PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Geſchichte der franzoͤſiſchen Revolution bis auf die Stiftung der Republik.
Leipzig,Weidmann’ſche Buchhandlung. 1845.
[II][III]

Vorwort.

Sollte Einer dieſe Schrift als eine Ergänzung meines Buches über die engliſche Revolution betrach - ten wollen, ſo finde ich wenig dagegen einzuwenden. Es iſt dasſelbe Thema, nur unſerer Gegenwart näher geführt und von einer weit unmittelbarer europäiſchen Bedeutung. Freilich habe ich meine Feder gerade an dem Zeitpuncte der franzöſiſchen Revolution nieder - gelegt, da der Welttheil anfängt von ihr ergriffen zu werden, allein, wie mir doch ſcheint, an einem Orte, welcher zur verweilenden Betrachtung einladet; weiter gehend hätte ich kaum früher abzubrechen ge - wußt als mit dem Ausgange des Zeitalters Napo - leon Bonaparte’s. Das aber wäre vor der Hand ſelbſt für das Wagniß einer kürzeren Darſtellung zu weit - ausſehend geweſen. Zu meiner eigenen BeruhigungIV wünſche ich vielmehr ſchon jetzt die Zeit herbei, da ich dieſes Buch wie ein fremdes zu betrachten im Stande ſein werde, um von mir ſelbſt zu erfahren, ob meine Auffaſſung denn tief und eigenthümlich ge - nug iſt, um es zu rechtfertigen, daß die büchervolle Welt hier mit einem neuen Werke über dieſen ſo un - zählige Male behandelten Gegenſtand heimgeſucht wird.

Bonn, 5. Auguſt 1845.

F. C. Dahlmann.

[1]

Erſtes Buch. Die Vorſpiele der Revolution.

Franzöſiſche Revolution. 1[2][3]

1. Die Verhaͤltniſſe.

Es ſind nicht mehr als ſiebzig Jahre ſeit der ſechzehnte Ludwig den Thron ſeiner Väter beſtieg, und noch leben hie und da Menſchen, welche ſich der Zeit entſinnen, da er jung und voll gutherziger Hoffnung war: wenn es aber eine Kunſt gäbe die Weltgeſchichte nach Erfahrungen aus - zumeſſen, ſo lägen viele Jahrhunderte zwiſchen ihm und uns, zwiſchen ſeinem Märtyrerthum und wohl auch dem unſrigen. Unſere Jugend hat ganz Recht, wenn ſie von ihren Alten verlangt, ſie ſollen ihr dieſe ſchwierige Zeit auslegen helfen, den Weg ihr zeigen, welchen ſie ſelber in den Jahren der Kraft, manchmal abirrend, aber mit Ehre gingen. Sie will zu jenen Standpuncten hinauf gefördert ſeyn, wo die düſter verworrenen Trümmerhaufen zurück - treten vor den ernſten Grundzügen eines Neubaues der Geſchichte, welchen eine unbegreiflich hohe Waltung unter Wehgeſchrei zur Welt bringt. Wer auf dieſem Pfade ſich irgendwie entzieht, nach Art der Buhlerinnen halb zeigt und halb verbirgt, da aufhört wo er anfangen ſollte, Ereigniſſe1*4häuft wo es ſich darum handelt die herbe Frucht der Selbſterkenntniß zu pflücken, der mag bequem ſich im Va - terlande betten und überall wo es hoch hergeht hochwill - kommen ſeyn, allein ein ächter Jünger der Geſchichte, ein Mann der Wahrheit, ein Freund Deutſchlands iſt er nicht.

Der Franzoſe verdankt ſeinem Erbkönigthum ein nicht genug zu preiſendes Gut, ſeine Staatseinheit. Was ſie bedeute lernte er früh genug dem Deutſchen gegenüber ſchätzen, ſtieg gewaltig, während dieſer tief und tiefer in Zerſtückelung verſank, und brachte dem wohlthuenden Machtgefühle rings umher im großen Staatenkreiſe nicht unwillig das Opfer vieler inneren Freiheit. Das unbe - wußte Streben über die Verſchränkungen des Lehnweſens hinaus zu dem Ziele der Staatseinheit ehrte er ſchon an ſeinem heiligen Ludwig, und wenn er vergleichend nach - wog, was ihm Ludwig XI. und der große Staatsmann Ludwigs XIII. gegeben und was beide ihm dafür genom - men hatten, er hätte es am Ende doch nicht viel anders gemocht. Denn Frankreich war einmal in ſeinem Über - gewichte auf dem Feſtlande durchaus an die Stelle unſres armen Deutſchlands getreten, und das blieb unverkennbar das Werk ſeiner einheitlichen Königsmacht. Allein ein großes Gelingen der Menſchen und ihr Übermuth ſind, wie es ſcheint, für immer unzertrennliche Wandnachbaren. Der vierzehnte Ludwig verſtieg ſich übermüthig in das Ge - biet der nicht mehr beherrſchbaren Dinge, verlangte auch Glaubenseinheit in ſeinem Reiche und trieb die Anders -5 gläubigen fort. Daneben rundete er auf deutſche Unkoſten ſein Frankreich vollends ab; weil er aber gar nicht auf - hören wollte zu erwerben, bewaffnete er am Ende den Welttheil wider ſich und vereitelte die Arbeit ſeiner Mini - ſter, welche unermüdet fortfuhren neue Quellen des Wohl - ſtandes zu eröffnen. Bei dem Allen ſtand der Herr doch zuletzt auch in der Abendſonne ſeines Lebens ſtrahlend da, ſchied ungebeugt von ſeinem Hofadel, welcher ihm das Volk bedeutete und der in dankbarer Vergeltung auch nie müde ward fern von ſeinen Landſitzen dem Winke herri - ſcher Augenbrauen zu dienen. Nach der inneren Wunde des Gemeinweſens hatte Niemand ein Recht zu fragen als der majeſtätiſche Greis, der nicht danach fragte. Einmal verrieth ſie ſich zwar in den Worten, welche der König we - nige Tage vor ſeinem Ende zu ſeinem Urenkel, der ihm folgen ſollte, ſegnend ſprach: Ahme mir nicht nach in der Luſt an Krieg und Bauten, trachte die Laſten deines Volks zu erleichtern; es iſt mein Unglück, daß ich es nicht konnte. Das will ſagen: daß ich es nicht der Mühe werth hielt. Denn niemals durfte bei dem Prunke ſeiner Feſte, auch in den letzten trüben Jahren nicht, da der Tod Ludwigs Haus verödete, etwas davon durchblicken, daß damals in den Staatscaſſen das Geld für die Nothwen - digkeiten der Verwaltung fehlte. Wo freilich der Staat in ſeinem Fürſten enthalten iſt, da iſt der Überfluß am Hofe die erſte Nothwendigkeit und die letzte, alles Andere gilt für Nebenwerk. Ganz in der Stille ſtiehlt ſich indeß6 vielleicht ein ernſter Einzelner bei Seite, mißt die Schäden des Gemeinweſens nach ihrem Umfange aus und ſenkt die Sonde in ihre Tiefen. Fenelon ſchrieb zur Zeit des ſpa - niſchen Erbfolgekrieges: Wir leben nur durch ein Wun - der fort; es iſt eine abgängige Maſchine, die allein aus Gewohnheit noch fortgeht und bei dem erſten Anſtoße zer - brechen muß. Ich fürchte unſer größeſtes Übel beſteht darin, daß Niemand unſerm Staate auf den Grund ſieht, ja man iſt entſchloſſen es nicht thun zu wollen, man ſchließt gefliſſentlich die Augen, öffnet die Hand ſtets um zu nehmen, ohne zuzuſehen, ob auch etwas da iſt, wovon man nehmen könne. Das Wunder von heute muß für das Wunder von geſtern einſtehn, und dieſes Wunder muß ſich morgen wiederholen, bis es dann endlich zu ſpät ſeyn wird. Das Volk führt kein menſchliches Leben mehr, es iſt ein Zigeunerleben. Fenelons Herzensmeinung, die er vor ſeinem ehemaligen Zögling, dem Herzog von Bour - gogne, der damals der Krone am nächſten ſtand, keines - wegs verſteckte, war: man müſſe, um einen Boden für die Zukunft zu gewinnen, die Notabeln von Frankreich zu Ra - the ziehen, gründlicher noch würden Reichsſtände helfen, allein es ſey auch mehr Gefahr dabei. Die Nation, ſchrieb er, muß ſich ſelber retten.

Seit dem Tode Ludwigs XIV. behauptete die aus - wärtige Politik Frankreichs nur kurze Zeit ihren hohen Standpunct und der Abgrund der Finanzen that ſich dro - hender auf. Jener nicht unedle Stolz des Franzoſen auf7 ſeine europäiſche Bedeutung verlor plötzlich allen Halt un - ter einem Regiment der Lüſte, und auch wer dieſe theilte verzieh den Machthabern die dem Vaterlande angethane Kränkung nicht. Unter dem Verſtorbenen gab es keine Oppoſition, jetzt erhub ſich eine, zu einer Zeit da in der Hauptſtadt die alte celtiſche Unzucht ſich mit keinem Schleier mehr deckte, ſeit der König ſelber mit dem Bei - ſpiele voranging, während leichtſinnig begonnene Kriege das Capital eines Waffenruhmes ohne Gleichen vergeu - deten. Man war überhaupt in ein Zeitalter getreten, da eine öffentliche Meinung über die weltlichen Dinge in der erſten Entfaltung ſtand; man meinte und unterſuchte nicht ſowohl in jedem Volk für ſich mehr, als gemeinſchaftlich in allen Völkern von Bildung; weit entfernte Denker be - kämpften oder unterſtützten ſich lebendiger als je zuvor in Fragen der unmittelbaren Gegenwart. So ziemlich überall befand man daß die Staatsrechte, welche behan - deln was in jedem Staate für ſich rechtmäßig iſt, nicht mehr ausreichten; man verſtieg ſich in das weitläuftige Gebiet des Zweckmäßigen, in welchem die Politik ihre Heimat hat, und Frankreich beſtand ungünſtig in der Probe politiſcher Vergleichung. Montesquieu verlieh in ſeinem Geiſte der Geſetze an England, den Erbfeind ſeines Vaterlandes, den Preis der beſten Verfaſſung, Rouſſeau flüchtete ſich aus den Verderbniſſen der Zeit in die Nach - barſchaft eines Naturzuſtandes, welcher aller höheren Bil - dung den Krieg erklärt, und ſpendete mit freigebiger Hand8 den Völkern ſo das Recht wie die Pflicht ſich eine natur - gemäße Regierung einzurichten. Solche weitausſehende Feldzüge gegen den praktiſchen Beſtand der gern genießen - den Welt liebte nun zwar Voltaire nicht, beſchränkte ſich auf den kleineren Krieg, welchen er mit unvergleich - licher Behendigkeit gegen das vaterländiſche Herkommen in Staat und Kirche führte. Mit den Fortſchritten der Naturwiſſenſchaften vertraut, behauptete er gar leicht das Feld im Kampfe gegen die Altgläubigen, wo dieſe auf der Geſchichtſchreibung des Schöpfungswerkes in den Büchern Moſe oder auf der Sonne Joſua’s bauten. Den gefähr - lichſten Angriffspunct auf die Kirchenverfaſſung zeigte ihm aber die freche Verderbtheit der höhern Geiſtlichkeit ſelber an, von welcher ein ehrlicher Pfarrer die treuherzige Ver - ſicherung gab: vier oder fünf von ihnen glauben wohl noch an Gott. Den Glauben an Gott nun ließ Voltaire ebenfalls beſtehen, aber zertrümmerte um ſo unbarmherziger Alles was darüber hinausging. Daneben dichtete er, ein hingegebener Freund der Macht, Loblieder auf jeden Mai - treſſenminiſter, der gerade am Ruder ſtand, und zog ſeinen Nutzen davon, ohne daß ſich ſein Urtheil gefangen gab; denn mit derſelben geiſtreichen Feder entſchädigte er ſich dann wieder durch einen Brief an einen Vertrauten, in welchem er von einem unvermeidlich drohenden großen Umſturze ſchrieb und etwa[ſeufzend] hinzuſetzte: Wie Schade daß ich nicht mehr Zeuge davon ſeyn kann! Glückliche Jugend, die die tolle Wirthſchaft erleben wird! 9Faßt man aber dieſe drei hervorragenden Köpfe zuſammen und fügt noch als vierten Mann den genialen Diderot hinzu, der noch mehr ätzende Elemente im Geiſte trug, ſo erkennt man recht deutlich, daß der vierzehnte Ludwig bei weitem höhere Güter als bloß induſtrielle antaſtete, da - mals als er ſeine fleißigen Reformirten ausſtieß. Denn er ſchnitt mit ihnen das Aſyl für eine unabwendbare Ent - wickelung der menſchlichen Geiſteskräfte ab, welche ſich in dieſer bedächtig prüfenden Glaubensform unſchädlich hätte ablagern können. Der Proteſtantismus iſt ja nun einmal begnügt, wo man ihn auch allenfalls bloß duldet, der Katholicismus dagegen will die Alleinherrſchaft führen, und Ludwigs Dragoner verhalfen ihm dazu. Aber herrſcht denn am Ende eine Kirche wirklich, von welcher ſich die erſten Köpfe der Nation mit Trotz und Geringſchätzung abwenden? Ganz anders ſtand auch dieſe Sache im deut - ſchen Reiche. Denn in demſelben achtzehnten Jahrhundert trug der deutſche Reichsboden vier groß begabte Männer, welche ihr gediegenes Weſen aufrichtig hinſtellen durften wie es war, unbekümmert darum, wie es zu den Glau - bensſatzungen ſtehe, welchen der weſtphäliſche Frieden Schutz verleiht: Winckelmann, Leſſing, Goethe und Schil - ler. Pflanzen dieſer edeln Gattung konnten allein auf einem Boden gedeihen und ihre unſterblichen Früchte zeiti - gen, auf welchem der Proteſtantismus ein Recht des Da - ſeyns hat und ſich zugleich mit dem Katholicismus friedlich eingewöhnen und ausgleichen ſoll, da dann der unwider -10 ſtehliche Werth ſolcher höheren Naturen den ſeichten Ver - ketzerungstrieb nach beiden Seiten zu Boden wirft. Was dieſe deutſchen Männer, nicht ohne heißen Kampf zwar, aber ohne Verbitterung ihres lichten Inneren überwanden, die Hinderniſſe, welche dumpfer Glaubenseifer einer edeln Geiſtesbildung entgegenſetzt, an dieſen Klippen ſcheiterten jene ſtarken Geiſter Frankreichs, und es ſchlug hier die verwandte Richtung in den Witz des Grimmes und eine giftige Leichtfertigkeit um, weil ſie keinen erlaubten Boden fand. Das Werk von Montesquieu erlebte im erſten Jahre ſeines Erſcheinens zwölf Auflagen und keine einzige von dieſen durfte Frankreich angehören. Was geiſtreich war, war auch umwälzend, durfte in der Heimat nicht erſchei - nen, allein je ärger man es trieb, um ſo größer die Ge - wißheit überall im Vaterlande geleſen zu werden. Vol - taire und Diderot, nicht zufrieden mit der Bekämpfung des Klerus, kündigten dem Chriſtenthum Krieg an und ſchnit - ten ſich hiemit ſelber einen tiefſinnigeren Bildungsgang und den beruhigten Blick auf die Entwickelung des Men - ſchengeſchlechtes ab. Und keine Frage mehr, der Blitz, der aus immer ſchwerer überhängendem Gewölk Frankreichs Thron bedrohte, mußte zugleich ſeinen Kirchenſtaat treffen. Denn die Schriften dieſer Männer drangen überall ein, nicht bloß in die höheren und mittleren Lagen der Geſell - ſchaft, auch die höchſten Perſonen ſchwelgten in dem Reize dieſer verbotenen Ideen. Während König Ludwig XV. jede Entwürdigung des Lebens erſchöpfte, ging es in einem11 ſtillen Flügel ſeines Schloſſes nachdenklich zu. Hier lebte in Abgeſchiedenheit ſein Sohn, der Dauphin, mit ſeiner ſächſiſchen Gemahlin in frommer ehelicher Eintracht. Be - ruhigt bei dem Glauben der Väter, nicht einmal den Je - ſuiten gram, ſtudirte man hier nicht minder eifrig ſeinen Montesquieu und verhandelte über die unabweislichen Forderungen einer guten Staatsverfaſſung, tadelte auch im Kreiſe weniger Vertrauten dieſen unwürdigen Anſchluß des verſailler Cabinets an Öſterreich, von einer ſchlauen Maitreſſe geſtiftet, die ſich nothwendig machen wollte. In dieſen prunkloſen Räumen fand Preußens Friedrich wäh - rend des ſiebenjährigen Krieges ſeine begeiſterten Bewun - derer, und wenn, wie das regelmäßig geſchah, die fran - zöſiſchen Officiere zu Ende jedes Sommers nach Paris zu - rückſtrömten, um die Winterfreuden der Hauptſtadt ja nicht zu verfehlen, gar nicht mehr bei dem Heere draußen zu halten waren, da fand es ſich, daß deren Held eben auch dieſer Friedrich, ihr Beſieger, war, und die Hauptſtadt gab ihnen Recht. Aber der Dauphin ſtarb früh, erſt ſechs und 1765. Dec. 20. dreißigjährig. Als ſein älteſter Sohn erwuchs, der nach - herige Ludwig XVI., ließ er ſich freilich eine Gemahlin aus Öſterreich gefallen, allein der Gegenſatz der Geſin - nung blieb. Auch in den Gemächern des neuen Dauphins beſprach man die Schriften der Denker, die nicht auf kirch - lichem Grunde bauten, oder der ſogenannten Philoſophen, eines Voltaire, Rouſſeau, Diderot, Helvetius, und der junge Fürſt trug eine Färbung derſelben davon, aus wel -12 cher er ſich in ſpäteren Tagen ein Gewiſſen machte. Ein Kreis von jungen Leuten von gehobenerer Lebensart aus den erſten Familien, den Noailles, den Dillons, den Se - gurs, den Lafayettes tauſchte hier kühne Freiheitsideen aus und es fiel den argloſen Jünglingen nicht ein, daß, wenn dieſe ſich einmal verwirklichten, es keine Obriſten von ſieben Jahren in ihrer Verwandtſchaft mehr geben werde. Die veränderte Grundrichtung der Zeit ließ ſich nicht verheimlichen, ſie brach aller Orten hervor, war Lud - wig dem XV. ſelber ehemals in ſeiner Liebhaberei für die Ökonomiſten nahe getreten, und dieſer ruchloſe Greis, deſſen natürliche Gaben nie ganz erſtarben in dem Schlamme der Lüſte, dachte ſicherlich nicht allein an ſeine vier Milliarden Schulden und ſein großes jährliches De - ficit bei einer Einnahme wie kein anderes Reich in der Welt ſie beſaß, wenn er in ſeiner letzten Zeit manchmal wiederholte: Nun ich komme ſchon durch, ich alter Mann, aber mein Enkel mag ſich in Acht nehmen.

Dieſer Enkel ward am 23. Auguſt 1754 geboren, ſeine Mutter Maria Joſepha, Tochter des Kurfürſten Frie - drich Auguſt II. von Sachſen, der als König von Polen der dritte Auguſt hieß. Am 10. Mai 1774 folgte er ſei - nem Großvater auf dem Throne, kaum zwanzigjährig, nur funfzehn Jahre älter als der Knabe, der junge Corſe, wel - cher dereinſt ſein Nachfolger werden ſollte.

An dem wohlwollenden Charakter, der Sittenreinheit des jungen Königs zweifeln auch ſeine Widerſacher nicht;13 aber von Anfang her verlautet die Klage über ſeine ver - drießliche, ungefällige Außenſeite, die keine Spur von königlicher Haltung trägt. Wie prächtig erſchien die welt - gebietende Geſtalt Ludwigs XIV., wie gewinnend Lud - wig XV., ſobald er es ſeyn wollte! Allein wie dieſer in ſeinem wüſten Leben ſeine Töchter verabſäumte, ſo auch ſeine männliche Nachkommenſchaft. Es war ein Reſt von Scham, der ihn abhielt die Erben ſeines Thrones in die unmittelbare Nähe ſeiner niedrigen Lüſte zu bringen. Die Geſtalt des jungen Königs war nicht unedel, aber Gang und Haltung unbehülflich; er iſt ein ſo ſchwerfälliger Reiter, die ganze Perſon vernachläſſigt, das Haar unor - dentlich, die Hände manchmal geſchwärzt durch ſeine Vor - liebe für Schloſſer - und Schmiedearbeit. Auch ſein Organ war ungebildet und im Eifer kreiſchend. Die Hofleute er - zählten ſich, wie er manchmal ſo gar roh auffahre, was ſie ſeine Rüſſelſchläge nannten. Im Übrigen ein leidlich un - terrichteter Herr, großer Freund der Geographie, trefflich geeignet eine wohlbehaltene Erbherrſchaft lange Jahre zu führen und weiter zu vererben. Später hat man, nach Vorbedeutungen lüſtern, Gewicht darauf gelegt, daß er am Tage vor dem Jahrestage jener alten blutigen Bartholo - mäusnacht geboren worden, ſeine Gemahlin aber, mit welcher ihn die Politik verband, ſogar am Tage des Erd - bebens von Liſſabon, am 2. November 1755.

Es war Marie Antonie von Öſterreich, die Toch - ter Marien Thereſiens und des Kaiſers Franz, deſſen14 Stammland Lothringen durch das einzige politiſche Ge - lingen zur Zeit Ludwigs XV. an Frankreich kam. Die zärtliche Mutter erniedrigte ſich vor der Pompadour, um ihrer Tochter die Hoheit eines Thrones und eines Blut - gerüſtes zu bereiten. Die Ehe ward 1770 geſchloſſen. Man übergab die junge funfzehnjährige Dauphine an der Rheingränze zu Straßburg an Frankreich. Unſer großer Goethe, derzeit als Jüngling zu Straßburg verweilend, gewahrte auch hier die traurigſte Vorbedeutung; denn auf den zum Empfange des jungen Paares feſtlich ausgeſpann - ten Teppichen ſah man die Hochzeit Jaſons mit Medeen abgebildet. Aber eine andere ernſthaftere Ungeſchicklichkeit verwandelte die prächtigen Vermählungsfeſte, die nun in Verſailles und Paris ſich drängten, in eine Trauerfeier. Ein Feuerwerk ſoll auf dem Platze Ludwigs des Funfzehn - ten, welcher eben erſt mit der Statue dieſes Königs geziert iſt, abgebrannt werden; aus übel angewandter Sparſam - keit ſind ſchlechte Anſtalten gegen das Gedränge getroffen. Da bricht in den Gerüſten Feuer aus und über hundert Menſchen werden erdrückt, wohl tauſend ſtarben an den Folgen. Es war der 30. Mai 1770. Auf dieſem Platze fiel zwei und zwanzig Jahre darauf das Haupt des - nigs und der Königin.

Der König, mit einem körperlichen Gebrechen behaftet, welches erſt ſpäter geheilt ward, ſchien ſeine junge Ge - mahlin zu Anfang mit Kälte zu betrachten. Einer ſeiner Brüder, der Graf von Artois, war früh beerbt, die könig -15 liche Ehe ward erſt im dritten Jahre vollzogen. Marie Antoinette, jung, reizend, lebensluſtig, ernſthafter Bildung und Lectüre abgeneigt, konnte ſich in das ſteife Hofceremo - niell nicht finden, beſeitigte ſo viel davon als möglich und ſuchte die bequemere Hausweiſe, die durch den lothringi - ſchen Fürſtenſtamm an den wiener Hof gekommen war, einzuführen. Sie brachte zuerſt ſtatt der ſchwerfälligen alten Pracht den raſchen Wechſel in Kleidung und Woh - nung auf, der freilich um ſo koſtſpieliger ausfiel. Ein Misgriff war es, daß ſie ihren Umgang und ihre Luſt - barkeiten zu häufig von den einförmigen Liebhabereien ihres Gemahls trennte, dem die Jagd unentbehrlich war, an welche ſich ſorgfältig geführte Tagebücher über ſeine Hunde und die Summe des erlegten Wildpretts ſchloſſen. Die Königin fand an prachtvollen Kopfzeugen von beiſpielloſer Höhe, mit gewaltigen Federn geſchmückt, Gefallen, welche unter ihrem Vorgange den Kopf der Da - men verrückten, indem ſie ihn in die Mitte ihrer Geſtalt verpflanzten. Dieſe Hofcirkel waren voller Wechſel, Mun - terkeit und Scherz, man ſang, man tanzte, recitirte Ge - dichte, fein und unfein wie der Tag ſie brachte, maskirte ſich, bewunderte die Königin, wenn ſie im engen Cirkel auf dem Theater ihre Grazie zeigte: ein luftiges Eingehen in die Schlüpfrigkeit des verderbteſten Welttones konnte da nicht ausbleiben, wenn auch jede ernſtere Verirrung vermieden ward. Die Künſte und die Wiſſenſchaften fan - den hier keinen Zutritt und Frankreich empfand das. Der16 König übte gegen dieſes Treiben eine Art kleiner Oppo - ſition; auf ſeine Veranlaſſung erſchien auf dem Schloß - theater in Gegenwart der Königin der Harlekin Carlin mit einer ungeheuren Pfauenfeder auf der Mütze und blieb ungeſtraft; vollends mislang ſeiner Gemahlin jeder Ver - ſuch, der franzöſiſchen Politik wieder eine öſterreichiſche Wendung zu geben. Denn hier widerſtand der König, ließ ſie überhaupt nicht tief in die Karten ſehen, gab ſei - nen Miniſtern Recht, die in den alten Pfad, welchen Bernis und Choiſeuil zum Nachtheile des Reiches verlie - ßen, wieder einlenkten. Hatte doch ſchon die Maitreſſe des verſtorbenen Königs, Gräfin Dubarry, ſich ein Vergnügen daraus gemacht, der Welt zu zeigen, daß eine öſterreichi - ſche Dauphine und eine an Öſterreich hingegebene Politik nicht nothwendig zuſammengehörten. Das Miniſterium des Herzogs von Choiſeuil überlebte jene Heirath, die ſein Werk, nur kurze Zeit, und all ſein Bemühen, ſich jetzt wieder nothwendig für das Auswärtige zu machen, ſchei - terte. So oft er an den Hof kam, er mußte immer wieder unverrichteter Sache zurück auf ſeinen Landſitz zu Chan - teloup.

Der jüngſte Bruder des Königs, Graf von Artois, überbot die Königin in glänzenden Luſtbarkeiten und weihte ſich jeder Art modiſcher Ausgelaſſenheit, in Pferde - rennen und Anzug nach engliſchem Muſter ein Original, eben ſo originell im Aufwande weit über ſeine Einkünfte hinaus. Dem Könige erlaubte er von Jahr zu Jahr ſeine17 Schulden zu decken und gab ihm kaum einen Dank dafür. Der hat im Jahre 1781, in einer Zeit ſchon großen Dran - ges, anderthalb Millionen Livres für ihn bezahlt, das Jahr darauf vier Millionen, das dritte Jahr zwei Millio - nen, und gleichwohl blieben noch vierzehn bis funfzehn Millionen zu zahlen übrig. Auf die Vorwürfe eines Mi - niſters erwiederte Artois: Was kann der König mir thun? Und als nun das Gewitter näher kam und Alles auf Sparſamkeit und ein anderes Regierungsprincip drang, ſah man bei Niemand ſonſt höhnenderen Stolz und ein ſo trotziges Verſchmähen jeder Verbeſſerung. Den Finanzmann Necker, auf den man doch in Geldſachen zäh - len konnte, ſchalt er gerade ins Geſicht, ſchimpfte ihn einen elenden Bürgerlichen, drohte ihm, erzählt man, ſo - gar mit dem Tode. Die Misſtimmung zwiſchen ihm und dem Könige wuchs ohne eigentlichen Bruch. Der ältere Bruder, Monſieur, Graf von Provence, war eben wie Artois mit einer ſardiniſchen Prinzeſſin verbunden, wel - cher er jedoch wenig Zuneigung bewies. Monſieur zog ſich mehr zurück vom Hofe, ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Ein glückliches Gedächtniß unterſtützte ſeine ge - ſchichtlichen Studien, er galt für einen gewiegten Poli - tiker, nicht ohne Grund, wie er das zu ſeiner Zeit als Herrſcher über Frankreich dargethan hat. Auf den König, ſeinen Bruder, ſchien er wenig zu geben, und als die erſten Ausbrüche erfolgten, beargwohnte der König ihn, fürch - tete, er möchte auf die Seite der Neuerer treten. EineFranzöſiſche Revolution. 218Schweſter war an den Thronerben von Sardinien verhei - rathet, die andere, Eliſabeth, ein Kind von zehn Jahren. In Zurückgezogenheit vom Hofe lebten die Tanten des - nigs, Töchter Ludwigs XV., welche die junge Königin ſchon als Öſterreicherin nicht liebten und an ihren neuen Weiſen ein Ärgerniß nahmen; man vernachläſſigte ſich wechſelſeitig. Von der Seitenlinie der Orleans hielt man ſich in alter Eiferſucht getrennt. Der jetzige König der Franzoſen ſtand in ſeinem erſten Lebensjahre.

Alſo auch in ſeiner Familie fand der junge König keine haltbare Stütze; fand er ſie bei ſeinen Miniſtern? Ludwig dachte beſcheiden von ſeinen Kräften, ſah ſich nach einem erſten Miniſter um und fiel zuerſt auf Machault, einen ſtrengen und einſichtig ſparſamen Mann, deſſen früheres Miniſterium ein Opfer des öſterreichiſchen Syſtems ge - worden war. Allein der älteſten Tante Adelaide, die eini - gen Einfluß über den König feſthielt, misfiel an Machault, daß er überall, wo Staat und Kirche zuſammentrafen, un - beugſam auf des Staates Seite ſtand; ſie brachte den Grafen Maurepas in Vorſchlag, als einen Mann, mit dem ſich reden ließ. Gewiß auch er gehörte nicht zu der Zahl der Frommen, aber er war frivol, mithin kein Mann von läſtigen Grundſätzen; zu ſeinem Lobe gereichte, daß er ein Miniſterium, welches ihm im ſiebzehnten Lebens - jahre zufiel, gleich zu Anfang der Maitreſſenwirthſchaft durch die Frau von Pompadour verloren hatte. Jetzt ward er dreiundſiebzigjährig, am Ende doch nicht älter als19 weiland Cardinal Fleury, zum zweiten Male Miniſter und erſter Miniſter. Seine Neider meinten, er ſey das eine Mal zu frühe, das andere Mal zu ſpät zur Macht gelangt; allein Maurepas war der in dieſen Regionen Alles ver - mögenden bequemen Formen mächtig, und als er inne ward daß ſein Gebieter mit dem unſchuldigen Ernſte der Jugend nach ein Paar rechtſchaffenen Männern verlangte, welche ihm den Druck des Volks erleichtern hülfen, gab er dieſer Schwäche nach, willigte in die Ernennung von Turgot und Malesherbes, deren Charakter und Einſicht in allgemeiner Achtung ſtand, wenn ſchon ſie nicht für kirchlich gelten konnten. Auf die Frage des Königs: Aber iſt es wahr daß Turgot nie in die Meſſe geht? antwortete Maurepas: Sire, ich weiß nur daß der Abbé Terray jeden Tag hinein ging. Terray hatte neuerdings das Finanzweſen zu Grunde gerichtet und ſich aus dem Elende der unteren Claſſen ſchamlos bereichert; man baute auf Turgot. Das Heerweſen lag in tiefem Verfalle und man berief in das Kriegsminiſterium den Grafen St. Germain, der nach einer langen Ungnade jetzt wieder zu Ehren kam.

Wirklich ſtand es ſo, daß nach allen Seiten ſchleunig eingeſchritten werden mußte, wenn das morſche Band, welches hier 25 Millionen Menſchen auf 10,000 Qua - dratmeilen zuſammenhielt, noch länger in alter Weiſe dauern ſollte, ſo gar übel war es mit Menſchen und Sachen rings beſtellt. Gewöhnlich aber gewinnen ver -2*20derbte Ordnungen erſt von dem Augenblicke an, da die Hand eines ehrlichen Mannes ſich hineinmiſcht, ein recht verlorenes Anſehn. Licht und Schatten treten bei der Un - terſuchung greller auseinander, und es iſt mit den verfal - lenen Staatsſachen nun einmal von Grund aus anders bewandt, als etwa mit einem verfallenden Ritterſchloſſe, von welchem man einen beliebigen Theil ſeinem Schickſal überläßt, einen andern beliebigen ſich wohnlich ausbaut. Mit dem Staate geht es wie mit dem menſchlichen Kör - per, ein verletztes Organ zieht das andere in die Mitlei - denheit. Man konnte die jährliche Einnahme der Krone damals auf 400 bis 430 Millionen Livres anſchlagen. Damit ließen ſich alle Ausgaben für die verſchiedenen Zweige des öffentlichen Dienſtes bequem beſtreiten, und man hätte auf einen jährlichen Überſchuß rechnen können, wenn die Staatsſchuld nicht geweſen wäre, deren Höhe niemand ſo eigentlich kannte, die ſich aber von Jahr zu Jahr durch ihre Zinsforderung in Erinnerung brachte. So lange nun Terray in den Finanzen ſchaltete, zahlte er, ſo - bald das Geld ihm ausging, keine Zinſen, keine Leib - renten, ſetzte den ohnehin ſehr ungleichartigen Zins will - kürlich herab, hielt zugleich die Generalpächter an, die Auflagen ausbündiger zu erheben und ſchärfer einzutreiben als bisher, was dieſe gern thaten. Der ſo vermehrte Er - trag kam aber nicht den Pächtern allein zu gute, ſie muß - ten nach ihren Contracten, wenn der Mehrertrag eine ge - wiſſe Gränze überſchritt, den Vortheil mit der Krone21 theilen. Dergeſtalt half Terray ſich rüſtig durch, ward ein vielbeliebter Mann, und bloß das Volk litt. Jetzt aber wollte man von Terray nichts mehr wiſſen; es ſollte dem Volke geholfen werden, in die verwohnten Gemächer der Willkür ſollte die Gerechtigkeit einziehen. Mit andern Worten: Man wollte das Volk erleichtern, alſo weniger von ihm einnehmen, man wollte zu gleicher Zeit mehr ausgeben, weil man die Staatsgläubiger zu befriedigen dachte. Das durch ſo edle Vorſätze zu vergrößernde De - ficit konnte allein durch tief greifende Erſparungen gedeckt werden. Alle Koſten ſparenden Einrichtungen führen aber zu jeder Zeit den Haß des mächtigen Theiles der Bevölke - rung herbei, welcher ſein Leben bisher von Misbräuchen gefriſtet hat; ihre Entwickelung iſt langſam, koſtſpielig ſogar, nur durch Leidensjahre, nur durch vielen Unfrieden hindurch darf ein ſtandhafter Sinn hoffen zum Frieden zu gelangen. Ein beſonderer Umſtand erſchwerte noch die finanziellen Schwierigkeiten. Die Rechtspflege im Reiche hatte bis dahin der Krone ſehr wenig gekoſtet, denn ſeit König Franz dem Erſten waren alle königlichen Richter - ſtellen käuflich, in der Art daß die Krone die eingezahlte Kaufſumme den Käufern verzinſte. Von dieſen Zinſen lebten dann die Richter und bezogen daneben nur unbedeu - tende Beſoldungen. Die Staatsſchuld freilich war dadurch um über 300 Millionen Livres vermehrt und ganz aus - drücklich war zugeſagt daß im Falle der Aufhebung einer Richterſtelle das Kaufgeld zurückgezahlt werden ſolle. Nun22 aber begab es ſich daß König Ludwig XV. mit den ſämmtlichen höchſten Gerichtshöfen ſeines Reiches, funf - zehn an der Zahl, von welchen dreizehn den Namen Par - lament führten, in wiederholten, zuletzt unverſöhnlichen Zwieſpalt gerieth. Alle dieſe Gerichtshöfe, und das pa - riſer Parlament vor allen, rühmten ſich nämlich des Rech - tes, der königlichen Geſetzgebung gegenüber ein Veto ein - legen zu dürfen. Wirklich erlangten neue Geſetze nicht frü - her ihre Gültigkeit, als bis ſie in die Regiſter der Parla - mente eingetragen waren, und dieſer Eintragung weiger - ten ſie ſich nicht ſelten, ließen dieſe keineswegs als eine lediglich für die Publication der Geſetze erforderliche Förm - lichkeit gelten. Wenn der Rechtsgrund ihres Anſpruches zur Frage kam, ſo machten ſie ſich gern als Reichsſtände im Kleinen geltend, welche von den eigentlichen Reichs - ſtänden, deren Ausfluß ſie wären, das Recht überkommen hätten, die von dem Könige ihnen zugeſandten Geſetze zu beglaubigen und als Beweis der Zuſtimmung einzuzeich - nen; als aber im Jahre 1614 die Reichsſtände wirklich beiſammen waren, und zwar zum letzten Male, behaup - teten die Parlamente ihr Recht an der Geſetzgebung darum nichts deſto weniger üben zu müſſen. Nun verſtand Ludwig XIV. vortrefflich ſolche Anforderungen zum Schweigen zu bringen: ſie ſollen eintragen ohne Auf - ſchub, mögen ihre Bedenken hinterher ſchicken; und dem pariſer Parlament blieb nichts übrig, als ſich an ſeinem Teſtament zu rächen, indem es daſſelbe aufhob. Allein23 unter Ludwig XV. lebte der Widerſtand der Parlamente um ſo heftiger wieder auf, je ſchimpflicher die Maßregeln der Regierung waren, und der Franzoſe freute ſich daß es doch noch irgendwo im Staate ein Recht des Widerſtan - des gebe, mochte es mit ſeiner Begründung ausſehen wie es wollte. Als ſich indeſſen im Jahre 1770 alle Par - lamente des Reiches mit einander verbündeten und in idealer Auffaſſung ihres Verhältniſſes als Gliedmaßen eines und desſelben Körpers angeſehen ſeyn wollten, hob ſie der König mit einem Schlage ſämmtlich auf. Jetzt1771. fragte es ſich aber nicht allein um die Gehalte für die neu errichteten höchſten Gerichtshöfe, womit eine neue Staats - laſt geſchaffen war, ſondern zugleich um die Verzinſung und Rückzahlung jener Kaufgelder an die entſetzten und verwieſenen Parlamentsmitglieder. Der letzte Punct konnte nun freilich einen Mann wie Terray wenig anfech - ten; er that ſelbſt aus Grundſatz wenig für dieſe Leute, als in verdienter Ungnade ſtehend. Nach ſeiner Entfer - nung kam das allerdings in Frage, da wieder von Recht und Unrecht die Rede ſeyn ſollte. Es konnte ſogar zwei - felhaft ſcheinen, ob es nicht gerathen ſey die alten Parla - mente wieder herzuſtellen, deren rauhe Stimme dem Ohr des Franzoſen wohlthat, ihn tröſtete über den Verluſt ſei - ner Reichsſtände. Von der anderen Seite aber war gerade ihr mürriſcher und ſelbſtſüchtiger Widerſtand zu fürchten, wenn vielleicht für die Wiederherſtellung der Finanzen zur Aufhebung von Steuerfreiheiten geſchritten werden müßte. 24Eine Maßregel dieſer Art ging beſonders die Geiſtlichkeit an; und da war es nun wiederum keine kleine Aufgabe ſich zwiſchen den Stufen des Altars und den Büchern der Philoſophen durchzuwinden, welche durchaus von keinen ſolchen Privilegien mehr und am wenigſten zu Gunſten des Klerus wiſſen wollten, und deren Lehren in jedermanns Munde waren. Lag es aber nicht ohnehin in der Natur der Sache daß man im Volk ſich nach der Wurzel der Misbräuche erkundigte, an welche die Art gelegt werden ſollte? In ei - ner noch hoffnungsloſen Zeit, als man neuerlich die Par - lamente aufhob, erſchienen hunderte von Flugſchriften; in vielen derſelben wurden Reichsſtände verlangt und die Verfaſſer behaupteten, das Volk habe ein Recht darauf. Eine dieſer Schriften forderte die Franzoſen auf die Steuern zu verweigern, bis die Nation wieder im Beſitze ihrer Rechte ſey.

Wenn von dieſer grauſamen Verkettung der Verhält - niſſe auch nur einige wenige Kettenglieder dem Auge des jungen Königspaares vorſchwebten, ſo begreift ſich leicht, wie ihm in jener ernſten Stunde zu Muthe ſeyn mußte, als ein plötzliches Gewoge im Schloſſe, das Gedonner vieler nahenden Schritte beiden die Verkündigung gab, nun ſey der alte König todt. Sie warfen ſich nieder auf die Kniee und beteten laut: Mein Gott, leite und behüte uns! wir ſind noch zu jung zu herrſchen!

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2. Das Schickſal der Reformen.

Nach und nach räumten alle Miniſter der vorigen Re - gierung ihre Plätze, der despotiſche Kanzler Maupeou, welcher die Parlamente geſtürzt hatte, der freche Finanz - mann Terray, die übel berüchtigten Herzoge von Aiguillon und von Vrilliere. Von den neu eintretenden ſtanden Males - herbes und Turgot in der erſten Linie der öffentlichen Mei - nung, ohne Nebenmann in ganz Frankreich. Sie waren von frühher vertraut, tauſchten verwandte Anſichten aus, die gleichwohl durch die Verſchiedenheit ihrer Natur und Laufbahn ſich mannigfach abweichend bedingten. Lamoignon de Malesherbes ging ſeinem Freunde an Jahren und in ſeiner Stellung voran. Körperlich unbeholfen und ſchwer - fällig war er als junger Mann die Verzweiflung ſeines Tanzmeiſters, den ſein Gewiſſen ſogar trieb ſich eines Tages bei dem Vater ſeines Zöglings, dem damaligen Parlamentspräſidenten Lamoignon eine förmliche Audienz zu erbitten. Herr Präſident, ſprach er, ich bin es dem Vertrauen, mit welchem Sie mich beehrt haben, ſchuldig26 Ihnen zu erklären, nicht allein daß Ihr Herr Sohn nie - mals gut tanzen wird, ſondern auch daß er unfähig iſt in der Magiſtratur oder in der Armee ſeinen Weg zu machen. Wie ſein Gang leider beſchaffen iſt, kann er es höchſtens in der Kirche zu etwas bringen. Nichts deſto weniger ließ der Vater, als er 1750 zum Kanzler von Frankreich ſtieg, ſeine Stelle als erſter Präſident des Oberſteuercol - legiums auf ſeinen kaum dreißigjährigen, aber ſchon als Parlamentsrath bewährten Sohn übergehen und vertraute ihm zugleich die Aufſicht über das Bücherweſen. Beide Ämter verwaltete dieſer nicht auf die gewöhnliche Weiſe. Es ſchien ihm ſchimpflich für ſein Vaterland, daß Werke wie der eben erſt in Genf ans Licht getretene Geiſt der Ge - ſetze im Auslande erſcheinen mußten, um hernach durch eine Hinterthüre hereinzuſchlüpfen, und er gab ſich alle mögliche Mühe, um dem freien Worte über alle Theile der inneren Verwaltung Raum zu verſchaffen, die Cenſur auf Angriffe gegen die Religion, die Sitten und die königliche Würde zu beſchränken. Allein ſeine Denkſchriften über dieſen Ge -1758. genſtand, fünf an der Zahl, kamen doch am Ende nicht über die Gemächer des damaligen Dauphins hinaus, und die lange Liſte der Verbote franzöſiſcher Claſſiker, an deren Spitze Fenelons Telemach ſtand, in welchem man von jeher eine Satire auf die Regierung Ludwigs XIV. witterte, wuchs mit jedem Werke von Voltaire, Rouſſeau, Hel - vetius, Mably, Condillac, und dehnte ſich bis auf die franzöſiſche Überſetzung von Hume’s engliſcher Geſchichte27 aus. Als in ſpäteren Jahren unter Betheiligung von1762. Malesherbes ein Abdruck von Rouſſeau’s Emil in Paris gewagt ward, zog dieſer dem Verfaſſer eine Verurtheilung durch das pariſer Parlament und einen Verhaftsbefehl zu, welchem Rouſſeau ſich durch die Flucht entzog. Als Präſi - dent der Oberſteuerkammer ſuchte Malesherbes die bedräng - ten Steuerpflichtigen inſoweit mindeſtens der Willkür der Generalpächter zu entziehen, daß ſie mit Beſtimmtheit er - führen, was ſie zu zahlen hätten, die öffentlich ausliegen - den Steuerrollen einſehen dürften. Allein ſein Bemühen ſcheiterte an dem Widerſtande der Geldmänner und ihres Beſchützers Terray, und von einem Könige, der insge - heim für eigene Rechnung Kornhandel trieb, war kein of - fenes Ohr für die Bedrängniß der kleinen Leute zu hoffen. Mit eben ſo wenigem Erfolg, aber nicht minder freimüthig erhob er an der Spitze ſeines Collegiums die Stimme für den Fortbeſtand der Parlamente und wagte an Reichs - ſtände zu erinnern. Der Ausgang war daß die Steuer - kammer das Schickſal der Parlamente theilte, Aufhebung, und Verweiſung ihrer Mitglieder. Innerlich getroſt zog ſich Malesherbes in ſein Familienleben und die menſchen - freundliche Verwaltung ſeiner Güter zurück.

Unterdeſſen hatte Turgot in beſchränkteren Verhältniſſen große Dinge ausgerichtet. Zu Paris geboren, Sprößling1727. eines altadlichen Geſchlechtes aus der Normandie, hatte er ſich für den geiſtlichen Stand beſtimmt und machte ſeine theologiſchen Studien in der Sorbonne durch. Hierauf28 aber wandte er ſich der Rechtsgelehrſamkeit und zugleich den Naturwiſſenſchaften zu und machte ſich, ſchon Parla - mentsrath, einen gewiſſen Namen dadurch daß er am 8. Januar 1760 einen Kometen im Orion mit unbewaff - netem Auge entdeckte. Damals nämlich hatte er das prie - ſterliche Gewand ſeit vielen Jahren abgelegt und nach dem Beiſpiele ſeines Vaters und Großvaters den Weg zur Ma - giſtratur eingeſchlagen. Von ſeinen erſten Studien aber blieb ihm die Vorliebe für die großen Alten, welche er in den Urſprachen las und in metriſchen Überſetzungen in ſeine Mutterſprache übertrug, ohne ſelbſt vor der Nachbil - dung des Hexameters zu erſchrecken. Er war ſchon maître des requêtes als er deutſch lernte, und mit ſo gutem Er - folge, daß durch ihn ſeine Landsleute in die Bekanntſchaft mit Geßners Idyllen und theilweiſe auch dem Klopſtockſchen Meſſias eingeführt werden konnten. Wie nun dieſe Rich - tung ſeines Geiſtes, unterſtützt von einer edeln Erſchei - nung und feinen Sitten, ihn der Frauenwelt ungemein em - pfahl, ſo unterſchied er ſich von faſt allen ſeinen Zeitge - noſſen durch die Zartheit, mit welcher er dieſes Verhält - niß behandelte. Niemals auch konnte er ſich mit der Art befreunden, wie man in Frankreich die Ehe unter den höheren Ständen als ein Handelsgeſchäft, mit Geburt und Reichthum marktend vollbrachte, wovon die erkältende Wir - kung auf die Kinder des Hauſes vererbte; und er blieb un - vermählt. Für ſeine früh begonnenen ſtaatswirthſchaftlichen Studien nahm er den Vater der Ökonomiſten Quesnay29 zum Leiter, lernte durch ihn perſönlich und durch ſeine Werke die natürliche Quelle des Reichthums und der Auf - lagen kennen, aber vor der erdrückenden Einſeitigkeit ſeines Syſtems bewahrte ihn eine enge Befreundung mit dem Herrn von Gournay, der als ein Vorläufer Adam Smith’s betrachtet werden darf. Er begleitete Gournay häufig auf den Reiſen, welche dieſer als Intendant des Handels zu machen hatte, und ſchrieb ſeine Lobrede, als er ſtarb. Nicht lange aber, ſo fand ſich die Gelegenheit für Turgot ſeine Grundſätze und Kenntniſſe in Ausübung zu bringen, er ward zum Intendanten der Generalität Limoges ernannt:1761. ein Steuerbezirk von anſehnlicher Ausdehnung, aber ein armes Gebirgsland, nur zwei bedeutendere Städte Limoges und Angouleme darin. Die Bevölkerung zahlte ihre Hauptſteuern nach einem vor mehr als zwanzig Jahren ſchlecht ausgearbeiteten Kataſter ohne alle fortlaufende Be - richtigung, zu den Wegebauten wurden die armen Land - leute zwei bis drei (fr.) Meilen weit her entboten, um mit Niedergeſchlagenheit eine Arbeit zu verrichten, die ſie nicht verſtanden. Schlimmer als Alles war das allgemeine Mistrauen; man zitterte vor jeder Verwaltungsmaßregel, wies aus unbeſtimmter Furcht ſelbſt die helfende Hand zu - rück. War doch nicht einmal derjenige ſicher, welcher ſeine Steuern redlich getilgt hatte! Denn der Steuerbeamte hatte das Recht, ſobald in einem Kirchſpiele ein Reſt blieb, die vier Höchſtbeſteuerten des Kirchſpiels gefangen zu ſetzen, bis der Ausfall erſetzt war, einerlei ob ſie perſönlich et -30 was ſchuldig waren oder nicht. Der neue Intendant rief die Pfarrer zu Hülfe, die in redlicher Armuth ihrer Seelſorge warteten. Sie gaben ihm Auskunft, und eine gleichmäßigere Vertheilung der Steuern, eine verbeſſerte Heberolle ſchuf einen kleinen Anfang von Vertrauen. Hieran ſchloß ſich der Plan, die Wegelaſt in eine Geldabgabe zu verwan - deln und dem mindeſt fordernden Gemeindemitgliede die Arbeit zuzuſchlagen. Auch hier ſtemmte ſich Anfangs die Furcht, die Regierung möchte ſich der Gelder zu anderen Zwecken bemächtigen, der beabſichtigten Verbeſſerung ent - gegen. Dennoch bequemten ſich endlich alle Gemeinden der Generalität zu gleichmäßigen Beiträgen, ohne Rück - ſicht darauf, wer gerade zu bauen hatte, nur daß freilich die Privilegirten nicht herbeigezogen werden durften. Genug ſchon ohnehin daß die Regierung die Änderungen des In - tendanten duldete, ohne ſie mit Geſetzes Kraft zu verſehen. Die jährliche Wegelaſt ſchwankte zwiſchen 40,000 und 100,000 Thalern, aber jedermann fühlte ſich erleichtert und die Straßen in dieſer ſchwierigen Gebirgsgegend wa - ren niemals ſo gut geweſen als jetzt. Ähnlich ward es mit den Kriegsfuhren eingerichtet. Zu einem beſonders glän - zenden Siege über träges Herkommen durfte aber Turgot ſich Glück wünſchen, als ihm gelang den an ſeine Gerſte, ſeinen Buchweitzen und ſeine Kaſtanien ſo ge - wöhnten Landmann, daß er von Weitzen nichts wiſſen wollte, zum Kartoffelbau zu bewegen. Manche weit vor - theilhaftere und vornehmere Intendantur hatte Turgot31 ſchon ausgeſchlagen und ſich zum Lohne nur die Schonung ſeiner Einrichtungen erbeten, als ihn der junge König zu ſich nach Verſailles entbot. Denn Ludwig entſann ſich daß Turgot einſt gegen eine drückende Steuerforderung Ter - ray’s unerſchrocken proteſtirt und am Ende ſeinen Ab - ſchied gefordert hatte. Maurepas ſtellte nichts in den Weg. Der alte Herr hatte durch die Entlaſſung von Aiguillon und Vrilliere höchſt ungern zwei Verwandte der öffentlichen Meinung zum Opfer gebracht; zu einigem Erſatze gelang es ihm an Maupeou’s Stelle einen dritten Verwandten einzuſchwärzen, indem er dem Miromenil, einem Manne gemeinen Schlages, die Würde des Siegelbewahrers ver - ſchaffte, allein mit den Finanzen, ſo viel ſah er ein, ließ ſich nun einmal nicht länger ſcherzen. Inzwiſchen war der - zeit Terray noch nicht ganz beſeitigt und Turgot mußte einſt - weilen als Seeminiſter eintreten. Schon hatte er neues Le -1774. Jul. 20. ben in die Kriegshäfen gebracht, indem er den Arbeitern achtzehnmonatliche Rückſtände auszahlte; ſchon war, denn die Colonien gehörten ſeinem Miniſterium an, ein Plan für die Verbeſſerung des Zuſtandes der Negerſclaven zum Zwecke ihrer allmähligen Befreiung ausgearbeitet, als ihn nach nur 35 Tagen die Entfernung Terray’s in die Finan - zen rief. Dem unwürdigſten Manne folgte ein CharakterAug. 24. von antiker Einfachheit und Stärke, redlich entſchloſſen die ganze Kraft ſeines Willens an die Wiederherſtellung einer ehrenhaften Staatswirthſchaft zu ſetzen. Kein Staatsbankerutt, weder zugeſtanden noch verdeckt, keine32 neue Steuern, kein Anleihen; das waren die Grund - ſätze, welche er vor dem Könige mündlich bekannte und ſchriftlich dann ihm wiederholte; Alles ſoll durch Wirth - ſchaftlichkeit, durch eine billigere Vertheilung der Steuern, durch Beflügelung des Gewerbes verbeſſert werden. Nur vor allen Dingen keine Halbheit und Schwäche bei der Ausführung! Ihre Güte ſelber, Sire, muß Sie gegen Ihre Güte bewaffnen, ſchrieb er. Man gefällt ſich dar - in dieſen ſeltenen Mann ſo geradehin unter die Ökono - miſten zu ſtellen, und ſeiner Theorie der Abgaben, wie ſie ſich in ſeinen Schriften entwickelt, möchte ſchwerlich beizutreten ſeyn, allein den praktiſchen Staatsmann ſoll man überhaupt nicht weiter nach ſeinem Syſtem bemeſſen als er es zur Anwendung bringt, und wir erblicken ihn nirgend dadurch beengt. Turgot fand unvollſtändige Fi - nanzrechnungen vor, ein directes Deficit von über 22 Mil - lionen, 78 Millionen Steuern waren ſchon vorwegge - nommen, und jeder Verwaltungszweig ſteckte in Schulden. Von der andern Seite konnte gerade die Fülle von Mis - bräuchen, welche auf der Beſteurung laſtete, für einen Sparpfennig gelten, ſobald es nur gelang ſie abzuſtellen. Seiner Entwürfe froh wünſchte Turgot den Malesherbes zum Helfer, dieſen Biedermann, voll Erfahrung im Steuerfache und ſeinen Freund. Gleichwohl gab es einen Punct von erſter Wichtigkeit, in welchem beide Staats - männer aus einander gingen.

Malesherbes lebte noch fern von Geſchäften froh und33 friedlich in ſeinem ländlichen Exil, als im Miniſterrathe des Königs zur Frage kam, ob man die alten Parlamente wie - derherſtellen ſolle. Turgot und die Mehrzahl der Miniſter war dagegen; ohne die despotiſchen Maßregeln Maupeou’s zu billigen, glaubten ſie, man dürfe Nutzen aus dem einmal Geſchehenen ziehen. Turgot zumal ſah in der Wiederkehr der Parlamente den Widerſtand gegen die Reformen orga - niſirt, deren umfaſſenden Plan er im Kopfe trug; auch die Theorie mußte ihm Recht geben wenn er behauptete, eine ſolche Verbindung der geſetzgebenden Gewalt mit der geſetzanwendenden, wie ſie ſich in den Parlamenten Frank - reichs gebildet hatte, ſey gefährlich für den Staat. Soll die geſetzgebende Gewalt des Königs beſchränkt ſeyn, ſo muß es durch Reichsſtände geſchehen wie vor Alters. Zu den Reichsſtänden nun bekannte ſich ſeit lange Malesherbes, ja er hatte noch ganz kürzlich von ſeinem Landſitze her eine Denkſchrift, die zu ihrer Berufung rieth, an den Grafen Maurepas gerichtet: Turgot wünſchte weder das Eine noch das Andere, wollte ſein Werk weder Parlamenten noch Reichsſtänden vertrauen; auch hätte er die letzteren bei dem Könige, wie das Wetterglas der Grundſätze da - mals ſtand, nicht durchzuſetzen gewußt. Sein Plan war, das was ihm in dem beſchränkten Kreiſe ſeiner Intendan - tur, vielfach gekreuzt von Oben, dennoch zum Verwun - dern in dreizehnjähriger Thätigkeit geglückt war, jetzt im großen Maßſtabe zu vollbringen. Er dachte die Laſt der Steuern zunächſt lediglich durch eine angemeſſenere Ver -Franzöſiſche Revolution. 334theilung im Kreiſe der anerkannt Pflichtigen und eine wohl - feilere Erhebung zu vermindern, und wollte beide Ge - ſchäfte in die Hand von Grundbeſitzern legen, welche zu dem Ende in jeder Gemeine frei gewählt werden ſollten. Auf dieſe ſoll auch das Armenweſen übergehen und es wird mit dieſer Schöpfung zugleich der Weg zur Wieder - herſtellung freier Municipalitäten angebahnt. In der That brauchte man ja nur in der Zeit eine gewiſſe Strecke zurückzugehen und man fand in den meiſten Provinzen ſolche Einrichtungen in Thätigkeit, welche die Willkür der letzten Regierungen zuerſt untergraben, dann niedergetreten hatte. Turgot wollte von Gemeinderäthen zu Kreisräthen, von da zu Provinzialſtänden allmählig übergehen. Als letztes Ziel ſchwebten auch ihm im Stillen Reichsſtände vor, keine mittelalterliche Generalſtaaten freilich, die wie - der in drei Stände unbehülflich aus einander liefen; und der unerläßliche vierte Stand bäuerlicher Grundbeſitzer mußte ja erſt recht eigentlich von vorneher erſchaffen wer - den; wenn es auch nur in einigen Provinzen eigentliche Leibeigene gab, deren Zahl man im Ganzen auf Mil - lionen anſchlug. Auch ſeinen Lieblingsplan die Grund - ſteuer über alle Claſſen der Grundbeſitzer auszudehnen und der Steuerkraft entſprechend anzuordnen, ſtellte Turgot noch zurück. An den Verſuch die zum Theil in Pacht ge - gebenen allgemeinen Auflagen aus den Händen der Päch - ter zu reißen, wenn auch nur ſo, daß man die bisherigen Pächter allein auf die Erhebung beſchränkt hätte, ließ ſich35 vorläufig gar nicht denken. Die Generalpächter und ihre Beamten kannten faſt allein praktiſch dieſen Zweig der Ver - waltung, weßhalb man ſie gern zur Erhebung auch der - jenigen Steuern heranzog, welche nicht in Pacht gegeben waren. Ein Sturm auf dieſes Gebiet hätte alle Ariſto - kratien verletzt. Dieſe zitterten ſchon und murmelten von einem Attentat auf die Krone, als ſie vernahmen, der neue Miniſter habe nicht allein die ungeheure Liſte von Penſionen, die beſonders den Hofadel anging, dem - nige vorgelegt und darin eine jährliche Ausgabe von 28 Millionen aufgedeckt, ſondern auch ein Verzeichniß der ſo - genannten Croupiers hinzugefügt, welche ihren Namen von dem Gewinnantheile (croupe) führten, den ihnen die Generalpächter auszuzahlen angewieſen waren, und wie der König im Hamlet, mit einem weinenden und einem lachen - den Auge auszahlten; denn wenn dadurch ihr Gewinn ſich verkürzte, ſo wurden doch von der anderen Seite die hohen Herren Theilnehmer mächtig dafür intereſſirt, daß die Pachtungen in denſelben Händen ſich verlängerten und un - ter den vortheilhafteſten Bedingungen, die denn freilich für das Volk der Steuerpflichtigen um ſo nachtheiliger ausfielen.

Nun war der neue Miniſter des Auswärtigen, Herr von Vergennes, ſonſt kein Liebhaber menſchenfreundlicher Satzungen, inſofern mit Turgot einverſtanden, daß er ſich mit Entſchiedenheit gegen die Herſtellung der Parla - mente erklärte. Vergennes war nach Diplomaten-Art ein Verehrer unumſchränkter Königsmacht und hatte dem über3*36die Gebühr gekränkten Königthum neuerdings in Schwe - den weſentliche Dienſte geleiſtet, indem er den Staats - ſtreich Guſtavs III. unterſtützte. Von den Prinzen er - klärte ſich Monſieur ebenfalls in einem ſchriftlichen Gut - achten gegen die Parlamente. Die übrigen Prinzen und Pärs, namentlich die Orleans, dachten ſchon anders; ſie erblickten in der Vernichtung des pariſer Parlaments, in welchem ihnen Sitz und Stimme zuſtand, eine Beein - trächtigung ihrer Rechte. Auch die Königin redete der Her - ſtellung der alten guten Unordnung eifrig das Wort; dem Könige aber fiel ein Stein vom Herzen, als der Siegel - bewahrer, welcher ſelber früherhin Parlamentspräſident in Rouen geweſen war, einen Plan der Wiederherſtellung unter gewiſſen Cautelen einreichte, welchen Maurepas ſeine Zuſtimmung gab. Ihre Pflicht iſt einzuzeichnen, auch in dem Falle daß ſie widerſprechen, ein Verbrechen wäre es wenn je ſie wieder wagten ihre Amtsthätigkeit einzu - ſtellen, und ſchon hat man dafür Sorge getragen einen Gerichtshof zu beſtimmen, der in ſolch unverhofftem Falle ohne Weiteres für ſie eintreten ſoll. Die Herſtellung des pariſer Parlaments erfolgte am 12ten November 1774 in einem ſogenannten Throngericht (lit de justice). Dieſelbe feierliche Handlung, welche ſo oft ſchon als letztes Mittel den hartnäckigen Widerſtand dieſer Körperſchaft gebrochen hatte: der König, vom Throne, dieſem höchſten Richter - ſtuhle, herab ſeinen unumſchränkten Willen verkündigend, beging jetzt ihre Wiedereinſetzung. Man erblickte in der37 Hauptſtadt mit Entzücken dieſe ſcharlachrothen, mit Her - melin gefütterten Röcke, dieſe alterthümlichen Mörſerhau - ben wieder, das Abzeichen der Präſidenten der großen Kammer, und wenn der alte Geiſt des Ablehnens und Pro - teſtirens ſich gleichfalls wieder einfand, nur um ſo erwünſch - ter für die Pariſer. Der König und ſein Mentor hatten in - zwiſchen kein kleines Gefallen daran, daß ihnen, ſo oft ſie ins Theater traten, der Jubel des Publicums entgegen - ſcholl; und Turgot hatte ſeine erſte große Erfahrung gemacht.

Dem pariſer Parlamente folgte die Wiedereröffnung auch der übrigen Parlamente von Frankreich auf dem Fuße nach; die Herſtellung auch der Oberſteuerkammer rief den Malesherbes in die Hauptſtadt zurück. Alsbald widmete er ſeine ganze Kraft einer ſchwierigen Ausarbeitung, welche alle Misbräuche des bisherigen Steuerweſens aufdeckt, ein Werk voll Ernſtes und Gewiſſenhaftigkeit. Wir leſen darin die Krankheitsgeſchichte des franzöſiſchen Gemein - weſens, und es lohnt der Mühe daß man ſie leſe.

Der Verfaſſer hebt mit der Klage an daß ſein Colle - gium hier reden müſſe, welches ſo gern die Pflicht dieſe traurigen Wahrheiten auszuſprechen Anderen überlaſſen hätte. Allein die Eiferſucht der Miniſter hat ſeit länger als einem Jahrhundert die Stände der Monarchie zum Schweigen gebracht: es iſt der Nation unmöglich gemacht zu ihrem Könige zu reden; nur der Magiſtratur iſt dieſe Befugniß noch verblieben. So muß es denn geſagt ſeyn: Es giebt kein Recht in Frankreich dem Generalpächter ge -38 genüber. Der Vornehme mag noch allenfalls Mittel finden ſich dieſer willkürlichen Gewalt zu erwehren, Genug - thuung zu erlangen, aber der gemeine Mann nimmer. Der Oberſteuerhof (cour des aides) und die ihm unterge - ordneten Gerichtshöfe ſollen ihrer Beſtimmung nach Rich - ter über alle Steuern ſeyn, allein man hat die meiſten Steuerſachen den Intendanten der Provinzen zugewendet, und in den Sachen, die ihm noch geblieben ſind, wird ſein Erkenntniß von dem Generalpächter an die Finanz - verwaltung gebracht und dort caſſirt. Nimmt man dazu die Unbeſtimmtheit der Vorſchriften über die Rechte der Pächter, die ihren Unterbedienten freigelaſſenen Unter - ſuchungen auf den Landſtraßen und Hausſuchungen, be - ſonders wegen Schmuggelei, wobei ein Theil der Straf - gelder dieſen Unterbedienten zufällt, ſo bleibt kein Zweifel: der Pächter iſt der höchſte Geſetzgeber über die Gegenſtände ſeines eigenen perſönlichen Intereſſes. Um ihrer ſpähen - den Habſucht zu entgehen, ſchließt man heimliche Verträge über manche Geſchäfte, welche der gerichtlichen Beglaubi - gung bedürften, entgeht ſo vielleicht der Abgabe, aber legt den Grund zu einer Menge unabſehlicher Rechtshän - del, und die Angeberei im Lande iſt ohne Ende. Das ſind die Mittel, durch welche mehr als 150 Millionen jährlich in die königliche Caſſe kommen. Nicht um Wohl - wollen fragt es ſich, ſondern um Gerechtigkeit. Sicher - lich, dieſe ſchweren Auflagen ſind nothwendig, mit wel - chen die Unterthanen fortfahren die Siege der Vorfahren39 Eurer Majeſtät zu bezahlen, aber mögen Sie es wagen, Sire, wie Ludwig XII. im Munde Ihrer Hofleute für geitzig zu gelten, ſo peinlich es ſeyn mag, da die Früchte einer königlichen Freigebigkeit ſtets in der nächſten Nähe des Thrones bleiben, die Früchte königlicher Spar - ſamkeit dagegen ſich in eine ſchwer erkennbare Ferne verſtreuen. Zunächſt aber iſt es Pflicht des Königs den Schutz der Geſetze ſeinem Volk zu gewähren, welches, ohne die gänzliche Aufhebung des Pachtweſens für jetzt zu begehren, nur Sicherheit gegen ſeine weitere Ausdehnung und vor der Abrufung der Beſchwerden von den Gerichts - höfen verlangt, Übel, welche neuerdings bis zum Äußer - ſten geſteigert ſind. Muß man übermäßige Steuern tra - gen, ſo müſſen die Steuergeſetze ſtreng ſeyn, aber dieſes verhindert nicht daß ſie genau ſeyen, daß die Belaſtung der verſchiedenen Provinzen gleichmäßig ſey, daß die Zoll - linien im Innern aufhören, durch welche jede Provinz zu einem Staate für ſich wird, von einem ſtehenden Heere von Zöllnern umſtellt. So weit die Forderung der Ge - rechtigkeit. Freilich gab es eine Zeit, da die Franzoſen ihren Königen gegenüber nicht bloß von Gerechtigkeit, da ſie von Freiheit ſprachen. Seit aber die Waffengewalt von den Vaſallen auf die Krone übergegangen iſt, ſteht das anders, ſtändiſche Beſchwerden werden als gefährlich betrachtet. Immerhin! wenn nur nicht dafür in Frank - reich eine Regierungsform, würdig des Orients, aufge - kommen wäre: die geheime Verwaltung. Ihr40 Werk iſt dieſe allgemeine Verwaltungs-Despotie, welche ſelbſt die Thränen des Volks nicht dulden will. Man hat auf dieſem Wege zuerſt die Generalſtaaten vernichtet, welche ſeit nun 160 Jahren nicht verſammelt ſind, nachdem man ſie früher ſelber berufen und faſt überflüſſig gemacht hatte; denn man ſchrieb ohne ihre Einwilligung Steuern aus. Nicht beſſer iſt es den meiſten Provinzen mit ihren beſonderen Ständen ergangen, und wo man ſie gelaſſen hat, da ſetzt man ihnen immer engere Schranken. Der Despotismus macht täglich neue Eroberungen. Die Provinzen, welche ihre Stände einbüßten, behielten doch als ſogenannte Wahllande (pays d’élection) noch einen Reſt der ehemali - gen Freiheiten übrig, indem ihnen erlaubt ward die Ver - theilung mindeſtens ihrer Auflagen durch Mitbürger ihrer eigenen Wahl beſorgen zu laſſen: allein nur der Name iſt davon übrig geblieben; die Provinz erwählt jene Be - vollmächtigten nicht mehr, ſie ſind zu bloßen Werkzeugen der Intendanten herabgeſunken. Ebenmäßig iſt auch jeder Gemeinde ihr natürliches Recht ihre eigenen Angelegen - heiten zu verwalten, entzogen, der geringſte Dorfbeſchluß iſt von der Genehmigung der Unterbeamten des Intendan - ten abhängig. Man hat der ganzen Nation Vormünder gegeben. Vorſtellungen aus der Provinz, welche ſich auf die Rechte derſelben oder auf die der ganzen Nation beziehen, werden, ſobald ſie von einem Einzelnen aus - gehen, als eine ſtrafbare Verwegenheit, wenn von Meh - reren unterzeichnet, als eine unerlaubte Verbindung be -41 handelt. Nach der Vernichtung der wahren Volksvertreter haben die Könige allerdings erklärt, die Gerichtshöfe wür - den die Vertreter des Volks ſeyn, allein jeder Gerichtshof iſt auf ſein Gebiet beſchränkt und auf die Gerichtspflege. Dergeſtalt können alle möglichen Misbräuche in der Ver - waltung begangen werden ohne daß der König etwas da - von erfährt, weder durch die Volksvertreter, denn in den meiſten Provinzen giebt es keine, noch durch die Gerichts - höfe, denn in Bezug auf alle Gegenſtände der Verwaltung er - klärt man ſie für incompetent, noch durch Einzelne, denn ſie ſind durch Beiſpiele der Strenge belehrt, daß es ein Verbre - chen iſt ſich an die Gerechtigkeit ſeines Souveräns zu wenden. So ſchwer laſtet überall das Geheimniß der Verwaltung. Einen Beleg dazu geben die Wegefrohnen, die kein Geſetz des Königreiches genehmigt, und keine Laſt, über welche das Volk mehr ſeufzt als dieſe. Eben ſo der Zwanzigſte, welcher ſeit 40 Jahren beſteht, und kein Pflichtiger darf die Heberollen einſehn. Das ward dem verſtorbenen - nige 1756 vorgeſtellt und die Miniſter mußten es einge - ſtehen, worauf der König die Niederlegung der Heberollen zur öffentlichen Einſicht befahl; allein gleich die folgenden Miniſter wußten einen Widerruf dieſes Befehles zu be - wirken. So liegt es fortwährend in der Hand der Be - amten einen Pflichtigen, welchem ſie wohlwollen, zu be - günſtigen, was natürlich auf Koſten Anderer geſchieht, deren Beitrag vermehrt wird, um den Ausfall zu decken, und den Verletzten bleibt alle Möglichkeit der Beſchwerde -42 führung abgeſchnitten, weil ſie die Heberolle nicht kennen. Und wenn ſie ſie kennten, tritt ihnen nicht ſofort eine an - dere Heimlichkeit, die der Perſonen, eben ſo hemmend entgegen? Denn keinen Unterbeamten giebt es, der nicht der Form nach im Namen eines Höheren verführe, wel - cher ſeine Vollmacht unterzeichnet hat, ohne ihre Grund - lagen zu unterſuchen. Darum wagt man im Dorfe nicht ſich gegen den Unterbeamten zu beſchweren, denn er hat ſeine Vollmacht vom Intendanten, in der Stadt nicht gegen den Intendanten, denn er ſtützt ſich auf eine Cabi - netsorder; und wenn ſelbſt eines der höchſten Collegien ſich erkühnt Gegenvorſtellungen gegen miniſterielle Befehle, deren Inhalt vielleicht nur ihren Commis deutlich bekannt iſt, zu verſuchen, ſo heißt man ihn einen Verwegenen, denn dieſe Befehle ſind vom König ſelbſt unterzeichnet. Die Sachen ſtehen ſo als hätte die Regierung ihren Beam - ten von jeder Abſtufung erklärt: Dieſe Summe Geldes bedürfen wir, nehmt ſie von wem ihr wollet, ihr ſeyd für nichts verantwortlich, als daß ihr ſie anſchaffet.

Drei directe Abgaben beſtehen: die Taille, die Kopf - ſteuer und der Zwanzigſte. Ich unterbreche aber hier für eine Weile den Gang der Denkſchrift, um zu bemer - ken, daß die Taille die einzige Steuer war, welche er - höht werden konnte, ohne einer Einzeichnung von Seiten der Parlamente zu bedürfen. Sie war, nach ihrem Haupt - ertrage bemeſſen, eine Grundſteuer, welche in einigen Steuerbezirken des Südens bloß das gemeine Grundeigen -43 thum traf, das der beiden privilegirten Stände ganz frei ausgehen ließ. In dem übrigen Frankreich aber wurde dieſes mit herbeigezogen, zunächſt unter der Form einer Benutzungsſteuer, welche der Pächter zu zahlen hat; aber auch die ſelbſtbewirthſchafteten privilegirten Grundſtücke blieben nur dann frei, wenn nicht mehr als vier Pflüge zu ihrer Bearbeitung verwandt wurden. Hier ward auch das bewegliche Vermögen nebſt Capitalien und Gewerben taillepflichtig gemacht, jedoch nicht bedeutend davon er - griffen. Die Kopfſteuer traf in ihrer urſprünglichen Form allein die ärmere Claſſe, bei den bürgerlichen Grundbe - ſitzern machte man den Anſchlag nach Verhältniß ihres Beitrages zur Taille, bei dem Adel, dem Militär, den Beamten ward nach Rang und Titel gefragt u. ſ. w. Die Abgabe des Zwanzigſten kam im Jahre 1749 auf; ſie war ſonach die dritte Grundſteuer, welche der nicht privilegirte Grundbeſitzer zu tragen hatte, ward übrigens von allen Grundſtücken und Häuſern im Königreiche, mit alleiniger Ausnahme der geiſtlichen, nach dem Maßſtabe ihres Wer - thes entrichtet. Nicht lange, ſo verdoppelte man die Ab - gabe durch einen zweiten Zwanzigſten, verwandelte ferner durch einen nochmaligen Zuſatz dieſen Zehnten in einen Neunten und eine Zeitlang wurden von einigen Gegenſtänden ſogar drei Zwanzigſte erhoben. Keine dieſer drei Hauptabga - ben war verpachtet; ihr Geſammtertrag blieb nicht gar weit hinter der Hälfte der jährlichen Staatseinnahmen zurück.

Die Denkſchrift bemerkt über ſie: Die Taille gilt für44 unveränderlich, allein in Wahrheit wird ſie jedes Jahr erhöht, durch Hinzufügung von verſchiedenen Abgaben, die nicht dazu gehören. Die Grundſätze ihrer Vertheilung über die Provinzen und demnächſt über die einzelnen Ge - meinden und vollends die Individuen ſind für die Einzel - nen ein völliges Geheimniß, in welches einzudringen ſo - gar der Oberſteuerhof vergeblich verſucht hat. Nur durch freigewählte Provinzialverſammlungen ließe ſich hier Beſ - ſerung ſchaffen. Wie es mit der Kopfſteuer ſtehe, mag das Eine beweiſen, daß Intendanten ſich oftmals gerühmt haben, ſie hätten die Einwohner ihrer Generalität be - droht, ſie auf den doppelten Satz zu bringen, falls ſie ſich gegen gewiſſe Anordnungen der Regierung ſperrten. Die ganze Abgabe müßte beſeitigt werden. Der Zwanzigſte aber hat von jeher die meiſten Gegenvorſtellungen erweckt, weil er am allerwillkürlichſten angelegt iſt, und auf dieſer fehlerhaften Grundlage immerfort erhoben und erhöht wird. Hier müßte ein Kataſter in die Mitte treten.

Die Summe von Allem iſt: Es kommt nicht auf die Abſchaffung einzelner Misbräuche an, ſondern auf die Umſchaffung der Verwaltung und daß dieſer Schöpfung die Dauer geſichert ſey über des Königs Regierung hin - aus. Das Vertrauen auf die gegenwärtige Verwaltung (Turgot) darf unſern Mund nicht ſchließen. Iſt es denn wahr, was man zu wiederholen liebt, daß König und Mi - niſter ſtets daſſelbe Intereſſe haben? Wo es ſich vom Ruhme der Waffen, von der Geltung der königlichen Macht nach45 Außen und Innen handelt, da gewiß. Allein in vielen Fällen wird das königliche Anſehn nur zum Vorwand ge - nommen, unter welchem die Herrſchaft des Miniſters das kleinſte Detail ſich vorbehält, um überall Freunde fördern, Feinde verfolgen, ſich an der eigenen Machtvollkommen - heit weiden zu können. Darum ſeine Neigung für die Heimlichkeit der Verwaltung, ganz im Widerſpruch mit dem königlichen Intereſſe. Denn des Königs Intereſſe iſt hell zu ſehen über ſeine Miniſter, das der Miniſter aber nicht ſelten das Licht zu meiden. Das Volk hat ſtets das - ſelbe Intereſſe mit ſeinem Könige, allein die Großen und Alles was Zutritt zum Könige hat, theilt das Intereſſe ſeiner Miniſter, woraus folgt daß dieſer Bund faſt im - mer den Sieg über das vereinigte Intereſſe des Königs und des Volks davonträgt. Es kommt alſo darauf an daß König und Nation ſich einander nähern, daß ſie dieſe doppelten Schranken durchbrechen lernen. Wie aber könnte das geſchehen? Das einfachſte und der Verfaſſung dieſer Monarchie gemäßeſte Mittel wäre die verſammelte Nation ſelbſt zu hören oder mindeſtens Verſammlungen in jeder Provinz zu geſtatten. Es darf Ihnen nicht verhehlt wer - den, Sire, daß der einmüthige Wunſch der Nation auf Ge - neralſtaaten oder mindeſtens Provinzialſtände gerichtet iſt. Und doch hat ſich ſeit länger als einem Jahrhundert die Eiferſucht der Miniſter und vielleicht auch die der Hofleute den Nationalverſammlungen (assemblées nationales) wi - derſetzt, und wenn Frankreich ſo glücklich ſeyn ſollte daß46 Ew. Majeſtät ſich dazu eines Tages entſchlöſſe, ſehen wir vorher, daß man unendliche Formſchwierigkeiten er - ſchaffen wird, die ſich doch gar leicht heben laſſen, ſobald Ew. Majeſtät es wollen wird; denn ſie ſind nicht von der Art ein wirkliches Hinderniß dem entgegenzuſetzen, was durch die glühenden Wünſche eines Volks, welches Sie lieben, von Ihnen geheiſcht wird. Wir wiſſen recht gut, daß unſere Vorſchläge eine Neuerung ſind, allein es giebt nützliche und oftmals nothwendige Neuerungen. Hätte man beharrlich alle Neuerungen verworfen, ſo leb - ten wir noch unter der Herrſchaft der Tyrannei, der Un - wiſſenheit und Barbarei.

So weit Malesherbes und ſein Oberſteuerhof. Turgot war einverſtanden, nur daß er die Freude ſeines Freundes über die Herſtellung der Parlamente nicht theilte, nur daß er die Reichsſtände mehr in den Hintergrund geſtellt wünſchte. Malesherbes meinte daß die Reichsſtände aus Grundbeſitzern, ohne Rückſicht auf den Adel, aus Bür - gerlichen, nicht aus Prieſtern erwachſen müßten, aber in ſeiner Denkſchrift iſt darüber nichts enthalten. Dieſe ward am 5. Mai 1775 eingegeben und erweckte dem Grafen Maurepas und ſeinem Vertrauten dem Siegelbewahrer nicht geringe Sorge. Auf den Rath Beider erwiederte der - nig, welchen gerade in denſelben Tagen Aufläufe wegen einer Getraidetheurung beunruhigten, in ausweichender Faſſung, man dürfe nicht zu Vielerlei auf einmal ändern, und es floß ſogar der Zweifel ein, ob denn wirklich Mis -47 bräuche ſtattfänden. Auf dieſen Beſcheid nahm Males - herbes ſeinen Abſchied und zog ſich wieder in ſein geliebtes Landleben zurück. Hier fand ihn nach nur wenig Mo - naten die dringende Bitte ſeines Freundes Turgot, zurück - zukehren und das Miniſterium des königlichen Hauſes, aus welchem Vrilliere wie aus einer Feſtung mit Noth und Mühe endlich vertrieben war, zu übernehmen. Für Malesherbes, den kein Gelüſte nach Gewalt beherrſchte, hatte die Ausſicht wenig Reiz für Hoffnungen zu arbeiten, die ſich ſchon entblättert hatten. Es war ziemlich klar, der König wünſchte wackere Männer in ſeiner Nähe, allein ihre Entwürfe durften ihn nicht gerade beläſtigen. Schon begann der Dunſtkreis, welcher die Throne umhüllt, ſeine Wirkung zu üben, die unumgänglichſten Verbeſſerungen ſchienen nicht ganz ſo dringend mehr. Gleichwohl gab Ludwig Turgots Bitten um Malesherbes willig nach, und Maurepas, beunruhigt durch die Einmiſchung der Köni - gin, die durchaus dieſes Mal das Vergnügen haben wollte einen Miniſter zu ſchaffen, und irgend einen unbe - deutenden Menſchen protegirte, verzichtete ſchnell auf jeg - liche Einwendung. Erſt auf die dritte Einladung nahm Malesherbes ſeine Weigerung zurück, behielt ſich lediglich volle Freiheit zurückzutreten vor. In ſeine neue Lauf -Jul. bahn begleiteten ihn zwei Lieblingsplane; ſie mindeſtens ſchienen nicht überſpannt zu ſeyn. Zu dem Miniſterium des königlichen Hauſes, welches man jetzt Miniſterium des Innern nennt, gehörten auch die Kirchenſachen; Ma -48 lesherbes ſchmeichelte ſich mit der Hoffnung, der bedrängten Lage der franzöſiſchen Reformirten ein Ende machen, einer halben Million Franzoſen endlich die Freiheit wieder ver - ſchaffen zu können Gott auf ihre Weiſe zu verehren, ihnen ſo vielfache Leiden zu vergüten. Dieſe Sache der Menſch - heit mußte das gütige Herz des Monarchen gewinnen, nur ſchien es nicht gerade rathſam mit ihr anzufangen; erſt vor wenig Wochen war ja der König gekrönt und er hatte es doch über ſein Herz nicht zu bringen vermocht, daß aus ſeinem Krönungseide die Worte geſtrichen würden, welche ihn zur Ausrottung der Ketzer verpflichteten. Allein ein Anderes griff der neue Miniſter raſch an, das Unweſen der Haftbriefe, welches er ſchon in jener Denkſchrift mit ſittlicher Entrüſtung gerügt hatte. Sein Vorgänger war über ein halbes Jahrhundert im Amte geweſen und man konnte auf jedes Jahr wohl tauſend lettres de cachet rech - nen. Da war kein hoher Beamter, kein Biſchof, der nicht einen Vorrath davon empfing, aber auch niedere Be - hörden, namentlich die unteren Steuerbeamten, die Com - mis der Generalpächter wurden reichlich damit ausgeſtattet. Malesherbes nahm die großen Staatsgefängniſſe perſön - lich in Augenſchein, und mancher unſchuldig Verhaftete verdankte ihm ſeine Freiheit; ſchwieriger war es eine für die Dauer ſicherſtellende Maßregel auszufinden, vornämlich jenem tief eingewurzelten Misbrauche gegenüber, welcher die Ertheilung von Verhaftsbriefen an Hausväter höheren Standes geſtattete, die dann gegen Mitglieder ihrer49 Familie beliebigen Gebrauch davon machten, wenn es, wie man das nannte, galt, die Ehre des Hauſes zu retten. Malesherbes erbat ſich bei dem Könige ſeltenes Bei - ſpiel von einem Miniſter! eine Verminderung ſeiner Macht. Keine Verhaftung ſolcher Art, daß ſie weder Unterſuchung noch Strafe zur Folge hat, ſoll künftig ſtatt - finden können, ohne daß beide Theile vorher von einer zu dem Ende niederzuſetzenden Behörde vernommen ſind. Dieſe ſoll verpflichtet ſeyn auch in anderen Verhaftungs - fällen ohne Aufſchub ein erſtes Verhör anzuſtellen. Der König hielt in dem Jahrhundert, in welchem wir leben einen mäßigen Gebrauch der Verhaftsbriefe für eine der Krone unentbehrliche Sicherheitsmaßregel; jene Behörde billigte er, ohne ſie einzuſetzen.

Da zogen denn nun zwei Männer mit einander an dem - ſelben Joche, beide ſo einſichtig, erfahren, treu, uneigen - nützig, ſo frei von gegenſeitiger Eiferſucht wie der begehr - lichſte Wunſch es nur verlangen kann; und allen ihren edeln Vorſätzen wird die Spitze abgebrochen, aus dem einfachen Grunde weil das wahr iſt was Malesherbes ein - mal gegen den König ausſprach: Die Urſache alles Un - glückes iſt, Sire, daß Ihre Nation keine Verfaſſung hat. Die treibende Kraft im Staate geht durch eine Natur der Dinge, die ſich nicht ſpotten läßt, nun einmal vom Volke aus, ungefährlich, wenn charakteriſtiſche Formen für ſeine Thätigkeit gefunden ſind. In Frankreich, wo dieſe For - men theils freventlich zerbrochen, theils abgeſchliſſenFranzöſiſche Revolution. 450waren, mußten da die Noth drängte wider die Natur der Dinge die Miniſter die Treiber ſeyn; denn das Volk durfte nicht und war allenfalls gedurft hätte, der gefiel ſich in den Misbräuchen; der König aber war bloß wohlwollend, und der alte ſelbſtſüchtige Mann, welchen er ſeinen wei - ſen Maurepas zu nennen pflegte, war ein ſeichter Witz - ling ohne Gewiſſen und Grundſatz. Turgots ſtarkes Ge - müth ließ ſich inzwiſchen durch keine ungünſtige Vorbedeu - tung irren. Ein Diener der Wahrheit ging er ſeinen ſteti - gen Weg, ohne ſich durch die Ungewißheit, wie lange ſeine Macht dauern werde, zu Übereilungen hinreißen zu laſſen. Er unterſuchte und beſchränkte die Ausgabeetats ſämmtlicher Miniſterien, mit Ausnahme der auswärtigen Angelegenheiten, verminderte in Einverſtändniß mit Ma - lesherbes die Ausgaben des königlichen Hofhalts, nach einem Plane, der, ohne gleich zu ſcharf einzuſchneiden, allmählig beſchränken und binnen neun Jahren in gänz - liche Vollziehung treten ſollte, kündigte hochverzinste Staatsſchulden auf und traf Anſtalt an ihre Stelle wohl - feilere Anleihen, zu vier vom Hundert, zu ſetzen, zu wel - chen Holland dem zuverläſſigen Verwalter Hoffnung gab. Wenn nun für die Zukunft die Penſionsliſte, wie ſich be - rechnen ließ, durch Todesfälle jährlich um eine halbe Mil - lion entlaſtet ward, wenn die von der Krone ſelbſt erhobe - nen Steuern durch Verminderung der Hebungsbeamten minder koſtſpielig eingingen, ſo vermehrten ſich eben da - durch die Einnahmen ohne einen Zuwachs des Druckes,51 und man hatte angefangen ſich einer verderblichen Groß - muth zu entäußern. Künftig auch ſollte, das war ſchon laut ausgeſprochen, von keinen Anweiſungen auf Antheile an dem Gewinne der Generalpächter, von fünf oder gar von zwanzig Procenten, zum Vortheil gewiſſer Günſtlinge, mehr die Rede ſeyn, wenn man gleich die einmal erwor - benen Anſprüche dieſer Art beſtehen ließ. Da nun auch der Finanzminiſter alle herkömmlichen Geſchenke von Sei - ten der Generalpächter zurückwies, mochten dieſe nun ein für allemal mit 400,000 Livres oder jährlich mit deren 50,000 entrichtet werden, ſo konnten in Zukunft die Pacht - contracte vortheilhafter für die Finanzen und im Geiſte der Milde gegen die Unterthanen abgeſchloſſen werden. Tur - gots allgemeiner Plan war, durch zu errichtende Provin - zialſtände das ganze Steuerweſen allmählig in dem Sinne umzugeſtalten, daß zwar, inſoweit die alten Steuern bei - behalten würden, alle bisherigen Exemptionen fortbeſtän - den, bei neu anzulegenden Steuern dagegen wegfielen. Nun aber ſollten alle Steuern, welche den gemeinen Mann hart belaſteten, als namentlich die Salzſteuer, demnächſt aufhören und durch neue, mithin allgemeine er - ſetzt werden. So wenig indeß war ihm die Vermehrung der königlichen Einkünfte die Hauptſache, daß er ſich der Einführung eines Lotto beharrlich widerſetzte. Um ſo mehr verſprach er ſich von einer ſchärferen Controle, und vor allen Dingen von einem beſchleunigten Rechnungsweſen. Bei dem Regierungsantritte des jetzigen Königes gab es4*52Caſſen, deren Rechnungen um fünf Jahre zurückſtanden, manche ſogar um zwölf und dreizehn Jahre. Von nun an ſoll im Laufe jedes Jahres der Finanzetat des vorhergehenden Wirthſchaftsjahres zum vollſtändigen Abſchluſſe kommen.

Im Übrigen ward dem Landmanne gleich jetzt eine große Erleichterung durch die Aufhebung der Kriegsfuhren gegen eine mäßige Abfindung zu Theil. Eben ſo ſollen die Wegebauten überall im Reiche zu Gelde angeſchlagen wer - den und nach den Vorſchriften der natürlichen Billigkeit von dem gedrückten beſitzloſen Landvolk ohne Weiteres auf die Grundbeſitzer übergehen, mit alleiniger Ausnahme des geiſtlichen Grundbeſitzes, der freilich beinahe ein Sechstel des ganzen Reichsbodens betrug, aber aus all - gemeinen Gründen verſchont ward. Turgot dachte die Zeit walten zu laſſen, zunächſt durch Beſeitigung des Zunftzwanges die tiefe Kluft zwiſchen Städter und Land - mann auszufüllen, und vor allen Dingen dem letzteren die leidigen Frohnen abzunehmen. Der König wird hierin auf ſeinen Domänen mit gutem Beiſpiele voran gehen, die Frohnen ablösbar ſtellen und außerdem jeden Vaſallen, der auf ſeine Lehnsrechte zum Beſten ſeiner Eingeſeſſenen verzichtet, dadurch entſchädigen daß er ihn ſeiner Pflich - ten gegen den Oberlehnsherrn enthebt.

Turgot hatte freilich ſchon bei einer früheren Veran - laſſung erfahren, in welcher traurigen Vereinſamung ein Staatsmann daſteht, der zu großen Umgeſtaltungen be - rufen, keine öffentlichen Organe zur Stütze findet. Er iſt,53 wenn nicht zur Schwäche, ſo zur Despotie verurtheilt. Vielleicht in keinem Betracht war Frankreich ſo ſehr einem beſchränkten Herkommen unterthan geworden als in Bezug auf den Vertrieb des Getraides. Man glaubte ſeit Col - bert Miniſter war, dieſem wichtigſten Nahrungsmittel die angeſtrengteſte Sorge der Polizei widmen zu müſſen. Nicht nur daß jede Provinz ihre eigene Zolllinie beſaß, die ſich höher und höher gegen die Ausfuhr hob, ſobald der Preis Miene machte ſich zu ſteigern, man privilegirte gewöhnlich in jeder irgend bedeutenden Stadt eine Anzahl Perſonen für dieſen Handel, wies ihrer Geſellſchaft zu - gleich einen abgegränzten Landbezirk an, binnen welches Bezirkes ſie allein aufkaufen und durch ebenfalls privile - girte Auf - und Ablader ihr Getraide in privilegirte ſtädti - ſche Mühlen bringen laſſen durfte. Wenn nun das für eine ſolche Geſellſchaft im gewöhnlichen Laufe der Dinge einen unverhältnißmäßig großen Gewinn brachte, ſo war ſie dagegen, ſobald eine Beſorgniß großer Theurung ein - trat, aller Willkür von Oben preisgegeben. Man viſitirte, man ſchrieb Preiſe vor und ſtrafte als Wucherpreis was über den Maßſtab hinausging, welchen eine kurzſichtige Behörde ſich gebildet hatte. Daneben öffnete man dann zugleich die theils königlichen theils ſtädtiſchen Maga - zine, welche mit unmäßigen Koſten beſtändig gefüllt wur - den und deren meiſt ſchlecht beſtellter Inhalt doch der wirk - lichen Noth ſo wenig gewachſen war. Um ſo augenſchein - licher ward der Muth der Kornhändler, dieſer natürlichen54 Magaziniers, durch den Mithandel der Regierung gelähmt, und ſelbſt Ludwig XV. gab der Schule der Ökonomiſten, welche eine unbedingte Freiheit des Getraidehandels ver - langte, hin und wieder in ſo weit nach, daß er die läſtig - ſten Beſchränkungen aufhob. Allein jede ungünſtige Erndte führte auch zu den altherkömmlichen Misverſtändniſſen zu - rück. Als im Jahre 1770 dergleichen wieder im Werke war, erhob ſich Turgot als Intendant kräftig dagegen; aber jenem gewiſſenloſen Terray und einem Könige gegen - über, welcher ſelbſt ganz gern auf den Hunger ſeiner Un - terthanen ſpeculirte, ſcheiterten ſieben gründliche und be - redte Vorſtellungen. Jetzt da Turgot am Ruder ſaß, ging er keineswegs ſo weit als ſein Syſtem, trug im Miniſter - rathe nicht auf freie Ausfuhr ins Ausland an, ihm ge - nügte die hergeſtellte Freiheit des inneren Verkehrs und daß die Magazine auf Staatsrechnung aufhörten. Zum Unglück aber fiel gerade die nächſte Erndte ungünſtig aus und die Kornpreiſe fingen an zu ſteigen. Mehrerer Orten erhuben ſich Unruhen, und als ein Schwarm Bauern nach Verſailles und an das Schloß kam, war der König ſchwach genug ihnen vom Balcon herab wohlfeileres Brod zu ver -1775. Mai 2. ſprechen. Nichts deſto weniger zog die Bande weiter in die Hauptſtadt, Bäckerläden wurden in Paris erſtürmt, Ge - traideſchiffe auf der Seine geplündert. Auffallend war es dabei daß die Thäter ganz wohlgemuth einherzogen, Brod und Getraide nicht raubten, ſondern in den Koth und ins Waſſer warfen, dagegen Gerſtenbrod mit Kleie und Aſche55 vermiſcht unter die Leute brachten. Zu gleicher Zeit gingen Adreſſen ohne Unterſchrift an den König ein, und eine da - von, welche die Zurückberufung Terray’s erbat, kam ſogar durch die Königin an den König. Dieſer aber ließ ſich durch Turgot überzeugen daß ein Verſprechen wohlfeilen Brodes mehr enthalte als was ein König erfüllen könne, und als hierauf die bewaffnete Macht freie Hand bekam, kehrte die öffentliche Ruhe bald zurück. Nur zwei Hinrichtungen er - folgten. Da man aber bei den Verhafteten reichliches Sil - bergeld und zum Theil bedeutende Summen in Goldſtücken fand, ſo gewann die Meinung Beſtand, der ganze hauptſtäd - tiſche Tumult ſey künſtlich angeſtellt, um Turgot zu verder - ben. Turgot ſelbſt hatte außer einigen Parlamentsmitglie - dern den Prinzen von Conti, das Haupt der vierten Linie des Königshauſes, im Verdacht der Anſtiftung, und aller - dings kannte man dieſen Herrn ſo, daß er, verliebt in jeden Skandal, am liebſten doch dem Könige und ſeinen Miniſtern wehe that.

Die unfreundliche Geſinnung des pariſer Parlaments that ſich ſchon während des Tumultes kund; es wollte die ganze Unterſuchung gegen die Meuter an ſich ziehen und bewies zugleich einige Sympathie mit ihnen, indem es um niedrigere Kornpreiſe bat. Ein lit de justice mußte ſeine Einmiſchung zurückweiſen. Um ſo gewiſſer ſah der Miniſter voraus daß ſeine Veränderungen in den Froh - nen, dem Zunftweſen, der Grundſteuer, wie ſie ſich nun in ſieben gleichzeitigen Edicten kundgaben, den lebhafteſten56 Widerſtand erfahren würden; er bereitete den König auf die Nothwendigkeit eines abermaligen lit de justice vor. Ludwig gab ſeine Einwilligung, und als das Parlament eine Gegenvorſtellung nach der anderen machte, ſogar eine Schrift verbrennen ließ, welche der Ablöſung der Frohnen das Wort redete, erzwang der Spruch vom Throne die1776. März 12. Einzeichnung der Edicte. Das war aber auch die letzte Kraftanſtrengung des Königs; nur zwei Monate ver - gingen und Turgot war nicht mehr im Amte. Denn als nun die Königin, verdrießlich über dieſe langweilige Spar - ſamkeit, in den Chorus der ſchwelgeriſchen Hofleute ein - ſtimmte; als der Klerus, zwar noch unverletzt, aber klug vorausſehend, welch ein Sturm ſeine 130 Millionen Livres jährlicher Einkünfte bedrohe, alle Minen ſpringen ließ gegen den Mann, der an Gott glaubte und nicht in die Meſſe ging; als ſogar in Leichenreden ſich Verwünſchungen gegen die Ökonomie und ihr Syſtem einmiſchten und man mit heller Stimme öffentlich fang:

Der König iſt bereits belehrt
Daß er ſelbſt zu den Misbräuchen gehört;

als endlich alle Miniſter, außer den beiden Verbündeten, die Neuerungen mit kalten Blicken maßen, da war es kin - derleicht für den Grafen Maurepas die letzte Arbeit zu thun. Denn dieſem ſchwoll längſt die Bruſt vor Unwillen gegen den Verwegenen, der ihn behandelte als ob er gar nicht da wäre, der, wenn Alles aufs Beſte ging, ihn entbehr - lich machen mußte. Und ſchwindelte nicht ohnedieß dem57 Könige ſchon der Kopf, ſo oft ihm Turgot eine neue Denk - ſchrift mitbrachte? So war es denn doch wirklich nicht ge - meint geweſen. Auch Ludwig arbeitete wohl zu Zeiten mit der Feder und hatte noch kürzlich über die Kaninchengehege der Grundherren und über den Schaden, welchen ſie in Saaten und Weinſtöcken ſtiften, eine gründliche Ausar - beitung geliefert, allein ganz andere Gebiete waren es ja, auf welche ihn Turgot tagtäglich führte, ihm fürder keine Ruhe ließ. Ludwig überzeugte ſich, ſeine beiden Miniſter die Philoſophen würden ihn am Ende ins Unglück brin - gen, wenn ſchon wohlmeinend, wollten ſie doch höher hin - aus als die monarchiſche Form es ertrage. Die Träume eines ehrlichen Mannes, meint der König, dürfen nicht den Staat beherrſchen, und giebt dem Maurepas darin Recht daß Turgot viel zu eigenwillig iſt. Er unterzeich - net ſeine Entlaſſung. Gern zwar hätte er den biegſameren und manchmal nicht ganz regelrechten Malesherbes um ſeine Perſon noch feſtgehalten; allein dieſer hat ſchon längſt, auf ein Beſſerwerden verzichtend, zu wiederholten Malen ſeinen Abſchied erbeten. Jetzt iſt nun vollends ſei - nes Bleibens nicht mehr. Sie Glücklicher, ſprach ge - rührt der Monarch, Sie können abdanken! Am 12. Mai 1776 ſchied Turgot aus dem Miniſterium, in wel - chem er ein Jahr und nicht volle neun Monate geſeſſen. Sofort wurden durch ein Edict die Wegefrohnen wieder - hergeſtellt.

