PRIMS Full-text transcription (HTML)
Adam Menſch.
Roman
Sünde‘ iſt das Vergehen wider das Geſetz der Zukunft.
(Oskar Hänichen. )
Laß fahren, was dich traurig macht,
Und was die Enge dir geboren :
In dieſer großen Freudennacht
Bleibt dir dein Genius unverloren
Wir leben, mein geliebtes Weib
Und unſer Leben athmet Fülle :
Der Dinge unverſtand'ne Hülle
Fiel ab vom nackten Gottesleib.
[figure]
Leipzig. Verlag von Wilhelm Friedrich. K. R. Hofbuchhändler.

Oskar Hänichen zugeeignet.

Von einem Grabe komm 'ich her. Du weißt,
Mein lieber Freund : von welchem Grabe
Du weißt : wie viele Träume, wie viel Glück
Wie viele Vergangenheit ich da begraben habe ...
Von des Vergeſſens Fluth unüberſpült
Mahnt dieſer Hügel noch im fernen Süden
Da wir ſo groß gelebt, ſo ſtark gefühlt,
So heiß gekämpft um unſ'res Willens Frieden.
Ob wir ihn fanden ? Nun, mein lieber Freund
Wir lächeln ſchmerzlich doch wir lächeln eben
Wir ſind allein wir haben nur noch uns
So bleiben wir zuſammen für das Leben ...
Der Regen klatſcht an meine Fenſterſcheiben
In's Nordland wieder wurden wir verbannt
Getroſt mein Freund! Wir werden ſüdwärts treiben
In unſ'rer Sehnſucht unſ'res Sieges Land!
Ein Grab zu hüten gilt's. Mit weißen Kerzen
Hat's unterweil der junge Lenz geſchmückt
Für das Unſterbliche verglüh'n die Herzen
Mit rothem Blut getauft der tiefſten Schmerzen
Ward uns der Geiſt, der Zukunftsfrüchte pflückt.
[1]

I.

Es gab gerade die Zeit um die vierte und fünfte Nachmittagsſtunde an einem Märztage. Der Wirth vom Café Caeſar ſtand hinter dem Buffet und zählte Geld. Das Klimpern und Klirren der Metallſtücke klang deutlich zu dem Tiſche herüber, an dem Herr Dr. Adam Menſch und Herr Referendar Clemens von Bodenburg ſaßen. Bodenburg zog ſich jetzt hinter den Figaro zurück. Nur ein paar Gäſte noch lebten da und dort im Lokal herum. Der Verkehr war im Ganzen geringfügig um dieſe Stunde.

Adam Menſch trank den letzten Schluck ſeines cognacgemiſchten Kaffees aus und rückte ſeiner Börſe auf den Leib.

Kellner!

Herr Doctor!

Bitte zahlen!

Jawohl!

Der Kellner kam herangelaufen.

Ein Kaffee ſchwarz und einen Cognac

Vierzig Pfennige!

Adam gab einen Fünfziger hin: Bitte!

Danke ſehr!

Conradi. Adam Menſch. 12

Der Kellner raffte die Zeitungen zuſammen, die auf dem Tiſche und den nächſten Stühlen herum - lagen, bückte ſich nach einem Journal, das ihm entglitten war, und ſchleppte die papierne Bürde von dannen. Adam Menſch ſtand auf, fuhr ſich mit der linken, etwas fieberfroſtrothen Hand über Stirn und Haar und griff mit einer Bewegung, die nicht ganz frei von Poſe war, nach ſeinem Ueberzieher.

Der Kellner, der ſich ſeiner Zeitungen entledigt hatte und eben um das Buffet bog, ſtürzte wieder auf Adam zu, um ihm beim Anlegen behülflich zu ſein.

Danke!

Bitte!

Da that ſich die Thür des Café's auf und eine Dame trat herein, machte ein paar Schritte, blieb ſodann ſtehen, wurde etwas verlegen, etwas roth, ſah ſich fragend um, ging noch einen Schritt weiter und blieb wiederum ſtehen.

Das Buffet war jetzt leer, der Wirth zufällig abweſend.

Nun tauchte vom hinteren Raume des Café's der Zeitungskellner, ein kleiner, beweglicher Geſell mit einem angenehm verkniffenen Geſicht, auf. Er trug eine Zeitung in der Hand, die er der Dame übergab. Dieſe drehte ſich, ohne ein Wort zu ſagen, um und verließ mit nicht ganz ſicherem Schritt das Lokal. Adam bemerkte, wie ſie von den Blicken der meiſten Gäſte zuvorkommend hinausbegleitet wurde. 3[A]uch Herr von Bodenburg hatte ſeinen breitblättrigen[F]igaro ſinken laſſen. Ganz niedliches Kind! ur - t[h]eilte er ſchmunzelnd.

Wer iſt die Dame eigentlich ? fragte Adam d[e]n Kellner, der noch immer in ſeiner Nähe ſtand u[n]d natürlich an der allgemeinen Aeugelei theil - g[e]nommen hatte. Ich habe ſie ſchon mehrere[M]ale um dieſe Zeit hier geſehen , fuhr der Herr[D]octor fort.

Ich glaube, Fräulein Irmer heißt ſie ſie h[o]lt immer die Volkszeitung für ihren Vater d[e]r hat nachabonnirt , berichtete der Kellner.

So! Danke ſchön! Adieu, Herr von Boden - b[u]rg!

Adieu, Herr Doctor!

Adam Menſch ging langſam hinaus, Herr von B[o]denburg ſah ihm nach und ſchüttelte den Kopf. [S]onderbarer Kerl! murmelte er. Kellner, nehmen[S]ie das Schachbrett weg und bringen Sie mir n[o]ch ach ja! ich wollte ja einmal Ihren Ab - ſ[y]nth probiren alſo bitte! .. rief der wackere H[e]rr Referendar ſodann laut.

Ja wohl !

Adam hatte vor dem Café nach rechts und li[n]ks ausgeſchaut, um die Spur von Fräulein I[r]mer ja ja! ſo hieß ſie doch ? hatte der K[e]llner nicht dieſen Namen genannt? wieder - zu[fi]nden. Richtig! Da drüben ging ſie. Und jetzt bo[g]ſie um die Ecke. Sollte er ihr folgen? Aber w[a]rum? Hatte er einen Grund dazu ? Ließ er1*4ſich, indem er dieſem ſpontanen Bedürfniſſe nach - gab und daſſelbe in einen bewußten Willensakt umſetzte, nur von einer zufälligen Stimmung, einer erſten beſten Laune leiten? Wollte er ſich zerſtreuen, auf andere Gedanken kommen, ſich den ſtechenden Schmerz in den Schläfen vergeſſen machen? Oder reizte ihn irgend Etwas an dieſem Weibe, das er ſchon öfter im Café Caeſar geſehen ... deſſen aufgereckte Geſtalt mit ihrer reſervirten Halbfülle ſeinem Auge wohlgethan? War ihm dieſes bleiche Geſicht mit der ſonderbaren Kreuzung im Ausdruck, wenn ſeine urſprüngliche Herbheit und abweiſende Strenge ſich mit der momentanen Verlegenheit, Scheu und Unſicherheit paarten war es ihm an - ziehend ? Adam war noch nicht zu einem trans - parenten Ergebniſſe gelangt, als er ſich ſchon über den Fahrdamm ſchreiten und die Richtung nach jener einmündenden Straße nehmen ſah, um deren Ecke Fräulein Irmer ſoeben verſchwunden war.

Einige Minuten ſpäter hatte der grübelnde Herr Doctor die Dame dicht vor ſich.

Fräulein Irmer ging langſam, einförmig, bei - nahe ſchwerfällig. Sie wandte ſich nicht nach rechts noch nach links, gerade aufgerichtet trug ſie den Kopf und mußte, wie Adam aus ihrer Haltung ſchloß, ſtets in der Richtung ihres Weges vor ſich hinſtarren und doch über all' die Menſchen, die vor ihr hergingen oder ihr begegneten, hinwegſehen, un - berührt von den lärmenden, zuckenden Schatten, mit denen das unſtäte Leben ſie umgab. Adam5[M]enſch imponirte dieſe Theilnahmloſigkeit immerhin[ei]n Wenig. Und ſie imponirte ihm vor allem darum,[w]eil ſeine eigene, ſehr nervöſe und unruhige Natur[ſi]ch von Jedwedem in Anſpruch nehmen ließ, was auf[ſi]e eindrängte, auf Alles eingehen mußte, was um[ſi]e herum athmete, lebte und ſprach.

Nun fiel es ihm gerade ein, ſich der Dame einmal b[e]merklich zu machen. Er ging hart an ihr vorüber, ſ[a]h ſie ſcharf von der Seite an und ſchritt ihr d[a]nn voraus. Jetzt blieb er vor dem Schaufenſter[ei]nes großen Delicateſſengeſchäftes ſtehen und wandte ſi[ch]auffällig um, als er annehmen konnte, daß F[r]äulein Irmer in ſeiner Nähe war. Er fixirte ſi[e]ſcharf und ſuchte ihr Auge feſtzuhalten. Die[D]ame ſtreifte ihn mit einem kurzen Blicke und ſah d[a]nn über ihn hinweg. Das ärgerte den Herrn[D]octor ein Wenig. Er hielt ſich jetzt in ihrer[int]imen Nähe und folgte ihr dicht auf den Sohlen. F[r]äulein Irmer wurde augenſcheinlich unruhig. D[e]r Kopf ſenkte ſich und drehte ſich in kurzen, h[a]rten Bewegungen, bald nach links, bald nach re[ch]ts. Sie hatte begonnen, von ihrem Begleiter N[o]tiz zu nehmen.

Die Dämmerung wuchs. Die Schatten der au[s]einanderquellenden Nacht fielen dichter und dunk - le[r.]Jetzt flammten die erſten Laternen auf.

Eine Buchhandlung lag am Wege. Fräulein I[r]mer trat in den Laden, Adam Menſch folgte ihr nach ein[i]gen Secunden. Er hörte, wie ſich die Dame mit et[w]as belegt-ausgefranſter Stimme Eugen Dühring's6 Werth des Lebens ausbat. Ihr Geſicht trug wieder denſelben Doppelausdruck, den es im Café Caeſar anzunehmen pflegte.

Adam beſtellte flugs ein Exemplar deſſelben Werkes. Das mußte doch auffallen. Und es ſchien auch Fräulein Irmer aufzufallen. Sie wandte ſich zu ihrem Nachbar um, ſchlug die braunen ernſten Augen groß auf .. und fragte mit ihnen eine ſtumme, tiefe Frage, auf die Adam nur eine gleiche, ſtumme Antwort wußte, die für ihn plötzlich nicht minder tiefen Inhalts war.

Das Werk fand ſich natürlich nicht auf Lager. Der Gehilfe erbat ſich die Adreſſen und verſprach die Exemplare in ſpäteſtens acht Tagen beſorgt zu haben.

Hedwig Irmer oder ſenden ſie das Buch bitte direct an meinen Vater: Dr. Leonhard Irmer, Herderſtraße 7 III. ..

Danke verbindlichſt, mein gnädiges Fräulein ſoll geſchehen! Und Sie, mein Herr ?

Dr. Adam Menſch, Gartenſtraße 14 II. ..

Der Herr Doctor erhielt jetzt zwei verwunderte Blicke. Dem Gehilfen ſchien ein Menſch, der Adam Menſch heißen könnte, bisher unmöglich geweſen zu ſein.

Auch Fräulein Irmer war betroffen. Adam gab ihren Blick mit einem diskret-ironiſchen Lächeln zurück. Die Dame wurde vorwiegend verlegen.

Nun wandten ſich die beiden zum Gehen. Adam öffnete die Thür und ließ das gnädige Fräulein zuerſt hinaustreten. Dann folgte er ſchnell.

7

Er konſtatirte, daß ſeine Nervenſchmerzen nach - gelaſſen hatten. Man muß nur einmal in einer fremden Atmoſphäre herumvagabundiren und dem ehrenwerten Corpus ein wenig Abwechslung gönnen: dann machts ſich ſchon monologiſirte er ſtill vor ſich hin. Inſtinctiv hatte er Fräulein Irmers Spur wieder aufgenommen. Aber er war doch zweifelhaft. Sollte er noch weiter hinter der Dame hertrollen, wie ein zitternder Gymnaſiaſt hinter ſeiner in ſich hineinkichernden Pouſſade, hinter ſeiner Flamme oder ſollte er ihr ſeine Begleitung anbieten oder ſollte er wieder umkehren und ruhig nach Hauſe ſtapfen ? Was hatte dieſes närriſche Nachlaufen für Sinn! Uebrigens die Adreſſe wußte er ja, wenn er alſo Herderſtraße 7 III. ja! ja! ach was! wenn er Unſinn!

Aber Adam ging noch immer dicht hinter der Dame. Man war allmählich in einen ſtilleren Stadttheil gekommen.

Plötzlich fand ſich Adam an der Seite Fräulein[I]rmers vor! Er ſtutzte einen Moment, verſtand ſich[n]icht und .. fragte ſchließlich, indem er etwas linkiſch[u]nd rathlos den Hut zog: Erlauben Sie, mein[g]nädiges Fräulein, daß ich Sie

Keine Antwort.

Verzeihen Sie, mein Fräulein aber Sie[w]erden unſchwer

Ich verſtehe Sie nicht, mein Herr! Was wollen[S]ie? Verlaſſen Sie mich!

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Mein Fräulein !

Noch einmal verlaſſen Sie mich ich erſuche Sie dringend oder ...

Adam war plötzlich ſehr ſelbſtbewußt und trotzig ge - worden. Er betippte nachläſſig ſeinen Hut, wandte ſich ab, ging einige Schritte zurück, ſtampfte einmal recht erbittert aufs Pflaſter und lachte ſehr indignirt. Was nun? Er drehte ſich noch einmal um. Und es dünkte ihn, als ob Fräulein Irmer recht langſam ginge zudem zudem noch gar nicht ſo beſonders weit entfernt von ihm wäre ſollte ſie doch ſollte er aber nein! nichts da! Unſinn! Adam ſchob ſich entſchloſſen wieder um und wanderte nach Hauſe. Nach einer halben Stunde ſtieg er die Treppen zu ſeiner Wohnung empor. Die Glieder waren ihm ſchwer und die Schläfen ſchmerzten wieder heftiger. Und es fiel ihm ein, daß man doch im Grunde kaum Herr ſeiner Handlungen iſt. Plötzlich, im wahren Sinne unvorbereitet, hatte er vor einer kleinen Weile vor Fräulein Irmer geſtanden. Wie war er an ihre Seite gekommen? Urtheil Vorſtellung Willensimpuls Coordinations - centren Muskelcontraction Alles Blech! Adam wußte nur, daß man einmal ebenſo unvorbereitet eine .. Waffe in der Hand haben könnte und daß man unter Umſtänden ſchon nicht mehr ſein könnte, ehe man es überhaupt bewußt gewollt hätte. Aber .. aber aus de[m]ohne! ja! was denn: ohne? ohne 9 ohne! .. Dieſe beleidigte Schöne! Sie einmal küſſen ? Küſſen ? Pah! Zu geſchmacklos! Aber ah! eigentlich ſtand er doch noch ſehr feſt im Leben, noch ſo mitten darin! Und wie ſicher er mit beiden Füßen noch auftrat! Wie ihm aus der engen Zone ſeiner Augenblicksphantaſieen heraus das Leben doch noch ſo .. ſo ... lebenswerth erſchien! Herr Gott! Und nur, weil er heute dieſes Weib dummes Zeug! Er hatte wahrhaftig Ernſteres zu thun, als immer wieder auf derartige U. -S.-W. - Weiblichkeiten 'reinzufallen.

Grauſchwarze Dämmerungsflocken lagen im Zimmer. Es pochte. Die Wirthin erſchien, die flammende Lampe in der Hand. Nach einer kleinen Friſt: Sie ſehen recht blaß aus, Herr Doctor

Hm!

[10]

II.

Wie einer ſeiner Vorfahren eigentlich dazu ge - kommen war, ſich ſchlechtweg Menſch zu nennen oder zu einem derartigen Beſonderheitsmenſchen ſich er - nennen zu laſſen, hatte Adam wirklich nicht ergraben und ergründen können. Ja! Er hatte ſich alle Mühe gegeben, ſotanes Geheimniß zu entlarven, und manche Stunde war darüber vergrübelt worden. Uebrigens ge - fiel ihm ſein Familienname, dieſer Name, der das Moment des Typiſchen und des Individuellen ſo intim vereinigte, der ebenſo originell und tiefſinnig, wie ge - wöhnlich, oberflächlich und trivial war, gar nicht übel. Und nicht übel paßte objectiv und behagte ſeinem Beſitzer auch ſubjectiv der Vorname Adam Adam Menſch : eine originelle Idee ſeines Vaters war es doch geweſen, die Familienüberlieferung, nach welcher jeder Erſtgeborene den Vornamen Gott - fried erhalten ſollte, zu durchbrechen und ſeinen Erſtling Adam zu taufen! Manchmal war der Name ſeinem Träger allerdings mehr eine Laſt, denn eine Luſt geweſen: zu den Zeiten, da er die Volksſchule ſeiner kleinen Vaterſtadt beſucht und mit Kameraden auf einer Bank hatte ſitzen müſſen, die an ſich wohl11 auch ſo etwas Aehnliches, wie .. wie Menſchen eben ge - weſen waren, ſonſt aber nur Richter, Schneider, Gerne - groß, Potſchappel und zuweilen ſelbſt Müller und Schulze geheißen hatten. Da hatte denn ſein Name den Fiſch abgegeben, nach dem die wühlende Buben - ſippſchaft die Angeln ihres tölpelnden Nörgelns ausgeworfen. Das hakt ſich feſt in der Seele deſſen, der früh von der großen, breiten Durch - ſchnittsſtraße abzubiegen beginnt .. oder, wenn in jungen Jahren auch noch nicht wirklich abbiegt, ſo ſich doch ſchon mehr und mehr an die Ränder der Straße ſchlängelt, auf daß er dem Nebendickicht näher ſei und beſſer und deutlicher einen ſchmalen Einzelpfad durch die wuchernde Wildniß für ſich erſpähe.

Adam war in engen, drückenden, rohen Verhält - niſſen aufgewachſen. Sein Vater, Gottfried Menſch, hatte einen Bäckermeiſter vorgeſtellt. Ein Mann, verſchwommen an Leib und Geiſt, eigenwillig, auf - brauſend, unſtät in Stimmungs - und Willensgegen - ſätzen lebend, von ſchnurrigen Einfällen behaftet, nicht ohne eine gewiſſe Eigenart und Kraft, aber ohne die Sicherheit, ohne die Lebensgarantie der Beſchränktheit. Er hatte ſich in ſeiner Natur aus - gelebt das heißt: er hatte nach Welt und Men - ſchen nicht viel gefragt und nur dem bunten Bündel ſeiner Neigungsſtröme gefröhnt. Dabei war das Geſchäft natürlich heruntergekommen und unbe - wußt, naturgemäßig-nothwendig, im Beſitze des Muthes, Alles gehen zu laſſen, wie es geht, und12 dem ökonomiſchen Verderbensmoloch ruhig ſeine Gift - zähne zu laſſen, hatte ſich Meiſter Gottfried Menſch immermehr an den Alkohol angeſchloſſen, welcher ihm allerdings weniger Tröſter war, als ein guter Kamerad, der Feuer in die Seele goß und wirbelnde Phantaſie'n gebar. Und eines Tages war dann das Delirium gekommen. Die Krämpfe und Wuthausbrüche wuch - ſen an Oftheit und Stärke, aber es trat auch nicht allzuſpät der Gehirnſchlag ein, der den Raſen - den eines Abends ausblies. Adams Mutter hatte ſich die Kehlkopfſchwindſucht anſchaffen müſſen. Vier Kinder waren da: zwei Knaben und zwei Mädchen. Die Brut war nicht geſund. Adam mußte ſich in ſpäteren Jahren noch öfter ſattſam wundern, daß er alle die Plackereien und Quälereien, die er hatte auf ſich nehmen müſſen, ausgehalten, wenigſtens einigermaßen ausgehalten. Nun ja doch! Brüchig und in ſich mannigfach auseinandergekeilt war er ſchon längſt. Das Leben hatte ihm kein Stück ge - ſunder Krafterde hingeſchoben, auf daß er feſt in ſie hineinwurzele und aus ihr heraus drangvoll und ſäftereich treibe. Das war ſein ganzes Leben lang nur ein loſes Wurzelhängen geweſen. Von ſeinem achten, neunten, zehnten Jahre bis zu dem neun - undzwanzigſten, in dem er nun ſtand .. und das vielleicht noch nicht das letzte war, deſſen Ring er ſich eingrub.

Nach dem Tode des Vaters hatte der Bäckerge - ſelle Karl Salge den Kopf ordentlich in die Höhe gereckt und ſich an's Meiſterſpielen gemacht. Das13 Ge[ſ]chäft verſuchte wieder einen kleinen Lebensauf - ſchwung. Dafür war denn die Meiſterin dankbar geweſen .. und hatte in einer Stunde der Freude, Hoffnung und Seelenſchwäche dem drängenden Ge - ſell[e]n ihre Hand zugeſagt. Die Hochzeit war auch ein[e]s Tages ſtill, glanzlos, verſchämt gefeiert un[d]Herr Salge ſomit Meiſter und Beſitzer einer Bäc[k]erei geworden, die ihm, dem bisher ar - me[n]Burſchen, doch immerhin eine gewiſſe Würde gab und ein bewußteres Auftreten geſtattete. Ueber - die[s]war ja die Meiſterin todtkrank .. ihr Lichtlein bre[n]zelte, zuckte und knarrte ſchon leiſe .. lange kon[n]te es nicht mehr brennen .. Eines Tages er - loſc[h]es denn auch, und Herr Salge, der wacker ge - arbe[i]tet hatte und dem es auch gelungen war, ſeine Wa[a]re wieder mehr zu Ehre und Anſehen zu brin - gen, heirathete ſeine Dienſtmagd, mit der er ſich ſcho[n]vorher eingelaſſen hatte, und die ſich eine nicht gan[z]kümmrige Summe aus ihren früheren Dienſt - ſchaf[t]en zuſammengeſpart. Die Stiefkinder kamen natü[r]lich früh aus dem Hauſe. Die Mädchen mußten ſich mach ihrer Einſegnung bald nach auswärts ver - ding[e]n, Guſtav wurde zum Nachbar Schlächter in die[L]ehre gethan: er konnte ja vielleicht daſſelbe Glüc[k]haben, wie ſein Stiefvater. Adams nahm ſich als d[i]e Zeit dazu gekommen war, einer ſeiner Lehrer an[u]nd verſchaffte ihm einen Platz im Gymnaſial - Alu[m]nat der nächſten größeren Provinzialſtadt: in dem[J]ungen ſchien etwas Mehr zu ſtecken, als in ſeinen Geſc[h]wiſtern .. und des Experiments, das noth -14 wendig war, um ſeine etwaigen Fähigkeiten an's helle Licht der Sonne zu befördern, war er ja im - merhin werth! Hieß er doch nicht nur Menſch, noch dazu Adam Menſch war er doch ſchließlich auch ein Menſch und bot als ſolcher fürtreffliche Gelegen - heit, chriſtliche Nächſtenliebe getreu nach dem Evan - gelium zu üben.

Und nun kam die lange, drückende, ausmergelnde Leidenszeit Adams. Wie engten ihn die Schulwände ein! Wie gaben ſie ihm ſo blutwenig Luft und Licht und Freiheit und Wind! Wie langſam ſchleppten ſich die Jahre hin und wie viel Fleiſch von todten, crepirten Fiſchen wurde ihm als Geiſtesſpeiſe zum Hinunterſchlingen vorgeſetzt! Wie oft mußte er ſich verleugnen, ſich demüthigen, zu Kreuze kriechen, um die Broſamen nicht zu verlieren, die man ihm bewilligt hatte und die man ihm Jahre lang ſo gern und ſo freudig gab!

Aber die Stunde, da dieſes Zuſammenleben mit dem Buchſtabendogma der Kirchenlehrer, dieſes Er - kaltenmüſſen in den todten Schnee - und Eis - und Gletſcherregionen der galvaniſirten Antike Ciceros und Vergils aufhörte, ſie kam doch. Und nun ſprang das Thor auf und der Mulus lief wie wahnſinnig vor Freude im oſtwindverkühlten Sonnenſchein der jungen Märztage herum .. und dachte nicht daran, daß er doch eigentlich verdammt wenig Ausſicht be - ſäße, ein rechtſchaffenes Burſchenleben auf der Uni - verſität führen zu dürfen. Der Glückliche, der mit Patent entlaſſene Sträfling, dachte nicht daran, daß15 in[n]aher Zukunft ein neuer Wermuthskelch wieder ein[m]al nicht an ihm vorübergehen würde daß er noch Jahre .. noch drei, vier Jahre lang är[m]lich und erbärmlich wie die bewußte Kirchen - ma[u]s würde leben müſſen und die ganze Fülle der Kräfte, die in ihm rang und ſtritt und nach Au[s]bruch und Bethätigung lechzte, würde entweder verl[e]ugnen, eindämmen, einſargen, kaltſtellen , er - ſticke[n]oder in ein Strombett lenken müſſen, das ſein[e]n Lauf nach dem an materieller Ausbeute gewiß reich[e]ren Meere des praktiſchen Lebens nimmt ...

[U]nd die Stunden, Wochen, Monate und Jahre kam[e]n und gingen und Adam Menſch durchlebte ſie: ein Sclave ſeiner Armuth und ein Freier zu - gleic[h]. Die große Fluth des Lebens umbrandete ihn. Abe[r]er hatte kaum einen Platz an der Tafel dieſes Lebe[n]s. Durch Ertheilen von Privatunterricht ver - dient[e]er ſich nothdürftig die paar Kreuzer, die dazu gehö[r]ten, um ihn überhaupt über Waſſer zu erhalten. Man[c]hmal, wenn es ihm gar zu heiß in der Bruſt wurd[e], ſprang er mitten ins Leben hinein und ſpielt[e]trotzig va banque. Dann ſtaunte er wohl auch dieſes ſo bunte, ſo verwickelte Leben an, und es d[ü]nkte ihn bisweilen gar nicht ſo ſchwer, Fuß in ihm[z]u faſſen und auf all das tauſendfältig Kleine und[B]eſondere, das ſich nun plötzlich vor ihm auf - rollte, liebevoll einzugehen. In Stunden des Tau[m]els riß er ein verlorenes Weib an ſeine Menſ[ch]enbruſt und lachte und ſchwelgte und weinte mit[d]er Armuth und mit der Schmach. Sein16 philologiſches Brotſtudium betrieb er mit bedeuten - dem Eifer: war es doch, beim Styx! der einzige Weg, der ihn hinaufführen konnte in die Berg - ſiedeleien der geiſtig und leiblich Vornehmen , der Bildungsidealiſten ! Mitunter machte er Schulden, und die Docentenhonorare ließ er ſich mit liebens - würdiger Bereitwilligkeit ſtunden. Er verſuchte wohl auch die buntſcheckige Sammlung ſeiner Talente: er ſchrieb Leitartikel für Zeitungen, machte Gelegen - heitsgedichte, die ihm manchmal einige Mark ein - trugen, verbrach Recenſionen philoſophiſcher Werke für akademiſche Organe und hielt in ſtudentiſchen Vereinen Vorträge über culturgeſchichtliche Themata, dann und wann mit einem vagen Saumſtreifen moderner politiſcher Verhältniſſe .. Einmal war es ihm auch geglückt, ein Theaterreferat über eine Sommertheaterbühne für eine untergeordnete Zeitung zu erlangen: da ließ er ſich denn die Gelegenheit zu allerlei Couliſſenſtudien nicht entgehen und ob es wohl nicht vorgekommen war, daß er ſich mit dem Kuſſe einer Soubrette beſtechen oder be - lohnen ließ ..? Auch im Strudel der ſtudentiſchen Kameradſchaften trieb und wirbelte er eine Zeit lang herum und ſo floß dieſes Stück Leben hin voll Wirrwarr, Zeriſſenheit und Zerſtücktheit .. Eines Tages ſtand Adam vor dem Staatsexamen. Er genügte gerade noch den Prüfungen und kroch eine kleine Friſt ſpäter in das Joch einer Hauslehrerſtellung bei einer adligen Gutsbeſitzersfamilie. Seine beiden Zöglinge erfreuten ſich zwar einer ganz braven17 Lei[b]esgeſundheit mit der Kraft und Geſundheit ihr[e]s Geiſtes jedoch war es ein Biſſel ſchwächer be - ſtell[t] und ſo redliche Mühe ſich Adam zuweilen auc[h]gab, dem edlen Blaublut die Geheimniſſe des A[c]cusativi cum infinitivo zu erſchließen: im Gr[u]nde erreichte er nur verdammt Wenig mit ſeiner Ab[q]uälerei. Nach zwei Jahren hing er den Prä - cept[o]rrock an den Nagel und zog von dannen. Er hatt[e]ſich wenigſtens einige hundert Mark erſpart und war ſomit in der Lage, ſich den Doctorhut, welc[h]en zu tragen doch nun einmal unter Anderem a[u]ch in das corpulente Pflichtenregiſter eines aka - dem[i]ſch gebildeten Menſchen gehört, zu kaufen. For[t]an durfte er ſich alſo mit Fug und Recht die ſehr gewöhnliche Anrede Herr Menſch verbitten und die jedenfalls wohllautendere Herr Doctor verl[a]ngen.

[A]n dem Progymnaſium einer kleineren Pro - vinz[i]alſtadt abſolvirte er ſein Probejahr. Hier wur[d]e das Maß voll. Adam konnte durchaus nicht begr[e]ifen, warum er ſeinen Schülern außer den inte[r]eſſanten Anfangsgründen der lateiniſchen Syn - tax auch noch die Schönheiten altteſtamentlicher My[t]hen, Märchen und mindeſtens ſonderbarer Opfer - geſch[i]chten zu Gemüthe führen ſollte. Zudem ekelten ihn[d]ie kleinen und engen Verhältniſſe dieſer lobe - ſame[n]Spießerwelt unbeſchreiblich an. Und ſo ſchnitt er d[a]s Tafeltuch zwiſchen ſich und einer ſoliden, ge - ſicher[t]en Zukunft entzwei einer Zukunft, welche ſo g[e]rn eine der reizenden Honoratiorentöchter desC[o]nradi, Adam Menſch. 218Städtels, allwo er ihren Brüdern ein in mancherlei Hin - ſicht doch etwas merkwürdiger Lehrer geweſen war, mit ihm getheilt hätte ſotanes Tafeltuch ſchnitt er alſo mitten durch und ließ ſich auf den curioſen Einfall kommen, ein moderner Menſch zu werden.

Hm! So war er denn wirklich ein moderner Menſch geworden. Und ſo ſaß er zu dieſer Stunde dort auf dem Sopha, zog ſeine Virginia-Cigarette mechaniſch durch die Lippen, gab den Qualm mechaniſch von ſich, preßte ab und zu Zeige - und Mittelfinger der linken Hand gegen die linke Seite ſeiner Schläfen und dachte manchmal an Hedwig Irmer. Wie dumm ihm jetzt die Geſchichte vorkam, die er vor kaum einer Stunde mit dieſer Dame in Scene geſetzt! Nein! Er wußte es: er beſaß kein wenigſtens noch kein tieferes Intereſſe für dieſes Weib .. Ob er wohl jemals in den Beſitz dieſes tieferen Intereſſes für Fräulein Irmer ge - langen würde? Kaum .. Er konnte ſich allerdings nicht trauen. Zuweilen überraſchte ihn ſein ſonder - bar complicirtes Ich mit Thatſachen, die ihn in Erſtaunen ſetzten. Er hätte eigentlich immer en vedette ſich gegenüber ſein müſſen. Doch vorausbe - ſtimmen konnte er abſolut Nichts. So mußte er ſich denn eben überraſchen laſſen. Beſaß er Ellen - bogen? O ja! Aber er gebrauchte ſie nicht, ſich Platz auf der Welt zu verſchaffen. Wollte er ſie nicht dazu gebrauchen? Hm! War er blaſirt? Gâté? Nein! Nein! Er kannte ja das Leben noch kaum. Es war ja eigentlich noch gar nicht ſo lange19 her[,]daß er aus dem Ei gekrochen. Ein paar Eie[r]ſchaalenreſtchen hafteten ihm ſicher noch an. Wa[s]verſchlugs! Das Eine ſtand jedenfalls feſt: frei[,]ganz frei, keiner Machtſphäre unterthan, kein[e]m Urtheilstribunal unterworfen mußte er ſein, wen[n]er wenigſtens die Abſicht gebären ſollte, ſich irgend einem Joche zu fügen. Er ſpie[l]te wohl zuweilen mit dem Gedanken, aus dieſ[e]m allmählichen Zerfallen, Verwittern und Ver - mor[ſ]chen ſeiner Perſönlichkeit an Kraft und Talent und Muth noch zu retten, was zu retten wäre, und mit den Reſten und Stümpfen, die trotz ihrer relativ - ſubj[e]ktiven Kärglichkeit vielleicht noch zehntauſend Ma[l]bedeutender und werthvoller waren, denn die zur Ein[h]eit geſammelt gebliebenen Fähigkeiten manches un - zerſ[p]litterten Durchſchnittlers mit ihnen alſo in eine nor[m]ale und genau abgeſteckte Laufbahn einzubiegen. Ach[!]Adam wußte ſo manches Mal ſehr genau, daß er mit dieſem Gedanken nur ſpielte. Konnte er ſich zu d[i]eſer That der Umkehr wirklich noch aufraffen? Hm[!]Hielt er die Umkehr denn überhaupt noch der [h]e für werth? Sein pſychologiſches Feingefühl ſagt[e]ihm doch wahrhaftig genau, daß man ſchließlich Alle[s]gehen laſſen muß, wie es geht. O ja! Man faßt Entſchlüſſe. Aber man kehrt doch bald wieder in[d]ie Bahn zurück, der man eben verfallen iſt. Ada[m]gehörte zur Sippe jener unglücklichen Naturen, bei[d]enen Willenskraft, Phantaſie und nüchterner Verſ[t]and gleiche Stärke - oder gleiche Schwächegrade beſitz[e]n. Wohl löſt zeitweilig gleichſam das eine2*20Perſönlichkeitsmoment das andere in der Herrſchaft ab. Jedoch ſind dieſe Menſchen ſehr oft nachdrück - lichſter Hochgefühle fähig, dabei alle Kräfte ſich zu ein - heitlicher Stärke zuſammenſchließen und darum müſſen ſie ſo oft auch die Gegenwirkung auf dieſen Aufſchwung: eine allgemeine Gleichgültigkeit, eine ſchwere, blutleere Herabgeſtimmtheit, über ſich er - gehen laſſen. Iſt das nicht eigentlich ihr was man ſo nennt: ihr Normalzuſtand ? Adam Menſch war ſich ſoweit klar über ſich, daß er dieſe Weſen - heit ſeiner Natur erkannt hatte und ſie zuweilen berückſichtigte, das heißt: ſich mit ihr tröſtete. Die klare Einſicht in eine Thatſache hat ja immer etwas Tröſtendes nicht wahr? Aber beſtätigte er mit dieſem Troſte nicht ſein Leben ſeine Neigung zum Leben? War da nicht ſein Wille zum Leben thätig? Wohl doch. Und dann: hatte er das Leben eigentlich ſchon genoſſen ? Oefter packte ihn oh! er erinnerte ſich deſſen! ein wahrer Heiß - hunger auf das gewiſſenhafte, feierliche Genießen der bunteſten, tollſten, ſeltenſten, ſüßeſten Lebens - reize. Allein dieſer Heißhunger war im Grunde doch ſehr gegenſtandslos. Wiſſenſchaftlichen Ehrgeiz be - ſaß Adam nicht. Zur Liebe hatte er nicht Geduld, nicht Ausdauer mehr. Erkenntnißreſultate befriedig - ten ihn nicht, da er wußte, daß es ihm doch nicht gegeben war, dem myſtiſch-metaphyſiſchen Drange ſeiner Seele ganz zu genügen. Ja! Unberechenbar in ſeinen Stimmungen, in ſeinen Neigungen und Launen; zerſplittert in ſeinen Kräften; unbeſtändig,21 flac[k]ernd in erotiſchen Fragen, in der Leidenſchaft ſatt und unbefriedigt zugleich; müde, todtmüde und begeiſterungsfähig wie ein Jüngling, der ſoeben ma[n]nbar geworden iſt; angefreſſen von dem Skepticis - mu[s]ſeiner Zeit; unklar und wechſelnd in ſeinen Be - ſtre[b]ungen; radical in ſeinen Anſchauungen; und wieder übe[r]Alles bornirt, einſeitig, engherzig, intolerant, beſo[n]ders hinſichtlich mancher geſellſchaftlichen Formen und Gewohnheiten; der Volksſeele mitunter in Alle[m]ſo nahe und dem dargeſtellten Volke ſelber zum[e]iſt in Allem ſo fern, ſo fremd; auf ſich neu - gier[i]g, über ſich erſtaunt und ſeiner ſelbſt überdrüſſig; nich[t]wiſſend: Warum das Alles? Wozu? Wohin mit dem Allen? Wo hinaus? Oder wo hinein? Oft[d]eklamatoriſch, pathetiſch, agitatoriſch; oft ironiſch, cyni[ſ]ch, gezwungen geiſtreich, ſelten normal, ſelten ſchli[c]ht, einfach, gewöhnlich, mittelmäßig, mittelhoch oder mitteltief : alſo war es im Allgemeinen be - ſtellt um Adam Menſch um dieſen Menſchen - ſohn[,]der noch immer in ſeiner Sophaecke ſitzt, das letzte Stümpfchen ſeiner Cigarette an die Lippen gekle[b]t hält und an ſich .. und manchmal auch an Hed[w]ig Irmer denkt, an dieſe Dame, die ihm vor - hin[e]igentlich einen rechtſchaffenen Korb gegeben hat, d[i]e ihm auch ſkandalös gleichgültig iſt und in d[i]e er ſich doch eigentlich ſo etwas wie .. wie verl[i]eben möchte, bloß um Gelegenheit .. bloß um eine[n]inneren Grund zu beſitzen, ihr dann und wann noch ein Wenig zu ſchaffen zu machen.

[22]

III.

Hedwig Irmer war die drei Treppen zu ihrer Wohnung langſam emporgeſtiegen. Sie hatte beim Hinaufgehen öfter inne halten, öfter ſtehen bleiben und Athem ſchöpfen müſſen. Was war ihr nur? Es lag ein Druck auf ihr, den ſie ſich nicht erklären konnte. Schreckte ſie auf einmal zurück vor der Enge, Einförmigkeit und Kärglichkeit der Exiſtenz, die ſie mit ihrem halb gelähmten, halb blinden, ſchwerhörigen Vater führte? Nun ſchon ſeit Jahr und Tag führte? Sie kam wieder einmal draußen aus der Welt. Wohl war ſie im Grunde ſehr gleichgültig durch dieſe ſie umflirrende Welt gegangen. Sie beſaß nicht das Talent, ſich in die Herzen der Menſchen hineinzu - denken. Sie hatte nicht das Bedürfniß, hinter jeder Geſichtsmaske ein Schickſal zu ſuchen. Sie dachte an die Menſchen eigentlich kaum, ſie dachte kaum an ſich, ſie lebte nur auf, beſtätigte ſich nur, wenn ſie mit ihrem Vater in intim-wiſſenſchaftlichen, zumeiſt philoſophiſchen Verkehr trat. Eine tiefere Tendenz ihrer Natur ſtellte dieſes ernſte Studium allerdings auch nicht dar. Sie mußte ſich oft zwin - gen, zu den Büchern zu greifen, wenn nicht eine23 unmittelbare Anregung dazu von ihrem Vater voraus - gega[n]gen war. Alle dieſe Weisheiten der modernen Phi[l]oſophie waren ihr ja ſo gleichgültig. Die Stürme ihre[r]Seele waren vorüber. Ihr Blut war todt. Gre[n]zenlos nüchtern und kahl lag das Leben vor ihr eine große, öde, handflache Ebene .. lag es[v]or ihr .. würde es vor ihr liegen, weiter und wei[t]er wenn ſie es nicht eines Tages freiwillig aus[b]lies lag es vor ihr mit ſeinem kleinlichen Ka[m]pf ums Daſein, ſeinen erbärmlichen Mühen und So[r]gen, ſeinem reizloſen, einförmigen, ſo unendlich über[f]lüſſigen Wellenſchlage Immer dieſelbe Me - cha[n]ik, immer daſſelbe einſchläfernde Surren der Spin - del .. Hatte ihr die Philoſophie ihres Vaters dieſe Ruh[e]und Kälte und Theilnahmloſigkeit gebracht? Da[m]als, als ſich die Waſſer der Kataſtrophe ver - lauf[e]n, hatte er ſie eingeführt in ſeine Gedankenwelt, in ſ[e]ine philoſophiſchen Glaubensſätze .. hatte er ihr[S]tille und Troſt durch die Erkenntniß brin - gen wollen. Nun und? Darüber waren faſt fünf Jahre hingegangen. Die Stürme ihrer Seele war[e]n vorüber, ihr Blut war todt, ihre Natur ein - gefr[o]ren. Manchmal wohl manchmal raſchelte plötz[l]ich ein heißer, ſchwüler Sehnſuchtshauch durch die[d]ürren Blätter der Reſignationsphiloſophie, in der[i]hr Vater lebte und deren Reſultate auch ihr einle[u]chten mußten. Aber ſie konſtatirte eigentlich dieſe Reſu[l]tate nur vernunftsmäßig, ſie beſaß nicht Grund und[B]edürfniß, ſich dieſelben verinnerlicht zuzueignen.

Hedwig hatte auf dem ſchmalen, engen, von24 einer blakenden Küchenlampe mit angebrochenem Cylin - der nothdürftig erhellten Corridor Hut und Mantel abgelegt, war eine Sekunde vor einem kleinen, ſchmuck - loſen, halb erblindeten Wandſpiegel ſtehen geblieben, hatte flüchtig an ihrem Haar geordnet .. und war ſo - dann durch die nächſte Thür in ein Zimmer eingetreten, welches ſich als Wohnzimmer zugleich und Arbeits - gemach ihres Vaters benahm. Der Raum, mittelgroß, einigermaßen behaglich eingerichtet, augenblicklich von einer milden Wärme durchfüllt. Rechts hinten in der Ecke, neben dem jetzt rouleaux - und teppichver - hangenen Fenſter, ſtand der Schreibtiſch ihres Vaters, ein anſehnliches, maſſiveichenes Geſtell, nach Ein - richtung und Ausſtattung mit dem ganzen Wirrwarr behaftet, den eine ſtarke geiſtige Thätigkeit, welche für die kleinliche Krämerordnung der Dinge keine Zeit hat, herausfordert und beſtehen läßt. Rechts vom Schreibtiſch drückte ſich ein hohes Bücherregal an die Wand, in deſſen Fächern es auch recht bunt ausſah. Fräulein Hedwig beſaß entſchieden wenig Sinn für häusliche Ordnung.

In ſeinem Seſſel vor dem Schreibtiſch ſitzt Doctor Leonhard Irmer. Er hat ſich zurückgelehnt, der Kopf hängt ein Wenig der Bruſt zu, die Arme lie - gen auf den Lehnen des Seſſels. Die Augen zu - meiſt halb geſchloſſen, blinzelnd, öfter ganz über - lidert. Das gedämpfte Licht der mit einem grünen Schirm bedeckten Lampe fällt auf ſein Geſicht. Dieſes Geſicht hat einen großen, feſſelnden Zug, einen außer - gewöhnlichen Stil. Leidend, ſehr leidend erſcheint25 es m[i]t ſeiner mehr krankhaft weißen, denn verſchoſſen an - geröt[h]elten Farbe. Stirn gefurcht, um Naſe und Mund point[i]rte Schmerzensfalten. Hinter dieſer hohen Stirn iſt v[i]el gedacht worden, dieſe Unterpartie des Ge - ſichts hat ſich wohl oft genug für ein bitteres, ironiſches Läche[l]n hergeben müſſen. Ein geſtutzter, weißgrauer Bart liegt um Kinn und Wangen. Das ſpärliche Kopf[h]aar vertheilt ſich in einigen dünnen, ſprödfaſrigen Strä[h]nen über die Platte.

Guten Abend, lieber Papa! Hedwig begrüßt ihren Vater mit angenommener Munterkeit.

Guten Abend, mein Kind! Du biſt recht lange heute .. Herr Doctor Irmer ſpricht langſam, ſchlep - pend, halblaut, undeutlich. Mehr mit den Lippen, denn mit dem inneren Munde.

[F]indeſt Du, Papa? Ich bin etwas langſam gegan[g]en mag ſein! Hier iſt die Volkszeitung. Soll[i]ch Dir jetzt vorleſen oder nach Tiſch? Das Buch von Dühring war nicht vorräthig. Ich habe es be[ſ]tellt. In acht Tagen werden wir's haben. Brauc[h]ſt Du's zu irgend einer Arbeit? ..

[D]er Vater ſchüttelt den Kopf.

[N]a! dann ſchadet's ja nichts! Dann können wir j[a]warten. Emma holt wohl ein zum Abend - brot? Schmerzt der Kopf noch ſo, Papa? Wenn Du[D]ich nur entſchließen könnteſt, wieder einmal eine[S]traße zu gehen die ewige Stubenluft thut[D]ir nicht gut

[M]orgen vielleicht .. morgen, Hedwig .. Ich möchte Dir eigentlich noch vor Tiſch vor Tiſch26 einige Zeilen dictieren willſt Du ja? .. Du weißt: zu dem Aufſatze Poeſie und Philoſophie in ihrem gegenſeitigen Verhältniß aber nachher nachher ſtört uns doch das Eſſen wieder was ſteht denn heute in der Volkszeitung ..?

Hedwig rückt ſich einen Stuhl neben den Seſſel ihres Vaters, faltet die Zeitung auseinander und lieſt zuerſt die Telegramme.

Vater und Tochter haben mit der Zeit ein eigen - thümliches Verhältniß zu einander gefunden.

Irmer iſt ein hoher Fünfziger, Hedwig dreiund - zwanzig Jahre alt. Sie hat ſich, allerdings mit einer gewiſſen Aeußerlichkeit, in die Anſchauungen ihres Vaters eingelebt, ſie hat es gelernt, ſich ſeinen Gewohnheiten zu fügen. Sie iſt ſeine Gehilfin, ſeine Schülerin, ſeine einzige, zuverläſſige Lebens - ſtütze geworden. Die Stürme ihrer Seele ſind vorüber, ihr Blut iſt todt, ſie braucht ſich nicht mehr zu bezwingen, ſie kann alles mechaniſch, alles hübſch automatenhaft bewältigen. Ihr Vater fragt nicht viel darnach, ob ſie ſich zur gläubigen, wirklich überzeugten Anhängerin entwickelt. Er beſitzt den Egoismus des Kranken, des Leidenden, des Hülfloſen. Er lebt ganz in der Welt ſeiner Gedanken. Die andere Welt, der Mutterboden der geiſtigen, dünkt ihn ſo ziemlich verſchollen. Die Sphäre der Idee hat für ihn faſt etwas Körperliches, formell Reales angenommen. Er ſinnt über die Räthſel der Dinge nach. Er ſieht, denkt, träumt, viſionirt, combinirt, gewinnt. Nichts iſt ihm das Individuum mehr.27 Nich[t]reizt es ihn mehr, individuelle Entdeckungen zu machen. Damit hat er abgeſchloſſen. Ob er auch ſchon über die Tendenz der Selbſterkenntniß hina[u]sgekommen? Kaum. Er wird auch noch nicht wiſſe[n], wer er iſt.

[H]edwig hat keine Neigung, ſich über ihren Vater zu w[u]ndern. Sie hat eben überhaupt keine Nei - gung[e]n mehr. Liebt ſie ihren Vater? Er erhält ſie, ſ[i]e darf bei ihm wohnen, zuſammenwohnen mit ihm[i]n den wenigen, engen Räumen, für die er den Miet[h]szins nothdürftig zuſammenarbeitet. Ein paar Helle[r]ſind ihnen noch aus früheren, volleren, runderen Zeite[n]geblieben. Die beiden Leute kommen einiger - maße[n]aus. Hedwig kann ſich ſogar noch ein Die[n]ſtmädchen halten.

E[s]iſt ein farbloſes, eintöniges Leben, das ſie lebt. Wird es ihr öfter nicht doch zu Sinn, als müßte ſie aufſp[r]ingen, einmal laut .. laut aufſchreien aufſch[r]eien, wie Jeſus, ehe er am Kreuze verreckte und d[a]nn hinausſtürzen aus dieſer lähmenden Enge irgen[d]wohin irgend Etwas, von dem ſie ſich be - ängſt[i]gend-unklar bezwungen fühlt, befriedigen ? In d[i]eſer dämoniſchen Oscillation ſich ausleben? .. Wird es ihr alſo nicht öfter doch zu Sinn? Nein! Sie[k]ann ſich nicht erinnern, von ſolchen elemen - taren Erſchütterungen heimgeſucht zu ſein. Vielleicht dann und wann einmal ein jähes Aufzucken mehr[w]ar's nicht nein! mehr nicht. Manchmal ſagt ſie ſic[h]ganz klar und vernunftsmäßig: dies und das im Le[b]en müßte doch eigentlich auch für mich noch28 einen Reiz beſitzen, da es doch Millionen Andere auch reizt in irgend einem Stärkegrade reizt ? Hm! Das Theater! Die Muſik! Geht nicht durch die Träume ihrer Nächte manchmal ein Schatten, der ihr in die Seele prickelt? Iſt die Luft nur voll von Stecknadeln? Da ſitzt ein Stück com - primirten Lebens vor ihr ihr Vater. Ein Menſchenalter liegt hinter ihm. Von allen Seiten iſt das Leben zu ihm herangekommen. Der nun Einſame beſaß einmal tauſend Beziehungen. So viel verrauſcht, ſo viel vergilbt, vergeſſen, verſchleppt und verloren! Freut ſie ſich nicht doch darüber, wenn ihr manchmal unter ihres Vaters Anleitung und Führung ein Gedanke tiefer Eigenthum wird, eine Erkenntniß ihr in ſchärferen Linien aufgeht? So ſonderbar iſt ihr dann und wann. Etwas in klarer Grenzbeſtimmung erfaſſen, macht ihr zeitweilig doch eine Art Spaß, ſo etwas wie Vergnügen. Sie weiß: darüber vergißt man ſich am Beſten und Leichteſten. Aber ſie weiß auch: Stimmungen ſind Blaſen, die aufſteigen, ſich eine Sekunde lang irisfarben brüſten und zerplatzen. Un - hemmbar rollt der Grundſtrom weiter. Zu der und der Grundcombination haben ſich die Moleküle ihres Weſens zuſammengeſchloſſen. Sie bleibt, dieſe Com - bination; ſie beſtimmt ihr Leben. Von ihr wird ſie in Gedanken, Wort und That geleitet. Eine Be - kehrung , eine entſcheidende Beeinfluſſung iſt nicht mehr möglich. Das Schickſal vollzieht ſich. Hedwig weiß, daß ihr einmal eine überſchäumende Leidenſchaft aus29 der[B]ruſt gebrochen. Vor Jahren. Sind neue Ausb[r]üche möglich? Aber Nichts ſtört ja ihre Kreiſe. Sie war einmal ein ſehr ſinnliches Weib. Wie nücht[e]rn ſie bleibt, wenn ſie jetzt an ihre Schmach denkt, wenn ſie ſich ihres Kindes erinnert! Wie kalt[ſ]ie bleibt, wenn es ihr einfällt, daß dieſes Kind ihr e[n]triſſen worden iſt! Sie hat es nicht geliebt. Nein[!]Sie hat es nicht geliebt. Sie haßt auch den[V]ater des Kindes nicht. Es iſt ihr wirklich Alles gleichgültig, ſehr gleichgültig. Die Stürme ihrer Seele ſind vorüber und ihr Blut iſt todt.

[H]edwig iſt bei dem Verzehren ihrer Sardellen - leberwurſt und bei dem Hinunternippen ihres Glaſes Dres[d]ener Tafelbiers ſehr ſchweigſam geweſen. Sie hat i[h]rem Vater die Biſſen zurechtgeſchnitten und ſelbſt ſehr mechaniſch die Speiſen zu ſich genommen. Nun[ſ]treicht ſie ſich mit der Serviette über den kleine[n], feinlippigen Mund und ſchellt. Emma tritt ein und deckt ab. Herrn Doctor Irmer iſt es nicht aufgef[a]llen, daß ſeine Tochter während des Eſſens ſo ve[r]ſchloſſen geweſen. Ihm iſt es ſehr gleich - gültig[,]was für Selbſtbetrachtungen ſie anſtellt. Er iſ[t], ohne daß er es eigentlich weiß, ſo verbiſſen in ſe[i]ne Art, geiſtig abgelöſt, hinweggeſondert, zu exiſtir[e]n, daß er kaum mehr im Stande, die leichteſte Spur eines ſubjektiven Zwieſpalts zu vermuthen. Wenn es ihm gerade einfällt, beſtätigt er ſich, daß er durch[ſ]eine Philoſophie ſeiner Tochter das innere Gleich - gewich[t], das ſie einmal verloren hatte, wiedergegeben. Und e[r]fügt wohl unwillkürlich noch als Ergebniß30 hinzu, daß Hedwig ſchon in ihrer Jugend durch ein gewaltiges Wetter gehen mußte, um früh zu Erkennt - niſſen kommen zu können, die er ſich erſt in ſpäteren Jahren zueignen durfte. So läßt ſich denn aus All' und Jedem etwas Zweckmäßiges und individuell Verwendbares herausdenken.

In den nächſten Stunden lieſt Hedwig ihrem Vater einige Kapitel aus Hartmanns Phaenome - nologie des ſittlichen Bewußtſeins vor.

[31]

IV.

Geſtern um die Mittagsſtunde, als Adam eben zum Speiſen gehen wollte, war er mitten auf dem Marktplatze Herrn Traugott Quöck in die Arme ge - laufen. Sapriſti! hatte ſich dieſer Menſch doch ge - freut! Adam hätte es gar nicht für möglich gehalten. Er war beinahe ganz entſetzt geweſen über dieſe Freudenſprünge und Hühnerhundscapriolen. Hatte er dem Manne denn jemals Gelegenheit gegeben, ihn für einen approbirten Freund von ſich, wenig - ſtens für einen Freund ſeines Hauſes, zu halten ? Ih bewahre! Keine Spur! Es giebt Leute, die aus ehrbarer menſchlicher Lebenslangeweile immer guter Dinge, immer in der beſten, weltfreundlichſten Laune ſind. Traugott Quöck gehörte nicht ganz zu dieſen Stoikern des Optimismus, aber doch ſehr theilweiſe. Er war halb und halb mit der Coupon - ſcheere auf die Welt gekommen. Das giebt gewiß ein ganz nettes und bequemes Rundreiſebillet durch's menſchliche Leben ab. Traugott Quöck sen. war in einer ſächſiſchen Provinzialſtadt Tuchmacher geweſen, hatte es aber in den letzten Jahren ſeines geſegneten Erden - wallens fertig gekriegt, ſich zum Fabrikanten umzu -32 züchten und in die Höhe zu ſchwingen. Man muß mit ſeiner Zeit fortſchreiten. Alſo hat man eines Tages die Pflicht, Fabrikant zu werden. Das iſt einfach.

Traugott Quöck sen. beſaß einen Sohn, an den er viel drangewandt hatte, das heißt: Viel Geld, viel Mühe, Geduld, Lebensſpeſen, Nachſicht und ſchließlich war es ihm auch nicht darauf ange - kommen, ein kleines Bündel unerfüllt gebliebener Hoffnungen an ſeinen eingeborenen Filius noch extra dranzuwenden .

Nach dem Tode ſeines Vaters hatte es Trau - gott Quöck jun. für nützlich befunden, ſich ſchon in jüngeren Läuften ſeines angenehm geſicherten Lebens zum jovialen Menſchen herauszufexen. Er hatte die Fabrik ſeines Vaters, deren Mitinhaber er ein paar Jahre hindurch formell geweſen, nach dem Tode ihres Begründers ſchleunigſt verkauft, war in die nächſte größere Stadt verſiedelt und verwaltete nun ſein Vermögen, ſpeku - lirte ein Wenig zum Zeitvertreib, war Mitglied einer bierbräulichen Aktiengeſellſchaft er ſaß ſo - gar in ihrem Verwaltungsrathe ! und genoß im Uebrigen ſein Leben harmlos, einfach, beſcheiden, ge - müthlich, höchſtens mit einem nur ganz kleinen, nur ganz ſpröden Stich in's Raffinirte, befriedigte zeit - weilig, wie es gerade kam, auch ſeine geiſtigen Be - dürfniſſe , ging 'mal in's Theater,' mal in's Concert, unterſtützte mit Vorliebe einen Verein, der es ſich angelegen ſein ließ, für Vermehrung der öffentlichen Aborte und Retiraden Sorge zu tragen, trug einen33 großen, monſtrös-breitſpurigen Siegelring mit ſchmutzig grünem Stein auf dem Zeigefinger der rechten Hand und führte gelegentlich 'mal ein paar mehr oder weniger geiſtreiche Leute, zu deren Bekannt - ſchaft er zumeiſt gekommen war, wie die bewußte Magd zu ihrem Kinde, in ſein Haus ein, ſchmiß dieſen Aus - erwählten ein kleines Frühſtück oder ein delikates Souper, ſetzte ihnen, aus der menſchenfreundlichſten Stimmung von der Welt heraus, einen trinkbaren Wein und ein rauchbares Kraut vor ... und arrangirte ſchließlich eine Scatpartie ... in höheren, weiteren Abendſtunden ... eine Scatpartie, bei der man gewöhnlich ganz zwanglos, ganz unter ſich war .. und für welche ſich Adam Menſch mit der Zeit beinahe ſo etwas wie ein kleines Fäbel angezüchtet hatte. Es waren wirklich immer ſehr nette, ſehr amüſante Abende geweſen ... dieſe ſpäteren Scatnächte bei Miſter Traugott Quöck ...

Allerdings! in den letzten ſechs Wochen war Adam Menſch nicht dazu gekommen, in die gaſt - freundliche Burg ſeines jovialen Freundes einzu - kehren, dieſes Mannes, der ſchon ſeit erklecklicher Zeit gerade in ſeinen beſten Jahren ſtand und vermuthlich noch in Zukunft eine beträchtliche Weile alſo weiterſtehen würde.

Hatte Adam irgend ein erſteres Etwas von dieſer Einkehr zurückgehalten? Nein. Er er - innerte ſich nicht. Aber das Leben reißt ſo hin und her, verzettelt, verkrümelt und zerkrümelt ſo, iſt ſo bei der Hand mit dem Entwegen, Verſchieben,Conradi, Adam Menſch. 334Aufſchieben, mit dem Ueberſchatten und Vergrauen. Oder ja doch! richtig! ſo war's : irgend - wo, irgendwann hatte er 'mal gehört, im Café oder in der Kneipe oder ſonſtwo, daß Frau Möbius, die alte Verwandte Herrn Quöck's, welche dieſer als weibliche Repräſentationsfigur in ſein Haus aufge - nommen hatte, ſeit längerer Zeit leidend ſei na! und da war es ja ſowieſo ausgeſchloſſen, daß hm! aber ein Beileidsbeſuch, ein Erkundigungsbeſuch wäre dann wohl erſt recht geboten geweſen ... Nun! Der Herr Doctor war denn auch geſtern nett' reingeplumpſt das heißt: nur vor ſich ſelber. Herr Quöck ſchien die Geſchichte nämlich gar nicht ernſthaft capirt zu haben war hübſch 'reinge - fallen alſo, als er ſich nach dem Befinden der Frau Möbius es ginge ihr doch hoffentlich wieder beſſer? erkundigt und damit verrathen hatte, daß er ziemlich ſauber orientirt war : Ach Gott! die alte Schachtel! Die hat auch immer' was! heute das, morgen das! Na! ſie hat wenigſtens Zeit, ihre Krankheiten pouſſiren zu können. So hängt Jedem ſein kleines Privatvergnügen an. Mo - mentan iſt ſie übrigens wieder auf dem Damm ... Somit könnte denn morgen Abend, das war alſo heute Samſtag, endlich 'mal wieder ein kleines Souper vor ſich gehen, hatte Herr Quöck nunmehr gemeint. Lydia käme natürlich auch. Lydia ? Wer iſt denn das ? Ach ſo! Sie kennen meine ſie will nämlich eine Couſine von mir ſein, wenigſtens hat's meine Tante Wort na!35 thun wir ihr den Gefallen! mir kann's ja egal ſein Couſine hin, Couſine her aber ich ſage Ihnen, Doctor : ſo' n Weib haben Sie überhaupt noch nicht geſehen Na! na! Herr Quöck Sie! Ruhig! ruhig, mein Lieber! Feudal, capital, pikant, Sie wiſſen ja, kennen ja die Litanei ei genartig, emanci pirt, capri ciös was Sie wollen! Mit einem Wort : 'n janz jött - liches Frauenzimmer! Wird Ihnen gefallen. Spielt nämlich ooch ſo' n Bischen mit der Feder ver - ſtehen ſchon! ... hätte 's ja gar nich nöthig, nicht im Geringſten iſt ihr ooch nicht Ernſt damit bewahre! bloß na! Federwiſch und Fleder - wiſch und ſo weiter junge Wittwe lebt erſt ſeit Kurzem hier hat wenig Umgang noch will ſich 'n Biſſel zerſtreuen 's Leben genießen ganz hübſch vermögend laß ich mir gefallen Alles ſolid bei ihr, Doctor: Geld, Fleiſch, Lebens - anſchauung und ſo weiter .... Warum alſo nicht ? ' n Narr, der's menſchliche Leben nicht ſo nimmt, wie's iſt. Habe übrigens ſchon mit ihr von Ihnen geſprochen ſie ſagt: ſie intereſ - ſirte ſich

Um Gottes Willen

Was erſchrecken Sie denn ſo ? Werden mir noch dankbar ſein. Das heißt, lieber Doctor : Sie ſind in gewiſſen Dingen 'n kleener Schwere - nöther, ich weiß wohl aber hier

Sie haben die Vorhand, Herr Quöck ver - ſteht ſich! verſteht ſich! wir mogeln grund -3*36ſätzlich nicht hatte Adam laut lachend einge - räumt, zugeſtanden, ganz und gar ohne inneren Rückhalt und doch ein klein Wenig gnädig, einen Fingerhut voll Souveränität in der Seele, eine Idee von oben 'runter ... Aber er kannte ja dieſe Dame, dieſes janz jöttliche Frauenzimmer über - haupt nach gar nicht. Alſo! War er etwa neu - gierig ? Quatſch. Seitdem er ſich ſelber ſo oft als pointenloſer, intereſſant dekadirter Schlingel vor - kam, hatte Adam ein wahres und auch ganz auf - richtiges, ehrliches Entſetzen vor allem Neuen, Außerge - wöhnlichen, allem Ei genartigen. Manchmal wenig - ſtens pilzte ſich das Abwehrgefühl prall auf und energiſch entgegen : Alles! nur das nicht! Dieſer verfluchte Exotismus! Das gewöhnliche Leben iſt ernſt, ſchwer, traurig, elend, verworren, monſtrös, angenehm, lieblich, beſeligend, berauſchend genug. Ha! das gewöhnliche, das gewöhnlichſte Leben. Aber Adam hatte die Einladung Herrn Quöcks doch angenommen. Selbſt verſtändlich! Sich ſo Etwas auch entgehen laſſen ſollen! Ein patenter Abend: Wein, Cigarren, Scat, Souper, Weiber da bleibe der Teufel zu Hauſe! Lydia ? Nein! Sie reizte ihn nicht. Dieſer dämliche Köder. Viel - leicht eine ganz angenehme Zugabe ... eine pikante Würze warum denn nicht ? Alſo abwarten. Nur nichts erwarten. Hinterher iſt man auch nicht enttäuſcht. Enttäuſchungen verſtimmen ſo. Und wenn man die Karten nachher doch wieder in die Hand nimmt, in die Hand nehmen muß, ſind ſie mit37 ein[e]m Male ſo klebrig, ſo ſchmutzig, ſo ... ſo ... ſo abgeſpielt eben man weiß gar nicht ma[n]gewöhne ſich bitte! daran, allenthalben als das Se[l]bſtverſtändlichſte von der Welt nur Dreck, Moder, Sc[h]weiß, Staub, Koth, Schleim und andere Parfums .. zu[e]rwarten. Handſchuhe. Hm! Handſchuhe? Hand - ſch[u]he ſind doch eigentlich ſehr merkwürdige Dinger.

Adam erinnerte ſich wirklich nicht mehr, bei we[l]cher Gelegenheit er Herrn Quöcks Bekanntſchaft ge[m]acht hatte. Ein ganz nettes Zeitweilchen war's im[m]erhin doch ſchon her. Aber das war ja jetzt ſeh[r]ſchnuppe. Der Zufall iſt ein ſo gediegener, ein ſo zuverläſſiger Improviſator.

[38]

V.

Es war alſo heute Samſtag Abend um die achte Stunde. Adam Menſch hatte ſich natürlich ein Paar neuer Glacés erſtanden, die er mit großem Behagen, mit großer Selbſtgefälligkeit über ſeine weißen Hände zog, als er die Treppe hinunter - ſchritt, um gen Quöck-Heim zu wallfahrten. Der Herr Doctor trug leidenſchaftlich gern Glacé - handſchuhe.

Es gab viel Unraſt und Bewegung in den Lüften. Die Zeit lief wieder einmal dem Kalender - frühling in die Arme und dabei war einiger Windrumor, verſchiedentliches Stürmen und Blaſen und Pfeifen unumgänglich nothwendig. Aber die Temperatur war noch kaum angelenzt. Der Wind kalt, ſchneidend, ſtechend, als wirbelte er kleine, ſpitze Eiskriſtalle durch die Luft. Es hatte am Nachmittage geregnet, und große Pfützen ſtanden auf den Straßen. Das Pflaſter hatte ein ſehr ſchmieriges, breiiges, klebriges Geſicht aufgeſteckt. Die Gasflammen zuckten nervös in ihren Glas - käfigen hin und her und ſpiegelten ſich unruhig in den Pfützen wieder. Am Himmel war ſchläfrig -39 dämmernde Mondhelle. Die Wolken zogen in großen, unförmigen Schwämmen und Schwärmen hin. Ab und zu ließ ſich die eine oder andere herbei, den Mond gleichſam zu verſchlingen. Und gleichſam von ihrem Magen her floß ein weißgelbes Feuer in alle ihre Glieder und durchleuchtete ſie blendend von innen heraus.

Adam ſagte ſich, daß dieſer Aufruhr in der Natur ein köſtliches Frühlingsſymbol ſei. Und doch dünkte ihn dieſer ſtechende Stecknadelwind im - pertinent. Er klappte den Kragen in die Höhe und ſchob die frierenden Hände reſignirt in die Rock - taſchen. Ja! Es gehörte ein ſehr biegſamer und an's Pariren gewöhnter Wille dazu, um an dieſes Frühlingsſymbol glauben zu können.

Adam ſchlug den Rockkragen wieder nieder und drückte auf den Knopf der elektriſchen Klingel. Das Gas - licht lag dick auf dem gelben, funkelnden Metallſchild, das den Namen Traugott Quöck eingravirt trug.

Ein Diener öffnete. Er complimentirte den Ankömmling in den Vorſaal hinein und war ihm beim Ablegen des Überziehers behülflich. Dann ſtieß er die Thür zum Salon auf.

Adam trat ein. Herr Quöck ſchnellte von einem Fauteuil auf und eilte ſeinem Gaſte entgegen.

Willkommen, Herr Doctor

Guten Abend, Herr Quöck

Darf ich Ihnen meine ich ſagte ja Ihnen geſtern ſchon Sie werden ſich erinnern alſo meine Couſine Frau Lydia Lange vorſtellen ?

40

Herr Quöck deutete auf eine Dame, die im Hintergrunde des Zimmers an einem kleinen Eck - tiſche ſtand und ſich ſoeben umwandte. Ein auf - geſchlagenes Album wurde jetzt ſichtbar.

Herr Doctor Menſch

Adam verneigte ſich ſehr ceremoniell. Die Dame nickte kurz.

Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Doctor?

Wenn ſie geſtatten

Adam warf ſich in einen Fauteuil. Er knöpfte ſeine Glacé's auf und ſah zu der Frau hinüber, die näher getreten war und jetzt am Sophatiſch ſtand.

Hm! Frau Lange beſaß allerdings Etwas, das gewiß! das eigenthümlich war, das in - tereſſiren, das unter Umſtänden ſogar hm! ſogar

Na! nur nicht gleich ſo hitzig! bremſte Adam ſeine ſchmunzelnde Zufriedenheit feſt ... und geſtand ſich nun eine volle, die durchſchnittliche Mittelgröße ein Wenig überragende Geſtalt; einen, wie die Dame ſo daſtand, durch kleine, runde, gelenke Bewegungen mit den Armen, mit dem Kopfe, Elaſticität und Geſchmeidig - keit verrathenden Körperbau; eine prachtvoll durch das Corſet zu eleganter Wölbung herausgecurvte Bruſt; volle, warme Arme, die durch das glatt und eng anliegende Kleid entzückend beſtimmt her - vortraten einen breit und gebärtüchtig ſich ausladen - den Unterkörper allerdings! derartige Frauen ſind ſehr oft unfruchtbar und ſchließlich ein, wenn auch nicht gerade durchgeiſtigtes, ſo doch ſehr regel -41 mäßiges Geſicht: feine, zierliche Naſe, kleiner, üppiger Mund, niedrige, weiße, von einigen zwanglos herab - fallenden Ringeln des rothblonden Haars coquett überſchattete Stirn und ein Paar grauer, merk - würdig unruhiger, verzettelt ſich ausgebender Augen, die einen Moment groß aufgeſchlagen ſind, um im nächſten wiederum halb überlidert zu werden.

Das iſt alſo unſer berühmter Proletarier des Geiſtes‘ ſagteſt Du nicht, liebe Lydia, daß Du Dich für den Ul k pardon, Herr Doktor! intereſſirteſt? Ich erzählte Dir doch neulich davon ... nicht wahr der Herr Doctor ſieht gar nicht ſo proletarierhaft aus, gar nicht ſo ...?

Frau Lydia Lange und Adam Menſch ſahen ſich ſcharf in die Augen. Dann rümpfte die Dame ein Wenig das feine Näschen und meinte leichthin:

Es kommt ſo oft vor, daß man in Wirklichkeit doch das iſt, was man ſich einbildet

Aber Lydia wehrte Herr Quöck mit pouſ - ſirlicher Erſchrockenheit ab.

Adam war einen kleinen Augenblick verblüfft. Auf eine derartige .. hm! immerhin paradoxe Con - verſation war er kaum gefaßt geweſen. Dann ver - zog er den Mund zu einem nachſichtig-ironiſchen Lächeln und parirte ab:

Sie haben ſo Unrecht nicht, gnädige Frau. Aber ich möchte mir eine Lanze, ſogar eine warme Lanze, wie man zu ſagen pflegt, für die andere Seite Ihrer Behauptungsmedaille wie geſchmacklos! dachte er bei ſich, als ihm dieſe nette Metapher 42entfahren war zu brechen erlauben. Es giebt nämlich in der That auch Fälle, wo ... wo ... nun ſagen wir: wo man ſich das nicht einbildet, was man im Grunde auch .. nicht iſt

Herr Quöck that ſehr verwundert über dieſe Art von Unterhaltung. Die Beiden ſchienen ja ſogleich beim erſten Sichbegegnen ſehr energiſch Notiz von einander nehmen zu wollen. Er blickte erſt zu Adam hinüber, dann wandte er ſich, eine ſtumme Frage in den Augen, zu ſeiner Couſine hin.

Dieſe mußte auch ein wenig erſtaunt ſein. Wagte ... wollte .. dieſer nun ja! der Herr hieß ja curios genug thatſächlich Menſch alſo wagte ... wollte dieſer Menſch ihr eine ... Impertinenz ſagen? Das wäre doch unerhört ge - weſen

Sie meinen damit, Herr Doctor ? kam es darum ſehr indignirt von ihren Lippen.

Nun .. ich meine damit, gnädige Frau, um mich Ihrer Urtheilsart an zu ſchließen noch einmal, wenn Sie gütigſt geſtatten, anzuſchließen ich meine damit, daß es Individuen giebt, die zu viel .. und zumeiſt zu viel innerlich erlebt haben, als daß ſie nicht ſo weit ... alſo ſo weit unklar über ſich ſein ſollten, um das zu behaupten. wofür ſie keine direkten Beweiſe beſitzen ... redete ſich Herr Doctor Adam Menſch ſehr dunkel aus und zwar, indem er ſehr langſam, ſehr gedehnt ſprach ..

Frau Lydia Lange war wie verwandelt. Sie lachte hell auf, zupfte unruhig an ihrer Uhrkette43 und rief luſtig: Das iſt mir zu hoch oder zu tief Herr Doctor! Das verſtehe ich nicht

Ich eigentlich auch nicht, gnädige Frau ver - ſicherte Adam treuherzig. Er mußte nicht minder lachen.

Traugott Quöck ſah ziemlich verdutzt aus. Da öffnete ſich die Thüre zum Nebenzimmer und Frau Möbius trat über die Schwelle. Adam begrüßte die Dame und erkundigte ſich ſehr theilnehmend nach ihrem Befinden. Die alte Schachtel war enorm gerührt.

Es iſt Alles ſo weit fertig, Traugott bemerkte ſie nun zu ihrem Neffen wir könnten anfangen

Schön, liebe Tante! Aber Du vergißt ganz wir haben ja noch Fräulein Irmer und Herrn Re - ferendar Oettinger geladen ſo müſſen wir denn wohl noch einen Augenblick warten ich denke: die Beiden kommen noch. Oder haben ſie in letzter Stunde abſagen laſſen ?

Nein! aber es iſt ſchon ſo ſpät und der Braten

Die Geſchichte wird ja immer famöſer, plau - derte ſich Adam zu und wollte ſich einreden, daß er nicht im Mindeſten verwundert wäre. Alſo kannte Herr Quöck auch Hedwig das heißt : jedenfalls ihren Vater ? Aber ſeit wann denn eigentlich ? Na! dös war nun halt 'mal ſo! da ließ ſich Nix gegen machen alſo' mal zu, Kutſcher, bis zur Pechhütte!

Die Klingel ſchlug an. Die Thür ging auf und ein .. Herr trat in den Salon. Herr Referendar Oettinger wurde den Anweſenden, ſoweit er ihnen unbekannt war, vorgeſtellt.

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Adam muſterte den Ankömmling mit ſcharfen Blicken. Er bemerkte, wie deſſen Augen ſich ſehr intim mit dem Erfaſſen von Frau Lydias menſch - licher Ausgedrücktheit beſchäftigten. Die ſtreifte ihn mit einem kurzen Blicke, wandte ſich ſodann wieder Adam zu und kehrte nochmals zum Geſicht Herrn Oettingers zurück. Adam konnte ſich eines verkapp - ten Lächelns nicht enthalten. Aha! Sie vergleicht! conſtatirte er ſtillvergnügt. Wie doch die Weiber ſofort an das Aeußere, an die zufällige Erſcheinung anknüpfen! Plötzlich verſpürte er den Blick Lydias anhaltend auf ſich. Er reagirte naiv-brüsk auf dieſe augenſcheinliche Zurechtweiſung. Die Beiden verſtan - den ſich. Und Adam mußte ſich mit einer heiteren Befriedigung einräumen, daß Frau Lange ſeine Ge - danken durchſchaut hatte.

Herr Referendar Oettinger beſaß im Ganzen ſehr nichtsſagende, ſehr nichtsthuende Züge. Ein matt - rothes, ziemlich volles, prahleriſch geſundes Geſicht. Das Haar mit zudringlicher, beleidigender Sauber - keit in der Mitte geſcheitelt. Ein ſüßliches Geſell - ſchaftslächeln um den unſchönen, langweilig breiten Mund. In Kleidung und Haltung natürlich tadel - los, natürlich patent. Ein discreter Moſchusduft quoll von ihm aus durch den Raum.

Fräulein Irmer bleibt aber wirklich etwas lange urtheilte Herr Quöck, der ziemlich hungrig ſein mochte.

Warten wir doch noch 'ne Sekunde! Wir werden doch nicht' gleich verhungern ſchlug45 Frau Lydia ſorglos vor. Sie erhielt einen etwas mißbilligenden Blick von ihrem Herrn Vetter.

Sie kommen eben aus Italien, Herr Referen - dar ? fragte Herr Quöck ſeinen Gaſt, weniger aus Theilnahme oder objectivem Intereſſe, als aus dem Bedürfniß heraus, ſich über die peinliche Zwiſchen - aktsfriſt nach Kräften hinwegzutäuſchen. Er hatte wirklich redlichen Hunger.

Ja ! Das heißt ich bin ſchon vier Wochen wieder in Deutſchland ... Es war ja ganz nett jenſeits der Alpen natürlich! Aber es gab doch 'n Biſſel zu viel Schmutz ... Die Damen verzeihen, allein die Wahrheit über Alles

Bravo, Herr Referendar! rief Adam ungenirt. Ihm kam das Geſtändniß und zumal die Entſchul - digungsphraſe Herrn Oettingers überaus drollig vor.

Der platzte dem Bravorufer mit einem ungnädigen Blicke entgegen, in welchem Blicke allerdings zu - gleich ein verhaltenes Erſchrockenſein lag. Frau Lydia trug ein moquantes Lächeln um die Mund - winkel. Sie ſah Adam an, der erwiderte ihren Blick. Und Herr Oettinger, welcher dieſes Herüber und Hinüber der Augen bemerkt, ſchaute wirklich einen Moment lang rechtſchaffen unzufrieden aus.

Der Märzwind ſchnob die Straße entlang. Das war ein wüthiges Brauſen, als ſtünde das Herz des körperloſen Athemgottes in hellen Zornesflammen, als ſuchte er etwas Verlorenes, das ihm entwiſcht wäre .. und das er durchaus nicht wieder finden könnte ... durchaus nicht ...

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Das Geſpräch war plötzlich verſtummt. Es ſchien, als hätten die Menſchen da drinnen im Salon das Gefühl, den Unhold unbehelligt vorüberraſen laſſen zu müſſen.

Das iſt aber windig unterbrach Frau Möbius die Stille. Die alte Dame beſaß entſchieden das Talent, zur rechten Zeit ſehr richtige Bemerkungen zu machen.

Frühlingsſymbol, gnädige Frau ! erläuterte Adam ſcherzend.

Frau Lange verzog den Mund zu einem gegen - ſtandsloſen Lächeln.

Es ſymbolt ſich 'was, Herr Doktor ! urtheilte Herr Quöck mit gezwungenem Geſichtsausdruck. Sein Hunger ſchien entſchieden wieder ein tüchtiges Stück gewachſen zu ſein.

In Palermo hatten wir einmal begann Herr Oettinger da klang ein ſpitzes, ſcharfes Läuten auf.

Das wird doch endlich Fräulein Irmer ſein hoffte der Wirth des Hauſes brummig.

Die Dame war es denn auch.

Ich bitte um Entſchuldigung, daß ich ſo ſpät komme mein Vater begann Hedwig, als ſie in den Salon getreten war und die Anweſenden kurz begrüßt hatte. Ihre Stimme gab einen haſti - gen Stoß, im Ausdruck tief, monoton, etwas ver - ſchleiert, etwas heiſer. Frau Möbius ſtellte ihr die beiden Herren vor, die zum Souper mitgeladen waren. Fräulein Irmer wurde ein Wenig verlegen,47 als ſie ſich unvermuthet Adam gegenüberſah. Der hatte ſich erhoben und verneigte ſich unendlich paſſiv. Er freute ſich im Stillen 'n Bein aus, daß er ſich vollkommen beherrſcht hatte.

Nun darfſt Du Deinen Willen haben, liebe Tante wandte ſich Herr Quöck großmüthig zu Frau Möbius, die ſich auch ſofort nach dem Speiſe - zimmer kehrte.

Darf ich bitten ? lud der Wirth ſeine Gäſte ein.

Adam ſaß zur Rechten Herrn Quöcks, dieſem zur Linken Herr Referendar Oettinger. Neben letz - terem Frau Lydia, alſo Adam ſchräg gegenüber. Seine rechte Nachbarin war Fräulein Irmer. Frau Möbius, die kleine, purzlige Frau mit dem harm - loſen Geſicht der goldene Kneifer, den ſie bald aufſetzte, bald wieder von dem Rücken der ſcharfge - falteten Naſe herunterholte, nahm dieſem Geſicht nichts von ſeiner blaſigen Teigheit Frau - bius rundete die kleine Geſellſchaft liebenswürdig ab.

Adam war vollſtändig ein Opfer der Situation geworden. Die Atmoſphäre berührte ihn außer - ordentlich ſympathiſch, ſtimmte ihn überaus einheit - lich. Die Gegenwart Fräulein Irmers dünkte ihn ausnehmend pikant, kam ihm wie das Vorſpiel eines intereſſanten Abenteuers vor eines Abenteuers, das ihm ein tüchtiges Maß bunter Reize zuwerfen mußte. Da ſtand etwas bevor, das ihn mit einer köſtlichen Unruhe erfüllte. Und Frau Lydia? Sie coquettirte doch ein klein Wenig mit ihm. Auch das ſchmeichelte ihm. Seine Beziehungen zu ihr48 mußten nicht minder Form und Farbe, beſtimmte Contouren annehmen: das ahnte, wußte, hoffte er. Seine Phantaſie tändelte gern. Sie war augen - ſcheinlich heute Abend in der beſten Laune. Zudem dieſe reichbeſetzte Tafel, dieſe Fülle von Eleganz, dieſes geſchmackvoll zuſammengeordnete Leben, dieſe be - hagliche Zwangloſigkeit die verhalten-geſummte Muſik der Lüſtreflammen: das Alles prickelte ſich ihm berauſchend in die Seele, ſchob und hob ihn ohne jede Abſichtlichkeit über ſich hinaus, ließ ihn vergeſſen, was hinter ihm lag, was vor ihm lag, was er ſich ſelbſt eigentlich war nahm ihn ganz hin zehrte ihn ganz auf ....

Herr Quöck ſehr tapfer drauf los. Der ſaftige Rehbraten mundete ihm vortrefflich. Die Ouvertüre: delicate grüne Erbſen mit Beilage, hatte er ziemlich unbehelligt vorübergehen laſſen. Er ſchien ſich an das Körperlichere halten zu wollen.

Nehmen Sie Rum oder Rothwein zum Thee, Herr Doctor ? fragte Frau Möbius Adam.

Danke ſehr, gnädige Frau! Ich habe mich ſchon mit Rum bedient

Ich gieße mir immer Rothwein hinzu geſtand Quöck.

Und Sie, Herr Referendar ?

Auch ich, gnädige Frau, habe mir ſchon erlaubt, Rum vorzuziehen

Wie geht es Ihrem Herrn Vater, Fräulein Irmer ? fragte der Wirth des Hauſes und ſchob ein anſehnliches Stück Rehrücken zwiſchen die Zähne.

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Fräulein Irmer, die ſoeben nach ihrem Theeglaſe gegriffen, ſetzte es wieder nieder und antwortete: Papa war gerade in den letzten Tagen recht leidend hatte viel nervöſen Kopfſchmerz .. Er läßt ſich Ihnen übrigens beſtens empfehlen, Herr Quöck

Danke, liebes Fräulein, danke ! Ich glaube, Ihr Herr Papa arbeitet zu viel .. er ſollte ſich mehr Ruhe gönnen ... das viele Denken ſtrengt ſo an

Mag ſein, Herr Quöck aber das iſt nun einmal ſein Leben und ich glaube, man kann die Geſetze, nach denen ſich ein individuelles Leben regelt, nicht ungeſtraft verletzen

Herr Quöck kaute gerade an einem etwas heißen Stück Bratkartoffel herum und konnte darum nicht ſogleich zu Wort kommen. Adam wandte ſich zu ſeiner Nachbarin hin :

Wenn ich mich nicht irre, mein gnädiges Fräulein, hörte ich neulich ich erinnere mich freilich nicht gleich, wo? , daß Ihr Herr Vater auch hm! auch Bücher zu ſchreiben pflegt ? Ich huldige zeitweilig leider auch dieſer triſten Praxis es wäre mir darum ganz intereſſant und zudem eine hohe Ehre, Ihren Herrn Vater gelegentlich perſönlich kennen lernen zu dürfen Collegialität iſt zwar ſonſt nicht gerade

Papa iſt, wie geſagt, ſehr leidend .. wir leben ſehr zurückgezogen .. empfangen ſelten Beſuche .. Papa iſt ſo ungeſellſchaftlich geworden .. das iſt ja natürlich .. Aber wenn Ihnen daran liegt, Herr Doctor ich werde Papa vorbereiten

Conradi, Adam Menſch. 450

Hedwig hatte ſehr kalt, ſehr zurückhaltend, bei - nahe abweiſend, geſprochen. Es ſchien ihr perſönlich gar nichts daran zu liegen, eine Beziehung zwiſchen ihrem Vater und Herrn Doctor Menſch herzuſtellen oder hergeſtellt zu ſehen.

Sehr liebenswürdig, mein Fräulein! dankte Adam reſervirt und wollte ſodann fortfahren: Der Werth des Lebens

Da fiel Frau Lange ein: Pardon, Herr Doctor, wenn ich Sie unterbreche ich ich

Frau Lange wußte entſchieden nicht recht, was ſie eigentlich von Adam wollte in dieſem Augenblick. Es ſchien ihr nur unbequem zu ſein, ihn und Fräu - lein Irmer in ein ernſthafteres, längeres Geſpräch kommen zu ſehen.

Als Adam die Worte Werth des Lebens über die Lippen gebracht, war Hedwig zuſammen - gefahren. Er wird doch nicht

Ja! fuhr Frau Lydia fort, Sie haben, Herr Doctor

Darf ich Ihnen noch einmal Thee eingießen, Herr Referendar ? fragte Frau Möbius an ..

Wenn ich bitten darf, gnädige Frau .

Mir auch noch 'n Schluck, liebe Tante, ja ? bat Herr Quöck.

Recht gern, Traugott

Ich mache Ihnen mein Compliment, gnädige Frau, hub Herr Oettinger an, Ihre Küche iſt vorzüglich! Ich habe ſelten ein ſo delikates Stück Fleiſch

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Ach, bitte, bitte! .. wehrte Frau Möbius beſcheiden ab.

Uebrigens, wandte ſich Lydia an Adam ſagen Sie, Herr Doctor: ſind Sie denn immer ſo .. ſo ſteif .. ſo ceremoniell ? Ich hörte zufällig vorhin, als Sie zu Fräulein Irmer Sie geben ja in der That keinen einzigen ... wie ſoll ich ſagen ? keinen .. keinen einzigen Naturlaut von ſich .

Adam war ein Wenig verblüfft. Er reichte gerade die Schüſſel mit Bratkartoffeln ſeiner Nach - barin hin.

Immer ſo ? wiederholte er befangen-mecha - niſch. Er wußte nicht ſogleich, was er antworten ſollte.

Lydia lachte hell auf: Aber, Herr Doctor

Aber, Lydia ! monirte verlegen-unwillig ihr Vetter.

Herr Oettinger ſchmunzelte. Um dieſe ſüße Freude über Adams kleine Abfuhr ein Wenig zu verhüllen, griff er ſchnell nach ſeiner compote mêlée ..

Adam hatte ſich gefaßt. Er ſchlug die Augen groß auf und ſah ſcharf zu Lydia hinüber. Dann kniff er den Blick etwas zuſammen und während ihm ein wegwerfendes Lächeln Mund und Naſe umkräuſelte, fragte er ſeine ſchöne Gegnerin: Wollen Sie es dem Schornſteinfeger verdenken, gnädige Frau, daß er ſich zuweilen .. wäſcht ?

Fräulein Irmer blickte ihren Nachbar erſtaunt - erwartungsvoll von der Seite an. Was meinte er damit ?

4*52

Auch Frau Lange wußte nicht recht, was ſie von dieſer Antwort denken ſollte.

Der Herr Referendar hielt das Geſicht gebeugt und ſtocherte mit dem kleinen Löffel in ſeinem ſteifſchleimigen Fruchtbrei herum. Seine roſigen, wohlgepflegten Fingernägel glänzten.

Adam legte Meſſer und Gabel über ſeinen Teller und lehnte ſich zurück. Er ſah Frau Lydia heraus - fordernd an.

Herr Quöck blickte bei ſeinen Tiſchgäſten fragend herum und machte ſich dann an das Geſchäft, ſeinen goldgelben Rüdesheimer zu verſchenken.

Pythius ! warf Lydia provokant hin.

Pythius '? Adam lachte. Nein! gnädige Frau ſcherzen ... Ich weiß ganz genau, was ich will .. was ich geſagt habe .. Uebrigens geſtehe ich recht gern zu, daß Ihnen meine Worte weniger dunkel

Heraklitiſch dunkel warf Herr Oettinger ein.

Ganz Recht, Herr Referendar! .. alſo herakli - tiſch dunkel und räthſelhaft erſcheinen würden, wenn ich die Ehre genöſſe, von Ihnen näher gekannt zu werden

Na! Dazu kann ja eventuell noch Rath werden äußerte Lydia offen und ſah Adam groß und coquett-verſprechend an.

Hedwig machte ein ziemlich müdes und gelang - weiltes Geſicht. Was wollten eigentlich dieſe Leute von ihr ? Was gingen ſie dieſe Menſchen an ? 53Was hatte ſie in dieſer leichtſinnig phosphorescirenden Welt zu ſuchen ? Nichts! Rein gar Nichts! Vertrug ſich überhaupt dieſer Aufenthalt in einer Sphäre, die ihr im Grunde abſolut gleichgültig ja! ja! ... ganz beſtimmt! .. ganz beſtimmt ab - ſolut gleichgültig war vertrug er ſich überhaupt mit ihrer Weltanſchauung‘ ? Nein! Sie that es nur ihrem Vater zu Gefallen, wenn ſie zeitweilig in dieſen Kreiſen verkehrte. Ihr Vater zwang ſie allerdings nicht dazu, dieſen lächerlich leeren Formen - cultus mitzumachen. Aber er ſah es im Grunde doch ganz gern. gewiß! ideell‘, theoretiſch‘ ver - warf er den Humbug ... aber ſo lebensklug war er immerhin doch noch ſchien er immerhin doch noch zu ſein, daß er ſich und ſeiner Reſignation Nichts zu vergeben glaubte, wenn er ſeine Tochter den Firlefanz bisweilen mitmachen ließ. Hedwig ſagte ſich ſehr klar, daß ihr Vater ſich nur als Denker be - thätigen konnte, wenn er lebte wollte er aber leben‘, mußte er mit gewiſſen Verhältniſſen klug und praktiſch rechnen ſonſt konnte er eben einpacken. Oder oder war ſie heute Abend bloß ſo übel - launig, ſo verſtimmt, wenigſtens ſo gleichgültig, weil ihr Lydia unſympathiſch? Weil ihr Nachbar ſie ſtörte, dieſer ſuffiſante Doctor Menſch, der ſich ihr neulich ſo impertinent frech aufgedrängt hatte ? Aber nein! Dieſe Welt war nicht ihre Welt und ſie durfte ſich mit dem Bewußtſein tröſten, daß ſie dieſelbe nur zuweilen beſuchte, um ihre eigene Welt ſelbſtverſtändlicher zu finden.

54

Proſit, meine Herrſchaften ! lud Herr Quöck ein und erhob ſein Glas zum Anſtoßen.

Die Gläſer klangen zuſammen.

Frau Lydia hatte ihren Kelch‘ zuerſt an den Adams klingen laſſen. Der lächelte ironiſch. Dann wandte er ſich auffallend ſeiner Nachbarin zu. Er begegnete ihrem müden, theilnahmsloſen Blicke. Und er bemühte ſich, dieſen Blick feſtzuhalten und ihm da - mit ein eigenes Feuer, einen beſonderen, ſelbſtändigen Werth zu geben. Plötzlich ſtieg ein leiſes, diskret - wolkiges Roth in Hedwigs Geſicht.

Lydia, welche dieſe kleine, überflüſſige Scene beobachtet hatte, war etwas pikirt und kehrte ſich mit nervöſer Plötzlichkeit zu ihrem Nachbar: Wie lange waren Sie in Italien, Herr Referendar ?

Herr Oettinger, der ſoeben von ſeinem Weine ge - trunken, ſchluckte den köſtlichen Tropfen hinunter, jedenfalls zu haſtig für ſein Gefühl, und antwortete: Fünf Monate, gnädige Frau! Gerade genug, um die Schönheiten und, wie geſagt, auch den Schmutz dieſer Dorados der guten Nordländer kennen lernen zu können

Fünf Monate wiederholte Lydia mechaniſch und ſah zu Adam hinüber, der zerſtreut-gedankenvoll an ſeiner Serviette herumſpielte.

Wollen Sie nicht einmal von dieſem Apfel - ſinencompot koſten ? wandte ſich Frau Möbius an Hedwig. Dieſe nahm dankend an, ſchöpfte ein paar Löffel des Nachtiſches auf ihr Tellerchen und gab die kleine Terrine weiter an Adam.

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Herr Quöck hatte wieder einmal an ſeinem Glaſe genippt und ſchnalzte befriedigt mit der Zunge.

Wiſſen Sie übrigens ſchon, lieber Doctor hub er jetzt zu Adam Menſch zu ſprechen an, daß meine verehrliche Frau Baſe auch auch ſchrift - ſtellert das heißt

Beſter Traugott

Ich bin erſtaunt, gnädige Frau , heuchelte Adam : er wunderte ſich doch ein Wenig, daß Herr Quöck manchmal ſo merkwürdig taktfeſt im ge - ſellſchaftlichen Lügenſpiel ſein konnte.

Na! So ſchlimm iſt das nicht gab Lydia lachend zu ſchwache Verſuche, die

Nette ſchwache Verſuche‘, wenn man gleich 'ne moderne Bibel‘ ſchreiben will flüſterte Herr Quöck mit drolligem Geheimnißvollthun über den Tiſch

Das iſt ja außerordentlich intereſſant ver - ſicherte der Herr Referendar : eine moderne Bibel‘

Ja ? finden Sie? fragte Lydia neckiſch - boshaft.

Auf Ehre, gnädige Frau !

Ich habe einen Gedanken, liebe Couſine nahm Herr Quöck wiederum das Wort

Und das wäre ? Du haſt, wenigſtens ſo weit ich es vorläufig beurtheilen kann, ſo ſelten Gedanken, beſter Herr Vetter daß ich wirklich geſpannt bin

Sei doch nicht ſo ... ſo eigenthümlich liebens - würdig, Lydia höre mich doch erſt an viel -56 leicht genüge ich Deinen hohen Anſprüchen ausnahms - weiſe doch einmal ließ Herr Quöck beleidigt - zurechtweiſend verlauten ..

Na! nur nicht böſe ſein, Vetter! Ich wider - rufe ja gern, wenn

Alſo ... Ja! .. Wie wäre es, wenn Du im Verein mit .. Herrn Doctor Menſch Deine eben - ſo ſchöne wie tiefe Idee ausführteſt ? Der Herr Doctor iſt wohl, wenigſtens ſoweit ich urtheilen darf ich habe ja die Ehre, ihn ſchon ſeit mehreren Jahren zu kennen alſo der Herr Doctor möchte Dir ein ganz famoſer verzeihen Sie gütigſt, Herr Doctor, dieſes etwas burſchikoſe Beiwort aber mein Jugendfreund Saldern gebrauchte das Wort öfter und da habe ich es mir denn auch un poco

Ah! un poco! Süßer Laut der ſchönen Fremde fiel Herr Oettinger affektirt-pathetiſch ein. Der Wein ſchien ihm die Zunge etwas ſchwippig gemacht zu haben.

Alſo auch etwas angewöhnt ja! .. um den Satz endlich fertig zu bringen fuhr Herr Quöck fort ein ganz prächtiger Mitarbeiter ſein .. Ich glaube nämlich ehrlich, daß das Buch Aufſehen machen unter Umſtänden ſogar einen ſenſationellen Erfolg haben würde, wenn es nur erſt ... erſt fertig wäre

Frau Lange ſah zu Adam hinüber. Der war immerhin etwas betreten. Dieſe Wendung des Geſprächs kam ihm zu unerwartet. Sollte das den57 Weg bedeuten, auf welchem ſich ſeine Beziehungen zu dieſem ſchönen Weibe, das ihn ausnehmend reizte, anknüpften ... enger zuſammenfädelten ? Und ... und Hedwig? .. Er ſah ſich zu ihr um. Fräulein Irmer machte ein etwas maliciöſes Geſicht. Die Schmerzensfalten um die Naſe waren ſchärfer hervor - getreten. Und doch lag in dieſem Geſicht zugleich ein Zug des Geſpanntſeins, der Neugier, der Theilname.

Hm! .. hm! begann Lydia. Sie wunderte ſich ein Wenig, daß Adam nicht ſogleich freudig und hingeriſſen auf den Vorſchlag einging. Das ärgerte ſie.

