PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Staatengeſchichte der neueſten Zeit.
Vierundzwanzigſter Band.
Deutſche Geſchichte im neunzehnten Jahrhundert Erſter Theil.
LeipzigVerlag von S. Hirzel. 1879.
[III]
Deutſche Geſchichte im Neunzehnten Jahrhundert
Erſter Theil. Bis zum zweiten Pariſer Frieden.
LeipzigVerlag von S. Hirzel. 1879.
[IV]
[V]

An Max Duncker.

Nehmen Sie, mein verehrter Freund, die Widmung dieſer Blätter als ein Zeichen alter Treue freundlich auf. Sie haben mir bei den langwierigen Vorarbeiten ſo oft Ihre warme Theilnahme erwieſen; es thut mir wohl, zuerſt vor Ihnen auszuſprechen was ich über Anlage und Abſicht des Buchs den Leſern zu ſagen habe.

Mein Plan war urſprünglich, nur die Geſchichte des Deutſchen Bundes zu ſchreiben, nach einem kurzen Eingang ſofort mit den Ver - handlungen des Wiener Congreſſes zu beginnen. Ich erkannte jedoch bald, daß ein nicht ausſchließlich für Gelehrte beſtimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schickſale des Deutſchen Bundes bilden nur den Abſchluß des zweihundertjährigen Kampfes zwiſchen dem Hauſe Oeſter - reich und dem neu aufſteigenden deutſchen Staate; ſie bleiben dem Leſer unverſtändlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußiſchen Monarchie und den Untergang des heiligen Reichs unterrichtet iſt. Eine allen Gebil - deten gemeinſame nationale Geſchichtsüberlieferung hat ſich in unſerem kaum erſt wiedervereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politi - ſchen Helden entgegenbringen, hegen wir Deutſchen nur für die großen Namen unſerer Kunſt und Wiſſenſchaft; ſelbſt über die Frage, welche Thatſachen in dem weiten Wirrſal unſerer neuen Geſchichte die wahrhaft entſcheidenden waren, gehen die Meinungen noch weit auseinander.

Ich entſchloß mich daher in einem einleitenden Buche kurz zu ſchil - dern, wie ſich ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das neue DeutſchlandVI gebildet hat. Einem Kenner brauche ich nicht zu ſagen, wie ſchwer es iſt dieſen maſſenhaften Stoff in gedrängter Ueberſicht zuſammenzufaſſen. Der unendlichen Mannichfaltigkeit und Bedingtheit des hiſtoriſchen Lebens kann nur eine tief in das Einzelne eindringende Schilderung ganz Ge - nüge leiſten. Sie werden leicht zwiſchen den Zeilen leſen, wie oft ich in einem kurzen Satze meine Meinung über eine ſchwierige Streitfrage ſagen, wie oft ich jedes Wort abwägen mußte um beſtimmt zu reden ohne Härte, gerecht ohne Verſchwommenheit. Das Unternehmen war um ſo gewagter, da wir in Häuſſers Deutſcher Geſchichte bereits eine umfaſſende Darſtellung der letzten Jahrzehnte des heiligen Reichs beſitzen, ein Buch, das bei ſeinem Erſcheinen wie eine politiſche That wirkte und für immer eine Zierde unſerer hiſtoriſchen Literatur bleiben wird. Aber ſeit dem Tode des unvergeßlichen Mannes iſt unſere Kenntniß des napoleoniſchen Zeitalters, nicht zuletzt durch Ihre Arbeiten, weſentlich erweitert worden. Auch der Standpunkt des hiſtoriſchen Urtheils hat ſich verändert. Wer heute durch eine Schilderung jener Epoche das Verſtändniß der Gegen - wart fördern will, muß die innere Entwicklung des preußiſchen Staates und die großen Wandlungen des geiſtigen Lebens in den Vordergrund der Erzählung ſtellen.

In dem einleitenden Buche bin ich nicht darauf ausgegangen neue Thatſachen mitzutheilen. Ich habe mich auch nicht geſcheut, zuweilen Allbekanntes zu wiederholen; denn will der Hiſtoriker immer und überall neu ſein, ſo wird er nothwendig unwahr. Mein Beſtreben war, aus dem Gewirr der Ereigniſſe die weſentlichen Geſichtspunkte herauszuheben, die Männer und die Inſtitutionen, die Ideen und die Schickſalswechſel, welche unſer neues Volksthum geſchaffen haben, kräftig hervortreten zu laſſen. Darum ſind auch die inneren Zuſtände der kleineren deutſchen Staaten nur kurz behandelt; ich denke erſt im zweiten Bande, bei der Schilderung der ſüddeutſchen Verfaſſungskämpfe, mich auf dieſe Verhält - niſſe näher einzulaſſen. Möchten Sie und andere nachſichtige Richter finden, daß dieſe Ueberſicht einen annähernd richtigen Begriff giebt von den großen Gegenſätzen, welche den Staatsbau unſeres Mittelalters zer - ſtörten und den Boden ebneten für die weltlichen Staatsgebilde des neuen Jahrhunderts. Mehr als die Umriſſe des Bildes konnte ich auf ſo engem Raume nicht bieten.

VII

Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Darſtellung allmäh - lich ausführlicher, und mit den Tagen des erſten Pariſer Friedens be - ginnt dann die eingehende Geſchichtserzählung, die ich im zweiten Bande zunächſt bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für dieſen Zeitraum habe ich, mit Erlaubniß des Fürſten Reichskanzlers und des Freiherrn von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des Auswärtigen Miniſteriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug danken für die freiſinnige Bereitwilligkeit, die mir von der hieſigen Archiv - verwaltung, erſt unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer bewieſen wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es nicht mißbrauchen konnte. In der Geſchichte Preußens iſt nichts zu be - mänteln noch zu verſchweigen. Was dieſer Staat geirrt und geſündigt hat weiß alle Welt ſchon längſt, Dank der Mißgunſt aller unſerer Nach - barn, Dank der Tadelſucht unſeres eigenen Volks; ehrliche Forſchung führt in den meiſten Fällen zu der Erkenntniß, daß ſeine Staatskunſt ſelbſt in ihren ſchwachen Zeiten beſſer war als ihr Ruf.

Es giebt viele Arten Geſchichte zu ſchreiben, und jede iſt berechtigt wenn ſie nur ihren Stil rein und ſtreng einhält. Dies Buch will einfach erzählen und urtheilen. Sollte die Darſtellung nicht völlig formlos wer - den, ſo durfte ich den Leſern nur das fertige Ergebniß der Unterſuchung vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der Forſchung aufzuweiſen oder ſie mit polemiſchen Auseinanderſetzungen zu beläſtigen.

Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte, welche dieſer Band zu ſchildern verſucht, empfinde ich wieder, wie ſo oft beim Schreiben, den Reichthum und die ſchlichte Größe unſerer vater - ländiſchen Geſchichte. Kein Volk hat beſſeren Grund als wir, das An - denken ſeiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk, leider, erinnert ſich ſo ſelten, durch wie viel Blut und Thränen, durch wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen ſeiner Ein - heit geſchaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben ſchon in der Paulskirche den Traum vom preußiſchen Reiche deutſcher Nation geträumt und ſind im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs; denn Sie wiſſen, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart erſcheinen neben dem Jammer der alten kaiſerloſen Tage. Sie werden mich nicht tadeln, wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der hiſtoriſchen Rede dann undVIII wann ein hellerer Ton entgegenklingt. Der Erzähler deutſcher Geſchichte löſt ſeine Aufgabe nur halb, wenn er blos den Zuſammenhang der Er - eigniſſe aufweiſt und mit Freimuth ſein Urtheil ſagt; er ſolle auch ſelber fühlen und in den Herzen ſeiner Leſer zu erwecken wiſſen was viele un - ſerer Landsleute über dem Zank und Verdruß des Augenblicks heute ſchon wieder verloren haben: die Freude am Vaterlande.

Berlin 10. Februar 1879.

Heinrich von Treitſchke.

[1]

Erſtes Buch.

Einleitung. Der Untergang des Reichs.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 1[2][3]

Erſter Abſchnitt. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Die deutſche Nation iſt trotz ihrer alten Geſchichte das jüngſte unter den großen Völkern Weſteuropas. Zweimal ward ihr ein Zeitalter der Jugend beſchieden, zweimal der Kampf um die Grundlagen ſtaatlicher Macht und freier Geſittung. Sie ſchuf ſich vor einem Jahrtauſend das ſtolzeſte Königthum der Germanen und mußte acht Jahrhunderte nachher den Bau ihres Staates auf völlig verändertem Boden von Neuem be - ginnen, um erſt in unſern Tagen als geeinte Macht wieder einzutreten in die Reihe der Völker.

Sie hatte einſt in überſchwellendem Thatendrang die Kaiſerkrone der Chriſtenheit mit der ihren verbunden, ihr Leben ausgeſchmückt mit allen Reizen ritterlicher Kunſt und Bildung, Ungeheures gewagt und geopfert um die Führerſchaft des Abendlandes zu behaupten. In den weltumſpannenden Kämpfen ihrer großen Kaiſer ging die Macht der deutſchen Monarchie zu Grunde. Auf den Trümmern des alten Königthums erhebt ſich ſodann eine junge Welt territorialer Gewalten: geiſtliche und weltliche Fürſten, Reichs - ſtädte, Grafen und Ritter, ein formloſes Gewirr unfertiger Staatsgebilde, voll wunderbarer Lebenskraft. Mitten im Niedergange der kaiſerlichen Herr - lichkeit vollführen die Fürſten Niederſachſens, die Ritter des deutſchen Ordens und die Bürger der Hanſa mit Schwert und Pflug die größte Coloniſation, welche die Welt ſeit den Tagen der Römer geſehen: die Lande zwiſchen Elbe und Memel werden erobert und beſiedelt, die ſkandinaviſchen und die ſlaviſchen Völker auf Jahrhunderte hinaus deutſchem Handel, deutſcher Bildung unterworfen. Aber Fürſten und Adel, Bürgerthum und Bauerſchaften gehen Jeder ſeines eigenen Weges; der Haß der Stände vereitelt alle Verſuche, dieſe Ueberfülle ſchöpferiſcher Volkskräfte politiſch zu ordnen, die zerfallende Staatseinheit in bündiſchen Formen wieder aufzurichten.

Dann hat Martin Luther nochmals begeiſterte Männer aus allen Stämmen des zerſplitterten Volkes zu großem Wirken vereinigt. Der1*4I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Ernſt des deutſchen Gewiſſens führte die verweltlichte Kirche zurück zu der erhabenen Einfalt des evangeliſchen Chriſtenthums; deutſchem Geiſte entſprang der Gedanke der Befreiung des Staates von der Herrſchaft der Kirche. Unſer Volk erſtieg zum zweiten male einen Höhepunkt ſeiner Geſittung, begann ſchlicht und recht die verwegenſte Revolution aller Zeiten. In anderen germaniſchen Ländern hat der Proteſtantismus überall die nationale Staatsgewalt geſtärkt, die Vielherrſchaft des Mittel - alters aufgehoben. In ſeinem Geburtslande vollendete er nur die Auf - löſung des alten Gemeinweſens. Es ward entſcheidend für alle Zukunft der deutſchen Monarchie, daß ein Fremdling unſere Krone trug während jener hoffnungsfrohen Tage, da die Nation frohlockend den Wittenberger Mönch begrüßte und, bis in ihre Tiefen aufgeregt, eine Neugeſtaltung des Reiches an Haupt und Gliedern erwartete. Die kaiſerliche Macht, dermaleinſt der Führer der Deutſchen im Kampfe wider das Papſtthum, verſagte ſich der kirchlichen, wie der politiſchen Reform. Das Kaiſerthum der Habsburger ward römiſch, führte die Völker des romaniſchen Süd - europas ins Feld wider die deutſchen Ketzer und iſt fortan bis zu ſeinem ruhmloſen Untergange der Feind alles deutſchen Weſens geblieben.

Die evangeliſche Lehre ſucht ihre Zuflucht bei den weltlichen Landes - herren. Als Beſchützer des deutſchen Glaubens behaupten und bewähren die Territorialgewalten das Recht ihres Daſeins. Doch die Nation vermag weder ihrem eigenſten Werke, der Reformation, die Alleinherrſchaft zu bereiten auf deutſchem Boden, noch ihren Staat durch die weltlichen Gedanken der neuen Zeit zu verjüngen. Ihr Geiſt, von Alters her zu überſchwänglichem Idealismus geneigt, wird durch die tiefſinnige neue Theologie den Kämpfen des politiſchen Lebens ganz entfremdet; das leidſame Lutherthum verſteht nicht die Gunſt der Stunde zu befreiender That zu benutzen. Schimpflich geſchlagen im ſchmalkaldiſchen Kriege beugt das waffengewaltige Deutſchland zum erſten male ſeinen Nacken unter das Joch der Fremden. Dann rettet die wüſte Empörung Moritz’s von Sachſen dem deutſchen Proteſtantismus das Daſein und zerſtört die hispaniſche Herrſchaft, aber auch die letzten Bande monarchiſcher Ordnung, welche das Reich noch zuſammengehalten; in ſchrankenloſer Willkür ſchaltet fortan die Libertät der Reichsſtände. Nach raſchem Wechſel halber Erfolge und halber Niederlagen ſchließen die ermüdeten Parteien den vorzeitigen Religionsfrieden von Augsburg. Es folgen die häßlichſten Zeiten deutſcher Geſchichte. Das Reich ſcheidet freiwillig aus dem Kreiſe der großen Mächte, verzichtet auf jeden Antheil an der europäiſchen Politik. Unbe - weglich und doch unverſöhnt lebt die ungeſtalte Maſſe katholiſcher, lutheriſcher, calviniſcher Landſchaften durch zwei Menſchenalter träge träumend dahin, während dicht an unſern Grenzen die Heere des katho - liſchen Weltreichs ihre Schlachten ſchlagen, die niederländiſchen Ketzer um die Freiheit des Glaubens und die Herrſchaft der Meere kämpfen.

5Anfang der neuen deutſchen Geſchichte.

Da endlich bricht der letzte, der entſcheidende Krieg des Zeitalters der Glaubenskämpfe über das Reich herein. Die Heimath des Pro - teſtantismus wird auch ſein Schlachtfeld. Sämmtliche Mächte Europas greifen ein in den Krieg, der Auswurf aller Völker hauſt auf deutſcher Erde. In einer Zerſtörung ohne Gleichen geht das alte Deutſchland zu Grunde. Die einſt nach der Weltherrſchaft getrachtet, werden durch die unbarmherzige Gerechtigkeit der Geſchichte dem Ausland unter die Füße geworfen. Rhein und Ems, Elbe und Weſer, Oder und Weichſel, alle Zugänge zum Meere ſind fremder Nationen Gefangene ; dazu am Ober - rhein die Vorpoſten der franzöſiſchen Uebermacht, im Südoſten die Herr - ſchaft der Habsburger und der Jeſuiten. Zwei Drittel der Nation hat der gräuelvolle Krieg dahingerafft; das verwilderte Geſchlecht, das noch in Schmutz und Armuth ein gedrücktes Leben führt, zeigt nichts mehr von der alten Großheit des deutſchen Charakters, nichts mehr von dem freimüthig heiteren Heldenthum der Väter. Der Reichthum einer uralten Geſittung, was nur das Daſein ziert und adelt, iſt verſchwunden und vergeſſen bis herab zu den Handwerksgeheimniſſen der Zünfte. Das Volk, das einſt von Chriemhilds Rache ſang und ſich das Herz erhob an den heldenhaften Klängen lutheriſcher Lieder, ſchmückt jetzt ſeine verarmte Sprache mit fremden Flittern, und wer noch tief zu denken vermag, ſchreibt franzöſiſch oder lateiniſch. Das geſammte Leben der Nation liegt haltlos jedem Einfluß der überlegenen Cultur des Auslandes geöffnet. Auch die Erinnerung an die Hoheit wundervoller Jahrhunderte geht der Maſſe des Volks über dem Jammer der Schwedennoth, über den kleinen Sorgen des armſeligen Tages verloren; fremd und unheimlich ragen die Zeugen deutſcher Bürgerherrlichkeit, die alten Dome in die ver - wandelte Welt. Erſt anderthalb Jahrhunderte darauf hat die Nation durch mühſame gelehrte Forſchung die Schätze ihrer alten Dichtung wieder aufgegraben, erſtaunend, wie reich ſie einſt geweſen. Kein anderes Volk ward jemals ſo gewaltſam ſich ſelber und ſeinem Alterthum ent - fremdet; ſogar das heutige Frankreich iſt nicht durch eine ſo tiefe Kluft getrennt von den Zeiten ſeines alten Königthums.

Die grauenhafte Verwüſtung ſchien den Untergang des deutſchen Namens anzukündigen, und ſie ward der Anfang eines neuen Lebens. In jenen Tagen des Elends, um die Zeit des Weſtphäliſchen Friedens beginnt unſere neue Geſchichte. Zwei Mächte ſind es, an denen dies verſinkende Volk ſich wieder aufgerichtet hat, um ſeitdem in Staat und Wirthſchaft, in Glauben, Kunſt und Wiſſen ſein Leben immer reicher und voller zu geſtalten: die Glaubensfreiheit und der preußiſche Staat.

Deutſchland hatte durch die Leiden und Kämpfe der dreißig Jahre die Zukunft des Proteſtantismus für den geſammten Welttheil geſichert und zugleich den Charakter ſeiner eigenen Cultur unverrückbar feſtgeſtellt. Sein äußerſter Süden ragte hinein in die katholiſche Welt der Romanen,6I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſeine Nordmarken berührten das harte Lutherthum Skandinaviens, doch ſeine Kernlande blieben der Sammelplatz dreier Bekenntniſſe. Die deutſche Nation war das einzige paritätiſche unter den großen Völkern und darum gezwungen den blutig erkämpften kirchlichen Frieden in Staat und Geſellſchaft, in Haus und Schule durch die Gewöhnung jedes neuen Tages zu befeſtigen. Vor Zeiten, da die römiſche Kirche noch die allgemeine Kirche war und die Keime des Proteſtantismus in ſich umſchloß, hatte ſie unſer Volk für die Geſittung erzogen, ſeine Kunſt und Wiſſenſchaft reich befruchtet. Als ſie dieſe Mächte der Freiheit ausſtieß und geſtützt auf die romaniſchen Völker ſich umgeſtaltete zu einer ge - ſchloſſenen kirchlichen Partei, da gelang ihr zwar durch die Herrſcherkunſt des Hauſes Habsburg einen Theil des deutſchen Reiches zurückzuerobern; dem Gemüthe unſeres Volkes blieb der jeſuitiſche Glaube immer fremd. Die reichen geiſtigen Kräfte der neu-römiſchen Kirche entfalteten ſich prächtig in ihren romaniſchen Heimathlanden; in dieſem feindlichen deutſchen Boden, in dieſem Volke geborener Ketzer wollten ſie nicht Wurzel ſchlagen. Hier ſang kein Taſſo, kein Calderon, hier malte kein Rubens, kein Murillo. Niemand unter den faulen Bäuchen des deutſchen Mönch - thums wetteiferte mit dem Gelehrtenfleiße der ehrwürdigen Väter von St. Maur. Die Geſellſchaft Jeſu erzog unter den Deutſchen viele fromme Prieſter und gewandte Staatsmänner, auch manche plumpe Eiferer, welche, wie Pater Buſenbaum, mit ungeſchlachter Germanenderb - heit der Welt das Geheimniß verriethen, daß der Zweck die Mittel heilige; doch ihre geſammte Bildung war das Werk romaniſcher Köpfe, wie die ſinnberauſchenden Formen ihres Cultus. In Deutſchland wirkte der neue Katholicismus nur hemmend und verwüſtend; ſein geiſtiges Ver - mögen verhielt ſich zu der Gedankenwelt der deutſchen Proteſtanten wie die unfruchtbare Scholaſtik unſeres erſten Jeſuiten Caniſius zu der ſchlichten Weisheit der Werke Luthers. Rom wußte es wohl, Deutſchland blieb die feſte Burg der Ketzerei, trotz aller Maſſenbekehrungen der Gegen - reformation. Das Mark unſeres Geiſtes war proteſtantiſch.

Die theuer erkaufte kirchliche Duldung bereitete die Stätte für eine maßvolle Freiheit, eine beſonnene Verwegenheit des Denkens, die unter der Alleinherrſchaft einer Kirche niemals gedeihen kann. Auf ſolchem Boden erwuchs, ſobald das erſchöpfte Volk wieder geniale Naturen zu ertragen vermochte, unſere neue Wiſſenſchaft und Dichtung, die wirkſamſte Literatur der neuen Geſchichte, proteſtantiſch von Grund aus und doch weltlich frei und mild. Sie ſchenkte der verkümmerten Nation aufs Neue eine mächtige Sprache, gab ihr die Ideale der Humanität und den Glauben an ſich ſelbſt zurück. Alſo ſind unſerm Volke ſelbſt die Niederlagen der Reformation zuletzt zum Segen geworden. Gezwungen, alle die großen Gegenſätze des europäiſchen Lebens in ſeinem eigenen Schooße zu beher - bergen, ward Deutſchland fähig, ſie alle zu verſtehen und mit der Kraft7Die Reichsverfaſſung.des Gedankens zu beherrſchen. Seine Seele tönte von jedem Athemzuge der Menſchheit. Seine claſſiſche Literatur ward vielſeitiger, kühner, menſchlich freier, als die früher gereifte Bildung der Nachbarvölker. Hundertundfünfzig Jahre nach dem Untergange der alten deutſchen Cultur durfte Hölderlin das neue Deutſchland alſo anreden:

O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
Allduldend gleich der ſchweigenden Mutter Erd
Und allverkannt, wenn ſchon aus deiner
Tiefe die Fremden ihr Beſtes haben.

Zugleich erwachte wieder die ſtaatenbildende Kraft der Nation. Aus dem Durcheinander verrotteter Reichsformen und unfertiger Territorien hob ſich der junge preußiſche Staat empor. Von ihm ging fortan das politiſche Leben Deutſchlands aus. Wie einſt faſt um ein Jahrtauſend zuvor die Krone von Weſſex alle Königreiche der Angelſachſen zum Staate von England vereinigte, wie das Königthum der Franzoſen von der Isle de France aus, das ganze Mittelalter hindurch, die Theilſtaaten der Barone und Communen eroberte und bändigte, ſo hat die Monarchie der brandenburgiſch-preußiſchen Marken der zerriſſenen deutſchen Nation wieder ein Vaterland geſchaffen. Das harte Ringen um die Anfänge der Staatseinheit gelingt gemeinhin nur der derben bildſamen Lebens - kraft jugendlicher Völker; hier aber vollzog es ſich im hellen Mittagslichte der neuen Zeit, gegen den Widerſtand des geſammten Welttheils, im Kampfe mit den legitimen Gewalten des heiligen Reichs und den unzähligen durch eine alte Geſchichte verhärteten Gegenſätzen des vielgeſtaltigen deutſchen Lebens. Es war die ſchwerſte Einheitsbewegung, die Europa erlebte, und nur der letzte, volle, durchſchlagende Erfolg hat endlich die widerwillige Welt gezwungen, an das ſo oft ausſichtslos geſcholtene Werk zu glauben.

Von Kaiſer und Reich konnte die Neugeſtaltung des deutſchen Staates nicht mehr ausgehen. Die alte längſt ſchon brüchige Reichs - verfaſſung wurde ſeit dem Eindringen des Proteſtantismus zu einer häßlichen Lüge. Die letzten Folgen alles großen menſchlichen Thuns bleiben dem Thäter ſelber verhüllt. Wie Martin Luther, da er von der Kirche des Mittelalters ſich löſte, ahnungslos die Bahn brach für die weltliche Wiſſenſchaft unſerer Tage, die ſeinen frommen Sinn empören würde: ſo hat er auch, indem er den Staat von der Vormundſchaft der Kirche befreite, die Wurzeln jenes römiſchen Kaiſerthums untergraben, das er als treuer Unterthan verehrte. Sobald die Mehrheit der Nation der evangeliſchen Lehre ſich zuwandte, ward die theokratiſche Kaiſerwürde ebenſo unhaltbar wie ihre Stütze, das geiſtliche Fürſtenthum. Der ge - krönte Schirmvogt und die Biſchöfe der alten Kirche durften nicht herrſchen über ketzeriſchem Volke. Darum wurde ſchon in den erſten Jahren der Reformation, auf dem Reichstage von 1525, die Forderung8I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.laut, daß die geiſtlichen Gebiete heimgeramſcht, den benachbarten weltlichen Fürſten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik iſt der nothwendige Gedanke der Seculariſation ſeitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm ſprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch dieſe unabweisbare Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geiſtlichen Fürſten blieb er - halten, und mit ihnen die traumhaften Herrſchaftsanſprüche der Sacra Caesarea Majestas, obſchon das deutſche Königthum, das dieſe römiſche Krone trug, längſt aller Macht entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten Monarchie längſt übergegangen waren in die Hände der Landesherren.

Zwei Drittel des deutſchen Volkes außerhalb der kaiſerlichen Erb - lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürſtenhäuſer mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche Deutſchland aber blieb katholiſch. Die Altgläubigen behaupteten die Mehrheit im Kurfürſten - wie im Fürſtenrathe, und das Kaiſerthum be - wahrte noch immer ſeinen halb prieſterlichen Charakter. Der Kaiſer wurde durch die Krönung ein Theilhaber unſeres geiſtlichen Amtes , gelobte dem Papſte und der Kirche die gebührenden geiſtlichen Ehren zu erweiſen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholiſcher Stifter und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Geſtalt. Es iſt nicht anders, unter dieſer römiſchen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich nicht beſtehen. Die erſte große politiſche That der deutſchen Lutheraner war jene Proteſtation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen gab; ſie erklärte rund heraus, die Evangeliſchen würden der Mehrheit im Reiche ſich nicht fügen. Und alſo im Kampfe gegen das Reich, wie er begonnen, in beſtändiger Empörung hat ſich der Proteſtantismus auch fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensſchlüſſe, dem alten Kaiſereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs ſchnurſtracks zuwider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens - freiheit gegen die Mehrheit des Reichstags zu ſichern. Das Corpus Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anarchi - ſcher, ſtaatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polniſchen Adelsrepublik.

Nur ein revolutionärer Entſchluß, nur die Umwandlung des heiligen Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten aus ſolcher Unwahrheit ihres politiſchen Lebens; nur eine nationale Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Weſen eingeſtand, konnte den Altgläubigen wie den Evangeliſchen auf dem Boden des Geſetzes gerecht werden. Schon den beiden größten Publiciſten unſeres ſiebzehnten Jahr - hunderts drängte ſich dieſe Ueberzeugung auf: der Wortführer der ſchwe - diſchen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenſchaft den Vernichtungskrieg wider das Kaiſerthum; der beſonnenere Samuel9Das Kaiſerthum.Pufendorf ſah das Reich ſicher wie einen rollenden Stein der Umge - ſtaltung in einen Staatenbund entgegeneilen. Auch das amtliche Deutſchland empfand dunkel, wie ſinnlos die alten Formen in der neuen Zeit geworden. Die Religionsfriedensſchlüſſe gaben ſich ſelber nur für Waffenſtillſtände, vertröſteten die Nation auf beſſere Zeiten, da durch Gottes Gnade eine Vereinigung in Glaubensſachen zu Stande kommen wird . Der Weſtphäliſche Friede beauftragte den nächſten Reichstag, durch eine umfaſſende Verfaſſungsreviſion die neu errungene Macht der Reichsſtände in Einklang zu bringen mit den alten Rechten der Kaiſer - krone. Doch das Haus Oeſterreich verhinderte auch diesmal den Verſuch der Reform. Die Reichsverſammlung von 1654 ging unverrichteter Dinge auseinander, und da der folgende Reichstag durch anderthalb Jahrhunderte zu Regensburg tagte, ohne ſeine wichtigſte Aufgabe jemals in Angriff zu nehmen, ſo blieb der deutſche Staat in Wahrheit ver - faſſungslos. In ſeinem öffentlichen Rechte lagen die Trümmerſtücke dreier grundverſchiedener Staatsformen wirr und unverbunden neben einander: die ſchattenhaften Ueberbleibſel der alten monarchiſchen Einheit, die verkümmerten Anfänge einer neuen ſtaatenbündiſchen Ordnung, endlich, lebendiger als Beide, der Particularismus der territorialen Staats - gewalten.

Das Kaiſerthum hielt in allem Wandel der Zeiten die alten An - ſprüche monarchiſcher Machtvollkommenheit feſt und geſtattete niemals, daß ein Reichsgeſetz ihm den Umfang ſeiner Rechte feſt begrenzte. Der kaiſerliche Oberlehnsherr empfing noch immer ſitzend, mit bedecktem Haupte die Huldigung ſeiner knieenden Unterthanen, der Reichsſtände; er übte, ſoweit ſein Arm reichte, die Gerichtsbarkeit durch ſeinen Reichs - hofrath, als ſei er wirklich noch der höchſte Richter über Eigen und Lehen und über jeglichen Mannes Leib, wie einſt in den Tagen des Sachſen - ſpiegels. Noch immer ſchwenkte der Herold bei der Krönung das Kaiſer - ſchwert nach allen vier Winden, weil die weite Chriſtenheit dem Doppel - adler gehorche; noch ſprach das Reichsrecht mit feierlichem Ernſt von den Lehen des Reichs, die auf den Felsterraſſen der Riviera von Genua und tief in Toscana hinein lagen; noch beſtanden die drei Reichskanzlerämter für Germanien, Italien und Arelat; Nomeny und Biſanz und ſo viele andere, längſt den Fremden preisgegebene Stände wurden noch auf den Reichstagen zur Abſtimmung aufgerufen; der Herzog von Savoyen galt als Reichsvicar in Wälſchland, und Niemand wußte zu ſagen, wo des heiligen Reiches Grenzpfähle ſtanden. Dem Dichterauge des jungen Goethe wurde in dem altfränkiſchen Schaugepränge der Kaiſerkrönung die farben - reiche Herrlichkeit des alten Reiches wieder lebendig; wer aber mit dem nüchternen Sinne des Weltmannes zuſchaute, gleich dem Ritter Lang, dem erſchien dies Kaiſerthum der verblaßten Erinnerungen und der gren - zenloſen Anſprüche als ein fratzenhafter Mummenſchanz, ebenſo lächerlich10I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.und abgeſchmackt, wie das Schwert Karls des Großen, das den böhmiſchen Löwen auf der Klinge trug, oder wie die Chorknaben von St. Bartholomäi, die durch ihr hellſtimmiges fiat! vom hohen Chor herab im Namen der deutſchen Nation die Erwählung des Weltherrſchers genehmigten.

Die Umbildung des altgermaniſchen Wahlkönigthums zur erblichen Monarchie hat den meiſten Völkern Weſteuropas die Staatseinheit ge - ſichert. Deutſchland aber blieb ein Wahlreich, und die dreihundertjäh - rige Verbindung ſeiner Krone mit dem Hauſe Oeſterreich erweckte nur neue Kräfte des Zerfalles und des Unfriedens, denn das Kaiſerthum der Habsburger war unſerem Volke eine Fremdherrſchaft. Abgetrennt von der Mitte Deutſchlands durch das ſtarke Slavenreich in Böhmen, hatte die alte deutſche Südoſtmark ſchon früh im Mittelalter ihres eigenen Weges gehen und ſich einleben müſſen in die verſchlungene Politik des ungariſch-ſlaviſch-walachiſchen Völkergemiſches der unteren Donaulande. Sie wurde ſodann durch das Haus Habsburg zum Kernlande eines mächtigen vielſprachigen Reiches erhoben, durch falſche und echte Privi - legien aller ernſtlichen Pflichten gegen das deutſche Reich entbunden und erlangte bereits im ſechzehnten Jahrhundert eine ſo wohlgeſicherte Selbſtändigkeit, daß die Habsburger ſich mit dem Plane tragen konnten ihre deutſchen Erblande zu einem Königreich Oeſterreich zu vereinigen. Mitten im Gewimmel fremden Volksthums bewahrten die tapferen Stämme der Alpen und des Donauthales getreulich ihre deutſche Art; ſie nahmen mit ihrer friſchen herzhaften Sinnlichkeit rühmlich Theil an dem geiſtigen Schaffen unſeres Mittelalters. An dem lebensfrohen Hofe der Babenberger blühte die ritterliche Kunſt; der größte Dichter unſerer Staufertage war ein Sohn der Tyroler Alpen; die prächtigen Hallen von St. Stephan und St. Marien am Stiegen erzählten von dem Stolze und dem Kunſtfleiß des deutſchen Bürgerthums in Nieder - öſterreich. Alsdann wandte ſich auch hier der deutſche Geiſt in freudigem Erwachen der evangeliſchen Lehre zu; in Böhmen wurde das Huſſitenthum wieder lebendig, und am Ausgang des Jahrhunderts der Reformation war der größte Theil der deutſch-öſterreichiſchen Kronländer dem Glauben unſeres Volkes gewonnen. Da führte der Glaubenseifer des Kaiſerhauſes alle Schrecken des Völkermordes über Oeſterreich herauf. Unter blutigen Gräueln ward die Herrſchaft der römiſchen Kirche durch die kaiſerlichen Seligmacher wieder aufgerichtet. Was deutſchen Sinnes war und dem fremden Joche ſich nicht beugte, Hunderttauſende der Beſten vom böh - miſchen Volke fanden eine neue Heimath in den Landen der evangeliſchen Reichsfürſten. Die daheim geblieben, verloren in der Schule der Jeſuiten die Lebenskraft des deutſchen Geiſtes: den Muth des Gewiſſens, den ſittlichen Idealismus. Kirchlicher Druck zerſtört die tiefſten Wurzeln des Volkslebens. Der helle Frohmuth des öſterreichiſchen Deutſchthums ver - flachte in gedankenloſer Genußſucht, das leichtlebige Volk gewöhnte ſich11Oeſterreich und die Gegenreformation.raſch an die verlogene Gemüthlichkeit einer pfäffiſchen Regierung, die ihre kalte Menſchenverachtung hinter läßlich bequemen Formen zu verbergen wußte.

Der Weſtphäliſche Friede gab dieſem letzten großen Siege der Gegen - reformation die geſetzliche Weihe. Der Kaiſer genehmigte die Gleich - berechtigung der drei Bekenntniſſe im Reiche nur unter der Bedingung, daß ſeine Erblande der Regel nicht unterliegen ſollten. Seitdem ſchied Oeſterreich aus der Gemeinſchaft des deutſchen Lebens. Das Einzige, was der zerrütteten Reichsverfaſſung noch Sinn und Inhalt gab, die geſicherte Glaubensfreiheit, war für die habsburgiſchen Länder nicht vor - handen; zur ſelben Zeit, da Deutſchland in prunkenden Friedensfeſten ſich der endlich errungenen Verſöhnung freute, ließ ſein Kaiſer die päpſt - liche Bulle, welche den Friedensſchluß verdammte, in Wien und Prag, in Graz und Innsbruck an die Kirchthüren anſchlagen. Auch nach dem Frieden arbeitet das Kaiſerhaus unabläſſig an der Ausrottung der Ketzerei. Noch an hundert Jahre lang, bis zum Tode Karls VI., fluthet in immer kürzeren Wellenſchlägen die Auswanderung öſterreichiſcher Pro - teſtanten nach dem deutſchen Norden hinüber, bis endlich alle Erblande den Todesſchlaf der Glaubenseinheit ſchlummern. Zu Anfang des dreißigjährigen Krieges bekannte ſich die böhmiſche Grafſchaft Glatz, bis auf eine einzige römiſche Gemeinde, zum evangeliſchen Glauben; als die Grenadiere König Friedrichs dort einzogen, war das Volk katholiſch bis auf den letzten Mann, und mitten in dem neubekehrten Lande prangte die gnadenreiche Wallfahrtskirche von Albendorf, ein Siegesdenkmal für die Schlacht am Weißen Berge. Den katholiſchen Nachbarn in Baiern verfeindet durch Stammeshaß und uralte politiſche Gegnerſchaft, arg - wöhniſch abgeſperrt von jeder Berührung der norddeutſchen Ketzerei, führen die deutſch-öſterreichiſchen Länder fortan ein ſtilles Sonderleben. Der Verkehr zwiſchen Böhmen und der unteren Elbe, im Mittelalter ſo ſchwunghaft, daß Kaiſer Karl IV. hoffen durfte ein großes Elbreich von Prag bis Tangermünde aufzurichten alle die alten fruchtbaren Wechſel - wirkungen zwiſchen dem Nordoſten und dem Südoſten Deutſchlands verfallen gänzlich, und an der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze bildet ſich allmählich eine ſcharfe Völkerſcheide, ein grundtiefer Gegenſatz der Gedanken und Lebens - gewohnheiten. Von den ſeelenvollen Klängen der wiedererwachenden deutſchen Dichtung, von den freien Reden unſerer jungen Wiſſenſchaft drang kaum ein Laut in dieſe abgeſchiedene Welt. Während die deutſche Jugend um die Leiden des jungen Werther weinte und mit dem Räuber Moor auf die Thatenarmuth des tintenkleckſenden Seculums zürnte, ergötzte ſich das luſtige Wien an den platten Zerrbildern der Blumauer - ſchen Aeneide. Allein die Werke der großen Tonſetzer Oeſterreichs be - kundeten, daß die ſchöpferiſche Macht des deutſchen Geiſtes noch nicht ganz erloſchen war in der ſchönen Heimath Walthers von der Vogelweide. 12I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Erſt im neunzehnten Jahrhundert ſollte das zertretene Deutſchthum der Südoſtmarken wieder die Kraft finden allen Arbeiten der modernen deutſchen Cultur mit lebendigem Verſtändniß zu folgen.

Dergeſtalt hat die Politik der katholiſchen Glaubenseinheit die Donau - lande auf lange hinaus unſerem Volke entfremdet. Sie zerſpaltete das alte Reich, ſie ſchuf den vielbeklagten deutſchen Dualismus; ſo lange die Deutſchen ſich nicht ſelber aufgaben, durften ſie auch den Widerſtand gegen die Fremdherrſchaft der Habsburger nicht aufgeben. Das Haus Oeſterreich war im Verlaufe der Jahrhunderte mit der römiſchen Kaiſer - krone ſo feſt verwachſen, daß die Volksmeinung Beide kaum noch zu trennen wußte; der einzige Nicht-Oeſterreicher, der während dieſer letzten Jahrhunderte den deutſchen Thron beſtieg, Karl VII., erſchien den Zeit - genoſſen wie ein Gegenkaiſer. Eine tiefe innere Verwandtſchaft verband das entdeutſchte Kaiſerthum mit ſeinem alten Gegner, dem heiligen Stuhle. Die Wiener Politik zeigt wie die römiſche jenen Charakterzug heuchleriſcher Salbung, welcher die Theokratie zur unſittlichſten aller Staatsformen macht. In Wien wie in Rom die gleiche Unfähigkeit, das Recht des Gegners zu verſtehen. Alle Habsburger, die heitere Liebens - würdigkeit Maria Thereſias ſo gut wie der ſtumpfſinnige Hochmuth Leopolds I., ertragen die Schläge des Schickſals in dem zuverſichtlichen Glauben, daß ihr Haus dem Herzen Gottes am nächſten ſtehe und nur böſe, gottloſe Menſchen das fromme Erzhaus zu bekämpfen wagen. Hier wie dort dieſelbe ſtarre Unbeweglichkeit in allen Stürmen der Jahrhun - derte: jeder ſchmähliche Friede, den die lebendigen Mächte der Geſchichte dem alten Kaiſerhauſe auferlegen, wird von den Habsburgern unterzeichnet mit dem ſtillen Vorbehalt, daß zur rechten Stunde die unveräußerlichen Rechte kaiſerlicher Vollgewalt wieder in Kraft treten ſollen. Hier wie dort dieſelbe Dreiſtigkeit theokratiſcher Mythenbildung und Rechtsverdrehung. Indem Maria Thereſia ſich wider den rechtmäßigen Kaiſer Karl VII. empört, trägt ſie ſelber die ſittliche Entrüſtung der beleidigten kaiſerlichen Majeſtät zur Schau; als König Friedrich ſodann ihrem drohenden An - griffe zuvor kommt, da ſchwingt ihr Gemahl, der als ſchlichter Privatmann an ihrem Hofe lebt, das kaiſerliche Scepter und verurtheilt den Feind der Königin von Ungarn als Rebellen gegen Kaiſer und Reich; unbe - fangen, als verſtände ſich’s von ſelber, nimmt nachher das kleine Haus Lothringen alle die herriſchen Anſprüche des alten Kaiſergeſchlechtes wieder auf, und wie die Päpſte von dem Throne des Apoſtelfürſten fabeln, ſo gebärden ſich die Lothringer, als ſeien die Habsburger niemals ausge - ſtorben. In Wien wie in Rom derſelbe hoffärtig träge Kaltſinn gegen das Wohl des eigenen Volkes: ſobald die Glaubenseinheit feſt begründet und der ſchweigende Gehorſam der Unterthanen geſichert iſt, wird die geſammte Macht Oeſterreichs nach außen gewendet. Alles Leben des Staates geht in der europäiſchen Politik auf, im Innern wird gar nicht13Das neue Oeſterreich.regiert, die alte ſtändiſche Verwaltung ſchleppt ſich gemächlich dahin in ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge - ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlſtandes und der Bildung, an alle jene unſcheinbar großen Aufgaben der inneren Politik, welche einem geſunden weltlichen Staate den beſten Inhalt des Lebens bilden. Jahrhunderte lang hat die Geſchichte Oeſterreichs neben zahl - reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver - waltung aufzuweiſen. Erſt unter Maria Thereſia entſinnt ſich die Krone der nächſten Pflichten der Monarchie.

Indeſſen zeigte jene ſtaatenbildende Kraft der neuen Geſchichte, die überall zur feſten Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem bunten Ländergemiſch der habsburg-burgundiſchen Erbſchaft ihre Wirkſam - keit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erblich dem Hauſe Oeſterreich übertragen. Damit beginnt die Geſchichte der neuen öſterreichiſchen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur - fürſten die neue deutſche Geſchichte. Der Hausbeſitz der Habsburger wird zur geographiſchen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt ſeiner militäriſchen Macht in Ungarns kriegeriſchen Völkern. Starke wirth - ſchaftliche und politiſche Intereſſen verbinden fortan die deutſchen Erb - lande mit dem Völkergewimmel jener ſubgermaniſchen Welt, wo das Deutſchthum nur mühſam ein geiſtiges Uebergewicht behauptet; im Ver - laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entſteht unter den deutſchen, ungariſchen und ſlaviſchen Kampfgenoſſen ein Bewußtſein der Gemeinſchaft. Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oeſterreichs von Deutſch - land. So lange die Paſchas der Osmanen auf der Königsburg von Ofen hauſten, führte Oeſterreich den Markmannenkrieg für die deutſche Geſittung gegen die Barbarei des Oſtens; nur mit Deutſchlands Hilfe, durch das gute Schwert der Märker, der Sachſen, der Baiern gelang die Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche verſank, zerriß auch dies letzte Band gemeinſamer Gefahr, das unſere Nation noch an das Kaiſerthum gekettet hatte. Deutſchland und Oeſter - reich waren nunmehr zwei ſelbſtändige Reiche, allein durch die Formen des Staatsrechts künſtlich verbunden; die Zerſtörung dieſer unwahren Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutſchen Geſchichte.

Schritt für Schritt befeſtigte ſich ſeitdem die Staatseinheit des neuen Oeſterreichs. Die Pragmatiſche Sanction verkündete die Untheilbarkeit des kaiſerlichen Hausbeſitzes. Darauf gab der größte Herrſcher des Habsburger - ſtammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiſerhaus, den Clerus, den Adel und das Herr verbunden geweſen, eine nothdürftige gemeinſame Verfaſſung. Maria Thereſia begründete das Syſtem des öſterreichiſch - ungariſchen Dualismus. Sie ſtellte die böhmiſch-öſterreichiſche Hofkanzlei14I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.als höchſte Behörde über die Kronländer dieſſeits der Leitha, während die Lande der Stephanskrone in ihrem althiſtoriſchen ſtaatsrechtlichen Ver - bande blieben. Alſo ward mit ſicherem Griffe die Form gebildet, welche allein dies an Gegenſätzen überreiche Ländergewirr zuſammenhalten konnte; nach mannichfachen vergeblichen Anläufen zum Einheitsſtaate wie zum Staa - tenbunde iſt die Monarchie ſeitdem immer wieder zu den Gedanken der Kaiſerin zurückgekehrt. Auch die Noth und der Ruhm der thereſianiſchen Tage kräftigten den Beſtand des Staates: durch acht ſchwere Kriegsjahre behauptete die ſtolze Habsburgerin, beharrlich unterſtützt von ihren treuen Völkern, das Erbe ihres Hauſes gegen eine mächtige Coalition; und wie leuchtend auch während des ſiebenjährigen Krieges das Geſtirn König Friedrichs empor ſtieg, die Beſiegten ſelber zur Bewunderung zwingend, das kaiſerliche Heer trug doch die Kränze von Kollin und Hochkirch, freute ſich der Heldengröße ſeines Loudon, ging mit berechtigtem Selbſtgefühl aus dem gewaltigen Kampfe hervor. Lange bevor es ein Kaiſerthum Oeſterreich gab, redete der allgemeine Sprachgebrauch Europas ſchon von dem öſter - reichiſchen Staate und Heere.

Der Beſitz der Stephanskrone gewährte dem Kaiſerhauſe die Mög - lichkeit, in der europäiſchen Politik eine feſte Richtung folgerecht einzuhalten. Der Eroberer Ungarns, Eugen von Savoyen, wies dem Staate die ver - heißende Bahn nach dem Schwarzen Meere; vorzudringen bis zu den Mündungen des Stromes und die ſlaviſch-walachiſchen Völker auf beiden Ufern einer überlegenen Geſittung zu unterwerfen, dies ſchien fortan der natürliche Beruf des Donaureichs. Darum galt das ent - legene Belgien, das den Staat beſtändig in die Händel Weſteuropas zu verwickeln drohte, bald als eine unbequeme Laſt; ſchon zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege begannen die ſeitdem beharrlich wiederkehrenden Ver - ſuche, den unhaltbaren Außenpoſten gegen ein näher gelegenes Gebiet auszutauſchen. Gleichwohl lernte das Kaiſerhaus niemals, in weiſer Selbſtbeſchränkung die geſammelte Kraft des Staates gegen den Südoſten zu wenden. Eine nationale Politik war in dieſem Reiche der Völker - trümmer ohnehin unmöglich; zu keiner Zeit und am Wenigſten in jener Epoche des Abſolutismus hat die öffentliche Meinung auf Oeſterreichs diplomatiſche Haltung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Die europäiſche Stellung des Staates ward jederzeit allein durch das perſönliche Be - lieben ſeiner Herrſcher beſtimmt. Die Macht des Hauſes war einſt gegründet worden durch eine ſchlaue und kühne Familienpolitik, die planlos begehrlich nach allen Seiten hin um ſich griff, ohne nach der Weltſtellung und Eigenart der unterworfenen Länder zu fragen. Die Gedanken dieſer dynaſtiſchen Staatskunſt und die glänzenden Erinnerungen kaiſerlicher Weltherrſchaft bleiben auch in dem neuen Donaureiche noch lange lebendig. Die Hofburg hält ihre Herrſcherſtellung im deutſchen Reiche beharrlich feſt; ſie verſucht zugleich, durch die Eroberung Baierns15Die kaiſerliche Partei.die vorderöſterreichiſchen Beſitzungen am Rheine mit den Kernlanden der Monarchie zu verbinden; ſeit Karl VI. nimmt ſie auch die italieniſche Politik der ſpaniſchen Habsburger wieder auf und ſtrebt jenſeits der Alpen die Oberhand zu behaupten; dazwiſchen hinein ſpielen in raſchem Wechſel kecke Anſchläge gegen Polen und die Osmanen: ein Uebermaß unſteter Herrſchſucht, das den mächtigen Staat von einer Niederlage zur andern führt.

Alſo ſtand die kaiſerliche Macht der proteſtantiſch-deutſchen Bildung feindſelig, den europäiſchen Aufgaben der deutſchen Politik gleichgiltig, den Handelsintereſſen unſerer Küſten mit binnenländiſcher Beſchränktheit gegen - über. Die Habsburg-Lothringer konnten in den unklaren Befugniſſen des Kaiſerthums nur ein willkommenes Mittel ſehen um die gewaltige kriegeriſche Kraft deutſcher Nation auszubeuten für die Zwecke des Hauſes Oeſterreich, die Machtfragen dieſer Hauspolitik zu entſcheiden durch den Mißbrauch der Formen des Reichsrechts. Die altehrwürdige kaiſerliche Gerichtsbarkeit ward ein Tummelplatz für rabuliſtiſche Künſte, Deutſchlands auswärtige Politik ein unberechenbares Spiel. Das Reich, von der Hofburg bald fremden Angriffen preisgegeben, bald in undeutſche Händel hineingezogen, mußte regelmäßig den Preis für Oeſterreichs Niederlagen zahlen. Holland und die Schweiz, Schleswigholſtein, Pommern und das Ordensland, Elſaß und Lothringen gingen weſentlich durch die Schuld der Habsburger dem Reiche verloren: unerſetzliche Verluſte, minder ſchmachvoll für jene halbfremde Macht, welche die Kaiſerpflicht mit den Intereſſen ihres Hauſes nicht vereinigen konnte, als für die deutſche Nation, die nach ſolchem Unſegen der Fremdherrſchaft nimmer den Willen fand das Löwenbündniß mit Oeſterreich zu zerreißen.

Das Kaiſerthum wurzelte in einer überwundenen Vergangenheit und fand darum ſeinen natürlichen Gegner in dem erſtarkenden weltlichen Fürſtenthum, ſeine Anhänger unter den verfaulten und verkommenen Gliedern des Reichs. Das ſtiftiſche Deutſchland bildete den Kern der öſterreichiſchen Partei: jene reichgeſegneten geiſtlichen Gebiete, die, durch die Siege der Gegenreformation der römiſchen Kirche zurückgegeben, nunmehr unter der weichen Herrſchaft des Krummſtabs, im Behagen der Vetterſchaft und der Sinnlichkeit ein bequemes Stillleben führten. Sie konnten, rings umklammert und durchſchnitten von evangeliſchen Gebieten, dem Leben der Nation nicht ſo gänzlich entfremdet werden wie die kaiſerlichen Erblande; mancher milde und gelehrte Kirchenfürſt kam den Ideen des Zeitalters der Aufklärung freudig entgegen. Doch die politiſche Lebens - kraft der geiſtlichen Staaten blieb unrettbar verloren, und der Gedanken - arbeit des neuen Jahrhunderts ſtand die Maſſe des Volkes in Köln, Mainz und Trier ſo fern, daß ſpäterhin der Verluſt des linken Rhein - ufers dem geiſtigen Leben Deutſchlands kaum eine fühlbare Wunde ſchlug. Zum Kaiſer hielt desgleichen der mächtige katholiſche Adel, der in ſeinen16I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürſtenſtühle des Reichs verfügte, in den Dienſten des adelsfreundlichen Erzhauſes bequeme Verſorgung für ſeine Söhne fand. Auch die Landſtände der weltlichen Fürſtenthümer riefen die Hilfe des Kaiſers an, wenn ſie ihre habenden Freiheiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten. Der katholiſchen Mehrheit ſicher ſchaute die Hofburg gemächlich zu, wie die Parteien im Reiche ſich an einander zerrieben, das gegenſeitige Miß - trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erſtickte, jede dem Kaiſerthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürſten vor dem Erzhauſe, der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter auf die zahlreichen fürſtlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden und Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, ſicherten dem Kaiſerhauſe auch an den proteſtantiſchen Höfen jederzeit einen ſtarken Anhang; mancher fürſtliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel eines kaiſerlichen Miniſters und damit den Auftrag, die Sache Oeſterreichs an ſeinem Hofe zu vertreten. Die Kaiſerwürde, werthlos in der Hand eines kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannichfache Handhaben, den hohen Adel deutſcher Nation mittelbar zu beherrſchen; und dieſer mächtige Einfluß ſtand einem Fürſtenhauſe zu, das weder gewillt noch im Stande war, ſich den Geſetzen des Reichs, den Pflichten deutſcher Politik zu fügen. Ein gewandter Parteigänger des kaiſerlichen Hauſes, der Freiherr von Gemmingen, ſchrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung kurzab: Das Haus Oeſterreich kann nur das Oberhaupt oder der Feind des deutſchen Reiches ſein.

Neben dieſen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienenden monarchiſchen Gewalt enthielt die Reichsverfaſſung noch die Anfänge einer bündiſchen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachſen, Eitelfritz von Zollern an der Spitze unſeres Fürſtenſtandes den kühnen Verſuch gewagt hatten, das deutſche Gemeinweſen in einen kräftigen Bundesſtaat zu verwandeln. Von daher ſtammten die Kreisordnung und der von den Reichsſtänden beſetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber wie der Kaiſer die Wirkſamkeit dieſes ſtändiſchen Tribunals durch die con - currirende Gewalt ſeines monarchiſchen Reichshofraths beſtändig ſchwächte, ſo gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürſten, ihre Gebiete der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben, Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Biſchöfen und Reichsrittern, Fürſten und Reichsſtädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge durcheinander hauſte, genügte das Anſehen der Kreisoberſten und der Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht zu halten und die winzigen Contingente der Reichsſtände zu größeren Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Oſten hatte die Kreis -17Foederalismus und Territorialismus.ordnung niemals feſten Boden gewonnen. Hier waren die geiſtlichen Gebiete ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden faſt gänzlich vernichtet, die mächtigen weltlichen Fürſten meinten ſich ſelber zu genügen. Wie aus einer hellen modernen Welt blickte der Norddeutſche hochmüthig hinüber nach jenem bunten Gewirr der Kleinſtaaterei im Südweſten, das er ſpottend das Reich nannte. Was noch jung und ſtark war im alten Deutſchland, ſtrebte aus den beengenden Formen der Reichsver - faſſung hinaus.

Der Particularismus des weltlichen Fürſtenthums blieb doch die lebendigſte politiſche Kraft im Reiche. Das heilige Reich war in der That, wie Friedrich der Große es nannte, die erlauchte Republik deutſcher Fürſten. Seine Stände beſaßen ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das Recht der Bündniſſe und die Landeshoheit in geiſtlichen wie in weltlichen Dingen, eine unabhängige Staatsgewalt, die nur noch des Namens der Souveränität entbehrte. Sie trotzte der Reichsgewalt, wie das Leben dem Tode trotzt. Keiner der auf den Trümmern der alten Stammesherzogthümer emporgewachſenen weltlichen Staaten umfaßte ein abgerundetes Gebiet, keiner einen ſelbſtändigen deutſchen Stamm; ſie dankten alleſammt ihr Daſein einer dynaſtiſchen Staatskunſt, die durch Krieg und Heirath, durch Kauf und Tauſch, durch Verdienſt und Verrath einzelne Fetzen des zer - riſſenen Reiches zuſammenzuraffen und feſtzuhalten verſtand. Dieſe Hauspolitik ergab ſich nothwendig aus der Reichsverfaſſung ſelber. Die Nation war mediatiſirt, nur die Herrengeſchlechter galten als Reichs - unmittelbare; auf dem Reichstage waren nicht die Staaten, ſondern die Fürſtenhäuſer vertreten; das Glaubensbekenntniß des fürſtlichen Hauſes, nicht des Volkes, entſchied über die Frage, ob ein Reichsſtand den Evan - geliſchen oder den Katholiken zuzuzählen ſei; kurz, das Reichsrecht kannte keine Staaten, ſondern nur Land und Leute fürſtlicher Häuſer. Die Wechſelfälle einer wirrenreichen Geſchichte hatten die Grenzen der Terri - torien beharrlich durch einander geſchoben, jede Achtung vor dem Be - ſitzſtande der Genoſſen, jeden eidgenöſſiſchen Rechtsſinn im deutſchen Fürſtenſtande ertödet. Begehrlich ſah der Nachbar auf des Nachbars Land, ſtets bereit mit fremder Hilfe den Landsmann zu überwältigen. Die Ländergier und der Dynaſtenſtolz der großen Fürſtengeſchlechter be - drohten das Reich mit gänzlichem Zerfalle. Längſt ſtrebten Sachſen und Baiern nach der Königskrone; Kurpfalz hoffte ſeine niederrheiniſchen Lande zu einem Königreich bei Rhein zu erheben und alſo der Oberhoheit des Reiches ledig zu werden.

Gleichwohl lag in dem Leben dieſer weltlichen Fürſtenthümer nahezu Alles umſchloſſen, was noch deutſche Politik heißen konnte. Es bleibt der hiſtoriſche Ruhm unſeres hohen Adels, daß Deutſchlands Fürſten die der nationalen Monarchie entriſſene Macht nicht wie die polniſchen Magnaten allein verwendeten, um die Pracht und den Glanz ihresTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 218I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Hauſes zu mehren, ſondern ſich redlich bemühten in ihren engen Gebieten die politiſchen Pflichten zu erfüllen, denen das Reich ſich verſagte. Das Kaiſerhaus lebte ſeinen europäiſchen Plänen, der Reichstag haderte um leere Formen; in den Territorien wurde regiert. Hier allein fanden das Recht, der Wohlſtand, die Bildung des deutſchen Volkes Schutz und Pflege. Unſere Fürſten hatten einſt das Kleinod deutſcher Geiſtesfreiheit gerettet im Kampfe gegen das Haus Habsburg. In der langen matten Friedenszeit nachher blühte jene treufleißige Kurfürſtenpolitik, die, jedes großen Gedankens baar, ängſtlich zurückſchreckend vor den geſchwinden Händeln der europäiſchen Kämpfe, ihre wohlwollende Sorgfalt allein dem Gedeihen des eignen Ländchens widmete. Die durch wunderliche Glücksfälle zuſammengewürfelten Ländertrümmer verwuchſen nach und nach zu einer kümmerlichen politiſchen Gemeinſchaft. Die Territorien wurden zu Staaten. In der Enge ihres Sonderlebens bildete ſich ein neuer Particularismus. Der Kurſachſe, der Kurpfälzer, der Braunſchweig - Lüneburger hing mit feſter Treue an dem angeſtammten Fürſtenhauſe, das ſo lange Freud und Leid mit ſeinem Völkchen getheilt. In der Hand der landesfürſtlichen Obrigkeit lag ſein und ſeiner Kinder Glück; das große Vaterland ward ihm zu einer dunkeln Sage. Nach dem dreißigjährigen Kriege waren es wieder die Landesherren, nicht Kaiſer und Reich, die dem Bürger und Bauern halfen ſeine verwüſteten Wohn - plätze aufzubauen, kärgliche Trümmer des alten Wohlſtandes aus der großen Zerſtörung zu retten; ihrem Karl Ludwig dankte die Pfalz die Wiederkehr froherer Tage. Dies weltliche Fürſtenthum, das mit ſeiner dreiſten Selbſtſucht jedes Band nationaler Gemeinſchaft zu zerſprengen drohte, ſtand doch rührig und wirkſam mitten im Leben der Nation. War ein Neubau des deutſchen Geſammtſtaates noch möglich, ſo konnte er nur auf dem Boden dieſer Territorialgewalten ſich erheben.

In ſolchem Chaos von Widerſprüchen hatte jede Inſtitution des Reichs ihren Sinn, jedes Recht ſeine Sicherheit verloren. Der Mehrer des Reichs mehrte ſeine Hausmacht zu Deutſchlands Schaden. Das ehr - würdige Amt des Reichskanzlers in Germanien, der vormals der natürliche Führer der Nation in allen ihren Verfaſſungskämpfen geweſen, ward in den Händen des Mainzer Erzbiſchofs nach und nach ein gefügiges Werk - zeug öſterreichiſch-katholiſcher Parteipolitik. Die Wahlcapitulation, vor Zeiten beſtimmt den dynaſtiſchen Mißbrauch der kaiſerlichen Gewalt zu verhindern, diente jetzt die dynaſtiſche Willkür der Landesherren von jedem Zwange zu entfeſſeln. Der Reichstag hatte ſich gleich den Generalſtaaten der Niederlande aus einer Ständeverſammlung thatſächlich in einen Bundestag verwandelt und vermochte doch niemals, wie jene, ein geſundes bündiſches Leben auszubilden. Ueberall widerſprachen die Formen des Rechtes den lebendigen Mächten der Geſchichte. Die Reichsverfaſſung legte das Recht der Mehrheit in die Hand der ſchwächſten Stände; ſie zwang19Die Lüge des Reichsrechts.die Mächtigen zu dem trotzigen Bekenntniß: was dem Reiche zugeht wird unſerer Freiheit genommen. Ein dichter Nebel von Phraſen und Lügen lag über den gothiſchen Zinken und Zacken des alten Reichsbaues; in keinem Staate der modernen Welt iſt ſo beharrlich und feierlich von Amtswegen gelogen worden. Die frommen reichsväterlichen Vermahnun - gen der entdeutſchten kaiſerlichen Majeſtät, die inbrünſtigen reichspatrio - tiſchen Betheuerungen der mit dem Auslande verſchworenen Reichsſtände, die prahleriſchen Reden von deutſcher Libertät und dem ungebeugten Nacken der Nation, Alles, Alles in dieſem Regensburger Treiben erſcheint dem redlichen Sinne als eine grobe Unwahrheit.

Seit jenen müden Tagen nach dem Augsburger Frieden, die den alten deutſchen Stolz in zagen Philiſterſinn verwandelten, kam in unſerem Volke die kleinmüthige Neigung auf, nach Troſtgründen zu ſuchen für das Unleid - liche und Schmachvolle; die deutſche Geduld ließ ſichs nicht nehmen, ſelbſt den Aberwitz dieſer Reichsverfaſſung wiſſenſchaftlich zu erklären und zu rechtfertigen. Vergeblich erhob Samuel Pufendorf ſeine mahnende Stimme und ſchilderte das Reich wie es war, als ein politiſches Ungeheuer. Da die Leidenſchaft der Glaubenskriege allgemach verrauchte und die Unwahr - heit der theokratiſchen Reichsformen im täglichen Leben wenig mehr empfunden wurde, ſo ließ ſich die zünftige Rechtsgelahrtheit in ihrer unterthänigen Ruheſeligkeit nicht ſtören. Noch immer verſicherten einzelne Cäſarianer aus Reinkingks Schule, das heilige Reich ſei eine Monarchie und ſein Kaiſer der rechtmäßige Nachfolger des Divus Auguſtus. Andere prieſen die Ohnmacht des Reichs und die Zuchtloſigkeit ſeiner Glieder als das Palladium deutſcher Freiheit. Die Meiſten fanden in dem beglückten Deutſchland das Idealbild des gemiſchten Staates verwirklicht, der alle Vorzüge anderer Staatsformen in ſich vereinigen ſollte. Selbſt ein Leibnitz vermochte dem Bannkreiſe dieſer wiſſenſchaftlichen Traumwelt nicht zu entfliehen.

Die Fäulniß eines ſolchen Staatslebens begann bereits den recht - ſchaffenen Gradſinn des Volkscharakters zu zerſtören. Ein Menſchenalter voll namenloſer Leiden hatte den bürgerlichen Muth gebrochen, den kleinen Mann gewöhnt vor dem Mächtigen zu kriechen. Unſere freimüthige Sprache lernte in allerunterthänigſter Ergebenheit zu erſterben und bildete ſich jenen überreichen Wortſchatz von verſchnörkelten knechtiſchen Redensarten, den ſie noch heute nicht gänzlich abgeſchüttelt hat. Die gewiſſenloſe Staats - räſon des Jahrhunderts vergiftete auch den bürgerlichen Verkehr. Das geldgierige Geſchlecht warb, wetteifernd in Beſtechung und Ränkeſpiel, um die Gnade der Großen; kaum daß ſich noch in der Stille des häuslichen Lebens ein Hauch treuherziger Gemüthlichkeit verſpüren ließ. Der Edel - mann ſtrebte die Herrſchaft, die er in den Landtagen gegen die aufſteigende Monarchie nicht mehr behaupten konnte, durch höfiſchen Einfluß und durch die Mißhandlung des Landvolks von Neuem zu befeſtigen; niemals in2*20I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.unſerer Geſchichte war der Adel mächtiger, niemals ſchädlicher für das Leben der Nation. Der Fürſtenſtand vergaß ſeine alte landesväterliche Sorgſam - keit, ſeit das gleißende Vorbild des bourboniſchen Königthums den kleinen Herren den Sinn bethörte. Die größeren Höfe mißbrauchen das neu erwor - bene Recht der Bündniſſe, drängen ſich vorlaut, vielgeſchäftig ein in die Händel der europäiſchen Mächte, bilden glänzende Armeen mit Marſchällen und Generalen, und glücklich wer einen Admiral zu halten vermag wie der pfälziſche Kurfürſt auf ſeinen Rhein-Zollſchiffen. Alle, die großen wie die kleinen, wetteifern in prahleriſcher Pracht mit dem großen Ludwig; das ärmſte Land Weſteuropas überſtrahlt bald alle Nachbarn durch die Unzahl ſeiner prunkenden Fürſtenſchlöſſer. Kein Reichsgraf, der ſich nicht ſein Ver - ſailles, ſein Trianon erbaute; im Schloßgarten von Weikersheim bewachen die Standbilder der Welteroberer Ninus, Cyrus, Alexander und Caeſar den Eingang zu dem Herrſcherſitze des Hohenlohiſchen Reichs. Der deutſche Kleinfürſt fand weder in dem Pflichtgefühle der Monarchie noch in der Standesgeſinnung eines politiſchen Adels einen ſittlichen Halt; Mancher empfand voll Unmuth den Fluch eines zwecklos leeren Daſeins, Mancher vertobte ſeine Kraft in frecher Unzucht und grauſamen Sultanslaunen.

Für ein Zuſammenwirken des Adels mit dem Bürgerthum, für ein engliſches Unterhaus bot der alte deutſche Staat keinen Raum. Der Städtebund der Hanſa war zerfallen ſeit die geeinte nationale Macht der Völker des Weſtens die beiden Indien erobert hatte; jene glorreiche Flagge, die im Mittelalter auf allen nordiſchen Meeren herrſchte, ließ ſich kaum mehr blicken in dem neuen transatlantiſchen Verkehre. Die Nation ward dem Meere ſo fremd, wie ihr Kaiſerhaus. Unter allen Schriftſtellern unſeres achtzehnten Jahrhunderts iſt nur Einer, der Seeluft geathmet hat und die befreiende Macht des völkerverbindenden Handels zu ſchätzen weiß: Juſtus Möſer. Wie ein Hohn klang in der ſtockigen Luft dieſes binnen - ländiſchen Stilllebens der frohe Schifferſpruch, der noch am Hauſe Seefahrt in Bremen zu leſen ſtand: navigare necesse est, vivere non necesse. Engliſche und holländiſche Schiffe führten die Waaren der Colonien zur Elbe und den Rhein hinauf; faſt allein mit ſeiner Leinwand und ſeinen Metallwaaren beſchickte der deutſche Gewerbefleiß noch den Weltmarkt. Keine der altberühmten Städte des Reichs vermochte ihre hiſtoriſche Größe zu behaupten; die Trave verödete, der oberländiſche Handel verfiel, die Lübecker Baugeſchichte endete mit der Gothik, die Augsburger mit dem Zeitalter der Renaiſſance. Nur an einigen jüngeren Handelsplätzen, in Hamburg und Leipzig, ſammelte ſich wieder langſam ein neuer Verkehr. Die alten Reichsſtädte verſchloſſen ſich ſtill hinter ihren Wällen, ängſtlich das Stadtrecht und den Zunftbrauch hütend, kleinlaut auf den Reichstagen, voll Mißtrauens gegen die ausgreifende Gewalt der fürſtlichen Nachbarn ringsum; aus langen Jahrzehnten meldet kaum eine dürftige Kunde, daß dieſe ſtolzen Communen noch lebten. Und da auch in dem bedienten -21Wehrloſigkeit des Reichs.haften Treiben der neuen Reſidenzen der Bürgerſtolz nicht gedeihen wollte, ſo wurde das Land, deſſen hanſiſche Helden einſt die Königskronen Skan - dinaviens verſchenkten, zum claſſiſchen Boden kleinſtädtiſcher Armſeligkeit. Deutſchland bot das in aller Geſchichte unerhörte Schauſpiel eines alten Volkes ohne eine Großſtadt. Nirgends ein Brennpunkt des nationalen Lebens, wie ihn die Nachbarvölker in London, Paris und Madrid, ja ſelbſt in Kopenhagen, Stockholm und Amſterdam beſaßen. Nirgends eine Stelle, wo die Parteikämpfe eines politiſchen Adels mit der Bildung und dem Reichthum eines ſelbſtbewußten Bürgerthums befruchtet und be - fruchtend ſich berührten. Alle Kräfte der Nation ſtreben in unendlicher Zerplitterung auseinander, in tauſend Rinnſalen verſiegend gleich dem deutſchen Strome: jeder Stand, jede Stadt, jede Landſchaft eine Welt für ſich ſelber.

Die ganze Schmach dieſer Zerſplitterung zeigte ſich in der Wehr - loſigkeit des Reichs. In den Zeiten ſeiner Größe hatte Deutſchland ſeine gefährdete Oſtgrenze mit dem eiſernen Gürtel der kriegsbereiten Marken umſchloſſen. Jetzt, da beſtändig vom Weſten her der Angriff drohte, lagen dicht vor Frankreichs begehrlichen Händen die ſchwächſten, die waffenloſen Glieder des Reichs. Die lange Pfaffengaſſe des Rheines entlang erſtreckte ſich von Münſter und Osnabrück bis nach Conſtanz hinauf ein Gewirr winziger Staaten, unfähig zu jeder ernſthaften Kriegs - rüſtung, durch das Gefühl der Ohnmacht zum Landesverrathe gezwungen. Faſt alle rheiniſchen Höfe bezogen Penſionen aus Verſailles; der erſte Rheinbund von 1658 ward von begeiſterten Reichspatrioten als ein rühmliches Unternehmen zum Schutze deutſcher Freiheit geprieſen. Ein Gebiet von faſt dreitauſend ſechshundert Geviertmeilen gehörte ſolchen Kleinſtaaten, deren keiner mehr als 130 Geviertmeilen umfaßte; der Volkswitz verhöhnte die ſtrümpfeſtrickenden Kölniſchen Stadtſoldaten und das grimmige Kriegsvolk des Biſchofs von Hildesheim, das auf ſeinen Hüten die Inſchrift trug: Gieb Frieden, Herr, in unſern Tagen! Dies reichſte Drittel Deutſchlands diente in den Kriegen des Reiches nur als todte Laſt. Es bleibt ein glänzendes Zeugniß für die deutſche Tapfer - keit, daß die Nation nach ſolcher Selbſtverſtümmelung von den Heeren Frankreichs und Schwedens nicht gänzlich überwältigt wurde. Die Ge - ſammtheit des Reichs galt kaum noch als eine Macht zweiten Ranges, während ſeine mächtigeren Glieder längſt ſchon ſelbſtändig auf der freien Bühne der europäiſchen Politik ſich bewegten.

Die Reichsverfaſſung erſcheint wie ein wohldurchdachtes Syſtem, erſonnen um die gewaltigen Kräfte des waffenfroheſten der Völker künſtlich niederzudrücken. In der That wurde der unnatürliche Zuſtand nur durch die Wachſamkeit des geſammten Welttheils aufrecht erhalten. Das heilige Reich blieb durch ſeine Schwäche, wie einſt durch ſeine Stärke, der Mittelpunkt und die Grundlage des europäiſchen Staatenſyſtems. 22I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Auf der Ohnmacht Deutſchlands und Italiens ruhte die neue Macht - ſtellung von Oeſterreich und Frankreich, von Schweden, Dänemark und Polen, wie die Seeherrſchaft der Briten und die Unabhängigkeit der Schweiz und der Niederlande. Eine ſtille Verſchwörung des geſammten Auslandes hielt die Mitte des Feſtlands gebunden. Die Fremden lachten der querelles allemandes und der misère allemande; der Franzoſe Bouhours ſtellte die höhniſche Frage: ob es möglich ſei, daß ein Deutſcher Geiſt haben könne? Niemals früher war die Nation von den Nachbarn ſo tief verachtet worden; nur den alten Ruhm deutſcher Waffentüchtigkeit wagte man nicht zu beſtreiten. Der politiſche Zuſtand aber, der dies ſchmähliche Sinken des deutſchen Anſehens verſchuldete, ward überall in der Welt als die feſte Bürgſchaft des europäiſchen Friedens geprieſen; und dies Volk, das vormals durch ſeinen Hochmuth ſo übel berüchtigt geweſen wie heute die Briten, ſprach gelehrig nach, was die Eiferſucht der Nachbarn erfand, gewöhnte ſich das Vaterland mit den Augen der Fremden zu betrachten. Die deutſche Staatswiſſenſchaft des achtzehnten Jahrhunderts bereichert die alten Wahnbegriffe von deutſcher Freiheit noch durch das neue Schlagwort der Freiheit Europas. Alle unſere Publiciſten bis herab auf Pütter und Johannes Müller warnen die friedliebende Welt vor der verderblichen Macht der deutſchen Einheit und ſchließen das Lob des heiligen Reichs mit der inbrünſtigen Mahnung: wehe der Freiheit des Welttheils, wenn die hunderttauſende deutſcher Bajonette jemals Einem Herrſcher gehorchten!

Eine unerforſchlich weiſe Waltung züchtigt die Völker durch dieſelben Gaben, welche ſie einſt frevelhaft mißbrauchten. Die Weltſtellung, die angeborene Eigenart und der Gang der Geſchichte gaben unſerem Volke von früh auf einen Zug vielſeitiger weltbürgerlicher Weitherzigkeit. Die deutſche Nation beſaß ein natürliches Verſtändniß für die romaniſche Welt: war doch einſt das romaniſche Volksthum durch deutſche Eroberer auf den Trümmern der römiſchen Geſittung begründet worden; ſie war den Briten wie dem ſkandinaviſchen Norden blutsverwandt, mit den Slaven von Alters her durch Krieg und Handel wohlvertraut; im Mittel - alter hatte ſie als ein Volk der Mitte vom Süden und Weſten her Cultur empfangen, dem Norden und Oſten Cultur gegeben. So wurde ſie das weltbürgerlichſte der Völker, empfänglicher noch für fremdes Weſen als ihre Schickſalsgenoſſen, die Italiener. Der Drang in die Ferne ward uns zum Verhängniß, in ihm lag die Schuld und die Größe des deutſchen Lebens. Auf die Jahrhunderte der deutſchen Weltherrſchaftspläne folgte nunmehr eine Zeit des leidenden Weltbürgerthums. Das Volk der Mitte empfing die Befehle aller Welt. Sämmtliche mächtige Fürſten des Welttheils gehörten als Reichsſtände oder als Friedensbürgen dem deutſchen Reiche an und meiſterten ſein Leben. Die Nation aber lebte ſich ein in die Fremdherrſchaft, hing mit deutſcher Treue an den Fahnen des Aus -23Deutſches Weltbürgerthum.lands. Der partikulariſtiſche Dünkel, die Ueberhebung des Nachbarn über den nachbarlichen Stammgenoſſen trat nirgends trotziger auf als in den deutſchen Provinzen ausländiſcher Fürſten. Mit Stolz pries der Holſte ſeinen Danebrog; der Stralſunder freute ſich des Schlachtenruhmes der drei Kronen und bemitleidete den brandenburgiſchen Pommern, deſſen Landesherr nur einen deutſchen Kurhut trug; die Nachkommen der Er - oberer des Weichſellandes, die ſtolzen Geſchlechter der Hutten, Oppen, Roſenberg nahmen polniſche Namen an und ſpotteten, froh der ſarmatiſchen Adelsfreiheit, über den märkiſchen Despotismus im Herzogthum Preußen.

Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unverſieglich die alte abenteuernde Wanderluſt. Ungezählte Schaaren deutſcher Reisläufer ſtrömen in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, ſolange das Söldnerweſen blüht. Deutſche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde Europas, vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Inſel. Die Fahnen Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder undeutſche kaiſerliche Dienſt gelten für adlicher als das öde Einerlei des heimiſchen Garniſonlebens; auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutſche Degenknopf ſeine Söhne, dem Wappenſchilde des Hauſes Ruhm und Reichthum zu erwerben im Dienſte fremder Kronen. Die deutſchen Regimenter Bernhards von Weimar bildeten den Kern jener unüberwind - lichen Heere, welche Turenne und Condé zum Siege führten; nur in deutſcher Schule lernten die Nachbarn uns zu ſchlagen. Und dazu die lange Reihe deutſcher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der Fremde: kraftvolle Wildlinge vom deutſchen Stamme und alleſammt ver - loren für das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anblick: dieſe titaniſche Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede Darſtellung unſerer Geſchichte bleibt Stückwerk, wenn ſie dies über die weite Welt verzweigte Wirken deutſchen Geiſtes und deutſcher Waffen nicht würdigt. Um dieſelbe Zeit, da Frankreich die Weſtmarken des heiligen Reiches eroberte, ſchuf Peter der Große durch deutſche Kräfte den neuen ruſſiſchen Staat. Auch die Fürſtenhäuſer wurden von dem nationalen Wandertriebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutſche Hof trachtete nach fremden Thronen, und das Kaiſerhaus begünſtigte dies Beſtreben um läſtige Nebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich fielen alle Kronen Europas, allein Piemont und die bourboniſchen Staaten aus - genommen, in die Hände deutſcher Fürſtengeſchlechter; aber dieſe glänzende Herrenſtellung unſeres hohen Adels verſtärkte nur das Gewicht der cen - trifugalen Kräfte im Reiche, kettete den deutſchen Staat nur um ſo feſter an den Willen des Auslands.

Ueber dieſem verrotteten Gemeinweſen lag der Zauber einer tauſend - jährigen Geſchichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband das Heute mit dem Geſtern. Der Kenner der Reichsgeſchichte war zugleich ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge24I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Juriſt Wolfgang Goethe ſich aus Datt’s Folianten gewiſſenhaft über Land - frieden und Reichskammergericht unterrichtete, ſo ſah er die biderbe Geſtalt des Ritters Götz von Berlichingen leibhaftig auf dem Armenſünderbänkchen ſitzen. Die Reichsverfaſſung blieb immerhin das einzige Band politiſcher Einheit für dies zerriſſene Volk. Noch im Jahre ihres Unterganges ſchrieb der Hamburger Publiciſt Gaspari: Nur durch den Kaiſer ſind wir frei, ohne ihn ſind wir gar keine Deutſche mehr. Aus ihren ſchwerfälligen Formen ſprach noch immer jener altgermaniſche Staats - gedanke, der ſchon in den Anfängen unſerer Geſchichte den ſittlichen Ernſt und den Freiheitsmuth der Deutſchen bekundet hatte: die Reichsgewalt war die Schirmerin des gemeinen Friedens und darum ehrwürdig ſelbſt im Verfalle. Das Bewußtſein ſeiner Einheit konnte dem Volke niemals gänzlich verloren gehen, ſo lange noch das gemeine Recht beſtand und der rechtsbildende Gemeingeiſt der Nation in der Arbeit der Rechtswiſſen - ſchaft wie der Gerichte ſich bekundete; auch als das gemeine Recht nach und nach von partikulariſtiſchen Rechtsbildungen überwuchert wurde, blieb die nationale Form der Rechtsſprechung aufrecht, das Reich ſicherte der Nation die Unabhängigkeit und Ständigkeit der Richterämter. Auf dem Rechte des Kaiſers ruhte zuletzt jedes Recht im Reiche; wer der kaiſerlichen Majeſtät widerſtand, verlor den Boden unter den Füßen. Halte ich zum Kaiſer, ſo bleibe ich und mein Sohn immer noch Kurfürſt! mit ſolchen Worten hatte einſt der zaudernde Georg Wilhelm von Branden - burg die Anträge Guſtav Adolfs zurückgewieſen. Dieſelbe Erwägung hemmte noch im folgenden Jahrhundert jeden tapferen Entſchluß, ſobald ein revolutionärer Wille ſich anſchickte neue Wege zu bahnen durch die wuchernde Wildniß dieſes naturwüchſigen und doch ſo unnatürlichen Reichsrechts. Die Politik des Auslandes und des Hauſes Oeſterreich, die Selbſtſucht der kleinen Höfe und die Eiferſucht Jedes gegen Jeden, das Gleichgewicht der politiſchen Kräfte wie die Intereſſen einer dem Untergange zueilenden Geſellſchaftsordnung, das Weltbürgerthum und die Träume von deutſcher Freiheit, Rechtsgefühl und uralte Gewöhnung, die Macht der Trägheit und die deutſche Treue, Alles vereinigte ſich die beſtehende Unordnung aufrecht zu erhalten. Um die Mitte des acht - zehnten Jahrhunderts ſchien das heilige Reich, nach der Meinung aller Welt, noch einer unabſehbaren Zukunft ſicher.

Auf dem Boden dieſes Reichsrechts und ſeiner territorialen Staats - gebilde, und doch in ſcharfem Gegenſatze zu Beiden iſt der preußiſche Staat entſtanden. Die zähe Willenskraft der norddeutſchen Stämme war dem weicheren und reicheren oberdeutſchen Volksthum in der Kraft der Staatenbildung von Altersher überlegen. Nur ſo lange der Sach -25Anfänge Brandenburgs.ſenſtamm die Krone trug blieb die deutſche Monarchie ein lebendiges Königthum; ihre Macht zerfiel unter den Händen der Franken und der Schwaben, zumeiſt durch den trotzigen Ungehorſam der ſächſiſchen Fürſten. Dann erwuchſen in Niederdeutſchland die zwei mächtigſten politiſchen Schöpfungen unſeres ſpäten Mittelalters, die Hanſa und der deutſche Orden, beide unabhängig von der Reichsgewalt, oftmals mit ihr ver - feindet. Im Norden ſtand die Wiege der Reformation; an dem Wider - ſtande der Norddeutſchen ſcheiterte die hispaniſche Herrſchaft, und ſeit die undeutſche Politik der Habsburger den Dualismus im Reiche hervorge - rufen, blieb der Norden das Kernland der deutſchen Oppoſition. Die Führung dieſer Oppoſition ging im Laufe des ſiebzehnten Jahrhunderts von dem unfähigen Geſchlechte der Wettiner auf die Hohenzollern über. Der Schwerpunkt deutſcher Politik verſchob ſich nach dem Nordoſten.

Dort in den Marken jenſeits der Elbe war aus dem Grundſtock der niederſächſiſchen Eroberer, aus Einwanderern von allen Landen deutſcher Zunge und aus geringen Trümmern des alteingeſeſſenen Wenden - volks ein neuer norddeutſcher Stamm emporgewachſen, hart und wetter - feſt, geſtählt durch ſchwere Arbeit auf kargem Erdreich wie durch die unabläſſigen Kämpfe des Grenzerlebens, klug und ſelbſtändig nach Coloniſtenart, gewohnt mit Herrenſtolz auf die ſlaviſchen Nachbarn herab - zuſehen, ſo ſchroff und ſchneidig, wie es die gutmüthig geſpaßige Derbheit des niederdeutſchen Charakters vermag. Dreimal hatte dies vielgeprüfte Land das rauhe Tagewerk der Culturarbeit von vorn begonnen: zuerſt als die ascaniſchen Eroberer die Tannenwälder an den Havelſeen rodeten und ihre Städte, Burgen und Klöſter im Wendenlande erbauten; dann abermals zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts, als die erſten Hohenzollern den unter bairiſch-lützelburgiſcher Herrſchaft völlig zerrütteten Frieden und Wohlſtand ſorgſam wieder herſtellten; und jetzt wieder war Brandenburg durch die Schrecken der dreißig Jahre ſchwerer heimgeſucht als die meiſten deutſchen Lande, mußte ſich die erſten Anfänge der Ge - ſittung von Neuem erobern.

Die rauhe Sitte des armen Grenzlandes blieb während des Mittel - alters im Reiche übel berüchtigt. Der römiſchen Kirche iſt aus dem Sande der Marken niemals ein Heiliger erwachſen; ſelten erklang ein Minnelied an dem derben Hofe der ascaniſchen Markgrafen. Die fleißigen Ciſtercienſer von Lehnin trachteten allezeit mehr nach dem Ruhme tüchtiger Landwirthe als nach den Kränzen der Kunſt und Gelehrſamkeit; den handfeſten Bürgern der märkiſchen Städte verfloß das Leben in grober, hausbackener Arbeit, nur die Prenzlauer durften ihre Marienkirche mit den prächtigen Bauten der reichen Oſtſeeſtädte vergleichen. Allein durch kriegeriſche Kraft und ſtarken Ehrgeiz ragte der Staat der Brandenburger über die Nachbarſtämme hervor; ſchon die Ascanier und die Lützelburger haben mehrmals den Plan erwogen, hier in der günſtigen Lage zwiſchen26I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.dem Elb - und Odergebiete, zwiſchen den ſchwächlichen Kleinſtaaten Mecklen - burgs, Pommerns und Schleſiens eine Großmacht des Nordoſtens zu errichten. Noch größer ſchien ſich das Schickſal der Marken zu geſtalten, als die Burggrafen von Nürnberg den Kurhut empfingen: Friedrich I. war der Führer der deutſchen Fürſten bei der Reformbewegung in Reich und Kirche, Albrecht Achill der bewunderte Held des ritterlichen Adels in den Kämpfen gegen die Städte. Zugleich begann im Innern eine kühne und feſte monarchiſche Politik. Früher als das heilige Reich er - hielt die Mark ihren Landfrieden, durch Friedrich I.; früher als in anderen Reichslanden wurde hier die Untheilbarkeit des Staates geſetzlich ausgeſprochen durch die Geſetze Albrecht Achills. Adel und Städte beugten ihren trotzigen Nacken vor der Willenskraft der drei erſten Hohen - zollern. Aber dem vielverheißenden Anlaufe entſprach der Fortgang nicht. Die Nachfolger jener hochſtrebenden Helden ſanken bald zurück in die be - queme Enge deutſcher Kleinfürſtenpolitik. Sie verloren die kaum errungene landesherrliche Gewalt zum guten Theile wieder an den Landtag, hielten mit ihren übermüthigen Herren Ständen wohl oder übel Haus, ſuchten wie alle mächtigeren Reichsfürſten Verwaltung und Rechtspflege ihres Landes vor jedem Eingriff der Reichsgewalt zu behüten und blieben dabei dem Kaiſerhauſe hold und gewärtig; ſie traten ſpät und zögernd in die lutheriſche Kirche ein, überließen die Führung der proteſtantiſchen Parteien gemächlich an Kurſachſen und Kurpfalz.