Etwas länger hielt ſich ein dritter Reformator, der58 neue Kriegsminiſter Graf St. Germain, im October 1775 ernannt. Dieſer merkwürdige Mann fand ſeine Jugend - bildung bei den Jeſuiten. Siebzehnjährig warf er das Or - denskleid von ſich und trat als Unterlieutenant ein. Eine Ehrenſache vertrieb ihn aus Frankreich, er nahm Dienſte bei einem deutſchen Fürſten nach dem andern, bis ihn der Marſchall von Sachſen zur Rückkehr in ſein Vaterland be - wog. Hier machte er in ſchon hohen Graden den ſieben - jährigen Krieg mit; die Achtung vor ſeiner Fähigkeit war ſo verbreitet wie der Ruf von ſeiner biſſigen und unhof - männiſchen Gemüthsart. Die Frau von Pompadour nannte ihn nur den ſchlechten Patron und dieſe Titulatur fand Beifall als er mitten im Kriege ſeinen Befehl am Niederrhein aufgab, haſtig austrat, Alles aus Unzu - friedenheit mit ſeinem Oberbefehlshaber dem Herzog von Broglie. Der Hof war froh den Bären los zu ſeyn, man ſchickte ihm ſeinen Abſchied nach und hatte nichts dagegen daß er in die Dienſte der Krone Dännemark als Feldmarſchall und Präſident des Kriegscollegiums trat; dort nämlich be - durfte man eines kräftigen Armes, um ein verfallenes Kriegs - weſen raſch wiederherzuſtellen. Denn Kaiſer Peter III. von Rußland drohte für ſchwere Unbilden, die ſein Stamm in Schleswig-Holſtein erlitten, unverſöhnliche Rache zu neh - men; ſein Gedanke war, den König Friedrich V. von Dän - nemark allernächſtens nach Trankebar an die Küſte Koro - mandel zu verpflanzen. Da war nun St. Germain ganz an ſeiner Stelle, ſchuf ein Heer, bemannte die Flotte und59 als es an Geld gebrach, ward die erſte Anwendung ſeiner Kriegsmacht gegen die Stadt Hamburg gemacht; ſie mußte einen Theil ihrer Reichthümer daran ſtrecken. Schon ſtan - den beide Heere einander kampffertig auf meklenburgiſchem Boden in der Nähe von Wismar gegenüber als der Tod des Kaiſers die größeſte Gefahr abwandte, in welcher Dännemark jemals geſchwebt hat. Der Vielgewanderte hätte ſich nun wohl am Ende hier zur Ruhe begeben; vom Könige Chriſtian VII. entlaſſen bezog er einen Gnadenge - halt; allein die blutige Kataſtrophe des Miniſters Struen - ſee, dem er zugethan war, vertrieb ihn auch von hier. Man findet ihn mit 100,000 Thalern ab, die er in Ham - burg unterbringt; er zieht ſich auf ein Dorf im Elſaß zu - rück, wo er den Acker baut. Und er muß das bald im ei - gentlichſten Sinne des Wortes thun, da ſein hamburger Banquier ſeine Zahlungen einſtellt. St. Germain wäre in die tiefſte Armuth verſunken, hätten ſich nicht alle Of - ficiere der deutſchen Regimenter in franzöſiſchen Dienſten zuſammengethan und einen Jahrgehalt dem Greiſe ausge - worfen, der von den Höheren gehaßt, allenthalben die Liebe ſeiner Untergebenen zu gewinnen verſtand. So ward denn auch die Regierung faſt gezwungen ſich ſeiner wieder zu erinnern; ſie trat mit einem Jahrgehalt ins Mittel. Seitdem hält er es nun aber auch für ſeine Pflicht den al - ten Maurepas mit Denkſchriften zu beläſtigen, die von der elenden Einrichtung des franzöſiſchen Heeres handeln. Damals ſtanden noch die Reformpläne in ihrer Blütenzeit;60 der Platz des Kriegsminiſters war gerade durch einen To - desfall erledigt, auf den Betrieb von Malesherbes trat St. Germain an die Stelle. Was dem alten Herrn be - ſonders misfiel war das ſogenannte königliche Haus im Heere; denn dieſe königlichen Haustruppen oder Garden bedeuteten in der Armee ungefähr das was die Parlamente in der bürgerlichen Ordnung, eine Art Staat im Staate, bei welchem an die gewöhnliche Disciplin gar nicht zu denken war. Das war nun zwar im geringeren Grade bei dem Fußvolk der Fall, welches aus ſechs Bataillons fran - zöſiſcher Garden und vier Bataillons Schweizergarden be - ſtand, im höchſten Grad aber bei der Reiterei, deren Kern acht Escadrons Gardes du Corps bildeten. Denn alle Gemeinen der berittenen Haustruppen waren Edelleute mit Lieutenants-Rang. An dieſe am meiſten bevorrechte - ten Haustruppen ſchloſſen ſich dann wieder andere Truppen - abtheilungen an, als Grenadiere zu Pferde, Gensdarmen, Carabiniers, deren Officiere höheren Rang hatten als die übrigen des Heeres. Durch das ganze Heer ging aber ein tief greifender Misbrauch: die Officierſtellen waren der großen Mehrzahl nach käuflich und wurden eben darum ohne Maß vervielfältigt; man konnte auf drei Gemeine einen Officier zählen, die Unterofficiere mitgerechnet. Man hatte 60,000 Officiere im Heere. Dieſe üble Weiſe ſtammte von den letzten unglücklichen Kriegsjahren Lud - wigs XIV. her, da jede Hülfsquelle benutzt ward, die der erſchöpften Staatscaſſe aufhelfen konnte. Denn nun machte61 man für Geld jedweden der ſich anbot eine Compagnie zu errichten, zum Kapitän und ließ ihm frei die niederen Grade zu verkaufen, damit er ſeiner Auslage nachkomme. So boten Eitelkeit und Gewinnſucht einander die Hand, um die Zahl der Officiere möglichſt anſchwellen zu laſſen. Dieſen Krebs des Heeres auszurotten und alle Abthei - lungen einer gleichmäßigen Disciplin zu unterwerfen ohne Bevorrechtung, war der Plan des neuen Kriegsminiſters. Ein Alter von achtundſechzig Jahren ließ ihn keine lange Wirkſamkeit hoffen; ſein Plan war fertig und abgerundet, nichts fehlte als ihn ſchleunig in ſeiner ganzen Ausdeh - nung in Vollzug zu ſetzen. Denn eine gleichzeitig durch - greifende Umgeſtaltung bietet ſtets den Vortheil daß ſie eine Schaar Zufriedener der Schaar von Misvergnügten, die nie ausbleibt, gegenüberſtellt; und ein geſundes Staatsprincip, an die Stelle eines morſchen, faulenden geſetzt, erfriſcht zugleich den Blutumlauf im ganzen Volks - körper. Allein wir kennen ſchon den König und ſeinen Hofmeiſter, und St. Germain ließ mit ſich handeln. Allmählige Verbeſſerungen waren das Wiegenlied des Ho - fes; ich weiß nicht ob man dergleichen damals ſchon Ent - wickelung nannte. Aber die Entwickelung eines baufälli - gen Hauſes iſt ſein Umſturz. Jetzt wurden einige bevor - zugte Corps aufgehoben, andere vermindert, allein das falſche Princip blieb und wucherte. Man hatte hier Un - willen erregt, dort die geſteigerte Erwartung unbefriedigt gelaſſen. Ein öffentlich aufgeſtellter Grundſatz ward durch62 Ausnahmen herabgewürdigt, und nun gab es bald keinen Halt mehr. Der Kriegsminiſter hatte verkündigt, aller Stellenverkauf im Heere ſolle aufhören, für die eingezahl - ten Summen werde Entſchädigung erfolgen; das aber hielt den König nicht ab, auf einen Schlag hundert Ka - pitäne für Geld zu machen. Als St. Germain nun vol - lends Luſt bezeigte die Stockſchläge im Heere einzuführen und Hiebe mit der flachen Klinge wirklich in Ausführung brachte; als er unbedachter Weiſe das Ehrendenkmal Lud - wigs XIV., das pariſer Invalidenhaus antaſtete, da ver - lor er auch in den unteren Ordnungen der Krieger ſeine frühere Geltung. Auch ſeine umſtändlichen Andachts - übungen in alter Jeſuitenweiſe, ſeine Seminarien für Feldprieſter entſprachen der Zeitrichtung nicht. Schließlich1777. Sept. ſchüttelte man ihn ganz ab, er aber, der, je ſchlechtere Geſchäfte er machte, ſich um ſo feſter an ſein Miniſterium 1778. Jan. 15. klammerte, ſtarb an ſeiner Ungnade nach wenig Monaten.

So feierte die Hofpartei nach allen Seiten Triumphe. Malesherbes erzählte manchmal von dieſen Dingen im vertrauten Kreiſe: Wir hatten für uns den König, Turgot und mich, allein der Hof war uns entgegen, und die Höf - linge ſind weit mächtiger als die Könige.

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3. Die holden Jahre der Selbſttaͤuſchung.

Frankreich führte mit krankem Blicke das Leben eines Geſunden fort; man entſchlug ſich der Sorgen zu einer Zeit, da der ewig junge Weltgeiſt ſeine Flügel prüfte, ſich dann aufſchwang und bald von ſeinen Thaten zu reden gab. In den letzten Jahren Ludwigs XV. verſchlief das Cabinet von Verſailles das ſchlimme Wetter der Politik, merkte nichts von der erſten Theilung von Polen bis ſie völlig zu Stande war; allein der Lärm, den jetzt Nord - amerika im alten Welttheile machte, als es plötzlich auf ſeine Füße gerichtet ſich mitten unter die bejahrten eben - bürtigen Häupter ſtellte, hätte Siebenſchläfer wecken müſſen.

Turgot war noch am Ruder als dieſe Frage weltge - ſchichtlich ward. Er ſah den jungen kriegeriſchen Adel Frankreichs brennend vor Luſt am Kampfe theilzunehmen, häßliche vaterländiſche Scharten auf Koſten Englands aus - zuwetzen; niemand bewunderte dieſes Volk unerſchrockener Republikaner aufrichtiger als Turgot; der lateiniſche Vers64 unter dem Bilde Benjamin Franklins, welcher die Ver - dienſte dieſes ſeltenen Bürgers um die Menſchheit eben ſo kurz als eigenthümlich preiſt:

Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis,
Dieſer entriß dem Himmel den Blitz, den Tyrannen das Scepter,

wird ihm zugeſchrieben; allein ſeine Denkſchrift an den König über Frankreichs Stellung zu dieſem inhaltsſchwe - ren Ereigniß mußte freilich andere Bahnen gehn. Sie iſt wenig Wochen vor ſeiner Entlaſſung verfaßt. Turgot er - kennt in dem ganzen Vorgange einen großen und unver - meidlichen Wendepunct der Zeit: nichts natürlicher als daß Kinder, die ſich der elterlichen Leitung entwachſen fühlen, ihren eigenen Weg verſuchen, und in dem Falle daß die Eltern nicht verſtändig genug ſind ihnen eine ihrer Kraft entſprechende freie Bewegung zu geſtatten, ſich wohl gar völlig losreißen. Er ſieht voraus daß die Colonien der übrigen Reiche unſeres Welttheiles dieſem Beiſpiele folgen werden, und meint, Spanien ins Beſondere werde weiſe thun, ſich auf eine gänzlich veränderte Colonial - Politik zu rüſten; übrigens ſey es ein Irrthum zu glau - ben daß die gelungene Losreißung Englands Macht und Wohlfahrt zu Grunde richten müſſe. Seine Meinung in Bezug auf Frankreich iſt: Ein Staat, welcher ein fort - laufendes Deficit von 20 Millionen hat, und deſſen er - ſtes Bedürfniß iſt durch eine tiefgreifende Reform die Laſten des Volks zu erleichtern, muß die vielleicht unwiederbring - liche Zeit zu dieſem Zwecke benutzen, darf einen ſolchen65 Krieg nicht führen. Die franzöſiſche Flotte iſt in Ver - fall, man kann die Ausgaben zu ihrer Wiederherſtellung nicht beſtreiten zu einer Zeit, da die einzige Rettung in der Sparſamkeit zu finden iſt. Uns unſerer gegenwärtigen Stärke bedienen hieße unſere Schwäche verewigen. Dieſe Anſicht drang damals durch und ward eine Weile feſtgehalten, auch nachdem die Reformen ſchon aufgege - ben waren.

Wie weiſe das nun ſeyn mochte, die franzöſiſche Ju - gend fühlte ſich nicht überzeugt und fand einen mächtigen Halt an dem erſten Staatsmanne der Zeit, welcher von Anfang her auf der Seite der Nordamerikaner ſtand, wie - wohl ſein Vaterland ihr Bedränger war. Es iſt kaum möglich, einem Mitbürger einen größeren Zuwachs an materieller Macht und geiſtiger Erfriſchung zu verdanken als England ſeinem großen Chatham, ſo lange er an der Spitze der Verwaltung ſtand; und derſelbe Mann erblickte von Anfang her in dem was gegen jene Provinzen geſchah eine Verletzung der jedem Engländer angeborenen Rechte, zugleich aber auch der Rechte, die jedem Menſchen ge - bühren. Schon 1765 ſprach er ein Wort von langem Widerhall in Frankreich: ich freue mich daß Amerika widerſtand. Drei Millionen Menſchen, ſo abgeſtorben für jede freiheitliche Regung, daß ſie ſich gutwillig zu Sclaven machen laſſen, würden geeignete Werkzeuge ge - weſen ſeyn auch die übrigen in Sclaverei zu ſtürzen. Und nicht müde wird er in den nächſten Jahren zu wiederholen:Franzöſiſche Revolution. 566 Das Recht Steuern aufzulegen und das Recht Repräſen - tanten zu ſchicken iſt unzertrennlich. Alle Zeit iſt der Satz von den Bürgern dieſes Reiches heilig gehalten, daß was ein Mann rechtlich erworben hat, ſein unbedingtes Eigen - thum iſt, welches er nach freiem Willen geben, das ihm aber niemand nehmen kann ohne ſeine Einwilligung . 1774.Kurz vor dem völligen Bruche ſprach er: Ich will den Grundſatz in mein Grab nehmen: Ihr habt kein Recht1775. Amerika zu beſteuern, und als man ſchon kriegte: Han - delt, wie ein guter liebreicher Vater einen theuern Sohn behandelt. Statt der harten und ſtrengen Gebote erlaſſet eine Amneſtie für alle ihre jugendlichen Irrthümer, um - faſſet ſie noch einmal freundlich, und ich wage zu behaup - ten daß Ihr in ihnen Kinder finden werdet, würdig ihres Vaters. Bald darauf aber ward die Rechtloſigkeit der deutſchen Unterthanen-Verhältniſſe Urſache, daß das Band zwiſchen Mutter - und Tochterland unwiederherſtellbar brach. Denn als unſere Landesväter von Braunſchweig1776. und Heſſen-Caſſel, Anſpach und Waldeck 20,000 Deut - ſche der engliſchen Regierung verkauften, die oft vergeblich widerſtrebenden zwangen ſich für Nordamerika einſchiffen zu laſſen, wobei der Erbprinz von Heſſen-Caſſel noch ſei - nen beſonderen Profit aus verhandelten Hanauern zog, ſeit - dem galten die Bande des Bluts zwiſchen England und Ame -1777. rika nichts mehr. Abermals aber vernahm man Chathams Stimme über dieſes Handeln und Markten mit jedem kläglichen kleinen deutſchen Fürſten, der ſeine Unterthanen67 für die Schlachtbank eines Auslandes los werden möchte. Dieſe erkaufte Hülfe, der Ihr vertrauet, entzündet einen unheilbaren Groll im Gemüthe Eurer Widerſacher, die ihr mit den feilen Söhnen des Raubes und der Plünde - rung überſchwemmet, ſie und ihr Eigenthum grauſamen Miethlingen opfernd. Wäre ich Amerikaner wie ich Eng - länder bin, ſo lange bewaffnete Fremdlinge bei mir lande - ten, ich legte nimmer die Waffen nieder, nimmer! nim - mer! nimmer! Mit noch gewaltigeren Worten ſtrafte er daß die Miniſter ſelbſt die wilden Eingeborenen, die ro - then Häute zu Hülfe gerufen hätten.

Damals geſchah es daß der Graf Suffolk dem Redner einwarf, es ſey einmal nothwendig ſich der Wilden als Helfer zu bedienen und man mache billig gegen ſeine Feinde von allen Mitteln Gebrauch, welche Gott und die Natur in unſere Hände gelegt haben. Da ſtand Lord Chatham noch einmal auf: Ich bin erſtaunt, empört ſolche Grundſätze in dieſem Hauſe, dieſem Lande bekennen zu hören, Grund - ſätze, eben ſo verfaſſungswidrig als unmenſchlich und un - chriſtlich. Mylords! Es war nicht meine Abſicht noch einmal Ihre Aufmerkſamkeit in Anſpruch zu nehmen, aber ich kann meinen Unwillen nicht unterdrücken, ich fühle mich getrie - ben durch jede Pflicht. Mylords, es iſt unſer Aller Schul - digkeit als Mitglieder dieſes Hauſes und als Chriſten ein - zuſprechen, damit ſolche Grundſätze dem Throne nicht nahen, das Ohr der Majeſtät beflecken. Die Gott und die Natur in unſere Hände legte! Ich weiß nicht, welche5*68Begriffe dieſer Lord von Gott und Natur haben mag, al - lein ich weiß daß ſolche verabſcheuungswürdige Grund - ſätze der Religion und der Menſchlichkeit im gleichen Maße widerſtreiten. Wie! die heilige Weihe Gottes und der Na - tur den Schlachtungen des indianiſchen Skalpiermeſſers beilegen! dem kannibaliſchen Wilden, der die verſtüm - melten Schlachtopfer ſeines hinterliſtigen Überfalles fol - tert, mordet, röſtet und verzehrt, wörtlich, Mylords, verzehrt! Solche ſcheußliche Grundſätze widerſprechen je - dem Gebot der Religion, der göttlichen und der natür - lichen, und jedem edeln Gefühl der Menſchlichkeit, und, Mylords, ſie empören jedes Ehrgefühl; ſie empören mich als Freund des ehrlichen Krieges, als Feind der grauſa - men Mordluſt. Dieſe verdammenswerthen Grundſätze und dieſes noch verdammlichere Ausſprechen derſelben fordern daß der Abſcheu laut werde. Ich rufe die ehrwürdige Bank auf, die heiligen Hüter des Evangeliums, die from - men Diener unſerer Kirche, ich beſchwöre ſie die Hand zum heiligen Werk zu bieten und die Religion ihres Gottes zu behaupten! Ich appellire an die Weisheit und das Ge - ſetz dieſer gelehrten Bank, daß ſie die Gerechtigkeit ihres Landes vertheidige und rette. Ich fordere die Biſchöfe auf in ihrem fleckenloſen Gewande, die gerechten Richter in ihrem Hermelin, daß ſie ſich und uns ſchützen vor dieſer Beſudelung. Ich rufe die Ehre Eurer Herrlichkeiten an, daß Ihr die Würde Eurer Vorfahren achtet und die Eure wahret. Ich rufe den Geiſt und die Menſchlichkeit meines69 Vaterlandes zum Schutze unſerer Volksthümlichkeit auf, beſchwöre den Genius unſerer Conſtitution. Von den Wänden dieſer Halle herab (man erblickte damals noch an ihnen die Zerſtörung der Armada durch Lord Howard von Effingham), von den bunten Teppichen dieſer Halle her - ab zürnt der unſterbliche Ahnherr dieſes edeln Lords, un - willig über die Schmach ſeines Landes. Umſonſt führte er Eure ſiegreichen Flotten gegen die prangende Armada Spa - niens, umſonſt vertheidigte er die Ehre, die Freiheiten, die Religion, die proteſtantiſche Religion dieſes Landes gegen die willkürlichen Grauſamkeiten des Papſtthums und der Inquiſition, wenn dieſe mehr als papiſtiſchen Grauſamkeiten und inquiſitoriſchen Miſſethaten unter uns gebilligt und zur Satzung werden, aufgeboten inmitten unſerer alten Genoſſen, Freunde und Verwandte; die er - barmungsloſen Kannibalen losgelaſſen, die da dürſtet nach dem Blute des Mannes, des Weibes und des Kindes! die ungläubigen Wilden getrieben gegen wen? Gegen Eure proteſtantiſchen Brüder! ihr Land zu verwüſten, in ihre Häuſer zu brechen, ihr Geſchlecht, ihren Namen zu zerſtö - ren durch dieſe furchtbaren Höllenhunde der Wildniß! Höl - lenhunde der Wildniß, ſage ich. Spanien ließ ſeine Blut - hunde los, um die unglücklichen Völkerſchaften Amerikas zu vernichten, und wir übertreffen noch das Beiſpiel ſpa - niſcher Grauſamkeit! Wir hetzen dieſe wilden Höllenhunde gegen unſere Brüder und Landsleute in Amerika, die mit uns eine Sprache, ein Geſetz, eine Freiheit und Religion70 haben, die unſer ſind durch das Band der heiligſten menſch - lichen Gefühle. Mylords, ich bin alt und ſchwach, und jetzt nicht im Stande weiter zu ſprechen, aber mein Gefühl und mein Unwille waren zu ſtark, als daß ich weniger hätte ſagen können. Ich hätte dieſe Nacht keine Ruhe fin - den können in meinem Bette, hätte mein Haupt nicht auf mein Kiſſen niederlegen können, wenn ich nicht meinem ewigen Abſcheu gegen ſo ausgeartete, ungeheure Grund - ſätze Luft gemacht hätte.

Wohl verſuchte man die Einwendung, und es geſchah das mit ſchadenfroher peinlicher Gründlichkeit, es habe ja Chatham in den Tagen ſeiner Gewalt, damals als er Hand in Hand mit dem großen Friedrich ging, und es für ihn Canada galt, jene Wildenhülfe gleichfalls nicht verſchmäht. Wäre dem wirklich ſo, was Chatham indeß entſchieden abläugnete, ſo ließ ſich erwiedern, daß dieſes Mittel da - mals gegen den Erbfeind Englands angewendet ward und daß dieſer zuerſt Gebrauch davon machte; aber eine andere Entgegnung wäre vielleicht noch zutreffender geweſen, welche auf den erſten Anblick trivial ſcheinen kann, dieſe nämlich, daß verſchiedene Zeitalter verſchiedene Grund - ſätze gebären. Denn erſt ſeit dem pariſer und hubertsbur - ger Frieden ſchlug zugleich mit dem endlich durchdringen - den Sinne für kirchliche Duldung jene höhere Geſittung Wurzel, welche ein Gebiet der allgemeinen Menſchheit feſthält, das durch die Zertrennung in zwiſtige Staaten nicht verloren gehen darf.

71

Ein Engländer, der im Jahre 77 Paris beſuchte, ſchreibt in ſeinem Reiſeberichte: Man ſpricht jetzt hier in allen Kaffeehäuſern und in allen Geſellſchaften von natio - naler und politiſcher Freiheit ſo freimüthig wie nur irgend in einem britiſchen Parlament oder in einem londoner Kaf - fechauſe oder in einem Club der Oppoſitionspartei. Der Hof ſieht hiebei durch die Finger und denkt nicht an das bekannte alte Sprüchwort: mutato nomine de te fabula narratur. Man ſuchte und fand ſeine Ideale jenſeit des Oceans im Weſten, und ſelbſt die kühlere Geſellſchaft gab ihren Bei - trag, verließ ihre Whiſttiſche, ſpielte Boſton, den tapfe - ren Boſtonern zu Ehren, die das Panier des Widerſtandes zuerſt erhuben. Da kam die Botſchaft von der Capitulation eines engliſchen Heeres bei Saratoga, und jetzt trat der Boſtoner Benjamin Franklin ſchon öffentlich in den könig - lichen Gemächern von Verſailles auf, der ſiebzigjährige Greis, ſo anſpruchslos und doch ſo vielſagend ſeine Er - ſcheinung; denn ſie bezeugte das Wunder ſeines Lebens, den armen Buchdruckerjungen von ehemals und jetzt unter den Stiftern eines der größeſten Staaten der Welt nach Waſhington den Ruhmgekrönteſten. Seiner einfachen Un - terhaltung über die Probleme des Staates und der großen Natur, welcher er mit Apparaten, die jedem Kinde zu Gebote ſtehen, die Zunge gelöſt hatte, kam in dieſen ari - ſtokratiſchen Kreiſen volle Hingebung entgegen. Denn über - all ſchmachtet der Menſch nach einem heimlichen Trunke Begeiſterung, woran er in der langen Lebensſteppe ſich72 labe. Nun widerſtand auch das franzöſiſche Cabinet nicht länger, erkannte die Unabhängigkeit der nordamerikani -1778. Febr. ſchen Provinzen an, ſchloß einen Freundſchaft - und Han - delstractat mit ihnen. Auf die Nachricht gaben die Führer der Oppoſition in beiden Häuſern des engliſchen Parla - ments die Erklärung, die Pflicht der Regierung ſey dem Beiſpiele Frankreichs zu folgen, den unausbleiblichen dop - pelten Krieg zu vermeiden. Lord Chatham dachte anders. Am 7. April 1778 erſchien er im Oberhauſe, entſchloſſen neben ſeinen alten Gegnern im Hauſe nun auch ſeine bis - herigen Anhänger zu bekämpfen. England ſollte den Muth von ihm lernen nach beiden Seiten zugleich die Spitze zu bieten. Als ſein Freund der Herzog von Richmond den Antrag machte, den König um die Entfernung ſeiner Mi - niſter und zugleich um die Entfernung aller See - und Landtruppen aus Nordamerika zu erſuchen, ſtand Chatham auf, an zwei Freunde gelehnt, dieſelben die ihn mühſam auf Krücken in den Saal hineingeleitet, ein ſterbender Mann, von deſſen abgemagertem Geſichte unter ſeiner mäch - tigen Perüque kaum ein Zug weiter unterſchieden ward als neben der großen Adlernaſe dieſes durchdringende Augen - paar. Er hob die Hand von einer Krücke auf, ſah gen Himmel und es ward als er die Lippen zu leiſer Rede öff - nete, ſo ſtill im Saale, daß man, nach dem Ausdrucke Eines der dabei war, das Fallen eines Taſchentuches würde haben hören können. Ich danke Gott, ſprach er, daß ich im Stande geweſen bin heute hieher zu kom -73 men, um meine Schuldigkeit zu erfüllen und über einen Gegenſtand zu reden, der mir ſo innig am Herzen liegt. Ich bin alt und ſchwach, habe einen Fuß, mehr als einen Fuß im Grabe; ich bin aus dem Bette aufgeſtanden, um in der Sache meines Vaterlandes hier zu ſtehen, vielleicht um niemals mehr in dieſem Hauſe zu reden. Mylords, ſprach er mit allmählig ſteigender Kraft, ich freue mich daß das Grab mich noch nicht eingeſchloſſen hat, daß ich noch lebe, um meine Stimme zu erheben gegen die Zerſtückelung dieſes alten herrlichen Reiches. Niedergedrückt von Gebre - chen wie ich bin reicht meine Kraft wenig aus zum Beiſtande für mein Vaterland in dieſer gefährlichen Zeitlage; allein, Mylords, ſo lange ich meiner Sinne und meines Gedächt - niſſes mächtig bin, werde ich nimmermehr meine Stimme dazu geben, den königlichen Sproſſen des Hauſes Braun - ſchweig, die Erben der Prinzeſſin Sophia ihres ſchönſten Erbtheiles zu berauben. Wo iſt der Mann, der zu ſolch einer Maßregel rathen kann? Mylords! Seine Majeſtät iſt Erbfolger in einem Reiche, ſo mächtig an Ausdehnung als unbeſcholten an ſeinem Rufe. Sollen wir den Glanz dieſer Nation durch eine ſchimpfliche Übergabe ihrer Rechte und ſchönſten Beſitzthümer beflecken? Soll dieſes große Königreich, welches die däniſchen Beutezüge, die ſchotti - ſchen Einfälle und die normänniſche Eroberung überlebt, das die furchtbare Invaſion der ſpaniſchen Armada beſtan - den hat, nun dem Hauſe Bourbon zu Füßen fallen? Ge - wiß, Mylords, dieſes Volk iſt nicht mehr was es war. 74Soll ein Volk, welches funfzehn Jahre lang das Schrecken der Welt war, heute ſo tief ſinken, daß es zu ſeinem alten eingewurzelten Feinde ſpricht: Nimm Alles was wir ha - ben, nur gieb uns Frieden? Es iſt unmöglich! Um Gottes Willen, wenn es denn durchaus nothwendig iſt, ſich entweder für Krieg oder Frieden zu erklären, und der letztere kann nicht mit Ehren erhalten werden, warum fängt man nicht den erſteren ohne Verzug an? Ich bin, das geſtehe ich, nicht hinlänglich von den Hülfsquellen des Königreichs unterrichtet, allein ich vertraue darauf daß ſie hinreichen ſeine geſetzlichen Rechte zu vertheidigen. Jeder Zuſtand iſt beſſer als der der Verzweiflung. Laßt uns mindeſtens den Verſuch machen, und müſſen wir fal - len, laßt uns fallen wie Männer. Er hatte noch nicht Alles geſagt, was ihm ſein ſtolzes Gemüth, ſeine na - gende Sorge, die Trennung werde der Untergang ſeines Vaterlandes ſeyn, eingab; ſeine Abſicht war einen ewi - gen Bund zwiſchen England und Amerika vorzuſchlagen; aber ſeine Kraft ging zu Ende. Als jedoch der Herzog von Richmond ſeinen Antrag wieder aufnahm und ausführte daß es jetzt nicht darauf ankomme, wie vor zwanzig Jahren, Frankreich und das an Frankreich gekettete Spanien mit der vereinigten Kraft von England und Amerika und von einem Chatham zu beſtehen, ſondern es mit Frankreich und Spanien und Amerika aufzunehmen ohne Amerika und Chatham, allein auf England geſtützt, da richtete ſich der Siebzigjährige noch einmal mit Heftigkeit auf ſeine Füße,75 aber er ſank in plötzlicher Ohnmacht zurück und wäre auf den Boden geſtürzt ohne die Unterſtützung ſeiner Freunde. Da ſtrömten alle Lords um ihn zuſammen, keine Sitzung mehr, jedermann befliß ſich Chathams jüngſtem ſiebzehn - jährigen Sohne beizuſtehen, daß er den Vater nur weg - bringe. Noch einen Monat ſchleppte ſich ſein Kampf hin, bis der 11. Mai ihn hinwegnahm. Hier aber offenbarte ſich der Segen höherer Sitte, welcher aus den Grund - ſätzen ächter Freiheit quillt. Über die kleinliche Wuth des Hofes, über den beſchränkten Widerwillen des Königs Georg III. gegen Chatham, den er die Aufruhrstrompete nannte, trug die Meinung eines dankbaren Landes den glänzendſten Sieg davon. Seine Leiche ward in der Weſt - minſterabtei beſtattet und eben daſelbſt ihm ein Denkmal geſetzt, welches den Staatsmann zeigt, unter deſſen Amtsführung die göttliche Vorſehung Großbritannien er - hob zu einer jedem früheren Zeitalter unbekannten Höhe der Wohlfahrt und des Ruhmes; denn das ſind die Worte der Inſchrift.

Den Charakter Chathams beſitzen wäre in Frankreich Hochverrath geweſen. Hier konnte das Ungemeine nur im Verſteck aufgehen, ungeſetzlich groß werden, wie ein küh - ner Strauch die Felswand durchbricht. Als noch Alles in Verſailles in der Schwebe ſtand, ob man den Krieg auch wolle, den man drohte, brachen die Zeichen der Zeit wie Zähne in einem jungen Kopfe durch. Der Marquis von Lafayette verließ zwanzigjährig Frau und Kind, die Ge -76 nüſſe des Reichthums und den Glanz des Hofes, um in einem anderen Welttheile der Geſchichte in die Hand zu arbeiten. Alle Vorbereitungen zu dieſem Schritte wurden in der Stille getroffen, der junge franzöſiſche Capitän reiſte unter dem Vorwande eines Beſuches bei ſeinem Oheim dem Marquis von Noailles, welcher damals Ge - ſandter in England war, nach London, kaufte hier ein kleines Kriegsſchiff und ließ es an die ſpaniſche Küſte mit einer Anzahl Officiere abgehen, welche er mitzubringen verſprochen hatte; dort ſollen ſie ſeiner warten. Allein dieſe Vorbereitungen hatten den Verdacht der engliſchen Regierung erregt, man beklagte ſich, und als Lafayette, der inzwiſchen nach Paris zurückgekehrt war, um ſein Haus zu beſtellen, ſich ſchon auf der Reiſe befand, ohne Paß, ohne Urlaub und Abſchied, holte ihn ein Verhaftsbefehl ein. Er ſah ſich in Bordeaux als Deſerteur feſtgehalten. In - deſſen fand er Mittel zu entkommen und günſtige Winde trugen ihn im April 77 an die Küſte des Landes ſeiner Verheißung. Lafayette diente auf eigene Koſten ohne Sold Anfangs als Freiwilliger, aber bald, nachdem er im un - günſtigen Glücke ſeine Ausdauer bewährt hatte, auf Waſhingtons Antrag als General-Major an der Spitze einer Diviſion. Und nicht lange darauf lag es eigentlich nur an ihm und ſeiner dankbaren Unterordnung unter dem großen Manne, den er als Vater verehrte, wenn er in fernerer Abhängigkeit von Waſhington blieb, kein Com - mando für ſich erhielt; denn alle Neigung kam ihm ent -77 gegen und was dieſe nicht bewirkte, das that gemeine Ei - ferſucht gegen den Landsmann. Als nun aber Lafayette nach Verlauf von nicht zwei Jahren wieder im Vaterlande, in der bewegten Hauptſtadt erſchien, ein zarter blonder Jüngling und ſchon ſo thatenreich, wie war da ſein viel - getadelter Jugendſtreich in Aller Augen durch den Erfolg gerechtfertigt! War doch Frankreich ſelbſt ſchon für Ame - rika in die Schranken getreten, hatte ſeine erſte Hülfsflotte entſendet. Maurepas freilich fuhr den Ankömmling em - pfindlich an, ſchon weil er in Stiefeln bei ihm eingetreten, und der König wollte ihn durchaus nicht ſehen; allein was ging ihm ab, auf den die Pariſer allein ſahen, ſo oft er im Theater erſchien, jede paſſende Stelle im Stücke Beifall klatſchend auf ihn bezogen? Und die Königin klatſchte mit, ſah ihn häufig. Da mußte denn auch der König am Ende freundlich auf den jungen General blicken, welchem der dankbare Congreß hier einen Ehrendegen überreichen ließ. Schon tritt der Krieg mit England in ſeiner ganzen Bedeutung in den Vordergrund; Spanien verſpricht ſich ebenfalls zu entſcheiden, ſeine Flotte mit der franzöſiſchen zu vereinen; denn erſt lange hinterher hat man in Madrid erkannt, welche mächtige Einwirkung die Unabhängigkeit der Söhne Englands auf die ſpaniſchen Colonialreiche in Amerika haben müſſe. Ganz ernſtlich aber war in Frank - reich derzeit eine Landung auf der Küſte von England im Werke, man vereinigte an der Weſtſee zu dem Ende wohl 40,000 Mann nebſt zahlreichen Transportſchiffen, und78 hieher ſandte der König den Lafayette als nunmehrigen Generalmajor in franzöſiſchen Dienſten. Mit jener Lan - dung ging es nun zwar nicht über die Drohung hinaus, dagegen beſtimmte man eine zweite und größere Hülfs - macht für Amerika. Eine Flotte mit 12,000 Mann Lan - dungstruppen, geführt vom Grafen Rochambeau, iſt in Rüſtung, ſie wird zugleich eine Anleihe von mehreren Millionen für Nordamerika mitbringen und Lafayette ſoll als Bote dieſer frohen Neuigkeit vorangehen. Auch legt man thätig Hand ans Werk, und wenn auch zunächſt nur 6000 Mann eintreffen, ſchon die Botſchaft hat den geſun - kenen Muth Amerikas wieder angefacht und man verehrt in Lafayette nicht bloß den Überbringer einer frohen Kunde, nein auch den Mann, der jene Kraftanſtrengung Frank - reichs durch ſeinen glühenden Eifer herbeigeführt hat. Und dieſe Tapferen Frankreichs ſtellen ſich unter den Oberbe - fehl Waſhingtons. Und auch jene Geldhülfe, wie willkom - men erſchien ſie! war doch das Papiergeld der jungen Freiſtaaten faſt auf ſeinen Papierwerth herabgeſunken! Jetzt aber erfolgte jene große Entſcheidung daß General1781. Oct. 19. Cornwallis in Yorktown vor Waſhington die Waffen ſtrecken mußte; und das ſtolze England, welches neuer - dings noch den Holländern den Fehdehandſchuh hinwarf, bloß weil ſie mit den Nordamerikanern in Unterhandlung wegen Anerkennung ihrer Unabhängigkeit traten, mußte die Hoffnung aufgeben ein Erſatzheer ſchicken zu kön - nen. Lafayette kehrte zum zweiten Male nach Frankreich79 zurück und nun führte ihm die Königin ſelber ſeine junge Gemahlin entgegen und auch Ludwig empfing ihn freund - lich. Aber Frankreich rüſtete zum dritten Male für Ame - rika; man wollte dieſes Mal die Landungstruppen auf 24,000 Mann bringen, in der Hoffnung mit einem Theile davon den Verluſt von Canada wieder einzubringen. Al - lein die Weltgeſchichte hatte ihr entſcheidendes Wort be - reits geſprochen und ſo reichte die Drohung einer neuen Kraftanſtrengung hin, die Unabhängigkeit Amerikas ward vom Mutterlande anerkannt, und Frankreich ſchloß nach1782. Nov. 30. langer Zeit wieder einmal einen ruhmvollen Frieden zu Verſailles. 1783.

Nun kehrten die franzöſiſchen Regimenter nach Hauſe, allein man erkannte in ihnen nicht die Söldner des alt - königlichen Frankreichs mehr, in dem Grade war ihr Sinn verwandelt, ſeit der Zeit da in dem Fortgange des Krieges das Anfangs kalte Verhältniß zwiſchen Franzoſen und Amerikanern ſich zu einer herzlichen Waffenbrüderſchaft ge - ſtaltete. Nicht bloß die Männer, welche ſchon in hohen militäriſchen Graden ſtanden, ein Alexander Berthier, ein Mathieu Dumas blickten die alte Welt mit andern Augen an als zuvor, auch bei den Gemeinen war tief eingedrungen jener edle Stolz des Bürgers, der für eine Freiheit ficht; ſie hatten mit Erſtaunen die Gewalt des Geſetzes mächtig da hervortreten ſehen, wo kein Königswille ihm zu Hülfe kam. Als der Graf von Rochambeau eines Tages vor ſei - nem Heere, umgeben vom Generalſtabe, ritt, trat ihn80 ein Amerikaner an, und indem er ihm leiſe mit der Hand die Schulter berührt, überreichte er ein Papier und ſprach: Im Namen des Geſetzes, Ihr ſeyd mein Gefangener. Der Feldherr verſtand Ort und Zeit, mäßigte die Hitze einiger jungen Officiere und ſprach lächelnd: So führt mich fort, wenn Ihr dazu im Stande ſeyd. Nein, er - wiederte der Amerikaner, ich habe meine Pflicht gethan und Eure Excellenz kann ihren Weg fortſetzen, wenn ſie ſich der Gerechtigkeit widerſetzen will; in dieſem Falle bitte ich nur um ungehinderte Rückkehr. Soldaten von der Bri - gade von Soiſſonnais haben mehrere Bäume für ihre Wacht - feuer verbrannt; der Eigenthümer verlangt Entſchädigung, hat ſich den Verhaftbefehl gegen Euch erwirkt und ich habe ihn vollzogen. Rochambeau ſtellte unbedenklich den Intendanten ſeines Heeres als Bürgen und bezahlte auf ſchiedsrichterlichem Wege 2000 Livres Entſchädigung.

Unter den Gefeierten aus dem neuen Welttheile ging Lafayette allen Andern weit voran. Mochte auch Mancher, der in ſein Cabinet trat, den Kopf bedenklich ſchütteln, wenn er hier in einem koſtbaren Rahmen die Erklärung der Rechte von Nordamerika erblickte und daneben eine leere Columne mit der Überſchrift: Erklärung der Rechte des fran - zöſiſchen Volks, der neue Freiſtaat des Oceans war ein - mal fertig mit Allem was ſich unvermeidlich daran knüpfte, und im Wappen der Lafayettes ſtand ſehr leſerlich die De -1784. viſe: Cur non? Noch einmal ſchiffte Lafayette nach Ame - rika, nahm von Waſhington in deſſen ſtillem Landſitze von81 Mount-Vernon den letzten Abſchied. Als er darauf nach Berlin kam, ſah man den alten Friedrich, wie er auf der1785. großen Heerſchau zu Potsdam mit dem Jünglinge die Reihen ſeiner Grenadiere mühſam durchging, ihn ihre Evolutionen bewundern ließ; eine kurze freundliche Begrü - ßung zwiſchen alter und neuer Zeit, auf nie Wiederſehen!

Als nun Alles zu Ende war, machte man auch die Rechnung auf. Der Krieg hatte Frankreich mehr als eine Milliarde, hatte wohl 1250 Millionen Livres gekoſtet, mit anderen Worten, er hatte den Betrag der Staatsein - künfte von drei Jahren verſchlungen.

Franzöſiſche Revolution. 6[82]

4. Das erſte Anklopfen der Revolution.

In der nächſten Zeit nach Turgots Sturze thaten ge - wöhnliche Handlanger ihren Dienſt in den Finanzen: ſeit aber der nahende Krieg außerordentliche Opfer heiſchte, warf Maurepas ſeine Augen auf Necker. Dieſer war Aus - länder, zu Genf 1732 geboren, wo ſein Vater die Pro - feſſur des Staatsrechts bekleidete; er leitete ſein Geſchlecht aus dem Brandenburgiſchen. Der junge Mann widmete ſich Anfangs den Wiſſenſchaften, weil er aber ohne Ver - mögen war, ſchlug er auf den Wunſch ſeines Vaters eine andere Laufbahn ein, ging nach Paris zu ſeinem Oheim Vernet aufs Comtoir, und bald finden wir ihn als Com - pagnon des erſten Banquierhauſes der Hauptſtadt, des Hauſes Theluſſon. Die Leitung der Geſchäfte kam in ſeine Hände, gelungene Speculationen in Getraide legten den Grund zu ſeinem Reichthum, öftere zu Terray’s Zeit den bedrängten Finanzen gewährte Nothhülfen machten ihn zugleich zum Manne der Krone und des Staates. Al - lein der Reiz der Geldgeſchäfte genügte weder ſeinem Ehr -83 geize noch ſeiner Bildung, er that den Kaufmann ab,1772. lebte fortan als Geſchäftsträger von Genf und Millionär in Paris, und wie er ſchon früher ſich ſchriftſtelleriſch im Fache der Staatswirthſchaft verſucht und durch ſeine Lob - rede auf Colbert ſelbſt einen Preis der Akademie gewonnen hatte, ſo trat er nun dem Miniſter Turgot mit einer Schrift über die Korngeſetzgebung entgegen. Turgot, immer groß1775. geſinnt, ließ den Schriftſteller frei walten, der ihm ſeine Laufbahn erſchweren wollte, indem er in dem praktiſchen Staatsmanne ein Syſtem bekämpfte, mochte von einem Verbote des Buches nichts wiſſen. Lag es doch jedermann vor Augen, daß die Maßregeln Turgots für die Befreiung des Getraidehandels im Innern keineswegs die Ausfuhr aus dem Reiche freigaben, und wer Galiani’s Dialogen über den Getraidehandel kannte, wußte auch daß in die - ſen ſchon fünf Jahre früher mit überlegener Meiſterſchaft Alles das entwickelt war, was ſich an Bedenken gegen die unbedingte Freiheit der Ausfuhr aufſtellen läßt. Aber Neckers Ruf wuchs eben durch dieſe klug gewählte Gegner - ſchaft und wenig Monate nach dem Sturze Turgots erhielt er eine Anſtellung in den Finanzen, zuerſt als Director1776. Oct. des Schatzes, dann als Generaldirector der Finanzen;1777. Jun. denn daß ein Ausländer, ein Proteſtant und ein vorma - liger Banquier, nicht von Familie, Finanzminiſter hieße wollte ſich nicht ſchicken. Gleichwohl ſollte er der Miniſter ſeyn, und es war daher eine keineswegs unbedeutende Kleinigkeit daß ihm der mangelnde Titel eines Controleur -6*84general den unmittelbaren Vortrag bei dem Könige ab - ſchnitt. Als Necker ſich im Beſitze einer Macht befand, nach welcher er etwas zu lüſtern die Hand ausgeſtreckt hatte, hielt er in der höheren Verwaltung im Ganzen Tur - gots Bahnen ein, und über Nordamerika befragt, rieth auch er vom Kriege ab. Nachdem gleichwohl Krieg be - ſchloſſen war, nahm er zu Anleihen ſeine Zuflucht, wobei ihm die pariſer Discontocaſſe, eine Einrichtung Turgots, auf Privatcredit gegründet, ungemeine Dienſte leiſtete. Der Geſchicklichkeit Neckers das Geldweſen auf ſeinen ver - ſchlungenen Wegen zu behandeln ließ jedermann Gerech - tigkeit widerfahren, ſeine Uneigennützigkeit ſtand außer Zweifel, ſein Haus, durch eine Frau von Charakter und Bildung vertreten, war eines der wenigen in der Haupt - ſtadt, in welchem ein geiſtreicher Umgang ſich niemals von der Sitte trennte. Von dem früheren Theoretiker Necker merkte man fortan nichts mehr. Das Geſchäft des Finanzminiſters iſt nicht wenig dem feldherrlichen ver - wandt. Beide verſtehen ſich auf die Regeln ihrer Kunſt, allein ihre Schlachten und Siege werden nur durch den glücklichen Blick erfochten, welcher alle Conjuncturen im rechten Augenblicke zu vereinigen weiß. Freilich ſpielt die Macht, welche Einer ins Feld führt, immer ihre große Rolle, und Necker war dem alten Maurepas nur inſofern will - kommen als er das Organiſiren unterließ. Auch durfte der Proteſtant nichts gegen die Geiſtlichkeit wagen, der Aus - länder dem Adel ſeine Penſionen nicht beſchneiden. So85 blieben dem eifrigen Finanzmanne allein die Hülfen ſeines Bodens übrig, als da ſind ſparen durch weniger Ausge - ben und wohlfeiler Einnehmen, Gewinn in Geld - und Handelsgeſchäften machen, hier ſchuldig bleiben, dort vorwegnehmen, öffentlich und verſteckt anleihen. Necker ließ es der Schatzkammer niemals an Mitteln fehlen, den Krieg mit Nachdruck zu führen, und das Parlament ge - währte den Hunderten von Millionen, die er anlieh, ohne Widerſtand die Einzeichnung in ſein Protocoll, zufrieden daß er keine neue Steuern einführte, wenn er auch die Er - höhung einiger in der Stille durchzuführen verſtand. Die Staatsſchuld war um ungefähr 300 Millionen gewachſen, deren regelmäßige Verzinſung nichts zu wünſchen übrig ließ, als der Krieg erſt recht begehrlich ward, neue Stützen des Credits nothwendig machte. Da erhielt Necker vom Könige die Erlaubniß ſeinen Finanzbericht, ſein Compte rendu au Roi durch den Druck bekannt machen zu dürfen. 1781.Es war damit in der That für den kalten Prüfer nicht ſon - derlich viel geleiſtet. Necker ſchildert uns einen Zuſtand der Ruhe und weiſt nach daß Frankreich, Dank ſeiner treuen Sorge, Kraft genug beſitze, um in ſolchem Zuſtande ſeine ordentlichen Verpflichtungen zu erfüllen und noch da - zu einen anſehnlichen Überſchuß zu gewinnen. Nun war aber ein unabſehlicher Krieg entſtanden, welcher durch außerordentliche Anſtrengungen beſtritten werden mußte. Wie weit dieſe gingen lag nicht vor; auch war allein der geſunde Zuſtand der Schatzkammer, daß bei ihr Einnahme86 und Ausgabe im günſtigen Verhältniſſe ſtanden, nachge - wieſen, aber über ein Drittel der jährlichen Staatsein - nahmen gelangte nicht in dieſe, floß in andere öffentliche Caſſen, über deren Verhältniſſe nichts erhellte. Die ideale Darſtellung Neckers ſtellte einen Überſchuß von 10 Millio - nen in Ausſicht, aber die unerbittliche Wirklichkeit hat das Jahr 1781 mit einem Unterſchuſſe von über 218 Millionen belaſtet, zu deſſen Deckung und für die Bedürfniſſe des nächſten Kriegsjahres eine neue Anleihe von 426 Millionen nöthig war, wovon jedoch nur ein Theil in Neckers Ver - waltung fällt. Ungeachtet dieſer ſchwachen Seiten und wie Wenige rechnen denn am Ende nach! machte Neckers Darſtellung einen faſt unglaublichen Eindruck. Denn aus dieſer Veröffentlichung ſprach eine Huldigung, in überraſchen - der Weiſe der öffentlichen Meinung dargebracht; wie ein Blitz ſchlug die Wahrheit durch daß die Staatsfinanzen eine Sache des Volks ſind, deſſelben Volks, welches durch harte Steuern ſie hervorbringt. Aber unmittelbar nach dem Blitze kehrte die alte Nacht zurück. Necker ward wie Turgot in dem Augenblicke geſtürzt, da er am höchſten ſtand. Der alte boshafte Maurepas fragte jedermann: Haben Sie das blaue Mährchen (le conte bleu) geleſen? auf den blauen Umſchlag des Compte rendu hindeutend, und doch hatte er ihm ſelber im Miniſterrathe ſeine Billigung geſchenkt. Er blieb nicht dabei ſtehen, entſchloſſen den Mann zu verderben, welcher kürzlich der Königin zu zwei Triumphen über ſeinen Einfluß verholfen hatte; denn87 zwei Miniſter waren wider Willen des Alten eingeſchwärzt, in die Marine de Caſtries, in das Kriegsweſen Graf Segur. Da ſtrömte plötzlich eine Zahl von Flugſchriften gegen Necker aus, eifrig befördert und verbreitet von allen Denen, welchen das Erſparungsſyſtem zuwider war, na - mentlich dem Grafen von Artois, und Necker verdarb ſeine Sache, indem er mit krankhafter Reizbarkeit Verfolgungen gegen die Verfaſſer anſtellte. Nicht lange ſo ward der König ſtutzig, wandte ſich an Vergennes und vernahm von dieſem, daß es allerdings gewagt ſey ein ſo zartes Geſchäft wie die Verwaltung der Finanzen in die Hände eines Aus - länders niederzulegen, der Proteſtant ſey und republika - niſche Grundſätze mit der Muttermilch eingeſogen habe. Als nun Necker gerade jetzt einen Beweis der königlichen Gunſt ſeinen Feinden gegenüber begehrte, den Eintritt in das Cabinet mit Sitz und Stimme als wirklicher Finanz - miniſter erbat, traf ihn das Nein des Königs ſo bitter, daß ſelbſt die Bitten der Königin nichts über ihn vermoch - ten; er reichte ſeine Entlaſſung ein, die ihm gern ertheiltMai 20. ward, wenig Wochen nach Turgots Tode. Neckers Ent - fernung ward wie ein öffentliches Unglück betrauert und er ſelbſt hat ſpäter die Haſt bereut, mit welcher er ſeine Finanzarbeiten und die eben erſt nach Turgots Plane in ein Paar Provinzen verſuchsweiſe eingeführten Provin - zialverſammlungen im Stiche ließ. Nur ein halbes Jahr noch Geduld, mit dem öffentlichen Zutraun ſich getröſtet, und Maurepas hatte ſeine Schuldigkeit gethan, war todt! 88†Nov. 21.Vier Wochen vor ſeinem Ableben ward ein Brief geſchrie - ben, der den Unwerth dieſes Mannes dem Könige offen vor die Augen legt. Der Briefſteller war Graf d’Angiviller, Jugendgeſpiele des Königs, ein Mann, der nicht Miniſter Ludwigs ſeyn wollte, aber es ſich nicht nehmen ließ ihn mit allen Kräften ſeines Weſens zu lieben und dann und wann die Gelegenheit ergriff ihm eine Strafpredigt zu halten. Wir haben ihn in ſpäteren Tagen als Ausgewanderten in Holſtein unter dem beſcheidenen Namen Trueman geſehen, in ehrenvoller Armuth bis an ſeinen Tod verſchmähend, die Rückkehr in ſein Vaterland durch eine Anerkennung Napo - leons zu erkaufen. Seine Antwort war ſtets: ein altes Kleid könne man ablegen, aber nicht einen alten Eid. Er nun ſchrieb an den König bei Gelegenheit der Geburt und Taufe des erſten kurz vor dem Ausbruche der Revolutiongeb. Oct. 22. 1781. wieder verſtorbenen Dauphins einen Brief, welcher nach des Grafen Tode in Ludens Nemeſis gedruckt iſt, warnt den König vor ſeiner jähen Hitze, eben ſo ſehr vor ſeiner gefährlichen Vertraulichkeit mit Leuten die kein Vertrauen verdienen, mahnt ihn Er ſelber zu ſeyn, von ſeinem Mis - trauen in ſich ſelbſt abzuſtehen. Aber ich werde Thor - heiten begehen, werden Sie mir ſagen. Ja, Sire, viel - leicht, aber dieſe Thorheiten werden die Ihren ſeyn und jetzt begehen Sie die von Fremden. Wenn Sie die Ihren begehen, ſo kann das bei dem guten Verſtande, welchen Ihnen Gott verliehen hat, nicht lange dauern, und Sie lernen davon, aber die von Fremden ſind und bleiben nutz -89 los. Über Maurepas urtheilt er ſo: Sire, erinnere ſich Ew. M. daß nachdem Sie ihn gewählt hatten, ich mir die Freiheit nahm zu Ihnen zu ſprechen: das iſt ein Mann von vielem Geiſte, der faſt mit Allem auf dem Rei - nen iſt, höchſt entſchieden, in Geldſachen ehrlich und un - eigennützig, allein er, der mit 17 Jahren Miniſter ward unter einer verderbten und ſittenloſen Regentſchaft und her - nach ſich durch Maitreſſen-Intriguen winden mußte, ſieht in allen Geſchäften reine Privatangelegenheiten. Ein Miniſter, beſonders ein Premier-Miniſter ſollte ſei - nem Herrn die Wahrheit und die ganze Wahrheit ſagen. Herr von Maurepas, ein alter Hofmann, unterrichtet, ent - ſchieden, gleicht in nichts ſeinem Herrn. Spaßhaft bis zum Poſſenreißen bringt er dieſen Charakter in die Be - handlung aller Geſchäfte. Ew. M. ſind furchtſam, er dreiſt bis zum Cynimus, Ew. M. lieben die Ehrbarkeit, er reißt Zoten und iſt einer der erſten geweſen, über dieſen Cha - rakter Ew. M. mit den jungen Leuten Scherz zu treiben, die es nun eifrig dem alten Lehrer nachmachen, für den das Lachen ein Geſchäft iſt.

Der Eindruck von Neckers Entlaſſung haftete unge - wöhnlich tief und dauernd; es wird verſichert daß die Nachricht von einem der folgenreichſten Kriegsereigniſſe, der Capitulation des engliſchen Generals Cornwallis in York -Oct. 19. town bei der allgemeinen Niedergeſchlagenheit der Gemü - ther in Frankreich faſt keine Freude zu erwecken im Stande war. Und zur unglücklichſten Stunde mußte nun noch der90 neue Kriegsminiſter, ſonſt ein Mann von Einſicht, eine Ordonnanz ausgehen laſſen, welche alle nordamerikaniſchen Sympathien verletzte. Mehr aus Nachgiebigkeit gegen die den König beherrſchenden Einflüſſe als aus eigener Überzeugung willigte nämlich Segur in eine Verfügung, welche den Bürgerſtand faſt gänzlich von Officierſtellen ausſchloß. Zwar ward ſchon unter der vorigen Regierung darauf geſehen daß die höheren Officierſtellen vom Capi - tän an, gleich wie die höheren und einträglicheren geiſtlichen Ämter, dem Adel möglichſt vorbehalten blieben; allein in der Ausübung ſtand die Sache damals leidlicher. Es ward eine einfache Beſcheinigung des Adels durch vier Edelleute begehrt, und dieſe für Geld und gute Worte zu erlangen war für Einen, der ſonſt zur guten Geſellſchaft gehörte, gerade nicht ſchwer. Jetzt aber ſchrieb man eineMai 22. förmliche Adelsprobe vor, von welcher bloß die Söhne der Ludwigsritter ausgenommen waren. Hierin empfand der Bürgerſtand eine ſchwere Beeinträchtigung ſeines Fort - kommens, und tiefer noch ſchnitt der unbürgerliche Grund - ſatz in die verletzten Gemüther ein. Blieb doch ſelbſt der Tod eines Maurepas nicht unbeklagt; denn bei der ſchon allbekannten Schwäche des Königs drang ſich die Be - ſorgniß auf, die Königin, eben ſo lüſtern nach Ein - fluß als unfähig für den Ernſt der Geſchäfte, werde jetzt anfangen den Premierminiſter zu ſpielen.

Der König vermißte ſeinen Maurepas, der ſo manches Jahr über ſeinem Kopfe im niedrigen Mittelgeſchoſſe des91 Verſailler Schloſſes hörbar regiert hatte, zollte ihm ſeine gutherzigen Thränen und beließ in der Verwaltung der Finanzen den Staatsrath Joly de Fleury, welchen der Verſtorbene Neckern zum Nachfolger gegeben hatte. Dieſer wenig achtbare Mann erhöhte die Auflagen rückſichtslos und mehrte die Staatsſchuld durch koſtſpielige Anleihen, um die Laſten des Krieges zu tragen. Die Provinzialver - ſammlungen ſtellte er gleich ab, denn er theilte gänzlich den Grundſatz von Vergennes, daß es im Gemeinweſen dann am beſten ſtehe, wenn alle Gewalt in einer einzigen Hand concentrirt ſey. Ludwig fing an ſich mehr zu ver - trauen; das Regierungsgeſchäft war, von Verbeſſerern befreit, in den Bereich gewöhnlicher Begriffe herabgeſun - ken. Gleichwohl ward man daran erinnert daß Necker klug gethan hatte, indem er an die Steuern nicht rührte. Denn wenngleich das pariſer Parlament in dankbarer Freude über Neckers Fall, der über die Parlamente wie Turgot dachte, die neuen Steuern ſo ſtillſchweigend wie die neuen Anleihen protocollirte: das Parlament von Be - ſançon erhob verſchiedene Einwendungen und verſtieg ſich in wachſender Erbitterung bis zu dem verhaßten Antrage auf Berufung von Reichsſtänden. Noch ſchroffer ſtellten ſich die Verhältniſſe in der Bretagne, wo man noch ſeine alten Stände beſaß. Dieſe empfanden es übel daß ihnen die Regierung das Recht ſtreitig machte, Männer ihrer Wahl als Deputirte an das Hoflager zu ſchicken, die Er - nennung derſelben dem Gouverneur der Provinz zuwenden921782. wollte. Als ſie am Ende Zutritt erlangt, vernahmen ſie mit Entrüſtung daß ihre Freiheiten als widerrufbare Pri - vilegien, von den Vorfahren des Königs gnädigſt bewil - ligt, behandelt würden. Dieſer Anſicht aber widerſprachen die Stände in einer Gegenvorſtellung voll altbretagniſchen Stolzes. Unſere Vorrechte und Freiheiten ſo ſchreiben ſie ſind weſentliche Bedingungen des Vertrages, durch welchen Sie die Betragne erworben haben. Wir können Ihnen, Sire, die traurigen Folgen von Ausdrücken nicht verhehlen, welche den alten Grundſätzen unſeres National - rechtes von Grundaus widerſtreiten. Sie ſind höchſt be - unruhigend für Unterthanen, welche ihrem Souverain eben ſo ergeben als auf ihre Verfaſſungsrechte eiferſüchtig ſind, für Unterthanen, nicht an knechtiſchen Gehorſam, ſondern an eine durch verſtändige Geſetze geleitete Unterwürfigkeit gewöhnt, welche Eure Majeſtät zu achten geſchworen ha - ben. Dieſe Geſinnung iſt in unſerm Herzen eins mit der Liebe zum Vaterlande. Ja, Sire, dieſen heiligen Namen kennen die Bretagner: ſie haben ein Vaterland: ſie haben Pflichten zu erfüllen: ſie haben Rechte, die ſie um des Intereſſes Ihres Staates willen nicht vergeſſen dürfen. Als Vater Ihrer Völker werden Sie allein die Herrſchaft der Geſetze ausüben; die Geſetze herrſchen durch Sie und Sie herrſchen durch die Geſetze. Die Bedingungen, welche Ihnen unſern Gehorſam ſichern, machen einen Theil der poſitiven Geſetze Ihres Königreiches aus. Der Wider - ſtand ging ſo weit, daß Soldaten in den Sitz des Land -93 tages, die Stadt Rennes einrückten. Nun erfolgte eine Unterwerfung, welcher die Minderzahl des Adels wider - ſprach. Ludwig war Despot geworden ohne es zu wollen.

Unterdeſſen gewann Vergennes täglich mehr Gebiet bei dem Könige und ſchien geneigt an die Stelle von Mau - repas zu treten. Da er aber Widerſtand bei den andern Miniſtern fand, ſtand er ab und Joly de Fleury, der ſich an ihn gehangen, mußte fallen. Der Friede war inzwi -1783. März. ſchen wieder hergeſtellt; um ſo weniger fühlte ſich der - nig geneigt ſeine Antipathie gegen Necker zu überwinden, er hatte einen vollkommen ehrlichen Mann an dem Staats - rathe D’Ormeſſon gefunden, der freilich beſcheiden einge - ſtand daß er von den Finanzen wenig verſtehe; dieſen zwang er beinahe die Finanzen zu übernehmen. Allein die Dinge gingen ſchief; der redliche Mann hatte das Schick - ſal ſeines Königes, er ward aus Unbeholfenheit manchmal despotiſch, was die Finanzen am wenigſten dulden, und als er an die Generalpächter rührte, war ſein Fall ent - ſchieden. Nach nur ſieben Monaten war Frankreich aber -Oct. mals ohne Finanzminiſter. Die Welt der Schurken ſchrie Triumph als es der ungeſchickten Ehrlichkeit ſo übel ge - lungen war, und aus einer nicht kleinen Zahl von Bewer - bern, die jetzt mit kecker Stirn in die lange Reihe derjeni - gen traten, von deren Rechtlichkeit nichts zu fürchten war, griff Ludwigs unglückliche Hand gerade den Schlimmſten heraus. Der Herr von Calonne war als Intendant der Generalität Lille ſo übel berufen, ſolch ein Schuldenmacher94 im eigenen Hausweſen, daß ihn der König auf die erſte Empfehlung barſch verwarf. Allein die heitere Zuverſicht, mit welcher der funfzigjährige Mann ſich geltend machte, ſichere Abhülfe verſprach, auf tauſend von den Finanz - pedanten überſehene Hülfsmittel in ruhiger Haltung hin - wies, gewann ihm jene höchſten Kreiſe bald, welchen ſor - genvolle Stirnen ein Gräuel ſind. Jener d’Ormeſſon hatte beiden Brüdern des Königs die Bezahlung ihrer Schulden rund abgeſchlagen, Calonne ließ ganz andere Glöcklein klingen und Artois war entzückt von ihm. Da nun die Königin beifällig nickte, Vergennes nicht widerſprach,Nov. 3. ſo ließ der König ſich einen Mann gefallen, der ihm gute Tage in Ausſicht ſtellte. Ungeſchickt und beſcheiden wie er war legte Ludwig der zuverſichtlichen Gewandtheit einen ſchöpferiſchen Werth bei. Wirklich warf die neu auf - gehende Finanzſonne gleich ihre erſten Strahlen auf alle Wipfel des Landes; die Brüder des Königs blickten be - friedigt, die Königin erhielt St. Cloud zum Geſchenk, die Steuerpächter wurden aller Sorge quit daß ihr geſegneter Betrieb, der nach mäßiger Schätzung jedem Theilnehmer jährlich reine 75,000 Livres einbrachte, plötzlich aufhören werde, verarmte Große wurden ihre Güter für übertriebene Preiſe an die Krone los, Steuern wurden ihnen erlaſſen, manchmal ſogar zurückgezahlt. Calonne hatte Zeit für je - dermann, und Meiſter in aller Leichtigkeit der Formen, koſtete er dem Könige wenig Zeit, wußte augenblicklich Rath in Verlegenheiten. Schüttelte Ludwig auch zu Zeiten95 den Kopf über die maßloſe Prachtliebe eines Miniſters, deſſen Schulden er ſo eben erſt bezahlt hatte: er verzieh ſo einleuchtenden Verdienſten dieſe Eigenheit und machte ſie durch ſtrenge Sparſamkeit von ſeiner Seite gewiſſer - maßen wieder gut. Calonne ſchloß große Anleihen mit Leichtigkeit; man legte ſein Geld gern bei ihm an, weil er ungewöhnliche Vortheile bot. Ein Großer des Hofes rief mit Entzücken aus: Ich wußte wohl daß Calonne den Staat retten würde, aber ich hätte nie im Leben geglaubt daß es ſo ſchnell geſchähe.

Während nun Calonne in der Hauptſtadt rettete, in - dem er eine Anleihe der andern unter verführeriſchen Be - dingungen folgen ließ, ſchrieb man aus den Provinzen daß niemals noch die Eintreibung der Steuern mit ſo er - drückender Strenge geübt ſey. Überall aber geſtand man ſich, aus Frankreich ſey nun doch nicht Amerika geworden, der kurze Rauſch war verflogen und machte in den mittleren und unteren Lagen der Geſellſchaft einer giftigen Erbitterung Platz. Gegen den König? Dieſer bot nur immer eine und dieſelbe Seite des übel berathenen guten ſchwachen Willens dar. Mit Marien Antonien war es anders bewandt. Sie hatte ihren ehrenfeſten, manchmal mürriſch aufbrauſenden Eheherrn allmählig in einen Liebhaber verwandelt, der ihren anmuthigen Bitten nichts verweigern konnte. Die treue Gattin hat ihm vor Kurzem ſein drittes Kind, den zweiten Sohn geboren, allein die Mutterfreuden füllen1785. ihren beweglichen Sinn nicht aus. Der lafayettiſchen96 Amerikaner war ſie ohnehin überdrüſſig. Wenn ſie dann, von dem Anblick des neuerfundenen Luftballons oder einer Vorſtellung der Hochzeit des Figaro begeiſtert, in die Staatsgeſchäfte hineinflatterte, ein Staatsamt für einen Beſchützten wie eine leichte Gunſt erbat: es that nicht gut, aber gar ſelten daß ſie ihren Buſenfreunden den Polignacs nicht am Ende freudeſtrahlend die Nachricht bringen konnte, es ſey ihr doch geglückt. Dafür rächte ſich das Publicum mit eiſiger Kälte, ſobald ſie ſich allein ohne den König blicken ließ; einmal verſtimmt, hieß man ſie eine Ver - ſchwenderin, und inſofern mit Recht, als ſie ein Beiſpiel zu geben hatte; man nannte ſie auch die Öſterreicherin und that ihr Unrecht, weil ſie, ohne ihrer Heimat zu ver - geſſen, wirklich Franzöſin geworden war. Mit einem Wort, man wünſchte ihr etwas anhaben zu können, und die Gelegenheit ließ nicht auf ſich warten.

Mariä Himmelfahrt, der 15. Auguſt 1785, bot den Verſaillern einen merkwürdigen Anblick dar. Man war - tete auf den feierlichen Kirchgang der höchſten Herrſchaf - ten, ſtatt deſſen fuhr über den Schloßhof ein vornehmer Gefangener unter Bedeckung. Es war der Cardinal Louis de Rohan, Biſchof von Straßburg, Großalmoſenier von Frankreich; Gerüchte flogen von einem entwendeten koſt - baren Halsbande, von der Beleidigung einer erhabenen Frau. Bald vernimmt man, die Sache komme vor das Parlament, denn es ſey dem Cardinal abgeſchlagen von ſeinen Standesgenoſſen gerichtet zu werden. Der Cardinal97 ſtand in großer Misachtung. Ein hoher Fürſt der Kirche, funfzigjährig, lebte er ſeinen Lüſten und einer maßloſen Verſchwendung, die ihn des Steines der Weiſen, wel - chen er im Verkehr mit Caglioſtro ſuchte, ſehr bedürftig machte. An dieſen glaubte er, ſonſt an nichts und machte kein Hehl daraus. Zu ſeinen Liebſchaften gehörte die Gräfin Lamotte, welche einige Aufmerkſamkeit dadurch er - regte daß ſie aus Familienpapieren nachwies, ſie ſtamme aus dem königlichen Hauſe der Valois durch einen Baſtard Heinrichs II. Sie und ihr Gemahl der Graf waren ver - ſchmitzte Abenteurer, die den Cardinal umgarnten, ſeine Leidenſchaften für ihre Bettelhaftigkeit ausbeuteten. Rohan hatte früher die Geſandtenbahn gemacht, und abgefeimter iſt nichts als die gewöhnliche Jüngerſchaft der Diplomatie. Man ſieht Menſchen an ihr zu Grunde gehen, mit welchen die Natur es gut gemeint hatte; bei dem gewöhnlichen Schlage bleibt vollends nur ein ſtehender Sumpf zurück. Die verbrauchten Werkzeuge eines fremden Willens wollen dann am Schluſſe auch die Genugthuung eines eigenen Willens haben, als Staatsminiſter im Beſitze eines Bruch - theils des Königthums ſterben, der Ambos möchte Ham - mer ſeyn. Hat es Fortgang damit, ſo kommen nun alle die krummen häßlichen Mittel, welche, Staat gegen Staat gebraucht, für erlaubt gelten, auf das eigene Volk in An - wendung, welches ein Recht hat offen und verſtändlich re - giert zu werden. Nach dieſem Elyſium ſehnte ſich Rohan. Er hatte ſchöne Beweiſe ſeiner Brauchbarkeit gegeben, ver -Franzöſiſche Revolution. 798ſtand fremde Briefe zu öffnen und Nachſchlüſſel zu gebrau - chen, hatte davon während ſeiner Geſandtſchaft zu Wien ſeinem Hofe die Proben vorgelegt. Gleichwohl datirte ſich gerade von dort her ſeine Ungunſt bei Hofe. Er hatte ärger - liche Dinge über Marien Thereſien berichtet, wie ſie über die Theilung von Polen Thränen vergieße, und doch ihren Antheil ſo munter in die Taſche ſtecke. Das vergab ihm die Tochter nie. Auch der König verbarg ſeinen Unwillen nicht gegen einen Prälaten ohne Religion und Sitten, von welchem man wußte daß er die zur Linderung des menſch - lichen Elends ihm als Almoſenier zufließenden Gelder zum guten Theile ſelbſt verzehre. Nun machte Rohan den Ver - ſuch den Verliebten bei der Königin zu ſpielen, und fuhr gänzlich ab damit. Der Mann aber wollte ſchlechterdings Miniſter ſeyn; als er nicht aufhörte mit ſeinen Vertrauten über die fatale Ungnade der Königin zu reden, erwuchs den Lamottes der Plan daraus ihn auf dieſem Wege zu plündern. Eines Tages überraſchte die Gräfin den Car - dinal mit der Erzählung, ein Großes ſey ihr gelungen, ſie habe ſeit einiger Zeit Zutritt bei der Königin, es ſey ihr geglückt, das Mistrauen der Monarchin zu beſiegen, er habe entſchiedene Hoffnungen. Von nun an eine ganze Kette von Täuſchungen, die ärgſte dieſe: dem Cardinal wird eine Unterredung mit der Königin im Luſtwäldchen von Verſailles zugeſagt. Ein öffentliches Mädchen, Oliva, welches viele Ähnlichkeit mit Marien Antonien hatte, über - nimmt die Rolle derſelben, flüſtert die Worte: das Ge -99 ſchehene iſt vergeſſen, läßt eine Roſe fallen. Der ent - zückte Cardinal hat nur eben Zeit den Fuß ſeiner Gebieterin zu küſſen als ein Geräuſch entſteht, und die Dame, in welcher er ſeine Königin verehrt, flüchtet eilig. Allein der Zweck? Nicht lange, ſo werden dem Cardinal wegen vor - übergehender Geldverlegenheiten der Königin bedeutende Summen abgeborgt, und bald darauf gilt es ein Diaman - tenhalsband, von den Juwelieren Böhmer und Baſſange verfertigt, welches die Königin durch ihren neuen Günſt - ling heimlich an ſich bringen möchte. Mit dieſem Pracht - ſchmucke ohne Gleichen verhielt es ſich ſo: er war Anfangs für die berüchtigte Gräfin Dubarry verfertigt, aber Ludwig XV. ſtarb darüber. Nun ſtand er für die Königin um 1,600,000 Livres zu Kauf; die Verſuchung war groß, der König kei - neswegs abgeneigt, allein man überwand ſich, ein Paar Linienſchiffe gegen die Engländer fruchten mehr, hieß es. Der Ankauf unterblieb ſonach. Faſt unbegreiflich aber iſt es, wie jetzt der Cardinal an einen heimlichen Ankauf glauben konnte, gleich als werde es der Königin genügen wie dem Grethchen im Fauſt in der Stille ihres Kämmerleins am Spiegelglas damit vorüberzugehen. Allein ein Billet mit nachgemachter Unterſchrift der Königin, ein zur Empfang - nahme des Schmuckes untergeſchobener Kammerdiener in der Livrey der Königin überzeugten ihn; nur daß er die Juweliere in das Geheimniß zog, um ſich vor Zahlungs - verlegenheiten ſicher zu ſtellen. Auch hätten dieſe dem cre - ditloſen Prälaten nimmer ſolch ein Kleinod anvertraut. 7*100Jetzt aber trugen ſie kein Bedenken. Während nun der Gemahl der Betrügerin nach England ging, um dort das Halsband ſtückweiſe zu Gelde zu machen, richtete der Car - dinal ſich zum künftigen Miniſter ein, welchen ihm ſein Freund Caglioſtro längſt geweiſſagt hatte, und nur Eins nahm ihn Wunder, die Königin noch immer ſo zurückwei - ſend und ohne Halsband zu erblicken. Da rückte der erſte Zahlungstermin heran; der weibliche Calonne denn es giebt Naturen, für welche der Spruch: Bedenke das Ende! nicht geſchrieben ſteht, dachte noch immer nicht ernſtlich daran ſich raſch aus dem Staube zu machen. Zu - erſt verſucht ſie einem ſchwerreichen Manne, der auch gern am Hofe etwas gegolten hätte, Gelegenheit zu geben, ſich die Königin unendlich zu verpflichten; der aber denkt zu - letzt doch: Ehren ſind gut, Geld iſt beſſer, tritt zurück. Hierauf opfert ſie einen Theil ihres Erlöſes, 30000 Livres auf, bringt dieſe dem Cardinal, wieder mit einem vorgeb - lichen Billet der Königin, als Abſchlagszahlung; Ende Auguſt ſoll der Reſt erfolgen. Allein die Juweliere, ſelbſt bedrängt, wollen nicht warten, drohen mit einer Wechſel - klage, wagen am Ende einen Brief an die Königin, wünſchen ihr Glück zu dem Beſitze des ſchönſten Halsbandes in der Welt, bitten demüthig, man möge ſie nicht vergeſſen. Die Antwort lautet, die Königin wiſſe von nichts, ein fre - cher Betrug müſſe geſpielt ſeyn. Das melden ſie dem Car - dinal. Dieſer fühlt ſich zerſchmettert, einen verlorenen Mann. Dennoch erſcheint er Mariä Himmelfahrt in101 Verſailles, wohin ſein Amt als Großalmoſenier ihn ruft. Wer hat ihn betrogen? die Lamotte? oder die Königin? die Monarchin, die er geſprochen, deren Briefe er in Hän - den hatte? Wie aber wenn die Königin in der Bedrängniß allen Verkehr mit ihm abläugnet, was die Gräfin ihn jetzt fürchten läßt? Nun er beſaß ja doch ihre eigenen Briefe!

Die Königin, ſchon gewohnt ihren Gemahl zu lenken, ging nicht zuerſt zu dieſem, ihm die erlittene Schmach zu klagen, ſie ſprach mit ihrer Kammerfrau der Campan, be - rief zwei Männer zu ſich, die in ihrem engeren Vertrauen ſtanden, den Baron von Breteuil und den Abbé Vermont, beides Hofleute vom gewöhnlichen Schlage und Feinde Rohans. Breteuil vergab es dem Cardinal nicht daß er ihm ehemals ſeine Bahn geſtört, in der Wiener Geſandt - ſchaft ihn ausgeſtochen, ihn genöthigt vor der Hand bei kleineren Höfen zu bleiben. Das hatte zwar in der Folge ſich wieder völlig ausgeglichen, Breteuil ward nach Rohan Geſandter in Wien und hatte gegenwärtig als Miniſter des königlichen Hauſes (in beſſeren Tagen das Miniſterium von Malesherbes) ihn nun vollends überholt; allein der verhaßte Mann durfte nicht wieder aufkommen; und Abbé Vermont, der aus einem demüthigen Lehrer in der fran - zöſiſchen Sprache bei Marien Antonien, welchen ſich die Kaiſerin aus Paris verſchrieb, neuerdings ein Mann von Geltung geworden war, hatte zu oft in früheren Tagen den wegwerfenden Übermuth des Cardinals erfahren, um nicht derſelben Meinung zu ſeyn. Vergeblich daß Vergennes102 und Miromenil widerriethen ein Feuer anzufachen, von welchem nicht zu berechnen war, weſſen Dach es ergreifen werde. Wenn man Alles ruhig erwog, ſo lag in dem Ge - ſchehenen von Seiten des Cardinals viele Abgeſchmacktheit, große Unverſchämtheit, aber kein Verbrechen; man hatte ihn fortan in Händen, man konnte ihn ſeinen Gläubigern oder, je nachdem er es trieb, dem unbarmherzigen Geläch - ter der Pariſer preisgeben. Unter dieſem milden Ludwig XVI. ſind doch immer Tauſende von Verhaftsbriefen aus - gegeben; warum nicht einen davon auf die Beſeitigung der Lamotte verwenden? Allein der Cardinal ſollte nun einmal mit dem äußerſten Auſſehn beſchimpft, durch eine Verurtheilung gründlich vernichtet werden.

Als nun die Verbündeten die Sache endlich an den König brachten, war deſſen erſter Gedanke, das ſey ein Gaunerſtreich des Cardinals, durch welchen dieſer ſeinen zerrütteten Angelegenheiten aufhelfen wolle, und er ſagte ſeiner Gemahlin jede Genugthuung zu. Breteuil, auf die Vernehmung der Juweliere geſtützt, reichte ein Gutachten ein, umſonſt wieſen Vergennes und Miromenil noch einmal auf den guten Leumund der Königin und, wenn man allen Umſchweif zuſammenfaßt, auf den Satz hin, welchen der Nachfolger Ludwigs Napoleon in die Worte bringt: Die Völker rächen ſich gern an uns wegen der Huldigungen, welche ſie uns darbringen. Man ſagt der Hochzeit des Figaro von Beaumarchais nach daß ſie die Laſter und Thorheiten der vornehmen Welt mit berechneter Schaden -103 freude bloßſtelle; hier ward eine Umarbeitung derſelben von höchſter Hand beſchloſſen, und gleich morgen am hohen Feſttage ſoll die Aufführung vor den Augen des ganzen Hofes ſeyn. Kurz vor der Meſſe wird der Cardinal in das Cabinet des Königs berufen; er findet hier den - nig, die Königin und mehrere Miniſter. Ein leidenſchaft - licher Auftritt erfolgt, mag nun der Cardinal die Vor - würfe der erbitterten Königin mit Gegenbeſchuldigungen erwidert oder, wie Andere erzählen, in tiefer Zerknirſchung ſeine Verirrung eingeſtanden haben. Aber als er aus dem Cabinet tritt, wird er vor Aller Augen verhaftet; nur daß die Ehrfurcht des Officiers dem Kirchenfürſten vor der Ab - fahrt in die Baſtille noch eine kurze Friſt vergönnt, welche er be - nutzt um ſeinen Generalvicar zu der Vernichtung ſeiner gehei - men Papiere durch ein Billet anzuweiſen. Auch die Gräfin wird verhaftet, ihr Gemahl entkommt. Die Anklage ward im Namen des Königs wegen Beleidigung ſeiner Gemahlin vor dem Parlament erhoben. Die Unterſuchung zog ſich in die Länge und verwickelte ſich ſehr als die Lamotte ihren Gönner gänzlich im Stiche ließ und ohne Einmiſchung der Königin ſo ausſagte, daß der Cardinal als ein gemeiner Betrüger in der Art erſchien, wie ihn der König ſich ge - dacht hatte. Allein in Folge mehrerer Verhaftungen und Ermittelungen mußte ſie dieſen Standpunct verlaſſen, und am 31. Mai 1786 erfolgte der Spruch des Parlaments, in welchem dreißig Stimmen gegen zwanzig den Cardinal völlig freiſprachen, die Gräfin aber zu Brandmark, Staub -104 beſen und lebenslänglicher Einſperrung verurtheilten. Man wußte, welche Mühe ſich der Hof gegeben hatte, um die Verurtheilung Rohans zu erlangen; mit um ſo größe - rem Jubel gab eine unermeßliche Volksmenge dem Losge - ſprochenen das Geleite zuerſt zurück in die Baſtille und dann zu ſeinem Palaſt. Als darauf die Entlaſſung Rohans von ſeiner Würde als Großalmoſenier und ſeine Confinirung in eine Abtei erfolgte, erblickte man hierin eine unwürdige Rache der Königin, und als nun gar die Lamotte nach kurzer Gefangenſchaft entkam, von England aus mit einer Denkſchrift drohte, war der Hof ſchwach genug ihr dieſe für eine große Summe abzukaufen. Nichts deſto weniger erſchien das Pasquill und die Ehre der Königin unterlag fortan den unwürdigſten und unverdienteſten Beſchuldigungen. Der in den ſtolzen Rohans tief gekränkte hohe Adel miſchte der unfläthigen Schmähung der Menge den ätzenden Scharf - ſinn der Verläumdung bei, und auch die Schwäche des Königs ging nicht leer aus.

Kurze Zeit darauf kündigte Calonne ſeinem Gebieter an, man müſſe Bankerutt machen oder eine Verſammlung der Notabeln berufen.

Bis jetzt, wenn man Alles ſich recht erwägt, tragen an dem was in Frankreich geſchah, die vielverklagten hoh - len Speculationen, welche die wirklichen Verhältniſſe über - ſpringen wollen, gar keine Schuld. Denn da wo der Staat allein im Könige enthalten iſt, führt Unfähigkeit von Oben eine Staatsveränderung von ſelbſt herbei, ſo -105 bald die Regierung in ihrer Verlegenheit genöthigt iſt, ihr Volk zu Hülfe zu rufen. Wer hier Rath zu ertheilen fähig war, der kannte auch den Werth natürlich geglieder - ter Staatsordnungen. Man erblickte eine ſolche im alten Styl im nahen England, wo unter nicht glänzender be - gabten Königen als Ludwig Alles ſeinen ſtetigen ſicheren Gang ging; zu einer anderen Staatsordnung gewagterer Art hatte man kürzlich ſelbſt auf des Königs Befehl die Bauſteine über den Ocean mühſam herbeigetragen. Auch König Ludwig und ſeine Miniſter zeigten keine Spur von philoſophiſcher Anſteckung; denn die Hülfsmittel, welche ſie in ihrer Noth ergriffen, waren alt, eher veraltet zu nen - nen, oft ſchon empfohlen. Es waren die Notabeln, es waren die Etats-généraux.

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5. Es wird der Revolution aufgethan.

Calonne gab von Anfang her ſeinen koſtſpieligen An - leihen die Färbung, eine gänzliche Tilgung der Staats - ſchuld ſey im Werke, was freilich ungewöhnliche Anſtren - gungen erfordere. Man wird in den nächſten fünfund - zwanzig Jahren zwölf bis dreizehn hundert Millionen til - gen, und ſo folgerecht weiter ſchreiten. Wer durfte da noch tadeln, wenn zu ſo erhabenen Zwecken in den näch - ſten Paar Jahren vier bis fünfhundert Millionen geliehen wurden? Der Staat konnte dabei nur gewinnen, und augenſcheinlich gewannen die Capitaliſten, welche ihre Gelder ungemein vortheilhaft anlegten; auch muß man zugeben daß Calonne in ſeinen Börſenoperationen eine Fülle von jenen Finanzkünſten entwickelte, welche zur Ver - lockung der Habſucht und zur Berückung der Unerfahren - heit dienen. Jetzt freilich da der Schatz leer war, mit Anticipationen es nicht mehr vorwärts ging, niemand mehr leihen und das Parlament nicht mehr protocolliren wollte, kehrte der Mann mit einer Frechheit ohne Gleichen107 plötzlich die Sache um. Jetzt tragen auf einmal die zahl - loſen Misbräuche alle Schuld, ſie, die ein gut regiertes Frankreich unmöglich machen; jetzt wirft er alle Verbeſſe - rungen, die nur Turgot je im Sinne hatte und Necker mit unbedeutenden Abänderungen auffriſchte, und mehr als das in eine Denkſchrift zuſammen: gleiche Beſteurung von1786. Aug. Grund und Boden, Provincialverſammlungen, Veräuße - rung der Domänen (die er ſoeben noch hat vermehren hel - fen), Vertheilung von Gemeindeländereien, freie Ge - traideausfuhr, Aufhebung der Wegefrohnen und der Zoll - linien im Innern. Mit dem Allen und verſteht ſich zu - gleich mit einer Anzahl von neuen Auflagen ſoll das Defi - cit getilgt werden. Allein von wem erlangt er eine Ge - währleiſtung für ſeine Reformen? Schwerlich vom Parla - ment; denn dieſes bereut längſt ſeine Willfährigkeit gegen ihn, iſt auch in ſeiner ariſtokratiſchen Zuſammenſetzung der Beſeitigung von Privilegien nichts weniger als hold. Alſo ſoll man Reichsſtände berufen? Allein das hieße das Andenken Ludwigs XIV. entweihen, welcher zuerſt die Despotie zur Religion erhob. Unantaſtbar muß, darin ſind das königliche Haus, der Hof und die Miniſter ſich einig, der von jenem großen Monarchen aufgeſtellte Grund - ſatz bleiben daß ein König überall ſeinen Entſchluß ſel - ber faſſen müſſe, weil ſelbſt da wo die Einſicht ihn ver - läßt, er ſich auf ſeinen Inſtinct verlaſſen darf, welchen Gott in alle Menſchen und vorzüglich in die Könige gelegt hat. Dagegen iſt es ein natürliches Recht des Königs108 ſich mit Rathgebern eigener Wahl für beſtimmte Zwecke auszurüſten. Schon Karl der Große berief Notabeln; - nig Franz der Erſte, der die Reichsſtände niemals ver - ſammelte, berief Notabeln, als er eines Gutachtens über den Madrider Frieden mit dem Kaiſer bedurfte, ob er an dieſen auch gebunden ſey. Als die Reichsſtände ſchon ganz in Abgang gekommen waren, hat man 1626 noch Notabeln berufen. Alſo Notabeln!

Der König ſtand wieder da, wo er zu Turgots Zeit geſtanden hatte, damals als er die Hände ſinken ließ, aber unter wie viel nachtheiligeren Umſtänden jetzt! An - fangs ganz erſtaunt daß ſein Miniſter gegenwärtig die - ſelben Reformen predige, die ſein Übermuth früher ver - höhnt hatte, ergab er ſich doch darin, denn es wohnt der gutmüthigen Schwäche ein eigenes Vertrauen auf die Macht der geheimnißvollen Künſte bei, welche ihrer Mei - nung nach den Laſterhaften zu Gebote ſtehen. Ohne dem böſen Geiſte zu trauen, verſchrieb er ſich ihm, nachdem Vergennes, der mit in das Geheimniß gezogen war, ſein Ja zu den Notabeln geſagt hatte, nicht ohne Bedenken zwar, allein es kam darauf an, den drohenden Wider - ſpruch der Parlamente durch eine große Autorität zu ent - waffnen. Man ward über 144 Perſonen einig, natürlich meiſtens Privilegirte, nur etwa ein halbes Dutzend Bür - gerliche darunter. Wer wird nun die Privilegirten ver - mögen ſich gegen die Privilegien zu erklären? Calonne, ſtets reich an Auskunftsmitteln, hatte ſich ein eigenes109 Kunſtſtück erdacht, um durch die Minderzahl der Mitglie - der ihre Mehrzahl zu beherrſchen. Hätte er der ungetheil - ten Verſammlung die Entſcheidung vertraut, ſo bedurfte es mindeſtens 73 miniſterieller Stimmen, was ſeine Schwierigkeit haben konnte. Ganz anders wenn die Ver - ſammlung, nachdem ſie ihre Mittheilungen empfangen, ſich nun in Sectionen zerfällte, in dieſen arbeitete und abſtimmte. Sieben Curien, die man Büreaus nennt, werden gebildet, in zweien derſelben ſitzen 22, in den übrigen 20 Mitglieder. Hat das Miniſterium in vier - reaus die Majorität für ſich, die ſich mit 44 bis 46 Stim - men gewinnen läßt, ſo iſt der Widerſtand von 98 oder 100 Stimmen gelähmt. So gerüſtet trat Calonne in die Schranken. Am 29. December 1786 verkündigte der - nig ſeinen Willen, auf den 29. Januar kommenden Jahres eine Verſammlung der Notabeln zu berufen. Allein der Termin mußte viermal umgeſetzt werden, weil Calonne mit ſeinen Vorlagen noch nicht fertig war. In der Zwi - ſchenzeit ſtarb Vergennes und Graf Montmorin trat an ſeine Stelle.

Als nun am 22. Februar die Eröffnung der Notabeln1787. erfolgte, ſprach der König einfache Worte von gewohntem unwichtigen Wohlwollen; um ſo künſtlicher rechtfertigte der Miniſter den Geiſt ſeiner Verwaltung, redete von ei - nem alten Deficit in den Finanzen, ſeit Jahrhunderten obwaltend, welches ſich nothwendiger Weiſe letzter Zeit habe vermehren müſſen. Seine Höhe ließ er unausge -110 ſprochen, als der Aufgabe der Notabeln fremd. Dieſe ſollten einen Abgrund ausfüllen helfen, deſſen Tiefe und Umfang ſie nicht ausmeſſen durften. So eingeleitet traten die neuen Anforderungen, bis dahin als ſtrenges Geheim - niß verwahrt, ans Licht. In jedem der Büreaus führte ein Prinz von Geblüt den Vorſitz, Erzbiſchöfe, Biſchöfe, Herzoge, Marſchälle, Staatsräthe, erſte Präſidenten ſaßen darin. Dieſen erſchien eine ſolche Behandlung uner - träglich, und das von einem Manne, welchem man Ver - ſchleuderungen, die in viele Millionen gingen, nachwei - ſen konnte. Je widerwärtiger der Mehrzahl die neue Grundſteuer war, auf der Grundlage gleichmäßiger Be - laſtung, deren Billigkeit ſich freilich nicht abläugnen ließ, um ſo hitziger vertiefte man ſich in den Zorn gegen den Unverſchämten, der ſolche Anſinnen ſtellen durfte. Er ſoll die Größe des Schadens zeigen, der geheilt ſeyn muß, und man will den Urheber wiſſen. Monſieur ſelbſt giebt im erſten Büreau hiezu den Anſtoß. Vergeblich erinnert Calonne, die vorgeſteckte Linie dürfe nicht überſchritten werden, es bleibt dabei. Calonne, in allen Büreaus be - droht, that Rückſchritte, erklärte ſich bereit mit einem Ausſchuſſe offener herauszugehen, und ſechs Mitglieder von jedem Büreau eröffneten bei Monſieur ihre Zuſam - menkünfte. Als der Finanzminiſter hier ein Deficit von 112 ja 115 Millionen zugeſtand und ſich mit der Behaup - tung deckte, ſchon unter Necker, der die Welt mit einem Überſchuſſe getäuſcht, habe es 48 und im Grunde 70 Millio -111 nen betragen, wollte man nun durchaus wiſſen, wer von Beiden der Betrüger ſey, und ganz beſonders hartnäckig erwieſen ſich die Prälaten, deren Führer, der Erzbiſchof von Toulouſe, Lomenie de Brienne mit ihnen regelmäßig abgeſonderte Berathungen pflog. Sie rechneten ein Defi - cit von 140 Millionen heraus und nicht wenige unter ih - nen ſprachen von Reichsſtänden, als allein berechtigt die neue Grundſteuer, welcher man um Alles hätte entrinnen mögen, zu bewilligen. In dieſer Bedrängniß nahm Ca - lonne ſeine Zuflucht zur höchſten Gewalt, und Ludwig verkündigte den Büreaus, ihre Aufgabe ſey nicht über den Grund der Steuer, ſondern über ihre Form zu berathen. Hierüber ward in der Hauptſtadt viel geſcherzt. Ein Koch legt ſeinen Hühnern die Frage vor: Mit welcher Brühe wollt ihr gegeſſen werden? Sie darauf: Aber wir wollen gar nicht gegeſſen werden. Er: Ihr verwech - ſelt den Stand der Frage; man fragt euch, mit welcher Brühe ihr gegeſſen werden wollt. Zu gleicher Zeit machte im zweiten Büreau, in welchem Artois präſidirte, der Marquis Lafayette durch eine Menge von Anträgen zu ſchaffen, wollte das Lotto, die Verhaftsbriefe abgeſchafft, die Domänen beſſer beaufſichtigt wiſſen, damit ſie weder verſchleudert, noch im unpaſſendſten Zeitpuncte durch An - käufe vermehrt würden. Die Bewilligung von Steuern knüpfte er in aller Form an Reichsſtände; nur für die Friſt bis zu ihrem Zuſammentritte können ſich nach ſeiner Meinung die Notabeln ermächtigt halten Steuern zu be -112 willigen. Die allgemeine Stille, welche auf dieſe Rede eintrat, unterbrach der Graf von Artois: Wie, mein Herr, Sie verlangen die Berufung der Generalſtaaten? Ja, gnädigſter Herr, und wo möglich noch etwas Beſſeres. Sie wollen alſo, ich ſoll dem Könige ein - berichten daß Herr von Lafayette den Antrag macht die Generalſtaaten zu berufen? Ja, gnädigſter Herr. Der Antrag fiel im Büreau, obgleich mehrfach un - terſtützt; allein der Unwille gegen den Urheber aller dieſer Nöthen ward in dem Grade perſönlich, daß man Vor - ſchläge ablehnte, welche man aus jeder andern Hand be - reitwillig angenommen hätte, als z. B. die Aufhebung der inneren Zolllinien, welche ſchon die letzten Reichs - ſtände von 1614 als ein öffentliches Unglück beklagten, deſſen Beſeitigung Colbert betrieben hatte. Es war augen - ſcheinlich Plan in allen dieſen Verwerfungen. Auch ließ Calonne, erbittert daß ſein eigenes Meſſer ihn verwunde, die Notabeln durch Brochüren angreifen, welchen ohne Mühe der Beweis gelang daß viele dieſer Ablehnungen dem Gemeinwohle widerſtritten. Darüber beſchwerte ſich dann wieder die Verſammlung bei dem Könige; dieſer re - dete zur Güte bei den Einzelnen, weil er aber der Ver - ſammlung im Ganzen grollte, hielt er ſeinen Miniſter noch feſt, als ſchon die feinſpürenden Hofleute anfingen ſich von ihm loszulöſen. Da Calonne den Miromenil auf einem Verſuche ihn zu ſtürzen betraf, erlangte er vom - nige daß dieſer entfernt und der Parlamentspräſident113 Lamoignon an ſeiner Statt Siegelbewahrer ward. Ohne die Freundſchaft der Königin hätte auch Breteuil ſeinen Platz verloren. Marie Antonie war Calonnen gram, ſeit er, ohne ſie zu fragen, die Notabeln eingeleitet; jetzt da Alles ſo ſchief ging, gewann ſie Macht über ihn als einen Herab - würdiger der Krone, ſie unternahm einen Hauptſturm auf den König und Miromenil hatte die Freude den Urheber ſeines Falles raſch nachſtürzen zu ſehen. Calonne wardApril 8. 9. entlaſſen und als ſich bald hernach eine Verſchleuderung von 12 Millionen auf Börſenoperationen ohne alle Auto - riſation herausſtellte, nach Lothringen verwieſen. Weil aber auf den Antrag des Parlaments eine peinliche An - klage ihm drohte, entwich er lieber nach England.

Dieſe Entlaſſung geſchah viel zu ſpät und doch zu frühe, denn es war noch kein neuer Finanzminiſter gefunden. Montmorin hatte mehrmals ſchon an Necker erinnert, jetzt wagte er auf ihn zurückzukommen, rechnete dabei auf La - moignon und Breteuil. Aber letzterer fiel im Augenblicke der Entſcheidung ab. An Neckers etwas ſelbſtgefällig dociren - der Perſönlichkeit hatte der König von jeher zu überwin - den gehabt und ſein vor drei Jahren erſchienenes Werk über die Finanzverwaltung hatte ihn verſtimmt. Es durf - ten dieſe peinlichen Wahrheiten in Frankreich nicht feil ge - boten oder mindeſtens nicht öffentlich beſprochen werden und der König ließ Neckern damals bedeuten nicht mehr nach Paris zu kommen. Nun aber erſchien gerade in den letzten Tagen wieder eine Schrift von ihm, welche ſeineFranzöſiſche Revolution. 8114angefochtenen Rechnungen gegen Calonne vertheidigte. Sie traf dieſen nicht mehr im Amte, gleichwohl ward ſie höchſten Orts übel empfunden, der Überläſtige, der ſo ganz und gar nicht begreifen wollte daß die Wahrheit in Frankreich zu den Regierungsrechten gehöre, mußte ſich auf zwanzig Stunden von Paris entfernen. Da das ſo eben erſt verfügt war, brauchte Breteuil bloß hinzuwerfen, wie viel man ſich durch einen Widerruf vergeben würde, welcher geradehin das Geſtändniß der Unentbehrlichkeit dieſes Plebejers enthalte. Nachdem er ſich dadurch Bahn gebrochen, rückte er mit ſeinem Candidaten hervor, wel - chen ihm die Königin aus Herz gelegt hatte. Es war Brienne, der Erzbiſchof von Toulouſe. Der Mann glaubt nicht an Gott! rief der König aus. Dagegen ward eingewandt, der Prälat habe große Studien ge - macht, ſey mit Turgot, deſſen Autorität Alles galt ſeit er nicht mehr im Wege ſtand, verbunden geweſen, im Eifer gegen die Proteſtanten komme ihm niemand gleich und er habe bei den Notabeln ſtets die zarte Linie des Schicklichen eingehalten. Wirklich hatte der Erzbiſchof mehr den geheimen Schürer gemacht, um ſich den Weg zur Größe nicht zu verſperren. Und er erreichte ſein Ziel, trat in den Mai als Chef des Finanzrathes, ſo daß der neue Controleur Laurent de Villedeuil unter ihm ſtand. Sein Erſtes war den Notabeln jene lang erſehnten Finanz - rechnungen vorzulegen. Dieſe machten Übel ärger; man war nicht klüger über den Umfang des Deficit gewor -115 den und nicht geneigter zu neuen Steuern. Als am Ende der hohe Adel zu der Entſcheidung kam, den Grundſatz der gleichen Vertheilung anzuerkennen und wirklich in den Büreaus dafür den Ausſchlag gab, erhoben ſich aus dem Provinzialadel ungeſtüme Stimmen dagegen: Der hat gut ſchenken, ſprach man, welcher vorher weiß daß ihm ſeine Opfer mit reichlichen Zinſen erſetzt werden. Ihr ziehet Penſionen von je 60,000, wo nicht gar 160,000 Livres, und wenn Ihr gleichwohl das Unglück habt Schul - den zu machen, fließen Euch abermals Hunderttauſende zu. Mit uns Leuten aus der Provinz ſteht es anders. Auch die vom Klerus mochten von dem Grundſatze der Gleichmäßigkeit nichts wiſſen, und wie vielfach auch Brienne an den Steuern veränderte, ermäßigte, in Sachen des Eigennutzes ſehen auch Einfältige ſcharf, es blieben im - mer Steuern und es war der ärgerliche Weg Calonne’s. Ja hätte Brienne bloß durch Erſparungen und ohne damit jemand läſtig zu fallen den Ausfall zu ergänzen vermocht, er wäre der rechte Mann geweſen. So aber war das Ende doch daß man die Steuern abſchlug, als zu deren Bewil - ligung nicht befugt. Dabei von allen Seiten Überdruß der Sitzungen, bis auf den einen Lafayette, der nicht müde ward fruchtloſe Anträge zu häufen, den Reformir - ten geholfen wiſſen wollte und ſogar noch einmal die Reichsſtände anregte, indem er eine Anleihe in Vorſchlag brachte, welche bis zu deren Berufung den Staatsbedarf decken ſollte. Am 25. Mai Entlaſſung der Notabeln.

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So kam es nun doch darauf zurück daß man allein auf die eigene Kraft geſtützt es mit dem Parlament aufneh - men mußte. Brienne machte vorſichtig mit ſolchen Maß - regeln den Anfang, für welche die Notabeln ſich ausge - ſprochen hatten, mit der Freiheit des Kornhandels im In - nern, der Ablöſung der Frohnen, den Provinzialverſamm - lungen, in welchen der dritte Stand eben ſo viele Mit - glieder haben ſoll als die beiden privilegirten zuſammen und worin man nach Köpfen ſtimmen wird. Hierin war ein volksfreundliches Princip enthalten, wiewohl man der Thätigkeit dieſer Verſammlungen einen ſehr beſchränkten Kreis abſteckte, ſie auch keineswegs aus freier Wahl der Provinz, ſondern ſo hervorgehen ließ, daß die Regierung die eine Hälfte der Mitglieder ernannte mit der Vollmacht, die andere Hälfte hinzuzuwählen. Als es mit den erſten Einzeichnungen beim Parlament geglückt war, folgte die Stempelſteuer nach, den Beſchluß ſollte die Grundſteuer machen, dem Betrage nach ſehr mild geſtellt, aber auf der Grundlage der Gleichmäßigkeit. Allein ſobald es an die Steuern kam, forderte das Parlament ſtatt zu proto - colliren Einſicht in die öffentlichen Einnahmen und Aus - gaben, wollte auch wiſſen, was aus den zugeſagten Er - ſparungen geworden ſey. Als darauf ein Abſchlag er - folgte, maßen dergleichen dem Parlament durchaus nicht zuſtehe, ſprach der Parlamentsrath Sabathier de Cabre, gleich als pflichte er der Regierung bei: Wir brauchen auch keine Finanzetats, es ſind Etats-généraux, die wir117 brauchen, und das Parlament gab die Erklärung ab: die Nation, durch Reichsſtände vertreten, habe allein das Recht eine dauernde Steuer zu bewilligen. Das hieß eineJuli. ganz neue Bahn betreten; es war ein entſchiedener Sieg der jüngeren Parlamentsräthe über die älteren. Der hef - tigſte Redner unter jenen war Duval d’Espréménil, kein Jüngling mehr, er ſtand in ſeinem fünften Jahrzehnt, aber von Natur Enthuſiaſt. Wie ihm früher in Caglioſtro und Mesmer das Heil der Welt erſchien, ſo malte ihm jetzt ſeine Phantaſie das Bild der Reichsſtände, mit dem Parlament verknüpft, vor, jene als die mächtigere aber wechſelnde Erſcheinung, dieſes als eine Darſtellung der Reichsſtände im verjüngten Maßſtabe, aber bleibend. Die Sache ließ ſich hören und konnte auch denjenigen jüngeren Räthen, die ſonſt mehr in nordamerikaniſchen Ideen leb - ten, wie Duport, zuſagen. Auf die milden Warnungen des Königs antwortete das Parlament mit geſteigertem Selbſtgefühl, ſprach jetzt unbedingt die Nothwendigkeit von Reichsſtänden, inſofern Steuern irgend einer Art be - gehrt würden, aus. So war denn alle auf die Notabeln geſetzte Hoffnung geſcheitert, ein Lit de justice mußteAug. 6. aushelfen, allein das Parlament proteſtirte ſchon vor dem - ſelben gegen ſeine Ergebniſſe, in der Sitzung tönten aus dem Munde des erſten Präſidenten dem Könige die herben Worte entgegen, die Steuern wären unter ſeiner Regie - rung um 200 Millionen vermehrt und der Verfaſſungs - grundſatz der franzöſiſchen Monarchie daß die Steuern von118 denen bewilligt würden, welche ſie bezahlten, werde mis - achtet; und nach der Sitzung proteſtirte man abermals gegen die erzwungene Einzeichnung der Steueredicte. Die jungen Räthe, durch den Beifall der Pariſer berauſcht, überboten ſich einander. Die Königin war in dieſen Ta - gen in ihrem Park von St. Cloud nicht vor Beleidigun - gen ſicher, man hielt ſie zurück von Paris, damit ſie den Zuruf: Madame Deficit nicht höre. Als das Parla - ment die Steueredicte für nichtig und erſchlichen erklärte, zum dritten Male Reichsſtände fordernd, ſah man den d’Espréménil von der vor dem Palaſte harrenden Menge mit Jubel empfangen, in ſeinen Wagen getragen. Auf die Nachricht erhielt das Parlament Befehl ſeinen Palaſt in der Cité und die Hauptſtadt ſofort zu räumen, ſeine Amtsverrichtungen in Troyes fortzuſetzen. Den Rückſchlag darauf gaben der Rechnungshof und das Oberſteuercolle - gium, indem beide nun ebenfalls gegen die auch ihnen abgezwungene Protocollirung proteſtirten, ebenfalls Reichs - ſtände begehrend, daneben die Rückberufung des Parla - ments an den gewohnten Ort ſeiner Thätigkeit. Aber die wogende Menge zog die Standhaftigkeit des Oberſteuer - hofes in Zweifel, ſie drang in den Juſtizpalaſt, wo die - ſes hohe Collegium neben dem Parlamente reſidirte, er - brach die Thüren, ließ nicht eher ab, bis ihr das Pro - tocoll vorgezeigt war.