Ja! Ja! Der Gedanke iſt .. ausnahmsweiſe wirklich nicht ſo übel .. Ich danke Dir, lieber Vetter .. nur fragt es ſich, ob .. ob der Herr Doctor ich ich gewiß! mir behagt die Idee ſehr .. ſehr .. ich finde ſie ganz ausgezeichnet, aber eben

Na! Mir gefällt ſie natürlich auch ver - ſicherte Adam brüsk.

Lydia ſtutzte. Der Ton, in welchem dieſe Worte geſprochen waren, mußte ihr auffallen. Sie wollte eben eine ſpitze Bemerkung loslaſſen ſie hatte allerdings vorläufig bloß das Gefühl, das thun zu müſſen, ohne im Augenblick ſchon zu wiſſen, wie ſie die Unart dieſes ... unverſchämten Menſchen rügen ſollte als dieſer, ein Wenig moquant - lächelnd, ſeine Worte wieder mit den alten Farben der ſteif-geſpreizt-ironiſchen Höflichkeit zu bemalen begann : Vorausgeſetzt natürlich, gnädige Frau, daß Sie es der Mühe für werth halten, mich intimer in Stoff und Motiv einzuführen

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Lydia war wieder verſöhnt. Alſo Sie ſpielen mit ? fuhr ſie lebhaft auf, das enchantirt mich aufrichtig, Herr Doctor! Sie ſollen ſehen : wir kriegen ein ganz prächtiges Geſch alſo nicht wahr ? auf gute Kameradſchaft! Wahrhaftig der Stoff fängt wieder an, mich ſtärker zu intereſſiren

Sie reichte ihre kleine, fleiſchige, ringblitzende Hand über den Tiſch zu Adam hinüber. Der brachte ſeine Finger mit der Sammthaut Lydias in eine vornehm-zurückhaltende Berührung. Frau Lange's Augen ſtrahlten. Adam fragte ſcherzend : Theilen wir nun, gnädige Frau, die Arbeit ſyſtematiſch ? Dann möchte ich mir das moderne neue Teſtament zur Bewältigung ausbitten

Wie wir's anſtellen nun! das werden wir ja noch finden, Herr Doctor! Sie trinken vielleicht in den nächſten Tagen, wenn Sie über ſich ver - fügen können, eine Taſſe Thee bei mir ? Dann können wir ja das Problem in aller Ruhe einmal näher anſchauen. Aber warum erbaten Sie ſich vorhin das neue‘ Teſtament zur Bearbeitung ? Iſt Ihnen das alte

Das alte hm! das alte Teſtament, gnädige Frau, iſt mir, wenn ich offen ſein ſoll, iſt mir ein Wenig zu .. zu ſemitiſch ... Gewiß! es hat gewaltige, von der bewußten elementaren Poeſie ſtrotzende Capitel aber

Ah! das freut mich, Herr Doctor! Sie ſcheinen auch Antiſemit zu ſein? fragte Herr Oettinger59 lebhaft das einzig Vernünftige heute verſteht ſich ..

Ob ich gerade regelrechter Antiſemit‘ bin Antiſemit‘ mit allen Chikanen das das weiß ich eigentlich nicht recht, Herr Referendar .. Aber ich glaube kaum .. Die Frage, die gewiß eine moderne und zudem gewiß auch eine ſehr brennende iſt, bedeutet bei mir weniger eine neutrale Angelegenheit des Intellekts mit dem Stempel der Selbſtverſtändlichkeit ſelbſtverſtändlich aus wirthſchaftlichen, politiſchen, ſocialen, philoſo - phiſchen und tauſend anderen Vernunfts‘-Gründen als vielmehr eine Art von Herzensbedürfniß .. Meine Weltanſchauung iſt, den Haupttendenzen, der Polarität meiner Natur gemäß, eine vorwiegend äſthetiſche .. Sogenannte Principien habe ich nicht, höchſtens nur in ſehr ſchwachen Anſätzen ſie liegen meiner Natur nicht .. und ich halte ſie darum für geſchmacklos und langweilig .. u. ſ. w. aber verzeihen Sie! ich bin ganz abgeſchweift

Abgeſchwiffen‘ pflegte Otto von Galdern immer zu ſagen warf Herr Quöck lachend ein.

Alſo!. ja!. ſehen Sie nahm Adam das Geſpräch wieder auf, halb zu Lydia, halb zu Oettinger hingewendet der große Marx z. B. war auch ein Jude dann Laſſalle und nehmen wir Heine, Börne

Marx? Marx? Iſt das nicht nicht der ... der

Ganz recht, Herr Referendar, der ... der 60 der große Werthanalytiker nämlich Sie werden gewiß ſeine Werke kennen, wenigſtens ſeine Sätze, ſeine Reſultate, ſeine Definitionen

Nein! Gott ſei Dank! nicht

Aber pardon! Sie ſind doch Juriſt

Allerdings! Und ich muß zu meinem aller - größten Bedauern bemerken, daß ich ſehr ſehr viel jüdiſche Collegen habe .. Dieſe Herren mögen die Theſen ihres Heros beſſer kennen, als ich ich bin ſtreng ich bin à tout prix monarchiſch, Herr Doctor ſtockconſervativ, wenn Sie wollen mein Kaiſer braucht bloß zu winken, ſo lege ich mit tauſend Freuden mein Haupt auf den Block für ihn dulce et decorum, pro imperatore mori, Herr Doctor! Heilig heilig iſt mir die Regierung unantaſtbar

Unfehlbar warf Lydia ein, die ſich zurück - gelehnt hatte und amüſirt, ein verhaltenes, halb ſpöttiſches, halb gutmüthiges Lächeln im Geſicht, den Verſicherungen ihres Nachbars zuhörte.

Jawohl, gnädige Frau! In gewiſſem Sinne ſogar unfehlbar‘ iſt mir die Regierung! Und ich wäre glücklich, ſollte es mir vergönnt ſein, dereinſt einmal ein guter Hüter und Wahrer und Pfleger des Geſetzes zu werden des Geſetzes, das für mich vorläufig nur einen Fehler hat nämlich den, daß es in mancher Beziehung zu mild, zu tolerant iſt. So ſollte z. B. Jeder ich wähle das Beiſpiel, weil mir gerade kein anderes einfällt ſo ſollte alſo Jeder, der im öffentlichen Beſitze einer Waffe ge -61 funden wird, quasi als Mörder behandelt werden, denn er hat, reſpective hatte es ja jeden Augen - blick in der Hand, einem ſeiner Mitmenſchen das Leben, dieſes höchſte, koſtbarſte Gut, wie Sie mir zugeſtehen werden, zu nehmen

Das kann doch nicht Ihr Ernſt ſein, Herr Referendar ? fragte Adam beluſtigt.

Wollen Sie nicht auch einmal den Käſe koſten, Herr Doctor? bot Frau Möbius, die aufmerkſame Wirthin, an. Sie benutzte den Moment, wo das Geſpräch ſich wieder gabeln zu wollen ſchien.

Auch Hedwigs Geſicht hatte einige Ausdrucks - grade ſeines Ernſtes verloren. Auch ihr mußten die Geſtändniſſe Herrn Oettingers etwas drollig und ſchattentöterig-bizarr vorkommen.

Zweifeln Sie daran, Herr Doctor? Ich bitte doch ſehr ... Allerdings Sie ſcheinen mir in dieſer Beziehung etwas laxere Anſichten zu haben entgegnete der Herr Referendar ein Wenig indignirt. Er führte ſein Weinglas an die Lippen und ſah furchtbar moraliſch entrüſtet aus.

Laxere‘ .. hm! ich weiß nicht, Herr Refe - rendar, ob gerade laxere‘ jedenfalls .. hm! nun! jedenfalls modernere .. warf Adam mit einem kleinen Anflug von Spott hin.

Was verſtehen Sie eigentlich unter modern‘, Herr Doctor? Man hört das Wort heute ſo oft. Man kann ſich gar nicht mehr retten vor ihm fragte Lydia dazwiſchen. Sie ſchien momentan ganz62 vergeſſen zu haben, daß ſie ja ſelbſt eine moderne‘ Bibel ſchreiben wollte.

Ja! das iſt ſchwer zu ſagen mit einem Worte, gnädige Frau .. begann Adam. Auch ihm fiel der Umſtand, daß gerade Lydia ihn um eine Art von Begriffsbeſtimmung gebeten, weiter nicht auf. Modern‘ ſein heißt, heißt, gnädige Frau ja! alſo ſagen wir heißt: ſich auf Etwas vorbereiten, was Einen im Grunde gar nichts angeht ich meine: auf Etwas, deſſen Eintreten in die Welt man ſicher nicht erleben wird, das ſich vielleicht erſt in einer ſehr fernen Zukunft erfüllt modern‘ ſein heißt aber zugleich: bei dem Vorbereiten auf dieſes problematiſche Etwas ganz gefälligſt ... zu Grunde gehen fuhr Adam ſodann mit einem ſpröden Stich ins Paradoxe und Bittere fort.

Hedwig ſah ihren Nachbar erſtaunt-theilnehmend an. Herr Oettinger machte ein verblüfft-ungläubiges Geſicht. Von Lydia erhielt Adam einen ſehr eigen - thümlichen Blick. Und nun erkundigte ſie ſich etwas leichthin : Gehört das Zu-Grunde-Gehen‘, wie Sie ſich ausdrückten, Herr Doctor, abſolut dazu ?

Allerdings, gnädige Frau, erwiderte Adam ernſt, das gehört dazu, wenn man treu ſein will ... und ſich, wenigſtens in der Hauptſache, in den Grund - zügen, in den Kernlinien ſeiner Natur, erkannt hat das heißt: wenn man weiß, daß man nicht treu ſein kann .. Der incarnirte Widerſpruch iſt immer Subtrahent

Herr Gott! Wieder einmal Pythius! Wenn Sie63 im Alterthum, zu Zeiten Frau oder Fräulein Pythia's gelebt hätten, Herr Doctor, ich bin feſt über - zeugt: aus Ihnen und jener ehrenwerthen Dame wäre ein Paar geworden ... ſcherzte Lydia lachend.

Meinen Sie, gnädige Frau? Ob aber die Concordanz immer addirt ?

Himmliſcher Vater! Nun fehlt bloß noch das Multipliciren und Dividiren ... Die armen vier Spezies!

Hedwig konnte ſich nicht mehr verbergen, daß Adam ſie jetzt intereſſirte. Und ſie mußte ſich geſtehen, daß ſie in ihrem Denken und Fühlen dieſem merk - würdigen Cauſeur unter den Anweſenden jedenfalls am Nächſten ſtände. Das machte ſie immerhin eine Idee ſtolz und befriedigte ſie. Tiefer in Anſpruch genommen wurde ſie allerdings auch kaum, es war ihr nur lieb, daß in das Geſpräch einmal ein paar kühnere, neuere Töne hineinklangen.

Sie ſcheinen nicht gerade religiös zu ſein, Herr Doctor ? interpellirte jetzt Oettinger Adam.

Religiös‘? Sie etwa, Herr Referendar ? fragte Adam barſch entgegen.

Ich ich ſchmeichle mir allerdings, mein Herr, in gewiſſem Sinne religiös zu ſein ja! Gott ſei Dank! noch religiös zu ſein gab Oettinger etwas von oben herab zur Antwort.

Na! das iſt kennzeichnend : in gewiſſem Sinne‘ hm!

Herr Quöck wurde unruhig: Proſit, meine64 Herrſchaften! Die Gläſer klangen wieder einmal zuſammen. Und wieder ließ Lydia das ihrige zuerſt an das Adams tönen.

Dieſer hatte plötzlich die ganze Situation, zumal ſein Verhältniß zu Frau Lange, klar erfaßt und wandte ſich jetzt mit einer auffälligen Wendung zu Hedwig hin ... und zwar ſo beklemmend nahe, als wollte er dieſer Dame Etwas ins Ohr flüſtern. Hedwig ſah verwundert auf. Ihre Brauen zogen ſich zuſammen. Verſtand ſie das Manöver ?

Ich muß doch bitten, Herr Doctor nahm Oettinger das Geſpräch wieder auf.

Um was ? flegelte Adam.

Ja!. Aber ... Gewiß bin ich religiös ... wenn auch wie ich mir ſchon einmal zu bemerken erlaubte : in erſter Linie bin ich con - ſervativ und dieſer Standpunkt ſchließt ja ein mehr oder weniger intimes Verhältniß zu den Satzungen der Landeskirche ganz von ſelber ein ich klebe durchaus nicht am Dogma gehe ſogar ſo weit, in gewiſſem Sinne verzeihen Sie! nun! wie ſoll ich ſagen? ja! frei vielleicht modern‘ zu ſein es iſt wahr: ich beſuche ſelten die Kirche vertrete aber als Juriſt, als Geſetzeshüter, ganz entſchieden die Anſicht, daß die Maſſe der Religion bedarf und ſollte das Sie ſehen, ich bin ganz aufrichtig und ſollte das auch nur nothwendig ſein, damit ſie, die Plebs, der Mob, kurz: das Volk damit dieſes alſo ſtets in der Gewalt, in den Händen der oberen Zehntauſend‘65 bleibt .. Ich bitte, in meinen freimüthigen Worten weiter keinen Cynismus zu ſuchen

Adam lächelte ſehr ironiſch.

Er ſpielte mit den Fingern der rechten Hand an dem Griffe ſeines Weinglaſes herum und warf nun mit gutmüthig-boshaftem Geſichtsausdruck die Frage über den Tiſch zu ſeinem Gegner hinüber: Dann gehören Sie alſo, Herr Referendar, ſo ungefähr zu den Leuten, die im Grunde als erſte Autorität über ſich ihren Cylinder anerkennen ?

Frau Möbius ſah recht erſchrocken aus. Lydia lächelte wie zuſtimmend, lenkte dann aber mit ſeinem Takte ab: Und die Cigaretten, Herr Vetter ?

Traugott Quöck verſtand. Er erhob ſich, warf dabei Adam einen nicht gerade gnädigen, kaum freundlichen und aufmunternden Blick zu und wünſchte ſeinen Gäſten Geſegnete Mahlzeit!

Sie rauchen doch, Herr Referendar ?

Oettinger ſtarrte noch immer auf Adam hin. Es ſchien ihm unbegreiflich zu ſein, daß dieſer Menſch gerade ihm mit ſeinen Impertinenzen zu kommen wagte. Sollte er die Beleidigung auf ſich ſitzen laſſen ? Sollte er einen Skandal provociren ? Er war unſchlüſſig. Adam machte ein unſchuldig - heiteres Geſicht. Er wandte ſich jetzt zu Fräulein Irmer, die hinter ihrem Stuhle ſtand und theil - nahmslos vor ſich hinſah, mit der Frage: Rauchen Sie auch, mein gnädiges Fräulein?

Nein! kam es kurz und ſchroff von Hedwigs Lippen.

Conradi, Adam Menſch. 566

Wollen die Herren in mein Zimmer treten ? forderte Herr Quöck auf.

Man verbeugte ſich ziemlich ſteif gegen einander.

Lydia ſah nach ihrer kleinen, goldnen Uhr. Schon Zehn durch! Um Elf kommt mein Wagen

Um Elf ſchon ? fragte Frau Möbius, wohl nur, um überhaupt Etwas zu ſagen.

Wenn es Ihnen recht iſt, Fräulein Irmer, fahren Sie mit mir ? Wir wohnen ja nicht weit auseinander. Ich werde Friedrich ſagen, daß er durch Ihre Straße den Weg nimmt

Sehr liebenswürdig, Frau Lange, ich nehme mit Dank an

Aber was fangen wir nun an ? überlegte Lydia. Die Herren ſpielen natürlich den unver - meidlichen Scat ... Ach! Wir armen Frauen !

Traugott ſpielt eigentlich ſelten Scat be - merkte Frau Möbius ſchüchtern.

Ich werde mir wahrhaftig noch die Geheim - niſſe dieſes verteufelten Scatſpiels beibringen laſſen man iſt ja ſonſt rein verloren heute .. Ob der Doctor Menſch auch ſpielt ? Er ſieht gar nicht ſo aus .. Was meinen Sie, Hedwig ?

Warum ſollte er nicht ? antwortete die Gefragte kurz, etwas geringſchätzig. Die beiden Frauen ſahen ſich an. Eine jede wußte, was die andere im Stillen dachte, was ſie wiſſen wollte, zu hören verlangte, und was doch keine von ihnen ausſprach .... keine ausſprechen mochte.

Bitte, Couſine ! Herr Quöck war aus dem67 Nebenzimmer getreten und hatte eine Schachtel amerikaniſcher Cigaretten auf den Tiſch geſtellt.

Verſuchen Sie es doch auch einmal, Fräulein Irmer ! forderte er halb im Scherz, halb im Ernſte auf. Die Damen rauchen heute alle ... Es iſt ſo faſhionable ...

Ich danke, Herr Quöck

Lydia ſaß im Fauteuil und ſpie ganz reſpectable, weißgelbe Rauchwolken durch die Lippen. Sie hüſtelte ein Wenig.

Wir ſpielen natürlich Scat, Lydia. Der Doctor iſt nämlich auch ein leidenſchaftlicher Scatverehrer, wie er neulich verſichert hat

So ?

Lydias und Hedwigs Augen fanden ſich wieder einmal.

Aus dem Nebenzimmer klang gedämpftes Sprechen. So leiſe die Unterhaltung geführt wurde man hörte doch immer den gereizt-markirten Ton heraus.

Hedwig hatte in einem Album geblättert. Jetzt ſah ſie auf und horchte geſpannt hinüber.

Lydia erſchien ſehr gleichgültig. Sie blies eine dicke, weißgelbe Dampfwolke nach der anderen vor ſich hin. Im Zimmer machte ſich ſchon das Cigaretten - Parfüm deutlich riechbar. Es war Frau Lange entſchieden ſehr behaglich zu Muthe.

Herr Quöck war nach dem Salon hinüberge - gangen. Er arrangirte den Scattiſch. Frau Möbius hatte ſich nach der Küche begeben. Oettinger und Adam waren natürlich gegen einander gerathen. 5*68Der Herr Referendar hatte den Herrn Doctor bezüglich deſſen Bemerkung bei Tiſch noch einmal interpellirt. Das hätte kaum unterbleiben dürfen. Ich habe weiter nichts gethan, als gleichſam die Quadratwurzel aus Ihren Aeußerungen gezogen, Herr Referendar. Ihr conſervativer Standpunkt mag ehrliche Ueberzeugung ſein das gebe ich ſehr gern zu. Warum auch nicht ? In Puncto der Religion geſtanden Sie ſelbſt ein, daß Ihnen dieſelbe nur noch als ein Mittel in den Händen der oberen Zehntauſend erſchiene, das den Zweck hat, die Plebs geduckt und unterwürfig zu erhalten Herrenmoral und Sclavenmoral Punktum

Aber bitte das iſt doch heute die An - ſchauung jedes gebildeten Menſchen

Das weiß ich recht gut. Der Standpunkt iſt auch ein dieſer gebildeten Menſchheit vollkommeu würdiger. Ich erlaube mir nämlich die Anſicht zu haben, Herr Referendar, daß dieſe famoſe Bildung‘ und der bodenloſe Indifferentismus in religiöſen, philoſophiſchen, künſtleriſchen Dingen heutzutage ſo ziemlich identiſch ſind mit einander

Hm!. Mag ſein! .. Aber bitte, Herr Doktor wir kommen ganz von dem Punkte ab, deſſen Erörterung mir momentan zumeiſt am Herzen liegt Sie gebrauchten bei Tiſch ein Bild einen Vergleich ein ei n e nun! es bleibt Ihnen ja unbenommen, auch mich unter dieſe Indifferenten[zu] rechnen

Pardon, Herr Referendar! Wenn mir das69 unbenommen bleibt, nun! ſo iſt doch die einfache Folge davon die, daß ich Ihnen einen großen Reſpect vor dem Cylinder als dem Symbole der auf das Aeußerliche geſtellten Bildung vindiciren darf die einfache Conſequenz, nichts weiter

Ich glaube aber kaum, Herr Doctor, daß es erlaubt iſt, derartige etwas verzeihen Sie! immerhin immerhin etwas boshaft-geſuchte Conſe - quenzen öffentlich auszuſprechen .. Ich kann ja! ich muß das geradezu als eine perſönliche Beleidigung auffaſſen und ich ſähe mich genöthigt, wenn Sie nicht revociren

Adam lachte: Beleidigung‘! revociren‘ Sie ſcherzen, Herr Referendar! Sie ſcherzen jetzt, wie ich vorhin geſcherzt habe wir ſind alſo quitt nicht ?

Das iſt eine ſonderbare Auffaſſung, Herr Doctor

Herr Quöck trat wieder ein.

Wie ſchmeckt Ihnen das Kraut, Doctor ?

Vorzüglich, Herr Quöck ... etwas ſchwer zwar

Ach! Nee! ſchwer ? Finden Sie auch, Herr Referendar ? Aber bitte, meine Herren es iſt Alles bereit kommet und gehet ein in den Freudenhimmel, allwo duftende Blumen in Fülle wachſen wo es Könige giebt und Fürſten

Auf Kartenblättern famos, Herr Quöck! Die Herren dieſer Welt ſind doch eigentlich furchtbar witzige Kerle, daß ſie ihre Bilder auf Münze und Karte malen laſſen .. immer noch malen laſſen ... 70Wollen ſie damit etwa ſagen, ſymboliſch an - deuten, daß daß na! manchmal wirft man eben das Geld weg ſcherzte Adam.

Still, Doctor, das klingt ja ganz gefährlich Sie ſind des Teufels wehrte Herr Quöck erſchrocken ab.

Pflegen Sie das ... Geld auch ſo .. wegwerfend zu behandeln, Herr Doctor ? fragte Oettinger.

Man trat gerade in den Salon ein. Lydia hatte ihren Fauteuil im Speiſezimmer verlaſſen und ſtand jetzt am Spieltiſch. Sie hielt die rändervergoldete Scat - karte zwiſchen Daumen und Mittelfinger ihrer kleinen, weißen, rechten Hand, ungefähr in Schritthöhe über dem Tiſch, und ließ nachläſſig, träumeriſch, gedanken - abſeits ein Blatt nach dem anderen auf die Fläche niedertaumeln.

Leider! erwiderte Adam, einen komiſch-drolligen Ton des Bedauerns in der Stimme.

Lydia wandte ſich um. Sie ſah die Herren fragend an.

Wo ſteckt denn Tante Möbius ? ärgerte ſich Herr Quöck laut. Er ſchien irgend ein Anliegen zu haben.

Die wird wohl noch in der Küche ſein vermuthete Lydia.

Es iſt doch genug Wein da ? .. Nein! Wo die alte ich hätte beinah 'was geſagt nur ſteckt ?

Hedwig erſchien im Rahmen der Thür. Sie ſah ſehr verſchloſſen und gelangweilt aus.

Die Damen werden entſchuldigen aber der Scat dieſes jöttlichſte aller Spiele bitte,71 placiren Sie ſich, meine Herren! Sie führen Buch, Doctor, nicht ? .. Alſo um die Ganzen nicht wahr ? Sie geben, Herr Referendar bitte! Jüngſtes Semeſter ich denke wenigſtens jenöthigt wird nicht übrigens ſo ein Scätchen Teufel ! es geht doch Nichts drüber! Ich bitte nochmals die Damen um Entſchuldigung ! Herr Quöck war ganz Feuer und Flamme. Und ein guter Tropfen dabei fuhr er befriedigt fort ..

Und ſchöne Frauen! complimentirte Oettinger, indem er den Scat auslöſte

Lydia brannte ſich eben eine neue Cigarette an. Hedwig hatte ſich wieder ins Nebenzimmer zurück - gezogen. Das kniſternde Umſchlagen von großen Buchſeiten drang ab und zu herüber.

Sie reizen, Herr Doctor

Ich paſſe

Tournée ?

Carreau! Carreau-Solo aus der la main! ..

Die Karten flogen auf den Tiſch. Man ſpielte ſehr flott. Herr Quöck beſchrieb beim Ausſpielen immer erſt einen Halbkreis mit ſeinem Blatte. Adam warf ſeine Karten mit einem gewiſſen pathe - tiſchen Bogenſchwung von oben herunter, Oettinger ließ ſie nachläſſig-graziös fallen.

Einundſechzig! .. Teufel! .. Das Spiel war überhaupt gewagt. Ohne Renonce in Pique begann Herr Oettinger frohlockend ..

Das fängt ja jut an brummte Herr Quöck, ein klein Wenig erboſt.

72

Adam ſchrieb an, dann miſchte er die Karten. Sie langweilen ſich gewiß recht, gnädige Frau fragte er zu Lydia hinüber. Frau Lange hatte ſich einen Fauteuil in die Nähe des Ofens gerückt.

Langweilen warum, Herr Doctor ? Eine Cigarette iſt eine vorzügliche Geſellſchafterin. Uebrigens Scat mußt Du mir doch noch bei - bringen, lieber Couſin! Wenn Ihr Männer ſo ver - ſeſſen darauf ſein könnt, muß das Spiel doch etwas .. Anziehendes, etwas Pikantes haben ...

Gewiß hat es das! verſicherte Herr Oettinger eilfertig. Vielleicht dürfen wir Sie, gnädige Frau, ſchon heute Abend in unſere köſtlichen Geheimniſſe einweihen ?

Na! na! wehrte Herr Quöck erſchreckt ab. Der Herr Referendar war doch etwas zu galant! Sie hatten kaum angefangen zu ſpielen und nun womöglich erſt wieder das umſtändliche Dociren die langwierige Erklärung und nachher dann noch die erſten ſtümperhaften Spielverſuche Lydias mitaus - halten müſſen nein! nein! ganz undenkbar !

Aber Lydia war ſchon aufgeſprungen. In der That eine ganz prächtige Idee, Herr Referendar ich danke Ihnen! Ich muß Ihnen nämlich ge - ſtehen, Herr Doctor, daß Sie nicht ſo ganz Unrecht hatten mit Ihrer Vermuthung, daß ich mich ... langweilte ... Wir Frauen ſind ja alle ſo ... ſo gedankenarm ...

Adam erhielt einen herausfordernden Blick. Lydia war zu ihm hingetreten.

73

Auch die Verfaſſerin der modernen Bibel‘ wenigſtens die beſſere Hälfte der Firma ? fragte die ſchlechtere Hälfte boshaft-galant.

Man braucht doch nicht immer Gedanken zu haben! ſchmollte Lydia neckiſch.

Aber, liebe Couſine verſuchte Herr Quöck das drohende Scatverderben noch einmal zu be - ſchwören, einen zärtlich abrathenden Ton in der Stimme

Die Grundgeſetze des Scats, gnädige Frau hub Oettinger an.

Adam klappte mit pathetiſcher Reſignation ſein zierliches, goldſchnittgeziertes Rechnungsbüchlein zu.

Frau Möbius trat über die Schwelle. Wo ſteckſt Du nur in aller Welt, Tante ? mußte ſie ſich von ihrem Herrn Neffen etwas barſch anfahren laſſen.

In der Küche, lieber Traugott Du weißt ja: auf Marien iſt kein Verlaß .. Und die Herren wollten ja auch ſpielen

Herr Quöck leerte ſein Glas. Iſt denn noch genug Wein oben ? fragte er ärgerlich.

Ich denke antwortete Frau Möbius mit ſanfter Gelaſſenheit.

Man ſprach nun viel und trank im Ganzen recht tapfer. Herr Quöck hatte ſich einigermaßen gefügt. Er wanderte im Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken, ſtellte ſich gelegentlich an den Ofen, blies dicke, blauſchwarze Rauchwolken aus Naſe und Mund. Ab und zu warf er eine humoriſtiſch -74 kauſtiſche Bemerkung in den Spielunterricht, welchen Frau Lydia zu ertheilen, der Herr Referendar Oettinger auf ſich genommen. Frau Möbius lachte mit ängſt - licher Aufrichtigkeit zu den Bemerkungen ihres Neffen. Oettinger führte ſeine Schülerin ſehr geſchickt in die ſchwierigen Scatprobleme ein. Und Lydia war eine gelehrige Schülerin. Es ärgerte ſie nur ein Wenig, daß Adam jetzt im Ganzen ſo zurückhaltend gegen ſie war. Wollte er demonſtrativ merken laſſen, daß dieſer erſte beſte Herr Referendar gerade gut genug war für die Rolle des Scatpräceptors ? Plötz - lich hatte ſich Adam erhoben und war in das Neben - zimmer verſchwunden. Man plauderte im Salon gerade ſehr eifrig durcheinander. Herr Quöck ſchien der genoſſene Wein ſchon recht tüchtig an - gefranſt zu haben. Auch Oettinger ſprach ſchärfer und lauter als gewöhnlich, betonte unregelmäßig und falſch. Lydia war nicht minder unruhig. Ihre Gedanken waren zerſtückt, ihr Blut kochte auf. Al - kohol und Nicotin hatten ſie aus den Geleiſen der normalen Selbſtbeherrſchung geſchleudert.

Adam war zu Hedwig getreten.

Dieſe hatte ihren rechten Oberarm weit, nach - läſſig, unkritiſch, über den aufgeſchlagenen Band, in dem ſie geblättert, gelegt und den Kopf in die Handhöhlung geſtützt. Der linke Arm hing ſchlaff herunter. Der Blick gedankengebannt oder phan - taſieverloren. Da fiel der Schatten einer fremden Geſtalt in ihren Kreis. Sie ſchrak zuſammen.

Adam trat ganz dicht an ſie heran. Er athmete75 ſchwerer. Hedwig zog den zurückgeglittenen Aermel bis zum Gelenk herunter und ſah zu Adam empor, erſchreckt und doch zugleich fragend, erwartend abweiſend und doch zugleich normal verwundert, un - willkürlich aufreizend.

Aus dem Salon klang buntes, ſich gegenſeitig ver - hakendes Stimmengewirr. Aber wie ferne, dumpfe, monotone Brandung dünkte es Adam. Die Situation nahm ihn ganz hin. Jetzt allerdings ſchnellte die Stimme Oettingers ſcharf, zackig, hart in der Höhe. Dann ſprach Lydia auch lauter, auch artikulirter.

Adam hatte nach der rechten Hand Hedwigs ge - haſcht, ſie hatte ſie ihm mit zufahrender Heftigkeit entzogen. Und doch neigte ſie jetzt den Kopf ein Wenig. Ein ſchmales Stück des weißen, glänzenden Halſes wurde ſichtbar.

Da packte es Adam. Es rüttelte und ſchüttelte an ihm, ſchlug ihm die Zähne in die Nerven. Er wußte nicht, wie es ſo jäh, ſo bezwingend über ihn kam. Der Wein hatte ſein Blut aufgejagt, hatte zuckende, von unten herauf bohrende Flammen hineingeſchmiſſen. Er war ſeiner nicht mehr mächtig. Es flimmerte ihm roth vor den Augen. Er beugte ſich nieder, ſog ſich eine Sekunde lang feſt an dieſem weißen, glänzenden Halſe und lallte Fräulein Irmer im nächſten Augenblicke ein heißes, leidenſchaftliches Hedwig! in's Ohr.

Jetzt fuhr die Dame auf. Ihr Geſicht war weiß, die Augen ſtarr, groß aufgeriſſen, ohne Pol.

Durch den Salon kugelte ſich gerade ein lautes76 Lachen. Herr Quöck ſchien ſo etwas wie eine Anekdote, wie einen guten Witz erzählt zu haben.

Hedwig ! wiederholte Adam dringend, bebend vor Erregung. Weib! ich liebe Dich ja ! fuhr er wie im Taumel fort.

Hedwig ſchoß mit einem jähen Rucke in die Höhe.

Ich muß Dich ſprechen, Hedwig laß mich Dich nach Hauſe be gleiten bat Adam mit mühſam geduckter Leidenſchaft. Seine Stimme raſſelte heiſer, die Finger zuckten.

Ich danke, Herr Doctor erwiderte Hedwig auffallend laut ich fahre mit Frau Lange Und zugleich ging ſie an ihm vorüber, der Thür nach dem Salon zu.

Verflucht! knurrte Adam wüthend vor ſich hin, zugleich bedeutend ernüchtert. Dann be - gann er mit gemachter Haſt in dem großen Bande zu blättern, über welchen Hedwig vorhin ihre Träumereien ... oder die Nachtfalter ihrer ſchwarzen Schwermuth hatte hinflirren laſſen.

In dem Augenblicke, da Hedwig über die Schwelle in den Salon trat, war dort das Geſpräch jäh verſtummt. Unwillkürlich, wie auf Verabredung, richteten ſich aller Augen auf ſie. Was wollten dieſe Augen nur von ihr ? Was zwang die Leute da, ſo plötzlich ihre vorher doch recht laute, auffallend laute Unterhaltung abzubrechen ? Hatte man Hedwigs letzte, mit unwillkürlich geſteigerter Stimme geſprochenen Worte verſtanden dieſe77 Worte, die ſie allerdings halb bewußt, halb un - bewußt, in der Abſicht, daß ſie gehört würden, ſo laut hinausgeſtoßen ? Lydia machte ein faſt ſpöttiſches, beinahe beleidigendes Geſicht. Hedwig fühlte, wie ſie verwirrt, immer verwirrter wurde, wie ein unzurückdrängbar in die Höhe ſiedendes Roth ihr über Stirn und Wangen ſchoß. Hülflos, haltlos irrten ihre Blicke von Einem zum Anderen.

Herr Quöck, der ſich ſchon vorhin bei Tiſche im Beſitze des glücklichen Talentes gezeigt hatte, einem Geſpräche, das eine unwillkommene Wendung ge - nommen, ungezwungen eine andere zu geben, ver - ſtand es auch jetzt vorzüglich, durch eine an ſich recht banale Bemerkung über die peinliche Situation hinwegzuhelfen.

Aber! Fräulein Hedwig wir haben Sie ja ganz vergeſſen ich glaube entſchieden, Sie ſind zu kurz ge - kommen in Puncto des Weins Sie müſſen nachholen und nun wollen wir wieder einmal anſtoßen, meine Herrſchaften wo ſteckt denn nur wieder der Doctor ? Doctor! Kommen Sie! Proſt! Proſt! Auf daß meine innig verehrte Frau Baſe den auch in weiteren Kreiſen mit Recht ſo beliebten Scat, wie mein Buſenfreund Saldern immer zu ſagen pflegte, recht bald capirt habe auf daß ſie eine würdige Partnerin werde, die ihrem würdigen Scatmentor Ehre mache die die aber Proſt! Proſt meine Herren und Damen wollte ſagen: meine Damen und Herren und trinken Sie aus, Fräulein Hedwig78 denn der Wein erfreut des Menſchen Herz, ſagt ſchon der alte Homer oder irgend ein anderer Zechkumpan hat alſo geweiſſagt bravo, Doctor! das war ein Männerſchluck kommen Sie her: Sie ſollen 'gleich neue Füllung haben

Adam hatte ſein Glas auf einen Zug geleert. Er ſah düſter, geärgert aus. Lydia coquettirte mit dem Referendar. Sie blickte ihn ſchwärmeriſch, dankbar, beinahe herausfordernd an. Adam's und Hedwig's Augen waren noch einmal kurz aneinander vorbeigegangen. Beide wußten, daß es nun ein Etwas für ſie gab, das einer dem ander'n nicht reſtlos vergeſſen konnte.

Da tönte das eckige Raſſeln eines mit faſt be - leidigender Exaktheit angefahren kommenden Coupés von der ſtillen Straße her in's Gemach.

Mein Wagen! fuhr Lydia auf.

Nanu! Schon ſo ſpät? fragte Herr Quöck verwundert. Er zog ſeine große, ſchwere, goldene Uhr.

Gnädige Frau ! bat Oettinger geſchmeidig - vorwurfsvoll. Er war ganz ſelig. Er glaubte an ſeine Zukunft. Er war überzeugt von ſeiner Un - widerſtehlichkeit.

Lydia blickte zu Adam hinüber, der mit forcirter Ruhe ſeine Cigarre wieder in Brand ſetzte. Adam ſah nicht auf, obwohl er den Blick Lydia's deutlich auf ſich fühlte. Es war ihm, als ob ihm die Netz - haut plötzlich brennend heiß würde.

Wenn Sie nun noch mit mir fahren wollen,79 liebes Fräulein ? fragte Frau Lange Hedwig, mit ſcharfer Betonung des noch

Wenn Sie geſtatten

Die Damen verabſchiedeten ſich. Oettinger küßte hingeriſſen Lydias Hand. Dann wandte ſich Frau Lange zu Adam .. und ohne ihm die Hand zu reichen, meinte ſie leichthin, gleichgültig: Alſo, vergeſſen Sie unſere Verabredung nicht, Herr Doctor ! Kommen Sie in den nächſten Tagen einmal zu einer Taſſe Thee wie wäre es, wenn Sie mir ſchon etwas .. Fertiges mitbrächten vielleicht vielleicht eine Art von von ... nun! vielleicht ein modernes ... hohes Lied oder etwas Aehnliches ja? Aber, pardon! ich vergaß ganz Sie baten ſich ja das neue Teſta - ment aus nun! ich überlaſſe Ihnen die Aus - wahl es wäre zu nett, könnten wir 'gleich mit einem kleinen fait accompli an die Arbeit gehen

Lydia hatte die Worte langſam, zögernd heraus - geſtoßen, als fiele es ihr ſchwer, ſie zu ſprechen und doch zugleich in einem Tone, mit einem Accente, der deutlich verrieth, daß ſie ärgern, ſpotten, ſich rächen, aber auch ſtimulieren wollte.

Adam verneigte ſich ſtumm. Er behielt Hedwig im Auge, er verfolgte jede ihrer Bewegungen. Dieſe verabſchiedete ſich mit einem oberflächlichen Gruße von ihm. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen und ſah ſehr hochmüthig aus.

Frau Möbius zog ſich bald zurück.

80

Die Herren waren wieder allein. Der Scat konnte fortgeſetzt werden. Und man fühlte ſich bald ganz unter ſich. Die Unterhaltung wurde freier, die Worte wurden nicht mehr abgewogen, nicht mehr peinlich bedacht, gewählt, geſetzt. Adam verhielt ſich allerdings im Ganzen ziemlich ſchweigſam. Herr Quöck ſprudelte verſchiedene pikant gewürzte Anekdoten heraus und mußte oft ſo herzlich über ſeinen eigenen Ulk lachen, daß ihm die Brille überſchweißt wurde. Dann kramte er ſein großes, gelbſeidenes Taſchen - tuch heraus und putzte mit zwinkernden Weinaugen über die Gläſer hinweg. Die Hände waren roth, etwas aufgeſchwollen, und ganz ſicher gehorchten ſie auch nicht mehr.

Herr Oettinger erzählte allerhand italieniſche Reiſeabenteuer. Die Ueberzeugung von ſeiner Un - widerſtehlichkeit, die er heute Abend aus dem Be - nehmen Lydias ihm gegenüber folgern zu müſſen geglaubt, verleitete ihn, ſeine an ſich recht harmloſen Geſchichten mit kühneren erotiſchen Pointen auszu - ſchmücken. Der Herr Referendar bekundete in ſeiner Weinlaune eine ganz reſpectable Phantaſie.

Man ſpielte ſehr unregelmäßig .. und man er - laubte ſich ſchon allerlei kleine Freiheiten. Man guckte ſich gegenſeitig in die Karten und ignorirte kühn die Unantaſtbarkeit des Scats. Dabei wurde dem Weine wacker zugeſprochen. Und die Stunden ſchienen etwas Beſonderes darin zu ſuchen, ſich über - ſchnell aus dem Staube zu machen.

Mit der Zeit wurde Adam matt, abgeſpannt. 81Er unterdrückte nur mühſam das Gähnen, und Wein und Cigarren verloren immermehr ihre Reize für ihn. Er trank öfter, nippte aber immer nur kleine Schlucke und kaute mechaniſch den Nicotinſaft aus ſeiner Cigarre heraus. Ab und zu warf er ein gleich - gültiges Wort in das Geſpräch, welches Oettinger jetzt faſt allein führte. Denn auch Herr Quöck kämpfte mit der überhandnehmenden Müdigkeit.

Nach drei Uhr trennte man ſich. Der Herr Referendar wankte und ſchwankte ein Wenig. Adam nahm ſich des armen Kerls an und ſchob ſeinen Arm unter den Oettingers.

Die Straßen lagen in tiefer Stille. Ab und zu begegnete den einſamen Nachtwandrern ein lang - ſam heranſpazierender Wächter. Manch 'einer dieſer edlen Herren blieb breitſpurig auf dem Trottoir ſtehen und beäugelte kritiſch die vorüberſtapfenden Spätlinge. Der Herr Referendar konnte einige herzhafte Redensarten über dieſe zu dringliche, ganz ver fluchte O cu cular-Inſpektion nicht unterdrücken. Er ſprach überhaupt etwas laut, der ehrenwerthe Cylinderenthuſiaſt. Die Angſtröhre ſaß ihm allerdings ſchief und verrätheriſch nach hinten geſchoben auf dem jugendlichen Haupte, das der erſte, zarte Flaum einer discreten ... Platte zierte, wie Adam heute Abend mit dem banalen Genugthuungsgefühl eines berechtigten Sarkasmus wahrgenommen.

Feudales Weib, dieſe Lydia, nicht, Doctor ? phantaſirte Herr Oettinger, Göttergeſtalt feſcherConradi, Adam Menſch. 682Corpus und dieſer Buſen möchte wohl 'mal nur' mal küſſen dieſe L ... l .. ippen Ah! ... ah! ... ent zückend! ... Uebrigens, Doctor ſind doch 'n famoſer Kerl gehen ſo ein ein trächtig Arm in Arm wollen uns nur wieder ver vertragen ha ... ha ... Wollen nächſtens' mal Sect kneipen zuſammen ja ? glorioſe Idee bringen kleine Hedwig mit na? ... na? ... Verhältniß anbändeln auch nicht übel auf Ehre! werde das reizende Scheuſal gelegentlich 'mal pou pou - ſſiren

Adam ließ die Rede Oettingers Monolog bleiben. Er begnügte ſich, die kargen Ueberreſte ſeiner geiſtigen Wachbarkeitskräfte vor Allem zur Steuer ihrer nicht mehr ganz ſeetüchtigen Leibesfahrzeuge zu verwenden. Er hatte ſeine liebe Noth, den Herrn Referendar von allzu intimen Berührungen mit verſchiedenen Häuſerwänden zurückzuhalten.

Plötzlich fühlte Adam das brennende Bedürfniß, allein zu ſein. Ein Gedanke war in ihm aufge - ziſcht, ein Wunſch war in ihm emporgeſprungen, deſſen Erfüllung der merkwürdigen, halb träumeriſch - müden, halb bewegt-reizſuchenden Stimmung, die ihn gekapert hatte, entſprach. Er wollte noch ein - mal durch die Straße gehen, in welcher Hedwig wohnte, wollte noch einmal vor ihrem Hauſe ſtehen, noch einmal zu ihrem Fenſter hinaufſchauen. Vielleicht .. vielleicht gab es hinter den Gardinen, hinter den Vorhängen noch ein ſpätes, heimliches83 Leben, das ihm zarte Zeichen, eine geheimnißvolle, ſüße Kunde brächte. Doch er mußte allein ſein. Und ganz Egoiſt, ſuchte er dem ſchwer athmenden, pruſtenden, oft ausſpuckenden Oettinger begreiflich zu machen, daß es das Beſte wäre, wenn er nun allein nach Hauſe wanderte. Der Herr Referendar war ſchon viel zu acut über ſich hinausgekommen, um eines kräftigeren Widerſtandes noch fähig zu ſein. An der nächſten Ecke machte ſich Adam von ihm los und überließ ihn ſeinem Schickſal. Man ver - abſchiedete ſich ſehr kurz und abgeriſſen.

Adam trottete eine Weile hin, ganz im Zwange ſeiner hüpfenden Gedankenſchemen. Da merkte er, daß er ſich in der Richtung geirrt. Er mußte um - kehren. Und am Beſten wäre es, wenn er die Straße, in die vor einer kleinen Weile Oettinger hineingeſchwankt, kreuzte. Wahrhaftig! Da drüben auf der anderen Seite da ſtapfte ſein wackerer Zechgeſell immer noch redlich fürbaß. Adam konnte ſich nicht enthalten, mit verſtellter, dumpf gurgelnder Stimme ein diaboliſch-myſteriöſes Oettinger! über den Straßendamm hinüberzuknurren. Der ge - heimnißvoll Angerufene wandte ſich jäh um und blieb ſtehen. Adam ſetzte ſeinen Weg mit großen Schritten fort und kicherte leiſe in ſich hinein.

So! ... Nun war der Herr Referendar in den Schatten der Nacht hinter ihm verſchwunden. Adam ſchluckte mit Behagen den kühlen Wind ein und ſetzte ſeine Füße emphatiſch auf die Asphalt - flächen. Grell, in ſcharf abgekantetem Rhythmus,6*84hallte ſein Gang wider. Einförmig und unförmlich lagen die Häuſermaſſen da. Selten klebte ſich in der Gegend der oberen Stockwerke ein magerer Lichtſchein an die Rieſentafeln. Die Gasflammen hüpften nervös in ihren Glaskäfigen hin und her. Es hatte geregnet: Ueber das Pflaſter hin lagen hier und dort dunkelgelbe Reflexe geſtreut. Oefter leuchtete verſchwommen-ſchmutzig ein Stück einer an - gebrochen-verkümmerten Iris auf.

Adam traf auf eine Brücke. Er lehnte ſich eine kleine Friſt hindurch über das Geländer und ſah auf das träge, gleichgültig hinſchleichende Waſſer hinab. Ein nörgelnder, zupfender Wind puſtete jetzt über die Fluth hinweg. Und es nahm ſich aus, als wäre der Spiegel mit einer Legion von kleinen, braungrünen Schildkrötenrücken gepolſtert.

Nun ſtand Adam vor dem Hauſe, da Hedwig mit ihrem Vater wohnte. Aber oben war Alles dunkel. Allenthalben tiefe, nur von den verhaltenen Athemzügen des feuchten Nachtwindes monoton duch - ſummte, zaghaft durchmunkelte Stille.

Und der einſame Wanderer ſetzte ſein Wandern fort, das ihn endlich nach ſeiner Klauſe führen ſollte. Verworrener Gedanken, einer dunklen Sehnſucht war ſeine Seele voll.

[85]

VI.

Ah, lieber Doktor! Das iſt ja famos von Ihnen, daß Sie ſich wieder 'mal ſehen laſſen! Nun wie gehts Ihnen? Viel gearbeitet? Aber Sie ſchauen immer noch ſehr angegriffen aus. Wie wäre es heute mit der Revanchepartie? Hätte Luſt Sie auch ja ..?

Herr von Bodenburg hatte den Figaro aus der Hand gelegt und ſtocherte mit dem Löffel auf ein Stück Zucker los, das er ſoeben in ſeinen Kaffee geworfen. Er ſah erwartungsvoll zu Adam Menſch auf.

Verdammt windig heute. Bei einem Haar wäre mir mein Hut in irgend 'n Weltmeer oder in' ne Pfütze geflogen ... Macht der Krakehler von Frühlingſwind Aufhebens! ... Impertinenter Stachelburſche! ..

Herr von Bodenburg lächelte.

Adam warf ein Zigarrenetui auf den Tiſch und rückte ſich einen Stuhl zurecht.

Viel Zeit habe ich gerade nicht wollte auch ein paar Zeitungen durchfliegen bringt der Fi - garo etwas Intereſſantes? Ach! die leidige Ge - wohnheit! Man büßt wahrhaftig nichts ein, wenn86 man das Zeug 'mal' n paar Wochen nicht anſieht. Alles Einbildung und Gewohnheit! So ſchleppt man eben die Tage hin. Man läßt ſich immer wieder von ſeinen triſten Bedürfniſſen überrumpeln. Es iſt geradezu tragiſch, daß der Menſch ſo im Zwange des Trägheitsgeſetzes ſteht. Ja! wenn dieſes retar - dirende Moment nicht wäre die Menſchheit Sie wiſſen, wen ich meine müßte entſchieden ein kleines Stück weiter ſein. Daß es zum Beiſpiel noch ſogenannte Fürſten giebt! Unſereiner faßt ſich an die Stirn müſſen denn einzelne Individuen ſo unheimlich weit voraus ſein? Dieſe Differenz! Oder nehmen Sie die Pyramide von Cheops. Sie kennen doch die Saga von Cheops 'Töchterlein? Nicht? Werde ſie Ihnen gelegent - lich' mal erzählen. Pikant! ſage ich Ihnen. Alſo dieſer kryſtalliſirte Despotismus ſo und ſo viel Tau - ſende von Jahren alt und heute? Denken Sie an Rußland. Ja! ja! der Hunger und die Peitſche. Man möchte ſich vor tragikomiſchem Weltvergnügen manchmal in einen Böcklin'ſchen Meergreis ver - wandeln

Die Gallenſteinablöſung war nicht übel, Herr Doctor aber ich möchte doch vorſchlagen, daß wir pardon! nun wenn auch gerade nichts Vernünftigeres , ſo doch .. na! ſo doch etwas Amu ſanteres vornähmen alſo wie wäre es mit der Revanche? Wollen Sie? Kommen Sie! Ja?

Meinetwegen denn, Herr Referendar, warum auch nicht? Wenn Sie durchaus wollen! .. Aber jetzt iſt es dreizehn Minuten nach Drei87 ich möchte ſo gegen Vier wieder auf meiner Bude ſein! Möglich, daß ich Beſuch kriege wenn nicht ich muß mal wieder ein paar Stunden concen - trirt arbeiten .. In den letzten Tage viel frei - willig und unfreiwillig gebummelt ...

Kellner! Das Schachbrett ...

Jawohl!

Was trinken Sie, Herr Doctor?

Was? Ja ach! Kaffee? Nee! Bringen Sie mir 'n Abſynth!

Sehr wohl!

Die beiden Herren vertieften ſich in ihr Spiel. Es wurde nicht viel geſprochen. Adam ſpielte auch heute mit ſehr getheilter Stimmung. Er wußte die Schwächen des Gegners nicht zu gebrauchen, er über - ſah ſeine eigenen Vortheile. Mit großem Behagen dagegen ſchlürfte er ſeinen kupfergrünen Abſynth.

Kennen Sie einen Referendar Oettinger, Herr von Bodenburg?

Oettinger? Oettinger? Ja wohl! Sehr patentes Individuum nicht? Elegant Cavalier Lieutenantsſcheitel langweilige Viſage ja! ja! bin ihm gelegentlich 'mal vorgeſtellt ſcheint mir nicht beſonders viel los zu ſein mit dem Herrn. Kann mich allerdings auch irren. Was iſt mit ihm? Haben Sie' n Rencontre mit ihm gehabt? Kartell ſchleifen? Ich ſtehe Ihnen zur Verfügung, Herr Doctor!

Sehr liebenſwürdig, Herr Referendar! Adam lächelte discret. Dabei goß er ſeinem Abſynth einen88 neuen Wurf Waſſer zu. Das Getränk ſchaute jetzt asbeſtgrün aus. Bis zur Forderung direct kam es nicht. Ah pah! Komödianterei! Wäre noch beſſer! Wir begegneten uns nur neulich in einer Abendge - ſellſchaft waren beide zum Souper geladen. Ich war wieder einmal nolens volens etwas biſſig Gott! die Affäre verlief ſehr drollig. Auf dem Nachhauſewege erklärte mich der Biedermann für einen famoſen Menſchen ſprach den Wunſch aus, demnächſt 'mal Sekt mit mir zu kneipen der Knabe war allerdings ſchon ſtark angebohrt. Er ſchwankte ſehr hingebend und gab eine merkwürdige Vorliebe für Häuſerwände und Laternenpfähle zum Beſten ..

[] So! ...

Ich dachte, Sie kennten den Herrn zufällig näher. Es wäre ja möglich geweſen. Der gute Mann entwickelte bei Tiſch ſeltſam praehiſtoriſche Ideen .. ich war zuerſt ganz verblüfft. Und ſein Standpunkt zur Religion es iſt eine Schmach, daß dieſes Geſindel, das geiſtig noch auf der primi - tivſten Entwicklungsſtufe ſteht daß dieſe ordinäre Sippſchaft dieſe Larven und Marionetten, dieſe Hohlhänſe überhaupt Gelegenheiten haben, öffentlich Proben ihrer approbirten Bornirtheit abzugeben! Und eines Tages gehört dieſer Lumpenbagage wo - möglich noch höchſt perſönlich den ſogenannten leitenden Kreiſen an! Ich verſtehe den ſchreienden Unſinn dieſe ſociale Barbarei nicht!

Ereifern Sie ſich nicht ſo furchtbar, Doctor! 89Laſſen Sie doch die guten Leute! Lieber Himmel! Ich habe auch noch 'n ganzes Rudel derartiger vieilleries auf Lager .. Das ſpart man ſich ſo zuſammen mit den Jahren ... Und wenn Sie ehrlich gegen ſich ſein wollen : Sie haben nicht minder Ihre Zöpfe und Vorurtheile! .. Uebrigens gardez!

Gott ſei's geklagt ja! ich weiß ja doch! meinetwegen! alſo gardez! haben ſie mir aber was zu ſtark iſt, iſt zu ſtark! Man darf ſchlechterdings nicht zu ſehr in Schimmel und Grün - ſpan verliebt ſein ...

Da öffnete ſich die Thür, und Fräulein Irmer trat in's Café. Der Zeitungskellner lief nach dem Schränkchen in der hinteren Ecke des Lokals, in welchem die ausgeſpannten Nummern vom Tage vorher aufbewahrt wurden. Nun überreichte er der Dame das Blatt.

Adam hatte Hedwig ſcharf fixirt. Als ſie ſich umwandte, hinauszugehen, nachdem ſie diesmal mit einem kurzen, leiſe hingeworfenen Dankeswort die Zeitung in Empfang genommen, ſtreifte ſie Adam mit einem jähen, vorüberſchießenden Blicke. Sie ſchrak ein Wenig zurück. Adam lächelte befriedigt. Hedwig hatte die Thür zugeſchlagen.

Der Herr Doctor ſprang auf, zog haſtig ſeine Börſe und warf das Geld für den Abſynth auf den Tiſch.

Nanu!?

Verzeihen Sie, Herr Referendar! Dispenſiren Sie mich, bitte, heute ja? Dieſe Dame 90 Kellner! ich traf ſie neulich Abend dito bei dem bewußten Souper wo bleibt nur der Menſch? Kellner! ſie ſpielt in die Geſchichte hinein, die ich Ihnen vorhin

Danke ſehr, Herr Doctor! Fritz ſtrich das Geld ein und ſchickte ſich an, beim Anlegen des Ueberziehers behülflich zu ſein.

Die ich Ihnen vorhin von Herrn Oettinger erzählte muß ſehen, daß ich das Weib abfange lauter kleine Hiſtorien ich bitte noch einmal um Verzeihung vielleicht morgen, wenn Sie um dieſelbe Zeit ja? aber ich muß mich beeilen auf Wiederſehen, Herr Referendar

Adam ſtürmte hinaus.

Das iſt verdächtig, Herr Doctor rief Bodenburg indignirt-beluſtigt dem Flüchtling nach.

Na! bringen Sie mir auch noch 'ne Karaffe Abſynth wandte er ſich ſodann an den Kellner, der noch immer in der Nähe des Tiſches ſtand und ſich jedenfalls alle Mühe gab, die Situation zu be - greifen. Er hatte ein blödſinnig-ſchläuliches Geſicht aufgeſteckt.

Noch ein Abſynth ? Sehr wohl!

Adam hatte ſich in die unmittelbare Nähe Fräulein Irmers zu machen gewußt. Er war er - regt, ſein Gang nicht ganz ſicher, mechaniſch ſprach er immer wieder allerlei Phraſen in ſich hinein, mit denen er Hedwig auf den Leib rücken wollte. Als er bemerkte, daß die Dame durch verſchiedene, an ſich kaum auffällige, aber doch unwillkürlich für91 Adam deutlich wahrnehmbare Zeichen der Unruhe auf ſeine Gegenwart reagirte, wurde er ruhiger, ärgerte er ſich über die kindiſche Unſicherheit, er - innerte er ſich der Stunden, wo er ſich in ſeiner Gleichgültigkeit ſo ſtark, ſo ruhig und unverwirrbar gefühlt hatte .. und freute ſich über den Strom von pſychiſcher Elektricität, der zu dieſer Friſt von ihm zu Hedwig .. und von ihr zu ihm zurück fluthete.

Nun bog Fräulein Irmer in eine Nebenſtraße ein, die viel Vornehmes, Stilles, Reſervirtes, Selbſt - genügſames beſaß. In den kleinen Gärten vor den Häuſern, die zumeiſt Villenanſtrich hatten, ſah es peinlich ſauber, regelmäßig, ſehr leer aus. Man hatte das Gefühl, als müßten es die Bewohner dieſer Straße unter ihrer Würde halten, der Außen - welt die geringſte Aufmerkſamkeit zu ſchenken. Man war einander fremd und nahm mit ſich allein für - lieb. Es mochte in Wirklichkeit kaum ſo ſein. Aber dieſe menſchenloſen Fenſter mit den eleganten, kalten Vorhängen; dieſe großen, ſchweren, maſſiven, mit ſtolzer Selbſtverſtändlichkeit geſchloſſenen Thüren; dieſe aufdringlichen und doch zugleich unſäglich dis - creten Namenſchilder; die natürliche Lebloſigkeit der Vor - und Zwiſchengärten: das Alles gab der Si - tuation den Ausdruck innerer Leere und Theilnahms - loſigkeit.

Adam war an die linke Seite Hedwigs ge - treten. Fräulein Irmer vollzog unwillkürlich einen kleinen Schritt nach rechts und ſah ihren Verfolger finſter, zurückweiſend an. Die über der Naſenwurzel92 zuſammengewachſenen Brauen waren dicht an die Augenlider herangezogen.

Verzeihung, mein gnädiges Fräulein, daß ich ſo kühn bin, mich zum zweiten Male auf offener Straße Ihnen zu nähern. Nehmen Sie, bitte, heute meine Begleitung an. Ich möchte Sie ich fühle das Bedürfniß Sie erinnern ſich der kleinen ... der kleinen Scene, die ſich neulich Abend zwiſchen uns abſpielte vergeben Sie mir meine eigentlich unverzeihliche Dreiſtigkeit ja? ..

Die erſten Worte dieſer Anſprache an das Opfer ſeiner neulich bei Herrn Traugott Quöck impro - viſirten Liebeserklärung waren Adam ſehr glatt und ſicher abgefloſſen. Dann hatte ſich die Stimme doch ein Wenig eingeklemmt, war ein Wenig leiſer, ſtockender geworden, war gleichſam geſtolpert und hatte erſt am Schluß wieder müheloſe Beweglichkeit und die intime Färbung der Aufrichtigkeit ge - wonnen.

Hedwig ſchwieg. Die beiden gingen eine kleine Weile ſchweigend neben einander. Oefter ſah Adam Hedwig von der Seite an, fragend, bittend, doch zugleich auch merkwürdig amüſirt und dadurch ganz tüchtig ironiſch geſtimmt.

Fräulein Hedwig haben Sie kein Wort für mich ?

Mein Herr !

Hedwig !

Das klang beſtimmt, dringend, entrüſtet, aber auch flehend, ein ehrliches Betrübtſein verrathend.

93

Ich verſtehe Sie nicht

Adam fuhr auf. Er ſtampfte mit dem rechten Fuße indignirt auf den Boden und gab ſich ſehr ungeſammelt. Mit nervöſer Haſt knöpfte er an ſeinen Handſchuhen herum.

Sie wollen mich nicht verſtehen, mein Fräulein! Heiliger Nepomuk! Giebt es denn heute auf Gottes Erd - boden keinen Menſchen mehr, dem man zwanglos, dem man unmittelbar begegnen darf dem man ſo gegen - übertreten kann, wie es Einem gerade ums Herz iſt wie man gerade Stimmung hat? Iſt denn heute das kleinſte Bißchen Unmittelbarkeit verpönt? Soll man Nichts gar Nichts improviſiren dürfen? Soll man immer wieder erſt die chineſiſche Mauer der dummen, urdummen conventionellen Redensarten zwiſchen ſich und ſeinen Nächſten ſchieben ſoll man auf Niemanden mehr ſtracks losgehen? Fräu - lein Hedwig

Mein Name iſt Irmer

Adam lachte aufgeräumt. Bon! Irmer! Sehr liebenswürdig, mein gnädiges .. Fräulein .. Irmer ...

Mein Herr!

Laſſen Sie doch endlich einmal einen anderen Ton zwiſchen uns aufkommen! bat Adam, einen neckiſch-vorwurfsvollen Accent in der Stimme. Auf - richtig, ich ertrage das nicht länger! Sie kennen mich noch nicht. Sie wiſſen noch nicht, daß ich ein ſonderbares Gemiſch von .. von Naivetät und .. und Raffinement bin. Vielleicht coquettire ich auch94 ſchon zu ſehr mit dem Bewußtſein, daß ich coquettire vielleicht bin ich in natura .. meerſchendeehls pardon! alſo ſehr oft viel ehrlicher und wahrer, als ich mir einbilde. Ich intereſſire mich nun ein - mal für Sie. Sehr ſogar! Sehr! Vielleicht bin ich auch ſchon ehrlich verliebt in Sie weiß der Teufel! liebe Sie womöglich ſchon hagebüchen leidenſchaftlich aber, Hedwig ein Geſtändniß verzeihen Sie! aber ich kann nicht anders ich muß es Ihnen doch zum Beſten geben alſo: ich bin ſo grenzenlos egoiſtiſch, daß ich vollſtändig zufrieden bin, wenn ich durch ein tieferes Intereſſe, durch eine heftigere Neigung für ein weibliches Weſen, vielleicht ſogar durch eine ſtürmiſche Leidenſchaft, an mir ſelbſt eine Steigerung meines Ichs erfahre auf Erwiderung meiner Gefühle rechne ich eigentlich gar nicht ich bedarf ihrer gar nicht ich will nur Gelegenheit und Möglichkeit haben, mich auch nach dieſer Richtung hin auszuſtrömen, ſo wie ich mich auch in jeder anderen Beziehung, als fanatiſch auf Unabhängigkeit und Selbſtändigkeit Ver - ſeſſener, vollkommen zwanglos, ungehemmt, rückſichts - los ausleben will .. Verſtehen Sie mich, Fräulein Hedwig ?

Ich denke! Aber was ſoll das mir ? Warum ſagen Sie das mir ? Darin verſtehe ich Sie allerdings nicht

Warum ich Ihnen das ſage, Hedwig? Nun, ich denke: das iſt doch einfach genug. Ich geſtand Ihnen ſchon: Sie intereſſiren mich. Aber Sie ſprechen95 nicht allein zu meinem Blute .. nicht allein offen heraus: zu meiner .. meiner Sinnlichkeit. Ich bin, wie geſagt, ganz offen, Fräulein Irmer. Ich weiß abſolut nicht, warum man das nicht ſein dürfte. Wenn zwei Menſchen, die ſich bis dato fremd waren, zuſammentreffen, ſo ſollten ſie immer ſogleich Weſens - fragen ſtellen. Und um ſo eher, wenn ſie merken, daß ſie nicht ganz alltägliche Waare ſind. Ich liebe die Ueberraſchungen über Alles. Und da ich Sie leider nicht damit überraſchen kann, daß ich Ihnen irgend ein außergewöhnliches Geſchenk machte, Ihnen z. B. einen ausgeſtopften Hummer verehrte, oder etwas Aehnliches, ſo laſſen Sie mich Sie doch damit überraſchen, daß ich Ihnen allerlei curioſe Geſtänd - niſſe mache, welche das Fundament meiner Perſön - lichkeit angehen ... daß ich Ihnen allerlei Intimes aus meinem Seelenleben erzähle. .. Ich muß aller - dings bemerken, daß ich jenem Motive der Weſens - fragen gegenüber zumeiſt leider auch nur Theore - tiker bin in Wirklichkeit bin ich ſchon viel zu gleichgültig und zu verſchloſſen und zu ſelbſtgenügſam, um ſotane Weſensfragen noch zu ſtellen ... Manchmal fahre ich wohl den Erſten Beſten unverhofft damit an und verblüffe ihn. Mein Gott! Warum ſoll man zuweilen ſeinem Nächſten nicht ein Fläſchchen Salmiakgeiſt unter die Naſe halten? Aber Ihnen gegenüber, Fräulein Hedwig hatte und habe ich jetzt noch das Gefühl, daß ich Ihnen mit Fug und Recht ſogleich in der erſten Zeit unſerer Sie geſtatten mir den Ausdruck! alſo unſerer Bekanntſchaft Dies96 und Das erzählen darf, was Weſenhaftes meiner Natur ausmacht. Ich ſagte Ihnen ſchon: ich bin ein monſtröſer Egoiſt. Aber ich glaube beinahe, daß ich doch ſo intenſiv für Sie aufflammen könnte vielleicht ſchon aufgeflammt bin daß ich mich ſelber vergäße und mir in Folge deſſen mit Grazie und Würde einbildete, daß ich mich ganz von Ihnen hätte auffreſſ pardon! das fährt Einem immer ſo 'raus! Na ja! Und ſo weiter Sie wiſſen ſchon. ... Dabei hm! alſo dabei würde es mir, vermuthe ich wenigſtens, ſchließe ich wenigſtens aus erlebten, praktiſch erfahr'nen Analogie'n, immer noch ſehr gleichgültig ſein, ob Sie mein Feuer, meine Leidenſchaft erwiderten, oder nicht. Ich glaube in Ihnen einen in manchen Punkten weſensverwandten Menſchen gefunden zu haben. Laſſen Sie uns ein Stück unſeres Weges zuſammengehen! Behalten wir uns wenigſtens im Auge! Laſſen Sie uns natürlich mit einander verkehren ſprechen und denken und fühlen wir nach Kräften unmittel - bar! Mein Gott! Ich weiß gar nicht, was uns daran hindern ſollte, wenn wir erkannt haben, daß dieſe köſtliche Zwangloſigkeit und Natürlichkeit allein unſerer würdig iſt, weil ſie uns congenial .. weil ſie uns in jeder Beziehung entſpricht ...

Hedwig ſchwieg zu dieſer prachtvollen Aus - einanderſetzung. Sie verſtand ſie, wenigſtens im Großen und Ganzen, und mußte Manchem darin zu - ſtimmen. Sie conſtatirte auch mit einer gewiſſen inneren Befriedigung eine ſtarke Geiſtesverwandtſchaft97 zwiſchen dieſem kühnen Herrn Doctor und ſich. Und doch ſträubte ſie ſich, laut zu äußern, wie ſympathiſch ſie ſich ganz unten auf dem Boden ihres Ichs berührt fühlte. Vielleicht war ſie durch die Einſamkeit, in der ſie mit ihrem Vater jahrelang gelebt, innerlich auch ſchon zu verſteift und verhärtet, um für Dialektik noch die gehörige Geſchmeidigkeit des Geiſtes zu beſitzen.

So fügte Adam nach einer Weile, während welcher ſie ſchweigend neben einander hergeſchritten waren, hin - zu: Darauf kommt es ja auch gar nicht an, was man iſt, ſondern darauf: wie man das iſt, was man iſt. ..

Wollten Sie nicht einmal meinen Vater beſuchen, Herr Doctor?

Die Frage klang liebenswürdig, einladend. Un - willkürlich münzte ſie Adam zur zuſtimmenden, Ver - ſtändniß und verwandte Anſchauung verrathenden Antwort auf ſeine Auseinanderſetzung um. Er freute ſich darüber, aber, merkwürdig und erklärlich zugleich, veranlaßte ihn dieſe Frage zu einer geſpreizt - höflichen Erwiderung: Gewiß, mein gnädiges Fräulein! Ich werde mir mit Ihrer Erlaubniß dem - nächſt die Ehre geben

Hedwig ſah ihren Begleiter wegwerfend von der Seite an.

Adam fing den Blick auf und erklärte ihn ſich. Er lächelte.

Hedwig!

Herr[Doctor] ?

Conradi, Adam Menſch. 798

Geben Sie mir den Arm ja ?

Ich danke! Ich gehe ſo freier

Gefühl ... Verſtändniß für Freiheit das Bedürfniß derſelben ſind gewiß große, ſchöne, be - deutende Dinge .. Aber man darf eine Paſſion nicht in äußerliche, kleinliche Pedanterie'n und Will - kürlichkeiten zerſplittern

Ich bin übrigens ſogleich zu Hauſe

Hedwig! Wollen wir uns denn immer ſo fremd bleiben? Ich habe Geduld, unter Um - ſtänden viel Geduld aber ich bemerkte Ihnen ſchon : ich muß zeitweilig ſehr despotiſch ſein

Ich bitte, Herr Doctor

Sind Sie mir noch böſe von neulich? Ich handle immer nur aus dem Rahmen meiner Stimmung heraus

Darüber brauche ich wohl nicht zu reden. Aber hier ſind wir ... Adieu!

Sie malträtiren mich geradezu, mein Fräulein! Aber wie Sie .. wie Sie wollen .. Alſo adieu! Empfehlen Sie mich, bitte, Ihrem Herrn Vater! Ich habe die Ehre .. Adam lüftete den Hut und verneigte ſich ſehr ceremoniell. Dann blieb er noch einen Augenblick vor der geöffneten Thür ſtehen. Auch Hedwig war ſtehen geblieben. Beide ſahen ſich feſt in die Augen. Um Adams Lippen kräuſelte es ſich wie ein verhaltenes Lächeln der Befriedigung.

Als Hedwig Irmer die Treppen zu ihrer Wohnung hinaufſchritt, war es ihr plötzlich zu Sinn, als ver - ſtünde ſie dieſen Adam Menſch beſſer, als er ſich99 ſel[b]ſt verſtünde. Und doch war ihre Welt eine ſo ga[n]z andere, denn ſeine Welt.

Adam ging langſam nach Hauſe. Es war zw[i]ſchen fünf und ſechs Uhr. Die eben aufkeimende Ab[e]nddämmerung des jungen Frühlingstages ließ ihre erſ[t]en, leiſen, ſo wundervoll discreten, ſo entzückend ver[ſ]chämten Schatten ſpielen.

7*[100]

VII.

Adam Menſch waren einige Tage in ziemlich blödem Einerlei hingegangen. Er hatte die phyſio - logiſchen Nachwirkungen jener durchgenoſſenen Wein - und Spielnacht über ſich ergehen laſſen müſſen. Eine unleidliche Gemüthsdepreſſion war jetzt über ihn gekommen. Eine peinliche Schwere hatte ſich ſeiner bemächtigt, die wie ein unaufrührbarer Boden - ſatz auf dem Grunde ſeiner Seele lag. Eine Fülle von Gedanken und Gefühlen ſtieg in ihm empor, aber jede Einheitlichkeit fehlte und jede Neigung, die Anläufe und Fragmente zu packen, zu vertiefen, zu erſchöpfen, zu vollenden. Unheimlich ſcharf ſchaute er zeitweilig in Welt und Leben hinein, und die Nachtſeiten des Daſeins erſchloſſen ſich ihm in zer - malmender Klarheit. Er fühlte, wie ungeheuer weit er davon entfernt war, ein Kind der Stunde ſein zu können, ein von der mechaniſch-regelmäßigen Erfüllung einfacher Pflichten befriedigter Menſch. Er ſehnte ſich nach einer neuen Umgebung, nach neuen Verhältniſſen, die ihn ganz herausforderten, die im Stande wären, ihn ganz hinzureißen. Er ſehnte ſich nach einem großen Schickſal, nach vollen,101 ſtarken, runden Gefühlen, nach einer gewaltigen Freude, einem erſchütternden, entſcheidenden Schmerze. Alles in ihm war weit und verworren, Nichts eng, klar umriſſen. Und doch bebte er inſtinctiv vor einem großen Erlebniß zurück. Er wußte nicht, in welcher Geſtalt er es ſich vorſtellen, erwarten ſollte. Aber er wußte auch zugleich, daß er bei dieſer nervöſen Ueberreizung, bei dieſer pathologiſchen Ab - hängigkeit von ſeinem Organismus einem bedeuten - den Schickſale kaum gewachſen ſein würde. Rathlos ſtand er vor ſich, hülflos taſtete er an ſich herum, und ſchneidend äußerte ſich ihm die marternde Hoff - nungsloſigkeit ſeiner Generation. Seiner Genera - tion ? Adam ſagte ſich ſehr klar, daß es unter ſeinen Altersgenoſſen verhältnißmäßig nur Wenige gab, die ſeiner Art verwandt waren. Aber dieſe Wenigen bedeuteten die urſprünglich geiſtig Bevor - zugten. Ihre Kräfte fanden nur keine Sphäre, in der ſie ſich zwanglos bethätigen konnten. Das Sichabfinden, Sichanpaſſen, Sichhineinpreſſen oder Sichhinaufſchrauben ekelte ihn an, weil es ihn un - natürlich dünkte. Ja! Er fühlte unheimlich deut - lich, daß er krank, unglücklich war ... wie ſo Mancher, mit dem ihn das Leben in ſeinen Stu - dienjahren zuſammengeführt hatte. Verſchiedene Mitglieder des Kreiſes, in welchem er damals eine Zeit lang verkehrte, hatten ſich abgewandt, wie er nachher gehört, waren ein Stück zurückgegangen, waren zu Kreuze gekrochen, arbeiteten in enger Umgrenzung, mit müden Herzen. Die Schlechteſten102 waren ſie gewiß nicht, aber den Zwang, ihren Naturen bis ins Kleinſte hinein treu ſein zu müſſen, hatten ſie in einem geringerem Grade beſitzen dürfen. Immerhin noch ſo viel Drang, ſo viel Bethäti - gungsbegehren lebte in ihnen, daß ſie ſich wenigſtens einigermaßen mit dem begnügen konnten, was ihnen zu eigen geworden, wenn es ihnen nur geſtattet war, ein klein Wenig ihrem Geiſte und Weſen ge - mäß zu bilden und zu formen. In ſtillen Stun - den der Sammlung .. in Augenblicken, wo Stim - mung und Neigung vorhanden waren: zurückzu - ſchauen, der geweſenen großen geiſtigen Tapferkeit, der ſtolzen Kampfgewärtigkeit und bewußten Wehrhaftigkeit zu gedenken, befiel wohl auch ſie das Bewußtſein, wie vergeblich, wie formlos ihr jetziges Thun, wie ſchmachvoll ihre Capitulation ſei ... Nun! Sie nutzten ihre Kraft ab ... und das war genug. Die Maſſe regiert, ſagte ſich Adam, und die große Schlacht wird geſchlagen werden. Wir ſind auf neuen Wegen zu neuen Zielen. Und doch! Wird Etwas bleiben, wenn das ... alſo das Volk losbricht? Die herrſchende Generation der Zukunft entwächſt dem vierten Stande. Das werden Alles ſehr bornirte Leute ſein, aber ſie werden dafür oder darum ſehr geſund, ſie werden ſehr nüchtern ſein. Ueberreizung, unnatürliche Ueberheizung werden ihnen im Ganzen fremd ſein. Blut von unſerem Blut ? Geiſt von unſerem Geiſt ? Dieſes Blut iſt faul und ſchwer und dick, und dieſer Geiſt iſt morſch und krank und brüchig. Verzichten wir! Leben wir103 uns aus! Auch ſo wirken wir, wenn es denn ein - mal gewirkt ſein muß wirken nach natürlichen Geſetzen .. und wenn wir bloß unſere Kleider ab - tragen und unſere Sohlen ablaufen ... Der Schlag bedingt den Gegenſchlag. Aber das ſoll uns kein Troſt ſein, ſoll unſer etwa mahnendes Gewiſſen nicht beruhigen. Vielleicht müſſen wir uns für das große Zukunftsereigniß aufſparen, unter dem die Erde in Krämpfen erbeben, in fanatiſchen Zuckungen ſich ſchütteln wird. Wir ſind ſo gut wie ausge - höhlt. Durch Leidenſchaften gebrochen, denen wir uns ergeben haben, weil wir nicht wußten, wie wir beſſer unſere Zeit todtſchlagen ſollten. Wir waren rathlos geworden, weil wir erkannt, daß unſere Ideale Illuſionen geweſen. Eine jede Bruſt hatte den Kampf gegen die Convenienz, gegen die Tra - dition gekämpft ... wir hatten nicht geſiegt, aber haben auch nicht verloren. Nun unterliegen wir, weil wir uns haben zu alt werden laſſen, um den phyſiologiſchen Einflüſſen des Alten noch entrinnen zu können. Wir prunken wohl auch ein Wenig mit unſeren Schmerzen und noch mehr mit unſerer Kraft: brechen, ſtürzen zu können, energiſch ſein zu können. Auch jetzt ſpielen wir noch Komödie. Aber wir wiſſen doch jetzt zugleich ſehr gut, daß wir darauf verzichten mußten, unſere beſten Kräfte in - takt erhalten zu können, unſere intenſivſten Aus - ſtrahlungen wirken zu laſſen. Wir trugen den Himmel, das ganze All in der Bruſt, aber wir be - dürfen einer Generation, der ſich die Sterne ver -104 hüllen, damit ſie auf Erden nicht ſtolpere. Wir werden von der abkühlenden Zeit früher oder ſpäter gezwungen, unſeren Frieden mit der Welt zu ſchließen. Aber wir ſind doch unterlegen. Wir haben wirken müſſen, und Pflichten haben wir erfüllt, obwohl es einmal eine Zeit gegeben hat, wo wir keine Pflicht anerkennen zu dürfen geglaubt. Wir haben ſchein - bar gehandelt und doch immer nur gelitten. Wir waren Genies im Denken, Fühlen, Entwerfen, Träumen, Dulden. Nun werden die Talente der That kommen, weil ſie kommen müſſen. Eigentlich bedauern wir ſie. Denn wir verſtehen ſie auch, ſie, die für uns kein Verſtändniß mehr beſitzen werden. Vielleicht beneiden wir ſie doch ein Wenig. Denn ſie athmen in einer reineren Luft, und ein geſün - deres Blut rollt durch ihren Leib.

Dieſe Gedanken und Betrachtungen, dieſe mehr oder weniger gültigen und richtigen Bruchſtücksreſul - tate waren zu dieſer Friſt auf - und niedergeſtiegen in Adam. Ungeläufig konnten ſie ihm allerdings kaum ſein. Er hatte ſie zumeiſt ſchon in ſeiner kleinen Schrtft Das Proletariat des Geiſtes, an der er ab und zu einige Seiten ſchrieb, ausge - ſprochen.

Merkwürdig, wie wenig er ſich eigentlich mit Lydia und Hedwig beſchäftigte. Er warf ſich dieſe Gleichgültigkeit, dieſe Kälte ſelbſt vor. Aber es ge - lang ihm doch nicht, über ſie hinauszukommen. Oefter fiel ihm wohl dieſes oder jenes Moment ein, das ſich neulich bei dem Souper zwiſchen Lydia und105 ihm abgeſpielt, das ſich bei ſeinem letzten Zuſammen - treffen mit Hedwig ereignet aber er mußte im Grunde mehr ſouverän darüber lächeln, als daß ihm dieſe Erinnerung ein gewiſſes Behagen berei - tete. Unmittelbar mit den Weibern in Berührung gebracht; durch eine zugeſpitzte, überdies vielleicht noch etwas außergewöhnliche Situation angeregt, konnte er leicht aufflammen, leicht aus ſich heraus - gehen, ſeine Natur in ihrer eigenwilligen Art ſich äußern laſſen. Aber für ſich haften, für ſich ga - rantiren konnte er nicht. Sobald er aus dem Zwange der beſonderen Stunde wieder herausgetre - treten, und ſobald die nächſten Nachwirkungen vor - über, kehrte er unwillkürlich wieder ſehr intim zu ſich zurück, lebte er ſich ſehr nachdrücklich wieder in ſeine eigene Welt hinein. Er dachte und ſprach ja ſchon in einem Jargon, der ganz ſchließlich nur ihm ſelber verſtändlich war, er gebrauchte Ausdrücke, Bilder, Gedankenverbindungen, operirte mit An - ſchauungen, die an innerer Bedeutung und ſelbſtändigem Curswerth entſchieden verlieren mußten, wenn ſie zu der glatten, abgetragenen, abgeſchabten Sprache der Außenwelt in Beziehung gebracht würden.

Eines Abends hatte ſich Adam von einer ſtilleren, flüſſigeren Stimmung in Beſchlag nehmen laſſen. Stunden eines klaren, kräftigen Denkens waren vor - hergegangen. Eine gewiſſe, nicht gerade ganz tri - viale Zukunftshoffnung war in ſeiner Seele empor - gewachſen. Und wenn es wahr iſt, hatte ſich Adam ſchließlich geſagt, daß es ein Weſensmoment des106 Modernen iſt, ſich zuerſt in gewaltigen, äußeren Fortſchritten, in Errungenſchaften mehr techniſcher Natur, darzuſtellen, ſo wird zweifellos dieſer Zeit wieder einmal eine Zeit der Verinnerlichung folgen. Das Pathologiſche und Pſychopathiſche unſerer Tage wird ſich in der Zukunft zum normal Pſychiſchen umwachſen. Man wird eine große Fülle von Vor - urtheilen und veralteten Anſchauungen zuſammen - ſchlagen, wenn die Erkenntniſſe der Pſychophyſik erſt Gemeingut größerer Maſſen geworden ſind. Die Myſtik iſt eines Tages vielleicht eine ganz gerecht - fertigte Wiſſenſchaft. Denken und Thun, Urtheil und Handlung werden im Geiſte einer humaneren Auf - faſſung der Dinge, einer toleranteren Anſchauung der Welt und ihrer Verhältniſſe ausgeübt werden. Nüch - terner vielleicht wird dieſe Menſchheit der Zukunft ſein, aber wohl auch maßvoller, aber wohl auch ge - rechter . Der blutige Kampf ums Daſein , dieſes Ringen um Leben und Tod unſerer Tage, wird ge - mildert und geſänftigt werden. Erkennen, Ergrün - den pſychiſcher Geſetze: das iſt die Hauptaufgabe der modernen Forſchung. Das Neue iſt dabei, ſich ſeine Formen zu ſchaffen, ſich ſein Neſt zu bauen. - thende, ſataniſche Stürme werden an dieſem Neſte noch herumzauſen. Aber alle Stürme wird es über - dauern. Und einmal wird die Zeit gekommen ſein, wo ſich das Neue heimiſch fühlt in ſeiner Umgebung. Nicht mehr nach Wahrheit, nur noch nach Wahr - heiten wird die Menſchheit ihre Columbusfahrten unternehmen.

107

Adam kannte ſich viel zu gut, als daß er nicht hätte wiſſen ſollen, daß dieſe Stimmung ſehr bald wieder abgefloſſen ſein würde. Er ſpintiſirte da vom Allgemeinen aus ins Allgemeine hinein und dachte kaum daran, ſich der Theilnahme an jener wiſſenſchaftlichen Pionirarbeit noch fähig zu erachten. Aber es war ſeine Art, derartige leichtere, lebhaf - tere Stimmungen zu irgend einer kleinen, ſpontanen That zu benutzen. Und ſo kam ihm jetzt der Ge - danke, durch einen gleichſam improviſirten, kühn hin - geworfenen Brief einmal unmittelbar an Lydia her - anzutreten. Wollte er damit das Gedeihen ſeiner ... Zukunftsernte fördern? War es ihm Bedürfniß, irgendwelche Hoffnungen und Erwartungen auf ſeine Beziehungen zu Lydia zu ſetzen? Wollte er bewußt dieſe Beziehungen pflegen, um eines Tages Vortheile, die ſie brächten .. etwa brächten, ein - heimſen zu können? Dieſe pſychologiſche Selbſt - inquiſition beläſtigte ihn ſchon wieder ein Wenig und fädelte ſeinen verknoteten Drang auseinander. Und doch fand er ſich plötzlich vor ſeinem Schreib - tiſche ſitzen und ſich einen mit discretem Moſchus - parfum getränkten Briefbogen zurechtlegen. Und Adam faſelte in ſeiner, in kühn-coupirtem Stil ſich ausgerenkt vergliedernden Epiſtel ſo viel zerfahrenes Zeug zuſammen, daß es ihn nachher, als er es noch einmal überflog, viel zu geſchmacklos dünkte, als daß noch ein Witz dabei herauskäme, wenn es nicht an ſeine Adreſſe abgeſchickt würde.

[108]

VIII.

Adam wartete zwei Tage. Von Lydia kam keine Antwort. Hatte ihr die ſpontane Auslaſſung miß - fallen? Jedenfalls doch! Aber was that das? Das war im Grunde ſo nebenſächlich, ſo belanglos. Ein Wenig allerdings war Adams Eitelkeit verletzt. Und der Herr Doctor bedauerte wirklich aufrichtig, ſeinen bunten Augenblickskram abgeſchickt zu haben. Zudem war er heute wieder in einer ganz anderen Stimmung. Seine normale Apathie hatte von Neuem Gewalt über ihn genommen. Die Welt rempelte ihn zu wenig an. Er mußte Waffen klirren hören. Dann konnte er noch aufflammen.

Mittags beim Speiſen fiel Adam ein, heute bei Doctor Irmer den beabſichtigten Beſuch zu machen. Mit Hedwig zuſammenzutreffen es hatte immer - hin Etwas für ſich. Und doch reizte es ihn auch eigentlich nicht. So beſchloß er denn zu der Stunde, wo Hedwig in Café Caeſar die Zeitung abzuholen pflegte, alſo von Hauſe abweſend war, ihren Vater heimzuſuchen.

Iſt Herr Doctor Irmer zu ſprechen ?

109

Ich weiß nicht .. der Herr Doctor wen darf ich melden?

Adam ſuchte ſeine Karte hervor und hielt ſie dem Mädchen hin. Dabei warf er einen kurzen, ſcharfen Blick auf das Dirndl. Das wurde ein Biſſel verlegen und erröthete. Das Ding war nicht übel. Eine kleine, unterſetzte, volle Geſtalt. Aller - dings etwas lotterig und unſauber, von Spuren grober häuslicher Arbeit überſäet. Das Mägdlein wiſchte ſich die rothen, unfeinen, unappetitlichen Hände an der dreckigen Schürze ab, ehe ſie Adam die elegante, elfenbeingelbe Viſitenkarte zaghaft - täppiſch abnahm.

Der Herr Doctor läßt bitten ..

Das Mädchen ging auf dem ſchmalen, ſchatten - durchdunkelten Corridor vor Adam her. Der konnte ſich nicht enthalten, einen Augenblick die Finger ſeiner glacégantirten Rechten um den vollen, linken Oberarm der kleinen ancilla amandissima zu ſpannen.

Ein leiſes, Entrüſtung, Ueberraſchung und heim - liches, verhaltenes Vergnügen zugleich verrathendes Na! ließ ſich hören. Der Arm entſchlüpfte.

Adam ging auf Herrn Doctor Irmer zu, der im Seſſel vor ſeinem Schreibtiſche ſaß und den Kopf halb zu dem Eintretenden hingewandt hielt.

Verzeihen Sie, Herr Doctor, daß ich mir die Freiheit nehme, Sie aufzuſuchen. Aber nun offen geſagt: Sie intereſſiren mich. Ich hatte neu - lich die Ehre, Ihr Fräulein Tochter gelegentlich eines Soupers bei Herrn Quöck kennen zu lernen. Und110 da erfuhr ich (Adam improviſirte eben wieder einmal) daß wir ſo etwas wie .. wie ver - zeihen Sie! das Wort iſt eigentlich häßlich, aber man hat es nun einmal ſo an der Hand da erfuhr ich alſo, daß wir Collegen wären. Sie haben auch ſchon verſchiedene philoſophiſche Schriften veröffent - licht ich allerdings .. noch nicht aber die Philoſophie iſt doch das Einzige geblieben, was mir noch ein gewiſſes Intereſſe einflößt. Im Uebrigen .. mein Gott! Man wird alt und müde, nicht wahr? blaſirt .. nicht wahr? gâté ... râté ..

So .. ſo! .. Aber bitte .. nehmen Sie doch Platz, Herr Doctor .. Ich habe leider keine Ge - walt mehr über mich .. kann mich nur wenig be - wegen .. Sie müſſen mir ſchon erlauben, hier ſitzen zu bleiben ...

Die Worte waren leiſe, mühſam, faſt ohne jede Tonfärbung geſprochen. Auf dem bleichen Geſicht Herrn Irmers lag ein Ausdruck, der halb Hülfloſig - keit, halb Verlegenheit verrieth. Irmer war nicht gewöhnt, Beſuche zu empfangen. Zudem befremdete ihn wohl auch die etwas burſchikoſe Art, die abge - brochene Geſtändnißhaftigkeit Adams.

Adam ſchob ſeinen großen Schlapphut nachläſſig ungenirt in ein Fach des Bücherrücks und warf ſich in die Sophaecke.

Eine Pauſe entſtand. Doctor Irmer blickte fragend, erwartend, verlegen zu ſeinem Gaſte hinüber.

Sie ſchriftſtellern alſo auch? fragte er endlich.

111

Schriftſtellern? Mein Gott! Nun ja, wenn man's ſo nennen will .. Aber weit iſt's damit Gott ſei Dank! nicht her ich bin durchaus kein ſoge - nannter Schriftſteller von Beruf um Himmels - willen nein! ... nein! .. Ich habe Dies und Das gemacht einige Artikel philoſophiſch-kritiſchen, nationalökonomiſchen, literarhiſtoriſchen Charakters für Zeitungen zuſammengeſtoppelt ein paar längere Aufſätze über pſychophyſiſche Materien für wiſſenſchaftliche Fachblätter geliefert na! das iſt aber auch Alles .. Allerdings ... nicht zu ver - geſſen die ulkigen Brochüren, die mich momentan beſchäftigen. ...

Das war leichthin, nachläſſig geſprochen, ohne weitere innere Theilnahme, mit dem Accente halb ehrlicher, halb affectirter Selbſtironie.

Herr Doctor Irmer nickte mit dem Kopfe. Wiederum trat eine Pauſe ein. Was wollten die beiden Menſchen nur von einander?

Adam muſterte ſeine Umgebung. Zur Noth konnte man dieſe Einrichtung ja behaglich nennen! Und doch athmete das Zimmer einen Geruch der Aermlichkeit aus, der kaum verſchleierten, kaum zu verkennenden Nüchternheit, der Adam etwas be - klemmte. Er liebte den mit feinem, äſthetiſch durchgebildetem Geſchmacke angewandten Luxus. Er bewohnte ſelbſt zwei ſehr comfortabel ausgeſtattete Zimmer, die ihn eigentlich mehr koſteten, als er nach ſeinen Verhältniſſen an Miethszins dafür hätte ausgeben dürfen. Aber es war ihm Bedürfniß, in112 einer vornehmen, eleganten, weichen, mit künſtleriſchem Verſtändniß arrangirten Umgebung, die ſoviel als möglich alle trivialen, hyperboreiſchen Reibungen überflüſſig machte, zu leben. In dieſer Hinſicht be - ſaß Adam alſo auch ſehr epicureiſche Gelüſte.

Was enthalten denn die Brochüren, die Sie jetzt geſchrieben haben, Herr Doctor? fragte Irmer endlich.

Ach Gott! das ſind mehr feuilletoniſtiſche Stil - übungen. Ich lege weiter keinen Werth auf ſie. Moderne, zeitgemäße Themata übrigens. Hoffentlich bringen ſie mir ein paar Dreier ein. In dem einen Hefte habe ich allerlei Pikanterie'n über das ſpecifiſche Weſen des deutſchen Gymnaſiallehrers aus - gekramt ich hatte nämlich ſelbſt einmal die Ehre, einem Präceptorencollegium anzugehören, Herr Doctor na! und da lernt man ja dieſe famoſe, menſchliche pêle-mêle-Speiſe kennen in dem ander'n Hefte, das aber noch nicht ganz fertig iſt, plaudere ich über oder ſagen wir meinetwegen: liefere ich eine pſychologiſche Analyſe des geiſtigen Pro - letariats von heute modern, wie geſagt, zeit - gemäß ſind die Motive jedenfalls ..

Ja! .. Ja! ..[ ]verſicherte Doctor Irmer zu - ſtimmend. Er ſah vor ſich hin. Sein Geſicht nahm ſich ſehr nachdenklich aus. Zugleich etwas ſchmerzhaft verzogen. Adam konnte ſich des Gefühls nicht er - wehren, daß ſein Gegenüber bedauerte, auf den Ge - danken, derartige brennende Fragen zu behandeln, nicht ſelbſt gekommen zu ſein.

113

Und wie denken Sie ſich Ihre Zukunft, Herr Doctor ? fragte Irmer drauflostolpatſchend.

Ich intereſſire mich aufrichtig für die Dame, ge - ſtand Adam lachend. Sie kennen die orientaliſche Methode, Herr Doctor, zwei Weſen zu copuliren, die ſich nie geſehen haben: ſo kommt es mir immer vor, wenn ich an mich und meine Zukunft denke .. Schließ - lich ergeht es ja jedem Individuum alſo .. aber Un - ſereiner hm! nun! ich wiederhole: ich intereſſire mich ſehr .. ſehr .. für meine ... Zukünftige ..

Ihr Fräulein Tochter iſt nicht zu Hauſe ? fragte Adam nach einer Weile. Er hatte vergeblich einer Erwiderung Irmers auf ſeinen ſpaßigen Ver - gleich geharrt.

Nein!. die macht ſich um dieſe Zeit immer etwas Bewegung. Das arme Mädchen kommt ja ſonſt nicht viel heraus. Hedwig iſt mein Ein und Alles, ohne ſie wäre ich vollſtändig hülflos, ſie lieſt mir vor ich dictire ihr ich habe ſie ganz in meine philoſophiſche Weltanſchauung eingeführt. Ich glaube, ſie hat überwunden und die große Lebensilluſion erkannt ...

Proſt! wäre es Adam beinahe über die Lippen gefahren. Im letzten Augenblicke hakte er das fatale Wörtchen noch zurück. Sie ſind Schopen - hauerianer, Herr Doctor? vermochte er nun zu fragen.

Nicht eigentlich .. Ich bin überhaupt kein Anhänger eines beſtimmten Syſtems eben aus Philoſophie .. Sie erinnern ſich des Schiller'ſchenConradi, Adam Menſch. 8114Diſtichons .. Ich denke und forſche. Nur die Er - kenntniß iſt real ...

Gewiß! Aber um erkennen zu können, bedarf man, abgeſehen von der pſychiſchen Grunddispoſition, einer gewiſſen inneren, durchgeſiebten Fülle, die[i - dentiſch] mit Stille und feiner, leiſe vibrirender, ſeeliſcher Geſpanntheit iſt ... Und der Beſitz dieſer Geſpanntheit hängt doch vielfach von den äußeren Verhältniſſen ab von Verhältniſſen, die man in der Erkenntniß als werthloſe Illuſionen verwerfen muß .. und die trotzdem die Bedingungen ſind, sine quibus intelligi non possit, nicht wahr? Das Reale iſt vom Abſtrakten abhängig, nicht das Abſtrakte vom Realen ...

Hm ... hm ... Irmer fuhr ſich mit den weißen, ſchmalen, knochigen Fingern ſeiner rechten Hand über die hohe, durchfurchte, krankhaft ausge - bleichte Stirn. Und ſchließlich wiſſen wir doch Nichts fügte er mit leiſer, müder, umflorter Stimme hinzu.

Haben Sie's fertig gebracht, ganz zu ver - zichten, Herr Doctor? fragte Adam, weniger, um das Geſpräch zu vertiefen, als um es weiterzu - ſpinnen. Es war ihm plötzlich eine bezwingende Sehn - ſucht nach Hedwig in die Seele getreten. Er hätte heute zu gern noch einmal ihr trotzig-gleichgültiges Geſicht vor ſich gehabt, zu gern noch einmal den Blick ihres ſchweren, dunklen Auges herausgefordert. Alſo durfte er die Unterhaltung um keinen Preis an der galoppirenden Schwindſucht crepiren laſſen.

115

Ganz zu verzichten das iſt wohl aus pſychologiſchen Gründen unmöglich ... Einige Nabel - ſchnüre dürfen wohl nicht reißen ...