Mit gutem Grunde ſagt König Friedrich in den Denkwürdigkeiten ſeines Hauſes: wie ein Fluß erſt werthvoll werde, wenn er ſchiffbar ſei, ſo gewinne die Geſchichte Brandenburgs erſt gegen Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts tiefere Bedeutung. Erſt unter Kurfürſt Johann Sigismund traten drei entſcheidende Ereigniſſe ein, welche den Marken eine große Zukunft, eine von dem Leben der übrigen Reichsländer grundverſchiedene Entwicklung verhießen: die Vereinigung des ſeculariſirten Deutſch - Ordenslandes mit Brandenburg, der Uebertritt des Fürſtenhauſes zur reformirten Kirche, endlich die Erwerbung der niederrheiniſchen Grenz - lande.

Auch andere Reichsfürſten, Katholiken wie Proteſtanten, hatten ihre Macht durch die Güter der alten Kirche erweitert. Im Ordenslande aber wagte die Politik der deutſchen Proteſtanten ihren verwegenſten Griff; auf Luthers Rath entriß der Hohenzoller Albrecht der römiſchen Kirche das größte ihrer geiſtlichen Territorien. Das geſammte Gebiet des neuen Herzogthums Preußen war entfremdetes Kirchengut; des Papſtes Bann und des Kaiſers Acht trafen den abtrünnigen Fürſten. Niemals wollte der römiſche Stuhl dieſen Raub anerkennen. Indem die märkiſchen Hohenzollern die Herzogskrone ihrer preußiſchen Vettern mit ihrem Kurhute verbanden, brachen ſie für immer mit der römiſchen Kirche; ihr Staat ſtand und fiel fortan mit dem Proteſtantismus. Zur ſelben27Preußen und Cleve mit Brandenburg vereinigt.Zeit nahm Johann Sigismund das reformirte Bekenntniß an. Er legte damit den Grund für die folgenreiche Verbindung ſeines Hauſes mit dem Heldengeſchlechte der Oranier und trat aus der leidſamen Trägheit des erſtarrten Lutherthums hinüber in die Gemeinſchaft jener Kirche, welche allein noch die politiſchen Gedanken der Reformation mit kriegeriſchem Muthe verfocht. Der calviniſche Landesherr beherrſchte in den Marken ein hart lutheriſches Volk; in Preußen ſaßen Lutheraner und Katholiken, in den niederrheiniſchen Landen die Bekenner aller drei großen Kirchen Deutſchlands bunt durcheinander. Von dem Glaubenshaſſe der eige - nen Unterthanen bedroht, ſah ſich das Fürſtenhaus gezwungen, allen kirchlichen Parteien durch duldſame Schonung gerecht zu werden. Der - geſtalt ward die eigenthümliche Doppelſtellung der Hohenzollern zu unſerem kirchlichen Leben begründet: ſie ſtanden, ſeit die Macht der Pfälzer zerfiel, an der Spitze des ſtreitbaren Proteſtantismus im Reiche und vertraten doch zugleich den Grundgedanken der neuen deutſchen Ge - ſittung, die Glaubensfreiheit. Mit dem Scharfblicke des Haſſes ſagte der kaiſerliche Vicekanzler Stralendorff in den Tagen Johann Sigis - munds voraus: es ſtehe zu befürchten, daß der Brandenburger nun - mehr der werden könne, den das calviniſche und lutheriſche Geſchmeiß erſehne.

Mit der preußiſchen Herzogskrone gewann das Haus Hohenzollern jene ſtolze Colonie des geſammten Deutſchlands, die mit dem Blute aller deutſchen Stämme noch reicher als die Mark benetzt war und ſich vor allen Landſchaften des Reiches einer großen und heldenhaften Geſchichte rühmte: hier in dem neuen Deutſchland hatte einſt der deutſche Orden die baltiſche Großmacht des Mittelalters aufgerichtet. Das entlegene, durch die Feindſchaft des polniſchen Lehnsherrn wie der ſkandinaviſchen und moskowitiſchen Nachbarn unabläſſig bedrohte Grenzland verwickelte den Staat der Hohenzollern in die wirrenreichen Kämpfe des nordiſchen Staatenſyſtems. Während er alſo an der Oſtſee feſten Fuß faßte, erwarb Johann Sigismund zugleich das Herzogthum Cleve nebſt den Grafſchaften Mark und Ravensberg, ein Gebiet von geringem Umfang, aber hoch - wichtig für die innere Entwicklung wie für die europäiſche Politik des Staates: Lande von treu bewahrter alter Bauern - und Städtefreiheit, reicher und höher geſittet als die dürftigen Colonien des Oſtens, un - ſchätzbare Außenpoſten an Deutſchlands ſchwächſter Grenze. In Wien und Madrid ward es als eine ſchwere Niederlage empfunden, daß eine neue evangeliſche Macht ſich feſtſetzte dort am Niederrheine, wo Spanier und Niederländer um Sein oder Nichtſein des Proteſtantismus kämpften, dicht vor den Thoren Kölns, der Hochburg des römiſchen Weſens im Reiche. Der junge Staat umſchloß auf ſeinen fünfzehnhundert Geviert - meilen bereits faſt alle die kirchlichen, ſtändiſchen, landſchaftlichen Gegen - ſätze, welche das heilige Reich mit lautem Hader erfüllten; mit geſpreizten28I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Beinen gleich dem Koloß von Rhodus ſtand er über den deutſchen Landen und ſtemmte ſeine Füße auf die bedrohten Marken am Rhein und Memelſtrom.

Eine Macht in ſolcher Lage konnte nicht mehr in dem engen Ge - ſichtskreiſe deutſcher Territorialpolitik verharren; ſie mußte verſuchen ihre weithin zerſtreuten Gebiete zu einer haltbaren Maſſe abzurunden, ſie war gezwungen für das Reich zu handeln und zu ſchlagen, denn jeder Angriff der Fremden auf deutſchen Boden ſchnitt ihr in ihr eignes Fleiſch. Und dieſer Staat, der nur deutſches Land beherrſchte, ſtand doch der Reichs - gewalt in glücklicher Unabhängigkeit gegenüber. Jenen Reichsſtänden, deren Gebiete alleſammt innerhalb der Reichsgrenzen lagen, war eine ſelbſtändige europäiſche Politik immerhin erſchwert; andere Fürſtengeſchlechter, die ſich durch die Erwerbung ausländiſcher Kronen den hemmenden Feſſeln der Reichsverfaſſung entzogen, gingen dem deutſchen Leben verloren. Auch dem Hauſe Brandenburg ſind oftmals lockende Rufe aus der Ferne erklungen: die Herrſchaft in Schweden, in Polen, in den Niederlanden, in England ſchien ihm offen zu ſtehen. Doch immer hat bald die Macht der Um - ſtände bald die verſtändige Selbſtbeſchränkung des Fürſtengeſchlechts dieſe gefährlichen Verſuchungen abgewieſen. Eine ſegensreiche Fügung, die dem ernſten Sinne nicht als Zufall gelten darf, nöthigte die Hohenzollern in Deutſchland zu verbleiben. Sie bedurften der fremden Kronen nicht; denn ſie dankten ihre unabhängige Stellung in der Staatengeſellſchaft dem Beſitze des Herzogthums Preußen, eines kerndeutſchen Landes, das mit allen Wurzeln ſeines Lebens an dem Mutterlande hing und gleichwohl dem ſtaatsrechtlichen Verbande des Reichs nicht angehörte. Alſo mit dem einen Fuß im Reiche, mit dem anderen draußen ſtehend, gewann der preußiſche Staat das Recht, eine europäiſche Politik zu führen, die nur deutſche Ziele verfolgen konnte. Er durfte für Deutſchland ſorgen, ohne nach dem Reiche und ſeinen verrotteten Formen zu fragen.

Dem Hiſtoriker iſt nicht geſtattet, nach der Weiſe der Naturforſcher das Spätere aus dem Früheren einfach abzuleiten. Männer machen die Geſchichte. Die Gunſt der Weltlage wird im Völkerleben wirkſam erſt durch den bewußten Menſchenwillen, der ſie zu benutzen weiß. Noch einmal ſtürzte der Staat der Hohenzollern von ſeiner kaum errungenen Machtſtellung herab; er trieb dem Untergange entgegen, ſolange Johann Sigismunds Nachfolger Georg Wilhelm aus matten Augen ſchläfrig in die Welt blickte. Auch dieſer neue Verſuch deutſcher Staatenbildung ſchien wieder in der Armſeligkeit der Kleinſtaaterei zu enden, wie vormals die unter ungleich günſtigeren Anzeichen aufgeſtiegenen Mächte der Welfen, der Wettiner, der Pfälzer. Da trat als ein Fürſt ohne Land, mit einem Stecken und einer Schleuder Kurfürſt Friedrich Wilhelm ein in das verwüſtete deutſche Leben, der größte deutſche Mann ſeiner Tage, und beſeelte die ſchlummernden Kräfte ſeines Staates mit der Macht des29Brandenburg das Land der Parität.Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens der werdenden deutſchen Großmacht unverloren. Man kann ſich die engliſche Geſchichte vorſtellen ohne Wilhelm III., die Geſchichte Frankreichs ohne Richelieu; der preußiſche Staat iſt das Werk ſeiner Fürſten. In wenigen andern Ländern bewährte das Königthum ſo ſtetig jene beiden Tugenden, die ſeine Größe bilden: den kühnen, weit vorausſchauenden Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und die ſtrenge Gerechtigkeit, die jede Selbſtſucht in den Dienſt des Ganzen zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in dieſen armſeligen Gebietstrümmern die Grundſteine einer neuen Großmacht zu erkennen. Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchiſchen Staatsge - danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen, welche dieſer Mikrokosmos des deutſchen Lebens umfaßte, ihren Schutz und ihren Frieden.

Schon in den erſten Jahren des großen Kurfürſten tritt die Eigen - art der neuen deutſchen Macht ſcharf und klar heraus. Der Neffe Guſtav Adolfs, der ſein junges Heer unter dem alten Proteſtantenrufe Mit Gott in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik ſeines Oheims wieder auf. Er zuerſt ruft in den Hader der Kirchen das erlöſende Wort hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amneſtie für alle drei Bekenntniſſe. Es war das Programm des Weſtphäliſchen Friedens. Und weit über die Vorſchriften dieſes Friedensſchluſſes hinaus ging die Duldung, welche die Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg galt vor dem Reichsrechte als ein evangeliſcher Stand und wurde doch der erſte Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das bunte Sektenweſen in den Niederlanden verdankte ſeine ungebundene Be - wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte die Gewiſſensfreiheit auf den Geſetzen einer kraftvollen Staatsgewalt, die ſich das Recht der Oberaufſicht über die Kirchen nicht rauben ließ. In den anderen deutſchen Territorien beſtand überall noch eine herrſchende Kirche, die den beiden anderen Confeſſionen nur den Gottesdienſt nicht gänzlich unterſagen durfte; in Brandenburg ſtand die Krone frei über allen Kirchen und ſchützte die Parität. Derweil Oeſterreich ſeine beſten Deutſchen gewaltſam austreibt, öffnet eine Gaſtfreundſchaft ohne Gleichen die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel tauſendmal iſt in den Marken das Danklied der böhmiſchen Exulanten erklungen: Dein Volk, das ſonſt im Finſtern ſaß, von Irrthum ganz umgeben, das findet hier nun ſein Gelaß und darf in Freiheit leben! Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine brandenburgiſche Herr als der Wortführer der proteſtantiſchen Welt kühn entgegen und bietet durch ſein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär - tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall wo noch die Flammen des alten Glaubenshaſſes aus dem deutſchen Boden emporſchlagen, ſchreiten die30I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Hohenzollern ſchützend und verſöhnend ein. Sie rufen die Wiener Judenſchaft an die Spree, ſie ſichern via facti , des Reiches ungefragt, den Proteſtanten Heidelbergs den Beſitz ihrer Kirchen, ſie bereiten den evan - geliſchen Salzburgern in Oſtpreußen eine neue Heimath. So ſtrömte Jahr für Jahr eine Fülle jungen Lebens in die entvölkerten Oſtmarken hinüber; das deutſche Blut, das die Habsburger von ſich ſtießen, befruchtete die Lande ihres Nebenbuhlers. Beim Tode Friedrichs II. beſtand etwa ein Drittel der Bevölkerung des Staates aus den Nachkommen der Ein - wanderer, die ſeit den Tagen des großen Kurfürſten zugezogen.

Erſt dieſe Kirchenpolitik der Hohenzollern hat das Zeitalter der Religionskriege abgeſchloſſen; ſie zwang ſchließlich die beſſeren weltlichen Fürſten zur Nachahmung und entzog zugleich den geiſtlichen Staaten das letzte Recht des Daſeins; denn wozu noch geiſtliche Reichsfürſten, ſeit die katholiſche Kirche unter den Flügeln des preußiſchen Adlers ge - ſicherte Freiheit fand? Friedrich Wilhelm erwarb im Weſtphäliſchen Frieden die großen Stifter Magdeburg, Halberſtadt, Minden, Cammin. Sein Staat ward wie kein anderer in Deutſchland durch die Güter der römiſchen Kirche bereichert; doch er rechtfertigte den Raub, denn er über - nahm mit dem Kirchengute zugleich die großen Culturaufgaben, welche die Kirche des Mittelalters einſt für den unreifen Staat erfüllt hatte, Armen - pflege und Volkserziehung, und er verſtand den neuen Pflichten zu ge - nügen. Daſſelbe Gebot der Selbſterhaltung, das die Hohenzollern nöthigte Frieden zu halten zwiſchen Katholiken und Proteſtanten, drängte ſie auch innerhalb der evangeliſchen Kirche zwiſchen den Gegenſätzen zu vermitteln. Der Gedanke der evangeliſchen Union blieb dem preußiſchen Staate eigenthümlich ſeit Johann Sigismund zuerſt den lutheriſchen Eiferern das Zetern wider die Calviniſten unterſagte, und was anfänglich die Noth erzwang, ward endlich zur politiſchen Ueberlieferung, zur Herzens - ſache des Fürſtenhauſes.

Wie der preußiſche Staat alſo der deutſchen Nation den kirchlichen Frieden ſicherte, der ihr erlaubte wieder theilzunehmen an dem Schaffen der Culturvölker, ſo gab er ihr auch zurück was ihr ſeit den Tagen der Glaubensſpaltung fehlte: einen Willen gegen das Ausland. Ueberall im Reiche verkamen reiche Kräfte in engen Verhältniſſen, und wer hoch hinausſtrebte eilte in die Fremde; da faßte Friedrich Wilhelms gewaltige Hand die dürftigen Mittel der ärmſten deutſchen Gebiete entſchloſſen zu - ſammen und zwang ſein Volk der Heimath zu dienen und zeigte dem Welt - theil wieder was das deutſche Schwert vermöge. Das Reich zehrte von alten Erinnerungen, bewahrte die Staatsformen des Mittelalters mitten im neuen Europa; dieſe norddeutſche Macht aber wurzelte feſt in der modernen Welt, über den Trümmern der alten Kirchenherrſchaft und der altſtändiſchen Rechte ſtieg ihre ſtarke Staatsgewalt empor, ſie lebte den Sorgen der Gegenwart und den Plänen einer großen Zukunft. Mit31Weltſtellung des preußiſchen Staates.einem Schlage führte Friedrich Wilhelm ſeinen mißachteten kleinen Staat in die Reihe der europäiſchen Mächte ein; ſeit der Schlacht von Warſchau ſtand Brandenburg den alten Militärſtaaten ebenbürtig zur Seite. Wie eine Inſel ſchien dieſe feſtgeeinte kriegeriſche Macht urplötzlich emporzu - ſteigen aus der tobenden See deutſcher Vielherrſchaft, vor den verwun - derten Blicken eines Volkes, das längſt verlernt an raſchen Entſchluß und großes Gelingen zu glauben. So ſcharf wehte der friſche Luftzug des bewußten politiſchen Willens durch die Geſchichte des neuen preußiſchen Staates, ſo ſtraff und gewaltſam ward jeder Muskel ſeines Volks zur Arbeit angeſpannt, ſo grell erſchien das Mißverhältniß zwiſchen ſeinem Ehrgeiz und ſeinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an - derthalb Jahrhunderte nur als eine künſtliche Schöpfung galt. Die Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks, was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der Deutſchen war.

Preußen behauptete wie in den deutſchen Glaubenshändeln, ſo auch in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine ſchwierige Mittelſtellung. So lange das proteſtantiſche Deutſchland willenlos darniederlag, zerfiel Europa in zwei getrennte Staatenſyſteme, die einander ſelten berührten. Die Staatenwelt des Südens und Weſtens kämpfte um die Beherrſchung Italiens und der rheiniſch-burgundiſchen Lande, während die Mächte des Nordens und Oſtens ſich um die Trümmerſtücke des deutſchen Ordens - ſtaates und um den Nachlaß der Hanſa, die Oſtſeeherrſchaft ſtritten. Der Oſten und der Weſten begegneten ſich nur in dem einen Verlangen, die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar offen zu halten. Nun erhob ſich die jugendliche deutſche Macht, das vielverſpottete Reich der langen Grenzen . Sie gehörte dem Welttheil an, ihr verſprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des Feſtlands. Sobald ſie anfing mit ſelbſtändigem Willen ſich zu bewegen, griffen die Mächte des Weſtens in die Händel des Oſtens ein, immer häufiger verſchlangen und durchkreuzten ſich die Intereſſen der beiden Staatenſyſteme.

Der geborene Gegner der alten, auf Deutſchlands Ohnmacht ruhenden Ordnung Europas, ſtand Preußen in einer Welt von Feinden, deren Eiferſucht ſeine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen Bundesgenoſſen, denn noch war der deutſchen Nation das Verſtändniß dieſer jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten Staatsraiſon, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des Nachbarn als ſeine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen ſich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour - bonen, ebenſo, doch ungleich ſchwerer bedrängt mußte Preußen ſich ſeinen Weg bahnen zwiſchen Oeſterreich und Frankreich hindurch, zwiſchen Schweden und Polen, zwiſchen den Seemächten und der trägen Maſſe32I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.des deutſchen Reichs, mit allen Mitteln rückſichtsloſer Selbſtſucht, immer bereit die Front zu wechſeln, immer mit zwei Sehnen am Bogen.

Kurbrandenburg empfand bis in das Mark ſeines Lebens, wie tief das ausländiſche Weſen ſich in Deutſchland eingefreſſen hatte. Alle die zuchtloſen Kräfte ſtändiſcher Libertät, welche der ſtrengen Ordnung der neuen Monarchie widerſtrebten, ſtützten ſich auf fremden Beiſtand. Hol - ländiſche Garniſonen lagen am Niederrhein und begünſtigten den Kampf der cleviſchen Stände wider den deutſchen Landesherrn, die Landtage von Magdeburg und der Kurmark rechneten auf Oeſterreich, der polenzende Adel in Königsberg rief den polniſchen Oberlehnsherrn zu Hilfe gegen den märkiſchen Despotismus. Im Kampfe mit der Fremdherrſchaft wurde die Staatseinheit dieſer zerſtreuten Gebiete und das Anſehen ihres Landesherrn begründet. Friedrich Wilhelm zerſtörte die Barriere der Niederländer im deutſchen Nordweſten, vertrieb ihre Truppen aus Cleve und Oſtfriesland; er befreite Altpreußen von der polniſchen Lehenshoheit und beugte den Königsberger Landtag unter ſeine Souveränität. Dann ruft er der tauben Nation ſein Mahnwort zu: Gedenke, daß du ein Deutſcher biſt! und verſucht die Schweden vom Reichsboden zu ver - drängen. Zweimal gelang der Mißgunſt Frankreichs und Oeſterreichs, den Brandenburger um den Lohn ſeiner Siege, um die Herrſchaft in Pommern zu betrügen; den Ruhm des Tages von Fehrbellin konnten ſie ihm nicht rauben. Endlich wieder, nach langen Jahrzehnten der Schande, ein glän - zender Triumph deutſcher Waffen über die erſte Kriegsmacht der Zeit; die Welt erfuhr, daß Deutſchland wieder wage ſein Hausrecht zu wahren. Der Erbe der deutſchen Kirchenpolitik Guſtav Adolfs zerſprengte den verwegenen Bau des ſkandinaviſchen Oſtſeereiches, den das Schwert jenes Schweden - königs zuſammengefügt. Die beiden künſtlichen Großmächte des ſiebzehnten Jahrhunderts, Schweden und Holland, begannen zurückzutreten in ihre natürlichen Schranken, und der neue Staat, der ſich an ihrer Stelle erhob, zeigte weder die ausſchweifende Eroberungsluſt der ſchwediſchen Militärmacht noch den monopolſüchtigen Kaufmannsgeiſt der Niederländer. Er war deutſch, er begnügte ſich das Gebiet ſeiner Nation zu ſchirmen und vertrat gegen die Weltherrſchaftspläne der Bourbonen den Gedanken des europäiſchen Gleichgewichts, der Staatenfreiheit. Als die Republik der Niederlande dem Angriff Ludwigs XIV. zu erliegen drohte, da fiel Brandenburg dem Eroberer in den erhobenen Arm; Friedrich Wilhelm führte den einzigen ernſthaften Krieg, den das Reich zur Wiederer - oberung des Elſaſſes gewagt hat, und noch auf ſeinem Sterbebette entwarf er mit ſeinem oraniſchen Neffen den Plan, das evangeliſche und parla - mentariſche England zu retten vor der Willkür der Stuarts, der Vaſallen Ludwigs. Ueberall wo dieſe junge Macht allein ſtand kämpfte ſie ſiegreich, überall unglücklich wo ſie dem Wirrwarr des Reichsheeres ſich anſchließen mußte.

33Der neue Mehrer des Reichs.

So erwies ſich die neue Staatsbildung ſchon in ihren Anfängen als eine europäiſche Nothwendigkeit. Deutſchland aber fand endlich wieder einen Mehrer des Reichs. Mit dem Aufſteigen Preußens be - gann die lange blutige Arbeit der Befreiung Deutſchlands von fremder Herrſchaft. Seit hundert Jahren von den Nachbarn beraubt ſah das Reich jetzt zum erſten male das ausländiſche Regiment von einigen Schollen deutſcher Erde zurückweichen. In dieſem einen Staate erwachte wieder, noch halb bewußtlos, wie trunken vom langen Schlummer, der alte herzhafte vaterländiſche Stolz. Das treue Landvolk der Grafſchaft Mark begann den kleinen Krieg gegen die Franzoſen, die Bauern von Oſtpreußen ſetzten in wilder Jagd den fliehenden Schweden nach. Wenn die Bauern - landwehr der Altmark, an den Elbdeichen Wache haltend wider die Schweden, auf ihre Fahnen ſchrieb: Wir ſind Bauern von geringem Gut und dienen unſerem gnädigſten Kurfürſten und Herrn mit Gut und Blut , ſo klingt uns aus den ungelenken Worten ſchon derſelbe Heldenſinn entgegen, welcher dereinſt in freieren Tagen Deutſchlands Schlachten ſchlagen ſollte unter dem Rufe: Mit Gott für König und Vaterland!

Während die Hausmacht der Habsburger aus Deutſchland hinaus wuchs, drängte ein ſtetig waltendes Schickſal den Staat der Hohenzollern tief und tiefer in das deutſche Leben hinein, zuweilen wider den Willen ſeiner Herrſcher. Friedrich Wilhelm hat es nie verwunden, daß er ſeine pommerſchen Erbanſprüche im Weſtphäliſchen Frieden gegen den Wider - ſtand Oeſterreichs und Schwedens nicht behaupten konnte. Er hoffte als ein König der Vandalen von dem Stettiner Hafen aus die Oſtſee zu beherrſchen und mußte ſich mit den ſächſiſch-weſtphäliſchen Stifts - landen, zum Erſatz für die Odermündungen, begnügen. Doch ſelbſt dieſe diplomatiſche Niederlage ward ein Glück für den Staat; ſie bewahrte ihn vor einem halbdeutſchen baltiſchen Sonderleben, verſtärkte ſeine centrale Stellung und zwang ihn theilzunehmen an allen Händeln der binnen - deutſchen Politik. Zudem war ganz Norddeutſchland überſponnen von einem Netze hohenzollerſcher Erbverträge, die dies bedachtſam rechnende Haus im Laufe der Jahrhunderte abgeſchloſſen; an jedem neuen Tage konnte ein Todesfall der ehrgeizigen Macht eine neue Vergrößerung bringen.

Das Haus Habsburg erkannte früher als die Hohenzollern ſelber, wie feindſelig dieſer moderne norddeutſche Staat der alten Verfaſſung des heiligen Reichs gegenüberſtand. Er war das Haupt des Proteſtan - tismus im Reiche, mochte immerhin Kurſachſen noch Director des Corpus Evangelicorum heißen; er bedrohte mit ſeiner monarchiſchen Ordnung den ganzen Bau jener ſtändiſchen und theokratiſchen Inſtitutionen, welche die Kaiſerkrone ſtützten; ſein ſtarkes Heer und ſein ſelbſtändiges Auf - treten in der Staatengeſellſchaft gefährdeten das altgewohnte Syſtem kaiſerlicher Hauspolitik. In Schleſien, in Pommern, in dem jülich-cleviſchenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 334I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Erbfolgeſtreite, überall trat Oeſterreich dem gefährlichen Nebenbuhler mißtrauiſch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs - fürſten den unruhigen Staat, der den geſammten deutſchen Rorden zu umklammern drohte; ſo oft er mit einiger Kühnheit ſich hervorwagte, erklang durchs deutſche Land der Jammerruf über den immer tiefer ins Reich dringenden brandenburgiſchen Dominat . Als der große Kurfürſt die Schweden aus Düppel und Alſen verjagte, ſchloſſen die Fürſten des Weſtens mit der Krone Frankreich jenen erſten Rheinbund zum Schutze des Reichsſtandes Schweden. Da das Kaiſerhaus noch durch den Breisgau und die oberſchwäbiſchen Lande ganz Süddeutſchland militäriſch beherrſchte, ſo war an den oberländiſchen Höfen die Furcht vor Oeſterreichs Länder - gier zuweilen ſtärker als die Angſt vor dem entlegenen Brandenburg; zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürſten die Erkenntniß, daß der kaiſer - liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordiſche Emporkömmling aber durch einen tiefen, unverſöhnlichen Gegenſatz von der alten Ordnung der deutſchen Dinge getrennt ſei.

Auch die Nation ſah mit Abſcheu und Beſorgniß auf den Staat der Hohenzollern, wie einſt die italiſchen Stämme auf das empor - ſteigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits ſich den Ideen des modernen Abſolutismus zuzuwenden; die Maſſe des Volks hing noch an den althergebrachten ſtändiſchen Formen, die in dem Hauſe Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgenoſſen; nach ſeinem kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elſaſſer Volkslied zuerſt mit dem Namen des Großen. Doch ſolche Stimmungen erregter Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied, das ſich neben das Reich ſtellte und noch nicht vermochte der Nation einen Erſatz zu bieten für die zerſtörte alte Ordnung; Leibnitz, der be - geiſterte Reichspatriot, erwies in beredter Denkſchrift, wie der Branden - burger von ſeinen Mitſtänden gezüchtigt werden müſſe, weil er eigen - mächtig ſein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzoſen geführt habe. Noch ahnte Niemand in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte, daß die Führung zerſplitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die Pflichten des Ganzen auf ſich nimmt. Um ſo lebhafter regte ſich die dunkle Sorge, dieſe thatenluſtige Macht müſſe wachſen oder untergehen; und wie ſchon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutſchen Stamm heimſuchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, ſo ergoſſen jetzt particulariſtiſche Seelenangſt und Selbſtgefälligkeit ihren Hohn auf die Marken.

Das Volk ſpottete über die Armuth der Streuſandbüchſe des heiligen Reichs, über die brandenburgiſche Knechtſchaft; wie Verzweifelte fochten die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der ſchwe - diſchen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkiſchen Blut -35Brandenburg und die deutſche Libertät.menſchen zu bewahren. Der Partieularismus aller Stände und aller Land - ſchaften vernahm mit Entſetzen, wie der große Kurfürſt ſeine Unterthanen zwang als eines Hauptes Glieder zu leben, wie er die Vielherrſchaft der Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und ſeine Krone ſtützte auf die beiden Säulen monarchiſcher Vollgewalt, den miles per - petuus und die ſtehende Steuer. In der Anſchauung des Volkes galten Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche Staatslaſt für Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer zu einer dauernden Inſtitution und ſchwächte die Macht der Landſtände, indem er in allen ſeinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: auf dem flachen Lande den Generalhufenſchoß, in den Städten die Acciſe, ein mannich - faltiges Syſtem von niedrigen directen und indirecten Abgaben, das auf die Geldarmuth der erſchöpften Volkswirthſchaft berechnet war und die Steuerkraft an möglichſt vielen Stellen anfaßte. Im Reiche war nur eine Stimme der Verwünſchung wider dieſe erſten Anfänge des modernen Heer - und Finanzweſens. Preußen blieb vom Beginne ſeiner ſelbſtändigen Geſchichte der beſtgehaßte der deutſchen Staaten; die Reichslande, welche dieſem Fürſtenhauſe zufielen, ſind faſt alle unter lauten Klagen und heftigem Widerſtande in die neue Staatsgemeinſchaft eingetreten, um ſämmtlich bald nachher ihr Schickſal zu ſegnen.

Das ungeheure, hoffnungsloſe Wirrſal der deutſchen Zuſtände, die erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiſerhauſe und die Be - drängniß ihres zwiſchen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver - hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue Deutſchland in offenem Kampfe auf einander ſtießen. Friedrich Wilhelm lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen feurigen Ungeſtüm ſeines heldenhaften Weſens betrieb er auf dem erſten Reichstage nach dem Weſtphäliſchen Frieden die zu Osnabrück verheißene Neugeſtaltung der Reichsverfaſſung. Da dieſer Verſuch ſcheiterte, faßte Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen - zoller ſelber dem Reiche eine neue Ordnung geben ſolle; er entwarf den Anſchlag zu einem deutſchen Fürſtenbunde unter der Führung des ver - größerten brandenburgiſchen Staates. Noch waren die Zeiten nicht erfüllt. Der Kurfürſt ließ ſeinen kühnen Rathgeber fallen, um der nächſten Noth zu begegnen und mit dem Kaiſer verbündet gegen die Schweden auszuziehen; er hat nachher ſogar den lang erwogenen Plan der Eroberung Schleſiens aufgegeben, weil er Oeſterreichs bedurfte im Kampfe wider Frankreich. Doch der Weg war gewieſen; jede neue große Erſchütterung des deutſchen Lebens hat den preußiſchen Staat wieder zurückgeführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und der bündiſchen Hegemonie.

Friedrich Wilhelms Nachfolger brachte mit der Königskrone ſeinem Hauſe einen würdigen Platz in der Geſellſchaft der europäiſchen Mächte,3*36I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſeinem Volke den gemeinſamen Namen der Preußen. Nur die Noth, nur die Hoffnung auf Preußens Waffenhilfe bewog den kaiſerlichen Hof, dem Nebenbuhler die neue Würde zuzugeſtehen. Ein Schrecken ging durch die theokratiſche Welt: Kurmainz proteſtirte, der deutſche Orden forderte nochmals ſeinen alten Beſitz zurück, der jetzt dem ketzeriſchen Königthum den Namen gab, und der Staatskalender des Papſtes kannte noch an hundert Jahre lang nur einen brandenburgiſchen Markgrafen. Die anſpruchsvolle königliche Krone erſchien dem Enkel Friedrichs I. als eine ernſte Mahnung, die Macht und Selbſtändigkeit des Staates zu befeſtigen. Von ſolchem Stolze wußte die ſchwache Seele des erſten Königs wenig. Er diente, ein getreuer Reichsfürſt, dem Kaiſerhauſe, kämpfte ritterlich am Rheine, in der argloſen Hoffnung, der Kaiſer werde die Feſte Straßburg dem Reiche zurückbringen; er half den Habsburgern die Türken zu ſchlagen, ließ ſein Heer als karg belohnte Hilfsmacht Oeſterreichs und der Seemächte an den Schlachten des ſpaniſchen Erbfolgekrieges theilnehmen. Damals zuerſt lernten die Franzoſen das preußiſche Fußvolk als die Kerntruppe des deutſchen Heeres fürchten; doch an der politiſchen Leitung des Krieges hatte der Berliner Hof keinen Antheil. Während ſeine tapferen Truppen in Ungarn und den Niederlanden, in Oberdeutſchland und Italien unfruchtbaren Kriegsruhm ernteten, führte Schweden den Verzweiflungs - kampf gegen die Mächte des Nordens; Preußen aber verſäumte die Gunſt ſeiner centralen Lage auszubeuten und durch eine kühne Schwenkung vom Rhein zur Oder dem nordiſchen Kriege die Entſcheidung zu geben. Mit Mühe hat nachher Friedrich Wilhelm I. die Fehler des Vaters geſühnt und aus dem Schiffbruch der ſchwediſchen Großmacht mindeſtens die Oder - mündungen für Deutſchland gerettet.

Von Altersher waren die Hohenzollern, nach gutem deutſchem Fürſten - brauche, für die idealen Aufgaben des Staatslebens treu beſorgt geweſen; ſie hatten die Hochſchulen von Frankfurt und Königsberg gegründet, die Duis - burger wiederhergeſtellt. Und jetzt, unter dem duldſamen Regimente des freigebigen Friedrich und ſeiner philoſophiſchen Königin, gewann es den An - ſchein, als ſollte Deutſchlands wiedererwachende Kunſt und Wiſſenſchaft in dem rauhen Brandenburg ihre Heimath finden. Die vier reformatoriſchen Denker des Zeitalters, Leibnitz, Pufendorf, Thomaſius, Spener wandten ſich dem preußiſchen Staate zu. Die neue Friedrichs-Univerſität zu Halle ward die Zufluchtſtätte freier Forſchung, übernahm für einige Jahrzehnte die Führung der proteſtantiſchen Wiſſenſchaft, trat in die Lücke ein, welche die Zerſtörung der alten Heidelberger Hochſchule ge - ſchlagen hatte. Die dürftige Hauptſtadt ſchmückte ſich mit den Pracht - bauten Schlüters; der ſchwelgeriſche Hof ſtrebte den Glanz und den Mäcenatenruhm des gehaßten Bourbonen zu überbieten. Zwar die frivole Selbſtvergötterung des höfiſchen Despotismus blieb dem Hauſe der Hohenzollern immer fremd; die üppige Pracht Friedrichs I. reichte an37Das Königreich Preußen.die ruchloſe Unzucht der ſächſiſchen Auguſte nicht von fern heran. Den ſchweren niederdeutſchen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer wieder, oft in hochkomiſchem Contraſte, brach das ernſthaft nüchterne nordiſche Weſen durch die erkünſtelten Verſailler Formen hindurch. Doch die Verſchwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu verzehren; für ein Gemeinweſen, das ſich alſo durch die Macht des Willens emporgehoben über das Maß ſeiner natürlichen Kräfte, war nichts ſchwerer zu ertragen, als die ſchlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für Deutſchland, daß die derben Fäuſte König Friedrich Wilhelms I. der Luſt und Herrlichkeit jener erſten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten.

Der unfertige Staat enthielt in ſich die Keime vielſeitigen Lebens und vermochte doch mit ſeiner geringen Macht faſt niemals, allen ſeinen Aufgaben zugleich zu genügen; ſeine Fürſten haben das Werk ihrer Väter ſelten in gerader Linie weitergeführt, ſondern der Nachfolger trat immer in die Breſche ein, welche der Vorgänger offen gelaſſen, wendete ſeine beſte Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachläſſigt hatte. Der große Kurfürſt hatte ſein Lebtag zu ringen mit dem Andrang feindlicher Nachbarn. Seine ſtarke Natur verlor über den großen Ent - würfen der europäiſchen Politik nicht jenen ſorgſam haushälteriſchen Sinn, der den Meiſten ſeiner Vorfahren eigen war und ſchon in den Anfängen des Hauſes an dem häufig wiederkehrenden Beinamen Oeconomus ſich erkennen läßt; er that das Mögliche den zerſtörten Wohlſtand des Landes zu heben, erzog den Stamm eines monarchiſchen Beamtenthums, begann den Staatshaushalt nach den Bedürfniſſen moderner Geldwirthſchaft umzugeſtalten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam in den Stürmen dieſer kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des Fürſten perſönliches Anſehen und die ſchwerfällige alte Centralbehörde, der Geheime Rath, hielten das ungeſtalte Bündel ſtändiſcher Territorien nothdürftig zuſammen. Erſt ſein Enkel zerſtörte den alten ſtändiſchen Staat.

König Friedrich Wilhelm I. ſtellte die Grundgedanken der inneren Ordnung des preußiſchen Staates ſo unverrückbar feſt, daß ſelbſt die Geſetze Steins und Scharnhorſts und die Reformen unſerer Tage das Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zerſtören konnten. Er iſt der Schöpfer der neuen deutſchen Verwaltung, unſeres Beamtenthums und Offizierſtandes; ſein glanzlos arbeitſames Wirken ward nicht minder fruchtbar für das deutſche Leben als die Waffenthaten ſeines Großvaters, denn er führte eine neue Staatsform, die geſchloſſene Staatseinheit der modernen Monarchie, in unſere Geſchichte ein. Er gab dem neuen Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte ſein Volk zur Gemein - ſchaft politiſcher Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für alle Zukunft dieſem Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die harten Ecken und Kanten des niederdeutſchen Volkscharakters kennt, wird38I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.dieſen gewaltigen Zuchtmeiſter verſtehen, wie er ſo athemlos durchs Leben ſtürmte, der Spott und Schrecken ſeiner Zeitgenoſſen, rauh und roh, ſcheltend und fuchtelnd, immer im Dienſt, ſein Volk und ſich ſelber zu heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutſchen Schrot und Korn, kerndeutſch in ſeiner kindlichen Offenheit, ſeiner Herzensgüte, ſeinem tiefen Pflichtgefühl, wie in ſeinem furchtbaren Jähzorn und ſeiner formlos ungeſchlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutſchen Volkes wider die alamodiſche Feinheit der wälſchen Sitten, wie er aus Laurenbergs nieder - deutſchen Spottgedichten ſprach, gewann Fleiſch und Blut in dieſem königlichen Bürgersmanne; auch ſeine Härte gegen Weib und Kind zeigt ihn als den echten Sohn jenes claſſiſchen Zeitalters der deutſchen Haus - tyrannen, das alle Leidenſchaft des Mannes aus dem unfreien öffentlichen Leben in die Enge des Hauſes zurückdrängte. Streng und freudlos, abſchreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banauſiſchen Regimente des geſtrengen Herrſchers. Die harte Einſeitigkeit ſeines Geiſtes ſchätzte nur die einfachen ſittlichen und wirthſchaftlichen Kräfte, welche den Staat im Innerſten zuſammenhalten; er warf ſich mit der ganzen Wucht ſeines herriſchen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und bewährte hier die urſprüngliche Kraft eines ſchöpferiſchen Geiſtes. So feſt und folgerecht, wie einſt Wilhelm der Eroberer in dem unter - worfenen England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheits - ſtaates über der Trümmerwelt ſeiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut ſeines Hauſes erſchien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen; vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürſten merk - würdig klar und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat beſtehe zum Beſten Aller, und der König berufen ſei in unparteiiſcher Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu vertreten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Dieſem Gedanken hat er ſein raſtloſes Schaffen gewidmet; und wenn ſein Fuß mit den lockeren Unſitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung gewaltſam zertrat, die unter Friedrich I. ſich zu ent - falten begannen, ſo that er doch das Nothwendige. Die feſte Manns - zucht eines wehrhaften, arbeitſamen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vorzeitige Blüthe der Kunſt und Wiſſenſchaft.

Eine ſanftere Hand als die ſeine war hätte die Zuchtloſigkeit altſtän - diſcher Libertät niemals unter die Majeſtät des gemeinen Rechts gebeugt; zartere Naturen als dieſe niederdeutſchen Kerneichen Friedrich Wilhelm und ſein Wildling Leopold von Deſſau hätten dem Sturmwinde wälſchen Weſens, der damals über die deutſchen Höfe dahinfegte, nie widerſtanden. Als Organiſatoren der Verwaltung ſind dieſem Soldatenkönige unter allen Staatsmännern der neuen Geſchichte nur zwei ebenbürtig: der erſte Conſul Bonaparte und der Freiherr vom Stein. Er verband mit der Kühnheit des Neuerers den peinlich genauen Ordnungsſinn des ſparſamen39Friedrich Wilhelm I. und die Staatseinheit.Hausvaters, dem weder die ſchwarzundweißen Heftfäden der Aktenbündel noch die Kamaſchenknöpfe der Grenadiere entgingen; er faßte verwegene Pläne, die erſt das neunzehnte Jahrhundert zu vollführen vermocht hat, und hielt doch im Handeln mit ſicherem Blicke die Grenzen des Möglichen ein. Sein proſaiſcher, auf das handgreiflich Nützliche gerichteter Sinn ging andere Wege als die ſchwungvolle Heldengröße des Großvaters, doch mitten im Sorgen für das Kleinſte und Nächſte bewahrte er ſtets das Bewußtſein von der ſtolzen Beſtimmung ſeines Staates; er wußte, daß er die Kräfte des Volkes ſammle und bilde für die Entſcheidungs - ſtunden einer größeren Zukunft, und ſagte oft: Ich weiß wohl, in Wien und Dresden nennen ſie mich einen Pfennigklauber und Pedanten, aber meinen Enkeln wird es zu gute kommen!

Durch das Heer wurde Preußen zur europäiſchen Macht erhoben, und durch das Heer ward auch in das alte Verwaltungsſyſtem des Staates die erſte Breſche geſchlagen. Der große Kurfürſt hatte für die Verwaltung der neuen Steuern, die er zur Erhaltung ſeiner Kriegsmacht verwendete, eine Reihe von Mittelbehörden, die Kriegscommiſſariate eingeſetzt; und ſo ſtand denn durch einige Jahrzehnte die Steuerwirthſchaft des werdenden modernen Staates unvermittelt neben der Verwaltung der Kammer - güter, dem letzten Trümmerſtücke der Naturalwirthſchaft des Mittelalters. Friedrich Wilhelm I. hob dieſen Dualismus auf. Er ſchuf in dem Gene - raldirectorium eine Oberbehörde, in den Kriegs - und Domänenkammern Mittelſtellen für die geſammte Verwaltung und gab dieſen Collegien zugleich die Gerichtsbarkeit für die Streitfragen des öffentlichen Rechts. Die bunte Mannichfaltigkeit des Staatsgebietes zwang den König freilich, eine zwiſchen dem Provinzial - und dem Realſyſteme vermittelnde Einrichtung zu treffen; er ſtellte an die Spitze der Abtheilungen des Generaldirec - toriums Provinzialminiſter, die zugleich einige Zweige der Verwaltung für den geſammten Staat zu leiten hatten. Doch im Weſentlichen wurde die Centraliſation der Verwaltung begründet, früher als irgendwo ſonſt auf dem Feſtlande. Was noch übrig geblieben von altſtändiſchen Behörden ward beſeitigt oder dem Befehle des monarchiſchen Beamtenthums unter - worfen; eine ſchonungsloſe Reform brach über die tief verderbte ſtädtiſche Verwaltung herein, beſeitigte den Nepotismus der Magiſtrate, erzwang ein neues gerechteres Steuerſyſtem, warf die drei Städte Königsbergs, die zwei Communen der Havelſtadt Brandenburg zu einer Gemeinde zuſammen, ſtellte das geſammte Städteweſen unter die ſcharfe Aufſicht königlicher Kriegsräthe.

Ueberall trat der Particularismus der Stände, der Landſchaften, der Gemeinden der neuen gleichmäßigen Ordnung feindlich entgegen. Murrend fügte ſich der adliche Landſtand den Geboten der bürger - lichen Beamten. Die ſtolzen Oſtpreußen klagten über Verletzung alter Freiheitsbriefe, da nun Pommern und Rheinländer in die Aemter des40I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Herzogthums eindrangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Ge - dankenkreiſe des altſtändiſchen Staates und nahmen, gleich den franzö - ſiſchen Parlamenten, faſt immer Partei für das verfallene Recht der Theile gegen das lebendige Recht des Ganzen. Alſo, im ſiegreichen Kampfe für Staatseinheit und Rechtsgleichheit, hat ſich Preußens neue regierende Klaſſe, das königliche Beamtenthum geſchult. Aus jenem heimathloſen Dienergeſchlechte, das im ſiebzehnten Jahrhundert von Hof zu Hof umherzog, ward nach und nach ein preußiſcher Stand, der ſein Leben dem Dienſte der Krone hingab und in ihrer Ehre die ſeine fand, ſtreng, thätig und gewiſſenhaft wie ſein König. Er ver - kümmerte nicht, wie die Herren Stände der alten Zeit, in dem engen Geſichtskreiſe der Landſchaft und der Vetterſchaft; er gehörte dem Staate an, lernte ſich heimiſch fühlen in Königsberg wie in Cleve und wahrte in den Klaſſenkämpfen der Geſellſchaft gegen Hoch und Niedrig das Geſetz des Landes. Der König aber gab ſeinen Beamten durch eine feſte Rangordnung und geſicherten Gehalt eine geachtete Stellung im bürgerlichen Leben, forderte von jedem Eintretenden den Nachweis wiſſen - ſchaftlicher Kenntniſſe und begründete alſo eine Ariſtokratie der Bildung neben der alten Gliederung der Geburtsſtände. Die Folge lehrte, wie richtig er die lebendigen Kräfte der deutſchen Geſellſchaft geſchätzt hatte; die beſten Köpfe des Adels und des Bürgerthums ſtrömten der neuen regierenden Klaſſe zu. Das preußiſche Beamtenthum wurde für lange Jahre die feſte Stütze des deutſchen Staatsgedankens, wie einſt die Legiſten Philipps des Schönen die Pioniere der franzöſiſchen Staatsein - heit waren.

Zu der Steuerpflicht, welche der große Kurfürſt ſeinen Unterthanen auferlegt, fügte Friedrich Wilhelm I. die Wehrpflicht und die Schulpflicht hinzu; er ſtellte alſo die Dreizahl jener allgemeinen Bürgerpflichten feſt, welche Preußens Volk zur lebendigen Vaterlandsliebe erzogen haben. Ahnungslos brach ſein in der Beſchränktheit gewaltiger Geiſt die Bahn für eine ſtrenge, dem Bürgerſinne des Alterthums verwandte Staatsge - ſinnung. Der altgermaniſche Gedanke des Waffendienſtes aller wehrbaren Männer war in den kampfgewohnten deutſchen Oſtmarken ſelbſt während der Zeiten der Söldnerheere niemals gänzlich ausgeſtorben. In Oſtpreußen beſtanden noch bis ins achtzehnte Jahrhundert die Trümmer der alten Landwehr der Wybranzen, und Friedrich I. unternahm eine Landmiliz für den geſammten Staat zu bilden. Vor dem Soldatenauge ſeines Sohnes fanden ſolche Verſuche ungeregelter Volksbewaffnung keine Gnade. König Friedrich Wilhelm kannte die Ueberlegenheit wohlgeſchulter ſtehender Heere; er ſah, daß ſein Staat nur durch die Anſpannung aller Kräfte beſtehen und doch die Koſten der Werbungen auf die Dauer nicht er - ſchwingen konnte. Wie ihm überall hinter dem Gebote der politiſchen Pflicht jede andere Rückſicht zurücktrat, ſo gelangte er zu dem kühnen41Verwaltung und Heer.Schluſſe, daß alle Preußen durch die Schule des ſtehenden Heeres gehen müßten. Von den politiſchen Denkern der jüngſten Jahrhunderte hatten allein Machiavelli und Spinoza den einfach großen Gedanken der allge - meinen Wehrpflicht zu vertheidigen gewagt; Beide ſchöpften ihn aus der Geſchichte des Alterthums, Beide blieben unverſtanden von den Zeit - genoſſen. Die Noth des Staatshaushalts und eine inſtinctive Erkennt - niß der Natur ſeines Staates führten dann den derben Praktiker auf Preußens Throne zu derſelben Anſicht, obgleich er von der ſittlichen Kraft eines nationalen Heeres nur wenig ahnte. Er zuerſt unter den Staats - männern des neuen Europas ſprach den Grundſatz aus: jeder Unterthan wird für die Waffen geboren und arbeitete ſein Lebenlang ſich dieſem Ideale anzunähern, ein Heer von Landeskindern zu bilden. Das Canton - reglement von 1733 verkündete die Regel der allgemeinen Dienſtpflicht.

Freilich nur die Regel. Der Gedanke war noch unreif, da die lange Dienſtzeit jener Epoche ihm ſchnurſtracks zuwiderlief. Die Armuth des Landes und die Macht der ſtändiſchen Vorurtheile zwangen den König zahlreiche Ausnahmen zuzulaſſen, ſo daß die Laſt des erzwungenen Waffendienſtes thatſächlich allein auf den Schultern des Landvolkes lag; und ſelbſt die alſo beſchränkte Wehrpflicht konnte nicht vollſtändig durch - geführt werden. Unbeſiegbar blieb der ſtille Widerſtand gegen die uner - hörte Neuerung, der Abſcheu des Volkes vor dem langen und harten Dienſte. Selten gelang es, mehr als die Hälfte des Heeres mit einhei - miſchen Cantoniſten zu füllen; der Reſt ward durch Werbungen gedeckt. Viele der meiſterloſen deutſchen Landsknechte, die bisher in Venedig und den Niederlanden, in Frankreich und Schweden ihre Haut zu Markte getragen, fanden jetzt eine Heimath unter den Fahnen der norddeutſchen Großmacht; der Süden und Weſten des Reichs wurde das ergiebigſte Werbegebiet der preußiſchen Regimenter. Auf ſo wunderlichen Umwegen iſt unſere Nation zur Macht und Einheit aufgeſtiegen. Jenes waffenloſe Drittel des deutſchen Volkes, deſſen Staatsgewalten zum Schutze des Reichs kaum einen Finger regten, zahlte den Blutzoll an das Vaterland durch die tauſende ſeiner verlorenen Söhne, die als Söldner in Preußens Heeren fochten; jene Kleinfürſten in Schwaben und am Rhein, die in Preußen ihren furchtbaren Gegner ſahen, halfen ſelber die Kriegsmacht ihres Feindes zu verſtärken. Seit das preußiſche Heer entſtand, hörte das Reich allmählich auf der offene Werbeplatz aller Völker zu ſein, und als dies Heer erſtarkte war Deutſchland nicht mehr das Schlachtfeld aller Völker.

Das Heer bot dem Könige die Mittel den aufſäſſigen Adel mit der monarchiſchen Ordnung zu verſöhnen. Wohl war das Anſehen des Kriegsherrn ſchon erheblich geſtiegen ſeit jenen argen Tagen, da der große Kurfürſt ſeine eigenen Kriegsoberſten gleich Raubthieren auf der Jagd umſtellen ließ und ſie zwang ihm allein den Eid der Treue zu42I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſchwören; aber erſt dem Enkel glückte, was der Großvater vergeblich er - ſtrebte, die Ernennung aller Offiziere in ſeine Hand zu bringen, das erſte rein monarchiſche Offizierskorps der neuen Geſchichte zu bilden. Sein organiſatoriſcher Sinn, der überall die politiſche Reform den gege - benen Zuſtänden der Geſellſchaft anzupaſſen verſtand, fühlte raſch heraus, daß die abgehärteten Söhne der zahlreichen armen Landadelsgeſchlechter des Oſtens die natürlichen Führer der cantonpflichtigen Bauerburſchen waren. Er ſtellte das Offizierscorps als eine geſchloſſene Ariſtokratie über die Mannſchaft, ſchuf in dem Cadettenhauſe die Pflanzſchule für den Sponton, eröffnete Jedem, der den geſtickten Rock trug, die Ausſicht auf die höchſten Aemter des Heeres, wachte ſtreng über der Standesehre, ſuchte in jeder Weiſe den Adel für dieſen ritterlichen Stand zu gewinnen, während er die gelehrte Bildung des Bürgerthums lieber im Verwaltungs - dienſte verwendete. Wie oft hat er bittend und drohend die trotzigen Edelleute von Oſtpreußen ermahnt, ihre rohen Söhne in die Zucht des Cadettenhauſes zu geben; er ſelber ging mit ſeinem Beiſpiele voran, ließ alle ſeine Prinzen im Heere dienen. Verwundert pries Karl Friedrich Moſer dieſe Erbmaxime des preußiſchen Hauſes, die den Adel an das Militär - und Finanzſyſtem der Krone gewöhnen ſolle . Und es gelang, aus verwilderten Junkern einen treuen und tapferen monarchiſchen Adel zu erziehen, der für das Vaterland zu ſiegen und zu ſterben lernte und ſo feſt wie Englands parlamentariſcher Adel mit dem Leben des Staates verwuchs. Ueberall ſonſt in der hochariſtokratiſchen Welt der Oſtſeelande blühte die ſtändiſche Anarchie: in Schweden und Schwediſch-Pommern, in Mecklenburg, Polniſch-Preußen und Livland; nur in Preußen wurde der Adel den Pflichten des modernen Staates gewonnen. Die Armee erſchien wie ein Staat im Staate, mit eigenen Gerichten, Kirchen und Schulen; der Bürger ſah mit Entſetzen die eiſerne Strenge der unmenſchlichen Kriegszucht, welche die rohen Maſſen der Mannſchaft gewaltſam zuſammen - hielt, ertrug unwillig den polternden Hochmuth der Leutnants und jenen Centaurenhaß gegen die Gelehrſamkeit der Federfuchſer, der ſeit den Tagen des feurigen Prinzen Karl Aemil in den Offizierskreiſen zur Schau getragen wurde und in der Berſerkerroheit des alten Deſſauers ſich ver - körperte. Und doch war dies Heer nicht blos die beſtgeſchulte und beſt - bewaffnete Kriegsmacht der Zeit, ſondern auch das bürgerlichſte unter allen großen Heeren der modernen Völker, das einzige, das ſeinem Kriegs - herrn nie die Treue brach, das nie verſuchte dem Geſetze des Landes mit Prätorianertrotz entgegenzutreten.

Ebenſo unheimlich wie dieſe Heeresorganiſation erſchien den Deutſchen der preußiſche Schulzwang; die Unwiſſenheit des großen Haufens galt den herrſchenden Ständen noch für die ſichere Bürgſchaft ſtaatlicher Ordnung. König Friedrich Wilhelm aber bewunderte, wie ſein Großvater, die proteſtantiſchen Niederlande als das gelobte Land bürgerlicher Wohl -43Die Krone und die Stände.fahrt; er hatte dort den ſittlichen und wirthſchaftlichen Segen einer weit verbreiteten Schulbildung kennen gelernt und fühlte dunkel, daß die Lebenskraft der proteſtantiſchen Cultur in der Volksſchule liegt. Da er einſah, daß die gedrückten und verdumpften Volksmaſſen des Nordoſtens nur durch die Zwangsgewalt des Staates ihrer Roheit entriſſen werden konnten, ſo ſchritt er auch hier der Geſetzgebung aller anderen Großmächte entſchloſſen voraus und legte durch das Schulgeſetz von 1717 jedem Hausvater kurzab die Pflicht auf ſeine Kinder in die Schule zu ſchicken. Sehr langſam hat ſich auf dem Boden dieſes Geſetzes das preußiſche Volksſchulweſen ausgebildet. Die Entwicklung ward erſchwert nicht blos durch die Armuth und Trägheit des Volks, ſondern auch durch die Schuld des Königs ſelber; denn alle Volksbildung ruht auf dem Gedeihen ſelbſtändiger Forſchung und ſchöpferiſcher Kunſt, und für dies ideale Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott des Barbaren.

So, durch die Gemeinſchaft ſchwerer Bürgerpflichten, durch die Ein - heit des Beamtenthums und des Heerweſens wurden die Magdeburger und Pommern, die Märker und Weſtphalen zu einem preußiſchen Volke, und Friedrich II. gab nur dem Werke ſeines Vaters den rechtlichen Ab - ſchluß, als er allen ſeinen Unterthanen das preußiſche Indigenat verlieh. Aber wie ſchroff und herriſch auch dies Königthum ſeine Souveränität als einen rocher von bronze jedem Ungehorſam entgegenſtellte, das Werk der Einigung ſchritt doch weit ſchonender vorwärts als im Nachbarlande die gewaltſame Einebnung des franzöſiſchen Bodens . Der Staat konnte ſeine germaniſche Natur nicht verleugnen; ein Zug hiſtoriſcher Pietät lag tief in ſeinem Weſen. Wie er die kirchlichen Gegenſätze zu verſöhnen ſuchte, ſo mußte er auch in der Politik eine mittlere Richtung einhalten um die Ueberfülle der centrifugalen Kräfte zu beſchwichtigen. Geduldige Achtung ward den alten Erinnerungen der Landſchaften überall erwieſen; noch heute prangt der Doppeladler Oeſterreichs faſt auf jedem Ring der ſchleſiſchen Städte, und der Schutzheilige Böhmens blickt noch von der Glatzer Citadelle auf die ſchöne Grafſchaft hernieder. Jene übermüthigen Herren Stände, die dem großen Kurfürſten noch verbieten wollten ſeinen Vater nach calviniſchem Brauche zu beerdigen, waren endlich nach gewaltigem Ringen in die Reihen der gemeinen Unterthanen herabgedrückt. Die Landtage verloren ihre alten Regierungsrechte ſowie jeden Einfluß auf Staatshaushalt und Heerweſen; doch nachdem dieſer Kampf ſiegreich beendigt war, ließ man ihnen den Schein des Lebens.

Preußens Krone hat bis zum Untergange des heiligen Reiches in allen den Landſchaften, die ſie nach und nach erwarb, nur dreimal eine land - ſtändiſche Verfaſſung förmlich aufgehoben: in Schleſien, in Weſtpreußen und im Münſterlande, da dort die Stände den Heerd einer ſtaatsfeind - lichen Partei bildeten, die dem Eroberer bedrohlich ſchien. Ueberall ſonſt kamen die Landtage in die neueren Tage hinüber, ein ſeltſames Getrümmer44I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.aus jenen alten Zeiten, da der deutſche Norden noch in kleine Territorien zerfiel. Sie waren die Eierſchale, die der junge Aar noch auf ſeinem Kopfe trug; ſie vertraten die Vergangenheit des Staates, Krone, Beamten - thum und Heer ſeine Gegenwart. Sie vertraten den Particularismus und das ſtändiſche Privilegium gegen die Staatseinheit und das gemeine Recht; ihre Macht reichte noch aus um den großen Gang der monarchiſchen Geſetzgebung zuweilen zu erſchweren, nicht mehr um ihn gänzlich aufzu - halten. Den Landtagsausſchüſſen blieb die Vertheilung einiger Steuern und die Verwaltung des landſchaftlichen Schuldenweſens; auf dieſem engen Gebiete beſtanden der Nepotismus, der Schlendrian und das leere Formel - weſen des altſtändiſchen Staates noch ungebrochen, und der märkiſche Edelmann nannte ſein Brandenburg noch gern einen ſelbſtändigen Staat unter der Krone Preußen. Auch das altſtändiſche Landrathsamt ward nicht aufgehoben, ſondern behutſam in die Ordnung des monarchiſchen Beamten - thums eingefügt; der Landrath, auf Vorſchlag der Stände durch die Krone ernannt, war zugleich Vertreter der Ritterſchaft und königlicher Beamter, der Kriegs - und Domänenkammer untergeben. Der König hegte ein gut bürgerliches Mißtrauen gegen den gewaltthätigen Uebermuth ſeiner Junker, doch er bedurfte der Hingebung des Adels um die neue Heeres - verfaſſung aufrecht zu halten, ſuchte die Murrenden durch Ehren und Würden zu beſchwichtigen, ließ den Grundherren einen Theil der alten Steuerprivilegien und die gutsherrliche Polizei, freilich unter der Aufſicht der königlichen Beamten.

Nur dieſe kluge Schonung hat dem Könige die Durchführung ſeiner großen wirthſchaftlichen Reformen ermöglicht. Er begründete jenes eigen - thümliche Syſtem monarchiſcher Organiſation der Arbeit, das während zweier Menſchenalter die altüberlieferte Gliederung der Stände mit den neuen Aufgaben des Staates in Einklang gehalten hat. Jeder Provinz und jedem Stande wies die Krone gewiſſe Zweige volkswirthſchaftlicher und politiſcher Arbeit zu. Außer dem Landbau, dem Hauptgewerbe der geſammten Monarchie, ſollten in der Kurmark und den weſtphäliſchen Provinzen die Manufacturen, in den Küſtenländern der Handel, im Magdeburgiſchen der Bergbau betrieben werden. Dem Adel gebührte allein der große Grundbeſitz und ein nahezu ausſchließlicher Anſpruch auf die Offiziersſtellen, dem Bauernſtande die ländliche Kleinwirthſchaft und der Soldatendienſt, den Stadtbürgern Handel und Gewerbe und, dem entſprechend, hohe Steuerlaſt.

Dieſe Rechte der Stände und Landſchaften vor jedem Eingriff zu ſichern galt als die Pflicht königlicher Gerechtigkeit und ſie war nirgends ſo ſchwer zu erfüllen, wie hier auf dem alten Coloniſtenboden, wo die Uebermacht der Grundherren zugleich der Krone und dem bürgerlichen Frieden bedrohlich wurde. Die menſchlichſte der Königspflichten, die Beſchützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein45Der König der Bettler.Gebot der Selbſterhaltung; ſie führten mit Stolz den Namen Könige der Bettler , den ihnen Frankreichs Hohn erſann. Die Krone verbot das Auskaufen der Bauerngüter, das in Mecklenburg und Schwediſch - Pommern dem Adel die Alleinherrſchaft auf dem flachen Lande ver - ſchaffte; ſie rettete den ländlichen Mittelſtand vom Untergange, und ſeit Friedrich Wilhelm I. arbeitete eine durchdachte Agrargeſetzgebung an der Entfeſſelung des Landvolkes. Der König wünſchte die Erbunterthänigkeit aufzuheben, allen bäuerlichen Beſitz in freies Grundeigenthum zu ver - wandeln; ſchon im Jahre 1719 ſprach er aus, was es denn für eine edle Sache ſei, wenn die Unterthanen ſtatt der Leibeigenſchaft ſich der Freiheit rühmen, das Ihrige deſto beſſer genießen, ihr Gewerbe und Weſen mit um ſo mehr Begierde und Eifer als ihr eigenes treiben . Dieſen Herzenswunſch der Krone zu erfüllen blieb freilich noch auf lange hinaus unmöglich; zu leidenſchaftlich war der Widerſpruch des mächtigen Adels, der ſchon die Aufhebung des Lehensweſens als eine Kränkung empfand, zu zähe das ſtille Widerſtreben der rohen Bauern ſelber, die jede Aenderung des Hergebrachten mit Argwohn betrachteten. Aber ſtetig und unaufhaltſam hat ſich der König ſeinem Ziele angenähert. Sein Prügelmandat ſchützte den Gutsunterthan vor Mißhandlung; die bäuer - lichen Dienſte und Abgaben wurden erleichtert, die Auftheilung der Ge - meinheiten und die Zuſammenlegung der Grundſtücke begonnen, überall die Bahn gebrochen für die Befreiung der Scholle und der Arbeitskraft. Die Reformen Steins und Hardenbergs konnten nur darum einen ſo durchſchlagenden Erfolg erringen, weil ſie vorbereitet waren durch die Geſetzgebung dreier Menſchenalter. Bei dem Beamtenthum der Krone fand der kleine Mann Schutz gegen adlichen Uebermuth, ſachkundigen Rath und unerbittlich ſtrenge Aufſicht; kein Opfer ſchien dem ſparſamen Könige zu ſchwer für das Beſte ſeiner Bauern; die geſammte Staatsein - nahme eines vollen Jahres hat er aufgewendet um ſein Schmerzenskind, das von Peſt und Krieg verheerte Oſtpreußen der Geſittung zurückzu - geben, die weite Wüſte am Memel und Pregel mit fleißigen Arbeitern zu bevölkern.

Der treuen Sorgfalt für das Wohl der Maſſen, nicht dem Glanze des Kriegsruhms dankten die Hohenzollern das in aller Noth und Ver - ſuchung unerſchütterliche Vertrauen des Volkes zu der Krone. Zeiten der Erſtarrung und Ermattung blieben dem preußiſchen Staate ſo wenig erſpart wie andern Völkern; ſie erſcheinen ſogar in ſeiner Geſchichte auffälliger, häßlicher als irgendwo ſonſt, weil immer tauſend feindſelige Augen nach ſeinen Schwächen ſpähten und der vielumkämpfte zu verſinken drohte ohne die Spannkraft des Willens. Wer längere Zeiträume ruhig überblickt, kann gleichwohl das ſtetige Fortſchreiten der Monarchie zur Staatseinheit und Rechtsgleichheit nicht verkennen. Wie die Bilder der Hohenzollern zwar nicht die geiſtlos eintönige Gleichheit habsburgiſcher46I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Fürſtenköpfe, doch einen unverkennbaren Familienzug zeigen, ſo auch ihr politiſcher Charakter. Alle, die großen wie die ſchwachen, die geiſtreichen wie die beſchränkten, bekunden mit ſeltenen Ausnahmen einen nüchtern verſtändigen Sinn für die harten Wirklichkeiten des Lebens, der nicht verſchmäht im Kleinen groß zu ſein, und alle denken hoch von ihrer Fürſtenpflicht.

Die Geſinnung des erſten märkiſchen Hohenzollern, der ſich Gottes ſchlichten Amtmann an dem Fürſtenthum nannte, waltet in allen Enkeln; ſie kehrt wieder in dem Wahlſpruche des großen Kurfürſten Für Gott und das Volk ; ſie ſpricht aus dem fieberiſchen Dienſteifer des Soldaten - königs, der ſich immer bewußt blieb mit ſeiner Seelen Seligkeit dereinſt ein - ſtehen zu müſſen für das Wohl ſeines Volkes; ſie findet endlich einen tieferen und freieren Ausdruck in dem fridericianiſchen Worte: Der König iſt der erſte Diener des Staates. Viele der Hohenzollern haben gefehlt durch allzu gewiſſenhafte Scheu vor dem Würfelſpiele des Krieges, Wenige durch unſtete Kampfluſt; die überlieferte Politik des Hauſes ſuchte den Herrſcherruhm in der Wahrung des Rechts und der Pflege der Werke des Friedens, richtete nur zuweilen, in großen Augenblicken, die wohlge - ſchonten Kräfte des Staates nach außen auch hierin wie überall das ſchroffe Gegenbild der gänzlich den europäiſchen Fragen zugewendeten Staatskunſt der Habsburger. Die Dynaſtie hatte längſt gleich den alt - franzöſiſchen Königen ihr Hausgut an den Staat abgetreten; ſie lebte allein dem Ganzen. Während faſt alle anderen Territorien des Reichs den Namen und das Wappenſchild ihres Fürſtenhauſes annahmen, trugen die Fahnen der Hohenzollern den alten Reichsadler der Stauferzeit, den ſich die ferne Oſtmark durch die Jahrhunderte bewahrt hatte, und die Deutſch-Ordensfarben des Landes Preußen. Dies hart politiſche König - thum erzog ein mißhandeltes und verwildertes Volk zu den Rechten und Pflichten des Staatsbürgerthums. Wo immer man die Zuſtände deutſcher Landſchaften vor und nach ihrem Eintritt in den preußiſchen Staat vergleichen mochte, in Pommern, in Oſtpreußen, in Cleve und der Graf - ſchaft Mark, überall hatte der Klang der preußiſchen Trommeln den Deutſchen die Freiheit gebracht: die Befreiung von der Gewalt des Aus - lands und von der Tyrannei ſtändiſcher Vielherrſchaft. Auf dem Boden des gemeinen Rechtes iſt dann unter ſchweren Kämpfen, doch in natür - licher, nothwendiger Entwicklung eine neue reifere Form der politiſchen Freiheit erwachſen, die geordnete Theilnahme der Bürger an der Leitung des Staates. Nicht das Genie, ſondern der Charakter und die feſte Mannszucht gab dieſem Staate ſittliche Größe; nicht der Reichthum, ſondern die Ordnung und die raſche Schlagfertigkeit ſeiner Mittel gab ihm Macht.

Doch jetzt am wenigſten konnte die deutſche Nation ein Verſtändniß gewinnen für die ſeltſame Erſcheinung dieſes waffenſtarken Staates, wie47Haß der Deutſchen gegen Preußen.er ſo daſtand, eine jugendlich unreife Geſtalt, knochig und ſehnig, Kraft und Trotz im Blicke, aber unſchön, ohne die Fülle der Formen, aller Anmuth, alles Adels baar. Die alte Abneigung der Deutſchen gegen das vordringliche Brandenburg wurde durch die böotiſche Rauheit Friedrich Wilhelms I. bis zu leidenſchaftlichem Widerwillen geſteigert. Dem Hiſto - riker ziemt es nicht, die erſchreckend grellen Farben unſerer neuen Geſchichte mit weichem Pinſel zu verwiſchen; es iſt nicht wahr, daß dieſer tiefe Haß der Nation nur verhaltene Liebe geweſen ſei. Damals bildete ſich in der öffentlichen Meinung jene aus Wahrem und Falſchem ſeltſam gemiſchte Anſicht vom Weſen des preußiſchen Staates, die in den Kreiſen der deutſchen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrſcht hat und noch heutzutage in der Geſchichtſchreibung des Auslands die Oberhand be - hauptet. Dies Land der Waffen erſchien den Deutſchen wie eine weite Kaſerne. Nur der dröhnende Gleichtritt der Potsdamer Rieſengarde, der barſche Commandoruf der Offiziere und das Jammergeſchrei der durch die Gaſſe gejagten Deſerteure klang aus der dumpfen Stille des großen Kerkers ins Reich hinüber; von den Segenswünſchen, welche der dankbare litthauiſche Bauer für ſeinen geſtrengen König zum Himmel ſchickte, hörte Deutſchland nichts. Der Adel im Reich ſah eben jetzt goldene Tage. In Hannover waltete das Regiment der Herren Stände ſchrankenlos, ſeit der Kurfürſt im fernen England weilte; das ſächſiſche Junkerthum benutzte den Uebertritt ſeines Polenkönigs zur römiſchen Kirche um ſich neue ſtändiſche Privilegien zu erringen und tummelte ſich in Saus und Braus an dem ſchamloſen Hofe der albertiniſchen Landver - derber; zornig zugleich und geringſchätzig ſchauten die ſtolzen Geſchlechter der Nachbarlande auf den bürgerlich-ſoldatiſchen Despotismus der Hohen - zollern, der die fröhliche Zeit der Adelsherrſchaft ſo gewaltſam ſtörte.

Auch der Bürgersmann wollte ſich zu dem preußiſchen Weſen kein Herz faſſen. Er betrachtete bald mit ironiſchem Mitleid bald mit ſcheuer Furcht den eiſernen Fleiß und die unbeſtechliche Strenge der preußiſchen Beamten; er meinte alle Heiligkeit des Rechtes bedroht, wenn er die neue Verwaltung, in beſtändigem Kampfe mit den Gerichten, über die alten Freiheitsbriefe der Landſchaften und Communen rückſichtslos hinweg - ſchreiten ſah, und ahnte nicht, daß dies alte Leben, das hier zertreten ward, nur das wimmelnde Leben der Verweſung war. Mit beſſerem Rechte zürnten die Gelehrten. Die geſammte akademiſche Welt fühlte ſich ſchmählich beleidigt, als der rohe König mit dem ehrwürdigen J. J. Moſer und den Frankfurter Profeſſoren ſeine höhniſchen Poſſen trieb. Wie der Anblick der ſteifen trocknen ſoldatiſchen Ordnung auf reiche Künſtler - ſeelen wirkte, das bekundet uns noch der überſtrömende Haß, welchen der größte Preuße jener Tage ſeinem Vaterlande widmete. Mit glühender Sehnſucht ſtrebte Winkelmann hinaus aus der ſchweren und erſtickenden Luft des vermaledeiten Landes, und als er endlich den Staub der alt -48I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.märkiſchen Schulſtube von ſeinen Füßen geſchüttelt und an den Gemälden der Dresdner Galerie mit trunkenen Blicken ſchwelgte, da ſandte er noch, unbefangen wie ein großer Heide, ſeine Flüche der Heimath zu: Ich gedenke mit Schaudern an dieſes Land; auf ihm drückt der größte Des - potismus, der je gedacht iſt. Beſſer ein beſchnittener Türke werden als ein Preuße. In einem Lande wie Sparta (eine ſehr ideale Bezeichnung des Regiments des Corporalſtocks!) können die Künſte nicht gedeihen und müſſen gepflanzt ausarten. So weit ſtrebten jene ſchöpferiſchen Kräfte noch auseinander, die in unbewußtem Bunde das neue Deutſchland gebaut haben! Die kleinen Leute im Reiche verwünſchten den König von Preußen wegen der Landplage ſeiner Werbungen. Wachſe nicht, dich fangen die Werber! rief die ſchwäbiſche Mutter ängſtlich ihrem Sohne zu; Jedermann am Rhein wußte hundert unheimliche Geſchichten aus dem Wirthshauſe zu Frankfurt, wo die preußiſchen Werboffiziere ihr Standquartier hatten; keine Teufelei, die man den wilden Geſellen nicht zutraute.

Und all dieſe Liſt und Gewalt, alle die ungeheuren Heereskoſten, welche volle vier Fünftel der preußiſchen Staatseinnahmen verſchlangen, dienten, ſo meinte man im Reiche, doch nur der zweckloſen Soldaten - ſpielerei eines närriſchen Tyrannen. Ein Menſchenalter war verfloſſen ſeit jenem Heldenkampfe von Caſſano, da das Blut der märkiſchen Gre - nadiere die Wellen des Ritorto röthete und die dankbaren Lombarden die tapferen Prussiani zum erſten male mit den rauſchenden Klängen des Deſſauer Marſches begrüßten; wenn die wilde herausfordernde Weiſe jetzt auf friedlichen Exercirplätzen erklang, ſo lachten die Deutſchen über den preußiſchen Wind . Friedrich Wilhelms Regierung fiel in die armſelig ideenloſe Zeit des Utrechter Friedens; die kleinen Künſte der Fleury, Alberoni, Walpole beherrſchten die europäiſche Politik. Rathlos ſtand der gradſinnige Fürſt in dem durchtriebenen Ränkeſpiel der Diplomatie. Er hielt in altdeutſcher Treue zu ſeinem Kaiſer, wollte ſeinen Kindern Säbel und Piſtolen in die Wiege legen um die fremden Nationen vom Reichsboden zu ſchmeißen; wie oft hat er mit dem vater - ländiſchen Bierkrug in der Hand ſein ſchallendes Vivat Germania teutſcher Nation! gerufen. Nun mußte der Argloſe erleben, wie die Wiener Hofburg mit ſeinen beiden ehrgeizigen Nachbarn Hannover und Sachſen insgeheim die Zerſtückelung Preußens verabredete, wie ſie dann den Albertinern zur polniſchen Krone verhalf, Lothringen den Franzoſen preisgab und in ſeinem eigenen Hauſe den Unfrieden ſchürte zwiſchen Vater und Sohn, wie ſie ihm endlich ſein gutes Erbrecht auf Berg und Oſtfriesland treulos zu entwinden ſuchte. So ward er ſein Leben lang hin und her geſtoßen zwiſchen Gegnern und falſchen Freunden; erſt am Ende ſeiner Tage hat er Oeſterreichs Argliſt durchſchaut und ſeinen Sohn ermahnt, den betrogenen Vater zu rächen. An den fremden Höfen aber ging49Friedrich II. die Rede, der König ſtehe beſtändig mit geſpanntem Hahn auf der Wacht ohne jemals abzudrücken; und wenn den deutſchen Mann im Reiche zuweilen eine ſtille Angſt vor der Potsdamer Wachparade überkam, dann tröſtete ihn das Spottwort: So ſchnell ſchießen die Preußen nicht!

Der Spott verſtummte, als Preußen einen Herrſcher fand, der mit dem Sinne für das Mögliche, mit der glücklichen Nüchternheit der Hohen - zollern die Kühnheit und den freien Blick des Genius vereinte. Der helle Sonnenſchein der Jugend ſtrahlt über den Anfängen der fridericianiſchen Zeit, da endlich nach langem Stocken und Zagen die zähe Maſſe der er - ſtarrten deutſchen Welt wieder in Fluß gerieth und die mächtigen Gegenſätze, welche ſie barg, in nothwendigem Kampfe ſich maßen. Seit den Tagen jenes Löwen aus Mitternacht hatte Deutſchland nicht mehr das Bild eines Helden geſehen, zu dem die geſammte Nation bewundernd emporblickte; der aber jetzt in ſtolzer Freiheit, wie einſt Guſtav Adolf, mitten durch die großen Mächte ſeines Weges ſchritt und die Deutſchen zwang wieder an die Wunder des Heldenthums zu glauben, er war ein Deutſcher.

Der ſpringende Punkt in dieſer mächtigen Natur bleibt doch die erbarmungslos grauſame deutſche Wahrhaftigkeit. Friedrich giebt ſich wie er iſt und ſieht die Dinge wie ſie ſind. Wie in der langen Bändereihe ſeiner Briefe und Schriften keine Zeile ſteht, darin er verſuchte ſeine Thaten zu beſchönigen, ſein eignes Bild für die Nachwelt auszuſchmücken, ſo trägt auch ſeine Staatskunſt, wenngleich ſie die kleinen Künſte und Liſten des Zeitalters als Mittel zum Zwecke nicht verſchmäht, das Gepräge ſeines königlichen Freimuths: ſo oft er zum Schwerte greift, verkündet er mit unumwundener Beſtimmtheit, was er von dem Gegner fordert, und legt die Waffen erſt nieder am erreichten Ziele. Seit er zum Denken er - wacht fühlt er ſich froh und ſtolz als den Sohn eines freien Jahr - hunderts, das mit der Fackel der Vernunft in die ſtaubigen Winkel einer Welt alter Vorurtheile und entgeiſteter Ueberlieferungen hineinleuchtet; er läßt ſich das Bild des Sonnengottes, der ſiegreich durch die Morgen - wolken aufſteigt, an die Decke ſeines heiteren Rheinsberger Saales malen. Mit der dreiſten Zuverſicht des Jüngers der Aufklärung tritt er an die Erſcheinungen des hiſtoriſchen Lebens heran und prüft eine jede, wie ſie beſtehe vor dem Urtheil des ſcharfen Verſtandes. In den ſchweren Machtkämpfen der Staaten achtet er nur das Lebendige, nur die von raſcher Thatkraft klug benutzte Macht. Unterhandlungen ohne Waffen ſind wie Noten ohne Inſtrumente , ſagt er unbefangen, und auf die Nachricht von dem Tode des letzten Habsburgers fragt er ſeine Räthe: Ich gebe Euch ein Problem zu löſen; wenn man im Vortheil iſt, ſoll man ſich deſſen zu nutze machen oder nicht? Die prahleriſche Ohn - macht, die ſich als Macht gebärdet, das unſittliche Vorrecht, das mit der Heiligkeit des hiſtoriſchen Rechtes prunkt, die Thatenſcheu, die ihre Rath - loſigkeit hinter leeren Formbedenken verbirgt, fanden niemals einenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. 450I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſtolzeren Verächter; und nirgends konnte dieſer unerbittliche Realismus ſo reinigend und zerſtörend, ſo revolutionär wirken wie in der großen Fabel - welt des römiſchen Reichs. Nichts ſchonungsloſer als Friedrichs Hohn wider die heilige Majeſtät des Kaiſers Franz, der am Schürzenbande ſeiner Gemahlin gegängelt wird und, ein würdiger König von Jeruſalem, für die Heere der Königin von Ungarn einträgliche Lieferungsgeſchäfte be - ſorgt; nichts grauſamer als ſein Spott über das Phantom der Reichs - armee, über die dünkelhafte Nichtigkeit der kleinen Höfe, über die Formel - krämerei dieſer verfluchten Perrücken von Hannover, über den leeren Hochmuth des ſtaatloſen Junkerthums in Sachſen und Mecklenburg, über dieſe ganze Raſſe von Prinzen und Leuten Oeſterreichs : wer vor den Großen dieſer Welt die Kniee beugt, der kennt ſie nicht!

Im vollen Bewußtſein der Ueberlegenheit hält er den Schattenbildern des Reichsrechtes die geſunde Wirklichkeit ſeines modernen Staates ent - gegen; eine ingrimmige Schadenfreude ſpricht aus ſeinen Briefen, wenn er die Pedanten von Regensburg des Krieges eherne Nothwendigkeit empfinden läßt. Friedrich vollzog durch die That was die ſtreitbaren Publiciſten des vergangenen Jahrhunderts, Hippolithus und Severinus, nur mit Worten verſucht hatten: er hielt dem unheimlich leichenhaften Angeſicht Germaniens den Spiegel vor, erwies vor aller Welt die rettungsloſe Fäulniß des heiligen Reichs. Mochten wohlmeinende Zeit - genoſſen ihn ſchelten, weil er das altehrwürdige Gemeinweſen dem Gelächter preisgegeben: die Nachwelt dankt ihm, denn er hat die Wahrheit wieder zu Ehren gebracht in der deutſchen Politik, wie Martin Luther einſt im deutſchen Denken und Glauben.

Friedrich hatte jene ſtreng proteſtantiſche Anſicht von deutſcher Ge - ſchichte und Reichspolitik, die ſeit Pufendorf und Thomaſius unter den freieren Köpfen Preußens vorherrſchte, frühe in ſich aufgenommen und ſie dann, unter den erbitternden Erfahrungen ſeiner mißhandelten Jugend, ſcharf und ſelbſtändig weiter gebildet. Er ſieht in der Erhebung der Schmalkaldener, im dreißigjährigen Kriege, in allen Wirren der jüngſten zwei Jahrhunderte nichts als den unabläſſigen Kampf der deutſchen Freiheit wider den Despotismus des Hauſes Oeſterreich, das die ſchwachen Fürſten des Reichs mit eiſernem Scepter als Sklaven beherrſche und nur die ſtarken frei gewähren laſſe. Nicht ohne Willkür legt er ſich die Thatſachen der Geſchichte nach dieſer einſeitigen Auffaſſung zurecht; die dem Lichte und dem Leben zugewandte Einſeitigkeit bleibt ja das Vorrecht des ſchaffenden Helden. Jenen alten Kampf ſiegreich hinauszuführen ſcheint ihm die Aufgabe des preußiſchen Staates. In ſeinen jungen Jahren ſteht er noch treu zur evangeliſchen Sache; er preiſt die rühm - liche Pflicht des Hauſes Brandenburg die proteſtantiſche Religion überall im deutſchen Reiche und in Europa zu fördern und bemerkt in Heidel - berg voll Unmuth, wie hier in der alten Herrſcherſtätte unſerer Kirche51Friedrichs Jugendpläne.die Mönche und Prieſter Roms wieder ihr Weſen treiben. Aber auch als er ſpäterhin dem Kirchenglauben ſich entfremdet und von der Höhe ſeiner ſelbſtgewiſſen philoſophiſchen Aufklärung herunter wegwerfend ab - urtheilt über die mittelmäßigen Pfaffennaturen Luther und Calvin, bleibt ihm doch das Bewußtſein lebendig, daß ſein Staat mit allen Wurzeln ſeines Weſens der proteſtantiſchen Welt angehört. Er weiß, wie alle Helfershelfer des römiſchen Stuhles insgeheim an der Vernichtung der neuen proteſtantiſchen Großmacht arbeiten; er weiß, daß ſein menſch - liches Ideal der Glaubensfreiheit, das Recht eines Jeden nach eigener Façon ſelig zu werden, vorderhand nur möglich iſt auf dem Boden des Proteſtantismus; er weiß, daß er in neuen, weltlichen Formen die Kämpfe des ſechszehnten Jahrhunderts weiterführt, und ſetzt noch über ſein letztes Werk, den Plan des deutſchen Fürſtenbundes, die vielſagende Ueber - ſchrift: entworfen nach dem Muſter des Bundes von Schmalkalden.

