rungen, die er ſchon in Baſel ausgeſprochen hatte, in einer ausführ - lichen Denkſchrift den Verbündeten vor. *)Hardenbergs Plan pour l’arrangement futur de l’Europe, 29. April 1814.

Er beginnt mit dem aufrichtigen Geſtändniß, daß Preußen für alle anderen Mächte freundliche Abſichten hege, nur nicht für Dänemark; denn das ſoeben an die Dänen abgetretene ſchwediſche Pommern müſſe um jeden Preis preußiſch werden. Für Deutſchland fordert er eine Bundes - acte, welche vornehmlich eine kräftige Kriegsordnung einrichten, die Be - ziehungen zwiſchen Fürſten und Unterthanen, desgleichen das Gerichts - weſen und den deutſchen Handel regeln und die Stelle einer Verfaſſung vertreten ſoll. Holland und die Schweiz ſchließen ein ewiges Bündniß mit dem deutſchen Bunde. Rußland erlangt den größten Theil von Warſchau mit etwa 2,3 Millionen Einwohnern; Preußen erhält Poſen bis zur Warthe, mit Einſchluß von Thorn, etwa 1,3 Millionen Köpfe; Oeſterreich nur das 1809 abgetretene Neu-Galizien, Krakau und Zamoscz mit 700,000 Einwohnern. Außer dieſen polniſchen Strichen und Ober - italien ſoll Oeſterreich vor Allem den zur Vertheidigung des Oberrheins unentbehrlichen Breisgau erhalten; der vorgeſchobene Poſten muß mit dem Kaiſerſtaate in ununterbrochener Verbindung ſtehen, daher haben Baiern, Baden und Württemberg einige Stücke ihres Oberlandes (ſo Paſſau und Lindau) abzutreten, die Fürſten von Hohenzollern und Lichten - ſtein werden mediatiſirt und ihre Länder zu dem gleichen Zwecke verwendet. 563Hardenbergs Plan für die Herſtellung Preußens.Dergeſtalt wird Oeſterreich um 1,7 Mill. Seelen ſtärker als im Jahre 1801. Preußen verzichtet, wenngleich ſehr ungern, auf das treue Ans - bach-Baireuth und verlangt, außer den beiden Herzogthümern Weſtphalen und Berg: ganz Sachſen ſowie die Rheinlande von Mainz bis Weſel.

Der Staatskanzler unterſchätzte alſo keineswegs, wie die Uneinge - weihten ihm vorwarfen, die militäriſche Bedeutung des Rheinlandes; viel - mehr war die Spitze ſeines Planes erſichtlich gegen Frankreich gerichtet. Hardenberg berechnete die Einwohnerzahl der alſo hergeſtellten Monarchie, offenbar zu niedrig, auf 10½ Millionen, 600,000 Köpfe mehr als im Jahre 1805. Wie Vorderöſterreich, ſo ſollten auch Preußens weſtliche Provinzen durch einen Iſthmus mit dem Hauptkörper des Staates ver - bunden werden; die Landkarten der Staatskanzlei beſtimmten ein Stück hannoverſchen Landes ſüdlich von Göttingen für Preußen, um den Zu - ſammenhang zwiſchen dem Eichsfelde und dem öſtlichen Weſtphalen her - zuſtellen. Den Niederlanden wurde außer Belgien auch Luxemburg und ein Stück der deutſchen Rheinlande zugedacht; doch war man jetzt etwas behutſamer geworden und bot dem Oranier nur noch einen Strich im äußerſten Weſten mit der Feſtung Jülich, außerdem die Verſetzung ſeiner deutſchen Vettern auf das linke Ufer, an die luxemburgiſche Grenze. Die feſten Plätze des Rheinthals wollte Hardenberg ſchlechterdings nicht in ſchwache Hände kommen laſſen. Nur ungern, ſo geſtand er ſelbſt, forderte er für ſeinen Staat dieſen gefährlichen Wachtpoſten; er fühlte, daß Preußen hier eine Ehrenpflicht gegen das große Vaterland zu erfüllen hatte. Der mißtrauiſche Blick des oraniſchen Staatsmannes Gagern bemerkte wohl, wie das preußiſche proviſoriſche Gouvernement in Aachen die wiederge - wonnenen altpreußiſchen Lande Cleve und Geldern mit den kölniſch-trieri - ſchen Krummſtabslanden durchaus auf gleichen Fuß behandelte; man bereitete in der Stille die Einverleibung vor. Baiern endlich ſollte für die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen das geſammte nördliche Baden mit Mannheim und Heidelberg ſowie einen Theil der linksrheiniſchen Pfalz mit Speyer empfangen. Der badiſche Hof mochte irgendwo auf dem linken Rheinufer ſeine Entſchädigung finden; das ſchlaffe Regiment des Großherzogs Karl ſtand überhaupt bei den großen Mächten in ſchlechtem Anſehen, zudem ſchien ſeine Dynaſtie dem Ausſterben nahe.

So Hardenbergs Hoffnungen. Oeſterreich empfing durch die Denk - ſchrift einen ſchlagenden Beweis der treuen Freundſchaft des Berliner Cabinets. Wie oft hatte einſt der große König jeden Schritt weſtwärts, den Oeſterreich wagte, mit der Feder und dem Schwerte bekämpft; jetzt reichte Preußen ſelber der Hofburg die Herrſchaft über Süddeutſchland wie auf einem Teller entgegen. Der Staatskanzler erbot ſich ſelbſt die Stammesvettern ſeines Monarchen, die ſchwäbiſchen Hohenzollern dem Gedanken des deutſchen Dualismus zu opfern, ja er wollte, um nur der Kaiſermacht eine feſte Stellung am Oberrheine zu verſchaffen, ſogar dem36*564I. 5. Ende der Kriegszeit.bairiſchen Staate, der ihm ſtets verdächtig blieb, eine hochgefährliche Ver - größerung geſtatten: durch den Beſitz der badiſchen Pfalz ſchnitt Baiern die kleinen ſüddeutſchen Staaten gänzlich von dem Norden ab, der Süden wurde unbedingt von Oeſterreich und Baiern abhängig. Die patriotiſche Abſicht dieſer thörichten Pläne war die Hoffnung, Oeſterreich vielleicht dereinſt für die Wiedereroberung des Elſaſſes zu gewinnen; wußte man doch, daß der mächtige Adel des Oberlandes auf beiden Ufern des Rheines begütert war und noch ganz in öſterreichiſchen Erinnerungen lebte. Die Vergrößerung Baierns ſchien ungefährlich, wenn ein öſterreichiſches Vor - land zwiſchen Baiern und Frankreich eingeſchoben wurde.

Zum Glück für Deutſchland verſagte ſich Oeſterreich ſelbſt den frei - gebigen Abſichten ſeines preußiſchen Freundes. Metternich blieb bei ſeiner Anſicht, daß man die ſüddeutſchen Nachbarn nicht erſchrecken dürfe. In der preußiſchen Denkſchrift fand er ſchlechterdings nichts was ſeiner eigenen Anſicht entſprach; er wollte weder Rußland ſo weit in Polen eindringen noch Preußen ſüdwärts über die Moſellinie vorrücken laſſen und am Allerwenigſten die Albertiner den Hohenzollern preisgeben. Daher er - widerte er, die Frage könne erſt auf dem großen Congreſſe, der binnen zwei Monaten zuſammentreten ſollte, ihre Erledigung finden. In der Stille aber traf er bereits ſeine Anſtalten um die Mainzer Feſtung den Händen Preußens zu entwinden und ſchloß am 3. Juni mit Wrede einen Vertrag zur Ausführung der Rieder Verabredungen: Baiern ſollte Mainz und ein möglichſt großes Gebiet auf dem linken Rheinufer erhalten, dazu die badiſche Pfalz und die zur Verbindung mit dem Hauptlande nöthigen Gebiete. Deutſchlands wichtigſte Feſtung, der Schlüſſel der Rheinlande war alſo dem Staate verſprochen, der noch unter Montgelas Leitung ſtand und in Berlin mit Recht als ein geheimer Bundesgenoſſe Frank - reichs beargwöhnt wurde. Selbſtverſtändlich durfte Preußen von dieſem Abkommen nichts erfahren. Seinen engliſchen Freunden aber geſtand Metternich offen: er wünſche möglichſt viele deutſche Staaten im Rhein - thale anzuſiedeln und alſo zur Vertheidigung des Stromes zu zwingen; nimmermehr könnten Oeſterreich und Baiern das feſte Mainz und damit die Herrſchaft über ihren einzigen großen Strom , den Main, an Preußen geben, das ſchon Rhein und Elbe, Oder und Weichſel beherrſche. Die Hochtorys gingen, wie gewöhnlich, bereitwillig auf Metternichs Anſichten ein; ſie glaubten ihm aufs Wort, daß der Main ein öſterreichiſcher Strom ſei, und wollten ſich ebenfalls in Paris auf keine Verhandlung über Preußens Anſprüche einlaſſen.

Auch der Czar war der gleichen Anſicht, obgleich Stein ſich warm für die Vorſchläge des Staatskanzlers verwendete und dringend vorſtellte: die preußiſch-ruſſiſchen Forderungen müßten jetzt ins Reine gebracht wer - den, ſo lange Frankreich ſich noch nicht erholt und Oeſterreich ſein Heer nicht verſtärkt habe. Alexander wünſchte nicht, ſich jetzt ſchon über ſeine565Vertagung der Gebietsfragen.polniſchen Pläne zu äußern, von denen auch Stein noch immer nichts Sicheres wußte. In der That ſprachen auch gewichtige ſachliche Gründe für die Verſchiebung der Entſcheidung bis zu dem Congreſſe, der die neue Geſtalt des Staatenſyſtems feſtſetzen ſollte. Es zeigte ſich jetzt, daß dieſer ungeheure Krieg doch in erſter Linie ein Kampf um Preußens Daſein geweſen war. Die Wiederherſtellung Preußens ſetzte voraus Ver - handlungen mit Rußland, Oeſterreich, England-Hannover, Dänemark, Schweden, Holland und einer langen Reihe deutſcher Kleinſtaaten; ſie berührte die beiden Fragen, worüber die Meinungen am Weiteſten aus - einandergingen, den ſächſiſchen und den polniſchen Handel. Dieſe Fragen jetzt erledigen hieß nichts anderes als dem Congreſſe die wichtigſten Auf - gaben, um derentwillen er berufen war, im Voraus wegnehmen. Von der Umgeſtaltung des preußiſchen Gebietes hing die neue Ordnung der Staatengeſellſchaft vornehmlich ab; darin lag die Bedeutung zugleich und die ſchwere Gefahr unſerer centralen Stellung.

Stein hat ſpäterhin den Staatskanzler getadelt, weil er den gün - ſtigen Augenblick, da die Waffenthaten Preußens noch in friſcher Erinne - rung ſtanden, nicht benutzt habe, um ſich den Siegespreis zu ſichern. Als ob ſolche gemüthliche Stimmungen irgend etwas bedeuteten gegen - über den mächtigen Intereſſen, welche die berechnete Zurückhaltung der Alliirten beſtimmten! In den Augen Oeſterreichs und Englands waren die Siege Blüchers und Gneiſenaus wahrhaftig kein Verdienſt, ſondern nur ein Grund mehr, Preußen zu beargwöhnen, den aufſtrebenden Staat in Schranken zu halten. Der Reichsritter war völlig im Irrthum, wenn er wähnte, Metternich ſei in jenem Augenblicke zur Abtretung von Sachſen bereit geweſen. Und welches Mittel beſaß denn Hardenberg, um die widerſtrebenden Höfe jetzt zu bindenden Verſprechungen zu zwingen? Da die Alliirten ſich verpflichtet hatten nur gemeinſam (d’un commun ac - cord) Frieden zu ſchließen, ſo war Preußen allerdings formell berechtigt ſeine Zuſtimmung an Bedingungen zu knüpfen; man konnte erklären: wir geſtatten nicht, daß Beſtimmungen über die Niederlande und Italien in den Friedensſchluß aufgenommen werden, wenn nicht auch unſere Ent - ſchädigungen Erwähnung finden. Aber dieſer letzte Trumpf war ſchon verſpielt; Preußen hatte ja längſt der Herrſchaft Oeſterreichs über Ober - italien und der Verſtärkung der Niederlande zugeſtimmt. Ein nachträg - licher Widerſpruch war ein Lufthieb, konnte höchſtens bewirken, daß die Artikel über Italien und Holland aus der Friedensurkunde wegblieben. Damit ward Preußens Stellung nicht gebeſſert, nur das Mißtrauen der Alliirten verſchärft.

Für jetzt war ſchlechterdings nichts zu erreichen. Preußen unterzeich - nete am 31. Mai mit den drei verbündeten Höfen ein Protokoll, das die Ent - ſcheidung aller noch ſtreitigen Gebietsfragen auf den Congreß verwies. Bis dahin ſollten Würzburg und Aſchaffenburg durch Baiern, das Herzog -566I. 5. Ende der Kriegszeit.thum Berg und die Lande zwiſchen Maas und Moſel durch Preußen, die Striche ſüdlich der Moſel durch Baiern und Oeſterreich, die belgiſchen Lande durch England und Holland verwaltet werden; Mainz aber erhielt eine gemiſchte Garniſon von Preußen und Oeſterreichern, ausdrücklich da - mit die Entſcheidung frei bliebe. Hardenberg hatte bei ſeiner Niederlage nur den einen Troſt, daß ſein gefährlichſter Gegner, Frankreich, bei der Gebietsvertheilung nicht mitwirken ſollte. Aber die praktiſche Bedeutung dieſer Beſtimmung hing offenbar lediglich von der Eintracht der Verbün - deten ab. Verſtändigten ſie ſich nicht unter ſich, ſo mußte ein Staat von der Macht und den weitverzweigten Verbindungen Frankreichs, wenn er einmal an dem Congreſſe theilnahm, unausbleiblich auch in die Gebiets - ſtreitigkeiten hineingezogen worden, ja er konnte vielleicht allen Verab - redungen zum Trotz das entſcheidende Wort ſprechen. Dies ward auch ſchon in Paris dunkel geahnt. Czar Alexander und Stein erfuhren bald von einem verdächtigen geheimen Verkehre zwiſchen Talleyrand, Metternich und Caſtlereagh; man fühlte, wie die Coalition ſich lockerte, wie England und Oeſterreich nach Bundesgenoſſen ſuchten um die preußiſch-ruſſiſchen Pläne zu vereiteln.

Während alſo Preußens unverſöhnlichſter Feind von einigen der verbündeten Mächte umworben wurde, begann zugleich die Freundſchaft zwiſchen dem preußiſchen und dem ruſſiſchen Cabinet bedenklich zu erkalten. Schon die wohlfeile Großmuth des Czaren hatte den Staatskanzler tief verſtimmt, und jetzt wurde auch von dem Plane der Wiederherſtellung Polens Einiges ruchbar. Man vernahm, wie der Czar im Hotel Talley - rand begeiſtert von Polens Freiheit ſprach; der kluge Franzoſe bedurfte noch der ruſſiſchen Gunſt für die Abwicklung der Friedensverhandlungen und beſtärkte den kaiſerlichen Gaſt durch harmloſe zuſtimmende Bemerkungen in ſeiner Schwärmerei. Alexander beſuchte mehrmals die Feſtlichkeiten der polniſchen Emigranten, die ihn huldigend umdrängten; er nahm die pol - niſchen Regimenter, die unter Napoleon gefochten, ſofort in ſeinen Dienſt und ſchickte ſie unter dem Banner des weißen Adlers in die Heimath. Auch das ruſſiſche Heer marſchirte alsbald nach dem Friedensſchluſſe eilig nach Polen zurück; zugleich trafen die Reſerven aus dem Oſten des Reiches in Warſchau ein. Während des Sommers verſammelte ſich am Bug und Narew eine Truppenmaſſe doppelt ſo ſtark als das Heer, das der Czar gegen Frankreich ins Feld geführt; die Generale drohten laut, ſie wollten doch ſehen, wer einer ſolchen Kriegsmacht das eroberte Polen entreißen würde. Man hörte, daß der Czar unter ſeiner polniſchen Krone faſt das geſammte Großherzogthum Warſchau und vielleicht auch Litthauen zu vereinigen hoffe; nur ein kleiner Strich Landes in der Nähe Krakaus, doch ohne dieſe Stadt, ſollte an Oeſterreich, nur Poſen bis zur Prosna, aber ohne das altdeutſche Thorn, ſollte an Preußen abgetreten werden. Dabei vermied Alexander nach wie vor jede offene Erklärung über die567Der Friedensſchluß.polniſche Sache. Es war nur menſchlich, daß Hardenberg durch dies hinterliſtige Verfahren des überſchwänglich zärtlichen Freundes tief er - bittert wurde und jetzt den Einflüſterungen der engliſch-öſterreichiſchen Diplomaten ſein Ohr lieh. Gleichwohl forderte die ſchwer bedrängte Lage des Staates gebieteriſch, ſolche Empfindlichkeit zu unterdrücken und eine Verſtändigung mit dem Czaren zu ſuchen; denn wer anders als Rußland konnte die Forderungen Preußens ehrlich unterſtützen?

Die Friedensurkunde, am 30. Mai unterzeichnet, enthielt über die Vertheilung der Eroberungen nur einige kurze Sätze, das Wenige worüber man ſich verſtändigt hatte: die Länder des linken Rheinufers ſollten zur Entſchädigung für Holland, Preußen und andere deutſche Staaten ver - wendet, Oeſterreichs italieniſcher Beſitz im Weſten durch den Teſſin und den Langen See begrenzt, das Gebiet der alten Republik Genua mit dem wiederhergeſtellten Königreich Sardinien vereinigt werden. Die anderen Fragen blieben ſämmtlich offen. Oeſterreich ſah alſo doch nicht alle ſeine ausſchweifenden italieniſchen Hoffnungen erfüllt. Den Kirchenſtaat über - ging der Friedensvertrag mit Stillſchweigen; aber da der Papſt ſoeben, am 24. Mai, in der ewigen Stadt wieder einzog und die romantiſch aufgeregte Welt ihn überall mit Entzücken begrüßte, ſo war bereits ſicher, daß er mindeſtens einen Theil ſeines Landes zurück erlangen würde. Auch die Auslieferung von Genua an den alten Nebenbuhler Piemont war für die Hofburg ein ſchwerer Schlag; England hatte die Stadt ſoeben erobert und erklärte ſich unbedenklich bereit ſie an König Victor Emanuel dahin - zugeben, weil man ihn für die Abtretung von Savoyen entſchädigen mußte. Rußland ergriff, ſeinen alten Ueberlieferungen getreu, die Partei der Pie - monteſen, und auch Frankreich erwies ſich ihnen günſtig; denn Talleyrand erkannte, ſcharfſinniger als die Diplomaten der Coalition, daß die Ver - ſtärkung der Zwiſchenſtaaten für Frankreich eher vortheilhaft als gefähr - lich war. Wie er gegen die Bildung des Königreichs der vereinigten Niederlande nichts einzuwenden hatte, ſo ſuchte er auch das Polſterkiſſen, das im Süden die Gebiete Oeſterreichs und Frankreichs auseinander halten ſollte, möglichſt zu verſtärken. Dem vereinigten Widerſpruche dieſer drei Mächte mußte Oeſterreich nachgeben. Kaiſer Franz ertrug die halbe Niederlage ſehr unwirſch; auf den Beſitz des Kirchenſtaates hatte er be - ſtimmt gerechnet, war doch ſchon im Jahre 1799 die Seculariſation des Patrimonium Petri von Thugut in vollem Ernſt geplant worden. Met - ternich übergab dem engliſchen Cabinet einen feierlichen, auf die naive Unwiſſenheit der Torys berechneten Proteſt, erinnerte die Briten an die im vorigen Sommer zu Prag gegebenen Verſprechungen und verwahrte die unbeſtreitbaren Rechte auf den Kirchenſtaat, welche das Haus Oeſter - reich als König der Römer ſowie als erblicher Kaiſer und Oberhaupt des deutſchen Reichskörpers beſitze. Immerhin waren Oeſterreichs weſentliche Ziele erreicht; ſein italieniſcher Beſitz hatte ſich vervierfacht, ſeine Vettern568I. 5. Ende der Kriegszeit.hauſten wieder in Florenz und Modena, die Halbinſel lag jederzeit ſeinen Waffen offen. Ganz Italien, allein Piemont ausgenommen, ſtand fortan unter fremden Herrſchern, die mit der Hofburg durch eine natürliche Intereſſengemeinſchaft verbunden waren. Der gefährliche Name des König - reichs Italien wurde ſofort beſeitigt, das Vaterland Machiavellis ſollte nicht mehr ſein als ein Familiengut der Sippe des Hauſes Oeſterreich. Darum durften auch die altehrwürdigen Republiken Venedig und Genua nicht wieder aufleben; wie leicht hätte der durch Napoleon wieder erweckte Nationalgeiſt der Italiener hier eine Zuflucht finden können.

Ohnehin war dies Zeitalter der beginnenden Reſtauration allen Re - publiken ungünſtig; wo kein Prinz auftrat, der ein Erbrecht von Gottes Gnaden geltend machte, da ſchien überhaupt kein Recht vorhanden zu ſein. Das neue Staatenſyſtem Europas trug durchaus den Charakter eines großen Fürſtenbundes, und immer ſtärker ward in dieſer monarchiſchen Staatengeſellſchaft der Einfluß der fünf großen Mächte. Sie allein hatten den Pariſer Friedenscongreß beſchickt. Nur der Form halber geſtatteten ſie nachher den drei Staaten Spanien, Portugal und Schweden auch ihrerſeits Frieden mit Frankreich zu ſchließen, ſo daß die huit puissances signatrices gleichſam einen weiteren Ausſchuß der Pentarchie bildeten. Ueber das Schickſal der Schweiz ward entſchieden ohne daß man die Eid - genoſſenſchaft auch nur befragt hätte.

Mit der üblichen officiellen Glückſeligkeit benachrichtigte der Staats - kanzler den in Berlin zurückgebliebenen Miniſter des Auswärtigen, Graf Goltz, von dem Abſchluſſe des Friedens, worauf Goltz allen Diplomaten Preußens in einem Rundſchreiben verſicherte: wir können uns der ge - wiſſen Erwartung hingeben, unſere Wünſche für den Glanz und die Macht Preußens vollſtändig erfüllt zu ſehen*)Hardenberg an Goltz, 31. Mai. Goltz an die Geſandten, 8. Juni 1814.. In Wahrheit war die Stimmung der leitenden Kreiſe beſorgt und gedrückt. Die Generale zürnten laut über die noch immer völlig ungeſicherte Lage der Monarchie. Gneiſenau ſchrieb dem Staatskanzler, ohne Mainz und Jülich ſei Preußen ſchlechterdings nicht im Stande die deutſche Weſtgrenze zu decken. Müff - ling erzählte, wie Wrede bereits triumphirend von der künftigen Bundes - feſtung Mainz ſpreche, und fragte, ob denn das Elend der alten Reichs - feſtungen wiederkehren ſolle. Welche Sicherheit für uns, fuhr er fort, und welche traurige Ausſicht, wenn die Krautfürſten trotzen und wir nachgeben! Wenn wir nicht in demſelben Verhältniß vergrößert werden als Oeſterreich und Rußland, wenn wir uns von dem öſterreichiſchen Syſteme der Familien-Apanage täuſchen und Mainz und Jülich entreißen laſſen, ſo kann es die Nation, die ſo viel gethan hat, nicht vergeben. Beſſer ein neuer Krieg als eine große Enttäuſchung!**)Gneiſenau an Hardenberg, 18. Mai. Müffling an Gneiſenau, 17. Mai 1814.

Der Maſſe des Volkes blieben ſolche Befürchtungen fern, ob auch569Die Heimkehr.einzelne denkende Patrioten über den faulen Frieden klagten. Den ganzen Sommer über lag der helle Sonnenſchein dankbarer Freude über den altpreußiſchen Landen. Was hatte dies Volk gelitten! Vor wenigen Mo - naten erſt hatte die Hauptſtadt den Donner der Schlacht dicht vor ihren Mauern gehört, verwüſtet lagen die Felder, kahl und ſchmucklos die Zimmer, kaum ein Haus das nicht den Tod eines Sohnes, eines Bruders betrauerte, und nun war das Höchſte doch gelungen, das wälſche Babel war gebändigt, das den Daheimgebliebenen ganz unerreichbar, ganz aus der Welt zu liegen ſchien. Es war der Wunder genug für ein kurzes Jahr; wer hätte klagen mögen? So glückliche Stunden hatte Berlin ſeit Friedrichs Zeiten nicht mehr erlebt, wie an jenem ſonnigen Apriltage, da der Flügeladjutant Graf Schwerin die erſte Nachricht von der Schlacht vor Paris überbrachte. Nach dem alten fridericianiſchen Brauche ritt der Curier mit einem Geſchwader blaſender Poſtillone zum Potsdamer Thore ein; dann die Wilhelmsſtraße hinunter, vorbei an dem Dönhoff’ſchen Hauſe, wo ſeine ſchöne junge Frau im Fenſter lag und vor Wonne faſt vergehen wollte. Dann die Linden entlang zum Gouverneur, dem alten Leſtocq; der ritterliche Mann hatte in ſeinen hohen Jahren dem Heere nicht mehr folgen dürfen und pries mit neidloſer Freude die Jungen, die ſo viel glücklicher geweſen als er ſelber einſt bei Eylau. Dann weiter zu den Paläſten der Prinzeſſinnen und der Miniſter. Ueberall dicht gedrängte jauchzende Maſſen, überall der Ruf: der Curier, der Curier! Paris iſt über! und nachher hieß es wieder: das iſt ja der Graf Schwerin, denn in dieſen unſchuldigen Tagen kannte man einander noch. Nur Einer nahm an dem Jubel dieſes großen Berliner Familienfeſtes nicht theil: der böſe alte Feldmarſchall Kalkreuth, Tilſiter Andenkens; der war ein verſtockter Franzoſe geblieben und ließ ſeinen Aerger aus durch frivole Späßchen wider das neue Teutonenthum. Ein zweiter großer Freuden - tag kam im Juli. Ganz Berlin war auf den Beinen, Tauſende harrten ſtundenlang in der warmen Sommernacht draußen im Thiergarten, bis endlich unter dem Hurrahruf der Menge ein rieſiger Laſtwagen herankam, wohl von zwanzig Roſſen mühſam gezogen; obenauf ſtand ein großer Holz - kaſten, über und über bedeckt mit Namen, Verſen, Inſchriften aller Art von der Hand guter Preußen, die dem ſonderbaren Gefährt unterwegs ihren Willkommgruß mit auf die weite Reiſe gegeben. Es war die Victoria vom Brandenburger Thore. Wie oft hatten die Berliner Bürger, alle dieſe böſen Jahre über, ingrimmig aufgeblickt zu der langen Eiſenſtange auf dem Thore, woran einſt die Quadriga befeſtigt geweſen; man erzählte gern, daß der Turnvater Jahn einmal einen kleinen Teutonen geohrfeigt hatte, weil der Junge nicht zu ſagen wußte was er ſich bei dem Anblick der Stange denken ſollte. Die entführte Siegesgöttin erſchien dem Volke wie das Symbol altpreußiſcher Ehre; nun hatte man ſie wieder nach ehrlichem Kampfe und Alles war in Ordnung.

570I. 5. Ende der Kriegszeit.

Aehnliche Auftritte ſtürmiſcher Freude wiederholten ſich überall. Als die Preußen durch das alte Thor von Hildburghauſen einzogen, da ſang Rückert:

Niemals durchritten
Hat Dich ein Heer
Milder von Sitten,
Tapf’rer von Speer.

Wie athmete das unglückliche Hamburg wieder auf, das bis zum Friedens - ſchluſſe in Davouſts harten Händen geblieben war. Dank der Barmherzig - keit des wackeren däniſchen Oberſten Buchwald hatten die aus der Stadt vertriebenen Tauſende armer Leute freilich in Altona ein Unterkommen gefunden; ihrer fünfhundert waren doch der Noth erlegen und ruhten nun in dem unheimlichen Maſſengrabe auf dem Kirchhofe von Ottenſen. Auch die aus der Bank geraubten Millionen kehrten nicht zurück, da die ſtrenge Unterſuchung, welche König Ludwig im Pariſer Frieden verſprach, natürlich kein Ergebniß hatte: den Deutſchen gegenüber zeigten ſich die Bourbonen durchaus als Napoleons Erben, Treu und Glauben galt ihnen nichts.

Aller Jubel der Daheimgebliebenen reichte doch nicht heran an das unſagbare Gefühl freudigen Stolzes, das den heimkehrenden Kriegern die Seele ſchwellte. Noch in Paris wurde die Auflöſung der Jägerdetache - ments angeordnet. Sodann ſtellte die Cabinetsordre vom 27. Mai 1814 die für die Dauer des Krieges aufgehobenen Exemtionen von der Cantons - pflicht wieder her, nachdem der Zweck der großen Anſtrengungen ſo glück - lich erreicht iſt, und befahl allen Beamten und Lehrern die Rückkehr in ihre Aemter. Die Bedürfniſſe des bürgerlichen Lebens forderten gebieteriſch ihr Recht. Wie ging dieſen Freiwilligen das Herz auf, als ſie aus dem wüſten Getöſe des Kriegslagers wieder hinübertraten in des Friedens heilige Sabbathſtille. Da lag es ſtrahlend in der Büthenpracht ſeines Frühlings, das herrliche Rheinland, und es war wieder unſer und die Glocken ſeiner alten Dome läuteten zur Feier deutſcher Siege. Recht aus dem Herzen ſeiner Kameraden rief Schenkendorf:

Wie mir Deine Freuden winken
Nach der Knechtſchaft, nach dem Streit!
Vaterland, ich muß verſinken
Hier in Deiner Herrlichkeit!

Und wie hatte ſich das Urtheil des Auslandes über die Deutſchen geändert, ſeit die beſtechende Macht des Erfolges für ſie redete. Frau von Staël geſtand wehmüthig: ſo ſei es nun doch, die Freiheit gehe heute wie die Sonne im Oſten auf; und Capodiſtrias meinte: der feſte Hort der europäiſchen Geſittung bleibe doch dies alte Deutſchland mit ſeiner Treue, ſeinem Muthe und der Macht ſeiner tiefen Leidenſchaft, überall ſonſt Fels oder Sand, hier allein fruchtbares Erdreich.

571Die Monarchen in England.

Auch in England waren die Preußen die Helden des Tages, als der König und der Czar mit Metternich und Blücher von Paris aus zum Beſuche des Prinzregenten hinüberkamen. Die unverdorbene Maſſe des Volkes drängte ſich mit urkräftiger Begeiſterung um Blücher und Gnei - ſenau, kaum waren ſie ihres Lebens ſicher bei den tollen Ausbrüchen der ungeſtümen Freude; höchſtens der tapfere Koſakenhetman Platow kam neben ihnen noch auf. Wie viel hundertmal, bis zum Tode des alten Feld - marſchalls, iſt in engliſchen Häuſern der Ruf erklungen: drink a cup for old Blucher! Dem ſtolzen Adel aber gefiel weder die ſchlichte Er - ſcheinung des Königs noch die ſoldatiſche Derbheit ſeiner Generale. Allein Metternich verſtand die Herzen der vornehmen Welt zu gewinnen; ſein Verhältniß zu dem Tory-Cabinet ward täglich vertrauter. Die Abneigung des Hofes gegen Rußland ſteigerte ſich durch den perſönlichen Verkehr bis zu tiefem Haſſe. Die vollendete Nichtigkeit des Welfen widerte den Czaren an; der liberale Selbſtherrſcher vernahm mit unverhohlener Verachtung, wie der Prinzregent ſich kaum auf die Straße hinaus wagen durfte, wie der Londoner Pöbel dem Ehebrecher zurief: wo haſt Du Deine Frau gelaſſen? Die Torys ihrerſeits hörten mit Abſcheu die großen Worte Alexanders über Völkerfreiheit und Völkerglück; er war ihnen halb ein Narr, halb ein Bonaparte . Ihr Zorn wuchs noch als eben in dieſen Tagen ein Lieblingswunſch ihres Hofes zu Schanden wurde. Der junge Prinz von Oranien war in London eingetroffen um die lang geplante Verlobung mit der Prinzeſſin Charlotte abzuſchließen; Alles hoffte auf die Wiederkehr der Zeiten Wilhelms III. Wenn nur der kleine Trotzkopf der Prinzeſſin ſelber nicht geweſen wäre, der doch auch mitzureden hatte! Mit dem lauten Ausrufe I hate Orange wies ſie vor verſammeltem Hofe eine Schale voll Apfelſinen zurück, und der unglückliche Freier mußte abziehen. Der Welfe aber ſchäumte vor Grimm. Er glaubte zu wiſſen, daß Alexanders Schweſter, die geiſtreiche Großfürſtin Katharina, ſeine Tochter aufgeſtiftet habe*)Hardenbergs Tagebuch 29. Juni 1814., fand die Anmaßung der Ruſſen ganz uner - träglich und bot dem öſterreichiſchen Miniſter geradezu eine geheime Allianz gegen den Czaren an, wie Humboldt bald darauf durch Metternich ſelbſt erfuhr. **)Humboldts Bericht an den König, Wien 20. Auguſt 1814.

Auf der Rückreiſe beſuchte der König ſeine wiedergewonnenen Neuf - chateller, und die allgemeine ungeheuchelte Freude des treuen Völkchens zeigte, wie feſt unter einem wohlwollenden Regimente ſelbſt eine unna - türliche politiſche Verbindung ſich einwurzeln kann. Zu Anfang Auguſt kehrte er in die Mark zurück. Unterdeß zogen auch die Truppen heim. Dem alten Blücher gönnten ſeine dankbaren Landsleute keine Erholung von den engliſchen Jubelſtrapazen; faſt in jeder Stadt mußte er zum572I. 5. Ende der Kriegszeit.Volke reden, immer fröhlich und hochgemuth, aber auch fromm und tief beſcheiden. Gott allein gab er die Ehre, die neue Fürſtenwürde merkte ihm Niemand an, und das Wörtchen mir beſtrafte er als ein echter Niederdeutſcher noch immer mit ſtiller Verachtung. Neuer Jubel in der Hauptſtadt, als die Berliner Landwehr heimkehrte; die Maſſen ließen ſich nicht halten, die Bataillone brachen aus einander, die Frauen ſtürzten den Gatten in die Arme, die Jungen trugen den Vätern die Flinten und ſo wogte der lange Zug dahin, die Wehrmänner ganz mit Kränzen über - deckt, Soldaten und Bürger, Männer und Frauen in krauſem Durchein - ander recht eigentlich ein Volk in Waffen. Nur der König war un - zufrieden, in Sachen des Parademarſches verſtand er keinen Scherz. Am 7. Auguſt endlich feierlicher Einmarſch der Armee, ein wenig geſtört durch die Beſcheidenheit Friedrich Wilhelms. Der Rückſichtsvolle hatte nicht nur, wie billig, den gefangenen Friedrich Auguſt ſchleunigſt nach dem benach - barten Friedrichsfelde überſiedeln laſſen um ihm den kränkenden Anblick des Siegesfeſtes zu erſparen; ſein demüthiger Sinn nahm ſogar Anſtoß an den von Schinkel aufgeſtellten Siegesſäulen und Trophäen, er wollte jede Beleidigung des geſchlagenen Feindes vermeiden, und noch in der Nacht mußten die franzöſiſchen Fahnen und Waffen unter dicken Kränzen ver - hüllt werden.

Während alſo im preußiſchen Volke die Freude hohe Wellen ſchlug, geſtalteten ſich die Ausſichten für den Congreß täglich trüber. Der König fühlte mit ſeinem Sinne für das Wirkliche raſch heraus, daß ſein Freund in Wien keineswegs geſonnen war mit ihm die Herrſchaft in Deutſchland zu theilen: mich will man, ſagte er bitter, zum Regierungsrath des Kaiſers von Oeſterreich machen. Seine Staatsmänner aber gaben ihre dualiſtiſchen Pläne noch nicht auf. Kneſebeck entwarf noch in Paris eine neue Denkſchrift, die dem Hauſe Oeſterreich nochmals den Breisgau und außerdem Mannheim, als den künftigen Hauptwaffenplatz Süddeutſchlands, anbot. *)Kneſebecks Denkſchrift über den Frieden von Paris (undatirt, in Paris ge - ſchrieben).Unter den Wiener Staatsmännern war allein Stadion dieſem Gedanken günſtig; er lebte noch in den Anſchauungen eines ſchwäbiſchen Reichsgrafen und ſagte zu Humboldt treffend: durch den Verzicht auf ſeine oberrheiniſchen Lande würde Oeſterreich faſt aufhören ein deutſcher Staat zu ſein . Metternich aber blieb feſt und erklärte endlich im Au - guſt dem preußiſchen Geſandten mit ungewohnter Beſtimmtheit: der ganze Plan ſei unannehmbar. So hat Oeſterreich, nach Stadions Worten, auf - gehört ein deutſcher Staat zu ſein allein durch den freien Entſchluß ſeines Hofes, gegen Preußens dringenden Wunſch.

In jeder der großen ſchwebenden Gebietsfragen war Metternich der entſchiedene Gegner Preußens. Wie er Mainz bereits an Baiern ver -573Oeſterreich und die Albertiner.ſprochen, ſo war er auch in der polniſchen Sache mit dem argloſen Staatskanzler keineswegs einverſtanden, ſondern fand Hardenbergs For - derungen viel zu niedrig und wollte Rußland noch weiter in den Oſten drängen. Die Hofburg täuſchte ſich weder über den untrennbaren Zu - ſammenhang der ſächſiſchen und der polniſchen Frage noch über die na - türliche Intereſſengemeinſchaft der preußiſchen und der ruſſiſchen Politik. Im Juni ſagte Kaiſer Franz zu einem Bevollmächtigten des gefangenen Königs, General Zeſchau: er finde die Entthronung Friedrich Auguſts unbillig und unmoraliſch, denn wir haben ja jetzt den Krieg geführt um Alles wieder auf den alten Fuß herzuſtellen. Aber es handelt ſich darum, daß Rußland nichts von Polen hergeben will, und dafür mag Preußen ſich in Sachſen entſchädigen. Er habe darum, fuhr er fort, ſeinem Miniſter befohlen alle Verhandlungen über dieſe Fragen auf den Congreß zu verſchieben, weil ich hoffe, daß man hier der Sache eine beſſere Richtung geben kann. Der General möge das ſeinem Könige erzählen; ſchreiben kann ich’s nicht. *)Nach Zeſchaus Aufzeichnungen (Erinnerungen an General H. W. v. Zeſchau. Dresden 1866. S. 69.Schon im Laufe des Winters war ein ſächſiſcher Agent Freiherr von Uechtritz durch die Koſaken des ſächſiſchen Generalgouvernements aufgefangen worden. Aus ſeinen Papie - ren ergab ſich, daß der entlaſſene ſächſiſche Miniſter Graf Senfft von König Friedrich Auguſt bevollmächtigt werden ſollte mit den Mächten ins - geheim wegen der Wiedereinſetzung des albertiniſchen Hauſes zu verhan - deln; der Verkehr zwiſchen Senfft und ſeinem gefangenen Herrn ſollte durch die Hände des Grafen Zichy, des k. k. Geſandten in Berlin gehen! Während des Sommers verſuchte Kaiſer Franz abermals vergeblich den König von Preußen zu bewegen, daß er ſeinen Gefangenen an Oeſterreich ausliefere. Man erfuhr, daß Prinz Anton von Sachſen, eingeladen von ſeinem kaiſerlichen Schwager, ſchon im Juli ſich nach Wien begab, um auf dem Congreſſe für ſeinen Bruder zu wirken. Einige Wochen nachher erklärte Metternich ſelbſt einem anderen ſächſiſchen Agenten, dem Grafen Schulenburg: die Intereſſen Preußens und Oeſterreichs laufen in der ſächſiſchen Frage einander ſchnurſtracks zuwider; am Beſten, wenn Schu - lenburg ſelbſt als ſächſiſcher Geſandter mit ruhender Vollmacht auf dem Congreſſe erſcheint und ſtatt aller Inſtructionen den einfachen Auf - trag mitbringt, in Allem und Jedem den Weiſungen Oeſterreichs zu folgen. Friedrich Auguſt beeilte ſich den Rathſchlag wörtlich zu befolgen. Das Bündniß zwiſchen den Lothringern und den Albertinern war unerſchüt - terlich feſt begründet.

Das engliſche Cabinet ſtand dem ſächſiſchen Streite vorderhand ſehr gleichgiltig und völlig unwiſſend gegenüber. Nach Caſtlereaghs Briefen ließ ſich die Frage wohl aufwerfen: ob der edle Lord genau wußte, wo574I. 5. Ende der Kriegszeit.eigentlich das Königreich Sachſen lag? Soweit die Torys über die An - gelegenheit nachgedacht hatten, waren ſie als geſchworene Feinde Napo - leons dem gefangenen Rheinbundfürſten ungünſtig geſinnt. Nur der Prinzregent empfand die natürliche Theilnahme des Welfen für den Al - bertiner. Sehr geſchickt verſtanden die Agenten Friedrich Auguſts ſolche Stimmungen zu nähren; ſie ſtellten dem Hofe von St. James vor: dieſe conſervative Macht habe die legitimen Bourbonen wiederhergeſtellt und könne doch unmöglich die nicht minder legitimen Wettiner entthronen wollen. Am letzten Ende hing Englands deutſche Politik nach wie vor von den Rathſchlägen Metternichs und Münſters ab, und Hardenberg durfte eine nachhaltige Unterſtützung ſeiner ſächſiſchen Anſprüche von Seiten der engliſchen Miniſter um ſo weniger erwarten, da die Verkettung der ſäch - ſiſchen und der polniſchen Frage früher oder ſpäter doch ſelbſt den harten Köpfen dieſer Torys einleuchten mußte.

In die polniſchen Händel aber ſtürmte Caſtlereagh mit dem ganzen Feuereifer der Beſchränktheit hinein. Die Theilung Polens war einſt von den beiden Weſtmächten als eine ſchwere Demüthigung empfunden worden, weil ſie durch die Oſtmächte allein vollzogen ward; jetzt galt es die alte Schmach zu ſühnen. Der Wille Englands, den man nach alter Gewohn - heit für den Willen Europas ausgab, ſollte an der Weichſel entſcheiden. Die Torys hatten im Sommer 1812 den klugen Rath Steins verſchmäht, der ihnen vorſchlug, ſich im Voraus mit Alexander über die polniſche Grenze zu verſtändigen; jetzt ſprach man in London viel von einem un - abhängigen Polen unter einer nationalen Dynaſtie. Was man ſich dabei dachte, war ſicherlich den Miniſtern ſelbſt nicht klar; nur ſo viel ſtand feſt, daß Caſtlereagh als der Wortführer Europas dem Ehrgeiz Rußlands entgegentreten wollte. Beſonders unheimlich erſchien den Hochtorys die Abſicht des Czaren, den Polen eine Verfaſſung zu verleihen: das ſei eine Gefahr für die Ruhe Europas, ſagte Wellington in Paris zu dem preußiſchen Geſandten Goltz, beſonders jetzt, wo man durch die Verbrei - tung allzu liberaler Grundſätze von oben her in die meiſten Völker einen gewiſſen Gährungsſtoff gelegt hat. *)Goltz Bericht, Paris, 2. Sept. 1814.England beſaß bereits Alles was ſein Herz begehrte: das Cap und Ceylon, Malta und Helgoland, das vergrößerte Hannover und den verſtärkten niederländiſchen Geſammtſtaat. Außer den ioniſchen Inſeln, die man in Wien noch zu erwerben hoffte, blieb auf der weiten Welt nichts mehr zu wünſchen übrig. Mit erha - bener Uneigennützigkeit konnte man alſo, unter dem Beifall aller aufge - klärten Geiſter, den Anwalt des europäiſchen Gleichgewichts ſpielen.

Zugleich ſtand Caſtlereagh in regem Verkehre mit den Tuilerien. Der Czar hatte den Bourbonen ſchon nach wenigen Wochen ſeine Gunſt wieder entzogen; Ludwig XVIII., gekränkt durch Alexanders Stolz, war575Schwenkung der engliſchen Politik.mit Freuden bereit, das Cabinet von St. James im Kampfe wider Ruß - land zu unterſtützen. Caſtlereagh bat die Bourbonen, ihre Meinung über die polniſche Frage den großen Mächten mitzutheilen und erkundigte ſich zugleich bei ſeinem Geſandten Wellington, ob Frankreich in der Lage ſei, dieſer Anſicht durch die Waffen Nachdruck zu geben. Der eiſerne Herzog erwiderte: die Lage der europäiſchen Angelegenheiten wird nothwendiger - weiſe England und Frankreich zu Schiedsrichtern auf dem Congreſſe machen, wenn dieſe Mächte ſich verſtändigen, und ein ſolches Einver - ſtändniß mag den allgemeinen Frieden bewahren. Caſtlereagh dachte noch keineswegs ſich von den alten Alliirten gänzlich loszuſagen; vielmehr ſah er nicht ohne Argwohn auf Frankreichs unberechenbaren Ehrgeiz. Er kannte das tiefe Friedensbedürfniß ſeines ermüdeten Landes und wußte, daß auch Oeſterreich nur mit diplomatiſchen Waffen gegen Ruß - land kämpfen wollte. Doch indem er Frankreich einlud ſich in die pol - niſchen Händel zu miſchen, verletzte er leichtfertig die Verträge von Reichen - bach und Teplitz, und dieſer gedankenloſe Vertragsbruch konnte, bei der Klugheit des franzöſiſchen, der Thorheit des engliſchen Cabinets leicht zur Zerſtörung der Coalition führen.

Auch in der niederländiſchen Frage war England den preußiſchen Plänen nicht günſtig. Während jenes Aufenthalts der Monarchen in London wurde die Vereinigung Belgiens und Hollands durch die Alliirten endgiltig anerkannt, aber das ewige Bündniß mit Deutſchland, das Har - denberg vorgeſchlagen, fand weder bei den Holländern noch bei ihren britiſchen Beſchützern Anklang. Als ein völlig unabhängiger europäiſcher Fürſt wollte der Oranier, ohne jede Gegenleiſtung, ſich des Schutzes der preußiſchen Waffen erfreuen. Seine Politik verfolgte fortan den zwei - fachen Zweck, dem preußiſchen Befreier möglichſt viel deutſches Land auf dem linken Rheinufer zu entreißen und dem welfiſchen Hauſe die an Holland angrenzenden oſtfrieſiſch-weſtphäliſchen Provinzen zu verſchaffen, damit eine geſchloſſene welfiſch-oraniſche Macht den Preußen im Nord - weſten das Gleichgewicht halte. Graf Münſter wirkte in demſelben Sinne. Mit Entſetzen hörten die welfiſchen Diplomaten von jenem preußiſchen Iſthmus , der Hannover im Süden umfaſſen ſollte; nimmer durfte das ſtolze Welfenreich eine Enclave des verhaßten Nachbarſtaates werden.

Während das ſiegreiche England ſeine Kraft vergeudete an die künſt - liche Bildung des niederländiſchen Staates, der ſechzehn Jahre nachher unter Englands eigener Mitwirkung wieder zertrümmert ward, verſchaffte die gewandte Staatskunſt der Bourbonen dem gedemüthigten Frankreich erſtaunlich ſchnell wieder ſeine alte Stellung im Staatenſyſteme. Talley - rand führte ſeinen Staat von den Träumen napoleoniſcher Weltherrſchaft zurück zu jener nationalen Politik, die ſeit den Tagen Heinrichs IV. mit allen Vorurtheilen und Gewohnheiten der Franzoſen feſt verwachſen war: in der Zerſplitterung der Nachbarmächte, in der Begünſtigung der Klein -576I. 5. Ende der Kriegszeit.ſtaaten ſollte Frankreich ſeine Stärke ſuchen. Wohl nirgends hat dieſe Politik, die bis zum heutigen Tage fortwährt, einen ſo durchſichtig klaren Ausdruck gefunden, wie in der Inſtruction, welche Talleyrand im Sep - tember 1814 für ſich ſelbſt niederſchrieb. Der Vertrag war noch kaum unterzeichnet, wodurch Frankreich ſich verpflichtete an der Entſcheidung der Gebietsfragen nicht theilzunehmen; und ſofort, als ſei nichts verſprochen, mit unerſchütterlicher Gewiſſenloſigkeit, entwarf der franzöſiſche Staats - mann ein vollſtändiges Programm für die Neugeſtaltung der europäiſchen Karte. Da jener Artikel des Pariſer Friedens auf Frankreichs Betrieb geheim gehalten wurde, ſo ahnte das große Publikum gar nicht, welchen unerhörten Vertragsbruch das franzöſiſche Cabinet beging. Talleyrands Inſtruction folgte Punkt für Punkt jener vertraulichen Pariſer Denk - ſchrift, worin Hardenberg die preußiſchen Gebietsanſprüche dargelegt hatte, und beantwortete alle deutſchen Fragen durchaus im Sinne des öſter - reichiſchen Cabinets. Jener preußiſche Entwurf iſt alſo höchſtwahrſchein - lich durch Metternich an Talleyrand verrathen und zwiſchen den beiden Staatsmännern genau beſprochen worden: ein Probſtück öſterreichiſcher Bundestreue, das ſich nachher in Wien noch mehrmals wiederholte.

Ludwig XVIII. wußte wohl, daß Preußen die Napoleoniden arg - wöhniſch beobachtete und mehrmals bei den Alliirten die Entfernung Bonapartes aus Elba beantragte; doch er wußte auch, daß der preußiſche Hof die Bourbonen kaum minder mißtrauiſch anſah als den geſtürzten Uſurpator. Auf Augenblicke ſchien ſich zwar ein freundlicheres Verhältniß zwiſchen den beiden Höfen herzuſtellen. Der Herzog von Berry hoffte auf die Hand der ſchönen Prinzeſſin Charlotte von Preußen und ließ den Grafen Goltz mehrmals über dieſe zarte Frage ausforſchen*)Goltz’s Berichte vom 20. Juli 1814 u. f.. Indeß da König Friedrich Wilhelm von einer ſolchen Familienverbindung durchaus nichts wiſſen wollte, ſo trat bald wieder eine peinliche Spannung ein. Der Bourbone fühlte ſehr richtig, daß ſeine Nation von ihm entſchiedene Feindſchaft gegen den werdenden deutſchen Staat verlangte.

Auch Talleyrands Inſtruction geht von demſelben Gedanken aus. Sie zeigt zunächſt, daß Frankreich überall die kleinen Staaten unterſtützen müſſe, und ſtellt ſodann drei angeblich unanfechtbare Regeln des Völkerrechts auf: Die Souveränität, die für das öffentliche Recht das Nämliche iſt was das Eigenthum für das Privatrecht, kann niemals allein durch die Eroberung erworben werden, ſondern nur durch den Verzicht des Souveräns; ſie iſt rechtsgiltig nur für diejenigen Mächte, welche ſie anerkannt haben; endlich (mit Nutzanwendung auf den gefangenen König von Sachſen) jeder Ver - zicht auf die Souveränität iſt nichtig, wenn er nicht in voller Freiheit aus - geſprochen wird. Daraus folgt: Preußen hat durchaus kein Recht die im Tilſiter Frieden rechtmäßig abgetretenen Provinzen zurückzugewinnen. Die577Talleyrands Inſtruction.Mittelſtaaten dagegen ſind berechtigt die ihnen durch Napoleon geſchenkten Gebiete mediatiſirter Reichsſtände zu behalten. Denn die Mediatiſirten waren nicht Souveräne, ſondern Unterthanen von Kaiſer und Reich; jeder Verſuch ſie wiederherzuſtellen wäre illegitim und gefährlich. Schon ein Zögern in dieſem Punkte würde genügen ganz Süddeutſchland aufzuregen und in Flammen zu ſetzen. So iſt denn mit wunderbar dreiſter Logik erwieſen, daß die legitime Dynaſtie der Bourbonen die Politik des Rhein - bundes fortführen, die Könige von Napoleons Gnaden beſchützen muß. Die größte Gefahr droht der deutſchen Freiheit von der Herrſchſucht Preußens. Jeder Vorwand iſt dem Ehrgeiz dieſes Staates recht; kein Gewiſſensbedenken hält ihn auf. Gebe man ihm erſt die verſprochenen zehn Millionen Seelen, ſo wird er bald ihrer zwanzig haben und ganz Deutſchland ihm unterworfen ſein. Darum muß ſein Beſitzſtand in Deutſchland beſchränkt, ſein Einfluß auf die deutſchen Staaten im Zaum gehalten werden durch eine weiſe Bundesverfaſſung, welche die Bundes - gewalt in möglichſt viele Hände legt. Dazu iſt nöthig die Erhaltung der kleinen, die Vergrößerung der Mittelſtaaten und vor Allem die Wiederher - ſtellung des den Bourbonen ſo nahe verwandten Königs Friedrich Auguſt; durch die Erwerbung Sachſens würde Preußen einen ungeheuren und entſcheidenden Schritt thun nach dem Ziele der völligen Beherrſchung Deutſchlands. Darum ſoll auch Mainz nimmermehr eine preußiſche Feſtung werden, ſondern, wie Luxemburg, ein feſter Platz des deutſchen Bundes; ſüdlich der Moſel darf ſich Preußen nicht ausbreiten. Wir müſſen Holland helfen möglichſt weit auf dem linken Rheinufer vorzurücken, des - gleichen die Anſprüche Heſſens, Baierns und namentlich Hannovers unter - ſtützen um das für Preußen verfügbare Ländergebiet zu verkleinern . Da die Unabhängigkeit Polens leider unmöglich iſt und nur zur Anarchie führen kann, ſo muß dort der Zuſtand von 1805 wiederhergeſtellt werden, um ſo mehr da dies den Anſprüchen Preußens auf Sachſen ein Ziel ſetzen würde . Italiens Unabhängigkeit beſteht darin, daß ſtets mehrere Mächte auf der Halbinſel einander das Gleichgewicht halten; daher ſoll der Uſur - pator Murat, celui qui règne à Naples, den legitimen Bourbonen die Krone zurückgeben, Toscana an einen anderen Zweig der Bourbonen fallen, der Papſt erhält die Legationen, Sardinien wird vergrößert und das Erb - folgerecht der Linie Carignan ſicher geſtellt. So empfängt Frankreich im Süden neben Oeſterreich den herrſchenden Einfluß. Der beſte Bundes - genoſſe für dieſe Pläne iſt England, das außerhalb Europas der Länder - gier fröhnt, in Europa eine conſervative Politik einhält.

Meiſterhaft hatte Talleyrand ſeine Denkſchrift auf die perſönlichen Neigungen des legitimſten aller Könige berechnet. Der Mann, der einſt bei dem Verbrüderungsfeſte der Revolution das Hochamt gehalten und dann jahrelang als napoleoniſcher Miniſter, nach ſeinem eigenen Geſtänd - niß, den Henker Europas geſpielt, vertheidigte jetzt das legitime RechtTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 37578I. 5. Ende der Kriegszeit.mit jener feierlichen Salbung, die den Bourbonen wohl gefiel, ſchilderte dies beſiegte Frankreich, das nach der Niederlage nichts für ſich fordern durfte, als den großmüthigen Beſchützer der Schwachen und Bedrängten und empfahl ſchließlich geradezu den Krieg für das Recht in Polen, wenn Rußland nicht im Frieden zu bändigen ſei. Der Tuilerienhof war damals allein unter allen Großmächten kriegeriſchen Plänen nicht fremd, wie ſelbſt Wellington bald bemerkte. Die aus den deutſchen Feſtungen heimkehrenden Veteranen verlangten ſtürmiſch die Wiedereroberung der natürlichen Grenzen. Die Angſt vor dem gefährlichen Narren auf Elba, wie Fouché ſagte, und die ſteigende Verwirrung im Innern drängten den Bourbonen den Gedanken auf, wieder einmal durch das oft erprobte Mittel des Waffenlärms die Leidenſchaften der Parteien zu beſchwichtigen. König Ludwig billigte aus voller Seele die Denkſchrift des Miniſters, der ſo geſchickt die alten Ueberlieferungen der bourboniſchen Politik mit dem modiſchen Mantel der Legitimität zu umhüllen wußte. Am Lebhafteſten beſchäftigte den König das Schickſal ſeines ſächſiſchen Vetters; er ſchrieb dem Gefangenen ermuthigende Briefe und gab noch beim Abſchied dem Miniſter, als dieſer nach Wien reiſte, den gemeſſenen Befehl, um jeden Preis dem Verwandten der älteſten und vornehmſten Dynaſtie ſein Erb - land zu retten.

So die Geſinnungen Oeſterreichs und der Weſtmächte. Da zudem die ſämmtlichen kleinen deutſchen Höfe der Vergrößerung Preußens leiden - ſchaftlich widerſtrebten, ſo war offenbar ſchon vor dem Congreſſe der Boden geebnet für das franzöſiſch-engliſch-öſterreichiſche Bündniß, das Talleyrand ſeit Jahren wünſchte. Die italieniſche Frage, die einzige, welche Frankreich und Oeſterreich hätte trennen können, trat neben der deutſchen in den Hintergrund. Preußen durfte nicht hoffen, alle ſeine Anſprüche, wie billig ſie auch waren, vor dem hohen Rathe Europas durchzuſetzen. Wollte Hardenberg nicht ganz vereinſamt in die Kämpfe des Congreſſes eintreten, ſo mußte er ein unvermeidliches Opfer bringen und eine klare Verſtändigung mit Rußland herbeiführen. Die polniſche Frage war bei gutem Willen hüben und drüben keineswegs unlösbar. Der Staatskanzler konnte, ohne ein Lebensintereſſe ſeines Staates zu ſchädigen, Kaliſch, Czenſtochau und das militäriſch werthloſe Land zwi - ſchen Prosna und Wartha an Rußland dahin geben, wenn er dafür das deutſche Thorn nebſt dem Kulmerlande und Rußlands treuen Beiſtand in allen deutſchen Gebietsfragen gewann. Selbſt die polniſche Königskrone Alexanders verlor bei nüchterner Prüfung viel von ihren Schrecken. Der Plan des Czaren war unzweifelhaft eine phantaſtiſche Thorheit, doch ebenſo gewiß weit gefährlicher für Rußland ſelbſt als für Preußen. Alexander verwickelte ſich durch ſeine polniſche Krone in unabſehbare Händel, die den ruſſiſchen Staat auf Jahre hinaus beſchäftigen und ſchwächen mußten; Preußen dagegen konnte mit einiger Zuverſicht hoffen, durch eine ſtrenge579Humboldts Bericht aus Wien.und gerechte Verwaltung ſein geringes polniſches Gebiet gegen die ſarma - tiſche Begehrlichkeit zu behaupten. Mitten im Rauſche der Siegestrunken - heit fühlte Alexander doch zuweilen lebhaft die Gefahren ſeiner vereinſamten Stellung. Auf der Rückreiſe von London traf er in Bruchſal mit Metter - nich zuſammen und verſuchte dort ſich mit der Hofburg über Polens Zu - kunft zu verſtändigen; der öſterreichiſche Staatsmann wich behutſam der verfänglichen Frage aus. Ein gewandter preußiſcher Diplomat, der die Eitelkeit des Czaren zu ſchonen verſtand, hätte alſo höchſtwahrſchein - lich für das Angebot der polniſchen Krone eine leidliche Regelung der Oſtgrenze erreichen können; ein treues Zuſammengehen der beiden alten Bundesgenoſſen in der Mainzer und der ſächſiſchen Frage ergab ſich dann von ſelbſt, da Rußland die bairiſch-öſterreichiſchen Zettelungen ſehr ungünſtig anſah und ſeinem Nachbarn von vornherein Sachſen zur Ent - ſchädigung für Warſchau angeboten hatte.

Zu Preußens Unheil hat Hardenberg dieſen einzigen Weg, der zum Ziele führen konnte, erſt ſehr ſpät, nach monatelangen Irrgängen, einge - ſchlagen. Er konnte den niederſchlagenden Eindruck, den ihm die über - raſchende erſte Kunde von Alexanders polniſchen Plänen hinterlaſſen, lange nicht verwinden; er ſah eine unberechenbar ſchwere Gefahr vom Oſten her gegen ſeinen Staat heranrücken und wollte mit England und Oeſterreich vereint das ſogenannte Intereſſe Europas vertheidigen, die Eroberungsluſt des Czaren in Schranken halten ohne doch den Bund mit Rußland auf - zugeben. Die Dankbarkeit der Hofburg und des Cabinets von St. James ſollte ihm dann den Beſitz von Sachſen ſichern. Er bemerkte nicht, daß er dadurch den Staat unvermeidlich zwiſchen zwei Feuer führte und ſeinen ſächſiſchen Anſprüchen ſelber den Boden unter den Füßen hinwegzog.

Der Staatskanzler wurde in ſeinem Irrthume beſtärkt durch einen ausführlichen Bericht Humboldts vom 20. Auguſt über die Stimmungen des Wiener Hofes ein merkwürdiges Schriftſtück, das mit überraſchen - der Klarheit beweiſt, wie gröblich ſelbſt ein großer Kopf von entſchiedener politiſcher Begabung die diplomatiſchen Verhältniſſe des Augenblicks ver - kennen kann, wenn er die kleinen Pflichten des Geſandten verſchmäht. *)Humboldts Bericht an den König, Wien 20. Auguſt 1814.Von Oeſterreichs inneren Verhältniſſen, von der verderbten Verwaltung, dem zerrütteten Staatshaushalte und der ſteigenden Unzufriedenheit der Italiener gab der geiſtvolle Mann eine meiſterhafte Schilderung. Ueber die nächſten Zwecke der Hofburg dagegen hatte er ſich durch Metternichs glatte Zunge völlig täuſchen laſſen. Hinſichtlich der polniſchen Händel ſagt er zuverſichtlich: Metternich ſei feſt überzeugt, daß Czar Alexander vor dem einmüthigen Widerſpruche Englands, Oeſterreichs und Preußens zurückweichen werde, da die Ruſſen wie die Polen ſelbſt den Plänen des Czaren widerſtrebten. England und Oeſterreich ſind entſchloſſen, mit37*580I. 5. Ende der Kriegszeit.friedlichen Waffen gegen Rußland aufzutreten; um dies Einverſtändniß zu vollenden iſt ſoeben General Nugent nach London geſchickt worden, derſelbe Diplomat, der ſchon im Jahre 1810 die Annäherung der beiden Höfe bewirkt hatte. Ueberdies will Oeſterreich ſein Heer verſtärken und eine impoſante Haltung annehmen. Nach Humboldts Anſicht muß auch Preußen ſich dieſen Beſtrebungen anſchließen; denn ſchon die Ver - einigung Polens mit Rußland iſt gefährlich, noch weit verderblicher aber die Wiederherſtellung der polniſchen Krone, gleichviel unter welchem Namen. In der ſächſiſchen Sache haben wir von Oeſterreich nichts zu fürchten. Zwar lärmt die Militärpartei, an ihrer Spitze General Radetzky, wegen der Preisgebung der Päſſe des Erzgebirges; einige andere Perſonen for - dern daß Oeſterreich ſelbſt ſich in Sachſen vergrößern ſoll. Aber der Fürſt Metternich, deſſen Rath ſicher allein von dem Kaiſer befolgt werden wird, betrachtet dieſe Sache von dem richtigen Geſichtspunkte und wünſcht uns die nothwendige Abrundung in Deutſchland. Da die einfache Ent - thronung des gefangenen Albertiners den legitimiſtiſchen Anſchauungen der Zeit unfaßbar war, ſo hatte der Staatskanzler durch Humboldt vorſchlagen laſſen, Friedrich Auguſt ſolle durch die Legationen entſchädigt werden. In Deutſchland konnte das ſeiner Erblande beraubte ſächſiſche Haus nur Unfrieden ſtiften; als König der Romagna hätte Friedrich Auguſt die Rolle eines ergebenen k. k. Vaſallen ſicher ebenſo glücklich geſpielt wie ſeine Vettern in Florenz und Modena. Metternich aber, ſo erzählt Hum - boldt arglos, fand bei dem Vorſchlage die größten Schwierigkeiten . Nicht als ob Oeſterreich die Legationen für ſich ſelber wünſchte; vielmehr würde Kaiſer Franz ſehr gern ſeinen Verwandten dort im Süden ver - ſorgen. Aber der Papſt wird dieſe Abtretung niemals zugeben und der bigotte König, aus Furcht vor dem Kirchenbanne, ſie niemals annehmen. Humboldt ahnt alſo gar nichts weder von dem geheimen Verkehre zwiſchen den Lothringern und den Albertinern, noch von Oeſterreichs Abſichten auf Bologna und Ferrara.

Ebenſo ſchlecht unterrichtet zeigt er ſich in der Mainzer Sache. Er befürchtet zwar, dieſe Frage werde ſchwere Verwicklungen herbeiführen, da Baiern die rheiniſche Feſtung ſtürmiſch für ſich fordere; doch auf Oeſter - reich meint er ſich ſtützen zu können. Hatte er doch ſoeben bei den k. k. Staatsmännern zu ſeiner Beruhigung eine Karte von Deutſchland, wahr - ſcheinlich nach Stadions Entwürfen, geſehen, worauf Mainz als preußi - ſche Stadt verzeichnet war! In der deutſchen Verfaſſungsfrage endlich will Metternich noch mehr als in jeder anderen Angelegenheit ſich auf Hardenberg verlaſſen, dem er unbegrenztes Vertrauen ſchenkt. Wahr - lich, es war kaum möglich die Abſichten der Hofburg gröblicher mißzuver - ſtehen. Die Denkſchrift mußte, trotz einzelner Bedenken, dem Staats - kanzler um ſo zuverläſſiger erſcheinen, da ſie ſeiner eigenen vorgefaßten Meinung entſprach. Er ſchenkte der Ausſage ſeines Gegners diesmal581Hardenberg gegen Rußland.ausnahmsweiſe Glauben, obgleich die verdächtigſten Anzeichen für Oeſter - reichs ſächſiſche Pläne vorlagen. obgleich Goltz aus Paris berichtete, aus den Aeußerungen des k. k. Geſandten Grafen Bombelles gehe hervor, daß Metternich die Wiederherſtellung der Albertiner wünſche*)Goltz’s Bericht, 31. Auguſt 1814., und nahm den Bericht Humboldts zur Grundlage für ſeinen diplomatiſchen Feld - zugsplan.

Darauf ſchickte Hardenberg dem Geſchäftsträger in Petersburg, Oberſt von Schöler, ein oſtenſibles Miniſterialſchreiben und einen Brief des Königs an den Czaren. **)Hardenberg an Schöler, 26. Auguſt 1814.Der König, dem erſichtlich bei dem Handel nicht wohl zu Muthe war, begnügte ſich ſeinen kaiſerlichen Freund mit warmen Worten um Mäßigung zu bitten. Das Miniſterialſchreiben, offenbar durch Humboldts Bericht veranlaßt, ſprach die Hoffnung aus, der Kaiſer werde von ſeinen polniſchen Plänen abſtehen. Seine Ab - ſichten ſind rein, groß, hochherzig, aber offen geſtanden, ich glaube, daß er ſich irrt. Die Polen verlangen unbelehrbar die Grenzen von 1772 zurück, darum darf nicht eine Wiederherſtellung Polens unter ruſſiſcher Führung erfolgen, ſondern nur eine neue Theilung des Landes; Rußland mag den größten Theil von Polen ſeinem Reiche einverleiben, nur nicht Kaliſch, Czenſtochau, Thorn und Krakau. Preußen fordert ſodann, daß ihm die Verwaltung von Sachſen baldigſt übergeben werde, und verlangt freie Hand für zeitgemäße Reformen in Sachſen, da die Aufrechterhal - tung der alten unbrauchbaren Geſetze nur den Oligarchen willkom - men iſt .

Oberſt Schöler war ein literariſcher Dilettant, wie es ihrer viele gab unter den Offizieren jenes äſthetiſchen Zeitalters, fein gebildet, wohl - meinend, von angenehmen Formen. Empfänglich für die liberalen Ideen, hatte er einſt die Reformen Steins und Schoens in einem begeiſterten Akroſtichon beſungen; in der Theilung Polens ſah er ein politiſches Ver - brechen: die Vorſehung hat offenbar zum ewigen Memento in der Po - litik die Herſtellung Polens beſchloſſen. Sicheres ſtaatsmänniſches Urtheil und ſcharfe Menſchenkenntniß blieb ihm verſagt. Er hatte den Czaren in großer Zeit, um das Jahr 1811, von der beſten Seite kennen gelernt und ſich eine ſehr günſtige Anſicht von dem Charakter des Monarchen gebildet. Nachher, während der Kriege, verlor er ihn aus den Augen und konnte auch nach der Heimkehr des Czaren lange keine vertrauliche Unterredung erlangen, da Alexander den Verkehr mit dem diplomatiſchen Corps abſichtlich vermied. Der Oberſt fiel aus allen ſeinen Himmeln, da ihm nun plötzlich die polniſchen Pläne des Kaiſers enthüllt wurden. Er konnte kaum faſſen, wie Alexander, ſonſt ſo empfänglich für alles Edle in dieſe wirkliche Napoleonspolitik verfallen mochte, und war, wie582I. 5. Ende der Kriegszeit.ſein öſterreichiſcher College General Koller, der feſten Meinung, daß man dieſem Ehrgeiz entgegentreten müſſe.

Am 7. September übergab er dem Czaren den Brief des Königs. Alexander nahm die Zeilen mit ſichtlicher Befriedigung entgegen, doch als ihm Schöler ſodann das Miniſterialſchreiben vorlas, fuhr er in hellem Zorne auf: die Miniſter in Berlin verfolgen offenbar eine andere Politik als ihr königlicher Herr; ich habe Warſchau erobert; was ich davon be - halten will (und dazu gehört Krakau, Thorn, Czenſtochau, Kaliſch) werde ich mit 700,000 Mann gegen Jedermann vertheidigen. Zugleich be - theuerte er hoch und heilig, in allen anderen Fragen ſtehe er ſeinem alten Freunde unbedingt zur Verfügung. Er verſprach, ſofort bei Eröff - nung des Congreſſes das Königreich Sachſen ganz und allein an Preußen auszuliefern; ohne jede Frage habe Preußen das Recht ſeine neue Pro - vinz nach Belieben zu organiſiren, wenngleich es wünſchenswerth ſei den alten ſächſiſchen Namen und die Verfaſſung des Landes noch eine Zeit lang zu erhalten. Mitten in ſeinem herriſchen Zorne erbot er ſich alſo zu einer werthvollen bindenden Verpflichtung, während Oeſterreich und England dem Berliner Hofe nur unbeſtimmte Verheißungen entgegenge - bracht hatten.

Ein kluger Unterhändler mußte auf Grund dieſer Zuſage weiter gehen und eine klare Verſtändigung zu erwirken ſuchen. Schöler aber, allein beſchäftigt mit der polniſchen Frage, bemerkte die Gunſt der Stunde nicht. Am 11. September rief ihn der Kaiſer auf der Parade heran und entſchuldigte ſich mit warmen Worten wegen ſeiner Heftigkeit. Die Antwort des Geſandten war ein kurzes und erbauliches Billet , das er gleich nachher dem Czaren ſandte. Das Gefühl Seiner Erkenntlichkeit nur ſo ſchrieb er hindert Ihren beſten Freund, Sire, Seine Wünſche ſelbſt laut werden zu laſſen. Dagegen ſcheint es mir, daß es keine ſtärkere Aufforderung, als dieſe edle Nachgiebigkeit des Königs, für Ew. Kaiſerliche Majeſtät geben könne, ſoweit es möglich iſt die Wünſche Ihres Freundes zu erfüllen. Die Billigkeit der Forderungen Ew. Majeſtät beruht auf den Vortheilen, welche Europa Ihnen zu ver - danken haben ſoll und wirklich hat, ſo lange die Unabhängigkeit der an - deren Staaten ungefährdet, der eben erfochtene Frieden ungeſtört bleibt. Rußlands innere Kraft und ſeine daraus entſpringende Sicherheit iſt unleugbar. Soll durch überwiegende Vortheile ſeiner Abgrenzung mit den Nachbarn dieſe Kraft ſo weit vermehrt werden, daß die Sicherheit dieſer Nachbarn gefährdet wird, ſo ſchwindet jenes Verdienſt Ew. Majeſtät um Europa völlig. *)Nach Schölers Berichten, St. Petersburg 7., 10. und 12. September 1814.Eine ſolche Sprache, die nicht einmal den Verſuch einer Annäherung machte, konnte den Czaren nur in ſeinem herriſchen Trotze beſtärken; er wich fortan jeder Unterredung aus.

583Schölers Berichte aus Petersburg.

In ſeinen Berichten an den Staatskanzler und in einem ausführ - lichen Memoire über Rußlands Forderungen entwarf der Geſandte ein finſteres Schauergemälde von Alexanders Ehrgeiz. Wahres und Falſches wirft er wirr durch einander. Er vermuthet, daß der Czar ſelbſt Memel, ja ganz Oſtpreußen zu gewinnen denke, und verweiſt war - nend auf die ruſſiſche Garniſon, die noch immer unter General Kuleneff in Danzig ſtand. Seit dem Tilſiter Frieden gefalle ſich Alexander in unbedingtem Huldigen des Zeitgeiſtes ; er werde vielleicht dereinſt ſeinen Ruſſen eine Verfaſſung geben und jedenfalls die orientaliſchen Pläne ſeiner Vorfahren wieder aufnehmen. Er iſt ein Schüler Napoleons . Der Oberſt fühlt indeß, daß ſein erſchöpfter Staat nicht daran denken darf die Ruſſen aus Warſchau zu vertreiben: vorderhand müſſen wir um jeden Preis den Frieden wahren, doch die Zukunft wird uns zwingen mit Oeſterreich verbündet gegen Rußland zu fechten.

Erſchreckt durch dieſe düſtere Schilderung, ermuthigt durch Hum - boldts hoffnungsvollen Wiener Bericht, beſchloß der Staatskanzler ſich an Oeſterreich und England anzuſchließen, freilich ohne mit Rußland offen zu brechen. In ſeiner Antwort an Humboldt*)Hardenberg an Humboldt, 3. September 1814. ſprach er dieſen Entſchluß aus und entwickelte zugleich nochmals ſowohl die Gebietsan - ſprüche Preußens als die alten dualiſtiſchen Pläne: Wir brauchen Sach - ſen (il nous faut la Saxe). Ich würde mir’s ewig vorwerfen, wenn ich in dieſem Punkte nur im Geringſten nachgäbe. Die Anſtrengungen Preußens haben ſo weſentlich zur Befreiung Europas beigetragen, daß wir berechtigt ſind die Berückſichtigung unſerer Intereſſen zu erwarten. Der Bund Oeſterreichs und Preußens iſt ſo nothwendig für die Erhal - tung der Unabhängigkeit Europas; die Staatsmänner, welche den guten Gedanken gehabt haben ſich von den unglückſeligen Vorurtheilen früherer Zeiten zu befreien, müſſen einſehen, daß die Intereſſen der beiden Groß - mächte zuſammenfallen, und daß Oeſterreich gar nichts Beſſeres thun kann als zur Verſtärkung Preußens beizutragen, ganz wie Preußen mit großer Freude die Vergrößerung und Kräftigung Oeſterreichs ſehen wird. Ich ſehe mit Schmerz und ich habe die Beweiſe dafür daß es noch ſehr achtungswerthe Männer giebt, die von dieſen großen Wahr - heiten noch nicht durchdrungen ſind, ſondern im Gegentheil nach den politiſchen Anſichten des vergangenen Jahrhunderts denken und handeln.

Dann erklärt ſich der Staatskanzler über Mainz: wir werden dieſen Platz niemals an Baiern ausliefern, auch die bairiſchen Anſprüche auf Frankfurt und Hanau entſchieden bekämpfen. Um Metternich zu über - zeugen ward eine Denkſchrift Kneſebecks beigefügt, die mit einem großen Aufwande ſchwerfälliger militäriſcher Gelehrſamkeit den richtigen Satz be - wies, daß Mainz für die Vertheidigung von Nord - und Mitteldeutſchland584I. 5. Ende der Kriegszeit.unentbehrlich ſei. Fürſt Metternich irrt, ſo fährt Hardenberg fort, wenn er Baiern durch Gefälligkeit zu gewinnen hofft. Er wird dieſen Staat nie zufrieden ſtellen. Dieſe werdende, unabläſſig ländergierige Macht iſt, ganz wie Württemberg, ein drohendes und ſchädliches Element in dem Syſtem unſerer deutſchen Politik geworden. In dieſem Syſteme kann es nach Lage der Umſtände nur noch ein Ziel geben, wornach Oeſterreich und Preußen im eigenen und allgemeinen Intereſſe trachten müſſen: die Macht und den entſcheidenden Einfluß zwiſchen den beiden Großmächten zu theilen und dieſen Einfluß gemeinſam, in vollkommenſter Eintracht auszuüben. Darum müſſen auch die Länder des linken Rheinufers an Oeſterreich und Preußen kommen. Dies iſt unzweifelhaft das einzige Mittel um die deutſchen Staaten zweiten und dritten Ranges von unſerem Syſteme abhängig zu machen und daſſelbe zu ſichern. Kleine Staaten auf dem linken Ufer werden immer unter dem Einfluß Frankreichs ſtehen, immer Ränke ſchmieden, unabläſſig das Gleichgewicht, das wir aufrichten wollen, zu untergraben drohen.

Kein Wort in dieſen Zeilen, das nicht den Plänen Metternichs ins Geſicht ſchlug, und doch wähnte Hardenberg mit dem Oeſterreicher weſentlich eines Sinnes zu ſein. Völlig verblendet warf er ſich dem falſchen Freunde in die Arme, führte den Staat einer beſchämenden Niederlage entgegen. Der König dachte anders, er verhehlte nicht, daß er den Czaren noch immer als den beſten Bundesgenoſſen Preußens an - ſehe, wofür ihn Hardenberg in ſeinen Tagebüchern mit gewohnter Un - fehlbarkeit der pusillanimité beſchuldigte. Nach ſeiner allzu ſchonenden Weiſe ließ Friedrich Wilhelm den Staatskanzler vorläufig ſchalten, doch er nahm ſich vor den Bruch mit Rußland auf keinen Fall zu dulden, und durch dieſen rettenden Entſchluß ſollte er bald nachher den Staat wieder in die Bahnen der nationalen Politik zurückführen.

Währenddem ſchritt man rüſtig an die Neuordnung der Verwaltung, noch bevor die Grenzen des Staatsgebietes irgend feſt ſtanden. Der Staatskanzler fühlte die Abnahme ſeiner Kräfte und hatte daher ſchon im November 1813 das Finanzminiſterium ſeinem Neffen, dem Grafen Bülow, übergeben. Am 3. Juni 1814 folgte eine umfaſſende Umgeſtal - tung des Miniſteriums. Hardenberg übernahm neben dem Staatskanzler - amte die unmittelbare Leitung der auswärtigen Angelegenheiten; ſein alter Mitarbeiter von Franken her, Freiherr von Schuckmann, wurde Miniſter des Innern; das neu gebildete Polizeiminiſterium ward dem Grafen Witt - genſtein übergeben, während der Miniſter von Kircheiſen nach wie vor das Juſtizdepartement behielt. An die Spitze der Kriegsverwaltung endlich trat Generalmajor von Boyen, bisher Bülows unzertrennlicher Waffen - gefährte. Unter ihm leitete Generalmajor von Grolmann den General - ſtab und gab, raſch durchgreifend wie er war, dieſer Behörde ſogleich die Verfaſſung, die ihr im Weſentlichen bis zum heutigen Tage geblieben iſt. 585Rühle von Lilienſtern, vom Kriege.Der Generalſtab ſollte nicht, wie in vielen anderen Heeren, eine ſelbſtändige Waffengattung bilden, deren Mitglieder ihr für immer angehörten, ſondern mit der praktiſchen Arbeit der Linientruppen in lebendiger Be - rührung bleiben; ſeine Offiziere traten nach einigen Jahren in die Linie ein um je nach ihren Leiſtungen ſpäterhin wieder zurückzukehren. Zu - gleich berief der König eine Commiſſion um die Grundlagen der geſammten Heeresverfaſſung feſtzuſtellen; außer dem Kriegsminiſter gehörten ihr auch Hardenberg, Gneiſenau und Grolmann an.

Darüber beſtand unter den Generalen kaum ein Streit, daß jene Cabinetsordre vom 27. Mai, welche die Exemtionen von der Wehrpflicht wieder eingeführt hatte, nur ein Nothbehelf für den Augenblick geweſen war, beſtimmt den ſchreienden Mißſtänden der Volkswirthſchaft zu be - gegnen. Die Dienſtpflicht Aller hatte ſich glänzend bewährt; was die Noth des Augenblicks geboren ſollte jetzt zu einer dauernden Inſtitution des Staates werden. In ſolchem Sinne brachte Blücher an der Tafel des Königs einen Trinkſpruch auf Hardenberg aus: der Staatskanzler habe den neuen Geiſt in der Monarchie geweckt, alſo daß man heute in Preußen nicht mehr wiſſe wo der Bürgerſtand aufhöre und wo der Krieger - ſtand. Noch ſtolzer forderte Gneiſenau für ſein Preußen das beſte und volksthümlichſte Heerweſen der Welt, dazu die Freiheit gründlicher wiſſen - ſchaftlicher Bildung und eine verſtändige, die Nation zu einem lebendigen Ganzen vereinende Staatsverfaſſung: der dreifache Primat der Waffen, der Conſtitution, der Wiſſenſchaft iſt es allein, der uns zwiſchen den mächtigeren Nachbarn aufrechterhalten kann.

Nirgends aber fand der kühne politiſche Idealismus der Soldaten des Befreiungskrieges einen edleren Ausdruck als in dem Buche des Oberſten Rühle von Lilienſtern Vom Kriege . Die geiſtvolle Schrift, die uns Rückſchauenden heute wie das wiſſenſchaftliche Programm der modernen deutſchen Heeresverfaſſung erſcheint, widerlegte Kants Lehre vom ewigen Frieden und namentlich die ihr zu Grunde liegende Fiction des Naturzuſtandes durch die Beweisgründe der hiſtoriſchen Staats - und Rechtslehre, deren Anſchauungen bereits anfingen zu einem Gemeingute der beſtgebildeten Deutſchen zu werden. Sie erwies ſiegreich die unzer - ſtörbare, ſegensreiche Nothwendigkeit des Krieges, der die Völker für den Frieden erziehe, und ſtellte dem neuen Jahrhundert die Aufgabe, die Heere zu nationaliſiren und die Völker zu militariſiren. Jeder Tropfen Blutes in einem freien Staate müſſe mit dem Eiſen des Krieges verſetzt ſein; das Heer dürfe nicht als die Waffe des Staates begriffen werden, als ein todtes Werkzeug, das man zur Zeit der Noth aus dem Winkel hervorhole, ſondern als der bewaffnete Arm des Staates, als ein mit ſeinem eigenen Leben eng verbundenes lebendiges Glied des Gemeinweſens. Alle Inſtitutionen des Staates, alle Wiſſenſchaft und Geſinnung ſoll kriegeriſch und friedlich zugleich ſein; nur dann bleiben die erhaltenden586I. 5. Ende der Kriegszeit.ſittlichen Kräfte des Volkslebens lebendig, Muth, Gehorſam und Ehrge - fühl. Während das geſammte Ausland und ſelbſt preußiſche Staats - männer, wie W. von Humboldt, das alte Märchen von dem künſtlichen Staate Preußen noch immer wiederholten, ſprach dieſer tapfere Soldat zu - verſichtlich aus: dies bewaffnete preußiſche Volk bewahre in der anſtecken - den Umgebung zerfließender und vertrocknender Kleinſtaaten allein das Gefühl des Vaterlandes und den ſtolzen Entſchluß ein ganzes und leben - diges Volk bleiben zu wollen. So gingen Scharnhorſts Saaten auf. Die gereifte Geſittung führte die Deutſchen wieder zurück zu einer mann - haften Auffaſſung des Lebens, zur richtigen Werthſchätzung der rüſtigen Willenskraft einfacher Menſchheit.

Auch in den Maſſen des preußiſchen Volkes hatten ſich die Meinun - gen über das Heerweſen von Grund aus verändert. Der einſt ſo ge - fürchtete blaue Rock war jetzt ein Ehrenkleid, und den Meiſten leuchtete ein, daß weder Geburt noch Reichthum von der ſchwerſten der allgemeinen Bürgerpflichten befreien dürfe. In den Kreiſen der Patrioten ſprach man geringſchätzig von der waffenſcheuen alten Zeit. Rückert ſang ſpöttiſch:

Es galt die alte Regel:
Soldat ins Feu’r hinein!
Der Bauer mit dem Flegel
Sieht zu und läßt es ſein.

Das Bild freilich, das ſich die öffentliche Meinung von der Kriegs - verfaſſung der Zukunft entwarf, hatte mit Scharnhorſts Ideen wenig gemein. Schon während des Krieges entſtand in den Maſſen eine Fülle von Sagen über die Ereigniſſe des wunderbaren Jahres. Die Landwehr wurde, wie natürlich, der Liebling des Volkes; denn ganz war die alte Abneigung gegen die Berufsoffiziere doch nicht verflogen. Man wußte tauſend Geſchichten von der Angſt der Franzoſen vor dem peuple sauvage des Landwères, und bald ſchien es, als ob dieſe Kerntruppe eigentlich Alles gethan und die Linie nur ein werthloſes Anhängſel gebildet hätte. Aus dieſen volksthümlichen Vorſtellungen und dem unendlichen Friedens - bedürfniß der Zeit entwickelte ſich nun die Anſicht, die techniſche Ausbil - dung des Soldaten ſei leere Spielerei, ein Milizheer von möglichſt kurzer Dienſtzeit genüge am Beſten den Anforderungen des Krieges wie des Friedens. Bis in die höchſten Schichten des Beamtenthums hinauf fand dieſe Meinung Anklang; Präſident Schoen war ihr eifriger Anhänger.

Der neue Kriegsminiſter ſtand vor einer überaus ſchwierigen Auf - gabe. Er hatte ſchon vor dem Kriege von 1806 den Gedanken der all - gemeinen Wehrpflicht vertheidigt und wollte jetzt dieſe große Errungen - ſchaft bewahren ohne doch in die dilettantiſchen Träume vom Milizweſen zu verfallen, dem Staate ein ſtarkes, den größeren Nachbarmächten ge - wachſenes Heer ſichern ohne doch die erſchöpften Finanzen völlig zu zer -587Kriegsminiſter von Boyen.ſtören. Während der zwei letzten Jahrzehnte war eine für Preußen ſehr ungünſtige Verſchiebung der militäriſchen Machtverhältniſſe eingetreten. Das fridericianiſche Heer war das ſtärkſte Europas geweſen, Dank der Cantonpflicht Friedrich Wilhelms I. Seitdem aber hatten alle Nach - barſtaaten, jeder in ſeiner Weiſe, das preußiſche Syſtem der Zwangs - aushebung nachgeahmt. Die natürliche Ueberlegenheit der Kopfzahl trat in Kraft; die kleinſte der Großmächte konnte nur noch hoffen nicht allzu weit hinter den ſtärkeren Nachbarn zurückzubleiben, ſie mußte verſuchen, durch die höchſte Anſpannung der ſittlichen Kräfte des Heeres die Un - gunſt der Zahlen einigermaßen auszugleichen. Boyen wußte wohl, mit wie unverhältnißmäßigen Verluſten die Landwehr alle ihre Siege erkauft, und wie mangelhaft ihre Mannszucht, namentlich in den furchtbaren Prüfungen des Winterfeldzugs, ſich gezeigt hatte. Auf eine ſo maſſenhafte Verwendung der Landwehren im freien Felde war Scharnhorſt ſelber An - fangs ſchwerlich gefaßt geweſen. Erſt die Noth, erſt das Mißlingen des Frühjahrsfeldzuges und wahrſcheinlich Gneiſenaus Rath hatten den König während des Waffenſtillſtandes bewogen, dieſe Truppe mit ihrem buntge - miſchten Offizierscorps kurzweg in die Feldarmee einzureihen. Nur durch ganz außerordentliche Ereigniſſe, durch den langjährigen harten Druck der Fremdherrſchaft war jene wilde Gluth des Nationalhaſſes und der patrioti - ſchen Leidenſchaft möglich geworden, welche die ungeſchulten Schaaren der Landwehr zu ſo wunderbaren Erfolgen befähigt hatte. Der Kriegsminiſter kannte die Welt zu gut um die Wiederkehr der gleichen Opferfreudigkeit auch in der Zukunft zu erwarten, wenn etwa ein den Maſſen der Nation unverſtändlicher Krieg dem Könige aufgezwungen würde. Und doch war Preußen durch ſeine centrale Lage wie durch die ſtolzen fridericianiſchen Traditionen ſeines Heeres in jedem Kriege immer zur Offenſive genö - thigt: der Staat brauchte eine ſtarke Feldarmee, er mußte ſeine Land - wehr zum Dienſte außerhalb der Landesgrenzen verpflichten um das feindliche Gebiet ſogleich mit gewaltigen Maſſen überfluthen zu können.

Aus Alledem ergab ſich die Nothwendigkeit, die Landwehr eng an das ſtehende Heer anzuſchließen. Nun gebot die Monarchie augenblicklich über viele tauſende ausgedienter, kampfgewohnter Soldaten, desgleichen über eine Menge erprobter Offiziere, die wieder in das bürgerliche Leben zurücktraten; es war die denkbar günſtigſte Stunde zur Bildung einer kriegstüchtigen Landwehr. Die Natur der Dinge führte die Reorgani - ſatoren der Armee zurück zu jenen einfach großen Gedanken, von denen einſt Scharnhorſt ausgegangen und nur durch die Noth des Tages wieder abgedrängt worden war; ſie erkannten, daß die ſtehende Armee die mili - täriſche Schule für die geſammte Nation bilden, die Landwehr weſentlich aus ausgedienten Mannſchaften beſtehen müſſe. Wie oft hatten Boyen, Gneiſenau und Grolmann einſt mit Scharnhorſt jede mögliche Form der Volksbewaffnung beſprochen. Alle hier einſchlagenden Fragen waren ihnen588I. 5. Ende der Kriegszeit.aus eingehenden Berathungen längſt geläufig; hatte doch Boyen einſt jahrelang die Organiſation des Krümperſyſtems unmittelbar geleitet. Nur durch dieſe vieljährige Vorarbeit wird es erklärlich, daß die Commiſſion ihre ſchwierigen Verhandlungen in wenigen Wochen beendigte und der König ebenſo ſchnell den Vorſchlägen ſeine Genehmigung ertheilte.

Schon am 3. September 1814 erſchien das Geſetz über die Ver - pflichtung zum Kriegsdienſte, von dem Könige und ſämmtlichen Miniſtern unterzeichnet ein Grundgeſetz des preußiſchen Staates, einer jener epochemachenden Akte der Geſetzgebung, welche mit ſiegreicher Beredſam - keit erweiſen, daß alle Geſchichte weſentlich politiſche Geſchichte iſt, daß die Hiſtorie nicht die Aufgabe hat einen Volta unter ſeinen Froſchſchen - keln zu beobachten oder aus den Funden der Topfgräber die Entwicklung der Lampen und der Trinkgeſchirre nachzuweiſen, ſondern die Thaten der Völker als wollender Perſonen, als Staaten, erforſchen ſoll. Das Wehr - geſetz von 1814 hat die ſittlichen und politiſchen Grundanſchauungen der Preußen auf Generationen hinaus beſtimmt, in alle ihre Lebensgewohn - heiten tiefer eingegriffen als jemals eine wiſſenſchaftliche Entdeckung oder eine techniſche Erfindung.

Das Geſetz begann, wie einſt Scharnhorſts Entwurf, mit einer Wie - derholung jener monumentalen Worte Friedrich Wilhelms I.: jeder Eingeborene iſt zur Vertheidigung des Vaterlandes verpflichtet; doch jetzt machte man unerbittlich Ernſt mit der altpreußiſchen Regel. Der König erinnerte nochmals daran, wie die allgemeine Anſtrengung ſeines treuen Volkes, ohne Ausnahme und Unterſchied die Befreiung des Va - terlandes bewirkt und dem Staate ſeinen heutigen ehrenvollen Stand - punkt erworben hätte. Die Einrichtungen alſo, die dieſen glücklichen Erfolg hervorgebracht und deren Beibehaltung die ganze Nation wünſche, ſollten als Grundlage für alle Kriegseinrichtungen des Staates dienen, doch ſo daß die Fortſchritte der Wiſſenſchaften und Gewerbe nicht geſtört würden; denn in einer geſetzmäßig geordneten Bewaffnung der Nation liegt die ſicherſte Bürgſchaft für einen dauernden Frieden. Statt der alten zwanzigjährigen Dienſtzeit der Cantoniſten ward allen Wehrfähigen für neunzehn Jahre die Waffenpflicht aufgelegt. Sie dienten fünf Jahre im ſtehenden Heere, davon drei Jahre bei den Fahnen, zwei Jahre als beurlaubte Reſerviſten, und traten im ſechsundzwanzigſten Lebensjahre auf ſieben Jahre in das erſte Aufgebot der Landwehr ein. Dies Auf - gebot war in Kriegszeiten, wie das ſtehende Heer, zum Dienſte im In - und Auslande verpflichtet, hielt an beſtimmten Tagen in der Heimath kleinere Uebungen ab und vereinigte ſich jährlich einmal mit Abtheilungen des ſtehenden Heeres zu längeren Manövern. Das zweite Aufgebot der Landwehr, ebenfalls mit ſiebenjähriger Dienſtzeit, wurde während des Friedens nur in der Heimath und an einzelnen Tagen verſammelt, diente im Kriege zunächſt zur Verſtärkung der Garniſonen; doch behielt589Das preußiſche Wehrgeſetz.ſich der König vor auch dieſen Theil der Landwehr im Allgemeinen zur Verſtärkung des Heeres zu verwenden, ſo daß eine Verwendung im Auslande nicht ausgeſchloſſen war. Der Landſturm endlich, nur für den äußerſten Fall zur Abwehr feindlicher Angriffe beſtimmt, ſollte alle irgend Waffenfähigen vom ſiebzehnten bis zum fünfzigſten Jahre umfaſſen. Die Söhne der gebildeten Stände, die ſich ſelber ausrüſteten, blieben nur ein Jahr bei der Fahne, traten ſchon nach drei Jahren in die Landwehr ein und hatten den erſten Anſpruch auf die Offiziersſtellen der Landwehr. Die abgeſonderten Jägerdetachements blieben aufgehoben, indeß wagte man noch nicht den demokratiſchen Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht bis in ſeine letzten Folgerungen hinauszuführen: die gebildeten Freiwil - ligen wollte man vornehmlich den Elitecorps der Jäger und Schützen über - weiſen, obwohl ihnen freiſtand ſich auch ein anderes Regiment zu wählen. Erſt die Erfahrung ſollte lehren, wie heilſam die Miſchung von feineren und gröberen Elementen für die ſittliche Haltung der Truppen war. Die Kreisausſchüſſe, welche das Heer mit der bürgerlichen Selbſtverwal - tung verbanden, beſtanden in veränderten Formen fort: eine Commiſſion, gebildet aus dem Landrathe, einem Offizier und mehreren ſtädtiſchen und ländlichen Gutsbeſitzern, ſollte das Erſatzgeſchäft in jedem Kreiſe beſorgen.

Noch nie hatte ein moderner Staat in Friedenszeiten ſo harte For - derungen an ſein Volk geſtellt; die Blutſteuer, welche Preußen ſeinen Bürgern auferlegte, war unleugbar ſchwerer als alle anderen Steuern zuſammengenommen. Selbſt die Anhänger der allgemeinen Wehrpflicht wollten kaum ihren Ohren trauen, als ſie erfuhren, daß alle Männer bis zum neununddreißigſten Jahre, allerdings bei völlig freier Wahl des Wohnſitzes wie des Berufes, ſich zum Waffendienſte bereit halten ſollten. Es war ein radicaler Bruch mit allen Neigungen und Vorurtheilen einer friedlich erwerbenden Geſellſchaft, ein Wagniß ohne jeden Vorgang, das nur darum gelingen konnte, weil der Stamm der Landwehr bereits vor - handen war und die hochherzige Erregung der Kriegszeit noch nachwirkte. Der König verbarg ſich nicht, welchem zähen paſſiven Widerſtande die neuen Inſtitutionen namentlich in den neuen Provinzen begegnen würden, und befahl daher eine ſchonende, ſchrittweis vorgehende Ausführung.

Ueberhaupt war noch Alles im Werden. Das Geſetz ſelber erkannte an, daß unmöglich alle Wehrfähigen in das ſtehende Heer eintreten konnten und ein Theil davon ſogleich der Landwehr zugetheilt werden mußte; doch über die Höhe der jährlichen Aushebung war noch nichts endgiltig beſchloſſen. Nur ſo viel ſtand ſchon feſt, daß die troſtloſe Lage des Staats - haushalts eine ſehr ſtarke Linienarmee nicht geſtattete; neben dieſen über - wältigenden finanziellen Sorgen mußten die ſchweren militäriſchen und volkswirthſchaftlichen Bedenken, welche gegen die unverhältnißmäßige Ver - mehrung der Landwehr ſprachen, vorläufig zurücktreten. Desgleichen konnte590I. 5. Ende der Kriegszeit.nur die Erfahrung zeigen, ob das Offizierscorps der Landwehr wirklich im Stande war, wie dies Geſetz annahm, völlig ſelbſtändig neben den Offizieren der Linie zu ſtehen. Aber wie unfertig auch Manches noch erſchien, der große Wurf war doch gelungen. Mit dieſem Volksheere war ein großartiges Mittel ſittlicher Volkserziehung gefunden, trefflich geeignet die alten Tugenden der Nation, Muth, Treue, Pflichtgefühl zu entwickeln, ihre natürlichen Schwächen, Eigenſinn, Particularismus, Ver - ſchwommenheit zu bekämpfen. Der Staat wurde nun erſt dieſem ſtaat - loſen Geſchlechte wahrhaft lebendig, wie den Bürgervölkern des Alter - thums, trat mit ſeiner begeiſternden Majeſtät und ſeiner herben Strenge in jedes Haus hinein. Die kurze Dienſtzeit zwang die Mannſchaft und mehr noch die Offiziere zur Anſpannung aller Kräfte; das Freiwilligen - jahr bot das einfache Mittel den höheren Ständen die ungewohnte Laſt erträglich zu machen. Der alte, mit dem Weſen dieſes Staates feſt ver - wachſene Gedanke Friedrich Wilhelms I. fand endlich die Geſtaltung, welche den demokratiſchen Anſchauungen des neuen Jahrhunderts ent - ſprach und doch der unzerſtörbaren Ariſtokratie der Bildung gerecht wurde.

Das Wehrgeſetz gab ein unzweideutiges Zeugniß für die friedfertigen Abſichten der Regierung; mit einer Feldarmee, die zur größeren Hälfte aus Landwehren beſtand, ließ ſich eine Politik des unruhigen Ehrgeizes ſchlechterdings nicht führen. Gleichwohl ſprach aus dem Aufgebote der geſammten Nation zugleich der beſtimmte Entſchluß, die wiedererrungene Großmachtſtellung der Monarchie zu behaupten. Daher denn an allen Nachbarhöfen lebhafte Beunruhigung. Mochten einzelne Generale der alten Schule über das preußiſche Milizweſen verächtlich abſprechen, die Kriegsthaten dieſes Heeres ſtanden doch noch in zu friſcher Erinne - rung. Der franzöſiſche Kriegsminiſter Dupont zog ſogleich mit erſicht - licher Sorge bei dem preußiſchen Geſandten Erkundigungen ein und erhielt die trockene Antwort: wir wollen große Streitkräfte ohne ein unverhältnißmäßig großes ſtehendes Heer. *)Goltz’s Bericht, Paris 26. Sept. 1814.Noch beſorgter war die Hofburg; ſie fürchtete nicht blos das Erſtarken des alten Nebenbuhlers, ſondern ſie erkannte auch in dem Wehrgeſetze einen Triumph der militä - riſchen Jacobiner des ſchleſiſchen Heeres und witterte unheimliche demo - kratiſche Beſtrebungen.

