PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Staatengeſchichte der neueſten Zeit.
Vierundzwanzigſter Band.
Deutſche Geſchichte im neunzehnten Jahrhundert Erſter Theil.
LeipzigVerlag von S. Hirzel. 1879.
[III]
Deutſche Geſchichte im Neunzehnten Jahrhundert
Erſter Theil. Bis zum zweiten Pariſer Frieden.
LeipzigVerlag von S. Hirzel. 1879.
[IV]
[V]

An Max Duncker.

Nehmen Sie, mein verehrter Freund, die Widmung dieſer Blätter als ein Zeichen alter Treue freundlich auf. Sie haben mir bei den langwierigen Vorarbeiten ſo oft Ihre warme Theilnahme erwieſen; es thut mir wohl, zuerſt vor Ihnen auszuſprechen was ich über Anlage und Abſicht des Buchs den Leſern zu ſagen habe.

Mein Plan war urſprünglich, nur die Geſchichte des Deutſchen Bundes zu ſchreiben, nach einem kurzen Eingang ſofort mit den Ver - handlungen des Wiener Congreſſes zu beginnen. Ich erkannte jedoch bald, daß ein nicht ausſchließlich für Gelehrte beſtimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schickſale des Deutſchen Bundes bilden nur den Abſchluß des zweihundertjährigen Kampfes zwiſchen dem Hauſe Oeſter - reich und dem neu aufſteigenden deutſchen Staate; ſie bleiben dem Leſer unverſtändlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußiſchen Monarchie und den Untergang des heiligen Reichs unterrichtet iſt. Eine allen Gebil - deten gemeinſame nationale Geſchichtsüberlieferung hat ſich in unſerem kaum erſt wiedervereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politi - ſchen Helden entgegenbringen, hegen wir Deutſchen nur für die großen Namen unſerer Kunſt und Wiſſenſchaft; ſelbſt über die Frage, welche Thatſachen in dem weiten Wirrſal unſerer neuen Geſchichte die wahrhaft entſcheidenden waren, gehen die Meinungen noch weit auseinander.

Ich entſchloß mich daher in einem einleitenden Buche kurz zu ſchil - dern, wie ſich ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das neue DeutſchlandVI gebildet hat. Einem Kenner brauche ich nicht zu ſagen, wie ſchwer es iſt dieſen maſſenhaften Stoff in gedrängter Ueberſicht zuſammenzufaſſen. Der unendlichen Mannichfaltigkeit und Bedingtheit des hiſtoriſchen Lebens kann nur eine tief in das Einzelne eindringende Schilderung ganz Ge - nüge leiſten. Sie werden leicht zwiſchen den Zeilen leſen, wie oft ich in einem kurzen Satze meine Meinung über eine ſchwierige Streitfrage ſagen, wie oft ich jedes Wort abwägen mußte um beſtimmt zu reden ohne Härte, gerecht ohne Verſchwommenheit. Das Unternehmen war um ſo gewagter, da wir in Häuſſers Deutſcher Geſchichte bereits eine umfaſſende Darſtellung der letzten Jahrzehnte des heiligen Reichs beſitzen, ein Buch, das bei ſeinem Erſcheinen wie eine politiſche That wirkte und für immer eine Zierde unſerer hiſtoriſchen Literatur bleiben wird. Aber ſeit dem Tode des unvergeßlichen Mannes iſt unſere Kenntniß des napoleoniſchen Zeitalters, nicht zuletzt durch Ihre Arbeiten, weſentlich erweitert worden. Auch der Standpunkt des hiſtoriſchen Urtheils hat ſich verändert. Wer heute durch eine Schilderung jener Epoche das Verſtändniß der Gegen - wart fördern will, muß die innere Entwicklung des preußiſchen Staates und die großen Wandlungen des geiſtigen Lebens in den Vordergrund der Erzählung ſtellen.

In dem einleitenden Buche bin ich nicht darauf ausgegangen neue Thatſachen mitzutheilen. Ich habe mich auch nicht geſcheut, zuweilen Allbekanntes zu wiederholen; denn will der Hiſtoriker immer und überall neu ſein, ſo wird er nothwendig unwahr. Mein Beſtreben war, aus dem Gewirr der Ereigniſſe die weſentlichen Geſichtspunkte herauszuheben, die Männer und die Inſtitutionen, die Ideen und die Schickſalswechſel, welche unſer neues Volksthum geſchaffen haben, kräftig hervortreten zu laſſen. Darum ſind auch die inneren Zuſtände der kleineren deutſchen Staaten nur kurz behandelt; ich denke erſt im zweiten Bande, bei der Schilderung der ſüddeutſchen Verfaſſungskämpfe, mich auf dieſe Verhält - niſſe näher einzulaſſen. Möchten Sie und andere nachſichtige Richter finden, daß dieſe Ueberſicht einen annähernd richtigen Begriff giebt von den großen Gegenſätzen, welche den Staatsbau unſeres Mittelalters zer - ſtörten und den Boden ebneten für die weltlichen Staatsgebilde des neuen Jahrhunderts. Mehr als die Umriſſe des Bildes konnte ich auf ſo engem Raume nicht bieten.

VII

Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Darſtellung allmäh - lich ausführlicher, und mit den Tagen des erſten Pariſer Friedens be - ginnt dann die eingehende Geſchichtserzählung, die ich im zweiten Bande zunächſt bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für dieſen Zeitraum habe ich, mit Erlaubniß des Fürſten Reichskanzlers und des Freiherrn von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des Auswärtigen Miniſteriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug danken für die freiſinnige Bereitwilligkeit, die mir von der hieſigen Archiv - verwaltung, erſt unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer bewieſen wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es nicht mißbrauchen konnte. In der Geſchichte Preußens iſt nichts zu be - mänteln noch zu verſchweigen. Was dieſer Staat geirrt und geſündigt hat weiß alle Welt ſchon längſt, Dank der Mißgunſt aller unſerer Nach - barn, Dank der Tadelſucht unſeres eigenen Volks; ehrliche Forſchung führt in den meiſten Fällen zu der Erkenntniß, daß ſeine Staatskunſt ſelbſt in ihren ſchwachen Zeiten beſſer war als ihr Ruf.

Es giebt viele Arten Geſchichte zu ſchreiben, und jede iſt berechtigt wenn ſie nur ihren Stil rein und ſtreng einhält. Dies Buch will einfach erzählen und urtheilen. Sollte die Darſtellung nicht völlig formlos wer - den, ſo durfte ich den Leſern nur das fertige Ergebniß der Unterſuchung vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der Forſchung aufzuweiſen oder ſie mit polemiſchen Auseinanderſetzungen zu beläſtigen.

Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte, welche dieſer Band zu ſchildern verſucht, empfinde ich wieder, wie ſo oft beim Schreiben, den Reichthum und die ſchlichte Größe unſerer vater - ländiſchen Geſchichte. Kein Volk hat beſſeren Grund als wir, das An - denken ſeiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk, leider, erinnert ſich ſo ſelten, durch wie viel Blut und Thränen, durch wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen ſeiner Ein - heit geſchaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben ſchon in der Paulskirche den Traum vom preußiſchen Reiche deutſcher Nation geträumt und ſind im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs; denn Sie wiſſen, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart erſcheinen neben dem Jammer der alten kaiſerloſen Tage. Sie werden mich nicht tadeln, wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der hiſtoriſchen Rede dann undVIII wann ein hellerer Ton entgegenklingt. Der Erzähler deutſcher Geſchichte löſt ſeine Aufgabe nur halb, wenn er blos den Zuſammenhang der Er - eigniſſe aufweiſt und mit Freimuth ſein Urtheil ſagt; er ſolle auch ſelber fühlen und in den Herzen ſeiner Leſer zu erwecken wiſſen was viele un - ſerer Landsleute über dem Zank und Verdruß des Augenblicks heute ſchon wieder verloren haben: die Freude am Vaterlande.

Berlin 10. Februar 1879.

Heinrich von Treitſchke.

[1]

Erſtes Buch.

Einleitung. Der Untergang des Reichs.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 1[2][3]

Erſter Abſchnitt. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.

Die deutſche Nation iſt trotz ihrer alten Geſchichte das jüngſte unter den großen Völkern Weſteuropas. Zweimal ward ihr ein Zeitalter der Jugend beſchieden, zweimal der Kampf um die Grundlagen ſtaatlicher Macht und freier Geſittung. Sie ſchuf ſich vor einem Jahrtauſend das ſtolzeſte Königthum der Germanen und mußte acht Jahrhunderte nachher den Bau ihres Staates auf völlig verändertem Boden von Neuem be - ginnen, um erſt in unſern Tagen als geeinte Macht wieder einzutreten in die Reihe der Völker.

Sie hatte einſt in überſchwellendem Thatendrang die Kaiſerkrone der Chriſtenheit mit der ihren verbunden, ihr Leben ausgeſchmückt mit allen Reizen ritterlicher Kunſt und Bildung, Ungeheures gewagt und geopfert um die Führerſchaft des Abendlandes zu behaupten. In den weltumſpannenden Kämpfen ihrer großen Kaiſer ging die Macht der deutſchen Monarchie zu Grunde. Auf den Trümmern des alten Königthums erhebt ſich ſodann eine junge Welt territorialer Gewalten: geiſtliche und weltliche Fürſten, Reichs - ſtädte, Grafen und Ritter, ein formloſes Gewirr unfertiger Staatsgebilde, voll wunderbarer Lebenskraft. Mitten im Niedergange der kaiſerlichen Herr - lichkeit vollführen die Fürſten Niederſachſens, die Ritter des deutſchen Ordens und die Bürger der Hanſa mit Schwert und Pflug die größte Coloniſation, welche die Welt ſeit den Tagen der Römer geſehen: die Lande zwiſchen Elbe und Memel werden erobert und beſiedelt, die ſkandinaviſchen und die ſlaviſchen Völker auf Jahrhunderte hinaus deutſchem Handel, deutſcher Bildung unterworfen. Aber Fürſten und Adel, Bürgerthum und Bauerſchaften gehen Jeder ſeines eigenen Weges; der Haß der Stände vereitelt alle Verſuche, dieſe Ueberfülle ſchöpferiſcher Volkskräfte politiſch zu ordnen, die zerfallende Staatseinheit in bündiſchen Formen wieder aufzurichten.

Dann hat Martin Luther nochmals begeiſterte Männer aus allen Stämmen des zerſplitterten Volkes zu großem Wirken vereinigt. Der1*4I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Ernſt des deutſchen Gewiſſens führte die verweltlichte Kirche zurück zu der erhabenen Einfalt des evangeliſchen Chriſtenthums; deutſchem Geiſte entſprang der Gedanke der Befreiung des Staates von der Herrſchaft der Kirche. Unſer Volk erſtieg zum zweiten male einen Höhepunkt ſeiner Geſittung, begann ſchlicht und recht die verwegenſte Revolution aller Zeiten. In anderen germaniſchen Ländern hat der Proteſtantismus überall die nationale Staatsgewalt geſtärkt, die Vielherrſchaft des Mittel - alters aufgehoben. In ſeinem Geburtslande vollendete er nur die Auf - löſung des alten Gemeinweſens. Es ward entſcheidend für alle Zukunft der deutſchen Monarchie, daß ein Fremdling unſere Krone trug während jener hoffnungsfrohen Tage, da die Nation frohlockend den Wittenberger Mönch begrüßte und, bis in ihre Tiefen aufgeregt, eine Neugeſtaltung des Reiches an Haupt und Gliedern erwartete. Die kaiſerliche Macht, dermaleinſt der Führer der Deutſchen im Kampfe wider das Papſtthum, verſagte ſich der kirchlichen, wie der politiſchen Reform. Das Kaiſerthum der Habsburger ward römiſch, führte die Völker des romaniſchen Süd - europas ins Feld wider die deutſchen Ketzer und iſt fortan bis zu ſeinem ruhmloſen Untergange der Feind alles deutſchen Weſens geblieben.

Die evangeliſche Lehre ſucht ihre Zuflucht bei den weltlichen Landes - herren. Als Beſchützer des deutſchen Glaubens behaupten und bewähren die Territorialgewalten das Recht ihres Daſeins. Doch die Nation vermag weder ihrem eigenſten Werke, der Reformation, die Alleinherrſchaft zu bereiten auf deutſchem Boden, noch ihren Staat durch die weltlichen Gedanken der neuen Zeit zu verjüngen. Ihr Geiſt, von Alters her zu überſchwänglichem Idealismus geneigt, wird durch die tiefſinnige neue Theologie den Kämpfen des politiſchen Lebens ganz entfremdet; das leidſame Lutherthum verſteht nicht die Gunſt der Stunde zu befreiender That zu benutzen. Schimpflich geſchlagen im ſchmalkaldiſchen Kriege beugt das waffengewaltige Deutſchland zum erſten male ſeinen Nacken unter das Joch der Fremden. Dann rettet die wüſte Empörung Moritz’s von Sachſen dem deutſchen Proteſtantismus das Daſein und zerſtört die hispaniſche Herrſchaft, aber auch die letzten Bande monarchiſcher Ordnung, welche das Reich noch zuſammengehalten; in ſchrankenloſer Willkür ſchaltet fortan die Libertät der Reichsſtände. Nach raſchem Wechſel halber Erfolge und halber Niederlagen ſchließen die ermüdeten Parteien den vorzeitigen Religionsfrieden von Augsburg. Es folgen die häßlichſten Zeiten deutſcher Geſchichte. Das Reich ſcheidet freiwillig aus dem Kreiſe der großen Mächte, verzichtet auf jeden Antheil an der europäiſchen Politik. Unbe - weglich und doch unverſöhnt lebt die ungeſtalte Maſſe katholiſcher, lutheriſcher, calviniſcher Landſchaften durch zwei Menſchenalter träge träumend dahin, während dicht an unſern Grenzen die Heere des katho - liſchen Weltreichs ihre Schlachten ſchlagen, die niederländiſchen Ketzer um die Freiheit des Glaubens und die Herrſchaft der Meere kämpfen.

5Anfang der neuen deutſchen Geſchichte.

Da endlich bricht der letzte, der entſcheidende Krieg des Zeitalters der Glaubenskämpfe über das Reich herein. Die Heimath des Pro - teſtantismus wird auch ſein Schlachtfeld. Sämmtliche Mächte Europas greifen ein in den Krieg, der Auswurf aller Völker hauſt auf deutſcher Erde. In einer Zerſtörung ohne Gleichen geht das alte Deutſchland zu Grunde. Die einſt nach der Weltherrſchaft getrachtet, werden durch die unbarmherzige Gerechtigkeit der Geſchichte dem Ausland unter die Füße geworfen. Rhein und Ems, Elbe und Weſer, Oder und Weichſel, alle Zugänge zum Meere ſind fremder Nationen Gefangene ; dazu am Ober - rhein die Vorpoſten der franzöſiſchen Uebermacht, im Südoſten die Herr - ſchaft der Habsburger und der Jeſuiten. Zwei Drittel der Nation hat der gräuelvolle Krieg dahingerafft; das verwilderte Geſchlecht, das noch in Schmutz und Armuth ein gedrücktes Leben führt, zeigt nichts mehr von der alten Großheit des deutſchen Charakters, nichts mehr von dem freimüthig heiteren Heldenthum der Väter. Der Reichthum einer uralten Geſittung, was nur das Daſein ziert und adelt, iſt verſchwunden und vergeſſen bis herab zu den Handwerksgeheimniſſen der Zünfte. Das Volk, das einſt von Chriemhilds Rache ſang und ſich das Herz erhob an den heldenhaften Klängen lutheriſcher Lieder, ſchmückt jetzt ſeine verarmte Sprache mit fremden Flittern, und wer noch tief zu denken vermag, ſchreibt franzöſiſch oder lateiniſch. Das geſammte Leben der Nation liegt haltlos jedem Einfluß der überlegenen Cultur des Auslandes geöffnet. Auch die Erinnerung an die Hoheit wundervoller Jahrhunderte geht der Maſſe des Volks über dem Jammer der Schwedennoth, über den kleinen Sorgen des armſeligen Tages verloren; fremd und unheimlich ragen die Zeugen deutſcher Bürgerherrlichkeit, die alten Dome in die ver - wandelte Welt. Erſt anderthalb Jahrhunderte darauf hat die Nation durch mühſame gelehrte Forſchung die Schätze ihrer alten Dichtung wieder aufgegraben, erſtaunend, wie reich ſie einſt geweſen. Kein anderes Volk ward jemals ſo gewaltſam ſich ſelber und ſeinem Alterthum ent - fremdet; ſogar das heutige Frankreich iſt nicht durch eine ſo tiefe Kluft getrennt von den Zeiten ſeines alten Königthums.

Die grauenhafte Verwüſtung ſchien den Untergang des deutſchen Namens anzukündigen, und ſie ward der Anfang eines neuen Lebens. In jenen Tagen des Elends, um die Zeit des Weſtphäliſchen Friedens beginnt unſere neue Geſchichte. Zwei Mächte ſind es, an denen dies verſinkende Volk ſich wieder aufgerichtet hat, um ſeitdem in Staat und Wirthſchaft, in Glauben, Kunſt und Wiſſen ſein Leben immer reicher und voller zu geſtalten: die Glaubensfreiheit und der preußiſche Staat.