Während ſo die Schwierigkeiten der Zeit zu drohenden Gefahren heranwuchſen, ſah man die Königin regelmäßig119 in dem Miniſterrathe in des Königs Zimmer und aus allen Kräften für Brienne’s Maßregeln thätig. Eines Ta - ges als ſie dahin auf dem Wege war, hörte ſie unbemerkt die Worte eines Muſikers der Kapelle: eine Königin, die ihre Pflicht kennt, bleibt in ihren Zimmern und ſtrickt Filet; allein ſie nannte bereits ihr unglückliches Geſchick, was ihre Luſt und ihr Stolz war, die Einmiſchung in Staatsſachen. Durch den Einfluß der Königin ſtieg Brienne, der ein öffentliches Zeichen des allerhöchſten Vertrauens begehrte, gerade jetzt zum Premierminiſter. Dadurch beleidigt traten Segur und de Caſtries zurück, und Brienne beförderte ſeinen verdienſtloſen Bruder zum Kriegsminiſter, das Seeweſen erhielt Graf La Luzerne, der freilich gerade in Domingo ſich befand, und das zu einer Zeit da ein Krieg nicht unwahrſcheinlich war. Da - mals inzwiſchen ward Holland den preußiſchen Waffen preisgegeben, welche die Leiden des Erbſtatthalters, des Schwagers Friedrich Wilhelms II., zu rächen kamen. Aber Viele in Frankreich waren der Meinung, Necker an der Spitze der Finanzen und eine kräftige Kriegsdemon - ſtration durch verſammelte 20,000 Mann, als deren An - führer man Lafayette nannte, würden das ſchwankende Anſehn der Krone im rechten Augenblicke wieder befeſtigt haben.

Unterdeſſen traf das Parlament an ſeinem Verban - nungsorte vergebliche Anſtalten zur Fortſetzung ſeiner Amtsgeſchäfte, denn kein Advocat erſchien. Um ſo häufiger120 trafen Deputationen der Untergerichte ein, welche ihm Glückwünſche zu ſeinem ehrenvollen Misgeſchicke brachten. Um ſo eifriger auch wiederholte das Parlament ſeinen An - trag auf Reichsſtände, dieſes Mal mit dem Zuſatze daß die Monarchie Gefahr laufe in eine Despotie überzugehen, wenn das Schickſal der Perſonen durch Verhaftsbriefe, das des Eigenthums durch Throngerichte entſchieden und der Lauf der Gerechtigkeit durch Verſetzungen gehemmt werde. Und nicht lange ſo ſchloß ſich dieſen Hauptſchau - ſpielern der laute Chorus der übrigen Parlamente an. Überall ertönt das Verlangen nach Reichsſtänden. Jetzt aber lenkte Brienne in einen Ausweg ein. Ihm blieb nicht unbekannt daß die Mitglieder des Parlaments ſich in Troyes ſehr unbehaglich fühlten, hierauf baute er einen Vergleich. Die Regierung nahm die im Throngericht ein - gezeichneten Edicte zurück und erhielt dafür den zweiten Zwanzigſten in alter Form bewilligt. So verglichen ſich Regierung und Parlament, beide auf Koſten ihrer Grund - ſätze. Den Finanzen war für eine kurze Friſt ausgeholfen, den Parlamentsräthen blühten die Freuden der Hauptſtadt wieder, aber die Selbſtachtung, an der Wurzel verletzt, wächſt ſobald nicht wieder nach.

Um endlich für die Dauer Rath zu ſchaffen, erfand Brienne einen Hauptſtreich, der ihm zugleich die öffent - liche Meinung wieder gewinnen und die Schatzkammer füllen ſoll. Der König wird die Zuſage geben binnen fünf Jahren Reichsſtände zu berufen; ſie ſollen ſich mit den121 nothwendigen Verbeſſerungen beſchäftigen. Um aber zu dem Ende Alles hinlänglich vorbereiten zu können, muß in der Zwiſchenzeit für die Staatsbedürfniſſe geſorgt ſeyn. Das geſchieht durch eine Anleihe von 420 Millionen, in fünf Jahren zahlbar. Man wird im erſten Jahre 120 Millionen brauchen zur Deckung des Deficit, in jedem nächſten ſtufenweiſe weniger, im fünften wird man mit deren 60 reichen und dieſe wegen des wiederbefeſtigten Credits zu ſehr niedrigen Zinſen erwerben können. Als König und Königin ſich wegen der Reichsſtände Sorge machten, fehlte es an leichtfertigen Troſtſprüchen nicht: Fünf Jahre ſind eine lange Zeit. Sind inzwiſchen die nöthigen Verbeſſerungen im Innern gemacht, ſo hat man freie Hand die Reichsſtände auch nicht zu berufen, inſo - fern ſie dann keinen Zweck mehr haben, oder auch ſie zu berufen als ein Schauſpiel ohne Wirklichkeit, ſobald nur die Leidenſchaften beruhigt ſind.

Auf den 19. November ließ der König eine königliche Sitzung (séance royale) im Parlament anſagen. Eine ſolche war in der äußeren Erſcheinung dem Throngerichte verwandt. In beiden ſah man den König unter dem Thronhimmel auf einem Kiſſen ſitzend, zwei Seitenkiſſen ſtützen ſeine Ellenbogen, ein viertes ſeinen Rücken, ein fünftes unten die Füße; allein im Throngericht ging der Kanzler umher und ſammelte die Stimmen der einzelnen Mitglieder ein, und zwar gegen das ſonſtige Herkommen zuerſt bei den Pärs, den geborenen und den ernannten,122 dann erſt bei den Präſidenten mit der Mörſerhaube, den geiſtlichen Räthen und ſo weiter, die Befragten aber ga - ben ihre Meinung mit leiſer Stimme in demüthiger Weiſe ab, worauf der König dann vom Kiſſen (lit) her ſeinen unumſchränkten Willen verkündigte und die Einzeichnung befahl. In der königlichen Sitzung dagegen ertheilte der König die Erlaubniß laut abzuſtimmen und die Mehrzahl der Stimmen gab die Entſcheidung. Nun hatte Brienne ſich einer günſtigen, wenn auch nicht glänzenden Mehr - heit zum Voraus verſichert und Alles verſprach einen gün - ſtigen Ausgang, wenn nicht der Siegelbewahrer Lamoig - non geweſen wäre. Zwar gaben einige Sätze in des - nigs Rede Anſtoß, welche den ungeſtümen Bittſtellern um Reichsſtände eine verdeckte Weiſung ertheilten. Es iſt nicht nöthig geweſen mich um eine Verſammlung der No - tabeln anzugehen; ich werde niemals fürchten mich mitten unter meinen Unterthanen zu befinden. Ein König von Frankreich fühlt ſich nie wohler als umgeben von ihrer Liebe und Treue. Aber mir allein gebührt es über den Nutzen und die Nothwendigkeit ſolcher Verſammlungen zu urtheilen und ich werde niemals dulden daß man zudring - lich von mir begehrt, was man von meiner Einſicht und Liebe für mein Volk erwarten muß, deſſen Wohl und Wehe unauflöslich mit dem meinen verbunden iſt. Aber Lamoignon hatte beſchloſſen ein Übriges zu thun. Ein Altgläubiger der Unumſchränktheit hielt er in Einverſtänd - niß mit der Königin für nöthig, gerade an dieſem Tage123 der wachſenden Freigeiſterei gegenüber ein politiſches Glau - bensbekenntniß aufzuſtellen. Nachdem er alſo in her - kömmlicher Entwickelung der kurzen Rede des Königs ei - nige Erſparniſſe aufgezählt, aber zugleich bemerkt hat daß dieſe aus mehreren Gründen ihre volle Wirkſamkeit erſt im Verlaufe der nächſten fünf Jahre würden entfalten kön - nen, verkündigt er den Willen des Monarchen die erbe - tenen Generalſtaaten nach fünf Jahren zu berufen, nur daß dieſe nie etwas mehr als Rathgeber der Krone, als ein erweiterter Staatsrath bedeuten könnten; denn ſo ver - lange es die ihm von Gott verliehene Hoheit, deren Rechte ungeſchmälert zu erhalten er der Nation, ſeinen Nach - folgern und ſich ſelber ſchuldig. Dem Könige allein ge - hört die ſouveräne Gewalt in ſeinem Königreiche, er iſt in Hinſicht auf ihre Ausübung Gott allein verantwortlich. Kraft dieſer ſouveränen Gewalt gehört ihm die Geſetzge - bung, unabhängig und ungetheilt. Gaben nun auch die Würdenträger und Mitglieder der großen Kammer und überhaupt die älteren Räthe ihre laute Beiſtimmung zu der Einzeichnung, und ſah man ſchon wohin die Mehr - heit ſich neige, ſo ließen ſich doch andere Mitglieder nicht abhalten nur einen Theil der Anleihe zu genehmigen und die Bitte um eine frühere Einberufung der Reichsſtände dringend auszuſprechen. Auch mußte der Premierminiſter ziemlich deutlich vernehmen daß man ihm den Plan wohl zutraue mit der königlichen Verheißung der Reichsſtände ein leeres Gaukelſpiel zu treiben, und ſeinen Untergebenen124 den damaligen Generalcontroleur Lambert trafen herb die Worte: Seit acht Monaten ſind Sie der vierte General - controleur, und Sie machen einen Plan, der fünf Jahre braucht, um in Erfüllung zu gehen? D’Espréménil ſprach wohl zwei Stunden lang mit jener inneren Bewe - gung, die den Redner macht, bat in ſonſt beſcheidenen Ausdrücken um die Berufung der Reichsſtände auf 1789. Die Sitzung wollte nicht enden; jede halbe Stunde gin - gen Boten an die Königin nach Verſailles, die wegen des Gelingens ihres Werkes doch in großen Sorgen ſtand. Die Abſtimmung hatte ſieben Stunden gedauert, der erſte Präſident hatte die Stimmen geſammelt und erwartete nun den Befehl des Königs ſie zu zählen, um demnächſt die Anleihe als Ergebniß der Stimmenmehrheit zur Ein - zeichnung zu bringen. Zu allgemeiner Überraſchung aber näherte der Siegelbewahrer ſich dem Throne und empfing den Befehl des Königs, die Einzeichnung zu verkündigen. Da erwachte alle Reizbarkeit der Magiſtrate, deren Mehr - zahl ihren guten Willen ſo ſchlimm gelohnt ſah, und ein Prinz vom Geblüt, der Herzog von Orleans erhub ſich nach einiger Zögerung. Dieſer Herr, der ſeit zwei Jah - ren in Rang und Reichthum ſeines verſtorbenen Vaters eingetreten war, ſtand bis dahin bei den Pariſern in übelm Anſehn. Man vergab ihm nicht daß er im Garten ſeines Palais-Royal die ſchönen ſchattigen Baumgänge hatte umhauen laſſen und ihn mit Gallerien umzogen, für deren Benutzung zu Kaufgeſchäften und manchem nicht ge -125 rade ehrenhaften Erwerb er ungeheure Summen erhob. Die entſtellende Spur ſeiner Ausſchweifungen und eine tiefe ſittliche Abſpannung las man auf ſeinem ſonſt wohl - geſtalten Geſichte. Seit er der Königin durch unziemliche Bewerbungen misfiel, ſeit er die Stelle eines Großad - mirals nicht erhielt, weil ſein Muth im letzten Seekriege zweifelhaft erſchien, war er mit dem Hofe zerfallen. Er ſprach nicht ohne Verwirrung: Sire, ich erlaube mir die Frage, ob die heutige Sitzung ein lit de justice iſt? Worauf der König: Sie iſt eine königliche Sitzung. So bitte ich um die Erlaubniß, fuhr der Herzog fort, die Erklärung niederlegen zu dürfen daß ich dieſe Form der Einzeichnung als ungeſetzlich betrachte; man muß, um das Parlament der Verantwortlichkeit zu über - heben, hinzufügen, ſie ſey auf ausdrücklichen Befehl des Königs geſchehen. Die Einzeichnung iſt geſetzlich, erwiderte der König, weil ich die Meinung Aller ver - nommen habe.

Als der König den Saal verlaſſen hatte, brach die Bewegung der Gemüther frei hervor. Man umgab den Herzog, ſagte ihm Dank. Unter denen die zum Frieden riethen, erblickte man Malesherbes, der kürzlich durch ſeinen Verwandten den Siegelbewahrer wieder in das Conſeil gekommen war. Ihm lag es ganz beſonders am Herzen daß ein zweites, in derſelben Sitzung verleſenes Edict, für welches auch Breteuil großen Eifer bezeigte, nicht über der allgemeinen Spaltung zu Grunde gehe. 126Dieſes betraf die Reformirten, ihre endliche Wiederein - ſetzung in einen geringen Theil ihrer ſeit ſo lange verlore - nen bürgerlichen Rechte, nicht als ob ſie wieder Zutritt zu bürgerlichen Ämtern erhalten ſollten, nur daß ihre Ehen, Geburten und Todesfälle künftig der geſetzlichen Anerkennung und Bezeugung nicht entbehrten. Das Par - lament ließ ſich nicht aufhalten; es ſagte ſich in der - ſelben Sitzung von jedem Antheile an der Einzeichnung des Anleiheedicts aus dem Grunde los, weil die Stim - men nicht gezählt wären.

Tags darauf verwies der König den Herzog von Or - leans auf eines ſeiner Landgüter, ließ zwei Parlaments - räthe, Sabathier und Fréteau auf die hieriſchen Inſeln bringen. Das Parlament ward nach Verſailles beſchieden und ſein Proteſt dort aus dem Protocoll ausgemerzt; und daß man ſich ja nicht unterſtehe ihn wiederherzuſtellen! Doch verſichert der König zugleich, ſein Wort wegen der Reichsſtände, ſpäteſtens auf das Jahr 1791, werde ihm heilig ſeyn. Damit niemand bezweifeln könne, auf welcher Seite die gute Sache ſey, ward Brienne mit dem Erzbis - thum Sens, weit reicher als ſein bisheriges, der nicht minder habſüchtige Lamoignon mit einem großen Geldge - ſchenke belohnt. Das Parlament beſchränkte ſich auf einen1788. Jan. 4. Beſchluß gegen die Verhaftsbriefe, ganz im Allgemeinen, als ſtreitend mit dem Staats - und dem Naturrechte. Allein auch dieſe kleine Genugthuung ward ihm aus ſeinem Pro - tocoll geſtrichen. Aber es kam wieder und machte nun auf127 jene drei Märtyrer für die gemeinſchaftliche Sache die lebendige Anwendung. Auch die übrigen Parlamente ſtimmten ein. Und die Sprache dieſer Vorſtellungen tönte immer gehäſſiger; ſelbſt auf die Königin, daß die Erbitte - rung gegen den Herzog von Orleans allein von ihr aus - gehe, ward hingedeutet. Das Edict wegen der Refor - mirten ließ man ſich gefallen, obgleich es Widerſpruch fand, beſonders von Seiten d’Espréménil’s, der nurJan. 19. eine ſeeligmachende Kirche kannte.

Die Verlegenheit des Premierminiſters ſtieg, denn die Anleihen, mit dem Widerſpruche des Parlaments be - haftet, hatten keinen Fortgang, und als man Miene machte die Zwanzigſten nach dem neuen Grundſatze der Gleich - mäßigkeit gewinnreicher zu erheben, ſträubten ſich die Provinzen; mehrere derſelben wollten auch von den neuen Provinzialverſammlungen durchaus nichts wiſſen. Allein die Noth iſt die Mutter der Erfindungen. Brienne ſetzte ſich mit ſeinem juriſtiſchen Freunde Lamoignon zuſammen, beide heckten den Plan aus den Knoten zu durchhauen, in Maupeou’s Art einen Streich gegen die Parlamente zu führen. Es war um die Zeit, da an fernen Küſten der Weltumſegler Lapeyrouſe und ſeine Gefährten zu Grunde gingen, an deren Unternehmung König Ludwig ſchöne Hoffnungen geknüpft hatte. Als die traurigen Vermuthun - gen ſich allmählig zur Gewißheit ſteigerten, ſprach der König: Ich wußte es ſchon daß ich nicht glücklich bin.

Eine Zeitlang herrſchte von Oben her eine räthſelhafte128 unheimliche Stille. Es konnte nicht Unthätigkeit ſeyn, da die Verlegenheiten der Schatzkammer wuchſen. Die Ahn - dung daß große Dinge im Werke wären ging durch ganz Frankreich, wie viel ſpannender durch die Hauptſtadt! Hier wußte man daß in Verſailles eine militäriſch um - ſtellte Druckerpreſſe arbeite; keiner der Arbeiter durfte aus dem Gebäude. Militäriſche Vorſichtsanſtalten waren in allen Provinzen genommen. Was eigentlich beabſichtigt werde blieb innerhalb des engen Kreiſes der Eingeweih - ten, dennoch ſprach ſich allerlei herum und für die Parla - mente ward in den entfernteſten Enden von Frankreich ge - fürchtet. Es kam Alles darauf an, vor dem vielleicht tödt - lichen Schlage noch einmal die Stimme zu erheben.

König Ludwig hatte vierzehn Jahre regiert, als am 3. Mai 1788 d’Espréménil ſeine Collegen aufforderte fol - gende Erklärung zu genehmigen:

Das Parlament iſt durch offenkundige Thatſachen und den Zuſammenhang ſattſam bekannter Umſtände davon unterrichtet daß ein Schlag die Nation treffen ſoll, deſſen nächſtes Ziel die Magiſtratur iſt.

In Erwägung nun daß die Unternehmungen der Mi - niſter gegen die Magiſtratur augenſcheinlich ihren Grund darin haben daß der Hof ſich zwei unſeligen Auflagen widerſetzt, ſich für incompetent in Steuerſachen erklärt, die Berufung der Generalſtaaten beantragt und die per - ſönliche Freiheit der Bürger in Schutz genommen hat;

Daß die gedachten Unternehmungen folglich keinen andern Zweck haben können, als mit Umgehung, wenn129 es möglich iſt, der Reichsſtände zu den alten Verſchleu - derungen zurückzukehren und zu dieſem Zwecke Mittel anzuwenden, welche das Parlament zum Widerſtande auffordern müßten, da es ſeine Pflicht iſt, mit uner - ſchütterlicher Standhaftigkeit alle Plane, welche die Rechte und Verpflichtungen der Nation gefährden, zu bekämpfen, geſtützt auf dem Anſehn der Geſetze, dem Worte des Königs, dem öffentlichen Glauben und der Beſtimmung der öffentlichen Abgaben;

In Erwägung endlich daß das Syſtem des einzigen Willens, welches ſich in den verſchiedenen unſerm Herrn und Könige abgewonnenen Antworten klärlich darſtellt, den traurigen Plan der Miniſter die Grund - lagen der Monarchie zu vernichten aufdeckt, gegen wel - chen der Nation keine andere Hülfe bleibt als eine förm - liche Erklärung des Parlaments über die Grundſätze, zu deren Wahrung es verpflichtet iſt und die Geſinnungen, zu welchen es ſich immerdar bekennen wird:

Erklärt das Parlament daß Frankreich eine Monarchie iſt, welche vom Könige nach Geſetzen regiert wird;

Daß einige unter dieſen Geſetzen Grundgeſetze ſind, welche umfaſſen und heiligen

  • das Recht des regierenden Hauſes zum Throne, von Mann zu Mann in Folge der Erſtgeburt, mit Ausſchließung der Töchter und ihrer Abkömmlinge;
  • das Recht der Nation die Steuern durch ihre vor - ſchriftsmäßig einberufenen und zuſammengeſetzten Generalſtaaten frei zu bewilligen;
  • das rechtliche Herkommen und die Capitulationen der Provinzen;
  • die Unentſetzbarkeit der Magiſtrate;
  • 130
  • das Recht der höchſten Gerichtshöfe in jeder Provinz die Befehle des Königs in Hinſicht auf ihre Urkundlich - keit zu unterſuchen und nur in dem Falle einzutragen, wenn ſie den Verfaſſungsordnungen der Provinz und den Grundgeſetzen des Staates entſprechen;
  • das Recht jedes Bürgers in keinem Falle vor andere Richter geſtellt zu werden als ſeine natürlichen, das heißt diejenigen welche das Geſetz ihm anweiſt;
  • endlich das Recht, ohne welches alle anderen nichtig ſind, auf Niemandes Befehl, wer es auch ſey, anders verhaftet werden zu dürfen als um ohne Verzug in die Hände der competenten Richter überzugehen;

Proteſtirt beſagtes Parlament gegen jeden Angriff, der auf die oben ausgeſprochenen Grundſätze gemacht werden könnte;

Erklärt einſtimmig daß es von denſelben in keinem Falle abweichen könne; daß dieſe Grundſätze, welche ſämmtlich auf gleich feſtem Grunde ſtehen, alle Mit - glieder des Parlaments verpflichten und in ihrem Eide begriffen ſind; daß folglich keines ſeiner Mitglieder das Recht und die Abſicht hat die geringſte Neuerung in dieſer Hinſicht durch ſein Benehmen gut zu heißen, noch in irgend einer anderen Behörde als in dieſem Parla - ment, zuſammengeſetzt aus denſelben Perſonen und mit denſelben Rechten bekleidet, Platz zu nehmen; und für den Fall daß die Gewalt durch Zerſprengung des Par - laments daſſelbe außer Stand ſetzen ſollte die im gegen - wärtigen Beſchluſſe enthaltenen Grundſätze ſelbſt zu vertheidigen, erklärt beſagtes Parlament daß es die - ſelben von jetzt an als ein unverletzliches Pfand nie - derlegt in die Hände des Königs, ſeiner erhabenen131 Familie, der Pärs des Reiches, der Generalſtaaten, und eines jeden der ſey’s verſammelten oder getrenn - ten Stände, welche die Nation ausmachen.

Alle Mitglieder traten einſtimmig bei und vollzogen die unverzügliche Verſendung dieſer Erklärung in alle Be - zirke ihres weitläuftigen Gerichtsſprengels. Schon den Tag vorher ſprach ſich das Parlament zu Pau und am 5ten das zu Rennes, durch dieſelben allgemeinen Befürch - tungen beſtimmt, ebenfalls verwahrend aus. Um ſo we - niger Grund den Verbreitungen zu glauben daß d’Espré - ménil durch Beſtechung eines Druckers oder ſeiner Frau in den Beſitz der Edicte gelangt ſey, was mit der ſchriftlichen Erklärung im Widerſpruch ſtände und er ſelber ſtets ge - läugnet hat.

Gleich am nächſten Morgen caſſirte der König die Er - klärung nebſt einem etwas früher gefaßten Beſchluſſe gegen die Erhebung des Zwanzigſten nach neuen Grundſätzen, deſſen Urheber ein junger Rath Goislard de Monſabert war. Gegen ihn und d’Espréménil erging ein Verhafts - befehl, allein es gelang ihnen ſich in ihren Palaſt zu ret - ten. Auf die Nachricht verſammelt ſich das Parlament, beſchließt eine Deputation an das Hoflager. Dieſe aber bleibt ohne Erfolg; denn der Hof benutzt eine in der Eile unterlaſſene Förmlichkeit der Anmeldung, um ſie zurückzu - weiſen. Mittlerweile ſieht man den Palaſt von Truppen umſtellt; es iſt Mitternacht, da tritt ein Gardeofficier als9*132Überbringer königlicher Befehle ein, verlieſt ſeine Voll - macht:

  • Ich befehle dem Herrn Marquis d’Agoult ſich unver - züglich zu dem Palaſt zu begeben, an der Spitze von ſechs Compagnien meines Garderegiments, ſich aller Ausgänge zu bemächtigen und die Herren Duval d’Espréménil und Goislard de Monſabert in der großen Kammer oder wo es ſonſt ſeyn mag, gefan - gen zu nehmen und ſie in die Hände der Beamten der Vogtei des Palaſtes, die mit meinen Befehlen ver - ſehen ſind, abzuliefern.

Gezeichnet Ludwig.

Aber der Officier kannte jene Männer, die er weg - führen ſollte, nicht von Perſon. Auf ſeine Nachfrage tönte ihm der Ruf entgegen: Wir ſind alle d’Espréménil und Monſabert. Da zog er ſich zurück und erſchien erſt am andern Morgen um eilf Uhr wieder vor der Verſammlung, die ihre Sitzung keinen Augenblick unterbrochen hatte, die - ſes Mal begleitet von einem Unterbeamten, der ſämmt - liche Mitglieder kennen mußte. Dennoch wagte dieſer zu erklären, er ſehe die beiden Herren nicht. Nun aber machte d’Espréménil dem Auftritte ein Ende, gab ſich zu erkennen, ſtand auf, proteſtirte und nahm mit der Er - mahnung die öffentliche Sache nicht zu verlaſſen von ſei - nen Amtsbrüdern Abſchied. Ebenſo Goislard. Beide ver - ließen die Inſel des Palaſtes, um in weitentfernte Haft - orte abzufahren, dieſer nach dem Lyonner Fort Pierre en133 Cize, jener auf die Inſel St. Marguerite an der Küſte der Provence, wo ehemals die eiſerne Maske räthſelhaf - ten Andenkens in dem feſten Schloſſe verwahrt ward.

Als nach aufgehobener dreißigſtündiger Sitzung die Mitglieder den Palaſt verließen, wurden hinter ihnen die Pforten verſchloſſen und blieben mit Wachen beſetzt.

Die ſo ſchweigſam vorbereiteten Edicte enthielten Gu - tes und Schlimmes, aber nichts was geeignet war die Gährung der Gemüther zu beſchwichtigen. Die Verifici - rung und Eintragung der Geſetze wird den Parlamenten des Königreichs ganz entzogen und einer cour plenière (ein Wort, welches niemand recht verſtand) übertragen, deſſen Kern die Prinzen von Geblüt, als geborene Pärs, die übrigen Pärs und die Mitglieder der großen Kammer des pariſer Parlaments bilden werden; dazu aber kommt ein Zuſatz von einer Zahl von vornehmen an den Hof ge - knüpften Herren, deren Intereſſe ſchon einer gefährlichen Selbſtändigkeit das Gegengewicht halten wird. Ohne klare Entſcheidung blieb die Frage, ob ein Einſpruch der cour plenière hindernde Macht habe, eben ſo eine andere, ob künftig Reichsſtände über jedwede neue Steuer berathen oder vollends entſcheiden ſollen. So viel erfährt man: In dringenden Fällen iſt die cour plenière verpflichtet die Steuern vorläufig einzuzeichnen, bis daß die Reichsſtände zuſammenkommen, auch behält ſich der König die Macht bevor ſolche Anleihen zu machen, welche keine neue Steuern nach ſich ziehen. Was mögen das nur aber für134 ſeltſame Anleihen ſeyn? und wer entſcheidet ob der Fall ſo dringend iſt? Vor Allem jedoch: Wie konnten die bei - den Planſchmiede hoffen die große Kammer für ihre Neue - rung zu gewinnen, da ſie zu gleicher Zeit die Gerichts - barkeit ſämmtlicher Parlamente durch 47 ganz neu zu er - richtende Mittelgerichte beſchnitten? Dieſe, Oberämter genannt, ſollen über alle bürgerliche Streitigkeiten, welche nicht über 20,000 Livres hinausgehen, erkennen, in pein - lichen Sachen aber überall, wo weder Geiſtliche noch Edelleute die Angeklagten ſind. Und das hieß nun vollends dem dritten Stande ins Auge ſchlagen! In dieſem Geleite misfielen ſelbſt manche unläugbare Verbeſſerungen, als z. B. die wirklich längſt nöthigen Mittelgerichte, zwiſchen Parlament und Untergericht (Amt) ſtehend, die Beſei - tigung einer Menge von Ausnahmegerichten, ferner daß die Folter, ſchon ſeit acht Jahren im Proceſſe abgeſchafft, fortan auch nicht mehr vor der Hinrichtung, zum Zwecke der Entdeckung von Mitſchuldigen, in Anwendung kom - men darf.

Um nun aber für dieſe Neuerungen einen geſetzlichen Eintritt ins Leben zu gewinnen, mußte abermals ein litMai 8. de justice daran, dieſes Mal zu Verſailles früh Morgens neun Uhr gehalten. Die Rede des Königs begann mit den Sturm drohenden Worten: Es giebt keine Aus - ſchweifung, welcher ſich mein Parlament von Paris nicht ſeit einem Jahre überlaſſen hätte. Der Übergang zur Hauptſache mit den Worten: Ein großer Staat bedarf135 einen einzigen König (Wären denn für einen kleinen meh - rere Könige noth?), ein einziges Geſetz, eine einzige Einregiſtrirung, konnte gerade nicht für geiſtreich gelten. In der gern vernommenen Äußerung daß die états-géné - raux nicht nur das eine Mal, ſondern jedes Mal, wenn die Bedürfniſſe des Staates es erfordern, verſammelt werden ſollen, war doch noch immer nicht deren regel - mäßige Wiederkehr enthalten. Als nun die Einzeichnung nicht ohne Widerſpruch abgezwungen war, proteſtirten alle Mitglieder des Parlaments gleich nach der Sitzung von einem verſailler Gaſthofe aus, und die von der erſten Kammer weigerten ſich in die cour plenière zu treten. Ihre Beharrlichkeit ward nicht wenig durch die Nachrichten aus den Provinzen beſtärkt. Die Mehrzahl der bretagniſchen Edelleute unterzeichnete eine Erklärung, in welcher ſie ei - nen jeden für ehrlos erklären, der eine Stelle in der neuen Ordnung der Dinge annähme; und ſie glaubten hiemit noch nicht genug gethan zu haben. Man faßte eine An - klage der Miniſter ab und ſchickte zwölf Abgeordnete, um ſolche dem Könige zu überreichen. Dieſe nun fanden ihr Unterkommen in der Baſtille. Sogleich aber reiſte eine zweite noch zahlreichere Deputation ab, um ihre Loslaſſung zu verlangen; der Intendant der Provinz, Bertrand de Molleville, Anfangs übereifrig in des Königs Dienſt, ſah ſich zur Flucht genöthigt. Es ſchien hier eine blutige Entſcheidung bevorzuſtehen, und faſt nicht minder aufre - gend wirkten die Berathungen der ergrimmten bretagner136 Deputirten in der Hauptſtadt, an welchen außer allen in Paris gerade anweſenden Edelleuten aus der Bretagne auch viele andere Adlige theilnahmen, und nicht bloß als Zuhörer, auch als Mitunterzeichner. Durch dieſen Mis - griff verlor Lafayette ſein Commando, Andere büßten ihre Penſionen, ihre Hofämter ein. In der Bretagne mußte ein Regiment aufgelöſt werden, weil die Officiere ſich weigerten ihren Befehlshabern zu gehorchen. Auch in der Provence, im Languedoc und im Rouſſillon zeigten ſich ernſthafte[Bewegungen], nirgend aber gefährlicher als im Dauphiné. Als hier der unvorſichtige Gouverneur Verhaftsbriefe gegen die Parlamentsglieder anwandte, brachte ihn ein Aufſtand in Grenoble bald in die Lage daß er den Beiſtand ſeiner Gefangenen für die eigene Rettung anrufen mußte. Die Truppen bewieſen ſich auch hier lau, mancher Officier gab bedenkliche Erklärungen. Am Ende nahmen einige Männer von Gewicht, gleich bedacht der Anarchie zu ſteuern wie den Kampf gegen die Miniſter nicht aufzugeben, ſich des Gemeinweſens an, ſtellten auf eigene Verantwortlichkeit die Provinzialſtände des Dau - phiné wieder her, welche ſeit 1628 nicht zuſammengekom - men waren. Ein noch junger Mann von ernſter Bildung, der königliche Richter in Grenoble, Mounier, trat an die Spitze dieſer ſtändiſchen Schöpfung, welche ohne Erlaub - niß der Regierung geſtaltet, kaum von ihr geduldet, den - noch die zarte Gränze des Gehorſams einzuhalten bemühtAug. war. Schließlich aber gerieth man doch dahin daß man137 vor Allem auf Reichsſtände antrug. Man konnte ſich in dieſem Betracht nicht der Voreiligkeit anklagen. Einige Monate früher ward der Klerus vom Premierminiſter ver - ſammelt (es war ſeine letzte Verſammlung im altkönig - lichen Frankreich) und um eine Beihülfe von 1,800,000 Livres für dieſes Jahr und um eben ſo viel für das nächſte angeſprochen; die Beihülfe ſchlug er ab und ſtimmte in den allgemeinen Wunſch nach Reichsſtänden ein. Juni 15.

Um dieſe Zeit reichte Malesherbes eine Denkſchrift ein, bat die Unruhen nicht für unbedeutend zu halten, das habe der Londner Hof gethan den Amerikanern gegen - über, der Kaiſer eben ſo in ſeinen Niederlanden, und beide haben ſich getäuſcht. Seine Hoffnung iſt nicht auf hiſto - riſche Stände gerichtet, nach deren Zuſammenſetzung Brienne in den Archiven forſchen läßt und die Schriftſtel - lerwelt ſogar einladet ſich über dieſen Gegenſtand zu ver - breiten, Malesherbes verlangt Stände, die das Leben, wie es wirklich vorliegt, abbilden; er glaubt ſie in frei - gewählten Grundbeſitzern zu erkennen. Auf dieſe geſtützt, meint er, könne man den Parlamenten getroſt entgegen - treten. Las der König dieſe Denkſchrift? Er ſchien ſich um dieſe Zeit der Regierungsangelegenheiten gefliſſentlich zu entſchlagen; er jagte.

Brienne hatte ſeinen Vorrath von Finanzkünſten er - ſchöpft; noch einmal verſuchte er die Sprödigkeit der öf - fentlichen Meinung zu überwinden, indem er ſeine cour plenière bis zu der Verſammlung der Reichsſtände ver -138 tagte, dieſe aber ſchon auf den erſten Mai des nächſtenAug. 8. Jahres ankündigte. Darüber freute man ſich, aber es lag zu ſehr das Bekenntniß ſeiner Finanzverlegenheiten darin, als daß man Dankbarkeit empfunden hätte. Nicht zunächſt das Volk, die Regierung bedurfte der Reichs - ſtände. Wirklich griff Brienne in den letzten Wochen zu den Mitteln der Verzweiflung. Schon waren öffentliche Zahlungen angekündigt, die theilweiſe in Papiergeld, in Schatzkammerſcheinen geſchehen ſollten, man fürchtete ei - nen Eingriff in die Barſchaften der Discontocaſſe, als Brienne an Necker die Frage richtete, ob er ſein General - controleur werden wolle. Necker war klug genug nicht un - ter ein Dach zu treten, welches mit dem Einſturz drohte. Als ſein Nein eintraf, ſpielte Brienne den Großmüthigen,Aug. 25. nahm ſeine Entlaſſung und ward mit dem Cardinalshute, mit reichen Spenden aller Art und durch die Thränen der Königin für den Verluſt ſeiner Macht entſchädigt. Nicht lange, ſo wurden die verhaßten Edicte aufgehoben und die Parlamente ihrem alten Geſchäftskreiſe zurückgegeben. Auch Lamoignon ſchied trauernd und mit vielem Gelde ge - tröſtet vom Amte. Sein Nachfolger ward Barentin.

Allgemeiner ausſchweifender Jubel erſcholl als man von dem Falle des Erzbiſchofs vernahm und daß Necker mit freier Hand in die Finanzen trete. Die Zukunft Frank - reichs beruhte von nun an hauptſächlich darauf, ob Necker zur Klarheit darüber gelangte daß die Reichsſtände unend - lich viel mehr bedeuteten als der Drang der Finanzen.

[139]

Zweites Buch. Das neue Frankreich und ſein Koͤnigthum.

[140][141]

1. Die Form der Reichsſtaͤnde.

So lange die unumſchränkte Herrſchaft dauert iſt der Staat ein mythologiſches Weſen; Alles kommt darauf an den Mythus feſtzuhalten daß Macht und Weisheit, un - auflöslich verſchlungen, auf demſelben Throne ſitzen, ohne ſich einander zu verdrängen. Sobald aber regelmäßig wie - derkehrende Ständeverſammlungen berufen werden, nimmt das Wiſſen vom Staate ſeinen Anfang. Es iſt nun von Oben her anerkannt daß der Inhaber der Macht ungenü - gend berathen ſeyn könne. Eine Lücke im Staatsweſen iſt zugeſtanden, welche durch Einſicht aus dem Volke her er - gänzt werden ſoll. Aber jede Einſicht iſt Macht, aus Vie - len und Erleſenen redend große Macht. Darum werden Reichsſtände, wie man ſich auch ſtelle, immer eine ent - ſcheidende Stimme führen, und beharrt eine Staatsregie - rung dabei ſie als bloß rathgebend zu behandeln, ſo ver - tieft ſie ſich in einen Wortſtreit, bei welchem ſie nothwen - dig den Kürzeren ziehen muß. Beſonders entſcheidend mußten die Generalſtaaten Ludwigs XVI. auftreten, und142 es war von Anfang an zu fürchten daß ſie die Regierung an ſich reißen möchten. Darum durfte ihr Verſammlungs - ort für das Mal vor allen Dingen nicht in der bereits ge - fährlich aufgeregten Hauptſtadt ſeyn. Auch Verſailles ſtand viel zu nahe und bot als der glänzende Mittelpunct aller Misbräuche und Hoffarth ohnehin keinen für das Königthum günſtigen Anblick dar. Wenn der König die Verſammlung ſey es nach Troyes oder Orleans beſchied, und die Königin vermocht werden konnte ihn nicht zu be - gleiten, ſo waren vielfache Anſtöße entfernt. Aber freilich gehörte noch weit mehr dazu, um einen günſtigen Aus - gang ſicher zu ſtellen. Niemand zog damals das Recht der Krone in Zweifel die Form der Reichsſtände vorzuſchrei - ben. Hier kam es nicht auf antiquariſche Unterſuchungen an, wie es vor 175 Jahren damit geſtanden. Die Beru - fung der Reichsſtände bedeutete in dieſem Augenblicke nichts Geringeres als eine neue Verfaſſung, zugleich konnte die Verbeſſerung der Finanzen nur durch weſentliche Umge - ſtaltungen in der Verwaltung bewirkt werden; Alles hing davon ab einer Verſammlung das Daſeyn zu geben, welche tiefgreifende Beſchlüſſe mit Beſonnenheit zu faſſen und die Macht der Krone ſie durchzuführen weiſe in Ehren zu halten verſtand. Nun iſt es ein Irrthum zu glauben, die Grundformen der engliſchen Verfaſſung hätten einen bloß nationalen Grund. Die innerſte Natur des Geſchäf - tes führt darauf daß Berathſchlagungen, auf deren Gelingen das Heil des Gemeinweſens beruht, in zwei verſchiedenen143 und verſchiedenartigen Verſammlungen gepflogen und allein diejenigen Gegenſtände, über welche beide ſich Eins geworden ſind, dem Könige zur Entſcheidung vorgelegt werden. Dieſe Form der Verhandlung vermeidet die Zu - fälligkeiten, welche ſtets an der Stimmenmehrheit in einer einzigen Verſammlung haften, vermeidet das von mehr als zwei Kammern unzertrennliche verhaßte Gefühl von einer Minorität der Köpfe beherrſcht zu werden, vermei - det die Gefahren leidenſchaftlicher, häufig bald hernach bereuter Beſchlüſſe, indem der lobenswerthe Ehrgeiz jeder Kammer dahin geht auf ihre Amtsgenoſſin berichtigend einzuwirken. Ganz beſonders aber gewährt dieſe Ordnung treuen Schutz der Krone vor der Erſchütterung, welche die brauſende Welle der Berathungen ſo vieler Köpfe leicht hervorbrächte, ſchlüge ſie ungebrochen immerfort geradezu an den Thron an. Von der anderen Seite wirkt ſie eben ſo kräftig für die Freiheit, ſowohl in außerordentlichen Fällen dem Despoten gegenüber, der in der Unwandel - barkeit einer erblichen Kammer das entſchiedenſte Hinder - niß ſeiner Plane findet, als im ordentlichen Laufe der Dinge, weil ein in beiden Kammern übereinſtimmend gefaß - ter Beſchluß als die wirkliche Stimme des Volks vor dem Throne erſcheint, mithin in der Regel die königliche Ge - nehmigung nach ſich zieht. Dieſe Einſicht ſtand auch ſeit Montesquieu den Franzoſen von Bildung nicht mehr fern, ſie ließ ſich bei den Einen auf Englands altbewährten Vorgang, bei den Andern auf die Nordamerikaner ſtützen,144 welche mit ſo ganz und gar keinem ariſtokratiſchen Mate - rial verſehen und wahrlich nicht danach geſtimmt der Mut - ter nachzuäffen, um ihrer eigenen Wohlfahrt willen die Bildung von Senaten den Volkskammern gegenüber nicht verſchmäht haben. Und eben mit Nordamerika war auch gleich der klägliche Einwand abgeſchnitten daß England wohl bewundert, aber nicht nachgeahmt werden dürfe. Denn wo ſich auch eine ſo treffliche Gliederung der Volks - mannigfaltigkeit nicht findet, wie ſie in England ſich dem Unterhauſe gegenüber als Oberhaus geſtaltet, da finden ſich doch ſicherlich die Unterſchiede des Alters, der Würde und der Amtserfahrung, mithin Elemente zu einem Senat von bleibenden, vielleicht lebenslänglichen Mitgliedern, der raſcher wechſelnden Volkskammer gegenüber. In Frank - reich aber bot ſich ſchon in den Pärs, deren derzeit im Ganzen ungefähr 60 waren, kein verächtliches Material auch zu erblichen Mitgliedern dar, und keine Frage daß die hohe Geiſtlichkeit, wenn auch bloß durch die ſieben geiſtlichen Pärs vertreten, ſich hier mehr zu Hauſe gefühlt hätte als, wie es ſpäter kam, mit der niederen Geiſtlichkeit in demſelben Standesſaale zuſammengeſperrt und von ihr überſtimmt. Was aber die Geſinnung betrifft, ſo zeigte die Hälfte der Pärs und ein bedeutender Theil des Adels bald daß er nicht blind an der Steuerfreiheit ſeines Stan - des hafte, und wenn dem Könige, wie billig, freie Hand blieb außerdem Mitglieder jedes Standes, durch Ver - dienſte und Erfahrung ausgezeichnet, zur erſten Kammer zu145 ernennen, ſo ließ ſich ein Oberhaus erwarten, welches keineswegs mit bloß erborgtem Lichte geglänzt hätte. Selbſt der Staatsbankerutt, unabwendbar drohend, wenn man unverrichteter Sache aus einander ginge, und in ſei - nem Gefolge eine Staatsumwälzung, legte eine furcht - bare Waffe in des Miniſters Hände, welcher ſie gegen Starrköpfe wie Artois zu gebrauchen verſtand. Auch die zwar aufgeregte, aber durchaus noch nicht unverbeſſerlich irregeführte öffentliche Meinung war für eine getheilte Reichsſtandſchaft zu gewinnen, wovon die um dieſe Zeit erſchienenen Schriften von Mounier, Bergaſſe, von dem Biſchof von Langres de la Luzerne, dem Grafen Laura - gais und andern genugſam Zeugniß geben, und in Be - nutzung dieſes ſicheren Fahrwaſſers ließ ſich dann ferner von Anfang her den Provinzen kundthun daß ihre Depu - tirten zwar mit Aufträgen verſehen, aber an keine Vor - ſchriften gebunden werden dürften. Daneben mußten Be - ſtimmungen für die Wähler und die Wählbarkeit zur zwei - ten Kammer erlaſſen werden, und für jetzt war zu wün - ſchen daß beide Berechtigungen an einen gewiſſen Grund - beſitz, übrigens ohne Unterſchied des Standes, geknüpft würden. Zur Aushülfe konnte eine gewiſſe Steuerquote hinzutreten. Weil aber die beſten Grundſätze nur dann etwas für die Welt bedeuten, wenn ſie von Lebendigen zu rechter Zeit vertreten werden, ſo galt es nun vor allen Dingen für den praktiſchen Staatsmann, durch die Kraft der Überzeugung, welche von hoher Stelle aus mächtigFranzöſiſche Revolution. 10146wirkt, eine Schaar von Gleichgeſinnten um ſich zu ver - ſammeln, die emporſtrebenden Talente durch Ausſichten zu beflügeln und Alles in folgerechte Thätigkeit zu ſetzen. Ein Paar Männer aus dem engeren Kreiſe rückten dann wahrſcheinlich in die Stellen einiger unbrauchbarer Mini - ſter ein, damit in jeder Kammer die Rechte der Krone durch ihre höchſten Diener mit der Unmittelbarkeit des Worts vertreten und die nöthigen Aufklärungen ertheilt würden. Gewiß, das waren ſchwere Aufgaben, deren Kämpfe ſich kein Staatsmann von freien Stücken erwählt, allein die Sachen waren bereits dahin gediehen, daß das Gewagteſte für das Sicherſte gelten konnte, wenn es nur das Gepräge von Einſicht und Willensſtärke trug.

Necker war zum Principalminiſter zwar nicht ernannt, wie Brienne, aber er ward als ein ſolcher behandelt und ſein Ehrgeiz entzog ſich dieſer Stellung keineswegs. Wenn er nun nicht bloß Finanzmann, wenn er wirklich Staats - mann war, ſo mußten die eben aufgeſtellten Erwägun - gen ſeinen Geiſt beſchäftigen und zur angeſtrengteſten Thä - tigkeit beſtimmen. Was ihn dabei in Verlegenheit ſetzen konnte, war daß ſein leichtfertiger Vorgänger die Friſt bis zu den Reichsſtänden ſo kurz geſtellt hatte. Mit einem Aufſchub aber anfangen war gehäſſig und wegen der nach Bewilligungen drängenden Finanzen überaus ſchwierig. Was that nun Necker? Allein es ſoll dem Zuſammenhange der Begebenheiten nicht vorgegriffen werden.

In Behandlung der Finanzen ließ Necker nichts zu147 wünſchen übrig. Er half den dringendſten Bedürfniſſen durch ein Paar Millionen ab, die er aus eigenem Ver - mögen einſchoß, und gab dem Patriotismus Anderer da - durch einen Antrieb. Keine Rede mehr von aufgedrunge - nem Papiergelde. Die Hauptſache freilich mußte doch am Ende die Discontocaſſe, das Ehrendenkmal Turgots, thun. Es war verzeihlich oder eher löblich daß Necker in dieſer äußerſten Noth den König bewog, die Verwalter der Dis - contocaſſe von ihrer Verpflichtung durchaus keine Geldge - ſchäfte mit den Finanzen zu machen zu entbinden, ſo daß er in den erſten acht Monaten ſeiner Verwaltung nach und nach wohl 60 Millionen von ihr anlieh. Gleichwohl mußte eine Menge von Zahlungen unberichtigt bleiben. Es war verzeihlich daß er in dieſem Drange, welchen er ſpäterhin vergeblich abläugnen möchte, ſogar dahin ge - rieth, die Eröffnung der Verſammlung der Reichsſtände noch zu verfrühen, vorausgeſetzt daß in der Zwiſchenzeit für die Löſung dieſer Hauptaufgabe das Genügende vor - bereitet werden konnte.

Ein unbedachter Schritt des Parlaments erleichterte im rechten Augenblicke Neckers ſtaatsmänniſche Thätigkeit. Der König verkündigte die Reichsſtände ſchon auf nächſtenSept. 23. Januar. Nun regiſtrirte das Parlament zwar dieſes Edict, aber fügte die Clauſel hinzu: in der im Jahre 1614 beobachteten Form. Das hieß Reichsſtände beru - fen, in welchen jeder Stand ein Veto gegen den andern gehabt hätte; es war unmöglich mit einer ſolchen Ver -10*148ſammlung die nöthigen Verbeſſerungen zu bewirken. Auf einen Schlag aber war es jetzt auch mit der Popularität des pariſer Parlaments und der Achtung zu Ende, welche ihm ſelbſt ruhige Beobachter eine Zeitlang zollen mochten. Man warf ihm öffentlich ſeinen Standesegoismus vor, daß es nicht an das Volk, nur an ſeinen erblichen Adel denke, das Vorrecht jedes Mitgliedes dieſes Parlaments. Als der freigegebene d’Espréménil auf ſeiner Rückreiſe durch Frankreich ſeine Parlamentsapotheoſen wiederholte, ward er wie ein faſelnder Geck betrachtet. Hierauf ließ ſich etwas gründen. Der Widerſtand dieſes Parlaments, welcher eben noch unüberwindlich ſcheinen konnte, war durch ſeine eigene Schuld gebrochen. Wenn nichtsdeſto - weniger Necker ſich nicht ſtark genug hielt ein Zweikam - merſyſtem ſofort durchzuſetzen, ſo öffnete ſich ihm ein zwei - ter Weg. Der ganze dritte Stand, das heißt ungefähr 24 Millionen Franzoſen und außerdem eine Anzahl ein - ſichtiger Männer vom Adel ſtimmten darin überein daß der dritte Stand mindeſtens ſo viel Repräſentanten erhal - ten müſſe als Geiſtlichkeit und Adel zuſammengenommen. Man konnte dafür ſogar das Herkommen anführen, weil wirklich in den alten Etats-généraux der dritte Stand ge - wöhnlich am zahlreichſten erſchien, obgleich er in einigen Provinzen bloß aus Städtern beſtand, während er in den andern auch die Landleute begriff. Den privilegirten Stän - den konnte das gleichgültig ſeyn, ſobald jeder Stand für ſich abſtimmte, wovon auf älteren Reichstagen freilich149 auch das Gegentheil vorgekommen. Gegenwärtig aber ging mit dem Begehren nach Verdoppelung des dritten Standes die zweite Forderung Hand in Hand daß nicht mehr nach Ständen geſtimmt, ſondern nach Köpfen durch - geſtimmt werde. Doppelt ſo ſtark erſchienen zu ſeyn und doch unterliegen zu müſſen wäre nur eine Erniedrigung mehr geweſen. Neuerliche Ereigniſſe hatten die Befriedi - gung beider Wünſche in Ausſicht geſtellt. Der König hatte die Provinzialverwaltungen in Steuerſachen auf dieſem Fuß eingerichtet: Verdoppelung des dritten Standes und Durchſtimmen nach Köpfen; die Provinzialſtände, welche das Dauphiné ſich gab, auf derſelben Grundlage einge - richtet, erhielten königliche Beſtätigung. Wenn nun der König bei Berufung der Reichsſtände, auf das Herkom - men und die Billigkeit, insbeſondere in Bezug auf Steuer - ſachen geſtützt, dieſe Grundform des Reichstags verkün - digte, ſo gewann er die Stimme des Volks für ſich. Ein Theil des Adels und die höhere Geiſtlichkeit konnte das übel empfinden, allein vom Reichstage darum ausbleiben hieße Alles aufs Spiel ſetzen wollen. Zu gleicher Zeit aber konnte der König, indem er in ſeinem Berufungs - ſchreiben den nächſten Reichstag bloß auf Steuerſachen beſchränkte, die privilegirten Stände darüber beruhigen, daß ihre Einbußen nicht über die Gleichheit der Beſteue - rung hinausgehen würden; er konnte endlich weiter gehen - den Hoffnungen ſo entgegenkommen, daß in dem Ausſchrei - ben hinzugefügt ward, ein Ausſchuß, theils vom Könige150 theils von den Ständen ernannt, werde nach Entlaſſung der Reichsſtände zuſammentreten, um an der künftigen Verfaſſungsordnung zu arbeiten, auf deren Grund ſodann die reichsſtändiſche Verſammlung des Jahres 90 werde berufen werden. Dergeſtalt ließ ſich noch immer, den König ſtets leitend voran, zu einem Zweikammerſyſtem gelangen.

Necker ergriff den unſeligſten Ausweg von allen, ließ den König nichts entſcheiden; er, der froh ſeyn muß un - beengt vom Parlament zu ſeyn, ſchafft ſich künſtlich eine neue Hemmung, beruft die früheren Notabeln zum zwei - ten Male; ſie ſollen ihm Rath geben in Bezug auf die Form der Reichsſtände. Dieſe ſitzen vom 6ten November bis zum 12ten December. Die nächſte Folge davon iſt ſchon daß nun im Januar nichts aus den Reichsſtänden werden kann; die weitere Folge daß er am 13ten Decem - ber ſo klug iſt als er am 5ten November war. Ihre Zu - ſammenſetzung war die alte, nur daß man ſich jetzt in ſechs Büreaus, ſtatt ſieben theilte, weil einer der den Vorſitz führenden Prinzen, der Herzog von Penthièvre mittlerweile geſtorben war. Für die Verdoppelung des dritten Standes entſchied ſich ein einziges Büreau, das von Monſieur, und nur mit der zufälligen Mehrheit einer einzigen Stimme. Dasſelbe machte auch den Grundſatz geltend daß die größeren Ämter zahlreicher vertreten werden ſollten als die kleineren, doch ebenfalls ohne Erfolg. Ein einziger Punct von Be - lang ging durch, wahrſcheinlich weil man die Folgen151 nicht ahnte, daß nämlich auch die niedere Geiſtlichkeit für wählbar erklärt ward und eben ſo der ganze Adel, ohne Rückſicht darauf, ob er mit Lehen oder überhaupt nur mit Grundſtücken angeſeſſen ſey.

Es läßt ſich nicht bezweifeln daß eine Verſtändigung mit dem Parlament viel weiter geführt hätte. Die Mehrzahl ſeiner Mitglieder bereute bitter jenen Schritt des Wider - ſpruchsgeiſtes, welchen es mit ſeiner Volksgunſt bezahlt hatte; manche Räthe wünſchten in die Reichsſtände, ſey’s vom Adel, ſey’s in den dritten Stand gewählt zu werden. Das Parlament verrieth ſeine verſöhnliche Stimmung durch ein Erklärung an den König, worin es die ZahlDec. 5. der Abgeordneten jedes Standes, als weder durch Geſetz noch Herkommen beſtimmt, dem königlichen Ermeſſen an - heimſtellte und einige volksfreundliche Wünſche hinzufügte, als da ſind: die Berufung der Reichsſtände in feſtgeſetzten Zwiſchenräumen, die Verklagbarkeit der Miniſter durch die Reichsſtände vor dem Parlament, die Beſteurung nicht länger nach dem Stande, ſondern nach der Steuer - kraft; ſogar der Preßfreiheit ward gedacht und daß die Verantwortlichkeit der Verfaſſer vor dem Geſetz an die Stelle der Cenſur treten möge. Es war der Augenblick gekommen, da es möglich ſchien dieſe erſte Körperſchaft des Staates, welche einzuſehen anfing daß ihr Licht er - bleiche, ſobald es wieder Reichsſtände gebe, für die Stützung eines Verbeſſerungsplans ohne Umwälzung zu gewinnen. Aber Necker hatte keinen Plan und auf ſeinen152 Rath lehnte der König eine Annäherung, welche ſämmt - liche Parlamente des Reiches nach ſich gezogen hätte, mit trockenen Worten ab.

Es gab eine zeitgemäße folgenreiche Überzeugung, die man als durchgedrungen betrachten durfte. Das iſt die künf - tighin gleiche Vertheilung der Steuern. In Bezug auf dieſen Punct hatten ſich beide, Notabeln und das Parla - ment, der öffentlichen Meinung angeſchloſſen. DreißigDec. 20. Herzoge und Pärs gaben eine Erklärung an den König in demſelben Sinne ab. Selbſt eine ſonſt alle Neuerungen verdammende, unvernünftig heftige Adreſſe von fünf Prinzen von Geblüt, den Grafen von Artois an der Spitze, giebt im Angeſicht des Monarchen zu daß die Großmuth der beiden erſten Stände ſie wohl dahin führen dürfte. Dieſer Umſtand, wohlbenutzt, mußte große reichs - ſtändiſche Erfolge ſicherſtellen.

Allein Necker benutzte nichts, man ſieht ihn nie von ſeiner Throneshöhe herabſteigen, um menſchliche Verbin - dungen zu knüpfen. Er kennt nur ſein Cabinet und ſeine damals unumſchränkte Macht über König und Königin, nebſt den Meinungen der Hofleute. Es ſollen in dieſen Monaten der Aufregung wohl an 3000 Flugſchriften in Frankreich erſchienen ſeyn, und die verſchiedenſten Mei - nungen machen ſich geltend, aber nirgend entdeckt ſich eine Spur daß Necker Federn für ſeine Zwecke in Bewegung geſetzt hätte. Auch ergiebt ſich das Talent nur Solchen, welche etwas nachhaltig wollen. Man kann jedermann153 den Weg zeigen, nur nicht dem, der nicht weiß wohin er will. Während Necker mit dem Winde trieb, glaubte er Alles zu lenken, weil ſein Fahrzeug ein Steuerruder hatte und man ihn den Steuermann hieß. Was er am Ende aus dem Staatsrathe verkündigte, war: Der Abgeordne -Dec. 27. ten ſollen mindeſtens tauſend ſeyn; ihre Zahl wird für jeden Amtsbezirk nach Maßgabe ſeiner Bevölkerung und ſeiner Steuerquote beſtimmt; Pfarrer ſind wählfähig und wahlfä - hig, ebenſo unangeſeſſene Edelleute und Nichtkatholiken; trotz den Notabeln ſoll die Verdoppelung des dritten Standes ſtattfinden, welcher übrigens ſo wenig als die andern Stände in der Wahl ſeiner Abgeordneten an ſeine Stan - desgenoſſen gebunden iſt. Der Hauptpunct, welcher der Verdoppelung erſt Werth gab, bleibt der Entſcheidung der Stände ſelber, der Liebe zum Staatswohle anheim - geſtellt, unter Vorbehalt jedoch der königlichen Genehmi - gung. Lediglich eine Andeutung erfolgt daß bei Geldfragen eine gemeinſame Berathſchlagung wünſchenswerth ſcheine. Die Sache war hiemit, da man die Geſinnung der Mehr - zahl des Adels kannte, gegen die Wünſche des dritten Standes entſchieden, ſo lange Alles in geſetzlicher Ord - nung blieb; zu gleicher Zeit fühlte ſich der dritte Stand durch die Verdoppelung angeſtachelt, auf irgend einem Wege gleichwohl zum Ziele der Ständevereinigung zu ge - langen.

So ſchwere Unterlaſſungsſünden und ihre furchtbaren Folgen haben Neckern nicht abgehalten am Ende ſeiner154 Tage das Bekenntniß abzulegen: daß er die Welt voller Fehler ſehe und man ihm ſelber deren viele vorgeworfen habe, allein bei der täglichen Gelegenheit zu den wichtig - ſten Fehlgriffen habe er ſich nach der gewiſſenhafteſten Un - terſuchung in Abſicht der ganzen Vergangenheit zu ſeiner eigenen Verwunderung auch nicht einen einzigen Vorwurf machen können.

Das Jahr 88 ging unfroh zu Ende. Einem ſehr trocke - nen Sommer mit Hagelſchlag waren Miswachs und Theu - rung gefolgt. Die Regierung ſetzte Prämien auf die Korn - einfuhr und verdoppelte dieſe. Schon am 26ſten Novem - ber fror die Seine zu, am letzten Jahrestage ſtand das reaumürſche Thermometer 18¾ Grade unter dem Gefrier - punct. Die älteſten Leute wußten von keinem ſo ſtrengen Winter zu ſagen und der ſo lange angehalten hätte. Trotz dieſen allgemeinen Leiden brach in der Bretagne unter den gerade verſammelten Ständen die lange genährte Zwie - tracht in lichte Flammen aus. Der Bürgerſtand wollte die Verdoppelung und was aus ihr folgte, der Adel pro - teſtirte gegen die Neuerungen der Miniſter. Studenten und junge Bürger griffen zu den Waffen, unter den Füh - rern ſah man einen jungen Rechtsgelehrten, Namens Victor Moreau. Als nun der Adel ſich und ſein Geſinde und einen Haufen Tagelöhner bewaffnet dagegen ſtellte, ſchrieben jene an die anderen Städte der Bretagne, und ihre junge Mannſchaft brach zur Hülfe auf. Es kam in Rennes zu blutigen Auftritten, bis daß die Edelleute ſich155 zurückzogen. Die Regierung, auf den Adel erzürnt, griff nicht weiter ein, als daß ſie den Landtag ſchloß. In der Hauptſtadt war man es endlich müde geworden, den Strohmann Brienne und ſeine Strohfrau den Lamoignon öffentlich zu verbrennen, und den Herzog von Orleans, wenn er ſich wie zufällig dabei blicken ließ, zu beklatſchen. Die Raufereien mit der Polizei ließen nach. Allein man ſtritt ſich, ob die Bäcker oder die Aufkäufer die meiſte Schuld an den theuern Brodpreiſen trügen, und wer die Ariſtokraten dazwiſchen ſchob, fand großen Beifall. Dar - über herrſchte nur eine Stimme, man müſſe Alles an die reichsſtändiſchen Wahlen ſetzen.

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2. Die Wahlbewegung.

Noch waren die bretagner Stürme nicht beſchwichtigt, die junge Mannſchaft ſtand unter den Waffen, und ward von Müttern, Schweſtern, Gattinnen und Geliebten mit Manifeſten begrüßt, die ihnen Mundvorrath und im Falle1789. Jan. 24. rühmlicher Wunden Verpflegung boten, als das Wahl - geſetz erſchien. Die Aufgabe deſſelben war verwickelt, denn eine Wahl der Wähler ſollte angeordnet und zugleich dafür geſorgt werden daß nach altem Herkommen jede De - putation ihre ſchriftlichen Inſtructionen, ihr ſogenanntes Cahier mit ſich bringe. Da erhält nun was den dritten Stand betrifft jeder Franzoſe von 25 Jahren, der ſeinen Wohnort in einer Gemeinde des Wahlbezirks hat und in der Steuerrolle ſteht, das Recht zu wählen und gewählt zu werden, weil aber nicht füglich Alle unmittelbar an der Wahl theilnehmen können, iſt Anſtalt getroffen, ein Procent dieſer Berechtigten aus Corporationen, Zünften oder ſonſt wählen zu laſſen. Dieſe erſte Auswahl begiebt ſich auf das Stadthaus, bringt dort ihre Klagen und157 Wünſche zu Papier, ernennt dann abermals aus eigener Mitte Einen Mann von deren Hundert zum engeren Aus - ſchuſſe, welcher dann zu ſeiner Zeit gleichzeitig mit den beiden anderen Ständen die Deputirtenwahl vollbringt. So in kleineren Amtsbezirken. Wo aber Oberämter ſind, zu denen mehrere Unterämter gehören, da findet noch eine dritte Verminderung der Theilnehmer ſtatt, indem in jedem Bezirk drei Viertel des engeren Ausſchuſſes zurück - treten, die übrig bleibende Viertheile dann aber am Haupt - orte des Oberamts ſich verſammeln, ihre verſchiedenen Inſtructionen zu einer Geſammtſchrift vereinigen und die Wahl der Abgeordneten durch verſchloſſene Zettel vollbrin - gen. Keine Stadt aber wählt als ſolche für ſich, ſondern ſtets in Verbindung mit ihrem Amte, mit einziger Aus - nahme der Hauptſtadt des Reiches.

Durch dieſe Anordnung, deren Hauptgliederung hier angegeben iſt, ward ein nützlicher Zweck erreicht: man beugte tumultuariſch wählenden Volksverſammlungen vor; allein bei weitem wichtigere Aufgaben wurden verfehlt, indem man ſo gut wie gar keine Bedingungen an die Wähl - und Wahlfähigkeit knüpfte, ganz beſonders aber dadurch daß man, ſtatt durch einen verſtändig belehrenden Erlaß die Cahiers abzuſchneiden, oder ihre Abfaſſung mindeſtens der Willkür zu überlaſſen, ſie geradezu vor - ſchrieb. Auf früheren Reichstagen ſpielten dergleichen Be - ſchwerdeſchriften allerdings eine Rolle, aber damals ward dergleichen was den dritten Stand betrifft von Behörden158 angefertigt in Form kniefälliger Vorſtellungen über Local - und Provinzialverhältniſſe, jetzt lockte man von einer zahlreichen Verſammlung, deren Mitglieder als Neulinge zuſammentrafen, ein langes Regiſter von Nationalbe - ſchwerden hervor. Denn die begangenen Finanzſünden waren männiglich bekannt. Es hieß der Tadelſucht Flü - gel geben, um in Formen ſich auszuſprechen, deren Mi - ſchung von Alt und Neu kaum unglücklicher erdacht werden konnte. Eine Inſtruction widerſprach der anderen und gleichwohl wollte jede nach ihrer Art den Staat neuaufgebaut wiſſen. Aber auch die beiden privilegir - ten Stände, deren Cahiers ſonſt mehrentheils darin übereinſtimmten daß ſie die Erhaltung der alten Ver - faſſung mit drei von einander abgeſonderten Ständen befahlen, verwickelten ſich in einen ſeltſamen Wider - ſpruch; denn man las in vielen doch zu gleicher Zeit das Begehren regelmäßig verſammelter Reichsſtände, keine Steuer ohne Reichsſtände, Theilung der geſetzge - benden Gewalt mit dem Könige, kurz Alles was den Miniſtern wehthun konnte ohne dem dritten Stande wohl - zuthun. Nichts dergleichen aber enthielt die alte Ver - faſſung; denn ſchon manches Menſchenalter vor 1614 wurden die Etats-généraux nach Belieben berufen, ward beſteuert und Geſetze gegeben ohne ſie. Aus den meiſten Cahiers der Geiſtlichkeit ſprach ein Geiſt der Unduld - ſamkeit: Ehen zwiſchen Katholiſchen und Proteſtanten ſollen verboten ſeyn, keine Taufe als in katholiſchen159 Kirchen, kein Patronatsrecht proteſtantiſcher Gutsbeſitzer, eine geiſtliche Commiſſion ſoll die geſammte Büchercen - ſur verſehen, die Geiſtlichkeit muß Leiterin der Volks - erziehung ſeyn, Schade daß ein gelehrter Orden, deſ - ſen Aufhebung man nicht genug bejammern kann, daran verhindert iſt. Es wäre ungerecht von einer Neuerungs - wuth des dritten Standes hier zu reden, ſtatt von der Unerfahrenheit aller Stände in Staatsſachen. Denn wenn einige Cahiers des dritten Standes dem Könige jeden Antheil an der geſetzgebenden Gewalt und die Macht die Ständeverſammlung aufzulöſen entziehen, ſo wollen einige Cahiers der Geiſtlichkeit ihm ſogar ſeine Miniſter vorſchreiben. Der Adel möchte die Mitwirkung zu den Abgaben ganz dem Könige nehmen, vornämlich aber eine Hand über das Heerweſen bekommen, kein willkürliches Avancement mehr und die Unterlieutenants - ſtellen ſollen nach dem Vorſchlage der Provinzialſtände (will ſagen, mit Adlichen) beſetzt werden. Auch ſollen alle Militärperſonen einen Eid ſchwören ſich in keinem Falle zur Überbringung und Vollſtreckung miniſterieller Befehle und überhaupt gegen ihre Mitbürger brauchen zu laſſen, den einen Fall ausgenommen, daß die Nation ihnen geböte gegen einen aufrühreriſchen Theil der Na - tion zu marſchiren. Die ausländiſchen Truppen ſollen ſchwören ſelbſt im Falle des Aufruhrs nicht einzugrei - fen: der dritte Stand begehrte verſtändiger die Entlaſ - ſung der ausländiſchen Truppen. Im Dauphiné halten,160 von Mounier geleitet, alle drei Stände einſtimmig dar - in zuſammen daß der dritte Stand die doppelte Reprä - ſentation erhalte und die Durchſtimmung nach Köpfen ſtattfinde; man wird vor Anerkennung dieſer Grundſätze an keinem Beſchluſſe der Reichsſtände Antheil nehmen. Charakteriſtiſch ſteht das Elſaß da; es will fortfahren als auswärtige Provinz außerhalb der Zolllinie zu ſtehen, damit ſein Verkehr mit Deutſchland nicht leide; doch wäre es ihm ganz recht, wenn zugleich der Abſatz ſei - ner Erzeugniſſe nach Frankreich hin begünſtigt würde. Die elſaſſer Lutheraner waren durch Staatsverträge von Alters her vor der Verfolgungsſucht geſchützt.

Das Weichbild von Paris ward ausnahmsweiſe von der Stadt getrennt, ſtellte für ſich zwölf Deputirte, alſo ſechs vom dritten Stande. Die ungeheure Stadt von 750,000 Einwohnern bildete ohnehin eine ſchwierige Aufgabe. Ihr ſind im Ganzen vierzig Deputirte zuge - billigt. Die Hauptſtadt, in welcher man bisher ſich nach zwanzig Quartieren zurechtfand, wird zu dem EndeMärz 28. in ſechzig Bezirke getheilt. In dieſen iſt der Anfang der Wahlbewegung für den dritten Stand; nur daß man hier denn doch mit den Bedingniſſen für die Theil - nahme es etwas genauer nimmt. In Ermangelung ſonſtiger Befugniſſe, wie daß man zu einer Zunft ge - hört, iſt eine Kopfſteuer von mindeſtens ſechs Livres jährlich vorgeſchrieben. Im Dauphiné hatte man eine Grundſteuer von vierzig Livres für die Theilnahme an161 den Wahlen für nicht zu hoch gehalten. Es war eine gewaltige Bewegung im April unter den Pariſern. Wer ſonſt kein Kirchengänger war, ging jetzt hinein, denn hier wurden die weiteren Verſammlungen gehalten, die Cahiers vorbereitet; hier auch geſchieht die Wahl der Wähler; ihrer kommen fünf auf jeden Wahlbezirk. Am 26ſten April verſammelten ſich die Wähler von Paris im großen Saale der erzbiſchöflichen Reſidenz. Hundert - funfzig Geiſtlichen, eben ſo viel Edelleuten ſaßen mehr als dreihundert Bürgerliche gegenüber, denn dieſe hat - ten zum Theil noch Erſatzmänner gewählt und mitge - bracht. Hier wurden die Vollmachten durch einen Be - amten des Stadtrathes unterſucht, worauf die beiden erſten Stände ſich in ihren beſondern Saal zurückzogen. Der dritte Stand hätte nun vorſchriftsmäßig unter dem Vorſitz des ſtädtiſchen Beamten ſein Geſchäft vollfüh - ren ſollen, allein ſchon in den Bezirksverſammlungen hatte man dieſes Hemmniß abgeſchüttelt, indem man entweder den Beamten zum Vorſitzer wählte, oder wenn der in dieſer Form nicht präſidiren wollte, ein Mitglied an ſeine Stelle ſetzte. Letzteres wiederholte ſich nun hier und die Advocaten Target und Camus traten als Präſident und Vicepräſident ein; der berühmte Aſtro - nom Bailly ward Secretär, der Arzt Guillotin Vice - ſecretär. Hierauf beſchloß man einſtimmig, von der durch das Geſetz geſtatteten Redaction der Cahiers in Verbindung mit den beiden andern Ständen keinenFranzöſiſche Revolution. 11162Gebrauch zu machen, und übertrug dieſes Geſchäft einem Ausſchuſſe von 36 Mitgliedern. Das Alles nahm den ganzen Tag weg. Da die Regierung in keiner Art ein - ſchritt, ſo beſchloß man bald hernach weder einen Edel - mann noch einen Geiſtlichen zu wählen, ging aber von dieſem Beſchluſſe wieder zurück als man vernahm, der Abbé Sieyes, deſſen politiſche Flugſchriften man bewun - derte, ſey noch nirgend gewählt. So fiel die letzte Wahl von allen auf ihn. Das Cahier von Paris, aus der Ver - arbeitung von 60 Schriften erwachſen, bildete ein anſehn - liches Heft, welches in nordamerikaniſcher Weiſe mit ei - ner Erklärung der Menſchenrechte anhob, ſich dann in ſechs Abſchnitten über die Verfaſſung, die Finanzen, den Ackerbau und den Handel, die Kirche, die Geſetzgebung und endlich über die beſonderen Angelegenheiten der Hauptſtadt verbreitete. Den König faßte man auf als mit der ganzen ausübenden Gewalt und einem Antheil an der geſetzgebenden bekleidet, verpflichtete ſeine Abgeordneten ganz ausdrücklich auf die Durchſtimmung nach Köpfen, war übrigens damit zufrieden, wenn die allgemeinen Stände künftig jedes dritte Jahr zuſammenkämen, nur daß es in der Hauptſtadt geſchehe, welche ſich inzwiſchen durch Schleifung der Baſtille würdig machen wird ſie auf - zunehmen. Man arbeitete noch an dieſem Werk und an den Wahlen, als bereits in Verſailles (denn für Verſail - les hatte der König auf den Rath ſeiner Gemahlin und des Grafen von Artois gegen Neckers Wunſch, der lieber163 die Hauptſtadt erwählt hätte, entſchieden) die Reichs - ſtände zuſammentraten, ward erſt vierzehn Tage ſpäter fer -Mai 19. tig. Damals aber war bereits Alles ſo aufgeregt, daß die pariſer Wähler des dritten Standes beſchloſſen ſich über - haupt nicht aufzulöſen, ſondern von Zeit zu Zeit Ver - ſammlungen zu halten, um ihre zwanzig Abgeordneten beobachten und deren Zweifel löſen zu können. Der Ein - ſpruch der königlichen Commiſſarien für das Wahlgeſchäft blieb unbeachtet. Man beſaß ſomit neben den 1200 Reichsſtänden in Verſailles eine berathſchlagende Bürger - verſammlung von drei bis vierhundert Mitgliedern in der Hauptſtadt. Und was hinderte die Wähler in den Pro - vinzen es eben ſo zu machen?

Zu gleicher Zeit verbreitete ſich die Nachricht daß gar keine Edelleute aus der Bretagne kämen. Der Adel dort hatte beſchloſſen den Reichstag nicht zu beſchicken und der hohe Klerus machte gemeinſchaftliche Sache mit ihm. Um ſo trotziger traten die 42 Abgeordneten ſeines dritten Standes auf; manches drohende Wort von ihnen wies auf Entwürfe hin, wie ſie doch nur in wenigen Cahiers vorgekommen waren, als: überhaupt keinen Adel mehr, oder nur perſönlichen, oder er mag mit den Familien, die ihn gegenwärtig beſitzen, ausſterben. Aus den Verbin - dungen, welche dieſe Bretagner knüpften, iſt ſpäterhin der Jacobinerclub hervorgegangen.

Jetzt konnte man ſchon einen Überſchlag machen, der die Phyſiognomie der Verſammlung andeutete. Der Adel11*164blieb hinter der ihm erlaubten Zahl von 300 aus dem be - merkten Grunde zurück, man erblickte in ſeinen Reihen eine Anzahl Mitglieder der höchſten Gerichtshöfe; in alle Lücken, welche die hohe Geiſtlichkeit (das heißt, mit we - nig Ausnahmen, der Adel im geiſtlichen Gewande) ließ, trat die niedere Geiſtlichkeit ein, und man ſah am Ende in dem geiſtlichen Dreihundert, welches bis zu 308 Mit - gliedern überſchwoll, 207 theils Pfarrer, theils Geweihte ohne Kirchenamt, meiſtens Schulmänner ſitzen, eine mächtige Verſtärkung des Bürgerſtandes. Im dritten Stande ſaßen über 200 Advocaten und Notare, gegen 200 eigentliche Beamte, meiſtens bei den Untergerichten an - geſtellt, 176 Bürger, Kaufleute und Landwirthe, ein Paar Geiſtliche, einige Ärzte, 15 Edelleute. Man zählte im Ganzen 621 Mitglieder dritten Standes heraus. Au - genſcheinlich war der Grundbeſitz im dritten Stande un - genügend vertreten. Das Wahlgeſetz hatte nichts vorge - ſehen und die Abneigung Edelleute zu wählen, welche faſt allein die großen Landgüter beſaßen, war allgemein.

Was den Pariſern ausnahmsweiſe einen Mann geiſt - licher Weihen empfahl, erklärt ſich aus den Leiſtungen dieſes Mannes. Immanuel Joſeph Sieyes ſah in der al - ten Stadt Frejus in der Provence das Licht, welche in alten Tagen, da ſie noch Forum Julii hieß, den Julius Agricola gebar. Seine Jugenderziehung empfing er im geiſtlichen Seminar, ſtudirte dann in Paris und empfing von der Sorbonne den Grad des Licentiaten. Ein Kano -165 nikat führte ihn in die Bretagne, und als Mitglied der Geiſtlichkeit in den dortigen Provinzialſtänden weihte er ſich zuerſt in die öffentlichen Geſchäfte ein. Er war zum Generalvicar des Biſchofs von Chartres geſtiegen, als die Zeit der Reichsſtände erſchien, deren Bedeutung ſein Scharfblick ſchnell durchdrang. Kein Buch, ſagt er von ſich ſelber, hat mir eine innigere Befriedigung gewährt als die Schriften von Locke und Condillac; allein er war nicht der Mann abgezogener Studien, welche ihren Lohn in ſich ſelber tragen; um ſich und ſeinen Überzeu - gungen den Weg in die Außenwelt zu bahnen, ſchlenderte er raſch hinter einander drei politiſche Schriften in das Publicum, ohne ſich zu nennen zwar, aber als Verfaſſer allgemein gekannt. Sein Auge ſieht im Staate von Frank - reich die völlig umgekehrte Naturordnung; die Krone trägt hier den ganzen Staat; es iſt eine Pyramide die auf ihrer Spitze ſteht (Mignet), keine andere Hülfe als man muß ſie umdrehen, auf ihre eigentliche Baſis ſtellen. Dieſe Baſis iſt das Volk. Dieſes macht in Wahrheit den ganzen Inhalt der Pyramide aus, weil es aber für ſein Wohl nicht füglich als Geſammtheit wirkſam ſeyn kann, ſo verwirft Sieyes die reine Demokratie und giebt der re - präſentativen Verfaſſung den Vorzug, läßt auch die Krone ohne Bedenken den Höhepunct der Pyramide bilden; denn die monarchiſche Ordnung ſtellt nun einmal die Freiheit der Einzelnen ſicherer als jede andere. Aber er hält der Krone die Forderung der Freiheit unabläſſig entgegen,166 dem Adel die der Gleichheit, zögernder ſeiner Geiſtlichkeit die Forderung der ewigen Vernunft. Seine Schrift: Was iſt der dritte Stand? erſchien im Januar 89; ſie gewann ihm die Wahlſtimme der Pariſer und flog in 30,000 Exemplaren durch die ganze civiliſirte Welt. Sie will den dritten Stand über ſeine natürlichen Rechte belehren, in - dem ſie drei Fragen aufwirft und beantwortet. Die erſte: Was iſt der dritte Stand? Antwort: Alles. Was iſt er bis heute in ſeiner politiſchen Bedeutung geweſen? Nichts. Was verlangt er? Etwas zu ſeyn. Er ſpricht: Der dritte Stand iſt in Wahrheit die Nation, 25 Millionen ſtark tritt er 80,000 Geiſtlichen und 120,000 Edelleuten gegen - über, die ohne ihn Nichts ſind. Sagt Ihr, der Adel da - tire von der Eroberung, nun der dritte Stand wird jetzt erobern, ſich ſeinen Adel verdienen. Er wird jetzt eine Conſtitution ſchaffen, denn es giebt in Frankreich keine. Dieſe Conſtitution wird keine Nachahmung der engliſchen ſeyn, die für ihre Zeit anſtaunenswerth iſt, aber in ihrer Verwickelung den geſellſchaftlichen Fortſchritten eines Zeit - alters, welches einfachen Freiheitsgenuß begehrt, nicht entſpricht. Denn alle Einrichtungen der bürgerlichen Ge - ſellſchaft ſind in dem einzigen Zwecke enthalten daß nie - mand den Andern beeinträchtige, und dürfen nicht dar - über hinausgehen. Er wirft den Blick auf Frankreichs Geſchichte. Nimmt man wenige Jahre Ludwigs XI. hin - weg, ſo beherrſcht nicht der König, ſondern der Hofadel Frankreich. Wie ſteht es jetzt? Die Ariſtokratie allein167 kämpft zugleich gegen Vernunft, Gerechtigkeit, Volk, Mi - niſter und König an. Der dritte Stand verlangt daß nach Köpfen, nicht nach Ständen geſtimmt werde, denn jedes Standesprivilegium iſt Beeinträchtigung, jedes Privile - gium der Ehre iſt ſogar Beſchimpfung. Die Mitglieder des dritten Standes müſſen allein aus ihm ſelbſt gewählt werden. Sagt Ihr: der dritte Stand allein kann ja keine Generalſtände bilden? Gut, ſo bildet er eine Nationalver - ſammlung. Der ſcharfſinnige Mann verſchwieg daß die beiden privilegirten Stände reichlich die Hälfte alles fran - zöſiſchen Grundeigenthums beſaßen; denn er hätte ſonſt die Kette ſeiner Folgerungen um ein Glied verlängern, die Herausgabe dieſer Güterfülle fordern müſſen, als dem Volk einſt widerrechtlich abgewonnen und durch ſchmäh - liche Becinträchtigung ſo lange vorenthalten. So weit aber ging er keineswegs. Dagegen hielt er drei ſchwere Gewichte bereit, um ſie eheſtens in die Wage zu werfen, der er ſein Glück vertraut hatte: der dritte Stand muß die Nation die er iſt auch bedeuten, eine Nationalbewaff - nung muß dieſe neue Ordnung beſchützen, eine neue Lan - deseintheilung muß, indem ſie eine neue Verwaltung be - gründet, die Wiederkehr der alten Ordnung unwiderruf - lich abſchneiden. Gelang das, ſo war die bürgerliche Ge - ſellſchaft von bisher mit wenig ſcharfen Schnitten abge - ſchlachtet, und es war nicht Rouſſeau, es war der Abbé Sieyes, der das Alles rein aus ſich ſelbſt erdacht hatte, ein kränklicher unſcheinbarer Mann und doch ein Eroberer,168 der mit der Macht von ein Paar leicht verſtändlichen Ge - danken ausgerüſtet, die Landſtraßen einer Revolution baute, ihre Signale aufſteckte.

Es iſt nicht wahr daß die Revolution das Werk der jungen Leute iſt. D’Espréménil, Sieyes und Graf Mi - rabeau ſtanden in gleichem Alter, waren Vierziger oder wenig darüber. Necker, der das Meiſte, wider Willen, dazu gethan, ſtand ſchon ziemlich hoch in den Funfzigen.

Soll ich nun von Mirabeau reden? Es iſt der nächſte Landsmann von Sieyes; beide ſind Provençalen; allein mit dieſem iſt man fertig ſobald man ſeine Lehren kennt, die in Kurzem wie Thalerſtücke handgreiflich in Frankreich umlaufen, in jenem iſt ein tragiſcher Abſchnitt der Ge - ſchichte der Menſchheit enthalten, freilich ſehr franzöſiſch gefärbt.

Mirabeau’s Vorfahren die Arrighetti gehörten zu den Gibellinen von Florenz. Sie wurden um 1267 von dort vertrieben und zogen in die Provence. Mirabeau ſelbſt hat ſeine Familiengeſchichte beſchrieben. Es ſind das Alles Leute von eiſerner Körperkraft, heroiſche Naturen, heißblütig, voll von den wilden Fehlern jener Zeitalter, aber frei von kleinlichen. Einer unter ihnen iſt Malthe - ſer, giebt dem Großmeiſter eine Ohrfeige und rettet ſich glücklich durch Schwimmen auf ein Schiff, welches gerade die Anker lichtet. Er wird dann ausgeſtoßen aus dem Or - den, doch ſpäter wieder aufgenommen, und eine große Anzahl der jüngeren Söhne des Hauſes gehörte dem Orden169 an. Die anderen thaten ſonſt Kriegsdienſte, und wenn dann die Bruchtheile eines ſolchen Mirabeau in den ver - ſchiedenſten Regionen begraben lagen, kehrte der Reſt zu - rück auf das väterliche Schloß Mirabeau, und trieb dort mehr Lärmen noch als ſonſt irgend wer, der ſeine Glied - maßen beiſammen hatte. In ſchon ſehr zahmer Zeit lebte Mirabeau’s Großvater, ſtark, groß, ſchön, ganz Kriegs - mann, allein er bringt es im ſpaniſchen Erbfolgekriege doch nicht weiter als zum Brigadier, weil er von Hof - gunſt nichts wiſſen will. Ihm genügt daß ſein Lieblings - held, Marſchall Vendome ihn anerkennt, beſonders als er an der Adda gegen Eugen Stand gehalten. Vendome ſagte einmal: Mirabeau iſt groß. Ja, wirft einer vom Generalſtabe ein, beinahe ſechs Fuß. Nein, ruft der Feldherr, er iſt groß am Tage der Schlacht. Als er es einmal beſonders brav gemacht, betheuert ein Marechal de Camp, der das Verdienſt hat Bruder des untüchtigen Kriegsminiſters Chamillard zu ſeyn, er werde es bei ſeinem Bruder zu beloben wiſſen und empfängt zur Antwort: Herr, Euer Bruder iſt ſehr glücklich Euch zu beſitzen, denn ohne Euch wäre er der größeſte Narr im Königreiche. Sein Starrſinn ſprengte die ſpaniſche Etiquette, nöthigte den König von Spanien ihm in Ita - lien perſönlich die Parole zu geben, und was mehr iſt, er wagte es mit dem bei ſeinem Könige allmächtigen Pa - ter La Chaiſe ſeinen Scherz zu treiben. Allein der Tag kam, da er, wenn wir ihm ſelber glauben, getödtet170 ward; ſein rechter Arm wird ihm verſtümmelt, ein Schuß zerreißt ihm die Sehnen des Halſes, ſo daß er einen ſil - bernen Halsring fortan tragen muß, um den Kopf nur gerade zu halten. Jetzt beſchließt er ſich zurückzuziehen, nicht um Wort zu halten und zu ſterben, er heirathet aus wirklicher Liebe ein junges ſchönes vortreffliches Fräulein. Vendome ſtellte ihn dem Könige vor als den Mann, der ſeit die Franzoſen in Italien eingerückt bis zur Räumung nicht aus dem Sattel kam; als der König nicht viel dar - auf zu geben ſchien, ſprach Mirabeau: Ja Sire, da hätte ich meine Fahnen verlaſſen und mir am Hofe ſo eine Vettel erkaufen ſollen, das hätte mir Beförderung und weniger Wunden gebracht. Der König wendete ſich bloß ab, aber Vendome ſprach hernach: Ich hätte Dich ken - nen ſollen. Künftig ſtelle ich Dich noch dem Feinde, aber nie in meinem Leben dem Könige vor. Wirklich that er noch eine Zeitlang Dienſte, zog ſich dann auf ſein Fami - liengut Mirabeau in der Provence, welches der König zum Marquiſat erhöhte, zurück und ſchaltete dort wie bis - her bei ſeinem Regiment, gebieteriſch, ungeſtüm, aber mit redlicher Sorgfalt. Wie früher ihm niemand mehr zuwi - der war als die Commiſſäre, die ſein Regiment inſpicir - ten, ſo verfolgte er jetzt die Mauthbeamten auf jede Weiſe, und ſie waren bei der geringſten Überſchreitung, mochte ſie ihn ſelbſt oder ſeine Bauern angehen, ihres Lebens nicht ſicher. Man wußte ſchon, mit ihm ſey nichts anzu - fangen, aber an ſeine Wittwe ſtiegen die Anforderungen171 von nicht bezahlten Gebühren auf 50,000 Livres und ſein Vermögen war am Ende ſehr geſunken. Bei dem Lawſchen Bankunweſen verlor er 100,000 Thaler, und er war nicht zu bewegen mit dem werthloſen Papiergelde, das ihm wurde, ſeine Schulden zu bezahlen, wiewohl die Geſetze es geſtatteten. Starb 1737.

Von den überlebenden Söhnen war der Marquis Mi - rabeau, der Vater unſeres Mirabeau, jetzt der Stamm - halter. Das mirabeauſche Blut war von jeher durch Stra - pazen und Wunden verdünnt worden; aber der Marquis verließ ziemlich bald die kriegeriſche Laufbahn, welche un - ter Ludwig XV. keine Lorbeern verſprach. Sein Gedanke iſt durch Schriftſtellerei eine neue Art des Ruhmes in die Familie zu bringen; in dieſem Hauſe wird aber Alles zur Leidenſchaft. Schon als junger Menſch ſchreibt er Me - moiren und giebt ſeiner Nachkommenſchaft Rath, ſchrift - ſtellert über Nationalökonomie, wird die mächtigſte Stütze von Quesnay’s Syſtem, er hat viele Tauſende von Brie - fen und über 400 Folianten an Abſchriften hinterlaſſen. Seine meiſten Briefe ſind an einen jüngeren Bruder, der Bailli des Maltheſer Ordens und lange Zeit Gouverneur von Guadeloupe iſt, gerichtet. Die Briefe des Marquis athmen eine natürliche Wohlredenheit, allein ſobald er für den Druck ſchreibt, verfällt er in einen pomphaften, verwickelten, unleidlichen Styl, vergeblich die Warnun - gen des gutherzigen Bruders; ein Buch folgt dem andern. Noch ſchlimmer daß der Marquis an der trefflichen unbe -172 ſcholtenen Ehe ſeines Vaters kein Muſter nahm. Dieſer wollte von ſeiner Verlobten durchaus kein Vermögen, nicht einmal eine Ausſteuer; der Marquis heirathet ein Ver - mögen, er wird der Geizhals des Hauſes. Das Verneh - men der Eheleute, von jeher kalt, wird feindſelig, ſeit der Mann mit einem ſchlauen Weibe, das ihn zu benutzen weiß, unrühmliche Gemeinſchaft hat. Dazu kommen öko - nomiſche Verwickelungen, beſonders durch ſeine verun - glückten Verſuche als Landwirth, Volksbeglücker, Späher nach Minen und Güterkäufen veranlaßt. Die eilf Kinder erwuchſen faſt als ob ſie Waiſen wären. Er war der Schrecken des Hauſes und doch innerlich überzeugt von ſeiner Gutherzigkeit, wie er denn wirklich jedermann, der ſeinem Gebot ſich unterwarf, und, wenn es möglich wäre, ſeinen Ami des hommes und ſeine ökonomiſchen Epheme - riden las, gern dienſtlich war, ſeine Einſaſſen gut hielt, keinen Armen leicht ungetröſtet ziehen ließ. Seine Mei - nung ſagte er ſtarr in Schriften heraus, einerlei ob ſie den Hof verletzte. Seine Theorie der Steuer brachte ihn auf kurze Zeit nach Vincennes, er hatte das Allerhei - ligſte, die Generalpächter angetaſtet. Nicht zu bewegen war er, eine ſeiner Schriften dem Dauphin, nachherigem König Ludwig XVI. zu widmen, er ſchrieb ſie dem Groß - herzog Leopold von Toscana zu, mit welchem wie mit dem Markgrafen von Baden, ſeinem ökonomiſtiſchen Glaubens - genoſſen, er in vertrautem Briefwechſel ſtand. Es war mit dieſem Marquis nicht mehr wie zur Zeit ſeiner Vor -173 fahren, aber auch er handelte und ſprach aus einer Fülle des Weſens heraus; es waren reiche Naturen.

Ihm nun ward als fünftes Kind Gabriel Honoré am 9ten März 1749 geboren. Er brachte einen unnatürlich großen Kopf und zwei Backenzähne mit auf die Welt. Es war der erſte Sohn, der Vater bildete ſich ein, er habe juſt einen Sohn gewollt und drum ſey’s ſo gekommen, ſchrieb dem Bruder: der dicke Junge ſchlägt ſeine Amme und ſie pufft ihn wieder. Im dritten Jahre überfielen ihn bösartige Blattern; die Mutter, die nach Frauen Art gern doctorte, legte ihm Umſchläge auf ſein geſchwol - lenes Geſicht, die zugeſchwollenen Augen; da hinterblie - ben tiefe Furchen, eine ganz zerriſſene Haut. Der Vater ſchrieb dem Oheim: dein Neffe iſt häßlich wie Satan ſeiner, ließ die anderen Kinder impfen. Sein Älteſter hinterblieb als der Häßliche in einer von Alters her ſchö - nen Familie. Die Erziehung war ſtreng, der Vater half dem Lehrer züchtigen, verzweifelte bald an dem Jungen, der einen bloßen Querkopf und Narren verſpreche, alle Verkehrtheiten der Mutter habe, aber freilich unbegreif - lich große Anlagen, ein wunderbares Gedächtniß. Giebt ihn am Ende in eine Penſion, die ſtrengſte die er finden kann, er muß dort Pierre Buffiere nach einem Landgute ſeiner Mutter heißen, denn ein ruhmvoller Name ſoll nicht den Züchtigungen einer Schulbank preisgegeben werden. Außer ſich iſt der Vater, als er entdeckt, die Mutter habe ihm heimlich Geld geſchickt, ſchneidet ihm allen Brief -174 wechſel ab. Mit achtzehn Jahren muß er in ein Regi - ment; da macht er einige Schulden, verſpielt einmal 40 Louisd’or. Der Vater hält ihn darum nur um ſo karger ( das iſt der Geiſt ſeiner Mutter wieder ), nun eine Liebſchaft, an ſich ganz unverfänglich, mit einem gerin - gen Mädchen. Der häßliche Unterlieutenant hat das Glück ſeinen Oberſten bei der Schönen auszuſtechen. Dieſer weiß ſich zu rächen, und Mirabeau verläßt ſein Regiment als er gerade den Dienſt hat, flieht nach Paris zu väter - lichen Freunden. Von hier begann eine Reihe von Ver - folgungen für ihn. Sein Vater läßt gerade ökonomiſches Brod backen, 600 Pfund den Tag, um ſeinen Gutsun - terthanen ein beſſeres und wohlfeileres Nahrungsmittel zu verſchaffen, aber hat kein Ohr des Erbarmens für die ehrerbietigen Bitten ſeines Sohnes. Nicht als ob er blind gegen die angeborene Wildheit ſeines Geſchlechtes wäre, die nothwendig ihre Zeit zum Ausraſen haben muß. Schreibt er doch ſelbſt von dem jetzt ſo ſanften würdigen Bailli: Als der jung war, gab es drei vier Jahre daß er keine vier Tage auf freiem Fuß war. Kaum daß der Tag anbrach, ſo fiel er auch über den Brantewein her, und dann ward er mit Jedem handgemein, den er auf dem Wege traf, bis man ſeiner Herr ward und ihn feſt - nahm. Sonſt aber ein Ehrenmann bis zum Übermaß, und ſeine Chefs, erfahrene Leute, verſprachen immer mei - ner Mutter, aus ihm werde noch etwas Vortreffliches. Aber niemand war im Stande ihn aufzuhalten, bis er175 plötzlich ſich ſelber aufhielt. So gut ſollte es ſeinem Nef - fen nicht werden. Der Alte beſchloß ihn von nun an durch Verhaftsbriefe zu beherrſchen. Zuerſt Verbannung nach der Inſel Rhé; aber bald vernimmt der Vater: er be - zaubert ſeinen Aufſeher, der ihn gegen meinen Befehl in der Citadelle ſpazieren läßt, bezaubert meine Freunde und alle Welt. Nun dachte er ihn in die holländiſchen Colo - nien zu ſchicken, was nicht viel beſſer war als in den Tod. Doch ſoll es zunächſt bei Corſica beruhen. Dieſe Inſel, von den Genueſen 1767 an Frankreich abgetreten, hat er für Frankreich vollends erobern helfen, iſt dort an der Wiege des Kindes Bonaparte vorübergegangen. Man gab1770. ihm das Zeugniß eines tapferen und geſchickten Officiers; das mußte ſogar ſein Vater einräumen; nur daß man ja nicht von ihm verlange, die Geſchichte von Corſica, die der junge Mann hier geſchrieben hat, drucken zu laſſen. Doch trat nach ſeiner Rückkehr der alte Oheim wieder ein und die Brücke zum Wiederſehen wird mit den Büchern des Marquis geſchlagen. Laß ihn meine Economiques und die beiden erſten Jahrgänge der Ephémérides du citoyen leſen. Jetzt ſchrieb er noch einen ökonomiſchen Katechis - mus, ſchickte ihn für den Sohn. Der las wirklich, ob - gleich die trockene Einſeitigkeit des Syſtems ihn anekelte. Nun ſoll aber Pierre Buffiere, denn ſo muß er noch im - mer heißen, auch ganz und gar Landwirth werden, den Officier aufgeben. Endlich ſehen ſie ſich und der Vater iſt erſtaunt über den Menſchen. Was aber ſoll man mit176 dieſem Übermaß von Verſtand und Blut anfangen? Der muß die Kaiſerin von Rußland heirathen, ſonſt weiß ich keine, die für ihn paßt. Inzwiſchen giebt er ihm denn er fügt ſich ſeinen Planen, greift die Landwirthſchaft mit gewaltigem Eifer an doch eine Frau von 600,000 Livres und noch weit glänzenderen Ausſichten, eine Ma - rignan. Allein ihre Eltern lebten, und waren in Ver - wickelungen, keine eigentliche Mitgift erfolgte und der Marquis kargte, auch aus Grundſatz, um den Sohn un - ter Aufſicht zu halten. Dieſer machte nun Schulden und fing, während der Vater gerade abweſend, koſtſpielige Bauten an. Die Strafe blieb nicht aus. Der Vater ver - weiſt ihn durch einen Verhaftsbrief vom Gute in eine kleine Stadt, er wird gerichtlich confinirt und interdicirt. Hier, in Manosque, ſchreibt er ſeinen Verſuch über den Despotismus. Von nun an erweitert ſich die Kluft zwi - ſchen Vater und Sohn mit jedem Tage. Wegen einer Eh - renſache hat der junge Mann den ihm angewieſenen Auf - enthalt auf kurze Zeit verlaſſen; es kommt heraus. Zur Strafe wird er, der ſchon ſelber einen Sohn hat, auf1774. Juni. das Felſenſchloß If am Hafen von Marſeille gebracht, das Jahr darauf nach Fort de Jour hoch im Jura, hart an der Gränze des Pays de Vaud. Auch hier weiß er ſich gegen des Vaters Willen einen freieren Aufenthalt zu ver - ſchaffen, erhält im nahen Pontarlier Zutritt bei dem Prä - ſidenten Marquis de Monnier, lernt deſſen junge liebens - würdige Gattin kennen, die durch Mirabeau berühmt177 gewordene Sophie. Sie war aus adlichem Hauſe, wo der Töchter Schickſal damals insgemein der männlichen Nachkommenſchaft geopfert ward. Ihre ältere Schweſter kam in ein Kloſter. Sophie ſollte zwölfjährig zuerſt den 63jährigen berühmten Büffon heirathen, doch der noch ältere Monnier erhielt den Vorzug. Sie war nicht glück - lich, aber ertrug das Leben, als ihr auf einmal Mira - beau’s Umgang zeigte, wie reich ein Menſchenleben wer - den kann. Man darf nicht ſagen daß er wie ein gemeiner Verführer ſich ſeiner Beute bemächtigt habe, er wider - ſtand, ſuchte ſtärker zu werden, indem er ſeine Frau in den dringendſten Ausdrücken einlud ſeine Gefangenſchaft zu theilen. Als eine Erwiderung von eiſiger Kälte kam, da freilich ſchlugen alle Wellen der Leidenſchaft über ihm zuſammen. Die Eiferſucht des Gemahls erwachte oder ward durch fremde Anzeigen wider Willen geweckt. Ent - führung und Flucht waren der Ausgang. Da das Paar ſich in der nahen Schweiz nicht ſicher wußte, ging es wei - ter nach Holland.

Am 10ten Mai 1777 ward Mirabeau als Verführer und Entführer einer Ehefrau vom Amtsgerichte von Pon - tarlier zur Enthauptung im Bilde und 40,000 Livres Ent - ſchädigung verurtheilt. Der Vater verwandte 20,000 Livres darauf der Schuldigen habhaft zu werden, und es gelang. Hören wir wie der Ami des hommes in einem Briefe an den Bruder ſich Glück dazu wünſcht. Da es keine Familiengerichtsbarkeit mehr giebt, ſo muß man zuFranzöſiſche Revolution. 12178dem barbariſchen Despotismus der Verhaftsbriefe, wenn es die Züchtigung verbrecheriſcher Kinder gilt, lieber grei - fen, als zu den langſamen Förmlichkeiten einer blinden und pedantiſchen Gerechtigkeit. Laß die Leute mich für einen Nero halten ich fürchte nur mein eigenes Gewiſ - ſen. Meinen Proceß habe ich gewonnen (er meint den mit ſeiner Frau, von welcher er getrennt lebte), ich habe ihn gewonnen; ich wollte jene Närrinnen einſperren laſſen (wieder ſeine Frau und ſeine jüngere Tochter, welche letztere er auf ein Paar Jahre in ein Kloſter ſteckte), es iſt geſchehen; ich wollte jenen Tollkopf einſtecken laſſen, er ſitzt. Zu derſelben Zeit feierte er ſich als den Mann, der ſein ganzes Leben für die Erleichterung der Armuth und den allgemeinen Unterricht geopfert habe.

1777 Juni.Sophie ward in Paris unter Aufſicht geſtellt, Mira - beau kam nach Vincennes. Von hier ſtammen jene Ker - kerbriefe an Sophien, voll von Poeſie und ausſchweifen - der Leidenſchaft, welche nach des Verfaſſers Tode wider Recht ins Publicum kamen. Vergeblich beſtürmte er den Grafen Maurepas um ſeine Freilaſſung: man ſoll ihn, bittet er, mit den Truppen nach Amerika ſchicken und nur die Todtenliſte wird von ihm Zeugniß geben, wenn es nicht ſeine Thaten thun. Von Verzweiflung und Krank - heit erſchöpft, nährt er Gedanken von Selbſtmord, doch ermannt ſich ſein Geiſt wieder. Der Alte aber beharrt unbeweglich. Da ſtirbt des Gefangenen rechtmäßiger Sohn, ein fünfjähriger Knabe, und nun wachen dem179 Alten Familiengedanken auf. Unſer Kind iſt todt, Vic - tor, ſchreibt der Bailli, deine Familie iſt vernichtet, der Herr hat es gegeben, hat es genommen. Der Mar - quis darauf: Die letzte Hoffnung unſeres Namens iſt da - hin. Nach ſo Vielem was ich ertragen, glaubte ich an meine Stärke; Gott hat mich enttäuſchen wollen. Ich habe getrachtet ein guter Sohn, guter Bruder, guter Gatte, guter Vater, guter Nachbar zu ſeyn, geſetzlich in Geſchäften, billig in Verträgen, habe niemals jemanden übel gewollt, und doch ſcheine ich ein Gegenſtand des himmliſchen Zornes zu ſeyn. Er vergleicht ſich mit dem Regulus in der Tonne, umgeben von Böſewichtern; die Mutter und von fünf Kindern ihrer viere eingeſperrt. Der Oheim brachte nun in aller Stille den Gefangenen dazu ſeinem Vater unterwürfig zu ſchreiben, erinnerte zu - gleich den Bruder an den Schmerz der Provençalen, wenn eines ſeiner beſten und kraftvollſten Geſchlechter ausgehen ſollte. Als auch Sophie ſchreibt, ſich ſelbſt alle Schuld beimißt, bricht das Eis etwas. Ich glaube, alle Narren und Närrinnen der Welt haben ſich verſchworen mir Re - ſpect zu bezeigen. Als endlich die Miniſter ſelbſt nahe daran waren einzuſchreiten, kam Mirabeau frei nach vierte -1780 Dec. halbjähriger Gefangenſchaft.

Die Wiedervereinigung mit ſeiner Frau gelang nicht; eben ſo wenig aber knüpfte ſich das Verhältniß mit So - phien wieder an. Dieſe ſtand im Begriffe, nachdem ihr Mann geſtorben, ein anderes Bündniß aus wahrer12*180Neigung einzugehen; aber ihr Verlobter ſtarb und ſie machte ihrem Leben durch Kohlendampf ein Ende.