Boyen aber ſah in ſeinem Geſetze das köſtliche Vermächtniß des Befreiungskrieges; er ſagte ſich mit frohem Stolze, daß die Eigenart des preußiſchen Staates in dieſen Inſtitutionen ſich verkörperte, daß Preußen in der Ausbildung ſeines Heerweſens allen anderen Staaten überlegen war und keine andere Großmacht jener Zeit, am allerwenigſten Oeſter - reich mit ſeinen murrenden Italienern, wagen durfte ihrem ganzen Volke Waffen in die Hände zu geben. In wie großem und freiem Sinne er591Boyen über die deutſche Kriegsverfaſſung.ſein Werk aufſaßte, wie treu er die Ueberlieferungen der Stein-Scharn - horſtiſchen Tage in ſeinem Feuergeiſte bewahrte, das hat der anſpruchsloſe Mann erſt nach Jahren öffentlich ausgeſprochen, als er zum fünfundzwan - zigjährigen Jubelfeſte der Landwehr jenen Ausſpruch Gneiſenaus über den dreifachen Primat in poetiſcher Form wiederholte und die Verſe ſchrieb: Der Preußen Loſung iſt die Drei Recht, Licht und Schwert!

Der Schweigſame liebte Deutſchland mit der ganzen tiefen, verhaltenen Leidenſchaftlichkeit des echten Oſtpreußen; um ſeines Vaterlandes willen war er einſt unter die Verſchwörer des Tugendbundes und nach Rußland auf die Wanderſchaft gegangen. Aber dem unbeſtimmten Idealbilde einer deutſchen Bundeskriegsverfaſſung wollte er das eigenartige Weſen ſeines preußiſchen Volksheeres nicht opfern. In einer ausführlichen Denkſchrift*)Boyens Denkſchrift über die deutſche Kriegsverfaſſung (undatirt, während des Congreſſes dem Staatskanzler übergeben). ſchilderte er dem Staatskanzler, wie in Deutſchland vier grundverſchiedene Syſteme der Kriegsverfaſſung beſtänden: das öſterreichiſche, das rheinbündiſch-fran - zöſiſche, das engliſch-hannoverſche und das preußiſche; nimmermehr dürfe Preußen den deutſchen Charakter ſeines Heeres einem Compromiſſe mit dieſen ausländiſchen Syſtemen zum Opfer bringen. Man wird doch nicht, weil der leibeigene Böhme, Raize, Bukowiner, der Landesmeinung wegen, nach harten Geſetzen behandelt werden ſoll, den Pommern und Brandenburger, blos um der lieben Uebereinſtimmung willen, ſtrengeren Vorſchriften unterwerfen wollen? Preußen kann ſeinen Standpunkt in Europa nur behaupten, wenn es die größere Uebereinſtimmung ſeiner Einwohner, die beſſere Bildung ſeines Adels und Bürgerſtandes auf das Kräftigſte zu einem eigenen Kriegsſyſteme benutzt. Wer dieſe na - tionalen Vorzüge einer augenblicklichen philanthropiſchen Idee aufopfern wollte, wäre nicht allein ein Feind Preußens, ſondern er vernichtete auch die Willenskraft, durch die ſich Preußen ſeit dem großen Kurfürſten in Europa hielt. Darum mag der künftige deutſche Bund wohl den größeren Fürſten, den Kreisoberſten, die militäriſche Führung ihrer Kreiſe anvertrauen und von allen Bundesgliedern ſehr große militäriſche Leiſtungen verlangen: Preußen hat in dieſem Kriege 60,000 Mann von der Million gegeben. Dies ſei der Maßſtab! Wer mehr geben will, wird belobt. Aber in die Organiſation unſeres Heeres darf ſich der Bund nicht einmiſchen. Wer mehr in die deutſche Kriegsverfaſſung legen will, ſchadet ſich und auch Deutſchland.

So die Meinung des berechtigten preußiſchen Particularismus, der zugleich bewußte deutſche Geſinnung war. Mochten die Kleinſtaaten noch eine Weile ihre franzöſiſchen und engliſchen Inſtitutionen behalten, da ſie doch vorderhand weder die Kraft noch den Willen beſaßen die Ge - ſchenke der Fremden aufzugeben. Unterdeſſen wuchs und reifte in Preußen592I. 5. Ende der Kriegszeit.Scharnhorſts Werk, die deutſche Kriegsverfaſſung, und einmal doch mußte die Zeit kommen, da das ausländiſche Weſen in den kleinen Staaten ſich überlebte. Dann konnte das preußiſche Volksheer ſich zum deutſchen Heere erweitern. Bei Großgörſchen ſtand ſeine Wiege, wer mochte wagen ihm die ſtolzen Siegesbahnen ſeiner Zukunft vorherzubeſtimmen? Boyen trug in ſeiner verſchloſſenen Seele die ſichere Ahnung, daß dies nationale Heer dereinſt noch reichere Kränze um ſeine Fahnen winden würde als weiland die Soldaten Friedrichs.

Derweil in Wien der große Friedenscongreß zuſammentrat, erhob ſich in Preußen eine neue Größe der deutſchen Geſchichte: das Volk in Waffen.

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Zweites Buch.

Die Anfänge des Deutſchen Bundes. 1814 1819.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 38[594][595]

Erſter Abſchnitt. Der Wiener Congreß.

Als König Friedrich Wilhelm im Herbſte nach Wien abreiſte, rechnete er auf einen Aufenthalt von drei Wochen. Aber volle neun Monate ſollten vergehen von der erſten Conferenz der Bevollmächtigten der vier alliirten Mächte am 18. September 1814 bis zu der endgiltigen Unter - zeichnung der Schlußakte des Congreſſes am 19. Juni 1815. Wer hätte auch Kraft und Luſt gefunden zu raſcher Erledigung der Geſchäfte? Die fünf Sinne forderten ihr Recht nach der krampfhaften Sorge und Un - ruhe dieſer beiden wilden Jahrzehnte. Wie einſt Paris nach dem Sturze der Schreckensherrſchaft ſich kopfüber in den Strudel des Genuſſes ge - ſtürzt hatte, ſo athmete das alte fürſtliche und adliche Europa jetzt auf, froh ſeiner wiedergewonnenen Sicherheit. Der große Plebejer war ge - fallen, der einmal doch den Hochgeborenen bewieſen hatte was eines Mannes ungezähmte Kraft ſelbſt in einer alten Welt vermag; die Helden des Schwertes verſchwanden vom Schauplatze, mit ihnen die große Leiden - ſchaft, die unerbittliche Wahrhaftigkeit des Krieges. Wie Würmer nach dem Regen krochen die kleinen Talente des Boudoirs und der Antichambre aus ihrem Verſteck hervor und reckten ſich behaglich aus. Die vornehme Welt war wieder ganz ungeſtört, ganz unter ſich. Wer hätte das gedacht, daß der greiſe Fürſt von Ligne, vor langen Jahren der Löwe der Salons im königlichen Frankreich, nun am Rande des Grabes noch einmal allen Glanz und alle Pracht der alten hochadlichen Geſelligkeit genießen und über den erlauchten Congreß, der wohl tanzte, aber nicht marſchirte, geiſtreich boshafte Epigramme ſchmieden würde?

Sie kehrte freilich nicht wieder, die naive Unbefangenheit jener guten alten Zeit, die ſo beſtimmt gewußt hatte, daß der Menſch erſt beim Baron anfängt, daß die glückliche Einfalt des Pöbels von der Spötterei und den freigeiſteriſchen Gedankenſpielen der großen Herren niemals ein Wort erfahren kann. Dem neuen Geſchlechte lag die Angſt vor den Schrecken der Revolution noch in allen Gliedern; mitten in die rauſchen -38*596II. 1. Der Wiener Congreß.den Luſtbarkeiten des Congreſſes drangen unheimliche Nachrichten von dem italieniſchen Geheimbunde der Carbonari, von der dumpfen Gährung in Frankreich, von den Zornreden der enttäuſchten preußiſchen Patrioten, von den Verſchwörungen der Griechen und dem Heldenkampfe der Ser - ben wider ihre türkiſchen Tyrannen. Mochte man immerhin ſorgſam die Thüren ſchließen und das laute Anklopfen des demokratiſchen neuen Zeitalters überhören, ganz geheuer fühlte man ſich doch nicht mehr. Wie ſonſt der Spott ſo war jetzt der Glaube Modepflicht: ein paar ſalbungs - volle Worte über Chriſtenthum und göttliches Königsrecht mußte auch das Weltkind zur Verfügung haben. Die weibiſche Zierlichkeit des acht - zehnten Jahrhunderts verrieth ſich noch, wenngleich Zopf und Puder nicht wieder auferſtanden, in den bartloſen Geſichtern, den Tabaksdoſen, den Schuhen und ſeidenen Strümpfen, in der geſuchten Eleganz der männ - lichen Kleidung; doch war der Ton des Umgangs ſchon um Vieles freier und formloſer geworden. Keine Rede mehr von den alten Rang - und Titelſtreitigkeiten, von dem pedantiſchen Gezänk über Form und Farbe der Seſſel; bald da bald dort, bei irgend einem der Bevollmächtigten fanden ſich die Miniſter zur Berathung zuſammen und unterzeichneten die Urkunden nach dem Alphabet oder auch in bunter Reihe, wie man gerade am Tiſche ſaß. Am Auffälligſten bekundeten ſich die veränderten Sitten an den großen Prunk - und Feiertagen des Congreſſes. Das Mittelalter feierte kirchliche, das Jahrhundert Ludwigs XIV. höfiſche Feſte; die neue Zeit trug einen entſchieden militäriſchen Charakter. Pa - rade und Heerſchau wurden unvermeidlich, ſo oft ſich der moderne Staat im Glanze ſeiner Herrlichkeit ſonnen wollte. Selbſt dies Oeſterreich, damals der am wenigſten militäriſche unter den großen Staaten des Feſtlandes, durfte die ungeheure Macht der neuen maſſenhaften Heere nicht ganz verkennen. Vor fünfzig Jahren hatte man noch über den militäriſchen Anſtrich des preußiſchen Hofes vornehm geſpottet, jetzt war die preußiſche Sitte allgemein eingebürgert, und auch der waffenſcheue Kaiſer Franz mußte zuweilen in der Uniform erſcheinen.

Ein Diplomaten-Congreß kann niemals ſchöpferiſch wirken; genug, wenn er die offenbaren Ergebniſſe der vorangegangenen kriegeriſchen Ver - wicklungen leidlich ordnet und ſicherſtellt. Und wie hätte dieſe Wiener Ver - ſammlung Größeres leiſten ſollen? Eine unbeſchreibliche Ermattung laſtete auf den Gemüthern, wie einſt da der Utrechter Congreß das blutige Zeit - alter Ludwigs XIV. beendigte; und wie damals Kronprinz Friedrich die allgemeine Verkommenheit der europäiſchen Staatskunſt beklagte, ſo ging jetzt die abgeſpannte und abgehetzte diplomatiſche Welt allen den unfertigen neuen Ideen der Zeit ängſtlich aus dem Wege und ließ ſichs wieder wohl ſein bei jener bequemen Staatsanſchauung des alten Jahrhunderts, die den Staat nur als einen Haufen von Geviertmeilen und Seelen be - trachtete. Die Wiener Luft that das Ihrige hinzu. Hier in dem Mittel -597Die neue Diplomatie.punkte des ungeheuren Familiengutes, das man Oeſterreich nannte, in dieſem Wirrwarr zuſammengeheiratheter Länder und Völker hatte man nie etwas geahnt von den ſittlichen Kräften, welche ein nationales Staats - weſen zuſammenhalten; und es war ſo recht im Geiſte der alten Habs - burgerpolitik, wenn Oeſterreich und Baiern jetzt ſelbander über die Frage ſtritten, ob die Unterthanen der Mediatiſirten, die ihrem Landesherrn nur wenig einbrachten, als halbe Seelen oder als Drittelſeelen zu berechnen ſeien. Mit Entrüſtung vernahmen die befreiten Völker, daß ſie nun wieder nichts ſein ſollten als eine große Heerde, die nur durch ihre Kopf - zahl Werth hatte. Im Rheiniſchen Mercur donnerte Görres gegen das herzloſe ſtatiſtiſche Weſen der Wiener Diplomaten, und Blücher ſchrieb grimmig an ſeinen alten Freund Rüchel: Der gute Wiener Congreß gleicht einem Jahrmarkt in einer kleinen Stadt, wo ein Jeder ſein Vieh hintreibt es zu verkaufen oder zu vertauſchen. Durch eine kunſtvoll ab - gewogene Vertheilung der Länder und der Leute die Wiederkehr der fran - zöſiſchen Uebermacht zu verhindern in dieſem einen Gedanken ging jetzt wie einſt zu Utrecht die ganze Weisheit der Cabinette auf. Und wie damals Caron de St. Pierre wähnte, aus der neuen, völlig willkürlichen Geſtaltung der Länderkarte werde ein unabänderlicher Friedenszuſtand hervorgehen, ſo erwachte jetzt wieder der unmännliche Traum vom ewigen Frieden, dies ſicherſte Kennzeichen politiſch ermatteter und gedankenarmer Epochen: viele treffliche Männer aus jedem Stande und jedem Volke gaben ſich im Ernſt der Hoffnung hin, daß die Weltgeſchichte in ihrer ewigen Bewegung nunmehr ſtill ſtehen, vor den Rathſchlüſſen des Wiener Areopags ehrfürchtig verſtummen würde.

Preußens Diplomatie ſtand nicht auf der Höhe ſeiner Feldherrnkunſt; keiner ſeiner Staatsmänner beſaß den kühnen, freien, ſicheren Blick Gneiſenaus. Aber das halbe und flaue Ergebniß der Wiener Verhand - lungen war durch die Natur der Dinge ſelbſt gegeben, nicht verſchuldet durch die Fehler einzelner Männer. Die ſchwerſte Krankheit des alten Staatenſyſtems, deren der treue Arndt ſoeben wieder in dem neueſten Bande des Geiſtes der Zeit warnend gedachte, die Zerſplitterung Deutſch - lands und Italiens, hatte der Befreiungskrieg nicht geheilt. Da hier wie dort die öffentliche Meinung noch in einem Zuſtande völliger Unreife verharrte, ſo brachte der Congreß beiden Völkern im Weſentlichen eine Reſtauration: den Italienern die Gebietsvertheilung von 1795, den Deut - ſchen die Wiederherſtellung jenes lockeren Nebeneinanders kleiner Monar - chien, das einſt aus der Fürſtenrevolution von 1803 hervorgegangen war. Dieſſeits wie jenſeits der Alpen hatte ſich Oeſterreich eine mittelbare, ge - ſchickt verhüllte Herrſchaft errungen, die ungleich feſter ſtand als das napoleoniſche Weltreich und den Deutſchen wie den Italienern jede Mög - lichkeit friedlicher nationaler Entwicklung abſchnitt. Ein Deutſcher Bund mit Oeſterreich und den noch unbekehrten Satrapen Bonapartes konnte598II. 1. Der Wiener Congreß.nichts anderes ſein als die verewigte Anarchie; ein Italien mit Oeſter - reich, mit dem Papſte, den Bourbonen und den Erzherzogen mußte in kläglicher Ohnmacht verharren. Es bedurfte einer langen Schule der Leiden, bis den beiden ſchickſalsverwandten Nationen die Erkenntniß der letzten Gründe ihres Unglücks aufging, bis jenes Wahngebilde des fried - lichen Dualismus, das jetzt noch, und nicht durch einen Zufall, die beſten Köpfe beherrſchte, in ſeiner Hohlheit erkannt ward und die alten ſtolzen fridericianiſchen Ueberlieferungen wieder zu Ehren kamen. Die Herſtel - lung einer wohlgeſicherten norddeutſchen Macht, wie ſie der Nation noth that, war in Wien von Haus aus unmöglich, da Preußens Schickſal zum guten Theile von dem Willen ſeiner Feinde und Nebenbuhler abhing. Ein kühner, genialer Staatsmann an Preußens Spitze hätte vermuthlich das verſchlungene Spiel der Wiener Verhandlungen weit einfacher ge - ſtaltet, die Kriſis und die Entſcheidung raſcher herbeigeführt, doch, wegen der erdrückenden Ungunſt der Umſtände, zuletzt ſchwerlich viel mehr er - reicht als wirklich erlangt wurde.

Bei dieſer vorläufig noch unheilbaren Schwäche der Mitte des Welt - theils konnte das neue Syſtem des europäiſchen Gleichgewichts, das in Wien begründet wurde, nur ein Nothbehelf ſein, ein ſchwächlicher Bau, der ſeine Dauer nicht der eigenen Feſtigkeit, ſondern allein der allgemei - nen Erſchöpfung und Friedensſeligkeit verdankte. Viele der ſchwierigſten und gefährlichſten Streitfragen des Völkerrechts mußte man unerledigt liegen laſſen und tröſtete ſich mit jener Verlegenheitsphraſe, die nun bald modiſch wurde: c’est une question vide. Immerhin blieb aus den bitteren Lehren dieſer entſetzlichen Kriegsjahre mindeſtens ein großer und neuer Gedanke als ein Gemeingut der politiſchen Welt zurück: ſelbſt die frivolen Durchſchnittsmenſchen der Diplomatie fingen an zu begreifen, daß der Staat doch nicht blos Macht iſt, wie das alte Jahrhundert ge - wähnt hatte, daß ſein Leben doch nicht allein in der Belauerung und behenden Uebervortheilung der Nachbarmächte aufgeht. Der Anblick jener Triumphe, welche der Revolution und ihrem gekrönten Helden durch die Zwietracht der alten Mächte bereitet wurden, hatte doch endlich ein leben - diges europäiſches Gemeingefühl erweckt. Die befreite Welt war ernſtlich geſonnen in einer friedlichen Staatengeſellſchaft zuſammenzuleben; ſie fühlte, daß den Staaten, trotz aller trennenden Intereſſen, eine Fülle großer Culturaufgaben gemeinſam war, die allein durch freundliche Ver - ſtändigung gelöſt werden konnten. Mochte die mechaniſche Staatsan - ſchauung vergangener Tage noch überwiegen, die gewiſſenloſe Staats - raiſon der alten Cabinetspolitik war bereits im Untergehen; und es bleibt das dauernde hiſtoriſche Verdienſt des Wiener Congreſſes, daß er für den freundnachbarlichen Verkehr der Staatengeſellſchaft einige neue For - men und Regeln fand. Ein Fortſchritt war es doch, daß man ſich über die Vorſchriften der internationalen Etikette, über die Rangordnung der599Die neue Staatengeſellſchaft.diplomatiſchen Agenten und viele andere unſcheinbare aber unentbehr - liche Vorausſetzungen eines geordneten Völkerverkehres endlich einigte. Zur See blieb freilich Alles beim Alten. Hier galt kein Völkerrecht, ſondern die Uebermacht Englands; nimmermehr wollte die Hoffart der Meeres - königin ſich auch nur zu einer Verſtändigung über den Flaggengruß her - beilaſſen.

Noch folgenreicher wurden die Verträge über die Schifffahrt auf den conventionellen, mehreren Staaten gemeinſam angehörigen Flüſſen, ein mühſeliges Werk, woran Humboldts Fleiß und Scharfſinn das Beſte that. Die Handelspolitik des achtzehnten Jahrhunderts hatte grundſätz - lich den eigenen Nutzen in der Schädigung des Nachbars geſucht; jetzt zum erſten male berief ſich ein europäiſcher Vertrag auf die Lehre der neuen Nationalökonomie, daß die Erleichterung des Verkehres im gemein - ſchaftlichen Intereſſe aller Völker liege. Auch ein großes gemeinſames Werk chriſtlicher Barmherzigkeit wurde ſchon in Angriff genommen: die Mächte einigten ſich über die Abſchaffung des Negerhandels. Allerdings vorerſt nur über den Grundſatz, da Spanien und Portugal bindende Verpflichtungen nicht übernehmen wollten. Aber mit Alledem ward doch die Bahn gebrochen für eine lange Reihe von Verträgen, welche das Netz des völkerverbindenden Verkehres immer enger flochten, den Rechtsſchutz für die Ausländer immer ſicherer ſtellten. Der neu erwachte National - ſtolz hatte den geſunden Kern der alten deutſchen Weltbürgergeſinnung keineswegs zerſtört. Kaum war der Imperator geſtürzt, ſo legte der wackere preußiſche Juriſt Sethe dem Freiherrn vom Stein in einer Denk - ſchrift dar, wie viele harte und feindſelige Beſtimmungen gegen die Aus - länder der Code Napoleon enthalte*)Sethe an Stein, Düſſeldorf, 13. Mai 1814.; Gelehrte und Geſchäftsmänner be - ſtürmten die deutſche Diplomatie um Sicherung der Rechte der Fremden. Mit dem Wiener Congreſſe begann in der That eine neue Epoche des Völkerrechts, eine menſchlichere Zeit, welche den großen Namen der Staa - tengeſellſchaft allmählich zur Wahrheit machte und namentlich dem inter - nationalen Privatrechte endlich einen poſitiven Inhalt gab.

An dieſem großen Fortſchritte des Völkerrechts hatte freilich der Auf - ſchwung des Weltverkehres ein größeres Verdienſt als die bewußte Ein - ſicht der Mitglieder des Congreſſes. Wie hätte ſich auch eine ernſte und tiefe politiſche Geſinnung entwickeln können in dieſer glänzenden und rauſchenden Verſammlung, der prächtigſten und zahlreichſten, welche die Welt ſeit dem großen Koſtnitzer Kirchentage geſehen hatte? Alle Mächte Europas, mit einziger Ausnahme des Sultans, waren vertreten. Auf dem Graben und auf den Baſteien des alten Wiens, im Prater und an der großen Diplomatenbörſe, dem Gaſthofe zur Kaiſerin von Oeſterreich , drängte ſich das bunte Gewimmel von Fürſten und Prätendenten, Staats -600II. 1. Der Wiener Congreß.männern und Offizieren, Prieſtern und Gelehrten, Abenteurern, Gaunern und Supplikanten, unterthänigſt angeſtaunt und unterthänigſt ausgebeutelt von den gemüthlichen Wienern, die ſich an den hohen Herrſchaften gar nicht ſatt ſehen konnten. Die Erbſünde des gemeinen Durchſchnitts - ſchlages der Diplomaten, die Vermiſchung der ernſten Staatsgeſchäfte mit der Tändelei, dem Ränkeſpiel und dem Klatſch des Salons, gedieh zur üppigſten Blüthe. Häßlicher als die unvermeidliche Sittenloſigkeit dieſes großen Fürſtenbacchanals erſchien die lächelnde Verlogenheit, die ſich jetzt zur Virtuoſität ausbildete: wer hier etwas gelten wollte mußte ſich auf die Kunſt verſtehen Morgens ein geheimes Kriegsbündniß gegen ſeine täglichen Tiſchgenoſſen abzuſchließen und Nachmittags mit den nämlichen Freunden wieder in ungetrübter Zärtlichkeit zu verkehren.

Ueber dem ganzen glitzernden und blitzenden Treiben lag der Hauch jener trivialen Gedankenloſigkeit, welche das Habsburgerregiment auf dem Wiener Boden eingebürgert hatte. Die Zeit war dahin, da das wackere Bürgerthum der ehrenfeſten deutſchen Landſtadt Wien ſich ſeine herrlichen Kirchen errichtete. Was hatten dieſe langen drei Jahrhunderte, ſeit die Donauſtadt der Mittelpunkt eines großen Reiches geworden, an Schönem gebaut und gebildet? Nichts, gar nichts, kaum daß der Kuppelbau der Karlskirche und das Belvedereſchloß mindeſtens einige Eigenthümlichkeit zeigten. Sonſt allüberall, an dem häßlichen Häuſerhaufen der Burg wie an den Paläſten des reichen Adels, dieſelbe abſchreckende Geſchmack - loſigkeit. Einige Kunſtſammlungen waren wohl vorhanden, doch Niemand beachtete ſie; die Schätze der Ambraſer Sammlung lagen vergeſſen, Karl Auguſt von Weimar entdeckte ſie erſt jetzt von Neuem, denn der geiſtvolle Fürſt hielt es in der ſchalen Nichtigkeit dieſer geſelligen Freuden nicht aus und durchſtreifte die Stadt nach feineren Genüſſen ſuchend. Es war noch ganz das von Schiller verſpottete alte Wien, die Stadt der Phäaken mit ihrem ewigen Sonntag und dem ewig ſchnurrenden Brat - ſpieß. Keine Spur von wiſſenſchaftlicher Thätigkeit: wer hatte von der altehrwürdigen Univerſität je etwas gehört, außer daß ſie ein wohleinge - richtetes Hospital mit einigen trefflichen Aerzten beſaß? Dazu der dumpfe Druck der geheimen Polizei und ein allgemeiner politiſcher Stumpfſinn. Kein Menſch in dieſem luſtigen Völkchen bekümmerte ſich um die politiſche Thätigkeit des Congreſſes; der Oeſterreichiſche Beobachter brachte in neun Monaten einen einzigen Artikel über die Geſchäfte der erlauchten Ver - ſammlung, und Niemand fand das ſonderbar. Allein die Blüthe des Theaters ließ errathen, daß hier doch ein reichbegabter Menſchenſchlag lebte und das verfallene geiſtige Leben dereinſt doch wieder erwachen konnte. Die Bildung in den Kreiſen der öſterreichiſchen Magnatenge - ſchlechter war noch ganz franzöſiſch; nur mit den Herren aus Preußen ſprach man deutſch um dem nordiſchen Teutonenthum doch eine Liebens - würdigkeit zu erweiſen. Der Esprit der alten bourboniſchen Ariſtokratie601Das Wiener Leben.fehlte freilich ganz, und auch die großen Judenhäuſer, welche jetzt, Dank der Finanznoth des Hauſes Oeſterreich, zum erſten male als eine Macht auftraten und in die vornehme Welt eindrangen, die Firmen Arnſtein, Eskeles, Herz waren damit nicht allzu reich geſegnet.

Unvermeidlich wirkte die geiſtige Armſeligkeit dieſer Umgebung auf den ganzen Ton des Congreſſes zurück. Das flache Vergnügen bot hier den ein - zigen Schutz gegen die Langeweile. Maskenzüge und Praterfahrten, Bälle und Spielpartien, Schmauſereien und lebende Bilder drängten einander in eintönigem Wechſel, ſo daß die Arbeit der Diplomatie lange kaum beginnen konnte. Eine kauſtiſche Bemerkung des Fürſten von Ligne oder eine Skan - dalgeſchichte von Metternich, der niemals weniger als zwei Damen zu - gleich mit ſeiner Gunſt beehrte, oder eine Witzelei über die neu erfundene Draiſine des Barons Drais, deren humpelnde Bewegung dem Fortſchreiten der Congreßverhandlungen ſo verzweifelt ähnlich ſah, oder ein Urtheils - ſpruch jenes hohen Gerichtshofs der Feinſchmeckerei, der an Talleyrands Tafel den Käſe von Brie feierlich zum König des Käſegeſchlechtes ausrief das waren die Silberblicke in dieſer ungeheuren Fadheit. Es ſchien, als wollte der wiederhergeſtellte alte Fürſtenſtand den Völkern Europas recht gründlich zeigen, für welches Nichts ſie geblutet hatten. Man hat viel von Napoleon gelernt, ſagte Karl Auguſt bitter, unter Anderem auch die Frechheit.

Nicht ohne Geſchick ſpielte der Hausherr, Kaiſer Franz die Rolle des ehrwürdigen Patriarchen unter dem hohen Adel, obgleich er noch kaum ſiebenundvierzig Jahre zählte. Er ließ ſichs nicht verdrießen, täglich fünfzigtauſend Gulden für die kaiſerliche Tafel, für den Congreß insge - ſammt 16 Millionen Gulden auszugeben, während ſeine unbezahlten In - validen auf den Landſtraßen betteln gingen; der pfiffige Rechner wußte wohl, welche Vortheile ihm die Stellung des Wirthes bot. Wie rührend erſchien den durchlauchtigen Gäſten dieſe mehr als unſcheinbare Geſtalt in ihrem abgeſchabten blauen Rocke, mit dem gemüthlichen kleinbürgerlichen Weſen. Ein geborener Florentiner war Franz erſt als junger Mann an die Donau gekommen; aber die Maske des biederen, treuherzig groben Oeſterreichers, die er damals vor ſein Geſicht genommen, ſaß ihm jetzt wie angegoſſen, weil ſie ſeinem Phlegma und ſeinen vulgären Neigungen entſprach. Niemand auf der Welt vermochte ihm jemals ein Gefühl herzlichen Wohlwollens zu entlocken; ſpurlos rauſchten die Schickſals - wechſel einer ungeheuren Zeit über den Stumpfſinn ſeiner Selbſtſucht dahin. Er begnadigte niemals, außer wenn der Verbrecher ſelber um den Tod bat; er leitete in eigener Perſon die Mißhandlung der politiſchen Gefangenen, beſtimmte jedem ſelber die Schwere der Ketten und die Zahl der Faſttage und kannte keine ſüßere Erholung als das Durchleſen er - brochener Briefe; er hatte ſchon zwei Frauen verloren und ſollte bald auch die dritte begraben um ſofort wieder mit unwandelbarer Gemüths -602II. 1. Der Wiener Congreß.ruhe die vierte zu heirathen; er umgab ſich grundſätzlich nur mit Menſchen von unſauberer Vergangenheit, die er jederzeit mit einem Fußtritt ent - laſſen konnte. Trotz Alledem und trotz dem böſen Blicke ſeiner kalten harten Augen, trotz der ſo nahe liegenden Erinnerung an ſeinen Familien - und Geiſtesverwandten Philipp II. von Spanien glaubte alle Welt an die kindliche Unſchuld des herzloſen, mißtrauiſchen Despoten. Sein poli - tiſches Syſtem war das denkbar einfachſte. Nach allen den Plagen und Sorgen dieſer wüſten Jahre wollte er endlich wieder ſeine Ruhe haben, wollte wieder als ein fleißiger Hofrath Stöße von Akten mit nichtsſagen - den Randbemerkungen bemalen, in Mußeſtunden die Geige ſpielen, Papier ausſchneiden, Vogelbauer lackiren und was ſonſt der k. k. Ausſchweifungen mehr war. Geiſtlos und denkfaul wie die Mehrzahl ſeiner Ahnen, völlig unfähig einen neuen politiſchen Gedanken auch nur zu verſtehen, ſah er in allen den revolutionären und nationalen Ideen, welche das neue Jahr - hundert bewegten, nichts als Bosheit und Dummheit, nichts als ſträf - liche Auflehnung gegen das fromme Erzhaus. Mit dieſer Gedanken - armuth verband ſich aber eine durchtriebene Bauernſchlauheit, ein gewiſſer roher Inſtinkt für das politiſch Erreichbare: der Kaiſer fühlte ſehr richtig, daß ſein Haus nahezu Alles was ſich nur wünſchen ließ bereits erlangt und jede Aenderung in der Staatengeſellſchaft als eine Gefahr zu fürchten hatte. So ward er aus Neigung, Grundſatz und Berechnung ein ge - ſchworener Feind jeder, aber auch jeder Neuerung, ein argwöhniſcher Geg - ner der beiden ehrgeizigen Nachbarmächte, Rußlands und vornehmlich Preußens.

Wenn es dem guten Kaiſer nicht leicht fiel aus ſeinen prunkloſen Alltagsgewohnheiten hinauszutreten in die prächtige Geſellſchaft des Con - greſſes, ſo ſchwamm ſein vielgewandter Metternich vergnüglich wie ein Fiſchlein in dem glänzenden Strudel. So wohl war es ihm nie mehr geworden ſeit jenen lockeren Jugendtagen, da er an den leichtlebigen geiſt - lichen Höfen der rheiniſchen Heimath ſeine Schule durchgemacht hatte. Niemand verſtand wie er, in der Pauſe zwiſchen Diner und Maskenball eine diplomatiſche Intrigue einzufädeln, vor der Fahrt zum Stelldichein noch raſch eine Depeſche abzuthun oder mit dem Ausdrucke wärmſter Zärtlichkeit in den ſchönen blauen Augen einen Herzensfreund recht gründ - lich anzulügen. Auch ſah er es keineswegs ungern, wenn ſeine preußiſchen Freunde ihn für leichtfertiger hielten als er war und für Vergeßlichkeit und Nachläſſigkeit nahmen was aus böſer Abſicht hervorging. Denn wie er in ſeinem Hauſe bei allem Aufwande immer ein umſichtiger Wirth blieb, hab - ſüchtig, genau bis zum Geize, ſo hielt er auch mitten im Gewirr der ge - ſelligen Zerſtreuungen ſeine politiſchen Pläne mit zäher Ausdauer feſt. Er ſah in dieſem großen Fürſtentage auf öſterreichiſchem Boden einen großen Triumph der habsburg-lothringiſchen Staatskunſt, betrachtete die Be - ſchlüſſe der erlauchten Verſammlung wie ſein eigenes Werk und dachte603Der öſterreichiſche Hof.durch ſie der Bewegung des Völkerlebens ein - für allemal eine feſte Schranke zu ſetzen. Gleich ſeinem Kaiſer ſah er ein, daß ſein Oeſter - reich nur noch eine conſervative Politik verfolgen konnte, und wollte wie jener die revolutionären Ideen der Völker durch eine ſcharfe polizeiliche Aufſicht bändigen, den Ehrgeiz der beiden aufſtrebenden jungen Oſtmächte unter dem Scheine zärtlicher Freundſchaft zügeln. Daher das feſte Bünd - niß mit den gleichgeſinnten engliſch-hannoverſchen Torys und das bereits vorbereitete gute Einvernehmen mit dem bourboniſchen Hofe. Der natio - nalen Politik Preußens hatten die Verträge mit den Rheinbundsſtaaten ſchon einen Riegel vorgeſchoben; jetzt galt es zunächſt durch die Erret - tung Sachſens die kleinen Kronen noch feſter an das Haus Oeſterreich anzuſchließen und ſodann die Türkei vor Rußlands Uebergriffen ſicher zu ſtellen. Durch die Bekämpfung der Osmanen war Oeſterreich einſt emporgekommen und in Wahrheit erſt zu einem Staate geworden; der gedankenloſen Ruheſeligkeit dieſer neuen Staatsweisheit erſchien umgekehrt die Erhaltung der letzten Trümmer der Osmanenherrſchaft als eine heilige Aufgabe. Für den himmelſchreienden Jammer der ſerbiſchen und grie - chiſchen Rajah hatte man in der Hofburg nur ein frivoles Lächeln. Ein Gefühl innerer Wahlverwandtſchaft verband dies neue Oeſterreich, das ſich in ſeinen italieniſchen Provinzen nur durch das Schwert aufrecht erhalten konnte, mit der hohen Pforte. Schon ſeit Anfang 1813 hatte Gentz mit dem Hospodaren der Walachei, Janko Karadja, einen regel - mäßigen vertrauten Briefwechſel eröffnet, der den Divan, unſeren treue - ſten Alliirten, über die Lage der Welt und die Abſichten des Wiener Hofes genau unterrichten ſollte. Vergeblich war Metternich ſeit dem Herbſt des nämlichen Jahres bemüht geweſen, den Czaren dahin zu überreden, daß der Sultan mit in die europäiſche Fürſtenfamilie aufge - nommen, ſein Beſitzſtand durch alle Mächte insgeſammt feierlich verbürgt werden ſollte.

Dieſe Lücke in dem großen Syſteme der Stabilitätspolitik ſollte jetzt noch ausgefüllt werden. Gelang dies und wurden auch die polniſchen Pläne Alexanders vereitelt, ſo war nach Metternichs Meinung das Werk des Congreſſes auf unabſehbare Zeiten hinaus ſichergeſtellt. So ſpiegelte ſich in dieſem Kopfe die Welt. Genuß und Ruhe war ihm das höchſte Ziel der Politik, und nur die Furcht vor einer Ruheſtörung vermochte ihm einen tapferen Entſchluß zu entreißen. Ewige Zerſplitterung Deutſchlands, alſo daß die ſouveränen Kleinkönige freiwillig bei Oeſterreich Schutz ſuchten gegen Preußen und den höchſtgefährlichen Gedanken der deutſchen Einheit ; ewige Ohnmacht Italiens, das, wie Lord Caſtlereagh den klagenden Pie - monteſen trocken erwiderte, um der Ruhe Europas willen immer getheilt bleiben mußte und in den Augen der Hofburg nur ein geographiſcher Name war; Frankreich bewacht durch eine Reihe friedfertiger Mittelſtaaten, die vom Texel bis zum liguriſchen Meere hin den gefährlichen Staat um -604II. 1. Der Wiener Congreß.geben und von jeder Berührung mit den Großmächten abſperren ſollten; Rußland im Zaume gehalten durch das geſammte Europa, das die Türken unter ſeinen Schutz nahm; die Revolution zerſchmettert durch den vereinten Widerſtand der Höfe, wo und wie ſie ſich auch zeigte: in ſolchen Formen etwa ſtellte ſich Metternich das neue von Oeſterreich geleitete Europa vor. Es war ein Syſtem der Seelenangſt, die Ausgeburt eines ideenloſen Kopfes, der von den treibenden Kräften der Geſchichte nicht das Mindeſte ahnte; aber dieſe Politik entſprach dem augenblicklichen Bedürfniß der öſterreichiſchen Monarchie, ſie entſprach der allgemeinen Schlummerſucht der ermatteten Welt und ſie ging ans Werk mit gewiegter Schlauheit, mit gründlicher Kenntniß aller gemeinen Triebe der menſchlichen Natur, ſie verſtand ſich meiſterhaft auf jene kleinen Künſte gemüthlich lächelnder Verlogenheit, worin von Alters her die Stärke der habsburgiſchen Staats - kunſt lag.

Unter den fremden Gäſten erregten die Engländer das größte Auf - ſehen. Eine ſolche Toilette, wie ſie die coloſſale Lady Caſtlereagh trug, ſo altmodiſch, grell und abgeſchmackt, war den glatten Continentalen lange nicht vorgekommen. Die ſeit Jahren von dem Feſtlande abgeſperrten Inſulaner erſchienen wie Geſtalten aus einer anderen Welt; überall reizten ſie den Spott durch die wunderlichen Schrullen ihres Spleens, den Widerwillen durch ihren protzenhaften Uebermuth. Die geſammte vornehme Welt lachte ſchadenfroh, als die Wiener Fiakerkutſcher einmal das allge - meine Urtheil über die britiſche Beſcheidenheit auf dem Rücken des Ge - nerals Charles Stewart urkundlich beglaubigten. Erſt gegen das Ende des Congreſſes traf Wellington ein, endlich ein würdiger Vertreter der großen Seemacht, aber auch er verſtand von den deutſchen Dingen nicht mehr als ſeine armſeligen Genoſſen Caſtlereagh und Cathcart, hielt ſich wie dieſe an die Rathſchläge der Oeſterreicher und der Hannoveraner.

Wie anders wußte der Czar ſich zur Geltung zu bringen. Er ſpielte noch gern den ſchönen jungen Mann, man ſah ihn zuweilen Arm in Arm mit den durchlauchtigen jungen Cavalieren von der böhmiſchen oder der ungariſchen Nobelgarde. Dabei bewahrte er doch die ſalbungs - volle Weihe des Weltheilands und Weltbefreiers; noch nie hatte er ſo beredt und ſanft über die Beglückung des Menſchengeſchlechts geſprochen. In einer Inſtruction, die er von Wien aus an alle ſeine Geſandten ſchickte, ſchlug er einen Ton an, der an die Sprache des Rheiniſchen Mercurs erinnerte: der Sturz Napoleons, ſagte er geradezu, ſei bewirkt durch den Sieg der öffentlichen Meinung über die Anſichten der meiſten Cabinette; für die Zukunft müſſe jedes Volk in den Stand geſetzt werden ſelber ſeine Unabhängigkeit zu vertheidigen; darum keine Zerſtückelung der Länder mehr und Einführung des Repräſentativſyſtems in allen Staaten! Und abermals war Alexander in der glücklichen Lage daß ſeine weltbefreienden Gedanken mit ſeinem perſönlichen Intereſſe genau zuſam -605Alexander und Friedrich Wilhelm.mentrafen. Unterwegs hatte er einige Tage in Pulawy, dem prächtigen Schloſſe Czartoryskis verweilt und in vollen Zügen die berauſchenden Huldigungen der ſchönen polniſchen Damen genoſſen; nun brachte er ſeinen ſarmatiſchen Freund mit nach Wien und trat offen auf als con - ſtitutioneller König des neuen Polenreichs.

Neſſelrode, der Freund Metternichs, fiel faſt in Ungnade; ſein Wort galt wenig neben den Anſichten Czartoryskis und Capodiſtrias. Dieſer geiſtreiche Corfiot verhehlte kaum, daß er den ruſſiſchen Dienſt nur als eine Staffel anſah um dereinſt der Held und Befreier ſeines griechiſchen Vaterlandes zu werden; allen geknechteten Völkern brachte er ſeine be - geiſterte Theilnahme entgegen, zu allermeiſt dem unglücklichen Italien, das ihm als die Schickſalsſchweſter ſeiner Hellas theuer war. Die neu - gegründete Hetärie von Odeſſa und der Philomuſenbund der Athener fanden an ihm einen Beſchützer. Bald ſah man einige der ruſſiſchen Herren mit dem goldenen und dem ehernen Ringe der beiden helleniſchen Bünde geſchmückt, der junge Fürſt Ypſilanti warb rührig für die griechiſche Sache. Auch deutſche Prinzen, Gelehrte und Staatsmänner ſchloſſen ſich bereits den Philhellenen an; Haxthauſens ſchöne Sammlung neugriechiſcher Bal - laden ging von Hand zu Hand, erweckte zugleich altclaſſiſche Erinnerungen und chriſtlich-romantiſche Schwärmerei. Wie conſervativ die Zeit auch dachte, dieſen Großtürken, der ſoeben die Serben ſchaarenweiſe ſchinden, pfählen und röſten ließ, wollten die deutſchen Idealiſten doch nicht als einen legitimen Fürſten gelten laſſen. Metternich ſah mit Sorge, daß die gehoffte europäiſche Geſammtbürgſchaft für ſeinen türkiſchen Schützling doch noch im weiten Felde lag, und beobachtete mit wachſendem Mißtrauen die revolutionäre Geſinnung des Czaren, der auch mit Stein wieder in ein freundliches Verhältniß trat und den Deutſchen eine lebensfähige Bundesverfaſſung wünſchte. Ein Unglück nur, daß der Freiherr kein Amt bekleidete; ſo konnte er wohl Allen freimüthig ins Gewiſſen reden, doch in den kritiſchen Augenblicken der Verhandlungen niemals den Aus - ſchlag geben.

Der Anſpruchsloſigkeit König Friedrich Wilhelms ward das ewige Gepränge bald unausſtehlich, er ſehnte ſich heim zur geordneten Arbeit in ſeinem ruhigen Schloſſe und langweilte ſich gründlich auf den rauſchen - den Feſten, kaum daß er ſchüchtern der ſchönen Gräfin Julie Zichy ein ganz klein wenig den Hof machte. Seine Meinung über die Unentbehr - lichkeit der ruſſiſchen Allianz ſtand feſt, jedoch wagte er noch nicht den abweichenden Anſichten Hardenbergs und Humboldts ein entſchiedenes Nein entgegenzuſtellen und ließ ſich ſogar zum täglichen Umgang den er - klärten Gegner Rußlands Kneſebeck gefallen, der, allezeit eifrig öſterreichiſch, ſich wie Metternich für den Sultan begeiſterte. Dem leichtlebigen Staats - kanzler behagte das bunte Treiben wohl; er hörte es gern, wenn man ihm unter den älteren, wie dem Fürſten Metternich unter den jüngeren Männern606II. 1. Der Wiener Congreß.des Congreſſes den Preis der Anmuth und Liebenswürdigkeit zuerkannte; ſeine abnehmenden Kräfte litten ſichtlich unter der unabläſſigen Zerſtreu - ung. Glücklicher wußte Humboldt die Strapazen des Genuſſes zu er - tragen und im Taumel der geſelligen Freuden ſeinen zähen Fleiß zu be - wahren. An Geiſt und Bildung, an Rührigkeit und ehrenhafter Geſinnung gebrach es den preußiſchen Staatsmännern nicht. Humboldt und die Ge - heimen Räthe der Hardenbergiſchen Staatskanzlei Stägemann, Jordan, Hoffmann, waren, neben Gentz, die beſten Arbeitskräfte des Congreſſes; ſie beſorgten faſt allein die ſchwierigen ſtatiſtiſchen Berechnungen, welche der Neugeſtaltung der Karte Europas zur Unterlage dienten, und wurden durch ihre unerbittlichen Zahlen den Fremden oft unbequem, namentlich den Franzoſen, die jederzeit mit der Geographie auf geſpanntem Fuße gelebt haben. Ueber den gelehrten Statiſtiker Hoffmann ſagte Talleyrand einmal erboſt: wer iſt denn der kleine Mann da, der alle Köpfe zählt und ſeinen eigenen verliert? Aber die Spannkraft des Entſchluſſes, die aus dem Labyrinth der diplomatiſchen Ränke einen ſicheren Ausweg ge - funden hätte, war dieſen treuen Arbeitern verſagt. Im Ganzen trat das kleine Gefolge des Königs, bis auf die Lebemänner Prinz Auguſt und Hardenberg, ſchlicht und ehrbar auf; die luſtigen Wienerinnen begriffen gar nicht, warum des Königs Bruder, der ſchöne vielumworbene Prinz Wilhelm, der doch ſeinen Löwenmuth vor dem Feinde gezeigt hatte, gegen die Damen ſo mädchenhaft ſchüchtern war und ſeiner geliebten Gemahlin gar nicht vergeſſen wollte.

Den zahlreichſten und bunteſten Theil der erlauchten Geſellſchaft bildeten natürlich die deutſchen Kleinfürſten. Da war Keiner, von dem Baiern Max Joſeph bis herab zu Heinrich LXIV. von Reuß, der nicht geſchäftig um die Gnade der fremden Herrſcher warb; die Ruſſen erzähl - ten mit unverhohlener Verachtung, welche Berge deutſcher durchlauchtiger Bettelbriefe im Cabinet ihres Kaiſers aufgeſchichtet lagen. Da war Keiner, der nicht ſeine angemaßte Souveränität als ein unantaſtbares Heiligthum betrachtete: ſeit den Verträgen des vergangenen Herbſtes fühlte man ſich dieſes napoleoniſchen Geſchenkes wieder ſo ſicher, daß Einer der Kleinſten unbefangen zu Stein ſagen konnte: ich weiß es wohl, die Souveränität iſt ein Mißbrauch, aber ich befinde mich wohl dabei. Zu den Souveränen geſellte ſich die dichte Schaar der Mediatiſirten, die noch immer auf die Anerkennung ihres formell unbeſtreitbaren Rechts hofften, obgleich ihr Schickſal ſchon in Ried und Fulda entſchieden war. Ihr Führer war die Fürſtin Mutter von Fürſtenberg, eine tapfere und kluge Dame; un - ermüdlich vertrat ſie die Intereſſen ihrer Leidensgenoſſen, im Verein mit dem Geheimen Rathe Gärtner, dem viel verſpotteten surchargé d’affaires, den ſich die Entthronten auf gemeinſchaftliche Koſten hielten.

Dazu Abgeordnete aus verſchiedenen deutſchen Landſchaften, die ihre alte Dynaſtie zurückforderten: Freiherr von Summerau und Dr. Schlaar im607Die deutſchen Fürſten.Auftrage der öſterreichiſchen Partei des Breisgaus, eine Deputation aus Düſſeldorf, die wieder pfalz-bairiſch werden wollte u. ſ. w. Nicht minder eifrig verlangten die drei Oratoren der katholiſchen Kirche Deutſchlands, Wamboldt, Helfferich und Schies die Wiederherſtellung der durch den Reichs - deputationsſchluß vernichteten geiſtlichen Staaten oder doch mindeſtens die Herausgabe des geraubten Kirchengutes. Sie ſtanden unter dem Schutze des päſtlichen Geſandten, des gewandten, geiſtreichen Cardinals Conſalvi; der Convertit Friedrich Schlegel, der Neffe Goethes, Rath Schloſſer aus Frankfurt und ein großer an guten Köpfen reicher Kreis von Cleri - calen ſchloß ſich ihnen an. Aber auch auf dem kirchlichen Gebiete zeigte ſich die unendliche Zerſplitterung des vielgeſtaltigen deutſchen Lebens. Denn neben dieſen Vertretern der römiſchen Papſtkirche erſchien der Coad - jutor von Conſtanz, Freiherr von Weſſenberg, noch einer von den milden, aufgeklärten hochadlichen Kirchenfürſten des alten Jahrhunderts famo - sus ille Wessenbergius nannte ihn eine päpſtliche Bulle. Der hoffte auf eine deutſche Nationalkirche und dachte ſeinem Auftraggeber, dem ent - thronten Großherzog von Frankfurt Dalberg, den Primat Germaniens zu verſchaffen. Dazu eine Reihe ehrenfeſter republikaniſcher Staatsmänner aus den Hanſeſtädten, an ihrer Spitze der wackere Smidt von Bremen, der während des Winterfeldzugs im großen Hauptquartiere tapfer aus - gehalten und ſich durch Klugheit und Zuverläſſigkeit allgemeine Achtung erworben hatte; dann Jakob Baruch aus Frankfurt als Vertreter der deutſchen Judenſchaft; dann der kluge Buchhändler Cotta aus Stuttgart, der mit feiner Spürkraft bereits witterte, daß die Entſcheidung der deut - ſchen Dinge in Oeſterreichs Händen lag, und darum ſeine Allgemeine Zeitung der Hofburg zur Verfügung ſtellte; und ſo weiter eine unend - liche Reihe von Strebern, Horchern und Bittſtellern.

Als die eigentlichen Vertreter der troisième Allemagne, wie die Franzoſen ſagten, erſchienen die Häupter der Mittelſtaaten. Allen dieſen Creaturen Napoleons war das Herz geſchworen von Neid wider das ſieg - reiche Preußen. Das ließ ſich doch nicht ertragen, daß der Staat Fried - richs den Deutſchen wieder ein Vaterland, wieder ein Recht zu frohem Selbſtgefühle gegeben hatte. Herunter mit dem waffengewaltigen Adler in den allgemeinen Koth deutſcher Ohnmacht, Zankſucht und Armſeligkeit in dieſem Gedanken fanden ſich die Satrapen des Bonapartismus behaglich zuſammen. Den Staat zu ſchwächen, der allein das Vaterland vertheidigen konnte, ſchien Allen eine ſelbſtverſtändliche Forderung deutſcher Freiheit. Selbſt jener bürgerlichſte aller Könige, der alltäglich, mit Jeder - mann ſchäkernd und plaudernd, in den Straßen Wiens umherſchlenderte, jener allbekannte gemüthliche Herr, der mit ſeinem derbluſtigen Weſen bald an einen altfranzöſiſchen Oberſten, bald an einen bairiſchen Bierbrauer erinnerte, ſelbſt König Max Joſeph betrieb den Kampf gegen Preußen mit ſchwerem Ernſt, befahl ſeinem Bevollmächtigten in Gegenwart der Mo -608II. 1. Der Wiener Congreß.narchen, ſchlechterdings nichts zu unterzeichnen, ſo lange der König von Sachſen nicht wieder eingeſetzt ſei. Nicht anders dachte ſein Sohn, der excentriſche Kronprinz Ludwig, obgleich er zum Aerger des Vaters ſich zu den begeiſterten Teutonen hielt und gern mit großen Worten von teutſchen Sinnes teutſcheſter Bewährung ſprach.

Ungleich herausfordernder trat der württembergiſche Despot auf. Als Senior hatte er unter den gekrönten Häuptern überall den Vortritt und ſchloß daraus mit dem naiven Dünkel des deutſchen Kleinfürſtenſtandes, daß er nun wirklich der Vornehmſte von Allen ſei, gab ſtets die reichſten Trinkgelder, um die Großmächtigkeit der neuen Schwabenkrone zu erweiſen, bemühte ſich in Worten und Gebärden dem gefallenen Imperator nach - zuahmen, ſo weit ſein ungeheurer Leibesumfang dies erlaubte, bekundete ſeinen Ingrimm über den Untergang der rheinbündiſchen Herrlichkeit ungeſcheut in rohen Zornreden. Auch ſein Thronfolger war wie der bairiſche ein Gegner der bonapartiſtiſchen Geſinnung des Vaters. Ein raſt - loſer Ehrgeiz arbeitete in der Seele dieſes Kronprinzen Wilhelm; da er ſich in dem letzten Winterfeldzuge als ein tapferer und geſchickter Offizier gezeigt hatte, ſo hoffte er auf das Generalat der deutſchen Bundesarmee. Seine Geliebte, die geiſtreiche Großfürſtin Katharina beſtärkte ihn in ſeinen ſtolzen Träumen; das junge Paar verſtand einen ſolchen Nimbus geiſtiger Größe um ſich zu verbreiten, daß ſelbſt nüchterne Männer meinten, von dem Stuttgarter Hofe werde dereinſt ein neues Zeitalter über Deutſch - land ausgehen. Man überſchätzte den Prinzen allgemein, und Manche ſahen in ihm ſchon den künftigen deutſchen Kaiſer; von den ſo ungleich größeren Leiſtungen der preußiſchen Generale wollte der deutſche Parti - cularismus ſchon nichts mehr hören.

Unter den Staatsmännern der kleinen Höfe thaten ſich namentlich Drei hervor, Wrede, Münſter und Gagern, Jeder in ſeiner Weiſe ein typiſcher Vertreter jener den kleinſtaatlichen Diplomaten eigenthümlichen impotenten Großmannsſucht, welche ſchon ſo viel Schmach über Deutſch - land gebracht hatte und nunmehr während eines halben Jahrhunderts das große Wort in unſerem Vaterlande führen ſollte. Als ein tapferer Haudegen hatte ſich Wrede immer bewährt, ſeit jenen Tagen, da er den Landſturm der Odenwälder Bauern gegen die Sansculotten führte, bis herab zu der Entſcheidungsſchlacht von Arcis, wie die ſervile bairiſche Preſſe ſagte. Von wirklichem Feldherrntalente beſaß er ſo wenig wie von edler Geſinnung und ernſter Bildung. Im Stehlen und im Plündern hatte er es den verworfenſten napoleoniſchen Marſchällen gleich gethan, vornehmlich während des ſchleſiſchen Winterfeldzuges im Jahre 1807; von ſeiner brutalen Roheit wußten die unglücklichen Tyroler Aufſtändiſchen zu erzählen. Die einſichtigen bairiſchen Offiziere glaubten ſelber nicht an dieſe gemachte Größe; ſie wußten wohl, daß ſein in Rußland gebliebener Kamerad Deroy, der Reformator der bairiſchen Infanterie, ein ungleich tüchtigerer609Wrede. Münſter.Soldat geweſen, daß die Glanzzeit der bairiſchen Waffen nicht in dem jüngſten Winterfeldzuge, ſondern in den Kriegen des Rheinbundes zu ſuchen war. Indeß der Glückliche hatte ſich zur rechten Zeit von Frank - reich abgewendet und den für Oeſterreich ſo vortheilhaften Rieder Ver - trag abgeſchloſſen. Seitdem erfreute er ſich der beſonderen Gunſt des Wiener Hofes; mit dem plumpen Polterer kam man leichter aus als mit Montgelas zäher Schlauheit. Auch war die öſterreichiſche Armee ſelber ſo arm an Talenten, daß viele der k. k. Diplomaten dieſen Mann im Ernſt für einen Feldherrn hielten. Noch ganz berauſcht von dem befliſ - ſenen Lobe, das ihm die Aliirten für die Niederlage von Hanau geſpendet, kam er nach Wien und vermaß ſich die preußiſche Habgier mit den Waffen zu züchtigen, während er für Baiern ſelbſt Mainz, Frankfurt und Hanau, eine ganz unverhältnißmäßige Entſchädigung forderte. Er war jetzt Fürſt und Feldmarſchall, da Baiern doch auch ſeinen Blücher haben mußte, und ſuchte durch lärmende Schimpfreden gegen die Federfuchſer ſeinem Titel Ehre zu machen: ein Marſchall Wrede, rief er aus, unterzeichnet nur mit dem Degen!

Einen ſeltſamen Gegenſatz zu dieſem ſäbelraſſelnden Prahler bildete der ſteife, würdevoll gemeſſene Graf Münſter einer jener beneidens - werthen Menſchen, die ihren eigenen Kopf mit ſo erſichtlicher Ehrerbie - tung auf den Schultern tragen, daß jeder Uneingeweihte an die Koſtbar - keit dieſes Schatzes glauben muß. Den Bedientennaturen der herzoglichen und großherzoglichen Diplomatie erſchien der rieſige Mann mit dem langen, an die bekannte Erbſchönheit des Hauſes Habsburg erinnernden Ge - ſichte wahrhaft großartig, wenn er mit naiver Unbefangenheit ſein eigenes Lob verkündete. In der That beſaß der Graf eine vielſeitige, allerdings wenig gründliche Bildung; Gemahl einer bückeburgiſchen Prinzeſſin, lang - jähriger Genoſſe des ſtolzeſten Adels der Welt ſpielte er gern den großen Herrn; auch durfte er wohl mit einigem Selbſtgefühle auf die kleinen Leute aus den Rheinbundsſtaaten herniederſchauen, da er im Dienſte der engliſchen Krone eine reiche Erfahrung geſammelt und in der Be - kämpfung des Bonapartismus zähe Ausdauer gezeigt hatte. Gleichwohl war er mehr Hofmann als Staatsmann, mehr Junker als Ariſtokrat. Wie er ſich den Welfen unentbehrlich machte durch kleine Gefälligkeiten bei den ärgerlichen häuslichen Händeln des Königshauſes Kammer - herrendienſte, zu denen ſich weder Steins Stolz noch Hardenbergs Schmieg - ſamkeit jemals hergegeben hätte ſo erhob ſich auch ſeine Auffaſſung der großen Kämpfe des Jahrhunderts nicht über das platte Standesvor - urtheil: das iſt der Hauptkampf unſerer Zeit, pflegte er zu ſagen, die Antichambre will durchaus in den Salon! Als ein korrekter kurbraun - ſchweigiſcher Beamter verlangte er die Wiederherſtellung der Kaiſerwürde, deren Aufhebung die Welfen ja niemals anerkannt hatten, nur durfte die Selbſtherrlichkeit des erlauchten Welfenhauſes dadurch nicht geſchmälertTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 39610II. 1. Der Wiener Congreß.werden. Seine zur Schau getragene Verachtung gegen die Zaunkönige des Rheinbundes hinderte ihn keineswegs, ſofort auf dem Congreſſe, ohne Wiſſen des Prinzregenten, für ſeine Welfen ebenfalls ein hannoverſches Zaunkönigthum zu verlangen eine anmaßliche Königskrone, deren un - haltbare Anſprüche dereinſt noch ſchwer auf dem kleinen Lande laſten ſollten.

Es war der Fluch dieſer kleinſtaatlichen Welt, daß ſich ein ehren - hafter Nationalſtolz in ihr nicht bilden konnte. Wie oft Münſter auch mit vollem Athem von Deutſchlands Größe redete, ſo ſetzte er doch ſeinen Stolz darein, daß alle ſeine Kinder Engländer waren. Und wie laut er auch den Freiſinn der wahren Ariſtokratie zu rühmen pflegte, ſo war er doch ſelber ganz und gar befangen in den lakaienhaften Vorſtellungen, welche die gewerbmäßige Geſchichtsverfälſchung des Particularismus in den deutſchen Kleinſtaaten ausgebildet hatte. Dies welfiſche Haus, das ſeit Heinrich dem Löwen der deutſchen Nation nahezu nichts geweſen, war ihm das herrlichſte der Erde. Ganz ſo urtheilslos wie die unterthänigen Göt - tinger Profeſſoren ſchrieb er die Blüthe des engliſchen Parlamentarismus, die ſich doch allein durch die erbliche Unfähigkeit der welfiſchen George und auf Koſten ihrer Krone entwickelt hatte, der Weisheit des Hauſes Braun - ſchweig zu und fand auch in der verknöcherten Junkerherrſchaft des altad - lichen Hannoverlandes die geliebte welfiſche Freiheit wieder. Dieſen großen Augenblick, da Deutſchland endlich wieder ſich ſelber angehörte, dachte er zu benutzen, um die gerechte Strafe, welche Heinrich der Löwe vor mehr denn ſechshundert Jahren für ſeine Felonie empfangen hatte, rückgängig zu machen; dagegen fand er es höchſt anmaßend, daß Preußen ſeinerſeits die vor ſieben Jahren erlittene rohe Mißhandlung ſühnen wollte.

Dieſem Nachbarn widmete der welfiſche Staatsmann glühenden Haß, ohne daß er je verſucht hätte, die preußiſchen Zuſtände auch nur oberflächlich kennen zu lernen. Unter den politiſchen Sünden, welche dieſer unglücklichen Nation die Bahn zur Macht und Freiheit verſperrten, ward keine ſo verderblich wie die allgemeine, in einem gebildeten Volke faſt wunderbare Unkenntniß des eigentlichen Inhalts der neueren vaterländiſchen Geſchichte. Von allen den gewaltigen Umgeſtaltungen, welche die Ent - ſtehung des preußiſchen Volksheeres und damit die Befreiung Deutſch - lands erſt ermöglicht hatten, wußte man in den Kleinſtaaten ſchlechterdings nichts. Wie die Rheinbündner ungeheuerliche Märchen erzählten von dem Stumpfſinn der leibeigenen brandenburgiſchen Bauern und der Tyrannei des preußiſchen Junkerthums, ſo ſprachen die Hannoveraner wegwerfend von der Vielregiererei der Berliner Bureaukratie. Die Klügſten dort zu Lande blieben von ſolchem Dünkel nicht frei. In den Jahren, da der hanno - verſche Staat gar nicht mehr beſtand, ſchrieb Rehberg, der bedeutendſte Mann unter jenen bürgerlichen Räthen, die für die adlichen hannoverſchen Miniſter die Arbeit beſorgen mußten, ſein Buch über die Verwaltung in Monarchien, eine Verherrlichung des welfiſchen Adelsregiments im611Hans von Gagern.Gegenſatze zur preußiſchen Knechtſchaft; die treffende Widerlegung, welche Friedrich von Bülow, aus gründlicher Kenntniß beider Staaten heraus, veröffentlichte, wurde von Niemand beachtet. So hatte ſich auch Münſter ſeinen Begriff vom preußiſchen Staate allein aus dem landläufigen Ge - rede und vielleicht aus Wilhelminens Memoiren gebildet; mit unendlicher Verachtung äußerte er ſich über die Miſere der Berliner Corporalswirth - ſchaft. Wie er im Jahre 1803 aus kleinlichem Mißtrauen die preußiſche Occupation, welche ſeine Heimath vielleicht noch retten konnte, hintertrieb, ſo glaubte er beim Ausbruche des Befreiungskrieges, Preußen lebe nur noch in der Erinnerung, und jetzt da dieſer holde Traum verflogen war, ſchrieb er ſchwer beſorgt an Gagern: ſeit Oeſterreich ſich im Oſten abrundet und halb aus Deutſchland ausſcheidet iſt Preußens Vergrößerung für uns die ſchwerſte Gefahr. Angſt und Scheelſucht blieben die treibenden Kräfte in der deutſchen Politik dieſer Ministeriunculi, wie Stein ſie verächtlich nannte. In Wien hielt ſich Münſter vorerſt noch zurück; er wollte, ſo meldete er dem Prinzregenten, die preußiſchen Staatsmänner nicht er - bittern um die ſchwebenden Verhandlungen über die Abrundung des Welfenreichs nicht zu erſchweren. Eine läßliche Dilettantennatur, war der Maler , wie er bei ſeinen Freunden hieß, ohnehin wenig geneigt zu nachhaltiger Thätigkeit, auch feſſelte ihn jetzt eine Krankheit lange an das Zimmer. Wo ſich aber die Gelegenheit bot, da arbeitete er emſig gegen Preußen und leider war er über die Gedanken des Staatskanzlers nur zu genau unterrichtet durch jenen böſen Zwiſchenträger, den Hannovera - ner Hardenberg.

Wieder eine andere Spielart kleinſtaatlicher Ausländerei verkörperte ſich in dem liberalen Foederaliſten Hans von Gagern. Wer kannte ihn nicht, den Hans in allen Gaſſen, den raſtlos beweglichen kleinen Herrn mit den munter blitzenden Augen und dem gewinnenden Lächeln um den geiſtreichen Mund? Ueberall mußte er mit dabei ſein, wo geſpielt und dinirt und über Land und Leute verhandelt wurde; völlig unberufen miſchte er ſich in alle Geſchäfte des Congreſſes, unerſchöpflich in großen Worten vom europäiſchen Gleichgewicht und vom Schutze der Minder - mächtigen. Der berühmte Weinkeller des Hauſes Naſſau und die Freund - ſchaft Talleyrands boten ihm die Mittel ſich zwiſchen den Geſandten der Großmächte feſtzuniſten. Vor Jahren hatte der vielgeſchäftige Reichsritter für das heilige Reich geſchwärmt, nachher, immer mit der gleichen vater - ländiſchen Begeiſterung, dem Rheinbunde gedient und ein reichliches Dutzend verurtheilter Kleinfürſten menſchenfreundlich vom Galgen abge - ſchnitten. Jetzt empfahl er eine Foederation von völlig gleichberechtigten Königen, Groß - und anderen Herzögen unter dem Schutze der öſterreichi - ſchen Kaiſerkrone, aber auch ein hohes Maß von Grundrechten für das deutſche Volk, denn ein ehrlicher Liberaler blieb dieſer wunderliche Jünger der franzöſiſchen Aufklärung immer.

39*612II. 1. Der Wiener Congreß.

Wie Münſter in England, ſo ſuchte Gagern in Holland den Schwer - punkt der mitteleuropäiſchen Politik. Soeben erſt durch einen Zufall in den holländiſchen Dienſt verſchlagen hatte er ſich alsbald in ſeiner unſteten Phantaſie ein Idealbild von dem europäiſchen Berufe des oraniſchen Hauſes entworfen, und wie Münſter von der welfiſchen Freiheit ſo redete er von der oraniſchen Politik der rechten Mitte. Was kümmerte es ihn, daß das alte Heldengeſchlecht der Oranier längſt die Augen ge - ſchloſſen und die neue Linie Naſſau-Diez von dem großen Sinne ihrer Ahnen nicht das Mindeſte geerbt hatte? Selbſt die unerſättliche Länder - gier des neuen Königs der Niederlande belehrte den Begeiſterten nicht, obgleich er auf Augenblicke über dies Uebermaß der Habſucht ſelber er - ſchrak. Vornehmlich für Deutſchland erwartete er wunderbar ſegensreiche Folgen von der weiſen Politik des Fürſtenhauſes, deſſen Wahlſpruch lautete: je maintiendray! Im Rauſche ſeines Enthuſiasmus wußte er zwiſchen holländiſchen und deutſchen Intereſſen gar nicht mehr zu unter - ſcheiden. Den geliebteſten und begabteſten ſeiner Söhne ließ er in das holländiſche Heer eintreten ohne zu ahnen daß er ihn in die Fremde ſchickte; ebenſo arglos verſuchte er ein Stück nach dem andern vom deutſchen linken Rheinufer für ſeinen Herrn abzureißen. Sein König wollte von dem Deutſchen Bunde nichts hören; auch der Geſandte ſelber fand es bedenklich, die geſammten Niederlande als Bundesverwandte, wie Hardenberg wünſchte, dem deutſchen Geſammtſtaate anzugliedern, und kam daher auf den unſinnigen Vorſchlag, daß die Niederlande, wie Oeſterreich, Preußen und Dänemark, nur mit einem Theile ihres Gebiets, mit Luxem - burg, dem Deutſchen Bunde beitreten ſollten. Dieſe Halbheit galt ihm keineswegs als ein trauriger Nothbehelf, ſondern vielmehr als ein Triumph echt germaniſcher Staatskunſt; denn je verzwickter, abgeſchmackter und nebelhafter ſich das deutſche Staatsrecht geſtaltete, um ſo mehr ſchien es ihm dem uralten Geiſte deutſcher Freiheit zu entſprechen. An dem alten Reiche hatte er nichts ſo ſehr bewundert wie die ungeheuerlichen Rechtsverhältniſſe von Schleſien und Altpreußen, von denen Niemand ſicher ſagen konnte, ob ſie zu Deutſchland gehörten. In ſolchen Baſtards - gebilden ſah er das eigentliche Weſen des corpus nomenque Germaniae; wie beglückte ihn die Hoffnung, auch unſere Weſtgrenze mit einem ähnlichen Meiſterwerke germaniſcher Staatenbildung zu ſchmücken.

Alſo trabten die großen Kinder der Kleinſtaaterei ſeelenvergnügt auf ihren Steckenpferden dahin und boſſelten und feilten mit ihren feinen Händen ſo lange an dem Staatsbau ihres Vaterlandes, bis die deutſche Verfaſſung wieder ganz ebenſo phraſenhaft, verlogen und ſinnlos wurde wie einſt das alte Reich. Gegen Preußen hegte Gagern eine aus Todes - angſt und Verehrung ſonderbar gemiſchte Empfindung; der Haß fand überhaupt keine Stätte in dieſer gutmüthigen Seele, die Alles, Men - ſchen und Dinge immer von der freundlichſten Seite nahm. Wenn er613Talleyrand.in ſeinen hiſtoriſchen Phantaſien ſich bis in die Zeiten Wilhelms III. verſtieg, dann hielt er ſogar auf Augenblicke Brandenburg und Hol - land für natürliche Verbündete und betheuerte ſeinen preußiſchen Freun - den inbrünſtig, wie ſehr dem jetzigen Völkerſyſteme an dem guten Einvernehmen zwiſchen Berlin und dem Haag gelegen iſt . Aber zu nahe an ſein geliebtes Holland durfte ihm der ſtreitbare Nachbarſtaat nicht heranrücken; vollends die ſächſiſchen Anſprüche der preußiſchen Po - litik erſchienen dem alten Vorkämpfer des Kleinfürſtenthums ſchlechthin ruchlos. Mit Feuereifer warf er ſich ins Zeug um die heiligſten Rechte des deutſchen hohen Adels zu vertheidigen und ſchrieb den preußiſchen Staatsmännern nachdrückliche Briefe in jenem poſſirlichen Lehrtone, den dieſe Kleinen alleſammt gern gegen die langmüthigen Großen anſchlugen. Als er einmal dem Staatskanzler eine ſeiner wohlgemeinten, verworren - gelehrten Flugſchriften ſendete, erlaubte er ſich die ſtrafende Bemerkung: Es iſt ſo viel Edles in Ihrem Gemüth, daß ich immer zu den beſten Erwartungen zurückkehre, wenn auch Dinge vorgegangen waren, die ich eben nicht billigen kann. Darauf Hardenberg, mit ſanfter Anſpielung auf die proteiſche Natur des kleinſtaatlichen Patrioten: Uebrigens muß ich über den Zuſatz bemerken, daß, ſo ſehr viel Werth ich auf Ihren Bei - fall ſetze, ich doch nicht glaube, in Ihnen einen Cenſor meiner öffentlichen Handlungen anerkennen zu müſſen, ſo wenig ich mir anmaße, Eurer Exc. politiſches Betragen in verſchiedenen Epochen zu vergleichen, oder zu entſcheiden, wer von uns am Mehrſten auf Deutſchlands Ruhe, Eintracht und herzuſtellendes Vertrauen hinwirkt. Trotz ſolcher Anzüglichkeiten wollte Hardenbergs Gutherzigkeit dem wunderlichen Heiligen nicht ernſt - lich gram werden. Seine Freunde betrachteten den Unermüdlichen nicht ohne Humor. Alopeus ſchrieb treffend: Dieſer unruhige Staatsmann, dem es gleichgiltig iſt, welcher Sache er ſeine Talente widmet, wenn er nur recht thätig erſcheinen kann, iſt jetzt zum Holländer geworden. *)Gagern an Hardenberg 12. 18. Novbr. Hardenberg an Gagern 16. Novbr. Alopeus an Humboldt 11. Octbr. 1814.

Unter Staatsmännern ſolchen Schlages mußte bald der Einfluß des Mannes fühlbar werden, der von allen Diplomaten des Congreſſes der gewandteſte, von allen Gegnern Preußens der entſchloſſenſte war: des Fürſten Talleyrand. Unerſchütterliche Sicherheit des Auftretens iſt auf dem glatten Boden der Salons von jeher noch ſiegreicher geweſen als verbindliche Liebenswürdigkeit. Wenn Metternich und Hardenberg durch anmuthig gewinnende Formen große Erfolge in der vornehmen Geſell - ſchaft errangen, ſo wirkte Talleyrands cyniſche Schamloſigkeit noch un - widerſtehlicher. Welch ein Eindruck, wenn die unförmliche Geſtalt, ange - than mit der altmodiſchen Tracht aus den Zeiten des Directoriums, ſich ſchwerfällig auf ihrem Klumpfuß in den glänzenden Kreis des Hofes614II. 1. Der Wiener Congreß.hineinſchob: dicht über der hohen Halsbinde ein ungeheurer Mund mit ſchwarzen Zähnen; kleine tiefliegende graue Augen ohne jeden Ausdruck; abſchreckend gemeine Züge, kalt und ruhig, unfähig jemals zu erröthen oder die innere Bewegung zu verrathen. Eine durchaus mephiſtopheliſche Erſcheinung; in Hardenbergs Tagebuch heißt er ſtets: Talleyrand Bocks - fuß. Die Damen lauſchten ergötzt, wenn er ihnen mit fauniſchem Lächeln eine zweideutige Bemerkung oder ein boshaftes Witzwort zuwarf; auf die Fragen der Diplomaten gab er mit unverwüſtlich kaltblütigem Phlegma ſalbungsvolle Antworten. Unſaubere Gewohnheiten, die man bei jedem An - deren plebejiſch genannt hätte, galten bei ihm als originell; der vornehme Herr aus dem uralten Hauſe der Fürſten von Perigord, das Orakel aller Feinſchmecker des Welttheils, der gründlichſte Kenner der Höfe gab ſich ſelber die Geſetze des guten Tons. Er hatte ſie Alle kommen und gehen ſehen, die Eintagshelden einer wirrenreichen Zeit; er kannte die Marquis des alten Regimes, wie die Redner der Revolution und die Glückskinder des Kaiſerreichs. Er hatte den kleinen deutſchen Souveränen bis ins innerſte Herz geblickt, als er die Ländervertauſchungen der rheinbündiſchen Politik beſorgte, immer bereit das Gold aus Jedermanns Hand zu neh - men, aber auch gutmüthig, ergebenen Freunden gefällig, tief durchdrungen von der Wahrheit, daß eine Hand die andere waſchen muß. So war er faſt allein von den Zeitgenoſſen des alten Regimes immer obenauf geblieben auf den Speichen des Glücksrades und rühmte ſich gern, die hinkende Schildkröte ſei doch ſchneller zum Ziele gekommen als der na - poleoniſche Haſe. Geſchickt wußte er die Meinung zu verbreiten, als ob er zu jedem Erfolge Napoleons geholfen, jeden Mißgriff des Kaiſers wider - rathen hätte. Er beſaß jene gemeſſene Haltung und ſichere Menſchen - kenntniß, die den hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts eigenthümlich war, und galt zudem für eingeweiht in alle perſönlichen Geheimniſſe der vornehmen Welt. Jeder Partei war er dienſtbar geweſen; in dem berühmten Wörterbuche der politiſchen Wetterfahnen behauptete ſein Name unbeſtritten den erſten Platz. Gleichmüthig wie er einſt als Biſchof für das Heil des freien Frankreichs gebetet, ſtand er jetzt als Ober - kammerherr hinter dem Stuhle des legitimen Königs und ſchwenkte die Oriflamme bei dem Krönungsfeſte der Bourbonen; ich habe ſtets die Erfahrung gemacht, ſagte er würdevoll, daß noch jedes Syſtem, von dem ich abfiel, bald nachher zuſammenbrach. Im Grunde des Herzens iſt er doch immer ein eingefleiſchter Ariſtokrat geblieben. Darum wünſchte er von jeher einen Bund mit den alten Mächten Oeſterreich und England, denn mit dem ſtolzen Adel dieſer Länder ließ ſichs leben; das Regiment der ruſſiſchen Emporkömmlinge und vollends die bürgerlich-ſoldatiſche Schlichtheit des preußiſchen Staates war ihm verächtlich.

Alſo konnte er zu Wien mit innerem Behagen die Rolle ſpielen, welche ihm durch die Intereſſen ſeines Hofes auferlegt wurde. Er trat auf als615Vorbereitende Sitzungen.der Wortführer der rechtmäßigſten aller Dynaſtien, ſchilderte prahleriſch, wenige Monate vor den hundert Tagen, wie unerſchütterlich feſt die Macht ſeines Königshauſes ſtehe, wie jedes bedrängte Recht an den Bourbonen einen ſicheren Anker finde, und erfreute die Gedankenarmuth der dynaſti - ſchen Politik ſogleich durch das geſchickt erfundene Stichwort Legitimität . Mit feierlicher Salbung verkündete er ſofort die drei ſchon in ſeiner In - ſtruction bezeichneten Hauptziele der bourboniſchen Staatskunſt: Beſeiti - gung des Menſchen der in Neapel herrſcht der Name Murats kam niemals über Talleyrands keuſche Lippen , Abwehr der ruſſiſchen Ueber - griffe in Polen, endlich und vor Allem Wiedereinſetzung des Königs von Sachſen. In dem ſächſiſchen Handel erkannte der Franzoſe ſcharfblickend den Keil, der die Coalition zerſprengen mußte; pathetiſch nannte er die Sache Friedrich Auguſts die Sache aller Könige und beklagte das un - glückliche Europa, deſſen öffentliches Recht durch Preußens und Rußlands Gewaltthaten ſo ſchwer bedroht ſei.

Schon die formelle Leitung einer ſo vielköpfigen und buntſcheckigen Verſammlung bot die größten Schwierigkeiten, zumal da ihre leitenden Männer meiſtentheils nur als beſcheidene Gehilfen der Monarchen auf - treten durften. Da Rußland und Oeſterreich die Entſcheidung aller Streitfragen gefliſſentlich auf den Congreß verſchoben hatten, ſo waren die großen Mächte vorläufig noch über gar nichts einig, nicht einmal über die Frage, wer an den Berathungen theilnehmen dürfe. Daher konnte weder jemals eine förmliche Eröffnung des Congreſſes ſtattfinden noch eine gemeinſchaftliche Sitzung aller ſeiner Mitglieder noch endlich eine Prüfung der Vollmachten; nur wenn ein Sondervertrag unterzeichnet wurde, tauſchten die Unterhändler unter ſich ihre Beglaubigungen aus.

Um doch einige Ordnung in dies Chaos zu bringen, traten die Miniſter der vier verbündeten Großmächte ſchon in der Mitte Septembers, noch vor Ankunft der Franzoſen, zu Vorberathungen zuſammen. Die preußiſchen Staatsmänner wahrten eiferſüchtig die neugewonnene Groß - machtſtellung ihres Staates; antifranzöſiſch von Grund aus, bekämpften ſie zugleich die Napoleoniden und verlangten ſtrenge Ausführung jenes geheimen Artikels, der den Bourbonenhof von allen Gebietsverhandlungen ausſchloß. Aus beiden Gründen ſuchten ſie die kleinen Staaten den wichtigeren Berathungen fern zu halten, da die Theilnahme der Minder - mächtigen unfehlbar den Einfluß Frankreichs verſtärken mußte. In ſol - chem Sinne entwarf Humboldt den Plan einer Geſchäftsordnung*)Humboldts Vorſchläge über den Geſchäftsgang des Congreſſes , verhandelt am 18. Sept. u. f., den616II. 1. Der Wiener Congreß.er dem Comité der Vier überreichte. Der Congreß, hieß es hier, iſt kein Friedenscongreß, da der Friede längſt geſchloſſen, auch keine be - rathende Verſammlung Europas, da Europa kein conſtituirtes Ganzes bildet, ſondern er hat eine Mehrzahl verſchiedener Geſchäfte zu er - ledigen, die auch auf verſchiedene Weiſe behandelt werden müſſen: Ge - bietsfragen, beſondere Angelegenheiten und ſolche Einrichtungen, die für den ganzen Welttheil wichtig ſind. Von den Gebietsfragen bleibt die polniſche, nach den Verträgen, allein den drei Theilungsmächten vor - behalten, doch ſoll England eine allen Theilen willkommene Vermittlung übernehmen. Die allgemeinen Grundſätze über die Vertheilung der deutſchen Gebiete werden, gemäß dem Pariſer Frieden, von den vier Mächten allein aufgeſtellt; Frankreich, Holland, Dänemark und die Schweiz ſind fern zu halten, weil ſie nicht von dem europäiſchen Standpunkte ausgehen, auch Baiern und Württemberg dürfen erſt am Schluſſe der Berathungen zuge - zogen werden. Die italieniſche Gebietsvertheilung unterliegt den Berathun - gen zwiſchen Oeſterreich, Piemont, dem Papſte, den Bourbonen von Sicilien und ihrem Schirmherrn England; Murat bleibt ausgeſchloſſen. Unter den beſonderen Angelegenheiten ſteht die deutſche Verfaſſungsfrage oben - an; ſie wird allein durch die deutſchen Staaten entſchieden, mit Zuziehung von Dänemark wegen Holſtein , den Niederlanden, die ganz oder theilweiſe beitreten müſſen, und der Schweiz, denn ein ewiges Bündniß zwiſchen dem Deutſchen Bunde und der Eidgenoſſenſchaft wäre im höchſten Grade wünſchenswerth . So bleiben für die Berathungen aller Mächte nur übrig einige gemeinſame Angelegenheiten, nämlich: die Verfaſſung der Schweiz, da dort ein Bürgerkrieg droht; die neapolitaniſche Sache: der nicht von allen Mächten anerkannte Gewalthaber dort muß beſeitigt werden; die Entfernung Napoleons aus Elba: dieſer Feuerbrand darf nicht in ſo drohender Nähe bleiben; endlich die Abſchaffung des Sklaven - handels, die Regelung der internationalen Flußſchifffahrt und die Rang - ordnung der Diplomaten. Dieſe allgemein-europäiſchen Angelegenheiten werden von einem leitenden Comité bearbeitet und dann dem geſammten Congreſſe vorgelegt.

Die preußiſchen Vorſchläge fanden ſofort lebhaften Widerſpruch, obgleich ſie ſich ſtreng auf dem unzweifelhaften Rechtsboden des Pariſer Vertrages hielten. Talleyrand hatte längſt dafür geſorgt, daß man in der Hofburg von ſeiner geheimen Inſtruction Kunde erhielt, und die Oeſterreicher er - kannten dankbar, welche löblichen Grundſätze der Tuilerienhof hinſichtlich der ſächſiſchen und der polniſchen Frage hegte. Sie fanden es jetzt höchſt unbillig, Frankreich von irgend einem wichtigen Theile der Verhandlungen auszuſchließen. Lord Caſtlereagh ſtimmte ihnen zu; denn das Verhältniß zwiſchen den Höfen von Paris und London war inzwiſchen immer freund - licher geworden, und ſoeben erſt, auf der Reiſe nach Wien, hatte ſich Caſtlereagh nochmals in den Tuilerien aufgehalten. König Ludwig ſchätzte617Talleyrand und das Comité der Vier.die Welfen ſogar höher als die Lothringer, da dieſe ſich doch durch das Ehebündniß mit dem Corſen eines unverzeihlichen Frevels gegen die Legi - timität ſchuldig gemacht hatten. Nur Rußland hielt zu Preußen. So ſtand man denn rathlos, Zwei gegen Zwei, und einigte ſich endlich (23. September) über einen unglücklichen Mittelweg. Man beſchloß: die deutſchen Verfaſſungsſachen werden von einem Ausſchuß der fünf deutſchen Königshöfe, alle europäiſchen Angelegenheiten von den vier verbündeten Großmächten und den beiden bourboniſchen Mächten (Frankreich und Spanien) bearbeitet; jedoch blieb der Plan der Gebietsvertheilung, nach der Pariſer Abrede, zunächſt den vier Mächten vorbehalten, dieſe ſollten dann ihre Vereinbarungen an Frankreich und Spanien mittheilen und zuletzt auch die kleinen Höfe zur Aeußerung auffordern.

Offenbar gewährte dies Compromiß den Franzoſen die Handhabe alles bisher Beſchloſſene wieder umzuwerfen, und der mittlerweile einge - troffene Talleyrand ſäumte nicht, den Fehler zu benutzen. Als der fran - zöſiſche Miniſter und ſein ergebener Freund Don Labrador, der Geſandte der ſpaniſchen Bourbonen, am 30. September in das Comité der Vier geladen wurden um den Beſchluß der vier Mächte entgegenzunehmen, da feierte Talleyrands eiſerne Stirn einen glänzenden Triumph. Mit un - vergleichlicher Dreiſtigkeit, als ſei der geheime Artikel des Pariſer Friedens gar nicht vorhanden, forderte der Franzoſe die Theilnahme aller Staaten an allen Verhandlungen des Congreſſes, brachte die Miniſter der vier Mächte durch tönende Phraſen von der Heiligkeit des öffentlichen Rechtes dermaßen in Verwirrung, daß die Sitzung ohne Ergebniß aufgehoben wurde. Keiner der anderen Geſandten beſaß Geiſtesgegenwart genug, um durch eine kühle Berufung auf den Pariſer Frieden die vertragswidrige Anmaßung des Franzoſen ſchon an der Schwelle abzuweiſen. Hardenberg konnte ſchon wegen ſeiner unglücklichen Taubheit bei ſolchen unerwarteten Ueberfällen nicht leicht das rechte Wort finden. Humboldt aber und der ruſſiſche Bevollmächtigte ſind auf eine ſo freche Verhöhnung der kaum erſt unterzeichneten Verträge offenbar nicht gefaßt geweſen. Caſtlereagh und Metternich endlich hatten bereits ſelber, durch ihre geheimen Ver - handlungen mit dem Tuilerienhofe, den Pariſer Frieden gebrochen. In einem theatraliſch gefärbten Berichte, der Wort für Wort darauf berechnet war die Ueberlegenheit ſeines Verfaſſers in helles Licht zu rücken, meldete Talleyrand ſeinem Könige den erfochtenen Sieg; zu ſeinen rheinbündiſchen Freunden aber ſagte er ſtolz: j’ai m’asseoir.

Einen durchſchlagenden Erfolg errang der Franzoſe vorerſt noch nicht. Er beantragte in den folgenden Sitzungen: alle Souveräne, die nicht förmlich abgedankt, alſo auch Friedrich Auguſt von Sachſen ſollten zum Congreſſe zugelaſſen und ſodann durch die Geſammtheit der Staaten eine Reihe von Ausſchüſſen eingeſetzt werden. Beide Anträge fielen; ſie be - kundeten doch gar zu deutlich die Abſicht, dem franzöſiſchen Hofe als dem618II. 1. Der Wiener Congreß.Gönner der Kleinſtaaten die Führung des Congreſſes zu verſchaffen. Endlich ward beſchloſſen, aus den acht Mächten, welche den Pariſer Frieden unterzeichnet, ein leitendes Comité zu bilden. Dieſer Ausſchuß der Acht war der amtliche Congreß, doch er ward nur ſehr ſelten und ledig - lich der Form halber verſammelt, da drei von den puissances signatrices in der Staatengeſellſchaft nur noch wenig bedeuteten. Zunächſt hatte Talleyrand lediglich erreicht, daß Alles formlos und haltlos durcheinander wogte. Ohne nach dem Comité der Acht zu fragen begannen die vier alliirten Großmächte unter ſich vertrauliche Unterhandlungen über die polniſche Frage.

Wie mächtig hatte ſich doch in wenigen Tagen Talleyrands Anſehen gehoben! Als er ankam, wurde er in den Salons ängſtlich gemieden, desgleichen ſein Amtsgenoſſe, der Herzog von Dalberg, der als ein Ueber - läufer bei allen Deutſchen in ſchlechtem Rufe ſtand; nur der gutmüthige Gagern nahm ſich der Verlaſſenen an. Jetzt ſuchten die Diplomaten den gewandten Franzoſen eifrig auf, am eifrigſten natürlich die bedrängten Sachſen. Höchſtwahrſcheinlich hat er wie Metternich von dem ſächſiſchen Hofe große Geldſummen erhalten. Das galt in dieſen Kreiſen für durch - aus unverfänglich; verzeichnete doch Gentz in ſeinen Tagebüchern mit der Ruhe des guten Gewiſſens die Summen, die ihm von der franzöſiſchen Geſandtſchaft bezahlt wurden. Talleyrands geheimer Verkehr mit dem gefangenen Könige war den preußiſchen Staatsmännern wohl bekannt*)Humboldt an Hardenberg, 27. Jan. 1815., und umſonſt pflegte er ſeine Freundſchaftsdienſte nicht zu leiſten. Ein urkundlicher Beweis für die Beſtechung wird ſich allerdings wohl niemals führen laſſen, denn die Rechnungen der ſächſiſchen Chatoulle ſind ſpäter - hin auf Befehl des Königs von Sachſen, und ſicherlich aus guten Grün - den, verbrannt worden. Uebrigens hat die ganze Frage nur für die Skandalſucht oder die moraliſirende Kleinmeiſterei irgend welche Bedeu - tung, nicht für das ernſte hiſtoriſche Urtheil. Talleyrands Beſtechlichkeit iſt allbekannt, wird ſelbſt von ſeinem Lobredner Hans von Gagern nicht in Abrede geſtellt; gleichgiltig alſo, wie oft und von wem er ſich bezahlen ließ. Dem ſächſiſchen Hofe aber gereicht nur zur Schande, daß er die alte Politik des Landesverrathes weiter führte; ob er dafür auch Geld aufwendete, thut nichts zur Sache. Auf den Verlauf des Congreſſes ſind dieſe ſchmutzigen Händel ohne jeden Einfluß geblieben; nicht das Alberti - niſche Gold, ſondern das richtig erkannte Intereſſe ihres eigenen Staates beſtimmte die Haltung der öſterreichiſchen wie der bourboniſchen Staats - männer. Der franzöſiſche Geſandte in Berlin äußerte unverhohlen zu Jedermann: Friedrich Auguſt iſt Frankreichs treueſter Verbündeter geweſen, wir dürfen ihn nicht verlaſſen.

Zugleich ſpielte Talleyrand den großmüthigen Beſchützer aller deut -619Talleyrand und die Kleinfürſten.ſchen Souveräne. Die kleinen Herren waren alleſammt in übler Stim - mung; Gebietsvergrößerungen ſtanden zu Wien nicht in Ausſicht, und das natürliche Uebergewicht der großen Mächte machte ſich ſchwer fühlbar. Meiſterhaft verſtand Talleyrand dieſen Groll der Mittelſtaaten zu ſchüren; das geſammte öffentliche Recht ſchien ihm in Frage geſtellt, wenn die Kronen von Baiern und Württemberg bei der Neuordnung Europas nicht ebenſo vollberechtigt mitſprächen wie Preußen oder Rußland. So hob er binnen Kurzem ſeinen gedemüthigten Staat wieder empor zu der althiſto - riſchen Führerſtellung an der Spitze der deutſchen Kleinſtaaten. Mit gutem Grunde prieſen die Franzoſen ihren geſchickten Unterhändler; Czar Alexander aber ſagte: Talleyrand ſpielt hier den Miniſter Ludwigs XIV. ein treffendes Wort, das ſeitdem oftmals auf die neufranzöſiſche Politik an - gewendet worden iſt.

Kaum vierzehn Tage nach jener ſtürmiſchen Sitzung hatte ſich Gentz ſchon völlig mit dem dreiſten Franzoſen ausgeſöhnt. Auch der Czar ließ den gefährlichen Gegner mehrmals zu geheimen Unterredungen über Polen rufen und gab ihm dadurch ſelber das Recht ſich in die polniſchen Händel einzumiſchen. Vor Allen die deutſchen Kleinfürſten umdrängten dienſt - befliſſen den hochherzigen Mann, der die Gleichberechtigung von Rußland und Schwarzburg-Sondershauſen ſo nachdrücklich verfocht. Das ſiegreiche Deutſchland erlebte die Schmach, daß ſein hoher Adel ſich abermals, wie einſt in den Tagen unſerer Niederlagen, um die Gunſt eines franzöſiſchen Subalternbeamten bewarb. Wie die kleinen Herren im Jahre 1803 zu Matthieu, drei Jahre darauf zu dem alten Pfeffel als Bittſteller gezogen waren, ſo ſchlichen ſie jetzt in das beſcheidene Stübchen zu Talleyrands ver - trautem Rathe, demſelben La Besnardiere, der ſchon vor ſieben Jahren in Poſen ſich in den Künſten deutſcher Vaterlands-Gründung geübt hatte. Am Lauteſten lärmten die Baiern; mit Montgelas hatte Talleyrand be - reits auf der Reiſe, in Baden, eine Beſprechung gehalten. Selbſt Karl Auguſt von Weimar erhob ſich nicht über das Gefühl vetterſchaftlicher Theilnahme und zog ſich erſt ſpät von den Albertinern zurück, als er die unſauberen Hintergedanken der ſächſiſchen Partei durchſchaute. Geſchäftig trugen die franzöſiſchen Unterhändler allerhand übermüthige Aeußerungen hin und her, die angeblich im preußiſchen Heere laut geworden. Die Pariſer Zeitungen erzählten, das anmaßende Benehmen der preußiſchen Generale in Wien habe ſelbſt die wärmſten Freunde des ländergierigen Staates abgeſtoßen, während doch von allen namhaften preußiſchen Generalen allein der gemeſſen bedachtſame Kneſebeck anweſend war.

Die von ſpäteren Hiſtorikern nachträglich gegen Preußens ſächſiſche Pläne erhobenen Einwände kamen im Jahre 1814 Niemandem in den Sinn. Uns Heutigen erſcheint es als ein ſchwächlicher Gedanke, daß man den gefangenen König nicht einfach entthronen, ſondern anderswo mit Land und Leuten entſchädigen wollte; aber dieſe Entſchädigung verſtand ſich nach620II. 1. Der Wiener Congreß.der Geſinnung jener Tage von ſelbſt, ohne ſie wäre der preußiſche Plan den anderen Höfen noch viel ruchloſer erſchienen. Ein Gelehrter von heute mag wohl finden, Friedrich Auguſt ſei kaum ſchuldiger geweſen als der mit Gnaden überhäufte König von Baiern; Max Joſeph ſelber jedoch und ſein Talleyrand haben ſolche Gründe zur Entſchuldigung ihres ſächſiſchen Schützlings begreiflicherweiſe nie ausgeſprochen. Auch an die angeblichen Verdienſte der Wettiner um Deutſchlands Geſittung dachten die nüchternen Geſchäftsmänner in Wien niemals. Der Parteigegenſatz, der dort heraus - trat, war ungleich einfacher. Auf der einen Seite ſtand der Wunſch der jungen deutſchen Großmacht, ihrem zerriſſenen, bedrohten Gebiete eine haltbare Südgrenze zu verſchaffen und zugleich der landesverrätheriſchen Geſinnung der Rheinbundshöfe eine heilſame Warnung zu geben; auf der anderen Seite der uralte Haß Oeſterreichs und Frankreichs gegen den Staat, in dem man dunkel den Hort der deutſchen Einheit ahnte, und der dynaſtiſche Neid der kleinen Höfe. Das wettiniſche Haus war ein Haus wie das wittelsbachiſche und württembergiſche auch, und in der Wahrung der Hausmacht gingen alle Gedanken der kleinen Herren auf. Talleyrand verſtand binnen Kurzem alle dieſe Kräfte des Wider - ſtandes um ſich zu ſammeln und verhehlte nicht, daß ihm das Loos Friedrich Auguſts weit näher am Herzen lag als das Schickſal Polens. Der Rheiniſche Mercur ſchrieb warnend: in den bourboniſchen Lilien ſind noch immer die napoleoniſchen Bienen und Wespen verborgen. Jenes große europäiſche Bündniß, das ſich um Frankreichs Banner ſchaarte, giebt den ſächſiſchen Händeln eine weit über den Werth des ſtreitigen Landes hinausgehende hiſtoriſche Bedeutung. Der preußiſche Staat erfuhr aber - mals, wie zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege, daß die weite Welt ihn zu bekämpfen einig war.

Der Gefangene von Friedrichsfelde ſpielte unterdeſſen nicht unge - ſchickt und ſicherlich in gutem Glauben die Rolle der tief gekränkten Un - ſchuld. Er war ſein Lebelang gewiſſenhaft auf dem Boden des poſitiven Rechts geblieben und hatte, ſo lange das heilige Reich beſtand, ſeine reichsfürſtlichen Pflichten genau erfüllt. Der Gedanke aber, daß auch ein ſouveräner König von Sachſen ſich gegen Deutſchland verſündigen könne, blieb dieſem Kopfe unfaßbar. Im Sommer 1814 ließ er dem Czaren eine Denkſchrift überreichen; ſie zählte in vollem Ernſt die Entſchädigungen auf, welche Sachſen von Preußen zu verlangen habe! Der König ohne Land forderte von dem Sieger großmüthig nur den Beeskow-Storkower Kreis, einige preußiſche Enclaven und Begünſtigungen für den ſächſiſchen Handel; außerdem Erſatz für Warſchau. Wie läppiſch dies Machwerk er - ſcheinen mochte, es bildete doch den paſſenden Uebergang zu einer zweiten Denkſchrift, die im Juli zu Nürnberg mit Genehmigung der bairiſchen Regierung gedruckt wurde. Mit dem äußerſten Erſtaunen, heißt es hier, habe der König das Gerücht vernommen, daß die Alliirten ihm ſein Erb -621Die Lage in Sachſen.land vorenthalten wollten; er würde fürchten die hohen Mächte zu be - leidigen, wenn er ſolcher Verleumdung irgend Glauben ſchenkte. Darauf wird das Verhalten des ſächſiſchen Hofes gerechtfertigt, alle Schuld auf die force prépondérante geſchoben ſo hieß der Große Alliirte jetzt und mit der ganzen ſtillvergnügten Naivität des deutſchen Kleinfürſten - thums die treffende Wahrheit ausgeſprochen: nur große Staaten können ihren Anſichten treu bleiben. Friedrich Auguſt erklärte ſodann allen Höfen, daß er niemals in eine Abtretung willigen werde. Sein Geſandter in Wien, Graf Schulenburg fand zwar keinen Zulaß zu den amtlichen Verhandlungen des Congreſſes, und in den Berathungen des deutſchen Verfaſſungsausſchuſſes wurde das Königreich Sachſen als nicht mehr vor - handen angeſehen. Doch Wrede trug dem Sachſen dienſtbereit alles Wiſſenswerthe zu. Zugleich verhandelte Prinz Anton insgeheim mit ſeinem Schwager, dem Kaiſer Franz; der Sachſe Langenau war der nächſte Ver - traute von Gentz. Die Sache der Albertiner gewann täglich an Boden.