Aber warum denn überhaupt verzichten, Herr Doctor? Ich finde zeitweilig das Leben dämoniſch ſchön .. dämoniſch berauſchend ... ich glaube faſt: ſogar auch in dieſem Augenblicke .. Ja! Gewiß! Es kann Einem jede Sekunde eine Dachziegel auf den Kopf fallen .. und man läuft immer Gefahr, irgend einen Fuß oder irgend ein Genick zu brechen .. Aber warum ſoll man der menſchlichen Natur immanenten Leichtſinn und nur er exportirt ja das Oel, welches die ſchaurig-groben Reibungen des Lebens verringert tragiſch nennen, wie ſo viele alte und junge Unglückstanten thun? Leben wir doch drauf los! Mag's doch kommen, wie's will! Eine geradezu fanatiſche Lebensſehnſucht krampft ſich manchmal in meinem Herzen zuſammen. Es giebt ja namenlos viel Unglück und Elend auf der Welt ... ja! ... ja!. ich weiß es recht gut .. Was die Armuth leidet, die nackte und die verſteckte, es iſt un - ſagbar .. Der Menſch liebt das Vergleichungsverfahren. Das iſt ſein Grundelend. Ich wohnte einmal bei einer Familie, wo die Frau Tag ein, Tag aus, vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend, weiter Nichts zu thun hatte, als Magd und Mutter zu ſpielen .. Unſereiner kann die Enge, die Monotonie, die Schmuckloſigkeit, das grenzenlos Mechaniſch-Mario - nettenhafte einer ſolchen Exiſtenz gar nicht faſſen. Und dabei dieſe Bedürfnißloſigkeit!. Es iſt un -8*116glaublich, wie beſchränkt der Anſchauungskreis iſt, in dem eine ſolche Kleinbürgerfamilie lebt! Immer dieſelben Pflichten, dieſelben Arbeiten, dieſelbe Be - urtheilung des Lebens, dieſelben Sorgen, dieſelben Gedanken, dieſelben Worte, dieſelben Eindrücke, die - ſelben Gedanken - und Vorſtellungsverbindungen! .. Und täglich die gleichen Lebensbedingungen! .. Ich machte mir öfter das, meinetwegen: das etwas wohlfeile Vergnügen, ganz meiner Natur gemäß, in meiner Art, in meinem Jargon mit der Frau zu verkehren: ſie verſtand mich einfach nicht. Die Kluft, welche individuelle Civiliſation, eigene Geiſtes - cultur hier geſchaffen, iſt unüberbrückbar. Und doch kann ich nicht umhin, ſelbſt von meinem Stand - punkte aus, der vielleicht ein Kirchthurmſtandpunkt iſt gegenüber dem halten Sie mir, bitte! den Vergleich zu Gute, alſo gegenüber dem Düngerhaufenſtand - punkte jener Kleinweltsleute vielleicht aber auch nicht! giebt es denn etwa einen ein - zigen, wirklich competenten Maßſtab? ſelbſt alſo bei dieſem Sehverhältniß muß ich etwas Heroiſches in dem ſtillen Aufſichnehmen, in dem beinahe kritikloſen Ertragen aller jener erbärmlichen Lebensumſtände ſehen. Eine ſolche Frau aus dem Volke bleibt mit ihren kleinen und ihr doch ſo wichtigen Sorgen um Wirthſchaft und Kinder faſt immer hinter den Couliſſen, kommt äußerſt ſelten auf die Bühne des Lebens. Sie ſorgt ſich und quält ſich den ganzen lieben Tag ab und opfert ſchließlich auch den größten Theil der Nacht ihren Kindern .. jammert wohl auch117 öfter 'mal und ſtöhnt auf und arbeitet, trägt, er - trägt morgen doch wieder ſo geduldig, wie ſie geſtern gearbeitet, getragen und ertragen hat .. Aber ich bin ganz von dem abgekommen, was ich eigentlich ſagen wollte. Jenes Vergleichungsverfahren, das ich vorhin das Grundunglück der Menſchheit nannte, begiebt ſich übrigens auch bei den Märthyrern der Beſchränktheit nicht ganz ſeines Einfluſſes .. Aber hier, wo Alles noch einigermaßen niet - und nagel - feſt, wenn auch ungeheuer eng und klein iſt; wo die Reifen nicht vom Faſſe ſpringen, höchſtens einmal aufknarren hier iſt zum Gebrauch der Comparation verhältnißmäßig wenig Zeit übrig .. und wo ſie unwillkürlich geübt wird und das geſchieht aller - dings ziemlich oft macht ſie bei der Lage der Dinge höchſtens eine böſe Stunde, kaum einen böſen Tag ... Die entfeſſelte Noth, die grollende, aus - ſichtsloſe Armuth bietet der Phantaſie einen viel fruchtbareren, viel günſtiger präparirten Mutterboden. Doch ich bin immer noch nicht bei dem angelangt, auf das anfangs hinauswollte. Alſo ... ja! .. warum durchaus warum partout, wie man im Deutſchen ſagt, verzichten , Herr Doctor? Ich möchte das Leben noch einmal entfeſſeln .. noch einmal inbrünſtig, leidenſchaftlich an die Bruſt reißen .. wie ein weiches, ſaftiges, halb durchgebratenes Stück Filetfleiſch zwiſchen die Zähne ſchieben und tüchtig draufloskauen .. Das muß doch ganz köſtlich ſein!. Reiſen .. abenteuern, ſich neuen Eindrücken über - laſſen .. von neuen Erlebniſſen ganz hingenommen,118 ganz eingepökelt werden .. in eine neue Umgebung ... in neue Verhältniſſe kommen ... gegen den Strom jedweder Gewohnheit ſchwimmen .. natürlich ſchwimmen .. der Nüchternheit durch feinſtes, epicureiſches Lebensraffinement den Kopf zertreten ... Talent und Glück beſitzen, um große, tiefe, volle Stimmungen provociren, genießen, feſthalten zu können : ich denke mir, wenn man das ſo könnte, wie man das ſo wollte, es müßte dieſem ſogenannten Daſein doch Reiz, Geſtalt, Werth verleihen .. Ich glaube: ſo blaſirt oder wenn nicht im Welt - mannsſinne des Wortes blaſirt, ſo doch: ſo gleich - gültig ich gegen das Alles auch bin, was ich jetzt beſitzen, genießen .. oder mit forcirter Reſignation verſchmähen darf ich glaube: käme ich in eine Sphäre hinein, wo ich allen meinen Launen und Bedürfniſſen fröhnen, wo ich mir Natur - und Kunſt - genüſſe ... wo ich mir Frauen, Wein, Spiel Sport, Luxus, kurz ein im großen Stile gehaltenes, im großen Stile ausgegebenes, äſthetiſch feingeiſtig beſtimmtes, reich nuancirtes Leben geſtatten dürfte ich würde mit beiden Händen zugreifen und mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit vergeſſen, daß ich einmal in Schopenhauer'ſchem Panilluſionismus gemacht habe das Märchen von den Trauben, die man ſauer findet, weil ſie zu hoch hängen, Herr Doctor nicht? Und mir ſcheint zudem auch: die individuelle Seelendispoſition läßt ſich in jungen Jahren noch ganz gehörig von den Verhält - niſſen, alſo auch von eventuell neuen Einflüſſen,119 die wirkend werden, durchcorrigiren .. Man verbeißt ſich nun ſo oft in ſich, weil nun, weil es Einem unbequem ja! eben unbequem iſt, mit der größten Freundin der Menſchheit, mit der dreimal heiligen, dreimal gebenedeiten Gewohnheit zu rechnen, die Alles ebnet, Alles ſiebt, Alles ſchlichtet, Alles glättet und verſöhnt .... Das iſt gewißlich wahr!.

Irmer lächelte, halb gutmüthig-beluſtigt, halb ironiſch. Ich habe das Gefühl, Herr Doctor, begann er ſodann, nachdem er eine kleine Pauſe nach der buntſcheckigen Rede Adams hatte verſtreichen laſſen, daß das Alles gar nicht Ihr Ernſt iſt .. Ich höre nicht gut .. und Sie ſprechen auch nicht ſehr laut, aber mir kommt es vor, als ob Ihre Stimme etwas ſpöttiſch geklungen hätte vor - hin. Nun .. ich habe eine andere Art ... wenn ich damit auch nicht geſagt haben will, daß ich nicht auch einmal ſo wie Sie gedacht, gewollt und ge - wünſcht hätte .. das iſt aber ſchon ein Weilchen her .. ſo ein paar Jahrzehnte. Gehen Sie hinaus in die Welt, lieber Doctor! Sie ſind noch jung .. Und wenn Sie älter ... alt älter iſt manchmal weniger, als alt geworden ſind, auf ganz ge - wöhnliche, hergebrachte Weiſe alt .. phyſiologiſch kühler und enger .. dann kommen Sie wieder ... und Sie ſind wieder Peſſimiſt , wie es Kant, Schopenhauer, Goethe, Humboldt und die ganze Geſellſchaft von Kerlen, die Etwas bedeutet haben, geweſen ſind .. On revient toujours .. Sie ver - ſtehen das iſt auch in der philoſophiſchen Welt -120 anſchauung nicht anders. Der Peſſimismus des Alters unterſcheidet ſich von dem der Jugend nur dadurch .. oder wenigſtens in der Hauptſache nur dadurch, daß ihm auch ſtarke ethiſche Elemente legirt ſind ..

Hm! Ich muß allerdings geſtehen, daß es mit meinen ethiſchen Principien ziemlich ſchlecht beſtellt iſt .. Aber ... verzeihen Sie, Herr Doctor .. da kommt mir eine Frage ich will im Himmelswillen nicht indiscret ſein nun alſo: finden Sie es mit Ihren ethiſchen Normen vereinbar, daß Sie Ihr Fräulein Tochter, die jung iſt, wie ich, und gewiß Stimmungen, Bedürfniſſe, Wünſche hat, wie ich ich ſchließe einzig und allein per Analogie daß Sie Ihr Fräulein Tochter alſo ganz in die Hände Ihrer Entſagungsphiloſophie liefern? Halten Sie dieſe Praxis für abſolut richtig ?

Adam ſah bei dieſen, nicht ganz ſicher und unbe - fangen geſprochenen Worten auf die Fingernägel ſeiner rechten, nach innen gekrümmten, in Schrittweite dem Geſicht genäherten Hand er hatte die Glacés, die ihm nicht beſonders zu der ſchlichten Umgebung zu paſſen ſchienen, ſchon vorher abgezogen er ſah auf die Fingernägel ſeiner rechten Hand, als wollte er ſich in den kleinen, glänzenden Flächen ſpiegeln.

Ah ... Hedwig! .. Nun ... Nun ... ich .. ich meine Tochter hat ſchon viel durchgemacht, Herr Doctor .. ſehr viel. Ich glaube, es iſt Zeit, daß ſie zum Frieden kommt. Und dann ... warum ſoll ich's nicht geſtehen? ..121 etwas Egoismus iſt meinerſeits dabei wohl auch im Spiele. Ich bin, wie ſchon bemerkt, gänzlich abhängig von meiner Tochter .. Wir arbeiten zuſammen, ſie lieſt mir vor .. ich dictire ihr .. wenn ſie mich verließe ich könnte nicht weiterleben .. Wenn ſie der Welt noch einmal zum Opfer fiele ſie müßte erſt mich .. erſt meinen Sarg bei Seite ſchieben .. er würde ihr den Weg verſperren ... Das war noch leiſer, noch unverſtändlicher, undeutlicher ge - ſprochen, als gewöhnlich. Irmer hatte das Haupt ſchwer, tiefgebeugt auf die Bruſt fallen laſſen .. als würde es von den Henkersknechten des Schickſals niedergedrückt. Der Mann ſchaute ſtarr vor ſich hin.

Adam erhob ſich und griff nach ſeinem Hute.

Ich danke Ihnen, Herr Doctor, für die An - regung, die Sie mir gegeben .. Und hoffentlich .. hoffentlich iſt es nicht das letzte Mal, das wir zuſammengeplaudert. Die Welt iſt gemein .. ganz Recht! .. und die Menſchen ſind Beſtien .. ſie ſchwatzen und klatſchen und kritiſiren und .. keifen und ... zucken die Achſeln und treten einander todt ..

Hülfreich iſt der Menſch,
Edel und gut
Doch zuweilen, wenn er gerade Durſcht hat,
Säuft er ſeines Nächſten‘ Blut ...

Eh bien!. Das iſt eine bekannte Geſchichte .. Doch das iſt der Peſſimismus der Jugend, der zwanziger Jahre ... Man findet Alles gemein, weil man Alles noch zu allgemein findet ... finden122 muß ... Qu 'importe? Wenn ich nicht zu ſehr Ihre Kreiſe ſtöre, Herr Doctor

Bitte!.

Alſo auf Wiederſehen! .. Wollen Sie mich gütigſt Ihrem Fräulein Tochter empfehlen .. Ich habe die Ehre! ..

Adieu! ..

Adam verließ das Zimmer. Auf dem Corridor athmete er einmal tief auf und ſchaute unwillkürlich nach der feſchen Dienſtmaid aus. Er hätte zu gern eine kleine Abwechslung gehabt. Aber das Mädel blieb unſichtbar.

Als Adam die letzten Treppenſtufen hinunter ſchritt, betrat Hedwig den Hausflur. Der Herr Doctor ging langſam an ihr vorüber und grüßte ſehr förmlich. Die Dame nickte kurz.

An der Thür wandte ſich Adam noch einmal um. Fräulein Irmer ſtieg ruhig die Treppe hinauf.

Adam gab einen kurzen, grellen, ſcharfen Pfiff von ſich. Dann ſchlug er die große, ſchwere, un - gefüge Thür hinter ſich zu.

Endlich war Nachricht von Lydia gekommen. Frau Lange ſchrieb mit kleiner, ſchräger, nicht be - ſonders geübter, kaum charakteriſtiſcher Schrift:

Werther Herr Doctor!

Wollen Sie morgen Abend die bewußte Taſſe Thee bei mir trinken ? Gegen acht Uhr ja? Bitte, bringen Sie doch die Stimmung wieder mit, in der Sie den Brief geſchrieben! Er hat mir viel Vergnügen gemacht, trotzdem ich ihn wohl noch nicht ganz verſtanden123 h[a]be. Wir wollen ihn noch einmal gemeinſchaft - l[i]ch durchſtudiren. Haben Sie Ihr Bibelcapitel f[e]rtig? Ich habe leider wieder ſehr viel Ab - h[a]ltung gehabt. Mit beſtem Gruße

Lydia Lange.

Οὐ σχεδον τι meinte Adam ſchmunzelnd, be - frie[d]igt. Und er las das Billet ein zweites Mal.

[124]

IX.

Am nächſten Tage ſchwankte Adam unaufhörlich in ſeinen Stimmungen hin und her. Er wußte wieder einmal nicht ein noch aus. Es war ihm wieder einmal das Talent ganz abhanden gekommen, ſich von der Widerſpenſtigkeit der Objecte anziehen, beluſtigen zu laſſen. Das kann doch zuweilen wirklich ſehr amüſant ſein. Zweifelte er an ſich, an ſeinen Kräften und Fähigkeiten? Er beſaß ein ſehr ſchlechtes Gedächtniß für ſich. Eine erneute Stimmung nahm ihn immer ſo ganz hin. Und war das gerade eine Stimmung marternder Geiſteszerriſſenheit, ſo mußte er ganz vergeſſen, daß ihm einmal klarer, einfacher, un - mittelbarer, praktiſcher zu Sinn geweſen. Es laſtete ein unerklärlicher Druck auf ihm, eine gerechtfertigt - ungerechtfertigte Trauer .. eine peinigende, gegen - ſtandsloſe Betrübniß .. kein ſchneidender Gethſe - maneſchmerz .. eine lähmende, zuſammenzwingende Schwere. Er hatte keine Freude daran, die kleinen Arbeiten des Lebens auf ſich zu nehmen. Nichts Großes erſchütterte ihn, das kleine Gewürm halber, angedeuteter Gefühle verleidete ihm das Leben, welches ihm doch manchmal mit ſeinem bunten Wirrwarr, ſeinem unermüdlichen Farben - und Formen - ſpiel ſo unendliche Reize bieten konnte. Warum125 ſollte er heute Abend zu Lydia gehen? Es war doch eigentlich nicht der geringſte Grund dazu vor - handen. Gewiß! Er wollte ihr im letzten Augen - blick noch abſchreiben das war das Geſcheiteſte. Er konnte nicht für ſich gutſagen. Er hatte die Empfindung, als müßte er heute Frau Lange gegen - über zu bizarr in ſeinem Betragen, zu willkürlich ſein. Oder würde ihn die fremde, gewiß vornehme, in eigener Ordnung ausgebaute Umgebung doch ein - engen? Würde ſeine zwar nicht beſonders große, aber noch immerhin genügende Fähigkeit: Cavalier, Geſellſchafter zu ſein, hervortreten, ſobald er Lydia gegenüber ſtand? Er hatte ja ſchon, wie er ſich äußerlich erinnerte, eine ganze Reihe derartiger Jongleurkunſtſtücke fertig gebracht. Aber Hedwig? Hedwig? Wie ſtand er zu ihr? Liebte er ſie? Er hatte ſich allerdings ſehr oft eingebildet, ein Weib zu lieben und er hatte ſich für daſſelbe ſchließ - lich nur intereſſirt, ganz beiläufig intereſſirt . Er hatte Gefallen an ihm gefunden, irgend Etwas hatte ihn gereizt: ſchönes Haar; ſchöne Augen; graciöſe Beweglichkeit des Oberkörpers; Halbfülle der Ge - ſtalt; ein kurzer, entſchiedener Tritt; oder Naivetät des Herzens; das Parfum geiſtiger Selbſtändigkeit; Unbeholfenheit oder Schlagfertigkeit .. Vorurtheils - loſigkeit .. Coquetterie .. ehrliche oder gemachte Verſchämtheit .. oder ſo etwas Aehnliches .. Und Hedwig? Ja! Ja! Es wurde ihm mit bezwingender Deutlichkeit klar: er liebte ſie liebte ſie mit all' der Glut und Leidenſchaft, deren er noch fähig126 war .. die er noch für ſie aus allen ſeinen früheren, engeren oder loſeren Beziehungen und Verhältniſſen hatte retten müſſen. Der Gedanke an ſie hatte doch un - willkürlich jetzt wurde er ſich deſſen bewußt in den letzten zwei Tagen die ſtete Unterſtrömung ſeines Seelenlebens gebildet. Immer wieder war ihr Bild vor ihm aufgetaucht, manchmal ſchärfer, deutlicher, manchmal unklarer, ſchwächer, linienmatter. Er hatte der einzelnen Gelegenheiten gedenken müſſen, die ihn mit ihr zuſammengeführt. Er hatte ſich die Worte ... das Herüber und Hinüber ... das bewegte Widerſpiel der Gefühle und Gedanken wiederholen müſſen, die ihn in ihrer Gegenwart beſeſſen, die ſie ihm zu ver - ſtehen gegeben, die ſie ihn hatte ahnen laſſen, oder die er ihr anvermuthet. Er hatte viel an ſie gedacht, viel über ſie nachgedacht ... hatte ſich gefragt: wo ſie wohl in dieſer Stunde wäre ... was ſie thäte .. wie ſie jetzt ihr Verhältniß zu ihrem Vater auffaßte .. ertrüge ... ob er ſelbſt vielleicht ſchon eine kleine Rolle in ihrer Welt ſpielte? .. Aber was zog ihn nur zu ihr hin? Reizte ſie ſeine Sinnlichkeit? Eigentlich nicht. Seit jenem Abend bei Herrn Quöck, wo der Wein ſein Blut aufgejagt, wo ihm Lydia's Raffinement und Coquetterie brennendes Begehren in die Bruſt getropft .. mit berechnender Grauſamkeit langſam getropft hatte; wo er ſich wohl nur aus Trotz gegen das ſchöne, verführeriſche Weib wenigſtens wie er ſich heute einbildete Hedwig genähert ſeit jenem Abend hatte deren Gegenwart oder die Erinnerung an ſie eine immer127 nur mit geringen Sinnlichkeitsaffecten verbundene Sympathie in ihm ausgelöſt. Nun denn! ſo mußte es eben ihr Schickſal ſein, was ihn reizte. Oder etwa ihre Sprödigkeit? Ihre Art, kalt und beſtimmt abzuweiſen ... ihre wie ſelbſtverſtändlich dargeſtellte ... Selbſtändigkeit? Es war doch merk - würdig! Und da! ... da ſchäumte es auch in ihm auf ... da begehrte er plötzlich, dieſe Unge - berdigkeit zu zähmen, dieſen Trotz zu brechen, dieſe Kälte zu bezwingen ... Da mußte er, wie ſüß und berauſchend es ſein müßte ... es wahr und wahrhaftig ſein würde, dieſe herben Lippen zu küſſen ... dieſen verſchloſſenen Mund zu köſtlichen Geſtändniſſen zu bewegen ... Ein fanatiſcher Sehn - ſuchtsrauſch war jäh über ihn gekommen. Ein ſtarkes Leben durchpulſte ihn ... ein einziges Wollen erfüllte ihn ganz. Seine Phantaſie umhing die Geliebte mit Reizen, die ſie kaum beſaß. Aus allen Poren ſtrömte Adam der Drang ... quoll ihm das glühende Begehren der entfeſſelten Leiden - ſchaft heraus ... Aber da verflüchtigte ſich auch die heiße Sehnſucht des Blutes ſchon wieder. Eben war Adam noch der Gedanke gekommen, daß es doch eigentlich ganz praktiſch ſei, in dieſer ſinnlich - empfänglichen Stimmung zu Lydia zu gehen. Hedwig ... oh! Die Erinnerung an ſie konnte ſeine Phantaſie wohl mit tauſend verführeriſch-reizvollen Bildern ſpeiſen. Aber die Wirklichkeit? Die Dame war doch eigentlich ſchon zu eingefroren, zu ſteif, zu erkaltet. Und Adam liebte das Spontane, das Tu -128 multuariſche am Weibe ... das plötzlich Hervor - brechende, elementar Hinreißende. Und doch reizte ihn im Grunde ein Weib ... jedes Weib nur ſo lange, als es ſich ihm entzog, als es ſeine Selbſt - ſtändigkeit mit ſtarkem Nachdruck aufrechterhielt. Die geringſte Nachgiebigkeit kühlte ihn ab ... kühlte ihn beſonders dann ſofort ab, wenn ſie mit einer gewiſſen Apathie und gleichgültigen Nach - läſſigkeit in Scene geſetzt wurde. Adam liebte es, Quellen aus Felſen zu ſchlagen. Die erſte ſtür - miſche Glut, mit der das junge Waſſer an's Licht trat, reizte ihn. Nachher ... nachher wurde ihm das Waſſer in der Regel bald .. bald ſehr, ſehr lang - weilig. Er beobachtete es höchſtens noch mit dem Intereſſe des objectiven Wiſſenſchaftlers. Nein! nein! Das war Unſinn er liebte Hedwig nicht ... nicht im Mindeſten. Wie war er nur in aller Welt darauf gekommen, ſich das einzubilden, ſich das vorzudeclamiren! Es dünkte ihn nur pikant ... weiter nichts als pikant, auf ſie zu wirken, ſie zu beeinfluſſen, ſie zu beunruhigen ... in den zähen, träge geronnenen Lauf ihres verſtockten und verkümmerten Lebens allerlei neues, eckiges, ſtrudelerweckendes Zeug hineinzuwerfen. Er wußte, daß er das Weib eines Tages einmal küſſen würde. Vielleicht war er auch im Stande, im Aufruhr der Stunde noch intimere Leidenſchaftsbeweiſe zu erzwingen. Und dann? Dann mußte er die angebiſſene Frucht nach den Geſetzen ſeines Organismus eben wegwerfen. Eine grauſame Unzuverläſſigkeit gehörte ihm an[. ]129Oh! Er wußte: einmal hatte er mit dieſer gren - zenloſen Gleichgültigkeit nur geſpielt. Es war ihm pikant geweſen, ſich ihren Beſitz anzudichten, vorzu - lügen. Und nun? Nun beſaß er ſie wirklich und die Brutalität dazu, ſie halb bewußt, halb unbe - wußt vor ſich und Anderen verleugnen zu können .. oder er prunkte mit ihr. Und da gefiel es ihm öfter, ſie für harmloſe Coquetterie auszugeben, wo ſie doch wohl nur traurige Thatſache war. Nein! Fräu - lein Irmer war Adam in dieſem Augenblicke nichts ... abſolut nichts. Warum ſollte er heute Abend alſo nicht zu Lydia gehen? In ſeinem Spiegel - ſchränkchen trieb ſich eine Anzahl verbrauchter Glacé - handſchuhe ... eine ſehr niedliche Sammlung ab - getragener Shlipſe und Schleifen herum. Die Sipp - ſchaft fiel Adam in die Augen, als er nach ſeiner Eau de Cologne-Flaſche ſuchte. Er nahm einen Handſchuh zwiſchen die Finger und betrachtete ihn ſehr gedankenvoll. Das Leder war mürb, brüchig, rauh, hier ſchlaffer, dort härter, ſteifer geworden ... wie gedörrt, runzelig zuſammengetrocknet. Die Farbe unreinlich, verſchoſſen, ſtark verſchmutzt. Allenthalben geplatzte Nähte ... ein Knopf war abgeſprungen, ein anderer ließ ſeinen ſchmutzig-gelben Meſſing - ſcheitel todestraurig herabhängen. Warum ſchmeißt man das Geſindel nicht in die Lumpen? philoſo - phirte Adam ſehr tiefſinnig. Und er dachte an ſein Individuum. Ob ... hm! ... ob man ſeine Seele nicht einmal ... nicht einmal raſiren laſſen könnte?

Conradi, Adam Menſch. 9[130]

X.

In tadelloſem, ſchwarzem Geſellſchaftanzuge; mit einem Geſicht, das halb müde Gleichgültigkeit, halb obligate, gegenſtandsloſe Neugier und Geſpanntheit ausdrückte, trat Adam Menſch einige Stunden ſpäter in das Cabinet Lydias.

Sie haben mich gerufen, gnädige Frau ich bin gekommen ...

Ich danke Ihnen, Herr Doctor!

Lydia hatte bei dem Eintreten Adams vor ihrem zartgliedrigen Luxusſchreibtiſche, der ſo gar nicht für ehrliche, ſchwere Arbeit auf der Welt zu ſein ſchien, geſeſſen und war nun aufgeſtanden. Ein leiſer Moſchusduft lag im Gemach. Auf dem Schreibtiſche brannte inmitten einer Fülle eleganter Nippes, inmitten einer zwanglos und doch ge - ſchmackvoll arrangirten Kleinwelt von Statuetten, Photogrammen, Portraits, Goldſchnittbändchen, loſe durcheinandergezetteltem Pergamentpapier, Muſcheln und Steinen, eine grünverhangene Broncelampe. Das mittelgroße Zimmer war von den Schatten anheimelnder Dämmerung durchdunkelt. Die Umriſſe der Möbel verſchwammen, die Farben und Muſter131 der Teppiche und Decken hatten einen ernſten, ſchwarz - braunen Ton angenommen.

Lydia hatte die Lampe auf den kleinen, runden Tiſch geſtellt, der, umgeben von einer Fauteuils - Corona, vor dem Sopha an der gegenüberliegenden Breitſeite des Zimmers ſtand.

Ich muß doch wohl für etwas mehr Licht ſorgen

Wenn ich bitten darf, gnädige Frau ... dieſe Lichtſtimmung ... es iſt ſo poetiſch, dieſes Zu - ſammenfließen von Hell und Dunkel

Ja? Nun ... dann ... Ich habe dieſe Be - leuchtung auch ſehr gern ... gerade dieſes clair - obscur ... Aber modern ... modern iſt es doch eigentlich kaum, Herr Doctor ... So mittel - alterlich ... ſo romantiſch ... Nun ſuchen Sie ſich bitte einen Fauteuil aus ... und dann will ich den Thee beſtellen ... oder ... oder Emma wird ihn allerdings ſchon bereitet haben ... aber das thut ja nichts ... ſie mag ihn 'mal ſelbſt probiren ich ſchlage vor, Herr Doctor, daß wir unſere erſte Sitzung mit einem Glaſe Steinberger Cabinet ein - weihen ja ..?

Gnädige Frau ich ... meinetwegen

Jetzt iſt er ſchon ſo weit, daß er meinet - wegen‘ ſagt! fiel Frau Lange neckiſch ein. Dieſe Gnade, lieber Doctor! ... Ich danke Ihnen! ...

Ich bitte ... Sie haben mich mißverſtanden, gnädige Frau ...

Lydia ſchellte. Ein Diener trat ein.

9*132

Alſo einige Flaſchen Steinberger, Auguſt, und ſagen Sie Emma, ſie möchte auftragen.

Denken Sie, Doctor, dieſer junge Mann, dieſer Weinapoſtel, heißt Auguſt ſchrecklicher Name ... nicht? Aber er läßt ihn ſich nicht abgewöhnen ... dieſe Leute haben auch ihren Stolz ... Was will ich machen? So ſehr ich mich empöre ich muß mich ſchließlich fügen. Es bleibt mir nichts Anderes übrig. Und der Menſch iſt doch ſonſt ganz tüchtig und zuverläſſig ...

Adam antwortete nicht. Eine ſpitze, bittere Bemerkung lag ihm auf der Zunge. Aber er unter - drückte ſie. Da klagte ihm eine ſchöne, vornehme Dame ihr Leid ... ein Leid, das im Grunde wirklich außerordentlich ſchwer und herb war. Und ſie fand es der Mühe werth, an ein Nichts eine ganze Reihe von Worten zu verſchwenden. Wußte ſie wirklich nicht, daß man ſich manchmal noch in ganz ... andere Dinge fügen muß?

So ſchweigſam, Herr Doctor? Warum? Nein! ... heute Abend ... heute Abend lieber nicht! ... Melancholiſch? Nun ... vielleicht löſt Ihnen der Wein die Zunge ... Laſſen Sie doch die alten, odioſen Geſpenſter! Bei meinem Vetter ... neulich ... fiel es mir ſchon auf, daß ... doch ... hören Sie! Draußen tobt der April! Wir wollen uns recht gemüthlich fühlen ... die letzte, karge Wintergemüthlichkeit ... es wird leider ſo bald auch außerhalb des Kalenders Frühling ... und dann ...

133

Und dann werden wir auf Ihrem Balkon ſitzen, gnädige Frau, und ... und und werden

Und werden? Was Sie ſich einbilden, Doctor! Doch ... pardon! ... Ja ... ich hoffe auch Mai ... Juni nun! Wir wollen uns vor - nehmen, einen recht intimen Frühling zu ver - leben ... einverſtanden? ...

Lydia! ... Adam war der Vorname Frau Lange's entfahren er wußte nicht, wie ...

Dummheit, Herr Doctor! Was fällt Ihnen ein! Wir ſind doch zwei ganz vernünftige Menſchen! Nicht wahr? ... Was macht übrigens Ihr Bibel - Capitel? .. Nein! Wie mich Ihr hübſcher Brief amuſirt hat! Aber was hat die Emma nur?

Frau Lange ſchellte zum zweiten Male. In demſelben Augenblicke trat das Mädchen ins Zimmer, eine ziemlich umfangreiche Tablette nur mit Mühe vor ſich her balancirend.

Was ſoll das nur heißen, Emma! Du haſt Dir wohl den Thee erſt 'mal näher beſehen? ... Dazu war doch nachher auch noch Zeit! Und auch der ... der Auguſt bleibt mit dem Weine ich glaube gar, Ihr ... Emma! ... ich will nicht hoffen Ihr fliegt alle Beide an die Luft das kann ich Euch ſagen ...

Emma war roth geworden. Gnädige Frau ... ſtotterte ſie

Adams Auge weilte wohlgefällig auf der vollen, ebenmäßig abgerundeten Geſtalt des Mädchens. Das war nicht zu viel und nicht zu wenig. Dieſe Arme unter dem ſtraffen, enganliegenden Kleide ... dieſe Bruſt134 unter dem wie geſchient geſchnürten Corſet ... dieſes friſche, volle, nur etwas zu gleichmäßige, zu runde Ge - ſicht .. die Gelenkigkeit der Bewegungen ... der nicht unangenehme Geruch friſchgewaſchenen, friſchgeſtärkten Leinens, der von ihrer Kleidung ausging : mit dem Allen war Adam ſehr einverſtanden. Lydia bemerkte, wie aufmerkſam und augenſcheinlich wie befriedigt der Herr Doctor das Mädchen muſterte.

Sie ſind ein Epicureer, Herr Doctor! ſagte Frau Lange ſpöttiſch.

Wieſo, gnädige Frau? Weil ich für Ihre reiche Tafel kein Auge ... kein Verſtändniß zu haben ſcheine? Verzeihen Sie! ...

Sie geſtehen alſo? ...

Emma ſchickte ſich an, das Zimmer zu verlaſſen. An der Thür wußte ſie ſich noch einmal ſo zu drehen, daß ſie einen vollen Blick auf Adam werfen konnte:

Emma! rief Lydia laut nach. Das Mädchen trat in den Thürrahmen zurück.

Auguſt mag ſich ein Wenig beeilen und dann bring 'die große Lampe aus dem blauen Salon herüber ... Sie ſollen Ihre Augen nicht zu ſehr anſtrengen, Herr Doctor! fügte Frau Lange, zu Adam gewendet, ironiſch hinzu.

Adam und Lydia ſahen ſich feſt an. Sie ver - ſtanden ſich.

Aber ... Sie ſind doch noch nicht fertig, Herr Doctor? Ich bitte Sie! Wollen Sie nicht noch 'n Stück Fleiſch nehmen? Bitte ... ja! Es iſt delicat, wie ich, ohne meine Küche rühmen zu wollen, ſagen darf ... 135Ein Scheibchen Pökelrippe ja? Oder ein Wenig Deſſert? Laſſen Sie ſich nicht nöthigen! Schlimm genug, daß man ſelbſt Ihnen gegenüber die alten, abgeſtandenen Redensarten gebrauchen muß! Aber Sie ſind gar nicht originell! Sie bilden ſich gar nichts auf ſich ein! Und was das Schlimmſte iſt Sie vergeſſen ganz, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie mich zwingen, Sie nach der Art des erſten beſten Durchſchnittsmenſchen zu behandeln ...

Ich bitte, gnädige Frau! ... Ich habe gar kein Recht, etwas Beſonderes ſcheinen zu wollen, ſintemalen ich gar nichts Beſonderes bin ... Wenigſtens momentan ... In den letzten Wochen, wenn nicht Monaten, bin ich meinem ganzen Denken und Fühlen nach ein verzweifelt alltäglicher Menſch ge - weſen ... Ich finde nichts Neues mehr ... ich erkenne Nichts mehr ... ich habe keine Intereſſen mehr ... ich bin gegen Alles grenzenlos gleich - gültig ... Alles iſt todt, verſchüttet, ausgeſtorben in mir. Ein Druck liegt auf mir ich ſage Ihnen: furchtbar! Ganz furchtbar! Und Nichts ... Nichts reißt mich aus dieſer Verſtumpfung heraus ... Ich glaube ... ich fürchte: meine beſte Zeit ... die Zeit, wo ich geiſtig aktiv ſein durfte ... wo ich für tauſend Reize empfänglich war ... wo ich nach allen Seiten hin Anregung gab und Anregung empfing, iſt vorüber ... Und ... und gewöhn - lich vermiſſe ich abſolut Nichts ... das iſt das Entſetzlichſte. Nur manchmal, wie eben136 jetzt, werde ich mir dieſer hagebüchenen Leere und Nüchternheit bewußt und dann krampft's ſich in mir zuſammen ach! ... Varus! Varus! Gieb mir meine Legionen wieder! ...

Lydia ſah den ihr gegenüberſitzenden Adam ge - ſpannt an. Sie hielt ſein Geſicht auch mit dem Auge feſt, als Auguſt eintrat und den Wein brachte. Frau Lange verſtand den Herrn Doctor im Grunde wohl kaum. Aber mit dem feinen Inſtinkt des Weibes fühlte ſie, daß ihr Gaſt da etwas aus ſeinem Seelenleben preisgab, was für ihn ſchmerzliche Wahr - heit und Gültigkeit beſaß.

Nun ... nun, Herr Doctor .. in dieſem Sinne ich wollte durchaus keine Beichte herausfordern .. verzeihen Sie, wenn ich Ihnen Gelegenheit zu einem Mißverſtändniß gab .. Bei meinem Vetter übrigens .. neulich Abends ... er - ſchienen Sie mir durchaus nicht ſo peſſimiſtiſch ... haben Sie inzwiſchen doch pardon! .. Und ... und damals empfing ich auch den Eindruck von Ihnen, daß man Sie durchaus nicht mit dem erſten beſten Strohmann bewundern Sie nur meine Scatkennt - niſſe! mir ſchien es alſo, als ob man Sie durch - aus nicht für einen Strohmann des Lebens halten dürfte .. Und darum meinte ich vorhin ach! ... Wiſſen Sie übrigens, Herr Doctor, daß ich Ihnen eigentlich .. eigentlich ein Wenig böſe ſein ſollte? Sie

Lydia hatte ſich erhoben und füllte die Gläſer. Dabei ſah ſie, am Tiſche diskret eingewinkelt nach137 vornüber gebeugt ſtehend, ihren Gaſt mit einem reizenden Lächeln von der Seite an.

Böſe? Sie erſchrecken mich, gnädige Frau! Warum böſe, wenn ich fragen darf?

Verſtellen Sie ſich nur nicht! Sie wiſſen ganz genau, was ich ... was ich ... meine oder ſollten Sie ... ſollten Sie? Das wäre doch zu naiv!. Nicht wahr ?

Ich bin immer noch rathlos

Vergeſſen wir den Wein nicht! .. Und nun laſſen Sie Ihre Reſerve ein Wenig fahren, Herr Doctor ja? Sie geben ſich in der Unterhaltung ſo ohne Pathos ... ſo ich weiß gar nicht .. ich liebe die Force, das Spontane ... das Unbe - rechenbare ... und Sie ſcheinen doch ſonſt das Zeug zu haben, ein eigenes Geſicht zu machen .. einen eigenen Menſchen vorzuſtellen heute ſind Sie ſo conventionell wie ich ſchon vorhin ſagte ... ſo ... ſo ... nun! ... man erwartet gar Nichts von Ihnen .. kurz: heute ſind Sie ganz ſchrecklich, Herr Doktor! ... Was fehlt Ihnen nur ?

Mir? .. Nichts ... gar Nichts, gnädige Frau! .. Im Gegentheil: ich fühle mich ſehr wohl ... ſehr behaglich ...

Nun! dann wollen wir 'mal anſtoßen bitte!

Die Gläſer trafen ſich, aber auch die Augen. Schlumernde Flammen wurden da geweckt, brachen her - aus und züngelten heftig in einander.

Alſo ... Sie wiſſen noch nicht ?

138

Nein! Noch nicht, gnädige Frau !

Lydia wandte ſich ab. Sie neſtelte an ihrer Uhrkette und ſah nach dem Schreibtiſche hinüber.

Wie geht es eigentlich Fräulein Irmer, Herr Doctor ? fragte ſie nach einer kleinen Pauſe leichthin, ohne Adam anzuſehen.

Jetzt hatte der Herr Doctor allerdings verſtan - den. In ſeinem Geſicht zuckte es. Und da wandte ſich ihm Frau Lange auch wieder voll zu. Sie be - merkte den ironiſchen Zug um Adams Mund und Naſe, bemerkte die etwas zuſammengekniffenen Augen. Ein ſehr verzweigter, im Ganzen aber doch mehr angedeuteter, als erſchöpfend ausgeführter Gefühls - complex: momentane Wuth .. Haß .. Zorn ... Neid ... drängte ſich ihr auf. Dieſer Menſch konnte doch zu impertinent, zu moquant ſein.

Nun? fragte Frau Lange indignirt.

Hedwig Irmer, gnädige Frau ... Adam ſetzte abſichtlich, mit einer kleinen, unſcheinbaren und doch, wie er wußte, nicht wirkungsloſen Betonung den Rufnamen voran Hedwig Irmer ja! ... habe ich die Dame denn ſeitdem ſeit - dem? richtig! ich machte ihrem Vater neulich einen Beſuch und da

Gefällt Ihnen Hedwig, Herr Doctor ? Frau Lange hatte ſich zurückgelehnt und ſtreckte die Hand nach ihrem Weinglaſe aus. Die wundervolle Plaſtik des Armes trat berückend hervor. Der Aermel ſtraffte ſich zurück, und das volle, runde Handgelenk ſchimmerte verführeriſch auf in ſeiner139 friſchen, gelbweißen Waizenfarbe. Nun hatte Lydia das Glas zum Munde geführt und blinzelte Adam über den Rand hin an.

Warum ſollte mir Fräulein Irmer nicht ge - fallen ? erwiderte Adam ſpöttiſch-nachläſſig. Die Dame hat entſchieden etwas ſehr Eigenthümliches. Sie ſcheint auch intellektuell nicht unbedeutend zu ſein. Allerdings! ein Biſſel zu viel triſte, dürre Abſtractions-Philoſophie hat ſie unter der Anleitung ihres Herrn Vaters wohl doch ſchon ge - ſchluckt. Unmittelbares .. Urſprüngliches geht ihr vollkommen ab. Ich glaube, man muß ſich ... man müßte ſich erſt durch einen dicken Wall von Vor - urtheilen und Voreingenommenheiten hindurcharbeiten ganz abgeſehen von der ſeeliſchen Schwerfälligkeit, die gar nicht zu brechen ſein wird

Hm! ..

Adam ſah Frau Lange an. Sie verſtanden ſich wieder einmal.

... Die gar nicht zu überwinden ſein wird .. ſein würde wenn ... wenn alſo ein ſeeliſch einiger - maßen intimer Verkehr ermöglicht werden ſollte. In - tereſſant iſt die Dame aber zweifellos. Nun .. es wird nachgerade Zeit, auf Urwüchſigkeit überhaupt zu verzichten. Man hat ſie ja ſelbſt längſt .. längſt eingebüßt es iſt rabbiater Unſinn, ſie immer wieder mit Pathos zu fordern und zu erwarten. Wenn man bedenkt, wie beſcheiden man eigentlich ſchon geworden iſt! Es iſt mitunter rein zum Todtlachen! Das heißt: man wird .. man iſt unkritiſch geworden. 140Von welchen kargen, geradezu dämoniſch kargen Reizen läßt man ſich nur immer wieder ködern und bewältigen! Man ſtudirt und lieſt und ſchreibt und plaudert und ver - kehrt mit Menſchen .. man beſucht Geſellſchaften, treibt ſich in Localen herum ... wie geſagt: faſt ohne jede Kritik mehr .. ohne ſich noch darüber klar zu werden, daß man ſich mit dem Allen doch eigentlich furchtbar vor ſich ſelber compromittirt! Gott ſei Dank, daß ich kein ſogenannter Dichter bin! Dieſen Leuten ſollen ja alle Creaturen auf Gottes Erdboden .. ob ſie nun vierbeinig oder zweibeinig oder x-beinig, wie der liebe Hummer, herumlaufen, intereſſant ſein .. Das ſchwatzt nämlich immer einer von dieſen Herren Dichtern dem ander'n vor: Du! Höre 'mal! Du mußt für Alles Sympathie haben! Du mußt hinter Allem das rein Menſchliche ſuchen, wie hinter dem Spiegel das Queckſilber. Stöbere nur du wirſt's ſchon finden, lieber Freund! Als ob der ſogenannte Dichter nicht auch geiſtige Selektionstendenzen be - ſäße! Nein! Es iſt oft zum Verzweifeln, wenn man ſieht, was für Phraſen heutzutage colportirt werden auf der Welt! Schätzen Sie ſich glücklich, gnädige Frau, daß Sie von all' dem elenden Wirrwarr, von der coloſſalen Begriffsverwirrung, die ſich allenthalben breit macht, hier in Ihrem ſchönen buen retiro ſo wenig, ſo blutwenig hören! ...

Aber Sie wollten ja von Fräulein Irmer ſprechen, Herr Doctor ... Sie begannen doch wenigſtens in der Tonart und nun ſind Sie wieder einmal ... wieder einmal bei mir angelangt das iſt doch

141

Wundern Sie ſich darüber, Lydia ? Das hatte Adam halb abſichtlich, zweckbewußt, halb un - abſichtlich, von ſeiner Stimmung, ſeiner momentan auffahrenden Leidenſchaft hingeriſſen, mit leiſer, vibrirender Stimme geſprochen.

Die Beiden ſahen ſich an. Und Adam verſuchte, Frau Lange's linke Hand Lydia ſaß rechts von ihm auf dem Sopha zu erhaſchen. Es gelang ihm. Lydia hatte ſich abgewandt. Sie athmete erregter. Einen Augenblick fühlte Adam die kleine, warme, weiche Hand der ſchönen[Frau] zwiſchen ſeinen bebenden Fingern. Ein heftiges Begehren durchſchüttelte ihn. Er bezwang ſich. Und elegant zog er Lydias Hand an ſeine Lippen. Frau Lange ſeufzte leiſe auf und erhob ſich.

Da haben Sie's, Herr Doctor: das Mädchen läßt ſich nicht wieder blicken. Es iſt unerhört. Nun, ihre längſte Zeit iſt ſie hier geweſen, die Dame. Ich muß doch 'mal ſelber nachſchauen, wo ſie eigent - lich ſteckt. Verzeihen Sie ich bin ſogleich zurück

Bitte ſehr, gnädige Frau ...

Lydia verließ das Zimmer. Im nächſten Augen - blick öffnete ſie noch einmal die Thür von außen und rief ins Cabinet zurück: Ich hatte ganz ver - geſſen ... die Cigaretten ... wollen Sie ſich be - dienen, Herr Doctor! auf meinem Schreibtiſch rechts .. neben dem Couverts-Carton ... ſteht die Schachtel ... fangen ... fangen Sie nur Feuer !

Lydia lächelte berückend zu Adam hinüber. 142Nur ein kleiner Raum lag zwiſchen den beiden. Die Beleuchtung war allerdings zu ſchwach, um die Formen der ſchönen Frau ſcharf und deutlich hervortreten zu laſſen. Und doch floß ein ver - führeriſcher Athem von dieſer in der Thüröffnung etwas nach vorn gebeugt ſtehenden Geſtalt zu Adam hin.

Sehr liebenswürdig, gnädige Frau ...

Lydia verſchwand wieder. Der Herr Doctor hatte ſich erhoben. Er fühlte ſich ſehr behaglich. Er ſtand einen Augenblick mitten im Zimmer ſtill und dehnte und reckte ſich. Ein kleiner Drang zum Gähnen befiel ihn. Aber er unterdrückte ihn tapfer. Das dünkte ihn denn doch zu undankbar. Mit großer Genugthuung ſog er die Atmoſphäre des elegant-gemüthlichen Cabinets ein. Dieſe von der matten Beleuchtung mehr durchdunkelte als erhellte Umgebung entſprach ſehr intim ſeinen Bedürfniſſen und Neigungen, gebar ihm eine eigenthümlich reiz - volle Stimmung. Und das Begehren ward in ihm lebendig, dauernd unter ſolchen, in ſich geſicherten Bedingungen zu leben. Und Lydia? Adam ſagte ſich, daß er ihrer pikanten, vollen, reifen Frauen - ſchönheit heute Abend zum Opfer gefallen war. Starken Eindrücken war er ja ſo zugänglich ... wenigſtens konnte er ſich für eine kurze Zeitſpanne ganz von ihnen aufzehren laſſen. Nun! Er wollte den Genuß der Stunde auskoſten. Wer weiß, was ihm noch bevorſtand! Oder ſollte er ſelbſt verſuchen, mit ſtarker Hand in die Speichen ſeines kleinen143 Privatſchickſalsrades zu fallen? Sollte er verſuchen, mit ſchnellem, kühnem Griff das an ſich zu reißen, was ihm da aus dem Dämmerungsſchooße einer, wie es ſchien, nicht ungnädigen Zukunft blendend entgegengaukelte? Adam war unſchlüſſig. Er konnte auch nicht anders, als unſchlüſſig ſein. Noch zu amorph, noch zu unklar und verſchwommen lag Alles vor ihm. Und gerade die Ungewißheit war es ja, die ihn reizte, die ihm eine pikante Be - rechtigung gab, Alles zu erwarten, Alles zu erhoffen. Nachher ... nachher, wenn er ſeinen Sieg oder ſeine Niederlage erlebt hatte, war er ja wieder in die kalte, ſchneidende Winterluft ſeiner[radicalen] Reſignation, ſeiner brutalen Gleichgültigkeit zurück - geſtoßen. Doch auf die Dauer war ihm das Klima dieſer Eiszone unerträglich. So hatte ſich mit der Zeit bei Adam das Bedürfniß herausgebildet, ſich allerlei Möglichkeiten zu verſchaffen, die ſeinen Hoff - nungen, ſeinen Erwartungen einen möglichſt großen Spielraum gewährten, ... die bei einer günſtigen Combination zu Thatſachen werden konnten, welche für ſein Leben entſcheidend waren ... entſcheidend nach der zukunftſichernden, emporführenden, Alles verſprechenden Seite hin. Vor der unmittelbaren Prüfung jener Möglichkeiten ſchrak Adam zurück. Er war nicht kleinlich, nicht feige. Aber nach dem ſüßen Morphiumgift eines gewiſſen, nicht be - ſonders merkwürdigen, aber auch nicht gerade all - täglichen, im Uebrigen eigentlich ſehr unſchädlichen Epicureismus hatte auch ſchon ſein Blut und144 war das auffallend? heißes Verlangen tragen gelernt.

Adam trank ſein Glas leer und ging zu Lydias Schreibtiſch hinüber. Er betrachtete einige Augen - blicke ſinnend das kleine, feine, entſchieden diſtinguirte, jetzt nur zu undeutlich beleuchtete Möbel. Nein! Das war Alles viel zu zierlich, das war Alles viel zu geſchmackvoll arrangirt, zu feingeiſtig zuſammen - geordnet, um mehr, denn eine ſchöne Dekoration zu ſein. Dieſe engen, flachen Schubkäſten waren nur dazu beſtimmt, ſchmale, dünne, discret parfümirte Briefchen, die wohl eine roth - oder blauſeidene Schlinge einſchnürt, aufzunehmen. Dieſe kleine, dünne, feuchtbraun glänzende Platte ertrug höchſtens den reſervirten Druck eines zärtlich-vorſichtigen Frauenarms, duldete wohl gerade nur die Gegen - wart eines Briefblattes, auf welches eine ſchöne, ringblitzende Damenhand allerlei Koſeworte, ein ſchillerndes Wortgetändel, krauſe Gedankenarabesken niedertropfen läßt ... oder die Gegenwart eines graciöſen Goldſchnittbändchens, in dem man blättert, um hier einen elegant geformten Satz, dort einen geſchmeidigen Reim aufzupicken, oder eine perlende, ſchillernde Strophe, die leiſe eine Saite der Er - innerung anſchlägt ... eine Saite, die nun ver - halten aufklingt ... und in zarten Schwingungen Bilder um Bilder empordämmern läßt ...

An dieſem Tiſche muß eine ſchöne Frau wunderbar träumen und ſinnen und plaudern können ... plaudern mit den Geſtalten ihrer Träume, ihrer Phantaſie'n ...

145

Adam verſpürte wirklich Appetit auf eine gute Cigarette. Er bemächtigte ſich der Schachtel, die er leicht fand, und ging zum Sophatiſch zurück. In demſelben Augenblick, wo er den braungelben, kraus - geflockten Tabak über der Lampe anzündete, trat Lydia wieder ins Zimmer.

Mit Ihrer Erlaubniß, gnädige Frau, habe ich alſo ſoeben ... ſoeben Feuer gefangen ...

Bravo, Herr Doctor! Lydia lächelte, aber etwas gezwungen. Unmuth und Aerger lagen auf ihrem Geſicht.

Wie glücklich ſind doch dieſe Menſchen! ließ Frau Lange jetzt verlauten Sitzen die beiden, Auguſt und Emma, ſeelenvergnügt in der Küche zuſammen und ſchwatzen ſich tauſend Dummheiten vor ... Alles Andere wird ganz gemüthlich ver - geſſen die Leutchen ſcheinen rechtſchaffen verliebt ineinander zu ſein ... Geſchmacklos finden Sie nicht auch, Herr Doctor? Dieſe dumme Plebejer - liebe! ..

Geſchmacklos warum, gnädige Frau? Warum nennen Sie das Natürliche geſchmacklos‘? Und Sie finden doch auch, daß die Menſchen glücklich ſind! Ja! Ich glaube es beinahe auch: glücklicher ſind ſie, als Unſereiner ... Sie dürfen ſo viel un - genirter, ſo viel zwangloſer, unmittelbarer, derber, ehrlicher ſein! Allerdings ... für uns iſt unter Umſtänden ja gerade das Unnatürliche .. glücklicher - weiſe das Natürliche ... das Pikante, das Rei - zende, Anreizende, Schaffende. Ich wenigſtens liebeConradi, Adam Menſch. 10146offene Thüren nicht beſonders ... Es iſt ſo lang - weilig, eins zwei drei ſein Ziel zu erreichen ...

Lydia hatte ſich Adam gegenüber auf einen Fauteuil niedergelaſſen und zündete ſich jetzt eine Cigarette an.

Es klopfte.

Herein!

Emma brachte zwei Flaſchen Wein und ſchickte ſich an, das Geſchirr abzuräumen. Das Mädchen ſah ſehr kleinmüthig aus. Adam erhielt einige ſcheue, unbeholfene Blicke. Lydia ſchien ganz von ihrer Cigarette engagirt zu ſein. Eine peinliche Stille lag im Zimmer. Emma hantirte unſicher, ihre Hände zitterten. Einige Male ließ ſie ſehr unſanft das Geſchirr zuſammenklappern.

Nun ſchmollt die Dame auch noch begann Frau Lange, als das Mädchen das Zimmer wieder verlaſſen hatte.

Wie haben Sie eigentlich das Rauchen gelernt, gnädige Frau? fragte Adam in der Abſicht, dem Geſpräche eine andere Wendung zu geben.

Wie? Komiſche Frage, Doctor! So viel ich mich erinnere, habe ich mich dieſem abſcheulichen Laſter ſchon ſehr früh ergeben. Das heißt : ge - boren bin ich mit einer Cigarette im Munde gerade nicht ... aber ſpäter ... einige Jahre darauf .. in der ſchönen, ſchönen Backfiſchzeit da rauch - ten wir Selektanerinnen eben alle ... Ueber - haupt, Doctor, Sie können ſich keinen Begriff davon machen, wie ... geſcheit ſo eine höhere Tochter ſchon iſt! ... Sie weiß ... ſie weiß ſo147 Manches, das ... nun! das ... ich will nicht ſagen: das ſie eigentlich noch nicht wiſſen ſollte mein Gott! warum ſo heucheln, ſo prüde thun, ſo vorurtheilsvoll ſein! ... aber ... ſie weiß doch offengeſtanden ſo Manches, was man durchaus nicht erwarten ſollte von einer ſolchen wohlerzogenen jungen Dame ... Wir hatten damals einen kleinen, intereſſanten Amazonenclub geſtiftet sous main! lieber Doctor! ... aber bitte! ſchenken Sie meinem Wein ein klein Wenig mehr Ihre Gunſt er iſt doch nicht gerade ſchlecht Proſit! ...

Die beiden thaten einen tüchtigen Zug. Uner - wartet war durch den offenen, burſchikoſen Ton, den Lydia angeſchlagen, eine friſchere, intimere Bewegung in die Unterhaltung gefloſſen.

Alſo Ihr Amazonenclub, gnädige Frau ?

Nein! .. Von dem will ich doch lieber ſtille ſein ... Wir haben tolle Geſchichten gemacht weiß Gott! aber bedienen wir uns nur wieder einmal des bekannten Schleiers der chriſtlichen Liebe

Gnädige Frau! .. bat Adam ſehr eindringlich. Das Thema intereſſirte ihn aufrichtig. Er hätte zu gern noch einige harmloſe Einzelheiten aus ſotanem Capitel erfahren.

Ih! Wie werd 'ich denn, Herr Doctor! Und warum Ihre Neugier? Wir ſind allzumal Sünder! Alſo ... ſpäter ſpäter verheirathete ich mich. Mein ſeliger Mann rauchte leidenſchaftlich. Er konnte es nicht laſſen, obwohl es ihm ſeiner defekten Lunge wegen der Arzt ſtreng unterſagt hatte. Mein10*148Mann ſah es gern, wenn Damen rauchten. Er hatte eine große, freie, ſtarke Seele, die anders fühlte, als der Troß der beſchränkten Krämer - und Lakaienſeelen. Er ſah nichts Beleidigendes, nichts Compromittirendes darin, wenn eine Dame ein Wenig ſelbſtändig im Denken und Handeln war .. ein wenig emancipirt‘, wie man zu ſagen pflegt. Schade, daß er ſo früh gehen mußte .. Nun kommt er nie wieder zurück ....

Lydia hatte die letzten Worte mit leiſer, ſtockender, zitternder Stimme geſprochen. Sie war ſehr nach - denklich geworden, beinahe weich, vielleicht ſo etwas wie ſentimental. Auf ihrem Geſicht ſtand ein Aus - druck ehrlicher Trauer, eines beinahe zärtlichen Schmerzes. Adam ſtutzte. Nun wurde er doch verwirrt. Das hatte er nicht erwartet. Er hatte ſich ſo ganz daran gewöhnt, Frau Lange als ... nun! .. eben gleichſam als jungfräuliche Wittwe zu betrachten .. losgelöſt von allen Beziehungen, die ihm etwa peinlich, unbequem hätten ſein, die ihm hemmend hätten werden können. Und jetzt bewies dieſe ſchöne, verführeriſche Frau plötzlich die innigſte Theilnahme für ihren verſtorbenen Gatten. War ihre Trauer echt, ihr Schmerz wahr? Oder coquettirte ſie nur? Wollte ſie ihn durch dieſen ſchluchzenden Schmerz nur reizen? Oder hatte ſie ihren Mann wirklich .. geliebt?

Adam ſog noch einmal an ſeiner Cigarette und legte den mürben, runzligen Reſt dann weg.

Lydia fuhr auf. Sie ſtrich ſich mit den kleinen,149 ſchmalen Fingern der linken Hand über Stirn und Augen, preßte die Hand einen Augenblick gegen die Bruſt und griff nach ihrem Glaſe.

Proſt, Doctor! Nun wollen wir wieder ver - nünftig ſein! Was kann das ſchlechte Leben helfen! Es iſt ſo dumm, ewig mit der Vergangenheit zu ... zu ... nun .. Ihnen kann ich's ja ſagen Sie werden es wohl auch ſelbſt gemerkt haben : ich habe nur coquettirt! Wahrhaftig! ich habe nur coquettirt! Verlaſſen ſie ſich d'rauf! Ich wollte Sie 'n Biſſel was? Sie glauben mir nicht? Sie unſchulds - voller Engel Sie! Jawohl! Glauben Sie's nur! Ich bin eine ganz herzloſe Coquette! Ich bin ein ſehr ſchlaues, liſtiges, berechnendes Weib! .. Nun thun Sie mir aber den Gefallen und ſehen Sie nicht ſo ich hätte beinahe geſagt: nicht ſo dumm aus! Pardon! So Etwas iſt Ihnen noch nicht vor - gekommen? Ja! Ihr Männer! Ihr glaubt immer, Ihr hättet die Originalität allein gepachtet! So'n armes, dummes Weib kann auch' mal genial‘ ſein warum denn nicht? Ihr ſeid durch die Bank eben ſo eitel, wie wir! Es iſt ja alles ganz gleich: der eine iſt 'n Trefle-Bube, der andere' ne Carreau-Sieben zu Kartenkunſtſtücken müſſen wir alle herhalten .. Laſſen wir die Todten ihre Todten begraben! Da haben ſie wenigſtens Etwas zu thun! O über dieſes tiefſinnige Leben! Leben! Leben! Ich lebe! Ich will leben! Ich vergehe vor Appetit auf das Leben! Mein lieber, guter Männe! Nicht wahr Du biſt Deinem kleinen Weibchen nicht150 böſe, wenn es ſich noch 'n Biſſel amuſiren will auf dieſer ſchönen Welt? Nein! nicht wahr? Du ſchläfſt ruhig weiter und läßt Dich gar nicht ſtören? Recht ſo, mein liebes Kerlchen! Wir haben uns ja immer ſo gut vertragen! Doctor! Wollen wir morgen früh beide nach Italien reiſen? Ich halte es unter dieſen Philiſtern hier nicht mehr aus. Aber .. mein Gott! Was ſehen Sie mich denn ſo erſchrocken an? Ja, ja! mein Herr! So .. ſo aufgeräumt .. ſo offen und burſchikos kann Fräulein Irmer nicht ſein wie? oder doch? Das gute, kleine Fräulein! Nächſtens muß ich es doch wieder' mal einladen! Die Dame macht ſich nur immer ſo rar kommt eigentlich nie .. aber wenn Sie auch hier ſind

Gnädige Frau! ..

Na ja, Doctor! .. Was der Wein iſt gut? Ja, ja! Mein Mann hatte eine feine Zunge. Mir iſt ganz merkwürdig zu Muthe. Ich ſehe plötzlich Alles ſo unheimlich ſcharf das Bedeutende löſt ſich kräftig heraus ich komme ſo unheimlich nahe an die Dinge heran .. weiß gar nicht ... gar nicht haben Sie, Doctor ... wollen wir nicht in dieſer Stimmung ganz ſonderbar! haben Sie Nichts Nichts kein Gedicht oder ſo Etwas bei ſich? .. Irgend einen Dithyrambus der Freude ich bin ja jetzt alles Kleine und Enge los doch richtig! Sie ſind ja kein Dichter! Vorleſen? Nein! Nein! Das iſt zu abgeſchmackt! Muſik! Muſik! Sie ſpielen auch151 nicht? Sie Barbar! Jetzt Beethoven oder noch beſſer Wagner das Vorſpiel zum dritten Akt vom Siegfried‘ die Welt iſt ja gewöhnlich ſo eng und ſchwarz und ſchwer ... ſo karg und kümmerlich aber Doctor !

Auch über Adam war es plötzlich mit berau - ſchender Gewalt gekommen. Die tolle, ekſtatiſche Stimmung Lydias hatte ihn angeſteckt, entzündet, hatte ihn mitfortgeriſſen, träge, unbeholfen zuerſt, nachdem ſie ihn anfangs beinahe angewidert, zurück - geſchreckt hatte, nachdem ſie ihn ſehr ironiſch und ſpottluſtig geſtimmt nachher aber unwiderſtehlich ... Nun jagte er hin, und der Taumel war in ihm. Der Wein ebnete den Weg, minderte die Reibung, glättete die Geleiſe.

Da hatte ſich Adam von einem elementaren Zwange packen laſſen müſſen. Es ſtieß ihn wie mit einer übergewaltigen Fauſt von ſeinem Fauteuil herunter und warf ihn vor die Füße Lydias. In dieſem Augenblicke liebte er das Weib fanatiſch. Sein Denken war ausgelöſcht, ſein ganzes Ich ein einziges großes, dämoniſches Gefühl .. ein einziges aufdampfendes Begehren. Adam hatte den Kopf in Lydias Schooß gelegt und ſchluchzte, ſeine Arme hingen ſchlaff herab.

Aber Doctor ! hatte Lydia mit unnatürlich leiſer, halberſtickter Stimme hervorgeſtoßen und mit jähem Rucke aufſpringen wollen.

Adam richtete ſeinen Kopf empor ... langſam, faſt feierlich, beſchwörend. In ſeinen verthränten152 Augen lag die heiße Bitte, ihn nicht hinwegzuſtoßen. Lydia löſte jetzt ſanft ihren rechten Arm frei und ſtrich leicht, lind, mit liebkoſenden Fingern über Adams Haar. Der aber erbebte mächtig unter dieſer weichen, zärtlichen Berührung.

Im Zimmer war es ſtill. Nur das Licht der Lampe ſurrte leiſe .. und ungleich, heftig haſtete der Athem der beiden Menſchen, die, ganz hingenommen, ganz berauſcht von ihren verworrenen Gefühlen, eine kleine Weile in eng zuſammengeſchmiegter Ge - meinſchaft beieinander waren. Zu dieſer Zeit waren beide gut, beſſer, denn ſie je geweſen. Alles, was das Leben in ihnen verzerrt hatte, war ausgeglichen. Fülle und Kraft lebte in ihnen, Hoffnung, Sehn - ſucht, Erwartung und eine mächtige Geſpanntheit aller Sinne und Gefühle.

Nun richtete Lydia das Geſicht Adams mit discretem Nachdruck zu ſich empor.

Steh auf, Adam! Wir waren einen Augenblick zwei dumme, thörichte Kinder jetzt wollen wir wieder vernünftig ſein ja? Komm!

Lydia! ..

Na, was denn, Herr Doctor? Ich weiß gar nicht laſſen Sie mich! Bitte na? ... Die Worte waren mit zweideutiger Betonung ge - ſprochen. Es ſchien Frau Lange halb und halb mit ihrem Abwehren ernſt zu ſein .. und doch war ihr vielleicht eine drängende, ſtürmiſche, beharr - liche Zärtlichkeit Adams noch mehr willkommen.

Lydia! bat Adam noch einmal, dringend,153 inſtändig ... vielleicht beſaß ſeine Stimme auch einen Stich ins Drohende. Und doch hatte der Gefühlstumult in ſeiner Bruſt ſchon bedeutend an Stärke und Energie eingebüßt. Die gemacht naiven, zu - dem, wie es ihn dünkte, nicht ſpottloſen Worte der ſchönen Frau hatten Adam etwas ernüchtert. Zugleich aber war ihm, wenn auch kaum in ſcharfen Bewußt - ſeinslinien, der kluge Gedanke gekommen, die Situation, die ſich ja nun einmal in Scene geſetzt hatte, nach Kräften auszunützen ... natürlich ſoweit er das unbeſchadet ſeiner Mannesehre thun durfte.

Stoß 'mich nicht von Dir, Lydia! Ich gehöre ja ganz Dir nur Dir allein! Ich habe keinen Vater und keine Mutter mehr und habe keine Heimath mehr .. Lydia! Ich liebe Dich grenzen - los

Unwillkürlich war Adam doch wieder wärmer, ehrlicher, natürlicher geworden. Da lag er in einem eleganten Cabinet zu den Füßen einer ſchönen Frau .. und er durfte die Kleider dieſer ſchönen Frau berühren .. ihre Hände, ihre Arme .. er fühlte ihren wärmeren Athem, er fühlte ihre heftig auf und nieder gehende Bruſt ja! ja! er liebte dieſes Weib .. er begehrte es .. er lechzte nach ſeinen Küſſen es riß ihn unaufhaltſam in die Arme dieſer Frau dieſer dieſer

Lydia! ſchrie er noch einmal auf

Frau Lange ſchien nachgeben zu wollen. Sie lehnte ſich einen Augenblick wie gebändigt, wie beſiegt, gegen die Rücklehne des Fauteuils 154 Adam ſprang auf nun ſchnellte auch Lydia empor die beiden ſtanden ſich hart, eng gegenüber.

Herr Doctor !

Aber noch gab Adam die Partie nicht verloren. Dieſe Frau trotzte ihm. Seine ganze, widerſpenſtige, zu despotiſchem Imperium geneigte Natur brach nun durch. Und doch ließ er ſich nicht völlig von ſeinem Zorne, ſeiner Wuth hinreißen. Ein unklares Gefühl ſagte ihm, daß eine gewiſſe ſentimental - nachgiebige Zurückhaltung ſehr wirkſam ſein müßte.

Glaubſt Du mir nicht, Lydia? Habe ich das verdient ?

Frau Lange ſchwieg, ſie war einige Schritte nach rechts, mehr nach dem Innern des Zimmers zu, getreten.

Sie ſind ein großer Phantaſt, Herr Doctor! nahm ſie nun das Wort. Sie bilden ſich ein, daß Sie mich .. mich .. lieben‘, wie Sie ſagen weiter Nichts als Einbildung, mein Herr! Wir haben beide unſer'n Stimmungen nachgegeben wir haben uns überrumpeln laſſen wir haben einen Augenblick geträumt vielleicht auch .. ganz ſchön geträumt nun laſſen Sie uns aber wieder wach ſein wir wollen ein fettes Punctum hinter dieſe Scene machen und wir wollen ſie alle beide ſo ſchnell als möglich vergeſſen

Adam wandte ſich ab. Herzlos!. knurrte er in ehrlicher Entrüſtung, im Zwange eines ernſten, redlichen Schmerzes, durch die Zähne.

155

Adam! fuhr Lydia auf. Der ſchnellte jählings um. Sollte doch noch Hoffnung ſein? ... Sollte er heute Abend doch noch zu einem ... hm! ... zu jenem Ziele kommen .. zu jenem unklaren Ziele, das er zu erreichen erſehnte .. das ihn lockte .. und vor dem er doch zurückſchrak? Leidenſchaft und Berechnung ſtritten in ſeiner Bruſt. Aber er beherrſchte ſich. Er nahm eine nachläſſige, ironiſche Haltung an. Die Hände lehnte er hinter dem Rücken gegen die Tiſchplatte und kreuzte die Beine.

Gnädige Frau ?

Es iſt genug

Lydia ging zu ihrem Schreibtiſch hinüber. Dort ſtand ſie, Adam abgekehrt, eine Weile ſtarr, bewe - gungslos, wie in einen tiefen Strudel tumultuariſch ringender Gedanken und Gefühle hinabgezogen.

Sie erlauben mir noch eine Ihrer köſtlichen Cigaretten, gnädige Frau ?

Lydia wandte ſich langſam wieder um. Sie war ſehr bleich. Von der Naſe zum Munde herunter zog ſich eine ſcharfgeſchnittene Falte, wie ein Signal bodenloſer Verachtung.

Bitte ſehr, Herr Doctor! Die Stimme klang müde und höhniſch zugleich.

Sie ſehen, gnädige Frau .. das Feuerfangen iſt gefährlich .. und .. und .. undankbar .. ſtichelte Adam aber es wird Zeit, daß ich mich auf - mache .. fuhr er fort und zog ſeine Uhr Sie ſind müde von den .. den Anſtrengungen des156 Abends und es geht ſtark auf Mitternacht ... Geſtatten Sie darum, daß ich mich empfehle. Und verzeihen Sie in Gnaden dem reumüthigen Sünder! Ich danke Ihnen für die ſchönſte Stunde meines Lebens, verehrte Frau ſie wird mir unvergeßlich bleiben. Ich habe nicht umſonſt gelebt, da ich einmal doch pardon! Und nun geben Sie mir Ihre kleine, ſüße Hand zum Abſchied ja? Ich bitte

Lydia ſtand einen Augenblick unbeweglich. Dann ſtreckte ſie Adam langſam ihre rechte Hand entgegen. Der zog dieſe entzückende, nur jetzt etwas ſchweiß - feuchte Hand galant an ſeine Lippen und küßte ſie.

Und nun gute Nacht, liebe, gnädige Frau .. doch .. ach ja! was wird .. was wird nun aus unſerer modernen Bibel ? Soll ſie für immer ungeſchrieben bleiben .. oder ..?

Nun ... wir haben ja heute Abend .. wir haben ja ein Capitel aus ihr erlebt .. renken Sie's ein, Herr Doctor, und ... und bringen Sie's mir gelegent - lich .. ich bitte darum .. für die Zukunft dürfte es ſich allerdings kaum empfehlen

Lydia verſuchte ihre Worte in einem leichten, harmlos-liebenswürdigen Tone vorzubringen. Aber es wollte ihr nicht ſo recht gelingen. Ihre Stimme klang unſicher, hart, etwas heiſer, verwalzt.

dürfte es ſich kaum empfehlen, daß wir wieder ſo .. ſo plaſtiſch verfahren, wie es .. leider heute der Fall geweſen, ergänzte Adam ſeien Sie unbeſorgt, gnädige Frau!. Aber ... wenn Sie157 die Gelegenheit dazu ganz aus der Welt geſchafft wiſſen wollen ſo überlaſſen Sie doch bitte das Motiv mir allein ich werde mir wahrhaftig alle Mühe geben, ein wahnſinnig ſchönes Buch zu Stande zu bringen und dieſes wahnſinnig ſchöne Buch, gnädige Frau nicht wahr? ich darf es Ihnen nachher widmen ?

Sie tragen immer Siebenmeilenſtiefel, Herr Doctor ... gewöhnlich geht doch Alles viel lang - ſamer auf der Welt warum denn nur immer ſo ſtürmiſch ?

Frau Lange hatte das immer auffällig betont. Adam ſtutzte.

Ah! Nun verſtand er! Ja! .. erwiderte er mit ſuffiſant-melancholiſchem Tonfall, der Eine klappert ſchwerfällig mit Pantoffeln durch's Leben .. der Andere durchſauſt das reizende Daſein auf einem Bicycle. Da hat nun ein Jeder ſo ſeine Art, ſo ſeine kleine Methode ... Verzeihen Sie noch ein - mal mein ... mein .. nun! mein Bedürfniß, zuweilen ſehr offen .. ſehr wahr zu ſein, Lydia .. unprak - tiſch offen .. unangenehm wahr. Aber vielleicht haben Sie auch darin Recht: dieſes Bedürfniß iſt wohl auch weiter nichts, als Einbildung. Und nun gute Nacht !

Gute Nacht !

Adam verließ ſchnell das Zimmer. Als er den Corridor betrat, kam Auguſt, der ſchon gewartet zu haben ſchien, langſam auf ihn zugeſtapft. Ein Zug des Unwillens, des Verdruſſes, ſtand auf ſeinem Geſicht. Mit Mühe unterdrückte er das Gähnen. 158Der Herr Doctor fühlte ſich von der plumpen Geſchmackloſigkeit dieſer rüden Lakaienpflanze ſehr peinlich berührt.

Der Diener geleitete ihn durch das Vorhaus zur Thür. Adam fröſtelte es. Er ſchlug den Rock - kragen in die Höhe.

Gute Nacht, Herr Doctor!

Gute Nacht! Eine Sekunde vorher noch das obligate Verdrücken eines Silberlings. Nun donnerte dumpf krachend die ſchwere Thür hinter ihm zu.

Hallali! Jetzt ſeid Ihr wieder einmal aus einem Paradieſe vertrieben, Monſieur! ſprach zu ſich ſelber der einſame Menſch, der da durch die kühle, windige Frühlingsnacht hinſchritt.

[159]

XI.

Und wie der einſame Menſch durch die kühle, windige Frühlingsnacht weiterſchritt, fand er Zeit, Gelegenheit und allmählich auch immermehr wachſende Stimmung, noch Näheres wie Ferneres mit ſich und zu ſich zu ſprechen. Zunächſt ging der Herr Doctor aller - dings eine kleine Weile ſehr gedankenlos fürbaß. Er be - ſchäftigte ſich, unter dem Drucke einer einförmigen - digkeit leidend, unwillkürlich mit allerhand ſehr äußer - lichen Dingen. Er betrachtete ohne Theilnahme den leicht überwölkten Himmel; ſein Auge nahm gleich - gültig von den paar Sternen Notiz, die da und dort ſchläfrig, mattblinzelnd auf die Erde herunterguckten; der Menſchen, die ab und zu, bald ſchneller, bald langſamer, an ihm vorüberſtapften, achtete er nur mechaniſch, er ſann ihnen nichts nach, ſpann ihnen nichts zu, vermuthete und verglich, verknüpfte nicht, wie es wohl ſonſt ſeine Gewohnheit war; die unklare, verworrene Welt der nächtigen Schatten, die ſich durch ſpär - liches Gaslicht compromittiren laſſen mußten, reizte ihn nicht es war zunächſt eine große Leere, Stumpfheit und Gleichgültigkeit in ihm. Dann fiel ihm Dieſes und Jenes ein, was er vorhin ..160 was er vor einer .. vor zwei Stunden mit Lydia erlebt hatte: einer Geſprächswendung erinnerte er ſich ... einer Frage ihrerſeits, einer Antwort ſeinerſeits plötzlich ſah er ſich wieder zu den Füßen der ſchönen Frau liegen er ſpürte den weichen Druck ihrer Hand, er ließ ſich noch einmal von ihrer zarten Liebkoſung durchbeben er athmete das Parfüm ihrer Kleider ein er ſah wieder die erregt auf - und niedergehende Bruſt vor ſich dann ſtand er Lydia noch einmal gegenüber, nachläſſig-herausfordernd an den Tiſch gelehnt hm! der Schlußtrumpf mit ſeinen kleinen, niedlichen Anhängſeln: der Bibeldedication, dem eleganten Handkuß er war wirklich nicht übel! Aber was ſollte er nun mit der Dame ſeines Herzens anfangen? Wie verhielten ſie ſich zu einander? Hatte er noch Etwas zu erwarten oder war Alles vorbei ſollte er das Spiel verloren geben? Welches Spiel? Aber beim Zeus! war ihm das Weib denn jetzt ſchon wieder gleichgültig? War ſeine Liebe, ſeine Leidenſchaft wirklich weiter nichts, denn ſchemenhafte Augenblicksphantaſie ... überflüſſige Einbildung geweſen? Waren ſeine Stimmungen in derbſter Thatſächlichkeit weiter nichts als eben die lösbarſten Stimmungen von der Welt? Durfte er ſich gar nicht mehr auf ſich verlaſſen? Haftete Nichts mehr in ihm? Hatte der Impuls ſeiner Kräfte ſo bedeutend eingebüßt war er in jeder Hinſicht ſo entſcheidend herabge - drückt worden? Und Adam dachte eine Sekunde161 daran, ſich einmal den Proceß zu zergliedern, unter dem die Menſchen ... andere Menſchen, ein - fachere Individuen, die Durchſchnittsmaſſe .. zu handeln pflegen. Der Motiv entfiel ihm wieder, entwiſchte ihm. Es war wohl auch zu complicirt und bedurfte einer ruhigen, objectiven, kritiſchen Secir - ſtimmung, welche Adam jetzt kaum vorräthig bei ſich fand. Das Bewußtſein ſeiner Unzuverläſſigkeit in erotiſchen Angelegenheiten zerrte doch gewaltig an ihm. Es machte ihn zuerſt unruhig, es empörte ihn gegen ſich, dann legte es ſich als ein ſchwerer, maſſiver Druck, lähmend und zuſammenſchnürend, auf ihn. Adam athmete einige Male heftiger, er ſchüttelte an ſich herum er wollte um jeden Preis das Blei dieſer troſtloſen Starrheit aus ſeiner Seele los ſein. Andere Gedanken kamen nun. Ja! Ja! Und nochmals Ja! : er mußte ſich andere, neue Verhältniſſe ſchaffen, unter denen er in Zukunft leben durfte. Ah! da erwartete er alſo doch noch eine Erneuerung ſeiner Perſönlichkeit er hielt ſie für möglich er rechnete ſogar ſchon mit ihr ? Oder that er das Letztere etwa nicht? Gewiß that er's! Er hatte noch längſt nicht à la Doctor Irmer auf das Leben verzichtet . Nein, keine Spur davon! Er wollte leben: reich, unabhängig .. in einer Lage leben, wo er nicht jeden Groſchen dreimal umdrehen und beſehen mußte, ehe er ihn ausgab was er allerdings ſonſt auch nie that, was er aber eigentlich den ökonomiſchen Privatgeſetzen, unter denen er jetzt exiſtierte, ſchuldig geweſen wäre Conradi, Adam Menſch. 11162in einer Lage, wo er ſeinen Neigungen, ſeinen Paſſionen, ſeinen Stimmungen zwanglos nachgeben durfte ... Eine reiche Heirath : es war ſchließlich das Einzige, was ihn aus dem Dreck der Enge, in welcher er ſtak, herausretten konnte. Und .. und lag es nun nicht blos noch an ihm, in den Hafen ſeiner ſehr praktiſchen Wünſche einzulaufen? Lydia ſchien doch ein tieferes Intereſſe für ihn zu haben das war aus ihrem ganzen Benehmen heute Abend zu erkennen geweſen. Wirkten auch eine Portion Coquetterie .. und ein gut Theil jener ſuffiſant-gutmüthigen Launenhaftigkeit, die ſich eine junge, ſchöne, reiche, unabhängige Frau immer geſtattet, mit vielleicht ließ ſich die Geſchichte ... hm! ... die Geſchichte ... ließ ſich dieſes dumme Intereſſe'-Gefühl doch vertiefen vielleicht vertiefte es ſich durch einen ſtarken Appell, den es erführe, unwill - kürlich! Adam ſagte ſich, daß es vom praktiſchen Standpunkte aus wahrhaftig unverzeihlich thöricht wäre, die Fäden wieder aus der Hand zu geben ... vom dürren Sande des Lebens wieder verſchleppen zu laſſen. Das war ja Unſinn, wenn er ſich einbildete, Lydia zu lieben. Oh! Er würde gewiß noch im Stande ſein: angeregte, reizvolle, intime, vielleicht auch leidenſchaftliche, den ganzen Menſchen er - füllende und aufwühlende, wahnſinnig ſchöne Stunden mit ihr zu erleben .. ein Sclave ihrer Reize, ein dämoniſch Begehrender ein ein ein nun was denn ? pah! nur eine einzige, große, dürſtende Sinnlichkeit hm! ..163 wenn ... wenn er eben in der entſprechenden Stimmung war ... wenn ihn eine übermächtige Kraft in den Strudel, in die Kreißende Gefühlsfülle hineingeworfen ... Gewiß! Er war noch fähig, ſich das gefallen zu laſſen. Aber dauernd mit einem Weibe zuſammenzuleben? Da lag der Haſe im Pfeffer. Nein! das konnte er von ſeiner Natur nicht verlangen. Warum ſollte er treu ſein wollen, wo er wußte, daß er nicht treu ſein konnte? Seine Natur war ſchon viel zu differenzirt, ſchon viel zu ſehr auf die verworrene, verwirrende Maſſe der Lebensreize geſtimmt. Er hatte es ſchon ſeit Jahren nicht mehr der Mühe für werth gehalten, kleinen Verſuchungen gegenüber unzugänglich zu ſein. In große Verſuchungen war er leider im Grunde noch gar nicht geführt worden. Aber hat man überhaupt ein Recht, zwiſchen kleinen‘ und großen‘ Verſuchungen zu unterſcheiden? Adam ſagte ſich, daß ſein Ver - hältniß zu der Ehe .. ſeine perſönliche Auffaſſung der Ehe im landläufigen Sinne, im Mund - und Buchſtabenſinne, eine bodenlos unmoraliſche ſei. Aber was that das? Er wollte hm! nun ja! er wollte alſo Privatdocent‘ werden irgendwo .. in Van Diemensland, Tokio oder Angra Pequena, das war egal .. Dazu bedurfte er reicher Mittel. Broſchüren weiterſchmieren .. Leitartikel für conſervative Zeitungen zuſammenlügen, das hatte nicht viel Werth. Das brachte nicht viel ein und konnte ihn zudem noch in Verhältniſſe ſtoßen, die Opfer von ihm forderten .. Opfer, die er bei ſeiner ziemlich an -11*164ſpruchsvollen Natur kaum auf ſich nehmen konnte. Den Märtyrer‘ ſpielen nein! Vielleicht hatte er es einmal vermocht. Vor Jahren, vor vielen Jahren heute vermochte er es ſicher nicht mehr. Und ſich ſonſt zum Träger einer Rolle‘ aufwerfen ? Es hatte nicht viel Zweck. Mag es den Friſeuren überlaſſen bleiben, auf vorüberflatternde lange Haare lüſtern zu ſein. In ſich ſein bei ſich ſein, in ſich hineinleben, aus ſich herausleben darauf kam es an. Ein paar kleine Zugeſtändniſſe mußten ge - macht werden. Darauf kam es ja aber auch nicht an. Doch ... ſich ausleben ... in der Fülle und Kraft, wie er es ſich einmal erträumt, vor Jahren für ſpätere Zeiten der Freiheit erträumt hatte davon konnte wohl kaum mehr die Rede ſein. Er fühlte oft eine ſo furchtbare Leere in der Bruſt .. wie Einer, der an heftigem Schleimhuſten leidet, meint, ſeine Bruſt ſei leer, ganz leer, ganz hohl. Und doch! Er mußte ſich dieſes Weib zu eigen machen, tauſend Gründe zwangen ihn dazu. Er liebte eigentlich die Menſchen .. aber mit ge - wiſſen Vertretern ſotaner Menſchheit‘ kam er zeit - weilig ſehr ungern in Berührung. Und dann um Gotteswillen keine Enge, keine Beſchränkung, keine Noth! Die Noth ſtimmt Alles ſo herab .. ent - nervt ... entſeelt Alles .. höhlt aus .. zerfrißt .. Nur nicht mechaniſch vegetiren, wo man das natür - liche Recht beſitzt, organiſch zu leben. Was hätte er davon, fragte ſich Adam, daß er wußte, wie Peter ſeine Wurſt ißt und Paul ſeinen Furz läßt? 165Totalement Nix! Das iſt ja Alles ſo gleichgültig. Aber das Volk hm! das Volk das Volk‘! .. Man könnte mit ſeiner Hülfe unter Umſtänden eine vorzügliche Carrière machen! Socialdemokra - tiſcher Reichstagsabgeordneter! Donnerwetter! das wäre 'was? Nicht? Hm! Nur die Glacéhandſchuhe müßte man ſich abgewöhnen .. und .. und ſich nicht mehr darüber wundern, daß es die Menſchen für eminent überflüſſig halten, ihren geliebten Mit - menſchen eine Lüge nachzurechnen und demonſtrativ vorzuwerfen! .. Doch .. die Zukunftsidee des Proletariats ſie wird und wächſt und ſie ſiegt auch zweifellos einmal aber ich declamirte ſich Adam mit ſonorem Pathos vor ich ruhe mich doch von den Strapazen, Dummheiten und Narrenspoſſen des Lebens wahrhaftig viel lieber à la Hamlet zwiſchen den Beinen eines Weibes aus, als innerhalb der vier Wände einer monſtröſen Gefäng - nißzelle ... Und ſo kommt man denn allmählich da - hinter, daß man zu Allem und noch Verſchiedenem außerdem verflucht untauglich iſt! ..

Aber hielt ſich Adam plötzlich ſelber auf wie oft ſchon habe ich dieſes dumme, triſte, oberfaule Zeug durchgewürgt! Es iſt ja leider Alles ſo ſcandalös richtig, doch ſollte man ſich das Blech nicht zu oft vorkauen. Laſſen wir wieder einmal die Zukunft eben Zukunft und die Gegenwart eben Gegenwart ſein! Das Andere findet ſich‘ ſchon von janz alleene‘ .. Trinken wir lieber noch 'n Glas Abſynth! Den erſten Schluck auf166 Lydias Wohl! Es lebe der Leichtſinn und ſeine ehrenwerthe Amme : die Allerweltsgleichgültig - keit! ..

Adam ſah nach der Uhr. Es war kurz nach Eins. So hatte er ſich doch faſt eine Stunde in der Stadt herumgetrieben. Und was hatte er von der endloſen Converſation mit ſeinem höchſteigenen Ich profitirt? Er hatte ſich eine Reihe tödtlich lang - weiliger Thatſachen vorerzählt und war ſchließlich zu keinem Reſultate gekommen. Nun! das war ihm ſchon öfter paſſirt. Darüber brauchte er ſich nicht mehr zu ärgern. Schließlich würde er ja ſchon handeln,[wie] er mußte wie er gezwungen ſein würde. Und das ließ ſich abwarten .. bequem abwarten.

Adam orientirte ſich. Er bemerkte, daß er aus der ſtillen, vornehmen Gegend, in der Frau Lange wohnte, unwillkürlich in die Mitte der Stadt ſeinen Weg genommen. Da konnte es ja bis zum Wiener Café nicht mehr weit ſein. Nach einigen Minuten hatte Adam ſein Ziel erreicht. Er trat ein. Es war ſehr ſchwül, dunſtig in dem großen, hellerleuch - teten, vollbeſetzten Raume. Die Gerüche von Kuchen, Kaffee, Cigaretten, Billardkreide, Menſchenſchweiß ſchwammen in der dicken, ſchweren, von ſchwarzblauen Rauchſchwaden und Dunſtpolſtern durchlagerten Luft. Dazu ein wirres, geſetzloſes, unregelmäßiges Geſumme und Gebrauſe von Menſchenſtimmen .. die Muſik an - einandergeſchlagener Taſſen ... das ſchrille Klappern der Löffel .. das kalkige Rollen der Billardbälle ... 167Adam ſuchte nach einem unbeſetzten Tiſche. Er ſuchte vergebens. Da kam der Zahlkellner auf ihn zugelaufen, nahm ihm Hut und Ueberzieher ab und machte ihn in ſeiner ſouverän-zudringlichen, gleich - gültig-intereſſirten Art auf einige leere Stühle aufmerkſam. Schließlich ließ ſich Adam an einem kleinen, runden, ſo ziemlich in der Mitte des Cafés ſtehenden Tiſche nieder, an dem ſchon ein Herr und eine Dame ſaßen. Die Dame hatte Adam nun links neben ſich, den Herrn ſich gegenüber. Er betrachtete ſeine Nachbarn.

Aber jetzt tauchte vorerſt ein Kellner auf.

Was darf ich bringen? ..

Einen Abſynth und 'n paar Cigaretten

So gut wie Deine Sorte, geliebte Lydia, mo - nologiſirte Adam leiſe, werden ſie wohl nicht ſein ... aber Feuer zu fangen ... hm! .. dazu wird man ſie wohl auch noch bewegen können

Das kleine Weib hat ein verdammt hübſches Profil, conſtatirte der Herr Doctor jetzt mit großer Befriedigung. Und Er dagegen! Stutzerhaft elegant, ſehr patent, ſehr raſirt und tadellos friſirt. Aber wie dumm, wie ausgefahren war dieſes Geſicht! Der liebe Gott mußte ſchlechterdings gerade am Aſthma gelitten haben, als er dieſem Menſchen da ſeinen Odem in die Naſe blies. Aber was ſo'n Fatzke für Glück hat! Das Mädel war wirklich ſehr appetitlich. Die zollſchmale, im Gaslicht discret mattroth aufſchimmernde, entzückend abgerundete Fleiſchſpanne am rechten Unterarm zwiſchen dem168 Aermel und dem bräunlich gelben Glacéhandſchuh Donnerwetter! war ſie nicht zum Küſſen ? Das ſchwarze, wellige Haar, am Hinterkopfe zu einem vollen, ſchweren Knoten zuſammengeflochten, unter dem Hute noch deutlich ſichtbar, mit ſelbſtändiger Plaſtik hingeſtellt, ergänzte prachtvoll die ſcharfen und doch feinen Züge des Profils.

Die beiden ſchienen ſich nicht viel zu ſagen zu haben. Das kleine Weib ſog öfter durch die zarten, ſauberen Strohröhrchen an ſeinem Eiskaffee und ſchaute ſich ſonſt fleißig im Saale um. Adam be - merkte, wie der Dame von einigen Herren, die hinten in der einen Ecke des Zimmers ſaßen, zu - genickt wurde. Die Cumpane grinſten geärgert - amüſirt. Nun ja doch! Was wunderte er ſich denn? Immer wieder das alte Erſtaunen und der alte Unmuth .. das alte Bedauern? Nun erhielt auch Adam einmal das volle Geſicht ſeiner Nachbarin und einen kurzen, ſcharfen Blick dazu. Jetzt wurde er von dem Herrn, dem Ritter und Liebhaber der reizenden Donna, nachdrücklich fixirt. Der Her Doctor ließ ſich nicht aus der Contenance bringen. Er bereitete ſich ſehr ruhig ſeinen Abſynth, der unter - weilen vor ihm hingeſchoben war, that einen vollen Zug und brannte ſich nachläſſig-herausfordernd eine Cigarette an. Die erſte Ladung Rauch blies er ſeinem Gegenüber etwas unhöflich in's Geſicht. Der huſtete ein Wenig, wurde etwas roth, ließ es auch an einem ziemlich wüthigen Blicke nicht fehlen, begnügte ſich ſodann aber ſehr praktiſch damit, nach169 ſeinem Bierglaſe zu greifen und ebenfalls einen derben Schluck zu thun, welcher Aktus ſich faſt ſo ausnahm, als käme der fremde, zurückhaltende Herr Adam ein vorgekommenes Stück‘ pflichtſchuldigſt nach. Adam mußte lächeln. Ich werde dir ſchon in anderer Weiſe ein Stück‘ vor - oder nachkommen, mein Lieber warte nur noch ein Weilchen bald iſt meine Kammer voll Sonne! .. Wahrhaftig! ich möchte dem göttlichen Paul Heyſe eigentlich eine Bierkarte ſchreiben!‘ Adam mußte ſich ja doch vorläufig noch mit ſeiner eigenen Wenigkeit unter - halten.

Und wie er ſo behaglich daſaß, jetzt einen Schluck Abſynth zu ſich nahm, jetzt an ſeiner Cigarette zog, an ſeiner reizenden Nachbarin in aller Ehrbarkeit herumſchnüffelte und ihren Liebhaber mit mitleidig - impertinenten Blicken ſpickte, fiel es ihm plötzlich ein, daß ihm vorhin bei ſeinem Selbſtgeſpräche zu mitternächtigſter Stunde Hedwig gar nicht in den Sinn gekommen war. Das frappirte ihn und doch wunderte es ihn eigentlich nicht. Was war ihm Hedwig, wenn er vor Lydia auf den Knieen lag? Und was war ihm Lydia, wenn er Hoffnung hatte, mit ſeiner ſchönen Nachbarin hier eine ſüße, köſt - liche Nacht .. eine Nacht berauſchenden Minneſpiels, genießen zu dürfen? Und was würde ihm dieſes Weib ſein, wenn er morgen ein anderes fände, das ihm noch größere, feinere, heftiger lockende Reize entgegenbrächte ? Er ſuchte ja längſt nicht mehr im Weibe ein Weib .. ein beſonderes, individuelles,170 ihm congeniales Weib er ſuchte nur noch das Weib, welches ſich von jenem einem Weibe gerade ſoviel geborgt hatte, daß es ihm für eine mehr oder weniger große Spanne Zeit genügen konnte. Und doch .. jenes eine Weib waren die Tage ſchon vorüber, da er geträumt hatte, daß er es finden würde? Waren ſie wirklich ſchon vorüber oder .. oder träumte er jetzt noch zuweilen denſelben dummen, einfältigen Traum? Das wäre doch zu geſchmacklos. Die Jugend mit dem geſchmeidigen Gehirn im Schädel und dem friſchen, unausgefahrenen Pumpwerk des Herzens ja! die beſitzt wohl das Recht und die Kraft, zu abſtrahiren .. Idealſchemen zuſammenzukneten: fehlt ihr doch noch die ganze maſſive Fülle des Lebens, der Erfahrung an den Objekten. Aber wie im ſpätgewordenen Menſchen noch ſo Mancherlei rudimentär bleibt .. liebliche Erinnerungen aus den Kindheitstagen animaliſchen Erdenlebens ſo nimmt der ältergewordene Ein - zelmenſch nicht minder ... ganz unwillkürlich ... noch dieſes und jenes Moment aus ſeiner Kindheit in die ſpäteren Tage mit hinüber: ein Ideal‘, eine harmloſe Abſtraktion ... einen Traum, der ein - mal ſo friſch und ſo voll und ſo ſaftig geweſen .. und der ſich nun o! alle Farben und Formen des Lebens allmählich hat abſtehlen laſſen müſſen ...

Adam beugte ſich vor und legte den Reſt ſeiner Cigarette auf den Aſchenteller. Der Herr ihm gegenüber erhob ſich jetzt plötzlich mit einem halb - laut zu ſeiner Dame geknurrten Verzeih! und171 ging nachläſſig-langſamen Schrittes hinaus. Adam mußte die Situation benutzen.

Sie haben einen ganz vorzüglichen Geſchmack, mein gnädiges Fräulein begann er mit unwill - kürlich ein Wenig ſtockender, undeutlich verſchleierter Stimme.

Die Dame ſchien Adams Anrede vollſtändig überhört zu haben. Sie klopfte mit dem Löffel ſehr energiſch an ihr Kaffeeglas und beſtellte bei dem Kellner, der herangeſtürzt kam, noch einen Eiskaffee. Mein Kind! Ich bitte Dich! Thu 'doch nicht ſo! Du haſt Dich eben' mal verſehen! .. Dieſer Fatzke! Dieſes anlackirte Rhinoceros kannſt Du Dich denn nicht losmachen? Komm! Es iſt viel geſcheiter, wenn wir beide heute zuſammenſchlafen Adam hatte ſchon etwas lauter und zudringlicher geſprochen. Die Apathie der Dame ärgerte ihn. Aber das kleine Weib rührte und regte ſich nicht. Es ſaß ſehr ſteif, ſehr abgewandt, ſehr unnahbar da.

Jetzt kam das Getränk. Noch ein Eiskaffee! Die ſchöne Sünderin beugte ſich graziös über die beiden zarten, ſauberen Strohröhrchen und zog ſie zwiſchen die ſchmalen, dünnen, blaßrothen Lippenlinien. Gerade dabei erhielt Adam einen kurzen, äußerſt liebenswürdigen und aufmunternden Seitenblick.

Der Herr Doctor hatte die Belagerung ſchon abbrechen wollen. Aber ſeine Sache ſchien doch gar nicht ſo ungünſtig zu ſtehen. Wenn nur der Menſch ... der unbequeme Burſche noch ein paar Sekun - den bleiben wollte, wo er war.

172

Ihr Weiber ſcheint doch manchmal recht dumme Kerls zu ſein! Auf den Erſten Beſten fallt Ihr 'rein! ... Alſo! ... Du gehſt mit mir nicht wahr ?

Wie ſoll ich ihn denn los werden ? Heute muß ich ſchon ... morgen wir können uns ja irgendwo treffen

Ach was morgen! Heute! Es iſt übrigens ſchon längſt heute‘, mein Kind und wir thun ſehr gut, wenn wir dieſes ominöſe heute‘ recht früh anfangen ... mir wäre es recht, wenn wir es auch

Adam hielt plötzlich inne. Er hatte zufällig nach dem nächſten Billard hinübergeſehen und bemerkt, daß dort der Ritter der Dame ſtand, anſcheinend dem Spiele zuſah, in Wahrheit aber ſeine Auserwählte und ihren neuen Galan ſcharf beobachtete.

Der Würfel iſt gefallen, Kind Dein Herr und König hat ſchon Lunte gerochen die Sache wird ſich ſofort entſcheiden

Um Gottes Willen !

Jetzt kam der gute Mann affektirt-nachläſſig, die Hände in den Hoſentaſchen, im Geſicht einen Aus - druck furchtſamer Verbiſſenheit, nach ſeinem Stuhle zurückgeſchlendert. Er ſetzte ſich langſam, nachdrück - lich nieder, griff nach ſeinem Glaſe und würdigte die Dame ſeines Herzens keines Blickes.