Vater und Sohn ſehen ſich nach neun Jahren wieder. Da aber der Marquis auch jetzt nicht zu bewegen war ein feſtes Jahrgehalt ſeinem Sohne auszuſetzen, machte dieſer ſich mehr unabhängig, half ſich mit Schuldenmachen und dem Ertrage zahlreicher literariſcher Arbeiten. Er trat mit Calonne in Verbindung, und ſchrieb Anfangs im Inter - eſſe ſeiner Finanzplane. Als er aber deſſen Unwürdigkeit erkannte, beſchloß er öffentlich mit ihm zu brechen, ging nach Berlin, um von dort aus ſeine Blitze zu ſchleudern. Hier ſah er Friedrich den Großen, ward gern von ihm1785. empfangen. Die Hand eines Freundes hielt ſein Send - ſchreiben an Calonne von der Veröffentlichung zurück; es iſt Talleyrand-Perigord. Dieſer Mann war Mirabeau’s Leidensgenoſſe, auch er ein Opfer jener ſchrankenloſen Hausmacht in den Familien des hohen Adels. Er ward in Paris geboren, die Eltern gaben ihn gleich aus dem Hauſe in die Vorſtadt einer Amme hin. Dieſe verwahr - loſte das Kind, er that einen Fall, der ihn für ſein Leben lang gebrechlich machte. Nun mußte er, der Erſtgeborene eines alten glänzenden Hauſes, in die beſcheidene Lauf - bahn eines Nachgeborenen treten, die weltlichſte Seele wider Willen in den geiſtlichen Stand. Aber Abteien floſ - ſen ihm zu, er ward Generalagent der franzöſiſchen Geiſt - lichkeit, ward als ſolcher der Verwalter ihres ungeheuren Vermögens und rüſtete in dieſer Stellung während des181 nordamerikaniſchen Krieges einen Kaper gegen die Eng - länder aus. Er nun deckte damals Calonne mit ſeinem Schilde, lediglich in der Abſicht ſeinem älteren Freunde, deſſen Kraftfülle ohne Nutzen wucherte, einen Wirkungs - kreis durch die Regierung zu verſchaffen. Dieſe erkannte den Vortheil, den ein in Berlin wohl aufgenommener Mann in einem Zeitpunct bringen könne, da eine Regie - rungsveränderung in Preußen bevorſtand. Mirabeau’ging nach Berlin ab wenig Wochen vor dem Tode Friedrichs. An ſeinen Nachfolger richtete er ein Schreiben voll eingrei - fender Rathſchläge, rieth an die Stelle des bisherigen Militärzwanges Nationalcompagnien, nach Kirchſpren - geln gebildet, zu ſetzen, die ſich unter ſich einüben, ihre Oberen wählen, verlangte unabſetzbare Richter, die von Gehalt, nicht von Sporteln leben, völlige Freiheit der Preſſe als des einzigſten Mittels für den König die Wahr - heit zu erfahren, eiferte gegen das Lotto, ſprach endlich herben Tadel gegen das ganze Wirthſchaftsſyſtem des ver - ſtorbenen Königs aus, namentlich gegen den ungeheuren Staatsſchatz. Es war die Zeit der erſten Notabeln gekom - men, Talleyrand fand ſeinen Platz in ihnen, Mirabeau bewarb ſich vergeblich um eine der Secretärſtellen, er ſah1787 Jan. bei ſeiner Rückkehr beide beſetzt. Nun griff er öffentlich Ca - lonne an in ſeiner vortrefflichen Schrift über die Agiotage, richtete nach deſſen Falle zwei Briefe gegen Necker, wel - chem er, im Princip richtig, aber nach Lage der Umſtände mit Unbilligkeit ſein Syſtem der Anleihen zum Vorwurf182 macht; er hätte mit Steuern aushelfen ſollen. Mit größe - rem Rechte hielt er ihm ſeine Schrift über den Getraide - handel vor, durch welche er an dem Sturze des einzigen Miniſters, welcher der Wiedergeburt von Frankreich ge - wachſen war, an Turgots Sturze gearbeitet habe. Um den Folgen eines Verhaftsbriefes zu entgehen, der ihn wegen der Schrift gegen Calonne traf, kam Mirabeau zum dritten Male nach Deutſchland, und brachte jetzt mit Beihülfe des Majors und Profeſſors Mauvillon in Braun - ſchweig ſein großes denkwürdiges Werk über die preußiſche Monarchie zu Stande. Vielfach, wo er Preußen nannte, hatte er Frankreich im Auge. Der Vater, dem er ſein Werk gewidmet, nahm es wohl auf, meinte, der Haupt - nutzen deſſelben ſey zu zeigen, wie Friedrich der Große mit allem guten Willen, all ſeiner Wachſamkeit ſich doch im Einzelnen unzählige Male geirrt habe.

Aufs Neue bot aber Mirabeau der Regierung ſeine Dienſte an, wandte ſich an den Miniſter Montmorin. Die Sache lag ganz einfach vor; man hätte ihn im Va - terlande benutzen, oder unter dem Scheine der Dienſte einen gefährlichen Gegner an ihm entfernen ſollen. Denn in ſeiner wachſenden Bedrängniß erklärt er ſich bereit, wo - hin man will, nach Warſchau, St. Petersburg, Con - ſtantinopel, Alexandrien zu gehen. Weder das Eine noch das Andere geſchah. Es iſt nicht anders, dieſe mi - niſterielle Unfähigkeit ein politiſches Genie zu würdigen, gepaart mit dem unerbittlichen Geize des alten Vaters183 hat einen Hauptimpuls zur Revolution abgegeben. In allen ſeinen Nöthen war Mirabeau geradezu der Einzige, der durch allen den Tageslärmen hindurch die ſtille Bil - dung einer neuen Geſchichte von Frankreich mit des Gei - ſtes Augen ſah, bevor ſie noch in die Erſcheinung trat. Schon am 10ten November 87 ſchrieb er an ein Mitglied des Parlaments, die Berufung der Generalſtaaten habe nicht Zeit bis 1792, ſie ſey unvermeidlich, möge nun Achilles oder Therſites Miniſter ſeyn; er wünſchte dem (unbekannten) Correſpondenten Glück zu der belle part dans la révolution qui constituera la France. Demſelben ſchrieb er am 18ten November, man dürfe 120 Millionen als Proviſorium bewilligen, unter der Bedingung daß die Etats-généraux 1789 verſammelt würden, durchaus aber nicht die ganze Forderung. Nach jener verhängniß - vollen königlichen Sitzung vom 19ten November ſchrieb er an Montmorin, beſchwor ihn Muth zu faſſen: Es giebt Augenblicke wo der Muth Klugheit iſt. Die Antwort des Miniſters war eine Aufforderung gegen das Parlament zu ſchreiben. Er aber antwortete mit der Beweisführung daß man das Parlament nur ſtürzen könne, wenn man die Nation zur Gehülfin habe. Wenn man freilich dieſes Weges wollte, hätte man den König nicht ſollen ſagen laſſen daß allein der Wille des Monarchen das Geſetz macht. Ich werde nie die Parlamente bekriegen als in Gegenwart der Nation. Sehen wir nicht an der Stelle der von ihnen uſurpirten Rechte eine durch unſere Ein -184 willigung beſtätigte Conſtitution erwachſen, welcher ehr - liche Mann würde dann dazu helfen wollen, die letzte Spur unſerer ſterbenden Freiheiten zu vertilgen? Die Ge - neralſtände ſind eben ſo nothwendig als die einzige Hülfs - quelle der Finanzen wie als das einzige Mittel das - nigreich zu conſtituiren und umgekehrt. Aber leider iſt es die Krankheit der Miniſter heute das nicht geben zu wollen, was ihnen morgen entriſſen wird. Sobald der nothwendige Schritt geſchehen iſt, die Regierung das Vertrauen der Nation wieder erlangt hat, werden die Par - lamente durch die Gewalt der Dinge auf ihr wahres Maß herabſinken. Er ſchließt ungefähr ſo: Herr Graf, compromittiren Sie nicht einen eifrigen Diener, der an dem Tage, an welchem die Pflicht ihm gebietet ſich ſei - nem Vaterlande zu weihen, ſeine Gefahren für nichts an - ſchlagen wird; aber der um den Preis aller Kronen ſich nicht in einer zweideutigen Sache bloßſtellen will. Würde ich nicht dieſes geringe Talent, deſſen Einfluß Sie zu hoch anſchlagen, aufopfern, wenn ich dieſer unbeugſamen Un - abhängigkeit entſagte, welche allein mich nützlich meinem Lande und meinem Könige machen kann? An dem Tage da begeiſtert von meinem Gewiſſen und ſtark durch meine Überzeugung ich als reiner Bürger, treuer Unterthan, jungfräulicher Schriftſteller mich in das Handgemenge ſtürze, werde ich ſagen können: Höret einen Mann, der nie in ſeinen Grundſätzen geſchwankt, nie die öffentliche Sache verrathen hat.

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Zu dieſer Zeit gab er ſeine Schriften über die Gefäng - niſſe und über die Preßfreiheit heraus, letztere nach John Milton und mit dem Motto: Wer einen Menſchen töd - tet, tödtet ein vernünftiges Geſchöpf, wer aber ein gutes Buch vernichtet, tödtet die Vernunft ſelber. Mirabeau hielt feſt an dem Satze, die Regierung habe durch die Aufforderung an das Publicum, ſie mit ihrem guten Rathe für die Reichsſtände zu unterſtützen, auf die Cenſur ver - zichtet, und Tauſende von Flugſchriften ſetzten das praktiſch durch.

Um die Zeit da die berühmte Brochüre von Sieyes ans Licht trat, ging ſein Landsmann in die Provence, mit1789 Jan. dem Adel an der Wahl von Abgeordneten für die General - ſtände theilzunehmen. Er that durch ſeinen Oheim bei dem Vater Schritte, wünſchte die großen mirabeauſchen Hauslehen in der Adelskammer zu repräſentiren; der aber meinte: das komme ihm, dem Inhaber, doch wohl eher zu. Nun fragte es ſich, ob der Adel den Sohn, als nicht wirklichen Beſitzer von Lehen zulaſſen, noch mehr, ob er ihn zum Abgeordneten wählen werde. Allein das ſchlimmſte Hinderniß ſteht noch zurück. Für ſeine Geltung in den Reichsſtänden war ſein Selbſtgefühl ihm Bürge, allein wer bürgte dem Bedrängten für ſein Reiſegeld hin in die Provence und wieder zurück? Nun hatte er ein geiſtreiches, aber vielfach anſtößiges Buch abgefaßt: Geheime Ge - ſchichte des berliner Hofes. Er bietet ſeine Handſchrift dem Grafen Montmorin an, will man ihn entſchädigen,186 ſo ſoll ſie nicht erſcheinen. Dieſer leiſtet eine Zahlung, ſtellt aber die Bedingung dabei, Mirabeau ſoll nicht in die Provence gehen, auf ſeine Deputirtenwahl verzichten. Aber Mirabeau geht in die Provence und läßt ſich noch dazu von einer hübſchen Buchhändlersfrau überreden, ihren Mann durch eine Copie ſeiner Handſchrift glücklich zu machen. So floß ihm Geld aus zwei Quellen zu. Das Parlament verbrannte ſein Buch und beförderte nur deſſen Verbreitung. Seit dem Tage zog ſich Talleyrand von Mi - rabeau zurück, er der ihn vielleicht hätte retten können. So kam der Mann mit Unehre belaſtet in die Provence, allein auch ſeine Gegner geſtehen daß ſein Benehmen dort ehrenhaft, voll Würde und Mäßigung war. Seit funf - zehn Jahren hatte er die landſtändiſchen Verſammlungen der Provence als Mitglied der mit Lehen angeſeſſenen Rit - terſchaft beſucht, auch dieſes Mal war er ſchriftlich einbe - rufen, und niemand taſtete in den erſten Sitzungen ſeine Gerechtſame an. Nun erhub ſich aber ein heftiger Streit unter den Privilegirten über die Frage, wer die Wahl zu den Reichsſtänden zu treffen habe und wer wählbar ſey. Die Prälaten und der Lehnsadel ſprachen: Wir allein, die Stimme des Landes ward nicht müde zu wiederholen: Die geſammte Geiſtlichkeit, der geſammte Adel. Jene hatten das Herkommen, dieſe die proviſoriſche Verfügung des Königs zum Zwecke der Reichsſtände und die Lebens - verhältniſſe für ſich. Kaum aber hatte Mirabeau, der Einzige ſeines Standes, in einer Rede voll Einſicht und187 edler Mäßigung dargelegt daß der königliche Befehl eben ſo ſehr Gehorſam heiſche als die königliche Abſicht ihn verdiene, daß auch die Stimme von 600,000 Einwohnern einen Werth habe, 180 Berechtigten gegenüber, als auch der Sturm über ihn ausbrach. Man befand jetzt daß die mirabeauſchen Lehen auf ſeines Vaters Namen gingen, daß auch ſein Ehecontract ihn nicht zum Lehnseigenthümer mache, ſeine Ausſtoßung ward entſchieden. Auch ſein Proteſt hiegegen trägt keine Spur von Leidenſchaft; er iſt ein anderer Menſch, ſobald er in die Sphäre öffentlicher Verhältniſſe tritt. Um ſo gewiſſer konnte er von nun an der Gunſt des dritten Standes ſeyn, es wäre denn daß ein Verhaftsbrief wegen ſeiner berliner Briefe dazwiſchen träte. Dieſe Sorge trieb ihn ſchleunig nach Paris, und als er erfahren, für ſeine Perſon ſey nichts zu fürchten, eben ſo raſch wieder zurück in die Provence. Sein Ein - tritt hier war ein Triumphzug, allenthalben ſtrömte ihm die Bevölkerung entgegen, man feierte mit lautem Zuruf den König und Mirabcau. An den Zauber ſeiner Unter - haltung ſah man Alt und Jung gefeſſelt; wer ihn von den Irrthümern ſeiner Jugend reuig erzählen hörte, überredete ſich gern, dieſem Manne gehörten bloß ſeine Tugenden, ſeine Laſter wären ihm äußerlich angeſpritzt. Aber Theu - rung herrſchte auch in der Provence; der geringe Mann forderte in Marſeille einen niedrigeren Satz für Brod und Fleiſch; die Obrigkeit hat im erſten Schrecken nachgegeben, und weiß nun nicht wie ſie Wort halten ſoll. Da nimmt188 das Gouvernement zu dem Manne des Volks ſeine Zu - flucht und Mirabeau wagt es auf ein Paar meiſterhaft ge -März 25. ſchriebenen Seiten das Volk zu belehren daß es einen - heren Preis für ſein Brod zahlen müſſe, wenn es nicht verhungern will. Und es nimmt die Lehre an. Von da beruft man ihn nach Aix, wo das Volk die Magazine ge - plündert hat, auch hier iſt er der Friedensſtifter, läßt die Soldaten abziehen, übergiebt die Sicherheitsſorge einer Bürgerbewaffnung. Jetzt fällt die Wahl des dritten Stan - des der beiden Bezirke von Marſeille und Aix auf ihn. ErApril 7. befindet ſich gerade in Aix und nimmt dieſe Wahl an. Die Erzählung, er habe ſeinem Adel förmlich entſagt, habe einen Tuchladen in Marſeille gekauft, iſt eine Fabel.

Die Geſchicke Frankreichs erfüllten ſich, indem zwei Provençalen, ſo ungleichartig wie Waſſer und Feuer ſind, ſich in der Kammer des dritten Standes zuſammenfanden, der ihrer beiderſeitigen Vergangenheit fremd war. Es ge - hörte Neckers Wahlordnung und eine wunderbare Verket - tung von Umſtänden dazu daß ſie nur überhaupt gewählt wurden. Dagegen bahnte ſich vor Talleyrand-Perigord überall leicht der Weg. Er war kürzlich Biſchof von Autun geworden und ſeine Geiſtlichkeit wählte ihn; er nahm von ihr mit einer Rede Abſchied, welche die Gleichheit aller Stände vor dem Geſetz empfahl, die Freiheit des Gedan - kens verherrlichte.

In der Woche vor Eröffnung der Reichsſtände ward das Haus eines ehrlichen pariſer Fabrikanten Reveillon189 in der Vorſtadt St. Antoine von Geſindel erſtürmt undApril 28. ausgeplündert. Als Alles vorüber war, erſchien die be - waffnete Macht, feuerte und nahm einige Verhaftungen vor. Der Umſtand daß man bei den Verhafteten Sechs - frankenthaler fand, dergleichen ſich zu Tagelöhnern nicht ſo leicht verirren, gab, an ſpätere Erfahrungen geknüpft, der Vermuthung Raum, es fänden ſich in der Hauptſtadt Leute von großem Vermögen, welche gelegentlich hätten erproben wollen, wie theuer wohl eine Emeute zu ſtehen komme; denn die Aufregung gegen Reveillon, der Hun - derte von Arbeitern mit Milde und Redlichkeit ernährte, war offenbar künſtlich angefacht. Doch rauſchte der ganze Vorgang damals ſchnell vor dem Gedächtniß vorüber; je - dermann dachte an Verſailles, und wer von Paris dahin kam, weidete ſein Auge an der Geſchäftigkeit der Arbeiter, welche in einem der Schloßgebäude einen gewaltigen Saal, der zur Aufbewahrung von Teppichen, Kronleuchtern, Decorationen, Theater - und Maskenkleidern diente und jetzt wieder dient, für die Eröffnung der Reichsſtände prachtvoll einrichteten. Er hieß der Saal der kleinen Ver - gnügungen, la salle des menus oder menus plaisirs. Man verſprach ſich ein recht großes Vergnügen davon.

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3. Der Geburtstag der Revolution.

Zu den Reichsſtänden ließ ſich nun Alles vorſchriftsmäßig an. Die große Stadt Verſailles füllte ſich Anfang Mai mit Fremden, die allmählig angereiſten Abgeordneten wurden mit den jedem Stande gebührenden Förmlichkeiten demMai 4. Könige vorgeſtellt, und ſchon zu der kirchlichen Feier in der Kirche des heiligen Ludwig ſtrömten die Hauptſtäd - ter herbei, die große ſtändiſche Proceſſion zu ſehen, die vom dritten Stande voran, Alle ganz ſchwarz nach Vor - ſchrift, mit einem ſchmalen ſeidenen Mäntelchen hinten herabhängend angethan, bis auf einen Bauer aus der Bretagne, der in der Landestracht einherging; dann der Adel mit reich galonirtem Mantel, mit Degen und Feder - hut wie zur Zeit Heinrichs des Vierten, in deſſen Reihen man nur einen Prinzen vom Geblüt, den Herzog von Or - leans bemerkte, denn der Graf von Artois hatte auf die Wahl, welche ihn getroffen, auf königlichen Befehl verzichten müſſen. Langſam folgte zuletzt der Klerus; aber die Prä - laten in farbigen Prachtgewanden und weißen Chorhemden191 durften mit den ſchlichten Pfarrern in beſcheidener Amts - tracht nicht verſchmelzen; der umſichtige Ceremonienmei - ſter hatte ein Muſikchor zwiſchen beiden eingeſchoben.

Den Tag darauf am 5ten Mai wurden die Reichs - ſtände eröffnet. Der Klerus nahm an der rechten, der Adel an der linken Seite des Thrones Platz. Die ſchwarze Schaar des dritten Standes lagerte im Hintergrunde des großen prächtigen Saales. Ein Paar tauſend Menſchen füllten die hinter den Säulen laufenden doppelten Galle - rien. Als das Königspaar eintrat, umgeben von den Prinzen von Geblüt, den Herzogen und Pärs, geleitet von Miniſtern, Staatsräthen, Hofleuten, ſtand Alles auf und freudige Zurufe wurden gehört. Der König er - hob ſich vom Throne, verlas unbedeckten Hauptes ſeine Rede: Er habe gern eine in Abgang gekommene Ge - wohnheit erneuert, die Reichsſtände berufen und ſo hof - fentlich eine neue Quelle für das Glück ſeiner Unterthanen eröffnet. Bei ſeiner Thronbeſteigung habe er eine unge - heure Staatsſchuld vorgefunden, ſie ſey unter ſeiner Re - gierung noch vermehrt durch einen wenn auch ehrenvollen Krieg; indem neue Auflagen nöthig wurden, ſey die un - gleiche Vertheilung derſelben noch auffallender ans Licht getreten. Um ſo beruhigender die Bereitwilligkeit, welche ſich in den beiden erſten Ständen offenbare, auf ihre Vor - züge in der Beſteurung zu verzichten. Sparſamkeit werde das Übrige thun; die Finanzetats ſollen vorgelegt werden. Die Geiſter ſind in großer Aufregung, eine Sucht nach192 Neuerungen iſt erwacht; aber die Weisheit der Verſamm - lung wird dieſe beſchwichtigen, ihre Eintracht wird die heißen Wünſche ihres Souveräns, des erſten Freundes ſeiner Völker, zu ehren wiſſen. Als der König ſich ge - ſetzt und bedeckt hatte, bedeckten ſich ſämmtliche Edelleute. Der dritte Stand war gereizt durch einige demüthigende Formen, welche die Höflinge für ihn erdacht hatten, da - mit er den Abſtand ſeiner Geburt keinen Augenblick ver - geſſe, und mehrere ſeiner Mitglieder bedeckten ſich eben - falls, während andere Hut ab! riefen, und wieder andere dagegen Hut auf!, bis der König deſſen inne ward, und indem er ſeine Kopfbedeckung abnahm, Alles wieder ins Gleis brachte. Von der Rede des Siegelbewahrers, mit leiſer zitternder Stimme verleſen, ward wenig verſtanden. Die Regierung des Königs belobend und wegen ihrer Un - beſtimmtheit wenig gewinnend, obwohl die Worte: öf - fentliche Freiheit und Staatsbürger , bisher unge - wohnte Klänge, darin vorkamen, deckte ſie den Grund - fehler der Regierung auf, die Form der ſtändiſchen Bera - thung unentſchieden zu laſſen. Nach Barentin nahm Necker das Wort, las viel zu lang, indem er über drei Stunden mit finanziellen Details ausfüllte, wovon der Verfolg ihn ſogar bis auf den Schnupftabak führte, deſſen Anwen - dung auf die Naſen des Menſchengeſchlechts er eine Me - thode nannte. Eine Staatsſchuld giebt er von 3,090 Mil - lionen an, ein Deficit von nur 56 Millionen, fordert die beiden erſten Stände auf zunächſt den Verzicht auf ihre193 Steuerfreiheit, jeder Stand für ſich, zu beſchließen, dann weiter durch Commiſſarien über die Form der Verhand - lung zu berathen. Welch eine Regierungsweisheit iſt aber das, die über ſolch einen Gegenſtand erſt eine Meinung ſammeln will? Neckers Andeutung geht, gleich der Baren - tins, dahin, die Berathung in zwei oder drei Kammern werde dem Neuerungsgeiſte entgegenwirken, in gewiſſen Fällen dagegen ſcheine gemeinſchaftliche Berathung in ei - ner Kammer die Schnelligkeit und Eintracht der Beſchlüſſe ſicher zu ſtellen. Eine leere Rednerei Neckers, welche nie - manden täuſchte, iſt ſeine Ausführung, für die Ordnung der Finanzen habe es der Reichsſtände nicht bedurft, ihre Berufung ſey ein freies Geſchenk königlicher Weisheit und Huld. Der König erfüllte als ehrlicher Mann ſeine Zu - ſage, allein er that es ungern, that es mit Sorge, konnte nicht anders.

Mirabeau hatte auf eigene Hand ein politiſches Ta - gesblatt begonnen (Journal des Etats généraux), immer noch in der kühnen Vorausſetzung, alle Cenſur habe auf - gehört. Hier erſchien gleich den nächſten Tag eine ſcharfe Kritik der Rede Neckers, die Behauptung ward aufgeſtellt, die Etats-généraux hätten in ungetrennter Verſammlung über die Frage zu entſcheiden, ob ſie fortfahren wollten beiſammen zu ſeyn oder nicht. Aber das Blatt ward unter - drückt und ſeine Fortſetzung verboten. Nichts deſto weni - ger ging es unter verändertem Titel fort, Mirabeau be - klagte ſich öffentlich in einem Briefe an ſeine Wähler überFranzöſiſche Revolution. 13194den erlittenen Eingriff in ſein Recht und die Wähler von Paris unterbrachen ihre Geſchäfte, um einen einſtimmigen Beſchluß der Misbilligung gegen die Verfügung desMai 7. Staatsrathes zu faſſen und zu veröffentlichen.

Inzwiſchen waren die Abgeordneten dritten Standes, einer bloß zuſchauenden Regierung gegenüber, ungemein thätig. Alle Umſtände vereinigten ſich zu ihren Gunſten. Mai 6.Den Tag nach der Eröffnung fanden ſie ſich wieder in dem großen Saale von geſtern zuſammen, der ihnen bleiben ſollte, während dem Adel und der Geiſtlichkeit kleinere Gemächer angewieſen wurden. So erſchienen jene von Anfang her als der Mittelpunct der großen Bewegung, und weil mit den Abgeordneten zugleich auch viele Men - ſchen ſonſt eindrangen und die Gallerien erfüllten, nicht ſelten auch neben befreundeten Abgeordneten Platz nehmen durften, wurden ihre Sitzungen öffentlich ohne alle Be - ſchlußnahme oder Geſtattung. An die Nothwendigkeit der Gegenwart von Staatsminiſtern oder Regierungscommiſ - ſarien hatte niemand im Miniſterium gedacht, nicht ein - mal an eine Vorſchrift, wie es mit der Unterſuchung der Vollmachten zu halten ſey. Die Regierung konnte das als ihr ausſchließliches Recht betrachten, nachzuſehen, ob je - der Erſchienene rechtmäßig gewählt ſey, und ſo hatte ſie dieſes Verhältniß bei den vorläufigen Wahlen zum Zwecke der Deputirtenwahl behandelt. Es ließ ſich aber auch das Geſchäft an die Reichsſtände übertragen, nur daß die Form der Behandlung vorgeſchrieben würde. Hier aber195 war der Art nichts verfügt, Alles ſtillſchweigend den Ge - neralſtänden, wie ſie ſich einigen würden, überlaſſen, und eben hieran knüpften, im Stillen einverſtanden, die Leiter des dritten Standes ihren Feldzugsplan an. Wie iſt es doch , ſprach man, daß die Geiſtlichkeit und der Adel nicht in den Ständeſaal kommen? denn ſo nannte man jetzt die - ſen großen Saal. Wir ſind außer Stand ein gültiges Geſchäft vorzunehmen, ehe unſere Vollmachten in Gegen - wart der drei Stände unterſucht und richtig befunden ſind, und Adel und Geiſtlichkeit befinden ſich im gleichen Falle. Wir müſſen jeden Anſchein vermeiden, als hielten wir uns für conſtituirt, ehe das geſchehen, ein Älteſter mag bei uns Vorſitzer ſeyn, wir beſprechen uns als Einzelne, warum nicht? aber kein Protocoll darf geführt, kein Staatsgeſchäft vorgenommen werden . Die Schwierigkeit beſtand darin, zugleich Etwas und Nichts zu ſeyn; man kam überein in der Eigenſchaft von muthmaßlichen Abge - ordneten mit Geiſtlichkeit und Adel in Verbindung zu tre - ten, ſie durch einzelne Mitglieder um ihr Erſcheinen er - ſuchen zu laſſen. Allein der Adel beſchloß raſch mit großer Mehrheit die Prüfung für ſich vorzunehmen, ebenſo, doch zögernder und mit geringer Mehrheit die Geiſtlichkeit. Dadurch aber war die Verwickelung nur vergrößert. Denn Geiſtlichkeit und Adel galten bei dem dritten Stande weder für conſtituirt, noch konnten ſie ſich als Generalſtaaten geltend machen, ſo lange der dritte Stand auf ſeiner ſchlauen Trägheit beharrte. So ließ man ſich denn zu13*196Commiſſarien aller drei Stände herbei; aber die Abgeord - neten der Gemeinen, denn ſo benannten ſich die vom drit - ten Stande in dieſen Tagen, gaben weder zu, daß für die - ſen in ſeiner Wahlordnung ſo mannigfach abweichenden Reichstag das gelte was vor Jahrhunderten gegolten, noch misglückte ihnen der Beweis daß wirklich auch auf ein Paar alten Reichstagen die Prüfung der Vollmachten gemeinſam vorgenommen ſey. Bis in die dritte Woche hatte man ſich geſtritten, Frankreich ſah vergeblich nach den Thaten ſeiner Vertreter aus, und die Freude der Höf - linge brach faſt ſchon in ein helles Jauchzen aus, als Klerus und Adel ſagen ließen, ſie hätten auf ihre Steuer - freiheit Verzicht geleiſtet. Dieſer Verſuch die Gemeinen von ihrer Bahn abzulenken, ſcheiterte; ſie nahmen die Botſchaft kalt an und beharrten, ſie wollten keine bloße Steuerveränderung mehr, ihr Sinn ſtand nach einer neuen Verfaſſung. Man hielt damals bei ihnen ſehr kurze Sitzun - gen; jedes Mitglied redete einfach von ſeinem Platze aus; nur daß ausnahmsweiſe, wenn etwas beſonders Wich - tiges vorzubringen war, ein Mitglied auf die Erhöhung, das Büreau trat, wo der Alterspräſident ſeinen Platz hatte. Man war in die vierte ſtändiſche Woche getreten, als auf Mirabeau’s Antrag einige Vertreter der Gemei - nen bei der Geiſtlichkeit erſchienen, ſie im Namen des Gottes des Friedens beſchwörend, gemeinſchaftliche Sache mit ihnen zu machen. Dieſer Schritt erſchütterte die Ge - müther der Geiſtlichen und wenig fehlte, ſo wäre an die -197 ſem Tage die Vereinigung unmittelbar erfolgt. Der Bi -Mai 27. ſchof von Chartres, der alte Gönner von Sieyes, ein von ſeinem Berufe in Redlichkeit erfüllter Prälat, drang tief bewegt darauf. Dennoch ward es für das Mal abgewen - det, und der König trat eilig mit Vergleichsvorſchlägen dazwiſchen. Jeder Stand ſoll zunächſt für ſich prüfen, den beiden anderen Einſicht der Acten geben; bleiben dann angefochtene Vollmachten übrig, ſo treten Commiſſarien der drei Stände zuſammen, ſchließlich entſcheiden die Kam - mern, können ſie ſich nicht einigen, der König. Dieſen Vorſchlägen, deren Dolmetſcher Necker in dem Ausſchuſſe der drei Stände war, fügte die Geiſtlichkeit ſich gleich; geſchah es daß auch der Adel nachgab, ſo war dem unpri - vilegirten Stande eine große Gefahr bereitet; er mußte dann entweder aus ſeiner geſchützten Stellung weichen und auf Hoffnungen verzichten, die ihm Alles bedeuteten, oder ſich gegen Vorſchläge auflehnen, die, wenn ſie als Vorſchriften den Etats-généraux vorangegangen wären, jedermann befriedigt hätten. Allein der Adel hatte ſchon einige Tage vorher einen Beſchluß gefaßt, welcher die Berathung jedes Standes für ſich und das Veto jedes Standes für unabänderliche Grundſätze der franzöſiſchen Monarchie erklärte, und dieſem Beſchluſſe getreu fiel ſeine Erklärung dahin aus, daß er allein über die Wahlen ſeines Standes zu entſcheiden habe. Alsbald erklärten die Gemei - nen, ein Vergleichsvorſchlag, welchen eine der Parteien ver - worfen habe, ſey fruchtlos, und die Conferenzen brachen ab. Juni 9.

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Die Gemeinen ſtanden jetzt beſſer als vor dieſer Ge - fahr. Sie hatten nicht den Krieg erklärt und durften wie - der auf die Geiſtlichkeit hoffen. Wenn ſie nun zugleich ei - nen Schritt des Selbſtgefühls kühn in die Welt hinaus thaten, er konnte für geboten durch die Nothwendigkeit gelten, den Reichsſtänden ein Reſultat zu ſichern. Aber verſchoben durfte er nicht länger werden, denn dieſelbe Gefahr konnte wiederkehren, wenn die ſtarrſten Köpfe des Adels, durch die Polignacs angefeuert, ſich etwa bedeu - ten ließen.

Es war der 10te Junius als Mirabeau ſprach: Die Gemeinen können länger nicht ohne Gefahr in dieſem Zu - ſtande der Unentſchiedenheit verharren, und ich bin unter - richtet daß ein Mitglied der pariſer Deputation einen An - trag von der größten Wichtigkeit zu ſtellen hat. Der Abbé Sieyes trat auf, entwickelte daß die Verſammlung der Gemeinen, ohne ein Verbrechen gegen die Nation auf ſich zu laden, nicht länger unthätig bleiben könne, man müſſe handeln und, um handeln zu können, die Prüfung der Vollmachten vornehmen, auch zu dieſem Ende eine letzte Ladung an die Geiſtlichkeit und den Adel ergehen laſ - ſen, binnen einer Stunde ſich im Ständeſaale einzufin - den. Wer nicht erſcheint iſt ausgeſchloſſen. Der Antrag ward mit großem Beifalle aufgenommen; nur einige Här - ten milderte man, ſetzte auf Targets Vorſchlag ſtatt La - dung Einladung, ſetzte die Friſt von einem Tage und ließ die Erwägung gelten, daß ſtatt die nicht Erſchienenen199 auszuſchließen, man ſtets die Thüre zur Vereinigung of - fen laſſen müſſe.

Der dritte Stand hatte das Recht die Hälfte zu bedeu - ten, welches ihm ſeine Verdoppelung in Ausſicht ſtellte, nicht erlangen ſollen, und war jetzt auf dem Wege ſich für das Ganze zu erklären. Mirabeau kannte die Gefahr jedes Schrittes auf dem ſchlüpfrigen Boden der Neuerung. Als einige Wochen früher ein heftiger bretagner Advocat Le Chapelier in dieſe Bahn einlenkte, trat er ihm entge -Mai 18. gen: Ein ſo wichtiger, ſo neuer, ſo tief entſcheidender Schritt wie der, uns für die Nationalverſammlung zu er - klären, die anderen Stände als nicht erſchienen auszu - ſchließen, kann nicht reiflich genug erwogen und ermeſſen, nicht würdig genug gethan werden; er müßte ſelbſt andere Handlungen nach ſich ziehen, ohne welche unſer ganzer Erfolg eine Auflöſung ſeyn würde, welche Frankreich den ſchrecklichſten Unordnungen überlieferte. An demſelben Tage, an welchem er an Sieyes Seite den gefürchteten Schritt gleichwohl that, trachtete er für die Regierung, die er erſchütterte, neue Stützen zu gewinnen. Unter den Deputirten des dritten Standes aus der Auvergne befand ſich Malonet, ein Mann von Grundſätzen und Einſicht, alſo redlicher und muthiger Freund der Freiheit, Feind gewalt - ſamer Umwälzung, weil die zuſammenbrechende Ordnung die Freiheit unter ihren Trümmern zu begraben pflegt. Malouet ſtand in alter Verbindung mit den Miniſtern Necker und Montmorin. Staatskundiger als beide glaubte200 er keineswegs daß ſich Alles ſo von ſelber machen dürfe und werde, wie Necker wähnte, keineswegs daß es ge - lingen könne nichts thuend das Heft in den Händen zu be - halten. Malouet warnte beide als es noch Zeit war, trieb ſie, mit nützlichen und gerechten Zugeſtändniſſen den Reichsſtänden entgegen zu kommen, ohne Kargheit billige Wünſche zu befriedigen, bevor dieſe nur ausgeſprochen würden, und eben dadurch ſich die Macht zu ſichern, ſchäd - lichen und umwälzenden Planen entgegenzutreten. Seine Warnungen machten Eindruck auf Montmorin, Neckern bewegten ſie nicht. Durch politiſche Schwärmerei und Selbſtgefälligkeit getäuſcht, fuhr dieſer fort in den bevor - ſtehenden Reichsſtänden lediglich die Erhabenheit einer zu den edelſten menſchlichen Zwecken berufenen Verſamm - lung zu erblicken, und ſeines redlichen Willens ſich ganz bewußt, rechnete er auf ihre Leitſamkeit und die unſterb - liche Dankbarkeit des franzöſiſchen Volks. Malouet mußte ſich mit der Antwort zufrieden ſtellen, es ſey gefährlich, mit Adel und Geiſtlichkeit es zu verderben, ohne gewiß zu wiſſen, ob man auch mit ſeinen Anerbietungen dem drit - ten Stande Genüge thue. Nun traten die Reichsſtände in Thätigkeit. Malouet wünſchte ſo redlich wie Mounier von ihrer Verſammlung eine Verjüngung Frankreichs, ſah, wie dieſer, das Mittel dazu in der Durchſtimmung nach Köpfen, aber ihn betrübte der wachſende Zwieſpalt der Stände, die träumeriſche Unthätigkeit der Krone. Da ging ihm an dem entſcheidenden 10ten Junius eine Hoff -201 nung von unerwarteter Seite auf. Mirabeau bat ihn um eine Unterredung für denſelben Tag. Dieſe hat Malouet, der ſein Leben bis über die napoleoniſchen Zeiten verlän - gerte, aus friſcher Erinnerung niedergeſchrieben. Mira - beau ging offen heraus: er wende ſich an einen verſtändi - gen Freund der Freiheit, dazu den Freund von Necker und Montmorin. Auf beide gebe er wenig, allein man brauche ſich auch nicht zu lieben, genug, wenn man ſich verſtän - dige. Jetzt frage es ſich, ob der Monarch und die Monar - chie den Sturm, welcher im Anzug iſt, überleben, oder ob die Fehler, welche man begangen hat und ohne Zwei - fel noch begehen wird, uns Alle verſchlingen ſollen. Ich wünſche, ſchloß er, die Abſichten der beiden Miniſter zu kennen und wende mich an Sie, um eine Zuſammen - kunft mit ihnen zu erhalten. Die Miniſter würden ſehr ſtrafbar und ſehr beſchränkten Geiſtes, ſelbſt der König würde nicht zu entſchuldigen ſeyn, wenn ſie ſich anmaßten dieſe Reichsſtände auf daſſelbe Ergebniß zurückzuführen, welches alle anderen gehabt haben. Das wird nimmer - mehr geſchehen. Die Herren müſſen einen Plan haben; wenn dieſer Plan vernünftig iſt, im monarchiſchen Sinne, ſo will ich ihn unterſtützen, alle meine Kräfte, allen mei - nen Einfluß anſpannen, um den Einbruch der Demokra - tie, die uns bedroht, abzuwenden. Malouet war in gleichem Maße überraſcht und erfreut, ſprach denſelben Abend mit beiden Miniſtern. Aber Montmorin wollte mit einem Manne nichts zu ſchaffen haben, der, wie er ſagte,202 ein Spiel mit ſeiner Ehre treibe, erinnerte an den doppel - ten Verkauf der berliner Briefe. Necker willigte ein, man ſah ſich am 11ten; Malouet war nicht anweſend. Ein kurzer Zwieſprach! Als Necker kalt und argwöhniſch ſeinen alten Widerſacher fragte: welche Vorſchläge der Herr Graf zu machen habe? gleich als gelte es einen Handel zu treffen, einen Preis der politiſchen Beſtechung feſtzu - ſtellen, erwiderte Mirabeau mit wenig wilden Worten, ging davon. In der Verſammlung rief er dem Malouet im Vorbeigehen zu: Euer Mann iſt ein Gimpel, er ſoll von mir hören.

Am 12ten Junius Abends ward zur Prüfung der Voll - machten geſchritten. Man theilte ſich, um ſchneller zum Ziele zu kommen, in zwanzig Ausſchüſſe; der Wahlbezirke waren 176; jedem Ausſchuſſe ward ſein Antheil zugewie - ſen. So wie ein Wahlbezirk an die Reihe kam, unterließ man nicht die Herren von der Geiſtlichkeit, die Herren vom Adel jedesmal aufzurufen, und die Antwort: Nie - mand anweſend, ward im Protocoll verzeichnet. Als man am nächſten Tage fortfuhr, traten drei Pfarrer, nicht unerwartet, ein, legten ihre Vollmachten zur Prüfung auf das Büreau. Sie wurden mit Entzücken empfangen. Den Tag darauf erſchienen deren ſechs, unter ihnen Gre - goire. Eben kamen noch zwei Pfarrer an, als man nach Beendigung der Prüfung der Vollmachten ſich am 15ten auf Antrag von Sieyes mit der Frage zu beſchäftigen be - gann, welchen Namen die jetzt conſtituirte Verſammlung203 führen ſoll. Es war klar: eine Verſammlung, welche fortfährt ſich den dritten Stand zu nennen, darf nicht drei Stände bedeuten wollen; aber Etats-généraux ſich zu heißen, war ebenfalls unthunlich, ſo lange die Mehrzahl der Geiſtlichkeit, der ganze Adel draußen blieb. Sieyes ermäßigte einſtweilen ſeine bekannte Theorie, ſchlug die Benennung Verſammlung der bekannten und beglau - bigten Vertreter der franzöſiſchen Nation vor. Dieſe Be - zeichnung hatte nichts Anſprechendes und es ſtand ihr auch das entgegen, daß ſie nicht von Dauer ſeyn konnte. Mi - rabeau’s Vorſchlag, Vertreter des franzöſiſchen Volks, zu deſſen Stützung er Volk als den größeren Theil der Nation definirte, erregte ſogar Unwillen, wegen der Ge - ringſchätzung die nun einmal in Frankreich an dem Worte Volk haftete, und die Hinweiſung des Redners auf Cha - thams Majeſtät des Volks, ſelbſt auf die Holländer und die Schweizer, welche die geringſchätzigen Namen: Geuſen und Hirten bald zu Ehren zu bringen wußten, ſeine Worte: Warum ſich Namen geben, die der Eitel - keit ſchmeicheln? wurden von der verletzten Verſammlung faſt tumultuariſch zurückgewieſen. Endlich ward unter meh - reren Vorſchlägen auch der Name Nationalver - ſammlung genannt. Dieſer Ausdruck war ſchon manch - mal vorgekommen, Malesherbes, Mirabeau, ſelbſt der König hatte ihn unverfänglich gebraucht; jetzt aber er - wählt, bedeutete er nicht weniger als die Theorie, zu welcher Sieyes ſich in ſeiner berühmten Schrift bekannt204 hatte: der dritte Stand iſt Alles. Sieyes, dem jener Ausdruck unmöglich fremd geblieben ſeyn konnte, gab ſich die Miene der Nachgiebigkeit, indem er innerlich trium - phirte. Eine leidenſchaftliche Discuſſion erfolgte, ſelbſt das Publicum auf den Gallerien miſchte ſich mit Klatſchen und Murren ein, Malouet ward ſogar thätlich bedroht, aber der Vorſitzende, Bailly verſchob die Entſcheidung bis auf den nächſten Tag. Mirabeau entzog ſich dieſer Sitzung, deren Ergebniß er vorausſah und nicht billigte. Er hatte die Abſtimmung nach Köpfen durchzuſetzen, ſeine Schach - partie, wie er ſich unter Freunden ausdrückte, Zug für Zug zu gewinnen gedacht; jetzt aber ſah er ein Va-banque vor Augen, welches einer Partei von beiden Alles koſten wird. Er wollte keinen Namen, welcher die freie Geneh - migung des Königs nimmermehr erlangen konnte. Als in der Sitzung vom 16ten die Worte fielen: wenn das Volk geſprochen habe, ſey die königliche Genehmigung über - flüſſig, gab er die tiefſinnige Entgegnung: Ich, meine Herren, ich halte das Veto des Königs in dem Grade für nothwendig, daß ich lieber in Konſtantinopel leben würde als in Frankreich, wenn er es nicht hätte: ja ich erkläre, nichts würde mir ſchrecklicher ſcheinen als eine ſouveräne Ariſtokratie von ſechshundert Perſonen, welche morgen ſich unabſetzbar, übermorgen ſich erblich machen könnten, und am Ende, wie die Ariſtokraten aller Länder der Welt, Alles an ſich reißen würden. Der 17te Junius entſchied mit 491 gegen 90 Stimmen die Erklärung des dritten205 Standes zur Nationalverſammlung. Gegen die Motive dieſes Beſchluſſes, von Sieyes aufgeſtellt, ließ ſich von ſeinem Standpuncte aus nichts einwenden. Dieſe Ver - ſammlung repräſentirt achtundneunzig Hundertſtel der Be - völkerung. Eine ſolche Mehrzahl darf nicht unthätig blei - ben, weil eine ſolche Minderzahl ſich weigert. Dieſe Minderzahl darf kein Veto länger üben. Die National - verſammlung iſt verpflichtet ohne Aufſchub an der Wieder - herſtellung des öffentlichen Wohles zu arbeiten, allein ſie wird ſtets mit entgegenkommender Wärme jene Minder - zahl empfangen, ihre Vollmachten einſehen und ſie zulaſ - ſen. Sieyes beſaß keine redneriſche Gaben, ſprach lieber durch Andere als ſelbſt, ward wenn man ihm widerſprach, leicht ärgerlich, auch mochte er die Ungunſt ſcheuen, welche ſich immer gegen überwiegenden Einfluß waffnet. So kam es an demſelben Tage durch einen fremden Mund, der ſich ihm lieh, zu dem weit reichenden Beſchluſſe daß ſämmtliche bisherige Steuern bis zum Tage der Auflö - ſung der Nationalverſammlung entrichtet werden ſollen, aber länger nicht. Die Nationalverſammlung hatte hie - mit ihre Bereitwilligkeit erklärt die Regierung des franzö - ſiſchen Staates anzutreten. Sie ſchickte ihre Beſchlüſſe in die Provinzen.

Das Glück war mit der Kühnheit. Nur zwei Tage darauf beſchloß die geiſtliche Kammer mit einer MehrheitJuni 19. von 149 Stimmen gegen 115 die gemeinſame Prüfung der Vollmachten, jedoch unter Vorbehalt des Unterſchiedes206 der Stände. Um ſo angelegentlicher rieth die Minderzahl der Geiſtlichkeit und die große Mehrzahl des Adels dem Könige zur Auflöſung der Reichsſtände. Aber dieſe Maß - regel hatte ihr großes Bedenken. Durfte man die auf ei - nen verbeſſerten Zuſtand der Dinge geſpannten Hoffnun - gen täuſchen? und wie, wenn die ohnehin Noth leidenden Provinzen, den Beſchluß der Gemeinen ehrend, mit einer allgemeinen Steuerverweigerung antworteten?

Als am Sonnabend, den 20ſten Junius Morgens acht Uhr die Gemeinen in die Sitzung gingen und das Publicum doppelt ſtark zuſtrömte, begierig die Geiſtlichen zum erſten Male im Schoße der Nationalverſammlung zu erblicken, begegnete man Waffenherolden auf den Straßen, welche dieſe Kundmachung verlaſen. Da der König be - ſchloſſen hat eine königliche Sitzung bei den Generalſtaa - ten Montag den 22ſten Junius zu halten, machen die in den drei Verſammlungsſälen der Stände zu treffenden Vorbereitungen eine Ausſetzung der Verſammlungen bis zur Haltung der gedachten Sitzung nöthig. Seine Maje - ſtät wird durch eine neue Kundmachung die Stunde zur Kenntniß bringen, in welcher ſie ſich Montag in die Ver - ſammlung der Stände begeben wird. Was ſie eben ge - hört, das laſen ſie als Anſchlag am Ständehauſe zum zweiten Male. Die Abgeordneten ſahen ſich an der Thüre des Saales von Bewaffneten zurückgewieſen; bloß den Präſidenten Bailly ließ man nebſt den Secretären ein, um die Papiere in Sicherheit zu bringen. Wie man nun in207 den Straßen zu Hunderten beiſammen ſtand, war der Be - ſchluß bald gefaßt, man wolle, es koſte was es wolle, Verſammlung halten, und zwar gleich; denn die Auflö - ſung ward allgemein gefürchtet. Aber wo? Nach längerem Schwanken brachte der pariſer Abgeordnete, Arzt Guillo - tin das Ballhaus in Vorſchlag und Bailly forderte einige Deputirte auf ſich eilends dieſes Raumes zu verſichern. Der Eigenthümer fühlte ſich geehrt, in den Saal wo man bisher Ball ſchlug und rappirte die Nationalverſammlung einzuführen. Einige an der Thüre aufgeſtellte Abgeord - nete verhinderten, daß die wogende Volksmenge zugleich eindrang. Als der Präſident die Sitzung eröffnete, erhielt Mounier das Wort. Dieſer hatte ſich vor wenig Tagen noch vergebens bemüht die Uſurpation abzuwenden, durch welche ſich der dritte Stand zur Nationalverſammlung er - hob; jetzt aber war der Schritt geſchehen, man mußte ihn behaupten, ohne rückwärts zu blicken, oder auf jede vaterländiſche Hoffnung, an die Reichsſtände geknüpft, mußte verzichtet werden. Denn wenn nicht etwas gegen dieſe im Werke war, wozu dann den Ständeſaal neben friedlichen Arbeitern mit Bewaffneten erfüllen? Ließ ſich denn kein anderes Local ausfindig machen? Durfte die Würde der Verſammlung gekränkt werden, indem man ihre Mitglieder durch öffentlichen Ausruf und Anſchlag unterrichtete, ihren Präſidenten aber kurz vor der Sitzung durch ein Billet des Oberceremonienmeiſters? Verlangte doch das Herkommen in ſolchen Fällen, wenn ſie auch nur208 das Parlament angingen, daß der König ſelbſt dem Präſi - denten ſchreibe! Unter ſteigender Aufregung, während Einige davon ſprachen, man müſſe geradezu nach Paris wandern, dahin den Sitz der Verſammlung verlegen, Le Chapelier aber verlangte, man müſſe dem Könige ſchrei - ben, ſein Thron ſey von Feinden des Vaterlandes umla - gert, gewann Mounier alle Gemüther für den Vorſchlag, ſich gegenſeitig durch einen Eidſchwur zum treuen Zuſam - menſtehn, wo es denn ſey, zu verpflichten, dieſen Eid in Schrift zu bringen und zu unterzeichnen. Die Formel des Eidſchwurs entwarf Sieyes. Der Präſident ſtieg auf den Tiſch und verlas ſo laut, daß auch die Menge draußen ſie hören konnte, die Worte: Wir ſchwören uns nie - mals von der Nationalverſammlung zu trennen und uns allenthalben zu verſammeln, wo die Umſtände es erfordern werden, bis die Verfaſſung des Königreiches vollendet und auf feſten Grundlagen errichtet ſeyn wird. Als man die Unterſchriften nachſah, hatte ein einziger Abgeordne - ter als nicht beiſtimmend unterzeichnet. Auf Befragen erklärte dieſer, (Martin d’Auch) er könne nicht ſchwören einen vom Könige nicht genehmigten Beſchluß auszufüh - ren, und die Bemerkung des Präſidenten, wie der von der Verſammlung ſtets anerkannte Grundſatz daß die Ver - faſſung und die Geſetzgebung der königlichen Genehmigung bedürfen, durch den Eid nicht ausgeſchloſſen ſey, machte ihn nicht irre. Man ließ ihn aber gewähren, um ei - nen Beweis der Achtung für die Freiheit der Meinungen209 zu geben, und war um ſo mehr erfreut, unter den Eidab - leiſtern einige Herren von der Adelskammer, einen Mathieu Montmorency, Clermont-Tonnerre und Lally-Tollendal zu erblicken.

Die königliche Sitzung ward um einen Tag verſcho - ben, dieſes Mal durch ein königliches Handſchreiben an den Präſidenten, welches zugleich den Eintritt in den Ständeſaal bis dahin verbot. Eine beabſichtigte zweite Verſammlung im Ballhauſe aber ſchnitt der Graf von Artois ab, indem er dem Eigenthümer ſagen ließ, er wolle Montag dort ſpielen. Aber auch dieſe Liſt ſchlug in ihr Gegentheil um, die Gemeinen verſammelten ſich in der Kirche des heiligen Ludwig, und hier traten vor allerJuni 22. Welt Augen die 149 Geiſtlichen zu ihnen ein, meiſtens arme Pfarrer, es iſt wahr, aber geführt von zwei Erzbi - ſchöfen, drei Biſchöfen. So verſtärkt konnte man dem nächſten Tage getroſter entgegenſehen.

In der königlichen Sitzung ward ſofort Neckers AnblickJuni 23. vermißt. Er war im Miniſterrathe, überraſcht von der Thatkräftigkeit des dritten Standes, mit ſeinen alten Ge - danken herausgetreten, nur daß was er früher anheimgab, ſich jetzt zum Befehl des Königs umgeſtalten ſollte. Der König ſollte demnach die gemeinſame Berathung über alle gemeinſamen Angelegenheiten bewilligen, die getrennte Berathung befehlen, ſobald es ſich von Rechten der ein - zelnen Stände handelte. Dieſer Plan war von jeher arm - ſelig, unpraktiſch, denn es wird ſich ewig fragen, wasFranzoͤſiſche Revolution. 14210denn nun gemeinſame, was bloße Standesangelegenheit ſey, aber die ſtürmiſche Adels - und Hofpartei bekämpfte ihn als viel zu nachgiebig, mit der Würde der Krone un - verträglich, und warf ihn mit Hülfe der Königin und des Grafen von Artois um. Es ſoll und muß dabei bleiben, daß es von der Einwilligung jedes der drei Stände und der Einwilligung des Königs abhängt, ob über einen Gegenſtand gemeinſam berathen werden ſoll, und es muß gleich jetzt erklärt werden, daß die künftige Reichsverfaſſung nicht zu den Gegenſtänden gemeinſamer Berathung gehört. Necker bot hierauf ſeine Entlaſſung an, ließ ſich jedoch halten, allein er blieb von der königlichen Sitzung aus, gegen ſein, wie die Königin ſtets behauptet hat, aus - drücklich am Abend vorher gegebenes Verſprechen.

Als der König mit ſeiner glänzenden Umgebung ein - trat, tönte ihm ein ſchwacher Zuruf von einem Theile der Geiſtlichkeit und dem Adel entgegen, die Gallerien ſtanden leer, waren abgeſperrt. Der König eröffnete mit allgemeinen Äußerungen, wie ſehr ſeine Hoffnungen ge - täuſcht worden, knüpfte Ermahnungen an. Hierauf ver - las der Siegelbewahrer 15 Artikel, deren erſter die Be - ſchlüſſe des dritten Standes vom 17ten aufhebt als unge - ſetzlich und verfaſſungswidrig. Die drei Stände, in drei Kammern berathend, haben allein das Recht den Körper der Vertreter der Nation zu bilden. Zwar können ſie, wenn der König es erlaubt, auch zuſammentreten, und was le - diglich dieſe Sitzung betrifft, ermahnt der König ſelbſt211 dazu in Bezug auf Gegenſtände von allgemeinem Nutzen, aber ausgenommen ſind von der gemeinſamen Berathung ganz ausdrücklich alle alten und verfaſſungsmäßigen Rechte der drei Stände, die künftige reichsſtändiſche Verfaſſung, nebſt den Lehngütern, den nutzbaren Rechten und den Eh - renrechten der beiden erſten Stände (Art. 7 u. 8.). Auf - gehoben werden alle Inſtructionen der Abgeordneten, welche bindende Vorſchriften enthalten; wer ſich dadurch in ſeinem Gewiſſen beſchwert achtet, möge ſich neue In - ſtructionen erbitten. Der letzte Artikel verbietet die Zulaſ - ſung von irgend jemand, der den Ständen nicht angehört, zu den Sitzungen, als ſtreitend mit der guten Ordnung, der Schicklichkeit und ſelbſt der Freiheit der Abſtimmung.

Der König nahm abermals das Wort, kündigte der Verſammlung eine lange Reihe königlicher Wohlthaten an, fügte hinzu: ich darf ſagen, ohne mich zu täuſchen, daß niemals noch ein König ſo viel für eine Ration gethan hat, worauf der Siegelbewahrer dieſe in 35 Artikeln verlas. Ihr Inhalt aber entſprach dem königlichen Worte nicht. Allerdings ſollen fortan keine neue Steuern ohne Einwilligung der Reichsſtände erhoben werden, Grund - ſteuerprivilegien und die Wegefrohn ſollen aufhören; allein alle Lehn - und Herrenrechte werden beibehalten und der Grundſatz der künftigen Gleichheit der Beſteurung wird von der Verwirklichung der Geneigtheit abhängig gemacht, welche Geiſtlichkeit und Adel in dieſem Betracht an den Tag gelegt haben. Mit der Verlegung der Zolllinie an14*212die Reichsgränze, mit Abſchaffung der Salzſteuer wird man ſich beſchäftigen; eben ſo mit der Freiheit der Preſſe, mit den Verhaftsbriefen und zwar mit dieſen ſo, daß die Generalſtaaten Mittel ausfindig machen ſollen, ihre Ab - ſchaffung mit der öffentlichen Sicherheit, mit der Noth - wendigkeit ſey’s in gewiſſen Fällen die Ehre der Familien zu ſchonen, ſey’s drohenden Aufſtand ſchnell zu unter - drücken, ſey’s den Staat vor verbrecheriſchen Einverſtänd - niſſen mit dem Auslande zu bewahren, in Einklang zu bringen. Aber das Alles iſt am Ende nur Nebenſache. Hätte auch der König alle jene Zuſagen, deren ſich Necker in ſeinen Büchern rühmt daß ſie in ſeinem Plane ſtanden, in der bindendſten Form gegeben, er hätte damit doch nichts mehr bewirkt, als wenn er den Franzoſen beſtän - digen Sonnenſchein und reiche Erndten bewilligt hätte. Denn ohne die Zuſtimmung der Reichsſtände hatte keine dieſer Zuſagen Werth, dieſe aber war nicht zu hoffen, wenn das Veto jedes Standes verewigt ward.

Der König nahm zum dritten Male das Wort: Sein Eifer für das öffentliche Wohl ſey durch das Geleſene be - thätigt; laſſen die Stände ihn im Stich, ſo wolle er als wahrhafter Repräſentant ſeiner Völker allein ihr Glück gründen. Man ſolle ſich erinnern daß kein ſtändiſcher Be - ſchluß zum Geſetz werde ohne königliche Genehmigung. Man dürfe ihm nicht mistrauen ohne Ungerechtigkeit. Die Schlußworte ſind: Ich befehle Ihnen, meine Herren, ſich ſogleich zu trennen und ſich morgen früh jeder in das213 Zimmer ſeines Standes zu begeben, um die Sitzungen wieder aufzunehmen. Ich befehle demgemäß dem Ober - ceremonienmeiſter die Säle in Stand ſetzen zu laſſen.

Der König entfernte ſich und der Adel und ein Theil des Klerus verließ den Saal. Die Übrigen blieben unbe - weglich ſitzen. Nicht lange ſo trat der Oberceremonien - meiſter, der den König begleitet hatte, wieder ein. Dieſer Marquis de Brézé, ein ſehr junger Mann, war alt im Studium aller Förmlichkeiten, eine peinliche Natur, ganz der Mann ſeines Amtes. Er hätte nicht ein Tüttelchen von dem Herkommen früherer Jahrhunderte fahren laſſen mögen. Ihm verdankte der dritte Stand ſeine fatale Ju - riſtentracht, und ginge es nach ihm, ſo hätten ſeine Depu - tationen nur knieend wie vor Alters zum Könige reden dür - fen. In den letzten ſchweren Wochen war der Dauphin, ein Knabe von ſieben Jahren geſtorben; als eine ſtändi - Juni 4. ſche Deputation bei dem Begängniß erſchien, meldete de Brézé dieſes der Leiche mit den Worten an: Gnädigſter Herr, die Deputirten der Etats-généraur! Noch heute hatte er die Abgeordneten des dritten Standes ohne Barm - herzigkeit dem Platzregen preisgegeben, ſie durften ihm nicht in den Saal, bis er den beiden erſten Ständen ihre Ehrenplätze angewieſen hatte. Jetzt wieder eintretend fragte de Brézé: Sie haben, meine Herren, die Be - fehle des Königs vernommen? Als der Präſident aus - weichend antwortete, man habe ſich vertagt nach dem Schluſſe der königlichen Sitzung, zur Aufhebung der Ver -214 ſammlung gehöre eine Beſprechung mit derſelben, erhub ſich Mirabeau gegen de Brézé, ſprach: Die Gemeinen von Frankreich haben beſchloſſen zu berathſchlagen. Wir haben die Abſichten vernommen, welche man dem Könige untergeſchoben hat. Sie aber, der Sie nicht ſein Organ bei der Nationalverſammlung ſeyn können, Sie der Sie hier weder Sitz, noch Stimme, noch ein Recht zu ſprechen haben, Sie ſind nicht der Mann, der uns an ſeine Rede erinnern darf. Gehen Sie und ſagen Sie Ihrer Herr - ſchaft daß wir durch die Gewalt des Volks hier ſind, und daß man uns von hier nicht anders fortbringt als durch die Gewalt der Bajonette. Man hörte Mirabeau’s harte, grimmige Stimme, die heute bis zum Donner anſchwoll, weit durch den Saal, und die ganze Verſammlung rief: Das iſt der Wille der Verſammlung.

Das war die Revolution.

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4. Die pariſer Revolution.

Als der Ceremonienmeiſter verſchwunden war, ſprach Sieyes: Das franzöſiſche Volk hat uns geſendet und wir haben geſchworen es in ſeinen Rechten wiederherzuſtellen. Welche Macht auf Erden könnte Euch das Recht rauben, Eure Sender zu vertreten? Wir ſind heute was wir geſtern waren, laßt uns berathſchlagen. Auf Mirabeau’s Vor - ſchlag erklärte die Nationalverſammlung jedes ihrer Mit - glieder für unverletzlich, wer dagegen handelt, ſoll als ehrlos und Verräther an der Nation, als ſchuldig eines Kapitalverbrechens behandelt werden. Die anweſenden Mitglieder der Geiſtlichkeit nahmen, inſoweit ihre Voll - machten geprüft waren, an der Abſtimmung Theil.

Längſt war was im Saale geſchehen auch draußen in der Stadt verbreitet. Schon als der König durch die lange Hecke, welche Tauſende von Soldaten bildeten, in ſein Schloß zurückkehrte, war man unterrichtet, und die Menge ſtand lautlos da, kein Ruf der Liebe erſcholl. Als der Marquis de Brézé erſchien, ſeine Meldung machte, ſprach216 Ludwig trübe und tonlos: Nun wohlan, wenn die Her - ren vom dritten Stande ihren Saal nicht verlaſſen wollen, ſo bleibt nichts übrig als ſie darin zu laſſen. Dieſe Ant - wort war, als Geſtändniß einer Niederlage ſchwach, ſonſt aber den Umſtänden angemeſſen. Der König hätte die Ge - meinen leicht durch eines ſeiner Regimenter, die er in den letzten Wochen nach Verſailles gezogen, vertreiben, ver - wunden und einkerkern laſſen können, er aber hätte Frank - reich nimmermehr verhindert ſie zu rächen. Es wäre das Signal zum Bürgerkriege geweſen.

Aber den dritten Stand umgab, als er endlich aus dem Saale trat, eine jauchzende Volksmenge, welche ihn nur verließ, um mit vielen Drohungen gegen die anderen Stände die Amtswohnung Neckers, die in einem Flügel des königlichen Schloſſes war, aufzuſuchen, damit ſich’s offenbare, ob denn die Nachricht wahr ſey, daß dieſer Volksfreund abdanke. Necker beruhigte die Tauſende, die ſeiner harrten, perſönlich. Er hatte ſo eben den dringen - den Bitten des Königspaares nachgegeben, ſein Bleiben zugeſagt, der König hatte ihm ſein Bedauern ausgeſpro - chen, verkehrten Rathgebern ſein Ohr geliehen zu haben. Necker wandte ſein Bemühen dahin, den Monarchen mit einer Demüthigung auszuſöhnen, welche jetzt eben ſo un - abwendbar war, als ein Paar Monate früher mit gerin - ger Vorausſicht leicht vermeidlich. Aber Neckers Freude an der Volksgunſt ließ keine Selbſtanklage bei ihm auf - kommen.

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Mittlerweile blieben die Wachen ſtehen, welche den Zutritt zu dem Ständeſaale der ungeduldigen Menge manchmal mit Gewalt verwehrten. Das hielt die Mehr - zahl der Geiſtlichkeit nicht ab, jetzt ihren Übergang zum dritten Stande ohne Vorbehalt zu vollführen; unter denJuni 24. Auswanderern befand ſich Talleyrand, Biſchof von Au - tun. Ein Gleiches zu thun ſchlug in der Adelskammer der Graf von Clermont-Tonnerre vor, vom Grafen Lally - Tollendal mit Nachdruck unterſtützt. Bedenken wir, ſprach Lally, daß es eine Gewalt der Dinge giebt, ſtär - ker als die Gewalt der Menſchen. Nähme jene einen zu ſchnellen Lauf, ſo wäre das einzige Mittel ihn zu verzö - gern das, ſich ihr anzuſchließen. Es hat eine Zeit ge - geben, da man die Sclaverei aufheben mußte, und ſie iſt aufgehoben, eine andere da man den dritten Stand in die Nationalverſammlungen eintreten laſſen mußte, und er iſt eingetreten. Jetzt haben wir eine Zeit, da die Fortſchritte der Einſicht, die zu lange verkannten Rechte der Menſch - heit dieſem dritten Stande, der 24 Millionen zählt, die Gleichheit der Rechte, welche ihm gebührt, zutheilen wer - den. Dieſe dritte Revolution hat begonnen und nichts wird ſie aufhalten. Die Verſammlung beſchloß den An - trag nicht in Erwägung zu ziehen; niemand widerſprach heftiger als d’Espréménil und der Vicomte von Mira - beau, jüngerer Bruder des Grafen. Da aber traten den nächſten Tag 47 Mitglieder der Adelskammer in den SaalJuni 25. der Nationalverſammlung, unter ihnen der Herzog von218 Orleans. Jetzt aber gab auch der König dem Andringen Neckers nach, forderte die beiden erſten Kammern ſchrift -Juni 27. lich auf, ſich mit der dritten zu vereinigen. Es bedurfte ei - nes zweiten förmlichen Befehles, um den Widerwillen des Adels zu brechen.

Das war das Reſultat eines faſt zweimonatlichen Kampfes, welcher dem Königthum unheilbare Wunden ſchlug. Äußerlich war auf einmal Alles Friede und Freude; freiwillige Illumination der Stadt Verſailles, dreitägige Feſtlichkeiten, Beifallsrufe dem Könige und ſelbſt der - nigin, wo ſie ſich nur zeigten; Wohlmeinende wünſchten ſich einander mit den Worten Glück: Die Revolution iſt beendigt. In Wahrheit lag von nun an das Schickſal Frankreichs in den Händen der Nationalverſammlung; ihre Weisheit und Mäßigung allein konnte die verletzte Krone wiederherſtellen. Wehe ihm und ſeinem Stamme, wenn der König es mit Gewalt verſuchte!

Wirklich war ein Geiſt der Verſöhnlichkeit und Beſon - nenheit bei der Nationalverſammlung eingekehrt; man misbilligte laut verſchiedene Verſuche die öffentliche Ruhe zu ſtören; man befand, daß die Berathung in einer ſo über - aus zahlreichen Verſammlung keineswegs genüge, um den Gegenſtänden hinlänglich auf den Grund zu kommen, beſchloß deßhalb die Hälfte der Woche engeren Sitzungen zu widmen, und als man nun zum Zwecke der Vorbera - thung aller wichtigeren Fragen die ganze Verſammlung in 30 Büreaus theilte, fand ſich, daß in jedem Büreau ent -219 weder ein Geiſtlicher oder ein Adlicher zum Vorſitzenden gewählt war; man vergönnte den Prälaten und Edelleu - ten ihre Sitze beiſammen einzunehmen und ließ ſogar die beſonderen Zuſammenkünfte ungerügt, welche eine Anzahl entflammter Edelleute noch immer in ihrem Standesſaale hielten; man begnügte ſich auf die ſchriftlichen Inſtructio - nen weiter keine Rückſicht zu nehmen, ohne durch ihre An - nullirung einen Sturm zu erregen: ſie hinderten niemand ſeine Meinung zu ſagen, wer ſich aber gebunden fühlte, enthielt ſich, wie Lafayette und Andere thaten, der Ab - ſtimmung, man nahm mit Wohlgefallen eine Arbeit auf, welche Mirabeau in Bezug auf die Geſchäftsordnung im engliſchen Unterhauſe abgefaßt hatte, und beſchloß über keinen Antrag an demſelben Tage zu berathſchlagen, da er gemacht ſey, jeden Punct der Conſtitution aber erſt nach der Berathung von drei Tagen zur Abſtimmung zu bringen. Aber von dieſer Bahn der Mäßigung ward auf einmal wieder abgelenkt, und das alte Mistrauen kehrte zurück, als kein Zweifel mehr übrig blieb, die Regierung ziehe ein Heer zwiſchen Verſailles und Paris zuſammen. Freilich waren in beiden Städten unruhige Auftritte vor - gefallen; der verſailler Pöbel hatte den Erzbiſchof vonJuni 25. Paris mit Steinwürfen verfolgt und ihm in ſein Haus eindringend das Verſprechen abgezwungen in die National - verſammlung zu treten; ein Vorgang, der dem Anſehn der Regierung auch dadurch ſchadete, daß Truppenabthei - lungen zur Stelle waren und die Gewaltthat nicht hinder -220 ten. Noch tiefer griff der Vorgang in der Hauptſtadt, welchen die Zuchtloſigkeit eines ganzen Regiments veran - laßte, desjenigen, welches den Namen franzöſiſche Gar - den führte. Dieſes, 4000 Mann ſtark, ward theils in Paris, theils in Verſailles zum inneren Dienſte ge - braucht, da die gewöhnliche Scharwache für die Ordnung nicht mehr ausreichte. Das Regiment war mit ſeinem neuen, peinlich ſtrengen Chef unzufrieden und neigte ſich zur Volksſache hin. Als man auch in Paris die Ver - einigung der drei Stände mit Luſtbarkeiten beging, ver - ließen Mehrere vom Regiment trotz des Verbotes ihre Ka - ſernen, nahmen an dem allgemeinen Jubel Theil. Zur Strafe wurden die Schuldigſten in die Abtei gebracht, das Gefängniß für Militärs in der Vorſtadt St. Germain. Aber ein Volkshaufe ſtürmte herbei und befreite ſeine Freunde. Das waren alſo zwei recht ſchlimme Fälle, welche Vorſicht in Behandlung des Militärs anempfahlen, ſicher - lich aber keinen Antrieb in ſich enthielten, immer mehr Regimenter zuſammen zu ziehen. Nichtsdeſtoweniger ver - ſammelten ſich 30,000 Mann, darunter eine Anzahl deut - ſcher Regimenter, und man ſprach noch von vielen Tau - ſenden, die erwartet würden. Ihr Befehlshaber, der Herzog von Broglie, nahm ſein geräuſchvolles Haupt - quartier in Verſailles. Jedermann ahnte, daß außerordent - liche Dinge im Werke wären, und die drohenden Reden der jungen Officiere ließen keinem Zweifel Raum; nur der König und Necker ſchienen nichts zu bemerken. Dieſer221 brütete über ſeinen Finanzverlegenheiten, und wiewohl er aus den frechen Blicken der Hofleute und gelegentlichen Schmähreden des Grafen von Artois, aus den geheimen Beſprechungen, von welchen man ihn ausſchloß, deutlich abnahm daß er übel angeſchrieben ſey, ließ er Alles ſei - nen Weg gehen; den König aber hatte man glauben ma - chen, das wären nothwendige Vorſichtsmaßregeln, und ſo ſchwer das Geld aufzutreiben war, ſo ſehr die Theu - rung durch die Anhäufung der Truppen vermehrt ward, er ließ es geſchehen. Von geſcheiterten Entwürfen, die verderblich gewirkt haben, ſpricht hinterher niemand gern, allein es ſteht außer Zweifel, daß damals von einem neuen Miniſterium, von Auflöſung oder Verlegung der Stände - verſammlung, von Verhaftung ihrer gefährlichſten Mit - glieder die Rede war und daß die Königin, von Natur beherzt und durch die Vorgänge der letzten Wochen im tiefſten Innern verletzt, mit dem Grafen von Artois an der Spitze ſtand. Mit Breteuil, der auf ſeinem Landgute lebte, ward ununterbrochen correſpondirt. Von dem - nige wußte man, er ſey zu Allem zu bewegen, nur nicht das Blut ſeines Volks zu vergießen; wenn es aber in Verſailles oder in der Hauptſtadt zu irgend einem Aus - bruche kam, mußten die Ereigniſſe ſeinen Willen fort - reißen und man glaubte wie auf die Treue, ſo auch auf die Einſicht des erfahrnen Herzogs von Broglie in der Stunde der Gefahr bauen zu können.

Der Inhalt dieſer unſeligen Entwürfe ward nicht ganz222 treu verſchwiegen, und jedermann konnte ſich von der ſtets wachſenden Truppenzahl auf dem Wege nach Paris, zu Sevres, in Paris auf dem Marsfelde durch ſeine Augen überzeugen. Mirabeau’s Antrag, den König um die Ent - fernung der Truppen zu erſuchen, fand daher die einſtim -Juli 8. mige Genehmigung der Nationalverſammlung, eben ſo die von ihm entworfene beredte Adreſſe, an deren Über - reichung er ſelber theilnahm. Sie ſchildert die getroffene Maßregel als zugleich unnütz und gefahrvoll. Wo wäre denn die Gefahr von den Truppen, werden freilich unſere Feinde ſagen wollen, wenn die Verſammlung ſelbſt keine Furcht hegte? Es iſt, Sire, eine dringende und allge - meine Gefahr vorhanden, Gefahr über alle Berechnungen menſchlicher Klugheit hinaus; Gefahr für die Bevölkerung der Provinzen! Schleicht ſich in dieſe der Argwohn ein, unſere Freiheit ſey bedroht, ſo giebt es keinen Zügel mehr, der ſie zurückhält. Die Entfernung ſchon vergrößert, übertreibt Alles, verdoppelt die Beunruhigung, ſchärft, vergiftet ſie. Gefahr für die Hauptſtadt! Mit welchen Augen wird ihre darbende, unſäglich gequälte Volksmenge die drohen - den Soldaten betrachten, welche ihr den Reſt ihrer Lebens - mittel ſtreitig machen? Die Gegenwart der Truppen führt Aufregung und Meuterei herbei, eine allgemeine Gäh - rung, und an die erſte That der Gewalt, unter dem Vor - wande einer Polizeimaßregel ausgeführt, kann ſich eine ſchreckliche Folgenreihe von Unheil knüpfen. Gefahr für die Truppen! Franzöſiſche Soldaten, die man in den223 Mittelpunct der Berathſchlagungen ruft, ſie, die die Lei - denſchaften und die Intereſſen ihres Volks theilen, können leicht vergeſſen, daß ein Eid ſie zu Soldaten gemacht hat, und ſich erinnern, daß die Natur ſie zu Menſchen machte. Gefahr, Sire, droht auch unſern Arbeiten, welche unſere erſte Pflicht ſind und nur unter der Bedingung wahren Er - folg und ungeſtörten Fortgang haben können, wenn wir von jedermann als völlig frei betrachtet werden. Aber es liegt außerdem in den Leidenſchaften der Menſchen eine ge - fährliche Anſteckung; wir ſind nur Menſchen; das Mis - trauen gegen uns ſelbſt, die Furcht ſchwach zu erſcheinen können uns über das Ziel hinaus führen; man wird uns mit heftigen, übertriebenen Rathſchlägen beſtürmen, und die nüchterne Vernunft, die ruhige Weisheit ertheilen ihre Orakelſprüche nicht inmitten von Tumult, von Unordnung und Aufruhr. Sire, noch eine weit ſchrecklichere Gefahr liegt im Hintergrunde, und unſer beſtürztes Erſcheinen möge Ihnen Zeuge davon ſeyn. Zu mancher großen Re - volution iſt der Anſtoß weit weniger auffallend geweſen, und mehr als ein volksverderbliches Unternehmen hat ſich minder traurig, minder furchtbar angekündigt. Es wa - ren Worte der Weiſſagung, die ſich bald genug erfüllten.

Der König antwortete nach drei Tagen, die Zuſam -Juli 11. menziehung von Truppen ſey durch die bekannten ſchmäh - lichen Auftritte hervorgerufen und ſogar für die Freiheit der reichsſtändiſchen Berathungen nothwendig; dafern je - doch ein ungegründetes Mistrauen ſtattfinde, ſey der König224 bereit die Generalſtaaten nach Noyons oder Soiſſons zu verlegen, in welchem Falle er für ſeine Perſon ſich nach Compiegne begeben werde. An demſelben Tage ward Necker entlaſſen und zugleich bedeutet, das Königreich ungeſäumt und ohne Aufſehn zu räumen. Mont - morin und alle übrigen Miniſter bis auf Barentin nah - men ihren Abſchied. Necker erhielt das Schreiben des Königs, als er gerade im Begriffe ſtand ſich mit Gäſten zu Tiſche zu ſetzen. Er ließ Alles ſeinen Gang gehen. Nach der Mahlzeit forderte er Madame Necker zu einer Spazierfahrt auf, theilte ihr im Wagen den königlichen Befehl mit, nahm auf der erſten Poſt unter einem frem - den Namen Vorſpann nach Brüſſel, ging von da in die Schweiz. So rechtfertigte er das Vertrauen des Königs, der den Vorſchlag Breteuil’s abwies, Neckern verhaften zu laſſen, weil zu fürchten ſey, er werde ſich nach Paris begeben und die wogende Hauptſtadt in Aufruhr ſetzen.

An die Spitze des Miniſteriums und der Finanzen trat, plötzlich aus dem Dunkel ſpringend, Tags vorher erſt an - gekommen, Breteuil; Broglie ward Kriegsminiſter.

In Paris gab es zwei Puncte der Bewegung, das Stadthaus und das Palais-royal. An beiden Orten wur - den zahlreich beſuchte Zuſammenkünfte zu politiſchen Zwecken gehalten. Im Stadthauſe ſaßen die Wähler von Paris; die ſtädtiſche Behörde hatte ihnen den Saal dort zu Ver - ſammlungen eingeräumt, welche die Regierung unterſagte ohne ſie zu hindern. Man discutirte hier in aller Form,225 wünſchte der Nationalverſammlung zu ihren Thaten und ihrem Namen durch eine Deputation Glück und dieſe De - putation ward angenommen; man erließ auch Ermahnun - gen an die Pariſer, Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten. Kürzlich war Mirabeau mit ſeinem Vorſchlage, die Bitte um Bildung einer Nationalgarde in Verſailles und Paris in jene Adreſſe an den König aufzunehmen, durchgefallen; der Gedanke an eine hauptſtädtiſche Bürgerbewaffnung war aber auch ſchon im Stadthauſe beſprochen. Man mußte die geſetzliche Haltung dieſer Verſammlungen rüh - men, wäre ihr Daſeyn nur geſetzlich geweſen. Völlig regellos ward aber im Palais-royal, ſey’s in Kaffeehäuſern, ſey’s im Garten discutirt, und die Nationalverſammlung lud eine ſchwer zu büßende Schuld des Unbedachtes auf ſich, als ſie eine Deputation des Palais-royal annahm, welche ihr eine Dankadreſſe mit einigen Tauſend Unterſchriften überbrachte.

Als nun die Nachricht von Neckers Entlaſſung in die Hauptſtadt kam, rannte Alles in das Palais-royal. ManJuli 12. ſah hier im Garten einen jungen Mann, mit einem Piſtol bewaffnet, heftig declamirend von einem Tiſche herab. Es war der Advocat Camille Desmoulins, er ſtotterte ohne Unterlaß, und doch ward jedes ſeiner Worte von den Umſtehenden verſchlungen. Denn er brachte Kunde von Verſailles, rief dann zu den Waffen; denn noch heute, ſprach er, verlaſſen die Regimenter das Mars - feld, gehen auf das rechte Seineufer über, rücken nochFranzöſiſche Revolution. 15226heute in Paris ein. Vor Allem müſſen die Patrioten ſich ein Erkennungszeichen geben. Camille riß ein Blatt vom Baume, ſteckte es an ſeinen Hut, und bald war kein Blatt mehr an den Bäumen zu erreichen. Alles legte die grüne Kokarde an. Man ſuchte nach Waffen, Säbeln, Piſtolen, Knitteln. Einer rief, man müſſe an ſolchem Trauertage die Theater ſchließen, und gleich vertheilte man ſich, brachte die Maßregel in Vollzug. Einige dran - gen in ein Cabinet von Wachsfiguren im Palais-royal, nahmen die Büſten Neckers und des Herzogs von Orleans weg, hüllten ſie in Trauerflöre, trugen ſie umher. Wirk - lich ſtanden mehrere Regimenter Fußvolk und Reuterei, reichlich mit Kanonen verſehen, unter dem Befehl des Schweizers Beſenval bereits auf den eliſäiſchen Feldern, ſelbſt auf dem Platze Ludwigs XV., dicht am Garten der Tuillerien. Alle Drohungen der Gewalt waren angehäuft. Suchte man denn einen Feind? Und gerade dieſe heraus - fordernde Stellung reizte die Menge, ſo daß einige Stein - würfe erfolgten. Da bezwang aber der Prinz von Lam - beſc, Obriſter des Regiments Royal-Allemand, nicht länger ſeine Ungeduld, warf ſich mit einer Schaar ſeiner Reuter in den Tuilleriengarten, wo der Sonntag eine große Zahl harmloſer Spaziergänger zuſammengeführt hatte. Nun ſtob Alles auseinander, einige Verletzungen mögen vorgefallen ſeyn; aber der Ruf von einem Gemetzel flog durch die nächſten Gaſſen. Gleich liefen Viele auf das Stadthaus, verlangten und erhielten Waffen, einige227 Hundert Flinten. Nun trat ein anderes Ereigniß dazu. Jenen Herumträgern der Büſten hatte ſich ein Soldat des Regiments Franzöſiſche-Garden zugeſellt; der will nicht ausweichen als man auf eine Patrouille Royal-Allemand ſtößt, wird darum verwundet, wo nicht gar getödtet. Da aber rottet ſich Alles zuſammen, was von franzöſiſchen Garden in der Nähe, feuert auf eine Abtheilung Royal - Allemand, und macht ſich ſpät Abends noch, unter dem Rufe es lebe der dritte Stand! auf, um die Truppen auf dem Platze Ludwigs XV. aufzuſuchen. Zum Glücke fand man den Platz leer; alle Regimenter waren bereits auf das Marsfeld und weiter abgezogen.

So hatte ſich die bewaffnete Macht gezeigt, hatte Un - ruhen erregt und ſich zurückgezogen, und ein Theil derſel - ben war abtrünnig geworden. Den nächſten Tag frühJuli 13. Morgens ſah man die Wähler auf dem Stadthauſe ver - ſammelt; die Municipalität vereinigt ſich mit ihnen. Man wählt einen fortwährenden Ausſchuß, welcher für die Sicherheit und die Lebensmittel der Hauptſtadt ſorgen ſoll. Der nächſte Beſchluß iſt, aus den beſten Bürgern von Paris eine Miliz zu bilden zur Aufrechthaltung der allge - meinen Sicherheit. Man will ſie auf 48,000 Mann brin - gen, und zwar ſo, daß man zunächſt 200 Mann aus je - dem der 60 Diſtricte aushebt und hiermit vier Tage lang fortfährt. Im Stadthauſe iſt das Hauptquartier. Nie - mand darf künftig Waffen tragen, der nicht in ſeinem Diſtrict eingeſchrieben iſt und ſo das Recht erworben hat,15*228ſich mit der Kokarde der Bürgermiliz zu ſchmücken. Die Farbe dieſer Kokarde darf ſchon darum nicht länger grün ſeyn, weil das die Farbe des Grafen von Artois iſt; man nimmt die Farben der Stadt Paris, blau und roth an. Das war geſchehen, als aus dem Hauptquartier der Be - fehl an die franzöſiſchen Garden eintraf gleich Paris zu verlaſſen, nach St. Denis, wo auch ein Lager ſtand, ab - zumarſchieren. Es war zu ſpät. Alle Gemeinen verſagten den Gehorſam und ſtellten ſich unter den Befehl des Stadt - hauſes. Auch einige Officiere folgten nach. Auf ſolche Weiſe gebot die Regierung des Stadthauſes, denn ſo werden wir ſie nennen müſſen, über ein Regiment von 3000 geübten Soldaten mit Kanonen und Kanonieren. Das Beiſpiel wirkte weiter; eine Menge Deſerteure von den andern Regimentern kam in der Hauptſtadt an.

Aber in denſelben Stunden da man im Stadthauſe ſich eigenmächtig ein Heer erſchuf, zum Theil aus des Königs Soldaten zuſammengeſetzt, ließ der König ſchon den Gedanken an die Ausführung von Gewaltſchritten völlig fallen. Er ſchrieb (denn an der Ächtheit der Urkunde ſcheint kein Zweifel zu ſeyn) den 13ten Julius Morgens 11 Uhr an den Grafen von Artois: Ich hatte, mein lie - ber Bruder, Eurem Andringen und den Vorſtellungen einiger treuen Unterthanen nachgegeben; allein ich habe nützliche Überlegungen gepflogen. In dieſem Augenblicke Widerſtand entgegenſtellen hieße die Monarchie dem Ver - derben ausſetzen, das heißt, uns Alle verderben. Ich habe229 meine Befehle zurückgenommen; meine Truppen werden Paris verlaſſen; ich will ſanftere Mittel anwenden. Redet mir nicht mehr von einem Machtſtreiche; ich halte es für klüger Zeit zu gewinnen, dem Ungewitter auszuweichen, Alles von der Zeit, von dem Erwachen der wackeren Leute und der Liebe der Franzoſen für ihren König zu erwarten. Ludwig XVI. war der Hartnäckigkeit Karl Stuarts fremd und ſo ward der Bürgerkrieg vermieden. Der National - verſammlung gegenüber hielt er noch feſt, ſchlug ihr deſ - ſelbigen Tages ihre wiederholte Bitte um Entfernung der Truppen, nicht minder die Bitte um Genehmigung einer Bürgergarde für Paris entſchieden ab. Die Verſammlung antwortete hierauf mit der Erklärung, daß Necker und die übrigen verabſchiedeten Miniſter ihre Achtung und ihr Be - dauern mit ſich nähmen, und machte die gegenwärtigen Miniſter verantwortlich für alle unglücklichen Folgen der neueſten Maßregeln. Da man nächtliche Verhaftungen einzelner Mitglieder fürchtete, erklärte man ſich für perma - nent, blieb die Nacht beiſammen, und wählte, um die Mühwaltung des Präſidenten, des hochbejahrten Erzbi - ſchofs von Vienne zu erleichtern, den erſten Vicepräſiden - ten, Lafayette.

Mittlerweile ging es den Männern des Stadthauſes bereits wie dem Zauberlehrling, der die Geiſter, welche er aufgeboten hat, nicht wieder zu bannen weiß. Sie hatten einer gewaltigen bewaffneten Macht das Daſeyn gegeben, und wußten ſie kaum einen vollen Tag zu be -230 herrſchen. So viele von ihrer Tagesarbeit zu den Waffen aufgerufene Tauſende wollen und können nicht müßig feiern, ſie verlangen vollſtändig bewaffnet zu ſeyn und durch Thaten ſich ihrer Nationalverſammlung würdig zu beweiſen. Damals wurden neben Camille Desmoulins die Namen Danton, Marat, Santerre zuerſt genannt; man ſprach von der Rothwendigkeit die Baſtille zu erobern. Baſtille bedeutet ſo viel als Feſtung. Dieſe Baſtille ward im vierzehnten Jahrhundert am Thore des heiligen Anto - nius erbaut, um die unruhigen Pariſer im Zaum zu hal - ten. König Karl V. legte ſie an, ſie ward unter ſeinem Nachfolger Karl VI. fertig um 1383. Es war ein altes Schloß mit acht finſtern Thürmen, wovon die Kanonen aus den Schießſcharten drohend auf die Hauptſtädter blick - ten; über den tiefen Graben führten zwei Zugbrücken ne - ben einander, eine für Wagen, eine für Fußgänger, in das dunkele Thor; dann das Wohnhaus des Gouver - neurs, noch eine ſolche Doppel-Zugbrücke und man ſtand in der Feſtung. Ihr Daſeyn war den Pariſern von jeher ein Gräuel. Die Geſchichten von den dort ſchmachtenden Opfern willkürlicher Verhaftung erbten ſich durch Gene - rationen fort. Kein Wunder darum daß die Wähler von Paris die Schleifung der Baſtille mit in ihr Cahier brach - ten: an dem Orte wo ſie geſtanden ſoll ein Ehrendenkmal für Ludwig XVI. als den Herſteller der öffentlichen Frei - heit errichtet werden. Von ſeiner Seite ließ der Gouver - neur, Herr von Launay, ſeit der Erſtürmung von Re -231 veillons Hauſe die Feſtungswerke ausbeſſern und in den letzten Nächten hatte man große Pulvervorräthe aus dem Arſenal herbeigeſchafft; aber die Beſatzung blieb die alte, 32 Schweizer und 80 franzöſiſche Invaliden, ihr Mund - vorrath beſtand aus zwei Säcken Mehl und etwas Reis.

Dienſtag Morgen mit Tagesanbruch zog ein bewaff -Juli 14. neter Haufe aus dem Palais-royal nach dem Hotel der Invaliden, verlangte die Auslieferung des dort verwahr - ten Waffenvorraths. Als der Commandant zögerte, ſprang man in die Gräben, ganze Schaaren kletterten den Wall hinan. Da ließ der Commandant das Gatter öffnen, die Pariſer gewannen 28,000 Flinten und 20 Kanonen. So eroberten ſie ſich ſelber hier die Waffen, um welche ſie bisher auf dem Stadthauſe die erſte ſtädtiſche Obrigkeit, den ſ. g. Vogt der Kaufleute, Herrn von Fleſſelles ver - geblich beſtürmt hatten. Der, um ſeine Verantwortlich - keit beſorgt, hatte ſie hierhin und dorthin geſchickt, wo ſie nichts fanden; ein Schiff mit 5000 Pfund Pulvers auf der Seine, wovon er ihnen geſchwiegen, ſpürten ſie ſelbſt auf. War nun der Handſtreich mit dem Invalidenhauſe ſo über alle Erwartung leicht gelungen, warum nicht auch mit der Baſtille?

Wie gern wäre man auf dem Stadthauſe, wo man ernſtlich Erhaltung der Ruhe wünſchte, dem zuvorgekom - men! Man ſchickte früh Morgens zu dem Gouverneur der Baſtille, bat ihn die Kanonen, deren Anblick das Volk nur erbittere, zurückziehen zu laſſen, was auch geſchah,232 ſchickte hernach, als die Gefahr drohender ward, die Men - ſchenmaſſe ſich häufte, eine zweite Deputation mit der Bitte, der Gouverneur möge eine Abtheilung Bürgermiliz aufnehmen, um gemeinſam mit der Garniſon Beſatzungs - dienſte zu thun. Aber es war nicht mehr möglich bis zur Baſtille durchzudringen. Dennoch verſuchte man es vom Stadthauſe aus mit einer dritten Deputation. Dieſe ſoll, einen Tambour und eine Fahne voran, ſich Platz ſchaffen, das Volk vom Schießen abhalten; aber ſie kann nicht allenthalben ſeyn, hier läßt man ſich ſagen, dort aber feuert man luſtig fort aus Flinten gegen Mauern, von welchen die Kugeln abprallen. Endlich erwiedert der Gou - verneur das Feuer, und Einige aus der Menge fallen. Schon aber kommen Kanonen herbei, es bilden ſich zwei Sturmhaufen. Dreihundert von jenen franzöſiſchen Gar - den, einer, Elie, früher Sergent in einem anderen Re - giment, führt ſie an; der zweite Haufe beſteht aus Hand - werkern, ein Uhrmachergeſelle aus Genf, Hullin, iſt der Führer. So kam Ordnung in den Angriff, der mit wun - derbarer Kühnheit geſchieht. Ein glücklicher Schuß ſprengt die Ketten der erſten Zugbrücke; ſie fällt. So kamen die Stürmer in den erſten Hof, ſtellten hier ihre Kanonen auf. Ihre Zahl war ſehr geſchmolzen; ſie hatten mehr als 80 Mann an Todten, eben ſo Viele an Verwundeten verloren, aber nichts von ihrem Muthe. Launay war ein Befehlshaber ohne Entſchloſſenheit, aber ein Soldat von Ehre. Als er das Gelingen des Sturmes ſah, wollte er233 ſich mit der Feſtung in die Luft ſprengen; einer ſeiner Un - terofficiere hielt ihn mit Gewalt zurück. Man ſteckte die weiße Fahne auf, als Zeichen der Capitulation, und Lau - nay ſchrieb die Worte: Wir haben 20 Centner Pulver, wir ſprengen das Schloß in die Luft, nehmt Ihr die Ca - pitulation nicht an. Man ſteckt das Papier durch eine Öffnung der zweiten noch aufgezogenen Zugbrücke, mit Hülfe einer übergelegten Diele nimmt es einer der Stür - mer in Empfang. Elie verbürgt ſein Wort für die Sicher - heit der Beſatzung. Noch aber verhandelte man um Abzug mit kriegeriſchen Ehren, um Beſtätigung der Capitulation auf dem Stadthauſe, als die angſtvollen Invaliden die Zugbrücke fallen ließen. Da erhub ſich das Jubelgeſchrei des Volks: Die Baſtille ergiebt ſich. Das begab ſich, während mehrere Regimenter königlicher Truppen unter dem General von Beſenval auf dem Marsfelde ſtanden. Beſenval aber that nichts weiter als daß er dem Comman - danten der Baſtille den ſchriftlichen Befehl zuſandte, ſich aufs Äußerſte zu halten, und Verſtärkung zu ſchicken ver - ſprach. Der Überbringer ward unterwegs aufgefangen und auf das Stadthaus geſchleppt. Elie und Hullin bo - ten Alles auf um Launay und ſeine Beſatzung zu ſchützen. Der Zug zum Stadthauſe ward angetreten. Als man auf den Greveplatz kam, wurden Launay und ſein Major von einer andringenden Horde ihren heldenmüthigen Ver - theidigern entriſſen. Nicht lange ſo ſah man ihre zerfleiſch - ten Körper und Launay’s Haupt auf einer Pike. Ein Paar234 Kanoniere wurden an einem Laternenpfahl aufgeknüpft. Fleſſelles erkannte ſein Schickſal, als man ihm zurief: er ſolle ins Palais-royal, um dort gerichtet zu werden. Lau - nay’s Kopf war ihm dahin vorangegangen. Als Fleſſelles auf den Greveplatz trat, nahte ſich ein unbekannter jun - ger Menſch, ſchoß ihn nieder, und man trug ſeinen Kopf umher. Die Eroberer behielten die Baſtille im Beſitz; die wenigen Gefangenen, nur ſieben, darunter ein Paar Wahnſinnige, wurden befreit. Nach ein Paar Tagen ward unter Trompetenſchall durch ganz Paris verkündigt, die Schleifung der Baſtille ſey auf dem Stadthauſe be - ſchloſſen.

Die Baſtille ward um vier Uhr Nachmittags genom - men; die Nationalverſammlung erfuhr davon durch den Herrn von Wimpfen, Deputirten von Caen, der gerade in Paris war, und ungeachtet die Miniſter alle Verbin - dung zwiſchen Verſailles und der Hauptſtadt hatten ab - ſperren laſſen, glücklich durchkam. Auch die Miniſter wa - ren unterrichtet; ihre Sorge war daß nur der König nicht um ſeine Nachtruh komme und ſie verſchwiegen es ihm. Aber der Herzog von Liancourt, dem des Königs Heil aufrichtig am Herzen lag, bediente ſich des Vorrechts ſei -Juli 15. nes Hofamtes, ließ ihn wecken, verkündigte ihm was ge - ſchehen. Alſo ein Aufſtand? rief der Monarch. Nein, Sire, ſprach Liancourt, das iſt eine Revolution. Ludwig hatte geſtern zwei verſchiedenen Deputationen der Nationalverſammlung, welche die Entfernung der Truppen235 begehrten, von innern Zweifeln zerriſſen, aber dennoch widerſtanden. Jetzt war er ſich ſelbſt wieder gegeben. Tief erſchüttert durch das Blutvergießen in der Hauptſtadt, aber wohl damit zufrieden, von ſeiner Zuſage Gewalt zu üben befreit zu ſeyn, ließ er ſeine Brüder rufen; Mon - ſieur ſtimmte bei und Artois beugte ſich vor der Nothwen - digkeit.

Eben war die Nationalverſammlung im Begriffe eine dritte Deputation mit herben Beſchwerden und Anklagen auf das Schloß zu ſenden, als Liancourt die Nachricht brachte, der König ſchicke ſich an in die Verſammlung zu kommen, er bringe Frieden und Verſöhnung. Ludwig war gewinnend, ſobald der reine Strahl ſeiner Herzens - güte hervorbrechen durfte. Man war ſich ziemlich einig ge - worden den Monarchen mit finſterer Stille zu empfangen, die Worte waren geſprochen: Das Schweigen des Volks iſt die Schule der Könige, aber als er nun in den Saal trat, der ehrliche und ſo bedrängte Mann, allein von ſei - nen Brüdern begleitet, tönten ihm Bewillkommnungen ent - gegen. Und Beifallsrufe unterbrachen ſeine Rede, als er nun zum erſten Male die bisher verſagte Benennung: Nationalverſammlung einfließen ließ, gleich als ver - ſtände ſie ſich von ſelber, die Entfernung der Truppen als ſchon befohlen verkündigte, mit dem unverhehlten Kum - mer ſeines Herzens einen Ausdruck des Vertrauens ver - band, daß die Verſammlung rathen und helfen werde. Die Antwort des Präſidenten erinnerte daran, daß die im Rathe236 des Königs vorgenommenen Veränderungen als die Haupt - quelle der betrübenden Unruhen betrachtet werden müßten. Obgleich nun Ludwig eine Äußerung über dieſen Punct vermied, war die Begeiſterung allgemein, und als der König den Saal zu verlaſſen Miene machte, ſprach die Verſammlung den Wunſch aus ihn zum Schloſſe beglei - ten zu dürfen; worauf der König den Weg zu Fuß antrat. So kam es zu einem öffentlichen Verſöhnungsfeſte, in deſ - ſen Taumel ganz Verſailles, ſogar die Königin, hinein - gezogen ward; den Schlußpunct machte ein Tedeum in der königlichen Capelle.

An demſelben Tage ſah man eine Deputation der Na - tionalverſammlung auf dem pariſer Stadthauſe, 88 Mit - glieder ſtark; der König hatte dieſe Vermittelung ſelbſt gewünſcht und Monſieur ſtellte ihnen ſeine Wagen zur Verfügung. Auch hier war der Jubel allgemein, denn die Abgeordneten brachten die königliche Beſtätigung der Bür - gerbewaffnung mit, und als die franzöſiſchen Garden von der ihnen angekündigten Verzeihung nichts wiſſen wollten, ward auch über dieſen Punct hinweggegangen. Kein Vogt der Kaufleute weiter; Bailly ward zum Maire von Paris ernannt, Lafayette zum Oberbefehlshaber der Mi - liz, die von nun an (16. Juli) Nationalgarde heißen ſoll. Auch hier machte ein Tedeum den Beſchluß.

Am 17ten erſchien der König in Paris. Er hatte außerordentliche Erſchütterungen des Gemüthes überſtan - den, ſeine Miniſter, die Urheber verderblicher Entſchlüſſe,237 endlich entlaſſen, Neckern geſchrieben daß er wiederkehre; er hatte Abſchied genommen von ſeinem jüngſten Bruder; denn Artois wollte nicht länger in Frankreich bleiben, ſeit der König den Vorſchlag ſich dem abziehenden Heere an - zuſchließen, welchen Breteuil und Broglie, von der - nigin unterſtützt, kurz vor ihrem Ausſcheiden machten, das heißt, den Vorſchlag zum Bürgerkriege, verworfen hatte; mit dem Grafen von Artois aber reiſten die Prin - zen von Condé, von Conti, die Polignacs, und kurz darauf ſetzten ſich auch Breteuil, Barentin, Broglie, der Prinz von Lambeſc und viele Andere, um König und Va - terland unbekümmert, in perſönliche Sicherheit. Ludwigs Entſchluß nach Paris zu gehen war weiſe; er durfte ſich nach Entfernung des Heeres nicht mistrauiſch vom Volk zurückhalten; aber die Königin nahm von ihm einen Ab - ſchied faſt der Verzweiflung den Gemahl je wieder zu ſehen; er beſtellte durch eine ſchriftlich niedergelegte Acte den einzigen Bruder, der ihm blieb, ſcheidend zum Ge - nerallieutenant des Königreiches für den äußerſten Fall, hörte die Meſſe, empfing das Abendmahl, und man las in ſeiner Miene eine ſtille tiefe Betrübniß, als er an der Barrière ſeiner Hauptſtadt eintraf. Hier empfing ihn der neue Maire an der Spitze der Municipalität mit Worten der Glückwünſchung, deren ungeſchickt zugeſpitzter An - fang war: Sire, ich bringe Eurer Majeſtät die Schlüſ - ſel Ihrer guten Stadt Paris; es ſind dieſelben, welche Heinrich dem Vierten überreicht wurden. Er hatte ſein238 Volk wieder erobert; heute iſt es das Volk, welches ſeinen König wieder erobert hat. Nun der Zug nach dem Stadt - hauſe durch die unermeßlich lange Doppelreihe Bewaffne - ter, bewaffnet und gekleidet wie es zutraf, ſelbſt Flinten tragende Frauen, ſogar Mönche darunter. Der König er - kannte die Eroberung, welche eine neue Ordnung der Dinge an ihm gemacht hatte, die Schatten der letzten Merowinger mochten ihn umſchweben. Er empfing von ſeinem Majordom Bailly auf dem Stadthauſe die Kokarde mit den Farben der Stadt Paris und befeſtigte ſie an ſei - nen Hut, hörte Reden an, welche Bailly in ſeinem Na - men beantwortete, er ſelbſt vermogte es nicht; er ward an ein Fenſter des Stadthauſes geführt, dem Volk vor - geſtellt, welches ihm zurief. Abends ging es nach Ver - ſailles zurück, man ſah ſich mit Thränen wieder.

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5. Die Schoͤpfungen der Nationalver - ſammlung.

In denſelben Tagen da der Kampf zwiſchen der Re - gierung und der Nationalverſammlung begann, nahmen die Verfaſſungsarbeiten ihren Anfang. Man wollte dem Vaterlande zeigen, daß man weit mehr mit ſeiner Pflicht als mit ſeiner Gefahr beſchäftigt ſey. Von dieſer Ver - ſammlung, in welcher ein mächtiges Genie und viele Ta - lente, viele Männer von edler und bewährter Geſinnung ſaßen, erwartete der bei Weitem größte Theil der Bevöl - kerung Frankreichs ſeine politiſche Wiedergeburt, und man durfte hoch geſpannte Erwartungen nicht übertrieben ſchelten. Die Kurzſichtigkeit der Regierung, welche weder die Grundlinien der künftigen Staatsverfaſſung bezeich - nete, noch einen Verfaſſungsentwurf zur Berathung vor - legte, hätte zwar einen üblen Ausgang von Anfang her vorausſehen laſſen müſſen, allein bei der kläglichen Un - wiſſenheit über Staatsſachen, welche bei unumſchränkt regierten Völkern zu Hauſe iſt, freute man ſich in und außer der Verſammlung der freien Hand, welche ihr ge -240 laſſen war. Da nun die Rathgeber der Krone zu der Ver - ſammlung wie Fremde ſtanden, ſo befand ſich niemand darin, deſſen Obliegenheit es geweſen wäre, immerfort an die Grundwahrheit zu erinnern, daß die Wirkſamkeit einer Regierung ſtets die Hauptſache im Staate bleibt, weil mit der Ordnung mindeſtens die Möglichkeit der Freiheit gegeben iſt, welche nothwendig verloren geht, wenn Ordnungsloſigkeit dauernd wird. Die Nationalver - ſammlung war durch eine gelungene Revolution an die Spitze von Frankreich getreten. Fortan mußte es ihr erſtes Anliegen ſeyn, die ſchwankende Macht der Krone wieder zu befeſtigen und das bereits ſicher geſtellte Recht der Gegen - wart mit der Vergangenheit zu verknüpfen, überhaupt aber an der Beſcheidenheit der Natur ein Muſter zu neh - men, welche niemals von unvollkommenen Bildungen durch einen Sprung zu den vollkommenſten übergeht. Denn ſchon hatte ſich die Entwickelung finſterer Gewalten angekündigt, für die Krone und die Nationalverſammlung gleich gefährlich. Im bretagniſchen Club in Verſailles ward jener Anfall auf den Erzbiſchof von Paris angezet - telt, und nicht bloß die Helden der Baſtille ſtatteten im Palais-royal Bericht ab, auch die Mörder empfingen dort ihren Auftrag oder ihren Lohn. Dort ſaß auch der Herzog von Orleans wie eine Spinne in ihrem Gewebe, allein ſein Kleinmuth, größer als ſein Ehrgeiz, zerriß jeden Tag wieder ſein Geſpinnſt, und manche die orleansſches Geld ver - wandten, gaben auf den Plan ſeiner minder abgeſpannten241 Stunden, dem ſchwachen Könige eine Regentſchaft unter dem Titel eines Generallieutenants des Königreiches ab - zudringen, wenig oder nichts. Daß Mirabeau unter ſei - nen Verbündeten geweſen ſey, wird von Männern, die dieſem nahe ſtanden ohne ſich über ihn zu verblenden, ent - ſchieden in Abrede geſtellt.