Auch im ſächſiſchen Volke ſtand es anders als der Staatskanzler wähnte. Mehrere einſichtige Männer vom Adel ſchloſſen ſich dem Gene - ralgouvernement des Fürſten Repnin an, ſo Carlowitz, Miltitz, Oppell, Vieth, auch einige höhere Beamte wie der Freund Schillers, der Vater von Theodor Körner; mit ihrer Hilfe hat die ruſſiſche Verwaltung ſehr ſegensreich gewirkt, binnen Kurzem eine Menge verrotteter Mißbräuche aus dem kleinen Staate hinausgefegt. Im gebildeten Bürgerthum beſtand eine kleine preußiſche Partei, die Leipziger Kaufleute waren längſt verſtimmt wider das Adelsregiment. Aus dieſen befreundeten Kreiſen entnahmen Stein und Hardenberg ihre hoffnungsvolle Anſicht von der Stimmung des Landes. In Wahrheit verharrte die Maſſe des Volkes in tiefer Ab - ſpannung. Sie war erſchöpft von den Drangſalen des Krieges, durch die Alleinherrſchaft des Adels von allem politiſchen Denken entwöhnt; man betrachtete, wie alle Deutſchen jener Zeit, das angeſtammte Fürſtenhaus als ein unentbehrliches Kleinod des engeren Vaterlandes, doch man blieb vorerſt ſtill und gleichmüthig. An dem regen Federkriege, der den diplo - matiſchen Kampf um Sachſens Zukunft begleitete, haben blos zwei nam - hafte Sachſen theilgenommen: Karl Müller ſchrieb für die preußiſche Anſicht, Kohlſchütter als Vertreter des unterthänigen Beamtenthums. Nur eine Partei entfaltete eine rührige Thätigkeit: die Oligarchen vom Hof - adel. Sie beherrſchten das Land ſeit Jahrhunderten, die ſtarke Hand des preußiſchen Königthums drohte ſie in die Reihen der gemeinen Unter - thanen hinabzudrücken. Der Hofadel und die hohen Beamten hielten, ſo lange der Krieg währte, mit den zahlreichen franzöſiſchen Gefangenen, die ſich in Dresden umhertrieben, vertraute Freundſchaft; ſie ließen die ſächſi - ſchen Truppen in den Rheinlanden durch ihre Sendboten bearbeiten, ſtanden mit den befreundeten Diplomaten zu Wien in lebhaftem Verkehr und wußten, des Herrſchens gewohnt, das zahme Völkchen daheim nach622II. 1. Der Wiener Congreß.und nach dermaßen einzuſchüchtern, daß ſich bald die große Mehrheit des Volks in dem Rufe vereinigte: wir wollen unſeren König wieder. Man begann die trefflichen Männer an der Spitze der proviſoriſchen Verwal - tung als Ueberläufer zu verleumden. Noch vor wenigen Jahren lebte im Armenhauſe zu Wahren ein alter Mann, der im Volksmunde der Verräther hieß; er hatte während des blutigen Kampfes um Möckern einem preußiſchen Bataillon einen verſteckten Fußweg gewieſen.

Das Bild der jüngſten Ereigniſſe verſchob ſich allmählich in dem Gedächtniß des Volks; die Sünden des Königs waren vergeſſen, der Uebergang der Truppen während der Leipziger Schlacht erſchien bald ſchlechtweg als eine ſchimpfliche Fahnenflucht. Eine Theilung des Landes wünſchte man freilich noch weniger als die Einverleibung in den preußiſchen Staat; man berief ſich auf den Czaren, der den klagenden Deputationen aus Sachſen wiederholt die Integrität ihres Landes zugeſichert hatte. Die politiſche Urtheilsloſigkeit der Maſſe erkannte nicht, daß dieſe In - tegrität nur möglich war, wenn der alte König nicht wiederkehrte. Die günſtigen Nachrichten aus Wien verſtärkten jene maßloſe Selbſtüberſchätzung, die zum Weſen der Kleinſtaaterei gehört; man erwartete gemüthlich, ganz Europa werde die Waffen ergreifen um dem gefangenen Albertiner auch das letzte ſeiner Dörfer zurückzugeben. Bei den Führern der particulariſti - ſchen Partei reichte allerdings die Einſicht weiter, doch ſie wollten lieber in einem verkleinerten Sachſen die alte Adelsherrlichkeit fortführen als dem gemeinen Rechte des preußiſchen Staates ſich unterwerfen. Der General - gouverneur Fürſt Repnin ſchrieb nach der Kataſtrophe an ſeinen Gehilfen, den geiſtreichen Staatsrath Merian, ſcharf und treffend: Ich klage die hohen Beamten an, die ganz ebenſo wie ich überzeugt waren, daß die Rückkehr des Königs nicht ohne die Zerreißung ihres Vaterlandes ſtatt - finden konnte. Dieſe ſelbſtſüchtigen Menſchen haben lieber das Unglück ihres Vaterlandes bewirken als ihre perſönlichen Vortheile verlieren wollen. Die Sachſen wollten ihren Fürſten wieder haben und gaben durch ihr Betragen eine moraliſche Unterſtützung den Abſichten jener Mächte, welche die Theilung Sachſens für vortheilhaft hielten. *)Repnin an Merian, Wien 15 / 25. Febr. 1815.

So lagen die Dinge, als die vier Mächte ihre formloſen Verhand - lungen über Polen begannen. Hardenberg wollte noch immer nicht ſehen, daß ſeine ſächſiſchen Hoffnungen rettungslos zu Schanden werden mußten, wenn er in den polniſchen Händeln mit Oeſterreich und England Hand in Hand ging. Entweder wich der Czar vor dem vereinten Widerſtande der drei Höfe zurück: dann wurde die preußiſche Krone durch ihre ge - treuen Verbündeten wieder mit jenem polniſchen Beſitze beladen, den ſie ſelber als eine verderbliche Laſt anſah, und verlor damit jeden Anſpruch auf eine Entſchädigung in Sachſen. Oder beide Theile bequemten ſich623Die Verhandlungen über Polen.zu einem Vergleiche und dieſer Ausgang war der wahrſcheinlichere, da weder Oeſterreich noch England in jenem Augenblicke einen Krieg wünſchte: dann war mit Sicherheit vorauszuſehen, daß Alexander, erbittert über Preußens Widerſtand, die ſächſiſchen Anſprüche des preußiſchen Hofes nicht mehr unterſtützte; von allen Seiten preisgegeben, hätte unſer Staat, wenn er nicht einen Kampf gegen ganz Europa wagen wollte, ſich mit einem Landſtrich an der Warthe und etwa mit einigen Stücken der Lauſitz begnügen müſſen. So einfach ſtand die Rechnung. Für Metternich ergab ſich zunächſt die Aufgabe, den Staatskanzler über den untrennbaren Zu - ſammenhang der polniſchen und der ſächſiſchen Sache zu täuſchen, die Löſung der ſächſiſchen Frage hinauszuſchieben und vorderhand mit Preußen und England vereint den Plänen Alexanders zu widerſprechen; dann war das Bündniß zwiſchen Rußland und Preußen geſprengt und die De - müthigung der norddeutſchen Großmacht ſicher. Die Falle war erſtaun - lich plump. Schon im September ſchrieb Gentz hoffnungsvoll an Ka - radja: wenn es nur gelinge, die Vergrößerung Rußlands im vormals preußiſchen Polen zu ermäßigen, ſo falle der einzige Grund für die Ein - verleibung Sachſens hinweg!

In der That wurde die Aufmerkſamkeit der preußiſchen Staats - männer faſt gänzlich durch die polniſchen Angelegenheiten in Anſpruch genommen. Die Generale verlangten einmüthig eine militäriſch haltbare Oſtgrenze. Humboldt forderte, daß Preußen für das bedrohte Gleichgewicht Europas eintrete. Stein ſagte dem Czaren mit genialer Sicherheit voraus, daß die Errichtung eines polniſchen Königreichs unter ruſſiſchem Scepter entweder zur Losreißung von Rußland oder zur gänzlichen Unterwerfung der Polen führen werde. In Hardenbergs Umgebung ließen ſich auch be - redte Freunde der Polen vernehmen: ſo der liebenswürdige Fürſt Anton Radziwill und der Geheimrath Zerboni, ein geiſtreicher Liberaler und ſchwärmeriſcher Bewunderer der ſarmatiſchen Freiheit. Dem Staatskanzler ſelber ſchien das Vorrücken Rußlands gegen Weſten weniger gefährlich als die Wiederherſtellung des Königreichs Polen und die drohende polniſche Propaganda. Alle dieſe Beſtrebungen, grundverſchieden unter ſich, trafen doch zuſammen in dem Gedanken, daß man Alexanders Pläne bekämpfen müſſe; die Frage, wie dann Preußens eigene Anſprüche zu ſichern ſeien, ward noch kaum ernſtlich aufgeworfen.

Der Czar war in Petersburg über den einmüthigen Widerſpruch ſeines geſammten Hofes doch etwas erſchrocken und begann zu zweifeln, ob er die Vereinigung Litthauens mit Polen ſeinen Ruſſen zumuthen dürfe; indeß an der Wiederaufrichtung des polniſchen Königthums hielt er hartnäckig feſt. In Wien trat er ſogleich offen heraus mit dem Vorſchlage, daß ganz Warſchau bis zur Prosna, mit Einſchluß von Thorn und Krakau, als ein ſelbſtändiges Königreich dem Czarenhauſe überlaſſen werden ſollte. Zugleich unterſtützte er auf das Wärmſte die Anſprüche Preußens auf624II. 1. Der Wiener Congreß.Sachſen und verpflichtete ſich ſchon am 28. September durch einen förm - lichen Vertrag, die Verwaltung des Landes ſofort an Preußen zu über - geben. Auch in der deutſchen Verfaſſungsſache befürwortete er nachdrück - lich die preußiſchen Pläne; er verhehlte nicht, wie tief er die Selbſtſucht der rheinbündiſchen Höfe verachtete, und vermied doch klug jede zudring - liche Einmiſchung. Auch Capodiſtrias wünſchte lebhaft die Befeſtigung des Deutſchen Bundes, und der jüngere Alopeus, Alexanders Geſandter in Berlin, war ein feuriger Bewunderer des preußiſchen Waffenruhms. Kurz, Rußlands Halkung gegen Preußen blieb durchaus freundſchaftlich, obgleich Preußen ſich noch in keiner Weiſe verpflichtet hatte die polniſchen Abſichten des Czaren zu unterſtützen. Unabweisbar drängt ſich die Ver - muthung auf, daß Hardenberg durch offenes Entgegenkommen auch eine Verſtändigung über Thorn und das Kulmerland, ein unbedingtes Zu - ſammenhalten der beiden Mächte erwirken konnte. Er aber blieb auf Metternichs Seite und hoffte zunächſt, daß auch England und Oeſterreich, wie Rußland bereits gethan, in die vorläufige Occupation von Sachſen willigen würden.

Der König ſah der Politik ſeines Kanzlers nicht ohne Sorge zu und hielt die ſofortige Beſitznahme von Sachſen für einen voreiligen Schritt, da er, minder hoffnungsvoll als Hardenberg, aus dem Verhalten des Kaiſers Franz den richtigen Schluß zog, daß Oeſterreich die Vertreibung der Albertiner ſchwerlich billigen würde. Hätte man die Occupation ein Jahr vorher, gleich nach der Leipziger Schlacht durchſetzen können, ſo wäre ſie ein wirkſames Mittel geweſen um die gänzliche Einverleibung vorzubereiten. Wie jetzt die Dinge ſtanden, unmittelbar vor der Ent - ſcheidung des Congreſſes, brachte die Beſitznahme keinen Vortheil mehr, ſie ſetzte den Staat nur der Gefahr einer Demüthigung aus, falls er nicht im Stande war das occupirte Land ganz zu behaupten. Deshalb widerſprach der König. Er traute jedoch ſeinem eigenen Verſtande zu wenig, am wenigſten in diplomatiſchen Fragen, ließ widerwillig den Kanzler ſchalten und meinte nachher, als Hardenbergs Pläne ſcheiterten, ärgerlich nach ſeiner Weiſe: Hab’s immer geſagt, haben aber Alle klüger ſein wollen. Nur die von Hardenberg vorgeſchlagene Ernennung des Prinzen Wilhelm zum Statthalter von Sachſen gab er ſchlechterdings nicht zu; er wollte mindeſtens die Perſonen des königlichen Hauſes vor einer be - ſchämenden Niederlage bewahren.

Mit unbeirrtem Selbſtgefühle blickte der Staatskanzler über die verſtändigen Bedenken ſeines königlichen Herrn hinweg, ſchrieb verächtlich in ſein Tagebuch: jurat in verba des Kaiſers von Rußland *)Hardenbergs Tagebuch 1. October 1814. und er - öffnete, im Bunde mit Metternich, ſeinen diplomatiſchen Kampf gegen den Czaren. Auf die Einladung der drei Theilungsmächte übernahm625Caſtlereagh als Vermittler.England die Vermittlung; und ſchwerlich iſt jemals in der geſammten Geſchichte der neueren Diplomatie ein Unterhändler ſo thöricht und un - geſchlacht aufgetreten wie der edle Lord, dem ſeine Parteigenoſſen nach - rühmten: für alles Gute müſſen wir Gott und Caſtlereagh danken. Er ſollte vermitteln und gebärdete ſich als ein Parteimann, ſtellte ſogleich Forderungen, welche weit über Oeſterreichs und Preußens Wünſche hinaus - gingen. Die einfachſten Rückſichten des Anſtandes geboten ihm eine ge - mäßigte Sprache, da England nach den Verträgen gar nicht berechtigt war ſich in die polniſchen Händel zu miſchen; und gleichwohl ſchlug er ſofort einen zankenden Ton an, den kein gekröntes Haupt und am Aller - wenigſten das überſpannte Selbſtgefühl Alexanders ſich bieten laſſen konnte. Schon in ſeiner erſten Denkſchrift vom 4. October warf er dem Czaren die Beſchuldigung ins Geſicht, Rußlands Verfahren verſtoße wider Wort - laut und Geiſt der Verträge eine offenbar unwahre Behauptung, da Alexander ſich weislich gehütet hatte irgend eine bindende Verpflichtung einzugehen. Er erdreiſtete ſich ſogar die Abſichten ſeiner Auftraggeber zu verfälſchen und erklärte, Oeſterreich und Preußen würden die Herſtellung eines völlig unabhängigen Polenreichs mit Freuden begrüßen was der Meinung des Wiener wie des Berliner Hofes gradeswegs zuwiderlief.

Die einzige Entſchuldigung für ein ſo unerhörtes Verfahren lag in der tiefen Unwiſſenheit des Lords; offenbar ahnte er gar nicht, was unter der Unabhängigkeit Polens zu verſtehen ſei. Mit naiver Selbſtgefällig - keit ſchrieb er an Wellington nach Paris, die kräftige Sprache ſeines Memoires könne und werde ihres Eindrucks auf den Czaren nicht ver - fehlen*)Goltz’s Bericht, Paris 21. Oct. 1814.. Noch anſchaulicher zeigte ſich die Unfähigkeit dieſes wunder - lichen Vermittlers in ſeiner zweiten Denkſchrift vom 14. October. Hier verlangt er, Oeſterreich ſolle, wo möglich mit Preußen vereinigt, dem Czaren folgende Vorſchläge unterbreiten: entweder Herſtellung des freien Polenreichs unter einem unabhängigen Fürſten, wie es vor 1772 be - ſtanden; oder, falls dies unerreichbar, Wiederherſtellung des Zuſtandes von 1791; oder endlich, im ſchlimmſten Falle, eine Theilung des Groß - herzogthums Warſchau dergeſtalt, daß Preußen alles Land bis zur Weichſel, Rußland nur den ſchmalen Landſtrich weiter öſtlich erhielte. Während Hardenberg niemals mehr als die Warthelinie für Preußen gefordert hatte, wollte der Brite, der in Preußens Namen zu ſprechen behauptete, unſerem Staate faſt ſeinen geſammten alten polniſchen Beſitz wieder auf - laden, ja er verſicherte, Preußen ſei bereit für die Wiederherſtellung des Polens von 1771 alle nöthigen Opfer zu bringen , alſo die Marienburg und die Weichſellande des Deutſchen Ordens wieder den Sarmaten aus - zuliefern! Noch mehr. Der Lord forderte, ſämmtliche in der polniſchen Sache gewechſelten Schriftſtücke ſollten dem Congreſſe vorgelegt, alleTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 40626II. 1. Der Wiener Congreß.europäiſchen Staaten aufgefordert werden den Plänen Rußlands ent - gegenzutreten. In ſeinem blinden Eifer nahm er alſo harmlos Talley - rands Vorſchläge wieder auf und wollte, den Verträgen entgegen, alle Kleinſtaaten in die polniſchen Händel hineinziehen; das hieß Frankreich zum Schiedsrichter Europas erheben! In einer dritten Denkſchrift vom 4. November geſtattete er ſich vollends eine Sprache, wie ſie ſonſt nur dicht vor Ausbruch eines Krieges gehört wird. Er erklärte, die Anſichten des Czaren würfen alle zwiſchen den Staaten hergebrachten Grundſätze von Treu und Glauben zu Boden , und betheuerte nochmals: ein ruſſiſcher Kaiſer, der bis zur Prosna herrſche, werde nach Belieben ſeine Heere an die Donau und die Oder werfen, Oeſterreich und Preußen völlig in Schach halten.

Es war, als ob der Lord den Czaren zum äußerſten Widerſtande auf - reizen wollte. In der That fühlte ſich Alexander tief beleidigt und gab in zwei Denkſchriften (vom 30. October und 21. November) eine ſchroff ab - lehnende Antwort. In hochtrabenden Worten entwickelte er die Anſchau - ungen, welche ſeitdem in der halbamtlichen ruſſiſchen Geſchichtſchreibung herrſchend geblieben ſind: Rußland konnte im Frühjahr 1813 leicht einen glorreichen Frieden ſchließen und hat nur um Europas willen den Kampf weiter geführt; die geforderte Vergrößerung iſt für die Nachbarn nicht be - drohlich, aber nothwendig um die Ruſſen wie die Polen zu beruhigen. Dazu eine wohlverdiente Abfertigung für den Lord: ein Vermittler iſt nur dann nützlich, wenn er die Geiſter einander näher führt! Ging man auf ſolchem Wege weiter, ſo trieb die nach Frieden ſchmachtende Welt einem neuen Kriege entgegen.

Währenddem ward dem preußiſchen Staatskanzler doch unheimlich in - mitten ſeiner ſonderbaren Bundesgenoſſen. Er ſah den britiſchen Vermittler Forderungen aufſtellen, die mit Preußens eigner Anſicht nichts mehr ge - mein hatten, und war noch immer nicht ſicher, ob ſeine treuen Freunde ihn bei ſeinen ſächſiſchen Plänen unterſtützen würden. Hardenberg beſchloß alſo ſich Gewißheit zu verſchaffen und ſendete am 9. October einen warmen und treuherzigen Brief an Metternich: Preußen will dem weiſen Syſteme d’une Europe intermédiaire (d. h. dem engeren Bunde der drei deutſchen Großmächte) treu bleiben, muß aber in ſeiner unſicheren Lage zunächſt an ſeine eigenen Intereſſen denken und fordert daher offene Antwort auf folgende drei Fragen: ſtimmt Oeſterreich der Einverleibung von ganz Sachſen zu? genehmigt die kaiſerliche Regierung die Verſetzung Friedrich Auguſts nach den Legationen? verzichtet ſie auf den Gedanken Mainz an Baiern auszuliefern? (Ueber dieſe Abſicht Oeſterreichs, welche Humboldt noch vor zwei Monaten nicht gekannt, war alſo Hardenberg endlich ins Klare gekommen.) Wenn die kaiſerliche Regierung dieſe drei Fragen bejaht und zugleich verſpricht, unſere Abſichten auf Mainz und Sachſen feſt zu un - terſtützen, dann werde ich mit Ihnen hinſichtlich der polniſchen Frage in627Hardenbergs drei Fragen an Metternich.das vollkommenſte Einvernehmen treten . Zuletzt wird Metternich auf - gefordert, ſofort der vorläufigen Occupation von Sachſen zuzuſtimmen. Dieſelbe Bitte erging an Caſtlereagh. Hardenberg lebte mithin noch immer der Hoffnung, der öſterreichiſche Freund werde ihm ganz Sachſen und außerdem noch das polniſche Land, wofür Sachſen als Erſatz dienen ſollte, großmüthig gewähren!

Caſtlereagh antwortete bereits am 11. October, bewilligte die vor - läufige Occupation und erklärte: ſein Hof werde auch der gänzlichen Ein - verleibung von Sachſen zuſtimmen; England wünſche eine vollkommene Wiederherſtellung der preußiſchen Macht und eine Züchtigung der politi - ſchen Unſittlichkeit Friedrich Auguſts. Aber, fuhr er in ſeinem gräßlichen Franzöſiſch fort, wenn dieſe Einverleibung ſtattfinden ſoll als ein Mittel um den preußiſchen Staat zu entſchädigen für die Verluſte, welche er erleiden könnte durch beunruhigende und gefährliche Unternehmungen von Seiten Rußlands, und als ein Mittel um Preußen mit unvertheidigten Grenzen in offenbare Abhängigkeit von Rußland zu verſetzen, dann kann ich die Zuſtimmung Englands nicht in Ausſicht ſtellen. Was ſollte dieſer Wort - ſchwall ſagen? Preußen erklärte: Erſt verbürget uns den Beſitz von Sachſen, nur dann können wir wagen unſer Bündniß mit Rußland auf - zugeben und euere polniſche Politik zu unterſtützen. Caſtlereagh antwor - tete: Erſt bewirket, daß Rußland ſeine Weſtgrenze nicht zu weit vorſchiebt, dann werden wir der Einverleibung Sachſens zuſtimmen! Der Lord ſtellte alſo die preußiſche Forderung kurzweg auf den Kopf, knüpfte ſeine Zuſage an ein unerfüllbares Verlangen. Da keine der drei Mächte in jenem Augenblicke einen Krieg gegen Rußland wollte, ſo lag es offenbar nicht in Preußens Hand allein, eine Ermäßigung der ruſſiſchen Anſprüche durchzuſetzen; und trotzdem ſollte Preußens Vergrößerung von dieſer ſinnloſen Bedingung abhängen, während die Erwerbungen Oeſterreichs in Italien die bedingungsloſe Zuſtimmung Englands gefunden hatten! Dieſe ſonderbare Kunſt ſich im Kreiſe zu drehen macht einen ſo ent - ſchieden zweideutigen Eindruck, daß ſich unwillkürlich die Vermuthung regt, Metternich oder Münſter hätte dem edlen Lord die Feder geführt. Gleich - wohl war der unbeholfene engliſche Staatsmann ſelber unzweifelhaft in gutem Glauben; er erkannte ebenſo wenig wie Hardenberg, daß Preußen nach Lage der Dinge nur zwiſchen Warſchau und Sachſen wählen, doch nimmermehr Beides zugleich erlangen konnte.

Die öſterreichiſchen Staatsmänner brachte Hardenbergs offene Anfrage in peinliche Verlegenheit. Gentz wollte kurzerhand mit Preußen und Ruß - land brechen; leidenſchaftlicher denn je ſchalt er wider die Habgier der preußiſchen Revolutionäre, wider Alexanders Lehrer Laharpe, der ſeine liberalen Grundſätze ſo keck zur Schau trage; immer traulicher ward ſein Verkehr mit Talleyrand und Langenau. Metternich ſah weiter. Er begriff, daß es noch nicht an der Zeit war die Maske fallen zu laſſen, und wollte40*628II. 1. Der Wiener Congreß.den vertrauensvollen preußiſchen Freund ſo lange in ſeinem holden Wahne erhalten, bis Preußen ſich mit Rußland überworfen habe und gänzlich ver - einzelt daſtehe; darum war er geneigt, der vorläufigen Occupation von Sachſen zuzuſtimmen. Nach wenigen Tagen, am 14. October, wurde Gentz ſelber durch Caſtlereaghs Zureden zu der Anſicht ſeines ruhigeren Freundes bekehrt. Oeſterreich genehmigte, daß preußiſche Truppen in Sachſen einrückten sans reconnaître le principe, wie Gentz befriedigt hinzufügt. Durch dies Zeichen des Wohlwollens beſtärkte man den preu - ßiſchen Staatskanzler in ſeinem argloſen Vertrauen und behielt doch freie Hand für die letzte Entſcheidung.

Um ſo ſchwieriger war die Erwiderung auf Hardenbergs drei Fragen; erſt am 22. October kam Metternich damit zu Stande. Die zweite der preußiſchen Fragen wegen der Verſetzung Friedrich Auguſts nach den Legationen wurde in der k. k. Antwort mit keinem Worte erwähnt, was nach altem diplomatiſchen Brauche einer unbedingten Weigerung gleich kam. Die dritte wegen Mainz wurde entſchieden verneint. Dieſen Platz, welchen Kaiſer Franz ſelber im Jahre 1797 gegen Venedig an die Franzoſen preisgegeben, erklärte Metternich jetzt für die einzige Feſtung, die einen Marſch gegen die untere Donau verhindere, ja für den einzigen Handelsplatz, welcher Oeſterreich den Zugang zu den nördlichen Meeren eröffne eine erſtaunliche Behauptung, die ſich nur aus den noch er - ſtaunlicheren geographiſchen und volkswirthſchaftlichen Kenntniſſen des k. k. Staatsmanns erklären läßt. Niemals wird der Kaiſer darauf ver - zichten. Soll der Deutſche Bund unter dem gleichmäßigen Einfluß von Oeſterreich und Preußen ſtehen und Süddeutſchland in ſeinen gerechten Anſprüchen befriedigt werden, ſo darf Preußen das linke Moſelufer nicht überſchreiten. Alſo dem preußiſchen Freunde wurde jetzt ſelbſt Koblenz abgeſprochen und die unhaltbarſte aller deutſchen Flußgrenzen angeboten! Auf Hardenbergs erſte Frage endlich erwiderte Metternich: ſein Kaiſer würde nur mit Schmerz die Entthronung eines der älteſten Geſchlechter ſehen; die Einverleibung widerſpreche dem Intereſſe Oeſterreichs, könne unter den deutſchen Fürſten nur Mißtrauen gegen Preußen, Anklagen gegen Oeſterreich hervorrufen; der Kaiſer hoffe, Preußen werde dem ge - fangenen Könige mindeſtens ein Stück Landes an der böhmiſchen Grenze laſſen. Wenn aber die Gewalt der Umſtände die Einverleibung Sachſens unvermeidlich machen ſollte, dann behält ſich Oeſterreich Verabredungen über die Feſtungen und Grenzplätze, über Handel und Schifffahrt vor. Der Kaiſer rechne auf die unbedingte Uebereinſtimmung des Vorgehens der beiden Höfe in der polniſchen Sache, auf eine Verſtändigung über die gemeinſame Ausführung der lichtvollen Caſtlereagh’ſchen Denkſchrift. Metternich erlaubt ſich dazu noch die unziemliche Bemerkung, die perſön - lichen Gefühle des Königs Friedrich Wilhelm dürften einer geſunden Po - litik nicht im Wege ſtehen!

629Metternichs Antwort.

Ein entſchloſſener preußiſcher Staatsmann mußte nach Empfang dieſer Erwiderungen ſofort erkennen, daß auf die beiden Bundesgenoſſen kein Verlaß und ein feſter Anſchluß an Rußland geboten war. Von den drei preußiſchen Bedingungen hatte Metternich zwei rundweg abgelehnt; und wer irgend wußte, wie wenig ſelbſt ein entſchiedenes Ja aus dieſem Munde bedeutete, der mochte leicht berechnen, wie viel auf die halbe, gewundene, widerwillige Zuſtimmung zu der dritten Bedingung zu geben ſei. Lag es denn nicht auf flacher Hand, daß die Gewalt der Umſtände die Einver - leibung Sachſens nicht mehr unvermeidlich machte , ſobald Preußen den größten Theil von Warſchau zurück erhielt? Metternich aber rechnete auf das leichtgläubige Vertrauen ſeines preußiſchen Freundes und frohlockte laut, daß er ſeine Gedanken ſo geſchickt umhüllt habe. Auch Gentz war mit der ſchriftſtelleriſchen Leiſtung ſeines Freundes einverſtanden und weiſſagte jubelnd an Wrede’s Tafel, in vierzehn Tagen würde das Syſtem der europäiſchen Allianzen verſchoben das will ſagen: eine Annäherung Oeſterreichs an die Weſtmächte vollzogen ſein.

Gentz war es, der den Fürſten Metternich bewogen hatte in der Mainzer Frage ſo beſtimmt ablehnend aufzutreten; ſelbſt durch ein Bündniß mit Frankreich, meinte er grimmig, müſſe Mainz vor Preußens Habgier gerettet werden. Dieſe Anſicht fand einen treuen Bundesgenoſſen an der unſterb - lichen Neigung unſerer Kleinfürſten, das einfach Zweckmäßige nicht zu thun, die bedrohten Stellen des Vaterlandes ſtets den ſchwächſten Händen anzuver - trauen. Die erneſtiniſchen Höfe, Naſſau und Heſſen erklärten am 25. Oc - tober, dieſe wichtige Feſtung dürfe an keinen der größeren Staaten, weder an Baiern noch an Preußen, preisgegeben werden; ſie gehöre dem ge - ſammten Deutſchland. Man ſchlug vor, einen neuen Deutſchen Orden zum Schutze der Rheinfeſtung zu bilden; ſo allgemein war der Wider - ſpruch gegen die Befeſtigung der preußiſchen Macht am Mittelrhein, daß der Freiherr vom Stein endlich auf den künſtlichen Plan verfiel, den Kronprinzen von Württemberg als deutſchen Feldmarſchall in Mainz zu verſorgen. Wer ſehen wollte, konnte auch aus anderen Anzeichen ent - nehmen, wie Oeſterreich gegen Preußen geſinnt war. Die im tiefſten Vertrauen an Metternich mitgetheilte preußiſche Landkarte, welche jenen Iſthmus ſüdhannoverſchen Landes zur Verbindung der öſtlichen mit den weſtlichen Provinzen für Preußen verlangte, wurde, wie Münſter ſelbſt erzählt, durch die öſterreichiſchen Staatsmänner dem welfiſchen Diplo - maten verrathen.

Gleichzeitig mit der Antwort an Hardenberg (22. Oct.) erklärte Met - ternich in einem Schreiben an Caſtlereagh: Oeſterreich könne nur ungern einen Zwiſchenſtaat fallen laſſen, der ſo oft für das Gleichgewicht Deutſch - lands und Europas nützlich geweſen; wenn aber die Einverleibung Sach - ſens von den Verbündeten als unvermeidlich angeſehen werde, dann wolle Oeſterreich dies ſchwere Opfer bringen unter der zweifachen Bedingung:630II. 1. Der Wiener Congreß.daß das Gleichgewicht in Deutſchland nicht durch das Vorrücken Preußens ſüdwärts der Moſel geſtört werde, und daß die Einverleibung nicht die Entſchädigung bilde für die Zuſtimmung zu Vergrößerungsabſichten . Die faſt wörtliche Uebereinſtimmung dieſes dunklen Satzes mit Caſtlereaghs Note vom 11. October legt abermals den Gedanken nahe, daß der edle Lord bei dem verſchlungenen Ränkeſpiele nur ein argloſes Werkzeug Met - ternichs geweſen iſt. Der öſterreichiſche Staatsmann hielt das Spiel be - reits für gewonnen und war der blinden Hingebung des preußiſchen Staatskanzlers ſo ſicher, daß er ihn in einer neuen Note vom 2. No - vember gradezu aufforderte, mit Oeſterreich vereint das aberwitzige pol - niſche Programm Lord Caſtlereaghs zu unterſtützen: Preußen ſollte ver - langen entweder die Herſtellung des Polenreichs von 1771 oder den Zuſtand von 1791 oder endlich zum Allermindeſten die Theilung Polens nach dem Laufe der Weichſel! Dies Allermindeſte war ſelbſtverſtändlich die eigentliche Abſicht der Hofburg. Wahrlich, Preußens Staatsmänner mußten mit Blindheit geſchlagen ſein, wenn ſie jetzt nicht bemerkten, daß Oeſterreich überall, in Sachſen, in Polen wie am Rhein, das Gegentheil der preußiſchen Pläne verfolgte.

Und doch hat es noch lange gewährt, bis dem Staatskanzler und Wilhelm Humboldt die Augen aufgingen. Seltſam, wie künſtlich die beiden geiſtreichen Männer ſich drehten und wendeten um nur das Nächſtliegende, das treuloſe Doppelſpiel der Hofburg, nicht zu bemerken. Sofort nach Empfang der öſterreichiſchen Note vom 22. October begannen lebhafte Be - rathungen im Schooße des preußiſchen Cabinets. Am 23. ſtellte Humboldt die leitenden Gedanken für die Beantwortung der Note zuſammen. *)Humboldts Denkſchrift über den Brief des Fürſten Metternich, 23. Oct. 1814.Hier ſpricht er noch ganz ohne Mißtrauen, wiederholt nochmals alle Gründe, die für die Einverleibung Sachſens ſprechen: Preußen vertragsmäßigen Anſpruch auf Entſchädigung, und die Nothwendigkeit, durch eine politiſche Lection zu zeigen, daß ein Fürſt nicht ungeſtraft gegen die Intereſſen der Nation, welcher ſein Volk angehört, handeln darf. Der Kaliſcher Vertrag und die Vergrößerung Rußlands in Polen war eine unerfreuliche aber unvermeidliche Folge der Lage, des falſchen Syſtems die Uebermacht des Weſtens durch den Oſten zu bekämpfen. Grade damit dies nicht wieder vorkomme, müſſen die Mächte Mitteleuropas und namentlich Preu - ßen verſtärkt werden. Zerſtreute Gebiete in Polen, Deutſchland oder Belgien reichen zu ſolcher Verſtärkung nicht aus, man darf die großen Mächte nicht als Zahlenwerthe behandeln. Darum iſt die Einverleibung Sachſens für Oeſterreich nicht ein dem preußiſchen Bündniß, ſondern ein dem europäiſchen Gleichgewichte gebrachtes Opfer; eine Theilung des Landes erſcheint durchaus unannehmbar. Darauf erörtert Humboldt die Mainzer Frage und erklärt: Betrachten wir den Platz nur als nöthig für die Ver -631Humboldts Denkſchriften vom 23. und 25. October.theidigung Deutſchlands gegen Frankreich, ſo haben wir nur zu verlangen, daß Baiern gar keinen Einfluß auf Mainz gewinne, wenn dieſer Staat nicht offen und ehrlich dem Deutſchen Bunde beitritt und auf das Recht ſelbſtändiger Kriegführung nicht verzichtet. Dies unveräußerliche Recht der europäiſchen Macht Baiern hatte Wrede während der letzten Tage in dem deutſchen Verfaſſungsausſchuſſe prahlend verfochten. Humboldt aber fährt mit unverwüſtlicher Mäßigung fort: ſollte Baiern beſſere Geſin - nungen gegen den Deutſchen Bund zeigen, dann müſſen wir ſuchen dieſen Hof zu gewinnen, ſtatt ihn zu beargwöhnen . Die Frage der Moſelgrenze endlich iſt eine rein ſtatiſtiſche Frage; ſie läßt ſich leicht beſeitigen, wenn Oeſterreich uns den Erfolg unſerer Gebietsverhandlungen mit den kleinen deutſchen Staaten verbürgt.

Humboldt ſah alſo in der Hofburg noch immer den treuen, leider etwas ſchwachen Freund, der durch Vernunftgründe in ſeinen löblichen Entſchlüſſen beſtärkt werden mußte; er hoffte ſelbſt die Baiern zu be - kehren, die bereits unverhohlen den Krieg gegen Preußen predigten; er wollte endlich, um nur Oeſterreich bei guter Stimmung zu halten, Mainz aufgeben und auf das rechte Moſelufer verzichten. Die Stadt Koblenz ſelber war allerdings in dieſem Zugeſtändniß nicht inbegriffen.

Nach zwei Tagen war die Stimmung des preußiſchen Cabinets ſchon weniger gemüthlich. Man hatte offenbar die engliſchen und öſterreichiſchen Schriftſtücke unterdeſſen ſchärfer geprüft und wohl auch Einiges erfahren von dem vertrauten Verkehre zwiſchen Gentz und Talleyrand. Vielleicht mag der König ſelbſt ſeinen Diplomaten bemerkt haben, die Zuſtimmung der Hofburg zu der Einverleibung Sachſens ſei doch ſehr unbeſtimmt ge - halten, und Lord Caſtlereaghs polniſche Pläne gingen weit über Preußens eigene Wünſche hinaus. Genug, eine zweite Denkſchrift Humboldts an Hardenberg*)Humboldts Denkſchrift sur le mémoire de Lord Castlereagh, 25. Oct. 1814. verräth bereits lebhafte Beſorgniſſe; ſie giebt ein ſehr an - ſchauliches Bild von dem reichen Geiſte ihres Verfaſſers, bringt in breiter Ausführung eine Ueberfülle feiner Gedanken, die einander gegenſeitig das Licht vertreten, und gelangt ſchließlich doch nicht zu einem runden, klaren, unzweifelhaften Ergebniß. Humboldt prüft zuerſt Caſtlereaghs Vorſchläge und ſtellt nunmehr endlich den ſo nahe liegenden Gedanken auf, daß man die Grenzfrage und die Verfaſſungsfrage aus einander halten müſſe. Den polniſchen Verfaſſungsplänen des Czaren entgegenzutreten ſei nicht räthlich; denn Kaiſer Alexander befindet ſich gewiß in großer Verlegen - heit, wenn er ausführen will was er den Polen verſprochen zu haben ſcheint, und die Mächte vermehren dieſe Verlegenheit, wenn ſie ſeinen Abſichten nicht allzu entſchieden widerſprechen. Unter dieſem Geſichts - punkte betrachtet iſt die geplante polniſche Verfaſſung vielleicht ſogar ein Gegengift gegen die Nachtheile, welche aus der übermäßigen Vergrößerung632II. 1. Der Wiener Congreß.Rußlands entſtehen. Ueber die Grenzfrage bemerkt er, bisher habe man immer nur die Warthelinie mit Thorn und Krakau gefordert, das ge - legentlich geäußerte Verlangen nach der Weichſelgrenze ſei wohl niemals ernſtlich gemeint geweſen. Kluge Mäßigung ſei nothwendig um die Ge - fahr zu vermeiden daß ein Bruch entſtehe, und an Europa d. h. vor Allem an Frankreich gegen Europa appellirt werde. Frankreich wird ſich der Streitfrage immer vornehmlich zu dem Zwecke bedienen um die Zwietracht zwiſchen den Cabinetten zu verewigen, gelegentlich Vortheil davon zu ziehen und nachher uns preiszugeben und ſich mit Rußland zu verſtändigen, ſobald das franzöſiſche Sonderintereſſe befrie - digt iſt.

Dann betrachtet er Preußens eigenthümliche Stellung. Wir verlangen über Rußlands Angebot hinaus nur noch Thorn und einige halbdeutſche Striche; Oeſterreich aber fordert das wichtige Krakau, das die Polen nie - mals preisgeben werden. Der Gewinn für Oeſterreich iſt alſo ungleich größer, während wir um geringer Vortheile willen Gefahr laufen uns mit Rußland zu überwerfen und in eine ſehr peinliche Lage zu gerathen. Sehr bedenklich iſt auch die Weiſe, wie Oeſterreich der Einverleibung Sachſens zuſtimmt. Denn ſtatt laut und kühn zu ſagen, daß die kaiſerliche Regie - rung die Sache Preußens gegen Jedermann vertheidigen wird, ſtimmt ſie nur mit Widerſtreben, wie aus Gefälligkeit zu und will uns dieſe Gunſt durch andere, ſehr ſchmerzliche Opfer erkaufen laſſen. Offen geſtanden, es iſt ſehr zweifelhaft, ob wir nur unſeren augenblicklichen Vortheil dem wirklichen und dauernden Intereſſe Preußens opfern, wenn wir in der polniſchen Angelegenheit denſelben Weg mit Oeſterreich gehen. Man muß vielmehr zugeben, daß Preußen dann ſein perſönliches Intereſſe aufgiebt um die Sache Europas zu ergreifen. Dennoch wird Preußen immer den Weg der Grundſätze und niemals den der reinen Convenienz einſchlagen. Wir verlangen aber, daß die verbündeten Mächte bei der Feſtſtellung der von Rußland zu fordernden Grenzen auf Preußens ſchwierige Lage Rück - ſicht nehmen; desgleichen daß ſie gegen alle anderen Mächte offen und kräftig die Sache Preußens und ſeiner neuen Erwerbungen vertheidigen; daß ſie ſelber die Aufgabe übernehmen gewiſſenhaft die Verträge auszu - führen, welche uns eine vollſtändige Wiederherſtellung und ſelbſt eine angemeſſene Vergrößerung zuſichern; daß ſie uns endlich förmlich den Beſitz der Landſtriche verbürgen, wegen deren wir noch von Rußland ab - hängig ſind. Wollen die Mächte dieſe Verpflichtungen nicht übernehmen, dann werden wir zwar nicht eine Politik befolgen, die wir verdammen, aber Preußen wird zu ſeinem großen Leidweſen ſich genöthigt ſehen zuerſt an ſeine Selbſterhaltung zu denken . Zum Schluß nochmals: wir müſſen in der Verfaſſungsfrage nachgeben und nur die Warthelinie fordern; weigert ſich Alexander, ſo dürfen die drei Mächte keinen Vertrag mit ihm ſchließen, ſondern ſie müſſen die Frage offen laſſen und beſtimmt erklären, daß ſie633Einſchreiten des Königs.von ihrer Anſicht nicht abgehen würden, aber auch in dieſem Falle müſſen ſie ſo weit als möglich Frankreich fern halten.

Ein wunderlicher Anblick, wie der geiſtvolle Mann immer wieder ſein Roß bis dicht an den Graben heranführt und ſich doch nicht das Herz faßt das Hinderniß zu nehmen. Er ſieht, daß die vorgeblichen Bundesge - noſſen ganz andere Pläne verfolgen als Preußen ſelbſt, daß Preußen für ſich bei dieſem diplomatiſchen Feldzuge nichts Weſentliches gewinnen kann; er ahnt die Nichtigkeit der öſterreichiſchen Verſprechungen; er begreift, daß aus dem Kampfe gegen Rußland nur Frankreich Vortheil ziehen wird. Wir erwarten, die einzig mögliche Schlußfolgerung ſchwebe dem ſcharf - ſinnigen Denker ſchon auf den Lippen. Da führt ihn ein wunderbar künſt - licher Gedankengang zu der ungeheuerlichen Anſicht: die erſte und ſelbſt - verſtändlichſte Pflicht jedes preußiſchen Staatsmannes, die Pflicht, des eigenen Landes Macht zu ſichern, ſei eine niedrige Sorge für das per - ſönliche Intereſſe Preußens ! Die gleißneriſche engliſche Phraſe von der Sache Europas berauſcht auch dieſen kalten Kopf! Es iſt dieſelbe über - irdiſche Großmuth, dieſelbe übergeiſtreiche Willensſchwäche, die in unſerer Geſchichte immer mit unheimlicher Regelmäßigkeit den großen Zeiten kühn zugreifender Thatkraft zu folgen pflegt. Auch der gelehrte Hoffmann be - gnügte ſich mit unfruchtbaren Klagen über die Feindſeligkeit faſt aller Mächte gegen Preußen*)Hoffmanns Bemerkungen zu ſeiner Statiſtiſchen Ueberſicht, 30. Oct. 1814.; er ſo wenig wie Humboldt fand den einfachen Schluß, daß man die erdrückende Maſſe der Gegner ſprengen und min - deſtens mit einer der fremden Mächte ſich abfinden müſſe.

Was man von Oeſterreich zu erwarten habe, konnte nur der gut - müthigen Schwäche noch zweifelhaft ſcheinen. Eben jetzt traten auf Be - fehl ihres Kaiſers Metternich, Stadion und Schwarzenberg zu einem Rathe zuſammen und beſchloſſen, Preußen müſſe durchaus wieder bis zur Weichſel - linie vorrücken. Zur ſelben Zeit ließ Metternich dem Czaren vertraulich anbieten, Oeſterreich ſei bereit in der polniſchen Sache nachzugeben, wenn Rußland die ſächſiſchen Anſprüche Preußens nicht mehr unterſtütze. So verſicherte Alexander ſeinem königlichen Freunde auf das Beſtimmteſte; Metternich, nach ſeiner Gewohnheit, leugnete Alles. Da aber jenes An - erbieten genau übereinſtimmt mit der gleich nachher von Oeſterreich wirklich eingehaltenen Politik, ſo iſt diesmal der Czar ſicherlich nicht der Lügner geweſen.

Eine unerhörte Demüthigung ſtand dem preußiſchen Staate bevor; da griff König Friedrich Wilhelm rettend ein. Es war vielleicht der heil - ſamſte diplomatiſche Entſchluß ſeines Lebens. Am 6. November hatte er mit dem Czaren eine lange Unterredung im engſten Kreiſe. Die beiden Freunde verſtändigten ſich, und der König wagte nun endlich, ſeinen Diplomaten die Politik anzubefehlen, welche er ſchon ſeit Monaten für die einzig ſichere634II. 1. Der Wiener Congreß.hielt: er befahl dem Staatskanzler, fortan nicht mehr feindlich gegen Ruß - land vorzugehen. Friedrich Wilhelm hatte die Wiedererwerbung der Millionen treuloſer Polen nie gewünſcht und konnte alſo nur mit Be - fremden erfahren, wie hartnäckig England und Oeſterreich nach der Weichſel - grenze verlangten. Er wußte beſſer als Hardenberg, welche Hemmniſſe ſich der Einverleibung Sachſens entgegenſtellten; er hatte aus vertrautem perſönlichen Umgang richtig herausgefühlt, daß der Czar für Preußen mindeſtens mehr aufrichtiges Wohlwollen hegte als der gute Kaiſer Franz. Sein ſchlichter Verſtand begriff nicht, warum Preußen auf die Gefahr hin ſeinen beſten Bundesgenoſſen zu verlieren um jeden Preis den phantaſtiſchen Gedanken des ruſſiſch-polniſchen Königthums bekämpfen ſollte, der für Rußland ſelbſt weit gefährlicher war als für Deutſchland. Nun, da er ſeine eigenen Staatsmänner rathlos hin und her ſchwanken ſah, griff er ſelber durch und bewährte wieder den klaren, ſicheren Soldaten - blick, den er am Tage von Kulm und ſo oft auf den Schlachtfeldern des letzten Winterfeldzugs gezeigt hatte. Die perſönliche Neigung mag dabei mitgewirkt haben, doch der Drang des Gemüths ſtimmte überein mit der nüchternen politiſchen Berechnung.

Hardenberg fühlte ſich tief gekränkt durch das entſchiedene Auftreten ſeines königlichen Herrn und dachte ernſtlich daran ſeinen Abſchied zu for - dern; Metternich und Caſtlereagh ſuchten ihn in dieſem Entſchluſſe zu be - ſtärken. Die Schwenkung des Königs wurde ſofort von den gewandten Geg - nern ausgebeutet. Die Franzoſen ſetzten ein effectvolles Märchen in Umlauf: wie Alexander durch brünſtige Zärtlichkeitsbetheuerungen ſeinen Freund und ſich ſelber in ſanfte Rührung hineingeredet und dann dem argloſen Könige das verhängnißvolle Verſprechen abgenommen habe. Die anmuthige Erfin - dung fand bei den erboſten fremden Diplomaten um ſo leichter Gehör, da der Entſchluß des Königs ihre ſämmtlichen Berechnungen über den Haufen warf; ſeit dem bekannten Auftritte am Grabe Friedrichs des Großen wußte ohnehin Jedermann, wie Großes der Czar in kunſtvollen Rührſcenen zu leiſten vermochte. Talleyrand verkündete ſchon am 7. November frohlockend an Gentz den großen Verrath der Preußen und gab dann die Parole aus, welche bald von Metternich und Caſtlereagh nachgeſprochen wurde: Preußen hat die Sache Europas aufgegeben und darf darum Sachſen nicht er - halten! Dieſer Abfall der falſchen Freunde iſt aber nicht durch den König verſchuldet worden; er wäre vielmehr, auch ohne die That Friedrich Wilhelms, unzweifelhaft nach einigen Wochen, und dann unter Mitwir - kung des Czaren ſelber, eingetreten. Es bleibt das Verdienſt des Mo - narchen, daß er ſeinem Staate für den unausbleiblichen Zuſammenſtoß mit Oeſterreich und den Weſtmächten den Beiſtand Rußlands und alſo doch mindeſtens eine leidliche Entſchädigung ſicherte.

Leider führte der König ſein gutes Werk nicht ganz zu Ende. Ihm genügte, daß er den Bruch mit Preußens natürlichem Bundesgenoſſen635Wendung der preußiſchen Politik.abgewendet hatte; das Weitere überließ er, nach ſeiner ſchüchternen Weiſe, dem Staatskanzler. Die Monarchen waren in jenem Geſpräche nur über zwei Punkte übereingekommen: der König wollte, da ihm der Czar abermals den Beſitz von Sachſen verbürgte, der polniſchen Königskrone Alexanders nicht mehr widerſprechen, und er verwarf die von Oeſterreich und England verlangte Weichſelgrenze als eine übertriebene, für Preußen ſelbſt nachtheilige Forderung. Doch über die Zukunft des Landſtrichs zwiſchen Warthe und Prosna gingen die Meinungen noch auseinander, und es war ſicherlich Hardenbergs Pflicht, dieſe Grenzfrage ſogleich durch vertrauliche Verhandlungen zu erledigen, alle zwiſchen Rußland und Preußen noch ſtreitigen Punkte aus der Welt zu ſchaffen, um dann, wohl gedeckt durch gegenſeitige bindende Verpflichtungen, mit einem ge - meinſamen Programm den Weſtmächten und der Hofburg entgegenzutreten. Der beſtimmte Befehl des Königs hatte die Lage völlig verändert; der Staatskanzler konnte nicht mehr den Vermittler ſpielen, er mußte Partei ergreifen. Angeſichts der unwahren Winkelzüge Metternichs, der ſinnloſen Phraſen Caſtlereaghs, der offenbaren Feindſeligkeit Talleyrands und aller kleinen Höfe war Preußen verpflichtet rückſichtslos an ſeine eigene Siche - rung zu denken. Dem heuchleriſchen Geſchrei über den Verrath an der Sache Europas entging man ja doch nicht mehr.

Außer der von Rußland bereits angebotenen Prosnalinie waren aber nur Thorn und die benachbarten Gebiete des alten Deutſch-Ordenslandes für Preußen unentbehrlich. Dieſe wichtige Poſition an der Weichſel und ihr deutſches Hinterland dem großen Vaterlande zurückzugeben blieb aller - dings eine unerläßliche Aufgabe der nationalen Politik. Schon auf die erſte unbeſtimmte Nachricht von der bevorſtehenden Wiedervereinigung ſpra - chen die Aemter Engelsburg und Rheden ſofort dem Staatskanzler ihre herzliche Freude aus und ſchilderten beweglich, mit wie unnennbaren Empfindungen ſie durch ſieben lange Jahre dicht an ihrer Grenze das Glück der Preußen geſehen und ſelber das Joch der fremden Tyrannei hätten tragen müſſen. *)Eingabe an Hardenberg, 5. Nov. 1814.Die Wiedererwerbung dieſer treuen deutſchen Lande war, wie der Erfolg gezeigt hat, keineswegs unmöglich, obgleich Czar Alexander auf das feſte Thorn großen Werth legte; man mußte nur einen klaren Entſchluß faſſen, auf die rein polniſchen Landſtriche um Kaliſch und Czenſtochau verzichten und vor Allem Oeſterreichs An - ſprüche auf Krakau nicht mehr unterſtützen. Krakau war, wenn Preußen die Stadt erlangen konnte, unſchätzbar als Grenzfeſtung wie als Stapel - platz für den oberſchleſiſchen Handel; die alte Pflanzung des deutſchen Bürgerthums hätte vorausſichtlich unter preußiſchem Scepter bald wieder ein deutſches Gepräge empfangen. Aber wie die Dinge lagen, ſtritten ſich nur Oeſterreich und Rußland um den Beſitz des Platzes; und warum636II. 1. Der Wiener Congreß.ſollte Preußen die öſterreichiſche Nachbarſchaft der ruſſiſchen vorziehen oder gar die Anſprüche der Hofburg auf Zamosz und die Niederungen der Nida unterſtützen? Nachdem der König entſchieden hatte, war es geboten ſofort mit Rußland die Grenzfrage ins Reine zu bringen.

Hardenberg aber hatte ſich ſchon allzu tief eingelaſſen in die engliſch - öſterreichiſchen Zettelungen; er konnte das Mißtrauen gegen Rußland nicht überwinden. Alle ſeine ehrlichen Hoffnungen für Deutſchlands Zukunft beruhten auf dem Bündniß der drei deutſchen Großmächte . Darum wollte er auch jetzt noch eine Mittellinie zwiſchen den beiden Parteien ein - halten und ſchrieb am Tage nach jenem Geſpräche (7. November) ver - traulich an Caſtlereagh. Er hütete ſich wohl, von dem Befehle des Königs etwas zu ſagen und erzählte nur, wie er im Verlaufe jener Unterredung die Ueberzeugung gewonnen habe, daß man Alexanders polniſche Königs - krone anerkennen müſſe. Für Preußen verlangte er nochmals die Warthe - linie und Thorn, für Oeſterreich das Land bis zur Nida, Krakau und Zamosz, obgleich Metternich ſelber auf letzteren Platz wenig Werth legte. Es war kaum möglich ungeſchickter zu verfahren. Der Staatskanzler ſetzte ſich zwiſchen zwei Stühle; durch die Anerkennung des Königreichs Polen gab er der Hofburg willkommenen Anlaß über Preußens Verrath zu klagen, und zugleich ſtieß er den Czaren vor den Kopf durch die Forderung einer Grenze, welche Rußland nicht bewilligen konnte.

Auch Humboldt fügte ſich nur widerſtrebend dem Befehle des Königs In einer dritten Denkſchrift, vom 9. November, warnte er vor der Ge - fahr, daß Oeſterreich durch unſer ruſſiſches Bündniß in allen deutſchen Fragen uns verfeindet werde*)Humboldts Denkſchrift über die polniſche Frage, 9. Nov. 1814.: Da dieſe Verhältniſſe für Preußen immer die nächſten und wichtigſten bleiben, wird Rußland es dafür nicht ent - ſchädigen können. Ruhe, Gleichgewicht und Sicherheit laſſen ſich nicht mehr denken, wenn Preußen ſich, ohne die gerechteſten und wichtigſten Gründe, von ſeinem natürlichen politiſchen Syſteme, der Verbindung mit Oeſterreich, Deutſchland, England und Holland trennt. Immer wieder verbreitet der holde Traum des deutſchen Dualismus ſeinen Dunſtkreis um die Köpfe der preußiſchen Staatsmänner. Auch ein ſehr ſonderbarer Grund wird von Humboldts überſcharfem Geiſte für Hardenbergs Politik herangezogen: der Umſtand nämlich, daß die beiden ſchlimmſten Feinde Preußens und des europäiſchen Friedens, Frankreich und Baiern, ebenfalls gegen Rußland kämpfen; daraus folgt nicht, wie gewöhnliche Menſchen vermuthen werden, daß Preußen, mit dieſen Feinden verbündet, höchſt - wahrſcheinlich frevelhaft betrogen würde, ſondern umgekehrt, daß Frank - reich und Baiern alles Intereſſe dabei verlieren, ſobald Preußen auf die Seite tritt, auf welche ſie ſich in Abſicht der polniſchen Angelegenheit ſtellen!

637Neue Bedenken Humboldts.

Aus ſolchen kunſtvollen Vorderſätzen ergiebt ſich die Nothwendigkeit offen für England und Oeſterreich aufzutreten; aber Preußen muß for - dern, daß die beiden Mächte augenblicklich in einem definitiven Vertrage Preußens gerechte Forderungen anerkennen und ihm namentlich die Ein - verleibung von Sachſen verbürgen. Sollten ſie jedoch wider Erwarten auf dieſe Bedingungen nicht eingehen, ſo bewieſen ſie dadurch ſchon, daß ſie kein rein europäiſches Intereſſe hätten, und daß ſie Preußen die Kräfte nicht einräumen wollten, deren es zur Erhaltung ſeiner Unab - hängigkeit bedarf; und ſo würde Preußen vor ſich und Europa gerechtfer - tigt ſein, ſich von ihnen zu trennen und einen eigenen Weg mit Rußland einzuſchlagen.

Wahrlich, blinde Ergebenheit gegen Rußland iſt das Letzte, was ſich den Diplomaten der Staatskanzlei vorwerfen läßt; bis zur zwölften Stunde bauten ſie feſt auf Oeſterreichs Freundſchaft. Schon nach wenigen Tagen ward offenbar, daß weder Oeſterreich noch England eine feſte Verpflich - tung für Preußens Wiederherſtellung übernehmen wollte. Hardenberg hat dann noch wochenlang in unfruchtbaren Vermittlungsverſuchen ſich erſchöpft; Preußen trug von ſeinem Abfall zunächſt nur den Haß da - von, der jedem diplomatiſchen Frontwechſel zu folgen pflegt. Doch als nachher der Streit ſich verbitterte, da führte die Natur der Dinge, halb wider den Willen der preußiſchen Staatsmänner, jene Parteigruppirung herbei, welche dem klaren Blicke des Königs von vornherein als unver - meidlich erſchienen war. Auf der einen Seite ſtanden Preußen und Ruß - land, auf der andern: Oeſterreich, England, alle kleinen Neider des wer - denden deutſchen Staats und, als der Leiter der großen Verſchwörung, Frankreich. Nur ſeinem Könige verdankte der aus tauſend Wunden blu - tende Staat, daß er aus einem ſolchen Kampfe nicht völlig gedemüthigt hervorging.

Am 8. November übergab Fürſt Repnin die Verwaltung von Sachſen an die preußiſchen Bevollmächtigten General von Gaudi und Miniſter v. d. Reck. Der Leipziger Bürgermeiſter Siegmann und die Handlungs - deputirten ſprachen ſofort im Namen von Stadt und Kaufmannſchaft dem Staatskanzler ihr volles Vertrauen aus, dankten ihm für die treffliche Wahl der oberſten Beamten. *)Eingabe der Leipziger Handlungsdeputirten an den Staatskanzler, 15. Nov., Siegmann an Hardenberg, 16. Nov. 1814.Es fehlte nicht an unerquicklichem Streite, da der moderne Staat mit ſeiner ſtrengen Aufſicht plötzlich unter die Spinnweben und den verſtaubten Urväterhausrath dieſer verkommenen altſtändiſchen Verwaltung hineinfuhr. An die Spitze des Finanzweſens wurde Staatsrath Frieſe geſtellt, einer der beſten Köpfe des preußiſchen Be - amtenthums, derſelbe, der nachher der Preußiſchen Bank lange mit großem Erfolge vorgeſtanden hat. Er wußte nicht grell genug zu ſchildern, wie638II. 1. Der Wiener Congreß.ſündlich der Staatshaushalt, der freilich noch immer minder verſchuldet war als die erſchöpften Finanzen Preußens, durch eine faule, ſchwerfällige und beſtechliche Verwaltung verwahrloſt ſei, und gerieth mit den Mit - gliedern des ſächſiſchen Finanz-Collegiums hart an einander. *)Darüber berichtet der Finanzminiſter von Bülow ausführlich an den Staats - kanzler, Berlin, 8. Dec. 1814.Den ſächſiſchen Edelleuten, welche bisher den Abtheilungen des General - gouvernements vorgeſtanden, wurden bürgerliche Beamte an die Seite geſetzt, ſo der Geh. Rath Krüger, ein echter Sohn der tüchtigen, rück - ſichtslos ſtrengen altpreußiſchen Beamtenſchule, und der ſächſiſche Hof - rath Ferber, ein alter Gegner der Ständeherrſchaft, beim Adel längſt als Demagog verrufen. Darüber denn große Entrüſtung. Die Gekränkten hielten die heiligſten Rechte der ſächſiſchen Nation für gefährdet die harmloſe Verwechslung des perſönlichen mit dem allgemeinen Intereſſe bleibt ja die Erbſünde kleinſtaatlicher Weltanſchauung und brachten den armſeligen Handel bis vor den Congreß. Stein, der in Streitigkeiten zwiſchen Edelleuten und Officianten ſelten unparteiiſch verfuhr, ſchalt auf die Roheit der Preußen. Der Staatskanzler aber wies die Klagenden ſcharf ab: Sie können aus dieſen nur perſönlichen Differentien nicht eine Sache des ſächſiſchen Volkes machen, als deſſen Repräſentanten Sie keineswegs angeſehen werden können.

Die verſtändigen Leipziger Geſchäftsmänner faßten bald Zutrauen zu dem neuen ſtraffen und gerechten Regimente; der Curs der Staats - papiere und Kaſſenbillets ſtieg ſofort. Mit warmen Worten dankte der Handelsconſulent Gruner dem Staatskanzler, daß er der Adelsherrſchaft entgegentrete; in ihr liege der Grund der unſerer Adminiſtration eigen - thümlichen Schwerfälligkeit . Noch entſchiedener ſchrieb der Chef des großen Bankhauſes Reichenbach: Die Leute werden bald zu bekennen gezwungen ſein, daß der das Heil des Vaterlandes nicht will, der die alte Verwirrung, den häßlichen Schlendrian und die ſtarrköpfige Aufrechthaltung alter Miß - bräuche wünſcht, welche eine gewiſſe Clique für unſer Palladium ausgeben möchte. **)Gruner an Stägemann 27. November, Reichenbach an Hardenberg 28. No - vember 1814.Einige dieſer alten Mißbräuche waren freilich auch der wackeren Leipziger Bürgerſchaft theuer. Die Stadt hatte bisher nahezu einen Staat im Staate gebildet; ſie hielt ihre eigenen Stadtſoldaten, keine landesherr - lichen Truppen durften in ihren Mauern erſcheinen; der Stadtrath erfreute ſich des behaglichen Rechtes, Niemandem von der Verwaltung des Gemeinde - vermögens Rechenſchaft abzulegen u. ſ. w. Unter der Hand ließ man um die Erhaltung dieſer Privilegien bitten. Der Staatskanzler konnte jedoch, ſo lieb ihm die Stadt war, lediglich die Bewahrung der alten Meßprivilegien und eine freie Gemeindeverfaſſung zuſagen; er verſprach auch, die nothwendigen639Sachſen unter preußiſcher Verwaltung.neuen Steuern nur unter Zuziehung einer aus der Nation gewählten Ständeverſammlung aufzulegen und der Stadt in Friedenszeiten keine Garniſon aufzudrängen. *)Hardenberg an Miltitz 12. December 1814, an Bülow 25. Januar 1815.Weiter ging er nicht. Das gemeine Recht der monarchiſchen Verwaltung konnte die oligarchiſchen Vorrechte nicht unbe - rührt fortbeſtehen laſſen.

Gewiß ſind auch in Sachſen einzelne Mißgriffe vorgekommen; die Erhebung aus der Enge der Kleinſtaaterei iſt noch in keiner unſerer neuen Provinzen ganz ohne verletzende Härte geſchehen. Aber die Maſſe des Volks blieb trotz ihrer unzweifelhaft particulariſtiſchen Geſinnung von jedem Gedanken des Widerſtandes weit entfernt. Ein gründlicher Kenner der Verhältniſſe, der Gouvernementscommiſſar von Zeſchau in Wittenberg, der ſpätere ſächſiſche Finanzminiſter, erklärte freimüthig: man könne nicht verlangen, daß das ſächſiſche Volk einen Fürſten ganz vergeſſe, unter deſſen Regierung es bis zum Jahre 1806 ganz glücklich lebte; doch die Mäßigung der Regierung finde Anerkennung; ganz gewiß ſeien keine Un - ruhen zu befürchten, das Volk werde ſich raſch in die neue Ordnung ein - gewöhnen. **)Schreiben Zeſchaus an den proviſoriſchen Chef der ſächſiſchen Polizei von Bülow (18. November 1814).Jedermann weiß, wie genau dieſe Weiſſagung bald nachher in der nördlichen Hälfte des Landes ſich erfüllt hat. Doch weil es ſo ſtand, weil die leichte Verſchmelzung des Landes mit dem preußiſchen Staate außer Zweifel war, darum kämpfte die Adeliche Reſſource in Dresden, der alte Sammelplatz des Hofadels und der Bureaukratie, mit leiden - ſchaftlichem Eifer gegen den drohenden Untergang ihrer alten Herrlichkeit. Die Förſter faſt die einzigen Menſchen im Lande, denen ſich der alte König, frei von dem Zwange der Etikette, in ſeiner menſchlichen Harm - loſigkeit gezeigt hatte beförderten eifrig die Briefe des Gefangenen und ſeines Contino Marcolini. Die Ungewißheit der Zukunft gab der Wüh - lerei des Junkerthums ſtets neue Nahrung. Man lauſchte angſtvoll auf jede Nachricht aus Wien, auf jeden Wink aus Friedrichsfelde. Als der Herzog von Braunſchweig im November durch Dresden kam, hielt er für Welfenpflicht, gegen Jedermann von der nahen Rückkehr des angeſtamm - ten Herrn zu ſprechen. Sofort bemerkte Geh. Rath Krüger, wie die Aufregung in der Reſidenz zunahm; meine eigene Kanzlei, ſchrieb er dem Staatskanzler, zittert und bebt bei dieſer Ausſicht! ***)Krügers Bericht an Hardenberg, 29. November 1814.

Unterdeſſen tobte weithin durch das Lager des Rheinbundes, am Lauteſten in Baiern, ein erbitterter Federkrieg, deſſen bodenloſe Gemein - heit der Sachſe Karl von Noſtitz treffend als pamphletiſtiſche Mord - brennerei bezeichnete. Dieſe Libelle, zumeiſt von den Cabinetten ſelber veranlaßt oder beeinflußt, haben nicht nur die Leidenſchaften des Tages640II. 1. Der Wiener Congreß.geſchürt und den Kampf verſchärft. In ihnen ſammelte ſich auch das ganze Rüſtzeug jener vergifteten Waffen an, welche ſeitdem während eines Menſchenalters gegen Preußen geſchwungen wurden; ſchon jetzt verrieth ſich das nachher in den Tagen der Demagogenverfolgung mit ſo reichem Erfolge gekrönte Beſtreben, den Befreiungskrieg und ſeine Helden vor der Krone Preußen zu verdächtigen. Mit Gentzens Freunde Adam Müller, dem Herausgeber des ultramontanen Tyroler Boten , wetteiferte der Welfe Sartorius. Der gelehrte Göttinger Hiſtoriker verfaßte, während er zu Wien in den Vorzimmern der Diplomaten umherſchlich und ver - traulich mit Gentz verkehrte, unter dem Namen eines preußiſchen Pa - trioten die Flugſchrift über die Vereinigung Sachſens mit Preußen und ſchilderte mit dem ganzen Kummer eines beſchämten treuen Preußen - herzens: im Lande geht das Gerücht, daß verblendete Rathgeber die Hände des Königs mit geſtohlenem Gute beflecken wollen; die Verführung lauert, der Staat ſteht am Scheidewege; ſoll denn nochmals, wie einſt in Schle - ſien, Weſtpreußen, Hannover, das suum cuique rapit der Sinnſpruch unſeres Adlers ſein? Die Augsburger Allgemeine Zeitung ſtand, wie in jeder großen Kriſis unſerer neueren Geſchichte, auch diesmal unter den Feinden Preußens.

Noch handfeſter ſprachen Aretin und Hörmann, die beiden alterprob - ten Schergen des Bonapartismus, in der Münchener Alemannia. Aretins Schrift Sachſen und Preußen führte den Gedanken aus, der ſeitdem ein Lieblingsſatz unſerer Foederaliſten wurde: der aufgeblaſene preußiſche Froſch müſſe eine Macht zweiten Ranges bleiben; werde er zu einer Primär-Macht , ſo gehe die Ruhe und das Gleichgewicht Europas unter; dazu die herkömmliche Verſicherung, daß die preußiſche Ländergier auch nach Hamburg, nach Böhmen und Mähren trachte. Gleichfalls aus den Kreiſen Montgelas und der bairiſchen Regierung ſtammt die Flugſchrift Preußen und Teutſchland , die nach einer Fluth wüſter Schmähreden ſchließlich die Sachſen, Rheinländer und Mainzer feierlich aufruft, ihre Freiheit gegen die Fänge des preußiſchen Adlers zu vertheidigen. Die Krone dieſer Literatur bilden die in Baiern heimlich gedruckten Sächſiſchen Actenſtücke aus der Dresdener ungeſchriebenen Zeitung eine Fälſchung von ſolcher Plumpheit, daß wir heute kaum noch begreifen, wie ſie jemals gläubige Leſer finden konnte. Da verwendet ſich Herzog Ernſt von Co - burg für ſeinen gefangenen Verwandten in einem rührenden Briefe, welchen nachweislich La Besnardiere auf Talleyrands Befehl angefertigt hat. Da richten die preußiſchen Generale (York, Bülow, Kleiſt, Gneiſenau und Maſſenbach bunt durch einander) eine drohende Adreſſe an den Staats - kanzler und verlangen ſäbelraſſelnd die ſofortige Einverleibung Sachſens: wo wäre die preußiſche Monarchie, wenn wir dem behutſamen Cabinette blind gehorcht hätten? Da warnt eine Denkſchrift Hardenbergs den König vor dem zügelloſen Geiſte des Heeres und den gefährlichen Umtrieben641Der Federkrieg um Sachſen.jener geheimen Vereine, die zur Bekämpfung Napoleons ſo nützlich ge - weſen. Wilhelm Humboldt frohlockt in einem Briefe an Niebuhr, wie glorreich die Preußen dem Beiſpiele des von dem großen Hiſtoriker ſo herrlich geſchilderten räuberiſchen Römervolkes zu folgen verſtänden: nur Baiern mit ſeinem eiſernen Miniſterium ſteht uns noch im Wege! Neben ſolchen Kraftleiſtungen des bajuvariſchen Bonapartismus erſcheinen die ſpärlichen Kundgebungen aus Sachſen ſelbſt zahm und harmlos. Ein kummervoller Aufruf an alle teutſchen Nationen ; ein anonymes Flug - blatt, verlegt bei St. Landgier ; ein paar Schriften von Beamten und Advocaten, worin unter wiederholten je nun ja verſichert wird, der Ver - faſſer ſchreibe nur aus innerer Ueberzeugung das iſt Alles. Auch die wenigen der Einverleibung günſtigen Flugſchriften aus Sachſen zeigen denſelben Charakter politiſcher Verſumpfung; nirgends ein großer natio - aler Geſichtspunkt, immer nur kleinbürgerliche Klagen über die Mißbräuche der adlichen Vetterſchaft und den bigotten Sinn des katholiſchen Hofes: wie anders in Preußen, wo die Prinzeſſin wie die Bürgersfrau den Luiſenorden trägt und alle Religionsparteien der königlichen Gerechtigkeit genießen!

Auch die ausländiſchen Zeitungen begannen in dem Streite Partei zu ergreifen: durchgängig gegen Preußen. Da das Tory-Cabinet Anfangs den preußiſchen Anſprüchen günſtig ſchien, ſo nahmen ſich die Whigs, nach der alten Regel engliſcher Parteitaktik, im Parlamente wie in den Zeitungen eifrig des gefangenen Königs an, und die öffentliche Meinung ſtand hinter ihnen. Die engliſche Nation hat während der zwei jüngſten Menſchenalter dem Erſtarken des deutſchen Nordens immer ebenſo feind - ſelig, wenngleich minder lärmend widerſtrebt wie die Franzoſen. Damals fand ſie vollends ihre theuerſten Handelsintereſſen durch Preußen gefährdet: Leipzig, der große Stapelplatz der britiſchen Waaren, durfte nicht in die Zollgemeinſchaft eines großen Staates eintreten. In heiligem Zorne ver - fluchten die Redner der Whigs die argliſtigen Anſchläge der Despoten wider die ſächſiſche Nation , und mit der gleichen erhabenen Begeiſterung wurde die Vereinigung Genuas mit Piemont als der Tod der Freiheit Italiens gebrandmarkt. Die franzöſiſche Preſſe hielt wie Ein Mann zu dem treuen Alliirten Napoleons. Schon am 7. November, alſo bevor man in Paris den entſcheidenden Schritt des Königs von Preußen kannte, verkündete die halbamtliche Quotidienne unverhohlen das Programm des bourboniſchen Rheinbundes: die Regierung des Allerchriſtlichſten Königs iſt vielleicht die einzige in Europa, welche bei einer Volksabſtimmung auf einſtimmige Anerkennung rechnen kann; die ſchöne Rolle des Vertheidigers der Unterdrückten, des Beſchützers der Schwachen, des bewaffneten Bürgen für die Heiligkeit der Verträge, das iſt Frankreichs berechtigte Größe, hierin liegt ſein legitimes und unverjährbares Uebergewicht; darum volle Selb - ſtändigkeit für Polen, das als ein ſchon beſtehender Staat nur reichererTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 41642II. 1. Der Wiener Congreß.Ausſtattung bedarf; darum unbeſchränkte Souveränität für die deutſchen Staaten, Achtung vor der individualité nationale der Sachſen, der Baiern und der anderen deutſchen Völker; dann wird eine freie und ſtarke Confoederation die franzöſiſchen Waffen auf immer von den Waffen Oeſterreichs und Preußens trennen!

Der Rheiniſche Mercur trat dem vollſtimmigen Chor der Rhein - bündler tapfer entgegen und ward darum von den Journaliſten Montgelas der Therſites unter den deutſchen Zeitſchriften geſcholten. Görres warnte in ſeiner bilderreichen Sprache vor den Baſiliskeneiern des galliſchen Hahnes. Doch ein ſicheres Verſtändniß der großen Machtfrage war ſelbſt in dieſen Kreiſen nicht vorhanden. Der Mercur öffnete ſeine Spalten nicht nur den Freunden, ſondern auch den gemäßigten Gegnern der preu - ßiſchen Anſprüche: ein gefühlvoller Artikel bat die Söhne Germaniens um Schonung für Sachſen, den geiſtigeren Bruder, der allein ſtudirt hat als ob dieſer Bruder nicht auch unter preußiſcher Herrſchaft ungeſtört hätte weiter ſtudiren können! Die literariſche Vertheidigung der preußiſchen Politik ward im Ganzen nur von ſolchen Männern geführt, welche der Regierung nahe ſtanden. Auf Veranlaſſung des Staatskanzlers erſchien eine Flugſchrift von Varnhagen, oberflächlich wie Alles was dieſer politiſche Dilettant in Staatsſachen geſchrieben hat, voll hohler Phraſen über den Geiſt der Liberalität, der über Preußens Beſtrebungen ſchwebt . Ernſter und würdiger ſprachen Arndt, Eichhorn und J. G. Hoffmann. Die Schrift des wackeren Statiſtikers Preußen und Sachſen giebt mit ihrer ruhig beſcheidenen Haltung eine beredte Antwort auf die modiſchen An - klagen wider den preußiſchen Uebermuth. Niemals, ſagt Hoffmann gelaſſen, ſei Preußen ſo einſtimmig von der deutſchen Welt geſchmäht worden wie in den Tagen der Stein-Hardenbergiſchen Geſetze; gleichwohl müſſe das Gute in dem Staate doch wohl überwiegen, da die Nation für die Wie - deraufrichtung eines ſo verrufenen Gemeinweſens ſo unvergeßliche Opfer gebracht habe. Die kühle und ſachliche Darſtellung der Schuld des ge - fangenen Königs erregte in Friedrichsfelde ſolche Erbitterung, daß der ſächſiſche Miniſter Graf Einſiedel ſich erdreiſtete von der preußiſchen Re - gierung das Verbot der Hoffmann’ſchen Schrift zu verlangen; ſelbſtver - ſtändlich ward ihm ſeine Note zurückgegeben.

Weitaus das bedeutendſte Werk aus dieſem Federkriege iſt Barthold Niebuhrs Flugſchrift Preußens Recht wider den ſächſiſchen Hof wohl überhaupt die vornehmſte Leiſtung der deutſchen Publiciſtik aus jenem Zeit - raum, denn ſie vereinigt Arndts edle Leidenſchaft und rhetoriſchen Schwung mit dem Gedankenreichthum und der politiſchen Sachkenntniß von Fried - rich Gentz. Wie frei und kühn entwickelt der große Hiſtoriker zwei Kern - gedanken unſerer nationalen Politik, welche noch niemals früher mit ſolcher Klarheit ausgeſprochen, ſeitdem allen edleren Deutſchen in Fleiſch und Blut gedrungen ſind. Er zeigt, daß ein großes ſeiner Einheit bewußtes643Metternich beantragt die Theilung Sachſens.Volk den Abfall von der Sache der Nation auch dann als Felonie be - ſtrafen darf, wenn der Verräther kein geſchriebenes Recht verletzt hat; die Gemeinſchaft der Nationalität iſt höher als die Staatsverhältniſſe, welche die verſchiedenen Völker eines Stammes vereinigen oder trennen. Als - dann ſagt er mit der Sicherheit des Sehers voraus, daß die Tage der deutſchen Kleinſtaaterei gezählt ſind: ſchwache Gemeinweſen, die ſich nicht durch eigene Kraft behaupten können, hören auf Staaten zu ſein. Zu ſolchem Urtheil gelangte der conſervative Denker, da er ein Jahr nach der Schlacht von Leipzig das deutſche Kleinfürſtenthum wieder den Fahnen Frankreichs folgen ſah. In dem vertrauten Briefwechſel der preußiſchen Diplomatie ſprach ſich der Unmuth über den wiederauflebenden Particu - larismus noch weit ſchärfer aus. Die nämlichen Menſchen ſchrieb Alopeus an Humboldt die nach der Schlacht von Leipzig ausriefen: ihm geſchieht recht, bemitleiden jetzt den frommen König; und die Bour - bonen, die im Junimonat vollauf zu thun hatten ſich ſelbſt zu erhalten, haben es jetzt ſo weit gebracht, daß ſie ſich um die Erhaltung Anderer kräftig verwenden können. Freilich empört ſich das Gefühl, wenn man es anſehen muß, daß der nämliche deutſche Kaiſer, der von ſeinen Vaſal - len ſchändlicherweiſe verlaſſen wurde, jetzt dieſe mit den Verbrechen des Hochverraths und der Felonie beſchmutzten Vaſallen ſchaarenweiſe in der Kaiſerſtadt mit allen den Souveränen gebührenden Ehrenbezeigungen auf - nimmt. Man frägt ſich, welches der Endzweck einer ſolchen nicht von der Nothwendigkeit gebotenen Herablaſſung ſein kann.

Auf den Gang der Congreßverhandlungen übten natürlich weder ſolche Zornworte noch Niebuhrs und Hoffmanns Vernunftgründe irgend einen Einfluß. Oeſterreich hatte gehofft, mit England und Preußen ver - eint den Czaren in die Enge zu treiben und dann über Preußens Kopf hinweg ſich mit Rußland zu verſtändigen. Nun war dieſer Plan durch das Eingreifen des Königs vereitelt, und ſofort änderte Metternich ſeine Taktik. Auch ihm, wie den Franzoſen, war die ſächſiſche Frage ungleich wichtiger als die Zukunft Polens. Schon am 11. November, in einem Geſpräche mit Caſtlereagh und Hardenberg, nahm er das dem Staats - kanzler gegebene Verſprechen zurück und erklärte: der allgemeine Wider - ſtand gegen die Einverleibung Sachſens ſei unüberwindlich, mindeſtens Dresden und der ſüdliche Theil des Landes müßten dem gefangenen Fürſten wieder zufallen. So wurde der Gedanke der Theilung Sachſens, welchen Stadion ſchon im Sommer den Unterhändlern Friedrich Auguſts ange - deutet hatte, endlich als das Ziel der öſterreichiſchen Politik ausgeſprochen. Die willkürliche Zerreißung des alten ſächſiſchen Gemeinweſens, die Zer - ſtörung ſeines altgewohnten Verkehrs durch neue Zolllinien erregte der Hofburg kein Bedenken. Ihre Abſicht war lediglich, das ergebene alber - tiniſche Haus wieder auf der für Preußen läſtigſten Stelle anzuſiedeln und zugleich dem preußiſchen Freunde eine Wunde an ſeinem Leibe offen zu41*644II. 1. Der Wiener Congreß.halten. Da die Lothringer ſelber in den Völkern ihres Hausbeſitzes nie - mals eine öſterreichiſche Staatsgeſinnung zu erwecken verſucht hatten, ſo beſaßen ſie auch kein Verſtändniß für die ſtaatsbildende Kraft der preußi - ſchen Monarchie; ſie hofften, das getheilte Sachſen werde für Preußen ein zweites Polen ſein. Kaiſer Franz tröſtete den Herzog von Weimar: nu nu, was bruddeln’s mit dem Kopf? wenn das Land getheilt wird, kommt’s am erſten wieder z’ſamm.

Hardenberg wies den Antrag Metternichs entſchieden zurück und ſchlug dann vor, die Albertiner nicht durch die Legationen, ſondern durch ein Stück des katholiſchen Weſtphalens zu entſchädigen. Er hatte in Wien endlich bemerkt, daß Oeſterreich den nördlichen Theil des Kirchenſtaates ſelber zu behalten wünſchte, und dachte die Hofburg durch dies Anerbieten nachgiebiger zu ſtimmen. Niemand in ganz Deutſchland hat damals die preußiſchen Staatsmänner darauf hingewieſen, was es bedeutete die beiden feſten Burgen des römiſchen Weſens in unſerem Norden, Münſter und Paderborn, als einen ſelbſtändigen Staat in die Hände eines bigott katho - liſchen Fürſtenhauſes zu geben; der heilige Stuhl wurde von allen Frei - geiſtern jener Generation als völlig machtlos geringgeſchätzt, von den Roman - tikern als ein Feind der Revolution bewundert. Dagegen erkannten die Patrioten ſehr richtig, daß nach Hardenbergs neueſtem Vorſchlage, der allerdings durch den Gang der diplomatiſchen Verhandlungen unvermeidlich geboten war, die ſächſiſchen Händel viel von ihrer nationalen Bedeutung verloren. Wollte man den getreueſten Vaſallen Napoleons wieder auf deutſchem Boden anſiedeln, ſo war die Frage: ob er die Päſſe des Erzge - birges oder ein Stück von Niederſachſen erhalten ſolle? freilich noch immer hochwichtig für Preußens militäriſche Machtſtellung, doch auf die warme Theilnahme des großen Publikums konnte ſie nicht mehr zählen. Selbſt Arndt geſtand, ſeitdem ſei ihm der ſächſiſche Streit gleichgiltig geworden. Metternich fand auch dieſen neuen Plan hochbedenklich und wiederholte mit wachſender Beſtimmtheit, nur die Wiedereinführung des Gefangenen in einen Theil ſeines Landes könne den tiefen Unmuth der deutſchen Fürſten beſchwichtigen.

Auch England nahm bald ſein gegebenes Wort zurück. Lord Caſtlereagh erntete jetzt die Früchte ſeiner zudringlichen Anmaßung. Er hatte dem Czaren die gröbſten Beleidigungen geboten; und da nunmehr Preußen ſich weigerte an dem diplomatiſchen Feldzuge gegen Rußland ferner theilzunehmen, ſo trieb die Logik der Thatſachen die engliſchen Staats - männer auf die Seite jener Macht, welche Preußen und Rußland am ent - ſchiedenſten bekämpfte. Bereits am 15. November kam der beſchränkt - ehrliche Charles Stewart zu Stein und klagte voll Schmerz und Scham: wir ſind gezwungen uns in Frankreichs Arme zu werfen! Die Furcht des britiſchen Cabinets vor den Zornreden der parlamentariſchen Oppoſition und das Mitgefühl des Prinzregenten für den gefangenen Wettiner be -645Oeſterreich und England gegen Preußen.ſchleunigten dieſe Schwenkung. Caſtlereagh erhielt aus der Heimath den Befehl die preußiſche Sache gänzlich aufzugeben, und er iſt ſich in ſeiner Beſchränktheit des begangenen Verrathes niemals klar bewußt geworden. Auch im Parlamente wußte der edle Lord ſpäterhin zur Entſchuldigung ſeines Geſinnungswechſels nur das Eine vorzubringen: die öffentliche Meinung Deutſchlands ſei der Einverleibung Sachſens entſchieden un - günſtig geweſen eine wunderſame Behauptung im Munde dieſer Hoch - torys, welche ſonſt die Geringſchätzung der Wünſche der Völker gefliſſentlich zur Schau trugen.

Nur Caſtlereaghs Gedankenloſigkeit und Metternichs Argliſt erklären das Räthſel, daß England und Oeſterreich jetzt plötzlich Alles für ſchwarz erklärten was ſie bisher für weiß gehalten. Die von ihnen ſo lange be - kämpfte polniſche Königskrone Alexanders erſchien ihnen nunmehr als eine Falle , welche der Czar ſich zum eigenen Schaden ſtelle, und die Ein - verleibung Sachſens, der ſie beide mit halben Worten zugeſtimmt, galt nun als eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts. Man hatte erkannt, daß Rußland ohne einen Krieg von ſeinen polniſchen Plänen nicht abzubringen ſei; die polniſche Angelegenheit, ſchrieb Gagern ſchon am 1. December, iſt beinah beendigt, aus Mangel an Kämpfern. Um ſo feſter rechnete Metternich auf die Vereitelung der ſo ungleich ſchlechter geſicherten preu - ßiſchen Anſprüche. Er ſtand jetzt mit Talleyrand in herzlichem Vereine, prüfte und genehmigte mit dem Franzoſen gemeinſam eine neue Rechts - verwahrung des gefangenen Königs.

Solcher Erfolge froh trat Talleyrand täglich herausfordernder auf, ließ durch Dalberg und La Besnardiere eine Apologie des Albertiners verfaſſen, verſicherte dem getreuen Gagern: niemals werde Frankreich die Preußen weder am linken Rheinufer noch in Sachſen dulden. Eine Denkſchrift über Sachſen vom franzöſiſchen Geſichtspunkte zählte Preu - ßens Sünden gegen das deutſche Vaterland auf: den Baſeler Frieden, den Reichsdeputationshauptſchluß, die Neutralität von 1805 Alles Sünden vom franzöſiſchen Geſichtspunkte! Der Moniteur verkündete feierlich: der einzige Fürſt, der vielleicht berechtigt wäre, über Friedrich Auguſt zu urtheilen, der König von Frankreich ſpricht den Gefangenen frei! und pries begeiſtert die ewige Zerſplitterung als die glorreiche Eigenthümlichkeit der deutſchen Nation: im deutſchen Charakter liegt die Anhänglichkeit an heilige Gewohnheiten; die heiligſte darunter iſt: beſon - deren Fürſten zu gehorchen.

Dieſe princes particuliers waren mit der Geſchichtsphiloſophie des Moniteurs ganz einverſtanden; ſie zeigten ſich bereit, auf Talleyrands Aufforderung einen gemeinſamen Proteſt gegen die Einverleibung Sachſens zu unterzeichnen, nur eine drohende Warnung des Czaren hintertrieb das Unternehmen. Der Franzoſe hatte für jeden der kleinen Herrn lockende Verſprechungen bereit, und jeder von ihnen hoffte doch noch auf der großen646II. 1. Der Wiener Congreß.Wiener Länderbörſe wenigſtens einige tauſend Seelen zu gewinnen. Die Geſinnung des deutſchen Kleinfürſtenthums fand einen getreuen Ausdruck in den zahlreichen Denkſchriften des Landgrafen von Heſſen-Homburg, welche den einleuchtenden Satz ausführten: da alle Nachbarmächte ſich vergrößert haben, ſo muß Homburg, um nicht von ſeiner hiſtoriſchen Machtſtellung herabzuſinken, nothwendig die Dörfer Ober-Urſel und Ober-Roßbach ſeinem Reiche einverleiben! Der darmſtädtiſche Geſandte von Türkheim begründete ſogar, inmitten dieſer hoch-legitimiſtiſchen Geſellſchaft, die Entſchädigungs - anſprüche ſeines durchlauchtigen Herrn durch eine feierliche Berufung auf die unveräußerlichen droits de l’homme. *)Eingaben des Erbprinzen von Homburg an Humboldt, Türkheims an Harden - berg (Jan. Febr. 1814).Wenn aber Talleyrands Pläne gelangen, wenn Preußen weder am Rhein noch in Sachſen entſchädigt wurde, ſo blieb mehr Land frei für die Herzenswünſche der Kleinen; darum ſtanden ſie alle ohne Ausnahme auf Frankreichs Seite, und der beſiegte Feind erſchien ihnen wieder als der großmächtige Protector Deutſchlands.

Das wüſte Gezänk um Sachſen brachte alle anderen Arbeiten des Congreſſes ins Stocken. Der deutſche Verfaſſungsausſchuß war ſchon längſt unverrichteter Dinge auseinandergegangen. Dazwiſchen hinein ſpielten erbärmliche perſönliche Ränke. Metternich verſuchte den preußi - ſchen Staatskanzler bei Alexander zu verdächtigen, legte dem Czaren die antiruſſiſchen Noten vor, welche Hardenberg zu Beginn des Congreſſes geſchrieben hatte und was der Jämmerlichkeiten mehr iſt. Trotz aller ſolcher Proben der öſterreichiſchen Freundſchaft ließ ſich der Staatskanzler von Metternich bereden, noch einmal zwiſchen Rußland und England - Oeſterreich zu vermitteln. Er ſtellte am 23. November nochmals die alten Forderungen auf: die Warthelinie für Preußen, Krakau und Zamosz für Oeſterreich obgleich er durch den Befehl des Königs verpflichtet war ſich nicht von Rußland zu trennen. Zum Glück kam ihm der Freiherr vom Stein zu Hilfe. Der große Mann hatte inzwiſchen eingeſehen, daß er bisher allzu einſeitig den polniſchen Plänen des Czaren entgegengetreten war; nach ſeiner herrlichen unbefangenen Weiſe beſchloß er ſofort den begangenen Fehler zu ſühnen und bot fortan ſeine ganze Kraft auf, um Sachſen für Preußen zu retten. Ihm war es zu verdanken, daß Alexanders Antwort ziemlich günſtig ausfiel. Der Czar verſicherte (27. Nov.), daß er niemals den preußiſchen Bundesgenoſſen, der ihn ſo kraftvoll, edel und ausdauernd unterſtützt habe, verlaſſen werde, und forderte ganz Sachſen für Preußen, Mainz für den Deutſchen Bund; von ſeinen polniſchen Anſprüchen gab er Thorn und Krakau auf, beide ſollten als neutrale freie Städte anerkannt werden.

Durch dieſe Erklärung war die Mainzer Frage erledigt. Metternich verzichtete auf die Abſicht, die Feſtung an Baiern zu geben, denn in der647Verſchärfung der ſächſiſchen Frage.Bekämpfung dieſes Planes waren Rußland und Preußen mit dem par - ticulariſtiſchen Neide der Kleinfürſten einig. Hardenberg wollte den Schlüſſel der Rheinlande nicht treuloſen Händen anvertrauen; die Kleinen aber be - fürchteten, wie die württembergiſchen Bevollmächtigten ſich ausdrückten*)Wintzingerode und Linden an Hardenberg, 8. December 1814., daß ein ſtarker Staat im Beſitze von Mainz das Schickſal aller übrigen deutſchen Staaten von ſich abhängig machen würde . So verfiel man denn auf ein Auskunftsmittel, das, unnatürlich und abgeſchmackt wie es war, doch aus den chaotiſchen Zuſtänden des Deutſchen Bundes ſich mit einer gewiſſen Nothwendigkeit ergab. Das goldene Mainz, dereinſt der Sitz des vornehmſten deutſchen Fürſten, wurde der Landeshoheit des Darm - ſtädter Großherzogs unterworfen, weil dieſer Machthaber ſeinen Nachbarn niemals bedrohlich werden konnte; die Feſtung ward ein feſter Platz des Deutſchen Bundes mit einer öſterreichiſch-preußiſchen Garniſon. Alſo be - hielt Preußen hier doch einen Fuß im Bügel. Von dem unendlichen Streite, welchen das Mitbeſatzungsrecht Oeſterreichs dereinſt erregen ſollte, ahnte man noch nichts; man träumte noch den Traum des friedlichen Dualismus. Ebenſo künſtlich war der ruſſiſche Vorſchlag, Thorn und Krakau zu freien Städten zu erheben; eine Republik Krakau mußte unfehlbar der Heerd einer namentlich für Oeſterreich hochgefährlichen polniſchen Propaganda werden. Indeß die Gedanken der Hofburg erhoben ſich nur bis zu dem Wunſche, daß der beherrſchende Platz des oberen Weichſelthals den Ruſſen nicht als Grenzfeſtung dienen dürfe. Metternich fand gegen den Plan wenig einzuwenden.

Die polniſchen Händel boten nur noch geringe Schwierigkeiten, zumal da Alexander jetzt die Vereinigung von Litthauen und Polen fallen ließ und allein die warſchauiſchen Lande für das neue Polenreich beſtimmte. Seinem klagenden Czartoryski ſagte er freilich insgeheim zum Troſte: dies verſtümmelte Königreich ſei nur eine pierre d’attente. Gleichviel, die ſächſiſche Frage blieb fortan der einzige ernſthafte Streitpunkt zwi - ſchen den Mächten. Immer heftiger ward der allgemeine Widerſpruch gegen die preußiſchen Pläne. In ſeiner Verlegenheit entſchloß ſich der Staatskanzler zu einem der größten diplomatiſchen Mißgriffe ſeines Lebens. Er ſchrieb an Metternich (3. Dec.) einen unbegreiflichen Brief, der das gute Herz des öſterreichiſchen Freundes durch bewegliche Worte rühren ſollte: theurer Fürſt, retten Sie Preußen aus ſeinem gegenwärtigen Zuſtande; dazu einige ſchwülſtige Verſe aus dem Rheiniſchen Mercur, welche den Doppeladler einluden, mit dem ſchwarzen Aar gefälligſt auf derſelben Rieſeneiche zu horſten!

Mit kaum verhehltem Hohne antwortete Metternich in einer vertrau - lichen Note vom 10. December. Er nahm jetzt amtlich ſeine früheren Zuſagen zurück, bot dem preußiſchen Freunde nur noch ein Fünftel des ſächſiſchen648II. 1. Der Wiener Congreß.Landes, ein Stück der Lauſitz mit etwas über 400,000 Einwohner: erhalte der Albertiner ſeine Krone nicht wieder, ſo komme der Deutſche Bund nicht zu Stande und Frankreich übernehme wieder das Protectorat der Kleinſtaaten. Während er alſo die Preußen vor den franzöſiſchen Ränken warnte, übergab er ſelbſt (16. Dec.) dieſe ſeine vertrauliche Note an Talley - rand, auf Befehl des Kaiſers Franz, damit König Ludwig erſehe, welche vollkommene Uebereinſtimmung der Anſichten zwiſchen Oeſterreich und Frankreich in der ſächſiſchen Frage beſtehe! Die Treuloſigkeit der Hofburg enthüllte ſich ſo ungeſcheut, daß der ehrliche Görres entrüſtet ſchrieb: Preußen braucht nur die beiden k. k. Noten vom 22. Oct. und 10. Dec. neben einander drucken zu laſſen, um in den Augen aller rechtſchaffenen Leute Recht zu behalten. Hardenberg war wie aus den Wolken gefallen; non fidem servavit ſchrieb er verzweifelnd in ſein Tagebuch, als er das Eintreffen jener ganz und gar unerwarteten Antwort verzeichnete. *)Hardenbergs Tagebuch 10. 12. Dec. 1814.Doch ſah er wohl, daß auf die Meinung der rechtſchaffenen Leute in dieſem Machtkampfe gar nichts ankam; er ſprach dem Oeſterreicher (in einer mit Alexander vereinbarten Note vom 16. Dec.) ſein ſchmerzliches Befremden aus über den Geſinnungswechſel der Hofburg und bot, da ſein weſtphäliſcher Entſchädigungsplan keinen Anklang gefunden, jetzt ein Stück des linksrheiniſchen Landes, mit Trier und Bonn, zur Verſorgung Friedrich Auguſts an. Die Verkehrtheit dieſes nur durch die letzte pein - liche Verlegenheit abgedrungenen Gedankens leuchtet heute Jedem ein: den Albertiner dicht neben der franzöſiſchen Grenze anſiedeln hieß geradezu den Franzoſen ein bequemes Ausfallsthor gegen Deutſchland öffnen. Wenn aber Metternich die ſchwache Seite des preußiſchen Vorſchlags ſofort er - ſpähte und ſalbungsvoll erwiderte: nimmermehr dürfe das linke Rheinufer alſo den Franzoſen bloß geſtellt werden ſo führte er nur ſein unred - liches Spiel weiter, denn mit dieſem gefürchteten Frankreich ſtand er ſelber bereits in herzlichem Einverſtändniß. Um die Gegner zu theilen, forderte Hardenberg zugleich die fränkiſchen Markgrafſchaften von Baiern zurück. Es war ein unglücklicher Schachzug, obſchon die polternde Gehäſſigkeit der bairiſchen Staatsmänner wohl eine Züchtigung verdiente. Der Staats - kanzler hatte Ansbach-Baireuth zwar noch nicht in einem förmlichen Ver - trage abgetreten, doch mehrmals mündlich ſich bereit erklärt, das Herzog - thum Berg als Entſchädigung anzunehmen; wenn er jetzt ohne Ausſicht auf Erfolg den alten Streit wieder aufrührte, ſo gab er nur den Met - ternich, Wrede und Talleyrand willkommenen Anlaß, die preußiſchen Kniffe vor der diplomatiſchen Welt zu verklagen. Er ſchloß ſeine Note mit der Verſicherung, daß Preußen noch immer zumeiſt auf Rußlands und Oeſter - reichs Beiſtand baue.

In Wahrheit begann man auf beiden Seiten bereits die Möglich -649Kriegsrüſtungen.keit eines Krieges zu erwägen. Die Erbitterung im preußiſchen Volke ſtieg zuſehends. Eine Adreſſe aus Berlin ſtellte dem Könige die Kräfte des Landes für den gerechten Kampf zur Verfügung, und Stägemann ſang zürnend:

Die Fahne Brandenburgs, mein Lied,
die ſchwinge noch einmal,
und noch einmal, erzürnt Gemüth,
ergreif den tapfern Stahl!
Die Hunde Frankreichs, noch nicht heil
von Wunden unſ’rer Jagd
auf, Kugelblitz, auf, Lanzenpfeil!
die Hunde wollen Schlacht!

Man erfuhr durch Goltz,*)Goltzs Berichte aus Paris 24. Nov. 19. Dec. 1814. daß die franzöſiſche Armee, auf Talley - rands Antrag, in der Stille verſtärkt wurde. Man hörte von dem Plane, die ſächſiſchen Truppen, welche unter preußiſchem Oberbefehle nördlich der Moſel ſtanden, im rechten Augenblicke mit den Baiern und Oeſterreichern auf dem rechten Moſelufer zu vereinigen. Unter den k. k. Generalen zeigte Schwarzenberg die froheſte Siegeszuverſicht; hatte er doch im letzten Kriege die kleinen Köpfe Blüchers und Gneiſenaus genugſam verachten gelernt. Am 16. December enthüllte Metternich dem Grafen Münſter ſeine Abſicht einen Deutſchen Bund ohne Preußen zu bilden, falls Preußen die ſächſiſchen Anſprüche nicht aufgebe; Oeſterreich beanſpruchte ſelbſtver - ſtändlich nur die beſcheidene Stellung des Erſten unter Gleichen. Der welfiſche Staatsmann begriff ſofort: das bedeute den Krieg und die Auf - löſung des Congreſſes; er war zu Allem bereit, obwohl ihm Oeſterreichs Herrſchſucht und die ungünſtige geographiſche Lage Hannovers einige Sorgen bereiteten, und verlangte von England die Verlängerung des Subſidienvertrages, damit das Welfenheer gerüſtet werde.