Das früheſte der uns erhaltenen politiſchen Schriftſtücke Friedrichs zeigt uns die Blicke des Achtzehnjährigen ſchon jenem Gebiete des Staats - lebens zugewendet, auf dem er die höchſten und eigenſten Kräfte ſeiner Begabung entfalten ſollte: den Fragen der großen Politik. Der Kron - prinz betrachtet die Weltſtellung ſeines Staates, findet die Lage des zer - ſtückelten Gebietes ſchwer gefährdet und entwirft dann, noch halb ſcherzend, im übermüthigen Spiele, verwegene Anſchläge, wie die entlegenen Provinzen abzurunden ſeien, damit ſie ſich nicht mehr gar ſo einſam, ohne Geſell - ſchaft befinden. Nur kurze Zeit, und die unreifen jugendlichen Einfälle kehren wieder als tiefe und mächtige Gedanken; drei Jahre vor ſeiner Thron - beſteigung ſieht er bereits ahnungsvoll, in wunderbarer Klarheit, den großen Weg ſeines Lebens offen vor ſich liegen: Es ſcheint, ſo ſchreibt er, der Himmel hat den König beſtimmt, alle Vorbereitungen zu treffen, welche die weiſe Umſicht vor Beginn eines Krieges erheiſcht. Wer weiß, ob nicht die Vorſehung mir vorbehalten hat, dereinſt einen glorreichen Gebrauch zu machen von dieſen Kriegsmitteln und ſie zu verwenden zur Ver - wirklichung der Pläne, wofür die Vorausſicht meines Vaters ſie beſtimmte! Er bemerkt, wie ſein Staat in unhaltbarer Mittelſtellung zwiſchen den Kleinſtaaten und den Großmächten daherſchwankt, und zeigt ſich entſchloſſen dieſem Zwitterweſen einen feſten Charakter zu geben (décider cet être): die Vergrößerung des Staatsgebietes, das corriger la figure de la Prusse iſt zur Nothwendigkeit geworden, wenn anders Preußen auf eignen Füßen ſtehen, den großen königlichen Namen mit Ehren führen will.

Von Geſchlecht zu Geſchlecht hatten ſeine Ahnen dem Hauſe Oeſter - reich treue Heeresfolge geleiſtet, jederzeit gewiſſenhaft verſchmähend die Ver - legenheit des Nachbarn zum eignen Vortheil auszubeuten; Undank, Betrug und Verachtung war ihr Lohn geweſen. Auch Friedrich ſelber hatte den Uebermuth, die Anmaßung, den wegwerfenden Hochmuth dieſes hochtraben - den Wiener Hofes in den Schmerzensſtunden ſeiner mißhandelten Jugend4*52I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſchwer empfunden; ſein Herz war geſchworen von Haß gegen die kaiſerliche Bande , die mit ihren Schlichen und Lügen ihm das Herz ſeines Vaters verfeindet hatte. Sein unzähmbarer Stolz bäumte ſich auf, wenn man an dem väterlichen Hofe den vornehmen Ton kalter Abweiſung gegen die Zumuthungen Oeſterreichs gar nicht finden wollte; dann ſchrieb er zornig, ein König von Preußen ſolle dem edlen Palmbaum gleichen, von dem der Dichter ſage: wenn du ihn fällen willſt, ſo hebt er ſeinen ſtolzen Wipfel. Zugleich war er mit wachſamen Augen der Verſchiebung der Machtverhältniſſe im Staatenſyſteme gefolgt und zu der Einſicht gelangt, daß die alte Politik des europäiſchen Gleichgewichts ſich gänzlich überlebt hatte: ſeit den Siegen des ſpaniſchen Erbfolgekrieges war es nicht mehr an der Zeit, im Bunde mit Oeſterreich und England die Bourbonen zu bekämpfen; jetzt galt es, den neuen deutſchen Staat durch den Schrecken ſeiner Waffen auf eine ſolche Stufe der Macht emporzuheben, daß er gegen jede Nachbarmacht, auch gegen das Kaiſerhaus ſeinen freien Willen behaupten durfte.

So erhält denn der viel mißbrauchte Ausdruck deutſche Freiheit in Friedrichs Munde einen neuen, edleren Sinn. Er bedeutet nicht mehr jene ehrloſe Kleinfürſtenpolitik, welche das Ausland gegen den Kaiſer zu Hilfe rief und die Marken des Reichs an die Fremden verrieth; er bedeu - tet die Aufrichtung einer großen deutſchen Macht, die das Vaterland im Oſten und im Weſten mit ſtarker Hand vertheidigt, aber nach ihrem eigenen Willen, unabhängig von der Reichsgewalt. Seit hundert Jahren galt die Regel, daß wer nicht gut öſterreichiſch war gut ſchwediſch ſein mußte, wie Hippolithus a Lapide, oder gut franzöſiſch, wie die Fürſten des Rheinbundes, oder gut engliſch, wie die Sippe des Welfenhauſes; ſelbſt der große Kurfürſt konnte, in der furchtbaren Preſſung zwiſchen über - legenen Nachbarn, nur von Zeit zu Zeit eine ſelbſtändige Haltung be - haupten. Es iſt Friedrichs Werk, daß neben jenen beiden gleich verderb - lichen Tendenzen der verhüllten und der unverhüllten Fremdherrſchaft eine dritte Richtung ſich erhob, eine Politik, die nur preußiſch war und nichts weiter; ihr gehörte Deutſchlands Zukunft.

Vom Vaterlande viel zu reden war nicht die Weiſe dieſes Haſſers der Phraſe; und doch lebte in ſeiner Seele ein reizbarer, ſchroff abweiſender Nationalſtolz, unzertrennlich verwachſen mit ſeinem gewaltigen Selbſtgefühle und ſeinem Fürſtenſtolze. Daß fremde Nationen auf deutſchem Boden die Herren ſpielen ſollten, erſchien ihm wie eine Beleidigung ſeiner perſönlichen Ehre und des erlauchten Blutes in ſeinen Adern, das der philoſophiſche König, naiv wie der Genius iſt, immer ſehr hoch hielt. Wenn das wunderliche Wirrſal der deutſchen Dinge ihn zuweilen zum Bunde mit dem Auslande zwang, niemals hat er fremden Mächten eine Scholle deutſchen Landes ver - heißen, niemals ſeinen Staat für ihre Zwecke mißbrauchen laſſen. Sein Leben lang ward er der treuloſen Argliſt geziehen, weil kein Vertrag53Friedrichs deutſche Politik.und kein Bündniß ihn je vermochte auf das Recht der freien Selbſtbe - ſtimmung zu verzichten. Alle Höfe Europas ſprachen grollend vom travailler pour le roi de Prusse; von Altersher gewohnt das deutſche Leben zu beherrſchen vermochten ſie kaum zu faſſen, daß ſich endlich wieder die entſchloſſene Selbſtſucht eines unabhängigen deutſchen Staates ihrem Willen entgegenſtemmte. Der königliche Schüler Voltaires hat für den deutſchen Staat daſſelbe Werk der Befreiung begonnen, das Voltaires Gegner, Leſſing, für unſere Dichtung vollführte. Schon in ſeinen Jugendſchriften verdammt er in ſcharfen Worten die Schwäche des heiligen Reichs, das ſeine Thermopylen, das Elſaß, dem Fremdling geöffnet habe; er zürnt auf den Wiener Hof, der Lothringen an Frankreich preisgegeben; er will es der Königin von Ungarn nie verzeihen, daß ſie die wilde Meute jener Grazien des Oſtens, Jazygen, Croaten und Tolpatſchen auf das deutſche Reich losgelaſſen und die moskowitiſchen Barbaren zum erſten male in Deutſchlands innere Händel herbeigerufen hat. Dann während der ſieben Jahre entladet ſich ſein deutſcher Stolz und Haß oft in Worten grimmigen Hohnes. Den Ruſſen, die ihm ſeine neumärkiſchen Bauern ausplündern, ſendet er den Segenswunſch: O könnten ſie ins Schwarze Meer mit Einem Sprunge ſich verſenken, köpflings, den Hintern hinterher, ſich ſelber und ihr Angedenken. Und als die Franzoſen das Rheinland überfluthen, da ſingt er, freilich in franzöſiſcher Sprache, jene Ode, die an die Klänge des Befreiungskrieges gemahnt:

Bis in ſeine tiefſte Quelle
Schäumt der alte Rhein vor Groll,
Flucht der Schmach, daß ſeine Welle
Fremdes Joch ertragen ſoll!

Die Klugheit iſt ſehr geeignet zu bewahren was man beſitzt, doch allein die Kühnheit verſteht zu erwerben mit dieſem Selbſtgeſtändniß hat Friedrich in ſeinen Rheinsberger Tagen verrathen, wie ihn ſein innerſtes Weſen zu raſcher Entſchließung, zu ſtürmiſcher Verwegenheit drängte. Nichts halb zu thun gilt ihm als die oberſte Pflicht des Staatsmannes, und unter allen denkbaren Entſchlüſſen ſcheint ihm der ſchlimmſte keinen zu faſſen. Doch er zeigt auch darin ſein deutſches Blut, daß er die feurige Thatenluſt von frühauf zu bändigen weiß durch kalte, nüchterne Berechnung. Der die Heldenkraft eines Alexander in ſich fühlte, beſchied ſich, das Dauernde zu ſchaffen in dem engen Kreiſe, darein ihn das Schickſal geſtellt. Im Kriege läßt er dann und wann ſeinem Feuergeiſte die Zügel ſchießen, fordert das Unmögliche von ſeinen Truppen und fehlt durch die ſtolze Geringſchätzung des Feindes; als Staatsmann bewährt er immer eine vollendete Mäßigung, eine weiſe Selbſtbeſchränkung, die jeden abenteuerlichen Plan ſogleich an der Schwelle abweiſt. Keinen Augenblick bethört ihn der Gedanke ſeinen Staat los - zureißen von dem verfallenen deutſchen Gemeinweſen; die Reichsſtandſchaft54I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.beengt ihn nicht in der Freiheit ſeiner europäiſchen Politik, ſie gewährt ihm das Recht einzugreifen in die Geſchicke des Reichs, darum will er den Fuß im Bügel des deutſchen Roſſes behalten. Noch weniger kommt ihm bei, ſelber nach der Kaiſerkrone zu greifen. Seit den Weiſſagungen der Hofaſtrologen des großen Kurfürſten blieb in der Umgebung der Hohen - zollern immer die dunkle Ahnung lebendig, daß dieſem Hauſe beſtimmt ſei dereinſt noch Scepter und Schwert vom heiligen Reiche zu tragen; die Heißſporne Leopold von Deſſau und Winterfeldt vermaßen ſich zu - weilen ihren königlichen Helden als den deutſchen Auguſtus zu begrüßen. Der aber wußte, daß ſein weltlicher Staat die römiſche Krone nicht tragen konnte, daß ſie den Emporkömmling unter den Mächten in ausſichts - loſe Händel verwickeln mußte, und meinte trocken: für uns wäre ſie nur eine Feſſel.

Als er kaum den Thron beſtiegen, trat jene große Wendung der deutſchen Geſchicke ein, welche ſchon Pufendorfs Seherblick als die ein - zig mögliche Gelegenheit zu einer durchgreifenden Reichsreform bezeichnet hatte. Das alte Kaiſerhaus ſtarb aus, und vor den flammenden Blicken des jungen Königs, der die einzige feſt geordnete Kriegsmacht Deutſch - lands in ſeinen Händen hielt, erſchloß ſich eine Welt von lockenden Aus - ſichten, die einen minder tiefen, minder geſammelten Geiſt zu über - ſchwänglichen Träumen begeiſtern mußte. Friedrich fühlte lebhaft den ſchweren Ernſt der Stunde; Tag und Nacht, ſo geſtand er, liegt mir das Schickſal des Reichs auf dem Herzen, ich allein kann und ſoll es jetzt aufrecht halten. Das ſtand ihm feſt, daß dieſer große Augenblick nicht verfliegen durfte, ohne dem preußiſchen Staate die volle Freiheit der Bewegung, einen Platz im Rathe der großen Mächte zu ſchenken; doch er ahnte auch, wie unberechenbar, bei der Begehrlichkeit der aus - ländiſchen Nachbarn, bei der rathloſen Zwietracht des Reichs, die Lage Deutſchlands ſich verwirren mußte, ſobald die Monarchie der Habsburger in Trümmer fiel. Darum will er Oeſterreich ſchonen und begnügt ſich aus der Maſſe der längſt bedachtſam erwogenen alten Anſprüche ſeines Hauſes den einen wichtigſten hervorzuholen. Allein, ohne die lauernden fremden Mächte nur eines Wortes zu würdigen, in überwältigendem Anſturm bricht er in Schleſien ein. Das an die feierlichen Bedenken und Gegenbedenken ſeiner Reichsjuriſten gewöhnte Deutſchland empfängt mit Erſtaunen und Entrüſtung die Lehre, daß die Rechte der Staaten nur durch die lebendige Macht behauptet werden. Dann erbietet ſich der Eroberer, dem Gemahl Maria Thereſias die Kaiſerkrone zu verſchaffen und für den Beſtand Oeſterreichs gegen Frankreich zu fechten. Erſt der Widerſtand der Hofburg treibt ihn weiter, zu umfaſſenden Plänen der Reichsreform, die an Waldecks verwegene Träume erinnern.

Nicht Friedrich hat den deutſchen Dualismus geſchaffen, wie Mit - und Nachwelt ihm vorwarf; der Dualismus beſtand ſeit Karl V., und55Die beiden erſten ſchleſiſchen Kriege.Friedrich war der Erſte, der ernſtlich ihn zu vernichten verſuchte. Sobald die Verſtändigung mit dem Wiener Hofe ſich als unmöglich erwies, faßte der König den kühnen Gedanken, die Kaiſerkrone für immer dem Hauſe Oeſterreich zu entwinden und alſo das letzte Band zu zerreißen, das dieſe Dynaſtie noch an Deutſchland kettete. Er näherte ſich den bairiſchen Wittelsbachern, dem einzigen unter den mächtigeren deutſchen Fürſtenge - ſchlechtern, das gleich den Hohenzollern nur deutſche Lande beherrſchte und gleich ihnen in Oeſterreich ſeinen natürlichen Gegner ſah; er begrün - dete zuerſt jenes Bündniß zwiſchen den beiden größten rein deutſchen Staaten, das ſich ſeitdem ſo oft, und immer zum Heile für das Vater - land erneuert hat. Der Kurfürſt von Baiern empfing die kaiſerliche Würde, und Friedrich hoffte dieſem neuen Kaiſerthume, das er ſelber mein Werk nannte, an der Krone Böhmen einen feſten Rückhalt zu ſichern.

Und alsbald erwachte in Berlin wie in München wieder jener rettende Gedanke der Seculariſation, der ſich allezeit unabwendbar auf - drängte ſobald man die heilende Hand legte an den ſiechen Körper des Reichs. Es war im Werke, die Macht der größeren weltlichen Reichsſtände, welche Friedrich als die allein lebensfähigen Glieder des Reichs erkannte, auf Koſten der theokratiſchen und republikaniſchen Territorien zu verſtärken; eine rein weltliche Staatskunſt ſchickte ſich an die politiſchen Ideen der Reformation zu verwirklichen. Einige geiſtliche Gebiete Oberdeutſchlands ſollten ſeculariſirt, auch mehrere Reichsſtädte den benachbarten fürſtlichen Gebieten zugeſchlagen werden. Mit gutem Grunde klagte Oeſterreich, wie ſchwer dies von Preußen geleitete bairiſche Kaiſerthum den Adel und die Kirche zu ſchädigen drohe. Traten jene unfertigen Gedanken ins Leben, ſo war der deutſche Dualismus nahezu beſeitigt, die Reichsver - faſſung, ſelbſt wenn ihre Formen blieben, in ihrem Weſen umgeſtaltet; Deutſchland wurde ein Bund weltlicher Fürſten unter Preußens beherr - ſchendem Einfluß; die geiſtlichen Staaten, die Reichsſtädte, der Schwarm der kleinen Grafen und Herren, des habsburgiſchen Rückhalts beraubt, verfielen dem Untergange, und das Trutzdeutſchland im Herzen des Reichs, die Krone Böhmen, ward für die germaniſche Geſittung erobert. So konnte Deutſchland aus eigener Kraft jene nothwendige Revolution vollziehen, die ihm zwei Menſchenalter ſpäter der Machtſpruch des Aus - landes ſchimpflich auferlegt hat. Aber das Haus Wittelsbach, ohnehin dem deutſchen Leben entfremdet durch die erbliche Verbindung mit Frank - reich wie durch die Härte katholiſcher Glaubenseinheit, erwies in großer Zeit eine klägliche Unfähigkeit; der Nation fehlte jedes Verſtändniß für die verheißungsvolle Gunſt des Augenblicks. Auf einer Rundreiſe durch das Reich gewann der König einen ſo troſtloſen Einblick in die Zwietracht, die Habgier, die ſklaviſche Angſt der kleinen Höfe, daß er für immer ſeine deutſchen Hoffnungen herabzuſtimmen lernte; auch ſeine eigene Macht56I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.reichte noch nicht aus, den tapferen Widerſtand der Königin von Ungarn gänzlich zu brechen. Der zweite ſchleſiſche Krieg endete trotz der Triumphe von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf mit der Wiederherſtellung des öſter - reichiſchen Kaiſerthums. Das Reich verblieb in ſeiner verfaſſungsloſen Zerrüttung, Franz von Lothringen beſtieg den Kaiſerthron nach dem Tode Karls VII., und von Neuem ſchloß ſich der alte Bund zwiſchen Oeſterreich und der katholiſchen Reichstagsmehrheit.

Die Löſung des deutſchen Dualismus war mißlungen; ſchroffer, feindſeliger denn je zuvor gingen die Parteien im Reiche auseinander. Gleichwohl blieb dem Könige ein dauernder Gewinn geſichert: die Groß - machtſtellung Preußens. Er hatte Baiern vom Untergange gerettet, die Macht ſeines eigenen Landes um mehr als ein Drittel verſtärkt, die lange Kette habsburgiſch-wettiniſcher Gebiete, welche den preußiſchen Staat im Süden und Oſten umſchloß, mit einem kühnen Stoße zerſprengt, das ſtolze Kaiſerhaus zum erſten male vor einem Reichsfürſten tief gedemüthigt. Er dankte alle ſeine Siege allein der eigenen Kraft und trat den alten Mächten mit ſo feſtem Stolze entgegen, daß ſelbſt Horatio Walpole geſtehen mußte, dieſer Preußenkönig halte jetzt die Wage des europäiſchen Gleichgewichts in ſeinen Händen. Sachſen, Baiern, Hannover, alle die Mittelſtaaten, welche ſoeben noch mit der Krone Preußen gewetteifert, wurden durch die ſchleſiſchen Kriege für immer in die zweite Reihe zurückgeworfen, und hoch über den zahlloſen kleinen Gegenſätzen, die das Reich zerklüfteten, erhob ſich die eine Frage: Preußen oder Oeſterreich? Die Frage der deutſchen Zukunft war geſtellt. Der König blickte jetzt aus freier Höhe auf das Gewimmel der deutſchen Reichsſtände hernieder, gab auf beleidigende Zumuthungen gern die ſpöttiſche Antwort, ob man ihn etwa für einen Herzog von Gotha oder für einen rheiniſchen Fürſten halte; er ſpielte bereits, den kleinen Nachbarn gegenüber, die Rolle des wohlmeinenden Gönners und Beſchützers, die er in ſeinem Anti-Machiavell als die ſchöne Pflicht des Starken bezeichnet hatte, und ſchon ſammelte ſich am Reichstage eine kleine preußiſche Partei, die norddeutſchen Höfe begannen ihre Prinzen im Heere des Königs dienen zu laſſen.

Unterdeſſen verwuchs die neue Erwerbung überraſchend ſchnell mit der Monarchie; der Staat erprobte zum erſten male auf einem weiten Gebiete jene ſtarke Anziehungs - und Anbildungskraft, die er ſeitdem in deutſchen und halbdeutſchen Landen überall bewährt hat. Die friſchen Kräfte der modernen Welt hielten ihren Einzug in die verwahrloſte, unter ſtändiſchem und geiſtlichem Drucke darniedergehaltene Provinz; das monarchiſche Beamtenthum verdrängte die Adelsherrſchaft, das ſtrenge Recht den Nepotismus, die Glaubensfreiheit den Gewiſſenszwang, das deutſche Schulweſen den tiefen Seelenſchlaf pfäffiſcher Bildung; der träge knechtiſche Bauer lernte wieder auf ein Morgen zu hoffen, und ſein König erbot ihm dem Beamten knieend den Rock zu küſſen.

57Befreiung Schleſiens.

Noch kein anderer Staat hatte in jenem Jahrhundert der Machtkämpfe ſeinem Wirken ſo vielſeitige, ſo menſchliche Aufgaben geſtellt. Erſt die fried - liche Arbeit der Verwaltung gab der Eroberung Schleſiens die ſittliche Recht - fertigung und führte den Beweis, daß jenes vielgeſcholtene Wagniß eine deutſche That geweſen. Das von unheimiſchen Gewalten ſchon halb über - fluthete herrliche Grenzland wurde durch das preußiſche Regiment dem deutſchen Volksthum zurückgegeben. Schleſien war das einzige der deutſch - öſterreichiſchen Erblande, wo die Politik der Glaubenseinheit eines vollen Sieges ſich nicht rühmen konnte. Mit unüberwindlicher Zähigkeit hatte der leichtlebig heitere deutſche Stamm in den Thälern des Rieſengebirges den Blutthaten der Lichtenſteinſchen Dragoner wie den Ueberredungs - künſten der Jeſuiten widerſtanden. Die Mehrzahl der Deutſchen blieb dem proteſtantiſchen Bekenntniß treu; gedrückt und mißachtet, aller Güter beraubt, friſtete die evangeliſche Kirche ein ärmliches Leben; nur die Drohungen der Krone Schweden verſchafften ihr zu den wenigen Gottes - häuſern, die ihr geblieben, noch den Beſitz einiger Gnadenkirchen. Die katholiſchen Polen Oberſchleſiens und jene czechiſchen Coloniſten, die der Kaiſerhof zum Kampfe gegen die deutſchen Ketzer ins Land gerufen, waren die Stützen der kaiſerlichen Herrſchaft. Beim Einmarſch des preußiſchen Heeres erhob das Deutſchthum wieder froh ſein Haupt; jubelnd erklang in den Gnadenkirchen das Lob des Herrn, der ſeinem Volke ein Hartes erzeigt hat und ihm jetzund endlich ein Panier aufſteckt. Der Proteſtan - tismus gewann unter dem Schutze der preußiſchen Glaubensfreiheit bald das Bewußtſein ſeiner geiſtigen Ueberlegenheit wieder, das Polenthum verlor zuſehends an Boden, und nach wenigen Jahrzehnten ſtanden die preußiſchen Schleſier in Gedanken und Sitten ihren norddeutſchen Nach - barn näher als den Schleſiern jenſeits der Grenze. Die römiſche Kirche aber beließ der proteſtantiſche Sieger im Beſitze faſt des geſammten evangeliſchen Kirchenguts, und während England ſeine iriſchen Katholiken zwang die anglikaniſche Staatskirche durch ihre Abgaben zu unterhalten, mußte in Schleſien der Proteſtant nach wie vor Steuern zahlen für die katholiſche Kirche. Erſt die landesverrätheriſchen Umtriebe des römiſchen Clerus während des ſiebenjährigen Krieges nöthigten den König zurückzu - kommen von dieſem Uebermaße der Schonung, das zur Ungerechtigkeit gegen die Evangeliſchen führte; doch auch dann noch blieb die katholiſche Kirche günſtiger geſtellt als in irgend einem anderen proteſtantiſchen Staate.

Das Aufblühen des ſchleſiſchen Landes unter dem preußiſchen Scepter zeigte genugſam, daß die neue Provinz ihren natürlichen Herrn ge - funden hatte, daß die Entſcheidung im deutſchen Oſten unabänderlich gefallen war. Doch unbeirrt hielt der Wiener Hof die Hoffnung feſt, die erlittene Schmach zu rächen und den Eroberer Schleſiens wieder in den bunten Haufen der deutſchen Reichsſtände hinabzuſtoßen, gleich allen58I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.den anderen Vorwitzigen, die ſich früherhin der Empörung gegen die alte Kaiſermacht erdreiſtet hatten. Auch König Friedrich wußte, daß der letzte entſcheidende Waffengang noch bevorſtand. Er verſuchte einmal während der kurzen Friedensjahre, den Sohn Maria Thereſias von der Kaiſerwürde auszuſchließen, für die Zukunft mindeſtens das Reich von dem Hauſe Oeſterreich zu trennen; der Plan ſcheiterte an dem Widerſpruche der katholiſchen Höfe. Der unverſöhnliche Gegenſatz der beiden führenden Mächte Deutſchlands beſtimmte auf lange hinaus den Gang der euro - päiſchen Politik, entzog dem heiligen Reiche die letzte Lebenskraft. Die Nation ſah in banger Ahnung einen neuen dreißigjährigen Krieg herauf - ziehen. Was in der ſtillen Arbeit ſchwerer Jahrzehnte langſam gereift war erſchien dem nächſten Menſchenalter nur als ein wunderſamer Zu - fall, als das glückliche Abenteuer eines genialen Kopfes. Ganz einſam ſteht in dem diplomatiſchen Briefwechſel des Zeitraums jenes Seherwort des Dänen Bernſtorff, der im Jahre 1759 traurig an Choiſeul ſchrieb: Alles was Sie heute unternehmen um zu verhindern, daß ſich in der Mitte Deutſchlands eine ganz kriegeriſche Monarchie erhebe, deren eiſerner Arm bald die kleinen Fürſten zermalmen wird das Alles iſt verlorene Arbeit! Alle Nachbarmächte im Oſten und im Weſten grollten dem Glücklichen, der aus den Wirren des öſterreichiſchen Erbfolgekrieges allein den Siegespreis davongetragen, und wahrlich nicht nur der perſönliche Haß mächtiger Frauen wob an dem Netze der großen Verſchwörung, das ſich über Friedrichs Haupte zuſammenzuziehen drohte. Europa fühlte, daß die altüberlieferte Geſtalt der Staatengeſellſchaft ins Wanken kam, ſobald die ſieghafte Großmacht in der Mitte des Feſtlands ſich befeſtigte. Der römiſche Stuhl ſah mit Sorgen, wie die verhaßte Heimath der Ketzerei ihren eigenen Willen wiederfand; nur durch Roms Mithilfe iſt es gelungen, daß die alten Feinde, die beiden katholiſchen Großmächte Oeſterreich und Frankreich zum Kampfe gegen Preußen ſich vereinten. Es galt, die Ohnmacht Deutſchlands zu verewigen.

Durch einen verwegenen Angriff rettete der König ſeine Krone vor dem ſicheren Verderben, und als er nun durch ſieben entſetzliche Jahre ſeinen deutſchen Staat am Rhein und Pregel, an der Peene und den Rieſenbergen gegen fremde und halbfremde Heere vertheidigt hatte und im Frieden den Beſtand ſeiner Macht bis auf das letzte Dorf behauptete, da ſchien Preußen wieder an derſelben Stelle zu ſtehen wie beim Beginn des mörderiſchen Kampfes. Kein Fußbreit deutſcher Erde war ihm gewonnen, das halbe Land lag verwüſtet, die reiche Friedensarbeit dreier Geſchlechter war nahezu vernichtet, die unglückliche Neumark begann die Arbeit der Cultur zum vierten male von vorn. Der König ſelber konnte niemals ohne Bitterkeit jener ſchrecklichen Tage gedenken, da das Unglück alle Pein, die ein Mann ertragen mag, bis über das Maß des Menſchlichen hinaus, auf ſeine Schultern häufte; was er damals gelitten erſchien ihm wie die ſinnlos59Der ſiebenjährige Krieg.boshafte Laune eines tückiſchen Schickſals, wie ein Trauerſpiel ohne Gerechtigkeit und Abſchluß. Dennoch lag ein ungeheurer Erfolg in dem Ergebniß des ſcheinbar ſo unfruchtbaren Kampfes: die neue Ordnung der deutſchen Dinge, die mit der Begründung der preußiſchen Macht begonnen, hatte ſich in der denkbar ſchwerſten Prüfung als eine unwiderrufliche Nothwendigkeit erwieſen. Hundert Jahre zuvor vermochte Deutſchland nur durch die Kämpfe eines vollen Menſchenalters ſich der habsburgiſchen Herrſchaft zu erwehren und mußte dann ausländiſchen Bundesgenoſſen ſchmählichen Helferlohn zahlen; jetzt genügten den ärmſten Gebieten des Reichs ſieben Jahre um den Anſturm einer Welt in Waffen abzuſchlagen, und deutſche Kraft allein entſchied den Sieg, denn die einzige fremde Macht, die dem Könige zur Seite ſtand, gab ihn treulos preis. Deutſch - lands Stern war wieder im Aufſteigen; es galt den Deutſchen was in allen Kirchen Preußens frohlockend gebetet ward: Sie haben mich oft be - dränget von meiner Jugend auf, aber ſie haben mich nicht übermocht.

Beim Beginne des zweiten Feldzugs hat Friedrich die ſtolze Hoffnung gehegt, die Schlacht von Pharſalus gegen das Haus Oeſterreich zu ſchlagen und vor den Mauern Wiens den Frieden zu dictiren, wie denn dieſe reiche Zeit überall die erſten Keime der großen Neubildungen einer fernen Zukunft erkennen läßt und auch ein Bund Preußens mit Oeſterreichs anderem Nebenbuhler, mit Piemont, ſchon verſucht wurde. Dann warf die Schlacht von Kollin den König in die Vertheidigung zurück, er kämpfte nur noch für das Daſein ſeines Staates. Was er verſuchte um einen Gegen-Reichstag zu berufen, eine norddeutſche Union der kaiſerlichen Liga entgegenzuſtellen, ward zu nichte an der unbeſieglichen Eiferſucht der kleinen Höfe und vornehmlich an dem hochmüthigen Widerwillen des welfiſchen Bundesgenoſſen. Für die Beſeitigung des deutſchen Dualismus, für einen Neubau des Reichs war die Stunde noch immer nicht gekommen; aber durch die furchtbare Wahrhaftigkeit dieſes Krieges wurden die ver - lebten alten Formen des deutſchen Gemeinweſens ſittlich vernichtet, der letzte Schleier hinweggeriſſen von der großen Lüge des heiligen Reichs. So hirnlos hatte noch nie ein Kaiſer an dem Vaterlande gefrevelt, wie dieſer lothringiſche Mehrer des Reichs, der alle Thore Deutſchlands den fremden Plünderern aufthat, die Niederlande den Bourbonen, die Oſt - marken den Moskowitern preisgab. Und derweil der Kaiſer ſeinen Eid mit Füßen trat, ſeinem Hauſe jedes Anrecht auf die deutſche Krone ver - wirkte, ſpielte zu Regensburg die freche Poſſe des reichsrechtlichen Straf - verfahrens. Der Reichstag rief dem Eroberer Schleſiens ſein darnach hat Er, Kurfürſt, Sich zu richten zu, der brandenburgiſche Geſandte warf den Boten der erlauchten Verſammlung die Treppe hinunter, die eilende Reichsarmee ſammelte ſich unter den Fahnen des bourboniſchen Reichs - feindes um ſofort vor Seydlitz’s Reitergeſchwadern wie Spreu im Winde zu zerſtieben. Die deutſche Nation aber feierte mit hellem Jubel den Sieger60I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.von Roßbach, den Rebellen gegen Kaiſer und Reich. Mit dieſem wüſten Satyrſpiele ging die große Tragödie der Reichsgeſchichte in Wahrheit zu Ende; was noch übrig blieb von dem alten deutſchen Gemeinweſen bewahrte kaum noch den Schein des Lebens.

Der Sieger aber, der im Donner der Schlachten die alten theokra - tiſchen Formen über den Haufen warf, war der Schirmherr des Proteſtantis - mus. Wie verblaßt auch die kirchlichen Gegenſätze dem Zeitalter der Aufklä - rung erſchienen, Friedrich erkannte doch, daß der Beſtand des weſtphäliſchen Friedens, die Parität der Glaubensbekenntniſſe im Reiche unhaltbar wurde ſobald die beiden katholiſchen Großmächte triumphirten; die gemeinſame proteſtantiſche Sache bot ihm die einzige Handhabe um die zagenden kleinen Fürſten in den Kampf gegen Oeſterreich zu drängen. Wachſam folgte ſein Auge den geheimen Umtrieben der prêtraille an den proteſtan - tiſchen Höfen; ſein Machtwort ſchützte die Freiheit der evangeliſchen Kirche in Württemberg und Heſſen, als dort die Thronfolger zum römiſchen Bekenntniß übertraten. Und noch klarer als er ſelber erkannten ſeine kleinen norddeutſchen Bundesgenoſſen die religiöſe Bedeutung des Krieges: in den Briefen des heſſiſchen Miniſters F. A. v. Hardenberg heißen die Verbündeten Preußens ſtets kurzweg die evangeliſchen Stände , und das treue Feſthalten an der preußiſchen Partei wird als das natürliche Syſtem aller proteſtantiſchen Staaten des Reichs geprieſen. Unter den Klängen lutheriſcher Kirchenlieder zog der preußiſche Grenadier zur Schlacht, die evangeliſchen Soldaten des ſchwäbiſchen Kreiſes liefen fluchend ausein - ander, weil ſie nicht gegen ihre Glaubensgenoſſen fechten wollten; in den Conventikeln der engliſchen Diſſenters beteten gottſelige Prediger für den Maccabäer des Evangeliums, den Freigeiſt Friedrich. Der Papſt aber beſchenkte den Feldmarſchall der Kaiſerin mit geweihtem Hut und Degen, und jede neue Siegesbotſchaft aus dem preußiſchen Lager rief im Vatican einen Sturm des Unwillens und der Angſt hervor. Wie zerfahren und zerfallen hatte hundert und zwanzig Jahre zuvor die proteſtantiſche Welt zu den Füßen Roms gelegen, als die Fahnen der Wallenſteiner am Oſtſeeſtrande wehten und die Stuarts das Parlament ihrer römiſchen Königskunſt zu unterwerfen trachteten. Jetzt gab eine proteſtantiſche Großmacht dem heiligen Reiche den Gnadenſtoß, und durch die Schlachten am Ohio und am Ganges wurde für alle Zukunft entſchieden, daß die Herrſchaft über das Weltmeer und die Colonien den proteſtantiſchen Germanen gehörte.

Der Kampf um Preußens Daſein war der erſte europäiſche Krieg; er ſchuf die Einheit der neuen Staatengeſellſchaft und gab ihr die ariſto - kratiſche Form der Pentarchie. Als die neue mitteleuropäiſche Großmacht ſich die Anerkennung der Nachbarmächte erzwang, da verſchmolzen die beiden alten Staatenſyſteme des Oſtens und des Weſtens zu einer einzigen unzertrennlichen Gemeinſchaft, und zugleich ſank das Anſehen der min -61Die neue Staatengeſellſchaft.dermächtigen Staaten, welche früherhin zuweilen durch ihren Zutritt zu einer Coalition den Ausſchlag in einem großen Kriege gegeben hatten, doch jetzt den ſchweren Anforderungen der neuen großartigen Kriegsweiſe nicht mehr genügen konnten; die Staaten zweiten Ranges beſchieden ſich fortan, die Leitung der europäiſchen Dinge den großen Kriegs - und See - mächten zu überlaſſen. Unter dieſen fünf führenden Mächten aber waren zwei proteſtantiſch, eine ſchismatiſch; die Rückkehr Europas unter die Herrſchaft des gekrönten Prieſters blieb nunmehr undenkbar. Die Be - feſtigung der proteſtantiſch-deutſchen Großmacht war die ſchwerſte Nieder - lage, welche der römiſche Stuhl ſeit dem Auftreten Martin Luthers er - litten; König Friedrich hat wirklich, wie der engliſche Geſandte Mitchell von ihm ſagte, für die Freiheit des Menſchengeſchlechts gefochten.

In der Schule der Leiden und der Kämpfe erwuchs dem Volke Preußens eine lebendige Staatsgeſinnung; ſie berechtigte den König von ſeiner nation prussienne zu reden. Ein Preuße zu ſein war vordem eine ſchwere Pflicht, jetzt ward es eine Ehre. Der Gedanke des Staates, des Vaterlandes drang erregend und ſtärkend in Millionen Herzen; auch die gedrückte Seele des kleinen Mannes ſpürte einen Hauch von dem antiken Bürgerſinne, der aus den ſchlichten Worten des Königs ſprach: Es iſt nicht nöthig, daß ich lebe, wohl aber, daß ich meine Pflicht thue und für mein Vaterland kämpfe. Ueberall in Preußen regten ſich unter den ſteifen Formen des abſoluten Königthums der Opfermuth und die große Leidenſchaft des Volkskrieges. Das Heer, das Friedrichs letzte Schlachten ſchlug, war national; die Werbungen im Auslande verboten ſich von ſelber in der Noth der Zeit. Die Stände der Marken rüſteten freiwillig jene Regimenter aus, welche die Feſtungen Magdeburg, Stettin und Küſtrin dem Staate retteten; die pommerſchen Seeleute traten zuſammen um mit ihrer kleinen Flotte die Odermündungen gegen die Schweden zu halten. Sechs Jahre lang empfingen die blutarmen Be - amten kein Gehalt und verſahen ruhig ihren Dienſt, als verſtünde ſichs von ſelber. Wetteifernd thaten alle Provinzen ihre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, wie die neue Redensart der Preußen lautete: von den tapferen Bauern der rheiniſchen Grafſchaft Mörs bis hinüber zu den unglücklichen Oſtpreußen, die dem ruſſiſchen Eroberer ihren zähen ſtillen Widerſtand entgegenſtemmten und ſich in ihrer feſten Treue gar nicht ſtören ließen, als der unerbittliche König ſie des Abfalls zieh und mit Beweiſen der Ungnade überhäufte.

Die völkerbildende Macht des Krieges erweckte in dieſen norddeutſchen Stämmen zuerſt wieder jenen ſchroffen Stolz, der einſt die Romfahrer und die Slavenbeſieger unſeres Mittelalters beſeelte; das kecke Selbſtge - fühl der Preußen ſtach ſeltſam ab von der harmlos gemüthlichen Beſchei - denheit der anderen Deutſchen. Voll Zuverſicht widerlegt Graf Hertz - berg die Lehre Montesquieus von der republikaniſchen Tugend: wo ſei62I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.denn je in Republiken eine feſtere Bürgertugend gediehen, als hier unter dem ſtählenden nordiſchen Himmel, bei den Nachkommen jener heroiſchen Nationen, der Gothen und Vandalen, die einſt das Römerreich in Trümmer ſchlugen? Derſelbe Sinn lebt in den Maſſen des Volks; er verräth ſich bald in dreiſter Prahlerei, in den tauſend landläufigen Spottgeſchichten von kaiſerlicher Dummheit und preußiſcher Huſarenliſt, bald in rührenden Zügen gewiſſenhafter Treue. Der junge Seemann Joachim Nettelbeck kommt noch Danzig und wird gedungen, den König von Polen über den Hafen zu rudern; man ſetzt ihm einen Hut auf mit dem Namenszuge König Auguſts; er ſträubt ſich lange, denn das fremde Hoheitszeichen zu tragen ſcheint ihm ein Verrath an ſeinem Preußen - könig; endlich muß er ſich fügen, doch der verdiente Ducaten brennt ihm in der Hand, und ſobald er nach Pommern heimkehrt ſchenkt er das Sündengeld dem erſten preußiſchen Invaliden, der ihm in den Weg kommt. So reizbar ward jetzt der politiſche Stolz in dieſem Volke, das vor wenigen Jahrzehnten noch in der Armſeligkeit ſeiner häuslichen Sorgen verkam.

Es ließ ſich doch nicht vergeſſen, daß zu den zwei großen Kriegsfürſten der Geſchichte, zu Caeſar und Alexander, ſich nunmehr ein Preuße als Dritter geſellte. Im Gemüthe des norddeutſchen Volks liegt dicht neben der feſten Ausdauer ein Zug übermüthigen Leichtſinns, der mit der Gefahr vermeſſen zu ſpielen liebt, und dies ihr eigenes Weſen fanden die Preußen in dem Feldherrn Friedrich zu genialer Mächtigkeit geſteigert wieder: wie er, nach harter Lehrzeit raſch zum Meiſter gereift, die behut - ſamen Regeln der ſchwerfälligen alten Kriegskunſt zur Seite warf und ſelber dem Feinde das Geſetz des Krieges dictirte , ſtets bereit die Entſcheidung in freier Feldſchlacht zu ſuchen; wie er die kühnſte der Waffen, die Reiterei, wieder zu der Stellung erhob, die ihr im großen Kriege gebührt; wie er nach jedem Siege und nach jeder ſeiner drei Niederlagen immer von Neuem das ſtolze Vorrecht der Initiative behauptete. Der Erfolg lehrte, wie glücklich der König und ſein Volk einander verſtanden; ein dichter Kreis von Helden ſchaarte ſich um den Feldherrn und verbreitete bis in die unterſten Schichten des Heeres die frohe Wageluſt, jenen Geiſt der Offenſive, der in allen ihren großen Zeiten die Stärke der preußiſchen Armee geblieben iſt; aus märkiſchen Junkern und pommerſchen Bauerburſchen erzog ſich Friedrich die ge - fürchteten Regimenter Ansbach-Baireuth-Dragoner und Zieten-Huſaren, die im tollen Dahinjagen und ſchneidigen Einhauen bald die wilden Reitervölker Ungarns übertrafen. Mit Stolz ſprach der König aus, für ſolche Soldaten gebe es kein Wagniß: ein General, der in anderen Heeren für tollkühn gelten würde, thut bei uns nur ſeine Pflicht. Die zwölf Feldzüge der fridericianiſchen Zeit haben dem kriegeriſchen Geiſte des preußiſchen Volkes und Heeres für immer ſeine Eigenart gegeben;63Die deutſche Nation und Friedrich.noch heute verfällt der Norddeutſche, wenn auf den Krieg die Rede kommt, unwillkürlich in die Ausdrucksweiſe jener heroiſchen Tage und ſpricht wie Friedrich von brillanten Campagnen und fulminanten Attaken.

Die gutherzige Gemüthlichkeit der Deutſchen außerhalb Preußens bedurfte langer Zeit um das Grauen zu überwinden vor dem harten Realismus dieſer fridericianiſchen Politik, die ihre Gegner ſo ungroß - müthig immer angriff, wenn es ihnen am wenigſten willkommen war. Aber als das große Jahr 1757 über das deutſche Land dahinbrauſte, ſiegreicher Angriff und ſchwere Niederlage, neue verwegene Erhebung und neue ſtrahlende Siege in ſinnverwirrender Haſt ſich drängten und aus der wilden Flucht der Ereigniſſe immer gleich groß und beherrſchend das Bild des Königs heraustrat, da fühlte ſich das Volk in Herz und Nieren gepackt und erſchüttert von dem Anblick echter Menſchengröße. Die verwitterte und verknöcherte Geſtalt des alten Fritz, wie der Hammerſchlag des unerbittlichen Schickſals ſie zurecht geſchmiedet, übte ihren dämoniſchen Zauber auf unzählige treue Gemüther, die zu der glänzenden Erſcheinung des jugendlichen Helden von Hohenfriedberg nur mit befangener Scheu emporgeblickt hatten. Die Deutſchen waren, wie Goethe von ſeinen Frankfurtern ſagt, fritziſch geſinnt denn was ging uns Preußen an? und lauſchten mit verhaltenem Athem, wie der unzähmbare Mann jahraus jahrein ſich des Verderbens erwehrte. Jener überwäl - tigende Einmuth ungetheilter Liebe und Freude, der die Geſchichte glück - licherer Völker zuweilen mit goldenem Lichte verklärt, blieb freilich dem zerriſſenen Deutſchland auch jetzt noch verſagt. Wie Luther und Guſtav Adolf, die beiden einzigen Helden vordem, deren Bild ſich den Maſſen unſeres Volkes unvergeßlich ins Herz prägte, ſo ward auch Friedrich in den Krummſtabslanden am Rhein und Main als der große Feind ge - fürchtet. Doch die ungeheure Mehrheit des proteſtantiſchen, auch weite Kreiſe des katholiſchen Volks, und vor Allem ſämmtliche Wortführer der jungen Wiſſenſchaft und Dichtung folgten ihm mit warmer Theilnahme; man haſchte nach ſeinen Witzworten, erzählte Wunder über Wunder von ſeinen Grenadieren und Huſaren. Dem verſchüchterten Geſchlechte ward die Seele weit bei dem Gedanken, daß der erſte Mann des Jahrhun - derts unſer war, daß der Ruhm des großen Königs bis nach Marokko und Amerika drang.

Noch wußten Wenige, daß in dem preußiſchen Schlachtenruhme nur die uralte Waffenherrlichkeit der deutſchen Nation wieder zu Tage kam; ſelbſt Leſſing ſpricht von den Preußen zuweilen wie von einem halbfremden Volke und meint verwundert, denen ſei der Heldenmuth ſo angeboren wie den Spartanern. Nach und nach begannen doch ſelbſt die Maſſen zu fühlen, daß Friedrich für Deutſchland focht. Die Schlacht von Roßbach, die bataille en douceur, wie er ſie ſpottend nennt, ward der folgenreichſte ſeiner Siege für unſer nationales Leben. Wenn in dieſem64I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Volke von Privatmenſchen noch irgend eine politiſche Leidenſchaft lebte, ſo war es die ſtille Erbitterung gegen den franzöſiſchen Hochmuth, der, ſo oft vom deutſchen Schwerte gezüchtigt, zuletzt doch immer das Feld behauptet hatte und jetzt wieder die rheiniſchen Lande mit Blut und Trümmern bedeckte. Nun traf ihn Friedrichs guter Degen und ſtürzte ihn in einen Pfuhl der Schande; ein lautes Frohlocken ging durch alle deutſchen Gauen, und der Schwabe Schubart rief: Da griff ich ungeſtüm die goldne Harfe, darein zu ſtürmen Friedrichs Lob. Damals zuerſt überkam die Deutſchen im Reiche wieder ein Gefühl, das dem National - ſtolze ähnlich ſah, und ſie ſangen mit dem alten Gleim: Laßt uns Deutſche ſein und bleiben! Die von den deutſchen Schlachtfeldern heimkehrenden franzöſiſchen Offiziere verkündeten in Paris ſelber unbefangen das Lob des Siegers von Roßbach, da ihr Stolz noch gar nicht für möglich hielt, daß dies kleine Preußen die Macht Frankreichs jemals ernſtlich bedrohen könnte; im deutſchen Luſtſpiel aber erhielt der einſt gefürchtete Franzoſe jetzt zuweilen die Rollen der komiſchen Perſon und des windigen Abenteurers.

Ein politiſches Verſtändniß für das Weſen des preußiſchen Staates ging der Nation freilich auch jetzt noch nicht auf; dies gelehrte Volk lebte in einer wunderbaren Unwiſſenheit über die entſcheidenden Thatſachen ſeiner neuen Geſchichte wie über die Inſtitutionen ſeiner mächtigſten Staatsbildung. Wenn die Siege Friedrichs den alten Haß gegen Preußen etwas beſchwichtigt hatten, ſo pries ſich doch ſelbſt in den proteſtantiſchen Reichslanden jeder Bürgersmann glücklich, daß er kein Preuße war. Die geſchäftigen Erdichtungen der öſterreichiſchen Partei fanden überall willige Hörer; dieſe freien Leute, ſchrieb Friedrich Nicolai um das Jahr 1780 aus Schwaben, ſehen auf uns arme Brandenburger wie auf Sklaven herab. Nur auf ſtarke und hochſtrebende Naturen wirkte die Anziehungskraft des mächtigen Staates. Seit den fridericia - niſchen Tagen begann eine ſtattliche Schaar junger Talente aus dem Reiche in preußiſche Dienſte einzutreten; die Einen trieb die Bewunderung für den König, Andere die Sehnſucht nach reicher Thätigkeit, Mancher ahnte auch dunkel die Beſtimmung dieſer Krone. Die Monarchie war jetzt der Engherzigkeit des territorialen Lebens völlig entwachſen, nahm alle geſunden Kräfte aus dem Reiche willig auf und fand in den Kreiſen der Einwanderer viele ihrer treueſten und fähigſten Diener, auch ihren Retter, den Freiherrn Karl vom Stein.

Mit den Hubertusburger Verträgen brachen für den deutſchen Norden vier Jahrzehnte tiefer Ruhe an: jene reich geſegnete Friedenszeit, deren der alte Goethe ſpäterhin ſo oft mit dankbarer Rührung gedachte. Da - mals begann die alte Ueberlieferung von Preußens Armuth zur Fabel zu werden. Das ſociale Leben, vornehmlich in der Hauptſtadt, gewann reichere und freiere Formen, der Volkswohlſtand nahm einen über -65Befreiung Weſtpreußens.raſchenden Aufſchwung, die deutſche Dichtung trat in ihre großen Jahre. Der Krieg hatte die Lage des Reiches zugleich vereinfacht und erſchwert. Von der alten Ordnung war nichts mehr lebendig als der ungelöſte Gegenſatz der beiden Großmächte. Das Vorgefühl einer ſchweren Ent - ſcheidung ging durch die deutſche Welt; die kleinen Höfe beriethen in ge - ſchäftigen Verhandlungen, wie ſie durch einen Bund der Mindermächtigen ſich decken ſollten, falls ein neuer Zuſammenſtoß der beiden Koloſſe Deutſchlands ſie zu zermalmen drohe. König Friedrich aber, gründlich belehrt über die unendliche Macht der Trägheit in dieſem alten Reiche, beſchied ſich die erſchöpften Kräfte ſeines eigenen Staates von Neuem zu ſammeln; ſeine deutſche Politik zielte fortan nur dahin, jedes Einwirken fremder Mächte vom Reiche fern und dem Einfluß Oeſterreichs das Gleich - gewicht zu halten.

Eine ſchwere Gefahr, die vom Oſten her der deutſchen Macht drohte, riß ihn aus ſeinen friedlichen Plänen. Die polniſche Republik war ſeit dem Kriege dem Willen der Czarin unterthänig, die förmliche Vereinigung des zerrütteten Staates mit dem ruſſiſchen Reiche ſchien nur noch eine Frage der Zeit. Da entſprang aus Friedrichs Haupte der Gedanke der Theilung Polens, der die Abſichten der Ruſſen durchkreuzte, ihrem Ehrgeiz Schranken ſetzte. Es war ein Sieg der deutſchen Politik, zugleich über Rußlands ausgreifende Ländergier und über die Weſtmächte, die von den dreiſt vorgehenden Mächten des Oſtens rückſichtslos zur Seite geſchoben wurden. Die nothwendige That eröffnete freilich die Ausſicht auf unab - ſehbare Verwicklungen, da das verfaulte Reich des ſarmatiſchen Adels nunmehr rettungslos dem Untergange entgegentrieb; doch ſie war noth - wendig, ſie rettete das treue Oſtpreußen vor der Wiederkehr der mosko - witiſchen Herrſchaft und ſicherte dem Staate die Brücke zwiſchen dem Pregel - und dem Oderlande, welche ſchon der Kronprinz Friedrich als un - entbehrlich erkannt hatte. Der König erſchien zum zweiten male als der Mehrer des Reichs, er ſchenkte das Kernland der Deutſchordens-Macht, das ſchöne Weichſelthal, das einſt der deutſche Ritter den Barbaren, der deutſche Bauer der Wuth der Elemente abgerungen, dem großen Vaterlande wieder. Als die Stände von Weſtpreußen im Remter des Hochmeiſterſchloſſes zu Marienburg der wiederhergeſtellten Herrſchaft Treue ſchwuren wie die Denkmünze des Huldigungsfeſtes bezeichnend ſagt da ward geſühnt, was drei Jahrhunderte zuvor der Ueber - muth der Polen und der Landesverrath der ſtändiſchen Libertät an dieſem deutſchen Lande gefrevelt hatten. Der halbtauſendjährige Kampf der Deutſchen und der Polen um den Beſitz der Oſtſeeküſte war zu Deutſch - lands Gunſten entſchieden.

Alsdann begann der Staat, der ſelber noch aus den Wunden des letzten Krieges blutete, die ſchwere Arbeit der friedlichen Wieder - eroberung. Entſetzlich hatte der ſarmatiſche Adel im WeichſellandeTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 566I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.gehauſt, mit jener hoffärtigen Mißachtung fremden Rechtes und fremden Volksthums, welche die Polen vor allen Nationen Europas auszeichnet. Noch rühriger als vordem in Schleſien mußte hier der neue Herrſcher ſchalten, um in den alten ehrenreichen Stätten deutſchen Kriegsruhms und Bürgerfleißes, in Thorn, Culm und Marienburg deutſches Weſen wieder zu Ehren zu bringen, die erſten Anfänge wirthſchaftlichen Verkehrs wieder über das gänzlich verödete flache Land zu leiten. Und wie einſt die erſten deutſchen Eroberer die Kornkammer der Werder den Strömen entriſſen, ſo ſtieg jetzt aus den Sümpfen neben dem aufblühenden Bromberg der fleißige Netzegau empor, die Schöpfung des zweiten Eroberers. Friedrich ſelber ahnte nur dunkel, was die Wiedererwerbung des Ordens - landes in dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte bedeutete; der Nation aber war ihr eigenes Alterthum fremd geworden, ſie wußte kaum noch, daß dieſe Gauen jemals deutſch geweſen. Die Einen ver - dammten mit dem herben Dünkel des Sittenrichters das zweideutige diplomatiſche Spiel, das den Heimfall des Landes vorbereitet hatte; Andere wiederholten gläubig, was Polens alte Bundesgenoſſen, die Franzoſen erdichteten um die Theilungsmächte zu brandmarken; die Meiſten blieben kalt und befeſtigten ſich nur von Neuem in der landläufigen Meinung, daß der alte Fritz den Teufel im Leibe habe. Für die neue Wohlthat, die er unſerem Volke erwieſen, dankte ihm Niemand im Reiche.

Der unruhige Ehrgeiz Kaiſer Joſephs II. führte den König am Abend ſeines Lebens zu den Ideen der Reichspolitik zurück, welche ſeine Jugend beſchäftigt hatten. Der Wiener Hof gab die conſervative Haltung auf, welche dem Kaiſerhauſe allein noch Anſehen im Reiche ſichern konnte, und unternahm ſich in Baiern für den Verluſt von Schleſien zu entſchädigen; der ganze Verlauf der öſterreichiſchen Geſchichte ſeit zweihundert Jahren, das ſtetige Hinauswachſen des Kaiſerſtaates aus dem Reiche ſollte durch einen abenteuerlichen Einfall urplötzlich zum Rücklaufe gebracht werden. Da ſchloß König Friedrich zum zweiten male ſeinen Bund mit den Wittelsbachern und verbot dem Hauſe Oeſterreich mit dem Schwerte, ſeine Macht auf deutſchem Boden zu erweitern; ſcharf und klar wie niemals früher trat der Gegenſatz der beiden Nebenbuhler an den Tag. Der bairiſche Erbfolgekrieg zeigt in ſeinem Feldzugsplane wie in ſeinen politiſchen Zielen manche überraſchende Aehnlichkeit mit dem Entſcheidungskriege von 1866, doch nicht um Deutſchland von Oeſterreichs Herrſchaft zu befreien zog Preußen das Schwert, wie drei Menſchenalter ſpäter, ſondern lediglich zur Abwehr öſterreichiſcher Uebergriffe, zur Wahrung des Beſitzſtandes. Obſchon der alternde Held nicht mehr die Verwegenheit beſaß, ſeinen Kriegsplan ſo groß wie er gedacht war durchzuführen, ſo erwies ſich doch Preußens Macht ſtark genug den Wiener Hof auch ohne glänzende Kriegs - erfolge zum Nachgeben zu zwingen. Baiern ward zum zweiten male gerettet, der ſtolze Kaiſerhof mußte ſich herbeilaſſen vor dem Berliner67Bairiſcher Erbfolgekrieg.Tribunale zu plaidiren , und der erbitterte Fürſt Kaunitz ſprach jene Weiſſagung, die auf dem Felde von Königgrätz wider den Sinn des Propheten ſich erfüllen ſollte: wenn je die Schwerter Oeſterreichs und Preußens nochmals auf einander ſchlügen, dann würden ſie nicht eher wieder in die Scheide fahren, als bis die Entſcheidung offenbar, voll - kommen, unwiderruflich gefallen ſei. Noch werthvoller faſt als der augenblickliche Erfolg war der mächtige Umſchwung der Meinung im Reiche. Der gefürchtete Störenfried, der Rebell gegen Kaiſer und Reich erſchien der Nation jetzt als der weiſe Beſchirmer des Rechtes; die kleinen Höfe, die ſo oft vor dem preußiſchen Degen gezittert, blickten nunmehr, aufgeſcheucht durch Kaiſer Joſephs raſtloſe Pläne, hilfeſuchend nach dem Schiedsrichter in Sansſouci. An den Bauernhäuſern im bairiſchen Hochgebirge hing das Bild des Alten mit dem dreiſpitzigen Hute neben dem Volksheiligen Corbinian. In den Chor der ſchwäbiſchen und nord - deutſchen Poeten, die von dem Ruhme des Königs erzählten, miſchten ſich bereits einzelne Stimmen aus dem tief verfeindeten Kurſachſen; der Barde Ringulph beſang in verzückten Oden, wie aus der Allmacht Schooße, König Friedrich, deine große ſchlachtenfrohe Seele ging . Vor Kurzem noch hatte K. F. Moſer ausgeſprochen, der Blick des gewöhnlichen Menſchen vermöge dieſem Adler nicht in ſeine Höhen zu folgen, vielleicht erſcheine dereinſt ein Newton der Staatswiſſenſchaft, der die Bahnen der fridericianiſchen Politik ermeſſe. Jetzt aber begannen die Deutſchen zu fühlen, daß dieſe räthſelhafte Politik im Grunde wunderbar einfach war, daß der Staatsmann Friedrich, jedes Haſſes, jeder Liebe baar, gleichſam unper - ſönlich, immer nur wollte was die klar erkannte Lage ſeines Staates gebot.

Als die Empörung in Nordamerika ausbrach und die aufgeklärte Welt der neuen Sonne, die im Weſten aufging, zujubelte, da hat auch Friedrich ſeine Freude nicht verhehlt. Seiner jungen Großmacht war ein neuer Staat, der ſich in den Kreis der alten Mächte eindrängte, willkommen; es that ihm wohl, dies England, das ihn im letzten Kriege ſo ſchmählich verrathen und ihn dann während der polniſchen Händel an der Erwerbung von Danzig gehindert hatte, jetzt in peinlicher Ver - legenheit zu ſehen. Er erklärte offen, daß er nicht zum zweiten male Hannover für das undankbare England vertheidigen werde; er hat einmal ſogar den Durchmarſch der in Deutſchland erkauften engliſchen Hilfs - völker verboten, weil ihn dieſer ſchmutzige Menſchenhandel empörte und mehr noch weil er der jungen Männer aus dem Reiche für ſein eignes Heer bedurfte. Er benutzte die Noth der Meereskönigin um durch den Bund der bewaffneten Neutralität die Rechte der Marinen zweiten Ranges zu wahren; er ſchloß nach dem Frieden, der Erſte unter den europäiſchen Fürſten, einen Handelsvertrag mit der jungen Republik und bekannte ſich darin zu jener freien, menſchlichen Auffaſſung des Völkerrechts, welche ſeitdem eine treu bewahrte Ueberlieferung des preußiſchen Staates ge -5*68I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.blieben iſt. Doch weder ſein Haß gegen die Goddam-Regierung , noch die überſchwängliche Volksgunſt, die ihm aus den Colonien entgegenklang, bewog ihn jemals nur einen Schritt über das Intereſſe ſeines Staates hinauszugehen. Sein alter Feind Kaunitz konnte ſich noch immer den ſtolzen Gang der fridericianiſchen Politik nur aus der unberechenbaren Argliſt einer dämoniſchen Natur erklären. Im Reiche aber ſchwand das alte Mißtrauen nach und nach; die Nation merkte, daß nirgendwo ihre Angelegenheiten ſo ſachlich und maßvoll, ſo wachſam und ſo kalt er - wogen wurden, wie in der Einſiedelei von Sansſouci.

So konnte denn das Unerhörte geſchehen, daß der hohe Adel des Reichs ſich von freien Stücken um Friedrichs Fahnen ſchaarte. Kaiſer Joſeph nahm ſeine bairiſchen Pläne wieder auf um Preußens Macht zu erſchüttern, wie er ſelber eingeſtand; er bedrohte zugleich durch haſtige Seculariſationsgedanken den Beſtand ſeiner geiſtlichen Nachbarn. Ein jäher Schrecken ergriff die kleinen Staaten, da ſie alſo ihren natür - lichen Beſchützer zum Feinde werden ſahen; man berieth über einen Bund der Mittelmächte, über eine Liga der geiſtlichen Fürſten, bis ſich endlich die Erkenntniß aufdrängte, daß man ohne Preußens Hilfe nichts vermöge. Mit jugendlichem Feuer griff der alte König in den Streit ein. Alle die lockenden Anträge, die ihm vorſchlugen ſich mit dem Kaiſer in den Beſitz von Deutſchland zu theilen, wies er weit von ſich als Köder für die gemeine Habgier ; er bezwang ſeine Verachtung gegen die Kleinfürſten und begriff, daß er ces gens nur durch ſtrenge Gerechtigkeit an ſich feſſeln konnte. Es gelang ihm, die große Mehrheit des Kurfürſtenrathes und die meiſten der mächtigeren Fürſten für ſeinen deutſchen Fürſtenbund zu ge - winnen, die alte Reichsverfaſſung und den Beſitzſtand der Reichsſtände gegen den Kaiſer zu behaupten. Allein die Liebe zu meinem Vaterlande und die Pflicht des guten Bürgers, ſo ſchrieb er, treibt mich in meinem Alter noch zu dieſem Unternehmen. Was er in ſeiner Jugend geträumt, ging dem Greiſe glänzender in Erfüllung: nicht mehr verſteckt hinter einem bairiſchen Schattenkaiſer, wie einſt in den ſchleſiſchen Kriegen, ſondern mit offenem Viſier trat die Krone Preußen jetzt auf den Plan, als der Protector von Deutſchland. Alle die Nachbarmächte, die auf Deutſchlands Schwäche zählten, ſahen die unerwartete Wendung der Reichspolitik mit ernſter Beſorgniß; Frankreich und Rußland näherten ſich dem Wiener Hofe, die Allianz von 1756 drohte ſich von Neuem zu ſchließen. Das Turiner Cabinet dagegen begrüßte den Fürſtenbund mit Freuden als den Schutzgott der italieniſchen Staaten .

Die Politik des Foederalismus war im Reiche ſeit zweihundert Jahren nicht über halbe Anläufe hinausgekommen; nun da ſie ſich auf die Macht des preußiſchen Staates ſtützte errang ſie plötzlich einen großen Erfolg. Die Erinnerung an die Zeiten Maximilians I. und die Reformverſuche Kurfürſt Bertholds tauchte wieder auf. Der Fürſtenbund war geſchloſſen um69Deutſcher Fürſtenbund.das alte reichsſtändiſch-theokratiſche Deutſchland aufrecht zu halten. Doch wenn er dauerte, wenn Preußen ſeine Führerſtellung an der Spitze der großen Reichsſtände behauptete, ſo mußten die alten Formen des Reichsrechtes ihren Sinn verlieren; es eröffnete ſich die Ausſicht, das öſterreichiſche Syſtem in ſeinen Grundlagen zu erſchüttern, wie Graf Hertzberg freudig ausrief, die Erzherzöge von den großen deutſchen Stiftern auszuſchließen, bei der nächſten Wahl die Kaiſerkrone auf ein anderes Haus zu übertragen und die Leitung des Reichs in die Hände der mächtigſten Stände zu legen. Der junge Karl Auguſt von Weimar ſchlug bereits vor, jene alten Privilegien, welche dem Hauſe Oeſterreich ſeine Sonder - ſtellung ſicherten, einer Prüfung von Reichswegen zu unterwerfen. Faſt ſchien es, als ſollte das große Räthſel der deutſchen Zukunft im Frieden gelöſt werden. Aber der Fürſtenbund konnte nicht dauern; und am wenigſten der nüchterne Sinn des alten Königs hat ſich dieſe bittere Wahrheit verborgen. Nur eine Verkettung zufälliger Umſtände, nur der Abfall Kaiſer Joſephs von den altbewährten Ueberlieferungen der öſter - reichiſchen Staatskunſt hatte die kleinen Fürſten in Friedrichs Arme hinübergeſcheucht; ihr Vertrauen zu Preußen reichte nicht weiter als ihre Angſt vor Oeſterreich. Mit äußerſtem Widerſtreben fügte ſich Kur - ſachſen der Führung des jüngeren und minder vornehmen Hauſes Bran - denburg, kaum weniger mißtrauiſch zeigte ſich Hannover; ſelbſt die er - gebenſten und ſchwächſten der verbündeten Stände, Weimar und Deſſau beriethen insgeheim, ſo erzählt uns Goethe, wie man ſich decken könne gegen die Herrſchſucht des preußiſchen Beſchützers. Sobald die Hofburg ihre begehrlichen Pläne fallen ließ, mußte ſich auch die alte natürliche Partei - bildung wiederherſtellen; die geiſtlichen Fürſten, die jetzt in Berlin Hilfe ſuchten, konnten in dem proteſtantiſchen Preußen nur den geſchworenen Feind ihrer Herrſchaft ſehen. Weil Friedrich dies wußte, weil er mit ſeinem durchbohrenden Blicke den getreuen Bundesgenoſſen bis in Mark und Nieren ſchaute, darum ließ er auch durch den Erfolg des Tages ſich nicht darüber täuſchen, daß dieſer neue ſchmalkaldiſche Bund nur ein Noth - behelf war, nur ein Mittel zur Wahrung des augenblicklichen Gleichge - wichts. Karl Auguſt entwarf in großherziger Schwärmerei kühne Pläne für den Ausbau der neuen Reichsaſſociation, er dachte an einen Zoll - verband, an Militär-Conventionen, an ein deutſches Geſetzbuch; Johannes Müller verherrlichte den Fürſtenbund in ſchwülſtigen Pamphleten, Schubart in ſchwungvollen lyriſchen Ergüſſen, und Dohm gelangte in einer geiſt - reichen Flugſchrift zu dem Schluſſe: Deutſches und preußiſches Intereſſe können ſich nie im Wege ſtehen. Den überlegenen Verſtand des greiſen Königs berührten ſolche Träume nicht; er wußte, daß nur ein ungeheurer Krieg die Herrſchaft Oeſterreichs im Reiche brechen konnte; ihm genügte, ſie in den Schranken des Rechts zu halten, da er des Friedens für ſein Land bedurfte.

70I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Für eine ernſtliche Reform des Reichs fehlten noch immer alle Vor - bedingungen, es fehlte vor Allem der Wille der Nation. Ueber das alte Wahngebilde der deutſchen Freiheit kamen auch die reichspatriotiſchen Ver - theidiger des Fürſtenbundes nicht hinaus. Die joſephiniſche Politik, ſo verſichert Hertzberg beweglich, drohe die Kräfte Deutſchlands zu einer Maſſe zuſammenzuballen, das freie Europa einer Univerſalmonarchie zu unterwerfen; und in Dohms Augen erſcheint es als eine preiswürdige Aufgabe des neuen Bundes, die Weſtgrenzen Oeſterreichs offen zu halten, damit Frankreich jederzeit zu Gunſten deutſcher Freiheit einſchreiten könne. Das Volk empfand dunkel, daß das Beſtehende nicht werth ſei zu beſtehen; in Schubarts Schriften werden die kleinen ſchwäbiſchen Territorien oft geſchildert als ein offener Taubenſchlag, der dem fürſtlichen Marder dicht vor den Klauen liege. Doch alle ſolche Einfälle und Ahnungen wurden darniedergehalten von einem Gefühle hoffnungsloſer Entſagung, das die kräftigere Gegenwart kaum noch verſteht; den Deutſchen war zu Muthe, als ob eine unerforſchlich geheimnißvolle Schickſalsmacht dies Volk ver - dammt hätte, für alle Ewigkeit in einem widerſinnigen Zuſtande zu ver - harren, der jedes Recht des Daſeins längſt verloren. Als der große König ſchied, da hinterließ er zwar ein Geſchlecht, das froher und ſtolzer in die Welt blickte denn die Väter, und gewaltig hatte ſich die Macht des Staates gehoben, der vielleicht dereinſt einen neuen Tag über Deutſchland heraufführen konnte. Doch die Frage: durch welche Mittel und Wege eine lebensfähige Ordnung für das deutſche Gemeinweſen zu ſchaffen ſei? erſchien bei Friedrichs Tode faſt noch ebenſo räthſelhaft wie bei ſeiner Thronbeſteigung; ja ſie wurde von der ungeheuren Mehrzahl der Deutſchen nicht einmal ernſtlich aufgeworfen. Noch beſtanden kaum die erſten Anfänge einer Parteibildung in der Nation; nur ein Wunder des Himmels ſchien der rathloſen Hilfe bringen zu können. Die entſetzliche Verſchrobenheit aller Verhältniſſe erhellt mit unheimlicher Klarheit aus der einen Thatſache, daß der Held, der einſt mit ſeinem guten Schwerte die Nichtigkeit der Inſtitutionen des Reichs erwieſen hatte, nun damit enden mußte, dieſe entgeiſteten Formen ſelber gegen das Reichsoberhaupt zu vertheidigen.

Wenn Friedrich die Entſcheidung der deutſchen Verfaſſungsfrage nur vorbereiten, nicht vollenden konnte, ſo hat er dagegen auf die innere Politik der deutſchen Territorien tief und nachhaltig eingewirkt und unſer Volk zu einer edleren Staatsgeſinnung, einer würdigeren Anſicht vom Weſen des Staates erzogen. Er ſtand am Ende der großen Tage der unbeſchränkten Monarchie und erſchien gleichwohl den Zeitgenoſſen als der Vertreter eines neuen Staatsgedankens, des aufgeklärten Despotismus. Nur der Genius beſitzt die Kraft der Propaganda, vermag die wider - ſtrebende Welt um das Banner neuer Gedanken zu ſchaaren. Wie die Ideen der Revolution erſt durch Napoleon wirkſam verbreitet wurden, ſo71Höchſte Ausbildung der abſoluten Monarchie.iſt auch jene ernſte Auffaſſung der Pflichten des Königthums, die ſeit dem großen Kurfürſten auf dem preußiſchen Throne herrſchte, erſt durch Friedrich in das Bewußtſein der Menſchen übergegangen. Erſt ſeit den blendenden Erfolgen der ſchleſiſchen Kriege wendeten ſich die Blicke der Welt, die bisher an der Hofpracht von Verſailles bewundernd gehangen, nachdenklich auf die prunkloſe Krone der Hohenzollern. Im Kriege und in der auswärtigen Politik zeigte der König die unvergleichliche ſchöpferiſche Macht ſeines Geiſtes; in der inneren Verwaltung war er der Sohn ſeines Vaters. Er hat die überlieferten Formen des Staates durch die Kraft des Genius belebt, das Unfertige in freiem und großem Sinne weitergebildet; einen Neubau unternahm er nicht. Doch er wußte den Gedanken des politiſchen Königthums, den ſein Vater als ein handfeſter Praktiker verwirklicht hatte, mit der Bildung des Jahrhunderts in Ein - klang zu bringen; unabläſſig gab er ſich und Andern Rechenſchaft von ſeinem Thun. Schon als Kronprinz errang er ſich einen Platz unter den politiſchen Denkern des Zeitalters; ſein Anti-Machiavell bleibt, bei allen Schwächen jugendlicher Unreife, doch das Beſte und Tiefſte, was jemals über die Pflichten des fürſtlichen Amts in der abſoluten Monarchie geſagt wurde. Nachher, in den erſten Jahren des Siegerglückes, ſchrieb er den Fürſtenſpiegel für den jungen Herzog von Württemberg; doch mächtiger denn alle Lehren ſprachen ſeine Thaten, da er in den Tagen der Prüfung ſeine Worte bewährte und der Welt zeigte was es heiße als König denken, leben, ſterben . Zuletzt ward ihm noch jene Schickſalsgunſt, deren auch der Genius bedarf, wenn er einem ganzen Zeitalter den Stempel ſeines Geiſtes aufprägen ſoll: das Glück, in einem reichen Alter ſich völlig auszuleben. Er war jetzt der Neſtor, der anerkannt erſte Mann des euro - päiſchen Fürſtenſtandes; ſein Ruhm hob den Glanz aller Throne, aus ſeinen Worten und Werken lernten die Könige groß zu denken von ihrem Berufe.

Die althergebrachte Vorſtellung des Kleinfürſtenthums, daß Land und Leute dem durchlauchtigen Fürſtenhauſe zu eigen gehörten, verlor an Boden, ſeit dieſer König trocken ausſprach: Der Fürſt hat keinen nähern Verwandten als ſeinen Staat, deſſen Intereſſen immer den Banden des Blutes voranſtehen müſſen. Die dynaſtiſche Selbſtüberhebung der Bourbonen erſchien in ihrer Nichtigkeit, ſeit er bei ſeiner Thronbe - ſteigung den leichten Genüſſen des Lebens den Rücken wandte mit den Worten mein einziger Gott iſt meine Pflicht und nun durch ein halbes Jahrhundert mit allen Kräften ſeiner Seele dieſem einen Gotte diente und auf jeden Dank ſeines Volkes immer nur die gelaſſene Antwort gab: Dafür bin ich da. So weltlich unbefangen hatte noch nie ein gekröntes Haupt von der fürſtlichen Würde geredet, wie dieſer Selbſtherrſcher, der unbedenklich die Berechtigung der Republik wie des parlamentariſchen Königthums anerkannte und die Größe der abſoluten Monarchie allein72I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.in der Schwere ihrer Pflichten ſuchte: Der Fürſt ſoll Kopf und Herz des Staates ſein, er iſt das Oberhaupt der bürgerlichen Religion ſeines Landes.

An Friedrichs Beiſpiel und an den menſchenfreundlichen Gedan - ken der neuen Aufklärung bildete ſich das heranwachſende Geſchlecht des hohen Adels. Auf die kleinen Sultane, die zur Zeit Friedrich Wilhelms I. gehauſt, folgte jetzt eine lange Reihe wohlmeinender pflicht - getreuer Landesväter, wie Karl Friedrich von Baden, Friedrich Chriſtian von Sachſen. Schon geſchah es häufiger, daß die Prinzen nach preußiſcher Weiſe eine militäriſche Erziehung erhielten; kirchliche Duldſamkeit, För - derung des Wohlſtandes und der Schulen galten als Fürſtenpflicht; einzelne Kleinſtaaten, wie Braunſchweig, gewährten der Preſſe noch größere Freiheit als Preußen ſelber. Selbſt in einigen geiſtlichen Gebieten trat eine Wendung zum Beſſeren ein, das Münſterland pries die milde und ſorgſame Verwaltung ſeines Fürſtenberg. Nicht überall freilich und nicht mit einem Schlage konnten die tief eingewurzelten Sünden des kleinfürſt - lichen Despotismus verſchwinden; die alte Unſitte des Soldatenhandels erreichte eben jetzt, während des amerikaniſchen Krieges, den Gipfelpunkt ihrer Ruchloſigkeit und zeigte, weſſen das deutſche Kleinfürſtenthum fähig war. Das fridericianiſche Syſtem der Völkerbeglückung von Oben führte in der Enge der Kleinſtaaten oft zu leerer Spielerei oder zu erdrückender Bevormundung. Der badiſche Markgraf nannte ſeine Hofkammer kurzweg die natürliche Vormünderin unſerer Unterthanen ; mancher wohldenkende kleine Herr mißhandelte ſein Ländchen durch das neumodiſche phyſio - kratiſche Steuerſyſtem, durch allerhand unreife philanthropiſche Experi - mente, und das fürſtlich Oettingen-Oettingen’ſche Landesdirectorium mußte dem wißbegierigen Landesherrn über Namen, Gattung, Gebrauch und äußerliche Geſtalt ſämmtlicher in fürſtlichen Landen befindlichen Hunde genauen Bericht erſtatten nebſt beigefügtem ohnmaßgeblichen aller - unterthänigſten Gutachten. Doch im Ganzen war die Fürſtengeneration der achtziger Jahre die ehrenwertheſte, die ſeit Langem auf den deutſchen Thronen geſeſſen. Wo er nur konnte trat der König den Ausſchreitungen ſeiner Standesgenoſſen entgegen, befreite den alten Moſer aus dem Kerker, ſicherte den Württembergern den Beſtand ihrer Verfaſſung. Das Reich als Ganzes lag hoffnungslos darnieder, aber in vielen ſeiner Glieder pulſte wieder ein neues hoffnungsvolles Leben.

Und weit hinaus über Deutſchlands Grenzen wirkte das Vorbild Friedrichs. Maria Thereſia wurde ſeine gelehrigſte Schülerin, ſie hat den Gedanken der fridericianiſchen Monarchie in der katholiſchen Welt verbreitet. Von ſchwachen Nachbarn umgeben hatte das alte Oeſter - reich bisher ſorglos und ſchläfrig dahingelebt; erſt das Erſtarken des ehrgeizigen Nebenbuhlers im Norden zwang den Kaiſerſtaat ſeine Kräfte tapfer anzuſpannen. Der Norddeutſche Haugwitz geſtaltete die Ver -73Heerweſen.waltung Oeſterreichs, ſoweit es anging, nach preußiſchem Muſter um, und von dieſen öſterreichiſchen Reformen wiederum lernte der aufge - klärte Despotismus, der nunmehr in allen romaniſchen Landen, in Neapel und Toscana, in Spanien und Portugal ſeine raſtlos gewalt - ſame Völkerbeglückung begann. Am Längſten ſträubte ſich der Stolz der franzöſiſchen Bourbonen wider die neue Auffaſſung der Mo - narchie; mit ſpöttiſchem Lächeln erzählte man ſich zu Verſailles, daß am Potsdamer Hofe der Oberkammerherr noch niemals dem Könige das Hemd gereicht habe. Erſt da es zu ſpät war, da die Mächte der Revo - lution ſchon an die Thore klopften, begann man etwas zu ahnen von den Pflichten des Königthums. Die Krone der Bourbonen iſt aus dem trüben Dunſtkreiſe höfiſcher Selbſtvergötterung und Menſchenverachtung niemals gänzlich hinausgekommen, darum ging ſie ſchimpflich zu Grunde. Den Deutſchen aber wurde die monarchiſche Geſinnung, die unſerem Volke im Blute lag und ſelbſt in den Jahrhunderten der ſtändiſchen Vielherr - ſchaft nicht völlig verloren ging, durch König Friedrich aufs Neue ge - kräftigt. In keiner andern Nation der neuen Geſchichte hat das König - thum ſeine Aufgaben ſo groß und hochſinnig verſtanden; darum blieb das deutſche Volk, ſelbſt als die Zeit der parlamentariſchen Kämpfe kam, das am treueſten monarchiſch geſinnte unter den großen Culturvölkern.

Die Friedensliebe des hohenzollernſchen Hauſes blieb auch in ſeinem größten Kriegsfürſten lebendig. Friedrich ſchätzte die Macht, doch nur als ein Mittel für den Wohlſtand und die Geſittung der Völker; daß ſie jemals Selbſtzweck ſein, daß der Kampf um die Macht als ſolche ſchon hiſtoriſchen Ruhm verleihen ſollte, erſchien ihm als eine Beleidigung der fürſtlichen Ehre. Darum ſchrieb er ſeine leidenſchaftliche Streitſchrift gegen Machiavelli. Darum kam er in ſeinen Schriften immer wieder auf das abſchreckende Beiſpiel Karls XII. von Schweden zurück. Er mochte insgeheim fühlen, daß in ſeiner eigenen Bruſt dämoniſche Kräfte arbeiteten, die ihn zu ähnlichen Verirrungen mißleiten konnten, und ward nicht müde die Hohlheit des zweckloſen Kriegsruhms zu ſchildern, ließ im runden Saale zu Sansſouci die Büſte des Schwedenkönigs verächtlich unter den Füßen der Muſe aufſtellen. Schon in ſeinen brauſenden Jünglingsjahren war er mit ſich im Reinen über die ſittlichen Zwecke der Macht: dieſer Staat muß ſtark werden, ſo ſchrieb er damals, damit er die ſchöne Rolle ſpielen kann den Frieden zu erhalten allein aus Liebe zur Gerechtigkeit, nicht aus Furcht. Wenn aber jemals in Preußen Unrecht, Parteilichkeit und Laſter überhand nähmen, dann wünſche ich dem Hauſe Brandenburg ſchleunigen Untergang. Das ſagt Alles. Als er nach dem ſiebenjährigen Kriege ſich ſtark genug fühlte aus Gerechtigkeit den Frieden zu wahren, da wendete er ſeine Sorge mit ſolchem Eifer der Wiederherſtellung des Volkswohlſtandes zu, daß die Armee geradezu geſchädigt wurde.

Es iſt nicht anders: der Feldherr, der die Fahnen Preußens mit74I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Lorbeeren überſchüttet hatte, hinterließ die Armee in ſchlechterem Zuſtande als er ſie bei ſeiner Thronbeſteigung vorgefunden, reichte als militäriſcher Organiſator an ſeinen rauhen Vater nicht heran. Er bedurfte der fleißigen Hände um ſein verwüſtetes Land zu heben und begünſtigte darum grund - ſätzlich die Anwerbung von Ausländern für das Heer. Die Regiments - commandeure ſollten ihre Kantonsliſten im Einverſtändniß mit den Land - und Steuerräthen aufſtellen; ſeitdem ſpielte alljährlich in jedem Kreiſe jener Streit zwiſchen den militäriſchen Anforderungen und den bürger - lichen Intereſſen, der nachher unter wechſelnden Formen in der Geſchichte Preußens immer wiederkehrte. Für diesmal ward der Kampf zu Gunſten der Volkswirthſchaft entſchieden. Die bürgerlichen Behörden ſuchten jeden irgend fähigen oder vermögenden jungen Mann vor der rothen Kanto - niſten-Halsbinde zu bewahren. Der König ſelbſt griff helfend ein, befreite zahlreiche Klaſſen der Bevölkerung, die Neueingewanderten, die Familien aller Gewerbtreibenden, die Hausdienerſchaft der Grundherren von der Dienſt - pflicht; viele Städte, ja ganze Provinzen, wie Oſtfriesland, erhielten Pri - vilegien. Das Heer beſtand bald nach dem Frieden ſchon zur größeren Hälfte aus Ausländern. Friedrich dachte hoch von der Armee, nannte ſie gern den Atlas, der dieſen Staat auf ſeinen ſtarken Schultern trage; der Kriegsruhm der ſieben Jahre wirkte noch nach, der Dienſt des gemeinen Soldaten galt in Preußen zwar, wie überall ſonſt in der Welt, als ein Un - glück, doch nicht als eine Schande, wie draußen im Reiche. Der König brachte die großen Sommerübungen auf der Mockerauer Heide zu einer techniſchen Vollendung, welche die Kunſt des Manövrirens ſeitdem wohl nie wieder erreicht hat, ſchärfte ſeinen Offizieren unermüdlich ein, das Detail zu lieben, das auch ſeinen Ruhm hat, ſchrieb zu ihrer Belehrung ſeine militäriſchen Abhandlungen, die reifſten ſeiner Werke. Seinen Blicken entging kein Fortſchritt des Kriegsweſens; noch im hohen Alter bildete er die neue Waffe der leichten Infanterie, die grünen Füſiliere, nach dem Vorbilde der amerikaniſchen Riflemen. Der Ruhm des Potsdamer Exer - cierplatzes zog Zuſchauer aus allen Landen herbei; in Turin ahmte Victor Amadeus mit ſeinen Generalen jede Bewegung des großen preußiſchen Drillmeiſters bis auf die gebeugte Haltung des Kopfes andächtig nach; und wenn der junge Leutnant Gneiſenau die ſpitzen Blechmützen der Grenadiere beim Parademarſche in der Sonne funkeln ſah, dann rief er begeiſtert: Sagt, welches unter allen Völkern ahmet wohl ganz dies wunderbare Schauſpiel nach?