Die Nationalverſammlung hatte ein Comité ernannt,Juli 6. um über die Reihenfolge der zu berathenden Verfaſſungs - fragen ihr Gutachten abzugeben. Eben hatte Mirabeau ſeine berühmte Adreſſe wegen Entfernung der Truppen beantragt, als Mounier Bericht erſtattend auftrat. SeineJuli 8. Bemerkung war einleuchtend, die neue Verfaſſung werde eine Umgeſtaltung der Geſetzgebung zur Folge haben, allein die Ausarbeitung der Verfaſſungsurkunde müſſe, als die Grundform des Staatsganzen beſtimmend, das erſte Ge - ſchäft ſeyn; ganz anders aber war es mit dem daran ge - knüpften Vorſchlage beſchaffen, an die Spitze der Verfaſ - ſungsurkunde eine Erklärung der Menſchenrechte zu ſtellen. Das hatten die Nordamerikaner aufgebracht, indem ſie, um den Vorwurf der Rebellion abzuwälzen, dem Könige von England in ihrer Unabhängigkeitserklärung punct - weiſe aufwieſen, er habe die natürlichſten Rechte der Menſchheit an ihnen gekränkt. Die meiſten einzelnen Staaten dort machten das ferner ohne Noth in ihren be - ſonderen Verfaſſungsurkunden nach, ſo ſeltſam ſich die natürlichen Menſchenrechte auch da wo Sclaven gehalten wurden ausnahmen; dergleichen nun vollends in Frank -Franzöſiſche Revolution. 16242reich aufzuſtellen, war nicht der geringſte Grund vorhan - den. Inzwiſchen war das Comité ſelbſt der Meinung, man müſſe dieſe Arbeit bis ganz zuletzt, bis ſo lange ver - ſparen, daß alle übrigen Theile der Conſtitution vorher ausgearbeitet wären. Wann es aber dazu kommen werde, ließ ſich fürwahr kaum abſehen, wenn es bei dem höchſt unpraktiſchen Vorſchlage blieb, den Verfaſſungsentwurf keinem Ausſchuſſe zu vertrauen, ſondern die vom Comité namhaft gemachten Artikel: Menſchenrechte, Grundlagen der Monarchie, Rechte der Nation, Rechte des Königs und ſo weiter, gleichzeitig in allen Büreaus berathen und die Abweichungen durch einen Vermittelungs-Ausſchuß ausgleichen zu laſſen.

Allein es iſt hiebei in keiner Art geblieben. Ein Ver - faſſungsausſchuß von Achten ward beliebt, deſſen Mit - glieder der Erzbiſchof von Bordeaux, der Biſchof von Au - tun, die Grafen Lally-Tollendal und Clermont-Tonnerre und vom dritten Stande Mounier, Sieyes, Le Chapelier und Bergaſſe wurden; und kaum waren die Menſchen - rechte auf die Bahn gebracht, als auch Lafayette leicht - füßig von der Frage Ob auf das Wie hinüberſprang, ei -Juli 11. nen Entwurf hervorzog und zur Annahme empfahl. Er geht von der natürlichen Freiheit und Gleichheit aller Menſchen aus, folgert daraus für den Einzelnen eine An - zahl jedem Menſchen angeborener unverjährbarer Rechte, für das Ganze die Volksſouveränität. Aus der Volksſou - veränität geht dann weiter das Recht der künftigen Ge -243 ſchlechter hervor, durch eine heute beſchloſſene Staatsver - faſſung nicht für immer gebunden zu ſeyn. Das Volk wird demnach durch außerordentlich berufene Abgeordnete von Zeit zu Zeit die nöthigen Abänderungen beſchließen. Allein um nur bei ſeinem Ausgangspuncte ſtehen zu bleiben, ſo leidet dieſer an einem doppelten Gebrechen. Denn weder ſind die Menſchen von Natur frei und gleich, noch iſt der Staat als eine künſtliche Einrichtung zu begreifen, welcher ein ſtaatloſer Naturſtand vorangegangen wäre. Jeder Menſch erwächſt hülfsbedürftig und beherrſcht, und iſt er erwachſen, ſo ſieht er ſich von Menſchen umgeben, ihm ungleich an Geſtalt, Fähigkeiten, Stand, Vermögen. Auch iſt durchaus kein Grund anzunehmen, das ſey je - mals anders geweſen; der Staat iſt ſo alt als die Menſch - heit. Ging man einmal darauf aus, das franzöſiſche Volk auf eine belehrende Weiſe in die Wohlthaten ſeiner neuen Verfaſſung vorredend einzuleiten, ſo mußte das auf dem gerade entgegengeſetzten Wege geſchehen, indem man jene Ungleichheiten anerkannte, als durch Gott und Natur und die Macht der Geſchichte begründet, allein zu gleicher Zeit darthat, das Ziel einer guten Staatsverfaſſung ſey, das ſchädliche Übermaß ſolcher Unterſchiede zu beſeitigen und Allem was billig unter den Menſchen gleich und frei iſt gerechte Geltung zu verſchaffen. So konnte man der öffent - lichen Dankbarkeit Nahrung geben, indem man den Fran - zoſen zu der Vergleichung der ehemaligen Generalſtaaten mit dem jetzigen Reichstage, der Steuerbefreiungen mit16*244der Steuergleichheit führte. Jene Menſchenrechte dagegen ſtellten ihn auf einen Standpunct, von welchem aus jede durch die bürgerliche Geſellſchaft gebotene Beſchränkung ſeiner natürlichen Freiheit und Gleichheit, wenn nicht un - billig, doch beklagenswerth erſchien. Es war ſogar zu fürchten, daß die Gelehrten der Menſchenrechte einen Sprung weiter vom Staatsrechte in das Privatrecht ver - ſuchen und eine Gleichtheilung alles Eigenthums be - ſchließen möchten.

Wenn Mirabeau auch dieſe Wahrheiten nicht hinläng - lich im Zuſammenhange durchſchaute, ſo beſaß er doch ſtaatsmänniſchen Tact genug, um die Gebrechlichkeit ſol - cher menſchenrechtlichen Satzungen zu erkennen. Als La - fayette fertig war, ſprach er lachend zu einem Nachbar: Dieſe unverjährbaren Rechte des guten Lafayette werden kein Jahr vorhalten. Weil aber die Verſammlung an dem Köder hängen blieb, ließ auch er ſich von den jungen Männern, die er beſtändig zur Hand hatte (denn Mira - beau verſtand, wie wenige, die Kunſt für ſich arbeiten zu laſſen) einen Entwurf der Menſchenrechte anfertigen, auch Sieyes blieb nicht zurück, an dreißig Entwürfe ſtrömten zuſammen, und ſo ernannte man am Ende allein für die - ſen Gegenſtand einen Ausſchuß von fünf Mitgliedern, deſ -Aug. 18. ſen Berichterſtatter Mirabeau ward. Wir ſehen aber die - ſen ſonſt ſo kühnen Redner hier völlig in ſein Gegentheil verwandelt. Er ſchildert die Leiſtung des Ausſchuſſes als einen ſchwachen Verſuch, wie er es wirklich war, das245 kaum irgend zu Leiſtende zu leiſten, und beſteht für ſeine Perſon darauf, ſich hierin von ſeinen Collegen trennend, daß die ſchließliche Redaction bis zur Vollendung aller andern Theile der Conſtitution Anſtand finde; denn nur ſo allein laſſe ſich die Gefahr vermeiden, Principien aufzu - ſtellen, welche man in der Anwendung nicht wieder erken - nen möchte. Allein ſein immer ſchärfer hervortretendes Bedenken gegen eine gefährliche politiſche Gasconnade, wie man ſie im Sinne hatte, trug ihm von der Gegen - partei heftige Vorwürfe ein, als wolle er unter dem Scheine der Verzögerung die Menſchenrechte überhaupt be - ſeitigen. Was er oft im Kreiſe ſeiner Vertrauten beklagte, daß der ſchlimme Ruf einer wüſten Jugend ihm ſeine Bahn erſchwere, mußte er jetzt öffentlich erfahren. Den Ausfällen, die ihn trafen, ſtellte er die Antwort entge - gen: Sicherlich, inmitten einer höchſt ſtürmiſchen Ju - gend habe ich durch die Schuld Anderer, allein hauptſäch - lich durch eigene Schuld großes Unrecht begangen, und wenige Menſchen haben in ihrem Privatleben mehr Vor - wand als ich der Verläumdung, mehr Nahrung der übeln Nachrede gegeben; allein, ich wage es Euch alle zu Zeu - gen zu rufen, kein Schriftſteller, kein öffentlicher Cha - rakter hat größeres Recht als ich, ſich muthiger Geſinnun - gen, uneigennütziger Anſichten, einer ſtolzen Unabhängig - keit und der Gleichmäßigkeit unbeugſamer Grundſätze zu rühmen. Nach einer unerquicklichen Debatte, welche durch viele Sitzungen des Julius und Auguſt ſich ſchlang,246 beſonders auch darum unerquicklich, weil die Mehrzahl mit aufgeſchriebenen Reden gegen beliebige, manchmal gar nicht vorgekommene Einwendungen auf ſelbſtgewähl - tem Terrain manövrirte, ſtatt wie in England dem bald hier bald dort angreifenden Feinde eine entſcheidende Schlacht zu liefern: trug ein Entwurf, aus dem ſechſtenAug. 19. Büreau eingegangen, den Sieg davon, welcher, es iſt wahr, gemäßigte Überzeugungen vermittelt und nament - lich die Anerkennung ausſpricht, daß ſchon in der natür - lichen Beſchaffenheit der Menſchen ihre Ungleichheit ent - halten ſey. Weil aber die Verſammlung ſich vorbehielt ſpäter noch daran zu ändern, ſowohl durch Hinzufügen als Hinwegſchneiden, hatte man im Grunde Nichts be - ſchloſſen, und wirklich weicht die Erklärung der Rechte des Menſchen und des Bürgers, welche an der Spitze der vollendeten Verfaſſungsurkunde ſteht, durchaus ab von jener damals genehmigten.

Ging man ſo in der Aufſtellung der Menſchenrechte höchſt umſtändlich und tappend zu Werke, ohne gleich - wohl zur Erkenntniß ſeines Grundirrthumes durchzudrin - gen, ſo ward dagegen das ſtill zuſchauende Europa durch die Haſt überraſcht, mit welcher eine andere Frage von höchſt praktiſchem Belange zur Erledigung kam. Seit die Plane des Hofes an der Erſtürmung der Baſtille ſcheiter - ten, bildete ſich in großen hauptſtädtiſchen Kreiſen die Meinung zur politiſchen Lehre aus, die Maſſen dürf - ten nicht zur Ruhe kommen und müßten dann und wann247 durch eine That der Volksrache einen ſichtbaren Beweis ihrer Macht und Geſinnung geben. Dergleichen, meinte man, ſey nach zwei Seiten dienlich, gut um den Hof in Furcht, gut um die Nationalverſammlung im Fahrwaſſer der Freiheit zu erhalten. Als ein Opfer dieſer Maxime fiel Foulon, einer von den kürzlich entlaſſenen Miniſtern, und ſein Schwiegerſohn Berthier von Sauvigny, eben noch Intendant von Paris, beide an demſelben Tage öf -Juli 22. fentlich fortgeſchleppt und ermordet, ihre Köpfe vom - bel auf Piken getragen, und es war nicht bloß Pöbel da - bei. In der erſten Bewegung des Schmerzes ſagten Bailly und Lafayette, die vergeblich zu ſchützen, zu retten geſtrebt hatten, ſich von ihren Stellen los. Doch ließen ſie ſich überreden wieder einzutreten. Bailly hoffte Hülfe von ei - ner beſſeren Organiſation des Stadtregiments und wirk - lich legte der beſtändige Ausſchuß der Wähler die Regie - rung nieder, und eine Municipalität von 120 Mitgliedern, zwei aus jedem Diſtrict, trat an die Stelle; LafayetteJuli 30. ſetzte ſein Vertrauen auf die jetzt zu vollendende Organi - ſation ſeiner Nationalgarde, welche derzeit aus 6000 Mann Beſoldeten, deren Kern das Regiment franzöſiſcher Garden bildete, und 24,000 Mann unbeſoldeter Bürger, dazu 1000 Officiere, beſtand, und reichlich mit Geſchütz, über 100 Kanonen, bald auch mit einigen Compagnien Reuterei verſehen war. Die Hauptweihe aber glaubte er ſeinem Werk zu geben, indem er nun mit der bisher dop - pelfarbigen Nationalcocarde als Zeichen des geſchloſſenen248 inneren Friedens die weiße Farbe der Bourbons vereinigte. Er übergab dieſe den Nationalgarden bei ihrer erſten gro -Juli 26. ßen Heerſchau mit den Worten: Dieſe Cocarde wird die Runde um den Erdkreis machen. Was aber ruhigen Beobachtern die meiſte Sorge erweckte, war daß ein Theil der Nationalverſammlung die Klagen der Beſſeren über die Entweihung der jungen Freiheit durch blutige Gräuel lau, einige ſogar mit Misbilligung anhörten. Maximi - lian Robespierre, Advocat in Arras, ſprach von einerJuli 20. furchtbaren Verſchwörung gegen die Nation, deren Be - kämpfung geſetzlich ſey, und erklärte den Verſuch da hin - dern zu wollen für einen Angriff auf die Vertheidiger der Freiheit. Von dieſem Manne ſagte Mirabeau, er ſehe aus wie eine Katze, die Eſſig getrunken hat; ein an - deres Mal bemerkte er, der Menſch ſcheine an Alles zu glauben, was er ſage. Barnave, ein Talent der Ver - ſammlung, welches ſich bisher den Rathſchlägen Mou - niers untergeordnet hatte, vergaß ſich damals bis zu den Worten: War denn das vergoſſene Blut ſo rein? Das Beiſpiel von Paris hätte die Provinzen fortgeriſſen, - ren auch keine Anſtifter von dort zu ihrer Aufwiegelung thätig geweſen. Mit wie großer Mühe hatte man in der Hauptſtadt dem gemeinen Manne wenigſtens einen Theil der Waffen wieder entwunden, die ein ſtürmiſcher Tag in ſeine Hände gab, indem man ſie ihm abkaufte! Nun aber griff man überall auf dem flachen Lande zu den Waf - fen, theils durch von Emiſſären ausgeſprengte Befürch -249 tungen geſchreckt, wobei beſonders Duport im Spiele war, theils um ſich an Beamten und Edelleuten zu - chen, Klöſter zu zerſtören und Schlöſſer, oft um mit ihnen die alten Papiere zu vernichten, in welchen ihre harten Pflichtigkeiten verzeichnet ſtanden. Mehrere Ermordungen von Vornehmen wurden gemeldet. In dem Dauphiné, wo bisher die Stände einträchtig zuſammenhielten, ſah man den Brand von 30 Schlöſſern leuchten; doch griff der ſtändiſche Ausſchuß dort gleich kräftig ein, errichtete Na - tionalgarden, und, thätiger als in der Hauptſtadt, ließ man nicht eher ab, als bis die Verbrecher ergriffen und die Schuldigſten hingerichtet waren. So ward daſelbſt die Ruhe wieder hergeſtellt.

Als aber die Nachricht von dieſen Vorgängen nach Paris kam, hielten viele Edelleute, Mitglieder der Na - tionalverſammlung, Rath unter einander und beſchloſſen durch das Opfer ihrer Lehnsrechte gegen mäßige Entſchä - digung die Gemüther zu verſöhnen, ſich aber den Sicher - ſtand deſſen was ihnen bleiben müſſe zu erkaufen. Der Herzog von Aiguillon, Sohn des vormaligen Miniſters war im Begriff in der Abendſitzung des 4ten Auguſt ſolchen Antrag zu ſtellen, und es geziemte ihm, weil jedermann wußte, daß er aus dieſer Quelle große Einkünfte zog, als ihm der Vicomte von Noailles, Lafayette’s Schwager, ein jüngerer Sohn ſeines Hauſes, der keine ſolche Opfer zu bringen hatte, mit einiger Eitelkeit zuvorkam. Genug der Antrag geſchah und ward vom Herzog von Aiguillon250 mehr entwickelt, ſowohl aus Gründen der Sicherheit, als um eine gerechte Unzufriedenheit zu beſeitigen und das beſondere Wohl dem allgemeinen unterzuordnen unter Auf - hebung aller Steuerfreiheiten den Grundſatz einer künftig völlig gleichen Vertheilung der Steuern zu ſanctioniren, imgleichen aus denſelben Gründen und in Rückſicht auf das Gedeihen des Ackerbaues den Grundſatz der Ablösbarkeit aller Lehns - und Herrenrechte auf Begehren der Pflichtigen. Die Ablöſung möge zu Eins von Dreißig (3⅓ Procent) oder nach einem andern für jede Provinz für ſich zu beſchließenden Maßſtabe geſchehen, nur daß, da dieſe Einkünfte wirkliches Eigenthum und ſogar das einzige Einkommen manches Beſitzers ſind, ſie, inſoweit die Ablöſung nicht erfolgt iſt, fortbeſtehen. Die perſön - lichen Dienſte dagegen ſollen ohne Ablöſung erlöſchen. Ein Landmann aus der Bretagne erhob ſich in ſeiner Bauerntracht, erinnerte daran daß in Frankreich noch Menſchen wie Thiere vor den Wagen geſpannt werden dürften, daß noch ein Recht beſtehe, welches Bauern - thige zur Nachtzeit die Teiche zu peitſchen, damit die Fröſche nicht durch ihr Quaken den Schlaf ihrer wollüſti - gen Herren ſtören. Wartet keinen Augenblick, ſchloß er, oder ſollen Eure Geſetze einem verwüſteten Frank - reich zu Theil werden? Ein Edelmann verſuchte dem überwiegenden Beifalle, welcher dieſe Anträge begleitete, eine andere Richtung zu geben, indem er bemerkte, es dürfte wohl rathſam ſeyn, den Anfang der Verbeſſerungen251 mit Streichung der Jahrgelder und zum Theil übermäßi - gen Gehalte des Hofadels zu machen; alsbald aber er - klärten ſich Viele, die das anging, zu ſolchem Opfer er - bötig. Der Enthuſiasmus war entzündet, ſchon häuften und miſchten ſich die Anträge. Der Vicomte von Beau - harnais verlangt ein Strafgeſetz, welches Gleichheit der Strafen ohne Standesunterſchied feſtſtelle, er verlangt die Zulaſſung jedes Franzoſen zu jedem öffentlichen Amt in der Kirche, der Verwaltung und im Heerweſen. Einer vom dritten Stande begehrt die Aufhebung der Patrimonial - gerichte. Die Einrede eines elſaßer Abgeordneten, man möge doch an die Lehnrechte denken, welche vielen deut - ſchen Reichsfürſten Kraft unzweifelhafter Staatsverträge im Elſaß zuſtänden, fand keinen Eingang. Vielmehr trat Graf Mathieu de Montmorency auf, verlangte die Ab - ſtimmung über ſämmtliche Anträge. Das lief der Ge - ſchäftsordnung entgegen; allein man hatte ſich letzter Zeit ſchon über ſo Vieles hinweggeſetzt und namentlich den Be - ſchluß, wöchentlich nur drei allgemeine und öffentliche Sitzungen zu halten, die übrigen Tage in den Büreaus zu arbeiten, in dem Grade verlaſſen, daß man täglich zwei allgemeine Sitzungen, eine Morgens, die andere Abends hielt. Allein der Präſident Le Chapelier (der Vorſitz in der Nationalverſammlung wechſelte alle vierzehn Tage) machte darauf aufmerkſam daß jedenfalls doch zuvor die Anſicht der Geiſtlichkeit vernommen werden müſſe. Als nun auch die Prälaten ſich geneigt erklärten, den Abkauf252 ihrer Feudallaſten zuzulaſſen, und zugleich verſprachen, ſie wollten den Erlös nicht zu ihrer Bereicherung, ſondern zu reichlicheren Almoſen verwenden, als ſogar blutarme Pfarrer das Anerbieten ihrer Accidentien machten, deſſen Annahme man freilich ausſchlagen mußte, ſtiegen die Bei - fallsrufe und die Anträge drängten ſich noch ſtürmiſcher: Abſchaffung aller der Leibeigenſchaft verwandten Ver - hältniſſe, welche unter dem Namen der todten Hand für anderthalb Millionen Franzoſen noch beſtehen; Setzung ſämmtlicher Zehenten zu Gelde und Ablösbarkeit derſelben; Aufhebung des ausſchließlichen Jagdrechtes, mithin der barbariſchen Strafen gegen Jagdfrevler; Aufhebung der Taubenhäuſer und Kaninchengehege; Verbeſſerung der Gilden; Abſchaffung aller Ämterverkäufe; Aufhebung der Privilegien der einzelnen Provinzen von Frankreich und endlich als unmittelbare Folge des letzten Antrages: man will überhaupt künftighin nicht mehr Provençale, Langue - docker, Burgunder, alle wollen Franzoſen ſeyn, zweifeln auch durchaus nicht an der gleichen Geſinnung ihrer Com - mittenten; und die Städte und die Ämter wollen keinen Schritt hinter den Provinzen zurückbleiben, auch ſie ent - ſagen ihren Vorzügen. Bei dieſem letzten Aufſchwunge zum Ziele der Gleichheit ward der Taumel der Begeiſte - rung ſo allgemein, ein ſolcher Andrang zur Rednerbühne, ſolch ein Zuſammenhäufen in Gruppen unter vielen Um - armungen trat ein, daß die Secretäre darauf verzichten mußten die Fülle der Anträge zu verzeichnen; ſie haben253 es erſt nachträglich gethan. Nun verlangte der Herzog von Liancourt noch eine Medaille zum Andenken der That die - ſes Tages, der Erzbiſchof von Paris ein Te Deum. Lally - Tollendal lenkte wohlgeſinnt auf die Dankbarkeit gegen den König zurück, als die Quelle aller dieſer Wohlthaten. Ludwig XVI. wird den Titel: Wiederherſteller der fran - zöſiſchen Freiheit führen. Alles ward wie angetragen auch beſchloſſen; man hatte von 8 Uhr Abends an geſeſ - ſen, trennte ſich um 2 Uhr Morgens, und erwachte in einem umgeſchaffenen Frankreich.

Die nächſten Sitzungen brachte man mit den Redactio - nen der Anträge zu, und ging zum Theil noch eine gute Strecke über dieſelben hinaus. Das geſchah vornämlich in Abſicht auf den Zehenten der Geiſtlichkeit, welchen man zuvor abkäuflich geſtellt hatte, der jetzt ohne Entſchädigung fallen ſollte. An dieſem Tage ward Sieyes mit der Ruthe ſeiner eigenen Grundſätze gezüchtigt. Er ſo wenig als Mi - rabeau waren in der Sitzung der Gleichmachung gegen - wärtig geweſen, letzterer durch einen Familienrath in Bezug auf den kürzlichen Tod ſeines Vaters verhindert, Juli 11. allein am 10ten Auguſt erhub ſich Sieyes, räumte ein daß der Naturalzehnte die für den Ackerbau verderblichſte Steuer ſey, beſtand aber um ſo nachdrücklicher auf ſeiner Ablöſung; denn auch abgeſehen von dem Bedürfniſſe der Geiſtlichkeit ſey durchaus kein Grund vorhanden, mit einem Jahresertrage von mindeſtens 70 Millionen Livres den Grundbeſitzern ein Geſchenk zu machen, ihnen, von denen254 keiner den Zehenten in Wahrheit bezahlt, denn er hat ſein Grundſtück um eben ſo viel wohlfeiler gekauft als der Ca - pitalwerth ſeines Zehenten iſt. Auf die ganz entgegenge - ſetzte Seite ſtellte ſich aber Mirabeau, und ſtatt dabei ſtehen zu bleiben daß die Zehenten einen milden Ablö - ſungsſatz verdienen, oder allenfalls ihren Ertrag der dar - benden Staatscaſſe zuzuweiſen, nannte er die Zehenten eine Steuer für den Unterhalt der Geiſtlichkeit, den Grundbeſitzern unbillig auferlegt, verlangte ihre Aufhe - bung ohne alle Entſchädigung, brachte zugleich die Beſol - dung der Geiſtlichkeit aus öffentlichen Mitteln in Anre - gung. Mirabeau erkannte das praktiſche Moment der Be - ſchlüſſe vom 4ten Auguſt, ihre Unwiderruflichkeit. Die Art wie ſie zu Stande kamen betrachtete er als charakte - riſtiſch für ſeine Nation, die, ein Spielball ihrer Lebhaf - tigkeit, die vernünftigſten Dinge auf die tollſte Art voll - bringe. Als der Zehente ohne Entſchädigung fiel, ſagte Sieyes: Sie wollen frei ſeyn und verſtehen nicht gerecht zu ſeyn. Seitdem war er erbittert auf die Verſammlung, ſprach nur ſelten. Bei einer Unterredung zwiſchen den bei - den Vätern der Revolution, wie Mirabeau ſich und Sieyes nannte, fielen die Worte: Mein lieber Abbé, Sie ha - ben den Stier losgekettet und beklagen ſich daß er Sie ſeine Hörner fühlen läßt? Auch die weiteren Folgen der vierten Auguſtnacht, zunächſt für den Adel, ſah Mirabeau klar voraus. Der franzöſiſche Adel hatte die einzigen Klam - mern, welche er im Bewußtſeyn der Nation hatte, ſelbſt255 geſprengt, nichts hielt ihn mehr. Der Titularadel fiel am 20ſten Julius 1790. Ihm folgten am 30ſten October 1791 die Ritterorden nach, und da von Anfang her der franzöſiſche Landmann ſich nur die Aufhebung der Feudal - laſten und Zehenten zu eigen machte, für ihre Zahlung bis zu geſchehener Ablöſung keine Ohren hatte, ſo hob man am Ende am 25ſten Auguſt 1792 alle dieſe Laſten ohne Entſchädigung auf. Endlich: nur ein Paar Monate verliefen ſeit jener Auguſtnacht, und es gab in Frankreich keine Provinzen mehr, an ihre Stelle traten 83 Departe - ments. Bis dahin hatte man in Frankreich Provinzen mit althiſtoriſchen Namen als politiſche Eintheilung, Gouver - nements als militäriſche, Generalitäten als adminiſtra - tive und finanzielle, Diöceſen als kirchliche, Balliagen Senechauſſéen und Parlamentsbezirke als gerichtliche Ein - theilung. Jetzt ward der geſammten Eintheilung das De - partement zum Grunde gelegt, bei deſſen Abgränzung und Benennung, woran der König als Liebhaber der Geo - graphie Freude hatte, große Rückſicht auf Berge und Flüſſe genommen ward, aber möglichſt geringe auf den alten Zuſammenhang der Bevölkerung. Jedes Departement iſt in Diſtricte, jeder Diſtrict in Cantons getheilt, deren ei - nem jede der 44,000 politiſchen Gemeinden von Frank - reich angehört. Die Folge davon iſt nun ferner ein ganz neues Syſtem der Verwaltung, deren herrſchender Mittel - punct in ganz anderer Art als bisher die Hauptſtadt wird. Und zu dem Allen bahnte doch jene unvergeßliche Nacht256 der Gleichmachung allein den Weg, und von dem Allen war doch wieder Sieyes allein der Grundleger und rühmte ſich deſſen im ſpäteſten Alter, wenn er gleich nach ſeinerOct. Weiſe einen anderen Antragsſteller vorſchob. Gewiß der vierte Auguſt hat dieſem ungemein eiteln Manne die Eine herbe Kränkung durch einen reichlichen Zuwachs an Selbſt - zufriedenheit vergütet.

In den letzten Tagen des Auguſt hielten Mounier und Lally-Tollendal im Namen des Verfaſſungsausſchuſſes Vortrag über die Grundformen der künftigen Verfaſſung. Es kam dabei hauptſächlich auf die Beantwortung von drei Lebensfragen an. Sie lauten:

Soll die Nationalverſammlung permanent ſeyn?
Soll ſie ungetheilt bleiben oder in Kammern zer -
fallen?
Soll der König ein Veto haben, und wenn eines,
welch eines?

Unter Permanenz der Nationalverſammlung verſtand man im Ausſchuſſe eine zu geſetzlich beſtimmter Zeit zu - ſammentretende Nationalverſammlung, welche der König wohl vertagen, aber nicht auflöſen darf, ohne ſogleich neue Wahlen anzuordnen. Man beantragt eine ſolche, die jeden erſten December zuſammentritt und vier Monate bei - ſammen bleibt. Der Ausſchuß, das heißt, die Mehrheit deſſelben begehrt zwei Kammern, die eine von 600 Abge - ordneten, auf drei Jahre gewählt, die andere ein Senat von 200 auf Lebenszeit beſtellten, vom Könige genehmigten257 Mitgliedern. Ein Alter von 35 Jahren, ein gewiſſer Grundbeſitz iſt erforderlich, übrigens ſteht jedem Verdienſte der Eintritt in den Senat offen. Jede Kammer hat ein Veto gegen die andere, eben ſo gebührt dem Könige ein unbedingtes, nicht bloß aufſchiebendes Veto. Mit die - ſen nach Lage der Dinge lobenswerthen Grundlagen ſteht freilich im ſchneidenden Widerſpruche der zugleich empfoh - lene Grundſatz: die zu gründende Verfaſſung bedürfe der königlichen Sanction nicht, weil ſie erſt dieſe Sanction feſtſtelle. Aber wenn man die Nothwendigkeit erkannte, dem Königthum der Zukunft das unbedingte Veto einzu - räumen, ſo mußte man vor allen Dingen anerkennen, daß dieſes Veto und weit mehr als das dem Könige der Ge - genwart ſchon zuſtehe. Oder hatte denn König Ludwig XVI. abdicirt, und es handelte ſich um die Bedingungen ſeiner Wiedereinſetzung?

Man machte in der Nationalverſammlung den Verſuch die Fragen getrennt zu behandeln, allein es ergab ſich bald, das ſey unmöglich. Alle drei ſind Lebensfragen für die Krone, am tiefſten aber dringt die Vetofrage ein, ſie, die grade für den gewöhnlichen Betrachter kinderleicht zu beantworten iſt. Die Politiker des Palais-royal und des bretagniſchen Clubs waren längſt darüber einig, es ſey ein Unſinn und ein Frevel gegen die Menſchheit, den Willen von 25 Millionen Menſchen von der Willkür ei - nes Einzigen abhängig zu machen; hier eine National - verſammlung, dort ein König mit dem Veto, das heißeFranzöſiſche Revolution. 17258zwei Souveräns in demſelben Staate aufſtellen. Man miſchte die Maſſen geſchäftig ein, manche Franzoſen hiel - ten das Veto für eine neue Auflage, andere für die Ur - ſache des Brodmangels. Im Palais-royal ging ein ſchrift - licher Vorſchlag herum, nach Verſailles zu ziehen zur Un - terſtützung der patriotiſchen Abgeordneten; die Vetofreunde müſſen ausgeſtoßen und nachdem ſie ſo ihrer Unverletzbarkeit beraubt ſind, muß ihnen der Proceß gemacht werden.

Auf dieſem Felde der Vetofrage entwickelte Mirabeau ſeine Meiſterſchaft, während Sieyes, Begriffe ſpaltend, unter die Mittelmäßigkeit herabſank. Aber Neckers ge - brechlicher Nachen lief eben hier kläglich auf den Strand.

Sept. 1.Mirabeau läßt alle Gerechtigkeit der Beſorgniß wider - fahren, in die Hände eines einzigen Menſchen die Macht niederzulegen, daß er ſagen dürfe: Ich widerſetze mich der allgemeinen Einſicht. Allein, indem der Redner ſich in Acht nimmt, nicht gegen die Lieblingsanſichten von der Entſtehung des Staats durch willkürliche Satzungen an - zuſtoßen, giebt er zu bedenken, daß ja auch ſchlechte Wah - len von Volksvertretern möglich ſind, daß es dieſen ein - fallen kann, wenn ihnen kein königliches Veto gegenüber ſteht, ihre Vertretungszeit nach Belieben zu verlängern, zu verewigen, ja ſogar die ausübende Gewalt in ſich auf - zunehmen, wie das Alles in England in den Tagen der Revolution gegen Karl I. vorgekommen. Ganz gewiß, er will es nicht läugnen, kann das Veto des Fürſten ſich ei - nem guten Geſetze widerſetzen, allein es kann auch be -259 wahren vor einem ſchlechten Geſetze. Im ſchlimmſten Falle wird dann die ihrer jährlichen Wiederkehr verſicherte Ver - ſammlung die Steuern und das Heer verweigern oder nur für kurze Zeit bewilligen. Der Fürſt wird hierauf viel - leicht die Nationalverſammlung auflöſen, nun verpflichtet ihn aber die Verfaſſung binnen drei Monaten eine neue Verſammlung zu berufen. Das Volk wird alsdann, wenn es mit ſeinen Vertretern wirklich einverſtanden iſt, dieſel - ben Vertreter wieder wählen. Was bleibt dem Fürſten übrig als ſich zu fügen? Wenn aber dem Fürſten das Veto abgeht, wie hilft ſich dann ein Volk gegen ſchlechte Ver - treter anders als durch Aufſtand? Wir werden, fährt er fort, jedes Jahr zuſammenkommen; denn bedenket wohl die ungeheure uns obliegende Verpflichtung. Die Finanzen allein werden vielleicht die Arbeit eines halben Jahrhunderts erfordern. Dann das bürgerliche und das peinliche Geſetzbuch! Wie? die Engländer, bei denen, ſo zu ſagen, Alles ſchon gethan iſt, verſammeln ſich von Jahr zu Jahr, und finden ſtets zu thun, und die Franzo - ſen, bei welchen Alles noch zu thun iſt, ſollten ſich nicht jedes Jahr verſammeln? Wir werden alſo eine permanente Verſammlung haben und in ihr allein ſchon ein hinläng - liches Gegengewicht gegen das königliche Veto. Wer frei - lich jede große Gewalt fürchtet, wird es Despotismus nennen, wenn der König ſagen kann: Das iſt der Wille meines Volks, aber der meine ſteht ihm entgegen, und mein Wille ſoll gelten. Aus dieſer Furcht iſt das ſus -17*260penſive Veto hervorgegangen; das will ſagen: der König ſoll die Sanction allerdings verweigern können; es ſteht ihm frei vielleicht in dieſem Falle die Nationalverſamm - lung aufzulöſen, den Eintritt einer durch neue Wahlen erneuten Verſammlung zu erwarten; aber wenn dieſe neue Verſammlung ihm das von ihm verworfene Geſetz zum zweiten Male darbietet, iſt er gezwungen es zuzulaſſen; denn er hat die Gewißheit erhalten, dieſes ſey wirklich der Volkswunſch. Allein bedenket wohl, wie hoch Ihr den König mit der einen Hand geſtellt habt und wie tief Ihr ihn mit der anderen herabdrücken wollet! Hier ſteht er als erblicher Herrſcher, als unverletzlicher, auf einer von keiner Ehrſucht erreichbaren Höhe, berufen über 25 Millionen zu befehlen, auf einer Strecke von 30,000 Qua - drat-Lieues allenthalben der Beſchützer zu ſeyn, und dort wollet Ihr dieſen Mann der Macht zwingen Geſetze aus - zuführen, in die er nicht gewilligt hat. Wollet Ihr alle Schrecken eines blutigen Aufruhrs daran ſetzen? Gut, es ſteht in Eurer Hand, aber verkannt habt Ihr alsdann jene weit ſicherer zum Ziele führende Macht, die Macht der öffentlichen Meinung. Wenn ſie wahrhaftig in Wirk - ſamkeit tritt, in dem Augenblicke erhebt ſie auch den Ge - ſetzvorſchlag weit über die Willkür auch des mächtigſten Fürſten hinaus; er könnte nicht länger widerſtehen ohne ein Gegenſtand des Abſcheues zu werden. Seine Einwil - ligung iſt in Wahrheit nichts anders als das feierliche Verſprechen, das Geſetz, welches er genehmigt hat, in261 Ausübung bringen zu wollen. Untergeordnete Gewalten im Staate müſſen allerdings ausführen auch was ſie nicht billigen, obgleich es nie gehörig geſchieht; die höchſte Macht im Staate zwingen wollen, heißt ſich an ihre Stelle ſetzen. Wird die bedrohte höchſte Macht nicht Widerſtand leiſten? Wird ſie keine Helfer finden? Blicket auf Schweden hin; wie ſchnell iſt dieſes Reich dem Despotismus verfallen! aus keinem anderen Grunde, als weil man dort den - nig, wiewohl Erbkönig, doch zum duldenden und blinden Werkzeuge des Senats machen wollte. Haben wir einmal die Krone einer beſtimmten Familie übergeben, daß ſie ein Erbtheil ihrer Erſtgeborenen ſey, dann iſt es unklug dieſe zu beunruhigen, indem man ſie einer geſetzgebenden Ge - walt unterwirft, deren Geltung man in königlichen Hän - den läßt, und gleichwohl des Königs Meinung verachten will. Dieſe Verachtung geht zuletzt auf die Perſon über; der Inhaber aller Macht des franzöſiſchen Reiches kann aber nicht verachtet werden ohne die größte Gefahr. Der Redner ſchließt mit den Worten: So führt denn eine folgerechte Betrachtung, aus dem menſchlichen Her - zen und aus der Erfahrung geſchöpft, dahin daß der - nig das Recht haben muß auf die Nationalverſammlung einzuwirken, indem er ſie wieder erwählen läßt. Dieſe Einwirkung iſt nothwendig, um dem Könige ein geſetz - liches und friedliches Mittel zu ſichern, von ſeiner Seite Geſetzen die Annahme zu verſchaffen, die er nützlich für die Nation hält, und welchen gleichwohl die Nationalver -262 ſammlung ſich widerſetzen möchte. Darin liegt auch durch - aus keine Gefahr. Denn der König muß nothwendig auf den Beifall der Nation rechnen, wenn er, um die Zu - ſtimmung zu einem Geſetze zu erlangen, die Nation zur Wahl von neuen Mitgliedern auffordert; wenn aber die Nation und der König ſich vereinigen, ſo kann der Wider - ſtand des geſetzgebenden Körpers nur zwei Urſachen ha - ben, entweder die Verderbtheit ſeiner Mitglieder, und dann iſt ihr Abgang ein Glück, oder einen Zweifel über die öffentliche Meinung, und das beſte Mittel dieſen zu löſen iſt dann ohne Zweifel die Wahl neuer Mitglieder. Ich faſſe Alles in einem Worte zuſammen: Jährlich - keit der Nationalverſammlung, Jährlichkeit des Heeres, Jährlichkeit der Steuer, Verantwortlichkeit der Miniſter, und die königliche Sanction ohne alle Beſchränkung in Worten, aber in der That befriedigend begränzt: das iſt das Palladium der Nationalfreiheit und die köſtlichſte Hand - habung der Freiheit, die einem Volk nur werden kann.

Mirabeau giebt in dieſer Rede über zwei Fragen von den dreien ſeine entſchiedene Meinung ab, er will das abſolute königliche Veto, will eine jährlich wiederkehrende und inſofern permanent zu nennende Nationalverſammlung. Weniger zufriedenſtellend erſcheint ſein Urtheil über die Frage, ob es eine oder mehrere Kammern geben ſolle. Hier muß man zwar vor allen Dingen den praktiſchen Staatsmann von dem Theoretiker der Schule unterſchei - den. Jener bedarf des Beifalles, um zu wirken, und auch263 die beſte Theorie ſtellt er bei Seite, wo ſie auf die gege - benen Verhältniſſe keine Anwendung findet und doch etwas gethan werden muß. Der franzöſiſche Adel nahm von jeher eine ſchiefe Stellung gegen die Verfaſſung, und der vierte Auguſt hatte über die ganze vaterländiſche Ariſtokratie den Stab gebrochen. Welcher Zukunft ſahen die Prälaten ent - gegen? Der Zehente dahin, und ſchon war den Gütern der Geiſtlichkeit als der beſten Stütze in der Finanznoth nachgefragt. In jenen 200 Senatoren, wer ſie auch vor - ſchlagen mochte, erblickte man unwillig die Pflanzſchule einer neuen Ariſtokratie, lediglich Werkzeuge der Miniſter. Was allenfalls noch haltbar ſcheinen möchte, ſprach Mi - rabeau in einer ſpäteren Sitzung kurz ſo aus: Ich willSept. 9. zwei Kammern, wenn ſie nur zwei Sectionen einer ein - zigen ſeyn ſollen, und ich will nur eine einzige, wenn die eine ein Veto gegen die andere haben ſoll. Er ſah die Gemüther bereits entſchieden, warf dieſes Mittelding noch ſo hin. In derſelben Sitzung beſchloſſen 849 Stim - men gegen 89 die Untheilbarkeit der Nationalverſamm - lung. Über die Permanenz war ſchon früher im Sinne des Ausſchuſſes entſchieden. Die Vetofrage blieb übrig.

Sieyes ſchnitt alle dieſe Fragen, welche Mirabeau mit Blick und Sinn für das vielfach verſchlungene Leben organiſch behandelt hatte, mit einem Scheermeſſer hand - werksmäßig durch, ließ kein Veto irgend einer Art zu. Keine Ahnung in ihm von jener Vermittelung, welche ſelbſt der Mathematiker anerkennt, ſobald er mit ſeiner264 Formel in das Reich der Naturkräfte tritt. Nach meiner Definition, ſprach Sieyes, iſt Geſetz der Wille der Regierten; mithin kann die Regierung keinen Theil an der Bildung des Geſetzes haben. Vergeblich würde man den Beweis verſuchen, daß dem Könige ein irgend ausgezeich - neter Antheil an der Bildung des Geſetzes gebühre. Könnte ſein Wille auch nur dem Antheile von zwei Abgeordneten gleichſtehen, warum nicht dem Willen von 25 Millionen? Die Stimme des Königs kann lediglich wie die Stimme eines Präſidenten gelten. Welche Vorſtellung man ſich auch von einem Veto mache, ſie iſt immer dieſem Princip entgegen. Der Inhaber der ausübenden Gewalt macht keinen integrirenden Theil des Geſetzes aus: denn das Recht ein Geſetz zu verhindern iſt nichts anders als das Geſetz machen; darin iſt gar kein Unterſchied. Der Menſch welcher ſagt: ich will nicht daß das und das geſchehe, ſagt ganz eigentlich: ich will daß das was Ihr wollet nicht ſey. Mithin muß die Majorität der geſetzgebenden Gewalt unabhängig von der ausübenden Gewalt han - deln, und das Veto, einerlei ob abſolut oder ſuspenſiv, iſt nichts anders als ein Verhaftsbrief, gegen den öffent - lichen Willen geſchleudert. Ohne Grund ſagt man: wenn die ausübende Gewalt nicht mit einem abſoluten oder doch einem aufſchiebenden Veto bekleidet iſt, ſo wird die geſetzgebende Gewalt in dieſelbe eingreifen. Denn es iſt die Conſtitution ja dazu da, die Gewalten zu binden, ohne daß ſie etwas verändern, etwas neuern können. Die265 Conſtitution wird die Trennungslinie unverbrüchlich feſt - ſetzen, fortan iſt keine Veränderung möglich. Ein auf - ſchiebendes Veto feſtſetzen, heißt nichts anders als ſagen: Die Völker verlangen von uns Geſetze; wir aber wollen feſtſetzen was ſie verhindern kann. Betrachtet das wahre Verhältniß: der geſetzgebende Körper entſteht durch Wahl, iſt zahlreich, nimmt Theil am öffentlichen Wohle, er ſteht unter dem Einfluſſe des Volks; der Inhaber der vollzie - henden Gewalt iſt erblich, unentfernbar, ſeine Miniſter ſchaffen ihm ſein beſonderes Intereſſe. Wie kann man bei ſo ungleichem Stande der Dinge noch immer die Miene annehmen als fürchte man die möglichen Misgriffe der Geſetzgebung, nicht im Geringſten aber die Misgriffe der Miniſter? Welche Parteilichkeit! Ganz gewiß jedoch, der geſetzgebende Körper kann ſich möglicher Weiſe übereilen und irren, und es iſt gut ſich davor zu ſchützen. Läßt man überhaupt ein Veto und mehr als eine Kammer zu, ſo werde ich dafür ſtimmen daß dieſes Veto in die Verſamm - lung ſelber falle, daß damit die Hände bewaffnet werden, in welchen es am nützlichſten ruhen würde, daß man zu dem Ende die Verſammlung in drei Sectionen theile; eine davon würde jedes Jahr erneuert, denn jedes Jahr ſoll man ein Drittel der Verſammlung durch Wahl erneuern, worauf dann die bisherige dritte Section in die zweite, die bisherige zweite in die erſte Stelle rückt, und die Mehrheit der Stimmen, durch die drei Sectionen durch - gezählt, bringt das Geſetz hervor ꝛc. Dergeſtalt ſtellte266 der Mann, welchem zwei Kammern zu viel waren, deren drei auf.

Die Discuſſion war geſchloſſen, aber der Tag der Abſtimmung noch nicht gekommen, noch ſchwankte die Wage, als Necker dazwiſchen trat.

Necker war dem Rufe des Königs gefolgt. Seine Reiſe von Baſel nach Paris glich einem Triumphzuge; dennoch mußte er ſchon unterwegs erfahren, wie es mit dem - niglichen Anſehn ſtehe. Der König hatte den General von Beſenval veranlaßt ſich in ſeine Schweiz zurückzuziehen, allein man hielt den verhaßten Mann unterwegs feſt, und Neckers Ermahnung, den königlichen Befehl zu achten, blieb fruchtlos: man wollte den Befehl des pariſer Stadt - hauſes erwarten. Als nun der neue Miniſter zum erſten Male in die Hauptſtadt kam, benutzte er die Jugend ſei -Juli 30. ner Volksgunſt, begab ſich in das Stadthaus, wo gerade die Wähler beſchäftigt waren die neu gewählte Stadt - obrigkeit zu inſtalliren, um ihr Platz zu machen, richtete an ſie Alle Worte dankbarer Rührung, und vom allgemei - nen Beifalle begrüßt, dem Volk draußen gezeigt, bat er, dieſen ſchönen Tag durch eine allgemeine Amneſtie zu ei - nem unvergeßlichen zu machen. Kaum hatte Necker geen - digt, als man ihm von allen Seiten beifiel; ein Beſchluß wird aufgeſetzt, der von allen Kanzeln in ganz Frankreich verleſen werden ſoll; keine Gewalt mehr, Verzeihung, öffentliche Ruhe. Necker vergoß Thränen der Rührung, kehrte beſeligt nach Verſailles zurück, verkündigte dem267 Königspaare die Beendigung der Revolution. Traurige Täuſchung eines unvorſichtigen, von dem Taumel augen - blicklicher Gunſt berauſchten Miniſters! Necker hatte einen zwiefachen Misgriff begangen, indem er zugleich die Na - tionalverſammlung und die königliche Gerechtſame verletzte. Das Stadthaus hatte hier nichts zu beſchließen, nicht ein - mal die Nationalverſammlung. Eine Bitte um Amneſtie, von dieſer an den König gerichtet, von dem Könige kraft ſeines Begnadigungsrechtes gewährt, würde vor ganz Frankreich die wiederhergeſtellte Eintracht der höchſten Ge - walten bethätigt haben. Dennoch wäre es nützlich und großmüthig geweſen, eine hochherzige Richtung zu begün - ſtigen, indem man den begangenen Verſtoß in der Natio - nalverſammlung verbeſſerte. Allein Mirabeau war nicht der Mann, einen Widerſacher, den er geringſchätzte und deſſen Platz er einzunehmen hoffte, zu ſchonen. Einige Diſtricte von Paris wurden aufgeregt, die über ihre Über - eilung beſtürzten Wähler beeilten ſich ihrem Beſchluſſe eine andere Auslegung zu geben, die Nationalverſammlung ſprach ſich faſt einſtimmig gegen eine allgemeine AmneſtieJuli 31. aus, und Necker mußte beſchämt ſeinem Könige geſtehen, ſeine Hoffnung auf Beendigung der Revolution ſey eine Täuſchung geweſen.

Seit dieſem Tage war Necker wieder bloß Finanzmini - ſter und ein ſchwer bedrängter. Noch waren die Beſchlüſſe des 4ten Auguſt nicht vollſtändig redigirt, als er die auf den Höhen der Philanthropie ſchwebende Verſammlung in268 die gemeine Proſe des Tages mit der Erklärung herabzog, der öffentliche Credit ſey verſchwunden, denn es würden keine Abgaben bezahlt. Er ſchlug zur nächſten Aushülfe die mäßige Anleihe von 30 Millionen vor, welche zu 5 Procent zu beziehen er die Einleitung getroffen und Zu - ſicherungen erhalten habe. Dieſer Zins war höchſt mäßig, das wußte Mirabeau ſo gut wie einer, dennoch vereitelte die Verſammlung Neckern ſeinen Plan, indem ſie ihn auf Procent beſchränkte. Nun aber ging die Anleihe nicht ein und man mußte ſich bald darauf dazu verſtehen, eine viel größere, 80 Millionen zu bewilligen und dem Finanz - miniſter das Geſchäft zu überlaſſen. Die Noth drängte von allen Seiten. Es ergab ſich plötzlich daß man ſeit drei Monaten von der Hand in den Mund lebe; jede Nacht war man auf dem Stadthauſe in Sorge, ob auch die Lebensmittel wirklich anlangen würden, von welchen die ungeheure Bevölkerung ſich den nächſten Tag nähren ſollte. Der Ausſchuß der Lebensmittel arbeitete unermüd - lich, allein die Unſicherheit des Eigenthums, die wach - ſende Anarchie war es, welche vom Sammeln, vom Her - beibringen der Vorräthe abſchreckte.

So ſtanden die Dinge, als Necker durch ſeine Einmi - ſchung in die Vetofrage alle Hoffnungen der aufrichtigen und verſtändigen Freunde der Monarchie vereitelte. Mag es nun Mangel an Einſicht in die Tiefen der Politik, oder der Hang eine erſchütterte Popularität wiederherzu - ſtellen, gemiſcht mit Widerwillen gegen Mirabeau, gewe -269 ſen ſeyn: Necker ſtellte dem Könige vor, man dürfe nicht zu viel wagen; wenn man nicht einer großen Majorität für das abſolute Veto gewiß ſey, ſcheine es rathſamer ſich zum Voraus zufrieden mit dem bloß aufſchiebenden zu erklären, welches im Grunde eben ſo viele Vortheile und weniger Gefahren in ſich trage als das abſolute. Er faßte eine ſchriftliche Ausführung dieſer Einfälle ab, theilte dieſe im Conſeil mit und erhielt leicht von der Nachgiebigkeit des Königs die Erlaubniß ſein Be - denken weiter an die Nationalverſammlung gelangen zu laſſen. Nun ſetzte zwar Mirabeau durch daß man, ohne den Neckerſchen Bericht nur einmal zu verleſen, bei dem Schluſſe der Discuſſion beharrte, aus dem Grunde, weil, wenn für des Königs Meinung, ſie auch für die der Abgeordneten wieder eröffnet werden müſſe, weil fer - ner der Umſtand, daß der König das abſolute Veto nicht begehre, die Verſammlung nicht abhalten dürfe, es ihm aus höheren Staatsgründen dennoch beizulegen; allein die Überzeugungen waren einmal erſchüttert, und man verließ die Krone, die ſich ſelbſt verlaſſen hatte. Im - mer leerer wurden die Sitze zur rechten Hand des Prä - ſidenten, immer beſetzter die zu ſeiner Linken; denn wäh - rend dieſer Debatte bildete ſich zuerſt die Gewohnheit, in gegneriſchen Maſſen aus einander zu treten. Am 11ten September entſchieden 673 Stimmen gegen 325 für ein lediglich aufſchiebendes Veto, für einen König, der noch immer erblich, für ſeine Perſon unverletzlich und heilig,270 der Urquell aller Ehren und Gnaden, reich an Prädica - ten auch der Macht iſt, allein er iſt mächtig allein in Bezug auf die Ausführung der Geſetze, ohnmächtig in Bezug auf ihren Inhalt, ein Diener fremden Willens.

Als Mounier, Lally-Tollendal, Clermont-Tonnerre und Bergaſſe die Grundlagen ihrer Verfaſſungsarbeit ver - worfen ſahen, legten ſie ihre Stellen im Verfaſſungsaus - ſchuſſe nieder. Da nun auch der Erzbiſchof von Bordeaux neuerdings in das Miniſterium Neckers und Montmorins als Siegelbewahrer getreten war, ſo blieben vor der Hand allein der Biſchof von Autun, Sieyes und Le Chapelier im Ausſchuſſe zurück.

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6. Der Koͤnig und die Nationalver - ſammlung nach Paris.

Bisher hatte die Nationalverſammlung die Zügel der Macht mit feſter Hand gehalten. Ihre Stützen, der wo - genden Hauptſtadt gegenüber, waren Bailly und Lafayette; aber auch die große Mehrzahl der Pariſer folgte mit Ver - trauen den Beſchlüſſen der Reichsſtände. Als die Redner vom Palais-royal es darauf anlegten einen Sturm von Adreſſen gegen das königliche Veto loszulaſſen, gelang es ihnen nur in wenigen Diſtricten eine vorübergehende Aufregung hervorzurufen. Als die Stadt Rennes durch ihren Abgeordneten Chapelier eine Adreſſe einreichte, wo - rin ſie alle Vetofreunde für Verräther und Feinde des Va - terlandes erklärte, ſprach Mirabeau in ſeiner hochfahrenden Weiſe, es müſſe jedem kleinen Neſte in Frankreich ſo gut wie der Stadt Rennes freiſtehen Abgeſchmacktheiten vor - zubringen, aber auch der Nationalverſammlung ſich nicht darum zu bekümmern, und die Sache war damit abge - than. Nun aber kam der Tag, da die Verſammlung ſich ſelber untreu ward. Man hatte das aufſchiebende Veto272 im Allgemeinen genehmigt, allein ſeine Dauer noch nicht beſtimmt. Auf Barnave’s Vorſchlag beſchloß man dieſer Entſcheidung ſo lange Anſtand zu geben, bis die königliche Sanction der Beſchlüſſe vom 4ten Auguſt eingegangen wäre. War es aber weiſe oder auch nur anſtändig, Ver - faſſungsbeſtimmungen ſo zu ſagen von dem Wohlverhal - ten des Königs abhängig zu machen? Die königliche Ant - wort kam; ſie rühmte den Geiſt jener Beſchlüſſe, ſprach dabei Bedenken gegen einige Puncte in der mildeſten Faſ - ſung aus, machte dieſe gerade nur als Bedenken, keines - wegs als Ablehnung geltend, als z. B. die financielle Schwierigkeit, gerade jetzt die Capitalien zurückzahlen zu müſſen, mit welchen die Richterſtellen erkauft worden, die Nothwendigkeit mit dem heiligen Stuhle wegen der abzu - ſchaffenden Annaten zuvörderſt in Unterhandlung zu treten. Am tiefſten traf die Bemerkung über den Zehenten, ſo leiſe ſie ausgeſprochen war. Das Opfer, von Seiten der Geiſt - lichkeit gebracht, erhielt alles Lob; allein warum den Grundbeſitzern ein Geſchenk mit ſo vielen Millionen ma - chen? Warum nicht lieber dieſe zum allgemeinen Nutzen der bedrängten Staatscaſſe zuweiſen? So gerecht dieſe Rüge war, ſie konnte nicht ungelegener kommen, Mira - beau hatte durch ähnliche Äußerungen ſchon früher den Verdruß der Verſammlung erregt. Man fühlte keine Nei - gung eine Übereilung einzuſehen, die man außer Stand zu verbeſſern war. Denn ſchon war die Kunde von die - ſen Beſchlüſſen durch ganz Frankreich erſchollen, die kleinern273 Grundbeſitzer jubelten einer Ordnung der Dinge ent - gegen, die ſolche Spenden brachte; Zurücknahme ſchien in hohem Grade gefährlich. Statt aber einen Weg der Vermittelung bei dem Könige zu ſuchen, rief Le Chape - lier jenen ſchon einmal vom Verfaſſungsausſchuſſe ausge - ſprochenen, aber damals nicht weiter erörterten gefähr - lichen Satz zu Hülfe, welcher der Nationalverſammlung die alleinige Entſcheidung über die Conſtitution beilegt, und trat mit der Behauptung auf, die Sanction des - nigs bedeute in Bezug auf die Beſchlüſſe vom 4ten Auguſt lediglich deren Bekanntmachung. Das nun war von Cha - pelier nicht zum Verwundern, ſchmählicher war Mira - beau’s Billigung, weil er, tiefere Überzeugungen hegend, vorzog, ſeine Popularität zu gelegener Zeit wieder aufzu - friſchen, indem er einen ſeiner Blitze gegen den Thron ſchleuderte. Die Mehrzahl von uns, ſprach er, hat geglaubt, die Prüfung der conſtituirenden Gewalt in ihrem Verhältniſſe zum Fürſten ſey im Grunde überflüſſig und unter ſolchen Umſtänden gefährlich. Aber dieſe Prü - fung iſt nur überflüſſig, wenn wir Alle mindeſtens ſtill - ſchweigend die unbeſchränkten Rechte der conſtituirenden Gewalt vorausſetzen. Werden ſie in Zweifel gezogen, ſo wird die Unterſuchung nothwendig, und die Hauptgefahr beſtünde in der Unentſchiedenheit der Frage. Wohl frei - lich ſind wir keine nackte Wilden vom Orinoko her, die eine bürgerliche Geſellſchaft erſt bilden wollen. Wir ſind eine alte Nation und ohne Zweifel zu alt für unſer Zeit -Franzöſiſche Revolution. 18274alter, wir haben eine gegebene Regierung, einen gegebe - nen König, gegebene Vorurtheile. Man muß dieſe Dinge möglichſt der Revolution anbequemen, plötzliche Über - gänge verhüten. Man muß es bis zu dem Augenblicke, da aus dieſer Duldung eine praktiſche Verletzung der Grundſätze der nationalen Freiheit hervorginge, ein völli - ger Misklang in der geſellſchaftlichen Ordnung. Sobald zwiſchen der alten Ordnung der Dinge und der neuen eine Kluft entſteht, da gilt es den Sprung wagen, den Schleier lüften und vorwärts! Man hätte, fügte er hin - zu, nicht nöthig gehabt, jene Beſchlüſſe dem Könige zur Sanction vorzulegen, denn ſie ſind keine Geſetze, ſie gehen theils die Verfaſſung an, theils ſind ſie Ausflüſſe der Aufopferung von Privatintereſſen. Da die Vorlage aber einmal geſchehen iſt, bringt er die Sendung des Präſiden - ten an den König in Antrag, mit der Erklärung daß die Verſammlung die unverzügliche Bekanntmachung ihrer Be -Sept. 18. ſchlüſſe erwarte. Robespierre ſprach: Bedarf denn die Nation für die Verfaſſung eines anderen Willens als des ihrigen? Der Juriſt Rewbell, Abgeordneter des Wahl - bezirks von Colmar und Schlettſtadt, wunderte ſich daß man ſo viel Aufhebens von den Lehnsrechten fremder Für - ſten im Elſaß mache, Fürſten, die ſich ſtets an die Mini - ſter wenden, ſtatt an die Nation. Nach zwei Tagen er -Sept. 20. folgte die königliche Beſtätigung ohne Vorbehalt. Derge - ſtalt ward es dem Könige verwehrt, auch nur das erſte Mal von ſeinem verkümmerten Veto Gebrauch zu machen. 275Dieſes Veto aber dehnte man nun großmüthig bis auf die dritte Legislatur aus, indem man unter Legislatur denSept. 21. Zeitraum von zwei Jahren verſtand, über welchen die Wirkſamkeit derſelben Volksvertreter nicht hinausgehen darf. Ein vom Könige verworfener Geſetzvorſchlag darf in derſelben Legislatur nicht wieder vorgelegt werden. Wäre er aber in drei einander folgenden Legislaturen in derſelben Faſſung vorgelegt, ſo wird die königliche Sanc - tion als wirklich erfolgt betrachtet.

Der über die Krone erfochtene Triumph ſchadete der Freiheit zwiefach. Die Redner vom Palais-royal rühm - ten ſich der Bekehrung der Nationalverſammlung zu dem von ihnen längſt verfochtenen politiſchen Glaubensbekennt - niß, und die Abgeordneten von gemäßigten Grundſätzen fingen an in abgeſonderten Kreiſen zu berathen, ob nicht der Krone durch irgend eine außerordentliche Maßregel aufzuhelfen ſey. Unter dieſen war der treugeſinnte Ma - louet beſonders thätig; man ſuchte den alten Plan hervor, die Verſammlung nach Tours oder Soiſſons zu verlegen, ein untüchtiger, dermalen ganz unausführbarer Behelf, welchen der König mit Recht verwarf. Unglücklicher Weiſe glaubt man gern, wenn recht lange berathſchlagt iſt, daß dann doch etwas geſchehen müſſe. Ludwig gab dem Rathe Beifall, das Regiment Flandern nach Verſailles zu ver - legen. Das hieß die Schreier abermals zu der Verdäch - tigung reizen, daß den Volksvertretern Gewalt geſchehe, es hieß den König dürftig ſchützen, wenn etwas Ernſtes18*276im Werke war. Das Regiment zählte nur 1000 Mann, und wer ſchützte denn dieſe vor der verführeriſchen Stimme der nicht mehr abzuläugnenden Revolution? Gewiß ein klägliches Palliativ, während man darauf beharrte, den einzigen Mann, der, wenn Rettung möglich war, hätte retten können, der ſo eben gezeigt hatte daß er auch ver - derben könne, dieſen nicht zu wollen. Was Mirabeau durch die Macht ſeines Weſens vermöge, offenbarte er in dieſen Tagen, als der ewige Unglücksbote Necker wiederSept. 24. eintrat, meldete, um das Äußerſte, einen Bankerutt zu ver - meiden, ſey eine äußerſte Anſtrengung nöthig; er verlangte den vierten Theil von jedem reinen Jahreseinkommen, als außerordentliche Steuer, ein für alle Male in Terminen zu entrichten, deren letzter der 1ſte April 92 ſeyn ſolle. Tagelöhner ſind frei, eben ſo jedes Einkommen unter 40 Livres; übrigens ſoll keine Nachforſchung, auch kein Eid ſtattfinden, eine einfache ſchriftliche Erklärung genügt. Necker rechnete auf über 400 Millionen; er ſelbſt bot 100,000 Livres als ſeinen Antheil an. Allerdings eine ungeheure Anmuthung an Abgeordnete, die mit der Hoff - nung erſchienen waren, die Laſten des Volks zu vermin - dern; aber Necker, ſonſt ſo unſicher, war kühn auf dem Felde ſeiner Kunſt. In dieſer großen Angelegenheit hat Mirabeau drei Mal geredet; niemals erſcheint ſein Genie erhabener als wenn er ſeine grimmige Augenbraue, wie ſein Vater es nannte, den Vorurtheilen einer ganzen Verſammlung entgegenſtemmt. Seine Meinung war,277 man könne Neckern nicht nachrechnen, habe überhaupt keine Zeit mit Berathungen zu verlieren, darum müſſe man dem Manne des Vertrauens von ganz Frankreich volles Ver - trauen ſchenken, ſeinen Plan annehmen, ohne ihn zu ver - bürgen. Das Lob Neckers, reichlich und in edler Haltung geſpendet, hatte aus dieſem Munde doppelten Werth. Mirabeau verließ den Saal, um im Auftrage der Ver - ſammlung ein ſeiner Anſicht entſprechendes Decret zu ent - werfen. Während ſeiner Abweſenheit ging die Debatte fort und als er wieder eintrat, waren manche Aushülfen vorgeſchlagen, Mirabeau’s Entwurf ward angefochten, von Manchen aus Mistrauen gegen den Urheber. Mira - beau hat oft, wie Andere thaten, geſchriebene Reden auf die Bühne gebracht, nur daß ſein innerer Drang ihn ge - wöhnlich nicht lange bei dem Papier feſt hielt. Jetzt ſchwang er ſich auf die Tribune, den unvorhergeſehenen Sturm nieder zu kämpfen.

Meine Herren! Inmitten dieſer ſtürmiſchen Debat - ten ſollte es mir wohl gelingen durch eine ganz kleine Anzahl von Fragen Licht in die Berathung zurückzuführen? Würdigen Sie mich, meine Herren, einer Antwort. Hat nicht der Finanzminiſter Ihnen das ſchrecklichſte Gemälde unſerer gegenwärtigen Lage gegeben? Hat er Ihnen nicht geſagt daß jeder Verzug die Gefahr vermehrt? daß ein Tag, eine Stunde, ein Augenblick den Tod bringen kann? Haben wir einen Plan an die Stelle des von ihm vorge - ſchlagenen zu ſetzen? Ja! rief hier Einer aus der Ver -278 ſammlung. Ich beſchwöre den Herrn, der hier Ja ge - rufen hat, zu erwägen daß ſein Plan nicht bekannt iſt; daß man Zeit bedarf um ihn zu entwickeln, zu unterſuchen, aus einander zu ſetzen; daß, könnten wir ihn auch gleich jetzt berathen, doch möglicher Weiſe ſein Urheber ſich ge - täuſcht hat; daß, möge er jeden Irrthum vermieden haben, man doch glauben könne daß er ſich irrte; daß wo alle Welt Unrecht hat, alle Welt wieder Recht hat; daß alſo möglicher Weiſe der Urheber dieſes Plans, ſo ſehr er Recht hat, doch von aller Welt Unrecht bekomme, weil das größte Talent der öffentlichen Zuſtimmung bedarf, um über die Umſtände zu triumphiren. Auch ich halte Herrn Neckers Vorſchlag nicht für den beſtmöglichen, aber der Himmel bewahre mich daß ich unter ſo kritiſchen Umſtän - den nicht meine Vorſchläge mit den ſeinen meſſe. Ver - geblich würde ich die meinen für vorzüglicher halten; man wetteifert nicht in einem Augenblicke mit einer wunderba - ren Volksgunſt, durch glänzende Verdienſte erworben, mit einer langen Erfahrung, mit dem Rufe des erſten bekann - ten Finanztalents, und wenn man Alles ſagen ſoll, mit Zufälligkeiten, welche einer Beſtimmung, wie ſie keinem andern Sterblichen zu Theil geworden iſt, das Daſeyn gaben.

Wir müſſen alſo auf Herrn Neckers Plan zurückkom - men. Aber haben wir die Zeit ihn zu prüfen, ſeine Grund - lagen zu erforſchen, ſeine Berechnungen zu beglaubigen? Nein, nein, tauſendmal nein! Unbedeutende Fragen, ge -279 wagte Vermuthungen, ein unſicheres Betaſten, das iſt Al - les, wozu wir es in dieſem Augenblicke bringen können. Was werden wir alſo vollbringen mit einem Vorbehalt längerer Erwägung? Wir werden den rechten Augenblick verfehlen, werden unſere Eigenliebe erhitzen, um Verände - rungen an einem Plane zu beſchließen, in deſſen Zuſam - menhang wir nicht eingedrungen ſind, werden durch un - ſere unbeſonnene Einmiſchung den Einfluß eines Miniſters ſchwächen, deſſen Geltung in den Finanzen größer als die unſere iſt und ſeyn muß. Gewiß, meine Herren, das zeugte weder von Weisheit noch von Vorſicht! Aber zeugt es denn mindeſtens von Treu und Glauben?

Ja, wären nicht ſo feierliche Erklärungen gegeben, die unſere Ehrfurcht vor der öffentlichen Treue, unſern Ab - ſcheu vor dem ehrloſen Wort Bankerutt verbürgen, ſo würde ich es wagen, die geheimen und vielleicht ach! uns ſelbſt unbewußten Beweggründe zu erſpähen, welche in uns dieſe unbedachte Scheu vor einer öffentlichen Hand - lung des Vertrauens erwecken, die, wenn nicht ſchnell vollbracht, ſicherlich unwirkſam und wahrhaft zwecklos iſt. Dann würde ich denjenigen, welche ſich vielleicht mit dem Gedanken, die öffentliche Treue zu brechen, aus Furcht vor übermäßigen Opfern, aus Scheu vor Steuern, befreunden möchten, zurufen: Was iſt denn der Bankerutt anders als die grauſamſte, die unbilligſte, die ungleichmä - ßigſte und unglückſeligſte aller Steuern? Meine Freunde, höret ein Wort, ein einziges Wort.

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Zwei Jahrhunderte von Verunteruungen und Erpreſ - ſungen haben den Abgrund gegraben, der unſer König - reich verſchlingen will. Man muß ihn ausfüllen, dieſen furchtbaren Abgrund. Wohlan denn! hier iſt die Liſte der franzöſiſchen Grundeigenthümer. Treffet eine Auswahl der reichſten, um weniger Bürger zu opfern. Aber wählt aus; denn muß es nicht ſo ſeyn daß eine kleine Zahl um - komme, um das ganze Volk zu erretten? Gut denn. Zweitauſend ſolcher Notabeln beſitzen was dazu gehört das Deficit auszufüllen. Führt die Ordnung in Eure Fi - nanzen zurück, Glück und Friede in das Reich. Stoßt ſie nieder, ſchlachtet mitleidslos dieſe traurigen Opfer, ſtürzet ſie in den Abgrund und er wird ſich ſchließen. Ihr be - bet ſchaudernd zurück? O wenig folgerechte Männer, klein - müthige Männer, die Ihr ſeyd! Seht Ihr denn nicht, daß wenn Ihr den Bankerutt beſchließt, oder was noch verhaß - ter iſt, ihn herbeiführt ohne ihn zu beſchließen, Ihr Euch mit einem viel größeren Verbrechen befleckt und unbegreifli - cher Weiſe mit einem Verbrechen ohne Nutzen; denn jenes fürchterliche Opfer würde mindeſtens dem Deficit ein Ende machen. Glaubt Ihr denn wirklich, daß wenn Ihr nichts bezahlet, Ihr auch nichts mehr ſchuldig ſeyd? Glaubt Ihr, daß die Tauſende, die Millionen Menſchen, welche in einem Augenblick durch den fürchterlichen Ausbruch oder durch ſeine Gegenſtöße Alles einbüßen was den Troſt ihres Lebens und vielleicht ſeine einzige Stütze ausmachte, Euch die Früchte Eurer Miſſethat werden ruhig genießen281 laſſen? Ihr ſtoiſche Zuſchauer der nicht zu berechnenden Übel, welche dieſe Kataſtrophe über Frankreich aus - ſpeien wird, gleichgültige Egoiſten, die Ihr wähnen könnet, jene Zuckungen der Verzweiflung und des Elends würden, wie ſo viele andere, raſch vorüberſtreichen, um ſo raſcher, je heftiger ſie geweſen ſind; ſeyd Ihr ſo gewiß, daß ſo viele brodloſe Menſchen Euch ruhig werden die Ge - richte durchkoſten laſſen, deren Zahl und Köſtlichkeit keine Schmälerung duldet? Nein, Ihr werdet zu Grunde gehen und aus dem allgemeinen Brande, welchen Ihr ohne Schau - der entzündetet, wird der Verluſt Eurer Ehre auch keinem einzigen Eurer ſcheußlichen Genüſſe Errettung bringen.

Seht, dahin gehen wir. Ich höre von Vaterlands - liebe reden, vom Aufſchwunge, vom Aufrufe der Vater - landsliebe. Ach entweiht nicht die Worte Vaterland und Vaterlandsliebe. Iſt ſie denn ſo hochherzig, die Kühnheit, einen Theil ſeines Einkommens hergeben um alle ſeine Habe zu retten? Nein, meine Herren, es iſt ein einfaches Rechenexempel, und wer da Anſtand nimmt, kann den Unwillen lediglich durch die Verachtung entwaffnen, welche ſeine Dummheit einflößen muß. Ja, meine Her - ren, es iſt der gemeinſte Menſchenverſtand, die alltäglichſte Einſicht, der roheſte Eigennutz, den ich aufrufe. Ich ſage Euch nicht mehr wie ehemals wohl: Wollet Ihr die Er - ſten ſeyn, die der Welt das Schauſpiel eines Volks geben, welches ſich verſammelt, um den öffentlichen Glauben zu brechen? Ich ſage Euch nicht mehr: Welchen Anſpruch282 habt Ihr auf Freiheit, welche Mittel zu ihrem Schutze, wenn Eure erſten Schritte die Schandbarkeiten der verdor - benſten Regierungen hinter ſich laſſen? wenn Eure Ver - faſſung nicht durch die Würdigkeit ihrer Stifter überwacht und verbürgt wird? Was ich Euch ſage iſt: Ihr werdet Alle in den gemeinſamen Untergang hineingezogen werden und für das Opfer, welches die Regierung von Euch ver - langt, ſpricht kein Intereſſe lebhafter, als das Eurige.

Stimmt alſo für dieſe außerordentliche Steuer, und möge ſie ausreichen! Stimmt dafür, weil wenn Ihr auch Zweifel, dunkle und unbeſtimmte, über das ergriffene Mittel haben möget, Ihr doch keine über ihre Nothwen - digkeit und über unſer Unvermögen habt, eine andere, mindeſtens unmittelbare Aushülfe an ihre Stelle zu ſetzen. Stimmt dafür, weil die öffentlichen Verhältniſſe keine Verzögerung dulden und wir für jeden Aufſchub verant - wortlich ſeyn würden. Hütet Euch Friſt zu verlangen, das Unglück gewährt keine Friſten. Endlich, meine Herren, (und hier benutzt der Redner einen neuerlichen Anlaß, da man ihn ſelber misverſtändlich mit einer tu - multuariſchen Drohung im Palais-royal, gegen die Freunde des Veto gerichtet, in Verbindung brachte, und ein Mitglied der Nationalverſammlung im erſten Schreck ihn als Catilina bezeichnete) Ihr habt kürzlich auf Anlaß eines lächerlichen Antrags im Palais-royal, eines ſpaß - haften Aufſtandes, der nur in der reizbaren Einbildung oder in den verkehrten Planen einiger Übelgeſinnten Be -283 deutung hatte, die tollen Worte vernommen: Catilina iſt vor Roms Thoren und Ihr berathſchlagt? Und wahrlich, es gab damals in unſerer Nähe keinen Catilina, keine Ge - fahr, keine Faction, kein Rom. Aber heute iſt der Banke - rutt, der ſcheußliche Bankerutt da, er droht zu verſchlingen, Euch, Euer Eigenthum, Eure Ehre, und Ihr berath - ſchlagt!

Auf dieſe Worte erſcholl ein Sturm des Beifalls und der Bewunderung, die Verſammlung, wider Willen fort - geriſſen, beugte ſich vor dem Genie, welches ſie nicht liebte, dem ſie mistraute; die ſchlichte Faſſung des Beſchluſſes, welche Mirabeau jetzt entwarf: In Betracht der Dring - lichkeit der Umſtände und nach Vernehmung des Finanz - berichtes, nimmt die Nationalverſammlung den Plan des Finanzminiſters mit Vertrauen an, begegnete keinem Widerſpruche mehr.

Dagegen zogen andere finſtere Wolken auf. Seit län - ger trug man ſich in der Hauptſtadt mit dem Gedanken, man müſſe den König und ſeine Familie einladen bei ſei - nen guten Pariſern zu wohnen; kein beſſeres Mittel gebe es gegen den Brodmangel. Dieſer drohte freilich, war aber doch niemals noch wirklich eingetreten, und man hätte ſich vielleicht beruhigt ohne eine vom Hofe began - gene, ſchwer beſtrafte Unbeſonnenheit. Das Regiment von Flandern war wirklich in Verſailles eingerückt; es ſollte, um mit den Gardes-du-corps Freundſchaft zu ſchließen, feſtlich von dieſen bewirthet werden. Der präch -284 tige Opernſaal ward dazu eingeräumt. Alle Logen füllten ſich am 1ſten October mit Zuſchauern. Die Officiere ta - felten auf der Bühne, die Gemeinen ſah man reichlich im Parterre bewirthet. Alles überließ ſich kameradſchaftli - cher Freude, als die Erſcheinung der Königin, ihren Dau - phin an der Hand, dem Feſte plötzlich einen politiſchen Charakter gab. Schon waren die Gemüther ſehr erhitzt, als auch der König, eben von der Jagd zurückgekehrt, in den Saal trat. Nun ſpielte die Muſik das bekannte be - deutungsvolle Lied: O Richard, o mein König, die ganze Welt verläßt Dich! In das Lebehoch für den König miſchte ſich manch ungeſtümer Ausruf gegen die Nationalverſammlung ein. Es iſt nicht wahr daß man die dreifarbige Cocarde beſchimpft, mit Füßen getreten hat, allein die Damen nahmen ihre weißen Bänder ab und verwandelten ſie in Cocarden, vertheilten dieſe, und der König ließ es geſchehen daß man die weiße Cocarde auch die folgenden Tage in dem Schloſſe trug, in welchem er ſelbſt die dreifarbige führte.

Von dieſem Auftritte verbreiteten ſich die übertrieben - ſten Gerüchte in die Hauptſtadt und der Pariſer kam da - rauf zurück, es tauge nimmermehr daß ſein König ferner da draußen in Verſailles hauſe, ohne die entſetzliche Noth der hier bei jedem Tagesanbruche vor den Bäckerläden kämpfenden Menge auch nur zu kennen. Viele fürchteten, man werde den König eheſtens überreden, noch weiter von Paris fortzureiſen.

285

Mounier war gerade Präſident der Nationalverſamm - lung, die durch dieſe Auszeichnung einem Verdienſte hul - digte, welches ſie neuerlich, als es Alles galt, im Stiche gelaſſen hatte; es war der 5te October, Morgens zwiſchen 11 und 12, als Mirabeau dem Präſidenten zuraunte: 40,000 Pariſer rücken auf uns zu, heben Sie die Sitzung auf, gehen Sie in das Schloß, ſtatten Sie Bericht ab. Mounier hat ſpäterhin in dieſer Mittheilung den Beweis einer ſtrafbaren Mitwiſſenſchaft von Seiten Mirabeau’s erblickt, und nichts als Hinterliſt in ſeinem Rathe: er ſpricht ſich in einer Druckſchrift darüber aus. Allein Mou - nier geht irre; der gewiſſenhafteſte der franzöſiſchen Ge - ſchichtſchreiber der Revolution, Joſeph Droz, tritt aus ent - ſcheidenden Gründen dem Urtheile der Nationalverſamm - lung bei, welche nach angeſtellter gerichtlicher Unterſuchung keinen Grund zur Anklage gegen Mirabeau fand. Zu der - ſelben Zeit, da Mirabeau warnte, verbreitete ſich die Nach - richt von dem Anzuge in ganz Verſailles, und es lag ſehr nahe eine Aufhebung der Sitzung zu beſchließen, um die Nationalverſammlung vor einer Herabwürdigung durch aufgezwungene Deputationen und eindringende Pöbelmaſ - ſen zu retten. Mounier wandte eine unnütze Standhaftig - keit ſtatt der nöthigen Umſicht an, indem er fortfuhr Sitzung zu halten. In Paris aber ſtand es mit den Pla - nen und den Thaten alſo.

Die Freunde der Anarchie oder, wenn man will, der Republik beſchloſſen, die wieder erwachte Misſtimmung286 auszubeuten, um den König und, was damit zuſammen - hing, die Nationalverſammlung nach Paris zu verſetzen. Beide waren ihnen in Verſailles zu unabhängig. Allein ſolange die Nationalgarde treu blieb, hatte eine Bewe - gung in der Hauptſtadt wenig Ausſicht auf ſolch ein Ge - lingen. Man mußte dieſe zu gewinnen trachten. Wirk - lich drangen die Aufwiegler bei den beſoldeten Com - pagnien, ſoweit ſie aus jenen franzöſiſchen Garden beſtan - den, durch. Dieſe meuteriſche Truppe richtete ſchon Mitte Septembers an Lafayette die Bitte nach Verſailles rücken und von ihrem alten Rechte die Wachen im königlichen Schloſſe zu beziehen Gebrauch machen zu dürfen. Offenbar war das nur ein Vorwand und Lafayette redete ihnen die - ſen damals aus. Allein der ſtille Plan blieb, bildete ſich aus und auf die Nachricht vom Banket im Opernhauſe wuchſen ihm plötzlich Flügel. Am Sonntag den 4ten Oc - tober hörte man Soldaten ſich laut verabreden: Morgen geht’s vor ſich! Weiber ſollen voran; ſie ſind ſo gut wie eine Verſtärkung: denn wer wird auf Weiber ſchießen? und wer darf nach Brod ſchreien, wenn nicht Weiber? Camille Desmoulins forderte Sonntags öffentlich zum Zuge nach Verſailles für den nächſten Morgen auf. Das hat die gerichtliche Unterſuchung bei dem Stadtgerichte völlig ins Klare gebracht.

Oct. 5.Wie verabredet, ſo gethan. Mit Tagesanbruch bilden ſich Weiberhaufen, beſonders in den Vorſtädten, ziehen um 7 Uhr auf den Greveplatz, ſchreien nach Brod, dazu be -287 waffnete Männer. Nun wird zwar gleich vom Stadthauſe in die Diſtricte geſchickt, die Nationalgarde aufgeboten, allein Gewalt mag man gegen die Weiber nicht brauchen, und ſo gelingt es den Rotten in das Stadthaus einzubre - chen, ſich des Waffenvorraths dort zu bemächtigen. End - lich kommt Bewegung in den Haufen; ein junger Mann, Maillard, der ſich bei Eroberung der Baſtille ausgezeich - net, tritt an die Spitze, verſpricht die Menge nach Ver - ſailles zu führen, läßt Weiber und Männer, wohl 6000, unter Trommelſchlag antreten. Hernach hat er vor Ge - richt ausgeſagt, er habe das, weil er den Ruf: nach Verſailles! gehört, lediglich zu dem Zwecke gethan, das Stadthaus zu befreien. Schon ſind ſie fort, da rücken von allen Seiten Nationalgarden auf den Greveplatz: es iſt für die Ordnung hier nichts mehr zu thun, allein ſie ſel - ber ſchließen der Bewegung ſich an; die beſoldeten Com - pagnien führen das Wort. Als Lafayette herbeikommt, treten ihn Deputirte aus ihrer Mitte an, verlangen drin - gend, nach Verſailles geführt zu werden, denn der - nig müſſe nach Paris. Deſſen aber weigerte ſich Lafayette, widerſtand Stunden lang, auch als ſein Leben bedroht ward; erſt als ihm der Gemeinderath nicht allein die Vollmacht, ſondern den Befehl dazu ertheilte und ihm zugleich vier ſeiner Mitglieder zugeſellte, um die Wünſche der Hauptſtadt dem Könige vorzutragen, gab er nach, doch unter der Bedingung daß die Hälfte der freiwilligen Nationalgarde ihn begleite. Denn mit ihrem Beiſtande288 hoffte er den Frevel der beſoldeten Compagnien in Zaum zu halten. Es war 5 Uhr Nachmittags als er aufbrach. Aber ſchon um 4 Uhr fing das Weiberheer an in Verſailles einzurücken. Eben ſtand die Nationalverſammlung im Be - griffe den König durch eine Deputation erſuchen zu laſſen, er möge die Genehmigung der Menſchenrechte, welche nur bedingt gegeben war, unbedingt ohne Aufſchub ertheilen, als die Meldung kam: die Weiber ſind angekommen, verlangen Zulaß. Er ward gewährt, und Maillard trat an ihrer Spitze vor der Nationalverſammlung als Redner auf, mit ſchamloſer Übertreibung des Brodmangels und der Beſchwerden gegen die Gardes-du-corps, als Be - ſchimpfer der Nationalcocarde. Nun zeigte es ſich, wie weiſe es geweſen wäre, der Sitzung bei Zeiten ein Ende zu machen, ſtatt die Nationalverſammlung dem Geſpötte preiszugeben. Denn nicht nur daß die Weiber oben die Gallerien erfüllten, man ſah deren aus der Hefe des Volks, untermiſcht mit bewaffneten Männern, neben den Abgeordneten Platz nehmen, man mußte ihre laute Un - terhaltung mit denen da oben ertragen. Vergeblich das Bemühen Mirabeau’s, der Donner ſeiner Stimme ſtellte nur für Augenblicke die Ordnung wieder her. Was war zu thun? Der Präſident befand ſich mit vielen Abgeord - neten bei dem Könige, um ihm die bedrängte Lage der Hauptſtadt zu vergegenwärtigen, und der Vicepräſident, Biſchof von Langres, wußte keinen andern Rath als den - jenigen, der von Anfang her der beſte geweſen wäre: die289 Aufhebung der Sitzung. Der Sitzungsſaal aber blieb im Beſitze der Eindringlinge.

Nicht ſo leicht als mit den Abgeordneten der Nation war mit dem königlichen Schloſſe und ſeinen Hütern fertig zu werden. Die berittenen adlichen Garden (gardes-du - corps), 500 an der Zahl, das Regiment Flandern, die Schweizergarden, die verſailler Nationalgarde hatten noch gerade zu rechter Zeit ihre Stellung zum Schutze der Schloßzugänge eingenommen, und Maillards Heer nahm ſich wohl in Acht mit dieſen anzubinden. Nur einige Flin - tenſchüſſe auf einzelne Poſten fielen, vereinzelte Gardes - du-corps wurden verwundet. Um ſo eifriger erforſchte man in friedlicher Annäherung die Stimmung der könig - lichen Kriegsmacht und brachte bald heraus daß im Regi - ment Flandern ein zweifelhafter Wille herrſche, die ver - ſailler Nationalgarde aber feſt entſchloſſen ſey, gegen ihre pariſer Brüder nicht zu kämpfen. Schon unterhandelte auch der König mit abgeordneten Weibern, gab erſt münd - lich, dann ſchriftlich die Zuſicherung dem Brodmangel ab - zuhelfen, während von draußen her weibliche Stimmen zu ihm drangen, die den Kopf der Königin verlang - ten. Beim Eintritte der Dunkelheit ſah man die meiſten Truppen in ihre Quartiere abziehen. Allein es war das nur ein anſtändiges Mittel ſich der verdächtigen verſailler Bürgerbewaffnung zu entledigen, und man zog die Gardes-du-corps und Flandern gleich wieder heran.

Franzöſiſche Revolution. 19290

Spät um 10 Uhr berief Mounier durch Trommelſchlag die Nationalverſammlung, zeigte ihr an, der König habe die Menſchenrechte beſtätigt. Da ging es war gegen Mitternacht die Meldung Lafayette’s ein von ſeiner und ſeines Heeres Ankunft. Mounier war aufs Äußerſte betroffen und verbarg in der erſten Bewegung ſeinen Arg - wohn gegen Lafayette’s Abſichten nicht einmal vor dieſem ſelber. Jetzt aber riethen, wie ſchon bei dem erſten An - zuge der Weiber, mehrere Miniſter dem Könige ſich mit der bewaffneten Macht nach Rambouillet zu entfernen: denn wenn auch die pariſer Nationalgarde die Überſiede - lung des Königs in die Hauptſtadt begehrte, war Wider - ſtand unmöglich. Wozu aber die Auflehnung derſelben gegen ihren General und überhaupt der Zug hieher als um dieſes einen Zweckes willen? Auch legten die Abge - ordneten von Paris, als ſie nun mit Lafayette vor den König traten, die Bitten der Hauptſtadt ausſprachen, am meiſten Gewicht auf den Punct daß der König dem franzöſiſchen Volk einen Beweis ſeiner Liebe dadurch geben möge, daß er fortan den ſchönſten Palaſt von Europa, in - mitten der größten Stadt ſeines Reiches, bevölkert von dem zahlreichſten Theile ſeiner Unterthanen, zur Wohnung nehme. Ludwig zwar glaubte mit einer allgemeinen güti - gen Zuſage, die Sache in Erwägung ziehen zu wollen, davon zu kommen, und verwarf den Rath einer ſchnellen verſtohlenen Abreiſe jetzt um ſo entſchiedener, als Lafayette ihm die Verſicherung gab, er habe von ſeiner National -291 garde das eidliche Verſprechen des völligſten Gehorſams gegen König und Nationalverſammlung erhalten. Die unbeſonnene Zuverſicht Lafayette’s auf leere Worte ging ſo weit, daß er den König bewog, den franzöſiſchen Garden die alten Wachtpoſten im Äußeren des Schloſſes wieder zu vertrauen. Der erſchöpfte Fürſt ging um 2 Uhr zurOct. 6. Ruhe, auch die Nationalverſammlung ließ den Gedanken an eine Nachtſitzung fahren und machte müden Pari - ſern und Pariſerinnen Platz, die im Saale ſich zum Schlafen einrichteten. Auch Lafayette ſuchte endlich ſein Quartier in der Stadt Verſailles; er will dort die ganze Nacht wach geblieben ſeyn, nur drei Viertelſtunden den mat - ten Körper geſtreckt haben. Immerhin! Der gutmüthig ver - trauende Mann ward wie ein Kind von den Ereigniſſen über - raſcht. Denn früh Morgens 6 Uhr drang ein bewaffneter Pöbelhaufe durch ein Paar Eingänge in den Palaſt ein, ohne daß die Wachen, franzöſiſche Garden, Widerſtand leiſteten. Es war zunächſt auf die ſeit den Auftritten im Opernſaale ſo tödtlich gehaßte Adelgarde abgeſehen, und nicht lange, ſo erblickte man zwei Gardes-du-corps erſchla - gen, ihre Köpfe auf Piken geſteckt. Der Haufe drang weiter die Haupttreppe hinauf gerade zu den Gemächern der Königin. Hier traten ihnen aus den Vorzimmern ein - zelne Gardes-du-corps entgegen, mehr abmahnend als ab - wehrend, denn der König hatte ihnen vor Schlafengehen jeden ernſtlichen Gebrauch ihrer Waffen wiederholt unter - ſagt. Die aufgeſchreckte Königin flüchtete kaum bekleidet19*292mit ihren Frauen zu den Zimmern des Königs, welcher ſelbſt gegangen war, ſie und die königlichen Kinder auf - zuſuchen; es dauerte eine Weile ehe man ſich zuſammen - fand. Von nun an ſammelten ſich die im Schloſſe befind - lichen Gardes-du-corps zur Vertheidigung der Gemächer des Königs, allein gebunden durch Befehle wie ſie waren, fiel einer nach dem andern in die Hände des Pöbels, ward in den untern Hof hinabgeſchleppt, und ohne die lange Berathung über die Art ihrer Hinrichtung wären ſie alle verloren geweſen. Endlich aber eilte, freilich eine volle Stunde zu ſpät, Lafayette mit Truppen herbei, unter - ſtützte ſogleich die franzöſiſchen Garden in ihrem Bemühen, die dem Tode Geweihten zu retten, und vollbrachte es. Der Ruf erſcholl: Gnade den Garden! Nun aber wollte die Menge den König ſehen. Er trat auf den Balcon, bat um Schonung für ſeine Gardes-du-corps. Aber als Preis der Gnade tönte ihm das Geſchrei entgegen: Der König nach Paris! Zugleich verlangte man nach der Königin. Die muthige Tochter Marien Thereſiens erſchien mit ih - ren Kindern auf dem Balcon, Lafayette ſchützend neben ihr. Es ward eilf Uhr Morgens, mancher Rath war drinnen gepflogen und wieder verzichtet, als der König noch einmal den Balcon betrat und dem Volk erklärte: er ſey entſchloſſen nach Paris zu ziehen. Alsbald ertönte ein Freudenfeuer aus allen Gewehren. Man vernahm im Sitzungsſaale der Nationalverſammlung, nur ein Paar hundert Schritte von da, ſchnell was das bedeute, und293 auf den Vorſchlag von Mirabeau und Barnave gab die Verſammlung die Erklärung ab, ſie ſey unzertrennlich von der Perſon des Königs. Der doppelte Zweck des Zuges nach Verſailles war erreicht.

Nur kurze Friſt und es ging ſchon fort. Sieben lange Stunden, von zwei Uhr bis neun, verbrachte der König im Wagen, begleitet von ſeiner Familie, um - ſtrömt von einer verworrenen Maſſe von 40,000 eifernden, ſchießenden, manchmal höhnenden, drohenden Menſchen, welche jede raſchere Bewegung hinderten. Oft auch ſchol - len Jubelgeſänge dazwiſchen und man beglückwünſchte ſich wegen der nun überſtandenen Hungersnoth mit dem häufig wiederkehrenden Geſange: Hier bringen wir den Bäcker, die Bäckerin und den kleinen Bäckerjungen. Das Ge - wühl ward undurchdringlich als man um ſieben die Bar - rieren der Hauptſtadt erreichte. Man brauchte zwei Stun - den von da bis zum Stadthauſe. Hier hatte der König noch die Glückwünſche des Gemeinderathes zu überſtehen, fuhr dann ab in die öden Gemächer der ſeit ſo lange un - bewohnten, noch gar nicht für ſeinen Empfang eingerich - teten Tuillerien, wo er fortan unter dem Schutze der hauptſtädtiſchen Nationalgarde leben ſollte. Die adliche Garde war ſchon entlaſſen. Für den Lebensretter der - niglichen Familie galt damals Lafayette; von dieſem Retter aber wußte man daß er zwar aus Pflichtgefühl ſeinem Könige treu diene, jedoch im Herzen Republi - kaner ſey.

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Oct. 9.Als der König nun ſeinen freien Entſchluß, fortan in der Hauptſtadt zu reſidiren, öffentlich kundgab, erwählte die Nationalverſammlung die Reitbahn der Tuillerien, da wo jetzt die Straße Rivoli ſteht, zu ihrem künftigen Sitze. Weil aber die Einrichtung Zeit erforderte, eröffnete manOct. 19. vorläufig im erzbiſchöflichen Palaſt die Sitzungen. Keine 800 Mitglieder fanden ſich zuſammen: 120 Mitglieder nahmen ihre Entlaſſung, unter ihnen Mounier und Lally - Tollendal; Bergaſſe blieb ohne Anzeige weg. Man ſoll aber am Vaterlande und an der Menſchheit nie verzwei - feln, nie ſo hoch ſich gegen beide ſtellen, daß man ſie tief unter ſich erblickte, nie ſo gering von ſich denken, als ob man nichts mehr nütze, wenngleich weit in der Minder - zahl ſtehend. Lafayette ſchrieb mit rührender Wärme an Mounier, vermochte ihn jedoch nicht umzuſtimmen. Um ſo entſchiedener beſtand Lafayette auf der Entfernung des Herzogs von Orleans, welchen die öffentliche Stimme als den Urheber der Auftritte vom 5ten und 6ten October bezeichnete, und er mußte ſich bequemen unter dem Vor - wande einer diplomatiſchen Sendung nach England zu gehen.

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7. Mirabeau kaͤmpft fuͤr den Thron.

Dasſelbe Jahr 1789, ſo mächtig im Schaffen und Zer - ſtören, begrub noch die Parlamente. Schlau benutzte man dazu die Ferienzeit, welche regelmäßig am 7ten Septem - ber eintrat und über zwei Monate währte, in welcher Zeit dann bloß eine Ferienkammer in Thätigkeit war. Man verlängerte den Parlamenten ihre Ferien auf unbeſtimmteNov. Zeit, ließ die Ferienkammer fortarbeiten bis man mit der neuen Gerichtsordnung fertig wäre. Vergeblich legte die pariſer Ferienkammer gegen dieſes Begraben bei leben - digem Leibe Proteſt ein, fruchtlos verſtiegen ſich auch die Ferienkammern der übrigen Parlamente zu bald trotzi - gen, bald beweglichen Erklärungen. Der Stab ward ge -1790 Sept. 6. 7. brochen und man vernahm im Volk mit Gleichgültigkeit den Umſturz dieſer alten Rechtsgewalten, welche unvor - ſichtig den erſten Anſtoß zur Neuerung gaben. Von der neuen Ordnung ſtand ſo viel ſchon feſt daß in peinlichen Sachen Geſchworene erkennen ſollten, aber nicht nach Ein - ſtimmigkeit wie in England, ſondern nach Mehrzahl der296 Stimmen. Auch an die Bildung von Schiedsgerichten, Friedensgerichten und Vergleichscommiſſionen ward die Hand gelegt. Die Gerechtigkeit wird zwar fortfahren im Namen des Königs verwaltet zu werden, allein der König ernennt die Richter nicht mehr; er wird bloß das Wahl - protocoll einſehen und wenn alle Förmlichkeiten erfüllt ſind, erklären: ſie ſind ernannt. Die Ernennung ſteht den ſämmtlichen Wählern eines Diſtricts zu, und beſchränkt ſich auf ſechs Jahre. Man glaubte die Volksfreiheit zu vergrößern, indem man die Unentfernbarkeit der Richter aufopferte.

Ebenfalls noch in dem alten Jahre ward das Schick - ſal der Geiſtlichkeit entſchieden; man ſtellte ihre ſämmt - lichen Güter und Einkünfte den darbenden Finanzen zurOct. 10. Verfügung, auf Antrag des Biſchofs von Autun Talley - rand-Perigord. Dieſer ſchlug das Geſammteinkommen der Geiſtlichkeit auf 150 Millionen an, davon ſollen ihr 100 vor der Hand verbleiben, bald aber werden, vermöge des Abſterbens vieler Nutznießer von aufzuhebenden Pfrün - den, deren 80 vollkommen ausreichen. So hat der Staat 70 Millionen jährlich gewonnen, die ein Capital von 2 Milliarden repräſentiren, welches man nach Belieben durch Verkauf der Güter flüſſig machen kann, und für die Pfarrer iſt beſſer geſorgt als zuvor: denn keiner von ihnen, der nicht vom Staate mindeſtens 1200 Livres jährlich be - ziehen wird, ſein Pfarrhaus ungerechnet. Auf dieſen Grund -Nov. 2. lagen kam nach heftiger Debatte ein Beſchluß zu Stande.

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An dieſe freundliche Finanzausſicht ſchloß ſich ein Drit - tes an, gleichfalls noch vor dem Jahresſchluſſe vollbracht. Letzter Zeit ging überhaupt wenig an Steuern ein, am wenigſten von jener außerordentlichen Steuer, dem Triumphe der Beredſamkeit Mirabeau’s, viele Barſchaf - ten wanderten mit den Auswanderern aus, andere ver - bargen ſich. Als Necker, ſchwer niedergedrückt von der Lage der Dinge, ſeine Vorſchläge machte, abermals Hülfe bei der Discontocaſſe ſuchend, verwarf die Nationalver - ſammlung dieſe, ſetzte eine Anleihe von 80 MillionenDec. 17. und den Verkauf von Kirchengütern und Domänen bis zum Belaufe von 400 Millionen an die Stelle. Zu gleicher Zeit ſollen für 400 Millionen Scheine, Aſſignaten ge - nannt, ausgegeben werden, denen ſich ein guter Curs verſprechen läßt, weil der Staat ſich bereit erklärt, ſie nicht allein mit 5 Procent zu verzinſen, ſondern auch gleich wieder bei jenen Verkäufen an Zahlungsſtatt anzuneh - men. Keine Aſſignate unter 1000 Livres; ſo können ſie nicht in den kleinen Verkehr übergehen. Niemand iſt ver - pflichtet ſie anzunehmen, auch ſollen ſie ſchon 1795 ver - nichtet werden. Als nun die Stadt Paris mit gutem Bei - ſpiele voranging, ſich bereit erklärte für 200 Millionen Nationalgüter zu kaufen, um dieſe dann vereinzelt wieder1790 März. loszuſchlagen, ſo folgten andere Municipalitäten nach und die Maßregel hatte Fortgang. Weil aber der Quell des Übels blieb, die Steuereinnahmen verſiegten, mußte man dennoch bald zum gezwungenen Curs ſeine Zuflucht neh -298 men und hiemit war die Bahn beſchritten, welche in den Bankerutt auszumünden pflegt.

Hinter allen dieſen laut ſchallenden Thaten der Natio - nalverſammlung, neben welcher der königliche Name kaum je genannt ward, bewegt ſich eine geheime Geſchichte des bis zum Sterben bedrängten Königthums, an welcher Mirabeau Theil hat. Seit der Überſiedelung in die Tuil - lerien fing man in den höheren Regionen an einzuſehen, was ein Mann von Mirabeau’s Schlage werth ſey. So viel man ihm auch vorwarf, er hatte mit Allem was er für die Freiheit gethan ein ernſtes Streben für die Wah - rung der ächten Kronrechte vereinigt. Allein ſtehend, ohne alle Partei in der Nationalverſammlung, bildete er eine Macht durch ſein Genie, und jedermann kannte zugleich die ſchwache Seite dieſer Macht. Seine Verſchuldung war durch das väterliche Erbtheil wenig verbeſſert; noch hatte er den Rock nicht bezahlt, in welchem er 1772 Hochzeit hielt. Wenn einer ihn mahnte, gab er etwa zur Antwort: Ach er ſoll wieder kommen, wenn ich Miniſter bin. Ein Freund blieb ihm, der Graf La Mark, ſpäter unter dem Namen des Prinzen Auguſt von Ahremberg bekannt. Auf La Marks Anregung und durch Lafayette’s Vermitte - lung unterredete ſich Montmorin mit ihm; allein den Mini - ſter trug der Schwung ſeiner Gedanken doch nicht weiter als bis zu einer ehrenvollen Entfernung Mirabeau’s, er ließ etwas von einem Geſandtſchaftspoſten in Conſtanti - nopel fallen. Den in London wollte dieſer allenfalls gelten299 laſſen; allein es kam derzeit überhaupt nicht weiter als daß der König eine Summe Geldes zur Tilgung eines Theiles ſeiner Schulden aufwandte. Aber Montmorins Scheu, einen Mirabeau zum Collegen zu haben, ward bei Weitem von der Beſorgniß übertroffen, welche die linke Seite der Nationalverſammlung vor einer Verbindung des - ſelben mit dem Hofe hegte, beſonders das ſogenannte Triumvirat. Unter dieſer Bezeichnung verſtand man die Abgeordneten Duport, Barnave und Alexander de Lameth. Dieſe getrauten ſich die Revolution gemeinſchaftlich im freiheitlichſten Sinne zu leiten. Sie waren bisher thätige Mitglieder des bretagniſchen Clubs, welchen Le Chape - lier gründete. Seit dem Umzuge nach Paris nahm dieſer in einem Saale des Kloſters der Jacobinermönche ſeinen Sitz, die Triumvirn verſchafften auch Nichtabgeordneten den Zugang, vornehmlich den Männern der Tagespreſſe. Der Zweck war dem Strome der Revolution einen noch raſcheren Fluß zu verſchaffen. Zu dieſem Ende fing man an in allen Departements Clubs zu organiſiren, welche mit dem Centralclub der Freunde der Verfaſſung, denn ſo nannten ſich die Jacobiner, in lebendiger Verbindung ſte - hen und von ihm geleitet werden ſollten. Ihnen gegenüber verſuchten nun freilich die beſonnenen Freunde der Freiheit ſich ebenfalls durch einen engeren Verein zu ſtärken, Malouet und Clermont-Tonnerre entwarfen dazu den Plan, und Lafayette war geneigt zum Beitritte. Allein an ſich beſteht ſchon Mäßigung, weil ihr Weſen Hemmung iſt, ſchwer300 gegen treibende Kraft; und dieſe wackeren Männer woll - ten nichts weniger als eine Gegenrevolution. Darum ſtan - den ſie, eingeklemmt von beiden Parteien, in geringer Stärke da, verſchmähten daneben jede Verſtärkung außer - halb des Kreiſes der Abgeordneten. Das Programm ihrer gemeinſamen Grundſätze zu entwerfen übernahm Malouet; eine recht ſchwierige Aufgabe. Dem Könige ſoll eine wahrhaft executive Gewalt zurückgegeben werden, indem die Nationalgarde nicht minder als das Heer unter ſeinem Oberbefehle ſteht: die katholiſche Religion ſoll Staatsre - ligion bleiben, ohne daß andere Formen der Gottesvereh - rung Verfolgung erleiden: mit dem Verkaufe geiſtlicher Güter darf weiter nicht vorgeſchritten werden als am 17ten December beſchloſſen iſt, damit die noch vorhandenen geiſt - lichen Güter in geiſtlichen Händen bleiben: Preßfreiheit ſoll Statt haben, aber gezügelt durch ein Preßgeſetz. Über manchen dieſer Puncte war man aber am Ende weniger innerlich einig als daß man äußerlich nachgab, um nur etwas zu Stande zu bringen, und Alles ſtockte hier, wäh - rend die kühnen Organiſationen Duports ſchon das ganze Frankreich affiliirten.