Deutſchland hatte durch die Leiden und Kämpfe der dreißig Jahre die Zukunft des Proteſtantismus für den geſammten Welttheil geſichert und zugleich den Charakter ſeiner eigenen Cultur unverrückbar feſtgeſtellt. Sein äußerſter Süden ragte hinein in die katholiſche Welt der Romanen,6I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſeine Nordmarken berührten das harte Lutherthum Skandinaviens, doch ſeine Kernlande blieben der Sammelplatz dreier Bekenntniſſe. Die deutſche Nation war das einzige paritätiſche unter den großen Völkern und darum gezwungen den blutig erkämpften kirchlichen Frieden in Staat und Geſellſchaft, in Haus und Schule durch die Gewöhnung jedes neuen Tages zu befeſtigen. Vor Zeiten, da die römiſche Kirche noch die allgemeine Kirche war und die Keime des Proteſtantismus in ſich umſchloß, hatte ſie unſer Volk für die Geſittung erzogen, ſeine Kunſt und Wiſſenſchaft reich befruchtet. Als ſie dieſe Mächte der Freiheit ausſtieß und geſtützt auf die romaniſchen Völker ſich umgeſtaltete zu einer ge - ſchloſſenen kirchlichen Partei, da gelang ihr zwar durch die Herrſcherkunſt des Hauſes Habsburg einen Theil des deutſchen Reiches zurückzuerobern; dem Gemüthe unſeres Volkes blieb der jeſuitiſche Glaube immer fremd. Die reichen geiſtigen Kräfte der neu-römiſchen Kirche entfalteten ſich prächtig in ihren romaniſchen Heimathlanden; in dieſem feindlichen deutſchen Boden, in dieſem Volke geborener Ketzer wollten ſie nicht Wurzel ſchlagen. Hier ſang kein Taſſo, kein Calderon, hier malte kein Rubens, kein Murillo. Niemand unter den faulen Bäuchen des deutſchen Mönch - thums wetteiferte mit dem Gelehrtenfleiße der ehrwürdigen Väter von St. Maur. Die Geſellſchaft Jeſu erzog unter den Deutſchen viele fromme Prieſter und gewandte Staatsmänner, auch manche plumpe Eiferer, welche, wie Pater Buſenbaum, mit ungeſchlachter Germanenderb - heit der Welt das Geheimniß verriethen, daß der Zweck die Mittel heilige; doch ihre geſammte Bildung war das Werk romaniſcher Köpfe, wie die ſinnberauſchenden Formen ihres Cultus. In Deutſchland wirkte der neue Katholicismus nur hemmend und verwüſtend; ſein geiſtiges Ver - mögen verhielt ſich zu der Gedankenwelt der deutſchen Proteſtanten wie die unfruchtbare Scholaſtik unſeres erſten Jeſuiten Caniſius zu der ſchlichten Weisheit der Werke Luthers. Rom wußte es wohl, Deutſchland blieb die feſte Burg der Ketzerei, trotz aller Maſſenbekehrungen der Gegen - reformation. Das Mark unſeres Geiſtes war proteſtantiſch.

Die theuer erkaufte kirchliche Duldung bereitete die Stätte für eine maßvolle Freiheit, eine beſonnene Verwegenheit des Denkens, die unter der Alleinherrſchaft einer Kirche niemals gedeihen kann. Auf ſolchem Boden erwuchs, ſobald das erſchöpfte Volk wieder geniale Naturen zu ertragen vermochte, unſere neue Wiſſenſchaft und Dichtung, die wirkſamſte Literatur der neuen Geſchichte, proteſtantiſch von Grund aus und doch weltlich frei und mild. Sie ſchenkte der verkümmerten Nation aufs Neue eine mächtige Sprache, gab ihr die Ideale der Humanität und den Glauben an ſich ſelbſt zurück. Alſo ſind unſerm Volke ſelbſt die Niederlagen der Reformation zuletzt zum Segen geworden. Gezwungen, alle die großen Gegenſätze des europäiſchen Lebens in ſeinem eigenen Schooße zu beher - bergen, ward Deutſchland fähig, ſie alle zu verſtehen und mit der Kraft7Die Reichsverfaſſung.des Gedankens zu beherrſchen. Seine Seele tönte von jedem Athemzuge der Menſchheit. Seine claſſiſche Literatur ward vielſeitiger, kühner, menſchlich freier, als die früher gereifte Bildung der Nachbarvölker. Hundertundfünfzig Jahre nach dem Untergange der alten deutſchen Cultur durfte Hölderlin das neue Deutſchland alſo anreden:

O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
Allduldend gleich der ſchweigenden Mutter Erd
Und allverkannt, wenn ſchon aus deiner
Tiefe die Fremden ihr Beſtes haben.

Zugleich erwachte wieder die ſtaatenbildende Kraft der Nation. Aus dem Durcheinander verrotteter Reichsformen und unfertiger Territorien hob ſich der junge preußiſche Staat empor. Von ihm ging fortan das politiſche Leben Deutſchlands aus. Wie einſt faſt um ein Jahrtauſend zuvor die Krone von Weſſex alle Königreiche der Angelſachſen zum Staate von England vereinigte, wie das Königthum der Franzoſen von der Isle de France aus, das ganze Mittelalter hindurch, die Theilſtaaten der Barone und Communen eroberte und bändigte, ſo hat die Monarchie der brandenburgiſch-preußiſchen Marken der zerriſſenen deutſchen Nation wieder ein Vaterland geſchaffen. Das harte Ringen um die Anfänge der Staatseinheit gelingt gemeinhin nur der derben bildſamen Lebens - kraft jugendlicher Völker; hier aber vollzog es ſich im hellen Mittagslichte der neuen Zeit, gegen den Widerſtand des geſammten Welttheils, im Kampfe mit den legitimen Gewalten des heiligen Reichs und den unzähligen durch eine alte Geſchichte verhärteten Gegenſätzen des vielgeſtaltigen deutſchen Lebens. Es war die ſchwerſte Einheitsbewegung, die Europa erlebte, und nur der letzte, volle, durchſchlagende Erfolg hat endlich die widerwillige Welt gezwungen, an das ſo oft ausſichtslos geſcholtene Werk zu glauben.

Von Kaiſer und Reich konnte die Neugeſtaltung des deutſchen Staates nicht mehr ausgehen. Die alte längſt ſchon brüchige Reichs - verfaſſung wurde ſeit dem Eindringen des Proteſtantismus zu einer häßlichen Lüge. Die letzten Folgen alles großen menſchlichen Thuns bleiben dem Thäter ſelber verhüllt. Wie Martin Luther, da er von der Kirche des Mittelalters ſich löſte, ahnungslos die Bahn brach für die weltliche Wiſſenſchaft unſerer Tage, die ſeinen frommen Sinn empören würde: ſo hat er auch, indem er den Staat von der Vormundſchaft der Kirche befreite, die Wurzeln jenes römiſchen Kaiſerthums untergraben, das er als treuer Unterthan verehrte. Sobald die Mehrheit der Nation der evangeliſchen Lehre ſich zuwandte, ward die theokratiſche Kaiſerwürde ebenſo unhaltbar wie ihre Stütze, das geiſtliche Fürſtenthum. Der ge - krönte Schirmvogt und die Biſchöfe der alten Kirche durften nicht herrſchen über ketzeriſchem Volke. Darum wurde ſchon in den erſten Jahren der Reformation, auf dem Reichstage von 1525, die Forderung8I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.laut, daß die geiſtlichen Gebiete heimgeramſcht, den benachbarten weltlichen Fürſten unterworfen würden; und an allen großen Wendepunkten der Reichspolitik iſt der nothwendige Gedanke der Seculariſation ſeitdem regelmäßig wieder aufgetaucht, denn aus ihm ſprach die Natur der Dinge. Aber das unheilvolle Gleichgewicht der Kräfte und der Gegenkräfte, das jede Bewegung des Reiches hemmte, vereitelte auch dieſe unabweisbare Folge der Reformation. Die Mehrzahl der geiſtlichen Fürſten blieb er - halten, und mit ihnen die traumhaften Herrſchaftsanſprüche der Sacra Caesarea Majestas, obſchon das deutſche Königthum, das dieſe römiſche Krone trug, längſt aller Macht entkleidet, alle Hoheitsrechte der alten Monarchie längſt übergegangen waren in die Hände der Landesherren.

Zwei Drittel des deutſchen Volkes außerhalb der kaiſerlichen Erb - lande bekannten das Evangelium, desgleichen alle mächtigen Fürſtenhäuſer mit Ausnahme der Wittelsbacher und der Albertiner. Das amtliche Deutſchland aber blieb katholiſch. Die Altgläubigen behaupteten die Mehrheit im Kurfürſten - wie im Fürſtenrathe, und das Kaiſerthum be - wahrte noch immer ſeinen halb prieſterlichen Charakter. Der Kaiſer wurde durch die Krönung ein Theilhaber unſeres geiſtlichen Amtes , gelobte dem Papſte und der Kirche die gebührenden geiſtlichen Ehren zu erweiſen; er war von Amtswegen Canonicus mehrerer katholiſcher Stifter und empfing darum das Abendmahl in beiderlei Geſtalt. Es iſt nicht anders, unter dieſer römiſchen Theokratie konnte die Ketzerei rechtlich nicht beſtehen. Die erſte große politiſche That der deutſchen Lutheraner war jene Proteſtation von Speyer, die dem neuen Glauben den Namen gab; ſie erklärte rund heraus, die Evangeliſchen würden der Mehrheit im Reiche ſich nicht fügen. Und alſo im Kampfe gegen das Reich, wie er begonnen, in beſtändiger Empörung hat ſich der Proteſtantismus auch fürderhin behauptet. Er erzwang die Religionsfriedensſchlüſſe, dem alten Kaiſereide wie dem Grundgedanken des heiligen Reichs ſchnurſtracks zuwider, und bildete einen Staat im Staate, um die ertrotzte Glaubens - freiheit gegen die Mehrheit des Reichstags zu ſichern. Das Corpus Evangelicorum blieb in milderen Formen doch ein nicht minder anarchi - ſcher, ſtaatswidriger Nothbehelf, als die Conföderationen der polniſchen Adelsrepublik.

Nur ein revolutionärer Entſchluß, nur die Umwandlung des heiligen Reichs in einen Bund weltlicher Staaten konnte die Nation erretten aus ſolcher Unwahrheit ihres politiſchen Lebens; nur eine nationale Staatsgewalt, die ehrlich ihr weltliches Weſen eingeſtand, konnte den Altgläubigen wie den Evangeliſchen auf dem Boden des Geſetzes gerecht werden. Schon den beiden größten Publiciſten unſeres ſiebzehnten Jahr - hunderts drängte ſich dieſe Ueberzeugung auf: der Wortführer der ſchwe - diſchen Partei, Hippolithus a Lapide predigte mit heißer Leidenſchaft den Vernichtungskrieg wider das Kaiſerthum; der beſonnenere Samuel9Das Kaiſerthum.Pufendorf ſah das Reich ſicher wie einen rollenden Stein der Umge - ſtaltung in einen Staatenbund entgegeneilen. Auch das amtliche Deutſchland empfand dunkel, wie ſinnlos die alten Formen in der neuen Zeit geworden. Die Religionsfriedensſchlüſſe gaben ſich ſelber nur für Waffenſtillſtände, vertröſteten die Nation auf beſſere Zeiten, da durch Gottes Gnade eine Vereinigung in Glaubensſachen zu Stande kommen wird . Der Weſtphäliſche Friede beauftragte den nächſten Reichstag, durch eine umfaſſende Verfaſſungsreviſion die neu errungene Macht der Reichsſtände in Einklang zu bringen mit den alten Rechten der Kaiſer - krone. Doch das Haus Oeſterreich verhinderte auch diesmal den Verſuch der Reform. Die Reichsverſammlung von 1654 ging unverrichteter Dinge auseinander, und da der folgende Reichstag durch anderthalb Jahrhunderte zu Regensburg tagte, ohne ſeine wichtigſte Aufgabe jemals in Angriff zu nehmen, ſo blieb der deutſche Staat in Wahrheit ver - faſſungslos. In ſeinem öffentlichen Rechte lagen die Trümmerſtücke dreier grundverſchiedener Staatsformen wirr und unverbunden neben einander: die ſchattenhaften Ueberbleibſel der alten monarchiſchen Einheit, die verkümmerten Anfänge einer neuen ſtaatenbündiſchen Ordnung, endlich, lebendiger als Beide, der Particularismus der territorialen Staats - gewalten.

Das Kaiſerthum hielt in allem Wandel der Zeiten die alten An - ſprüche monarchiſcher Machtvollkommenheit feſt und geſtattete niemals, daß ein Reichsgeſetz ihm den Umfang ſeiner Rechte feſt begrenzte. Der kaiſerliche Oberlehnsherr empfing noch immer ſitzend, mit bedecktem Haupte die Huldigung ſeiner knieenden Unterthanen, der Reichsſtände; er übte, ſoweit ſein Arm reichte, die Gerichtsbarkeit durch ſeinen Reichs - hofrath, als ſei er wirklich noch der höchſte Richter über Eigen und Lehen und über jeglichen Mannes Leib, wie einſt in den Tagen des Sachſen - ſpiegels. Noch immer ſchwenkte der Herold bei der Krönung das Kaiſer - ſchwert nach allen vier Winden, weil die weite Chriſtenheit dem Doppel - adler gehorche; noch ſprach das Reichsrecht mit feierlichem Ernſt von den Lehen des Reichs, die auf den Felsterraſſen der Riviera von Genua und tief in Toscana hinein lagen; noch beſtanden die drei Reichskanzlerämter für Germanien, Italien und Arelat; Nomeny und Biſanz und ſo viele andere, längſt den Fremden preisgegebene Stände wurden noch auf den Reichstagen zur Abſtimmung aufgerufen; der Herzog von Savoyen galt als Reichsvicar in Wälſchland, und Niemand wußte zu ſagen, wo des heiligen Reiches Grenzpfähle ſtanden. Dem Dichterauge des jungen Goethe wurde in dem altfränkiſchen Schaugepränge der Kaiſerkrönung die farben - reiche Herrlichkeit des alten Reiches wieder lebendig; wer aber mit dem nüchternen Sinne des Weltmannes zuſchaute, gleich dem Ritter Lang, dem erſchien dies Kaiſerthum der verblaßten Erinnerungen und der gren - zenloſen Anſprüche als ein fratzenhafter Mummenſchanz, ebenſo lächerlich10I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.und abgeſchmackt, wie das Schwert Karls des Großen, das den böhmiſchen Löwen auf der Klinge trug, oder wie die Chorknaben von St. Bartholomäi, die durch ihr hellſtimmiges fiat! vom hohen Chor herab im Namen der deutſchen Nation die Erwählung des Weltherrſchers genehmigten.

Die Umbildung des altgermaniſchen Wahlkönigthums zur erblichen Monarchie hat den meiſten Völkern Weſteuropas die Staatseinheit ge - ſichert. Deutſchland aber blieb ein Wahlreich, und die dreihundertjäh - rige Verbindung ſeiner Krone mit dem Hauſe Oeſterreich erweckte nur neue Kräfte des Zerfalles und des Unfriedens, denn das Kaiſerthum der Habsburger war unſerem Volke eine Fremdherrſchaft. Abgetrennt von der Mitte Deutſchlands durch das ſtarke Slavenreich in Böhmen, hatte die alte deutſche Südoſtmark ſchon früh im Mittelalter ihres eigenen Weges gehen und ſich einleben müſſen in die verſchlungene Politik des ungariſch-ſlaviſch-walachiſchen Völkergemiſches der unteren Donaulande. Sie wurde ſodann durch das Haus Habsburg zum Kernlande eines mächtigen vielſprachigen Reiches erhoben, durch falſche und echte Privi - legien aller ernſtlichen Pflichten gegen das deutſche Reich entbunden und erlangte bereits im ſechzehnten Jahrhundert eine ſo wohlgeſicherte Selbſtändigkeit, daß die Habsburger ſich mit dem Plane tragen konnten ihre deutſchen Erblande zu einem Königreich Oeſterreich zu vereinigen. Mitten im Gewimmel fremden Volksthums bewahrten die tapferen Stämme der Alpen und des Donauthales getreulich ihre deutſche Art; ſie nahmen mit ihrer friſchen herzhaften Sinnlichkeit rühmlich Theil an dem geiſtigen Schaffen unſeres Mittelalters. An dem lebensfrohen Hofe der Babenberger blühte die ritterliche Kunſt; der größte Dichter unſerer Staufertage war ein Sohn der Tyroler Alpen; die prächtigen Hallen von St. Stephan und St. Marien am Stiegen erzählten von dem Stolze und dem Kunſtfleiß des deutſchen Bürgerthums in Nieder - öſterreich. Alsdann wandte ſich auch hier der deutſche Geiſt in freudigem Erwachen der evangeliſchen Lehre zu; in Böhmen wurde das Huſſitenthum wieder lebendig, und am Ausgang des Jahrhunderts der Reformation war der größte Theil der deutſch-öſterreichiſchen Kronländer dem Glauben unſeres Volkes gewonnen. Da führte der Glaubenseifer des Kaiſerhauſes alle Schrecken des Völkermordes über Oeſterreich herauf. Unter blutigen Gräueln ward die Herrſchaft der römiſchen Kirche durch die kaiſerlichen Seligmacher wieder aufgerichtet. Was deutſchen Sinnes war und dem fremden Joche ſich nicht beugte, Hunderttauſende der Beſten vom böh - miſchen Volke fanden eine neue Heimath in den Landen der evangeliſchen Reichsfürſten. Die daheim geblieben, verloren in der Schule der Jeſuiten die Lebenskraft des deutſchen Geiſtes: den Muth des Gewiſſens, den ſittlichen Idealismus. Kirchlicher Druck zerſtört die tiefſten Wurzeln des Volkslebens. Der helle Frohmuth des öſterreichiſchen Deutſchthums ver - flachte in gedankenloſer Genußſucht, das leichtlebige Volk gewöhnte ſich11Oeſterreich und die Gegenreformation.raſch an die verlogene Gemüthlichkeit einer pfäffiſchen Regierung, die ihre kalte Menſchenverachtung hinter läßlich bequemen Formen zu verbergen wußte.