Und dennoch iſt das Heer in Friedrichs letzten Jahren unzweifelhaft geſunken. Die Blüthe des alten Offizierscorps lag auf den Schlachtfel - dern; während der ſieben Jahre waren ein beiſpielloſer Fall in der Kriegs - geſchichte ſämmtliche namhafte Generale bis auf ſpärliche Ausnahmen geblieben oder kampfunfähig geworden. Die jetzt emporkamen hatten den Krieg nur in ſubalternen Stellungen kennen gelernt, ſuchten das Ge -75Ständiſche Gliederung.heimniß der fridericianiſchen Siege allein in den Handgriffen des Parade - platzes. Unter den ausländiſchen Offizieren war mancher zweideutige Abenteurer; man jagte nach Gunſt und Gnade, für den ſtolzen Freimuth eines York oder Blücher war kein Raum. Der König, minder bürger - freundlich als ſein Vater, glaubte, daß nur der Edelmann Ehre im Leibe habe, entfernte die bürgerlichen Offiziere aus den meiſten Truppentheilen. In den adlichen Offizierscorps entſtand ein Junkerſinn, der dem Volke bald noch unleidlicher wurde als die ungeſchlachte Roheit früherer Zeiten. Die geworbenen alten Soldaten endlich lebten bequem mit Weib und Kind, in bürgerlicher Hantirung, und verabſcheuten den Krieg für ein Land, das ihnen fremd blieb. Schon im bairiſchen Erbfolgekriege bemerkte Friedrich mit Befremden, wie wenig dies Heer leiſte; den Grund des Verfalls durchſchaute er nicht. Der Eudämonismus ſeines Zeitalters ließ ihn die ſittlichen Kräfte des Heerweſens verkennen. Er hatte einſt, nach dem Brauche der Zeit, preußiſche Regimenter aus öſterreichiſchen und ſächſiſchen Kriegsgefangenen gebildet und ſelbſt durch die maſſenhaften Deſertionen der Unglücklichen ſich nicht belehren laſſen; er hatte in den letzten Jahren des Krieges genugſam erfahren, was ein Heer von Landes - kindern vermochte, doch ein ſo gewaltſames Aufgebot der geſammten Volkskraft blieb ihm ſtets nur ein Nothbehelf für verzweifelte Tage, da es auf den Schutz des Vaterlandes und eine preſente Gefahr ankommt . Unter ſeinen Staatsmännern hat allein Hertzberg die kühnen Ideen Friedrich Wilhelms I. heilig gehalten; der wollte das Heer nach und nach von allen Ausländern ſäubern: dann werden wir unüberwindlich ſein wie die Griechen und Römer. Der alte König aber ſah mit Genug - thuung, wie ſein unglückliches Land wirthſchaftlich erſtarkte, und bezeich - nete jetzt das Ideal des Heerweſens mit den wunderlichen Worten: Der friedliche Bürger ſoll es gar nicht merken, wenn die Nation ſich ſchlägt. So gerieth eine der Säulen, welche dieſen Staatsbau trugen, der Ge - danke der allgemeinen Wehrpflicht, langſam ins Wanken.

Die überlieferte Gliederung der Stände und die hierauf beruhende Organiſation der Arbeit hielt der König noch ſtrenger aufrecht als ſein Vater; er half durch Belehrung und rückſichtsloſen Zwang, durch Ge - ſchenke und Darlehen nach, ſo oft der Bauer, der Bürger, der Edelmann der Rolle, die ihm im Haushalte der Nation vorgeſchrieben war, nicht mehr zu genügen ſchien. Der Adel ſollte der erſte Stand im Staate bleiben, denn ich brauche ihn für meine Armee und meine Staatsver - waltung . Durch die Pfandbriefsanſtalten und durch erhebliche Unter - ſtützungen mit baarem Gelde erreichte Friedrich die Conſervirung des adlichen Großgrundbeſitzes nach den Verwüſtungen der Kriegsjahre. Darum wagte er auch ſo wenig wie ſein Vater, die Unfreiheit des Landvolks, die ſeinen großen Sinn empörte, gänzlich aufzuheben. Durch das Allge - meine Landrecht wurde zwar die rohe Form der Leibeigenſchaft beſeitigt,76I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.doch die um ein Geringes leichtere Erbunterthänigkeit überall aufrecht erhalten. Die Verwaltung begnügte ſich, im Einzelnen die Härten der be - ſtehenden Klaſſenherrſchaft zu mildern. Von dem alternden Fürſten nicht bemerkt und nicht gewollt, begann unterdeſſen eine folgenreiche Ver - ſchiebung der ſocialen Machtverhältniſſe. Die neue Literatur erzog ein aus allen Ständen gemiſchtes gebildetes Publicum; die Kaufleute und Gewerbtreibenden der größeren Städte, die bürgerlichen Pächter des ausgedehnten Domaniums der Monarchie gelangten nach und nach zu geſichertem Wohlſtande und zu einem kräftigen Selbſtbewußtſein, das die Vorrechte des Adels auf die Dauer nicht mehr ertragen konnte. Der Adel verlor allmählich die ſittlichen wie die wirthſchaftlichen Grundlagen ſeiner Herrenſtellung. Der Bau der alten ſtändiſchen Gliederung ward unmerklich untergraben.

Auch die Verwaltungsorganiſation des Vaters blieb unter dem Sohne unverändert, nur daß er den Provinzialdepartements des Generaldirec - toriums vier neue, den ganzen Staat umfaſſende, für Kriegsverwaltung, Handelspolitik, Berg - und Forſtweſen, hinzufügte und alſo einen Schritt weiter that auf dem Wege zum Einheitsſtaate. Die Krone ſtand noch immer hoch über ihrem Volke. Landdragoner mußten den Bauern an - halten die vom Könige geſchenkten Saatkartoffeln zu verwenden; der Befehl des Landraths und der Kammer erzwang, gegen den zähen paſſiven Widerſtand der Betheiligten, die Gemeinheitstheilungen und Entwäſſerungen, alle Fortſchritte der landwirthſchaftlichen Technik. Der völlig ermattete Unternehmungsgeiſt der bürgerlichen Gewerbe konnte nur durch die gewaltſamen Mittel des Prohibitivſyſtems geweckt werden. Die Gebrechen der fridericianiſchen Volkswirthſchaftspolitik lagen nicht in dem Alles meiſternden Beglückungseifer der Staatsgewalt, dem die Zeit noch keineswegs entwachſen war, ſondern in den fiscaliſchen Künſten, wozu der König durch die Bedrängniß ſeines Haushalts genöthigt wurde: er mußte volle drei Viertel ſeiner ordentlichen Ausgaben für das Heer verwenden und ſuchte was am Nothwendigen fehlte durch die Monopolien und in - directen Steuern ſeiner Regie einzubringen. Das Finanzweſen glich in ſeiner Schwerfälligkeit noch einem großen Privathaushalte. Faſt die Hälfte der regelmäßigen Einnahmen kam aus den Domänen und Forſten; nur dieſer reiche Grundbeſitz des Staates ermöglichte ihm ſeine hohen Ausgaben, er diente zugleich zur techniſchen Erziehung des Landvolks. Die Summe der Hauptſteuern ſtand geſetzlich feſt; für die außerordent - lichen Ausgaben der Coloniſationen und Urbarmachungen mußte der beweg - liche Ertrag der Regie herangezogen werden. Der ſorgſam vermehrte Schatz genügte für einige kurze Feldzüge; doch einen langen ſchweren Krieg konnte das alte Preußen ohne fremde Hilfsgelder nicht führen, da die Rechte der Landtage, die überlieferten Anſchauungen des Beamtenthums und die Unreife der Volkswirthſchaft jede Anleihe verboten. Wie kräftig auch der77Das Allgemeine Landrecht.bürgerliche Wohlſtand anwuchs, der weite Vorſprung der glücklicheren Nachbarvölker ließ ſich ſo ſchnell nicht einholen. Der preußiſche Staat blieb noch immer die ärmſte der Großmächte des Weſtens, im Weſentlichen ein Ackerbauland, ſpielte im Welthandel eine beſcheidene Rolle, auch nach - dem ihm Friedrich durch die Erwerbung Oſtfrieslands den Zugang zur Nordſee eröffnet hatte; den Häfen der Ems wie der Oder fehlte ein reiches gewerbfleißiges Hinterland.

Als ein Reformator wirkte Friedrich nur in jenem Bereiche des inne - ren Staatslebens, das ſein Vorgänger nicht verſtand: er ſchuf den neuen preußiſchen Richterſtand, wie ſein Vater das moderne deutſche Verwaltungsbeamtenthum gebildet hatte. Er wußte, daß die Rechts - ſprechung ein politiſches Amt iſt, unzertrennlich mit dem Staate ver - wachſen; er erwirkte ſich für alle ſeine Lande die Unabhängigkeit von den Reichsgerichten, verbot Gutachten der Juriſtenfacultäten einzuholen, ſtellte ein Juſtizminiſterium neben das Generaldirectorium, gab die geſammte Rechtspflege in die Hände eines hierarchiſch gegliederten Staatsbeamten - thums, das ſich ſeinen jungen Nachwuchs ſelbſt erzog und die in der unterſten Inſtanz noch fortbeſtehende Privatgerichtsbarkeit unter ſtrenge Aufſicht nahm. Die unbedingte Selbſtändigkeit der Gerichte gegenüber der Verwaltung ward feierlich verheißen und, bis auf wenige Fälle einer wohlmeinend willkürlichen Cabinetsjuſtiz, unverbrüchlich gehalten. Der neue Richterſtand bewahrte ſich in beſcheidener wirthſchaftlicher Lage eine ehrenhafte Standesgeſinnung, und während an den Gerichten des Reichs Beſtechlichkeit und parteiiſche Gunſt ihr Weſen trieben, galt in Preußen auch gegen den Willen des Königs das ſtolze Wort: il y a des juges à Berlin. Dem Jünger der Aufklärung, dem der Staat das Werk des zweckbewußten Menſchenwillens war, drängte ſich von ſelber das Verlangen auf, daß im Staate nicht ein gegebenes und überliefertes, ſondern ein gewußtes und gewolltes Recht herrſchen müſſe; ſein Leben lang trug ſich Friedrich mit dem Gedanken, die erſte umfaſſende Codification des Rechts, die ſeit den Zeiten Juſtinians gewagt worden, durchzuführen. Erſt nach ſeinem Tode kam das Allgemeine Landrecht zu Stande, das deutlich, wie kein anderes Werk der Epoche, den Januskopf der fridericianiſchen Staats - anſicht erkennen läßt. Das Geſetzbuch wahrt einerſeits die überlieferten ſocialen Unterſchiede ſo ſorgſam, daß das geſammte Rechtsſyſtem ſich der ſtändiſchen Gliederung einfügen muß, dem Adel ſogar zuwider dem gemeinen Rechte ein ſtändiſches Eherecht gewährt wird, und führt andererſeits den Gedanken der Souveränität des Staates mit ſolcher Kühnheit bis in ſeine letzten Folgerungen, daß mancher Satz ſchon die Ideen der franzöſiſchen Revolution vorausnimmt, und Mirabeau meinen konnte, mit dieſem Werke eile Preußen dem übrigen Europa um ein Jahrhundert voraus. Zweck des Staates iſt das gemeine Wohl, nur um dieſes Zweckes willen darf der Staat die natürliche Freiheit ſeiner Bürger78I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.beſchränken, aber auch alle beſtehenden Privilegien aufheben. Der König iſt nur das Oberhaupt des Staates, hat nur als ſolches Rechte und Pflichten und dies in Tagen, da Biener und andere namhafte Juriſten das Privateigenthumsrecht der deutſchen Fürſten an Land und Leuten noch als einen unbeſtreitbaren Rechtsſatz verfochten. Die alſo über das Bereich des Privatrechts hinausgehobene Staatsgewalt greift ordnend und lehrend in alle Privatverhältniſſe ein, ſchreibt Eltern und Kindern, Grundherren und Dienſtboten ihre ſittlichen Pflichten vor, ſie vermißt ſich durch ihre Alles vorausbedenkende geſetzgeberiſche Weisheit jeden möglichen Rechtsſtreit der Zukunft von vornherein zu erledigen.

Mit dieſem Geſetzbuche ſprach der alte Abſolutismus ſein letztes Wort: er umgab ſeine Gewalt mit feſten Schranken, erhob das Gemeinweſen zum Rechtsſtaate; er betrat zugleich, indem er die Herrſchaft des römiſchen Rechts zerſtörte, ahnungslos den Weg, der zu einer neuen Rechtseinheit des deutſchen Volkes führen mußte. Der mechaniſche Staatsbegriff der fride - ricianiſchen Tage iſt bald nachher durch eine tiefer eindringende Philo - ſophie, die unfertige juriſtiſche Bildung der Carmer und Suarez durch die Arbeiten der hiſtoriſchen Rechtswiſſenſchaft überwunden worden; und gleichwohl blieb das Allgemeine Landrecht noch auf Jahrzehnte hinaus der kräftige Boden, dem alle weiteren Reformen des preußiſchen Staates entwuchſen. Der Glaube an die Herrſchaft des Geſetzes, die Vorbedingung aller politiſchen Freiheit, ward eine lebendige Macht im Beamtenthum wie im Volke. Wenn der Staat beſtand um des gemeinen Wohles willen, ſo führte eine unaufhaltſame Nothwendigkeit, von der Friedrich nichts ahnte, zu dem Verlangen: Aufhebung der Privilegien der höheren Stände und Theilnahme der Nation an der Staatsleitung. Und dieſe Schlüſſe mußten früher oder ſpäter gezogen werden, da ſchon jetzt in dem vergrößerten Staatsgebiete nur eine geniale Manneskraft den ſchweren Aufgaben, welche dies Königthum ſich ſtellte, genügen konnte.

Bei Weitem nicht in gleichem Maße hat Friedrich das geiſtige Leben ſeines Volkes gefördert. Wohl wiſſen wir aus Goethes Bekenntniſſen, wie das Heldenthum der ſieben Jahre befruchtend und befreiend auf die deutſche Bildung wirkte, wie in jenen Jahren des Waffenruhmes zuerſt wieder ein nationaler Gehalt, ein ſchwellendes Gefühl der Lebenskraft in die ermattete Dichtung drang, wie die verarmte Sprache, die längſt ſchon ſtammelnd nach dem Ausdruck mächtigen Gefühles ſuchte, jetzt endlich aus der Plattheit und Leere ſich emporrang und das große Wort fand für die große Empfindung: recht eigentlich unter dem Trommelſchlag des preußiſchen Kriegslagers ward das erſte deutſche Luſtſpiel, Minna von Barnhelm, geſchaffen. Preußens Volk nahm an dem wunderbaren Er - wachen der Geiſter ſeinen reichen Antheil, ſchenkte der literariſchen Be - wegung mehrere ihrer bahnbrechenden Talente, von Winkelmann bis herab auf Hamann und Herder. Und ganz und gar von preußiſchem79Kirche und Schule.Geiſte erfüllt war jene neue reifere Form des deutſchen Proteſtantismus, welche endlich aus den Gedankenkämpfen der gährenden Zeit ſiegreich hervorging und ein Gemeingut des norddeutſchen Volkes wurde: die Ethik Kants. Der kategoriſche Imperativ konnte nur auf dieſem Boden der evangeliſchen Freiheit und der entſagenden pflichtgetreuen Arbeit er - dacht werden. Wo vordem rauhe Befehle die ſchweigende Unterwerfung erzwangen, da ſah ſich jetzt jedes freimüthige Urtheil herausgefordert durch das Vorbild des Königs, der furchtlos auf die Kraft des forſchenden Verſtandes baute und gern bekannte: wer zum Beſten räſonnirt, bringt es am Weiteſten. Friedrich führte die altpreußiſche Politik der kirchlichen Duldung in freiem Sinne fort, verkündete in ſeinem Geſetzbuche den Grundſatz: die Begriffe der Einwohner von Gott und göttlichen Dingen können kein Gegenſtand von Zwangsgeſetzen ſein. Auch die Unionsbe - ſtrebungen ſeiner Ahnen hat der Freigeiſt nicht aufgegeben, ſondern ſtreng darauf gehalten, daß die beiden evangeliſchen Kirchen einander im Noth - fall die Sacramentsgemeinſchaft nicht verſagten. Die oberſtbiſchöfliche Gewalt, die er für ſeine Krone in Anſpruch nahm, ſicherte ihn gegen ſtaatsfeindliche Umtriebe der Geiſtlichkeit, erlaubte ihm ſogar die vom Papſte aufgehobene Geſellſchaft Jeſu in ſeinem Staate zu dulden. Er ge - währte der Preſſe eine ſelten beſchränkte Freiheit, denn Gazetten, wenn ſie intereſſant ſein ſollen, dürfen nicht genirt werden . Er erklärte alle Schulen für Veranſtaltungen des Staates , ſprach gern und geiſtvoll von der Pflicht des Staates, das junge Geſchlecht zu ſelbſtändigem Denken und aufopfernder Vaterlandsliebe zu erziehen. Wie oft hat er den Glanz der Gelehrſamkeit und Dichtung als den ſchönſten Schmuck der Kronen geprieſen; auch darin zeigte er ſich als ein Deutſcher und ein Friedens - fürſt, daß er den claſſiſchen Unterricht für den[Quell] aller höheren Bil - dung anſah, nicht die exacten Wiſſenſchaften, wie der Soldat Napoleon. Trotz Alledem hat der König für die Pflege der Volksbildung unmittelbar nur wenig geleiſtet.

Die Knappheit der Geldmittel, der Mangel an brauchbaren Volksſchul - lehrern und die unabläſſigen Kämpfe bald mit auswärtigen Feinden bald mit der wirthſchaftlichen Noth daheim erſchwerten ihm die Ausführung ſeiner Pläne; und ſchließlich brach auch bei dem Sohne der trockene Nützlich - keitsſinn des Vaters immer wieder durch. Für alles Andere wußte der Sparſame leichter Rath zu ſchaffen als für die Zwecke des Unterrichts. Wenn die Deutſchen im Reiche ſpotteten, dies Preußen habe ſich groß gehungert, ſo dachten ſie dabei zunächſt an die preußiſchen Gelehrten. Für die Volksſchulen geſchah nur das Nothdürftige; die wiederholt einge - ſchärfte Regel der allgemeinen Schulpflicht blieb für weite Striche des platten Landes noch ein todter Buchſtabe. Keine der preußiſchen Uni - verſitäten reichte an den Ruhm der neuen Georgia Auguſta heran. Erſt gegen das Ende der fridericianiſchen Zeit, als Zedlitz, der Freund Kants,80I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.die Leitung der Bildungsanſtalten übernahm, kam ein etwas freierer Zug in das Unterrichtsweſen. Damals verbeſſerte der treffliche Abt Felbiger die katholiſche Volksſchule und fand draußen im Reich eifrige Anhänger, alſo daß endlich auch das katholiſche Deutſchland des beſten Segens der Reformation theilhaftig wurde.

Es ſchien ein Leichtes, in Berlin einen glänzenden Kreis der beſten Köpfe Deutſchlands zu reicher Thätigkeit zu verſammeln. Jedes junge Talent im Reiche ſuchte nach dem Auge des Helden der Nation. Selbſt jener Winkelmann, der einſt in heißem Haſſe den Marken entflohen war, empfand jetzt, mit wie ſtarken Banden dieſer Staat die Herzen ſeiner Söhne feſthält. Es läſſet ſich, ſo ſchrieb er, zum erſten male die Stimme des Vaterlandes in mir hören, die mir vorher unbekannt war. Er brannte vor Begier, dem Ariſtoteles der Kriegskunſt zu zeigen, daß ein geborener Unterthan etwas Würdiges hervorbringen könne, unterhandelte jahrelang über eine Anſtellung in Berlin. Aber an Friedrichs franzö - ſiſcher Akademie war kein Platz für deutſche Denker. Die mediceiſchen Tage, die man einſt von dem kunſtbegeiſterten Prinzen des Rheinsberger Muſenhofes erhoffte, kamen nur für die ausländiſchen Schöngeiſter der Tafelrunde von Sansſouci; das junge Leben, das in den tiefen ſeines eigenen Volkes ſich unbändig regte, wollte und konnte der Zögling franzö - ſiſcher Bildung nicht mehr verſtehen. Während die Berliner Geſellſchaft an den Gedanken der neuen Literatur ſich bis zur Ueberbildung berauſchte, ſpöttiſche Freigeiſterei und verfeinerte Genußſucht bereits die alte ſtrenge Sitteneinfalt verdrängten, behielt die preußiſche Verwaltung auch jetzt die einſeitige Richtung auf das handgreiflich Nützliche. Jener unausſteh - lich ſteife, hausbacken proſaiſche Geiſt, den der alte Soldatenkönig ſeinem Staate eingeflößt, wurde durch Friedrich etwas gemildert, nicht gebrochen; nur die barocke Pracht des Neuen Palais und die mächtigen Kuppeln der Gensdarmenkirchen ließen erkennen, daß mindeſtens der barbariſche Bil - dungshaß der dreißiger Jahre allmählich zu entweichen begann.

Der preußiſche Staat vertrat noch immer nur die eine Seite unſeres nationalen Lebens; die Zartheit und die Sehnſucht, der Tiefſinn und die Schwärmerei des deutſchen Weſens gelangten in dieſer Welt der Nüchtern - heit nicht zu ihrem Rechte. Der Mittelpunkt der deutſchen Politik wurde nicht die Heimath der geiſtigen Arbeit der Nation; das claſſiſche Zeitalter unſerer Dichtung fand ſeine Bühne in den Kleinſtaaten. In dieſer folgenſchweren Thatſache liegt der Schlüſſel zu manchem Räthſel der neuen deutſchen Geſchichte. Der kühl ablehnenden Haltung König Friedrichs dankt unſere Literatur das Köſtlichſte was ſie beſitzt, ihre unvergleichliche Freiheit; aber dieſe Gleichgiltigkeit der Krone Preußen während der Tage, welche den Charakter der modernen deutſchen Bildung beſtimmten, hat auch verſchuldet, daß es den Helden des deutſchen Gedankens noch lange ſchwer fiel, den einzigen lebenskräftigen Staat unſeres Volkes zu verſtehen. 81Friedrichs franzöſiſche Bildung.Nach Friedrichs Tode vergingen noch zwei volle Jahrzehnte bis Preußen den geiſtigen Mächten des neuen Deutſchlands eine gaſtliche Stätte be - reitete; und dann ſind nochmals lange Jahrzehnte verfloſſen, bis die deutſche Wiſſenſchaft erkannte, daß ſie eines Blutes ſei mit dem preußiſchen Staate, daß die ſtaatenbildende Kraft unſeres Volkes in demſelben ſtarken Idealismus wurzelte, der deutſchen Forſchermuth und Künſtlerfleiß zu kühnem Wagen begeiſterte.

Friedrichs Kaltſinn gegen die deutſche Bildung iſt wohl die traurigſte, die unnatürlichſte Erſcheinung in der langen Leidensgeſchichte des neuen Deutſchlands. Der erſte Mann der Nation, der den Deutſchen wieder den Muth erweckt hatte an ſich ſelber zu glauben, ſtand den ſchönſten und eigenſten Werken ſeines Volkes wie ein Fremdling gegenüber; an - ſchaulicher, erſchütternder läßt ſich’s nicht ausſprechen, wie ſchwer und langſam dies Volk die arge Erbſchaft der dreißig Jahre, die Uebermacht unheimiſcher Gewalten, wieder abgeworfen hat. Friedrich war nicht, wie Heinrich IV. von Frankreich, ein getreuer Vertreter der nationalen Art und Unart, dem Volksgemüthe verſtändlich in jeder Wallung ſeiner Laune. In ſeiner Seele ſtritten zwei Naturen: der philoſophiſche Schöngeiſt, der in den Klängen der Muſik, in dem Wohllaut franzöſiſcher Verſe ſchwelgte, der den Dichterruhm für das höchſte Glück der Erde hielt, der ſeinem Voltaire in ehrlicher Bewunderung zurief: Mir ſchenkte das Geſchick des Ranges leeren Schein, dir jegliches Talent; das beßre Theil iſt dein und der kernhafte norddeutſche Mann, der ſeine brandenburgiſchen Kerls mit grobem märkiſchen Jod anwetterte, dem harten Volke ein Vorbild kriegeriſchen Muthes, raſtloſer Arbeit, eiſerner Strenge. Die franzöſiſche Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts krankt an einer tiefen Unwahr - heit, ſie beſitzt weder die Luſt noch die Kraft, das Leben in Einklang zu bringen mit der Idee: man ſchwärmt für die heilige Einfalt der Natur und gefällt ſich doch unſäglich in den unnatürlichſten Sitten und Trachten, welche jemals die europäiſche Welt beherrſchten; man ſpottet über den albernen Zufall der Geburt, träumt von der urſprünglichen Freiheit und Gleichheit und lebt doch luſtig drauf los in der frechen Menſchenverachtung und allen den ſüßen Sünden der alten höfiſchen Geſellſchaft, befriedigt mit der Hoffnung, daß irgend einmal in einer fernen Zukunft über den Trümmern alles Beſtehenden die Vernunft ihren Herrſcherthron aufſchlagen werde. Am preußiſchen Hofe war der geiſt - reich boshafte Prinz Heinrich ein getreuer Vertreter dieſer neuen Bildung: theoretiſch ein Verächter jenes leeren Rauches, der beim Pöbel Ruhm und Größe heißt, praktiſch ein Mann der harten Staatsräſon, ſkrupellos, aller Liſten und Ränke kundig. Auch Friedrich hat in ſeiner Weiſe dies Doppelleben der Männer der franzöſiſchen Aufklärung geführt. Ihm ward das tragiſche Schickſal, in zwei Sprachen zu denken und zu reden, von denen er keine ganz beherrſchte. Das rohe Kauderwälſch, dasTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 682I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.in dem Tabakscollegium ſeines Vaters gepoltert wurde, erſchien dem ſchönheitstrunkenen Jüngling ebenſo widerwärtig wie das ſchwerfällige Schriftdeutſch der gelahrten Pedanterei, das er aus den Werken hart - gläubiger Theologen kennen lernte; wohl oder übel behalf er ſich mit dieſer ungeſchlachten Sprache, erledigte die laufenden Geſchäfte bald im rauhen Dialekt, bald im ſteifen Kanzleiſtile. Für die Welt der Ideen, die in ſeinem Kopfe gährte, fand er den würdigen Ausdruck allein in der Sprache der weltbürgerlichen Bildung. Er wußte wohl, daß ſeine bizarre und tudeske Muſe ein barbariſches Franzöſiſch rede, und ſchlug im Be - wußtſein dieſer Schwäche den Kunſtwerth ſeiner Verſe noch niedriger an als ſie es verdienten. Das Eine mindeſtens was den Dichter macht, die proteiſche Begabung, war ihm keineswegs verſagt. Seine Muſe gebot über die ganze Tonleiter der Stimmungen; ſie konnte bald in wür - digem Ernſt das Große und Erhabene ausſprechen, bald in ſatiriſcher Laune mit der Bosheit eines Kobolds oder, die Wahrheit zu ſagen: mit dem Muthwillen eines Berliner Gaſſenjungen ihre Opfer necken und zauſen. Und doch ſagte ihm ein richtiges Gefühl, daß in ſeinen Verſen der Reichthum ſeiner Seele nicht ſo voll und rein ausſtrömte wie in den Klängen ſeiner Flöte; die höchſte Fülle des Wohllauts, die letzte Tiefe der Empfindung blieb dem Deutſchen unerreichbar in der fremden Sprache.

Der Philoſoph von Sansſouci wurde nie ganz heimiſch in der frem - den Bildung, die er ſo lebhaft bewunderte. Vor Allem trennte ihn von den franzöſiſchen Genoſſen die Strenge ſeiner ſittlichen Weltanſchauung. Es iſt die Größe des Proteſtantismus, daß er die Einheit des Denkens und des Wollens, des religiöſen und des ſittlichen Lebens gebieteriſch fordert. Friedrichs ſittliche Bildung wurzelte zu tief im deutſchen pro - teſtantiſchen Leben, als daß er die geheime Schwäche der franzöſiſchen Philoſophie nicht empfunden hätte. Er ſtand der Kirche mit freierem Gemüthe gegenüber als der Katholik Voltaire, der in ſeiner Henriade, dem Evangelium der neuen Toleranz, endlich doch zu dem Schluſſe ge - langte, daß alle anſtändigen Menſchen der römiſchen Kirche angehören ſollen; er hat niemals wie dieſer ſeinen Nacken gebeugt unter religiöſe Formen, die ſein Gewiſſen verwarf, und konnte mit der gelaſſenen Heiterkeit des geborenen Ketzers ertragen, daß die römiſche Curie ſeine Werke auf den Index der verbotenen Bücher ſetzte. Mag er die Philo - ſophie zuweilen herablaſſend als ſeine Paſſion bezeichnen, das Nachdenken über die großen Probleme des Daſeins iſt ihm doch weit mehr als ein geiſt - reicher Zeitvertreib; nach der Weiſe der Alten ſucht und findet er in der Gedankenarbeit die Ruhe des mit ſich ſelber einigen Geiſtes, die über allen Wechſelfällen des Geſchicks erhabene Sicherheit der Seele. Nach den Verirrungen leidenſchaftlicher Jugend lernt er früh, den Zug künſtleriſcher Weichheit und Sinnlichkeit, der ihn zu beſchaulichem Genuſſe treibt,83Der Philoſoph von Sansſouci.gewaltſam zu bändigen. So kühn und frech der Zweifel und der Spott in ſeinem Kopfe ſich regen, die ſittliche Weltordnung, der Gedanke der Pflicht ſteht ihm unantaſtbar feſt. Die furchtbare Ernſthaftigkeit ſeines ganz der Pflicht geweihten Lebens iſt wie durch eines Himmels Weite getrennt von der lockeren und weichlichen Moral der Pariſer Aufklärung. Wie ſeine Schriften in jenem klaren und ſcharfen Stile, der zu - weilen trivial, doch nie verſchwommen wird immer mit unaufhalt - ſamer Willenskraft auf einen ſicheren, beſtimmten, greifbaren Schluß los - drängen, ſo will er auch das Leben nach der erkannten Wahrheit geſtalten; ſoweit es der Widerſtand einer barbariſchen Welt erlaubt, ſucht er der Humanität, die er die Cardinaltugend jedes denkenden Weſens nennt, die Herrſchaft in Staat und Geſellſchaft zu ſichern und geht dem Tode entgegen mit dem ruhigen Bewußtſein die Welt überhäuft mit meinen Wohlthaten zurückzulaſſen .

Gleichwohl gelingt ihm niemals den Zwieſpalt ſeiner Seele völlig zu überwinden. Der innere Widerſpruch verräth ſich ſchon in Friedrichs beißen - dem Witze, er tritt darum ſo grell heraus, weil der Held in ſeiner ſtolzen Wahrhaftigkeit nie daran denkt ihn zu verſtecken. Das Leben des Genius iſt immer geheimnißvoll, ſelten erſcheint es ſo ſchwer verſtändlich wie in dem Reichthum dieſes zwiegetheilten Geiſtes. Der König ſieht mit überlegener Ironie auf die plumpe Unwiſſenheit ſeiner märkiſchen Edelleute herunter, er athmet auf, wenn er von der Langeweile dieſer geiſtloſen Geſellſchaft ſich erholen kann bei dem einzigen Manne, zu dem er bewundernd empor - ſchaut, dem Meiſter der galliſchen Muſenſprache; dabei fühlt er doch, was er der guten Klinge jenes rauhen Geſchlechtes verdankt, er findet nicht Worte genug, den Muth, die Treue, den ehrenhaften Sinn ſeines Adels zu preiſen, er zügelt ſeinen Spott vor dem handfeſten Bibelglauben des alten Zieten. Die Franzoſen ſind ihm willkommene Gäſte für die heiteren Stunden des Nachtiſches; ſeine Achtung gehört den Deutſchen. Niemand von den ausländiſchen Genoſſen iſt dem Herzen Friedrichs ſo nahe ge - treten wie jener Seelenmenſch Winterfeldt, der ſeine deutſche Art auch gegen den königlichen Freund tapfer behauptete. Oftmals ſehnt ſich Friedrich in ſeinen Briefen hinüber nach dem neuen Athen an der Seine und beklagt den Neid mißgünſtiger Götter, der den Sohn der Muſen verdammt hat im kimmeriſchen Winterlande über Sklaven zu herrſchen; und dennoch theilt er unverdroſſen wie ſein Vater die Sorgen und Mühen dieſes armen Volkes, von Herzen froh des neuen Lebens, das unter den harten Fäuſten ſeiner Bauern aufſprießt, und ruft ſtolz: Ich ziehe unſere Einfachheit, ſelbſt unſere Armuth jenen verdammten Reichthümern vor, welche die Würde unſeres Geſchlechts verderben. Wehe den fremden Poeten, wenn ſie ſich unterſtehen dem Könige einen politiſchen Rathſchlag zu geben; hart und höhniſch weiſt er ſie dann in die Schranken ihrer Kunſt zurück.

6*84I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Wie lebhaft ihn auch die Ideen des neuen Frankreichs beſchäftigen, ein großer Schriftſteller iſt er nur wenn er deutſche Gedanken mit franzöſi - ſchen Worten ausſpricht, wenn er in ſeinen politiſchen, militäriſchen und hiſtoriſchen Schriften als ein deutſcher Fürſt und Feldherr redet. Nicht in der Schule der Fremden, ſondern durch eigene Kraft und eine unvergleichliche Erfahrung wurde Friedrich der erſte Publiciſt unſeres achtzehnten Jahrhunderts, der einzige Deutſche, der mit ſchöpferiſcher Kritik an den Staat herantrat und in großem Stile von den Pflichten des Bürgers ſprach: ſo warm und tief wie der Verfaſſer der Briefe des Philopatros wußte noch Niemand aus jenem ſtaatloſen Geſchlechte über die Vaterlandsliebe zu reden. Der greiſe König hielt es nicht mehr der Mühe werth, von der Höhe ſeines franzöſiſchen Parnaſſes hinabzu - ſteigen in die Niederungen deutſcher Kunſt und mit eigenen Augen zu prüfen, ob die Dichterkraft ſeines Volkes nicht endlich erwacht ſei. In dem Aufſatze über die deutſche Literatur, ſechs Jahre vor ſeinem Tode, wiederholt er noch die alten Anklagen der regelrechten Pariſer Kritik wider die zuchtloſe Verwilderung der deutſchen Sprache, fertigt die ab - ſcheulichen Plattheiten des Götz von Berlichingen, den er ſchwerlich je geleſen, mit ſchnöden Worten ab. Und doch giebt gerade dieſe berüchtigte Abhandlung ein beredtes Zeugniß von dem leidenſchaftlichen Nationalſtolze des Helden. Er weiſſagt der Zukunft Deutſchlands eine Zeit geiſtigen Ruhmes, die den Ahnungsloſen ſchon mit ihrem Morgenſcheine beſtrahlte. Wie Moſes ſieht er das gelobte Land in der Ferne liegen und ſchließt hoffnungsvoll: Vielleicht werden die zuletzt kommen alle ihre Vorgänger übertreffen! So nah und ſo fern, ſo fremd und ſo vertraut ſtand Deutſchlands großer König zu ſeinem Volke.

Die große Zeit der alten Monarchie ging zur Rüſte. Um den König ward es ſtill und ſtiller; die Helden, die ſeine Schlachten geſchlagen, die Freunde, die mit ihm gelacht und geſchwärmt, ſanken Einer nach dem Andern ins Grab; der Fluch der Größe, die Einſamkeit kam über ihn. Er war gewohnt kein menſchliches Gefühl zu ſchonen; waren ihm doch ſelber einſt alle wonnigen Träume der Jugend durch den unbarmherzigen Vater zertreten worden. Im Alter ward die rückſichtsloſe Strenge zur unerbittlichen Härte. Der ernſte Greis, der in ſpärlichen Mußeſtunden einſam mit ſeinen Windſpielen an den Gemälden der Galerie von Sans - ſouci entlang ſchritt oder im runden Tempel des Parkes ſchwermüthig der verſtorbenen Schweſter gedachte, ſah tief unter ſeinen Füßen ein neues Geſchlecht kleiner Menſchenkinder dahin ziehen; ſie ſollten ihn fürchten und ihm gehorchen, an ihrer Liebe lag ihm nichts. Die Uebermacht des einen Mannes laſtete drückend auf den Gemüthern. Wenn er zuweilen noch in das Opernhaus kam, dann ſchienen Oper und Sänger vor den Zu - ſchauern zu verſinken, Alles blickte hinüber nach der Stelle im Parterre, wo der verfallene Alte mit den großen harten Augen ſaß. Als die Nach -85Friedrichs Tod.richt ſeines Todes kam, rief ein ſchwäbiſches Bäuerlein, unzähligen Deutſchen aus der Seele: wer ſoll nun die Welt regieren? Bis zu ſeinem letzten Athemzuge ſtrömte alle Willenskraft der preußiſchen Monarchie von dieſem einen Manne aus; der Tag ſeines Todes war der erſte Raſttag ſeines Lebens. Sein Teſtament erzählte der Nation noch einmal, wie anders als die Hauspolitik der kleinen Höfe das politiſche Königthum der Hohenzollern ſeinen Beruf verſtanden hatte: Meine letzten Wünſche im Augenblicke meines Todes werden dem Glücke dieſes Staates gelten; möge er der glücklichſte der Staaten ſein durch die Milde ſeiner Geſetze, der am gerechteſten verwaltete in ſeinem Haushalt, der am tapferſten vertheidigte durch ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm athmet, und möge er blühend dauern bis an das Ende der Zeiten!

Anderthalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit jener Friedrich Wilhelm unter den Trümmern des alten Reichs die erſten Werkſtücke zuſammenſuchte für das Gebäude der neuen Großmacht. Hunderttauſende preußiſcher Männer hatten den Heldentod gefunden, eine ungeheure Arbeit war aufge - wendet um das neue deutſche Königthum zu ſichern, und mindeſtens ein reicher Segen dieſer furchtbaren Kämpfe ward im Reiche lebhaft empfunden: die Nation fühlte ſich wieder daheim, als Herrin auf eigenem Boden. Ein lang entbehrtes Bewußtſein der Sicherheit verſchönte den Deutſchen im Reiche das Leben; ihnen war, als ſei dies Preußen von der Natur be - ſtimmt die Friedenswerke der Nation gegen alle fremden Störer mit ſeinem Schilde zu decken; ohne dies kräftige Gefühl bürgerlichen Behagens hätte unſere deutſche Dichtung den frohen Muth zu großem Schaffen nicht gefunden. Die öffentliche Meinung begann ſich nach und nach mit dem Staate zu verſöhnen, der wider ihren Willen emporgewachſen war; man nahm ihn hin als eine Nothwendigkeit des deutſchen Lebens, ohne viel um ſeine Zukunft zu ſorgen. Die ſchwere Frage: wie eine ſo verwegene Staatsbildung ohne die belebende Kraft des Genie’s ſich behaupten ſolle? ward in vollem Ernſt nur von einem Zeitgenoſſen aufgeworfen, von Mirabeau. Die alte und die neue Zeit begrüßten einander noch einmal freundlich, als der Tribun der nahenden Revolution kurz vor dem Tode des Königs am Tiſche von Sansſouci weilte. Mit der glühenden Farbenpracht ſeiner Rhetorik hat Mirabeau dann den größten Menſchen, der ſeinen Blicken begegnet war, geſchildert; er nannte den Staat Friedrichs ein wahrhaft ſchönes Kunſtwerk, den einzigen Staat der Gegenwart, der einen geiſtreichen Kopf ernſtlich beſchäftigen könne, doch ihm entging nicht, daß dieſer kühne Bau leider auf allzuſchwachem Grunde ruhe. Von den Preußen jener Tage wurden ſolche Zweifel nicht verſtanden; die Glorie der fridericianiſchen Zeit erſchien ſo wunderbar, daß ſelbſt dies tadelſüchtigſte aller europäiſchen Völker davon geblendet wurde. Für die nächſte Generation ward der Ruhm Friedrichs zum Verderben; man lebte dahin in trügeriſcher Sicherheit und vergaß, daß nur neue ſchwere86I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Arbeit das Werk unſäglicher Mühen aufrechthalten konnte. Als aber die Tage der Schande und der Prüfung kamen, da hat Preußen wieder die langnachwirkende ſegenſpendende Macht des Genius erfahren; die Erinnerung an Roßbach und Leuthen war die letzte ſittliche Kraft, welche das lecke Schiff der deutſchen Monarchie noch über dem Waſſer hielt; und als der Staat dann nochmals die Waffen zum Verzweiflungskampfe hob, da ſah ein ſüddeutſcher Dichter die Geſtalt des großen Königs aus den Wolken niederſteigen und dem Volke zurufen: Auf, meine Preußen, unter meine Fahnen! und ihr ſollt größer ſein als eure Ahnen!

Unterdeſſen hatte das deutſche Volk mit einer jugendlichen Schnell - kraft, die in der langſamen Geſchichte alter Völker einzig daſteht, eine Revolution ſeines geiſtigen Lebens vollendet: kaum vier Menſchenalter nach der troſtloſen Barbarei des dreißigjährigen Kriegs erſchienen die ſchönſten Tage deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft. Aus den ſtarken Wurzeln der Glaubensfreiheit erwuchs eine neue weltlich freie Bildung, die den verknöcherten Formen der deutſchen Geſellſchaft ebenſo feindlich gegenüber - ſtand wie der preußiſche Staat dem heiligen römiſchen Reiche. Bei allen anderen Völkern war die claſſiſche Literatur ein Kind der Macht und des Reichthums, die reife Frucht einer alten durchgebildeten nationalen Cultur; Deutſchlands claſſiſche Dichtung hat ihr Volk erſt wieder einge - führt in den Kreis der Culturvölker, ihm erſt die Bahn gebrochen zu reinerer Geſittung. Niemals in aller Geſchichte hat eine mächtige Literatur ſo gänzlich jeder Gunſt der äußeren Lebensverhältniſſe entbehrt. Hier beſtand kein Hof, der die Kunſt als eine Zierde ſeiner Krone hegte, kein großſtädtiſches Publikum, das den Dichter zugleich ermuthigen und in den Schranken einer überlieferten Kunſtform halten konnte, kein ſchwung - hafter Handel und Gewerbfleiß, der dem Naturforſcher fruchtbare Auf - gaben ſtellte, kein freies Staatsleben, das dem Hiſtoriker die Schule der Erfahrung bot; ſelbſt die große Empfindung, die aus großen Erlebniſſen ſtammt, kam den Deutſchen erſt durch Friedrichs Thaten. Recht eigentlich aus dem Herzen dieſer Nation des Idealismus ward ihre neue Dichtung geboren, wie einſt die Reformation aus dem guten deutſchen Gewiſſen hervorging. Die Mittelklaſſen lebten dahin, faſt gänzlich ausgeſchloſſen von der Leitung des Staates, eingepfercht in die Langeweile, den Zwang und die Armuth kleinſtädtiſchen Treibens, und doch in ſo leidlich geſicherten wirthſchaftlichen Verhältniſſen, daß der Kampf um das Leben noch nicht das Leben ſelber dahinnahm und die wilde Jagd nach Erwerb und Genuß dem befriedeten Daſein noch völlig fremd blieb. Unter dieſen unbegreiflich genügſamen Menſchen erwacht nun die leidenſchaftliche Sehnſucht nach dem Wahren und dem Schönen. Ihre guten Köpfe fühlen ſich als freie87Die neue Literatur.Kinder Gottes und flüchten aus der jämmerlichen Wirklichkeit in die reine Welt der Ideale. Große Talente geben den Ton an, hundert begeiſterte Stimmen fallen ein in vollem Chore. Ein Jeder redet wie es ihm um’s Herz iſt, und befolgt getroſten Muthes die frohe Botſchaft des jungen Goethe: denn es iſt Drang, und ſo iſt’s Pflicht! und ſetzt ſeine volle Kraft ein, als ob das Schaffen des Denkers und des Dichters allein auf der weiten Welt des freien Mannes würdig wäre, und lebt ſich fröhlich aus, wenig bekümmert um den Lohn der Arbeit, ganz verloren im Dichten, Schauen und Forſchen, beglückt durch den überſtrömenden Beifall warm - herziger Freude, glücklicher noch durch das Bewußtſein das Göttliche geſchaut zu haben.

So haben ſeit dem Jahre 1750 etwa drei Generationen deutſcher Männer, neben und nach einander wirkend und oft in leidenſchaft - lichem Kampfe mit einander ringend, die jüngſte der großen Litera - turen Europas geſchaffen, die, ſelber vom Auslande lange kaum be - merkt, unendlich empfänglich den dauernden Gehalt der claſſiſchen Dichtung Englands und Frankreichs, Spaniens und Italiens in ſich zu - ſammenfaßte und ſchöpferiſch neu geſtaltete um ſchließlich in dem viel - ſeitigſten aller Dichter, in Goethe, ihre Vollendung zu finden. Es war eine Bewegung ſo völlig frei, ſo ganz aus dem innerſten Drange des übervollen Herzens heraus, daß ſie zuletzt bei dem verwegenen Idealis - mus Fichtes anlangen mußte, der den ſittlichen Willen als das einzig Wirkliche, die geſammte Außenwelt nur als eine Schöpfung des denkenden Ich anſah; und doch ein nothwendiges natürliches Werden. Die ſchöpfe - riſche Kraft des deutſchen Geiſtes hatte lange gleich einer Puppe ſchlummernd in zarter Schale gelegen, und ihr geſchah, wie der Dichter ſagte: Es kommt die Zeit, ſie drängt ſich ſelber los, und eilt auf Fittichen der Roſe in den Schooß. Ein lauterer Ehrgeiz, der das Wahre ſuchte um der Wahrheit, das Schöne um der Schönheit willen, ward in den hellen Köpfen der deutſchen Jugend lebendig. Keine der modernen Nationen hat jemals ſo in vollem Ernſt, mit ſo ungetheilter Hingebung in die Welt der Ideen ſich verſenkt, keine zählt unter den Talenten ihrer claſſiſchen Literatur ſo viele reine, menſchlich liebenswerthe Charaktere; darum wird das Gedächtniß der Tage von Weimar unſerem Volke in allen Zeiten, da ſein Geſtirn ſich zu verdunkeln ſcheint, ein unerſchöpflicher Quell des Troſtes und der Hoffnung bleiben. Die Kunſt und Wiſſenſchaft ward den Deutſchen zur Herzensſache, ſie iſt hier niemals, wie einſt bei den Romanen, ein elegantes Spiel, ein Zeitvertreib für die müßigen Stunden der vornehmen Welt geworden. Nicht die Höfe erzogen unſere Literatur, ſondern die aus dem freien Schaffen der Nation entſtandene neue Bildung unterwarf ſich die Höfe, befreite ſie von der Unnatur ausländiſcher Sitten, gewann ſie nach und nach für eine mildere, menſchlichere Geſittung.

Und dieſe neue Bildung war deutſch von Grund aus. Während das88I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.politiſche Leben in unzählige Ströme zertheilt dahinfloß, waltete auf dem Gebiete der geiſtigen Arbeit die Naturgewalt der nationalen Einheit ſo über - mächtig, daß eine landſchaftliche Sonderbildung niemals auch nur ver - ſucht wurde. Alle Helden unſerer claſſiſchen Literatur, mit der einzigen Ausnahme Kants, ſind gewandert und haben ihre reichſte Wirkſamkeit nicht auf dem Boden ihrer Heimath gefunden. In ihnen allen lebte das Bewußtſein der Einheit und Urſprünglichkeit des deutſchen Weſens und das leidenſchaftliche Verlangen, die Eigenart dieſes Volksthums wieder in der Welt zu Ehren zu bringen; ſie alle wußten, daß das ganze große Deutſchland ihren Worten lauſchte, und empfanden es als ein ſtolzes Vorrecht, daß allein der Dichter und der Denker zu der Nation reden, für ſie ſchaffen durfte. Alſo wurde die neue Dichtung und Wiſſenſchaft auf lange Jahrzehnte hinaus das mächtigſte Band der Einheit für dies zer - ſplitterte Volk, und ſie entſchied zugleich den Sieg des Proteſtantismus im deutſchen Leben. Die geiſtige Bewegung hatte ihre Heimath im evan - geliſchen Deutſchland, riß erſt nach und nach die katholiſchen Gebiete des Reichs mit in ihre Bahnen hinein. Aus der Gedankenarbeit der Philo - ſophen ging eine neue ſittliche Weltanſchauung, die Lehre der Humanität, hervor, die, aller confeſſionellen Härte baar, gleichwohl feſt im Boden des Proteſtantismus wurzelte und ſchließlich allen denkenden Deutſchen, den Katholiken wie den Proteſtanten, ein Gemeingut wurde; wer ſie nicht kannte, lebte nicht mehr mit dem neuen Deutſchland.

Jene mittleren Schichten der Geſellſchaft aber, welche die neue Bildung trugen, rückten dermaßen in den Vordergrund des nationalen Lebens, daß Deutſchland vor allen anderen Völkern ein Land des Mittelſtandes wurde; ihr ſittliches Urtheil und ihr Kunſtgeſchmack beſtimmten die öffentliche Mei - nung. Der claſſiſche Unterricht, vordem nur ein Mittel für die Fachbildung der Juriſten und Theologen, wurde die Grundlage der geſammten Volks - bildung; aus den zerfallenden alten Ständen erhob ſich die neue Ariſto - kratie der ſtudirten Leute, die an hundert Jahre lang der führende Stand unſeres Volkes geblieben iſt. Nach allen Seiten hin wirkte die litera - riſche Bewegung erweckend und befruchtend: ſie veredelte die rohen Sitten, gab der Frau das gute Recht der Herrin im geſelligen Verkehre zurück; ſie ſchenkte einem gedrückten und verſchüchterten Geſchlechte wieder die helle Luſt am Leben. Sie ſchuf, indem ſie die Schriftſprache Martin Luthers ausbaute, eine gemeinſame Umgangsſprache für alle deutſchen Stämme; erſt im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts begannen die gebildeten Klaſſen das reine Hochdeutſch auch im täglichen Leben in Ehren zu halten. Unberührt von dem Lärm und der Haſt der großen Welt konnte ſich die deutſche Dichtung wunderbar lange den unſchuldigen Frohmuth, die geſammelte Andacht und die friſche Werdeluſt der Jugend bewahren; das war es, was Frau von Staël noch in den Glanztagen der Weimariſchen Kunſt ſo mächtig bezauberte, ſie meinte an der Ilm89Charakter der neuen Bildung.inmitten der Höchſtgebildeten des deutſchen Volkes die reine Waldluft eines urſprünglichen Menſchenlebens zu trinken und athmete wieder auf von dem Dunſt und dem Staube ihrer heimiſchen Weltſtadt. Und wie es das Recht des Jünglings iſt Unendliches zu verſprechen, nach allen Kränzen des Ruhmes zugleich die Hände auszuſtrecken, ſo zeigte auch die deutſche Nation in jenem zweiten Jugendalter ihrer Dichtung ein wunder - bar vielſeitiges Streben, ſie war unermüdlich im Aufwerfen neuer Pro - bleme, im Erfinden neuer Kunſtformen, verſuchte ihre Kraft an allen Wiſſenſchaften zugleich, mit einziger Ausnahme der Politik.

Freilich waren mit dieſer eigenthümlichen Entſtehung unſerer neuen Literatur auch ihre Schwächen gegeben. Da der Dichter hier nicht unmittel - bar aus den großen Leidenſchaften eines bewegten öffentlichen Lebens ſeine Stoffe ſchöpfen konnte, ſo gewann die Kritik ein Uebergewicht, das der unbefangenen künſtleriſchen Schöpferkraft oft gefährlich wurde; die meiſten dramatiſchen Helden unſerer claſſiſchen Kunſt zeigen einen kränklichen Zug der Entſagung, der Thatenſcheu. Die regelloſe Freiheit des Schaffens ver - führte die Poeten leicht zu willkürlichen Einfällen, zu geſuchter Künſtelei, zu vielverheißenden Anläufen, die keinen Fortgang fanden, und es iſt kein Zufall, daß der erſte unſerer Dichter unter allen großen Künſtlern der Geſchichte die meiſten Fragmente hinterlaſſen hat. Die eigenartige Bega - bung durfte ſich noch ungeſtört ausleben in urſprünglicher Kraft, ward noch nicht durch das politiſche Parteileben über einen Kamm geſchoren; ſtürmiſch war die Liebe, zärtlich die Freundſchaft, überſchwänglich der Ausdruck jeder Empfindung; eine beneidenswerth gedankenreiche Geſelligkeit erzog einzelne Männer von allſeitiger Bildung, wie ſie ſeit den Tagen des Cinquecento der europäiſchen Welt nicht wieder erſchienen waren. Doch mit der Eigenart entfaltete ſich auch die Unart der freien Perſönlichkeit in der Stille dieſes rein privaten Lebens. Lieben, haſſen, fürchten, zittern, hoffen, zagen bis ins Mark ſo hieß das Loſungswort der neuen Stürmer und Dränger; ein unbändiges Selbſtgefühl, ein himmelſtürmender Trotz ward in dem jungen Geſchlechte rege, wunderlich abſtechend von der Unfreiheit der öffentlichen Zuſtände. Unberechenbare Launen, perſönlicher Haß und per - ſönliche Neigung traten anmaßend auf den Markt hinaus; viele Werke jener Epoche ſind ſchon heute nur dem verſtändlich, der die Briefe und Tage - bücher ihrer Dichter kennt.

Eine Literatur von ſolchem Urſprung und Charakter konnte nicht im vollen Sinne volksthümlich werden, konnte nur langſam und mittelbar auf die Maſſen wirken. Während die Gebildeten an den reinen Formen der Antike ſich begeiſterten, blieb das Schönheitsgefühl der Volksmaſſen, obgleich ſie beſſere Schulbildung genoſſen als ihre romaniſchen Nachbarn, weit ſtum - pfer als in Frankreich und Italien. Eine leidliche Durchbildung des Formen - ſinnes iſt dieſem nordiſchen Volke nur einmal beſchieden geweſen: in den Tagen der Staufer, da die Pfalzen und Dome des ſpätromaniſchen Stils90I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſich erhoben und die herrlichen Lieder unſerer älteren claſſiſchen Dichtung in jedem Dorfe am Rhein und Main von den Bauern und Mägden verſtanden wurden. Seitdem iſt noch auf jeder Entwicklungsſtufe der deutſchen Cultur ein häßlicher Bodenſatz ungebrochener Barbarei an den Tag getreten. Als die prächtige Renaiſſance-Façade des Otto-Heinrichs - baus zu Heidelberg entſtand, lag die deutſche Dichtkunſt tief darnieder, und das edle Bauwerk ward durch klägliche Knittelverſe verunziert. Und wieder, als die frohe Zeit unſerer zweiten claſſiſchen Dichtung anhob, wurden die bildenden Künſte, die nur in der weichen Luft behäbigen Wohlſtands gedeihen, von dem friſchen Hauche der neuen Zeit kaum be - rührt, und Goethe verſchwendete die Pracht ſeiner Verſe an lächerliche Bauten, wie jenes römiſche Haus zu Weimar, das mit ſeinen antiki - ſirenden Formen dem Volke fremd bleibt, den gebildeten Sinn durch kahle Nüchternheit beleidigt. Wohl iſt es ein rührender Anblick, dies Heroengeſchlecht des Idealismus, das inmitten der ſchmuckloſen Arm - ſeligkeit kleinfürſtlicher Reſidenzdörfer um die höchſten Güter der Menſch - heit warb: unnatürlich weit blieb doch der Abſtand zwiſchen dem Reichthum der Ideen und der Armuth des Lebens, zwiſchen den verwegenen Ge - dankenflügen der Gebildeten und dem grundproſaiſchen Treiben der hart arbeitenden Maſſen. Der Adel einer harmoniſch durchgebildeten Geſittung, wie ſie die Italiener in den Tagen Leonardos beglückte, blieb den Deutſchen noch immer verſagt.

Aber wie ſie nun war mit allen ihren Mängeln und Gebrechen, dieſe literariſche Revolution hat den Charakter der neuen deutſchen Cultur beſtimmt. Sie erhob dies Land wieder zum Kernlande der Ketzerei, indem ſie den Grundgedanken der Reformation bis zu dem Rechte der voraus - ſetzungslos freien Forſchung weiterbildete. Sie erweckte mit den Idealen reiner Menſchenbildung auch den vaterländiſchen Stolz in unſerem Volke; denn wie unreif auch die politiſche Bildung der Zeit erſcheint, wie ver - ſchwommen ihre weltbürgerlichen Träume, in allen ihren Führern lebte doch der edle Ehrgeiz, der Welt zu zeigen, daß, wie Herder ſagt, der deutſche Name in ſich ſelbſt ſtark, feſt und groß ſei . Nicht im Kampfe mit den Ideen der Humanität, ſondern recht eigentlich auf ihrem Boden iſt die vaterländiſche Begeiſterung der Befreiungskriege erwachſen. Als grauſame Schickſalsſchläge den in den Wolken fliegenden deutſchen Genius wieder an die endlichen Bedingungen des Daſeins erinnert hatten, da gelangte die Nation durch einen nothwendigen letzten Schritt zu der Er - kenntniß, daß ihre neue geiſtige Freiheit nur dauern konnte in einem geachteten, unabhängigen Staate; der Idealismus, der aus Kants Ge - danken und Schillers Dramen ſprach, gewann eine neue Geſtalt in dem Heldenzorne des Jahres 1813. Alſo hat unſere claſſiſche Literatur von ganz verſchiedenen Ausgangspunkten her dem nämlichen Ziele zugeſtrebt wie die politiſche Arbeit der preußiſchen Monarchie. Dieſen beiden bildenden91Verweltlichung der Wiſſenſchaft.Mächten dankt unſer Volk ſeine Stellung unter den Nationen, den beſten Inhalt ſeiner neueſten Geſchichte; und merkwürdig, wie ſie beide in ihrer Entwicklung an hundert Jahre lang mit einander Schritt gehalten haben: ein innerer Zuſammenhang, der ebendarum nicht zufällig ſein kann, weil eine unmittelbare Wechſelwirkung ſelten ſtattfand. In derſelben Zeit, da der große Kurfürſt den neuen weltlichen Staat der Deutſchen ſchuf, geſchah auch in der Literatur die entſcheidende That, die Befreiung der Wiſſenſchaft von dem Joche der Theologie. Als darauf der preußiſche Staat unter Friedrich Wilhelm I. in ſtiller Arbeit ſeine Kräfte ſammelte, trat auch das geiſtige Leben der Nation in einen Zuſtand der Selbſtbe - ſinnung: die dürre Proſa der Wolffiſchen Philoſophie lehrte die Mittel - klaſſen wieder logiſch zu denken und zu ſchreiben. Um das Jahr 1750 endlich, gleichzeitig mit dem Heldenruhme König Friedrichs, begann das Erwachen der ſchöpferiſchen Kraft in der Literatur, und die erſten dauern - den Werke der neuen Dichtung erſchienen.

Dem Mittelalter erſchien die ſittliche Welt als eine geſchloſſene ſichtbare Einheit; Staat und Kirche, Kunſt und Wiſſenſchaft empfingen die ſittlichen Geſetze ihres Lebens aus der Hand des Papſtes. Es war die Abſicht der Reformation, dieſe Herrſchaft der geiſtlichen Gewalt zu zerſtören, dem Staate wie der Wiſſenſchaft das Recht auf ein ſelbſtän - diges ſittliches Daſein zurückzugewinnen. Doch ſie hielt ein bei einem halben Erfolge. Wie die Theokratie des heiligen Reichs aufrecht blieb und alle weltlichen Staaten dem Glaubenseifer der Kirchen ihren ſtreit - baren Arm liehen, ſo fiel auch die Wiſſenſchaft wieder zurück in die theologiſche Verbildung; die alte Königin der Wiſſenſchaften behauptete ihren Herrſcherthron, alle Lehrer der Univerſitäten wurden auf ein kirchliches Bekenntniß verpflichtet. Da hob, zunächſt in Deutſchlands höher ge - ſitteten Nachbarländern, die große Arbeit des mathematiſchen Jahrhun - derts an: eine ſtrenge und klare, weltlich freie Forſchung erklärte die Geheimniſſe der Natur, und gegen das Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts, als Newton die Geſetze der Mechanik des Himmels fand, war nach und nach eine grundtiefe Veränderung in der Weltanſchauung der Menſch - heit vorgegangen. Das kirchliche Bekenntniß hatte bisher als der einzige feſte Maßſtab für das unſichere Denken gegolten, jetzt erſchien das Wiſſen ſicherer als der Glaube. Es wird nun immer eine ſtolze Erinnerung unſeres Volkes bleiben, wie kühn und frei das getretene Geſchlecht des dreißigjährigen Krieges an dieſer mächtigen Bewegung ſich betheiligte: zuerſt empfangend und lernend denn dahin war es mit uns gekommen, daß Leibnitz ſagen mußte, der deutſchen Nation ſei als einzige Begabung der Fleiß geblieben nachher ſelbſtändig und ſelbſtthätig. Nach langem erbitterten Kampfe vertrieb Pufendorf die Theologen aus der Staats - wiſſenſchaft und begründete für Deutſchland eine weltliche Lehre vom Staate. Andere Wiſſenſchaften folgten und ſtellten ſich auf ihre eignen92I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Füße; die Heidelberger Hochſchule gab zuerſt den Grundſatz der Glaubens - einheit auf. In Leibnitz erſtand ein Denker, deſſen behutſam vermitteln - der Geiſt innerlich ſchon ganz frei war von dem Banne des Dogmas und der vorausſetzungsloſen Forſchung der deutſchen Philoſophie die Bahnen brach; und bald durfte Thomaſius frohlockend rufen: Ungebundene Freiheit allein giebt dem Geiſte das wahre Leben. Durch die Verwelt - lichung der Wiſſenſchaften wurde die politiſche Macht der Kirchen all - mählich von innen heraus zerſtört. Von der Herrſchaft, welche die Oberhofprediger und Conſiſtorien einſt in den lutheriſchen Reichslanden beſaßen, war um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wenig mehr übrig; das neue Beamtenthum ſtand feſt zu der Souveränität des Staates. Zugleich wagte Thomaſius die deutſche Sprache in den aka - demiſchen Unterricht einzuführen, und ſeit alle proteſtantiſchen Hochſchulen ſeinem Beiſpiele folgten, ſah ſich die lateiniſche Gelehrſamkeit der Jeſuiten außer Stande, den Wettkampf mit der proteſtantiſchen Wiſſenſchaft auf - zunehmen; wer im katholiſchen Deutſchland nach lebendiger Bildung ver - langte, eilte den proteſtantiſchen Univerſitäten zu. Wenngleich der Zunft - ſtolz der Gelehrten, die Roheit der akademiſchen Jugend noch nicht gänz - lich überwunden wurde, die erſte Brücke zwiſchen der Wiſſenſchaft und dem Leben der Nation war doch geſchlagen.

Zugleich brach für die evangeliſche Kirche ein neues Leben an, das in der jungen Halliſchen Hochſchule ſeinen Heerd fand und mit der duldſamen Kirchenpolitik des preußiſchen Staates feſt zuſammen - hing. Die Nation war verekelt an dem wüthenden Dogmenſtreite des Zeitalters der Religionskriege. Die Unionsbeſtrebungen der Calixtiner, die fromme Glaubensinnigkeit der Pietiſten und die rationaliſtiſche Kritik des Thomaſius fanden ſich zuſammen im gemeinſamen Kampfe gegen die Herrſchſucht des theologiſchen Buchſtabenglaubens. Der über dem Gezänk der Glaubenseiferer faſt vergeſſene ſittliche Gehalt des Chriſtenthums trat wieder in ſein Recht, ſeit Franke und Spener ihre Gemeinden mahnten das Evangelium zu leben in gemeiner, brüderlicher Liebe; der werkthätige Sinn chriſtlicher Frömmigkeit bekundete ſich in der großartigen Stiftung des Halli - ſchen Waiſenhauſes und anderen Werken der Barmherzigkeit; die Predigt des Pietismus ſprach zum Herzen und erlaubte den Frauen, ſich wieder als lebendige Glieder der Gemeinde zu fühlen. Die Neubelebung des deutſchen Proteſtantismus führte nicht wie die Beſtrebungen der hollän - diſchen Arminianer und der engliſchen Latitudinarier, zur Bildung neuer Sekten; ſie ging vielmehr darauf aus den ganzen evangeliſchen Namen zu vereinigen, die Kirche wieder mit dem Geiſte des urſprünglichen Chriſten - thums zu durchdringen und das Wort zu erfüllen: in meines Vaters Hauſe ſind viele Wohnungen. Nach manchen Kämpfen und Ver - irrungen blieb doch das dauernde Ergebniß, daß der deutſche Proteſtan - tismus die mildeſte, freieſte und weitherzigſte aller chriſtlichen Glaubens -93Deutſche und franzöſiſche Aufklärung.genoſſenſchaften wurde und auch für die kühnſten Wagniſſe der Philoſophie noch einen Raum bot, daß die religiöſe Duldung allmählich in alle Lebensgewohnheiten der Deutſchen drang, zahlreiche gemiſchte Ehen und bald auch gemiſchte Schulen den kirchlichen Frieden dieſes paritätiſchen Volkes ſicherten.

Nur dieſe Wiedererhebung des deutſchen Proteſtantismus erklärt jene eigenthümlichſten Charakterzüge der neuen deutſchen Cultur, welche den meiſten Nicht-Germanen und ſelbſt den Engländern räthſelhaft bleiben; nur ſie hat es ermöglicht, daß der Deutſche zugleich fromm und frei ſein konnte, daß ſeine Literatur proteſtantiſch wurde und doch nicht confeſſionell. Der engliſch-franzöſiſchen Aufklärung ſteht es auf der Stirn geſchrieben, daß ſie emporkam im Kampfe mit der Herrſchſucht unfreier Kirchen und der finſteren Hartgläubigkeit dumpfer Volksmaſſen; ſelbſt der Deismus der Briten iſt irreligiös, denn ſein Gott redet nicht zum Gewiſſen, verſieht nur das Amt des großen Maſchinenmeiſters der Welt. Die deutſche Aufklärung dagegen wurzelte feſt im Proteſtantismus; ſie ging der kirchlichen Ueberlieferung mit noch ſchärferen Waffen zu Leibe als die Philoſophie der Nachbarvölker, doch die Kühnheit ihrer Kritik ward ermäßigt durch eine tiefe Ehrfurcht vor der Religion. Sie weckte die Gewiſſen, welche der engliſch-franzöſiſche Materialismus einſchläferte; ſie bewahrte ſich den Glauben an den perſönlichen Gott und an den letzten Zweck der vollkommenen Welt, die unſterbliche Seele des Menſchen. Der fanatiſche Kirchenhaß und die mechaniſche Weltanſchauung der fran - zöſiſchen Philoſophen erſchienen den Deutſchen als ein Zeichen der Un - freiheit; mit Widerwillen wendete ſich Leſſing von Voltaires Spöttereien, und der Student Goethe lachte mit der Selbſtgewißheit der zukunftsfrohen Jugend über die greiſenhafte Langeweile des Système de la nature. Das evangeliſche Pfarrhaus behauptete das achtzehnte Jahrhundert hin - durch noch ſeinen alten wohlthätigen Einfluß auf das deutſche Leben, nahm an dem Schaffen der neuen Literatur warmen Antheil. Wenn unſere Kunſt nicht zum Beſitzthume des ganzen Volkes zu werden vermochte, ſo danken wir doch der Verjüngung des deutſchen Proteſtantismus den großen Segen, daß die ſittlichen Anſchauungen der Höchſtgebildeten Fühlung behielten mit dem Gewiſſen der Maſſe, daß endlich Kants Ethik auf die evangeliſchen Kanzeln und bis in die niedrigſten Schichten des norddeutſchen Volkes drang. Die ſittliche Kluft zwiſchen den Höhen und den Tiefen der Geſellſchaft war in Deutſchland ſchmäler als in den Län - dern des Weſtens.

Dieſe erſte Epoche der modernen deutſchen Literatur trägt noch einen hart proſaiſchen Zug. Gelehrte ſtehen an der Spitze der Bewegung; die Dichtung wird von dem Geiſte der neuen Tage noch kaum berührt: nur in Schlüters Bauten und Bildſäulen, in den Tonwerken von Bach und Händel tritt der heldenhafte Charakter des Zeitalters groß und frei hervor. 94I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Und doch erſcheinen uns heute jene gewaltigen Kämpfe gegen den Jeſuitis - mus und das erſtarrte Lutherthum ebenſo bahnbrechend, ebenſo radical wie die politiſchen Thaten des Großen Kurfürſten. Sie haben den feſten Grund gelegt für Alles was wir heute deutſche Geiſtesfreiheit nennen. Aus den reiferen Werken von Leibnitz und Thomaſius, aus Pufendorfs Schrift über das Verhältniß von Staat und Kirche ſpricht ſchon der freie Geiſt einer unbedingten Duldung, welcher im Auslande weder Locke noch Bayle ganz zu folgen vermochte.

Dem nächſten Menſchenalter gebrach die ſchöpferiſche Kraft faſt völlig; es waren die öden Tage, da Kronprinz Friedrich die beſtimmenden Eindrücke ſeiner Jugend empfing. Eine unfruchtbare Vielwiſſerei beherrſchte den Markt der Gelehrſamkeit, und ihren weitſchweifigen Werken fehlte, was der Rheinsberger Muſenhof vor Allem ſchätzte, Maß, Schärfe, Beſtimmtheit des Ausdrucks. Gottſcheds Dichtung folgte ſklaviſch den ſteifen Regeln der franzöſiſchen Poetik, ohne ſich jemals aus breitſpuriger Plattheit zu dem redneriſchen Pathos der Romanen zu erheben. Kurſachſen war das einzige deutſche Land, das ſich geſchmackvoller Bildung und einer fruchtbaren künſtle - riſchen Thätigkeit rühmen konnte; aber die prächtigen Opern und die reichen Barock-Bauten des Dresdener Hofes bezeichnen nur eine phantaſtiſche Nachblüthe der wälſchen Kunſt, nicht einen Fortſchritt unſeres nationalen Lebens. Gleichwohl ſtand das Wachsthum des deutſchen Geiſtes auch jetzt nicht ſtill. Die gemeinfaßlichen Ergebniſſe der Gedankenarbeit der hoch - begabten letzten Generation wurden allmählich dem Volke geläufig. Die Philoſophie Chriſtian Wolffs vollzog eine Verſöhnung zwiſchen Glauben und Wiſſen, welche den Bedürfniſſen des Zeitalters genügte, gab dem heran - wachſenden Geſchlechte eine feſte, in ſich übereinſtimmende Weltanſchauung. Die Durchſchnittsbildung der Mittelklaſſen fand ihren Frieden in dem Glauben, daß Gott nach den Naturgeſetzen wirke. Wolff ging mit Abſicht über die Schranken der gelehrten Welt hinaus, weckte in weiten Kreiſen die Luſt zu denken und zu ſchreiben, gewöhnte die Gebildeten ihr Scherf - lein beizutragen zu dem Werke der allgemeinen Aufklärung. Zugleich wirkte der Pietismus in der Geſellſchaft fort. Der rauhe Ton tyranniſcher Härte verſchwand aus dem Familienleben. In den gefühlsſeligen Con - ventikeln der ſchönen Seelen begann der Cultus der Perſönlichkeit. Das Leben jedes Einzelnen erhielt einen ungeahnten neuen Werth und Inhalt; die Deutſchen erkannten wieder, wie reich die Welt des Herzens iſt, und wurden fähig, tief empfundene Werke der Kunſt zu verſtehen.

Und nun, urplötzlich wie die Macht des fridericianiſchen Staates und überraſchend ſtark wie ſie, traten die in langen Jahren der Samm - lung ſtill gereiften Kräfte des deutſchen Genius in den Kampf hinaus. Im Jahre 1747 erſchienen die erſten Geſänge von Klopſtocks Meſſias. Die Wärme und Innigkeit des Gefühls, die in den Gebeten und Tage - büchern der Erweckten nur einen unreifen, oft lächerlichen Ausdruck ge -95Klopſtock. Winkelmann.funden, ſchuf ſich hier endlich eine würdige poetiſche Form; die ernüch - terte Sprache gewann Schwung, Adel, Kühnheit; die ganze Welt des Erhabenen wurde der deutſchen Phantaſie von Neuem aufgethan. Merk - würdig ſchnell begriff die Nation, ein neues Zeitalter ihrer Bildung ſei angebrochen. Ein Schwarm von jungen Talenten drängte ſich um den Sänger, der auch in ſeiner perſönlichen Haltung die Hoheit der neuen Kunſt ſtattlich vertrat, und erging ſich in der naiven Selbſtüberhebung, die allen kräftig aufſteigenden Epochen eigenthümlich iſt, ſtellte das Epos des deutſchen Meiſters über Homer, ſeine Oden über Pindar. Eine phantaſtiſche Schwärmerei für das Vaterland berauſchte dieſe Dichterkreiſe und iſt von da, langſam aber mächtig fortwirkend, bis in die unterſten Schichten des deutſchen Mittelſtandes hinabgedrungen. Wie jede Nation, wenn ſie in einen Wendepunkt ihres Daſeins eintritt, aus den großen Erinnerungen der heimiſchen Vorzeit friſchen Muth zu ſchöpfen pflegt, ſo wendete ſich die Sehnſucht jener Tage der einfältigen Größe der germaniſchen Urzeit zu: nur im Schatten deutſcher Eichenhaine, nur in dem Lande Hermanns und der Barden ſollten Wahrheit und Treue, Kraft und Gluth urſprünglicher Empfindung heimiſch ſein. Wie jubelte das neue Deutſchland, als der Sänger des Meſſias die junge bebende Streiterin, die deutſche Muſe aufrief, den Wettlauf zu wagen mit der Dichtung Englands.

Unterdeſſen erſchloß Winkelmann unſerem Volke die Erkenntniß der antiken Kunſt und fand die einfältig tiefe Wahrheit wieder, daß die Kunſt die Darſtellung des Schönen iſt. Er ſchuf zugleich die erſten formvollendeten Werke der neuen deutſchen Proſa. Klar, tief und weihevoll erklang die Rede dieſes Prieſters der Schönheit, mächtige Leidenſchaft und große Gedanken zuſammengedrängt in maßvoll knapper Form; durch die erleuchtete Kürze ſeines Stiles wurde die formlos breite Redſeligkeit der gelehrten Pedanterei zuerſt überwunden. Seine Schriften gaben der jungen Literatur die Richtung auf das claſſiſche Ideal. Wetteifernd, in leidenſchaftlichem Entzücken, ſtrebten Dich - tung und Wiſſenſchaft ſich zu erfüllen mit dem Geiſte des Alter - thums; und da der Menſch nur ſchätzt was er überſchätzt, ſo wollte dies ſchönheitsfrohe Geſchlecht, berauſcht von der Freude der erſten Entdeckung, in der antiken Geſittung nichts ſehen als reine Menſchlichkeit, Geſundheit, Natur. Den Romanen war eigentlich nur die altrömiſche Welt wahr - haft vertraut geworden; die Deutſchen zog ein Gefühl der Wahlver - wandtſchaft zu dem helleniſchen Genius. Ihnen zuerſt unter den modernen Völkern ging das volle Verſtändniß des griechiſchen Lebens auf, und als ihre neue Bildung gereift war, durfte ihr Dichter frohlockend rufen: aber die Sonne Homers, ſiehe, ſie lächelt auch uns! Durch die Einkehr in die Formenwelt des Alterthums erlangte die ſo oft arm und hart ge - ſcholtene deutſche Sprache nicht nur einen guten Theil ihres alten96I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Reichthums wieder; ſie zeigte auch eine ungeahnte bildſame Weichheit und Schmiegſamkeit. Sie allein unter den neuen Culturſprachen erwies ſich fähig, alle Versmaße der Hellenen treu und lebendig nachzubilden; ſie wurde allmählich, ſeit der Voſſiſche Homer den Weg gewieſen, die erſte Ueberſetzerſprache der Welt, bot den Geſtalten der Dichtung aller Völker und Zeiten gaſtfreundlich eine zweite Heimath. Und dieſe reizbare Empfänglichkeit war doch nicht unſelbſtändige Schwäche: die deutſchen Jünger des Alterthums ſtanden dem claſſiſchen Ideale innerlich frei gegenüber, ſie ließen ſich nicht, wie einſt die Humaniſten am Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts, durch die ſittlichen Anſchauungen der an - tiken Welt in der feſten Führung des eigenen Lebens beirren. Winkel - mann ſelber freilich erinnert in manchem Zuge an die unbefangenen Heiden des Cinquecento; aber die Mehrzahl der Dichter und Denker, die ſeinen Spuren folgten, blieb deutſch, nahm von helleniſcher Bildung nur an was deutſchem Weſen zuſagte, und das Gedicht, das unter allen Werken der modernen Kunſt dem Geiſte des Alterthums am nächſten kam, Goethes Iphigenie, ward doch durchweht von einem Sinne liebevoller Milde, den die Herzenshärtigkeit der Heiden nie verſtanden hätte.

Unabhängig von dieſen beiden Richtungen, aber einig mit ihnen in dem Kampfe für das Recht des freien Künſtlergeiſtes, ging Leſſing ſeinen Weg; der productivſte Kritiker aller Zeiten, ſtand er zu Klopſtocks pathetiſcher Ueberſchwänglichkeit, wie einſt Pufendorf und Thomaſius zu dem Pietismus geſtanden hatten, ablehnend zugleich und ergänzend. Seiner ſchöpferiſchen Kritik gelang, was der Enthuſiasmus der neuen Lyrik allein nie vermocht hätte, die geſpreizte Unnatur der Gottſchediſchen Verskunſt für immer zu vernichten, die Zwittergattung der Lehrgedichte vom deutſchen Parnaß zu vertreiben, die Nation zu befreien von dem Joche der Kunſtregeln Boileaus; und ſo wenig wir dem Manne, der den Patriotismus für eine heroiſche Schwachheit erklärte, das bewußte vaterländiſche Gefühl unſerer Tage andichten dürfen, durch jene mächtigen Streitſchriften, welche die Dramen Voltaires dem Gelächter der Deutſchen preisgaben, geht doch derſelbe große Zug erſtarkenden nationalen Lebens wie durch Friedrichs Heldenlaufbahn. Leſſings Kritik wies die deutſchen Poeten von der höfiſchen Dichtung der Bourbonen hinweg zu dem recht verſtandenen Ariſtoteles, zu den einfachen Vorbildern der antiken Kunſt und lehrte ſie die naturgetreue Wahrheit über alle erklügelten Regeln zu ſtellen. Sie zeigte ihnen in Shakeſpeares Dramatik einen Quell urſprünglichen germaniſchen Lebens, der ein Jungbrunnen wurde für die deutſche Kunſt; der Dichter des fröhlichen alten Englands fand bei dem weltlich freien Sinne der Deutſchen bald ein tieferes Verſtändniß, als in ſeinem eigenen, durch das Puritanerthum ernüchterten Vaterlande. Leſſing vor Allen hat das neue Publicum erzogen; er wurde der erſte deutſche Literat, der Erſte, der durch ſeine perſönliche Würde den Beruf des97Leſſing. Herder.freien Schriftſtellers zu Ehren brachte und zu allen Gebildeten der Nation wirkſam zu reden verſtand. Die dunkelſten Probleme der Theologie, der Aeſthetik, der Archäologie erſchienen durchſichtig klar, wenn er ſie behandelte in dem leichten Tone des lebhaften oberſächſiſchen Geſprächs, in jener kunſt - voll einfachen Proſa, die überall ſein innerſtes Weſen, die Heiterkeit im Verſtande, widerſpiegelte.

Und hier, ſchon in den Jugendjahren der claſſiſchen deutſchen Proſa, zeigte ſichs, daß unſere freie Sprache jeden individuellen Stil ertrug, jeden ſchöpferiſchen Kopf nach ſeiner Weiſe gewähren ließ: der offenbar an franzöſiſchen Muſtern gebildete Stil Leſſings war ebenſo deutſch wie die majeſtätiſchen Perioden Winkelmanns, denn Beide ſchrieben wie ſie mußten. Die rechte Sicherheit des literariſchen Selbſtgefühles kam den Deutſchen aber erſt da der große Kritiker ſich auch als ein Künſtler zeigte und unſerer Bühne die erſten Werke ſchenkte, die nicht beſchämt wurden durch die reiche Wirklichkeit des fridericianiſchen Zeitalters und mit der Dramatik des Auslandes in die Schranken treten durften Werke des ſchärfſten Kunſtverſtandes und doch voll leidenſchaftlicher dramatiſcher Bewegung, bühnengerecht und doch in voller Freiheit erfunden, Geſtalten von unver - gänglichem menſchlichen Gehalt, und doch mit kecker Hand aus dem be - wegten Leben der nächſten Gegenwart herausgegriffen. So ſtieg er hoch und höher, nach allen Seiten hin den Samen einer freien Bildung ſtreuend: durch ſeine Emilia weckte er der jungen Literatur den Muth, ihre Stimme zu erheben gegen die Unfreiheit in Staat und Geſellſchaft; ſeine theologiſchen Streitſchriften legten den Grund für eine neue Epoche unſerer theologiſchen Wiſſenſchaft, für die Evangelienkritik des neunzehnten Jahrhunderts; ſeine letzte Dichtung ſchuf die Form für das Drama hohen Stils, das nachher durch Schiller ſeine Ausbildung erhalten ſollte, und verkündete zugleich jenes Glaubensbekenntniß deutſcher Aufklärung, deſſen heitere Milde anderen Völkern erſt nach den Stürmen der Revolution verſtändlich wurde.

In den ſiebziger Jahren trat eine neue, noch reichere Generation auf den Plan. Herders univerſaler Geiſt vereinte in ſich die Verſtandes - kühnheit Leſſings und die Gemüthsfülle Klopſtocks. Er fand die in langen Jahrhunderten barbariſcher Ueberbildung verlorene Wahrheit wieder, daß die Dichtung nicht das Beſitzthum Einzelner, ſondern eine gemeine Gabe aller Völker und Zeiten iſt, und führte die deutſche Lyrik zu unſeren alten volksthümlichen Formen und Stoffen zurück: der ſeelenvolle Klang des deutſchen Reims trat von Neuem in ſein Recht, in Liedern und Balladen gewann das erregte Gefühl einen warmen, tiefen und natür - lichen Ausdruck. Einem durchaus unhiſtoriſchen Zeitalter, das im Zer - ſtören einer verrotteten Welt hiſtoriſcher Trümmer ſeinen Ruhm fand, erweckte Herder das Verſtändniß des geſchichtlichen Lebens. Sein freier Sinn verachtete die Armſeligkeit jenes ſelbſtzufriedenen Wahnes, derTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 798I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.alle Menſchenkinder nur für das was wir Cultur nennen geſchaffen glaubte; er erkannte, daß jedes Volk ſein eigenes Maß der Glückſelig - keit, ſein eigenes goldenes Zeitalter hat, und mit wunderbarem Ahnungs - vermögen fand er das Eigenſte aus dem Seelenleben der Völker heraus: der Gegenſatz der naiven Cultur des Alterthums und der ſentimentalen Bildung der modernen Welt iſt ihm zuerſt klar geworden. Seinem prophetiſchen Blicke enthüllte ſich ſchon der Zuſammenhang von Natur und Geſchichte; er faßte den grandioſen Gedanken dem Schöpfer nach - zugehen, nachzuſinnen , die Offenbarung Gottes in den weltbauenden Kräften des Alls wie in den Wandlungen der Menſchengeſchichte aufzu - ſuchen; er vertiefte die Idee der Humanität, indem er den Menſchen ver - ſtand als einen Ton im Chorgeſang der Schöpfung, ein lebend Rad im Werke der Natur . Schärfer als Herder hat kein Mann des achtzehnten Jahrhunderts über die endlichen Erſcheinungsformen des Chriſtenthums geurtheilt, und doch iſt Keiner in das Verſtändniß des Glaubens tiefer eingedrungen als dieſer von Grund aus religiöſe Geiſt. Die Religion zu reinigen von allem geiſtloſen und unfreien Weſen blieb das höchſte Ziel ſeines Strebens. Durch jede ſeiner Schriften weht der Hauch einer tiefen Frömmigkeit, ein inniges, glückſeliges Zutrauen zu der Weisheit und Güte Gottes, das alle Launen einer ſelbſtquäleriſchen, leicht verſtimm - ten Natur ſchließlich niederzwingt; darum konnte der ſchonungsloſe Be - kämpfer der Verirrungen der Kirche ohne Heuchelei ein hoher Geiſtlicher und Kirchenbeamter bleiben ein glänzendes Zeugniß für die maßvolle Freiheit des Zeitalters.