Der preußiſche Kriegsminiſter traf ſofort ſeine Anſtalten für die Ge - genwehr. Am 29. December überſendete Grolman den mit Boyen, Gneiſenau und Schöler verabredeten Kriegsplan:**)Grolman an Hardenberg, 29. Dec. 1814 mit einer Denkſchrift über den Ope - rationsplan. zwei große Armeen in Sachſen und am Rhein ſollten nach der guten fridericianiſchen Weiſe den Feldzug gleichzeitig durch eine kühne Offenſive eröffnen, während ein Obſervationscorps Schleſien deckte. So bedrohlich erſchien die Lage, daß man über alle Bedenken der militäriſchen Rangordnung hinwegſah und zu Feldherren der beiden Heere Blücher und Gneiſenau vorſchlug; neben dieſen komme nur noch Bülow in Betracht, da York, Kleiſt und Tauentzien doch nur treffliche Corpsführer ſeien. Oberſt Krauſeneck, der in Mainz unter dem öſterreichiſchen Gouverneur Frimont die preußiſche Garniſon befehligte, erhielt Auftrag, ſich ſofort auf gegebenen Wink der Feſtungs -650II. 1. Der Wiener Congreß.werke am rechten Ufer zu bemächtigen; ſie genügten um den Platz in Schach zu halten, zur Beſetzung der ganzen Feſtung reichten die beſchei - denen Kräfte nicht aus. Auch die anderen Feſtungen ließ Boyen insge - heim ausrüſten. Die ſächſiſchen Truppen am Rhein wurden ohne Auf - ſehen weiter nordwärts, in die Nähe preußiſcher Regimenter verlegt. Von den kleinen norddeutſchen Contingenten nahm Boyen an, daß ſie alle - ſammt, mit Ausnahme der Hannoveraner, den Fahnen Preußens folgen müßten. Die Monarchie war entſchloſſen ſogleich als der Herr von Nord - deutſchland aufzutreten; wer durfte in einem ſolchen Daſeinskampfe nach dem Zetergeſchrei und den Souveränitätsverwahrungen der Kleinfürſten fragen?

Inmitten dieſer allgemeinen Verwirrung ſah Talleyrand ſeinen Wai - zen blühen. Nachdem ihm Metternich die letzte öſterreichiſche Note über Sachſen amtlich mitgetheilt hatte, hielt ſich der Franzoſe nunmehr be - rechtigt, ſelber von Amtswegen in die ſächſiſchen Händel einzugreifen und antwortete dem öſterreichiſchen Freunde am 19. December. Da die poli - tiſche Frage zu einer einfachen Grenzfrage geworden ſei, ſo ſei die ſächſiſche Angelegenheit gegenwärtig die wichtigſte Principienfrage für den Welt - theil. Hier ſtehen die beiden Grundſätze der Legitimität und des Gleich - gewichts zugleich auf dem Spiele. Man verbreitet heute die entſetzliche Lehre, daß Könige verurtheilt werden können, daß die Strafe der Confis - cation wieder eingeführt werden darf, daß die Völker wie die Heerden eines Meierhofes getheilt werden dürfen, daß es kein öffentliches Recht giebt, daß für den Stärkeren Alles gerecht iſt. Aber Europa verflucht dieſe Grundſätze; ſie erregen den gleichen Abſcheu in Wien, in Peters - burg, in London, in Madrid und Liſſabon (alſo nicht in Berlin). Die Einverleibung Sachſens würde aber auch das Gleichgewicht Europas zer - ſtören, inmitten des Deutſchen Bundes eine unverhältnißmäßige Angriffs - macht ſchaffen. Darum Herſtellung des legitimen Königs; ſind einige Abtretungen zur Entſchädigung Preußens unvermeidlich, ſo wird Frank - reich dem rechtmäßigen Herrſcher dazu rathen.

Durch dieſe Note warf Talleyrand den geheimen Artikel des Pariſer Friedens den vier Mächten zerriſſen vor die Füße. Nachdem er lange nur im Dunkeln gegen den Vertrag angekämpft, drängte er ſich jetzt mit einer amtlichen Denkſchrift in die Territorialverhandlungen ein, von denen Frankreich vertragsmäßig ausgeſchloſſen war, und unterſtützte den öſter - reichiſchen Vorſchlag der Theilung Sachſens was ihn freilich nicht abhielt, im ſelben Athemzuge den Fluch Europas wider die Politik der Ländervertheilung auszuſprechen. Eine zweite Note des Franzoſen an Caſtlereagh (v. 26. Dec.) ſchlug jenen Ton legitimiſtiſcher Salbung an, welcher den Hochtorys unwiderſtehlich war. Der Zweck des Congreſſes iſt, die Revolution zu ſchließen; früher bekämpften ſich Republik und Monarchie, heute die revolutionären und die legitimen Dynaſtien; die651Nochmals das Comité der Vier.revolutionären Dynaſtien ſind alle verſchwunden bis auf die eine, die in Neapel hauſt, die legitimen alle wiederhergeſtellt bis auf die eine des un - glücklichen Königs von Sachſen; die Revolution iſt alſo noch nicht ge - ſchloſſen; und Frankreich erwartet, daß der Congreß ſeine Pflicht erfülle. Schon die nächſten Tage lehrten, daß Frankreichs Vertragsbruch den öſterreichiſchen wie den engliſchen Staatsmännern hochwillkommen kam. Die drei Mächte waren einig; bereits am 14. December hielt Metternich die werdende Tripel-Allianz für ſo geſichert, daß er den ſächſiſchen Agen - ten Schulenburg beauftragte, er möge ſeinem königlichen Herrn ſchreiben: Sachſen iſt gerettet!

Da die formloſen Verhandlungen nicht zum Ziele führten, ſo beſchloß man endlich, das Comité der Vier wieder einzuberufen und die Gebiets - fragen feierlich vor dem Forum der vier verbündeten Großmächte zu er - ledigen. Am 29. December begann dies Comité aufs Neue zu tagen. Der Verlauf war wie zu erwarten ſtand: über Mainz war alle Welt einig, desgleichen über die Hauptpunkte der polniſchen Angelegenheit; nur die ſächſiſche Frage rückte nicht von der Stelle. Eine neue Note Harden - bergs an Metternich (v. 29. Dec.) fragte die Gegner: will man Preußen in die Nothwendigkeit ſetzen, in Zukunft nach Vergrößerungen zu ſtreben? Sie erregte einen Sturm der Entrüſtung, da man die Wahrheit des Vor - wurfs fühlte. Auch eine Denkſchrift Steins (v. 20. Dec.) konnte den öſterreichiſchen Miniſter nur in ſeiner Anſicht beſtärken. Der edle Mann ſagte voraus, das wiederhergeſtellte Sachſen werde im Norden eine ebenſo gefährliche Macht der Zwietracht ſein wie Baiern im Süden; er ahnte nicht, daß die Hofburg nichts ſehnlicher wünſchte als ein norddeutſches Baiern.

Die Hintergedanken Oeſterreichs verriethen ſich ſchon in der erſten Sitzung der Vier, als Metternich den Eintritt Talleyrands in das Comité beantragte; zugleich erklärte er, ohne die Genehmigung Friedrich Auguſts könne die ſächſiſche Frage nicht entſchieden werden. Caſtlereagh unter - ſtützte ſeinen Freund. Nach der wunderbaren Logik dieſes Kopfes war die Zulaſſung Frankreichs ſchon darum nothwendig, weil die Verträge von Kaliſch und Reichenbach nach dem geheimen Artikel des Pariſer Friedens auch für Frankreich rechtsverbindlich ſeien und doch ſchloß jener ſelbe Artikel Frankreich von jeder Mitwirkung bei den Gebietsverhandlungen ausdrücklich aus. Solchen Zumuthungen traten Rußland und Preußen mit wiederholten ſcharfen Erwiderungen entgegen; ſie wollten Friedrich Auguſt unter keinen Umſtänden und auch Talleyrand erſt dann in das Comité einlaſſen, wenn die vier Mächte ſich bereits geeinigt hätten. Es fielen bittere Worte, ernſte Drohungen. Unter dem Eindruck dieſer leiden - ſchaftlichen Auftritte verfiel Lord Caſtlereagh zuerſt auf den unſeligen Ge - danken, welchen Talleyrand ſeit Monaten ſchürend und hetzend vorbereitet hatte: er beantragte insgeheim ein Kriegsbündniß zwiſchen England, Oeſter -652II. 1. Der Wiener Congreß.reich, Frankreich und ihren kleinen Geſinnungsgenoſſen. Im Grunde iſt es müßig, einen Charakter dieſes Schlages nach ſeinen Beweggründen zu fragen. Der edle Lord war was ſeine Landsleute stubborn nennen; in blindem Eifer rannte der engliſche Stier auf das rothe Tuch der ſächſi - ſchen Frage los, das ihm die gewandten Eſpadas Metternich und Talley - rand vorhielten; zudem war dem Lord ſoeben die Nachricht zugekommen, daß England in Gent mit Nordamerika Frieden geſchloſſen, alſo die Arme frei hatte. Irgend ein Intereſſe, das den engliſchen Staat zum Kriege wider Preußen treiben konnte, war freilich auf der weiten Welt nicht vorhanden; aber man hatte ſich ſeit vielen Wochen in die Entrüſtung wider den Staat, der die Sache Europas verrathen haben ſollte, hinein - geredet, und einmal doch mußte das von den Hunden Frankreichs an - gefachte Feuer in hellen Flammen aufſchlagen. Selbſt Gagern wußte zur Entſchuldigung der britiſchen Tollheit nur zu ſagen: der Topf lief über oder es war Vorwand.

Während Metternich mit den Vertretern der Weſtmächte den Angriff auf Preußen beſprach, ging der geſellige Verkehr der diplomatiſchen Welt in ungetrübter Munterkeit weiter; mit der gewohnten treuherzigen Ge - müthlichkeit bewirthete der gute Kaiſer Franz ſeine fürſtlichen Gäſte, denen er das Meſſer in den Rücken zu ſtoßen hoffte. Noch am 2. Januar ſchrieb Metternich ſeinem theueren Fürſten Hardenberg ein freundſchaft - liches Billet, bat ihn wegen dringender Geſchäfte die heutige Sitzung auf morgen zu verſchieben*)Metternich an Hardenberg, 2. Jan. 1815.; einige Stunden nachher kam er ſelber zu dem Staatskanzler um Rückſprache zu nehmen wegen der Artikel über Thorn und Krakau. Von der Sitzung des 3. Januar berichten die Protokolle des Vierer-Ausſchuſſes nur, daß Oeſterreich, im Weſentlichen mit den ruſſiſchen Vorſchlägen einverſtanden, eine Vergrößerung ſeines polniſchen Antheils verlangt habe. An demſelben Tage, der ſich ſo friedlich anließ, unterzeichnete Metternich mit Caſtlereagh und Talleyrand das Kriegs - bündniß gegen Preußen und Rußland. Der Wortlaut dieſes ſeltſamen Vertrages war ebenſo dunkel wie die Abſichten ſeiner Urheber; man hatte guten Grund das Licht zu ſcheuen. In Folge neuerdings offenbarter Anſprüche verpflichten ſich die drei Mächte, einander gegenſeitig mit minde - ſtens 150,000 Mann zu unterſtützen, falls eine von ihnen wegen ihrer gemeinſam aufgeſtellten gerechten und billigen Vorſchläge angegriffen oder bedroht werden ſollte; ein Angriff auf Hannover oder die Niederlande gilt als ein Angriff auf England. Die drei Mächte haben zugleich die Abſicht, die Beſtimmungen des Pariſer Friedens in der ſeinem wahren Zwecke und Geiſte möglichſt entſprechenden Weiſe zu vervollſtändigen. Andere Mächte, namentlich Baiern, die Niederlande und Hannover, ſollen zum Beitritt eingeladen werden. Alſo zur Vervollſtändigung des Pa -653Das Bündniß vom 3. Januar.riſer Friedens, der jede Einmiſchung Frankreichs in die Gebietsfragen unterſagte, ſchloſſen Oeſterreich und England ein Bündniß mit Frankreich! Der Vertrag ſprach nur von einem Vertheidigungsbündniß; ſein wirklicher Zweck war der Angriff. Denn wollte man jenen neuerdings offenbarten Anſprüchen entgegentreten, ſo mußte man zunächſt den Beſitzſtand Preu - ßens in Sachſen angreifen. Ein geheimer Artikel enthielt überdies die verſtändliche Drohung: wenn Baiern, Hannover oder die Niederlande der Einladung nicht folgten, ſo würden ſie jedes Recht auf die Vortheile ver - lieren, welche ſie kraft des gegenwärtigen Vertrages beanſpruchen könnten.

Nach der Abſicht ſeines eigentlichen Urhebers, Talleyrands, war der Bund unzweifelhaft dazu beſtimmt, mit überlegener Macht das erſchöpfte Preußen zu überfallen und von ſeiner neu errungenen Großmachtſtellung wieder herabzuſtürzen. Der Franzoſe ſtand am Ziele ſeiner Wünſche; er rühmte ſich mit vollem Rechte: ich habe für Frankreich eine foedera - tive Stellung geſchaffen, wie ſie fünfzig Jahre glücklicher Unterhandlungen kaum hätten erreichen können, und ließ den General Ricard aus Paris kommen um mit Schwarzenberg und Wrede den Feldzugsplan für das Frühjahr zu verabreden. Bereits wurden in Böhmen Truppen zuſam - mengezogen, Wrede verkündete prahlend den unzweifelhaften Sieg, Mün - ſter aber zeichnete den Geiſt dieſer unvergleichlich treuloſen Politik mit dem frivolen Ausruf: wir ſpielen eine Partie en trois; iſt der Feind geſchlagen, ſo geht es gegen den Freund. Stein hat ſeitdem nie wieder Vertrauen zu dem Welfen faſſen wollen. In Friedrichsfelde athmete man auf. Der gefangene König gab ſeinem Bruder Anton Vollmacht, ſofort beim Einmarſch des Heeres der Tripelallianz die Regentſchaft in Sachſen zu übernehmen, und empfing von dem Prinzen die frohe Bot - ſchaft: mein Schwager Franz wird unſern Nachbarn nicht ſehr gnädig behandeln! Graf Schulenburg ſah ſchon die glücklichen Tage nahen, da Preußens Macht zerfallen und Hannover die Führerſtellung im Norden übernehmen würde eine Weiſſagung, worin man leicht den Widerhall welfiſcher Prahlereien erkennt.

Der Vertrag vom 3. Januar iſt von lang nachwirkenden mittelbaren Folgen geweſen. Er hat Frankreich wieder eingeführt in die Gemeinſchaft der Staatengeſellſchaft und zwiſchen den Weſtmächten jene vielgerühmte entente cordiale begründet, welche ſeitdem, immer nur auf kurze Zeit unterbrochen, fortgewährt hat bis zum heutigen Tage. Er hat am Wiener Hofe den alten Choiſeul’ſchen Gedanken des Bundes der katholiſchen Groß - mächte wieder belebt, eine Politik, der es fortan in der Hofburg niemals mehr an mächtigen Freunden fehlte. Er ließ zugleich eine natürliche Gruppirung der Mächte ahnen, die einer großen Zukunft ſicher war: hier die Weſtmächte, Oeſterreich und die Pforte; dort die jungen Staaten Preußen, Rußland und Nordamerika. Preußen lernte endlich, weſſen man ſich von Oeſterreich ſelbſt unter dem Segen des friedlichen Dualismus654II. 1. Der Wiener Congreß.zu verſehen habe. Hardenberg freilich hat die unglückliche Uebereilung ſeiner öſterreichiſchen Freunde nur zu bald großmüthig vergeſſen; doch unter den jüngeren, kräftigeren Männern der Regierungskreiſe blieb die Erinnerung an jenen Treubruch lange lebendig. Die alten glorreichen fridericianiſchen Ueberlieferungen fanden wieder muthige Bekenner; und jener Staatsmann, der nachher in langen ſtillen Friedensjahren die Politik des großen Königs behutſam weiter führen ſollte, der Hauptbegründer des Zollvereins, Eichhorn, hatte an den ſächſiſchen Händeln mit ſeiner ſcharfen Feder theilgenommen und ſich ſein Urtheil über Oeſterreich aus den Er - fahrungen des Wiener Congreſſes gebildet.

Es giebt aber ein letztes Maß des Unſinns, das in einer geordneten Staatengeſellſchaft auf die Dauer nicht überſchritten werden kann. Kaum war der Vertrag unterzeichnet, ſo fragte ſich Lord Caſtlereagh, wie er mit einer ſo ganz unengliſchen Politik vor dem Parlamente beſtehen ſollte. Hatte England darum ein Vierteljahrhundert hindurch gegen Frankreichs Uebermacht gekämpft, damit jetzt 150,000 napoleoniſche Veteranen unter dem Lilienbanner wieder den Rhein überſchritten? Man kannte in Wien, trotz aller Ableugnungen Talleyrands, die bonapartiſtiſche Geſinnung des franzöſiſchen Heeres. Und ſollte der kaum erſt blutig erkämpfte Friede wieder geſtört werden einem napoleoniſchen Satrapen zu Lieb? Die verbrecheriſche Thorheit eines ſolchen Unterfangens begann dem Briten doch einzuleuchten; auch Metternich ward beſorgt über den lauten Jubel der Franzoſen und der Rheinbündler. Während der folgenden Wochen ſchloſſen ſich noch Sardinien, Baiern, Hannover, Darmſtadt dem Bündniß vom 3. Januar an, ja die Schwerfälligkeit der Oraniſchen Regierung hatte ſogar den tragikomiſchen Erfolg, daß die Niederlande erſt im April dem Kriegsbunde gegen Preußen förmlich beitraten in einem Augen - blicke, da die Welt durch Napoleons Rückkehr längſt wieder verwandelt war und Preußens Heer bereits heranzog die Niederlande gegen Frankreich zu vertheidigen. Doch das Bündniß war todt geboren, eine wirkliche Kriegsgefahr beſtand nur etwa ſechs Tage lang.

Schon in der Sitzung vom 9. Januar thaten Oeſterreich und Eng - land einen erſten Schritt zur Verſöhnung. Sie gaben die feierliche Er - klärung ab, daß die Verhandlungen über Sachſen lediglich den Zweck hätten dem preußiſchen Staate die vertragsmäßige Entſchädigung zu ver - ſchaffen, und darum die Entſcheidung in keiner Weiſe von der Zuſtimmung Friedrich Auguſts abhängig ſei. Nur unter dieſer Bedingung genehmigten Preußen und Rußland den jetzt unvermeidlichen Eintritt des franzöſiſchen Miniſters. Am 12. Januar trat Talleyrand in den Rath der Groß - mächte ein. Das Comité der Vier erweiterte ſich zum Fünfer-Ausſchuß, und dieſe Fünf bildeten den eigentlichen Congreß*)So Humboldt in ſeinem handſchriftlichen Syſtematiſchen Verzeichniß der Congreßverhandlungen, Wien 15. Juni 1815., ſo daß die erlauchte655Der europäiſche Fünfer-Ausſchuß.Verſammlung gerade vier Monate gebraucht hatte um ſich nur zu con - ſtituiren. Das Uebergewicht der fünf großen Mächte erzwang ſich Gel - tung, allen Abreden zuwider. Nunmehr fand Talleyrand ſelbſt die Hege - monie der Großmächte nicht mehr unverträglich mit dem öffentlichen Rechte ; keine Rede mehr von allen den wohllautenden Gründen, womit er einſt zu Beginn des Congreſſes die Gleichberechtigung aller Staaten Europas vertheidigt hatte.

Auch die preußiſchen Staatsmänner begannen einzuſehen, daß einige Nachgiebigkeit geboten war. Der Vertrag vom 3. Januar blieb ihnen freilich völlig verborgen. Als die Grenzverhandlungen um jene Zeit nicht vorwärts wollten, da haben die preußiſchen Bevollmächtigten einmal dem niederländiſchen Miniſter Nagell gedroht: wenn Holland allzu widerſpenſtig bleibe, ſo werde Preußen ſich an Frankreich anſchließen was der Hol - länder ſofort, triumphirend über die argloſe Unwiſſenheit der Preußen ſeinen engliſchen Freunden meldete. So wenig ahnte Hardenbergs Staats - kanzlei, daß der Kriegsbund der Gegner bereits geſchloſſen war. Doch auf die Möglichkeit eines Krieges war ſie längſt gefaßt; zu ſo vielen anderen drohenden Anzeichen kam jetzt noch die ſichere Nachricht, daß England und Oeſterreich, auf Talleyrands Betrieb, die Pforte zu einem Angriff auf Rußland zu bereden ſuchten. Man konnte ſichs nicht ver - bergen, die Einverleibung Sachſens ließ ſich höchſtwahrſcheinlich nur durch einen europäiſchen Krieg erreichen. Und war denn die Frage, ob die Alber - tiner in Münſter, Trier oder Dresden hauſen ſollten, wichtig genug um deshalb das ermüdete Volk nochmals unter die Waffen zu rufen? Die wohlmeinenden Männer der Staatskanzlei überkam doch zuweilen ein Ge - fühl patriotiſcher Scham, wenn ſie zurückſchauten auf den jammervollen Gang des Congreſſes: vier Monate unabläſſigen Streites, und noch kein einziges poſitives Ergebniß für Deutſchland geſichert! In der arg ent - täuſchten Nation ſtieg der Mißmuth alſo, daß ſelbſt Goethe einmal zürnend aus ſeiner olympiſchen Ruhe heraustrat. Am zweiten Januar brachte eine Jenaer Zeitung ein Gedicht des Altmeiſters:

Sagt, wie ſchon am zweiten Tage
Sich ein zweites Feſt entzündet?
Hat vielleicht willkommne Sage
Vaterland und Reich gegründet?
Nein!

und mit dieſem harten Nein ging der Alte gelaſſen dazu über, einem würdigen und biedern Weimariſchen Beamten zum Jubelfeſte Glück zu wünſchen. Das vornehm geringſchätzige Wort des Dichters machte, wie Varnhagen verſichert, auf die Beſſeren der deutſchen Diplomaten doch tiefen Eindruck; man empfand immer ſchmerzlicher, daß man bisher gar nichts geleiſtet. Und ſollte nun gar dieſer Congreß, der berufen war dem zer -656II. 1. Der Wiener Congreß.rütteten Welttheil eine dauerhafte Ordnung zu geben, mit einem neuen europäiſchen Kriege enden?

Sehr bald ſah Hardenberg ein, daß er eine ſolche Verantwortung nicht übernehmen dürfe. In der Sitzung der Fünf vom 12. Januar verlangte er zwar nochmals das ungetheilte Sachſen; doch insgeheim berieth er bereits ſeit einigen Tagen mit dem getreuen Hoffmann, ob es nicht ge - rathen ſei, auf einen Theil Sachſens zu verzichten, und ſchon am 13. Januar entwarf er einen Plan très-confidentiel, worin er die Möglichkeit zugab etwa 840,000 Einwohner von Sachſen wieder an Friedrich Auguſt zu überlaſſen. Dafür forderte er Baireuth, die Wiege unſerer Ahnen. Politiſche und militäriſche Gründe rathen ſowohl uns als den andern Mächten, nicht zu geſtatten, daß Frankreich, Baiern und Sachſen in den Beſitz einer ununterbrochenen, Deutſchland von den Grenzen Frankreichs bis nach Böhmen und Preußen hin durchſchneidenden Querlinie kommen. Die Sorge vor einem neuen Rheinbunde blieb nach wie vor beſtimmend für Preußens Politik.

Sobald dieſer Entſchluß dem Ausſchuſſe der Fünf bekannt wurde, war der Boden geebnet für die Verſtändigung. Die ſächſiſche Angelegen - heit verlor den Charakter einer Principienfrage, und es begann der un - erquickliche Streit um die einzelnen Stücke des ſächſiſchen Landes. Die Aufgabe der preußiſchen Unterhändler blieb noch immer ſehr ſchwierig. Sie verlangten vor Allem die Saalepäſſe ſowie die Feſtungen Wittenberg und Torgau; die Bedeutung dieſer Poſitionen für die damalige Kriegs - weiſe hatte ſich in den Kriegen von 1806 und 13 genugſam gezeigt, und deſſen hatten Hardenberg und Humboldt gar kein Hehl ein freund - nachbarliches Verhältniß zu den Albertinern ſtand auf lange Jahre hinaus nicht zu hoffen. Sie forderten ferner den größten Theil der Lauſitz mit dem reichen Görlitz, und endlich Leipzig. Die Stadt war nicht nur hoch - wichtig als der Mittelpunkt des geiſtigen wie des wirthſchaftlichen Lebens der oberſächſiſchen Lande; der große Meßplatz mußte auch, wenn er eine ſächſiſche Grenzſtadt blieb, vorausſichtlich durch einen ſchwunghaften Schmuggelhandel für das preußiſche Zollweſen ſehr gefährlich werden. Faſt jede dieſer Forderungen fand bei den Verbündeten vom 3. Januar lebhaften Widerſpruch. Talleyrand zitterte für das deutſche Gleichgewicht: falle Torgau an Preußen, ſo werde Oeſterreich gezwungen ein unerſchwing - lich koſtſpieliges Heer zu halten. Metternich wünſchte den preußiſchen Antheil auf die Niederlauſitz zu beſchränken und bot dem Staatskanzler ſogar das ſchon für Oeſterreich ſelbſt beſtimmte Tarnopol an, wenn er nur ſeine ſächſiſchen Anſprüche ermäßige. Caſtlereagh endlich ſuchte namentlich Leipzig für die Albertiner das will ſagen: für den engliſchen Schmuggel zu retten.

Höchſtwahrſcheinlich hätte Preußen, einem ſo allgemeinen Widerſtande gegenüber, ſelbſt in dieſem letzten Stadium der ſächſiſchen Frage nochmals657Theilung Sachſens.den Kürzeren gezogen, wenn man nicht doch noch zum Degen greifen wollte. Jetzt aber zeigten ſich die vortheilhaften Folgen jener vielgeſcholtenen Schwenkung des Königs. Der Czar unterſtützte feſt und nachdrücklich jeden Anſpruch ſeines Freundes, und da die Gegner, mit einziger Aus - nahme Frankreichs, den Krieg nicht ernſtlich wollten, ſo haben ſie ſchließ - lich den meiſten der preußiſch-ruſſiſchen Forderungen nachgegeben. Talley - rands Muſe ſchwelgte wieder in freien Erfindungen, um die feſte Eintracht der beiden Mächte zu zerſprengen. Da ſollte Alexander ärgerlich ausge - rufen haben: Ach, wenn ich mich nur nicht ſo tief eingelaſſen hätte! Wenn ich nur mein Wort nicht gegeben hätte! und was der Anek - doten mehr war. Sehr möglich, daß Czartoryski ſeinem kaiſerlichen Freunde rieth die Preußen preiszugeben. Aber die Intereſſen, welche die ruſſiſche mit der preußiſchen Politik verbunden, waren ſtärker als Alexanders Launen oder der Deutſchenhaß ſeines ſarmatiſchen Rathgebers: wurde Preußen nicht vollſtändig entſchädigt, ſo konnte Rußland die erſehnte Prosnagrenze nicht erlangen. Darum hielt der Czar treu zu ſeinem Freunde und betrieb, wie Gentz erboſt an Karadja ſchrieb, die preußiſchen Forderungen ganz ſo eifrig wie ſeine eigenen. In dem geſammten Verlaufe dieſer letzten Verhandlungen iſt es nicht ein einziges mal geſchehen, daß Ruß - land ſich von Preußen getrennt hätte. Wenn der Czar ſchließlich aus dem Streite größeren Vortheil zog als ſein Verbündeter, ſo lag der Grund nicht in irgend einer Treuloſigkeit der Ruſſen, ſondern in der Thatſache, daß jetzt nur noch die preußiſchen, nicht mehr die ruſſiſchen Anſprüche durch Oeſterreich und die Weſtmächte beſtritten wurden. Lediglich der verſtändigen Politik des Königs war es zu verdanken, daß nach peinlichem Streite die Saalepäſſe und die nordthüringiſchen Lutherlande, die Feſtungen der Elblinie und Görlitz an Preußen kamen. Nur Leipzig wurde durch die engliſche Handelspolitik hartnäckig vertheidigt. Als alle Einigungsver - ſuche ſcheiterten, da entſchloß ſich Alexander endlich zu einem Opfer , das ihm hart ankam: er bot (8. Februar) zum Erſatz das feſte Thorn und deſſen Umgebungen.

Es war eine kümmerliche Entſchädigung und doch ein Beweis für Alexanders guten Willen. Seine Ruſſen hatten ſich in der Weichſelfeſtung längſt häuslich eingerichtet und wollten dem Czaren dieſe Nachgiebigkeit lange nicht verzeihen. Alles in Allem war das für das ſächſiſche Volk ſo ſchmerzliche Compromiß der Theilung des ſtreitigen Landes, bei der annähernden Gleichheit der Kräfte beider Parteien, das einzig mögliche Ergebniß, da man hüben wie drüben den Krieg ſcheute; und daß die Theilung für Preußen ſo günſtig ausfiel, daß der Albertiner die größere Hälfte ſeines Gebietes abtreten mußte, ward allein möglich durch Rußlands Beiſtand.

Nunmehr galt es, an anderen Stellen Deutſchlands die zu Preußens voller Entſchädigung noch fehlenden Landſtriche zu ſuchen. Den unglück -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 42658II. 1. Der Wiener Congreß.lichen Einfall, die Baireuther Angelegenheit wieder aufzunehmen, gab der Staatskanzler bald auf. Dagegen ließ Metternich die ſo lange und hart - näckig feſtgehaltene Moſelgrenze fallen; Preußen erhielt Koblenz und das Gebirgsland zwiſchen Saar und Nahe. Die preußiſchen Staatsmänner verhehlten nicht, daß der König nur um Deutſchlands, nur um des all - gemeinen Wohles willen den linksrheiniſchen Beſitz übernehme; Preußen gelange dadurch in eine ähnlich bedrohte Stellung wie einſt Oeſterreich durch die Erwerbung Belgiens. Eben dieſe Bedrängniß des Nebenbuhlers war in Metternichs Augen der einzige Troſt für das unwillkommene Vor - rücken Preußens gegen Süddeutſchland hin; wie ſchön, meinte er zu ſeinen Vertrauten, daß man Preußen alſo mit Frankreich unmittelbar compromittirt habe! Uebrigens gönnte er dem preußiſchen Gebiete nicht einmal auf dem linken Rheinufer eine genügende Abrundung. Ein Stück des alten Saar-Departements wurde vorbehalten, um hier, dicht an der gefährdeten Grenze, die Anſprüche von Oldenburg, Coburg, Homburg, Strelitz und Pappenheim zu befriedigen. Nach Oeſterreichs Anſicht war es ja ein Gebot weiſer Politik, möglichſt viele Kleinſtaaten zur Verthei - digung der Rheingrenze zu nöthigen. Es war, als wollte die Hofburg die benachbarten Elſaß-Lothringer durch den täglichen Anblick des ganzen Elends deutſcher Kleinſtaaterei gründlich von dem Segen franzöſiſcher Staatseinheit überzeugen. Sodann bewilligte Caſtlereagh, daß die Land - forderungen Hannovers und der Niederlande zu Preußens Vortheil etwas herabgeſetzt wurden.

Auch die polniſchen Händel kamen während der nächſten Wochen ins Gleiche. Durch den Vertrag vom 2. Mai 1815 wurde die neutrale Republik Krakau begründet. Eine Commiſſion der drei Theilungsmächte für Preußen Jordan und Stägemann ging hinüber um die neue Verfaſſung einzurichten. Indeß fühlte man von vorn herein, wie lebens - unfähig dieſe lächerlichſte von allen Kunſtſchöpfungen des Congreſſes war; ſchon die Inſtruction der Commiſſare drohte mit dem Einſchreiten der drei Mächte, falls der junge Freiſtaat zu einem Heerde des Aufruhrs würde.

Der engliſche Bevollmächtigte ließ es ſich nicht nehmen, noch einmal die der britiſchen Tugend ſo wohlthuende und dabei ſo wenig koſtſpielige Rolle des Protectors ſarmatiſcher Freiheit zu ſpielen; ſo hoffte er zu - gleich den Zorn der Whigs über die Preisgebung Polens zu beſchwichtigen. Er verlangte in einer phraſenhaften Circularnote vom 12. Januar: da ein unabhängiges Polen unter einem eigenen Herrſcherhauſe leider unmög - lich ſei, ſo ſollten die drei Theilungsmächte ſich mindeſtens verpflichten die Polen als Polen zu behandeln . Die naive Unwiſſenheit des edlen Lords dachte die drei Theilungsmächte auf einen Fuß zu behandeln; wer hätte auch dieſem Kopfe beibringen ſollen, daß Preußen zu dem kleinen, ſchon theilweiſe germaniſirten Poſen ganz anders ſtand als Oeſterreich zu659Die Verträge über Polen.dem polniſch-rutheniſchen Galizien oder Rußland zu der Hauptmaſſe der alten Adelsrepublik? Wollten die Oſtmächte dieſe neue unberufene An - maßung Englands nach Gebühr abfertigen, ſo mußten ſie das Cabinet von St. James verbindlich erſuchen, zuvörderſt die Iren als Iren zu be - handeln. Sie verſchmähten jedoch weislich, einen neuen müßigen Streit zu erregen und antworteten mit höflich nichtsſagenden Noten. Hardenberg erwiderte (30. Jan.): Preußen ſei bereit dem Poſener Lande eine den Ge - wohnheiten und dem Geiſte der Einwohner entſprechende Verwaltung zu geben und zu zeigen, daß das nationale Daſein der Völker unter jeder Regierung unangetaſtet bleiben könne. Auf eine Beſchränkung der eigenen Souveränität ließ er ſich nicht ein. Es war für Oeſterreich wie für Preußen gebieteriſche Pflicht, ſich nicht die Hände zu binden, da Niemand den Verlauf der polniſchen Experimente Alexanders berechnen konnte; auch der Czar ſelber wünſchte nicht, in ſeinen völkerbeglückenden Plänen beauf - ſichtigt zu werden. Daher enthielt weder die Schlußacte des Congreſſes noch der Vertrag der drei Theilungsmächte vom 3. Mai irgend ein Wort, das die Polen zu politiſcher Selbſtändigkeit berechtigte. Die drei Mächte verſprachen lediglich: ihre polniſchen Unterthanen ſollen Inſtitutionen erhalten, welche die Bewahrung ihres Volksthums ſichern, in Gemäßheit der Staatsformen, welche jede der betheiligten Regierungen ihnen zu ge - währen für gut finden wird. Dazu die Zuſage freien, höchſtens durch einen Zoll von 10 Procent beſchwerten Handels mit den eigenen Erzeug - niſſen der vormals polniſchen Landestheile, freier Durchfuhr gegen mäßige Zölle und freier (d. h. unverbotener) Schifffahrt auf den polniſchen Flüſſen bis in die Seehäfen. Die Theilungsmächte waren mithin nur verpflichtet, Sprache und Sitte des Volkes zu ſchonen, desgleichen dem Handel einige geringfügige Begünſtigungen zu gewähren; in allem Uebrigen behielten ſie freie Hand.

Gegen Mitte Februars waren die Gebietsverhandlungen zwiſchen den Großmächten nahezu beendigt. Talleyrands Kriegsluſt hatte an dem tiefen Friedensbedürfniß der ermüdeten Zeit zuletzt doch einen unüberwindlichen Widerſtand gefunden; in dem Comité der Fünf gewann er keinen ent - ſcheidenden Einfluß, und die kläffende Meute ſeiner rheinbündleriſchen Ge - noſſen wurde von den großen Mächten kurzweg zur Seite geſchoben. Die deutſche Verfaſſung blieb freilich noch in tiefem Dunkel; doch da der Hofburg an der raſchen Löſung dieſer Frage wenig lag, ſo entwarf Gentz ſchon jetzt ein pomphaftes Manifeſt, das der bewundernden Welt verkünden ſollte: die große Arbeit des Congreſſes iſt beendigt. Da kehrte Napo - leon von Elba zurück, das von Talleyrand ſo prahleriſch geſchilderte Kartenhaus der bourboniſchen Herrlichkeit ſtob vor dem Hauche des Im - perators in alle Winde. Der franzöſiſche Miniſter, der ſoeben noch pathetiſch verſichert hatte, Millionen franzöſiſcher Fäuſte würden ſich gegen den Corſen erheben, ward über Nacht ein machtloſer Mann. Die ge -42*660II. 1. Der Wiener Congreß.meinſame Gefahr führte die vier alliirten Mächte aufs Neue zuſammen, die letzten noch offenen Gebietsfragen wurden raſch abgethan. Vergeblich verſuchte Napoleon die erneuerte Coalition zu ſprengen, indem er die Ur - kunde des Vertrags vom 3. Januar, die er in den Tuilerien im Schreib - tiſche Ludwigs XVIII. vorgefunden, dem Czaren überſendete. Alexander verbrannte das unſaubere Actenſtück in Gegenwart Steins vor Metternichs unbeſchämten Augen. Man wollte der vergangenen Untreue nicht mehr gedenken.

Die Rückkehr des Imperators brachte die unter der Hand langſam fortgeführten Verhandlungen über Italiens Zukunft endlich zum Abſchluß. Auch hier im Süden bewährte ſich England als der vertrauteſte Bundes - genoſſe der Hofburg. Aber mit Rußlands Hilfe durchkreuzten die Piemon - teſen d’Aglié und Bruſasco die geheime Abſicht Metternichs, einen ita - lieniſchen Fürſtenbund unter Oeſterreichs Führung zu ſtiften. Auch der Wunſch Oeſterreichs, die Linie Savoyen-Carignan von der Thronfolge in Piemont auszuſchließen erwies ſich als unausführbar, da Rußland und Frankreich entſchieden widerſprachen. Um ſo zäher hielt die Hofburg ihre alten Anſprüche auf die Legationen feſt; ſie hatte den geſammten Kirchen - ſtaat durch ihre Truppen beſetzt und hoffte ſicher, mindeſtens die Lande nördlich des Apennin zu behalten. Metternich verwarf den Vorſchlag der bourboniſchen Höfe, daß ein italieniſcher Ausſchuß, nach dem Vorbilde des deutſchen, auf dem Congreſſe gebildet würde um die Frage zu entſcheiden: er fürchtete überſtimmt zu werden, zumal da die Bourbonen auch auf Toscana Anſprüche erhoben. Inzwiſchen begann es auf der Halbinſel zu gähren; die voreilige Freude der Lombarden über den Einzug der Tedeschi wich bald einer tiefen Verſtimmung, das Volk in der Romagna rottete ſich zuſammen wider die öſterreichiſchen Truppen, einzelne patriotiſche Verſchwörer verkehrten insgeheim mit dem Gefangenen von Elba. Als nun der Größte der Italiener ſeinen abenteuerlichen Zug antrat und Murat in Neapel zum Kriege rüſtete, da mußte man in Wien unberechen - bare Wirren befürchten. Man lenkte klug ein und verſtändigte ſich raſch mit den ſogenannten legitimen Mächten der Halbinſel: Toscana wurde für die Erzherzöge gerettet, die Bourbonen vorläufig mit Lucca abgefun - den, der geſammte alte Kirchenſtaat aber dem Papſte zurückgegeben; allein die Poleſina, das fette Niederungsland der Pomündungen, blieb den Oeſterreichern. Preußen betheiligte ſich an dieſen Verhandlungen wenig; nur hielt der König für Fürſtenpflicht, aus Rückſicht auf ſeine neuen katholiſchen Unterthanen ſich wiederholt und nachdrücklich für die Wieder - herſtellung des Kirchenſtaates zu verwenden; nach der allgemeinen Anſicht jener romantiſchen Tage war ja der Beſtand der römiſchen Kirche unzer - trennlich von der weltlichen Macht des Papſtthums. In einem feierlichen Proteſte verwahrte ſich der römiſche Stuhl gegen die Schmälerung des Kirchenſtaates. Niemand achtete darauf. Das moderne Europa war be -661Italien. Orient.reits daran gewöhnt, daß alle ſeine großen Friedensſchlüſſe von den Ver - wünſchungen der Curie begleitet wurden. Dem preußiſchen Geſchäftsträger Piquot aber ſprach der Nuntius den warmen Dank des Papſtes aus für das Wohlwollen, das der Staatskanzler der katholiſchen Kirche be - wieſen habe. *)Piquots Bericht, Wien 29. Sept. 1814.

Ueber die orientaliſchen Händel wurde keine Verſtändigung erzielt. Nirgends zeigte ſich ſo grell wie hier der trotz allem äußeren Glanze un - verkennbare innere Verfall der öſterreichiſchen Monarchie. Derſelbe Staat, der einſt, als die Osmanen mächtig waren, der Vorkämpfer der chriſtlichen Welt gegen den Islam geweſen, überließ jetzt, da die Pforte am Boden lag, muthlos, blind für die Zeichen der Zeit, der ruſſiſchen Politik die Vollendung ſeines eigenen Werkes. Im Februar legte der Czar den Mächten einen umfaſſenden Entwurf vor, wornach ſie ſich alleſammt ver - pflichten ſollten für die Menſchenrechte der Rajah einzutreten, Rußland insbeſondere als Protector der Orthodoxen, Oeſterreich und Frankreich als Beſchützer der Lateiner. Es gebe, ſagte die ruſſiſche Note, ein unge - ſchriebenes Geſetzbuch des Völkerrechts, das in voller Kraft beſtehe und allen Völkern Gleichheit der Rechte verbürge. Entrüſtet wies Metternich den revolutionären Vorſchlag zurück. Doch ebenſo wenig war der Czar geneigt die von der Hofburg gewünſchte Bürgſchaft für den Beſtand der Türkei zu übernehmen; ſelbſt England wollte ſich nicht mit einer ſo un - berechenbar ſchweren Verpflichtung belaſten. So geſchah es, daß in Wien über die Türkei gar nichts beſchloſſen, die orientaliſche Frage ſtillſchweigend zu den vielen anderen ungelöſten Aufgaben des Congreſſes gelegt wurde.

Gleichzeitig mit den Berathungen der Großmächte erledigte Hardenberg noch eine überaus verwickelte diplomatiſche Arbeit: die Abrechnung mit Hannover, Schweden und Dänemark. Dieſe durch viele Monate hinge - zogenen dreifachen Verhandlungen zeigen in ihrem ſonderbar verſchlungenen Zuſammenhange ſehr anſchaulich, welchen weiten Horizont der Blick der preußiſchen Staatsmänner umfaſſen mußte, wie nahe unſer Staat, Dank ſeiner centralen Lage, ſelbſt durch die entlegenſten Händel des Welttheils berührt wurde; und ſie haben dem Vaterlande einen bleibenden Gewinn gebracht: die Befreiung Pommerns von den letzten Reſten der Fremdherr - ſchaft. Trotz des Kieler Friedens, der die Lande nördlich der Peene an Dänemark gab, blieb der Staatskanzler unerſchütterlich bei ſeinem Plane, Vorpommern und Rügen für Preußen zu erwerben; jener harte Kampf, den die Hohenzollern faſt zweihundert Jahre hindurch mit der Feder und dem Schwerte um ihr altes Erbe geführt, ſollte für immer beendigt werden. Doch wie wollte man den rechtmäßigen Eigenthümer, Dänemark, zur Ab - tretung des Landes nöthigen, da doch Preußen von der däniſchen Krone nicht das Mindeſte zu fordern hatte? Gleichwohl hat Hardenberg die wichtige Er -662II. 1. Der Wiener Congreß.werbung ermöglicht durch gewandte Benutzung der wirrenreichen Streitig - keiten, welche die ſkandinaviſche Welt erſchütterten.

Um die Dänen in Güte zur Abtretung von Vorpommern zu be - wegen, mußte man zunächſt mit dem unbequemen kleinen Nachbarn wieder in freundlichen Verkehr treten. Es bezeichnet Hardenbergs finaſſirende Art, daß er ganz unbedenklich am 25. Auguſt 1814 mit Dänemark zu Berlin Frieden ſchloß. Die Witzbolde beſpöttelten den Hardenbergiſchen Familienfrieden; der Staatskanzler unterzeichnete für Preußen, ſein dem Vater ganz entfremdeter Sohn Graf Hardenberg-Reventlow für Däne - mark. Der Vertrag enthielt, da die beiden Mächte kaum ernſtlich gegen einander gefochten hatten, nur die einfache Beſtätigung des Kieler Frie - dens und die Wiederholung der dort gegebenen Zuſage, daß Dänemark für Norwegen, außer Schwediſch-Pommern, noch weitere Entſchädigungen erhalten ſollte. Von Helgoland, das der Kieler Friede endgiltig an England gegeben hatte, iſt weder bei dieſen Berliner Verhandlungen noch ſpäter auf dem Wiener Congreſſe irgend die Rede geweſen. Man hatte kein Recht, die Inſel für Deutſchland zu fordern, da ſie nie zum alten Reiche gehörte; die binnenländiſche Beſchränktheit der deutſchen Politik wußte den Werth des Platzes nicht zu würdigen, der doch ſoeben erſt, in den Tagen der Continentalſperre, ſeine Bedeutung für den deutſchen Handel gezeigt hatte. Die allgemeine Begeiſterung für das großmüthige Albion fand kein Arg daran, daß ſich England in aller Stille ein kleines norddeutſches Gibraltar gründete.

Im Vertrauen auf dieſe Verträge kam der König von Dänemark nach Wien und hoffte dort, außer Vorpommern auch noch Lübeck und Ham - burg oder mindeſtens das Fürſtenthum Lübeck zu gewinnen. Er wurde der Bruder Luſtig der erlauchten Geſellſchaft, man lachte viel über ſeine drolligen Matroſenſpäße; doch ſeine Politik fand nirgends Unterſtützung, der getreue Bundesgenoſſe Napoleons ſtand unter den Staatsmännern der Legitimität ganz vereinſamt. Lord Caſtlereagh meinte ſich nicht ver - pflichtet, dem kleinen Staate, welchen England zweimal räuberiſch überfallen hatte, jetzt wenigſtens das gegebene Wort zu halten. Der Dänenkönig erreichte nur den Fortbeſtand des Sundzolles, allerdings ein werthvolles Zugeſtändniß für die däniſchen Finanzen. Als ihm Metternich beim Ab - ſchiede zurief: Sire, vous emportez tous les coeurs! gab der Be - trogene ſeufzend zur Antwort: mais pas une seule âme. Währenddem war auch Vorpommern den Dänen verloren gegangen. Die Norweger, geführt von ihrem Statthalter, dem däniſchen Prinzen Chriſtian, hatten ſich dem Kieler Frieden widerſetzt, ihrem Lande eine ſelbſtändige Verfaſſung gegeben und den Statthalter zum König erwählt; darauf war Bernadotte mit ſeinen Schweden eingerückt, bis nach einem Feldzuge von vierzehn Tagen Prinz Chriſtian in dem Vertrage von Moß (14. Auguſt 1814) ſeine Anſprüche aufgab. Durch Verhandlungen zwiſchen der Krone Schwe -663Neuvorpommern.den und dem norwegiſchen Storthing wurde nachher die Vereinigung der beiden Königreiche der Halbinſel herbeigeführt. Noch heute bleibt es dunkel, wie weit die berufene däniſche Treue bei jener Erhebung der Norweger mitgewirkt hat. Jener ſchlaue Franzoſe aber, der Schwedens Geſchicke leitete, wollte natürlich an der Mitſchuld des Kopenhagener Hofes nicht zweifeln; er erklärte, der Kieler Friede ſei durch Dänemark gebrochen, darum könne auch Vorpommern nicht ausgeliefert werden.

Es war ſicherlich nicht an Preußen, den unparteiiſchen Richter zu ſpielen in dieſen unerquicklichen Händeln der nordiſchen Mächte; die na - tionale Politik gebot, den Streit der Fremden um das deutſche Land zu Deutſchlands Vortheil auszubeuten und die verlorene Mark dem Vater - lande zurückzubringen. Eine Aufgabe, wie geſchaffen für Hardenbergs ſchmiegſame Gewandtheit. Oeſterreich und Frankreich, in früheren Zeiten die hartnäckigſten Feinde der pommerſchen Politik der Hohenzollern, verhielten ſich diesmal zum Glück ganz gleichgiltig. Der Staatskanzler verſtändigte ſich zunächſt mit Schweden. Bernadotte war bereit, ſeine Anſprüche auf Vorpommern gegen eine Summe Geldes an Preußen abzutreten; am 13. Mai 1815 berichtete Münſter dem Prinzregenten als unzweifelhaft, daß Preußen und Schweden ſchon längſt handelseinig ſeien. Alſo gegen Schweden gedeckt, hoffte Hardenberg auch die Dänen zum Verzicht auf Vorpommern zu bewegen. Dies war nur möglich, wenn man ihnen einen Erſatz an Land und Leuten bot; denn Dänemark hatte unzweifelhaft das beſſere Recht auf Vorpommern. Auf der weiten Welt ließ ſich aber nur ein Land finden, das man den Dänen vielleicht zum Erſatze bieten konnte: das Herzogthum Lauenburg rechts der Elbe. Welche Zumuthung: für die 75 Geviertmeilen des reichen Vorpommerns 19 in Lauenburg; für die Seefeſtung Rügen, für das prächtige Stralſund und die Greifswalder Hochſchule blos das Grab Till Eulenſpiegels und zwei Drittel der guten Stadt Ratzeburg, denn ihr Domhof gehörte dem Strelitzer Vater - lande! Nur die Bedrängniß des von allen Seiten bedrohten Kopenhagener Cabinets ließ es möglich ſcheinen, daß Dänemark auf einen ſo ungleichen Tauſch eingehen würde, der ihm nur den einen Vortheil bot das Hol - ſteiniſche Gebiet abzurunden.

Lauenburg war aber ein rechtmäßiges Beſitzthum des hannoverſchen Hauſes, und ſo hing denn die Erwerbung Vorpommerns von einer Ver - ſtändigung mit den Welfen ab, denen Preußen überdies noch die in Reichenbach ausbedungene Vergrößerung um 250 300,000 Seelen ſchul - dete. Daß Hildesheim zu dieſer Entſchädigung verwendet werden ſollte, ſtand bereits feſt; die Abtretung von Oſtfriesland dagegen hatte der König ſtandhaft zurückgewieſen, und ſeitdem war das treue Völkchen ſeinem Herzen nur noch theurer geworden. Gleichwohl liefen beunruhigende Gerüchte durchs Land; die Abtretung an die Welfen, ſo hieß es, ſtehe doch noch bevor. Schwer beſorgt ſchrieb der Oberpräſident Vincke an den664II. 1. Der Wiener Congreß.Staatskanzler: nimmermehr dürfe man dies Kernvolk aufopfern, ein Oſt - frieſe ſei mehr werth als zwanzig halbfranzöſiſche Rheinländer; auch biete der Beſitz der Ems den einzigen freien Zugang zur Nordſee, das einzige Mittel den Rheinzöllen der Holländer entgegenzuwirken.

Da gab der Streit um Vorpommern den welfiſchen Diplomaten eine bequeme Handhabe um den in Reichenbach geſcheiterten Verſuch zu er - neuern. Der Staatskanzler verlangte jetzt von den Welfen Lauenburg, und da er außerdem noch die vertragsmäßige Vergrößerung für Hannover beſchaffen mußte, ſo erſah Münſter raſch ſeinen Vortheil und forderte als Erſatz: Oſtfriesland und jenen Iſthmus des Göttinger Landes, der nach Hardenbergs Plänen die öſtlichen Provinzen Preußens mit dem Weſten verbinden ſollte. Die letztere Forderung ließ ſich nicht abweiſen, ſie iſt jedoch in Berlin als ein offenbarer Beweis böſen Willens den Welfen lange nachgetragen worden; denn war man in Hannover ehrlich geſonnen mit Preußen gute Freundſchaft zu halten, ſo konnte die Um - klammerung durch Preußen dem Welfenhofe nicht bedrohlich erſcheinen. Noch tiefer verletzte den König die Zumuthung wegen Oſtfriesland; keine der vielen Enttäuſchungen dieſer traurigen Zeit hat ihn ſo ſchmerzlich be - rührt. Viele Monate hindurch, bis in den März hinein, widerſprach er beharrlich; wie oft hat er Kneſebeck deshalb zu dem Staatskanzler geſendet, was immer ein untrügliches Zeichen der Verſtimmung war. Die Welfen aber beſtanden auf ihrem Scheine. Nicht als ob ſie die handelspolitiſche Bedeutung der Emsmündung irgend gewürdigt hätten; die herrlichen Ströme Niederſachſens waren in den Augen des welfiſchen Adelsregiments lediglich dazu beſtimmt mit ergiebigen Zöllen belaſtet zu werden. Aber Oſtfriesland grenzte an Holland, und eine ununterbrochen zuſammen - hängende welfiſch-oraniſche Nordweſtmacht galt in London und Hannover wie im Haag als nothwendig, um dem preußiſchen Nachbarn das Gleich - gewicht zu halten. Deshalb verharrte Münſter bei ſeiner Forderung, und König Friedrich Wilhelm ſtand ſchließlich vor der Frage: ob Vor - pommern für Preußen wichtiger ſei oder Oſtfriesland? Hardenberg ſtimmte unbedenklich für Pommern; denn da die Landgrenze im Oſten durch den Verluſt von Warſchau ſich ſo ungünſtig geſtaltete, ſo war es für Preußen unerläßlich, mindeſtens auf der Seeſeite ſich zu decken und die Herrſchaft über die Odermündungen ganz in ſeine Hand zu bringen; Oſtfriesland aber, ſo wichtig es war, bildete doch nur einen Außenpoſten mehr.

Noch ſchwerer wog in Hardenbergs Augen eine Erwägung der na - tionalen Politik: der lange Kampf um die Befreiung Pommerns durfte wahrlich nicht damit enden, daß die Dänen, wie ſchon am Kieler Buſen, ſo auch am Strelaſunde ſich einniſteten. Dagegen hatte Hannover ſelbſt während ſeiner Verbindung mit England immer als ein deutſches Land ge - golten, und ſeine gänzliche Abtrennung von Großbritannien ſchien damals, da Prinzeß Charlotte noch lebte, ſehr nahe, ſchon nach dem Tode des Prinz -665Lauenburg. Oſtfriesland.regenten bevorzuſtehen; an Hannover abgetreten ging Oſtfriesland dem deutſchen Leben nicht verloren. Hardenberg hat keineswegs, wie ihm er - bitterte Patrioten vorwarfen, in frevelhaftem Leichtſinn das oſtfrieſiſche Land preisgegeben, ſondern das Für und Wider der verwickelten Frage gewiſſenhaft abgewogen und dann mit ſeinem richtigen politiſchen Blicke das kleinere Uebel gewählt. Schon am 15. Februar ließ er in der Staats - kanzlei einen Artikel für die Berliner Zeitungen ſchreiben, um die Leſer - welt auf die Abtretung Oſtfrieslands vorzubereiten und zugleich anzu - deuten, dies ſchmerzliche Opfer ſei das einzige Mittel zur Erwerbung des ungleich werthvolleren Vorpommerns. Der Aufſatz fand aber weder bei den Zeitgenoſſen noch bei ſpäteren Hiſtorikern Beachtung. Im März endlich gab der König widerſtrebend ſeine Zuſtimmung. Da erhob ſich ein letztes unerwartetes Hinderniß. Nach der thörichten Familien-Ueber - lieferung der Welfen war Oſtfriesland ein altes Erbe des Welfenhauſes, nur durch Gewalt und Liſt an Preußen gekommen. Der Prinzregent er - fuhr alſo mit lebhafter Entrüſtung, daß er für den Heimfall dieſes urwelfi - ſchen Landes auch noch Lauenburg herausgeben ſollte. Er ſträubte ſich aufs Aeußerſte; dieſer Liebloſeſte aller Söhne verſpürte plötzlich Anwand - lungen kindlichen Zartgefühls und verſicherte, ſeine Delicateſſe verbiete ihm, noch bei Lebzeiten ſeines geiſteskranken Vaters eine Provinz abzu - treten. Münſter mußte alle ſeine Beredſamkeit aufbieten; er ſtellte dem Erzürnten vor, daß Lauenburg für Preußens pommerſche Abſichten in der That unentbehrlich ſei. Erhebe man Schwierigkeiten, ſo werde der ohne - hin erbitterte König von Preußen vielleicht den ganzen Handel rückgängig machen; und am Ende bleibe ja noch die erfreuliche Ausſicht, daß Preußen bei dem neuen Kriege gegen Napoleon wieder des guten engliſchen Geldes bedürfen würde, dann könne man Lauenburg dem Bundesgenoſſen wieder abnehmen! Das wirkte; das zarte Gewiſſen des Welfen war beruhigt.

So kam denn am 29. Mai der Tauſchvertrag zwiſchen Preußen und Hannover zu Stande: Lauenburg für Hildesheim, Goslar, Oſtfriesland und ein Stück der Grafſchaft Lingen; dazu zwei preußiſche Militärſtraßen durch Hannover als Erſatz für den gewünſchten Iſthmus . Die alten Reichen - bacher Forderungen der Welfen waren alſo doch, in Folge der ſächſiſchen Händel, um etwa 50,000 Seelen herabgemindert worden. Am 4. Juni ſo - dann trat Dänemark ſeine Rechte auf Schwediſch-Pommern an Preußen ab und erhielt dafür Lauenburg nebſt 2 Mill. Thaler; der Staatshaus - halt war aber dermaßen erſchöpft, daß man ſich ausbedingen mußte dieſe geringe Summe erſt vom Neujahr 1816 ab in vier halbjährigen Raten zu zahlen! Endlich am 7. Juni gab Schweden, gegen Mill. Thaler, ſeine letzten Anſprüche auf deutſchen Boden auf und erſtattete zugleich die während der letzten Jahre veräußerten vorpommerſchen Domänen dem neuen Landesherrn zurück. Preußen bewilligte mithin Oſtfriesland und über 5 Mill. Thaler für ein Land, das damals, freilich unter einer666II. 1. Der Wiener Congreß.ſehr ſchlaffen Verwaltung, nur einen jährlichen Ueberſchuß von 224,000 Thalern brachte. Kaufmänniſch betrachtet war das Geſchäft ſicherlich un - vortheilhaft, Schweden allein gewann bei dem verwickelten Handel; die deutſche Nation aber hatte guten Grund dem Staatskanzler für dieſe ſchwierige Arbeit zu danken.

Es war die höchſte Zeit, Vorpommern von dem ſkandinaviſchen Leben zu trennen. Das Land war in faſt zwei Jahrhunderten gänzlich für die drei Kronen des Nordens gewonnen; wie ſpät hatte doch ſelbſt E. M. Arndt, faſt vierzig Jahre alt, das Bewußtſein ſeines deutſchen Volksthums ge - wonnen! Wie viel hundert mal haben die Rügener ihre Feſte angetanzt unter den Klängen des alten Schwedenſanges: Gustavs skål! Zu Anfang des Jahrhunderts ſangen die Stralſunder Kaufherren bei feſtlichen Ge - lagen nach feierlicher Melodie das Nationallied:

Laßt die Politici nur machen!
Ob Frankreich oder England ſiegt
Man kapert uns kein Schiff, kein Boot:
Was hat es denn mit uns für Noth?

Nachher, da die blaugelbe Flagge die Schiffe der Stralſunder Rheder nicht mehr zu decken vermochte, begann dieſe Gemüthlichkeit allerdings einem männlicheren Gefühle zu weichen; indeß ſahen der Landadel und das ſtädtiſche Patriciat, von der ſchwediſchen Krone mit koſtbaren Privi - legien überſchüttet, der Rechtsgleichheit der preußiſchen Verwaltung mit ſehr gemiſchten Empfindungen entgegen. Wunderbar ſchnell hat ſich dann die Geſinnung des Landes verwandelt. Die Krone Schweden ſelber em - pfand, daß durch den Einzug der Preußen nur die natürliche Ordnung hergeſtellt wurde; König Karl XIII. ſprach zum Abſchied ſeinen getreuen Pommern aus, Schweden ſei durch die Erwerbung Norwegens in eine inſulariſche Lage gekommen und weniger denn je im Stande die ent - legene deutſche Provinz zu vertheidigen. Und dies wackere deutſche Land ſollte ſchon nach wenigen Jahren bewähren, was der Sprecher der Ritter - ſchaft, Graf Bohlen, bei der Huldigungsfeier verſprach: wir werden be - weiſen, daß wir auch unter einer auswärtigen Regierung nicht verlernt haben Deutſche zu ſein.

In Oſtfriesland aber herrſchte tiefe Trauer. Lange wollte man die Unheilsbotſchaft nicht glauben; die königlichen Behörden verſicherten wie - derholt, daß ſie von der Abtretung amtlich nichts wüßten. Das tapfere Landwehrregiment der Provinz focht noch bei Ligny und Belle-Alliance unter preußiſchen Fahnen; noch im Juli 1815 ging eine Deputation der Stände nach Paris, ihre Mitglieder im Verein mit den Landwehrmän - nern beſchworen den König die Provinz nicht zu verſtoßen. Der Wider - wille gegen das adliche Hannoverland war ſo allgemein in dieſem Lande des Handels und der Bauernfreiheit, daß man die Abtretung erſt zu Ende des Jahres 1815 zu vollziehen wagte. Auch dann währte die alte667Abſchluß mit den Niederlanden.Treue fort; wie lange noch haben die oſtfrieſiſchen Studenten in Göttingen die ſchwarzweiße Kokarde an der Mütze getragen, und wenn ſie beim Lan - desvater das Friedrich Wilhelm lebe hoch ſangen, dann liefen den ehr - lichen Jungen die hellen Thränen über die Backen. Bis zum Tode des Königs hat Oſtfriesland ſeinen alten herrlichen Feſttag gefeiert; noch am 3. Auguſt 1839 ſahen die Badegäſte auf Norderney mit Erſtaunen, wie auf jedem Fiſcherhauſe der Inſel eine preußiſche Flagge wehte.

Hatte der Staatskanzler in dieſen Verhandlungen, freilich nur durch ein ſchweres Opfer, das Intereſſe des Staates klug gewahrt, ſo mußte er dagegen bei den Unterhandlungen mit den Niederlanden die Folgen ſeiner früheren Uebereilungen tragen. Alle jene verſchwenderiſchen Zuſagen, die man während des Winterfeldzuges dem Schooßkinde der engliſchen Politik gegeben, ließen ſich nicht mehr zurücknehmen; auch gelangte Hardenberg ſelbſt in Wien noch nicht zu der Einſicht, daß dies durch Preußens Waf - fen wieder eingeſetzte Oraniſche Haus eine entſchieden feindſelige Geſin - nung gegen Deutſchland hegte. Er betrachtete die Niederlande noch immer als eine feſte Vormauer Deutſchlands und begrüßte es mit Freuden, daß mindeſtens Luxemburg dem Deutſchen Bunde beitrat. War doch dies Ländchen damals noch kriegeriſch und entſchieden franzoſenfeindlich geſinnt; die Erinnerung an die k. k. Latour-Dragoner und die Jäger von Le Loup lebte noch im Volke. Die preußiſchen Diplomaten trugen dem oraniſchen Unterhändler ſeinen in den ſächſiſchen Händeln bewährten legitimiſtiſchen Feuereifer nicht nach, ſondern bewieſen, zu Gagerns eigenem Erſtaunen, eine ungemeine Nachgiebigkeit .

Von Jülich und anderen Pariſer Verheißungen war freilich nicht mehr die Rede; jedoch Preußen erklärte ſich bereit, einen Theil von Geldern mit dem feſten Venloo abzutreten, und erprobte dabei nochmals die gehäſſige Geſinnung der engliſchen Staatsmänner. Gagern verlangte la lisière de la Meuse : preußiſch Geldern ſollte von ſeinem natürlichen Waſſer - wege, der Maas, abgeſperrt, die Grenze überall mindeſtens eine Stunde öſtlich von dem Fluſſe gezogen werden. Er berief ſich auf den Herzog von Wellington, der, noch ganz befangen in den altväteriſchen Gleichge - wichtslehren des alten Jahrhunderts und voll Mißtrauens gegen den unruhigen preußiſchen Ehrgeiz, in einem militäriſchen Gutachten die un - geheuerliche Behauptung aufgeſtellt hatte, ohne dieſe Liſière würden die Niederlande durch Preußen erdrückt werden. In der gutmüthigen Hoffnung an den Oraniern für alle Zukunft dankbare Bundesgenoſſen zu haben, war Hardenberg ſchwach genug auf dieſe unverſchämte Zumuthung einzugehen; ſo erhielt Deutſchland jene Nordweſtgrenze, die auf der Karte Europas ihres Gleichen nicht findet.

Schon in den nächſten Monaten ſollte Preußen die Dankbarkeit der holländiſchen Kaufmannspolitik kennen lernen. Die Oranier zeigten ſich unter allen Nachbarn Preußens am gehäſſigſten und händelſüchtigſten. 668II. 1. Der Wiener Congreß.Gegen Sinn und Wortlaut der Wiener Verträge wurden ſofort jene ſchändlichen Rheinzölle wieder eingerichtet, wodurch die niederländiſche Republik einſt ihre deutſchen Hinterlande mißhandelt hatte. Da die ſtati - ſtiſchen Hilfsmittel jener Zeit ſehr mangelhaft waren und Haſſelts geo - graphiſches Handbuch den Diplomaten als letzte Weisheitsquelle diente, ſo liefen bei allen Gebietsverträgen des Congreſſes einzelne kleine Irrthümer mit unter, die bei einigem Anſtandsgefühle der betheiligten Staaten nach - träglich leicht berichtigt werden konnten. Durch ein ſolches Verſehen geſchah es auch, daß die beiden preußiſchen Straßen von Aachen nach Eupen und Geilenkirchen auf zwei kurzen Strecken niederländiſches Gebiet berührten; augenblicklich errichteten die Oranier dort ihre Douanen, unterwarfen den preußiſchen Binnenhandel ihren Zöllen. Als endlich eine gemiſchte Com - miſſion zuſammentrat um die Grenze endgiltig feſtzuſtellen, da ſtritten die Holländer um jede Seele, jeden Baum und jeden Zoll Landes. *)So Sack in ſeinem Generalberichte vom 31. März 1816.Ueber die Galmeigruben von Altenberg konnte man ſich ſchlechterdings nicht einigen; dies berüchtigte neutrale Gebiet an der belgiſch-preußi - ſchen Grenze erinnert noch heutigen Tags an die freundnachbarliche Geſinnung der Niederländer. Solche gehäufte Proben oraniſcher Dank - barkeit und vornehmlich die empörende Bedrückung der Rheinſchifffahrt ließen das Wohlwollen des Berliner Cabinets für den Haager Hof bald erkalten.

Ein anderer der kleinen Gegner Preußens, Baiern, hatte ſeine thörichte Feindſeligkeit bitter zu bereuen. Wenn irgend ein deutſches Fürſtenhaus durch ſein dynaſtiſches Intereſſe auf Preußens Freundſchaft angewieſen war, ſo doch ſicherlich das durch die Hohenzollern ſo oft gerettete Haus Wittelsbach. Preußens Staatsmänner waren auch im Jahre 1814, ob - gleich ſie ein wohlbegründetes Mißtrauen gegen Montgelas hegten, dem bairiſchen Staate keineswegs feindſelig geſinnt. Das feſte Mainz wollten ſie freilich dieſen unzuverläſſigen Händen nicht anvertrauen; doch war Hardenberg in Paris geneigt, die badiſche und die linksrheiniſche Pfalz an Baiern zu geben, und noch in Wien rieth Humboldt, die Baiern durch Entgegenkommen zu gewinnen, wenn ſie nur irgend guten Willen für den Deutſchen Bund zeigten. Die ſchamlos undeutſche Geſinnung, welche von Montgelas Genoſſen zur Schau getragen wurde, die prahle - riſche Feindſeligkeit Wredes und die unfläthigen Schimpfreden der lite - rariſchen Mordbrenner des Münchener Hofes zwangen die Staatskanzlei zu einer veränderten Haltung. Montgelas war nicht nur durch alte Neigung und Gewohnheit an Frankreich gebunden und mit den Führern der norddeutſchen Patrioten, namentlich mit Stein und Görres, perſönlich verfeindet; er hoffte auch, durch ſeinen lärmenden Eifer für Friedrich Auguſt ſich die Dankbarkeit Oeſterreichs, Englands und Frankreichs zu ſichern669Baierns Anſprüche.und mit deren Hilfe eine reiche Entſchädigung für Salzburg und das Innviertel zu gewinnen. Ein grober politiſcher Fehler, ſelbſt vom Ge - ſichtspunkte der rein dynaſtiſchen Politik betrachtet! England hat ſich um die ſüddeutſchen Gebietsfragen niemals viel gekümmert, Frankreich verlor gegen das Ende des Congreſſes jeden Einfluß, und Oeſterreich erwies ſich bald als ein treuloſer Freund.

Die großen Mächte ſchloſſen ihren Frieden in der ſächſiſchen Sache, und Wrede trug von ſeiner anmaßenden Zudringlichkeit nur den allge - meinen Haß davon; ſelbſt in den Kreiſen der rheinbündiſchen Diplomaten hießen die Baiern les Prussiens du Midi. Der Czar vor Allen war tief erbittert und hörte willig auf den Freiherrn vom Stein, der nicht müde ward ihm vorzuſtellen, wie gefährlich es ſei den Kernſtaat des Rhein - bundes zu vergrößern. König Friedrich Wilhelm vernahm mit Befremden durch ſeinen Geſandten Küſter, daß die Münchener Patriotenkreiſe alltäg - lich über den Krieg gegen Preußen wie über die natürlichſte und leichteſte Sache von der Welt redeten. *)Küſter in ſeinem Berichte vom 17. Mai 1815; ähnlich in vielen anderen Depeſchen.Durfte man dieſem Staate geſtatten, ganz Süddeutſchland zu umklammern? Die Vereinigung der badiſchen Pfalz mit Baiern mußte dem Staatskanzler jetzt in ganz anderem Lichte erſcheinen, da die gewünſchte Niederlaſſung Oeſterreichs am Oberrheine nicht erfolgt war. Und war denn Preußen irgend gebunden an jene leichtfertigen Verſprechungen, welche Metternich eigenmächtig und insgeheim den Baiern gegeben hatte? Wenn Preußen den feierlich verheißenen un - unterbrochenen Zuſammenhang ſeines Gebietes nicht hatte erreichen können, warum ſollte nicht Baiern die gleiche Entſagung üben? Warum mußten Baden und die beiden Heſſen, die für Deutſchland nie ernſtlich gefährlich werden konnten, eine ſchwere Beraubung ertragen um den mächtigſten Staat des Rheinbundes ganz unbillig zu vergrößern?

Solche einfache Gründe der Politik und des Rechtes brachten den König und den Staatskanzler allmählich zu dem Entſchluſſe, dem Münche - ner Hofe nur die volle Entſchädigung für die an Oeſterreich abgetretenen Provinzen, doch nichts weiter zu geſtatten. Zwar gelang es den bairiſchen Unterhändlern, nachdem ſie den ganzen Winter über mit einer Commiſſion der Großmächte gefeilſcht und gemarktet, am 23. April 1815 einen vor - läufigen Vertrag mit den Mächten der Coalition abzuſchließen, wonach Baiern für Salzburg und das Innviertel einen unverhältnißmäßigen Er - ſatz erhalten ſollte: die Hauptmaſſe der linksrheiniſchen Pfalz, Hanau und ein großer Theil des öſtlichen Odenwalds wurden den Wittelsbachern verſprochen, dazu der Heimfall der badiſchen Pfalz ſobald die regierende Linie des badiſchen Hauſes ausſtürbe. Dieſe réversibilité du Palatinat hat ſich ſeitdem wie ein rother Faden durch alle Wandlungen der neueren670II. 1. Der Wiener Congreß.bairiſchen Politik hindurchgezogen. Namentlich der Kronprinz Ludwig war völlig beherrſcht von dieſem Gedanken; er ſollte ſein ſchönes geliebtes Salzburg, wo er die letzten Jahre über Hof gehalten, jetzt an Oeſterreich ausliefern und wollte dafür mindeſtens die Wiege ſeines Geſchlechts zurückerwerben, obgleich durchaus kein Rechtsgrund den Anſpruch unter - ſtützte. Baiern hatte vor Jahren die rechtsrheiniſche Pfalz gegen über - reichliche Entſchädigung, ohne jeden Vorbehalt abgetreten, und es ließ ſich ſchlechterdings nicht abſehen, warum das Land wieder an die Wittelsbacher zurückfallen ſollte ſobald die Erbfolge in Baden auf die Grafen von Hoch - berg überging. Nur die Mißgunſt der Großmächte gegen das nachläſſige Regiment des Großherzogs Karl von Baden hat eine Zeit lang dieſe bairiſchen Anmaßungen begünſtigt. Aber der Aprilvertrag war todtge - boren, denn er behielt ausdrücklich die Zuſtimmung der betheiligten Sou - veräne vor; und dieſe, Württemberg, Baden, beide Heſſen, erhoben ſo - fort lauten Einſpruch. Der badiſche Bevollmächtigte Marſchall hatte ſchon früher dem Staatskanzler geſchrieben: Ludwig XIV. hat durch alle blutigen Kriege, die Europa während ſeiner Regierung erſchütterten, nicht eine Million Einwohner für die franzöſiſche Monarchie erworben, und nun will Baiern durch einen coup de main im Wege der Unterhand - lungen ſich um 400,000 Unterthanen bereichern. *)Marſchall an Hardenberg, 5. März 1815.Jetzt erneuerte er ſeinen Proteſt. Auch König Friedrich Wilhelm fand es höchſt unbillig, daß Hanau ohne jeden Rechtsgrund von Kurheſſen abgeriſſen werden ſollte. So geſchah es, daß der Aprilvertrag nicht ratificirt wurde, und die Schlußacte des Congreſſes die Streitfrage offen ließ.

Unter ſolchen Kämpfen kam die Wiederherſtellung der preußiſchen Monarchie zu Stande. Das Ergebniß der Wiener Verhandlungen war eine halbe Niederlage der preußiſchen Politik; weder am Rhein noch in Sachſen noch an der polniſchen Grenze hatte ſie ihre Ziele vollſtändig erreicht. Der Staat war gegen den Beſitzſtand von 1805 um volle 600 Geviertmeilen kleiner und nur um kaum eine halbe Million Ein - wohner ſtärker geworden, er hatte die verſprochene Abrundung nicht er - langt, ſondern zerfiel wieder wie vor Alters in zwei weit entlegene Maſſen. Zudem war ein den Hohenzollern verfeindetes Fürſtenhaus wieder einge - ſetzt, ein lebensunfähiger Mittelſtaat, der niemals wieder zu geſunden politiſchen Zuſtänden gelangen konnte, aufs Neue hergeſtellt. Die vier Kleinkönige beherrſchten faſt ein Viertel von dem Gebiete des Deutſchen Bundes; die Lieblingsſchöpfung Napoleons, die neue Macht der Mittel - ſtaaten hatte alle Stürme der Zeit überdauert. Im preußiſchen Volke erregte der Ausgang des diplomatiſchen Kampfes tiefe Verſtimmung. Ganz im Sinne der öffentlichen Meinung ſchrieb Blücher: wir haben einen tüchtigen Bullen nach Wien hingebracht und uns einen ſchäbigen Ochſen671Ergebniß für Preußen.eingetauſcht. Die Gegner hatten ihrer Schadenfreude kein Hehl. Nicht zufrieden mit dem wirklich errungenen Erfolge ſprengten ſie das Märchen aus, der preußiſche Staat habe ſich widerwillig ſtatt der ſüdlichen Hälfte von Sachſen die Rheinlande aufladen müſſen, während doch Hardenbergs Abſichten von Haus aus zugleich auf Sachſen und das Rheinland ge - richtet waren. Alle aber begegneten ſich in der frohen Hoffnung, ein ſo künſtliches politiſches Gebilde könne nicht dauern.

Und doch frohlockten Preußens Feinde zu früh. Das Künſtliche dieſes Staatsbaues lag nicht darin, daß er zugleich die äußerſten Marken des Oſtens und Weſtens beherrſchte, ſondern allein darin, daß er noch nicht fertig war, daß jene Landſchaften, welche die natürlichen Mittelglie - der zwiſchen ſeinen Provinzen bildeten, ihm noch nicht angehörten. Trotz aller Mißerfolge im Einzelnen hatte Preußen durch die Wiener Verhand - lungen die Möglichkeit einer geſunden, kräftigen Fortbildung gewonnen. Die Gefahr eines neuen Rheinbundes, die in Wien ſo drohend ſchien, wurde durch Napoleons Rückkehr und abermalige Niederlage auf lange hinaus be - ſeitigt. Die Schwäche der Bourbonen lag vor aller Augen; der von Preußen ſo hartnäckig bekämpfte Einfluß Frankreichs auf die kleinen Höfe blieb in der That während der nächſten Jahrzehnte ſehr geringfügig. Und wie ganz anders ſtand Deutſchland jetzt dem unruhigen Nachbarvolke gegenüber, da ſtatt jener elenden, vom Verſailler Hofe beſoldeten geiſtlichen Fürſten der norddeutſche Großſtaat die Wacht am Rhein übernahm. Des läſtigen polniſchen Beſitzes ledig verwuchs er jetzt feſter denn je mit dem deutſchen Leben; zu den jungen überelbiſchen Colonien traten die alten Culturlande des Rheines mit ihren mächtigen Städten und ihrem entwickelten Gewerb - fleiße hinzu. Es gab fortan kein deutſches Intereſſe mehr, das den preu - ßiſchen Staat nicht im Innerſten berührte. Er beſaß, wie König Friedrich Wilhelm ſagte, kein Dorf anders als mit der Zuſtimmung des geſammten Europas und gewann dadurch die Sicherheit, deren er bedurfte um ſeine buntgemiſchten neuen Gebiete mit ſeinem Geiſt und Weſen zu durchdringen. Wenn er dieſe unſäglich ſchwere Aufgabe löſte, wenn er das ſchöne Wort bewährte, das ſein König in jenen Tagen ausſprach: Deutſchland hat gewonnen was Preußen erworben hat, dann konnte der halbe Erfolg der Wiener Verhandlungen für ihn leicht ebenſo ſegensreich werden wie einſt die diplomatiſche Niederlage des großen Kurfürſten auf dem Weſt - phäliſchen Friedenstage. Nicht aus Uebermuth wahrlich hatte Hardenberg die Gegner gefragt: wollt Ihr Preußen durchaus zwingen nach neuen Ver - größerungen zu ſtreben? Nur die Gedankenloſigkeit der Hofburg und der kleinen Staaten vermochte ſich darüber zu täuſchen, daß die neue Geſtaltung des preußiſchen Gebietes keine Dauer verſprach, daß eine Großmacht in ſo unnatürlicher Lage nicht verharren durfte. Die Hälfte Deutſchlands ge - horchte dem preußiſchen Scepter; war in dieſer erſt der deutſche Einheits - ſtaat feſt und ſicher begründet, ſo mußte früher oder ſpäter die Stunde672II. 1. Der Wiener Congreß.kommen, da das Schwert Friedrichs wieder aus der Scheide fuhr um auch die andere Hälfte, die noch in allen Gliedern die Nachwirkung der zwei - hundertjährigen Fremdherrſchaft verſpürte, zum Vaterlande zurückzuführen.

Als ein Menſchenalter ſpäter die Vertreter der Nation ohne die Mitwirkung der Fürſten über den Neubau des deutſchen Geſammtſtaates beriethen, vergeudeten ſie die günſtige Zeit mit Berathungen über die Grundrechte des Volks. Derſelbe dunkle Drang der Selbſtſucht beherrſchte die Diplomaten, die in Wien ohne Zuziehung der Nation über Deutſch - lands Zukunft verhandelten; das deutſche Verfaſſungswerk gerieth nach kurzem Anlauf ins Stocken, der Streit über die dynaſtiſchen Intereſſen des Hauſes Wettin nahm monatelang alle Kräfte des Congreſſes in An - ſpruch, und erſt gegen das Ende des großen Fürſtentages, als die Dinge bereits völlig ausſichtslos lagen, ward in übereilter Haſt die deutſche Bundesacte beendigt. Sehr günſtig hatten die Ausſichten freilich nie ge - ſtanden. Einem Lande, deſſen Grenzen Niemand kannte, dem unbeſtimm - ten Begriffe Deutſchland eine feſte politiſche Form zu geben war an ſich eine unmögliche Aufgabe. Ein erbarmungsloſer Druck der Noth, wie er einſt die Staaten Nordamerikas gezwungen hatte widerwillig auf ihre Souveränität zu verzichten, ward in jenem Augenblicke nicht fühlbar, da alle Welt auf eine lange Zeit friedlichen Behagens hoffte. So zeigte ſich denn hart und nackt das politiſche Naturgeſetz, das jeden Staat treibt, ſein Ich, ſeine Unabhängigkeit bis aufs Aeußerſte zu vertheidigen. Ehr - furcht vor dem großen Vaterlande, Dankbarkeit gegen ſeine Befreier, Scham über die eigenen Frevel ließ ſich von den Sklaven Napoleons nicht erwarten.

Auch eine durchgebildete öffentliche Meinung, ein leidenſchaftlicher Volkswille, ſtark genug die Widerſtrebenden fortzureißen beſtand noch nirgends. Was dieſe Generation an ſchöpferiſchem politiſchem Vermögen beſaß, war in dem ungeheuren Ringen um die Befreiung des Vaterlandes darauf gegangen. Wohl flogen die Hoffnungen der Patrioten hoch; wir warten, ſagte Arndt, einer neuen Herrlichkeit wie ſeit Jahrhunderten nicht geweſen iſt! Die conſtitutionellen Ideen der Revolution hatten in der Stille auf deutſchem Boden überall Wurzeln geſchlagen, Verfaſſung und Repräſentativſyſtem galten bereits als gleichbedeutende Worte. Gleichzeitig, unter Männern von ganz verſchiedener Bildung, ward die zuverſichtliche Weiſſagung laut: wie die kirchliche Reformation im ſech - zehnten, ſo werde die politiſche im neunzehnten Jahrhundert von Deutſch - land über die Welt hinausgehen. Zu dieſen modernen Gedanken geſellten ſich romantiſche Erinnerungen aus Deutſchlands älteſter Geſchichte: die un - vergeßliche Schande der Regensburger Tage ſchien wie ausgelöſcht, mit der Herſtellung von Kaiſer und Reich mußte auch die Macht der Ottonen673Die öffentliche Meinung.den Deutſchen wiederkehren. Niemals hat ſich ein hochbegabtes und hoch - gebildetes Geſchlecht in ſo kindlich unklaren politiſchen Vorſtellungen be - wegt; Alles was dieſe Zeit über den Staat dachte kam aus dem Gemüthe, aus einer innigen, überſchwänglichen Sehnſucht, die ihre Ideale nach Belieben bald in der Vergangenheit bald in der Zukunft ſuchte. Ganz unbefangen verſchmolz man das Uralte mit dem Allerneueſten: während der Rheiniſche Mercur das Scharnhorſtiſche Heerweſen und die Aufhebung aller deutſchen Binnenmauthen empfahl, holte er zugleich Dantes Mo - narchia aus dem Staube hervor und meinte durch die Ideen des drei - zehnten Jahrhunderts die Leiden der neuen kaiſerloſen Zeit zu heilen. Daß der Politiker bei der Stange bleiben, für ſeine Gedanken einſtehen ſoll, war der Mehrzahl dieſer Publiciſten noch unbekannt; harmlos, un - maßgeblich gab Jeder in Zeitungen und Flugſchriften ſeine Wünſche und Einfälle zum Beſten, gern bereit auch die entgegengeſetzte Anſicht ſich anzueignen. Arndt erklärte gradezu: die Zeit iſt jetzt ſo, daß ein ge - ſcheidter Mann blos Ideen ausſäen darf aus der Luſt des Säens und weil er die Nothwendigkeit begriffen hat, daß die in mancher Hinſicht noch immer zu trägen germaniſchen Geiſter aufgeſchüttelt werden. Wie richtig hatte doch Fichte ſeine Zeitgenoſſen beurtheilt, da er ſagte, der Deutſche könne nie ein Ding allein wollen, er müſſe auch ſtets das Ge - gentheil dazu wollen!

Und welches krankhaft überſpannte Selbſtgefühl mitten in dieſer Zer - fahrenheit der öffentlichen Meinung! Unabläſſig verſichern die Blätter: Einzelheiten ausgenommen iſt die ganze Nation vollkommen mit ſich ein - verſtanden und weiß was ihr frommt und was ſie zu fordern berechtigt iſt; mit unendlicher Verachtung reden ſie von dem Lottoſpiele der Poli - tiker und den Spiegelfechtereien der Diplomatik. Dies tapfere Geſchlecht durfte ſich mit gerechtem Stolze eines Heldenkampfes rühmen, und da nun der Verfaſſungsbau des neuen Deutſchlands ſo lächerlich weit zurück blieb hinter den kühnen Erwartungen des Befreiungskrieges, ſo entſtand in der Nation ein verhängnißvoller Irrthum, der durch zwei Menſchenalter wie ein Fluch auf dem deutſchen Leben gelegen hat: der Wahn, als ob die Zerſplitterung des Vaterlandes allein die Schuld der Höfe ſei und nicht ebenſo ſehr die Schuld dieſes zwiſchen Wollen und Nichtwollen, zwiſchen patriotiſcher Sehnſucht und particulariſtiſcher Gewöhnung hin und her ſchwankenden Volkes ſelber. Die Sprache der Publiciſtik zeigte ein eigenthümliches Gemiſch von Salbung und Bitterkeit. Nirgends er - klang ſie lauter als in den Spalten des Rheiniſchen Mercurs, der denn auch ſchon im Sommer 1814 in den Rheinbundsſtaaten des Südens ver - boten ward. Mögen die Fürſten ernſtlich bedenken, rief Görres drohend, wie ihre Völker ſie empfangen werden, wenn ſie ein zerfetztes Vaterland mit nach Haus bringen, dann bleibt uns nur noch die Wahl zwiſchen Entwürdigung und Empörung! Das Bild der deutſchen Verfaſſung, dasTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 43674II. 1. Der Wiener Congreß.der Mehrzahl der Patrioten vorſchwebte, entſprach etwa jenem Vorſchlage für das künftige Reichswappen, welchen der Rheiniſche Mercur veröffent - lichte: der Doppeladler den ſchwarzen Aar zärtlich umhalſend und der bairiſche Löwe friedlich dazu geſellt! Wahrlich, es war nicht blos trübe Verſtimmung, wenn Goethe ſagte: der Schlaf ſei zu tief geweſen, dieſe eine Aufrüttelung würde nicht genügen.

So weit ſich in dem Durcheinander guter Vorſätze und phantaſtiſcher Wünſche ein greifbarer politiſcher Gedanke erkennen ließ, fand der Plan der Wiederherſtellung des habsburgiſchen Kaiſerthums außerhalb der alten preußiſchen Provinzen noch den meiſten Anklang. Was wußte man auch in den Kleinſtaaten von der traurigen Rolle, welche das Haus Oeſterreich noch in dem jüngſten Kriege geſpielt? Mancher wackere Mann ſah zwiſchen Schwarzenberg und Gneiſenau, Giulai und Bülow keinen weſentlichen Unterſchied. Der Rheiniſche Mercur bewunderte den rührend wahren Charakter des Kaiſers Franz: in dem ſei kein Arg, keine Ader vom Tyrannen; ſelbſt Metternich ward wohl zuweilen ſchwacher Gutmüthigkeit beſchuldigt, an ſeiner deutſchen Geſinnung zweifelte man nicht. Was ſchien natürlicher, als die Rückkehr zu den altheiligen Formen einer tauſend - jährigen Geſchichte: nur ein Kaiſer konnte das deutſche Dornröschen aus dem Schlummer wecken. In Vers und Proſa fand der alte Kaiſertraum neuen Ausdruck:

Ach das Sehnen wird ſo laut:
Wollt Ihr keinen Kaiſer küren?
Kommt kein Ritter heimzuführen
Deutſchland die verlaſſne Braut?

Die Frage, ob denn die heilloſe Vereinigung deutſcher und aus - ländiſcher Intereſſen abermals beginnen ſollte, ward mit einigen nach - drücklichen patriotiſchen Vermahnungen abgethan. Görres befahl kurzab: deutſche Fürſten auf fremden Thronen müſſen ihre deutſchen Länder nie in fremde Angelegenheiten miſchen! Noch beweglicher redete Rückert dem Adler Habsburgs ins Gewiſſen:

Nicht die fremde Pommeranze,
Iſts die Dir gehört zunächſt:
Der Reichsapfel, der im Glanze
Hier an deutſchen Eichen wächſt!
Willſt bei Apfel, Stab und Kronen
Nicht auf unſern Eichen wohnen?

Der Naturforſcher Oken, ein warmherziger Patriot von handfeſtem, kurz angebundenem Radicalismus, erwies in der Jenenſer Nemeſis: mit der Kaiſerkrone ſeien alle anderen Forderungen der Nation von ſelbſt er - füllt, durch ſie erlange Deutſchland wieder den erſten Rang in Europa. Der geiſtvolle Philolog F. G. Welcker führte noch zwei Jahre ſpäter in den Kieler Blättern alle Gebrechen des Vaterlandes darauf zurück, daß675Kaiſerträume.dem verfallenen Deutſchland kein Kaiſer werden wollte. So lebendig erhielt ſich der Gedanke des Kaiſerthums, doch wer vermochte ihn praktiſch zu geſtalten? Die harte Thatſache des deutſchen Dualismus machte den Patrioten für die Zukunft geringe Sorgen: wenn die Lothringer, nach einem Vorſchlage des Rheiniſchen Mercurs, mit den Hohenzollern eine Erbverbrüderung ſchloſſen, ſo ſtellte ſich ja die wirkliche Einheit über lang oder kurz von ſelber her. Bis dahin mußte man dem preußiſchen Staate allerdings eine gewiſſe Unabhängigkeit neben und unter der öſterreichiſchen Kaiſerkrone zugeſtehen. Ein Aufſatz im Mercur wollte den Kaiſer Franz an die Spitze eines zwiegetheilten Reichstags ſtellen, ſo daß Preußen das norddeutſch-proteſtantiſche Collegium, Oeſterreich das rheiniſch-katholiſche leitete. Der preußiſche Staat ſollte die ſchaffende und treibende Kraft in dieſem Doppelreiche bilden; denn ſeit der Staat Friedrichs ſeine alte Kraft wiedergewonnen hatte, gab man ſich draußen im Reiche wieder, wie im achtzehnten Jahrhundert, der behaglichen Anſicht hin, daß Preußen von der gütigen Natur dazu beſtimmt ſei den anderen Deutſchen die Laſt und Arbeit der großen Politik dienſtfertig abzunehmen. Den Oeſterreichern theilte Görres die angenehmere Aufgabe zu, das innerlich wärmende und nährende Element im Deutſchen Reiche zu bilden, dies entſpreche ihrem Stammescharakter . Aehnliche Anſichten vertrat der wohlmeinende Hildburghauſener Geheime Rath Schmid in ſeinem Buche Deutſchlands Wiedergeburt ; er dachte ſich die preußiſche Krone als den Reichsverweſer im Norden und zugleich als einen warnenden Rath und Volkstribunen neben dem öſterreichiſchen Erbkaiſer.

Auch was Arndt auf Steins Veranlaſſung über die künftige ſtän - diſche Verfaſſung ſchrieb, zeigt doch, daß der herrliche Mann über die weſentlichen ſtaatsrechtlichen Begriffe noch gar nicht nachgedacht hatte. Er fordert einen Kaiſer und einen aus den Landboten der Provinzen gebil - deten Reichstag, ohne der Rechte der Fürſten auch nur zu gedenken; er verlangt die alten Landſtände zurück, allerdings nicht ſo unbedingt wie der Koblenzer Romantiker, der die Dreizahl des Lehr -, Wehr - und Nähr - ſtandes feierte, ſondern in etwas modernerer Form, und dieſen altſtändi - ſchen Körperſchaften ſollen die Miniſter verantwortlich ſein. Die wenigen politiſchen Sätze der Schrift liegen vereinzelt wie die Muſcheln am Strande im dicken Sande moraliſcher, hiſtoriſcher, ethnographiſcher Betrachtungen. Die geſammte Bildung der Zeit blieb noch durch und durch unpolitiſch, die Methode politiſchen Denkens, die Kunſt ſachlicher Erörterung beſaßen unter allen deutſchen Publiciſten nur Zwei: Niebuhr, der ſich über die deutſche Verfaſſungsfrage niemals ausſprach, und Gentz, die Feder der Hofburg. Und wie fremd war doch ſelbſt den beſten Deutſchen jener Tage der ruhige, gehaltene Nationalſtolz eines großen Volkes. Auf der einen Seite ein fanatiſcher Haß gegen Frankreich, ein Haß, welchen Arndt noch nach dem Kriege als den heiligen Wahn, als die Religion unſeres43*676II. 1. Der Wiener Congreß.Volkes verherrlichte; auf der anderen eine ebenſo blinde Bewunderung für das allein freie England, das allein unter allen heutigen Völkern von vielen herrlichen Namen leuchte und dies aus dem Munde der Landsleute von Goethe, Stein, Blücher und Gneiſenau! Als die Pläne der Welfen auf dem Congreſſe ſich enthüllten, da gingen dem treuen Manne freilich die Augen auf, und er ſagte in einer ſeiner ſchönſten Schriften, dem Blick aus der Zeit in die Zeit friſch von der Leber weg dem engliſchen Kleinſinn und dem hannoverſchen Dünkel harte Wahrheiten.

Ueberall, auch in den Schriften der kundigſten Publiciſten, wird als unumſtößliche Wahrheit gepredigt, die Kleinſtaaterei ſei Deutſchlands Zierde, ſei der kräftige Fruchtboden unſerer Freiheit und Cultur; die alte unſelige Verwechslung von Freiheit und Vielherrſchaft kehrt in den mannichfachſten Formen wieder. Aber da man mit dem Waſſer der Kleinſtaaterei auch das Feuer der nationalen Macht verſchmelzen wollte, ſo war allen politiſchen Tauſendkünſtlern Thür und Thor geöffnet. Die handgreifliche Wirklichkeit der deutſchen Einzelſtaaten nöthigte die Publi - ciſten von ſelbſt zu nüchterner Selbſtbeſchränkung; hinſichtlich der Rechte der Landſtände entſtand bereits eine gewiſſe Uebereinſtimmung der An - ſichten, Alle forderten das Recht der Bitten und Beſchwerden ſowie die Steuerbewilligung, die Meiſten auch Theilnahme an der Geſetzgebung. Dagegen bot die unfindbare Größe des deutſchen Geſammtſtaates ein be - quemes Verſuchsfeld für dilettantiſche Schrullen und ſpielende Willkür; für das große Vaterland erſchien keine Narrheit zu abgeſchmackt. Da empfahl Profeſſor Lips in Erlangen ein Kaiſerthum, das unter den deut - ſchen Fürſten aller fünf Jahre reihum gehen ſollte: wie der Plump - ſack, meinte Görres. Da ſendete ein hannoverſcher Staatsmann dem Congreſſe den Entwurf einer deutſchen Bundesacte, die ſich bereits im Artikel 7 zu dem geiſtreichen Satze erhob: die große Frage, von welcher alles Uebrige abhängt, beſteht aber darin: wie ſoll es künftig in Deutſch - land werden und welche Verfaſſung ſoll es erhalten? Hic nodus Gordius.

Neben den verworrenen Träumereien der Patrioten ließen ſich auch ſchon wieder die begehrlichen Wünſche des Particularismus vernehmen. Der geiſtreiche ſchwergelehrte Karl Salomo Zachariä, ein würdiger Ver - treter jenes bedientenhaften alten Profeſſorenthums, das nun doch an - fing ſeltener zu werden, hatte ſich bei ſeiner Berufung nach Heidelberg ſofort aus einem unterthänigen Kurſachſen in einen unterthänigen Bade - ner verwandelt und ſchrieb jetzt, ganz im Geiſte der Carlsruher Rhein - bundsgeſinnung, einen Entwurf zu dem Grundvertrage des deutſchen Staatenbundes . Keine Rede mehr von der tauſendjährigen Geſchichte der deutſchen Nation; die ſouveränen Fürſten Deutſchlands können ſich nur zum Zwecke der Sicherung der inneren Ruhe und zur Vertheidigung gegen das Ausland verbinden; in allen anderen Angelegenheiten gilt das liberum veto, dergeſtalt, daß Bundesbeſchlüſſe nur die Zuſtimmenden677Particulariſtiſche Schriften. Thon.verpflichten. Ueber dieſem Chaos ſteht ein Bundestag in Wien, geleitet von dem Protector Oeſterreich und dem Erzkanzler Preußen. Noch deut - licher ſprach jener Gehilfe Münſters, Sartorius in einer Flugſchrift, die einen Sonderbund aller Mittel - und Kleinſtaaten empfahl. Das Aeußerſte leiſtete ein in der diplomatiſchen Welt insgeheim verbreitetes Schriftchen Zum Wiener Congreß , das wahrſcheinlich mit La Besnardieres Beihilfe verfaßt war: hier ward ungeſcheut die Wiederherſtellung des Rheinbundes für den Süden und Weſten angerathen, der Norden mochte ſich an Preußen halten. Aber auch ein wohlgemeintes patriotiſches Buch ( Ideen über die Bildung eines freien germaniſchen Staatenbundes ) verlangte die Bildung einer Foederation der Kleinſtaaten unter Baierns Führung. Der Verfaſſer war wahrſcheinlich der Leipziger Buchhändler Baumgärtner, Generalconſul des Königs von Preußen. Die unglaubliche Begriffsver - wirrung der beiden nächſten Jahrzehnte kündigte ſich ſchon an in der charakteriſtiſchen Thatſache, daß ſogleich nach dem Befreiungskriege ein wackerer, verſtändiger Deutſcher in aller Unſchuld den preußiſchen Staat als eine halbfremde Macht behandeln konnte!

Die altpreußiſchen Provinzen verhielten ſich gänzlich ſchweigſam in dieſem Federkriege. Die Natur forderte ihre Rechte nach der krampfhaften Anſpannung des ungleichen Kampfes; manche der Einſichtigen fühlten wohl auch, daß der Traum des preußiſchen Kaiſerthums, der in den Kreiſen der Freiwilligen ſo oft beſprochen worden, für jetzt ganz unmög - lich blieb. Nur in den Deutſchen Blättern des wackeren Leipziger Buch - händlers F. A. Brockhaus ward einmal eine Stimme laut, die den An - ſprüchen Preußens einigermaßen gerecht wurde. Ein Artikel Tantae molis erit Germanam condere gentem zeigte mit einer damals uner - hörten Nüchternheit: für den Einheitsſtaat, der unſer Ziel bleiben müſſe, ſei der rechte Augenblick noch nicht gekommen; von der Erneuerung der alten ſogenannten freien Foederativverfaſſung könne man aber nichts An - deres erwarten als die Wiederkehr jener elenden Zeiten, da Deutſchland das allgemeine Wirths -, Werb - und Hurenhaus von ganz Europa war . Vorderhand bleibe den Deutſchen lediglich die Aufgabe, den Ausbau der Freiheit im Innern zu ſichern, und in dieſer Hinſicht biete nur ein Staat Grund zur Hoffnung: Preußen. Der alſo ſchrieb wagte noch kaum zwiſchen den Zeilen anzudeuten, daß er von Preußen dereinſt auch die Vollendung der nationalen Einheit erwartete.

Wie viel tapferer ging der Adjutant Karl Auguſts, der junge Thon auf die Frage der deutſchen Zukunft los derſelbe, der ſpäterhin als Leiter des Weimariſchen Finanzweſens in der Geſchichte des Zollvereins eine Rolle ſpielen ſollte. Er hatte unter den Lützow’ſchen Jägern mitge - fochten und ſich die ſtolzen patriotiſchen Stimmungen der Kriegszeit auch während des Congreſſes treu bewahrt. Als er nun das unvermeidliche Mißlingen der Wiener Verhandlungen vor Augen ſah, ſchrieb er kurz,678II. 1. Der Wiener Congreß.ſcharf und ſicher einen Aufſatz: Was wird uns die Zukunft bringen?*)Als Manuſcript gedruckt Weimar 1867 u. d. T.: Aus den Papieren eines Verſtorbenen. und erwies, wie für jetzt doch nur ein ganz loſer Bund ohne Haupt zu Stande komme; das alte Reich ſei todt für immer, alle Hoffnungen der Nation beruhten fortan auf Preußens innerer Entwicklung. Möge dieſer Staat ſich innerlich kräftigen, dann werde er ſtark genug ſein um der - einſt die undeutſchen Mächte Oeſterreich und England aus unſerem Lande hinauszuſchlagen, die Mittelſtaaten, Napoleons Gebilde, zu zertrümmern und die geſammte Nation unter ſeiner Krone zu vereinigen. So die Ge - danken eines deutſchen Soldaten im Mai 1815. Sie blieben den Zeitge - noſſen verborgen wie jene Schrift Fichtes aus dem Sommer 1813; viel - leicht daß einmal Karl Auguſt auf die Abhandlung ſeines jungen Adjutanten einen Blick geworfen und darin einen Anklang an die Fürſtenbunds - träume ſeiner eigenen Jugend erkannt hat. Wie unheimlich erſcheint doch die ſchwerflüſſige Langſamkeit der nationalen Entwicklung neben den raſchen Gedanken der kurzlebigen Einzelmenſchen! Vor hundertundfünfzig Jahren gerade hatte Pufendorf die Bildung des Deutſchen Bundes vor - ausgeſagt; jetzt endlich ward das Seherwort zur Wahrheit. Und wie viele Jahrzehnte voll Sorge, Schmach und Arbeit ſollten abermals vergehen, bis ſich erfüllte was dieſer neue namenloſe Prophet, allein unter allen Zeitgenoſſen, vorher ſah: die Losreißung von Oeſterreich und die Einheit Deutſchlands unter Preußens Krone!