Mirabeau’s Plane, der Regierung die Mittel an die Hand zu geben, um die Revolution zu zügeln, gingen ihren eigenthümlichen Weg. Schon am 6ten November ſtellte er den Antrag, um die Eintracht zwiſchen der geſetz - gebenden und der ausübenden Gewalt zu befördern, die Miniſter unverzüglich einzuladen, ihren Platz in der Na -301 tionalverſammlung mit berathender Stimme einzunehmen, bis die Verfaſſung demnächſt ihre künftige Stellung feſt - ſetze. Da durchdrang Einige von der linken Seite der Arg - wohn, Mirabeau wolle ſeinen künftigen Einfluß ſicher ſtellen, und einer, ſonſt ein achtbarer Mann, Profeſſor des kanoniſchen Rechtes, der Bretagner Lanjuinais, ſtellte, ſeinen Verdacht wenig verheimlichend, den GegenantragNov. 7. auf, kein Mitglied der Nationalverſammlung dürfe wäh - rend der Legislatur und auch die nächſten drei Jahre eine Miniſterſtelle oder ein Amt oder ſonſt irgend eine Gunſt - bezeugung von der Staatsregierung annehmen, bei Strafe der Nichtigkeit und des Verluſtes ſeiner activen Bürger - rechte für die Dauer von fünf Jahren. Es iſt unmöglich zugleich eindringender und mit ſchlagenderer Ironie einen unſinnigen Vorſchlag zu bekämpfen als hier Mirabeau that. Er kann nicht begreifen, wie es mit der verkündig - ten Gleichheit der Rechte beſtehe, daß 1200 Abgeordnete ihrer nicht genießen ſollen, ſolche Abgeordnete, welche die Wahl des Volks als ſeine Auserleſenen bezeichnet hat. Giebt es einen ſolchen Überfluß an Begabtheiten? oder ſoll der König gezwungen ſeyn Hofſchranzen und über - haupt ſolche Leute, welchen das Volk ſein Vertrauen nicht geſchenkt hat, denen vorzuziehen, welchen es Ver - trauen ſchenkt? Nein ich glaube nicht daß das der Zweck des Antrages iſt, weil niemand mich zwingen wird, eine abgeſchmackte Sache zu glauben. Es muß ein gehei - mer Grund ſeyn und ich will verſuchen, ob ich ihn er -302 rathen kann. Es iſt vielleicht nützlich, zu verhindern daß dieſes oder jenes Mitglied der Verſammlung in das Mi - niſterium trete. Darum aber, um dieſen beſonderen Zweck zu erreichen, iſt es nicht nöthig einen großen Grundſatz aufzuopfern, und ich habe den Muth es zu übernehmen, Euch die Mitglieder, welche der Antragſteller zu fürchten ſcheint, zu bezeichnen. Es ſind offenbar nur zwei, der Antragſteller und ich. Es iſt ſeine äußerſte Beſcheidenheit, die ihn fürchten läßt in das Miniſterium berufen zu wer - den, und er will dieſe Verlegenheit durch eine allgemeine Ausſchließung von ſich abwenden. Daneben hat er einige Volksgerüchte mich angehend vernommen, und er weiß am beſten wie unfähig ich bin Miniſter zu ſeyn, zumal wenn ich dadurch der Belehrung und des Rathes beraubt würde, welchen ich ſo glücklich bin in dieſer Verſammlung täglich zu empfangen. Darum, meine Herren, iſt mein Vorſchlag: die verlangte Ausſchließung auf Herrn von Mirabeau, den Abgeordneten von Aix zu beſchränken.

Aber Mirabeau’s Witz ſprühte und brannte Wunden, man lachte, man bewunderte ihn, und beſchloß doch zu - letzt, mit einiger Beſchränkung zwar des erſten Antrages, keines der gegenwärtigen Mitglieder der Nationalver - ſammlung dürfe während dieſer Legislatur eine Stelle von der Staatsregierung annehmen. So ſchnitt man dem Red - ner ins Herz, und zwang ihn zugleich, für immer aus - geſchloſſen vom Ziele ſeines flammenden Ehrgeizes, die Miene eines Lächelnden zu behalten. Das aber iſt der303 tägliche Gang der Welt, und die Wunden die wir nicht nennen, ſind gerade diejenigen, an welchen wir verbluten.

Noch vor dieſem Decret ließ Mirabeau durch La Mark an Monſieur einen ſchriftlichen Entwurf gelangen, in deſ - ſen Ausführung er die Rettung des Königs, ich ſage mehr, die Rettung der Krone erblickte. Nichts hier von einer raſchen Entfernung an die Gränze, nichts auch von einer Flucht in das Innere, nichts von einem Aufrufe des Adels: dergleichen rathen hieße Hülfe von Fremden wol - len, hieße den Bürgerkrieg anrathen, und es giebt nun einmal keinen Adel mehr. Der König muß ſeine Freiheit wieder erlangen, ohne ſich von der Nationalverſammlung und der öffentlichen Freiheit zu trennen. Das muß durch einen öffentlichen Schritt geſchehen; er iſt gefährlich, aber Gefahr wird allein mit Gefahr überwunden. Man bedarf zur Ausführung einer bewaffneten Macht von 20,000 Mann; dieſe läßt ſich in wenig Tagen zwiſchen Rouen und Paris zuſammenziehen. Am lichten Tage reiſt der König ab nach der ihm ergebenen reichen Stadt Rouen im Innern des Reiches, in der Normandie, welche mit An - jou und Bretagne in ſo nahen Beziehungen ſteht. Er er - läßt von dort eine Proclamation an das Volk. Ihr In - halt: Man hat den König in Verſailles, noch mehr in Paris ſeiner Freiheit beraubt: daher der Vorwand der Unzufriedenen ſich den Beſchlüſſen der Nationalverſamm - lung nicht zu fügen, weil dieſen die Stütze der königlichen Gewalt gebricht. Der König muß frei ſeyn, um die Frei -304 heit gründen zu können. Er beruft die Verſammlung zu ſich, um ihre Arbeiten fortzuſetzen, um ſie ohne anarchi - ſche Einflüſſe zu beendigen. Monſicur war überraſcht von der Schrift, durchdrungen, allein um ſo weniger zum Beitritte, zur Mittheilung an den König geneigt, als er ſo eben für einen andern Entwurf die Beiſtimmung der Königin gewonnen hatte. Dieſer war eben ſo liſtig feige, Verderben drohend gerade in ſeinem Gelingen, als jener kühn, vielleicht überkühn: denn wer ſtand dafür ein daß nicht über Ludwigs ſchwaches Gemüth in Rouen die Mei - nung der Höflinge obſiegte, welche die Krone des heiligen Ludwig allein in ihrer Unumſchränktheit erkannten? Mon - ſieur legte ſeinen Plan auf ein Entwiſchen des Königs in den Norden, in die Picardie an, nach Peronne, von wo man im ſchlimmſten Falle die belgiſche Gränze nicht weit hatte. Von dort aus ſollte der König die Nationalver - ſammlung für aufgelöſt und alle ihre Beſchlüſſe für ungül - tig erklären. Die nöthige Mannſchaft zur Ausführung zu werben, die Gelder zu negotiiren war ein Marquis de Favras, früher in Monſieurs Dienſten ſtehend, beauf - tragt, ein kühner Abenteurer, wenn nicht an Genie, doch in der Zahl ſeiner Gläubiger dem Grafen Mirabeau gewachſen. Aber ſeine Werber verriethen ihn und Weih - nachtsabend brachte man den Favras gefangen in das Stadt - haus. Auf einmal ſchallt es durch Paris von einer Ver - ſchwörung, an deren Spitze Monſieur ſteht. Dieſer Fürſt konnte, wenn es galt, beherzt auftreten, allein er gab305 der Liſt gern den Vorzug. Jetzt drängte ihn die Noth zu einem kühnen Entſchluſſe. Ohne etwas zuzugeſtehen, fragte er einen Vertrauten um Rath. Dieſer rieth, ſchleunig ſich auf das Stadthaus zu verfügen, dort kecklich zu erklären, was falſch iſt, ihm ſey Alles fremd, was den Favras an - gehe. Auch bei Mirabeau wird angefragt. Dieſer billigt zwar jenen Rath, allein es dünkt ihm nicht genug damit gethan. Monſieur ſoll auf dem Stadthauſe erklären, und Mirabeau ſchreibt für ihn die Phraſe auf: ſeit dem Tage, da er in den Notabeln für die Verdoppelung des dritten Standes ſich ausgeſprochen, habe er auch erkannt daß eine gewaltige Umwälzung vor der Thüre und der König berufen ſey ſich an ihre Spitze als Gründer der Freiheit zu ſtellen. Dieſes Bekenntniß legte Monſieur auf dem Stadthauſe ab, und der Maire antwortete mitDec. 26. Bezeugungen der ehrfurchtsvollſten Ergebenheit. Aber Favras liebte das Leben. Schon hatte er im Gefängniſſe eine ſchriftliche Erklärung aufgeſetzt, deren umſtändliche Aufrichtigkeit den Bruder des Königs und die Königin un - fehlbar zu Grunde gerichtet hätte; er ließ den Civillieute - nant des pariſer Stadtgerichtes, welches von ſeinem Sitze im alten Kaſtell an der Wechsler-Brücke, die zur Cité führt, den Namen Chatelet trägt, zu ſich laden, damit dieſer ſein Geſtändniß empfange. Allein Talon, ſo hieß der Mann, gab ihm zu bedenken, welch ein unermeßliches Unglück er durch dieſen Schritt verſchulde, ohne Hoffnung ſich ſelbſt zu retten, dahingegen die Geretteten dankbareFranzöſiſche Revolution. 20306Sorge für ſeine Familie tragen würden. Und Favras lie - ferte das Papier aus, welches erſt in ſpäten Tagen durch Talons Tochter in die Hände Ludwigs XVIII. gekommen iſt. Nicht lange darauf aber jauchzte der pariſer Pöbel,1790 Febr. 18. als er auf dem Greveplatze einen Edelmann, den Favras, henken ſah.

Wenig Tage nach jenem Auftritte auf dem Stadthauſe ließ Graf Mirabeau an Monſieur einen anderen Rettungs - plan gelangen. Monſieur ſoll an die Spitze des Conſeils treten, factiſch zum Generallieutenant des Königs werden. Der Bruder des Königs liebte die Macht und wäre wohl geneigt geweſen, allein er glaubte in dem Königspaare keine Geneigtheit zu erkennen. Doch begriff der Geſchmei - chelte von nun an williger Mirabeau’s Unentbehrlichkeit, und vermittelte einen förmlich unterzeichneten Vertrag zwi - ſchen dem Könige und dem Grafen, in welchem dieſer eine Geſandtſchaftsſtelle annimmt, vorläufig aber und mindeſtens vier Monate lang 50,000 Livres monatlich empfangen ſoll; wogegen Mirabeau verſpricht den - nig durch ſeine Beredſamkeit in Allem zu unterſtützen, was Monſieur für dem Wohle des Staates und dem Intereſſe des Königs, die als unzertrennbar zu betrachten, entſpre - chend halten wird, imgleichen verſpricht in der Verſamm - lung zu ſchweigen, inſofern ihn die Gründe Monſieurs nicht überzeugen. Es iſt ſicher vergeblich, wenn der Adop - tivſohn Mirabeau’s Montigny, der Gründer der wichtigen ſogenannten Memoiren Mirabeau’s, die Urkunde dieſes307 Vertrages für unächt erklärt; allein ohne Zweifel traute ſich Mirabeau in dem Vollgefühle ſeiner Überlegenheit die Kraft zu, in jedem Falle Monſieur zu ſeiner Meinung fortzureißen, und Favras lebte damals noch, ein Schreck - bild für den Prinzen! Wirkliche Folgen hat der Vertrag übrigens weder von der einen noch von der anderen Seite gehabt. Dem Prinzen, der mit der Königin nicht gut ſtand, ward die Leitung der Regierung keineswegs ver - traut, und dem Könige ſich aufzudringen lag nicht in ſei - ner Abſicht.

Der König liebte Neckern nicht, aber in einem Zuge ſtimmten ihre Sinnesarten zuſammen, beide überließen ſich gern einem Erguſſe ihrer Gefühle, und aufrichtig wie ihr Inneres war, glaubten ſie die Gemüther durch ſolche Ausſtrömungen von Wohlwollen zu beherrſchen. Am 4ten Februar kündigte der König der Nationalverſammlung ſeine Gegenwart an, verbat alle Empfangsfeierlichkeiten. Er hielt eine Rede, welche Necker entworfen hatte. Sie be - klagt die Gewaltthaten, Angriffe auf Perſonen und - ter, welche aus dem Süden von Frankreich gemeldet wer - den, die Hemmung der Rechtspflege, beſchwört die Ver - ſammlung, das Volk über ſein wahres Intereſſe, welches an die Handhabung der ausübenden Macht geknüpft iſt, zu belehren. Es wird irre geführt, dieſes gute Volk, welches mir ſo lieb iſt, und von welchem ich geliebt werde, wie man mir verſichert, wenn man mich in meinem Kum - mer tröſten will. Wohl hätte ich einen ſanfteren Weg20*308zu dieſer neuen Ordnung der Dinge gewünſcht, aber nicht minder aufrichtig iſt darum meine Anhänglichkeit an den Grundſätzen conſtitutioneller Freiheit. Mögen alle Einzel - nen, die noch bittere Erinnerungen hegen, dieſe heute mir zum Opfer bringen; meine Erkenntlichkeit und Liebe ſoll ſie bezahlen. Die Verſammlung war gerührt, unterbrach die Rede mit Beifallklatſchen, ſchickte dem Monarchen eine Deputation nach. Dieſe ward auch der Königin vorge - ſtellt. Sie ſprach: Sehet hier meinen Sohn; ich will ihm ohne Ende von den Tugenden des beſten der Väter erzählen, will ihn bei Zeiten die öffentliche Freiheit lieben lehren, und er wird ihre feſteſte Stütze ſeyn. Fragt man aber nach dem Ergebniſſe des ganzen Auftrittes: es war der allgemeine Bürgereid. Die durch die königlichen Worte begeiſterte Verſammlung beſchloß daß jeder Abgeordnete ohne Ausnahme den Eid ableiſten ſolle, der Nation, dem Geſetze und dem Könige treu zu ſeyn und mit aller Kraft die Staatsverfaſſung aufrecht zu halten, welche die Na - tionalverſammlung beſchließen und der König annehmen wird. Die Nationalverſammlung ging ſogleich mit dem Beiſpiele voran und alle 44000 Municipalitäten Frank - reichs folgten nach. Allein es ließ ſich vernünftiger Weiſe nicht hoffen durch politiſche Eide Menſchen zu binden, die im Innern längſt dem Königthum als einer Unvernunft barbariſcher Zeitalter abgeſagt hatten, nicht hoffen durch einen Act royaliſtiſcher Aufwallung den franzöſiſchen Adel zu verſöhnen, der ſeine Sterbeſtunde vor Augen ſah, die309 Prälaten zu gewinnen, deren Güter man verkaufte, über deren Klöſter und Mönchsorden ohne Ausnahme man im Begriffe ſtand ein unbarmherziges Gericht zu verhängen. Febr. 13.Der aufgezwungene Eid ward von den Freunden der alten Ordnung als eine neue bittere Kränkung empfunden. Als der Vicomte de Mirabeau, man pflegte ihn wegen ſeiner Dicke auch Mirabeau-tonneau zu nennen, den Sitzungs - ſaal verließ, warf er wüthend ſeinen Degen auf den Bo - den, rief: Wenn der König ſein Scepter zerbricht, muß ein treuer Unterthan ſeinen Degen zerbrechen. Dieſer wunderliche heftige Mann pflegte ſein Schickſal zu bekla - gen: In jeder anderen Familie, ſprach er, würde ich für einen geſcheuten Kopf aber lockeren Zeiſig gelten, mit dieſem Bruder behaftet heißt man mich einen Dumm - kopf, ſonſt aber einen ganz ordentlichen Menſchen. Faßt man Alles zuſammen: die Gluten vom 4ten Februar, an keinen politiſchen Plan geknüpft, verdampften wirkungs - los. Ein guter Beurtheiler ſagt: Necker ſtellte einen Säu - lengang hin, welcher zu keinem Gebäude führte.

Im Frühling 1790 ward die Nationalverſammlung plötzlich daran erinnert daß Frankreich nicht allein ſtehe unter den Staaten. Großbritannien hatte mit der Krone Spanien ſorgliche Händel und rüſtete; es ſchien nothwen - dig, Frankreich müſſe gleichfalls rüſten. Darüber kam eine Botſchaft vom Miniſter des Auswärtigen an die Na - tionalverſammlung, damit die Mittel dazu in Ausſicht ge - ſtellt würden. Alsbald aber rief man bei den Jacobinern,310 die Gegenrevolution ſey im Anzuge, und Alexander La - meth übernahm es der Nationalverſammlung das aus - ſchließliche Recht über Krieg und Frieden zu ſichern. Mi - rabeau begehrte, man ſolle ſich zunächſt an die concrete Frage der Gegenwart halten, die getroffenen Vorſichts - maßregeln billigen; denn es handle ſich hier gar nicht von Krieg erklären, bloß von ſich vertheidigen, wofür zu ſor - gen allzeit die Sache der vollziehenden Gewalt ſey; die allgemeine Frage, wie es mit dem Rechte über Krieg und Frieden zu halten, müſſe vom Verfaſſungsausſchuſſe vor - bereitet werden. Wirklich ward mit großer Übereinſtim -Mai 15. mung ein Dank dem Könige wegen ſeiner Fürſorge votirt; nichtsdeſtoweniger debattirte man eine ganze Woche lang über die allgemeine Frage: Soll der König künftig das Recht über Krieg und Frieden haben? Die Geſchichte von Frankreich ſeit manchem Jahrhundert, wer dürfte das läugnen? antwortete mit lauter Stimme: Nein. Sol - len die Kriege wiederkehren, die aus wildem Ehrgeiz, aus Eitelkeit, die vielleicht zu alleinigen Ehren einer Mätreſſe geführt ſind? Barnave, Karl Lameth, Pétion und wie Viele nicht ſonſt, legten die alleinige Entſcheidung über Krieg und Frieden in die Hände der Nationalverſammlung nieder. Aber auch auf der rechten Seite erhoben ſich be - redte und eifrige Männer als Vertheidiger der nothwen - digen Rechte der Krone, unter ihnen der Abbé von Mon - tesquiou, Cazalès, der Abbé Maury. Erſt am fünften Tage tritt Mirabeau auf. Er zeigt daß man vergeblich311 von beiden Seiten ſich in die Extreme werfe. Dem Könige gebührt die Wache für das Auswärtige, und das iſt ſein Recht; droht aber Krieg, ſo bedarf er des Geldes der Nation, und dieſes zu bewilligen oder zu verneinen und im Falle des irgendwie verſchuldeten Krieges die Mi - niſter zur Strafe zu ziehen iſt das Recht der Nationalver - ſammlung. So erhalten beide Theile ihr natürliches Ge - biet für die Beantwortung dieſer Frage. Der leitende Grundſatz für Beide muß ſeyn: Frankreich verzichtet auf jede Eroberung. Dringt man dem Könige von ſeinem Rechte das Geringſte ab, nöthigt man ihn das nothwen - dige Geheimniß der Verhandlungen mit fremden Mächten zu entſchleiern, darf ſeine angegriffene Flotte, angegriffen in fernen Meeren vielleicht, ſich nicht vertheidigen, darf ſie ſelbſt nicht zuvorkommen, bevor die Nationalverſamm - lung den Krieg genehmigt hat, ſo ſündigt man gegen die Natur der Dinge und ſtürzt das Vaterland in Gefahr. Seine Worte machten tiefen Eindruck, allein Barnave nahm den Tag darauf den Handſchuh auf, hielt feſt dar - an, der König dürfe und müſſe einleiten, vorbereiten, auch Verträge unterzeichnen, allein die Beſtätigung, das Ja und Nein über Krieg und Frieden gebühre allein der Nationalverſammlung. Tadle man die Hauptſtadt nicht, daß ſie, genöthigt ſich in die feinſten Fragen der Politik zu vertiefen, in eine gewaltige, unermeßliche Aufregung ge - rieth. Je unverſtändlicher die Löſung für den ungeübten Sinn, um ſo glühender die Bemühung von vielen Tau -312 ſenden, und vielen tauſend Franzoſen, damit zu Stande zu kommen. Nun dazu die Aufwiegler, deren Logik die Fäuſte ſind. Eine Flugſchrift erſchien unter dem Titel: Der große Verrath des Grafen Mirabeau enthüllt. Als Mirabeau den Verfaſſer, einen jungen Mann Na - mens Lacroix zur Verantwortung zog, nannte er vor Gericht das Triumvirat als ſeinen Anſtifter. In dieſen Tagen ſchrieb Mirabeau nach Deutſchland an ſeinen Freund Mauvillon: Wir befinden uns in einer großen Kriſe und es wird nicht die letzte ſeyn, aber was auch ge - ſchehen mag, Euer Freund wird leben und ſterben als ein gu - ter und vielleicht als ein großer Bürger. Als er am 22ſten Mai im Begriffe ſtand auf die Rednerbühne zu treten, ſprach er zu ſeiner Umgebung: Einerlei, man wird mich von hier im Triumph oder in Stücken hinwegtragen. Gleichwohl war er ſeines dialektiſchen Sieges zum voraus ſicher. Barnave hatte ſich den Tag vorher mit vieler Fülle und Kraft der Rede auf den beliebten Gemeinplätzen der durch ungerechte Kriege geſtifteten Gräuel ergangen, er hatte auch die Sentimentalität eingemiſcht: man dürfe dem Könige keine Betrübniß bereiten, indem man das traurige Recht Blut zu vergießen in ſeine Hände lege; allein der Nerv ſeiner politiſchen Beweisführung blieb bei den trockenen Sätzen von Sieyes ſtehen: In der Natio - nalverſammlung wohnt der Beſchluß, in dem Könige die Ausführung, folglich Und das ſchien den Hörern ſo ganz einfach und unwiderſprechlich. Allein dieſer Unter -313 bau hielt nicht mehr Stich, ſeit dem Könige durch das Veto wenn auch nur ein aufſchiebender Antheil am Be - ſchluſſe eingeräumt war. Als Mirabeau dieſen Misgriff Barnave’s bemerkte, ſagte er zu ſeinem Nachbar und Freunde Frochot, demſelben der in ſpäteren Tagen auf Anlaß der Malletſchen Verſchwörung in Napoleons Un - gnade fiel: Da hab ich ihn feſt! lieh ihm ſeinen Blei - ſtift ab, ſchrieb ein Paar Worte auf, ſprach: Genug des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir! Beide ſpazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und Mirabeau unterhielt ſich dort auf das lebhafteſte mit Neckers Tochter, der Frau von Staël.

Mirabeau’s Rede, welche damals für eine Weltbege - benheit galt, von allen Geſandten, welche zahlreich der ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verſchickt ward, nahm dieſen Gang:

Ganz gewiß, es iſt von großem Werthe für die An - näherung ſtreitender Parteien, wenn man ſich mit Auf - richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig iſt und wor - in man von einander abweicht. Zur Verſtändigung tragen freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderiſche Einflüſterungen, tolle Beſchuldigungen, gehäſſige Eifer - ſüchteleien und die Umtriebe ränkeſüchtiger Bosheit. Seit acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieſer Verſamm - lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an der Entſcheidung über Krieg und Frieden ſichern will, die öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von314 Untreue und Beſtechung, ruft die Volksrache herbei, um eine Tyrannei der Meinungen zu begründen. Man will, ſo ſcheint es, ein Verbrechen daraus machen daß über eine der feinſten und ſchwierigſten Fragen der geſellſchaftlichen Ordnung zwei verſchiedene Meinungen ſtattfinden. Was mich betrifft, es iſt nur wenig Tage her daß man mich im Triumph tragen wollte, und heute ſchreit man durch alle Gaſſen die große Verrätherei des Grafen Mi - rabeau aus. Es bedurfte für mich dieſer Lehre nicht, um zu wiſſen daß vom Capitol nur wenig Schritte bis zum tarpejiſchen Felſen ſind, aber ein Mann, der für die Vernunft, für ſein Vaterland kämpft, hält ſich nicht ſo leicht für überwunden. Wem ſein Gewiſſen ſagt, er habe ſich wohl verdient um das Vaterland gemacht und vor Allem er nütze ihm noch jetzt; wer ſich an keiner leeren Berühmtheit weidet und die Erfolge eines Tages ver - ſchmäht, wo wahrer Ruhm auf dem Spiele ſteht, der Mann trägt in ſich die Belohnung ſeiner Dienſte, die Luſt ſeiner Mühen, den Preis ſeiner Gefahren; er darf ſeine Erndte, ſeine Zukunft, das Einzige was ihn reizt, die Zukunft ſeines Namens allein von der Zeit, dieſem unbeſtechlichem Richter erwarten, welcher Allen Gerech - tigkeit widerfahren läßt. Mögen diejenigen, welche ſeit acht Tagen meine Meinung prophezeiten ohne ſie noch zu kennen, welche dieſen Augenblick meine Rede verläumden ohne ſie verſtanden zu haben, mich beſchuldigen ohnmäch - tigen Götzenbildern Weihrauch zu ſtreuen in demſelben315 Augenblicke da ſie umgeſtürzt ſind, oder der feige Söld - ling derer zu ſeyn, welche ich unaufhörlich bekämpft habe; mögen ſie als einen Feind der Revolution den Mann be - zeichnen, der ihr vielleicht nicht unnütz geweſen iſt und der, wäre ſie ſeinem Ruhme fremd, doch allein bei ihr ſeine Sicherheit finden könnte; mögen ſie der Wuth eines getäuſchten Volks den Mann überliefern, der ſeit zwan - zig Jahren jede Unterdrückung bekämpft; der zu den Fran - zoſen von Freiheit ſprach, von Verfaſſung, von Wider - ſtand, als jene feilen Verläumder die Milch der Höfe ſogen, ſich nährten von Misbräuchen. Was geht das mich an? Dieſe Stöße von tief Unten nach hoch Oben ſollen mich nicht in meiner Bahn aufhalten. Ich ſage ihnen: Antwortet wenn ihr könnet, und dann verläumdet ſo viel ihr wollet.

Nach dieſem Eingange dringt er auf Barnave ein: Ihr behauptet: die Nation ſtellt zwei verſchiedene Ge - walten zu ihren Vertretern auf, die eine für den Willen, die andere für die That, Ihr nennt die erſte den geſetzge - benden Körper, die andere König. Ihr habt Unrecht und ſeyd von einem richtigen Ausgangspuncte in eine falſche Folgerung gerathen. Es iſt nicht wahr daß der geſetzgebende Körper und die geſetzgebende Gewalt einerlei ſind. Der geſetzgebende Körper iſt nur ein Theil der geſetzgeben - den Gewalt, ſeit unſere Verfaſſung im Veto dem Könige einen Antheil an der geſetzgebenden Gewalt gegeben hat. Wie mögt Ihr nur die Begriffe ſo verwirren, daß Ihr in316 Eurer Rede die Erklärung des allgemeinen Willens der geſetzgebenden Gewalt beileget, das iſt der National - verſammlung und dem Könige, in Eurem Geſetzentwurfe aber allein dem geſetzgebenden Körper, das iſt allein der Nationalverſammlung? Durch Letzteres frevelt Ihr an unſerer Verfaſſung, ſtürzet alle Geſetze um, die wir ge - macht haben. Wenn der geſetzgebende Körper allein ge - nug iſt, ſobald es ſich davon handelt den allgemeinen Wil - len in Bezug auf den Krieg auszudrücken, ſo erhaltet Ihr, da der König dann weder Theilnahme, noch Einfluß, noch Controle, noch Etwas von dem beſitzt was die Verfaſ - ſung der ausübenden Gewalt bewilligt hat, für die Ge - ſetzgebung zwei verſchiedene Principien, das eine für die gewöhnliche Geſetzgebung, das andere für die Geſetzge - bung, die den Krieg, das heißt, die fürchterlichſte Kriſis angeht, welche den politiſchen Körper erſchüttern kann. Dort bedürft Ihr der Zuſtimmung des Königs, hier nicht und Ihr ſprecht von Gleichartigkeit, Einheit und Zu - ſammenhang der Verfaſſung! Ihr antwortet mir nicht; iſt dem nicht ſo? Fürwahr eine ſeltſame Verfaſſung, die dem Könige die höchſte ausführende Macht überträgt, aber den Krieg erklärt haben will, ohne daß der König zur Berathſchlagung darüber auffordert und Mittheilun - gen macht! Ihr habt dann keine beſchließende National - verſammlung mehr, ſie wird handelnd, ſie herrſcht. Oder wollet Ihr dem Könige die Initiative geben? Was ver - ſteht Ihr darunter? Soll er der Nationalverſammlung bloß317 Mittheilungen machen? oder hat er das Recht auch vorzu - ſchlagen, welche Partei zu ergreifen ſey? Und wenn er nun den Frieden will, ſoll der geſetzgebende Körper ihm befehlen dürfen wider ſeinen Willen Krieg zu führen? Ich wiederhole es, der geſetzgebende Körper regiert dann, un - ſere Verfaſſung verliert ihre Natur, ſie ſoll monarchiſch ſeyn und ſie würde rein ariſtokratiſch werden. Ihr habt nichts geantwortet auf dieſen Einwurf und werdet nie im Stande ſeyn darauf zu antworten. Ihr redet immerdar allein von Verhinderung der miniſteriellen Übergriffe, ich aber rede zu Euch von den Mitteln, die Übergriffe einer re - präſentativen Verſammlung zu verhindern; ich rede zu Euch von der Nothwendigkeit Halt zu machen, ja nicht zu viel der natürlichen Strömung nachzugeben, welche jede Verfaſſung unvermerkt auf das Princip zurücktreibt, aus welchem ſie entſprungen iſt.

Auch Mirabeau hatte dieſem Princip, dem Alles da - mals beherrſchenden, der Souveränität des Volks in ſei - nem Geſetzentwurfe gehuldigt. Sie machte es ihm un - möglich, rein heraus zu ſagen, wie wir wohl thun: Der König hat das Recht über Krieg und Frieden. Nichts - deſtoweniger warf ihm Barnave vor, er lege unbedingt in die Hände des Königs und ſeiner Miniſter das Recht Feindſeligkeiten anzufangen, einen Angriff zu machen. Nicht ohne einige Sophiſtik, obgleich dem Weſen nach wahr, erwidert Mirabeau darauf: Nein ich gebe dem Könige dieſes Recht nicht, weil ich es ihm förmlich nehme;318 ich erlaube den Angriff nicht, weil ich vorſchlage ihn zu beſtrafen. Was thue ich denn? Ich unterſuche eine Mög - lichkeit, welche Ihr ſo wenig ändern könnet als ich. Ich weiß es nicht zu machen daß der höchſte Inhaber aller Kräfte der Nation nicht große Mittel und Gelegenheiten habe Misbrauch damit zu treiben; aber findet ſich dieſer Übelſtand nicht in allen Syſtemen? Immerhin nennt ihn die ſchlimme Seite des Königthums, aber denkt Ihr wirklich daß menſchliche Einrichtungen, daß eine Regie - rungsform, von Menſchen für Menſchen errichtet, frei von Übelſtänden ſeyn könne? Denkt Ihr uns der Vortheile des Königthums zu berauben, weil das Königthum Ge - fahren hat? Sagt es immer rein heraus! Uns bleibt dann zu überlegen, ob wir, weil das Feuer brennt, die Wärme und das Licht miſſen wollen, welches wir von ihm ent - lehnen. Alles in der Welt kann beſtehen, mit Ausnahme der Inconſequenz; ſagt uns: wir brauchen keinen König, aber ſagt uns nicht: wir brauchen einen machtloſen, einen unnützen König.

Es iſt, ſo ſchließt er endlich, mehr als Zeit dieſe langen Verhandlungen zu beendigen. Fortan wird man, wie ich hoffe, den wahren Schwierigkeitspunct nicht mehr verheimlichen. Ich will die Mitwirkung der ausübenden Gewalt zur Bildung des allgemeinen Willens in Hinſicht auf Krieg oder Frieden, wie die Verfaſſung ſie in allen bereits feſtgeſtellten Theilen unſeres Syſtems feſtgeſetzt hat. Meine Gegner wollen das nicht. Ich will daß das319 Oberaufſichtsrecht, welches dem einen der Vertreter des Volks gebührt, ihm nicht abgehe, ihm nicht entriſſen werde gerade bei den wichtigſten Thätigkeiten der Staats - kunſt, meine Gegner aber wollen daß der eine dieſer Ver - treter ausſchließlich das Recht des Krieges beſitze, gleich als ob, ſelbſt angenommen daß die ausübende Gewalt der Bildung des allgemeinen Willens fremd bliebe, wir allein über die Kriegserklärung zu berathen hätten, als ob nicht die Ausübung dieſes Rechtes eine Reihenfolge von gemiſchten Thätigkeiten mit ſich führte, bei welchen That und Wille ſich drängen und durchdringen.

Sehet da die Linie, die uns trennt. Irre ich mich, dann noch einmal, laßt meinen Gegner mich zurechtwei - ſen, oder vielmehr laßt ihn in ſeinem Geſetzentwurfe die Worte: geſetzgebender Körper in geſetzgebende Gewalt verändern, und wir ſind vollkommen einig, wenn nicht in der Praxis, ſo doch mindeſtens in der Theorie, und wir wollen dann ſehen, ob nicht mein Geſetzentwurf beſ - ſer als jeder andere dieſe Theorie verwirklicht.

Man hat Euch vorgeſchlagen, über dieſe Frage durch die Vergleichung der Männer zu entſcheiden, welche ſie bejahen und verneinen; man hat Euch geſagt, Ihr würdet an der einen Seite Männer ſehen, welche auf Beförde - rung in der Armee hoffen, oder die auswärtigen Angele - genheiten verwalten wollen, Männer die mit den Mini - ſtern und ihren Agenten verbunden ſind; auf der andern Seite den friedlichen, tugendhaften, unbekannten, von320 Ehrgeiz unberührten Bürger, welcher ſein Glück und ſein Daſeyn im allgemeinen Glücke findet.

Ich will dieſem Beiſpiele nicht nachahmen. Ich glaube nicht daß Männer, welche der öffentlichen Sache als wahrhafte Waffenbrüder dienen ſollen, ſich wie feile Gladiatoren bekämpfen dürfen, durch Beſchuldigungen und Ränke mit einander ringen dürfen, ſtatt mit Einſicht und Talent, in der wechſelſeitigen Vernichtung ſtraf - bare Erfolge ſuchen dürfen, die Tropäen eines Tages, die für jedermann und ſelbſt für den Ruhm verderblich ſind. Allein ich will Euch ſagen: unter denjenigen, welche meine Lehre annehmen, werdet Ihr alle gemäßigten Männer finden, welche nicht glauben daß die Weisheit in den Ex - tremen beſtehe, noch daß der Muth zu zerſtören niemals dem Muthe wiederaufzubauen Platz machen dürfe; Ihr werdet dazu die Mehrzahl jener entſchloſſenen Bürger zäh - len, welche zu Anfang der Etats-généraux (denn ſo hieß damals die Nationalverſammlung, als ſie noch in den Windeln der Freiheit eingeſchnürt lag) ſo viele Vorurtheile mit Füßen traten, ſo vielen Gefahren Trotz boten, ſo vie - len Widerſtand beſiegten, um in den Schooß der Gemei - nen zu gelangen, welchen dieſe Hingebung den Muth und die ſiegende Kraft gab, wovon der Erfolg Eure ruhmvolle Revolution geweſen iſt; Ihr werdet dort jene Volkstribu - nen finden, welche die Nation noch lange, trotz des Ge - kläffes einer neidiſchen Mittelmäßigkeit, zu den Befreiern des Vaterlandes zählen wird. Ihr werdet dort Männer321 ſehen, deren Name die Verläumdung entwaffnet und deren Ruf als Privatleute und öffentliche Charaktere auch den zügelloſeſten Libelliſten vom Angriffe zurückſchreckt; Män - ner endlich, welche ohne Makel, ohne Eigennutz, ohne Furcht bis zum Grabe ſtolz ſeyn werden, ſolche Freunde und ſolche Feinde gefunden zu haben.

Mirabeau durfte es wagen nahe am Ziele ſeiner Rede ſich auf die Baſis ſeiner eigenen Verdienſte ſelbſtbewußt zu ſtellen, doch lenkt er ganz am Schluſſe fein zu einem noch höheren Standpuncte jener Glücklichen ab, welche einen unbefleckten Privatcharakter mit hohem politiſchen Verdienſt verbinden, wobei wohl jedermann zunächſt auf Lafayette hinblickte, welcher es in dieſer Frage treulich mit Mirabeau hielt. Dieſem ſtanden überall die Flecken ſeiner Jugend, das unordentliche Leben auch ſeiner reiferen Tage, das Mistrauen der Guten hemmend entgegen, und wie trübten ſie auch dieſen Triumph! Denn ein Triumph war es. Man ließ Barnave nicht wieder zu Worte: mit der größten Stimmenmehrheit, keine 50 in der Minori - tät, ſiegte Mirabeau, nur daß die Faſſung ſeines An - trages der damals geltenden Anſicht etwas näher gebracht ward. Er lautete nun: Das Recht über Krieg und Frie - den gehört der Nation; der Krieg kann allein durch einen Beſchluß der Nationalverſammlung erklärt werden, wel - cher auf den ausdrücklichen und nothwendigen Vorſchlag des Königs gefaßt und von ihm ſanctionirt iſt. Mira - beau gab ſeine beiden Reden im Druck heraus und fügteFranzöſiſche Revolution. 21322ein Schreiben an die Behörden der Departements hinzu, worin folgende Stellen zugleich die tiefe Bekümmerniß ſei - nes Inneren ausſprechen: Meine Herren! So lange man bloß mein Privatleben verläumdet hat, habe ich ge - ſchwiegen, ſey es weil ein ſtrenges Schweigen eine Ab - büßung von rein perſönlichen Fehlern iſt, wie ſehr ſie auch zu entſchuldigen ſeyn möchten, und weil ich die Achtung edler Männer allein von der Zeit und meinen Dienſten er - wartete, ſey es weil die Ruthe des öffentlichen Tadels, ſelbſt von feindlichen Händen gebraucht, mir ehrwürdig erſcheint; ſey’s endlich und hauptſächlich, weil es mir ſtets ein engherziger Egoismus und ein lächerlicher Mis - griff däucht, ſeine Mitbürger von Dingen zu unterhalten, die ſie am wenigſten intereſſiren.

Aber heute da man meine Grundſätze als öffentlicher Charakter angreift, heute da man in der Meinung, welche ich vertheidige, meinen ſämmtlichen Meinungsgenoſſen den Krieg macht, kann ich mich nicht zurückziehen ohne ei - nen Ehrenpoſten zu verlaſſen, ohne, ſo zu ſagen, das koſtbare Unterpfand zu verletzen, welches mir anvertraut iſt, und ich glaube derſelben Nation, deren Intereſſe ich, wie meine Ankläger ſagen, verrathe, eine beſondere Re - chenſchaft von meiner Meinung geben zu müſſen, die man verunſtaltet. Es reicht mir nicht hin daß die Nationalver - ſammlung mich von dieſer verhaßten Beſchuldigung rein gewaſchen hat, indem ſie faſt einſtimmig mein Syſtem annahm; ich muß auch noch von dem Tribunal gerichtet323 werden, deſſen Unterthan und Organ der Geſetzgeber ſel - ber iſt. Dieſes Urtheil iſt um ſo wichtiger als ich, den man bis dahin zu den nützlichen Volkstribunen zählte, dem Volk um ſo ſtrengere Rechenſchaft ſchuldig bin. Dieſes Urtheil iſt ſelbſt um ſo nothwendiger, weil es ſich davon handelt, über die Principien ſich auszuſprechen, welche die wahre Theo - rie der Freiheit von der falſchen unterſcheiden, ihre wah - ren Apoſtel von den falſchen Apoſteln, die Freunde des Volks von ſeinen Verderbern; denn das Volk hat in einer freien Verfaſſung auch ſeinen Hofhalt, ſeine Schmarozer, ſeine Schmeichler, ſeine Schranzen, ſeine Sklaven.

Mirabeau’s Schluß iſt: Das ſind die wahren Freunde des Volks, welche es belehren daß den Bewegungen, welche uns nöthig waren um aus dem Nichts hervorzu - gehen, friedliche Organiſationen folgen müſſen; daß man dem Mistrauen ein Ende machen, den elenden Schutt hin - wegſchaffen und unter der Mitwirkung aller Willen zum Wiederaufbau ſchreiten muß; daß es Zeit iſt, endlich aus dem Zuſtande der rechtmäßigen Inſurrection zu dem dauer - haften Frieden einer geſellſchaftlichen Ordnung überzu - gehen, und daß man keineswegs allein durch dieſelben Mittel die Freiheit bewahrt, durch welche ſie erobert iſt.

Die unparteiiſche Geſchichte wird den Werth dieſer Grundſätze darum nicht geringer anſchlagen, weil ſie aus einer Feder floſſen, welche damals ſchon dem Cabinet ge - heime Zuſagen gemacht hatte. Dasmal war der kaiſerliche Geſandte Graf von Mercy der Vermittler, wieder durch den21*324Grafen Lamark; an der anderen Seite ſtand dieſesmal ein - leitend die Königin. Seit dem März dauerte die Unterhand - lung, am 10ten Mai gab Mirabeau ſeine Zuſage. Er ver - pflichtete ſich den wahren Intereſſen der Monarchie mit ſei - nem ganzen Anſehn zu dienen, da er den Gedanken nicht er - trage, nur zu einer großen Zerſtörung geholfen zu haben. Es genügt, um in ſeinen Sinn einzugehen, daß Alles, wozu er ſich verpflichtete, auf der Grundlage dieſes Satzes beruht: Ich erkläre dem Könige daß ich eine Gegenrevolution für eben ſo gefährlich und verbrecheriſch halte, wie ich von der anderen Seite für chimäriſch jede Hoffnung und jeden Plan halte in Frankreich eine Regierung zu begründen, deren Haupt der nothwendigen Gewalt ermangelt dem Geſetze eine kräftige Vollziehung zu geben. Ludwig antwortete, er habe von jeher nur eine geſetzlich beſchränkte Macht ge - wünſcht. Dreiundvierzig Noten wurden ſeitdem zwiſchen dem Königspaare und Mirabeau gewechſelt, einige Mi - niſter ins Vertrauen gezogen, und Ende Mai erlangte Mirabeau eine geheime Unterredung mit der Königin in einem der königlichen Gärten. Beim Abſchiede erbat er ſich die Hand der Königin zum Kuſſe und rief: Madame, die Monarchie iſt gerettet. Sein Geiſt ſprühte damals von Entwürfen und Hoffnungen: Die Königin, ſchrieb er, iſt der einzige Mann, den der König um ſich hat.

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8. Die letzten Stuͤtzen des Thrones weichen.

Bei der Würdigung von Mirabeau’s nunmehriger Stellung zu der Krone kommt es wenig darauf an, wie große Summen der große Staatsmann empfangen hat, er der ſein Verhältniß gegen Vertraute treffend mit den Worten bezeichnete: Man kauft mich, aber ich verkaufe mich nicht. Der König bezahlte an ihm keinen feilen Helfer, der ſein beſſeres Bewußtſeyn um des Eigennutzes willen verläugnete, er belohnte in ihm einen Mann, der beſſere Rathſchläge ertheilte, als ſeine öffentlich be - zahlten Miniſter im Stande waren. Gewiß iſt es ehren - voller einen Jahrgehalt nicht anzunehmen, zu welchem man ſich nicht vor aller Welt bekennen darf, und hier ſtoßen wir auf das Verhängniß, welches ſich überall an dieſes Mannes Ferſen klammert, daß er nun und nimmer zu einer völlig reinen Lebenslage gelangen kann. Was fruchteten ihm die 18 Livres Diäten, die ſeit Kurzem je - dem Abgeordneten bewilligt waren? In des Königs Hand lag allein die Macht, ihn als einen völlig Geſunden gerade326 aufzurichten, ſich zu ihm als ſeinem Rathgeber öffent - lich zu bekennen, allein der König war einmal keines feſten Entſchluſſes fähig, geſchweige denn eines ſolchen, wel - chem ein Decret der Nationalverſammlung, ſo wenig es ihn verpflichtete, im Wege ſtand. Mirabeau hat ſich mit der Königin nur zweimal im Geheimen verabredet, hat den König einmal vielleicht, am 8ten Januar 1790; vielleicht kein einziges Mal geſprochen. Seine Aufgabe iſt, ſchrei - bend, immer wieder ſchreibend, Vorurtheile zu bekämpfen, Muth einzuſprechen, der Willenloſigkeit Kraft einzuimpfen. Noch eine Schwierigkeit! Während Mirabeau im Ver - trauen der Königin ſtarke Fortſchritte macht, fängt der König an Lafayette’s Rath einzuholen, dieſes grundred - lichen Mannes, aber deſſen eines Auge ſtets auf Amerika, das andere auf Frankreich ruht, der mithin Alles ſchief ſieht und die Misgriffe der Nationalverſammlung für ge - diegenes Gold hält. Aber auch die Königin, die den La - fayette einmal nicht leiden kann, machte ihrem Berather vollauf zu ſchaffen. Wie muß er ſie beſtändig warnen: Ja keine Gardes-du-corps wieder! Vertrauen allein zu ſolchen Königsfreunden, welche Freunde freier Verfaſſung ſind! Ja kein Zuſammenſtecken mit den Ausgewanderten, dieſen falſchen verderblichen Freunden! von welchen wirklich ein Theil damals ſchon mit dem Plane umging, nach einer gelungenen Gegenrevolution den König durch das pariſer Parlament entſetzen zu laſſen, weil er an der Krone gefrevelt durch einen eben ſo unverſtändigen wie327 verderblichen Verzicht auf ihre angeſtammten Rechte. Mi - rabeau’s Thätigkeit war ungeheuer, man möchte ſie über - menſchlich nennen. Nach den Sitzungen der Nationalver - ſammlung ſah derſelbe ſpäte Abend ihn oft bei den Jaco - binern und dann wieder in einem andern Club jüngſter Stiftung, in welchem Männer ſich trafen, die neuerdings für gemäßigt galten. Sieyes war der erſte Präſident; La - fayette, Talleyrand, Röderer, mit Mirabeau näher ver - bunden, Bailly, Le Chapelier, der in der Frage über Krieg und Frieden ſich an Mirabeau ſchloß, Dupont de Nemours nahmen Theil; man nannte ſich den Club von 1789. Dazu die nimmer ruhenden Liebesabenteuer des Mannes, ſeine Vergnügungen, wie ſeine Arbeiten, über - ſchwänglich. Ein böſes Augenübel hielt ihn eine Reihe von Tagen von der Nationalverſammlung entfernt, doch ſah man ihn am 11ten Junius wieder, Franklins Tod verkündigend. Seinem Antrage, dem großen Manne, der den Blitz und die Tyrannen bändigte, für welchen die dankbaren Bürger der vierzehn Freiſtaaten zwei Monate lang Trauer trugen, eine dreitägige Trauer in der Verſamm - lung zu widmen, begegnete allgemeiner Beifall. Wer nur machte Mirabeau nicht zu ſchaffen? Endlich mußte er noch für ſeinen eigenen Bruder auftreten. Dieſer, von Natur unerträglich heftig, verwickelte ſich mit jedem Tage mehr in eine unhaltbare Gegnerſchaft. Er war Malteſer, hatte in Amerika tapfere Dienſte gethan, aber für die National - verſammlung taugten ſeine drohenden, ariſtokratiſchen328 Redensarten nicht. Ein einziges Mal rüſtete er ſich auf eine förmliche Rede, da ſchrieb ihm der alte Vater: Wenn man einen Bruder in der Nationalverſammlung hat wie Ihr, und ein Mann iſt wie Ihr, dann läßt man ſeinen Bruder ſprechen und ſchweigt ſtill. Jetzt vernahm er, auch ſein Regiment ſey von der Neuerung ergriffen, mehrere Officiere wären von den Soldaten als Ariſtokraten verjagt; ſogleich reiſte er ab, um Ord - nung zu ſtiften, trieb es hier aber ſo gewaltthätig, daß er kaum mit dem Leben davon kam, und eine mißliche Unterſuchung ſchwebte über ſeinem Haupte. Sein Bru - der ehrte das Verſprechen, welches er dem Oheim ge - geben hatte, niemals die politiſchen Zwiſte in Familien - feindſchaft ausbrechen zu laſſen, und nahm ſich des be - drängten Vicomte inſoweit an daß er jeden Rechtsſchutz, welcher dem Abgeordneten der Nation zuſtand, für ihn erlangte. Allein die Anklage war nicht abzuwenden und der jüngere Mirabeau wanderte nach Deutſchland aus, wo er mit den Emigranten rüſtete, aber bald am Schlage15. Sept. 1792. geſtorben iſt.

Jetzt aber kam der Tag, da die Art an die Wurzel von Geiſtlichkeit und Adel gelegt ward. Beides mis - billigte Mirabeau und beides ſah er ſich außer Stand zu verhindern, fühlte auch durchaus keine Neigung in ſich, ſeine Popularität an die Beſchützung von Gebäu - den zu ſetzen, welche der Strom der öffentlichen Mei - nung unterwühlt hatte. Und dennoch ſteht das Erb -329 königthum, von keiner erblichen Ariſtokratie umkleidet, wie ein nackter, viel umſtürmter Thurm auf weiter Ebene da, deſſen Bauſtyl niemand ſo leicht begreift. In Be - zug auf die Geiſtlichkeit hätte Mirabeau gewünſcht, daß man ſie in Ruhe laſſe. Niemand ſah klarer als er vor - aus, welche Folgen es haben werde, wenn der Gedanke, die Geiſtlichen ganz in die bürgerlichen Beamten einzu - reihen, ſie mithin von den Wählern der Diſtricte wäh - len zu laſſen, zur Ausführung käme. Man drängte da - durch den König auf einen Punct hin, auf welchem auch die Schwachen ſtark zu ſeyn pflegen; denn er konnte von nun an nicht mehr mit unbeſchwertem Gewiſſen die Conſtitution annehmen. Man ließ ihm die Wahl zwi - ſchen der Krone und ſeinem Glauben; gab er leicht ge - ſinnt der Krone den Vorzug, treu konnte er einer Ver - faſſung nicht ſeyn, die ihn untreu gegen ſich ſelbſt ge - macht hatte. Allein das war doch nur die kleinere Hälfte der Gefahr. Wenn Decrete der Nationalverſamm - lung die römiſchkatholiſche Kirchenverfaſſung in die Luft ſprengten, ſo hieß das nicht bloß das neue Frankreich vollends iſoliren in der Staatengeſellſchaft, es hieß zu der politiſchen Entzweiung einen unabſehlichen Streit religiöſer Überzeugungen fügen, hieß nach manchen An - zeichen das Signal zum bürgerlichen Kriege geben. Hier den Kampf für die Kirchenverfaſſung aufzunehmen, zu warnen vor dem Abgrunde, welchem man entgegenging, wäre auch eines von kirchlichen Überzeugungen unberühr -330 ten Staatsmannes würdig geweſen. Mirabeau betrach - tete dieſe Fragen, wahrſcheinlich mit Recht, als ſchon entſchieden, ſobald ſie nur in der Nationalverſammlung aufgenommen würden, und vermied die Sitzungen, in welchen über Geiſtlichkeit und Adel berathſchlagt ward. Das Decret der Nationalverſammlung über den AdelJuni 20. lautete: Die Nationalverſammlung beſchließt daß der Erbadel für immer in Frankreich abgeſchafft iſt; daß folg - lich die Titel marquis, chevalier, écuyer, comte, vi - comte, messire, prince, baron, vidame, noble, duc, und alle andere ähnliche Titel weder von jemand, wer es auch ſey, gegeben, noch angenommen werden kön - nen; daß jeder Bürger allein ſeinen wahren Familien - namen führen darf; daß niemand ſeine Dienerſchaft Livreien darf tragen laſſen, noch Wappen führen darf; daß der Weihrauch allein zu Ehren der Gottheit in den Tempeln flammen ſoll, und niemanden, wer es auch ſey, darf angeboten werden; daß die Titel monseigneur und messeigneurs weder einer Körperſchaft noch einem Individuum ferner gegeben werden dürfen, eben ſo we - nig die Titel excellence, altesse, éminence, gran - deur. Doch werden im Verfolg des Decrets die öffent - lichen Denkmäler und Urkunden, welche ſolche verbotene Titel tragen möchten, ausdrücklich in Schutz genommen, auch ſoll die Vollziehung, was namentlich Livreien und Wappen betrifft, bis zum 14ten Julius für Paris aus - ſtehen und drei Monate für die Provinzen, und Aus -331 länder ſollen nicht davon betroffen werden. So ſtand der König, ſchon ſeit länger aus einem König von Frank - reich in einen König der Franzoſen verwandelt, mit ſei - nem Sire und ſeiner Majeſtät ganz vereinzelt da. We - nig fehlte ſo hätte er unlängſt auf einen Antrag - tions auch das von Gottes Gnaden verloren, ohne die Bemerkung Mirabeau’s: Dieſe Worte enthalten eine der Gottheit erwieſene Huldigung, welche alle Völ - ker der Welt ihr ſchuldig ſind. Was Mirabeau über die ganze Neuerung dachte, verhehlt er ſeinem Freunde Mauvillon nicht: Ich denke gerade wie Sie in Hin - ſicht der Titel, Livreien u. ſ. w. Nichts unmöglicher als die Gewalt der Erinnerungen aus den Herzen der Menſchen herauszureißen; der wahre Adel iſt in dieſem Sinne eine eben ſo unzerſtörbare als geheiligte Sache. Die Formen werden wechſeln, die Verehrung wird blei - ben. Laß jedermann gleich vor dem Geſetze ſeyn, jedes Monopol, beſonders jedes ſittliche, verſchwinde; alles Übrige iſt Eitelkeit, dahin oder dorthin verlegt. Als die Zeitungsſchreiber ihre Luſt daran hatten ihn nun nach ſeinem Geſchlechtsnamen Riquetti den Älteren zu nennen, ſprach er: Ihr habt Europa vier Tage lang mit Eurem Riquetti irre gemacht! Aber Camille Des - moulins ließ es ſich nicht nehmen, die Königin jetzt in ſeinem Blatte die Frau des Königs und den - nig ſelbſt gelegentlich den Älteſten der Capets zu nennen.

332

Die Gunſt der öffentlichen Meinung ſtand der Na - tionalverſammlung faſt unbedingt zur Seite. Fielen grobe Ruheſtörungen vor, die Franzoſen glaubten das Böſe mit dem Guten hinnehmen zu müſſen und bauten auf die Hülfe der Verſammlung und des Königs. Das frohe Selbſtgefühl eines freier aufathmenden Volks entfal - tete ſeine Schwingen. Man will ſich die ſchönen jüngſt errungenen Güter der Selbſtändigkeit um keinen Preis entreißen laſſen. Die Nationalgarden mehrerer Städte leiſten ſich wechſelſeitig Bundeseide auf treue Verthei - digung der Verfaſſung und des Königs; ſie verbrüdern ſich zu demſelben Zwecke mit den Linientruppen, erneuern gemeinſam den Bürgereid. Man fühlt ſich in guten Vor - ſätzen geſtärkt, aber es ſcheint nicht genug damit gethan, die Gedanken wachſen, man möchte aus dieſen Bun - desvereinen einen allgemeinen Verein, der das ganze Vaterland umfaßt, einen Geſammtbund auf gleiche Grund - ſätze hervorgehn ſehen. Das aber kann allein würdig in Paris geſchehen; im Angeſicht der Nationalverſamm - lung und des Königs müſſen die Abgeordneten aller Vereine ſich zum großen Bunde zuſammenſchließen, ſeine Gelübde beſchwören, ſein Feſt feiern; der Tag darf kein anderer als der Jahrestag des 14ten Julius ſeyn, wel - cher die Baſtille fallen ſah. Der Maire Bailly trat anJuni 5. der Spitze einer Deputation des Gemeinderathes an die Schranken der Nationalverſammlung; ſein Antrag auf ein Bundesfeſt des franzöſiſchen Volks ward mit Be -333 geiſterung begrüßt. Zu den Vorbereitungen kommt die ganze Hauptſtadt in Bewegung; auf dem Marsfelde ſoll die große Eidesleiſtung ſeyn, man braucht 150,000 Erd - arbeiter, um hier die Grundlagen des gewaltigen Am - phitheaters zu errichten, deſſen Spuren man noch heute dort erkennt. Denn unzählige frohe Menſchen ſollen hier beiſammen Platz finden. Da greift Alles zum Spa - ten und zur Hacke, alle Stände miſchen ſich, man ſieht Mönche und Pfarrer graben, vornehme Frauen nehmen Theil, in langen Zügen kommt man aus den benach - barten Dörfern mit fröhlicher Muſik herbei. Selbſt der König, der ſeit ſeiner Überſiedelung zum augenſchein - lichen Nachtheile ſeiner Geſundheit weder ausritt noch jagte, ſich kaum blicken ließ, kam um zuzuſehen und frohe Miene zu machen. Nun die Erwartung der - derirten. Ihrer werden viele, über 16000 ſeyn, von jedem Regiment vier alte Krieger, einen Officier an der Spitze, von je 200 Mann Nationalgarden ein Abgeord - neter. Zu ihrer gaſtlichen Aufnahme läßt ſich einſchrei - ben wer Raum und wer keinen hat. Endlich kommt der Tag des Feſtes, aber mit ihm Regen ohne Unter -Juli 14. laß. Nichtsdeſtoweniger harren auf dem Marsfelde ſeit früh um ſechs Uhr 300,000 Franzoſen jedes Alters und Geſchlechtes, ſitzend, ſtehend, auf den Zug, der ſich langſam vom fernen Baſtilleplatze heranbewegt. Unter - deſſen weiden ſie ſich an dem Anblicke des Altars des Vaterlandes, der inmitten des Marsfeldes hoch anſteigt,334 deuten ſeine Sinnbilder, beſprechen ſeine Inſchriften. Vor der Militärſchule erhebt ſich über den amphitheatraliſchen Stufen der Königsthron mit ſeinem Baldachin, rechts un - mittelbar neben demſelben findet in gleicher Höhe der Seſſel des Präſidenten der Nationalverſammlung ſeinen Platz, zu beiden Seiten werden die Mitglieder Platz neh - men. Gern wäre Mirabeau zur Zeit dieſes Feſtes Prä - ſident geweſen und er verbarg es nicht, aber Lafayette war ſeiner Wahl entgegen und widerſtand ſelbſt dem Zu - reden des Königspaares. Wollte er, den der König für dieſen Tag zum Oberbefehlshaber der geſammten bewaff - neten Macht in der Hauptſtadt ernannt hatte, durch keine Größe verdunkelt werden? oder war ſeine Meinung auf - richtig, wenn er erklärte, an dieſem Tage dürfe nur ein durchaus unbeſcholtener Mann die erſte Stelle in der Na - tion einnehmen? Genug er beharrte und die Nationalver - ſammlung erwählte den Marquis de Bonnay, einen ach - tungswürdigen gemäßigten Mann, am 5ten Julius zum Präſidenten. Schon aber langen, es iſt neun Uhr, die erſten Abtheilungen des endloſen Zuges an, man ſieht die Föderirten departementsweiſe geſchaart, alle in Waffen. So wie ſie eintreten, ſtellen ſie ihre Gewehre zur Pyra - mide zuſammen; um den gewaltiger ſtrömenden Regen froher zu ertragen, umtanzt jedes Departement ſeine Waffenpyramide und die Zuſchauer klatſchen Beifall von oben. Nun aber verkünden Kanonenſchüſſe den Anfang der Feier, und jedes Departement ſtellt ſich raſch geordnet335 um ſeine Pyramide. Man erblickt jetzt den Altar des Va - terlandes umgeben von 300 Geiſtlichen, und ſieht dieſe unwillkürlich darauf an daß ſie ſeit vorgeſtern zu bürger - lichen Beamten gemacht ſind, welche nach den Gebräuchen der urſprünglichen Kirche vom Volk erwählt werden ſollen, doch bemerkt man weiter keine Veränderung an ihnen als daß ihre weißen Meßgewänder mit dreifarbigen Bändern verziert ſind. Nun wird Hochamt gehalten, hierauf Fah - nenweihe. Im Angeſichte der Oriflamme von Frankreich, einer neu verfertigten Reichsfahne, die den altehrwür - digen Namen trägt, ſpricht Biſchof Talleyrand von Autun den Segen über die Paniere der 83 Departements, wel - chen drei Millionen franzöſiſche Nationalgarden folgen werden. Jetzt empfängt Lafayette aus den Händen des Königs die Formel des zu leiſtenden Bundeseides. Er ſteigt die Stufen des Altars hinan, legt ſeinen Degen ab, giebt mit einer Fahne das Zeichen und ſpricht die Eides - worte: Wir ſchwören, für immer der Nation, dem Ge - ſetz, dem Könige getreu zu ſeyn und mit allen Kräften die von der Nationalverſammlung beſchloſſene und von dem Könige genehmigte Verfaſſung aufrecht zu halten, nach Vorſchrift der Geſetze die Sicherheit der Perſonen und des Eigenthums, den freien Verkehr mit Getraide und Lebens - mitteln im Innern des Königreiches, die Erhebung der öffentlichen Abgaben ohne Unterſchied zu beſchützen, und in unauflöslichen Banden der Verbrüderung mit allen Franzoſen zu leben; und die unermeßliche Menge oben336 und unten, Volk, Nationalgarden, Soldaten rufen: wir ſchwören, kriegeriſche Inſtrumente und Kanonen fallen ein und in demſelben Augenblicke bricht die Sonne durch das ſchwere Gewölk. Der Präſident der National - verſammlung ſpricht, vor ſeinem Seſſel ſtehend, denſel - ben Eid, und alle Mitglieder der Nationalverſammlung wiederholen ihn. Zuletzt der König vom Throne; er er - hob ſeine Hand gegen den Altar und ſprach mit lauter Stimme: Ich, König der Franzoſen, ſchwöre, die ganze Gewalt, welche mir durch das Verfaſſungsgeſetz des Staates übertragen iſt, anzuwenden, um die von der Na - tionalverſammlung beſchloſſene und von mir angenommene Verfaſſung aufrecht zu halten und die Geſetze ausführen zu laſſen. Während des allgemeinen Jubels erhub die Königin, welche eine Loge an der Militärſchule einnahm, den Dauphin auf ihren Armen. Den Schluß machte ein Tedeum um ſechs Uhr Abends; es knüpften ſich aber noch einige feſtliche Tage an. Und die große Mehrzahl der Bundesbrüder brachte eine fröhliche und gute Stimmung in ihre Departements zurück, nicht zur Freude der dema - gogiſchen Schriftſteller der Hauptſtadt, welche gegen dieſe Eintracht wütheten. Camille Desmoulins, der ſich in ſeinem mit Talent geſchriebenen Tagesblatte unverhohlen den Generalprocurator der Laterne nannte, ermahnte, die Laterne in Ehren zu halten, dieſes Kriegsgeſetz der Na - tion, für Verbrecher gegen die Nation beſtimmt, nicht zur Beſtrafung von Dieben herabzuwürdigen. Der junge337 häßliche Marat drängte in einer Flugſchrift: Es iſt aus mit uns, eine Unzahl von Verſchwörungen auf wenig Seiten zuſammen, ſchalt den König, weil er ſeinen Eid nicht am Altar geleiſtet, verlangte die Einſperrung der Öſterreicherin und ihres Schwagers, hieß Lafayette einen Verräther, der die eiteln und blinden Pariſer National - garden durch Schmeicheleien ködre, nannte es eine kläg - liche Menſchlichkeit ſich zu ſcheuen fünf - bis ſechshundert Köpfe ſpringen zu laſſen; man werde dieſe Empfindſam - keit mit dem Blute von Millionen Brüdern bezahlen müſ - ſen. In ſeinem Blatte, dem Volksfreund, verlangte er 800 Galgen und daß Riquetti der Ältere zuerſt gehängt werde. Wenn ſolch ein Giftpfeil abgeſchoſſen war, pflegte dann der Schütze für einige Tage zu verſchwinden, und Polizei und Gerichte fragten vergeblich nach dem Arzte Marat.

Die ernſtlichſten Beſorgniſſe erweckte das Heerweſen und dieſe waren durch das große Bundesfeſt merklich ge - ſteigert. Es lag Alles daran daß die Linienregimenter ih - ren Beruf nicht mit dem der Nationalgarden verwechſelten. Man war aber auf den Weg dazu ſchon durch die Verbrü - derungen, die gemeinſam beſchworenen Bürgereide in den Departements gerathen. Die Aufhebung des Adels führte einen großen Schritt weiter, die Gemeinen fingen an ihre adlichen Officiere als Männer zu betrachten, die durch ein altes Unrecht, einen jetzt glücklich überwundenen Mis - brauch zu ihren Stellen gelangt waren; zu betrachten undFranzöſiſche Revolution. 22338allgemach auch zu behandeln: man verſchwieg ſich nicht daß im Dienſte, daß in der Caſſenführung Vieles anders werden müſſe. Nun kam das pariſer Feſt, an welchem die 1200 Mann deputirte Linientruppen neben den 15000 deputirten Nationalgarden faſt verſchwanden. Der Sol - dat erſchien ſich hier als ſolcher klein, um ſo raſcher lernte er ſich als Bürger begreifen, Caſernenvereine, Caſernen - berathſchlagungen ſtiften. Seitdem war die Macht der Officiere gelähmt, unzählige Widerſetzlichkeiten erfolgten,Aug. 6. ein Decret der Nationalverſammlung, welches dieſe Ver - eine aufhob, brachte die Flamme des Aufruhrs in Nancy zum Ausbruch. Die ganze Beſatzung, aus drei Regimen - tern beſtehend, empörte ſich; der General Bouillé, ein kühner Krieger und ein Ehrenmann, der die Revolution nicht liebte, aber den Verfaſſungseid, einmal geleiſtet,Aug. 31. halten wollte, mußte in die Feſtung mit ſtürmender Hand eindringen und durch ein Blutvergießen dem Geſetze den Sieg verſchaffen. Mirabeau ſtützte kräftig die Meinung, daß die Nationalverſammlung ihren Dank gegen den Heerführer und ſeine Truppen ausſpreche, und drang durch; er auch ſprach kühn den Vorſchlag aus, das alte Heer aufzulöſen und ſogleich ein neues wieder zu bilden, deſſen Mitglieder einen Eid ſchwören ſollen, in welchem die Nationalverſammlung die Pflichten des Soldaten mit Klarheit niederlegen wird. Dieſer Antrag hatte keine Folge.

In den nächſten Tagen trat Necker ab; entmuthigt, von körperlichen Anſtrengungen und Seelenleiden nieder -339 gedrückt, zuletzt ſogar für ſeine perſönliche Sicherheit in Sorgen, nahm und empfing er ſeinen Abſchied. Ein freund -Sept. 4. liches Wort, er geſteht es ſelbſt, hätte ihn zum Bleiben bewogen, allein die Nationalverſammlung ſchien ſeinen Abgang kaum zu beachten. Zweimal auf ſeiner Reiſe an - gehalten, gleich als ob er der Gerechtigkeit entrinnen wolle, er der zwei Millionen von ſeinem Vermögen dem Schatze geliehen hatte, bedurfte er der Dazwiſchenkunft der Nationalverſammlung, um unter vielfachen Kränkun - gen in die Schweiz zu gelangen. Neckers politiſche Lauf - bahn iſt hiemit zu Ende. Seine Zurückgezogenheit ſtützte ein reines Gewiſſen und eine nie getrübte, in ſeiner Schriftſtellerei durchweg ausgeprägte wunderbare Selbſt - zufriedenheit mit allen ſeinen ſtaatsmänniſchen Leiſtungen. Malebranche, ſprach Mirabeau, ſieht Alles in Gott, Necker Alles in Necker.

Was Neckern zunächſt forttrieb, war die obſchwebende finanzielle Frage. Man hatte bereits 330 Millionen Aſ - ſignaten ausgegeben und beſchloſſen ſie auf 400 Millionen zu bringen. Wollte man auf dieſem Wege fortfahren, ſo mußte man denjenigen Recht geben, welche zwei Milliar - den Aſſignaten forderten. Necker war keineswegs dieſer Meinung; er bewies daß man mit 200 Millionen neuer Aſſignaten die Bedürfniſſe des öffentlichen Dienſtes decken könne, rieth hier anzuhalten, alle rückſtändige Verbind - lichkeiten mit Schuldſcheinen zu 5 Procent verzinslich zu beſtreiten. Schon verloren in den Departements die Aſ -22*340ſignaten, obgleich ſie dem Inhaber zu Ende jedes Jahres mit 3 Procent verzinſt wurden, 6 bis 10 Procent und das baare Geld ward ſo ſelten, daß man in manchen Städten ſich mit Scheinen, auf geringe Werthe lautend, aushalf, um nur im täglichen Verkehr ſich auseinander - ſetzen zu können. Denn die kleinſte Aſſignate betrug noch immer 200 Livres. Nichtsdeſtoweniger verlangte Mira - beau: man ſoll die Aſſignaten dreiſt vermehren, mit den - ſelben die öffentlichen Verbindlichkeiten tilgen, zu gleicher Zeit aber dem Papiergelde durch den Verkauf ſämmtlicher Nationalgüter eine ſolide Grundlage geben; denn alle der - geſtalt zurückſtrömenden Aſſignaten ſollen ſofort vernichtet werden. Er mußte es in der Debatte oft genug hören, daß er in früheren Schriften gegen alles Papiergeld geeifert, es die umlaufende Peſt genannt hatte. Allein mit ihm hielten es alle diejenigen, welche in dem Verkaufe der Na - tionalgüter, dieſes Brautſchatzes der Revolution, eine Gewährleiſtung ihres Beſtandes vermöge des Geſammt - intereſſes aller Käufer erblickten, darum die Verkäufe mög - lichſt beſchleunigt und durch die Zerſtückelung der Güter - maſſen die Zahl der freien Grundbeſitzer Frankreichs ver - mehrt zu ſehen wünſchten. Die Debatte, durch Bittſchrif - ten Für und Wider aus den Departements mannigfach ge - kreuzt, ging durch den Monat September, die Stimmen theilten ſich dasmal nicht in gewohnter Weiſe; am leb - hafteſten ſprach im Sinne der alten Staatsordnung der Abbé Maury, am einſichtigſten Talleyrand aus Finanz -341 gründen gegen Mirabeau. Aber weder Mirabeau noch Talleyrand ſtand dabei im Grunde recht auf eigenen Füßen; jener folgte den Anſchlägen ſeines Vertrauten Clavière, ei - nes vertriebenen Genfers, welcher ſich damals durch Schriften und Ausarbeitungen im Sinne der neuen Ord - nung der Dinge den Weg zum künftigen franzöſiſchen Fi - nanzminiſter bahnte; Talleyrand dagegen hatte ſich von dem Banquier Panchaud einſchulen laſſen, der, wie es auch mit ſeiner Integrität als Kaufmann ſtehen mochte, eine tiefe praktiſche Einſicht in die Finanzen beſaß. Am Ende freilich löſte ſich der Kampf, auf deſſen Ausgang ganz Frankreich geſpannt war, ſo ziemlich in einen Wort - ſtreit auf. Man ging auf beiden Wegen, ſowohl dem der Anleihen als dem des Papiergeldes, dem Staatsban - kerutt unvermeidlich entgegen, ſo lange man kein Mittel ausfand, den Gehorſam im Volke wiederherzuſtellen, welcher der Quell aller Steuerzahlung iſt. Jene patrio - tiſche Steuer, von welcher man ſich Wunder verſprochen, ging etwa vom vierten Theile der Gemeinden ein. Der Beſchluß der Nationalverſammlung fiel mit ſchwacher Mehr - heit (508 gegen 423 Stimmen) dahin aus, die AſſignatenSept. 29. von 400 auf 1200 Millionen, alle unverzinslich, zu brin - gen. Zinſen werden fortan auch von den erſten 400 nichtOct. 8. mehr bezahlt, und die kleinſte Aſſignate kommt auf 50 Li - vres zu ſtehen. Mit den 1200 Millionen aber will man nun auch ganz gewiß es genug ſeyn laſſen.

Einer der Kunſtgriffe der Aufwiegler war, alle Un -342 ruhen und Widerſetzlichkeiten, wovon die Nachricht ein - ging, der Untüchtigkeit oder dem übeln Willen der Mini - ſter des Königs aufzubürden. Während die Krone in Machtloſigkeit verſank, verlangte man daß die Miniſter als die Anſtifter des öffentlichen Unglücks in den Anklage - ſtand verſetzt würden. Paris hatte ſo eben ſtatt der neuen Eintheilung in 60 Diſtricte eine allerneueſte in 48 Sectio - nen erhalten, und eine ihr entſprechende Municipalität or - ganiſirte ſich, als die Sectionen den Entſchluß faßten, der Nationalverſammlung die Miniſteranklage aus Herz zu legen. Weigerte ſich auch Bailly, der ungeachtet mancher Gegnerſchaft wieder erwählte Maire, dieſen Auftrag zu vertreten, er durfte die läſtige Pflicht nicht ablehnen, die Abgeſandten der Sectionen an die Schranken der Verſamm -Nov. 10. lung zu führen. Ihr Redner war Danton, eben noch ein dunkler Advocat, jetzt als Miterſtürmer der Baſtille, Vor - ſitzender des Cordeliersdiſtricts allgenannt; ſeine athle - tiſche Figur, ſeine Meduſenaugen in dem breiten von Blattern beſprengten Geſichte, dieſe aufgeworfenen Nüſtern und Lippen, die Schildhalter anmuthloſer Zuverſichtlich - keit, verkündigten den angehenden Mirabeau des gemei - nen Mannes. Er las ſeine Bittſchrift mit ungeheurer Heftigkeit, eine ſo rauhe dröhnende Stimme hatte dieſe Wände noch nicht erſchüttert, und ſein Vortrag enthielt vulcaniſche Ausbrüche einer bisher unerhörten Staats - weisheit. Ganz Frankreich hatte Grund zu glauben daß die Miniſter eine Entlaſſung einreichen würden, welche343 die Nationalverſammlung das Recht hat nach ihrem Gut - dünken zu fordern. Wer hat das je behauptet? unterbrach Maury, aber Cazalès hieß ihn ſchweigen mit den Worten: Man muß Alles hören, auch die politi - ſchen Abgeſchmacktheiten; man will das politiſche Wun - derthier ausreden laſſen. Nun folgt ein Schlagſatz dem andern: Die Pariſer Commune iſt mehr im Stande als jede andere, das Betragen der Miniſter zu würdigen; denn ſie beſteht aus Bürgern, die gewiſſermaßen allen 83 Depar - tements angehören, ſie iſt die erſte Schildwache der Con - ſtitution und ſie iſt es, welche die ſchnelle, die unmittel - bare Entfernung der Miniſter begehrt. Er zählt die Ver - gehen derſelben auf. Champion der Siegelbewahrer hat den Text mehrerer Decrete der Nationalverſammlung ver - fälſcht Das iſt nicht wahr rufen mehrere Stimmen dazwiſchen. Guignard hat ſeine Politik im Divan ge - lernt, mit ſeinem Damascener bedroht er die Köpfe der Patrioten, will 6000 königliche Haustruppen bilden, ohne daß die Nationalverſammlung darum gefragt iſt. De la Tour-du-Pin iſt unfähig jedes Entſchluſſes, aber Feind der Revolution, denn er hält ſeine Pergamente und ſeine Eitelkeit für den wahren Adel und in dieſem Tone bis zu Ende fort. Die Verſammlung ging zwar in Bezug auf den Antrag in der nächſten Sitzung zur Tagesordnung über, aber die in der Adreſſe gefallenen Worte: Die Gemeine hat das Recht ihren Verdacht auch ohne Beweiſe auszuſprechen und es muß ſogleich ein Gerichtshof für344 die Verbrechen der verletzten Nation errichtet werden wu - cherten in den Gemüthern der Menge, und dieſen Philo - ſophen des nackten Willens, welcher, die Gewalt der Fäuſte im Hinterhalt, keiner Gründe mehr bedarf, war die Ehre der Sitzung zu Theil geworden. Auch gingen die Miniſter allmählig von ſelbſt ab bis auf den minder ge - tadelten Montmorin; aber der König ſollte doch nun ein - mal Miniſter haben, und wenig fehlte ſo hätte er in ſei - ner Apathie dem albernen Rathe Bergaſſe’s nachgegeben, die Nationalverſammlung um Bezeichnung derſelben zu bitten, wäre nicht Mirabeau dazwiſchen getreten.

Das Jahr 1790 endigte überaus traurig für den - nig; denn das Werk, deſſen Grund man am 12ten Ju - lius legte, ward am 27ſten November vollendet, die neueJuli 12. Verfaſſung der Geiſtlichkeit. An jenem erſten Tage ward beſchloſſen: In jedem Departement ſoll ein Biſchof ſeyn, zehn Erzbisthümer im ganzen Königreiche: die Wahl der Biſchöfe und der Pfarrer geſchieht nach dem Muſter der urſprünglichen Kirche durch das Volk nach Stimmenmehr - heit: alle Kirchendiener werden aus dem königlichen Schatze beſoldet, ohne daß Accidenzien ſtattfinden. Man rechnete aber, daß dieſe Beſoldungen insgeſammt, die Jahr - gelder der Mönche und Nonnen mit eingeſchloſſen, nur die Hälfte der bisherigen Einkünfte der Geiſtlichkeit ver - zehren würden. Dieſe Neuerungen drangen tief in die Kirchenverfaſſung ein, allein es ſchien nicht ganz unmöglich, die Zulaſſung des Papſtes für ſie zu gewinnen, Pius VI.,345 der dem Kaiſer Joſeph in verwandter Richtung zwar we - nig zugeſtanden, aber Vieles nachgeſehen hatte. Allein als Ludwig ſeine ſchmerzliche Genehmigung zögernd gege -Aug. 24. ben hatte und nun den Papſt beſchwor ihm in dieſem grau - ſamen Drange zu Hülfe zu kommen, entgegnete Pius: Seine Majeſtät wolle nicht glauben daß ein rein politi - ſcher Körper die allgemeine Lehre und Zucht der Kirche verändern könne, Beſchlüſſe faſſen könne wegen der Wahl der Biſchöfe oder wegen Aufhebung biſchöflicher Sitze. Ferne ſey es daß Seine Majeſtät ihr ewiges Heil daran wage oder das Heil ihrer Völker, mittelſt einer voreiligen Genehmigung zum Ärgerniſſe der ganzen katholiſchen Welt. Hat der König den Rechten ſeiner Krone entſagen können, ſo darf doch keine Rückſicht ihn verleiten, ſeine Pflicht gegen Gott und die Kirche zu opfern, deren älteſter Sohn er iſt. Dieſe Worte, ſorgſam verheimlicht, laſteten darum nicht minder ſchwer auf des Königs Gemüthe. Nun kam das Decret vom 27ſten November. Jeder Geiſtliche, der ſey’s ein Kirchenamt, ſey’s ein Schulamt verwaltet, ſoll den Eid leiſten: Ich ſchwöre mit Sorgfalt für die Gläubigen zu wachen, deren Leitung mir anvertraut iſt; ich ſchwöre der Nation treu zu ſeyn, dem Geſetze und dem Könige; ich ſchwöre mit aller meiner Macht die franzöſiſche Conſti - tution aufrecht zu erhalten und namentlich die Decrete, welche die bürgerliche Verfaſſung der Geiſtlichkeit an - gehen. Wer dieſen Eid in gewiſſer Friſt nicht leiſtet, hat ſein Kirchenamt verwirkt. Das hieß einen harten346 Zwang auf die Gewiſſen legen, ſo lange die päpſtliche Beſtätigung fehlte, und wohl hätte dem Könige, ganz anders überzeugt wie er war, ſein Gewiſſen ſagen können, der Augenblick ſey gekommen, da die irdiſche Krone ge - opfert werden müſſe, um die ewige zu erlangen. Papſt Pius wünſchte nichts mehr, als eine muthige Erklärung des Königs durch einen Blitz vom Vatican unterſtützen zu können. Allein der König that nichts weiter als daß er ſeine Genehmigung hinausſchob. Das hatte drei WochenDec. 23. gedauert, da ſchickte die Nationalverſammlung ihren Präſi - denten zum Könige, bat ihn die Gründe ſeiner Zögerung anzugeben. Ludwig erwiderte, ſeine Achtung gegen die Religion ſey die Urſache, nicht minder ſein Wunſch (auf Unterhandlungen mit Rom hindeutend) die Unruhen zu vermeiden, welche der neuen Ordnung drohten. Der Prä - ſident mußte noch einmal zurückkehren und nun gab Lud -Dec. 26. wig nach. Seitdem ſah er kein Heil mehr, wünſchte Frankreichs Gränze im Rücken zu haben.

Noch machte der Biſchof von Clermont einen Verſuch, ſchlug die Eidesformel vor: Ich ſchwöre der Nation, dem Geſetze und dem Könige treu zu ſeyn und mit meiner ganzen Macht in Allem was der Staatsordnung gemäß iſt die von der Nationalverſammlung decretirte und vom Könige angenommene Verfaſſung aufrecht zu halten, mit ausdrücklicher Ausnahme derjenigen Gegenſtände, welche weſentlich von der geiſtlichen Autorität abhängen; es gelang ihm nicht, und über ein Drittel der geiſtlichen Mit -347 glieder der Nationalverſammlung leiſtete den vorgeſchriebe - nen Eid, unter ihnen Talleyrand und Gregoire. Am 4ten Januar war die geſetzte Friſt abgelaufen und der nament -1791. liche Aufruf aller Mitglieder der Nationalverſammlung geiſtlichen Standes, welche den Eid noch nicht geleiſtet, trat auf den Antrag Barnave’s ein. Aber hier folgte eine Weigerung der anderen, nur ein einziger Pfarrer ſchwur. Und es machte großen Eindruck in ganz Frankreich als man vernahm, ſo manchem Biſchof, ſo vielen Pfarrern habe ihre kirchliche Überzeugung mehr als ihr Kirchenamt ge - golten. Seitdem war in Frankreich eine Menge von geiſt - lichen Stellen unbeſetzt und man unterſchied zwiſchen be - eidigten und unbeeidigten Prieſtern, welche letzteren nun nicht länger für Prieſter gelten ſollten, aber in den Augen der Gläubigen um ſo mehr dafür galten. An dieſem De - cret ſchliff der Bürgerkrieg ſeine Waffen. Denn wie lange wird es dauern, ſo theilt ſich Frankreich in zwei Parteien, die eine ſprechend: Weg mit einer Freiheit, die uns un - ſer ewiges Heil, unſere Kirche nimmt, die andere da - gegen: Wir ſind frei und glücklich, weg mit einer Kirche, die uns dieſe himmliſchen Güter rauben will; uns bleibt der Gott, der die Welt geſchaffen hat, der Gott der Frei - heit. Biſchof Talleyrand weihte die neuen Biſchöfe, machte dann von der ihm angeborenen feinen Witterung Gebrauch und trat mit raſchem Sprunge aus dem gefähr - lichen geiſtlichen Stande hinüber in die Weltlichkeit. Febr.

Mirabeau erkannte vollkommen die Tiefe des Ab -348 grundes, welchen die Nationalverſammlung durch die Be - ſchlüſſe über die Geiſtlichkeit unter ihren Füßen eröffnete. Das zeigt ein Brief von ihm vom 27ſten Januar. Das iſt eine neue Wunde und die giftigſte von allen; ſie wird den Brand vollends in die vielen Schwären bringen, von welchen unſer politiſcher Körper zernagt, zerfreſſen und aufgelöſt wird. Wir hatten uns einen König im Bilde gemacht, einen König ohne Macht, einen geſetzgebenden Körper, der verwaltet, der unterſucht, der richtet, der belohnt, der ſtraft, der Alles thut, außer was er thun ſollte. Nun aber ſtellen wir die kirchliche Spaltung an die Seite der politiſchen; wir hatten noch nicht Widerſetzlich - keiten genug, wir ſchaffen uns neue nach Luſt, nicht Ge - fahren genug, wir rufen die allerſchlimmſten hervor, nicht Verlegenheiten genug, wir ſchaffen uns die unentwirrbar - ſten; das kann das Ende von Allem herbeiführen, wenn die Verſammlung nicht bald müde wird den Anarchiſten zu gehorchen. Derſelbe Mirabeau aber erkannte, wohin die Woge der öffentlichen Meinung unaufhaltſam gehe, und machte ſich wider innere Überzeugung zum Genoſſen Barnave’s, um ſeinen Einfluß in der Verſammlung zu behaupten. Allerdings ging bei hoher Ehrfurcht gegen die Religion, welche Mirabeau in ſeinen Reden nie verläug - net, die Freiheit ſeiner Anſicht, der beſtehenden Kirchen - ordnung gegenüber, weit. Wir finden in ſeinem Nach - laſſe eine ausführliche, völlig ausgearbeitete Rede gegen den Cölibat der Prieſter. Allein wenn er dieſe gleich, um349 die Stürme der Zeit nicht zu vermehren, zurückhielt, ſo wagte er von der anderen Seite nicht mit ſeiner wahren Anſicht herauszutreten. Denn innerlich war er der Mei - nung, die er auch vor Vertrauten kundgab, dem Staate ſey genug geſchehen, wenn es bei dem gewöhnlichen Bür - gereide bleibe, welchen die geiſtlichen Mitglieder der Na - tionalverſammlung bereits geleiſtet hatten, und er billigte weder das öffentliche Aufſehn des Namensaufrufes, noch überhaupt daß man zu einem Thun wider die Überzeu - gung zwinge oder eine Unterlaſſung durch Entſetzung ſtrafe. Aber ſeine Einſicht blieb thatlos. Das Einzige, was er vollbrachte, war eine Maßregel, die der drohenden Ver - ödung ſo vieler Kirchenämter vorbeugen ſollte; denn die Nationalverſammlung genehmigte auf ſeinen Vorſchlag, daß von nun an ein fünfjähriger Kirchendienſt, ſtatt eines fünfzehnjährigen, zum Pfarramte befähigen ſollte und nach Verhältniß ſo weiter in den höheren Kirchenwürden.

Soll man nun Mirabeau’s ganzes Treiben, ſeit er den Bund mit der Krone geſchloſſen, als eine Handlungs - weiſe betrachten, die ihr eigenes Werk zerſtört? und ſie verurtheilen als das Zeugniß einer Geſinnung voll inneren unlauteren Widerſpruches? Ganz gewiß muß man das Erſte bis zu einem gewiſſen Puncte, aber ſchwerlich darf man Letzteres. Der Schlüſſel liegt nahe genug; wer ihn aber brauchen will, darf das innerſte Wollen dieſes wun - derbaren Mannes nicht mit ſeiner Lage vermengen, er muß beide aus einander zu halten wiſſen, ſo oft ſie auch350 in einander greifen. Kein Zweifel, dieſe nach Macht und Ruhm dürſtende Seele hatte ein hohes Ziel im Sinne. Die Nachwelt ſollte von ihm ſagen: Er hat, um Frank - reich frei zu machen, die Ordnung erſchüttert, Frankreich iſt frei! und derſelbe Mann hat die Ordnung wieder her - geſtellt; er hat die Flecken einer wüſten Jugend durch ein unſterbliches Werk ſeines Mannesalters abgewaſchen. Allein das Werk, im Übermuthe des Selbſtgefühls be - gonnen, will ſich nicht vollenden, jene entſtellenden Flecken weichen nicht: zuerſt ſchließt ihn ſein Ruf von der höch - ſten Stelle hart am Throne, die ſeinem Genie gebührte, aus, hierauf ein unſinniger Beſchluß der Nationalver - ſammlung. Nichtsdeſtoweniger iſt er der Rath des - nigspaares geworden, allein ſein Rath ringt hier mit ei - ner Unſchlüſſigkeit, welche ſtets neue Recepte verlangt ohne den bittern Trank je anzurühren, und wird von ihr beſiegt; draußen aber nennt man ihn einen Verräther an der Freiheit, ſobald er Mäßigung predigt, denn man ahnt ſein Verhältniß zum Hofe. So krankte er in der letz - ten Zeit, von der Unhaltbarkeit ſeiner doppelſinnigen Lage gepeinigt, ſchwerer als je an ſeinem Rufe. Zu einem Ab - geordneten ſprach er: Ich weiß ſchon, Sie lieben mich nicht; ich ſage mehr, Sie achten mich nicht. Zu einem Vertrauten ſprach er: Ach wenn ich in die Revolution einen Ruf gebracht hätte, ähnlich dem von Malesherbes, welche Zukunft hätte ich meinem Lande geſichert! welch einen Ruhm an meinen Namen geknüpft! Allein ſein351 ſtolzer Geiſt raffte ſich immer wieder auf. Eine Unſterb - lichkeit ſollen ihm ſeine Widerſacher nicht rauben, den Ruhm, der Freiheit einen Boden gegeben zu haben, in Frankreich und durch Frankreich in Europa, denn er blickte gern hinaus auf die ganze bürgerliche Geſellſchaft im Welttheile. Der träge Ballaſt des Mittelalters iſt fort - geſchafft, das Lehnsweſen unwiederbringlich vernichtet, frei der Boden des Landmanns und ſein Geſchäft; auch an die Veraltungen des Kirchenthums iſt die Art gelegt, keine Staatsreligion mehr, keine Herrſchaft Roms über den Staat. So trieb er vor aller Welt Augen das Werk der Neugeſtaltung weiter, ſinniger freilich als die Andern der linken Seite, aber doch wirklich während er im Ver - borgenen ſich zur Wiederherſtellung der Ordnung an Men - ſchen verpfändet hat, die in ſeiner Ordnung ſtets nur Un - ordnung erblicken werden. Hätte er alſo wirklich den - nig getäuſcht? oder beide Theile? Vor dem König, der Königin und Montmorin wollte er Ruhe haben, wenn er gelegentlich ſagte, er ſtelle dieſe Dinge an, damit ſich die Nationalverſammlung ihr eigenes Grab grabe. Denn das war nicht der Fall; er achtete aufrichtig die raſche Beſei - tigung morſcher Zuſtände für ein hohes Verdienſt um die Zukunft, obgleich er, wäre ihm freie Hand gegeben, die Maſſe der Streitfragen, welche Frankreich iſoliren muß - ten, nicht ſo gehäuft haben würde. Aber ſo viele Vor - würfe auch gegen ihn ausgeſprochen ſind, deſſen hat ihn niemand noch zu beſchuldigen gewagt, die Rathſchläge,352 welche er dem Königshauſe gab, wären nicht ehrlich, - ren nicht zweckmäßig geweſen.

Damals kreuzte ſich eine Menge von Planen für die Errettung des Königthums. Der vormalige Miniſter Bre - teuil war in die Schweiz ausgewandert. Er wandte ſich von Solothurn durch eine Mittelsperſon (Oct. 1790) an die Königin. Der König ſoll heimlich Paris verlaſſen, ſich in eine Feſtung werfen, welche der treue Bouillé ihm angeben wird. Dort wählt er ſich ſeine Miniſter, ſpricht von dort die Grundlagen der künftigen Staatsordnung aus und bietet ſie an. Im Nothfalle werden fremde Mächte zu dem Gelingen durch Truppen mitwirken, und Breteuil un - ternimmt es, ſie günſtig dafür zu ſtimmen; der Ausgewan - derten aber ſoll man ſich ſo wenig als möglich bedienen. Breteuil meinte es aufrichtig mit dem Könige, ohne ſeine eigene Zukunft, wenn er der Retter wäre, darüber zu ver - geſſen. Denn nicht ohne Eiferſucht vernahm er daß Herr von Calonne in Turin angekommen ſey, wo der Graf von Artois mit vielen Ausgewanderten unter dem Schutze der ſardiniſchen Regierung lebte. Breteuil ſah voraus daß Calonne nicht ruhen werde, bis er ſich die Palme zuge - wendet hätte. Wirklich heckte man auch dort einen Ret - tungsplan aus, deſſen Grundlage die Überzeugung war, ganz Frankreich harre ſehnſüchtig auf die Rückkehr ſeiner Ausgewanderten, mit Ausnahme einer kleinen Zahl ver - ſtockter Böſewichter. Alles ſoll von Lyon aus geſchehen, wo man Einverſtändniſſe hat, wo der Commandant353 gewonnen iſt: der König ſoll ſich dahin begeben, die zweite Stadt des Königreiches wird von nun an die erſte ſeyn. Allein Ludwig verwarf dieſen Plan und ließ den Prinzen verbieten ihn zu verfolgen; er hatte bereits Schritte in der Richtung Breteuils gethan, Anfang December an den Kaiſer und andere Mächte geſchrieben, ließ den Bouillé erforſchen. Dieſer nun hatte einen dritten Entwurf fertig. Nichts hier von geheimer, immer gefährlicher, immer herabwürdigender Flucht. Bouillé ſchließt ſich an die Lage der auswärtigen Angelegenheiten an. Durch die Decrete vom 5ten Auguſt 1789 ſehen ſich verſchiedene deutſche Fürſten, weltliche und geiſtliche, in ihren Intereſſen ver - letzt. Kann der Kaiſer bewogen werden eine drohende Demonſtration zu machen, ein Truppencorps an der fran - zöſiſchen Gränze zuſammenzuziehen, ſo iſt eine Gegenrü - ſtung Frankreichs die nothwendige Folge davon. Bouillé wird Sorge tragen die getreueſten Regimenter zu verſam - meln. Die Truppen werden ſich alsdann die Gegenwart des Königs erbitten, die Behörden des Departements, in welchem Bouillé den Befehl hat und beliebt iſt, ſind leicht vermocht ein Gleiches bei der Nationalverſammlung zu thun, und in dieſer kann ja der König auf Unterſtützung zählen; Bouillé ſtand nämlich im Geheimniß der Verbin - dung mit Mirabeau. Iſt das aber ſo weit gelungen, ſo kann das Weitere kaum fehlen: der König wird, von Truppen die ihn lieben, welchen er vertraut, umgeben, als Friedensſtifter auftreten. Auch dieſer Plan hatte ſeineFranzöſiſche Revolution. 23354Schwächen, ſein Gelingen hing von zwei Gewalten ab, von dem Auslande und von der Nationalverſammlung, aber er hatte den unermeßlichen Vorzug, den König nicht zu verwickeln und ſeine Thatkraft erſt in Anſpruch zu neh - men, wenn keine Wahl mehr bleibt. Inzwiſchen erklärte ſich Bouillé bereit auch zur Ausführung des Breteuilſchen Anſchlages zu helfen, ohne ihm darum mehr zu vertrauen. Einen vierten Plan bildete Mirabeau im Februar 1791Jan. 29 bis Febr. 13. aus, wunderbar genug gerade zu der Zeit, da er Prä - ſident der Nationalverſammlung war. Er bekleidet dieſe Würde zum erſten Male, denn Eiferſucht und Mistrauen ſind Urſache daß man ihn bei 42 Wahlen übergangen hat, aber keine Präſidentur iſt mit ſolcher Sicherheit und Geſchicklichkeit, mit ſolcher Achtung gegen die Verſamm - lung und zugleich ſo Achtung gebietend geführt als die dreiundvierzigſte. Mirabeau’s Plan war: Man muß eine Auflöſung der Nationalverſammlung bewirken, indem ſie von den Departements aus gefordert wird. Dahin bringt man es, indem man unter dem Vorwande, die Einthei - lung des Königreichs in Departements, Diſtricte, Can - tons völlig ins Leben zu rufen, aller Orten hin königliche Commiſſarien abſendet; dieſe müſſen die Gemüther dafür ſtimmen und daß die neuen Wahlen einſichtig geſchehen. Die neue Verſammlung unterwirft die Verfaſſung einer Reviſion, deren Grundlagen ſind: die Theilung des ge - ſetzgebenden Körpers in zwei Kammern, das abſolute Veto des Königs und ſein Recht die zwei Kammern auf -355 zulöſen. Ferner: laut der von der Nationalverſammlung beliebten Verfaſſung darf der König keinen Beamten ſus - pendiren ohne die Nationalverſammlung davon zu benach - richtigen, und dieſe hat das Recht die Suſpenſion zu ver - werfen oder zu beſtätigen; das muß ein Ende haben; die Regierung muß wieder zur Regierung gelangen, indem die Verwaltungsbehörden in den Departements und die Municipalitäten unter die wirkliche Aufſicht des Königs und ſeiner verantwortlichen Miniſter treten; eben ſo die Nationalgarde. Dagegen bleiben die Reſultate des 5ten Auguſt unangetaſtet, aber bloß der dritte Theil der - ter der Geiſtlichkeit wird für die Bedürfniſſe des Staats verwendet. Dieſer Entwurf ward von Mirabeau in einer nächtlichen Zuſammenkunft mitgetheilt, welche bei demFebr. Miniſter Montmorin ſtattfand. Man kennt das Geheim - niß (durch Droz) aus ungedruckten Memoiren Malouets, welcher zugegen war. Man blieb von 10 bis 2 Uhr bei - ſammen. Mirabeau war damals krank und matt; ein Fie - ber nöthigte ihn zwei Tage lang die Präſidentur abzutre - ten; man ſah ihn dieſen Abend mit entzündeten Augen ſitzend, welche blutig unterlaufen aus ihren Höhlen tra - ten, allein die Gewalt ſeiner Beredſamkeit erfocht den ge - wohnten Sieg. Mirabeau enthüllte in dieſer Unterredung nicht alle ſeine Geheimniſſe. König und Königin kannten damals ſchon die Grundzüge ſeines Anſchlags durch den Grafen Lamark; allein in der Unterhaltung mit dieſem war der Königin ein Wort entfallen, welches Lamark auf23*356einen Abreiſeplan deuten mußte, bei welchem man auf Bouillé rechne. Er verbarg ſeine Beſtürzung, vertraute aber ihren Grund dem Freunde, der ſtatt irre zu werden alsbald den Gedanken auffaßte, man müſſe ſich durch Bouillé verſtärken. Auf ſeinen Antrieb theilte Lamark dem Königspaare mit, Mirabeau wünſche daß Bouillé ſeinen Plan kenne, er, der einzige General von Einfluß bei der Armee und der vielleicht mithelfen müſſe. Somit erhält Lamark den Auftrag nach Metz zu Bouillé zu eilen. Dieſer wird ganz gewonnen für einen Anſchlag, welcher die Vor - theile ſeines und des Breteuilſchen Entwurfes vereinigt, ohne an ihren Gebrechen zu kranken, ſchreibt dem Könige, er möge ſich an Mirabeau halten, dieſen Mann durch jede Gunſt an ſich feſſeln. Ein Verſuch, welchen gleichzei - tig Mirabeau auf Lafayette machte, ob er ihn für ſeine Entwürfe gewinnen könne, ſcheiterte. Lafayette traute nicht, man ging entfremdeter aus einander als man ge - kommen war. Um ſo größer aber Mirabeau’s Freude über das Gelingen Lamarks; er ſah Hoffnungen mit Erfüllung gekrönt, die er kaum mehr genährt hatte. Mit verjüngter Kraft ſtemmte er ſich der Anarchie entgegen. Die alten Tanten des Königs fühlten ſich in Frankreich nicht mehr zu Hauſe, ſeit die Decrete über die Geiſtlichkeit ſie in ih - rer gewohnten Andacht beunruhigten, beeidigte Prieſter vorſchrieben; ſie wollten den vaterländiſchen Boden je eher je lieber verlaſſen, nahmen eine Reiſe nach Italien zum Vorwande. Mirabeau hätte dieſe Reiſe gern verhindert,357 die in einem Augenblicke, da Alles darauf ankam dem - nige Popularität zu gewinnen, ſtörend dazwiſchen trat: allein was bedeutet für Tanten die Politik? er richtete nichts aus. Was er aber vorhergeſagt hatte, traf ein. Die Damen wurden unterwegs angehalten. Nun bliebFebr. 19. Mirabeau feſt dabei, es gebe kein Geſetz, welches der Reiſe der Prinzeſſinnen entgegenſtünde, das Wohl des Volks aber gebiete die Beobachtung der Geſetze und dem geſchah ſo. Bald hernach aber wollte man die Aus - wanderung verboten wiſſen. Mirabeau erklärte ein Geſetz über die Auswanderungen für unausführbar. Er erſuchte die Verſammlung, eine Stelle eines Schreibens anhören zu wollen, welches er an den König von Preußen bei ſei - ner Thronbeſteigung gerichtet habe; in derſelben bittet er den unumſchränkten Herrſcher, ſeine Unterthanen allein durch das Glück, welches ſie genießen, an ſeinen Staat zu feſſeln, keineswegs durch ein tyranniſches Verbot der Auswanderung. Ein Theil der Verſammlung, ohne ſei - nen allgemeinen Grundſatz zu bekämpfen, wollte die Lage der Gegenwart in Erwägung gezogen wiſſen und ſchlug vor, einen Ausſchuß von drei Mitgliedern zu beſtellen, der über jeden einzelnen Fall mit dictatoriſcher Gewalt entſcheiden ſolle. Hierauf Mirabeau: Wohl, ſo nennet das nicht ein Geſetz über die Auswanderungen was eine polizeiliche Maßregel ſeyn würde. Ohne Zweifel ſteht eine ſolche in Eurer Macht. Aber daraus daß Ihr ſie ergreifen könnet, folgt noch nicht daß Ihr es thun ſollet. Ihr ſollt es nicht,358 denn ſie iſt unausführbar. Er ſprach weiter: Ich er - kläre mich für entbunden von jedem Eide der Treue gegen diejenigen, welche die Ehrloſigkeit begingen, ein dictatori - ſches Comité zu ernennen. Die Popularität, um welche ich mich beworben und welche ich die Ehre gehabt habe zu genießen wie nur irgend jemand ſonſt, iſt kein ſchwa - ches Schilfrohr; ich will ſie tief in die Erde pflanzen, daß ſie Wurzel ſchlage auf dem unerſchütterlichen Boden von Vernunft und Freiheit. Wenn Ihr ein Geſetz gegen dieFebr. 28. Auswanderer gebt, ſchwöre ich ihm niemals zu gehorchen. Dieſe Worte ſind berühmt geworden, obgleich ſie ihr Ziel überſprangen, und vielleicht eben darum. Aber ſo erging es dem großen Redner öfter und beſonders in ſeiner letzten Zeit. Denn an dieſer ſtehen wir, ſeine Tage ſind gezählt.