Der Weſtphäliſche Friede gab dieſem letzten großen Siege der Gegen - reformation die geſetzliche Weihe. Der Kaiſer genehmigte die Gleich - berechtigung der drei Bekenntniſſe im Reiche nur unter der Bedingung, daß ſeine Erblande der Regel nicht unterliegen ſollten. Seitdem ſchied Oeſterreich aus der Gemeinſchaft des deutſchen Lebens. Das Einzige, was der zerrütteten Reichsverfaſſung noch Sinn und Inhalt gab, die geſicherte Glaubensfreiheit, war für die habsburgiſchen Länder nicht vor - handen; zur ſelben Zeit, da Deutſchland in prunkenden Friedensfeſten ſich der endlich errungenen Verſöhnung freute, ließ ſein Kaiſer die päpſt - liche Bulle, welche den Friedensſchluß verdammte, in Wien und Prag, in Graz und Innsbruck an die Kirchthüren anſchlagen. Auch nach dem Frieden arbeitet das Kaiſerhaus unabläſſig an der Ausrottung der Ketzerei. Noch an hundert Jahre lang, bis zum Tode Karls VI., fluthet in immer kürzeren Wellenſchlägen die Auswanderung öſterreichiſcher Pro - teſtanten nach dem deutſchen Norden hinüber, bis endlich alle Erblande den Todesſchlaf der Glaubenseinheit ſchlummern. Zu Anfang des dreißigjährigen Krieges bekannte ſich die böhmiſche Grafſchaft Glatz, bis auf eine einzige römiſche Gemeinde, zum evangeliſchen Glauben; als die Grenadiere König Friedrichs dort einzogen, war das Volk katholiſch bis auf den letzten Mann, und mitten in dem neubekehrten Lande prangte die gnadenreiche Wallfahrtskirche von Albendorf, ein Siegesdenkmal für die Schlacht am Weißen Berge. Den katholiſchen Nachbarn in Baiern verfeindet durch Stammeshaß und uralte politiſche Gegnerſchaft, arg - wöhniſch abgeſperrt von jeder Berührung der norddeutſchen Ketzerei, führen die deutſch-öſterreichiſchen Länder fortan ein ſtilles Sonderleben. Der Verkehr zwiſchen Böhmen und der unteren Elbe, im Mittelalter ſo ſchwunghaft, daß Kaiſer Karl IV. hoffen durfte ein großes Elbreich von Prag bis Tangermünde aufzurichten alle die alten fruchtbaren Wechſel - wirkungen zwiſchen dem Nordoſten und dem Südoſten Deutſchlands verfallen gänzlich, und an der ſächſiſch-böhmiſchen Grenze bildet ſich allmählich eine ſcharfe Völkerſcheide, ein grundtiefer Gegenſatz der Gedanken und Lebens - gewohnheiten. Von den ſeelenvollen Klängen der wiedererwachenden deutſchen Dichtung, von den freien Reden unſerer jungen Wiſſenſchaft drang kaum ein Laut in dieſe abgeſchiedene Welt. Während die deutſche Jugend um die Leiden des jungen Werther weinte und mit dem Räuber Moor auf die Thatenarmuth des tintenkleckſenden Seculums zürnte, ergötzte ſich das luſtige Wien an den platten Zerrbildern der Blumauer - ſchen Aeneide. Allein die Werke der großen Tonſetzer Oeſterreichs be - kundeten, daß die ſchöpferiſche Macht des deutſchen Geiſtes noch nicht ganz erloſchen war in der ſchönen Heimath Walthers von der Vogelweide. 12I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Erſt im neunzehnten Jahrhundert ſollte das zertretene Deutſchthum der Südoſtmarken wieder die Kraft finden allen Arbeiten der modernen deutſchen Cultur mit lebendigem Verſtändniß zu folgen.

Dergeſtalt hat die Politik der katholiſchen Glaubenseinheit die Donau - lande auf lange hinaus unſerem Volke entfremdet. Sie zerſpaltete das alte Reich, ſie ſchuf den vielbeklagten deutſchen Dualismus; ſo lange die Deutſchen ſich nicht ſelber aufgaben, durften ſie auch den Widerſtand gegen die Fremdherrſchaft der Habsburger nicht aufgeben. Das Haus Oeſterreich war im Verlaufe der Jahrhunderte mit der römiſchen Kaiſer - krone ſo feſt verwachſen, daß die Volksmeinung Beide kaum noch zu trennen wußte; der einzige Nicht-Oeſterreicher, der während dieſer letzten Jahrhunderte den deutſchen Thron beſtieg, Karl VII., erſchien den Zeit - genoſſen wie ein Gegenkaiſer. Eine tiefe innere Verwandtſchaft verband das entdeutſchte Kaiſerthum mit ſeinem alten Gegner, dem heiligen Stuhle. Die Wiener Politik zeigt wie die römiſche jenen Charakterzug heuchleriſcher Salbung, welcher die Theokratie zur unſittlichſten aller Staatsformen macht. In Wien wie in Rom die gleiche Unfähigkeit, das Recht des Gegners zu verſtehen. Alle Habsburger, die heitere Liebens - würdigkeit Maria Thereſias ſo gut wie der ſtumpfſinnige Hochmuth Leopolds I., ertragen die Schläge des Schickſals in dem zuverſichtlichen Glauben, daß ihr Haus dem Herzen Gottes am nächſten ſtehe und nur böſe, gottloſe Menſchen das fromme Erzhaus zu bekämpfen wagen. Hier wie dort dieſelbe ſtarre Unbeweglichkeit in allen Stürmen der Jahrhun - derte: jeder ſchmähliche Friede, den die lebendigen Mächte der Geſchichte dem alten Kaiſerhauſe auferlegen, wird von den Habsburgern unterzeichnet mit dem ſtillen Vorbehalt, daß zur rechten Stunde die unveräußerlichen Rechte kaiſerlicher Vollgewalt wieder in Kraft treten ſollen. Hier wie dort dieſelbe Dreiſtigkeit theokratiſcher Mythenbildung und Rechtsverdrehung. Indem Maria Thereſia ſich wider den rechtmäßigen Kaiſer Karl VII. empört, trägt ſie ſelber die ſittliche Entrüſtung der beleidigten kaiſerlichen Majeſtät zur Schau; als König Friedrich ſodann ihrem drohenden An - griffe zuvor kommt, da ſchwingt ihr Gemahl, der als ſchlichter Privatmann an ihrem Hofe lebt, das kaiſerliche Scepter und verurtheilt den Feind der Königin von Ungarn als Rebellen gegen Kaiſer und Reich; unbe - fangen, als verſtände ſich’s von ſelber, nimmt nachher das kleine Haus Lothringen alle die herriſchen Anſprüche des alten Kaiſergeſchlechtes wieder auf, und wie die Päpſte von dem Throne des Apoſtelfürſten fabeln, ſo gebärden ſich die Lothringer, als ſeien die Habsburger niemals ausge - ſtorben. In Wien wie in Rom derſelbe hoffärtig träge Kaltſinn gegen das Wohl des eigenen Volkes: ſobald die Glaubenseinheit feſt begründet und der ſchweigende Gehorſam der Unterthanen geſichert iſt, wird die geſammte Macht Oeſterreichs nach außen gewendet. Alles Leben des Staates geht in der europäiſchen Politik auf, im Innern wird gar nicht13Das neue Oeſterreich.regiert, die alte ſtändiſche Verwaltung ſchleppt ſich gemächlich dahin in ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge - ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlſtandes und der Bildung, an alle jene unſcheinbar großen Aufgaben der inneren Politik, welche einem geſunden weltlichen Staate den beſten Inhalt des Lebens bilden. Jahrhunderte lang hat die Geſchichte Oeſterreichs neben zahl - reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver - waltung aufzuweiſen. Erſt unter Maria Thereſia entſinnt ſich die Krone der nächſten Pflichten der Monarchie.

Indeſſen zeigte jene ſtaatenbildende Kraft der neuen Geſchichte, die überall zur feſten Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem bunten Ländergemiſch der habsburg-burgundiſchen Erbſchaft ihre Wirkſam - keit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erblich dem Hauſe Oeſterreich übertragen. Damit beginnt die Geſchichte der neuen öſterreichiſchen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur - fürſten die neue deutſche Geſchichte. Der Hausbeſitz der Habsburger wird zur geographiſchen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt ſeiner militäriſchen Macht in Ungarns kriegeriſchen Völkern. Starke wirth - ſchaftliche und politiſche Intereſſen verbinden fortan die deutſchen Erb - lande mit dem Völkergewimmel jener ſubgermaniſchen Welt, wo das Deutſchthum nur mühſam ein geiſtiges Uebergewicht behauptet; im Ver - laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entſteht unter den deutſchen, ungariſchen und ſlaviſchen Kampfgenoſſen ein Bewußtſein der Gemeinſchaft. Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oeſterreichs von Deutſch - land. So lange die Paſchas der Osmanen auf der Königsburg von Ofen hauſten, führte Oeſterreich den Markmannenkrieg für die deutſche Geſittung gegen die Barbarei des Oſtens; nur mit Deutſchlands Hilfe, durch das gute Schwert der Märker, der Sachſen, der Baiern gelang die Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche verſank, zerriß auch dies letzte Band gemeinſamer Gefahr, das unſere Nation noch an das Kaiſerthum gekettet hatte. Deutſchland und Oeſter - reich waren nunmehr zwei ſelbſtändige Reiche, allein durch die Formen des Staatsrechts künſtlich verbunden; die Zerſtörung dieſer unwahren Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutſchen Geſchichte.

Schritt für Schritt befeſtigte ſich ſeitdem die Staatseinheit des neuen Oeſterreichs. Die Pragmatiſche Sanction verkündete die Untheilbarkeit des kaiſerlichen Hausbeſitzes. Darauf gab der größte Herrſcher des Habsburger - ſtammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiſerhaus, den Clerus, den Adel und das Herr verbunden geweſen, eine nothdürftige gemeinſame Verfaſſung. Maria Thereſia begründete das Syſtem des öſterreichiſch - ungariſchen Dualismus. Sie ſtellte die böhmiſch-öſterreichiſche Hofkanzlei14I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.als höchſte Behörde über die Kronländer dieſſeits der Leitha, während die Lande der Stephanskrone in ihrem althiſtoriſchen ſtaatsrechtlichen Ver - bande blieben. Alſo ward mit ſicherem Griffe die Form gebildet, welche allein dies an Gegenſätzen überreiche Ländergewirr zuſammenhalten konnte; nach mannichfachen vergeblichen Anläufen zum Einheitsſtaate wie zum Staa - tenbunde iſt die Monarchie ſeitdem immer wieder zu den Gedanken der Kaiſerin zurückgekehrt. Auch die Noth und der Ruhm der thereſianiſchen Tage kräftigten den Beſtand des Staates: durch acht ſchwere Kriegsjahre behauptete die ſtolze Habsburgerin, beharrlich unterſtützt von ihren treuen Völkern, das Erbe ihres Hauſes gegen eine mächtige Coalition; und wie leuchtend auch während des ſiebenjährigen Krieges das Geſtirn König Friedrichs empor ſtieg, die Beſiegten ſelber zur Bewunderung zwingend, das kaiſerliche Heer trug doch die Kränze von Kollin und Hochkirch, freute ſich der Heldengröße ſeines Loudon, ging mit berechtigtem Selbſtgefühl aus dem gewaltigen Kampfe hervor. Lange bevor es ein Kaiſerthum Oeſterreich gab, redete der allgemeine Sprachgebrauch Europas ſchon von dem öſter - reichiſchen Staate und Heere.

Der Beſitz der Stephanskrone gewährte dem Kaiſerhauſe die Mög - lichkeit, in der europäiſchen Politik eine feſte Richtung folgerecht einzuhalten. Der Eroberer Ungarns, Eugen von Savoyen, wies dem Staate die ver - heißende Bahn nach dem Schwarzen Meere; vorzudringen bis zu den Mündungen des Stromes und die ſlaviſch-walachiſchen Völker auf beiden Ufern einer überlegenen Geſittung zu unterwerfen, dies ſchien fortan der natürliche Beruf des Donaureichs. Darum galt das ent - legene Belgien, das den Staat beſtändig in die Händel Weſteuropas zu verwickeln drohte, bald als eine unbequeme Laſt; ſchon zur Zeit der ſchleſiſchen Kriege begannen die ſeitdem beharrlich wiederkehrenden Ver - ſuche, den unhaltbaren Außenpoſten gegen ein näher gelegenes Gebiet auszutauſchen. Gleichwohl lernte das Kaiſerhaus niemals, in weiſer Selbſtbeſchränkung die geſammelte Kraft des Staates gegen den Südoſten zu wenden. Eine nationale Politik war in dieſem Reiche der Völker - trümmer ohnehin unmöglich; zu keiner Zeit und am Wenigſten in jener Epoche des Abſolutismus hat die öffentliche Meinung auf Oeſterreichs diplomatiſche Haltung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Die europäiſche Stellung des Staates ward jederzeit allein durch das perſönliche Be - lieben ſeiner Herrſcher beſtimmt. Die Macht des Hauſes war einſt gegründet worden durch eine ſchlaue und kühne Familienpolitik, die planlos begehrlich nach allen Seiten hin um ſich griff, ohne nach der Weltſtellung und Eigenart der unterworfenen Länder zu fragen. Die Gedanken dieſer dynaſtiſchen Staatskunſt und die glänzenden Erinnerungen kaiſerlicher Weltherrſchaft bleiben auch in dem neuen Donaureiche noch lange lebendig. Die Hofburg hält ihre Herrſcherſtellung im deutſchen Reiche beharrlich feſt; ſie verſucht zugleich, durch die Eroberung Baierns15Die kaiſerliche Partei.die vorderöſterreichiſchen Beſitzungen am Rheine mit den Kernlanden der Monarchie zu verbinden; ſeit Karl VI. nimmt ſie auch die italieniſche Politik der ſpaniſchen Habsburger wieder auf und ſtrebt jenſeits der Alpen die Oberhand zu behaupten; dazwiſchen hinein ſpielen in raſchem Wechſel kecke Anſchläge gegen Polen und die Osmanen: ein Uebermaß unſteter Herrſchſucht, das den mächtigen Staat von einer Niederlage zur andern führt.

Alſo ſtand die kaiſerliche Macht der proteſtantiſch-deutſchen Bildung feindſelig, den europäiſchen Aufgaben der deutſchen Politik gleichgiltig, den Handelsintereſſen unſerer Küſten mit binnenländiſcher Beſchränktheit gegen - über. Die Habsburg-Lothringer konnten in den unklaren Befugniſſen des Kaiſerthums nur ein willkommenes Mittel ſehen um die gewaltige kriegeriſche Kraft deutſcher Nation auszubeuten für die Zwecke des Hauſes Oeſterreich, die Machtfragen dieſer Hauspolitik zu entſcheiden durch den Mißbrauch der Formen des Reichsrechts. Die altehrwürdige kaiſerliche Gerichtsbarkeit ward ein Tummelplatz für rabuliſtiſche Künſte, Deutſchlands auswärtige Politik ein unberechenbares Spiel. Das Reich, von der Hofburg bald fremden Angriffen preisgegeben, bald in undeutſche Händel hineingezogen, mußte regelmäßig den Preis für Oeſterreichs Niederlagen zahlen. Holland und die Schweiz, Schleswigholſtein, Pommern und das Ordensland, Elſaß und Lothringen gingen weſentlich durch die Schuld der Habsburger dem Reiche verloren: unerſetzliche Verluſte, minder ſchmachvoll für jene halbfremde Macht, welche die Kaiſerpflicht mit den Intereſſen ihres Hauſes nicht vereinigen konnte, als für die deutſche Nation, die nach ſolchem Unſegen der Fremdherrſchaft nimmer den Willen fand das Löwenbündniß mit Oeſterreich zu zerreißen.