Adam aber hub an, alſo zu ihm zu ſprechen: Geſtatten Sie, mein Herr, daß ich mich vorſtelle! Mein Name iſt Doctor Menſch. Ich ſehe, daß Sie173 geradeſo ein Anhänger der ſogenannten freien Liebe ſind wie ich. Das heißt: wohl ebenfalls nur in der .. Praxis denn theoretiſch werden Sie aus gewichtigen, ſocialen Gründen die freie Liebe‘ ebenſo ſehr verwerfen wie ich es thue. Nun iſt aber einer der Hauptparagraphen dieſer prak - tiſch angewandten freien Liebe‘, daß das Weib den Mann verlaſſen darf, ſobald es ſeiner überdrüſſig ge - worden iſt. Nun iſt aber die hier momentan zwiſchen uns ſitzende junge Dame Ihrer ſo ziemlich überdrüſſig geworden, wie ſie mir ſoeben geſtanden hat, und hätte Luſt, mir ihre Gunſt zuzuwenden. Ergo werden Sie nur conſequent ſein, mein Herr, wenn Sie die Dame ſofort freigeben und mir über - laſſen. Nicht wahr? Sie begreifen ?

Auf dieſen feierlichen Appell ſchien der Herr aller - dings nicht beſonders vorbereitet geweſen zu ſein. Er machte ein mehr verblüfftes, denn verwundertes Geſicht und fuhr mit den Augen rathlos zwiſchen Adam und ſeinem ungetreuen kleinen Weibe hin und her. Endlich knirſchte er ein gepreßtes Mein Herr ! heraus, dem gleich darauf ein ebenſo heiſeres Emmy ! folgte.

Die Dame ließ ihre beiden Kämpen ſich balgen. Sie ſaß wieder ſehr ſteif, ſehr reſervirt, ſehr unnah - bar da. An den Nachbartiſchen war es auffallend ruhiger geworden.

Unverſchämte Frechheit !

Aber ... mein Gott! Wünſchen Sie denn noch etwas? wandte ſich Adam mit gemachtem Erſtaunen an ſein Gegenüber. Die Sache muß174 Ihnen doch klar ſein. Uebrigens ... wenn ſie wirklich noch Wünſche haben ſollten hier iſt meine Karte

Adam warf eine Viſitenkarte auf den Tiſch, die ſein Gegner ſehr ſchnell zu ſich ſteckte und dafür die ſeine hinſchleuderte.

Ah ... mein Herr ... nun! ... wie ich ſehe, ſind Sie ... mein Gott! Sie ſind ja wirklich Kaufmann ... Vertreter der Firma ... Firma Dietz & Sperling .. Seidenmanufactur ... Freiberg ... hm! ... Alle Hochachtung doch ... nun das wird ſich ja finden alſo ... vorläufig ich wäre für Sie ausnahmsweiſe zu Hauſe ... doch pardon! noch eine Frage ſind Sie ... vielleicht ſind ſie Reſerve-Officier? Es könnte ja doch ſein, obwohl auf ihrer Karte

Nein!

Ich danke!

Kellner! Zahlen!

Sehr wohl!

Ein Bier ...

Fünfundzwanzig Pfennige und zwei Eis - kaffees

Die bezahle ich natürlich! erklärte Adam mit vorſpringendem Pathos.

Ah! Sehr wohl! Danke ſehr! begriff der Kellner.

Alſo wir ſprechen uns noch

Wird mir natürlich eine Ehre ſein

Der geſchlagene Held ein patenter Jammer - kerl! urtheilte ihm Adam halblaut nach verließ die Wahlſtatt.

175

Siehſt Du, Kind nun ſind wir auf einmal entre nous! .. Die Geſchichte war doch ſehr ſchnell arrangirt nicht? Uebrigens jetzt fehlte nur noch, daß ein Dritter anſpaziert käme und Dich wiederum mir abſpenſtig machte! Das heißt: ſo leicht ſollte es ihm nicht werden beileibe nicht! .. Aber ... laß uns bald aufbrechen ja? Wir ſind den Göttern eine Hekatombe ſchuldig ... Ich habe Sehnſucht nach .. Dir, Kind! Mache! .. Komm! .. Trink Deinen Kaffee aus, bitte! wir gehen zu mir da wird's gut ſein .. und da wer - den wir Hütten bauen ...

Eine kleine Friſt darauf verließ Adam mit ſeiner köſtlichen Kriegsbeute das Lokal. Die beiden ſchritten Arm in Arm, eng aneinandergeſchmiegt, durch die ſtillen Straßen dahin und plauderten miteinander und neckten ſich und koſten, als ſtellten ſie vor ein bräutlich liebend Paar. Und der Nachtwind ſtrich um ſie herum und zauſte zaghaft an ihnen und blies ſie ſanft an und lauſchte auf die Ouvertüre der Liebesnacht, welche zwei Menſchenkinder feiern wollten, die ſich vorher noch nie begegnet waren .. die der Gott der Stunde heute zuſammengethan .. Es war zwiſchen zwei und drei Uhr. Der Himmel ließ ſoeben ſein ſtarres, gebundenes Schwarz in die erſte hellere, mehr dunkelblaue Farbenwellung hinüber - ſchlüpfen. Der Schlummer des Lichts begann un - merklich leiſer und leiſer zu werden. Bald mußte es aufwachen und den ganzen Horizont überflammen.

Adam aber vergaß in den weißen Armen ſeiner176 Emmy Frau Lydia Lange, vergaß die Betheuerungen und Schwüre, die er ihr waren denn unter - weilen erſt vier, fünf Stunden vergangen? ſchluchzend zugeſtammelt. Und er vergaß Fräulein Hedwig Irmer, dieſes blaſſe, ernſte Weib mit den ſchweren, dunklen Augen und dem herben, langweiligen Schickſal. Der Stern einer unheimlich ungenirten Liebe ſtand leuchtend zu Häupten ſeines Lagers ... ſeines Lagers, auf dem er ſo oft allein, ſo oft ver - waiſt geruht ſtand, bis die rothe, ehrliche Mor - genſonne kam und Emmys ſchwarzes Haar bläulich aufſchimmern ließ. Die Schläfer aber erwachten, blinzelten in den goldenen Glanz hinein, küßten ſich und koſten miteinander in ſeltſamer Kurzweil. Das Licht wuchs und wuchs.

[177]

XII

In immerhin ziemlich prägnantem Einſiedlerſtyle durchlebte Adam die nächſten Tage und Wochen. Der zeitweilige Verkehr mit Emmy, die ihn öfter beſuchte, und mit welcher er ab und zu kleinere Spaziergänge machte, hatte für ihn kaum etwas Anſchraubendes, Beſtimmen - des, Ablenkendes, Hinauszwingendes. Emmy war doch ganz feinfühlig und zurückhaltend.

Wohl geſtand ſich der Herr Doctor mit leiſem Bedauern ein, daß ihm in dieſer Zeit der Stille und Ebbe alles geiſtig Größere, Bedeutendere, Impoſantere fern und verſagt blieb. Aber dieſes Bedauern war doch ſchließlich nur ein ſehr nüchternes und oberflächliches. Adam verſpürte zuweilen einen Mangel, den er ſich halb unwillkürlich, halb künſtlich, aus Erinnerungen und zufälligen Vergleichen zwiſchen früheren, bewegteren Tagen und dem gleichmäßigeren Jetzt zuſammenbuk. Das war aber mehr eine correkte, etwas wehmüthig angeſprenkelte Abſtraktion, denn ein redlicher Vollſchmerz.

Adam hatte ſich zwar vorgenommen, die Be - ziehungsfäden zu Lydia nicht leichtſinnig zu ver - ſchleppen ... aber wie er ſo von Tag zu TagConradi, Adam Menſch. 12178in ſeinem Gefühls - und Gedankenleben vereinſamte .. ſelbſtinniger und intimer wurde; wie er die Kreiſe immer enger zog; wie ſich ihm die äußere Welt mehr und mehr zum Accidenz vereinfachte, das verhält - nißmäßig nur ſelten von Emmy wieder zum gleich - oder mehrwerthigen, unmittelbaren Object zurück - gemünzt und ausgeglichen wurde; wie er ſich ſtets eingehender und reicheren Gewinn ſchöpfend in das Motiv der bewußten modernen Bibel verſenkte: da trat unwillkürlich das perſönliche Gefühl, das Ver - ſtändniß, das Intereſſe für die Frau bedeutend zurück, verlor an Kraft und verblaßte für die Frau, die ihm jenes Motiv in einer loſeren Stunde überantwortet wie eine für ſie reizloſe Frucht in den Schooß geworfen hatte. Ideen, nicht zu alltägliche, nicht zu wohlfeile, dämmerten ihm auf, gewannen Ausdruck und Umriß ... und in dem ſpecifiſch modernen Momente des wiedergefun - denen Germanenthums glaubte er ſich des bewegenden und entſcheidenden Gegenſatzes der neuen Bibel zu dem ſemitiſchen Grundelemente der alten bemächtigt zu haben. Eine bedeutende Reihe neuer, intereſſanter Perſpektiven ergab ſich nun .. eine über - reiche Fülle von Gedankenkeimen ſchoß auf eine Ernte von originellen, neuen Anſchauungen, Auffaſſungen, zeitweilig recht merkwürdigen Ahnungen, welche aber Adam mehr mit der diskreten Zurückhaltung eines raffinirten Gourmand behandelte eines Gour - mand, der im unklaren Bewußtſein ſeines Reich - thums ſchwelgt und die er deshalb nur läſſig,179 faſt gegen ſeinen Willen, weiterentwickelte und fort - bildete ... Zugleich verſtand er es aber auch, eben als vorzüglich geſchulter Gourmand, jene Scheu vor dem klaren Wiſſen um ſeinen Beſitz als ein neues, pikantes Reizmoment in den Kreis ſeiner geiſtigen Luſt zu ziehen.

Eines Tages war Adam wieder einmal von Emmy um die Mittagsſtunde abgeholt worden. Sie pflegten dann zuſammen zu ſpeiſen .. aus Pietät und Anhänglichkeit in jenem Café, in dem ſie ſich kennen gelernt, eine Taſſe Melange zu trinken .. und nachher eine Weile zu promeniren. Sie tändelten und plauderten mit einander ... ſie erzählten ſich Dies und Das .. ſie langweilten ſich faſt ... und waren doch eigenthümlich angeregt, wenn auch ſanft nur und verhalten. Ab und zu ließ Adam, mehr zu - fällig denn abſichtlich, ein ernſteres Wort fallen, das Emmy mit drolliger Gewichtigkeit aufnahm und manchmal zum ſelbſtändigen Geſprächsmotiv zu machen verſuchte. Adam verſtand das kleine Weib und mußte lächeln. O! Emmy wußte die Ehre zu ſchätzen .. die Ehre, mit Herrn Doctor Menſch verkehren zu dürfen. Sie war nicht unbeanlagt und gewiß geiſtig nicht ganz bedürfnißlos. Oefter ſchon hatte ſie Adam, halb im Ernſte, halb im willkommenen Spaße, den Vorwurf gemacht, daß er ſie zu geringſchätzig behandelte .. zu ſehr die Geliebte .. zu wenig den Menſchen in ihr ſähe. Aber war ſie denn im Stande, den Untergrund ſeines Gedankenlebens aufzuwühlen? Wenn ſie zu12*180ihm komme, ſehe er immer ſo ernſt aus und ſei ſo wortkarg, hatte ſie ſich beklagt, und ſtudire immer in ſo vielen Büchern oder kritzele auf einem großen Blatte Papier herum mit ihr aber plaudere er ſtets nur loſes, leichtes Zeug warum leſe er ihr denn nicht einmal aus einem ſeiner Bücher vor ? Emmy war wirklich zeitweilig ein zu ſpaßiges Ding. Einmal hatte Adam ſie auf jenen Vorwurf hin in die Sophaecke gedrückt .. hatte ſehr ſonderbar gelächelt .. ihre dünnen, ſchmalen Lippenbänkchen unzweideutig verſeſſen geküßt ... und dann be - gonnen, an den Bruſtknöpfen ihres Jaquets zu neſteln : das war ſeine ganze Antwort geweſen. O! Emmy hatte verſtanden ja! ja! Sie wußte wohl, daß ſie ihm gefiel .. und das freute ſie auch tüchtig, denn ihr gefiel dieſer Herr Doctor nicht minder aber ein klein Wenig hatte ſie es doch geärgert, daß er öfter ſo gar nicht auf ſie eingehen wollte ... Nun! es war immerhin ſchon viel, daß er ſie mit feinſtem Zartgefühl behandelte .. nicht .. gar nicht, als wäre ſie auch .. auch ſo Eine ſo Eine , wie ſie es ... im Grunde ja doch war.

Nun ja! Kellnerin war ſie geweſen und jetzt privatiſirte ſie. Aber jeden Augenblick konnte ſie wieder irgendwo Stellung nehmen ſchließlich wieder in ein Geſchäft als Verkäuferin eintreten .. oder als Putzmacherin, Maſchinennähterin, kalte Mamſell oder ſo etwas Aehnliches gehen jedoch ... war dazu nicht immer noch Zeit? Warum denn nicht? Jetzt lebte181 ſie ſo entſchieden freier ... und Noth litt ſie nicht. Sie hatte ſich als Kellnerin einige Batzen erſpart und ganz verdienſtlos war das Privatiſiren ſchließlich doch auch nicht. Adam allerdings ... Adam war nicht beſonders freigebig gegen ſie. Er bezahlte ja ſehr oft für ſie .. er machte ihr kleine Geſchenke aber der arme Kerl ſchien ſelbſt nicht Allzuviel in die Milch brocken zu können. Und dann hatte er ſelbſt ſtarke Bedürfniſſe, brauchte einen ganz netten Haufen .. und .. und verſtand es überdies keine Idee, ein Bischen haushälteriſch zu ſein. Wie? wenn ſie ihm die hm! alſo die .. die Kaſſe führte? Dann müßten ſie aber zuſammenwohnen und das ob das Adam wollte ? O! Emmy hatte ſchon öfter daran gedacht. Ihr wäre es gewiß recht geweſen. Sie hatte den Punkt auch ſchon einige Male zur Sprache bringen wollen und es war ihr doch ſchließlich immer wieder nicht über die Lippen gegangen. Warum nur nicht? Und er, Adam, ſchien mit keinem Gedanken daran zu denken. Er machte ſich wohl überhaupt nicht beſonders viel aus ihr ſonſt hätte er doch darauf wahrhaftig ſchon kommen müſſen! Er konnte ſich doch an fünf Fingern abzählen, daß er nicht der Einzige war, mit dem ſie verkehrte .. Aber das ſchien ihm Alles furchtbar gleichgültig zu ſein. Emmy that es ſehr weh, daß ſie für Adam keine größere Bedeutung beſaß. Und unwillkürlich hing ſie ſich in ihrem Innern um ſo feſter an ihn, beſchäftigte ſich um ſo intimer mit ihm rupfte182 zeitweilig mit großer, naiver Gewiſſenloſigkeit andere Männer um ſo nachdrücklicher, da ihr der, welcher ihr der liebſte war, nichts Entſcheidendes, nichts Ent - ſchiedenes bieten [konnte]. O! Eine ſtarke, zärt - liche Neigung für Adam war allmählich in der Bruſt Emmys emporgewachſen.

Und nun promenirten ſie heute in dem kleinen Stadtpark. Nach dem Walde waren ſie lieber nicht hinausgegangen. Es ſah aus, als ob es jeden Augenblick regnen wollte. Die Luft ging kühl .. ganz gewiß zu kühl für die letzten Maitage. Die Natur machte ein halb bekümmertes, halb gleichgül - tiges Geſicht. Adam erſchien ſie wie verwittwet, wie verwaiſt. Da hatten alle Quellen eines ehe - lichen Sonnenlebens zu ſprudeln aufgehört ernſt und zurückhaltend, wie in windſtillen Oktobertagen, ſtand Baum und Strauch da ... nur die prahle - riſchen Farbenſymphonie'n des Herbſtes fehlten aber Adam war es zu Sinn, als ob dieſes ſchwere, ſtumpfe, glanzloſe Grün nicht echt als ob es von den Cypreſſen der ganzen Welt zuſammengeborgt wäre ....

Der Herr Doctor war heute wieder einmal ſehr ſchweigſam Die Sprödigkeit und Neutralität der Natur zwangen ihn noch mehr in ſich zurück. Es laſtete kaum ein beſonderer Druck auf ihm. Und doch konnte er es nicht über ſich gewinnen, ſich in ein längeres, zuſammenhängendes Geſpräch mit Emmy einzulaſſen. Ab und zu fiel ein Wort, welches aber mehr aus dem Bedürfniß heraus, das Peinliche und Drückende dieſer Stille zu vermindern, geſprochen183 wurde, als weil es an ſich bedeutend und berechtigt geweſen wäre. Nicht im Banne irgend eines tieferen Gedanken - oder Gefühlsmotivs befand ſich Adam[. ]Allerlei krauſes Zeug, an dem er herumſpann, war ihm nahe ... er kaute geiſtig an dieſem und jenem Einfall .. eine heiße Sehnſucht packte ihn jetzt nach einer großen, geſammelten Stimmung .. nach einem intimen ſeeliſchen Erlebniß .. Erinnerungen keimten auf .. er konnte nicht begreifen, wie er plötzlich hierher käme ... er wußte nicht, was er mit dieſem Weibe an ſeiner Seite eigentlich zu ſchaffen hätte ... er hatte doch ganz andere Pflichten zu erfüllen .. eine ganz andere Miſſion war ihm doch geworden ha! aber welcher Art waren denn dieſe Pflichten ? Und welcher Art war denn dieſe merkwürdige Miſſion ?

Adam! Du biſt heute unausſtehlich! .. Emmy hatte nicht länger an ſich halten können.

Hm!. Unausſtehlich ... warum, Kind? Ich träumte nur wieder einmal allerlei dummes Zeug zuſammen .. Du kennſt ja meine Schwäche .. Aber wir wollen bald umkehren ja? Ich möchte, ſo - lange es Tag iſt .. ſo .. - lange es ... Tag iſt hm! .. Emmy, weißt Du: die Sonne iſt eigentlich ein furchtbar überflüſſiges Möbel

Aber Adam! ..

Was denn?. Sieh mal, wenn alſo wenn denke Dir zunächſt 'mal einen Laubfroſch

Einen Laubfroſch? .. Das wird ja immer hübſcher Emmy lachte ſehr aufgeräumt.

184

Und dann denke Dir eine Perrücke

Eine Perrücke? Adam! Ich glaube, Du biſt

Und denke Dir drittens eine Schale Spargel - ſalat

Aber nein! ſei ſtill! .. das iſt ja zum Ver - rücktwerden! ..

Ja! alſo aber Du haſt mich ganz aus dem Konzept gebracht nun hör 'zu: wir ſetzen den jrasjrünen Laubfroſch in den Spargelſalat und decken die Perrücke darüber jetzt rathe' mal, was das iſt?.

Ich halte mir die Ohren zu ... ſei ſtill .. ſei ſtill! .. Emmy drückte die Finger gegen ihre allerliebſten Ohrmuſcheln und trippelte mit komiſcher Eile einige Schritte voraus. Nun mündete der ſchmale Spazierpfad, auf dem die beiden bis jetzt hingeſchritten waren, in den breiten Hauptweg des Parkes aus.

Quer über den Alleedamm kam ein Herr auf das Paar zu.

Ah! Herr Doctor!. Habe ich endlich ein - mal wieder das Vergnügen ich dachte, Sie wären längſt nach unſeren Kolonie'n als kaiſerlich deutſcher Dolmetſcher oder mit ſonſt 'nem Ulke chargiert ausgewandert .. Und nun .. hier .. auf altem Boden noch dazu in reizender Damenbegleitung

Herr von Bodenburg hatte den Hut gezogen, mit eleganter Verbeugung ſeine rechte Hand Adam entgegengeſtreckt und zugleich, ein Lächeln des Er - ſtaunens und der Genugthuung im Geſicht, einen kurzen, prüfenden Blick auf Emmy geworfen.

185

Ich begrüße Sie, Herr von Bodenburg meine kleine, reizende Frau Herr Referendar von Bodenburg ſtellte Adam jetzt mit drolliger Ernſthaftigkeit vor.

Helfen Sie mir, Herr Referendar ich ſuchte meine Frau ſoeben über die inneren Beziehungen, in welchen ein Laubfroſch zu einer Schüſſel Perrücken - ſalat ſteht, aufzuklären aber ſie will mich durch - aus nicht verſtehen

Hm! hm! .. lächelte Herr von Bodenburg wohlwollend, herablaſſend, als hätte er recht gut verſtanden, daß es ſich um einen barocken Spaß handelte [ ] Perrückenſalat‘ nicht übel, Herr Doctor !

Nicht war Sie wiſſen, was ich meine? .. Natürlich wiſſen Sie's dann können Sie's mir vielleicht ſagen, Herr Referendar? Ja? Ich bin mir nämlich in dieſem Augenblick ſelbſt ein rieſiges Räthſel ... Ich weiß abſolut nicht, was ich mir unter Perrückenſalat‘ vorſtellen ſoll Goethe ſagt zwar, die Welt ſei ein Sardellenſalat, aber aha! Laſſen Sie uns nachdenken, meine Freunde!. Wir finden ſie ich ſage Ihnen: wir finden ſie, die Löſung nämlich dieſes Räthſels ... wir finden ſie ich wette um einen Korb Röderer, Herr Referendar, daß wir ſie finden, die verdammte Hexe !

Adam lachte aus vollem Halſe, unangenehm energiſch, dröhnend. Er ſchüttelte ſich und lachte, daß ihm die Thränen über die Backen liefen. Ein186 nervöſer Luſtigkeitskrampf war jäh über ihn ge - kommen. Emmy blickte erſchrocken zu ihm hinüber. Herr von Bodenburg machte ein ehrlich verblüfftes Geſicht, in welches zugleich ein paar Unmuths - und Aergerslinien hineingeritzt waren. Eine merk - würdige Unterhaltung murmelte er.

Alſo, meine Freunde es wird Zeit, daß die Götterdämmerung endlich losgeht! Ich er - ſticke an dieſem triſten Zuſchauerjargon, den man immer radebrechen muß ... Emmy! Sehen Sie, Herr Referendar das iſt nun auch ſo Eine ... ich habe das kleine, entzückende Weib neulich Abend einem überflüſſigen Laffen abgejagt aber glauben Sie wohl, daß es bisher zum geringſten tragiſchen Konflikte zwiſchen uns gekommen wäre?. Keene Spur, Verehrteſter! Es iſt ſo blutig langweilig auf der Welt die Leidenſchaft iſt todt und die großen Gefühle ſind penſionirt ... Laſſen wir wir uns dito penſioniren, lieber Mitmenſch

Sie ſind heute in einer eigenartigen Stimmung, Herr Doctor!

Was haſt Du nur, Adam ?

Ich? Nichts, Kind! Gar Nichts! Aber wollen wir nicht heimwärts ziehen, wie die ... nun! .. wie die bewußten Schwalben im Herbſt? .. Meine Stunde wenigſtens iſt gekommen .. Sie begleiten uns vielleicht, Herr Referendar ?

Wenn Sie gütigſt geſtatten

Bitte ſehr

Die drei kehrten um. Da kam ihnen ein offener,187 zweiſpänniger Wagen in ziemlich ſcharfem Trabe entgegengefahren. Adam ſchnäuzte ſich gerade mit oſtentativer Umſtändlichkeit. Er wiſchte ſich eben zum letzten Male unter der Naſe weg, als der Wagen an ihm vorüberfuhr. Unwillkürlich blickte er zu ihm hin. Ah! Teufel! Das war ja Lydia!

Mit verlegener Haſt grüßte Adam. Er hatte im Augenblicke keine Zeit, über die Frage nachzu - grübeln: Warum er denn jetzt nicht dort neben dieſer ſchönen Frau ſäße ... neben dieſer ſchönen Frau, die die hm! .. na ja! und ſo weiter ...

Er fühlte das Auge Emmys auf ſich liegen, nun laſten. Doch da ſetzte das Pferdegetrappel plötzlich aus. Adam ſah ſich um, ungewollt und halb unbewußt erfreut, daß er eine Gelegenheit erhielt, die unver - meidliche Frage Emmys noch hinauszuſchieben. Aber er war ihr doch eigentlich gar keine Rechenſchaft ſchuldig. Der Wagen hielt in einiger Entfernung .. und der Herr Doctor bemerkte, wie ſich Frau Lange über den Schlag lehnte und ihn zu ſich heran - winkte. Er war unſchlüſſig. Er wurde aufs Neue verlegen. Er warf ſcheue Blicke auf Emmy und Herrn von Bodenburg, die ihn fragend, erſtaunt anſahen.

Erlaube, Emmy!. ſtieß er endlich heraus Pardon, Herr Referendar ich ich ... bin ſogleich zurück

Sind Sie frei, Herr Doctor? .. redete ihn Frau Lange an und ſtreckte ihm ihre kleine, volle, ſchwarzbehandſchuhte Rechte entgegen. Dann ſteigen188 Sie bitte ein ich muß Ihnen einen Capitalſpaß erzählen Lydia machte ein ſehr vergnügtes Geſicht, ihre Augen blitzten, ihr ganzes Weſen athmete Füllung, Angeregtheit, den Drang: ſich ausſtrömen, ſich mittheilen zu dürfen.

Adam war in peinlichſter Verlegenheit. Er konnte doch Emmy unmöglich ſtehen laſſen. Aber nein! das ging auch nicht! zugeben durfte er doch auch nicht, daß er ... er der Ritter ... der Lieb - haber dieſer Dame wäre er zögerte, er wurde immer befangener gnädige Frau ſtammelte er

Ach ſo, Herr Doctor nun ... wenn Sie engagirt ſind natürlich dann verzichte ich Ihre Dame

Pardon!. Davon kann wohl keine Rede ſein ich begegnete vorhin dem Herrn in Begleitung der Dame ein Bekannter von mir, Referendar von Bodenburg aber ich .. ich .. ich müßte mich doch erſt entſchuldigen und verabſchieden, ehe ich Ihrer liebenswürdigen Aufforderung folgen dürfte geſtatten Sie alſo, gnädige Frau

Bitte! .. Das klang ſehr gleichmüthig ... es war eben nur mit den Achſeln gezuckt, kaum mit dem Munde geſprochen. Lydias friſche, volle Stimmung ſchien einen herzhaften Sprung erhalten zu haben.

Als Adam vom Wagen Frau Langes zu Emmy und Herrn von Bodenburg, die, vielleicht abſichtlich mit ſeiner Diskretion, vielleicht unabſichtlich, in ent -189 gegengeſetzter Richtung weitergegangen waren, zurück - ſchritt, freute er ſich im Stillen gar ſehr, daß er Lydia gegenüber immerhin doch ſo ſchnell ſeine Verlegenheit überwunden hatte ... und daß es ihm allem Anſchein nach vorzüglich geglückt war, ſich durch eine kräftige Lüge aus der Klemme zu ziehen. Ein zart nuan - cirtes Lächeln umkräuſelte ſeinen Mund. Hm! Wenn das Emmy wüßte! Nun! am Ende verſtand ſie ihn vielleicht ... begriff ſie vielleicht ſehr gut, daß man eine ... eine Freundin ... une bonne came - rade[ ]unter Umſtänden einmal verleugnen muß .. verleugnen muß einer Dame von Welt ... einer Dame aus der feineren Geſllſchaft ... einer Dame aus den höheren Ständen gegenüber. ... Adam hatte Luſt, vor Emmy jetzt ſogleich die Karten aufzudecken. Der dumme, kleinliche Gedanke ver - urſachte ihm ein köſtliches Behagen. Aber nun fürchtete er doch hemmende Weitläufigkeiten und ſo entſchuldigte er ſich ſehr kurz: er müßte leider aus Höflichkeit einer Einladung der Dame, die er übrigens ſehr gut kenne einer Einladung, in ihren Wagen zu ſteigen, Folge leiſten nun! .. Herr von Bodenburg würde wohl die Güte haben, Emmy nach der Stadt zurückzubegleiten

Emmy ſah mit einem halb ironiſchen, halb traurigen Blicke Adam an. Natürlich! Sie hatte ihn verſtanden. Der Herr Referendar war entzückt. Ihm gefiel das kleine Weib ausnehmend. Ha!. So Eine Schwerebret! ſo Eine war ſchließlich auch einmal für ihn zu Hauſe.

190

Haben Sie dem armen Mädchen den Lauf - paß gegeben? Sie Grauſamer! .. Lydia lächelte wirklich beleidigend ſpöttiſch und ſah ihrem Nachbar feſt ins Geſicht.

Gnädige Frau!

Lügen Sie mir doch nichts vor, Herr Doctor!. Ich erkannte Sie längſt, bevor Sie mich ſahen .. Sie gingen auf der linken Seite der Dame das ſagt doch genug nicht wahr?

Wenn Sie eine Zufälligkeit eine pure Zufälligkeit nun ja doch! .. ſo beſonders ſchwer iſt es ja nicht, einen Menſchen zu verdächtigen Adam hielt es für praktiſch, den Beleidigten zu ſpielen. Mit[verſchränkten] Armen ſo daſtehen .. ſich nicht vertheidigen, obwohl man alles Recht auf ſeiner Seite hat ... ſich ruhig abſchlachten laſſen im ſüßen Vollgefühl, daß der Gegner ein ſchreiendes Unrecht begeht, indem er ſotanes Abſchlachten eben vollbringt: oh!. auch das kann Wolluſt .. beißende, betäubende Wolluſt ſein ..

Herr Doctor ich bitte Sie! .. Aber laſſen wir das!. Was .. was gehen mich Ihre Nei - gungen Ihre ... Ihre Gewohnheiten Ihre ſonſtigen .. Beziehungen an! .. Ich wollte Ihnen einen famoſen Spaß erzählen, den ich heute früh erlebt habe nun .. um es gerade heraus zu ſagen: ich ich habe mich heute früh ver - lobt ... Was? das iſt doch göttlich nicht? Und Sie ſehen, wie glücklich ich bin! .. Ich ſage Ihnen: wie neugeboren! da weiß man doch wenigſtens191 wieder, wozu man auf der Welt iſt! Da hat man doch wieder einen vollen Lebenszweck und nun gratuliren Sie mir, lieber Freund

Adam war doch zuſammengefahren. Das hatte er nicht erwartet. Einen Augenblick dachte und fühlte er nichts. Wie gelähmt war er. Dann ziſchte das Leben wieder gewaltig in ihm auf. Eine ſcharfe Bläſſe bedeckte ſein Geſicht, an welchem jetzt alles Ungleichmäßige, was es beſaß, in greller Klarheit hervortrat. Nun wurde er glühend roth, er zitterte an allen Gliedern, die Sprache verſagte ihm, er athmete gepreßt, der Blick ſeines Auges wurde unſicher .. es war ihm, als ob in ſeiner Bruſt eine Fauſt in die Höhe wachſe und ſich mit aller Wucht in den Kehlkpf preſſe und doch ſagte er ſich, daß er ſich beherrſchen .. gewaltſam zur Ruhe zwingen müßte, wenn er ſich nicht vor Lydia unſterblich blamiren wollte er ärgerte ſich wüthend über ſich .. er verachtete ſich ... er bemerkte entſetzt, daß ſich all' ſeine Willenskraft plötzlich voll - kommen machtlos erwies endlich knirſchte er ein heiſeres, kaum verſtändliches Lydia ! hervor.

Frau Lange hatte den Eindruck, den ihr Ge - ſtändniß auf den Herrn Doctor gemacht, ſehr genau beobachtet. Sie freute ſich zunächſt außerordentlich über dieſe erſchütternde Wirkung. Dann wurde ſie ſehr ernſt. Wenn Adam von der Nachricht, daß ſie ſich verlobt habe, ſo furchtbar angefaßt wurde dann nun dann mußte ſie für ihn .. mußte ſie in ſeinem Leben doch eine größere Be -192 deutung beſitzen, als ſie bisher geglaubt hatte. Dieſe Folgerung erfüllte ſie mit einem gewiſſen Stolze. Sie wuchs vor ſich .. und zugleich wuchs, vertiefte und veredelte ſich ihre Theilnahme für Adam. Sie dachte an jene bewegte Stunde zurück, da er vor ihr auf den Knieen gelegen und um ihre Liebe geworben .. Sie konnte jetzt nicht be - greifen, daß ſie ihn damals ſo ſpöttiſch abgewieſen ... ſo ſouverän-mütterlich behandelt ... daß ſie ſelbſt in jener Scene ſo oberflächlich und äußerlich gefühlt hatte. Sie hätte ihn jetzt am Liebſten an die Bruſt gezogen und geküßt. Da war kein Zweifel mehr: er liebte ſie und ſie? Nun! ſie liebte ihn auch, dieſen wunderlichen Menſchen ſie liebte ihn, trotzdem er ein ziemlich loſer und unzuverläſſiger Geſell zu ſein ſchien. Plötzlich war es ihr klar geworden .. und von dem ungeſtümen Drange ihrer Gefühle ließen ſich alle Zweifel und Bedenken bequem in eitel Dunſt zerblaſen. Die ganze Lebhaftigkeit ihrer Natur machte ſich geltend und war im Begriff, entſcheidend zu wirken. Allein! ſie war doch zu feinfühlend ... und zu rück - ſichtsvoll gegen die gute Sitte .. war zu ſehr Welt - dame, um ſich hier auf offener Landſtraße, in Gegenwart ihres Kutſchers, zwanglos gehen laſſen zu können. Der Druck der Situation engagirte ſie und löſte beinahe wieder eine ironiſche Stimmung in ihr aus. Sie wußte nicht, daß Adam zumeiſt deshalb von ihrem Geſtändniß ſo betroffen war, weil ihm damit im ſelben Augenblick eine ganze Zukunftswelt193 verkrachte. Er hatte ſich mit jäher Ueberſtürzung daran erinnern müſſen, daß er unendlich Viel ein - büßte, wenn ihm Lydia verloren ging. Nun ja doch! Er hatte durchaus nicht mit zäher Energie ſein Ziel verfolgt. Er hatte, gewiß ſeiner Natur gemäß, mehr mit dem Gedanken geſpielt, daß Lydia eines Tages ſein Weib werden könnte. Sie hatte ihm ein heimliches, volles Behagen verurſacht, dieſe unklare, lienienverſchwommene Zukunfts - reſerve .. Er war viel zu gleichgültig gegen ſeine Zukunft, als daß er unmittelbar für ſie einzutreten, für ſie zu arbeiten vermocht hätte. Sein Gedanken - und Gemüthsleben war viel zu differenzirt, als daß er nicht eng an die Gegenwart hätte anknüpfen müſſen. Und doch war es ihm jetzt zu Sinn, als hätte er Etwas verloren, was ſchon ganz ſein eigen geweſen ...

Herr Doctor ! Lydia wußte nicht recht .. ſie war erſchrocken, verlegen, faſt bekümmert aber Alles nicht ganz rein, es zweifelte etwas Unklares in ihr

Adam hatte ſich gefaßt. Seine Stimme klang noch gepreßt und ſtockend, aber äußerlich nahm er ſich doch bedeutend kühler und ruhiger aus.

Sie haben Recht, gnädige Frau da bleibt mir wirklich nichts weiter übrig, als Ihnen meine herzlichſten Glückwünſche auszuſprechen

Ich danke Ihnen verbindlichſt, Herr Doctor!. Lydia lächelte ſchelmiſch-ironiſch.

Dann ſchwiegen beide eine kleine Weile. Nun begann Lydia wieder, einen ſchmollend-vorwurfsvollen Ausdruck in der Stimme: Aber Sie fragen ja garConradi, Adam Menſch. 13194nicht, wer mein Auserwählter iſt?! Nehmen Sie in der That ſo wenig Antheil an mir? ..

Ich bitte Sie, gnädige Frau! Einem armen Burſchen, der todeswund am Boden liegt, iſt es ſo ziemlich gleichgültig, wer ihm die Kugel in die Bruſt gejagt hat er weiß nur, daß man ihm das Aufſtehen verleidet hat antwortete Adam mit affektirter Trauer und Reſignation.

Na nehmen Sie's nur nicht zu tragiſch, Herr Doctor!. Sie thun ja gerade ſo, als ob ... nun! jedenfalls ſind Sie wieder einmal auf dem beſten Wege, Ihnen und mir Etwas vorzulügen

Sie ſind doch eine unverbeſſerliche Zweiflerin, Lydia!. Das hatte Adam in ehrlichſtem Ernſte, wirklich bekümmert, geſprochen.

Ich will Ihnen reinen Wein einſchenken, lieber Freund! Die Geſchichte von der Verlobung war natürlich nur ein Scherz .. Ich habe heute früh allerdings einen Heirathsantrag erhalten von aber das iſt Ihnen ja gleichgültig .. Ein Major außer Dienſt nebenbei Weinhändler und Agent einer Lebensverſicherungsgeſellſchaft natürlich von Adel übrigens 'n ganz paſſabler Menſch nur' n Biſſel zu alt .. 'n Biſſel zu unbedeutend und .. und' n Biſſel zu verſchuldet hat mich ſchon ſeit Jahr und Tag mit ſeinen Aufmerkſamkeiten verfolgt iſt mir nachgereiſt u. ſ. w. u. ſ. w. aber pardon! das intereſſirt Sie ja nicht alſo ... nun! ich habe für die Ehre gedankt, Frau von ... von X oder Y zu werden ... Mein195 Name gefällt mir zu gut .. und meine Freiheit gefällt mir noch beſſer ... Sie werden mich ver - ſtehen, Herr Doctor

So? Glauben Sie, gnädige Frau?

Adam hatte ſehr kalt und gleichmüthig geant - wortet. Er vermied es, Lydia anzuſehen. Er wandte ſich ab und ſchien die ihm gegenüber liegende Front des Parkes mit außerordentlicher Aufmerkſamkeit zu betrachten. Seine Finger trommelten mit nervös ſchwirrendem Nachdruck auf dem Wagenſchlage herum.

Der Wagen hatte das ganze Gehölz durchfahren und näherte ſich jetzt auf einer anderen Seite der Stadt. Die erſten Tropfen eines leichten Regens rieſelten nieder.

Lydia war empört. Eine verworrene Fülle von Gedanken und Gefühlen durchgährte ſie. Sie wußte nicht, wie ſie ihrem Aerger, ihrer Erbitterung auf eine beſonders maliziöſe Weiſe Luft machen ſollte.

Man kam der Stadt immer näher.

Geſtatten Sie, daß ich hier ausſteige, gnädige Frau begann Adam jetzt und ſah Lydia von der Seite an ..

Ah! Fräulein Irmer .. gewiß mit ihrem Vater!. Der Mann ſieht ſehr leidend aus er ſcheint doch recht hinfällig zu ſein

Adam wandte ſich ſchnell um ... und bemerkte, wie Herr Doctor Irmer, von Hedwig geführt, lang - ſam .. ſehr langſam, zuſammengebückt, mit dem Stocke in der linken Hand unſicher vor ſich hintaſtend, herankam. Adam grüßte mit zufahrend pathetiſcher13*196Höflichkeit ... und wurde dabei doch wieder ein Wenig verlegen. Aber zugleich machte ihm der harmlos-einfältige Gedanke wollüſtiges Vergnügen, daß für Hedwig die Thatſache, ihn in einem offenen Wagen an der Seite Frau Lange's geſehen zu haben, zu einem neuen Grunde, ſich mit ihm zu beſchäftigen, werden mußte und daß andrerſeits ſein auffallend höflicher Gruß gegen Irmers nicht ohne Eindruck auf Lydia bleiben konnte.

Geſtatten Sie, daß ich hier ausſteige, gnädige Frau! .. wiederholte Adam, als der Wagen kaum noch hundert Schritt von dem Ausgang des Parkes entfernt war und fügte er leiſer hinzu wann werden Sie einmal für mich zu Hauſe ſein, Lydia? Das geht ſo nicht weiter das ertrage ich nicht länger die Sache muß zur Entſcheidung kommen oder ja! das iſt beſſer ich ſchreibe Ihnen

Wie Sie wollen, Herr Doctor. Ich weiß übri - gens nicht, was Sie mir doch nebenbei be - merkt ich verreiſe demnächſt auf einige Wochen

Frau Lange ließ halten. Adam ſtieg aus und zog den Hut.

Adieu! .. Das klang entſetzlich kurz und ſchroff.

Der Wagen rollte davon. Es regnete ſtärker.

Adam ſchlug die Richtung nach ſeiner Wohnung ein. Das leiſe Prickeln und verhaltene Stechen der Regentropfen that ihm faſt wohl. Bei einer ſolchen Naturſtimmung fliegen keine großen Gedanken197 auf. Da kann man, in ſich zuſammengezogen, ſtill vor ſich hindenken, behaglich vor ſich hinbrummeln. Und Adam bemühte ſich, eine reine, köſtliche Heiterkeit im Gemüth, über das ſoziale Verhältniß nachzu - grübeln, in dem ein Laubfroſch zu einer Perrücke und einer Schale Spargelſalat ſteht. Ein Schwarm drolliger und putziger Gedankenbilder umgaukelte ihn. Der Schlapphut hatte zwar eine tüchtige Portion Näſſe geſchluckt ... nichtsdeſtoweniger kam der Herr Doctor ſehr angeregt und aufgeräumt nach Hauſe. Lydia war ihm ſchauderhaft gleich - gültig.

Er fand einen Brief von ſeinem Bruder vor, welcher ſchrieb, daß er ſich verlobt hätte. Adam las die nichtsſagende, umſtändlich-unbeholfene Epiſtel flüchtig durch und warf ſie in den Papierkorb. Was ... wer war ihm ſein Bruder? Er hatte ihn ſeit Jahren nicht geſehen. Adam beſaß ſo gar kein Talent, verwandtſchaftliche Inſtinkte bei ſich zu pflegen.

Aber noch ein Brief war angekommen: eine ſehr liebenswürdige Einladung von Irmers für übermorgen Abend: Zu einer Taſſe Thee . Ah! So kommſt Du alſo wieder einmal an die Reihe, geliebte Hedwig verſetzte halblaut vor ſich hin dieſer Menſch, um den ſich .. andere Menſchen zu reißen ſchienen, ſieh da! das iſt hübſch von Dir! .. Ihr wechſelt Euch fürwahr ſehr nett ab, Kinder! Lydia Hedwig Emmy Emmy Hed - wig Lydia Hedwig Lydia Emmy :198 ganz annehmbar! Uebrigens Emmy! Hm! Ich traue dieſem Herrn von Bodenburg doch nicht recht er wird doch ... wird doch keinen .. Unſinn machen mit meiner kleinen reizenden Frau ? Zu dumm, daß Emmy ein ſo eman - cipatives Weſen iſt zu dumm! Zum erſten Male war Adam ſo etwas wie eiferſüchtig ... wie eiferſüchtig auf die unvermeidlichen, anderen Liebhaber ſeiner kleinen, reizenden Frau ...

In der folgenden Nacht ſchlief er ſehr unruhig. Er wachte öfter auf und ſo oft er aufwachte, mußte er daran denken, daß dieſer dumme Kerl von Referendar und ſeine Emmy jetzt wohl in ſüßem Minneſpiel beieinander wären. Es war zum Raſendwerden.

Wahrhaftig! Nächſtens werde ich mich auch noch in die Hure verliebt haben .. knurrte er einmal erboſt vor ſich hin.

[199]

XIII

Und nun war die Stunde gekommen, da Adam ſich aufmachen durfte, der Irmer'ſchen Einladung Folge zu leiſten.

Um die Zeit, da der Nachmittag Miene zu machen begann, ſich zum Abend auszuwölben, war der Herr Doctor natürlich mit ſich einig geweſen, nicht zu Irmers zu gehen, ſich noch entſchuldigen zu laſſen.

Er war ſoeben erſt nach Hauſe gekommen.

Am Vormittage hatte er ſich, von einer uner - träglich zerfaſerten und zerkrümelten Stimmung gequält, faſt aus ſeiner Wohnung geflüchtet .. hatte er ſich geflüchtet vor ſich ſelber .. vor einem Geſpenſt ... vor der furchtbaren Entdeckung, daß er in dieſer Stimmung Welt und Leben gegenüber vollſtändig waffenlos wäre. Die ſtille, köſtliche Heiter - keit des Herzens, mit welcher er geſtern heimgekehrt war, hatte ſich ihm bis auf den letzten, mageren Nachglanz entzogen .. er verſtand ſie nicht mehr .. er konnte nicht begreifen, daß er ſie beſeſſen .. er verachtete ſich, weil er das nicht begreifen, weil er keinen Zuſammenhang finden konnte .. und200 verachtete ſich zugleich, weil er nach einem Zu - ſammenhange ſuchte ... weil er jener Stille des Gemüths inſtinctiv Wert und Bedeutung beilegte ... und er verachtete ſich zum Dritten, weil er geſtern im Stande geweſen war, die unermeßliche Schwere des Lebens zu vergeſſen ... und ſie heute faſt mit dem Gefühle eines Menſchen trug, der nach neuen Mitteln und Wegen ſuchte, ſich über ſie hinwegzu - täuſchen .. eines Menſchen, der am Liebſten vor ihr geflohen wäre ...

Und ſo war er denn auch vor ſeiner Stimmung geflohen .. hatte ſich mit eintöniger Nachdrücklichkeit eingeredet, daß er einige Beſorgungen, die er ſchon längſt hatte machen wollen, nicht länger aufſchieben könnte .. war, von den Eindrückeu der Außenwelt beſtürmt, überhäuft, zerſtreut, endlich auch etwas ruhiger geworden .. hatte dann mit auffälligem Appetit zu Mittag geſpeiſt .. und ſchließlich den größten Theil des Nachmittags im Café Caeſar verſtumpftſinnt. Einmal war hier Herr von Boden - burg vor ihm aufgetaucht, hatte ſich aber mit merk - würdiger Eile ſehr bald wieder empfohlen. Adam hatte lächeln müſſen: der Herr Referendar ſchien wahrhaftig ein böſes Gewiſſen zu haben! Er ſollte die Emmy, die eben doch weiter nichts als auch ſo Eine war, nur ruhig zu ſeinem Privatgebrauche engagiren er, Adam Menſch, würde nicht das Geringſte dagegen einzuwenden haben! Was war ihm denn dieſe ſchöne Sünderin mit dem verzettelten Herzensleben und dem beſchränkten Intellekt? 201Dummheit, wenn Herr von Bodenburg ſich genirte capitale Dummheit! Solch 'ein kleines Weib iſt doch gleichſam nur eine lebendige Münze .. es geht von einer Hand in die andere was weiter? Und doch war er zuſammengezuckt, als er ſich Emmys Untreue, die er ſelbſt erſt heraus - gefordert hatte, vorgeſtellt. Adam hatte ſich an Emmys Leidenſchaftlichkeit .. an ihre Liebkoſungen, an ihre Küſſe erinnert .. an ihre Umarmungen, die ihn faſt erſtickt ... Und wie ſüß war es geweſen, als ſie ihm in jener Nacht im erſten Paarungstumult rührend einfach zugeſtammelt: Ich habe Dich gern, Adam! Und da war es wirklich heiß in ihm emporgeſtiegen .. eine unheimliche Exſtaſe hatte ihn bis in ſeine kleinſten Organe hinein durchſpült .. eine dampfende, lähmende Sehnſucht nach Emmys ſchönem Leibe .. nach ihren Küſſen .. ihrem weichen, molligen Liebesgeplauder .. ihrer köſtlichen Routinirtheit im aufſaugenden Minne - ſpiel, war jäh zu ihm gekommen verflucht! Er hatte ſeine köſtliche Lagergenoſſin verloren, weil er einem Weibe nachgelaufen war, das ihm eine dumme Komödie vorgeſpielt! Er hatte ſich auf die Seite der Kon - venienz, der Lüge ... allerdings auch der Tugend ge - ſchlagen und hatte darüber die Freiheit und die Un - gebundenheit der vorurtheilsloſen Sünde eingebüßt .. Er war doch ein Schaafskopf erſten Ranges geweſen ...

Aber der Groll gegen ſich ſelbſt .. der Aerger über ſeinen taktiſchen Schnitzer hatte doch nicht entſcheidend bei Adam nachgewirkt. Nun er zu Hauſe war und ſich mechaniſch auf den Beſuch bei202 Irmers vorbereitete, obwohl er eigentlich entſchloſſen war, dieſen Kelch an ſich vorübergehen zu laſſen, hatte ſich ſeiner das Gefühl einer entkräftenden inneren Leere und Nüchternheit bemächtigt. Alles widerte ihn an. Was ſollte er in aller Welt heute Abend bei Irmers! Wieder zu Hedwig die Fäden hinüberſpinnen? Zur Abwechslung ſich wieder einmal von dieſer Dame anregen oder aufregen laſſen? Es war ſo überflüſſig .. ſo unſäglich überflüſſig.

Apathiſch lag Adam auf dem Sopha. Es dünkte ihn erſchütternd komiſch, daß er ſich ſoeben einen friſchen Kragen umgeknöpft. Aber im nächſten Augenblicke ertappte er ſich ſchon dabei, wie er nach einem beſonders draſtiſchen und impertinenten Motive ſuchte, mit dem er heute Abend Fräulein Irmer traktiren wollte. Adam wurde ſich klar darüber, daß er das unnatürliche Verhältniß, in welchem heute das männliche und weibliche Geſchlecht zu einander ſtehen, einmal mit rückſichtsloſer und, wenn nothwendig, mit cyniſcher Offenheit einer Dame gegenüber zur Sprache bringen mußte. Und dieſe Dame abzugeben .. nun! dazu ſchien Fräulein Irmer, dieſes blaſſe, ſpröde, in einem engen Leben hinkümmernde Weib, vorzüglich geeignet zu ſein. Es war jedenfalls ſo etwas wie eine That , einmal mit der Brandfackel zu hantiren .. ein verlöſchendes Daſein noch einmal den Traum von einem vollen, glühenden, ungehemmt vorwärts - ſtürmenden Leben träumen zu laſſen ...

Aber auch dieſer Vorſatz erſchien dem Herrn203 Doctor ſehr bald geſchmacklos. Wozu in aller Welt dieſes doktrinäre Geſchwafele! Er erhob ſich lang - ſam, nachläſſig .. zog die Augenbrauen dicht über der Naſenwurzel zuſammen .. machte ein ſehr ver - ächtliches Geſicht ... und ſuchte nach dem Meſſerchen, mit welchem er ſeine Fingernägel pflegte.

Wenn er gehen wollte, mußte er übrigens bald aufbrechen. Aber warum ſollte er denn gehen? Und doch .. mein Gott! warum ſollte er denn nicht gehen? Warum nicht? Man thut ſo Vieles in dieſer Welt, weil man abſolut nicht weiß, warum man es nicht thun ſollte .. Und zudem: es war ja auch ſchon zu ſpät, ſich noch entſchuldigen zu laſſen. Getröſtet von dem Gedanken, daß er ohne Verletzung des geſellſchaftlichen Anſtandes jetzt nicht mehr ausbleiben konnte, machte ſich Adam auf den Weg zu Irmers. Er pfiff das unſterblich ſchöne Komm herab, o Madonna Thereſa leiſe vor ſich hin, löſte es einige Male mit Motiven aus Wagners Fliegendem Holländer und Sieg - fried ab .. und ſchluckte mit verhaltener Wolluſt die ſchweren, ſchwülen Lüfte des zuſammendämmernden, letzten Maiabends ein. Adam dachte nicht mehr an ſich und vergaß, daß er nicht wußte, wer er war ... was er von der Welt ... und was dieſe Welt von ihm wollte.

[204]

XIV.

Ja! Es war doch recht heiß bei Irmers .. in dem doch recht engen und niedrigen Wohnzimmer, in welchem die Drei, Vater, Tochter und Adam Menſch, um den runden Sophatiſch beiſammenſaßen und einen Imbiß zu ſich nahmen .. alſo einen kleinen Imbiß, den Adam wirklich etwas frugal finden mußte. Der Herr Doctor dachte unwillkürlich an den vornehmen Stil, an die Eleganz von Lydia's Wohnräumen zurück ... an die anheimelnde Licht - ſtimmung .. die behagliche, geſchmackvolle Fülle, die ſich im Arbeitscabinet Frau Lange's ſo wohlthuend dem empfänglichen Geiſte mittheilte ... an das diskrete Werben des taktvoll arrangirten Reichthums um verſtändnißvolle Anerkennung und ihn fror ein Wenig in dieſer Umgebung, die nur von dem wehmüthigen Parfum der notdürftig verhangenen, mühſam verſchleierten Armut durchzittert wurde ..

Die Unterhaltung wollte nicht recht in Gang kommen. Hedwig ſchien verſtimmt zu ſein. Ihr Geſicht war faſt noch bläſſer und ernſter, ihr Blut faſt noch ſchwerer, als ſonſt. Bläulich ſchwarze Halbringe unter den Augen deuteten auf ſchlaflos205 verbrachte Nächte hin. Die Pflichten der Wirthin erfüllte ſie mit nervöſer Aufmerkſamkeit. Adam fühlte ſich ſehr peinlich berührt. Er ſagte ſich, daß Hedwig unter der reizloſen, kargen Unfruchtbar - keit, unter dem Druck und der Enge ihrer Lage litt. Sie gab ſich alle Mühe, es nicht merken zu laſſen .. beſaß aber eine viel zu ſpröde und unge - ſchmeidige Natur, um ſich zwanglos hinter das Pſeudonym einer geraden, reinen,[zugänglichen] Stimmung verſtecken zu können.

Herr Doctor Irmer huſtete viel ... einen kurzen, trockenen, heiſeren Stoßhuſten. Er ſah ſehr zuſammengedrückt und entwaffnet aus .. ſehr muth - los und ängſtlich. Oefter preßte er die langen, mageren, wachsgelben Finger der rechten Hand geſpreizt gegen die Bruſt .. und athmete faſt ſtöhnend.

Papa hat ſich vorgeſtern erkältet .. erklärte Hedwig mit einem kurzen, nicht ganz beziehungsloſen Seitenblick auf Adam. Der Herr Doctor verſtand. Das gnädige Fräulein hielt es alſo für überflüſſig, auf Grund und Gelegenheit dieſer Erkältung näher einzugehen. Hm!. Sie waren ſich ja begegnet. Adam mußte ſich das Uebrige ſelbſt ſagen können. Das that er denn auch. Zugleich ärgerte er ſich aber, daß es Hedwig augenſcheinlich vermeiden wollte, jene Begegnung ſelbſt zu berühren. Sie war ſo harmlos. Und doch war Adam nicht im Stande, das gewiß nicht heikle, höchſtens etwas pikante und widerhakige Motiv zur Sprache zu bringen. 206Vielleicht hinderte ihn die Rückſicht auf ſeinen leidenden Wirth daran. Oder wollte er Hedwig nicht wehe thun? Schließlich entſchuldigte er ſeine Feigheit mit dem lähmenden Einfluſſe, den dieſe dunſtige Krankheitsatmoſphäre auf ihn ausübte. Gewiß! Er hätte viel geſcheiter gethan, wenn er ſeiner Apathie nachgegeben und ſich in letzter Stunde noch entſchuldigt hätte. Das wäre wohl auch den beiden Menſchen lieber geweſen, die da neben ihm ſaßen und ſich redlich bemühten, das Unglück ihres Lebens zu verhüllen .. und doch nicht Komödianten genug waren, um das ſcheinen zu können, was ſie nicht ſein konnten ...

Die Fenſter ſtanden offen. Auf der Straße war es ſtill. Nur ab und zu ſtolperte ein Wagen über das Pflaſter. Nun ſtrich ein Luftzug herein, raſchelte in den Papieren auf dem Schreibtiſche, zupfte an der grünen Gardine vor dem Bücher - regal und gab der Lampenflamme ein kurzes, ſtechendes Zuſammenzucken. Adam fühlte ſich mit einem Male ſehr angeheimelt von dieſer einfachen, mit verhalten geſchwätzigem Schweigen erfüllten Umgebung. Eine gewiſſe Stimmung ... ein zartes Fluidum rührender Poeſie ließ ſich ſchließlich auch aus dieſer Gruppirung der Atome herausfühlen .. Der Herr Doctor wurde wärmer ... er erinnerte ſich einiger Träumereien ſeiner Jugend .. einiger Träumereien, die ihm als Ideal ein ſchlichtes, bücherüberfülltes Arbeitszimmer vorgegaukelt ... und er ſaß unter ſeinen Schätzen, weltentrückt,207 weltentfremdet, unverſuchbar .. aber viel Drang zu ſuchen und forſchen war in ihm ... und viel tiefe Herzensſtille und Adam beneidete einen Augenblick ſeinen Wirth um die Enge und Welt - abgekehrtheit ſeiner Klauſe ... und um eine Natur, die ſich in ihren beſten Stunden durch ernſte, neutrale Betrachtung alles Seins und Werdens und geſammeltes Verſenktſein in die Räthſel des Kosmos erlöſen durfte vom Staube und der beklemmenden Enge des Daſeins .. Oh! Er genoß dieſer großen Stunden manche nicht minder. Aber immer wieder ließ er ſich in das Leben .. in dieſes fade, er - müdende, abflachende und wurzelausrodende Werkel - tagsleben hinausverführen ... Und darum denn ſo oft dieſer Ekel .. und darum ſo oft dieſe namen - loſe, zermarternde Angſt vor einem Verhängniſſe, das über ihm ſchwebte und dem zu trotzen er doch keine Waffen beſaß .. keine Waffen mehr beſaß ... Nein! Er hatte nicht mehr die Kraft, mit ſouveräner Ironie auf das Leben zu verzichten auf ſeine kargen Reize und Freuden, welche er auf - ſuchte, um ſie einfach hinzunehmen .. kaum, um ſie mit vollem, ſtarkem, innerem Dabeiſein zu genießen und die er trotzdem ſo oft auch mit wahnſinniger Wuth und Gier aufſuchte, um ſich zu vergeſſen um ſich zu betäuben .. um ſeine harte Seelennoth .. das bohrende Grübeln über die Fruchtloſigkeit ſeines Arbeitens .. die Unzuverläſſigkeit ſeines Temperaments ... die ſociale Lüge und Ausſichtsloſigkeit ſeiner Lage durch phyſiſche Ausſchweifungen abzuſtumpfen ...

208

Wollen Sie nicht etwas Caviar nehmen, Herr Doctor ?

Ich danke recht ſehr

Eigentlich Adam Caviar ſehr gern. Aber der ihm von Fräulein Hedwig angebotene ſah nicht beſonders appetitlich aus .. ſchien doch ſchon ein Wenig alt, trocken, zähe, ſalzig geworden zu ſein.

Aber etwas Wurſt oder Käſe oder etwas Beef nehmen Sie doch noch ja?. Bitte!.

Wenn Sie gütigſt geſtatten Adam bediente ſich.

Papa, Du vergißt Dein Bier ganz .. willſt du nicht 'mal trinken?. Es iſt zwar etwas warm .. unſer Keller taugt nicht viel

Mir iſt gar nicht recht, Kind .. Du weißt ja ... und Bier ich glaube, es iſt beſſer, wenn ich's ſtehen laſſe es könnte mich noch mehr reizen gieb mir bitte lieber noch einen Schluck Thee obwohl Thee meinen Nerven aber verzeihen Sie nur, Herr Doctor! Wir haben's diesmal ſchlecht getroffen ... Sie hätten uns übrigens ſchon längſt wieder einmal aufſuchen ſollen .. Hedwig ſprach öfter von Ihnen ich bin heute leider ſehr unpäßlich vorgeſtern fühlte ich mich ſo wohl und friſch, wie lange nicht und nun

Ein neuer Huſtenanfall unterbrach die mühſam, ſchleppend, unter ſtoßendem Athmen hingeliſpelten Worte Irmers.

Adam ſah zu Hedwig hinüber. Sie hatte ſich zu ihrem Vater gekehrt und wiſchte dieſem mit einem friſchen, leinenen Tuche den Schweiß von der in209 krankhafter Bläſſe glänzenden, dick überperlten Stirn. Jetzt fühlte ſie den unangenehm ſcharfen Blick Adams. Sie wurde unruhig .. in ihr Geſicht trat ein ſeltſamer Ausdruck, der zugleich Scheu, Aengſt - lichkeit, Verlegenheit .. einen leiſen Aerger über die Ungeſchicklichkeit ihres Vaters .. und doch auch eine gewiſſe Freude aber worüber? verrieth.

Was arbeiten Sie jetzt, Herr Doctor? fragte Irmer nach einer kleinen Weile und ſah mit müdem, erloſchenem Blick zu ſeinem Nachbar hin.

Ach Gott! Dies und Das! Es iſt nicht der Mühe werth. Ich mache jetzt anthropologiſche Studien die ſind werthvoller und .. nothwen - diger bemerkte Adam kurz.

Hedwig ſah mit unſäglich wehmüthigem Blicke zu ihrem Vater hin.

Eine längere Pauſe entſtand. Adam betrachtete mit ſehr gemiſchten Empfindungen die beiden Menſchen, die da vor ihm ſaßen. Er fühlte ſich nicht wohl bei ihnen nein! Ihre Hülfloſigkeit machte ihn nervös .. peinigte, beklemmte ihn. Und doch appellirten ſie, gewiß ganz, ohne daß ſie es wollten, an ſein Mitleid. Sie erwählten ihn unwillkürlich zum Vertrauten ihrer Schmerzen .. und ſie wandten ſich, gewiß nicht minder unbewußt, an ihn um Hülfe .. um Linderung .. Rettung .. Nun fiel es Adam ſchwer aufs Herz .. nun that es ihm ſehr weh, daß er nicht helfen konnte .. Das Schickſal mußte wieder einmal ſeinen üblichen Lauf nehmen. Eines Tages würde Irmer ſterben undConradi, Adam Menſch. 14210ſeine Tochter mittellos .. ausſichtlos .. zukunfts - los zurücklaſſen. Und doch war es vielleicht das Beſte, wenn der Vater bald ſtarb .. und Hedwig bald in neue Verhältniſſe, in eine neue Umgebung ein - treten mußte. Hier verwelkte und verkümmerte ſie ganz .. an der Seite eines Sterbenden .. unter dem ſteten Einfluſſe ſeiner Krankheit und ſeiner weltabgewandten Schattenphiloſophie. Aber wie würde es dieſer ſpröden, ſchweren Natur draußen in der Welt ergehen .. unter den Menſchen, denen ſie dienen ſollte? Die Leute, die ſichs geſtatten können, dienſtbare Geiſter zu halten, verlangen offene, empfängliche Charaktere ... Temperamente, die gleichſam mit großen, blanken Fenſterſcheiben ausgeſtattet ſind, durch welche das volle Licht der Sonne in breiten Maſſen hereinfallen kann ... Adam ſagte ſich, daß Hedwig ſehr wenig Glück und Erfolg unter den Menſchen finden würde. Sollte er aber darum ſein Schickſal mit dem dieſes armen, hülf - loſen, verlaſſenen Weibes verknüpfen? Er, der ſelbſt ſchwer genug an ſeinem eigenen Leben trug? Daran war doch nicht zu denken. Geſetzt ſelbſt, daß er ſeinen äſthetiſchen und metaphyſiſchen Widerwillen überwand daß er es für eine ethiſche Forderung erkannte, der Verlaſſenen Stütze und Zuflucht zu werden: ſchon aus materiellen Gründen war es ihm unmöglich, dieſe Forderung zu erfüllen. Und dann : ſchließlich das Opfer eines[moraliſchen] Hirngeſpinnſtes werden? Da wurde ja alle Natür - lichkeit über den Haufen geworfen. Daß er Hedwig211 liebte davon konnte ja nicht die Rede ſein ebenſowenig, wie davon, daß er ſich intimer an Lydia oder an Emmy gefeſſelt fühlte. Je nachdem die Stunde die Stimmung brachte, dünkte er ſich zu der einen oder anderen der Damen hingezogen. Die Stimmung lief ab und über die Theilnahme triumphirte wieder die alte, müde, einfältige, un - fruchtbare und doch ſo praktiſche Gleichgültigkeit ... Woher das nur kam? Das hatte wohl ſeinen Grund zumeiſt darin, daß ſeine feine, äſthetiſche Natur zu hohe Anforderungen ſtellte .. daß ſie zuſammen - zuckte, zurückfuhr, ſich unbefriedigt .. oft verwun - det und beleidigt fühlte, wenn einem, ob auch an ſich noch ſo geringfügigen Bedürfniſſe nicht genügt wurde .. Oh! Er hatte es ja ſo oft in älteren und jüngeren Tagen mit Freunden und Bekannten durchgekaut, das ehrenwerthe Motiv von dem hehren Frauen-Ideale, das ſich ein Jeder zu - ſammenträumt und zuſammendichtet in der großen Zeit ſeines geiſtigen und ſinnlichen Aufwachens und Umſichgreifens .. in der großen Zeit ſeiner erſten gewaltigen Jugendſchauer! Und das beſchworene Bildniß läßt nicht von dir. Es folgt dir zur Seite überallhin .. es zwingt dir Maß und Urtheil auf .. es beeinflußt alle deine Beziehungen und Verhältniſſe zu den wirklichen, fleiſchgewordenen Töchtern der Erde : das dein Glück dereinſt ge - weſen, iſt dir zum Fluche geworden. Es rächt ſeine Schattenexiſtenz, ſeine vage Unkörperlichkeit an dir .. es flößt dir eine brennende, namenloſe14*212Sehnſucht nach ſeiner Verkörperlichung in die Seele die reifſten, ſaftigſten Früchte giebſt du aus der Hand, weil dein Auge auf der Schaale einen leiſen, winzigen Makel entdeckt, der dich beleidigt .. Aber warum baueſt du dir überhaupt, weltſeliger, menſchengläubiger Jüngling, ein ſolches despotiſches hehres Frauen-Ideal auf ? Ja! Warum ?

Doch nein! Das ging zu weit. Das war über - flüſſig. Was ſollten dieſe tragikomiſchen Betrachtungen hier? Adam ſagte ſich nicht mehr klar, fühlte aber inſtinktiv, daß er auf dieſem Wege wieder einmal zu jenem Gebiete gelangen würde, mit dem er ſich ſo oft in lautem Wort und leiſem Gedanken be - ſchäftigt: eben zu dem leidigen Verhältniſſe, in das die beiden Geſchlechter zu einander von Jugend auf durch Herkommen und Erziehung geſtellt werden. Ach ja! Er hatte dieſes Thema heute Abend Fräulein Irmer gegenüber auf's Tapet bringen wollen! Nun! Vielleicht kam die Gelegenheit dazu noch ...

Adam fühlte Hedwigs fragenden Blick auf ſich. Das hülfloſe, verlaſſene Weib hatte plötzlich alle Konvenienz bei Seite geſchoben. Nichts mehr lag zwiſchen ihm und dem Manne, der ihm in ernſtem, bewußtem Schweigen gegenüberſaß. Nichts mehr ſollte nach dieſem Blicke, der zugleich unendlich troſtlos und unendlich begehrend, zwiſchen ihnen liegen. Adam fühlte ſich gewaltig ergriffen. Es wäre ein Frevel geweſen, ein Verbrechen an dem heiligen Geiſte der Menſchheit an den Adam allerdings in ſeinen213 beſſeren und größeren Stunden doch noch glaubte ließ er thatlos untergehen, was dem Untergange trotz alledem unabänderlich verfallen war ... Ja! Er wollte ... was wollte er? ... er wollte wenigſtens ſein Gewiſſen ſalviren. Er wollte ſich ſagen können, daß er Alles gethan hätte, was er zu thun ver - mocht habe. Er wollte der Selbſtvorwürfe über - hoben ſein. Oder ... wenn er jetzt beſchloß, in das Schickſal Hedwigs einzugreifen beſtimmte ihn dazu ſein Egoismus ... ſeine geſchmeichelte Eitel - keit ... die heiße Bitte, die in Hedwigs Blick ge - legen ... das Verſprechen, welches ihm dieſer bruſt - erſchütternde Blick nicht minder gegeben? Es ſtieg glühend auf in Adam ... er hätte das Weib, das ihm bisher immer ſo ſpröde, ſo zurückhaltend be - gegnet war ... und das ſich jetzt in ſeiner Noth und Verzweiflung ihm ergeben wollte ... gewiß! ſich ihm zu eigen geben wollte er hätte es an ſich reißen mögen und mit ihm zu Füßen des armen Mannes ſtürzen: dem Sterbenden zu ſchwören, daß ſein Kind nicht verlaſſen wäre, daß er über ſein Kind liebend wachen werde in allen kommenden Tagen ...

Die Kuckucksuhr über dem Sopha vermeldete gluckſenden, mürriſch-verroſteten Tones die neunte Stunde.

Hedwig erhob ſich leiſe ſeufzend und wünſchte mit müder, klangloſer Stimme Geſegnete Mahl - zeit!

Adam war unſchlüſſig. Sollte er noch bleiben oder ſollte er lieber gehen? Dieſem Gefängniß ...214 dieſem Lazareth entfliehen? Sich draußen rein - und freiathmen von den hier eingeſchluckten Miasmen? Es war ſicher das Geſcheiteſte. Und doch gewann er es nicht über ſich, ſo hart abzubrechen ... ſo auffällig, ſo indiscret zu zeigen, daß ſich ihm der Eindruck von Hedwigs ſtummer Augenbitte ſchon wieder ſtark verwiſcht hatte.

Adam verſpürte einen bezwingenden Appetit nach einer guten Cigarre. Doch ... hier im Kranken - zimmer wurde nicht geraucht. Er mußte ſich den Appetit ſchon verkneifen. Das ärgerte ihn ein Wenig. Und nun knurrte er ſich im Geiſte ſchon wieder an, daß ihn eine ſolche Bagatelle überhaupt ärgern konnte. Allein er kam nicht über das pei - nigende Gefühl des Mangels hinweg. Was küm - merte ihn jetzt das Schickſal Hedwigs? Und der Anblick dieſes leidenden, zuſammengedrückten Mannes war ihm jetzt über Alles läſtig.

Um die unbequeme Stimmungsſcene zu wechſeln, wandte ſich Adam eine Andeutung nach rechts und ſtreifte mit müder, zögernder Hand die grüne Gardine vom Bücherregal zurück. Langſam drehte ihm Doctor Irmer ſein bleiches, weißes Geſicht zu.

Jäh ließ Adam die Gardine fahren. Er mußte ſeinem Impulſe folgen. Er konnte nicht widerſtehen. Er fühlte ſich plötzlich auf's Tiefſte durch die Ge - duld beleidigt, mit der Irmer ſein elendes Leben trug, weitertrug, weiterſchleppte. Nichts von Mitleid mehr und Verſtändniß war in ihm. Ein kochender Groll über dieſes reizloſe, werthloſe Ertragen und215 Aushalten ſiedete plötzlich in ſeiner Seele empor. Er konnte nicht an ſich halten.

Hedwig hatte mit dem Mädchen, welches die zuſammengeſtellten Teller abgeholt, das Zimmer ver - laſſen. Sie trat in dem Augenblick wieder ein, als Adam ihren Vater, ohne jede äußere Vermitt - lung, barſch anfuhr: Aber ich bitte Sie, Herr Doctor warum haben Sie dieſem Hundeleben nicht ſchon längſt ein Ende gemacht ?

Hedwig blickte halb erſchreckt, halb erſtaunt zu Adam hinüber, der, von ſeiner Offenheit ſelbſt ein Wenig betroffen, wieder an der grünen Gardine zupfte. Ein leichtes Verlegenheitsroth ſtand doch auf ſeinem Geſicht.

Irmer ſchien den pſychologiſchen Proceß, der ſich in Adams Bruſt abſpielte, zu begreifen, zu durch - ſchauen. Ein verhaltenes, nur markirtes, aber doch unverkennbar ſouveränes Lächeln legte ſich auf eine kleine Weile über ſeine ſcharfen Dulderzüge.

Sie täuſchen ſich, Herr Doctor , antwortete er nun mit ſeiner müden, ſchleppenden, heiſeren Stimme, wenn Sie glauben, daß Ihr Leben etwa weniger elend ſei, als das meine ... Ich leide nur ſichtbarer, als Sie ... erkennbarer für jedes Laien - auge Sie

Pardon! Ich fühle mich ſehr wohl auf der Welt ... Aber verzeihen Sie mir meine brutale Geradheit es fuhr mir ſo heraus

Als Sie mich wie ein Häufchen Unglück vor ſich ſitzen ſahen ich begreife, Herr Doctor

216

Oh! ſtotterte Adam.

Was iſt's denn, daß Sie noch an dieſem Hunde - leben feſthält, wie Sie ſagen ? Was denn ?

Eigentlich nichts ... uneigentlich ſehr viel erwiderte Adam gleichmüthig. Er hatte ſeine volle Selbſtbeherrſchung wiedergewonnen.

Mit dem uneigentlich‘ das iſt ſo 'ne Sache! Nun Sie werden ſich wohl ebenſo täuſchen, wie ich mich getäuſcht habe, als ich in Ihren Jahren war ... Damals waren mir einzelne peſſi - miſtiſche Ahnungen und Stimmungen gleichſam Surrogate, wenn's mit dem Leben ſelber einmal nicht recht klappen wollte ... So wird's bei Ihnen auch ſein. Aber Sie werden ſo ſicher wie ich zu der Erkenntniß kommen, daß Sie ſich belogen allerdings Ihrer pſychiſchen Combination gemäß be - lügen mußten ... Das iſt ja eben das ſogenannte Glück der Jugend, daß ſie ſich an jedem Da - ſeinsmomente zu ſättigen vermag ... nach der Kette der Entwicklung aber, dem logiſchen Zwange der Fortbildung, nichts fragt. Es giebt natürlich noch Millionen andere Spielarten von Seelenanlage. Aber ich ging jetzt von der meinen aus und von der Ihrigen, die, wenn ich mich nicht ſehr täuſche, der meinen doch immerhin ziemlich verwandt iſt ... Und darum werden Sie, Herr Doctor, mit der Zeit, früher oder ſpäter, zu denſelben Reſultaten kommen, zu denen ich gelangt bin. Ihr Selbſtbetrug beſteht nur darin, daß Sie Ihre Weiterentwickelung jetzt noch nicht vorausſehen können. Jawohl: können! 217Sie ſind für Ihre Verblendung nicht verantwortlich ſie liegt in der Natur der Sache

Adam dünkte dieſe Ausführung Doctor Irmers gar ſeicht und oberflächlich. Was ſollte er darauf erwidern? Hatte denn Irmer gar nicht herausge - fühlt, daß er jene barſch herausgeſchleuderte Vor - wurfsfrage in tiefſtem Grunde nur an ſich ſelber ge - richtet? Oh! Er war trotz ſeinen jungen Jahren in der Erkenntniß ſchon weiter vorgeſchritten, als dieſer arme, eingekapſelte Entſagungsfanatiker und Kartoffel - ſuppenmeergreis glaubte. Ihre Seelenanlagen waren doch wohl unter ſich ausnehmend verſchieden. Allein es tickte ihn, den Unmündigen und Kurzſichtigen zu ſpielen ſich ſo zu geberden, als coquettire er eigentlich nur mit ſeiner Blaſirtheit ... als ſei er noch voll von flammendem Jugendfeuer ... als halte er es wirklich noch der Mühe für werth, für ein Dutzend bedeutender Ideale einzutreten.

Hedwig hatte ſich einen Stuhl an den Tiſch gerückt und eine Häkelarbeit vorgenommen. Sie hielt den Kopf über die Arbeit gebeugt .. ſah nur zuweilen zu ihrem Vater auf .. und in ihrem Blick lag dann die ganze Sorge um den Leidenden, zugleich aber auch, wie es Adam ſchien, ein Wenig Ungeduld, ein Wenig Zorn. Selten ſchielte ſie einmal zu Adam hinüber. Blendend hob ſich das weiße Garn von der kirſchbraunen Tiſchdecke ab. Mit dieſem dunklen Untergrunde, den weißen Fingern, dem blaßgelben Teint und dem ſchwarzen Haar Hedwigs bildete es eine Farbengruppe voll einfach-bizarrer Plaſtik.

218

Adam aber begann alſo zu ſprechen aller - dings nicht ohne vorher noch einmal im Stillen be - dauert zu haben, daß ihm keine gute Cigarre die Rede begleiten und würzen ſollte :

Sie beurtheilen mich vielleicht doch etwas zu ſehr nach ſich, Herr Doctor verzeihen Sie, daß ich ſogleich mit einer deductio ad personam beginne. Es klingt ein Wenig paradox, enthält jedoch ſehr viel Richtiges, wenn ich behaupte, daß wir, das heißt: ich und verſchiedene Andere meiner Generation wir ſind übrigens ſo frech, uns immerhin zu den Beſten des jungen Nachwuchſes zu zählen! alſo daß wir mit dem Momente ich möchte bei - nahe ſagen: angefangen haben, mit dem Sie und mit Ihnen gewiß Unzählige Ihrer Generation auf - hören. Ihre Entwicklung hat ſich den individuellen Verhältniſſen gemäß, von denen Sie ausgingen, ganz organiſch, ganz normal vollzogen. Aber die unſere nicht minder. Zu Ihren Reſultaten ſind wir in unſerem Gedanken - und Gefühlsleben ſchon vor Jahr und Tag gelangt. In einem Punkte mögen Sie allerdings Recht haben: die Jugend, das heißt: unſere allerdings vielfach lädirte, durchbrochene, be - einträchtigte Kräftegruppe, läßt ſich nicht verleugnen ſie muß ſich nach den natürlichen Geſetzen alles Geſchehenen auslöſen und in Handlungen umſetzen. So arbeiten wir trotz all' unſerer Müdigkeit .. und Blaſirtheit arbeiten .. einmal zielbewußt .. zu - meiſt aber nur im Zwange jenes ſogenannten metaphy - ſiſchen Stadiums, wo das Individuum über ſich219 hinausgeht .. wo ſein Wille waltet und wirkt, ohne jedoch eine klare Tendenz zu beſitzen. So ſind wir denn vorwiegend auch in der Arbeit Aeſthetiker den ethiſchen Effekt bedingen ja ſo wie ſo die Geſetze, nach denen der ſociale Zellenverband funktionirt!. Aber wir arbeiten eben .. wenn auch ſtets der Ge - fahr ausgeſetzt, das uns eine ſchwere, dunkle Stunde der Verzweiflung .. des erneuten Durchſchauens ... der geſpannteſten Sammlung und klarſten Umſicht in alle Horizonte daß uns eine ſolche Stunde, ſage ich, die Waffe zur letzten, realſten und .. reellſten Abfuhrthat in die Hand preßt .. die Waffe, die wir als Sclaven kleinlicher Umſtände und Verhältniſſe ſo oft ſchon bei Seite werfen mußten .. Es iſt eben nicht nur ſehr gut möglich es iſt ſogar beinahe ſelbſtverſtändlich, daß eine Erkenntniß einmal ſo intenſiv und überzeugend wirkt, daß unter ihrem heißen Athem auch die letzte Rückſicht und Bean - ſtandung dahinſchmilzt .. Dann iſt's eben aus dann heißt es nur noch: tirez le rideau! La farce est jouée! wir empfehlen uns auf gut Rabe - lais'ſch ... Aber vor der Hand iſt ja dieſer letzte Knalleffekt noch unvollbracht. Und wir müſſen mit den Thatſachen rechnen .. ſo, wie ſie liegen. Wir ſättigen‘ uns durchaus nicht an jedem Daſeins - momente‘ in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten, Herr Doctor. Wir können uns eigentlich gar nicht mehr begeiſtern. Wohl ſind wir noch großer, ſtarker Gefühle fähig .. eben weil wir noch eine Fülle ge - ſammelter, großer, unverbrauchter Kräfte beſitzen. 220Aber wir ſtellen dieſe Gefühle zumeiſt in den Dienſt des Intellekts, wenn ich mich ſo ausdrücken darf. Wir haben die hiſtoriſche Entwicklung der Philoſophie vom Dogmatismus über den Skeptizismus zum Kri - tizismus in unſerem individuellen Sonderleben in ſchneidender Schärfe und Betonung durchgemacht. So ſind wir und mag das noch ſo widerſpruchsvoll klingen hagebüchene Individualiſten geblieben .. und doch zugleich auch Poſitiviſten und Phaeno - menaliſten geworden. Sie haben ſich gerade umgekehrt entwickelt, Herr Doctor. Und .. offen herausgeſagt: von der ſocial-ethiſchen Bedeutung Ihres Reſignations - ſtandpunktes verſpreche ich mir nicht viel mögen Sie Ihre Anſchauungen nun im Sinne Schopen - hauers, Hartmanns oder Mainländers krönen .. Kann ſein, daß das ſogenannte Volk für die Ethik eines Hartmanns eines Tages reif geworden iſt ich wüßte nicht, ob ich mich darüber freuen, oder ob ich es bedauern ſollte .. Sie ſind Ariſtokrat, Herr Doctor wir ſind auch Ariſtokraten. Aber wir ſind Ariſtokraten der Zukunft .. vielleicht der nächſten Sie dürfen höchſtens erſt am jüngſten Tage in die Urne greifen und das große Loos der geiſtigen Weltherrſchaft ziehen ... Nun ja! Sie können uns bemitleiden .. Sie können über unſere Be - ſcheidenheit .. über unſeren praktiſchen , realiſtiſchen Sinn mit ſouveräner Erhabenheit lächeln .. Wir verſtehen Sie verhältnißmäßig ſehr gut, Herr Doctor. Denn wir haben einmal mutatis mutandis Ihnen ſehr ähnlich gedacht und gefühlt. Mein Gott! 221Die Entwicklung eines modernen Menſchen, der einigermaßen außergewöhnlich .. einigermaßen über den Durchſchnitt hinausragt, vollzieht ſich ja ver - hältnißmäßig ſehr einfach. Das mit reichen Kräften ausgeſtattete Individium entfaltet ſich gewöhnlich in der erſten Zeit unter relativ guten Bedingungen. Da - durch wird ein ebenſo hochgradiger, wie einſeitiger Idealismus provocirt ein Idealismus, der ſich über Alles gern in Thaten ſetzen möchte .. dem aber Gott ſei Dank! vorläufig noch alle Thaten allergnädigſt geſchenkt bleiben. Allmählich kommt das arme-reiche Individuum mit der Welt in Berührung ... mehr und mehr. Natürlich ſtößt es an allen Ecken und Enden an .. findet allorts Widerſpruch .. und zieht ſich, in der Regel noch dazu ſehr zart, ſehr fein, ſehr ſenſitiv von Natur, wieder ſcheu zurück .. Aber der heißen Schwüre, die es ſich und Seinesgleichen in den großen Schwärmertagen ſeiner Jugend gegeben hat, kann es nicht vergeſſen. So ſtürzt es ſich in die Welt zurück .. und tritt jetzt gewöhnlich ſehr kühn und ſelbſtbewußt auf was dann natürlich die Sipp - ſchaft der guten Freunde, getreuen Nachbarn und ähnlicher Conſorten, die ſich auch Menſchen tituliren, brutal , anmaßend und weiß der Teufel! wie noch nennen. So ein armes, wirklich ganz meſſianiſch veranlagtes; mit dem wüthendſten Drange zu helfen, zu erhöhen, zu verſöhnen, ausgerüſtetes von allen Welträthſelngequältes ... von tauſend Ahnungen, Stim - mungen, Erwartungen, Hoffnungen, Entſagungen ... von tauſend Tendenzen ... von einer Unzahl von222 Gefühlen, Gedanken und Problemen hin-und herge - ſchütteltes Individuum wird dann gewöhnlich nebenbei auch noch für verrückt , unzurechnungsfähig[], un - normal , überſpannt , pathologiſch u. ſ. w. erklärt. Doch ſchiert es das im Ganzen wenig es hat eben genug mit ſich ſelber und ſeinem Skeptizismus zu thun. Manchmal wohl ... manchmal fährt es auf in ſeinem Grimme und zertritt einer zu unverſchämt gewordenen Natter den Kopf. Natürlich wird es dabei ſtets höchſt - eigenkörperlich in die bewußte Ferſe geſtochen. Das Gift iſt nicht gerade tödtlich .. aber es macht doch müde, blaſirt, welk .. blaſirt‘ vor der Zeit ... es ent - kräftet, zehrt auf vor der Zeit .. Indeſſen das arme, gemißhandelte, unverſtandene Individuum wird da - durch zugleich auch ſo etwas wie weltklug .. Es fällt in allerlei Schrullen und Grillen ſeiner Jugend zurück, kramt ſeinen alten, verſtaubten Idealismus wieder aus ... ſtutzt ihn ein Wenig modern auf: vertieft, erweitert ihn hier .. verflacht ihn dort ... ſchlägt für vorkommende Fälle eine Brücke nach Walhall und paßt ſich doch im Großen und Ganzen in einer ſtattlichen Reihe von Punkten der poſitiven[]Welt an .. verſucht mannigfache real - politiſche Experimente, Kunſtſtücke und Sperrenzchen : jetzt iſt es glücklich in ſein phaenomenaliſtiſch - kritiſches Zeitalter eingelaufen daß heißt: die Welt iſt ihm furchtbar gleichgültig, aber es rechnet doch mit ihr ... es analyſirt ſie .. es findet ſie ſehr oft ſehr abſcheulich ... mitunter aber auch wiederum zu den ſchönſten Hoffnungen berechtigend es223 glaubt dabei immer noch, daß ſich einige ſeiner neu - aufgefärbten Ideale einmal erfüllen werden ... es lebt ſehr äſthetiſch-epicureiſch zugleich in ge - wiſſer Hinſicht ſehr moraliſch ... intereſſirt ſich ſtark für alle möglichen nationalen und .. internationalen Fragen, die jedenfalls immer ſehr brennende ſein müſſen kurz: das Individuum lebt ... er - lebt ... trägt ... erträgt ... leidet arbeitet ...

Adam unterbrach ſich. Er wiſchte ſich mit dem Taſchentuche über die ſchweißfeucht überlaufene Stirn und nippte an dem Bierglaſe, das Hedwig vor - hin wieder friſch gefüllt hatte. Im Allgemeinen war er mit ſich ganz zufrieden. Er fühlte zwar ſehr gut heraus, daß er hier und da den Nagel durch - aus nicht auf den ſogenannten Kopf getroffen hatte .. daß mancher Wurf fehl gegangen .. daß mancher Hieb abgerutſcht war .. Vieles hatte er, ein Opfer ſeiner augenblicklichen, durchaus nicht ſo unbequemen, immer - hin ganz gemüthlichen Situation, nur logiſch aus der Erinnerung nachkonſtruirt Schwere, Tiefe und Ernſt ſeines Motivs keineswegs erſchöpft. Halb bewußt, halb unbewußt hatte er hier ein Zuviel, dort ein Zuwenig gegeben .. manchen Accent falſch aufgeſetzt .. Lichter und Farben öfter etwas will - kürlich vertheilt ... Aber das iſt ja ſchließlich unver - meidlich, tröſtete ſich Adam. Im Monolog wie im Dialog iſt die Anknüpfung und Fortführung der Gedankenreihe eine mehr oder weniger zufällige .. von der Aſſociationsgewohnheit des Individuums abhängige .. Nicht die innere Geſchloſſenheit und224 logiſche Unantaſtbarkeit des Gefüges vielmehr nur die auftretende Maſſe und Fülle wirkt .. das Pa - thos bedingt den Eindruck. Und wußte Adam auch, daß er im Ganzen ohne Glanz und Schwung geſprochen ſo ohne all' und jeden Eindruck auf die beiden Menſchen, die, eine beſondere, fremde, ihm mehr un - ſympathiſche, als ſympathiſche Welt darſtellend, ihm da gegenüberſaßen, ohne all' und jeden Eindruck auf ſie glaubte er wohl doch nicht geblieben zu ſein.

Aber welchen Eindruck hatte er denn eigentlich erzielen ... was hatte er bekämpfen .. wofür hatte er eintreten wollen? Adam mußte lächeln. Er kam ſich einen Augenblick faſt wie ein Beamter einer hochwohllöblichen Miſſionsgeſellſchaft vor. Doch .. zu Ruinen von der Zukunft predigen? Aber das war ja eben das Komiſche. Und nun ſtieg es alſo wieder wie Mittleid in ihm auf .. wie Mittleid vor Allem mit Hedwig, die verwelkte und verkümmerte ... und es ſo gar nicht verdiente. Und eine Art von ſentimental-cyniſchem Erlöſerdrang kam über ihn ... und er beſchloß, um dieſes Leben, dieſes arme, verblühende Leben, für eine kleine Weile einen breiten, goldenen Sonnengürtel zu legen ... einen Sonnen - gürtel erheuchelter Liebe ... Dann konnte die Kerze ja langſam ausflackern, langſam verkniſternd er - löſchen. ...

Der Unterſchied zwiſchen Ihnen und mir, begann jetzt Irmer, nachdem er ſich ein Wenig emporgerichtet und einmal tief aufgeathmet hatte, iſt nur der, daß mein Reſignationsſtandpunkt mehr ein225 intellektualer iſt, der Ihrige dagegen nur einer des Herzens, des Gefühls, des Willens

Das iſt doch aber natürlich genug , bemerkte Adam entgegen Sie ſcheinen ganz zu vergeſſen, Herr Doctor, daß die Entwicklung des Individuums doch eine ausgemacht pſychophyſiologiſche iſt! Das Alter iſt eben etwas total Anderes, als die Jugend ſein ſpecifiſches Organ iſt der Intellekt Alter und Jugend, deren ſpecifiſches Organ meinetwegen das Herz iſt, um mich der herkömmlichen Termino - logie zu bedienen, verſtehen ſich im Grunde über - haupt nicht ... kommen ſich nur durch gewiſſe lo - giſche Schlüſſe in Dieſem und Jenem näher ebenſowenig wie zum Beiſpiel der Kulturmenſch unſerer Tage ſeinen Urururahn, ich meine die Sipp - ſchaft der ſogenannten erſten Menſchen , verſteht ... der erſten Menſchen, bei denen das Gefühl jedenfalls auch das Primäre geweſen iſt das Gefühl, welches, in den erſten ſprachlichen Taſtver - ſuchen objectivirt, zur Ausbildung des[Denkver - mögens] als eines Organes, wenn ich ſo ſagen darf, führte was dann wiederum zurückwirkte und in ſeinem Reagens zur Differenzirung der Sprache Anlaß gab ... Wenn es möglich wäre aus geſellſchaftlichen und ſocialen Gründen iſt es eben unmöglich : dann ſollten Alter und Jugend höchſtens eine Partie Scat miteinander ſpielen, ſich aber um Gotteswillen nicht auf irgendwelche tiefe - ren Geſpräche, auf weſentliche Debatten, kurz! auf einen intimeren Verkehr miteinander einlaſſenConradi, Adam Menſch. 15226 das iſt ganz unfruchtbar und macht zumeiſt nur böſes Blut ... wenn ich auch nicht verkenne, daß ſich Alles nur per Reibung entwickelt und ſomit das Alter ein ganz brauchbares Feuerzeug für die Jugend abgiebt ... Aber mit dem Kultus des Alters ... mit dem Reſpect, der Ehrfurcht vor ihm ... mit der Rückſicht auf daſſelbe damit ſollte doch im Namen einer vernünftigen, keimkräftigen Zukunfts - ethik einmal gründlich aufgeräumt werden. Ruinen ſtudirt man nur betet ſie aber nicht an

Nun begreife ich allerdings Ihre erſte Frage, Herr Doctor, erſt vollſtändig die Seite, die Sie eben berührten, hatte ich bisher ganz außer Acht ge - laſſen

Adam fühlte ſich von dieſem Vorwurfe ſeines Wirthes denn als etwas Anderes konnten die Worte kaum aufgefaßt werden ſehr unangenehm berührt. Nun blickten ihn auch die ernſten, ſchweren Augen Hedwigs fragend und zugleich bittend an. War er zu weit gegangen ? Eine Reihe ver - erbter, ſogenannter Anſtandsgefühle nahm von ihm Beſchlag. Aber er war einmal im Zuge. Und er ſpürte, wie er lebendiger, wärmer, leidenſchaft - licher geworden. Uebrigens was wiſſen Herbſt und Winter eigentlich vom Frühling? Aber er verkör - perte er in ſeiner Natur nicht alle vier Jahreszeiten zugleich? Und doch! Gab dieſes Moment, wenn es thatſächlich exiſtirte, nicht einen Widerſpruch zu der von ihm Doctor Irmer gegenüber ausgeſprochenen Anſchauung ab? Es nahm ſich faſt ſo aus. Nein! 227Nein! Die Jugend war noch voll in ihm und was bedeutete denn ſeine phänomenaliſtiſche Betrach - tungsweiſe, wenn ſie hier nicht Stich hielt?

In einem Zuge trank Adam ſein Bier aus. Gedankenverloren ſpielte er mit den Fingern noch an dem Henkel des Glaskruges herum. Hedwig erhob ſich, eine neue Füllung zu beſorgen. Zu - fällig ... wie zufällig berührten ſich beider Hände. Sie ſahen ſich an. Grüßte die Jugend die Jugend? Sie wollten wenigſtens beide jung ſein. Das lag in dieſem tiefen, ſich einbohrenden Blick, mit dem ſie umeinander warben. Ein diskreter Luftzug ſtrich zu den offenen Fenſtern herein. Die Lampe flackerte ein Wenig. Irmer lag wieder ganz zuſammenge - ſunken im Lehnſtuhl und hatte die Augen geſchloſſen. Adam fühlte ſich von einem Schwarme heftiger, un - klarer Gefühle beſtürmt. Es ging auf zehn Uhr.

Langſam ſchlug Irmer ſeine Augen wieder auf und blickte ausdruckslos vor ſich hin.

Willſt Du Dich nicht lieber zurückziehen, Papa ? Du biſt ſchläfrig fragte Hedwig.

Adam erhob ſich und bekundete damit, daß er ſich empfehlen wollte.

Na! der Wink mit dem Zaunpfahl war eigent - lich überflüſſig, knurrte er in ſich hinein, natürlich verſtimmt von der Taktloſigkeit Hedwigs.

Aber bitte, Herr Doctor begann jetzt dieſe .. und brach dann jäh ab. Sie konnte Adam doch unmöglich zum Bleiben auffordern. Der wußte nicht recht, was er machen ſollte

15*228

Ja! bitte, Herr Doctor leiſten Sie meiner Tochter noch etwas Geſellſchaft! Wenn Sie geſtatten ich möchte allerdings doch lieber zu Bett gehen das iſt ſo meine gewohnte Stunde ich kann ja nicht viel ſchlafen der Huſten die Ge - danken und manches ... manches Fremde haben Sie meinem alten Kopfe heute doch aufgegeben, Herr Doctor ... Es iſt mir Vieles aus meiner Jugend wieder eingefallen ... ich hätte Ihnen auch Dies und Das erwidern können es iſt zu ſpät ... zu ſpät für heute Abend ... und wohl auch zu ſpät für immer ... Ich muß der Jugend die Arbeit überlaſſen ... zu früh vom Leben gebrochen. Auch Sie werden ſich müde arbeiten ... müde ... müde ... Sie ſind es ja jetzt ſchon, wie Sie ſagen. Aber arbeiten Sie ſich Ihre Jugend erſt tüchtig herunter von Seele und Leib ... und Sie kommen ſchließlich zu mir zurück vielleicht von einem anderen Punkte aus vielleicht auf einem anderen Wege aber gewiß zu demſelben Ziele, zu dem die Weiſen aller Zeiten noch zurückgekommen ſind. Und nun leben Sie für heute wohl, Herr Doctor, und ſchenken Sie mir recht bald wieder einmal die Freude Ihres Beſuches. Ich denke, wir haben noch Mancherlei miteinander auszumachen ...

Hedwig führte ihren Vater, der mit Mühe einen Huſtenausbruch unterdrückte, hinaus. Adam war allein. Er trat an's Fenſter und legte ſich weit über die Brüſtung. Die Nacht war ſchwül. Am Himmel ein einförmiges Wolkengewirr ... ſchwere,229 blauſchwarze Maſſen. Es ſchlug zehn Uhr. Mecha - niſch zählte Adam die ſonor widerhallenden Schläge. Und er wußte, daß er die Entſcheidung über ein Frauenſchickſal in der Hand hielt. Das ſchmeichelte ihm ... das machte ihn ein Wenig eitel ... ein Wenig ſtolz und doch zugleich merkwürdig ängſt - lich und beklommen. Er brütete eine Weile vor ſich hin, in die ſchwarze, ſchweigende Nacht hinein. Da fühlte er einen leiſen Luftzug ſeinen Hals be - ſtreichen. Hedwig war wieder eingetreten. Er wandte ſich um. Mochten die Würfel denn fallen.

Ich habe Ihrem Herrn Vater doch nicht weh ge - than vorhin, mein gnädiges Fräulein? Ich war einige Male allerdings ziemlich offen und geradezu

Ach bitte, Herr Doctor! Uebrigens ... ſagten Sie nicht ſelbſt, daß es keine Brücke zwiſchen dem Alter und der Jugend gebe da mußten Sie doch offen und geradezu ſein nicht ...?