Es fügte ſich daß der König in den erſten Tagen des März erkrankte. Was kümmert uns, ſchrieb Camille Desmoulins in ſeinem Blatte, der Schnupfen vom Äl - teſten der Capets! War es nun daß das körperliche Mis - gefühl ſeine morſchen Entſchlüſſe überwältigte, kaum ge -März 15. neſen ſchrieb Ludwig einen Brief an Bouillé: alle frühere Verabredung iſt darin rein vergeſſen, er will fort, flüch - ten mit ſeiner Familie, vor Ende April muß Alles dazu bereit ſeyn. Die Kunde dieſer Abtrünnigkeit erreichte den Mirabeau nicht mehr. Damals litt er ſchon an heftigen Anfällen von Schmerzen der Eingeweide, die ihm doch nicht verboten ſich immer wieder aufzuraffen. Vom 20ſten bis zum 27ſten März ward über die Bergwerke debattirt. 359Mirabeau verfocht mit ungemeiner Lebhaftigkeit das Prin - cip der Oberaufſicht des Staates oder, wie man damals ſagen mußte, der Nation auf den Bergbau, infofern näm - lich daß die Bearbeitung wirklich ſtattfinde und in keinen Raubbau ausarte, allein er verfocht das Näherrecht des Beſitzers von Grund und Boden gegen den Anſpruch des Entdeckers des Bergwerks. Er iſt in dieſer Angelegenheit fünfmal aufgetreten und immer mit der ihm eigenthümlichen ſprühenden Gluth, welche jeden Widerſtand vertilgt, das letzte Mal am 27ſten. Als er an dieſem Tage in die Sitzung ging, ſprach er bei ſeinem Lamark vor, der bei dem Aus - gange als Bergwerkbeſitzer mit ſeinem Vermögen intereſſirt war. Er blieb dort eine volle Stunde bewußtlos auf dem Sopha liegen, fuhr dann in die Sitzung, hielt ſeine Rede über die Minen, und kehrte mit dem Gefühle tödtlicher Er - ſchöpfung nach Hauſe. Der Kranke pflegte den Grund ſei - nes Übels vom Februar 1788 zu leiten, da ihn was er cho - lera-morbus nannte befallen habe; er habe das Leben von zehn kräftigen Menſchen in ſich getragen, von da an ſey er aus dem Sommer in ſeinen Herbſt getreten. Seine Augen - leiden ſchrieb er dem feuchten Local in den Sälen des Reit - hauſes zu. An demſelben 27ſten, da er ſeine letzte Rede hielt, wollte er noch das italiäniſche Theater beſuchen, man ſah ihn ſchwanken, er mußte am Eingange umkehren.

Der Ruf von Mirabeau’s Fähigkeiten war unermeßlich, weit größer als ſeine Popularität. Es war ſo angenommen daß für ihn das einfältige Wort unmöglich, wie er ſelbſt360 es nannte, nicht gelte, alle großen Dinge gingen auf ſeinen Namen; der Fuhrmann nannte ſein Stangenpferd, welches die ſchwerſte Arbeit thun muß, ſeinen Mirabeau. Auf die Nachricht von ſeiner Krankheit füllte ſich die Straße in der er wohnte (rue de la chaussée d’Antin) mit Volk: die Menge trug Sorge an beiden Seiten ſeines Hauſes ab - zuſperren, damit das Geräuſch der Wagen ihn nicht ſtöre. Aber man wollte von ſeinem Befinden wiſſen und es reichte nicht hin ſchriftliche Nachricht bei dem Pförtner niederzu - legen, man mußte die Bulletins drucken laſſen. Der König ſchickte ein Paar Mal des Tages ganz öffentlich. Der Ja - cobinerclub, deſſen Präſident Mirabeau letzten Winter eine Weile geweſen war, ſchickte eine Deputation, an deren Spitze Barnave ſtand. Der Kranke konnte ſie nicht ſehen, doch ſprach er als er vernahm, Alexander Lameth habe ſich ausgeſchloſſen: ich kannte ihn bisher als einen Aufwieg - ler, aber noch nicht als einen Narren. Mirabeau ließ bei ſeinen Leiden den Gang der Nationalverſammlung nie aus den Augen, ſprach gern von den auswärtigen Angelegen - heiten, beſonders von den geheimen Entwürfen Englands: Dieſer Pitt iſt der Miniſter der Vorbereitungen; er re - giert durch das was er droht mehr als durch das was er thut. Hätte ich gelebt, ich glaube, ich hätte ihm Verdruß gemacht. Um ihn waren außer ſeinem Arzte Cabanis und ſeiner Schweſter Madame Le Saillant gewöhnlich ſeine Freunde Lamark und Frochot. Als er zu Letzterem ſagte: Ich habe Schulden, deren Größe ich nicht kenne,361 auch mein Vermögen kenne ich nicht, übernahm Lamark die Ausrichtung derjenigen Legate, welche ſein Vermögen überſteigen möchten. Die letzte Arbeit dieſes Mannes, den ſeine eigenen Angelegenheiten ſo wenig angingen, war eine Rede über die Vererbungen und Einſetzungen durch Teſta - ment, ein Gegenſtand, deſſen Grund der berühmte Rechts - gelehrte Merlin, Deputirter von Douay, gelegt hat: Die Vererbung ſoll künftighin nicht mehr verſchiedenartig nach Provinzen, ſondern nach einem durchſtehenden Grundſatze geregelt ſeyn; der Vorzug der Erſtgeburt und des Mannes - ſtammes fällt weg, und ſo lange das Vermögen in directer Linie bleibt, wird das Verfügungsrecht ſehr beſchränkt ſeyn.

Am Morgen vor ſeinem Todestage hörte man Kanonen - ſchüſſe. Der Kranke fuhr auf und rief: Fängt ſie ſchon an, die Leichenfeier des Achilles? Den Morgen darauf am 2ten April, ganz frühe, ſprach er zu Cabanis: Mein Freund, ich ſterbe heute; er wollte aufſtehen, ſich zum letzten Male ankleiden laſſen, aber vermochte es nicht. Da ließ er ſein Bette nah an das Fenſter tragen, ſah in ſeinen Garten hinaus in den Sonnenſchein. Hier war eine Ab - theilung von ſeinem Bataillon Nationalgarden aufgeſtellt, deſſen Befehlshaber er ſeit Kurzem geworden war. Lange ſprach er dann mit den Freunden, beſonders über die Zu - kunft von Frankreich. Hier fielen die Worte: Ich trage in meinem Herzen die Todtentrauer der Monarchie; die Aufrührer werden ſich in ihre Trümmer theilen. Noch kam Talleyrand, um den Sterbenden zu ſehen, und die ſo362 lange unterbrochene freundſchaftliche Verbindung knüpfte ſich für wenige Momente wieder. Ihm übergab Mirabeau jene letzte Ausarbeitung.

Bald darauf verlor er die Sprache. Als die Schmer - zen furchtbar wuchſen, ſchrieb er ſein Verlangen auf, daß man der unnützen Qual ein Ende durch Opium machen möge. Ein beſänftigendes Mittel ward gerade zubereitet, als ein gewaltiger Krampf ihn durchzuckte und tödtete, um April 2. Uhr Morgens, im 42ſten Jahre ſeines Lebens.

Die Nationalverſammlung beſchloß dem Leichenbegäng - niſſe Mirabeau’s in ihrer Geſammtheit beizuwohnen. Man wird die Leiche in der Kirche der heiligen Genoveva beiſetzen und hier ſollen künftig die Leichen großer Männer ruhen. Gleich am Todestage verlas Talleyrand in der Verſammlung das hinterlaſſene Werk des Verſtorbenen. Die Behörden des Departements und der Stadt, nicht minder der Jacobinerclub widmeten ihm eine achttägige Trauer. Alle Miniſter, außer Einem, Duportail, der ein beißendes Wort Mirabeau’s nicht verſchmerzen konnte, ſah man im Gefolge der Leiche.

[363]

Drittes Buch. Der Übergang zur Republik.

[364][365]

1. Der Koͤnig fluͤchtig, gefangen, ſuſpen - dirt, wieder angeſtellt.

Am Tage nach der königlichen Beſtätigung des Eides der Geiſtlichkeit ließ Marat folgenden Brief an den König gedruckt ausgehen:

Sire,

Wären Sie als einfacher Bürger geboren, ſo würden Sie vielleicht verdienen auf Ihr Wort geglaubt zu wer - den; allein, geboren auf einem Throne, mit allen Ge - brechen Ihrer Erziehung, und nach ſechsunddreißig an dem verderbteſten Hofe von Europa verlebten Jahren, von einer wedelnden Dienerſchaft umkrochen, durch heil - loſe Miniſter und treuloſe Hofleute zum Verbrechen ange - leitet und von Ihrer Familie zur fortwährenden Aufleh - nung gegen Ihre Pflichten verführt: welches Vertrauen können Ihre Verſicherungen von Anhänglichkeit und Treue gegen das Vaterland da noch einflößen? Mögen Ihre fei - len Agenten Beifall ſolchen Betheurungen klatſchen, und Ihre leichtgläubigen Mitbürger einen albernen Chor dazu ſingen, das iſt in der Ordnung; aber ſchmeicheln Sie366 ſich nicht mit der Hoffnung, hellſehende Patrioten zu blen - den. In deren Augen gehören Sie den Deſpoten an.

Das iſt die Albernheit der Könige, ſich für Weſen höherer Natur als andere Menſchen zu halten; ihre Thor - heit geht bis zu der Anmaßung, daß der Himmel ſie ge - ſchaffen habe um zu befehlen, ihr Leben in Müſſiggang, Prunk und Üppigkeit zu verbringen. Sie hören ſo oft ſich die unumſchränkten Herren der Erde nennen, daß ſie es am Ende glauben, ihre Landsleute für Sclaven halten, ge - boren um ihren Vergnügungen zu fröhnen, für verächt - liche Weſen, die ſie ihren Launen ungeſtraft opfern dürfen.

Soll ich von ihren Neigungen reden? Eine nur zu traurige Erfahrung hat uns belehrt daß ein unerſättlicher Durſt nach Macht jedes andere Gefühl in ihrer Bruſt er - ſtickt. Wer wüßte nicht daß die Moral der Könige ihnen eine Pflicht aus der Hinterliſt macht, aus der Lüge, dem Betrug, der Treuloſigkeit, dem Verrath, dem Todtſchlag, der Giftmiſcherei und dem Elternmorde, ſobald es die Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer angemaßten Herr - ſchaft gilt. Die Miſſethaten der Könige bilden den In - halt der Geſchichte, und die tiefe Herabwürdigung faſt aller Völker der Erde giebt den ſchlagenden Beweis dieſer entſetzlichen Wahrheit.

Antworten Sie mir, ſechzehnter Ludwig; was ha - ben Sie bis jetzt gethan, um vom Himmel das Wunder - werk zu verdienen daß er Ihre Seele vor der Anſteckung jener Böſewichter, von welchen Sie umringt und belagert367 ſind, behüten, daß er Ihnen Licht und Tugend verleihen ſollte, um über ihre hölliſchen Lehren zu triumphiren? Glauben Sie ja nicht, daß ich hier die unumſtößlichen Grundſätze in Anwendung bringen will, welche den Phi - loſophen befähigen, Gericht über Könige zu halten: Nein, aus Ihrer Vergangenheit richte ich Sie; ich richte Sie nach Ihnen ſelber.

Reden Sie, welches Vertrauen können wir dem Worte, den Verſicherungen, den Eiden eines Königs ſchenken, der die Nation allein zu dem Zwecke verſammelt, daß ſie den Abgrund, welchen die Verſchleuderungen ſei - ner Miniſter, der Prinzen des Hauſes, ſeiner Günſtlinge und der übrigen Hofſchurken höhlten, ausfüllen möge? eines Königs, der die Nationalverſammlung aufzulöſen ſuchte, ſobald nur ſein Wille einigen Widerſtand erfuhr? eines Königs, welcher mit kaltem Blute ſechs Wochen lang an der Ausführung des hölliſchen Planes arbeitete, die Hauptſtadt in Blut und Flammen zu ſetzen, lediglich um ihre unglücklichen Einwohner für die hochherzige Un - terſtützung zu beſtrafen, welche ſie den Repräſentanten der Nation gegen die Angriffe des Deſpotismus zu verſprechen ſchienen? eines Königs, der dieſe ſeine furchtbaren Ent - würfe nur dann aufgab, als das Volk zu den Waffen griff, um ſich ſelbſt ſein Recht zu verſchaffen? eines - nigs, welcher mit Verachtung ſeiner feierlichen Eide, faſt in demſelben Augenblicke, da ſein großmüthiges Volk ihm verziehen hat, ſein Ohr den treuloſen Rathſchlägen ſeines368 Hofes leihend, eine neue Verſchwörung gegen ſein frei gewordenes Volk anſpinnt? eines Königs, der ſein Flehn um Verzeihung vergeſſend, ſobald er ſich wieder mächtig glaubt, wieder im Tone des Herrn zu reden wagte, An - ſtalt zur Niedermetzelung der Unzufriedenen machte, auf den Fall aber daß das Glück ihm nicht günſtig wäre, zum Entrinnen? eines Königs, welcher genöthigt zum zweiten Mal um Gnade zu bitten kaum ſeine Verzeihung erlangt hatte, als er auch wieder Ränke ſpann? eines Königs, der für die unzähligen Anklagen gegen ſeine tauſendfach verrätheriſchen und pflichtvergeſſenen Miniſter ſtets ſein Ohr verſchloß? eines Königs, der ſtatt ſie mit Schmach bedeckt fortzujagen, ſie unter das Obdach ſeines Schutzes ſtellte, gleich als ob er ſelbſt der Urheber aller ihrer ſchreck - lichen Complotte wäre, und der zu ihrer Entlaſſung erſt dann ſeine Einwilligung gab als das Volk mit Geſchrei ihre ſchuldigen Köpfe forderte?

Sehen Sie da das treue Gemälde Ihres Verhaltens ſeit achtzehn Monaten. Seyn Sie alſo Ihr eigener Rich - ter und ſagen Sie uns, wenn Sie den Muth haben, ob ein ſolcher König einen anderen Namen als den eines dummen Automaten oder eines treuloſen Betrügers ver - dient! Und Sie reden uns von Ihrer Anhänglichkeit an die Conſtitution, und Sie erinnern uns an Ihren Eid treu dem Vaterlande zu ſeyn, und Sie reden uns von dem Bürgerſinne Ihrer Frau, und Sie begehren von uns, wir ſollen Ihrem Worte vertrauen? Ja wollte der Himmel369 daß wir Ihnen endlich glauben könnten! Aber könnten wir das, ohne uns ſelbſt für Dummköpfe zu geben, ohne auf unſere Freiheit, unſere Ruhe, unſer Glück zu verzich - ten, ohne unſere Freunde, Eltern, Brüder, Kinder, Wei - ber, ohne uns ſelbſt zu opfern? Sire, Sie ſind der Freund unſerer Freiheit, wie Ihre Gattin die Freundin der Fran - zoſen iſt. Selbſt der Ton, in welchem Sie ſich darüber ausdrücken, muß Argwohn erwecken. Denn wie wäre es wohl der Würde eines Königs, dem nicht Verſtellung zur Gewohnheit geworden iſt, irgend angemeſſen uns zu ſa - gen: ich will offen und freimüthig mit Euch reden! Die Wahrheit, die Sie uns ſchuldig ſind und uns verber - gen, wollen wir Ihnen ſagen; haben Sie den Muth zu - zuhören und lernen Sie davon.

Ihre gegenwärtigen Miniſter ſind Spitzbuben, treu - loſe Verräther, wie ihre Vorgänger, auf deren Irrwegen ſie fortgehen. Ein abſcheuliches Complott ward ſeit eini - ger Zeit in Ihrem Cabinet geſponnen, man wollte die pa - triotiſchen Bürger ermorden und mit bewaffneter Hand Ihren Despotismus herſtellen. Die beſtochene Mehrzahl der Nationalverſammlung, die Häupter des Heeres und der pariſer Municipalität, alle Befehlshaber der Linien - truppen, Ihre Agenten und Trabanten rings im ganzen Königreiche legten Hand an für den günſtigen Erfolg. Ihr Schwager der Öſterreicher und Ihre Mitbrüder, die - nige von Spanien Neapel und Sardinien, zogen Truppen zu Ihrer Unterſtützung zuſammen. Die entflohenen CapetsFranzöſiſche Revolution. 24370ſollten an der Spitze der verſchworenen Unzufriedenen in unſere Provinzen zurückkehren; und Sie, Sire, die Sie einen Vorwand zur Entzündung des bürgerlichen Krieges, zum Blutvergießen und zum Umſturze der Conſtitution, deren Erhaltung Sie beſchworen haben, ſuchten, fanden ihn in der Widerſetzlichkeit der Geiſtlichkeit. Sie haben geduldet, daß dieſe ihre Beſchwerden nach Rom ge - bracht, in der Hoffnung daß das Volk zu Gunſten ränke - ſüchtiger meuteriſcher Prieſter die Waffen ergreifen werde, damit der Fanatismus den Staat in Flammen ſetze und das Blut der Freiheitsfreunde durch die Hand von Ver - ſchwörern fließe. Der Himmel hat dieſen abſcheulichen Plan vereitelt, und erſt nachdem Sie ſein Mislingen nach allen Richtungen erfahren, willigen Sie in die Annahme des Decrets, welches die meuteriſchen Prieſter bändigen ſoll; Ihren hartnäckigen Widerſtand aber beſchönigen Sie mit dem lächerlichen Vorwande, man müſſe den erhitzten Gemüthern Friſt zur Beruhigung laſſen, als ob nicht die - ſer hartnäckige Widerſtand gerade das Mittel wäre, ſie zu einem verzweifelten Wagniß zu treiben und die Fackel des Krieges zu entzünden.

Wohlan, Sire, da ſind ſie in aller Reinheit dieſe abſcheulichen Wahrheiten, welche aus Ihrem Munde nicht zu entſchlüpfen wagten; ihre Bekanntmachung müßte Sie vor Schrecken erſtarren machen. Möchten ſie Ihre Stirn mit einer heiligen Röthe überziehen und Ihr von Böſewichtern umlagertes verführtes Herz zum Gefühle371 Ihrer Pflichten zurückrufen! Ihre Miniſter haben, indem ſie Sie zum gelehrigen Werkzeuge ihrer Betrügereien machten, nur in ihrem gewöhnlichen Berufe gearbei - tet; ich aber erfülle die heiligſte Pflicht, indem ich dieſe Betrügereien vor den unwilligen Augen des Publikums entſchleiere.

Aber nein, die Nation will kein Urtheil fällen; ſie vertraut ſich aufs Neue Ihrem Worte, ſie verzeichnet förmlich Ihre Zuſicherungen, um über Ihren guten Glau - ben, über die Aufrichtigkeit Ihrer Eide aus dem Eifer zu entſcheiden, mit welchem Sie die Züchtigung der Präla - ten betreiben werden, welche wagen möchten ſich wider - ſpänſtig gegen das von Ihnen genehmigte Decret zu be - weiſen, jetzt noch wagen ſollten den ihnen abzuverlan - genden Bürgereid zu verweigern oder zu verletzen. Sollte auch nur ein Einziger durch Ihre Nachläſſigkeit ihn zu fahen und den Gerichten auszuliefern entrinnen, ſo gelten Sie, Sire, für einen Feind der öffentlichen Freiheit, für einen treubrüchigen Verſchwörer, für den elendeſten Mein - eidigen, für einen Fürſten ohne Ehre, ohne Scham, für den letzten der Menſchen. Möge die Scheu, vor den Au - gen von ganz Europa mit Schmach bedeckt zu werden, Ihr Herz vor den Rathſchlägen der Sie umgebenden Böſewich - ter verſchließen: möge ſie Ihnen ein Beweggrund ſeyn, dieſe von freien Stücken dem Schwerte der Geſetze zu überliefern! Tragen Sie endlich Scheu, die Wahrheit, welche ſich Ihnen zu nahen wagt, zurückzuſtoßen. Auf24*372dieſer neuen Probe beruht das Urtheil, welches Gegen - wart und Zukunft über Sie fällen werden.

Paul Marat, der Volksfreund.

Ein Paar Wochen nach Mirabeau’s Tode machte der König die Erfahrung daß ſeine Perſon unfreier als dieApril 18. des geringſten Franzoſen ſey. Er wollte auf einige Tage nach St. Cloud, um ſein Gemüth und ſeine Geſundheit durch den ländlichen Aufenthalt, die Bewegung der Jagd zu erfriſchen, die heilige Oſterwoche in Stille mit un - beeidigten Prieſtern zu begehen; vielleicht auch geſchah es, um einen Verſuch zu machen, ob eine weitere Reiſe, öf - fentlich angeſtellt, ausführbar ſeyn möchte. Dieſer Ver - ſuch mislang. Der Verdacht der Flucht war verbreitet, vergeblich daß Lafayette und Bailly Alles aufboten, die aufgeſtellten Nationalgarden gehorchten nicht, und der wilde Danton führte ſein Bataillon herbei, ohne irgend berufen zu ſeyn. Der König ſaß mit der Königin andert - halb Stunden im Wagen, unſäglichen Kränkungen aus - geſetzt, und mußte am Ende ausſteigen, bleiben. La - fayette, tief gekränkt, reichte ſeine Entlaſſung ein; da gab es neue Verſicherungen, neue Eide, und Lafayette be -April 25. hielt den Befehl.

Um ſo ungeduldiger betrieb nun die Königin den Plan der geheimen Entweichung. Unter unzähligen Vorſichts - anſtalten, Verabredungen mit Bouillé, Feſtſtellungen und Umſtellungen des Abreiſetages kam man endlich auf den 21ſten Junius überein. Glücklich gelang gegen Mitter -373 nacht den Vereinzelten die leiſe Entfernung aus den Tuil - lerien, durch einen Nebenausgang. Man ging Anfangs irre, fand ſich aber wieder zuſammen und athmete auf als man in einem Miethwagen, deſſen Kutſcher Graf Ferſen, ein Schwede in franzöſiſchen Kriegsdienſten, war, unbe - hindert durch die Barriere an die Station von Bondy kam, wo ein vierſpänniger Reiſewagen wartete. Man ſchlug den Weg nach der Feſtung Montmedy ein; hier wollte der Monarch, von treuen Truppen geſchützt, ſeine Frei - heit wiederfinden. In derſelben Nacht aber reiſte Mon - ſieur in anderer Richtung der Gränze zu und erreichte glück - lich Brüſſel. Es ward acht Uhr Morgens ehe man in Pa -Juni 21. ris vernahm was über Nacht geſchehen ſey. Da entſtand ein gewaltiges Strömen des Volks, beſonders zu den Tuillerien, man ſah Pikenmänner darunter. Tiefgekränkt fühlte ſich Lafayette; er hatte kürzlich den König wegen der umlaufenden Gerüchte gefragt, und zur Antwort er - halten: Kein Gedanke an eine Entfernung, worauf der General ſich mit ſeinem Kopfe gegen die Nationalver - ſammlung verbürgte daß nichts dergleichen im Werke ſey. Jetzt beſprach er ſich ſchleunig mit Bailly und Alexander Beauharnais, derzeit Präſidenten der Nationalverſamm - lung, und vernahm aus Beider Munde die Verſicherung: ſolle Frankreich die Schrecken eines Bürgerkrieges vermei - den, ſo müſſe man den König anhalten auf ſeiner Flucht. Einen der fliehen will anhalten heißt aber ihn verhaften. Verhaftet man Könige? Lafayette nahm die Verantwort -374 lichkeit der That auf ſich, und ehe noch die Nationalver - ſammlung zuſammentrat, waren ſchon ſeine Officiere in Bewegung. Sie überbrachten an alle Nationalgarden, alle Gemeinden des Königreiches den von ihrem General un - terzeichneten Befehl, ſich der Entweichung des Königs zu widerſetzen.

Die Nationalverſammlung trat, raſch entboten, um 10 Uhr Morgens zuſammen. Während die Menge draußen ihren Zorn an königlichen Wappen und Namenzügen aus - ließ, ward hier mit einiger Schonung der königlichen Würde der Beſchluß gefaßt, daß die Feinde des Staates, welche die Entführung des Königs veranſtaltet, verhaftet werden ſollen. Zugleich erklärte man ſich für permanent, nahm von den in der Hauptſtadt anweſenden Generalen die Zuſicherung ihres Gehorſams in Empfang, übertrug die vollziehende Gewalt an die Miniſter. Allein die De - crete der Verſammlung bedürfen keiner Sanction mehr, der Siegelbewahrer wird ſie unterzeichnen und beſiegeln; dergeſtalt wohnte man ſich in die Republik ein. Die Ge - ſandten der fremden Mächte ſollen unverzüglich von dem Geſchehenen unterrichtet, die eigenen Geſandten demge - mäß angewieſen werden. Das gethan, ging die Ver - ſammlung mit gewohnter Zuverſicht zur Tagesordnung über, berieth über das künftige Strafgeſetz. Nicht lange freilich, ſo führte eine Unterbrechung auf die beklemmende Frage des Augenblickes zurück. Denn der Intendant der Civilliſte überſendet dem Präſidenten ein ihm ſo eben zu -375 gegangenes Packet: es iſt eine Proclamation an die Fran - zoſen, welche der unbedachtſame unglückliche König zurück - gelaſſen hat, von ſeiner eigenen Hand geſchrieben. Sie enthält ein Gemälde der unzähligen von ihm erduldeten Kränkungen, zugleich einen Proteſt gegen alle Erlaſſe, welche ſeit dem 6ten October 89 ihm abgedrungen ſind. Alſo war der König nicht entführt, er war entflohn, und am zweiten Sitzungstage 10 Uhr Abends drang der RufJuni 22. in die Verſammlung: Man hat ihn! er iſt verhaftet!

Die königliche Familie hatte ſich, ſeit es von Bondy weiter ging, frohen Hoffnungen überlaſſen. Der König ließ ſich ſogar am Schlage blicken und es gefiel ihm wohl wenn er von Einzelnen erkannt ward. Einige gute Wün - ſche ſtreiften an den rollenden Rädern vorüber. Als man über Chalons hinaus war, fühlte man ſich wie neugebo - ren, jetzt mußte man ja auch bald auf die von Bouillé aufgeſtellten Reuterabtheilungen ſtoßen. Das kam nun freilich nicht ganz ſo, vielmehr zeigte es ſich daß Bouillé mit gutem Grunde vor der ganzen Maßregel gewarnt hatte, weil ſolche Piquets, zu ſchwach um zu ſchützen, doch ſtark genug ſind, um den Argwohn zu wecken. Wirklich hatte die Umgegend, ſowie nur die erſte Abtheilung von 40 Pferden ſich blicken ließ, unbeſtimmten Verdacht ge - ſchöpft: die Reuter zogen ſich zurück, als man in den na - hen Dörfern Sturm läutete, in der Meinung, es ſey auf Eintreibung von Steuern abgeſehn. Als die Reiſenden in St. Menehould anlangten, herrſchte auch dort große Auf -376 regung wegen des Detachements Dragoner, welches ſeit geſtern eingerückt war. Der Capitän deſſelben ritt an den Schlag, ſprach mit dem Könige, welcher unvorſichtig fort - fuhr ſich zu zeigen, und der Poſtmeiſter des Orts Drouet glaubte ihn zu erkennen. Dennoch war er ſeiner Sache nicht gewiß, die durch einen Courier vorausbeſtellten Pferde waren angeſchirrt, es blieb für den Augenblick nichts zu thun, allein ſein Vorſatz war gefaßt. Als der Wagen abfuhr, ſchwang ſich Drouet, der früher bei den Dragonern ſtand, auf ſein Pferd, nahm noch einen Kriegscameraden mit ſich; ſeine Abſicht iſt auf Feldwegen den Reiſenden zuvorzukommen, welche auf ſchlechter Straße manchen Höhenzug zu überwinden haben. Mitt - lerweile hatte ſich die Vermuthung des Poſtmeiſters her - umgeſprochen, und als die Dragoner dem Wagen folgen wollten, ließ die Menge ſie nicht fort. Sie ſelbſt ſchloſſen ſich der Volksſtimme an, ließen es ſogar geſchehen daß ihr Officier verhaftet ward. Ähnlich ging es auf der näch - ſten Station in Clermont, nur daß der Officier glücklich davon kam. Im Flecken Varennes müſſen abermals Pferde gewechſelt werden; dieſe ſind nicht gleich zur Stelle; es iſt faſt Mitternacht: da erſchallt plötzlich Drouets Stimme zu den Poſtillonen: Im Namen der Nation verbiete ich Euch weiter zu fahren, Ihr fahret den König. Zugleich fügt er einen Zwang ſeinen Drohungen hinzu, zieht einen auf der Gaſſe ſtehenden Packwagen auf die nahe Brücke hinauf; man hilft ihm dieſen umſtürzen; jetzt iſt der Weg377 geſperrt, nun kann der König nicht über die Brücke. Bald auch waren die Behörden wach, die Sturmglocke läutete, und als nun die Menge von allen Seiten herbeiſtrömte, hatten die auch hier aufgeſtellten Mannſchaften Noth nur davon zu kommen; der jüngere Bouillé war dabei; er eilte ſeinen Vater zu benachrichtigen. Der Beamte der Ge - meinde, ein kleiner Krämer und Lichtzieher, hieß Sauſſe, trat ſchüchtern an die Kutſche, bat den König in demüthi - gen Ausdrücken, unter ſein Dach zu treten. Hier ange - kommen, ließ Ludwig die Verſtellung fahren, gab ſich zu erkennen, erklärte daß er Paris verlaſſen habe, um un - zähligen Kränkungen zu entgehen, aber in Frankreich bleibe; er warf ſich in die Arme Sauſſe’s, beſchwor ihn, vereint mit der Königin, um ſeine und der Seinigen Rettung. Dann ſich ermannend ſprach er: Sie verlangen meine Befehle, laſſen Sie meinen Wagen unverzüglich anſpan - nen, um meinen Weg nach Montmedy fortzuſetzen. Das begab ſich in der Gegenwart Vieler, die, in das Haus ſchon eingedrungen, die königliche Familie mit neugieri - gen Blicken muſterten. Hätte Sauſſe auch gewollt, er konnte, ſo umgeben, nichts für den König thun. Eben ſo ſtand es mit dem Haufen Huſaren, der im Verlaufe der Nacht unter verſchiedenen Officieren ſich in Varennes zuſammengefunden hatte. Den König und ſeine Familie ſchnell beritten machen, ſie in die Mitte nehmen und ſich heraushauen, mitten durch die Nationalgarden hin - durch, war der heherzte Rath der Officiere, welcher aber,378 wie es ſcheint, nicht minder an der Geſinnung der Huſa - ren als an der des Königs ſcheitern mußte. Dieſer will auf allen Fall Bouillé’s Ankunft abwarten, der, meinte er, ganz gewiß kommt: außerdem hält er ſich daran daß ja die Gemeinde von Varennes ihrem Könige die Reiſe nicht abgeſchlagen, nur verlangt hat daß er warte bis morgen früh. Aber Bouillé kam nicht; ſtatt ſeiner er - ſchien ein Adjudant Lafayette’s, begleitet von einem Of - ficier der pariſer Nationalgarde. Sie überreichen dem - nige ein Decret der Nationalverſammlung, welches ſeine Rückkehr fordert, geſtützt auf ein früheres Decret, welches dem Könige verbietet ſich weiter als 20 Lieues vom Sitze der Nationalverſammlung zu entfernen. Der König ſprach: Dieſes Decret habe ich nie ſanctionirt. Morgens acht Uhr ſaß der König wieder im Wagen, aber die Reiſe ging zurück nach Paris. Eine Stunde nach ſeiner Abfahrt er - ſchien Bouillé mit einem Reuterregiment vor dem von Tau - ſenden umringten, rings abgeſperrten Varennes. Da wandte er um und rettete ſich mit ſeinem Stabe über die franzöſiſche Gränze hinaus nach Luxemburg. Von hier ſchrieb er an die Nationalverſammlung einen Drohbrief, deſſen Schluß zu erkennen giebt, wie ſehr es dieſem Tapfern an politiſcher Vorausſicht gebreche: Ich wollte mein Vaterland, den König und ſeine Familie retten: Sehet da mein Verbrechen! Ihr werdet über ihre Erhal - tung Rechenſchaft geben müſſen, nicht mir, aber allen Königen; und ich verkünde Euch, daß, krümmt man ihnen379 auch nur ein Haar, kein Stein von Paris auf dem andern bleiben wird. Ich kenne die Wege und werde ſie den fremden Heeren ſelbſt zeigen, die Vergeltung wird Euch ereilen. Dieſer Brief iſt nur der Vorläufer eines Mani - feſts der Souveräne Europa’s: ſie werden Euch vernehm - licher kundthun was Ihr zu thun und zu fürchten habt. Gott befohlen, meine Herren, ich ſchließe ohne Förmlich - keiten; meine Geſinnungen ſind Euch bekannt.

Die Rückreiſe der königlichen Familie, auf einer Strecke von etwa 30 deutſchen Meilen, dauerte volle vier Tage, ſo unermeßlich war die Volksmenge auf allen Straßen zu - ſammengeſtrömt, und je näher man der Hauptſtadt rückte, um ſo langſamer ſchritt der unheimliche Zug vorwärts, auf dem Bocke drei Leibgarden ſitzend, ihres Todes ge - wärtig, weil ſie auf der Reiſe Courierdienſte gethan, um den Wagen Nationalgarden, die meiſten zu Fuß, halb - verdrängt von der ſtets wachſenden Schaar von Landleu - ten, die mit Forken und Senſen bewaffnet auf Ackerpfer - den heranſprengten, alle den Hut auf, ohne Begrüßung des Fürſten; als ein Edelmann, von Dampierre, heran - trat, mit Schmerz im Blick ſeine Ergebenheit denen im Wagen bezeugte, büßte er die That mit dem augenblick - lichen Tode. Bei Epernay begegnete man den Commiſſa - rien der Nationalverſammlung. Zwei von ihnen, Bar - nave und Pétion nahmen in dem königlichen Wagen Platz; der dritte Latour-Maubourg vermied das. Den 25ſten Abends erreichte man die Hauptſtadt. In der Vorſtadt380 St. Antoine war angeſchlagen: Wer dem Könige zu - klatſcht, kriegt Schläge, wer ihn beleidigt, wird gehan - gen. Durch eine doppelte Reihe von Nationalgarden ging der Weg zu den Tuillerien. Hier ward die königliche Familie einer Abtheilung der Nationalgarde übergeben, die für ihre Sicherheit wachen und für den König, die Königin und den Dauphin einſtehen ſoll. Lafayette iſt von nun an der Wächter ſeines Königs. Die executive Gewalt bleibt bis weiter noch in den Händen der Miniſter, der Sanction des Königs bedarf es bis weiter nicht. So ward denſelben Morgen decretirt.

Dieſe übel berathene Flucht und ihr Mislingen entriß der Majeſtät ihr letztes Gewand. Der König iſt ein Ge - fangener, welcher über die Beweggründe ſeiner Entwei - chung von Commiſſarien der Nationalverſammlung förm - lich vernommen wird. Ludwig beſaß nicht den Muth ei - nes vollkommen wahrhaften Bekenntniſſes. Zwar blieb er in der ausgeſtellten Erklärung bei den erduldeten Mis - handlungen als den Urſachen ſeiner Entfernung aus Pa - ris, nicht aus dem Königreiche, ſtehen, er behauptete aber durch ſeinen Proteſt die Grundlagen der Verfaſſung nicht angegriffen zu haben, erſt ſeit dem 6ten October ſey ſein Zuſtand unfrei geweſen, ein Einverſtändniß mit aus - wärtigen Mächten habe nicht ſtattgefunden. Er fügte noch, gleichſam entſchuldigend, hinzu, erſt auf ſeiner Reiſe habe er die Überzeugung gewonnen, wie günſtig die Volks - ſtimme der neuen Verfaſſung ſey, und gern opfere er ſeine381 perſönlichen Intereſſen dem Glücke des Volks. Die - nigin ward ebenfalls vernommen; ihre Aufgabe war leich - ter; ſie hielt an der Pflicht der Gattin feſt, Mann und Kinder nicht zu verlaſſen. Man fand ein Bild des Grames vor; ihre Haare waren in den wenigen Tagen weiß ge - worden. Nun ſiegte zwar in der Nationalverſammlung nach heftigem Kampfe der Grundſatz ob daß der KönigJuli 15. nicht vor Gericht geſtellt werden dürfe, allein wie wollte man dieſe Unverletzlichkeit ſeiner Perſon feſthalten, wenn man den Tag darauf ihr Fundament, die Unverletzlichkeit ſeiner Würde, zu Trümmern ſchlug? Denn decretirt ward,Juli 16. die königliche Gewalt ſolle bis zu dem Zeitpuncte ſuſpen - dirt ſeyn, da die Verfaſſungsurkunde dem Könige könne zur Annahme vorgelegt werden.

Unter ſolchen Umſtänden hätte der Rath, welchen der geprieſene Condorcet öfter im Geſpräch mit geiſtreichen Freunden gab, alle Aufmerkſamkeit verdient. Er läßt ſich ungefähr ſo zuſammenfaſſen. Die Monarchie iſt in ihre Elemente aufgelöſt. Der König iſt gefallen, laſſet ihn lie - gen. Ihn wieder künſtlich zu heben, den erklärten Feind Eurer Verfaſſung, um ihn dann von größerer Höhe den Todesſturz thun zu laſſen, wäre unmenſchlich und wider - ſinnig. Es wäre aber auch gefährlich; denn der Sturz des Wiedererhöhten erfordert eine neue Revolution, und ſehet dann wohl zu, daß nicht auf den leeren Platz ſchnell - füßig die Anarchie ſich ſetze. Befolgte man dieſen Rath - ſchlag, that beſonnen den von nun an unvermeidlichen382 Schritt, ſo ließ ſich ein Präſident für die Republik Frank - reich retten, aber freilich Ludwig konnte dieſer Präſident nicht mehr ſeyn, auch nicht der Herzog von Orleans, den, ſeit er wieder von England zurück, niemand beachtete. Allein Condorcet ſaß nicht in der Nationalverſammlung und ſelbſt als ihr Mitglied würde er nicht durchgedrungen ſeyn. Denn je weniger das Königthum noch haltbar war, um ſo entſchloſſener war dieſe, es am Zipfel feſtzuhalten, denn freilich ihr Ruhm bei der Nachwelt, ihr ganzes Ver - faſſungswerk beruhte darauf. Es wird glaubhaft behaup - tet daß für die Republik damals keine dreißig Stimmen in der Verſammlung waren; von dem dunkeln Gefühle daß ſie gleichwohl hereinbreche betroffen, ſuchte mancher Ab - geordnete damals Stützen auf, die er früher verſchmäht hatte. Seit Mirabeau’s Tode näherte ſich Alexander La - meth durch Montmorin dem Hofe. Lehren weiſer Mäßi - gung tönten ſelbſt aus Duports Munde. Insbeſondere bemerkte man an Barnave eine große Veränderung, ſeit er von jener Begleitung der königlichen Familie zurück - kehrte. Die Eiferſucht gegen Mirabeau trübte ſeinen Blick nicht mehr, und das traurige Schickſal dieſes Königspaares drang ihm tief ins Herz. Während ſein Gefährte Pétion ſich ſelbſtgefällig zwiſchen König und Königin zur Tafel ſetzte, hielt ſich Barnave beſcheiden zurück; zweimal un - terredete er ſich insgeheim mit der Königin während der Reiſe, bot ihr ſeine Dienſte mit Wärme an. Er war es auch, der mannhaft der äußerſten Linken entgegentrat, als383 ſie den Satz aufſtellte, die Unverletzlichkeit des Königs reiche gerade ſo weit als die Verantwortlichkeit ſeiner Mi - niſter, keinen Zoll weiter; wo er von dieſer ungedeckt bleibe, da ſey er verwundbar; nun habe kein Miniſter um ſeine Reiſe gewußt, keiner ſeinen Proteſt unterzeich - net alſo! Barnave legte damals der Verſammlung die ernſte Frage vor: Wollen wir die Revolution endigen? oder wollen wir ſie wieder anfangen? Ich fürchte kei - neswegs die fremden Mächte, auch die Ausgewanderten nicht. Ach es iſt nicht unſere Schwäche die ich fürchte, un - ſere Stärke fürchte ich, unſere Stürme, die endloſe Ver - längerung unſeres Revolutionsfiebers. Bedenket wohl, was nach Euch geſchehen wird. Ihr habt Alles zerſtört was zu zerſtören war. Ihr habt gethan was die Freiheit, was die Gleichheit forderte, keiner willkürlichen Gewalt iſt geſchont, keine Uſurpation der Eigenliebe iſt Euch ent - wiſcht, Ihr habt alle Menſchen gleich gemacht, beides vor dem bürgerlichen und dem politiſchen Geſetze, Ihr habt dem Staate zurückgegeben Alles was ihm genommen war. Ein Schritt weiter und die Revolution ſtürzt ſich in Ge - fahr; ein Schritt weiter auf der Bahn der Freiheit, und unſer Erſtes wäre die Vernichtung des Königthums; ein Schritt weiter auf der Bahn der Gleichheit, und unſer Erſtes wäre ein Angriff auf das Eigenthum. So Bar - nave und er gewann den Sieg. Nicht wenige aber die dem Königthum übel wollten, beriefen ſich auf die große politiſche Autorität von Sieyes. Dieſer brach hierauf ſein384Juli 6. verbiſſenes übellauniges Schweigen, erklärte öffentlich im Moniteur, er gebe der Monarchie den Vorzug vor der re - publikaniſchen Verfaſſung, wiewohl er in einer Civilliſte von 30 Millionen Gefahr für die Freiheit ſehe. Nicht um alten Gewohnheiten zu ſchmeicheln, auch nicht aus einem abergläubiſchen Hange für den Royalismus ziehe ich die Monarchie vor. Ich ziehe ſie vor, weil ich für er - wieſen halte daß es in der Monarchie mehr Freiheit für den Bürger giebt als in der Republik. Jeden andern Be - weggrund würde ich für kindiſch halten. Die beſte Regie - rungsform iſt nach meinen Begriffen diejenige, in welcher nicht Einer bloß, auch nicht Einige, ſondern Alle die größte Breite der möglichen Freiheit genießen. Wenn ich dieſen Charakter in der Monarchie entdecke, ſo iſt es klar daß ich ſie den andern Regierungsformen vorziehe. Das iſt das ganze Geheimniß meiner Principien und mein auf - richtiges Glaubensbekenntniß. Vielleicht gewinne ich bald Zeit dieſe Frage zu entwickeln und einen ehrlichen Kampf mit den Republikanern zu beſtehen. Ich will ihnen keine Gottloſigkeit, keinen Frevel Schuld geben, ſie nicht be - leidigen. Mehrere unter ihnen kenne ich, die ich von gan - zem Herzen ehre und liebe. Allein Gründe ſollen ſie ha - ben, und ich hoffe ihnen zu beweiſen, nicht daß die Mon - archie unter dieſen und jenen Verhältniſſen vorzuziehen iſt, ſondern daß man unter jeder Vorausſetzung mit ihr freier iſt als in der Republik. Als nun aber der berühmte Thomas Payne, nordamerikaniſchen Andenkens, den385 Handſchuh aufnahm und ſich für den geſchworenen Feind dieſer Hölle der Monarchie erklärte, da offenbarte es ſich in einem zweiten Moniteur-Artikel, was denn dieſer ange -Juli 16. ſtaunte Theoretiker Sieyes unter Monarchie verſtehe. Er bezeichnet mit dem Stempel der Verwerfung jede hiſtoriſche Monarchie, die engliſche nicht minder als die ottomani - ſche, ſieht in dem Monarchen allein den unverantwort - lichen Wähler von 6 verantwortlichen Monarchen, den Miniſtern. Der Unterſchied zwiſchen Monarchie und Re - publik beſteht, recht begriffen, lediglich darin, daß dort der Einzelne, hier eine Mehrheit die Miniſter ein - und ab - ſetzt. Weit richtiger aber, ſich hierin der Einheit eines Individuums zu vertrauen als einer Stimmenmehrheit, weit angemeſſener, den Staatsbau in eine Spitze als in einen Söller ausgehn zu laſſen. Allerdings iſt es eine Ab - geſchmacktheit, den unverantwortlichen Monarchen erblich zu machen, allein die Formen der Wahlmonarchie, welche die Geſchichte bietet, ſind nicht minder abgeſchmackt, und man darf es der Nationalverſammlung nicht verargen, daß ſie, mit derartigen Fragen wenig noch vertraut, als ſie an ihr Geſchäft ging, die abgeſchmackte Erblichkeit einer eben ſo abgeſchmackten Wahl, die den bürgerlichen Krieg im Gefolge hat, vorzog. Allerdings iſt man jetzt mehr eingeübt in Wahlfragen und unſer Staatskünſtler weiß eine für die höchſte Würde ganz geeignete Wahlform. Nichtsdeſtoweniger iſt er keineswegs der Meinung, daß man unter den gegebenen Verhältniſſen die beſchloſſene Con -Franzöſiſche Revolution. 25386ſtitution in dieſem Punct abändere, zumal die Verſamm - lung gewiß ſeyn kann, daß alle Theile von Frankreich ſich in der ſchon bekannten Verfaſſung am ſicherſten vereinigen werden. Man muß endlich fertig werden; auch bleibt ja der Nation immer noch offen, künftig einmal durch eine conſtituirende Verſammlung jene Änderung zu treffen. Das Reſultat iſt: Sieyes hat in Verfolgung des Zieles geſell - ſchaftlicher Freiheit die von Andern als ihr Äußerſtes be - wunderte Republik weit hinter ſich zurückgelaſſen, und iſt bei der wahrhaften Monarchie angelangt. Er hat übri - gens ſeine Unterſuchungen über dieſen Punct ſchon vor Anfang der Revolution abgeſchloſſen. Dergeſtalt würde, wir dürfen es nicht bezweifeln, in den Augen von Sieyes ein gewählter Präſident einen Monarchen bedeuten, und ſicherlich auch einer, der für wenige Jahre gewählt iſt; denn warum ſollte man die geſellſchaftliche Freiheit mit den Altersſchwächen eines Individuums belaſten?

Stand es nun ſo mit der monarchiſchen Theorie des als Monarchiſt rings verſchrieenen Mannes, ſo darf man ſich nicht wundern daß ein Jünger Payne’s, Briſſot, der in Nordamerika das Gedeihen der Grundſätze bewun - dert hatte, welche jener dort ausſäen half, in ſeinem Jour - nal und im Jacobinerclub ohne Scheu erklärte, er gehorche zwar wie billig der einmal über Frankreich verhängten Monarchie, allein ſie höre darum nicht auf, die Geißel der Menſchheit zu ſeyn. Briſſot war in etwas anſtändigeren Formen der Nachtreter von Camille Desmoulins und Ma -387 rat, deren Blätter längſt alle Monarchie als Ungereimt - heit und Schlechtigkeit behandelten, und zu derſelben Mei - nung bekannte ſich die damalige Mehrheit des Jacobiner - clubs, vor Allen ſein Stentor Danton. Sein Satz war, König Ludwig müſſe entweder für einen Verbrecher oder für wahnſinnig erklärt werden. Da traten nun freilich die Mitglieder der Nationalverſammlung, mit Ausnahme von Leuten wie Robespierre und Pétion, lieber aus dem Ja - cobinerclub und bildeten einen Verein für ſich im Kloſter der Feuillans; allein die Jacobiner hatten jetzt nur um ſo freiere Hand, und nicht lange ſo war auf offenem Mars - felde die Unterzeichnung einer Volksbittſchrift ins Werk gerichtet, deren Unterzeichner erklären, daß der König am 21ſten Junius auf die ihm übertragene Krone verzichtet hat, und auf die Wahl einer neuen conſtituirenden Verſamm - lung antragen, die den vormaligen König richte und eine neue ausübende Gewalt aufſtelle. Aber während ſich auf den morſchen Stufen des Altars des Vaterlandes von je - nem Bundesfeſte her die Unterſchriften häuften, in vielen Exemplaren gleichzeitig eingeſammelt, erſchien, um dieſen Eifer zu ſtören, ein Mann, der über das Königthum in - nerlich nicht viel anders dachte als die Unterzeichner. La - fayette rückte mit der Nationalgarde an, zerſtreute die wi -Juli 17. derſetzliche Menge durch eine Flintenſalve, welche Ver - wundete und Todte hinterließ. In dem erſten Schrecken flüchteten Camille Desmoulins und Danton aus der Hauptſtadt, Marat verſteckte ſich, und Robespierre, ob -25*388gleich geſchützt durch die Würde des Abgeordneten, hielt ſich eine Zeit lang nicht ſicher in ſeinem Hauſe. Man fürchtete die Schließung des Jacobinerclubs und des noch ausſchweifenderen der Cordeliers. Vergebliche Furcht! Die Nationalverſammlung verfolgte ihren Sieg nicht. Von der großen Mehrzahl derſelben ward die Krone nicht aus politiſcher Überzeugung, auch nicht aus Treue gegen Lud - wig XVI. geſchützt, ſondern weil ſie einen integrirenden Theil des Verfaſſungspalaſtes ausmachte, welcher nach mehr als zweijähriger Arbeit nun doch endlich fertig wer - den mußte, an dem man vor allen Dingen nicht wieder einreißen durfte, ohne den Verdacht decemviraliſcher Uſur - pationsplane auf ſich zu laden.

Um ſo widerſinniger war es freilich daß die Verſamm - lung unlängſt den ſchwachen Hoffnungsfaden durchſchnit - ten hatte, welcher den Beſtand ihres Werks an die Eigen - liebe ſeiner Schöpfer knüpfte. Bereits am 16ten Mai ver - zichtete die Verſammlung faſt mit Einſtimmigkeit auf die Wählbarkeit ihrer Mitglieder zu der geſetzgebenden Natio - nalverſammlung, welche der ſogenannten conſtituirenden auf dem Fuß folgen ſoll; der Taumel der fünften Auguſt - nacht ſchien wiedergekehrt, man wollte vor aller Welt den Beweis der völligſten Selbſtverläugnung geben. Vor aller Welt vielleicht, aber gewiß nicht im verſchwiegenen In - nern des ſich ſelbſt prüfenden Gemüthes. Ohne Zweifel hat uns Mirabeau’s Tod hier eines Meiſterſtückes der Rede beraubt. Wie würde er den Unverſtand, der ſich389 für lautere Tugend giebt, beſchämt, die Tücke der verſtock - ten Royaliſten aufgedeckt haben, die in heimlichem Triumph hofften, an der rohen Thatkraft einer neuen ungeſchulten Verſammlung das verhaßte Conſtitutionswerk nächſtens ſcheitern zu ſehen! Denn weit lieber war dieſen die Re - publik, als doch unhaltbar, gegen ſolch ein Königthum. Wie würde er vollends der ſchnöden Eiferſucht, die, ſelbſt ohne Hoffnung zur Macht, gern auch Andern den Weg dazu verſperrt, ihren dürftigen Schleier abgezogen, den einſichtigeren Theil aber, der vor dem Vorwurfe ſelbſt - ſüchtiger Herrſchſucht verſtummte, ermuthigt haben Alles aufzubieten, damit die Kräfte, die das Werk geſtiftet, auch zur Erhaltung desſelben verwendet würden! Denn alle Leidenſchaften und Verſtocktheiten, unterſtützt von dem dieſer Nation einwohnenden Gefallen an theatraliſcher Tu - gend, wirkten zu dieſem Beſchluſſe albernſter Selbſtver - läugnung zuſammen. Eben ſo verfehlt war, daß nach jenem Decret, welches die königliche Macht noch nach des - nigs Rückkehr von ſeiner mislungenen Flucht ſuſpendirt bleiben ließ, während einige Mitglieder unwillig austra - ten, ein anderer Theil der Verſammlung, ungefähr 300, eine Erklärung unterzeichneten, daß allein die Hoffnung, für die perſönlichen Intereſſen des Königs und der königlichen Familie noch wirken zu können, ſie bei Männern zurück - halte, welche über den Trümmern der Monarchie die Mis - geſtalt einer Republik errichten wollten: die Unterzeichne - ten würden daher an Berathungen, welche jene Intereſſen390 nicht berührten, keinen Antheil ferner nehmen. Das hieß ſich ſelbſt zur Ohnmacht verurtheilen. Verlor ſo die Na - tionalverſammlung während der letzten Monate ihrer Thä - tigkeit zuſehends an Kräften, ſo zählte dagegen der Jaco - binerclub ſo viele Mitglieder als Necker jener zugewieſen hatte, reichlich 1200, ſtieg auf 1800, und wenn er ſeine Ableger durch ganz Frankreich überſchlug, es waren ihrer leicht drittehalbhundert, ſo ſtand ihm eine Heeresmacht zu Gebote. Denn von der beſcheidenen Zeit an, da der Club der Bretagner Deputirten ſich für 400 Franken Miethe die Aufnahme im Jacobinerkloſter der Straße St. Honoré erkaufte, welch eine Bahn hatte er durchmeſſen! Von dem geräumigen Speiſezimmer der Mönche ging man zu ihrem großen Bibliothekſaale, endlich zu ihrer Kirche über, im - mer weil es an Raum gebrach. Jetzt aber war auch Alles in erwünſchter Anordnung feſtgeſtellt: der Hochſitz des Präſidenten, die Seſſel der Secretäre, die Rednerbühne, die Geſchäftsordnung, ein eigenes Journal, welches die Debatten und Beſchlüſſe des Clubs veröffentlicht, Alles nach dem Muſter der Nationalverſammlung, welche man auf jedem ihrer Schritte begleitet; auch die Sitzungen wa - ren öffentlich, wenngleich durch Eintrittskarten bedingt. Am bequemſten aber war es geradezu nur als thätiges Mitglied einzutreten, denn dazu genügte letzter Zeit ſchon der Vorſchlag von nicht mehr als 6 Mitgliedern. Gewiß, vom pariſer Mutterclub aus ließ ſich Frankreich beherr - ſchen, auch wenn man nicht mehr zugleich in der National -391 verſammlung ſaß, vorausgeſetzt daß man ſeiner Bered - ſamkeit vertraute, die ſich jetzt hauptſächlich in Improvi - ſationen geltend machte. Auch ertrug Duport nur kurze Zeit die Entfernung von ſeiner Hände Werk, kehrte zurück in den Schooß der Jacobiner, und viele Abgeordnete folg - ten ſeinem Beiſpiele.

Mittlerweile trat der Ausſchuß ins Leben, welcher ſeit länger zum Zwecke der Reviſion der Verfaſſung ernannt war. Wie gern wäre Mirabeau damals hineingetreten, aber man fand Mittel ihn auszuſchließen. Seine Mitglie - der waren: Duport, Barnave, Alexander Lameth, Cler - mont-Tonnerre, der redlich gemäßigte Beaumetz, endlich Pétion und Buzot. Bloß die beiden letzteren waren erklärte Republikaner, ſie ſahen ein daß ſie nichts ausrichten wür - den und zogen ſich bald von den Sitzungen zurück. Somit hatten die Hauptbegründer der auf republikaniſchen Grund - ſätzen ruhenden Monarchie freie Hand. Ihre Aufgabe war zu redigiren, Ungehöriges auszuſcheiden, Dunkelhei - ten und Widerſprüche in dieſen unzähligen Decreten zu entfernen. Die Verfolgung dieſes Zieles konnte zu weſent - lichen Verbeſſerungen führen, ſicherlich aber zu keinem Umbau durch die Hand von Männern, deren Haupt - triumphe ſich an die Hauptfehler der Verfaſſung knüpften, mochte auch mancher von ihnen wünſchen damals nicht triumphirt zu haben. Der Reviſionsausſchuß hielt oft ge - meinſchaftliche Sitzungen mit dem Verfaſſungsausſchuſſe. Die damaligen Mitglieder des letzteren waren: Sieyes,392 Talleyrand, Thouret, Chapelier, Target, Rabaud St. Etienne und Desmeuniers. Allein Sieyes hüllte ſich in ſein mürriſches Schweigen, Talleyrand ſah zu, die übri - gen waren entzückt von der Verfaſſung, mit Ausnahme von Chapelier. Mit dieſem und Barnave beſprach ſich Ma - louet, ohne Vergleich der bewährteſte Charakter in der gan - zen Verſammlung, deſſen treugepflegte Überzeugungen von keiner Zuthat perſönlichen Ehrgeizes erſtickt wurden. Sie entwarfen den Plan, eine gründliche Verbeſſerung der Ver - faſſung im Sinne der Ordnung in der Nationalverſamm - lung zu bewirken, noch während der Reviſionsausſchuß ſeine Arbeit thäte. Die Verfaſſungsurkunde ward der Ver - ſammlung durch eine Verleſung, welche Thouret über -Aug. 5. nahm, bekannt gemacht. Nun griff Malouet ihr metaphy - ſiſches Princip an. Eine Regierungsform, welche mit der Freiheit eine weiſe Fürſorge für ihre Dauerhaftigkeit verbindet, darf nicht auf die größte politiſche Freiheit be - rechnet ſeyn, ſie muß berechnet ſeyn auf die größte Sicher - heit und Freiheit der Perſonen und des Eigenthums. Ihr habt das Gegentheil gethan; Ihr ſtelltet in Eurer Ver - theilung der Gewalten die politiſche Freiheit in der größ - ten Ausdehnung an die Spitze und möchtet nun die mög - lichſt große Sicherheit der Perſonen und des Eigenthums daran knüpfen. Ihr ſtellet das Volk als den Souverän hin, der freilich ſeine Souveränität nicht ſelbſt ausüben könne, Ihr laſſet ihn zu dem Ende Gewalten übertragen; allein es iſt gar ſchwer, denjenigen zum Unterthan um -393 zuſchaffen, welchem man beſtändig ſagt, in ihm wohne die Herrſchaft. Er wird bei jedem Anlaſſe auf den erſten Grundſatz zurückgehen, wird die Gewalten zurückziehen, ſie umwandeln. Mithin iſt der erſte Fehler Eurer Verfaſ - ſung dieſe abſtract aufgeſtellte Souveränität. So bahnte ſich Malouet den Weg zum Umſturze der Erklärung der Rechte und hatte ſchon an die Nothwendigkeit, vor allen Dingen den König auf freien Fuß zu ſetzen, erinnert, als ihn Buzots Stimme unterbrach: Was man Euch vor - ſchlägt iſt nichts weniger als eine Gegenrevolution. Als - bald erhub ſich gewaltige Aufregung und ein Getöſe, Cha - pelier und Barnave wichen dem Sturme, ſie vermochten es nicht über ſich, ihre eigene ſtaatsmänniſche Laufbahn zu bekämpfen, ſie ſelbſt unterſtützten den Antrag daß die lei - tenden Grundſätze unantaſtbar bleiben müſſen. Fortan nahm die Reviſion ſowohl in dem Ausſchuſſe als in der Verſammlung einen äußerſt raſchen Gang, alle Grund - lagen blieben wie ſie waren, die Vertheilung der Gewal - ten ward in keinem Stücke geändert, die Aufhebung jenes Beſchluſſes wegen der Nichtwählbarkeit der Mitglieder der Nationalverſammlung ward zwar von dem Ausſchuſſe be - antragt, aber verworfen; für ſpäter ſoll indeß die Wieder - wahl zur nächſtfolgenden Verſammlung geſtattet ſeyn, nicht aber zum dritten Male. Beide Ausſchüſſe ſchlugen den Artikel vor: Die Miniſter werden in der geſetzgebenden Nationalverſammlung Zutritt haben; ſie werden daſelbſt einen ausgezeichneten Platz erhalten und auf ihr Verlangen394 über alle Gegenſtände gehört werden und Aufklärungen geben, ſobald man ſie darum erſucht. Dieſer Artikel ward verworfen und ein anderer trat an die Stelle, wel - cher ihre Redefreiheit auf die ihrem Reſſort angehörigen Gegenſtände beſchränkte, es ſey denn daß ſie die Erlaub - niß erhielten dieſe Gränze zu überſchreiten.

Die Frage entſtand, wie es gehalten werden ſolle, wenn ſich das Bedürfniß einer Veränderung der Verfaſ - ſung offenbare. Nach mancher Debatte fand Frochots ge - mäßigter Vorſchlag Beifall, welcher jede directe Einwir - kung des ſouveränen Volks entfernte. Wenn drei auf ein - ander folgende Legislaturen ſich für die Veränderung eines Verfaſſungsartikels übereinſtimmend entſchieden haben, ſoll die Veränderung ſtattfinden; aber es iſt nicht geſtattet, in den beiden nächſten Legislaturen eine Veränderung in Vorſchlag zu bringen.

Am 3ten September endigte mit der Reviſion die Ver - faſſungsarbeit. So unbedeutend die Veränderungen wa - ren, ließ ſich Robespierre es nicht nehmen, ſie als ein Na - tionalunglück zu beklagen; er verlangte daß auch nicht ei - nen Augenblick über die Annahme mit der executiven Ge - walt unterhandelt werde. Dieſe ward inzwiſchen, damit ſie der ihr zugedachten Regierung nicht entrinne, ſeit dritte - halb Monaten ſtrenge in ihrem eigenen Schloſſe bewacht, ſo ſtrenge, daß die Königin kaum für den Kleiderwechſel hinlänglich freie Zeit behielt und die wachthabenden Of - ficiere manchmal Nachts durch die offene Thüre hin nach -395 ſahen, ob König und Königin ſich auch in ihren Betten befänden. Jetzt aber am Abend des 3ten September begab ſich eine Deputation von 60 Mitgliedern bei Fackelſchein in die Tuilerien; ihrer wartete der König, von ſeinen Miniſtern umgeben. Thouret, zum dritten Male Präſi - dent, ſprach: Die Vertreter der Nation bringen Eurer Majeſtät die Verfaſſungsurkunde, welche die unverjähr - baren Rechte des franzöſiſchen Volks heiligt, dem Thron ſeine wahre Würde zurückſtellt, und der Verfaſſung des Reiches ein verjüngtes Daſeyn giebt. Zugleich wurden die Wachen zurückgezogen, und Ludwig befahl nun der Garde, die ihm eben noch zu befehlen hatte. Am 13ten ertheilte der König ſchriftlich ſeine Genehmigung, unbe - dingt, ohne gleichwohl zu verhehlen daß er in Betracht der Größe des Reiches mehr Macht für die ausübende Gewalt gewünſcht hätte, bei ſo getheilten Meinungen vertraue er jedoch die Entſcheidung der Erfahrung. Den Tag darauf leiſtete der König perſönlich den Eid auf die Verfaſſung, ſtehend vor den ſitzenden Nationalvertretern; die Königin befand ſich mit ihrem Gefolge in einer Sei - tenloge. Als Ludwig, begleitet von der jubelnden Ver - ſammlung, ſein Schloß erreicht hatte, warf er ſich in einen Seſſel und beklagte weinend die erlittene Demüthigung.

Noch beſchloß die Verſammlung ein unwirkſames De -Sept. 29. cret gegen die Clubs und ihre Anmaßung, ſich als politi - ſche Körperſchaften geltend zu machen, politiſche Beſchlüſſe zu faſſen und auf die Behörden einwirken zu wollen, ſtatt396 ſich auf wechſelſeitige Aufklärung zu beſchränken. Aber am 30ſten September entließ der König die Nationalver - ſammlung mit der Mahnung an ihre Mitglieder, ihre Grundſätze der Ordnung und Geſetzlichkeit in den Depar - tements zu verbreiten. Der Präſident Thouret nahm dann das Wort: Die conſtituirende Verſammlung erklärt daß ihr Auftrag erfüllt iſt und daß ſie von dieſem Augenblicke an ihre Sitzungen ſchließt.

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2. Die geſetzgebende Verſammlung und das Ausland.

Während die conſtituirende Verſammlung ihr Werk nachbeſſerte, wurden die Mitglieder der folgenden Legis - latur gewählt und nach Paris beſchieden, damit die höchſte Gewalt auch keinen Tag in ihrer Thätigkeit feiere. In die alten Räume der Reitbahn ziehen fremde Geſichter ein,Oct. 1. an welchen dem Pariſer zuerſt ihre Jugend auffällt, es ſind mehrentheils Männer unter dreißig Jahren. Aber der Saal füllt ſich auch nicht wie ſonſt; ihrer ſind, und wir loben das, nicht mehr 1200, nur 745. Wie man aber gerade zu dieſer Zahl kam? Es greift das auf die früher beſprochene neue Reichseintheilung in Departements, Diſtricte und Cantons zurück. Im Canton nimmt das Wahlgeſchäft ſeinen Anfang, das will ſagen die Wahl der Wähler; denn bei dieſen keineswegs empfehlenswer - then Wahlcollegien, aus welchen die erſte Nationalver - ſammlung nothgedrungen hervorging, iſt man ſtehen ge - blieben. In jedem Canton tritt zu dem Ende eine Urver - ſammlung zuſammen, die im Durchſchnitt 600 bis 900398 active Bürger enthält, das heißt Zahler einer jährlichen Steuer von mindeſtens drei Tagelohnen, übrigens mit Heimathsrecht im Canton, volle 25 Jahre alt, der dienen - den Claſſe nicht angehörig ꝛc. Iſt der Canton bevölkerter, ſo zerfällt er in mehr als eine Urverſammlung, deren jede im Durchſchnitt vier oder fünf Wähler zu ernennen hat. Um aber wählbar zum Wähler zu ſeyn, muß man entwe - der ein gewiſſes jährliches Einkommen als Eigenthümer oder Pächter beziehen oder auch eine jährliche Miethe von gewiſſer Höhe bezahlen, welches Alles dann für Städte über 6000 Einwohner und darunter und drittens für das Land verſchiedenartig normirt iſt. Schließlich treten dann ſämmtliche Wähler eines Departements zum Wahlcolle - gium zuſammen, in der Regel an dem Hauptorte deſſelben. Die Zahl ſämmtlicher Abgeordneten zur Nationalverſamm - lung iſt laut der Verfaſſungsurkunde neunmal ſo groß als die Zahl ſämmtlicher Departements im Königreiche. Das nun würde 747 Abgeordnete bringen, wenn nicht eine Ausnahme dazwiſchen träte. Denn dieſe Abgeordneten werden keineswegs ſo beſchafft, daß jedes Departement deren 9 ſtellte. Vielmehr wird der Anſpruch jedes Depar - tements nach drei Geſichtspuncten abgeſchätzt, welche in der Geſammtrepräſentation gleiches Gewicht haben ſollen, nach Verhältniß nämlich ſeines Territoriums, ſeiner Be - völkerung und ſeiner Steuerquote. Nun hat man zwar bei der Departementaleintheilung die Gleichheit der Gebiete im Auge behalten und kann da ohne ſonderliche Verletzung399 der Theorie jedem Departement ſeine volle Dreizahl der Gebietsvertreter zubilligen, doch macht das hauptſtädtiſche (Département de Paris) eine Ausnahme, indem es wegen ſeiner Kleinheit nur einen einzigen Vertreter dieſer Art da - vonträgt, und eben daher ſtammt der Ausfall von zwei Deputirten dieſer Kategorie und die Geſammtſumme von nur 745 Abgeordneten. Dagegen wird dieſes Departe - ment hinlänglich durch ſein Übergewicht in den beiden an - deren Kategorien, beſonders dem Steuerbeitrage entſchä - digt, und erhält im Ganzen 24 Abgeordnete; das Depar - tement Rhone und Loire, worin Lyon, ſtellt aus ähnlichen Gründen deren 15. Jedes der 83 Wahlcollegien hat außer den Abgeordneten auch noch ein Drittel Erſatzmänner zu wählen, aber, und dieſe Verbeſſerung wird, wie manche andere im Wahlweſen, der Reviſionsarbeit verdankt, alle früher erſonnenen Beſchränkungen ihrer Wählerfreiheit fal - len weg. Welches Alters, Standes, Gewerbes, Ver - mögens einer auch ſey, wer die Eigenſchaften des activen Bürgers beſitzt, darf unter die Vertreter der Nation ſich ſtellen (ein vollkommen richtiges Princip, vorausgeſetzt daß die richtigen Wähler gefunden ſind). Trifft einen ent - fernbaren Beamten die Wahl, ſo muß er eines von beiden Verhältniſſen aufgeben; dagegen darf der unentfernbare Richter ſich einſtweilen erſetzen laſſen. Die Zahl der ge - wählten Advocaten war noch größer als in der erſten Ver - ſammlung; man ſprach von Dreihunderten.

Als die neue Verſammlung allmählig in Fluß kam400 und man anfing einander kennen zu lernen, bildete ſich ſo - fort die frühere Scheidung wieder, indem die Gleichge - ſinnten ſich rechtshin oder linkshin zuſammen ſetzten, mit der alten Bedeutung beider Seiten, vergeblich daß der Präſident den Ausdruck rechte Seite nicht dulden wollte. Weiterhin trat jedoch auf der linken Seite eine noch nicht vorgekommene Trennung ein, als eine Gruppe dort ſich auf den unteren Bankreihen zuſammenhielt, die andere unluſtig die höheren Sitze ſuchte. Dieſe Männer des Ber - ges, wie man ſie nannte, blickten verſtimmt auf ihre Nach - barn in der Ebene, die ihre politiſche Farbe trugen, aber ſich beſſer dünkten als ſie. Freilich kam die Mehrzahl von dieſen aus dem großen, gewerbreichen, vermögenden Bor - deaux im Departement der Gironde und es fanden ſich un - ter dieſen Girondiſten Männer von ausgezeichneten Gaben, vor Allen Vergniaud, Guadet, Genſonné, Grangeneuve; und Männer von Bildung, wie Condorcet und Briſſot, beide von den Pariſern gewählt, ſchloſſen ſich ihnen an. Der Charakter der Girondiſten prägt ſich am offenherzig - ſten, obgleich nicht gerade auf die ehrenhafteſte Weiſe in Briſſot aus. Sie alle ſind keine Freunde der Monarchie, halten ſie für eine veraltete, ziemlich unverſtändige Regie - rungsform, allein ſie erkennen ihre Verpflichtung der Con - ſtitution zu gehorchen bis zu einem gewiſſen Grad an. Wenn unverſehens eine Republik aus Frankreich würde, ſie hätten gewiß nichts dawider, aber in eine Herrſchaft der rohen Maſſen, des Pöbels darf es nicht umſchlagen;401 und das wird, meinen ſie, ihr politiſches Talent, ihre Beredſamkeit ſchon zu verhindern wiſſen. Ganz anders aber dachte der Berg hinter und über ihnen. Er ſah in dieſen feinen Bordeauxer und Pariſer Herren eine ihm keines - wegs genehme Ariſtokratie des vermöglichen Talents und der Bildung, die man zwar vorläufig gelten laſſen konnte, inſofern ſie dazu half, die rechte Seite unten zu halten, aber lange durfte ihr Reich nicht währen; denn der Berg ſteuerte mit vollen Segeln auf die Republik und die Herr - ſchaft der Maſſen zu. Ihre natürliche Wurzel ſah die Berg - partei im Jacobinerclub, hier fand ſie ihren Robespierre, der ſeit ſeinem Rücktritt von der Macht in allem Glanze der Selbſtverläugnung ſtrahlte, hier Danton, Camille Desmoulins, Marat, hier die neuen Größen, den gewe - ſenen Schauſpieler Collot d’Herbois, den Fleiſcher Legendre, den Journaliſten Tallien, Alles Nicht-Deputirte, aber Männer von entſchiedenem Einfluß in den Volkskreiſen der Hauptſtadt. Auf der rechten Seite der Nationalverſamm - lung ſaßen die Deputirten, welche es mit dem Eide auf die neue Verfaſſung ernſtlich meinten; man darf keine Ei - ferer für die alte Ordnung der unumſchränkten Monarchie unter ihnen ſuchen, aber Männer, wie Mathien Dumas und Paſtoret, die das Leben und den beweglichen Cha - rakter ihrer Landsleute in Krieg und Frieden kannten, hät - ten der Krone gern alle noch mögliche Macht geſichert. Ihre Hoffnung war, diejenigen Collegen, welche noch eine Meinung zu ſuchen ſchienen, und es mochten dererFranzöſiſche Revolution. 26402ein Paar Hundert ſeyn, für ſich und ihren Club, den der Feuillants, zu gewinnen. Auch gelang es ihnen zu - nächſt damit, ihren Clubſaal belebten in den nächſten Monaten wohl drittehalb Hundert Deputirte. Hier ward es aufrichtig beklagt, als der verdienſtvolle, durch Er - fahrung gemäßigte Bailly von der Mairie der Haupt - ſtadt jetzt zurücktrat und der laxe unzuverläſſige Pétion an deſſen Stelle gewählt ward, welcher einen der hef - tigſten Jacobiner, den Manuel, zum Procureur-Syndic erhielt, deſſen Subſtitut dann Danton ward. Wie gern wäre Lafayette Maire geworden, da er laut der neuenOct. 8. Ordnung den Oberbefehl der Nationalgarde niederlegen mußte, welcher jetzt unter den Chefs ihrer ſechs Legio - nen von Monat zu Monat wechſelt. Aber Lafayette’s Bewerbung ſcheiterte an der momentanen Eintracht der - jenigen, welchen er zu wenig königlich, und derer, wel - chen er es viel zu viel war. Die Freunde der Ruhe weiſſagten wenig Gutes aus dieſen beiden Verände - rungen.

Mittlerweile vollendete die Nationalverſammlung bin - nen drei Tagen die Prüfung der Vollmachten unter ihrem Alterspräſidenten; als die Hälfte der Deputirten und einer darüber beiſammen, war Präſidentenwahl, und ſo glimpf - lich ließen ſich die Sachen an, daß Paſtoret gewählt ward. Eine Deputation ging auf das Schloß, um den König zu benachrichtigen daß die Verſammlung conſtituirt ſey, und die Beſtimmung des Tages zu erhalten, an welchem403 der König erſcheinen werde, ſie zu begrüßen. Die De - putirten kehrten ärgerlich zurück, man hatte ſie mehrere Stunden warten laſſen, ihre Verſtimmung theilte ſich der Verſammlung mit und ſogleich ward ein Beſchluß gefaßt, welcher die Empfangsehren des Königs beſchränkte und ihm die Titel Majesté und Sire entzog. Erſt denOct. 5. Tag darauf war man abgekühlt genug, um einzuſehen daß ſolch ein Beſchluß keineswegs eine Maßregel der inneren Polizei der Verſammlung ſey, ſondern der - niglichen Sanction bedürfe, und trat davon zurück. AberOct. 6. während der Debatte ging manches Licht auf. Die Gi - rondiſten, an ihrer Spitze Vergniaud, verriethen daß es ihnen ganz recht ſey, die Krone noch tiefer zu ſtel - len, und die für dasmal geſchlagene Partei nahm an einem Theile ihrer Gegner Rache. Dafür nämlich mußte ſie eine Anzahl Mitglieder der vorigen Verſammlung (exconstituants) halten, welche in der Hauptſtadt ge - blieben waren, um die neue Verſammlung einzuſchulen, und welche ſogar während der Sitzung von gewiſſen vorbehaltenen Gallerieplätzen aus Mittheilung mit Ein - zelnen pflogen. Letzterem ward gleich ein Ende gemacht, um ſo eher ließ ſich hoffen durch einige Siege über die conſtituirende Verſammlung volle Genugthuung zu er - langen.

Und ſo geſchah es. Man begann mit der Aufhe - bung ihres Beſchluſſes wegen der Clubs und anderer Volksgeſellſchaften, und nahm fortan Bittſchriften und26*404Nov.Deputationen von dieſen an, nur daß man ſie auf den Sonntag beſchränkte. Man erlaubte dem gemeinen Manne, den nichtactiven Bürgern, welche keinen Zutritt zur Na -Dec. tionalgarde hatten, eine andere ſtädtiſche Bewaffnung nebenher zu bilden, Piken zu tragen, nur daß jeder Pi - kenmann ſich förmlich einzeichnen laſſe und die Piken - mannſchaft unter dem Befehlshaber der Nationalgarde ſtehe. Man ließ endlich im Verlaufe des Winters neben der Nationalcocarde noch ein anderes äußeres Abzeichen, die rothe Mütze, aufkommen, Anfangs allein von der niedern Claſſe als Erklärung der Freiheitsliebe getragen, allein mit dem nächſten Frühling wurden auch einige Girondiſtenköpfe roth, und Verſuche kamen vor, ſie bei den Jacobinern, ja ſelbſt in die Nationalverſammlung einzuführen, nur daß ein gewiſſer guter Ton noch da - gegen war. Allein die Maſſe, welcher für die Welt - herrſchaft nichts fehlt als die Ordnung, organiſirte ſich, und es gab bereits ein Gebiet in Frankreich, wo ſie die Herrſchaft führte.

In jenen frühen Jahrhunderten des Mittelalters, da Frankreich noch der Einheit ſeines Territoriums ſo fern ſtand, kamen zwei provençaliſche Gebiete, die Grafſchaft Venaiſſin und der Staat von Avignon, an den päpſt - lichen Stuhl, erſtere 1274 durch eine unbedachte könig - liche Schenkung, letzterer 1348 durch einen mit einer ſchönen fürſtlichen Sünderin, welche der Abſolution und des Geldes gleich dringend bedurfte, vortheilhaft abge -405 ſchloſſenen Handel. Die Läſtigkeit dieſer Enclave war ſchon oft empfunden, ſie ſchien unerträglich jenen Män - nern, welche die neue Eintheilung des franzöſiſchen Ge - bietes zu Stande brachten. Die Päpſte hielten dieſe ent - fernten Unterthanen mild, ihr Zehenter betrug kaum den ſechzigſten Theil ihrer Erndte; dennoch konnte es nicht fehlen daß dieſe Provençalen ſich als Franzoſen fühlten, und ein Theil von ihnen ward von der großen Bewe - gung ergriffen, welcher das franzöſiſche Volk folgte. Im Jahre 1790 richtete man in Avignon eine Municipalität und Nationalgarden in neufranzöſiſcher Art auf, ſchloß mit der Grafſchaft eine Föderation. Aber auch die päpſt - liche Regierung hatte ihre Partei, es kam zwiſchen bei - den Theilen zu Feindſeligkeiten, welchen das Einſchrei - ten franzöſiſcher Nationalgarden aus der Nachbarſchaft ein Ende machte. Jetzt riß man in Avignon die päpſt - lichen Wappen ab, erbat durch eine Deputation die Ein - verleibung in Frankreich. Anders ſtand es mit Venaiſſin; hier dachte die Hauptbevölkerung päpſtlich. Die Natio - nalverſammlung entſchied ſich nach längeren Debatten, ſchickte Truppen nach Avignon. Dieſe aber, ſtatt ſich zu begnügen die franzöſiſche Partei in Avignon zu be - ſchützen, drangen in Venaiſſin ein, und ermordeten ihren eigenen General, als er ihrer Zuchtloſigkeit wehren wollte. Das geſchah im April 1791. Nun bemächtigten ſich die Soldaten der Regierung, an ihre Spitze trat ein - therich, Jourdan genannt, ſie häuften Gräuel auf Gräuel,406 die Nationalverſammlung ſchickte Commiſſarien, welche nichts ausrichteten; endlich beſchloß die conſtituirendeSept. 14. Verſammlung kurz vor dem Ablaufe ihrer Machtvollkom - menheit die Vereinigung beider Gebiete mit Frankreich, als durch die Stimme ihrer Bevölkerung entſchieden. Sie ſollten zum Departement der Rhonemündungen geſchla -Sept. 23. gen werden, allein ein neuer Beſchluß, erſt nach Er - öffnung der geſetzgebenden Verſammlung (Oct. 2.) be - kannt gemacht, ſchuf ein eigenes Departement Vaucluſe, das 84ſte, aus ihnen. Nichtsdeſtoweniger dauerten die Metzeleien der Horden Jourdans unter den Freiheits - feinden fort, ein erhabenes Beiſpiel für die Pikenmän - ner der Hauptſtadt.

Die bürgerliche Verfaſſung der franzöſiſchen Geiſtlich - keit war von der conſtituirenden Verſammlung beſchloſ - ſen, ohne in die Verfaſſungsurkunde aufgenommen zuNov. 29. ſeyn. Jetzt ſoll ihre Durchführung erfolgen. Ein Decret erſchien: Binnen acht Tagen müſſen die noch unbeei - digten Prieſter ſich vor ihren Municipalitäten zur Eides - leiſtung ſtellen; man wird Liſten der beeidigten und der eidweigernden Prieſter abfaſſen; die letzteren verlieren ihre Penſionen und werden als in Verdacht der Empö - rung gegen das Geſetz und der böſen Geſinnung gegen das Vaterland ſtehend, ſobald irgendwo Unruhen aus - brechen, von dieſem Orte entfernt, und wenn ſie als Anſtifter erſcheinen, in zweijährige Haft gebracht. Gegen die Gewaltſamkeit dieſer Maßregel erhoben ſich Stimmen407 in der Verwaltung des Departements der Hauptſtadt, an deren Spitze der 81jährige (Herzog von) Rochefou - cauld ſtand. Die ſämmtlichen Mitglieder dieſer Verwal - tung wurden von dem Collegium der Wähler des De - partements für zwei Jahre ernannt. Alle activen Bür - ger, die einen zehntägigen Arbeitslohn ſteuern, ſind wählbar; ihrer 36 bilden die Verwaltung des Depar - tements; ihr Vorſtand iſt der General-Procureur-Syndic. Dieſer Oberbehörde untergeordnet ſind die Verwaltungs - räthe der Diſtricte, eben ſo ernannt, jeder von nur 12 Mitgliedern, mit einem General-Procureur an der Spitze. In der Oberbehörde des pariſer Departements ſaßen Männer, welche eben noch unter den Umbildern von Frankreich in der erſten Linie ſtanden, Sieyes, Talley - rand, Beaumetz, und wir zählen dazu auch Röderer, aus Metz gebürtig und in der erſten Nationalverſamm - lung Deputirter dieſer wichtigen Stadt, deſſen Bedeu - tung freilich weniger in den großen politiſchen Fragen als im Steuerausſchuſſe, wo es auf die indirecten Steuern ankam, hervortrat. Denn er war es, der die ſeit Col - bert und Turgot ſo oft beantragte Verlegung der Zölle an die äußere Gränze des Staates durchſetzte und den Grund zu der Abgabe des Enregiſtrement legte. Mit - glieder dieſer Behörde alſo beſchloſſen eine Bittſchrift an den König, welche ihre Unterzeichner ehrt, allein es ſind deren überhaupt nur zehn, und wir vermiſſen insbe - ſondere die Namen von Sieyes und Röderer. Man geht408 von der eindringlichen Bitte an den König aus, er möge in der Erhaltung der Conſtitution das einzige Heil Frank - reichs erblicken, und knüpft daran die Bitte, gegen das letzte Decret der Nationalverſammlung ſein Veto einlegen zu wollen. Sire, die Nationalverſammlung hat ſicher - lich das Gute gewollt und will es beſtändig: wir erwei - ſen ihr gern dieſe Huldigung, verſchaffen ihr gern Genug - thuung, ihren ſtrafbaren Widerſachern gegenüber; ſie hat die unzähligen Übel ausrotten wollen, wovon gerade jetzt die kirchlichen Zwiſtigkeiten die Urſache oder der Vorwand ſind. Allein wir glauben daß dieſer löbliche Vorſatz ſie zu Maßregeln verleitet hat, welche die Conſtitution, die Ge - rechtigkeit, die Klugheit nicht dulden.

Für die Zukunft ſoll für alle Geiſtliche außer Dienſt der Genuß ihrer Jahrgelder von der Ableiſtung des Bür - gereides abhängen, während die Conſtitution ganz aus - drücklich und buchſtäblich dieſe Penſionen der National - ſchuld gleichſtellt. Kann denn aber die Weigerung irgend einen Eid zu leiſten, und wäre dieſer der allergeſetzlichſte, ein anerkanntes Recht des Gläubigers vernichten? und kann in irgend einem Falle es dem Schuldner zuſtehen, hinterher eine Bedingung zu ſtellen, welche ihn von einer früher eingegangenen Verpflichtung befreien ſoll?

Die conſtituirende Verſammlung hat in Bezug auf die unbeeidigten Prieſter gethan was ſie thun konnte. Dieſe haben den vorgeſchriebenen Eid verweigert, ſie hat dieſelben ihrer Functionen beraubt, und indem ſie ſie außer409 Beſitz ſetzte, ſie auf eine Penſion beſchränkt. Das iſt die Strafe, das iſt das Urtheil. Wie kann man nun eine neue Strafe über einen ſchon abgeurtheilten Gegenſtand ausſprechen, ſolange kein neues Vergehn des Indivi - duums den Stand der Frage verändert?

Die unbeeidigten Prieſter ſind entſetzt, und nun will die Nationalverſammlung ſie noch für verdächtig der Em - pörung gegen das Geſetz erklären, wenn ſie ſich weigern einen Eid zu leiſten, der von keinem Bürger ſonſt, wel - cher nicht in Amtspflicht ſteht, gefordert wird. Kann denn das Geſetz überhaupt Menſchen für verdächtig der Empö - rung gegen das Geſetz erklären? Hat man das Recht der - geſtalt ein Verbrechen zu präſumiren?

Das Decret der Nationalverſammlung will daß die Geiſtlichen, welche den Eid noch nicht geleiſtet oder ihn zurückgenommen haben, bei allen Unruhen wegen Reli - gionsſachen ſollen proviſoriſch entfernt werden dürfen, und man ſoll ſie gefangen nehmen, ſobald ſie dem Befehle ſich zu entfernen nicht gehorchen. Heißt das aber nicht das Syſtem der Befehle nach Willkür zurückrufen, wenn einer, der ſich nicht bewußt iſt gegen ein Geſetz angeſtoßen zu ha - ben, verbannt oder gefangen geſetzt werden kann?

Das Decret befiehlt, die Departements-Directorien ſollen Verzeichniſſe der unbeeidigten Prieſter anfertigen und dieſe dem geſetzgebenden Körper einreichen, mit Bemer - kungen dabei über die perſönliche Aufführung eines jeden, als ob es in der Macht der Directorien ſtände Menſchen410 zu claſſificiren, welche, da ſie keine öffentlichen Beamten ſind, ſich in der allgemeinen Claſſe der Bürger verlieren; als ob Verwalter ſich entſchließen könnten Verzeichniſſe zu bilden und bekannt zu machen, welche in den Tagen der Aufregung ſich in blutige Proſcriptionsliſten verwandeln können; als ob ſie überhaupt fähig wären ein inquiſitori - ſches Verfahren einzuleiten, welches aus der buchſtäb - lichen Ausführung des Decretes nothwendig flöſſe.

Sire, bei dem Leſen dieſer Verfügungen haben alle die Individuen, welche Ihnen dieſe Bittſchrift darbringen, ſich gefragt, ob ſie dieſe Art von Hingebung in ſich füh - len: Alle haben ein tiefes Stillſchweigen beobachtet.

Müßten ſie denn nicht zu jedem Mitbürger ſprechen: ſagt uns, welches Glaubens ihr ſeyd, gebt Rechenſchaft von euren Religionsmeinungen, unterrichtet uns von eu - rem bisherigen Gewerbe, und es wird ſich zeigen ob ihr Recht auf geſetzlichen Schutz habt, ob es uns erlaubt iſt euch in Frieden zu laſſen. Seyd ihr geiſtlich, ſo zittert, wir heften uns dann an eure Ferſen, ſpähen alle eure Privathandlungen aus, eure geheimſten Beziehungen erforſchen wir: wie regelmäßig auch eure Betragen ſeyn mag, bei dem erſten Auflaufe in dieſer unermeßlichen Stadt, wobei man das Wort Religion ausſpricht, ziehen wir euch hervor aus eurer Zurückgezogenheit, und möget ihr noch ſo unſchuldig ſeyn, wir haben die Macht euch von eurem Heerde zu treiben, den ihr euch wähltet.

Wenn Frankreich, das freie Frankreich dahin geriethe411 dieſe Sprache zu hören, wo iſt der Mann, der ſich ent - ſchließen könnte ihr Organ zu ſeyn?

Die Nationalverſammlung verweigert allen denen, die den Bürgereid nicht leiſten, das freie Bekenntniß ih - rer Gottesverehrung. Aber dieſe Freiheit kann niemanden geraubt werden: keine Macht konnte ſie geben, keine Macht kann ſie wieder nehmen; es iſt von allen Arten des Eigen - thums das die erſte, die unverletzlichſte. Sie iſt für im - mer geheiligt in der Erklärung der Rechte, in den Funda - mental-Artikeln der Conſtitution: ſie iſt demnach unan - taſtbar.

Die conſtituirende Nationalverſammlung hat ſich viel - leicht niemals größer, nie Ehrfurcht gebietender in den Au - gen der Nation gezeigt, als damals wie ſie inmitten der Stürme des Fanatismus dieſem Princip eine glänzende Huldigung darbrachte. Es war verloren gegangen in den Jahrhunderten der Unwiſſenheit und des Aberglaubens, in den erſten Freiheitstagen mußte es ſich wiederfinden; allein es darf nicht zum zweiten Male verloren gehen, in dieſem Punct ſo wenig als in einem anderen darf die Frei - heit Rückſchritte machen.

Vergebens wird man euch ſagen, der unbeeidigte Prieſter ſey verdächtig. Waren denn unter Ludwig XIV. die Proteſtanten nicht verdächtig in den Augen der Regie - rung, ſobald ſie ſich der herrſchenden Religion nicht unter - werfen wollten? Waren die erſten Chriſten nicht den - miſchen Kaiſern verdächtig? Waren die Katholiken nicht412 in England lange Zeit verdächtig? Es giebt keine Reli - gionsverfolgung, die man nicht unter dieſem Vorwande rechtfertigen kann. Soll denn ein ganzes Jahrhundert von Philoſophie nur dazu gedient haben uns zu der Unduld - ſamkeit des ſechzehnten Jahrhunderts zurückzuführen, und das auf der Straße der Freiheit? Überwache man immer - hin die unbeeidigten Prieſter, treffe man ſie ohne Erbar - men mit der ganzen Schärfe des Geſetzes, wenn ſie es verletzen oder das Volk zum Ungehorſam aufreizen: nichts iſt gerechter, nichts iſt nothwendiger als das; allein bis das geſchieht, achte man ihren Cultus wie jeden anderen und beunruhige ſie nicht in ihren Überzeugungen. Weil keine Religion Geſetz iſt, ſo ſey auch keine Religion Verbrechen.

Sire, das Departement von Paris hat ſich von jeher eine Ehre daraus gemacht, dieſe Principien ſtandhaft be - kannt zu haben; wir ſind überzeugt daß dasſelbe ihnen zum Theil den kirchlichen Frieden verdankt, deſſen es ſich jetzt erfreut. Wohl freilich wiſſen wir daß es ſyſtematiſche Unruhſtifter giebt, deren Treiben ſo bald nicht endet, und die man vergeblich hoffen würde zu patriotiſchen Geſinnun - gen zurückzuführen; aber die Vernunft und die Erfahrung aller Jahrhunderte bezeugen daß das wahre Mittel ſie in Schranken zu halten darin beſteht, daß man ſich völlig ge - recht gegen ſie beweiſt und daß die Unduldſamkeit und die Verfolgung, weit entfernt den Fanatismus zu erſticken, ſeine Wuth nur mehr entflammen.

Aus allen dieſen Beweggründen und im heiligen413 Namen der Freiheit bitten wir Sie, Sire, Ihre Geneh - migung dem Decret vom 29ſten November und den vorher - gehenden Tagen über die kirchlichen Unruhen zu verwei - gern; allein zu gleicher Zeit beſchwören wir Sie mit aller Ihrer Macht den Wunſch, welchen die Nationalverſammlung Ihnen kürzlich mit ſo vieler Kraft und ſo vielem Grunde ausgedrückt hat, zu unterſtützen, daß die Rebellen, welche an den Gränzen des Königreiches ſich verſchwören, in Zaum gehalten werden mögen. Wir beſchwören Sie kei - nen Augenblick zu verlieren, welchen feſte, kraftvolle und entſcheidende Maßregeln gegen jene Unſinnigen erfordern, die dem franzöſiſchen Volk mit ſolcher Kühnheit zu drohen wagen. Hiedurch und hiedurch allein werden Sie zur Beſchämung der übelwollenden, zum Troſte der guten Bürger alles das Gute ſtiften, welches Ihr Herz wünſcht und ganz Frankreich von Ihnen erwartet. Wir bitten Sie alſo, Sire, dieſem doppelten Geſuche zu entſprechen und beide nicht von einander trennen zu wollen.

So ſchrieben am 5ten December 1791 jene Männer, im Einverſtändniß mit den Miniſtern Montmorin und Bertrand de Molleville, und der König übte ſein Veto. Dec. 19.Schon einige Wochen früher hatte er, einem Decret gegenNov. 12. die Emigrirten gegenüber, davon Gebrauch gemacht, dieſes war das zweite Mal, und es hatte Beſtand; ein Verſuch, die königliche Sanction bei dringenden Fällen für unnöthig zu erklären, mislang. Reden wir zuletzt von jenem erſten Veto, weil es mit den wichtigſten Entſcheidungen verknüpft iſt.

414

Die Auswanderung war ſeit Eroberung der Baſtille in verſchiedenen großen Stößen erfolgt, vorzüglich nach Deutſchland und in das Erzbisthum Trier; in Coblenz war der Hofhalt der ausgewanderten Königsbrüder. Von hier aus ſchrieben Monſieur und der Graf von Artois an den König, bevor er ſich noch über die Conſtitution er -Sept. 10. klärt hatte, legten Proteſt ein gegen die neue Ordnung der Dinge. Und was ſie ſprachen, das waren nicht bloß Wünſche oder machtloſe Drohungen. Aus den Werbeplätzen des Prinzen von Condé zu Worms, deſſen Biſchof der Kurfürſt von Maynz war, des Cardinals Rohan und des Vicomte de Mirabeau zu Ettenheim im Breisgau, zum Straßburger Hochſtift gehörig, und vornämlich des Gra - fen von Artois zu Coblenz, im Gebiete ſeines gaſtfreien Mutterbruders Ludwig Wenzels von Kurſachſen, des Trier - ſchen Erzbiſchofs, ſtellte ſich eine Emigrantenmacht von über 20,000 Mann zuſammen, ein Heerd, wie Briſſot ſprach, der Gegenrevolution. So kam es zum Decret des 9ten November: Die jenſeit der Gränze des König - reichs verſammelten Franzoſen ſind der Verſchwörung gegen ihr Vaterland verdächtig, und wenn ſie am 1. Januar 1792 noch verſammelt ſind, dieſer Verſchwörung ſchuldig, mithin der Todesſtrafe verfallen; ihre Einkünfte fallen, ſo - lange ſie am Leben, an die Nation, doch unbeſchadet der Anſprüche ihrer Frauen, Kinder und Gläubiger. Gleich von jetzt an hören alle Einkünfte der abweſenden franzö - ſiſchen Prinzen auf und ſie ſind, wenn ſie bis zum nächſten415 1. Januar nicht zurückkehren, der Todesſtrafe verfallen, eben ſo alle ausgewanderte öffentliche Beamte, bürger - liche und militäriſche. Der König ſchrieb ſogleich ſeinen Brüdern, mahnte ſie an die Rückkehr, verſagte aber dem Decret ſeine Zuſtimmung, unter Bezeugung aller Bereit - willigkeit einige Artikel desſelben zu genehmigen, falls eine Trennung der Artikel zugelaſſen werde. Bald aber traten die auswärtigen Angelegenheiten ganz an die Oberſtelle.

Der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs will ich nur inſoweit gedenken, als ſie für das Verſtändniß der inneren dienen. Es ſind die Beſchlüſſe vom 5ten Auguſt 1789, welche Zwieſpalt zwiſchen dem deutſchen Reiche und dem Lande der Revolution hervorriefen. Durch die Abrundung, welche Frankreich plötzlich ſeinem Staate gab, fiel eine Menge von geiſtlichen und weltlichen Hoheitsrech - ten und nutzbaren Rechten weg, welche bis dahin alther - kömmlich vom deutſchen Nachbarlande her mit ihren ver - witterten Ecken tief in Frankreich hineinragten. Wie viele franzöſiſche Unterthanen ſtanden nicht unter der geiſtlichen Obhut eines deutſchen Biſchofs! Wie viele deutſche Lan - deshoheiten machten ſich nicht auf franzöſiſchem Gebiete geltend, mit Steuerfreiheit, Zehnten, Frohnen, Patri - monialgerichten, Leibeigenen ausgeſtattet, durch Staats - verträge geſchützt, und von dem Allen ſollte von nun an nicht mehr die Rede ſeyn! Die hauptſächlich verletzten deutſchen Reichsſtände waren die drei geiſtlichen Kurfürſten, die rheiniſchen Biſchöfe, die Häuſer Heſſen-Darmſtadt, Baden,416 Naſſau, Würtemberg, Zweibrück, ein Theil der Reichs - ritterſchaft, und es ging dieſe Frage keineswegs bloß die ſpäteren Einbußen des deutſchen Reiches, ſondern außer Lothringen und Elſaß, auch die Freigrafſchaft und Henne - gauiſche und Luxemburgiſche Gebiete an. Nun hätte ſich zwar eine Ausgleichung auf dem Wege der Entſchädigung finden laſſen, und die Nationalverſammlung erklärte ſich dazu geneigt, aber ſie that das lediglich in Bezug auf das Elſaß, und ohne der Ausführung ihrer Beſchlüſſe Anſtand zu geben. Von deutſcher Seite ſchlug man die zu vergü - tenden Verluſte auf mindeſtens 100 Millionen Livres an, wollte aber der Mehrzahl nach überhaupt von Entſchädi - gung nichts wiſſen, Kurmaynz trat mit Anträgen hervor, hinter welchen der Krieg lauerte, Kurtrier wollte ſeine Suffraganen, die Biſchöfe von Metz, Toul und Verdun durchaus nicht fahren laſſen. Die meiſten geiſtlichen Her - ren, deren politiſcher und kirchlicher Glaube zugleich ver - letzt war, verwarfen beharrlich jede Entſchädigung. Ver - geblich ſprach Kurhannover auf dem Reichstag dawider die Sache auf eine gefährliche Spitze zu ſtellen; es zeigte ſich bei der Mehrzahl der Gekränkten wenig Neigung zu bedenken daß Öſterreich und Preußen vor nur wenig Mona - ten mit gezücktem Schwert gegen einander geſtanden, und wie ſo gar nichts ohne die Einigkeit dieſer das an allen Gliedern gebrochene Heiligthum des deutſchen Reiches ver - möge. Der neue Kaiſer Leopold II. billigte die Rüſtungs - plätze der Emigranten auf deutſchem Reichsboden nicht,417 gewährte ſelbſt keine, und auch ſein Bruder, der Kurfürſt von Cöln, ließ ſich nicht hinreißen. In dem Kaiſer kämpfte die Entrüſtung gegen die franzöſiſche Revolution mit ſeinen fried - fertigen Neigungen und der Zorn trug manchmal den Sieg davon. Er beſprach ſich mit dem Grafen von Artois, führte durch ſeinen Geſandten den Grafen Mercy mit ſeiner Schwe - ſter der Königin einen langen geheimen Briefwechſel, der ihn darüber ins Klare ſetzte daß ſie die Emigranten faſt eben ſo ſehr als die Jacobiner verabſcheue und von der völligen Unfähigkeit ihres wankelmüthigen Gemahls, die Regierung zu führen, ſchmerzlich durchdrungen ſey. Daneben unter - handelte er mit Preußen und Spanien, und traf mit dem preußiſchen Könige in Pillnitz zuſammen. Der König fand, als er am 25ſten Auguſt 1791 in dieſem kurſächſiſchen Luſt - ſchloſſe erſchien, den Kaiſer ſchon vor. Beide Monarchen brachten ihre Kronprinzen mit. Am Abend beim Souper ward plötzlich der Graf von Artois angeſagt, der mit dem Herrn von Calonne und Bouillé und Polignac ſo eben angekommen. Der Kaiſer verhehlte dem Könige nicht daß er den Krieg nicht wünſche, daß auch ſein alter Lascy, den er mitgebracht, ganz dagegen ſey, daß er für ſeine Nieder - lande fürchte, und allenthalben wo die Franzoſen, deren Hülfsquellen groß, einrückten, die Verbreitung franzöſi - ſcher Grundſätze vor Augen ſehe. Beide Monarchen ver - einigten ſich zu der Erklärung, daß ſie in Gemäßheit derAug. 27. von Monſieur und dem Grafen von Artois ausgeſproche - nen Vorſtellungen und Wünſche die Lage, in welcher derFranzöſiſche Revolution. 27418König von Frankreich ſich befindet, als einen Gegenſtand des allgemeinen Intereſſes aller europäiſchen Souveräns betrachten, daß ſie keinen Augenblick an der übereinſtim - menden Überzeugung dieſer zweifeln, in Folge welcher ſie denn ihre Mitwirkung nicht entziehen werden, um den König von Frankreich in Stand zu ſetzen, die Grundlagen einer monarchiſchen Regierung wieder mit völliger Freiheit zu befeſtigen, wie ſolche den Rechten der Souveräne und der Wohlfahrt der Franzoſen in gleichem Grade gemäß iſt. In dieſem Falle und dieſe Schlußphraſe wird Calonne zugeſchrieben ſind beide Majeſtäten entſchloſſen mit der nöthigen Macht zu ſolchem gemeinſamen Zwecke zu verfahren, und werden mittlerweile ihren Truppen die ge - eigneten Befehle geben, um in Thätigkeit treten zu kön - nen. In dieſer Note, die in Kurzem Europa durchflog, lag zwar keine Kriegserklärung, wohl aber eine Kriegs - drohung, und kein Zweifel daß der Preußiſche König den Krieg lebhaft betrieb und für eine leichte Sache hielt. Mit dem Kriege hat es nichts zu bedeuten, ſchrieb der alte kriegskundige Prinz Heinrich. Über Bürger und ein zuchtloſes Heer triumphirt ſich’s leicht. Wie mühelos war es im Herbſt 1787 den 20,000 Preußen gelungen die rebellirenden Holländer ihrem Erbſtatthalter wieder zu unterwerfen! Mußten die Belgier ſich nicht geben als im November 1790 Öſterreich wirklich Ernſt machte! War es nicht erſt ein halbes Jahr her daß die aufrühreriſchen Lütti - cher gezwungen wurden bei ihrem Biſchof Gnade zu ſuchen! 419Mit mehr Bedenken betrachtete Kaiſer Leopold die Sache: er liebte den Frieden, ihm machten ſchon genug die Grund - ſätze der Neuerung zu ſchaffen, welche ſein Bruder Joſeph rings in ſeinen Reichen ausgeſtreut hatte. Öſterreich iſt auf der alten Ordnung gebaut, beides in Staat und Kirche; jeder Verſuch hier umzuwandeln bedroht den wunderlich zuſammengeſetzten Staatskörper mit Auflöſung. Wie nahe der Auflöſung hatte es der Bruder Joſeph nicht ſchon ge - bracht! Zurück alſo, ſchleunig zurück in das alte Geleiſe!