Das Kaiſerthum wurzelte in einer überwundenen Vergangenheit und fand darum ſeinen natürlichen Gegner in dem erſtarkenden weltlichen Fürſtenthum, ſeine Anhänger unter den verfaulten und verkommenen Gliedern des Reichs. Das ſtiftiſche Deutſchland bildete den Kern der öſterreichiſchen Partei: jene reichgeſegneten geiſtlichen Gebiete, die, durch die Siege der Gegenreformation der römiſchen Kirche zurückgegeben, nunmehr unter der weichen Herrſchaft des Krummſtabs, im Behagen der Vetterſchaft und der Sinnlichkeit ein bequemes Stillleben führten. Sie konnten, rings umklammert und durchſchnitten von evangeliſchen Gebieten, dem Leben der Nation nicht ſo gänzlich entfremdet werden wie die kaiſerlichen Erblande; mancher milde und gelehrte Kirchenfürſt kam den Ideen des Zeitalters der Aufklärung freudig entgegen. Doch die politiſche Lebens - kraft der geiſtlichen Staaten blieb unrettbar verloren, und der Gedanken - arbeit des neuen Jahrhunderts ſtand die Maſſe des Volkes in Köln, Mainz und Trier ſo fern, daß ſpäterhin der Verluſt des linken Rhein - ufers dem geiſtigen Leben Deutſchlands kaum eine fühlbare Wunde ſchlug. Zum Kaiſer hielt desgleichen der mächtige katholiſche Adel, der in ſeinen16I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Domcapiteln über drei Kurhüte und zahlreiche Fürſtenſtühle des Reichs verfügte, in den Dienſten des adelsfreundlichen Erzhauſes bequeme Verſorgung für ſeine Söhne fand. Auch die Landſtände der weltlichen Fürſtenthümer riefen die Hilfe des Kaiſers an, wenn ſie ihre habenden Freiheiten gegen das gemeine Recht der neuernden Monarchie vertheidigten. Der katholiſchen Mehrheit ſicher ſchaute die Hofburg gemächlich zu, wie die Parteien im Reiche ſich an einander zerrieben, das gegenſeitige Miß - trauen jeden Gedanken der Reichsreform im Keime erſtickte, jede dem Kaiſerthum bedrohliche Macht durch andere Mächte darnieder gehalten wurde. Die überlieferte Ehrfurcht der kleinen Fürſten vor dem Erzhauſe, der Neid des Nachbars gegen den Nachbarn, der Einfluß der Beichtväter auf die zahlreichen fürſtlichen Convertiten, endlich die reichen Gnaden und Privilegien, womit die Hofburg ihre Getreuen belohnte, ſicherten dem Kaiſerhauſe auch an den proteſtantiſchen Höfen jederzeit einen ſtarken Anhang; mancher fürſtliche Geheime Rath erhielt geradezu den Titel eines kaiſerlichen Miniſters und damit den Auftrag, die Sache Oeſterreichs an ſeinem Hofe zu vertreten. Die Kaiſerwürde, werthlos in der Hand eines kleinen Herrn, bot einer Großmacht mannichfache Handhaben, den hohen Adel deutſcher Nation mittelbar zu beherrſchen; und dieſer mächtige Einfluß ſtand einem Fürſtenhauſe zu, das weder gewillt noch im Stande war, ſich den Geſetzen des Reichs, den Pflichten deutſcher Politik zu fügen. Ein gewandter Parteigänger des kaiſerlichen Hauſes, der Freiherr von Gemmingen, ſchrieb in einem unbewachten Augenblicke ehrlicher Erregung kurzab: Das Haus Oeſterreich kann nur das Oberhaupt oder der Feind des deutſchen Reiches ſein.

Neben dieſen Trümmern einer verfallenen, fremden Zwecken dienenden monarchiſchen Gewalt enthielt die Reichsverfaſſung noch die Anfänge einer bündiſchen Ordnung: ein Vermächtniß jener großen Reformperiode des Reichs, da Berthold von Mainz, Friedrich von Sachſen, Eitelfritz von Zollern an der Spitze unſeres Fürſtenſtandes den kühnen Verſuch gewagt hatten, das deutſche Gemeinweſen in einen kräftigen Bundesſtaat zu verwandeln. Von daher ſtammten die Kreisordnung und der von den Reichsſtänden beſetzte Bundesgerichtshof, das Reichskammergericht. Aber wie der Kaiſer die Wirkſamkeit dieſes ſtändiſchen Tribunals durch die con - currirende Gewalt ſeines monarchiſchen Reichshofraths beſtändig ſchwächte, ſo gelang es auch der Mehrzahl der größeren Reichsfürſten, ihre Gebiete der Gerichtsbarkeit des Reichskammergerichts zu entziehen. In Schwaben, Franken und am Rhein, wo ein Gewölk von Biſchöfen und Reichsrittern, Fürſten und Reichsſtädten, Aebten und Grafen in wunderlichem Gemenge durcheinander hauſte, genügte das Anſehen der Kreisoberſten und der Kreistage noch zuweilen um die polizeiliche Ordnung nothdürftig aufrecht zu halten und die winzigen Contingente der Reichsſtände zu größeren Heerkörpern zu vereinigen. Im Norden und Oſten hatte die Kreis -17Foederalismus und Territorialismus.ordnung niemals feſten Boden gewonnen. Hier waren die geiſtlichen Gebiete ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden faſt gänzlich vernichtet, die mächtigen weltlichen Fürſten meinten ſich ſelber zu genügen. Wie aus einer hellen modernen Welt blickte der Norddeutſche hochmüthig hinüber nach jenem bunten Gewirr der Kleinſtaaterei im Südweſten, das er ſpottend das Reich nannte. Was noch jung und ſtark war im alten Deutſchland, ſtrebte aus den beengenden Formen der Reichsver - faſſung hinaus.

Der Particularismus des weltlichen Fürſtenthums blieb doch die lebendigſte politiſche Kraft im Reiche. Das heilige Reich war in der That, wie Friedrich der Große es nannte, die erlauchte Republik deutſcher Fürſten. Seine Stände beſaßen ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das Recht der Bündniſſe und die Landeshoheit in geiſtlichen wie in weltlichen Dingen, eine unabhängige Staatsgewalt, die nur noch des Namens der Souveränität entbehrte. Sie trotzte der Reichsgewalt, wie das Leben dem Tode trotzt. Keiner der auf den Trümmern der alten Stammesherzogthümer emporgewachſenen weltlichen Staaten umfaßte ein abgerundetes Gebiet, keiner einen ſelbſtändigen deutſchen Stamm; ſie dankten alleſammt ihr Daſein einer dynaſtiſchen Staatskunſt, die durch Krieg und Heirath, durch Kauf und Tauſch, durch Verdienſt und Verrath einzelne Fetzen des zer - riſſenen Reiches zuſammenzuraffen und feſtzuhalten verſtand. Dieſe Hauspolitik ergab ſich nothwendig aus der Reichsverfaſſung ſelber. Die Nation war mediatiſirt, nur die Herrengeſchlechter galten als Reichs - unmittelbare; auf dem Reichstage waren nicht die Staaten, ſondern die Fürſtenhäuſer vertreten; das Glaubensbekenntniß des fürſtlichen Hauſes, nicht des Volkes, entſchied über die Frage, ob ein Reichsſtand den Evan - geliſchen oder den Katholiken zuzuzählen ſei; kurz, das Reichsrecht kannte keine Staaten, ſondern nur Land und Leute fürſtlicher Häuſer. Die Wechſelfälle einer wirrenreichen Geſchichte hatten die Grenzen der Terri - torien beharrlich durch einander geſchoben, jede Achtung vor dem Be - ſitzſtande der Genoſſen, jeden eidgenöſſiſchen Rechtsſinn im deutſchen Fürſtenſtande ertödet. Begehrlich ſah der Nachbar auf des Nachbars Land, ſtets bereit mit fremder Hilfe den Landsmann zu überwältigen. Die Ländergier und der Dynaſtenſtolz der großen Fürſtengeſchlechter be - drohten das Reich mit gänzlichem Zerfalle. Längſt ſtrebten Sachſen und Baiern nach der Königskrone; Kurpfalz hoffte ſeine niederrheiniſchen Lande zu einem Königreich bei Rhein zu erheben und alſo der Oberhoheit des Reiches ledig zu werden.

Gleichwohl lag in dem Leben dieſer weltlichen Fürſtenthümer nahezu Alles umſchloſſen, was noch deutſche Politik heißen konnte. Es bleibt der hiſtoriſche Ruhm unſeres hohen Adels, daß Deutſchlands Fürſten die der nationalen Monarchie entriſſene Macht nicht wie die polniſchen Magnaten allein verwendeten, um die Pracht und den Glanz ihresTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 218I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Hauſes zu mehren, ſondern ſich redlich bemühten in ihren engen Gebieten die politiſchen Pflichten zu erfüllen, denen das Reich ſich verſagte. Das Kaiſerhaus lebte ſeinen europäiſchen Plänen, der Reichstag haderte um leere Formen; in den Territorien wurde regiert. Hier allein fanden das Recht, der Wohlſtand, die Bildung des deutſchen Volkes Schutz und Pflege. Unſere Fürſten hatten einſt das Kleinod deutſcher Geiſtesfreiheit gerettet im Kampfe gegen das Haus Habsburg. In der langen matten Friedenszeit nachher blühte jene treufleißige Kurfürſtenpolitik, die, jedes großen Gedankens baar, ängſtlich zurückſchreckend vor den geſchwinden Händeln der europäiſchen Kämpfe, ihre wohlwollende Sorgfalt allein dem Gedeihen des eignen Ländchens widmete. Die durch wunderliche Glücksfälle zuſammengewürfelten Ländertrümmer verwuchſen nach und nach zu einer kümmerlichen politiſchen Gemeinſchaft. Die Territorien wurden zu Staaten. In der Enge ihres Sonderlebens bildete ſich ein neuer Particularismus. Der Kurſachſe, der Kurpfälzer, der Braunſchweig - Lüneburger hing mit feſter Treue an dem angeſtammten Fürſtenhauſe, das ſo lange Freud und Leid mit ſeinem Völkchen getheilt. In der Hand der landesfürſtlichen Obrigkeit lag ſein und ſeiner Kinder Glück; das große Vaterland ward ihm zu einer dunkeln Sage. Nach dem dreißigjährigen Kriege waren es wieder die Landesherren, nicht Kaiſer und Reich, die dem Bürger und Bauern halfen ſeine verwüſteten Wohn - plätze aufzubauen, kärgliche Trümmer des alten Wohlſtandes aus der großen Zerſtörung zu retten; ihrem Karl Ludwig dankte die Pfalz die Wiederkehr froherer Tage. Dies weltliche Fürſtenthum, das mit ſeiner dreiſten Selbſtſucht jedes Band nationaler Gemeinſchaft zu zerſprengen drohte, ſtand doch rührig und wirkſam mitten im Leben der Nation. War ein Neubau des deutſchen Geſammtſtaates noch möglich, ſo konnte er nur auf dem Boden dieſer Territorialgewalten ſich erheben.

In ſolchem Chaos von Widerſprüchen hatte jede Inſtitution des Reichs ihren Sinn, jedes Recht ſeine Sicherheit verloren. Der Mehrer des Reichs mehrte ſeine Hausmacht zu Deutſchlands Schaden. Das ehr - würdige Amt des Reichskanzlers in Germanien, der vormals der natürliche Führer der Nation in allen ihren Verfaſſungskämpfen geweſen, ward in den Händen des Mainzer Erzbiſchofs nach und nach ein gefügiges Werk - zeug öſterreichiſch-katholiſcher Parteipolitik. Die Wahlcapitulation, vor Zeiten beſtimmt den dynaſtiſchen Mißbrauch der kaiſerlichen Gewalt zu verhindern, diente jetzt die dynaſtiſche Willkür der Landesherren von jedem Zwange zu entfeſſeln. Der Reichstag hatte ſich gleich den Generalſtaaten der Niederlande aus einer Ständeverſammlung thatſächlich in einen Bundestag verwandelt und vermochte doch niemals, wie jene, ein geſundes bündiſches Leben auszubilden. Ueberall widerſprachen die Formen des Rechtes den lebendigen Mächten der Geſchichte. Die Reichsverfaſſung legte das Recht der Mehrheit in die Hand der ſchwächſten Stände; ſie zwang19Die Lüge des Reichsrechts.die Mächtigen zu dem trotzigen Bekenntniß: was dem Reiche zugeht wird unſerer Freiheit genommen. Ein dichter Nebel von Phraſen und Lügen lag über den gothiſchen Zinken und Zacken des alten Reichsbaues; in keinem Staate der modernen Welt iſt ſo beharrlich und feierlich von Amtswegen gelogen worden. Die frommen reichsväterlichen Vermahnun - gen der entdeutſchten kaiſerlichen Majeſtät, die inbrünſtigen reichspatrio - tiſchen Betheuerungen der mit dem Auslande verſchworenen Reichsſtände, die prahleriſchen Reden von deutſcher Libertät und dem ungebeugten Nacken der Nation, Alles, Alles in dieſem Regensburger Treiben erſcheint dem redlichen Sinne als eine grobe Unwahrheit.

Seit jenen müden Tagen nach dem Augsburger Frieden, die den alten deutſchen Stolz in zagen Philiſterſinn verwandelten, kam in unſerem Volke die kleinmüthige Neigung auf, nach Troſtgründen zu ſuchen für das Unleid - liche und Schmachvolle; die deutſche Geduld ließ ſichs nicht nehmen, ſelbſt den Aberwitz dieſer Reichsverfaſſung wiſſenſchaftlich zu erklären und zu rechtfertigen. Vergeblich erhob Samuel Pufendorf ſeine mahnende Stimme und ſchilderte das Reich wie es war, als ein politiſches Ungeheuer. Da die Leidenſchaft der Glaubenskriege allgemach verrauchte und die Unwahr - heit der theokratiſchen Reichsformen im täglichen Leben wenig mehr empfunden wurde, ſo ließ ſich die zünftige Rechtsgelahrtheit in ihrer unterthänigen Ruheſeligkeit nicht ſtören. Noch immer verſicherten einzelne Cäſarianer aus Reinkingks Schule, das heilige Reich ſei eine Monarchie und ſein Kaiſer der rechtmäßige Nachfolger des Divus Auguſtus. Andere prieſen die Ohnmacht des Reichs und die Zuchtloſigkeit ſeiner Glieder als das Palladium deutſcher Freiheit. Die Meiſten fanden in dem beglückten Deutſchland das Idealbild des gemiſchten Staates verwirklicht, der alle Vorzüge anderer Staatsformen in ſich vereinigen ſollte. Selbſt ein Leibnitz vermochte dem Bannkreiſe dieſer wiſſenſchaftlichen Traumwelt nicht zu entfliehen.

Die Fäulniß eines ſolchen Staatslebens begann bereits den recht - ſchaffenen Gradſinn des Volkscharakters zu zerſtören. Ein Menſchenalter voll namenloſer Leiden hatte den bürgerlichen Muth gebrochen, den kleinen Mann gewöhnt vor dem Mächtigen zu kriechen. Unſere freimüthige Sprache lernte in allerunterthänigſter Ergebenheit zu erſterben und bildete ſich jenen überreichen Wortſchatz von verſchnörkelten knechtiſchen Redensarten, den ſie noch heute nicht gänzlich abgeſchüttelt hat. Die gewiſſenloſe Staats - räſon des Jahrhunderts vergiftete auch den bürgerlichen Verkehr. Das geldgierige Geſchlecht warb, wetteifernd in Beſtechung und Ränkeſpiel, um die Gnade der Großen; kaum daß ſich noch in der Stille des häuslichen Lebens ein Hauch treuherziger Gemüthlichkeit verſpüren ließ. Der Edel - mann ſtrebte die Herrſchaft, die er in den Landtagen gegen die aufſteigende Monarchie nicht mehr behaupten konnte, durch höfiſchen Einfluß und durch die Mißhandlung des Landvolks von Neuem zu befeſtigen; niemals in2*20I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.unſerer Geſchichte war der Adel mächtiger, niemals ſchädlicher für das Leben der Nation. Der Fürſtenſtand vergaß ſeine alte landesväterliche Sorgſam - keit, ſeit das gleißende Vorbild des bourboniſchen Königthums den kleinen Herren den Sinn bethörte. Die größeren Höfe mißbrauchen das neu erwor - bene Recht der Bündniſſe, drängen ſich vorlaut, vielgeſchäftig ein in die Händel der europäiſchen Mächte, bilden glänzende Armeen mit Marſchällen und Generalen, und glücklich wer einen Admiral zu halten vermag wie der pfälziſche Kurfürſt auf ſeinen Rhein-Zollſchiffen. Alle, die großen wie die kleinen, wetteifern in prahleriſcher Pracht mit dem großen Ludwig; das ärmſte Land Weſteuropas überſtrahlt bald alle Nachbarn durch die Unzahl ſeiner prunkenden Fürſtenſchlöſſer. Kein Reichsgraf, der ſich nicht ſein Ver - ſailles, ſein Trianon erbaute; im Schloßgarten von Weikersheim bewachen die Standbilder der Welteroberer Ninus, Cyrus, Alexander und Caeſar den Eingang zu dem Herrſcherſitze des Hohenlohiſchen Reichs. Der deutſche Kleinfürſt fand weder in dem Pflichtgefühle der Monarchie noch in der Standesgeſinnung eines politiſchen Adels einen ſittlichen Halt; Mancher empfand voll Unmuth den Fluch eines zwecklos leeren Daſeins, Mancher vertobte ſeine Kraft in frecher Unzucht und grauſamen Sultanslaunen.