Die neue univerſale Bildung, welcher Herders kühne Ahnungen und Andeutungen nur den Weg wieſen, empfing nun endlich ihre reine künſt - leriſche Form durch den ſprachgewaltigen Dichter, dem ein Gott gab zu ſagen was er litt. Dieſe geheimnißvolle Macht der unmittelbaren Ein - gebung war es, was die Zeitgenoſſen zuerſt an dem jungen Goethe be - wunderten. Bald fühlten ſie auch die Kraft ſeiner unendlichen Liebe, ſeiner unerſchöpflichen Empfänglichkeit für alles Menſchliche. Es klang wie ein Selbſtgeſtändniß, wenn er ſeinen Gottesſohn ſagen ließ: O mein Ge - ſchlecht, wie ſehn ich mich nach dir! und du mit Herz - und Liebesarmen flehſt du aus tiefem Drang zu mir. Er dichtete nur Erlebtes gleich den Sängern der Zeitalter naiver Kunſt; doch dieſer Geiſt war ſo reich und vielgeſtaltig, daß ſeine Dichtung nach und nach den weiten Umkreis des deutſchen Lebens umſpannte, und während langer Jahrzehnte faſt jeder neue Gedanke, den die raſtlos ſchaffende Zeit emporwarf, in Goethes Werken ſeinen tiefſten und mächtigſten Ausdruck fand, bis endlich die ganze Welt der Natur und des Menſchenlebens in dem ruhigen Auge des Greiſes ſich widerſpiegelte; und ſo iſt ihm geworden was er ſich wünſchte, daß heute noch da Enkel um ihn trauern, zu ihrer Luſt noch ſeine Liebe dauert. Im ſicheren Bewußtſein einer ungeheuren Begabung trat er ſeine Laufbahn99Goethes Anfänge.an und hieß den Schwager Kronos ins Horn ſtoßen, daß der Orkus vernehme: ein Fürſt kommt! drunten von ihren Sitzen ſich die Ge - waltigen lüften. Wohl war es Fürſtenwerk, wie er ſchon durch ſeine Jugendgedichte der deutſchen Lyrik das neue Leben brachte, das Herder nur ahnte. Alle die holden und zarten, die ſüßen und ſehnſüchtigen Gefühle des deutſchen Herzens, die von Klopſtocks pathetiſchem Oden - ſtile übertäubt wurden, gewannen jetzt auf einmal Sprache; die uralten Lieder vom Röslein auf der Haide entzückten wieder die gebildete Jugend, ſeit Goethe ſie den Hirten und den Jägern ablauſchte, ihre Einfalt adelte durch den Zauber ſeiner Kunſt; an ſeinen geſelligen Liedern lernten die Deutſchen wieder, ſo recht aus Herzensgrunde froh zu ſein, unbefangen aufzugehen im himmliſchen Behagen des Augenblicks. Dann führte der Götz die derbe unverſtümmelte Kraft und Großheit des alten deutſchen Lebens der Nation wieder vor die Augen; dann fanden Werthers Leiden das erlöſende Wort für den Sturm und Drang ſchwärmeriſcher Leidenſchaft, der die Herzen des jungen Geſchlechts erfüllte, und es ward auch politiſch bedeutſam, daß einmal doch in dieſem zerriſſenen Volke ein Dichter einen unwiderſtehlichen, allgemeinen Erfolg errang, wie einſt Cervantes, und Alles was jung war in ſchöner Begeiſterung ſich zuſammenfand. Als das fridericianiſche Zeitalter zu Ende ging, riß der Dichter ſich los aus jenen Herzenskämpfen, denen wir die ſchönſten Liebesgedichte deutſcher Sprache verdanken, um nach zehn Jahren höfiſchen Lebens voll Arbeit und Zer - ſtreuung wieder ein Künſtler zu werden; er eilte in jenes Land, wo für jeden Empfänglichen die eigenſte Bildungsepoche beginnt , dort im Süden lernte er nordiſche Leidenſchaft und Gemüthstiefe mit antiker Formen - reinheit zu verſöhnen.

So groß er war und ſo gewaltig ſein Einfluß, die Herrſchaft über unſere Dichtung hat er nie beanſprucht, und deutſche Freiheit hätte ſie Keinem geſtattet. Nach wie vor, auch nachdem jener übermächtige Genius erſtanden war, fluthete die literariſche Bewegung in fröhlicher Unge - bundenheit dahin: hunderte ſelbſtändiger Köpfe nach eigenem Willen thätig; überall in den Dichterbünden und Freimaurerlogen ein begeiſtertes Suchen nach reiner Menſchlichkeit, nach der Erkenntniß des Ewigen; und überall in dem bewegten Treiben die frohe Ahnung einer wundervollen Zukunft. Dies Geſchlecht fühlte ſich wie emporgehoben über die gemeine Wirklichkeit der Dinge, wie auf Windesflügeln dahingetragen dem Tage des Lichts, der Vollendung der Menſchheit entgegen. Die gedankenloſe Maſſe freilich verlangte auch damals, wie zu allen Zeiten, nur nach behaglicher Unter - haltung; Wielands ſchalkhafte Munterkeit war ihr bequemer als Klop - ſtocks Pathos, wie ſpäterhin Kotzebue populärer wurde als Schiller und Goethe. Aber in den beſten Kreiſen der Geſellſchaft herrſchte ein freudiger Idealismus; er gab der Bildung des Zeitalters das Gepräge.

Indeſſen entdeckte die Nation, daß ſie neben dem größten Dichter auch7*100I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.den größten wiſſenſchaftlichen Kopf des Zeitalters beſaß. Den Gegen - ſatz der deutſchen und der franzöſiſch-engliſchen Weltanſchauung bezeichnet Goethe mit den einfachen Worten: Die Franzoſen begreifen nicht, daß etwas im Menſchen ſei, wenn es nicht von außen in ihn hineingekommen iſt. Dem deutſchen Idealismus erſchien umgekehrt gerade dies räthſel - haft: wie etwas von außen in die Seele hineingelangen könne. Der Aufklärung des Weſtens galt die Welt der ſinnlichen Erfahrung als die ſchlechthin unbeſtreitbare Wirklichkeit; da unternahm Kant die Thatſachen der menſchlichen Erkenntniß zu erklären und ſtellte die tiefe Frage: wie iſt ein wiſſenſchaftliches Erkennen der Natur überhaupt möglich? Es war der große Wendepunkt der neuen Philoſophie. Mit dem gleichen könig - lichen Selbſtgefühle wie Goethe hatte Kant die Arbeit ſeines Lebens be - gonnen: nichts ſoll mich hindern meinen Lauf fortzuſetzen ; er war aus - gegangen von den Ideen des mathematiſchen Jahrhunderts und darauf jeder Bewegung der neueren Jahrzehnte ſelbſtändig gefolgt. Gegen das Ende des fridericianiſchen Zeitalters trat er dann mit jenen Werken her - vor, welche die ſittlichen Grundgedanken des gereiften Proteſtantismus auf lange hinaus feſtſtellten. Verwegner als irgend einer der Gottes - leugner der Encyclopädie bekämpfte er den Wahn, als ob es je eine Wiſſenſchaft vom Ueberſinnlichen geben könne; doch auf dem Gebiete der praktiſchen Vernunft fand er die Idee der Freiheit wieder. Aus der Nothwendigkeit des ſittlichen Handelns ergab ſich ihm, nicht geſtützt auf theologiſche Krücken und ebendarum unwiderſtehlich ſiegreich, die große Erkenntniß, daß das Unbegreiflichſte das Allergewiſſeſte iſt: das empiriſche Ich unterliegt den Geſetzen der Cauſalität, das intelligible Ich handelt mit Freiheit. Und dem freien Handeln ſtellte er jenen Imperativ, bei dem die Einfalt wie die höchſte Bildung ihren Frieden finden konnte: handle ſo, als ob die Maxime deines Handelns Naturgeſetz werden müßte. Auch Kants Gedanken, wie Alles was dieſe lebenſprühende Zeit geſchrieben hat, empfingen ihre volle Wirkung erſt durch die Macht der Perſönlich - keit. Die heitere Weisheit des Königsberger Denkers, der von dem Menſchen forderte, daß er ſelbſt in guter Laune ſterben müſſe, die ſchlichte Größe dieſes ganz von der Idee erfüllten Lebens packte die Gewiſſen. Kant wurde der Bildner ſeiner altpreußiſchen Heimath, er hat die entlegene Oſtmark wieder als ein thätiges Glied in die Werkſtatt deutſcher Geiſtes - arbeit zurückgeführt; und die Erhebung von 1813 bewährte, wie tief dem tapferen Volke das Wort zu Herzen gedrungen war, daß überall nichts in der Welt für gut dürfe gehalten werden, als allein ein guter Wille.

Und ſchon erhob ſich der junge Dichter, dem beſtimmt war dereinſt die Ideen der Kantiſchen Ethik in den weiteſten Kreiſen der Nation zu verbreiten. Roh und formlos erſchienen Schillers Jugendwerke, wie ſie eine unbändige Willenskraft dem Zwange kleinlich unfreier Verhältniſſe abgetrotzt hatte; doch der kühne Wurf der Fabel, das mächtige Pathos,101Kant. Schillers Jugend.der volle langanhaltende Athemzug der Leidenſchaft und der gewaltig aufſteigende Gang der Handlung ließen ſchon ahnen, daß Deutſchland ſeinen größten Dramatiker gefunden hatte einen dictatoriſchen, zum Herrſchen und Siegen geborenen Geiſt, der jetzt in den Tagen jugend - licher Gährung ſeinen Hörern das Wilde und Gräßliche unwiderſtehlich aufzwang und nachher, gereift und geläutert, die Tauſende mit ſich empor - riß über die gemeine Bedürftigkeit des Lebens. Aus der lärmenden Rhetorik dieſer Tragödien ſprach eine Welt von neuen Gedanken, glühende Sehn - ſucht nach Freiheit und der Haß einer großen Seele wider die ſtarren Formen der alten Geſellſchaft; Rouſſeaus Schriften und die politiſche Be - wegung der Nachbarlande warfen bereits ihre erſten Funken nach Deutſch - land hinüber. Ein Verächter alles Platten, Engen, Alltäglichen, ſtrebte dieſer Sohn des kleinbürgerlichen Schwabenländchens hinaus in die großen Kämpfe der hiſtoriſchen Welt; er zuerſt band unſerer dramatiſchen Muſe den Kothurn an die Sohlen, führte ſie unter Könige und Helden, auf die Höhen der Menſchheit.

Neben ſolchem Reichthum der Kunſt und der Wiſſenſchaft erſcheint die eigentlich politiſche Literatur unheimlich klein und dürftig. Wie noch jede große Umgeſtaltung unſeres geiſtigen Lebens in den Schickſalen einer deutſchen Univerſität ſich widergeſpiegelt hat, ſo läßt ſich auch wohl ein Zuſammenhang nachweiſen zwiſchen den Anfängen unſerer claſſiſchen Literatur und der erſten Blüthe der Georgia Auguſta. Die eifrige Pflege der Rechts - und Staatswiſſenſchaften, die von Göttingen ausging, ſtand in Wechſelwirkung mit der großen Gedankenſtrömung des Jahrhunderts, die ſich überall den exacten Wiſſenſchaften ab - und der Freiheit der hiſtoriſchen Welt zuwandte. Und es war lebendiges Recht was die Göt - tinger Publiciſten lehrten; die Rechte des Proteſtantismus und der welt - lichen Reichsſtände gegen die ſchattenhaften Anſprüche des Kaiſerthums zu vertheidigen galt als Ehrenpflicht der welfiſchen Profeſſoren. Doch weder Schlözers derber Freimuth noch Pütters Sammlerfleiß, weder die Gelehrſamkeit der beiden Moſer noch irgend eine andere unter den vielen ſtattlichen publiciſtiſchen Erſcheinungen der Zeit trägt den Stempel des Genies. Keine Spur von Pufendorfs kühnem Weitblick, keine Spur von jener ſchöpferiſchen Kritik, welche die Dichter mit feurigem Odem be - rührte; nichts von der köſtlichen Prägnanz des Ausdruckes, die uns an der ſchönen Literatur der Zeit entzückt: neben dem Silbertone Leſſingſcher und Goetheſcher Proſa giebt die Sprache Pütters einen blechernen Klang.

Während die deutſche Dichtkunſt und Philoſophie die Werke der Nach - barvölker überflügelte, behielten in der Staatswiſſenſchaft Engländer und Franzoſen die Führung. An der großen politiſchen Gedankenbewegung des Jahrhunderts nahm Deutſchland einen wirkſamen Antheil allein durch die Thaten und die Schriften des großen Königs, den der literariſche Aufſchwung ſeines Volkes nicht berührte. Wie ſchwach ſind ſelbſt in102I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Herders Ideen die politiſchen Abſchnitte neben der Fülle der cultur - hiſtoriſchen. Der einzige ſtark und eigenthümlich angelegte politiſche Denker, der Deutſchlands jungem literariſchen Leben angehörte, Juſtus Möſer, hat auf die Zeitgenoſſen eigentlich nur äſthetiſch gewirkt durch ſeine geiſtvolle Schilderung des deutſchen Alterthums; ſeine tiefſinnige geſchichtliche Auffaſſung vom Staate ward erſt weit ſpäter, in den Tagen der hiſtoriſchen Rechtsſchule, von der Nation verſtanden. Die deutſchen Leſer brachten dem Publiciſten ein reicheres Maß von Geſchichtskennt - niſſen entgegen als die Briten und Franzoſen, aber keinen Schimmer von politiſcher Leidenſchaft und politiſchem Verſtändniß. Die durch und durch unpolitiſche Zeit verſtand die Kunſt ſich wohl zu befinden unter Zuſtänden, deren vollendeten Widerſinn Jedermann fühlte. Derweil der Forſchermuth deutſcher Denker kühnlich an die dunkelſten Räthſel des Kosmos herantrat, erſchien ſelbſt nach den furchtbaren Lehren der ſieben Jahre kein einziger Mann, der den Finger in die Wunden des deutſchen Staates legte und der Nation mit ſchonungsloſem Freimuth die ent - ſcheidende Frage vorhielt: was dies Aufſteigen einer neuen deutſchen Groß - macht für unſere Zukunft bedeute?

Weder in dem Gedankenreichthum der Literatur noch in der That - kraft des preußiſchen Staates fand das deutſche Leben einen erſchöpfenden Ausdruck. Wohl kamen Augenblicke, da die beiden ſchöpferiſchen Mächte unſerer neuen Geſchichte einander zu berühren und zu verſtehen ſchienen. Wir Nachlebenden vernehmen mit Rührung, wie die bärbeißigen Offiziere des fridericianiſchen Heeres in Leipzig bei dem frommen Gellert Herzens - rath und Erbauung ſuchten; der Dichter des Frühlings, Ewald Kleiſt, der preußiſche Werbeoffizier, der ſich in Zürich von den Strapazen der Menſchenjagd im Kreiſe Klopſtockiſcher Schöngeiſter erholte und dann bei Kunnersdorf den Soldatentod fand, erſcheint uns heute bedeutender als mancher begabtere Poet, weil er den Heldenſinn und die Dichterſehnſucht dieſer reichen Zeit in ſich vereinigte. Im Ganzen bleibt doch ſicher, daß das alte Preußen ebenſo unäſthetiſch war wie die deutſche Literatur un - politiſch. Die preußiſche Hauptſtadt war zu Leſſings Zeiten einige Jahre lang die Hochburg der deutſchen Kritik; ſeit den ſiebziger Jahren beſaß ſie wohl das kunſtſinnigſte Publicum Deutſchlands, eine verfeinerte, geiſt - reiche Geſelligkeit; ſchöpferiſches Vermögen zeigte ſie noch wenig. Vielmehr führte gerade an der Spree der ſeichte Eudämonismus das große Wort. Dem platten Menſchenverſtande Nicolais ging der Flug der jungen Dich - tung zu hoch; unter den Jammerrufen der Berliner Kritik wurden draußen im Reich die großen Schlachten der neuen deutſchen Cultur geſchlagen. Unſerer claſſiſchen Literatur fehlte der feſte Boden der nationalen Macht. Sie hat für alle Zukunft erwieſen, daß die ſtolze Freiheit der Poeſie der Sonne des Glücks entrathen kann, daß eine neue Gedankenwelt, ſobald ſie ſich in der Seele eines Volkes angeſammelt hat, auch unfehlbar103Ausgang des fridericianiſchen Zeitalters.Form und Ausdruck finden muß. Aber die Nation lief Gefahr einer krankhaften Ueberſchätzung der geiſtigen Güter zu verfallen, da ihr litera - riſches Leben ſo viel herrlicher war als das politiſche. Der Patriotismus ihrer Dichter blieb zu innerlich um unmittelbar auf das Volksgefühl zu wirken. Der edle weltbürgerliche Zug, der die geſammte Literatur des achtzehnten Jahrhunderts erfüllte, fand hier nicht wie in Frankreich ein Gegengewicht an einem durchgebildeten Nationalſtolze, er drohte die Deut - ſchen ihrem eigenen Staate zu entfremden.

So glänzend hatte Deutſchland ſeit Luthers Tagen nicht mehr in der europäiſchen Welt dageſtanden wie jetzt, da die erſten Helden und die erſten Dichter eines reichen Jahrhunderts unſerem Volke angehörten. Und ſolche Fülle des Lebens nur hundert Jahre nach der Schande der Schwedennoth! Wer damals die Lande der größeren weltlichen Reichsſtände in Mittel - und Norddeutſchland durchreiſte, gewann den Eindruck, als ob hier ein edles Volk in friedlicher Entwicklung einer ſchönen Zukunft entgegenreifte. Die humane Bildung der Zeit bethätigte ſich in zahlreichen gemeinnützigen Anſtalten; die alte Landplage der Bettler verſchwand von den Landſtraßen, die größeren Städte ſorgten freigebig für ihre Armen - und Krankenhäuſer; eifrige Paedagogen bemühten ſich nach neu erfundenen Syſtemen die Jugend wiſſenſchaftlich zu bilden ohne ihr die Unſchuld des Rouſſeau’ſchen Naturmenſchen zu rauben. Ueberall rüttelte die aufgeklärte Welt an den trennenden Schranken der alten ſtändiſchen Ordnung; ſchon fanden ſich einzelne Edelleute, die freiwillig ihren Gutsunterthanen die Freiheit ſchenkten; die Philoſophen vernahmen mit Befriedigung, daß eines Schinders Sohn in Leipzig Arzt geworden, ein junger Frankfurter Doctor im adelſtolzen Weimar über die Schultern der eingeborenen Edelleute hinweg zum Miniſterpoſten aufgeſtiegen war. Eine heitere Naturſchwärmerei verdrängte die alte Angſt vor den Unbilden der freien Luft, die philiſterhaften Gewohnheiten des Stubenlebens; die Gelehrten fingen an ſich wieder heimiſch zu fühlen auf Gottes Erde. Und doch war dies Volk im Innerſten krank. Unbewegt und unverſöhnt ſtand die große Lüge des Reichsrechts neben der neuen Bildung und dem neuen Staate der Deutſchen; alle Fäulniß, alle Niedertracht des deutſchen Lebens lag wie ein ungeheurer Scheiterhaufen angeſammelt in den Kleinſtaaten des Südens und Weſtens, dicht neben dem ruheloſen Nach - barvolke, das den Feuerbrand über die Grenze ſchleudern ſollte. Der Ruhm des fridericianiſchen Zeitalters war kaum verblichen, als das heilige römiſche Reich ſchmachvoll zuſammenſtürzte.

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Zweiter Abſchnitt. Revolution und Fremdherrſchaft.

Nur ein königlicher Feldherr oder ein reformatoriſcher Geſetzgeber konnte das Erbe Friedrichs ungeſchmälert behaupten. Die alte Form der fridericianiſchen Monarchie ſtand auf zwei Augen. Wenn es nicht gelang die kriegeriſchen Kräfte dieſes Volkes noch einmal zu kühnem Wagen zuſammenzuraffen und dem heiligen Reiche durch Preußens Waffen eine neue Verfaſſung zu ſchaffen, ſo ließ ſich die gewaltſame Vereinigung der geſammten Staatsgewalt in einer Hand nicht mehr für die Dauer aufrechterhalten. Der erweiterte Umfang des Staatsgebietes, die geſteigerten Anſprüche an die Leiſtungen des Staates und das mächtig erſtarkte Selbſtgefühl der wohlhabenden Klaſſen geboten eine umfaſſende Reform, welche den Staatshaushalt beweglicher geſtaltete, die unhaltbar gewordene alte Gliederung der Stände beſeitigte und dem Unterthan er - laubte, bei der Verwaltung von Kreis und Gemeinde ſelber Hand anzu - legen. Unterblieb der Neubau, ſo drohte der Monarchie Siechthum und Erſtarrung; jener Geiſt der Kritik, der von Friedrich ſelber geweckt aber durch die Scheu vor ſeinem Genius in Schranken gehalten worden war, konnte leicht den ſittlichen Halt des Staates, die alte preußiſche Treue und Mannszucht, zerſtören.

Es ward Deutſchlands Verhängniß, daß Friedrichs Nachfolger weder die eine noch die andre Aufgabe zu löſen vermochte. Friedrich Wilhelm II. beſaß die ritterliche Tapferkeit ſeiner Ahnen und ein lebendiges Gefühl für ſeine königliche Würde, für die Großmachtſtellung ſeines Staates, doch weder die Sachkenntniß und den ausdauernden Fleiß, noch die Sicherheit des Urtheils und die feſte Willenskraft, welche ſein ſchweres Amt erheiſchte. Ebenſo mild und wohlwollend, wie ſein alternder Oheim menſchenfeindlich geweſen, leicht erregbar, reich an guten Einfällen, empfänglich für hoch - gehende Entwürfe, ließ er das raſch und feurig Ergriffene wieder fallen, wenn zäher Widerſtand ihn ermüdete oder ſchlaue Gegner ſeiner Großmuth zu ſchmeicheln wußten. Die Kleinheit der Menſchen athmete erleichtert auf, als105Friedrich Wilhelm II. die erdrückende Größe des alten Helden von hinnen ging; aufrichtiger Jubel begrüßte den Vielgeliebten, der ſo traulich und warmherzig mit ſeinem Volke verkehrte. Wieder wie in den Tagen Friedrichs I. rühmte man die inepui - ſablen Hände des Königs, und noch lange ging im Lande die Rede von den Geſchenken und Adelsbriefen des großen Gnadenjahres 1786. Manche Härten des fridericianiſchen Regiments wurden beſeitigt: die verhaßte Regie fiel, die Werbeoffiziere empfingen zum Beſten der Menſchheit die Weiſung, ihr hartes Handwerk mit Mäßigung zu betreiben. Doch im Weſentlichen blieb die alte Verwaltung unverändert, nur daß jetzt der Herrſchergeiſt fehlte, der ſie zu beſeelen verſtanden. Das Heerweſen ſank unter greiſenhaften Führern; den Veteranen, die noch die Kränze der ſieben Jahre um die Stirn trugen, wagte der König nicht den Abſchied zu geben. Die philanthropiſchen Ideen des Zeitalters und eine wohlmeinend ſchwächliche Nachgiebigkeit gegen die bürgerlichen Intereſſen entfremdeten den Staat der ſpartaniſchen Strenge Friedrich Wilhelms I.: durch das Cantonreglement von 1792 wurde zwar der altpreußiſche Grundſatz der allgemeinen Wehrpflicht nochmals als Regel verkündigt, aber zugleich die Ueberzahl der früherhin zugeſtandenen Ausnahmen geſetzlich anerkannt und erweitert, alſo daß der Waffendienſt faſt ausſchließlich die Bauernſöhne belaſtete.

Der lebensluſtige Hof blieb von wüſter Verſchwendung weit ent - fernt: die Hofſtaats-Kaſſe, die jetzt auch an Künſtler und Gelehrte er - hebliche Unterſtützungen gab, brauchte im jährlichen Durchſchnitt blos 580,000 Thaler nicht mehr als unter Friedrich Wilhelms ſparſamem Nachfolger. Der unwirthſchaftliche Sinn des Königs zeigte ſich nur in dem leichtſinnigen Verſchenken der Staatsgüter; und noch verderblicher wurde, daß ſeine Gutmüthigkeit ſich nicht entſchließen konnte, anſtatt der aufgehobenen drückenden Abgaben rechtzeitig neue, gerechter vertheilte Steuern aufzulegen. Die Ueberſchüſſe, deren dieſer Staatshaushalt nicht entbehren konnte, geriethen bald ins Stocken. Es fehlte der Muth, die ſchweren Hinderniſſe zu überwinden, welche die ſtändiſche Verfaſſung jeder Erhöhung der Steuerlaſt entgegenſtellte; der König rühmte ſich gern der Erleichterungen, die er ſeinem geliebten Volke gebracht habe. Als eine Mobilmachung und zwei Feldzüge den fridericianiſchen Kriegsſchatz faſt geleert hatten, ſah ſich die Monarchie bald in der demüthigenden Lage ihre Machtſtellung durch ausländiſche Hilfsgelder behaupten zu müſſen. Die Sittenloſigkeit in der Hauptſtadt nahm furchtbar überhand, ſeit ſie an dem Vorbilde des Hofes eine willkommene Entſchuldigung fand; ſie ſchoß noch üppiger ins Kraut, ſeit der nothwendige Rückſchlag gegen die flache Freigeiſterei der fridericianiſchen Tage eintrat und eine krankhaft myſtiſche Frömmigkeit in den Hofkreiſen modiſch wurde. Es bezeichnet die ungeheure Macht des neuen literariſchen Idealismus, daß die öffentliche Meinung fortan jedes preußiſche Regierungsſyſtem nach106I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dem Geiſte beurtheilt hat, der in der Leitung des Kirchen - und Unter - richtsweſens vorherrſchte. Ganz Deutſchland hallte wider von zornigem Tadel, als der hochverdiente Zedlitz den Abſchied erhielt und der geiſtloſe Heuchler Wöllner mit ſeinen Religions - und Cenſuredicten die freien Gedanken des Jahrhunderts niederzuhalten verſuchte. Mit Mühe gelang es die Verkündigung des Allgemeinen Landrechts gegen den Widerſtand der höfiſchen Frömmler durchzuſetzen. Der geſunde Kern des Beamten - thums blieb freilich unzerſtörbar, aber der ſchwerfällige Gang der Ver - waltung konnte dem raſcheren Zuge des bürgerlichen Verkehrs nicht mehr folgen; die erſchlaffte Zucht verrieth ſich in manchen Unterſchleifen und Beſtechungen, die unter den beiden letzten Königen unerhört geweſen.

Und nun, in ruhmloſen Tagen, zeigte ſich doch, auf wie ſchwachen Füßen noch jene Staatsgeſinnung ſtand, welche Friedrich in ſeinem Volke erweckt hatte. Der Nationalſtolz der Preußen war weſentlich Verehrung für den großen König, er ermattete mit dem Tode des Helden. Berlin lag für die Maſſe der Oſtpreußen und Schleſier ganz aus der Welt; in Königsberg, Breslau, Magdeburg fand der ſtillvergnügte Particularismus der Landſchaften den Mittelpunkt ſeiner Intereſſen. Tiefe, verſtändniß - volle Theilnahme an den Geſchicken des Staates war nur in engen Kreiſen lebendig. Um ſo lauter lärmte die anmaßende Tadelſucht. Der politiſche Trieb, der in dem Beamtenſtaate keine Bühne für gemein - nütziges Wirken fand, warf ſich auf die Literatur. Eine Fluth von Schmähſchriften überſchwemmte das Land, erzählte den urtheilslos gläu - bigen Leſern ungeheuerliche Märchen von der aſiatiſchen Schwelgerei Sauls des Zweiten, Königs von Kanonenland: ein unſauberes Treiben, hochgefährlich, weil in der abſoluten Monarchie jeder Tadel ſeine Pfeile gradeswegs gegen die Perſon des Königs richten mußte, gefährlicher noch weil aus dieſem Schwalle gehäſſiger Vorwürfe nirgends ein furchtbarer Gedanke auftauchte, nirgends eine Ahnung von den wirklichen Gebrechen des Gemeinweſens. Trauriger Wandel der Zeiten: noch erzählte die Welt von den geiſtſprühenden Geſprächen der Tafelrunde von Sansſouci, und jetzt trieb nahebei im Marmorpalais am Heiligen See der Kammer - diener Rietz mit der Gräfin Lichtenau ſein plattes Weſen, und der Nachfolger Friedrichs beſtaunte andachtsvoll die Geiſtererſcheinungen im Zauberſpiegel des Oberſten Biſchoffswerder.

Friedrichs letztes Werk, der deutſche Fürſtenbund, zerbrach dem Erben unter den Händen. Der alte König war freilich über die Herzens - geſinnungen ſeiner kleinen Bundesgenoſſen, über die Unzuverläſſigkeit der Freundſchaft von Hannover und Sachſen nie im Zweifel geweſen, man kannte ſeinen verächtlichen Ausſpruch mit dieſen Herren iſt nichts zu machen ; aber nicht umſonſt hatte er den Fürſtenbund als ein Ver - mächtniß an ſeine Nachkommen bezeichnet. So lange die außerordentliche Gunſt der Lage währte, ſo lange die Angſt vor Oeſterreichs Uebergriffen107Zerfall des Fürſtenbundes.den hohen Adel Deutſchlands unter Preußens Fahnen bannte, mußte ein ſtarker Wille die glänzende Stellung an der Spitze des deutſchen Fürſtenſtandes als ein Mittel zu bleibender Machterweiterung zu ver - werthen wiſſen. Die Erledigung des Kaiſerthrones ſtand nahe bevor, da Kaiſer Joſeph kränkelte; ein geheimer Artikel des Bundesvertrages ver - pflichtete die Genoſſen des Fürſtenbundes, das Ob und Wie (an und quomodo) der neuen Kaiſerwahl nur nach gemeinſamem Einverſtändniß zu entſcheiden. Preußen gebot über die Mehrheit im Kurfürſtenrathe; ſoeben wurde die Coadjutorwahl in dem wichtigſten der geiſtlichen Staaten, in Kurmainz, zu Preußens Gunſten entſchieden. Mindeſtens der Verſuch mußte gewagt werden, die Politik des zweiten ſchleſiſchen Krieges unter ungleich glücklicheren Umſtänden zu erneuern, die todte Maſſe der deutſchen Mittelſtaaten unter Preußens Führung zu einer lebendigen Macht zu er - heben. Noch einmal ſchien es möglich, die deutſche Krone auf ein deutſches Haus zu übertragen oder auch das Kaiſerthum ganz zu beſeitigen und die erlauchte Republik deutſcher Fürſten in bündiſchen Formen neu zu geſtalten; einem ſiegreichen Preußen mußten die kleinen Genoſſen, wie ungern immer, gehorchen. Der leichtblütigen vertrauensvollen Natur des neuen Königs lagen die ſkeptiſchen Anſichten ſeines welterfahrenen Vor - gängers fern. Schon als Prinz hatte er auf den Gedanken des Fürſten - bundes glänzende Hoffnungen gebaut; jetzt überließ er die Leitung ſeiner deutſchen Politik eine Zeit lang den Händen Karl Auguſts von Weimar.

Kühne, großartige Reformpläne gährten in dem Kopfe dieſes hoch - herzigen Patrioten; unermüdlich bereiſte er die Höfe als der Curier des Fürſtenbundes. Er ſah in dieſem Vertheidigungsbündniß eine dauernde Inſtitution, den feſten Kern einer neuen Reichsverfaſſung, dachte dem Bunde ein ſtehendes Heer und in Mainz einen großen Waffenplatz zu ſchaffen: ein Bundestag, nach Mainz berufen, ſollte das Werk der Reichs - reform in Angriff nehmen, den Unwahrheiten des beſtehenden Rechtes herzhaft zu Leibe gehen. Die Ausſichten ſchienen günſtig. Alle Klein - ſtaaten Europas fühlten ſich bedroht durch die abenteuerlichen Eroberungs - pläne der Hofburg und hofften auf Preußen als den Schirmer des Gleich - gewichts. In Piemont und der Schweiz wurde ſchon die Frage erwogen, ob man nicht dem Fürſtenbunde beitreten und ſich alſo gegen Oeſterreich decken ſolle; als Belgien wider die Neuerungen Kaiſer Joſephs die Waffen erhob, tauchte der Vorſchlag auf, auch dies kaiſerliche Kronland als einen ſelbſtändigen Staat in die Reichsaſſociation aufzunehmen.

Underdeſſen war Preußen noch einmal ſelbſtbewußt als die Vormacht Mitteleuropas aufgetreten; der König hatte den glücklichen Gedanken ge - faßt, die von inneren Kämpfen erſchütterte Republik der Niederlande der Herrſchaft der Patriotenpartei das will ſagen: dem Einfluß Frank - reichs zu entreißen. Seine Truppen rückten in Holland ein, trieben in leichtem Siegeszuge die Schaaren der Patrioten auseinander, ſtellten108I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.das Anſehen des Hauſes Oranien wieder her. Jetzt galt es den Sieg auszubeuten, dies blutsverwandte, durch Preußens Waffen wieder ein - geſetzte Herrſcherhaus feſt an das preußiſche Syſtem anzuſchließen. Karl Auguſt rieth, die Republik ſolle dem Fürſtenbunde beitreten und durch regelmäßige Soldzahlungen den Kleinfürſten den Unterhalt eines ſtehen - den Heeres ermöglichen. Doch hier zuerſt zeigte ſich die verhängnißvolle Unbeſtändigkeit des Königs, der keinen ſeiner guten Gedanken bis zum Ende verfolgen mochte. Der Eifer für den Fürſtenbund war längſt im Erkalten; Friedrich Wilhelms weiches Gemüth verehrte die altheiligen Formen der deutſchen Verfaſſung mit reichsfürſtlicher Devotion, eine Re - form an Haupt und Gliedern widerſtrebte ſeiner Pietät. Die Berliner Staatsmänner verhehlten kaum ihre Geringſchätzung gegen den Bund der deutſchen Kleinfürſten, Graf Hertzberg nannte ihn oft das Kreuz der großen Politik. Die Berufung des Bundestags nach Mainz unterblieb, da Sachſen und Hannover böſen Willen zeigten; von den Entwürfen Karl Auguſts kam keiner zur Reife, und ſchon zwei Jahre nach Friedrichs Tode war von der Ausbildung und Befeſtigung des Fürſtenbundes kaum noch die Rede. Die preußiſche Armee räumte die Niederlande, und die leicht - ſinnige Großmuth des Königs erließ dem reichen Nachbarvolke den Erſatz der Kriegskoſten. Das ſo glänzend begonnene Unternehmen ſchloß mit einer diplomatiſchen Niederlage. Nicht Preußen, ſondern England gewann im Haag die Oberhand, das alte Bündniß der beiden Seemächte ſtellte ſich wieder her. Mehr als ſechs Millionen Thaler waren zwecklos ver - ſchleudert; ſeitdem begannen die verderblichen Geldverlegenheiten dieſer Regierung. Im Heere aber nahm nach den unblutigen holländiſchen Triumphen ein gefährlicher Dünkel überhand; mit grenzenloſer Verachtung ſah der Berufsſoldat auf jede Volksbewaffnung herab.

Noch war die wunderbare Gunſt des Glückes nicht erſchöpft. Aber - mals bot ſich dem Könige die Gelegenheit, ſeine Machtſtellung in Deutſch - land und Europa zugleich zu verſtärken. Kaiſer Joſeph konnte die Nieder - lagen der ſchleſiſchen und bairiſchen Kriege nicht verwinden. Beherrſcht von dem leidenſchaftlichen Verlangen die Ehre ſeines Hauſes an dem preußiſchen Gegner zu rächen, ſeine Uebermacht im Reiche wiederherzu - ſtellen, gab er die Intereſſen Oeſterreichs im Oriente preis; er verſtän - digte ſich mit Rußland und ging auf die byzantiniſchen Pläne Katharinas ein, gegen die Zuſage großer Gebietserweiterungen in Baiern, in Italien, in den türkiſchen Grenzlanden. Während nun die Heere der beiden Kaiſer - mächte an der Donau einen mühſeligen Feldzug gegen die Osmanen be - gannen, erwachte in den öſterreichiſchen Erblanden überall der Widerſtand gegen die haſtigen Reformen, die gewaltſamen Centraliſationsverſuche des Kaiſers: Belgien war in offenem Aufſtande, die Magyaren ſo tief ver - ſtimmt, daß bereits Sendboten des unzufriedenen Adels den König von Preußen baten ihnen einen neuen Ungarnkönig vorzuſchlagen. Alle Cabi -109Die Kriſis von 1790.nette geriethen in Aufruhr, da die ungeheuerlichen Vergrößerungspläne der Kaiſerhöfe an den Tag kamen. König Friedrich Wilhelm ſchloß mit den Seemächten einen Dreibund zur Wahrung des Beſitzſtandes im Oriente; Schweden hatte ſchon den Krieg gegen Rußland eröffnet; auch die Polen dachten an eine Schilderhebung wider die Czarin, traten mit Preußen in Bündniß. Frankreich, das noch von den Zeiten Choiſeuls her mit Oeſterreich verbündet war, ſah ſich durch den Ausbruch der Re - volution an jeder kühnen auswärtigen Politik verhindert; der Berliner Hof begrüßte die Anfänge der großen Umwälzung mit Freuden, weil ſie den Beſtand der öſterreichiſch-franzöſiſchen Allianz gefährdete; ſeine Diplo - maten ſorgten dafür, Pétion und andere Wortführer der Nationalverſamm - lung bei friedlicher Stimmung zu halten. Noch nie war die Lage der Welt ſo verlockend geweſen für einen Waffengang wider Oeſterreich; wenn das preußiſche Heer, das ſich an der ſchleſiſchen Grenze verſammelte, den Stoß ins Herz der öſterreichiſchen Macht wagte, ſo ſtand ihm auf der Straße nach Wien nirgends eine ebenbürtige Truppenmaſſe gegenüber, faſt die geſammte Streitkraft des Kaiſers weilte ferne im Türkenkriege. Jetzt oder niemals war der Augenblick, den deutſchen Dualismus mit dem Schwerte zu löſen und, wie einſt Friedrich, in ſtolzer Freiheit, mitten hindurch zwiſchen Feinden und halben Freunden, die Schickſalsfrage zu ſtellen: Preußen oder Oeſterreich?

Aber weder der König noch ſein Miniſter Hertzberg erkannte ganz, was der große Augenblick für Deutſchlands Zukunft bedeutete. Dieſer geiſtreiche Mann, ein ſtolzer Preuße voll glühender Vaterlandsliebe, ganz erfüllt von der Ueberzeugung, daß der unverſöhnliche Gegenſatz der beiden deutſchen Großmächte in einer geographiſchen Nothwendigkeit begründet ſei, war dem alten Könige ein unſchätzbar treuer und geſchickter Helfer ge - weſen, gleich thätig als Publiciſt wie als Unterhändler bei allen diplo - matiſchen Verhandlungen vom Beginne des ſiebenjährigen Krieges bis herab zur Stiftung des Fürſtenbundes; die fridericianiſche Politik in ihrer einfachen Großheit ſelbſtändig weiter zu führen vermochte er nicht. Er fühlte ſich ſelbſtgefällig als den rechten Erben des großen Königs und des alten kraftvollen brandenburgiſchen Syſtems , als den gewiegteſten Kenner aller Machtverhältniſſe des Welttheils; ſo lange er das Ruder führte, ſollte kein Fehler möglich ſein und Preußen immerdar die erſte Rolle in Europa ſpielen. Statt der einfachen Pläne, welche der alte Held mit rückſichtsloſer Offenheit verfolgte, liebte ſein Schüler geſuchte, künſt - liche Combinationen zur Wahrung des europäiſchen Gleichgewichts auszu - klügeln; während Friedrich allezeit der nüchternen Meinung blieb, daß Preußen auf der weiten Welt nur offene und verſteckte Feinde habe, baute Hertzberg mit unbeirrtem Dünkel auf die ſiegreiche Macht ſeiner Beweis - gründe. Jetzt wähnte er den unfehlbaren Weg zur Beilegung der orien - taliſchen Händel gefunden zu haben: die Abtretung der nördlichen Pro -110I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.vinzen der Türkei ſollte die Mittel gewähren für eine weitumfaſſende Ländervertauſchung in Oſteuropa, welche ſämmtliche Mächte des Oſtens mit Freuden ergreifen würden; dem preußiſchen Vermittler war die Er - werbung von Schwediſch-Pommern, Danzig und Thorn, Kaliſch und Poſen zugedacht, kurz die Ausfüllung der Lücken in ſeiner Nord - und Oſtgrenze, und dies Alles ohne daß er das Schwert zu ziehen brauchte, allein durch die Zauberkraft der diplomatiſchen Federn!

Der überfeine Plan ſtieß ſofort auf den Widerſpruch der preußiſchen Bundesgenoſſen ſelber: der König erfuhr wie einſt ſein Oheim die Un - treue der engliſchen Freundſchaft. Die Seemächte ſcheuten den offenen Bruch mit den Kaiſerhöfen weil ſie den ergiebigen ruſſiſchen Handel zu verlieren fürchteten; darum hatte England im ſiebenjährigen Kriege die einzige für Preußen werthvolle Bundeshilfe, die Abſendung einer ſtarken Flotte in die Oſtſee, verweigert, und noch weit weniger mochte der eng - liſche Handelsneid jetzt eine Politik unterſtützen, die dem preußiſchen Staate die Einverleibung des Danziger Hafens bringen ſollte. Auch der Hoch - muth der Polen widerſtrebte dieſer Abtretung, welche vielleicht den Fort - beſtand der polniſchen Republik noch hätte retten können. Die Pforte endlich wollte von einer Verkleinerung ihres Gebietes nichts hören. In ſolcher Verlegenheit ſetzte Preußen ſeine Forderungen herab und ver - langte nur die Wiederherſtellung des Beſitzſtandes im Oriente. Auch jetzt noch konnten die Verhandlungen die entſcheidende Abrechnung mit Oeſter - reich herbeiführen, wenn man ſie alſo verſchärfte, daß die Hofburg den Krieg annehmen mußte. Eben dies verſäumte Hertzberg, während der König mit richtigem Gefühle eine Entſcheidung durch die Waffen ver - langte. Inmitten dieſer gewaltigen Verwicklung ſtarb Kaiſer Joſeph, und nun rächte ſich die hochmüthige Geringſchätzung, welche Hertzberg dem Fürſtenbunde erwieſen. Der Bund war bereits dermaßen geſchwächt, die Geſinnung der kleinen Höfe ſo unſicher, daß die große Frage der Kaiſer - wahl kaum noch als eine Frage erſchien. König Friedrich Wilhelm be - ruhigte ſich bei der Erwägung, daß ſein Oheim ſelber die Erwerbung der Kaiſerwürde für ſein Haus nicht gewünſcht hatte, und bot unbedenk - lich dem Nachfolger Joſephs, Leopold II. die Kaiſerwürde an, als dieſer ihm mit nachgiebigen Erklärungen entgegenkam. Er war zufrieden mit einem halben Siege und ſchloß am 26. Juli 1790 den unſeligen Reichen - bacher Vertrag, der einfach den Beſitzſtand vor dem orientaliſchen Kriege wiederherſtellte.

Wohl war es ein Erfolg, daß Preußens Drohungen das Haus Loth - ringen zwangen das eroberte Belgrad wieder herauszugeben, den mit aus - ſchweifenden Hoffnungen und großem Aufwande unternommenen Türken - krieg ruhmlos zu beendigen. Und doch wußte Leopold wohl, warum er froh aufathmend ſchrieb: Es iſt der am wenigſten ſchlechte Friede, den wir ſchließen konnten. Der Tod Joſephs II. wurde für Preußens deutſche111Vertrag von Reichenbach.Politik ebenſo unheilvoll wie einſt der Tod Karls VII. Joſephs kluger Nachfolger rettete die Machtſtellung Oeſterreichs im Reiche, indem er die orientaliſchen Pläne ſeines Bruders aufgab; er empfing ſo geſtand er ſelber die Kaiſerkrone ohne jede Bedingung als ein großmüthiges Geſchenk aus der Hand des Königs von Preußen. Oeſterreichs diplo - matiſche Niederlage gereichte allein der Türkei und den Seemächten zum Vortheil; die Pforte wurde durch Preußens Dazwiſchentreten von einem gefährlichen Gegner befreit, die hartconſervative orientaliſche Politik Eng - lands verdankte der Ueberklugheit Hertzbergs einen leichten Triumph. Der Berliner Hof aber ſah binnen Kurzem die Lage der Welt zu ſeinem Nach - theil verändert. Die aufſäſſigen Kronlande wurden durch Leopolds ge - wandte Nachgiebigkeit zum Gehorſam zurückgeführt, durch ſeine floren - tiniſche Geheimpolizei in Ruhe gehalten; in Polen errang Oeſterreich bald beherrſchenden Einfluß; Schweden ſchloß einen nachtheiligen Frieden mit Rußland; England verſagte offen ſeine Mitwirkung zu Hertzbergs polni - ſchen Plänen. Und vor Allem, der Reichenbacher Vertrag war der Tod des Fürſtenbundes, war das Ende der deutſchen Politik des großen Königs. Die kleinen Fürſten traten jetzt, da ſie in Berlin den ſtolzen, gebieteriſchen Willen vermißten und von Leopolds Mäßigung nichts mehr zu fürchten hatten, einer nach dem andern in ihre natürliche Parteiſtellung zurück; ſie verſöhnten ſich mit Oeſterreich, der Fürſtenbund verſchwand ſpurlos, nicht einmal eine ernſtliche Reform der Wahlcapitulation ließ ſich erreichen.

Die letzte günſtige Stunde, da Preußen die heilloſe Wirrniß der Reichspolitik vielleicht noch lichten konnte, war unwiederbringlich verloren; führerlos ſchwankte das unförmliche deutſche Gemeinweſen der Vernich - tung durch fremde Gewalt entgegen. Karl Auguſt klagte bitter über den Schlummergeiſt der Deutſchen, der dies Chaos für das unantaſtbare Ideal einer guten Verfaſſung halte; und derweil im Weſten ſchon das Unwetter heraufzog, das die geſammten alten Formen der europäiſchen Welt zu zerſtören drohte, faßte der wohlmeinende Kurfürſt von Köln die Herzens - wünſche des deutſchen hohen Adels für die Zukunft des Vaterlandes in den Worten zuſammen: Wir brauchen einen friedlichen Kaiſer, der das deutſche Weſen nothdürftig zuſammenhält; aber den Kleinen muß man die Illuſion laſſen, als ob ſie auch an der Maſchine mitzögen. Auch dem Volke fehlte jedes Verſtändniß für den Ernſt der Zeit. Einzelne geiſtreiche Publiciſten, wie Georg Forſter, prieſen den Triumph der preu - ßiſchen Staatskunſt, ihre Unterlaſſungsſünden bemerkte Niemand. Die Maſſe der Nation freute ſich harmlos des wiederhergeſtellten Friedens; als der König während der Reichenbacher Verhandlungen einmal der modiſchen Naturſchwärmerei ſeinen Zoll zahlte und den Gipfel der Heu - ſcheuer erkletterte, da errichteten ihm die treuen Schleſier droben auf dem Grenzgebirge ein Denkmal voll warmer Dankesworte: Den Frieden wahrt ſein ſichrer Schild!

112I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Es war die nothwendige Folge dieſer kleinmüthigen Friedenswahrung, daß Hertzberg ſchon im nächſten Jahre entlaſſen wurde; wenig glücklich in der Wahl der Mittel, hatte er doch den Grundgedanken der fridericianiſchen Staatskunſt niemals aufgegeben, die ſtolze Unabhängigkeit der preußiſchen Politik von den Befehlen der Hofburg immer zu behaupten geſucht. Mit Biſchoffswerder, der nunmehr das Ohr des Königs gewann, kam eine völlig neue Richtung ans Regiment: die Politik des friedlichen Dualismus. Sie hoffte, in ſchroffem Gegenſatze zu den Anſchauungen der jüngſten glorreichen fünfzig Jahre, durch ein öſterreichiſches Bündniß den Beſtand des Staates, vornehmlich gegen Rußland, zu ſichern; ſie verzichtete auf jeden Gedanken der Reichsreform und dachte in treuem Einvernehmen mit dem Kaiſer - hauſe die deutſchen Dinge zu leiten. Im Frühjahr 1791 begann Biſchoffs - werder die Verhandlungen über das öſterreichiſch-preußiſche Bündniß. Unklarer, unglücklicher konnten ſich Deutſchlands Geſchicke nicht geſtalten. Der Bund der beiden unverſöhnten Feinde war von Haus aus eine Un - wahrheit; es fehlte hüben wie drüben das rückhaltloſe Vertrauen. Die große Mehrzahl der preußiſchen Staatsmänner hing noch feſt an den fridericianiſchen Ueberlieferungen, verfolgte mit wachem Argwohn jeden Schritt des Wiener Cabinets; in der Hofburg hatte man weder die Er - oberung Schleſiens noch die Reichenbacher Demüthigung verziehen und war keineswegs geſonnen, den nordiſchen Emporkömmling als einen gleich - berechtigten Genoſſen zu behandeln. Von allen den großen Machtfragen, welche ſich trennend zwiſchen die beiden Nebenbuhler ſtellten, war keine einzige gelöſt. Das Bündniß zwiſchen Oeſterreich und Rußland blieb vorderhand noch aufrecht, zum Trotz den Reichenbacher Zuſagen. Die reichsfürſtliche Ergebenheit des Königs beirrte den Kaiſer nicht in der alten Ueberzeugung, daß jede Erweiterung der preußiſchen Macht im Reiche ein Unheil für Oeſterreich ſei; der Wiener Hof ſah mit ſchwerer Beſorgniß, wie Preußen die alten Stammlande Ansbach-Baireuth mit der Monarchie vereinigte und alſo zum erſten male im Süden Deutſchlands feſten Fuß faßte, die gefährliche Poſition in der Flanke Böhmens gewann. Noch greller zeigte ſich der Gegenſatz der Intereſſen der beiden Bundesgenoſſen in der polniſchen Frage.

Beide Mächte wünſchten die polniſche Adelsrepublik aufrecht zu halten als ein Bollwerk gegen Katharinas raſtlos ausgreifende Eroberungspolitik. Die mechaniſche Staatsauffaſſung der Zeit gefiel ſich in Künſteleien; durch ein erklügeltes Syſtem des Gleichgewichts, durch willkürlich gebildete Klein - ſtaaten, die man als Polſterkiſſen zwiſchen die großen Mächte einſchob, meinte ſie den Frieden zu ſichern, den nur die innere Geſundheit lebens - kräftiger nationaler Staaten verbürgen konnte. Weder in Wien noch in Berlin war man zu der Erkenntniß gelangt, daß dieſer Staat des zucht - loſen Junkerthums nicht mehr leben konnte, daß die polniſche Freiheit nichts anderes war als die Fremdherrſchaft ſarmatiſcher Magnaten und113Die polniſche Verfaſſung von 1791.Slachtizen über Millionen ſlaviſcher, litthauiſcher, deutſcher, jüdiſcher, wallachiſcher Unterthanen, die mit ihren grauſamen Herren kein Recht und kein Gefühl gemein hatten. Oeſterreich, dem katholiſchen Adelsſtaate innerlich verwandt und ſeit Jahrhunderten beſtändig mit ihm verbündet, konnte von einer neuen Theilung keinen weſentlichen Gewinn mehr er - warten und hoffte vielmehr in einem erſtarkten polniſchen Reiche eine Deckung zugleich gegen Rußland und gegen Preußen zu finden. Der preußiſche Staat dagegen war im Kampfe wider den ſarmatiſchen Nachbarn aufgewachſen und hatte von dem Wiederaufleben der polniſchen Macht eine ſchwere Gefährdung ſeiner deutſchen Weichſellande zu befürchten. Er durfte ſich bei dem Ergebniß der erſten Theilung nur dann beruhigen, wenn Polen eine unſchädliche Mittelmacht blieb und mindeſtens Thorn und Danzig mit Weſtpreußen vereinigt wurden; es war unmöglich, die beiden wichtigſten Plätze des deutſchen Weichſelthales jetzt, da ſie rings von preußiſchem Gebiete umſchloſſen waren, noch auf die Dauer in den Händen eines fremden Eroberers zu laſſen, der ſeinen alten Raub nicht mehr zu behaupten vermochte. Alle Erwägungen der Klugheit drängten die polniſchen Großen, die Freundſchaft Preußens durch nachgiebiges Ent - gegenkommen zu gewinnen. Aber ſelbſt die furchtbare Erfahrung des Jahres 1772 hatte den kopfloſen Uebermuth dieſes Adels nicht zur Be - ſinnung gebracht. Nach wie vor zerfleiſchte ſich das unſelige Volk in wüthenden Parteikämpfen; in Warſchau blieb die Hoffnung unverloren den weißen Adler dereinſt noch auf der Grünen Brücke von Königsberg aufzurichten.

Nach einem kurzen Verſuche der Annäherung zeigte ſich die pol - niſche Politik dem weſtlichen Nachbarn wieder entſchieden feindſelig; der alte Todhaß gegen die Deutſchen, die Proteſtanten, die Eroberer der Weichſelmündung brach wieder aus. Der Staatsſtreich einer ſiegreichen Partei legte dem Lande am 3. Mai 1791 eine neue Verfaſſung auf, die in Preußen als eine Kriegserklärung gelten mußte: die polniſche Krone wurde mit verſtärkter Macht ausgeſtattet und dem albertiniſchen Hauſe erblich übertragen. Jene unnatürliche Verbindung zwiſchen Sachſen und Polen, die ſchon einmal lange Jahrzehnte hindurch, wie Friedrich Wilhelm I. zu ſagen pflegte, den preußiſchen Staat in einen Käficht geſperrt hatte, ſollte alſo für alle Zukunft ſich erneuern; eine ſlaviſch-katholiſche Macht, zweimal ſo volkreich als Preußen ſelber, dem deutſchen Norden verfeindet durch Volksthum, Glauben und uralte Erinnerungen, beherrſcht von einem Fürſtenhauſe, das unfehlbar dem Einfluß des römiſchen Nuntius und des öſterreichiſchen Geſandten verfallen mußte, drohte bis in die Mitte Deutſchlands vorzudringen, den preußiſchen Staat im Süden wie im Oſten zu umklammern. Und dieſer Plan, der das Daſein der preußiſchen Großmacht, die geſammte Arbeit der Hohenzollern ſeit dem großen Kur - fürſten wieder in Frage ſtellte, fand eifrige Förderung bei Kaiſer Leopold,Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 8114I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dem Verbündeten des Königs von Preußen. Wenn der König in einer Wallung großmüthiger Laune die neue polniſche Verfaſſung gebilligt hatte, ſo mußte doch bald der Augenblick kommen da er ſeinen Irrthum einſah und erkannte, daß die Politik der Hofburg dem preußiſchen Intereſſe in Polen ebenſo feindlich war wie in Deutſchland.

So ſtand es: die Verfaſſung des heiligen Reichs unheilbar zerrüttet, jede Möglichkeit einer Reform von innen heraus verloren, die beiden führenden Mächte ſcheinbar verbündet, aber durch alten Groll und ſtreitige Intereſſen ſchärfer denn jemals geſchieden. In ſolcher Lage wurde Deutſch - land von jener elementariſchen Bewegung berührt, die das alte Frankreich in ſeinen Tiefen erſchütterte. Goethe hat uns geſchildert, wie dies un - ſchuldige, für jede Großthat des Auslands neidlos empfängliche Geſchlecht aufjubelte als ſich der erſte Glanz der neuen Sonne heranhob, als man hörte vom Rechte des Menſchen, das Allen gemein ſei . Der frohe Glaube an den unendlichen Fortſchritt der Menſchheit, dieſer Lieblingsgedanke des philoſophiſchen Jahrhunderts, ſchien jetzt Recht zu behalten, da das Höchſte, was der Menſch ſich denkt, als nah und erreichbar ſich zeigte . Der äſthetiſche Freiheitsdrang der jungen Dichter berauſchte ſich ſchon längſt an dem Ideale der freien Perſönlichkeit, die alles Zwanges ledig allein der Stimme des eigenen Herzens folgen ſollte. Genialiſches Belieben rüttelte an jeder überlieferten Sitte, ſelbſt an dem Bande der häuslichen Treue; Ehebruch und leichtfertige Scheidung nahmen in den Kreiſen der Schöngeiſter bedenklich überhand, durften auf die lächelnde Nachſicht aller freien Köpfe zählen. Und nun, ſeit der Nacht des vierten Auguſt, erſchien auch die verhaßte Zwangsanſtalt des Staates nur noch wie ein Gebilde menſchlicher Willkür, wie weicher Thon, den der Wille freier Männer jederzeit in neue Formen kneten konnte. Die Künſtlerſehnſucht nach Frei - heit vom Staate ſah ihre liebſten Träume überſchwänglich erfüllt durch die Erklärung der Menſchenrechte; nach der Freiheit im Staate zu ſuchen, nach den Pflichten zu fragen, welche den Bürger an das Gemeinweſen binden, lag der äſthetiſchen Weltanſchauung dieſes Geſchlechtes fern. Die einzige der beſtehenden politiſchen Einrichtungen, welche in den literariſchen Kreiſen leidenſchaftlichen Unwillen erregte, war die rechtliche Ungleichheit der Stände; ſie ward um ſo bitterer empfunden, da ſie in dem freien geſelligen Verkehre der gebildeten Klaſſen thatſächlich längſt überwunden war. Welches Entzücken nun, da Frankreich die Gleichheit Alles deſſen was Menſchenangeſicht trägt verkündigte, da die Weiſſagungen Rouſſeaus, der wie kein anderer Franzoſe dem ſchwärmeriſchen Idealismus der deutſchen Jugend zum Herzen ſprach, ſich zu verwirklichen ſchienen. Alle Herzens - neigungen der Zeit, der edle Drang nach Anerkennung der Menſchen - würde und der himmelſtürmende Trotz des ſouveränen Ich, fanden ſich be - friedigt durch den vermeſſenen Trugſchluß des Genfer Philoſophen, daß im Zuſtande der vollkommenen Gleichheit jeder Menſch nur ſich ſelber gehorche.

115Eindruck der Revolution in Deutſchland.

Die Sünden der Revolution erſchienen den harmloſen deutſchen Zu - ſchauern kaum minder verführeriſch als ihre Größe. Der an Plutarchs Heldengeſchichten geſchulte Geſchmack begeiſterte ſich treuherzig für das geſpreizte Catonenthum der neuen Freiheitsapoſtel, die unhiſtoriſchen Ab - ſtractionen ihrer Staatslehre entſprachen der philoſophiſchen Selbſtgefällig - keit des Zeitalters. Die ſchwärmeriſche Jugend, der noch die Kraftworte des Räubers Moor im Ohre klangen, fühlte ſich hingeriſſen von dem rhetoriſchen Pathos der Franzoſen, bewunderte arglos die republikaniſche Tugend der Girondiſten zur ſelben Zeit, da dieſe Partei in frevel - haftem Leichtſinn den Krieg gegen Deutſchland anſtiftete. Die romantiſche Verherrlichung des alten Kaiſerthums, die während der letzten Jahre unter den ſchwäbiſchen Poeten in Schwung gekommen war, verſtummte jetzt gänzlich. Der alte Barde Klopſtock ſelber wendete ſeine Blicke von den cheruskiſchen Eichenhainen hinweg nach der neuen Hauptſtadt der Welt, beſang den hundertarmigen, hundertäugigen Rieſen und rief: Hätt ich hundert Stimmen, ich feierte Galliens Freiheit nicht mit er - reichendem Ton, ſänge die göttliche ſchwach. Weltbürgerliche Freiheits - begeiſterung träumte von der Verbrüderung aller Völker, lärmte in Vers und Proſa gegen Tyrannen und Sklaven: Ketten raſſeln ihnen Silber - ton! In Hamburg und mehreren anderen Städten wurde am Jahres - tage des Baſtilleſturmes das Feſt der Brüderlichkeit gefeiert und der Freiheitsbaum aufgerichtet; der ganze Kreis, der ſich um Klopſtock ſchaarte Hennings, der Herausgeber des Genius der Zeit, Frau Reimarus und die Stolberge ſchwelgten im Rauſche des ſeligen Völkerglücks. Campe und die anderen Anhänger der neuen humanen Erziehungslehren ſahen mit Freude, wie die überbildete Welt wieder zurückzukehren ſchien zu der Unſchuld urſprünglicher Menſchheit. Für Oberdeutſchland wurde Straßburg der Heerd der revolutionären Ideen; dorthin wallfahrteten die jungen Brauſeköpfe aus Schwaben um das neufränkiſche Evangelium kennen zu lernen. Bei den herkömmlichen Straßenaufläufen der Stu - denten ließen ſich in Tübingen, Mainz und Jena zuweilen politiſche Rufe vernehmen; da und dort kam es zu wilden Raufhändeln mit den Emi - granten, der Hochmuth und die Unzucht dieſer Landesverräther ſchienen jede Gewaltthat der Revolution zu rechtfertigen. Selbſt in Berlin ſah man vornehme Frauen mit dreifarbigen Bändern geſchmückt, und der Rector des Joachimsthaler Gymnaſiums pries am Geburtstage des Königs in feierlicher Amtsrede die Herrlichkeit der Revolution, unter lebhaftem Beifall des Miniſters Hertzberg.

Unter den Führern der Nation wurde Keiner von der großen Be - wegung des Nachbarlandes tiefer ergriffen als der alte Kant. Der war in ſeiner ſtillen Weiſe auch der politiſchen Gedankenarbeit des Zeitalters wachſam nachgegangen, namentlich mit Rouſſeau und Adam Smith tief vertraut geworden und brachte nun den metaphyſiſchen Freiheitskämpfen8*116I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.des Jahrhunderts den wiſſenſchaftlichen Abſchluß durch die großen Sätze: in jedem Menſchen ſei die Würde des ganzen Geſchlechts zu ehren, kein Menſch dürfe blos als ein Mittel benutzt werden. Was er alſo in ein - ſamen Nachdenken gefunden, ſah er jetzt verwirklicht durch die Thaten der Franzoſen, und da er in ſeinem heiteren Stillleben von den dämo - niſchen Kräften des keltiſchen Volksthums gar nichts ahnte, ſo ließ er ſich in der Bewunderung der Revolution auch durch die Gräuel der Schreckens - herrſchaft nicht ſtören, denn ſelbſt die Blutmenſchen der Guillotine be - riefen ſich auf das Recht der Idee. In Kants Schule iſt der echte und wahre Gehalt der Gedanken des Revolutionszeitalters am treueſten be - wahrt worden.

Doch dieſe Begeiſterung der deutſchen gebildeten Welt für das re - volutionäre Frankreich war und blieb rein theoretiſch. Wie die Staats - rechtslehrer von Göttingen und Halle in dem allgemeinen Theile ihrer Vorleſungen aus der Idee heraus ein Syſtem des Vernunftrechts auf - bauten um dann im beſonderen Theile gleichmüthig das genaue Gegen - theil des Vernunftſtaats, das Labyrinth der deutſchen Reichsverfaſſung darzuſtellen, ſo legten ſich auch die deutſchen Bewunderer der Revolution niemals die Frage vor, wie ihre Gedanken Fleiſch und Blut gewinnen ſollten. Der Weiſe von Königsberg verwarf hart und unbedingt jedes Recht des Widerſtandes. Selbſt Fichte, der radicalſte ſeiner Schüler, der noch in den Tagen Robespierres die franzöſiſche Freiheit zu vertheidigen wagte, warnte eindringlich vor der Ausführung ſeiner eigenen Gedanken; er ſah keine Brücke zwiſchen der ebenen Heerſtraße des Naturrechts und den finſtern Hohlwegen einer halbbarbariſchen Politik und ſchloß entſagend: Würdigkeit zur Freiheit kann nur von unten herauf kommen, die Befreiung kann ohne Unordnung nur von oben herunter kommen. So lange die Schläge der Revolution nur den Adel und die alte Kirche trafen, hielt die theoretiſche Begeiſterung der Deutſchen Stand; man glaubte arglos, daß die Jacobiner lediglich in gerechter Nothwehr eine Rotte gefährlicher Verſchwörer bekämpften, und wer fiel hatte unrecht . Aber als der Parteikampf immer wüſter und roher dahinraſte, als die fanatiſche Gleichheitswuth ſich vermaß ſelbſt die letzte Ariſtokratie, die des Lebens, zu vernichten, da vermochte der treue und ſchwere deutſche Sinn den launiſchen Zuckungen der galliſchen Leidenſchaft nicht mehr zu folgen. Der deutſche Schwärmer kehrte ſich weinend ab von den Barbaren, die ihm ſein Heiligthum geſchändet. Klopſtock klagte: Ach des goldenen Traums Wonn iſt dahin. Man war erſchreckt und entrüſtet. Das Gefühl kalter Verachtung, das die Gräuel der Schreckenszeit in einer politiſch reifen Nation erregen mußten, kam bei der deutſchen Gutherzigkeit nicht auf; ſie bemerkte nicht, daß die Maſſenmorde des Wohlfahrtsausſchuſſes von einer winzigen Minderheit einem ſklaviſch gehorchenden Volke auferlegt wurden. Die Enttäuſchten ſanken zurück in die alte politiſche Gleich -117F. Gentz.giltigkeit und wandten ihre ganze Thatkraft wieder auf die Arbeit der Kunſt und Wiſſenſchaft. Es war der großen Mehrzahl der Gebildeten aus der Seele geſprochen, wenn Goethe das Franzthum anklagte, das heute, wie einſt das Lutherthum, die ruhige Bildung ſtöre, wenn Schiller ſeine Horen mit den Worten ankündigte: der Dichter und Philoſoph ge - höre dem Leibe nach ſeiner Zeit an, weil er es müſſe, dem Geiſte nach ſei er der Zeitgenoſſe aller Zeiten.

Das bedeutendſte literariſche Werk, das in Deutſchland durch die Revolution veranlaßt wurde, kam aus dem gegneriſchen Lager. Es konnte nicht fehlen, daß die conſervativen Kräfte zur Abwehr der revolutionären Ideen ſich zuſammenſchaarten. Unter den preußiſchen Offizieren erregte vor Allem der Eidbruch der franzöſiſchen Truppen tiefe Entrüſtung; es bildete ſich ein royaliſtiſcher Verein, der ſeinen Genoſſen die Heiligkeit des Fahneneides einſchärfte. Brandes und Rehberg ſchrieben im Sinne der alten Geſellſchaft, wohlmeinend und ſachkundig, doch ohne Kraft und Tiefſinn; Spittler beurtheilte Segen und Unſegen der gewaltigen Bewegung mit der unparteiiſchen Sicherheit des Hiſtorikers. Der Scharfblick des Hauptmanns Gneiſenau fand ſchon im Jahre 1790 die Franzoſen reif zur Knechtſchaft und ſah voraus, daß eine Umwälzung ohne gleichen die Grenzen aller Länder bedrohe. Länger währte es, bis Friedrich Gentz über die Zeichen der Zeit ins Reine kam. Noch im April 1791 wollte er Burkes Anklagen wider die Revolution nicht gelten laſſen; anderthalb Jahre ſpäter überſetzte er ſelber das Buch des Briten und fügte jene köſtlichen Abhandlungen hinzu, die einen Wendepunkt in der Geſchichte unſerer politiſchen Bildung bezeichnen. Hier zuerſt ward erkennbar, daß die große Zeit unſerer Literatur auch das politiſche Denken der Nation zu verjüngen und zu läutern beſtimmt war. Ein Jünger der neuen Bildung, ausgerüſtet mit dem Gedankenreichthum der Kantiſchen Philo - ſophie und dem reinen Formenſinne der claſſiſchen Dichtung, bewährte zum erſten male jene Kraft der productiven Kritik, welcher die Kunſt und Wiſſenſchaft ein neues Leben dankten, nicht in abſtracten naturrecht - lichen Speculationen, ſondern in der Beurtheilung der lebendigen That - ſachen der Zeitgeſchichte; er verſtand das Wirkliche zu ſehen, in den un - fertigen Gebilden des Augenblicks ſchon die Umriſſe zukünftiger Geſtaltung zu erkennen. Mit einer Macht und Fülle der Sprache, wie ſie Deutſch - land bisher nur an ſeinen Dichtern kannte, geißelte er die Thorheit, die in Horden geht, und weiſſagte: Frankreich wird von Fall zu Fall, von Kataſtrophe zu Kataſtrophe ſchreiten. Wohl ließ ſich bereits errathen, daß die Charakterſtärke dieſes erſten Publiciſten der Epoche ſeinem Talente nicht entſprach; ſein Haß gegen die Revolution war nicht frei von nervöſer Aengſtlichkeit, er zitterte vor dem Uebermaße des Wiſſens, vor dieſem wilden Jahrhundert, das anfängt des Zügels zu bedürfen . Dennoch hoben ſich aus ſeiner Schrift ſcharf und klar die Grundgedanken einer118I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.neuen, lebensvollen Staatsanſchauung heraus, die mit dem erwachenden hiſtoriſchen Sinne der deutſchen Wiſſenſchaft feſt zuſammenhing. Dem weltbürgerlichen Radicalismus der Revolution trat eine hiſtoriſche Staats - lehre entgegen; ſie bekämpfte den ſelbſtgefälligen Wahn ſeichter Köpfe, welche die überwundene Grille einer alleinſeligmachenden Kirche in die Politik einzuführen, die reiche Mannichfaltigkeit nationaler Staats - und Rechtsbildung durch einen Katechismus naturrechtlicher Gemeinplätze zu verdrängen gedächten; ſie widerlegte den Aberglauben an die Vernunft der Mehrheit durch den ſchneidigen Satz: nicht die Mehrheitsherrſchaft, ſondern das liberum veto ſei natürlichen Rechtens; ſie vertheidigte die Macht des Staates wider den zügelloſen Individualismus des Zeitalters und hielt der Begehrlichkeit des ſouveränen Ich die tiefe Wahrheit ent - gegen: politiſche Freiheit iſt politiſch beſchränkte Freiheit.

Lange Jahre voll ſchwerer Erfahrungen ſollten noch vergehen, bis die Gebildeten der Nation dieſe Sprache verſtehen lernten. Vorläufig ließ man ſich in ſeiner Ruheſeligkeit nicht ſtören, und noch weniger war in den niederen Schichten des Volks irgendwelche gefährliche politiſche Aufregung zu bemerken. Deutſchlands Unheil lag in der Kleinſtaaterei und der Fäulniß der Reichsverfaſſung; und wie hätte der ſtillvergnügte Par - ticularismus der Maſſen dieſe Grundſchäden des deutſchen Lebens erkennen ſollen? Die inneren Zuſtände der größeren weltlichen Staaten, ſoweit ſie der Geiſt des fridericianiſchen Zeitalters berührt hatte, boten zu leiden - ſchaftlichem Unwillen keinen Anlaß. Viele der politiſchen Gedanken, welche die Halbbildung heutzutage als Ideen von 89 zu feiern pflegt, waren in Preußen längſt durchgeführt oder der Verwirklichung nahe: die Ge - wiſſensfreiheit beſtand von Altersher, desgleichen eine wenig beſchränkte Freiheit der Preſſe, die Kirchen waren im evangeliſchen Norden faſt überall der Hoheit des Staates untergeordnet und ihre Güter ſeculariſirt; eine wohlmeinende landesherrliche Verwaltung ſetzte den Herrenrechten des Adels enge Schranken, und was noch aufrecht ſtand von den Ueberreſten einer überlebten Geſellſchaftsordnung konnte durch einen feſten reforma - toriſchen Willen friedlich beſeitigt werden. Nur in den Kleinſtaaten, die der Gerechtigkeit der Monarchie entbehrten, fanden die Sünden der alt - franzöſiſchen Adelsherrſchaft ein Gegenbild. Dort im ſtiftiſchen Deutſch - land blühte noch die katholiſche Glaubenseinheit und die Hoffart adlicher Domcapitel, in den Reichsſtädten waltete die Trägheit und die Corruption altbürgerlicher Vetterſchaft, in den Territorien der Fürſten, Grafen und Reichsritter die Willkür kleiner Winkeltyrannen; das ganze Daſein dieſer verderbten und verknöcherten Staatsgewalten war ein Hohn auf die Ideen des Jahrhunderts.

Faſt allein in dieſen winzigſten Gebieten des Reichs ließ ſich, da aus Frankreich die frohe Kunde der großen Bauernbefreiung kam, eine leiſe Gährung im Volke verſpüren. Es geſchah, daß die Aebtiſſin von119Drohende Verwicklung mit Frankreich.Herrenalb durch ihre Unterthanen aus dem Lande gejagt, ihrer Genoſſin in Elten der Eid verweigert wurde. Kleine Bauernunruhen brachen aus im Trierſchen, in den Herrſchaften einiger Reichsritter und vor Allem in Speyer, dem verrufenſten der deutſchen Bisthümer, wo ſeit den Zeiten des Bauernkrieges eine harte Pfaffenherrſchaft ſchaltete und die Geſetztafel für die weltliche Dienerſchaft den Beamten die Erfüllung des Willens des Herrn, ſomit das gemeine Beſte als höchſtes Ziel vorhielt. In Mecklenburg rotteten ſich mißhandelte Fröhner zuſammen und drohten: den Edelmann wille wi dodſlagen. Die armſeligen örtlichen Zänkereien, welche den meiſten Reichsſtädten die Würze des Lebens bildeten, zeigten neuerdings einen ungewohnt gehäſſigen Ton; die Sprache gegen die Obrig - keit ward etwas lauter und ſchärfer; die geiſtlichen Fürſten den Rhein entlang erließen ſchon in ihrer Herzensangſt geſtrenge Strafmandate wider die Aufſäſſigkeit der Unterthanen.

Das Alles bedeutete wenig; der politiſche Schlummer war in Wahr - heit nirgends im Reiche ſo tief wie hier, auch die literariſche Bewegung des evangeliſchen Deutſchlands hatte das verkommene Völkchen der Krumm - ſtabslande noch kaum berührt. Aber wenn ein Umſturz von unten her nicht drohte, wenn ſelbſt Forſter in den Tagen ſeiner radicalen Schwärmerei geſtehen mußte, dies Deutſchland ſei für eine Revolution nicht reif, ſo fehlte doch dem halt - und waffenloſen Kleinſtaatenthum auch jede Kraft des Widerſtands gegen fremde Gewalt. Die erſtorbenen Glieder des Reichs waren Frankreichs Nachbarn, ſeit zwei Jahrhunderten gewohnt den Macht - geboten des Verſailler Hofes ſich zu beugen; ſie lagen im Gemenge mit den Gebieten der lebenskräftigeren weltlichen Staaten. Verſuchte das revolutionäre Frankreich die alte Herrſcherſtellung der Bourbonen am deutſchen Rhein in neuen Formen gewaltſam herzuſtellen, ſo konnte das ſtiftiſche Deutſchland leicht mit einem Schlage zuſammenbrechen, die letzten Trümmer des heiligen Reichs im Sturze mit ſich niederreißen.

Und ſolche Gefahr drohte ſchon ſeit den erſten, den ſogenannten un - ſchuldigen Tagen der Revolution. Es war die Größe und der Fluch dieſer Bewegung, daß ſie über Frankreichs Grenzen hinausfluthen mußte. Der gräßliche Bauernkrieg des Sommers 1789 und die neuen Geſetze, welche das Ergebniß dieſer Maſſenbewegung anerkannten, verwirklichten nur eine Welt von Wünſchen und Gedanken, welche das ganze Jahrhundert hin - durch über alle Völker des Weſtens ſich verbreitet hatten; was Wunder, daß die franzöſiſche Nation ſich jetzt als das Meſſias-Volk der Freiheit fühlte. Sie ſchrieb den furchtbar plötzlichen Zuſammenbruch des bourbo - niſchen Staates nicht der Thatſache zu, daß die alte Ordnung in Frank - reich noch ungleich verfaulter war als in den Nachbarlanden, ſondern der Ueberlegenheit des franzöſiſchen Genies. Der Unwille über die tief ge - ſunkene europäiſche Machtſtellung des Staates war unter den Urſachen der Revolution nicht die ſchwächſte geweſen; nun, da die Kraft dieſes120I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Volkes ſich ſo herrlich zu bewähren ſchien und das Ausland bewundernd nach der Hauptſtadt der Welt blickte, meinte man ſich berufen der weiten Erde Geſetze zu geben. Die Nation war gewöhnt jedes fremde Recht zu mißachten, ſie wähnte, daß ihre Bildung noch immer der ganzen Welt zum Muſter diene, wie einſt in dem Zeitalter Ludwigs XIV. ; von der neuen eigenartigen Cultur, die in Deutſchland erwacht war, wußte ſie nichts. Schon die Erklärung der Menſchenrechte erhob den anmaßenden Anſpruch allen Völkern als Richtſchnur zu gelten, und Lafayette begrüßte die neue Tricolore mit der Weiſſagung, ſie werde die Runde um den Erdkreis machen. Seitdem wuchs die Macht der revolutionären Propa - ganda; die innere Zerrüttung aller Nachbarlande, Italiens und Spaniens, Hollands und Belgiens, der Schweiz und der deutſchen Kleinſtaaten ver - ſprach ihr leichte Beute. Ein Weltkampf, wie ihn Europa ſeit den Tagen der Religionskriege nicht mehr geſehen, war im Anzuge, wenn alle die gräßliche Fäulniß, die ſich unter der Bourbonenherrſchaft in Frankreich angeſammelt, die Sittenloſigkeit der höheren, die rohe Unwiſſenheit der niederen Stände, und mit ihr zugleich die dämoniſche Macht der Gedanken eines neuen Zeitalters über dieſe wehrloſe Staatenwelt verheerend herein - flutheten.

Bereits war der erſte Schlag gegen die Rechte des deutſchen Reichs gefallen: die Reichsſtände im Elſaß wurden ihrer grundherrlichen Rechte, die Kirchenfürſten ihrer geiſtlichen Güter beraubt, offenkundigen Verträgen zuwider, des Reiches ungefragt. So trat die alte große Machtfrage, die zwiſchen den beiden Nachbarvölkern ſchwebte, der niemals völlig ausge - tragene Kampf um die rheiniſchen Lande in wunderlich verzerrter Geſtalt abermals an Deutſchland heran. Die Nothwendigkeit des Gewaltſtreiches ließ ſich nicht ſchlechthin beſtreiten; Jedermann kannte die troſtloſe Lage jener unglücklichen Elſaſſer Bauern, die zugleich der Krone Frankreich Steuern und den kleinen deutſchen Herren Lehensabgaben zu leiſten hatten; erſt durch dieſe befreiende That der Revolution wurden die Herzen des Land - volks in dem deutſchen Lande ganz für Frankreich gewonnen. Sollte Preußen, ſollten die verſtändigen weltlichen Reichsfürſten, die ſelber mit dem Kirchengute längſt aufgeräumt hatten und bedachtſam an der Be - freiung ihrer Bauern arbeiteten, jetzt mit den Waffen eintreten für die Zehnten der Biſchöfe von Trier und Speyer, für die Herrengerichte der Wurmſer und Leiningen, für dies Gewimmel kleiner Fürſten und Herren, das am Reichstage gehorſam in omnibus sicut Austria ſtimmte und im Norden nur mit Achſelzucken angeſehen wurde? Der Kampf gegen Frank - reich konnte leicht zu einem Principienkriege gegen die Revolution werden, denn der Radicalismus des Krieges duldet keine Mittelſtellung. Die Emi - granten ſchürten und drängten an allen Höfen; fuhr das Schwert aus der Scheide, ſo lag die Gefahr nahe, daß dieſe geſchworenen Feinde der Revolution die Oberhand gewannen und die deutſchen Mächte fortriſſen121Pläne Katharinas II. zu dem thörichten Unternehmen einer Wiederherſtellung der altbourbo - niſchen Zuſtände. Aber die Privilegien der Elſaſſer Reichsſtände bildeten zugleich das einzige ſtaatsrechtliche Band, das die avulsa imperii noch mit dem heiligen Reiche verkettete; ſie bedingungslos der Souveränität der Pariſer Nationalverſammlung unterordnen hieß die letzten Anſprüche des Reichs auf das Elſaß preisgeben; und ſo tief war der deutſche Staat noch nicht geſunken, daß er das Werk Ludwigs XIV. freiwillig hätte zum Abſchluß bringen ſollen eben jetzt da Frankreich zwar in lärmenden Drohungen ſich erging, doch weder Geldmittel noch ein ſchlagfertiges Heer beſaß.

Alſo zogen im Weſten wie im Oſten drohende Wolken herauf, und längſt ſtand eine große Feindin Deutſchlands auf der Lauer und berechnete die Stunde, da beide Unwetter zugleich über unſerem Vaterlande ſich entladen, da der Untergang Polens und der franzöſiſche Krieg, gleichzeitig hereinbrechend, die deutſchen Großmächte völlig lähmen würden. Kaiſerin Katharina trug es dem preußiſchen Hofe in gekränkter Seele nach, daß König Friedrich ihre polniſchen Pläne, ſein Nachfolger ihre byzantiniſchen Kaiſerträume durchkreuzt hatte. Sie ſah das Einverſtändniß Preußens und Oeſterreichs mit Beſorgniß, fand aber raſch das Mittel dieſen Bund für Rußland unſchädlich zu machen: wenn ihr gelang die deutſchen Mächte in den unabſehbaren Krieg mit Frankreich zu verwickeln, ſo war ſie Herrin in Polen und konnte die unausbleibliche Vernichtung des Adelsſtaates nach ihrem Sinne durchführen. Sie bemühte ſich kaum ihre Hoffnungen zu verbergen, erklärte ihren Räthen offen: Ich will die Ellenbogen frei haben und die deutſchen Höfe mit den franzöſiſchen Händeln beſchäftigen. Darum eilte ſie, den Türkenkrieg zu beendigen, darum redete die Freundin Diderots jetzt als fanatiſche Gegnerin der Revolution; ſie beſchützte die Emigranten, mahnte die Nachbarn unabläſſig an die gemeinſame Pflicht aller Souveräne, an die Wiederaufrichtung der alten Krone Frankreichs; ſie wünſchte eine Gegenrevolution durch die Brüder König Ludwigs, ſtellte auch mit unbeſtimmten Worten die Waffenhilfe Rußlands für den großen Kreuzzug des Royalismus in Ausſicht, da es doch in ihrer Hand lag ſich nach Belieben zurückzuhalten. Dies Verfahren des Petersburger Hofes ergab ſich ſo nothwendig aus Rußlands wohlgeſicherter geographiſcher Stellung, daß der preußiſche Miniſter Alvensleben, ein Mann von keines - wegs ungewöhnlichen Gaben, die Hintergedanken der Czarin ſofort durch - ſchaute und dem Könige die Politik ſeiner raſtloſen Nachbarin genau vorausſagte.

Weder der Kaiſer noch die preußiſchen Staatsmänner verkannten völlig die unberechenbaren Gefahren eines Krieges in ſo verworrener Lage. Leopolds nüchterner Kaltſinn blieb lange ganz unempfindlich gegen die hilfeflehenden Briefe ſeiner unglücklichen Schweſter Marie Antoinette, die ſich von weiblicher Leidenſchaft und gekränktem Fürſtenſtolze bis dicht an die Grenzen des Landesverraths fortreißen ließ. Das preußiſche Cabinet122I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.war Anfangs von dem Auftreten der conſtitutionellen Parteien ſehr be - friedigt, ſein Geſandter v. d. Goltz erkannte die Berechtigung der Re - volution unbefangen an, zeigte ein offenes Auge für die gehäuften Thor - heiten des verblendeten Hofes. Das wüſte Treiben der Emigranten wurde in Wien und Berlin mit der gleichen Strenge verurtheilt. Erſt ſeit dem Frühjahr 1791, ſeit König Ludwig ſeinen mißlungenen Fluchtverſuch durch unerhörte perſönliche Demüthigungen büßen mußte, begannen die beiden Höfe ernſtlich an eine Abwehr der revolutionären Gewaltthaten zu denken. Die aufregende Nachricht fiel grade in den verhängnißvollen Zeitpunkt, da Biſchoffswerder ſoeben die erſten Fäden angeknüpft hatte zur dauernden Verbindung der beiden Mächte. Friedrich Wilhelms ritterlicher Sinn flammte auf bei dem Gedanken die beleidigte Majeſtät in Frankreich mit ſeinem königlichen Degen zu rächen. Einzelne gewandte Köpfe der Emi - granten gewannen doch nach und nach geheimen Einfluß am Hofe; es war kein Zufall, daß eben jetzt das neue unpreußiſche Weſen in der Ver - waltung aufkam, die Abwendung von dem ſtolzen Freiſinn des großen Königs, die kleinen Nadelſtiche gegen die Aufklärer; der mächtige Günſt - ling führte Buch über die Demagogen und Verſchwörer in Preußen. Als der unheilvolle Mann im Sommer 1791 zum zweiten male nach Oeſter - reich hinüberging um die im Frühjahr eingeleitete Verſtändigung zu be - feſtigen, fand er den Kaiſer zu Mailand in erregter Stimmung; drohende Worte fielen: es werde Zeit das Uebel der Revolution mit der Wurzel auszurotten, den Unruheſtiftern überall, auch in Deutſchland entgegenzu - treten. Gleich nachher forderte Leopold durch das Rundſchreiben von Padua die europäiſchen Mächte auf, ſich ſeines mißhandelten Schwagers anzunehmen, jede Beleidigung der Ehre des Königs durch kräftige Maß - regeln zu rächen, keine Verfaſſung Frankreichs anzunehmen, die nicht von der Krone frei genehmigt ſei. Dann unterzeichnete Biſchoffswerder eigen - mächtig, gegen ſeine Inſtructionen, den Wiener Vertrag vom 25. Juli, wodurch beide Mächte ſich gegenſeitig ihren Beſitzſtand verbürgten und einander Hilfe verſprachen für den Fall innerer Unruhen.