Mit dem Preußiſchen Staate iſt es durchaus anders bewandt. Seine Baſis ruht auf der größten Abweichung vom Herkommen, welche jemals geſchehen, auf der Mar - tin Luthers. Die erſte große politiſche That der Reforma - tion war die Verwandlung des geiſtlichen Ordenslandes Preußen in ein Erbherzogthum im Hauſe der brandenbur - giſchen Hohenzollern. Als hernach 1613 Kurfürſt Johann Sigismund aus einem Lutheraner zum Reformirten ward: es war ein Act der Politik, ſeinen jüngſten Unterthanen, den Jülichſchen, und deren Nachbarn, den reformirten Hol - ländern zu Gefallen, die ihm den neuen Erwerb ſollten ſchützen helfen. Abermals eine ungeheure Abweichung vom Herkommen, die aber außer der Erweiterung des kirchlichen Horizonts, an welchem man allmählig zwiſchen Theologie und Chriſtenthum zu unterſcheiden anfing, auch den Staat als ſolchen feſter ſtellte, während dahingegen das Haus Sachſen, in der Geburtsſtätte der Reforma - tion wurzelnd, durch Unſicherheit im Religionsweſen und27*420ſpäter durch den Religionswechſel um der polniſchen Krone willen ſeine Anwartſchaft auf eine große Zukunft in Deutſchland verwirkt hat. Der erſte Gründer der preußi - ſchen Staatseinheit war der große Kurfürſt Friedrich Wil - helm, indem er alle landſtändiſchen Schranken gewaltſam niederbrach. Er betrachtete ſich als die Stütze des deut - ſchen Proteſtantismus und reichte dem großen Oranier, welcher die Stütze des Proteſtantismus im ganzen Welt - theile werden ſollte, zu ſeinem langgepflegten Beginnen treu die Hand. Er war im Geheimniß jener Unterneh - mung, welche die Stuarts ſtürzte, hob dafür einen Feld - herrn den berühmten Schomberg bei ſich auf, und ſeine Lippen, auf denen der Tod ſchon ſchwebte, verriethen ge - wiſſermaßen das Geheimniß ſeiner Seele als er ſeine bei - den letzten Parolen austheilte; ſie hießen London und Amſterdam. Sein Sohn gab dann dem Staate die Hal - tung und das ſtolze Trachten, welches in der Königskrone wohnt. Sein Enkel rief mit unabläſſigem Bemühen die wirthſchaftliche Einheit und die der Heeresmacht herbei. Nun Friedrich der Große! Durch ſein Schleſien, durch ſeine drei ſchleſiſchen Kriege ſtellte er dieſes noch unver - ſtändliche zweideutige Preußen plötzlich neben Öſterreich als ebenbürtig hin, und ſchuf zugleich das preußiſche Na - tionalgefühl, auch durch ſein Landrecht das provinziale Trachten dem ſtaatiſchen unterordnend. Friedrichs Nach - folger brauchte den Blick vor dem jungen Frankreich nicht niederzuſchlagen, wenn er ſeines hohen Berufes ſich ge -421 hörig bewußt war. Er konnte auf die lange Reihe ſeiner Vorfahren hinweiſen und ſagen: Sehet, dieſe Männer haben in raſtloſer Arbeit das vollführt, was Eure - nige, Franzoſen, im Wohlbehagen an den Genüſſen un - umſchränkter Macht verſäumten und darum jetzt von der Umwälzung ereilt ſind, weil ihre Selbſtſucht die Aufgabe ſo hoher Macht verkannte: die Hinwegräumung des nicht mehr haltbaren mittelalterlichen Staates. Wozu Euch eine warme Auguſtnacht genügte, das haben jene, freilich langſam, in Menſchenaltern vollbracht. Entſpricht noch nicht Alles bei uns Euren Begriffen, ſehet her, ob nicht unſere Zuſtände reif ſind zu einer weiteren Entwickelung durch Entfeſſelung des ländlichen und ſtädtiſchen Gewerbes, und ob ſie nicht ſicherer begründet ſind. In der kirchlichen Freiheit ſind meine Preußen Euch voraus, das beweiſt Eure neueſte Prieſterverfolgung. Was freilich Eure poli - tiſche Freiheit angeht, auf die Ihr ſo ſtolz ſeyd, von wel - cher Ihr Eure Zeit datiren wollt, gewiß ſie fehlt den Preußen, aber ſeyd Ihr der Euren denn ſo ſicher, daß Ihr ſie lange behaupten werdet? Und fragt Ihr nach Preußens Zukunft, wer ſagt Euch denn daß die Hohenzollern ihre Unumſchränktheit von vier Menſchenaltern anders als wie einen fruchtbaren Durchgangspunct verſtehen, daß der Sinn des großen Friedrich, welcher den erſten Diener des Staats in ſich erkannte, vor ihren Ohren verklungen iſt? Was jemals Herrliches unter den Menſchen gelungen iſt, Alles das liegt zwiſchen den großen Axen, von welchen die Welt422 gehalten wird, liegt zwiſchen Ordnung und Freiheit mit - ten inne. Ohne Ordnung keine Sicherheit, ohne Sicher - heit keine Freiheit, und Eure Ordnung ſie liegt am Tode.

Es war nicht ſchwer Friedrich dem Zweiten zu folgen. Niemand in der Welt iſt verpflichtet ein großer Mann zu ſeyn, und eine gewiſſe Freudenloſigkeit, welche in den letzten Jahrzehnten an dieſem vereinſamten Throne haftete, erleichterte den Wechſel ungemein. Ein Volk ſieht gern einem friſchen Prinzengeſchlechte ins Auge, und ſeit der Alte Polen theilen half und ſich zu vieler Unterwürfigkeit gegen Rußland bequemte, war es Einſichtigen klar daß der auf dem Einzigen ruhende Staat für dasmal nicht weiter zum Ziele ſchreiten werde. Friedrich hinterließ ein - geſchulte Arbeiter, keinen Mann von Charakter. Wenn ſein Nachfolger einige ſchreiende Härten der Verwaltung entfernte, womit ſogleich ein kleiner Anfang gemacht ward; wenn er zugleich ſeine religiöſen Neigungen mild walten ließ, manche im Übermuth der Größe zerriſſenen Fäden menſchlich wieder anknüpfte, ſo war ihm die Liebe des Volks gewiß; wichtige Bedürfniſſe des Zeitalters lagen am Tage, man konnte zu ihrer Befriedigung weite Wege gehen, fremde Erfahrungen benutzend, ohne daß von ei - ner Veränderung in der Staatsverfaſſung für jetzt die Rede zu ſeyn brauchte; für jetzt, wiederhole ich. Denn argliſtiger iſt kein Satz erfunden und einfältiger nachge - ſprochen als die Behauptung, es könne der Segen einer freien Verwaltung auch ohne eine gewiſſe Summe politi -423 ſcher Rechte der Unterthanen beſtehen. Allein das Trach - ten dieſer Biſchofswerder und Wöllner, betrogener Betrü - ger, die dem neuen Könige unvermerkt die Laſt der Regie - rung abnahmen und mit frommer Ergebung in ihren Vortheil auf die eigenen Schultern luden, war durchaus auf jenen Stein der Weiſen gerichtet, welcher die Güter dieſer Welt ausſchließlich in die Hände der Gläubigen bringt. Wie ſie ihren König mit Geiſtererſcheinungen täuſchten, die ſich ſogar bis zu Chriſtus verſtiegen, eben ſo zuverſichtlich verſchloſſen ſie die Augen vor den Geiſtern, welche wirklich erſchienen waren. Weil aber dem Volk eine gleiche Geiſtesſtärke nicht zuzutrauen, legte man durch ein Religionsedict eine breite Binde um ſeine Augen und verpflichtete drohend ſeine Lehrer zu aller formalen Recht - gläubigkeit des ſechzehnten Jahrhunderts, ſetzte den Preß - zwang wieder in Thätigkeit, welchen Friedrich hatte ver - alten laſſen. Während mancher Deutſche ſchwermüthig be - geiſtert ahnte, das neue Licht von Frankreich her werde auch einen Strahl in unſere vaterländiſchen Abgründe werfen, ſchloß man in Berlin alle Läden zu und beſchloß ſich auf den Weg zu machen, um die Irrlichter Frankreichs auszuputzen.

In dieſe Stimmungen und Meinungskämpfe fiel Ed - mund Burke’s gewichtiges Buch über die franzöſiſche Re - volution, im November 1790 erſcheinend, breit hinein. Der außerordentliche Mann hatte ſich die Sache leicht ge - macht. Ohne in den Nothſtand des franzöſiſchen Volks, die Zerrüttung ſeiner Finanzen, die Rechtloſigkeit ſo vieler424 Verhältniſſe irgend einzugehen, ohne Geneigtheit von den unzähligen Misgriffen der franzöſiſchen Regierung, welche die Nation mit der Umwälzung vertraut machten, auch nur einen einzigen aufzudecken, bürdete er dieſem leichtſin - nigen Volk und der Bosheit ſeiner Verführer Alles auf, ſtellte das Engliſche 1688 und 89 dem Franzöſiſchen 1788 und 89 triumphirend gegenüber, und ließ den Gedanken gar nicht aufkommen daß ſeine Landsleute denn doch wirk - lich anderthalb Jahrhunderte gebraucht haben, um von ei - ner Verwirrung in Staats - und Kirchenſachen ohne Glei - chen, von Bürgerkrieg und Königsmord zu dieſer mit Recht geprieſenen Mäßigung zu geneſen. Er aber will nicht ein - mal durch das Blutgerüſt Karls I. geſtört ſeyn, ſchilt den Doctor Price, weil er zuſammenwerfe was man unter - ſcheiden müſſe. Kein Gedanke daran, den Franzoſen auch nur einigermaßen zu Gute kommen zu laſſen daß bei ihnen die kirchliche Umwälzung mit der politiſchen unvermeidlich zuſammenfiel, und das in einem Zeitalter überhaupt ge - ſchwächter Gewalt des Herkommens, und das in einem Volk, deſſen politiſche Organe kläglich zerbrochen waren. Burke, der mit edler Wärme die in der Geſchichte wal - tende Vorſehung verehrt, richtet gleichwohl keinen Blick auf die vielen durch Unumſchränktheit morſch gewordenen Throne unſeres Welttheils, die keine vorwitzige Volks - hand zum Wanken brachte; ihn ficht nicht an die tragiſche Bedeutung Dännemarks, wo ein Arzt das königliche Scepter ergriff und man es litt, und er es wieder verlor und Hin -425 richtung erfuhr, begleitet von der Beſchimpfung einer - nigin, und man es litt, und wo ein Menſchenalter hin - durch eine uſurpirte Herrſchaft der anderen folgte, bloß weil im ganz unumſchränkt regierten Staate niemand das Recht hat, zwiſchen einem Herrſcher, der ſeiner Sinne nicht mächtig iſt, und einem der es iſt zu unterſcheiden, außer dieſer Herrſcher ſelber. Zwar nimmt Burke ſich wohl in Acht eine ſolche Verfaſſungsform anzurathen, wohl wiſ - ſend daß jeder Engländer dann ſein Buch mit Verachtung zurückſchieben würde; er macht die Krone des Beherrſchers von Großbritannien ſogar von der Erfüllung der geſetz - lichen Bedingungen des Souveränitätsvertrages abhängig and whilst the legal conditions of the compact of so - vereignity are performed by him (as they are perfor - med) he holds his crown ; allein dieſer Umſtand ſtimmt ihn durchaus nicht billiger gegen die Völker, welche, durch grauſame Erfahrungen belehrt, es eben ſo gut haben möchten. Er ſchildert nach ſeinen flüchtigen Reiſebemer - kungen den Zuſtand Frankreichs vor der Revolution als recht erwünſcht, ſeine hohe Geiſtlichkeit, ſeinen Adel als löblich geſinnt; er bezeichnet die damalige Verfaſſung als immer noch die beſte unter den ſchlechtgerathenen monar - chiſchen Regierungsformen, obgleich voll von Misbräu - chen, wie ſie überall ſich häufen müſſen da wo die Mon - archie der beſtändigen Aufſicht einer Volksvertretung ent - behrt. Was aber ſind, wenn man ihm glaubt, die Fol - gen des frevelhaften Umſturzes geweſen? Ein durch Aus -426 wanderungen verödetes, entkräftetes, verarmtes Frank - reich. Man muß Frankreich ſo ſprach er auch im Par - lament, als ausgeſtrichen aus dem Syſtem Europa’s betrachten. Mit einem Wort, Burke’s Darſtellung, ſo hoch ſie als redneriſches Werk ſteht, ſo unvergeßlich ihre überwältigende politiſche Wirkung iſt, kann als hiſtoriſche Schilderung kaum niedrig genug geſtellt werden.

Nun iſt der Engländer gewiegt genug, um politiſche Parteiſchriften auch als ſolche zu würdigen; allein es han - delte ſich damals nicht bloß davon ein unparteiiſches Ur - theil über die franzöſiſche Revolution zu begründen, es fragte ſich, ob diejenigen Recht hatten, welche nun auf dem Engliſchen Boden einen Umbau der Verfaſſung nach dem gefeierten Muſter Frankreichs beginnen wollten. Und hier zeigte ſich Burke’s ſcharfer Blick, welcher, ſo blind für die franzöſiſche Revolution als weit wirkendes Welt - ereigniß, dennoch die nächſten Folgen, die Unmöglichkeit daß eine monarchiſche Verfaſſung, ſo entſtanden und ſo beſchaffen wie die neufranzöſiſche, Beſtand haben könne, klarer erkannte als ſonſt jemand in der Welt. Der parla - mentariſche Kampf, den er darüber mit ſeinem jüngeren Freunde und politiſchen Zöglinge Charles Fox beſtand, bildet eine rührende Epiſode dieſer erſchütternden Zeit. Denn Fox, weder in Kenntniſſen noch an Welterfahrung mit Burke vergleichbar, und in ſeinem Privatleben durch väterliche Verzärtelung faſt ſo zerrüttet wie Mirabeau durch das Gegentheil, athmete in vollen Zügen die Lebensluft427 ein, welche der Anfang der franzöſiſchen Revolution über den ſchwindſüchtig alternden Welttheil ausſtrömte, und die Schwingen ſeiner warmen, naturgewaltigen Rede entfal - teten ſich prächtig in dieſem Element. Wie innig hätte er gewünſcht an der Seite ſeines älteren Freundes, deſſen Genie Chatham zuerſt erkannte als er die Rechte der Nord - amerikaner vertrat, nun an der Verjüngung des eigenen Vaterlandes arbeiten zu können! Denn er ahnte in dem was in Frankreich geſchah ein zum Durchbruche ringendes allgemeingültiges Bildungsgeſetz. Allein je mehr ſich Fox für die Menſchenrechte erwärmte, um ſo kälter fand er ſeinen Freund, der ſittlich verletzt durch ſo viele Gräuel der Unordnung, ſtaatsmänniſch überzeugt von der Unhalt - barkeit dieſer Schöpfungen, jede Nachahmung dieſes Trei - bens ablehnte. Das Ende einer Freundſchaft, die faſt ein Vierteljahrhundert beſtanden hatte, kündigte ſich 1790 zu - erſt durch einen Bruch zwiſchen Burke und Sheridan an, die ſich einander im Grunde nie leiden konnten. Aber ſeit dem Februar 1791 trafen die Männer, die ſich liebten, ernſtlicher auf einander, und die Frage, ob die neue Ver - faſſung für Canada ariſtokratiſche Beſtandtheile und von welcher Beſchaffenheit erhalten ſolle, führte die Kriſe her - bei. Noch beſuchten ſie ſich gegen Ende April, man ſah ſie zu Zeiten in ernſtem Geſpräch mit einander gehen und zugleich in das Unterhaus treten. Aber am 6ten Mai ent - faltete Burke die Nothwendigkeit, das Recht ſowohl als die Pflicht des Parlaments, jenem Lande eine Verfaſſung428 nach dem Muſter der engliſchen Conſtitution zu geben, kei - neswegs aber auf der Bahn der franzöſiſchen Menſchen - rechte den gefährlichen Verſuch zu machen die Nation durch die Nation zu regieren, was nirgend zu rathen, und am allerwenigſten in einem Gebiete, wo Franzoſen mit ame - rikaniſchen Anſiedlern, die aus den vereinigten Staaten ausgewandert, untermiſcht lebten. Warnend wies er auf die Lage der franzöſiſchen Colonien in Weſtindien, beſon - ders Domingo hin, wo ein friedlicher Zuſtand durch die pariſer Menſchenrechte in ein wechſelſeitiges Morden aller Hautfarben umgeſchlagen iſt. Das Mutterland hat Trup - pen entſenden müſſen und dieſe Menſchenrechtler ermorden ihren eigenen Anführer. Soll man dem nachahmen? Von da ging der Redner zu dem inneren Zuſtande von Frank - reich über, zu dem Könige, welchen der erſte Kerkermei - ſter von Frankreich, Lafayette genannt, in Verwahrung hält, und ſo ferner. Als man hier Burke’n zur Ordnung rief, trat Fox dieſem Rufe bei, erklärte ſolche Abſchwei - fungen, welche die Quebecfrage nichts angingen, nicht billigen zu können, wie er denn dabei beharre die franzö - ſiſche Revolution eines der ruhmvollſten Ereigniſſe in der Geſchichte der Menſchheit zu nennen, ohne darum die ge - genwärtige franzöſiſche Conſtitution zu preiſen, welche vieler Nachbeſſerung durch Erfahrung bedürfe. Aber die Willkürherrſchaft ſey doch entfernt und das Beſte des Volks werde berückſichtigt, Vieles darin verdiene Nachahmung, und ſein Freund habe ſein vielgeleſenes Buch geſchrieben,429 ohne hinlänglich unterrichtet zu ſeyn; vollends verdienten die Menſchenrechte, als jeder vernünftigen Conſtitution zum Grunde liegend, dieſen Spott durchaus nicht. Sei - nem Freunde und Meiſter verdanke er Alles was er von Politik wiſſe und namentlich in Bezug auf Nordamerika den Satz: daß der Aufſtand eines ganzen Volks nothwen - dig müſſe veranlaßt ſeyn, daß man ein ganzes Volk nicht in Anklagezuſtand verſetzen könne. Warum denn aber jetzt nur von teufliſchen und gottesläſterlichen Franzoſen reden? Nun ſprach Burke ſchwer gereizt gegen Fox, der nach zwei - undzwanzigjähriger Freundſchaft ihn perſönlich angreife, ſein ganzes politiſches Leben antaſte, und nicht zufrieden mit den eigenen Plänkeleien eine ganze zum Gehorſam ein - geübte Mannſchaft auf ihn loslaſſe, bei welchen verletzen - den Worten er von Charles Grey zur Ordnung gerufen ward. Aber Burke, heftiger erregt, wies auf ſeine lan - gen Dienſte, ſeine grauen Haare hin; in dieſem Alter müſſe man ſich ſonſt keine Feinde ſuchen, oder ſeinen Freunden Gelegenheit geben zu entweichen; aber für die britiſche Conſtitution wage er Alles, und ſeiner öffent - lichen Pflicht getreu, wolle er mit dem letzten Athemzuge rufen: Flieht die franzöſiſche Conſtitution! Leiſe ſagte Fox: das führe noch keinen Untergang der Freundſchaft mit ſich, aber Burke darauf: Ja dem ſey ſo: er wiſſe was ihn ſein Verfahren koſte, die Erfüllung ſeiner Pflicht koſte ihn ſeinen Freund, ihre Freundſchaft ſey zu Ende. Fox ſtand auf, er war eine Zeitlang unfähig zu reden,430 ſeine Thränen floſſen und als er endlich Worte fand, dran - gen dieſe nicht mehr über die Kluft zerriſſener Freundſchaft hinüber. Es war ein weltgeſchichtlicher Hergang.

In dieſem England, welches ſeinen Bewohnern menſch - lich auszuwachſen geſtattet, verſtanden Viele was hier ge - ſchehen. Manches Talent mäßigte ſich ſeitdem, ohne ſein Ziel aufzugeben. Von Charles Grey, dem vor wenig Ta - gen (17. Juli 1845) verſtorbenen, wiſſen wir daß er ſich mit Männern verband, welche, ohne gewaltſame Mittel zu be - günſtigen, mit edler Beharrlichkeit die Gebrechen hervorho - ben, an welchen jede menſchliche Verfaſſung krankt, welche ſich Verbeſſerungen entziehen will. An dieſer Phalanx fand Chathams Sohn Pitt, der ſeit den franzöſiſchen Ausbrü - chen jeder Veränderung abholde, ſeine beharrlichen Geg - ner, und nach vierzigjährigem Kampfe hat Grey die Eman - cipation der Katholiken mitwirkend erlebt und iſt bei der Reform des Parlaments der Führer geweſen. Beides ge - ſchah im entſchiedenſten Gegenſatze gegen Burke’s Ausſpruch in jenem Buche: Wir ſind entſchloſſen, eine feſtgeſtellte Kirche, eine feſtgeſtellte Monarchie, eine feſtgeſtellte Ariſto - kratie und eine feſtgeſtellte Demokratie gerade in dem Ver - hältniſſe zu behalten, worin jede exiſtirt, und in keinem anderen, und die Männer die das vollbrachten erhiel - ten England, indem ſie es umgeſtalteten. Allein an den deutſchen Höfen fuhr man fort ſeine politiſche Magerkeit mit Burke’s Brocken zu mäſten, und Burke iſt eine der Fackeln des unbedachteſten Krieges geworden.

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3. Der Krieg und die Republik.

Der Mäßigung des Kaiſers Leopold kam im Septem - ber 1791 die Erklärung Ludwigs XVI. zu Statten, daß er aus freiem Entſchluſſe die neue Verfaſſung ſeines Reiches angenommen habe. Dem widerſprachen nun freilich öf - fentlich die Emigrirten, auch König Guſtav von Schwe - den widerſprach, er der eben ſo gern von ſeiner ſchwedi - ſchen Revolution erzählte als ihn die franzöſiſche anekelte, und ſelbſt der Kaiſer glaubte ſeiner Würde die Gegen - erklärung ſchuldig zu ſeyn, die Verbindung der Mächte beſtehe noch. Die Hauptſache war: die Rüſtungen der Ausgewanderten am Rheine dauerten fort. Da trat in der Nationalverſammlung Briſſot als Kriegsredner auf, hielt ſeine drei Reden über die Nothwendigkeit der Kriegserklä - rung, die dritte am 17ten Januar 1792. Der König1792. ward immer heftiger gedrängt; er ſoll den Mächten eine Friſt ſetzen, bis zu welcher ihre Verbindung für aufgelöſt erklärt und das Emigrantenheer entlaſſen ſeyn muß; man beſteht auf dem 1ſten März. An eben dieſem Tage ſtirbt432 der Kaiſer, ſein Älteſter, Franz der Zweite, folgt, und am 16ten März geht mit der Todeswunde Guſtavs von Schwe - den der romantiſche Entwurf unter, an der Spitze von Ruſſen und Schweden durch eine Landung an der Nordküſte von Frankreich und einen raſchen Marſch auf Paris die Revo - lution zu ſchließen. Fürſt Kaunitz, der alte Kutſcher von Europa, wollte zwar ungern mit Umwerfen endigen und nahm die Aufgabe keineswegs ſo leicht wie der Berliner Hof, dennoch hielt er ſeinen Ingrimm gegen die Neue - rung jetzt weniger im Zaum, es ward erklärt, man könne wegen der Jacobiner nicht umhin eine Macht in Belgien zuſammenzuziehen. Wirklich ließ ſich Ludwig die Entlaſ - ſung ſeiner Miniſter, die, weil ſie den Frieden wollten, mit Anklagen bedroht wurden, abnöthigen und nahm ein Mi - niſterium von Jacobinern nach Briſſots Rathe an. Der Generallieutenant Dumouriez ward Miniſter des Aus - wärtigen, Clavière, der Freund Mirabeau’s, Finanzmi - niſter, Servan Kriegsminiſter; dem Innern ward Ro - land vorgeſetzt, der einzige Biedermann im Miniſterium, allein darum nicht minder Schwärmer für unbegränzte Freiheit als jemand ſonſt im Jacobinerclub. Mit ihm ſchwelgte in dem Gefühle der hohen Beſtimmung Frank - reichs, der ganzen Welt Ehre und Freiheit zu bringen, ſeine hochherzige Frau, die bei hohem Gemüth und kräf - tigem Verſtande doch Worte für Thaten nahm, den fla - chen Briſſot für einen ganzen Mann und einen Charakter hielt. Der begabteſte unter Briſſots Miniſtern war ohne433 Vergleich Dumouriez. Dieſer Durchtriebene ſpottete ſeiner Collegen, die an Frau Rolands Arbeitstiſche ihre Staats - ſachen zu berathen kamen, und ſchuf ſich ſogleich ein ſelb - ſtändiges Gebiet, indem er ſich 6 Millionen für geheime Ausgaben vorbehielt, von welchen er keine Rechenſchaft geben wollte. Bei den Jacobinern ſprach Robespierre gegen den Krieg, theils aus Misgunſt gegen den Einfluß Briſſots und der Gironde, theils weil er wie ſo viele Jacobiner die Conſtitution haßte, inſofern ſie einen König enthielt, welcher leicht durch den Krieg, wie dieſer auch gehen mochte, an Macht gewinnen konnte. Niemand aber ging mit beklommnerem Herzen in den Krieg als Ludwig. Man ſah Thränen in ſeinen Augen, als er am 20. April in der Nationalverſammlung dem Gutachten ſeines Con - ſeils, von Dumouriez verleſen, ſeine Beiſtimmung ertheilte und den Antrag machte, dem Könige von Ungarn und Böhmen den Krieg zu erklären. Der Beſchluß ward in derſelben Sitzung gefaßt. Der Widerſtand der Feuillants, ſo nannte man damals die Freunde der conſtitutionellen Monarchie, blieb wirkungslos.

In dieſem Schritte, ohne Finanzen und Heer wie man war, lag alle Verwegenheit der Revolution, aber keine ſo baare Unvernunft. Man hoffte, auf alte Eiferſucht bauend, das deutſche Reich, welches zur Zeit noch ohne Kaiſer war, und Preußen von Öſterreich zu trennen, man baute auf Sympathien in Belgien. Zugleich ſchickte man den Talleyrand-Perigord nach London, um, wenn esFranzöſiſche Revolution. 28434möglich wäre, ein Bündniß zwiſchen Frankreich und Eng - land zu erlangen. Talleyrand durfte, als früheres Mit - glied der conſtituirenden Verſammlung, zwar nicht als Botſchafter auftreten, allein er überwand die Schwierig - keiten ſeiner Stellung. Gewiß, an ein Bündniß war nicht entfernt zu denken, allein die Zuſicherung, daß England nicht Partei nehmen werde, konnte für ein Großes gelten. Von Kaiſerin Katharina wußte man daß ſie ihren lieben Nachbarn den Krieg eben ſo gern gönnte, als ſelber drau - ßen blieb. Man kannte Spanien und Sardinien genug, um beide nicht zu fürchten. Im äußerſten Falle machte man überall auf die Völker Rechnung.

Ich ſagte: Frankreich war ohne Heer, und meinte ein disciplinirtes Heer. Man hatte ſonſt noch die alte gewor - bene Truppe, allein ſeine Officiere waren zum Theil aus - gewandert, zum Theil unerfahren, die gedienten wurden als adlich mit Mistrauen betrachtet, auch traute man allen den Regimentern nicht, welche aus geworbenen Auslän - dern beſtanden. Man hoffte ſie bald durch zahlreiche Frei - willige, die aus den Nationalgarden in die Linie träten, erſetzen zu können. Übrigens zählte man 150,000 Bewaff - nete und vielleicht darüber, die in drei Heere von faſt glei - cher Stärke an der deutſchen Gränze vertheilt waren, unter den Generalen Rochambeau, Lafayette und Luckner. Ich nannte Frankreich ohne Finanzen, weil es mit Papiergeld wirthſchaftete, welches in gewaltigen Laſten ins Lager verſandt und hier, wie aus langem Stroh das Häckſel435 für die Pferde, von den großen Bogen für die Soldaten zurechtgeſchnitten ward. Allein im Kriege kommt das Be - dürfniß vieler Zahlungsmittel auch den ſchlechteren zu Gute, und wenn der Krieg nur gut ging, ſo ließ es ſich rechtfertigen daß man die Aſſignaten jetzt auf 1900 Mil - lionen brachte.

Am 28ſten April begannen die Feindſeligkeiten, nach Dumouriez’s Plane. Man will durch einen raſchen Einfall in Belgien die neuerdings erſt beruhigten Unzufriedenen hier ermuthigen. Nur 30,000 Öſterreicher ſtanden im Lande; wie ſich Preußen auch entſcheiden mochte, für jetzt galt das gleich, ſeine Macht war noch nicht im Felde. Allein ſo fein Dumouriez auch rechnete, ſein Anſchlag er - fuhr ein ſchmähliches Mislingen. Gleich beim erſten Ein - rücken kehrten Tauſende von Angreifern vor wenig Hun - dert Öſterreichern um und wandten, Verrath rufend, ihre Waffen gegen die eigenen Officiere, ſo daß der bewährte Rochambeau ſeinen Befehl mit der Erklärung niederlegte, es ſey ihm unmöglich da zu bleiben, wo Feiglinge dem Feinde den Rücken kehrten und Böſewichter ihre Officiere niederſchöſſen. Die Feindſeligkeiten endigten ſo ſchnell als ſie begonnen hatten. Ich habe das ſeit ſechs Monaten vorausgeſagt, ſchrieb Marat, die Armee hätte damit anfangen ſollen, ihre Generale zu maſſacriren. In dieſen blutigen Worten lag einige Wahrheit: denn alle drei Feldherrn waren Gegner Dumouriez’s und ſeines Angriffs - krieges.

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Inzwiſchen war für den franzöſiſchen Boden nichts zu beſorgen, ſolange Preußen zauderte, und man ſprach in der Hauptſtadt vornämlich von der Nothwendigkeit, ſich vor den inneren Feinden bei Zeiten ſicher zu ſtellen. Unter dieſen verſtand das Volk die Hofpartei (auch Königin oder öſterreichiſches Comité genannt) und die eidweigernden Prieſter. Gegen letztere ſchleuderte die Nationalverſamm -Mai 25. lung ein Decret, welches jeden von ihnen zur Deportation verurtheilte, ſobald zwanzig Einwohner ſeines Aufent - haltsortes darauf antragen würden. Aber der Haß, ja die Wuth des gemeinen Mannes gegen die Königin ſtei - gerte ſich mit jedem Tage und hatte inſofern Grund, als ſie in den Heeren des Auslands ihre Befreier erblickte und mit dem Wiener Hofe beſtändigen geheimen Verkehr un - terhielt. Jede Vermuthung dieſer Art ward zur Gewißheit ausgeprägt und mit der ſchreiendſten Farbe des Verraths bemalt. Allein es ward auch für eine Gegenmine geſorgt, um bei der Annäherung des Feindes ſo verderbliche Plane in die Luft zu ſprengen. Unter dem Vorwande der Wie - derbegehung des Baſtillefeſtes will man 20,000 auserle - ſene Nationalgarden aus den Departements nach Paris bringen und hierauf in einem Lager bei Soiſſons feſt - halten, mit der Beſtimmung, nöthigenfalls zum Schutze der Hauptſtadt verwandt zu werden. Dieſer Entwurf ging ſogar von einem der königlichen Miniſter aus, dem Kriegs - miniſter Servan, der in Einverſtändniß mit Roland und Clavière, ohne dem Könige und den übrigen Miniſtern437 etwas darüber mitzutheilen, ihn als Antrag an die Natio - nalverſammlung brachte, welche denſelben ſchleunig zum Decret erhob. Dumouriez, welcher die Krone, ſoweit esJuni 8. ſein Vortheil zuließ, gern geſtützt hätte, der Gironde keineswegs zugethan, benutzte dieſen unverzeihlichen Ver - ſtoß für die Entfernung der drei Miniſter; als er aber zu gleicher Zeit inne ward daß der König entſchloſſen ſey beiden Decreten ſeine Genehmigung zu verſagen, war er ſchlau genug, dem Sturme auszuweichen, nahm ſeine Entlaſſung, ging zum Heere Luckners ab. Juni 18.

Am 19ten Junius ſprach der König nach langer Zöge - rung ſein Veto gegen beide Decrete aus, und gleich den Tag darauf, am dritten Jahrestage des Ballhausſchwures, ſetzten ſich die Pikenmänner der Hauptſtadt in Bewegung. Juni 20.Mögen Andere unterſuchen, wer das von Anfang her an - geſtiftet, und was in dieſen Auftritten über den gelegten Plan hinausging. Gewiß iſt, die Gironde zürnte dem Könige, weil er zu Feuillants-Miniſtern zurückgekehrt war, und von Männern, die in Betracht der Zeitlage es ſchon vor einem Vierteljahre angemeſſen fanden, für die endlich eingefangenen Kopfabhacker von Avignon eine Amneſtie auszuwirken, läßt ſich keine Gewiſſenhaftigkeit in Wahl der Mittel erwarten. Dennoch hat man nicht immer ge - than, was man wohl gethan haben könnte und zu begün - ſtigen geneigt iſt. Aus den Vorſtädten St. Antoine und St. Marçeau quoll der Aufſtand hervor, eine Anzahl Na - tionalgarden, nicht viele, voran, gleich als gälte es ein438 geſetzliches Vorhaben, aber Tauſende von Rothmützen mit Piken, Spießen, Äxten hinterdrein. Der Anführung unterzieht ſich der Brauer Santerre, Befehlshaber eines Bataillons Nationalgarden aus St. Antoine; unter den Wegweiſern erkennt man den nervigen Fleiſcher Legendre, und auch jenen Maillard vom 5ten October. Die Natio - nalverſammlung war gewarnt, ſie berathſchlagte noch über die Mittel die Tuilerien zu ſchützen, als Santerre für ſich und ſeine Mitdeputirten, die Vertreter von 8000 Bittſtellern, Gehör erbat. Vergniauds beredte Stimme unterſtützte den Antrag, und die Verſammlung willfahrte dem Eintritte bewaffneter Männer. Ihre Rede enthielt Klagen über die Unthätigkeit der Heere nach angefangenem Kriege; ſie ſchildert den König, der ſeine patriotiſchen Miniſter fortgeſchickt hat, als Verräther an der Volksſache. Wir verlangen die Vollziehung der Menſchenrechte! Darf ein Menſch, den man aus Rückſicht (par un souvenir) an ſeinem Poſten gelaſſen hat, ſich gegen den Willen von 25 Millionen auflehnen? Hat die ausübende Macht Schuld, ſo werde ſie vernichtet. Nicht lange darauf drang die ganze Maſſe in den Sitzungsſaal ein und durchzog denſel - ben unter kriegeriſcher Muſik. Dieſer ſchimpfliche Auftritt dauerte viele Stunden lang, denn wer nur wollte, auch Weiber und Kinder ſchloſſen ſich an, und noch wälzte ſich das Gewühl hier fort, als der Vortrab dieſer Hor - den bereits in den Tuilerien ſchaltete. Denn hier hatte man ſich freilich in Vertheidigungszuſtand geſetzt, die Na -439 tionalgarden waren endlich erſchienen, auch fanden ſich ein Paar Hundert Edelleute ein, bereit ihr Leben für das königliche Haus zu opfern, aber letztere entließ der König, und die Nationalgarden hielten doch nicht hinlänglich feſt. Die Verführung, hier verſucht und dort, fand ihren Ein - gang, und eine kleine Pforte genügte, um den weiten Palaſt mit bewaffneten Vorſtädtern zu erfüllen. Als man an die Thür des königlichen Gemaches ſchlug, ließ der König aufſchließen, und bald erblickte man den Monarchen mitten unter dem wüſten Haufen, mit der rothen Mütze bekleidet und auf das Wohl der Nation trinkend. Als Legendre ihn Monſieur anredete, miſchten ſich Erſtaunen und Unwillen in Ludwigs Blicken, aber auf den Zuruf der Menge: Be - ſtätigung der Decrete! Nieder mit den Prieſtern! erwi - derte er mit Ruhe, dies ſey nicht der Augenblick zur Ent - ſcheidung. Erſt als ganz verſpätet Pétion im Schloſſe erſchien, auf einem Stuhle ſtehend die Menge wegſchmei - chelte, leerten ſich allmählig die Gemächer; worauf der Maire im Moniteur erklärte: Niemand würde in dem ganzen Auftritte etwas mehr erblickt haben, als eine fried - liche Deputation der Vorſtädte von impoſanter Haltung ohne Verletzung der Perſonen und des Eigenthums, wäre dieſe nicht zufällig, wie eine Maſſe, welche dem Geſetze der Schwere folgt, in das königliche Schloß gerathen; kein vernünftiger Menſch könne darin etwas von Vorbedacht entdecken. Daß der König ein Verfahren gegen Pétion anſtellen ließ, ſicherte dieſem lediglich einen Triumph, und440 da man bereits von mehreren Tauſend Föderirten wußte, die ſich auf den Weg nach Paris zum Baſtillefeſte gemacht hatten, ſo kam es wenig darauf an, ob der König ſein Veto feſthielt oder zurücknahm.

Aber niemanden verwundete die Kunde von dieſer be - ginnenden Tyrannei der Ausgelaſſenheit ſchmerzlicher als Lafayette. Schon einmal hatte er aus dem Lager ein Schrei -Juni 16. ben an die Nationalverſammlung gerichtet, die Jacobiner verklagend, die Verſammlung ermahnend an die Stelle der Herrſchaft der Clubs die Herrſchaft des Geſetzes zu ſetzen;Juni 28. jetzt aber erſchien er ſelbſt in der Verſammlung, ſprach ſeine und ſeines Heeres Entrüſtung aus, verlangte die ſtrengſte Unterſuchung; allein er ward mit Unwillen gehört, kaum mit der Anklage verſchont, und ſchied mit dem bittern Ge - fühle ſeiner völligen Machtloſigkeit. Nun bildete er einen Plan aus, den König nach Compiegne zu bringen, nicht heimlich, ſondern wie es damals Mirabeau meinte, auf dem Wege einer öffentlichen Abreiſe, welche Lafayette und Luckner, die das Conſtitutionsfeſt nächſtens (14. Juli) nach Paris bringen wird, den Tag darauf perſönlich decken werden. Allein der König war zu tief gebeugt, um noch etwas zu wagen, und die Königin betheuerte, lieber um - kommen zu wollen, als dieſem Manne ihr Leben zu ver - danken. Sie zählte recht eigentlich die Tage bis zur Ankunft ihrer Befreier.

Juni 26.Und ſie verſprachen zu kommen. Denn endlich erſchien die Kriegserklärung des Berliner Hofes, und 45,000 Preu -441 ßen, 6000 Heſſen und 20,000 Öſterreicher rückten heran, um den Marſch auf Paris vereinigt anzutreten; dazu kamen 12,000 Emigrirte, welche jedoch die franzöſiſche Königin nicht werkthätig gebraucht zu ſehen wünſchte, damit die Leidenſchaften eines bürgerlichen Krieges ver - mieden würden. Das hieß den Widerſtand des franzöſi - ſchen Volks nicht hoch anſchlagen. Den Oberbefehl über die geſammte Macht erhielt der regierende Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunſchweig, aus der Kriegs - ſchule Friedrichs, ſeines Oheims, und derſelbe, welcher jüngſt die Holländer zu Paaren trieb. Gewiß keine leichte Aufgabe ein ſo gemiſchtes Heer zu befehligen, zumal bei perſönlicher Anweſenheit des preußiſchen Königs, und der Herzog bewies der Welt ſeine Unfähigkeit, ſie ſelbſtändig zu löſen, noch vor dem Aufbruche, indem er ſich ein Kriegs - manifeſt, deſſen Inhalt ſeinen Anſichten widerſtritt, durchJuli 25. Emigranteneinfluß aufdringen ließ. Denn in dieſer Arbeit entſprach dem richtigen Ziele nichts als die Verſicherung beider Mächte, keine Vergrößerungen zu beabſichtigen und ſich in die innere Regierung von Frankreich nicht miſchen zu wollen. Was weiter folgt ſind Drohbefehle, wie ſie ſelbſt nach einer gewonnenen Feldſchlacht nicht an der Stelle geweſen ſeyn würden. Den franzöſiſchen National - garden wird aufgegeben, proviſoriſch die Ordnung aufrecht zu erhalten bis zur Ankunft der kaiſerlichen und königlichen Truppen, dafern ſie aber Widerſtand zu leiſten wagen, ſollen ſie als Rebellen geſtraft werden. Eben ſo alle Be -442 wohner von Städten, Flecken, Dörfern, welche die Waf - fen ergreifen, und ihre Häuſer werden verbrannt. In Ab - ſicht der Linientruppen hat es nun zwar bei der Ermahnung, zum Könige zurückzukehren, ſein Bewenden; was dagegen die Stadt Paris angeht, ſo werden alle Mitglieder der Nationalverſammlung, der Municipalität, der National - garde wegen jedes Vergehns gegen den König und ſeine Familie verantwortlich gemacht, und außerdem erklären Ihre Kaiſerliche und Königliche Majeſtäten, daß wenn dem Schloſſe der Tuilerien Gewalt oder Zwang geſchieht und die geringſte Gewaltthätigkeit dem Könige, der Königin und der königlichen Familie zugefügt wird, ſie eine exemplariſche und für immer denkwürdige Rache nehmen werden, indem ſie die Stadt Paris der militäriſchen Execution und einer gänzlichen Zerſtörung überliefern, die ſchuldigen Aufrührer aber dem verdienten Strafgericht. Dagegen werden dieſelben Majeſtäten ſich bei Seiner aller - chriſtlichſten Majeſtät verwenden, den Bewohnern von Paris, wenn ſie ſich unterwürfig zeigen, ihr Unrecht, ihre Verirrungen zu verzeihen. Der König wird eingeladen, ſich einer Escorte, welche man ihm ſenden wird, zu bedie - nen, um ſich in eine Gränzſtadt zu begeben und daſelbſt nach ſeinem Willen und durch Berufungen, welche ihm zweckmäßig ſcheinen, die künftige Verwaltung des König - reiches feſtzuſetzen. Hiemit aber ſchien noch nicht einmal genug gethan. Der Herzog ſchickte eine nachträgliche Er -Juli 27. klärung hinterdrein, welche in dem Falle der Entführung443 des Königs und ſeiner Familie aus ſeiner Hauptſtadt alle Ortſchaften, welche ſich ſolchem Beginnen nicht widerſetzen, mit denſelben äußerſten und unerläßlichen Strafen wie die Stadt Paris bedroht.

Wer da behaupten wollte, der franzöſiſche Königsthron ſey durch dieſe Coblenzer Manifeſter umgeſtürzt, ſagte ganz gewiß zu viel. Allein ein zweckmäßigeres Mittel, den König zum Volksfeind zu ſtempeln und alle politiſchen Parteien in Frankreich zum einträchtigen Widerſtande zu entflammen, konnte nicht erdacht werden. Ein König, deſſen völlige Unfähigkeit ein Recht der Herrſchaft nach dem andern dem Volk überliefert hat, ſoll nun durch einen militäriſchen Spaziergang von Ausländern, welche Polen theilten, dieſes ſelbige Volk mit gebundenen Hän - den ausgeliefert erhalten, damit er diejenige Strafe an ihm übe, welche die Rachſucht der Ausgewanderten ſeiner Schwäche dictiren wird. Ganz dahin ſind alſo alle hohen Gedanken, welche ſeit drei Jahren Frankreich begeiſterten und den aufmerkſamen Welttheil in ein zwiſchen Hoffnung und Sorge getheiltes Erſtaunen ſetzten, eine ſchmählichere Unterwürfigkeit als jede frühere tritt an ihre Stelle. Denn das ſteht ja feſt: dieſe Zurückgekehrten werden nicht allein ihre Habe zurückfordern, welche neuerdings erſt der ver - letzten Nation als Schadloshaltung zugeſprochen iſt, der -März 30. ſelbe Sturm, welcher das politiſche Recht der Franzoſen entblättert, wird dem dienſtloſen Leben des Landmannes, dem geliebten Grundſatze der Gleichheit in Beſteurung und444 perſönlichen Rechten, wird dieſer herrlichen Fülle allver - theilten bürgerlichen Grundbeſitzes ein Ende machen, Alles Segnungen, welche, ſo neu ſie ſind, doch ſo innig im Volksbewußtſeyn haften, wie ſich der Regen des Himmels mit der durſtenden Flur vermählt. Wer es verſteht menſch - liche Dinge mit dem Maße menſchlicher Kräfte zu meſſen, der begreift auch, wie die Lehre der Marats: Es iſt ein Verbrechen König zu ſeyn, von nun an geläufig werden konnte.

In der Nationalverſammlung irrten die Gedanken in Erwartung des feindlichen Einbruches geſchäftig hin und her. Man ahnte in den Tuilerien einen ſchlummernden Feind, welchen die Kanone des Auslands wecken konnte, und gleichwohl trug man Bedenken ihn zu entwaffnen, die Verfaſſung in demſelben Augenblicke zu verändern, da ſie auf dem Schlachtfelde vertheidigt werden ſollte. Somit wechſelten freundliche Ausgleichungsverſuche mit herben Anklagen. Man erklärte den einen Tag weder die Republik noch zwei Kammern zu wollen, den andern hörte man Briſſot gläubig zu, wie er die Verſchwörung des Hofes gegen die junge Freiheit enthüllte. Am großen BundesfeſteJuli 14. erſchien der König in einen Bruſtpanzer von funfzehnfachem italiäniſchen Atlas gehüllt. Aber keine Dolche bedrohten ihn, wenn das nicht ein Dolchſtich war daß ein Redner des Tages ſprach: Alle Könige verſchwören ſich zum Untergange des franzöſiſchen Volks; ſchwören wir den Untergang der Könige. Und faſt kein Hoch für den König445 ward gehört, um ſo häufigere für Pétion. Die Erklärung, das Vaterland ſey in Gefahr, war geſchehen, und daß der König nicht mehr an der Spitze bleiben könne galt für ausgemacht. Vergniaud, Guadet, Genſonné betrieben einen Verzicht des Königs zu Gunſten ſeines Dauphins, als Briſſot die Nationalverſammlung zu einer Unterſuchung aufforderte, welche durch den Artikel der Verfaſſungsur - kunde: Sollte ſich der König an die Spitze eines Heeres ſtellen und dieſes gegen die Nation führen oder ſollte er ſich einem ſolchen Unternehmen, falls daſſelbe in ſeinem Namen ausgeführt würde, nicht förmlich widerſetzen, ſo wird er angeſehen, als habe er dem Königthum entſagt allerdings begründet ward. Die Nationalverſammlung hatte bereits den Beſchluß gefaßt zu unterſuchen, ob derJuli 26. durch die Conſtitution vorgeſehene Fall eingetreten ſey, als das große Manifeſt der Feinde in der Hauptſtadt eintraf. Es ſtand im Moniteur vom 3ten Auguſt, und an demſel - ben Tage verlangte Pétion im Namen der Hauptſtadt die Erklärung des verwirkten Thronrechtes in Rückſicht auf den nahenden Feind, nicht bloß jene beiden Deſpoten, die ein eben ſo unverſchämtes als abgeſchmacktes Mani - feſt erlaſſen haben, ſondern eine Schaar von Vaterlands - mördern, Franzoſen, geführt von den Brüdern des Königs. Entſetzung des Königs und Ernennung der Miniſter durch die Nationalverſammlung, jedoch mit Ausſchließung ihrer Mitglieder, war ſein Antrag, und die Nationalverſamm - lung beſchloß denſelben am 9ten Auguſt in Erwägung zu446 ziehen. Als ſie aber an dieſem Tage die Verwirkungsfrage bis auf einen andern Tag ausſetzte, gab eine Section der Hauptſtadt (des Quinze-vingt in der Vorſtadt St. Antoine) die Erklärung ab, daß wenn nicht die Entſetzung noch den - ſelben Tag ausgeſprochen werde, man um Mitternacht die Sturmglocke läuten, Generalmarſch ſchlagen und die Tui - lerien angreifen werde. Da lud die Nationalverſammlung Röderern, der kürzlich nach dem Rücktritte der gemäßigten Mitglieder der Departementalverwaltung an die Spitze derſelben gelangt war, und den Maire Pétion vor ihre Schranken, befragte Beide, ob ſie hinlängliche Sicher - heitsmaßregeln getroffen, und beruhigte ſich bei ihren allge - meinen Zuſagen.

Man wußte in den Tuilerien ſeit mehreren Tagen was bevorſtand, jetzt war ſogar die Stunde angekündigt, und Schweizer, Linientruppen, Nationalgarden, ſchwere Ge - ſchütze wurden herbeigezogen. Die Nationalgarde ſtand unter Mandats Anführung, eines treuen und bedächtigen Mannes. Dieſer traf Abends ſeine Anſtalten, und ließ dem Pétion, der zugleich mit Röderer auf das Schloß be - ſchieden war, keine Ruhe, bis er ihm den ſchriftlichen Be - fehl ertheilte, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Über 200 Edelleute ſtellten ſich zur Vertheidigung ein; dieſe zwar hätte Mandat gern entfernt geſehn, ihr Anblick erin - nerte die Nationalgarden an eine Zeit, welche nicht wieder - kehren durfte.

Mit dem Schlage Zwölf läuteten die Sturmglocken,447 der Generalmarſch ſetzte die Vorſtädter von St. Marceau, von einem Namens Fournier geführt, in Bewegung, die von St. Antoine rückten unter Santerre und Weſtermann herbei; mit den Marſeillern kamen Danton, Camille Desmoulins, Carra; wir werden mit dieſen die Haupt - planmacher des Tages genannt haben. Der erſte Streich wird auf dem Stadthauſe geführt. Man dringt ein, ſetzt die verſammelte alte Municipalität ab, bildet eine neue, in welche ein Theil der bisherigen Mitglieder übergeht, als da ſind, außer dem abweſenden Maire Pétion, Manuel, welcher kürzlich mit Pétion wegen des 20ſten Junius verklagt und freigeſprochen ward, und Danton, aber auch der in ſpäteren Tagen ehrenwerthe Name Royer Collards taucht hier zum erſten Male in ſolcher Genoſſen - ſchaft auf. Unter den neuen Mitgliedern befinden ſich Namen von einer bald furchtbaren Berühmtheit, als Fabre d’Eglantine, Chaumette, Hebert, Billaud-Varennes, der thatſcheue Robespierre trat erſt den folgenden Tag nach erfochtenem Siege ein. Dieſer neue Gemeinderath beſchied nun den Pétion, als ſein erſtes Mitglied, aus dem Schloſſe zu ſich, und man wagte dort nicht ihn zu verweigern. Er erſchien, doch nur um wieder zu verſchwinden. Denn war er im Schloſſe wider Willen unter Aufſicht gehalten, hier im Stadthauſe ließ er ſich gern als einen Verdächtigen unter Wache ſtellen, um nicht mit ſeinem an Mandat er - theilten Befehle, durch das was jetzt bevorſteht, in zu ſchreienden Widerſpruch zu treten. Denn nunmehr wird448 Mandat beſchieden: er ſoll augenblicklich erſcheinen. Dieſer wußte nichts von dem Umſturze der rechtmäßigen Behörde, gleichwohl war er unſchlüſſig, endlich ließ er ſich bereden den kurzen Weg anzutreten und ſchied in der Hoffnung bei Zeiten wieder zurück zu ſeyn. Allein kaum iſt er angelangt, hat erſtaunt die fremden Geſichter erblickt, ſo wird er als Verbrecher verhört, zur Abführung nach der Abtei verurtheilt und unten auf dem Platze ermordet.

Der Plan war meiſterhaft berechnet und durchgeführt. Mit Mandats Falle brach der ganze Widerſtand der Tui - lerien zuſammen. Denn als nun das Heer der Vorſtädte ſich nahte, 20,000 an der Zahl, da trat vergeblich der König zur Muſterung ſeiner Bataillone hinaus; ließ auch ein Theil der Truppen den König leben, viel lautere Stim - men brachten der Nation und dem Pétion ein Hoch! und zuletzt ſcheuchte ein mächtiges: Nieder mit dem Veto! Nieder mit dem Verräther! den Fürſten blaß und entmu - thigt in ſein Schloß zurück. Wohl ſprach Röderer, den Schein rettend, jetzt den Befehl aus, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, allein in demſelben Augenblicke drehten die königlichen Kanoniere ihre Geſchütze um, richteten ſie gegen das Schloß, und die Vorſtädter drangen ſchon ohne Wider - ſtand zu finden durch alle Eingänge ein. Es war 8 Uhr Morgens, da erſchienen Mitglieder des neuen Gemeinde - rathes in den Tuilerien, meldeten, das Volk verlange die Entſetzung des Königs. Hierauf gab Röderer den Rath, der König möge, da Widerſtand unmöglich, ſich in den449 Schooß der Nationalverſammlung begeben, dort ſeine Sicherheit ſuchen. Und unter der Bedeckung von 200 Schweizern und einer Abtheilung Nationalgarde brach Ludwig auf, begleitet von Gemahlin und Schweſter und den königlichen Kindern. Als er in die Verſammlung trat, ſprach er: Ich bin hieher gekommen, um ein großes Verbrechen zu verhindern, und ich denke daß ich nirgend ſicherer ſeyn kann als in Ihrer Mitte, nahm dann Platz an der Seite des Präſidenten Vergniaud. Allein auf die Bemerkung daß der geſetzgebende Körper nicht in Gegen - wart der vollziehenden Gewalt berathen dürfe, mußte der Monarch ſeinen Ehrenplatz verlaſſen und mit ſeiner Familie in die enge Loge eines Schnellſchreibers für die Tages - preſſe treten. Hier ſah man ihn den langen Tag hindurch bis nach Mitternacht unbeweglich ſitzen; die Krone von Frankreich ward vor ſeinen Augen zerbrochen.

Zuerſt fielen die Tuilerien in die Hände ihrer Beſtür - mer, unvertheidigt. Denn kaum hatte der König das Schloß verlaſſen, als die Nationalgarde abzog; ſie be - trachtete ihre Aufgabe als beendigt. Soll ſie leere Wände vertheidigen? Wie gern hätte der König nur ſeine Schweizer gerettet, ein neu angekommenes Regiment, welches ſicher nicht, das wußte er, ohne ſeinen Befehl vom Platze wich! Aber ehe noch die Deputirten der Nationalverſammlung zur Stelle kamen und dazwiſchen treten konnten, hörten ſie ſchon den Donner der Kanonen. Der Kampf hatte begonnen, zuerſt im Freien; hierauf, als die SchweizerFranzöſiſche Revolution. 29450vor der Übermacht zurückwichen, ſetzte er ſich in den Gän - gen des Schloſſes und ſeinen Gemächern fort, und wo es die Verfolgung von Flüchtigen galt, auch in den Straßen rings. Man ſprach von 700 gemordeten Schweizern, aber auch von den friedlichen Schloßeinwohnern wurde was vorkam geſchlachtet; ein Theil des Schloſſes ſtand in Flammen. Es war zehn Uhr Morgens; da erſchien eine Deputation des Gemeinderathes vor der Nationalverſamm - lung, erklärte, man werde keine Hand rühren um den Brand zu löſchen, es ſey denn daß die Entſetzung des - nigs ausgeſprochen werde. Hierauf beantragte Vergniaud die Suspenſion der königlichen Gewalt und daß der König mit ſeiner Familie unter Aufſicht geſtellt werde, die Beſtellung eines Erziehers für den königlichen Prinzen, ingleichen die Berufung eines Nationalconvents, welcher über die künftige Verfaſſung Frankreichs die Entſcheidung treffen wird. Während der Debatte und Abſtimmung ſah man den König ruhig daſitzend, auf das Geſimſe ſeiner Loge geſtützt, unveränderten Angeſichts. Der Dauphin ſchlief auf dem Schooße der Königin. Für den Reſt der Nacht ward nun die königliche Familie im Sitzungsge - bäude nothdürftig untergebracht; ſie ſollte demnächſt im Schloſſe Luxembourg wohnen. Allein hiegegen ſprach der Gemeinderath ein, verlangte einen beſſer zu bewachenden Aufenthalt und entſchied für den Tempelthurm, die alte Re - ſidenz der Tempelherren. Hier ſtanden Pétion und Santerre, Mandats Nachfolger, für die Staatsgefangenen ein.

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Das nächſte Geſchäft war die Wahl neuer Miniſter. Die Nationalverſammlung ſetzte einige der früher vom Könige entlaſſenen durch Abſtimmung wieder ein, Roland, Servan, Clavière; da Dumouriez beim Heere nicht ge - mißt werden konnte, trat Lebrun an ſeine Stelle, Miniſter der Marine ward der große Mathematiker Monge. Als Juſtizminiſter trat aber Danton ein, der große Feldherr des zehnten Auguſts; ſeine eigene Verwunderung, ſich an dieſem Platze zu finden, ſprach er mit den Worten aus: Mich hat die Kanonenkugel, welche gegen die Tuilerien flog, ins Miniſterium getragen. Der Preis, um welchen Mirabeau ſein ganzes Leben hindurch vergeblich warb, fiel dieſem Manne auf einen Schlag zu, und daneben hatte der Verſchuldete große Summen vom Hofe, und noch vor wenig Tagen, als die Angſt ſtieg, viele Tauſende heimlich gezogen. Er konnte, und vielleicht ſchloß er in ſeinem rohen Sinne ſo mit ſich ab, ſeine Gegenrechnung darauf ſtellen, daß am 10ten Auguſt das Leben des Königs und ſeines Hauſes in Dantons Hand gegeben war und geſchützt ward.

Unvermeidlich aber erſchien jetzt Lafayette’s Sturz, der, ſo oft ſchon verklagt und freigeſprochen, ſeine innere Entrüſtung laut kundgab, nicht bloß gegen dieſen die höchſte Staatsgewalt frech uſurpirenden Gemeinderath, ſondern eben ſo ſtark gegen dieſe Nationalverſammlung, die ſo feige als gleißneriſch den Thaten der Gewalt eine geſetzliche Form gebe. Wie, wenn es ihm glückte ſein Heer29*452und die nächſten Departements für die Erhaltung der mit Füßen getretenen Conſtitution, des Gegenſtandes ſeiner ehrlichen Begeiſterung, zu gewinnen? Die Nationalver - ſammlung ſchickte drei Commiſſäre ab, um die neuen Be - ſchlüſſe zu verbreiten und neue Eide den Heeren abzuneh - men. Dieſe ließ Lafayette zu Sédan durch die Obrigkeit verhaften, als geſendet von einer Verſammlung, welche bei Faſſung jener Beſchlüſſe ſich im unfreien Zuſtande be - funden habe. Das hieß ein großes Werk beginnen, deſſen Durchführung geradezu unmöglich war. Alle Ehre dem reinen Willen, allein dem iſt ſo. Will Lafayette, welcher weiß daß ſein Heer ihn liebt, dieſes zu dem Feinde hin - überführen, um dann vereint mit den Auswärtigen und den Ausgewanderten die Königsmacht wieder herzuſtellen? Unmöglich für ihn, hochgeſinnt wie er iſt, das zu wollen, eben ſo unmöglich daß er ſein Heer dazu vermöge. Will er denn ſich mit dem Heere gegen die Hauptſtadt wenden, dort der Verfaſſung den Sieg erzwingen und dann zurück gegen den auswärtigen Feind? Dahin hätte ein Mann wie Lafayette ſich wohl geneigt. Aber wird ſich nicht durch die geriſſene Lücke der Feind den Weg ins Vaterland bah - nen, die zwieträchtige Revolution beſiegen? Iſt er auch der übrigen Oberfeldherrn irgend gewiß? Wird die An - hänglichkeit ſeines Heeres, welches die höchſte Gewalt in der Nationalverſammlung zu ehren gewohnt iſt, ſo weit reichen? Die Nationalverſammlung war unermüd - lich, ſchickte neue Commiſſäre, neue Befehle, die Vorge -453 ſetzten der anderen Heere und Heeresabtheilungen unter - warfen ſich dieſen Befehlen, wenn auch zum Theil zau - dernd, aber doch wirklich, und Dumouriez, welcher un - ter Luckner ein Corps commandirte, ging Allen in Bereit - willigkeit voran, denn er ſchätzte richtig die nächſte Zu - kunft. So ſtand Lafayette plötzlich allein, und als am 19ten Auguſt die Nationalverſammlung ihn für einen Ver - räther erklärte, blieb ihm von aller ſeiner Macht und ſei - ner Liebe beim Heere nichts weiter, als daß er den Tag darauf mit einigen Officieren, darunter Latour-Maubourg und Alexander Lameth, ungeſtört ſein Lager verlaſſen und die Belgiſche Gränze ſuchen konnte. Seine Abſicht war über Holland nach Nordamerika zu gehen. Aber unedel hielt man ihn als Kriegsgefangenen feſt und ſchleppte Jahre lang von einer Feſtung zur andern den Mann, der bei aller Unreife ſeiner politiſchen Schöpfungen dennoch dem Verſtändniſſe der Zeit näher ſtand als ſeine Kerker - meiſter. So ſaß nun der König gefangen, und der Feld - herr, welcher gern ſein Leben geopfert hätte, um ihn zu befreien, ebenfalls. Wohin Lafayette wollte, dahin ge - langte mit Gewandtheit Talleyrand. Dieſer war vor kur - zem erſt aus England zurück; jetzt ging er ohne Auftrag von neuem dahin. Als ſpäter England den kriegführenden Mächten beitrat, litt ihn Pitt dort nicht mehr, im Vater - lande drohte ihm Anklage, ſo ging er mit Beaumetz in die nordamerikaniſchen Staaten.

Aber Dumouriez brach die friſche Frucht ſeiner Will -454 fährigkeit und trat an Lafayette’s Stelle in den Oberbe - fehl ein; den verdächtigten ungeſchickten Luckner erſetzte Kellermann. Mit Recht ſagt Dumouriez in ſeinen Denk - würdigkeiten: der Herzog von Braunſchweig hätte ſeinen Angriff auf ein Heer ohne Feldherrn machen ſollen, zu ei - ner Zeit da Lafayette geflohen war und Dumouriez ihn noch nicht erſetzt hatte. Aber der Oberfeldherr der deut - ſchen Mächte, innerlich unklar, gegen jeden hohen Rath - ſchlag ſich tief verbeugend, keinem mit Hingebung folgend, ſchritt behutſam über Trier und Luxemburg vor, vollbrachte die Vereinigung mit den 20,000 Öſterreichern unter Clair -Aug. 19. fait, und hatte als er endlich die Gränze überſchritt in zwanzig Tagen immer doch ſeine vierzig Stunden Weges zurückgelegt. Als Danton auf die Coblenzer Redensarten vom 25ſten Julius das blutige Werk des 10ten Auguſts zur Antwort gab, rief König Friedrich Wilhelm in ritter - licher Ungeduld: Wohlan, wenn der König nicht zu ret - ten iſt, ſo retten wir das Königthum. Sein Feldherr dachte anders; man hatte auf eine royaliſtiſche Bewegung in Frankreich gerechnet; dieſe Hoffnung ſchien durch den 10ten Auguſt vereitelt; der Herbſt war vor der Thüre, ſchon kündigten ihn Regengüſſe an; der Herzog hätte ſich für dieſen Feldzug auf einen Feſtungskrieg beſchränken - gen, allein der königliche Wille ſchob ihn vorwärts. Wei - ter aber kam es auch nicht, und ſo ſtand er zwar nicht ſtille, wußte aber der Forderung, raſch auf Paris vorwärts zu dringen, mochte ſie nun vom Könige oder von überläſtigen455 Emigranten kommen, Tag für Tag eine Einwendung aus der Kriegswiſſenſchaft entgegenzuſtellen. Sein Zug ging über Longwy und Verdun, Feſtungen, deren Werke, wie man von Bouillé wußte, ganz vernachläſſigt waren. Auch ergab ſich Longwy am 23ſten Auguſt auf ein Bombarde - ment ohne eigentliche Vertheidigung; am 2ten September fiel Verdun. Der Commandant Beaurepaire ſchoß ſich eine Kugel durch den Kopf, als nach kurzer Beſchießung Ein - wohner und Beſatzung die Übergabe verlangten. Die Preußen ſtanden keine dreißig Meilen von Paris.

Mittlerweile hatte Dumouriez ſchon am 28ſten Auguſt einen Kriegsrath in Sédan verſammelt. Die Meinung ſeiner Generale war, man müſſe ſich auf die große Straße von Chalons zurückziehen, die Hauptſtadt ſchützen. Du - mouriez verſpricht die Sache zu überlegen. Da, wäh - rend er Abends ſpät noch mit einem ſeiner vertrauten Of - ficiere Thouvenot über der Karte ſinnt, findet er einen ret - tenden Rathſchlag aus. Südlich von Sédan zieht ſich nach St. Menehould hin und darüber hinaus viele Meilen lang ein Zweig der Ardennen, der Gebirgswald der Ar - gonne. Durch die dichte Waldung, von Gewäſſern und Sümpfen häufig unterbrochen, führen nur fünf Engpäſſe. Hier hindurch muß der Feind, wenn er von Lothringen aus in die Champagne tritt; dringt er glücklich hindurch, ſo vertauſcht er den elendeſten Theil der Champagne mit ihren lachendſten Gegenden. Dumouriez erkannte hier die Thermopylen Frankreichs, und die erſte über dem eroberten456 Verdun aufgehende Sonne fand ihn ſchon in dieſen Päſ - ſen, deren Beſetzung der deutſche Feldherr verabſäumt hatte. Auch ließ dieſer ihm eine volle Woche Zeit ſich hier zu befeſtigen, Verſtärkungen aus dem Innern und von der Belgiſchen Gränze an ſich zu ziehen, ingleichen dem Kellermann nach Metz hin die Hand zur Verbindung zu reichen. Als die Preußen endlich erſchienen, konnten ſieSept. 10. nicht durchdringen, ſie fanden ſich im unfruchtbarſten Theile der Champagne wider Erwarten feſtgehalten. Dumouriez ſchrieb nach Paris an ſeine Obern: Hier ſind die Ther - mopylen, ich aber werde glücklicher ſeyn als Leonidas.

Dieſes Standhalten, dieſes erſte Gelingen war un - ſchätzbar für die Befeſtigung der Gemüther, und wirkte auch dann noch fort, als Dumouriez, mehr kühn als vor - ſichtig, durch die Vernachläſſigung des Engpaſſes Croix - aux-bois auf einmal alle Vortheile ſeiner Stellung ein - büßte. Clairfait, denn auch die Öſterreicher ſtanden an der Seite der ungeduldig Treibenden, bemächtigte ſich des ſchwach beſetzten Paſſes mit ſtürmender Hand, und Du - mouriez hatte alle mögliche Mühe, ſich nach manchem Verluſt aus den Defileen hinauszuwinden, die eben noch ſein Schutz geweſen waren. Ohne die unerſchütterliche Unthä - tigkeit des Herzogs hätte er, abgeſchnitten und zerſtückelt, hier ſeinen Untergang finden müſſen. Allein auch jetzt be - harrte Dumouriez auf dem Plane keinen Rückzug gegen Paris nach Chalons anzutreten, er nahm eine Seitenſtel - lung im Süden von St. Menehould, und mahnte aus457 allen Kräften den Kellermann, welcher ſeit der Argonne ſchon geneigter war ſich zu bequemen, ihn dort zu finden. Im Geſichte von St. Menehould erheben ſich mehrere An - höhen im Kreiſe; eine von ihnen trägt die Mühle von Valmy. So langſam Kellermann heranrückte, ſo ließ der Herzog von Braunſchweig ihm dennoch Zeit am 19ten anzukommen. Er bildete jetzt den linken Flügel Du - mouriez’s, mit welchem dieſer gegen Paris gewendet da - ſtand; die Verbündeten, auf der Chauſſee von Chalons, mußten, wenn ſie dem Feinde ins Auge ſehen wollten, gegen Deutſchland hinblicken. Und ſie rückten wirklich am 20ſten September auf den Feind, denn der König, der eine Schlacht verlangte, befahl es ſo; es galt beide franzöſi - ſche Feldherren an demſelben Schlachttage zu vernichten. Dieſe, vereinigt 53,000 Mann ſtark, hielten auf den - hen Stand und eine furchtbare Kanonade begann früh Morgens von beiden Seiten. Als es zehn Uhr war, be - ſchloß der Herzog die Erſtürmung der Anhöhe von Valmy. Schon drangen drei ſeiner Sturmhaufen heran, und Kel - lermann wartete ihrer, als plötzlich der Herzog nachſprengte, zuerſt langſamer vorrücken hieß, weil Clairfait noch nicht zur Stelle ſey, um zu gleicher Zeit den feindlichen rechten Flügel anzugreifen, bald darauf aber den Rückzug anord - nete. Hier ſchlagen wir uns nicht, ſprach er zu ſeiner Umgebung. Bloß das Kanoniren ging fort. Hierauf um vier Uhr abermals Aufſtellung der Preußen gleichwie zum Sturme, denn ſo wollte es der König, und abermals458 kein Angriff, denn ſo gefiel es dem Herzog. Es blieb bei der Kanonade, es ſollte keine Schlacht von Valmy werden. Wohl 20,000 Kanonenkugeln waren hin und wieder geflo - gen, Hunderte lagen an jeder Seite todt und verwundet, Nichts war geſchehen und doch das Größte. Ein Pulver - verknallen wie zum blutigen Scherz der Mächtigen war ge - halten auf einer Stätte, in deren Nähe, wenige Meilen von da, die gewaltigſte Schlacht der beginnenden germa - niſchen Zeit, die des Attila geſchlagen ward. Und doch lag in dem Geplänkel von Valmy mehr Entſcheidung für die Menſchengeſchichte als auf den catalauniſchen Feldern. Am Abend des 20ſten Septembers ſank der Nebel der Täu - ſchungen, welcher noch dick auf den Gemüthern desſelben Morgens laſtete. Die größte Beſtürzung nahm den Platz des ungemeſſenſten Selbſtvertrauens ein, jeder ging vor ſich hin, man ſah ſich nicht an, oder wenn es geſchah, ſo war es um zu fluchen oder zu verwünſchen. In einem Kreiſe, der am Abend in tiefer Finſterniß unter Sturm und Regen lagerte (denn der Regen machte ſchon ſeit Wo - chen alle Wege grundlos und brachte Tauſende von Ruhr - kranken hervor) befand ſich Deutſchlands Goethe, der im Gefolge des Herzogs von Sachſen-Weimar kam. Als man ihn um ſeine Meinung fragte, ſprach er: Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeſchichte aus, und Ihr könnt ſagen, Ihr ſeyd dabei geweſen.

Seit der Kanonade von Valmy und dem Rückzuge der Preußen, wenig Tage hernach, ſchlug die franzöſiſche Frei -459 heit ihre Wohnung in den franzöſiſchen Heeren auf; denn hier ward ihr durch Kriegszucht, fortan williger anerkannt, eine Stätte bereitet, ohne daß die Freudigkeit des Sinnes dabei verlor. Der Anfang einer neuen Heeresordnung, einer neuen Strategie ſchloß ſich bald an dieſes erſte Ge - lingen, Schöpfungen des Krieges kündigten ſich an, welche ihre Stelle im Welttheile eben ſo entſchieden errungen ha - ben als der Anſpruch auf politiſche Freiheit aus derſelben Quelle. In der Hauptſtadt aber, wo man dem armen - nige den geringen Reſt ſeiner Macht leichten Spieles ent - riſſen hatte, gab es keine Freiheit mehr, nur einen wilden Kampf der Parteien um die Herrſchaft. Wenn ſo die Wür - fel der Geſchichte gefallen ſind, darf die Hiſtorie einfache Wege ſuchen; mag das Zeitungscollegium alle möglichen Einzelheiten häufen, ſie beſchränkt ſich gern auf den war - nenden Gang der leitenden Begebenheiten.

Der zehnte Auguſt war die That des neuen Gemeinde - rathes von Paris, deſſen Perſonal ſich in Tyrannen-Art ſelbſt eingeſetzt hat. Nicht an die Nationalverſammlung und den Vollziehungsrath der Miniſter ihrer Wahl, nein an den Gemeinderath ging durch des Königs Sturz die Regierung über. Nicht lange, ſo hebt dieſer den Departe - mentsrath, welcher ihm allenfalls die Herrſchaft ſtreitig machen konnte, eigenmächtig auf, vergeblich daß die Na -Aug. 22. tionalverſammlung widerſpricht; ſie mag den Heeren drau - ßen und den Departements Befehle zuſenden, in Paris herrſcht ſie nicht mehr. Hier übernehmen die Pikenmänner,460 vor welchen am zehnten Auguſt die Nationalgarden abzo - gen, von freien Stücken die Polizei, ſobald es auf etwas von Bedeutung ankommt; ohne Unterlaß aber berathſchla - gen die 48 Sectionen der Hauptſtadt über die Angelegen - heiten dieſes gewaltigen Mittelpuncts der werdenden Re - publik. Dieſen Sectionsverſammlungen giebt der Jacobi - nerclub einheitliche Haltung und die den Jacobinerclub leiten ſind gerade auch dieſelben, welche im Gemeinderathe den Ausſchlag geben, vor Allen Danton und Robespierre. Robespierre wird nächſtens beweiſen daß die Tiger zum Katzengeſchlechte gehören, noch aber ſtreichelt er lieber und tritt in waglichen Fällen gern in den Schatten des unge - heuren Danton, welchen man den Minotaur der Revolution genannt hat. Schon ſind die Sitzungen des vielköpfigen Gemeinderathes öffentlich, ſein Zeitungsſchreiber iſt Marat. Der hat aus dem Schiffbruche der königlichen Habe glück - lich am Sturmtage der Tuilerien vier Druckerpreſſen ge - kapert; nun nimmt er ſeine eigene Tribüne im Sitzungs - ſaale des Gemeinderathes ein, bildet eine politiſche Macht, das heißt eine Macht zur Verfügung Dantons, welcher den ſchmutzigen, in ſeiner ganzen Erſcheinung ekelhaften Menſchen, dieſe Goſſe für fremden Unrath und doch ein Talent der Feder, ungern vorwies, wie er denn der Frau Roland, welche das Meerwunder einmal bei ſich zu ſehen wünſchte, es mit den Worten abſchlug: das ſey eine un - nütze und ſogar widerwärtige Sache, mit dieſem Original, aus welchem nichts herauszubringen, zu verkehren. Gewiß461 iſt, Marat, der Menſch ohne Anſtellung, bedeutete nichts Kleines, während Pétion, der erſte im Gemeinderathe, eine leichtſinnig eitle läſtige Natur, Alles in fremde Hände übergehn ließ. Dieſe waren eben ſo ſchlau gewandt als kraftvoll. Danton erfuhr täglich im Miniſterrathe daß er gegen Rolands ſtrenge Grundſätze nichts vermöge. Nim - mermehr hätte ſich dieſer zu Blutthaten verſtanden. Folg - lich muß der Miniſter des Innern geſchwächt werden, ihm muß vor allen Dingen die Polizei aus den Händen ge - wunden werden. Wie willig nun aber die Girondiſten, die ſich für ſo weiſe hielten, in Dantons Fallen gingen! We - gen der dringlichen Umſtände, Feinde an den Gränzen, Feinde im Innern, trägt Genſonné in der Nationalver - ſammlung darauf an daß den Municipalitäten die Sorge für die hohe Sicherheitspolizei in ihrem ganzen Umfange übertragen werde, und dringt durch. Jetzt mochte die Na - tionalverſammlung immerhin aus der eigenen Mitte einen allgemeinen Sicherheitsausſchuß hervorſteigen laſſen, einAug. 12. vornehmer Titel! allein die wirkliche Gewalt ſtand bei dem Aufſichtscomité, welches der Gemeinderath aufſtellte, nur ſieben Mitglieder, welche aber alsbald ihre Hände durch die Ernennung von Commiſſären vervielfältigten, unter wel - chen Marat erſcheint. Sieben Tage weiter und die Natio - nalverſammlung, der man keine Ruhe ließ, gab auch die Aufſtellung eines außerordentlichen Gerichtshofes nach; die Richter werden aus den Sectionen genommen, die Ap - pellation an den Caſſationshof fällt weg. Die Wahl zum462 Präſidenten dieſes Gerichtshofes lehnte Robespierre doch ab. Jetzt aber war freier Spielraum gewonnen und der Gemeinderath beſchloß alle Verdächtigen einfangen zu laſ - ſen; da wanderten Barnave, Karl Lameth, Montmorin ins Gefängniß. Nun erſchien ein geſchärftes Decret der Nationalverſammlung gegen die unbeeidigten Prieſter: ſie ſollen binnen acht Tagen aus dem Departement, binnen vierzehn Tagen aus dem Königreiche weichen; kehrt einer zurück, ſo trifft ihn zehnjähriges Gefängniß. Ganz das Ge - gentheil aber wird über die Familien der Emigranten ver - hängt, ſie dürfen nicht allein dableiben, ſie müſſen es, ſol - len als Geißeln dienen, werden confinirt auf ihren Wohn - ort, ihr Eigenthum wird in Regiſter gebracht. Die Paß - geſetze ſind ſchon ſeit einem halben Jahre ſtreng genug, um einen Austritt von Paßloſen über die Gränze, ja ſelbſt ein Reiſen im Innern ohne Paß zu verwehren, und was hindert, ſie noch mehr zu ſchärfen! Als die Nachrichten von den Fortſchritten der Verbündeten einliefen, als vollends die Botſchaft von dem Falle von Longwy kam, reiften blu - tige Entſchlüſſe. Damals beſchloß die Nationalverſamm - lung 30,000 Mann aus dem Pariſer Departement auszu - heben, und Danton betrieb die Aushebung und daß ihnen Sold werde mit der äußerſten Raſtloſigkeit; allein wie thörigt iſt es doch, ſo hört man aus demſelben Munde, die bewaffnete Mannſchaft wegſenden und zu Hauſe den Ver - rath laſſen, welcher ihr in den Rücken fallen wird! Man muß die Königlichen in Schrecken jagen. Der Plan war463 die Gefängniſſe der Hauptſtadt raſch zu füllen, um ſie noch raſcher wieder auszuleeren. Dergleichen aber ſpricht ſich nicht vor nervenſchwachen Leuten aus, es muß das Ge - heimniß einiger ſtarken Köpfe bleiben; der Gemeinderath als ſolcher verfügt bloß was in ſeiner Befugniß, ja in ſo drangvollen Augenblicken in ſeiner Pflicht liegt: Sperrung der Hauptſtadt, acht und vierzig Stunden lang, Haus - ſuchung nach den Verdächtigen, Abführung derſelben in die Gefängniſſe; eben dahin müſſen auch alle unbeeidigten Prieſter, um ſie, ſo wird verbreitet, für die Deportation zu ſammeln. Es ſcheint, die Nationalverſammlung war nicht ohne Ahnung von Gräueln; ſie ermannte ſich plötz - lich, gab dem girondiſtiſchen Antrage Beifall, daß dieſer Gemeinderath, der ſeine Gewalt ſeit dem 10ten Auguſt bloß uſurpirt hat, entſetzt und ein anderer an ſeine Stelle erwählt werde. Ohnmächtiger Verſuch! Wie oft hatteAug. 30. nicht die Nationalverſammlung dieſen Gemeinderath aner - kannt, ihm für ſeine kraftvollen Maßregeln Dank geſagt! Als eine Deputation deſſelben, Pétion, Manuel, Tallien an der Spitze, vor den Schranken erſchien, erfolgte die Zu -Aug. 31. rücknahme.

Am 2ten September kam die Nachricht in den Gemein - derath, Verdun werde belagert. Denſelben Nachmittag er - fuhr Paris, was der Juſtizminiſter unter Schreck einjagenSept. 2. verſtehe. Ich bin der Meinung daß ſein Plan ſich auf die Ermordung der gefangenen eidloſen Prieſter, ingleichen die raſche Aburtheilung und Niedermetzelung der politiſchen464 Gefangenen beſchränkte; allein die Ausführung ging weit über dieſe Gränze hinaus. Die That ward an den Prie - ſtern, welche als überführte Verbrecher betrachtet wurden, ohne alle beſchönigende Form vollbracht. Gedungene Mör - derhaufen drangen zu den Karmelitern ein, trieben die in der Kirche zuſammengeſperrten Geiſtlichen in den Kloſter - garten und ſchoſſen nun unter den Haufen; weil aber doch viele bloß verwundet, manche unverſehrt blieben, mußte man ſie einzeln tödten, ließ die Leichen liegen, man zählte deren 163, darunter der Erzbiſchof von Arles und zwei Biſchöfe. In eben der Art ward mit den Prieſtern in an - dern Verwahrungsplätzen verfahren, man ſtieß oder ſchlug ſie nieder, warf ihre Leichen aus den Fenſtern auf die offene Gaſſe. Dagegen war in den Gefängniſſen der Abtei St. Germain und in La Force, in welchen man die politiſch Verdächtigen planmäßig zuſammengehäuft hatte, ein regel - mäßiges Verfahren veranſtaltet. Wir finden in der Abtei den wohlbekannten Maillard wieder, dieſes Mal als Prä - ſidenten eines Geſchworenengerichtes von zwölf pariſer Bürgern. Es hat ſeinen Sitz in der Stube hart am Pfört - chen zur Straße hin erwählt und arbeitet ohne Unter - brechung Tag und Nacht. Der Präſident, im grauen Rocke, den Säbel an der Seite, ſieht die Gefangenenliſte durch, läßt einen nach dem anderen von ein Paar Bewaffneten vorführen, ein förmliches Verfahren beginnt, Fragen und Antworten wechſeln, nicht einmal die Öffentlichkeit fehlt, denn eine Anzahl geſprächiger Weiber iſt zugelaſſen; aber465 der alte Pförtner ſteht unbeweglich die Hand auf dem Thür - ſchloſſe da, wartend ob er das Pförtchen öffne. Endlich ſpricht der Präſident ſeine Meinung über den Gefangenen aus; wer von den Geſchworenen gerade noch wach iſt denn einige ſchlummern unter Flaſchen und Tellern hinge - ſtreckt auf der Bank, giebt ſeine Erklärung, und gewöhn - lich öffnet ſich dann die Todespforte. Der Gefangene wird ins Freie geſtoßen und findet dort den augenblicklichen Tod; drinnen aber wird er ordentlich eingezeichnet, auch werden einzelne Freiſprechungsſcheine ausgetheilt. Vor dieſem Tribunal mußte Montmorin, der vormalige Miniſter, er - ſcheinen. Als er mit großer Heftigkeit gegen ſolche Richter proteſtirte, ſprach einer von ihnen zum Präſidenten: Die Verbrechen Montmorins ſind bekannt, da er aber mit uns nichts zu ſchaffen haben will, ſo verlange ich ſeine Abfüh - rung nach La Force. Ja nach La Force! ſchrieen Alle. Montmorin glaubte ſich gerettet, allein es war das Stich - wort für ſeinen Tod. In La Force rief man umgekehrt ſtatt des Todesurtheils: Nach der Abtei. So ſehr überlegt war Alles. Allein man rückte über dieſen Förmlichkeiten langſam vorwärts. Die Gemeinderäthe Manuel und Bil - laud-Varennes gingen ab und zu, die Geſchworenen an - feuernd, belobend. Letzterer ſagte den blutigen Arbeitern draußen jedem 24 Livres Tagelohn zu, ungerechnet natür - lich, was die Erſchlagenen von Geld und Gut an ſich tru - gen. Mehrere Tage und Nächte vergingen dennoch, ehe die Abtei mit 122 Ermordeten ihr Geſchäft abſchloß; La ForceFranzöſiſche Revolution. 30466zählte deren 167 oder darüber. Manchmal ließ ſich auch Danton blicken, allein mit kluger Zurückhaltung. Er war es, der mit dem Aufſichtscomité, welches ſich in dieſen Ta - gen den Namen des Ausſchuſſes für das öffentliche Heil beilegte und in welches Marat als ordentliches Mitglied eintrat, die großen Maßregeln verabredete, draußen aber ſehen wir ihn Einzelne retten, Duport, Barnave, Karl Lameth verdankten ihm ihre Entlaſſung aus den Gefäng - niſſen. Auch gleicht das weiter gehende Gefängnißmorden weit mehr dem Marat und ſeinem Gelichter (son peuple) als Dantons Anordnungen, ich meine das Niedermetzeln der zu den Galeeren verurtheilten Verbrecher bei den Bern - hardinern, der heilloſen Weiber in der Salpetrière und nun vollends der dreitägige Kampf im Bicêtre, um mit Kartätſchen und endlich ſogar mit in die Keller geleitetem Waſſer gemeine Verbrecher und Wahnſinnige, die ſich ihres Lebens wehrten, zu vertilgen.

Während alles des angeſtellten Blutvergießens wird vor den Behörden der Name des Volks beſtändig mis - braucht, welches ſich in ſeiner gerechten Rachewuth durchaus nicht bändigen laſſe. Die Volksmenge aber miſchte ſich die - ſes Mal durchaus nicht mit ihren Leidenſchaften ein; ſie ehrte ſogar das um den Tempel hin ausgeſpannte mit einer warnenden Inſchrift bezeichnete Band, welches die könig - liche Familie ſchützen ſollte. Erſt als in La Force die Prin -Sept. 3. zeſſin Lamballe erwürgt und von ihrer nackten gräßlich ver - ſtümmelten Leiche das Haupt getrennt war, verletzten ge -467 dungene Mörder dieſe Freiſtätte des entweihten König - thums, ruhten auch nicht bis ſie über den Trümmern von ein Paar abſichtlich, um den Tempel zu iſoliren, niederge - riſſenen Häuſern ſo hoch geklettert waren, daß ſie der ent - ſetzten Königin den blutigen Kopf ihrer Freundin mit Hülfe der Pike zeigen konnten. Manche der Gedungenen kamen auch in die Häuſer von Girondiſten, um dieſe gefangen abzuführen, und ließen ſie gehen auf ihre Weigerung, irrten dann mit ihren Scheinen auf zu zahlenden Tagelohn von einer Behörde zur andern, bis ſie Befriedigung fanden. Denn einen ſichern Anhaltspunct in Bezug auf ihre Schuld - ner beſaßen ſie an einem Rundſchreiben, welches der Aus - ſchuß des öffentlichen Heiles gleich beim Anfange des Mor - dens an alle Departements erließ, dieſes Hauptinhalts: Brüder und Freunde, ein abſcheuliches Complott, vom Hofe zur Ermordung aller Patrioten Frankreichs angeſtiftet, und worin viele Mitglieder der Nationalverſammlung ver - wickelt ſind, hat am 9ten des vorigen Monats die Gemeinde von Paris in die traurige Nothwendigkeit verſetzt, ſich der Macht des Volks zu bedienen, um die Nation zu retten. Jetzt aber hat die Gemeinde von Paris vernommen, daß barbariſche Horden auf ſie anrücken, und beeilt ſich ihre Brüder in allen Departements zu unterrichten, daß ein Theil der frechen Verſchwörer, welche in den Gefängniſſen verwahrt wurden, vom Volk getödtet iſt; eine Handlung der Gerechtigkeit, welche ihm unerläßlich ſchien, um in dem Augenblicke ſeines Auszuges gegen den Feind die Legionen30*468der innerhalb ſeiner Mauern verſteckten Verräther durch Schrecken zu bändigen; und ohne Zweifel wird die ganze Nation nach der langen Kette von Verräthereien, welche ſie bis an den Rand des Abgrundes gebracht haben, wett - eifern einer ſo nützlichen und ſo nothwendigen Maßregel nachzuahmen, und alle Franzoſen werden gleich den Pariſern ſagen: Wir ziehen gegen den Feind, allein wir werden keine Banditen in unſerm Rücken laſſen, die un - ſere Frauen und Kinder ermorden. Hier folgen ſieben Unterſchriften: Duplain. Panis. Sergent. Lenfant. Ma - rat. Lefort. Jourdeuil. Auch zeigten ſich in Rheims, in Meaux, in Lyon und anderer Orten Nacheiferer. Am wil - deſten begab ſich die Ermordung von über 50 Gefangenen, die von Orleans nach Verſailles gebracht wurden und weiter nach Paris ſollten. Die Pariſer Mörder gingen dieſen entgegen, vergeblich daß der Maire von Verſailles ſie zu retten ſuchte. Unter den hier Ermordeten befand ſich Deleſſart, der frühere Miniſter. Verſailles hatte die ganze Schwere der Revolution ſchon empfunden. Seit der Entfernung des Hofes ſank die Stadt von 80,000 Ein - wohnern auf 25,000 herab.

Fragt man, wo in dieſen vier Tagen und Nächten des Mordens bei Sonnen - und bei Fackelſchein die National - garde blieb, ſo lautet die Antwort daß Santerre ſie unge - achtet aller Mahnungen Rolands unaufgeboten ließ. Und die Nationalverſammlung? Sie forderte den Gemeinde - rath auf, über den Zuſtand der Stadt zu berichten; der aber469 berichtete, Paris ſey ruhig, und dabei blieb es. Und als das Morden vorbei, erſchien der freundliche SchleicherSept. 6. Pétion, bat, man möge ihm erlauben einen Schleier über das Geſchehene zu werfen, man müſſe hoffen daß dieſe traurigen Scenen ſich nicht wiederholen würden, die alte Brüderlichkeit kehre ſchon zurück. Und war denn der Brief, welchen der ſtrenge Roland am 3ten September an die Nationalverſammlung ſchrieb, in viel anderem Sinne ab - gefaßt? Roland findet den zehnten Auguſt vortrefflich und läßt noch allenfalls den vergangenen Abend gelten. Aber nun nicht weiter! Warum aber nicht weiter, wenn nur überall ſo weit? Rolands Theorie iſt durch den zehnten Auguſt ins Leben gerufen, die Dantons erſt durch die Septembermorde. Geben Theorien den Ausſchlag für Tha - ten der Gewalt, ſo ſtehen beide Männer in gleichem Rechte. Allein die Worte Rolands, des Miniſters, der thörichter Weiſe bald hernach nicht müde wird ein Straf - gericht über die Septembermänner herabzurufen, ohne zu bedenken daß er ſie zum Kampfe der Verzweiflung zwingt, ſind bezeichnend für die Denkart der Zeit. Ich weiß daß die Revolutionen nicht berechenbar nach den gewöhnlichen Regeln ſind, allein ich weiß auch daß die Macht, welche ſie hervorbringt, ſich bald unter den Schutz der Geſetze ſtellen muß, wenn ſie eine gänzliche Auflöſung vermeiden will. Der Zorn des Volks und die Bewegung der Inſur - rection gleichen einem Strome, der alle Hinderniſſe durch - bricht, welche keine andere Macht je vernichtet hätte, aber470 deſſen Überſchwemmung weit hinaus Alles zerſtören und verwüſten muß, wenn er nicht bald in ſein Bette zurück - kehrt. Kein Zweifel, ohne den Tag des 10ten waren wir verloren; der Hof, ſeit lange vorberei - tet, erwartete nur die Stunde, um alle ſeine Verräthereien zu krönen, über Paris die Todesfahne zu entfalten und es durch Schrecken zu beherrſchen. Das Gefühl des Volks, immer gerecht und zutreffend, wenn die öffentliche Mei - nung unverdorben iſt, eilte dem Augenblicke voran, wel - cher für ſein Verderben beſtimmt war, und benutzte ihn zum Verderben der Verſchwörer. Dann von den Thaten des zweiten Septembers: Geſtern war ein Tag, von deſſen Ereigniſſen man vielleicht den Schleier nicht lüften darf; ich weiß daß das Volk, furchtbar in ſeiner Rache, doch eine Art Gerechtigkeit hineinbringt; es opfert nicht Alles auf was ſeiner Wuth ſich darbietet: es richtet dieſe gegen Solche, welche es ſchon zu lange mit dem Schwerte des Geſetzes verſchont zu haben glaubt und welche die Ge - fahr der Umſtände ihm als Schlachtopfer bezeichnet, die unverzüglich fallen müſſen. Stand es ſo mit den eidlo - ſen Prieſtern? Gewiß, Roland war eine weit reinere Seele als Danton, allein in der politiſchen Anſchauung beider machte bloß das Datum einen kleinen Unterſchied. Roland hatte den inneren Feind in den Tuilerien gefürch - tet und er freut ſich des erfolgreich angewandten Schreckens. Danton fürchtete in ausgedehnterem Maße den inneren zu - gleich und den äußeren Feind und machte von einer größe -471 ren Doſis Schrecken Gebrauch. Was wird es geben, wenn die Furcht Marats und Robespierre’s freie Hand be - kommt?

In denſelben Tagen, da die Einen aus Paris in dich - ten Schaaren ins Feld rückten, die Anderen drinnen für die gute Sache mordeten, hielt Dumouriez die Feinde inSept. 3.4. der Argonne auf. Am Tage der Kanonade von Valmy hielt aber der geſetzgebende Körper ſeine letzte Geſchäfts - Sitzung. Zwar trat er am nächſten Morgen, den 21ſten September noch einmal zuſammen, allein lediglich um die Botſchaft zu empfangen, der Nationalconvent ſey conſti - tuirt, und ſich hierauf für immer aufzulöſen. An ſeine Stelle tritt eine Verſammlung, weit volksmäßiger gewählt als die vorige; denn der ariſtokratiſche Unterſchied zwiſchen gewöhnlichen und thätigen Bürgern iſt für dieſe Welt ganz aufgehoben; jeder einundzwanzigjährige Franzoſe, der nicht Dienſtbote iſt, kann Wähler ſeyn, und jeder Fran - zoſe kann mit fünfundzwanzig Jahren ſowohl im Wahl - collegium als im Nationalconvent ſitzen; man hat aber die Wahlcollegien bloß um der Eile willen noch beibehalten, weil es darauf ankommt in kürzeſter Friſt einer Verſamm - lung das Daſeyn zu geben, welche in den Tuilerien künf - tig wohnen, vor allen Dingen aber das Königthum ab - ſchaffen wird.

Dumouriez wußte aus erſter Hand durch ſeinen ge - treuen Correſpondenten, den Juſtizminiſter, daß dieſe Ent - ſcheidung unmittelbar bevorſtehe, nichtsdeſtoweniger un -472 ternahm er es, den Herzog von Braunſchweig zu überzeu - gen, er habe nicht allein den Willen, ſondern auch die Kraft, die Macht der Krone wiederherzuſtellen, verſteht ſich erſt nachdem die Preußen ihm durch die ſchleunige Räu - mung Frankreichs freie Hand, ſein Heer zu gebrauchen, ver - ſchafft haben werden. Wunderbarer Umſchwung der Dinge! Keine vierundzwanzig Stunden ſind ſeit jener entſcheidungs - vollen Kanonade verfloſſen und wir finden beide Heerfüh - rer in einer Unterhandlung, welche ſich unter einer Aus - wechſelung von Gefangenen verſteckt, und bereits am AbendSept. 22. des dritten Tages tritt ein Waffenſtillſtand ein. So un - bedingt Dumouriez den Antrag verwirft, gemeinſchaftliche Sache mit den Verbündeten zu machen, ſein Heer zur Ret - tung des Königs gegen Paris zu führen, eben ſo nach - drücklich macht er durch ſeine Abgeordneten geltend, es gebe kein anderes Mittel, die Tage des Königs und die Monarchie zu ſichern, als den Rückzug der Preußen und die Losſagung dieſer Macht von einem Kriege, welchen ſie un - gereizt, gegen alle geſunde Politik, Öſterreich zu Gefallen unternommen habe. Eben das war die nicht ganz verbor - gene Anſicht des Herzogs; als dieſer aber die Wiederein - ſetzung Ludwigs XVI. in die Macht, welche er vor dem 10ten Auguſt beſeſſen, zur Baſis jeder Friedensunterhand - lung machte (ein ungeheures Zugeſtändniß von Seiten ei - nes Fürſten, welcher das Coblenzer Manifeſt hatte aus - gehen laſſen), antwortete Dumouriez mit der Meldung: der franzöſiſche Nationalconvent habe an ſeinem erſten473 Sitzungstage das Königthum aufgehoben und in ſeiner zweiten Sitzung die Stiftung der franzöſiſchen Republik be -Sept. 22. ſchloſſen. Und dem war ſo. Auf die Nachricht wollte Fried - rich Wilhelm, tief erſchüttert, ſogleich die Unterhandlun - gen abgebrochen wiſſen, verlangte eine Schlacht und ſetzte dieſe ſogar auf den 29ſten feſt. Allein an demſelben Tage überzeugte der Herzog den König von der Nothwen - digkeit den Rückzug anzutreten, welchen man ungeſtört, Dank ſeiner Sorgfalt, werde vollbringen können. Wirk - lich hatte der Vollziehungsrath, welcher officiell jede Un - terhandlung bis zur Räumung des franzöſiſchen Bodens abſchnitt, dem General Dumouriez unter der Hand ge - ſtattet, dem Feinde einen unbeunruhigten Rückzug bis an die Maas zuzugeſtehen, immer in der Hoffnung, das Ber - liner Cabinet gänzlich von dem Wiener zu trennen. Der - geſtalt ward der Tag nach dem projectirten Schlachttage der Anfang eines ſchmählichen Rückzuges, zum unſäglichenSept. 30. Schmerze der Emigranten, deren Corps nicht einmal in den geheimen Stillſtand begriffen werden durfte. Als die Preußen an der Maas bei Verdun ſtanden, überließ Du - mouriez das Weitere in Bezug auf ſie den Generalen Kel - lermann und Dillon und beeilte ſich, was er längſt ge - wünſcht, die Offenſive gegen die kaiſerlichen Niederlande zu eröffnen, führte ſeine Hauptmacht dahin ab. Eben da - hin begab ſich unmuthig Clairfait mit ſeinem Corps, nach -Oct. 21. dem die Preußen Verdun und Longwy ohne Widerſtand durch eine Übereinkunft geräumt hatten. Wenn noch hie474 und da eine ſchwache Beunruhigung der Zurückziehenden erfolgte, ſo diente das eher zur Rettung der politiſchen Ehre Preußens; denn das verwundete Gemüth des - nigs würde einen öffentlichen Bruch der gegen Öſterreich übernommenen Pflichten nicht ertragen haben, wenngleich ſein Wille ſich den Rathſchlägen ſeiner Lombards, Lucche - ſinis und Haugwitze gefangen gab. Allein auch dieſe konnten für jetzt keinen förmlichen Frieden mit Frankreich wünſchen, denn nimmermehr würde in dieſem Falle Kai - ſerin Katharina eingewilligt, haben daß Preußen durch eine neue Theilung von Polen die längſt erſehnte Ver - größerung mit Thorn und Danzig erlange.

Zwei Monate und fünf Tage hatten die Preußen franzöſiſchen Boden inne gehabt als ſie auf ihrem Rück - zuge am 23ſten October die Gränze, das Luxemburgiſche erreichten. Als man hier die gerettete Heerſchaar muſtert, zeigt es ſich daß ein Drittel von denen, welche in die Champagne rückten, nicht wiedergekehrt iſt, und gleich - wohl ſind höchſtens 2000 durch die Waffen gefallen. Und während der Berechnung der Verluſte wird man durch die Schreckensnachricht überraſcht: Wir Deutſche ſind nicht mehr die Angreifer, uns greift man an; am 19ten Octo - ber iſt General Cuſtine vor Mainz gerückt, ohne Belage - rungsgeſchütz, er fordert die Reichsfeſtung auf und ſie er - giebt ſich ihm gleich am 21ſten, und in Mainz beginnt die Revolutionirung von Deutſchland. Will man mehr? Zehn Tage vor der Kanonade von Valmy erklärte die Na -475 tionalverſammlung der Krone Sardinien den Krieg, weil ſie bewaffneten Emigranten Einfälle in Frankreich geſtat - tete. Noch im Laufe Septembers erobert der General Montesquiou Savoyen faſt ohne Widerſtand, und Gene - ral Anſelme ſteht in Piemont. Am 21ſten November wird Savoyen als Departement Montblanc mit der franzöſi - ſchen Republik vereinigt, den 4ten Februar 1793 bildet die Grafſchaft Nizza das Department der Seealpen. So ſchnell wird vergeſſen daß das freie Frankreich nicht er - obern will. Noch mehr. Dumouriez iſt in Belgien einge - drungen, hat am 6ten November 1792 das regelrechte kai - ſerliche Heer bei Jemappes aufs Haupt geſchlagen, und nun wird allen Völkern der Erde Freiheit und Gleichheit verkündigt. Und unſer deutſches Reich? Nachdem der erſte Feldzug der Deutſchen ohne Theilnahme des Reiches ſchmählich verloren iſt, Mainz, Aachen, Frankfurt ſind in feindlichen Händen beſchließt das deutſche Reich am 22ſten December den Krieg, ein Vierteljahr ſpäter die Er - klärung des Krieges (23. März 1793) und ſechs Wochen ſpäter (30. April) die Bekanntmachung dieſer Erklärung. In denſelben Tagen legten Rußland und Preußen an eine neue Theilung Polens die Hand, und gleichzeitig ward Lud - wig dem XVI. und dem polniſchen Volk der Proceß ge - macht.

Wenn es aber Weiſungen von oben giebt, welche die irren Bahnen der ſchwachen Sterblichen erleuchten, ſo ſind dieſe damals ertheilt, als neben den frechen Königsmord476 der kalt berechnete Volksmord trat. Seitdem iſt eine lange Zeit vergangen, die damals Knaben waren ſind zu Grei - ſen geworden, unverrückt weiſt der große Zuchtmeiſter der Welt immerfort auf dieſelbe Aufgabe hin, ſucht ſeine ſtör - rig-trägen Schüler mit unſäglichen Leiden heim. Und den - noch wollen die Einen nicht lernen daß es ein Unſinn und ein Frevel iſt, unſern von monarchiſchen Ordnungen durch - drungenen Welttheil in Republiken des Alterthums um - modeln zu wollen, die Andern umklammern hartnäckig das geliebte Götzenbild einer monarchiſchen Unumſchränktheit, welche ja ihre unvergeßliche Zeit gehabt hat, gegenwärtig aber, verlaſſen von dem Glauben der Völker, ein ſo eit - les Geräuſch treibt, wie die klappernden Speichen eines Rades, deſſen Nabe zerbrochen iſt.

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Inhalt.

  • Seite
  • Erſtes Buch. Die Vorſpiele der Revolution. 1. Die Verhältniſſe3
  • 2. Das Schickſal der Reformen25
  • 3. Die holden Jahre der Selbſttäuſchung63
  • 4. Das erſte Anklopfen der Revolution82
  • 5. Es wird der Revolution aufgethan106
  • Zweites Buch. Das neue Frankreich und ſein - nigthum. 1. Die Form der Reichsſtände143
  • 2. Die Wahlbewegung156
  • 3. Der Geburtstag der Revolution190
  • 4. Die pariſer Revolution215
  • 5. Die Schöpfungen der Nationalverſammlung239
  • 6. Die König und die Nationalverſammlung nach Paris271
  • 7. Mirabeau kämpft für den Thron295
  • 8. Die letzten Stützen des Thrones weichen325
  • 478
  • Seite
  • Drittes Buch. Der Übergang zur Republik. 1. Der König flüchtig, gefangen, ſuſpendirt, wieder an - geſtellt365
  • 2. Die geſetzgebende Verſammlung und das Ausland397
  • 3. Der Krieg und die Republik431

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.

Druckfehler.

Seite 293. Zeile 7 v. u. und öfter lies: Tuilerien ſtatt: Tuillerien.

311. 10 v. o. lies: Dingt ſtatt: Dringt.

About this transcription

TextGeschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik
Author Friedrich Christoph Dahlmann
Extent491 images; 99592 tokens; 15913 types; 717995 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGeschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik Friedrich Christoph Dahlmann. . IV, 478 S. WeidmannLeipzig1845.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, R 7224<a>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=595063268

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Historiographie; Wissenschaft; Historiographie; core; ready; china

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ShelfmarkSBB-PK, R 7224<a>
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