Für ein Zuſammenwirken des Adels mit dem Bürgerthum, für ein engliſches Unterhaus bot der alte deutſche Staat keinen Raum. Der Städtebund der Hanſa war zerfallen ſeit die geeinte nationale Macht der Völker des Weſtens die beiden Indien erobert hatte; jene glorreiche Flagge, die im Mittelalter auf allen nordiſchen Meeren herrſchte, ließ ſich kaum mehr blicken in dem neuen transatlantiſchen Verkehre. Die Nation ward dem Meere ſo fremd, wie ihr Kaiſerhaus. Unter allen Schriftſtellern unſeres achtzehnten Jahrhunderts iſt nur Einer, der Seeluft geathmet hat und die befreiende Macht des völkerverbindenden Handels zu ſchätzen weiß: Juſtus Möſer. Wie ein Hohn klang in der ſtockigen Luft dieſes binnen - ländiſchen Stilllebens der frohe Schifferſpruch, der noch am Hauſe Seefahrt in Bremen zu leſen ſtand: navigare necesse est, vivere non necesse. Engliſche und holländiſche Schiffe führten die Waaren der Colonien zur Elbe und den Rhein hinauf; faſt allein mit ſeiner Leinwand und ſeinen Metallwaaren beſchickte der deutſche Gewerbefleiß noch den Weltmarkt. Keine der altberühmten Städte des Reichs vermochte ihre hiſtoriſche Größe zu behaupten; die Trave verödete, der oberländiſche Handel verfiel, die Lübecker Baugeſchichte endete mit der Gothik, die Augsburger mit dem Zeitalter der Renaiſſance. Nur an einigen jüngeren Handelsplätzen, in Hamburg und Leipzig, ſammelte ſich wieder langſam ein neuer Verkehr. Die alten Reichsſtädte verſchloſſen ſich ſtill hinter ihren Wällen, ängſtlich das Stadtrecht und den Zunftbrauch hütend, kleinlaut auf den Reichstagen, voll Mißtrauens gegen die ausgreifende Gewalt der fürſtlichen Nachbarn ringsum; aus langen Jahrzehnten meldet kaum eine dürftige Kunde, daß dieſe ſtolzen Communen noch lebten. Und da auch in dem bedienten -21Wehrloſigkeit des Reichs.haften Treiben der neuen Reſidenzen der Bürgerſtolz nicht gedeihen wollte, ſo wurde das Land, deſſen hanſiſche Helden einſt die Königskronen Skan - dinaviens verſchenkten, zum claſſiſchen Boden kleinſtädtiſcher Armſeligkeit. Deutſchland bot das in aller Geſchichte unerhörte Schauſpiel eines alten Volkes ohne eine Großſtadt. Nirgends ein Brennpunkt des nationalen Lebens, wie ihn die Nachbarvölker in London, Paris und Madrid, ja ſelbſt in Kopenhagen, Stockholm und Amſterdam beſaßen. Nirgends eine Stelle, wo die Parteikämpfe eines politiſchen Adels mit der Bildung und dem Reichthum eines ſelbſtbewußten Bürgerthums befruchtet und be - fruchtend ſich berührten. Alle Kräfte der Nation ſtreben in unendlicher Zerplitterung auseinander, in tauſend Rinnſalen verſiegend gleich dem deutſchen Strome: jeder Stand, jede Stadt, jede Landſchaft eine Welt für ſich ſelber.

Die ganze Schmach dieſer Zerſplitterung zeigte ſich in der Wehr - loſigkeit des Reichs. In den Zeiten ſeiner Größe hatte Deutſchland ſeine gefährdete Oſtgrenze mit dem eiſernen Gürtel der kriegsbereiten Marken umſchloſſen. Jetzt, da beſtändig vom Weſten her der Angriff drohte, lagen dicht vor Frankreichs begehrlichen Händen die ſchwächſten, die waffenloſen Glieder des Reichs. Die lange Pfaffengaſſe des Rheines entlang erſtreckte ſich von Münſter und Osnabrück bis nach Conſtanz hinauf ein Gewirr winziger Staaten, unfähig zu jeder ernſthaften Kriegs - rüſtung, durch das Gefühl der Ohnmacht zum Landesverrathe gezwungen. Faſt alle rheiniſchen Höfe bezogen Penſionen aus Verſailles; der erſte Rheinbund von 1658 ward von begeiſterten Reichspatrioten als ein rühmliches Unternehmen zum Schutze deutſcher Freiheit geprieſen. Ein Gebiet von faſt dreitauſend ſechshundert Geviertmeilen gehörte ſolchen Kleinſtaaten, deren keiner mehr als 130 Geviertmeilen umfaßte; der Volkswitz verhöhnte die ſtrümpfeſtrickenden Kölniſchen Stadtſoldaten und das grimmige Kriegsvolk des Biſchofs von Hildesheim, das auf ſeinen Hüten die Inſchrift trug: Gieb Frieden, Herr, in unſern Tagen! Dies reichſte Drittel Deutſchlands diente in den Kriegen des Reiches nur als todte Laſt. Es bleibt ein glänzendes Zeugniß für die deutſche Tapfer - keit, daß die Nation nach ſolcher Selbſtverſtümmelung von den Heeren Frankreichs und Schwedens nicht gänzlich überwältigt wurde. Die Ge - ſammtheit des Reichs galt kaum noch als eine Macht zweiten Ranges, während ſeine mächtigeren Glieder längſt ſchon ſelbſtändig auf der freien Bühne der europäiſchen Politik ſich bewegten.

Die Reichsverfaſſung erſcheint wie ein wohldurchdachtes Syſtem, erſonnen um die gewaltigen Kräfte des waffenfroheſten der Völker künſtlich niederzudrücken. In der That wurde der unnatürliche Zuſtand nur durch die Wachſamkeit des geſammten Welttheils aufrecht erhalten. Das heilige Reich blieb durch ſeine Schwäche, wie einſt durch ſeine Stärke, der Mittelpunkt und die Grundlage des europäiſchen Staatenſyſtems. 22I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Auf der Ohnmacht Deutſchlands und Italiens ruhte die neue Macht - ſtellung von Oeſterreich und Frankreich, von Schweden, Dänemark und Polen, wie die Seeherrſchaft der Briten und die Unabhängigkeit der Schweiz und der Niederlande. Eine ſtille Verſchwörung des geſammten Auslandes hielt die Mitte des Feſtlands gebunden. Die Fremden lachten der querelles allemandes und der misère allemande; der Franzoſe Bouhours ſtellte die höhniſche Frage: ob es möglich ſei, daß ein Deutſcher Geiſt haben könne? Niemals früher war die Nation von den Nachbarn ſo tief verachtet worden; nur den alten Ruhm deutſcher Waffentüchtigkeit wagte man nicht zu beſtreiten. Der politiſche Zuſtand aber, der dies ſchmähliche Sinken des deutſchen Anſehens verſchuldete, ward überall in der Welt als die feſte Bürgſchaft des europäiſchen Friedens geprieſen; und dies Volk, das vormals durch ſeinen Hochmuth ſo übel berüchtigt geweſen wie heute die Briten, ſprach gelehrig nach, was die Eiferſucht der Nachbarn erfand, gewöhnte ſich das Vaterland mit den Augen der Fremden zu betrachten. Die deutſche Staatswiſſenſchaft des achtzehnten Jahrhunderts bereichert die alten Wahnbegriffe von deutſcher Freiheit noch durch das neue Schlagwort der Freiheit Europas. Alle unſere Publiciſten bis herab auf Pütter und Johannes Müller warnen die friedliebende Welt vor der verderblichen Macht der deutſchen Einheit und ſchließen das Lob des heiligen Reichs mit der inbrünſtigen Mahnung: wehe der Freiheit des Welttheils, wenn die hunderttauſende deutſcher Bajonette jemals Einem Herrſcher gehorchten!

Eine unerforſchlich weiſe Waltung züchtigt die Völker durch dieſelben Gaben, welche ſie einſt frevelhaft mißbrauchten. Die Weltſtellung, die angeborene Eigenart und der Gang der Geſchichte gaben unſerem Volke von früh auf einen Zug vielſeitiger weltbürgerlicher Weitherzigkeit. Die deutſche Nation beſaß ein natürliches Verſtändniß für die romaniſche Welt: war doch einſt das romaniſche Volksthum durch deutſche Eroberer auf den Trümmern der römiſchen Geſittung begründet worden; ſie war den Briten wie dem ſkandinaviſchen Norden blutsverwandt, mit den Slaven von Alters her durch Krieg und Handel wohlvertraut; im Mittel - alter hatte ſie als ein Volk der Mitte vom Süden und Weſten her Cultur empfangen, dem Norden und Oſten Cultur gegeben. So wurde ſie das weltbürgerlichſte der Völker, empfänglicher noch für fremdes Weſen als ihre Schickſalsgenoſſen, die Italiener. Der Drang in die Ferne ward uns zum Verhängniß, in ihm lag die Schuld und die Größe des deutſchen Lebens. Auf die Jahrhunderte der deutſchen Weltherrſchaftspläne folgte nunmehr eine Zeit des leidenden Weltbürgerthums. Das Volk der Mitte empfing die Befehle aller Welt. Sämmtliche mächtige Fürſten des Welttheils gehörten als Reichsſtände oder als Friedensbürgen dem deutſchen Reiche an und meiſterten ſein Leben. Die Nation aber lebte ſich ein in die Fremdherrſchaft, hing mit deutſcher Treue an den Fahnen des Aus -23Deutſches Weltbürgerthum.lands. Der partikulariſtiſche Dünkel, die Ueberhebung des Nachbarn über den nachbarlichen Stammgenoſſen trat nirgends trotziger auf als in den deutſchen Provinzen ausländiſcher Fürſten. Mit Stolz pries der Holſte ſeinen Danebrog; der Stralſunder freute ſich des Schlachtenruhmes der drei Kronen und bemitleidete den brandenburgiſchen Pommern, deſſen Landesherr nur einen deutſchen Kurhut trug; die Nachkommen der Er - oberer des Weichſellandes, die ſtolzen Geſchlechter der Hutten, Oppen, Roſenberg nahmen polniſche Namen an und ſpotteten, froh der ſarmatiſchen Adelsfreiheit, über den märkiſchen Despotismus im Herzogthum Preußen.

Dabei lebt in dem thatenfrohen Volke unverſieglich die alte abenteuernde Wanderluſt. Ungezählte Schaaren deutſcher Reisläufer ſtrömen in alle Lande, drei volle Jahrhunderte hindurch, ſolange das Söldnerweſen blüht. Deutſche Hiebe klingen auf jedem Schlachtfelde Europas, vor den Mauern von Athen wie auf Irlands grüner Inſel. Die Fahnen Frankreichs, Schwedens, Hollands und der kaum minder undeutſche kaiſerliche Dienſt gelten für adlicher als das öde Einerlei des heimiſchen Garniſonlebens; auf dem Sterbebette ermahnt der alte deutſche Degenknopf ſeine Söhne, dem Wappenſchilde des Hauſes Ruhm und Reichthum zu erwerben im Dienſte fremder Kronen. Die deutſchen Regimenter Bernhards von Weimar bildeten den Kern jener unüberwind - lichen Heere, welche Turenne und Condé zum Siege führten; nur in deutſcher Schule lernten die Nachbarn uns zu ſchlagen. Und dazu die lange Reihe deutſcher Staatsmänner, Aerzte, Gelehrten und Kaufleute in der Fremde: kraftvolle Wildlinge vom deutſchen Stamme und alleſammt ver - loren für das Vaterland. Ein unheimlich großartiger Anblick: dieſe titaniſche Ueberkraft eines von den Fremden getretenen Volkes. Jede Darſtellung unſerer Geſchichte bleibt Stückwerk, wenn ſie dies über die weite Welt verzweigte Wirken deutſchen Geiſtes und deutſcher Waffen nicht würdigt. Um dieſelbe Zeit, da Frankreich die Weſtmarken des heiligen Reiches eroberte, ſchuf Peter der Große durch deutſche Kräfte den neuen ruſſiſchen Staat. Auch die Fürſtenhäuſer wurden von dem nationalen Wandertriebe ergriffen; jeder ehrgeizige deutſche Hof trachtete nach fremden Thronen, und das Kaiſerhaus begünſtigte dies Beſtreben um läſtige Nebenbuhler aus dem Reiche zu entfernen. Endlich fielen alle Kronen Europas, allein Piemont und die bourboniſchen Staaten aus - genommen, in die Hände deutſcher Fürſtengeſchlechter; aber dieſe glänzende Herrenſtellung unſeres hohen Adels verſtärkte nur das Gewicht der cen - trifugalen Kräfte im Reiche, kettete den deutſchen Staat nur um ſo feſter an den Willen des Auslands.

Ueber dieſem verrotteten Gemeinweſen lag der Zauber einer tauſend - jährigen Geſchichte. Eine niemals unterbrochene Ueberlieferung verband das Heute mit dem Geſtern. Der Kenner der Reichsgeſchichte war zugleich ein kundiger Rath für die Rechtshändel der Gegenwart; wenn der junge24I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Juriſt Wolfgang Goethe ſich aus Datt’s Folianten gewiſſenhaft über Land - frieden und Reichskammergericht unterrichtete, ſo ſah er die biderbe Geſtalt des Ritters Götz von Berlichingen leibhaftig auf dem Armenſünderbänkchen ſitzen. Die Reichsverfaſſung blieb immerhin das einzige Band politiſcher Einheit für dies zerriſſene Volk. Noch im Jahre ihres Unterganges ſchrieb der Hamburger Publiciſt Gaspari: Nur durch den Kaiſer ſind wir frei, ohne ihn ſind wir gar keine Deutſche mehr. Aus ihren ſchwerfälligen Formen ſprach noch immer jener altgermaniſche Staats - gedanke, der ſchon in den Anfängen unſerer Geſchichte den ſittlichen Ernſt und den Freiheitsmuth der Deutſchen bekundet hatte: die Reichsgewalt war die Schirmerin des gemeinen Friedens und darum ehrwürdig ſelbſt im Verfalle. Das Bewußtſein ſeiner Einheit konnte dem Volke niemals gänzlich verloren gehen, ſo lange noch das gemeine Recht beſtand und der rechtsbildende Gemeingeiſt der Nation in der Arbeit der Rechtswiſſen - ſchaft wie der Gerichte ſich bekundete; auch als das gemeine Recht nach und nach von partikulariſtiſchen Rechtsbildungen überwuchert wurde, blieb die nationale Form der Rechtsſprechung aufrecht, das Reich ſicherte der Nation die Unabhängigkeit und Ständigkeit der Richterämter. Auf dem Rechte des Kaiſers ruhte zuletzt jedes Recht im Reiche; wer der kaiſerlichen Majeſtät widerſtand, verlor den Boden unter den Füßen. Halte ich zum Kaiſer, ſo bleibe ich und mein Sohn immer noch Kurfürſt! mit ſolchen Worten hatte einſt der zaudernde Georg Wilhelm von Branden - burg die Anträge Guſtav Adolfs zurückgewieſen. Dieſelbe Erwägung hemmte noch im folgenden Jahrhundert jeden tapferen Entſchluß, ſobald ein revolutionärer Wille ſich anſchickte neue Wege zu bahnen durch die wuchernde Wildniß dieſes naturwüchſigen und doch ſo unnatürlichen Reichsrechts. Die Politik des Auslandes und des Hauſes Oeſterreich, die Selbſtſucht der kleinen Höfe und die Eiferſucht Jedes gegen Jeden, das Gleichgewicht der politiſchen Kräfte wie die Intereſſen einer dem Untergange zueilenden Geſellſchaftsordnung, das Weltbürgerthum und die Träume von deutſcher Freiheit, Rechtsgefühl und uralte Gewöhnung, die Macht der Trägheit und die deutſche Treue, Alles vereinigte ſich die beſtehende Unordnung aufrecht zu erhalten. Um die Mitte des acht - zehnten Jahrhunderts ſchien das heilige Reich, nach der Meinung aller Welt, noch einer unabſehbaren Zukunft ſicher.

Auf dem Boden dieſes Reichsrechts und ſeiner territorialen Staats - gebilde, und doch in ſcharfem Gegenſatze zu Beiden iſt der preußiſche Staat entſtanden. Die zähe Willenskraft der norddeutſchen Stämme war dem weicheren und reicheren oberdeutſchen Volksthum in der Kraft der Staatenbildung von Altersher überlegen. Nur ſo lange der Sach -25Anfänge Brandenburgs.ſenſtamm die Krone trug blieb die deutſche Monarchie ein lebendiges Königthum; ihre Macht zerfiel unter den Händen der Franken und der Schwaben, zumeiſt durch den trotzigen Ungehorſam der ſächſiſchen Fürſten. Dann erwuchſen in Niederdeutſchland die zwei mächtigſten politiſchen Schöpfungen unſeres ſpäten Mittelalters, die Hanſa und der deutſche Orden, beide unabhängig von der Reichsgewalt, oftmals mit ihr ver - feindet. Im Norden ſtand die Wiege der Reformation; an dem Wider - ſtande der Norddeutſchen ſcheiterte die hispaniſche Herrſchaft, und ſeit die undeutſche Politik der Habsburger den Dualismus im Reiche hervorge - rufen, blieb der Norden das Kernland der deutſchen Oppoſition. Die Führung dieſer Oppoſition ging im Laufe des ſiebzehnten Jahrhunderts von dem unfähigen Geſchlechte der Wettiner auf die Hohenzollern über. Der Schwerpunkt deutſcher Politik verſchob ſich nach dem Nordoſten.