Sie zürnen mir doch, mein Fräulein ... Ich höre es aus Ihren Worten heraus ich be - dauere ſehr aber Geſchichten, die Einem am Herzen liegen ... und die Einem ſo ſonnenklar ſind und die doch aber und dann nimmt man ja immer nur ein winziges Moment aus der ungeheuren Fülle der Gegenſatzmotive heraus gerade das Moment, auf welches man durch eine, allerdings nur ſcheinbar zufällige Ideen - aſſociation trifft ſo macht ſich dem überall eine gewiſſe Willkür breit eine Willkür, die aber230 andrerſeits auch wiederum das Leben in allen ſeinen Aeußerungen bunter und reizvoller ſtimmt. Leider giebt es Naturen, welche das Bewußtſein, daß Alles in der Welt nur ſucceſſiv und Nichts ſimultan geſchieht, einfach wahnſinnig machen kann. Vielleicht gehöre ich zu dieſen Naturen. Man hat ſich für ein Moment entſcheiden müſſen man nimmt es heraus tauſend andere drängen nach die nächſten hat man ſchon in's Auge gefaßt das erſte iſt bewältigt man will zum zweiten, das Einem ſchon entgegenblitzt, greifen und trifft auf ein ganz fremdes : die Kombination iſt unter - weilen eben eine völlig andere geworden. Das iſt Tragik. Es läßt ſich nichts in der Welt ganz erfaſſen nichts erſchöpfen ...

Eine kleine Pauſe entſtand. Hedwig lehnte am Tiſche und neſtelte gedankenverſponnen an ihrem Garnknäuel herum. Auch Adam war an den Tiſch getreten. Er ſah dem Spiel ihrer weißen Finger zu. Bunte Gedanken flogen durch ſeine Bruſt.

Und ein bezwingendes Träumen kam über ihn ... ein bezwingendes Träumen, das doch zugleich ein helles und klares Wachen war. Und es ergriff ihn, zu dieſem Weibe zwanglos von dem zu reden, was ihn erfüllte ... zwanglos, ſo wie es in ihm aufſtieg und von ihm ſich löſte. Närriſch dünkten ihn die Schranken, die ſich die Menſchen zwiſchen einander aufbauen. Mit einem leiſen Fingerdruck ſtieß er ſie nieder. Und er ſprach zu dem Weibe, das neben ihm ſtand :

231

Nicht, Hedwig, ſo ſind wir zwei Kinder der - ſelben Generation. Und wir müßten uns doch eigent - lich recht gut verſtehen. Eine Fülle gleichartiger Zeitkeime hat Dich und mich befruchtet. Und doch ſind wir ſo ſehr entfernt von einander. Ich ſtehe ja viel mehr im fließenden Leben, als Du. Deine Heimath iſt enger ich habe im Grunde keine Heimath mehr. So ſollte ich keine Schranken ſpüren ... und ſpüre und finde allent - halben doch nur Schranken. Das iſt ein Wider - ſpruch, an dem ich noch zu Grunde gehe. Das Leben iſt ſo wahnſinnig komplicirt. Und doch hat Jeder, der ſich nur ein Biſſel in's allgemeine Da - ſeinsgetriebe hineindenkt, das Gefühl, als müßte Alles ungeheuer einfach ſein. Und ja! ja! es wäre in Wirklichkeit auch Alles ungeheuer einfach wenn es nur Menſchen auf der Welt gäbe ... und nicht Zweibeinler, die ihr Menſchen - thum in die Zwangsjacke einſchnürender Formen und Vorurtheile verſteckten ... Du biſt am Morgen vom langen Schlafe aufgewacht und ſinnſt nach, welche Träume Dir in der Nacht erſchienen waren. Die Erinnerung iſt ſchroff und widerſpenſtig und Du findeſt keine Anknüpfung. Der Tag nimmt von Dir Beſchlag ... und er zwingt Dich ganz in ſeinen engen und doch ſo weiten Kreis hinein. Da plötzlich löſt ein zufälliges Bild, das ſich Dir vor's Auge ſchiebt im hellen Spiele der Tagesdinge, die Erin - nerung an eine Traumſcene aus ... und ſie fliegt an Dir vorüber ... langſam und doch zu ſchnell. 232Bald iſt ſie wieder aufgeſchluckt von dem fließenden Wirrwarrwandel der Tagesdinge. Auch die Seele hat einmal von der Einfachheit und der Freiheit des Lebens geträumt. Aber dann kam das Leben ſelbſt und löſchte mit ſeinem bunten Zuviel alle dieſe vagen Träume aus. Nur manchmal flattert noch ein verlorener Traumfetzen durch Deine Welt der wirklichen Dinge und mahnt Dich an einſtige Sehnſuchten, Hoffnungen, Erwartungen, an einſtige Gewißheiten. Merkwürdig verſtören dieſe Erinne - rungen und ſtärken doch zugleich. Schmerzlich ge - bären ſie Ideale ... oder erneuern, vervollkommnen verblichene wieder und verkümmerte. Wie ein me - taphyſiſches Erzittern feinſten, ſublimſten Nerven - lebens iſt es in Dir ... wie ein Erzittern, das aber immer weitere Kreiſe ſchlägt und immermehr hinein in den Fluthſpiegel der realen Welt. So wird man wieder zum bewußten Kämpfer, wo man vorher nur unfreiwilliger Arbeiter ge - weſen war. Der, den ſich die Welt unterworfen hatte, hat nun die Welt ſich unterworfen. Und die Zeit iſt wahrhaftig dazu angethan, daß man ein Kämpfer in ihr iſt! Wie oft habe ich ſie ſchon packen wollen in ihrem innerſten Nerv dieſe merkwürdige Zeit unſere Zeit! Es gelingt mir nicht. Indizienkrumen ſammeln ... Brocken ... Steinchen ... Steinchen auf Steinchen kleben das kann ich nicht. Von ihren großen Strömungen laſſe ich mich gar gern ergreifen. Vieles ... zu Vieles darf ... muß hier an uns rühren. Es233 gilt Mancherlei gutzumachen und noch Mehr auszu - gleichen. Die moderne Wiſſenſchaft iſt für einen äſthetiſch ... für einen künſtleriſch veranlagten Geiſt ein Ungeheuer. Sie fordert ſtille, dauernde Arbeit ... ein ſtetes Bemühtſein ... ein Wachbleiben durch viele einſame Nächte hindurch und immer erfriſchte Geduld. Wo ſollen wir da hin mit unſerem bis in's Feinſte nüancirten Stimmungsleben ... mit unſeren ſtürmiſchen Affekten ... mit den großen und kleinen mit den ganzen und halben Wünſchen unſeres Blutes? Und unſer Auge liebt noch viel zu ſehr das Sehen nach innen ... und iſt noch ſo ungeſchickt im ſcharfen Erfaſſen der Außendinge, die doch jetzt ſo ſehr alle Welt beſchäftigen und ſo dik - tatoriſch Reſpekt verlangen. Wir müſſen die klare Linienwelt der Antike und die verſchwommene Flächenwelt der Romantik mit ihren kosmiſchen Verallgemeinerungen und ihren radicalen Principien ſchon hinter uns laſſen ... und müſſen uns ſchon bemühen, mit der nüchternen Korrektheit des Pſycho - logen den Objecten auf den Leib zu rücken. Das wird uns vorwiegend äſthetiſch angelegten Naturen recht ... recht ſchwer werden aber das einzige Heil für uns wird es doch wohl ſein. In dieſem Sinne müſſen wir uns unſere Zeit analytiſch zu unterwerfen ſuchen. In dieſem Sinne müſſen wir an ihre großen Probleme herantreten. Gewaltiges bereitet ſich vor ... eine neue Zeit liegt in den Geburtswehen. Wo ſind die unglücklichen Opfer, die jede Uebergangsepoche fordert? Wir ſind es,234 hier ſind ſie. All' unſer Wünſchen und Wollen ge - hört der Zukunft wenigſtens in unſeren beſten und größten Stunden aber unſerem Können giebt Richtung und Ziel ſo oft nur die ererbte Vergangenheit. In dieſem Zwieſpalt werden wir an uns irre, zweifeln ... verzweifeln wir hundert und tauſend Mal ... und kommen ſchließlich dazu, einen ſchrankenloſen Individualismus zu kultiviren, einen Individualismus, der im Grunde doch nur ein verunglückter, verſetzter Sozialismus iſt ... der aber zugleich die dumme Angewohnheit hat, daß er uns zerfleiſcht, aushöhlt, entnervt ... Aber wir fühlen ſo tief und ſehen ſo ſcharf gerade in den Stunden, wo wir ſpüren, daß Alles in uns auseinanderreißt und aufbricht und alle Irrthümer, Widerſprüche und Vorurtheile der Welt erkennen wir nie klarer und bedauern wir nie aufrichtiger, als gerade in dieſen Stunden, wo die innere Zerklüftung am hef - tigſten brennt. Da ſind wir zugleich Beſiegte und Kämpfer Kämpfer mit Siegeshoffnungen und An - wartſchaften auf Zukunftstriumphe. Nun ja! Wir werden unter unſäglichen Schmerzen zwiſchen dem Alten und dem Neuen hin - und hergezerrt ... aber wir denken in dieſen ſchweren Stunden doch darüber nach, wie wir das Kommende am Schärfſten erfaſſen ... wie wir das Moderne erſchöpfend definiren und wir erſtaunen freudig über die Fülle der uns zuſtrömenden Begriffe, die im Wörterbuche der Zukunft einen anderen Werth, einen anderen Inhalt, eine andere Erklärung beſitzen werden. Und ſind235 uns auch nur Moſesblicke vorbehalten wir glauben an das Germanenthum, das ſeine höchſte Miſſion: die Ueberwindung und Knechtung des ſemitiſchen Geiſtes, erfüllen wird mag dann nachher der Konflikt zwiſchen germaniſchem Nationa - lismus und europäiſchem Internationalismus gelöſt werden ... Allerdings! ein Bedenken dürfen wir nicht verſchweigen: vielleicht kann der ſemitiſche Geiſt in ſeinen Wurzeln nur durch die gewaltſamen Ex - propriationsakte der Zukunftsdemokratie ausgerodet und ausgerottet werden. Ohne jene Gewaltakte wird es aber überhaupt nicht abgehen, wenn einmal der Verſuch gemacht wird, einige allzu hagebüchene Un - terſchiede auszugleichen, einige allzu freche Unge - rechtigkeiten zu ſühnen. Und dieſer Verſuch wird allem Anſchein nach gemacht werden müſſen. Am Ende dieſes Jahrhunderts wie wird es da in Europa ausſehen? Eins iſt jedenfalls gewiß: eine ganz anſehnliche, gar nicht ſo minorenne Menge irriger Anſchauungen und eingewurzelter Vorurtheile wird dann beſeitigt ſein. Z. B. die von gewiſſen Zöpfen und Perrücken heute noch mit ſperrangelweit auf - klaffenden Mäulern beanſtandeten materialiſtiſchen Auffaſſungen in puncto der Beurtheilung von ſoge - nannten Verbrechern überhaupt von allen Ge - ſetzesübertretern ſie werden natürliches Gemein - gut Aller geworden ſein. Die Aera der ſeeliſchen Ver - tiefung und Erkenntniß des pſychologiſchen Verſtändniſſes wird gekommen ſein. Die Märchen vom freien Willen, von perſönlicher236 Schuld , von perſönlicher Verantwortung ſie hat ein freier und klarer und gegenſtändlicher denkendes Geſchlecht in die Rumpelkammer der Vergangenheit geworfen. Oh! Es könnte immerhin eine Luſt ſein, in dieſer neuen Epoche zu leben! ... in dieſer Zeit, wo auch die Schranken zwiſchen den beiden Geſchlechtern gefallen ſein werden dieſe dummen, einfältigen, nichtswürdigen Schranken, die jeden na - türlichen, naiven Verkehr zwiſchen Mann und Weib unmöglich machen ... Das wiedergeborene germa - niſche Grundgefühl wird das barbariſch unappetit - liche, über Alles ekelhafte Verhüllen und Verſchweigen, das in der chriſtlich-ſemitiſchen Auffaſſung der Sinn - lichkeit die Hauptrolle ſpielt, als brutal unſittlich erkannt und zurückgewieſen haben. Es wird verzeihen Sie, liebe Hedwig, meine Offenheit ... und lächeln Sie zugleich nein! wenden Sie ſich nicht ab und erröthen Sie nicht! beſchämen Sie mich vielmehr und lächeln Sie darüber, daß ich Sie um Entſchuldigung bitte ... als hätte ich das Gefühl ... das Bewußtſein was ich leider, offen geſagt, auch habe daß ich hier ein unan - ſtändiges, heikles Thema berühre, wo ich doch nur von den natürlichſten Dingen der Welt ſpreche! alſo aber was wollte ich ſagen ? ja ! es wird es wird nein! es wird dann keine verbotenen Genüſſe keine heimlich großge - zogene, verſteckte Lüſternheit keine alſo ... ich darf ganz offen ſein ? keine künſtlich gezüchtete Selbſtbefriedigung mehr geben ... Unendlich Viele237 Ihres Geſchlechts werden von den ſcheußlichſten, un - erträglichſten Qualen befreit ſein und unendlich Vielen meines Geſchlechts wird der Gang durch die ... die ... alſo durch die Bordelle erſpart bleiben durch dieſe zweifelhaften Roſenhage , welche bis dato Generation auf Generation abſolviren mußte. Von dem furchtbaren Drucke, den uns die ſo grauſam un - natürlichen Verhältniſſe unſerer Zeit auf die Bruſt gewälzt, haben dieſe Menſchen der Zukunft aufathmen dürfen. In dem klaren Erkennen der Natur, welche die Geſchlechter zueinander zwingt, werden ſie die Geſetze ihres Lebens natürlich einrichten und ge - ſtalten ...

Adam brach ab. Hedwig hatte ihren Platz am Tiſche, den ſie bis dahin unverändert innebehalten, bei der letzten Wendung, die Adam's buntförmige Rede genommen, verlaſſen und war an das offene Fenſter getreten. Sie ſtützte die rechte Hand auf den Schreibtiſch ihres Vaters.

Adam fühlte ſich doch ein Biſſel beklemmt. Er bereute faſt ſeine Offenheit ... er konnte jetzt ſeine Kühnheit kaum begreifen ... er ärgerte ſich über ſich und zugleich über Hedwigs Prüderie. Sie ver - ſtand ihn alſo doch nicht. Aber er verſtand er ſich denn noch in dieſem Augenblick? Und doch hätte er noch ſo Manches auf dem Herzen gehabt und ſehr gern noch eine kleine Weile weiterdozirt, wie er ſein breitſpuriges, allerdings ſehr doktrinäres Schwatzen und Salbadern im Stillen titulirte. Und nun wurde es ihm wieder zu Sinn, als wäre Hedwig weniger238 prüde geweſen, als wäre ſie vielmehr von einem halb ehrlichen, halb ſentimentalen Mitleid mit ſich ſelber ergriffen worden. Das ſtimmte ihn weich, zärtlich, hingebend und verlangend und er trat zu dem Weibe, dem er einen Augenblick früher wiederum faſt fremd gegenübergeſtanden hatte, ans Fenſter ein dunkles Wollen und Müſſen in der Bruſt. Adam trat dicht an Hedwig heran und flüſterte ihr leiſe zu, den Nachdruck der Innigkeit und Ergriffenheit in der Stimme: Habe ich Dir wehgethan, Hedwig? Sei mir nicht böſe

Hedwig hatte die linke Hand über die Augen gelegt. Den Kopf hielt ſie gebeugt. Ein leiſes, verhaltenes Schluchzen ging jetzt von ihr aus. Adam athmete ſchwer auf.

Draußen lag die Nacht ... die letzte Mai - nacht ... ruhig, ſchwarz. Nur ein nervöſes Er - zittern der Schwüle prickelte zuweilen durch die Luft.

Adam Menſch verſpürte ſich wieder einmal ganz im Zwange ſeiner Stimmung. Wie ein un - endliches Mitleid mit ſich ſelber ergriff es auch ihn. Unklare, halbfertige Sinnlichkeitsaffekte löſten ſich in ihm aus. Dieſe nächtige Schwüle bedrückte ihn. Dieſes ſchluchzende Weib quälte ihn ... und be - glückte ihn doch zugleich unſäglich. Eine ſchickſals - mächtige, fanatiſche Nothwendigkeit bändigte ihn jetzt zu Hedwig hin. Aber nein! Er durfte ſich nicht überwältigen laſſen. Er dachte an Lydia, er dachte an Emmy. Ach! es ekelte ihn vor ſich. Das war239 ein wüſtes, wahnwitziges Hin - und Herirren von Einer zur Anderen ... ein verzehrendes Suchen ohne eigentliche Abſicht zu finden zu finden, um dann feſt - ... feſtzuhalten. Und doch: hatte er nicht ſchon tauſend Mal die Sünden bereut, die er nicht gethan? Er hatte Gewalt über dieſes Weib. Es war in ſeiner Hand. Und er lechzte nach wonach? Nach den ſogenannten Freuden , den Amuſements der Liebe? Das nun weniger. Jedoch! Er unter - lag. Er mußte nachgeben. Er mußte das an ſich reißen, was ihm den Weg kreuzte und ſich ihm zu - wandte. Er konnte ja auch gar nichts Geſcheiteres thun. Und er nahm dem weinenden Weibe die Hand von den Augen und raunte ihm zu: Ich habe Dich ſehr lieb, Hedwig ... weine nicht! ... Wir ge - hören doch zuſammen! Komm!

Adam! ſträubte ſich Hedwig.

Haſt Du mich denn nicht ein Wenig lieb ?

Die Worte waren leiſe, langſam, flehend geſprochen, eine große Traurigkeit und Bekümmerniß verrathend ... und wie eine ſchwere Enttäuſchung zugleich.

Hedwig ſtand da, den Kopf geſenkt, ihre Hände lagen auf dem Fenſterbrett.

Und Adam nahm dieſe kleinen, mageren, blaß - gelben Hände und zog an ihnen das Weib, das er liebte, an ſeine Bruſt. Und er berauſchte es mit glühenden, ſtechenden Küſſen. Die Lippen wollten nicht von einander laſſen, und es war, als wollten ſich die Beiden gegenſeitig das Leben ausſaugen und auftrinken.

240

Adam war es ſehr mild und weich zu Sinn. Er hatte eine gute That vollbracht. Er hatte dieſem armen, eintönigen, farbloſen Daſein ein großes Er - lebniß, eine große ſeeliſche Erſchütterung gegeben.

Hedwigs Arme umſchlangen ſeinen Hals. Eine unendliche Hingebung und Zärtlichkeit ſprach und bat aus ihren verthränten Augen.

Nun haben wir uns doch gefunden flüſterte ſie und legte den Kopf an Adams Bruſt, als ſchämte ſie ſich ihrer Worte ... als wollte ſie ſich vor ſich ſelber verſtecken.

Jawohl! antwortete Adam ſehr laut und lächelte eine Stecknadel lang ſpöttiſch. Das kleine Weib war doch eigentlich etwas zu ſentimental.

Langſam lockerten ſich Hedwigs Arme. Der Herr Doctor verſtand. Hm! So leicht zu verletzen? Aber da packte ihn auch wieder die Leidenſchaft und von Neuem riß er das Liebſte, was er zu dieſer Friſt auf der Welt beſaß, an ſich und erſtickte es faſt mit ſeinen Küſſen und Umarmungen.

Mein Weib! Mein ſüßes, einziges Weib! ſtieß er gepreßt hervor und zwang Hedwig mit Ueberkraft zu ſich heran ... bis ihnen der Athem abriß und ſie langſam von einander laſſen mußten.

Nun ſtanden ſie neben einander und ſahen in die Nacht hinaus, die ruhig, ſchwarz, ſchwül zwiſchen Himmel und Erde hing.

Was ſoll mit uns werden, Adam ? kam es nach einer kleinen Weile leiſe von Hedwigs Lippen.

241

Adam antwortete nicht ſogleich. Wußte er denn etwa ſelbſt, was mit ihnen werden ſollte?

Du antworteſt nicht begann Hedwig wieder. Mühſam unterdrücktes Aufſchluchzen gab ihrer Stimme etwas Hartes, Rauhes, Gezacktes.

Was mit uns werden ſoll, mein Lieb? Aber wir wiſſen doch, daß wir zu einander gehören! Iſt das vorläufig nicht genug? Wollen wir uns die Schönheit und Größe dieſer Stunde durch kleinliche, philiſtröſe und trivial-proſaiſche Erwägungen ſtören laſſen? Zwei Lebensläufte ſind nun zuſammengefloſſen und haben eine Richtung erhalten ... und ein Ziel ... Und ... nun ja! aber wirklich, meine Liebe laß das jetzt ja? Wir ſehen und ſprechen ... und ... küſſen uns ja nun alle Tage ... und da werden wir wohl gelegentlich ſchon 'mal eine Stunde finden, wo wir ſo einfältig und nüchtern und ... und ſo kalt und trocken ſind, daß wir auch einige unver - meidliche praktiſche Fragen erledigen können. Komm, mein Lieb gieb mir jetzt lieber noch einen recht herzigen Kuß !

Hedwig trat einen Schritt zurück und wehrte ſanft ab. Das iſt es nicht, Adam, was ich meine das nicht. Wir müſſen tiefer gehen. Ich weiß: Du fühlſt den Zwieſpalt ebenſo gut, wie ich .. und willſt ihn Dir wohl jetzt nur nicht eingeſtehen. Du weißt ebenſo gut, wie ich, was uns trennt ... was uns immer trennen wird. Deine jähe Leiden - ſchaftlichkeit hat mich beſiegt ich habe Dir nach - gegeben. Es war ja auch nicht ſo ſchwer, mich zuConradi, Adam Menſch. 16242beſiegen. Denn ich habe Dich nicht minder liebge - wonnen, Adam. Zuerſt ja! da haſt Du mich abgeſtoßen ... Du haſt doch öfter mein Fein - gefühl ſehr beleidigt. Trotzdem habe ich mich ſeit jenem Abend bei Quöck ſtärker und tiefer für Dich intereſſiren müſſen. Ich ahnte zuerſt ... und nachher wurde es mir immer klarer, daß wir manches Gemeinſame beſäßen. Eine unglückliche Natur biſt Du ... wie ich es bin. Ich kann Dir in Vielem ſehr gut und ſehr fein nachfühlen, Adam. Ich verſtehe Dich vielleicht beſſer, als Du Dich ſelbſt verſtehſt jedenfalls ebenſo gut. Nur hätte ich tapferer Dir gegenüber ſein ſollen. Ich hätte Dich um jeden Preis abweiſen müſſen, Dein Werben und Betheuern nur für das nehmen ſollen, was es in Wirk - lichkeit allein iſt: ein Produkt Deiner Stimmung, die morgen wieder eine ganz andere ſein kann ja! ſicher eine ganz andere iſt, als ſie es heute geweſen. Nein! Bitte, lieber Adam! unter - brich mich jetzt nicht laß mich einmal ausreden. Aber ich habe doch nicht widerſtehen können. Das Jahrelang verleugnete Weib in mir konnte ſich nicht länger verleugnen. Ich fühlte noch zu heftige Jugendbedürfniſſe in mir ... und fühle ſie noch. Du kannſt jetzt mit mir machen, was Du willſt, Adam. Ich ſage Dir das ganz offen. Und nicht etwa, um Dich um Schonung zu bitten. Mein Schickſal liegt in Deiner Hand. Ach! Das un - natürlich Niedergezwungene ſprengt ja mit einem Rucke ſeine Ketten, wenn man ſie ihm nur ein243 Wenig lockert. Alle philoſophiſchen Erziehungsverſuche meines Vaters ſind vergeblich geweſen. Das Blut meiner Mutter das ſagt Alles. Ich bin nicht zu dem Frieden gekommen, den mir mein Vater gegeben zu haben glaubt. Ich verbarg und verſteckte die letzten Funken meiner Jugend vor ihm die letzten Funken, die Du angefacht haſt, Adam. Es war ja nicht ſchwer, ſie vor dem alten Manne zu ver - heimlichen. Er lebt ja nur in ſeiner Welt und unſere engen, kargen, farbloſen Verhältniſſe brachten es mit ſich, daß ich äußerlich ruhig und ernſt und zufrieden erſcheinen konnte. Und doch und doch Adam trotz alledem habe ich das Gefühl, daß ich zu welk und zu alt bin für Dich. Laß die letzten Flammen erſtorben ſein und ich falle ganz zuſammen. Das traurige, eintönige Leben, das ich ſeit Jahren habe führen müſſen und das ... wenigſtens anfangs ... dem innerſten Grundzuge meiner Natur ganz entgegengeſetzt war mit der Zeit paßt man ſich eben mehr und mehr an dieſes Leben konnte nicht ohne abtödtende Einflüſſe auf mich bleiben. Ich bin nur ein Schatten noch von dem, was ich einſt war. Ich gehe durch die Welt ... durch die reale Welt der Sinne wie im Traume ... wie eine Nachtwandlerin ... ich habe kaum Fühlung mit dem, was die Zeit bewegt. Nur ein dunkles Ahnen ... ein gewiſſer Inſtinkt ſagt mir noch Manches. Ich bin vielleicht keine verlorene Seele, aber ſicher eine verlegene ... eine verwelkende und verkümmernde. Das iſt Alles, Alles ſo traurig ſo unſäglich16*244traurig. Nun ich mich an Dir meſſen kann, fühle ich meine Kraftloſigkeit doppelt. Aber auch Du, Adam auch Du biſt nicht geſund ich meine: biſt nicht ſo, wie die Anderen wie die Mehrzahl die Maſſe. Robuſtes und Dickhäutiges nein! das haſt Du gar nicht. Du biſt viel zu fein und zart organiſirt, um Dich in dieſer rauhen Zeit ſo behaupten zu können, wie Du es wohl ver - dienteſt. Wenn Du wirken .. noch wirken willſt wenn Du noch mit Deinen Kräften für jene Ideale eintreten willſt, die Du vorhin erwähnteſt, muß Dir die Sonne ſcheinen .. mußt Du in die volle, warme Mittagsſonne gehen. Bei mir findeſt Du nur Schatten. Wir beide zuſammen wir empfänden die Schwere und Reizbarkeit unſerer Naturen nur doppelt ſcharf wir wären nur doppelt unglücklich. An einer endloſen Kette unerträglichen Elends würden wir zu ſchleppen haben. Mit mir kannſt Du Deine Kräfte nicht flüſſig machen. Ich ſtehe dem Leben zu ſkeptiſch gegenüber, obwohl ich es faſt gar nicht kenne. Meine Zweifel würden auf Dich fallen .. würden Dich hemmen, wenn Du einmal Deine eigenen glücklich vergeſſen hätteſt. Um für Deine Ideale eintreten zu können, mußt Du mit neuen Illuſionen rechnen dürfen. Das iſt mir ſehr klar. Und um Dir dieſe Illuſionen zu ſchaffen, bedarfſt Du der Fülle, des Glanzes, des Reichthums, der Dich aller kleinlichen Alltagsſorgen überhebt und Dir die gröbſten Rei - bungen des Lebens beſeitigt. Wenn Du nicht in den Beſitz von Gold, von Mitteln kommſt, gehſt Du245 unter. Ohne dieſe ſtärkſte Waffe im Leben ver - bluteſt Du vor der Zeit. Nun ſieh: wir beide Du und ich und ich mittellos, wie Du wir beide mit unſeren müden Herzen und müden Sinnen .. mit unſeren feineren, ariſtokratiſchen, differen - zirten Naturen wir ſollten uns nun ordinär wie zwei gewöhnliche Arbeiter ums tägliche Brot abplagen, damit wir überhaupt nur leben könnten? Es iſt zu viel Schatten um mich, Adam zu viel. Gar keine Sonne gar keine. Der Kampf würde uns aufreiben .. würde uns mit ſeinen Fauſtſchlägen und Nadelſtichen zu Tode martern. Und dann: ich kann meinen armen, hülfloſen Vater auch nicht ver - laſſen. Ich bin gebunden. Verkehren ja! vielleicht können wir in Zukunft öfter ... und intimer mit einander verkehren und es ergiebt ſich vielleicht auch manches Gute aus dieſem zeitweiligen Verkehr. Und das Letzte, Adam der letzte und ſchwerſte und triftigſte wenigſtens vor der Welt triftigſte Grund, warum ich Dir nicht angehören kann: ich bin nicht die mehr, für die Du mich wohl bisher gehalten haſt ich habe o Gott! ich habe auch ſchon eine Vergangenheit ...

Adam hatte die Auseinanderſetzung Hedwigs ſchweigend angehört. Er hatte ſie einige Male unterbrechen wollen, auf ihre Bitten aber immer wieder an ſich gehalten. Ja! Gewiß! Sie hatte in Vielem .. wohl ſchließlich in Allem Recht er mußte ihr beiſtimmen, wenn er ehrlich gegen ſie und gegen ſich ſelber ſein wollte. Nur nur mit der246 Erwähnung ihrer Vergangenheit was hatte ſie denn damit ſagen wollen? Ihre Schlußworte hatten ihn doch frappirt. Eh bien eine Vergangen - heit eine Vergangenheit hat ſchließlich Jeder ... und es iſt immerhin beſſer, eine hinter ſich, als eine vor ſich zu haben ... Aber .. aber es iſt doch ... doch immerhin mißlich für einen Mann, wenn eine Frau, mit welcher er verkehrt und die er .. die er alſo liebt wenn eine ſolche Frau eine Vergangen - heit hat. Das kann unter Umſtänden ſehr weh thun. Aber es iſt eigentlich zu dumm ... zu dumm .. Sitzen denn dieſe verfluchten Vorurtheile ſo feſt ſind ſie ſo eingewurzelt ſo die ganze Natur durchtränkend und überklettend vererbt? Entſetzlich iſt dieſer Zwang des Geweſenen und lächerlich über alle Begriffe lächerlich dazu! Und doch und doch ach! Wer hat ſchon gegen das ewig Geſtrige, das allem Geborenen eingeimpft wird, mit Erfolg gekämpft ?

Adam athmete ſchwer. Er wollte einen leichten, luſtigen, burſchikoſen Ton anſchlagen, aber es gelang ihm nicht.

Eine Vergangenheit ? fragte er ebenſo leiſe, wie Hedwig ihre letzten Worte geflüſtert hatte.

Ja!

Aber zum Teufel nun brach der Grimm über ſeine altehrwürdige Auffaſſung bei Adam doch durch aber zum Teufel, mein Lieb, was geht mich denn Deine ſogenannte Vergangen - heit‘ an? Oder glaubſt Du etwa, ich hätte keine Ver - gangenheit‘? Da irrteſt Du Dich doch gewaltig

247

Du biſt auch ein Mann, Adam aber ich

Ach ſo? Na! das iſt wieder einmal die be - wußte alte, aber Gott ſei's geklagt! ewig neue Ge - ſchichte! Dir iſt verwehrt, was mir erlaubt iſt? Hm! das kann vielleicht eine Formel aus dem Guten Tone‘ oder ein lobeſamer Paſſus in dem Moralexercitium eines philoſophaſternden Theo - logen ſein aber vernünftig iſt dieſer ekelhafte Gemeinplatz dieſe abgedroſchene Trivialität beileibe nicht und zwei Menſchen wie Du und ich ſollten ſich am Allerwenigſten von dieſer capitalen Dummheit irre machen laſſen. Habe ich nicht Recht ?

Vielleicht, Adam aber

Aber? Ihr Weiber ſeid doch Alle über einen Leiſten! Und meine Hedwig iſt um kein Haar klüger ... denkt um kein Haar freier, als die ganze andere Geſellſchaft! Nur ſo weiter, mein Lieb! Da wirſt Du ſchon ganz vernünftig‘ werden mit der Zeit paß 'mal auf

Adam!

Nun ja!. Oder hätte ich Unrecht? Ich wüßte nicht ... Wenn das am grünen Holz geſchieht

Adam! ..

Pardon! Grünes Holz‘ ich werde unangenehm ich werde boshaft verzeih, mein Lieb! Aber im Unrecht biſt Du doch. Ich hätte .. wahrhaftig! ich hätte Luſt, Dir 'mal einige pikante Geſtändniſſe zu machen weißt Du: pikant‘ hin - ſichtlich

248

Nein! Nein, Adam!

Nicht? Aber warum denn nicht? Nun erſt recht! .. Ich ſehe: man muß auch Dich noch er - ziehen, Hedwig Dein Vater

Ich ertrage es nicht, Adam ſei ſtill!. bitte! .. Ja? ..

Nun wenn Du abſolut willſt aber ſage mir nur

Ich habe Dich ſo unendlich lieb, Adam und und

Nun und? Und, Hedwig ?

Wenn wenn ach, Adam laß mich doch! .. laß mich!

Ich verſtehe Dich nicht

Nun denn: Wenn Deine Vergangenheit in die Gegenwart eingriffe Adam! ich er - trüge es nicht!. Nein! ich ertrüge es nicht. Ich bin nur ein Weib nur ein Weib, was Dich

Aha!. Daher weht der Wind? Verzeih ', daß ich brutal bin, mein Kind!. Da ſcheint doch eine Radicalcur ſehr nothwendig zu ſein alſo

Adam!

Nun?.

Du liebſt mich nicht!

Sei ohne Sorge, Hedwig! Ich habe immer ſchöne Formen ... und .. und eigenartige Charaktere ... und .. und ſeltſame Schickſale geliebt immer, Hedwig!

Du biſt furchtbar, Adam!

Furchtbar? Warum?

249

Du biſt jetzt ſo ganz anders, als vorher

Oder Du ... aber

Adam unterbrach ſich und wandte ſich ab. Er legte ſich weit über die Fenſterbrüſtung, ſah auf die ſtille Straße hinab nur ein welliges Wipfel - rauſchen ſummte von den Linden, die da unten ſtanden, herauf und blickte empor zum Himmel. Im Nordoſten hatten ſich die Wolken zu ſchwarzen, ge - waltigen Polſtern zuſammengeknäuelt. Die Luft war faſt noch heißer und ſchwüler geworden. Adam athmete tief auf. Ein Reichthum verhalten brennender Gefühle ſtand in ſeiner Seele. Er hätte ſo gern an harmloſeren Fäden ſeiner Vergangenheit angeknüpft. Die Gegenwart zerſchnürte ihn faſt mit ihren Un - klarheiten, mit ihren verſchwommen, zerriſſen auf - gurgelnden Geräuſchen. Nein! Nein! Das drängte ſich Alles zu dicht an ihn heran! Er ſah ſich um. Er ſah dieſen engen, frugalen Raum, der eng und frugal blieb, ob ihn auch das gedämpfte Licht der Lampe anheimelnder ſtimmte er ſah dieſes Weib an ſeiner Seite dieſes ſchluchzende Weib, das ihn mit ſeiner thörichten Liebe quälte es war unerträglich! Ein Gedanke befiel ihn.

Hedwig!

Und nun noch einmal, aber in leiſerem, ernſterem, bittendem Tone:

Hedwig!

Die Angerufene richtete langſam den Kopf in die Höhe.

Ich will Dir einen Vorſchlag machen. Es iſt250 ſo heiß und ſo eng hier. Komm! Laß uns noch ein Wenig hinausgehen! Draußen ... draußen wird uns freier werden ich erſticke hier faſt ... und wir haben wohl noch ſo Manches miteinander zu reden, mein Lieb! ... Komm! Ja ?

Aber, Adam ! Hedwig wiſchte ſich mit ihrem Taſchentuche die Thränen aus den Augen und trock - nete ſich die Stirn. Nun neſtelte ſie mit den Händen an ihrem Haar herum und ſah Adam erſchrocken an.

Nun ja! ... Erſcheint Dir mein Vorſchlag ſo ungeheuerlich? Mein Gott! Es iſt doch weiter nichts dabei! Wir gehen nachher noch in 'n Café ich muß noch andere Menſchen ſehen ... muß auf andere Gedanken kommen ' n biſſel fremdes Leben um mich ſpüren 'n Glas Abſynth trinken ' ne gute Cigarre rauchen und ich dächte: auch Dir thäte eine Abwechslung wohl ... Alſo komm! Ja ?

Um dieſe Stunde, Adam !

Es iſt eben erſt Zwölf. Und dann ich weiß nicht Du biſt doch in meiner Geſellſchaft! Da kann Dir doch weiter Nichts paſſiren ... In ein Nachtcafé zu gehen nun ja! es mag für eine Dame, wie für Dich, liebe Hedwig, vielleicht nicht gerade, wie man ſagt: anſtändig‘ ſein aber ich ſollte doch meinen: dieſe dummen Philiſterflauſen hätten für Dich weiter keine Geltung! Ich würde es wenigſtens ſehr bedauern, wenn Du noch in All' und Jedem mit den verbohrten Anſchauungen der alten Generation rechneteſt. Alſo bitte !

251

Ich kann doch meinen Vater nicht allein laſſen

Der wird jedenfalls ſchlafen und wenn er irgend welcher Hülfe bedarf er kann ja das Mädchen rufen

Aber was würde Papa ſagen

Immer neue Bedenken! Ihr Weiber habt das Talent, am allererbärmlichſten Sandkorn feſtzurennen, wenn es Euch gerade 'mal in den Kram paßt! Biſt Du denn um gar nichts anders, als die An - dern, Hedwig ?

Nein, Adam

Nicht? Das iſt allerdings ſehr ſchlimm !

Ich meine Du mißverſtehſt mich

Na! Wohl kaum

Und wie lange wie lange würden wir bleiben ?

Gott! Das läßt ſich doch wahrhaftig auf die Secunde nicht beſtimmen vorher

Hedwig war unſchlüſſig. Adams Vorſchlag reizte ſie immerhin. Dieſe ſchwüle Atmoſphäre lag auch auf ihr ſchwer und drückend genug. Die ſtarke ſeeliſche Aufregung ... der brennende, ſtechende Sinnlichkeits - affekt, welcher ſie vorhin durchkrampft, hatte ſie müde, abgeſpannt gemacht, wie zerſchlagen, zerfaſert, zerrupft. Zu Bett gehen konnte ſie in dieſer fiebernden Stimmung kaum. Sie athmete langgezogen auf. Aber ihr Vater und weiter: wenn es zufällig Jemand von den Hausgenoſſen bemerkte, daß ſie ſo ſpät noch weg - ginge mit einem fremden Herrn und dann252 womöglich erſt mitten in der Nacht nach Hauſe käme nein! nein! es war doch nicht möglich

Nun? Alſo ?

Adam! Bitte laß mich hier! Thue es mir zur Liebe ja? Ich wollte ja gern aber es geht wirklich nicht! Ich riskire zu viel

So? Du riskirſt zu viel? Hm! Und das ſagt ein Weib, das eine ... das eine Ver‘ na! ich hätte beinah 'was geſagt verzeih' meine Derbheit, Hedwig! Aber mir liegt eben viel daran ſehr viel ſogar, daß ich noch eine kleine Weile mit Dir zuſammen ſein darf, mein Lieb! Wir haben uns eben erſt gefunden und ſollen nun ſchon wieder auseinandergehen! Das iſt doch hart nicht wahr ? ſehr hart! Laß Dich doch endlich erweichen, Kind! Soll ich Dich fußfällig bitten? Mein Stolz verböte es mir eigentlich doch wenn Du es durchaus willſt

Laß die Komödie, Adam! ... Aber ſage mir noch Eins: wenn ich nicht mitginge was thäteſt Du dann ?

Aha! ... die Frage iſt nicht übel ... Schon der conditionale Conjunctiv Imperfecti! ... Wenn ich nicht mitginge Na! das iſt ja quasi ge - wonnen Spiel! ... Uebrigens wenn Du nicht mitgingſt, Kind ja! ... dann müßte ich wohl allein gehen. Eins plus Null bleibt Eins, nach Adam Rieſe. Aber Du könnteſt Dich doch wirk - lich 'mal dazu bequemen, Hedwig, mehr als eine Null zu ſein ... Willſt Du ?

253

Hedwig lächelte doch ein Wenig. Du biſt drollig, Adam antwortete ſie.

Das iſt eine ganz neue Eigenſchaft bei mir, mein Lieb! Du ſcheinſt Talent dafür zu haben, Entdeckungen zu machen. Vielleicht tüftelſt Du auch noch alles mögliche Andere bei mir aus. Vielleicht manches ganz Löbliche und Brauchbare. Das wäre ja ſehr nett. Ich bliebe ſonſt auch ein verzweifelt einſeitiger Burſche! Wahrhaftig! ich wäre Dir ſehr dankbar, wenn ich mich unter Deinem ... Regi - mente noch ein Biſſel vervollkommnete. Das könnte mir gar nichts ſchaden. Kleine, weiße Frauenhände beſitzen eine entzückende Fertigkeit darin, ſelbſt aus den reſervirteſten, verſteinertſten Felſenwänden noch neue Quellen zu ſchlagen ...

Spotte doch nicht ſo, Adam

Ich ſpotte gar nicht

Alſo ... Du würdeſt auch ohne mich noch in ein Café gehen nach dem heutigen Abend noch Abwechslung ... Unterhaltung ſuchen ?

Was bliebe mir denn weiter übrig, Kind? Abwechslung‘ meinetwegen! ... Unterhaltung‘ hm! warum wählſt Du nicht lieber gleich das wunderſchöne Wort Vergnügen‘? Ich liebe dieſes Wort nämlich leidenſchaftlich ... Man hört es nur ſo ſelten heute ... die Leute nehmen es ſo ungern in den Mund ... Alſo Du kommſt mit ?

Adam !

Dann leb 'wohl, mein Lieb! Und nun ge - hören wir zuſammen, Hedwig nicht wahr? Und254 die Dame meines Herzens iſt in Zukunft nicht mehr ſo ſpröde, wie ſie es einmal geweſen! ... Aber in Dieſem und Jenem in Dieſem und Jenem exempla ſind wieder einmal odiosa : da lernſt Du noch ein Wenig freier und ſelbſtſtändiger denken gelt, Kind? Du thuſt mir den Gefallen ja? Grüß Deinen Vater herzlich von mir! Und laß mich nur machen! Ich werde ſchon einen einiger - maßen annehmbaren modus vivendi für uns finden. Es geht Alles, wenn man nur ernſtlich will. Sind wir erſt einmal ... einmal ver

Ach! belüge Dich doch nicht ſo abſichtlich, Adam das kann ja nicht ſein

Belügen‘ der Ausdruck iſt etwas ... etwas ſtark, Hedwig

Verzeih ', Adam! Aber ich habe Dich ja ſo unſäglich lieb! Du biſt ja in all' dieſem Elend in all' dieſer entſetzlichen Noth mein einziger Halt meine einzige Hoffnung! Ich ertrage es nicht, Dich zu verlieren ich ertrage es nicht! Wenn Du mich verließeſt, Adam mich verließeſt ich ich o Gott! und doch ganz klar vorausſehen müſſen, daß Du es thun wirſt daß Du es thun wirſt, Adam daß es doch ſo kommen wird das iſt zu viel das geht über meine Kraft! Adam! Adam! oh! wie das in mir wühlt und zerrt und ſticht! Ich ich er - ſticke Adam! Und wenn es mein Unglück iſt : ich kann dieſes Leben nicht mehr er - tragen ich will dieſes Leben nicht mehr er -255 tragen ich ich hier haſt Du mich ich kann Dich jetzt noch nicht laſſen noch nicht Alles empört ſich in mir gegen dieſen Zwang die Jahre der Entſagung, der Erſtarrung : eine einzige Viertelſtunde des Glücks ſoll ſie ver - geſſen machen eine einzige, winz'ge Viertel - ſtunde ich bin von Sinnen, Adam komm! komm! oder nein! nein! das nicht das doch nicht doch nicht aber aber warte! ich gehe mit Dir ich komme mit ich muß ich muß mag werden was will

Adam war von dieſem elementaren Leidenſchafts - ausbruche der Dame ſeines Herzens ... von dieſem Ausbruche, in dem ſich eine tolle Hingebungs - wuth, trunkenes Entzücken und eine fanatiſche Ver - zweiflung zugleich durchrangen ... mehr betroffen, als erfreut. Er hatte ſich mit dem Gedanken, allein zu gehen, ſchon halb und halb vertraut gemacht. Ja! Er hatte ſich ſeiner Freiheit eigentlich ſchon gefreut ... und allerhand Erwartungen daran ge - knüpft. Gewiß! Der Abend war ja noch ganz intereſſant geworden. Aber die letzten Scenen, die er ſoeben durchlebt, legten Adam doch allerlei Ver - pflichtungen für die Zukunft auf Verpflichtungen, die anzuerkennen, er ſich im Grunde ſchon ſträubte und die erfüllen zu wollen, es ihn doch merk - würdig reizte.

Hedwig war nach dem Flurraume geſtürzt. Nun ſtand ſie im Rahmen der offenen Thür, knöpfte ihr Jaquet zu und ſetzte ihren Hut auf.

256

Adam trat auf ſeine Braut zu. So gefällſt Du mir, Kind! Das iſt doch Leidenſchaft, Verve, Temperament! Das iſt doch Muth !

Wo habe ich nur meine Handſchuh '?

Ach was Handſchuhe! Heute Abend, Hed - wig ich bitte Dich!

Willſt Du die Lampe ausdrehen ?

Wenn Du fertig biſt

Und recht leiſe, Adam ja ? Tritt recht leiſe auf, damit Papa Nichts hört! Es wäre ent - ſetzlich, wenn er Hedwigs Stimme ging doch wieder etwas heiſer und ſtockend, ſtolpernd, ſie fieberte gleichſam.

Adam ließ einen halbfertigen Seufzer fahren. Es war ihm gar nicht behaglich zu Sinn. Seine arme, unvorſichtig hingeopferte Freiheit! Das kleine Weſen that ihm ſehr leid.

Die Treppenſtufen knarrten und knackten recht impertinent. Adam tappte und taſtete ſich unbe - holfen vorwärts. Er wurde ärgerlich. Nun blieb er ſtehen, ſuchte nach ſeinem Feuerzeuge und ließ ein Streichholz aufflammen.

Um Gotteswillen! löſch aus ſchnell! fiel Hedwig ... wie zum Tode erſchrocken ... ein.

Na aber das iſt doch knurrte der ge - maßregelte Herr Doctor. Und neues Dunkel war um die Beiden zuſammengeronnen. Sie ſtanden auf einem Treppenabſatze.

Nimm Dich in Acht, Adam falle nicht! es iſt hier etwas ſteil

257

Der ſiegreiche Entführer hatte indeſſen ganz andere Gedanken. Er ſuchte recht intime Fühlung mit ſeiner Herzallerliebſten zu gewinnen. Er legte ſeinen Arm um ihre ſchlanke, vielleicht ein Wenig zu ſchlanke Taille und preßte das Weiblein in wüthender Glut an ſich.

Laß mich ! nicht hier ſträubte ſich Hed - wig. Adam !

Endlich ſtanden ſie auf der Straße. Es war ſo ſtill. Der Hausſchlüſſel ging ſchwer und kreiſchte mit belegter Stimme. Schlaftrunken blätterte der Nachtwind im ſchwarzgrünen Laube der Lin - den.

Gieb mir den Arm, mein Lieb!

Wo gehen wir hin, Adam ?

Nun ich denke: wir athmen uns erſt 'mal recht tüchtig aus die Luft iſt zwar ſchauderhaft dick und heiß, aber doch nicht ganz ſo drückend, wie bei Euch oben. Und nachher nachher können wir ja in ein Café ſpazieren vielleicht iſt auch noch' ne Weinſtube auf

Du biſt überall bekannt ?

Hier und da

Du verkehrſt wohl viel in den Cafés ?

Das macht ſich ſo .. mein Gott! Dann und wann .. Man geht 'mal mit Ander'n hin,' mal allein es iſt ja überall nicht viel zu holen .. Man langweilt ſich .. ſpielt eine Partie Billard lieſt 'ne Zeitung am Angenehmſten iſt es noch, wenn man eine oder .. oder auch ... mehrere DamenConradi, Adam Menſch. 17258bei ſich hat die gehören nun einmal zum Beſuchs - inventar derartiger Lokäler ...

Nach einer kleinen Pauſe ließ ſich Hedwig leiſe vernehmen, und ihre Stimme hatte den Tonfall des Vorwurfes, der Anklage: Und da willſt Du jetzt mich hinführen, Adam, wo Du wohl ſchon öfter mit mancher anderen Dame geweſen biſt ?

Aber Hedwig! Du bekommſt Rückfälle! Die Sache iſt doch einfach die wir geben doch weiß Gott! kein ganz gewöhnliches, kein ganz communes Verhältniß zuſammen ab! Du weißt ja: ich habe die ehrlichſten Abſichten von der Welt Dir gegen - über! Ob da nun aber ſo 'n paar Menſchen ange - tanzt kommen und uns mit demſelben niedrigen Maß meſſen, das ſie bei ſich ſelber anzulegen ge - wohnt ſind mein Gott, das kann uns doch furchtbar gleichgültig ſein! Daß Du an innerem Werth verlöreſt, wenn Du Dich an einen Tiſch mit Menſchen ſetz'ſt, welche ſo etwas wie meinetwegen! wie: ſtigmatiſirt‘, gebrandmarkt‘, die ausgeſtoßen ſind von der Geſellſchaft das glaubſt Du doch ſelber nicht, Hedwig! Ich hätte übrigens nicht ge - dacht, daß in der Praxis das Nachwirken von An - ſchauungen, die Du intellektuell, theoretiſch, längſt zum alten Eiſen geworfen haſt nicht wahr das haſt Du doch gethan? daß dieſes Nachwirken noch ſo intenſiv bei Dir wäre! Es geht ja mir zum Theil auch noch ſo gewiß! Aber darum gerade ärgert mich dieſe Inconſequenz, ärgert mich dieſer Zwieſpalt doppelt bei mir und leider auch bei Anderen ..

259

Leider?

Nun ja! Man hätte genug mit ſich ſelber zu thun, wenn man's ernſt und gewiſſenhaft nähme! Aber da bindet man ſich auch noch Peter und Paul, Hinz und Kunz vor drechſelt ſie hübſch unter's Mikroskop

Du ging'ſt doch jetzt von mir aus und ich

Verzeih! Hedwig! Was über meine engſte perſönliche Sphäre hinausgeht, wird mir immer 'gleich zum prinzipiellen Motiv

Das verſtehe ich nicht recht

Das verſtehſt Du nicht? Du meine kleine Philoſophin ? Und es iſt doch ſo dämoniſch einfach! Allein jetzt nein! die Geſchichte würde zu gelehrt. Laſſen wir den Unſinn! Wir wollen lieber ein Wenig plaudern ... une pe - tite causerie anſpinnen .. uns ein Wenig amüſiren wir wollen uns lieber recht von Herzen freuen, daß wir beiſammen ſind, Hedwig .. ſo recht ungeſtört beiſammen ſind in Liebe und Eintracht .. eng an - einandergeſchmiegt .. einherwandeln dürfen daß wir zärtlich ſein dürfen .. ſehr zärtlich ſogar, mein Lieb und kein neidiſches Männlein und kein neidiſches Weiblein gelbgeärgert uns zuſchauen kann wir wollen lieber übrigens, Hedwig haſt Du denn noch gar keine Gewiſſensbiſſe hm?

Gewiſſensbiſſe ?

Nun ja! Wenn Dein armer Papa nun doch etwas merkte! nun doch Lunte röche, daß ſein17*260braves Töchterlein bei Nacht und Nebel auf und da - von gegangen iſt

Aber Adam!

Verzeih ', mein Lieb! Teufliſch, daß ich Dir damit komme ich, der aber ach! es iſt mein Verhängniß, das zu martern und zu quälen, was ich liebe! Und je mehr ich ſo ein menſchliches Weſen liebe, deſto mehr muß ich es peinigen. Schreck - lich, aber wahr? Dieſe ſchöne Eigenſchaft haben mir alle Weiber

Weiber‘! Adam! Weiber‘!

Nun ja! Weiber‘! Oder beleidigt Dich das Wort ?

Es klingt ſo häßlich

Häßlich? Finde ich nicht im Geringſten! Mir klingt es ſehr voll, dick, rund, maſſiv zudem recht deutſch

Was wollteſt Du vorhin ſagen ?

Nun ja!. alſo: meinen Hang, mich zeitweilig ein Wenig à la monsieur diable aufzuſpielen, haben[mir] bis jetzt alle ... meinetwegen alſo .. wie Du willſt: alle Damen, mit denen ich in den Läuften der Zeit enger .. intimer verkehrt habe, zum Vorwurf gemacht und doch hat ſich die ganze Geſellſchaft mit der größten Bereitwilligkeit von mir ärgern laſſen ich ſage Dir: Stunden - Tage - Wochenlang ärgern laſſen

Du haſt wohl ſchon viel Damenverkehr gehabt?

Aha! Köſtlich, Hedwig, daß Du Dir die Frage doch nicht verkneifen kannſt! Ich habe ſie längſt261 erwartet. Viel Damenverkehr? Na! Es geht immer noch. Soll ich ausführlicher ſein? Wenn es Dir daran liegt von Herzen gern! Die Sache macht mir ſelber Spaß! Rieſigen Spaß ſogar

Die beiden Nachtwandrer waren in den engeren Lichtkreis einer Laterne getreten. Adam prüfte den Geſichtsausdruck ſeiner Dame. Aber er konnte beim beſten Willen die Wirkung ſeiner Worte auf Hedwigs Zügen nicht deutlich erkennen. Sie hielt den Kopf ge - bückt und einen knappen Winkel nach rechts gewandt. Dieſe Abkehrung mußte Adam für eine ſtumme Ab - weiſung halten. So ärgerte ihn die Abweiſung. Und der Aerger löſte wiederum eine größere Fülle des Dranges in ihm aus des teuflichen Dranges, vor ſeiner Herzallerliebſten einmal alle ... oder wenn nicht alle, ſo doch immerhin eine ſchwere Menge in - tereſſanter .. pikanter Trümpfe auszuſpielen. Sein fahriges Vagantenleben .. dieſe überflüſſige, gottloſe Irrfahrt des Leibes und der Seele, hatte ihm ſotane Trümpfe ja in verſchwenderiſchem Reichthum zugelooſt.

So ſtill, Hedwig? Woran knabbert denn wieder 'mal Dein kleiner Querkopf ?

Ach laß mich!

Ueber dieſe Töne verfügſt Du alſo auch, Kind? Ich hätte ſie bei Dir kaum geſucht. Wenn meine ſchöne Freundin, Frau Lydia Lange dieſe Dame von Welt‘ .. dieſe vornehme Frau‘ .. dieſes edle Weib‘ oder wenn .. wenn meine kleine Emmy alſo ſchmollt dann

262

Deine Emmy? Was?

Nun ja!. Das iſt nämlich ein wunderhübſches und dazu ein äußerſt vorurtheilsloſes Kind ein Weltkind‘ ein Kind der Sünde‘ wie Du willſt, Hedwig, aber entzückend, ſage ich Dir, entzückend leider von Natur ebenſo zur Untreue und Unbeſtändigkeit angelegt, wie ich ich habe wirklich ſehr pikante Stunden mit dem emancipirten Fräulein verlebt, kann ich Dir ſagen

Aber Adam! Nein! Ich gehe keinen Schritt weiter mit Dir! Das ſagſt Du mir?! Waren denn alle Deine Worte vorhin Lügen ?

Lügen? Warum Lügen? Ich habe Dir doch ſoeben nur ein harmloſes hiſtoriſches Faktum mitge - theilt daß auch ich ſo etwas wie eine Vergangen - heit‘ beſitze nun! ich habe mir ſchon erlaubt, Dir vorhin davon Andeutungen zu machen, dächte ich. Oder haſt Du's überhört? Das wäre ſchlimm

Die Vergangenheit ſcheint aber noch ſtark genug Gegenwart bei Dir zu ſein .. erwiderte Hedwig, ſehr entrüſtet und ſehr erbittert, wie es ſchien.

Vergangenheit und Gegenwart laſſen ſich be - kanntlich nicht haarſcharf trennen von einander ja! im Grunde überhaupt nicht trennen ſeien wir nicht ſo hagebüchen unlogiſch, mein Lieb! Alles Geweſene wirkt nach. Wie ſollten wir ſonſt Raſſen - feindſchaften, Krebsgeſchwüre, Knochenverkalkungen und allerlei ſeeliſche Blutvergiftungen erklären? Wir ſchleppen die Bagnokugel unſerer ſpeziellen Ver - gangenheit Alle mit herum. Das Ding wächſt ſogar263 noch .. wächſt mit jeder Stunde, jeder Minute ... Was iſt denn Gegenwart ſchließlich Anderes, als aufgeſummte Vergangenheit ?

Dann iſt es ein Verbrechen, Adam, das ein Jeder von uns an ſich und dem Andern be - geht, wenn wir noch länger mit einander ver - kehren

Nimm doch die Sache nicht ſo tragiſch, Hedwig! Du kommſt aus Deiner Sphäre ich aus meiner. Die Lauflinien unſeres Lebens haben ſich gekreuzt ... haben ſich für uns durch einen Zufall gekreuzt. An ſich war es ja durch die Vorausſetzungen und die Vergangenheit iſt auch in der Welt der neutralen Objekte immer Vorausſetzung der Gegenwart an ſich war es alſo bedingt, daß wir uns begegneten. Ge - wiſſe Neigungen und Tendenzen zogen den Einen zum Andern hin. Es iſt ja Alles nur nothdürftigſte Anpaſſung in der Welt! Und weil das ſo iſt nun, darum mußten wohl jene Neigungen und Tendenzen ſchon einmal vorher durch andere Erſchei - nungen, die ihnen einigermaßen Wurzelbedingungen boten, provocirt und ausgelöſt werden. Ich nun für meine Perſon aber ich habe Dir ja ſchon geſagt, Hedwig, daß ich immer ſchöne Formen, merkwürdige Schickſale und eigenartige Charactere geliebt habe ... Ich konnte nicht anders und ich werde nie anders können. Und wirklich Du darfſt es glauben, Hedwig : meine kleine Emmy hat einen wundervollen Leib ... iſt auch ſonſt nicht übel nur eben viel geiſtiges, tieferes, verinner -264 lichtes Verſtändniß darf man nicht von ihr er - warten das

O Gott! machſt Du mich unglücklich, Adam! Das kann Dir überhaupt nie verziehen werden. Wenn ich mich nicht ſo an Dich klammern müßte habe doch nur ein wenig Mitleid mit mir !

Hedwig ſchluchzte laut auf. Adam ſchüttelte ärgerlich den Kopf. Das Weib iſt überreizt, ſagte er ſich. Es muß 'mal ordentlich befriedigt wer - den. Und doch ſchmeichelte es ſeiner Eitelkeit, daß er ſo leidenſchaftlich geliebt .. ſo brennend begehrt wurde. Jene Doppelſtimmung des abweiſenden Aergers und des unwiderſtehlichen Dranges, ent - gegenkommend, liebevoll, zärtlich zu ſein, befiel ihn.

Wir wollen einen Strich durch unſer Vergangen - heitsconto machen, Hedwig wenigſtens für heute Abend reſpektive heute Nacht ... Ich werde mir alle Mühe geben, in[Zukunft] nicht mehr an die ſchöne Frau Lydia zu denken ... und meine reizende Emmy ſoll auch den Laufpaß bekommen. Das kleine Ding hängt zwar ſehr an mir. Aber ich hoffe, ſie wird ſich ſchon mit dem Prachtkerl von Bodenburg, meinem eminenten Freunde, tröſten. Die beiden ſcheinen ſich übrigens bereits gefunden zu haben. Verteufelt! Wenn ich mir denke, daß dieſer Burſche dieſer ... dieſer ich finde gar keine Worte vor Wuth ... ach! ſie konnte ſo lieb, ſo zärtlich ſein ſo ... na! Schwamm drüber! ... Hin iſt hin und nobel muß die Welt zu Grunde gehen! Ich habe Dich ja jetzt, Hedwig laſſen wir alſo265 die ſchöne Sünderin ſchwimmen und halten wir's mit der Tugend! ... Und weiter noch in die Ver - gangenheit zurück: die Soubrette ... die Chanſo - nettenſängerin ... die Choriſtin ... die zweite Lieb - haberin die kleine Katze war nur etwas zu eiferſüchtig Ida, die Kellnerin Pauline, die Conſervatoriſtin Donnerwetter! das Kind konnte verblüffend offen und geradezu ſein! Auguſte, die Kindergärtnerin Helene, die Confektioneuſe die ſchwarzzöpfige Maxel, die ſo etwas wie eine Collegin von Emmy war Ottilie, die pralle Jüdin mit den polirten Sammetaugen und dem Teint, der wie gekoch - tes Hühnerfleiſch ausſah Toni, das fürwitzige, ver - liebte Töchterlein des Herrn Polizeicommiſſars mein Gott! die Proſkriptionsliſte will gar kein Ende nehmen .. Wie viel vergeudete und verſchwendete Zeit! Wie viel verzettelte, verpuffte Kraft! Wie viel zerquirlte Stimmung! Wie viel überflüſſig verlottertes Geld! Und doch : man hat wenigſtens Etwas erlebt! Etwas erlebt, von dem tauſend andere Pomadenheilige keenen blauen Dunſt haben! War's auch im Grunde immer wieder daſſelbe : man hat ſeinen pſycholo - giſchen Blick doch bedeutend geſchärft man hat die Weiber verzeih ', mein Lieb! einigermaßen kennen gelernt man iſt hinter unendlich viele Schliche und Couliſſengeheimniſſe des Lebens gekommen summa summarum: ich bereue mein fahriges Zigeunerleben keineswegs. Ich habe manche unvergeßliche Stunde durchlebt ... manches volle, große, ganze Gefühl ge - noſſen ich habe manchen brennenden Schmerz durch -266 koſten müſſen ... ich habe manche wahre Thräne fließen ſehen ... und manche wohl auch ſelbſt geweint meine Erinnerungen werden einmal ... in ſpäteren Tagen ... ſie werden dann kaum nüchtern, kaum glanzlos und kalt ſein der Einkaufspreis, um den ich ſie erſtanden, thut mir nicht leid. Es trocknet übrigens nichts ſchneller auf der Welt, als ſo eine kleine, heiße, ſalzige Thräne. Und doch thut jede Trennung weh man begegnet ſich ſo ſelten noch einmal im Leben, wenn man's mit dem Auseinandergehen wirklich ernſt genommen hat ... Und das iſt auch ſehr gut. Aber jede Trennung reißt doch zugleich ein Partikelchen Herz mit fort. Nun! wir Miſchlinge der Romantik und des modernen Realismus‘ haben ja Vorrath in dieſer Beziehung wir leiden ja Alle an einem gewiſſen trop de coeur ... Oder würden wir uns ſonſt ſo furchtbar intereſſant vorkommen, wie es thatſächlich der Fall iſt? Würden wir ſonſt ſo eifrig an uns herumſpintiſiren und herumtüfteln, herumſchnüffeln und uns von hinten und von vorn begucken und behorchen? Wären wir ſonſt ſolche capitalen Narren und machten durch eine ewige Ana - lyſirungswuth aller Worte, die wir ſprechen, aller Handlungen, die wir in Scene ſetzen machten wir dadurch unſere Beziehungen zu einander ... unter einander ... zu den denkbar unerquicklichſten von der Welt ? Ach! Was ſind wir doch für unſagbar dumme Kerls! Indeſſen! welche Wolluſt, ſo ein intereſſanter Narr ſein zu dürfen! Uebrigens, Hedwig damit ich nicht allzu ſehr in267 Deiner Achtung ſinke : ich habe nämlich auch mit ſogenannten edlen Frauen‘ verkehrt! Dieſe edlen Frauen‘ nein! das ſind wirklich zu putzige Weſen! Das Märchen von ihnen hat mich immer ſehr amüſirt. Doch das iſt' n Capitel, das ſich auch zu einem ganzen Buche ... einem corpulenten Folio - bande erweitern ließe. Und der ganze Band würde ſchließlich nichts weiter enthalten, als einen einzigen ... allerdings ſehr reſpektablen Beitrag zur Dumm - heit und pſychiſchen Kurzſichtigkeit des Menſchen. Merkwürdig! Ich habe immer mehr Kraft, mehr Natur, mehr echte Wahrheitsſucht und aufrichtige Lebensbezeugung mehr naives, ungebrochenes Ausſichherausleben in jenen Frauenkreiſen gezwungen, die durch allerlei Verhältniſſe ... perſönliche Sonder - bedingungen, äußere Einflüſſe u. ſ. w., dahin geführt waren, ſich zu freieren Anſchauungen, zu freieren Sitten und Gewohnheiten bekennen zu müſſen. Das iſt aber doch auch ganz natürlich. Je größer die Bewegungsſphäre, deſto größer damit der Spielraum der Kräfte. Nichts herrlicher, als eine Kraft, die ſich tüchtig nach allen Seiten hin ausleben darf. Da liegt doch Muſike drin , wie die braven Leute vom dritten, vierten und ... fünften Stande zu ſagen pflegen. Aber da kommen andere Leute ... eine nicht minder üble Sippſchaft ... brechen die Kraft ... und ſind nun heidenfroh, daß ſie ſich einbilden können, ſie hätten dieſe arme, ſchimpfirte Kraft in den Dienſt der Anſtändigkeit‘ und wie die Larifaritugenden dieſer Hundeſeelen ſonſt alle268 noch heißen mögen, gezwungen und ſie haben ſie doch nur gemißbraucht und verſtümmelt ... Unbe - ſchnitten kommt ja Keiner durch's Leben. Aber man ſollte uns doch nicht zu enge Zellen ... nicht zu enge Käfige anweiſen. Indeſſen ſchließen wir dieſen Speech, mein Lieb! Riechſt Du nicht die Klaue des Weltverbeſſerers? Du darfſt ſtolz ſein auf Deinen Herzallerliebſten, Kind! Wenn ich erſt 'mal den bewußten Punkt gefunden habe, hebe ich den ganzen Krimskrams von Kosmos ... das ganze Mehl - töpfchen ... die ganze Würmerſchüſſel von Weltall aus den Angeln. Verlaß Dich drauf! Vorläufig aller - dings wird nur mein Appetit auf eine gute Cigarre immer barbariſcher. Wenn Du ein Nachtcafé ab - ſolut nicht goutiren kannſt, gehen wir meinetwegen in eine Weinkneipe! Laß' mal ſehen! Es iſt jetzt zehn Minuten nach Eins. Bis Zwei ſind ja die meiſten Lokale dieſes Genres auf. Das nächſte ja ! komm ! Gehen wir zu Engler! Man trinkt dort eine wenigſtens einigermaßen annehmbare Marke Liebfrauenmilch. Damenbedienung mußt Du aller - dings mit in den Kauf nehmen. Es ſcheint doch noch loszugehen heute Nacht. Eben blitzte es haſt Du geſehen? Aha! Der obligate Wind! Nur nicht ſo eilig, ihr Herren und Damen da oben! Bitte rechts! Und nun ſei mir nicht böſe, Hed - wig! Sei mein kleines, herziges, luſtiges Weib! Kommt Zeit, kommt Rath! Vielleicht auch Heirath, wie der Kalauer tröſtet. Und gieb mir noch einen Kuß, Kind bitte !

269

Adam küßte ſein Weib und drückte es feſt an ſich. Die edelſten, redlichſten Vorſätze, Abſichten, Gewißheiten und Hoffnungen erfüllten zu dieſer Friſt ſeine Bruſt.

Es blitzte wieder. Nach einer kleinen Weile rollte ein ſchwacher Donner nach. Heftiger kam der Wind angeblaſen. Die erſten Tropfen fielen. Die beiden Wandrer beſchleunigten ihre Wanderung.

Und wenn der Wirth nun ſchon zu hat ? fragte Hedwig ängſtlich.

Das wäre eine feudale Frechheit von dem Menſchen diktirte Adam ärgerlich aber ich glaube nicht wir ſind übrigens gleich da. Triumph! Es iſt noch Licht dort! kurz vor der nächſten Ecke die große, weiße Lichttraube ſiehſt Du: die Welt iſt noch gar nicht ſo herunter - gekommen, wie es oft den Anſchein hat! Auch mit den Objekten läßt ſich noch reden! Es wäre wahr - haftig fatal geweſen, nach einem Café zurückrennen zu müſſen denn von einem Droſchkengaul iſt na - türlich wieder 'mal kein Ohrzipfel zu vernehmen.

Ach Gott! Wenn das Wetter nur nicht zu arg würde Papa wird ſchon längſt aufgewacht ſein und nach mir rufen. Adam bitte, lieber Adam, bring 'mich wieder nach Hauſe! Wenn Papa ich habe ihn ſchon einmal ich kann ihm nie wieder vor die Augen kommen o Gott! es iſt zu entſetzlich! Mein armer, alter Vater !

Ich verſtehe Dich, Hedwig erwiderte Adam ernſt aber zur Umkehr iſt es jetzt wirklich zu270 ſpät! Du mußt Dich ſchon zu faſſen ſuchen. Und weine doch nicht ſo Du haſt ja mich! Vertraue mir doch ein Wenig, mein Lieb! Man darf wirklich nicht zu ſentimental ſein im Leben! Wir können das Neue ſo oft ſo unendlich oft nur durch Aufopferung des Alten erkaufen es iſt nun ein - mal ſo Du mußt Dich an den Gedanken ge - wöhnen, ſo herb und hart er auch ſein mag

Der Regen ging eben in den hergebrachten Ge - witterrhythmus über, als die beiden das Lokal er - reicht hatten.

Guten Abend, Herr Doctor begrüßte der Wirth, Herr Engler, ſich höflich verneigend die Ein - tretenden das war aber die allerhöchſte Zeit! Noch ein paar Minuten ſpäter und nicht wahr? man ſollte es gar nicht glauben: wir haben doch eigentlich noch gar keine beſonders heißen Tage gehabt und nun knallerts ſchon los es ſcheint 'n ganz hübſches Gewitterchen werden zu wollen

In hartem, ſcharfem Blauweiß prallte jetzt der Wiederſchein eines Blitzes gegen die ſchwarzen Fenſter - ſcheiben. Aber im Innern des Raumes konnte er bei der runden Lichtfülle, die ſich hier ausgab, nicht recht zur Geltung kommen. Ein dröhnender Donner rollte unmittelbar hinterher.

Mein Gott ! ſchrak die Kellnerin zuſammen, die mit der Weinkarte zu Adam hingetreten war.

Das hat eingeſchlagen! verſicherte Herr Engler ſehr beſtimmt. Er ſchien ſich auf derartige Prophe - zeihungen zu verſtehen.

271

Adam wiſchte mit dem Taſchentuche die Sternchen - zeichnungen von ſeinen Kneifergläſern, die der Regen dort aufgemalt hatte.

Wo wollen Sie Platz nehmen, Herr Doctor ? Vielleicht hier auf dem Sopha, mein Fräulein ?

Ja! Bitte, Hedwig! Uebrigens mein Lieblings - platz nicht wahr, Herr Engler? Haben ſo manches Glas hier geſchluckt .. in angenehmſter Ge - ſellſchaft .. tempi passati! Nun müſſen wir halt vernünftig werden. Aber ſchöne Stunden waren's doch !

Der Wirth ſchmunzelte. Er warf einen kurzen, ſcharfen Blick auf Hedwig. Und er ſah ſehr nach - denklich aus als zählte er im Geiſte alle die Damen zuſammen, mit denen ſein lieber Stammgaſt, der Herr Doctor Menſch, ſchon bei ihm eingekehrt war und hier in dieſer traulichen Ecke geſeſſen .. getrunken .. geplaudert .. gekoſt .. und wohl auch einmal geküßt hatte. Aber dieſe Dame da die ſah doch gar nicht danach aus, daß ſie hm! .. Nee! ſo'n blaſſes, ernſtes, mageres Frauen - zimmer ohne Feuer und Leben Herr Engler konnte ſich keinen Vers darauf machen ... Der Herr Doctor hatte doch ſonſt einen beſſeren Geſchmack be - wieſen! Was ihm nur heute eingefallen war? Ja! Als er noch mit der Dame da drüben ... mit der Dame, die heute Abend am ander'n Ende des Zimmers an dem runden Marmortiſchchen mit dem eleganten Herrn zuſammenſaß ja! als der Herr Doctor Menſch noch mit dieſem amuſanten Dämchen ver -272 kehrte die beiden ſchienen ja jetzt nichts mehr von einander wiſſen zu wollen wie das nur gekommen war? da ja da aber Herr Engler hütete ſich gar ſehr, auch nur den kleinſten und harmloſeſten ſeiner Ketzergedanken aus - zuſprechen

Alſo eine Liebfrauenmilch ! beſtellte Adam und ſah ſich im Lokale um.

Eine Liebfrauenmilch! beſtellte die Kellnerin weiter an den Wirth, der darauf in ein Neben - zimmer verſchwand.

Adam drückte die Gläſer ſeines Kneifers dicht an die Augen heran. Irrte er ſich denn oder? Aber das war ja nicht möglich! Das konnte ja nicht ſein! Der Herr da drüben und die .. die Dame an ſeiner Seite das waren doch nicht waren doch nicht und jetzt ſah der Herr zu ihm herüber und nickte er ihm nicht zu? Teufel! Wahr - haftig! Nein! Aber doch! Gütiger Heiland von Plun - dersweilen! Das war wirklich Herr von Bodenburg und die Dame an ſeiner Seite war die Dame war wirklich Emmy! Na! Eine köſtliche Beſcheerung! Vorzüglich! Ganz vorzüglich! ..

Adam ſchnitt ſein ernſteſtes Geſicht und grüßte wieder. Er fühlte, daß er Emmy ſeine ſie ironiſirende Verachtung zeigen müßte und ſich zugleich vor Hed - wig nicht verrathen dürfte.

Hm! das war aber ſo'ne Sache mit dem ſich nicht verrathen dürfen‘! Warum denn nicht? Und da kam auch ſchon ſein Dämon angekrochen und kitzelte273 ihn. Er hatte ſeine kleine Braut heute Abend ja ſchon ſattſam geärgert. Und mehr als geärgert: er hatte ſie gepeinigt, gemartert, gequält er hatte ſie eigentlich ſcandalös behandelt. Das that ihm leid gewiß! Aber was ſollte er jetzt mit ihr reden? Sie hatten ſich heute ja ſchon gegenſeitig die längſten und tiefſten und ernſthafteſten Vorträge von der Welt gehalten! Ein pikanter Nachtiſch war kaum zu verachten. Und jetzt tuſchelten die Beiden drüben ſo impertinent auffällig. Es ging gewiß über Hed - wig her man kritiſirte gewiß die neue Dame ſeines Herzens .. dieſe Dame, die mit ihrem herben, verſchloſſenen Weſen, ihrer ſpröden Zurückhaltung, ſo gar nicht in dieſe Umgebung paßte ... in dieſe Umgebung, die nur gewohnt war, ein helles, luſtiges Lachen zu hören .. und blitzende Augen zu ſehen .. und die köſtliche Melancholie des verſchwiegenen Minneſpiels zu ſtudiren, welches in immer wieder neuer Geſtalt zu erfinden und zu bethätigen, das ge - heime Einverſtändniß zweier Liebenden ſo unermüdlich iſt und ſo unübertrefflich ...

Die Kellnerin brachte den Wein und ſchenkte ein. Ein paar gelbweiße Tropfen fielen auf die weiße Tiſchdecke. Das kleine Fräulein war ein Biſſel unaufmerkſam geweſen. Sie hatte nicht auf den Wein geachtet, ſie hatte Hedwig inſpizirt. Sie ſchien ſich ein Urtheil bilden ... ſich über Etwas klar werden zu wollen. Adam verſpürte den Zuſammen - hang. Er mußte lächeln. Wie die Hunde, dachte er. Aber cosi fan tutte. Sie müſſen ſich erſtConradi, Adam Menſch. 18274beſchnüffeln, beſchnuppern obgleich ſie ganz genau wiſſen, welch 'Geiſtes Kinder ſie ſind ...

Adam war unſchlüſſig. Sollte er einmal zu den beiden hinüber ſchlendern .. das Pikante der Situation noch um einige Grade ſteigern .. und dann mit größtem Gleichmuth das verführeriſche Ge - bräu hinabſchlürfen? ..

Wie heißen Sie, mein Fräulein? fragte er vor - erſt die Kellnerin. So thut man ſo oft etwas Ueber - flüſſiges, ſo lange man nicht weiß, ob man das weniger Ueberflüſſige nicht für das noch mehr Ueber - flüſſige halten ſoll.

Melitta! antwortete die Dame.

Donnerwetter! Melitta! Die Kellnerinnen werden immer vornehmer, Sie gefallen mir übrigens, Melitta wollen Sie nicht 'n Glas mittrinken?

Das Mädchen blickte fragend auf Hedwig, die ſich zurückgelehnt hatte und finſter, beinah drohend zu Adam hinüberſah. Der fühlte ſich ſehr unbe - haglich. Konnte denn die Dame nicht einmal aus ſich herausgehen, nicht einmal in einen luſtigeren, leichteren Ton miteinſtimmen? Das Leben etwas zwang - loſer, etwas kritikloſer nehmen? Immer daſſelbe gleichſam feſtgefrorene Abweiſungs - und Entſagungs - pathos es wird etwas langweilig auf die Dauer. Jawohl! Es kann ſogar ſehr langweilig werden. Wie? Wenn er jetzt neben Emmy ſäße .. und ſein leckeres Weiblein an dieſem köſtlichen Goldwein nippte und ihm dabei über den Rand des Glaſes hin zu - blinzelte mit ſeinen luſtigen, lockenden Augen .. ſo275 verführeriſch-verheißungsvoll zublinzelte wie? wäre daß nicht ein ſüßer, berauſchender Genuß ... eine beſeligende Traumſtimmung .. ein ſolider Augen - blick des Glücks, der Illuſion .. zwiſchen Gliedern an der Lebenskette, die entwaffnet haben und ent - waffnen werden, weil ſie in nüchterner, durchſchauen - der Erkenntniß beſchloſſen ſind? In Geſellſchaft von Naturen à la Hedwig warf ſelbſt der goldenſte, gött - lichſte Wein keine bunten, ſammtenen Lichter über das dumme, rohe, rauhbeinige Leben.

Der Regen praſſelte mit derſelben trockenen Drei - ſtigkeit immer noch nieder .. und mit den rothgelben Lüſtreflammen des Saales coquettirten noch immer die weißblauen Blitze. Aber der Donner nahm ſich ſchon mehr Zeit .. ſchien ſchon vorwiegend müde ge - worden zu ſein. Er humpelte langſamer hinter den ſchießenden Flammen her .. und ſein Poltern klang bedeutend gemüthlicher.

Na! das ſcheint ja noch 'mal gnädig ablaufen zu wollen meinte Herr Engler und trat an den Tiſch heran, hinter dem Adam und Hedwig ſaßen. Melitta entfernte ſich, ernſtlich gekränkt, wie es ſchien, einen böſen Blick auf Hedwig werfend.

Ja!. erwiederte Adam zerſtreut .. und ſchwang ſich dann zu der Frage auf: Wie lange haben Sie noch auf, Herr Wirth?

Bis halb Drei .. Drei ſo genau läßt ſich das nicht nehmen. Je nachdem das Local beſetzt iſt. Wie Viele kommen nicht erſt kurz vor Thores - ſchluß !

18*276

Gewiß! Na! da dürfen wir ja noch 'ne Weile ſitzen! Wie ſpät haben wir's denn jetzt?

Es geht auf Zwei! Nehmen Sie ſich nur Zeit, Herr Doctor! Noch 'n Stündchen dann müſſen wir aber Schicht machen

Bitte, Hedwig, trink doch! Ich glaube, Du biſt noch beim erſten Glaſe! Nimm Dir an mir ein Beiſpiel! Nicht wahr, Herr Wirth bei einer Flaſche Liebfrauenmilch habe ich es noch nie be - wenden laſſen ?

Ja! Ja! Es ſind wohl meiſtentheils ... mehrere ... Flaſchen geworden .. Aber da waren Sie auch wie ſoll ich ſagen? da gings flotter luſtiger[h]er da

Pſt! drohte Adam, halb im Ernſte, halb im Spaße. Nix ausplaudern, mein Lieber !

Du brauchſt Dir gar keinen Zwang aufzulegen, Adam! Du weißt doch wir haben uns ja über dieſen Punkt ausgeſprochen warf Hedwig ein, Aerger und Verbitterung in der Stimme.

Sie ſehen, Herr Engler: ſo ein Pantoffel - held iſt man nun glücklich geworden! Ja! Die Liebe! Die Liebe! Die kriegt Alles fertig und krümmt ſelbſt den trotzigſten Nacken ſcherzte Adam gezwungen .. aber ganz haſt Du mich noch nicht gebändigt, liebe Hedwig ganz noch nicht

Bitte, laß das!

Herr Engler entfernte ſich. Er konnte den Doctor nicht begreifen. Wollte der's denn wirklich nur noch mit den Philiſtern halten? Und der würdige Wein -277 wirth glaubte Grund genug zu der Befürchtung zu beſitzen, über kurz oder lang einen ſeiner beſten Stammgäſte zu verlieren und das würde doch ſehr fatal ſein.

Adam fühlte ſich immer ungemüthlicher. Hedwig war ſo wortkarg .. ſtarrte in Einem fort vor ſich hin und ſchien mehr an ihren verlaſſenen Vater zu denken, als an den Geliebten, der ihr zur Seite ſaß eine lebendige, begehrende und gabenbereite Gegenwart ... der mit köſtlichem Weine den Bund ihrer Herzen feiern wollte heute Nacht ... der die Stimmung für orgiaſtiſches Draufgehn wachſen und wachſen ſpürte in ſich .. wachſen mit dem ge - noſſenen Weine und der vorenthaltenen Genugthuung des Leibes, die immer heißer und brünſtiger um ihr Recht warb .. Adam verbiß ſich rein in ſeinen Aerger über Hedwigs Sprödigkeit. Er trank immer haſtiger, wurde immer nervöſer, ſuchte die Müdig - keit, die manchmal mit eingeriemter Schlinge an ſeinen Gelenken zerrte, durch krampfhafte ſeeliſche Sprünge und Erſchütterungen zu verſcheuchen. Nun ſchnappte ein leichter, discreter Rauſch nach ihm: verhangene Fernſichten ſchloſſen ſich auf .. und tagsüber ver - ſchüttet gebliebene Gedanken, Stimmungen, Erinne - rungen kamen zu ihm, flink, geſchwind, behend wie Eidechſen, aus Riſſen und Spaltungen, darin ſie geſchlummert hatten ...

Adam fühlte den Blick Emmys anhaltend auf ſich. Er konnte nicht widerſtehen. Das Ungewöhn - liche der Situation reizte ihn zu ſehr. Verzeih, Hedwig! Ich muß erſt 'mal zu meiner Emmy278 hinüber entſchuldigte er ſich leiſe, verlegen - haſtig, und erhob ſich.

Zu ſeiner Emmy? Hedwig fuhr zuſammen und ſchaute Adam nach, wie er, ein klein Wenig unſicher, durch das Zimmer ſchritt und an den Tiſch trat, an welchem, ihnen gegenüber, allerdings in beträcht - licher Entfernung, ein Herr und eine Dame ſaßen. Sie hatte die beiden Menſchen dort bisher kaum beachtet. Und nun entpuppte ſich die Dame als ſeine Emmy ! Nein! das war zu viel! Am Liebſten wäre ſie aufgeſprungen und zum Lokale hinaus - geflohen. Unwillkürlich horchte ſie darauf, ob der Regen nachgelaſſen. Es ſchien ſo. Aber die Dach - rinnen plätſcherten das Waſſer immer noch mit hef - tigem Affekt auf das Pflaſter ... es tropfte und quirlte noch allenthalben. Und jetzt blitzte es auch noch, wenn auch ſchwächer, wie müde und gelang - weilt. Das Gewitter gähnte ſchon. Das grau - weiße Morgenlicht machte ſich immer breiter und ſpielte immer zudringlicher durch die Vorhänge ins Zimmer, welches dadurch einen Stich ins ſündhaft Uebernächtigte, ins klebrig Unreinliche erhielt.

Hedwig verſuchte es, die Scene, die ſich jetzt am Tiſche da drüben abſpielte, weiter nicht zu beobachten. Sie verſpürte auf einmal das brennende Bedürfniß, ſich zu betäuben. Vielleicht wuſch ihr der Wein das Bewußtſein der Schmach, die ihr widerfahren war, aus der Seele. Und ſie ſpülte haſtig einige Gläſer furchtſam gelber Liebfrauenmilch hinab.

Adam ſtreckte die Hand Herrn von Bodenburg279 entgegen. Guten Abend, Herr Referendar! Guten Abend, Emmy! Ich freue mich, daß ich Sie einmal wiederſehe. Und noch dazu unter dieſen pikanten Ver - hältniſſen ... in dieſem ſüßen Nebeneinander ... Darf ich einen Augenblick Platz nehmen ?

Bitte!

Adam fühlte ſich plötzlich ſehr ſouverän und ſpott - luſtig aufgelegt. Ihn dünkte, er hätte die beiden Menſchen da vollſtändig in der Hand und ein klein Wenig mit ihnen zu ſpielen, müßte ein Kapital - vergnügen ſein, das er ſich nach den Zeiten der Dürre, die er ſoeben mit Hedwig durchlebt, wohl leiſten dürfte. Der genoſſene Wein, der ihm ſchon eine vage Andeutung von Rauſch angeheftet, machte nicht minder ſeinen ſtachelnden Einfluß gelten.

Nun, mein gnädiges Fräulein, wie gefällt Ihnen eigentlich mein neuer Nachfolger im Amte oder darf ich ihn nur für meinen Stellvertreter halten ?

Adam ſog nachläſſig an ſeiner Virginia. Sie war wieder einmal ausgegangen. Die Dinger ſind wie die Weiber: man muß ſie in Einemfort pouſſiren .. ſonſt gehen ſie aus ... das heißt: ſie gehen in ein anderes Lager über. Ich will übrigens damit bei - leibe nicht geſagt haben, Herr Referendar, daß bei Ihnen Nordpoltemperatur herrſchte witzelte Adam und hielt ſich ein brennendes Streichholz vor die Cigarre.

Ich verſtehe Sie nicht, Herr Doctor er - klärte Herr von Bodenburg pikirt.

280

Proſt, Clemens! verſuchte Emmy ſehr diplo - matiſch zu tröſten und abzulenken, dabei warf ſie einen Blick auf Adam, als wollte ſie ſagen: Siehſt Du, ſo intim ſind wir ſchon! Etſch!

Proſt, Emmy! kam Herr von Bodenburg nach und fuhr, als er das Glas wieder niedergeſetzt, fort: Ich muß Sie wirklich bitten, Herr Doctor

Mein Gott, Herr Referendar Sie werden mir doch geſtatten, Sie ein wenig zu bewundern! Und das thu 'ich mit dem redlichſten Gemüthe von der Welt! Vorgeſtern es war doch vorgeſtern? ja! vorgeſtern alſo na! da noch durch die Bruſt geſchoſſen ich meine: ohne weiter'n weiblichen Anhang und heute ſchon auf ſtolzen Roſſen ich gratulire herzlichſt

Emmy wurde unruhig und ſah Adam an, wie drohend und zugleich gütlich abrathend, in dieſem Stile fortzufahren.

Der Herr Doctor lächelte.

Verzeihen Sie, mein Herr ſo viel ich ſehe, befinden Sie ſich doch ſelbſt in Damengeſellſchaft wenn ich nicht irre, iſt Ihre Begleiterin die Dame, die wir öfter im Café Caeſar

Sie haben ganz richtig geſehen, Herr Referendar. aber das hindert doch nicht ich meine: wenn ich auch momentan verſehen bin Sie werden doch nicht glauben, daß ich ſo verzweifelt einſeitig ſei, um nun! nun! ich verſichere Sie, mein Herr: ich halte es für meine Pflicht, mich auch noch für ... wie ſoll ich ſagen? für verfloſſene Lieb -281 ſchaften ein Wenig zu intereſſiren ... Die armen Mädels! Wenn ihnen eine kleine, harmloſe Ent - täuſchung in der Bruſt herumrumort, laufen ſie dem Erſten Beſten in die Arme ... wie der ver - zweifelte Skorpion ins Feuer ...

Dem Erſten Beſten mein Herr !

Clemens ! Ich bitte Dich! Proſt!

Laß mich! Dem Erſten Beſten was ſoll das heißen ?

Nun wird der auch noch katholiſch! Adam! ... pardon! ... Herr Doctor !

Sie wünſchen, mein gnädiges Fräulein ?

Das gnädige Fräulein wünſcht gar nichts, aber ich wünſche

Was denn? fragte Adam jovial, mit größter Seelenruhe.

Daß Sie ſich menagiren ſonſt

Sonſt ?

Ich ſähe mich gezwungen

Herr Engler war hinzugetreten. Ich bitte Sie, meine Herren Sie werden doch nicht es iſt übrigens Feierabend, meine Herren!

Darf ich bitten? ich möchte Kaſſe machen bemerkte Melitta. Dabei ſah ſie Emmy an und ſchielte dann zu Hedwig hinüber. Das arme, ver - laſſene Weib ſchien ihr jetzt ſehr leid zu thun.

So eilig, Herr Wirth? fragte Adam und erhob ſich.

Es iſt halb Drei durch ſehen Sie doch: es iſt ſchon ganz hell draußen

282

So? Gute Nacht, Emmy! Und im Uebrigen, Herr Referendar thun Sie, was Sie nicht laſſen können! Ich ſtehe Ihnen zur Verfügung

Nun! Das Weitere wird ſich morgen finden

Adieu

Emmy konnte ſich doch nicht enthalten, ein zag - haft geflüſtertes Adieu! zu antworten.

Mein Herr! Pardon! Herr von Boden - burg eilte Adam nach. Der wandte ſich um.

Darf ich Sie um Angabe Ihrer Wohnung bitten? ich weiß nicht mehr genau

Hier iſt meine Karte meine Wohnung ſteht dabei bitte!.

Danke verbindlichſt !

Die Herren verneigten ſich und gingen aus - einander.

Verzeih, mein Lieb eine kleine, humoriſtiſche Scene! Hat natürlich weiter nichts auf ſich ...

Hedwig war durch die Spannung, mit welcher ſie trotz alledem unwillkürlich den Vorgang beobachtet, der ſich ſoeben zwiſchen Adam und dem fremden Herrn abgeſpielt und durch den mit nervöſer Haſtigkeit genoſſenen Wein bedeutend aufgelockert. Das Paradoxe, Bizarre ihrer Lage war ihr erſt eigentlich jetzt zum Bewußtſein gekommen. Und faſt reizte ſie ſchon das Abenteuerliche daran und dünkte ſie ausnehmend pikant. Sie gewann dem, was ſo neu, ſo außerordentlich war, ſchon Geſchmack ab. Es fiel zu ſehr aus dem Zuſammenhange ihres bis - herigen Lebens heraus. Und zugleich wuchs in ihr283 das Bewußtſein der inneren Fülle ... der Fülle von Erlebniſſen, die ihr in wenigen, zuſammengedrängten Stunden zugefloſſen waren. Ihr Leben ſtand an einem Wendepunkte ... war vielleicht nur durch die frivole Laune eines Vabanque-Spielers dahin - geführt worden aber ſie liebte nun einmal dieſen Vabanque-Spieler, ſie hatte ſich ihm ergeben und ſie mußte ihm weiterfolgen. Gleichgültig, wohin. Große Stunden ſchieben enge Sphären auseinander und verrücken die Maßſtäbe. Ein ſchnaubendes Wühlen und Bohren in der Enge iſts und zugleich eine weltenzuſammenraffende Gipfelſchau. Faſt war Hedwig auf ihre Zukunft neugierig, naiv neugierig. Das Bild ihres verlaſſenen Vaters trat zurück und verblaßte jählings in die Vergangenheit hinein. Sie freute ſich darüber und gedachte ſeiner wie eines Todten, deſſen man ſich nicht mehr deutlich zu er - innern vermag ... und auch nicht mehr deutlich zu erinnern die Pflicht hat ...

Ihr werdet Euch doch nicht ?

Gott! wir kitzeln uns vielleicht 'n Biſſel! Solche kleinen Scherze‘, wie mein verfloſſener Buſenfreund, Herr Kakatus Maximilian Ritter von Stämpellſtrunk, zu ſagen flegte, das Stereotypen-Männchen, wie wir den Knaben ſeiner feſtgefror'nen Redensarten wegen immer nannten ſolche kleinen Scherze alſo er - halten die Geſundheit und befördern die Verdauung. Es iſt übrigens ziemlich tiefſinnig, ſich wegen einer ... einer femme pour tous eine Rippe zu zer - brechen reſpektive ſich eine zerbrechen zu laſſen ...

284

Alſo der Dame ... Deiner ... Deiner Emmy wegen, Adam ?

Die Damen, mein Lieb, für die oder deren wegen ſich Helden, wie wir, ſchlagen dieſe Damen nun! glaubſt Du etwa, Hedwig, daß ich für Dich eintreten würde das heißt ich[meine]

Wenn mich nun Jemand beleidigte ?

Ich würde den Kerl[niederſchlagen] aber wahrhaftig nicht auf den Unſinn des patentirten Mords 'reinfallen! Bei Damen dagegen à la Emmy, die Alles darauf ankommen laſſen, läßt man eben auch Alles darauf ankommen genau ſo zwei - deutig, wie der Charakter dieſer Frauenzimmer iſt das Duell genau ſo! ein Capitel aus den Demimondiana des Lebens, mein Lieb weiter nichts! Dort Alternativen hier auch! Aber nun laß uns gehen! Die theure Donna Melitta wartet ſchon. Trink' aus, bitte! Sieh, wie hell es ſchon geworden iſt! Wir gehen der Frühe entgegen, dem Morgen der Sonne! Wenn ſich nur der Staub der Nacht nicht ſo in meine Poren ein - gefreſſen hätte! Komm! Und nun wollen wir allen Unrath aus der Seele ſpülen ... und weiter nichts ſein, als zwei harmloſe Weſen, die ſich zu Tode wundern möchten, daß ſie hier auf dem dummen, hökrigen Erdrücken Stehauf! und Duckdichnieder! ſpielen müſſen ... die baß erſtaunt ſind, daß ſie nicht gelegentlich herunterrutſchen von dem Kugel - würmchen und die manchmal, wie zum Beiſpiel285 jetzt, mit dem ganzen Hokuspokus doch von Herzen ein - verſtanden ſind! Nicht wahr? mein Lieb das Leben iſt doch ſchön! doch! doch! doch! Allerdings! dieſes doch!‘ iſt ſehr verdächtig !

Adam hatte an Fräulein Melitta den Wein be - zahlt und war nun Hedwig beim Anziehen des Jaquets behülflich.

Herr von Bodenburg und Emmy gingen in dieſem Augenblicke vorüber.

Emmy warf einen kurzen, vorwurfsvollen Seiten - blick auf Adam, der, hinter Hedwig ſtehend, nickte ihr zärtlich-ironiſch zu. Er wußte ja: Herr von Bodenburg war nur ein Interims-Verhältniß .

Die Luft hatte ſich kaum abgekühlt. Der Morgen war dick und ſchwer, der Himmel mit aufgebauſcht maſſigen, gelbgrauen Wolkenlagern überzogen. Der Tag ſchien recht mürriſch und einſilbig werden zu wollen. Es war kaum Stimmung in dieſem Wetter. Das junge, wachſende Licht drückte ſich nur in breiten, verſchwommenen Maſſen auseinander. Oefter kam ein warmer Wind angeblaſen und furchte die Pfützen, die auf den Fahrdämmen ſtanden. Er klopfte ſanft auf die Büſche und Bäume und ſchüttelte einen kleinen, kitzelnden Regen hängen - und ſitzengebliebener Tropfen herunter.

Adam fühlte ſich doch etwas übernächtigt. Eine große Spannung wohnte kaum noch in ſeiner Seele. Er mußte öfter gähnen, ſo Vieles war ihm ſehr gleichgültig, er ſehnte ſich nach einigen Stunden tiefen Schlafes. Er wäre jetzt ſo gern allein ge -286 weſen. Wenn ſich noch die Sonne gemeldet hätte! Oft ſchon war er in ſeinem Leben heimgegangen, wenn ſie in der Frühe gekommen war. Dann waren ihm ihre erſten Scheinverſuche immer ſo lieb geweſen, ſo anheimelnd. Junges, erſtes Licht hat ſo etwas putzig Stolperndes, naiv Drauflosgehendes, es iſt noch ſo viel Reinheit und Schmelz und Kritik - loſigkeit in ihm. Und wenn ſich das junge, erſte Licht mit ſeinen blitzenden Silbergliedern gegen die Scheiben oberer Häuſerfronten legte, hatte Adam oft über dieſes Kecke, Backfiſchige dabei redlichen Ernſtes lächeln müſſen. Heute war Alles trüb und zuſammengeronnen, wenn auch unendlich hingebend und weich ... muntere, begehrende Menſchen zum Lager lockend und ladend, zum gemeinſamen Lager. Aber Adam fühlte ſich eben ermattet, wie ſteif ver - holzt und zuſammengedrückt, klebrig verfilzt, hier und da in ſeinen Gelenken überflüſſig unterbunden, und dazu aufgelegt, ſo viel als möglich kraft - verwaiſten Herzens zu vernachläſſigen. Auch das Weib an ſeiner Seite zu vernachläſſigen, das er aber doch nicht gut um dieſe frühe Stunde allein nach Hauſe gehen laſſen konnte. Eine Auseinander - ſetzung mit Hedwigs Vater war unvermeidlich. Auch er mußte dabei ſein. Ja! dieſe Auseinanderſetzung wohl eigentlich ſelbſt einleiten. Das fiel ihm jetzt erſt ein. Fatal und unbequem war's doch. Nun! da er das auf ſich nehmen mußte, konnte er die paar Schritte, die ihm noch bis zu einem ge - wiſſen, an ſich ſelbſtverſtändlichen Ziele zu gehen287 blieben dann konnte er ſie nur getroſt gehen. Hedwig würde wohl nicht minder im Sinne haben, die letzte Hand an ihr gemeinſames Werk mitan - zulegen. Dann ſtimmte dieſes Capitel wenigſtens einigermaßen und erlebte eine Art Ende und Ab - ſchluß. Alſo vorwärts!