Eine ſo verworrene öffentliche Meinung konnte den Cabinetten nicht die Richtung auf beſtimmte Ziele geben; ſie bewirkte nur das Eine, daß eine deutſche Bundesverfaſſung überhaupt zu Stande kam. Die öſter - reichiſchen Staatsmänner hatten noch in Teplitz beabſichtigt, die deutſchen Souveräne wie die italieniſchen lediglich durch eine Defenſiv-Allianz mit der Hofburg zu verbinden. Aber ſchon während des Krieges war Metter - nich zu der Einſicht gelangt, daß Angeſichts der hochgeſpannten Erwar - tungen der deutſchen Nation irgend eine feſtere Form bündiſcher Verfaſ - ſung gewährt werden müſſe. Deshalb, aus Furcht vor der Revolution, gab er in Chaumont dem Drängen Hardenbergs nach und bewilligte die Zuſage eines foederativen Bandes für die deutſchen Staaten. Auch darin zeigte ſich die Erſtarkung des neuen Deutſchlands, daß keine der fremden Mächte in Wien den Anſpruch erhob unmittelbar in die deutſchen Verfaſſungshändel einzugreifen. Für dieſe Arbeit, die ihm die heiligſte aller irdiſchen Angelegenheiten blieb, ſetzte Stein die ganze Wucht ſeines heroiſchen Willens ein. Mit heiligem Entſetzen ſahen die kleinen Fürſten und Miniſter auf den unzähmbaren Mann, wie er einmal, die mächtigen Augen funkelnd, die Naſe kreideweiß vor Zorn, dem bairiſchen Kronprinzen die geballte Fauſt vor das Geſicht hielt. Doch was vermochte alle Leiden -679Steins erſte Bundespläne.ſchaft, alle Ausdauer gegenüber einer Aufgabe, die ſchon völlig unlösbar geworden war durch den Dualismus der Großmächte, durch den böſen Willen der Rheinbundshöfe und nicht am Wenigſten durch die allgemeine, auch von Stein ſelber getheilte politiſche Unklarheit der Zeit?

Sobald der Reichsritter ſich überzeugte, daß Oeſterreich die Wieder - annahme der Kaiſerwürde hartnäckig abwies, ließ er ſeine Teplitzer Pläne fallen und arbeitete, noch in Chaumont am 10. März 1814, einen neuen Bundesentwurf aus, welcher die executive Gewalt den vier größten deut - ſchen Staaten zuwies. Sein Augenmerk war jetzt vornehmlich auf die Beſchränkung des Sultanismus der kleinen Despoten gerichtet; darum Grundrechte, Rechte der Deutſchheit, von Bundeswegen jedem Deutſchen gewährleiſtet, und ein aus Abgeordneten der Fürſten und der Landtage gemiſchter Bundestag. Im nächſten Sommer ward dieſer Entwurf von Neuem umgeſtaltet und im Juli, bei einer Zuſammenkunft in Frankfurt, mit dem Staatskanzler und dem Grafen Solms-Laubach eingehend be - rathen. Widerſtrebend ergab ſich der Freiherr jetzt darein, die Abgeord - neten der Landtage aus dem Bundestage auszuſchließen; bildet man den Bundestag allein aus Fürſten, meinte er bitter, ſo vertraut man den Schutz der landſtändiſchen Rechte gerade denen an, welche ein Intereſſe haben ſie zu untergraben! Aber die Unmöglichkeit, bei Oeſterreich und den Rheinbundshöfen ein deutſches Parlament durchzuſetzen ſprang in die Augen, desgleichen die unbehilfliche Schwerfälligkeit einer allzu zahl - reichen Bundesverſammlung ohne Haupt; auch ſchien es bei der Macht, welche die Landesherren beſaßen, in der That unziemlich, ihre Vertreter unter der Ueberzahl der Volksabgeordneten verſchwinden zu laſſen. Der ſo naheliegende Gedanke, ein Staatenhaus für die Fürſten, ein Volkshaus für die Vertreter der Nation zu bilden, tauchte noch nirgends auf; um die Verfaſſung der nordamerikaniſchen Union hatte ſich noch Niemand in Deutſchland ernſtlich bekümmert.

Den alſo umgebildeten Entwurf legte Hardenberg im September, gleich nach ſeiner Ankunft in Wien, dem öſterreichiſchen Miniſter vor, und ſeltſam genug war das Werk gerathen. Wie wunderlich hatten ſich doch dieſe wohlmeinenden norddeutſchen Patrioten gedreht und gewendet um die Quadratur des Cirkels zu finden und das kaum halbdeutſche Oeſter - reich mit dem eigentlichen Deutſchland unter einen Hut zu bringen. Sie erkannten richtig, daß Oeſterreich ſich einer irgend kraftvollen Bundesge - walt nicht fügen konnte; jedoch da ſie von der völligen Gleichheit Oeſter - reichs und Preußens wie von einem unantaſtbaren Glaubensſatze aus - gingen, ſo verlangten ſie für das Haus Lothringen nicht jene privilegirte Sonderſtellung zurück, welche die kaiſerlichen Erblande im alten Reiche ſeit Jahrhunderten eingenommen hatten, ſondern ſchlugen vor: Oeſterreich ſolle nur mit den Ländern weſtlich des Inns, Preußen nur mit den Pro - vinzen links der Elbe in den engeren Bund eintreten, beide Mächte aber680II. 1. Der Wiener Congreß.für ihr geſammtes Gebiet eine ewige Allianz mit Deutſchland ſchließen. Dabei war als ſelbſtverſtändlich vorausgeſetzt, daß Oeſterreich ſeine ober - rheiniſchen Provinzen doch noch wieder übernehmen würde. Auch die Schweiz und die Niederlande beabſichtigte man zu einem ewigen Bündniß einzuladen. Tragiſche Ironie des Schickſals! Unmittelbar nachdem die Märker, Pommern, Preußen und Schleſier den anderen Deutſchen das Signal gegeben hatten für den Kampf der Befreiung, dachte unſer erſter Staatsmann alles Ernſtes dieſe Kernlande des neuen Deutſchlands vom Deutſchen Bunde auszuſchließen.

In dies Deutſchland links der Elbe und des Böhmerwaldes wollte Stein die Kreisverfaſſung des alten Reichs wieder einführen, damit die unbrauchbaren Contingente der kleinſten Staaten zu leiſtungsfähigen Maſſen zuſammengeballt würden. Daher ſieben Kreiſe, und wo möglich noch die Niederlande als achter burgundiſcher Kreis. Oeſterreich und Preußen übernehmen in je zwei Kreiſen, Baiern, Hannover, Württem - berg in je einem das Amt des Kreisoberſten, die militäriſche Führung und die Aufſicht über die Ausführung der Bundesgeſetze; die vormaligen Kurfürſten von Baden und Heſſen erhalten in je einem Kreiſe die Stelle des zweiten Kreisoberſten. Hier aber erhob ſich die peinliche Frage, ob man dem unſteten Ehrgeiz des Münchener und Stuttgarter Hofes eine verſtärkte Macht gewähren dürfe. Alle kleinen Nachbarn zitterten vor der gewaltthätigen Ländergier des Königs Friedrich; die Hechinger Regie - rung beſchwor die preußiſchen Staatsmänner beweglich*)In wiederholten Eingaben des Fürſten von Hohenzollern-Hechingen an den Staatskanzler., doch ja dafür zu ſorgen, daß ihr Ländchen nicht gänzlich von württembergiſchem Gebiete umſchloſſen würde, ſondern durch badiſches Land hindurch einen freien Zugang zum Bodenſee erhielte. Deshalb ſchlug Stein vor, dem bairiſchen und ſchwäbiſchen Kreiſe ausſchließlich die Gebiete von Baiern und Würt - temberg zuzuweiſen; die ſämmtlichen Kleinſtaaten wurden der Führung der drei ſogenannten deutſchen Großmächte, Oeſterreich, Preußen, Eng - land-Hannover untergeben. Dieſe ſieben vormaligen Kurfürſten bilden zuſammen den Rath der Kreisoberſten, der die executive Gewalt, die aus - wärtige Politik und das Kriegsweſen in ſeine Hand nimmt; kein Bundes - ſtaat darf ſelbſtändig mit dem Auslande unterhandeln. Der Kurfürſten - rath des alten Reichs, der ſelbſt in der Rheinbundsverfaſſung als Rath der Könige fortbeſtanden hatte, ſollte alſo mit erhöhter Macht wieder auf - leben. Stein wollte, wie alle preußiſchen Staatsmänner, ſo weit noch möglich zurückkehren auf den Rechtsboden, welchen die Fürſtenrevolution von 1803 geſchaffen hatte. Das Directorium im Rathe der Kreisoberſten erhalten Oeſterreich und Preußen gemeinſchaftlich, dergeſtalt daß Oeſter - reich wie vor Alters den Vorſitz führt, Preußen aber das eigentliche Direc -681Vorverhandlungen zwiſchen Oeſterreich und Preußen.torium, die Geſchäftsleitung übernimmt, wie einſt Kurmainz Mund und Feder des Regensburger Reichstags war. Die geſetzgebende Gewalt ſteht, gemeinſam mit den Kreisoberſten, dem Rathe der Fürſten und Stände zu, der alle mindermächtigen Fürſten, die freien Städte und die Media - tiſirten umfaßt: jeder Stand, der ein Gebiet von mehr als 50,000 Köpfen beſitzt, erhält eine Stimme, gleichviel ob er noch Souverän heißt oder nicht, die übrigen zuſammen haben ſechs Curiatſtimmen.

Auf ſolche Weiſe wollte der Reichsritter den unglücklichen Opfern des Staatsſtreichs von 1806 gerecht werden ohne ihnen doch die Landes - hoheit zurückzugeben. Er machte ſeine preußiſchen Freunde wiederholt darauf aufmerkſam, daß man die in ihrer Macht ſo ungleichen Mediatiſirten nicht alle auf gleichen Fuß behandeln dürfe*)Stein an Humboldt, 29. December 1814.; da ſei das Geſammthaus Hohenlohe mit 106,000 Seelen, Fürſtenberg mit 83,000 und ſo abwärts bis zu den Aspremonts, die ein Völkergewimmel von 195 Köpfen be - herrſchten. Den beſten Theil des Entwurfs bildeten die Abſchnitte über die Rechte der Nation: in jedem Bundesſtaate ſollen Landſtände beſtehen mit dem Rechte der Steuerbewilligung, der Vertretung der Landesrechte, der Mitwirkung bei der Geſetzgebung; jedem Deutſchen wird die Sicher - heit des Eigenthums gewährleiſtet, desgleichen Preßfreiheit, das Recht der Beſchwerde, das Recht in andere deutſche Staaten auszuwandern und ſich auf jeder deutſchen Lehranſtalt zu bilden.

Als Hardenberg am 13. September in Baden bei Wien dieſen Plan mit Metternich beſprach, zeigte ſich ſogleich, daß Oeſterreich einen ſo aus - führlichen Entwurf nicht wünſchte. Die Hofburg war, wie Gentz ſeinem Karadja geſtand, von vornherein geſonnen in Wien nur die allgemeinen Grundzüge der Bundesverfaſſung feſtzuſtellen, alles Weitere dem Frank - furter Bundestage zu überlaſſen; mehr als das ſchlechthin Unerläßliche wollte ſie den Souveränen nicht zumuthen. Sodann verlangte Metter - nich, daß Oeſterreich und Preußen mit allen ihren vormals teutſchen Ländern dem Bunde beiträten; nur die Wacht am Oberrhein wollte Oeſterreich durchaus nicht wieder übernehmen Hardenberg gab um ſo leichter nach, da durch Oeſterreichs Vorſchlag der Rechtsboden von 1803 wiederhergeſtellt wurde. Mit Behagen erzählten die k. k. Diplomaten ihren Vertrauten, daß nunmehr der Kaiſerſtaat in allen Kriegsfällen, etwa die italieniſchen Händel ausgenommen, auf die Heeresfolge Deutſch - lands rechnen könne; lägen doch irgendwo in Galizien zwei alte ſchleſiſche Lehen, die ſogenannten Herzogthümer Zator und Auſchwitz, folglich ſei der Deutſche Bund auch zur Vertheidigung des öſterreichiſchen Polens verpflichtet! Welche Provinzen der beiden Großmächte als teutſche Länder zu betrachten ſeien, das hatte freilich in jener confusio divinitus ordi - nata, die ſich römiſches Reich nannte, Niemand zu ſagen gewußt, und682II. 1. Der Wiener Congreß.auch jetzt kam man darüber nicht ins Klare; die Frage ward erſt vier Jahre ſpäter, auf dem Papiere mindeſtens, entſchieden. Sicher war nur, daß mit dem Eintritt der Hauptmaſſe Cisleithaniens jede ernſthafte Bundesverfaſſung unmöglich wurde, und eben dahin ging Metternichs Abſicht.

Endlich ſtellte der öſterreichiſche Miniſter ſeinem preußiſchen Freunde eindringlich vor, wie ſchwerfällig das zweiköpfige Directorium ſei; wie viel einfacher, wenn Oeſterreich, das doch nicht auf alle ſeine alten Kaiſerrechte verzichten könne, allein den Vorſitz übernähme; alle deutſchen Geſchäfte würden ja doch im Voraus vertraulich zwiſchen den beiden führenden Großmächten vereinbart werden; auch ſei unter dem Präſidium blos eine formelle Leitung der Geſchäfte zu verſtehen . Hardenberg gab nach. Ebenſo blind wie er einſt in den Anfängen ſeiner diplomatiſchen Lauf - bahn an Frankreichs Freundſchaft geglaubt hatte vertraute er jetzt auf Oeſterreich; er wollte die Möglichkeit eines Streites zwiſchen den beiden Mächten nicht mehr zugeben und bemerkte nicht, welchen Vortheil in ſolchem Falle das Recht des Vorſitzes bot. *)Man hat oft behauptet, Metternich habe dem Staatskanzler mündlich die Thei - lung des Präſidiums für die Zukunft verſprochen. Aber nicht nur iſt für dieſe ſonder - bare Vermuthung niemals irgend ein Beweis erbracht worden, ſondern es liegen auch Actenſtücke vor, welche zu dem entgegengeſetzten Schluſſe zwingen. Im Jahre 1816 nämlich, unmittelbar vor Eröffnung des Bundestages, machte der Bundesgeſandte von Hänlein auf eigene Hand den vergeblichen Verſuch, nachträglich noch für Preußen einen Antheil am Präſidium zu erlangen. Es entſpann ſich darüber zwiſchen ihm und Har - denberg ein langer Briefwechſel, und in dieſen ſämmtlichen vertrauten Briefen, worin alle die Forderung Hänleins unterſtützenden Gründe ausführlich erörtert werden, ge - ſchieht einer öſterreichiſchen Zuſage nirgends Erwähnung.Nunmehr wurde der Ent - wurf nach Oeſterreichs Wünſchen abgeſchwächt und verkürzt, bis ſeine 41 Artikel zu zwölf zuſammengeſchrumpft waren. Dieſe zwölf Artikel legten die beiden führenden Staaten am 14. October dem Fünfer-Aus - ſchuſſe vor, der nach dem Beſchluſſe der europäiſchen Mächte über die deutſche Verfaſſung berathen ſollte. Das Schickſal des Deutſchen Bundes ward alſo allein in die Hände von Oeſterreich, Preußen, England-Hanno - ver, Baiern und Württemberg gegeben; den übrigen Staaten blieb nur die nachträgliche Zuſtimmung vorbehalten.

Offenbar war dieſer Verſuch der Bildung einer deutſchen Pentarchie nur ein willkürlicher Nothbehelf der Verlegenheit; denn wollte man ſich an das hiſtoriſche Recht, an die alten Prärogativen des Kurfürſtenrathes halten, ſo durfte man die Kurhäuſer Baden und Heſſen nicht ausſchließen. Um die Willkür zu beſchönigen berief ſich Metternich auf jene Clauſel der Acceſſionsverträge, welche die Kleinſtaaten von Baden abwärts verpflichtete ſich den Anforderungen der künftigen Bundesverfaſſung zu fügen; aber durch dieſe Zuſage war das Recht der Mitberathung keineswegs aus - geſchloſſen. Der wirkliche Beweggrund für das eigenmächtige Vorgehen683Der deutſche Fünfer-Ausſchuß.der beiden Großmächte war lediglich die diplomatiſche Convenienz; ſie hielten für unmöglich durch eine Verhandlung mit allen deutſchen Staaten irgend ein Ergebniß zu erzielen. Der Erfolg lehrte jedoch, daß in dem wunderbaren Wirrſal der deutſchen Politik das Leichte oft ſchwer und das Unwahrſcheinliche möglich iſt. Die Bundesverfaſſung kam erſt zu Stande als man den bunten Haufen der geſammten Kleinſtaaten zur Berathung heranrief. Die Verhandlungen des Fünfer-Ausſchuſſes dagegen, die ſich in dreizehn ſtürmiſchen Sitzungen bis zum 16. November hinzogen, ver - liefen ohne jedes Ergebniß; denn unter den auserwählten fünf Staaten tagten die beiden boshafteſten Feinde der deutſchen Einheit, Baiern und Württemberg.

Sie hatten beide, Baiern ohne jede Bedingung, Württemberg unter einem nichtsſagenden Vorbehalt, die volle Souveränität zugeſichert erhal - ten; ermuthigt durch die unbillige Gunſt, welche ihnen die Großmächte gewährten, entfalteten ſie ſofort, wie Stein entrüſtet ſagte, ihr Syſtem der Vereinzelung gegen den Bund, des Ehrgeizes gegen die Kleinſtaa - ten, des Despotismus gegen das eigene Land. Ihre Abſicht war, wie die preußiſchen Staatsmänner ſogleich erriethen, die Entſcheidung der deutſchen Verfaſſungsfrage ſo lange hinauszuſchieben, bis ihre eigenen Gebietsanſprüche nach Wunſch erledigt ſeien. *)So Humboldt in dem oben erwähnten Syſtematiſchen Verzeichniß.Mit ſeiner gewohnten brutalen Grobheit verſicherte Wrede ſofort, die europäiſche Macht Baiern habe gar kein perſönliches Intereſſe an dem Deutſchen Bunde, ſie könne durch Anſchluß an Frankreich weit größere Vortheile erlangen und wolle nur aus freundlicher Nachgiebigkeit gegen den allgemeinen Wunſch dem Vereine der deutſchen Souveräne beitreten. Noch nach dem Congreſſe geſtand Montgelas dem preußiſchen Geſandten von Küſter ſeine äußerſte Gleichgiltigkeit gegen den Deutſchen Bund: warum ſollten denn die deutſchen Staaten nicht wie die italieniſchen ganz ſelbſtändig neben ein - ander leben, verbunden nur durch gute Nachbarſchaft und gegenſeitige freie Convenienz? **)Küſters Bericht, München 28. Auguſt 1815.

Nichts lag den preußiſchen Staatsmännern ferner als eine radicale unitariſche Politik. Während in Steins Augen der Einheitsſtaat immer das Ideal blieb, theilten Hardenberg und Humboldt aus voller Ueber - zeugung den allgemeinen Glauben an die culturfördernde Macht der Kleinſtaaterei. Kneſebeck führte in ſeiner doctrinären Weiſe wiederholt den Gedanken aus, Deutſchland werde nur durch die Buntheit ſeiner politiſchen Zuſtände fähig den Mittelpunkt Europas zu bilden; er wollte dies Centrum als Palladium für die freie Aſſociation und Erhal - tung des Gleichgewichts auch dadurch ſtempeln, daß es Beides auch in ſich darſtellen ſoll. ***)Kneſebecks Denkſchrift vom 7. Januar 1814.Aber wie beſcheiden auch die Wünſche der684II. 1. Der Wiener Congreß.Preußen waren, der frivole Hohn gegen Deutſchland, welchen Wrede zur Schau trug, erregte doch ihren Zorn. Der Baier erklärte kurzab, ſein König ſei nicht gewillt, ſich der Ausübung irgend eines Regierungsrechtes, das der Souveränität anhängt, zu begeben, am Allerwenigſten der Be - fugniß, nach Belieben mit dem Auslande Bündniſſe abzuſchließen; denn an dieſem Rechte finde der bairiſche Nationalſtolz Gefallen; verzichte man darauf, ſo verliere Baiern an Achtung und Würdigkeit bei den Aus - wärtigen . Für die fünf Kreisoberſten verlangte er vollſtändige Parität, alſo ein jährlich wechſelndes Directorium. Darum wünſchte er auch mög - lichſt wenige Provinzen Oeſterreichs und Preußens in den Bund aufzu - nehmen; jedenfalls dürften die beiden Großmächte nur ebenſo viel Truppen zum Bundesheere ſtellen wie Baiern.

So enthüllte ſich zum erſten male die Abſicht der Mittelſtaaten das deutſche Heer, aus Eiferſucht gegen die Großmächte, zu ſchwächen eine Politik des Neides, die ſelbſt in der polniſchen Geſchichte kein Seitenſtück fand und nach Jahren in der lächerlichen Kriegsverfaſſung des Deutſchen Bundes ihre Abſichten durchſetzen ſollte. Noch frecher als die Baiern ſprachen die württembergiſchen Bevollmächtigten; ſie rührten durch ihre herausfor - dernden Reden den ganzen eklen Bodenſatz der alten Rheinbundsgeſinnung wieder auf. Von Grundrechten der Nation wollten ſie ſchon darum nichts hören, weil der Stuttgarter Hof das Daſein einer deutſchen Nation nicht an - erkannte. Eine ſchamloſe Geſchichtsverfälſchung, die bereits in den Schulen der Rheinbundsſtaaten ihr Gift zu ſäen begann, leugnete kurzerhand Alles ab was den Deutſchen durch Jahrhunderte gemeinſam geweſen, ließ aus der geſammten Vorzeit unſeres Volkes nichts gelten als die acht Jahre der napoleoniſchen Anarchie. Der Zweck des Bundes, erklärte Miniſter von Linden trocken, widerſpricht der Abſicht, aus verſchiedenen Völker - ſchaften, z. B. Preußen und Württembergern, ſo zu ſagen eine Nation zu bilden! Dagegen zeigte der Stuttgarter Hof einen ſehr verdächtigen Eifer für die Kreisverfaſſung. Er wünſchte, daß allein die Kreisoberſten Mitglieder des Bundes werden, alle anderen Fürſten ſich nur als unter - gebene Kreisſtände den fünf Mächten anſchließen ſollten, und verlangte vornehmlich Vergrößerung der ſüdweſtdeutſchen Kreiſe, damit König Fried - rich den erſehnten neuen Landgewinn auf einem Umwege erlangen und über vier Millionen mittelbarer oder unmittelbarer Unterthanen das Schwert des Kreisoberſten ſchwingen konnte.

Die preußiſchen Bevollmächtigten führten den Kampf gegen dies un - würdige Treiben in erſter Reihe; ſelbſt Metternich ſah nicht ohne Sorge, daß die zu Ried und Fulda geſtreute Saat doch gar zu üppig auf - ging, und konnte nicht umhin ſeinen ſüddeutſchen Schützlingen zuweilen zu widerſprechen, namentlich wenn ſie den Rechten ſeiner Standesge - noſſen, der Mediatiſirten zu nahe traten. Münſter endlich ergriff begierig die Gelegenheit um das Licht der gerühmten welfiſchen Freiheit vor aller685Auflöſung des Fünfer-Ausſchuſſes.Welt leuchten zu laſſen. Sein Prinzregent theilte ſoeben in einem hoch - müthigen Rundſchreiben den europäiſchen Höfen die Gründung des König - reichs Hannover mit und ſtellte die fragwürdige Behauptung auf, durch ſeine Verbindung mit Großbritannien habe das welfiſche Haus dem deutſchen Vaterlande vielfältig Schutz und Unterſtützung angedeihen laſſen. In dem gleichen prahleriſchen Tone ſchrieb Münſter eine Note zur Be - kämpfung der Doctrinen des württembergiſchen Sultanismus; er wies nach, daß die Rechte der Landſtände durch die Souveränität der kleinen Kronen keineswegs hinfällig geworden ſeien, und ward von der urtheils - loſen öffentlichen Meinung wegen ſeiner edlen liberalen Geſinnung hoch geprieſen, während er doch in Wahrheit nur für das Ständeweſen des hannoverſchen Adelsregiments eine Lanze gebrochen hatte. Die Lage der Dinge im Fünfer-Ausſchuß geſtaltete ſich bald ſo hoffnungslos, daß Stein im äußerſten Unmuth den Czaren zu Hilfe rief. Alexander ließ mit warmen Worten ſeine Zuſtimmung zu den Vorſchlägen der deutſchen Großmächte ausſprechen und mahnte die deutſchen Staaten an die Ver - heißungen der Kaliſcher Proclamation. Der Stuttgarter Despot aber konnte die frevelhaften Angriffe auf die Vollgewalt ſeiner Rheinbunds - krone nicht länger mehr mit anſehen; man wird ſich bald ſchämen müſſen ein Württemberger zu ſein hörte man ihn ſchelten. Am 16. November erklärte Württemberg ſeinen Austritt aus dem Rathe der Fünf, und vor den Augen des ſpottenden Europas ging die deutſche Pentarchie an ihrer Uneinigkeit zu Grunde.

Unterdeſſen hatten ſich auch die kleinen Staaten geregt, mit Recht erbittert über die angemaßte Fünfherrſchaft. Baden, das vergeblich Ein - laß in den Rath der Fünf verlangt hatte, überreichte an demſelben Tage, da Württemberg ausſchied, eine förmliche Verwahrung, welche dem Großherzog alle Rechte der unbeſchränkten Souveränität vorbehielt. Die bonapartiſtiſche Geſinnung des Miniſters von Hacke verſchmähte die ge - häſſigſten Worte nicht: nicht darum habe ſein Großherzog fremde Ketten abgeſtreift um vielleicht eigene zu tragen. Gagern aber verſammelte die Vertreter der meiſten Kleinſtaaten, von Kurheſſen abwärts, um ſich und ſtellte ihnen die Nothwendigkeit vor, den Großen fühlbar zu machen, daß wir da ſind und unſer Handwerk wohl verſtehen. Eine überaus gemiſchte Geſellſchaft fand ſich hier zuſammen: ehrliche, einſichtige Patrioten wie Smidt und der Mecklenburger Pleſſen, verſtockte Particulariſten wie der Naſſauer Marſchall, endlich Phantaſten wie Gagern ſelber, der nicht die rheinbündiſche Geſinnung Baierns und Württembergs fürchtete, ſondern die verhüllte Zweiherrſchaft Oeſterreichs und Preußens. Manche der Theilnehmer beſtimmte lediglich die Eiferſucht gegen die Mediatiſirten; ſie wollten ſich nicht überbieten laſſen von dieſen Entthronten, die als conſe - quente Legitimiſten für alle Kleinodien aus des heiligen Reiches Rumpel - kammer ſich begeiſterten und den Kaiſer Franz mit Bitten um die Wie -686II. 1. Der Wiener Congreß.derannahme der Karolingerkrone beſtürmten. Einig waren die Kleinſtaaten vorderhand nur in dem Wunſche die Fünfherrſchaft zu brechen.

Immerhin zeigten die kleinen Höfe auch diesmal, wie ſo oft in der älteren Reichsgeſchichte, doch etwas mehr vaterländiſchen Sinn als die Mittelſtaaten; mehrere unter ihnen wünſchten, im Bewußtſein der eigenen Ohnmacht, ernſtlich eine ſtarke Reichsgewalt, die ſie gegen den Ehrgeiz der größeren Nachbarn beſchützen ſollte. Daher entſchloß ſich Stein dieſe klein - fürſtliche Oppoſition für ſeine patriotiſchen Zwecke zu benutzen; er ſchob den vielgeſchäftigen Gagern geſchickt zur Seite und bewog den Verein der neunundzwanzig kleinen Fürſten und Städte am 16. November, an dem - ſelben Tage, da Württemberg ausſchied, den beiden führenden Mächten eine Collectivnote zu überreichen. Darin wurden Oeſterreich und Preußen gebeten, ſämmtlichen deutſchen Staaten einen neuen Verfaſſungsplan auf der Baſis gleicher Rechte und einer vollſtändigen Repräſentation aller Bundesglieder vorzulegen; an die Spitze des Bundes aber müſſe ein Kaiſer als teutſcher Freiheit Aegide treten. So luftig und unklar dieſer Kaiſerplan erſchien und ſo gewiß mehrere der Unterzeichner den Kaiſer - gedanken lediglich als einen frivolen Vorwand gebrauchten um nur der Fünfherrſchaft ledig zu werden, ebenſo gewiß enthielt die Erklärung der Kleinſtaaten einige ehrenwerthe beſtimmte Zugeſtändniſſe: ſie erboten ſich namentlich, den Landtagen ein von Bundeswegen feſtzuſtellendes Minimum landſtändiſcher Rechte zu gewähren.

Alſo zugleich von Innen und Außen angegriffen brach die deutſche Pentarchie zuſammen. Einige Monate lang beſtand gar kein deutſcher Ver - faſſungsausſchuß mehr. Der Boden war frei für willkürliche Pläne jeder Art; Gagern und Pleſſen ſprachen bereits von einem Bunde der Mittel - und Kleinſtaaten ohne Oeſterreich und Preußen, aber mit Dänemark und den unvermeidlichen Niederlanden. Münſter erwiderte den Kleinſtaaten im Namen der Großmächte, erkannte ihre patriotiſchen Abſichten wohl - wollend an und erklärte beſtimmt, die Wiederaufrichtung des Kaiſerthums ſei, Angeſichts der Weigerung Oeſterreichs, ganz unmöglich. Die Rhein - bundsgeſinnung dagegen, welche ſich in den Noten Württembergs und Ba - dens ſo ſchamlos ausgeſprochen hatte, wollten die Großmächte nicht unge - rügt hingehen laſſen. Oeſterreich und England-Hannover hofften in jenem Augenblicke noch, den preußiſchen Hof von Rußland abzuziehen und kamen darum in den deutſchen Händeln den Anſichten Preußens mit einer Be - fliſſenheit, die ſie freilich zu nichts Ernſtlichem verpflichtete, entgegen. Münſter entwarf für Preußen und Oeſterreich eine identiſche Note, welche dem badiſchen Hofe übergeben werden ſollte. In einer unerhört ſcharfen Sprache hielt er der Carlsruher Regierung ihr Sündenregiſter vor, alle ihre Bedrückungen gegen das eigene Volk, Maßregeln, die unter die will - kürlichſten des franzöſiſchen Revolutionsſyſtems gerechnet werden müſſen. Dann wird der wichtige Grundſatz aufgeſtellt, daß es den deutſchen687Urſprung der ſüddeutſchen Verfaſſungen.Staaten keineswegs frei ſtehe, ob ſie dem Bunde beitreten wollten oder nicht. Die Großmächte berufen ſich nicht auf den tauſendjährigen, niemals rechtsgiltig aufgehobenen Beſtand des Deutſchen Reichs; ſie halten ſich an das Nächſtliegende, an die Acceſſionsverträge des vergangenen Jahres: alle der großen Allianz Beigetretenen ſeien gebunden an die Kaliſcher Proclamation, die dem deutſchen Volke die Wiederaufrichtung ſeiner Ver - faſſung unter nöthigen Modificationen zuſage. Die Garantie, welche die alliirten Mächte über die Souveränität Badens ertheilt haben, kann nicht auf unbedingte Befugniſſe gedeutet werden, welche Seiner K. Hoheit niemals zugeſtanden haben und welche mit den Abſichten geradezu ſtreiten würden, welche der deutſchen Nation von Seiten der alliirten Mächte als Zwecke des Kriegs, zu deſſen glücklicher Beendigung ihre Vaterlands - liebe und ihr auf dieſe Zuſicherung geſtützter Muth ſo Vieles beige - tragen hat, bekannt gemacht worden ſind. *)Münſters Entwurf zur Beantwortung der badiſchen Note vom 16. Nov. 1814.Im letzten Augenblicke wurde Metternich bedenklich; ein ſolcher Ton erſchien ihm zu ſchroff. Man begnügte ſich dem badiſchen Miniſter mündlich die Meinung der Großmächte mitzutheilen. Dagegen wurde dem württembergiſchen Hofe am 24. November eine gemeinſame Antwort übergeben, welche, obſchon in etwas milderer Form, dem Münſter’ſchen Entwurfe entſprach und ſehr nachdrücklich erklärte: alle deutſchen Staaten ſind verpflichtet dem Bunde beizutreten. Es war, als ob Stein ſelber den Großmächten die Feder geführt hätte; ſchade nur, daß weder Metternich noch Münſter ernſtlich gewillt war den ſchönen Reden die That folgen zu laſſen.

Die Auflöſung des Fünfer-Ausſchuſſes wurde folgenreich für viele Jahre, denn ſie gab den Anlaß für die Begründung der conſtitutionellen Staatsformen in Süddeutſchland. Aus den gemeinſten Beweggründen, aus Souveränitätsdünkel und particulariſtiſcher Angſt vor der Einmiſchung der Bundesgewalt entſchloſſen ſich die Cabinette der drei Mittelſtaaten des Südens, auf eigene Fauſt das Nothwendige zu thun und ihren Lan - den das Repräſentativſyſtem zu gewähren. Sie waren dazu auch leichter im Stande als Preußen, da ihre napoleoniſche Präfectenverwaltung bereits zehn Jahre Zeit gehabt hatte um alle Landestheile einer gleichmäßigen Ordnung zu unterwerfen und jede centrifugale Kraft zu bändigen. König Max Joſeph hatte ſchon im September eine Durchſicht der papiernen Ver - faſſung von 1808 angeordnet; ſobald er dann in Wien wahrnahm, daß die Großmächte den Souveränen ein Minimum landſtändiſcher Rechte von Bundeswegen auferlegen wollten, befahl er ſeiner Reviſionscommiſſion im October ihre Arbeiten ſchleunigſt zu beendigen. Friedrich von Württemberg ließ ſeine Miniſter, in einer ungezogenen Replik vom 24. November, die unantaſtbare Allmacht der ſchwäbiſchen Königskrone nochmals vertheidigen, er wetterte und tobte wider die Anmaßung der Großmächte und verließ688II. 1. Der Wiener Congreß.Wien ſchon um Weihnachten hoch entrüſtet. Gleichwohl entging ſeiner Klugheit nicht, daß es zu Ende war mit den guten Tagen der ungeſtörten Selbſtherrlichkeit. Die Schwaben erkannten den brutalen Tyrannen kaum wieder, ſo ſanft und gnädig trat er nach ſeiner Heimkehr plötzlich auf, ſo ſichtlich bemühte er ſich Frieden zu halten mit ſeinem Volke; von Napo - leon wollte er gar nichts mehr hören, doch ebenſo beſtimmt ſprach er aus, daß er niemals irgend einer Weiſung aus Wien gehorchen werde. *)Berichte des Geſchäftsträgers Jouffroy, Stuttgart 12. Jan. 7. März 1815.Am 11. Januar 1815 überraſchte er ſein unglückliches Land durch eine Procla - mation, welche die nahe Einberufung eines Landtags ankündigte: der König gewähre dieſe längſt beabſichtigte Wohlthat ſchon jetzt, um zu be - weiſen, daß nicht eine äußere Nothwendigkeit oder eine gegen Andere eingegangene Verbindlichkeit ihn zwinge. Damit glaubte er dem Deut - ſchen Bunde ein Schnippchen geſchlagen zu haben; er ahnte nicht, wie bald ſein mißhandeltes Volk ſelber ein furchtbares Strafgericht über die Sünden des letzten Jahrzehntes halten würde. Auch dem kranken Groß - herzog Karl von Baden fehlte es nicht an Verſtand. Die herriſchen Mahnungen der Großmächte ſchreckten ihn aus ſeinem dumpfen Brüten auf; ſchon am 1. December ließ er dem preußiſchen Staatskanzler in einer verbindlichen Note anzeigen, er ſei bereit ſeinem Volke alle die in dem preußiſchen Bundesplane geforderten landſtändiſchen Rechte zu gewähren und habe bereits eine Verfaſſungscommiſſion eingeſetzt. Aus ſo trüben Quellen entſprang die conſtitutionelle Bewegung in Süddeutſch - land; doch da ſie der Natur der Dinge entſprach, ſo nahm ſie ihren Fort - gang auch als die kleinen Kronen von dem Deutſchen Bunde nichts mehr zu fürchten hatten.

In jenem Augenblicke war die Beſorgniß der Mittelſtaaten keineswegs grundlos, denn die preußiſchen Staatsmänner betrieben, ungeſchreckt durch den Zerfall des Fünfer-Ausſchuſſes, das deutſche Verfaſſungswerk mit rührigem Eifer. Die nationale Politik war ihnen Herzensſache; wiederholt hatten ſie dem vaterlandsloſen Gerede der Baiern und Württemberger die Erklärung entgegengehalten: ihr König betrachte es als ſeine Regenten - pflicht, ſeine Unterthanen wieder in eine Verbindung zu bringen, wodurch ſie mit Deutſchland eine Nation bilden. Humboldt ſchritt ſofort an die Ausarbeitung eines neuen Entwurfs; da ſtieß er auf eine ganz unerwartete neue Schwierigkeit. Der öſterreichiſche Miniſter nämlich, der bisher für die Kreisverfaſſung geſprochen hatte, ward plötzlich anderen Sinnes. Er errieth, was allerdings ſehr nahe lag, daß die kleinen norddeutſchen Con - tingente, dem preußiſchen Kreisoberſten untergeordnet, unfehlbar in der preußiſchen Armee verſchwinden würden; und da er bei dem deutſchen Verfaſſungswerke, das ihn im Uebrigen völlig kalt ließ, nur den einen Zweck verfolgte die Macht Preußens zu beſchränken, ſo erklärte er ſich689Preußiſche Entwürfe im December.jetzt gegen jede Kreiseintheilung. Auch Münſter ſtimmte dem öſterreichi - ſchen Freunde bei, ſobald dieſer ihm das Schreckgeſpenſt der norddeutſchen Hegemonie vor die Augen hielt.

So geſchah es, daß Humboldt jetzt gleichzeitig zwei Entwürfe für die Bundesacte ausarbeiten mußte, den einen mit, den anderen ohne Kreiſe; in beiden waren die weſentlichen Grundgedanken der Zwölf Ar - tikel beibehalten. Am 9. December erörterte der Raſtloſe in einer Denk - ſchrift die Vorzüge der Kreisverfaſſung: ſie ſei unentbehrlich um den kleinſten Staaten einen geordneten Inſtanzenzug für ihr Gerichtsweſen zu ſichern und die militäriſche Kraftanſpannung ſchon im Frieden vor - zubereiten; das Gegentheil ging nur an unter dem bonapartiſtiſchen Syſteme , das in beſtändigem Kriegszuſtande lebte und vor keinem Mittel zurückſchrak. Zugleich verſucht er den Klagen der Kleinſtaaten über Unterdrückung zu begegnen und ſchlägt vor, außer Baden und Kurheſſen noch drei jährlich wechſelnde Mitglieder des Fürſtenrathes in den Rath der Kreisoberſten aufzunehmen. *)Humboldts Denkſchrift über die beiden neuen Entwürfe zur Bundesacte, 9. De - cember 1814.Zwei Tage ſpäter über - ſandte er die vollendeten Entwürfe dem Staatskanzler, betonte nochmals, wie wichtig die Kreisverfaſſung für Preußens zerſtückelte Lage ſei, rieth aber trotzdem nicht allzu ängſtlich auf dieſer Forderung zu beſtehen, denn unſere Stärke in Deutſchland werde immer zum Theil eine moraliſche ſein, und viel komme darauf an, daß Preußen den kleinen Fürſten nicht als eine Gefahr, ſondern als ein Schutz erſcheine. Jetzt endlich, nach faſt drei Monaten fruchtloſer Verhandlungen, ſtieg dem geiſtvollen Manne eine Ahnung, aber auch nur eine Ahnung auf von Oeſterreichs bundes - freundlichen Abſichten. Man hat uns, ſchrieb er, gern bei der deutſchen Verfaſſungsangelegenheit vorangeſtellt und uns leicht und gern in Allem nachgegeben, weil man es lieber mochte, wenn lieber wir (da man auch von uns wußte, daß wir immer eine feſte und kräftige Verfaſſung wollen würden) den Fürſten, denen allen die Feſſeln einer Conſtitution läſtig ſind, unangenehm würden und gefährlich erſchienen. Daß aber die Hof - burg ſelber eine feſte und kräftige Verfaſſung nicht wollen konnte, war ihm noch immer nicht klar geworden; vielmehr hoffte er ſich raſch mit Oeſterreich und Hannover über einen der beiden Entwürfe zu verſtändigen und etwa in acht Tagen die Verhandlungen mit Baiern und Württem - berg wieder aufzunehmen. **)Humboldt an Hardenberg, 11. Decbr. 1814.Während die preußiſchen Staatsmänner alſo, treufleißig und arglos, Waſſer in das deutſche Danaidenfaß ſchöpften, verhandelte Metternich mit Münſter insgeheim über den Plan eines Deut - ſchen Bundes ohne Preußen!

Stein verſah die Arbeit Humboldts mit ſeinen Bemerkungen, for -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 44690II. 1. Der Wiener Congreß.derte höhere Rechte für die Mediatiſirten und die Reichsritter, aber auch ein reicheres Maß von Volksrechten, namentlich die Aufhebung der Leib - eigenſchaft und des Dienſtzwanges ſowie die Ablöſung der Frohnden in ganz Deutſchland. Ernſtlichen Anſtoß nahm Stein allein daran, daß Hum - boldt, aus Rückſicht auf Oeſterreich, die Beſtimmungen über die Landtage abgeſchwächt und den Landſtänden nur noch eine berathende Stimme ein - geräumt hatte. Das iſt ein Rieſenſchritt rückwärts, erwiderte der Frei - herr. Preußen hat unter allen Ländern am Wenigſten Urſache ihn zu thun und zu veranlaſſen. In dieſem Staate vereinigen ſich alle Elemente, die eine ruhige, verſtändige Bewegung kräftig organiſirter Landſtände ver - bürgen: Nationalität, Gewohnheit und erprobte Bereitwilligkeit Abgaben zu leiſten, Opfer zu bringen, Beſonnenheit und geſunder Menſchenver - ſtand, allgemeine Bildung. Oeſterreich kann aus vielen Gründen nicht gleiche Grundſätze ausſprechen, wegen der Fremdartigkeit ſeiner Beſtand - theile, dem niederen Zuſtande ſeiner allgemeinen Bildung, den Maximen ſeiner Regierung und Regenten, und es mag aus dieſen Gründen eine Ausnahme machen. Man überlaſſe es ihm ſich auszuſprechen. *)Steins Bemerkungen zu dem Entwurfe, ohne Kreiſe 26. u. 29. Decbr. 1814.Alſo ſah ſich ſelbſt dieſer feurige Parteigänger des lothringiſchen Kaiſerthums genöthigt eine Ausnahmeſtellung für Oeſterreich zu fordern ſobald auf die praktiſchen Folgen des bündiſchen Lebens die Rede kam.

Alle die ſaueren Mühen dieſer Decemberwochen blieben für jetzt verlorene Arbeit. Denn mittlerweile verſchärfte ſich der Streit um die ſächſiſch-polniſche Frage, die drohende Kriegsgefahr nahm Aller Gedanken in Anſpruch, und während der erſten Hälfte des Januars rückte das deutſche Verfaſſungswerk keinen Schritt von der Stelle. Sobald die Luft etwas reiner ward, kehrte Humboldt ſofort wieder zu ſeinem Schmerzens - kinde zurück. Er hatte inzwiſchen mit dem wohlmeinenden Weimariſchen Miniſter von Gersdorff viel verkehrt, die Wünſche der Kleinſtaaten näher kennen gelernt und die Ueberzeugung gewonnen, daß ſich ſeit der Auf - löſung des Reichs an den deutſchen Höfen ein ungeheurer Dünkel, mit dem man rechnen mußte, gebildet hatte. Jene Abſtufungen des Ranges und des Rechtes, die in der alten Reichsverfaſſung beſtanden, waren vergeſſen; die neuen Souveräne fühlten ſich einander ſchlechthin gleich. Sollte die Bundesacte überhaupt zu Stande kommen, ſo durfte den Kleinſtaaten keine allzu auffällige formelle Unterordnung unter die grö - ßeren Genoſſen zugemuthet werden; denn, meinte Gersdorff mit jener kindlichen Unſchuld, die von jeher das Vorrecht unſerer kleinſtaatlichen Diplomaten war: man liebt den Schein der Freiheit ſelbſt wenn man ihr Weſen nicht zu beſitzen vermag. **)Gersdorff an Humboldt, 6. December 1814.Zudem fiel jeder Grund für die Bildung eines Kreisoberſtenrathes hinweg, wenn man die Kreiseintheilung691Wiederaufnahme der Verhandlungen.ſelber bei der Hofburg nicht durchſetzen konnte. Nach der Haltung, welche die Mittelſtaaten im Fünfer-Ausſchuß und in den ſächſiſchen Händeln eingenommen hatten, ſchien es auch ſehr zweifelhaft, ob ein Rath von fünf, ſieben oder zehn Staaten die executive Gewalt des Bundes ein - trächtiger, wirkſamer handhaben würde als ein aus allen Staaten gebil - deter Bundestag.

Daher erwog Humboldt mit dem Staatskanzler ſchon im Januar die Frage, ob man nicht, Angeſichts der Verſtimmung der Kleinſtaaten, beſſer thue die zwei Räthe fallen zu laſſen und ſtatt ihrer eine einzige Bundesverſammlung zu bilden, welche die laufenden Geſchäfte in einem engeren Rathe, wichtigere Fragen im Plenum zu erledigen hätte; in dem Plenum ſollten alle Staaten mindeſtens eine Stimme, die Mediatiſirten einige Curiatſtimmen erhalten. Bei der grenzenloſen Eiferſucht Aller gegen Alle erſchien die nahezu vollſtändige Parität als das einzige Mittel um nur irgend eine Form bündiſcher Einheit zu erreichen. Die beiden Staatsmänner entwarfen ſodann eine Note an Metternich, baten um die beſtimmte Erklärung: ob der kaiſerliche Hof die Kreisverfaſſung endgiltig ablehne? und ob er die Bildung eines einfachen Bundestages, ſtatt der zwei Räthe, genehmige? Dann könne ein neuer Entwurf aus - gearbeitet werden. Preußen ſei zu jedem Zugeſtändniß bereit: nur drei Punkte ſind es, von denen man nicht abgehen kann: eine kraftvolle Kriegsgewalt, ein Bundesgericht und landſtändiſche, durch den Bundes - vertrag geſicherte Verfaſſungen. Ohne das Bundesgericht würde es dem Rechtsgebäude in Deutſchland an dem letzten und nothwendigſten Schluß - ſteine mangeln. *)Hardenberg und Humboldt, Entwurf einer Note an Fürſt Metternich, die neue Organiſation des Bundestags betreffend. Das Concept iſt undatirt, muß aber ſchon im Januar geſchrieben ſein, da mehrere der darin enthaltenen Sätze wörtlich in der preußiſchen Note vom 2. / 10. Februar wiederkehren.Es waren dieſelben drei Cardinalpunkte, welche Har - denberg ſchon in Paris als die Hauptaufgaben der Bundesverfaſſung be - zeichnet hatte.

Alſo quälten die treuen Patrioten ſich ab an der hoffnungsloſen Arbeit. Preußen allein unter allen deutſchen Staaten betrieb das deutſche Verfaſſungswerk mit nachhaltigem Eifer; ſeine Staatsmänner wieſen jetzt auch den einzigen Weg, der noch mindeſtens zu einer nothdürftigen Ver - ſtändigung führen konnte. Seine Politik zeigte ſich in Allem rechtſchaffen und ohne Hintergedanken, namentlich auch den Mediatiſirten gegenüber, die es wiederholt dankbar ausſprachen, daß ſie allein an der preußiſchen Krone einen großmüthigen Beſchützer fänden. **)Graf Solms-Laubach an Hardenberg, 4. April 1815, und viele andere ähnliche Eingaben.

Um die Sache nur raſch wieder in Gang zu bringen, beſchloſſen die preußiſchen Staatsmänner am 2. Februar, das Einzige was fertig vor -44*692II. 1. Der Wiener Congreß.lag, jene beiden Humboldt’ſchen Entwürfe vom December, an den öſter - reichiſchen Miniſter zu überſenden. In einer begleitenden Note wieder - holten ſie nochmals alle die in Humboldts vertraulichen Denkſchriften ausgeſprochenen Bedenken für und wider die Kreisverfaſſung und erboten ſich bereitwillig zu jeder Abänderung mit einziger Ausnahme jener drei unantaſtbaren Punkte: Kriegsgewalt, Bundesgericht und landſtändiſche Verfaſſungen. Durch dieſe entgegenkommende Haltung hofften ſie um ſo ſicherer eine raſche Verſtändigung mit der Hofburg zu erreichen, da ja Humboldts beide Entwürfe nichts weiter enthielten als eine gründlichere Ausarbeitung jener Zwölf Artikel, welche Metternich ſelbſt im October dem Fünfer-Ausſchuß mit vorgelegt hatte. Sehr willkommen war es ihnen daher, daß ſich im nämlichen Augenblicke auch der Verein der deutſchen Fürſten und Städte wieder rührte. Durch den Zutritt Badens und einiger Kleinen bis auf zweiunddreißig Mitglieder verſtärkt, bat er am 2. Februar die beiden führenden Mächte um ſchleunige Eröffnung der Berathungen Aller. Hardenberg und Humboldt erklärten ſich ſofort bereit, und da auch Metternich zuſtimmte, ſo ließen ſie nunmehr, am 10. Februar, ihre Note mit den beiden Denkſchriften an das öſterreichiſche Cabinet abgehen.

Aber der öſterreichiſche Staatsmann, der im Herbſt ſo gefällig mit Preußen zuſammengegangen war, fand jetzt der Bedenken kein Ende: er hatte während der ſächſiſchen Händel die Mittelſtaaten als brauchbare Bundesgenoſſen gegen den norddeutſchen Nebenbuhler ſchätzen gelernt und wollte durchaus Alles vermeiden was ihren Souveränitätsdünkel verletzen konnte. Wie man ſich in der Hofburg den Deutſchen Bund vorſtellte, das hatte Freiherr von Weſſenberg ſchon im December in einem neuen Bundesplane verrathen. Es war bereits der fünfte Entwurf, der in dieſer troſtloſen Verhandlung zur Sprache kam. Dies geiſtloſe Machwerk lud die deutſchen Staaten ein, ſich nach Gefallen einem Bunde anzuſchließen, der die gemeinſame äußere und innere Sicherheit erhalten ſollte; wer eintritt, darf ohne Zuſtimmung der Genoſſen nicht wieder ausſcheiden. Alle Bundesſtaaten haben als ſolche gleiche Rechte. Ein permanenter Bundesrath wird aus den Geſandten aller Staaten gebildet, Oeſterreich führt den Vorſitz. Keine Spur von einer wirklichen Bundeskriegsgewalt; der Bundesrath hat lediglich darauf zu ſehen , daß jeder Staat ſein Contingent vollſtändig erhält. Die Ausgaben werden durch Matrikularbei - träge beſtritten. Die auswärtige Politik bleibt den Bundesſtaaten unge - ſchmälert, nur dürfen ihre Verbindungen mit Auswärtigen nicht gegen den Bund ſelber gerichtet ſein. Landſtände ſind binnen Jahr und Tag einzuberufen, doch wird ihre Einrichtung den Landesherren überlaſſen. Dazu noch ein Artikel über die Mediatiſirten und einige, ſehr beſcheidene, Unterthanenrechte, wozu aber die Preßfreiheit nicht gehört; endlich noch die Zuſage, daß der Bund für die Freiheit des Handels und der Schiff -693Weſſenbergs Entwurf.fahrt ſorgen werde. Hier endlich bekannte die Hofburg Farbe; jene Zwölf Artikel hatte ſie im October nur deshalb angenommen, weil ſie da - mals Preußen noch bei guter Stimmung erhalten wollte. Metternichs wirk - liche Meinung ging jetzt, wie ſchon in Teplitz, dahin, daß die Souveränität der deutſchen Staaten nur ſo weit beſchränkt werden dürfe als erforderlich war um die europäiſche Stellung des Hauſes Oeſterreich einigermaßen ſicher zu ſtellen. Von den drei Punkten, welche Preußen als die Funda - mente der Bundesverfaſſung anſah, war der eine, das Bundesgericht, in dem Weſſenbergiſchen Plane gänzlich beſeitigt; über die anderen beiden, Kriegsgewalt und Landſtände, ſchlüpfte der Vertraute Metternichs mit einigen allgemeinen Redensarten hinweg. So weit gingen die Abſichten jener beiden Mächte auseinander, deren Intereſſen Hardenberg für har - moniſch hielt.

Die Weſſenbergiſche Arbeit konnte ruhig ihrer Stunde harren, grade weil ſie der leerſte und farbloſeſte von allen den bisherigen Entwürfen war; ſie wurde die Grundlage der deutſchen Bundesverfaſſung, das Ei, woraus der Kukuk des Frankfurter Bundestages auskroch. Vorderhand hütete ſich Metternich weislich das Werk ſeines Geheimen Raths ſchon jetzt förmlich als k. k. Gegenentwurf vorzulegen, er begnügte ſich die beiden Pläne Humboldts für unausführbar zu erklären. Da die beiden Vormächte ſich über eine Vorlage nicht einigten, ſo konnten auch die ver - heißenen Berathungen Aller nicht beginnen.

Um die Verwirrung zu vollenden warf jetzt Stein noch einen neuen Zankapfel unter die Hadernden. Der Reichsritter konnte ſich von dem ſchönen Kaiſertraume ſo ſchnell nicht trennen, allzu tief waren ihm die grandioſen Bilder der Stauferzeiten ins treue Herz gegraben. Sobald er gewahr wurde, daß auch die Kleinſtaaten, mit den Lippen mindeſtens, die Herſtellung der Kaiſerkrone forderten, nahm er ſeine Teplitzer Pläne wie - der auf, und es gelang ihm diesmal ſogar den Czaren zu überzeugen. Alexander hatte aus den widrigen Erfahrungen der jüngſten Wochen ge - lernt, wie leicht ſich eine öſterreichiſch-franzöſiſche Allianz gegen Rußland und Preußen bilden konnte, und gab ſich der Hoffnung hin, der Beſitz der deutſchen Kaiſerkrone würde, wie vor Alters, der Hofburg die Annähe - rung an die Tuilerien erſchweren. Doch verfuhr er auch jetzt, wie immer während des Wiener Congreſſes, als ein zuverläſſiger Freund König Friedrich Wilhelms und wollte den Kaiſerplan nur dann unterſtützen, wenn Preußen von freien Stücken zuſtimme. So begann denn ſeit dem 9. Februar, zu Hardenbergs bitterem Aerger, ein lebhafter Notenwechſel zwiſchen Stein und Kapodiſtrias einerſeits, Humboldt andererſeits. Aber - mals führte Stein, wie einſt in Teplitz, den verzwickten Gedanken aus: weil Oeſterreich kein rein deutſcher Staat ſei, darum müſſe der Kaiſer - ſtaat durch ein künſtliches verfaſſungsmäßiges Band an Deutſchland ange - ſchloſſen werden. Mit unbeſtreitbaren Gründen zeigten der Reichsritter694II. 1. Der Wiener Congreß.und ſein ruſſiſcher Gehilfe, daß eine monarchiſche Spitze kräftiger ſei als eine collegialiſche. Ebenſo unwiderleglich erwies Humboldt die Unfähigkeit Oeſterreichs dieſe monarchiſche Macht zum Heile der Nation zu gebrauchen: Deutſchland widerſtrebt jener öſterreichiſchen Unbeweglichkeit, für welche die Erfahrung nichts iſt und die Jahrhunderte ſpurlos vorübergehen. Die Nothwendigkeit des preußiſchen Kaiſerthums, die ſich aus dieſem Für und Wider von ſelber zu ergeben ſchien, konnte, wie die Lage war, noch nicht erkannt werden; ſaßen doch die Lothringer wieder ſo feſt im germa - niſchen Sattel, daß ſie zuweilen ſchon daran dachten Preußen ganz vom Rücken des deutſchen Roſſes herunterzuwerfen! Das Ergebniß war, daß die Kaiſerpläne begraben wurden. Humboldt behielt Recht mit ſeiner trocke - nen Erklärung: nur ein Bund iſt jetzt noch möglich.

Ueber dieſem unfruchtbaren Zwiſchenſpiele gingen wieder vier Wochen verloren, und kaum war es zu Ende, ſo kam am 7. März die Nach - richt von Napoleons Rückkehr. Das europäiſche Kriegsbündniß und die Rüſtungen drängten viele Wochen lang alle anderen Fragen in den Hin - tergrund. Die deutſche Verfaſſung ſchien rettungslos verloren. Auch der auf Preußens Antrag eingeſetzte deutſche Militärausſchuß, welchem der Kronprinz von Württemberg vorſaß, ging unverrichteter Dinge ausein - ander; mit zorniger Scham verließ Rühle von Lilienſtern dieſe Verſamm - lung, von der er gehofft hatte, ſie werde die allgemeine Wehrpflicht für ganz Deutſchland einführen. Desgleichen ſcheiterten die ebenfalls auf Preußens Betrieb berufenen Conferenzen über die deutſche Flußſchifffahrt; denn die Welfen fanden es ganz unerhört, daß die rein deutſchen Flüſſe derſelben Freiheit genießen ſollten wie die mehreren europäiſchen Mächten gemeinſam angehörigen. Wegwerfend ſchrieb Münſter an den Prinzregen - ten: Hannover werde ſicherlich nicht finanzielle Opfer bringen um einige vage Ideen von Handelsfreiheit zu begünſtigen . Die ehrenwerthen Män - ner unter der deutſchen Diplomatie überkam ein vernichtendes Gefühl der Scham. Welch ein Schauſpiel bot ſeit ſechs langen Monaten dies Deutſch - land, das ſoeben noch die Welt mit ſeinem Kriegsruhm erfüllt hatte! Nichts als Zank und Stank, nichts als Neid gegen die Retter der Nation, und noch immer kein Ende! Der wackere Gersdorff rieth in ſeiner Her - zensangſt dem Staatskanzler: jetzt könne aus Deutſchland doch nichts Tüchtiges werden, die feindſelige Geſinnung von Baiern und Genoſſen laſſe ſich nicht verkennen; beſſer alſo, Preußen ſchließe mit dem Süden nur eine Allianz, mit den kleinen norddeutſchen Staaten aber einen feſten Bund, der für das ganze Vaterland eine beſſere Zukunft vorbereiten könne. *)Gersdorff an Hardenberg, 7. April 1815.

Die Mehrzahl der ſtreitigen Gebietsfragen war erledigt, die Monar - chen rüſteten ſich zur Abreiſe, Alle verlangten ungeduldig nach dem Schluß695Neue Verhandlungen im Frühjahr.des Congreſſes und horchten geſpannt auf die Nachrichten aus Weſten; die Rheinbündner erhoben wieder keck das Haupt, mehrere der Mittelſtaaten verhehlten kaum, daß ſie auf neue Siege des Imperators hofften. Das war die Stimmung nicht, die ein dauerndes nationales Werk zeitigen konnte. Hardenberg, der in der Regel ein ſicheres Gefühl für die Gunſt des Augenblicks zeigte, wünſchte denn auch die Verfaſſungsberathungen zu vertagen, bis nach einer neuen Niederlage Napoleons der Trotz der Rhein - bündner gebrochen und die allgemeine Stimmung wieder ruhiger und geſammelter wäre. Aber wie würde die Nation, die jetzt abermals zu neuen ſchweren Opfern aufgeboten ward, ihre Fürſten und Miniſter empfangen, wenn ſie ihr nach dieſem Pomp endloſer Feſte nichts, rein nichts heim brachten? Dies ſchien doch gar zu ſchmachvoll; ſelbſt Gentz warnte vor dem Zorne der öffentlichen Meinung. Ueberdies wünſchte Metternich dringend, die deutſche Bundesacte, die in ſeinen Augen ja nur eine europäiſche Angelegenheit war, in die große Schlußacte des Con - greſſes mit aufzunehmen und ſie alſo unter die Bürgſchaft des geſammten Welttheils zu ſtellen. Er legte hierauf noch in ſpäteren Jahren den höchſten Werth und ſtellte gern die charakteriſtiſche Behauptung auf: der Deutſche Bund iſt grade deshalb eine dauernde Foederation, weil ſein Entſtehen das vereinte Werk der europäiſchen Mächte und der deutſchen Fürſten war. *)Metternich an Hruby, 11. December 1817.Und ſeltſamerweiſe ward dieſe Anſicht von allen preu - ßiſchen Staatsmännern, ſelbſt von Humboldt getheilt; ſie hofften durch die europäiſche Geſammtbürgſchaft den Mittelſtaaten eine neue Felonie zu erſchweren und bedachten nicht, wie grauſam einſt das alte Reich unter der zudringlichen Einmiſchung ſeiner auswärtigen Garanten gelitten hatte. So kam es, daß Preußen ſich doch noch entſchloß die Verhand - lungen zu der denkbar ungünſtigſten Zeit wieder aufzunehmen.

Auf eine irgend erträgliche Ordnung der deutſchen Dinge hoffte Humboldt freilich längſt nicht mehr; was frommte ſeine dialektiſche Kunſt gegen die Bosheit der Mittelſtaaten und die berechnete Zurückhaltung Oeſterreichs? Er ſelbſt geſteht: jetzt blieb nichts mehr übrig als den Bund zu Stande bringen, gleichviel auf welche Weiſe. Dennoch legte er ſich abermals ins Zeug und brachte zu Anfang Aprils einen neuen weſentlich abgekürzten Entwurf zu Stande. Es war der ſechſte. Aber die Verhandlungen wurden wieder verſchoben; die Mittelſtaaten zeigten keine Neigung ſich noch auf irgend etwas einzulaſſen. In der zweiten Hälfte des Monats ſchien die Stimmung wieder günſtiger zu werden. Sofort ſchöpfte Humboldt neuen Muth**)So berichtet er ſelbſt in der Syſtematiſchen Ueberſicht. und wagte am 1. Mai einen ſiebenten, mehr in das Einzelne eingehenden Plan vorzulegen.

Die Hofburg jedoch erklärte beide Entwürfe für unmöglich. Das696II. 1. Der Wiener Congreß.Haus Oeſterreich ſelber war natürlich nach ſeiner oft bewährten Reichs - treue zu jedem Opfer bereit; daran durfte Niemand zweifeln, der die brünſtigen Betheuerungen der k. k. Staatsmänner vernahm. Nur wegen des unüberwindlichen Widerſtandes der kleinen Königshöfe ſah ſich der öſterreichiſche Miniſter zu ſeinem lebhaften Bedauern genöthigt, die preu - ßiſchen Vorſchläge wieder einmal abzuweiſen. Metternich wußte aus ſeiner reichen diplomatiſchen Erfahrung, daß langwierige Streitigkeiten zuletzt durch die allgemeine Ermüdung entſchieden werden. Jetzt begann dies Gefühl bei Jedermann übermächtig zu werden. Alle ſtimmten dem Oeſter - reicher bei, da er nun herausſagte, was ſchon im September ſeine Mei - nung geweſen war: an eine Bundesverfaſſung ſei für jetzt doch nicht zu denken; genug wenn man ihre Grundzüge feſtſtelle. Dann holte er jenen Weſſenbergiſchen Plan vom December wieder hervor, der allerdings kaum als der Grundzug eines Grundzugs gelten konnte, ließ das Mach - werk ein wenig erweitern und übergab dieſe Umarbeitung am 7. Mai als achten Entwurf den preußiſchen Staatsmännern. Ueber dieſen Ent - wurf ward nun endlich eingehend zwiſchen Metternich und Hardenberg verhandelt. Auf Preußens Wunſch ſchaltete der Oeſterreicher einige ver - ſchärfende Zuſätze ein, der Staatskanzler fügte eigenhändig den Artikel über die Mediatiſirten hinzu, und ſo entſtand jener neunte und letzte Bundesplan, welchen Metternich am 23. Mai im Namen Oeſterreichs und Preußens den Bevollmächtigten aller deutſchen Staaten zur Be - ſchlußfaſſung unterbreitete. Trotz der zweimaligen Umarbeitung waren die Hauptſätze des öſterreichiſchen December-Entwurfs unverändert ge - blieben, ſo daß Weſſenberg als der eigentliche Verfaſſer der deutſchen Bundesacte betrachtet werden muß. Der liebenswürdige, feingebildete Breisgauer Baron zählte zu den freiſinnigſten Politikern Oeſterreichs; er hegte ſogar, wie ſein Bruder, der den Römiſchen verhaßte Coadjutor, eine gewiſſe Schwärmerei für das deutſche Vaterland. Aber in Sachen der deutſchen Politik konnte es unter den k. k. Staatsmännern keine Meinungsverſchiedenheit geben; wer dem Hauſe Oeſterreich diente mußte dem deutſchen Geſammtſtaate den Charakter eines loſen völkerrechtlichen Ver - eins zu verleihen ſuchen, weil ſonſt der Kaiſerſtaat keinen Raum darin fand.

Tags zuvor, am 22. Mai hatte König Friedrich Wilhelm die folgen - ſchwere Verordnung über die Repräſentation des Volks unterzeichnet. Die preußiſchen Staatsmänner rechneten ſichs zur Ehre, wie Humboldt oft ſagte, daß Niemand in Wien wärmer als ſie für die Rechte der deutſchen Landſtände eingetreten war. Wie durfte alſo Preußen zurückbleiben hin - ter den ſüddeutſchen Höfen, die bereits ihre Verfaſſungscommiſſionen ein - berufen hatten? Wer hätte damals auch nur für denkbar gehalten, daß die Einführung des Repräſentativſyſtems gerade in Preußen auf die ſchwerſten Hemmniſſe ſtoßen und ſich am Längſten verzögern würde? Mindeſtens eine feierliche Zuſage ſchien unerläßlich; war doch Hardenberg697Preußiſche Verordnung über die Volksrepräſentation.längſt gewöhnt, ſich durch hochtönende Verſprechungen mit den harten Pflichten des Geſetzgebers abzufinden. Auch der König war ſeit Ende 1808 für die conſtitutionellen Gedanken gewonnen und wünſchte ſeinem treuen Volke ſogleich ein Zeichen dankbaren Vertrauens zu geben. Aber mit welcher frevelhaften Fahrläſſigkeit ging der Staatskanzler wieder zu Werke! Er ließ den König verſprechen, daß die Provinzialſtände wieder - hergeſtellt oder, wo ſie nicht mehr beſtänden, neu eingeführt werden und aus ihnen durch Wahl die allgemeine Landesrepräſentation hervorgehen ſolle. So band er der abſoluten Krone im Voraus die Hände, und dies in einem Augenblicke, da er ſelber über die provinzialſtändiſchen Rechte jenes bunten Ländergemiſchs, das in den preußiſchen Staat neu eintrat, nicht einmal oberflächlich unterrichtet war! Die öffentliche Meinung, dank - bar für Alles was freiſinnig hieß, nahm die königliche Verheißung mit heller Freude auf, vornehmlich gefiel ihr die der Modeanſicht entſprechende Zuſage einer ſchriftlichen Verfaſſungsurkunde. Bald genug ſollte ſich herausſtellen, daß Hardenberg einen ſchweren politiſchen Fehler begangen, daß er das Unmögliche verſprochen hatte.

Dem tragiſchen Niedergange unſerer vaterländiſchen Hoffnungen durfte auch der Humor nicht fehlen. Das durch ſieben Monate ver - ſchleppte deutſche Verfaſſungswerk mußte zuletzt in athemloſer, unbedachter Haſt übers Knie gebrochen werden. Als die ſo oft verheißenen Berathun - gen Aller endlich eröffnet wurden, da hatte Gentz die Redaction der Schluß - acte des Congreſſes ſchon nahezu beendigt; es galt zu eilen, wenn die deutſche Bundesacte darin noch Platz finden ſollte. So wurde denn zwiſchen dem 23. Mai und dem 10. Juni, in elf kurzen Conferenzen, wovon zwei nur den Ceremonien der Eröffnung und des Schluſſes galten, die ſchwerſte aller europäiſchen Fragen abgethan. Frivoler ward niemals mit dem Schickſal eines großen Volks geſpielt. Bei der Eröffnung fehlte Württemberg. Freiherr von Linden entſchuldigte ſein Ausbleiben in einem franzöſiſchen Billet mit einer Landpartie, ſein Amtsgenoſſe Wintzingerode ſchützte Unpäßlichkeit vor, und auch allen folgenden Sitzungen blieben die Württemberger fern. Für die bereits abgereiſten badiſchen Miniſter war zwar ein Stellvertreter anweſend, er hatte jedoch keine Vollmacht und erklärte nach einigen Tagen ſeinen Austritt. Die Uebrigen erſchienen. Die Kleinſtaaten waren Anfangs nur durch fünf Bevollmächtigte vertreten, ſetzten aber durch, daß von der dritten Sitzung an jeder Staat ſeinen eigenen Vertreter ſendete.

Am 26. Mai begann die eigentliche Berathung. Baiern verlangte ſogleich, gegen den lebhaften Widerſpruch der Preußen, daß der Ausdruck ſouveräne Fürſten in den Eingang der Bundesacte aufgenommen werde. Als man ſodann den Entwurf im Einzelnen durchging, da erhob ſich bei jedem Artikel ein ſo heilloſer Wirrwarr grundverſchiedener Forderungen, und auf dem Tiſche des Vorſitzenden häufte ſich ein ſolcher Berg von698II. 1. Der Wiener Congreß.Noten, Vorbehalten und Bedenken an, daß jede Möglichkeit einer Ver - ſtändigung aufhörte. Verſtimmt ging man auseinander. Hardenberg und Humboldt richteten Tags darauf in voller Verzweiflung an Metternich und Münſter eine Note*)Hardenberg und Humboldt an Metternich und Münſter, 27. Mai 1815., worin ſie ausſprachen: bei der Kürze der Zeit und nach den Erlebniſſen der jüngſten Sitzung ſcheine die Fortſetzung einer wirklichen Discuſſion unmöglich; die Anſichten gingen zu weit auseinan - der, auch dürften Oeſterreich, Preußen und Hannover die alſo in den Augen der preußiſchen Staatsmänner noch immer als treue Geſinnungs - genoſſen erſchienen ſich nicht in eine ſchiefe Stellung bringen, ſich nicht zwingen laſſen um des lieben Friedens willen für die Schwächung der Bundesgewalt zu ſtimmen. Die Unterzeichneten ſind bei allen Vor - berathungen durchaus der Meinung S. F. Gnaden des Herrn Fürſten von Metternich beigepflichtet, daß dasjenige, was die früheren Entwürfe hierüber enthielten, nur der Nothwendigkeit den Bund jetzt und hier wirklich zu ſchließen aufgeopfert werden könne; und ſie geſtehen frei, daß ſie einzig und allein aus dieſem Grunde, einzig und allein um nicht jede Vereinigung der Fürſten Deutſchlands zu hindern oder aufzuſchieben, aber übrigens mit ſehr ſchmerzlichen Gefühlen einen Entwurf mit vor - gelegt haben, von dem ſie nur zu ſehr empfinden, wie wenig er dem wichtigen Zwecke entſpricht, den man ſich unmittelbar nach der Befreiung Deutſchlands und noch bei dem Anfange des Congreſſes vorgeſetzt hatte, und wie ungünſtig dies auch auf die allgemeine Stimmung einwirken wird. Sollte dieſer Entwurf durch eine Discuſſion, für welche der jetzige Augenblick, in dem die ſchnelle allgemeine Uebereinkunft der vorherrſchende Geſichtspunkt iſt, immer ungünſtig bleibt, noch mehr geſchwächt werden, ſo iſt kaum der mindeſte günſtige Erfolg der Verhandlungen in Frank - furt abzuſehen. Daher verlangt Preußen ein Ultimatum der drei Groß - mächte an die deutſchen Staaten; die drei Höfe nehmen ſogleich an dem Entwurfe die Abänderungen vor, welche nach dem Verlaufe der letzten Conferenz unumgänglich ſcheinen, und erklären in der nächſten Sitzung: weitere Aenderungen ſind unzuläſſig, wir ſchließen den Bund ab mit allen den Fürſten, welche dieſe Vorlage annehmen, über Einzelheiten mag dann der Frankfurter Bundestag entſcheiden. Die Beiden ſchloſſen: verfahre man alſo, dann würden die meiſten Staaten ſofort beitreten, einige erſt etwas ſpäter ſobald ſie ſich überzeugten, daß der Bund auch ohne ſie zu Stande gekommen ſei.

Alſo doch endlich wieder ein raſches kühnes Ergreifen des Moments, nach der alten ſtolzen fridericianiſchen Weiſe! Wenn Oeſterreich und Eng - land-Hannover den preußiſchen Antrag annahmen, ſo war der Erfolg ſicher, ſo wurden das Bundesgericht, die ſchärfere Faſſung des Artikels über die Landſtände und alles Gute, was Preußen ſonſt noch in den699Die Berathungen Aller.öſterreichiſchen Entwurf hineingebracht hatte, für den Deutſchen Bund gerettet. Denn nur drei Wochen ſpäter ward die Schlacht von Belle - Alliance geſchlagen, und wie hätten die Mittelſtaaten dann noch wagen dürfen dem Deutſchen Bunde fern zu bleiben? Der Vorſchlag Preußens entſprach auch durchaus der wohlbegründeten Rechtsanſicht, welche die drei verbündeten Höfe im November den Cabinetten von Stuttgart und Carlsruhe entgegengehalten hatten der Anſicht, daß die Kleinſtaaten durch die Acceſſionsverträge verpflichtet waren dem Bunde beizutreten. Jetzt aber kam an den Tag, daß jene kräftigen November-Noten für Oeſterreich und Hannover nur ein diplomatiſcher Schachzug geweſen waren. Metternich wollte von jener ſtrengen Rechtsanſicht nichts mehr wiſſen. Wie ſchon der Weſſenbergiſche Entwurf die deutſchen Fürſten nur be - ſcheiden einlud , nach Belieben in den Bund einzutreten, ſo erklärte jetzt der öſterreichiſche Miniſter: irgend ein Zwang zum Eintritt dürfe gegen die deutſchen Souveräne niemals, auch nicht mittelbar angewendet werden! Was kümmerten ihn auch das Bundesgericht und die Land - ſtände dieſe fixen Ideen der preußiſchen Politik, die man in der Hof - burg halb gleichgiltig halb mißtrauiſch anſah? Sollte Oeſterreich wegen ſolcher Dinge ſich die Freundſchaft der Mittelſtaaten verſcherzen?

Metternich lehnte den preußiſchen Vorſchlag ab, und am 29. Mai ſetzte man die Conferenzen in der alten chaotiſchen Weiſe fort. Die Ausſichten geſtalteten ſich immer düſterer, denn an dieſem Tage wurde Hofrath von Globig, der Geſandte des endlich wieder hergeſtellten Königs von Sachſen, in die Verſammlung eingeführt; durch ihn erhielten die centrifugalen Kräfte eine werthvolle Verſtärkung. Globig trat natürlich mit ſeinem alten Gönner Metternich in vertrauliche Berathungen. Man erwog insgeheim, ob Sachſen nicht einem ſüddeutſchen Bunde unter Oeſterreichs Führung beitreten ſolle, gab aber den Gedanken raſch wieder auf; der Oeſterreicher meinte: gegenwärtig erſcheine ein geſammtdeutſcher Bund doch als das geeignetſte Mittel um den Ehrgeiz Preußens wirkſam zu beſchränken! Am 30. Mai beſprach die Conferenz den Artikel über die Landtage. Der lautete jetzt, nachdem Oeſterreich alle die in den preußiſchen Entwürfen vorgeſchriebenen landſtändiſchen Rechte geſtrichen hatte, ganz kurz: In allen deutſchen Staaten ſoll eine landſtändiſche Verfaſſung beſtehen. Gagern, allezeit ein ehrlicher Liberaler, fand dieſe Faſſung zu nackt und unbefriedigend. Anderen erſchien ſie zu ſtreng und gebieteriſch; wer durfte ſich denn herausnehmen, ſouveränen Fürſten mit einem ſoll irgend etwas zu befehlen? Die Mehrheit beſchloß: In allen deutſchen Staaten wird eine landſtändiſche Verfaſſung ſtattfinden ſtatt eines Befehles eine Prophezeiung! Und mancher der Abſtimmen - den hoffte ſchon insgeheim als ein falſcher Prophet erfunden zu werden.

Der 2. Juni brachte die Kataſtrophe, den Triumph des Particula - rismus. Die deutſche Welt ſollte erfahren, was die Wiederherſtellung700II. 1. Der Wiener Congreß.des albertiniſchen Königthums für unſere nationale Politik bedeutete. Darüber war kein Streit, daß man jetzt nur über die Grundzüge der künftigen Bundesverfaſſung berieth. Die Bundesacte ſagte ausdrücklich, das erſte Geſchäft des Frankfurter Bundestages werde die Abfaſſung der Grundgeſetze des Bundes und deſſen organiſche Einrichtung ſein. So blieb doch noch die ſchwache Hoffnung, daß ſich in Frankfurt nach Napoleons Niederwerfung vielleicht eine verſtändige Mehrheit bilden und einige der Wiener Sünden ſühnen konnte. Da beantragte Sachſen das liberum veto, die Einſtimmigkeit für alle Beſchlüſſe des Plenums der Bundesverſammlung. Ein letzter Reſt von Schamgefühl hinderte die Conferenz zwar, dieſen Antrag in ſeiner nackten Frechheit anzunehmen. Aber die Mehrheit beſchloß Tags darauf, was der Sache nach auf daſ - ſelbe hinauslief: daß alle Beſchlüſſe über die Grundgeſetze, über organiſche Bundeseinrichtungen, über jura singulorum und Religionsangelegenheiten nur mit Stimmeneinhelligkeit gefaßt werden dürften. Damit wurde ein neuer polniſcher Reichstag begründet, der geſetzlichen Fortbildung des deutſchen Geſammtſtaates für immer ein Riegel vorgeſchoben, die Partei der Reform in die Bahnen der Revolution hinübergedrängt. Dies war das erſte Lebenszeichen des wieder aufgerichteten ſächſiſchen König - reichs. Die Grundgeſetze einer Bundesverfaſſung, die noch gar nicht be - ſtand, deren Grundzüge man erſt feſtſtellte, an einſtimmige Beſchlüſſe binden das hieß nichts anderes als von vornherein erklären: dem neuen Deutſchland iſt nur durch das Schwert zu helfen. Und was war denn mit der Phraſe organiſche Bundeseinrichtungen gemeint? Auch darüber ward man nicht einig und vermied jede Auslegung.

Durch dieſen Beſchluß war das Wenige verdorben was ſich noch verderben ließ. In Allem und Jedem hatte der Particularismus und die Willkür der kleinen Kronen die Oberhand behalten. Natürlich be - haupteten ſie ihre eigene Diplomatie und das Recht der Bündniſſe; nur gegen den Bund und ſeine Mitglieder durften ſie ſich mit Auswärtigen nicht verbinden. Dadurch war nicht unbedingt ausgeſchloſſen, daß Deutſche gegen Deutſche, als Hilfstruppen fremder Mächte, zu Felde zogen. Und dieſe Gefahr lag noch immer ſehr nahe. Fing doch der alte ſchmutzige Soldatenhandel wieder an: noch während des Congreſſes wurde ein naſſauiſches Regiment an Holland verkauft oder, wie man ſich amtlich ausdrückte, verliehen. Bei einmal erklärtem Bundeskriege ſollte kein Bundesſtaat einſeitige Unterhandlungen mit dem Feinde eingehen. Was aber ein Bundeskrieg ſei? und ob der Bund bei einem Angriffe auf die ausländiſchen Beſitzungen ſeiner Mitglieder zum Einſchreiten verpflichtet ſei über dieſe Lebensfragen konnte man ſich nicht einigen. Gewiß war nur, daß der Bund, armſeliger als ein Staat dritten Ranges, ſelber keine Angriffskriege führen durfte, denn die Bundesacte ſprach nur vom Schutze gegen Angreifer. Nachdem die Rechte der Landſtände mit einer701Sachſen und das liberum veto. Redensart abgefertigt waren, wendete ſich der Uebermuth der napoleoni - ſchen Könige gegen die Mediatiſirten. Vergeblich verſuchte Preußen den Entthronten einige Curiatſtimmen zu ſichern; die Mittelſtaaten ſetzten durch, daß dieſe Frage an den Bundestag verwieſen wurde, und nach Allem was man hier vor Augen ſah wußte bereits Jedermann was eine ſolche Vertröſtung bedeutete. Noch ſchlimmer erging es den Juden. Der urſprüngliche Entwurf hatte ihnen die denſelben in den einzelnen Bun - desſtaaten bereits eingeräumten Rechte zugeſichert. An die Stelle dieſes bedeutungsvollen in ſetzte man ein von . Durch dieſe drei Buchſtaben erhielten Hannover und Kurheſſen freie Hand die Geſetze des Königreichs Weſtphalen aufzuheben und den Juden-Leibzoll wieder einzuführen; die Frankfurter Juden gingen der Emancipation verluſtig, welche ſie ſich ſo - eben erſt mit ſchwerem Gelde von dem Fürſten-Primas Dalberg erkauft hatten.

Auch die Hoffnung auf eine nationale Neugeſtaltung der katholiſchen Kirche Deutſchlands ſchwand mehr und mehr. Wie war doch die deutſche Hierarchie zugerichtet worden durch die Seculariſationen und die zahlloſen anderen Gewaltthaten des napoleoniſchen Zeitalters. Und wie tief war ihre politiſche Machtſtellung geſunken: ſtatt jener Wolke geiſtlicher Fürſten ſaßen jetzt im hohen Rathe des Deutſchen Bundes nur noch ſechs katho - liſche Souveräne, Oeſterreich, Baiern, Sachſen, zwei Hohenzollern und Lichtenſtein. Beide Parteien des deutſchen Clerus beſtürmten die Staats - männer mit ihren Eingaben. Cardinal Conſalvi und die Oratoren for - derten Herſtellung des alten Beſitzes und wo möglich auch der alten politiſchen Macht der Kirche, jedenfalls Theilnahme kirchlicher Vertreter an den Verhandlungen über den Bund und Wiederbeſetzung der ver - waiſten Bisthümer durch den Papſt. Heinrich Weſſenberg andererſeits führte den Plan einer deutſchen Nationalkirche unter der Leitung eines Fürſten-Primas wiederholt in wortreichen Denkſchriften aus und blieb doch dabei, nach Prieſterart, den Proteſtanten gegenüber ultramontan; eine Anerkennung der Rechte der Evangeliſchen von Bundeswegen ſchien ihm wenig wünſchenswerth. Beide Parteien bekämpften einander leidenſchaft - lich. Weſſenberg war den Oratoren kaum mehr als ein Ketzer. Graf Spiegel aber, auch ein vornehmer feingebildeter Kirchenfürſt der alten Zeit, warnte die preußiſchen Staatsmänner dringend vor den Denkſchriften der Oratoren: es weht darin ein rein ultramontaniſcher Geiſt, eine Größe ganz im Gegenſatze mit dem auf immer ehrwürdigen Wahrheits - ſinne, der die Väter auf den Concilien zu Conſtanz und Baſel beſeelte. Er wünſchte zwar Herſtellung der katholiſchen Kirche, aber auch ihre Weiterbildung durch liberale Regierungen . *)Spiegel an Humboldt, 2. Decbr. 1814.

Baiern und Württemberg ſtanden beiden Theilen gleich feindlich gegen -702II. 1. Der Wiener Congreß.über; ſie hofften, jedes für ſich, durch ein Concordat mit Rom Landesbis - thümer zu gründen und den Deutſchen Bund hier wie überall ganz aus dem Spiele zu laſſen. Die Preußen endlich zeigten ſich auch in dieſer Frage, wie durchweg in den Wiener Bundesverhandlungen, gerecht, freiſinnig, national; ſie forderten, daß der Bund der katholiſchen Kirche eine für ganz Deutſch - land gemeinſame Verfaſſung gebe, aber auch den evangeliſchen Landeskirchen ihre alten Rechte gewährleiſte. So wogten die Anſichten durch einander. Nur in Einem ſtimmten Alle ohne Ausnahme überein: in der Meinung nämlich, daß Oeſterreich ſich ſelbſt überlaſſen, außerhalb der neuen Ord - nung unſeres kirchlichen Lebens bleiben müſſe. Sobald man an irgend eine praktiſche Frage herantrat, ergab ſich immer wieder, daß Oeſterreich nicht zu uns gehörte. Daher konnte denn der von der liberalen Welt gefeierte Heinrich Weſſenberg in Wien bei ſeinem Bruder, dem k. k. Ge - heimen Rath wohnen und ſich ſogar in den Kreiſen der Hofburg einiger Gunſt erfreuen: was er erſtrebte galt ja nur für die Länder draußen im Reich, ließ die kaiſerlichen Erblande unberührt. Zahlloſe Conferenzen waren ſchon wegen dieſer Kirchenſachen gehalten worden, zu hohen Thür - men hatte ſich das Schreibwerk der Petitionen und Entwürfe aufgeſtapelt; da gelang es doch endlich, vermuthlich durch Weſſenbergs älteren Bruder, in den letzten öſterreichiſchen Bundesentwurf einen Artikel einzuſchalten, welcher der katholiſchen Kirche eine gemeinſame Verfaſſung, den Evange - liſchen die Aufrechterhaltung ihrer alten Rechte verhieß. Die Mehrheit ſtimmte zu. Aber Baiern widerſprach, und mit ſolchem Eifer, daß Hein - rich Weſſenberg alle Hoffnung aufgab. Am 3. Juni ſchrieb er dem Staatskanzler*)Weſſenbergs Denkſchrift an Hardenberg, 3. Juni 1815.: da die Kirchenſachen in Deutſchland noch immer in einem beiſpielloſen Zuſtande von Verlaſſenheit ſich befänden und der Congreß ſich mit den Einzelheiten nicht habe beſchäftigen können, ſo er - laube er ſich vorzuſchlagen, daß die betheiligten Souveräne, die Fürſten mit katholiſchen Unterthanen, binnen zwei Monaten Abgeordnete nach Frankfurt ſenden möchten. Dort in Frankfurt, auf freien Conferenzen, welche dem bairiſchen Dünkel doch unmöglich gefährlich erſcheinen konnten, dachte der Unermüdliche ſeine Nationalkirche doch noch durchzuſetzen.

Mittlerweile war ſelbſt Oeſterreich zu der Einſicht gelangt, daß man ein Ende machen mußte. Gingen die Verhandlungen ſo weiter, ſo konnte zuletzt ſogar von dem öſterreichiſchen Entwurfe nichts mehr übrig bleiben. Metternich eröffnete alſo der Conferenz am 5. Juni was er ſchon mehrmals angekündigt, aber aus Rückſicht auf die Gefühle der Rhein - bundshöfe noch nicht ausgeführt hatte : die Bundesacte habe nunmehr eine Faſſung erhalten, welche der Anſicht der meiſten Höfe zu entſprechen ſcheine; er erkläre hiermit Oeſterreichs Beitritt zum Deutſchen Bunde, auf Grund der beſchloſſenen Verfaſſungs-Grundzüge, und bitte die anderen703Baiern droht auszutreten.Staaten das Gleiche zu thun. Er ſagte jedoch keineswegs, wie Preußen verlangt hatte, daß der Bund auch ohne den Beitritt Aller zu Stande kommen werde, ſondern ſtellte Jedem frei zu thun und zu laſſen was ihm beliebe. Darauf traten auch Preußen, Hannover, Dänemark, Luxem - burg und einige Kleine bei. Die Meiſten gaben nachher wehmüthige ſchriftliche Erklärungen hinzu. Preußen fügte ſich nur, weil es immer noch beſſer ſei einen unvollkommenen Bund zu ſchließen als gar keinen , desgleichen Hannover nur weil es wünſchenswerther ſcheine einen un - vollkommenen Deutſchen Bund als keinen einzugehen ; Luxemburg ſchloß ein Band, das Zeit, Erfahrung und ſteigendes Zutrauen erſt beſſern müſſen und was der Klagen mehr war. Aber welch ein Aufruhr in der Verſammlung, als Graf Rechberg jetzt trocken erklärte, er ſehe ſich genöthigt den Beitritt Baierns in dieſem Augenblicke noch vorzubehalten! Er machte dann noch einige ernſte, geheimnißvolle Andeutungen, woraus Jedermann ſchließen mußte, der Münchener Hof verſage ſich dem Bunde. Die Beſtürzung war allgemein, und zu allem Unglück beging der gute Gagern noch eine folgenſchwere Thorheit. Ohne reichspatriotiſche Phraſen ging es bei ihm niemals ab; daher fügte er, indem er den Beitritt Luxemburgs erklärte, noch die Bedingung hinzu: der Bund müſſe das ganze Deutſchland umfaſſen. Naſſau ſchloß ſich wie immer den oraniſchen Vettern an. Gagerns Vorbehalt entſprang allerdings zum Theil einer foederaliſtiſchen Schrulle; denn in einer erläuternden Note bemerkte der luxemburgiſche Geſandte: da ſein König nur die Geſammtheit der deut - ſchen Staaten als Deutſchen Bund gelten laſſe, ſo dürfe die Beſatzung der Bundesfeſtung Luxemburg auch nur vom Bunde, d. h. von allen Staaten abwechſelnd geſtellt werden. Gleichwohl war die Erklärung des redſeligen Phantaſten ſicherlich nicht bös gemeint. Er ahnte nicht, welches arge Beiſpiel er gab. Welch eine Verwirrung mußte entſtehen, wenn noch mehrere der übrigen Staaten erklärten: wir treten nur bei, falls alle Anderen beitreten! Und ſo geſchah es in der That. Die Entſcheidung über Deutſchlands Zukunft ward im Submiſſionswege ausgeboten und ſchließlich denen zugeſchlagen, die das Geringſte für das Vaterland leiſten wollten.

In der Conferenz am 8. Juni, ſo war beſchloſſen, ſollten die noch ausſtehenden Beitrittserklärungen verleſen und das Werk beendet werden. Die zwei Tage bis dahin vergingen in banger Aufregung, in peinlicher Angſt. Graf Rechberg ließ nichts von ſich hören; allgemein ward ver - ſichert, Baiern trete nicht bei. Selbſt der kaltblütige Humboldt war wie vernichtet, nach Allem was er in dieſer Geſellſchaft hatte erleben müſſen. Völlig entmuthigt entwarf er bereits den Plan für einen proviſoriſchen Bund ohne Baiern. *)Humboldt, Entwurf für einen vorläufigen Vertrag zwiſchen den beitretenden deutſchen Staaten.Unterdeſſen trug Gagerns Fehler ſeine Früchte. 704II. 1. Der Wiener Congreß.Sachſen, Darmſtadt und Andere, ja ſogar Dänemark und Mecklenburg, welche am 5. Juni ohne Vorbehalt beigetreten waren, erklärten jetzt, ſie könnten ſich nur einem Bunde, der das ganze Deutſchland umfaſſe, an - ſchließen. Mehrere dieſer Staaten baten ausdrücklich, man möge den Fürſten, welche noch draußen bleiben wollten, durch neue Zugeſtändniſſe den Eintritt ermöglichen. Es war eine Schraube ohne Ende. Wenn Baiern ſich verſagte, ſo ſtob Alles auseinander.

Da meldete Graf Rechberg am Morgen des 8. Juni, ſeine neuen Inſtructionen ſeien eingetroffen. So behauptete er wenigſtens; doch ſcheint es keineswegs unmöglich, daß der Baier ſich dieſen ganzen lächerlichen Schlußeffect des unwürdigen Intrigenſtücks nur in ſeiner ſchöpferiſchen Phantaſie ausgedacht hat um die letzten Wünſche der Wittelsbacher deſto ſicherer durchzudrücken. Genug, Alles athmete auf. Oeſterreich und Preußen traten ſofort mit Rechberg in vertrauliche Berathung; er aber forderte außer einigen Kleinigkeiten: Beſeitigung des Bundesgerichts und des Artikels über die katholiſche Kirche. So erfüllte ſich denn was Har - denberg am 27. Mai warnend vorhergeſagt: die beiden Großmächte kamen wirklich in die ſchiefe Lage, um des Friedens willen für die Schwächung der Bundesgewalt ſtimmen zu müſſen, was für Metternich freilich kein Opfer war. Das Bundesgericht fiel der Schlußſtein des deutſchen Rechtsgebäudes, wie es Humboldt ſo oft genannt; und von den Papier - maſſen der kirchlichen Verhandlungen blieb nichts übrig als ein dürftiger Artikel, welcher anordnete was faſt überall in Deutſchland ſchon längſt zu Recht beſtand: daß die Verſchiedenheit der chriſtlichen Religionsparteien keinen Unterſchied im Genuſſe der bürgerlichen und politiſchen Rechte be - gründen könne. Dann ging es zur Conferenz, und Metternich verkündete mit Vergnügen , daß Baiern nur noch einige wenige Aenderungen wünſche. Dies einige Wenige ward genehmigt, und nunmehr war man wirklich zu Ende, denn was hätte an dieſer Acte noch geſtrichen werden können? Am 10. Juni verſammelte man ſich noch einmal um die Bun - desacte zu unterzeichnen und die Leiche der deutſchen Einheit mit allen diplomatiſchen Ehren feierlich zu verſcharren. Wann ſollte ſie auferſtehen?

Die erſten elf Artikel der vom 8. Juni datirten Urkunde wurden noch, gerade vor Thorſchluß, in die Schlußacte des Congreſſes eingefügt; das ſiegreiche Deutſchland hatte fortan alle Fürſten Europas, mit Aus - nahme des Papſtes und des Sultans, als die Garanten ſeines Grund - geſetzes zu verehren. Auch die Proteſte fehlten nicht, welche von Alters her zu jeder großen deutſchen Staatsaction gehörten. Die Mediatiſirten verwahrten alleſammt ihre Rechte. Noch kühner erhoben die Fürſten von Iſenburg und Knyphauſen ihr Haupt; ſie betrachteten ſich als Souveräne und erklärten als ſolche ihren Beitritt zum Deutſchen Bunde. Es war vergeblich; den Bedürfniſſen der deutſchen Kultur, die ja nach der allge - meinen Meinung in der ſchönen Mannichfaltigkeit unſeres Staatslebens705Abſchluß der Bundesverfaſſung.ihre Wurzeln haben ſollte, genügten achtunddreißig deutſche Mächte. Da ergab ſich plötzlich, daß noch ein neununddreißigſter Souverän vorhanden war, der Landgraf von Heſſen-Homburg. Den hatte man ganz vergeſſen; doch da er zugleich k. k. Feldmarſchallleutnant war, ſo durften die Deut - ſchen hoffen, daß der Bundestag ſich ſeiner noch erbarmen würde. Am Lauteſten klagte der römiſche Stuhl. Cardinal Conſalvi berief ſich in einer ſchwungvollen lateiniſchen Note auf jenen Nuntius Chigi, der einſt gegen den Weſtphäliſchen Frieden proteſtirt hatte, und legte Ver - wahrung ein, weil weder das heilige römiſche Reich, dieſer durch die Heilig - keit des Glaubens geweihte Mittelpunkt der politiſchen Einheit, noch die Macht der geiſtlichen Fürſten wiederhergeſtellt ſei.

Nur damit der Bund gewiß das geſammte Deutſchland umfaſſe hatten die beſſer geſinnten Cabinette den letzten ſchweren Forderungen Baierns nachgegeben, und dennoch war trotz allem Feilſchen und Dingen der Bund Aller nicht zu Stande gekommen. Wie einſt Nordcarolina und Rhode Island an der Begründung der zweiten Unionsverfaſſung Nordame - rikas nicht theilnahmen, ſo blieben Baden und Württemberg der Stiftung des Deutſchen Bundes fern und traten erſt bei als Napoleons Sturz zum zweiten male entſchieden war: Baden am 26. Juli, Württemberg am 1. September.

So entſtand die Bundesacte, die unwürdigſte Verfaſſung, welche je einem großen Kulturvolke von eingeborenen Herrſchern auferlegt ward, ein Werk, in mancher Hinſicht noch kläglicher als das Gebäude des alten Reichs in den Jahrhunderten des Niedergangs. Ihr fehlte jene Majeſtät der hiſtoriſchen Größe, die das Reich der Ottonen noch im Verfalle um - ſchwebte. Blank und neu ſtieg dies politiſche Gebilde aus der Grube, das Werk einer kurzlebigen, in ſich ſelbſt verliebten Diplomatie, die aller Erinnerungen des eigenen Volkes vergeſſen hatte; kein Roſt der Jahr - hunderte verhüllte die dürftige Häßlichkeit der Formen. Von Kaiſer und Reich ſang und ſagte das Volk; bei dem Namen des Deutſchen Bundes hat niemals ein deutſches Herz höher geſchlagen. Unter den Bundes - ſtaaten hatten nur ſechs der kleinſten ihren Beſitzſtand ſeit zwanzig Jahren nicht verändert; ſelbſt das geduldigſte der Völker konnte an die Legitimität einer zugleich ſo neuen und ſo willkürlichen Ländervertheilung nicht mehr glauben. Dieſelbe Fremdherrſchaft, die das alte Reich zu Grunde ge - richtet, belaſtete auch den neuen Bund. Oeſterreichs Uebermacht hatte ſich ſeit den Tagen Friedrichs erheblich verſtärkt, ſie war jetzt um ſo ſchwerer zu brechen, da ſie ihren Einfluß mittelbar, ohne die herriſchen Formen des Kaiſerthums ausübte. Die auswärtigen Diplomaten lächelten ſchaden - froh: wie ſchön, daß wir Oeſterreich und Preußen zuſammengekoppelt und dadurch geſchwächt haben! Das alte Reichsrecht ſprach doch noch von einer deutſchen Nation; die Vorſtellung mindeſtens, daß alle Deut - ſchen ihrem Kaiſer treu, hold und gewärtig ſeien, war niemals ganz ver -Treitſchke, Dentſche Geſchichte. I. 45706II. 1. Der Wiener Congreß.ſchwunden. Die neue Bundesacte wußte gar nichts mehr von einem deutſchen Volke; ſie kannte nur Baiern, Waldecker, Schwarzburg-Sonders - hauſener, Unterthanen jener deutſchen Fürſten, welche nach Gefallen zu einem völkerrechtlichen Vereine zuſammengetreten waren. Die Nation mußte den Becher der Demüthigung bis zur Hefe leeren; jene württem - bergiſche Mahnung: man werde doch nicht aus verſchiedenen Völker - ſchaften ſozuſagen eine Nation bilden wollen hatte vollſtändig Recht be - halten. Die Deutſchen ſtanden außer jeder Beziehung zu der Bundes - gewalt, waren nicht einmal verpflichtet ihr zu gehorchen; nur wenn ein Souverän einen Bundesbeſchluß als Landesgeſetz zu verkündigen geruhte, mußten ſeine Unterthanen dieſem Landesgeſetze ſich fügen. Die Nation war mediatiſirt durch einen Fürſtenbund. Wie die Revolution von 1803 ſo ward auch dieſe neue Verfaſſung Deutſchlands ausſchließlich durch die Dynaſtien geſchaffen.