Damit war die abſchüſſige Bahn, die man in Reichenbach betreten, bis zum Ende durchlaufen. Leopolds Klugheit hatte den Günſtling des Königs völlig überliſtet. Preußen gab die ſtolze Selbſtändigkeit der frideri - cianiſchen Politik auf, verpflichtete ſich, ohne jeden Entgelt dem kaiſerlichen Hofe in ſeiner Bedrängniß Dienſte zu leiſten; denn nur Oeſterreich, nicht Preußen war in ſeinem Beſitzſtande bedroht, in Belgien ſchwelte der Brand des inneren Unfriedens noch fort und mochte leicht durch einen Einfall der Franzoſen zu hellen Flammen angefacht werden. Der eigen - mächtige Unterhändler wurde in Berlin mit Vorwürfen überhäuft; mehrere Miniſter verwahrten ſich feierlich gegen dieſe verhängnißvolle Aenderung des politiſchen Syſtems: die Kräfte des Staates ſorgſam zu Rathe zu halten ſei die wirkſamſte Bekämpfung der Revolution, der Wiener Ver -123Padua und Pillnitz.trag lege dem Staate unberechenbare Verbindlichkeiten auf, die dem Heere und dem Haushalt zum Verderben gereichen könnten. Auch die öffentliche Meinung in Preußen begrüßte die öſterreichiſche Freundſchaft mit tiefem Mißtrauen. Die Erinnerungen der ſieben Jahre waren noch unvergeſſen; die Rechte der Reichsſtände im Elſaß und das Schickſal des linken Rhein - ufers lagen dem Geſichtskreiſe der Norddeutſchen ſo fern, daß ſpäter noch, als der Reichskrieg am Rheine ſchon durch anderthalb Jahre währte, einer der erſten politiſchen Köpfe der Zeit, Spittler, ganz unbefangen ſchreiben konnte: wir Deutſchen im Genuſſe unſerer glücklichen Ruhe! König Friedrich Wilhelm aber billigte die willkürlichen Schritte ſeines Freundes; er traf bald darauf mit Leopold in Pillnitz zuſammen, fühlte ſich hin - geriſſen von der würdigen perſönlichen Haltung des ſchlauen Florentiners und jubelte: der Bund der beiden deutſchen Großmächte werde zum Segen kommender Geſchlechter für ewige Zeiten dauern.

Eine unmittelbare Bedrohung Frankreichs lag freilich in allen dieſen Mißgriffen nicht. Wenn Friedrich Wilhelm ſelber einen Kreuzzug gegen die franzöſiſchen Rebellen lebhaft wünſchte, ſeine Miniſter wieſen den Ge - danken eines Angriffskrieges ebenſo entſchieden von ſich wie der durchaus friedfertige Kaiſer. In Pillnitz wurden die zum Kriege drängenden Emi - granten hart zur Seite geſchoben, und es kam nur die inhaltloſe Er - klärung vom 27. Auguſt zu Stande: die beiden Mächte ſprachen aus, daß ſie die Sache König Ludwigs für eine gemeinſame Angelegenheit aller Souveräne hielten; eine Einmiſchung in Frankreichs innere Händel ſolle erfolgen, falls alle europäiſchen Mächte zuſtimmten. Das ſagte gar nichts, da Jedermann wußte, daß England an einer bewaffneten Intervention niemals theilnehmen wollte. Und ſogar dieſe unklaren Andeutungen ließ man in Wien wieder fallen als König Ludwig im Herbſt in ſeine Würde wieder eingeſetzt wurde und die neue Verfaſſung freiwillig beſchwor. Die Revolution ſchien zum Stillſtande gelangt, der Kaiſer war völlig beruhigt, und ſelbſt der alte Fürſt Kaunitz, der ernſtlich an einen europäiſchen Krieg gegen die wüthigen Narren Frankreichs gedacht hatte, geſtand: nunmehr ſei jede Kriegsgefahr vorüber. Die Verhandlungen über die Rechte des Reichs im Elſaß führte Leopold nach altem Reichsbrauch mit einer Mäßi - gung, die der Schwäche gleich kam; er unterließ alle militäriſchen Sicher - heitsmaßregeln und forderte nur Entſchädigung, nicht Wiederherſtellung der Beraubten. Oeſterreich und Preußen bewogen auf Frankreichs Wunſch den Kurfürſten von Trier, daß er die Rüſtungen des Emigrantenheeres zu Coblenz unterſagte dieſes winzigen Heeres, das ohnehin, bei dem Todhaſſe der Franzoſen wider die adlichen Verräther, dem neuen Frank - reich nie gefährlich werden konnte; und wenn Leopold hinzufügte, er wolle durch ſeine belgiſchen Truppen den Trierer gegen den Ueberfall fran - zöſiſcher Freiſchaaren decken, ſo that er nur was die unabweisbare Pflicht des Reichsoberhauptes gebot.

124I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Frankreich war es, Frankreich allein, das Angeſichts dieſer fried - fertigen Haltung der deutſchen Mächte den Krieg erzwang. Das Grund - geſetz der conſtitutionellen Monarchie war kaum vereinbart, ſo arbeiteten die Doctrinäre der Gironde bereits an ſeiner Vernichtung; ſie wollten die Republik und erkannten raſch, daß eine Kriegserklärung gegen den Schwager des Königs das Anſehen des Thrones unrettbar erſchüttern, daß die letzten armſeligen Ueberreſte des alten Königthums zuſammenbrechen mußten, ſobald die Sturmfluth der revolutionären Propaganda über den Welt - theil dahin fegte. Der Widerwille der ungeheuren Mehrheit der Nation gegen die Republik ſollte durch den Glanz kriegeriſcher Erfolge, durch das alte theuere Traumgebilde der natürlichen Grenzen beſchwichtigt, die Geld - noth des Staates durch einen großen Beutezug geheilt werden. Bei dem reizbaren Stolze der tief erregten Nation und ihrer gründlichen Unkennt - niß ausländiſcher Zuſtände fiel es der wilden Rhetorik der Briſſot, Guadet und Genſonné nicht ſchwer, aus Wahrem und Falſchem ein kunſtvolles Trugbild zu weben, die thörichten Briefe des unglücklichen Hofes, den offenen Verrath der Emigranten in Zuſammenhang zu bringen mit den unvorſichtigen Worten der Erklärungen von Padua und Pillnitz. Das Volk begann zu glauben, daß ſeine neue Freiheit durch eine finſtere Ver - ſchwörung aller alten Mächte gefährdet ſei, daß man das Schwert ziehen müſſe um das Recht der nationalen Selbſtbeſtimmung gegen die Vor - mundſchaft Europas zu wahren. Derweil die kriegeriſche Stimmung in der Geſetzgebenden Verſammlung von Tag zu Tage wuchs, zeigte man in den Verhandlungen mit dem Kaiſer ſchnöden Uebermuth, bot den Reichs - ſtänden im Elſaß nicht einmal eine beſtimmte Entſchädigung. Dann forderte das Haus, hingeriſſen von den flammenden Reden der Gironde, die feierliche Erklärung des Kaiſers, daß er den Plan einer europäiſchen Vereinigung aufgebe und, gemäß den alten Bundesverträgen der Bour - bonen, Frankreich zu unterſtützen bereit ſei bei Strafe ſofortigen Krieges. Da Leopold eine würdige maßvolle Antwort gab, wurde am 20. April 1792 der Krieg gegen Oeſterreich erklärt. Frevelhafter waren ſelbſt die Raubzüge Ludwigs XIV. nicht begonnen worden als dieſer Kampf, der nach allem menſchlichen Ermeſſen das ungerüſtete Frankreich in ſchimpf - liche Niederlagen ſtürzen mußte. Eine doctrinäre Rede Condorcets ver - kündete ſodann der Welt, wie das Princip der republikaniſchen Freiheit ſich gegen den Despotismus erhebe. Dem geſammten alten Europa ward der Handſchuh hingeworfen; für Preußen aber trat der Wiener Vertrag in Kraft, der unterdeſſen durch ein förmliches Vertheidigungsbündniß ergänzt worden war.

Der Krieg wurde den deutſchen Mächten aufgedrungen. Faſt im ſelben Augenblicke rückten die ruſſiſchen Truppen jeden Widerſtand nieder - ſchmetternd in Polen ein, der Wille der Czarin gebot an der Weichſel. Wieder wie ſo oft ſchon befand ſich die centrale Macht des Feſtlandes125Frankreich erklärt den Krieg.zwiſchen zwei Feuern. Preußens Staatsmänner ſtanden vor der Wahl: ob ſie entweder das zerrüttete, zum Angriff kaum fähige Heer der Re - volution durch eine zähe Vertheidigung hinhalten und unterdeſſen mit der geſammelten Kraft des Staates die deutſchen Intereſſen im Oſten wahren oder umgekehrt die polniſche Entſcheidung vorläufig hinausſchieben ſollten um zunächſt den franzöſiſchen Krieg mit raſchen, wuchtigen Schlägen zu beenden. Da Frankreich ſelber durch ſeine Kriegserklärung die alten Ver - träge zerriſſen hatte, ſo durfte ein heldenhafter Sinn jetzt wohl die Hoff - nung faſſen, die von König Friedrich ſo oft beklagten deutſchen Thermo - pylen, die Vogeſen, dem Reiche zurückzubringen. Was man auch wählen mochte, die Stunde drängte; es galt die ganze Macht Preußens ſofort einzuſetzen, mit überwältigender Schnelligkeit im Oſten oder im Weſten einen durchſchlagenden Erfolg zu erringen. Aber das Adlerauge des großen Königs wachte nicht mehr über ſeinem Staate; die kleinen Leute, welche ſeinen Nachfolger umgaben, riethen zu dem Verkehrteſten, was geſchehen konnte: ſie begannen einen Angriffskrieg gegen das Innere Frankreichs und verwendeten für dies gewagte Unternehmen kaum die Hälfte des preußiſchen Heeres.

Der Krieg der erſten Coalition ging verloren durch diplomatiſche Fehler, nicht durch Niederlagen auf dem Schlachtfelde. Es ward ent - ſcheidend für ſeinen Verlauf, daß grade jetzt in Wien und Berlin alle Sünden und Lügen jener gierigen ideenloſen Cabinetspolitik des acht - zehnten Jahrhunderts wieder emporkamen, welche der Gradſinn Friedrich Wilhelms I. nicht verſtanden, der Heldenſtolz ſeines Sohnes verachtet hatte. Kaiſer Leopold ſtarb ſchon zu Anfang des Krieges. Sein junger Nachfolger Franz II. glaubte an das althabsburgiſche AEJDU mit der ganzen Starrheit eines gedankenleeren Kopfes, blieb allezeit der einfachen Anſicht, daß ſein Erzhaus niemals genug Land beſitzen könne; er nahm die joſephiniſchen Eroberungspläne wieder auf, hoffte durch den fran - zöſiſchen Krieg den Austauſch von Belgien gegen Baiern zu erreichen. Auch die preußiſche Staatskunſt zeigte nicht mehr den alten Charakter nüchterner Selbſtbeſchränkung; ſeit dem Abſchluß des öſterreichiſchen Bünd - niſſes ward auch ſie von der unſteten Begehrlichkeit der habsburg-loth - ringiſchen Hauspolitik ergriffen und ſchweifte unſicher ins Schrankenloſe ſtatt nach guter Hohenzollernweiſe ein feſt begrenztes Ziel mit eiſerner Ausdauer zu verfolgen. Den größten Gewinn an Land und Leuten, wo es auch ſei, mit den kleinſten Opfern herauszuſchlagen, das war die Weis - heit der pfiffigen Ränkeſchmiede Haugwitz und Lucheſini. Sie ſahen ein, daß der Wiener Vertrag, welcher dem Kaiſer den Beiſtand Preußens un - bedingt zur Verfügung ſtellte, eine ſträfliche Thorheit geweſen, und ver - langten nun, noch ehe Oeſterreich ſeine bairiſchen Pläne kundgab, zur Belohnung für die Kriegshilfe ein Stück von Polen und die pfälziſchen Lande am Niederrhein; Pfalzbaiern mochte dafür im Elſaß entſchädigt126I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.werden. Sie faßten alſo die Wiedereroberung der deutſchen Weſtmark ins Auge und gedachten zugleich den alten jülich-cleviſchen Erbfolgeſtreit gänzlich zum Vortheil Preußens zu beendigen. Der geſunde Kern dieſer Gedanken war unverkennbar, doch wie durfte man hoffen, einen ſo glän - zenden Gewinn, die Erwerbung von Poſen und der Rheinprovinz zugleich, anders zu erreichen als durch das Aufgebot aller Kräfte der Monarchie? Ein häßlicher Anblick, wie nun die begehrlichen Wünſche der beiden Höfe einander wechſelſeitig überboten und ſteigerten. Um nur der polniſchen Entſchädigung ſicher zu ſein, geſtattete Preußen, daß Oeſterreich ſich durch Baiern vergrößere. Der oberſte Grundſatz der fridericianiſchen Politik, der ſo oft mit dem Schwert und der Feder behauptete Entſchluß des großen Königs, dem Hauſe Oeſterreich unter keinen Umſtänden eine Macht - erweiterung im Reiche zu geſtatten, wurde in kläglicher Schwäche auf - gegeben aus feiger Habgier , wie Friedrich einſt auf ähnliche Vor - ſchläge geantwortet hatte. Und dabei war man doch der treuen Freundſchaft des neuen Bundesgenoſſen keineswegs verſichert.

Im Juli 1792 verſammelte ſich der hohe Adel deutſcher Nation zu Mainz um ſeinen neuen Kaiſer Franz. Es war das Henkermahl des heiligen Reichs. Noch einmal prunkten durch die engen Gaſſen des goldenen Mainz die Karoſſen der geiſtlichen Kurfürſten, das glänzende Diener - gefolge von hunderten reichsfreier Fürſten, Grafen und Herren, die ganze Herrlichkeit der guten alten Zeit zum letzten male bevor das neue Jahrhundert den Urväterhausrath der rheiniſchen Biſchofsmützen und Fürſtenkronen mit ehernen Sohlen zermalmte. Während dieſer rauſchen - den Feſte verhandelten die beiden Großmächte insgeheim über den Sieges - preis. Das Schickſal Baierns ſchien entſchieden; Preußen gab ſeinen alten Schützling, das Haus Wittelsbach völlig preis, und bei der mili - täriſchen Schwäche der ſüddeutſchen Staaten unterlag es keinem Zweifel, daß Oeſterreich den bairiſch-belgiſchen Tauſch ſogleich erzwingen konnte. Da traten die kaiſerlichen Unterhändler mit der Erklärung hervor, ihr Herr verlange nicht blos Baiern, ſondern auch das ſoeben durch Preußen rechtmäßig erworbene Ansbach-Baireuth; kein Zweifel mehr, die Hofburg trachtete nach der Theilung Deutſchlands, nach der Unterwerfung des ganzen Südens. Die Miniſter in Berlin fühlten ſich wahrhaft empört , der König empfand den Anſchlag wider ſeine fränkiſchen Stammlande als eine perſönliche Beleidigung. Auch über die polniſche Frage kam eine klare Verſtändigung nicht zu Stande. Obgleich Oeſterreich einer Gebiets - erweiterung Preußens im Oſten nicht gradezu widerſprach, ſo fühlten doch beide Theile, daß ihre Anſichten über Polens Zukunft weit aus - einander gingen; der Berliner Hof hatte ſich endlich überzeugt, daß die von Wien her begünſtigte polniſche Maiverfaſſung dem preußiſchen Intereſſe ſchnurſtracks zuwiderlief.

Verſtimmt, grollend, ohne jede feſte Verabredung über das Ziel des127Der Krieg von 1792.Kampfes, zogen die Verbündeten in den Krieg hinaus. Der kaiſerliche Hof führte den Feldzug ungern als einen aufgezwungenen Vertheidigungs - krieg; die preußiſchen Staatsmänner leiſteten ebenſo widerwillig eine Hilfe, die nach den Verträgen nicht verweigert werden konnte; beide Mächte tröſteten ſich mit der unbeſtimmten Hoffnung, das widerwärtige Unter - nehmen werde doch irgend einen Landgewinn abwerfen. Nur König Friedrich Wilhelm ſchwelgte in ritterlichen Hochgedanken; er ſah ſich jetzt als den Vorkämpfer des rechtmäßigen Königthums, auch die Geſtalten des Arminius und anderer Retter des deutſchen Vaterlandes erſchienen ihm in ſeinen Träumen. Welche Ordnung er dem beſiegten Frankreich auferlegen ſollte blieb ihm freilich ſelber unklar.

Noch bevor die Heere aufeinander trafen enthüllte ſich, außer der Zwietracht der Verbündeten, auch die andere heilloſe Unwahrheit, daran die Coalition krankte. Da die Redner der Gironde den Principienkrieg für die republikaniſche Freiheit predigten, ſo konnten ihre Feinde ſich dem Einfluß der contrerevolutionären Partei nicht ganz entziehen. Oeſterreich galt in Paris als der Schirm und Träger aller jener alten Staats - gedanken, die man dort mit dem geduldigen Geſammtnamen Feudalismus bezeichnete; gegen dieſe Macht der Finſterniß fochten die Wortführer der Revolution mit freudigem Eifer. Daß aber der Staat des Philoſophen von Sansſouci, der Rebell gegen Kaiſer und Reich, jetzt das alte Europa mit ſeinen Waffen ſchützte, erſchien ihnen ganz ungeheuerlich; ſie gaben die Hoffnung nicht auf, dieſen Staat der Aufklärung noch zu ſich hinüber - zuziehen. Gleichwohl vermochte das preußiſche Hauptquartier nicht, die immer lauter und zuverſichtlicher auftretenden Emigranten von ſich fern zu halten. Der Oberbefehlshaber, der Herzog von Braunſchweig, unter - ſchrieb in einem Augenblicke kopfloſer Schwäche ein fanatiſches Kriegs - manifeſt, das durch einen Heißſporn des emigrirten Adels ſeine Färbung erhalten hatte und im preußiſchen Cabinet Entſetzen erregte: der geiſt - reiche Schüler der franzöſiſchen Philoſophie, dem der Pariſer Kriegsminiſter vor Kurzem erſt die Führung des Revolutionsheeres angeboten hatte, be - drohte in grimmigen Worten das revolutionäre Frankreich mit Verderben und Zerſtörung. Die Gironde frohlockte; die contrerevolutionären Pläne der verbündeten Despoten ſchienen erwieſen, über allen Zweifel hinaus.

Unſelig wie die Politik, welche den Kampf begann, war auch die Weiſe der Kriegführung. Wohl blieben die wohlgedrillten Regimenter Oeſterreichs und Preußens den zerlumpten und verwilderten Haufen des Revolutionsheeres noch lange militäriſch überlegen. Wo es zum Schlagen kam wurden die Franzoſen von den fridericianiſchen Truppen regelmäßig geworfen; den preußiſchen Reitern und namentlich dem gefürchteten rothen König, dem Oberſt Blücher von den rothen Huſaren, wagten ſie ſelten Stand zu halten. Der märkiſche Bauer ſpottete noch nach Jahren über die franzöſiſchen Katzköppe, wie er die Chaſſeurs nannte. Blücher gab128I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nach Abſchluß der drei Rheinfeldzüge ſein Campagne-Journal heraus und ſchilderte beſcheiden doch mit herzhaftem Selbſtgefühl, wie oft er die Feinde geſchmiſſen habe; die Offiziere zogen aus dem Kampfe heim mit dem Bewußtſein rühmlicher Pflichterfüllung. Und doch führten dieſe drei Feld - züge, die den preußiſchen Fahnen ſo viele ſtattliche Einzel-Erfolge brachten, zu einem ſchmachvollen Frieden. Der Charakter der Kriegführung wird überall und zu allermeiſt in Coalitionskriegen bedingt durch die Ziele der Staatskunſt, welcher ſie dient; eine Politik, die ſich vor dem Siege fürchtet, kann große Feldherren nicht ertragen. Die ſchwankende Rathloſigkeit der preußiſchen Politik fand in der Willensſchwäche, in dem bedachtſamen Zaudern des Herzogs von Braunſchweig ihren getreuen Ausdruck. König Friedrich war in den letzten Zeiten des ſiebenjährigen Krieges durch die erdrückende Uebermacht der Feinde zu einer Behutſamkeit gezwungen worden, die ſeinen Neigungen und Grundſätzen widerſprach. Was ihm allein die Noth auferlegte, erſchien den Generalen der Friedensjahre als die Blüthe militäriſcher Weisheit. Sie hielten für die Aufgabe des Feld - herrn, die Truppen in einen weiten Cordon auseinanderzuziehen, jeden irgend bedrohten Punkt zu decken, den Berg durch das Bataillon und das Bataillon durch den Berg zu ſichern; jener Geiſt der Initiative, den Friedrich ſo oft für den Nerv des Kriegshandwerks erklärt hatte, ging dem friedensfrohen Geſchlechte verloren. Die Künſtelei dieſer bedacht - ſamen Kriegsmethode entſprach zugleich dem Temperament des Braun - ſchweigers und ſeinen politiſchen Anſichten; denn er allein unter den Generalen des verbündeten Heeres fürchtete die dämoniſchen Kräfte der Revolution, er ſcheute das Wagniß der offenen Feldſchlacht.

Nach altöſterreichiſchem Brauche kam von den zugeſagten kaiſerlichen Hilfsvölkern nur der kleinſte Theil zur Stelle. Der Oberfeldherr eroberte zunächſt die Feſtungen der Maaslinie und rückte dann, widerwillig dem Befehle des Königs gehorchend, weſtwärts gegen Paris vor, obgleich ſein Heer viel zu ſchwach war um die Eroberung der feindlichen Hauptſtadt verſuchen zu können. Schon am 20. September fiel die Entſcheidung des Feldzugs. Der Herzog wagte nicht, die Franzoſen auf den Höhen von Valmy anzugreifen, ſondern gab den ſicheren Sieg aus der Hand und räumte darauf den franzöſiſchen Boden vor den anrückenden Verſtärkungen des Feindes. Mit dem Seherblick des Dichters durchſchaute Goethe die Folgen dieſer großen Wendung; er ſagte zu den preußiſchen Offizieren: Am heutigen Tage beginnt eine neue Epoche der Weltgeſchichte. Inzwiſchen war die Krone der Capetinger durch den Aufſtand des zehnten Auguſt zerbrochen worden; aus dem gräßlichen Blutbade der Septembermorde ſtieg die franzöſiſche Republik empor, und triumphirend konnten die Gewalt - haber des neuen Frankreichs dem Convente als Brautgabe die große Kunde bringen, daß die fridericianiſche Armee den Heerſchaaren der Freiheit un - rühmlich den Rücken gekehrt habe.

129Erſte Erfolge der Franzoſen.

Und noch waren die Ueberraſchungen dieſes wilden Jahres 92 nicht zu Ende; es ſchien, als wollte das unerforſchliche Schickſal die Thorheit aller menſchlichen Vorausſicht erweiſen. Ein franzöſiſches Freicorps unter unfähigem Führer drang in einem tollen Abenteurerzuge an der Flanke des preußiſchen Heeres vorbei bis gegen Mainz; die erſte Feſtung Deutſch - lands öffnete ohne Widerſtand ihre Thore. Die Herrlichkeit der rheiniſchen Kleinſtaaterei brach wie ein Kartenhaus zuſammen; Fürſten und Biſchöfe ſtoben in wilder Flucht auseinander. Pfalzbaiern erklärte ſich neutral, nach der alten landesverrätheriſchen Gewohnheit des Hauſes Wittelsbach; das heilige Reich ſpürte den Anfang des Endes. Das willenloſe Volk der geiſtlichen Lande ließ ſich von einer Handvoll lärmender Feuerköpfe das Poſſenſpiel einer rheiniſchen Republik vorführen, ſprach in ehrfürchtiger Scheu alle Kraftworte der Pariſer Völkerbeglücker nach, obgleich das Phlegma, das uns die Natur auferlegt hat, uns nur erlaubt die Fran - zoſen zu bewundern ; an dem Anblick dieſes Zerrbildes der Freiheit iſt dem edelſten der rheiniſchen Enthuſiaſten, Georg Forſter, das Herz ge - brochen. Währenddem fielen auch Savoyen und Belgien, ſchlecht ver - theidigt, den ſchlechten Truppen der Republik in die Hände. Wunderbare, ſtrahlende Erfolge, die ſelbſt ein nüchternes Volk berauſchen konnten! Ein maßloſes Selbſtgefühl ſchwellte den Führern der neuen Republik die Seele; ſie boten allen Völkern, die ſich für die Freiheit erheben wollten, den Bei - ſtand Frankreichs an. Der Kampf der revolutionären Propaganda ward feierlich verkündigt: Krieg den Paläſten, Friede den Hütten! In dieſer fanatiſchen Siegeszuverſicht lag eine unermeßliche ſittliche Kraft. Auch die militäriſche Macht der Republik war im Erſtarken, obgleich noch Alles in ihrem Heerweſen wüſt und wirr durcheinander gährte. Den unge - heuren Maſſen, welche der Convent ins Feld führte, konnte die methodiſche Kriegführung der fridericianiſchen Generale wohl auf dem Schlachtfelde den Sieg entreißen, doch eine ſolche Volkserhebung völlig niederzuwerfen war für die kleinen Heere der alten Zeit unmöglich. Unter den Frei - willigen von 1792 fand ſich eine Fülle junger Talente, ein großer Theil der Marſchälle und Generale des Kaiſerreichs; die neue Gleichheit bot allen aufſtrebenden Köpfen freie Bahn, der Schrecken der Guillotine ſpornte Jeden das Höchſte zu wagen.

Alſo kündigte ſich hier eine neue Kriegsweiſe an und eine neue Staats - kunſt, welche die Ländergier der alten Cabinetspolitik mit einer unerhörten Mißachtung aller überlieferten Formen des Völkerrechts verband. Sollte das Reich dem Angriff dieſer unberechenbaren jugendlichen Macht wider - ſtehen, ſo mußten vor Allem die Rheinlande eine neue kräftigere politiſche Ordnung erhalten und zum Widerſtande befähigt werden. Durch die Schuld der kleinen Höfe war das feſte Mainz in die Hände Cuſtines gefallen, und auch nach der Niederlage wußten ſie dem bedrängten Vater - lande nichts zu bieten als jammernde Klagen und RechtsverwahrungenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 9130I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.und einige leidenſchaftliche Flugſchriften, die den getreuen Unterthan gegen das Bürgerchen Cuſtine aufregen ſollten. Durfte man dieſe verlebten politiſchen Gewalten, die vor den erſten Schlägen des Feindes zuſammen - gebrochen waren, wieder aufrichten? Der Gedanke der Seculariſation drängte ſich nochmals unabweisbar auf; rechtzeitig und durch die deutſchen Mächte allein ausgeführt, bot er das letzte Mittel den Beſtand des Reichs - gebietes zu retten. In Berlin wie in Paris wurde die Beſeitigung der geiſtlichen Staaten damals ſchon ernſtlich erwogen. Indeß auf Oeſterreichs Widerſpruch ließen die preußiſchen Staatsmänner den Plan fallen, und wieder begann das traurige geiſtloſe Feilſchen um ein billiges Super - plus . Man beſchloß endlich, nachdem die Preußen bereits Frankfurt und das rechte Rheinufer von den Franzoſen geſäubert hatten, im nächſten Jahre Belgien und Mainz zurückzuerobern; dafür ſollte der Kaiſer an bairiſchen, Preußen an polniſchen Landſtrichen ſich ſchadlos halten. Beide Mächte führten den leidigen Krieg nur noch weiter um ſich eine Gebiets - abrundung zu ſichern. Der Plan einer royaliſtiſchen Gegenbewegung, der den ehrlichen Sinn des Königs von Preußen noch immer beſchäftigte, verlor jeden Boden, ſeit die Republik begründet war und bald nachher der Kopf König Ludwigs fiel.

Währenddem befeſtigten ſich die Ruſſen in ihrer Machtſtellung an der Weichſel. Katharina war durch den Frieden von Jaſſy des Türken - krieges entledigt, und da ſie nun mit geſammelter Kraft ſich auf die polniſche Beute ſtürzte, fand ſie abermals einen Bundesgenoſſen an der Parteiwuth des ſarmatiſchen Adels. Mit Hilfe der Tarnowicer Con - foederation warf ſie die Neuerungen von 1791 über den Haufen und ſtellte die alte Landesverfaſſung wieder her, das will ſagen: ihre eigene Herr - ſchaft über die Krone Polen. Seit dreißig Jahren arbeitete ſie unab - läſſig an dem Plane, das Czarenreich durch die Eroberung Polens in unmittelbaren Verkehr mit der Cultur des Weſtens zu bringen; jetzt ſchien ſie am Ziele ihrer Wünſche, ſie gebot über die Weichſellande und konnte nach Belieben entſcheiden, wann und in welchen Formen die völlige Ein - verleibung des eroberten Gebietes erfolgen ſollte. Wer durfte ihr wider - ſtehen? Die Macht Rußlands war durch die Zwietracht der deutſchen Nachbarn, durch den Zerfall der weſteuropäiſchen Staatengeſellſchaft gewaltig angewachſen und wurde überdies von allen Zeitgenoſſen überſchätzt; Nie - mand bemerkte, daß das menſchenarme Land durch die Kriege ſeiner ruhe - loſen Czarin eine Million Menſchen verloren hatte und zu einem An - griffskriege nur mäßige Mittel beſaß. Eine Parteinahme der deutſchen Höfe für die polniſchen Patrioten war durch Katharinas diplomatiſche Kunſt von Haus aus verhindert. Da der Petersburger Hof die jaco - biniſchen Königsmörder mit Worten leidenſchaftlicher Entrüſtung bekämpfte, ſo warb die Warſchauer Patriotenpartei um die Hilfe der Franzoſen; wer Frankreichs Feind war konnte nicht der Bundesgenoſſe Polens ſein.

131Zweite Theilung Polens.

Dergeſtalt durch die überlegene, ſkrupelloſe Politik der Czarin von allen Seiten her umſtellt fand ſich König Friedrich Wilhelm wieder in ähnlicher Lage wie ſein Vorgänger zwanzig Jahre früher. Er mußte ſich entſcheiden, ob er die Alleinherrſchaft der Ruſſen in Polen dulden oder durch eine neue Theilung das Anſchwellen der moskowitiſchen Macht be - ſchränken ſollte. Die Wahl konnte nicht zweifelhaft ſein. Das preußiſch - polniſche Bündniß war durch die Polen ſelber zerriſſen, als ſie dem Hauſe Wettin die erbliche Krone anboten. Der Berliner Hof that jetzt endlich was die Intereſſen Preußens längſt geboten: er erklärte ſich offen gegen die Maiverfaſſung von 1791, freilich mit Worten erkünſtelter Entrüſtung, welche von ſeiner bisherigen Haltung häßlich abſtachen. Er verſammelte die Hälfte ſeines Heeres an der Oſtgrenze, und da Katharina bei der unheimlichen Gährung, die das polniſche Land erfüllte, ſich nicht ſicher fühlte, ſo willigte ſie im Januar 1793 widerſtrebend in die zweite Theilung Polens. Dann ſah die Welt den Selbſtmord eines weiland mächtigen Volkes. Alle Gräuel der Pariſer Conventsherrſchaft erſchienen unſchuldig neben dem entſetzlichen Schauſpiele der ſtummen Sitzung des Reichstags von Grodno: durch ein verabredetes Gaukelſpiel, durch den Schein des Zwanges ließen ſich die beſtochenen Landboten und Magnaten die Ge - nehmigung der Theilung ihres Vaterlandes abtrotzen. Preußen erwarb, außer Thorn und Danzig, jene großpolniſchen Lande um Poſen und Gneſen, welche Friedrich im ſiebenjährigen Kriege ſo ſchmerzlich vermißt hatte. Sie bildeten die natürliche Verbindung zwiſchen Schleſien und Altpreußen und konnten, da ſie bereits einen ſtarken Bruchtheil deutſcher Bewohner enthielten und mit dem Reiche lebhaften Verkehr unterhielten, im Laufe der Jahre vielleicht ganz für die germaniſche Geſittung gewonnen werden. Die weite Lücke in unſerer Oſtgrenze war endlich geſchloſſen; all das Unrecht, das der polniſche Adel ſeit Jahrhunderten den deutſchen Culturbringern angethan, fand nunmehr ſeine Sühne. Aber wenn die Theilung ſelber eine That gerechter Nothwehr war, ſo zeigte doch die Wahl der Mittel den ſittlichen Verfall des preußiſchen Staates. Durch Wortbruch und Lüge, durch Beſtechung und Ränke jeder Art erreichte er ſein Ziel; nicht befriedigt mit der Sicherung ſeiner Grenzen griff er ſchon weit über das Maß des Nothwendigen hinaus, bis zur Bzura, tief in reinpolniſches Land hinein. Das alſo verſtümmelte Polen konnte nicht mehr beſtehen; die zweite Theilung führte unaufhaltſam zu einem letzten Umſturz, der für Deutſchland verderblich werden mußte.

Die nächſte Folge des Theilungsvertrages war der Zerfall der preu - ßiſch-öſterreichiſchen Allianz. Kaiſer Franz hatte zwar der Vergrößerung Preußens im Voraus zugeſtimmt, weil er ohne den Beiſtand der nord - deutſchen Macht Belgien nicht wiedererobern konnte; dennoch vernahm er mit Unmuth, wie ſein Bundesgenoſſe eigenmächtig, früher als er ſelber, ſich den Siegespreis geſichert hatte; es klang ihm wie Hohn, als Katharina9*132I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſchrieb, er möge ſein eigenes Werk krönen durch die Genehmigung der neuen polniſchen Theilung. Erzürnt entließ er ſeine Räthe und vertraute die Leitung der auswärtigen Geſchäfte dem Miniſter Thugut. Dieſer ge - häſſigſte aller Feinde Preußens, durch rührige Schlauheit und gewiſſen - loſe Thatkraft den Berliner Staatsmännern weit überlegen, dachte nach dem Vorbilde Katharinas die ungeheure Verwirrung der europäiſchen Lage für eine Eroberungspolitik im großen Stile auszubeuten; überallhin ſchweiften ſeine begehrlichen Wünſche, nach Flandern und dem Elſaß, nach Baiern, nach Italien, nach den Donaulanden, nach Polen. Sein Haß gegen den norddeutſchen Verbündeten ſtieg noch, ſeit der Erbe von Pfalz - baiern, der Herzog von Zweibrücken ſich wider den bairiſch-belgiſchen Tauſchplan verwahrte, und Preußen, den begangenen Fehler endlich er - kennend, rundweg erklärte, ohne die freie Zuſtimmung des Hauſes Wittels - bach dürfe der Tauſch nicht ſtattfinden. Zunächſt ging der öſterreichiſche Staatsmann darauf aus, die Macht Preußens in Polen niederzuhalten. Nichts konnte der Czarin willkommener ſein; ſie empfand es bitter, daß ihr die polniſche Beute zum zweiten male durch Preußens Dazwiſchen - treten geſchmälert wurde, und benutzte geſchickt den gegenſeitigen Haß der deutſchen Mächte um den einen Nachbarn durch den anderen zu ſchwächen. Schon im Sommer 1793 traten die Höfe von Wien und Petersburg einander näher; über die feindſeligen Abſichten dieſes neuen Kaiſerbundes konnte man ſich in Berlin nicht täuſchen.

Der Zerfall der Coalition zeigte ſich ſofort in den Kriegsereigniſſen. Die Preußen überſchritten den Rhein nahe der alten Pfalz bei Caub, an derſelben Stelle, wo ſie zwei Jahrzehnte ſpäter den Kampf um den deutſchen Strom von Neuem begonnen haben; ſie vertrieben den Feind vom linken Ufer, belagerten und eroberten Mainz. Unter dem Schutze ihrer Waffen kehrte der entflohene hohe Adel zurück und ſtellte unbeläſtigt allen Unfug der Kleinſtaaterei wieder her, deren rettungsloſe Verderbniß man doch in Berlin wohl kannte. Dann ſtand die preußiſche Armee lange im pfälziſchen Gebirge, mit der Front ſüdwärts gegen das Elſaß, überall ſiegreich wo der Feind einen Angriff verſuchte; doch ſie wagte keinen Vorſtoß, denn das Berliner Cabinet mißtraute den Abſichten ſeines Ver - bündeten. Der kaiſerliche General Wurmſer, der den linken Flügel des Heeres vor den Weißenburger Linien befehligte, verlangte den Einmarſch ins Elſaß, um auch dort wie am Mittelrhein die Herrſchaft ſeiner Standes - genoſſen vom Reichsadel wiederherzuſtellen, und trotzte dem preußiſchen Oberbefehlshaber in offenem Ungehorſam. Da trat gegen das Ende des Jahres General Hoche an die Spitze der franzöſiſchen Truppen, der reinſte Menſch unter den jungen militäriſchen Talenten der Republik. Von den Preußen bei Kaiſerslautern zurückgeſchlagen, wendete er ſich mit dem Ungeſtüm des genialen Naturaliſten gegen Wurmſers Corps, ſchlug die Kaiſerlichen auf dem Gaisberge, bei Wörth, bei Fröſchweiler, auf jenen133Feldzug von 1793.Vorhöhen des Gebirges, wo dereinſt die erſten Schläge des großen Ver - geltungskrieges fallen ſollten, befreite das von den Verbündeten belagerte Landau und zwang Wurmſer zum Rückzuge. Das preußiſche Heer konnte nach den Niederlagen der Oeſterreicher das Gebirge nicht mehr halten und räumte die Pfalz. Das unglückliche Land lernte in den Schrecken des Plünderwinters die Wohlthaten der franzöſiſchen Freiheit kennen.

Schwere Niederlagen wecken die ſittliche Kraft in einem tüchtigen Heere; dieſer durch fremde Schuld verlorene Feldzug zerrüttete die Mannszucht unter den preußiſchen Offizieren. Man ſchalt und klagte laut, forderte die Heimkehr aus dem unnützen Kriege. Das unpreußiſche Weſen, das die Verwaltung lähmte, drang auch in das Heer; die Armee glich einer militäriſchen Republik; der Groll gegen die Oeſterreicher entlud ſich in hundert gehäſſigen Händeln. Auch auf dem niederländiſchen Kriegstheater war die jetzt durch England verſtärkte Coalition wenig glücklich. Sie hatte Belgien zurückgewonnen, und im Sommer, nach der Einnahme von Valenciennes und Mainz, lag die Straße nach Paris offen vor den ver - bündeten Heeren, wenn man den Entſchluß fand die Armeen zu einem gemeinſamen Vorſtoße zu vereinigen. Aber die engliſche Handelspolitik verlangte nach dem Beſitze von Dünkirchen, Thugut forderte die Eroberung der Picardie; über dem Gezänk der Diplomaten ging der günſtige Zeit - punkt verloren, und zu Ausgang des Feldzugs ſtand man wieder in der Defenſive an der belgiſchen Südgrenze. Unterdeſſen war die Kriegsmacht der Republik in beſtändigem Wachſen. Die Schreckensherrſchaft der Jaco - biner unterwarf das geſammte Land der Dictatur der Hauptſtadt; ſie bedurfte des Krieges, weil ſie jedes wirthſchaftliche Gedeihen zerſtörte. Der Gedanke der revolutionären Propaganda ward zur furchtbaren Wahr - heit; eine ruheloſe Verſchwörung ſpannte ihre Netze über den halben Welt - theil, bis nach Warſchau und Turin, nach Amſterdam und Irland, ver - ſuchte die Grenzen aller Länder ins Wanken zu bringen. Das Volk brachte zitternd die ungeheuren Opfer, welche das Gebot der Pariſer Gewalt - haber ihm auferlegte. Wenngleich der Terrorismus der Conventscom - miſſäre die deutſchen Provinzen Frankreichs erbitterte und im katholiſchen Elſaß da und dort ſogar altöſterreichiſche Erinnerungen wachrief, die Maſſe der Bauerſchaft im Oſten hielt doch treu zu der Tricolore, weil ſie von dem Siege der Coalition die Rückkehr der Zehnten und Frohnden fürchtete. In Straßburg wurde das hohe Lied der Revolution gedichtet. Carnots Genie gab dem Heere eine neue Organiſation, fügte Linientruppen und Nationalgarden in der taktiſchen Einheit der Halbbrigaden zuſammen, beſeitigte die unbrauchbaren gewählten Führer, bildete aus den friſcheſten Kräften der altbourboniſchen Offiziere und der neuen Freiwilligen ein fähiges Offizierscorps. Die wilde Verwegenheit der ungeſchulten republi - kaniſchen Generale, die mit rückſichtsloſer Vergeudung von Menſchenleben und Kriegsmaterial auf den Gegner losſtürmten, wurde den bedachtſamen134I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Schülern der alten Kriegskunſt ſehr läſtig; auch die Haltung der fran - zöſiſchen Mannſchaften beſſerte ſich etwas durch die lange Kriegsübung.

So erſtarkte der Gegner; Preußen dagegen fand ſich zu Anfang des dritten Feldzugs völlig gelähmt durch die Erſchöpfung der Geldmittel. Sein Staatsſchatz war nahezu geleert. Der König hatte ſchon im zweiten Kriegsjahre engliſcher Hilfsgelder nicht entbehren können. Ihm und ſeinem Heere allein verdankte das Reich die Wiedereroberung der rheiniſchen Hauptfeſtung. Er erbot ſich nun den Reichskrieg auch im nächſten Jahre fortzuführen, wenn die übrigen Reichsſtände, die bisher für die Vertheidigung der Weſtgrenze kaum 20,000 Mann ins Feld ge - ſtellt, ihm in ſeiner Geldnoth aushülfen und den Unterhalt ſeines Heeres am Rheine übernähmen. Aber der Scharfblick des kleinfürſtlichen Par - ticularismus ſah in dem preußiſchen Vorſchlage das Wiederaufleben der Ideen des Fürſtenbundes. Zagheit und Selbſtſucht überall; an manchen Höfen ſchon offener Verrath, da Frankreich längſt darauf hinarbeitete die kleinen Herren unter ſeinen Einfluß zu bringen. Auch Oeſterreich war der Neuerung nicht günſtig, die den König von Preußen als Reichsfeld - herrn, ſeine Truppen als Reichsheer hätte erſcheinen laſſen. Selbſt eine Anleihe, welche Hardenberg von den kleinen Höfen des Weſtens zu er - langen hoffte, brachte nur einen kaum nennenswerthen Ertrag. Von ſeinen Mitſtänden verlaſſen entſchloß ſich Friedrich Wilhelm endlich, ſein geſammtes rheiniſches Heer in den Sold der Seemächte zu geben. Dieſes ohnehin für eine Großmacht kaum erträgliche Verhältniß führte zu den ärgſten Zwiſtigkeiten, da der Subſidienvertrag unklare, vieldeutige Sätze enthielt. Die Seemächte meinten über die Truppen ihres Verbündeten willkürlich verfügen zu können und wollten im Intereſſe ihrer Handelspolitik die ſämmtlichen Heere der Coalition in den Niederlanden verſammeln. Preußen aber behielt ſich ſelber die Wahl des Kriegsſchauplatzes vor und verſuchte nochmals die Reichsgrenze am Mittelrhein zu vertheidigen. Oeſterreich wiederum hoffte auf Eroberungen in Flandern und Lothringen. Feld - marſchall Möllendorf eröffnete den Feldzug durch einen zweiten Sieg bei Kaiſerslautern; nachdem er im Sommer aus dem Gebirge hatte zurück - gehen müſſen, drang er im Herbſt wieder vor und die preußiſchen Regi - menter behaupteten zum dritten male ſiegreich die blutgetränkten Höhen an der Lauter. Auch in den Niederlanden fehlte es nicht an glänzenden Kriegsthaten der norddeutſchen Hilfsvölker; der heldenkühne Ausfall des hannoverſchen Hauptmanns Scharnhorſt aus Menin bewies, daß die alte deutſche Waffentüchtigkeit noch nicht erſtorben war. Jedoch der Muth der Einzelnen konnte nicht ſühnen was die Schwäche der Heerführung und die Zweideutigkeit der kaiſerlichen Politik verdarben. Im October ging das öſterreichiſche Heer aus Belgien über den Rhein zurück. Der Feind rückte nach, beſetzte das Rheinland bis nach Coblenz hinauf, und alſo im Rücken bedroht mußten die Preußen jetzt ebenfalls das linke Ufer räumen.

135Feldzug von 1794.

Zur ſelben Zeit erprobte der König abermals die Zuverläſſigkeit britiſcher Freundſchaft; England, erbittert über die ſelbſtändige Haltung der preußiſchen Generale, verweigerte ihm die Zahlung der Hilfsgelder, machte ihm die Fortſetzung des Kampfes unmöglich. So ging das beſte Heer der Coalition durch Englands eigenſinnigen Hochmuth dem euro - päiſchen Kriege verloren. Gegen Weihnachten drang dann Pichegru über das Eis der großen Ströme in Holland ein, die Flotte des weiland ſee - beherrſchenden Staates ſtrich ihre Flagge vor einer franzöſiſchen Reiter - ſchaar. Die bataviſche Republik ward ausgerufen, der große Freiſtaat des Weſtens begann ſich mit einem Walle von Tochterrepubliken zu um - geben. Auch der dritte rheiniſche Feldzug war vergeblich geführt, und für den nächſten Sommer mußten die weſtphäliſchen Lande einen Angriff der Franzoſen von Holland her erwarten. Preußen ſtand völlig vereinſamt; man vernahm bald, daß die britiſche Treuloſigkeit in Petersburg und Wien mit lauter Schadenfreude begrüßt wurde. Im preußiſchen Volke aber ahnte Niemand, wie tief die Macht des Staates durch eine Politik der Halbheit und Unklarheit geſchädigt war. Die Hauptſtadt jubelte über die drei Siege von Kaiſerslautern; ein Rauſch patriotiſchen Stolzes und royaliſtiſcher Hingebung erfüllte die Gemüther. Damals zuerſt, in den Jahren 93 und 94, erklang zu Berlin das Heil dir im Siegerkranz , der neue preußiſche Text zu der alten Händelſchen Melodie. Das prächtige Siegesdenkmal der alten Monarchie, das Brandenburger Thor ward ein - geweiht; frohlockend drängte ſich das Volk herbei, als die liebliche Braut des jungen Kronprinzen durch dies Triumphthor einzog. Preußiſche Schriftſteller verglichen in ehrlicher Verblendung das ungetrübte Glück ihrer treuen und ſiegreichen Nation mit der Zerrüttung und der Ohn - macht des Staates der galliſchen Königsmörder.

Inzwiſchen wurde die wankende Eintracht der Coalition gänzlich zerſtört durch die polniſchen Händel. In der Oſterwoche 1794 brach zu Warſchau ein blutiger Aufſtand aus, die Ruſſen wurden aus dem Lande vertrieben. Von Paris her unterſtützt griff der Aufruhr unaufhaltſam um ſich, bis tief in das preußiſche Polen. Auch diesmal, im letzten Verzweiflungs - kampfe, ließ der polniſche Adel nicht von den alten Sünden der Zwie - tracht und Zuchtloſigkeit. Immerhin zeigte die unſelige Nation mehr Widerſtandskraft als die Theilungsmächte ihr zugetraut, und ein gnädiges Schickſal ſchenkte ihr das Glück ſich noch einmal das Herz zu erheben an dem Anblick eines wahrhaftigen Helden. Kosciuszko beſaß weder das Genie des großen Feldherrn noch den Weitblick des Staatsmannes, doch ſeine reine Seele barg neben allen ritterlichen Tugenden ſeines Volkes eine unerſchütterliche Rechtſchaffenheit, eine treue Hingebung an das Vater - land, wie ſie Polen ſeit Jahrhunderten nicht mehr kannte; gleich einem Schutzengel erſchien Vater Thaddäus den polniſchen Bauern, wenn der ſchwermüthige Held im weißen Bauernflausrock auf ſeinem Klepper durch136I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die Reihen der Senſenmänner ritt. In Rußland dagegen flammte der alte Haß der Byzantiner gegen die Lateiner, der Weſtſlaven gegen die Oſtſlaven drohend auf; wie ein Mann forderte das weite Czarenreich die Vernichtung Polens zur Sühne für die erlittene Schmach. Nie war ein Krieg dem ruſſiſchen Volke heiliger. Es lag am Tage, in der blutigen Woche von Warſchau hatte Polens letzte Stunde geſchlagen. Da war es Preußens Pflicht, ſogleich, ehe noch die ruſſiſchen Heerſäulen aus dem entlegenen Innern des Reichs heranrücken konnten, ſelber den Aufſtand niederzuwerfen um nachher bei der unvermeidlichen letzten Theilung in unangreifbarer Stellung das entſcheidende Wort zu ſprechen.

Der König erkannte was auf dem Spiele ſtand. Er ließ ſein Heer einrücken, ſchlug die Polen bei Rawka, eroberte Krakau und wendete ſich dann gegen Warſchau, das mangelhaft gerüſtet, von Parteikämpfen erfüllt, einem Sturmangriffe der Preußen nicht gewachſen war. Aber jene un - glückliche Bedachtſamkeit und Ueberfeinheit, welche den rheiniſchen Krieg verdorben hatte, betrog den König auch um die Früchte ſeiner polniſchen Siege. Der ritterliche Fürſt wollte Praga mit Sturm nehmen und dann, wie ſein Ahnherr der große Kurfürſt, als Sieger in der polniſchen Haupt - ſtadt einziehen. Da mahnte ihn Biſchoffswerder ſeine Kräfte zu ſchonen für die Abrechnung mit Rußland; ein Agent Katharinas, der Prinz von Naſſau-Siegen, ſtimmte dem kleinmüthigen Rathe eifrig zu; man begann eine regelmäßige Belagerung, die ſchon nach wenigen Tagen abgebrochen wurde. Während das preußiſche Heer verſtimmt und erbittert von War - ſchau abzog, rückte Suworow mit der Hauptmacht Katharinas heran, der geniale Barbar, in dem die wilde nationale Leidenſchaft der Moskowiter Fleiſch und Blut gewann: dem weißen Czaren und der orthodoxen Kirche blind ergeben wie ein großruſſiſcher Bauer, und doch ein Meiſter in der Kriegskunſt der Abendländer, ein großer Feldherr, zum Befehlen geboren, gewohnt das Ungeheure von dem Todesmuthe ſeiner Soldaten zu fordern, gewohnt zu handeln nach ſeinem Lieblingsworte: die Kugel iſt eine Närrin, das Bajonett ein ganzer Mann. Er vollführte was die preußiſchen Feld - herren verſäumt, ſchlug das Heer Kosciuszkos aufs Haupt, erſtürmte Praga nach mörderiſchem Kampfe. Warſchau lag zu den Füßen Katha - rinas, ihre Truppen behaupteten die beherrſchende Stellung zwiſchen Bug und Weichſel. Nicht Preußen, ſondern Rußland hatte den Aufſtand ge - bändigt, und prahlend verkündete der Petersburger Hof: Polen iſt gänz - lich unterworfen und erobert durch die Waffen der Kaiſerin.

Die Unterlaſſungsſünden der preußiſchen Heeresleitung beſtraften ſich ſofort, als die drei Oſtmächte zu Petersburg über die letzte Theilung ver - handelten. Preußen verlangte die Weichſellinie mit Warſchau, Sandomierz und Krakau. Da Oeſterreich, das zur Dämpfung des Aufſtandes ſehr wenig gethan, dieſe letzteren zwei Bezirke für ſich begehrte, gab General Tauentzien eine Antwort, die ſchon den gänzlichen Zerfall der Coalition137Bund der Kaiſerhöfe gegen Preußen.ankündigte; er ſagte: dieſe zwei Provinzen in Eurer Hand würden uns mehr Noth machen als alle Demokratien der Welt. Rußland aber ſtand auf Oeſterreichs Seite; mit glücklichem Erfolg hatte Thugut ſeit andert - halb Jahren um Katharinas Gunſt geworben. Die beiden Kaiſerhöfe waren einig den preußiſchen Ehrgeiz mit jedem Mittel zu bändigen und ſchloſſen, da Preußen nicht nachgab, am 3. Januar 1795 ein geheimes Kriegsbündniß gegen ihren Bundesgenoſſen. Der Vertrag beſtimmte: Theilung Polens dergeſtalt, daß Rußland und Oeſterreich die Hauptmaſſe erhalten, Preußen mit Warſchau und einem ſchmalen Striche an der oſt - preußiſchen Grenze abgefunden wird. Außerdem ward ein umfaſſender Eroberungsplan verabredet: Rußland ſoll in den Donauprovinzen eine Secundogenitur gründen, Oeſterreich erhält freie Hand zur Erwerbung von Baiern, Bosnien und Serbien, ſowie der venetianiſchen Republik; ja die Kaiſerin giebt im Voraus ihre Zuſtimmung zu allen anderen Eroberungen, welche ihr Bundesgenoſſe noch für nöthig halten ſollte; widerſpricht Preußen, ſo wird es mit Aufbietung aller Kraft durch die Waffen gezwungen. Alle die vermeſſenen Wünſche Kaiſer Joſephs lebten alſo wieder auf; an der unteren Donau, im Herzen Süddeutſchlands und vor Allem an der Adria dachte Thugut die Macht ſeines Staates zu er - weitern, und Katharina ließ ihn gern gewähren, weil ſie in dem allge - meinen Umſturz das zweite große Ziel ihrer Staatskunſt, die Herrſchaft über Byzanz zu erreichen hoffte.

Dahin alſo war der preußiſche Staat in den fünf Jahren ſeit dem Reichenbacher Tage gelangt: die Seemächte und das deutſche Reich weigerten ihm die Mittel zur Kriegführung, Rußland und Oeſterreich bedrohten ihn mit einem Angriff. Der Vertrag vom 3. Januar blieb in Berlin noch mehrere Monate lang unbekannt, doch über die Geſinnungen der Kaiſerhöfe beſtand kein Zweifel. Längſt hatte Thugut in Böhmen Truppen angeſammelt um wider den preußiſchen Alliirten vorzubrechen. Konnte Preußen, ohne Geldmittel wie man war, mit ſolchen Bundesgenoſſen den franzöſiſchen Krieg fortſetzen, deſſen letzte Ziele in dem verworrenen Ränke - ſpiele der Diplomatie immer dunkler und räthſelhafter wurden? Sämmt - liche Räthe des Königs verlangten ſchon längſt Frieden oder Bündniß mit Frankreich: auch der geiſtreiche Miniſter Hardenberg, der die fränkiſchen Markgrafſchaften durch eine treffliche Verwaltung für die Monarchie ge - wonnen hatte und jetzt zuerſt auf die auswärtige Politik einzuwirken an - fing. Der Armee, ſelbſt dem tapferen Blücher, war der Krieg an der Seite der Oeſterreicher gänzlich verleidet, nicht minder dem Volke, das der Lorbeeren genug zu haben glaubte. Der junge Vincke ſprach allen aufgeklärten Preußen aus der Seele, wenn er bitter fragte: wie lange wollen wir noch ein freiwilliges Opfer öſterreichiſcher Falſchheit bleiben? Hans von Held, die böſeſte Zunge der literariſchen Oppoſition, mahnte beweglich: Friedrich Wilhelm, ruf es wieder, ruf dein tapfres Heer138I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.zurück! Laß uns ſein der Franken Brüder, ſo gebeut es das Geſchick. Auch im Reiche rief Alles nach Frieden; ſo allgemein war die Ermattung, daß ſogar Karl Auguſt von Weimar lebhaft zur Beendigung des Krieges rieth. Thugut andrerſeits drohte in leidenſchaftlicher Erbitterung, er werde ſich mit Frankreich vertragen, wenn man ihm Krakau vorenthalte; der übereilte Abzug der Oeſterreicher aus den Niederlanden und manche bedenkliche Nachrichten, die über das Treiben des toscaniſchen Geſandten Carletti in Paris umliefen, beſtärkten den preußiſchen Hof in ſeinem Ver - dachte gegen die Hofburg.

Kaum minder dringend war das Friedensbedürfniß in dem tief er - ſchöpften Frankreich; man wünſchte ſehnlich, mindeſtens mit Preußen ins Reine zu kommen. Da die Schreckensherrſchaft geſtürzt, die gemäßigten Parteien in Paris zur Herrſchaft gelangt waren, ſo ſchmeichelten ſich die Berliner Staatsmänner mit der Erwartung, ein preußiſcher Sonderfriede werde den allgemeinen Frieden einleiten, den alten Beſitzſtand des Reiches wiederherſtellen. Widerſtrebend ließ ſich der König endlich die Erlaub - niß zur Eröffnung der Friedensverhandlungen abdringen; im Stillen wünſchte er noch immer als getreuer Reichsfürſt einen neuen Rheinkrieg zu führen. Die Baſeler Unterhandlungen verliefen unglücklich, trotz Hardenbergs diplomatiſcher Gewandtheit, weil die Miniſter in Berlin nicht den Muth hatten den Gegnern mit der Wiederaufnahme der Feind - ſeligkeiten zu drohen. Auch dem Gedanken der Seculariſation, der von den Franzoſen wieder aufgegriffen wurde und vielleicht noch einen leid - lichen Ausweg eröffnen konnte, wagten die preußiſchen Diplomaten nicht ernſthaft ins Geſicht zu ſehen. Sie begnügten ſich mit einer armſeligen Halbheit und ſchloſſen am 5. April 1795 den Frieden von Baſel, kraft deſſen Preußen einfach aus dem Coalitionskriege ausſchied; gelang den Franzoſen ſich auf dem linken Ufer zu behaupten, ſo ſollte der König für ſeinen überrheiniſchen Beſitz entſchädigt werden durch ſeculariſirtes geiſtliches Land, wie beide Theile ſtillſchweigend vorausſetzten.

Der Friedensſchluß war, wie die Menſchen und die Dinge in Preußen augenblicklich ſtanden, das letzte verzweifelte Mittel um den Staat aus einer unhaltbaren Lage zu retten. Er war die nothwendige Folge viel - jähriger Fehler und Mißgeſchicke, eines unwahren Bündniſſes, das den Keim des Verrathes in ſich trug, einer kraftloſen Politik, die ſich zwiſchen Polen und dem Rheine unſtet hin und her warf ohne jemals einen ent - ſcheidenden Schlag zu führen. Er war die Schuld nicht einzelner Männer, ſondern des geſammten Volkes, das, einmal durch einen großen Mann aus ſeinem politiſchen Schlummer aufgerüttelt, ſich wieder in ein waches Traumleben verlor und wieder lernte mit gelaſſenem Wohlgefallen an ſeiner politiſchen Zukunft zu verzweifeln. Er war, trotz aller zwingenden Gründe, die ihn entſchuldigten oder erklärten, der ſchwerſte politiſche Fehler unſerer neuen Geſchichte, eine Untreue des preußiſchen Staates gegen ſich139Baſeler Friede.ſelber, die durch zwei Jahrzehnte der Entehrung und der Noth, durch beiſpielloſe Opfer und Kämpfe gebüßt worden iſt.

Als der Mehrer des Reichs war dies Preußen über die Nichtigkeit des Kleinſtaatenthums hinausgewachſen; keine Niederlage in freier Feld - ſchlacht konnte dieſen Staat je tiefer beugen als er ſich ſelber demüthigte, da er ungeſchlagen ſeine Hand abzog von der deutſchen Weſtmark und das ſoeben erſt durch Preußens Heer dem Reiche wiedergeſchenkte Mainz einem ungewiſſen Schickſale preisgab. Durch die Kraft des Willens hatte Preußen ſich allezeit unter übermächtigen Nachbarn behauptet; unziem - licher ſogar als ein offener Bund mit dem Reichsfeinde war für dieſe Macht der träge Kleinmuth, der gemächlich abwarten wollte, ob vielleicht Oeſterreich noch die Franzoſen aus dem Reiche hinausſchlüge. Ein ehren - haftes Gefühl reichsfürſtlichen Stolzes bewog den König dem Baſeler Friedenswerke bis zum letzten Augenblicke zu widerſprechen: er war der Erbe jenes großen Kurfürſten, der, nicht minder ſchnöde von Oeſterreich betrogen, doch immer wieder den Kampf um die rheiniſchen Lande gewagt hatte; zudem empfand er dunkel, wie der wackere alte Miniſter Finken - ſtein, daß die Behauptung der Weſtgrenze des Reichs für die Macht - ſtellung Preußens weit wichtiger war als der Beſitz von Sandomierz und Krakau. Verrathen von ſeinen Verbündeten war er unzweifelhaft berech - tigt von der Coalition zurückzutreten ſobald Frankreich einen ehrenvollen Frieden bot und die alten Grenzen des Reichs anerkannte; doch ein ſolcher Friedeließ ſich nur erreichen wenn man den Willen hatte einen vierten rheiniſchen Feldzug zu wagen. Noch hatte der Krieg die Kernlande der Monarchie nicht berührt; der Wohlſtand zeigte überall ein nachhaltiges Gedeihen, obgleich der Mißwachs des Jahres 1794 augenblickliche Ver - legenheiten bereitete. Von einer Ueberbürdung des Volkes war keine Rede; das um tauſende von Geviertmeilen vergrößerte Staatsgebiet brachte ſeinem gutherzigen Fürſten kaum eine Million Thaler mehr an jährlichen Ein - künften als einſt der kleine Staat Friedrichs II. Ein großer Staatsmann mußte in ſolcher Lage die Mittel zu finden wiſſen für einen neuen Feld - zug, trotz der ſchwerfälligen Formen des Finanzweſens, trotz der üblen Erfahrungen, die man ſoeben mit einer ausländiſchen Anleihe gemacht hatte. Aber im Rathe des Königs fehlte ein ſchöpferiſcher Kopf; der un - glückliche Fürſt ſah keinen Ausweg mehr und beſchwichtigte ſein Gewiſſen mit dem trübſeligen Troſte, daß der Friede mindeſtens keine förmliche Ab - tretung deutſchen Landes ausſpreche.

Alle Berechnungen und Erwartungen ſeiner ſchlauen Rathgeber er - wieſen ſich ſofort als ein großer Irrthum. Sie dachten den Reichskrieg zu beendigen; Hardenberg glaubte, Frankreich werde freiwillig auf die Rheingrenze verzichten um nur mit dem Reiche ſich abzufinden, und hoffte arglos auf ein dauerndes Freundſchaftsverhältniß zwiſchen Preußen und der Republik. Wie ahnten ſie doch ſo gar nichts von dem Charakter des140I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.revolutionären Frankreichs! In Paris kam bald nach den Baſeler Ver - trägen die Kriegspartei wieder ans Ruder, die von Preußen Waffenhilfe erwartete und, getäuſcht in ihrer Hoffnung, den ruheſeligen neutralen Nachbarn mit unverhohlener Geringſchätzung behandelte. Immer deutlicher zeigte ſich, daß ein Friede mit dem Staate der revolutionären Propa - ganda erſt möglich war wenn die alte Staatenwelt in Trümmern lag. Die Haugwitz und Alvensleben wähnten durch den Friedensſchluß freie Hand zu erhalten für die polniſchen Händel und mußten ſchließlich doch den Theilungsplan der beiden Kaiſerhöfe mit geringen Aenderungen an - nehmen; denn nur als Frankreichs Bundesgenoſſe konnte Preußen dem herriſchen Willen Thuguts und Katharinas entgegentreten, und wider ein offenes Bündniß mit der Revolution ſträubte ſich das Ehrgefühl des Königs wie die Thatenſcheu der Mehrzahl ſeiner Räthe. Gleichwohl war Preußen bereits durch den Baſeler Vertrag ein Mitſchuldiger, ein geheimer Ver - bündeter der franzöſiſchen Eroberungspolitik geworden; man wußte in Berlin, daß die Republik das linke Rheinufer behaupten wollte, man er - wartete von ihrer Freundſchaft Entſchädigungen für die cleviſchen Lande und war alſo, wie lebhaft man ſich auch gegen den Verdacht verwahrte, an Frankreichs Siegeswagen angekettet.

Der erſte Schritt führte weiter. Am 5. Auguſt wurde ein Ergänzungs - vertrag abgeſchloſſen, der ſchon beſtimmte Erwerbungen in Ausſicht ſtellte: ging das linke Ufer dem Reiche verloren, ſo ſollte der König das Bis - thum Münſter erhalten und ſein oraniſcher Schwager ebenfalls mit geiſt - lichen Gebieten im Reiche ſchadlos gehalten werden. So verlor der große Gedanke der Seculariſation ſeinen reinen Sinn; König Friedrich hatte ihn verſtanden als ein Mittel zur Reform des Reichs, jetzt diente er nur noch zur Beraubung Deutſchlands. Preußen gewann durch den Frieden ſcheinbar eine großartige Erweiterung ſeiner Macht. Die norddeutſchen Kleinſtaaten folgten raſch dem Beiſpiele ihres mächtigen Mitſtandes. Eine Demarcationslinie wurde den Rhein entlang und dann quer durch Mittel - deutſchland gezogen; hinter ihr lag der neutrale Norden, durch Preußens Waffen vor den Schrecken des Krieges behütet. Die klugen Leute in Berlin jubelten: ſo ſei die Herrſchaft des ſchwarzen Adlers über das ge - ſammte Norddeutſchland durch die friedlichen Künſte der Diplomatie be - gründet. Und doch war dieſe glänzende Stellung nur ein nichtiger Schein. Der Rhein bildete keine haltbare Grenze, die Republik vermochte das linke Ufer nur zu behaupten wenn ſie auch das rechte mittelbar oder unmittelbar beherrſchte; unaufhaltſam fluthete der Krieg tief nach Oberdeutſchland hinein, mehrere der ſüddeutſchen Staaten ſchloſſen bereits Unterwerfungs - verträge mit Frankreich, es waren die Vorboten des Rheinbundes. Im Süden wie im Weſten durch Frankreich und ſeine Vaſallen umklammert, konnte Norddeutſchland ſeine Unabhängigkeit nur ſo lange bewahren, als Frankreich ſich im eigenen Intereſſe genöthigt fand ſie zu ſchonen. Die141Neutralität Norddeutſchlands.friedensſelige Thatenſcheu allein hielt das nordiſche Neutralitätsbündniß zuſammen; wurde der Schirmherr Norddeutſchlands in einen neuen Krieg mit Frankreich verwickelt, ſo mußte dieſer Bund, der jedes ſittlichen In - haltes, jedes poſitiven Zweckes entbehrte, augenblicklich zuſammenbrechen, der Abfall der kleinen Genoſſen von dem beſiegten Preußen ſtand dann un - vermeidlich bevor. Nicht einmal die dauernde Unterordnung der kleinen norddeutſchen Contingente unter Preußens Oberbefehl war von der Selbſt - ſucht dieſer Höfe zu erlangen. Die Gedankenarmuth der Berliner Politik verſuchte kaum ernſtlich, die thatſächliche Herrſchaft, welche der Staat im Norden beſaß, zu einer ſtaatsrechtlichen Hegemonie auszubilden; und doch ließ ſich der Friedensſchluß nur dann entſchuldigen, wenn man ihn benutzte um in Norddeutſchland die Politik des Fürſtenbundes wieder aufzunehmen.

Die Trennung des Nordens von dem Süden hatte der alte König immer unerbittlich zurückgewieſen ſo oft Kaiſer Joſeph ſie zu Oeſterreichs Vortheil durchſetzen wollte; jetzt wurde die Theilung Deutſchlands ver - wirklicht zu Frankreichs Vortheil. Sobald Preußen ſich in das Stillleben der norddeutſchen Neutralität zurückzog, ging der beſte politiſche Gewinn, welchen die Wiedererwerbung der fränkiſchen Stammlande den Hohen - zollern verhieß, unrettbar verloren; der kräftige Schritt mittenhinein in das oberdeutſche Leben war umſonſt gethan. Unter den Süddeutſchen beſtanden fortan nur noch zwei Parteien: eine franzöſiſche und eine öſter - reichiſche ſoweit dies ermüdete Geſchlecht überhaupt noch politiſche Ge - ſinnung beſaß. Das Volk wußte nichts von den Hintergedanken der Hof - burg, ſah die kaiſerlichen Truppen noch jahrelang gegen den Reichsfeind fechten, während Preußen thatlos zur Seite ſtand, und ehrte ſie als die letzten treuen Beſchützer des heimiſchen Bodens. Im Herbſt 1795 focht der Landſturm der Bauern auf dem Taunus und dem Weſterwalde mit den Oeſterreichern vereinigt gegen die plündernde Löffelgarde der Sans - culotten. Als Oeſterreich dann in dem jungen Erzherzog Karl wieder einen Helden fand, da gewann der ſeit Langem faſt verſchollene Name des Kaiſerhauſes bei den Oberdeutſchen wieder einen hellen Klang; noch heute erinnern alte Holzſchnitte in den Bauernhäuſern des Schwarzwalds an die Schlachten des kaiſerlichen Oberfeldherrn. In jenen Jahren bildete ſich grade unter den beſten Deutſchen des Oberlandes eine öſterreichiſche Geſchichtsüberlieferung, die noch durch Jahrzehnte mächtig fortgewirkt hat; damals, da die Szekler und Kroaten im Neckarthale ſtanden, empfing der junge Ludwig Uhland die beſtimmenden politiſchen Eindrücke ſeines Lebens. Preußen aber, das den Oberdeutſchen niemals recht vertraut geweſen, verfiel jetzt auf lange hinaus der allgemeinen Mißachtung. Alſo wirkten die Baſeler Verträge nach allen Seiten hin verderblich; und wenn Hardenberg erwartete, der Friede werde ſeinem Staate eine lange Reihe innerer Reformen, die Einführung der berechtigten Gedanken der Re - volution ermöglichen, ſo ſollte auch dieſe Hoffnung trügen. Der neu -142I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.gewonnene polniſche Beſitz verhinderte vielmehr jahrelang jede Fortbildung der Verwaltung.

Der Baſeler Vertrag, der dem Könige die angeſehene Stellung eines europäiſchen Friedensvermittlers hatte bringen ſollen, bewirkte nur, daß die geſammte Staatengeſellſchaft ſich von Preußen abwendete. An den beiden Kaiſerhöfen erregte die Botſchaft aus Baſel leidenſchaftliche Entrüſtung; ſie hielten für ſchwarzen Verrath was rathloſe Schwäche war ein ſehr begreiflicher Irrthum, da Preußen nur noch von den Siegen der Republik Vortheil ziehen konnte. Beide Höfe blieben feſt davon überzeugt, daß Preußen mit Frankreich unter einer Decke ſpiele; ſie trauten den Rathgebern des Königs das Aergſte zu, ſie glaubten im Ernſte, daß Preußen auf einen Angriffskriegs ſinne, insgeheim die Türken und Schweden gegen Katharina aufzuſtacheln ſuche. Thugut verſammelte bereits ein Heer an der ſchleſiſchen Grenze, mahnte das ruſſiſche Cabinet in ungeſtümen Depeſchen zum Vernichtungskriege gegen den natürlichen Feind , entwarf einen abenteuerlichen Plan: wie man Preußen aller ſeiner polniſchen Provinzen, auch Weſtpreußens, berauben wolle; Suworow ſollte die Ruſſen gegen die preußiſche Hauptſtadt führen. Die Kriegsrüſtungen gegen die norddeutſche Macht brachten den rheiniſchen Krieg während des ganzen Sommers zum Stillſtande. Erſt im Herbſt überzeugte man ſich, daß von Preußens Schwäche nichts zu fürchten ſei, und zugleich erkannte Thugut die Unmöglichkeit einer Verſtändigung mit der Republik. Die Erhaltung der Reichsgrenzen lag dem Gedankengange ſeiner harten Inter - eſſenpolitik fern; er war bereit das linke Rheinufer zu opfern, wenn Oeſterreich die bairiſchen Erblande erhielte. Der Pflichten des Kaiſer - thums gedachte in der Hofburg Niemand; ſtellte man doch dem Peters - burger Hofe ausdrücklich frei, die ruſſiſchen Truppen möchten in Deutſch - land nach Gutdünken hauſen und die von Oeſterreich abgefallenen Reichsſtände züchtigen. Nur über die italieniſchen Dinge konnte man ſich nicht einigen: Thugut hoffte das Gebiet der neutralen Republik Venedig zu der Lombardei hinzu zu gewinnen, während Frankreich den Schlüſſel Italiens, Mailand, nicht in Oeſterreichs Händen laſſen wollte. Deshalb fuhren die Schwerter im Herbſt 1795 abermals aus der Scheide; der Wiener Hof dachte am Rhein Venetien zu erobern. Und wie der Krieg um Italiens willen erneuert wurde, ſo ſollte er auch in Italien ſeine Entſcheidung finden. Mit Rußland und England durch eine neue Tripel - Allianz feſter denn je verbündet, von Pitt mit reichlichen Hilfsgeldern unter - ſtützt, ſtürzte ſich Thugut in den unabſehbaren Kampf. Hüben und drüben herrſchte die rohe Begierde, die Verhöhnung jedes Rechtes; ob Frankreich, ob Oeſterreich ſiegte, der Untergang des alten Völkerrechtes war gewiß. Und während dieſes unheimlichen Ringens blieb der Staat neutral, dem einſt Freund und Feind nachſagten, daß er die Wage des europäiſchen Gleichgewichts in ſeinen Händen halte!

143Dritte Theilung Polens.

Erſtaunlich nun, wie man in Norddeutſchland ſich gar nichts träumen ließ von der ungeheuren Einbuße, welche Preußens Ruf und Anſehen durch den kleinmüthigen Friedensſchluß erlitten, von der völligen Ver - wüſtung jeder Pietät und jedes Rechtsgefühls, die über Deutſchland herein - brechen mußte ſeit der einzige lebendige deutſche Staat das Reich verlaſſen hatte. Alle Welt im Norden rief den weiſen Friedensſtiftern Beifall zu. Handel und Wandel blühten; Preußens Rhederei und Getreideausfuhr genoſſen der Vortheile der neutralen Flagge, nahmen durch den allge - meinen Seekrieg einen ungeahnten Aufſchwung. In ungeſtörter Sicher - heit entfalteten ſich alle Kräfte der neuen Literatur; eben jetzt ſah Weimar ſeine goldenen Tage. Halb verächtlich, halb gleichgiltig blickte der bildungs - ſtolze Norddeutſche aus der Fülle geiſtigen Lebens, die ihn umfing, hinüber nach dem wüſten Kriegsgetümmel jenſeits der Demarcationslinie. Der alte Kant wurde durch die frohe Nachricht aus Baſel angeregt ſeine Abhandlung vom ewigen Frieden niederzuſchreiben und träumte von dem nahen Untergange der Barbarei des Krieges zur ſelben Stunde, da ein neues eiſernes Zeitalter über das aufgeklärte Europa heraufzog. Auch der König, der ſo lange dem Frieden widerſtrebt, beruhigte ſich bald beim Anblick der allgemeinen Zufriedenheit, er lernte aus der Noth eine Tugend zu machen, ſchrieb voll Selbſtgefühls an Katharina: er glaube nur dem Beiſpiele ſeines Vorgängers zu folgen, der ebenfalls zuerſt die Grenzen ſeiner Staaten erweitert und ſich’s dann zum Syſteme gemacht habe das neu Erworbene im Frieden zu regieren und zu behaupten.

In der That hatte außer Johann Sigismund und Friedrich II. noch kein Hohenzoller der Monarchie eine ſo unverhältnißmäßige Vergrößerung gebracht; das Gebiet wuchs in den zehn Jahren dieſer Regierung von 3500 auf nahezu 5600 Geviertmeilen. Mit den fränkiſchen Markgraf - ſchaften trat wieder ein geſegnetes Land alter Cultur zu den dürftigen überelbiſchen Coloniallanden hinzu. Unter Hardenbergs Leitung bildete ſich eine fränkiſche Schule preußiſcher Beamten; Alexander Humboldt war für den Bergbau im Fichtelgebirge thätig, Altenſtein, Kircheiſen, Nagler lernten dort die ſtrengen Grundſätze der altpreußiſchen Verwaltung den behäbigen Lebensverhältniſſen freier Bauern und wohlhabender Kleinbürger anzupaſſen. Dieſe Franken und die philoſophiſchen Oſtpreußen, welche, wie der junge Schoen, in Königsberg zu Kants Füßen geſeſſen und durch den trefflichen Kraus die Ideen Adam Smiths kennen gelernt hatten, wurden nachher der Stamm der Reformpartei des Beamtenthums. Die neue Grenze am Bug und der Pilica war militäriſch und wirthſchaftlich ſehr günſtig, ſie eröffnete den Häfen der Provinz Preußen freien Verkehr mit dem Holz - und Getreidereichthum des inneren Polens, gab dem Staate die vielbewunderte uneinnehmbare Poſition zwiſchen Weichſel, Bug und Narew. Das unglückliche Volk in Großpolen und Maſovien lernte zum erſten male ſeit Jahrhunderten den Segen einer gerechten und fürſorgen -144I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.den Verwaltung kennen. Man ehrte das Unglück durch milde Behand - lung der Aufſtändiſchen, während über das ruſſiſche Polen ein grauſames Strafgericht erging. Der Edelmann ward endlich zum Unterthan, mußte ſich dem Anſehen des Geſetzes unterwerfen; der Bauer und der Jude durften wieder für die Zukunft ſchaffen, der friedlichen Arbeit nachgehen ohne vor der Karbatſche des Slachtizen zu zittern. Die dem alten Polen völlig unbekannte Sicherheit der Rechtspflege lockte zahlreiche Anſiedler und Capitalien aus den deutſchen Provinzen auf dieſen reichen jung - fräulichen Boden; der Landbau hob ſich zuſehends, die Hypothekenordnung ermöglichte eine intenſivere Wirthſchaft, neue Straßen und Waſſerwege entſtanden, Warſchau nahm überraſchend ſchnell den Charakter einer deutſchen Stadt an. Das Aufblühen der Volkswirthſchaft war überall unverkennbar.

Aber man erfuhr bald, daß Macht und Glück der Staaten nicht allein von militäriſchen und handelspolitiſchen Bedingungen abhängen. Die hohe Gerechtigkeit des hiſtoriſchen Schickſals bleibt darum ewig un - erforſchlich und nur der ahnenden Andacht erkennbar, weil ſie die Ein - zelnen wie die Völker nicht mit gleichem Maße mißt. Unter den Staaten wie unter den Menſchen giebt es Glückskinder, denen jeder leichte Er - werb gedeiht, und wieder Andere von härterem Metall, denen nur das ſchwer Erkämpfte zum Heile gereicht. Was der preußiſche Staat beſaß war der Lohn ernſter Arbeit; dieſe neue gewaltige Gebietserweiterung aber fiel ihm in den Schooß nach ſchwächlichen Feldzügen und ruhmloſen Unter - handlungen, ſie wirkte wie Spielgewinn auf einen geordneten Haushalt. Wie oft hatten die Hohenzollern verlockenden Rufen aus dem Auslande widerſtanden; diesmal waren ſie der Verſuchung unterlegen. Preußen beſaß jetzt unter zehntehalb Millionen Einwohnern an vier Millionen Slaven und lief Gefahr ſeiner großen deutſchen Zukunft entfremdet zu werden. Die Erwerbung von Warſchau und Pultusk war freilich ein nothwendiger Schritt, unbedingt geboten nach den Anſchauungen der Zeit, da Preußen den Schlüſſel zu ſeiner Oſtgrenze weder an Oeſterreich noch an Ruß - land überlaſſen durfte; den König trifft kein perſönlicher Vorwurf, weil er über die Gleichgewichtslehre der Epoche nicht hinausſah und von der Macht der nationalen Gegenſätze ebenſo wenig ahnte wie alle ſeine Zeit - genoſſen. Doch es blieb unmöglich, dieſe Tauſende feindſeliger Slachtizen, dieſe verdummten, den Kaplänen blind gehorchenden Bauern mit dem proteſtantiſchen deutſchen Staate zu verſöhnen; während der rheiniſchen Kriege ſah man polniſche Rekruten in Ketten geſchloſſen nach dem Weſten marſchiren, und es geſchah zuweilen, daß die Hälfte unterwegs entſprang. Die polniſchen Provinzen ſchwächten die ſittliche Kraft des Staates, der ohne die willige Hingebung ſeiner Bürger nicht beſtehen konnte, und brachten ſeine innere Entwicklung zum Stillſtande. Die Theilung Polens ſteht obenan unter den mannichfaltigen Urſachen jener unheimlichen Er -145Ausgang Friedrich Wilhelms II. ſtarrung, welche während des folgenden Jahrzehntes Verwaltung und Heerweſen lähmte. Die Kräfte des deutſchen Beamtenthums genügten kaum, um dieſen halbbarbariſchen Landen, die für die altpreußiſche Ver - waltung noch nicht reif waren, die Anfänge geſitteten Menſchenlebens zu ſichern. Wie durfte man vollends an Reformen denken? an die Ein - führung der Selbſtverwaltung, die in zwei Fünfteln der Monarchie nur der Tyrannei des polniſchen Junkerthums zu gute gekommen wäre? oder an die Bildung eines rein nationalen Heeres, das unter zehn Soldaten je vier Polen gezählt hätte?

Während der Staat früherhin mit heilſamer Strenge alle ſeine In - ſtitutionen und namentlich die Steuerverfaſſung ſofort in ſeinen neu - erworbenen Provinzen eingeführt hatte, waltete jetzt am Hofe eine nach - ſichtige Milde, die nur allzugeneigt war jeden Herzenswunſch der neuen Landeskinder zu erhören, jede berechtigte und unberechtigte Eigenthümlich - keit zu ſchonen. Man gab den neuen Provinzen, ſtatt ſie in die Organi - ſation der alten Behörden einfach einzufügen, eine proviſoriſche Verwal - tung; in Franken regierte Hardenberg, in Südpreußen Graf Hoym mit der Machtvollkommenheit eines Vicekönigs. Die alten Abgaben blieben erhalten, ſelbſt an dem verworrenen und verderbten polniſchen Steuerweſen wurden nur einzelne ſchreiende Mißſtände beſeitigt, und ſo geſchah das Unerhörte, daß die weiten polniſchen Gebiete zu den Ausgaben des Ge - ſammtſtaates nur eine winzige Summe, kaum 200,000 Thaler, bei - ſteuerten, während das reiche Franken ſogar einen jährlichen Zuſchuß beanſpruchte. Es war, als ob der erſchlaffte Staat ſich’s nicht mehr zu - traute ſeine neuen Erwerbungen mit ſeinem Geiſte zu erfüllen; der alte mannhafte Grundſatz der rückſichtsloſen Anſpannung aller Kräfte erſchien der weichlichen Philanthropie des Zeitalters grauſam. Zudem bot die Einziehung der Staroſten - und Kirchengüter in Polen der Großmuth des Königs eine unwiderſtehliche Verſuchung; er verſchenkte einen großen Theil dieſer Latifundien nach Gunſt und Laune, ſtatt ſie zu zerſchlagen und unter deutſche Einwanderer zu vertheilen. Der gierige Wettbewerb um die ſüdpreußiſchen Krongüter ſchädigte die ohnehin gelockerte Zucht des Beamtenthums ſchwer; der polniſche Bauer vergaß den Dank für die Wohlthaten der preußiſchen Verwaltung, wenn er die vielen ſchimpflich erworbenen Vermögen der neuen Herren betrachtete.

Von allen Unterlaſſungsſünden dieſer müden Jahre ward keine ſo verderblich wie die Vernachläſſigung des Heerweſens. Die Gutmüthigkeit des Königs, die falſche Sparſamkeit einer ſchlaffen Friedenspolitik und das ſtille Mißtrauen gegen die Treue der polniſchen Soldaten bewirkten, daß die nothwendige Verſtärkung der Armee unterblieb. Während die Bevölkerung ſich faſt verdoppelte, wurden die Truppen nur um etwa 35,000 Mann vermehrt, die Ausgaben für das Heerweſen ſtiegen ſeit Friedrichs Tode von 11 12 auf etwa 14 Millionen Thaler. IndeſſenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 10146I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſchwollen die Heere aller Nachbarreiche zu ungeheuren Maſſen an, die Weltſtellung des Staates ward durch die Verſchiebung der Grenzen im Oſten und im Weſten ſchwieriger denn je.

Als der zweite Friedrich Wilhelm die Augen ſchloß, war Preußens Macht im Innern wie nach Außen ſchwächer denn beim Tode ſeines Oheims. Aus dem feſtgefügten deutſchen Staate, dem ein genialer Wille das Ungeheure zumuthen konnte, war ein ſchwerfälliges deutſch-ſlaviſches Miſchreich geworden, das weder die Heeresmacht noch die Geldmittel beſaß um ſein weites Gebiet zu vertheidigen und langen Friedens bedurfte um nur wieder zu innerer Einheit zu gelangen. Die großen Strafgerichte der Geſchichte ſind ſchwachen Gemüthern unheimlich, denn der Vollſtrecker des gerechten Urtheils iſt faſt immer ſelbſt Partei, ſelbſt ſchuldbelaſtet. So ward die durch gehäufte Frevel verdiente Zerſtörung des polniſchen Staates jetzt von unreinen Händen vollzogen. Die Schuld, die an der nothwendigen That haftete, wurde an Rußland beſtraft durch eine lange Reihe ſchwerer innerer Kämpfe, an Oeſterreich durch die Mißerfolge der franzöſiſchen Kriege, doch von keiner der drei Theilungsmächte iſt ſie ſo ſchwer gebüßt worden wie von Preußen; denn keine von ihnen war durch die Eroberung reinpolniſchen Landes ſoweit abgeirrt von den Bahnen ihrer natürlichen Politik, wie dieſer deutſche Staat. Durch den Klein - muth von Baſel wie durch das Ränkeſpiel von Grodno hatte Preußen an ſeinem Theile dazu geholfen, daß nunmehr jene ruchloſe Ländergier in Europa zur Alleinherrſchaft gelangte, die kein Recht anerkannte als das Recht des Starken und in Napoleon ihren größten Vertreter fand. Deutſchland aber war, da alle ſeine Staaten ſich dem unabweisbaren Werke der Reform verſagten, wieder in der gleichen Lage wie zur Zeit Guſtav Adolfs: wie damals die Parität der Kirchen, ſo konnte jetzt die Verweltlichung des heiligen Reichs, die Vernichtung der Theokratie nur noch durch das Eingreifen ausländiſcher Gewalten erreicht werden.