Ich bin doch etwas müde! begann Adam ſtockend und gähnte dazu ein Gähnen, das nicht recht aus ſich herauskommen wollte.

Bring mich nach Hauſe, Adam! bat Hedwig leiſe. Sie wußte ſelbſt nicht recht Beſcheid in ſich in dieſem Augenblicke. Auch ſie war abgeſpannt, und nach dem Hochſchwung des kleinen Weinrauſches, den ihr die goldene Liebfrauenmilch und die mit - erlebte Plänkelei zwiſchen den beiden Herren ein - geflößt, litt ſie jetzt nur um ſo mehr unter der wieder - kehrenden Müdigkeit. Aber zu ihrem Vater zurück? Um dieſe Stunde? Doch wohin ſonſt? Etwa mit Adam herumſpazieren, bis der Tag ſich ganz breit gemacht hatte und die Menſchen glaubten, es mit ihm wagen zu können? Oh! ſie gingen beide ſchon ſo langſam und ſehnten ſich beide nach Ruhe und Raſt!

Adam lachte mit forzirter Heftigkeit. Hedwig! Ich ſoll Dich nach Hauſe bringen ? Das iſt mehr als naiv, mein Kind! Hörſt Du die Nachtigallen ſchlagen? Nun! die ſchlagen uns etwas Anderes und Vernünftigeres vor. Wir promeniren erſt noch ein Weilchen ſiehſt Du: hier ſind wir ja gleich am Parke die Wege werden allerdings verdammt288 matſchig und breiig ſein na! wir wollens nur 'mal verſuchen alſo wir ſchlucken noch ein Wenig die Morgenluft ein machen uns' n biſſel friſcher und dehniger, ſehniger, beweglicher nicht wahr, Kind? plaudern noch über Dies und Das und nachher nachher kommſt Du mit zu mir, mein Lieb und ſchläfſt Dich bei mir tüchtig aus und morgen reſpective heute früh gehe ich zu Deinem Papa und ſage ihm ganz vergnügt, daß uns übermüthigen Menſchenkin - dern der kleine Extra-Streich urfamos bekommen wäre! Dein Papa wird doch auch in praxi Philoſoph genug ſein, um unſere That, in der ſich die Natur einmal ſo recht ausgelebt hat, nicht mit der Krämerelle zu meſſen. Meinſt Du nicht auch ?

Mit zu Dir gehen nein, Adam, das thue ich auf keinen Fall! erklärte Hedwig ſehr beſtimmt und umſchritt, zu Boden blickend, eine braungraue Wegpfütze, die ſich in der Mitte des ſchmalen, glitſchrigen Parkſteges über Gebühr breit hingegoſſen hatte.

Das thuſt Du nicht ? Nun! was denken das gnädige Fräulein dann zu thun ? fragte Adam, höhniſch-verdrießlich. Er war doch im Grunde nur berechtigt, ſeiner Sache gewiß zu ſein. Warum alſo überflüſſige Weitläufigkeiten? Unglaublich! Aber die Weiber!

Du haſt doch gehört ich will nach Hauſe gehen

Um dieſe Stunde? Früh genug iſt es aller - dings. Aber wir ſind ſchon von heute, mein Fräu -289 lein, und nicht mehr von geſtern. Es iſt 'n viertel Vier. Sonderbar! Plötzlich genirſt Du Dich nicht mehr! Und[geſtern] Abend

Aber Du mußt doch begreifen, Adam, daß ich nicht mitgehen kann! Und ſelbſt wenn auch nein! nein!

Ah! Wenn auch‘! Was denn nun noch, Hedwig ?

Nein! nein !

Hedwig hatte ſich von Adam losgemacht und war ſtehen geblieben. Sie ließ den Kopf auf die Bruſt herabhängen und ſtreckte mit zuſammen - geſchobenen Fingern die Hände vor ſich hin.

Ich kann nicht ! ſtieß ſie gepreßt hervor.

Gieb mir nur einen einzigen, vernünftigen Grund an

Adam! Von Einem zum Ander'n reißt Du mich

Iſt Dir das Tempo zu ſchnell? Mit Schnecken um die Wette zu laufen das iſt allerdings reizlos für mich ... Ueberdies mußte es ſo kommen! Warum ſollen wir die Reiſe nicht an einem Tage machen? Das Leben iſt ſo kurz. Man darf ſich nicht zu viel Zeit nehmen. Nicht auf jeder Zwiſchen - ſtation ausſteigen. Nun komm! Hake Dich wieder ein! Bitte! Und ſei meine kleine, vernünftige Hedwig! Ja ?

Lieber Adam !

Aber, Kind warum ſträubſt Du Dich denn immer noch? Unerklärlich! Du kannſt doch beimConradi, Adam Menſch. 19290beſten Willen jetzt nicht nach Hauſe gehen ſiehſt Du denn das gar nicht ein? Was ſollen wir noch ewig debattiren darüber! Laß Dich doch überzeugen! Du verdirbſt mir den letzten Reſt von Stimmung! Mir war etwas viel Schöneres eingefallen. Na! Nicht gerade eingefallen. Ueber Manches hätten wir wohl noch zu ſprechen, Hedwig über manches Wichtige, Tiefe, Intime. Und wenn wir uns jetzt recht zu - ſammennähmen und uns ſo recht jung und rein, kräftig und ungebrochen zu fühlen verſuchten und ſo recht allein und auf uns nur angewieſen mir ſchwebt noch Dies und Das vor ... dämmert zu mir herüber ich möchte Dir aus meinem Leben erzählen ... Erinnerungen auffärben Er - innerungen anderer Art, als vorhin, wo ich Dir von Deinen ... Deinen Vorläuferinnen pardon! alſo aber bitte! Komm zunächſt! Hedwig! Komm! Komm! Komm! Komm! Mach 'doch! Und thu' mir den Gefallen und weine nicht wieder! Ein furchtbar ſchwerer Güterzug biſt Du! Donner - wetter! Die Locomotive muß eine Puſte haben

Adam verſuchte zu ſcherzen und machte ein ge - zwungen heiteres Geſicht. Warm blies ihn der feuchte Frühlingswind an. Adam nahm den Hut ab und lockerte das zuſammengedrückte Haar auf. Nun gähnte er laut. Zögernd, verdroſſen führte er die Hand zum Munde. Er blinzelte müden, verſchwommenen Blickes zu Hedwig hinüber, die ein paar Schritte vorwärtsgegangen und dann wieder wie rathlos, zweifelnd, ſuchend, unentſchloſſen und291 doch zugleich auch direkt abweiſend ſtehen geblieben war. Der Tag war ſchon tüchtig gewachſen. Das Licht differenzirte Bäume, Büſche, Sträucher ſchon um Vieles zwanglos-nachdrücklicher. Das Einzelne ge - wann mehr und mehr ſeine Grenzen, ließ ſeine Farben ſpielen, ſchuf ſich ſeine Umgebung. So ob - jektivirt das Licht. Nacht, Schatten, Dämmerung ſind immer ſubjektiv. Am Meiſten aber die Dämmerung.

Nein! Der Druck in den Augenwinkeln war unerträglich. Und die Glieder wurden dem Herrn Doctor immer ſteifer, zäher, widerſpenſtiger. Es war ſchon viel Selbſtverſtändliches in ihm. Er hatte gründlich abgewirthſchaftet. Sollte er das Weib lieber doch nach Hauſe bringen ... zu ſeinem ver - laſſenen Vater ... und ſeinem Schickſale über - antworten? Es war ja ſchließlich Alles ſo egal. Aber beſonders ehrenhaft und muthig wäre es doch wohl nicht geweſen. Allerdings wie über - reden, überzeugen, daß ? Ach! die Geſchichte war verdammt langweilig und hausbacken geworden. Selbſt wenn er das kleine Weib wirklich noch mit nach Hauſe ſchleppte und dieſe lobeſam-labſälige Tragikomödie in einer gewiſſen Mauſefalle ihren ſüßen Abſchluß fand beſonderen Reiz hatte der Gedanke kaum noch für ihn, ſeine Sinnlichkeit ließ den Kopf hängen und welkte er war nicht mehr im Stande, Etwas zu finden, das er tief durchfühlen konnte. Nur ungeduldig konnte er noch ſein. Er hatte ein ſtarkes, fein ausgebildetes Verſtändniß - und19*292Bedürfnißorgan für alles Weibliche aber ſchließlich wird jedes ſotane Weibliche doch blutig langweilig ...

Na wie denken das gnädige Fräulein ?

Adam !

Wir wollen nicht wieder in krampfhafte Dialoge verfallen, Hedwig! Das iſt auch ſo'n weltläufiger Irrthum, als ob man mit Geſprächen und Verhand - lungen irgend Etwas ausrichtete! Wir monologiſiren ja Alle nur reflektiren über unſere höchſt eigen - hirnigen Triebe, Neigungen, Kräfte, Tendenzen und ſo weiter. Das verſteht ſich Alles ganz von ſelber. Oder auch nicht. Das iſt aber ganz Daſſelbe. Widerſprüche giebts nämlich gar nicht. Im Grunde durchaus nicht. Bloß auf der Oberfläche. Die Oberflächen drängen, ſtoßen, reiben, balgen ſich. Das nennen wir denn begriffenes Leben. Das weſentliche Leben iſt natürlich das Unbegreiflich-Un - begriffene. Das ſind nämlich die verdammten Dinger an ſich. Daraus folgt, mein Lieb, daß es nämlich ganz ſchnuppe iſt,[ob] Du hier ſtehen bleibſt, oder ob Du mitgehſt ob Du nach Hauſe fürbaß wandelſt oder bei mir campirſt, meine reizende Kameradin ob Du na! ich will nur ruhig ſein ich hätte nämlich beinahe wieder 'mal' was Knalliges losgelaſſen ... Gott verdamm mich! bin ich zuſammengehauen von den Strapazen des Abends und dieſer glorreichen Nacht! Ja! Ja! :

So'n klenet bisken Liebe
Ach! det macht viel Pläſir

293

Een Leben ohne Liebe
Det wäre niſcht for mir ...

was ich mir allerdings unterthänigſt zu bezweifeln erlaube. Een Leben ohne Liebe‘ dürfte viel em - pfehlenswerther ... jedenfalls viel geſünder ſein. Aber was ſoll die ganze Schwatzerei! Wir gehen direkt zu meiner Wohnung nicht, Hedwig? Das iſt am Geſcheiteſten

Seit einigen Minuten waren die beiden wieder neben einander vorwärtsgeſchritten. Hedwig ſah Adam von der Seite an.

Adam !

Nun ?

Ach! es iſt ſchrecklich!

Immer noch? Du biſt pouſſirlich, Kind!

Du weißt nicht

Ich weiß nicht ? Was denn ?

Nicht wahr: Du läßt mich aber allein bei Dir ich meine: allein ja ich ich ruhe mich nur ein Wenig aus auf deinem Sopha dann

Selbſtverſtändlich wenn Du es durchaus wünſch'ſt ich dachte allerdings, daß wir

Oh mein Gott !

Was iſt denn nur ſo furchtbar ?

Meine Ver ich bin ja ſchon Adam! ich habe ja nichts mehr .. zu ver .. l Das war leiſe ... wie mit unſäglicher Ueberwin - dung herausgeſtöhnt.

Adam war doch zuſammengezuckt. Hm! Er294 hätte ein derartiges Geſtändniß nach Allem, was vorausgegangen war, allerdings erwarten müſſen. Und nun berührte es ihn ja! wie denn eigentlich? peinlich? ſchmerzlich? Fühlte er ſich genirt oder machte ihn die an ſich kaum bedeutſame Thatſache nur ſchulbubenhaft verlegen? Schließlich ſchwang er ſich zu folgender hervorragender Antwort auf:

Das kann Dir nur zur Ehre gereichen, Hedwig! Und Dein .. haſt Du Dein .. Kind?

Starb kurz nach der Geburt

Nun .. da hats Dir der liebe Gott doch be - quem genug gemacht

Adam!

Verzeih! Aber ich ſieh 'mal: iſt nicht jedes Weſen beneidenswerth, das bald nach ſeinem Kommen wieder weggeht .. weggehen darf?. Es iſt ſo ſüß, mitten in der Nacht .. nach ſtundenlangem Schlafen .. einmal aufzuwachen .. Man horcht ge - ſpannt in die ſurrende, athmende Finſterniß hinein fühlt ſich unſäglich angenehm müde und dämmert langſam wieder ein ... Es verlohnt ſich ſchon, die Augen einmal aufzuſchlagen, wenn man ſo ent - zückend ſchnell und ſüß wieder einſchlafen darf .. Aber nun hoffe ich, iſt der letzte Weigerungsgrund hinfällig geworden, Hedwig ich weiß ſehr wohl, was Du mir haſt andeuten wollen komm! gieb mir den Arm endlich wieder wir wollen uns etwas beeilen

Hedwig ſah Adam an .. und fügte ſich langſam zögernd. Vielleicht doch nicht zu ungern.

295

Endlich! rief Adam, tief aufathmend, aus und warf die Schlüſſel auf den Tiſch. Nun mach 'Dir's bequem, mein Lieb! Deine Kleider wirſt Du ſchon irgendwo unterbringen. Aber zunächſt wollen wir erſt' mal die Fenſter hübſch zumachen .. und der neugierigen Welt ein Schnippchen ſchlagen ..

Die Vorhänge waren zuſammengezogen. Das Morgenlicht, das ſchon recht deutlich und grenzen - reißend im Zimmer geſtanden, war wieder zu an - heimelnder, welliger Dämmerung graugeronnen. Adam warf einen Blick in den Spiegel. Seine Augen waren glanzlos, ſein Geſicht verquollen und un - natürlich geröthet.

Ja! Ja! das kommt von ſo 'was!. ſpöttelte er halblaut vor ſich hin. Nun ſchloß er ſein Cylinder - Bureau auf und warf dabei einen Blick ſeitwärts auf Hedwig.

Aber, Kind! Willſt Du denn da an der Thür ſtehen bleiben? Gefällts Dir ſo wenig bei mir? Es iſt doch gar nicht ſo übel hier! Leg Deinen Hut ab, bitte Du haſt nun einmal A und B geſagt jetzt mußt Du das ABC auch ganz herſagen davon hilft Dir weder Gott noch Teufel los! Sieh 'mich' mal an, Hedwig! Na? Willſt nicht? Immer noch ſo ernſt und traurig? Mein Lieb!

Das hatte Adam in faſt innigem Tone ge - ſprochen. Er war zu Hedwig hingetreten und be - gann jetzt ſehr discret, beſcheiden und nicht unge - wandt, der Dame ſeines Herzens allerlei kleine Zofen - dienſte zu liefern. Er nahm ihr den Hut ab, knöpfte ihr296 Jaquet auf, zog es ihr aus und zupfte und neſtelte an den enganſitzenden Handſchuhen herum, bis er zuerſt den einen, dann den ander'n entfernt hatte. Hedwig ließ Alles ruhig mit ſich geſchehen. Sie war ſehr blaß, die Lippen hatte ſie feſt zuſammen - gepreßt, die Augen waren über die Hälfte von den Lidern belegt. Adam hing ihr Jaquet an ſeinem Kleider - halter auf. Dieſe Apathie verdroß ihn. Er hatte nun ſein kleines Weib im Fangeiſen aber die Geſchichte kam ſo gar nicht in Fluß .. ſchien im Gegentheil pyramidal langweilig und langwierig werden zu wollen.

Hedwig kauerte ſich auf ein Streifchen Sopha - rand hin. Adam zwang ſich zu einem helleren, an - regendem Tone.

Bitte, Hedwig, ſei nicht ſo ſtumm und zurück - haltend! Nicht ſo furchtbar ſtarr und bewegungslos! Du biſt doch die Herrin hier! Siehe! Dein Ritter und Knecht wird es ſich auf dieſer ſchreiend rothen Damaſt - cauſeuſe bequem machen! Aber Dir, ſeiner Königin, hat er ein fürſtliches Lager aufgeſchlagen! Komm und ſtaune!.

Adam theilte die Portière auseinander und er - wartete, daß Hedwig zu ihm hin und mit ihm in ſein Schlafcabinet treten würde. Aber die Dame rührte ſich noch immer nicht. Unwillig ließ Adam die Vorhangfalten fahren. Er ſetzte ſich neben Hed - wig auf das Sopha, zog ſie ein Wenig tiefer auf den Sitz zurück, legte ſeinen linken Arm um ihre Hüfte und bog ſanften Nachdrucks mit der rechten Hand ihr Geſicht zu ſich heran.

297

Hedwig !

Sie ſuchte ſich langſam von ihm loszumachen. Laß mich, Adam !

Fällt mir gar nicht ein! Und folgſt Du nicht willig, ſo brauch 'ich Gewalt

Nun Adam auf dem Sopha lag und ſich nach Belieben recken und dehnen konnte; nun die Ein - drücke der Außenwelt auf eine geringe Anzahl, die ſich wohl noch bewältigen ließ, zuſammengeſchmolzen waren .. nun er das Weib, welches er liebte, in ſo enger, intimer Nähe bei ſich fühlte; nun er es mit ſeinen Armen umſchlingen und küſſen durfte, ſiedete das Blut, deſſen Leidenſchaft ſchon erſtorben war, noch einmal ziſchend in die Höhe und alle ge - ſchlechtlichen Inſtinkte des Mannes lechzten danach, durch das Weibe erfüllt und befriedigt zu werden.

Endlich legten ſich ihre Arme wie ein zerſchnüren - der Ring um ſeinen Hals.

Adam !

Hedwig !

Die Natur läßt ihrer nicht ſpotten.

Das Licht wuchs und wuchs. Die Beiden aber lagen beieinander und genoſſen die Süßigkeit verdienten Schlafes. Wohl war ihr Schlaf nur flach und dünn, wie eine Linnendecke, die jeder Windhauch aufſcheucht und bläht .. dünn wie ein Lindenblatt, das der junge, übermüthige Morgenwind anſäuſelt .. Sie begegneten ſich ſo oft in den Bewegungen ihrer298 Glieder und erweckten ſich zu neuem Liebesleben. Dann wieder ein mähliges Ablaſſen von einander .. ein neues Müdewerden und Eindämmern .. und ein Neuerwachen. Sie ſahen ſich in die Augen, trugen keimende Küſſe auf die Lippen und pflückten die ſüßen, berauſchenden Früchte. Aber nun wollen wir ſchlafen, Geliebter Ja, Hedwig! Aber erſt Nein! Laß, Beſter! Mich friert ſo! .. Mir iſt erſtickend heiß! ich dampfe und Adam küßte diskret die Bruſt ſeiner Geliebten ... dieſe Bruſt, die ſo weiß und ſo elaſtiſch war, wie ein weichgekochtes, nervös vibrirendes Ei ...

Unerſchöpflich iſt die Phantaſie genießender Liebe .. unermüdlich weiß ſie neue Reize aufzuſpüren und auszukoſten.

So ſchliefen ſie in den wachſenden Tag hinein. Es wurde lebendig auf dem Vorſaal, man lief hin und her und ſprach jetzt lauter, jetzt leiſer. Die bunte Welt der Geräuſche durchſtach ſo oft die zarte Schaale ihres Schlafes. Manches nahmen ſie wohl mit hinüber in die gaukelnden Traumfetzen, die ſie gebären mußten. Auch von der Straße herauf ſprach das Leben, das die vernünftigen Menſchen wieder in Angriff genommen hatten, ſo oft in ihre zuſammenknospende Raſt hinein. Fliegen ſurrten um ſie herum und ſchreckten ſie auf. Und immer heißer wurde es auf dem gemeinſamen Lager.

Hedwig ſchlummerte. Leiſe und langſam gingen ihre Athemzüge. Adam ſtützte den Kopf auf ſeine rechte Hand und betrachtete die Schlafende. Ihre Haut war nicht rein .. und jetzt merkwürdig durch -299 faltet und angerunzelt. Das Haar hatte ſich ver - ſchoben und ſich zu häßlicher Unordnung zuſammen - geknäult. Unangenehm ſcharf traten die Backenknochen hervor, die Wangeneinfaltungen leicht überſchattend. Auf der Oberlippe erglänzten im klaren Lichte der wahren Sonne einige bläulich ſchwarze, indiskrete Härchen. Doch ſchön war der Leib dieſer widerſpenſtigen Sünderin, etwas mager wohl, aber ſehnig und zu - ſammenſaugender Kräfte reich. Und dabei gedachte Adam der Huldinnen, die alle ſchon hier neben ihm gelegen .. das Haupt in dieſes .. in dieſes ſelbe Kiſſen geſchmiegt .. und er verglich ihre Reize, ſo gut er ſich ihrer erinnerte, und durchkoſtete noch einmal in nach - läſſigem Aufſtöbern und Zuſammenſchüren alle die Freuden und Entzückungen, die er hier ſchon genoſſen, ſo oft ſchon genoſſen ... Dieſelben Verführungsfak - toren .. dieſelbe dampfende Entzündung .. derſelbe Genuß .. daſſelbe Reſultat .. derſelbe Ekel ... ach! ein ſo dummes, ſo wahnſinnig dummes und einfältiges Genarrtwerden! Die Natur macht nicht viele Worte, ihre Sprache iſt ſo blutarm. Sie wiederholt ſich immer und plagiirt ſich ſelber mit denſelben Wendungen. Und immer wieder muß man auf den armſelig geiſtloſen Köder 'reinfallen. Aber es iſt, als ob ſie, die domina natura, ſtets den Intellekt ſo lange knebelte und verge - waltigte, bis ſie mit der Brandung des entzündeten Blutes ihr erhabenes Ziel erreicht hat. Und dann? Dann läßt ſie ſtillvergnügt die genasführte Kreatur räſoniren. Das letzte Wort behält ſie doch ... behält ſie immer und überall.

300

Adam ſchlich ſich leiſe von Hedwigs Seite, fuhr in die Hoſen und ſchlürfte in ſein Arbeitszimmer hin - über. Er trank ein paar Schlucke abſtoßend lauwarm gewordenen Waſſers, riß die Fenſter auf und ſchaute ... bei ſeiner ſehr primitiven Morgentoilette mit affektirter Ungenirtheit .. auf die Straße hinab, zum Junihimmel hinauf, der in ſattem Stahlblau flimmerte. Es war um die neunte Stunde .. drunten hatte ſich das Leben ſchon ganz hübſch eingerichtet. Schwerfällige Laſtwagen ſchoben ſich langſam mit widerlichem Geknarr vorüber. Da lief ſein Barbier vorbei wenn es dem Kerl nur nicht etwa einfiel, jetzt ſchon anzutanzen! Viel Staub und Dunſt gab's .. und Menſchen, die ihre Hüte in der Hand trugen und ſich mit großen, maſſigen Taſchentüchern die Stirnen wiſchten. Ach! Adam fühlte ſich ſehr miſerabel. Er ſchauderte vor dem zurück, was ihm der Tag noch bringen würde, bringen mußte. Da im Nebenzimmer ſchlief das Weib, das er .. nun! das er liebte, und das er genoſſen hatte. Süße, ſelige Stunden waren es doch geweſen. Einſame Stunden, da ſie ſich wie herausgelöſt dünken durften aus dem Zuſammenhange der Menſchen und der Dinge. Nun forderte die geiſtloſe ſoziale Seite des Lebens wieder ihr Recht. Sich einzurenken, ſich wieder auf ſeinen beſtimmten Platz in Reih und Glied zu ſtellen, das galt es nun wieder. Nach rechts und links ver - treten und verantworten, was man in kühner Ab - ſonderung gewagt und gethan hat. Ach! Die Scene mit Hedwigs Vater, die dem Herrn Doctor bevor -301 ſtand! Das war allerdings ſehr peinlich. Und wenn er ſich noch wohler und freier gefühlt hätte! Aber holprig und langſam war ſein Denken, mühſam vorwärtskriechend und nur ganz obenhin die Dinge des Lebens betaſtend. Immer beſchäftigte ihn nur das Nächſte. Alle ſeine Bewegungen waren ſchwerfällig, träge, vollzogen ſich widerwillig. Eine filzige Zähig - keit und zugleich eine nervöſe, unregelmäßige Be - wegungsſucht, eine zitternde Unruhe ſpukten in ſeinen Gliedern, die wie dicker Brei gern in ihren Lagen ver - harren wollten und dieſe doch ſtetig zu wechſeln ſtrebten. Seine Hände waren ſchwammig und aufge - quollen, ſeine Geſichtslinien an einzelnen Stellen, um Augen und Naſe herum, ſchärfer markirt und zugleich widerlich verwiſcht. Die Lippen trocken, ſpröde, auf der Zunge ſtand ein fader, dürrer, kieſig prickelnder Sand - geſchmack, die Stirn brannte von einem preſſenden Drucke. Oefter mußte Adam gähnen, aber ſeine Kiefer ſchienen alle Biegſamkeit und Spannung verloren zu haben. Die Kopfhaut ſchmerzte, als wäre ſie von einem Heere engzuſammenſtehender Stecknadeln durchlöchert. Zu jeder Handlung mußte ſich Adam beſonders zwingen. Alle Reibungen des geiſtigen und des thatſächlichen, praktiſchen Kleinlebens reizten ihn mit geſteigerter Intenſität. Dabei beſaß Nichts ein tieferes Intereſſe mehr für ihn .. und Alles, was ihn ſonſt zum Denken, Bedenken, Betrachten heraus - forderte, hatte Wert, Inhalt, Form und Farbe verloren.

Adam wuſch ſich Geſicht und Hände und ſchellte.

302

Im Nebenzimmer raſchelte es. Ein langer Seufzer zitterte herüber.

Dann rief eine müde, heiſere Stimme, wie ge - brochen, Adam !

Gleich, mein Lieb! Einen Augenblick!

Es klopfte. Herein! Das Mädchen kam und brachte den Kaffee.

Morgen, Herr Doctor!

Morgen! Und bringen Sie bitte noch 'ne Taſſe, Ida!

Noch 'ne Taſſe?

Ja! Iſt das ſo merkwürdig? Ich habe Beſuch

Das Mädchen ſah ſehr verblüfft aus. Es ſtarrte Adam einen Augenblick an.

Aber iſt denn das noch nicht vorgekommen, ſo lange Sie hier ſind ? fragte Adam unwirſch - ungeduldig.

Nee! In den acht Tagen, wo ich

Na, alſo bitte !

Jetzt ſchien dem kleinen, friſch vom Lande im - portirten Beſen doch ein Licht aufzugehen. Er verzog den Mund und grinſte tolpatſchig-ſchnippiſch.

Rindvieh! knurrte ihm Adam nach und trat in's Nebenzimmer.

Hedwig ſaß im Bett, hatte die Arme gegen die unter der Decke heraufgezogenen Kniee geſtemmt und die Hände vor das Geſicht gedrückt.

Adam rückte ſich einen Stuhl an das Bett heran und ſtreichelte ſeinem Weibe liebkoſend Haar und Hals.

303

Nun wie fühlt ſich die gnädige Frau? Mir iſt nicht ſo beſonders ich weiß nicht, aber

Hedwig nahm die Hände von den Augen. Lang - ſam wandte ſie ihr Geſicht mit den bleichen, über - nächtigten Zügen und dem ſchweren, verthränten Blick Adam zu. Das arme Weib ſchien ganz muth - los, ganz hin zu ſein. Sich im Bette eines fremden Mannes zu finden ihm mußte doch auch die Scham in der Seele brennen

Mein Lieb !

Das überlebe ich nicht, Adam! Mein armer armer Vater !

Nur Muth, Hedwig! Es wird ſchon ſchief gehen pardon! wollte ſagen: es wird ſich Alles ſchon machen. Schlimmſten Fall's alſo Du haſt ja immer haſt ja immer an mir Halt und Stütze! Wir werden's ſchon überſtehen. Es wird noch Alles gut werden laß nur jetzt den Kopf nicht zu tief hängen, Kind!. Und komm! ſteh 'auf! Du kannſt hier ganz ungenirt Toilette machen. Alles Nöthige wirſt Du finden. Es wäre ja nicht das erſte Mal, daß eine Da man iſt für ſolche Fälle eben vorbereitet, wie es ſich geziemt .. Der an - gefügte Nachſatz ſollte wie ein harmloſer Scherz klingen und war doch eine unwillkürlich beabſichtigte Bos - heit. Der Herr Doctor mußte ſich in dieſer Richtung leider nur zu oft gehen laſſen. Es war beinahe, als ob nur die vaſamotoriſchen Nerven dieſen Reflex auslöſten, und der Wille nicht einmal die Freiheit mehr beſaß, unfrei zu[ſein].

304

Soll ich Dir den Kaffee herüberbringen, mein Lieb?

Hedwig antwortete nicht. Adam benutzte ihr Schweigen und ging auf kleinen, wohlberechneten Umwegen in ſein Arbeitszimmer zurück. Es war ihm zwar zu Sinn, als ob er ſich ſo etwas wie gedrückt hätte. Aber da drinnen bei dem unglück - lichen Weibe hatte er ſich doch zu unbehaglich ge - fühlt. Und er war ſchon ſo nervös heute.

Er goß ſich eine Taſſe Kaffee ein und trank das Gebräu, das nur noch lauwarm war, in haſtigen Zügen hinter. Ein merkwürdiger Durſt quälte den Herrn Doctor ſchon zu dieſer frühen Morgenſtunde. Und Adam vergegenwärtigte ſich mit ſtiller Reſig - nation, in der er doch aber immerhin ein Wenig zungenſchnalzend ſchwelgte, welche Laſt er auf ſich genommen ... und er erinnerte ſich, wie ſo ganz anders er mit Emmy dieſe morgendliche Nachfeier genoſſen hatte wie dieſes ſchöne Kind der Sünde an den letzten verklingenden Melodien einer dithyrambiſchen Liebesnacht zu ſchlecken verſtanden. Köſtliche, unver - geßliche Stunden! Und heute ?

Adam lag in der Sophaecke und kaute an einer Virginia-Cigarette, die gar nicht ſchmecken wollte. Im Schlafzimmer ging man auf und ab. Schritte ſchlürften, Kleider raſchelten, das Waſchwaſſer plätſcherte. Aber Alles ſo langſam und eintönig, ſo ſtörriſch-verglaſt, ſo leblos-mechaniſch. Adam beſaß ein ſehr feines Gehör. Das war die Nuance der Trauer, der muthloſen Gleich - gültigkeit. Ach! Und das wirkt ſo anſteckend ..

305

Es wurde an die Stubenthür geklopft.

Herein!

Herr Doctor, 'ne Dame iſt draußen, die Sie ſprechen will

'Ne Dame ?

Ja!

Hat ſie denn ihren Namen nicht genannt ?

Nee! Sie ſagte man bloß, ſie müßte Sie ſofort ſprechen

Nun ich laſſe bitten

Emmy ſtand auf der Schwelle.

Emmy !

Verzeih ', Adam, daß ich ſo früh ich komme Ihr wollt Euch

Sie war ſehr verwirrt und verlegen, die ſchöne Sünderin eine Erſcheinung, die Adam noch gar nicht bei ihr beobachtet hatte.

Sie ſtand noch immer an der Thür und irrte unſicheren Blickes im Zimmer herum, ſchlug nun die Augen nieder und vermied es, Adam anzuſehen. Jetzt entdeckte ſie zufällig Hedwigs Hut, der auf einem Stuhl neben dem Sopha lag.

Adam entging es nicht, wie ſie erſchreckend zu - ſammenfuhr. Er lächelte.

Du haſt, Adam

Was denn, Emmy? Aber bitte willſt Du Dich nicht ſetzen? Und willſt Du mir nicht den Grund Deines Kommens nennen? Es muß doch .. muß doch etwas Beſonderes vorliegen nicht? oder ſollte ich mich irren ?

Conradi, Adam Menſch. 20306

Du haſt Beſuch ?

Beſuch? Das iſt der Hut meiner Frau, Emmy

Deiner Frau ?

Nun ja natürlich! Was weiter? Soll ich ſie Dir vorſtellen? Warte eine Secunde ſie macht noch Toilette .. Wir ſind etwas ſpät nach Hauſe gekommen und .. und haben etwas lange geſchlafen .. Uebrigens! wie geht es denn dem Herrn von und zu Bodenburg? Du kommſt doch gewiß von ihm ?

Adam !

Emmy war dicht an Adam herangetreten und ſah ihn mit großen, blitzenden Augen feſt an. Zorn und Entrüſtung brannten in dieſem Blick. So ſpricht die Leidenſchaft, die eine erlittene Schmach rächen oder die etwas Verlorenes wiedergewinnen will.

Adam konnte ſich dem berauſchenden Parfüm dieſer Leidenſchaft nicht entziehen. Da quoll ihm Blut und Leben in ungeſtümem Rhythmus entgegen. Da athmete ein Weib vor ihm, deſſen Leib ſeine Reize und Schön - heiten wunderbar diskret und beſtimmt zugleich durch das knappanſitzende Kleid zu verrathen wußte.

Er trat einen Schritt zurück. Und nun mußte er doch wieder lächeln. Fade! Wollte ihn die Dame etwa überrumpeln ?

Nun? fragte er ungeduldig-pikirt.

Du haſt mich in die Arme dieſes Menſchen getrieben

Ich? Aber Kind, da muß ich doch

Oder etwa nicht ?

Liebe Emmy! Das iſt doch ich ich307 denke, es iſt Dein Metier, heute mit dem und morgen mit dem zu .. zu verkehren ?

Und das ſagſt Du mir ?

Emmy hatte ſich abgewandt. Sie war glühend roth geworden. Vielleicht aus Scham und Entrüſtung zugleich. Nun empfand Adam doch wieder ſo Etwas wie Mitleid mit ihr. Aber er wußte auch nicht ſo - fort, was er antworten ſollte

Darf ich Ihnen eine Cigarette anbieten, mein Fräulein ?

Emmy richtete langſam den Kopf in die Höhe. Ein ſehr trauriger, vorwurfsvoller Blick ſtand in ihren ſchönen Augen.

Sie haben ganz Recht, Herr Doctor es iſt allerdings mein Metier‘

Aber bitte! laſſen wir doch das! Ich möchte heute früh .. ſo am erſten Morgen quasi nach meiner ... nach meiner Hochzeit alſo ... ich möchte mich da nicht gleich wieder auf alle möglichen Scenen einlaſſen Sie verſtehen, mein Fräulein

Auf alle möglichen Scenen‘ ſo? Scenen‘ ganz recht! ... Nun, Herr Doctor

Ja ?

Sie wollen ſich mit Herrn von Bodenburg ſchlagen? ...

Schlagen? Hui! Mir wird janz jruſelig. Uebrigens 'mal ſehen .. kann wohl ſein! Warum ſchließlich auch nicht? Ich erwarte vorläufig erſt ſeinen Zeugen und dann

Sie werden das Duell ablehnen, Herr Doctor !

20*308

Ablehnen? Wie kommſt Du mir denn vor, Emmy? Dieſe Sprache ich ich verſtehe Sie nicht, mein Fräulein

Adam ! Das war ſehr innig, ſehr rührend, ſehr flehend herausgeſtoßen.

Im Nebenzimmer wurde heftig ein Stuhl ge - rückt. So hat ſich eine Hand krampfhaft auf eine Lehne gelegt. Die Finger krallen ſich feſt, preſſen ſich immer feſter. Jetzt ſchleudern ſie den Stuhl im Affekte, der ſeinen Siedepunkt erreicht hat, von ſich[. ]Die nervöſe Spannung läßt nach ...

Die Beiden ſahen ſich an.

Denken Sie an .. an Ihre Frau bat Emmy leiſe, mit zitternder, ſtockender Stimme

Hm!

Das hatte ich Ihnen ſagen wollen

Ich danke Ihnen, mein Fräulein

Adieu !

Adieu !

Emmy wandte ſich nach der Thür um, in deren Nähe ſich die ganze Scene abgeſpielt hatte. Einen letzten Augenblick noch zögerte ſie jetzt. Und nun kehrte ſie Adam noch einmal ihr volles Geſicht zu. Thränen ſtanden in ihren Augen, um den Mund zuckte es ſchmerzlich.

Und da kam es über Adam. Es gebar ſich ihm plötzlich das Gefühl, als verlöre er Unerſetz - liches, wenn er Emmy jetzt gehen ließe. Und doch er durfte ſie nicht zurückhalten. Er war ja ge - bunden. Er hatte ja eine beſtimmte Pflicht zu er - füllen. Dieſes Verhältniß‘ mußte alſo[endgültig]309 abgebrochen werden. Es liegt eine ſo große Wolluſt in dieſem Abbrechen und Entſagen ... eine ſo be - rauſchende Wolluſt, eine ſo nahrhafte Trauer, eine ſo merkwürdig fruchtbare Wehmuth .. Aber noch einen Kuß! Einen letzten Kuß! Und dann Ab - ſchied nehmen Abſchied nehmen für immer von dieſen ſchönen, ſchönen Reizen! Nun mag die Er - innerung kommen und genoſſene Wonnen in ſtillen Stunden ausſchmückend noch einmal durch - koſten .. all' das Liebesgeplauder wiederholen und all' die tändelnden, loſen, neckiſchen .. halb ernſten, halb ſpaßigen Geſpräche, die zwei Menſchen zu einander geſprochen, die ſich einen Augenblick lieb - gehabt ....

Adam küßte Emmy auf die Stirn.

Verlaß mich nicht, Adam! hörte er ſich mit bebender, gleichſam in höchſter Angſt ſich anklammern - der Stimme zuflüſtern.

Es raſchelte in den Falten der Portière. Adam trat zurück. Emmy verließ ſchnell das Zimmer.

Der Herr Doctor ſtand vor ſeinem Sophatiſche, auf dem es troſtlos verworren ausſah, und ſuchte Etwas, irgend Etwas, er wußte wirklich nicht, was. Seine Finger tappten zwiſchen den Büchern, Manu - ſcripten, Zeitungen hin und her, griffen nach einem loſen Blatt, nach einem Schlüſſel, einer Cigarren - ſpitze, einem Bleiſtifte .. jetzt nach der kleinen Mor - phiumflaſche, die ſich in intimer Nachbarſchaft bei Meynerts Lehrbuch der Pſychiatrie niedergelaſſen .. und ſtellten Alles wieder hübſch gewiſſenhaft an ſeinen310 Platz zurück. Nun fiel Adam die Cigarettenſchachtel in's Auge. Er nahm ſich eine friſche Virginia heraus und pendelte ſie gedankenbeklommen zwiſchen den Fingern hin und her. Jetzt mochte Emmy unten ſein. Ob er ihr noch einmal nachblicken ſollte? Ein letztes Zunicken? Ein letzter Gruß? .. Sie würde jedenfalls zu ſeinen Fenſtern heraufſehen vielleicht, daß er nein! nein! Nicht co - quettiren mit der Vergangenheit, die ein für alle Mal abgethan ſein ſollte! Es mußte ja ſein. Da nebenan ... die Dame da in ſeinem Schlafzimmer zum Teufel! Es war gegen alle Vernunft und Ordnung, aber es war einzig und allein anſtändig , wenn er ihr treu blieb ... Auch das mußte eben ſein. Es iſt höchſt empfehlenswerth, im Prinzip keine Pflichten anzuerkennen ... und in der Praxis möglichſt viele zu erfüllen ...

Hedwig! Biſt Du fertig? Dann komm bitte! Der Kaffee wird in der That ganz kalt

Keine Antwort. Adam gab der Cigarette Feuer und trat in's Nachbargemach. Himmeldonnerwetter da ſoll denn doch

Die Luft war heiß und dunſtig hier. Eine wüſte Unordnung, von dem brutalen Sonnenlicht bis in's Kleinſte hinein entwirrt und umriſſen, machte ſich allenthalben breit. Hedwig ſaß an dem einen Fenſter, hatte den linken Arm auf das Brett geſtützt und das Kinn in die Handhöhlung gelegt. Sie ſtarrte, wie von einem einzigen dumpfen, maſſiven Schmerze zuſammengezwungen, ausdruckslos durch die Scheiben. 311Das ſchwarze, ſchmuckloſe Kleid gab der ganzen Ge - ſtalt etwas unendlich Trauriges, unſäglich Herbes und Abgewelktes.

Willſt Du nicht? bat Adam leiſe, innig. Er war hinter den Stuhl Hedwigs getreten und hatte ihr Geſicht ſanft zu ſich emporgezogen. Komm, meine kleine Frau!

Hedwig ſeufzte laut auf.

Und verzeih 'dieſe dumme Störung vorhin! Das war recht geſchmacklos. Siehſt Du: da hatteſt Du gleich ſo'n Stückchen rabbiater Vergangenheit! Aber es iſt vorbei. Ich habe es definitiv ad acta gelegt. Du kannſt wirklich ganz ruhig ſein

Was wird mein Vater ſagen? kam es darauf lang - ſam und unheimlich abgewickelt deutlich von ihren Lippen.

Adam fuhr auf. Er hatte im Stillen wohl auf einen neuen, pikant-harmloſen Disput gerechnet .. der gewiß nicht ohne reizvolle Pointen geblieben wäre! Und nun wieder die alte Geſchichte mit ihrem Vater, an die er am Liebſten gar nicht er - innert ſein wollte. Nimm mir's nicht übel, Hed - wig aber immer und ewig nur Dein Vater! Ich hab's Dir ja ſchon geſagt: ich gehe nachher zu ihm hin und ſetze ihm die ganze Sachlage ruhig und denkbar correkt auseinander. Dann werden wir ja ſehen ... Vor Elf kann ich allerdings nicht. Bis dahin muß ich ſchon warten .. muß eben erſt ſehen, ob ſich Herr von Bodenburg mit ſeiner kindiſchen Geſchichte meldet. Iſt das glatt, wird ſich das An - dere auch finden. Dein Papa iſt doch kein Unmenſch. 312Ich begreife nicht, warum Du Dich darum ſo furcht - bar abſorgſt und abgrämſt .. Die Situation iſt ein Wenig außergewöhnlich ich geſtehe es zu das iſt aber auch Alles. Sie mag nicht alle Tage vor - kommen nun ja! Aber ich danke auch dafür, alle Tage Sauerkohl und Bratwürſtel eſſen zu müſſen. Es ſind ſchon ganz andere Geſchichten auf dieſer Welt paſſirt ſei doch nicht zu klein, Hedwig! Wir wollen nicht jeden Kram mit dem Pathos der geſchicht - lichen Mundvöllerei-Tragödie ausſtaffiren immer und immer wieder dieſelben Phraſen, daſſelbe nauſéabonde, urtriſte Gequatſche! Seien wir klar und nüchtern, wie es unſere Zeit verlangt ich haſſe dieſe ba - nauſiſche Sentimentalität, dieſe ſchleimige Gefühls - duſelei ... Komm! Ich kann Dir zwar momentan nicht Beef und weiche Eier vorſetzen, wohl aber miſerab - len Kaffee und ein Brödchen mit Sardellenbutter. Das iſt auch Poeſie, Kind! Nun das wird hoffent - lich Alles anders und beſſer werden, wenn Du erſt 'mal meine kleine Hausfrau biſt nicht wahr ?

Hedwig war aufgeſtanden. Sie legte ihre Hände auf Adams Schultern, barg das Geſicht an ſeiner Bruſt und weinte leiſe in ſich hinein.

Ich habe ja nur Dich noch auf der ganzen weiten Welt, Adam habe Mitleid mit mir! bat ſie mit thränenerſtickter Stimme.

Adam drückte ſein Weib zärtlich an ſich.

Und nun ſaßen ſie wieder beiſammen auf der ſchreiend rothen Damaſt-Cauſeuſe.

Adam nippte an ſeiner Cigarette, Hedwig trank313 ab und zu einen Schluck kalten Kaffees und führte ein butterbeſtrichenes Semmeleckchen zum Munde. Sie ſprachen wenig zu einander. Das war keine beſonders behagliche Frühſtücksſtimmung. Ob Hedwig wohl viel Talent dafür beſaß, die ſehende, ſorgende Haus - frau zu ſpielen? Sie ſchien nur immer noch über das Eine, das Schickſal ihres Vaters, nachzugrübeln. Daß Adam vor einer etwaigen Piſtolenmenſur ſtand, durch welche, wenn ſie vor ſich ging, ihr Verhältniß zu ihm eine andere, unter Umſtänden ihr keineswegs günſtige Wendung erhalten konnte, das hatte ſie augenſcheinlich ganz vergeſſen. Oder erachtete ſie es unter ihrer Würde, auch in dieſer Beziehung eine Bitte für ſich bei Adam einzulegen, nachdem ſchon ... Emmy für ſie gebeten hatte? ..

Es lag ein überaus discreter, nur ſcheu ange - deuteter Moſchusduft im Zimmer .. eine liebe Hinter - laſſenſchaft Emmys. Dazu das brenzlichte Parfüm der Cigarette. Adam hatte allerlei kleine, dumme, träge, ſaugrüſſlige ... überflüſſige Gedanken ...

Es war ſchon über elf Uhr.

Nun könnte ſich der edle Trovatore eigentlich mel - den! bemerkte Adam verdrießlich. Er hatte ſich eben das Geſpräch, das er mit Herrn Doctor Irmer zu führen ge - dachte, in den Hauptpunkten zurechtgelegt .. und hätte es am Liebſten ſofort vom Stapel gelaſſen. Das Memo - riren und Rekapituliren war ſo beunruhigend und pein - lich. Nur neue Bedenken und Möglichkeiten gebar es, wel - che das Motiv immer wieder beeinflußten und verſchoben.

Da ſchlug die elektriſche Klingel an.

314

Iſt Herr Doctor Menſch zu ſprechen ? hörte Adam eine rauhe, belegt-fettige, wie verbogene Stimme fragen.

Das Mädchen gab Beſcheid. Es klopfte an die Stubenthür.

Hedwig zuckte zuſammen. Vielleicht eine Nachricht von ihrem Vater ? .. eine Anfrage von ihm bei Adam, ob ? ..

Herein !

Ein Herr trat in's Zimmer. Herr Doctor Menſch ?

Ja! Und darf ich fragen Adam hatte ſich erhoben.

Mein Name iſt von Schnauzl. Habe die Ehre, von Herrn von Bodenburg Herr von Schnauzl ſtockte. Er warf einen fragenden Blick auf Hedwig, die ihn mit ängſtlicher Spannung, zu - gleich äußerſt verlegen und genirt, anſah.

Adam fand den Zuſammenhang.

Sei ſo gut, mein Lieb, und laß uns einen Augen - blick allein

Hedwig entfernte ſich.

Nun ? fragte Adam, einen Ton beleidigen - der Abweiſung und Ungeduld in der Stimme.

Herr von Bodenburg

Wollen Sie ſich nicht ſetzen, Herr von ... von

Von Schnauzl! Danke verbindlichſt!

Herr von Schnauzl geruhte, mit ſteifer Nach - läſſigkeit ein Fleckchen Cauſeuſe für ſeine dreidimen - ſionale Leiblichkeit in Anſpruch zu nehmen.

315

Alſo fühlt ſich Herr von Bodenburg wirklich be - leidigt? Aber mein Gott! wodurch denn nur ?

Herr von Bodenburg, mein verehrter, langjähriger Freund wir waren Kompennäler und ſpäter zu - ſammen aktiv in Göttingen

So ?

Ja! verſicherte Herr von Schnauzl mit un - willkürlicher Treuherzigkeit .. und fuhr dann fort: Herr von Bodenburg war alſo vorhin bei mir und erſuchte mich, Ihnen eine Piſtolenforderung ... für den Fall, daß Sie nicht revociren und depreciren natürlich in Gegenwart der bei der betreffenden Scene betheiligt geweſenen Perſonen alſo vor Allem in Gegenwart der Dame, mit welcher mein Freund

Ah! In Gegenwart meiner Emmy ?

Adam war doch unverbeſſerlich. War das nun Abſicht geweſen oder hatte er wirklich ganz vergeſſen, daß ſich Hedwig im Nebenzimmer befand und ſicher auf jedes Wort, das hier geſprochen wurde, auf - merkſam hörte? Aber ... ſchlimmſten Falls ... wenn es ſich vor ihr nicht anders drehen und wenden ließ: ſchlimmſten Falls konnte er den faux pas als eine kleine, harmloſe Rache hinſtellen ganz bewußt beabſichtigt das war doch noch etwas pikant warum hatte ſie ſich denn heute ſo ganz und gar nur von der Sorge um ihren Vater erfüllen laſſen? und ihn ſo gut wie gar nicht berückſichtigt?.

Verzeihung! Ihrer Emmy, ſagen Sie ... hm! fragte Herr von Schnauzl verblüfft und pikirt zugleich.

316

Ja! Natürlich! Die Mätreſſe des Herrn Re - ferendars war vorher meine Mätreſſe iſt es quaſi eigentlich noch! Die Dame war vor einer Stunde bei mir ... Aber darf ich bitten, fortzufahren

Herr von Schnauzl war ein paar Finger breit aus dem Geleiſe gekommen. Da warfen ſich ihm einige Momente mir nichts dir nichts zwiſchen die Beine, auf die er ſchlechterdings nicht im Geringſten gerechnet hatte, als er ſich zur Erfüllung der ehrenvollen Miſſion, die ihm von Seiten ſeines verehrten Freundes aufge - ſchultert war, vorbereitet. Aber ſchließlich das war ja ſeine Sache nicht. Mochte die Dame doch er hatte nur die Forderung zu überbringen ... reſpektive den Sühneverſuch einzuleiten.

Doch ... das hat mit dem, was mir hier zu - nächſt obliegt, direkt nichts zu thun. Ich bin nur beauftragt, Ihnen, Herr Doctor

Von Revociren und Depreciren kann natürlich keine Rede ſein fiel Adam barſch ein. Die ganze Geſchichte langweilte ihn ſchon ganz gehörig. Was wollten denn nur in aller Welt dieſe Idioten von ihm ?

Ja dann

Verzeihen Sie, Herr .. Herr von Schnäuzl pardon! Schnauzl durch welches Wort hm! welchen Ausdruck, welche Geſprächswendung fühlt ſich denn eigentlich Ihr Herr Mandant beleidigt ?

Sie haben, wie mir Herr von Bodenburg mit - theilte

Darf ich Ihnen eine Cigarette anbieten ?

317

Danke verbindlichſt! Aber verzeihen Sie ich muß doch bemerken, Herr Doctor

Ja ?

Daß Sie den Ernſt der Stunde ein Wenig zu unterſchätzen ſcheinen

Meinen Sie? Ach nee! Doch offengeſagt : ich finde die ganze Geſchichte dämoniſch kleinlich, albern, überflüſſig, trivial .. und vor Allem empörend lang - weilig .. Geſtatten Sie übrigens, daß ich mir ein Exemplar meiner Virginia zu Gemüthe ziehe. Hoffent - lich finden Sie nicht, daß unſer ehrenwerther, blut - rother Piſtolenſpeech durch ein paar blaue Rauch - wolken entweiht wird ich meine im Gegentheil: derartige Akte dürfen des Weihrauchs nicht ent - behren ſie möchten ſonſt zu nüchtern und zu ſchamlos nackt ſein

Herr von Schnauzl war etwas unruhig geworden. Er wußte nicht recht, wie er dieſen Herrn Doctor nehmen ſollte .. Sollte er ſich durch dieſe Art der Geſprächs - führung auch beleidigt fühlen und .. und die ganze Verhandlung abbrechen? Grund genug dazu hatte er ſchließlich erhalten durch die höhniſch-moquante Art, mit welcher der Gegner ſeines Freundes ſich aufſpielte. Aber er hatte ja noch nicht einmal die Forderung ſelbſt normirt und darum

Adam hatte ſich in den Seſſel geworfen, der vor ſeinem Cylinder-Bureau ſtand, und betrachtete ſein ſchräges Gegenüber.

Herr von Schnauzl machte ihm durchaus keinen ſympathiſchen Eindruck. Das ganze Weſen dieſes318 würdigen Jünglings athmete eine gewiſſe Freude darüber, daß er auf der Welt war .. und daß dieſe Welt nun gezwungen wurde, ihn ernſt zu nehmen .. Von der Wichtigkeit ſeiner momentanen Miſſion ſchien der mittelgroße, wie durch eine unnatürliche Gliederver - kürzung corpulent gewordene Herr ganz außerordent - lich durchdrungen zu ſein. Sein volles, möhrenrothes Geſicht hatte etwas Verſchobenes, Zuſammengedrücktes, gleichſam verſetzt Aſthmatiſches, zugleich etwas un - beholfen Böckiſches, ſchnaufend Einhackendes, das emi - nent komiſch wirkte. Auf beiden Seiten der prachtvoll gewölbten Naſenkuppel zogen ſich abwärts zu dem ge - wöhnlich breiten Munde zwei markante Falten, wie Pfützenrinnſale in Miniatur-Ausgabe. Das Kinn war ungefüg und ſchwulſtig, die Stirn ſchmal und niedrig, hökrig, mit Hitzblüthen betupft, die Ohren auffallend klein, das kurze, röthlich blonde Haar ſo elegant und peinlich correkt friſirt, wie es bei ſeiner verſchüchterten Spärlichkeit nur irgend möglich war. Hm! Idealiſir - ter Bierhuhn-Stil.

Herr von Bodenburg fühlt ſich durch eine Aeuße - rung Ihrerſeits, die Sie zwar nicht direkt an ihn gerichtet haben, die er aber dem ganzen Zuſammen - hange nach auf ſich beziehen mußte alſo dadurch, daß Sie von dem Erſten Beſten‘, ſprachen, in deſſen Arme‘ ich glaube, ſo drückten Sie ſich aus

Ach ja! Ich erinnere mich ... Nun, ich weiß ſchon alſo wie geſagt : auf eine weitere, revoci - rende Erklärung laſſe ich mich nicht ein. Des Kurioſums halber: Herrn von Bodenburgs Forderung ?

319

Adam war ungeduldig geworden und aufge - ſprungen. Er hatte die Komödie mit dieſem dummen Jungen ſatt. Lächerlich! Im Nebenzimmer hörte er Hedwig haſtig, aufgeregt hin - und hergehen. Die Erwartung der Entſcheidung ihres Schickſals ſchien ſie mit immer wachſender nervöſer Unruhe zu er - füllen, je länger ſich dieſe Entſcheidung hinausſchob. In der nächſten halben Stunde ſtand er vor ihrem Vater und hatte mit dieſem eine ungleich ernſtere und wichtigere Auseinanderſetzung zu beſtehen. Was gingen ihn da dieſe Krautjunker an, die nichts An - deres zu thun zu haben ſchienen, als ſich in das er - bärmlichſte Zeug von der Welt, in den conventionellſten Phraſenſchnickſchnack feſtzubeißen? Eine Unver - ſchämtheit, ihr lächerliches Nichts hier vor ihm zu einer Haupt - und Staatsaktion aufzublähen!

Die Forderung Herrn von Bodenburgs: alſo auf Piſtolen fünfzehn Schritt Diſtance zwei - maliger Kugelwechſel mit Zielen

So? Danke ſehr! Im Uebrigen alſo theilen Sie Herrn von Bodenburg nur gefälligſt mit, daß ich ſeine Forderung nicht annehme

Nicht ?

Nein !

Und darf ich fragen, aus welchem Grunde ?

Aus welchem Grunde? Hören Sie 'mal, lieber Herr : ich wäre wohl kaum verpflichtet, Ihnen meine Gründe auseinanderzuſetzen. Es würde uns auch zu lange aufhalten, bin preſſirt. Ich ſage Ihnen nur, daß ich durchaus kein prinzipieller Gegner des Duells,320 ſpeciell der Piſtolenmenſur, bin durchaus nicht! Aber ich halte zunächſt Herrn von Bodenburg in keiner Weiſe für den Menſchen, der würdig wäre, daß ich ihm mit der Waffe in der Hand gegenüberträte

Ich muß doch bitten Herr Doctor! Ich bin hier ſein Vertreter .. gleichſam in dieſer Angelegen - heit mit ihm identiſch und ich würde nun doch endlich gezwungen ſein mich ſelber als beleidigt zu betrachten, wenn

Das ſollte mir leid thun, Herr von ... Schnauzl ich würde es aber nicht ändern können. Uebrigens wenn Sie mit Ihrem Mandanten identiſch ſind warum kommt er denn da nicht ſelber zu mir? Wäre er vorhin anſtatt zu Ihnen zu mir gegangen, hätte er na! da hätte er eben unſere liebe Emmy, den kleinen, reizenden Zankapfel, bei mir antreffen können. Wir hätten dann jedenfalls ſehr bald Frieden geſchloſſen. Frauen entzweien zwar leicht und wohl in gewiſſen Fällen auch nicht gerade ungern haben aber doch auch wieder einen rieſigen Verſöhnungstic .. Die Emmy war ganz außer ſich vor Aufregung ... Nun und dann

Ja! Ihre weiteren Gründe ?

Ich laſſe mich nur mit verzeihen Sie! nur mit Meinesgleichen ein Herrn von Bodenburg aber für Einen Meinesgleichen zu halten ja! es ſträubt ſich Etwas in mir da - gegen ich glaube übrigens wirklich ich kann's mir wenigſtens nicht anders erklären Sie werden wohl beſſer orientirt ſein kennen ihn ja näher321 nicht? Ihr Herr Mandant kränkelt auch 'n Biſſel am modernen Größenwahn ? Sich mit mir na! hören wir damit auf nix für ungut, Herr von Schnauzl ja! alſo und dann .. dann ſchlage ich mich noch, wenn ich die Ueber - zeugung habe, daß ich für etwas Prinzipielles eintrete ... eintreten muß. Kindiſche Lappalien indeſſen

Sie lehnen die Forderung alſo definitiv ab ?

Ja! Außerdem giebt es noch einen Fall

So wollen Sie mir wenigſtens beſtätigen, daß ich Ihnen die Forderung Herrn von Bodenburgs überbracht habe

Mit Vergnügen! Wünſchen Sie eine ſchriftliche Erklärung ?

Nein! Ich danke. Die mündliche Décharge genügt mir .. Ich empfehle mich! Adieu!

Ich habe die Ehre! Adieu!

Adam trat zu Hedwig in's Schlafzimmer.

Und nun will ich mich fertig machen und zu Deinem Vater gehen, mein Lieb. Verzeih die Verzögerung die dumme Geſchichte ließ ſich aber nicht fixer abwickeln. Mein Gott! Was habe ich ſeit geſtern Abend bis heute Mittag nicht ſchon für Scenen erlebt! Das geht auf keine Bärenhaut. Und eine immer ſchöner als die andere! Na! Nächſtens werde ich meine Memoiren ſchreiben. 'S wird Zeit. Aber der Hauptcoup kommt noch. Hm! Doch auch dieſer Kelch wird ſich wohl noch austrinken laſſen. Himmel, haſt du keine Flinte! Mir iſt dochConradi, Adam Menſch. 21322immer noch nicht wohler. Dieſe dummen, ſtechenden Hitzeſchauer! Die Luders ſpringen an Einem auf und ab, als wäre man 'ne Kletterſtange. Wie ge - fiel Dir übrigens der Herr von Schnauzl? Eine unglaubliche Leineweberſeele! Nee! So'n Trauer - weiderich! Eh bien! Unſer'm Herrgott darf als Gene - rallandwirth auch der zweibeinige Viehbeſtand nicht fehlen ... Es wird Einem manchmal wirklich zu ſchwer gemacht, nach Buddha's Recept Mitleid mit allem Erſchaffenen zu haben

Und habe Nachſicht mit meinem armen, alten Vater, Adam! Er wird ſehr unglücklich ſein ... Ach! Das hätte ich ihm doch nicht anthun ſollen ... Wenn Du ihn nur noch wenn er nur noch o Gott! der Gedanke könnte mich wahnſinnig machen, daß und dieſe Angſt dieſe furchtbare Angſt ! Und bitte für mich bei ihm, Adam !

Für Dich? Für uns, Hedwig! Am Meiſten aber für mich. Denn ich habe ihm ſein Kind ge - nommen. Und nun leb 'wohl, mein Lieb! Wo hab' ich nur meine Handſchuhe? Du kannſt unter - deſſen ganz ruhig hier bleiben Du biſt ganz ungenirt. Nimm Dir 'n Buch vor und ließ' n Biſſel! Da Daudets Tartarin! Der drollige Kerl wird Dich aufheitern. Ich komme ſofort zu Dir zu - rück. Es wird ſich ſchon Alles ordnen laſſen. Adieu !

Adieu, Adam! Und und

Die Beiden küßten ſich. Hedwig wandte ſich laut aufſchluchzend ab.

323

Adam ging langſam die Treppen hinunter. Das Gehen wurde ihm ſchwer. Er fühlte ſich doch noch recht unbehaglich, ſo unruhig, ſchwül, wie charpie - zerzupft. Wie ein Träumender ging er langſam durch das Leben der Straße. Er konnte ſich nicht in das Treiben der Dinge um ihn herum hinein - fühlen. Alles gurgelte hohl und dumpf an ihm vorüber, huſchte und flirrte wie Schatten an ihm vorbei. Eine dicke, unerklärliche, nur matt transparente Schicht trennte ihn von Allem, was ihn umgab .. eine Schicht, die er faſt phyſio - logiſch als eine ſchwankende, gallertartige, milchweiße Subſtanz wahrnahm. Er war ganz auf ſich ange - wieſen, auf ſich zurückgedrängt, in ſich hineingeſchoben. Das Alles, was da vor ihm, neben ihm, hinter ihm geſchah, hatte keine Beziehungen zu ihm, ging ihn nichts an, das Alles verſtand er nicht. Und nach einer halben Stunde ging er wiederum ſehr[lang - ſam] die Treppe zu Irmers Wohnung hinauf. In ſeinen Schläfen ſtach und zerrte es heftig. Nun ſtand er ſchwer athmend oben und hatte das blanke, meſſinggelbe Namensſchild vor ſich und daneben den kleinen, weißen, flachausgehöhlten Porzellanknopf der elektriſchen Klingel. Pfui! Wie der Kerl mit ſeiner ein - gedrückten Glatze grinſte! Adam ſtand vor der Entſchei - dung. Er horchte einen Augenblick geſpannt, ob er hin - ter dieſer Thür verdächtige, auffällige Geräuſchzeichen wahrnähme. Es war Alles todtenſtill. Das ſtimmte ihn noch ernſter, ſchwerer, machte ihn noch muthloſer, erfüllte ihn mit bangen Ahnungen, Erwartungen,21*324quälenden Vermuthungen, ſteigerte ſeine Unruhe und Aufregung. Endlich raffte er ſich auf und drückte mit forzirter Heftigkeit auf dieſen ekelhaften, kleinen, weißen, flachausgehöhlten Porzellanknopf. Scharf und ſchnei - dend, wie unerbittlich, ſchlug die Glocke an. Adam zuckte zuſammen. Dort die Treppenſtufen, welche er noch, indem er ſich die peinliche Rechtfertigung erſparte, vor einer halben Minute hätte unbehelligt zurück - gehen dürfen dieſe dummen, lächerlich ſelbſtver - ſtändlichen und neutralen Treppenſtufen waren ihm jetzt ein verbotenes Reich, das verboten blieb, ſo heiß er es auch erſehnte ... Er dachte daran, wie er ſich heute Nacht an der Seite Hedwigs an dieſem Geländer hinuntergetaſtet. Da waren ſie dem Leben, der Freiheit, dem Genuß entgegengegangen. Und nun ſtand er hier und ſtellte ſich zur Abrechnung mit dem Vater, dem er ſein Kind genommen. Aber jetzt wurde eine Thür zugeſchlagen Schritte ſchlürf - ten heran die innere Thürklinke ging nieder

[325]

XV.

Und die Thür that ſich auf.

Herr Doctor Irmer zu ſprechen? fragte Adam das Mädchen mit halblauter, ſtolpernder Stimme.

Das Gefühl beherrſchte ihn ganz, daß er im nächſten Augenblicke vor ſeinem Richter ſtehen würde. Es war ſo altfränkiſch, dieſes anklagende, beängſtigende Gefühl, Adam empörte ſich auch ganz gewaltig gegen das Rudiment aus ſeinen Kindertagen, wie er es affektirt geringſchätzig nannte, aber es war doch da, war doch in ihm, es ließ ſich weder durch einen brutalen Gewaltakt des Willens noch durch ein logiſches Rai - ſonnement hinwegdisputiren. Adam hatte alles Selbſtbewußtſein, alle Ueberlegenheit verloren. Er abſtrahirte allerdings aus der Erinnerung, daß er ſeine ganze Sicherheit wiedergewinnen würde, ſobald er erſt mitten im Feuer ſtände und es zu ſtarken In - dividualitätsreibungen gekommen wäre er hatte dieſe ſeeliſche Erſcheinung ſo oft ſchon an ſich er - lebt. Nur das Unklare, Ungewiſſe erregte ihn, wühlte ihn ſo auf, machte ihn ſo ängſtlich und furchtſam. Seine Phantaſie trieb Alles auf, zog ſogleich die letzten Schlußfolgerungen, zeigte Alles von der un -326 erträglichſten Seite, malte Schwarz in Schwarz. Adam hatte auf dem Boden ſeiner Natur ſehr bedeutende Neigungen für ein beſchauliches Künſtlerleben. Aber früh war er in allerlei Mißverhältniſſe gerathen, die ſeinen anfangs ziemlich ſchwachen, nachher immer - mehr gewachſenen Widerſpruch herausgefordert. Wenn es irgend anging, lebte er mit der Welt am Liebſten in Frieden, das heißt: hielt er ſich dieſe feudale Welt zehn Schritt vom Leibe : um damit den er - forderlichen, günſtigen Beobachtungsſtandpunkt zu ge - winnen, wie er ſich mit liebenswürdiger Schalkhaftig - keit vorlog. Aber zugleich war doch in ſeine Natur ein heftiger, fahriger, unruhiger, widerſpruchsſüchtiger, bekehrungswüthiger Zug gekommen, der ihn immer wieder mitten in die Dinge hineinriß .. und mit der Zeit ſeiner ganzen Perſönlichkeit immermehr et - was Herausforderndes, abweiſend Kritiſches, Aetzen - des gegeben hatte. Ein gewiſſer Leichtſinn, deſſen Keim Adam jedenfalls von ſeinem Vater ererbt; eine behende Sorgloſigkeit ermöglichten es ihm dann öfter, eine Weile ſeelenvergnügt in Verhältniſſen aus - zuhalten, die ſehr unerquicklich und peinlich werden mußten, wenn ſie ſich zuſpitzten. Adam war ſich dieſes unangenehmen Endes auch klar bewußt. Seine Phantaſie war ja ſehr werkluſtig und übertreibungs - kundig, ſehr ausmalungsbefliſſen. Aber er hielt es nicht der Mühe für werth, Verſuche zu machen, um jenes unangenehme Ende abzuwenden oder, war das nicht möglich, wenigſtens abzuſchwächen. Er war nicht einmal im Stande, ſich auf widerwärtige fünfte327 Akte vorzubereiten, wenn ſie durchaus unvermeidlich waren. Er ließ ſie, öfter beinahe etwas wie Neu - gier und Geſpanntheit in der Seele, getroſt an ſich herankommen. Dann fiel er ihnen zunächſt zum Opfer, indem er, unmittelbar vor ihnen ſtehend, heftig zu - rückſchrak. Schließlich wurde er mitten in einen ſolchen fünften Akt hineingeſchoben ... und machte ſich's mit der Zeit ganz bequem darin. Alle Wider - ſtandskräfte wurden in ihm ausgelöſt, er hatte ſich allenthalben zu verantworten, zu vertheidigen, er mußte erklären und aufklären und that das im vollen Bewußtſein ſeiner geiſtigen Fülle, Kraft und Ueberlegenheit. Er ſah ja immer tiefer und ſchärfer, fühlte ſtärker und klarer, als alle die Kreaturen, die es für ihre Pflicht hielten, ſich mit breitſpuriger Wichtigthuerei an ihm abzuwurſteln. Er lachte auf die Zwerge herab, mußte ſich aber ihren läppiſchen Reſultaten fügen .. ſo oft fügen ... wenn er eben auch die äußere Möglichkeit behalten wollte, ab und zu den Rieſen zu ſpielen.

Nun ſtand Adam wieder einmal, in gewiſſer Hinſicht ein unſicherer Kantoniſt , vor einer Ent - ſcheidung. Sie war ihm überaus läſtig und unbe - quem. Er bebte vor ihr zurück. Wer konnte wiſſen, welche Folgen dieſe Auseinanderſetzung mit Hedwigs Vater für ihn haben würde! Wenn Alles ſehr mißlich für ihn ablief zu verwundern war's nicht. Gar nicht. Wenn er nur vorher wüßte, ob Irmer ihm recht aufgebracht entgegentreten würde! Ge - ſchähe das nun! dann würde er ſchon zu ant -328 worten wiſſen. Exploſionen liebte Adam. Sie er - leichtern ſo .. und bleiben in der Regel ſo hübſch in der ungefährlicheren Peripherie .. machen ſo oft den Kern einer Sache einer Schuld , die geſühnt; einer Sünde , die gerächt werden ſoll ganz ver - geſſen. Exploſionen ſind ſehr praktiſch.

Ich weiß nicht, ob der Herr Doctor begann das Mädchen zögernd, beklommen. Adam bemerkte unwillkürlich, daß ſein Gegenüber recht bekümmert, wie ſtarkverweint um die Augen herum, ausſah. Es hatte ſo gar keine deutlicheren Farben im Geſicht.

Iſt er ſehr leidend ? Dann könnte ich ja wenn auch es wäre mir doch wichtig

Ja! Der Herr Doctor iſt ſehr leidend er liegt zu Bett er hat ſich wieder hinlegen müſſen aber Sie kommen gewiß von wegen unſeres Freileins

Ja! Ja! Nun machen Sie doch! Führen Sie mich an ſein Bett oder Hedwig wartet

Hed ... Mein Gott! Dann kommen Sie nur! Aber ich wills doch lieber dem Herrn Doctor erſt ſagen bitte treten Sie ſo lange ein

Und nun ſtand Adam wieder in dem Zimmer, in welchem er geſtern Abend ſo Vieles erlebt hatte, was für ihn bedeutſam und entſcheidend ge - worden war.

Dort an dem Fenſter nein! es war doch ei - gentlich zu närriſch! dort hatte er ſich ſeine .. ſeine Braut erobert. Es hatte ihn Mühe genug gekoſtet. Nun! Er hatte ja ſeinen Lohn dahin. 329Er hatte erreicht, was er halb bewußt, halb unbe - wußt gewollt hatte.

Aber nein! Das konnte ſich ja unmöglich Alles ſo ereignet haben, wie er da glaubte das wäre ja der pure, blanke Wahnſinn geweſen !

Quatſch! Seine Phantaſie war wieder einmal mit ihm durchgegangen. Sie hatte doch ſonderbare Paſſionen, dieſe merkwürdige Phantaſie! Manchmal wurde ſie ganz unheimlich. Dieſe Vexierſpiele ſtreiften ſchon an .... an natürlich an Ver - rücktheit ...

Adam ſtrich ſich mit der Hand über Augen und Stirn. Und doch aber nein! nein! Und noch zehntauſendmal nein! Er wartete ja auf das gnädige Fräulein, dem er einen conventionellen Beſuch .. eine ganz formelle, gleichgültige Viſite machen wollte na! die Prinzeſſin ließ ein Wenig lange auf ſich auf ſich .. warten nun könnte ſie doch eigentlich .. nun könnte ſie doch eigentlich kommen! Was dachte ſie ſich denn? Er ſtahl doch wahrhaftig ſeine Zeit nicht

Adam fühlte ſich arg beleidigt. Er wollte es ihr ſchon zu verſtehen geben, dieſer

Da öffnete ſich die Thür und Doctor Irmer trat ins Zimmer, langſam, ganz langſam. Es machte ihm ſichtbar Mühe, die Thür hinter ſich nachzuziehen.

Adam ſtarrte den Eintretenden wie eine räthſel - hafte, ganz unerklärliche Erſcheinung an. Was war denn das? Nun ſollte er ſich auf einmal zwiſchen330 Traum und Leben entſcheiden. Was ſollte er denn für Leben, was für Traum halten?

Unwillkürlich paßte Adam Auge und Intellekt mehr und mehr dem Phänomen, das er da vor ſich ſah, an. Ob es nun Täuſchung, ob es Wahr - heit war er kam ſchließlich doch ſo weit, daß er ſo ziemlich unverworren mit der Thatſache, die ſich ihm grell aufdrängte, die er ſich aber doch noch nicht ganz zu eigen machen konnte, rechnete[.]

Irmer hielt ſich den um ihn herumſchlotternden Schlafrock in der Bauchgegend mit der linken Hand zuſammen. Die ganze Geſtalt war geknickt, gebrochen, überaus hülflos. Der Kopf hing auf die Bruſt herab, wie von der Klammer eines unwiderſtehlichen Zwanges heruntergepreßt. Das Geſicht war bleich und welk, ſeine Furchen und Falten traten er - ſchreckend ſcharf hervor. Das ſpärliche, mehr waſſer - farbene als graublonde Haar ſtand in ungeordneten Büſcheln auf dem Scheitel herum. Dazu müde, todte Augen und rothentzündete Lider.

Herr Doctor begann Adam leiſe, ſtockend, ganz rathlos .. und trat einen Schritt zur Seite.

Irmer nickte nur ſchwer mit dem Kopfe, ein Nicken wie das eines Blödſinnigen, der nicht wußte, was man von ihm wollte. Der ſchwerleidende Mann ſchlich quer durch das Zimmer nach der Ecke hin, wo ſein Schreibtiſch ſtand. Langſam ließ er ſich in ſeinen breiten, wackeligen Seſſel fallen.

Sie kommen knüpfte er mit ſeiner müden,331 amorphen, hökrig-verſchleierten Windſtimme an, nach - dem er einige Male ſchwer, pfeifend geathmet hatte

Ich komme, Herr Doctor, um Ihnen Nachricht von Ihrer Tochter zu bringen Hedwig iſt bei mir

Iſt bei Ihnen ſo! So !

Ja! Und nun verzeihen Sie uns, Herr Doctor mir und meiner Braut

Ihrer Braut! Hm! Ja! Ja! Mein armes Kind

Herr Doctor !

Adam athmete wie von einem ſchweren Drucke befreit auf. Gott ſei Dank! Nun ſchien es doch zum offenen Kampfe kommen zu wollen. Da er - hielt er ja unter Umſtänden Gelegenheit, ſeine ganze Dialektik zu entfalten. Nur ſich nicht ſo wehrlos von halb verſchwiegenen, halb angedeuteten Vorwürfen, von Anklagen, die tropfenweiſe durchſickern, mar - tern laſſen müſſen

Mein armes Kind! Sie haben es mir ge - nommen

Ja! Ich weiß es. Und ich nehme auch alle Schuld auf mich. Ich werde zu ſühnen verſuchen, was ich verbrochen habe wenn das, was ich gethan, wirklich ein Verbrechen war

Adam war trotzig geworden. Das ſchleppte ſich ſo langſam hin. Die Flamme fraß ſich ſo wider - ſtrebenden Zahnes, wie ſtörriſch-gelangweilt, unter der Oberfläche fort. Das war alles ſo neblig, ſo ſchleimig. Er mußte ſeinen Gegner durch eine Kühnheit, ja! durch eine Unverſchämtheit herausfordern, wenn332 Schwung und Stil in dieſe vage Abrechnung kommen ſollte.

Irmer hob ſeine linke Hand, die ſchielend und unbe - ſtimmt auf dem Schreibtiſche gelegen, ſchwerfällig in die Höhe und ließ ſie ſchnell wieder niederfallen, als beſäße er keine Macht mehr über Muskel und Gelenk. Dazu ſchüttelte er ein Wenig den Kopf, ſagte aber weiter Nichts.

's ſcheint Ihnen nichts daran zu liegen, Herr Doctor, daß wir uns näher ausſprechen nahm Adam wieder das Wort, einen hochfahrenden Ton in der Stimme. Ich hatte allerdings erwartet, daß nun! vielleicht iſt es beſſer, wenn wir ein - fach mit der vorliegenden Thatſache rechnen. Ich bin auch damit zufrieden. Die Frage iſt jetzt alſo die, ob Sie geſtatten, daß Hedwig ſo lange zu Ihnen zurückkehrt, bis ich in der Lage bin, ſie als mein eheliches Weib .. alſo .. meinetwegen : heimzu - führen ... Das kann noch eine Weile dauern darüber können noch einige Monate hingehen ich muß mir erſt eine Situation ſchaffen, die mir erlaubt

Mein Kind! Mein Kind! Meine einzige Hoffnung meinen einzigen Halt nehmen Sie mir, Herr Doctor .. haben Sie mir genommen .. was ſoll ich nun noch hier? Es iſt ja Alles für mich vorbei Alles werthlos geworden. Blut und Jugend ſind ſtärker geweſen, als alle meine Ein - flüſſe .. als alle Erfahrungen und Erkenntniſſe, die ich Hedwig einzuflößen geſucht, durch die ich ſie333 mit der Zeit immermehr gefeit glaubte. Ich habe ja doppelt .. Doppeltes verloren. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. In dieſer langen, ſchlafloſen Leidensnacht, die ich hinter mir habe möge Ihnen das Schickſal ſolche Nächte erſparen, Herr Doctor! in dieſer Nacht iſt mir auch wieder ſo Manches eingefallen, was Sie geſtern Abend in unſerem Geſpräche geäußert .. da iſt mir erſt klar geworden, wie Sie Verſchiedenes eigentlich gemeint haben. Vieles wird ſo verſtändlicher. Was zwiſchen Ihnen und meinem armen Kinde ſonſt noch vor - gefallen iſt das mögen Sie vor ſich ſelber ver - antworten .. beide .. gegenſeitig. Ich will wenigſtens verſuchen, Herr Doctor, Ihnen zu vertrauen. Man urtheilt ja immer nur aus der Enge beſtimmter, vorliegender Verhältniſſe heraus. Wenn Hedwig von mir gehen will und ſie hats ja bewieſen, daß ſie 's kann ich muß mein Kind ziehen laſſen ich habe nicht das Recht zu verlangen, daß es bei einer Ruine, die man nur ſtudiren, aber nicht anbeten ſoll, wie Sie geſtern Abend ſagten, Herr Doctor daß es da noch mehr ver - kümmern ſoll, als es vielleicht ſchon iſt. Ich bin heute Nacht, als ich .. beim Ausbruch des Ge - witters .. nach meiner Tochter rief und ſie nicht kam und ich dann entdecken mußte, daß ſie mich verlaſſen hatte nachher dann da habe ich da kamen dann Stunden, wo ich um Vieles wieder menſchlicher geworden bin, wenn ich ſo ſagen darf ... Auch mein Troſt in der334 Philoſophie meine Gewißheit, durch philoſophiſches Denken und Anſchauen erlöſt zu ſein, die Phänomene des Lebens überwunden zu haben, war wohl ein ſchwerer Irrthum, eine furchtbare Illuſion, eine grau - ſame Selbſttäuſchung .. Es iſt ja Alles nur Nervenan - lage. Bion Seneka Spinoza ſie forderten nichts Unnatürliches von ihrem Organismus, wenn ſie entſagen wollten .. ſie waren darauf geſtimmt. Wir Modernen ſind Stümper, Materialiſten, Epikureer .. und wir bleiben es, mögen wir uns nun drehen und wenden, wie wir wollen. Wenn wir in ſpäterem Alter auf Dieſes und Jenes ver - zichten, ſo ſind wir eben zu ſtumpf geworden, um es noch begehren zu können. Das hat Alles ſeine natürlichen, pſychophyſiologiſchen Gründe. Nun ich mein Kind verloren habe, bin ich ganz wehrlos ge - worden für's Leben. Und wenn Hedwig auch wieder zu mir zurückkehrte ich habe doch das Gefühl eines ungeheueren Riſſes, der durch unſer Verhältniß gegangen iſt und der nicht zu heilen wäre. Um gegen Sie aufſtehen zu können, Herr Doctor .. um Ihnen leidenſchaftlich zürnen mit Ihnen um mein verlorenes Kind kämpfen zu können dazu bin ich zu müde und ſchwach geworden. Es iſt nichts mehr mit mir. Ich habe keine Kraft mehr in Leib und Seele höchſtens noch ſo viel, um dieſem Jammer ein ſchnelles Ende machen zu können. Und ſo weit bin ich heruntergekommen, daß ich es nicht einmal mehr aus Liebe zum Tode, ſondern nur aus Furcht vor dem Leben thun würde. 335Das ſchmerzt auch. Noch ein anderer Grund kommt hinzu. Da ein Brief ich ſoll aber das verliert ja dann auch ſeine Berechtigung, wenn es iſt ganz gut, Herr Doctor, daß Sie ſich Hedwigs annehmen ... Sie mögen ſehen, wie Sie beide zuſammen mit dem Leben fertig werden ...

Irmer brach ab. Er hatte die letzten Sätze mit faſt ganz unverſtändlich gewordener Stimme geſprochen, nur noch mühſam aus ſich herausſickern laſſen. Adam hatte mit aller Macht aufmerken müſſen, um ſeinen .. Schwiegervater auch nur einigermaßen zu verſtehen. Er war[nun] doch ſo etwas wie erſchüttert und ergriffen. Zugleich aber auch ſkandalös verſtimmt. Hm! Hatte er denn nicht, allerdings nur ganz im Stillen gehofft, daß es zu einem regelrechten Kampfe um Hedwig zwiſchen dieſem Manne da und ihm kommen würde? Und hatte er nicht die .. die teufliſche Abſicht gehabt, in dieſem Kampfe freiwillig zu unterliegen? Ja! Gewiß! Dieſe Abſicht wäre teufliſch geweſen und ruchlos warum auch nicht? wenn er ſie verwirklicht hätte. Aber er hätte ſich in ſeiner ſehr gefährlichen Situation kaum anders helfen können. Liebte er denn Hedwig? War ihr Beſitz denn eine Lebensfrage für ihn? Scheibenſchießen! Und nun war von einer ehrlichen Auseinanderſetzung keine Rede. Der Herr da verzichtete, er begnügte ſich mit einer Reihe ſentimentaler Lamentationen und wehmüthiger Betrach - tungen und Adam ſah ſich durch die Zuſammen - knotung der Verhältniſſe mit einem Male gezwungen, das Leben von einer Seite ernſt zu nehmen, mit336 der ſeine ſublim vibrende Natur bis dahin nur geſpielt; über die ſie nur geſpöttelt; die ſie nur ſehr aus der Ent - fernung herausgefordert hatte. Das war recht fatal. Aber andrerſeits war es doch unmöglich, daß er jetzt plötzlich zurückhakte, andere Saiten aufzog und ſeinem liebenswürdigen, willfährigen Schwiegerpapa in aus - führlicher Rede zu Gemüthe führte, daß es für beide Parteien wahrlich am Beſten wäre, wenn er auf die Ehre, eben ſein Schwiegerpapa zu werden, verzich - tete nicht? das war doch ganz unmöglich! Adam wurde dem alten, hülfloſen, gebrochenen Manne ernſt - lich gram. Er ſchalt ihn den ärgſten Egoiſten von der Welt. Denn wenn er nicht immer nur an ſich und ſeine eigenen Schmerzen dachte, mußte er doch einſehen, daß eine Ehe .. und ſelbſt nur eine auf längere Dauer gemünzte wilde Ehe .. zwiſchen ſeiner Tochter und dieſem unzuverläſſigen Weltkinde nach Allem, was dieſes Weltkind mit naiver Offenheit über ſich ausgeplaudert und verrathen hatte wenn nicht eine direkte Unmöglichkeit, ſo doch mindeſtens eine Ver - rücktheit erſter Güte ſein würde ... ein Stückchen unglaublich geſchickt inſcenirter Unnatur! Aber das begriff der Mann nicht .. und Adam beſaß nicht den Muth, es ihm klarzumachen. So blieb ihm vorläufig nichts weiter übrig, als in den ſauern Hering zu beißen, der ja eine ganz vortreffliche Katerſpeiſe abgeben ſoll. Aber vielleicht wollte und wußte das Schickſal doch noch eine andere Löſung dieſes pikanten Problems. Es galt ſich in Geduld zu faſſen .. und zunächſt in der Maske des be -337 ſchränkten Biedermanns weiterzutragiren. Aber zu - gleich verſpürte Adam trotzdem ein gewiſſes Mitleid mit dieſem Manne, dem er ſein Kind genommen hatte .. ein Mitleid, das ihm allerdings ſehr un - bequem war. Denn ob es ihm auch nur mit leichtem, loſem Geſchnür die Gelenke umhing es hemmte ihn doch, es deſtillirte ihm eine peinliche Unſicherheit ab, es nöthigte ihm eine tolpatſchige Arro - ganz auf und machte ſein Auftreten halb frei und hoch - fahrend-zwanglos, halb eckig, verlegen und beklommen.

So geſtatten Sie denn, Herr Doctor, daß Hedwig

Ja! Ja! Ich will mein Kind doch noch einmal wiederſehen, ehe

Es wird noch Alles gut werden verſuchte Adam lauen Herzens zu tröſten .. und fuhr dann lauter, beſtimmter fort: Und nun geben Sie mir die Hand und laſſen Sie mich die Ueberzeugung mitnehmen, daß Sie uns verziehen haben, Herr Doctor .. Und nehmen Sie in dieſem Sinne Ihr Kind, meine Braut .. unſere Hedwig auf Sie werden ſehen: wenn ich erſt der Dritte in Ihrem Bunde bin das wird ein neues, ſonniges Leben geben!. Und wenn Sie dann noch durchaus weiter - machen wollen in Ihrer Entſagungsphiloſophie nun! dann helfe ich Ihnen dabei nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen, Herr Doctor

Adam lächelte. Er war zu Irmer hingetreten und ſtreckte ihm, von heiß aufquellender Sympathie übermannt, ſeine beiden Hände zum AbſchiedsgrußeConradi, Adam Menſch. 22338entgegen. Langſam kam dieſer mit den mageren, knochigen Fingern ſeiner rechten Hand herbei: einen Augenblick lagen die Hände ineinander. Ein zahmer, fleiſchloſer Druck. Ueber Irmers dürre, furchige, rechte Backe lief flink wie ein Mäuslein eine kleine kugelrunde Thräne.

Adam ſagte ſich, daß er ſich nach dieſem unerquicklichen Speech wohl einen kleinen Abſchwiff zur Aufbeſſerung ſeiner Stimmung gönnen dürfte. Hedwig erwartete ihn zwar. Aber was verſchlug's! Ob ihr eine Viertelſtunde früher oder ſpäter das bitter - ſaure Chinin des Reſultats eingelöffelt wurde das war ſchließlich egal. Nein! Jetzt gleich die ganze Ge - ſchichte noch einmal von vorn bis hinten durchzukauen das konnte kein Menſch von ihm verlangen ... das war entſchieden grauſamer, als neben einem Laſtwagen hergehen müſſen, der mit ſchmunzelnder Behaglichkeit über holpriges Pflaſter durch eine ſtille Straße knarrt ..

Adam ſuchte abſichtlich die prallbrütende Mittags - ſonne auf. Ach! Dieſe Glut war ſo wohlthuend! So ganz, ſo maſſiv, ſo angenehm prickelnd und discret durchbratend dabei! Der Herr Doctor hatte ſein nervöſes Fröſteln immer noch nicht ganz überwunden.

Schließlich lief er in Café Cäſar ein. Er ließ ſich eine Flaſche Sodawaſſer und einen kleinen Cognac bringen und vertiefte ſich in das leckere Literaturgetändel des Gil Blas.

Und nun ſaß Adam wiederum auf der ſchreiend rothen Damaſtcauſeuſe neben ſeiner Hedwig und ſpielte mit den ſchlanken, weißen Fingern ihrer linken Hand.

339

Aber lange, Adam! hatte ihm Hedwig ſtockend und mit ängſtlich-vorwurfsvollem Blicke entgegenge - rufen, als er endlich zur Thür hereingetreten war.

Lange? Ach nee! Ich komme direkt von Papa

Und ? Ein gepreßtes Athmen. Sodann leiſe, beklommen: Und verzeiht er mir, Adam ?

Der warf ſeinen Hut auf den nächſten Stuhl und ſetzte ſich zu ſeiner Braut.

Natürlich, Kind! Und warum ſollte er auch nicht? Papa iſt vernünftig. Ich habe ihm erklärt, wie Alles gekommen iſt. Gott! Mir erſcheint die ganze Geſchichte heute immens harmlos. Was haben wir denn weiter verbrochen! Ein paar kleine .. nun! meinetwegen ein paar pikante Fakta, die man ſonſt erſt nach der Hochzeit zu erledigen pflegt die haben wir ſchon in die Ouvertüre verlegt. c'est tout! Dein Papa iſt Sprachphiloſoph genug, um das Weſen einer Prolepſis zu verſtehen

Ja!. Aber meinte Hedwig ängſtlich

Komm! forderte Adam auf. Ich will Dich hinbegleiten, Kind Du bleibſt noch eine kleine Weile bei Papa wir haben ſchon Alles geordnet nachher gründen wir uns ein eigenes Neſt nicht wahr? Ich werde ſchon einen tüchtigen Baumeiſter abgeben paß auf !

Hedwig ſenkte den Kopf. Adam ſtarrte ge - dankenabſeits vor ſich hin. Nun hob das Weib das Geſicht zu ſeinem Geliebten auf .. und viel Hingebung, Sanftmuth, natürliche Unterordnung,22*340guter Wille und viel zärtliches Flehen lag jetzt in den Zügen dieſes bleichen, ſchmalen Geſichts.

Adam küßte ſein Weib.

Und er geleitete Hedwig zu ihrer Wohnung. Sie ſtanden vor der Hausthür. Hedwig zögerte. Sie fürchtete ſich jetzt am hellen, leuchtenden Tage vor den Räumen, die ſie zum letzten Male in ſpäter, nächtiger Stunde betreten hatte. Und nachher oben ihr Vater das erſte Sich-Gegenüberſtehen die erſten Worte

Adam wurde ungeduldig. Er wußte ganz ge - nau, was in Hedwig vorging. Aber Alles drängte in ihm danach, endlich einmal frei aufzuathmen. Immer und ewig Schleim und Leim und Angſt, Kopfhängerei, Unſicherheit zum Kuckuck er hatte genug! So wurde er mitleidslos, faſt brutal.

Alſo adieu, mein Lieb! Und nun ſei recht ſanft zu Papa! Ich komme, wie geſagt, heute Abend .. ſpäteſtens morgen früh. Wir wollen uns jetzt recht oft ſehen nicht wahr ?

Ja!. Hedwig ſeufzte tief auf. Die beiden trennten ſich endlich.

Als Adam die Straße hinunterſchritt, warf er, unbekümmert um die verwunderten Geſichter der vorüberwandelnden Mittagsmenſchen, ſeine Arme von ſich und prüfte ſeine Muskeln. Er reckte und dehnte ſich nach allen Seiten, knirſchte ſich gleichſam mit ſtarkem körperlichem Wohlbehagen um ſeine eigene Axe herum. Hei! das war eine Luſt! Und dieſes Freiherausſchnaufendürfen aus voller, tiefer Bruſt! 341Hei! das that wohl! Noch einmal ſo nachdrücklich ſetzte Adam ſeine Füße auf das Pflaſter. Unwillkür - lich horchte er an ſich hernieder. Nein! Nein! Es klirrten da unten noch keine Ketten um ſeine Knöchel. Noch war er frei. Und er wollte frei bleiben.

Er ſtand über Allen, die da an ihm vorüber - gingen. Er war nicht verpflichtet, ein Opfer ihrer lächerlichen Subalternmoral zu werden .. Nein! Bei Gott nicht! Er ſtand über Allen. Und darum, glaubte er, hätte er ein Recht zu ſeiner Freiheit.

[342]

XVI.

Den Nachmittag über hielt ſich Adam zu Hauſe. Es war ihm zu Sinn, als müßte er einmal wieder recht tüchtig bei ſich einkehren, auf ſich zurückgehen, in ſich hineingehen, Vieles lichten und ſichten, was in der Hochfluth der letzten Tage ſich verdunkelt, verſchoben und verwirrt hatte. Er klopfte nach Dieſem und Jenem bei ſich an. Schmerzlich ergriff es ihn und erfüllte ihn zugleich mit einem ſtillen Zorn, der ſich gleichſam lautlos nach innen verblutete, als er ſo oft keine Antwort erhielt. Da war er wieder, der äſthetiſch-metaphyſiſche Schmerz ſeines Lebens. Und doch geſchah ihm eigentlich nur, was er verdiente. Alle einfachen, großen, ſtillen Troſt - und Beruhigungsnadeln waren ihm abhanden ge - kommen. Es war ihm unverſtändlich, wie es noch Kräfte geben ſollte, welche über die Alltagsmiſère mit ihren kleinen, aber raffinirten Stacheln hinweg - tröſten konnten. Und er war ihr mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele verfallen, dieſer dummen, triſten Alltagsmiſère. Kleinlich und eng war ſein Denken und Thun geworden, von der Stunde be - ſtimmt, für die Stunde gemünzt. Er beſchäftigte343 ſich allerdings zuweilen mit Motiven, die ihrem inneren Werthe und Weſen nach hinausgingen über die einfält - tigen Grenzen des Augenblicks. Aber er that das eigent - lich nur noch ganz mechaniſch und ohne ſich der weiteren Geiſteszonen bewußt zu werden, in welchen er dann ja athmete. Er zog eben die Karre fort, die ihm einmal die Kombination der Verhältniſſe und die Tendenzen ſeiner Natur anvertraut oder auf - gehalſt hatten. Es war ſo viel rauchig graue Abend - dämmerung, ſo viel waſſerfarbene Verſtummheit in ihm.

Sein Erlebniß mit Hedwig Irmer dünkte ihn ein abgeſchmackter, inſipider Traum. Es zerrann ihm Alles ſo unter den Fingern. Das konnte ja nicht ſein, das war ja pure Einbildung. Und doch war er ſich zugleich klar darüber, daß die Komödie noch nicht ihr Ende erreicht hatte. Und er erwartete dieſes Ende mit einem gewiſſen kaltblütigen Trotz, während er jetzt mit einem merkwürdigen Epikureis - mus in der Zwiſchenaktspauſe ſchwelgte. Das war auch ſo ein Zug ſeiner Natur, der ſich mit der Zeit herausgebildet. Unangenehme Lebenspillen verſchluckte Adam gern in Unterbrechungen. Schon die That - ſache einer ſolchen Unterbrechung, ſchon die Möglich - keit, ſie zu conſtatiren, hatte für ihn einen ge - wiſſen Reiz.

Er kramte Dies und Das aus ſich heraus. Aber das lag Alles ſo todt vor ihm. Da gab es nur noch mit dickem, gelbem Roſt bedeckte, unfahrbar gewordene Geleiſe zwiſchen den einzelnen Reſultaten344 des inneren Lebens. In ſeiner Beziehung zur Außenwelt kam ſich Adam ganz ſonderbar verrenkt und verbogen vor. Unmögliche Formenſpiele, auf - fallende Farbenmiſchungen, bizarre Phantaſie'n glühten langſam in ſeinem Gehirne auf. Dabei fühlte er zugleich eine träge, zähe innere Leere und eine tief - verſtimmende Unfruchtbarkeit[. ]Eine leiſe, prickelnde Unruhe zittere durch ſeine Bruſt, eine nervöſe Un - geduld, eine Unzufriedenheit, die zugleich aufgehoben und vermehrt, genährt, gepflegt ſein wollte. An Hedwig dachte Adam mit immer wachſendem Widerwillen. Er ſtellte ſich die Enge eines kleinen Haushalts vor. Er ſchauderte zurück. Schließlich, wenn es nicht anders ging, wollte er doch lieber an ihrer Vergangenheit Anſtoß nehmen. Es blieb ihm wohl kein anderes Mittel übrig, ſich dieſer verhaßten Kette zu entledigen. Schmachvoll war's, aber er mußte ſich eben der Waffen bedienen, die er in Händen hatte.

Seine Beziehung zu Lydia war ihm eine exakte Thatſache, die er nüchtern und kalt, höchſtens mit einem kleinen Aufwand von Selbſtironie, kritiſirte. Ganz gewiß! Er würde es unter Umſtänden fertig kriegen, Lydia friſchweg zu heirathen. Das würde überhaupt wohl das Ende .. und das gewiß ſehr vernünftige und wünſchenswerthe Ende von dem ganzen Liede ſein. Dabei brauchte er ja Emmy nicht zu verlieren. Hm! Auf längere, intimere Gedanken an Emmy ertappte ſich Adam öfter. Da mußte doch eine tiefe, nachhaltige Sympathie vor -345 handen ſein, eine geheimnißvolle Strömung elektriſchen Seelenfluidums. Ihre Anhänglichkeit rührte ihn und ſchmeichelte ihm. Er hätte ſich übrigens ihret - wegen ſchon einmal mit dem ehrenwerthen Ritter von Bodenburg ſchießen können. Warum nicht? Na! Die Choſe war abgethan. Die größere Be - wegungsfähigkeit, die im Umgange mit Emmy gewahrt blieb, ſie war es wohl, die ihn vor Allem zu ihr hinzog. Und dann hatte ſie ſich in der auszehrenden Luft, in der ſie lebte .. in dieſer Luft, die ihre Opfer und Kreaturen mit der Zeit doch ſo grenzenlos berechnend ſtimmt, da hatte ſie ſich im Großen und Ganzen eine gewiſſe immerhin delikate Unabgegriffen - heit, Unmittelbarkeit, Schmelz und natürliche Ge - fühlsrhythmen zu erhalten gewußt. Ueberdies war ſie ein prächtig gebautes Weib, die köſtliche Mitte zwiſchen Lydia und Hedwig und das war doch wahrhaftig nicht ihr geringſter Vorzug.