Der neue Bundestag war der Regensburger Reichstag in etwas modernerer Geſtalt, ganz ebenſo ſchwerfällig und unbrauchbar; daß er bald als engerer Rath bald als Plenum tagte, war eine leere Förmlichkeit, da auch im engeren Rathe alle Neununddreißig mitſtimmten. Der Wider - ſpruch zwiſchen dem formalen Rechte und der lebendigen Macht trat im Deutſchen Bunde ſogar noch greller hervor als im heiligen Reiche. Der durch den Genuß der Souveränität aufgeſtachelte Dünkel der kleinen Kronen bewirkte in Wien eine Stimmenvertheilung, welche alle Unge - heuerlichkeiten des alten Reichsrechts weitaus überbot und nun ihrerſeits dazu half jenen Dünkel bis zum Wahnſinn zu ſteigern. Eine gewiſſe Bevorzugung der kleinen Bundesglieder liegt im Weſen jeder Foederativ - verfaſſung; das aber ging doch über jedes Maß erlaubter Unbilligkeit hinaus, daß im Plenum des Bundestags die ſieben größten Staaten, Oeſterreich, die Königreiche und Baden, die zuſammen mehr als fünf Sechſtel des deutſchen Volks umfaßten, mit nur 27 Stimmen die Min - derheit bildeten neben den 42 Stimmen des letzten Sechſtels. Das hieß die großen Staaten geradezu auffordern zur Umgehung der Bundesbe - ſchlüſſe oder zur gewaltſamen Einſchüchterung der kleinen Genoſſen. Und dazu jenes Geſchenk der Krone Sachſen, die Einſtimmigkeit für alle wich - tigen Beſchlüſſe eine Vorſchrift die im heiligen Reiche nur für Reli - gionsſachen und jura singulorum gegolten hatte. Jetzt konnte Reuß jüngerer Linie jede Entwicklung des Bundes verbieten. Dieſe Fortbildung ward aber vollends unmöglich gemacht durch die Begründung der land - ſtändiſchen Verfaſſungen. Denn ſollte der Bund irgend welches Leben gewinnen, ſo mußte er zunächſt die Militärgewalt und die auswärtige Politik der Bundesſtaaten zu beſchränken ſuchen; dies waren aber gerade die einzigen Kronrechte welche nach Einführung der Landſtände den Klein - fürſten noch ungeſchmälert verblieben, ein freiwilliger Verzicht darauf ſtand mithin ganz außer Frage.

707Die Bundesacte.

Und dieſe vielköpfige Bundesverſammlung ohne Haupt trug keine Verantwortlichkeit, weder rechtlich noch ſittlich. Sie beſtand aus Ge - ſandten, welche lediglich ihre Inſtruction zu befolgen hatten und alſo jeden Tadel von ſich auf ihre Auftraggeber abwälzen konnten, während andererſeits die kleinen Kronen nur allzu bald die Kunſt lernten, ſich vor dem Zorne der öffentlichen Meinung hinter dem Bundestage zu verſtecken. Deutſchlands innere Politik ward zu einem Luftkampfe; Niemand wußte mehr, wo er eigentlich ſeine Gegner ſuchen ſollte. Die entſittlichenden Wirkungen ſolcher Unwahrheit zeigten ſich raſch genug, an den Höfen wie im Volke: feige Angſt auf der einen, Wolkenkukuksheimer Träume und unklare Verbitterung auf der anderen Seite. Die heilloſe Verwirrung mußte um ſo unerträglicher werden, da ein ſchwerer Kampf zwiſchen dem Bunde und ſeinen Gliedern gar nicht ausbleiben konnte; denn die Cen - tralgewalt des Bundes war abſolutiſtiſch, war lediglich ein Organ der Fürſten, in den Einzelſtaaten aber kam bald die Macht der Landtage empor.

Die Nation nahm das traurige Werk mit unheimlicher Kälte auf. Wer überhaupt davon redete ſprach ſeine grimmige Entrüſtung aus. Die wenigen Artikel über Volksrechte, an denen der öffentlichen Meinung zumeiſt gelegen war, enthielten ſo leere, ſo windige Verſprechungen, daß ſogar dieſe gutherzige Nation anfangen mußte an den böſen Willen ihrer Machthaber zu glauben. Wie ſonderbar nahm ſich neben den unbe - ſtimmten Phraſen über Preßfreiheit, Handelsfreiheit, Landſtände die ge - naue Aufzählung der Privilegien der Mediatiſirten und der Thurn - und Taxis’ſchen Poſtrechte aus. Und zu Alledem das Kläglichſte: die Bundes - acte war gar keine Verfaſſung, ſondern enthielt nur die niemals ausge - führten Grundzüge eines künftigen Bundesrechts. Vier Jahre ſpäter ſchrieb der ehrliche Gagern nicht ohne Reue einem conſervativen Freunde: Sie reden von der Erhaltung des Beſtehenden. Ich ſuche vergeblich den Beſtand. Ich ſehe eine Bundesacte, die wir zu entwickeln zu Wien uns erſt vornahmen!

In den Gebietshändeln hatten Preußens Staatsmänner, durch die Feſtigkeit ihres Königs, doch einen halben Erfolg erreicht. In den Bun - desverhandlungen wurden ſie aufs Haupt geſchlagen; nichts, gar nichts von ihren Abſichten hatten ſie durchgeſetzt. Aber der Schild preußiſcher Ehre war ohne Makel geblieben. Die Haltung des Staates, der uns von den Fremden befreit, gereichte noch in Wien allen anderen Deutſchen zur Beſchämung wenn in einem ſolchen harten Intereſſenkampfe die Scham überhaupt Raum fände. Zäh und redlich, conſequenter als Stein, hatten Hardenberg und Humboldt einen beſtimmten Plan einge - halten, immer nur Schritt für Schritt zurückweichend vor dem vereinten Widerſtande nahezu des geſammten Deutſchlands, einen Plan, der freilich auch an der allgemeinen politiſchen Unklarheit der Epoche krankte, aber45*708II. 1. Der Wiener Congreß.jedenfalls ehrenhafter und verſtändiger war als alle anderen Wiener Vor - ſchläge. Die beſtändig wechſelnde Form ihrer Entwürfe war nicht ihre Schuld, ſondern ergab ſich unvermeidlich aus der Bedrängniß eines aus - ſichtsloſen Streites wider Gegner, die nicht durch das Wort, ſondern allein durch den Schlag überzeugt werden konnten. Das Einzige, was den Beiden zur Laſt fiel, war das argloſe Vertrauen zu den falſchen Freunden Oeſterreich und Hannover. Aber ſelbſt ein vollkommener Staatsmann, der von ſolcher Schwäche frei blieb, konnte in dieſem Kriege nicht ſiegen. Der geſammte Gang der deutſchen Schickſale während der jüngſten Jahre führte unabwendbar zu der traurigen und doch noth - wendigen Folge, daß nach Napoleons Fall nicht ſein tapferer Feind Preußen, ſondern ſein ſchwankender Gegner Oeſterreich und ſeine Bun - desgenoſſen, die Rheinbündner über die Geſtaltung unſeres Staates ent - ſchieden.

Selbſt der Czar äußerte ſeinen Unwillen über den kläglichen Aus - gang, und ſogar Gentz hatte ein ſo lächerliches Machwerk doch nicht er - wartet. Gleichwohl beſaß die neue Ordnung der deutſchen Dinge drei folgenſchwere Vorzüge. Die welthiſtoriſchen Wirkungen der Fürſtenrevo - lution von 1803 blieben unverändert, das fratzenhafte theokratiſche Weſen kehrte nicht wieder; das neue Deutſchland athmete in der geſunden Luft weltlichen Staatslebens. Sodann ward durch die Bundesverfaſſung die Entſtehung eines neuen Rheinbundes zwar keineswegs verhindert aber weſentlich erſchwert; deshalb allein, ſo geſtanden Hardenberg und Hum - boldt oftmals, nahmen Preußens Staatsmänner ein Werk an, über deſſen Mängel ſie ſich nicht täuſchten. Preußen trat dem Bunde bei um die Mittelſtaaten an wiederholtem Landesverrathe zu hindern, während dieſe und Oeſterreich in der Bundesverfaſſung nur ein Bollwerk gegen den preußiſchen Ehrgeiz ſahen. Endlich war der Deutſche Bund ſo locker und ohnmächtig, daß er den Staat Friedrichs in ſeiner inneren und äußeren Entwickelung kaum ſtören konnte. Sobald Preußen ſich erſt wieder auf ſich ſelbſt beſann, bot ihm die ſchattenhafte Bundesverfaſſung tauſend Mittel und Wege um die kleinen Staaten durch Sonderbünde an ſich zu ketten und durch die That zu beweiſen, daß Oeſterreich für Deutſchland nichts leiſten, Preußen allein der Sehnſucht der Nation und dem recht verſtandenen Intereſſe der kleinen Höfe ſelber gerecht werden konnte. Und dies bleibt für uns, die wir die abgeſchloſſene Laufbahn überſchauen, der hiſtoriſche Ruhm des Deutſchen Bundes: er beſaß nicht die Kraft, das Erſtarken des einzigen lebendigen deutſchen Staates zu hindern des Staates, der berufen war dereinſt ihn ſelber zu zerſtören und dieſem unglücklichen Volke eine neue, würdige Ordnung zu ſchenken.

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Zweiter Abſchnitt. Belle Alliance.

So alltäglich es iſt, daß kommende Ereigniſſe ihren Schatten voraus werfen, ebenſo ſelten geſchieht es, daß die Helden einer abgeſchloſſenen, überwundenen Vergangenheit wieder auf der verwandelten Bühne der Zeit erſcheinen. An ſolcher Wiederkehr vergangener Größe haftet immer ein wunderbarer, traumhafter Zauber, weil ſie dem nothwendigen ewigen Werden des hiſtoriſchen Lebens widerſpricht. Phantaſtiſcher hat das Schickſal nie gewaltet als während jener hundert Tage, da mit einem male, wie ein Geſpenſterzug am hellen Mittag, die Männer und die Leidenſchaften eines Zeitalters der Kriege wieder hereinbrachen über ein neues friedensfrohes Geſchlecht und das grandioſe Abenteuer des napo - leoniſchen Kaiſerthums in einem ſtürmiſchen Nachſpiele ſeinen würdigen Abſchluß fand. Am 1. März landete Napoleon mit ſeinen neunhundert Getreuen an der Küſte bei Cannes; am 20. Abends, am Geburtstage des Königs von Rom, fuhr ſein beſtaubter Reiſewagen durch die ſchwei - gende Hauptſtadt nach den Tuilerien, und ein Schwarm von Veteranen begrüßte freudetrunken den heimkehrenden Helden am Portale des ver - laſſenen Königsſchloſſes. Der Kaiſer hat ſich gezeigt, und die königliche Regierung beſteht nicht mehr ſchrieb er ſtolz an die Geſandten. Noch nie und nirgends hatten die dämoniſchen Mächte des Genies und des Ruhmes einen ſo glänzenden Triumph gefeiert; der unblutige Siegeszug ſchien wirklich, wie der Imperator den Fürſten Europas verſicherte, das Werk einer unwiderſtehlichen Gewalt, des einſtimmigen Willens einer großen Nation, die ihre Pflichten und ihre Rechte kennt.

Und doch ging dieſe wundergleiche Revolution faſt allein von der Mannſchaft des Heeres aus. Die alten Corporale und Sergeanten, die hier, wie in allen Berufsarmeen, den Geiſt des Heeres beherrſchten, hingen mit abgöttiſcher Verehrung an dem Bilde des demokratiſchen Hel - den, ſie waren die Apoſtel jener napoleoniſchen Religion, deren ungeheuer - liche Legenden das ſtolze Volk über ſeine Niederlagen tröſteten. Wie hätte das vierte Artillerieregiment, in deſſen Reihen einſt der Leutnant Bonaparte gedient, der feurigen Anrede des gros papa widerſtehen ſollen,710II. 2. Belle Alliance.der die glorreiche Tricolore und die weltbezwingenden Adler zurückbrachte, den verhaßten neuen Offizieren aus dem Emigrantenadel den Laufpaß gab? Hingeriſſen von einem Taumel der Begeiſterung, überwältigt von der Macht wundervoller Erinnerungen folgte ein Regiment nach dem anderen dem lockenden Beiſpiele: die Zeit ſollte wiederkehren, da der Prätorianer Alles war, der Bürger nichts. Die alte Garde umwand ihre Adler mit Flor und gelobte ſie nicht eher zu enthüllen, als bis die Ehre des Kaiſerreichs durch glänzende Siege an den Pruſſiens und den anderen Fremdlingen gerächt ſei. Aber das Heer war nicht mehr Frank - reich, wie einſt in den Tagen des achtzehnten Brumaire. Wenn ſogar ein Theil der Offiziere, darunter einige der tüchtigſten Marſchälle wie Oudinot und Macdonald, an dem großen Eidbruch theilzunehmen ver - ſchmähte, ſo ſahen vollends die friedlichen Mittelklaſſen mit rathloſer Be - ſtürzung dem Wiederaufſteigen dieſer demokratiſchen Tyrannis zu, deren ſonderbar zweiſeitiges Weſen ihnen zugleich willkommen und bedrohlich ſchien. Die Reſtauration hatte an der napoleoniſchen Verfaſſung nichts Weſentliches geändert; ſie zehrte, wie die Bonapartiſten ſagten, von dem Capitale von Autorität , das der erſte Conſul allen ſeinen Nachfolgern hinterlaſſen. Die ſchlagfertige Maſchine der Präfectenverwaltung arbeitete ſtetig weiter. Der wohlmeinende König aber, dem die Gunſt der Torys die Kurbel in die Hand gegeben, blieb den Perſonen, den Gefühlen und Gewohnheiten der neuen demokratiſchen Geſellſchaft völlig fremd; und um ihn drängten ſich die Artois und Blacas, die begehrliche Meute der Emigranten, die den Augenblick der Wiederaufrichtung des alten Adels - regimentes kaum erwarten konnten. Nicht allein die Mißgriffe der Krone, ſondern mehr noch die unheimlichen Abſichten, welche man ihren An - hängern zutraute und zutrauen mußte, erweckten den Haß des Volkes gegen die Bourbonen.

Neben jenen Pilgern des Grabes, die ſich um das Lilienbanner ſchaarten, erſchien der rückkehrende Napoleon ſelbſt den bürgerlichen Klaſ - ſen als ein nationaler Held, ein Vertreter der vergötterten Ideen von 89. Aber ſein Name bedeutete zugleich: Krieg. Der Inſtinkt der Geſchäfts - welt fühlte alsbald heraus, daß weder dieſer Mann jemals Frieden hal - ten, noch die Nachbarmächte ihn ruhig gewähren laſſen konnten. Sofort nach ſeiner Rückkehr ging die vortheilhafte Stellung, welche Talleyrands Schlauheit der bourboniſchen Krone in der Staatengeſellſchaft verſchafft hatte, wieder verloren; Frankreich ſtand völlig vereinſamt, und vor den Augen der friedensbedürftigen Geſellſchaft eröffnete ſich die düſtere Aus - ſicht auf neue unabſehbare kriegeriſche Stürme. Zudem hatten die par - lamentariſchen Inſtitutionen der Charte raſch Boden gewonnen. Kaum war das Zeitalter des militäriſchen Ruhmes abgelaufen, ſo warf ſich die Nation mit bewunderungswürdiger Lebenskraft wieder in die politiſchen und literariſchen Parteikämpfe. Das Land freute ſich an dem redneriſchen711Die hundert Tage.Prunk der Kammerverhandlungen, an der lauten Kritik der freien Preſſe. Die conſtitutionelle Doctrin fand wieder ehrliche, überzeugte Bekenner. Tauſende glaubten treuherzig, es ſei die Beſtimmung dieſes Volkes der Freiheit, die engliſche Parlamentsherrſchaft mit dem unantaſtbaren napo - leoniſchen Verwaltungsdespotismus zu verquicken und alſo den conſtitutio - nellen Muſterſtaat zu begründen; die Verwirklichung dieſer Ideale ſchien aber leichter möglich unter der ſchwachen Krone der Bourbonen als unter der eiſernen Herrſchaft des Soldatenkaiſers. So geſchah es, daß die Gebildeten und Beſitzenden ſich dem Imperator argwöhniſch fern hielten; der Curs der Rente ſank in wenigen Tagen bis auf 53. Anhänglichkeit an das königliche Haus zeigten freilich nur einzelne Striche des Südens und Weſtens; ſelbſt der legitimiſtiſche Aufſtand, der in der Vendee aus - brach, war ungefährlich, da er mehr von dem Adel als von den Bauern ausging. Die Rückkehr Napoleons erfolgte zu früh; einige Jahre ſpäter, da die Erinnerung an die Schrecken der Kriegszeit ſchon mehr verblaßt und der Groll gegen die Emigranten noch mächtiger angewachſen war, hätte ſie vielleicht Erfolg haben können. Wie jetzt die Dinge lagen ver - hielt ſich die Mehrheit der Nation ſkeptiſch, ängſtlich, verlegen. Nur die Bauern in den allezeit kriegeriſchen Oſtprovinzen und die Arbeitermaſſen einiger großer Städte hießen den gekrönten Plebejer willkommen. In den Vorſtädten von Paris that ſich eine Foederation zuſammen, aber die jacobiniſchen Erinnerungen, die hier wieder auflebten, hatten mit dem Caeſarencultus des Heeres wenig gemein.

Napoleon bemerkte ſchnell, wie ſehr das Land ſich verwandelt hatte; die Bourbonen, ſagte er ingrimmig, haben mir Frankreich ſehr verdor - ben. Um die Mittelklaſſen zu gewinnen mußte er mit den liberalen Ideen liebäugeln: das Genie hat gegen das Jahrhundert gekämpft, das Jahrhundert hat geſiegt! In geſchickten Manifeſten ſtellte er ſich als den Erwählten des Volkes dar und hob den popularen Charakter des Kaiſer - reichs hervor, das die Demokratie disciplinirt, die Gleichheit vollendet und die Freiheit vorbereitet habe. Doch Verheißungen genügten längſt nicht mehr. Er ſah ſich genöthigt ein Cabinet aus Männern der Revolution zu bilden und die Verfaſſung des Kaiſerreichs durch eine Zuſatzacte zu ergän - zen, welche der Nation eine gewählte Volksvertretung, die Preßfreiheit, das Petitionsrecht, ja ſogar eine Beſchränkung der militäriſchen Gerichtsbarkeit gewährte. So mußte er ſich ſelber die Hände binden, in einem Augen - blicke, da nur eine ſchrankenloſe Dictatur die friedensluſtige Nation zu ſtarker kriegeriſcher Anſtrengung zwingen konnte. In Tricots und antikem Mantel zog er dann auf das Maifeld hinaus um die Schauluſt der Pariſer durch ein großes volksthümlich-militäriſches Spektakelſtück zu be - friedigen und öffentlich ſein demokratiſches Glaubensbekenntniß abzulegen: als Kaiſer, als Conſul, als Soldat verdanke ich Alles dem Volke! Seine Lieblingstochter Hortenſia und ihr kleiner Sohn Ludwig wohnten712II. 2. Belle Alliance.dem prahleriſchen Schauſpiele bei; aber Marie Luiſe kehrte nicht wieder in die Tuilerien zurück: die Treue der Oeſterreicherin gehörte nur dem Glückskinde, nicht dem Gatten.

Auf Schritt und Tritt erfuhr der Imperator, daß er nur noch der Bandenführer einer großen Soldatenmeuterei, nicht mehr das allgefürch - tete Staatsoberhaupt war; Scham und Zorn übermannten ſeine ſtolze Seele, wenn er ſich am Fenſter zeigen mußte um die Huldigungen der Foederirten aus den Arbeitervierteln entgegenzunehmen. Auf Augen - blicke fragte er ſich wohl, ob er nicht kurzab die rothe Mütze aufſetzen, die Führung der radicalen Parteien übernehmen, die Nationalgarde der Pariſer Bourgeoiſie auflöſen und an ihrer Statt ein Volksheer aus den foederirten Arbeitermaſſen bilden ſolle. Aber der Abſcheu wider die Jaco - biner überwog. Napoleon konnte nicht laſſen von den alten despotiſchen Gewohnheiten, verfolgte ſeine Gegner durch Proſcriptionsliſten, errichtete wieder eine zweifache geheime Polizei, deren Agenten einander wechſel - ſeitig bewachten. Und trotz der Zuſatzacte, trotz ſeiner liberalen Betheue - rungen, trotz ſeiner ablehnenden Haltung gegen die Jacobiner erwarb er ſich doch nicht das Vertrauen der Bourgeoiſie. Wohl ſchloß ſich der leichtgläubige Doctrinär Benjamin Conſtant dem bekehrten Despoten an, und das Organ der Conſtitutionellen, Dunoyers Cenſeur pries die Zu - ſatzacte als die Vollendung der franzöſiſchen Freiheit eine wunderſame Selbſttäuſchung, die nachher durch Jahrzehnte das Schlagwort der Oppo - ſition geblieben iſt. Aber die Maſſe der Conſtitutionellen verharrte in ihrem Mißtrauen; ſie hoffte insgeheim auf den ſchlauen Ludwig Philipp von Orleans, der ſchon ſeit Langem ſtillgeſchäftig nach der Bürgerkrone Frankreichs ſeine Netze auswarf. Als die Abgeordneten im Juni zuſam - mentraten, wurde ein Gegner Napoleons, der Mann des Convents Lan - juinais zum Präſidenten erwählt; mit rückſichtsloſer Heftigkeit traten die radicalen Parteiführer dem Kaiſer entgegen.

Das Aergſte blieb doch, daß Napoleon, um die Scheu der Bourgeois vor dem Kriege zu beſchwichtigen, eine erheuchelte Zuverſicht auf den Be - ſtand des Friedens zeigen mußte. Nichts lag ihm in jenem Augenblicke ferner als der Wunſch nach Krieg: erſt wenn die große Armee des Kaiſer - reichs wiederhergeſtellt war, durfte der Streit um die unveräußerlichen alten Grenzen von Neuem beginnen. Wiederholt verſicherte er den europäiſchen Höfen, daß ſich in Frankreich Nichts verändert habe, daß er auf alle Pläne kriegeriſcher Größe verzichte und nur noch einen Kampf anerkenne, den heiligen Kampf um das Glück der Völker. Niemand glaubte ihm. Unaufhaltſam rüſtete ſich das alte Europa zur Vernichtung des Uſurpators, und doch mußte er noch eine Weile den Schein bewahren, als ob ſein Kaiſerthum ein Reich des Friedens ſei. Nach drei Wochen erſt wagte er die Vermehrung des Heeres zu befehlen: die Armee, die er 115,000 Mann ſtark vorgefunden, wuchs bis Anfang Juni nur auf 198,000713Eindruck in Deutſchland.Mann kriegsbereiter Truppen. Das nämliche Gefühl der Unſicherheit zwang ihn auch zu einer höchſt gewagten Kriegführung. Nach den Er - fahrungen des letzten Jahres ſchien bei einem zähen Vertheidigungskriege im Innern Frankreichs ein Erfolg nicht ganz unmöglich; doch da der Uſurpator weder auf eine Maſſenerhebung rechnen noch ſich der Gefahr einer Niederlage auf franzöſiſchem Boden ausſetzen konnte, ſo mußte er den Angriff auf die Nachbarlande wagen, und für dieſen verzweifelten Schlag ſtanden ihm nur 128,000 Mann zu Gebote. Was übrig blieb wurde an den weiten Grenzen entlang vertheilt eine völlig nutzloſe Zerſplitterung der militäriſchen Kräfte; der Argwohn der öffentlichen Meinung erlaubte dem Imperator nicht, irgend ein Stück franzöſiſcher Erde ganz ohne Vertheidigung preiszugeben. Erſt als der Krieg unver - meidlich ward, ließ Napoleon die friedliche Maske fallen und bekannte ſich nochmals zu den hochmüthigen Gedanken der alten Kaiſerpolitik. Sein Kriegsminiſter Davouſt mußte alle die alten Soldaten vom linken Rhein - ufer unter die Fahnen rufen. In ſeiner Anrede an die Armee ſprach der Imperator wieder wie einſt als der Schirmherr des deutſchen Particu - larismus, mahnte zum Kampfe gegen die unerſättliche Coalition, die ſich bereits anſchicke die kleinen deutſchen Staaten zu verſchlingen; eine Procla - mation, die auf dem Schlachtfelde von Belle Alliance in dem erbeuteten Wagen Napoleons gefunden wurde, verkündete den Belgiern und Rhein - ländern die frohe Botſchaft: ſie ſeien würdig Franzoſen zu ſein!

Sobald dieſer Caeſar wieder an die Spitze ſeiner Praetorianer trat, mußte der alte Kampf zwiſchen Weltherrſchaft und Staatenfreiheit unaus - bleiblich von Neuem entbrennen. Nach dem Buchſtaben des Völkerrechts war Napoleons Schilderhebung allerdings nur ein legitimer Eroberungs - krieg des ſouveränen Fürſten von Elba gegen den Allerchriſtlichſten König; vergeblich ſuchte Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter durch künſtliche Sophismen dies unbeſtreitbare Rechtsverhältniß wegzudeuteln. Aber wie durften die Formen des Völkerrechts dieſem Gewalthaber zu Gute kommen, der ſein Leben lang mit Treu und Glauben geſpielt, jedes heilige Recht der Staatengeſellſchaft mit Füßen getreten hatte? Den Millionen in Deutſchland, Rußland, England erſchien der rückkehrende Despot nicht als ein kriegführender Fürſt, ſondern ſchlechtweg als ein blutiger Verbrecher, der durch ruchloſen Wortbruch alle Segnungen des ſchwer errungenen Friedens wieder in Frage ſtellte. Ein Aufſchrei des Zorns ging durch das preußiſche Land. Der alte Todfeind war wieder zur Stelle, war wie ein hungriger Wolf eingebrochen in die friedlichen Hürden der befreiten Völker; das deutſche Schwert mußte ihn nochmals herunterſchleudern von dem angemaßten Throne wer hätte das bezweifelt? Dies tapfere Volk, das unter den Nackenſchlägen des Tyrannen ſo namenlos gelitten, wollte und konnte nichts ſehen von allen den rührenden und erhebenden Auftritten, welche die Rückkehr des Imperators verſchönten, nichts von714II. 2. Belle Alliance.allen den politiſchen Wirren, welche die rathloſe Ueberraſchung der franzöſiſchen Nation erklärten. Den Preußen war Frankreichs Volk ein - fach eine Rotte von Verräthern, ſein Heer eine eidvergeſſene Soldatesca, die ſich mit ihrem alten Räuberhauptmann zu neuen Plünderungszügen verſchwor. Und mit dem grimmigen Haſſe verband ſich diesmal ein Gefühl freudigen Stolzes. Der alte Blücher ſprach ſeinen Preußen wieder aus der Seele, da er auf die erſte Nachricht jubelnd rief: das iſt das größte Glück für uns, nun kann die Armee wieder gut machen was die Diplomaten verfehlten. Erſt durch den Verlauf des Congreſſes und Talleyrands feindſelige Zettelungen hatte die Maſſe der Patrioten im Norden klar erkannt, wie matt und ſchwächlich der Pariſer Friedensſchluß geweſen und wie wenig geſichert unſere Weſtgrenze war. Sobald ſich die Ausſicht auf einen neuen Krieg eröffnete, erhob die Preſſe, der Rheiniſche Mercur voran, ſofort den Ruf: jetzt endlich ſei die Zeit gekommen dem galliſchen Raubthier die Zähne auszubrechen. In tauſend Tönen, weit lauter und beſtimmter als ein Jahr zuvor, erklang die Forderung: heraus mit dem alten Raube, heraus mit Elſaß und Lothringen!

Auch den Höfen war keinen Augenblick zweifelhaft, daß ſie die Zer - ſtörung des Pariſer Friedens nicht dulden durften. Schon am 8. März ſchlug Stein die Aechtung des Friedensbrechers vor. Am 13. traten die acht Mächte, welche den Friedensſchluß unterzeichnet hatten, zuſammen und beſchloſſen eine öffentliche Erklärung, worin ſie den Völkern Europas verkündeten, daß Napoleon Buonaparte ſich ſelber außerhalb des bürger - lichen und politiſchen Rechts geſtellt, als Feind und Störer der Ruhe der Welt ſich der öffentlichen Verfolgung preisgegeben habe. Die Bona - partiſten ſchrieen Zeter über dieſen unerhörten, dieſen menſchenfreſſeriſchen Beſchluß; doch er ſprach nur aus, was das empörte Gewiſſen aller Deut - ſchen und Ruſſen und der großen Mehrheit des engliſchen Volkes gebiete - riſch forderte. Am 25. März erneuerten die vier Verbündeten von Chau - mont ihr altes Bündniß, boten dem Könige von Frankreich ſowie jedem anderen von Buonaparte angegriffenen Lande auf Verlangen ihren Beiſtand an, luden alle Mächte Europas zum Beitritt ein und verpflichteten ſich die Waffen nicht eher niederzulegen als bis Buonaparte außer Stand geſetzt ſei neue Unruhen zu erregen und ſich der Staatsgewalt in Frank - reich abermals zu bemächtigen. Die Achtserklärung ſchloß eine Verände - rung der franzöſiſchen Grenzen nicht ſchlechthin aus, denn ſie behielt den Mächten ausdrücklich das Recht vor die Beſtimmungen des Pariſer Friedens zu vervollſtändigen und zu verſtärken. Aber ſie beruhte wie das Kriegsbündniß vom 25. März, auf einem verhängnißvollen thatſäch - lichen Irrthum, auf der Annahme, daß die Bourbonen mindeſtens in einem Theile Frankreichs ſich behaupten und die verbündeten Heere als Hilfstruppen der königlichen Armee auftreten würden.

Erſt einige Tage ſpäter erfuhr man in Wien, daß König Ludwig ſein715Napoleons Aechtung.Land bis auf das letzte Dorf hatte räumen müſſen. Der legitime Herrſcher ſaß als ein Fürſt ohne Land in Gent, jetzt gänzlich unter dem Einfluß der racheſchnaubenden Emigrantenpartei; der geächtete Störer der öffent - lichen Ruhe aber zeigte ſeinen gekrönten Herren Brüdern in friedfertigen Briefen die unblutige Unterwerfung Frankreichs an und erbot ſich ſofort den Pariſer Vertrag anzuerkennen. Die Lage war mit einem Schlage verändert, und die grollenden Whigs im Parlamente ſäumten nicht ſie auszubeuten: Whitebread und Burdett fragten in donnernden Reden, ob England von Neuem bluten ſolle um einem freien Volke eine Regie - rung aufzuzwingen, eine Dynaſtie, deren haltloſe Schwäche ſich ſo kläglich offenbart habe?

Die Tory-Regierung fühlte, daß ſie die Oppoſition beſchwichtigen mußte, und ließ daher in Wien erklären: der Prinzregent genehmige zwar den Vertrag vom 25. März und werde Alles aufbieten um Buona - parte zu bekämpfen, doch könne er ſich nicht verpflichten den Franzoſen eine beſtimmte Regierung aufzuerlegen. Oeſterreich, Preußen und Ruß - land erkannten am 9. Mai dieſe Auslegung des Vertrages als wohlbe - gründet an und behielten ſich ebenfalls freie Hand vor gegenüber der künf - tigen Regierung Frankreichs. Sodann entſpann ſich in dem Comité der acht Mächte eine langwierige Berathung über die Frage: ob nicht in Folge der thatſächlichen Erfolge und der friedfertigen Zuſchriften Buona - partes eine neue veränderte Erklärung geboten ſei. Die zu dieſem Zwecke ernannte Commiſſion gelangte zu dem Schluſſe, daß die Betheuerungen des Uſurpators keinen Glauben verdienten; ſie behauptete in ſehr ge - mäßigten Worten: das Recht einer Nation ihre Regierungsform zu ver - ändern ſei nicht ſchrankenlos, ſondern den Nachbarſtaaten ſtehe die Befugniß zu ſich gegen den gemeingefährlichen Mißbrauch dieſes Rechtes zu ver - wahren; ſie erinnerte an die allbekannte Thatſache, daß die Alliirten dem beſiegten Frankreich nur unter der ausdrücklichen Bedingung der Ent - thronung des corſiſchen Friedensſtörers einen milden Frieden gewährt hätten, und erklärte ſcharf und treffend: die förmliche Zuſtimmung der franzöſiſchen Nation zu der erneuten Thronbeſteigung Buonapartes würde einer Kriegserklärung gegen Europa gleichkommen. Dieſe förmliche Zuſtim - mung der franzöſiſchen Nation zu dem Gewaltſtreiche des Uſurpators er - folgte in der That, faſt im nämlichen Augenblicke da der Commiſſionsbericht (am 12. Mai) dem Comité der Acht vorgelegt wurde. Die napoleoniſche Zuſatzacte ward der Nation zur allgemeinen Abſtimmung vorgelegt; mehr als Millionen Stimmen erklärten ſich dafür, kaum 5000 wagten zu widerſprechen, die große Mehrzahl hielt ſich fern, ließ willenlos Alles über ſich ergehen. Damit hatte das franzöſiſche Volk die Thronrevolu - tion unzweifelhaft anerkannt, und für die acht Mächte ergab ſich, nach den eigenen Worten ihrer Commiſſion, die Nothwendigkeit, nunmehr die frühere, allein gegen die Perſon Buonapartes gerichtete Declaration fallen716II. 2. Belle Alliance.zu laſſen und dem Staate Frankreich, wie er ſich jetzt thatſächlich neu geſtaltet hatte, den Krieg zu erklären. Aber dieſer allein richtige Schluß ward nicht gezogen, da die Abſichten der verbündeten Mächte ſehr weit auseinander gingen.

Jene ſalbungsvolle Verſicherung der Torys, England wolle den Fran - zoſen nicht eine beſtimmte Regierung aufzwingen, war keineswegs ehrlich gemeint, ſondern lediglich ein parlamentariſcher Schachzug. Die ſtarr legitimiſtiſche Geſinnung des Tory-Cabinets änderte ſich nicht; in ſeinen Augen war und blieb der König ohne Land der rechtmäßige Beherrſcher von Frankreich, und Europa war ſelbſtverſtändlich verpflichtet, durch einen royaliſtiſchen Kreuzzug den legitimen König wieder auf den Thron ſeiner Väter zurückzuführen, damit England als der hochherzige Beſchützer der dankbaren Bourbonen den herrſchenden Einfluß in den Tuilerien erhielte. In ſolchem Sinne wiederholte Wellington beſtändig: Frankreich hat keine Feinde; dieſer Krieg iſt ein Krieg Europas, Frankreich mit eingeſchloſſen, gegen Buonaparte und ſein Heer. Darum durfte auch Niemand irgend welche Gebietsforderungen an Frankreich ſtellen. Voll hoher ſittlicher Entrüſtung, behaglich auf ihre wohlgefüllten Taſchen klopfend, ſprachen die Torys über die preußiſche Armuth und Habgier; ihr Neid gegen Deutſchland trat ſo gehäſſig hervor, daß ſelbſt die Gutherzigkeit der preu - ßiſchen Patrioten jetzt endlich über den wahren Charakter der britiſchen Handelspolitik ins Klare kam und Mancher, der ſeit Jahren ein glühender Bewunderer der engliſchen Hochherzigkeit geweſen, nunmehr ſein Urtheil berichtigte. Aber wie beſchränkt, heuchleriſch, engherzig die Politik der Torys auch erſchien, ſie allein unter den Verbündeten wußten genau was ſie wollten und verfolgten ihr Ziel mit hartnäckiger Ausdauer.

In der Hofburg fehlte es nicht an fanatiſchen Legitimiſten, die in das engliſche Horn blieſen. Adam Müller fand es ganz unbeſtreitbar, daß Ludwig XVIII. nunmehr ſchon ſeit vierundzwanzig Jahren regiere und Buonaparte nur ein Rebell ſei; ſonſt würde ja das göttliche Recht aller Throne geleugnet und das lächerliche Recht der Völker, eine Art von Willen zu haben, anerkannt! Metternich ſelbſt dachte nüchterner, er hegte keine Vorliebe für die Bourbonen und behielt ſich vor, nach den Umſtänden zu handeln; aber da ſeine ruheſelige Natur jede zweifelhafte Neuerung verabſcheute und die Verträge von Paris und Wien ihm als ein unantaſtbares Werk ausbündiger diplomatiſcher Weisheit erſchienen, ſo durften die Torys hoffen, den öſterreichiſchen Freund allmählich zu ihrer Anſchauung hinüberzuziehen. Czar Alexander dagegen und König Friedrich Wilhelm konnten dem Bourbonen das Kriegsbündniß vom 3. Januar nicht verzeihen. Unter den preußiſchen Generalen war nur eine Stimme darüber, daß dies zugleich ſchwache und treulos undankbare Königshaus nicht zurückkehren dürfe; der Czar ſprach mit Wärme von dem liberaliſirenden Herzog von Orleans. Doch weder der Petersburger717Zwieſpalt der Coalition.noch der Berliner Hof hatte ſchon einen beſtimmten Plan für die Wieder - beſetzung des franzöſiſchen Thrones gefaßt; überdies ſtimmten die beiden Mächte unter ſich keineswegs überein. Während die preußiſchen Staats - männer von Haus aus auf die Sicherung der deutſchen Weſtgrenze hin - arbeiteten, gefiel ſich der Czar wieder in überſchwänglicher Großmuth. Den wahren Grund ſeiner Hochherzigkeit verrieth er einmal, als ihm der Ausruf entfuhr: entweder ich nehme Theil an dieſem Kuchen, oder der Kuchen ſoll gar nicht gebacken werden! Rußland konnte von dieſem Kriege nichts gewinnen, und was kümmerte ihn Deutſchland wenn er hoffen konnte durch Freiſinn und Zartgefühl den engliſchen Einfluß in Frankreich aus dem Felde zu ſchlagen? Schon am 25. Mai ließ er ſeinen Geſandtſchaften ſchreiben: es beſteht eine franzöſiſche Nation, deren berechtigte Intereſſen nicht ungeſtraft geopfert werden dürfen; darum weder eine Herſtellung der unhaltbaren alten Ordnung noch eine Demüthigung Frankreichs, das für die Wohlfahrt Europas unentbehrlich iſt.

Bei dieſer tiefgreifenden Meinungsverſchiedenheit ließ ſich eine un - zweideutige Kriegserklärung gegen Frankreich, wie ſie von Hardenberg und Humboldt gewünſcht wurde, nicht durchſetzen. Die Coalition beſchloß auf jede weitere öffentliche Erklärung zu verzichten und beruhigte ſich bei dieſer Halbheit um ſo lieber, da ja in den Wechſelfällen des Krieges ſich leicht die Gelegenheit zu beſtimmteren Beſchlüſſen bieten konnte. Alle Welt er - wartete einen langen und langweiligen Krieg; war doch die Führung der europäiſchen Heere wieder in Schwarzenbergs und Langenaus bewährte Hände gelegt worden. Die Mächte begannen alſo den Feldzug in einer überaus unklaren völkerrechtlichen Stellung. Sie hatten den Kampf gegen Buonaparte angekündigt denn ſo nannten ſie den Imperator noch immer und nachher verſichert, daß ſie nicht den Zweck verfolgten die Bour - bonen wieder einzuſetzen. Sie waren unbeſtreitbar im Zuſtande des Krieges gegen den franzöſiſchen Staat, da das Völkerrecht nur Kriege zwiſchen Staaten kennt; ob ſie ſich aber ſelber als Feinde Frankreichs betrachteten, das blieb Angeſichts ihrer eigenen widerſpruchsvollen Erklärungen durchaus zweifelhaft. Auch die Proclamation an die Franzoſen, welche Schwarzenberg beim Einmarſche der Heere erließ, lautete ſehr unbeſtimmt; mit Mühe hatte Gagern erlangt, daß aus dem Satze Europa will den Frieden minde - ſtens der gefährliche Schluß und nichts als den Frieden geſtrichen wurde.

Dieſe rechtliche Unklarheit bei der Einleitung des Krieges hat nach - her den unglücklichen Ausgang der Friedensverhandlungen zwar nicht allein verſchuldet denn die Entſcheidung gab der vereinte Widerſtand, welchen das geſammte Europa den deutſchen Forderungen entgegenſetzte aber die Stellung der deutſchen Unterhändler auf dem Friedenscon - greſſe weſentlich erſchwert. Genug, dieſem vieldeutigen Bündniß gegen Buonaparte traten nach und nach alle Mächte zweiten Ranges bei; eine thörichte, vorzeitige Schilderhebung Murats in Italien, die raſch nieder -718II. 2. Belle Alliance.geſchlagen ward, beſtärkte die Höfe in der Ueberzeugung, daß jede Ver - handlung mit dem Bonapartismus unmöglich ſei. Deutſchland erſchien, was ſeit drei Jahrhunderten nicht mehr erlebt worden, ſchon beim Be - ginne des großen Krieges vollkommen einig. Offenen Verrath wagte Nie - mand mehr, obwohl ſich die böſe Geſinnung des Münchener und des Stuttgarter Hofes wieder in tauſend Zänkereien über das Verpflegungs - weſen bekundete. Aber die Nation ſollte ſchmerzlich genug erfahren, daß Einigkeit nicht Einheit iſt. Da der Deutſche Bund in dem Augenblicke der Kriegserklärung noch nicht beſtand, ſo konnten die deutſchen Staaten auch nur einzeln der Coalition beitreten; ſie erhielten im Rathe der großen Mächte keine Stimme und erprobten ſogleich, wie werthlos jenes Recht der ſelbſtändigen diplomatiſchen Vertretung war, das ſie als die ſchönſte Zierde ihrer Kronen betrachteten.

Angeſichts der ungeheuren Ueberlegenheit der Streitkräfte der Ver - bündeten verhieß die alsbaldige Eröffnung des Feldzugs ſicheres Gelingen; faſt alle namhaften Generale der Coalition, Blücher und Gneiſenau, Wel - lington, Toll und Diebitſch ſtimmten darin überein. Die Zögerung, meinte Blücher, ſchafft Napoleon nur die Heere, die wir mit vielem Blute bekämpfen müſſen. Nach Gneiſenaus Anſicht konnten am 1. Mai drei große Armeen von je 200,000 Mann etwa am Ober -, Mittel - und Niederrhein zum Einmarſch in Frankreich bereit ſtehen. Sein ſtaatsmänniſcher Blick ſah voraus, was faſt alle Uebrigen für unmöglich hielten, daß der Imperator die Offenſive ergreifen würde. Um ſo dringender rieth er den Alliirten ihrerſeits mit dem Angriff zuvorzukommen. Rückten die drei Armeen gleichzeitig gegen Paris vor und verſammelte ſich unterdeſſen in ihrem Rücken die vierte Armee, die aus Rußland herankam, dann konnte Napo - leon nur einer von ihnen eine ebenbürtige Macht entgegenſtellen; erlitt das eine Heer durch die Feldherrnkunſt des Gegners einen Unfall, ſo zog es ſich auf die große Reſervearmee zurück, die beiden anderen aber blieben im Vorgehen auf Paris. Wieder wie vor’m Jahre bezeichnete Gneiſenau die feindliche Hauptſtadt als das einzig mögliche Ziel des Kampfes, während ſelbſt muthige Männer wie Humboldt bedenklich mein - ten, die Geſchichte kenne keine Wiederholungen. Und wieder wie damals warnte er vor jeder Zerſplitterung der Kräfte: mit dem Sturze Napo - leons ſei alles Andere, auch das Schickſal Italiens von ſelbſt entſchieden.

In der Hofburg dagegen ward der italieniſche Kriegsſchauplatz als ſo hochwichtig angeſehen, daß ſelbſt Radetzky erklärte: Oeſterreich müſſe die Schweiz zum Mittelpunkte ſeiner Operationen wählen, um mit der ita - lieniſchen Armee in Verbindung zu bleiben. Auf der Halbinſel begann es zu gähren. Die Mailänder fingen ſchon an, die übereilte Revolution des vergangenen Frühjahrs zu bereuen, murrten über die Herrſchaft des bastone tedesco. Die phantaſtiſchen Manifeſte Murats, die von der Einheit Italiens redeten, machten doch einigen Eindruck; auch die natür -719Kriegsplan der Coalition.liche Theilnahme für den großen Landsmann, der ſoeben wieder die Wun - derkraft des antico senno Italiens offenbart hatte, erwachte von Neuem. Kaiſer Franz hielt für nöthig, ſeinen Bruder Johann in das neue lom - bardo-venetianiſche Königreich zu ſenden, denſelben der vor ſechs Jahren die Italiener zuerſt zur Freiheit aufgerufen hatte. Der Erzherzog ließ es an Biederkeit und guten Worten nicht fehlen, doch machte er auf die menſchenkundigen Südländer geringen Eindruck. Der Wiener Hof fühlte ſich ſeines adriatiſchen Beſitzes keineswegs ſicher. Dazu die alte, auch von Kneſebeck getheilte Vorliebe der k. k. Generale für geſuchte und weit - läuftige Bewegungen, endlich und vor Allem der dringende Wunſch die Gefahren des Krieges den Verbündeten zuzuſchieben, damit Oeſterreich bei dem ſchwierigen Friedensſchluſſe mit ungebrochener Kraft daſtände.

Aus Alledem ergab ſich ein ungeheuerlicher Kriegsplan, der ſelbſt die Künſteleien von 1814 noch überbot: in den Niederlanden 210,000 Mann unter Blücher und Wellington, am Mittelrhein Barclay de Tolly mit 150,000 Ruſſen, am Oberrhein und in der Schweiz 200,000 Oeſter - reicher, in Piemont endlich eine Armee von 60,000 Mann eine Trup - penmaſſe, die bis zu Ende Juli noch durch einen Nachſchub von 170,000 Mann auf 800,000 Köpfe verſtärkt wurde und dann dem Feinde um das Dreifache überlegen war. Als das nächſte Ziel der Operationen dachte ſich Schwarzenberg nicht Paris, ſondern Lyon. Von Napoleon aber ſtand mit Sicherheit zu vermuthen, daß er ſich auf den zunächſt ſtehenden Feind, auf das niederländiſche oder das mittelrheiniſche Heer ſtürzen würde; die k. k. Truppen waren alſo vor der Fauſt des Gefürchteten ſicher. Da nach dem öſterreichiſchen Plane die Ruſſen ſogleich in die erſte Reihe der Kämpfer einrücken ſollten, ſo verlangte Schwarzenberg die Vertagung des Ein - marſchs bis zum 16., dann zum 27. Juni, endlich gar bis zum 1. Juli. Obgleich alle anderen Mächte es hochbedenklich fanden dem raſtloſen Feinde ein volles Vierteljahr Friſt zu ſchenken, ſo behält doch in einem Coalitions - kriege der Zaudernde immer Recht. Oeſterreich behauptete hartnäckig, ſeine Rüſtungen nicht eher beendigen zu können, und ſo mußte denn am 19. April der große Kriegsrath der Coalition zu Wien die Vorſchläge der Hofburg im Weſentlichen annehmen, in die Verſpätung der Operationen willigen. Die diplomatiſche Welt, und Hardenberg mit ihr, glaubte be - ſtimmt, die Entſcheidung werde im Centrum der verbündeten Heere fallen. Der Armee in den Niederlanden dachte man, wie vor zwei Jahren der ſchleſiſchen, die beſcheidene Rolle eines Hilfscorps zu, und wieder wie da - mals ſollte der Gang der Ereigniſſe aller Vorausſicht ſpotten.

Mit den Berathungen über den Kriegsplan verband ſich ein lebhafter Streit über die Vertheilung der kleinen deutſchen Contingente. Die Höfe der Mittelſtaaten hielten es alleſammt für ein Gebot kleinköniglicher Ehre, ihre Truppen lieber unter fremden als unter preußiſchen Oberbefehl zu ſtellen. Graf Münſter meinte die Stunde gekommen um ſein altes Ideal,720II. 2. Belle Alliance.die engliſch-hannoverſche Hegemonie in Norddeutſchland zu verwirklichen, und warnte die kleinen Nachbarn dringend vor dem Anſchluß an Preußen. In der That wurden außer den Niederländern auch die Hannoveraner, Sachſen, Naſſauer und Braunſchweiger dem engliſchen Heere Wellingtons zugetheilt; nur ein kleines norddeutſches Bundesarmeecorps, zumeiſt aus Kurheſſen beſtehend, trat unter preußiſchen Befehl. Die ſüddeutſchen Truppen zogen zu den Oeſterreichern und Ruſſen am Ober - und Mittel - rhein, ſo daß ſich auch diesmal ein Gefühl nationaler Waffengemeinſchaft nicht bilden konnte.

Napoleons Heer war das beſte, das er je ins Feld geführt. Die aus der Kriegsgefangenſchaft und den deutſchen Feſtungen heimgekehrten Ve - teranen bildeten den Stamm ſeiner Regimenter. Mit abgöttiſcher Ver - ehrung blickte der gemeine Mann auf ſeinen kleinen Corporal; noch nie - mals war die Mannſchaft ſo ganz durchglüht geweſen von Praetorianerſtolz und leidenſchaftlicher Kampfluſt. Aber ihren Generalen traute ſie nicht über den Weg, da ein Theil der Marſchälle den Bourbonen treu geblieben war; und kehrte das Glück dem Imperator den Rücken, ſo ſtand von dieſen tapferen Graubärten, die alleſammt ihren Fahneneid gebrochen hatten und von den Bourbonen das Aergſte befürchten mußten, wenig ſitt - liche Widerſtandskraft zu erwarten.

Wie anders die Stimmungen im preußiſchen Heere! Als der König in einem kräftigen Aufrufe ſeinen Preußen ſagte: Europa kann den Mann auf Frankreichs Thron nicht dulden, der die Weltherrſchaft als den Zweck ſeiner ſtets erneuerten Kriege laut verkündigte da fand er überall in dem treuen Volke williges Verſtändniß. Abermals wie vor zwei Jahren eilte die Jugend zu den Waffen, der Landſturm und die Detachements der freiwilligen Jäger wurden von Neuem errichtet, und abermals be - ſeelte die Kämpfer der feſte Entſchluß, daß dieſer heilige Krieg nicht anders enden dürfe als mit einem ganzen und vollen Siege. Das von den ungeheuren Anſtrengungen der jüngſten Jahre noch ganz erſchöpfte Preußen ſtellte wiederum 250,000 Mann unter die Fahnen; auch die kleinen norddeutſchen Nachbarn zeigten diesmal regeren Eifer, ſtellten etwa 70,000 Mann. An kriegeriſcher Erfahrung und Sicherheit kam das Volksheer freilich dem Feinde nicht gleich. Die Armee befand ſich gerade in einem gefährlichen Uebergangszuſtande als der unerwartete Kriegsruf erſcholl. Das Wehrgeſetz und die Gebietserwerbungen machten eine Neu - bildung eines großen Theiles der Truppenkörper nothwendig; noch auf dem niederländiſchen Kriegsſchauplatze mußten einzelne Bataillone von ihren alten Regimentern abgetrennt werden. Die geſammte Reiterei wurde neu formirt, der Artillerie fehlte die Mannſchaft; Blücher hatte für ſeine 304 Kanonen nur 5303 Mann, bei einem Armeecorps gar nur 11 Mann für das Geſchütz, während das Reglement 30 Mann auf das Geſchütz rechnete. Die Mehrzahl der Linientruppen, die bis zum Ende721Zuſtand des preußiſchen Heeres.des vorigen Jahres noch am Rhein geſtanden, hatte der Kriegsminiſter erſt vor Kurzem in die öſtlichen Provinzen zurückverlegt, theils weil er die ſchwer heimgeſuchten Rheinländer der Einquartierung entlaſten wollte, theils weil er einen Krieg mit Oeſterreich befürchtete. Als nun plötzlich das Unwetter im Weſten aufſtieg und der König der Niederlande drin - gend um ſofortige Hilfe bat, da mußte man was am nächſten zur Hand war auf den Kriegsſchauplatz werfen. Die 116,000 Mann, die ſich in Belgien verſammelten, waren zur Hälfte Landwehren, und von dieſen wieder beſtand ein großer Theil, die Elblandwehr, aus Truppen der neuen, vormals weſtphäliſchen Provinzen Mannſchaften, die ſich erſt in den preußiſchen Dienſt einleben mußten: hatten doch Manche darunter vor Kurzem noch unter Napoleon gefochten.

Den Oberbefehl über die Feldarmee hatte der König ſchon im März ſeinem greiſen Feldmarſchall wieder übertragen; auch Gneiſenau übernahm wieder die ſchwere Vertrauensſtellung an Blüchers Seite. Um der Wieder - kehr der gehäſſigen Streitigkeiten zwiſchen den Führern vorzubeugen, wurde das Commando der drei erſten Armeecorps, welche den belgiſchen Feldzug eröffnen ſollten, den Generalen Zieten, Borſtell und Thielmann anvertraut, die alle drei im Dienſtalter hinter Gneiſenau ſtanden. Bülow erhielt das vierte Corps, das als Reſerve dienen ſollte; ſo kam der Eigenſinnige nicht zu häufig mit ſeinem Gegner Gneiſenau in Berührung. Das nord - deutſche Bundesarmeecorps, das ſich am deutſchen Niederrhein, im Rücken der Blücher’ſchen Armee verſammelte, wurde unter Kleiſts Befehle ge - ſtellt, deſſen mildes und gehaltenes Weſen ſich für die diplomatiſchen Aufgaben eines Bundesfeldherrn beſonders eignete. York und Tauentzien endlich erhielten das Commando der beiden Armeecorps in den öſtlichen Provinzen. General Grolman trat ſelbſt als Generalquartiermeiſter in Blüchers Hauptquartier ein und wies den Corpsführern der belgiſchen Armee vier ſeiner fähigſten Offiziere, Reiche, Aſter, Clauſewitz und Valen - tini als Stabschefs zu. Der Held von Wartenburg fühlte ſich in tiefſter Seele gekränkt, forderte nochmals ſeinen Abſchied, wollte in dieſer Ver - theilung der Rollen nichts ſehen als eine Parteigehäſſigkeit des Tugend - bundes . Wie York dachten alle die alten militäriſchen Gegner der Re - formpartei; ſie klagten, durch Boyen und Grolman kämen die Phantaſten und Demagogen in der Armee obenauf. Am Hofe begann wieder das arge Spiel der geheimen Verdächtigung gegen das ſchleſiſche Hauptquartier. In den Offizierskreiſen verſicherte man beſtimmt: Herzog Karl von Meck - lenburg, der den Feldmarſchall bei der Abreiſe im Namen der Berliner Garniſon noch einmal begrüßte, habe vergeblich um ein Brigadecommando in der Blücher’ſchen Armee gebeten; der Schwager des Königs ſolle dem gefährlichen Einfluſſe Gneiſenaus fern gehalten werden. General Kneſe - beck unternahm ſogar den Feldmarſchall ſelbſt zu freiwilligem Verzicht auf den Oberbefehl zu bereden; doch kaum fing er behutſam an von BlüchersTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 46722II. 2. Belle Alliance.hohen Jahren zu ſprechen, ſo lachte der Alte hell auf: was das für dummes Zeug iſt!

Damit war Alles abgethan: wer hätte den Helden der Nation von der Stelle, die ihm gebührte, verdrängen dürfen? Während der thaten - armen Monate letzthin war er wirklich nur ein gebrechlicher alter Mann geweſen, und eben jetzt traf den zärtlichen Vater noch ein grauſamer Schlag: ſein Lieblingsſohn Franz, ein hochbegabter, verwegener Reiter - offizier, war im Kriege ſchwer am Kopfe verwundet worden und verfiel in unheilbare Geiſteskrankheit. Aber ſobald der Krieg entſchieden war, raffte ſich der herrliche Greis wieder auf, wie ein edles Schlachtroß beim Schmettern der Trompete; er fühlte die Laſt der Jahre und des Kummers nicht mehr. Wieder einmal hatte er Alles voraus gewußt: warum wollten ihm die verfluchten Diplomatiker nicht glauben, als er ihnen vor’m Jahre vorherſagte, der Böſewicht werde ganz gewiß aus ſeinem Käfig ausbrechen? Ueberall auf der Reiſe drängten ſich die Maſſen um den volksthümlichen Helden. Friſch und jugendlich, leuchtend von Zuverſicht trat er unter ſeine jubelnden Truppen. Wie that es ihm wohl, das neue oſtfrieſiſche Regiment, die Landsleute ſeiner herzlieben Frau mit unter ſeinen Be - fehlen zu ſehen. Den erbitterten ſächſiſchen Offizieren hielt er aus der Fülle ſeines deutſchen Herzens heraus eine mächtige Rede: hier kenne er nicht Preußen noch Sachſen, hier ſeien nur Deutſche, die für ihr großes Vaterland ſiegen wollten und müßten. Mit dieſem Heere getraute er ſich Tunis, Tripolis und Algier zu erobern, wenn nur das Meer nicht dazwiſchen wäre. Die Stunde des Kampfes konnte er kaum erwarten und ſchrieb ſiegesgewiß an ſeinen getreuen Heinen, der ihm daheim ſeine Güter verwaltete: Die Franzoſen habe ich vor mich, den Ruhm hinter mich, balde wird es knallen! *)Blücher an Heinen, Lüttich 6. Mai 1815.

Er fand die Armeeverwaltung in peinlicher Verlegenheit. Denn der König der Niederlande, der ſo dringend um ſchleunigen Einmarſch der Preußen gebeten hatte, that jetzt, da er ſich in Sicherheit wußte, gar nichts für die Verpflegung der verbündeten Heere in dem reichen Lande; er kannte die Verachtung, welche die preußiſchen Offiziere ſeit dem thürin - giſchen Feldzug gegen ihn hegten, erwiderte ſie durch unverhohlene Ab - neigung und zeigte ſo üblen Willen, daß ihn Gneiſenau, ſicher mit Unrecht, franzöſiſcher Sympathien beſchuldigte. Baares Geld, woran Wellington Ueberfluß hatte, fehlte den Preußen gänzlich; ſchon ſeit anderthalb Mo - naten war der Armee kein Sold bezahlt worden. Der treffliche General - intendant Ribbentrop wußte keinen Rath mehr. Blücher ſchrieb dem Staatskanzler zornig: der niederländiſche König iſt der ungefälligſte, heimlichſte, intereſſirteſte Menſch. **)Blücher an Hardenberg, Namur 27. Mai 1815.Um der dringendſten Noth abzuhelfen,723Blücher in Belgien.ſtellte er eigenmächtig Wechſel aus, die von den Elberfelder Kaufleuten auf ſeinen großen Namen hin bezahlt wurden. Seine Truppen mußte er vorläufig von den Bauern verpflegen laſſen und ebendeshalb weiter als räthlich war, im Norden der Maas und Sambre zwiſchen Fleurus, Namur, Cinay und Hannut zerſtreuen. Alle dieſe Sorgen fochten ihn in ſeiner Siegeszuverſicht gar nicht an. Auf den erſten Blick durchſchaute er die innere Schwäche des neuen Kaiſerreichs: die Nation iſt bei Weitem nicht ſo vor Bonaparte portirt wie die franzöſiſchen Blätter es auspoſaunen. Er ſagte mit prophetiſcher Sicherheit voraus, daß die Entſcheidung hier auf dem belgiſchen Kriegsſchauplatze fallen werde. Beendigen wir den Krieg glücklich, ſchrieb er dem Staatskanzler, ſo gerathen alle großen Herren in meine Schuld; und gut ſoll und wird es gehen, denn die große Macht, ſo ſich die Sicherheitscommiſſarien von Bonaparte träumen, iſt ein Hirngeſpinnſt. Es fehlt ihm an Allem, und beſonders hat er das Zutrauen zu ſich ſelbſt und ſeinem Anhang verloren. *)Blücher an Hardenberg, Namur 2. Juni 1815.

Auch über die Forderungen, welche Deutſchland nach dem Siege an die Franzoſen zu ſtellen habe, war Blücher von Haus aus mit ſich im Reinen; ich hoffe, ſo ſchrieb er ſchon zu Anfang Mai, dieſer Krieg wird ſich ſo endigen, daß Frankreich in Zukunft Deutſchland nicht mehr ſo gefährlich ſein wird. Elſaß und Lothringen müſſen ſie hergeben. Und wunderbar, derſelbe Mann, in dem ſich der nationale Stolz und Haß des norddeutſchen Volkes verkörperte, war zugleich ein Kosmopolit im edelſten Sinne. Es wird in alle Zukunft eine ſtolze Erinnerung für unſere Nation bleiben, wie jener weitherzige deutſche Weltbürgerſinn, der bisher nur unſerer Bildung zu Gute gekommen, für unſer Staatsleben ein Fluch geweſen war, jetzt einmal unter höchſt außerordentlichen Verhält - niſſen auch politiſch fruchtbar wurde und Deutſchlands Feldherren be - fähigte europäiſche Politik großen Stiles zu treiben. In Blüchers Augen war dieſer Kampf ein heiliger Krieg der verbrüderten Völker Europas für die gemeinſame Freiheit, und nichts ſchien ihm ſelbſtverſtändlicher als daß der Bruder für den Bruder einſtehen müſſe bis zum letzten Bluts - tropfen. Mit einer rückhaltloſen Selbſtvergeſſenheit, deren ſchlechterdings nur der deutſche Idealismus fähig war, erklärte er ſich bereit alle Kräfte ſeines Heeres für die Sache Europas einzuſetzen. Vertrauensvoll kam er ſeinem engliſchen Waffengefährten entgegen und ſetzte treuherzig bei dem Briten die nämliche Geſinnung voraus. Das kurze, ſichere ſolda - tiſche Weſen des engliſchen Feldherrn gefiel ihm wohl: Wellington iſt die Gefälligkeit ſelbſt, ſchrieb er befriedigt, und ein ſehr beſtimmter Mann, wir werden eine gute Ehe mit einander führen. Als trotz ſeiner ſtür - miſchen Bitten und Vorſtellungen der Beginn des Krieges von den Wiener Strategen immer weiter hinausgeſchoben wurde, da drohte er dem Staats -46*724II. 2. Belle Alliance.kanzler: Wenn der Befehl zum Vorwärts ausbleibt, die Unruhen in Frankreich zunehmen, ſo mache ich es wie in Schleſien und ſchlage los. Wellington accompagnirt mich ſicher. Gneiſenau, gleich ſeinem greiſen Freunde bereit zu jedem Opfer für die gemeinſame Sache, urtheilte doch anders über den Charakter des Briten; er meinte, von dem laſſe ſich der zäheſte und tapferſte Widerſtand gegen den Feind erwarten, aber weder eine kühne Unbotmäßigkeit, noch irgend eine Aufopferung für die Verbündeten. Und dies Urtheil traf das Rechte; denn wenn im Blücher - ſchen Hauptquartiere die hochherzige Begeiſterung für die Freiheit Europas vorherrſchte, ſo war Wellington ein Engländer vom Wirbel bis zur Zehe, im Guten wie im Böſen.

Die kurzen ſechs Tage des belgiſchen Feldzugs erwecken nicht nur die höchſte politiſche und menſchliche Theilnahme durch den raſtloſen, mächtig aufſteigenden dramatiſchen Gang der Ereigniſſe, durch die Ueberfülle gran - dioſer Kämpfe, Leidenſchaften und Schickſalswechſel, die ſich in wenigen Stunden zuſammendrängte; ſie gewähren auch einen tiefen Einblick in die wunderbar vielgeſtaltige und ungleichmäßige Entwicklung der abendländi - ſchen Völker, denn drei grundverſchiedene Epochen der europäiſchen Kriegs - geſchichte traten in den Ebenen von Brabant gleichzeitig auf den Kampf - platz. Hier das achtzehnte Jahrhundert, das Söldnerheer Altenglands; dort das Zeitalter der Revolution, das Berufsſoldatenthum der demokra - tiſchen Tyrannis; da endlich die neueſte Zeit, das preußiſche Volk in Waffen. Jede der drei Armeen entfaltet in einem ungeheuren Ringen ihre eigenſte Kraft, und jede wird geführt von dem Feldherrn, der ihrem Charakter entſpricht. Da Blücher und Gneiſenau, die Helden des ſtür - miſchen Völkerzornes; dort der gekrönte Plebejer; hier endlich jener Wel - lington, der damals von Münſter und den Hochtorys als der größte Feldherr des Jahrhunderts gefeiert wurde, uns Nachlebenden aber als der letzte großartige Vertreter einer völlig überwundenen Kriegsweiſe er - ſcheint.

Wellington zählt zu jenen ſeltenen Männern, die ohne ſchöpferi - ſches Genie, faſt ohne Geiſt, allein durch die Kraft des Charakters, durch die Macht des Willens und der Selbſtbeherrſchung zu den Höhen hiſtoriſchen Ruhmes emporſtiegen. Wer hätte dieſem langſam faſſenden Knaben einen Weltruf geweiſſagt, ihm der nie recht jung war und von ſeinen eigenen Brüdern Richard und Heinrich an Talent weitaus über - troffen wurde? Ein Sohn jener hochkirchlichen Toryfamilien, die ſich als Eroberer in Irland niedergelaſſen hatten und inmitten der feind - ſeligen Kelten den Raſſen - und Standesſtolz, die Art und Unart des engliſchen Mutterlandes nur um ſo ſtarrer bewahrten, hatte er nach alt - engliſchem Adelsbrauche die ſubalternen Stellen im Heere durch Geld und Gunſt raſch überſprungen, ſchon mit fünfundzwanzig Jahren in dem Revo - lutionskriege ein Regiment befehligt. Sodann lernte er in Oſtindien die725Wellington.Kunſt des Herrſchens, unter den Augen ſeines Bruders Richard Welles - ley, des genialen Begründers der britiſchen Großmachtſtellung im Oriente. Streng gegen ſich und Andere, unverbrüchlich gehorſam und pflichtgetreu, gerecht und ehrenhaft, kalt, ſicher und verſtändig in Allem, zeigte er ſich jeder der ſchwierigen militäriſchen und politiſchen Aufgaben, welche das in - diſche Leben dem Heerführer ſtellt, vollauf gewachſen; und wie verwegen der Bedachtſame, der alle Möglichkeiten peinlich genau vorher erwog, zur rechten Stunde das Glück zu packen wußte, das lehrten der glänzende Sieg von Aſſaye über die ſechsfache Uebermacht der Hindus und der kühne Reiterzug in die Berge der Mahratten. Nach Europa zurück - gekehrt nahm er Theil an der berüchtigten Raubfahrt nach Kopenhagen, tapfer und tüchtig wie immer, aber auch vollkommen gleichgiltig gegen das traurige Schickſal des ruchlos überfallenen ſchwachen Gegners; denn niemals war ein Sohn Britanniens ſo ganz durchdrungen von der alt - nationalen Anſicht: right or wrong, my country! Nachher übernahm er den Oberbefehl in Portugal, von Haus aus voll ruhiger Siegeszuver - ſicht; trocken erklärte er, ich werde mich behaupten. Der theatraliſche Prunk der neufranzöſiſchen Kriegsherrlichkeit machte auf dieſen nüchternen Kopf gar keinen Eindruck; an dem Sturze Napoleons zweifelte er nie - mals. Während der ſechs Jahre des Halbinſelkrieges erzog er ſeine Söldner zu Virtuoſen in allen Künſten der altüberlieferten Kriegsweiſe.

Von Neuerungen und durchgreifenden Verbeſſerungen hielt er nichts; niemals hat er irgend ein Verdienſt begünſtigt, niemals eine Beförderung außer der Reihe vorgeſchlagen. Selbſtändige, denkende Generale waren ihm unbequem, während ſein weitherziger Bruder Richard begabte Untergebene in ungeſtörter Freiheit ſchalten ließ; er brauchte zuverläſſige, geſchickte Werk - zeuge und fand ſie mit ſicherer Menſchenkenntniß heraus. Seine Adju - tanten waren zumeiſt junge Lords, die auf den beſten Pferden der Welt die Befehle des Feldherrn pünktlich überbrachten und auf jede eigene Meinung gehorſam verzichteten. Er kannte ſeinen Werth, ſagte ſeinen Freunden im Tory-Cabinet gerade heraus: Ihr habt Niemand außer mir, ließ ſich mit einer außerordentlichen, nie mißbrauchten Vollmacht ausſtatten, ſo daß er jeden Offizier ohne Weiteres ſuspendiren und in die Heimath zurückſenden konnte. Seine Generale durften während der Schlacht in der angewieſenen Poſition Alles thun, was ſie für gut hielten, aber das nächſte Hinderniß vor ihrer Front war ihre unüberſchreitbare Grenze, bei Strafe des Standrechts. Die Offiziere liebten den Geſtrengen wenig, der nie in kameradſchaftlicher Herzlichkeit aufthaute, nie einen An - flug von Wohlwollen oder Großmuth verrieth, auch nicht wenn der Dienſt dabei keinen Schaden nehmen konnte. Der durchbohrende Blick der kalten Augen, die ſtolzen Züge mit der Adlernaſe und dem feſtgeſchloſſenen unbeweglichen Munde, der ſcharfe befehlende Klang der Stimme verboten jede vertrauliche Annäherung. Aber Alle gehorchten, Alle fühlten ſich726II. 2. Belle Alliance.ſtolz dem ſchwer zu Befriedigenden genug zu thun; ein Tadel oder auch nur ein Urtheil über die Maßregeln des Feldherrn wagte ſich ſelbſt im ver - trauten Geſpräche der Offiziere nicht heraus. Sie folgten ſeinen Befehlen blindlings wie den unerforſchlichen Rathſchlüſſen des Schickſals; ſelten einmal würdigte er ſie einer Anſprache und ſetzte dann in langſamer Rede, ſchwer - fällig und unſchön, aber beſtimmt und deutlich ſeine Abſichten auseinander.

Eine ſo unbedingte Abhängigkeit war nur möglich in den kleinen Armeen der alten Zeit. In der That befand ſich Wellington dann am wohlſten, wenn er ſelber, wie die Landsknechtsführer des ſechzehnten Jahr - hunderts, die Frundsberg, Emſer und Leyva, den perſönlichen Mittel - punkt des Heeres bildete, wenn er ſeine Regimenter in dicht gedrängter Aufſtellung eng um ſich verſammelt hielt und ſie mit ſeinem Auge nahe - zu überſah. Tief unter den hochadlichen Offizieren, die ihre Patente durch Kauf erwarben, von ihnen getrennt durch eine unausfüllbare Kluft ſtand die rohe Maſſe der Mannſchaft, der Abſchaum des engliſchen Volks, wie Wellington ſelber ſagte. Reicher Sold und gute Koſt nebſt der ent - ſprechenden Prügeltracht hielt dieſe Miethlinge zuſammen. Wunderbares vermochten die athletiſchen Körper mit ihrem altengliſchen Boxermuthe, ihrer Muskelkraft und Ausdauer zu leiſten, wenn der Drillſergeant ſie einige Jahre lang unter ſeine Fuchtel genommen hatte; unwiderſtehlich wirkte der Bajonettangriff der Hünengeſtalten der Garde oder der wuchtige Anprall der ſchweren Reiter auf ihren großen edlen Roſſen. Aber wehe der Stadt, die von dieſen Truppen mit Sturm genommen ward wie das unglückliche Badajoz; in dem Taumel des Sieges verlor die neunſchwänzige Katze ihre Schrecken, die Bande der Mannszucht zerriſſen und entfeſſelt raſten die Mordluſt, die Raubgier, alle viehiſchen Begierden dahin. So glich dies Heer einem großen, mit höchſter Sicherheit arbeitenden Uhr - werke und war doch mehr als eine Maſchine; denn in dem Offizierscorps lebten der ritterliche Anſtand und der Nationalſtolz des engliſchen Adels, auch der brutale Soldat war nach ſo vielen glänzenden Erfolgen dem nie beſiegten Feldherrn ganz und gar ergeben, ſah mit Selbſtgefühl auf ſeine ruhmreiche Fahne.

Wellington hatte in Spanien ſein kleines Heer mit bedachtſamer Umſicht geſchont, nur von Zeit zu Zeit, wenn alle Anzeichen den Erfolg verbürgten, einen kühnen Angriff gewagt, ohne je das Daſein ſeiner Armee auf das Spiel zu ſetzen. Dem Imperator ſelber war er niemals auf dem Schlachtfelde begegnet; die großartige, durch ungeheure Maſſen - ſchläge den Sieg mit einem male erzwingende Kriegsweiſe Napoleons blieb ihm unbekannt. Ganz unbefangen hielt er jene altväteriſch bedacht - ſame Kriegführung, die ihm ſelber in den ungewöhnlichen Verhältniſſen des ſpaniſchen Kriegsſchauplatzes ſo große Erfolge bereitet hatte, für die einzig richtige. Auf die Volksheere ſah er mit der ganzen Verachtung des Berufsſoldaten herunter; ſie waren ihm alleſammt um nichts beſſer727Wellingtons Kriegsweiſe.als die ſpaniſchen Guerillas, welche ſich auf dem Schlachtfelde ſo oft un - brauchbar erwieſen, und niemals wollte er zugeben, daß der Erfolg des Halbinſelfeldzuges doch nicht möglich geweſen wäre ohne den Fanatismus jener zuchtloſen Banden, die den Feind im Rücken durch die Schrecken des kleinen Kriegs ermüdeten und ſchwächten. Der Enthuſiasmus, ſchrieb er in ſeiner ungelenken Weiſe an Caſtlereagh, iſt in der That keine Hilfe um irgend ein Ding zu vollbringen und iſt nur eine Ent - ſchuldigung für die Unordnung, womit jedes Ding gethan wird, und für den Mangel an Mannszucht und Gehorſam in den Heeren. Aus dieſen militäriſchen Anſichten ſprach zugleich die antirevolutionäre Geſinnung des Hochtorys. Wellington hat in ſpäteren Jahren, ſobald ſein ſicherer Sol - datenblick die unaufhaltſame Nothwendigkeit einer Reform erkannte, mehr - mals gewagt ſich von ſeinen politiſchen Freunden zu trennen und, unbe - kümmert um den Zorn der Partei, ſelber mit ſtarker Hand vollendet was er bisher als gefährliche Neuerung bekämpft. Im Alter ſtand der Ruhm - gekrönte hoch genug um allein dem Ganzen zu leben, allein der Stimme ſeines lauteren Patriotismus zu folgen: ich gäbe, ſagte er einſt, willig mein Leben dahin, wenn ich meinem Lande damit einen Monat bürger - lichen Krieges erſparen könnte. Im Jahre 1815 war er durchaus noch ein hochconſervativer Parteimann; der Weltkrieg jener Tage erſchien ihm einfach als ein Kampf der legitimen Obrigkeit gegen die Revolution.

Die nationalen Leidenſchaften, die in den Völkern des Feſtlandes brandeten, betrachtete er halb mit Argwohn halb mit Verachtung. Unter Iren, Hindus, Spaniern und Portugieſen hatte er den größten Theil ſeines Lebens verbracht; nach ſolchen Erfahrungen ſtand ihm die Mei - nung feſt, daß keine andere Nation ſich den Briten auch nur von fern vergleichen dürfe. Die altengliſche Sünde der Geringſchätzung fremden Volksthums zeigte ſich bei dieſem trockenen unliebenswürdigen Helden in ſo beleidigenden, kalt hochmüthigen Formen, daß ſelbſt die Spanier, die ihm ſo viel verdankten, ihn aus Herzensgrunde haßten. Ganz wie ſein Freund Caſtlereagh blieb er der Anſicht, daß die parlamentariſche Freiheit ein ausſchließliches Beſitzthum des bevorzugten engliſchen Stammes ſei und für die Unreife der Continentalen nicht tauge. Wie er ſchon in Indien und Spanien die ſtaatsmänniſche Thätigkeit mit der militäriſchen verbunden hatte, ſo war er nach dem Frieden in Paris und Wien als Geſandter wirkſam und wurde von den Miniſtern ſo tief ins Vertrauen gezogen, daß man ihn geradezu wie ein Mitglied des Cabinets betrachtete. Er theilte das Mißtrauen der Torys gegen die aufſtrebenden Mächte Preußen und Rußland, war in den Geheimniſſen der Cabinette weit gründlicher bewandert als das Blücher’ſche Hauptquartier und übernahm ſein Commando ſogleich mit einem feſten, klar durchdachten politiſchen Plane mit der Abſicht den legitimen König wieder in das Schloß ſeiner Väter zurückzuführen.

728II. 2. Belle Alliance.

Unter den 94,000 Mann ſeines Heeres waren 32,000, etwa ein Drittel, Engländer, 37,000 Deutſche, 25,000 Niederländer. Von den Deutſchen waren nur die ruhmreichen Regimenter der Deutſchen Legion, etwa 7000 Mann, ebenſo kriegserfahren wie die wohlgedrillten engliſchen Veteranen, die Mannſchaft weniger roh, die Offiziere nach deutſcher Weiſe höher gebildet; auch die ſchwarze Schaar des Herzogs von Braunſchweig beſtand größtentheils aus geſchulten Soldaten. Dagegen befand ſich unter den Hannoveranern und Naſſauern viel junge Mannſchaft, desgleichen unter den neugebildeten niederländiſchen Regimentern; auf die franzöſiſch geſinnten Belgier war überdies kein Verlaß. Wellington betrachtete dieſe buntſcheckige Armee mit geringem Zutrauen und ſuchte ihr mehr ſittlichen Halt zu geben indem er die alten Regimenter mit den jungen Truppen durcheinander miſchte. Auch von dem kriegeriſchen Werthe des preußiſchen Heeres dachte er nicht hoch. Wohl kamen Augenblicke, da Blüchers mächtige Perſönlichkeit, der hohe Schwung der Seele, der aus den Worten und Blicken des Alten ſprach, ſelbſt dieſen Nüchternen bezauberte; was für ein ſchöner alter Knabe er doch iſt, ſagte er einmal mit ungewohnter Wärme, als er dem Davonreitenden nachblickte. Aber der republikaniſche Geiſt dieſes Volksheeres blieb ihm unheimlich. War doch der ſtürmiſche nationale Stolz und Thatendrang der preußiſchen Armee jetzt ſchon allen Höfen verdächtig geworden; ſelbſt der Czar meinte um jene Zeit, er werde wohl noch einſt ſeinen preußiſchen Freund gegen deſſen eigenes Heer beſchützen müſſen!

Obwohl Wellington, wie die meiſten ſeiner Landsleute, im Stillen der Meinung war, daß der Sturz des Weltreichs eigentlich durch den ſpaniſchen Krieg bewirkt worden ſei, ſo ſah er doch nicht ohne Sorge dem Augenblicke des erſten perſönlichen Zuſammentreffens mit Napoleon ſelber entgegen. Der Gefahr einer Niederlage wollte und durfte er ſich nicht ausſetzen; denn wie ſollte England die von den anderen Höfen nicht ge - wünſchte Zurückführung der Bourbonen erwirken, wenn ſein kleines Heer geſchlagen wurde? Darum ging er mit höchſter Vorſicht zu Werke. Sobald der Kriegsrath in Wien die Vertagung des Kampfes beſchloſſen hatte, fügte ſich der engliſche Feldherr nach ſeiner Gewohnheit unweiger - lich dem Befehle und richtete ſich auf eine behutſame Vertheidigung ein. Während Blücher durch die Schwierigkeiten der Verpflegung genöthigt ward, ſein Heer nördlich der Sambre weit auseinanderzulegen doch immerhin noch nahe genug um die Armee bei der höchſten Pünktlichkeit allenfalls in ſtarken vierundzwanzig Stunden verſammeln zu können zerſtreute Wellington ſeine Truppen ohne Noth, abſichtlich über einen noch weit größeren Raum. Denn da er Napoleons Charakter und Kriegsweiſe nicht kannte, ſo nahm er an, die Franzoſen würden in mehreren Colon - nen, an verſchiedenen Stellen zugleich in Belgien einbrechen, und ver - theilte ſeine Armee, ſtatt ſie nahe an die Preußen heranzuſchieben, auf729Das engliſch-deutſche Heer.der weiten Linie von Quatrebras bis weſtlich in die Gegend von Gent, während er nach ſeiner ſtreng methodiſchen Art ſeine Reſerve bei Brüſſel zurückbehielt um nach Umſtänden die bedrohten Punkte unterſtützen zu können. So dachte er gegen jeden möglichen Angriff gerüſtet zu ſein, die Verbindung mit England über Antwerpen und Oſtende ſicherzuſtellen und zugleich ſeine Schützlinge, den Hof des flüchtigen Königs in Gent und das Häuflein der bourboniſchen Haustruppen bei Aloſt vor einer Ueber - rumpelung zu bewahren. Aber durch dieſe weitgedehnte Aufſtellung ward ein raſches Zuſammenwirken mit Blücher verhindert; es blieb möglich, daß Napoleon, der jedem einzelnen der beiden verbündeten Heere über - legen war, ſich plötzlich zwiſchen die beiden Armeen eindrängte und die Preußen, die ihm am nächſten ſtanden, ſchlug ehe Wellington zur Un - terſtützung herbeieilen konnte.

Kurz bevor die Schwerter aus der Scheide fuhren erlebte die deutſche Armee noch eine unheimliche Kataſtrophe. Selbſt dieſer erſte Krieg, den die Deutſchen in vollem Einmuth führten, ſollte nicht beginnen, ohne daß die Flammen des alten grimmigen Bruderzwiſtes noch einmal aus dem Bo - den emporſchlugen. Den unglücklichen ſächſiſchen Händeln folgte in Bel - gien noch ein tragiſches Nachſpiel. Sobald die großen Mächte über Sachſens Schickſal einig geworden, hatten ſie beſchloſſen den gefangenen König in die Nähe von Wien kommen zu laſſen, damit er der geſchloſſe - nen Uebereinkunft beiträte. Die preußiſche Regierung wußte aus Dresden, daß der ſächſiſche Hofadel die Durchreiſe ſeines angeſtammten Fürſten zu lärmenden Kundgebungen benutzen wollte; ſie wußte desgleichen durch die Miniſter in Berlin, daß Friedrich Auguſt entſchloſſen war, alles in Wien Beſchloſſene rundweg abzulehnen und die Verhandlungen von vorn zu beginnen. *)Berichte des ſächſiſchen Generalgouvernements und des Miniſters v. d. Goltz an den Staatskanzler vom 2. Januar und 19. Februar 1815.Sofort traf Hardenberg ſeine Maßregeln. Der Gefangene mußte, als er am 22. Februar die Reiſe nach Preßburg antrat, ſeinen Weg durch Schleſien nehmen. An der öſterreichiſchen Grenze begrüßte ihn ſofort das Geläute der Glocken und aller Pomp eines fürſtlichen Empfanges. Doch mehr als ſolche Ehren konnte Kaiſer Franz ſeinem Schützlinge nicht bieten; denn neben der Abwehr des neuen Angriffs der Franzoſen erſchien jetzt der Streit um Sachſen in ſeiner ganzen klein - lichen Erbärmlichkeit, als eine läſtige Störung, die man um jeden Preis aus der Welt ſchaffen mußte. Preußen erlebte die Genugthuung, daß alle die völkerrechtlichen Grundſätze, welche Hardenberg bisher unter dem Zeter - geſchrei des entrüſteten Europas vertheidigt hatte, nunmehr von Oeſter - reich, England und Frankreich förmlich anerkannt wurden. Einſtimmig erklärten die Mächte: da eine Eroberung des ganzen Landes, eine debel - latio vorliegt, ſo iſt ein Friedensſchluß mit dem entthronten Fürſten730II. 2. Belle Alliance.rechtlich nicht geboten; nur aus freiem Willen ſind die Eroberer bereit, die eine Hälfte des Landes an Friedrich Auguſt zurückzugeben, wenn er zuvor die Bewohner der anderen Hälfte ihres Eides entbunden und ſich den Wiener Beſchlüſſen unterworfen hat; bis dahin verbleibt die Ver - waltung des ganzen Landes in Preußens Händen. Mit ſolchen Aufträgen traten am 12. März Metternich, Wellington und Talleyrand vor den Wettiner.

Als er trotzig die Wiederaufnahme der Verhandlungen verlangte, er - widerten ſie in einer ſcharfen Note, er verkenne gänzlich ſeine Lage. Talleyrand aber verſicherte erhaben: Friedrich Auguſt habe dem grau - ſamſten Feinde Deutſchlands gedient und verdiene darum keine Scho - nung! Das Hin - und Herzerren, das nun begann (von Unterhand - lungen kann man kaum reden), erregt höchſtens ein pathologiſches Inter - eſſe. Zwei Monate lang hielt der verblendete alte Mann die Mächte hin mit Entſchädigungsforderungen für Warſchau oder die Lauſitz, mit Rechtsverwahrungen, Formbedenken und tauſend armſeligen Quälereien. Erſt am 18. Mai kam der Friede zwiſchen Preußen und Sachſen zu Stande, genau nach den Beſchlüſſen des Comités der Fünf. An den Höfen regte ſich der Verdacht, Friedrich Auguſt ſuche abſichtlich die Ver - handlungen hinzuziehen, bis ein neuer Sieg Napoleons den Albertinern ihre alte Macht zurückgäbe. Die Vermuthung lag ſehr nahe. Der Dresdner Pöbel, der mit blauem wie der mit rothem Blute, jubelte dem rückkehrenden Großen Alliirten entgegen; damals wie im Jahre 1866 fand das Ehrgefühl dieſer Kreiſe ſeinen getreuen Ausdruck in dem Vers - lein: Preußiſcher Kukuk, warte! Uns hilft Bonaparte! Der Hof in Preßburg dachte doch anders; die Rückkehr der napoleoniſchen Herrſchaft war dem alten Könige in jenem Augenblicke unwillkommen, weil ſie ihn des Beiſtandes ſeiner mächtigen Beſchützer beraubte. Der mühſelige Gang der letzten Verhandlungen erklärt ſich genugſam aus der legitimiſtiſchen Starrheit und der pedantiſchen Formenſeligkeit des Albertiners. Was verſchlug es dem kleinköniglichen Stolze, wenn die unleidlichen proviſo - riſchen Zuſtände in dem armen Lande, das ſeit anderthalb Jahren nicht mehr zur Ruhe gekommen, noch um einige Monate verlängert wurden?

Derſelben Geſinnung begegnete das preußiſche General-Gouvernement bei den ſächſiſchen Beamten. Die oberſten Behörden widerſetzten ſich hart - näckig, als die in Folge der Theilung unvermeidliche Abſonderung der Archive und Regiſtraturen anbefohlen wurde; man ging ſo weit, ſogar Rechnungs-Ablegung von dem General-Gouvernement zu verlangen. Das Dresdner Geheime Conſilium behauptete in einem höchſt poſſirlichen band - wurmartigen Schriftſtücke*)v. 31. März, eingetragen als Nr. 6 der ausländiſchen Regiſtrande . die Ohnmöglichkeit, ohne allerſeitiges Einver - ſtändniß die Theilung durchzuführen, und berief ſich auf die Parlaments -731Nachſpiel der ſächſiſchen Händel.reden des bei der Abfaſſung der Wiener Protokolle ſelbſt mitgewirkten Lords Caſtlereagh . Alles vergeblich; ſogar der Name des ſelbſt mit - gewirkten Lords machte auf den Staatskanzler keinen Eindruck. Harden - berg befahl, mit Strenge vorzugehen; die Theilung ſei durch die Mächte unwiderruflich beſchloſſen, von einer Rechenſchaft über die Verwaltung eines eroberten Landes könne gar nicht die Rede ſein *)Weiſungen an das General-Gouvernement v. 24. u. 27. März 1815.. Das Land blieb alſo vorläufig in Preußens Beſitz, alle für die definitive Theilung erforderlichen Vorbereitungen wurden vollzogen; das Zaudern des alten Königs bewirkte nur einige unfruchtbare Zänkereien. Den ſächſiſchen Le - gitimiſten aber iſt niemals ein Schimmer der Selbſterkenntniß aufge - gangen, auch als ſie endlich die Früchte ihres Thuns vor Augen ſahen; ſie haben nie begriffen, daß ſie ſelber durch ihre Gehäſſigkeit gegen Preußen redlich mitgeholfen hatten zu der vielbeweinten Theilung des Landes.

Für die kleine ſächſiſche Armee ſollte der Starrſinn Friedrich Auguſts verhängnißvoll werden. Der Kriegsherr als Gefangener in Preußens Händen, und ſeine Soldaten als Bundesgenoſſen im Lager der Alliirten: in dieſem ſchiefen und unwahren Verhältniß waren die bedauernswerthen Regimenter durch anderthalb Jahre verblieben. Ihr Unſtern wollte, daß ſie an dem Kriegsruhm der Verbündeten faſt keinen Antheil gewannen; die Anſchauungen des preußiſchen Heeres blieben dieſen altgedienten Be - rufsſoldaten ganz fremd, der Name Landwehr galt hier als Schimpfwort. Nach dem Frieden ſtanden ſie lange in Weſtdeutſchland, der Heimath fern, doch von Dresden aus beſtändig durch Briefe und Sendboten be - arbeitet. Die anhaltende Ungewißheit über die Zukunft des Landes rief Parteiungen im Offizierscorps hervor. Eine Adreſſe zu Gunſten des ge - fangenen Königs wurde eingereicht, unter lebhaftem Widerſtreben der preußiſchen Vorgeſetzten. Die Legitimiſten wollten das grüne Kreuz, eine von dem ruſſiſchen Gouvernement geſtiftete Auszeichnung, nicht mehr auf der Bruſt ihrer Kameraden dulden; in Coblenz kam es zu gewaltſamen Auftritten zwiſchen Görres und ſächſiſchen Offizieren. Die Mannſchaft begann irr zu werden an ihren Führern; ſie fühlte ſich wie verrathen und verkauft, da ſelbſt der gemeine Soldat merkte, daß die plötzliche Ver - legung des Armeecorps in die Nähe preußiſcher Garniſonen politiſche Gründe hatte. Aller Unſegen des Parteikampfes brach über die Truppen herein. Wer billig urtheilt, wird ſich nur darüber verwundern, daß in ſo unge - ſunden Zuſtänden die Bande der ehrenhaften deutſchen Mannszucht nicht ſchon früher zerriſſen.

Die dienſtliche Haltung der Regimenter blieb untadelhaft den Winter über, obgleich die alten rheinbündiſchen Erinnerungen natürlich wieder le - bendig wurden, da und dort in den Quartieren der ſächſiſchen Soldaten732II. 2. Belle Alliance.auch ein vive l’empereur erklang. Die beiden Generale, welche in der Armee mit Recht des höchſten Anſehens genoſſen, Zeſchau und Le Coq, waren ſtrenge Legitimiſten und durften deshalb nicht bei den Truppen bleiben. Das Commando des Corps wurde durch einen argen Mißgriff dem General Thielmann anvertraut, der ſeinen alten Kameraden als ein Deſerteur verdächtig war; und er verſtärkte dieſe Mißgunſt, indem er nach ſeiner ſchauſpieleriſchen Weiſe, mit unmilitäriſcher Redſeligkeit durch Trinkſprüche und Anreden die Offiziere für Preußen zu gewinnen ſuchte. Da aus Wien die Nachricht von der Theilung des Landes kam, forderte er ſofort eigenmächtig ſeine Kameraden auf, zwiſchen dem preußiſchen und dem ſächſiſchen Dienſte zu wählen; darauf neuer Zwiſt unter den Offi - zieren, ſteigendes Mißtrauen unter der Mannſchaft. So hat der General durch ſein taktlos zudringliches Benehmen die Lockerung der Mannszucht in der kleinen Armee unbeſtreitbar mitverſchuldet.

Dieſe heilloſen Wirren zu beendigen war für den König von Preußen unerläßliche Pflicht. Boyen ſah ſchon im März unruhige Auftritte unter den ſächſiſchen Truppen voraus. Durfte man ſie in ihrem unfertigen Zuſtande belaſſen bis zu dem ganz unabſehbaren Zeitpunkte, da es dem Albertiner gefallen würde ſeinen thörichten Widerſtand aufzugeben? Der König befahl daher am 14. März dem General Gneiſenau ungeſäumt aus den dem preußiſchen Antheile angehörigen Mannſchaften neue Re - gimenter zu bilden: ich werde mich freuen, von jetzt an nie einen Unter - ſchied zwiſchen meinen älteren Regimentern und ihnen zu machen. *)Cabinetsordre an Gneiſenau 14. März 1815.Den Offizieren blieb die Wahl des Dienſtes freigeſtellt. Die Gewiſſen - haftigkeit des Königs ließ ſich nicht ein auf die peinliche Frage, ob der alte Fahneneid der Sachſen nicht durch ihren Uebertritt zu den Verbün - deten aufgehoben ſei. Er befahl einfach eine neue Formation der ſäch - ſiſchen Regimenter, wozu er unzweifelhaft befugt war, und wollte die Ver - eidigung der an Preußen kommenden Truppentheile ſo lange vertagen, bis Friedrich Auguſt ſie des alten Eides entbunden hätte. Am 1. April ſchärfte Hardenberg dem General Gneiſenau den königlichen Befehl noch - mals ein, da nach dem Gange der Verhandlungen an der ſchließlichen Zuſtimmung des Wettiners nicht zu zweifeln ſei. Die Mächte in Wien waren mit dem Verfahren des Staatskanzlers einverſtanden; ſie beſchloſſen die bei der Krone Sachſen verbleibenden Regimenter der Armee Wellingtons zuzutheilen. Die preußiſchen Generale ſchoben dann die Ausführung ſcho - nend noch um einige Wochen hinaus. Um den Sachſen ſein Vertrauen zu zeigen nahm Blücher in Lüttich mitten unter ihnen ſein Hauptquartier. Aber ſeine herzliche Anſprache fand taube Ohren; der Groll der Truppen ſtieg von Tag zu Tag, die ganz bonapartiſtiſch geſinnten Quartierwirthe des Lütticher Landes regten die Verblendeten noch mehr auf.

733Menterei in Lüttich.

Als endlich auf einen neuen königlichen Befehl am 2. Mai die Theilung der Armee angeordnet wurde, da brach die ſo lange von Dresden her ge - ſchürte und unzweifelhaft auch durch einzelne gewiſſenloſe Offiziere genährte Erbitterung der Mannſchaft furchtbar aus. Trunkene Soldatenhaufen ſtürmten unter dem Rufe wir laſſen uns nicht theilen das Haus des Feldherrn. Der alte Held mußte fliehen vor ſeinen eigenen Soldaten; nur durch die Tapferkeit ſeiner ſächſiſchen Wachen entging er dem Tode. Auf die Willenskraft und das ſittliche Anſehen der Offiziere kommt bei ſolchen Aus - brüchen der Roheit Alles an. Die ſächſiſche Wache vor Blüchers Thür that ehrenvoll ihre Soldatenpflicht; die Reiterei und die Artillerie hielten ſich dem wüſten Treiben ganz fern. Auch unter dem Fußvolk blieb die Mann - ſchaft überall da ruhig, wo die Führer ſie zu beherrſchen verſtanden; ſelbſt ſolche Offiziere, die ſich bereits für den preußiſchen Dienſt gemeldet hatten, behaupteten ihr Anſehen, wenn ſie nur tüchtig waren. Jenes Bataillon dagegen, das ſchon zur Zeit der Dennewitzer Schlacht, früher als die anderen Sachſen, zu den Preußen übergegangen war, zeichnete ſich in Lüttich durch ſeine Zuchtloſigkeit traurig aus*)Ich benutze hier u. A. die Aufzeichnungen meines Vaters, der als blutjunger Offizier bei einem ſächſiſchen Regimente in der Nähe von Lüttich ſtand und ſeine Leute im Zaume zu halten wußte..

Nachſicht gegen dieſe faſt im Angeſichte des Feindes begangene Meuterei wäre ſchimpfliche Schwäche geweſen. Das Kriegsrecht nahm ſeinen Gang, die Rädelsführer wurden erſchoſſen, die Fahne der ſächſiſchen Garde vor der Front verbrannt. General Borſtell, der ſich aus Mitleid mit den Unglücklichen geweigert hatte, die Verbrennung der Fahne vorzunehmen, büßte ſeinen Ungehorſam auf der Feſtung; an ſeiner Stelle übernahm General Pirch den Befehl über das zweite Armeecorps. Dann mußte das ſächſiſche Corps den Rückmarſch in die Heimath antreten, da die preußiſchen Soldaten, wüthend über die dem Marſchall Vorwärts an - gethane Schmach, mit den Sachſen nicht zuſammen fechten wollten, und Wellington ſich weigerte die meuteriſche Truppe in ſein Heer aufzunehmen. Schuldige und Unſchuldige gingen des Schlachtenruhms von Ligny und Belle Alliance verluſtig. Auf dem Rückmarſch erfuhren die Sachſen viel - leicht das Entſetzlichſte, was jemals deutſche Krieger ertragen haben. Ueberall am Rhein und in Weſtphalen grimmiger Haß und Abſcheu gegen die Meuterer; in Aachen beſetzten bewaffnete Bürger argwöhniſch die Wachen und Thore, als die ſächſiſchen Regimenter vorbeikamen. Ueberall jubelte das Volk über den neuen ſtrahlenden Sieg Blüchers und Gneiſenaus. Die preußiſchen Freiwilligen, welche dem ſiegreichen Heere nachzogen, konnten ihre Verachtung gegen die ſächſiſchen Hunde nicht bemeiſtern; nach wie - derholten blutigen Raufhändeln mußte man mehrmals die Landſtraße ver - meiden um ſchmählichen Begegnungen auszuweichen. Und dazu der grade für die ehrenhaften Offiziere empörende Gedanke, daß ſie an dem Kampfe734II. 2. Belle Alliance.von Belle Alliance hätten theilnehmen können und dort unzweifelhaft ihre Pflicht gethan haben würden! Natürlich ſchob man alle Schuld auf die preußiſchen Generale, die doch nur den Befehl ihres Königs ausgeführt und den Sachſen durchaus keinen neuen Eid zugemuthet hatten. Während ganz Deutſchland ſich das Herz erhob an dem neuen Ruhme der preußi - ſchen Waffen, herrſchte in Sachſen tiefe Trauer; man ſang das Lied des ſächſiſchen Tambours: O Vaterland, daß du zerriſſen biſt! Wie ſollt ich noch leben zu dieſer Friſt? Die kleine Armee hat nach der endlich vollzogenen Theilung noch Jahrzehnte lang unter den Folgen jenes böſen Tages gelitten; ſie blieb mit Offizieren überfüllt, das Avancement ſtockte gänzlich. Die napoleoniſchen Veteranen, die alten Herren mit dem blau - gelben und dem rothen Bande, gaben den Ton an; aus dieſen Kreiſen iſt dann der Todhaß gegen Preußen wie ein heiliges Vermächtniß auf die jüngere Generation übergegangen.

Der greiſe Feldmarſchall aber fühlte ſich unglücklich bis zur Verzweif - lung. Seit fünfundfünfzig Jahren trug er den Degen und hatte niemals anderes Blut vergoſſen als das Blut der Feinde. Und nun dieſe Schmach! Nun mußte er, der Vater ſeiner Soldaten, Hinrichtungen vornehmen in der eigenen Armee und nachher noch ſein ganzes Anſehen einſetzen um die Meuterer vor dem Ingrimm der Preußen zu beſchützen. Der gewaltige Mann war wie vom Fieber geſchüttelt und horchte in furchtbarer Auf - regung auf das Knattern des Gewehrfeuers, als draußen der Spruch des Kriegsgerichts vollſtreckt ward. An den König von Sachſen aber ſchrieb er mit ſeinem mächtigen Freimuth, in einer Sprache wie ſie nie ein Feldherr gegen ein gekröntes Haupt gewagt hat: Ew. K. Majeſtät haben durch Ihre früher ergriffenen Maßregeln Ihre Unterthanen, einen ge - achteten deutſchen Völkerſtamm, in das tiefſte Unglück geſtürzt. Durch Ihre ſpäteren Maßregeln kann es dahin kommen, daß er allgemein mit Schande bedeckt wird. Das vergoſſene Blut wird dereinſt vor Gottes Gericht über den kommen, der es verſchuldet hat, und vor dem Allwiſſen - den wird Befehle geben und Befehle dulden als ein und daſſelbe geachtet werden müſſen. Ew. K. Majeſtät wiſſen, daß ein Greis von 73 Jahren keine anderen irdiſchen Abſichten mehr haben kann als daß die Stimme der Wahrheit gehört werde und das Rechte geſchehe. So haben Ew. K. Majeſtät dieſes Schreiben aufzunehmen! *)Blücher an König Friedrich Auguſt, 6. Mai 1815.Blücher mochte in ſeinem Zorne ein Wort zu viel ſagen; es ließ ſich nicht erweiſen, daß die Meuterei planmäßig vorbereitet worden wäre. Doch im Weſentlichen traf der Alte das Rechte: ohne das verblendete Zaudern Friedrich Auguſts, ohne die ſchändliche Aufwiegelung, die von ſeinen Helfershelfern ſeit Monaten betrieben wurde, wäre das Blut der ſächſiſchen Soldaten bei Lüttich nicht gefloſſen.