So lagen die Dinge, als König Friedrich Wilhelm III. den Thron beſtieg. Ernſt und pflichtgetreu, fromm und rechtſchaffen, gerecht und wahrhaft, in Art und Unart ein deutſcher Mann, beſaß er alle Tugenden, die den guten und reinen Menſchen bilden, und ſchien wie geſchaffen, einen wohlgeordneten Mittelſtaat in Ehren durch eine ruhige Zeit hin - durchzuführen; dieſem tiefen Gemüthe war es ein Bedürfniß von ſeinen Unterthanen geliebt zu werden. Sein Geiſt umſpannte nur ein enges Gebiet; doch über alle Fragen, die in ſeinen Geſichtskreis fielen, urtheilte er klar und richtig, nach tiefer, gründlicher Erwägung, und bewährte immer ein angeborenes glückliches Verſtändniß für die Mächte der Wirklich - keit. Seine Erziehung hatte Alles verabſäumt, was dieſe edle, aber ſchwungloſe und im Grunde unpolitiſche Natur zu der Freiheit königlicher147Friedrich Wilhelm III. Weltanſchauung emporheben konnte. Erſt wurde die unbefangene Heiter - keit des Knaben durch die gallige Laune eines pedantiſchen Lehrers, des Theologen Behniſch, gewaltſam niedergedrückt; dann mußte der ſitten - ſtrenge Prinz das leichtfertige Treiben des väterlichen Hofes mit anſehen und den tiefen Ekel, den ſein ſchamhafter Sinn empfand, ſcheu ver - bergen. So lernte er, in ſich einzukehren und die Welt zu meiden. Eine unbezwingliche Schüchternheit lähmte ihm die Thatkraft; es ward ſein Verhängniß, daß er nie vermochte leicht zu leben und mit heiterem Selbſt - gefühle unter ſeine Menſchen zu blicken. Jedes Hinaustreten in die Oeffentlichkeit, ſelbſt das Reden in größerem Kreiſe fiel ihm läſtig; in barſchen, abgeriſſenen Sätzen ſprach er dann ſein verſtändiges Urtheil, ſeine zarte Empfindung aus; das gedrückte, verlegene Weſen ließ die hohe ritterliche Geſtalt mit den ſchönen treuen blauen Augen nicht zur rechten Geltung kommen. Von Jugend auf an den Umgang mit mittelmäßigen Köpfen gewöhnt, hat er den Widerwillen gegen das Geniale, Kühne, Außerordentliche ſelten überwunden. Ihn erſchreckte jener laute rückſichts - loſe Freimuth, der den großen Germanen eignet. Von allen den hoch - begabten Männern, die ihm dienten, iſt ihm nur Einer wahrhaft lieb und theuer geworden: Scharnhorſts einfältig anſpruchsloſe Größe.

Es iſt die Stärke und die Schuld treuer Gemüther, daß ſie ſchwer vergeſſen. Friedrich Wilhelm verzieh leicht, doch er vergaß nicht. Wie er jedes Verdienſt und jede unſcheinbare Gefälligkeit dankbar im Gedächt - niß bewahrte und die Trennung von treuen Unterthanen als ein tiefes Herzeleid empfand, ſo konnte er auch den Zorn jahrelang in ſich ver - ſchließen, bis er ſich einmal das Herz faßte auf gut deutſch ſeine Mei - nung zu ſagen ; dann wurde der gütige Fürſt in polternder Heftigkeit auf gut deutſch ungerecht und kleinlich. Am Wenigſten vergaß er eigen - mächtiges Handeln ſeiner Diener. Denn er wollte der König ſein, und er war es. Niemand hat ihn je beherrſcht. Unſäglich ſchwer fiel ihm jeder große Entſchluß; er zauderte und überlegte, ließ die Dinge gehen, duldete lange was ihm mißfiel, weil er ſich mit ſeinem Urtheil nicht heraustraute; doch wenn entſchieden ſein mußte, dann folgte er immer und überall nur ſeinem Gewiſſen. Er hat aus Unentſchloſſenheit Vieles unterlaſſen, wozu ſein gerader Verſtand ihn drängte, aber nie etwas ge - than, was nicht aus eigener wohlerwogener Ueberzeugung kam. Sein langſamer, doch zäher und feſter Geiſt nahm von den Gedanken größerer Köpfe nur auf was ſeinem Weſen zuſagte; keine Macht der Ueberredung hätte ihn je beſtimmt, die ſittlichen und politiſchen Grundſätze, die ihm heilig waren, aufzugeben. Von der Schuld wie von dem Ruhme ſeiner langen Regierung gebührt ihm ſelber weit mehr als die Zeitgenoſſen an - nahmen, die den ſchlichten Fürſten neben den glänzenden Geſtalten ſeiner Generale und Staatsmänner zuweilen faſt aus den Augen verloren. Er trägt die Hauptſchuld an jener ſchlaffen Friedenspolitik, welche dem alten10*148I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Staate den Untergang bereitete; aber er hat auch, als er nach zehn Jahren des Zauderns und nach grauſamen Schickſalsſchlägen endlich wagte ganz er ſelber zu ſein, aus freiem Entſchluſſe den Neubau des Staates in Angriff genommen, die Reformgedanken ſeiner Räthe genau ſo weit durch - geführt, wie es ihm richtig ſchien, und den lang vorbereiteten Befreiungs - krieg nicht eher geſtattet, als bis er ſelber einſah, der rechte Augenblick ſei gekommen. Er hat in der zweiten Hälfte ſeiner Regierung den An - ſchluß der preußiſchen Politik an Oeſterreich, die Sünden der Demagogen - jagd und das Ausbleiben der verheißenen Verfaſſung verſchuldet, aber auch die Neugründung des preußiſchen Einheitsſtaates mit zäher Geduld geleitet und mit richtigem Blicke die gute Stunde erkannt, da die orien - taliſchen Wirren und die Kämpfe der deutſchen Handelspolitik dem Staate erlaubten wieder ſelbſtändig ſeines Weges zu gehen. Ohne ihn und das allgemeine Zutrauen zu ſeiner Rechtſchaffenheit war die Verſöhnung der zahlloſen landſchaftlichen Gegenſätze in dem neuen Preußen ebenſo un - möglich wie die friedliche Entſtehung jenes Zollvereins, der das nicht - öſterreichiſche Deutſchland unauflöslich mit dem preußiſchen Staate ver - kettete und die Grenzpfähle aufrichtete für das neue deutſche Reich.

Dieſer König konnte nicht, wie der erſte Friedrich Wilhelm und ſein Sohn, den Stempel ſeines eigenen Weſens dem Staate aufprägen, ſon - dern mußte die ſchöpferiſchen Gedanken von anderen, reicheren Geiſtern entlehnen. Und doch iſt er der Herr geblieben; der monarchiſche Charakter des preußiſchen Staates hat ſich, im Guten wie im Böſen, auch unter ſeiner Regierung nie verleugnet. In Noth und Schande, unter De - müthigungen, die einen freieren und kühneren Geiſt zur Verzweiflung bringen konnten, hat er unentwegt ausgehalten bei ſeiner Pflicht. So iſt ſein Name unzertrennlich verbunden mit den dunkelſten und den reinſten Erinnerungen unſerer neuen Geſchichte. Seine Pflichttreue und ein natür - liches Gefühl für die Ehre des Königthums gaben ihm die Kraft, allmäh - lich hineinzuwachſen in das Verſtändniß ſeiner Stellung. Nach und nach lernte er ſelbſt ſolche Gebiete des nationalen Lebens ſchätzen, die ſeinem nüchternen hausbackenen Weſen urſprünglich fremd waren. Er lernte ſich zurechtfinden in der auswärtigen Politik; und dieſer proſaiſche Menſch, der in ſeinen jungen Jahren an der weinerlichen Plattheit Lafontaine’ſcher Romane Gefallen fand, iſt ſchließlich der Mäcenas ſeines Hauſes gewor - den, ein Beſchützer der Künſte und Wiſſenſchaften wie kein Anderer unter den Hohenzollern. Wer ihn in ſeiner menſchlichen Liebenswürdigkeit ſehen wollte, der mußte ihn aufſuchen im einſamen Schlößchen zu Paretz. Dort unter den alten Bäumen am blauen Havelſee verlebte der junge Fürſt ſeine glücklichſten Tage, an der Seite ſeiner lieblichen Gemahlin Luiſe, in dem munteren Kreiſe der ſchönen kleinen Flachsköpfe, die ihm heran - wuchſen; dort thaute er auf und brachte durch drollige Einfälle ſelbſt die geſtrenge Wächterin der Etikette, die Gräfin Voß zu reſpectwidrigem Lachen. 149Abſichten des jungen Königs.Wohl war es ein Segen für ſeine ſchwere, zum Trübſinn geneigte Natur, daß er in den Armen eines heiteren und hochherzigen Weibes einmal erwarmen und die ganze Luſt des Lebens empfinden durfte; dennoch hat das Glück der Ehe ihn, wie ſo viele germaniſche Gemüthsmenſchen, eine Zeit lang mehr gedrückt als gehoben. Er fand als junger Gatte an den unſchuldigen Freuden ſeines Hauſes volles Genügen und widmete dem Staate nur ehrlichen Fleiß, doch nicht jene Hingebung des ganzen Denkens, die das Fürſtenamt fordert; befangen in der unbewußten Selbſtſucht der Glücklichen, trat er ungern aus der reinen Luft ſeines Heimweſens hinaus und begnügte ſich, die Fäulniß, welche den Staat und die Geſellſchaft zerfraß, von ſeiner perſönlichen Umgebung fern zu halten, ſtatt ſie nach Königspflicht unbarmherzig zu bekämpfen.

Der Kronprinz wurde von ſeinem freimüthigen Lehrer Sack früh auf den althohenzollernſchen Gedanken der evangeliſchen Union hingewieſen, an eine innige und doch freie Auffaſſung des chriſtlichen Glaubens ge - wöhnt. Er lernte durch Engel die philanthropiſchen Ideen des Zeitalters der Aufklärung, durch Suarez die Staatslehren der Juriſten des All - gemeinen Landrechts kennen, bewährte ſich in den Feldzügen am Rhein und in Polen wie in den Friedensübungen als ein tapferer ſachkundiger Offizier. Aber wie oft hat er es ſelbſt beklagt allen Staatsgeſchäften hielt man ihn fern. Als der Siebenundzwanzigjährige die Herrſchaft an - trat, ſtand er in einer fremden Welt, ſelber voll tiefer Ehrfurcht vor den Werken ſeines Großoheims, umgeben von alten eigenrichtigen Herren, die dem Schüchternen mit dem ganzen Dünkel fridericianiſcher Allwiſſenheit begegneten. Nichts lag ihm ferner als eine phantaſtiſche Ueberſchätzung der königlichen Würde; wie der Name Staat aus den Geſetzen Friedrichs II. allmählich in den Sprachgebrauch des Volks hinübergedrungen war, ſo verſtand es ſich auch längſt von ſelbſt, daß jeder König von Preußen ſein hohes Amt als eine ſchwere politiſche Pflicht auffaßte. Der junge König hatte ein warmes Herz für den geringen Mann, ſchlicht bürgerliche Nei - gungen wie ſein Urgroßvater, gar keine Vorliebe für den Adel; ſein Wunſch war, die von ſeinen Vorfahren ſeit hundert Jahren ſchrittweis vorbereitete Befreiung des Landvolks zu vollenden. In demſelben Sinne wie der erſte Friedrich Wilhelm konnte er ſagen: ich denke wie ein Republikaner. Nicht als ob ihn die Ideen der franzöſiſchen Revolution bezaubert hätten; das blutige Schauſpiel der gewaltſamen Volkserhebung blieb ſeiner Fried - fertigkeit und ſeinem Rechtsſinne gleich widerwärtig. Doch ſein natür - liches Billigkeitsgefühl, die Ueberlieferungen ſeines Hauſes und die in Suarez’s Schule aufgenommenen politiſchen Gedanken drängten ihn auf die Bahn der ſocialen Reformen. Menſchenfreundlicher Sinn machte ihn zum Freihändler, zum Gegner jener Geſetze, welche den kleinen Leuten die Lebensbedürfniſſe vertheuerten oder die Verwerthung der Arbeitskraft erſchwerten. Sein geſunder Verſtand entdeckte bald faſt alle die einzelnen150I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Gebrechen, daran der erſtarrte Staat krankte; als die Zerſtörung über das alte Preußen hereinbrach, da ſprach ſich der König mit einer Klar - heit, die ſeiner Umgebung ſchier unheimlich erſchien, über die Urſachen des tiefen Sturzes aus. Auch über die Mittel und Wege zur Beſſerung dachte er oft, und mit eindringendem Verſtändniß nach; es war die volle Wahrheit, wenn er ſpäterhin auf die meiſten Reformvorſchläge Steins und Scharnhorſts zu antworten pflegte: dieſe Idee habe ich ſchon längſt gehabt. Nur das Eine, worauf Alles ankam, erkannte er nicht: die Un - möglichkeit, durch Einzelreformen an dem fridericianiſchen Staate etwas Weſentliches zu ändern.

Jenes harte Syſtem monarchiſcher Arbeitsvertheilung, das der erſte Friedrich Wilhelm und ſein Sohn aufgerichtet, war das Werk eines plan - vollen bewußten Willens; darin lag die einſeitige Größe, der Charakter des alten Preußens. Das ganze Werk war aus einem Guſſe, wie von eiſernen Klammern gehalten; ein Pfeiler ſtützte den andern, die Gliederung der Stände und die Ordnung der Verwaltung hingen untrennbar zuſammen; fiel ein Stein heraus, ſo ſtürzte das ganze Gebäude. Wollte man die Vorrechte des Adels im Heere beſeitigen, ſo mußte dem Edelmann erlaubt werden bürgerliche Gewerbe zu treiben und Bauernhufen zu kaufen. Wollte man den Bauern der Dienſte und Frohnden entlaſten, ſo konnte auch die Trennung von Stadt und Land, das Zunftweſen und die Acciſe nicht mehr aufrecht bleiben. Die Monarchie bedurfte einer Reform an Haupt und Gliedern, ſobald man einmal erkannte, daß die alten Formen der Geſellſchaft ſich überlebt hatten. Aber zu ſolcher Einſicht war in Preußen noch Niemand gelangt, auch nicht der Freiherr vom Stein.

Das erſte Jahrzehnt Friedrich Wilhelms III., die beſtverleumdete und unbekannteſte Epoche der preußiſchen Geſchichte, war eine Zeit wohl - gemeinter, aber völlig unfruchtbarer Reformverſuche. Vor wenigen Jahren noch war dieſer Staat mit Recht als der beſtregierte des Feſtlandes ge - prieſen worden; er hatte ſoeben erſt ſo wähnte der geſammte Norden im Kampfe gegen die Revolution ſeine Lebenskraft bewährt. Und ſo ge - ſchah, daß ſelbſt der tadelſüchtige Freimuth der Norddeutſchen kaum be - merkte, wie Alles morſch ward in dem Gemeinweſen. Daß das neue Jahrhundert auf Windesflügeln dahineilte, daß jetzt in kurzen Jahren gewaltige Neubildungen der Geſchichte ſich vollzogen, welche vordem kaum in Jahrzehnten gereift waren, daß in ſolchen Tagen zurückging wer nicht vorwärts ſchritt, von dieſem großen Wandel der Zeiten ahnte man nichts in dem friedlichen Volke, das hinter dem Walle ſeiner Demar - cationslinie mit philoſophiſcher Ruhe beobachtete, wie zwo gewalt’ge Na - tionen ringen um der Welt alleinigen Beſitz .

Die deutſche Gutherzigkeit iſt immer geneigt von einem Thronfolger das Höchſte zu erwarten, doch ſelten hat ſie in ſo überſchwänglichen Hoff - nungen geſchwelgt wie bei dem Regierungsantritt dieſes anſpruchsloſen151Erwartungen im Volke.Fürſten. Schon durch ſeine ſchlichten Sitten gewann er das Herz der Mittelklaſſen, und dieſe Schichten der Geſellſchaft wurden mehr und mehr die Träger unſerer öffentlichen Meinung. Die aufgeklärte Zeit fühlte ſich praktiſch wohl in einer ungebundenen Geſelligkeit voll heiterer ſinnlicher Luſt, doch ſie hegte eine lebhafte theoretiſche Begeiſterung für die abſtracte Tugend ; der Ausdruck hatte noch nicht, wie heutzutage, den Nebenſinn der philiſterhaften Leere. Das preußiſche Volk hatte ſeit den Zeiten des großen Kurfürſten das Schauſpiel ehelichen Glückes auf dem Throne nicht mehr geſehen; welcher Jubel nun unter dieſen deutſchen Familienmenſchen, als der Thron ſich in ein Heiligthum, der Hof ſich in eine Familie ver - wandelte ſo ſang Novalis in ehrlicher Begeiſterung. Die unbarm - herzige Strenge der beiden gewaltigen Könige des achtzehnten Jahrhunderts hatte die Maſſen in ſcheuer Ehrerbietung dem Throne ferngehalten; erſt durch die heitere Herzensgüte der Königin Luiſe gewann das Verhältniß zwiſchen den Hohenzollern und ihrem treuen Volke jenen gemüthlichen Zug der Vertraulichkeit, der ſich ſonſt nur in dem Stillleben der Klein - ſtaaten zeigt.

Die Preußen fühlten ſich ſtolz als Royaliſten, als Gegner der Re - volution. Nicht blos der Heißſporn des märkiſchen Junkerthums, der junge v. d. Marwitz, auch Andere vom Adel und Offizierscorps maßen den Geſandten der Republik, den Königsmörder Sieyes mit zornigen Blicken, als er mit ungepudertem Haar und der dreifarbigen Schärpe bei dem altväteriſchen Gepränge des Huldigungsfeſtes erſchien. Die auf - geklärte Berliner Geſellſchaft ſtand aber zugleich in bewußtem Gegenſatze zu Oeſterreich und dem heiligen Reiche. Man gab den Franzoſen zu verſtehen, der König ſei Demokrat auf ſeine Weiſe, werde mit Maß und Ordnung thun was jene im Sturm vollendet, und bald wollte man wiſſen, daß ein Jacobiner geklagt habe: dieſer Fürſt verdirbt uns die Revolution. Als der junge König nun unter der zweideutigen Um - gebung ſeines Vaters mit Strenge aufräumte und in einigen wortreichen Cabinetsordres eine Fülle guter Vorſätze und menſchenfreundlicher An - ſichten ausſprach, da rief Marcus Hertz frohlockend: die reine Vernunft iſt vom Himmel niedergekommen und hat ſich auf unſerem Throne nieder - gelaſſen. Ein Verein von Berliner Schriftſtellern veröffentlichte Jahr - bücher der preußiſchen Monarchie , welche das Walten des königlichen Reformators auf jedem Schritte begleiten ſollten. Die hoffnungsvolle Stimmung währte noch lange. Als Hufeland im Jahre 1800 nach Berlin berufen wurde, ſchrieb er befriedigt: ich gehe in einen liberalen, unter einer neuen Regierung neu aufblühenden Staat . Auch Schiller und Johannes Müller ſprachen mit warmer Anerkennung von dem Ge - nuſſe grundſatzmäßiger Freiheit in Preußen und lobten, wie raſch Berlin zu einer Freiſtätte deutſcher Art und Bildung werde.

Der König mußte bald erfahren, wie beſchränkt in Wahrheit ſeine152I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.abſolute Gewalt war, beſchränkt durch die Schwerfälligkeit der Verwaltung und durch den ſtillen Widerſtand der öffentlichen Meinung, der ſtändiſchen Vorurtheile, des militäriſch-bureaukratiſchen Kaſtengeiſtes. In der ver - größerten Monarchie hätte ſelbſt ein Friedrich kaum noch die unmittelbare Leitung aller Staatsgeſchäfte in der Hand behalten können. Die perſönliche Regierung wurde zur Unmöglichkeit, doch ihre Formen blieben aufrecht mit verändertem Sinne. Die Cabinetsräthe waren unter Friedrich nur willenloſe Secretäre geweſen, verpflichtet die Befehle des Königs den Be - hörden zu übermitteln; unter ſeinen beiden Nachfolgern erlangten ſie eine gefährliche Macht. Aus Schreibern wurden Rathgeber, da der Fürſt die Unmaſſe der Berichte nicht mehr überſehen konnte. Man wählte die Räthe des Cabinets meiſt aus den Reihen der bürgerlichen Richter; ſie allein hielten dem Monarchen regelmäßigen Vortrag und fühlten ſich bald als Volkstribunen, als Vertreter des friedlichen Bürgerthums gegenüber dem Adel und dem Heere. Ein unberechenbarer ſubalterner Einfluß drängte ſich zwiſchen die Krone und ihre Miniſter. Unter dieſen ver - trauten Räthen war Keiner, der den jungen Fürſten aus dem lauen Ele - mente der guten Vorſätze in die friſche Luft der kräftigen Entſchließung emporheben konnte. Der bedeutendſte unter ihnen, Cabinetsrath Mencken wurde dem Königspaare werth durch die Milde ſeiner aufgeklärten moral - philoſophiſchen Anſichten und bemühte ſich redlich für allerhand Verbeſſe - rungen im Einzelnen; der umfaſſende Blick des Staatsmannes war auch ihm nicht gegeben. Nachher hatte Beyme den Vortrag über die wichtig - ſten inneren Angelegenheiten, Lombard über das Auswärtige Jener ein tüchtiger Juriſt von humanen Anſchauungen, aber nur im Kleinen groß, Dieſer ein leerer, frivoler Wüſtling. Auch die Perſönlichkeit der Generaladjutanten ſtimmte zu dem Geiſte trivialer Mittelmäßigkeit, der in dieſem Kreiſe vorherrſchte. Oberſt Zaſtrow war ein dünkelhafter Gegner jeder Reform; Oberſt Köckeritz eine enge Philiſterſeele, ſeinem jungen Herrn bequem durch phlegmatiſche Gutmüthigkeit, glückſelig wenn er ſich bei der Pfeife und einem ruhigen Spielchen von den Geſchäften des Tages er - holte, aber ſehr unwirſch, wenn ein junger Edelmann ſichs beikommen ließ Verſche zu machen , wie der arme Heinrich von Kleiſt. Obgleich der König dieſe kümmerlichen Menſchen weit überſah, ſo ließ er ſich doch unmerklich zu ihrer Zagheit und Kleinheit hinabziehen.

Wie die Neubildung des Staates einſt von dem Heere ausgegangen war, ſo wurde auch jetzt zuerſt im Heerweſen fühlbar, daß die neue Zeit neue Formen forderte. Das beſte Werbegebiet der alten Monarchie ging verloren, als das linke Rheinufer an Frankreich kam und bald nachher die neuen Mittelſtaaten des Südweſtens ſich ihre eigenen kleinen Armeen bildeten. Daher befahl der König ſchon zu Beginn ſeiner Regierung eine ſtärkere Aushebung der cantonpflichtigen Inländer wegen Abnahme der Reichswerbung . Dieſem erſten Schlage mußten andere folgen. Die153Unfruchtbare Reformverſuche.Armee war fortan allein auf preußiſche Kräfte angewieſen; ſollte ſie die dringend gebotene Verſtärkung erhalten, ſo mußte mindeſtens ein Theil der privilegirten Klaſſen zum Waffendienſte herangezogen werden, und dies war unmöglich, ſo lange das Offizierscorps wie eine geſchloſſene Kaſte in unnahbarer Höhe über der Mannſchaft thronte, ſo lange jene grauſame alte Kriegszucht beſtand, welche den philanthropiſchen, bis zur Weichlichkeit milden Anſchauungen des Zeitalters ins Geſicht ſchlug. So - bald der alte Stamm der geworbenen Ausländer ausſtarb, war ein radi - kaler Umbau der Heeresverfaſſung unvermeidlich, das will ſagen: eine völlige Verſchiebung aller gewohnten ſtändiſchen Verhältniſſe, vor Allem der Stellung des Adels in Staat und Geſellſchaft.

Mannichfache Reformvorſchläge tauchten auf. Einige freie Köpfe unter den jüngeren Beamten, wie Hippel und Vincke, verlangten ſchon die voll - ſtändige Durchführung des altpreußiſchen Gedankens der allgemeinen Wehr - pflicht; Kneſebeck, Rüchel und andere Offiziere empfahlen die Bildung einer Landmiliz. Aber einerſeits ſträubte ſich der Dünkel der alten Generale gegen alle Aenderungen. Jedermann glaubte noch an die Unübertrefflich - keit des fridericianiſchen Heeres. Sogar Friedrich Gentz, der zum Aergerniß der zahmen Zeit ſich unterſtand ein ermahnendes Sendſchreiben an den neuen Monarchen zu richten, ſagte über das Heer kurzweg: von dieſer Seite bleibt uns nichts zu wünſchen übrig ; und Blücher, der Mann ohne Menſchenfurcht, ſprach noch im Frühjahr 1806 unbedenklich von unſerer unbeſiegbaren Armee. Wenn nun der hochmüthige alte Feld - marſchall Möllendorff jeden Neuerungsvorſchlag mit ſeinem ſchnarrenden das iſt vor mir zu hoch begrüßte, dann wollte der König er hat es ſpäter bitter bereut nicht klüger ſein als die Grauköpfe von be - währtem Ruhme. Auf der anderen Seite regte ſich in der aufgeklärten Welt eine doctrinäre Friedensſeligkeit, die zu der blutigen Staatspraxis des neuen Jahrhunderts einen lächerlichen Gegenſatz bildete und gleich - wohl bei der deutſchen Gemüthlichkeit lebhaften Anklang fand. Salbungs - volle Flugſchriften erörterten ſchon die Frage: ſind ſtehende Heere in Friedenszeiten nöthig? Es bezeichnet den inneren Zerfall des geſtrengen Abſolutismus, daß ſolche Stimmen aus dem Publikum jetzt einigen Ein - druck machten, daß man anfing mit der öffentlichen Meinung zu rechnen. Am Hofe vertrat Mencken mit Eifer die alte Anſicht des Beamtenthums, daß die Laſt der Heereskoſten zu ſchwer ſei; auch der König wollte nur das Unerläßliche thun, da er vor Allem die unter ſeinem Vater ange - ſammelte Schuldenlaſt abzutragen wünſchte. Dazu endlich die verzweifelte Frage: wie aus den widerſpänſtigen Polen zuverläſſige Regimenter gebildet werden ſollten?

So zwiſchen entgegengeſetzten Erwägungen hin und her geſchleudert gelangte man nach unzähligen Bedenken und Vorſchlägen zu keiner weſent - lichen Reform. Das Heer wurde nur um ein Geringes, auf 250,000 Mann154I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16 17 Millionen Thaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver - ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer - den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe - rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen, ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch - muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen, den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich, die die Armee unterhalten . Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete.

Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo harmoniſche Heer der ſchleſiſchen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des Befreiungskriegs gehörten längſt der Armee an, die meiſten ſchon als Stabsoffiziere. In manchen Kreiſen des Offizierscorps rührte ſich ein friſcher wiſſenſchaftlicher Sinn, ein lebendiges Verſtändniß für die Gegen - wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberſt Scharnhorſt ſeine Vorleſungen der niederſächſiſche Bauernſohn, der im adlichen Hannover - lande kein Feld für ſeine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte ſchon die der alten be - dachtſamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man nie concentrirt ſtehen, aber ſich immer concentrirt ſchlagen müſſe; er erläuterte ſeine Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die fridericianiſchen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen. Und vergeſſen in ſeiner kleinen ſchleſiſchen Garniſon ſaß der ewige Haupt - mann Gneiſenau über ſeinen Karten, verfolgte mit geſpannten Blicken jeden Schritt des Corſen ſeit dem erſten italieniſchen Feldzuge, lebte ſich ein in die Eigenart des dämoniſchen Mannes, als ob er ahnte, daß er der - einſt dem Unüberwindlichen entgegentreten ſollte. Das neue geiſtige Leben der Nation begann endlich auch auf dieſe militäriſchen Kreiſe, die ihm bisher ganz verſchloſſen geweſen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, ſogar der friedliche Weltbürgergeiſt der Kantiſchen Philoſophie; beweglich klagte der Leutnant Heinrich Kleiſt, wie er in den Rheinfeldzügen ſeine Zeit ſo unmoraliſch töden müſſe.

Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten alten Offiziere trugen gefliſſentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver -155Heerweſen und Verwaltung.hehlten nicht ihre Verachtung gegen den Schulmeiſter Scharnhorſt. Da nur vier oder fünf Rekruten jährlich in die Compagnie eingeſtellt wurden, ſo war die ſchwere und dankbare Aufgabe der militäriſchen Volkserziehung, die für die Linienoffiziere der modernen Volksheere den beſten Lebens - inhalt bildet, für jene Zeit noch gar nicht vorhanden; die ewige Wieder - holung derſelben Paradekünſte mit denſelben alten Berufsſoldaten wurde für feurige Naturen unerträglich. Die ſchüchternen Berliner Bürger entſetzten ſich, und der König griff mit ſtrengen Strafen ein, da die jungen Offiziere des verrufenen Regiments der Gensdarmes in lärmen - dem Maskenzuge die Straßen durchraſten und der baumlange Karl Noſtitz, als Katharina von Bora verkleidet, hinter dem Doctor Luther die Hetz - peitſche ſchwenkte; in ſolchen rohen Späßen tobte ſich das heiße jugend - liche Blut aus, das in der Langeweile des Kamaſchendienſtes nichts mit ſich anzufangen wußte. Der ganze Jammer dieſes Friedensheeres ver - körpert ſich in dem tragiſchen Schickſale des Prinzen Louis Ferdinand; ein trauriger Anblick, wie der freie und kühne, zu allem Herrlichen ge - borene junge Held in wildem Genuß und tollen Abenteuern ſeine Kraft vergeudete, weil er ein leeres Daſein nicht zu tragen vermochte. Mehr und mehr gerieth der eigentliche Zweck des Heerweſens in Vergeſſenheit. Der Orden pour le mérite, vordem nur auf dem Schlachtfelde verliehen, wurde jetzt ſchon zum Lohne für die Heldenthaten des friedlichen Manöver - feldes. Pedantiſche Kleinmeiſterei überwachte die Länge der Zöpfe, die Form der Heubündel, das Geklirr der präſentirten Musketen; aber die Geſchütze waren der Erſparniß halber ohne Beſpannung. Eine majeſtätiſche Langſamkeit ſchien der fridericianiſchen Armee allein noch würdig zu ſein; es kam vor, daß ein Artillerieregiment für den Marſch von Berlin nach Breslau vier Wochen brauchte. Der gemeine Soldat, der nebenbei mit Weib und Kind ein bürgerliches Gewerbe trieb, dachte ebenſo friedfertig wie die Mehrzahl der ergrauten Capitäne, denen die Beurlaubungen der Friedensjahre einträgliche Erſparniſſe für den eigenen Beutel brachten. Es ſchien, als ſollte der preußiſche Degen nie mehr aus der Scheide fahren. Wörtlich erfüllte ſich die Weiſſagung Friedrichs, der einſt die Lieblingskinder des Mars gewarnt hatte, ſie möchten ihre männlichen Sitten nicht verderben laſſen durch Trägheit, Hochmuth, Weichlichkeit.

Ebenſo wenig gelang eine durchgreifende Reform der Verwaltung. Der König getraute ſich nicht, nach der Weiſe ſeines Großoheims Alles ſelber zu entſcheiden, ſchon weil ſein Billigkeitsgefühl zurückſchrak vor dem harten, von ſolcher Allmacht unzertrennlichen fridericianiſchen Grundſatze, daß der Monarch niemals einen Irrthum eingeſtehen dürfe. Er wies daher alle Bittſchriften wo irgend thunlich an die zuſtändigen Behörden. Dadurch wuchs die ohnedies erdrückende Geſchäftslaſt der Beamten. Seit die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium unterſtellt wurden, zeigte ſich die einſt in einfacheren Verhältniſſen ſo156I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.ſchlagfertige Centralbehörde als völlig unzulänglich; jedes Departement ging ſelbſtändig ſeines Wegs, es fehlte die Einheit der Leitung. Noch immer war dies Beamtenthum der Bureaukratie der deutſchen Nachbar - ſtaaten weit überlegen, thätig, voll patriotiſchen Stolzes, hochgebildet, ob - gleich da und dort einzelne Präſidenten mit dem Bildungshaſſe der Generale zu wetteifern ſtrebten. Aber die veraltete, zwiſchen dem Provinzial - und dem Realſyſtem mitteninne ſtehende Organiſation der Behörden bewirkte, daß Niemand in Wahrheit Miniſter war und den Gang der Verwaltung überſah. Jedes einfache Geſchäft führte zu peinlichen Streitigkeiten über die Competenz; die Vermehrung der Miniſterſtellen verſtärkte nur das Uebel. In den alten Beamtenfamilien, die nun ſeit vielen Jahrzehnten dem Staatsdienſte angehörten, vererbte ſich zwar ein lebendiges Gefühl der Standesehre vom Vater auf den Sohn, aber auch der Dünkel des grünen Tiſches; Neulinge, welche aus der naturfriſchen Thätigkeit des Land - baus in dieſe Welt des Bureaus hinübertraten, wie der Freiherr vom Stein, bemerkten mit Unwillen, wie das Actenſchreiben hier zum Selbſtzweck zu werden drohte. Eine formenſelige Papierthätigkeit nahm überhand und konnte durch die ſalbungsvollen Ermahnungen der königlichen Cabinets - ordres nicht überwunden werden, weil ſich der ſtaatsmänniſche Kopf nicht fand, der dem Beamtenthum neue poſitive Aufgaben geſtellt hätte. Und dazu wieder das leidige Bleigewicht der polniſchen Provinzen: es blieb doch ein unerträglicher Zuſtand, daß die regierende Klaſſe aus den weiten Slavenlanden faſt gar keinen jungen Nachwuchs erhielt. Die Spottrede der Gegner, dies Preußen ſei ein künſtlicher Staat, ſchien jetzt doch Recht zu behalten.

Bald nach ſeiner Thronbeſteigung ſprach der König gegen den Finanz - miniſter Struenſee ſeine Mißbilligung aus über das unhaltbare Prohibitiv - ſyſtem, das beſtändig übertreten werde. Erſt ſieben Jahre nachher gelang ihm, die erſte Breſche in dieſe alte Ordnung zu ſchlagen und durch Struenſees Nachfolger Stein die Binnenzölle größtentheils aufzuheben. Noch galt die Einrichtung gleichmäßig geordneter Grenzzölle überall in der Welt als ein vermeſſenes Wagniß. Wie hoffnungslos ſprach Necker in ſeinem Rechenſchaftsberichte von 1781 über die Frage, ob es wohl möglich ſei die constitution barbare der Provinzialzölle zu beſeitigen. Erſt die Revolution begründete die Zolleinheit Frankreichs. Als man ſich jetzt in Preußen an die Aufhebung der Binnenzölle heranwagte, erfuhr man ſofort, daß dieſe Reform eine halbe Maßregel blieb. Denn noch beſtand die Acciſe mit ihren 67 verſchiedenen Tarifen; vergeblich mahnte eine Cabinetsordre des Königs, in dies Durcheinander endlich Klarheit zu bringen. Noch beſtand der Gewerbezwang, der die Städte von dem flachen Lande ſchied; nur in der Grafſchaft Mark hatte Stein ſchon gewagt dieſe trennende Schranke zu beſeitigen. Mit den Provinzialzöllen fiel zugleich die Zollfreiheit der eximirten Klaſſen, und dieſer erſte leiſe Stoß gegen die157Widerſtand der alten Stände.Steuerprivilegien des Adels regte ſogleich die Frage an, ob die weit ſchwerer drückende Ungleichheit der directen Beſteuerung noch fortdauern dürfe. Im Jahre 1806 zahlten in der Kurmark die Städte faſt Millionen, die Bauern 644,000, die ſämmtlichen Rittergutsbeſitzer nur 21,000 Thaler an Staatsſteuern. Aber die Zeit für eine radikale Umgeſtaltung der Staats - wirthſchaft war noch nicht gekommen. Die nationalökonomiſchen Anſichten gährten wirr durcheinander; die meiſten guten Köpfe unter den jüngeren Beamten ſchwärmten mit Vincke für den göttlichen Smith , die Grund - beſitzer neigten zur phyſiokratiſchen Lehre.

Das ſtärkſte Hinderniß jeder Reform lag jedoch in der Oppoſition der Landtage. Der zähe paſſive Widerſtand der alten Stände hatte ſchon den agrariſchen Geſetzen des achtzehnten Jahrhunderts immer wieder die Spitze abgebrochen; jetzt, unter einer nur allzu milden Regierung, zeigte er eine ganz unerwartete Stärke. Es war einer der erſten Schritte des Königs, daß er einem Theile des Bauernſtandes, den Köllmern, das Recht der Vertretung unter den oſtpreußiſchen Ständen gewährte. Alſo verjüngt wurde der Königsberger Landtag die einzige leidlich geſunde unter den verfallenen ſtändiſchen Körperſchaften der Monarchie; er nannte ſich mit einigem Rechte die Vertretung der Nation . Als aber der König nun - mehr die Beſeitigung der Patrimonialgerichte vorſchlug, da widerſprach ſelbſt der oſtpreußiſche Landtag wiederholt und nachdrücklich. Auch ein anderer Lieblingsplan des bauernfreundlichen Fürſten, die Aufhebung der bäuerlichen Dienſte und die Verwandlung aller unterthänigen Bauern - güter in freies Eigenthum, ſtieß auf den Widerſtand des Adels. Der Gedanke war keineswegs durch die franzöſiſche Revolution angeregt, ſon - dern ergab ſich nothwendig aus der alten Geſetzgebung der Hohenzollern, die ſeit hundert Jahren auf die Befreiung des Landvolks losſteuerte; gleichzeitig und ganz unabhängig von einander empfahlen Beamte wie Stein und Hippel, Schriftſteller wie Leopold Krug die Aufhebung der Erb - unterthänigkeit. Auf den Domänen in Weſt - und Oſtpreußen gelang dem wackeren Präſidenten Auerswald die Beſeitigung des Scharwerks, und wo ein Edelmann freiwillig zu der gleichen Reform bereit war, da ermunterte ihn der König in jeder Weiſe; doch ein umfaſſendes Geſetz für die ganze Monarchie wagte man nicht zu erlaſſen. Der Widerſpruch ging nicht blos von den Grundherren aus, ſondern auch von den rohen Bauern, welche jede Aenderung des Beſtehenden mit zähem Mißtrauen anſahen; ſogar die Baumpflanzungen an den neuen Landſtraßen waren vor den Fäuſten dieſer Barbaren nicht ſicher.

Derſelbe unbelehrbare Trotz zeigte ſich auch, als der König, ganz aus dem freien Antriebe ſeines guten Herzens, die Verbeſſerung der Elementar - ſchulen in Angriff nahm und die allgemeine Schulpflicht in vollem Ernſt zu verwirklichen ſuchte. Die Regierung ſtand noch immer ſehr hoch über ihrem Volke. Während die gehäſſigen Schmähſchriften der Oppoſition ſich158I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nach wie vor durch eine klägliche Gedankenarmuth auszeichneten, fanden in den Kreiſen des Beamtenthums alle die großen ſocialen Reformen des folgenden Jahrzehnts ſchon jetzt eine gründliche Beſprechung; ſelbſt die Aufhebung des Zunftweſens wurde bereits von J. G. Hoffmann empfohlen. Doch es fehlte die Kraft, dieſe guten Gedanken dem wider - ſtrebenden Volke aufzuzwingen. Aus Rückſicht auf die Opinion wurde das Tabaksmonopol aufgehoben, das doch, richtig gehandhabt, eine ſehr ergiebige und für den Verkehr wenig beſchwerliche Einnahmequelle werden konnte. Als der wackere Struenſee im Jahre 1798 die Ausgabe einer mäßigen Summe Papiergeld vorſchlug, da genügte eine leiſe Regung der Unzufriedenheit im Berliner Handelsſtande, und alle Miniſter erklärten wie aus einem Munde, ſie fühlten ſich außer Stande eine ſo gehäſſige Maßregel zu vertreten. Die Ohnmacht der Krone offenbarte ſich nament - lich an den ſittlichen Zuſtänden der Hauptſtadt. Während am Hofe an - ſpruchsloſe Einfachheit und altväteriſcher Anſtand mit peinlicher Strenge gehütet wurden, lebte die Berliner vornehme Welt, als ſei dies Muſter - bild ſchlichter Familienſitte gar nicht vorhanden. Die Stadt zählte nun ſchon 182,000 Einwohner; der Verkehr der höheren Stände zeigte bereits die Freiheit großſtädtiſchen Lebens, während in den Mittelklaſſen noch ein ſchwerfälliges Pfahlbürgerthum vorherrſchte. Die Geſelligkeit wurde zu einer verfeinerten Kunſt, wie ſeitdem nie wieder in Deutſchland. Zügellos entfalteten ſich Witz und Kritik; die Liederlichkeit und ein grauſamer geiſtiger Hochmuth traten ſo keck heraus, daß ſelbſt Goethe mit einiger Scheu von dieſem gefährlichen Völkchen ſprach. In ſolcher Luft erwuchſen Naturen von der unendlichen Empfänglichkeit und Reizbarkeit Schleier - machers, Virtuoſen des Genuſſes und des Denkens wie Wilhelm Hum - boldt und Friedrich Gentz, aber auch die eitlen Anempfinder und Geiſt - verkäufer des Varnhagenſchen Kreiſes, und Virtuoſen des Verbrechens wie die Giftmörderin Urſinus.

Im Einzelnen iſt während dieſes Jahrzehntes der halben Anläufe und der wohlgemeinten Verſuche manches Gute geſchehen. Die Land - wirthſchaft erlebte eine Zeit großartiger Fortſchritte; der Getreidepreis ſtieg in den zwanzig Jahren ſeit Friedrichs Tode auf das Doppelte, die Preiſe der Landgüter noch ſchneller, faſt ſchwindelhaft hoch. Thaer lenkte die Augen der Norddeutſchen zuerſt auf das Vorbild des engliſchen Landbaues, und ſeit der beredte Vertheidiger der freien Arbeit in Möglin ſeine Lehr - anſtalt eröffnet hatte, wuchs unter den jüngeren Landwirthen die techniſche Einſicht und die volkswirthſchaftliche Bildung. Ohne Thaers Wirken wäre die Durchführung der Stein-Hardenbergſchen Geſetze kaum möglich ge - weſen. Die noch überall im Reiche traurig verwahrloſten Land - und Waſſerwege fanden jetzt endlich ernſte Beachtung. Durch Stein wurde die Ruhr der Schifffahrt eröffnet; der König ſelber nahm ſich mit Eifer des Weichſelthales an, wo die mächtigen Deichbauten des deutſchen Ordens159Geiſtiges Leben in Berlin.unter der polniſchen Herrſchaft ganz verfallen waren. Der Bergbau, der ſchon durch Heynitz, den Lehrer Steins, erheblich gewonnen hatte, nahm einen neuen Aufſchwung als Graf Redern die großen Grubenwerke in Oberſchleſien einrichtete. In dem neugegründeten ſtatiſtiſchen Bureau waren Krug und Hoffmann thätig, für die Leitung der Bank ward Nie - buhr aus Dänemark berufen.

In der öffentlichen Meinung wurde der neuen Regierung nichts ſo hoch angerechnet wie die Entlaſſung des verhaßten Wöllner und die that - ſächliche Beſeitigung ſeines harten Religions-Edictes. Die Verſicherung des jungen Fürſten, Vernunft und Philoſophie ſeien die unzertrennlichen Begleiter der Religion, war der aufgeklärten Welt recht aus dem Herzen geſprochen, weil ſich Jeder etwas Anderes dabei denken konnte. Als der König aber den von ſeinem Lehrer Sack entworfenen Vorſchlag zu einer gemeinſamen evangeliſchen Agende den Kirchenbehörden empfahl, da zeigte ſich wieder, daß die Krone ihrem Volke um eine gute Strecke voraus war. Er mußte ſeine Unionspläne auf beſſere Zeiten vertagen, denn in den zarten kirchlichen Fragen wollte er noch bedachtſamer und rückſichtsvoller vorgehen als in der Politik. Dieſelbe Bedächtigkeit verſchuldete auch, daß die in unzähligen Denkſchriften und Abhandlungen erwogene Reform des Schul - weſens vorläufig unterblieb; man wurde nicht ſchlüſſig zwiſchen all den verſchiedenen Erziehungsmethoden, welche das Zeitalter Peſtalozzis uner - müdlich zu Tage förderte. Für die Gelehrſamkeit wurde mit einem in Preußen unerhörten Eifer geſorgt; die Scheidewand, welche den alten Staat ſo lange von der deutſchen Wiſſenſchaft getrennt hatte, brach end - lich zuſammen. Alexander Humboldt, Johannes Müller, Hufeland und eine lange Reihe namhafter Gelehrten wurden nach Berlin gerufen; auch Fichte, durch den Glaubenseifer der kurſächſiſchen Lutheraner aus Jena vertrieben, fand eine Zuflucht an der Spree. Das wiſſenſchaftliche Leben der Hauptſtadt fing an in einem großen Zuge ſich zu bewegen. Schon im Winter 1786 wurden dort einundzwanzig Curſe öffentlicher Vorleſungen angekündigt, ſeitdem gewannen ſie noch an Zahl und Bedeutung; in Berlin hielt A. W. Schlegel jene literarhiſtoriſchen Vorträge, welche das wiſſenſchaftliche Programm der romantiſchen Schule ausſprachen. Die Sammlungen des königlichen Hauſes, die der junge König zuerſt dem Publi - cum öffnete, und vor Allem das Theater, damals unter Ifflands Leitung noch eine große nationale Bildungsanſtalt, beförderten einen bewegten Gedankenaustauſch; und ſo wurde ganz von ſelber die Frage laut, ob dieſer Reichthum geiſtigen Lebens nicht in einer Hochſchule einen wiſſen - ſchaftlichen Mittelpunkt finden ſolle. Keine der deutſchen Univerſitäten iſt ſo naturgemäß entſtanden wie die Berliner; ſie war im Grunde ſchon vorhanden bevor ſie förmlich eingerichtet wurde. Doch auch dieſer Plan gelangte für jetzt nicht über Berathungen im Cabinet hinaus. Die ganze Zeit ſchien wie verwunſchen, nichts Weſentliches wollte zu Ende kommen.

160I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Die banauſiſche Gleichgiltigkeit des Staates gegen die bildende Kunſt war endlich überwunden. Er veranſtaltete jetzt öffentliche Gemäldeaus - ſtellungen und beſaß in Berlin bereits eine Schule aufſtrebender Künſtler von ſelbſtändiger Eigenart. Neben Langhans, dem ſtreng antikiſirenden Er - bauer des Brandenburger Thores, kam Schadows derber Realismus empor; und wenn der Wagen der ſchönen Königin vorfuhr, dann ſtand am Schlage mit dem Hute in der Hand der junge Lakai Chriſtian Rauch, der einſt die Andern alle überflügeln ſollte als ſeine gütige Herrin ihm den Weg zu großem Schaffen geebnet hatte. Aber auch hier wieder die gleiche un - heimliche Erſcheinung: köſtliche Kräfte, die nicht benutzt, vielverheißende Entwürfe, die nicht vollendet wurden. Nachdem man eine Menge ver - ſchiedener Pläne berathen und wieder fallen gelaſſen, kam nur ein ein - ziges größeres öffentliches Bauwerk zu Stande: die Neue Münze, von Schadow mit lebenswahren, trefflichen Reliefs geſchmückt, doch das Ge - bäude ſelber abſchreckend kahl und nüchtern, ein getreues Sinnbild dieſer ſchwungloſen Zeit.

Dergeſtalt war auf allen Gebieten des politiſchen Lebens das Alte noch nicht zerſtört, das Neue noch nicht entwickelt. Der Staat hatte an Charakter verloren was er an humaner Milde gewonnen, er erſchien wie ein noch im Verfalle mächtiger gothiſcher Bau, dem zaghafte Hände da und dort ein niedliches zopfiges Thürmchen aufgeſetzt hatten. Und in dieſen unhaltbaren Zuſtänden fühlte ſich das treue Volk unzweifelhaft glücklich; die kindlichen Aeußerungen der Freude, welche auf den Reiſen des Landesvaters und der Landesmutter überall, am Lauteſten unter den warmblütigen Franken, erklangen, kamen ebenſo gewiß aus ehrlichem Herzen, wie nachher die traurigen Abſchiedsbriefe der verlorenen Pro - vinzen.

Die Reformgedanken des Königs gingen über ſociale Verbeſſerungen nicht hinaus; auch Hardenberg wünſchte damals nur die Durchführung der bürgerlichen Rechtsgleichheit nach dem Vorbilde Frankreichs. Eigentlich politiſche Reformpläne hegte nur ein einziger Mann, der Freiherr vom Stein. Der hatte als Kammerpräſident in Weſtphalen die alte Gemeinde - freiheit der Grafſchaft Mark kennen gelernt, aus ſolchen Erfahrungen und aus dem Studium der engliſchen Geſchichte ſich die Anſicht gebildet, daß eine geſunde politiſche Ordnung nur da beſtehe, wo das Volk ſelber hand - anlegend das Regieren lerne. Als die altſtändiſche Verfaſſung in dem neu erworbenen Münſterlande aufgehoben wurde, ſchrieb er dem Könige*)Bericht an den König, Münſter 30. Oct. 1804.: dieſe Landtage, die bisher bei dem Beamtenthum nur als die Feinde jeder Reform verrufen geweſen, könnten, zweckmäßig eingerichtet, vielmehr die Stützen der Rechtsordnung werden: Sie verhindern die willkürlichen Ab - weichungen von Verfaſſung und geſetzlicher Ordnung, die ſich die Landes -161Auswärtige Politik Friedrich Wilhelms III. collegien bei dem Drange der Geſchäfte nicht ſelten zu Schulden kommen laſſen, und ſie ſind durch Eigenthum und Anhänglichkeit an das Vater - land feſt an das Intereſſe eines Landes gekettet, das den fremden öffent - lichen Beamten gewöhnlich unbekannt, oft gleichgiltig und bisweilen ſelbſt verächtlich und verhaßt wird. Die Regenten haben von Ständen, die aus Eigenthümern beſtehen, nichts zu fürchten, mehr von der Neuerungsſucht jüngerer, der Lauigkeit und dem Miethlingsgeiſte älterer öffentlicher Be - amten und von der alle Sittlichkeit verſchlingenden Weichlichkeit und dem Egoismus, der alle Stände ergreift. Dem Könige blieben ſolche Ge - danken noch ganz unverſtändlich. Er ließ ſich zwar nicht zu ſo gehäſſigen Urtheilen über die Revolution hinreißen, wie die übereifrigen Royaliſten an ſeinem Hofe, ſondern erkannte die Berechtigung der franzöſiſchen Bauern - befreiung unbefangen an; aber was irgend an die conſtitutionelle Monarchie erinnerte war ihm durch die Blutthaten der Franzoſen verdächtig und un - heimlich geworden. Wie ſollte er auch bei der allgemeinen Zufriedenheit des Volkes auf die Frage kommen, ob dieſer pflichtgetreue Abſolutismus, der den Staat gebildet hatte, ſich ſchon überlebt habe? Auch Stein ſelber wußte noch keineswegs, wie morſch die alte Ordnung ſei und wie dringend geboten der Neubau. Es ſteht nicht anders, Hoch und Niedrig lebte be - fangen in einer ungeheuren Selbſttäuſchung. Das hiſtoriſche Urtheil ver - mag nicht abzuſehen, wie die Demüthigung von 1806 der alten Monarchie hätte erſpart werden ſollen. Nur die durchſchlagende Beweiskraft des Krieges konnte dem verblendeten Geſchlechte den inneren Verfall jener fridericianiſchen Formen zeigen, welche durch den Zauber alten Ruhmes alle Thatkraft lähmten. Nur eine Niederlage konnte die unnatürliche Epi - ſode der deutſchen Herrſchaft in Warſchau beendigen, den Staat ſich ſelber und ſeinem deutſchen Weſen zurückgeben.

Für keine ſeiner königlichen Pflichten war Friedrich Wilhelm von Haus aus ſo wenig vorbereitet wie für die Leitung der auswärtigen Politik; langſam, bedächtig wie er war hat er einer ſehr ſchweren Schule bedurft bis ſein weiches Gemüth ſich an die Härte der großen politiſchen Macht - fragen gewöhnte. Neigung und Pflichtgefühl ſtimmten ihn friedlich. Er hätte es für einen Frevel gehalten, dies emſig arbeitende Norddeutſchland, deſſen ruhiges Glück von Jedermann, ſelbſt von Friedrich Gentz, geprieſen wurde, ohne dringende Noth den Wechſelfällen des Krieges, den verſchul - deten Staatshaushalt neuen Verwirrungen preiszugeben; nur zur Ab - wehr eines unmittelbaren Angriffs wollte er ſein Schwert ziehen. Die allgemeine Friedensſeligkeit der Norddeutſchen fand nirgends eifrigere Ver - treter als am preußiſchen Hofe; ſie hatte ſich hier ſogar eine eigene ſtaats - rechtliche Doctrin erklügelt. Ein König , ſagte Oberſt Köckeritz zu ſeinem fürſtlichen Freunde, hat gar nicht das Recht das Daſein ſeines Staates aufs Spiel zu ſetzen, das darf nur eine Republik. Ueber Frankreichs gefährliche Abſichten täuſchte ſich der geſunde Sinn des Königs nicht. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 11162I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Sein Vater war dem alten Widerwillen gegen die Republik immer treu geblieben, hatte noch als ſterbender Mann das Anerbieten eines fran - zöſiſchen Bündniſſes zurückgewieſen und ſich nicht beirren laſſen, als Caillard ihm die Erwerbung der deutſchen Kaiſerkrone in Ausſicht ſtellte. Auch Graf Haugwitz war jetzt voll Mißtrauens gegen die Pariſer Macht - haber. So blieb das Verhältniß zwiſchen den beiden Mächten ſehr kühl, und der junge König geſtand zuweilen: er wolle die Kräfte ſeines Staates ſammeln und aufſparen für den Augenblick, da vielleicht einmal ein ent - ſcheidender Kampf mit dieſer räuberiſchen Macht nothwendig würde. Ver - muthlich wußte er ſelbſt nicht recht, ob er ſolche Aeußerungen ernſtlich meinte oder nur nach einem Vorwande für ſeine Friedfertigkeit ſuchte. Als guter Deutſcher wünſchte er die Befriedung des geſammten Reichs und die Wiederherſtellung der alten Grenzen; den Franzoſen gönnte er weder das durch ſeine Truppen eroberte Mainz noch ſeine niederrheiniſchen Erblande.

Der Fürſt, unter deſſen Herrſchaft die größten Gebietsveränderungen der preußiſchen Geſchichte erfolgen ſollten, verabſcheute von jeher das Ver - handeln von Land und Leuten; ſelbſt kleine Grenzberichtigungen waren ſeiner Gewiſſenhaftigkeit widerwärtig. Zu der Abtretung von Cleve und Geldern hat er ſich ſchließlich nur darum verſtanden, weil dieſe vorläufig von den Franzoſen beſetzten Lande ihm perſönlich noch nicht gehuldigt hatten. Denn noch wurde das Verhältniß zwiſchen Fürſt und Unterthan überall in Deutſchland als eine perſönliche Verpflichtung angeſehen; ſobald ein Herrſcher ſtarb, ſchloß man eiligſt die Thore der Städte und ver - eidigte die Truppen ſofort für den neuen Herrn. Die romantiſche Ver - ehrung, welche ſein Vater für die altehrwürdigen Formen der Reichs - verfaſſung gehegt, beirrte den nüchternen Kopf des Sohnes nicht; er erkannte den unaufhaltſamen Zerfall des Reichs und empfand als ein treuer Proteſtant wenig Mitleid mit dem Jammer der geiſtlichen Staaten. Aber da er über die Möglichkeit einer Reichsreform noch nicht ernſtlich nachgedacht hatte, ſo wäre die einfache Wiederherſtellung der alten Beſitz - verhältniſſe in Deutſchland ſeinem Rechtsgefühle und ſeiner Friedensliebe das Willkommenſte geweſen. Gelang dies nicht, ſo wollte er mindeſtens das Gleichgewicht zwiſchen Oeſterreich und Preußen wahren, jede Er - weiterung der öſterreichiſchen Macht durch eine Vergrößerung ſeines eigenen Staates ausgleichen. Ohne Groll gegen die Hofburg, nahm er doch die bairiſche Politik ſeines Großoheims wieder auf und trat für die Rechte der Wittelsbacher gegen die kaiſerlichen Eroberungspläne ein. Der leitende Gedanke ſeiner deutſchen Politik blieb freilich die Erhaltung des Friedens für den Norden: nur diplomatiſche Mittel ſollten die Machtſtellung der Monarchie gegen Frankreich wie gegen Oeſterreich ſichern.

So, mit der Geſinnung eines rechtſchaffenen Hausvaters trat der unerfahrene junge Fürſt jenen dämoniſchen Mächten entgegen, welche wäh - rend der jüngſten Monate das Anſehen der Welt verwandelt hatten. Die163Krieg von 1796.Helden der Schreckensherrſchaft hatten ſich einſt vermeſſen, die Revolution ſolle tiefe Furchen ziehen; und ſo war es geſchehen, über alle Beſchreibung gräßlich. In den neun Jahren ſeit dem Baſtilleſturme waren zweiund - zwanzigtauſend dreihundert und einunddreißig neue Geſetze über das un - glückliche Frankreich dahin geſtürmt, jede Brücke zwiſchen der Vergangen - heit und der Gegenwart zerſtört, von allen Inſtitutionen des bourboniſchen Staates keine einzige mehr übrig außer der Pariſer Akademie. Ein volles Drittel des franzöſiſchen Bodens war ſeinen alten Eigenthümern gewalt - ſam entriſſen. Dazu mehr als 47000 Millionen Franken entwertheten Papiergeldes, dazu die völlige Verwirrung aller Beſitzverhältniſſe und die langjährige Ausbeutung des Landes durch den praktiſchen Communismus des Pariſer Pöbels. Aller Wohlſtand, alle Sicherheit des Rechtes war dahin, und dahin auch aller Adel feiner Bildung. Auf den Altären der geſchändeten Kirchen thronte die Göttin der Vernunft; das geſchmackvollſte Volk Europas verehrte die rothe Mütze der Züchtlinge des Bagnos als das Sinnbild ſeiner neuen Freiheit und taufte die Tage des Kalenders auf die Namen des Schweines, des Eſels und der Kartoffel. Wohl hatte die Guillotine endlich ihre entſetzliche Arbeit eingeſtellt, doch die grauſamen Strafgeſetze gegen Prieſter und Emigranten wurden mit unverſöhnlicher Rachſucht aufrecht erhalten. Noch immer blieb die Habe und das bürger - liche Daſein von Tauſenden der unberechenbaren Willkür der herrſchenden Partei preisgegeben. Neun Jahre voll unerhörten Elends hatten den letzten Funken des politiſchen Idealismus zertreten, den Kämpfen des öffentlichen Lebens jeden Inhalt genommen; der Streit der Parteien war, wie ſeitdem immer in Frankreich, nur noch ein Ringen um den Beſitz der Macht ſchlechthin.

Die franzöſiſche Nation verlangte nach Frieden, nach rechtlicher Sicherheit für die neue Vertheilung des Volksvermögens, nach Wiederher - ſtellung der alten Kirche. Ließ man ſie frei gewähren, ſo ſchien die Zurück - berufung des alten Königshauſes unausbleiblich, nicht weil das ermüdete Volk noch irgend ein Gefühl dynaſtiſcher Treue gehegt hätte, ſondern weil die monarchiſche Ordnung ein Zeitalter friedlichen Wohlſtandes zu ver - ſprechen ſchien. Das Heer allein bewahrte in der allgemeinen Zerrüttung noch einige Mannszucht, in der allgemeinen Ermattung noch einigen ſitt - lichen Schwung; ſo viele verdiente und unverdiente Erfolge hatten den kriegeriſchen Ehrgeiz, den Stolz auf die unbeſiegte Tricolore, vornehmlich unter den jungen Generalen, wach gerufen. Durch dies Heer, die einzige geordnete und begeiſterte Macht im neuen Frankreich, behaupteten die radicalen Parteien des Convents ihre Herrſchaft gegen den Willen der Nation. General Bonaparte warf am 13. Vendemiaire 1795 den Auf - ſtand der Royaliſten nieder und erzwang, daß zwei Drittel der Mitglieder des Convents in die Volksvertretung der neuen Directorialverfaſſung ein - traten. Damit war die Fortdauer des Krieges abermals entſchieden, denn11*164I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.nur im Kriege konnte die ſiegreiche Minderheit hoffen ſich im Beſitze der Gewalt zu befeſtigen.

Mit dem italieniſchen Feldzuge des Jahres 1796 begann die zweite, die für den Welttheil fruchtbarere Epoche des Zeitalters der Revolution. Die revolutionäre Propaganda wurde jetzt erſt wahrhaft wirkſam; eine neue Ordnung der Dinge verdrängte die alte Ländervertheilung, die über - lieferten Formen von Staat und Geſellſchaft in Mitteleuropa. Erſt durch Bonapartes Siege erlangten Frankreichs Waffen ein unbeſtreitbares Ueber - gewicht. Als der junge Held, die Alpen umgehend, vom Süden her in Oberitalien einbrach, erwies er ſich ſofort als Meiſter einer neuen, kühneren Kriegsweiſe, die ohne Magazine den Krieg durch den Krieg, durch die Hilfsquellen des eroberten Landes zu ernähren verſtand und ſich nicht ſcheute, auf die Gefahr der Vernichtung hin, mit verwandter Front dem Feinde den Kampf anzubieten. Die Schlachten waren nicht mehr, wie zur Zeit der alten Lineartaktik, ein einfaches Ringen zweier feſtgeſchloſſenen Linien, die einander zu durchbrechen verſuchten. Bonaparte gab ihrem Verlaufe dramatiſche Bewegung und Steigerung; durch die überwältigen - den Maſſenſchläge ſeiner aufgeſparten Reſervetruppen erzwang er die Ent - ſcheidung, wenn die Kraft der vorderen Treffen vernutzt war, und Keiner wußte wie er, die Gunſt des Glückes bis zum Letzten auszubeuten. Nicht die Schonung der eigenen Truppen galt ihm als die erſte Aufgabe des Heerführers, wie einſt den Feldherren der koſtbaren alten Söldnerheere denn jeden Verluſt konnte die Conſcription leicht erſetzen: ſondern die Zertrümmerung der feindlichen Macht. In raſchem Zuge durch die Länder dahinfegend ſtrebte er dem Gegner ins Herz zu ſtoßen, ihm ſeine Hauptſtadt zu entreißen. Begeiſtert für ſich ſelber und den Glanz ſeiner Fahnen, ganz durchglüht von der finſteren, majeſtätiſchen Poeſie des Krieges, erzog er ſeine Truppen zu blinder Zuverſicht auf ſeinen Stern, wies ihnen Ehre, Ruhm und Reichthümer als des Krieges höchſte Ziele und erfüllte ſie bis ins Mark mit einer raſtloſen, abenteuerlichen Lands - knechtsgeſinnung, die alles Reden von Völkerglück und Völkerfreiheit als hohles Geſchwätz verachtete. Er taufte die Franzoſen mit dem klug er - fundenen Namen der großen Nation und riß das an den Parteikämpfen verekelte Volk in einen Rauſch der Selbſtüberhebung und der Kriegsluſt hinein, der ſich ſtärker und nachhaltiger zeigte als die Freiheitsbegeiſterung der erſten Tage der Revolution.

Wie die Kriegsweiſe ſo erhielt auch die europäiſche Politik Frankreichs durch den Sieger von Montenotte und Rivoli einen veränderten Charakter. Die Pläne der Republik waren, trotz der kosmopolitiſchen Schlagworte, womit ſie zu prunken liebte, doch nicht weſentlich hinausgegangen über die alten Ziele, welche das bourboniſche Haus der nationalen Politik gewieſen hatte: ſie wollte ihre Grenzen gegen Oſten erweitern, durch die Schwächung Deutſchlands dem franzöſiſchen Staate das Uebergewicht im Rathe Europas165Friede von Campo Formio.und die Führerſtellung unter den romaniſchen Völkern ſichern; nach un - mittelbarer Beherrſchung des Welttheils ſtrebte ſie nicht. Jener Uner - ſättliche aber, der jetzt in Italien ſeinen byzantiniſchen Hof hielt, die er - oberten Gebiete nach Gefallen zu Vaſallenſtaaten zuſammenballte, jeden Widerſpruch des Directoriums bald durch Drohungen bald durch reiche Beuteſendungen beſchwichtigte, war ein Mann ohne Vaterland. Als Jüngling hatte er einſt für die Befreiung ſeiner italieniſchen Heimath geſchwärmt, doch ſeine frühreife Weltklugheit überwand die jugendlichen Träume ſchnell; unbedenklich trat er bei den Eroberern Corſicas in Dienſt, weil er einſah, daß die Auflöſung aller alten Ordnung in dem revolutio - nären Frankreich hier der höchſten Begabung die höchſten Erfolge verhieß. Nun fühlte er ſich als den geborenen Herrſcher, in der Kraft des Wollens und Vollbringens allen anderen Sterblichen überlegen. Er ſchwelgte in dem Hochgefühle der einzigen Größe dieſer Zeit, die das Unmögliche zu ermöglichen ſchien, und in dem ſtolzen Bewußtſein, daß ihm, ihm allein auferlegt ſei, den Rathſchluß eines fürchterlichen Schickſals zu vollziehen. Er ſah vor ſich das alte Europa, zertheilt durch ſtreitige Intereſſen, ge - lähmt durch ein ſchwerfälliges Heerweſen und durch veraltete Verfaſſungen eine erſtarrte Staatenwelt, die das Recht ihres Daſeins nur noch auf den hiſtoriſchen Beſtand zu ſtützen wußte; hinter ſich die gewaltigen kriege - riſchen Kräfte des franzöſiſchen Volkes, das mit ſeiner Vergangenheit ge - brochen hatte und ſich vermaß der weiten Erde Geſetze zu geben.

So iſt in dem Kopfe des großen Heimathloſen, dem das Seelenleben der Völker, die Welt der Ideen immer unverſtändlich blieb, jetzt ſchon der entſetzliche Gedanke eines neuen Weltreichs entſtanden. Die Bilder der Caeſaren und der Karolinger ſtanden leuchtend vor ſeinem Geiſte; die reiche Geſchichte eines Jahrtauſends ſollte durch ein gigantiſches Abenteuer ver - nichtet werden, die vielgeſtaltige Culturwelt des Abendlandes dem Macht - gebote eines ungeheuren Menſchen gehorchen. Mit einer wunderbaren Sicherheit und Gewiſſensfreiheit ſtürmte dieſe neue, durchaus unfranzöſiſche Politik der Welteroberung ihren Zielen entgegen. Bonapartes Scharfblick erkannte ſofort, durch welche Mittel das in Deutſchland ſiegreiche, in Italien beſiegte Oeſterreich zu einem vorläufigen Frieden zu zwingen ſei; er durch - ſchaute Thuguts adriatiſche Pläne, verſchaffte ſich durch unerhörten Ver - rath den Vorwand die neutrale Republik Venedig zu bekriegen, warf die waffenloſe nieder und bot dann für Mailand, Belgien und das linke Rheinufer dem kaiſerlichen Hofe den Beſitz Venetiens an eine Ab - rundung, die für Oeſterreich faſt willkommener war als die verlorenen unhaltbaren Außenpoſten. Außerdem wurde dem Kaiſer das ſeculariſirte Hochſtift Salzburg und Baiern bis zum Inn, ſeinem aus Modena ver - triebenen Vetter der Breisgau verſprochen. Auf ſolche Bedingungen hin wurde am 17. October 1797 der Friede von Campo Formio geſchloſſen.

Wieder einmal ſollte das heilige Reich die Buße zahlen für Oeſter -166I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.reichs Niederlagen, und wieder, heuchleriſcher denn je zuvor, erklangen am Reichstage jene weihevollen reichsväterlichen Phraſen, womit die un - deutſche Kaiſermacht ihre Hauspolitik zu bemänteln pflegte. Während in den geheimen Artikeln von Campo Formio die Verſtümmelung der deut - ſchen Weſtgrenze, die Seculariſation geiſtlichen Gebietes, die Entſchädigung ausländiſcher Fürſten auf Koſten des Reiches ausbedungen war, ſprach der veröffentlichte Wortlaut des Friedensſchluſſes von der unangetaſteten Integrität des Reichs. Ein kaiſerliches Hofdecret lud die Reichsſtände zu einem Congreſſe nach Raſtatt, damit dort auf der Baſis der Integrität Deutſchlands Verfaſſung und Wohlfahrt zur bleibenden Wonne der fried - liebenden Menſchheit auf Jahrhunderte befeſtigt werde . Auf dem Raſtatter Congreſſe traten die Geſandten der Republik als die herriſchen Schieds - richter der deutſchen Händel auf. An dreihundert deutſche Diplomaten waren verſammelt; viele Gelehrte darunter, begierig, die große Räthſel - ſammlung des Reichsrechts durch einige neue Ungeheuerlichkeiten zu be - reichern. Man warb wetteifernd durch Schmeichelei und Beſtechung um die Gnade der hochmüthigen Fremden. Franzöſiſche Sprache und Sitte herrſchten vor; allabendlich rief das amtliche Deutſchland den franzöſiſchen Schauſpielern Beifall, wenn ſie ihre Witze über die bêtes allemandes zum Beſten gaben. Den öſterreichiſchen Staatsmännern fiel die Aufgabe zu, die Verabredungen von Campo Formio vor den Geſandten der Reichs - ſtände geheim zu halten. Das unwahre Spiel glückte eine Zeit lang, da der Kaiſer durch drei Geſandtſchaften, als Kaiſer, als Erzherzog von Oeſterreich, als König von Ungarn, vertreten war und immer der eine ſeiner Geſandten ſich gemächlich hinter den beiden anderen verſtecken konnte.

Endlich mußte das unſelige Geheimniß doch kund werden. Auf Weih - nachten 1797 wurde Mainz von den kaiſerlichen Truppen geräumt. Die ganze hoffnungslos verworrene Lage der beiden ſchickſalsverwandten Na - tionen Mitteleuropas kam an den Tag, da zur nämlichen Zeit die Franzoſen das unbeſiegte Bollwerk des Rheinlandes beſetzten und die beſiegten Oeſter - reicher in der Stadt des heiligen Marcus einrückten. Bald darauf traten Frankreichs Bevollmächtigte in Raſtatt offen mit der Forderung des linken Rheinufers heraus. Es war die erſte amtliche Ankündigung der Vernich - tung des heiligen Reichs. Denn nach der patrimonialen Staatsauffaſſung des Reichsrechts verſtand es ſich von ſelbſt, daß die Häuſer der weltlichen Erbfürſten für ihre linksrheiniſchen Verluſte entſchädigt werden mußten, während man die geiſtlichen Wahlfürſten in den franzöſiſchen Staats - ſchriften erhielten ſie den bezeichnenden Namen: princes usufruitiers für ihre Nutznießungsrechte durch Penſionen abfinden konnte. Der Ge - danke einer allgemeinen Seculariſation, der ſich ſeit Jahren immer un - abwendbarer aufgedrängt hatte, erſchien jetzt als das letzte Mittel die dynaſtiſchen Wünſche des deutſchen Fürſtenſtandes zu befriedigen. Der große Beutezug des hohen Adels gegen das Kirchengut begann. Der Kaiſer167Raſtatter Congreß.ſelber hatte der Bewegung die Schleußen geöffnet durch die geplante Ein - verleibung des Salzburger Hochſtiftes. In wilder Gier drängten ſich die reichsfürſtlichen Geſandten an die Bevollmächtigten des Directoriums heran um durch die Gunſt des Reichsfeindes ein reiches Stück aus den Gebieten ihrer geiſtlichen Mitſtände zu gewinnen.

Nach Thuguts Abſicht ſollte Preußen bei dieſer Beraubung der geiſt - lichen Fürſten leer ausgehen. In den geheimen Artikeln von Campo Formio war ausdrücklich nur die Abtretung des linken Rheinufers von Baſel bis zur Nette bewilligt worden, damit Preußen ſeine niederrheiniſchen Beſitzungen behielte und keinen Anſpruch auf Entſchädigung erheben könne. Die Verabredung ſtand in offenbarem Widerſpruche mit jenem Auguſt - vertrage von 1796, der dem Berliner Hofe für den Fall der Abtretung des linken Rheinufers eine vortheilhafte Abrundung verſprochen hatte. So hatte denn Frankreich durch zwei widerſprechende geheime Verträge die beiden verfeindeten deutſchen Großmächte an ſich gekettet, von denen die eine aus ihren Niederlagen, die andere aus ihrer Unthätigkeit Vortheil zu ziehen dachte. Unvermeidlich mußte jene dritte Macht, die ihre An - ſprüche auf ihr ſiegreiches Schwert ſtützte, in ſolchem widerwärtigen Streite die Oberhand behaupten.

Für eine entſchloſſene preußiſche Politik war der Weg, nach Allem was geſchehen, klar vorgezeichnet. Preußens niederrheiniſcher Beſitz wurde unhaltbar, ſeit der Kaiſer Belgien, Mainz und die Moſellande an Frank - reich abgetreten. Das geſammte linke Ufer war durch die Verträge von Campo Formio für Deutſchland verloren. Man mußte ſich dieſe That - ſache eingeſtehen und verſuchen, mindeſtens dem rechtsrheiniſchen Deutſch - land eine haltbare weltliche Verfaſſung zu geben. Es war an Preußen, dem natürlichen Gegner der geiſtlichen Staaten, das nunmehr unver - meidliche Werk der allgemeinen Seculariſation, der Verweltlichung des heiligen Reichs, ſelber in die Hand zu nehmen, die Macht der Hofburg in Deutſchland durch die Vernichtung ihres geiſtlichen Anhangs zu brechen, das Reich in einen Fürſtenbund unter Preußens Führung zu verwandeln. Nicht aus Frankreichs, ſondern aus Preußens Händen mußten die kleinen weltlichen Fürſten ihre Entſchädigung empfangen; es galt, ſie durch das einzige Band, das ihnen heilig war, durch das dynaſtiſche Intereſſe für die preußiſche Sache zu gewinnen. In der That hat Dohm, der Geſandte in Raſtatt, ſeinem Könige gerathen, die Seculariſation alſo in großem Stile zu betreiben, als ein Mittel zu einer umfaſſenden Reichsreform nicht zur Befriedigung kleinlicher Habgier. Aber der rathloſen Gedanken - armuth des Berliner Hofes blieb jede kühne Entſchließung unfaßbar. Die preußiſche Politik war während des Krieges wohlmeinend bemüht geweſen, auf der Grundlage der Reichsintegrität den Frieden zwiſchen Oeſterreich und Frankreich herbeizuführen; man hatte ſie ſchroff zurückgewieſen, weil Thugut ſein finſteres Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden konnte,168I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.und weil ein Staat, der unter keinen Umſtänden ſchlagen wollte, auch nicht fähig war in einem Weltkriege zu vermitteln. Als darauf die Ab - tretung der Rheinlande gegen den Wunſch des Königs entſchieden war, wirkten ſeine Diplomaten in Raſtatt, wie es Preußens natürliche Politik gebot, für eine möglichſt reiche Entſchädigung der weltlichen Fürſten, wäh - rend der Wiener Hof den Umfang der Seculariſationen zu beſchränken und namentlich die bewährten Stützen des habsburgiſchen Kaiſerthums, die drei geiſtlichen Kurfürſten, zu ſchonen wünſchte. Auch den bairiſchen Eroberungsplänen der Hofburg wurde von Berlin her ſcharf widerſprochen.

Preußen und Baiern erſchienen wieder, wie einſt in Friedrichs Tagen, als die Führer der anti-öſterreichiſchen Partei; doch dieſe Oppoſition wurde nicht, wie vormals, gehoben durch das ſtolze Bewußtſein der eigenen Kraft. Es zeigte ſich bald, wie hinfällig jene ſcheinbar ſo glänzende Machtſtellung war, die ſich der preußiſche Staat durch die norddeutſche Neutralität er - rungen hatte. Seine kleinen Schützlinge fühlten ſchnell heraus, daß die Erfüllung ihrer begehrlichen Wünſche nur von der gewiſſenloſen Thatkraft der jungen Republik, nicht von der Berliner Friedensſeligkeit zu erwarten ſei. Frankreichs Geſandte beherrſchten den Congreß; Preußen ſpielte in Wahrheit nur die traurige Rolle des Erſten unter den beuteluſtigen Klein - ſtaaten, wagte nicht einmal den Vorſchlag zu einer durchgreifenden Neu - ordnung der deutſchen Verfaſſung. So tief war das Reich geſunken, als der gefürchtete Italiker bei einem flüchtigen Beſuche in Raſtatt zum erſten male einen Blick in das deutſche Leben warf. An dem durchtriebenen Ränkeſpiele dieſes unfruchtbaren Congreſſes hat ſich Bonaparte ſein Ur - theil über unſer Vaterland gebildet. Er durchſchaute die vollendete Nichtig - keit des Reichsrechts und meinte befriedigt: wenn dieſe Verfaſſung nicht beſtünde, ſo müßte ſie zu Frankreichs Vortheil erfunden werden. Er beobachtete mit der verächtlichen Schadenfreude des Plebejers die knechtiſche Demüthigung des deutſchen Fürſtenſtandes. Doch ihm entging auch nicht, daß dies Land in Folge der Haltloſigkeit ſeiner Territorialgewalten nur zu reif ſei für die nationale Einheit; es ſchien ihm hohe Zeit, die kleinen Dynaſten durch Befriedigung ihrer Ländergier ganz für Frankreich zu gewinnen und alſo das zertheilte Deutſchland ſeines Volksthums zu be - rauben (dépayser l’Allemagne).

Der Raſtatter Congreß wurde durch den Wiederausbruch des Krieges auseinander getrieben. Thugut hatte die Verträge von Campo Formio nur widerwillig angenommen, da er außer Venetien auch die päpſtlichen Legationen zu erwerben hoffte. Als Frankreich ſich dieſem Wunſche ver - ſagte und, der Abrede zuwider, auf die allgemeine Seculariſation in Deutſchland, das will ſagen: auf die Vernichtung des alten Kaiſerthums, hinarbeitete, fühlte ſich die Hofburg in den Grundfeſten ihrer Macht be - droht; denn ſo ſchrieb der Miniſter nach Petersburg Teutſchland beſtehet nicht durch Italien, ſondern Italien beſtehet durch Teutſchland . 169Coalition von 1799.Währenddem erfolgten neue Gewaltthaten der franzöſiſchen Staatskunſt: mitten im Frieden wurde der Kirchenſtaat zu einer römiſchen Republik umgeſtaltet und der ſchweizeriſche Einheitsſtaat aufgerichtet. Den alten Mächten drängte ſich die Einſicht auf, daß mit dieſer raſtloſen Politik der Welteroberung kein friedliches Zuſammenleben möglich ſei. Schon im Sommer 1798 verhandelten Oeſterreich, England und der neue Czar Paul über die Bildung der zweiten Coalition. Die Verbündeten ſchritten in vollem Ernſt, mit dem Aufgebot ihrer beſten Kraft ans Werk. Auf der weiten Linie vom Texel bis nach Calabrien, an allen ſeinen Grenzen zu - gleich dachten ſie den Staat der Revolution zuſammt ſeinen Tochter - republiken anzugreifen, und ſie durften um ſo ſicherer auf den Erfolg ihrer furchtbaren Rüſtungen hoffen, da von den beiden namhafteſten Feld - herren der Republik der Eine, Hoche, ſoeben geſtorben war, Bonaparte aber fern in Aegypten weilte. Der junge Held hatte den grandioſen Ge - danken gefaßt, die Macht Englands, das er als den gefährlichſten Feind ſeiner Weltmachtspläne haßte, an ihrer verwundbarſten Stelle, im Oriente zu ſchlagen.

Für Preußen war der Anſchluß an die neue Coalition keineswegs unbedenklich; denn jede der verbündeten Mächte verfolgte Ziele, welche der deutſchen Politik fremd oder geradezu bedrohlich waren. Rußland dachte den Beſitzſtand im Oſten aufrechtzuhalten um dereinſt die orientaliſche Frage nach ſeinem Sinne zu löſen. Im engliſchen Parlamente enthüllten ſich immer dreiſter und übermüthiger die Pläne einer gewaltthätigen Han - delspolitik, die, nach dem Worte des deutſchen Dichters, das Reich der freien Amphitrite ſchließen wollte wie ihr eigenes Haus; den Seemächten zweiten Ranges konnte weder Englands Alleinherrſchaft im Mittelmeere noch die gänzliche Vernichtung des franzöſiſch-holländiſchen Colonialbeſitzes willkommen ſein. Der Wiener Hof endlich hoffte auf große Eroberungen in Italien und auf die Herſtellung der alten kaiſerlichen Vollgewalt im Reiche. Seine Lohnſchreiber ſchlugen wieder den herausfordernden Ton ferdinandeiſchen Hochmuths an, mahnten den deutſchen hohen Adel, die Pflicht der Lehensfolge gegen die kaiſerliche Majeſtät zu erfüllen. Ueber - haupt trug die zweite Coalition einen ausgeſprochen reactionären Charakter, der mit den gemäßigten Anſichten des preußiſchen Hofes wenig gemein hatte. Czar Paul ſprach in ſeiner ungeſtüm phantaſtiſchen Weiſe von der Zurück - führung des altfranzöſiſchen Königthums. Fanatiſche Flugſchriften predig - ten den Vernichtungskrieg gegen die gottloſen Neufränkler: alle Rottirer Europas blicken nach Paris. Schon der Raſtatter Geſandtenmord am Beginne des Krieges ließ die blinde Erbitterung der Vorkämpfer des hiſtoriſchen Rechts errathen, obſchon die blutige That nicht unmittelbar von der Hofburg anbefohlen war. Noch deutlicher bekundete nachher die gräuelvolle Wiederherſtellung der bourboniſchen Tyrannei, welche unheim - lichen Leidenſchaften die Raſerei der Jacobiner erweckt hatte, und welchen170I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Wirren Europa entgegenging, wenn dies mächtigſte von allen Kriegsbünd - niſſen der Gegenrevolution den Sieg errang.

Gleichwohl ſprachen überwiegende Gründe für den Zutritt Preußens zu dem Dreibunde. In der Abſicht, den Fluthen der Welteroberung endlich Schranken zu ſetzen, ſtimmten die Berliner Staatsmänner mit den drei Mächten überein; Graf Haugwitz war über den Charakter der franzöſiſchen Politik endlich ins Klare gekommen. Und wenn jede der verbündeten Mächte ihre Hintergedanken verfolgte, ſo konnte Preußen um ſo gewiſſer durch entſchloſſenes Handeln ſeine deutſche Machtſtellung befeſtigen. Eng - land bereitete eine Landung an der holländiſchen Küſte vor, Oeſterreich verſammelte ſeine Heere in Oberdeutſchland und Italien. Warf Preußen, diesmal an ſeinen Oſtgrenzen unbedroht, ſeine geſammten Streitkräfte in die weite Lücke zwiſchen dieſen beiden Kriegsſchauplätzen, ſo ging nach menſchlichem Ermeſſen der ehrliche Herzenswunſch des jungen Königs, die Wiedereroberung der Rheinlande, in Erfüllung, und der ſiegreiche Staat erwarb ſich durch deutſche Thaten die nordiſche Hegemonie, die er bisher nur ſcheinbar beſaß. Es war die Schuld des Königs und ſeiner alters - ſchwachen Generale, daß die große Stunde unbenutzt blieb. Der zaudernde Fürſt hielt den Augenblick zur Niederwerfung der Revolution noch nicht gekommen, er wollte die Ereigniſſe abwarten, ſeine Kräfte aufſparen für eine mögliche letzte Entſcheidung. Das ruheſelige Norddeutſchland ſtimmte dem kleinmüthigen Entſchluſſe freudig zu; ſeine Fürſten und Stämme ſegneten die Wiederkehr der Baſeler Neutralitätspolitik.

So begann denn ohne Preußens Zuthun der ungeheure Kampf. Die Schlacht von Abukir begründete die mediterraniſche Herrſchaft der Briten, vereitelte Bonapartes orientaliſche Pläne; Suworows Siege ent - riſſen Italien den Franzoſen; Erzherzog Karl drang in Oberdeutſchland ſiegreich vorwärts, und abermals ſchloß ſich die Bauerſchaft des deutſchen Südens den kaiſerlichen Truppen an. Das Gebiet der Republik lag offen vor den Heeren der Coalition, aber nochmals wurde die Zwietracht der Verbündeten die Rettung Frankreichs. Der Hochmuth der ruſſiſchen Heer - führer erſchien der Hofburg ebenſo unleidlich wie die ehrlich-fanatiſchen Reſtaurationsgedanken des Czaren. Nicht auf die Herſtellung der alten Regierungen, ſondern auf die Unterwerfung der Halbinſel war Thuguts Sinn gerichtet; um für dieſe Pläne freie Hand zu behalten, ſendete er Suworow von der offenen Siegesſtraße hinweg nach der Schweiz. Wäh - rend der große Ruſſe ſeinen heroiſchen und doch militäriſch unfruchtbaren Zug über die Alpen wagte, verlangte England den Abmarſch der Oeſter - reicher nach dem Mittelrheine. Als das mit ſo glänzenden Hoffnungen begonnene Jahr 1799 ſich zum Ende neigte, ging der gewaltige Dreibund in bitterem Unfrieden auseinander; der Czar rief ſeine Truppen heim, von einer Bedrohung des Gebietes der Republik war keine Rede mehr.