Adam blätterte in einem Bündel von Papieren und Manuſcripten, die er mechaniſch einem Schub - fache ſeines Schreibtiſches entnommen hatte. Er zerrte einige loſe Blätter heraus und begann, ohne beſondere Abſicht, gleichſam nur ein Opfer ſeiner Augen, die zufällig keine andere Blickfläche fanden, zu leſen:

Ich bin bewegt, in tiefſter Seele bewegt. Noch am ſpäten Abend, da ich ſchon frohlockt, daß ſich das Auge dieſes Tages ſchließen will dieſes Tages, der ſo inhaltslos, ſo todt, fahl und verkommen vor mir liegt; an dem ich faſt nur geweſen‘ bin am Ende dieſer verlorenen Stunden erbebt346 und erzittert noch einmal der Fluthſpiegel meiner Seele ... Und ſie nimmt willig die Bilder auf, meine Seele, und geſtaltet ſie aus, die ſich über ihren Spiegel gebeugt ...

Ich war in der lärmenden Welt draußen und habe gelebt, wie die Anderen .... Ich war ſo gleich - gültig, wie ſie oder auch ſo hingenommen, ſo beſchäftigt, ging ſo auf, wie ſie, in den kleinen Tagesintereſſen .. Ich habe wohl allenthalben über das Geſchaute mancherlei Eigenes und unbeſtochen Identiſches mir zuſammengedacht aber ich irrte doch planlos und haltlos durch das Labyrinth der Zeitlichkeit, und wenig Spannung und Berührung fühlte ich mit den Weſenskräften, mit dem Grundgranite des Daſeins .. Ich hatte mich nicht gehen laſſen wollen ich war nur noch unfeſt, ſchwankend gewe - ſen, und die Stoßkraft der Verſuchung hatte leichten Kauf mit mir gehabt. Ich war hineingewirbelt worden ins Treiben. Ich war nicht mehr ſehend und ſelbſtändig geblieben. Der pſychologiſche Vorgang iſt ja durchſichtig genug. Aus phyſiſchen Bedingungen war ich nachläſſig oder unfähig und ſo erfolgte auf die vereinheitlichende Anſpannung die Reaktion mit ihrer zerfaſernden Zerſtreuung. Das iſt's eben, was mich oft ſo namenlos traurig ſtimmt: gegen eingewurzelte Gewohnheiten und Eigenheiten ſind wir im Ganzen machtlos wir ſtehen ſo gut wie waffenlos dem Hoch - drucke ihres Einfluſſes gegenüber. Und der Wechſel von Hoch und Nieder, von Auf und Ab, iſt ſo natur - bedingt! Auch hier triumphirt das Fragment.

347

Aelter werden und mit den Jahren an Kraft und Ruhe und Maß wachſen, heißt weiter nichts, als verzichten, ſich beſchränken, halb bewußt halb ge - wohnheitsmäßig, phyſiologiſch-bedingt unbewußt. Prahle Keiner mit ſeiner Ruhe und Sicherheit. Ob nicht in den Tagen einer ungeſtümen Gährung der Blick doch weiter trägt? Im Spiegel der Ewigkeit ſchrumpfen die Bilder der Zeitlichkeit bedenklich zu - ſammen. Das Genie der Jugend bedeutet ein längeres Senkblei,[denn] das Talent des Alters.

In dem pſycho-phyſiologiſchen Geſetze von Wirkung und Gegenwirkung und in dem fortdauern - den Einfluſſe unausrottbarer Weſenswurzeln, von denen Jeder ein Rudel beſitzt, liegen die Grenzen und Hemmniſſe, vor denen alles Größere und Bedeutendere des Lebens zerbröckelt. Zu den un - ausrottbaren Weſenswurzeln aber zähle ich den Zug zum Leichtſinn, von dem ſich auch in das ſchwerſte Gemüth eine Unze hineingemiſcht hat.

Es iſt nicht allzuſchwer, alle Aeußerungen des Lebens auf beſtimmte einfache Formeln zurückzu - führen. Aber es gehört ein leichter, glücklicher Sinn dazu, ſich von der Fülle der Erſcheinungen nicht immer wieder verblüffen, nicht immer wieder ent - muthigen und entwaffnen zu laſſen.

Ich beſiege ein Objekt, indem ich es fein ſäuber - lich durchſchaue, erkenne. Erkennen iſt nur Anerkennen und umgekehrt. Es beſiegt mich, dieſes Objekt, indem es auch auf mich weiter wirkt, nachdem ich es mir geiſtig unterworfen habe. So bin ich Herr348 und Sklave zugleich. Das darf mich wurmen und freuen, denn ich habe doch immer geſiegt, wenn auch gleichſam nur negativ. Aber vielleicht ſind darum die Schmerzen darüber, daß ich den Einfluß nicht nach meinem Ermeſſen tilgen kann, nur um ſo heftigere ...

Organismus ... Syſtem ..: Alles geſetz - mäßig Entwickelte, Zuſammengeſchloſſene, Abgerundete hat größere Lebenskräfte in ſich, als das Verzettelte, Aphoriſtiſche. Aber ſyſtematiſche Ordnung und innere Harmonie, Schönheit organiſchen Zwanges und natürlicher Einheit ſind nicht immer daſſelbe. Lücken werden ſtets aus dem Weſen aller Dinge heraus nothwendige, gleichſam wiederum negative Verknüpfungsglieder ſein. Und iſt nicht das erſte Weſensmoment der Harmonie auch gegeben in dem Zuſammenſtrömen aller Tendenzen nach einem Mittelpunkte?

Und wieder einmal bin ich tief bewegt. Heiße, jähe Schmerzen ſchießen durch meine Seele, und die Stacheln einer zähen Reue drücken ſich tief, tief ein. Soll ich das Leben anklagen? Soll ich mich ſchwankendes Rohr anklagen? Am Kleinen, Klein - lichen und Gemeinen hafteten meine Augen, und ich ließ in ſtiller Ergebenheit unaufhörlich Tage um Tage jenen dünnen, feinen, grauen Staub auf mich nieder - rieſeln, den das blöde, monotone, im Banne des Augenblicks befangene Alltagsleben aufſcheucht, in gewaltigen Wogen durch die Lüfte bläſt und ſchiebt und über Alles ſich ausſtreuen läßt ... Wenige349 wehren ſich dieſes einſchläfernden Staubregens. Ganz läßt er ſich überhaupt nicht fernhalten. Aber in manchen Naturen lebt doch der Drang, einmal mit impoſanter Zuſammenraffung aller Leidenſchaften und Kräfte die Kruſte von ſich zu ſchütteln, um wieder eine Weile in einer Sphäre verjüngter Seelen - freiheit, verjüngten Menſchenthums athmen zu können. Wieder wird dieſer Staub fallen .. da giebts kein Entrinnen und unangetaſtet bleibt Keiner der Sterb - lichen. Wieder wird er fallen, leiſe wird er ſich über die üppig wuchernde, ſtrotzend blühende, mit ſatter Kraft empordrängende Willens - und Sehn - ſuchtslandſchaft deiner zürnenden, rebellirenden Bruſt breiten leiſe wird er ſich dichten und häufen und ganz gemach wirſt du wieder eingereiht, lieber Spießgeſell und unfreiwilliger Spaßgeſell, in die Rieſenlegion der Alltagskinder, die da ſich bücken und ſchicken und der Sterne vergeſſen und aller gewaltigen Wunder im Himmel und auf Erden, deren inbrünſtige Beachtung und zärtliche Betrachtung ſie emporriſſe aus der Kleinheit und Enge und inneren Gelähmtheit ihrer Exiſtenz .... Aber auch ich auch ich lag im harten Banne des Staubes, und matt ſchlug mein Herz, langſam kroch mein Blut

langſam kroch mein Blut ſprach Adam leiſe nach und legte die Blätter apathiſch aus der Hand. Das ſcheint doch öfter vorzukommen , fuhr er fort auch heute kriecht ſotanes Blut wieder verflucht langſam. Es liegt ſo viel Staub und350 Moder in allen Ecken und Winkeln herum .. und zu - gleich iſt mir doch, als wäre meine Bude 'mal ordentlich reine gemacht .. und keine Spur einer ſtimmungsvollen Unordnung zurückgeblieben .. Teufel! Warum iſt man auch ein ſo unleidlicher Individuali - tätsfex geworden! Ich weiß ganz genau: ich leide an verſetztem Thatendrang. Ich finde die Sphäre nicht, in der allein ich wirken könnte. Das iſt mein tragiſches Schickſal. Nun ja! warum auch nicht? Meine Augen ſind zu ſehr auf das Leſen nach innen geſtimmt. Sie ſind zu wenig zur Entwickelung der Fähigkeit gekommen, ſich der vorüberfließenden Erſcheinungswelt in allen Lagen und Graden anzu - paſſen. Mein kleines irdiſches Unglück iſt, daß ich mich nicht in Beziehung zum Nicht-Ich , zur Außenwelt faſſe, ſondern dieſes ominöſe Nicht-Ich immer in Beziehung zu mir. Im Uebrigen bin ich' n Menſch, der zwar im Großen und Ganzen weiß, was er will, aber es ſehr oft ſehr langweilig findet, das zu wollen, was er weiß. Zu viel nebelhafte Zukünftelei rumort in meiner Bruſt herum. Das macht mich der Gegenwart gegenüber müde, apathiſch, blaſirt. Uebrigens .. wer bürgt mir denn dafür, daß die Atmoſphäre, die ich mir geſchaffen, und in der ich mit einer gewiſſen ſouverän-ariſtokratiſchen Wolluſt athme, nicht in letzter Hinſicht einer tief - eingewurzelten, durch Naturanlage bedingten Scheu vor dem Leben ihr Daſein verdankt? Woher ſonſt die öfter ausbrechende, krampfhafte Sucht, ſich auf das Leben zu ſtürzen, es vampyrwüthig auszu -351 ſaugen, auszukoſten, zu brutaliſiren? Und im Genuß, der allerdings merkwürdig genug zuweilen ein ſehr behaglicher, zu vollſtändigem Selbſtvergeſſen einlullen - der ſein kann im Genuß doch wiederum ſo oft auch dieſer Ekel und Abſcheu .. oder dieſe bittere, tief - ſchmerzliche Freude, daß man eben auch zu genießen verſteht, verſtehen gelernt hat, wo alle Selbſterfüllung nur in neutraler Entſagung beſtehen ſollte! Ach! Ewig karambolirt die individual-äſthetiſche Seite meiner Natur mit der ſozial-ethiſchen. Oder wäre es nicht ſozial-ethiſch im weiteſten, tiefſten Zu - kunftsſinne: ein Bekenner der abſoluten Philo - ſophie , der Philoſophie der Erlöſung zu ſein ? Und als ſolcher, ein Glied in der ſocialen Ver - bandskette, nach rechts und links ein lobeſames Beiſpiel zu geben? Anderer Willenspotenzen zu glorreicher Nacheiferung zu entzünden? Und doch! Gerade die Aeußerungen meiner äſthetiſchen Natur ſind im Grunde nicht minder ſozial. Ich hatte einmal einen Reformatorentic in mir. Der iſt todt. Wenigſtens meerſchendheels todt. Nun möchte ich mich gern auf den naiven Künſtler hinausſpielen. Ich wäre ganz vergnügt, wenn das ſo ginge. Aller - dings .. den Dichter in mir habe ich gründlich erwürgt. Donnerwetter! Da fällt mir ein: habe ich nicht 'mal über dieſes ulkige Motiv Etwas zu - ſammengeſchmiert? Ich erinnere mich: damals war's mir bitter ernſt um die Sache. Heute ich möchte das Geſchreibſel doch' mal wieder leſen hm! Stim - mung Stimmung is zwar nich aber eben:

352
Ich träufle gern des Wein's goldgelbe Tropfen
In rothe Roſen, die auf Gräbern blüh'n

Holla! Ja! den Wein wird ſpäter Frau Lydia nachliefern wo ſtecken nur die ominöſen confessions d'un pauvre enfant .. enfant .. enfant ... d'un pauvre enfant de la future ?

Endlich hatte Adam ſie gefunden, dieſe con - fessions und er las :

Selbſttod des Dichters.

Dieſe Stunde, da ich ausathmen will; da ich Alles von mir werfen will, was mich an eine unzu - längliche Welt bindet, an eine Welt voller Gemein - heit und engſter Bedingung dieſe große Stunde ſchwillt an und wächſt und dehnt ſich zu einer Ewig - keit. Noch einmal ſteigt Alles vor mir auf, was ich gethan und was ich nicht gethan. Was ich nicht gethan! das iſt's! das iſt's! Warum habe ich ſo Vieles, ſo unzählbar Vieles nicht gethan? Warum hatte ich es thun wollen? Es drängt mich, einen Punkt zu finden, von dem aus ich hell - ſtes, unverfälſchtes Licht empfange der die ver - worrenen Zickzackwege, die ich im Suchen und Schaffen gegangen bin, überflammt und harmoniſch in ſich gliedert. Oh! könnte ich doch Alles in ein Wort zuſammenfaſſen! Aber dieſes eine Wort erinnerte mich, ſelbſt wenn ich es gefunden hätte, nur an eine unendliche Anzahl anderer Worte und ſo würde es mir als bedingtes Glied in der Kette keinen einzigen, letzten, großen, abſoluten Troſt353 geben. Die Harpyen der nackten Wirklichkeit, der lebendigen Lebensverlockung, ſitzen mir immer noch auf den Ferſen. Ja! Und hier finde ich den Muth und vor Allem, denke ich, das Wort, das mich er - klärt und mich erlöſt!. Zu Vieles und zu Großes zu Gewaltiges und ſchrankenlos Ueberirdiſches, Uebermenſchliches hab 'ich gewollt und in tauſend glorreichen Viſionen und Stimmungen ge - ahnt und gedacht .. Aber daß mir die gemeine Welt mein Fühlen und Nachfühlen und feinſtes Hinein - fühlen in das Getriebe der Ideen plump verleiden mußte, indem ſie mich zu dem Drange des Hand - werkers erzog: das Uebermenſchliche, Unſagbare mit den kargen Elementen, mit den lächerlich noth - dürftigen Werkzeugen, die wir beſitzen, feſthalten und bannen zu wollen! Oh! Wie noch in dieſer meiner letzten, meiner heiligſten Stunde der Stachel der Weltreize in meine zuſammenſchauernde Seele ſticht! Faſſen das Unfaßbare! Oh! Ich hatte eine Furcht vor der Uebermittelung meiner reinſten Seelenkräfte an die Strömungen freier, urgeborener Ideen! Ich hatte eine Furcht denn die Sclaven - kette umſchlotterte meine Füße, wenn ich in die Be - zirke trat, wo die Freiheit athmete und mit kosmi - ſchen Reizen um mich warb. Durchſchaut ſo bis auf Kern und Axe hatte ich alles Irdiſche, alles irdiſch Lockende und Blendende, Betäubende und Werbende durchſchaut und doch warf mich immer und immer wieder der Drang die Selbſttäu - ſchung in die Arme einer brutalen Selbſtent -Conradi, Adam Menſch. 23354fremdung. Wie habe ich nun, da ich am Ende ſtehe, ſehe ich Alles doppelt ſcharf und doppelt deut - lich! wie habe ich von der erſten Stunde an, da ich die Flügel meines Geiſtes zu lüften verſuchte, mich einengen und umdrängen laſſen müſſen von dem gemeinen, landläufigen, kalten, nüchternen Regel - werke der Welt! Nun da ich frei wurde, ſchiebt die Vergangenheit ihre langen, taſtenden Finger nach in die Gegenwart in die Zukunft, die ich mir darum vorenthalten will. Ja! Ich ſterbe an der Fülle der Sünden , zu denen mich die Vergangen - heit gezwungen hat. Und dieſe Sünden ver - dunkeln und verqualmen mir die Gegenwart, und ihr ſchwarzes Nachtgewölk zieht mir nach in die Bezirke meiner Zukunft zöge mir nach ich verſpüre es an der Schwere meines Athems! wollte ich mich eben ſclaviſch an eine neue Zukunft verkaufen. Aber ich habe es ſatt, gründlich ſatt, dieſes Sichhin - ſchleppen an dürren, nackten, morſchen Spalieren. Ich habe es ſatt, immer weiter den Hymnus mit - zugröhlen, der das Fragment der bedingten Zeit - lichkeit apotheoſirt! Den großen, allmächtigen Ring ſchließen! Schließen! Soll meine Seele weiter Nichts ſein, denn ein Heerd, darauf die Flammen der durchſchauten Unzulänglichkeit tanzen? Soll das der höchſte Triumph des bohrenden Menſchen - geiſtes ſein, daß er in letzter Inſtanz ſeine Un - zurechnungsfähigkeit, ſeine Unzuſammenfaſ - ſungsfähigkeit conſtatirt? Soll ich immer und immer wieder auf dem dürren, ausgedienten355 Droſchkengaule einer nüchternen, verroſteten Logik an das Räthſelweſen der letzten Dinge heranſtolpern? Aber erkenne ich denn mehr, wenn mich das ſchnee - weiße Araberroß der Intuition an die Schranken heranträgt? Iſt Intuition mehr, als der gleichſam enthymematiſche Carrièreritt einer überwundenen und darum zwanglos-reflectoriſch ſich bethätigenden, alſo in gewiſſem Sinne einer wiedergeborenen Logik ? Oh! Müde bin ich der ſteten Selbſtverblendung und Selbſtentfremdung! Ein Tropfen reiner Aether - erkenntniß und ein Ozean gemeiner, bedingter und bedingender Werkeltagsträumereien! Ich erkenne, daß dieſes Verhältniß ein unwürdiges iſt. Und nicht duftet dieſer Wahrheitstropfen fein und ſüß, wie köſtliches Roſenöl und befeuchtet die Zunge meines Geiſtes wie Honigbalſam : bitter vielmehr mundet er wie Chinin: denn ſelbſt zu den Gipfeln hinauf tönt das verworrene Geräuſch des Marktge - triebes in den Thälern .. Ich bin ein Weſen, das im Werden tiefſte, bitterſte Qual das nur im Sein Stille und Andacht und Sabbathsgenugthuung findet. Denkend betaſten darf ich wohl die Bun - deslade des Seins. Aber nimmer ſoll ich ſie ſchauen mit den Augen meiner befriedigten, in ſich wahr - heitsgeſättigten Seele .. Ich habe nicht Luſt, länger den irdiſchen Proceßhansl abzugeben. Das Spiel der Kräfte iſt wohl ein fürtreffliches Ding aber manch 'Einer findet es abgeſchmackt, lang - weilig, dieweil es nur ſeine Arme und ſeine Beine wünſcht, die Himmelsflügel aber ſeines Geiſtes zu -23*356ſammenſchrumpfen und ſich thatlos entfedern läßt. Kleinſein mit dem Gewürm und ſich behagen am Farbenſpiel des Regenbogens mit einem kleinen Auf - blick einer verſchüchterten, verkümmerten Menſchen[-]ſeele: das iſt der Lauf der Welt . Ich aber habe den Drang und die ſtolze Sehnſucht, auf den Brücken - ſtufen dieſes Regenbogens zu dem Reiche des ewig - lich Unbedingten emporzuklimmen. Dahin ſtürmen die Wünſche meiner Seele. Und ich ging auf den Markt, und auf meine Freiheit war ich be - dacht, indem ich mit dämoniſcher Zärtlichkeit das Bewußtſein meines Gegenſatzes großſäugte. Oh! Ich Culturburſche! Ich pflückte die Orangen der Sünde, wie die Anderen; ich ſpann die feinen und groben Fäden der Lüge wie die Anderen; und heimiſch wurde ich im Alphabet der Hinterliſt und Gemeinheit, wie kein Zweiter. Und es ekelte mich vor mir und ich ging in die Einſamkeit. Aber nachwirken ſpürte ich den Giftathem der Welt ich war gemünzt und ich beſudelte die keuſche Majeſtät der Einſamkeit. Ich ward ein tragiſcher Zwerg. Ich wollte mich über mich erheben, indem ich mich vor mir erniedrigte. Aber der Markt der verbogenen, verlogenen und befangenen Zeitlichkeit hatte ſchon das Brandmal in meine Schächerſeele gedrückt, das Brandmal, das da verrieth: auch ich habe ſchon in ſeinem Solde geſündigt. Und ein Zweites offenbarte mir die Einſamkeit mit zer - malmender Deutlichkeit: die grenzenloſe Unzuläng - lichkeit meiner Kunſt! Sprechen wollte ich mit feuri -357 gen Zungen und ich ſtammelte wie ein unmün - diges Kind. Erheben wollte ich mich auf den Flügeln der Morgenröthe und ich watſchelte dahin, wie eine fluglahme Ente. Selige Ahnungen, Offenbarungs - träume ſchoſſen durch mein Hirn ein taumelnder Drang fluthete empor und ich krümmte mich ohnmächtig unter der Befangenheit meiner Aeußerungs - kräfte. Zu groß für den Markt und zu klein für die Einſamkeit und doch auch wieder zu groß ſelbſt für die Einſamkeit, deren letzte Reſultate ich intuitiv vorwegnehme ſie könnte mir ſchließlich nur eine Schaale kleinerer Mittelerkenntniſſe zuſam - menhäufen! dort verachtend, hier verzweifelnd dort ſehend, hier blind und doch zugleich auch ſehend nüchtern und trunken in Einem: ſo ſchließe ich ab, da ſich in mir Alles vollendet und beſchloſſen hat, was innerhalb dieſer engen Beding - niſſe ſich vollenden und beſchließen kann. Mit über - menſchlichen Ahnungen ausgerüſtet im letzten Lebensmomente noch einmal durchſchüttelt von den Cyclonen einer Himmel und Erde durchſtürmenden Leidenſchaft nun ſtiller ſchon und klarer nun ganz geläutert gehe ich dahin, wo ich ſein werde, wenn ich nicht mehr bin ... Noch einmal locken mich die Reize der Natur aber ich er - innere mich, daß ich ſchon verlernt habe, mich von ihrer nackten Keuſchheit naiv rühren zu laſſen ich dachte ſchon zu viel. Noch einmal locken mich Liebe und Schönheit .. Aber ich erinnere mich, daß ich alle Liebeswonne gekoſtet habe und ſie doch358 vergeſſen konnte und Weibesſchönheit dünkt mich nun ſo unwerth, ſo niedrig, ſo reizlos. Noch einmal lockt mich des Lebens ganzer Wirrwarr aber ich erinnere mich, daß mir das Auf und Nieder als ſolches niemals genügt hat daß ich je und je nach dem Endſinn geſucht und da ich ihn nimmer gefunden, fortſuchen würde ein armer räthſelgepeinigter Frager und Rufer und Taſter. Nein! Nein! Das Schwimmen hat keinen Sinn, wenn Einer ſein Ziel, ſeine Landungsſchwelle nicht weiß, nicht kennt. Ich überlaſſe es lieber den Klüg - lingen, dieſes Schwimmen den Klüglingen, die das Denken verlernt, und den Dümmlingen, die keines Zieles bedürfen in ihrer geiſtigen Armuth. Und nun reden ſie noch vom Stolze und dem Freimuth und der Heiterkeit der Weiſen , die Alles erkannt und durchſchaut haben und dennoch leben, weiterleben und weiterſchreiten, der Stunde heiter entgegenharrend, die ſie von hinnen ruft. Ich frage Euch, ihr Weiſen, was wartet ihr auf dieſe Stunde? Wollt ihr dem großen Enteignungsproceſſe der Natur nicht zuvor - kommen? Ihr Kleingeiſter! Wer hat denn die Wahr - heit dieſes Enteignungsproceſſes gefunden? Eure Er - kenntniß, welche die Natur überwunden hat. Und Ihr habt den Zuſammenhang erkannt und wollt Euch dennoch dem klaren Reſultate ent - ziehen? Soll ich das Feigheit nennen oder Selbſt - verblendung? Oh! Ihr habt nichts Großes erkannt, wenn Ihr behauptet: Nur im Werden erhelle ſich das Sein. Ich habe eine ſatte Angſt und Bang -359 niß um Euch: wenn das Stündlein ruft, werdet Ihr noch nicht zu Ende ſein mit Eurer kleinen Leiden - ſchaft für das Werden und Wachſen mit der Natur ſie wird Euch mit der Keule der ἀνάγκη aufs Haupt ſchlagen, dieſe letzte, nothwendige Stunde Ihr aber werdet verdutzt und verblüfft, Ihr werdet unfertig ſein und das Evangelium von der Naturüberwindung durch das Naturbe - greifen wird Euch nicht ganz erfüllen. Geht! Ihr ſeid nicht vom Geſchlechte der Starken und Freien vom Geſchlechte der Gott - und Welt - verächter! Ihr ſeid Schwächlinge, Ihr ſeid Memmen und Lügner.

Ich aber bin ſtark und frei, weil ich erkannt habe, daß ein Jeglicher ſein eigener Richter ſein ſoll und daß ein Jeglicher die große Pflicht hat, ſich das Todesurtheil zu ſprechen, wenn er die Er - kenntniß empfangen hat! Ich habe überwunden. Nicht ſchmerzlos. Aber ich ward wunſchlos.

Adam lehnte ſich zurück. Er fühlte ſich doch merkwürdig ergriffen. Er athmete tief auf. Mit herber, ſchneidender Wucht warf ſich der Gegenſatz zwiſchen dem Einſt und dem Jetzt auf ihn. Und nun ſchoß es durch ſeine Bruſt wie ein brennender Strom von Wuth und Scham vor ſich. Ja! das waren Lebensquinteſſenzen, an ſich erfahrene, unwiderlegliche, in tiefſtem Grunde alle Werdenskräfte berückſichtigende Wahrheiten. Und es war ihm einmal ſo ernſt360 geweſen um dieſe Wahrheiten. Sie hatten ihn ſo ganz erfüllt. So ganz. In einer großen Stunde hatte er ſie herausgeſchüttelt und aufs Papier geſetzt mit dem glühenden Enthuſiasmus des Triumphators, der überwunden hat, der wunſchlos geworden iſt. Wunſchlos! Wunſchlos? Oh nein! Nicht wunſch - los. Denn er hatte ja weitergelebt. Er hatte es ja nach dieſer gewaltigen Vereinheitlichung der Er - kenntniß doch vermocht, weiterzuleben. Und was heißt weiterleben anderes, als Zeit, Luft, Gelegen - heit finden, tauſend neue Wünſche zu gebären und nach ihrer Erfüllung zu trachten? Das hatte er gethan. Und es war ihm auch gar nicht ſo ſchwer gewor - den, das zu thun. Als die Begeiſterung der Stunde vorüber, als das Seherauge ſich geſchloſſen, hatte ihn die klammernde Neſſelwelt der kleinen Alltagspflichten wieder eng und compromißlüſtern geſtimmt. Das Verrath an ſich zu nennen nun! ein Schwärmer konnte ſich dieſen tauben, unfruchtbaren Luxus wohl geſtatten. War er aber ein Schwärmer? War er's geblieben? Kaum. Er war doch in Vielem recht praktiſch, recht poſitiv geworden. Er hatte doch wieder Gefallen daran gefunden, tiefinnerſte Genug - thuung, von rothen Frauenlippen reife Küſſe zu pflücken, Frauenreize mit vollendeter Virtuoſität, mit feinſter äſthetiſcher Differenzirtheit zu genießen. Nein! die Pſalmen und Dithyramben, die der große Lyriker, der Frühling, zu ſingen wußte, ſie tönten nicht wirkungslos an ihm vorüber. Er verſtand die einfach-üppige, maſſive Epik des Sommers .. und361 ſchwelgte in den Elegie'n des Herbſtes, deren trans - parente Faſchingsbuntheit ihn entzückte. Mit der Sonne, der vollen, goldenen Sonne, war er nach und nach in ein ganz leidliches Verhältniß gekommen. Er liebte ein gutes Glas Wein, eine gute, mittelſchwere Felix-Braſil - Cigarre, eine gute Virginia-Cigarette. Und ob auch die brutale Welt der Objecte ſeiner Epidermis und dem, was dahinterſtak, manchmal recht impertinent mitſpielte und zuſetzte Adam hatte ſich faſt ſo Etwas wie Humor und kauſtiſches Behagen angeſchafft. Er ſtudirte ſich mit coquetter Selbſtironie und kümmerte ſich doch um das Elend der Maſſe , das ſein weiches Herz zeitweilig mächtig ergriff. Er klügelte pädagogiſche Weltbeglückungsſyſteme aus, träumte von einem euro - päiſchen Staatenbunde, ſtudirte tapfer Sociologie, und hielt es der Mühe für werth, Broſchüren über den deutſchen Gymnaſiallehrer, dem er herzlich gram war .. er hatte den Kerl eben gar ſehr in der Nähe kennen gelernt .. und über das Proletariat des Geiſtes zu ſchreiben. Er hielt es der Mühe für werth, ſich immer leidenſchaftlicher als Germanen zu fühlen, die Poeſie und hiſtoriſche Gewaltigkeit des deutſchen Kaiſer - thums zu begreifen .. und den Juden glühender, immer glühender, wilder, fanatiſcher zu haſſen .. mit unſchönem freſſendem, perſönlichem Haſſe. Das war's: Adam hatte ſich eben weiterentwickelt, er war ein natür - liches Opfer ſeiner Fortentwicklung geworden. Ein - mal hatte er ſich auf den Sternenpolſtern und in den Hängematten des Kosmos herumgeräkelt und ausgeflegelt. Einmal war ſein Seelenleben ein brei -362 ter, ungetheilter Strom geweſen, in dem ſich das ganze Univerſum geſpiegelt. Da hatte er es leicht gehabt, zu erkennen und zu durchſchauen. Nun hatte ſich nach dem natürlichen Geſetze der geiſtigen Organ - ſpaltung ſein Seelenleben differenzirt, und der große, breite, ungetheilte Strom ſeines Inneren hatte ſich in unzählige Flüſſe und Flüßlein, Bäche und Rinn - ſale zerſplittert und aufgelöſt, darin ſich nur noch zerbrochene Theile und Theilchen des Univerſums ſpiegeln und wiederfinden konnten. Wo einmal ein einziges, großes, geſammeltes Intereſſe geherrſcht, das den Tod bedingen mußte, wenn es im rechten Augen - blicke verſtanden, ausgelöſt und in die That umge - ſetzt wurde, da herrſchten jetzt tauſend kleinere Son - derintereſſen, die das Leben in ſich ſchloſſen. Ja! Er mußte leben. Er hatte den Tod verſäumt. Er war zum Leben verurtheilt.

Adam erhob ſich. Das Bewußtſein, daß er nun leben mußte, erfüllte ihn mit ſchneidender Bitter - keit. Oder ? Aber nein! Jetzt war der Selbſtmord, der Selbſttod , kein Reſultat mehr, kein entſcheidender Gewinn nur noch ein Zufall, vielleicht gelegent - lich die Folge einer zufälligen Nervenüberreizung. Das war recht hausbacken und hatte ſo gar nichts Im - poſantes.

Adam trat ans Fenſter, öffnete weit die Flügel und lehnte ſich über die Brüſtung. Weich und geſchmeidig, einſchmeichelnd ſtrich die Frühlingsluft. Leiſe begann es zu dämmern. Da unten auf der Straße warf das Leben ... dieſes Leben, das es363 ſo unübertrefflich verſteht, ſich bei den Creaturen der Erde als intimſter Hausfreund einzuquartiren ... noch große, breite, prunkende Blaſen.

Und Adam beſchloß, ſich von dieſem Leben da unten auf der Straße, zu welchem er verur - theilt war ... ja nun einmal unwiderruflich verurtheilt war, auf andere, geſcheitere Ge - danken bringen zu laſſen.

Lost paradise knurrte er vor ſich hin, als er die Treppen hinunterſchritt. Er wollte auch Abend - brot eſſen. Und nachher natürlich nicht zu Hedwig gehen.

[364]

XVII.

Am anderen Morgen erhielt Adam einen Brief von Hedwig. Irmers Mädchen hatte ihn ſchon ſehr früh in ſeiner Wohnung abgegeben. Hedwig ſchrieb:

Lieber Adam! Warum biſt Du heute Abend nicht gekommen, wie Du verſprochen hatteſt? Ich habe Dich ſo ſehnſüchtig erwartet. Bis gegen Zehn. Nun iſt es faſt Elf. Ich bin ganz allein, Papa iſt ſchon zu Bett ich kann nicht anders: ich muß Dir noch ſchreiben. Es iſt mir ſo ſchwer, ſo ſchwer ums Herz. Bitte komme morgen früh beſtimmt. Ach Adam! Ich habe ja nur Dich noch und wenn Du mich verläßt, wäre es mein Tod. Aber nein! nicht wahr? Du bleibſt Deiner Hedwig gut? Papa iſt ſehr unglücklich. Das hätten wir doch nicht thun ſollen. Er hat mich freundlich auf - genommen, er weinte, als ich kam, und hat mir gar keine Vorwürfe gemacht. Er hat aber den ganzen Nachmittag faſt kein Wort weiter geſprochen. Nur einen Brief hat er mir gezeigt, der heute früh an - gekommen war. Es iſt zu ſchrecklich. Mir will das Herz brechen, wenn ich daran denke, was für Schreck -365 liches uns bevorſteht. Ich bin immer noch zu auf - geregt, um Dir Alles in klarem Zuſammenhange mittheilen zu können. Vor Papa habe ich alle meine innere Angſt verbergen müſſen, um ihn nicht noch trauriger zu machen. Papa hat nämlich einmal es iſt ſchon mehrere Jahre her für einen guten Bekannten, einen Ingenieur, der kränklich war und auf den Rath ſeines Arztes ein Bad beſuchen ſollte, aber keine eigenen Mittel dazu beſaß, für den hat Papa eine Bürgſchaft von 1000 Mark geleiſtet, die ſich Ferdinand, ſo hieß der Ingenieur, von einem ihm bekannten Bankier geliehen hatte. Papa war damals noch Univerſitätslehrer in der Schweiz und uns ging es ganz gut. Ferdinand ach! Adam es wird mir ſo ſchwer, Dir das zu ſchreiben, aber Du mußt es doch einmal erfahren, war mein Ver - lobter und iſt der Vater meines Kindes, das bald nach ſeiner Geburt ſtarb. Verdamme mich nicht, Geliebter. Ich habe gefehlt, aber ich habe hart büßen müſſen dafür. Ich kann Dir jetzt nicht die ganze Tragödie ſchreiben. Ich bin zu aufgeregt dazu. Ferdinand war damals im Bade. Dann kam der Bruch, der unvermeidlich war. Ich will Dir das Alles mündlich noch mittheilen, wenn Du es wiſſen willſt. Später, bald nach meiner Nieder - kunft, ſind wir hierher übergeſiedelt. Die Verhält - niſſe zwangen uns dazu. Papa war nicht beliebt bei ſeinen Collegen, hatte keine Protektion und wurde nicht befördert. Und dann kam mein Fehltritt hinzu. Nun erhielt Papa heute Morgen einen Brief366 von jenem Bankier, der ſchrieb, daß Herr Pfeiffer, eben mein damaliger Bräutigam, nach langem Siech - thum kürzlich am Lungenſchlage geſtorben wäre, aber ohne daß er in den vier Jahren, die ſeitdem verfloſſen wären, ſeine Schuld zurückgezahlt hätte. Er hätte immer Geduld und Nachſicht mit dem Kranken gehabt, nun müßte er ſich aber an den Bürgen halten, was ihm wohl Keiner verdenken könnte. Aber wo ſoll Papa das Geld hernehmen? Wir leben hauptſächlich nur von dem, was er und ich verdienen. Unſere Verhältniſſe ſind, wie Du weißt, ſehr beſchränkt. Ich mußte Dir das mittheilen, damit Du weißt, woran Du biſt. Es bleibt uns nichts weiter übrig, wenn der Herr auf ſein Recht beſteht, als unſere paar Sachen zu verkaufen. Es iſt zu ſchreck - lich. Was ſoll dann aus uns werden? Auch Du kannſt uns wohl nicht helfen, lieber Adam. Ich bin zu unglücklich und weiß nicht, wie das drohende neue Unglück abgewendet werden ſoll. Aber nun gute Nacht, Geliebter. Behalte lieb Deine arme Hedwig.

Nachſchrift. Papa iſt auch ſehr unglücklich, ganz gebrochen, er ſpricht faſt gar nicht und brütet nur immer vor ſich hin. Wenn er ſich nur kein Leid anthut. Das ertrüge ich nicht. Bitte komm morgen beſtimmt, lieber Adam.

Adam faltete den Brief, der ihn kaum aufgeregt hatte, zuſammen, ſteckte ihn ruhig wieder in ſein Couvert zurück und warf ihn in einen halboffenſtehenden Kaſten ſeines Schreibſchrankes Dann ging er nach - denklich in ſeinem Zimmer auf und ab.

367

Das war ja klar: Das Geld mußte geſchafft werden. Dieſe lumpigen tauſend Mark! So'n dummer, windiger Fetzen! Was? Wie mancher blau - blütige Jüngling mochte wohl ſeiner Mätreſſe ein monatliches Unſinn! monatliches ein halbmonatliches, womöglich wöchentliches Nadel - geld von tauſend Mark leiſten! Und an dieſer pauvren Summe, an dieſer triſten Bagatelle ſollte die Exiſtenz einer Familie zerſchellen eben daran, daß ſie nicht aufzubringen war? Nee! So 'was Lächer - liches lebte nicht noch' nmal! Uebrigens das war alſo die .. die ſogenannte Vergangenheit dieſer Dame? Wie harmlos! Sie hatte ſich mit einem Ingenieur eingelaſſen und die Sache hatte ſich auf dem ſeit Adam, dem Paradiesler, nicht mehr ungewöhnlichen Wege zu der üblichen Fortſetzung verſtiegen det war Allens. Jroßartig!

Wo lag da nur die Pointe? Das war ſo grenzenlos alltäglich, eine langweilige, hebeammenhafte Spukgeſchichte ohne weiteren Spiritus. Um Gottes - willen! Einzelheiten um keinen Preis der Welt! damit ſollte ſie ihn nur verſchonen! Nachher hatte ſie ſich dann ihm hingegeben und er war auf ſie auch regelrecht reingefallen d. h. hatte ſich regelrecht mit ihr verlobt hatte ihr regelrecht die ſogenannte Ehe verſprochen und und aber war denn dieſe kleine, unſcheinbare Hedwig wirk - lich etwas Anderes, als die fürtreffliche Emmy, die aus der Sache allerdings ſo etwas wie ein Geſchäft machte, aber doch immerhin Liebe und Luſt zu ihrem368 Berufe beſaß? Doch das war ja vorläufig alles Nebenſache. Es kam zunächſt nur darauf an, die paar Groſchen in die Bude zu ſchaffen. Aber wie? An wen ſollte er ſich wenden? fragte ſich Adam. Bekannte, die eines ſolchen Opfers fähig geweſen wären, beſaß er nicht. Zu ſeinen Verwandten engerer und weiterer Kategorie hatte er auch ſo gut wie gar keine Beziehungen mehr. Ha! Etwa Lydia? Nun! dieſer Dame war es ja ſchließlich ein Leichtes, war es ja ein Kinderſpiel, das Geld aufzubringen. Aber : ſich bei Frau Lange darum bemühen ſie ſchriftlich oder womöglich gar mündlich darum zu bitten ging das an? Er hätte doch die ganze Situation correct auseinanderſetzen müſſen und konnte unmöglich ſeine Beziehungen zu Hedwig verſchweigen dabei dieſe Beziehungen eben, die er ja um jeden Preis abbrechen wollte. Das war des Pudels Kern. Eine merkwürdige Wandlung ging zugleich in Adam vor. Er bekam plötzlich einen ganz ge - hörigen Reſpect vor dem Gelde und ſeiner Macht. Und als Gemahl Lydias ei! da hatte er ja Wünſchelruthe und Waffe zugleich in der Hand. Hm! In ſeinem ſentimentalen, idealiſtiſchen Duſel hätte er es ſchließlich gar noch fertig gebracht, ſich mit Hedwig auf einen gemeinſamen Guerrillakrieg um die Brocken und Broſamen des klebrigen Kleinlebens einzulaſſen. Es war ganz gut und in gewiſſem Sinne zugleich auch ſehr tiefſinnig und ſymboliſch daß durch ſie ſelbſt ein Moment in die Affäre eingeführt wurde, das ihn ſtutzig369 machte, das im Stande war, ihn auf ſeine wahren Vortheile hinzuweiſen. Die lagen aber wahrhaftig nicht in einer Ehe mit ... eben mit einer Dame von Vergangenheit . Für dieſen Adel mußte er ſich bedanken, wenn er ſein Glück im Auge haben und ſeine Zukunft bedenken wollte. Uebrigens die Idee war gar nicht ſo übel, war im Gegen - theile ganz famos: er verſchaffte Irmers das Geld und kaufte ſich damit los. Natürlich! So ließ ſich die Geſchichte dengeln und Jeder machte ſeinen Profit dabei. Zudem waren ja auch noch tiefere pſychiſche Gründe vorhanden, aus welchen eine Ehe mit Hedwig ein Experiment ſehr proble - matiſchen Charakters war. Ergo! Warum ſollten denn dieſe tieferen pſychiſchen Gründe nicht auch mitzuſprechen haben? Man hatte ſie einmal ein Biſſel ignorirt eh bien! einmal darf man ſich das ſchon erlauben. Aber um ſo deutlicher nur fühlt und begreift man hinterher, daß jene Gründe berechtigt ſind und berückſichtigt werden müſſen, wenn man keine unfreiwilligen Karrikaturen in die Welt ſetzen will.

Alſo er Adam beſorgte die Loskaufungs - ſilberlinge. So viel ſtand feſt. Es war nur die Frage: wie? Ja! Wie ?

Aber eigentlich war es ja doch am Bequemſten, ſich an Frau Lange zu wenden. Am Bequemſten? Das allerdings gerade nicht. Allein was blieb ihm denn weiter übrig, als dieſes Experiment zu machen, wenn er von der Leimruthe, auf der er vorläufig wirklich verflucht feſtſaß, überhaupt herunterwollte ? DochConradi, Adam Menſch. 24370nein! Das war doch Unſinn. Hatte er Frau Lange gegenüber denn nur ein Fünkchen von Recht zu dieſer Bitte? Und dann : wollte er ſeine Beziehungen zu Hedwig nicht aufdecken, mußte er es ſich gefallen laſſen, daß Lydia annahm, ſelbſt wenn er äußerlich noch ſo glaubwürdige Ausflüchte verſuchte : er ſelber ſei der eigentlich Bedürftige und in dieſem Lichte durfte er unter keiner Bedingung vor ihr ſtehen, am Allerwenigſten, wenn er an ſeinen Hoffnungen, ſie noch einmal als ſeine nun! eben als ſeine Gattin zu ſehen, feſthielt was ja in ſeiner Abſicht lag. Wie alſo aus der ſchweine - mäßig impertinenten Zwickmühle herauskommen? Es war wieder 'nmal rein zum Verzweifeln. Donner und Doria! Jetzt ging Adam ein Talglicht auf. Er wollte doch jawohl! und jetzt ſtand's unwider - ruflich feſt er wollte doch die gnädige Frau um die Lumperei anrempeln. Er wollte ein Märchen von einer Arbeiterfamilie, die am Abgrunde ihres ſocialen Verderbens ſtände die ein Opfer unglücklichſter Verhältniſſe geworden wäre und zweifellos zu Grunde ginge , wenn ſich im letzten Augenblicke nicht noch ein Menſchenfreund ihrer annähme alſo ein derartiges pikantes Märchen wollte er erfinden er konnte von ſeinem Talente zum Komödianten die exakte Durchführung der Rolle ruhig erwarten und vor Lydia als freiwilliger Advokat der Armuth auftreten : erſtens würde, calculirte der Herr Doctor, die Thatſache der Noth als ſolche ihr weiches Herz rühren und ſie zum Herausrücken der Summe371 bewegen und tauſend Mark waren wirklich nicht zu viel: es galt ja die Exiſtenz einer ganzen Familie neu zu begründen! und dann mußte er doch, wenn er ſich ſo als Anwalt des ſocialen Elends vor ihr gerirte, damit entſchieden Eindruck auf ſie machen das war klar. Ergo los denn! ' rin ins Verjniegen!

Einen Augenblick dachte Adam noch an Herrn Quöck. Aber nein! Dieſer Menſch, der alſo mit der Couponſcheere auf die Welt gekommen war, beſaß kein Verſtändniß für das Unglück Anderer. Wohl möglich, daß Herr Quöck ihm, Adam, aus perſönlicher Gewogenheit die Summe lieh aber der brave Mann blieb trotzdem der Herr Vetter von der Frau Lydia und wer weiß! es iſt jedenfalls immer beſſer, immer praktiſcher und in der Regel auch bequemer, mit dem Egoismus und den ordinärſten Lebensinſtinkten ſeiner Nächſten lieber etwas zu viel, als zu wenig zu rechnen. Ohne An - deutungen Frau Lange gegenüber würde es bei Herrn Quöck doch nicht abgehen. Andeutungen jedoch na! was da unter Umſtänden für ein edler Brei herauskommen kann, wenn man ſotane Andeutungen ſich ſelber überläßt : Adam hatte das etzliche Male auf ſehr kitzliche Art erfahren müſſen in ſeinem Leben und an ſeiner höchſteigenen Perſon dazu. Alſo Vorſicht! Eines Tages, darauf mußte er ſich gefaßt machen, fand er ſonſt ſeinen Weg zu Lydia in einen rechtſchaffenen Neſſelacker verwandelt und für die Poſaunenengel ſeiner Hoffnungen und Erwartungen24*372konnte er dann nur getroſt ein halbes Dutzend tüchtiger, dauerhafter Särge beſtellen, die auf den Läute - Apparat für den Fall eines Scheintodes aus beſtem Wiſſen und Gewiſſen verzichten durften .. Das Märchen vom kaltgewordenen Ofen, vom zerbrochenen Uhrweiſer, von den abgeſpielten Skatkarten ... Die Pointe blieb halt überall dieſelbe.

Nun dann alſo auf zum Tournier mit Lydia! Noch einmal ſchrak Adam auf das Heftigſte zurück. Er glaubte ſein zähes Feſthalten an dem Gedanken, daß gerade er das Geld für Irmers zu beſchaffen hätte, ſchon als idée fixe anſehen zu müſſen. Eigentlich ging ihn das Alles ja gar Nichts an. Was miſchte er ſich da in fremder Leute Angelegenheiten ? Warum war er nur ſo erpicht darauf, ſich die Finger zu verbrennen ? Und doch! Es rumorte wirk - lich ſchon zu toll in ihm herum es wucherte in ihm und wuchtete ſich auf ihn, es fraß ſich immer feſter bei ihm ein : er mußte vor Lydia und eben gerade vor Lydia ein ſo delikates Motiv wie das vorliegende es war, Geldge - ſchichten ſind ja immer delikat ! endlich einmal aufs Tapet bringen : das ging ohnedem gar nicht mehr ab, das war nun ſchon zur innerſten Noth - wendigkeit geworden. Im erotiſchen und im pekuniären Problem : in beiden hanget ja das ganze Geſetz, und die p. p. ehrenwerthen Herren Propheten hangen dazu in dieſem er - habenen Dualismus ... Und ſchließlich: kam bei ſeinem Dukatenſpeech mit Donna Lydia etwas373 Poſitives wirklich nicht heraus : zu einer pſychologiſchen Studie pikanteſter Natur würde die Scene am Ende doch auswachſen ... und an pſychologiſchen Studien kann ein junger Mann, der's Leben erſt noch kennen lernen will, gar nicht genug machen. Pſychologiſche Studien ſind bekanntlich furchtbar lehrreich. Und ſo'n feudaler Kerl, wie Adam Menſch alſo einer war na! in dieſer Beziehung gab es auch für ihn noch Manches zu probieren. Adam Menſch war in der Wurzel ſeines Weſens ſehr beſcheiden. Er hielt ziemlich Wenig von ſich, zuckte oft in ehrbarſter Geringſchätzung die Achſeln über ſich. Aber darum dachte er zeitweilig eben nur um ſo geringer von den Anderen. Hatte er etwa kein Recht dazu?

[374]

XVIII.

Kurz nach drei Uhr, alſo nicht zu der üblichen Beſuchsſtunde, ließ ſich Adam bei Frau Lange melden.

Es war ihm während des Eſſens und beſonders während einer kurzen Promenade durch den Stadt - park, den er von ſeinen Spaziergängen mit Emmy her ſehr lieb gewonnen hatte, unerträglich klar geworden, daß das Verlobungsproject mit Lydia eine wahnſinnig groteske Ungeheuerlichkeit bedeutete eine Ungeheuerlichkeit, die ſich vielleicht heraufbeſchwören, vielleicht ſogar unmittelbar in Scene ſetzen ließ, die aber herauszufordern er heute nicht die min - deſte Stimmung und nicht den mindeſten Muth beſaß. Dagegen fühlte er den Muth in ſich, wenigſtens momentan, dagegen reizte es ihn wirklich immer mehr, Frau Lange direkt zu bitten, ihm die lumpigen tauſend Mark zu leihen. Das war doch in der That Adam ſagte es ſich immer wieder ſo etwas wie eine ſocial-pſychologiſche Studie, ſo etwas wie ein ſocial-ethiſches Experiment. Er trat eben als Anwalt der Armuth auf und klopfte an die Pforten des Reichthums mit der Bitte um375 Hülfe mit dieſer Bitte, zu welchen die bedrängte Armuth eine heilige Berechtigung, eine heilige Ver - pflichtung beſitzt. Auf eine mehr oder weniger intereſſante, jedenfalls nicht ganz alltägliche und nicht ganz pointenloſe Scene durfte ſich Adam überdies gefaßt machen. Ah! Lydia würde zuerſt verblüfft ſein. Und dann? Das war eben die Frage. Doch dieſe Frage mußte ja ſofort ihre Beantwortung finden.

Adam wurde in das Cabinet Frau Lange's geführt. Er möchte einen Augenblick verzeihen, die gnädige Frau käme ſogleich, bedeutete ihm das Mädchen und verſchwand wieder.

Adam ſah ſich um. Da ſtand er alſo wieder einmal auf der Wahlſtatt, auf der er neulich ſo bedeutungsvolle Stunden durchlebt hatte. Aber heute wie war heute Alles ſo glanzlos und nüchtern! Dabei überall ein Ton der Unordnung, ein Accent der Verkramtheit. Jene einſchmeichelnde, anheimelnde Demi-jour-Stimmung, die ihn neulich ſo unwiderſtehlich beſtrickt hatte, und die er noch ſo klar in der Erinnerung bewahrte, war nicht mehr mit dem dünnſten Haarſtrichlein angedeutet. Und doch ſtiegen ihm wie leichte Schaumbläschen allerlei Erinnerungen auf. Er dachte daran, daß damals in dem Fauteuil dort Lydia geſeſſen .. daß er, ganz im Joche ſeiner emporgeſchäumten Stimmung, vor ihr gekniet, ihr ſchluchzend ſeine Liebe zuge - ſtammelt daß er aber das war ja Alles glücklich vorüber, die Augenblicksextaſe dünkte ihn376 jetzt unbegreiflich und über alle Begriffe abgeſchmackt die gnädige Frau wollte ja auch abreiſen er würde alſo vorläufig keine Gelegenheit wieder bekommen, dieſe Räume zu betreten .. und allen ſentimentalen Erinnerungsanwandlungen wurde damit Gott ſei Dank! jedwede neue Nahrung entzogen.

Endlich trat Lydia ein. Sie ſah ein ganz klein Wenig derangirt aus, ihr Geſicht war ungleich geröthet, wie das eines Menſchen, der ſich öfter und andauernd gebückt hat. Ihre freundlichen Züge ſchienen Adam etwas gemacht und gezwungen.

Verzeihen Sie, Herr Doctor, daß ich Sie ſo lange warten ließ aber ich bin eben dabei zu packen morgen früh will ich endlich auffliegen meine Abreiſe hat ſich ſchon um einige Tage ver - zögert aber bitte, nehmen Sie wieder Platz ich freue mich doch, Sie noch einmal bei mir zu ſehen .. Wie geht es Ihnen ?

Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, daß ich zu ſo ungelegener Stunde aber ich wußte auch nicht, daß ich will mich auch nicht lange aufhalten nur

Bitte, bitte, Herr Doctor!. Sie wiſſen ja, Sie ſind mir immer willkommen .. Uebrigens, wenn Sie das tröſtet: ich ich erwartete eigentlich Ihren Beſuch ich nahm ihn als ſelbſtverſtändlich an, nach - dem Sie mir das letzte Mal, wo wir uns ſahen

Ja! Ich verſprach Ihnen zu kommen, gnädige Frau Sie ſehen: ich habe mein Wort gehalten, wenn auch

377

Wenn auch ?

Adam ſchwieg eine kleine Weile und fuhr ſich mit der Hand über die Stirn. Er war da in ein zweideutiges Fahrwaſſer gerathen. So ging das Spiel nicht weiter. Er trieb einem Ziele zu, das ihn jetzt nicht im Geringſten reizte. Oder doch? Dünkte ihn dieſe Frau noch immer begehrenswerth? Sie ſchien auf etwas anzuſpielen, das zwiſchen ihnen einmal mehr oder weniger deutlich zur Sprache gekommen war. Vielleicht legte ſie der ganzen Ge - ſchichte doch mehr Werth und Bedeutung bei. Vielleicht war ſie doch tiefer engagirt. Nun! das konnte ihm ja nur ſchmeichelhaft ſein. Und augen - blicklich war es ihm gewiß auch nur günſtig, wenn dieſe Dame, die ihm einen Dienſt leiſten ſollte, ſtärkere Sympathien für ihn hegte.

Adam wurde ganz ruhig und ſicher. Mit klarer Stimme begann er: Ich bin gekommen, gnädige Frau, Sie um eine Gefälligkeit zu bitten

Und die wäre ? fragte Lydia, neugierig und erſtaunt zugleich. So redet doch kein Mann, der um eine Frau .. um eine Frau, die er .. die er liebt

Nun wollten die Worte dem Herrn Doctor doch nicht ſo glatt über die Lippen ſchlüpfen. Er zauderte, er huſtete verlegen, er athmete kurz, gepreßt, eine Reihe von Wendungen und Faſſungen ſchwirrte ihm durch den Kopf, er prüfte ſie mechaniſch, indem er ſie ſich leiſe objectivirte, er konnte ſich nicht entſcheiden, er war nicht im Stande, die prägnanteſte378 Faſſung herauszufinden. Schließlich ſtotterte er halblaut, nur einige Silben durch eine unnatürliche Betonung ſcharf heraushebend: Es iſt mir doch peinlich, gnädige Frau ich weiß nicht, wie Sie meine Bitte auffaſſen werden

Schießen Sie doch nur los, Herr Doctor wir werden ja ſehen wenn ich irgend im Stande bin

Adam erinnerte ſich plötzlich, daß er im Namen der Armuth um die Hülfe des Reichthums werben ſollte, daß er dazu eine heilige Berechtigung beſäße er wußte, daß nur das tiefeingewurzelte Bewußtſein von dem Egoismus, der Engherzigkeit und Klein - lichkeit der Menſchen, mit denen er allenthalben, ſein ganzes Leben hindurch, hatte rechnen müſſen, ihn auch hier muthlos und verlegen gemacht aber es kam ja ſchließlich nur auf den Verſuch an, es handelte ſich ja ſchließlich nur um ein ſocial-ethiſches Experiment , um eine pſychologiſche Studie , um Nichts, um gar Nichts weiter und er gewann[bei - nahe] den kühlen Ernſt, die ſouveräne Sicherheit des Forſchers wieder.

Sie ermuthigen mich, gnädige Frau alſo denn ohne Umſchweife herausgeſagt : ich brauche tauſend Mark können Sie können Sie mir die Kleinigkeit leihen ?

Auf dieſe ſehr materielle Wendung des Geſprächs war Lydia allerdings nicht gefaßt geweſen. Feinere Naturen fühlen ſich durch eine brutale, noch dazu unvorbereitete Berührung von Geldfragen immer379 compromittirt. Daß aus einer etwaigen Verbindung zwiſchen ihr und Adam, der, wie ſie wußte, ſo etwas wie ein armer Teufel war, letzterem allerlei ſehr reale, ſehr realiſtiſche Vortheile erwachſen würden: daran hatte ſie natürlich ſchon gedacht und der Ge - danke hatte ſie auch nicht weiter genirt, er hatte ihr im Gegentheil eine gewiſſe Befriedigung und einen gewiſſen Stolz eingeflößt. Im Uebrigen war ſie zu eitel, um nicht zu glauben, daß ſie ſelbſt ihres Beſitzes und ihrer Stellung in der Geſellſchaft ent - kleidet, Werth und ſtarke Anziehungskraft genug für Adam beſäße. Das waren Prämiſſen, über welche man getroſt ſchweigen, die man getroſt unerörtert laſſen konnte, denn ſie waren eben allzu ſelbſtverſtändlich.

Und nun rückte Adam plötzlich unvermuthet mit einem Motive heraus, das an greller Betonung des Materiellen nichts zu wünſchen übrig ließ.

Lydia war ſehr betroffen. Was ſollte ſie er - widern? Mechaniſch ſchloß ſie, daß Adam ſich jedenfalls in einer ſehr prekären Situation befand. Er hatte gewiß Schulden contrahirt, die bezahlt ſein wollten, er hatte Verpflichtungen übernommen, die er einlöſen mußte. Und er wandte ſich an ſie, weil er anderweitig ja! mein Gott! ſtanden ihm denn keine anderen Wege offen, beſaß er keine anderen Mittel oder waren alle Quellen ſchon erſchöpft ? War ſie ſeine letzte Hoffnung ?

Mitleid, ſtarkes, verſtehendes Mitleid quoll in ihr auf. Und doch hatte ſie zugleich das Gefühl, als wäre ſie von etwas unangenehm Klebrigem,380 Schmutzigem berührt worden. Die Lage des Herrn Doctor war ſicher überaus proſaiſch. Und Lydia verſpürte einen kleinen Hang zur Romantik in ſich. Das paßte ſo gar nicht zuſammen, ihr Hang und nackte Bedürfnißhaftigkeit Adams.

Sie ſetzen mich in Erſtaunen, Herr Doctor ſagte ſie endlich, unſicher und ſtockend ich hatte nicht erwartet, daß

Das war allerdings vorauszuſetzen, gnädige Frau verzeihen Sie, bitte noch einmal, meine Kühnheit, doch die Noth

Geht es Ihnen ſo ſchlecht ? unterbrach Lydia, jetzt von ehrlichſter, ſchnell ausbrechender, aufs Helfen geſtimmter Theilnahme ergriffen.

Mir ? Mir ? Ah ſo!. Hm! Verſtehe ſchon bemerkte Adam mit ſeinem, ironiſchem Lächeln Sie haben mich nicht ausreden laſſen, gnädige Frau Ihr gutes Herz ging mit Ihnen durch alſo ich wollte ... wollte nicht von meiner Noth, ſondern von der Nothwendigkeit ſprechen, die mich zwingt

Iſt das nicht daſſelbe? fragte Lydia, ein Wenig pikirt ..

Pardon! Ich glaube kaum .. die Sache iſt nämlich außerdem noch die, daß ich das Geld nicht für mich brauche, ſondern

Ah! .. Aber für wen dann, wenn ich fragen darf ?

Laſſen Sie das, bitte, mein Geheimniß bleiben, gnädige Frau

381

Wie Sie wollen, Herr Doctor .. doch muß ich Ihnen nun bemerken, daß damit die Sache auch auf - gehört hat, mich zu intereſſiren. Ihnen Ihnen perſönlich hätte ich vielleicht ja! ſicher geholfen, denn Sie ſind ſind mir doch das das gehört nicht hierher für Menſchen dagegen, die mir vollkommen fremd und unbekannt ſind, habe ich kein ſo ſtarkes Intereſſe, daß ich für ſie Opfer bringen könnte .. Meine ehrliche Meinung, Herr Doctor !

Lydia hatte ſich von dem Stuhle, auf dem ſie ſeit dem Beginn des Geſprächs geſeſſen, erhoben und war an ihren Schreibtiſch getreten. Sie ſtand da, den Kopf ein Wenig geneigt, die volle, elegante Büſte prachtvoll zum Ausdruck gebracht. Sie hatte ein kleines, gläſernes Lineal ergriffen, mit welchem ſie auf einem Briefbeſchwerer herumtrommelte.

So ! ſagte Adam kalt und herb und erhob ſich ebenfalls. Gnädige Frau ſcheinen allerdings ſehr merkwürdige moraliſche Prinzipien zu haben

Wieſo ? Lydia ſchnellte herum und hielt Adam mit großen, funkelnden Augen feſt.

Wieſo ? Na! mein Gott, das iſt doch einleuchtend! Wenn Sie ſo ſubjektiv, ſo willkürlich ſind in der Ausübung Ihrer Menſchenpflicht, ſo möchte ich beinahe glauben verzeihen Sie gütigſt meine Keckheit! daß Sie überhaupt gar nicht wiſſen, was eigentlich

Herr Doctor !

Gnädige Frau ?

Sie ſcheinen gewiſſe .. unartige Gewohnheiten382 nicht loswerden zu können .. Schon damals Sie werden ſich erinnern

In Adam ſchoß es in die Höhe. Es kreißte und gährte und quoll in ihm, er wußte, daß ſie heran - zog, daß ſie kam, vor der er ſich nicht retten, der er nicht entrinnen konnte, wenn ſie die Arme nach ihm ausſtreckte, ſie zerrte immer heftiger an ihm, die heiße, erſtickende Wuth, ſie zog das Blut aus ſeinem Geſicht, er wurde bleich, ſeine Glieder flogen, er zitterte am ganzen Leibe, er mußte ſich an den Tiſch klammern, um ſich aufrecht zu erhalten, er klammerte ſich immer feſter, er wußte: wenn er losließ wenn er losließ, würde ihn der Katarakt ſeiner Wuth auf dieſes Weib peitſchen, würde er ſich auf dieſes Weib, das ihn beleidigt, das ihn mit ſeiner vagen, erbärm - lichen Andeutung, ſeinem kleinlichen Vorwurf zu Tode gekränkt hatte er würde ſich auf dieſe Creatur was war ſie denn ihm gegenüber? was denn? ſtürzen müſſen, um ſie zu ja! zu erwürgen und davor o Gott! davor bebte er inſtinktiv doch zurück nein! nein! nicht nachgeben! nicht nachgeben nicht das letzte Reſtchen halbklarer Be - ſinnung fahren laſſen

Lydia hatte die Veränderung, die mit Adam vor - gegangen war, unter heftigem Erſchrecken wahrge - nommen. Sie war zuſammengezuckt, war vom Schreib - tiſch näher ans Fenſter getreten, ſie fürchtete ſich, ſie überlegte, ob ſie nicht ſchellen, ob ſie nicht Hülfe herbeirufen ſollte hatte ſie denn noch einen Zu - rechnungsfähigen vor ſich ? Einen Menſchen, der383 bei Beſinnung war ? War das nicht das Delirium der Wuth, des Jähzorns, der ſein Opfer packt und zerfleiſcht ? Und ſie war eine wehrloſe Frau aber der Scandal

Sind Sie unwohl geworden, Herr Doc - tor ? ſickerte es jetzt mühſam über ihre Lippen

Adam faßte ſich. Er ließ ſich langſam vom Tiſch los, dämpfte ſeinen keuchenden Athem, trat näher an Lydia heran, die unwillkürlich immer weiter nach dem Fenſter zu zurückwich, legte die wie feſtge - ſchraubte Schienen aneinandergekrampften Arme über die Bruſt

Unwohl wäre ich, glaubſt Du, Weib? ſtieß er heiſer heraus ei! Und wie unwohl! Aber ich ſage Dir: das iſt eine ganz verdammte Lüge, die nur ein Schurke zuſammenkneten kann! Mir iſt ſo wohl, ſo dämoniſch ſauwohl, ſage ich Dir, Weib, wie mir in meinem ganzen Leben noch nicht geweſen iſt! Aber Du Du Du ſollſt zittern! Warte nur! Ha! Es iſt zum Andiedecke - ſpringen! Zum Todtlachen! Zum zum Du wagſt es, mich zu beleidigen Du ſpielſt Deine kleine, egoiſtiſche Seele gegen mich aus Du wagſt es, mir mit Deinen abgeſtandenen Phraſen von An - ſtand und Gutem Ton zu kommen, wo ich Dich um Erfüllung Deiner allerordinärſten Menſchenpflicht angehe wo ich als Anwalt der Armuth vor Dir ſtehe, der Du mit Deinem verfluchten Mammon hel - fen ſollſt ha! da kehrſt Du die feine Dame 'raus und verbitteſt Dir ein Benehmen ein384 Benehmen zum Teufel! Warte nur! Es werden ſchon eines Tages Andere kommen, die an - ders mit Dir reden, die eine andere Sprache im Munde führen warte nur, Weib! Und ſie wer - den Dich nicht ſo ſanft anfaſſen, mein Täubchen Du wirſt Deine zarten Ohren ſchon an die dröhnende Muſik gewöhnen müſſen, die ihre ungeſchlachten Stim - men und ihre zerſchmetternden, groben Fäuſte machen! Warte nur! Sie werden ſich ſchon mit Deinem Prunk ihre Blößen decken, ſie werden Deinen Plunder ſchon zerſchlagen, ihre Froſtgeſchwüre und ihren Hunger - typhus damit auszucuriren warten Sie nur, meine Gnädige! Das wird ein netter Hexenſabbath werden, ſage ich Ihnen ein Hexenſabbath, daß es eine Art hat! und alle Ihre egoiſtiſche Willkür Ihre äſthetiſchen Geſchmacksfexereien werden zum Teufel gehen und ich werde bei dem Rummel mit beiſein, ich, gnädige Frau, ich verlaſſen Sie ſich drauf! ich werde die Lumpen und Vaga - bunden die ganze losgelaſſene Volksfurie in Ihren Lügentempel hetzen warten Sie nur ! es wird ſich Alles ſchon machen das ſoll ein Gaudium werden na! wir werden Euch Eure brutale Selbſtſucht ſchon aus den Gedärmen' raus - klopfen Ihr ſollt Anderes zu denken bekommen, Ihr verwahrloſtes Champagnergeſindel! Eure ruch - loſen Lebensſpielereien werden wir Euch gründlich ab - gewöhnen aber ganz gründlich! Und ich danke Ihnen, gnädige Frau, für dieſe Stunde ich danke Ihnen ich weiß jetzt ganz genau, ſage ich Ihnen385 jetzt endlich ganz genau, wo meine Pflicht liegt und wo mein Platz iſt! Leben Sie wohl! Wir haben uns noch nicht das letzte Mal ge - ſehen

Immer näher war Adam an Lydia herangerückt, bis ſich die beiden dicht gegenüberſtanden. Nun kehrte er ſich mit einem harten Rucke ab und ging nach der Tiefe des Zimmers zu, der Thüre entgegen.

Lydia fuhr auf, fuhr auf wie aus einem ſchweren, ſchwülen Traum geſtoßen. Sie ſtrich ſich mit der linken Hand über Augen und Stirn ja! hatte ſie denn wirklich geträumt? War das ein Spuk ge - weſen, oder doch nackte, klare Wirklichkeit? War denn das ihr Zimmer? Doch wohl. Aber nein! das konnte ja nicht ſein. Das Alles war nur eine wüſte Phantaſie dieſer Menſch ſollte es gewagt haben ?

Widerſtandslos hatte ſie die Fluth der Drohungen und Anklagen, die aus dem Munde des zürnenden Mannes da vor ihr herausſchoß, über ſich hingehen laſſen. Wie gelähmt, gebändigt war ſie geweſen, feſt in ſich verhakt und zuſammengezwungen. Er hatte ſie überwältigt. Jetzt fühlte ſie eine ſchneidende Zwieſpältigkeit in ſich, es zerrte krampfhaft an ihr herum. Aber wer war denn dieſer Menſch? Der - ſelbe, der ſich vor ihr immer nur als intereſſanter, blaſirter Schwächling aufgeſpielt? Und nun dieſe jäh ausgebrochene Leidenſchaft! Oder war das nu[r]Verzweiflung blutende Verzweiflung an ſich, an der Welt geweſen? Sie wußte nicht ein noch aus[. ]Conradi, Adam Menſch. 25386Sie empörte ſich gegen die Vergewaltigung, die ihr widerfahren war, und doch ſchauerte ſie wie in brennender Wolluſt zuſammen, denn ſie hatte den, den ſie liebte, zum erſten Male hoch über ſich ge - fühlt, ſie ſah nun zu ihm auf nein ! ſie konnte ihn nicht gehen laſſen und doch! Ach! Es war eine zu große Zwieſpältigkeit in ihr. Und jetzt jetzt

Adam hatte die Thür aufgeriſſen

Herr Doctor ! ſchrie ihm Lydia nach, einige Schritte vortretend

Der Angerufene blieb doch unwillkürlich ſtehen und drehte ſich langſam in halber Wendung um.

Geſtatten Sie, bitte, noch einen Augenblick nur ein Wort noch begann Lydia tief aufath - mend. Sie reckte ſich in die Höhe, die ganze Figur ſtraffte ſich, wohl war ſie ein Wenig bleich, ſie wollte jetzt erſt recht bewußte Weltdame ſein.

Was ſoll's? polterte Adam erboſt. Ich dächte, ich wäre fertig mit Ihnen

Aber ich noch nicht mit Ihnen, Herr Doctor! Ich habe Ihre nun! Ihre Declamation hinge - nommen, ohne ein Wort der Erwiderung

Declamation ? ohne Erwiderung? ich ſage Ihnen, gnädige Frau: das war auch das Geſcheiteſte, was Sie thun konnten unterbrach Adam mit grobem, ungeſchlachtem Sarkasmus

Nun darüber ließe ſich am Ende noch ſtreiten

Wäre verdammt überflüſſig! Aber ich mag nicht mehr

387

Bitte! Nur noch einen Augenblick! Und wer - den Sie nicht von Neuem beleidigend, mein Herr! Sie werden zugeben, daß ich im Rechte geweſen wäre, wenn ich Ihnen ſchon nach Ihren erſten Worten vorhin die Thüre gewieſen hätte

Warum haben Sie's nicht gethan ? Dann hätte ich mir meine Lungenſtrapaze eben erſpart

Es iſt gut, daß Sie die Geſchichte jetzt auch etwas weniger pathetiſch ſchon etwas nüchterner auffaſſen Lungengymnaſtik

Gnädige Frau !

Na ja! Thatſache iſt jedenfalls, daß ich mit rieſiger Geduld

Wenn Sie mir nichts Wichtigeres zu ſagen haben um das Zeug anzuhören

Herr Doctor ! Nun dann gleich meine Frage! Sie wollen mich doch nicht glauben machen, daß Sie werden doch ſelbſt ſo viel Pſychologe ſein, um ſich ſagen zu können: ich müßte ja ein Geſchöpf von einer Beſchränktheit ohne Gleichen ſein, wenn

Aber nun kommen Sie doch endlich mit der Pointe ich weiß abſolut nicht, worauf das Alles hinauslaufen ſoll ich habe keine Zeit, um

Sie ſind Lydia war ſehr ruhig und kühl geworden hier als Armenanwalt vor mir auf - getreten bitte, ſagen Sie mir: welche direkten Gründe haben Sie dazu veranlaßt ?

Welche direkten Gründe? Nun, ich denke, ich hätte Ihnen das ſattſam vorgerechnet : meine25*388moraliſchen Anſchauungen meine ethiſchen Prin - cipien

Hm!. Und Sie täuſchen ſich wirklich nicht ſelbſt, Herr Doctor ? Was hat Sie auf einmal ſo in den Harniſch gebracht, wo Sie doch, ſo viel ich mich wenigſtens erinnern kann, früher

Jawohl! Früher! Kommen Sie nur ſo! Das ſieht Ihnen ähnlich! 'N Weib! Nun ja! Aber ich bin eben Gott ſei Dank! ein And'rer ge - worden ich ich bin Adam war doch etwas unſicher, kleinlaut, betreten geworden. Lydia merkte dieſe zarte Nuance ſehr fein heraus. Sie wurde kühner. Und jetzt zuckte eine Vermuthung in ihr auf, kurz, jäh, ſchießend und ſo unmittelbar, daß ſie faſt unverknüpft, ſelbſtändig erſchien, aber darum nur um ſo nachdrücklicher zwang, um ſo mehr und um ſo ſchneller überzeugte.

Ich werde Ihnen ſagen, Herr Doctor, wem Sie mit dem Gelde helfen wollen und damit ſind dann auch die bewußten direkten Gründe bloßgelegt

Nun ? fragte Adam, halb ehrlich-neugierig, halb verlegen, jedenfalls ſehr peinlich berührt, ſo etwas wie geheimes Schuldbewußtſein in der Bruſt.

Sie wollen das Geld für für Irmers haben ?

Nun ? Und wenn das der Fall wäre antwortete Adam überlaut, mit affektirtem Trotz

Sie Sie lieben Hedwig Irmer ? Lydia hatte doch ſehr leiſe geſprochen.

389

Aha! Jetzt ſpielen Sie das Geſpräch auf ein Gebiet hinüber, gnädige Frau, das Ihnen allerdings angenehmer ſein möchte, als die Diſtel - und Neſſelfel - der, die ich Ihnen na! ich ſage ja nee! zu köſtlich! zu köſtlich ! Uebrigens 'n bekannter Weiberkniff

Bitte! Beantworten Sie meine Frage

Liegt Ihnen wirklich ſo viel daran, gnädige Frau ? Nun denn: Wenn das auch der Fall wäre wenn ich Hedwig Irmer liebte was wäre dann? Was hat das damit zu thun, daß

Was dann wäre, Herr Doctor ? Hm ! Dann wären Sie nicht nur mit mir fertig, wie Sie ſich vorhin auszudrücken beliebten dann wäre ich allerdings auch mit Ihnen fertig

Lydia ſtand hinter der Lehne eines Fauteuils, an welcher ſie ſich jetzt mit ihren kleinen, vollen Händen feſt anhielt. Die ganze Geſtalt war in ſich zuſam - mengeſunken, wie von einem tiefen, ſeeliſchen Schmerze überwältigt.

Sie auch mit mir ſprach Adam leiſe nach und fuhr ſich mit der linken Hand über die Stirn.

Und eine jähe, gewaltige Wandlung erfaßte ihn. Wie ein Riß klaffte es durch die Dünſte und Nebel, in die er ſich hineinphantaſirt hatte. Dieſes Weib da liebte ihn und er er liebte in dieſem Augenblicke auch das Weib, er liebte es heiß, leiden - ſchaftlich, bis zum Wahnſinn, bis zur Verzweiflung. Das Andere, was er da vorhin zu ihr geſprochen hatte das war ja Alles nur Einbildung, Humbug,390 elender Mumpitz geweſen, triſtes Phraſengequatſche, fadenſcheiniges Blendwerk. Er ein ſocialer Ver - geltungsfanatiker? Es war zum Lachen, zum Todt - lachen. Er liebte die Schönheit und den Glanz, die heitere Vornehmheit und die geſchmackvolle Pracht, den verſtändnißvoll arrangirten Luxus, die beſtechende Form und den zwanglos, elegant geſammelten In - halt. Und jetzt bot ſich ihm zum letzten Male dieſes Glück an, dieſes Glück, das ſeinem Weſen und ſeiner Geſtalt nach ihm einzig congenial war. Er ſollte die Hand, die ſich ihm lockend entgegenſtreckte, zurück - weiſen, weil es eine Armuth gab, die darbte, ein Elend, das litt, eine Noth, die nach Rache ſchrie? Was ging ihn dieſe Armuth an? Was dieſes Elend? Was dieſe Noth, die nach Rache ſchrie? Was dieſe problematiſche Rache? Nichts, Nichts, Nichts. Hier ein Weib, das ihn liebte, hier Schönheit und Fülle, Unabhängigkeit und Sorgloſigkeit, hier alle Inſtrumente zur Erzeugung ſeiner Stimmungen, alle Waffen für Erwerbung großer Genüſſe und Er - lebniſſe dort ein Haufen Lumpen, Schmutz, Unrath in brutaler, nackter Nüchternheit, ſtinkende Fäulniß, Dunſt, Moder, Schweiß, Staub, Dreck und er zweifelte noch, was er wählen ſollte? Er zauderte noch? Und alle Wunden, die ihm das kleine, enge, allenthalben hemmende Leben, dem er ſich je und je hatte unterwerfen müſſen, geſchlagen und die nur ein galgenhumoriſtiſcher Leichtſinn nothdürftig hatte vernarben laſſen .. ſie brachen wieder auf und blu - teten in erneuter Friſche. Aller Demüthigungen,391 Zugeſtändniſſe und Kapitulationen, die er hatte auf ſich nehmen müſſen, und die er weiter und weiter würde auf ſich nehmen müſſen, wenn er die äußere Niedrigkeit ſeines Lebens nicht abſchüttelte und von ſich warf, gedachte er, und es ergriff ihn ein unge - ſtümes Grauen vor ihnen und ein zehrendes, bohren - des Mitleid mit ſich ſelber. Die Bataillone der Zukunft mochten ſie ruhig weitermarſchiren, näher und näher heran noch war ihre Stunde nicht gekommen, noch ſtanden ſie nicht auf dem Kampfplatze, bereit zu vergelten, zu ſtürzen und neu zu gründen und unterweilen ließ ſich noch eine Spanne Zeit gewinnen, da man glücklich ſein durfte im Schooße der Schönheit und Leidenſchaft und einen Traum träumen durfte in irdiſcher Trunken - heit, wohl einen flüchtigen und vergänglichen, aber auch hinreißend ſchönen und unvergeßlichen Traum. Nachher das Erwachen was ging ihn das jetzt an? Jetzt? Nichts, nichts, nichts

Adam ſchritt langſam auf Lydia zu .. und als er dicht hinter ihr ſtand, ſprach er mit leiſer, ge - preßter, heiſer vibrierender Stimme: Verzeih 'mir, Lydia ich ich war von Sinnen vorhin ich wußte nicht ach! Du weißt nicht, wie unglücklich ich bin

Und Lydia ſah zu ihm auf, feucht ſchimmerte es in ihren Augen Ja! Du mußt ſehr unglück - lich ſein, Adam ſagte ſie ebenſo leiſe .. Dann wiſchte ſie ſich mit ihrem zarten, weißen Battiſt - taſchentuch die Thränen aus den Augen, legte ihre392 kleinen, vollen Hände auf Adams Schultern und ſah ihm feſt, klar ins Geſicht und ſprach: Ich will Dich geſund und glücklich machen, Adam. Du ſollſt nicht mehr ſuchen, Du ſollſt gefunden haben. Ich weiß, Du liebſt Hedwig Irmer nicht. Das haſt Du vorhin nur ſo geſagt, um ich aber liebe Dich, Adam bleibe bei mir. Willſt Du ja? willſt Du ?

Lydia !

Sie küßte ihn auf den Mund, ſehr ſcheu, ver - ſchämt und haſtig. Aber jetzt geh ' ſprach ſie nun ich reiſe morgen früh gegen Elf ab komm nach dem Bahnhof, wenn Du kannſt ja? Wir ſehen uns bald wieder

Adam wandte ſich langſam ab. Seine Glieder waren ihm ſehr ſchwer, er wollte gehen.

Ach ja! Das Geld! rief ihn Lydia noch ein - mal zurück. Er hatte die delikate Angelegenheit allerdings ganz vergeſſen müſſen. Es ſteht Dir natürlich zur Verfügung ſofort, wenn Du willſt. Geh bitte zu meinem Banquier, Behrendt & Comp., Adalbertſtr. 12 warte! ich ſchreibe ihm gleich 'n paar Worte

Wie gebrochen ſchwankte Adam eine kleine Friſt ſpäter zum Zimmer hinaus. Hatte er das beſſere Theil erwählet?

Endlich bog er in die Straße ein, wo das Comptoir von Behrendt & Comp. lag. Langſam war er aus ſeinem Taumel, ſeiner einſchnürenden Hingenommenheit und Befangenheit wieder zu ſich393 zurückgekommen, war er wieder nüchterner und ein - facher, klarer geworden. Die Kritik erwachte und die kritiſche Entſcheidungsfähigkeit, aber nur erſt in eckigen, unbeholfenen Sprüngen, in vagen, unſicheren Andeutungen. Adam ſtapfte mit verbogenen Schritten vorwärts, er nickte öfter vor ſich hin, warf den Kopf mit nervöſem Accent nach rechts, nach links, und malte mit den Händen allerlei geheimnißvoll-unver - ſtändliche Figuren in die Luft. Er wußte: es hatte ſich ihm da etwas Unerwartetes ereignet, ſein Leben war ſcharfen Ruckes um eine Ecke geſchoſſen und in eine andere, ganz andere Richtung eingelaufen. Aber er trug Scheu, ſich in das Neue, das ihm zugefallen war, zu vertiefen, er conſtatirte es nur, halb wider - willig, halb erfreut darüber und auf ſeine Fort - ſetzung geſpannt. Zumeiſt trieb es ihn, den nächſten, zunächſtliegenden Vortheil aus dem ihm widerfahrenen Glücke zu ziehen. Er hatte ja Irmers helfen wollen. Dieſer Gedanke hatte die tiefſte Furche in ſeinem Gehirn gegraben. Es zog und zerrte an ihm, wie aus einer unergründlichen Tiefe ſeiner Seele zu ihm ſprechend und ihn lenkend. Alſo erſt 'mal bei dem Eſel von Banquier anſchwirren und das Geld erheben. Das ging ſehr glatt, beinahe zu glatt für Adams Gefühl. Dem Herrn Doctor wäre eine kleine, reelle Abwechslung ſehr willkommen geweſen.

Adam rannte ſporenſtreichs nach dem nächſten Poſt - amte, ſchrieb vier Anweiſungen und zahlte die tauſend Mark an die Adreſſe Hedwig Irmers ein. Er konnte das Geld gar nicht ſchnell genug loswerden. Nun394 athmete er auf. Das war der Kaufpreis. Da lag er. Der Poſtbeamte ſtrich die dreißig Silberlinge gleich - gültig ein. Er war frei. Tauſend Mark das war auch immerhin eine ganz anſtändige Summe als Abſchlagszahlung auf nun! eben auf gewiſſe etwaige Alimente ....

Adam ſtand wieder auf der Straße. Er wußte nicht, was er mit ſich anfangen ſollte. Nach Hauſe gehen mochte er nicht. Ein heftiger Ekel vor ſeiner Wohnung ergriff ihn. In dieſer hin - und hervi - brirenden, zerklüfteten Stimmung konnte er ja doch nicht arbeiten. Er war nicht fähig, ſich zu ſammeln. Er wußte, wenn er zu Hauſe ſäße, in der Einſam - keit ſeines Zimmers, würde ſeine Unraſt noch wachſen und wachſen. Die Enge, die Stille würden ihn er - drücken. Immer nur würde an ihm zerren, würde in ihm wühlen, was er tagüber erlebt .. zerren, wühlen in ſchneidender Eintönigkeit, mit ſymmetri - ſchem, unerträglichem, ſchauderhaft correctem Des - potismus. Aber wie ſollte er ſeine Unraſt auslöſen? Eine leiſe Sehnſucht nach etwas Neuem, Unerlebtem, Abenteuerlichem durchzitterte ſeine Bruſt. Er hätte ſich ſo gern vergeſſen machen laſſen, er ſuchte Betäubung, und war's auch gemeine, geſchmackloſe Betäubung.

Es war zwiſchen ſieben und acht Uhr. In den Straßen lag dunſtige Wärme, beklemmende Stickluft, heiße, braſige Stimmung. Der Himmel war unrein, unreinlich, abſtoßend zerquirlt und verzettelt, hier ein Ballen ſchmutziggrauer Wolken mit matter oder dunkler gefärbten Rändern, die von tödtlicher Langweile zu395 triefen ſchienen, dort eine Spanne Wolkenloſigkeit von der blaugrünen Bleifarbe des Nelkenkrautes. Allenthalben breite, auf - und niederfluthende Menſchen - ſtröme, behagliches Schlendern und gleichſam geöltes Hinſchießen. Hunderte von entlaſſenen Arbeitsſclaven, die aus ihren Sälen und Höhlen kamen und eine karge Stunde der Freiheit genießen wollten. Aus dem Innern ſteinerner Thorwege und Hausfluren, aus geöffneten Kellerfenſtern quoll feuchte, kalte Luft.

Adam ließ ſich von der Maſſe mit forttreiben. Es war ihm gleichgültig wohin. Es war ihm ſchon recht ſo. Er hatte kein Ziel: das Schwimmen mit dem Strome kam ihm heute außerordentlich gelegen. Es dünkte ihn auch ſo paſſend zu der geſammten Verfaſſung ſeiner Verhältniſſe, der ſchnurrigen Be - ſchaffenheit ſeiner Lebensſituation, ſo, wie ſie heute von einer ſchönen Frau eingerenkt und beſtimmt war. Es galt, ſich bei Zeiten daran zu gewöhnen, daß man einen feſten Punkt gewonnen hatte, von dem aus man ſich dem realen, lebendigen Leben einfügen und einordnen ſollte.

Jetzt verſpürte Adam einen zaghaft zupfenden Hunger in ſich. Und auch die Neigung zu einem guten, ſchweren Glaſe Bier ſtreckte verſtohlen ihre kleinen, warmen, mahnenden, bittenden Fingerchen aus. Aber wohin ſollte er gehen? Die Lokale, die er gewöhnlich beſuchte, waren ihm momentan über Alles verhaßt. Er konnte es nicht über ſich gewinnen, eins oder das andere aufzuſuchen. Jetzt nur keine bekannten Räume, die, gegenſtändliche Erinnerungskeime, von irgend welchen396 Erlebniſſen zu erzählen wußten! Und jetzt nur keine bekannten Geſichter! Es aber mit einer Bierwirth - ſchaft aufzunehmen, die ihm noch fremd war, davon hielt ihn eine ſtarke, unerklärliche Scheu zurück, vielleicht ein Mißtrauen gegen neue Objecte, denen er ſich bei ſeiner nervöſen Zerfahrenheit und geiſtigen Ungleichmäßigkeit zur Zeit nicht gewachſen fühlte. Er mußte über ſich lächeln, konnte ſich aber nicht zwingen, aus ſeiner lächerlichen Unentſchloſſenheit her - auszugehen. So trollte er weiter. Und jetzt bog er plötzlich in eine Thür ein, die zu einem Lokale führte, in dem er früher öfter verkehrt hatte. Er wußte nicht, wie er ſo jäh und unvermittelt dazu kam, hier einzutreten. Er ſchüttelte den Kopf und öffnete mechaniſch die Thür. Nun ſtand er im Zimmer und ſuchte nach einem Platze.

Es war ein Reſtaurant ziemlich untergeordneten Ranges. Im Winter gab es Tingeltangel hier, und Adam war einige Male mit Bekannten hier 'reinge - fallen, um ſich den geſchmackloſen, ſtumpfſinnigen Ulk anzuſehen.

Im vorderen Theile des Raumes lag noch Abendhelle, ſpinnendes, merkwürdig keuſches Zwielicht. Hinten in der Nähe des Buffets brannte ſchon eine trübe, gelangweilte Gasflamme. Sie ſchien ſich ziem - lich anachroniſtiſch vorzukommen.

An den rohen, mit beleidigender Beſtimmtheit aneinandergeſtellten Tiſchen ſaßen ein paar Gäſte. Geſprochen wurde nicht viel. Ab und zu klapperte ein Bierſeidel. Die Athmoſphäre war warm, ſchweiß -397 dunſtig, dazu der impertinent ſcharfe Geſtank von ſchlechten Cigarren.

Adam ſetzte ſich an den erſten beſten Tiſch in der Mitte des Zimmers. Aus dem Hintergrunde, aus der Nachbarſchaft des Buffets, kam eine Kellnerin auf ihn zu.

Sie wünſchen ? fragte ſie mürriſch, ab - ſtoßend.

Ein Bairiſch und 'was zu eſſen

Ein belegtes Brötchen, Frankfurter Würſtchen, Aal in Gelée oder ?

Bringen Sie mir 'n belegtes Brötchen

Mit Wurſt, Schinken, Käſe ?

Ach Gott, das iſt gleichgültig .. alſo meinet - wegen mit Käſe, Schweizerkäſe es iſt ja ganz egal nur 'n Biſſel hurtig, mein Fräulein

Die Kellnerin begnügte ſich, eine verächtliche Kopfbewegung zu machen und ging ab. Jetzt ſtellte ſie das Bier vor Adam hin und zündete eine zweite Gasflamme an.

Adam ſchräg gegenüber, am Nebentiſche, ſaß ein junger Kerl, der darauf zu brennen ſchien, ſich mit dem neuen Ankömmling in ein Geſpräch einzu - laſſen. Er war augenſcheinlich nicht mehr ganz nüchtern. Seine Hände zitterten, wenn er nach dem Glaſe griff, er fuhr unruhig auf ſeinem Stuhle hin und her und tolpatſchte unbeholfen an ſeinem Ci - garrenſtummel herum, den er ſchon ganz zerkaut und zerdrückt hatte.

Ick bin Sie man nämlich heute nur in ab -398 sentia hier .. lallte er jetzt zu Adam hinüber eigentlich bin ick ſozuſagen von Hauſe aus, wiſſen Se, gelernter Klempner, aber Sie müſſen doch zu - geben, wenn Unſereener mit Bismarcken oben .. na! wie heeßt nur das Neſt .. ja! in Stralſund Theolojie ſtudirt hat

Greifswald wollen Sie wohl ſagen be - merkte Adam lächelnd und nahm ſein Käſebrötchen in Empfang, das ihm eben die Kellnerin mit bru - taler Nachläſſigkeit hinſchob.

Ein klein Wenig höflicher dürfteſt Du auch ſein, mein Kind das könnte wahrhaftig nichts ſchaden

Das zur Ordnung gerufene Fräulein warf ihrem Kritiker nur einen finſteren, drohenden Blick zu und ſetzte ſich an den Nebentiſch. Sie ſagte kein Wort.

Wat meenen Se?. Greifs .. Greifswald? Mir ſolls Recht ſin .. hähähä .. ick bin ja heute, müſſen Se wiſſen, nur in absentia hier und wenn Eener mit Bismarcken Theolojie ſtudirt hat, kann er ooch wohl een kleenet Wörtchen mitreden in de Weltgeſchichte, verſtehen Se mich! ... Habe ich etwa nicht Recht ? ...

Na! und wie haben Sie Recht, mein Beſter! Ich bin nämlich auch bloß in absentia hier wir ſind ja Alle nur in absentia auf der Welt

Na! Ick habe doch alſo Recht!. Sage ick denn det nich ?.

Meinetwegen! Aber jetzt laſſen Sie mich ge -399 fälligſt mit Ihrem Quatſch zufrieden, lieber Mit - menſch ja ?

Der brave Klempnergeſelle war ſehr verſchüchtert. Er ſah Adam groß, erſchrocken an, ſetzte dann ein blödes Verlegenheitslächeln, das ironiſch und pfiffig ſein ſollte, auf ſeine häßlichen, ſcharfen Züge, die gelblichgrau und runzlig waren wie rauhe Elephanten - haut, und taſtete unſicher nach ſeinem Glaſe.

Und ick bin man doch bloß in absentia hier .. det ſage ick und dabei bleibe ick murmelte er in ſeinem Kauderwälſch von reinem Schriftdeutſch und Berliner Dialect vor ſich hin ..

Bringen Sie mir noch 'n Glas!. comman - dirte Adam nach einer Weile, während der er ſein frugales Brötchen und den erſten Krug des ziemlich warmen und abgeſtandenen Bieres bewältigt hatte.

Jetzt ſetzte ſich die Kellnerin mit an ſeinen Tiſch. Sie ſah ihn mit ihren kalten, dunklen Augen feſt an.

Was habe ich Ihnen nur gethan, mein Fräu - lein ? fragte Adam, dem dieſe energiſche Muſte - rung unangenehm, unbequem war.

Das Mädchen ſchüttelte ein ganz klein Wenig den Kopf und fixirte Adam ruhig weiter.

Wollen Sie die Blume trinken ?

Ich danke

Jetzt ſpielte Adam den Beleidigten. Er ſah das kleine, knurrige Weib herausfordernd an. Dabei bemerkte er, daß die Donna kein unintereſſantes Geſicht hatte. Die Züge waren nur etwas ſcharf,400 herb, zu nuancirt gefaltet, die Haut zerriſſen und porös, als ob ſie früher ſtark geſchminkt worden wäre.

Neue Gäſte kamen. Handwerker mit den breit - ſpurigen Gerüchen ihrer Werkſtätten, Arbeiter: ge - bückt, gekrümmt, nachläſſig, ſchleppend und ſchwerfällig im Gang, unreinlich, abgeſchunden, zerriſſen, rußig, allenthalben mit Fabriksſpuren und Arbeitsnarben beſät, in den Geſichtern Gleichgültigkeit, Stumpfſinn, oft auch zehrenden Gram, der ſich in den Phyſiog - nomie'n ſeinen beſtimmten Ausdruck geſchaffen, hier und da Spuren einſtiger Intelligenz, aber ſtark ver - wiſcht und verkümmert. Ab und zu erſchien wohl auch Einer, der nach Kleidung und Benehmen einer beſſeren Geſellſchaftsklaſſe angehörte. Das Sprechen wurde lauter, ſchriller, die Stimmen vermiſchten und verwirrten ſich. Jetzt brannten alle Gasflammen, das letzte Streifchen, das letzte Pünktchen müden, graublauen Abendlichts war aufgezehrt. Man hatte in den Eingeweiden der Häuſer keine Zeit, auf das völlige Hinſterben des Tages zu warten. Der konnte ſich draußen auf der Straße, wo die breiten, ſchwarzen Schatten lagen, auf dem Felde, im Walde mit der ſiegenden Finſterniß abfinden. Hier lechzte das Leben nach neuen Kryſtallen. Verblutende läßt man allein. Auch das Licht, das verblutet. Und ſo bleibt es keuſch und makellos.

Hinter dem Buffet war der Wirth erſchienen. Die Kellnerin lief auf und ab. Sie behandelte die Gäſte ſchroff, herb. Das gefiel Adam. Er ließ ſie401 nicht aus den Augen. Sie mußte das fühlen. Oefter, mit jähem, unvermitteltem Rucke, ſah ſie ſich nach ihm um. Er fing ihren Blick lächelnd, ironiſch, wie in halber, kopfnickender Genugthuung lächelnd, auf. Sie zuckte zurück .. und ſah doch wieder zu ihm hinüber. Wohl ſtreng und finſter .. und doch dünkte es Adam zuweilen, als läge ein heißes, namenlos heißes und brünſtiges Flehen in dieſem Blick eine erſchütternde Bitte um Hülfe ... Rettung ... Erlöſung .... So blieb er ſitzen .. und trank ihr zu Gefallen. Sie intereſſirte ihn jetzt. Wie - der Eine .. wieder Eine ... wieder Eine ... Aber es war nun einmal ſo. Und er konnte ſich des geheimnißvoll zwingenden, immer wachſenden Eindruckes nicht erwehren. Und er trank weiter ihr zu Gefallen. Sie ſah ihn ſo eigenthümlich an, wenn ſie ein friſches Glas Bier vor ihm hinſtellte. Und jetzt waren gerade alle Gäſte verſorgt, und ſie hatte einen freien Augenblick. Sie wandte ſich lang - ſam nach Adam um. Der winkte ihr mit den Augen. Sie trat zu ihm hin und beugte ſich zu ihm nieder. Geſicht lag neben Geſicht, Adam hörte ihr heftiges, haſtiges Athmen. Wie heißt Du ? raunte er ihr leiſe zu.

Leni. Bleib 'noch' n Bißchen hier ich muß Dir nachher 'was ſagen

Und er blieb und blieb und trank und trank weiter ihr zu Gefallen. Er fühlte, wie das ſchaale, abgeſtandene Zeug Gewalt über ihn gewann, wie ſeine Gedanken kürzer, eckiger, ſpringender wurden,Conradi, Adam Menſch. 26402ſeine Bewegungen ſchwerer, ungelenker .. er ſtarrte öfter vor ſich hin, ſecunden -, minutenlang, das Sprechen und Schreien und Klappern um ihn herum rann zuſammen zu einem ſchweren, dumpfen, ſum - menden Geräuſch, jetzt war es ihm plötzlich einmal, als ob er ſich einen Augenblick vorher ganz vergeſſen hatte, er hatte eine Secunde lang nicht exiſtirt, er hatte ſtumpf vor ſich hingebrütet und war doch zu - gleich ganz ausgelöſcht geweſen, nun rollte er ſich wieder auf und gliederte ſich, ſtraffte ſich ... und da züngelte Leni's Blick wieder zu ihm herüber .. und bat ihn .. und fragte ihn ... und flehte ihn an ... und ſie kam zu ihm, berührte leiſe ſein Haar, liebkoſte ihn .. und bog ſeinen Kopf zu ſich in die Höhe und ſchaute in ſeine Augen mit ihren kalten, dunklen, menſchenanklagenden Augen. Und er blieb und blieb und trank und trank weiter: dieſes warme, abgeſtandene, zähſchleimige Geſöff weiter ihr zu Gefallen, ihr zu Liebe

Nun lief das Lokal mit all' dem zechenden, ſchreienden Menſchengeſindel, was ſich da zufällig in ihm zuſammengefunden hatte, um Adam im Kreiſe herum. Das war fatal. Er hatte die bewußte Contenance verloren. Nur eine Priſe friſcher Luft konnte hier mildern.