735Napoleons Anmarſch.

In der zweiten Woche des Juni führte Napoleon ſeine Feldarmee, den Marſch geſchickt verdeckend, gegen die belgiſche Grenze um bei Charleroi die Sambre zu überſchreiten. Von dort geht eine Straße nordwärts über Quatrebras nach Brüſſel, eine zweite oſtwärts in einem großen Bogen über Sombreffe nach Namur. Der Imperator wußte über die Aufſtellung der Verbündeten ungefähr, daß Wellingtons Heer in der Gegend von Brüſſel, das preußiſche bei Namur ſtand. Das Dreieck zwiſchen Charleroi, Quatrebras und Sombreffe bildete alſo den natür - lichen Platz für die Vereinigung der verbündeten Armeen; gelang dieſe Vereinigung rechtzeitig, ſo war den 210,000 Mann der beiden Feldherren der Sieg über die 128,000 Franzoſen von vornherein geſichert. Daher beſchloß Napoleon hier zwiſchen die beiden Heere einzubrechen um ſie dann getrennt zu ſchlagen. Obwohl er ſich durch die Gährung in Frankreich, durch die faſt hoffnungsloſe Schwierigkeit ſeiner militäriſchen Lage lebhaft beunruhigt fühlte und während dieſes Feldzugs nach ſeinem eigenen Ge - ſtändniß die gewohnte kalte Sicherheit nicht immer bewahrte, ſo war ihm doch die alte hochmüthige Geringſchätzung des Gegners geblieben. Er hoffte, ſein plötzliches Erſcheinen werde genügen um Blücher gegen Oſten abzudrängen, Wellington zum Rückzug nordwärts zu bewegen, ſo daß der Zwiſchenraum zwiſchen Beiden ſich erweiterte. Daß die Preußen ſogleich, dicht an der Grenze, eine Schlacht annehmen würden, erwartete er nicht. Aber dies Unerwartete geſchah. Sobald Gneiſenau das Anrücken des Feindes gegen Charleroi erfuhr, befahl er ſofort, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni, die Concentration des geſammten Heeres bei Som - breffe, die am 16. vollendet ſein ſollte. Am 15. bei Morgengrauen begann der Anmarſch der Franzoſen. Ihr rechter Flügel wendete ſich gegen das Armeecorps Zietens, das unter blutigen Gefechten auf der Straße nach Sombreffe zurückging.

Schon bei dieſen erſten Kämpfen zeigte ſich die furchtbare Erbitterung der beiden Nationen. Wie oft hatten im vorigen Jahre die aus den deutſchen Feſtungen heimkehrenden napoleoniſchen Veteranen in blinder Wuth Raufhändel begonnen, wenn ſie unterwegs preußiſchen Regimentern begegneten; jetzt galt es Rache zu nehmen an dieſen preußiſchen Hunden, die ihrerſeits den Haß nicht minder herzhaft erwiderten. Gleichzeitig ging Napo - leons linker Flügel nordwärts auf der Straße nach Quatrebras vor und gelangte, da die Spitzen der engliſchen Armee um eine bedeutende Strecke weiter zurückſtanden als die Preußen, mit leichter Mühe bis nach Frasnes. Die Stellung des preußiſchen Heeres bei Sombreffe wurde dadurch in der rechten Flanke bedroht. Zudem ward auch ſchon zweifelhaft, ob Bülows Corps am nächſten Tage rechtzeitig bei der Armee eintreffen würde. Um die Empfindlichkeit des älteren Generals zu ſchonen hatte Gneiſenau dem Marſchbefehle an Bülow eine ſo höfliche Faſſung gegeben, daß er faſt wie ein unmaßgeblicher Vorſchlag klang. Bülow, immer geneigt zu eigen -736II. 2. Belle Alliance.mächtigem Handeln und noch ohne Kenntniß von dem wirklichen Ausbruch der Feindſeligkeiten, blieb unbeſorgt in Lüttich und verſchob die anbefohlene Vereinigung ſeines Corps bei Hannut auf den 16. Juni. Ein zweiter dringenderer Befehl zum Anmarſch traf ihn daher in Hannut nicht an. Das vierte Corps verlor in einem Zeitpunkte, da jede Minute koſtbar war, einen vollen Tag und konnte am 16. nicht mehr bei der Armee eintreffen. Die Lage der drei preußiſchen Corps, die ſich in der Gegend von Sombreffe zuſammenzogen, geſtaltete ſich alſo ſehr ernſthaft, und ob - wohl das Blücher’ſche Hauptquartier ungeſtüm nach einer raſchen Ent - ſcheidung verlangte, ſo wurde doch am Morgen des 16. ernſtlich die Frage erwogen, ob man nicht beſſer thue die Armee weiter nördlich, näher an das rechts rückwärts ſtehende engliſche Heer heranzuführen; dort konnte die Vereinigung der Verbündeten ſich ungeſtört vollziehen.

Während Gneiſenau die Abſicht Napoleons ſogleich durchſchaute, blieb Wellington bei ſeiner vorgefaßten Meinung, daß der Anmarſch der Feinde in mehreren Colonnen erfolgen werde, und befürchtete einen Angriff auf ſeiner rechten Flanke, auf der Straße von Mons her. Die erſte Nach - richt von den Gefechten bei Charleroi ließ er unbeachtet, da er dort nur einen Theil der Armee Napoleons vermuthete; und auch als er endlich am Abend des 15. von Brüſſel aus, einen ganzen Tag ſpäter als Blücher, die Concentration ſeiner Armee anordnete, befahl er nicht einfach den Linksabmarſch des geſammten Heeres nach dem wichtigen Knotenpunkte Quatrebras, wo die Straßen von Charleroi und Namur nach Brüſſel zuſammentrafen und eine Vereinigung mit den Preußen möglich war, ſondern gab ſeinen Corps die Richtung auf die fünf Meilen lange Linie von Enghien im Weſten über Nivelles nach Genappe im Oſten, ſo daß die engliſche Armee nur mit ihrer äußerſten Linken die Straße nach Char - leroi berührte. Die völlig grundloſe Sorge vor einer Umgehung im Weſten beſtimmte alle Anordnungen des engliſchen Feldherrn; ſeine Re - ſerven, die nach Genappe, auf die Straße von Charleroi marſchiren ſollten, ließ er am 16. fünf Stunden lang bei Waterloo raſten, weil er im Zweifel war, ob er ſie nicht noch weiter im Weſten verwenden ſollte. Zum Glück beſetzte Prinz Bernhard von Weimar mit ſeiner naſſauiſchen Brigade am Abend des 15. eigenmächtig den Kreuzweg von Quatrebras; aber ſelbſt dieſer ſchwache vorgeſchobene Poſten des linken Flügels der Engländer ſtand noch eine ſtarke Meile rechts rückwärts hinter der preußi - ſchen Aufſtellung und vermochte eine Umgehung der linken Flanke Blüchers ſchwerlich zu verhindern.

Noch verderblicher wurde, daß der Herzog ſich ſelber und den preu - ßiſchen Feldherrn gründlich täuſchte über die Stellung, welche ſein Heer am 16. einnehmen konnte. Am 15. um Mitternacht ließ er an Blücher ſchreiben, nächſten Tags früh 10 Uhr würden 20,000 Mann des engli - ſchen Heeres bei Quatrebras ſtehen was nach den getroffenen Anord -737Wellingtons Verſprechungen.nungen rein unmöglich war. Am 16. vor Tagesanbruch verließ er ſelbſt das glänzende Ballfeſt, das die Herzogin von Richmond den engliſchen Offizieren gab, warf ſich aufs Pferd, und eilte auf der Straße nach Char - leroi ſüdwärts bis über Quatrebras hinaus auf die Höhen von Frasnes, dicht gegenüber dem linken Flügel der Franzoſen. Von dort ſchrieb er um 10½ Uhr früh an Blücher: um 12 Uhr würden ſeine Reſerven in Genappe, nur eine halbe Meile hinter Quatrebras eintreffen, die engliſche Reiterei in Nivelles, 1⅓ Meile weſtlich von Quatrebras. War dies richtig, ſo durfte Blücher mit Sicherheit auf die Unterſtützung der Eng - länder am Nachmittage zählen. Um 1 Uhr hielten die beiden Feld - herren auf dem Windmühlenhügel von Buſſy, im Rücken der preußiſchen Aufſtellung eine Zuſammenkunft, und hier verſprach Wellington, daß er Nachmittags in die Schlacht eingreifen, die Franzoſen je nach Umſtänden über Marbais oder Frasnes im Rücken oder in der Flanke anfallen werde. Mit den Worten um 4 Uhr werde ich hier ſein trennte ſich der Herzog von dem preußiſchen Feldherrn.

Im Vertrauen auf dieſe Zuſage beſchloſſen Blücher und Gneiſenau die Schlacht anzunehmen. Die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch ſtanden mit der Front nach Süden auf dem Höhenzuge von Brye und weiter vorwärts in dem tiefen feuchten Wieſengrunde des Lignebaches, der ſich zu den Füßen dieſer ſanften Bodenerhebung ausdehnt; hier am Bache waren die Dörfer St. Amand la Haye rechts und Ligny links ſtark beſetzt. Thielmann mit dem dritten Armeecorps traf erſt um Mittag nach angeſtrengtem Marſche auf dem Schlachtfelde ein und ſtellte ſeine Truppen zwiſchen Sombreffe und Tongrinne als linken Flügel mit der Front nach Weſten auf, ſo daß die Linien des Centrums und des linken Flügels faſt ſenkrecht aufeinander ſtießen und die Schlachtſtellung einen nach Süden geöffneten Haken bildete. Der äußerſte rechte Flügel bei Wagnelée ſtand überdies völlig ungedeckt, falls etwa vom Weſten her, aus der Gegend von Frasnes ein Angriff erfolgte. Nur die beſtimmte Erwartung, daß Wellington rechtzeitig zur Unterſtützung des rechten Flü - gels herankommen werde, bewog die preußiſchen Heerführer, ſich in ſo un - vortheilhafter Stellung auf eine Schlacht einzulaſſen; ſie hofften das Gefecht den Nachmittag über hinzuhalten, bis gegen Abend 40,000 Mann vom engliſchen Heere die Entſcheidung brächten.

Aber der engliſche Feldherr konnte ſein Wort nicht halten. Er ſah ſich ſelbſt bei Quatrebras mit überlegener Macht angegriffen und hatte dort noch um 3 Uhr Nachmittags nur 7000 Mann zur Stelle; dann erſt trafen neue Zuzüge ein. Erſt am ſpäten Abend ſtanden etwas über 30,000 Mann bei Quatrebras verſammelt, grade genug um den Angriff nothdürftig ab - zuſchlagen; an die verheißene Unterſtützung war alſo nicht mehr zu denken. Wellington hatte das Unmögliche verſprochen, ſicherlich nur aus Irrthum, in gutem Glauben; aber was verſchlug es ihm auch, wenn er ſein WortTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 47738II. 2. Belle Alliance.nicht halten konnte und die Bundesgenoſſen durch ſeine Schuld eine Schlappe erlitten? Es waren ja doch nur Deutſche, und auf die fremden Nationen, mit denen ihn ſein Kriegerleben zuſammenführte, hatte er nie - mals Rückſicht genommen, mochten ſie nun Hindus, Portugieſen oder Preußen heißen. Seine nächſte Aufgabe war, das engliſche Heer zu er - halten ſo faßte er ſeine Pflichten auf; und wenn die Bundesgenoſſen den Hauptſtoß der Feinde aufnahmen, ſo gewann er um ſo ſicherer Zeit ſeine eigenen Truppen zu vereinigen. Der Herzog allein verſchuldete erſt durch die verſpätete und verfehlte Verſammlung ſeiner Streitkräfte, dann durch ſeine unhaltbare Zuſage daß, ſtatt einer Schlacht mit vereinten Kräften, zwei Schlachten zu gleicher Zeit und nur durch den Zwiſchenraum einer guten Meile getrennt, beide unter ſehr ungünſtigen Verhältniſſen für die Alliirten, geſchlagen werden mußten. *)So hat im Weſentlichen ſchon Clauſewitz den Sachverhalt dargeſtellt, ohne daß der Herzog, in ſeiner bekannten Erwiderung auf das Buch des Generals, einen Wider - ſpruch verſucht hätte. Was Clauſewitz nur andeutete, iſt jetzt im Einzelnen erwieſen durch die Unterſuchungen von M. Lehmann (Hiſtoriſche Zeitſchrift. Neue Folge II. S. 274) und H. Delbrück (Zeitſchrift f. Preuß. Geſchichte 1877. S. 645).

Der Imperator blieb noch am Vormittag des 16. in dem Wahne, daß die beiden Heere der Coalition ſich nach Brüſſel und Namur zurück - zögen, er gönnte daher ſeinen durch das geſtrige Gefecht und die ſtarken Märſche der letzten Tage ermüdeten Truppen eine ſehr lange Raſt. Erſt um Mittag überzeugte er ſich, daß die Preußen in der Poſition von Ligny und St. Amand la Haye Stand hielten und beſchloß den Angriff mit der Hauptmaſſe ſeines Heeres, dem rechten Flügel und den Reſerven. Ney aber, der mit dem linken Flügel bei Frasnes auf der Brüſſeler Straße ſtand, erhielt Befehl rechts abzumarſchiren und den Preußen in die rechte Flanke zu fallen; ſo konnte am Abend des langen Sommer - tages das Heer Blüchers vernichtet werden. Dieſer Schlachtplan ſetzte freilich voraus, daß Ney auf der Brüſſeler Straße nur eine ſchwache feindliche Macht antraf, daß die Engländer wirklich auf Brüſſel zurück - gingen.

Napoleon hatte auf dem Schlachtfelde von Ligny etwa 75,000 Mann zur Stelle, Blücher 78 80,000 Mann. Die unglückliche hakenförmige Aufſtellung der Preußen erlaubte aber dem Imperator faſt ſeine ge - ſammten Streitkräfte gegen La Haye und Ligny zu verwenden, wo die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch, 56,000 Mann, allein den An - griff der Uebermacht aushalten mußten. Thielmann, durch den gewun - denen Lauf des Lignebachs von Ligny getrennt, wurde durch einige Schein - angriffe der Franzoſen beſchäftigt; er konnte wohl einige Truppentheile den beiden anderen Corps zu Hilfe ſenden, doch mit der Maſſe ſeines Corps nicht an dem Hauptkampfe theilnehmen. Die eigentliche Schlacht bewegte ſich um den Beſitz von La Haye und Ligny; hier auf dieſem739Schlacht von Ligny.engen Raume lag die Entſcheidung, und hier vermochte der linke Flügel der Preußen gar nicht einzugreifen. Beide Heere fochten mit verzweifel - tem Muthe, der Haß ſo vieler Jahre brach furchtbar aus. Kein Pardon hüben und drüben; ein franzöſiſcher General drohte Jeden erſchießen zu laſſen, der ihm einen gefangenen Preußen brächte. Im Ganzen bewahr - ten die franzöſiſchen Truppen mehr Ruhe und Sicherheit; die Offiziere behielten ihre Leute feſt in der Hand, während die Leidenſchaft ungeſtümer Kampfluſt, die in dem deutſchen Volksheere flammte, die preußiſchen Führer oft zu vorzeitiger Vergeudung der Kräfte verleitete. Der wellige, erſtarr - ten Meereswogen gleichende Boden, die mit mannshohem Getreide und dichtem Kartoffelkraut beſtandenen Felder der üppigen Brabanter Ebene boten Gelegenheit zu mannichfachen Ueberraſchungen, denen die Kaltblü - tigkeit der jungen preußiſchen Truppen, namentlich der Landwehr nicht immer gewachſen war. Es war ein drückend heißer Tag. Bei ſtechender Sonne und ſchwüler Gewitterluſt mußte das preußiſche Fußvolk, das zum Theil ſchon Tags zuvor gefochten hatte, zum Theil die Nacht hindurch marſchirt war, ſechs Stunden lang faſt ununterbrochen das Nahgefecht um die Dörfer beſtehen. Manchen ſtand der Schaum vor dem Munde von der Wuth des Kampfes und der ungeheuren Anſtrengung; hier ſchlürfte Einer mit lechzenden Lippen das Kothwaſſer aus einer Miſtlache, dort brach ein Anderer, unverwundet, vor Erſchöpfung todt zuſammen.

Kurz vor 3 Uhr begann Vandamme den Angriff auf den rechten Flügel der Preußen bei La Haye und nahm das Dorf nach zweiſtündigem blutigem Ringen. Da führt Blücher ſelbſt friſche Truppen zum Angriff vor, das Dorf wird zurückerobert, geht aber von Neuem verloren, da eine Attake der preußiſchen Reiterei nebenan mißlingt. Gleichwohl kommt das Gefecht hier zum Stehen, die Franzoſen werden in dem Dorfe feſt - gehalten, gelangen keinen Schritt darüber hinaus. Vergeblich ſendet Na - poleon gegen Abend einen Theil ſeiner Garde zur Unterſtützung Van - dammes; das Corps Zietens behauptet ſich ſechs Stunden lang uner - ſchütterlich. Trafen jetzt die Engländer zur Verſtärkung des rechten Flügels ein, ſo war der Sieg entſchieden. Unterdeſſen war Gerard mit dem rechten Flügel der Franzoſen gegen das Dorf Ligny vorgegangen; dort hatten die Preußen das Schloß und die Häuſer zur Vertheidigung eingerichtet, ihre Batterien beſtrichen wirkſam die Fläche vor der Front. Viermal werden die Angreifenden zurückgeworfen, und als ſie endlich in die Häuſer - zeile eindringen, gewinnen ſie doch nur die Hälfte des Dorfes. In der anderen Hälfte, jenſeits des Baches behaupten ſich die Preußen, und nun entbrennt im Inneren des Dorfes ein Gefecht von unerhörter Hart - näckigkeit, da beide Parteien aus den dichten Infanteriemaſſen in ihrem Rücken beſtändig Verſtärkungen an ſich ziehen. Bald ſteht das Schloß und ein großer Theil des Dorfes in Flammen; in der Dorfgaſſe thürmen ſich die Leichen auf; jedes Haus und jeder Stall wird zu einer kleinen47*740II. 2. Belle Alliance.Feſtung, bis auf die Treppen und in die Stuben der Wohnungen ver - folgen die Wüthenden einander mit dem Bajonett. So wogt der Kampf unentſchieden dahin, durch fünf furchtbare Stunden. Aber die Preußen verbrauchen ihre ganze Kraft; 14,000 Mann, mehr als neunzehn Ba - taillone werden nach und nach in dies eine Dorf hineingeworfen, und zuletzt bleibt kein einziges friſches Regiment des Fußvolks mehr übrig für die Entſcheidung. Noch war nichts verloren; noch mußte das Erſcheinen der Engländer die Schlacht wenden. Hatte doch Wellington am Nach - mittage dem Feldmarſchall abermals durch Leutnant Wuſſow ſagen laſſen, er werde mit den ſoeben eingetroffenen Verſtärkungen eine kräftige Offen - ſive zu Gunſten der preußiſchen Armee verſuchen; ſein Bevollmächtigter im Blücher’ſchen Hauptquartiere, Oberſt Hardinge verſicherte noch um 7 Uhr beſtimmt, in einer halben Stunde ſpäteſtens müßten ſeine Lands - leute zur Stelle ſein. Eine Stunde nachher ließ Gneiſenau dem General Krafft ſagen, nur noch eine kleine Weile ſolle er ſich in Ligny behaupten, dann könne die engliſche Hilfe nicht fehlen.

Die Sonne neigte ſich zum Untergange. Da führte Napoleon ſeine wohlgeſchonten Reſerven, die alte Garde und eine gewaltige Reitermaſſe perſönlich gegen Ligny vor um das Centrum der Preußen zu durchbrechen. Während die Grenadiere unter dem wilden Rufe: Es lebe der Kaiſer! Kein Pardon! in die Dorfgaſſe eindringen und jetzt endlich die ermatteten Vertheidiger zum Abzuge zwingen, umgehen einige Bataillone der Garde, von der Dämmerung begünſtigt, das Dorf auf der Oſtſeite. Ihnen nach, den Bach durchreitend, ſieben Regimenter ſchwerer Reiter, der Kern der kaiſerlichen Cavallerie, 5000 Pferde. Sie wenden ſich an Ligny vorbei gegen den Windmühlenberg von Buſſy, gegen die zweite Linie der preu - ßiſchen Aufſtellung. Blücher erkennt die Gefahr und verſucht mit ſeiner Lieblingswaffe den Schlag abzuwehren. Soeben noch ſah man den Alten erſchöpft von der Anſtrengung und dem quälenden Zweifel wie einen gebrochenen Mann dahertraben. Jetzt flammt er wieder auf in jugend - lichem Feuer, läßt eine Reiterbrigade, welche ſeitwärts hinter Ligny hält, zum Angriff vorgehen. Die Reiter jubeln, als der alte Held, den Säbel in der Fauſt ſchwingend, in weiten Bogenſätzen auf ſeinem prächtigen Schimmel heranſprengt und ſich ſelbſt an ihre Spitze ſtellt. Neben ihm führt Oberſtleutnant Lützow, der Freiſchaarenführer von 1813 das ſechste Uhlanenregiment mit lautem Marſch Marſch! vor; es folgen die weſt - preußiſchen Dragoner, die kurmärkiſchen und die Elb-Landwehrreiter; in geſtrecktem Laufe jagen die Roſſe durch das hohe Korn. Da ſtutzen die Thiere plötzlich vor einem tiefen Hohlwege, der die Felder durchſchneidet, und während die Uhlanen verſuchen das unvermuthete Hinderniß zu nehmen, ſchlagen zwei wohlgezielte Salven in ihre aufgelöſten Reihen. Milhauds Küraſſiere hauen nach, die Preußen machen Kehrt. Auch die Küraſſiere müſſen gleich darauf vor dem Feuer eines preußiſchen Ba -741Rückzug von Ligny.taillons umkehren; lachend ſehen die Weſtphalen mit an, wie die ſchweren Reiter ſich unter ihren gefallenen Pferden hervorwinden und, den Küraß mit beiden Händen haltend, zu Fuß das Weite ſuchen. Die Uhlanen und die Landwehrreiter ſammeln ſich wieder, dringen von Neuem vor - wärts; herüber und hinüber fluthen die Maſſen der Kämpfer. Mitten in dem wilden Getümmel trabt Gneiſenau, zieht den Säbel, ſagt fröhlich zu Major Bardeleben, der wehrlos, den Arm in der Binde, neben ihm reitet: halten Sie Sich nur an mich; ein Hundsfott, wenn ich Sie nicht heraushaue! Zugleich drängen ſich die aus Ligny vertriebenen Regimenter gegen Brye zurück, langſam, unabläſſig feuernd, aber in ungeordneten Schwärmen. Die Mitte der Schlachtſtellung iſt ſchon nahezu durchbrochen.

Auch St. Amand la Haye wird endlich geräumt; unaufhaltſam dringt der Feind gegen die Höhe von Buſſy. Kurz vor Einbruch der Nacht brauſt ein Gewitter über das Schlachtfeld; das Rollen des Donners und das Geheul des Sturmes übertäubt während einer halben Stunde den Lärm der Schlacht. Doch mitten in der Finſterniß des Unwetters tobt der Kampf weiter; die erſchöpften Soldaten athmen auf bei dem friſchen Luftzuge. Die Geſchlagenen ſammeln ſich um Brye und den Hügel von Buſſy, das Vorrücken des Feindes geräth hier ins Stocken. Währenddem war der Feldmarſchall verſchwunden. Schon bei jener erſten Attake der Uhlanen hatte eine Kugel ſein Pferd getroffen, und er lag nun lange faſt bewußtlos unter dem ſchweren Thiere; ohne ihn zu bemerken ſtürmten Freund und Feind mehrmals dicht an ihm vorüber, nur ſein getreuer Adjutant Graf Noſtitz hielt bei ihm aus, bis endlich Major v. d. Buſche von den Elb-Landwehrreitern herbeikam und den Betäubten auf einem Soldatenpferde hinwegführte. Aber in der Verwirrung der Nacht ver - gingen mehrere Stunden bevor die Rettung des Feldherrn bekannt wurde.

Die Führung des Heeres lag für jetzt allein auf den Schultern Gneiſenaus, der eine Weile ſchweigend in der Nähe von Brye hielt. Die ihn ſo ſahen in ſeiner majeſtätiſchen Ruhe ahnten nicht, welche ſchweren Gedanken ihm Kopf und Herz beſtürmten. Er hatte, wie Blücher und Grolman, der Zuſage Wellingtons volles Vertrauen geſchenkt, noch vor einer Stunde ſicher auf den Sieg gerechnet und dachte mit Unmuth an den engliſchen Feldherrn, der ſein Wort ſo ſchlecht gehalten. Was ſchien natürlicher, als dem Beiſpiel des Briten zu folgen, nur für die Sicherheit des eigenen Heeres zu ſorgen und den gefahrloſen Weg nach der deutſchen Grenze einzuſchlagen? Die alte Römerſtraße, die im Rücken des Schlacht - feldes nordoſtwärts in das Maasthal führte, bot den Geſchlagenen die bequemſte Rückzugslinie; hier mußte man bald mit Bülow, der von Oſten herankam, zuſammentreffen und konnte ſpäter Verſtärkungen aus Deutſch - land an ſich ziehen. Unwillkürlich hatte bereits ein Theil der Truppen dieſen Weg eingeſchlagen, der auf den erſten Blick als der einzig mög - liche erſchien. Aber nahm die Armee die Richtung nach der Maas, ſo742II. 2. Belle Alliance.entfernte ſie ſich von den Bundesgenoſſen, und es ſtand mit Sicherheit zu erwarten, daß der behutſame engliſche Feldherr ſich dann nach Ant - werpen, vielleicht auf ſeine Schiffe zurückzog. So ging der belgiſche Feld - zug mit einem Schlage zu Ende, und wer ſtand dafür, ob die Coalition mit ihren böſen Congreß-Erinnerungen, mit ihrer mühſam verhaltenen Zwietracht, mit ihrem kleinmüthigen Schwarzenbergiſchen Hauptquartiere dann noch den Muth fand den Krieg gegen Frankreich fortzuſetzen, wenn ihre beiden beſten Feldherren das Spiel verloren gaben? Ein Ausweg blieb noch: hatte Wellington nicht vorwärts zu den Preußen kommen wollen, ſo konnten dieſe rückwärts die Vereinigung mit dem engliſchen Heere ſuchen. Wenn die Armee ihre Verbindung mit dem Rheine auf - gab und auf jede Gefahr hin den ſchwierigen Weg nach Norden, in der Richtung auf Wavre einſchlug, ſo näherte ſie ſich den Verbündeten und es blieb möglich, daß in zwei oder drei Tagen irgendwo in der Nähe von Brüſſel die Schlacht mit vereinten Kräften noch geſchlagen wurde, welche heute durch Wellingtons Schuld vereitelt war. In wenigen Minuten mußte der folgenſchwere Entſchluß gefaßt werden; das Schickſal der nächſten Monate europäiſcher Geſchichte hing daran. Gneiſenau entſchied wie er mußte, wie außer ihm von allen Heerführern jener Tage nur noch Blücher ſelbſt entſchieden hätte. Nach einem Blick auf die Karte befahl er den Marſch nordwärts über Tilly und Mellery nach Wavre.

Die Adjutanten flogen aus um den Truppen in der Finſterniß die Richtung anzugeben. General Jagow deckte den Rückzug, blieb noch bis 2 Uhr Nachts auf dem Schlachtfelde. Die Franzoſen trauten ihrem eigenen Siege nicht, ihre Garde ſtand die ganze Nacht hindurch unter den Waffen. Sie wagten weder zu verfolgen noch auch nur die Marſchrichtung der Ge - ſchlagenen zu erkunden und verloren jede Fühlung mit dem Gegner. Die preußiſche Armee hatte 12,000 Mann verloren, etwas mehr als der Feind, das Corps Zieten ſogar faſt ein Viertel ſeiner Mannſchaft. Aber ſo uner - ſchütterlich war die ſittliche Spannkraft dieſes Heeres: nach wenigen Stun - den der Nachtruhe ſtanden die Regimenter ſchon bei Tagesanbruch wieder in guter Ordnung beiſammen. Keine Spur von jener gedrückten Stimmung, die nach unglücklichen Kämpfen ſelbſt den Tapferen überkommt; gleich leb - haft verlangten die Soldaten wie die Führer nach einer neuen Schlacht um die Scharte auszuwetzen. Einige tauſend Mann von den neugebildeten weſtphäliſchen Regimentern waren freilich verſprengt, irrten an der Römer - ſtraße entlang der Maas und dem Rheine zu. Doch von den erprobten Truppen aus den alten Provinzen fehlte faſt Niemand; die Wenigen unter dieſen Veteranen von 1813, die im Dunkel der Nacht von ihren Regimentern oſtwärts abgekommen, ſchloſſen ſich, ſobald ſie auf Bülows Corps trafen, dieſem an und nahmen noch Theil an der Schlacht von Belle Alliance.

Glücklicher hatte das engliſche Heer den heißen Tag überſtanden. Als743Treffen von Quatrebras.Ney gegen 2 Uhr mit dem linken Flügel des franzöſiſchen Heeres be - fohlenermaßen auf der Brüſſeler Straße nordwärts gegen Quatrebras vorging, mußte er bald erfahren, daß die engliſche Macht ihm gegenüber weit ſtärker war als Napoleon angenommen. Zwar im Anfang war er den 7000 Naſſauern und Niederländern, welche Wellington zur Stelle hatte, um reichlich das Doppelte überlegen, und da er überdies ſein Fuß - volk durch den Wald von Boſſu, der links vor ſeiner Fronte lag, unbe - merkt dicht an den Gegner heranſchieben konnte, ſo geriethen die Alliirten eine Zeit lang in ernſte Bedrängniß und waren bereits nahe daran den wichtigen Kreuzungspunkt zu räumen. Da kamen zwiſchen 3 und 4 Uhr mehrere Stunden ſpäter als Wellington gerechnet hatte die erſten Regimenter der Reſerve von Brüſſel heran: eine engliſche Diviſion unter General Picton, dann Herzog Wilhelm mit ſeinen ſchwarzen Braun - ſchweigern. Ihnen gelang, das Gefecht auf dem linken Flügel wieder herzuſtellen, und ſie drangen ſchon über Quatrebras hinaus, als ein mächtiger Reiterangriff der Franzoſen ſie in Verwirrung zurückſchleuderte. Wellington ſelbſt entging nur durch die Schnelligkeit ſeines Roſſes dem Tode. Der tapfere Welfe aber ward inmitten ſeines Leibbataillons von der tödlichen Kugel getroffen. Er ſtarb zur rechten Zeit für ſeinen Ruhm; denn nun lebte er fort im Gedächtniß ſeines treuen Volkes als ein Held der Nation, als der Führer der ſchwarzen Schaar, und jene häßlichen Züge welfiſcher Härte und Ueberhebung, die ſich während der kurzen Mo - nate ſeiner Regierung dem braunſchweigiſchen Ländchen ſchon ſehr fühlbar gemacht hatten, wurden gern vergeſſen.

In dieſem gefährlichen Augenblicke trafen die engliſchen und hanno - verſchen Regimenter des Generals Alten auf dem rechten Flügel der Ver - bündeten ein; mehr als dieſe ſchwache Diviſion wollte Wellington nicht von Nivelles heranziehen, da ihn noch immer der Wahn beherrſchte, Na - poleon werde eine Umgehung im Weſten verſuchen. Die Diviſion Alten be - gann ſich in dem Walde von Boſſu auszubreiten, und mit ihrer Hilfe wurde Neys zweiter Angriff abgeſchlagen. Marſchall Ney hoffte längſt nicht mehr, nach Ueberwältigung der engliſchen Streitkräfte ſich auf das Schlachtfeld von Ligny wenden zu können; genug wenn ihm nur gelang den Gegner hier von der Brüſſeler Straße zu verdrängen. Der ſonſt allen Anderen durch unbekümmerten Soldatenmuth voranleuchtete, zeigte ſich in dieſem Feldzuge immer fieberiſch unruhig; die Erinnerung an den Eidbruch der jüngſten Wochen, die Furcht vor einer ſchmachvollen Zukunft quälte ihn ſichtlich. In leidenſchaftlicher Erregung beſchwor er ſeinen tapferen elſaß - lothringiſchen Landsmann Kellermann, wieder wie einſt bei Marengo durch einen wuchtigen Reiterangriff den Ausſchlag zu geben: Frankreichs ganze Zukunft ſtehe auf dem Spiele. Auch dieſer dritte Verſuch ſcheiterte, vor - nehmlich an der Feſtigkeit der engliſchen Veteranen Pictons, die, wie einſt ihre Vorfahren bei Minden, das Gewehr zur Attake rechts nahmen und744II. 2. Belle Alliance.mit dem Bajonett den Reitern zu Leibe gingen. Indeſſen nahmen Al - tens tapfere Regimenter den Wald von Boſſu, und auf der Brüſſeler Straße zogen neue Reſerven heran: die engliſchen Garden und die letzten Braunſchweiger. Wellington verfügte jetzt über mehr als 30,000 Mann gegen 21,000. Als die Dämmerung hereinbrach, war ſeine ganze Linie im langſamen Vorgehen, freilich nur eine kleine Strecke weit; die Schlacht endete faſt auf der nämlichen Stelle wo ſie begonnen.

Ein ſeltſamer Glücksfall kam dem engliſchen Feldherrn zu gute. Das Corps des Generals Erlon war der Armee Neys zugetheilt, aber am Nach - mittage, noch bevor Erlon an dem Treffen von Quatrebras theilnehmen konnte, durch Napoleon nach dem Schlachtfelde von Ligny abberufen worden; die Regimenter langten in der That ſchon in der Nähe des rechten Flügels der Preußen an, als Ney ſie nach Quatrebras zurückrief. So irrte dies Corps, das leicht gegen Wellington den Ausſchlag geben konnte, während des Nachmittags zwiſchen den beiden Schlachtfeldern hin und her und vereinigte ſich erſt am Abend, als das Treffen bereits entſchieden war, mit Neys Armee. Der Marſchall hatte, wenngleich er den unmöglichen Zumuthungen des Imperators nicht genügen konnte, doch einen werth - vollen Erfolg erreicht: die Vereinigung der beiden Heere der Coalition war vorläufig verhindert. Wellington aber ſprach mit unerquicklichem Hoch - muth von ſeinem wahrlich beſcheidenen Siege; wir haben geſchlagen, die Preußen ſind geſchlagen wiederholte er mehrfach. Da er Napoleons Pläne noch immer nicht durchſchaute, noch am 17. ja ſelbſt am 18. Juni eine Umgehung von Weſten her für möglich hielt, ſo konnte er auch nicht begreifen, daß er ſelber das ganze heilloſe Wirrſal dieſer unnöthigen Doppelſchlacht hervorgerufen, und fand kein Wort der Dankbarkeit für die Preußen, deren uneigennützige Aufopferung ihm doch allein die An - nahme des Gefechts bei Quatrebras ermöglicht hatte.

Spät in der Nacht wurde Blücher von ſeinen Generalſtabsoffizieren in einem Bauernhauſe zu Mellery, auf dem Wege nach Wavre, aufge - funden. Ruhig ſeine Pfeife rauchend lag der Alte auf der Streu; er fühlte ſich an allen Gliedern zerſchlagen von dem ſchweren Sturze, doch ſeine frohe Zuverſicht war nicht gebrochen. Unbedenklich genehmigte er die Anordnungen ſeines Freundes; die Beiden hatten ſich ſo ganz in einan - der eingelebt, daß Gneiſenau ſicher war ſtets aus der Seele des Feldmar - ſchalls heraus zu beſchließen. Am Morgen ritt der Feldherr dem Heere voraus nach Wavre; die Soldaten jubelten ſobald ſie des Geretteten an - ſichtig wurden, und antworteten mit einem fröhlichen Ja als er im Vor - überreiten fragte, ob ſie morgen wieder ſchlagen wollten. Auf den Sonnen - brand von geſtern folgte ein grauer ſchwüler Tag mit vereinzelten Ge - witterſchauern, dann am Abend ſtrömender Regen, die ganze Nacht hindurch. Mühſam wateten die Soldaten, die nun ſeit drei Tagen im Marſch oder im Gefechte geweſen, in dem aufgeweichten ſchweren Boden und ſchoben745Gneiſenaus Pläne für den 18. Juni.die Räder der Kanonen durch den tiefen Schlamm. Auf der Beiwacht war der Schlaf faſt unmöglich, und doch blieb der frohe Muth unver - wüſtlich; am Morgen des 18. ſah man die ſchleſiſchen Füſiliere nach den Klängen der Feldmuſik einen luſtigen Walzer tanzen. Ein warmer Auf - ruf des Feldmarſchalls mahnte die Truppen ihre letzte Kraft aufzubieten für den neuen Kampf: vergeſſet nicht, daß Ihr Preußen ſeid, daß Sieg oder Tod unſere Loſung iſt!

In ſeinem Berichte an den König ſprach Gneiſenau offen die An - klage aus, daß Wellington wider Vermuthen und Zuſage ſeine Armee nicht rechtzeitig concentrirt habe, und in vertrauten Briefen äußerte er ſich noch weit ſchärfer. Jedoch in dem veröffentlichten Berichte des Blü - cher’ſchen Hauptquartiers wurde die peinliche Frage ſchonend übergangen, und auch nach dem Kriege verſchmähte Gneiſenau, um der Bundesfreund - ſchaft willen, hochherzig jeden Federkrieg, obgleich die unaufrichtigen Erzählungen des Briten ſein reizbares militäriſches Ehrgefühl geradezu zum Widerſpruche herausforderten. Erſt zwanzig Jahre ſpäter wurde durch ein nachgelaſſenes Geſchichtswerk von Clauſewitz, der unzweifelhaft die Mittheilungen ſeines Freundes Gneiſenau benutzt hatte, die geheime Geſchichte dieſes Feldzugs aufgeklärt. In jenem Augenblicke vollends lag dem kühnen Manne nichts ferner als ein unfruchtbares Hadern um vergangene Fehler; er meldete dem Könige, eine Schlacht mit getheilten Kräften ſei jetzt nicht mehr möglich, und traf ſofort ſeine Vorbereitungen für die Vereinigung mit dem engliſchen Heere. Die Stimmung im Haupt - quartiere ward mit jeder Stunde zuverſichtlicher, da die zuwartende Hal - tung des Feindes deutlich bewies, daß das Ergebniß des 16. Juni zwar eine verlorene Schlacht, aber keine Niederlage war. Blücher fühlte ſich des Erfolges völlig ſicher; er wollte, falls Napoleon die Engländer nicht angriffe, ſelber mit Wellington vereint dem Feinde alsbald die Schlacht anbieten und hieß das wilde Regenwetter, unſeren alten Alliirten von der Katzbach , hochwillkommen. Der ruſſiſche Militärbevollmächtigte Toll kam übel an, als er für nöthig hielt dieſe ſtolzen Preußen zu tröſten und beſchwichtigend ſagte, die große Armee unter Schwarzenberg werde Alles wieder gut machen. Blüchers Adjutant Noſtitz erwiderte ſcharf: ehe Sie zu Ihrem Kaiſer zurückkehren, iſt entweder der belgiſche Feldzug ganz verloren oder wir haben die zweite Schlacht gewonnen, und dann brauchen wir Eure große Armee nicht mehr!

Auf Blüchers Anfrage erklärte ſich der engliſche Feldherr bereit, am 18. an der Brüſſeler Straße eine neue Schlacht anzunehmen, wenn er auf die Hilfe von etwa 25,000 Preußen zählen könne. Der Alte erwi - derte, er werde kommen und hoffentlich mit ſeiner ganzen Armee. Nach einem kurzen glänzenden Reitergefechte, wobei Lord Uxbridge mit den Rieſen der engliſchen Garde-Cavallerie die franzöſiſchen Lanciers buchſtäblich niederritt, ging Wellington am Nachmittage nordwärts zurück und ver -746II. 2. Belle Alliance.ſammelte ſein Heer bei Mont St. Jean, rittlings auf der Brüſſeler Straße, mit der Front nach Süden. Die Furcht vor einer Umgehung von rechts her gab er freilich noch immer nicht ganz auf und ließ daher bei Hal, zwei Meilen weſtlich vom Schlachtfelde ein Corps von 17,000 Mann ſtehen, ſodaß in den Entſcheidungsſtunden faſt ein Fünftel ſeines Heeres fehlte. Das preußiſche Heer war in der Nacht vom 17. auf den 18. vollzählig in der Gegend von Wavre verſammelt, nur zwei ſtarke Meilen öſtlich von Mont St. Jean, und auch die ſehnlich erwartete Munitions - colonne traf noch ein. Aber dieſe kurze Entfernung, die ein Adjutant im Galopp wohl in einer guten Stunde zurücklegen konnte, bot bei dem ent - ſetzlichen Zuſtande der Wege für die unbehilflichen Geſchützmaſſen einer großen Armee erhebliche Schwierigkeiten. Zudem ward ein langer Auf - enthalt unvermeidlich, da das noch unberührte Corps Bülows die Spitze nehmen ſollte und die weiter vorwärts ſtehenden Heertheile erſt durch - kreuzen mußte. Beabſichtigte der engliſche Feldherr nur eine Demon - ſtration, wie Gneiſenau eine Zeit lang argwöhnte, ſo konnte die Lage der Preußen, die ihre linke Flanke bloß ſtellten, hochgefährlich werden; nur im feſten Vertrauen auf die unerſchütterliche Ausdauer des eng - liſchen Heeres durften ſie das Wagniß unternehmen. Wellington getraute ſich dem preußiſchen Feldherrn nur zuzumuthen, daß er zur Verſtärkung des linken Flügels der Engländer herankäme. Gneiſenau aber wählte nach ſeiner großen Weiſe einen kühneren und ſchwereren Plan: er dachte viel - mehr die Franzoſen im Rücken und der rechten Flanke anzugreifen. Ge - lang dieſer Schlag, ſo war Napoleons Heer vernichtet und der Krieg mit einem male beendet.

Daß die Beſiegten ſo verwegene Gedanken faſſen durften, wurde nur möglich durch die Unterlaſſungsſünden des Siegers. Gewiß war es für Napoleon nicht unbedenklich den Preußen mit der Hauptmacht ſeines Heeres zu folgen. Aber ſeine verzweifelte Lage forderte kühne Entſchlüſſe. Blieb er dem rührigſten ſeiner Gegner auf den Hacken, ſo war möglich, daß die geſchlagene Armee auf dem Rückzuge gänzlich aus den Fugen gerieth, da die Wirkung eines Sieges ſich durch unaufhaltſame Verfolgung zu ver - doppeln pflegt. Ob Wellington dann noch einen Schlag gegen Ney wagte, erſchien mindeſtens zweifelhaft; wahrſcheinlicher doch daß der Bedachtſame ſich auf Antwerpen zurückzog. Es war nicht Kleinmuth was den Im - perator hinderte dieſen Entſchluß zu faſſen, ſondern der alte Fehler der Ueberhebung. Wie einſt nach der Dresdener Schlacht und nach den Siegen in der Champagne, ſo dachte er auch jetzt zu niedrig von dem Gegner; er glaubte beſtimmt, die Preußen eilten in voller Auflöſung dem Rheine zu, und hielt nicht einmal für nöthig ihren Rückzug beobachten zu laſſen. Stand es alſo wie er wähnte, dann blieb ihm freilich Zeit vollauf um das engliſche Heer zu ſchlagen. Gemächlich ließ er ſeine Truppen am Vormittag des 17. raſten. Seine Gedanken weilten mehr747Schlachtfeld von Belle Alliance.in Paris als bei dem Heere; er fragte ſeine Generale, was wohl die Ja - cobiner nach dieſem neuen Siege des Kaiſerreichs thun würden. Erſt um Mittag befahl er dem Marſchall Grouchy den Preußen zu folgen, in der Richtung oſtwärts nach Gembloux und der Maas, ſie nicht aus den Augen zu laſſen und ihre Niederlage zu vollenden; für dieſen Zweck gab er dem Marſchall 33,000 Mann, eine Macht zu ſtark für ein Beobachtungscorps, zu ſchwach um eine Schlacht gegen das geſammte preußiſche Heer zu wagen. Grouchy zog während der zweiten Hälfte des Tages nach Oſten in die Irre ohne der Preußen gewahr zu werden. Erſt am Morgen des 18. fand er ihre Spur und wendete ſich gegen Wavre; aber von Gneiſenaus Plänen ahnte er nichts, ſondern vermuthete nunmehr die preußiſche Armee auf dem Rückzuge nach Brüſſel. Er ſo wenig wie ſein Kaiſer hielt für denkbar, daß ein geſchlagenes Heer ſich ſogleich nach der Schlacht wieder ordnen und zu einem neuen Angriffe rüſten könnte. Der Gedanke ſich zwiſchen die beiden Heere der Coalition einzuſchieben, kam dem Imperator jetzt nicht mehr in den Sinn, da die Möglichkeit des Rückzuges der Preußen nach Norden durchaus außerhalb ſeiner Berechnungen lag. Er ſelber vereinigte ſich am Nachmittage des 17. in der Nähe von Quatrebras mit der Armee Neys, zog dann in voller Sicherheit nordwärts auf der Brüſſeler Straße den Engländern nach, um ſie morgen oder übermorgen dieſſeits oder jenſeits von Brüſſel zur Schlacht zu zwingen.

So verworren und unfertig die Doppelſchlacht am 16. Juni verlaufen war, ebenſo einfach großartig geſtaltete ſich der Gang der Ereigniſſe am 18. Wellington hatte mit Kennerblick eine feſte defenſive Stellung gewählt, wie er ſie von Spanien her liebte. Sein Heer hielt auf einem lang - geſtreckten niederen Höhenzuge, der von Weſten nach Oſten ſtreichend, etwa in der Mitte, bei dem Dorfe Mont St. Jean von der wohlge - pflaſterten Brüſſeler Landſtraße ſenkrecht durchſchnitten wird. Auf dieſem engen Raume von kaum 5000 Schritt Länge ſtanden die Truppen dicht zuſammengedrängt, mehr als 30,000 Deutſche, 24,000 Engländer, über 13,000 Niederländer, zuſammen 68,000 Mann, auf der Rechten Lord Hill, im Centrum der Prinz von Oranien, auf dem linken Flügel General Picton. Ein tief eingeſchnittener, von Hecken eingefaßter Querweg lief der Front entlang. Im Rücken des Heeres fiel der Boden ſanft ab, ſo daß die Mehrzahl der Regimenter dem anrückenden Feinde verborgen blieb; weiter nördlich lag an der Landſtraße der lichte, von zahlreichen Wegen durchzogene Wald von Soignes, der für den Fall des Rückzugs eine gute Deckung bot. Der Herzog blieb während vieler Stunden im Centrum bei Mont St. Jean; hier unter einer Ulme, auf einer Boden - welle neben der Landſtraße konnte er faſt die ganze Aufſtellung über - blicken und nach ſeiner Gewohnheit Alles unmittelbar leiten. Einige hundert Schritt vor der Front lagen wie die Vorwerke einer Feſtung drei748II. 2. Belle Alliance.ſtark beſetzte Poſitionen: vor der Rechten das Schloß Goumont inmitten der alten Bäume ſeines Parkes, von hohen Mauern umſchloſſen; vor dem Centrum an der Landſtraße das Gehöfte La Haye Sainte; vor dem äußerſten linken Flügel die weißen Häuſergruppen von Papelotte und La Haye. Die Straße fällt ſüdlich von Mont St. Jean ſanft ab, führt dann völlig eben durch offene Felder und ſteigt eine ſtarke halbe Stunde weiter ſüdlich, nahe bei dem Pachthofe La Belle Alliance wieder zu einem anderen niederen Höhenzuge empor, ſo daß das Schlachtfeld eine weite, mäßig eingetiefte Mulde bildet, die allen Waffen den freieſten Spielraum gewährt.

Auf dieſen Höhen bei Belle Alliance ſtellte Napoleon ſein Heer auf, Reille zur Linken, Erlon zur Rechten der Straße, dahinter bei Roſſomme die Reſerve; ſein Plan war einfach durch einen oder mehrere Frontal - angriffe die Linien der Engländer zu durchbrechen, wo möglich an der ſchwächſten Stelle, auf ihrem linken Flügel. Da die unſicheren Feuer - waffen jener Zeit dem Angreifer erlaubten mit ungebrochener Kraft nahe an den Vertheidiger heranzugelangen, ſo hoffte der Imperator durch ungeheuere Maſſenſchläge den zähen Gegner niederzuringen. Seine Kriegsweiſe war während der letzten Jahre immer gewaltſamer geworden; heute vollends, in der fieberiſchen Leidenſchaft des verzweifelten Spielers zeigte er die ganze Wildheit des Jacobiners, ballte viele Tauſende ſeiner Reiter, ganze Diviſionen des Fußvolks zu einer einzigen Maſſe zuſammen, damit ſie wie die Phalangen Alexanders mit ihrem Elephantentritt Alles zermalmten. So begann die Schlacht ein beſtändiges Vordringen und Zurückfluthen der Angreifer gleich der Brandung am ſteilen Strande bis dann das Erſcheinen der Preußen in Napoleons Rücken und rechter Flanke den Schlachtplan des Imperators völlig umſtieß. Der Kampf verlief wie eine planvoll gebaute Tragödie: zu Anfang eine einfache Ver - wicklung, dann gewaltige Spannung und Steigerung, zuletzt das Herein - brechen des Alles zermalmenden Schickſals; unter allen Schlachten der modernen Geſchichte zeigt wohl nur die von Königgrätz in gleichem Maße den Charakter eines vollendeten Kunſtwerks. Der letzte Ausgang hinter - ließ in der Welt darum den Eindruck einer überzeugenden, unabwend - baren Nothwendigkeit, weil ein wunderbares Geſchick jeder der drei Na - tionen und jedem der Feldherren genau die Rolle zugewieſen hatte, welche der eigenſten Kraft ihres Charakters entſprach: die Briten bewährten in der Vertheidigung ihre kaltblütige, eiſerne Ausdauer, die Franzoſen als Angreifer ihren ritterlichen, unbändigen Muth, die Preußen endlich die gleiche ſtürmiſche Verwegenheit im Angriff und dazu, was am ſchwerſten wiegt, die Selbſtverleugnung des begeiſterten Willens.

Napoleon rechnete mit Sicherheit auf einen raſchen Sieg, da er die Preußen fern im Südoſten bei Namur wähnte. Seine Armee zählte über 72,000 Mann, war dem Heere Wellingtons namentlich durch ihre749Beginn der Schlacht.ſtarke Cavallerie und die Ueberzahl der Geſchütze 240 gegen 150 Kanonen überlegen. Unter ſolchen Umſtänden ſchien es unbedenklich den Angriff auf die Mittagszeit zu verſchieben, bis die Sonne den durch - weichten Boden etwas abgetrocknet hätte. Um den Gegner zu ſchrecken und die Zuverſicht des eigenen Heeres zu ſteigern, veranſtaltete der Imperator im Angeſichte der Engländer eine große Heerſchau; krank wie er war, von tauſend Zweifeln und Sorgen gepeinigt, empfand er wohl auch ſelber das Bedürfniß ſich das Herz zu erheben an dem Anblick ſeiner Getreuen. So oft er ſpäterhin auf ſeiner einſamen Inſel dieſer Stunde gedachte, überkam es ihn wie eine Verzückung, und er rief: die Erde war ſtolz ſo viel Tapfere zu tragen! Und ſo ſtanden ſie denn zum letzten Male in Parade vor ihrem Kriegsherrn, die Veteranen von den Pyramiden, von Auſterlitz und Borodino, die ſo lange der Schrecken der Welt geweſen und jetzt aus dem Schiffbruch der alten Herrlichkeit nichts gerettet hatten als ihren Soldatenſtolz, ihre Rachgier und die unzähmbare Liebe zu ihrem Helden. Die Trommler ſchlugen an, die Feldmuſik ſpielte das Partant pour la Syrie! In langen Linien die Bärenmützen der Grenadiere, die Roßſchweifhelme der Küraſſiere, die be - troddelten Czakos der Voltigeure, die flatternden Fähnchen der Lanciers, eines der prächtigſten und tapferſten Heere, welche die Geſchichte ſah. Die ganze prahleriſche Glorie des Kaiſerreichs erhob ſich noch einmal, ein über - wältigendes Schauſpiel für die alten Soldatenherzen; noch einmal erſchien der große Kriegsfürſt in ſeiner finſteren Majeſtät, ſo wie der Dichter ſein Bild kommenden Geſchlechtern überliefert hat, mitten im Wetterleuchten der Waffen zu Fuß, in den Wogen reitender Männer. Die brauſenden Hoch - rufe wollten nicht enden; hatte doch der Abgott der Soldaten vorgeſtern erſt aufs Neue ſeine Unbeſiegbarkeit erwieſen. Und doch kam dieſer krampf - hafte Jubel, der ſo ſeltſam abſtach von der gehaltenen Stille drüben im engliſchen Lager, aus gepreßten Herzen: das Bewußtſein der Schuld, die Ahnung eines finſteren Schickſals lag über den tapferen Gemüthern. Zehn Stunden noch, und die verwegene Hoffnung des deutſchen Schlachten - denkers war erfüllt, und dies herrliche Heer mit ſeinem Trotze, ſeinem Stolze, ſeiner wilden Männerkraft war vernichtet bis auf die letzte Schwadron.

Um ½12 Uhr begann Napoleon die Schlacht, ließ ſeinen linken Flügel gen das Schloß Goumont vorgehen, während er zugleich auf ſeiner Rechten die Anſtalten für den entſcheidenden Stoß traf. Vier Diviſionen Fußvolk ſchaarten ſich dort zu einer rieſigen Heerſäule zuſammen; eine bei Belle Alliance aufgeſtellte große Batterie bereitete durch anhaltendes Ge - ſchützfeuer den Angriff vor. Gegen ½ 2 Uhr führte General Erlon die gewaltige Infanteriemaſſe wider den linken Flügel der Briten heran. Aber noch bevor dieſe Bewegung begann wurde der Imperator bereits durch eine unheimliche Nachricht in der kalten Sicherheit ſeiner Berech -750II. 2. Belle Alliance.nungen geſtört. Er erfuhr um 1 Uhr durch einen aufgefangenen Brief, daß General Bülow auf dem Marſche ſei gegen die rechte Flanke der Franzoſen; und während er auf der Höhe bei Roſſomme, im Rücken des Centrums, an ſeinem Kartentiſche ſtand, glaubte er auch ſchon fern im Oſten bei dem hochgelegenen Dorfe Chapelle St. Lambert dunkle Trup - penmaſſen zu bemerken, die alsbald zwiſchen den Wellen des Bodens wie - der verſchwanden. Ein ſofort ausgeſendeter Adjutant beſtätigte die Vermu - thung. Gewaltſam ſuchte der Kaiſer ſich zu beruhigen und ſendete vorläufig zwei Cavalleriediviſionen oſtwärts über den rechten Flügel der Schlacht - ſtellung hinaus. Es war ja doch ſicher nur das eine Corps Bülows, vielleicht nur ein Theil davon, und ehe die Preußen in die Schlacht ein - greifen konnten, mußte Wellington geſchlagen ſein. Seinen Offizieren aber ſagte Napoleon mit zuverſichtlicher Miene, Marſchall Grouchy ziehe zur Unterſtützung der rechten Flanke herbei: die Armee durfte von der Gefahr nichts ahnen. Währenddem war Erlon mit ſeinen vier Schlacht - haufen vorgerückt; ſchon während des Anmarſches erlitt er ſchwere Ver - luſte, ganze Reihen in den tiefen Colonnen wurden von den engliſchen Kanonenkugeln niedergeriſſen. Es gelang zuerſt eine niederländiſche Bri - gade in die Flucht zu ſchlagen; nur ein Theil der Truppen des jungen Königreichs bewährte ſich; der alte Blücher hatte ganz recht geſehen, als er meinte, dieſe Belgier ſchienen keine reißenden Thiere zu ſein. Dann aber brach das engliſche und hannoverſche Fußvolk hinter den ſchützenden Hecken hervor, umfaßte mit ſeinen langen Linien die unbehilflichen Klumpen der Franzoſen. Nach einem mörderiſchen Gefechte, bei dem der tapfere Picton den Tod fand, mußten die Angreifer zurückgehen. Ponſonbys ſchottiſche Reiter ſetzten nach, ſprengten die Weichenden auseinander, drangen in unaufhaltſamem Laufe bis in die große Batterie der Franzoſen; hier erſt wurden ſie durch franzöſiſche Cavallerie zur Umkehr genöthigt.

Der große Schlag war mißlungen. Und jetzt ließ ſich ſchon nicht mehr verkennen, daß jedenfalls ein beträchtlicher Theil der preußiſchen Armee im Anmarſch war, und zwar in der Richtung auf das Dorf Plancenoit, das im Rücken des rechten Flügels der Franzoſen lag. Noch ſtand es dem Imperator frei die Schlacht abzubrechen, aber wie hätte der Stolze einen ſo kleinmüthigen Entſchluß faſſen können? Er ſendete das Corps Lobaus über Plancenoit hinaus, ſo daß ſeine Schlachtſtellung ſtatt einer einfachen Linie nunmehr einen auf der Rechten rückwärts ge - bogenen Haken bildete. Die Preußen verdarben ihm die ganze Anlage der Schlacht noch bevor von ihrer Seite ein Schuß gefallen war. Den gegen die Engländer fechtenden Heertheilen wurde die auf der Rechten drohende Bedrängniß ſorgſam verborgen gehalten. Darum ließ Napoleon die Truppen Lobaus nicht weiter nach Oſten vorgehen, wo ſie das Corps Bülows am Rande des breiten Lasnethals leicht aufhalten konnten, ſondern hielt ſie nahe bei Plancenoit zurück: der Zuſammenſtoß mit den Preußen751Anmarſch der Preußen.ſollte ſo lange als möglich hinausgeſchoben werden, damit die Armee nicht durch den Kanonendonner auf der Rechten in ihrer Siegeszuverſicht beirrt würde. Aus Furcht vor dem Angriff der Preußen wagte der Imperator auch nicht mehr, die 24 Bataillone ſeiner Garde, die noch unberührt in Reſerve ſtanden, gegen die Engländer vorzuſchicken, ſondern beſchloß mit ſeiner geſammten Cavallerie das Centrum Wellingtons zu durchbrechen: ein ausſichtsloſes Beginnen, da die Hauptmaſſe des Fuß - volks der Verbündeten noch unerſchüttert war.

Blücher war am Morgen von Wavre aufgebrochen. Die alten Glie - der wollten ſich noch gar nicht erholen von dem böſen Sturze vorgeſtern, doch wer durfte dem Helden heute von Ruhe und Schonung ſprechen? Lieber, rief er aus, will ich mich auf dem Pferde feſt binden laſſen, als dieſe Schlacht verſäumen! Wohlgemuth ritt er inmitten der Regimenter, die ſich mit unſäglicher Anſtrengung durch den tiefen Schlamm hindurcharbei - teten; ein Brand in Wavre hatte den Marſch erheblich verzögert. Die Sol - daten frohlockten wo der Feldherr ſich zeigte, traten mit lautem Zuruf an ihn heran, ſtreichelten ihm die Kniee; er hatte für Jeden ein ermunterndes Wort: Kinder, ich habe meinem Bruder Wellington verſprochen, daß wir kommen. Ihr wollt mich doch nicht wortbrüchig werden laſſen? Thielmann blieb mit dem dritten Armeecorps bei Wavre zurück um den Rücken des Heeres gegen einen Angriff Grouchys zu decken, der in der That am Nach - mittage auf Wavre heranzog. Die übrigen drei Corps nahmen den Marſch auf Chapelle St. Lambert; um 10 Uhr waren die Spitzen, um 1 Uhr die Hauptmaſſe der Armee dort auf den Höhen angelangt. Nun theilte ſich das Heer. Zieten mit dem erſten Corps marſchirte gradaus, in der Rich - tung auf Ohain und weiter gegen den rechten Flügel der Franzoſen. Bülow mit dem vierten Corps und dahinter das zweite Corps unter Pirch wendeten ſich nach links, ſüdweſtwärts, gegen den Rücken der franzöſiſchen Auf - ſtellung. Das ſchwierige Defilé des Lasnethals war zum Glücke vom Feinde nicht beſetzt, der Bach ward überſchritten, und gegen 4 Uhr ließ Bülow ſeine Truppen wohl verdeckt in und hinter dem Walde von Frichemont antreten: erſt wenn eine genügende Macht zur Stelle war, ſollte der überraſchende Vorſtoß erfolgen. In tiefem Schweigen rückten die Regimenter in ihre Stellungen ein; die Generale hielten am Rande des Waldes und verfolgten mit geſpannten Blicken den Gang der Schlacht. Als einer der Offiziere meinte, der Feind werde nun wohl von den Eng - ländern ablaſſen, und um ſich den Rückzug zu ſichern ſeine Hauptmacht gegen die Preußen werfen, da erwiderte Gneiſenau: Sie kennen Napo - leon ſchlecht. Er wird gerade jetzt um jeden Preis die engliſche Schlacht - linie zu zerſprengen ſuchen und gegen uns nur das Nothwendige ver - wenden.

Und ſo geſchah es. Noch ehe die Preußen bei dem Walde von Frichemont anlangten, zwiſchen 3 und 4 Uhr hatte der zweite große752II. 2. Belle Alliance.Angriff der Franzoſen begonnen. Ney ſprengte mit vierzehn Regimentern ſchwerer Reiterei auf der Weſtſeite der Landſtraße gegen die Vierecke der engliſchen Garde und der Diviſion Alten im Centrum heran. Lange wogte der Kampf unentſchieden hin und her, aber das Fußvolk hielt un - erſchütterlich aus. Endlich zurückgeworfen zog Ney auch die Cavallerie Kellermanns an ſich, ſo daß er jetzt 26 Reiterregimenter zu erneutem Angriff heranführte, die größte Reitermaſſe, welche dies kriegeriſche Zeit - alter jemals an einer Stelle thätig geſehen hatte. Der Boden dröhnte von dem Hufſchlag von zehntauſend Pferden, ein Wald von Säbeln und Lanzen bedeckte die Thalmulde, ſtundenlang ſchwankte das Gefecht, zehn -, zwölfmal ward die Attake gegen einzelne Bataillone erneuert. Noch - mals behielt die Standhaftigkeit des engliſchen und deutſchen Fußvolks die Oberhand. Auch dieſer Angriff ſcheiterte, die Schwadronen begannen zu weichen, ein kühnes Vorgehen der engliſchen und hannoverſchen Reſerve - reiterei brachte ſie vollends in Verwirrung; aber auch die Sieger fühlten ſich tief erſchöpft.

Auf den anderen Theilen des Schlachtfeldes geſtaltete ſich unter - deſſen der Gang der Ereigniſſe weit günſtiger für Napoleon. Die Divi - ſion Quiot, die ſchon an dem großen Angriffe Erlons theilgenommen, ging von Neuem auf der Landſtraße vor und beſtürmte die Meierei von La Haye Sainte. Dort ſtand Major Baring mit einem Bataillon von der leichten Infanterie der Deutſchen Legion und einigen Naſſauern. Die grünen Jäger hatten ſchon um Mittag die Schlachthaufen Er - lons abgeſchlagen; die treuen Männer hingen mit ganzem Herzen an ihren Offizieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten ſich entſchloſſen von dieſem Ehrenpoſten nimmermehr zu weichen. Und welche Aufgabe jetzt! Schon brannten die Dächer des Gehöftes, die Einen mußten löſchen, die Anderen führten aus den Fenſtern, hinter den Hecken und Mauern des Gartens das Feuergefecht gegen die furchtbare Uebermacht draußen. Pulver und Blei gingen aus; vergeblich ſandte Baring wiederholt ſeine Boten rückwärts nach Mont St. Jean mit der dringenden Bitte um Munition. Erſt als faſt die letzte Patrone verſchoſſen war, räumte die tapfere kleine Schaar den Platz. Wie Raſende drangen die Franzoſen hinter den Abziehenden in das Gehöfte ein, durchſuchten brüllend alle Stuben und Scheunen: kein Pardon dieſen grünen Brigands! denn wie viele ihrer Kameraden waren heute Mittag und jetzt wieder den ſicheren Kugeln der deutſchen Jäger erlegen! Das Vorwerk des engliſchen Centrums war genommen, und bald ergoß ſich der Strom der Angreifer weiter bis nach Mont St. Jean. Die Mitte der Schlachtlinie Wellingtons ward durchbrochen. Da führte der Herzog ſelber die hannoverſche Brigade Kielmannsegge herbei und ihr gelang die Lücke im Centrum vorläufig zur Noth wieder auszufüllen. Aber auch nur vorläufig; denn die Reſerven waren ſchon herangezogen bis auf den letzten Mann, und La Haye Sainte,753Bülow bei Frichemont.die beherrſchende Poſition dicht vor dem Centrum, blieb in den Händen des Feindes. Mittlerweile konnte auch der tapfere Bernhard von Weimar auf dem linken Flügel die Vorwerke La Haye und Papelotte gegen die Diviſion Durutte nicht mehr behaupten. Er begann zu weichen. Welling - tons Beſorgniß ſtieg. Schon ſeit mehreren Stunden hatte er wiederholt Adjutanten an Blücher geſendet mit der dringenden Bitte um Hilfe. Kalt und ſtreng ſtand er unter ſeinen Offizieren, die Uhr in der Hand, und ſagte: Blücher oder die Nacht! Wenn Napoleon jetzt im Stande war ſeine Garde gegen Mont St. Jean oder gegen den erſchütterten linken Flügel der Engländer zu verwenden, ſo konnte ihm der Sieg nicht fehlen.

In dieſem verhängnißvollen Zeitpunkte begann der Angriff der Preußen. Bereits klang fern vom Oſten her, beiden Theilen vernehmlich, Kanonen - donner nach dem Schlachtfelde hinüber die erſte Kunde von dem Ge - fechte, das ſich bei Wavre, im Rücken der Blücher’ſchen Armee, zwiſchen Thielmann und Grouchy entſpann. Um die nämliche Zeit fiel vor dem Walde von Frichemont der erſte Schuß. Es war ½ 5 Uhr Nach - mittags; grade fünf Stunden lang hatte die Armee Wellingtons den Kampf allein aushalten müſſen. Bülows Batterien fuhren ſtaffelförmig auf den Höhen vor dem Walde auf. Ein einzig ſchönes Schauſpiel, wie dann die Brigaden des vierten Corps mit Trommelklang und fliegenden Fahnen nach einander aus dem Gehölze heraustraten und zwiſchen den Batterien hindurch ſich in die Ebene gegen Plancenoit hinabſenkten. Gnei - ſenau fühlte ſich in ſeinem ewig jungen Herzen wie bezaubert von der wilden Poeſie des Krieges und unterließ ſelbſt in ſeinem amtlichen Schlacht - berichte nicht zu ſchildern, wie herrlich dieſer Anblick geweſen ſei.

Der Held von Dennewitz that ſein Beſtes um die Fehler vom 15. und 16. Juni zu ſühnen, leitete den Angriff mit beſonnener Kühn - heit wie in den großen Zeiten der Nordarmee. Gleich im Beginne des Gefechts fiel der allbeliebte Oberſt Schwerin, derſelbe, der vor einem Jahre der Hauptſtadt die Siegesbotſchaft gebracht hatte. Das Corps Lobaus ward zurückgedrängt, unaufhaltſam drangen die Preußen vor - wärts auf Plancenoit. Etwas ſpäter, um 6 Uhr hatte General Zieten mit der Spitze des erſten Corps Ohain erreicht und ging dann, ſobald er von der Bedrängniß des engliſchen linken Flügels unterrichtet war, raſch auf die Vorwerke La Haye und Papelotte vor, wo die Diviſion Durutte ſich ſoeben eingeniſtet hatte. Prinz Bernhard von Weimar rettete die Trümmer ſeiner Truppen, als die preußiſche Hilfe herankam, rück - wärts in den ſchützenden Wald von Soignes; ſeine tapferen Naſſauer waren durch das lange, ungleiche Gefecht völlig kampfunfähig geworden. Die Brigade Steinmetz warf nun die Franzoſen aus den beiden Vor - werken wieder hinaus, die brandenburgiſchen Dragoner hieben auf die Zurückweichenden ein, die Batterien des erſten Corps beſtrichen weithin den rechten Flügel des Feindes, und bis in das franzöſiſche CentrumTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 48754II. 2. Belle Alliance.hinein verbreitete ſich ſchon die Schreckenskunde, dort auf der Rechten ſei Alles verſpielt.

Gegen 7 Uhr war die Schlacht für Napoleon unzweifelhaft ver - loren. Sein linker Flügel hatte wieder und wieder vergeblich das Schloß Goumont berannt, im Centrum war der große Reiterangriff geſcheitert, auf der Rechten und im Rücken drängten die Preußen von zwei Seiten her näher und näher; den einzigen Gewinn der letzten Kämpfe, die Meierei von La Haye Sainte auf die Dauer zu behaupten war nicht mehr möglich. Durch einen rechtzeitigen Rückzug konnte noch mindeſtens die Hälfte des Heeres gerettet werden. Es ergab ſich aber nothwendig aus dem Charakter des Imperators und aus ſeiner verzweifelten poli - tiſchen Lage, daß er dieſen Ausweg verſchmähte und noch einen dritten allgemeinen Angriff verſuchte diesmal nach zwei Seiten zugleich. Er ließ um ſieben Uhr die 24 Bataillone ſeiner Garde heranrufen, behielt nur zwei als letzte Reſerve zur Hand, ſendete zwölf nach Plancenoit gegen Bülow. Die übrigen zehn ſollte Ney zu einem neuen Angriff gegen das engliſche Centrum führen, abermals weſtlich der Landſtraße, möglichſt entfernt von den Schaaren Zietens. Mit ſtürmiſchem Hochruf eilten die Bataillone bei Belle Alliance an dem Imperator vorüber: es war ja ihr Handwerk den Sieg zu entſcheiden. Sie tauchen dann in die unheimliche Bodenmulde hinab, wo dichte Haufen von Leichen und Pferden den Todesweg der franzöſiſchen Reiter bezeichnen, ſtürmen unter Trommelſchlag, unbekümmert um die Geſchoſſe der engliſchen Batterien, über die Felder, erſteigen den Abhang dicht vor der Front der britiſchen Garde. Droben liegen indeſſen Maitlands Grenadiere im Graſe ver - borgen. Als die erſten Bärenmützen auf der Höhe erſcheinen, ſchallt weithin Wellingtons durchdringender Ruf: auf, Garden! fertig! und mit einem male ſteigt dicht vor den Augen der entſetzten Franzoſen eine rothe Mauer auf, die lange Linie der engliſchen Garde, eine furchtbare Salve kracht auf wenige Schritte Entfernung in die Reihen der Angreifer hinein. Ein kurzes wüthendes Handgemenge, dann werden die Blauen von den Rothen mit dem Bajonett den Abhang hinuntergeſchleudert. Neys Pferd bricht von einer Kugel getroffen unter dem Reiter zuſammen, und wie ſie den Führer fallen ſehen wenden ſich die Garden zur Flucht. Der aber macht ſich von ſeinem Thiere los, ſpringt auf, verſucht mit zornigen Rufen die Weichenden zu halten. Umſonſt; denn mittlerweile ſind die übrigen Bataillone weiter links zwiſchen zwei Feuer gerathen und gehen ebenfalls zurück. Die Kaiſergarde ſtiebt auseinander; ihr unglück - licher Führer irrt baarhaupt, mit zerbrochenem Degen auf dem Schlacht - felde umher und ſucht vergeblich die Kugel, die ihn von ſeiner Gewiſſens - angſt und ſeinen finſteren Ahnungen erlöſen ſoll.

Indem hatte Blücher ſchon den Schlag geführt, der die Vernichtung des napoleoniſchen Heeres entſchied. Die Truppen Bülows gingen in755Die Entſcheidung bei Plancenoit.drei Colonnen im Sturmſchritt auf Plancenoit vor. In und neben dem Dorfe hielten jene zwölf friſchen Bataillone der Kaiſergarde; und ſie fochten mit dem höchſten Muthe, denn Alle fühlten, daß hier die Ent - ſcheidung des ganzen Krieges lag. Die anſtürmenden Preußen ſahen ſich im freien Felde den Kugeln den Vertheidiger, die in den Häuſern und hinter den hohen Mauern des Kirchhofs verdeckt ſtanden, ſchutzlos preisgegeben. Dieſer letzte Kampf ward faſt der blutigſte dieſes wilden Zeitalters; das Corps Bülows verlor in viertehalb Stunden 6353 Mann, mehr als ein Fünftel ſeines Beſtandes, nach Verhältniß ebenſo viel wie die engliſche Armee während des ganzen Schlachttages. Der erſte und der zweite Sturm ward abgeſchlagen; da führte Gneiſenau ſelbſt die ſchleſiſchen und pommerſchen Regimenter zum dritten male vorwärts, und jetzt gegen 8 Uhr drangen ſie ein. Noch ein letzter wüthender Widerſtand in der Dorfgaſſe, dann entwich die Garde in wilder Flucht; ihr nach Major Keller mit den Füſilieren des 15. Regiments, dann die anderen Bataillone. Auf der ganzen Linie erklang in langgezogenen Tönen das ſchöne Signal der preußiſchen Flügelhörner: Avanciren! Zu gleicher Zeit ward weiter nördlich das Corps Lobaus von Bülows Truppen in der Front, von Zietens Reitern in der Flanke gepackt und völlig zer - ſprengt. Die beiden Heertheile der Preußen vereinigten ſich hier; der furchtbare Ring, der den rechten Flügel der Franzoſen auf drei Seiten umklammern ſollte, war geſchloſſen. Von Norden drängten die Engländer, von Oſten und Süden die Preußen heran. Den Truppen Zietens wies Grolman die Richtung nach der Höhe hinter dem Centrum der Franzoſen, nach dem Pachthof La Belle Alliance, der mit ſeinen weißen Mauern weithin erkennbar wie ein Leuchtthurm über dem tiefen Gelände empor - ragte. Dorthin nahmen auch die Sieger von Plancenoit ihren Weg.

Ueber 40,000 Preußen hatten noch am Gefechte theilgenommen, und jetzt da die Arbeit faſt gethan war kam auch das Armeecorps Pirchs von den Höhen hinter Plancenoit herab. Napoleon war während dieſer letzten Stunde nach La Haye Sainte vorgeeilt um die Diviſion Quiot noch einmal zum Angriff auf Mont St. Jean vorzutreiben. Sobald er zu ſeiner Linken die Niederlage Neys und gleichzeitig den Zuſammenbruch des geſammten rechten Flügels bemerkte, ſagte er wie vernichtet: es iſt zu Ende, retten wir uns! Er eilte an der Landſtraße zurück, nicht ohne ſchwere Gefahr, denn ſchon ward die Straße zugleich von den Engländern und von Zietens Batterien mit einem heftigen Kreuzfeuer beſtrichen.

Schweigſam, unbeweglich, mit wunderbarer Selbſtbeherrſchung ſah Wellington auf die ungeheuere Verwirrung. Sein Heer war nicht nur völlig ermattet, ſondern auch in ſeiner taktiſchen Gliederung ganz gebrochen; der lange Kampf hatte alle Truppentheile wirr durcheinander geſchüttelt, aus den Trümmern der beiden prächtigen Reiterbrigaden Ponſonby und Somerſet ſtellte man ſoeben zwei Schwadronen zuſammen. Keine Mög -48*756II. 2. Belle Alliance.lichkeit, mit ſolchen Truppen noch ein nachhaltiges Gefecht zu beſtehen. Der Herzog wußte wohl, daß allein das Erſcheinen der Preußen ihn vor einer unzweifelhaften Niederlage bewahrt hatte; ſeine wiederholten dringen - den Bitten an Blücher laſſen darüber keinen Zweifel. Doch er war dem militäriſchen Ehrgefühle ſeiner Tapferen eine letzte Genugthuung ſchuldig; auch ſah er mit ſtaatsmänniſcher Feinheit voraus, wie viel ge - wichtiger Englands Wort bei den Friedensverhandlungen in die Wag - ſchale fallen mußte, wenn man ſich ſo anſtellte, als hätten die britiſchen Waffen die Schlacht im Weſentlichen allein entſchieden. Darum ließ er, ſobald er den rechten Flügel der Franzoſen dem preußiſchen Angriffe er - liegen ſah, alle irgend verwendbaren Trümmer ſeines Heeres noch eine Strecke weit vorrücken. Auf dieſem letzten Vormarſch trieb der hanno - verſche Oberſt Halkett die beiden einzigen Vierecke der Kaiſergarde, die noch zuſammenhielten, vor ſich her und nahm ihren General Cambronne mit eigenen Händen gefangen. Aber die Kraft der Ermüdeten verſagte bald, ſie gelangten nicht über Belle Alliance hinaus. Wellington überließ, nach - dem er den Schein gerettet, die weitere Verfolgung ausſchließlich den Preußen, die ohnehin dem Feinde am Nächſten waren.

Die Geſchlagenen ergriff ein wahnſinniger Schrecken. Kein Befehl fand mehr Gehör, Jeder dachte nur noch an ſein armes Leben. Fußvolk und Reiter wirr durch einander, flohen die aufgelöſten Maſſen auf und neben der Landſtraße ſüdwärts; die Troßknechte zerhieben die Stränge und ſprengten hinweg, ſo daß die 240 Kanonen alleſammt bis auf etwa 27 in die Hände der Sieger fielen. Selbſt der Ruf L’Empereur! der ſonſt augenblicklich jeden Weg dem kaiſerlichen Wagen geöffnet hatte, verlor heute ſeinen Zauber; der kranke Napoleon mußte zu Pferde davonjagen, obgleich er ſich kaum im Sattel halten konnte. Nur um die Fahnen ſchaarten ſich immer noch einige Getreue; ihrer vier waren in der Schlacht verloren gegangen, die übrigen wurden alleſammt gerettet. Niemals in aller Geſchichte war ein tapferes Heer ſo plötzlich aus allen Fugen gewichen. Nach der übermenſchlichen Anſtrengung des Tages brach alle Kraft des Leibes und des Willens mit einem Schlage zuſammen; das Dunkel der Nacht, die Uebermacht der Sieger, der umfaſſende Angriff und die raſtloſe Verfolgung ſteigerten die Verwirrung. Entſcheidend blieb doch, daß dieſem Heere bei all ſeinem ſtürmiſchen Muthe die ſittliche Größe fehlte. Was hielt dieſe Meuterer zuſammen? Allein der Glaube an ihren Helden. Nun deſſen Glücksſtern verbleichte, waren ſie nichts mehr als eine zuchtloſe Bande.

Die Sonne war ſchon hinter dicken Wolken verſunken, als die beiden Feldherren vor dem Hofe von Belle Alliance mit einander zuſammen trafen; ſie umarmten ſich herzlich, der bedachtſame Vierziger und der feurige Greis. Nahebei hielt Gneiſenau. Endlich doch ein ganzer und voller Sieg, wie er ihn ſo oft vergeblich von Schwarzenberg gefordert;757Die Verfolgung.endlich doch eine reine Vergeltung für allen Haß und alle Schmach jener entſetzlichen ſieben Jahre! Es ſang und klang in ſeiner Seele; er dachte an das herrlichſte der fridericianiſchen Schlachtfelder, das er einſt von ſeiner ſchleſiſchen Garniſon aus ſo oft durchritten hatte. Iſt es nicht gerade wie bei Leuthen? ſagte er zu Bardeleben und ſah ihn mit ſtrahlenden Augen an. Und wirklich, wie einſt bei Leuthen blieſen jetzt die Trompeter das Herr Gott Dich loben wir! und die Soldaten ſtimmten mit ein. Aber Gneiſenau dachte auch an die Schreckensnacht nach der Schlacht von Jena, an jene Stunden beim Webichtholze, da er die Todes - angſt eines geſchlagenen Heeres, die dämoniſche Wirkung einer nächtlichen Verfolgung mit angeſehen. Noch gründlicher als einſt an der Katzbach, ſollte heute der Sieg ausgebeutet werden. Wir haben, rief er aus, gezeigt wie man ſiegt, jetzt wollen wir zeigen wie man verfolgt. Er befahl Bardeleben mit einer Batterie den Fliehenden auf den Hacken zu bleiben, immer aufs Gerathewohl in das Dunkel der Nacht hineinzuſchießen, da - mit der Feind nirgends Ruhe fände. Er ſelber nahm was von Truppen zur Hand war mit ſich, brandenburgiſche Uhlanen und Dragoner, Infanterie vom 15. und 25. und vom 1. pommerſchen Regimente; Prinz Wilhelm der Aeltere, der die Reſervereiterei des Bülow’ſchen Corps geführt, ſchloß ſich ihm an.

So brauſte die wilde Jagd auf der Landſtraße dahin; nirgends hielten die Flüchtigen Stand. Erſt bei Genappe, wo die Straße auf einer engen Brücke das Thal der Dyle überſchreitet, verſuchten die Trümmer der kaiſerlichen Garde den Uhlanen zu widerſtehen; doch kaum erklang, gegen 11 Uhr, der Sturmmarſch des preußiſchen Fußvolks, ſo brachen ſie ausein - ander. General Lobau und mehr als 2000 Mann geriethen hier in Ge - fangenſchaft; auch der Wagen Napoleons mit ſeinem Hut und Degen ward erbeutet. Welche Ueberraſchung, als man die Sitzkiſſen aufhob; der große Abenteurer hatte ſich die Mittel ſichern wollen für den Fall der Flucht, den Wagen über und über mit Gold und Edelſteinen angefüllt. Die armen pommerſchen Bauerburſchen ſtanden vor dem Glanze faſt ebenſo rathlos wie einſt die Schweizer bei Nancy vor dem Juwelenſchatze des Burgunderherzogs; Mancher verkaufte einen koſtbaren Stein für wenige Groſchen. Das prächtige Silbergeſchirr des Imperators behielten die Offiziere der Fünfundzwanziger und ſchenkten es der Lieblingstochter ihres Königs als Tafelſchmuck.

Gneiſenau aber und Prinz Wilhelm ritten nach kurzem Verſchnaufen raſtlos weiter. Drüben jenſeits der Dyle glaubten die Franzoſen ſicher zu ſein und hatten ſich zur Beiwacht gelagert. Mindeſtens ſiebenmal wurden ſie durch die nachſetzenden Preußen von ihren Feuern aufgeſcheucht. Als ſein Fußvolk nicht mehr weiter konnte, ließ Gneiſenau einen Trommler auf ein Beutepferd aufſitzen; der mußte ſchlagen was das Kalbfell aushalten wollte, und weiter ging es mit den Uhlanen allein. Wie viele Schaaren758II. 2. Belle Alliance.der Franzoſen ſind dann noch vor dem Klange dieſer einzigen Trommel auseinandergelaufen! Die Straße war überſäet mit Waffen, Torniſtern und allerhand Getrümmer, wie einſt der Weg von Roßbach nach Erfurt. Beim Morgengrauen ward das Schlachtfeld von Quatrebras erreicht, aber erſt jenſeits, in Frasnes, nach Sonnenaufgang hielten die erſchöpften Ver - folger ein. Sie hatten die Zerrüttung des feindlichen Heeres ſo bis zur völligen Auflöſung geſteigert, daß ſich von den Kämpfern von Belle Al - liance nur 10,000 Mann, lauter ungeordnete Haufen, nachher in Paris wieder zuſammen fanden.

Mit ſtolzen Worten dankte Blücher dem unübertrefflichen Heere, das ermöglicht habe was alle großen Feldherren bisher für unmöglich gehalten hätten: So lange es Geſchichte giebt wird ſie Euer gedenken. Auf Euch, ihr unerſchütterlichen Säulen der preußiſchen Monarchie, ruht mit Sicher - heit das Glück Eures Königs und ſeines Hauſes. Nie wird Preußen unter - gehen, wenn Eure Söhne und Enkel Euch gleichen! An Stein ſchrieb er einfach: Ich hoffe, mein verehrter Freund, Sie ſind von mich zufrie - den und ſprach die Hoffnung aus, ſeine alten Tage als Steins Nachbar in Ruhe aufs Land zu verleben . Er befahl, die Schlacht zu nennen nach dem ſinnvollen Namen des Hofes La Belle Alliance, wo die beiden Sieger durch eine anmuthige Gunſt des Zufalls zuſammen getroffen waren zum Andenken des zwiſchen der britiſchen und preußiſchen Nation jetzt beſtehenden, von der Natur ſchon gebotenen Bündniſſes, der Vereinigung der beiden Armeen und der wechſelſeitigen Zutraulichkeit der beiden Feldherren. Wellington ging auf den ſchönen Gedanken, der beiden Völkern die verdiente Ehre gab, nicht ein. Die Schlacht ſollte als ſein Sieg erſcheinen, darum taufte er ſie auf den Namen des Dorfes Waterloo, wo gar nicht gefochten wurde; denn dort hatte er am 17. Juni über - nachtet und von Spanien her war er gewohnt die Stätten ſeiner Siege mit dem Namen ſeines letzten Hauptquartiers zu bezeichnen. Während Gnei - ſenaus Schlachtbericht durchaus ehrlich und beſcheiden den wirklichen Her - gang, ſo weit er ſchon bekannt war, erzählte, ſtellte der Herzog in ſeinem Berichte die Ereigniſſe ſo dar, als ob ſein letzter Scheinangriff die Schlacht entſchieden und die Preußen nur eine immerhin dankenswerthe Hilfe ge - leiſtet hätten. Zum Glück wurde von ſolchen Zügen engliſcher Bundes - freundſchaft vorderhand noch wenig ruchbar. Das Verhältniß zwiſchen den Soldaten der beiden Heere blieb durchaus freundlich; die tapferen Hochſchotten, die auf dem Schlachtfelde den preußiſchen Vierundzwanzigern um den Hals fielen und mit ihnen gemeinſam das Heil Dir im Sieger - kranz! ſangen, fragten wenig, wem das höhere Verdienſt gebühre.

In der Heimath hatte die Unglückspoſt von Ligny große Beſtürzung erregt; man ſah ſchon ein neues Zeitalter unendlicher Kriege emporſteigen. Um ſo ſtürmiſcher nun die Freude über die Siegesbotſchaft. Wie war doch plötzlich das Machtverhältniß zwiſchen den beiden Nachbarvölkern759Treffen bei Wavre.verſchoben! Schon jenſeits der Grenze empfingen die Deutſchen den Feind; die Hälfte des preußiſchen Heeres und ein Theil der norddeutſchen Contingente genügten um, vereint mit etwa 60,000 Engländern und Nie - derländern, das franzöſiſche Heer aufs Haupt zu ſchlagen; unabweisbar drängte ſich der Gedanke auf, daß Preußen allein, ſelbſt ohne Oeſterreich, bereits ſtark genug war die böſen Nachbarn zu bemeiſtern, wenn ſich nur alle deutſchen Staaten ihm anſchloſſen. Gneiſenau ſagte befriedigt: Die Franzoſen ahnen nicht blos, ſie wiſſen jetzt, daß wir ihnen überlegen ſind. Im Bewußtſein ſolcher Kraft verlangte die Nation wie aus einem Munde rückſichtsloſe Ausbeutung des Sieges, gänzliche Befreiung des deutſchen Stromes. Im Namer Aller rief Arndt den Siegern zu:

Nun nach Frankreich, nun nach Frankreich!
Holt geſtohlnes Gut zurück!
Unſre Veſten, unſre Grenzen,
Unſern Theil an Siegeskränzen,
Ehr und Frieden holt zurück!

In gleichem Sinne rief ein anderer Poet:

Reißt Vaubans Stachelgurt von Frankreichs Grenze,
Legt ihn der Euren an!

Die Unvollkommenheit alles menſchlichen Thuns zeigt ſich aber nir - gends greller als im Kriege. Ein letzter Erfolg, der noch möglich ſchien, entging den Preußen nicht ohne die Schuld der beiden gelehrteſten Männer der Armee, wie die Offiziere urtheilten. Das Heer Grouchys entzog ſich der Vernichtung. Als der Marſchall am 18. Juni gegen Wavre herankam, hielt ihn Thielmann bis zum Abend durch ein geſchickt und muthig geführtes Gefecht an der Dyle feſt. Am frühen Morgen des 19. griff Grouchy abermals an, und Thielmann, der dem übermäch - tigen Feinde nur drei Brigaden entgegenzuſtellen hatte, wich in der Rich - tung auf Löwen zurück. Sein Generalſtabschef, der geiſtvolle Clauſewitz hielt die Lage für noch bedenklicher als ſie war und ſetzte den Rückzug allzu weit nach Norden fort. Als die Franzoſen ſodann, auf die Schreckens - nachricht aus Belle Alliance, ſchleunigſt umkehrten und der Sambre zu - eilten, da hatten die Preußen die Fühlung mit ihnen verloren und konnten ſie nicht mehr erreichen. Unterdeſſen ward auch von der Hauptarmee her ein Unternehmen gegen Grouchy eingeleitet. Während General Pirch am ſpäten Abend des 18. bei Plancenoit eintraf und die Schlacht ſchon nahezu beendet fand, verfiel ſein Generalſtabschef, der gelehrte Aſter ſogleich auf den glücklichen Gedanken, dies zweite Corps müſſe ſich jetzt oſtwärts wenden um je nach Umſtänden die Armee Grouchys zu verfolgen oder ihr den Rückzug abzuſchneiden. Er ſprach damit nur aus was unmittel - bar nachher Gneiſenau ſelber dem General auftrug. Die Aufgabe bot große Schwierigkeiten. Das Corps war durch den Tag von Ligny und760II. 2. Belle Alliance.durch mehrfache Entſendungen geſchwächt, zählte nur 16,000 Mann, halb ſo viel wie vor drei Tagen; die Soldaten fühlten ſich tödlich er - ſchöpft, und zudem wußte man nichts Sicheres über Grouchys Stellung. Was Wunder, daß der Nachtmarſch nur langſam von ſtatten ging? Aber bei größerer Rührigkeit ſeines Generalſtabs mußte der General am 19. er - fahren, wo Grouchy zu finden ſei. Dies ward verſäumt. Erſt am 20. kam die Nachricht, daß der Marſchall in der Nacht, ohne einen Schuß zu thun, unweit der Vorpoſten nach der Sambre zu vorübergezogen und alſo den beiden Corps von Pirch und Thielmann glücklich entſchlüpft war. Pirch eilte ſofort nach, traf die Nachhut bei Namur, nahm die Stadt nach einem blutigen Gefechte an den Thoren, aber die Hauptmacht Grouchys war ſchon in Sicherheit. So geſchah es, daß den Franzoſen vorläufig noch ein leidlich geordnetes Heer von 30,000 Mann übrig blieb, das vielleicht den Kern für eine neue Armee bilden konnte.

Die beiden Feldherren verſtändigten ſich ſchnell über den gemeinſamen Einmarſch in das Innere Frankreichs, wobei die Preußen wieder die Spitze nehmen ſollten; nur gingen Beide von grundverſchiedenen Abſichten aus. Blücher wollte einfach die Unterwerfung des verhaßten Landes vollenden bis die Monarchen das Weitere verfügten; Wellington wünſchte den legi - timen König ſchleunig in die Tuilerien zurückzuführen. Und wie viel vortheilhafter war die politiſche Stellung des Briten! Während Blücher, ohne Kenntniß von den Plänen ſeines Hofes, ſich begnügen mußte ſeinen Generalen jeden amtlichen Verkehr mit den Bourbonen zu verbieten, ging Wellington, unbekümmert um die Wünſche der Bundesgenoſſen, ruhig auf ſein ſicheres Ziel los, forderte den Genter Hof auf, dem engliſchen Heere nachzuziehen.

Die Entſcheidung des Krieges fiel ſo wunderbar raſch, daß jene Mächte, welche eine neue Reſtauration nicht wünſchten, ſich gar nicht auf die veränderte Lage vorbereiten konnten. König Ludwig war noch der von allen Mächten anerkannte König von Frankreich, das geſammte diplo - matiſche Corps hatte ihn nach Gent begleitet, und den Vorſtellungen der fremden Staatsmänner glückte es, den gefährlichen Einfluß des Grafen Blacas zu beſeitigen, den König für eine gemäßigtere Richtung zu ge - winnen. Einer erſten, unklugen und übermüthigen Proclamation folgte ſchon am 28. Juni eine zweite voll freundlicher Verheißungen. Der Bour - bone verſprach, ſich abermals zwiſchen die alliirten und die franzöſiſchen Armeen zu ſtellen, in der Hoffnung, daß die Rückſichten, welche man mir zollt, zu Frankreichs Heile dienen werden; er verwahrte ſich feierlich gegen die Wiederherſtellung der Zehnten und grundherrlichen Rechte, gegen die Rückforderung der Nationalgüter. Wellington trug kein Bedenken, den Friedensdeputationen, welche ihm die Hauptſtadt zuſendete, zu er - klären, die Bedingungen der Sieger würden um Vieles härter werden, wenn die Nation ihren König nicht zurückriefe. Und ſeltſam, der ruſſiſche Ge -761Napoleons zweite Entthronung.ſandte Pozzo di Borgo unterſtützte eifrig die Beſtrebungen des engliſchen Feldherrn: ganz auf eigene Fauſt, denn der Czar ſelber dachte in jenem Augenblicke noch an die Thronbeſteigung der Orleans. Pozzo hoffte durch Begünſtigung der bourboniſchen Sache auf Jahre hinaus der mächtigſte Mann in den Tuilerien zu werden. Ein Theil der beſitzenden Klaſſen neigte ſich nun doch der Anſicht zu, daß eine neue Reſtauration der einzig mögliche Ausgang der rathloſen Verwirrung und namentlich für Frank - reichs europäiſche Stellung vortheilhaft ſei eine kühle Berechnung, die freilich mit den Gefühlen dynaſtiſcher Treue nicht das Mindeſte gemein hatte.

Der Imperator mußte ſogleich erfahren, daß Frankreich für einen unglücklichen Napoleon keinen Raum bot. Auf den Rath ſeiner Umge - bung verließ er das Heer, das ihn doch allein ſtützen konnte, am 20. Juni und eilte nach Paris; dort ſah er ſich von aller Welt ſo gänzlich verlaſſen, daß er bereits nach zwei Tagen zu Gunſten ſeines Sohnes ab - dankte. Die proviſoriſche Regierung, die ſich unter Leitung des ſchlauen Fouché gebildet hatte, beachtete die Worte des Geſtürzten nicht mehr. Er verbrachte dann noch einige Tage voll banger Zweifel in jenem Malmaiſon, wo einſt die verſtoßene Joſephine in ihrer Einſamkeit gelebt hatte, bot der Regierung vergeblich ſeine Dienſte als einfacher General an. Endlich ſah er ein, daß ſeine Rolle ausgeſpielt war; der Gedanke, mit Hilfe der ja - cobiniſchen Foederirten in den Pariſer Vorſtädten wieder ans Ruder zu gelangen, ſchien dem Despoten zu unmilitäriſch. Als die Preußen ſich näherten, verließ er am 29. Juni das Schloß und eilte an die Küſte nach Rochefort. Der große Schauſpieler ſchlug nun noch einmal ſeine Toga in maleriſche Falten, erklärte dem Prinzregenten, er komme um wie Themiſtokles Schutz zu ſuchen am gaſtlichen Heerde des großmüthigen Feindes, und begab ſich am 15. Juli an Bord des engliſchen Kriegs - ſchiffs Bellerophon. Hardenberg erlebte die Genugthuung, daß ſein ſo oft wiederholter Vorſchlag jetzt von allen Mächten unbedenklich gebilligt wurde; es blieb nichts übrig als den unheilvollen Mann fern von Eu - ropa in ſichere Haft zu bringen. Dort auf der einſamen Felſeninſel hat der Gefangene mit eigenen Händen eine Strafe über ſich verhängt, wie ſie der bitterſte Feind nicht grauſamer erſinnen konnte. Dies titaniſche Leben nahm ein gaunerhaftes Ende. Mit wüſtem Gezänk und der gewerb - mäßigen Verbreitung ungeheuerlicher Lügen füllte er ſeine letzten Jahre aus; er ſelber riß den Schleier hinweg von der bodenloſen Gemeinheit des Rieſengeiſtes, der ſich einſt erdreiſtet hatte der Welt den Fuß auf den Nacken zu ſetzen.

Ueber die Behandlung Napoleons hatten die beiden Feldherren ſich nur ſchwer geeinigt. Der Gegenſatz der britiſchen und der deutſchen Politik brach überall hervor. Wellington wollte die Gefühle der Fran - zoſen ſorgſam ſchonen, und da er im Herzen völlig kalt blieb, ſo erkannte762II. 2. Belle Alliance.er auch richtig, daß es den Eroberern übel anſtand ihren Sieg durch eine Gewaltthat zu beflecken. In Blüchers Hauptquartier dagegen flammte der alte Haß gewaltig auf: ſo viele deutſche Männer lagen abermals in ihrem Blute durch die Schuld dieſes einen Mannes! Blücher vermaß ſich, er wolle den Unhold, wenn er ihn finge, im Schloſſe von Vincennes erſchießen laſſen, auf derſelben Stelle, wo einſt der Herzog von Enghien ermordet wurde; denn wozu ſonſt die Wiener Achtserklärung gegen den Störer der öffentlichen Ruhe? Erſt auf Wellingtons dringende Bitten gab er den grimmigen Plan auf und fügte ſich der theatraliſchen Groß - muth , wie Gneiſenau erbittert ſchrieb, aus Achtung für den Charakter des Herzogs und aus Schwäche . Dagegen ſetzte der preußiſche Feld - herr durch, daß der Marſch bis nach Paris fortgeſetzt wurde, während der Engländer der Hauptſtadt die neue Demüthigung lieber erſparen und ſeinen bourboniſchen Schützling allein einziehen laſſen wollte. Blücher blieb ſtandhaft, ſtellte den Friedensgeſandten der Pariſer ſo ſtrenge Be - dingungen, daß die Fortſetzung des Krieges unvermeidlich wurde.

Das preußiſche Heer drang unaufhaltſam vor, den Engländern weit voran; auch der Feſtungskrieg ward mit Nachdruck begonnen, ſo daß noch vierzehn feſte Plätze ihre Thore den Deutſchen öffnen mußten. Das Volk betrug ſich überall tief feindſelig; die Franzoſen ließen ſichs nicht nehmen, daß dieſer neue Krieg der Coalition ein himmelſchreiendes Unrecht ſei. Auch die Preußen traten härter und ſchroffer auf als im vorigen Jahre. Gneiſenau hoffte die Armee Grouchys an der Oiſe von Paris abzuſchneiden. Dies gelang nicht; immerhin wurden die Truppen des Marſchalls durch die raſtloſe Verfolgung faſt ebenſo vollſtändig aufgelöſt wie die Beſiegten von Belle Alliance. Der kühne Parteigänger Major Frankenhauſen ließ ihnen nirgends Ruhe, er bewährte wieder den alten Ruhm der preußi - ſchen Reiterei, die ſonſt in dieſem Kriege wenig Gelegenheit zur Auszeich - nung fand. In den Gefechten von Compiegne und Villers Cotterets leiſteten die Franzoſen nur ſchwächlich Widerſtand. Die Geſchlagenen entkamen in aufgelöſten Schaaren in die Hauptſtadt, und mit ihnen gebot Davouſt, der Oberbefehlshaber von Paris, noch über 70,000 Mann; doch was war von dieſen muth - und zuchtloſen Haufen zu erwarten? Am 29. Juni langte Blücher in Goneſſe an, wenige Stunden nördlich von Paris; der liebliche Keſſel des Seinethals lag dicht vor ſeinen Blicken. Sein Heer hatte die 36 Meilen von dem belgiſchen Schlachtfelde in elf Tagen, mit nur einem Ruhetage, zurückgelegt.