Aber ſo tief waren die Gedanken der Welteroberung bereits in das171Der Bonapartismus.Leben des neuen Frankreichs eingedrungen: die franzöſiſche Nation empfand den Verluſt ihrer italieniſchen Machtſtellung als eine unerträgliche Schmach, begrüßte den heimkehrenden ägyptiſchen Helden mit aufrichtigem Jubel als ihren Erretter. Der Staatsſtreich vom 18. Brumaire brachte kraft einer inneren Nothwendigkeit die Staatsgewalt in die Hände des Heerführers, der ſchon ſeit drei Jahren durch den Schrecken ſeiner Waffen die radicale Kriegspartei am Ruder erhalten hatte, und ſchenkte dem neuen Frankreich jene Verfaſſung, die mit unweſentlichen Aenderungen fortbeſteht bis zum heutigen Tage. Die beiden einzigen neuen politiſchen Ideen, welche in der Nation feſte Wurzeln geſchlagen hatten, die Gedanken der Staatseinheit und der ſocialen Gleichheit, wurden bis in ihre letzten Folgen durchgeführt, die veränderte Vertheilung des Eigenthums anerkannt und durch eine ſtrenge Rechtspflege geſichert. Ueber der ungegliederten Maſſe dieſes Volkes der Gleichen erhob ſich der homme-peuple, der demokratiſche Selbſtherrſcher, in deſſen ſchrankenloſer Macht die eine und untheilbare Nation mit Genug - thuung ihre eigene Größe genoß. Ihm gehorchte die feſtgefügte Hierarchie des ſchlagfertigen neuen Beamtenthums, das jedem Ehrgeiz, wenn er ſich nur dem Herrſcher unterwarf, Befriedigung verſprach und den Regierten alle Sorge und Arbeit für das gemeine Wohl abnahm. Ihm diente blind - lings das Heer der Conſcribirten aus den niederen Ständen; eine den Zwecken der Eroberungspolitik glücklich angepaßte Heeresorganiſation ſtellte dem erſten Conſul zugleich die Maſſen eines Volksaufgebotes und die techniſche Tüchtigkeit einer langgedienten Söldnertruppe zur Verfügung. Die beſitzenden Klaſſen aber ſahen, befreit von der Laſt der Wehrpflicht, in bequemer Sicherheit den Triumphen der dreifarbigen Fahnen zu und lernten die aufregenden Nachrichten von Krieg und Sieg als einen un - entbehrlichen Zeitvertreib ſchätzen.

Es war zugleich der höchſte Triumph und die Selbſtvernichtung der Volksſouveränität. Es war der ſtolzeſte, der geſcheidteſte, der beſtgeordnete Despotismus der neuen Geſchichte, der nothwendige Abſchluß des Entwick - lungsganges, welchen der franzöſiſche Staat ſeit der Thronbeſteigung der Bourbonen eingeſchlagen hatte. Auch der altüberlieferte katholiſche Charakter der franzöſiſchen Bildung wurde jetzt durch das Concordat wiederhergeſtellt. Alle die fruchtbaren neuen Gedanken, welche die Geſetzgebung der National - verſammlung und des Convents verwirklicht oder vorbereitet hatte, fanden in dem Präfectenſyſteme, den Rechtsbüchern, dem Finanz - und Heerweſen der neuen Selbſtherrſchaft ſachkundige Verwerthung, ſoweit ſie den beiden Zwecken der Demokratiſirung der Geſellſchaft und der Centraliſation des Staates entſprachen. Hingegen von den Freiheitswünſchen der Revolution, von der Theilnahme der Nation an der Staatsleitung blieb nichts übrig als ein leeres Schaugepränge werthloſer parlamentariſcher Formen. Die Verfaſſung des napoleoniſchen Frankreichs war, wie die des altbourbo - niſchen, in Wahrheit nur eine Verwaltungsordnung. Der in den Partei -172I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.kämpfen des jüngſten Jahrzehntes völlig zerrüttete Handel und Wandel erholte ſich raſch, Dank der Rechtsſicherheit und der freien Bewegung, welche die neuen Geſetze den wirthſchaftlichen Kräften gewährten. Doch an dem anderen traurigen Vermächtniß der Revolution, an der geiſtigen Verödung des franzöſiſchen Lebens wollte und konnte der neue Herrſcher nichts ändern. Er rechnete nur mit dem gemeinen Ehrgeiz der Menſchen; alle Freiheit des Gedankens, alles ſelbſtändige Schaffen der Kunſt und Wiſſenſchaft war ihm hohle Ideologie, halb lächerlich, halb furchtbar.

Alſo trat das ſeltſam zweiſchneidige Syſtem des Bonapartismus auf die Bühne, an Selbſtgefühl, Schlagfertigkeit und organiſatoriſcher Kraft vorderhand den verknöcherten Staaten der Nachbarlande noch weit über - legen: ein Gebilde der Revolution, demokratiſch von Grund aus, der natürliche Gegner der hiſtoriſchen Staatsgewalten und Geſellſchaftsformen im alten Europa; aber auch despotiſch von Grund aus, der geſchworene Feind aller Freiheit und nationalen Eigenart des Völkerlebens. Zunächſt mußte der Sieger des 18. Brumaire die Verluſte des letzten Jahres einbringen, den Beſitzſtand von Campo Formio wiederherſtellen. Sein genialer Verſuch, die Seeherrſchaft Englands durch einen Bund aller See - mächte des Nordens und des Südens zu erſchüttern, ſcheiterte gänzlich; doch im Feſtlandskriege war ihm das Glück hold. Der theatraliſche Zug über den St. Bernhard zeigte dem befriedigten Frankreich, daß Suworows Lorbeeren für franzöſiſche Soldaten nicht unerreichbar ſeien. Der Sieg von Marengo brachte die Herrſchaft über Italien wieder in Bonapartes Hand; die Entlaſſung Thuguts ließ erkennen, daß die zähe Ausdauer des Wiener Hofes zu erlahmen begann. Aber noch bedurfte es eines letzten Schlages, der Schlacht von Hohenlinden, um das erſchöpfte Oeſterreich zum Frieden zu bewegen. Am 9. Februar 1801 verkündete der Friede von Luneville öffentlich und unzweideutig, was der Vertrag von Campo Formio nur insgeheim und unklar beſtimmt hatte: daß der Rhein fortan Deutſchlands Grenze ſei.

Ein Gebiet von 1150 Geviertmeilen und faſt vier Millionen Ein - wohnern war für Deutſchland verloren, beinah ein Siebentel von der Bevölkerung des alten Reichs, das ohne Schleſien auf 28 Millionen Köpfe geſchätzt wurde. Mit unheimlichem Kaltſinn ließ die deutſche Nation den furchtbaren Schlag über ſich ergehen. Kaum ein Laut vaterländiſchen Zornes ward vernommen, als Mainz und Köln, Aachen und Trier, die weiten ſchönen Heimathlande unſerer älteſten Geſchichte, an den Fremden kamen; und wie viele bittere Thränen hatte einſt das verkümmerte Ge - ſchlecht des dreißigjährigen Kriegs um das eine Straßburg vergoſſen!

Es war die Schuld der Krummſtabsregierung, daß die linksrheiniſchen Lande ihrem Volke ſo fremd geworden. An Friedrichs Siegen und Goethes Gedichten, an Allem, was dem neuen Deutſchland das Leben erfüllte, hatten die geiſtlichen Gebiete keinen Antheil genommen. Jetzt ertrugen173Friede von Luneville.ſie ihr Schickſal mit ſtummer Ergebung; nur die niederrheiniſchen Pro - vinzen Preußens bekundeten laut ihren Schmerz über die Trennung von einem ehrenwerthen Staate. Natürlich hatte die rührige Propaganda der Revolution während der langen Jahre der franzöſiſchen Occupation nicht ganz umſonſt gearbeitet: man erlebte da und dort ein beſcheidenes Nach - ſpiel des Mainzer Clubiſtentreibens. Die Jugend berauſchte ſich eine Zeit lang an der Hoffnung, ihre Heimath würde eine ſelbſtändige Tochter - republik unter Frankreichs Schutze bilden. In Koblenz tanzten die Foede - rirten der cisrheiniſchen Republik um den grünweißrothen Freiheitsbaum. Der Kölniſche Brutus Biergans bemühte ſich mit treuem Fleiße, die wüthenden Kraftworte der Marat und Desmoulins nachzuahmen; doch die Nachbildung gerieth kaum beſſer als die deutſche Marſeillaiſe, das ſpießbürgerlich zahme Bundeslied der rheiniſchen Republikaner: Auf, jubelt ihr Brüder, Vernunft hat geſiegt. Nur der junge Joſeph Görres ver - ſtand die dem deutſchen Weſen fremde Sprache des Fanatismus zu reden. Mit dem ganzen Ungeſtüm ſeines phantaſtiſchen Kopfes und mit der ganzen Unreife jener Halbbildung, die in den geiſtlichen Schulen der Biſchofs - lande gedieh, warf ſich der ehrlich begeiſterte Jüngling in den Strudel der revolutionären Bewegung, pries in Reden und Flugſchriften die Wunder der galliſchen Freiheit. Als die Räumung von Mainz über das Schickſal der Rheinlande entſchieden hatte, da hielt er dem heiligen Reiche die Leichenrede dem friedfertigen leidſamen Kindlein, das einſt unter dem Zeichen eines unglückſchwangeren Perrückenkometen geboren wurde, jetzt aber den General Bonaparte zum Teſtamentsvollzieher einſetzt und rief drohend: Die Natur ſchuf den Rhein zur Grenze von Frankreich; wehe dem ohnmächtigen Sterblichen, der ihre Grenzſteine verrücken und Koth und Steinhaufen ihren ſcharf gezogenen Umriſſen vorziehen will! Mit ſolchem Hohne nahm der begabteſte Sohn des Rheinlandes von ſeinem Vaterlande Abſchied; ſolche Empfindungen hatte der Anblick des geiſtlichen Regiments in dem heißen Herzen des Mannes hervorgerufen, der bald nachher der begeiſterte Apoſtel des Deutſchthums am Rheine werden ſollte!

Bei den Maſſen des rheiniſchen Volks fand das jacobiniſche Treiben keinen Boden. Sie lebten dahin ſeufzend über die hohen Kriegslaſten und die Unſicherheit der endloſen proviſoriſchen Zuſtände; ſie ſahen mit Un - muth, wie die fremden Beamten das Land ausplünderten, die Denkmäler ſeines Alterthums roh zerſtörten, die Gebirge entwaldeten, die alten Säulen vom Grabe Karls des Großen nach Paris entführten. Erſt nach der end - giltig vollzogenen Einverleibung lernten ſie auch die Wohlthaten der neuen Regierung ſchätzen. Die franzöſiſche Herrſchaft wurde für die geiſtlichen Gebiete des Rheinlandes, wie für Italien, die Bahnbrecherin des modernen Staatslebens; ſie ſchenkte ihnen die Anfänge bürgerlicher Rechtsgleichheit, welche in Preußen und vielen ſeiner weltlichen Nachbarſtaaten längſt be - ſtanden, und dazu manche andere politiſche Reformen, deren das übrige174I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.Deutſchland noch entbehrte. Durch ſie lernte das ſtaat - und waffenloſe Volk der Krummſtabslande zum erſten male den Kriegsruhm und das Selbſtgefühl eines großen Gemeinweſens kennen.

Die durcheinander gewürfelten Gebiete von 97 Biſchöfen, Aebten, Fürſten, Grafen und Reichsſtädten und einer ungezählten Schaar Reichs - ritter wurden zu vier wohlabgerundeten Departements zuſammengeſchlagen. Eine ſtrenge Polizei jagte die Banden des Schinderhannes auseinander, brachte den Gebirgslanden der Eifel und des Hunsrückens einen Zuſtand friedlicher Sicherheit, den die Zeiten kleinſtaatlicher Ohnmacht nie gekannt. Die Aufhebung der Leibeigenſchaft wollte hier in den Landen alter Bauern - freiheit wenig bedeuten. Um ſo tiefer und heilſamer wirkte die Beſeitigung der feudalen Laſten und der hohen Kirchenzehnten, vornehmlich aber der Verkauf der Nationalgüter; auf den Trümmern der alten geiſtlichen Lati - fundien entſtand ein neuer wohlhäbiger Kleingrundbeſitz. Die Thore des Bonner Ghettos thaten ſich auf, die Proteſtanten von Köln und Aachen erbauten ſich ihre erſten Kirchen. Die öffentliche Rechtspflege der Schwur - gerichtshöfe verdrängte jene ungeheuerlichen Proceßformen, welche vordem von den dreizehn Gerichten der guten Stadt Köln, von den zahlloſen Tribu - nalen geiſtlicher und weltlicher Gerichtsherren gehandhabt wurden. Statt der verſchwiegerten und verſchwägerten Herren vom Rathe, denen das Volk den Spottnamen des Kölniſchen Klüngels anhing, ſtatt der hochedlen und hochweiſen Patricier, die einſt das Reich von Aachen beherrſchten, ge - boten jetzt überall die Präfecten und die Maires, des erſten Conſuls unterthänige Diener. Jede Selbſtändigkeit der Gemeinden war dahin; doch die neue Beamtenregierung zeigte ſich nicht nur rühriger, ſondern auch ehrlicher und gerechter als die alte Vetternherrſchaft.

Wohl vertheidigten die Rheinländer ihre deutſche Sprache und Sitte mit zähem Widerſtande gegen alle Verſuche gewaltſamer Verwälſchung. Die willkürliche Unnatur der neuen Flußgrenze wurde ſchwer empfunden; überall den Strom entlang führte das Volk den kleinen Krieg gegen die verhaßten Zollwächter und ließ ſich den nachbarlichen Umgang mit den rechtsrheiniſchen Landsleuten nicht verbieten. Man ſpürte jedoch bald, mit wie feſten Banden ein kräftiger Staat ſeine Glieder zuſammenhält. Der freie Handel mit dem weiten weſtlichen Hinterlande, die Vernichtung der alten Zunft - und Bannrechte rief neue gewerbliche Unternehmungen, neue Verkehrsverhältniſſe hervor; das gute Frankengeld, das ſeit Bonapartes Beutezügen und Finanzreformen in Frankreich umlief, ſah ſich doch anders an als die Petermännchen und Kaſtemännchen und das andere bunte Münzengewirr der biſchöflichen Tage. Die Stämme am Mittel - und Niederrhein ſind niemals ſo mit ganzem Herzen franzöſiſch geworden wie das Soldatenvolk des Elſaſſes; der wachſende Steuerdruck und die furcht - baren Menſchenopfer der napoleoniſchen Kriege ließen, trotz der Befreiung des Ackerbaus und der Gewerbe, nicht einmal das Gefühl wirthſchaftlichen175Abtretung des linken Rheinufers.Behagens recht aufkommen. Aber allgemein war die Meinung, daß man für immer zu Frankreich gehöre. Die Rheinländer hatten mit ihrer Geſchichte gebrochen und von ihren alten Ueberlieferungen in die neue Zeit nichts mit hinübergenommen als den katholiſchen Glauben; daher das Gefühl innerer Verwandtſchaft, das ſie noch auf lange hinaus mit der neufran - zöſiſchen Bildung verband. Die alte Ordnung war ſpurlos vernichtet, jede Möglichkeit einer Wiederherſtellung verloren; bald ſchwand ſelbſt die Erinnerung an die Zeiten der Kleinſtaaterei. Die Geſchichte, die in den Herzen des aufwachſenden rheiniſchen Geſchlechtes wirklich lebte, begann erſt mit dem Einzuge der Franzoſen. Nur vereinzelte tiefere Naturen, wie Görres und die Gebrüder Boiſſeree, erkannten nach und nach den Fluch aller Fremdherrſchaft, die Verdumpfung und Verwüſtung des geiſtigen Lebens; ſie wendeten ihre ſehnſüchtigen Blicke den Jahrhunderten des Mittelalters zu, da das Rheinland noch ein lebendiges Glied des deutſchen Reichs geweſen, fanden in Schmerz und Reue ihr verlorenes Vaterland wieder. Die große Mehrzahl nahm das Geſchehene hin wie eine unab - änderliche Nothwendigkeit, zumal da die Zuſtände im Reiche ſo wenig Grund zur Sehnſucht boten. Auch drüben auf dem rechten Ufer glaubte Jedermann, die neue Weſtgrenze Deutſchlands ſei für alle Zukunft feſt - geſtellt.

Den Reichsgewalten lag nun die Aufgabe ob, das große Entſchädi - gungswerk durchzuführen, das ſich aus der Verkleinerung des Reichs er - gab. Der ſiebente Artikel des Luneviller Friedens verpflichtete das Reich, die Erbfürſten des linken Rheinufers im Innern Deutſchlands (dans le sein de l’Empire) zu entſchädigen; die Raſtatter Verabredungen ſollten dabei zur Richtſchnur dienen. Alſo wurde die Verweltlichung des heiligen Reichs, die Vernichtung der geiſtlichen Staaten dem Reichstage auferlegt durch das Schwert des fremden Siegers. Was in den Zeiten der ſchle - ſiſchen Kriege die Rettung und Verjüngung des deutſchen Staates geweſen wäre, das war jetzt Deutſchlands Theilung. Während der verwickelten Unterhandlungen, die nunmehr zwei Jahre lang zwiſchen Paris und Regensburg, Berlin, Petersburg und Wien hin und her ſpielten, trat ganz von ſelber wieder jene Gruppirung der deutſchen Parteien hervor, die ſich ſchon auf dem Raſtatter Congreſſe angekündigt hatte. Der Wiener Hof blieb noch lange in dem wunderlichen Wahne, Bonaparte werde ſich um die Neugeſtaltung Deutſchlands nicht kümmern, und ſtrebte möglichſt viele von den theokratiſchen Gewalten des alten Reichs, vor Allen die geiſtlichen Kurfürſten zu retten: nicht das Maß ihres Einkommens, ſon - dern ihr Daſein iſt für die deutſche Verfaſſung werthvoll hieß es in einer öſterreichiſchen Staatsſchrift. Preußen und Baiern dagegen, die mächtigſten der weltlichen Stände, verfochten das gemeinſame Intereſſe der Erbfürſten, die allgemeine Seculariſation, und galten daher bei aller Welt als die Bundesgenoſſen Frankreichs.

176I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Trotzdem hat ein rückhaltloſes Einvernehmen zwiſchen dem erſten Conſul und der Krone Preußen auch damals nie beſtanden. Einen Bundes - genoſſen, der die Selbſtändigkeit einer Großmacht beanſpruchte, konnte Bonaparte nicht ertragen; das neue Foederativſyſtem , das er an die Stelle der alten Staatengeſellſchaft zu ſetzen dachte, bot nur Raum für ein herrſchendes Frankreich und ohnmächtige Vaſallen. Er war der Feind jeder unabhängigen Macht, und auch für Preußen empfand er niemals aufrichtiges Wohlwollen. Dem Leben Bonapartes fehlt jede Entwicklung; er hat nicht, wie die echten Helden der Geſchichte, gelernt von dem Wandel der Zeiten, ſondern ungerührt und unbelehrt bis zum Ende gearbeitet an der Verwirklichung eines weltumſpannenden Planes, der ihm von Haus aus feſt ſtand. Darum erſcheint er am größten in der Zeit des Con - ſulats, als dieſe mächtigen Gedanken ſich zum erſten male enthüllten. In vier Nachbarlanden zugleich trat er jetzt als Friedensvermittler und Or - ganiſator auf. In der Schweiz warf er das willkürliche Gebilde des Ein - heitsſtaates über den Haufen und gab den Eidgenoſſen eine verſtändige Bundesverfaſſung, denn die Natur ſelbſt hat Euch zum Staatenbunde beſtimmt, die Natur zu bezwingen verſucht kein vernünftiger Mann . Mit demſelben durchdringenden Scharfblick erkannte er, daß in Holland die bün - diſchen Staatsformen ſich überlebt hatten; er ließ den bataviſchen Einheits - ſtaat beſtehen und legte ihm eine Verfaſſung auf, welche den Uebergang zur Monarchie erleichterte. Den Italienern erweckte er eine Welt glän - zender Erinnerungen und Erwartungen indem er den alten Namen des Landes wieder zu Ehren brachte und den Vaſallenſtaat am Po zur italie - niſchen Republik erhob; auch hier wurde die Monarchie und die verhüllte Fremdherrſchaft umſichtig vorbereitet. Für ſeine deutſche Politik endlich hatte er ſich längſt den Weg vorgezeichnet, der zur Vernichtung des deutſchen Namens führen ſollte. Nie ward ein unmöglicher Plan mit ſchlauerer Berechnung erſonnen, mit heißerer Thatkraft ins Werk geſetzt.

Wenn der erſte Conſul in Reden und Staatsſchriften das deutſche Reich als unentbehrlich für das europäiſche Gleichgewicht bezeichnete, ſo meinte er damit nur die Anarchie der deutſchen Kleinſtaaterei, keineswegs die theokratiſchen Formen der Reichsverfaſſung. Die karolingiſchen Tra - ditionen des heiligen Reichs ſtanden den Weltherrſchaftsplänen des Corſen ebenſo feindlich im Wege, wie die mittelalterlichen Inſtitutionen des alten Deutſchlands dem demokratiſch-modernen Charakter der neuen Tyrannis widerſprachen. Die deutſche Verfaſſung war, wie der Moniteur ſich aus - drückte, der Mittelpunkt aller feudalen Vorurtheile Europas und zu - gleich eine Stütze der öſterreichiſchen Macht. Der Wiener Hof aber galt in Paris nächſt England als der bitterſte Feind der Revolution; die Zer - trümmerung ſeiner deutſchen Machtſtellung war dort längſt beſchloſſene Sache. Schon im Sommer 1800 mußten Talleyrands Lohnſchreiber den Brief eines deutſchen Patrioten ausarbeiten, ein erſtes Probſtück jener177Bonaparte der Beſchützer der Mittelſtaaten.diaboliſchen Halbwahrheiten, wodurch der Bonapartismus ſo verführeriſch auf unſer Volk gewirkt hat: das Libell zählte mit beredten Worten auf, was Oeſterreich am heiligen Reiche geſündigt hatte, und empfahl den auf - geklärten Deutſchen die Beſeitigung der habsburgiſchen Herrſchaft. Um die wehrloſen Kleinſtaaten von Mittel - und Weſtdeutſchland ganz in ſeine Gewalt zu bringen wollte Bonaparte vorerſt Oeſterreich und Preußen ſo weit als möglich in den Oſten zurückſchieben. Darum wurde der Breis - gau dem Herzog von Modena gegeben; darum erhob Frankreich, diesmal mit dem Wiener Hofe einverſtanden, entſchiedenen Widerſpruch, als Harden - berg den Vorſchlag wagte, Preußen ſolle ſeine Entſchädigung in Franken ſuchen. Darum fanden die Wünſche Baierns, das jetzt ſchon begehrliche Blicke auf Ansbach-Baireuth warf, in Paris gnädige Aufnahme; darum endlich ließ der erſte Conſul in Berlin anfragen, ob nicht Mecklenburg eine bequeme Abrundung für Preußen bieten würde, das alte Herzogs - haus mochte dann in den preußiſchen Rheinlanden entſchädigt werden. Es blieb für diesmal bei einem halben Erfolge, da König Friedrich Wilhelm ſich ſtandhaft weigerte, Mecklenburg wider den Willen der Herzöge zu be - ſetzen; doch das Eine wurde erreicht, daß Preußen ſeinen fränkiſchen Beſitz nicht vergrößern durfte und im Süden allen Einfluß verlor.

Für die Beherrſchung dieſer ſüd - und weſtdeutſchen Gebiete nun er - ſann ſich der große Menſchenverächter ein unfehlbares Mittel. Nicht umſonſt hatte er auf dem Raſtatter Congreſſe dem deutſchen hohen Adel bis in die innerſten Falten des Herzens geblickt. Er wurde der Schöpfer unſerer neuen Mittelſtaaten um durch ſie Deutſchlands Zerſplitterung für immer zu ſichern. Das kleine Volk der Fürſten, Grafen und Reichsritter war ihm läſtig, weil ſie zumeiſt zur öſterreichiſchen Partei gehörten und im Kriege nichts leiſten konnten. Unter den Kurfürſten und Herzögen dagegen fand ſich des brauchbaren Stoffs genug zur Bildung einer fran - zöſiſchen Vaſallenſchaar. Sie waren zu ſchwach um auf eigenen Füßen zu ſtehen, zu dünkelhaft um ſich einer nationalen Staatsgewalt zu beugen, grade mächtig genug um einige kleine Contingente zu ſtellen, die unter der Führung des Welteroberers die alte deutſche Waffentüchtigkeit wieder bewähren konnten; ſie hatten faſt alleſammt während der jüngſten Kriege Sonderverträge mit dem Reichsfeinde geſchloſſen, als Rebellen gegen Kaiſer und Reich den Rechtsboden verlaſſen und die Brücken hinter ſich abge - brochen. Wenn der Gewaltige dieſe politiſchen Zwitterweſen, die nicht leben noch ſterben konnten, unter ſeinen Schutz nahm, wenn er ihrer Habgier einige Brocken aus den Gütern der kleineren Mitſtände zuwarf, ihre Eitelkeit durch anſpruchsvolle Titel und den Schein der Unabhängig - keit kirrte; wenn er alſo die hunderte winziger Territorien zu einigen Dutzend neuer Zufallsſtaaten zuſammenballte, die mit einer Geſchichte von geſtern, jedes Rechtstitels entbehrend, allein von Frankreichs Gnaden leb - ten; wenn er die Satrapen dann zu frechen Kriegen gegen das Vaterland,Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 12178I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.von einer Felonie zur andern führte und neuen Schergendienſt durch neue Beute belohnte, ſo hatten ſie ihm ihre Seele verſchrieben, und er durfte darauf rechnen, daß ſie lieber dem Fremden die Schuhe küſſen als jemals freiwillig einem deutſchen Gemeinweſen ſich unterordnen würden. Er war nicht der Mann ſeinen Schützlingen die Schuld der Dankbarkeit zu er - laſſen. Frankreich , ſo ſchrieb er dem Kurfürſten von Baiern, und Frankreich allein kann Sie auf der Höhe Ihrer Macht erhalten; und nochmals: von uns allein hat Baiern ſeine Vergrößerung, und nur bei uns kann es Schutz finden.

Inſoweit erſcheint Bonapartes deutſche Politik nur als eine groß - artige Weiterbildung der altfranzöſiſchen Staatskunſt, die ſeit dem zweiten und dem vierten Heinrich beſtändig nach der Schirmherrſchaft über die deutſchen Kleinſtaaten getrachtet hatte; das verführeriſche Wort Souverä - nität, das die Diplomaten Frankreichs einſt beim Weſtphäliſchen Friedens - ſchluſſe zuerſt auf die deutſche Landeshoheit angewendet hatten, tauchte jetzt in den Staatsſchriften des erſten Conſuls wieder auf. Aber die Ge - danken des Raſtloſen ſchweiften ſchon weit über dieſe Ziele hinaus: war erſt Weſtdeutſchland unterworfen, ſo ſollten auch Oeſterreich und Preußen gebändigt werden. Bonapartes Freundſchaft für Preußen war niemals mehr als ein verſchlagenes diplomatiſches Spiel. Obgleich er gegen die ängſtliche Politik des Berliner Hofes eine tiefe und wohlberechtigte Ver - achtung hegte, ſo theilte er doch in jenen Jahren den Irrthum aller Welt und überſchätzte die Macht Preußens; für die unerſchöpflichen ſittlichen Kräfte, welche in dem erſtarrten Staate ſchlummerten, hatte der Verächter der Ideologen freilich kein Auge, er wußte aber ſehr wohl, was der preu - ßiſche Soldat in den Rheinfeldzügen geleiſtet hatte, und war über den fortſchreitenden Verfall des fridericianiſchen Heeres nicht genugſam unter - richtet. Den Kampf mit einem ſolchen Gegner wollte er nur unter gün - ſtigen Umſtänden und mit der Hilfe des geſammten übrigen Deutſchlands aufnehmen. Für jetzt konnte er Preußens Mitwirkung noch nicht miſſen. Während des Krieges hatte er mehrmals gehofft, durch die Vermittlung der friedfertigſten der Großmächte zum allgemeinen Frieden zu gelangen, und nachher das erwachende Mißtrauen des Berliner Hofes durch un - beſtimmte Zuſagen hingehalten. Nach dem Frieden betrachtete er die Zertrümmerung der öſterreichiſchen Partei im Reiche als ſeine nächſte Aufgabe; dazu war die Hilfe des alten Nebenbuhlers der Lothringer un - entbehrlich. Die Briefe des erſten Conſuls an den jungen König floſſen über von zärtlichen Betheuerungen: wie jeder Wunſch des königlichen Freundes für das franzöſiſche Cabinet ein Befehl ſei, und wie ſie Beide, der Nachfolger und der Bewunderer Friedrichs, ſelbander in den Fuß - tapfen des großen Königs weiter wandeln wollten. Eine reichliche Ent - ſchädigung ließ ſich dem mächtigſten der weltlichen Reichsſtände nicht ab - ſchlagen; nur jede Verſtärkung der preußiſchen Partei im Reiche mußte179Begründung der preußiſch-ruſſiſchen Allianz.vermieden werden. Daher erhielt Talleyrand die Weiſung, das preußiſch geſinnte Haus Mecklenburg von dem neuen Kurfürſtenrathe auszuſchließen, er dürfe aber nicht davon ſprechen.

Der Berliner Hof ſeinerſeits war von der Ehrlichkeit der franzöſiſchen Freundſchaft durchaus nicht überzeugt. Man hatte dort, wie faſt an allen Höfen, den Staatsſtreich des 18. Brumaire willkommen geheißen, weil eine geordnete Regierung in Frankreich den Weltfrieden zu verbürgen ſchien; man war wieder, wie ſo oft ſchon, bemüht geweſen durch diplo - matiſche Vermittlung die Integrität des Reichs zu retten. Aber wie ſollte ein deutſcher Staat, der ſelbſt nach der Erklärung des Reichskriegs im Jahre 1799 ſein Schwert in der Scheide hielt, ſo hohe Ziele erreichen? Die Losreißung der Rheinlande wurde vollzogen, und Preußen hatte nichts Ernſtliches gewagt um den Schlag abzuwenden. Noch einmal ermannte man ſich dann zu einem tapferen Schritte, als Frankreich und Rußland im Jahre 1801 Hannover zu beſetzen, die Schließung der deutſchen Häfen zu erzwingen drohten; da kam Preußen den Fremden zuvor und nahm ſelber das deutſche Land in Beſchlag ein entſchloſſenes Auftreten, das in England richtig gewürdigt, von Bonaparte nie verziehen wurde. Unter - deſſen bemerkte der König mit Beſorgniß, wie vereinzelt ſein Staat ſtand. Er mißtraute den unberechenbaren Abſichten Bonapartes und wies deſſen Anfragen, ob Preußen ſeine Entſchädigung nicht in Hannover ſuchen wolle, wiederholt zurück, nicht blos aus Rechtlichkeit, ſondern weil er die Hinter - gedanken der franzöſiſchen Politik errieth. Auf der anderen Seite ſah er die Intereſſen der preußiſchen Schifffahrt durch die engliſche Handelspolitik ſchwer beeinträchtigt. Von dem Wiener Hofe endlich war er durch das alte unbelehrbare gegenſeitige Mißtrauen geſchieden: hatte doch Oeſterreich noch im Kriege von 1799 abermals einen großen Theil ſeines Heeres in Böhmen aufgeſtellt um Preußen in Schach zu halten.

So kam der König zu dem Entſchluſſe eine Verſtändigung mit Ruß - land zu ſuchen; dieſen Staat hielt er, nach ſeiner geographiſchen Lage, für eine weſentlich defenſive Macht. Es geſchah zum erſten male, daß der junge Fürſt in der auswärtigen Politik ſich mit einem ſelbſtändigen Gedanken herauswagte; er fing jetzt an auch in dieſen Fragen nach ſeiner erwägſamen Art ſich zurechtzufinden. Da am Petersburger Hofe jederzeit eine ſtarke preußiſche Partei beſtand, ſo ward ein gutes Einvernehmen mit dem Czaren Paul bald erreicht; Preußen war es, das im Jahre 1800 den Frieden zwiſchen Frankreich und Rußland herbeizuführen ſuchte. Die Annäherung wurde zur Freundſchaft, als der junge Czar Alexander über die Leiche ſeines Vaters hinweg den Thron beſtieg. Am 10. Juni 1802 hielten die beiden Nachbarfürſten in Memel jene denkwürdige Zuſammen - kunft, die für Friedrich Wilhelms ganze Regierung folgenſchwer werden ſollte. Beide jung, Beide erfüllt von den philanthropiſchen Ideen der völkerbeglückenden Aufklärung, fanden ſie ſich raſch zuſammen, beſprachen12*180I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.die gemeinſame Gefahr, die von der Weltmacht im Weſten drohe, und gelobten einander feſte Treue. Auf den noch knabenhaft unreifen Czaren machte die ritterliche ernſthafte Haltung des Königs und die bezaubernde Anmuth der Königin lebhaften Eindruck, ſoweit ſein aus Schwärmerei, Selbſtbetrug und Schlauheit ſeltſam gemiſchter Charakter tiefer Empfin - dungen fähig war; und immer wieder klagte ſein polniſcher Freund Czar - toryski, der unverſöhnliche Gegner Preußens: dieſer Tag von Memel ſei der Anfang alles Unheils. Friedrich Wilhelm aber hing an dem neuen Freunde mit der unwandelbaren Treue ſeines ehrlichen Herzens. Perſön - liche Neigung beſtärkte ihn in dem Entſchluſſe, den ſein gerader Verſtand gefunden hatte: nur im Bunde mit Rußland wollte er einen Krieg gegen Frankreich wagen. Er drängte den ruſſiſchen Hof, an den Verhandlungen über die deutſchen Entſchädigungsfragen theilzunehmen, damit Frankreich nicht der alleinige Schiedsrichter im Reiche ſei.

Wie der König alſo ſich insgeheim den Rücken zu decken ſuchte für einen möglichen Krieg gegen Frankreich, ſo verfolgte auch ſeine deutſche Politik Gedanken, welche den Plänen des erſten Conſuls ſchnurſtracks zuwiderliefen; es war nur die Folge der verworrenen Parteiungen des Augenblicks, daß der preußiſche Hof eine Zeit lang mit dem franzöſiſchen Cabinette Hand in Hand zu gehen ſchien. Die allgemeine Seculariſation konnte dem preußiſchen Staate nur willkommen ſein ſobald einmal die Abtretung der Rheinlande entſchieden war. Alle ſeine proteſtantiſchen Ueberlieferungen wieſen ihn auf dies Ziel hin. Zudem herrſchte damals in der aufgeklärten Welt die Lehre von der Allmacht des Staates, die alle Kirchengüter von Rechtswegen der Nation zuwies; Stephani’s Buch über die abſolute Einheit von Staat und Kirche machte die Runde im deutſchen Norden. Der König von Preußen war ſelber von dieſen An - ſchauungen durchdrungen, ließ eben jetzt in ſeinem Cabinet einen um - faſſenden Plan für die Einziehung des geſammten preußiſchen Kirchenguts ausarbeiten. Desgleichen glaubte er ganz im Sinne ſeines Großoheims zu handeln, wenn er ſich auf die Seite Baierns und der neuen Mittel - ſtaaten ſtellte; auch Friedrich hatte ja bei ſeinen Reichsreformplänen die Verſtärkung der größeren weltlichen Reichsſtände immer im Auge gehabt. Bonaparte begünſtigte die Mittelſtaaten, weil er ſich aus ihnen den Stamm einer franzöſiſchen Partei bilden wollte; der preußiſche Hof unterſtützte dieſe Politik, weil er umgekehrt hoffte durch die Vernichtung der aller - unbrauchbarſten Kleinſtaaten die Widerſtandskraft des Reiches gegen Frank - reich zu erhöhen. Unumwunden erklärte Haugwitz dem öſterreichiſchen Geſandten Stadion, dies ſei ſchon ſeit Jahren die feſtſtehende Anſicht ſeines Hofes. Im gleichen Sinne ließ Rußland dem Wiener Hofe aus - ſprechen, man habe aus den preußiſchen Staatsſchriften die Ueberzeugung gewonnen, daß die allgemeine Seculariſation zur Kräftigung des deutſchen Weſtens nothwendig ſei. Und wieder mit den nämlichen Gründen recht -181Preußen und die Mittelſtaaten.fertigte der König, dem Czaren gegenüber, Preußens eigene Entſchädi - gungsforderungen: er müſſe ſich ſtärken für den Fall, daß einſt ein großer deutſcher Krieg wider Bonaparte unvermeidlich würde.

Im Hintergrunde aller dieſer Pläne und Wünſche ſtand die ſchüch - terne, unbeſtimmte Hoffnung, es werde gelingen, das verweltlichte Reich oder mindeſtens den Norden in bündiſchen Formen neu zu ordnen. Die Erkenntniß der Unhaltbarkeit des alten Kaiſerthums brach ſich allmählich in immer weiteren Kreiſen Bahn. Schon ein Jahr nach Friedrichs Tode hatte eine Flugſchrift kurzab die Frage aufgeworfen: warum ſoll Deutſch - land einen Kaiſer haben? Während des Krieges der zweiten Coalition ſodann erſchienen die Winke über Deutſchlands Staatsverfaſſung und mahnten: o ihr Deutſchen, ſchließet einen feſten deutſchen Bund! Aehn - liche foederaliſtiſche Gedanken wurden auch unter den preußiſchen Staats - männern beſprochen. Der unermüdliche Dohm führte im Jahre 1800, nach einer Unterredung mit dem Herzoge von Braunſchweig, ſeine ſchon in Raſtatt geäußerten Vorſchläge weiter aus und entwarf den Plan für einen norddeutſchen Bund. Es gelte, der Uebermacht Frankreichs, die alle Nachbarn zugleich bedrohe, einen Damm entgegenzuſtellen; darum müſſe der Baſeler Neutralitätsbund zu einer thatkräftigen, dauernden Foederation umgeſtaltet werden; vier Sectionen unter der Leitung der mächtigeren Mittelſtaaten und der Oberleitung Preußens; ein Bundestag und ſtehende Bundesgerichte; das Heer von Preußen befehligt und nach preußiſchem Reglement geſchult. Mit ſolchen Entwürfen unterhielt man ſich wohl am Berliner Hofe, ſie durchzuführen wagte man nicht. Und auch Dohm ſelber kam nicht los von jenem verhängnißvollen Irrthum, der alle Be - rechnungen der preußiſchen Politik zu Schanden machte; auch er wähnte, die Neubefeſtigung der deutſchen Macht laſſe ſich durch friedliche Mittel erreichen, der erſte Conſul werde nicht widerſprechen wenn man ihm nur die Idee der nationalen Unabhängigkeit nachdrücklich vorhalte!

Die Berliner Staatsklugheit bemerkte nicht, wie von Grund aus die Machtverhältniſſe im Reiche ſeit Friedrichs Tagen ſich verſchoben hatten. Nicht Preußen, ſondern Frankreich hielt jetzt die Wage des deutſchen Gleich - gewichts in ſeinen Händen. Frankreich vertheilte nach Gunſt und Laune die Trümmer der geiſtlichen Staaten. Die Mitwirkung Rußlands bei den Verhandlungen konnte, wie die Dinge ſtanden, nur eine ſcheinbare ſein; ſie bewirkte lediglich, daß einige mit dem Petersburger Hofe verwandte Fürſtenhäuſer bei der Ländervertheilung bevorzugt wurden. Wenn der preußiſche Staat unter ſolchen Umſtänden die Bildung der neuen Mittel - ſtaaten beförderte, ſo ſtärkte er nur die franzöſiſche Partei im Reiche ohne ſich ſelber einen treuen Anhang zu gewinnen; er wurde Bonapartes Mit - ſchuldiger ohne ſich die Bundesgenoſſenſchaft des Uebermächtigen auf die Dauer zu ſichern.

Wie viel geſchickter als dieſe wohlmeinende Politik der Halbheit und182I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.der Selbſttäuſchung wußte die dreiſte Gewiſſenloſigkeit des neuen Münchener Hofes ihren Vortheil wahrzunehmen. Dort war ſoeben das Haus Pfalz - Zweibrücken auf den Thron gelangt, den ihm Oeſterreichs Habgier ſo oft beſtritten hatte. Der leitende Miniſter Graf Montgelas verkannte keinen Augenblick, daß die junge Dynaſtie von der Hofburg Alles zu fürchten, von Bonaparte Alles zu hoffen habe. Raſch entſchloſſen trat er bald nach dem Frieden an die Spitze der franzöſiſchen Partei in Deutſchland und empfing dafür die herablaſſende Zuſicherung des erſten Conſuls: Frank - reichs Größe und Edelmuth wolle die früheren Schwankungen des bairiſchen Hofes vergeſſen. Der ſcrupelloſe Realiſt ſah in Baierns Vorzeit nur eine Geſchichte der verſäumten Gelegenheiten; jetzt endlich da die Welt aus den Fugen ging galt es das Glück an der Locke zu faſſen, dem Siegeszuge des Welteroberers ſich anzuſchließen, durch treuen Vaſallendienſt und un - abläſſiges Feilſchen ſo viel Beute zu erhaſchen als des Herrſchers Gnade bewilligen mochte. Was irgend an das Reich, an den tauſendjährigen Verband der deutſchen Nation erinnerte, erſchien dieſer Politik des folge - rechten Particularismus lächerlich; alle Scham, alle Pietät, alles Rechts - gefühl war ihr fremd. Begierig griff ſie den Gedanken einer deutſchen Trias auf, der einſt nach dem Hubertusburger Frieden zuerſt hervor - getreten und neuerdings wieder in Schwang gekommen war, als Preußen die ſüddeutſchen Kleinſtaaten verließ, Oeſterreich ſie bedrohte. Der naſſauiſche Miniſter Gagern, ein wohlmeinender Reichspatriot, nach der dilettantiſchen Weiſe der kleinſtaatlichen Diplomaten immer raſch bei der Hand mit leichtfertigen, unklaren Projecten, hatte ſchon zur Zeit des Vertrags von Campo Formio dem kaiſerlichen Hofe arglos die Bildung eines Bundes der kleinen Höfe unter ruſſiſcher Garantie angerathen; in gleichem Sinne ſchrieb der ehrliche ſchwäbiſche Publiciſt Pahl eine Appellation an den Luneviller Friedenscongreß. Wenn aber jetzt die Federn des pfalzbairiſchen Lagers einen Sonderbund aller Mindermächtigen ohne Oeſterreich und Preußen empfahlen, ſo wollten ſie nicht, wie jene redlichen Phantaſten, dem deutſchen Süden die nationale Unabhängigkeit retten. Ihre Abſicht war: die Unterwerfung der Mittelſtaaten unter Frankreichs Willkür, die Vernichtung Deutſchlands. Vorläufig, ſo lange man noch die öſterreichiſche Partei zu bekämpfen hatte, blieb die Dynaſtie Zweibrücken mit ihrem alten Beſchützer Preußen in gutem Vernehmen. Bonaparte ließ ſie gewähren; er wußte, wie leicht dieſe Freundſchaft zu trennen ſei, lagen doch die fränkiſchen Markgrafſchaften des Königs von Preußen der bairiſchen Be - gehrlichkeit dicht vor der Thür.

Während der ſchwerſten Kriſis, welche je den alten deutſchen Staat erſchüttert hat, verſcherzte ſich Oeſterreich jeden Einfluß durch eine ſtarr - ſinnige Politik, die einen unhaltbaren Zuſtand zu retten ſuchte; der preu - ßiſche Hof verkannte nicht die Nothwendigkeit des Umſturzes, doch er hatte für den Neubau des Reichs nur unbeſtimmte, ſchwächliche Wünſche und183Oeſterreichs Widerſtand.Hoffnungen. So fiel die Entſcheidung über Deutſchlands Zukunft un - ausbleiblich dem fremden Sieger zu, der von ſich rühmte: ich allein, ich weiß, was ich zu thun habe. Der Regensburger Reichstag war den ſchläfrigen Gewohnheiten ſeines geſpenſtiſchen Daſeins auch während dieſer argen Jahre ſo treu geblieben, daß ein warmherziger Reichspatriot mitten im Reichskriege alles Ernſtes über die Frage ſchreiben konnte: womit die hohe Reichsverſammlung ſich in der nächſten Zeit beſchäftigen ſolle? Das Reich genehmigte den Luneviller Frieden, und die geiſtlichen Stände fanden nicht den Muth ihrem eigenen Todesurtheile zu widerſprechen. Dann verging faſt das ganze Jahr 1801, bis Oeſterreich und Preußen endlich die Bildung einer Reichsdeputation durchſetzten; nach abermals acht Monaten waren die Berathungen dieſes Ausſchuſſes noch nicht eröffnet. Der zer - rüttete Körper des heiligen Reichs beſaß nicht mehr die Kraft, mit eigenen Händen ſeinen letzten Willen aufzuſetzen; der Kampf Aller gegen Alle und die Verblendung des öſterreichiſchen Hofes verhinderten jeden Beſchluß.

Die Hofburg wollte noch immer nicht begreifen, daß ſie ſelber in Luneville die geiſtlichen Stände preisgegeben hatte; ſie verſuchte Alles, die unausbleiblichen Folgen des Geſchehenen rückgängig zu machen, ließ ſogar eben jetzt durch ihre Anhänger einen Erzherzog auf die erledigten fürſt - lichen Biſchofſtühle von Köln und Münſter erwählen. Zugleich bewahrte ſie ihren alten Widerwillen gegen jede Vergrößerung Preußens: man könne leichter, hieß es in Wien, auf drei reiche türkiſche Provinzen ver - zichten, als Münſter und Hildesheim an die proteſtantiſche Großmacht überlaſſen. Und währenddem wurde der bairiſche Nachbar beſtändig durch öſterreichiſche Tauſch - und Vergrößerungspläne geängſtigt. Dieſer Kaiſer, der nicht Worte genug finden konnte um ſeine Entrüſtung über die Ver - gewaltigung der geiſtlichen Stände zu bekunden, ſtellte dem Münchener Hofe frei, ſich im Südweſten die Gebiete der benachbarten Reichsſtädte, Grafen und Herren anzueignen, wenn nur Oeſterreich dafür das öſtliche Baiern erhielte; er zuerſt ſprach das verhängnißvolle Wort: Vernichtung der kleinen weltlichen Stände aus, während bisher amtlich nur von der Seculariſation der geiſtlichen Staaten die Rede geweſen. Es war die Folge dieſer zugleich ſtarr conſervativen und rückſichtslos begehrlichen Hal - tung des kaiſerlichen Hofes, daß Preußen und Baiern ſich genöthigt ſahen, ihre eigenen Entſchädigungen durch Sonderverträge mit Frankreich ſicher zu ſtellen. Der preußiſch-franzöſiſche Vertrag enthielt den vielſagenden Satz, die Krone Preußen erwerbe ihre Entſchädigungslande mit der un - beſchränkten Landeshoheit und Souveränität auf den nämlichen Fuß, wie Se. Maj. ihre übrigen deutſchen Staaten beſitzen während doch das Reichsrecht eine Souveränität der Reichsſtände nicht kannte. Man hielt es nicht mehr der Mühe werth, auch nur den Schein der kaiſerlichen Oberhoheit zu wahren. Des Reiches ungefragt nahm Preußen ſodann am 3. Auguſt 1802 die ihm von Bonaparte zugeſtandenen Erwerbungen in Beſitz.

184I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Inzwiſchen weidete ſich der Spott der Pariſer an dem Anblicke der Fürſten und Staatsmänner des heiligen Reichs, die in Schaaren zu dem Herrſcherſitze des erſten Conſuls eilten. Die leichtlebige Stadt hatte nach den Schreckensjahren der Revolution ihre alte keltiſche Munterkeit raſch wiedergefunden; Bonaparte kannte ihre unerſättliche Luſt an nervöſer Aufregung und verſtand, ihr durch die glänzenden Spektakelſtücke ſeiner Triumph - und Beutezüge zu genügen. Unterhaltſamer als alle dieſe Feſte war doch das unerhörte Schauſpiel der freiwilligen Selbſtentwürdigung des deutſchen hohen Adels. Wie oft, alle dieſe ſchweren Jahre hindurch, war die bange Ahnung, daß es zu Ende gehe mit der alten Herrlichkeit, den armen Seelen der deutſchen Kleinfürſten nahe getreten; ſie waren geflohen und nochmals geflohen vor den Heeren der Revolution und hatten zu Gelde gemacht was ſich irgend zuſammenraffen ließ von den Gütern ihres Staates. Nun ſchlug die Stunde der Entſcheidung; es ſchien noch möglich dem theuren Hauſe den angeſtammten Thron zu retten. In der Raſerei der Angſt ging aller Stolz und alle Scham verloren. Jene edlere Auffaſſung der Fürſtenpflichten, die in Friedrichs Tagen an den deutſchen Höfen Fuß gefaßt hatte, wurde durch Bonapartes Gewaltherr - ſchaft zerſtört; die Geſinnungen der fürſtlichen Soldatenverkäufer der guten alten Zeit gewannen wieder die Oberhand. Aus den Erfahrungen dieſer Tage der Fürſtenflucht und der Fürſtenſünden ſchöpfte der deutſche Dichter den ernſten Spruch: Man ſteigt vom Throne nieder wie ins Grab.

Wie das Geſchmeiß hungriger Fliegen ſtürzte ſich Deutſchlands hoher Adel auf die blutigen Wunden ſeines Vaterlandes. Talleyrand aber er - öffnete mit cyniſchem Behagen das große Börſenſpiel um Deutſchlands Land und Leute und ſagte gleichmüthig, wenn ein deutſcher Edelmann noch eine Regung der Scham empfand: il faut étouffer les regrets. Die hoch - gebornen Bekämpfer der Revolution bettelten um ſeine Gnade, machten ſeiner Maitreſſe den Hof, trugen ſeinen Schooßhund zärtlich auf den Händen, ſtiegen dienſtfertig zu dem kleinen Dachſtübchen hinauf, wo ſein Gehilfe Matthieu hauſte der Schlaueſte aus jener langen Reihe be - gabter Elſaſſer, deren Arbeitskraft und Sachkenntniß Bonaparte gern bei ſeinen deutſchen Geſchäften benutzte. Das Gold der kleinen Höfe, das ſie niemals finden konnten wenn das Reich ſie zur Vertheidigung des Vater - landes aufrief, floß jetzt in Strömen; Jedermann in der diplomatiſchen Welt kannte den Tarif der franzöſiſchen Unterhändler und wußte, wie hoch der Curswerth einer Stimme im Fürſtenrathe des Reichstags ſich ſtellte. Ein Fürſt von Löwenſtein, ein Nachkomme des ſiegreichen Friedrich von der Pfalz, ſpielte den Makler bei dem ſchmutzigen Handel. Auch die Pariſer Gaunerſchaft nahm die gute Gelegenheit wahr; mancher der gie - rigen deutſchen Fürſten lief in ſeiner kleinſtädtiſchen Plumpheit einem falſchen Agenten Talleyrands ins Garn, bis Bonaparte ſelber gegen den Unfug einſchritt.

185Der Länderhandel in Paris.

Alle, die Guten wie die Böſen, wurden in das wüſte Treiben hinein - geriſſen; denn von den Regensburger Verhandlungen ſtand doch nichts zu erwarten, und wer hier in Paris nicht mit dreiſten Händen zugriff, ward von den Nachdrängenden unerbittlich unter die Füße getreten. Selbſt der Wackerſte der deutſchen Kleinfürſten, der alte Karl Friedrich von Baden, mußte ſeine feilſchenden Unterhändler gewähren laſſen. Mitten im Ge - tümmel der bittenden und bietenden Kleinen ſtand mit ſelbſtgewiſſer Gönner - miene der vielumworbene preußiſche Geſandte Luccheſini; der pfiffige Luc - cheſe traute ſichs zu den Meiſter aller Liſten ſelber zu überliſten und bemerkte nicht, wie ſchwer Preußen ſein eigenes Anſehen ſchädigte durch die Begünſtigung eines unſauberen Schachers, der an den Reichstag von Grodno, an die ſchmachvolle Selbſtvernichtung des polniſchen Adels er - innerte. Dieſer Wettkampf der dynaſtiſchen Habgier vernichtete was im Reiche noch übrig war von Treu und Glauben, von Pflicht und Ehre. Bonaparte frohlockte: kein ſittliches Band hielt den alten deutſchen Staat mehr zuſammen. Jeder Hof forderte ungeſcheut was ihm bequem und gelegen ſchien; die Entſchädigung für wirklich erlittene Verluſte diente kaum noch als Vorwand. Bald ergab ſich, daß die rechtsrheiniſchen geiſtlichen Gebiete zur Befriedigung aller dieſer begehrlichen Wünſche nicht aus - reichten, und man ward einig, auch den Reichsſtädten den Garaus zu machen, da ja die Reichsſtädte des linken Ufers ebenfalls ohne Ent - ſchädigung vernichtet waren. Endlich wurde die große Länder-Verſteigerung geſchloſſen; der Zuſchlag erfolgte theils an die Meiſtbietenden, theils an die Günſtlinge Preußens und Rußlands, vornehmlich aber an jene Höfe, welche ſich Bonaparte zu Stützen ſeiner deutſchen Politik auserleſen hatte. Unumwunden ſchrieb er nach vollzogenem Geſchäfte dem mit dem Czaren nahe verwandten Markgrafen Karl Friedrich: das badiſche Haus habe nun - mehr den Rang erlangt, welchen ſeine vornehme Verwandtſchaft und das wahre Intereſſe Frankreichs erheiſchen .

Nachdem in Paris das Weſentliche geordnet war, ſchritten Frankreich und Rußland in Regensburg als Vermittler ein; Bonaparte ließ dem Czaren eine ſcheinbare Mitwirkung um deſſen Eiferſucht zu beſchwichtigen und einen Wunſch Preußens zu erfüllen. Die Mediatoren erklärten mit gutem Grunde, die Eiferſucht und der Gegenſatz der Intereſſen am Reichs - tage mache ihre Vermittlung nothwendig; ſie legten ihren Entſchädigungs - plan vor und ſchloſſen herriſch: es ſei ihr Wille, daß nichts daran ge - ändert werde. Der Kaiſer widerſtrebte noch immer und gab erſt nach, als Preußen und Baiern mit Frankreich ein förmliches Bündniß ſchloſſen und eine drohende Note aus Petersburg eintraf; dann aber trug der uneigennützige Beſchützer der geiſtlichen Staaten kein Bedenken, ſeine Erb - lande durch die Bisthümer Trient und Brixen abzurunden. In der Reichsdeputation währte der landesübliche Hader noch eine Weile fort. Die ruſſiſchen Staatsmänner klagten voll Ekels, wie langweilig und ermüdend186I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dies deutſche Gezänk werde; um jedes kleinen Länderfetzens willen müſſe man einen eigenen Curier ſchicken. Aber die Würfel waren geworfen, die mächtigeren Fürſten hatten ihre Beute bereits in Sicherheit gebracht.

Am 25. Februar 1803 kam der Reichsdeputationshauptſchluß zu Stande, am 27. April wurde durch den Jüngſten Reichsſchluß die Ver - nichtung von hundert und zwölf deutſchen Staaten ausgeſprochen. Von den geiſtlichen Ständen blieben nur drei übrig: die beiden Ritterorden weil man dem ſo ſchwer geſchädigten katholiſchen Adel noch einen letzten Unter - ſchlupf für ſeine Söhne gönnen wollte und der Reichskanzler in Ger - manien, weil Bonaparte in der fahrigen Eitelkeit des Mainzer Coadjutors Dalberg ein brauchbares Werkzeug für Frankreichs Pläne erkannte. Die Reichsſtädte verſchwanden bis auf die ſechs größten. Mehr als zweitauſend Geviertmeilen mit über drei Millionen Einwohnern wurden unter die welt - lichen Fürſten ausgetheilt. Preußen erhielt fünffachen Erſatz für ſeine linksrheiniſchen Verluſte, Baiern gewann an 300,000 Köpfe, Darmſtadt ward achtfach, Baden faſt zehnfach entſchädigt. Auch einige fremdländiſche Fürſtenhäuſer nahmen ihr Theil aus dem großen Raube, ſo Toscana und Modena, die Vettern Oeſterreichs, ſo Naſſau-Oranien, der Schütz - ling Preußens. Vergeſſen war der fridericianiſche Grundſatz, daß Deutſch - land ſich ſelber angehöre. Die Mitte Europas erſchien den Fremden wieder, wie im ſiebzehnten Jahrhundert, als eine herrenloſe Maſſe, eine Verſorgungsſtelle für die Prinzen aus allerlei Volk. Das heilige Reich war vernichtet; nur ſein geſchändeter Name lebte noch fort durch drei klägliche Jahre.

Wenige unter den großen Staatsumwälzungen der neuen Geſchichte erſcheinen ſo häßlich, ſo gemein und niedrig wie dieſe Fürſtenrevolution von 1803. Die harte, ideenloſe Selbſtſucht triumphirte; kein Schimmer eines kühnen Gedankens, kein Funken einer edlen Leidenſchaft verklärte den ungeheuren Rechtsbruch. Und doch war der Umſturz eine große Nothwendigkeit; er begrub nur was todt war, er zerſtörte nur was die Geſchichte dreier Jahrhunderte gerichtet hatte. Die alten Staatsformen verſchwanden augenblicklich, wie von der Erde eingeſchluckt, und niemals iſt an ihre Wiederaufrichtung ernſtlich gedacht worden. Die fratzenhafte Lüge der Theokratie war endlich beſeitigt. Mit den geiſtlichen Fürſten ſtürzten auch das heilige Reich und die Weltherrſchaftsanſprüche des römi - ſchen Kaiſerthums zuſammen. Selbſt der alte Bundesgenoſſe der Habs - burgiſchen Kaiſer, der römiſche Stuhl, wollte jetzt nur noch von einem imperium Germanicum wiſſen; das feine Machtgefühl der Italiener er - kannte, daß die Schirmherrſchaft über die römiſche Kirche nunmehr auf Frankreich übergegangen war, und der Papſt ſchrieb ſeinem geliebteſten Sohne Bonaparte: an ihn wolle er fortan ſich wenden ſo oft er Hilfe brauche. Das heilige Reich verwandelte ſich in einen Fürſtenbund, und nicht mit Unrecht ſprach Talleyrand jetzt ſchon amtlich von der fédération187Der Reichsdeputationshauptſchluß.Germanique. Dies lockere Nebeneinander weltlicher Fürſtenthümer wurde vorderhand faſt allein durch den Namen Deutſchland zuſammengehalten, und in der nächſten Zukunft ließ ſich eher die Auflöſung des deutſchen Gemeinweſens als ſeine foederative Neugeſtaltung erwarten. Aber mit den theokratiſchen Formen war auch jener Geiſt der ſtarren Unbeweglich - keit entſchwunden, der bisher die politiſchen Kräfte der Nation gebunden hielt. Das neue weltliche Deutſchland war der Bewegung, der Entwicklung fähig; und gelang dereinſt die Befreiung von der Vormundſchaft des Aus - lands, ſo konnte ſich auf dem Boden des weltlichen Territorialismus vielleicht ein nationaler Geſammtſtaat bilden, der minder verlogen war als das heilige Reich.

Durch die Seculariſationen wurde auch jene künſtliche Stimmen - vertheilung beſeitigt, welche dem Katholicismus bisher ein unbilliges Ueber - gewicht in der Reichsverſammlung verſchafft hatte. Die Mehrheit des Reichstags war nunmehr evangeliſch, wie die Mehrheit der deutſchen Nation außerhalb Oeſterreichs. In den Kurfürſtenrath traten für Köln und Trier die neuen Kurfürſten von Salzburg, Württemberg, Baden und Heſſen ein; er zählte ſechs proteſtantiſche Stimmen unter zehn. Die noch übrigen Mitglieder des Collegiums der Reichsſtädte waren, bis auf das paritätiſche Augsburg, alleſammt proteſtantiſch. Im Fürſtenrathe ver - blieben noch dreiundfünfzig evangeliſche neben neunundzwanzig katholiſchen Ständen. Als die neuen Herren der ſeculariſirten Lande, dem Reichs - rechte gemäß, auch die Stimmen der entthronten Stände für ſich be - anſpruchten, da entſpann ſich der letzte große Streit im Schooße der Regensburger Verſammlung. Sein Verlauf bekundete den ſtarken Um - ſchwung der Meinungen wie die radikale Veränderung der alten Macht - verhältniſſe im Reiche. Einſt hatten die Proteſtanten durch den Sonder - bund des Corpus Evangelicorum ſich decken müſſen gegen die Uebergriffe der katholiſchen Mehrheit; jetzt berief ſich der Kaiſer im Namen der Katho - liken auf den Grundſatz der Parität und forderte für ſeine Glaubens - genoſſen ſo viele neue Stimmen, bis die Gleichheit hergeſtellt ſei. Doch die Zeitgenoſſen Kants waren der Gehäſſigkeit der Religionskriege ent - wachſen. Die große Mehrheit des Reichstags, Preußen und Baiern voran, wollte nicht zugeben, daß das Weſen der Parität in der Gleichheit der Kopfzahl zu ſuchen ſei; ja man ſprach es offen aus, der alte Unterſchied von katholiſchen und proteſtantiſchen Stimmen habe ſeinen Sinn ver - loren, wenn nur erſt in jedem deutſchen Staate ein vernünftiges Tole - ranzſyſtem beſtünde. Kaiſer Franz hingegen dachte die Macht der öſter - reichiſchen Partei um jeden Preis wiederherzuſtellen; er gebrauchte, der Verfaſſung zuwider, zum letzten male das höchſte Recht der kaiſerlichen Majeſtät, er legte ſein Veto ein, und der Streit blieb ungeſchlichtet bis das Reich ſich förmlich auflöſte. Ein parteiiſcher Mißbrauch der Rechte der Krone zum Beſten des Hauſes Oeſterreich und der katholiſchen Partei188I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. das war die letzte That des deutſchen Kaiſerthums der Habsburg - Lothringer, der würdige Abſchluß für die lange Sündengeſchichte der Ferdi - nande und der Leopolde.

Im römiſchen Lager war der Klagen kein Ende, da mit einem male die letzten Theokratien, welche die chriſtliche Welt außer dem Kirchenſtaate noch beſaß, zerſchmettert wurden, und mit der politiſchen Macht auch der ungeheure Reichthum des deutſchen Clerus dahinſank; denn nicht blos die Güter der reichsunmittelbaren geiſtlichen Herren verfielen der Seculari - ſation, ſondern auch die mittelbaren Stifter und Klöſter wurden durch den Reichsdeputationshauptſchluß der freien Verfügung der Landesherren preisgegeben. Alle Welt glaubte, es ſei zu Ende mit dem römiſchen Weſen im Reiche; Niemand ahnte, daß die Seculariſationen der Macht des römiſchen Stuhls zuletzt faſt ebenſo viel Gewinn als Schaden bringen ſollten. Die hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts waren zumeiſt verwöhnte Weltkinder, läſſig in ihrem kirchlichen Berufe, aber durch ihr ariſtokratiſches Standesgefühl wie durch die Pflichten der Landesherrſchaft feſt mit dem nationalen Staate verbunden; ſie konnten, ſchon um des nachbarlichen Zuſammenlebens willen, dem Geiſte der Duldung, der dies paritätiſche Volk erfüllte, ſich nicht gänzlich entziehen, ſie befolgten den Weſtphäliſchen Frieden, den der Papſt verdammte, und beugten ihren ſtolzen Nacken nur ungern unter den Fuß des wälſchen Prieſters. Der Gedanke einer deutſchen Nationalkirche fand unter ihnen jederzeit einige Anhänger und zuletzt in Hontheim-Febronius einen geiſt - reichen Wortführer. Durch die Seculariſationen wurde der Kirchendienſt dem Adel verleidet; während der napoleoniſchen Epoche iſt, ſo viel bekannt wurde, kein einziger junger Edelmann aus altem Hauſe in ein Pfarramt eingetreten. Der neue plebejiſche Clerus, der nun heranwuchs, ſtand der bürgerlichen Geſellſchaft fern; er grollte dem neuen Deutſchland wegen des großen Kirchenraubes, er kannte keine Heimath als die Kirche und fügte ſich, als ſpäterhin die römiſchen Weltherrſchaftspläne wieder er - wachten, den Geboten des Papſtes mit einem blinden Dienſteifer, der für die Curie kaum weniger werthvoll war als vordem die landesfürſtliche Macht der ſelbſtbewußten alten Prälatur.

Noch weit ſchwerer wurde der katholiſche Adel getroffen. Er verlor durch die Einziehung von 720 Domherrenpfründen nicht blos einen guten Theil ſeines Reichthums, ſondern ſeine geſammte politiſche Machtſtellung. Die letzten Trümmer einer ſelbſtändigen Ariſtokratie verſchwanden aus dem Reiche; die Zeit war dahin, da man die Macht der weſtphäliſchen Grafen zweien Kurfürſten gleich ſchätzte. Es war der Fluch dieſer alten Geſchlechter, daß ihnen das Bewußtſein der politiſchen Pflicht fehlte. Gleich dem bourboniſchen Hofadel, hatten ſie den Vorzug ihres Standes immer nur in trägem Wohlleben geſucht und lernten niemals, nach dem Vor - bilde des altpreußiſchen Junkerthums, ſich einzuleben in die modernen189Folgen der Seculariſationen.monarchiſchen Formen, ſondern zogen ſich verdroſſen, grollend zurück von dem Leben der Nation; nur dem Erzhauſe Oeſterreich gaben ſie noch nach altem Brauche ihre Söhne in den Dienſt. Aus den Kreiſen dieſes katho - liſchen Adels erwuchs dem neuen weltlichen Deutſchland eine tief verbitterte Oppoſition, die, im Stillen einflußreich, bis zum heutigen Tage den inneren Frieden oft geſtört, doch am letzten Ende durch unfruchtbares Verneinen nur den demokratiſchen Zug unſerer jüngſten Geſchichte gefördert hat.

Am Leichteſten fügten ſich die mediatiſirten Reichsſtädte in die neue Ordnung der Dinge. Wohl ſtieß da und dort der ſchwerfällige Stolz der ehrenfeſten Patricier mit der durchfahrenden Willkür der mittelſtaat - lichen Bureaukratie hart zuſammen, und Mancher ſelbſt aus dem jüngeren Geſchlechte bewahrte ſich, wie Friedrich Liſt, ſein Leben lang das trotzige Selbſtgefühl des alten Reichsbürgers; indeß das Bewußtſein hilfloſer Ohn - macht ließ nirgends einen ernſten Widerſtand aufkommen. Am Reichs - tage bemerkte man kaum die Zerſtörung des dritten Collegiums, das vor Zeiten ſo mächtig geweſen war wie die beiden oberen zuſammen. Die wenigen Reichsſtädte, welche der Vernichtung vorläufig noch entgangen waren, bedeuteten nichts mehr neben der Uebermacht der Fürſten, ja ſie wurden durch den Reichsdeputationshauptſchluß von der großen Politik geradezu ausgeſchloſſen: an den Berathungen über Krieg und Frieden ſollten ſie nicht theilnehmen und im Reichskriege einer unbedingten Neutralität genießen. Das friedensſelige Geſchlecht fand an dieſer ungeheuerlichen Beſtimmung kein Arg. Den Hamburger Rhedern ging ein alter Herzens - wunſch in Erfüllung, den der wackere Büſch oftmals unbefangen ausge - ſprochen hatte; auch die Preſſe im Binnenlande rief Beifall: ſolche weiſe Begünſtigung des Handels gereiche der Aufklärung unſerer Tage zur Ehre.

So ging denn aus den vielhundertjährigen Kämpfen der politiſchen Kräfte im Reiche die fürſtliche Gewalt als die einzige Siegerin hervor. Die hierarchiſchen, die communalen, die ariſtokratiſchen Staatsbildungen des alten Deutſchlands waren bis auf wenige Trümmer vernichtet. Was nicht fürſtlichen Blutes war ſank in die Maſſe der Unterthanen hinab; der Abſtand zwiſchen den Fürſten und dem Volke, der in dem Zeitalter der abſoluten Monarchie immer größer geworden, erweiterte ſich jetzt noch mehr. Und wie ungeheuer ſtark zeigte ſich wieder die Einwirkung des Fürſtenſtandes auf unſer nationales Leben! Wie einſt die kirchliche Re - formation bei den Landesherren ihren Schutz und ihre Rettung gefunden hatte, ſo wurde nun die politiſche Revolution von oben her einem gelaſſen ſchweigenden Volke auferlegt. Nicht die Propaganda der überrheiniſchen Republikaner, ſondern die dynaſtiſche Politik der deutſchen Höfe hat die Grundſätze des revolutionären Frankreichs auf unſerem Boden eingebürgert; und ſie ſchritt vorwärts mit derſelben durchgreifenden Rückſichtsloſigkeit wie die Parteien des Convents, im Namen des salut public zerſtörte ſie achtlos das hiſtoriſche Recht.

190I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.

Für Oeſterreich war die Fürſtenrevolution eine ſchwere Niederlage. Die alte kaiſerliche Partei wurde zerſprengt, die Kaiſerwürde zu einem leeren Namen, und ſelbſt dieſen Namen aufzugeben ſchien jetzt räthlich, da der neue Kurfürſtenrath ſchwerlich geneigt war im Falle der Neuwahl abermals einen Erzherzog zu küren. Durch die Preisgabe ihrer weſt - lichen Provinzen erlangte die Monarchie zwar eine treffliche Abrundung im Südoſten, und die Diplomaten der Hofburg wünſchten ſich Glück, daß man endlich aus einem gefährlichen und gewaltſamen Zuſtande befreit ſei. Die Höfe von München und Stuttgart hatten jetzt wenig Grund mehr vor der Wiener Eroberungsluſt zu zittern, und es ſchien möglich dereinſt wieder ein freundnachbarliches Verhältniß mit ihnen anzuknüpfen. Aber die militäriſche Herrſchaft im deutſchen Südweſten war verloren, ja Oeſterreich ſchied in Wahrheit aus dem Reiche aus. Seine Politik mußte ganz neue Wege einſchlagen, wenn ſie noch irgend einen Einfluß auf Deutſchland ausüben wollte; denn die Machtmittel des alten Kaiſerthums waren vernutzt.

Auch Preußens Macht hatte durch den Reichsdeputationshauptſchluß nicht gewonnen. Wohl war es ein Vortheil, daß die öſterreichiſche Partei ver - ſchwand und im Reichstage ein leidliches Gleichgewicht zwiſchen dem Norden und dem Süden ſich herſtellte; vormals hatten die Staaten des Südens und Weſtens durch ihre Ueberzahl den Ausſchlag gegeben, jetzt konnten auch die Stimmen Norddeutſchlands zu ihrem Rechte kommen. Trotzdem war Preußens Anſehen im Reiche tief geſunken. Seine kraftloſe Politik hatte überall das Gegentheil ihrer guten Abſichten erreicht: ſtatt der Ver - ſtärkung der deutſchen Widerſtandskraft vielmehr die Befeſtigung der fran - zöſiſchen Uebermacht, ſtatt des Neubaues der Reichsverfaſſung vielmehr eine wüſte Anarchie, die der völligen Auflöſung entgegentrieb. Selbſt der neue Ländergewinn ſchien glänzender als er war. Preußen verlor die getreuen, für ſeine Macht wie für ſeine Cultur gleich werthvollen nieder - rheiniſchen Gebiete und erwarb dafür, außer Hildesheim, Erfurt und einigen kleineren Reichsſtädten und Stiftslanden, die feſte Burg des un - zufriedenen katholiſchen Adels, das Münſterland. Hier zum erſten male auf deutſchem Boden begegnete dem preußiſchen Eroberer nicht blos eine flüchtige particulariſtiſche Verſtimmung, ſondern ein tiefer nachhaltiger Haß, wie in den ſlaviſchen Provinzen. Die ſchwerfällige neue Verwaltung ge - wann wenig Anſehen in dem widerhaarigen Lande, ſie brauchte drei Jahre bis ſie ſich nur entſchloß den Heerd aller ſtaatsfeindlichen Umtriebe, das Domcapitel zu beſeitigen. Das Einkommen des Staates wurde durch die Gebietserweiterung nicht vermehrt, da er wieder, wie früher in Franken und in Polen, die Steuerkraft der neuen Unterthanen allzu ängſtlich ſchonte; auch die Armee erhielt nur eine geringe Verſtärkung, um etwa drei Regi - menter. Zudem hatte man durch die neuen Verträge nicht einmal eine haltbare Grenze erlangt, ſondern lediglich den preußiſchen Archipel im191Das neue Süddeutſchland.Weſten durch einige neue Inſeln bereichert, wie die Berliner ſpotteten. Der König fühlte es wohl, ohne Hannover ließen ſich in ſo ſchwüler Zeit die weſtphäliſchen Provinzen nicht behaupten. Die Beſetzung der welfiſchen Stammlande konnte bald zu einer unumgänglichen Nothwendigkeit werden, und doch geſchah nichts, den Staat zu rüſten für dieſe ernſte Zukunft. Das ſchlaffe Syſtem der landesväterlichen Milde und Sparſamkeit lebte ſo dahin, als ſei die Zeit des ewigen Friedens gekommen.

Währenddem holte der deutſche Süden mit einem gewaltſamen Schlage nach was Preußen durch die Arbeit zweier Jahrhunderte langſam erreicht hatte. In Norddeutſchland war die Mehrzahl der geiſtlichen Gebiete ſchon während des ſechzehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts mit den weltlichen Nachbarſtaaten vereinigt worden; der Reichsdeputationshauptſchluß brachte dieſen Staaten nur eine mäßige Vergrößerung ohne ihren hiſtoriſchen Charakter zu verändern. Im Südweſten dagegen brach der geſammte überkommene Länderbeſtand jählings zuſammen; ſelbſt das ruhmvollſte der alten oberdeutſchen Territorien, Kurpfalz, wurde zwiſchen den Nachbarn aufgetheilt. Hier führte die Fürſtenrevolution nicht blos eine Gebiets - veränderung, ſondern eine neue Staatengründung herbei. Den willkürlich zuſammengeworfenen Ländertrümmern, welche man jetzt Baden, Naſſau, Heſſen-Darmſtadt nannte, fehlte jede Gemeinſchaft geſchichtlicher Erinne - rungen; auch in Baiern und Württemberg war das alte Stammland der Dynaſtie bei Weitem nicht ſtark genug um die neuerworbenen Landſchaften mit ſeinem Geiſte zu erfüllen. So ward unſer vielgeſtaltiges Staatsleben um einen neuen Gegenſatz reicher, der ſich bis zum heutigen Tage nicht völlig verwiſcht hat. Das neue Deutſchland zerfiel in drei ſcharf ge - ſchiedene Gruppen. Auf der einen Seite ſtanden die kleinen norddeutſchen Staaten mit ihrem alten Ständeweſen und ihren angeſtammten Fürſten - häuſern, auf der anderen die geſchichtsloſen, modern-bureaukratiſchen Staatsbildungen Oberdeutſchlands, die Geſchöpfe des Bonapartismus, mitteninne endlich Preußen, das in ſtetiger Entwicklung den altſtändiſchen Staat überwunden hatte ohne ſeine Formen gänzlich zu zerſtören. Ueber den Süden brach nun urplötzlich und mit der Roheit einer revolutionären Macht der moderne Staat herein. Eine übermüthige, dreiſte, vielgeſchäftige Bureaukratie, die ſich Bonapartes Präfecten zum Muſter nahm, riß die Doppeladler von den Rathhäuſern der Reichsſtädte, die alten Wappen - ſchilder von den Thoren der Biſchofsſchlöſſer, warf die Verfaſſungen der Städte und der Länder über den Haufen, ſchuf aus dem Chaos bunt - ſcheckiger Territorien gleichförmige, ſtreng centraliſirte Verwaltungsbezirke; ſie bildete in dieſen waffenloſen Landſchaften eine unverächtliche junge Militärmacht, die für Preußen leicht läſtig werden konnte, ſie ſtrebte mit jedem Mittel ein neues bairiſches, württembergiſches, naſſauiſches National - gefühl großzuziehen.

Dennoch iſt der große Umſturz in ſeinen letzten Nachwirkungen nicht192I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.dem Particularismus zu gute gekommen, ſondern der nationalen Einheit. Er war nur ein mächtiger Schritt weiter auf dem Wege, welchen unſere Geſchichte ſeit drei Jahrhunderten eingeſchlagen. Immer wieder hatte ſeitdem eine unerbittliche Nothwendigkeit verlebte Kleinſtaaten zerſtört und zu größeren Maſſen zuſammengeballt; jetzt brachen ihrer abermals mehr denn hundert zuſammen. Aus ſolchen Erfahrungen mußte das deutſche Volk früher oder ſpäter die Erkenntniß ſchöpfen, daß auch die neue Länder - vertheilung nur eine vorläufige war, daß ſein Geſchick unaufhaltſam der Vernichtung der Kleinſtaaterei, dem nationalen Staate zuſtrebte. Die Fürſtenrevolution vernichtete für immer jenen Zauber hiſtoriſcher Ehr - würdigkeit, der das heilige Reich ſo unantaſtbar erſcheinen ließ. Das alte Recht war gebrochen; die neuen Verhältniſſe erweckten nirgends Ehrfurcht, machten die willkürliche Unnatur der deutſchen Zerſplitterung jedem ge - ſunden Sinne fühlbar. Es war ein Widerſinn, daß die Franken in Bam - berg, die Schwaben in Memmingen ſich nunmehr als Baiern, die Pfälzer im Neckarthale ſich als Badener fühlen ſollten. Die tiefe Unwahrheit dieſes neuen künſtlichen Particularismus hat nachher, als die Nation endlich zu politiſchem Selbſtgefühle erwachte, ihre freieſten und edelſten Männer mit leidenſchaftlichem Haſſe erfüllt und ſie dem Einheitsgedanken zugeführt. Auch der gedankenloſen Maſſe ging manches gehäſſige particulariſtiſche Vorurtheil verloren, ſeit ſie ſich gewaltſam aus dem alten Stillleben auf - geſtört ſah. Wie Lombarden und Romagnolen in den neuen italieniſchen Zufallsſtaaten ſich zuſammenfanden, ſo wurden in den deutſchen Mittel - ſtaaten Reichsſtädter, Kurfürſtliche und Biſchöfliche gewaltſam durcheinander gerüttelt und lernten den gehaßten und verhöhnten Nachbarn als treuen Landsmann ſchätzen. In Italien wie in Deutſchland hat die Willkür der Fremdherrſchaft den alten naiven Glauben an die Ewigkeit des Beſtehen - den mit den Wurzeln ausgerottet und alſo den Boden geebnet für neue Kataſtrophen, deren Ziele Bonaparte nicht ahnte.

Mit der Revolution von 1803 begann für Deutſchland das neue Jahrhundert, das in Frankreich ſchon vierzehn Jahre früher angebrochen war. Das große neunzehnte Jahrhundert ſtieg herauf, das reichſte der neuen Geſchichte; ihm war beſchieden, die Ernte einzuheimſen von den Saaten des Zeitalters der Reformation, die kühnen Ideen und Ahnungen jener gedankenſchweren Epoche zu geſtalten und im Völkerleben zu ver - wirklichen. Erſt in dieſem neuen Jahrhundert ſollten die letzten Spuren mittelalterlicher Geſittung verſchwinden und der Charakter der modernen Cultur ſich ausbilden; es ſollte die Freiheit des Glaubens, des Denkens und der wirthſchaftlichen Arbeit, wovon Luthers Tage nur redeten, ein geſichertes Beſitzthum Weſteuropas werden; es ſollte das Werk des Colum - bus ſich vollenden und die transatlantiſche Welt mit den alten Cultur - völkern zu der lebendigen Gemeinſchaft welthiſtoriſcher Arbeit ſich ver - binden; und auch das Traumbild der Hutten und Machiavelli, die Einheit193Volksſtimmung während der Fürſtenrevolution.der beiden großen Nationen Mitteleuropas, ſollte noch Fleiſch und Blut gewinnen. In dieſe Zeiten der Erfüllung trat Deutſchland ein, als der theokratiſche Staatsbau ſeines Mittelalters zuſammenſtürzte und alſo das politiſche Teſtament des ſechzehnten Jahrhunderts endlich vollſtreckt wurde.

Aber wie viele Kämpfe und Stürme noch, bevor alle die großen Wandlungen des neuen Zeitalters vollbracht waren! Vorderhand bot das deutſche Reich den troſtloſen Anblik der Zerſtörung; kein Seher ahnte, welches junge Leben dereinſt aus dieſen Trümmern erblühen ſollte. Nur das Eine war unverkennbar, daß eine zweite Umwälzung nahe bevorſtand. Die Revolution hatte ihr Werk nur halb gethan, da Bonaparte von vornherein beabſichtigte die deutſchen Dinge im Fluß zu halten. Seit dem glücklichen Beutezuge durchbrach die alte Ländergier des deutſchen Fürſtenſtandes alle Schranken; ſie ergriff die Glückskinder des Bona - partismus wie ein epidemiſcher Wahnſinn und beſtimmte während des nächſten Jahrzehntes die geſammte Politik der neuen Mittelſtaaten. Die Reichsritter, Grafen und Herren konnten in dieſer unruhigen monarchiſchen Welt ſich nicht mehr behaupten; durch den Untergang ihrer Standes - genoſſen am linken Rheinufer ſowie durch die Aufhebung der Domcapitel hatten ſie den Boden unter den Füßen verloren und waren ſelber nur darum vorläufig verſchont geblieben, weil die franzöſiſche Politik ſich noch nicht in der Lage befand alle ihre Pläne durchzuſetzen. Der Reichsdepu - tationshauptſchluß war kaum unterzeichnet, da begannen bereits mehrere Fürſten die benachbarte Reichsritterſchaft gewaltſam zu mediatiſiren, wie der modiſche Ausdruck lautete. Der Kaiſer nahm ſich in Regensburg ſeiner verfolgten Getreuen an, aber Preußen ergriff wieder die Partei der Fürſten, und unterdeſſen ward ein Reichsritter nach dem andern von den gierigen Nachbarn gebändigt.

Die Haltung des neuen Reichstags unterſchied ſich in nichts von dem alten; Jean Paul verglich ihn witzig mit einem großen Polypen, der ſeine formloſe Geſtalt nicht ändere und wenn er noch ſo viel heruntergeſchlungen habe. Mit dem altgewohnten unfruchtbaren Gezänk kam auch die her - gebrachte reichspatriotiſche Phraſe in die neue Zeit mit hinüber. Der Geſandte des Erzkanzlers Dalberg bewillkommnete die Vertreter der neuen Kurfürſten mit dem pomphaften Gruße: das alte ehrwürdige Reichs - gebäude, das ſeinem gänzlichen Untergange ſo nahe ſchien, wird heute durch vier neue Hauptpfeiler unterſtützt. Aber Niemand theilte die Zu - verſicht des ewig begeiſterten flachen Leichtſinns. Dumpf, leer und träge ſchleppten ſich die Verhandlungen dahin; keiner der Geſandten wagte auch nur die Frage aufzuwerfen, ob das in ſeinen Grundlagen veränderte Reich noch die alte Verfaſſung behalten könne. Jedermann fühlte, daß in Wahr - heit ſchon Alles vorüber war, und ſah mit verſchränkten Armen die Stunde nahen, die den Regensburger Jammer für immer beendete.

Im Volke blieb Alles ſtill. Keine Hand erhob ſich zum WiderſtandeTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 13194I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.gegen die neuen Gewalthaber, ſogar die Klage um den Verluſt der viel - belobten alten Libertät erklang matt und ſchüchtern. Der reichspatriotiſche Juriſt Gaspari fand in ſeinem Herzeleide doch ein Wort gutmüthig deutſcher Dankbarkeit für die Reichsdeputation, weil ſie durch ihre Penſionen die Unglücklichen wenigſtens getröſtet habe ; und ſelbſt der conſervative Bar - thold Niebuhr wollte dieſe Todten nicht beweinen, die Nothwendigkeit dieſes Rechtsbruchs nicht beſtreiten. Die Wenigen unter den gebildeten Welt - bürgern Norddeutſchlands, die ſich noch zuweilen aus dem Himmel der Ideen in die Niederungen der Politik hinabließen, begrüßten den Triumph des Fürſtenthums als eine Sieg der modernen Cultur; ſie hofften, wie Harl in ſeiner Schrift über Deutſchlands neueſte Staatsveränderungen ſich ausdrückte, das ſchöne Morgenroth der Aufklärung werde jetzt endlich die Finſterniß aus den geiſtlichen Landen verdrängen. Richtiger als die meiſten der Zeitgenoſſen urtheilte der junge Hegel über die