Dort in den Marken jenſeits der Elbe war aus dem Grundſtock der niederſächſiſchen Eroberer, aus Einwanderern von allen Landen deutſcher Zunge und aus geringen Trümmern des alteingeſeſſenen Wenden - volks ein neuer norddeutſcher Stamm emporgewachſen, hart und wetter - feſt, geſtählt durch ſchwere Arbeit auf kargem Erdreich wie durch die unabläſſigen Kämpfe des Grenzerlebens, klug und ſelbſtändig nach Coloniſtenart, gewohnt mit Herrenſtolz auf die ſlaviſchen Nachbarn herab - zuſehen, ſo ſchroff und ſchneidig, wie es die gutmüthig geſpaßige Derbheit des niederdeutſchen Charakters vermag. Dreimal hatte dies vielgeprüfte Land das rauhe Tagewerk der Culturarbeit von vorn begonnen: zuerſt als die ascaniſchen Eroberer die Tannenwälder an den Havelſeen rodeten und ihre Städte, Burgen und Klöſter im Wendenlande erbauten; dann abermals zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts, als die erſten Hohenzollern den unter bairiſch-lützelburgiſcher Herrſchaft völlig zerrütteten Frieden und Wohlſtand ſorgſam wieder herſtellten; und jetzt wieder war Brandenburg durch die Schrecken der dreißig Jahre ſchwerer heimgeſucht als die meiſten deutſchen Lande, mußte ſich die erſten Anfänge der Ge - ſittung von Neuem erobern.

Die rauhe Sitte des armen Grenzlandes blieb während des Mittel - alters im Reiche übel berüchtigt. Der römiſchen Kirche iſt aus dem Sande der Marken niemals ein Heiliger erwachſen; ſelten erklang ein Minnelied an dem derben Hofe der ascaniſchen Markgrafen. Die fleißigen Ciſtercienſer von Lehnin trachteten allezeit mehr nach dem Ruhme tüchtiger Landwirthe als nach den Kränzen der Kunſt und Gelehrſamkeit; den handfeſten Bürgern der märkiſchen Städte verfloß das Leben in grober, hausbackener Arbeit, nur die Prenzlauer durften ihre Marienkirche mit den prächtigen Bauten der reichen Oſtſeeſtädte vergleichen. Allein durch kriegeriſche Kraft und ſtarken Ehrgeiz ragte der Staat der Brandenburger über die Nachbarſtämme hervor; ſchon die Ascanier und die Lützelburger haben mehrmals den Plan erwogen, hier in der günſtigen Lage zwiſchen26I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.dem Elb - und Odergebiete, zwiſchen den ſchwächlichen Kleinſtaaten Mecklen - burgs, Pommerns und Schleſiens eine Großmacht des Nordoſtens zu errichten. Noch größer ſchien ſich das Schickſal der Marken zu geſtalten, als die Burggrafen von Nürnberg den Kurhut empfingen: Friedrich I. war der Führer der deutſchen Fürſten bei der Reformbewegung in Reich und Kirche, Albrecht Achill der bewunderte Held des ritterlichen Adels in den Kämpfen gegen die Städte. Zugleich begann im Innern eine kühne und feſte monarchiſche Politik. Früher als das heilige Reich er - hielt die Mark ihren Landfrieden, durch Friedrich I.; früher als in anderen Reichslanden wurde hier die Untheilbarkeit des Staates geſetzlich ausgeſprochen durch die Geſetze Albrecht Achills. Adel und Städte beugten ihren trotzigen Nacken vor der Willenskraft der drei erſten Hohen - zollern. Aber dem vielverheißenden Anlaufe entſprach der Fortgang nicht. Die Nachfolger jener hochſtrebenden Helden ſanken bald zurück in die be - queme Enge deutſcher Kleinfürſtenpolitik. Sie verloren die kaum errungene landesherrliche Gewalt zum guten Theile wieder an den Landtag, hielten mit ihren übermüthigen Herren Ständen wohl oder übel Haus, ſuchten wie alle mächtigeren Reichsfürſten Verwaltung und Rechtspflege ihres Landes vor jedem Eingriff der Reichsgewalt zu behüten und blieben dabei dem Kaiſerhauſe hold und gewärtig; ſie traten ſpät und zögernd in die lutheriſche Kirche ein, überließen die Führung der proteſtantiſchen Parteien gemächlich an Kurſachſen und Kurpfalz.

Mit gutem Grunde ſagt König Friedrich in den Denkwürdigkeiten ſeines Hauſes: wie ein Fluß erſt werthvoll werde, wenn er ſchiffbar ſei, ſo gewinne die Geſchichte Brandenburgs erſt gegen Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts tiefere Bedeutung. Erſt unter Kurfürſt Johann Sigismund traten drei entſcheidende Ereigniſſe ein, welche den Marken eine große Zukunft, eine von dem Leben der übrigen Reichsländer grundverſchiedene Entwicklung verhießen: die Vereinigung des ſeculariſirten Deutſch - Ordenslandes mit Brandenburg, der Uebertritt des Fürſtenhauſes zur reformirten Kirche, endlich die Erwerbung der niederrheiniſchen Grenz - lande.

Auch andere Reichsfürſten, Katholiken wie Proteſtanten, hatten ihre Macht durch die Güter der alten Kirche erweitert. Im Ordenslande aber wagte die Politik der deutſchen Proteſtanten ihren verwegenſten Griff; auf Luthers Rath entriß der Hohenzoller Albrecht der römiſchen Kirche das größte ihrer geiſtlichen Territorien. Das geſammte Gebiet des neuen Herzogthums Preußen war entfremdetes Kirchengut; des Papſtes Bann und des Kaiſers Acht trafen den abtrünnigen Fürſten. Niemals wollte der römiſche Stuhl dieſen Raub anerkennen. Indem die märkiſchen Hohenzollern die Herzogskrone ihrer preußiſchen Vettern mit ihrem Kurhute verbanden, brachen ſie für immer mit der römiſchen Kirche; ihr Staat ſtand und fiel fortan mit dem Proteſtantismus. Zur ſelben27Preußen und Cleve mit Brandenburg vereinigt.Zeit nahm Johann Sigismund das reformirte Bekenntniß an. Er legte damit den Grund für die folgenreiche Verbindung ſeines Hauſes mit dem Heldengeſchlechte der Oranier und trat aus der leidſamen Trägheit des erſtarrten Lutherthums hinüber in die Gemeinſchaft jener Kirche, welche allein noch die politiſchen Gedanken der Reformation mit kriegeriſchem Muthe verfocht. Der calviniſche Landesherr beherrſchte in den Marken ein hart lutheriſches Volk; in Preußen ſaßen Lutheraner und Katholiken, in den niederrheiniſchen Landen die Bekenner aller drei großen Kirchen Deutſchlands bunt durcheinander. Von dem Glaubenshaſſe der eige - nen Unterthanen bedroht, ſah ſich das Fürſtenhaus gezwungen, allen kirchlichen Parteien durch duldſame Schonung gerecht zu werden. Der - geſtalt ward die eigenthümliche Doppelſtellung der Hohenzollern zu unſerem kirchlichen Leben begründet: ſie ſtanden, ſeit die Macht der Pfälzer zerfiel, an der Spitze des ſtreitbaren Proteſtantismus im Reiche und vertraten doch zugleich den Grundgedanken der neuen deutſchen Ge - ſittung, die Glaubensfreiheit. Mit dem Scharfblicke des Haſſes ſagte der kaiſerliche Vicekanzler Stralendorff in den Tagen Johann Sigis - munds voraus: es ſtehe zu befürchten, daß der Brandenburger nun - mehr der werden könne, den das calviniſche und lutheriſche Geſchmeiß erſehne.

Mit der preußiſchen Herzogskrone gewann das Haus Hohenzollern jene ſtolze Colonie des geſammten Deutſchlands, die mit dem Blute aller deutſchen Stämme noch reicher als die Mark benetzt war und ſich vor allen Landſchaften des Reiches einer großen und heldenhaften Geſchichte rühmte: hier in dem neuen Deutſchland hatte einſt der deutſche Orden die baltiſche Großmacht des Mittelalters aufgerichtet. Das entlegene, durch die Feindſchaft des polniſchen Lehnsherrn wie der ſkandinaviſchen und moskowitiſchen Nachbarn unabläſſig bedrohte Grenzland verwickelte den Staat der Hohenzollern in die wirrenreichen Kämpfe des nordiſchen Staatenſyſtems. Während er alſo an der Oſtſee feſten Fuß faßte, erwarb Johann Sigismund zugleich das Herzogthum Cleve nebſt den Grafſchaften Mark und Ravensberg, ein Gebiet von geringem Umfang, aber hoch - wichtig für die innere Entwicklung wie für die europäiſche Politik des Staates: Lande von treu bewahrter alter Bauern - und Städtefreiheit, reicher und höher geſittet als die dürftigen Colonien des Oſtens, un - ſchätzbare Außenpoſten an Deutſchlands ſchwächſter Grenze. In Wien und Madrid ward es als eine ſchwere Niederlage empfunden, daß eine neue evangeliſche Macht ſich feſtſetzte dort am Niederrheine, wo Spanier und Niederländer um Sein oder Nichtſein des Proteſtantismus kämpften, dicht vor den Thoren Kölns, der Hochburg des römiſchen Weſens im Reiche. Der junge Staat umſchloß auf ſeinen fünfzehnhundert Geviert - meilen bereits faſt alle die kirchlichen, ſtändiſchen, landſchaftlichen Gegen - ſätze, welche das heilige Reich mit lautem Hader erfüllten; mit geſpreizten28I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Beinen gleich dem Koloß von Rhodus ſtand er über den deutſchen Landen und ſtemmte ſeine Füße auf die bedrohten Marken am Rhein und Memelſtrom.

Eine Macht in ſolcher Lage konnte nicht mehr in dem engen Ge - ſichtskreiſe deutſcher Territorialpolitik verharren; ſie mußte verſuchen ihre weithin zerſtreuten Gebiete zu einer haltbaren Maſſe abzurunden, ſie war gezwungen für das Reich zu handeln und zu ſchlagen, denn jeder Angriff der Fremden auf deutſchen Boden ſchnitt ihr in ihr eignes Fleiſch. Und dieſer Staat, der nur deutſches Land beherrſchte, ſtand doch der Reichs - gewalt in glücklicher Unabhängigkeit gegenüber. Jenen Reichsſtänden, deren Gebiete alleſammt innerhalb der Reichsgrenzen lagen, war eine ſelbſtändige europäiſche Politik immerhin erſchwert; andere Fürſtengeſchlechter, die ſich durch die Erwerbung ausländiſcher Kronen den hemmenden Feſſeln der Reichsverfaſſung entzogen, gingen dem deutſchen Leben verloren. Auch dem Hauſe Brandenburg ſind oftmals lockende Rufe aus der Ferne erklungen: die Herrſchaft in Schweden, in Polen, in den Niederlanden, in England ſchien ihm offen zu ſtehen. Doch immer hat bald die Macht der Um - ſtände bald die verſtändige Selbſtbeſchränkung des Fürſtengeſchlechts dieſe gefährlichen Verſuchungen abgewieſen. Eine ſegensreiche Fügung, die dem ernſten Sinne nicht als Zufall gelten darf, nöthigte die Hohenzollern in Deutſchland zu verbleiben. Sie bedurften der fremden Kronen nicht; denn ſie dankten ihre unabhängige Stellung in der Staatengeſellſchaft dem Beſitze des Herzogthums Preußen, eines kerndeutſchen Landes, das mit allen Wurzeln ſeines Lebens an dem Mutterlande hing und gleichwohl dem ſtaatsrechtlichen Verbande des Reichs nicht angehörte. Alſo mit dem einen Fuß im Reiche, mit dem anderen draußen ſtehend, gewann der preußiſche Staat das Recht, eine europäiſche Politik zu führen, die nur deutſche Ziele verfolgen konnte. Er durfte für Deutſchland ſorgen, ohne nach dem Reiche und ſeinen verrotteten Formen zu fragen.

Dem Hiſtoriker iſt nicht geſtattet, nach der Weiſe der Naturforſcher das Spätere aus dem Früheren einfach abzuleiten. Männer machen die Geſchichte. Die Gunſt der Weltlage wird im Völkerleben wirkſam erſt durch den bewußten Menſchenwillen, der ſie zu benutzen weiß. Noch einmal ſtürzte der Staat der Hohenzollern von ſeiner kaum errungenen Machtſtellung herab; er trieb dem Untergange entgegen, ſolange Johann Sigismunds Nachfolger Georg Wilhelm aus matten Augen ſchläfrig in die Welt blickte. Auch dieſer neue Verſuch deutſcher Staatenbildung ſchien wieder in der Armſeligkeit der Kleinſtaaterei zu enden, wie vormals die unter ungleich günſtigeren Anzeichen aufgeſtiegenen Mächte der Welfen, der Wettiner, der Pfälzer. Da trat als ein Fürſt ohne Land, mit einem Stecken und einer Schleuder Kurfürſt Friedrich Wilhelm ein in das verwüſtete deutſche Leben, der größte deutſche Mann ſeiner Tage, und beſeelte die ſchlummernden Kräfte ſeines Staates mit der Macht des29Brandenburg das Land der Parität.Wollens. Seitdem blieb die Kraft des zweckbewußten königlichen Willens der werdenden deutſchen Großmacht unverloren. Man kann ſich die engliſche Geſchichte vorſtellen ohne Wilhelm III., die Geſchichte Frankreichs ohne Richelieu; der preußiſche Staat iſt das Werk ſeiner Fürſten. In wenigen andern Ländern bewährte das Königthum ſo ſtetig jene beiden Tugenden, die ſeine Größe bilden: den kühnen, weit vorausſchauenden Idealismus, der das bequeme Heute dem größeren Morgen opfert, und die ſtrenge Gerechtigkeit, die jede Selbſtſucht in den Dienſt des Ganzen zwingt. Nur der Weitblick der Monarchie vermochte in dieſen armſeligen Gebietstrümmern die Grundſteine einer neuen Großmacht zu erkennen. Nur in dem Pflichtgefühle der Krone, in dem monarchiſchen Staatsge - danken fanden die verfeindeten Stämme und Stände, Parteien und Kirchen, welche dieſer Mikrokosmos des deutſchen Lebens umfaßte, ihren Schutz und ihren Frieden.

Schon in den erſten Jahren des großen Kurfürſten tritt die Eigen - art der neuen deutſchen Macht ſcharf und klar heraus. Der Neffe Guſtav Adolfs, der ſein junges Heer unter dem alten Proteſtantenrufe Mit Gott in die Schlachten führt, nimmt die Kirchenpolitik ſeines Oheims wieder auf. Er zuerſt ruft in den Hader der Kirchen das erlöſende Wort hinein, fordert die allgemeine unbedingte Amneſtie für alle drei Bekenntniſſe. Es war das Programm des Weſtphäliſchen Friedens. Und weit über die Vorſchriften dieſes Friedensſchluſſes hinaus ging die Duldung, welche die Hohenzollern im Innern ihres Landes walten ließen. Brandenburg galt vor dem Reichsrechte als ein evangeliſcher Stand und wurde doch der erſte Staat Europas, der die volle Glaubensfreiheit gewährte. Das bunte Sektenweſen in den Niederlanden verdankte ſeine ungebundene Be - wegung nur der Anarchie, der Schwäche des Staates; hier aber ruhte die Gewiſſensfreiheit auf den Geſetzen einer kraftvollen Staatsgewalt, die ſich das Recht der Oberaufſicht über die Kirchen nicht rauben ließ. In den anderen deutſchen Territorien beſtand überall noch eine herrſchende Kirche, die den beiden anderen Confeſſionen nur den Gottesdienſt nicht gänzlich unterſagen durfte; in Brandenburg ſtand die Krone frei über allen Kirchen und ſchützte die Parität. Derweil Oeſterreich ſeine beſten Deutſchen gewaltſam austreibt, öffnet eine Gaſtfreundſchaft ohne Gleichen die Grenzen Brandenburgs den Duldern jeglichen Glaubens. Wie viel tauſendmal iſt in den Marken das Danklied der böhmiſchen Exulanten erklungen: Dein Volk, das ſonſt im Finſtern ſaß, von Irrthum ganz umgeben, das findet hier nun ſein Gelaß und darf in Freiheit leben! Als Ludwig XIV. das Edict von Nantes aufhebt, da tritt ihm der kleine brandenburgiſche Herr als der Wortführer der proteſtantiſchen Welt kühn entgegen und bietet durch ſein Potsdamer Edict den Söhnen der Mär - tyrerkirche Schirm und Obdach. Ueberall wo noch die Flammen des alten Glaubenshaſſes aus dem deutſchen Boden emporſchlagen, ſchreiten die30I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Hohenzollern ſchützend und verſöhnend ein. Sie rufen die Wiener Judenſchaft an die Spree, ſie ſichern via facti , des Reiches ungefragt, den Proteſtanten Heidelbergs den Beſitz ihrer Kirchen, ſie bereiten den evan - geliſchen Salzburgern in Oſtpreußen eine neue Heimath. So ſtrömte Jahr für Jahr eine Fülle jungen Lebens in die entvölkerten Oſtmarken hinüber; das deutſche Blut, das die Habsburger von ſich ſtießen, befruchtete die Lande ihres Nebenbuhlers. Beim Tode Friedrichs II. beſtand etwa ein Drittel der Bevölkerung des Staates aus den Nachkommen der Ein - wanderer, die ſeit den Tagen des großen Kurfürſten zugezogen.