Hier im Hauptquartier zu Goneſſe kam ein böſer Tag für Gneiſenau. Das zieht die Herzen ſo mächtig zu dem Bilde dieſes großen Deutſchen hin, daß er in Allem ſo einfach menſchlich war und darum auch einmal recht menſchlich bitter und ungerecht werden konnte. So widerfuhr es ihm heute. Er wußte, daß er der eigentliche Feldherr dieſes Krieges ge - weſen, daß der rettende Gedanke der Vereinigung der beiden Heere allein763Feldzug in Frankreich.aus ſeinem Kopfe entſprungen war; nun mußte er hören, wie die Ver - bündeten Wellington als den erſten der Helden prieſen, dieſen Briten, der wohl auf dem Schlachtfelde hohe Umſicht und Ausdauer gezeigt, doch bei der Leitung des Feldzugs Fehler auf Fehler gehäuft hatte. Eine tiefe Bitterkeit überkam ihn, wenn er ſein ruhmlos verborgenes Wirken, alle die ſo lange ſchweigſam ertragenen Kränkungen der letzten Jahre über - dachte. Wie abenteuerlich hatte das Schickſal mit ihm geſpielt, von Kin - desbeinen an! In Schilda, dem ſächſiſchen Abdera war er zur Welt ge - kommen, mitten im Wirrwarr des Kriegslagers der Reichsarmee, unter den Feinden Preußens; die preußiſchen Kanonen brummten dem Kinde das Wiegenlied, und wenig fehlte, ſo wäre der Knabe auf dem Rückzuge in der Nacht nach der Torgauer Schlacht von den Hufen der Pferde zer - treten worden, hätte ihn ein mitleidiger Grenadier nicht aufgehoben. Nachher die öde freudloſe Zeit, da er in Schilda barfuß die Gänſe hütete, bis endlich die katholiſchen Verwandten in Würzburg ſich ſeiner erbarmten. Der Heimathloſe wußte niemals recht, zu welchem deutſchen Stamme noch zu welcher Kirche er eigentlich gehörte. Dann die wilden tollen Studentenjahre in Erfurt, eine kurze Dienſtzeit bei den öſterreichiſchen Reitern, eine Fahrt nach Amerika mit den Unglücklichen, die der Ans - bacher Markgraf den Briten verkaufte. Darauf der preußiſche Dienſt: im Anfang glänzende, überſchwängliche Hoffnungen, dann wieder die leere Nichtigkeit des ſubalternen Lebens, ſo armſelig, ſo niederdrückend, daß dieſer Feuergeiſt, der ſich einſt faſt in ſeinen eigenen Gluthen verzehrt hatte, jetzt ernſtlich Gefahr lief zum Philiſter zu werden. Als dann die weltverwandelnden Geſchicke über Preußen hereinbrachen, da jauchzte der Genius in ihm auf; durch ihn errang das gedemüthigte Heer den erſten Erfolg, ſeit Scharnhorſts Tode durfte ſich Niemand mehr mit ihm ver - gleichen. Und was war ſein Lohn? Die Offiziere des Generalſtabs, die den Zauber des Genies im täglichen Umgang empfanden, wußten freilich wohl, was Deutſchland an dieſem Manne beſaß; ſie kamen ſich vor wie in der verkehrten Welt, wenn ſie dieſen geborenen Herrſcher mit dem Federhute in der Hand ehrerbietig neben dem Czaren ſtehen ſahen. Aber wenn die Soldaten den alten Blücher mit donnerndem Hurrah begrüßten, ſo bemerkten ſie kaum den unbekannten General an der Seite des Feld - marſchalls. Bülow hatte ſeinen Namen in die Tafeln der Geſchichte eingetragen, von Gneiſenau wußte ſie nichts. Er war älter als alle Ge - nerale der Infanterie und noch immer Generalleutnant, hatte nie ein ſelbſtändiges Commando geführt, trug weder den ſchwarzen Adlerorden noch das große eiſerne Kreuz. Der König liebte ihn nicht, das boshafte Geflüſter unter den Hofleuten hörte nicht auf; er fühlte ſich ſeiner Stel - lung im Heere ſo wenig ſicher, daß er erſt kürzlich den Staatskanzler gebeten hatte ihm doch für die Friedenszeiten das Amt des Generalpoſt - meiſters zu verſchaffen. Wie fern lag ihm alle Ueberhebung, wie oft764II. 2. Belle Alliance.nannte er ſich nur einen vom Glücke begünſtigten Soldaten; aber ein - mal doch mußte der Unmuth heraus. In höchſter Leidenſchaft ſchrieb er dem Staatskanzler an einem Tage drei Briefe voll heftiger Anklagen, beſchuldigte in ſeinem Zorne ſelbſt Stein und Blücher des Undanks. *)Gneiſenau an Hardenberg, drei Briefe aus Goneſſe 30. Juni 1815.Die Gerechtigkeit des Königs gab ihm bald Genugthuung; er trug nach - her den Ordensſtern, der im Wagen Napoleons gefunden worden. Doch über den hiſtoriſchen Ruhm, der ihm gebührte, iſt die Mehrzahl der Zeit - genoſſen nie ins Klare gekommen; erſt ein ſpäteres Geſchlecht ſeiner Landsleute ward ſeiner Größe gerecht, und die Franzoſen wiſſen bis zum heutigen Tage noch nicht, wer der erſte Feldherr des verbündeten Euro - pas war.

Der Unmuth zog nur wie ein flüchtiges Gewölk über Gneiſenaus freie Stirne hin. Noch an dem nämlichen 30. Juni war der Held wie - der ganz bei der Sache, legte den beiden Heerführern ſeinen Plan für die Einnahme der Hauptſtadt vor. Während Bülow die leidlich befeſtigte Nordſeite von Paris durch Scheinangriffe beſchäftigte, marſchirte Blücher mit der übrigen Armee rechtsab, überſchritt die Seine unterhalb der Stadt und ſchickte ſich an, den Platz vom Süden her anzugreifen; am 2. Juli wurde Bülow von den nachrückenden Engländern abgelöſt und folgte dem Feldmarſchall. Die letzten Kämpfe an der offenen Südſeite fielen wieder allein den Preußen zur Laſt. Umſonſt verſuchte Davouſt in einem be - weglichen Briefe Waffenruhe zu erbitten. Die Behauptung des Marſchalls, nach dem Sturze Napoleons beſtehe kein Grund mehr zum Kriege, klang dem deutſchen Feldherrn wie Hohn; in einer geharniſchten Antwort forderte er den verhaßten Peiniger der deutſchen Bürger zur Capitulation auf: wollen Sie die Verwünſchungen von Paris ebenſo wie die von Hamburg auf ſich laden? Ein unglückliches Gefecht ſeiner Lieblings - waffe erſchütterte den Alten tief. Die alterprobten brandenburgiſchen und pommerſchen Huſaren, 650 Pferde unter der Führung des kühnen Sohr, geriethen bei Verſailles plötzlich in einen Hinterhalt, unter die elf Reiterregimenter des Generals Excelmans; als ſie zurückſprengten, verirrten ſie ſich in dem Dorfe Chesnoy zwiſchen die hohen Mauern einer Sackgaſſe. Ein Drittel ſchlug ſich durch, die Anderen wurden größtentheils niedergehauen. Unter ihnen auch der blutjunge Freiwillige Heinrich von York, der Lieblingsſohn des Generals; der rief, als die Feinde ihm Pardon anboten: ich heiße York! und hieb um ſich bis er zuſammen - brach. So mußte der eiſerne Mann, der einſt den deutſchen Krieg be - gonnen, dicht vor dem letzten Siege noch einmal mit ſeinem Herzblute zahlen.

Am 2. Juli drang das Corps Zietens nach einem heftigen Ge - fechte bis auf die Hochebene von Meudon vor. Als der wilde Van -765Zweite Einnahme von Paris.damme in der folgenden Nacht verſuchte, von Iſſy aus dieſe Poſition zurückzuerobern, ward er gänzlich geſchlagen; die Ueberlegenheit der preußi - ſchen Waffen zeigte ſich ſo glänzend, daß Davouſt noch am ſelben Morgen ſich zur Uebergabe bereit erklärte. Blücher ſendete den General Müff - ling als Unterhändler. Der hatte einſt in Blüchers Namen die unver - geßliche Capitulation von Ratkau abgeſchloſſen; der Alte konnte ihn ſeit - dem nie ohne ſtillen Aerger anſehen und hieß ihn jetzt eine andere Capi - tulation zu Stande bringen, die den letzten Flecken von ſeinem Ehrenſchilde tilgen ſollte. Binnen drei Tagen mußte die Stadt übergeben werden, Da - vouſt mit den Trümmern der Armee über die Loire zurückgehen. Triumphi - rend ſchrieb Blücher an Kneſebeck: Mein Tagewerk iſt vollendet, Paris iſt mein! Meinen braven Truppen, ihrer Ausdauer und meinem eiſernen Willen verdanke ich Alles! Nachher ward noch der ganze Weſten und Norden des Landes von den Heeren der Verbündeten beſetzt. Welche Freude, als Scharnhorſts Schwiegerſohn Friedrich Dohna ſeine Reiter ihre Roſſe in der Loire tränken ließ; er dachte ſtolz an ſeine tapferen Ahnen, die in den Hugenottenkriegen gleichfalls den Schrecken der deut - ſchen Waffen bis vor die Wälle von Blois und Orleans getragen hatten.

Diesmal wollte Blücher der verhaßten Stadt weder die Ehre ſeines Beſuches noch die Augenweide eines feierlichen Einzugs gönnen. Sie ſollte fühlen was der Krieg iſt. Die Regimenter rückten einzeln ein und wurden alleſammt einquartiert, obgleich die Bourgeois über ſolche Beſchim - pfung leidenſchaftlich klagten. Behörden und Bürgerſchaft zeigten die höchſte Gehäſſigkeit; daß dieſe Preußen in vier Tagen der franzöſiſchen Kriegsherrlichkeit ein Ende gemacht, war ihnen eine unbegreifliche Unver - ſchämtheit. Der Sieger verlangte die Zahlung von zwei Monaten Sold für die Armee und ſofort zwei Millionen Kriegsſteuer; die Klagenden ver - wies er an Daru: der verſtehe, wie man das Geld zur Stelle ſchaffe. Gleich am erſten Abend wurde das Danziger Bild von preußiſchen Mus - ketieren aus dem Louvre entführt, und nun begann die Zurücknahme des Raubes. Haarklein müſſen ſie Alles herausgeben meinte der Alte und trieb zur Eile, damit die verfluchten Diplomatiker nicht dazwiſchen kämen. Allein dem harten Willen des deutſchen Feldherrn verdankte die Welt, daß der europäiſche Skandal des großen Pariſer Plünderungs - magazins nun ein Ende nahm. Altenſtein, Eichhorn und der junge Kölniſche Kunſtforſcher de Groote zeigten den preußiſchen Soldaten das geſtohlene Gut; doch trotz dem Spüreifer der deutſchen Gelehrten ward ein Theil des unüberſehbaren Raubes nicht wieder aufgefunden. Nach - dem die Preußen das Werk der Sühne einmal in Gang gebracht, machten auch andere Staaten ihre Anſprüche geltend. Der Manuſcripten - ſchatz der Heidelberger Palatina, den einſt Tilly nach Rom, dann Bona - parte nach Paris entführt hatte, gelangte endlich wieder an den Neckar zurück; das kunſtſinnige Volk von Florenz empfing mit Sang und Klang766II. 2. Belle Alliance.in bekränztem Zuge ſeine Götterbilder, die Venus und den Apollino, als ſie wieder heimkehrten in die herrliche Tribuna der Ufficien. Die Brücke von Jena wollte Blücher in die Luft ſprengen laſſen am Liebſten, wenn ſich Fürſt Talleyrand vorher darauf geſetzt hätte; nur das Einſchreiten der Monarchen vereitelte die Abſicht.

Das Hauptquartier blieb zu St. Cloud. In jenem Saale der Orangerie, wo einſt der Staatsſtreich des Brumaire vollführt wurde, ſchlugen die preußiſchen Regimentsſchneider ihre Werkſtatt auf; zum Ab - ſchied nahm der Feldmarſchall noch das David’ſche Bild von Bonapartes Alpenzuge mit hinweg und ſchenkte es ſeinem Könige für das Berliner Schloß. In Paris führte der Gouverneur Müffling ein ſtrenges Regiment, über die Truppen wie über die ewig ſcheltenden und jammernden Quar - tierwirthe. Unter ihm gebot der Commandant Oberſt Pfuel, ein eifriger Teutone, hochgerühmt auf allen Turn - und Schwimmplätzen der nord - deutſchen Jugend; dem handfeſten Manne kam es nicht darauf an, einem ſchimpfenden Franzoſen ſogleich mit der nationalen Waffe, dem Floret, Satisfaction zu geben. Er hatte einen ſchweren Stand unter dem fiebe - riſch aufgeregten Volke; häufig wurden die preußiſchen Wachpoſten Näch - tens angefallen, mehrmals mußten ſie in den Arkaden des Palais Royal mit der Waffe einſchreiten, wenn der herausfordernde Hohn der Gäſte in den Cafehäuſern gar zu übermüthig wurde.

Einen ſeltſamen Gegenſatz zu dem ſcharfen, doch keineswegs ge - waltthätigen Auftreten der Preußen bildete Wellingtons berechnete Milde. Der Herzog ließ ſeine Truppen im Freien beim Boulogner Gehölz lagern, vermied Alles was die Pariſer Eitelkeit irgend kränken konnte, und voll - endete unterdeß in aller Gelaſſenheit einen Meiſterſtreich britiſcher Diplo - matie, der dem gewandteſten Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte. Wie er die Dinge anſah, verſtand ſichs ganz von ſelbſt, daß Englands Wille in dieſem Coalitionskriege allein entſcheiden mußte. Ohne bei den verbündeten Höfen auch nur anzufragen ließ er den Bourbonen, unter dem Schutze der engliſchen Bajonette, in die Tuilerien einziehen. Als die drei Monarchen am Abend des 10. Juli in Paris eintrafen, ſaß König Ludwig ſchon ſeit zwei Tagen wieder auf ſeinem Throne und empfing ſie als leutſeliger Hausherr. Fouché, der raſch merkte woher der Wind wehte, hatte ſich den Bourbonen noch rechtzeitig angeſchloſſen und dafür geſorgt, daß die Kammern des Kaiſerreichs ſich nicht wieder verſammelten. Was frommte es, daß Blücher jede Einladung König Ludwigs ausſchlug, daß die preußiſchen Wachen in den Tuilerien den Hof gar nicht bemerken wollten? Die zweite Reſtauration war vollzogen, durch England allein; an die Wiedervertreibung der Bourbonen konnte keine der anderen Mächte im Ernſt denken. Durch dieſe vollendete Thatſache vereitelte die britiſche Politik zugleich die gerechten Forderungen der deutſchen Nation. Die Ab - trennung von Elſaß-Lothringen war möglich, wenn die Alliirten ſich zu -767Ankunft der Monarchen.nächſt unter ſich einigten und dann den Bourbonen in das verkleinerte Königreich zurückriefen; ſie war unerreichbar wenn man darüber mit einem befreundeten Könige verhandeln mußte. Mit gutem Grunde klagte Harden - berg, das eigenmächtige Verfahren der Briten habe die Coalition in einen amphibiſchen Zuſtand verſetzt. *)Hardenbergs Tagebuch 3. Juli 1815.

Die beiden Kaiſer wurden durch den glänzenden Erfolg des belgiſchen Feldzugs keineswegs angenehm überraſcht. Das Heer des Czaren kam gar nicht mehr ins Feuer. Die Oeſterreicher und die Süddeutſchen be - gannen, nach einem unbedeutenden Gefechte bei Straßburg, einen ſehr matten Belagerungskrieg gegen die elſäſſiſchen Feſtungen; Erzherzog Johann ward, von wegen der faſt unblutigen Eroberung von Hüningen, durch die dankbaren Baſeler wie ein anderer Napoleon gefeiert. Die anderen Plätze hielten ſich ſämmtlich. Das Volk bethätigte überall fanatiſchen Haß; mancher Nachzügler der verbündeten Heere ward unter unmenſchlichen Martern umgebracht. In den Vogeſen rotteten ſich die Gebirgsſchützen zuſammen; die Schlettſtätter ließen nachher die äußerſt harmloſen Gräuel der Belagerung auf ihrem Rathhauſe in pathetiſchen Bildern verherrlichen. Genug, der öſterreichiſche Kriegsruhm hielt ſich in den beſcheidenſten Grenzen. Kaiſer Franz ſagte zu den Offizieren des Blücher’ſchen Haupt - quartiers in ſeiner anbiedernden Weiſe: Ihr Herren Preußen ſeid doch Taifelskerle; und Metternich geſtand dem Freiherrn vom Stein, ein öſterreichiſches Heer hätte nach der Schlacht von Ligny mindeſtens ſechs Wochen gebraucht um ſich zu erholen worauf Stein nachdrücklich er - widerte: da ſehen Sie was die ſittliche Kraft vermag. Getreuer als in ſolchen Artigkeiten bekundete ſich die wirkliche Stimmung der Hofburg in den hämiſchen Briefen Adam Müllers, der nicht genug witzeln konnte über die auf den Boulevards berliniſirenden Blücher’ſchen Römer.

Auch der Czar verbarg kaum, wie tief es ihn wurmte, daß die Bundes - genoſſen ihm allen Kriegsruhm vorweg genommen hatten. Sobald er ſah, daß an der Herſtellung der Bourbonen nichts mehr zu ändern war, gab er ſeine orleaniſtiſchen Pläne ſofort auf, hieß Pozzo di Borgo’s eigen - mächtiges Verfahren nachträglich gut und bemühte ſich wieder, durch Großmuth gegen Frankreich dem engliſchen Nebenbuhler den Rang abzu - laufen. Das hochherzige Pathos, worin er ſich gefiel, zeigte jetzt eine eigenthümlich myſtiſche Färbung. Unterwegs, in Heidelberg war er in die Netze der bigotten Schwärmerin Frau von Krüdener gerathen, die ihn ſeit - dem nicht mehr los ließ. Die vielgefeierte Prophetin war im Grunde eine flache Natur; der alte Goethe meinte, als ſie ſtarb: So ein Leben, wie Hobelſpäne! Nicht einmal ein Häufchen Aſche iſt daraus zu gewinnen zum Seifenſieden! Aber ſie verſtand ſich in der Modeſprache und den Modegefühlen der romantiſchen Zeit mit Anmuth zu bewegen, und Alexan -768II. 2. Belle Alliance.ders liebebedürftiges Herz ſehnte ſich nach ſüßerer Tröſtung, als der dürre Rationalismus ſeines Lehrers Laharpe ſie bieten konnte. In Paris empfing den Czaren ſofort ein Kreis chriſtlich begeiſterter Damen, huldigte dem neuen Weltheiland, der das Reich des Gottesfriedens begründen und, natürlich, nach dem Vorbilde des Erlöſers Alles vergeben und vergeſſen ſollte. Ebenſo natürlich, daß dieſe großmüthigen Abſichten wieder genau zuſammenfielen mit dem vermeintlichen Intereſſe der ruſſiſchen Politik. Obgleich Alexander auf ſeine Weiſe wirklich ein treuer Bundesgenoſſe ſeines weſtlichen Nachbarn war, ſo wünſchte er doch keineswegs daß Preußen ſtark genug würde um der ruſſiſchen Freundſchaft entrathen zu können; darum ſollte Deutſchland an ſeiner Weſtgrenze verwundbar bleiben. Noch lebhafter als im vorigen Jahre trat der Czar heuer für die Franzoſen ein, blieb für Steins Mahnungen ganz unzugänglich. Metternich fand ſich ebenfalls ſchnell in die neue durch Wellingtons Rückſichtsloſigkeit geſchaffene Lage; er ließ den Gedanken an die Einſetzung Napoleons II., womit Gentz eine Zeit lang geſpielt hatte, ſofort fallen, und kam den Bourbonen freund - lich entgegen. Da er nach wie vor der Meinung blieb, daß Oeſterreich die gefährliche Poſition am Oberrheine keinenfalls wieder übernehmen dürfe, ſo wünſchte er einen ſchleunigen, milden Friedensſchluß. Was fragte der Wiener Hof nach den gerechten Anſprüchen der deutſchen Nation?

Dieſe Hoffnungen der Deutſchen fanden nirgends wärmeren Aus - druck als in den Briefen der preußiſchen Generale. Schon vier Tage nach der Entſcheidungsſchlacht ſchrieb Gneiſenau an den Staatskanzler: wehe denen und Schande ihnen, wenn dieſe einzige Gelegenheit nicht ergriffen würde um Belgien, Preußen, Deutſchland zu ſichern für ewige Zeiten! Er forderte für Belgien einige feſte Plätze im franzöſiſchen Flan - dern, für Preußen Mainz und Luxemburg, desgleichen Naſſau und Ans - bach-Baireuth; Baiern ſollte dafür in Elſaß-Lothringen entſchädigt werden, das Haus Naſſau im wälſchen Luxemburg. Welche Sprache jetzt Preußen führen kann und muß, wiſſen Sie beſſer als ich. So hoch hat noch nie Preußen geſtanden! In ähnlichem Sinne bat Blücher den König, die Diplomatiker anzuweiſen, daß ſie nicht wieder verlieren was der Soldat mit ſeinem Blute errungen hat. Der Alte lebte, wie faſt die ge - ſammte deutſche Nation, des naiven Glaubens, daß die fremden Mächte den Preußen den ſo redlich verdienten Siegespreis gar nicht verſagen könnten, wenn nur unſere Diplomaten feſt blieben. Der König war mit den Wünſchen ſeiner Generale perſönlich durchaus einverſtanden und beauftragte Gneiſenau, neben Hardenberg und Humboldt als Bevollmäch - tigter an dem Friedenscongreſſe theilzunehmen; dem feurigen Helden that es recht in der Seele wohl, daß derſelbe Talleyrand, der in Wien den Ver - nichtungskrieg gegen Preußen geſchürt hatte, ihm jetzt als demüthiger Unter - händler für die Beſiegten gegenübertreten mußte. Aber Friedrich Wilhelms Nüchternheit erkannte auch, wie wenig in dieſem harten Machtkampfe auf769Der Rath der vier Mächte.Vernunftgründe und auf die offenbare Gerechtigkeit der preußiſchen Forde - rungen ankam; das alleinige Verfolgen meines Staatsintereſſes, ſchrieb er beſchwichtigend an den Feldmarſchall, findet Schwierigkeiten in den vielfach combinirten Intereſſen der übrigen Staaten.

In der That war die Stellung der preußiſchen Unterhändler heuer ſogar noch ungünſtiger als bei dem erſten Friedenscongreſſe; in allen weſentlichen Fragen begegneten ſie dem Widerſpruche der anderen vier Mächte. Wohl traten die alten Gegner von Wien her, die Niederlande, Baiern und Württemberg, diesmal mit Eifer für die preußiſchen Forde - rungen ein, da die Schwächung der franzöſiſchen Oſtgrenze für ſie noch weit wichtiger war als für Preußen ſelber. Aber ſo ſcharf hatte ſich das Syſtem der Pentarchie bereits ausgebildet die Denkſchriften der Staaten zweiten Ranges wurden von den großen Mächten als müßige Stilübungen angeſehen, ſelten auch nur einer Antwort gewürdigt. Der preußiſche Staat ſtand allein; ſein Heer hatte ſich heldenhaft für die ge - meinſame Sache des Welttheils aufgeopfert um ſchließlich für das eigene Land nahezu nichts zu erringen.

Als Hardenberg am 15. Juli in Paris eintraf, mußte er von dem Czaren ſogleich heftige Vorwürfe hören wegen der Zügelloſigkeit des preu - ßiſchen Heeres. Und doch hielt Blücher ſtrenge Mannszucht, beſtrafte unnachſichtlich die vereinzelten Ausſchreitungen unter ſeinen Truppen. Nur die Niederländer und, nach ihrer alten Gewohnheit, die Baiern, ließen ſich einige Ausbrüche der Roheit zu ſchulden kommen; indeß trug auch daran die ſtörriſche Gehäſſigkeit der Quartierwirthe reichliche Mit - ſchuld. Der Seinepräfect ſelber hetzte die Pariſer gegen die Verbündeten auf. Als Müffling das venetianiſche Viergeſpann von dem Triumph - bogen des Carrouſelplatzes herabnehmen ließ, wurden die Arbeiter mehr - mals von dem Pöbel und den Leibgardiſten der Bourbonen vertrieben, bis endlich ein öſterreichiſches Bataillon Frieden ſtiftete. Der Staats - kanzler errieth ſofort, daß die einſeitig gegen die Preußen gerichteten An - klagen des Czaren eine beſtimmte Abſicht verſteckten: es kam darauf an, die Preußen als ſiegestrunkene Uebermüthige darzuſtellen, auch ihr Kriegs - ruhm wurde gefliſſentlich verkleinert und angezweifelt.

In dem großen Miniſterrathe ſaßen Neſſelrode, Capodiſtrias, Pozzo; Caſtlereagh, Wellington, Stewart; Metternich, Weſſenberg, Schwarzenberg Keiner darunter, der den drei preußiſchen Bevollmächtigten entgegen - gekommen wäre. Die Präſidialmacht des neuen Deutſchen Bundes hielt ſich zu Anfang zurück, da ſie dem einmüthigen Verlangen der deutſchen Nation doch nicht allzu laut widerſprechen durfte, aber ſie that auch nicht das Mindeſte um die Zurückforderung der Vogeſengrenze zu unterſtützen. Gentz ſprach von vorn herein mit giftigem Hohne über die engherzigenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 49770II. 2. Belle Alliance.Anſchauungen der Preußen, die aus dem Kampfe gegen die Revolution ſelbſtſüchtig Vortheil ziehen wollten. Der von Stein und ſeinen Freunden aufgeworfene Vorſchlag, das Elſaß dem Erzherzog Karl zu geben, ſteigerte nur den Widerwillen des Kaiſers Franz, der gegen dieſen Bruder ſtets ein tiefes Mißtrauen hegte.

Zwiſchen den beiden Nebenbuhlern Rußland und England entſpann ſich nun ein ſtürmiſcher Wettlauf um den Preis der Großmuth; beide hofften ſich für die drohende orientaliſche Verwicklung die Freundſchaft Frankreichs zu ſichern. Bei den Briten wirkte auch noch die Erinnerung an das Bündniß vom 3. Januar und die damals begründete entente cordiale mit, vor Allem aber die den Hochtorys eigenthümliche geiſtige Beſchränktheit. Zu großen Geſichtspunkten der feſtländiſchen Politik ver - mochten ſich dieſe Inſulaner nicht zu erheben; Caſtlereagh ſprach unbe - fangen aus: wenn man für fünf oder ſieben Jahre Vorſichtsmaßregeln ergriffe, ſo ſei das Höchſte geſchehen, was die Diplomatie leiſten könne. Die Sieger beſchloſſen, die Unterhandlung mit der Krone Frankreich erſt dann zu beginnen, wenn ſie ſich unter einander geeinigt hätten. Das unglückliche Land lag waffenlos zu den Füßen der Eroberer. Ueber - all die Raſerei des Parteihaſſes; in Paris tiefer Groll gegen den König, den Schützling der Fremden; im Süden begann ſchon der Bürgerkrieg, der wüthende Kampf des weißen Schreckens . Ueberdies wurden die Trümmer der napoleoniſchen Armee eben jetzt, auf Alexanders Rath, aufgelöſt, weil der Czar den Verbündeten beweiſen wollte, daß ihnen kein Feind mehr gegenüberſtehe, daß die Stunde des Vergebens gekommen ſei. Das Land war außer Stande den Bedingungen der Sieger irgend welchen Widerſtand entgegenzuſtellen. Um ſo ſchwerer hielt die Verſtän - digung zwiſchen den Siegern ſelbſt. So glatt und leicht die Verhandlungen über den erſten Pariſer Frieden verlaufen waren, ebenſo ſtürmiſch ge - ſtaltete ſich diesmal die Berathung. Zwei volle Monate lang führten die preußiſchen Staatsmänner den diplomatiſchen Kampf gegen das ge - ſammte Europa, bis ſie endlich nachgeben mußten und dann, nach der eigentlichen Entſcheidung, die Friedensverhandlung mit Frankreich eröffnet wurde.

Schon am 15. Juli hatte Caſtlereagh die Grundſätze aufgeſtellt, von denen die Verbündeten ausgehen ſollten*)Caſtlereaghs Memorandum v. 15. Juli 1815.: das Anſehen König Ludwigs entehren oder ſchwächen heißt in der That die eigene Macht der Verbün - deten verringern. Es iſt auch die Pflicht der Mächte, die Nation mit Nachſicht und Verſöhnlichkeit zu behandeln, dagegen den König bei der Neubildung des Heeres und der Unterdrückung der Verſchwörer zu unter - ſtützen. Im ſchärfſten Gegenſatze zu dieſer Anſicht, welche die Sieger von Belle Alliance in der That nur als die ergebene Polizeimannſchaft771Preußens Friedensvorſchläge.des Allerchriſtlichſten Königs betrachtete, ſprach Hardenberg am 22. Juli ſeine Forderungen aus. *)Hardenberg, Denkſchrift über die von dem Comité der Vier zu befolgenden Grundſätze, 22. Juli 1815.Drei Ziele, ſagt er, ſind durch dieſen Frie - densſchluß zu erreichen: Bürgſchaft für die Ruhe Europas, Entſchädigung für die Kriegskoſten, endlich Ausführung der beim erſten Frieden gegebenen Verſprechungen. Die Ruhe der Welt kann nur durch die Schwächung der franzöſiſchen Oſtgrenze geſichert werden, da die Franzoſen ſpäteſtens nach Abzug unſerer Heere ſich wieder feindſelig zeigen werden. Der letzte Krieg hat die Verwundbarkeit der Niederlande offenbart, wie die militäriſche Schwäche Oberdeutſchlands durch die napoleoniſchen Feldzüge erwieſen iſt. Alſo Verſtärkung der Niederlande durch eine Reihe franzöſiſcher Feſtungen; das Elſaß an Deutſchland zurückgegeben, ſeine feſten Plätze durch Oeſterreich beſetzt; für Preußen die Feſtungen an der Saar und der oberen Moſel; für die Schweiz einige Grenzfeſtungen im Jura, für Piemont ganz Sa - voyen. Von Dünkirchen bis hinauf nach Chambery und den ſavoyiſchen Seen ſollte ein mehrere Meilen breiter Streifen, der die ganze Oſtgrenze entlang lief und die vorderſte der drei Vauban’ſchen Feſtungsreihen um - faßte, abgetrennt werden, wie eine Landkarte aus der Staatskanzlei näher angab.

Wie Preußen überall in dieſem Kriege ſeine rückſichtsloſe Hingebung an die gemeinſame Sache Europas bethätigt hatte, ſo forderte Hardenberg auch von dem Siegespreiſe für ſeinen eigenen Staat unmittelbar nur wenig: Metz, Diedenhofen und Saarlouis. Selbſt Gneiſenau hatte raſch ein - geſehen, wie ſtark das allgemeine Mißtrauen gegen Preußen ſei und rieth daher jetzt, mehr für die Niederlande, Oeſterreich und Süddeutſchland als für Preußen ſelbſt zu verlangen; den Briten müſſe man vorſtellen: ſo werde Preußen im Weſten geſichert und könne gegen Rußland ſchärfer auftreten. **)Gneiſenau an Hardenberg, 27. Juli 1815.Als eine Möglichkeit bezeichnete der Staatskanzler endlich noch die Losreißung der freien Grafſchaft Burgund, die ſich nach ihrer alten Freiheit zurückſehne. In der allgemeinen Zerrüttung jener Tage regten ſich allerdings auch vereinzelte centrifugale Beſtrebungen, die man längſt erſtorben glaubte: ſogar aus Lyon kamen Abgeſandte zu Kaiſer Franz und baten, die Stadt als ſelbſtändige Republik von Frankreich ab - zutrennen. In der Franche Comté waren die alten habsburgiſchen Ueber - lieferungen noch ſehr lebendig; Beſançon, die Stadt Granvellas, bewahrte in jeder Straße Erinnerungen an die goldenen Zeiten Karls V., über dem Thore des Rathhauſes prangte noch der Adler mit dem alten ſtolzen Deo et Caesari semper fidelis. Doch das Alles bedeutete wenig; der Ver - nichtungskrieg des Convents gegen die Provinzen hatte mit einem voll - ſtändigen Siege der Staatseinheit geendet. In allen den Landſtrichen,49*772II. 2. Belle Alliance.welche Hardenberg zurückforderte, dachte die große Mehrheit des Volks den Alliirten feindlich mit der einzigen Ausnahme des treuen Saarbrückens, das den Staatskanzler ſchon auf der Durchreiſe feſtlich begrüßt und aber - mals flehentlich um Vereinigung mit Preußen gebeten hatte*)Hardenbergs Tagebuch, 11. Juli 1815.; ſelbſt das benachbarte Saarlouis, die Heimath Neys, war bis zum Fanatismus franzöſiſch geſinnt.

Hinſichtlich der Geldentſchädigung erinnerte Hardenberg an die thö - richte, von Preußen vergeblich bekämpfte Großmuth vom vorigen Jahre: es wäre Narrheit noch einmal ebenſo zu handeln. Er verlangte, ob - gleich der ängſtliche Altenſtein ihm gerathen hatte ſich mit 800 Mill. zu begnügen**)Altenſteins Denkſchrift über die Contribution, Paris 21. Juli 1815., die Zahlung von 1200 Mill. Fr., davon 200 Mill. vorab für die Eroberer von Paris, Preußen und England. Eine Rechnung aus der Staatskanzlei wies ſodann nach, daß Frankreich in den Jahren 1806 bis 1812 aus Preußen allein 1228 Mill. erhoben hatte was noch um reichlich 300 Mill. hinter der Wahrheit zurückblieb. ***)Vgl. oben S. 321 u. 391.Endlich für die Zurückgabe der Kunſtſchätze und die Einlöſung der anderen noch uner - füllten Verſprechungen des vorigen Jahres ſollte eine europäiſche Com - miſſion ſorgen. Die preußiſchen Vorſchläge waren ſtreng, doch durchaus gerecht, Angeſichts der vollſtändigen Niederlage des napoleoniſchen Heeres und der unbelehrbaren Feindſeligkeit der Franzoſen. Ein Unglück nur, daß die Entſagung, welche der preußiſche Staat für ſich ſelber übte, die Behauptung der erhofften Beute erſchwerte; denn wer anders als Preußen konnte die widerſpänſtigen Elſaſſer mit ſtarker Hand feſthalten während der böſen Uebergangszeit bis ein neues gut deutſches Geſchlecht heranwuchs? Da Oeſterreich ſein altes Erbe hartnäckig verſchmähte, ſo tauchten die wunderlichſten Vorſchläge auf; man dachte an einen vierzigſten Bundes - ſtaat unter dem Kronprinzen von Württemberg, Gagern wollte das Elſaß ſogar in die Eidgenoſſenſchaft aufnehmen. Und daneben in Frankreich hunderttauſende grollender napoleoniſcher Veteranen! Welche Ausſichten für die Zukunft!

Indeß ward dieſer einzige ſtichhaltige Einwurf, der ſich gegen Har - denbergs Vorſchläge erheben ließ, von der Gegenpartei kaum beiläufig erwähnt. Die große Denkſchrift, welche Capodiſtrias am 28. Juli über - reichte, bewegte ſich vielmehr in den luftigen Regionen der politiſchen Ro - mantik, da Rußland die wirklichen Zwecke ſeiner Politik nicht enthüllen durfte. Der gewandte Grieche hatte ſich in den ſalbungsvollen Ton, welcher der gegenwärtigen Stimmung Alexanders entſprach, um ſo leichter eingelebt, da er ſelber die großen Worte und die leeren Allgemeinheiten liebte, und führte beweglich aus: mit Frankreich habe Niemand Krieg ge -773Rußland und England gegen Preußen.führt, nur mit Bonaparte, folglich ſei das Eroberungsrecht unanwendbar, wenn man nicht das legitime Königshaus dem Haſſe preisgeben und in den Augen der Nachwelt alle Gräuel der Revolution rechtfertigen wolle. Darum einfache Wiederherſtellung des Pariſer Friedens und, für den Fall einer nochmaligen Revolution, Erneuerung des Bündniſſes von Chaumont, endlich militäriſche Beſetzung des Landes auf kurze Zeit, bis zur Ab - tragung einer Contribution, welche von den Nachbarſtaaten Frankreichs weſentlich zur Anlegung von Grenzfeſtungen verwendet wird.

Dieſe Vorſchläge ſchmückten ſich mit dem wohllautenden Titel einer Combination von moraliſchen und reellen Garantien , erregten jedoch im preußiſchen Lager lebhafte Entrüſtung. Am 4. Auguſt ſchrieb Hum - boldt dem Staatskanzler: Der ruſſiſche Plan iſt der verderblichſte für Preußen, der hätte erſonnen werden können. Wenn er befolgt würde, ſo zöge Preußen von dieſem ganzen Kriege, ſeinen Verluſten, ſeinen un - geheueren Aufopferungen keinen anderen Vortheil als einen Contribu - tionsantheil, den es noch größtentheils zur Anlegung feſter Plätze gegen Frankreich aufwenden ſoll. Dagegen hätte es die wichtigen Nachtheile, die Mittel, die ihm der jetzige Krieg gebracht hätte, nicht auf die Er - leichterung des erſchöpften Landes und die Sicherung ſeiner öſtlichen Grenzen wenden zu können, ruſſiſche Truppen jahrelang durch ſeine Staaten und Deutſchland ziehen zu ſehen und in allen ſeinen Verhand - lungen mit Frankreich noch den Einfluß des ruſſiſchen Hofes auf ſeinem Wege zu finden. Wir müſſen um jeden Preis die Verbündeten zur Verengerung der Grenzen Frankreichs bewegen und darum das An - ſehen vermeiden, als ſpräche Preußen nur zu ſeinem eigenen Vortheil. In der That iſt es auch Preußen in der jetzigen Lage mehr um Siche - rung ſeiner Grenzen als um Vergrößerung zu thun. *)Humboldt an Hardenberg 4. Aug. 1815.In einer zweiten vertraulichen Denkſchrift entwickelt er dann nochmals ſein altes ſo oft mit Metternich beſprochenes Syſtem des intermediären Europas , der feſten Vereinigung von England, Oeſterreich und Preußen, welche die beiden drohenden Maſſen Frankreich und Rußland in Schranken halten ſoll; dies Syſtem iſt ſchon in Wien erſchüttert worden durch die allzu ſtarke Vergrößerung Rußlands und wird vollends unhaltbar wenn Preußen mit ungeſicherten Grenzen der tödlich erbitterten franzöſiſchen Nation und den Bourbonen, die uns ihre Feindſeligkeit ſchon genugſam gezeigt haben, gegenüber geſtellt wird. **)Humboldt, Mémoire très-confidentiel, 4. Aug. 1815.

Sodann übergab Humboldt dem Comité der Vier eine ſchlagende Widerlegung der ruſſiſchen Denkſchrift; die Aufgabe war wie geſchaffen für ſeine unbarmherzige Dialektik. Er zeigte, wie der Krieg zwar nicht zum Zwecke der Eroberung begonnen worden, jetzt aber thatſächlich der774II. 2. Belle Alliance.Zuſtand der Eroberung vorhanden ſei; wie Frankreich büßen müſſe, was Frankreich verſchuldet; wie den Verbündeten zwar das Recht der eigenen Sicherung zuſtehe aber nicht unzweifelhaft das Recht der Einmiſchung in Frankreichs innere Angelegenheiten; möge man den Franzoſen ſogleich nehmen, was zur militäriſchen Deckung ihrer Nachbarn unentbehrlich ſei, dann aber dem Lande alsbald ſeine Unabhängigkeit zurückgeben, denn Preußen wiſſe aus eigener Erfahrung, daß nichts ein Volk tiefer erbittere als die Anweſenheit fremder Truppen in Friedenszeiten; wolle Europa die Franzoſen unter ſeine Vormundſchaft nehmen, ſo werde die Revolution niemals endigen. Gleichzeitig begründete Hardenberg nochmals ſeine Forderungen in einer ausführlichen Denkſchrift (vom 4. Auguſt), erwies, wie Frankreich ſchon ſeit Ludwig XIV. ſeine natürlichen Vertheidigungs - linien überſchritten habe und eben durch den Beſitz dieſer Außenpoſten zu immer neuen Eroberungskriegen verlockt worden ſei. Auch Kneſebeck ſchloß ſich an, diesmal ganz nüchtern und ohne doctrinäre Wunderlich - keiten; er hob hervor, daß ſelbſt ein Friedensſchluß von übertriebener Milde keine Sicherheit gebe für die Dauer der bourboniſchen Herrſchaft, denn niemals würde das franzöſiſche Volk die Niederlage in Brabant verzeihen.

Mittlerweile kam, auf Hardenbergs Einladung, auch Stein nach Paris. Der Freiherr verlebte unterwegs einige Tage am Rhein mit Goethe gemeinſam, und der treue Arndt beobachtete mit ſtiller Rüh - rung, wie die beiden beſten Söhne des Vaterlands einander ſo freundlich forſchend mit ihren großen braunen Augen anſahen, Jeder bemüht die räthſelhafte Eigenart des Anderen behutſam zu ſchonen. In Paris bot Stein alle ſeine Beredſamkeit bei dem Czaren auf, widerlegte in einer bündigen Denkſchrift (vom 18. Auguſt) die ruſſiſche Behauptung, daß Frankreich der Verbündete ſeiner Beſieger ſei: iſt Frankreich unſer Freund, warum halten wir dann das Land beſetzt und ſchreiben Liefe - rungen aus? Er ſchloß mahnend: England und Rußland ſollen nicht glauben, es ſei ihr Vortheil Deutſchland beſtändig in einem Zuſtande von Aufregung und Leiden zu belaſſen. Aber was wog jetzt Steins Wort neben den Thränen und Gebeten der Frau von Krüdener und der Frau von Lezay-Marneſia? Die Blitze ſeiner Rede drangen nicht mehr durch den dicken Nebel der Weihrauchswolken, welche den Czaren im Hotel Montchenu umgaben. Und wenn Stein nichts mehr galt, was vermoch - ten vollends die Vertreter der Mächte zweiten Ranges? Die Badener traten ſehr beſcheiden auf, ſchilderten in beweglichen Eingaben den unhalt - baren Zuſtand an ihrer Rheingrenze wie ſoeben erſt die Franzoſen von Straßburg aus verſucht hätten eine Brücke auf das deutſche Ufer zu ſchlagen verlangten zum Mindeſten das alleinige Eigenthum an der Kehler Brücke und die Schleifung der Straßburger Feſtungswerke*)Hacke an Hardenberg 19. Aug.; Hacke und Berſtett an Hardenberg 21. Oct. 1815.. 775Preußen an der Spitze der Mittelſtaaten.Ungleich dreiſter ſprach der ehrgeizige Kronprinz von Württemberg. In ſeinen Briefen und Denkſchriften kündigte ſich ſchon jene Oppoſition der Mittelſtaaten gegen die Großmächte an, welche nachher durch viele Jahre das deutſche Leben beunruhigen ſollte. Er erklärte drohend, Europa könne ſo wenig den neuen vierfachen Deſpotismus ertragen, wie einſt den ein - fachen Napoleons und ſagte bereits, was er vierzig Jahre ſpäter dem Bun - destagsgeſandten von Bismarck wiederholte: die Schutzloſigkeit unſerer Südweſtgrenze werde die ſüddeutſchen Kronen über lang oder kurz zu einem neuen Rheinbunde nöthigen.

Niemand aber war unermüdlicher als der holländiſche Reichspatriot Gagern; fielen doch diesmal die Intereſſen der Niederlande mit denen Deutſchlands durchaus zuſammen. Der Unaufhaltſame fühlte ſich ſo recht in ſeinem Elemente, wenn er in zahlloſen Denkſchriften das ganze Rüſtzeug ſeiner reichsgeſchichtlichen Gelehrſamkeit entfaltete und die lange Reihe der franzöſiſchen Gewaltthaten ſeit den Zeiten Heinrichs II. und Moritzs von Sachſen nachwies. So phantaſtiſch er in ſeinen foederaliſtiſchen Träumen war, die Romantik der legitimiſtiſchen Staatslehre berührte den Schüler Montesquieus und Humes nicht. Auf die Behauptung, man habe nur mit Bonaparte Krieg geführt, antwortete er friſchweg mit der Frage, ob etwa Bonaparte allein bei Belle Alliance geſchoſſen, kartäſcht und geſäbelt hätte: die Nationen ſind es, die ſich bekriegen, auf die Nationen fallen die glücklichen wie die unglücklichen Folgen der Kriege zurück. Natürlich, daß der alte Anwalt der Kleinſtaaten auch gegen die Hegemonie der Groß - mächte Einſpruch erhob. Auch Don Labrador, der ſpaniſche Geſandte, verlangte feierlich Zulaſſung zu den Conferenzen*)Labrador an Hardenberg, 15. September 1815.. Indeß die Unmög - lichkeit, die an ſich ſchwierige Verhandlung vor dem Forum der ſämmt - lichen europäiſchen Staaten zu erledigen, ſprang in die Augen; der Rath der Vier beſchloß ſchon am 10. Auguſt, die Staaten zweiten Ranges erſt zu der eigentlichen Unterhandlung mit Frankreich das will ſagen: erſt nach der Entſcheidung zuzuziehen.

Die unzertrennliche Intereſſengemeinſchaft zwiſchen Preußen und den ſüddeutſchen Staaten zeigte ſich ſo deutlich, daß alle die böſen Erinnerungen der Rheinbundszeiten ſpurlos verwiſcht ſchienen. Preußen übernahm wie - der ſeine natürliche Rolle als Beſchützer des geſammten Deutſchlands. Was ſich an rechtlichen und politiſchen Gründen für die Wiedereroberung unſerer alten Weſtmark nur irgend anführen ließ, ward in der That von den preußiſchen Diplomaten und ihren Genoſſen aus den Kleinſtaaten mit erſchöpfender Gründlichkeit ausgeſprochen. Mit richtigem Takt hoben die Staatsmänner am ſtärkſten den Geſichtspunkt der militäriſchen Siche - rung hervor, den einzigen, der auf eine Diplomatenverſammlung einigen Eindruck machen konnte. Dr. Butte dagegen, in ſeiner vielgeleſenen Schrift776II. 2. Belle Alliance.über die Friedensbedingungen, ſowie die Mehrzahl der deutſchen Zeitungen nahmen den Gedankengang Arndts wieder auf und forderten die Sprach - grenze als ein natürliches Recht der Nation. Bei der freundlichen Ge - ſinnung hüben und drüben ſtand auch ein ernſter Streit über die Ver - theilung der Beute nicht zu befürchten, wenn nur erſt der Rückfall des Elſaſſes an den Deutſchen Bund geſichert war. Aber dieſe Entſcheidung lag allein in der Hand der Großmächte, und nur zu bald zeigte ſich in Paris, wie vor Kurzem in Wien, daß Humboldts Traum vom inter - mediären Europa ein leeres Phantaſiegebilde war. England und Oeſter - reich, die er für Preußens natürliche Bundesgenoſſen anſah, verhielten ſich gegen die deutſchen Forderungen ebenſo ablehnend wie Rußland und Frankreich.

Am 6. Auguſt ließ ſich Metternich zum erſten male vernehmen und erklärte feierlich, dieſer Krieg ſei gegen das bewaffnete Jacobinerthum geführt worden und dürfe nicht in einen Eroberungskrieg ausarten. Darum ſuchte er die Bürgſchaften der europäiſchen Ruhe vornehmlich in einer ver - ſtändigen Ordnung der inneren Angelegenheiten Frankreichs und in einer vorübergehenden militäriſchen Beſetzung; außerdem ſollten die Feſtungen der vorderſten Linie entweder an die Nachbarſtaaten abgetreten oder wenigſtens geſchleift werden . Alsdann führte er näher aus, wie Deutſch - land nur der Feſtung Landau bedürfe, zum Erſatz für das zerſtörte Philippsburg; im Uebrigen genüge es, wenn die Feſtungen im Elſaß ge - ſchleift würden und Straßburg nur ſeine Citadelle behielte. Den ge - wiegten Diplomaten des Viererausſchuſſes mußte ſofort einleuchten, daß jenes oder wenigſtens , gleich beim Beginne der Verhandlungen ausge - ſprochen, die wirkliche Meinung Metternichs kundgab; bei dem Syſteme der Arrondirungspolitik, das er nun ſeit drei Jahren unbeirrt verfolgte, durfte er den Rückfall des Elſaſſes nicht wünſchen. Nur die preußiſchen Staatsmänner, immer geneigt von dem öſterreichiſchen Freunde das Beſte zu vermuthen, wollten den eigentlichen Sinn der k. k. Denkſchrift nicht begreifen; ſie bedauerten nur die ſchwankende Haltung des Wiener Hofes, während die ruſſiſchen wie die engliſchen Miniſter ſofort erkannten, daß Oeſterreich ſich von der gemeinſamen Sache Deutſchlands losſagte, und darum nur noch von den preußiſchen Forderungen ſprachen.

Auch auf England hoffte Hardenberg noch eine Zeit lang; war doch allbekannt, daß die Haltung Caſtlereaghs und Wellingtons den Wünſchen ihres Landes keineswegs entſprach. Die Londoner Preſſe forderte laut ent - ſchloſſene Ausbeutung des Sieges; Caſtlereaghs Parteigenoſſen, die Torys, von jeher die entſchiedenſten Gegner Frankreichs, eiferten am Lebhafteſten gegen jede falſche Großmuth. Lord Liverpool ſelbſt ſchrieb im Namen des Cabinets, man könne dieſe offenbare Geſinnung der Nation nicht überſehen. Sogar der Prinzregent ſprach ſich für die deutſchen Anſprüche aus und folgte den Rathſchlägen des Grafen Münſter, der in Paris, zu777Oeſterreich gegen Preußen.Steins freudigem Erſtaunen, mit den Preußen treulich zuſammenging. Ganz unbekümmert um den Widerſpruch der Nation ſchritten Caſtlereagh und Wellington ihres Weges weiter. Der Herzog blieb dabei, die Been - digung der Revolution ſei der einzige Zweck dieſes Krieges, daher könne jetzt nur eine Occupation für wenige Jahre erfolgen. Caſtlereagh ſchloß ſich ihm an und vertröſtete die Preußen auf beſſeren Lohn nach zukünfti - gen Kriegen:*)Caſtlereaghs vertrauliche Note an Hardenberg, wahrſcheinlich im Auguſt ge - ſchrieben. Fortgeſetzte Ausſchreitungen Frankreichs können ohne Zweifel in künftigen Tagen Europa zur Zerſtückelung Frankreichs nöthi - gen, und Europa wird eine ſolche Veränderung ſeines Länderbeſtandes mit Kraft durchführen und mit Einmuth aufrechthalten, wenn dieſelbe dereinſt in den Augen der Menſchheit als eine nothwendige und gerechtfertigte Maßregel erſcheinen wird. Aber der gegenwärtige Krieg iſt nicht um ſolcher Zwecke willen begonnen worden. Zum Schluß nochmals: Wenn die Alliirten durch den kriegeriſchen Ehrgeiz Frankreichs in ihrem Vertrauen getäuſcht werden ſollten, dann werden ſie nochmals die Waffen ergreifen, nicht nur geſtützt auf beherrſchende militäriſche Poſitionen, ſondern auch mit jener ſittlichen Kraft, welche allein eine ſolche Coalition zuſammen - halten kann.

Alſo in der angenehmen Erwartung neuen Blutvergießens, neuer Kriegsnoth ſollten die nach Frieden ſchmachtenden Deutſchen dieſe einzige Gelegenheit zur Sicherung ihrer Grenzen aus der Hand geben! Was Wunder, daß dieſe Anweiſung auf zukünftiges Elend, neben den ſal - bungsvollen Worten von der ſittlichen Kraft der Coalition, allen Deut - ſchen wie Spott klang? Die Stimmung ward mit jedem Tage erregter. Sogar der geſellige Verkehr zwiſchen den Staatsmännern der beiden Par - teien gerieth ins Stocken, die Briten beklagten ſich bitter über Humboldts eiſige Kälte und ſchneidende Sarkasmen. So zog ſich der Handel durch anderthalb Monate. Endlich entſchloß ſich der Staatskanzler einen halben Schritt zurückzuweichen; er erbot ſich am 28. Auguſt, das obere Elſaß aufzugeben, verlangte für Deutſchland nur noch Diedenhofen und Saar - louis, Landau und Bitſch, endlich Straßburg als freie Stadt.

Unterdeſſen hatte Gneiſenau eine Denkſchrift für den Czaren auf - geſetzt, die am 31. Auguſt auf Befehl des Königs übergeben wurde; Friedrich Wilhelm verſprach ſich von den feurigen Worten des Generals einigen Eindruck und hoffte am nächſten Tage durch eine perſönliche Un - terredung ſeinen Freund vollends umzuſtimmen. **)Boyen an Gneiſenau 31. Aug. 1815. Gneiſenau, Memorandum für S. Maj. den Kaiſer Alexander.Ohne auf die preußi - ſchen Forderungen im Einzelnen einzugehen verſuchte Gneiſenau zunächſt nur das Herz des Czaren für den Grundſatz der Gebietsabtretung zu gewinnen. Er zeigte, daß in der That Frankreich die Schuld an dem778II. 2. Belle Alliance.neuen Kriegsunglück trage; ohne die Hilfe aller energiſchen Männer Frankreichs, ohne die ſtumpfe Theilnahmloſigkeit der Maſſe hätte der ge - ächtete Abenteurer niemals den Zug von Cannes nach Paris vollenden können. Europa erwartet von den Verbündeten mit Recht die Beſtrafung ſolcher Unthaten und wird mit Erſtaunen erfahren, daß man einen neuen Utrechter Frieden ſchließen, die Leiden dieſes beklagenswerthen Deutſch - lands verewigen will; das wird die Regierungen zur Verzweiflung bringen und die Völker erbittern. Wenn von zwei Nachbarn der eine die Ein - heit der Staatsgewalt beſitzt, phyſiſch und moraliſch auf den Angriff ein - gerichtet iſt, während der andere durch die natürlichen Gebrechen einer Bundesverfaſſung und durch die Geſtalt ſeiner Grenzen ſtrenge auf die Vertheidigung beſchränkt wird, ſo läßt ſich leicht vorherſehen, welcher von Beiden unterliegen wird. Was in den Händen des Einen ein Angriffs - mittel iſt, wird in der Hand des Anderen ein Mittel zur Abwehr. Die bourboniſche Regierung kann ſich nicht ſicherer die Volksgunſt gewinnen, als wenn ſie ſich der abenteuerlichen Rachſucht ihrer Nation ganz hin - giebt. Ermuthigt durch die Erfahrung, daß ſeine Grenze auch nach den größten Niederlagen unverletzt bleibt, daß die Berechnungen einer eng - herzigen Politik ihm unter allen Umſtänden die Sicherheit ſeines Gebietes gewährleiſten, wird das franzöſiſche Volk bald keine Schranke mehr für ſeinen Uebermuth kennen. Und ſollen wir der franzöſiſchen Partei in Deutſchland neue Gründe geben zu dem Glauben, daß man mehr ge - winnt durch Anſchluß an die Eroberungspläne Frankreichs als durch Er - füllung ſeiner Pflichten gegen das Vaterland und die gemeinſame Sache Europas? Das mächtige und furchtbare Rußland ſteht wahrlich zu hoch für kleinliche Erwägungen, welche dem großherzigen Charakter des Kaiſers nicht entſprechen. Bleibt Frankreichs Grenze unverändert, ſo wird man allgemein ſagen, England wolle den Continent in neue Wirren ſtürzen, damit er nicht Zeit habe ſich gegen die britiſche Handelspolitik zur Wehr zu ſetzen. So der Gedankengang des langen, in mangelhaftem Franzö - ſiſch, doch mit der höchſten redneriſchen Kraft geſchriebenen Memorandums. Gneiſenau trug auch kein Bedenken, für Piemont, die Niederlande und die kleinen deutſchen Staaten die Zulaſſung zu den Conferenzen zu ver - langen, was in den Augen der anderen Großmächte eine arge Ketzerei war.

Der Czar blieb taub. Auch ſeine Unterredung mit dem Könige führte zu keinem Ergebniß. Dem General dankte Alexander kurz und trocken für ſeine wohlgemeinten eifrigen Bemühungen um die großen Intereſſen Euro - pas*)Czar Alexander an Gneiſenau 5. Sept. 1815. und ließ durch Capodiſtrias eine ausführliche Widerlegung abfaſſen, die in Ermangelung von Gründen eine unerhörte Fülle moraliſcher Ge - meinplätze entfaltete: Soll Europa darum den militäriſchen Deſpotis - mus beſiegt und den Geiſt der Eroberung vernichtet haben, um jetzt aber -779Capodiſtrias gegen Gneiſenau.mals aus einem Könige von Frankreich ein Opfer zu machen und dem Königthum eine neue Entheiligung zu bereiten? Das hieße die Sittlich - keit für immer aus allen politiſchen Verhandlungen verbannen. Die Gewalt allein würde dann Grundſatz, Mittel und Zweck der Staatskunſt werden! Frankreich, erniedrigt und durch eine Reihe willkürlicher Maß - regeln noch mehr ſittlich verdorben, müßte ſich ſchließlich in die Arme der gewaltſamſten Partei werfen. Eine vorübergehende Occupation bietet den Nachbarn Frankreichs jede Sicherheit, die ſie nur wünſchen können. Zum Schluß: Verkennen wir in einem ſo entſcheidenden Augenblicke nicht den unwandelbaren Gang der Vorſehung, welche die Sache der Religion, der Sittlichkeit und Gerechtigkeit nur darum hat ſtraucheln laſſen, um ihr neue Triumphe zu bereiten und um den Fürſten wie den Völkern große und heilſame Antriebe zu geben! *)Capodiſtrias, Réponse au mémoire du général de Gneisenau, 5. Sept. 1815.

Als dies Muſterſtück orientaliſcher Kanzelberedſamkeit am 5. Sep - tember den preußiſchen Staatsmännern überreicht wurde, hatten ſie be - reits ihre letzte Hoffnung auf England aufgeben müſſen. Caſtlereaghs Bruder Lord Charles Stewart war nach Windſor geeilt und in den letzten Tagen des Auguſt zurückgekehrt mit der frohen Botſchaft, daß er den Einfluß des Grafen Münſter überwunden, den Prinzregenten gänzlich für die Anſicht Caſtlereaghs und Wellingtons gewonnen habe. Mit er - höhtem Selbſtgefühle durften die Beiden nun vorgehen. Der Herzog er - widerte (31. Auguſt) auf Hardenbergs letzte Denkſchrift kurz und ſcharf: jede Gebietsabtretung ſei unpolitiſch und widerrechtlich, weil nicht im Ein - klange mit der Wiener Erklärung der Verbündeten; die Occupation für einige Jahre genüge vollauf. **)Wellingtons Denkſchrift an Hardenberg, 31. Aug. 1815.Caſtlereagh aber erklärte (2. September), im Namen des Prinzregenten, Englands volle Zuſtimmung zu den ruſ - ſiſchen Vorſchlägen. So war man denn in offener Zwietracht: Rußland und England verſagten ſich grundſätzlich jeder Gebietsforderung Preußens; Oeſterreich mit ſeinem ſchüchternen Verlangen nach Schleifung der elſaſſiſchen Grenzplätze ſtand ſcheinbar in der Mitte, doch in Wahr - heit der engliſch-ruſſiſchen Meinung ſehr nahe. Sollte dies an Geld und Truppen erſchöpfte Preußen jetzt ſeine Forderungen mit den Waffen durch - ſetzen? Daran war nicht zu denken.

Aber auch der Czar fühlte, daß er ſeinem beſten Alliirten nicht eine unbedingte, demüthigende Unterwerfung zumuthen durfte, da er doch die Fortdauer des preußiſch-ruſſiſchen Bündniſſes dringend wünſchte. Er be - ſchloß daher ſchon am 7. September ein wenig einzulenken, freilich nur eine winzige Strecke weit, und ließ durch Neſſelrode dem Staatskanzler erklären: Rußland halte zwar wie England unwiderruflich feſt an dem Gedanken der vorübergehenden Occupation (le système des garanties780II. 2. Belle Alliance.temporaires lautete der Kunſtausdruck); damit ſeinen jedoch einige kleine Gebietsabtretungen wohl vereinbar. Alſo Landau an Deutſchland, Sa - voyen an Piemont, einige Grenzplätze an die Niederlande, vielleicht auch Hüningen an die Schweiz; für Preußen ſelber gar nichts. Auch dieſe Denkſchrift triefte wieder von Lehren der Weisheit und Tugend: das doppelte Ziel der Beruhigung Europas und Frankreichs kann nur erreicht werden, wenn die Verbündeten bei den Friedensunterhandlungen dieſelbe Reinheit der Abſichten, dieſelbe Uneigennützigkeit, denſelben Geiſt der Mäßi - gung bewahren, welche bisher die unwiderſtehliche Kraft des europäiſchen Bundes gebildet haben. *)Neſſelrode an Hardenberg über Caſtlereaghs Denkſchrift vom 2. Sept. (7. Sept. 1815).Trotz Alledem that der Czar jetzt doch ſelber was er vor zwei Tagen noch für einen Verrath an Religion und Sitt - lichkeit erklärt hatte, er gab die mit ſo viel heiliger Entrüſtung verfochtene Unantaſtbarkeit des franzöſiſchen Bodens auf und bahnte damit den Weg zur Verſtändigung. In einem vertraulichen Begleitbriefe beſchwor Neſſel - rode den Staatskanzler, dieſe traurige Angelegenheit raſch zu beendigen. Dies werde dem Czaren das liebſte Geburtstagsgeſchenk ſein. Nichts iſt Ihm und uns Allen peinlicher als dieſe Meinungsverſchiedenheit zwiſchen zwei Höfen, deren Beziehungen ſo innig ſind. **)Neſſelrode an Hardenberg, 7. Sept. 1815.

Mit großer Gewandtheit benutzte Metternich ſofort die Gunſt des Augenblicks, um als Vermittler zwiſchen die Streitenden zu treten. In einer Denkſchrift vom 8. September erkannte er die gemäßigte und ver - ſöhnliche Haltung aller Höfe dankbar an und fand es ſehr erklärlich, daß gleichwohl in Folge der Verſchiedenheit der geographiſchen Lage und der nationalen Stimmungen ihre Anſichten nicht gänzlich übereinſtimmten. Oeſterreich wünſche eine möglichſt große Sicherheit aber möglichſt geringe Opfer für Frankreich und ſchlage daher ein gemiſchtes Syſtem von dauern - den und zeitlichen Bürgſchaften vor, alſo vor Allem die Zurückführung Frankreichs auf den Beſitzſtand von 1790. Die Grenzen von 1790 damit war ſehr glücklich eines jener handlichen Schlagwörter gefunden, wie ſie die noch ganz franzöſiſch gebildete Diplomatie jener Tage liebte. Die weiteren Vorſchläge der Denkſchrift paßten freilich zu dieſem wohl - klingenden Worte wie die Fauſt auf das Auge; ſie zeigten deutlich, daß Metternich nicht ehrlich vermittelte, ſondern die engliſch-ruſſiſche Partei ergriff. Von jenem Viertel des Elſaſſes, das im Jahre 1790 noch deutſch geweſen, war gar nicht mehr die Rede; vielmehr verlangte der Oeſter - reicher außer Landau und jenen niederländiſchen Grenzplätzen, welche der Czar bereits zugeſtanden hatte, ausdrücklich nur noch Saarlouis, und ſelbſt dieſen Platz nicht unbedingt, da ja Frankreich zur Erbauung einer anderen Saarfeſtung Gelder an Preußen zahlen könne. Dazu endlich781Oeſterreichs ſcheinbare Vermittlung.1200 Mill. Kriegsentſchädigung und eine ſiebenjährige Beſetzung des Landes durch 150,000 Mann, welche unter Wellingtons Oberbefehl die euro - päiſche Polizei handhaben ſollen. *)Metternichs Denkſchrift für das Comité der Vier, 8. Sept. 1815.

Alſo von Oeſterreich preisgegeben, erklärte Hardenberg nunmehr (8. September), daß ſein König um der Eintracht willen auf ſeine weiter - gehenden Anſichten verzichte und die Grenzen von 1790 annehme; jedoch er verſtand dieſen Grundſatz ehrlich und verlangte zum Erſatz für jene eingeſprengten deutſchen Gebiete im Elſaß außer Landau auch Saarlouis, Bitſch und den nördlichſten Streifen des Elſaſſes mit Fort Louis, Weißenburg, Hagenau. Selbſt England erklärte ſich jetzt mit einer mäßigen Gebietsforderung einverſtanden, und ſo endigte denn die Ver - handlung, wie einſt der Streit über Sachſen, mit einem widerwärtigen Feilſchen um die einzelnen Städte und Feſtungen. Hardenberg verthei - digte jede ſeiner letzten Forderungen mit der höchſten Hartnäckigkeit, doch da ihn keine der anderen Mächte unterſtützte, ſo konnte er zuletzt nur Landau, Saarlouis und das Kohlenbecken von Saarbrücken für Deutſch - land retten. Von dem Metternich’ſchen Vorſchlage Beſitzſtand von 1790 blieb zuletzt nicht viel mehr übrig als der Name, da der ſogenannte Ver - mittler ſein eigenes Wort nicht ernſt nahm. Am 19. September be - ſchloſſen die vier Mächte, nunmehr mit Frankreich in Verhandlungen ein - zutreten. Tags darauf überreichten ſie ihr gemeinſames Ultimatum. Sie nahmen an, der Friede ſei geſichert, denn was konnte das waffenloſe Frankreich wider ihre nur allzu milden Bedingungen ausrichten? Die ruſſiſche Armee trat bereits den Rückmarſch an. Blücher ſchrieb ſchon am 23. September in die Heimath: Der Friede iſt zu Stande, aber leider nicht ſo wie er hatte ſein ſollen, wie ich es eingeleitet, aber durch Hardenberg ſeine zuletzt bewieſene Standhaftigkeit iſt er doch noch beſſer zu Stande gekommen wie es den Anſchein hatte. Wir hatten gleichſam gegen Alle zu fechten. **)Blücher an Heinen, 23. Sept. 1815.

In den Augen der Franzoſen dagegen bildete das Ultimatum der Verbündeten erſt den Anfang der eigentlichen Verhandlungen. Ganz Paris beeiferte ſich, wie nach einer ſtillen Verſchwörung, den hochſinnigen Czaren von ſeinen Alliirten zu trennen. Die vornehme Welt ſchwelgte in jenen frommen Redensarten, welche dem neuen Weltheiland wohl thaten, und bewunderte den weihevollen Spruch Talleyrands: Nichts iſt weniger ariſtokratiſch als der Unglaube. Der Czar wurde mit geiſtreichen Huldigungen wie mit plumpen Schmeicheleien überſchüttet; als er zum Abſchied ſein Heer auf der Ebene von Vertus muſterte, ſagten die Pariſer Blätter wonnetrunken: wie heimiſch müſſe ſich der edle Herrſcher dort auf dem Tugendfelde fühlen! Wellington dagegen entging, trotz ſeines rück -782II. 2. Belle Alliance.ſichtsvollen Auftretens, den gehäſſigſten Angriffen nicht, ward einmal im Theater geradezu aus der königlichen Loge hinausgepfiffen. Mit den Preußen vollends lebte Jedermann auf Kriegsfuß. Welche Entrüſtung in Paris am 3. Auguſt, als die preußiſchen Truppen zur Feier ihres nationalen Feſttags ihre Quartiere und Kaſernen erleuchteten und auf dem Hauſe des Königs die Inſchrift zu leſen ſtand: parcere subjectis et debellare superbos! Und welch ein kleinlicher Zank um den Sold und die Verpflegung der Truppen! Anfangs waren die Bourbonen, bei der allgemeinen Unordnung, in der That kaum im Stande den Pflichten des Beſiegten nachzukommen. Als aber Hardenberg 5 Mill. aus Preußen herbeiſchaffen ließ um den rückſtändigen Sold zu bezahlen, weigerte ſich Blücher dies neue Opfer aus der Hand ſeiner Mitbürger anzunehmen die Armee, ſchrieb er ſtolz, iſt kein Söldnerheer, das um jeden Preis abgelohnt werden muß, ſie iſt mit der Nation eins! Dann kam endlich eine Vereinbarung zu Stande, kraft deren Frankreich die Verwaltung in den occupirten Landestheilen wieder übernahm und zugleich die Pflicht für Sold und Unterhalt der Heere zu ſorgen. Doch wie die Bourbonen im vorigen Jahre die verſprochene Rückgabe der Kunſtſchätze verweigert hatten, ſo brachen ſie auch diesmal ihr Wort. Der in ſeiner Großmuth unerſchöpfliche Czar ſtundete ſofort die fälligen Zahlungen, auch das reiche England drückte ein Auge zu, und Oeſterreich hatte nicht den Muth ſich von den Beiden zu trennen. Nur das von allen Mitteln entblößte Preußen konnte keine Nachſicht üben. Als der Finanzminiſter Lonis an Humboldt kurz und hochmüthig ſchrieb, die für die Bekleidung der preußiſchen Truppen geforderten Summen könnten nicht bezahlt werden, da erhielt er die Ant - wort: er ſelber trage die Schuld, wenn Preußen ſich jetzt ſelber helfe. Die Generale erhielten Befehl, in den Departements Requiſitionen auszu - ſchreiben, und nun endlich entſchloß ſich der bourboniſche Hof ſeinen Ver - pflichtungen nachzukommen. *)Louis an Humboldt 23. Aug. Humboldts Bemerkungen dazu 24. Aug. 1815.

Ganz im Sinne dieſes ſteifen Hochmuths war auch die Note gehalten, womit Talleyrand am 21. Septbr. das Ultimatum der Verbündeten be - antwortete. Der gewandte Mann hatte aus dem beginnenden Abmarſch der ruſſiſchen Armee neue Hoffnungen geſchöpft und begann hochtrabend: der Allerchriſtlichſte König habe mit den vier Mächten, ſeinen Verbündeten, keinen Krieg geführt und könne ihnen folglich ein Eroberungsrecht nicht zuge - ſtehen; niemals werde er eine Scholle Landes von dem alten Frankreich abtreten; ſtellten die vier Mächte dergleichen Zumuthungen, ſo ſeien die franzöſiſchen Bevollmächtigten angewieſen, ſie nicht einmal anzuhören! Die Verbündeten forderten aber von dem alten Frankreich nichts weiter als Saarlouis, Landau und einen Strich an der Maas; ſie waren bereit, dafür Avignon und das deutſche Viertel des Elſaſſes, die Eroberungen783Verhandlungen mit Frankreich.der Revolution, den Bourbonen zu laſſen, ſo daß das alte Frankreich noch immer einen Zuwachs von mehreren hunderttauſend Köpfen behielt! Zwei Tage vorher hatte Talleyrand auch die Rückgabe der Kunſtſchätze für unzuläſſig erklärt, weil ſie den Haß des Volks gegen die Bourbonen ſteigern müſſe. Eine ſolche Sprache aus dem Munde eines völlig ent - waffneten Staates erſchien doch ſogar den Briten und den Ruſſen un - erträglich. Wellington, der früher die Rückforderung der Kunſtſchätze bedenklich gefunden hatte, meinte jetzt: ſie ſei nothwendig um den Fran - zoſen eine große moraliſche Lection zu geben . Auf Talleyrands Note erwiderten die vier Mächte ſchon am folgenden Tage ſcharf abweiſend: von Eroberungen ſei überhaupt nicht die Rede, ſondern nur von Maßregeln für die Sicherheit Europas; wolle der königliche Hof etwa jenen Grund - ſatz der Unantaſtbarkeit der franzöſiſchen Grenzen wieder aufnehmen, der unter Napoleon ſo viel Unglück angerichtet habe? Den Deutſchen gegen - über hatten England und Rußland den Grundſatz der Unverletzlichkeit Frankreichs ſoeben erſt ſalbungsvoll vertheidigt; jetzt gaben ſie ihn wie - der auf.

In den Tuilerien verbreitete dieſe Antwort tiefe Beſtürzung. König Ludwig verſuchte noch einmal perſönlich einen Sturm auf das erregbare Gemüth des Czaren. In der Bitterniß meines Herzens ſo ſchrieb er am 23. Septbr. nehme ich meine Zuflucht zu E. Maj., um Ihnen hingebend das peinliche Gefühl auszuſprechen, das ich beim Durchleſen der Vorſchläge der vier Mächte empfunden habe. Eines vor Allem er - ſchüttert mich tief und treibt mich zur Verzweiflung an dem Wohle des unglücklichen Frankreichs: der niederſchmetternde Gedanke, daß E. Maj., auf den ich meine Hoffnung geſetzt, die mir überſendete Note gebilligt zu haben ſcheint. Ich zögere nicht Ihnen zu verſichern, Sire: ich werde mich weigern das Werkzeug für den Untergang meines Landes zu werden, und ich werde eher vom Throne niederſteigen als der Befleckung ſeines alten Glanzes durch eine beiſpielloſe Erniedrigung zuſtimmen! Kaiſer Franz ward gleichzeitig durch ein Handbillet auf dies verzweifelte Schreiben aufmerkſam gemacht; nur den Todfeind, den König von Preußen würdigte der Bourbone keiner Mittheilung. *)König Ludwig an Kaiſer Alexander 23. September, an Kaiſer Franz 23. Sep - tember 1815.Indeß die angedrohte Abdankung war doch allzu unwahrſcheinlich, das theatraliſche Pathos des Briefes ſtand in einem allzu lächerlichen Mißverhältniß zu der Thatſache, daß die Verbündeten das alte Frankreich ungeſtört im Beſitze einer erheblichen Vergrößerung laſſen wollten. Selbſt der Czar war über den maßloſen Jammer ſeines Schützlings befremdet. Ganz unerſchütterlich blieb Alex - ander freilich nicht; er ſetzte durch, daß von den letzten Forderungen der Coalition noch ein wenig nachgelaſſen wurde. Die Verbündeten verzich -784II. 2. Belle Alliance.teten auf die wichtige Maasfeſtung Givet und auf Condé: der glorreiche Name dieſes Platzes war dem Hauſe der Kapetinger gar zu theuer!

Ein Miniſterwechſel in den Tuilerien kam dem Abſchluß des Friedens - werkes zu ſtatten. Da die legitimiſtiſchen Ultras durch die Gewaltmittel des weißen Schreckens den Sieg bei den Kammerwahlen davongetragen hatten, ſo konnte weder der Königsmörder Fouché noch der vermittelnde Talleyrand ſich im Cabinet behaupten. Der Czar half in der Stille nach, da ihm Fouchés Verkehr mit den Engländern verdächtig war; er dachte ſogar ernſtlich daran, ſeinem Pozzo di Borgo als geborenem Fran - zoſen eine Stelle in dem Miniſterium zu verſchaffen, fand es jedoch zu - letzt klüger den Vertrauten in der ſicheren Stellung eines ruſſiſchen Ge - ſandten zu belaſſen. Der Herzog von Richelieu bildete am 26. September das neue Cabinet, ein wohlmeinender, aber mit Frankreich völlig unbe - kannter Staatsmann, der ſich durch langen Aufenthalt in Rußland das Wohlwollen des Czaren erworben hatte. Machtlos wie er war, allein angewieſen auf die Gunſt Alexanders fand er ſich raſch in das Unver - meidliche, und ſchon am 2. October kam die entſcheidende Vereinbarung zwiſchen Frankreich und den vier Mächten zu Stande. Das Protokoll brauchte wieder den hochtrabenden Ausdruck, die Grenze von 1790 ſolle die Regel bilden; doch in Wahrheit trat Frankreich nur ab: einen Land - ſtrich an der belgiſchen Grenze mit Marienburg und Philippeville, ferner den Reſt von Savoyen, endlich Landau und Saarlouis mit Saarbrücken.

Czar Alexander konnte den Schauplatz ſeiner Thaten nicht verlaſſen, ohne die Welt noch einmal durch eine Offenbarung erhabener Gefühle in Erſtaunen zu ſetzen. In den angſtvollen Tagen nach der Schlacht von Bautzen hatte König Friedrich Wilhelm einmal tiefbewegt auf einem einſamen Ritt zu ſeinem Freunde geſagt: jetzt kann uns nur Gott allein noch retten; ſiegen wir, ſo wollen wir ihm vor aller Welt die Ehre geben! Wie oft war ſeitdem jene weihevolle Stunde dem Czaren wieder vor die Seele getreten. Hochaufgeregt durch die Weiſſagungen der Frau von Krüdener und durch ein phantaſtiſches Schriftchen des deutſchen Philo - ſophen Baader, beſchloß er jetzt den hingeworfenen Gedanken ſeines Freundes nach ſeiner Weiſe zu geſtalten und ſchrieb eigenhändig die Ur - kunde der heiligen Allianz nieder, ein perſönliches Glaubensbekenntniß, das der Welt zeigen ſollte, das neue europäiſche Dreigeſtirn verdanke ſeinen Glanz allein der Sonne Chriſti. Aller Edelſinn und alle Glaubensinbrunſt, aber auch die ganze unklare Gefühlsſeligkeit und die weltliche Eitelkeit dieſes ſchwammigen Charakters waren in dem wunderſamen Acten〈…〉〈…〉 niedergelegt. Die Erkenntniß, daß die europäiſche Staatengeſellſchaft eine lebendige Gemeinſchaft bildet, dieſe alte halbvergeſſene Wahrheit, die ſich nach den Gräueln des napoleoniſchen Zeitalters der Welt wieder über - mächtig aufdrängte, empfing unter den Händen des Gottbegeiſterten eine ſonderbare theokratiſche Umbildung. Die drei Monarchen von Oeſterreich,785Die heilige Allianz.Preußen und Rußland, ſo ſchrieb der Czar, betrachten ſich als verbunden durch die Bande einer wahrhaften und unauflöslichen Brüderlichkeit, als Familienväter ihren Unterthanen gegenüber; ſie ſehen ſich an als von der Vorſehung beauftragt drei Zweige einer Familie zu regieren, und erkennen als den einzigen Souverain der einen chriſtlichen Nation allein Gott, unſern göttlichen Erlöſer Jeſus Chriſtus, das Wort des Höchſten, das Wort des Lebens . Alle Staaten, welche ſich zu dieſen Heilswahr - heiten bekennen, ſind zum Eintritt in den heiligen Bund brüderlich ein - geladen*)Eine Andeutung in einer Parlamentsrede Lord Liverpools hat Anlaß gegeben zu der häufig wiederholten Behauptung, daß die Acte der heiligen Allianz einige geheime Artikel enthalten hätte. Obgleich die Unhaltbarkeit dieſer Annahme ſich ſchon aus inneren Gründen ergiebt, ſo ſei hier doch zum Ueberfluß noch verſichert, daß die im Berliner Geh. Staatsarchiv verwahrte Original-Urkunde nichts weiter als den allbekannten Text enthält..

Jene räthſelhafte Schickſalsgunſt, welche es immer ſo fügte, daß die Gefühlswallungen Alexanders mit ſeinem Vortheile zuſammentrafen, waltete auch über dieſem Erguſſe ſeiner heiligſten Empfindungen. Alle Mächte Europas konnten ſeiner brüderlichen Einladung folgen, nur jene beiden nicht, welche der ruſſiſchen Politik von Altersher als unverſöhn - liche Feinde galten. Der Papſt mußte fern bleiben, weil der Stellver - treter Chriſti nur die civitas Dei unter der Herrſchaft des gekrönten Prieſters anerkennen durfte. Vollends der ungläubige Sultan war, wie der Czar unverhohlen ausſprach, für immer aus dem großen Bruderbunde Europas ausgeſchloſſen. Dem verſtändigen Sinne Friedrich Wilhelms erſchienen die orakelhaften Sätze, die ihm der Czar mit feierlichem Ernſt vorlegte, ſehr befremdlich; aber warum dem alten Freunde eine Gefälligkeit verſagen, welche dem preußiſchen Staate durchaus keine Ver - pflichtung auferlegte? Bereitwillig ſchrieb der König, wie ſein Freund wünſchte, das Actenſtück mit eigenen Händen ab (26. September). Schwerer entſchloß ſich Kaiſer Franz; er ſah voraus, wie peinlich dieſer heilige Bund den treuen Freund in Konſtantinopel berühren würde. Doch da Metternich die fromme Urkunde lächelnd für leeres Geſchwätz erklärte, ſo trat auch Oeſterreich noch am ſelben Tage bei. Nach und nach haben ſich dann ſämmtliche Staaten Europas dem heiligen Bunde angeſchloſſen, die meiſten aus Gefälligkeit für den Czaren, einige auch weil die frommen Worte vom väterlichen Fürſtenregiment den hochconſervativen Neigungen des anbrechenden Reſtaurationszeitalters entſprachen.

Nur drei hielten ſich zurück: jene beiden alten Feinde Rußlands und England. Während der Prinzregent als Beherrſcher von Hannover willig unterzeichnete, erklärte Caſtlereagh in einer biſſigen Rede: das Parlament beſtehe aus praktiſchen Staatsmännern und könne daher wohl einen Staatsvertrag genehmigen, doch nicht eine Erklärung von Grund -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 50786II. 2. Belle Alliance.ſätzen, welche den engliſchen Staat in die Zeiten Cromwells und der Rundköpfe zurückſchleudern würden. Der wahre Beweggrund der Hoch - torys war aber nicht die Rückſicht auf das Parlament, mit dem ſie ſchon fertig zu werden verſtanden, ſondern das Mißtrauen gegen Rußland und die Sorge für den Sultan, der in der That durch den Abſchluß der heiligen Allianz lebhaft beunruhigt wurde. Die wunderliche Epiſode iſt nicht ohne culturhiſtoriſches Intereſſe, da ſich die romantiſchen Stimmungen und das lebendige europäiſche Gemeingefühl des Zeitalters darin wider - ſpiegeln. Eine politiſche Bedeutung dagegen hat der heilige Bund nie gehabt; ſie ward ihm nur angedichtet durch die Oppoſitionspreſſe aller Länder, die ſich bald gewöhnte von dem Syſtem der heiligen Allianz zu ſprechen und ihre Anklagen gegen die Politik der Oſtmächte an dieſe imaginäre Adreſſe richtete.

Am 20. November ward endlich der Frieden unterzeichnet. Aber auch dieſer Vertrag brachte den Deutſchen noch nicht den endgiltigen Abſchluß ihrer inneren Gebietsſtreitigkeiten. Landau ward an Oeſter - reich und von dieſem an Baiern abgetreten, doch damit war den For - derungen der Wittelsbacher noch nicht Genüge geleiſtet. Da Oeſterreich die Wiedererwerbung des Elſaſſes verſchmäht und alſo das einfachſte Mittel zur gänzlichen Befriedigung des Münchener Hofes aufgegeben hatte, ſo ließ ſich Metternich, um doch ein Unterhandlungsmittel in Händen zu haben, von den großen Mächten den dereinſtigen Heimfall des Breis - gaus und der badiſchen Pfalz zuſichern eine völlig rechtswidrige Ver - abredung und der unſelige Gebietsſtreit zwiſchen Baiern und Oe - ſterreich blieb vorläufig unerledigt. Glücklicher war England. Außer der Abſchaffung des Negerhandels, die dem britiſchen Volke bereits zu einem Gegenſtande der nationalen Eitelkeit, des allgemeinen Sports geworden war, erlangten die Torys auch die Schirmherrſchaft über die ioniſchen Inſeln; die mediterraniſche Machtſtellung des Inſelreichs war nunmehr feſter denn je begründet. Frankreich mußte, je nach ſeinem Wohlverhalten, drei bis fünf Jahre lang die militäriſche Beſetzung ſeiner Nordoſtprovinzen ertragen und 700 Mill. Kriegsentſchädigung zahlen. 500 Mill. wurden zu je einem Fünftel unter die vier Großmächte und die Geſammtheit der Kleinſtaaten vertheilt; England und Preußen erhielten außerdem noch je 25 Mill. für die Einnahme von Paris. Der Reſt ward für die Befeſtigung der an Frankreich angrenzenden Landſtriche beſtimmt, der - geſtalt daß Baiern 15 Mill., der Deutſche Bund 25 Mill. für die rheini - ſchen Feſtungen erhielt; Preußen mußte ſich mit 20 Mill. begnügen, da ihm Saarlouis und das Beſatzungsrecht in Luxemburg abgetreten wurde.

Am nämlichen Tage erneuerten die vier Mächte ihr altes Bündniß. England hatte die einfache Verlängerung des Chaumonter Vertrages auf zwanzig Jahre gewünſcht. Aber Rußland hielt entgegen, daß man Frank - reich doch nur während des Ausnahmezuſtandes der Occupationszeit als787Der Friede und der Vierbund vom 20. November.einen verdächtigen Feind behandeln dürfe, und ſetzte durch, daß die vier Mächte ſich, ohne feſte Zeitangabe, zur Erhaltung des legitimen Königs - hauſes und der Charte verpflichteten*)Ruſſiſche Denkſchrift über den Bündnißvertrag, 9. / 21. Oct. 1815., denn von dem Parteifanatismus der Emigranten befürchtete der Czar die ſchwerſten Gefahren für Frankreich. Die vier Mächte gelobten einander, durch wiederholte Zuſammenkünfte der Monarchen oder der Miniſter die europäiſche Sicherheit zu über - wachen. So ward denn der geſammte Welttheil, und Frankreich insbe - ſondere unter die polizeiliche Aufſicht der Coalition geſtellt; die Bourbonen durften nicht ruhen bis ſie aus dieſer, für eine ſtolze Nation demüthi - genden Lage wieder herauskamen und die Aufnahme Frankreichs in das Bündniß der großen Mächte durchſetzten. Da die vier Mächte ſämmtlich, Oeſterreich und England nicht ausgenommen, der wilden Leidenſchaft der Emigranten mißtrauten, ſo richteten ſie zum Abſchied noch eine Note an Richelieu, ermahnten ihn die Mäßigung mit der Feſtigkeit zu verbinden, allen Feinden der öffentlichen Ruhe, unter welcher Geſtalt ſie ſich auch zeigten, die feſte Verfaſſungstreue entgegenzuſtellen. Voll ſchwerer Be - ſorgniß verließen die Staatsmänner der Coalition Paris. Keiner von ihnen glaubte an die Lebenskraft des alten Königshauſes, ſie alle ſchätzten die Dauer der bourboniſchen Herrſchaft nur auf wenige Jahre. Und einem ſolchen Staate, deſſen Zukunft völlig unberechenbar erſchien, hatte das verbündete Europa die beherrſchenden Plätze am deutſchen Oberrhein wieder eingeräumt!

In der geſammten modernen Geſchichte iſt nur noch einmal nach glänzenden kriegeriſchen Erfolgen ein Friede geſchloſſen worden, der ſich an ſchonender Milde dem Vertrage vom 20. November 1815 vergleichen läßt: der Prager Friede von 1866. Aber was in Prag aus dem freien Entſchluß, aus der weiſen Selbſtbeſchränkung des Siegers hervorging, das führte in Paris der gemeinſame Argwohn der Verbündeten gegen den kühn - ſten und rührigſten der Siegesgenoſſen herbei. Der große Augenblick, da das ſeit Richelieu ſo unnatürlich verrenkte Gleichgewicht Europas wiederher - geſtellt und den Deutſchen ihr altes Erbtheil zurückgegeben werden konnte, ward verſäumt weil alle Mächte des Oſtens und Weſtens ſich begegneten in dem Entſchluſſe die Mitte des Welttheils beſtändig niederzuhalten. Durch ſchmerzliche Erfahrungen erkaufte ſich die deutſche Nation die Er - kenntniß, daß ſie die Sühne des alten Unrechts allein von ihrem eigenen guten Schwerte erwarten durfte. Alle die düſteren Weiſſagungen Harden - bergs, Humboldts und Gneiſenaus gingen wörtlich in Erfüllung. Die Franzoſen empfanden nicht nur, wie billig, die mehrjährige Anweſenheit der fremden Truppen als eine unauslöſchliche Schmach; ſie nahmen auch den beiſpiellos milden Frieden für eine grauſame Beleidigung. Nicht Saarbrücken oder Landau lag ihnen am Herzen; was ſie nicht vergeſſen50*788II. 2. Belle Alliance.konnten war die Niederlage von Belle Alliance. Rache für Waterloo! dies blieb für Jahrzehnte der Schlachtruf des franzöſiſchen Volkes. Dieſem Gedanken entſprangen die Revolution von 1830, die Kriegs - drohungen von 1840 und die Wiederherſtellung des Kaiſerreiches, bis dann nach einem halben Jahrhundert der alte Herzenswunſch in einem wüſten Eroberungskriege ſich entlud und der deutſche Sieger die Unter - laſſungsſünden von 1815 endlich ſühnte.

So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Nachbarvölkern auf Jahrzehnte hinaus krankhaft unſicher und geſpannt. Die Deutſchen em - pfingen die Kunde von dem faulen Frieden mit bitterem Zorne. So recht im Namen ſeines Volkes rief Blücher: Preußen und Deutſchland ſteht trotz ſeiner Anſtrengungen immer wieder als der Betrogene vor der ganzen Welt da worauf er dann abermals ſeinen Ingrimm gegen die Diplomatiker ausſprach und zornig fragte, wie lange denn dieſe ſonderbare Verſammlung von Unterthanen, die ihre eigenen Monarchen beherrſchen, noch beſtehen ſolle. In ihrer naiven Unkenntniß der po - litiſchen Verhältniſſe hatten viele Deutſche alles Ernſtes gehofft, in Paris würden nicht nur die alten Grenzen des Vaterlandes wieder hergeſtellt, ſondern auch die Gebrechen der Bundesverfaſſung geheilt werden. Schenken - dorf wollte die Hoffnung nicht aufgeben, daß man den Erben der Leopolde und Ferdinande, der die deutſche Krone ſo kaltblütig verſchmähte, nun doch zwingen könnte, ſich mit dem alten Purpur zu bekleiden. Der treue Mann konnte die Stunde gar nicht erwarten, da das verſteinerte Birnengeſicht des Kaiſers Franz wieder mit dem Reife der Karolinger geſchmückt würde, und ſang:

O ſei denn endlich weiſer,
Du Herde ohne Hirt,
Und wähle ſchnell den Kaiſer
Und zwing ihn daß er’s wird!

Welche Entrüſtung nun unter dieſem teutoniſchen Geſchlechte, als ſich ergab, daß Alles beim Alten blieb, daß die Kaiſerherrlichkeit begraben war, daß Rappoltsweiler und Oberehnheim wieder Ribeauvillé und Obernay heißen, daß die alten ſchönen Heimathlande deutſcher Geſittung wieder von dem Schlamme wälſcher Verbildung überfluthet werden ſollten, um vielleicht für immer darin zu verſinken! In tauſend deutſchen Herzen hallte die Klage des Dichters wieder:

Doch dort an den Vogeſen
Liegt ein verlornes Gut.
Da gilt es, deutſches Blut
Vom Höllenjoch zu löſen!

Und was am tiefſten verwundete: dieſelben verlorenen deutſchen Länder, denen man die Freiheit hatte bringen wollen, frohlockten über den diplo - matiſchen Erfolg des Auslandes. In heller Verzweiflung rief Rückert:

789Erbitterung der Deutſchen.
Wird unſer Siegszug denn zur Flucht?
Ganz Frankreich höhnt uns nach.
Und Elſaß, du entdeutſchte Zucht,
Höhnſt auch! O ärgſte Schmach!

Im Rheiniſchen Mercur donnerte Görres mit der ganzen Wildheit ſeines Jacobinerzornes wider das Baſiliskenei, das der galliſche Hahn gelegt und die deutſche Einfalt ausgebrütet hat. Die Erbitterten wollten die ſo nahe liegenden Gründe des großen Mißlingens nicht ſehen, ſchoben alle Schuld auf Hardenbergs Schwäche und auf die deutſche Uneinigkeit , welche fortan ein ſtehender Klagepunkt in den Beſchwerden der enttäuſch - ten Patrioten bleiben ſollte. Und doch hatten der König wie ſeine Staats - männer ihre Schuldigkeit im vollen Maaße gethan und bei den Miniſtern der Mittelſtaaten treue Unterſtützung gefunden. Nicht die Deutſchen waren uneinig geweſen, ſondern Oeſterreich war von Deutſchland abgefallen. Jene alte habsburgiſche Hauspolitik, welche ſo oft deutſche Reichslande gegen kaiſerliche Erblande an die Fremden dahingegeben, hatte diesmal, da für das Haus Lothringen nichts Wünſchenwerthes zu erwerben ſtand, die Deutſchen einfach im Stiche gelaſſen.

Es war aber der Fluch des friedlichen Dualismus, daß die preußiſche Regierung fortan von der öffentlichen Meinung für die Sünden Oeſter - reichs verantwortlich gemacht wurde und, um nur den theuren Bundes - genoſſen nicht zu kränken, grundſätzlich unterließ ſich ſelber vor der Nation zu rechtfertigen. Und wie frech und ſchamlos log dieſe Hofburg jetzt dem deutſchen Volke ins Angeſicht! Gentz, der nachgerade jeden ſitt - lichen Halt verlor, verſicherte im Oeſterreichiſchen Beobachter mit dreiſter Stirn, niemals hätte zwiſchen den großen Mächten irgend eine Mei - nungsverſchiedenheit über die Friedensbedingungen beſtanden, und ſchloß feierlich: wäre dem nicht ſo, dann haben wir das Publicum aus Unwiſ - ſenheit oder gefliſſentlich falſch berichtet! War es zu verwundern, wenn einer ſolchen Politik gegenüber die Sprache der Patrioten täglich heftiger ward und Görres wüthend ſchrieb: Wie die Vendomeſäule ein fortwäh - rendes Zeichen unſerer Schande iſt, ſo ſoll im Rheiniſchen Mercur die fortwährende Proteſtation des Volks gegen alles Halbe und Schlechte niedergelegt werden, damit die Nachwelt erkenne: die Zeitgenoſſen waren damit nicht einverſtanden!

Der unglückliche Friede verbitterte nicht nur die Stimmung der Nation dermaßen, daß dem jungen Deutſchen Bunde von Haus aus auch nicht ein Schimmer freudiger Hoffnung entgegenſtrahlte. Er för - derte auch die während des Krieges erwachſene Selbſtüberſchätzung des Volks; darüber war ja gar kein Streit, daß das Volk Alles ungleich herrlicher hinausgeführt hätte als die Diplomaten. Die Maſſen der Na - tion kehrten bald wieder allen politiſchen Gedanken den Rücken; ſie wen - deten ſich den ſchweren Sorgen des Haushalts zu um in treuer Arbeit790II. 2. Belle Alliance.die Wunden des uṅgeheuren Kampfes auszuheilen. Wer aber den feurigen Idealismus des Befreiungskrieges noch im Herzen bewahrte, der tröſtete ſich des Glaubens: jetzt ſei die Stunde gekommen, da das Volk ſelber die Leitung des deutſchen Staates übernehmen müſſe. Es klang wie die Weiſſagung der Kämpfe und Leiden des kommenden Jahrzehnts, wenn einer der Beſten aus dem jungen Geſchlechte, der Kieler Hiſtoriker F. C. Dahlmann, zur Siegesfeier die in Form und Inhalt den Geiſt der Zeit bezeichnenden Worte ſprach: Friede und Freude kann nicht ſicher wieder - kehren auf Erden, bis, wie die Kriege volksmäßig und dadurch ſiegreich geworden ſind, auch die Friedenszeiten es werden, bis auch in dieſen der Volksgeiſt gefragt und in Ehren gehalten wird, bis das Licht guter Ver - faſſungen herantritt und die kümmerlichen Lampen der Cabinette über - ſtrahlt.

Inhalt.

Erſtes Buch. Einleitung. Der Untergang des Reichs.

  • Seite
  • 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden3
  • Die Reichsverfaſſung7
  • Der preußiſche Staat24
  • Die neue Literatur86
  • 2. Revolution und Fremdherrſchaft104
  • Der Revolutionskrieg bis zum Baſeler Frieden104
  • Friedrich Wilhelm III. Der Reichsdeputationshauptſchluß. Die claſſiſche Dichtung146
  • Auflöſung des Reichs. Krieg von 1806212
  • 3. Preußens Erhebung269
  • Stein. Scharnhorſt. Das neue Deutſchthum269
  • Miniſterium Altenſtein. Krieg von 1809320
  • Rheinbündiſche Zuſtände. Hardenbergs Verwaltung. Ruſſiſcher Krieg352
  • 4. Der Befreiungskrieg405
  • Die Vorbereitung405
  • Frühjahrsfeldzug. Waffenſtillſtand448
  • Die Zeit der Siege469
  • 5. Ende der Kriegszeit507
  • Befreiung des Weſtens. Kriegspläne507
  • Der Winterfeldzug533
  • Friede und Heimkehr551

Zweites Buch. Die Anfänge des Deutſchen Bundes 1814 1819.

  • Seite
  • 1. Der Wiener Congreß595
  • Charakter des Congreſſes. Die Perſonen595
  • Die Gebietsverhandlungen615
  • Der Deutſche Bund672
  • 2. Belle Alliance709
  • Der Belgiſche Feldzug709
  • Der zweite Pariſer Friede769

Berichtigungen.

Seite 105 Zeile 5 v. o. lies: 1787.

106 16 v. u. lies: fruchtbarer.

117 7 v. u. lies: von Form zu Form.

122 17 v. u. lies: anzuerkennen.

130 20 v. u. lies: Targowicer.

136 2 v. o. lies: der Oſtſlaven gegen die Weſtſlaven.

140 20 v. o. hinter: Am 5. Auguſt iſt einzuſchalten: 1796.

169 2 v. u. hinter: Tyrannei iſt einzuſchalten: in Neapel.

221 20 v. u. lies: zu verdrängen

241 2 v. o. lies: Unterwerfungsvertrag.

258 8 v. o. lies: der linke Flügel.

265 9 v. o. und noch mehrmals lies: Herzogs von Warſchau.

290 2 v. u. und öfter lies: Grolman.

291 6 v. u. lies: hat er ſie.

316 16 v. u. lies: erſchien der erſte Theil des Fauſt.

354 13 v. u. lies: finſtere Nacht.

482 2 v. o. lies: rechten Elbufer.

519 16 v. o. lies: Frieſe.

531 4 v. o. hinter: Geſinnung iſt einzuſchalten: des Breisgaues.

536 11 v. u. lies: 29. Januar.

570 4 v. u. lies: Pozzo di Borgo und Capodiſtrias meinten.

736 7 v. u. lies: der rechten Flanke.

Druck von J. B. Hirſchfeld in Leipzig.

About this transcription

TextDeutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert
Author Heinrich von Treitschke
Extent813 images; 324444 tokens; 33023 types; 2434839 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDeutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert Erster Theil: Bis zum zweiten Pariser Frieden Heinrich von Treitschke. . VIII, 790, [2] S. HirzelLeipzig1879. Staatengeschichte der neuesten Zeit 24.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Ser. 24815-24http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=402044657

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Historiographie; Wissenschaft; Historiographie; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:35:19Z
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ShelfmarkSBB-PK, Ser. 24815-24
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