Erſt dieſe Kirchenpolitik der Hohenzollern hat das Zeitalter der Religionskriege abgeſchloſſen; ſie zwang ſchließlich die beſſeren weltlichen Fürſten zur Nachahmung und entzog zugleich den geiſtlichen Staaten das letzte Recht des Daſeins; denn wozu noch geiſtliche Reichsfürſten, ſeit die katholiſche Kirche unter den Flügeln des preußiſchen Adlers ge - ſicherte Freiheit fand? Friedrich Wilhelm erwarb im Weſtphäliſchen Frieden die großen Stifter Magdeburg, Halberſtadt, Minden, Cammin. Sein Staat ward wie kein anderer in Deutſchland durch die Güter der römiſchen Kirche bereichert; doch er rechtfertigte den Raub, denn er über - nahm mit dem Kirchengute zugleich die großen Culturaufgaben, welche die Kirche des Mittelalters einſt für den unreifen Staat erfüllt hatte, Armen - pflege und Volkserziehung, und er verſtand den neuen Pflichten zu ge - nügen. Daſſelbe Gebot der Selbſterhaltung, das die Hohenzollern nöthigte Frieden zu halten zwiſchen Katholiken und Proteſtanten, drängte ſie auch innerhalb der evangeliſchen Kirche zwiſchen den Gegenſätzen zu vermitteln. Der Gedanke der evangeliſchen Union blieb dem preußiſchen Staate eigenthümlich ſeit Johann Sigismund zuerſt den lutheriſchen Eiferern das Zetern wider die Calviniſten unterſagte, und was anfänglich die Noth erzwang, ward endlich zur politiſchen Ueberlieferung, zur Herzens - ſache des Fürſtenhauſes.

Wie der preußiſche Staat alſo der deutſchen Nation den kirchlichen Frieden ſicherte, der ihr erlaubte wieder theilzunehmen an dem Schaffen der Culturvölker, ſo gab er ihr auch zurück was ihr ſeit den Tagen der Glaubensſpaltung fehlte: einen Willen gegen das Ausland. Ueberall im Reiche verkamen reiche Kräfte in engen Verhältniſſen, und wer hoch hinausſtrebte eilte in die Fremde; da faßte Friedrich Wilhelms gewaltige Hand die dürftigen Mittel der ärmſten deutſchen Gebiete entſchloſſen zu - ſammen und zwang ſein Volk der Heimath zu dienen und zeigte dem Welt - theil wieder was das deutſche Schwert vermöge. Das Reich zehrte von alten Erinnerungen, bewahrte die Staatsformen des Mittelalters mitten im neuen Europa; dieſe norddeutſche Macht aber wurzelte feſt in der modernen Welt, über den Trümmern der alten Kirchenherrſchaft und der altſtändiſchen Rechte ſtieg ihre ſtarke Staatsgewalt empor, ſie lebte den Sorgen der Gegenwart und den Plänen einer großen Zukunft. Mit31Weltſtellung des preußiſchen Staates.einem Schlage führte Friedrich Wilhelm ſeinen mißachteten kleinen Staat in die Reihe der europäiſchen Mächte ein; ſeit der Schlacht von Warſchau ſtand Brandenburg den alten Militärſtaaten ebenbürtig zur Seite. Wie eine Inſel ſchien dieſe feſtgeeinte kriegeriſche Macht urplötzlich emporzu - ſteigen aus der tobenden See deutſcher Vielherrſchaft, vor den verwun - derten Blicken eines Volkes, das längſt verlernt an raſchen Entſchluß und großes Gelingen zu glauben. So ſcharf wehte der friſche Luftzug des bewußten politiſchen Willens durch die Geſchichte des neuen preußiſchen Staates, ſo ſtraff und gewaltſam ward jeder Muskel ſeines Volks zur Arbeit angeſpannt, ſo grell erſchien das Mißverhältniß zwiſchen ſeinem Ehrgeiz und ſeinen Mitteln, daß er bei Freund und Feind durch an - derthalb Jahrhunderte nur als eine künſtliche Schöpfung galt. Die Welt hielt für das willkürliche Wagniß einiger Lieblinge des Glücks, was der nothwendige Neubau des uralten nationalen Staates der Deutſchen war.

Preußen behauptete wie in den deutſchen Glaubenshändeln, ſo auch in den großen Machtkämpfen des Welttheils eine ſchwierige Mittelſtellung. So lange das proteſtantiſche Deutſchland willenlos darniederlag, zerfiel Europa in zwei getrennte Staatenſyſteme, die einander ſelten berührten. Die Staatenwelt des Südens und Weſtens kämpfte um die Beherrſchung Italiens und der rheiniſch-burgundiſchen Lande, während die Mächte des Nordens und Oſtens ſich um die Trümmerſtücke des deutſchen Ordens - ſtaates und um den Nachlaß der Hanſa, die Oſtſeeherrſchaft ſtritten. Der Oſten und der Weſten begegneten ſich nur in dem einen Verlangen, die ungeheure Lücke, die in der Mitte des Welttheils klaffte, immerdar offen zu halten. Nun erhob ſich die jugendliche deutſche Macht, das vielverſpottete Reich der langen Grenzen . Sie gehörte dem Welttheil an, ihr verſprengtes Gebiet berührte die Marken aller Großmächte des Feſtlands. Sobald ſie anfing mit ſelbſtändigem Willen ſich zu bewegen, griffen die Mächte des Weſtens in die Händel des Oſtens ein, immer häufiger verſchlangen und durchkreuzten ſich die Intereſſen der beiden Staatenſyſteme.

Der geborene Gegner der alten, auf Deutſchlands Ohnmacht ruhenden Ordnung Europas, ſtand Preußen in einer Welt von Feinden, deren Eiferſucht ſeine einzige Rettung blieb, ohne irgend einen natürlichen Bundesgenoſſen, denn noch war der deutſchen Nation das Verſtändniß dieſer jungen Kraft nicht aufgegangen. Und dies in jener Zeit der harten Staatsraiſon, da der Staat nur Macht war und die Vernichtung des Nachbarn als ſeine natürliche Pflicht betrachtete. Wie das Haus Savoyen ſich hindurchwand durch die Uebermacht der Habsburger und der Bour - bonen, ebenſo, doch ungleich ſchwerer bedrängt mußte Preußen ſich ſeinen Weg bahnen zwiſchen Oeſterreich und Frankreich hindurch, zwiſchen Schweden und Polen, zwiſchen den Seemächten und der trägen Maſſe32I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.des deutſchen Reichs, mit allen Mitteln rückſichtsloſer Selbſtſucht, immer bereit die Front zu wechſeln, immer mit zwei Sehnen am Bogen.

Kurbrandenburg empfand bis in das Mark ſeines Lebens, wie tief das ausländiſche Weſen ſich in Deutſchland eingefreſſen hatte. Alle die zuchtloſen Kräfte ſtändiſcher Libertät, welche der ſtrengen Ordnung der neuen Monarchie widerſtrebten, ſtützten ſich auf fremden Beiſtand. Hol - ländiſche Garniſonen lagen am Niederrhein und begünſtigten den Kampf der cleviſchen Stände wider den deutſchen Landesherrn, die Landtage von Magdeburg und der Kurmark rechneten auf Oeſterreich, der polenzende Adel in Königsberg rief den polniſchen Oberlehnsherrn zu Hilfe gegen den märkiſchen Despotismus. Im Kampfe mit der Fremdherrſchaft wurde die Staatseinheit dieſer zerſtreuten Gebiete und das Anſehen ihres Landesherrn begründet. Friedrich Wilhelm zerſtörte die Barriere der Niederländer im deutſchen Nordweſten, vertrieb ihre Truppen aus Cleve und Oſtfriesland; er befreite Altpreußen von der polniſchen Lehenshoheit und beugte den Königsberger Landtag unter ſeine Souveränität. Dann ruft er der tauben Nation ſein Mahnwort zu: Gedenke, daß du ein Deutſcher biſt! und verſucht die Schweden vom Reichsboden zu ver - drängen. Zweimal gelang der Mißgunſt Frankreichs und Oeſterreichs, den Brandenburger um den Lohn ſeiner Siege, um die Herrſchaft in Pommern zu betrügen; den Ruhm des Tages von Fehrbellin konnten ſie ihm nicht rauben. Endlich wieder, nach langen Jahrzehnten der Schande, ein glän - zender Triumph deutſcher Waffen über die erſte Kriegsmacht der Zeit; die Welt erfuhr, daß Deutſchland wieder wage ſein Hausrecht zu wahren. Der Erbe der deutſchen Kirchenpolitik Guſtav Adolfs zerſprengte den verwegenen Bau des ſkandinaviſchen Oſtſeereiches, den das Schwert jenes Schweden - königs zuſammengefügt. Die beiden künſtlichen Großmächte des ſiebzehnten Jahrhunderts, Schweden und Holland, begannen zurückzutreten in ihre natürlichen Schranken, und der neue Staat, der ſich an ihrer Stelle erhob, zeigte weder die ausſchweifende Eroberungsluſt der ſchwediſchen Militärmacht noch den monopolſüchtigen Kaufmannsgeiſt der Niederländer. Er war deutſch, er begnügte ſich das Gebiet ſeiner Nation zu ſchirmen und vertrat gegen die Weltherrſchaftspläne der Bourbonen den Gedanken des europäiſchen Gleichgewichts, der Staatenfreiheit. Als die Republik der Niederlande dem Angriff Ludwigs XIV. zu erliegen drohte, da fiel Brandenburg dem Eroberer in den erhobenen Arm; Friedrich Wilhelm führte den einzigen ernſthaften Krieg, den das Reich zur Wiederer - oberung des Elſaſſes gewagt hat, und noch auf ſeinem Sterbebette entwarf er mit ſeinem oraniſchen Neffen den Plan, das evangeliſche und parla - mentariſche England zu retten vor der Willkür der Stuarts, der Vaſallen Ludwigs. Ueberall wo dieſe junge Macht allein ſtand kämpfte ſie ſiegreich, überall unglücklich wo ſie dem Wirrwarr des Reichsheeres ſich anſchließen mußte.

33Der neue Mehrer des Reichs.

So erwies ſich die neue Staatsbildung ſchon in ihren Anfängen als eine europäiſche Nothwendigkeit. Deutſchland aber fand endlich wieder einen Mehrer des Reichs. Mit dem Aufſteigen Preußens be - gann die lange blutige Arbeit der Befreiung Deutſchlands von fremder Herrſchaft. Seit hundert Jahren von den Nachbarn beraubt ſah das Reich jetzt zum erſten male das ausländiſche Regiment von einigen Schollen deutſcher Erde zurückweichen. In dieſem einen Staate erwachte wieder, noch halb bewußtlos, wie trunken vom langen Schlummer, der alte herzhafte vaterländiſche Stolz. Das treue Landvolk der Grafſchaft Mark begann den kleinen Krieg gegen die Franzoſen, die Bauern von Oſtpreußen ſetzten in wilder Jagd den fliehenden Schweden nach. Wenn die Bauern - landwehr der Altmark, an den Elbdeichen Wache haltend wider die Schweden, auf ihre Fahnen ſchrieb: Wir ſind Bauern von geringem Gut und dienen unſerem gnädigſten Kurfürſten und Herrn mit Gut und Blut , ſo klingt uns aus den ungelenken Worten ſchon derſelbe Heldenſinn entgegen, welcher dereinſt in freieren Tagen Deutſchlands Schlachten ſchlagen ſollte unter dem Rufe: Mit Gott für König und Vaterland!

Während die Hausmacht der Habsburger aus Deutſchland hinaus wuchs, drängte ein ſtetig waltendes Schickſal den Staat der Hohenzollern tief und tiefer in das deutſche Leben hinein, zuweilen wider den Willen ſeiner Herrſcher. Friedrich Wilhelm hat es nie verwunden, daß er ſeine pommerſchen Erbanſprüche im Weſtphäliſchen Frieden gegen den Wider - ſtand Oeſterreichs und Schwedens nicht behaupten konnte. Er hoffte als ein König der Vandalen von dem Stettiner Hafen aus die Oſtſee zu beherrſchen und mußte ſich mit den ſächſiſch-weſtphäliſchen Stifts - landen, zum Erſatz für die Odermündungen, begnügen. Doch ſelbſt dieſe diplomatiſche Niederlage ward ein Glück für den Staat; ſie bewahrte ihn vor einem halbdeutſchen baltiſchen Sonderleben, verſtärkte ſeine centrale Stellung und zwang ihn theilzunehmen an allen Händeln der binnen - deutſchen Politik. Zudem war ganz Norddeutſchland überſponnen von einem Netze hohenzollerſcher Erbverträge, die dies bedachtſam rechnende Haus im Laufe der Jahrhunderte abgeſchloſſen; an jedem neuen Tage konnte ein Todesfall der ehrgeizigen Macht eine neue Vergrößerung bringen.

Das Haus Habsburg erkannte früher als die Hohenzollern ſelber, wie feindſelig dieſer moderne norddeutſche Staat der alten Verfaſſung des heiligen Reichs gegenüberſtand. Er war das Haupt des Proteſtan - tismus im Reiche, mochte immerhin Kurſachſen noch Director des Corpus Evangelicorum heißen; er bedrohte mit ſeiner monarchiſchen Ordnung den ganzen Bau jener ſtändiſchen und theokratiſchen Inſtitutionen, welche die Kaiſerkrone ſtützten; ſein ſtarkes Heer und ſein ſelbſtändiges Auf - treten in der Staatengeſellſchaft gefährdeten das altgewohnte Syſtem kaiſerlicher Hauspolitik. In Schleſien, in Pommern, in dem jülich-cleviſchenTreitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 334I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Erbfolgeſtreite, überall trat Oeſterreich dem gefährlichen Nebenbuhler mißtrauiſch entgegen. Gleich dem Wiener Hofe beargwöhnten alle Reichs - fürſten den unruhigen Staat, der den geſammten deutſchen Rorden zu umklammern drohte; ſo oft er mit einiger Kühnheit ſich hervorwagte, erklang durchs deutſche Land der Jammerruf über den immer tiefer ins Reich dringenden brandenburgiſchen Dominat . Als der große Kurfürſt die Schweden aus Düppel und Alſen verjagte, ſchloſſen die Fürſten des Weſtens mit der Krone Frankreich jenen erſten Rheinbund zum Schutze des Reichsſtandes Schweden. Da das Kaiſerhaus noch durch den Breisgau und die oberſchwäbiſchen Lande ganz Süddeutſchland militäriſch beherrſchte, ſo war an den oberländiſchen Höfen die Furcht vor Oeſterreichs Länder - gier zuweilen ſtärker als die Angſt vor dem entlegenen Brandenburg; zuletzt überwog doch bei allen Kleinfürſten die Erkenntniß, daß der kaiſer - liche Hof eine Macht des Beharrens, jener nordiſche Emporkömmling aber durch einen tiefen, unverſöhnlichen Gegenſatz von der alten Ordnung der deutſchen Dinge getrennt ſei.

Auch die Nation ſah mit Abſcheu und Beſorgniß auf den Staat der Hohenzollern, wie einſt die italiſchen Stämme auf das empor - ſteigende Rom. Die freien Köpfe der Zeit begannen bereits ſich den Ideen des modernen Abſolutismus zuzuwenden; die Maſſe des Volks hing noch an den althergebrachten ſtändiſchen Formen, die in dem Hauſe Brandenburg ihren Bändiger fanden. Einzelne Kriegsthaten Friedrich Wilhelms erweckten wohl die Bewunderung der Zeitgenoſſen; nach ſeinem kühnen Zuge vom Rhein zum Rhyn begrüßte ihn das Elſaſſer Volkslied zuerſt mit dem Namen des Großen. Doch ſolche Stimmungen erregter Augenblicke hielten nicht vor. Zorn und Neid trafen das trotzige Glied, das ſich neben das Reich ſtellte und noch nicht vermochte der Nation einen Erſatz zu bieten für die zerſtörte alte Ordnung; Leibnitz, der be - geiſterte Reichspatriot, erwies in beredter Denkſchrift, wie der Branden - burger von ſeinen Mitſtänden gezüchtigt werden müſſe, weil er eigen - mächtig ſein Heer zur Rettung Hollands gegen die Franzoſen geführt habe. Noch ahnte Niemand in dieſem ſtaatloſen Geſchlechte, daß die Führung zerſplitterter Völker nothwendig dem Theile zufällt, welcher die Pflichten des Ganzen auf ſich nimmt. Um ſo lebhafter regte ſich die dunkle Sorge, dieſe thatenluſtige Macht müſſe wachſen oder untergehen; und wie ſchon im Mittelalter der Volkswitz immer den deutſchen Stamm heimſuchte, der den Gedanken der nationalen Einheit trug, ſo ergoſſen jetzt particulariſtiſche Seelenangſt und Selbſtgefälligkeit ihren Hohn auf die Marken.

Das Volk ſpottete über die Armuth der Streuſandbüchſe des heiligen Reichs, über die brandenburgiſche Knechtſchaft; wie Verzweifelte fochten die Bürger Stettins auf ihren Wällen um ihre gute Stadt bei der ſchwe - diſchen Freiheit zu erhalten und vor dem Joche des märkiſchen Blut -35Brandenburg und die deutſche Libertät.menſchen zu bewahren. Der Partieularismus aller Stände und aller Land - ſchaften vernahm mit Entſetzen, wie der große Kurfürſt ſeine Unterthanen zwang als eines Hauptes Glieder zu leben, wie er die Vielherrſchaft der Landtage den Befehlen der Landeshoheit unterwarf und ſeine Krone ſtützte auf die beiden Säulen monarchiſcher Vollgewalt, den miles per - petuus und die ſtehende Steuer. In der Anſchauung des Volkes galten Truppen und Steuern noch als eine außerordentliche Staatslaſt für Tage der Noth. Friedrich Wilhelm aber erhob das Heer zu einer dauernden Inſtitution und ſchwächte die Macht der Landſtände, indem er in allen ſeinen Gebieten zwei allgemeine Steuern einführte: auf dem flachen Lande den Generalhufenſchoß, in den Städten die Acciſe, ein mannich - faltiges Syſtem von niedrigen directen und indirecten Abgaben, das auf die Geldarmuth der erſchöpften Volkswirthſchaft berechnet war und die Steuerkraft an möglichſt vielen Stellen anfaßte. Im Reiche war nur eine Stimme der Verwünſchung wider dieſe erſten Anfänge des modernen Heer - und Finanzweſens. Preußen blieb vom Beginne ſeiner ſelbſtändigen Geſchichte der beſtgehaßte der deutſchen Staaten; die Reichslande, welche dieſem Fürſtenhauſe zufielen, ſind faſt alle unter lauten Klagen und heftigem Widerſtande in die neue Staatsgemeinſchaft eingetreten, um ſämmtlich bald nachher ihr Schickſal zu ſegnen.

Das ungeheure, hoffnungsloſe Wirrſal der deutſchen Zuſtände, die erbliche Ehrfurcht der Hohenzollern vor dem Kaiſerhauſe und die Be - drängniß ihres zwiſchen übermächtigen Feinden eingepreßten Staates ver - hinderten noch durch viele Jahrzehnte, daß das alte und das neue Deutſchland in offenem Kampfe auf einander ſtießen. Friedrich Wilhelm lebte und webte in den Hoffnungen der Reichsreform; mit dem ganzen feurigen Ungeſtüm ſeines heldenhaften Weſens betrieb er auf dem erſten Reichstage nach dem Weſtphäliſchen Frieden die zu Osnabrück verheißene Neugeſtaltung der Reichsverfaſſung. Da dieſer Verſuch ſcheiterte, faßte Georg Friedrich von Waldeck den verwegenen Gedanken, daß der Hohen - zoller ſelber dem Reiche eine neue Ordnung geben ſolle; er entwarf den Anſchlag zu einem deutſchen Fürſtenbunde unter der Führung des ver - größerten brandenburgiſchen Staates. Noch waren die Zeiten nicht erfüllt. Der Kurfürſt ließ ſeinen kühnen Rathgeber fallen, um der nächſten Noth zu begegnen und mit dem Kaiſer verbündet gegen die Schweden auszuziehen; er hat nachher ſogar den lang erwogenen Plan der Eroberung Schleſiens aufgegeben, weil er Oeſterreichs bedurfte im Kampfe wider Frankreich. Doch der Weg war gewieſen; jede neue große Erſchütterung des deutſchen Lebens hat den preußiſchen Staat wieder zurückgeführt zu dem zweifachen Gedanken der Gebietserweiterung und der bündiſchen Hegemonie.

Friedrich Wilhelms Nachfolger brachte mit der Königskrone ſeinem Hauſe einen würdigen Platz in der Geſellſchaft der europäiſchen Mächte,3*36I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.ſeinem Volke den gemeinſamen Namen der Preußen. Nur die Noth, nur die Hoffnung auf Preußens Waffenhilfe bewog den kaiſerlichen Hof, dem Nebenbuhler die neue Würde zuzugeſtehen. Ein Schrecken ging durch die theokratiſche Welt: Kurmainz proteſtirte, der deutſche Orden forderte nochmals ſeinen alten Beſitz zurück, der jetzt dem ketzeriſchen Königthum den Namen gab, und der Staatskalender des Papſtes kannte noch an hundert Jahre lang nur einen brandenburgiſchen Markgrafen. Die anſpruchsvolle königliche Krone erſchien dem Enkel Friedrichs I. als eine ernſte Mahnung, die Macht und Selbſtändigkeit des Staates zu befeſtigen. Von ſolchem Stolze wußte die ſchwache Seele des erſten Königs wenig. Er diente, ein getreuer Reichsfürſt, dem Kaiſerhauſe, kämpfte ritterlich am Rheine, in der argloſen Hoffnung, der Kaiſer werde die Feſte Straßburg dem Reiche zurückbringen; er half den Habsburgern die Türken zu ſchlagen, ließ ſein Heer als karg belohnte Hilfsmacht Oeſterreichs und der Seemächte an den Schlachten des ſpaniſchen Erbfolgekrieges theilnehmen. Damals zuerſt lernten die Franzoſen das preußiſche Fußvolk als die Kerntruppe des deutſchen Heeres fürchten; doch an der politiſchen Leitung des Krieges hatte der Berliner Hof keinen Antheil. Während ſeine tapferen Truppen in Ungarn und den Niederlanden, in Oberdeutſchland und Italien unfruchtbaren Kriegsruhm ernteten, führte Schweden den Verzweiflungs - kampf gegen die Mächte des Nordens; Preußen aber verſäumte die Gunſt ſeiner centralen Lage auszubeuten und durch eine kühne Schwenkung vom Rhein zur Oder dem nordiſchen Kriege die Entſcheidung zu geben. Mit Mühe hat nachher Friedrich Wilhelm I. die Fehler des Vaters geſühnt und aus dem Schiffbruch der ſchwediſchen Großmacht mindeſtens die Oder - mündungen für Deutſchland gerettet.

Von Altersher waren die Hohenzollern, nach gutem deutſchem Fürſten - brauche, für die idealen Aufgaben des Staatslebens treu beſorgt geweſen; ſie hatten die Hochſchulen von Frankfurt und Königsberg gegründet, die Duis - burger wiederhergeſtellt. Und jetzt, unter dem duldſamen Regimente des freigebigen Friedrich und ſeiner philoſophiſchen Königin, gewann es den An - ſchein, als ſollte Deutſchlands wiedererwachende Kunſt und Wiſſenſchaft in dem rauhen Brandenburg ihre Heimath finden. Die vier reformatoriſchen Denker des Zeitalters, Leibnitz, Pufendorf, Thomaſius, Spener wandten ſich dem preußiſchen Staate zu. Die neue Friedrichs-Univerſität zu Halle ward die Zufluchtſtätte freier Forſchung, übernahm für einige Jahrzehnte die Führung der proteſtantiſchen Wiſſenſchaft, trat in die Lücke ein, welche die Zerſtörung der alten Heidelberger Hochſchule ge - ſchlagen hatte. Die dürftige Hauptſtadt ſchmückte ſich mit den Pracht - bauten Schlüters; der ſchwelgeriſche Hof ſtrebte den Glanz und den Mäcenatenruhm des gehaßten Bourbonen zu überbieten. Zwar die frivole Selbſtvergötterung des höfiſchen Despotismus blieb dem Hauſe der Hohenzollern immer fremd; die üppige Pracht Friedrichs I. reichte an37Das Königreich Preußen.die ruchloſe Unzucht der ſächſiſchen Auguſte nicht von fern heran. Den ſchweren niederdeutſchen Naturen fehlte die Anmuth der Sünde; immer wieder, oft in hochkomiſchem Contraſte, brach das ernſthaft nüchterne nordiſche Weſen durch die erkünſtelten Verſailler Formen hindurch. Doch die Verſchwendung des Hofes drohte die Mittel des armen Landes zu verzehren; für ein Gemeinweſen, das ſich alſo durch die Macht des Willens emporgehoben über das Maß ſeiner natürlichen Kräfte, war nichts ſchwerer zu ertragen, als die ſchlaffe Mittelmäßigkeit. Ein Glück für Deutſchland, daß die derben Fäuſte König Friedrich Wilhelms I. der Luſt und Herrlichkeit jener erſten königlichen Tage ein jähes Ende bereiteten.

Der unfertige Staat enthielt in ſich die Keime vielſeitigen Lebens und vermochte doch mit ſeiner geringen Macht faſt niemals, allen ſeinen Aufgaben zugleich zu genügen; ſeine Fürſten haben das Werk ihrer Väter ſelten in gerader Linie weitergeführt, ſondern der Nachfolger trat immer in die Breſche ein, welche der Vorgänger offen gelaſſen, wendete ſeine beſte Kraft den Zweigen des Staatslebens zu, welche Jener vernachläſſigt hatte. Der große Kurfürſt hatte ſein Lebtag zu ringen mit dem Andrang feindlicher Nachbarn. Seine ſtarke Natur verlor über den großen Ent - würfen der europäiſchen Politik nicht jenen ſorgſam haushälteriſchen Sinn, der den Meiſten ſeiner Vorfahren eigen war und ſchon in den Anfängen des Hauſes an dem häufig wiederkehrenden Beinamen Oeconomus ſich erkennen läßt; er that das Mögliche den zerſtörten Wohlſtand des Landes zu heben, erzog den Stamm eines monarchiſchen Beamtenthums, begann den Staatshaushalt nach den Bedürfniſſen moderner Geldwirthſchaft umzugeſtalten. Doch eine durchgreifende Reform der Verwaltung kam in den Stürmen dieſer kampferfüllten Regierung nicht zu Stande; des Fürſten perſönliches Anſehen und die ſchwerfällige alte Centralbehörde, der Geheime Rath, hielten das ungeſtalte Bündel ſtändiſcher Territorien nothdürftig zuſammen. Erſt ſein Enkel zerſtörte den alten ſtändiſchen Staat.

König Friedrich Wilhelm I. ſtellte die Grundgedanken der inneren Ordnung des preußiſchen Staates ſo unverrückbar feſt, daß ſelbſt die Geſetze Steins und Scharnhorſts und die Reformen unſerer Tage das Werk des harten Mannes nur fortbilden, nicht zerſtören konnten. Er iſt der Schöpfer der neuen deutſchen Verwaltung, unſeres Beamtenthums und Offizierſtandes; ſein glanzlos arbeitſames Wirken ward nicht minder fruchtbar für das deutſche Leben als die Waffenthaten ſeines Großvaters, denn er führte eine neue Staatsform, die geſchloſſene Staatseinheit der modernen Monarchie, in unſere Geſchichte ein. Er gab dem neuen Namen der Preußen Sinn und Inhalt, vereinte ſein Volk zur Gemein - ſchaft politiſcher Pflichterfüllung, prägte den Gedanken der Pflicht für alle Zukunft dieſem Staate ein. Nur wer den knorrigen Wuchs, die harten Ecken und Kanten des niederdeutſchen Volkscharakters kennt, wird38I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.dieſen gewaltigen Zuchtmeiſter verſtehen, wie er ſo athemlos durchs Leben ſtürmte, der Spott und Schrecken ſeiner Zeitgenoſſen, rauh und roh, ſcheltend und fuchtelnd, immer im Dienſt, ſein Volk und ſich ſelber zu heißer Arbeit zwingend, ein Mann von altem deutſchen Schrot und Korn, kerndeutſch in ſeiner kindlichen Offenheit, ſeiner Herzensgüte, ſeinem tiefen Pflichtgefühl, wie in ſeinem furchtbaren Jähzorn und ſeiner formlos ungeſchlachten Derbheit. Der alte Haß des norddeutſchen Volkes wider die alamodiſche Feinheit der wälſchen Sitten, wie er aus Laurenbergs nieder - deutſchen Spottgedichten ſprach, gewann Fleiſch und Blut in dieſem königlichen Bürgersmanne; auch ſeine Härte gegen Weib und Kind zeigt ihn als den echten Sohn jenes claſſiſchen Zeitalters der deutſchen Haus - tyrannen, das alle Leidenſchaft des Mannes aus dem unfreien öffentlichen Leben in die Enge des Hauſes zurückdrängte. Streng und freudlos, abſchreckend kahl und dürftig ward das Leben unter dem banauſiſchen Regimente des geſtrengen Herrſchers. Die harte Einſeitigkeit ſeines Geiſtes ſchätzte nur die einfachen ſittlichen und wirthſchaftlichen Kräfte, welche den Staat im Innerſten zuſammenhalten; er warf ſich mit der ganzen Wucht ſeines herriſchen Willens auf das Gebiet der Verwaltung und bewährte hier die urſprüngliche Kraft eines ſchöpferiſchen Geiſtes. So feſt und folgerecht, wie einſt Wilhelm der Eroberer in dem unter - worfenen England, richtete Friedrich Wilhelm I. den Bau des Einheits - ſtaates über der Trümmerwelt ſeiner Territorien auf. Doch nicht als ein Landgut ſeines Hauſes erſchien ihm der geeinte Staat, wie jenem Normannen; vielmehr lebte in dem Kopfe des ungelehrten Fürſten merk - würdig klar und bewußt der Staatsgedanke der neuen Naturrechtslehre: daß der Staat beſtehe zum Beſten Aller, und der König berufen ſei in unparteiiſcher Gerechtigkeit über allen Ständen zu walten, das öffentliche Wohl zu vertreten gegen Sonderrecht und Sondervortheil. Dieſem Gedanken hat er ſein raſtloſes Schaffen gewidmet; und wenn ſein Fuß mit den lockeren Unſitten des väterlichen Hofes auch alle die Keime reicherer Bildung gewaltſam zertrat, die unter Friedrich I. ſich zu ent - falten begannen, ſo that er doch das Nothwendige. Die feſte Manns - zucht eines wehrhaften, arbeitſamen Volkes war für Preußens große Zukunft wichtiger als jene vorzeitige Blüthe der Kunſt und Wiſſenſchaft.

Eine ſanftere Hand als die ſeine war hätte die Zuchtloſigkeit altſtän - diſcher Libertät niemals unter die Majeſtät des gemeinen Rechts gebeugt; zartere Naturen als dieſe niederdeutſchen Kerneichen Friedrich Wilhelm und ſein Wildling Leopold von Deſſau hätten dem Sturmwinde wälſchen Weſens, der damals über die deutſchen Höfe dahinfegte, nie widerſtanden. Als Organiſatoren der Verwaltung ſind dieſem Soldatenkönige unter allen Staatsmännern der neuen Geſchichte nur zwei ebenbürtig: der erſte Conſul Bonaparte und der Freiherr vom Stein. Er verband mit der Kühnheit des Neuerers den peinlich genauen Ordnungsſinn des ſparſamen39Friedrich Wilhelm I. und die Staatseinheit.Hausvaters, dem weder die ſchwarzundweißen Heftfäden der Aktenbündel noch die Kamaſchenknöpfe der Grenadiere entgingen; er faßte verwegene Pläne, die erſt das neunzehnte Jahrhundert zu vollführen vermocht hat, und hielt doch im Handeln mit ſicherem Blicke die Grenzen des Möglichen ein. Sein proſaiſcher, auf das handgreiflich Nützliche gerichteter Sinn ging andere Wege als die ſchwungvolle Heldengröße des Großvaters, doch mitten im Sorgen für das Kleinſte und Nächſte bewahrte er ſtets das Bewußtſein von der ſtolzen Beſtimmung ſeines Staates; er wußte, daß er die Kräfte des Volkes ſammle und bilde für die Entſcheidungs - ſtunden einer größeren Zukunft, und ſagte oft: Ich weiß wohl, in Wien und Dresden nennen ſie mich einen Pfennigklauber und Pedanten, aber meinen Enkeln wird es zu gute kommen!

Durch das Heer wurde Preußen zur europäiſchen Macht erhoben, und durch das Heer ward auch in das alte Verwaltungsſyſtem des Staates die erſte Breſche geſchlagen. Der große Kurfürſt hatte für die Verwaltung der neuen Steuern, die er zur Erhaltung ſeiner Kriegsmacht verwendete, eine Reihe von Mittelbehörden, die Kriegscommiſſariate eingeſetzt; und ſo ſtand denn durch einige Jahrzehnte die Steuerwirthſchaft des werdenden modernen Staates unvermittelt neben der Verwaltung der Kammer - güter, dem letzten Trümmerſtücke der Naturalwirthſchaft des Mittelalters. Friedrich Wilhelm I. hob dieſen Dualismus auf. Er ſchuf in dem Gene - raldirectorium eine Oberbehörde, in den Kriegs - und Domänenkammern Mittelſtellen für die geſammte Verwaltung und gab dieſen Collegien zugleich die Gerichtsbarkeit für die Streitfragen des öffentlichen Rechts. Die bunte Mannichfaltigkeit des Staatsgebietes zwang den König freilich, eine zwiſchen dem Provinzial - und dem Realſyſteme vermittelnde Einrichtung zu treffen; er ſtellte an die Spitze der Abtheilungen des Generaldirec - toriums Provinzialminiſter, die zugleich einige Zweige der Verwaltung für den geſammten Staat zu leiten hatten. Doch im Weſentlichen wurde die Centraliſation der Verwaltung begründet, früher als irgendwo ſonſt auf dem Feſtlande. Was noch übrig geblieben von altſtändiſchen Behörden ward beſeitigt oder dem Befehle des monarchiſchen Beamtenthums unter - worfen; eine ſchonungsloſe Reform brach über die tief verderbte ſtädtiſche Verwaltung herein, beſeitigte den Nepotismus der Magiſtrate, erzwang ein neues gerechteres Steuerſyſtem, warf die drei Städte Königsbergs, die zwei Communen der Havelſtadt Brandenburg zu einer Gemeinde zuſammen, ſtellte das geſammte Städteweſen unter die ſcharfe Aufſicht königlicher Kriegsräthe.

Ueberall trat der Particularismus der Stände, der Landſchaften, der Gemeinden der neuen gleichmäßigen Ordnung feindlich entgegen. Murrend fügte ſich der adliche Landſtand den Geboten der bürger - lichen Beamten. Die ſtolzen Oſtpreußen klagten über Verletzung alter Freiheitsbriefe, da nun Pommern und Rheinländer in die Aemter des40I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.Herzogthums eindrangen. Auch die Gerichte lebten noch in dem Ge - dankenkreiſe des altſtändiſchen Staates und nahmen, gleich den franzö -