Der Angezechte hatte eine gewiſſe Furcht vor dem Aufſtehen. Immer wieder ſank er in ſich zu - ſammen und blieb ſitzen. Endlich, ohne daß er es noch einmal bewußt gewollt hatte, ſchnellte er mit403 einem verbogenen Rucke in die Höhe und taſtete ſchwerfällig-ungelenk nach ſeinem Hute. Die Kellnerin kam auf ihn zugelaufen.

Was habe ich ? fragte Adam mit ſchwerer, unſicherer Zunge.

Du willſt ſchon gehen ? Warum denn ?

Mir iſt nicht wohl .. Das iſt auch 'n Dunſt ' ne Luft 'n Geſtank hier nicht zum Aushalten!. Alſo wie viel Bier?. Und .. und .. das .. das Bröt chen ?

Leni rechnete mürriſch zuſammen. Sie hatte wieder ihr erſtes, abweiſendes, verächtlich achſelzucken - des Benehmen angenommen. Adam warf das Geld auf den Tiſch. Das Weib war ihm jetzt verflucht gleichgültig. Nur 'raus aus dieſer entſetzlichen Bude! Er hatte keine Zeit, den Beichtvater zu ſpielen .. oder verpflichtende Zärtlichkeiten ſich abſchmeicheln zu laſſen.

Adieu! Ich komm morgen wieder

Ach Du! Geh 'nur! Du biſt ooch nicht an - ders

Du wirſt ja ſehen, daß ich Wort halte

Meinetwegen brauchſt Du nich zu kommen

Nu denn nich, meine Theure! Adieu!

An der Thür ſah ſich Adam noch einmal um. Das war ein graues, widerlich verqualmtes, ſchwer - fällig hin - und herſchaukelndes Bild, was er da vor ſich hatte. Leni war verſchwunden, wie hinwegge - nommen, verſchluckt. Nein! doch nicht. Da hinten am Buffet flirrte ihre rothe Taille in falbem, ver -26*404hangenem Scheine. Und jetzt kam das matte Flämmchen wieder näher und wurde größer, körper - licher. Adam ſtieß die Thür auf.

Die Luft auf der Gaſſe war nicht viel friſcher. Oefter lief ein kleiner, kühlerer, ſanft athmender Wind vorüber, der Adam wohl that. Er wurde bald ruhiger, ſicherer, klarer. In den Lüften ſchwamm noch die letzte, die allerletzte, faſt farbloſe Erinnerung an das weiße Licht des Tages. Bald kam der Mond herauf. Mit einer leiſen, discreten Helle überhäufte er zaghaft den Himmel. Einige Tropfen fielen, bald hörte der Regen wieder auf. Adam ſtapfte weiter und ließ ſich alle Stimmungserſchei - nungen der anbrechenden, ſchwülen Sommernacht gefallen.

Die Straßen waren leerer geworden, das Leben ſtiller, heimlicher, verhaltener. Adam ward es ganz ſonderbar zu Sinn. Er kam ſich ſo grenzenlos allein, vereinſamt vor, wie ausgeſetzt, wie ausgeſtoßen. Er empfand Mitleid mit ſich in dieſer großen Einſam - keit. Sein Weg ging durch kleine, enge Straßen und Gaſſen. Selten begegnete ihm ein Menſch, ein unbekannter, aus den Schatten des Abends auftau - chender Menſch, ein Einzelner, vielleicht auch ein Vereinzelter, oder Zwei oder Drei. Vor einer Thür, unter einem Fenſter, ſtand wohl auch hier und da ein Pärchen und flüſterte. Adam zog vorüber. Manchmal wunderte er ſich im Stillen über das, an dem er vorüberzog, wunderte ſich über die warme, geſchmeidige Sommernacht, über dies und das aus405 der Welt und dem Menſchenleben, was ihm gerade als ſchärferer Gedanke, in ſchärferem Bilde zufiel und aufging, wunderte ſich langſam über die bunten Erlebniſſe ſeiner letzten Tage. Er wunderte ſich mit der intimen und tolpatſchigen Naivetät des Kindes. Er lächelte verſtohlen vor ſich hin und that ſehr geheimnißvoll. Er war ſehr glücklich.

Nun trieb er durch eine breitere, hellere, be - lebtere Straße. Und wieder kam das Gefühl gren - zenloſer Vereinſamtheit über ihn, jetzt noch ſtärker, bezwingender, noch mehr niederwuchtend und ein - ſchnürend. Oefter war es ihm, als müßte er einen Schrei ausſtoßen, einen kurzen, harten Schrei .. einen dunklen, verlorenen Ruf durch die Nacht, einen Ruf der Sehnſucht .. einen Schrei brennender Herzensverzweiflung. Unter den Menſchen, die da ihm entgegenkamen, die da an ihm vorübergingen, mußte doch ſo Mancher ſein, der ihn verſtehen würde, wenn er ihm ſeine Bruſt öffnete, der ſich zu ihm geſellen, der mit ihm weitergehen würde, wenn er ſeine Sehnſucht und ſein heimliches Weh erfahren. Oh! Wenn er riefe gewiß! ſie würden kommen, froh, daß ſie Einen und Andere gefunden, die ihres - gleichen wären. Aber er ging weiter, in ſich ver - ſunken, der Ruf erſtickte und erſtarb in ſeinem Munde, er ſchrie nicht, er hatte nicht den Muth dazu.

Der Mond war durchgebrochen. Mit ſeiner goldgelben, maſſiven, durch ihre ſcharfe Plaſtik und Umriſſenheit geradezu aufdringlichen Fülle ſtand er in einem See flimmernden, ſtahlblauen Aethers. Ihm406 zu Häupten und zu Füßen, an ſeinen Flanken hatten ſich vielgeſtaltige, ungefüge Wolkengruppen hinge - lagert, mächtige Wülſte und Kämme, Schichten, mit ſich emporſträubendem oder herabfaſerndem, braun - gelb beleuchtetem Geſtreif. Stetig wechſelte das Bild, die Formen verſchwammen in einander und ſchoben ſich zuſammen, gewaltige Thierleiber wuchſen heraus, Drachengeſtalten und Krokodile mit klaffenden Rachen, Wälle mit Burgen quaderten ſich empor .. und in gigantiſchen Umriſſen quollen nicht zu verſchwollene Profile von ungeheueren Menſchengeſichtern auf ..

Aber ſolange Adam mit den Augen der großen Himmelsſcene entgegenging, ſtand der Mond unan - getaſtet, wie in ſelbſtverſtändlicher Souveränetät, in - mitten ſeines flimmernden, ſtahlblauen Aetherſees. Und um ihn herum, von ſeinem gelbweißem Lichte übergoſſen, das impoſante Spiel der Phaenomene, die wurden, waren, geweſen waren und wiederum wurden.

Adam ſah nach der Uhr. Es ging auf die elfte Stunde. Nun dachte er daran, ſich heimwärts zu ſchlagen. Er war eigentlich recht abgeſpannt, er hatte gar nicht mehr Alles beiſammen, worüber er ſonſt verfügte. Und doch faßte ihn ein unklares Gefühl an und hielt ihn zurück. Mechaniſch trollte er ſich weiter. Es war ihm, als ob er vor ſich ſelber immer mehr erlöſche, als ob ſich alles Geiſtige in ihm verſtofflichte und zur Epidermis hinaustriebe, hinauseiterte. Er mußte über dieſe Wahrnehmung lachen, der Vorgang dünkte ihn zu dumm.

407

Nun war er mit einem Male in die Nähe des bewußten Parkes gekommen. Es zog ihn hinein, da drinnen mochte es noch mehr Leben geben, als hier auf den ſchmalen Gaſſen der Vorſtadt. Und plötzlich ſehnte er ſich nach dem Leben, wie es ſich im zärtlichen Widerſpiel zweier Menſchen, die auf einander geſtimmt worden, erfüllt. Das war wohl ein kleinliches, ſchwächliches Gefühl. Er warf es von ſich und ſuchte nach neuer Speiſe des Geiſtes. Er dachte an Lydia, die ja ſeine Braut ſein ſollte. Er blieb mitten auf dem Wege ſtehen, blinzelte zum Monde hinauf, der eben die Finſterniß einer breit - leibigen Wolke überwunden hatte und wieder in ſeinen flimmernden, ſtahlblauen Aetherſee ſchoß. Adam gab ſich alle Mühe, Lydias Geſicht im Geiſte deut - lich vor ſich zu ſchauen. Es gelang ihm nicht, manch - mal blitzte es vor ihm auf, jetzt glaubte er ſie deut - lich zu faſſen, wie ſie zu ihm ſagte: Ja! Du mußt ſehr unglücklich ſein, Adam , aber nur eine Se - kunde war's, Alles verſchwamm wieder, die Linien der Züge wollten ſich in der Erinnerung nicht zu - rückgewinnen laſſen, und auch der Ton ihrer Stimme, auf den Adam horchte, ganz ſtill, mit verhaltenem Athem horchte, flirrte nur in undeutlichem Surren an ihm vorüber. Wie weit war ſie ihm, wie wenig intim und unverlierbar gehörte ſie ihm, wie nach - läſſig hatte er im Geiſte ihren Beſitz gehütet!

Hier und da, von den Bänken her in den Wald - niſchen, an den Wegen, an den breiten und ſchmalen Pfaden, gab es leiſe flüſternde Stimmen. Menſchen408 zu Zweien und Mehreren, ſchritten ſtill an Adam vorüber, manchmal war's dem, als träumte er, als wäre er emporgehoben und ſchwebte dahin, ſo leicht erſchien ihm auf kurze Spannen das Gehen im dünnen, feinen Staubmehle des Weges. Es war doch Alles ſehr merkwürdig auf der Welt, man konnte darüber ſtill vergnügt lächeln, alles Vielfältige, Zer - riſſene und Vertheilte ſtand jenſeits dieſes verſchol - lenen Reiches, in dem man ſo ganz vergeſſen durfte, daß es ſehr rauhe Reibungen gab und ſo viele Ecken, Kanten und Spitzen, an denen man ſich ver - wunden ſollte.

Nun ſetzte ſich Adam auf eine Bank, die gerade leer war. Er dehnte behaglich die Beine weit vor ſich hin, ſteckte die Hände in die Hoſentaſchen und brütete, nur die leiſeſten Wirbel in der Seele, vor ſich hin, das kleine Stück Ringsum mehr von unten herauf anblinzelnd. Vor ihm lag eine große Wieſe, hoch, dicht, üppig ſtanden die Gräſer und Kräuter, darüber plänkelte ein dünner, zartwolkiger, grauweißer Nebel, dazu das blaſſe, verſchämt taſtende Aſchen - licht des Mondes. Von jenſeits der Wieſe, aus einem Garten wohl hinter der dortigen Waldwand, kam verhaltene Muſik, der Wind ſchob verzettelte Töne vernehmbarer dem Lauſchenden heran, der Ruf eines Nachtvogels ſtieg aus den Lufthöhen nieder. Nun ſchwieg die Muſik. Ein zuſammengeſchmiegtes Pärchen, das ſich in brünſtiger Hingegebenheit mehr trug als führte, ſchleifte ſich, laut athmend und erregt tuſchelnd, vorbei, es verſchwand im Walde. 409Durch die Gräſer und Kräuter der Wieſe ſtrich ein murmelnd aufblätternder und raſchelnd niederſegnen - der Nachtwind. Adam war ganz allein, überant - wortet den ſanften Gewalten der ſchwülen Sommer - nacht. Er wurde müde, ſprach in bunter Willkür Allerlei vor ſich hin, fuhr wieder empor, betaſtete mit halblauten Worten ſeine verworrenen Gedanken, ſchüttelte den Kopf und ließ ſich vom Schlafe wie - derum übermannen ... Unterweilen wuchs die Som - mernacht, Adam Menſch ſchlief, im Walde, auf einer Bank am Wege, als hätte er, wie Unzählige ſeiner Brüder und Schweſtern, keine andere Stätte, da er ſein Haupt niederlegen könne. Und er war doch heute erſt im Schooße der Schönheit und des Reich - thums eingekehrt.

Eine Stunde wohl ſaß ſo Adam in ſich zu - ſammengekrümmt da und ſchlief. Nun mochte ein kühlerer Athemzug des Nachtwindes an ihm gezupft und ihn geweckt haben. Er ſchlug die Augen lang - ſam auf, ſtarrte verblüfft ſeine Umgebung an und richtete ſich aus ſeiner halbliegenden Stellung immer - mehr in die Höhe. Allmählich kam ihm das Be - wußtſein ſeiner Situation. Er lächelte ein klein Wenig, war aber doch ſehr mürriſch und ſuchte nach einer beißenden Gloſſe auf ſich. Er fand keine kräftige, pointirte Wendung, die geiſtige Münzkraft ſchien, ſich ihm ganz entzogen zu haben. Seine Glieder waren ſchwer und ſteif, ein prickelndes Fröſteln durch - zitterte ihn, ſeine Augen brannten, ſeine Stirn war heiß, dicht über den Augen lag ein harter Druck410 mit trockenem, mechaniſchem Schmerze. Nun zog er den Hut, der ſich arg verſchoben hatte, in ſeine ge - wöhnliche Lage zurück, knöpfte ſeinen Rock zu und ſtand auf. Das Gehen wurde ihm ſchwer, er konnte den Kopf nicht bewegen, wie er wollte, der Hals war ganz geſteift. Adam ſah nach der Uhr, es war nach Mitternacht. Er ſuchte nach einer Cigarre, gleichſam um außer ſich etwas Fremdes, etwas An - deres zu haben, Etwas, das ihn begleitete, das dieſe Einſamkeit, dieſe grenzenloſe Einſamkeit, die ihn zu erdrücken drohte, zerſtreute, unterbrach, verſcheuchte, wenigſtens mit ihm theilte. Er hatte keinen Genuß an der Cigarre, aber das rothe, runde Auge ihrer Brandſtätte tröſtete ihn. Mit großen, eiligen Schritten ſuchte er aus dem Bereiche des Waldes zu entkommen. Die große, monotone, aber ergreifende Poeſie der Sommernacht bewegte ihn nicht mehr. Die leidende Creatur konnte nicht über ſich hinausgehen.

Nun war er wieder in der Stadt, er hatte das Pflaſter wieder unter den Füßen, die flankirenden Häuſer ſchienen, wie ein geheimnißvoller Schutz, eine innige Beruhigung auszuathmen. Die lähmende Dumpfheit, die auf ihm gelegen hatte, wich zurück, das Nervenleben erhöhte ſich wieder, die Sinne wachten auf, das Leben pulſte von Neuem, wenn auch immer matt noch und ſtockend. Das heftige Laufen hatte ihn angeſtrengt, eine ſchwüle, ſchweißige Schwere lag in ſeinen Gliedern. Jetzt wollte Adam endlich nach Hauſe gehen. Es war Zeit dazu. Allerdings, ob er würde ſchlafen können, bezweifelte411 er. Er fieberte immer noch ſtark, ſtechende Hitze - ſchauer liefen an ſeinem Leibe auf und nieder. Wie mechaniſch aufgezogen ſtapfte er vorwärts. Die Cigarre war ausgegangen, er konnte ſich nicht dazu bequemen, ſie wieder in Brand zu ſetzen, er be - durfte ihrer ſchließlich auch nicht mehr. Jetzt ging er eine breite Straße hinunter, die am Tage, beſonders in den ſpäteren Nachmittagsſtunden, die belebteſte der Stadt war. Am Himmel gab es immer noch ſanfte, discrete Mondhelle, die Laternen brannten eine um die andere, ſtill, kleinlaut, verträumt ſtanden die gelbroten Flammen in ihren weißen Glasbauern. Da und dort tauchte noch ein Menſch auf, ein ſpäter Zecher, eine ſatte oder ſuchende Vagantin, zuweilen auch ein kleiner Schwarm be - haglich plaudernder Nachtwandler. Allerlei leiſes, verworrenes Geräuſch ſummte um Adam herum, ein kleiner Burſche mit einem Korbe verwelkter Blumen, verwelkter Veilchen und Roſen, lief ihm in den Weg, beinahe wäre er über das Kind ge - ſtolpert, das ihn mit ſeinen großen, blöden Augen im blaſſen, häßlichen, früh entwickelten und zer - falteten Geſicht erſchrocken anſah. Adam mußte einem jähen Einfalle folgen, er kaufte ſich ein ver - welktes, nur noch ein ſchmutziges Parfüm aus - athmendes Veilchenſträußchen und warf ein Markſtück in den Korb. Die blauſchwarzen Blumen zog er mit unendlicher Genugthuung ins Knopfloch und lief weiter. Eine große, bohrende Leere war in ihm, nur manchmal ſchoß ein Ballen verworrener412 Vorſtellungen und Gedanken empor, dann dünkte ihn das Leben unerträglich ſchaal und überflüſſig, es er - ſchien ihm als ein Dämon, als ein Ungeheuer, und der Ekel vor ihm ſtellte ſich in einem zuſammen - ſchnürenden, inneren Krampfe dar. Wieder überfiel ihn das Gefühl ſeiner Einſamkeit, Alles hatte ſich von ihm losgeſagt, er war allein, ganz allein. Er wußte, daß er vor einem großen Unglück ſtände, er biß ſich feſt hinein in die Furcht vor dieſem geheim - nißvollen Unglück, er glaubte an dieſes Unglück, er ſchauderte zurück, der Dämon wurde immer ge - waltiger in ihm. Alles war ihm reizlos, er ver - zweifelte. Die Leidenſchaften ſeiner Seele ver - achtete er, die Lüge ſeiner Exiſtenz ging ihm in ſchneidender Schärfe auf, vor ſeiner Verlobungs - komödie mit Lydia ſpuckte er aus, er fühlte ſich herabgewürdigt, er hatte ein dumpfes, unklares Ge - fühl, als wäre er bis auf den Tod beleidigt, als könnte er nach der Schmach, die ihn getroffen, die er ſich hatte gefallen laſſen, nicht mehr leben. So kam er auf den Tod. Er dachte an den Tod, er haſchte nach klaren, ſcharfen Eindrücken vom Tode, er wollte ſein Bild zwiſchen die Zähne des Geiſtes ziehen und knirſchend zermalmen. Sie ſollte ihm nichts mehr anhaben, die fahle, zerlöcherte Larve. Aber er konnte das ſtachlige Gefühl wurmender Todesfurcht nicht los werden, all' ſein Anſtemmen, ſein Empören war vergeblich, ſchließlich ſummte er mit verhalten gellender Wut vor ſich hin: O Thanatos, o Thanatos, wie ſchwarz ſind deine413 Blätter Er fürchtete den Tod, er liebte das Leben, die Bewegung, das beflügelte Blut. Plötzlich erſchien ihm das Leben ſehr werthvoll, er fand mit auffallender Geſchicklichkeit tauſende ſeiner Reize, ſeiner feineren, geiſtvolleren Freuden. Er beſchloß, ſich das Leben um jeden Preis zu wahren, ſelbſt wenn er ein Lump, ein Ehrloſer, ein Verbrecher darüber werden ſollte. Zuweilen hatte er wohl in triſter Ent - ſagungsphiloſophie gemacht. Er mußte jetzt über dieſe Bubenſtreiche lachen. Er lachte laut, unheimlich laut. Wünſche, Begierden, Hoffnungen, kühne, bedeutende Hoffnungen ſproßten auf in ſeiner Bruſt. Er wollte leben, wollte leben um jeden Preis. Was? Ent - ſagen, ohne genoſſen zu haben? Da wäre der Tod ein ſchlechter Witz ohne Pointe. Ah! das ver - achtete Leben rächt ſich. Adam war damit ein - verſtanden. Er wollte ſich an ſich ſelber rächen. Und doch durchſchaute er den ganzen, brutalen Egoismus des Weltapparats: die Reize und Freuden des Lebens ſchoben ſich wieder zurück vor ihm, weit, weit in einen dämmerungsverſchwommenen Hinter - grund zurück. Vor ſich ſah er jetzt nur ſteinichte Wege, zielloſe Bahnen. Das Andere lag ja Alles nur in der beſtechenden Nähe, war Augenblicksgenuß aus geſchwollener Börſe, mit vollen, kauenden Backen. So dumm! Und doch gabs große, unabhängige, ge - bundene Kräfte hier und da in beſonderen Menſchen - herzen, die nach kosmiſcher Ungebundenheit lechzten. Dabei lebten ſie ſich aus und entfalteten ſeltene Schauſpiele. War's nicht der Mühe werth, da Zu -414 ſchauer zu ſein? Auch nicht, ſchließlich auch nicht. Auch nicht der Mühe wert. Und dem Adam eben noch in inſtinctivem Daſeinsgefühl zugejauchzt, das ihn werthvoll gedünkt und begehrenswerth, verwarf er jetzt und verachtete er. Eine große, trübe Leere war in ihm ... und ſein Intereſſe am Weibe, das immer ſo groß und ſo ſtark geweſen, und ſein Intereſſe an der Kunſt und an der Natur mit ihren magiſchen Troſtreizen zerſtäubte, zerfiel und erſtarb in dieſer Stimmung, wo er nur noch lebte, weil zufällig über ſeinen Organismus noch keine an - dere, fremde, äußere Macht Herr geworden.

Adam ging an einem Nachtcafé vorüber. Sollte er eintreten? Er hatte oft dort geſeſſen, hatte manchen Scat mit Kameraden und Kumpanen dort gedroſchen, manchen faulen Witz geriſſen und eine ſchwere Menge Unflätereien angehört. Sollte er eintreten? Es hatte keinen Zweck. Dieſe Talmireize des Lebens ſind wirklich zu blöde und zu geſchmack - los. Er ging weiter. Eine hellerleuchtete Bahn - hofsuhr kam in Sicht. Es war Eins durch. Adam blieb ſtehen. Eine gewaltige Sehnſucht packte ihn, eine fanatiſche Sehnſucht in die Ferne hinein. Wenn er ſich jetzt in den erſten beſten Zug warf und hinausfuhr, war er all' den dummen, rüden Krempel los, hatte er alle dieſe abgeſchmackten Lügen hinter ſich, verſchwamm Alles, ſchlug Alles zuſammen hinter ihm. Da war die Thür. Eine Pforte zu auch einer Zukunft. Er ſchüttelte wehmütig den Kopf. Ach! Er ſtak zu tief, zu tief im Schlamme dieſes415 verworrenen Lebens. Nun wollte er nach Hauſe gehen, endlich nach Hauſe, auf dem kürzeſten Wege. Er bog in eine ſchmale Gaſſe ein, die an ihrem Ende breiter wurde. Da links war eine Lücke, wenigſtens eine Art von Lücke, eine auffällige Unterbrechung. Ein Haus wurde abgeriſſen. Einen wüſten Schutthaufen gab's, grauſchwarz nahm ſich's in der falben Monddämmerung aus, Balkenköpfe ragten aus dem maſſiven Wirrwarr mit den ſtumpfen Grenzen ihrer plumpen Formen heraus, verſchiedene wie geſchundene Mauerreſte ſtanden herum, herab - faſerndes Rohrwerk lugte aus einer verwinkelten Hausecke. Und da war auch noch eine Tapete ſichtbar, eine grünſchwarze Tapete. Adam war über die Barrière, in deren Mitte eine trübe, verſchlafene Oelfunzel blinzelte, geklettert und verſuchte, ſich ſo weit als möglich der Wand zu nähern. Es war ihm ein ungeſtümes Zucken, ein nervöſes Prickeln in den Fingern, es trieb und zwang ihn unwiderſtehlich, die Tapete zu betaſten. Aber der Schutt war zu hoch und zu riſſig, zu klüftig, er mußte umkehren. Und da kam ihm der Ge - danke: wie ſieht die Tapete in deinem Arbeits - zimmer aus ? Er beſann ſich, beſann ſich, er konnte ſich der Farbe nicht erinnern. Der Gedanke, die dumme, einfältige Frage hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht wieder los. Sie keilte ſich feſt in ſeinem Gehirne. Er dachte nichts anderes mehr, er fragte ſich nur immer und immer wieder nach der Tapete in ſeinem Arbeitszimmer ... wie ſie aus -416 ſähe ... wie ſie ausſähe ... wie ſie ausſähe dieſe Tapete ... dieſe Tapete ... dieſe Tapete ...?

So lief er weiter, ſeiner Wohnung zu, je näher er ihr kam, um ſo mehr eilte er, die Schwere ſeiner Glieder war noch gewachſen, ſie war faſt unerträglich geworden, ſeinen Kopf fühlte Adam wie eine ſchwere, amorph verquollene Maſſe, er glaubte, ein dumpfes, knurrendes Kreiſen in ſeinem Schädel zu verſpüren, Alles war in ihm erſtorben, todt, wie aufgeſogen von dem Einen, das er wie eine materielle Laſt in ſeinem Gehirn empfand ... wie aufgeſogen von der Frage, die immer wiederkam und ihn ganz ausfüllte von der Frage nach der Farbe ſeiner Tapete ... Und er lief weiter in die Nacht hinein und keuchte halblaut vor ſich hin: Tapete ... Tapete ... Tapete ...

Nun ſtand er vor dem Hauſe, in dem er wohnte. Er ſah unwillkürlich zu ſeinen Fenſtern hinauf. Oben war Licht.

Adam ſchrak zuſammen. Wer war da oben? Wer war in ſeinem Zimmer? Wer erwartete ihn da? Wer? Wer? Wer? Wer lauerte auf ihn? Ah! Das Unglück! Jawohl, das Unglück, das er ſchon den ganzen Abend über geahnt hatte! Oder der Tod? Oder der Wahnſinn? Wer ſaß da hinter dieſen blaßerleuchteten Scheiben ... auf einem Fauteuil ... auf dem Sopha ... irgendwo in ſeinem Zimmer ? Wer kauerte unter dem Tiſche, auf dem Teppich? Wer? Wer? Wer ?

Aber es konnte ja nicht ſein. Es war eine417 Täuſchung. Er ſchlich ſich über den Fahrdamm, leiſe, ganz leiſe, als ob ihn Keiner hören ſollte ... auch jener Unbekannte nicht, der da oben hinter den blaßerleuchteten Scheiben ſaß, auch jener unbekannte Gaſt nicht ... und ſchaute noch einmal empor. Aber der matte falbe Lichtſchein blieb, er blieb, in derſelben discreten Stärke, in derſelben monotonen Gleichmäßigkeit, er blieb und blieb ... und blieb ... und kein Schatten lief dort oben hinter den Scheiben vorbei ...

Adam athmete tief auf. Er fürchtete ſich wohl noch? War er denn ein Mann oder ein ſchlottriger Bube? Mochte ihn doch dort oben erwarten, wer wollte, wer Luſt dazu hatte ha! er fürchtete ſich nicht, gewiß nicht ... er würde jetzt hinaufgehen und ſich mit eigenen Augen überzeugen ... und dem Eindringling entgegentreten ... und ſich ihm zum Kampfe ſtellen, wenn's ſein mußte ja! wenn's ſein mußte

Adams Hände zitterten doch ſtark, als er das Schlüſſelloch ſuchte. Nun ging er die Treppen in die Höhe, langſam, ſchwer athmend, immer langſamer, er ſchleppte ſich hinauf, es lag eine dumpfe, ſchwere, unabwälzbare Furcht auf ihm. Die Heimchen zirpten, auf den Stufen winſelten blauſchwarze, ſchwindſüchtige Mondſcheinſchatten.

Nun ſtand er auf dem Corridor, dicht vor ſeiner Thür. Er horchte. Es war Alles ſtill, Alles todten - ſtill hinter dieſer Thür. Nichts regte ſich, bewegte ſich. Adam athmete ſchwer. Ein eingekrallter DruckConradi, Adam Menſch. 27418würgte an ſeiner Kehle. Ha! Fürchtete er ſich denn immer noch? Nein! Nein! Er brauchte ja bloß dieſe Thür aufzureißen ... und er wußte, wer ihn er - wartete ... er ſah Den, der die Hände nach ihm ausſtreckte ... Es war zum Todtlachen! Er fürch - tete ſich! Und jetzt plötzlich kam ihm der Gedanke an die Tapete wieder, an die Farbe ſeiner Tapete. Ha! Was ging ihn der an, der da hinter dieſer Thür ſaß und ihn erwartete? Nichts! Nichts! Er wollte ja nur wiſſen, wie die Tapete in ſeinem Zimmer ausſähe es war das Einzige, was ihn noch auf der weiten, weiten Welt intereſſirte Alles andere war ihm ſo gleichgültig, ſo furchtbar gleichgültig und wenn der Tod ... und wenn der Wahnſinn ... und wenn irgend ein Un - glück mit fletſchenden Zähnen hinter dieſer Thür ſaß und auf ihn lauerte was verſchlug's? Ha! War denn das nicht ſchon der Wahnſinn, dieſe Wuth, die in ihm brannte und biß und fraß, dieſe Wuth, die Farbe ſeiner Tapete, auf die er ſich nun ein - mal nicht beſinnen konnte, zu erfaſſen? War denn das nicht ſchon der pure, blanke Wahnſinn? Alſo denn los! Bebend legte Adam die Hand auf die Klinke und riß die Thür auf.

Das Zimmer lag in ſtillem Frieden. Auf dem Tiſche brannte ruhig die Lampe. Auf dem Sopha ſaß Emmy. Sie war gegen die Lehne zurückgeſunken und ſchlief. Langſam und ruhig, tief, ſicher, geſund ging ihr Athem. Auf dem Tiſche lag ein auf - geſchlagenes Buch.

419

Adam zog die Thür mechaniſch hinter ſich zu und blieb dicht an der Schwelle ſtehen. Mit großen, ſtarren Augen ſchaute er auf die friedliche Idylle hin, die in klaren Linien, in ſcharfer Plaſtik vor ihm lag. Ein Fenſter war offen, ein warmer Nachthauch ſäuſelte flüſternd herein, leiſe kniſterte das Licht der Lampe.

Adam athmete tief auf. Er nahm den Hut ab und fuhr ſich mit der linken Hand über Augen und Stirn. Es war ihm, als glitte Etwas von ihm nieder, fiele von ihm ab, er glaubte, eine wirkliche, gegenſtändliche Erleichterung zu verſpüren, er war phyſiſch entlaſtet, er fühlte ſich plötzlich freier und beweglicher, ſeine Glieder waren flüſſiger geworden. Der Spuk, vor dem er ſich wie ein unmündiger Knabe gefürchtet, vor dem er gezittert, war zerronnen, er war gerettet. Ein unendlich wohlthuendes Gefühl der Geborgenheit kam über den Gefolterten und Abgehetzten.

Adam ſtand immer noch dicht an der Schwelle. Unwillkürlich ſcheute er ſich, durch das Zimmer zu gehen, er wollte Emmy, die tief und feſt zu ſchlafen ſchien, nicht aufwecken, er ſog ſich feſt an dem Bilde, das ſein Auge ſchaute, ſog ſich feſt mit der heißen, intimen, ungeſtümen Dankesinbrunſt des Geretteten. Er fürchtete, durch einen lauten, zu lauten Schritt die holde Phantaſie zu verſcheuchen und dann, das wußte er, war er ja wieder ihr verfallen, der zerſchnürenden Furcht und ihm, dem zer - wühlenden Wahnſinn. Nun wurde Emmy unruhig. 27*420Das in ihre Umgebung neu eingetretene Moment lockerte wohl die Decke ihres Schlafes. Ihr Kopf rutſchte einige Male, wie ſuchend, wie in der Abſicht, ſich zu entwirren und ſich einem anderen, dem wirk - lichen Leben wieder anzupaſſen, hin und her, der Mund, der vorher ein klein Wenig geöffnet geweſen, ſchloß ſich, nun ſchlug ſie die Augen auf, noch ein - mal fielen die Lider nieder, jetzt wurden ſie abermals mit jähem Rucke emporgezogen, die weit geöffneten Augen ſtarrten Adam wie eine fremde, unheimliche Erſcheinung an. Das Weib ſchnellte empor, ſank wieder zurück : Adam! Mein Gott! Ich habe wohl geſchlafen ? Aber Du biſt lange ge - blieben ! Wo bin ich denn nur ?

Bei mir, Emmy und ich danke Dir, daß Du hier biſt Das hatte Adam in faſt feier - lichem Tone geſprochen. Er war mit ſteifen, cor - recten Schritten durch das Zimmer geſchritten, als wäre er zum Automaten eingedrillt. Emmys Blicke waren erſtaunt ſeiner Curve gefolgt. Es lag ein ſtummer Schrecken, der ſich nur noch nicht ordentlich hervorwagte, in ihren Augen.

Ich habe lange auf Dich gewartet begann ſie leiſe, zaghaft ſei mir nicht böſe, Adam nachher bin ich wohl eingeſchlafen ich hatte erſt geleſen aber ich hatte keine Ruhe mehr Du hätteſt doch 'mal zu mir kommen können, Du Böſer

Adam ſtieß ein rauhes, gezacktes, blechernes Lachen aus: Ah! zur Mätreſſe dieſes dieſes421 na! wie heißt denn der Bengel ? alſo na ja! Was? ! das wäre famos geweſen! ... Da mußt Du Dir aber andere Liebhaber ausſuchen, Zerlinchen! ... Ich bin zu gut für ſo 'ne ver - fluchte Hurenbagage, wie Ihr alle zuſammen

Adam! Mein Gott! was iſt Dir denn ? Iſt Dir was paſſirt ? Und was ſtarrſt Du denn die Tapete ſo an? Mein Gott! Das iſt ja furchtbar Du biſt ja Adam !

Emmy war aufgeſprungen und ſtand jetzt zwiſchen der einen Sophalehne und dem Tiſche. Sie war blaß geworden, zitterte und mußte ſich rechts und links mit den Händen feſthalten.

Aus der Tiefe des Zimmers ſchlich Adam auf den Zehen der Wand zu. Der Leib war vorn - übergebeugt, der Kopf zwiſchen die Schultern ge - zogen, die ganze Geſtalt trug die krampfhafte Ge - ſpanntheit eines Irrſinnigen. Zufällig war ſein Blick vorhin auf die Tapete über dem Sopha ge - fallen, war einen Moment dort haften geblieben. Und da war die Erinnerung aufgezuckt und hatte ihm den Gedanken zurückgebracht, der ihn auf ſeiner Irrfahrt ſo müde gehetzt. Ha! das war's ja! Das hatte er ja wiſſen wollen alles Andere die Furcht vor dem dunklen Etwas, das da oben auf ihn lauerte, war ja nichts geweſen nichts nichts gar nichts gegenüber dieſer fürchter - lichen Neugier auf die Farbe ſeiner Tapete ... Und nun hatte er die Tapete vor ſich. Ha! Die Beſtie konnte ihm nun nicht mehr entſchlüpfen, er würde422 ſie ſchon kriegen ha! jetzt mußte ſie Farbe be - kennen jetzt war ſie geliefert! Nichts half ihr mehr nichts !

Emmy wollte ſich Adam entgegen werfen. Er ſchleuderte ſie auf die Seite und ſtürzte ſich auf die Wand. Mit geballten Fäuſten trommelte er wie ein Verrückter auf der Tapete herum, daß es verſchluckt - dumpf von der Steinmauer widertönte, er krallte die Fingernägel ein und kratzte gerippte Fetzen herunter. Seine Hände ſchmerzten ihm nicht, ſeine Augen waren weit aufgeriſſen und brannten in unſtäter Flamme. Ha! Alſo dieſe dummen, lehmgelben Fratzen haſt du, Beſtie und drunter ein ſo blödes, ſchauder - haftes Grau ha! wie dieſe ſchönen gelben Blätter und Ranken und und die kleinen niedlichen Figürchen na ja! na ja! hahaha ach! dieſe Mätzchen hähähä dieſe Mätzchen und und ... d d d da b ... b ... bildet ſich bildet ſich ... hähähä ... es iſt zum Todtſchreien Todtſchreien Todtſchreien Todtſchreien zum Todt - ſchreien! na ja! na ja! denke du du Weib! Weib! Weib! nun denke 'mal: da bilden bilden ſich dieſe bezechten Ara arab ... b ... b ... b ... besken noch was druf in zu dumm! zu dumm! und das iſt alſo das Ganze ach! ach mir iſt grenzenlos elend ums Herz das ... das Denken hat ſie mir ver - brannt die verfluchte Beſtie und nun iſt's wieder' mal niſcht niſcht gar niſcht 423 ab ſo lut niſcht! Ach! Iſt das lang - weilig

Adam ſickerte ſich aus, verſtummte nun, ſchob ſtöhnend die Arme über einander, preßte ſie taumelnd gegen die Wand und legte den Kopf darauf, als wäre er müde, todtmüde, als wollte er von all dem elenden, verwirrenden Lebenskram nichts mehr hören und ſehen

Emmy hatte ſich gefaßt. Zuerſt war ſie von einer lähmenden Furcht befallen worden. Die Worte waren ihr im Munde ſtecken geblieben, ſie hatte dieſe Scene eines unzweifelhaften Irrſinns nicht unter - brechen können. Nun raffte ſie ſich auf wie gut war es doch, daß ſie hier war, daß ſie ihrem Drange, Adam zu ſehen und zu ſprechen, ob er ſie geſtern auch impertinent genug behandelt hatte, doch noch nachgegeben! Sie zuckte zuſammen bei dem Ge - danken, wie furchtbar es geweſen wäre, würde Adam heute allein, ſich ſelbſt überlaſſen geblieben ſein. Leiſe trat ſie zu ihm hin: Komm, Adam! Sei wieder gut! Du biſt krank Du haſt Fieber was geht Dich die dumme Tapete an! Komm! Setz 'Dich hierher aufs Sopha komm! neben mich ... Du biſt ſo heiß ſoll ich Dir kalte Umſchläge machen ? Du wirſt ſehen: es wird bald beſſer werden, wenn Du Dich nur ruhig hältſt ... Und ſiehſt Du: ich bleibe bei Dir ja ? Willſt Du ?

Sie hatte den Kranken ſanft bei den Armen ge - faßt und aufs Sopha gezogen. Müde, ganz ent -424 kräftet und haltlos lehnte Adam das Haupt zurück. Er ſchloß die Augen. Er fühlte ſich unſäglich elend, er hätte weinen mögen, nun ſchluchzte er leiſe auf. Und doch war es ihm ein liebes, ſtilles Troſtgefühl, daß Emmy in ſeiner Nähe war.

Die hatte das Fenſter geſchloſſen und die Vor - hänge zuſammengezogen. Nun ging ſie nach dem Schlafzimmer hinüber und ſuchte nach Leinen für die kalten Umſchläge. Sie kam mit dem Waſchbecken zurück, rückte einen Stuhl neben das Sopha und begann ihr Liebeswerk. Die Sünderin war zur Samariterin geworden.

Allmählich wurde Adam ruhiger, das unendlich wohlthuende Gefühl der Geborgenheit kam wieder über ihn. Er träumte leiſe vor ſich hin, ſchlief wohl öfter auch einmal eine kleine Weile, dann ſickerte er wieder zum Leben, zum annähernden Be - greifen ſeiner momentanen Lage zurück. Einmal flüſterte er Leni vor ſich hin. Emmy hatte ſich neben ihn geſetzt, ſie ſah ihn mit ihren großen, dunklen Augen traurig an, manchmal ſtrich ſie leiſe, liebkoſend mit ihrer kleinen, glatten, kühlen Hand über ſeine Stirn oder ließ dieſe kleine, feſte, kühle Hand ſeiner Hand, die immer wieder nach ihr ſuchte ... Die liebe Tröſterin hatte das Buch wieder vorgenommen und las ab und zu ein paar Zeilen. Oefter blinzelte ſie Adam von ſeiner verdämmerten Sophaecke aus an und genoß mit leiſem Behagen die hellen, klaren Linien ihres ſchönen Profils. Da ſie ihn alle verlaſſen hatten, war ihm425 die Sünderin treu geblieben. Nun tickte es ihn aber doch nieder, verhalten war ihm der arge Ge - danke gekommen, er konnte ihn nicht unterdrücken, nicht hinunterſchlucken, mit einem matten, ironiſchen Lächeln begann er: Du biſt wohl eigentlich ge - kommen, Emmy Du haſt wohl gedacht ja! ſiehſt Du dazu bin ich heute nun doch zu ſchwach haha ich ich na! warte nur wir holen's nach, mein Liebchen

Aber Adam ! Was fällt Dir ein !

Nu ja! Geſtern habe ich Dich doch ſo quasi 'rausgeſchmiſſen und heute kommſt Du aber es iſt doch brav von Dir, Du armes, verrathenes Kind brav na warte! morgen morgen

Sei ſtill, Adam! Thu 'mir den Gefallen! Wir reden morgen davon ... Aber willſt Du nicht lieber zu Bett gehen ? Hier kannſt Du doch nicht bleiben ... Ja? Komm! Ich führe Dich hin - über ... Nachher rücke ich mir' n Seſſel neben Dein Bett und wache bei Dir ... Das iſt das Beſte komm!

Adam gab nach. Es war ihm auch ſo gleich - gültig, was mit ihm geſchah. Emmy brachte ihn zu Bett. Sie war um ihn herum, wie eine Mutter, die ihr krankes Kind wartet und pflegt und beſorgt in ſichere Hut birgt. Mit ſeiner Discretion, mit tactvollſter Gewandheit brachte ſie den Erſchöpften auf ſein Lager zur Ruhe. Dann zog ſie einen Fauteuil neben ſein Bett und ſetzte ſich zu ihm. Leiſe426 küßte ſie ihn auf die Stirn und gab ſeinen heißen, ſchweißigen, teigigen Fingern ihre kleine, glatte, kühle, feſte Hand zurück. Nun ſchlaf 'ſüß, Geliebter, und träume von mir flüſterte ſie ihm leiſe zu und fühlte, wie ſie erröthete. Wie gut war es, daß er ſie nicht ſah und nicht dieſes Erröthen bemerkte! Adam lächelte matt. Schon zogen die letzten ver - worrenen Tagesgedanken von ihm. Bald war er eingeſchlafen. Leiſe entzog ſie ihm ihre Hand und lehnte ſich zurück. Allerlei buntes Zeug ſchwirrte und flog noch durch ihren Kopf, ſie ſtarrte noch eine Weile vor ſich hin in die dämmrige Nacht. Dann fielen auch ihr die Augen zu.

Draußen huſchten die erſten, ſcheuen Frühlichter über den Horizont.

[427]

XIX.

Als Adam erwachte, lag die Sonne in breiten Licht - und Wärmemaſſen im Zimmer. Die Luft war ſchwül, ſchweißdurchdünſtet. Adam hob den Kopf aus den Kiſſen und ſah ſich um. Allmählich kehrte ihm die Erinnerung zurück, er entſann ſich, wie es gekommen war, daß Emmy da im Seſſel, kaum einen Schritt von ihm entfernt, ſaß und ſchlief. Ach ja! Das war geſtern ein böſer Tag ge - weſen und ein wüſter Abend. Aber nun war der Spuk verflogen, das kleine Weib da hatte ſeine letzten ſchwarzen Schatten zu verſcheuchen gewußt. Adam fühlte ſich heute wohler, im Ganzen geſtärkt und gekräftigt, wenn er auch noch eine träge Schwere und Mattigkeit in den Gliedern verſpürte und einen heftigen Schmerz im Hinterkopf. Auch das Genick war ſteif geworden, jede Bewegung zuckte ſtechend in den Schläfen nach. Adam beſchloß, leiſe aufzu - ſtehen. Die Zeit lief auf Neun, es war alſo ſchon ſpät genug. Aber Emmy konnte noch ruhig weiter ſchlafen. Ihr Athem ging tief und langſam. Der Kopf ruhte in halber Wendung nach links zwanglos an der Lehne, auf der Stirn ſtanden ein paar kleine428 Schweißtropfen. Die Decke war ihr von den Knieen auf den Teppich hinabgeglitten, die oberſten Knöpfe des Kleides waren ihren Oeffnungen entſchlüpft, discret ſchimmerte das Weiß vom Spitzenbeſatze des Hemdes durch den ſchmalen Spalt.

Adam erhob ſich, kleidete ſich nothdürftig an und ſchlich nach ſeinem Arbeitszimmer hinüber. Er öffnete das Fenſter, unten auf der Straße trieb rüſtig das Leben. Da drüben auf der anderen Seite hatte er geſtern Abend ... hatte er heute Nacht geſtanden, und nach hier hinaufgeſtarrt. Und jetzt lag der helle Tag da unten, und allerlei buntes Menſchenvolk zog an der Stätte vorüber, da er noch vor ein paar Stunden denn länger war's doch nicht her geſtanden, mutterſeelenallein geſtanden, mutter - ſeelenallein in der ſchweigenden Nacht. Und doch dünkte es ihn, es wäre das ſchon lange, lange her, viele, viele Jahre. Er war heute ein ſo ganz An - derer, wohl war kaum das Bewußtſein intimer Fülle in ihm, aber doch durchzitterte es ihn wie eine Ahnung, daß es in ein anderes Geleiſe einge - lenkt. Dies und das kam noch zu ihm in ſeiner ſtillen Morgenſchau an loſen Erinnerungen, die Er - lebniſſe der jüngſten Tage mitbrachten. Hui! Er war ja auch Bräutigam, glücklicher Bräutigam ... und das war jedenfalls das Curioſeſte von Allem, worauf er ſich in dieſer Stunde beſinnen mußte.

Nun beſtellte er ſich ſeinen Kaffee und machte Toilette. So viel Zeit war gar nicht mehr übrig. Um elf Uhr fuhr der Zug, mit dem Lydia abreiſen429 wollte und nein! ... es ging wohl doch nicht an, daß er die Abſchiedsſcene verſäumte. Er mußte ſich ſchon bei Zeiten an den obligaten Biß in den bewußten ſaueren Apfel gewöhnen.

Da ſchlug die Glocke der elektriſchen Klingel heftig an. Adam horchte erſtaunt auf. Das mußte etwas Beſonderes zu bedeuten haben. Im nächſten Augenblick wurde auch ſchon die Thür ſeines Zimmers aufgeriſſen und Hedwig ſtürzte herein.

Adam war nicht im Stande, ein Wort hervor - zubringen. Er ſtarrte das Weib an, das todtenblaß, keuchend, mit fliegenden Gliedern, verſtörten Mienen, unſtet umherirrenden Augen vor ihm ſtand. Er ſprang nicht hinzu, als Hedwig jetzt ſchwankte, zuſammen - brechen zu müſſen ſchien und ſich nur noch im letzten Augenblick am nächſten Thürpfoſten feſt - klammerte.

Adam ! ſtieß ſie aufſtöhnend heraus mein Gott ! ich kann nicht mehr daß iſt zu viel mein Vater o Gott! mein armer Vater iſt iſt todt ... oh

Das Aufkreiſchen der Stimme bei dem Worte todt riß Adam aus ſeiner Erſtarrung. Zuerſt wußte er nicht, was dieſer kurze, ſchneidende Laut ihm ſagen ſollte, jetzt wurde ihm ſein Inhalt plötz - lich klar nein! das war ja nicht möglich nicht möglich

Hedwig ! Beſinne Dich ! O Gott! Das kann ja nicht ſein kann ja nicht ſein

Todt wiederholte das Weib nur, leiſe,430 dumpf, der Kopf war haltlos auf die Bruſt herab - geſunken, die groß aufgeriſſenen Augen ſtierten vor ſich hin

Adam war zu Hedwig hingetreten komm ! ſagte er leiſe beſinne Dich, Hedwig ! Das iſt ja nicht möglich komm zu Dir hier ſetz 'Dich nieder ſoll ich Dir' n Schluck Waſſer bringen es iſt nur ſo warm oder etwas Rum ich habe auch Portwein warte

Nein ! nein ! Laß doch, Adam, laß doch ! wehrte Hedwig mit merkwürdig haſtiger, eindringlicher, im Ton ganz veränderter Stimme ab

Adam rollte den Seſſel in ihre Nähe. Dabei bemerkte er, daß Emmy's Hut auf dem Plüſchſitze lag. Das war doch recht fatal. Aber ſchon hatte er den Hut, ohne daß er es gewollt hätte, ergriffen und auf den Tiſch gelegt. Hedwig war mechaniſch ſeinen Bewegungen gefolgt.

Was haſt Du da ? fragte ſie mit rauher, zeriſſener Stimme.

In dieſem Augenblick ſchlug Emmy die Portière auseinander und trat ein. Adam ſah ſich halb un - willig, halb erfreut nach ihr um.

Ah! Auch das noch ? ſchrie Hedwig auf und ſchlug die Hände vor die Augen. Sie ſchwankte. Adam und Emmy ſtürzten hinzu, hielten ſie auf und legten ſie langſam, behutſam in den Seſſel.

Das arme Weib ſchluchzte einmal tief auf, dann ſank es zuſammen.

431

Schnell Eau de Cologne her ! rief Emmy und rieb der Ohnmächtigen Schläfen und Stirn ein, als Adam das Waſſer gebracht hatte.

Nach einer Weile kam Hedwig wieder zu ſich und ſchlug die Augen auf. Mit jähem Schrecken erkannte ſie ihre Umgebung, erkannte ſie Emmy neben ſich ſie wollte ſich emporraffen, ſie haſtete mit den Händen an den Lehnen hin und her gehen Sie ! laſſen Sie mich ! ſtöhnte ſie rühren Sie mich nicht an

Na! hab 'Dich nur nicht ſo ! fuhr es Adam barſch heraus, dem die ganze Scene ſchon ſehr unbequem geworden war. Er drehte ſich ein Wenig ab und ſetzte das Glas Portwein, das er in der Hand gehalten, unwillig auf den Tiſch.

Emmy war unwillkürlich einen Schritt zurückge - treten. Sie ſah Adam traurig-fragend an, ſie wußte nicht, ob ſie bleiben oder gehen, ob ſie die beiden allein laſſen ſollte, oder oder ? ſie war ganz rathlos. Das arme, gefolterte Weib da vor ihr im Seſſel that ihr ſehr leid, ſie erkannte es aus der Engler'ſchen Wein - kneipe wieder, ſie fühlte ſich zu ihm hingezogen, ſie ſagte ſich, daß Adam Beziehungen, jedenfalls ſehr intime Beziehungen zu ihm hätte und wie ein Gefühl von Haß ... von Haß wie ein heißes, wüthendes Erpichtſein auf Rache und Vergeltung an dem Herz - loſen ſchoß es ihr brennend auf in der Bruſt.

Wieder verſuchte Hedwig aufzuſtehen, ſie ſtützte ſich krampfhaft auf die niedrigen Seitenwände des Fauteuils, aber ſie war zu ſchwach, ſie ſank wieder zurück.

432

Beruhigen Sie ſich doch, liebes Fräulein bat Emmy leiſe, zaghaft mein armer Vater ſtöhnte Hedwig

Adam ſtand daneben, es war ihm ſehr unbe - haglich zu Muthe, er mußte es wohl doch glauben, daß Irmer nicht mehr lebte, aber er konnte das hülfloſe Weſen da doch jetzt unmöglich erſuchen, ihm nähere Auskunft zu geben und er ſchrak auch davor zurück, jetzt Einzelheiten zu erfahren, er fühlte, daß ſie ihn quälen, aufregen würden ... und er hatte nicht den Muth, er war zu feige, um ſich die Kraft zuzutrauen, die engeren Umſtände von Irmers Tode einigermaßen ruhig hinzunehmen. Aber Etwas mußte doch geſchehen, die Situation ſtockte peinlich, er mußte doch auch ein Wort zu fin - den wiſſen, auszuſprechen wiſſen, er mußte doch Hedwig zeigen, daß er mit ihr litte, daß ihr Schmerz auch der ſeine wäre, daß ſie auf ſein vollſtes Ver - ſtändniß zu rechnen hätte ... Und da erinnerte er ſich, daß er ihr geſtern die tauſend Mark geſchickt, ſie hatte ſie wohl noch nicht erhalten, aber es mußte doch beruhigend auf ſie wirken, wenn ſie die That - ſache erführe, damit war doch wenigſtens eine Sorge ihr von der Seele genommen. Und doch zögerte er, es nahm ſich ſo auffällig aus, jetzt mit dem Gelde zu kommen, aber die Frage glitt ihm ſchon wider Willen über die Lippen: Haſt Du das Geld bekommen, Hedwig ?

Die Gefragte ſchlug langſam die Augen zu ihm auf, ſtarrte ihn erſt eine Weile verſtändnißlos an,433 dann fragte ſie mechaniſch, mit dumpfer, verſchleierter Stimme, als wüßte ſie nicht, was ſie ſich unter ſeiner Frage denken ſollte: Geld ? was für Geld ?

Nun, die tauſend Mark, von denen Du mir ſchriebſt ich habe ſie geſtern an Dich abgehen laſſen erwiderte Adam, einen gewiſſen Ton des Stolzes und der Befriedigung in der Stimme. Auch Emmy mußte er damit imponiren.

Hedwig ſtarrte immer noch zu ihm in die Höhe, ſie wußte nicht, was er meinte, ſie verſtand ihn nicht tauſend Mark ? wiederholte ſie ebenſo mechaniſch, ſie ſchüttelte ein Wenig den Kopf was wollte er nur von ihr ?

Na ja! fuhr Adam ärgerlich auf Du haſt mir doch des Langen und Breiten davon ge - ſchrieben erinnerſt Du Dich denn nur gar nicht ?

Tauſend Mark ? Hedwig ſchüttelte wieder den Kopf. Plötzlich fragte ſie, aber eigentlich nur ganz gleichgültig: wo haſt Du denn das Geld her ? Sie ſchien durchaus keine Antwort da - rauf zu erwarten.

Adam zuckte zuſammen. Zuerſt verblüffte ihn dieſe Frage. Er war nicht gefaßt geweſen auf ſie. Nun ſchoß ihm ein teufliſcher Gedanke durch den Kopf. Wär's nicht am Beſten, jetzt ſofort und auch vor Emmy ſogleich! zwei Fliegen mit der be - wußten einen Klappe zu ſchlagen? Mit der Wahrheit herauszurücken? Den Zuſammenhang aufzudecken? Conradi, Adam Menſch. 28434Dieſem Weibe, das da hülflos und gebrochen, ent - ſtellt, baar aller Reize der Jugend und der Kraft, vor ihm im Seſſel lag dieſem Weibe, das er nicht liebte, mit dem er kaum Mitleid empfand, das er jetzt faſt ſo etwas ſo etwas wie verabſcheute war's nicht am Beſten, dieſem Weibe ruhig zu geſtehen, wie ... woher er die tauſend Mark ſich verſchafft ? Wer ſie ihm gegeben hatte ? Ah! Oder war es doch eine Grauſamkeit, eine brutale Grauſamkeit, der Wahrheit jetzt, unter dieſen Ver - hältniſſen, in dieſer Stunde, die Ehre zu geben ? Nein! Er brachte es doch nicht über's Herz. Nein! doch nicht! Aber einmal mußte es ja doch ſein[. ]Einmal ja doch! Und wenn nicht heute, ſo mor - gen! Dieſes verfluchte Aufſchieben! Immer und ewig dieſe überflüſſige Rückſicht! Die brutale Rück - ſichtsloſigkeit gegen Andere und gegen das eigene feige, zimperliche und noch dazu erzegoiſtiſche Schonungsgefühl iſt das einzige Fortſchritts - und Entwicklungsprincip im Leben. So? Wirklich? Alſo alſo drückte Adam alle zarteren Gedanken die ihm aufſtiegen, gewaltſam nieder und fragte noch einmal mit affektirter Ruhe, im Grunde aber nur, um innerlich mit dem letzten Reſte ſeiner Rückſicht und Scheu, auf welche ſeine Natur urſprünglich allein geſtimmt war, fertig zu werden :

Woher ich das Geld habe ? Hm! jetzt erfolgte eine letzte, kurze Pauſe, dann ſtieß er ton - los, ſtockend, doch zugleich mit ſehr forcirter Be - ſtimmtheit heraus: Nun! von meiner Braut 435Aber wie um eine unmittelbare Antwort Hedwigs zu verhindern oder doch in irgend einer Weiſe ab - zuſchwächen, erläuterte er haſtig: das heißt das heißt vorher ehe das kam natürlich ſo

Von wem ? fragte Emmy unwillkürlich und ſah Adam erſchrocken an. Der war froh, daß er durch Emmys Zwiſchenfrage wenigſtens äußerlich einen anderen Partner, zu dem er ſprechen konnte, bekommen hatte war froh, daß die Auseinander - ſetzung nicht unmittelbar zwiſchen ihm und Hedwig ſtattzufinden brauchte. Eine gewiſſe Rückſicht, zu der er ſich Hedwig gegenüber immerhin unwillkürlich hätte bequemen müſſen, durfte er nun fallen laſſen. Und das war ihm ſehr lieb. Denn der barſche, ungeſchlachte, rauhbeinig-rückſichtsloſe Ton, den er anſchlagen wollte, verdeckte viel beſſer ſein inneres Widerſtreben, ſeine innere Zaghaftigkeit, die er trotz aller Anſtrengung nicht loszuwerden vermochte.

Von meiner Braut, wenn Sie nichts dagegen haben, mein Fräulein ! wiederholte alſo Adam laut, trotzig. Er ſah dabei Emmy herausfordernd an und ſtellte ſich, als bemerkte und fühlte er den Blick troſtloſen Entſetzens nicht, mit dem Hedwig ihn an - ſtarrte.

Ein ſchwüles, beklemmendes Schweigen war ein - getreten. Adam wollte ſchon die Gelegenheit be - nutzen, ſich von dem unmittelbaren Kriegsſchauplatze unauffällig ein Wenig in den Hintergrund ... viel - leicht in's Nebenzimmer ... zu ſchwindeln 28*436als Hedwig plötzlich mit einem jähen, krampfhaften Sprunge in die Höhe fuhr, auf Adam losſtürzte und aufkreiſchte: was haſt Du da geſagt ? Sag's noch 'nmal! Mein Gott! Bin ich denn verrückt ? Bin ich denn wahnſinnig ? Und dann ein heiſerer, erſchütternder Nothſchrei, der be - wies, daß ſie den Zuſammenhang ſo ziemlich er - rieth : Adam !

Der wich einen Schritt zurück, Hedwig ! ſtotterte er, Emmy ſprang hinzu, faßte die Tau - melnde und verſuchte, ſie wieder auf den Seſſel hin - abzuziehen.

Aber es war, als ob plötzlich eine fremde Kraft über das arme, unglückliche, in ſeinem tiefſten Elende aufſchreiende Weib gekommen wäre: es ſchleuderte Emmy bei Seite, klammerte ſich mit ſeinen dünnen, mageren Fingern am linken Arme Adams feſt und kreiſchte ihm entgegen: Ah! Ich weiß ich weiß Canaille! Ich verſtehe Dich, Du Schuft! Loskaufen haſt Du Dich wollen haſt mir mein Sündengeld hinſchmeißen wollen, weil Dir eine andere beſſer gefällt weil Du mich ſatt hatteſt weil weil o Gott! Und Alles habe ich Dir gegeben habe Dir geglaubt und nun behandelſt Du mich wie wie nun giebſt Du mir 'n Fußtritt was hab' ich Dir gethan, daß Du mich ſo wegwirfſt ſo zertrittſt ? Meinen Vater haſt Du ermordet, meinen armen, alten, unglücklichen Vater nichts war Dir heilig nichts nichts Alles haſt Du mit Füßen437 getreten meine meine Ehre meine ach! Aber ich war ja ſchon ſo Eine, nicht wahr ? ſchon ſo Eine, wie die da, wie die Dirne da, die man mit Geld abfindet, wenn man ſie los ſein will all - mächtiger Gott! nur 'n Wahnſinniger kann Deine Verruchtheit begreifen und ich ſchleppe mich her zu Dir von der Leiche meines Vaters weg an Allem verzweifelte ich ich hatte Dich nur noch nur noch Dich ja ! und und nun verleugneſt Du mich und jagſt mich hinaus nun ſagſt Du Dich von mir los Alles ver - läßt mich Alles Alles Canaille! Auch mich haſt Du auf'm Gewiſſen hier! das letzte Wort meines todten Vaters an Dich todt iſt er ja! todt todt todt todt hörſt Du ich möchte mich zerreißen, um das Furchtbare nur zu begreifen und ich o Gott! ich kann's nicht faſſen kann's nicht kann's nicht ach! ich muß wohl ſchon wahnſinnig ſein, daß ich nicht erſticke an meiner Verzweiflung

Adam hatte einen Augenblick geglaubt, unter der Anklage des verzweifelten und verrathenen Weibes zuſammenbrechen zu müſſen. Er wußte, daß er die ſchweren Vorwürfe, die ihm da entgegengeſchleudert wurden, verdiente. Sie waren alle ſo gerecht. Ja! er hatte das Weib überredet, ihm zu Willen zu ſein. Er hatte wohl auch allerlei Verpflichtungen über - nommen, hatte verſchiedene Verſprechungen gemacht aber das Alles doch eigentlich nur, ohne ſich deſſelben beſonders bewußt zu werden, beinahe nur aus einer438 communen Laune, aus einer durch beſondere Umſtände geſchaffenen Stimmung heraus, vielleicht in frivolem Leichtſinn, aber doch ganz den Geſetzen und Methoden ſeiner Natur gemäß, die derartige Weibergeſchichten mit einer ihr organiſchen Oberflächlichkeit, Nebenſächlichkeit, Gleichgültigkeit behandelte; die ſich moraliſch dadurch nicht im Geringſten tiefer verpflichtet fühlte; die das Alles nur als unvermeidliches Lebensaccidenz auffaßte. Er konnte nicht anders, es war ihm ganz ſelbſtver - ſtändlich, daß er hier die Treue brach, um dort von Neuem Treue zu verſprechen, er beſaß im Grunde gar kein Talent zur hausbackenen Treue, das ſpielte ſich alles viel zu weit draußen auf der Peripherie ſeiner Perſönlichkeit ab, als daß er es vermocht hätte, ſich für irgend eine begangene Untreue beſonders verant - worlich zu fühlen. Er gab ſich eben ſo, wie es gerade ſeiner Stimmung entſprach. Reagirte ein Anderer darauf, ſo mochte der das hübſch ſelber ver - antworten. Er war viel zu wenig bornirt, um ſich in eine Leidenſchaft feſtbeißen zu können. Hedwig war alſo gar nicht berechtigt zu ihrer Anklage. Und dieſes Bewußtſein löſte ein ſtarkes Gefühl des Aergers und der Entrüſtung in Adam aus, er riß mit einem brutalen Rucke ihre eingekrallten Finger von ſeinem Arme los, ſchleuderte den Arm von ſich, packte ein zerknittertes Papier, das Hedwig ihm immer noch mit der anderen Hand ſtarr entgegenhielt, und warf es auf den Tiſch, trat einige Schritte zurück und machte ein ſehr wüthendes Geſicht. Was wollte denn das Weib von ihm ? Lächerlich, ſich auch439 nur einen Augenblick von ſeinen blödſinnigen Vor - würfen verblüffen zu laſſen! Glaubte es etwa, ihn auf dieſe Weiſe wieder zu gewinnen? Da konnte ſich die Dame doch gewaltig ſchneiden! Oh! Sie hatte ja längſt alle Reize für ihn verloren.

Und doch konnte ſich Adam nicht ganz dem Ein - drucke ihrer in furchtbarſter Seelenangſt herausge - ſchrieenen Anklagen entziehen. Er hatte ihr nun einmal ſein Wort gebrochen, ſo gut wie ſein Wort gebrochen, ſie zieh ihn mit Recht der Abſicht, ſich mit dem Golde von ihr loszukaufen, ſie hatte ihn, darin durchſchaut, obwohl er doch eigentlich ſchon vorher entſchloſſen geweſen war, Irmers die tauſend Mark auf irgend eine Weiſe zu verſchaffen, ehe ihm, zumeiſt wohl nur in dem Beſtreben, einen Namen für die Sache zu finden, der Gedanke gekommen war, ſein Thun im Sinne eines Rückkaufes ſeiner Freiheit aufzufaſſen. Es war ſchließlich im tiefſten Grunde blutige Selbſtironie geweſen und dafür ſollte er ſich jetzt abkanzeln laſſen, als wäre er ein Hallunke erſten Ranges? Und dennoch kam er von einem unklaren Schuldgefühl nicht los. Die Wuth, die er in ſich aufkochen ſpürte, brach nicht aus, ſeine Entrüſtung zerſplitterte ſich, ſein Aerger verzettelte ſich, ſchließlich knirſchte er nur ein paar banale Redensarten, wie verrückte Faſelei thut mir leid, aber es iſt nun einmal ſo wer kann wider ſeine Natur? heraus, zuckte die Achſeln, lächelte ſpöttiſch, ſteckte mit forcirter Gleichgültigkeit den zerknitterten Brief Irmers in ſeine Rocktaſche und wandte ſich ab

440

Hedwig war wieder in den Seſſel zurückgetaumelt, ihre Finger waren ineinandergekrampft, ſie ſchluchzte leiſe. Emmy ſtand neben ihr, ſie hielt den Kopf ein Wenig gebeugt, ihr Geſicht war ungleich ge - röthet, ſie ſah aus, als wäre ſie in tiefe, ſtarre Ge - danken verſunken, ihre Augen lagen in Thränen.

Adam ſah ſich noch einmal nach den Beiden um, es ſchien, als wollte er Etwas zu ihnen ſagen, aber er zuckte wieder nur in willkommener Reſignation die Achſeln, knurrte verächtlich hyſteriſche Weiber vor ſich hin und ging auffallend lang - ſam ins Nebenzimmer.

Plötzlich fuhr Hedwig wieder auf. ich muß fort ich erſticke hier fort zu meinem Vater der wartet auf mich der will mich mitnehmen heiſerte ſie ziſchelnd vor ſich hin, jetzt ſtand ſie, ſie ſchwankte haltlos hin und her, Emmy wollte ſie umfaſſen. Bleiben Sie noch, liebes Fräulein bat ſie leiſe, da fuhr Hedwig herum, ſie ſtarrte Emmy mit großen, verglaſten Augen an, nun lachte ſie gellend auf, warf ihre mageren Arme mit krampfiger Wuth um Emmys Hals, riß die an ſich heran, ſtürzte rücklings mit ihr in den Seſſel und lallte ihr mit erſtickter, gebrochen gellender Stimme zu: Du ! Du ! Weißt Du: ich bin nämlich auch ſo Eine, wie Du auch ſo Eine, weißt Du Dein Liebſter hat's mir gezeigt ei! ei! hat's mir gezeigt, wie man's macht ſiehſt Du: nun mußt Du mich mitnehmen ja? willſt Du ? Nun bringſt Du mir ſchöne Herren 441 ja! ja! ei! ich kann's auch Dein Liebſter hat mirs gezeigt ja! das war ſchön und ich ſoll Dir auch'n Gruß beſtellen von meinem todten Väterchen der hat geſagt: ich ſollt's nur ſo machen, wie Du da käm 'ich anſtändig durch die Welt, weißt Du ja! ja! ja! ja! und hätte alle Tage gut zu eſſen, weißt Du, hat mein todtes Väterchen geſagt und das wäre' n Wonne, hat er geſagt wenn der Mond ſcheint und die weißen Gardinen werden roth, blutroth und die Katzen ſchreien und die Muſik ſpielt ſpielt und wir tanzen dazu, mein Liebſter und ich wir tanzen tanzen tanzen immer toller und toller und toller bis bis und dann geht die Sonne auf und der Tag und der Tag

Emmy war es endlich gelungen, ſich aus der Haft der Arme, die ſie einſchnürend umklammert hatten, loszumachen. Sie war brandroth im Geſicht, ſie athmete gepreßt, ſie wollte Adam rufen, denn ſie hatte ja eine Wahnſinnige vor ſich, aber kein Laut löſte ſich aus der Kehle, es war alles wie zu - gequollen in ihr, wie verſchüttet, Hedwig kicherte leiſe vor ſich hin, nun trällerte ſie: tam tam taramtam tam tam taramtam plötzlich ſprang ſie auf, ihre Augen brannten, die ganze Geſtalt war krampfhaft geſpreizt : ich bin wahnſinnig ſchrie ſie ich muß fort ſie packte ihren Hut, den ihr Emmy vorhin abgenommen hatte, und ſtürzte zur Thür hinaus

442

Adam hatte gehört, wie die Thür zugeſchlagen wurde. Er war aus ſeinem herumtaſtenden Brüten aufgefahren und erſchien jetzt unter der auseinander - geteilten Portière.

Sie iſt fort ? fragte er allein ?

Emmy antwortete nicht. Sie ſtand, noch immer aufs Tiefſte erſchüttert, neben dem Fauteuil und ſtarrte vor ſich nieder. Sie hatte die Hände über - einander auf die Fauteuillehne gelegt und nickte wie in tiefem Traume vor ſich hin. Warum biſt Du nicht mitgegangen ? fragte Adam von Neuem, unwillkürlich beſorgt um Hedwig, zugleich unwillig über Emmys überflüßiges Verſteinertſein.

Die drehte ihm langſam ihr Geſicht zu. Sie ſah ihn fragend, verwundert an, als müßte ſie ſich erſt auf die Bedeutung ſeiner Worte beſinnen. Nun hatte ſie wohl begriffen ich gehe 'gleich Du wirſt mich' gleich los ſein ſagte ſie leiſe und ſah ſich im Zimmer um, als ſuchte ſie etwas, ihr Jaquet oder ihren Hut.

So hab 'ichs nicht gemeint das weißt Du erwiderte Adam ärgerlich aber es könnte ihr' was paſſiren und da wäre es beſſer, ſie hätte Jemanden in ihrer Nähe, der

Ihr iſt ſchon genug paſſirt ſagte Emmy laut, beſtimmt und ſah Adam mit großen, heraus - fordernden Augen an

Meinſt Du ? fragte der ſarkaſtiſch Du mußt's ja wiſſen ja! Ihr Weiber! Eine wie die Andere Nun fing die auch noch an 443 ſogar die na! da hörte denn doch Verſchiedenes auf

Jetzt ſtand Emmy vor Adam. Sie machte ein ſehr feierliches Geſicht, es ſah aus, als wollte ſie Abſchied für immer von ihm nehmen, ihm ein letztes Lebewohl ſagen.

Adam wurde es unbehaglich. Hab 'Dich nur nicht ſo ! wehrte er eifrig ab bitte, Emmy, keine neuen Sentimentalitäten keine neuen Scenen ! Ich habe ſchon an der einen genug verſchone mich ja? Uebrigens wie ſpät haben wir's denn? Zehn durch. Ich habe meiner Braut verſprochen, gegen Elf am Bahnhofe zu ſein ſie verreiſt und da kann ich doch nicht gut alſo wenn Du noch einen Augenblick warten willſt, komm' ich 'gleich mit

Wie heißt denn Deine Braut ? fragte Emmy leiſe, befangen, ſie konnte die Frage doch nicht unterdrücken.

Lydia natürlich ! Wie ſonſt ? Lydia Lange! Jene Dame Du wirſt Dich erinnern der wir 'mal begegneten, weißt Du es iſt ja noch gar nicht ſo lange her im Park, an dem Tage, wo Du jetzt wirſt Du Dich ſicher daran erinnern wo Du die Bekanntſchaft des Herrn von Bodenburg machteſt, die ſo wichtig für Dich werden ſollte alſo die Dame iſt's nun weißt Du's was macht denn übrigens der kleine Piſtolenſchäker ? Gehts ihm gut? Natürlich! Dieſem Geſindel gehts immer gut. Haſt Du Deinen Trovatore geſtern nicht444 geſehen? Warſt nicht mit ihm zuſammen ? fragte Adam mit biſſigem Lachen.

Emmy wandte ſich ab und erwiderte kein Wort. Sie hatte erſt einen Augenblick Luſt, ſich nach dem Verlaufe der Duellgeſchichte zu erkundigen. Aber ſie unterdrückte die Frage. Sie hätte nach tieferer Theil - nahme ausgeſehen, und obwohl ſie dieſe Theilnahme immer noch für Adam empfand, jetzt vielleicht un - willkürlich ſtärker als je denn ein mit ihr rivaliſirendes Moment war ja aus ſeinem Leben geſtrichen ſie wollte ſie doch nicht zeigen, in dieſem Augenblick erſt recht nicht, um keinen Preis der Welt. Uebrigens ging ja auch ſchon daraus, daß Adam kein Wort von dem Duell wieder erwähnt hatte, hervor, daß die Geſchichte in irgend einer Weiſe erledigt ſein mußte. Und es erbitterte ſie, daß ſie in den letzten Tagen ſo oft ſo überflüſſig um Einen gebangt hatte, der es nicht verdiente um einen Blaſirten, einen Unzuverläſſigen, einen Herzloſen

Nun gingen die Beiden unten auf der Straße neben einander her. Eine längere Weile ſchwiegen ſie. Hatten ſie ſich nichts mehr zu ſagen? Oder ſcheuten ſie ſich, auf ein Thema zurückzukommen, das ebenſo unerquicklich war, wie undankbar? Und doch laſtete nicht minder peinlich auf Jedem der Druck, den das Schweigen des Anderen ihm auferlegte. Vielleicht aus dieſem Grunde, vielleicht auch, weil es ihn doch drängte, Emmy noch dies und das zu ſagen, begann Adam endlich, leiſe, langſam, ſprung -445 weiſe, zugleich abſichtlich einen Accent der Bitte und Abbitte in der Stimme, als redete er, wie von einem tiefen Traume beſeſſen, nur zu ſich : Sei mir nicht böſe, Emmy! Siehſt Du: das mußte ja Alles ſo kommen. Das hat ja Alles ſeine tiefen, tiefen Gründe. Kennſt Du mich? Weißt Du, wer ich bin ? Nein! Ich kenne mich zwar ſelber ebenſo wenig. Oft bin ich ganz erſtaunt über mich. Ich weißt nicht, wer ich bin. Ich ahne mich nur. Ja! Aber ich ahne mich eben wenigſtens doch. Nicht immer, doch manchmal mit brennender Schärfe und Annäherung. Dann iſt Alles ſo voll in mir, ſo weit, ſo groß, ſo gewaltig, dann bin ich nicht mehr, dann hat mich etwas Unerklärliches, Geheim - nißvolles in ſich aufgenommen, mein Leben ſtrömt in ſtolzem Drange, ein ſanftes, unendlich wohlthuendes Fieber durchprickelt mir Leib und Seele, Alles in mir iſt Dank, Inbrunſt, Hingenommenheit, Fülle, Begeiſterung, Größe .. Aber dieſem unendlich Süßen, dem ich dann gehöre, das mich dann ganz aufgezehrt hat : ihm einen Namen geben dieſem verklärten Sein, da Sehnſucht und Erfüllung zugleich in mir iſt, eine Formel, ein Schema, eine Rubrik für den Tagescurs auf den Leib ſchreiben nein! das kann ich nicht. Wenn ich mit Euch, Ihr anderen Menſchen, Ihr Außenmenſchen, mit einem ſogenannten Bekannten , einem Kameraden , mit irgend einem Weibe zuſammen bin mein Gott! dann bin ich Geſellſchaftsthier, meinem tieferen Ich entfremdet, dann rede und denke und ſcherze und446 lache und ärgere ich mich und raiſonnire, ſchimpfe, ſchwadronire, debattire, diskutire, ſpreche ich ganz wie Ihr, nach dem berühmten Muſter ſocialer Individuen, im Jargon des Alltags, der Straße, der Kneipe, des Geſellſchaftszimmers .. Was wollt Ihr! Mich kennt Ihr nicht. Das heißt: jenes Weſen eben, in welchem ich zuweilen ſein darf. Aber nun ſieh: gerade das Bewußtſein, daß ich zuweilen ein Anderer ſein darf, das giebt meinem ganzen Leben doch eine große Zwieſpältigkeit, eine ewige Unruhe, das macht mich ſo oft mürriſch, melancholiſch, unzuverläſſig, unberechenbar, ungeduldig, ungenießbar, das wirft mich aus einer Stimmung in die andere. Ich ſtürze mich in Genüſſe, die für mich keine Genüſſe ſind, aber ich muß ſie immer wieder auf - ſuchen, weil ich mich loswerden will, weil ich mich betäuben will ich ſuche ſie auf, dieſe faden Genüſſe, obwohl ich mich vor ihnen ekele, obwohl ich ſie verachte .. Ich habe eben überhaupt kein Organ für alle dieſe gerühmten plebejiſchen Freuden. Aber ich mache mit ... und ich bin zuweilen nicht der ſchlechteſte und zurückhaltendſte Cumpan das wirſt Du aus Erfahrung wiſſen .. Mein Pech iſt nur, daß Ihr Alle mit mir wie mit einer gewöhn - lichen Werkeltagsmünze rechnet und ich bin, Gott ſei's geklagt! oft zu feige oder oft auch zu gleichgültig, um gegen dieſe Unverſchämheit, zu der ich Euch übrigens ein gewiſſes Recht gar nicht ab - ſpreche, zu proteſtiren. Ich lache Euch oft im Stillen aus, verachte Euch bodenlos, mache aber doch ganz447 gemüthlich mit, gehe auf Euch und Euere abge - ſtandenen Lebensſpäße und Interimsmätzchen ein um nachher mich ſelber deſto mehr auszulachen ... Ja! Ja! Dieſe einſamen Stunden der Sammlung, der Rückſchau, der Reue, des Beiſichſeins! Da er - lebt man 'was! Manchmal allerdings auch Nichts. Und dann geht man wieder hinaus, die Menſchen kommen zu Einem oder man ſucht ſie auf, man plaudert mit ihnen, man langweilt ſich mit ihnen, man rempelt ſie an, man klappert mit ihnen zu - ſammen, die Zungen balgen ſich, zuweilen wohl auch die geſammten ehrenwerthen Leiblichkeiten und ſo gehts fort, einen Tag wie alle Tage ... Man wird älter, enger, die Ausſchweifungen, die doch nur die Folgen von großen, elementaren Jugendleiden - ſchaften der Seele waren, rächen ſich, die Nerven rebelliren, man merkt: es geht mit dem ganzen Kerl bergab .. Na! Und man läßt's halt gehen .. Was bleibt Einem auch übrig! Nur manchmal, erſt ſeltener, dann häufiger, tauchen ſo allerhand verflucht faule, weil arg philiſtröſe Gefühle und Wünſche auf, die großen Stunden werden immer ſeltener, man ſchmilzt ſich unwillkürlich immer natürlicher und zwangloſer der Maſſe ein, in ſo vielen Punkten geht das Sonderbewußtſein ganz flöten, man ſehnt ſich nach einem engeren Kreiſe, einer feſteren Scholle, einer geſicherteren Stätte, allwo man in Frieden leben, vielleicht auch noch' n Biſſel ſchaffen und wirken und nachher in Frieden ſterben darf, nachdem man noch Dies und Das von der Welt und ihren448 Reizen genoſſen hat und einigermaßen ſoweit zu - frieden iſt, um nicht allzuviel von einem proble - matiſchen anderen Leben noch erwarten zu müſſen .. Das iſt ſo ein Reſultat, zu dem man kommt, eine der ſchönen und holden Erfahrungen, die man an ſich macht. Eine andere Erfahrung, die bei ſolchen verwickelten und zerdröſelten Perſönlichkeiten , wie Unſereiner nun einmal eine iſt, auftritt und noch dazu mit jener erſten oft in intimſter, örtlicher und zeitlicher Nachbarſchaft, iſt die, daß man die indivi - duelle Differenz mit der Geſellſchaft, der Menge, der Maſſe feſthält, ja erweitert, ſteigert .. Man ſagt ſich von einer Anſchauung nach der anderen, an welcher die Geſellſchaft ihrer lumpichten Fort - exiſtenz halber feſthalten zu müſſen glaubt, los kritiſirt Alles und man verwirft Alles, Formen, Ideen, Einrichtungen, Anſchauungen, Gewohnheiten ... Iſt man ſich in Dieſem und Jenem noch nicht klar darüber, ob man Ja! oder Nein! dazu ſagen ſoll weiß der Teufel! man hat doch eine inſtinktive Abneigung dagegen .. Oft begnügt man ſich mit dieſer inſtinktiven Abneigung, man verwirft, weil man einmal im Zuge iſt, zu verwerfen und kommt ſo zu einer Paralyſe des Seelenlebens, die entſetzlich iſt und auf die Dauer unerträglich. Mit der Zeit wird man aber auch hierin ſtumpfer und gleichgültiger. Man wird überhaupt müde und lethargiſch. Das iſt ſchon kein Peſſimismus mehr, das iſt regelrechte Décadence und Auflöſung des ganzen Menſchen. Vielleicht befinde ich mich449 ſchon in dieſem verheißungsvollen Stadium des inneren Lebens. Und ſo bin ich denn, eben in Folge dieſer köſtlichen Reife meiner Natur, im Stande, vernünftig zu werden ich komme auf einem zweiten Wege zu demſelbem Reſultate das heißt: ich verſuche mir die Mittel zu ſchaffen, jenes vernünftige Leben führen zu können in meinem Falle: ich verheirathe mich reich. Das iſt der bequemſte Modus. Nicht wahr ? Das wirſt Du zugeben müſſen, Emmy. Und dann könnte ja auch die Möglichkeit eintreten, daß ſich jene bewußten, theore - tiſchen Erkenntniſſe und radikalen Anſchauungen bei mir ſo feſtſetzten, daß ſie unwillkürlich zur reflektoriſchen Auslöſung von ihnen entſprechenden Handlungen führten und zu ſolchen abnormen Handlungen, die Einen ſofort in den allerdirekteſten Bruch mit der Geſellſchaft bringen würden, kann ſich nur der verſteigen, der es aus äußeren, alſo aus materiellen Gründen nicht nöthig hat, nach der Sanktionirung ſeiner Handlungen von Seiten der Geſellſchaft zu fragen. Sonſt müßte er auf dieſe Sanktionirung ſehen, müßte er mit dieſem Moment rechnen du lieber Himmel! wenn er ſeinem Jammer nicht ſelbſt ein redliches Ende ſetze er würde in der That ſehr bald zerrieben und zermalmt, zerriſſen, zerquetſcht werden .. Alſo heirathe ich meine Lydia nicht wahr? nun begreifſt Du ... Ob ich das Weib liebe ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleichter auch nicht. Es iſt ja Alles Stimmung bei mir, Emmy, Alles .. Und Hedwig ? Ja wohl! SieConradi, Adam Menſch. 29450dauert mich, ſie thut mir leid, ſogar ſehr leid aber was will ich machen ? Im Grunde iſt ſie ſelbſt ſchuld an ihrem Unglück. Ich habe ihren Vater und ſie ſattſam über meine Anſchauungen, Gewohnheiten, über die Art meines Handelns auf - geklärt. Es iſt ja wahr, daß ich ſie ſozuſagen in Verſuchung geführt habe. Warum hat ſie mir aber nicht widerſtanden? Sie konnte nicht, ſie mußte aus Gründen, die bei ihr gültig waren und ſie zwangen, unterliegen. Sie iſt eben auch nicht verantwortlich zu machen, nur muß ſie eben als Object, in dem und an dem ſich Etwas ereignete, auch die Folgen dieſer Ereigniſſe tragen. Das müſſen wir eben Alle. Was kann ein Getreideacker dafür, daß ein Gewitter über ihn niedergeht? Er muß die Folgen hinnehmen, muß ſich zerſtampfen laſſen, muß ſeine Aehren opfern .. So ſpringt die Natur mit uns Allen um und uns bleibt bloß die ſtatiſtiſche Recapitulation, die ſauerſüße Reſig - nation nichts weiter. C'est tout. Das iſt Alles, aber auch andrerſeits gerade genug. Siehſt Du, Emmy, Du biſt doch vielleicht das einzige Weib von allen Weibern, mit denen ich in der letzten Zeit verkehrt habe, dem ich tiefer zugethan geweſen. An Dir hänge ich vielleicht ſogar jetzt noch am Meiſten. Ich habe neulich eine ſchlafloſe Nacht Deinetwegen gehabt. So 'was iſt immer verdächtig. Und wenn ich nun alſo hingehe und mich mit einer anderen .. einer anderen Dame verbinde, die verzeih'! die keine ſo Eine iſt wenn ich ins andere Lager deſertire 451 nun, ſo thue ich das eben und eigne mir damit eine ganze Reihe von Vortheilen zu aber warum ich es thue, ſiehſt Du das weiß ich eigentlich trotz aller kritiſchen Analyſen im Grunde doch nicht ... ich bin mir ja ſchon viel zu gleichgültig. Das Leben reizt mich nicht mehr. Es iſt mir ganz klar: ſchließlich bin ich daſſelbe, was Du biſt, nur ins Männliche überſetzt, ſeeliſch ganz daſſelbe ... Ich bin pſychiſch ebenſo vielſeitig und ebenſo .. einſeitig, wie Du, eben ſo wenig bornirt, wie Du nur bin ich verhältnißmäßig freier, als Du, uneinge - ſchränkter in meinen Gedanken und Handlungen. Mich reſpectirt die Geſellſchaft, mich erkennt ſie an Dich nicht. Ich darf mir Alles oder doch ſehr Vieles geſtatten, Du nicht. Mir erlaubt ſie, eines Tages ihr ſelber gegenüber womöglich eine Herrſcherrolle zu ſpielen .. Aber und das iſt die ſehr ernſte und traurige Kehrſeite der Medaille aber ich bin, eben weil ich ſo wenig Schranken zu reſpectiren hatte, tauſend Mal ärger zerfetzt und zerfaſert als Du ... Du biſt noch wärmerer, beſtändigerer Gefühle fähig ich kaum ... Bei mir flackerts, flammts wohl noch jäh, leidenſchaftlich, auf aber es ver - fliegt auch wieder und es verfliegt halt ebenſo ſchnell, wie es gekommen war. Ich weiß, daß Du mich liebgehabt haſt, Emmy vielleicht haſt Du mich auch noch 'n Biſſel lieb, trotzdem mir Hedwig ſo ſchwere und harte Anklagen in's Geſicht ge - ſchleudert hat ... Du haſt für die Arme unwill - kürlich Partei genommen ich begreife das Alles29*152ſehr gut. Und doch ich weiß es ich erſehe es aus Deinem ganzen Betragen mir gegenüber Du wirſt mir wohl den pſychologiſchen Blick dafür zutrauen und doch, ſage ich, ſchmerzt es Dich auch Deinetwegen und vielleicht am Meiſten Deinetwegen daß ich Lydia heirathen will. Aber zwiſchen uns liegt die Sache doch anders und ein - facher, dächt 'ich. Wir können ja unſer Verhältniß nach wie vor aufrecht erhalten. Ich weiß zwar nicht, ob wir hierbleiben werden nach unſerer Ver - heirathung, Lydia und ich. Aber wäre das der Fall : was hindert uns beide, Emmy, unſeren Verkehr ruhig fortzuſetzen ? Nichts. Du biſt doch nun einmal ſo Eine verzeih'! ich wollte Dich nicht kränken aber die äußere Thatſache bleibt doch beſtehen. Und ich bin froh genug, daß ich Dich damals dem Freiberger Seidenfritzen, der ſich übrigens nie wieder gemeldet hat, abgejagt habe. Alſo bitte wenn Du mich nur ein Wenig gern haſt, wirſt Du ſchon einwilligen. Und dann, wenn die Tage gekommen ſind na! Du weißt ſchon: dann erinnerſt Du mich an die Zeit, da ich jung und frei war .. da ich Dich liebte .. und mich manchmal in meinem Elend unſäglich reich und ſtolz gefühlt habe ... Aber nun muß ich wirklich machen, daß ich zum Bahnhof komme .. Sonſt provocire ich 'gleich den erſten Sturm und dazu iſt's ſpäter auch noch Zeit .. Alſo Adieu, Emmy! Ich ſchreibe Dir

Adam ſtürmte hinweg, Emmy blieb unwillkürlich ſtehen, verblüfft über die jähe Verabſchiedung. Dann453 ging ſie mechaniſch weiter. Ihm iſt's ja doch nicht Ernſt, meinte ſie im Stillen und wurde ſehr traurig. Sie dachte noch an dies und das, was ſie von Adams langer Erklärung behalten hatte. Manches glaubte ſie zu verſtehen, aber auch ſo Vieles nicht. Er war ein merkwürdiger Menſch, ſo ganz anders, als die Anderen, mit denen ſie ſonſt verkehren mußte. Er behandelte ſie eigentlich recht wegwerfend, man konnte nie klug aus ihm werden, er war heute ſo und morgen ſo. Manchmal mußte ſie ihn be - wundern, wenn ſie ihn auch nicht verſtand, ſie fühlte, daß etwas Neues und Großes aus ihm ſpräche, ſie fühlte, wie er innerlich hoch über ihr ſtand. Oefter ſtieß ſie das gerade wieder von ihm ab, ſie ſehnte ſich nach Ihresgleichen, ſie war dann froh, auch ein - mal mit einem einfacheren, oberflächlicheren Menſchen verkehren zu dürfen und doch trieb es ſie immer wieder zu ihm hin, ſeine Räthſelhaftigkeit, ſeine Un - berechenbarkeit, ſeine Blaſirtheit reizten ſie, ſie fühlte ſich oft nicht wohl in ſeiner Nähe und doch war ſie leidenſchaftlich gern mit ihm zuſammen, er hatte eine merkwürdige Macht über ſie, eine Gewalt, der ſie ſich manchmal zu entziehen ſuchte und wohl auch mit ſchwerer Mühe einmal entzog und der ſie doch immer wieder verfiel. Emmy ſah ſehr beklom - men der Zukunft entgegen.

Adam hatte ſeine Uhr befragt, es war wirklich höchſte Zeit. Er trabte nach dem nächſten Droſchken - halteplatz, warf ſich in das erſte beſte klapprige Unge - thüm und raſſelte davon.

454

Am Portal der Vorhalle ſtand ein Weib, das Roſen feil hielt. Adam riß eine gelbe Roſe aus ſeinem Korbe, warf der runzligen, abſchreckend häß - lichen Hexe einen Fünfziger in die dreckige, ver - krümmte, wie von einem Erdhufe überwachſene Hand und ſtürzte nach dem Perron.

Es hatte ſchon zum zweiten Male geläutet. Die Wagenthüren waren ſchon zugeſchlagen, hie und da den Zug entlang gab es haſtig-laut plaudernde, unter lebhaftem Geſtenſpiel ſich ausgebende oder leicht ſtockend, beklommen ſprechende Gruppen, auf - und niederrennende Schaffner, in der Ferne, gerade unter der großen Uhr, die rothe Mütze des dienſt - thuenden Beamten, an den Wagenfenſtern da und dort ein Geſicht, gleichgültig oder ernſt, weil es vielleicht einen Abſchied, einen ſchmerzlichen Abſchied, gilt .. Adam ſpähte herum, jetzt entdeckte er ſeine Braut, die ſich aus dem Fenſter eines Wagens zweiter Klaſſe lehnte und ihm zuwinkte. Der Wagen ſtand ziemlich weit vorn, nahe an der Lokomotive.

Ein helles Freudenlächeln huſchte über Lydias Geſicht, als ſie Adam im letzten Augenblick doch noch vor ſich ſah. Sie hatte ſchon alle Hoffnung aufgegeben. Sie war ganz traurig geworden, ſein Wegbleiben hatte ſie verſtimmt, am liebſten wäre ſie wieder ausgeſtiegen. Nun war er doch noch ge - kommen. Das war ſo gut von ihm. Sie ſah ihn zärtlich an, als er vor ihr ſtand, vor Aufregung kein Wort über die Lippen bringen konnte und ihr nur ſtumm die Roſe reichte.

455

Du ſiehſt recht blaß aus, Adam bemerkte Lydia beſorgt und führte die Roſe mit den kleinen, glattbehandſchuhten Fingern der rechten Hand an ihre zarte, weiße Naſe. Sie ſah fragend auf ihren Verlobten nieder.

So ? Mir war heute früh auch nicht ganz wohl antwortete Adam haſtig und wie geht es Dir, Lydia ? fuhr er dann fort, nach - dem er einmal tief Athem geholt

Ich danke

Und wie lange willſt Du mich allein laſſen ?

Ich komme bald zurück vielleicht eher, als es Dir lieb iſt

Lydia !

Meine Adreſſe ſchreibe ich Dir alſo Fried - richroda ich muß erſt ſehen, ob ich Privatlogis nehme, oder

Und ſchreib 'mir, bitte, recht bald und recht viel ja? Zu ſchade, daß Du jetzt gerade bleib' nicht zu lange, Lydia ? bat Adam leiſe

Es war ihm plötzlich ſehr weich ums Herz ge - worden. Nun ſeine Braut in der Fülle und Reife ihrer Kraft und Schönheit vor ihm ſtand, loderte die Leidenſchaft zu dieſer Frau wieder in ihm auf. Ja! Er liebte ſie doch und ſie allein.

Es läutete zum dritten Male. Die Lokomotive pfiff, langſam ſetzte ſich der Zug in Bewegung.

Die Hände der beiden hatten zum letzten Male456 in einander gelegen, feſt, zärtlich. Dabei hatten ſie ſich voll in die Augen geſehen. Sie gehörten nun zuſammen und ſie mußten ſich ſchon treu ſein.

Das weiße Taſchentuch Lydias flatterte immer noch, Adam ſchwenkte den Hut. Der weiße, hin - und herzitternde Punkt verſchwamm nun und verblaßte mehr und mehr, jetzt war er ganz und gar von der Entfernung aufgeſchluckt. Der Perron war leer ge - worden. Adam blieb noch einen Augenblick ſtehen, blickte vor ſich hin, freute ſich, daß Lydia diskret die Geldgeſchichte auch nicht mit der kleinſten An - deutung wieder berührt hatte, dann wandte er ſich um, ging langſam durch die Vorhalle dem Ausgang zu und ſtieg langſam die Steintreppe hinunter, die vom Bahnhofsportal auf die Straße führte. Er befand ſich in einem ſeeliſch ſehr merkwürdigen Zu - ſtande. Lydias Abreiſe ſtimmte ihn beinahe ſenti - mental, that ihm beinahe weh. Er wunderte ſich darüber und ſchüttelte den Kopf.

[457]

XX.

Nun kamen ſtillere Tage für Adam. Er ging nicht viel aus, er ſaß oft ſtundenlang auf ſeinem Zimmer, er ſpann ſeine loſen, verzettelten Gedanken in der Sophaecke, er las dies und das ohne inneren Zwang, ohne beſondere geiſtige Genugthuung. Der Juni war ſehr heiß, trotzdem überlief Adam oft ein leiſes, ſtachliges Fröſteln, beſonders gegen Abend ſtellte ſich gewöhnlich ein heftigeres Fieber ein, ſein Schlaf war dünn, unruhig, von ſchwülen, bizarren Träumen erfüllt. Früh fühlte er ſich oft matter und hinfälliger, als er den Abend vorher geweſen war. Endlich nahm er Chinin ein, da wurde es beſſer, das Fieber trat weniger akut auf, ſchließlich blieb es ganz weg.

Lydia hatte Adam bald nach ihrer Ankunft in Friedrichroda geſchrieben. Er hatte den lieben, zärt - lichen Brief mit ſeiner zartſtrichigen Schrift, ſeinen pikanten ſtiliſtiſchen Inkorrektheiten, ſeinen verſteckten Liebkoſungen oft genug geleſen, wieder und wieder. Lydias Hingebung ſchmeichelte ſeiner Eitelkeit, er vergaß, welchen Umſtänden er ſchließlich ihren Beſitz verdankte, es kam ſo weit, daß er ſich unwillkürlich458 einredete, er hätte ſie ſich errungen, und er war ſtolz auf dieſen Erfolg. Aber dennoch verſchob er es von Tag zu Tag, Lydia zu antworten. Dieſes Hinausſchieben machte ihm ein pikantes Vergnügen, gewährte ihm einen angenehm prickelnden Reiz. Hatte er erſt geſchrieben, ſo war damit auch die momen - tane Situation erſchöpft und der Genuß, der in dem Bewußtſein lag, daß ſich Lydia um ſo mehr und um ſo intimer mit ihm beſchäftigen würde, je länger ſeine von ihr erſehnte Erwiderung ausblieb, hörte dann auf. Vielleicht wirkte bei ſeinem Zögern auch mit, daß ihm das Bild ſeiner Braut ſchon ein Wenig verblaßt, daß er ſchon etwas in den Hinter - grund getreten war, daß der Einfluß ihrer reifen Frauenſchönheit unter der Trennung doch ſchon ge - litten hatte. Er mußte ſich das eingeſtehen und ärgerte ſich darüber. Aber er konnte nichts dagegen machen. Er gab ſich oft alle Mühe, Lydias Bild in Klarheit und Friſche vor ſein geiſtiges Auge zu rufen, aber es wollte ihm nicht gelingen, nur Sche - men kamen und vage Andeutungen. Dann konnte er nicht begreifen, daß nun in Zukunft er ihr und ſie ihm angehören ſollte, daß ſie Beide hingehen ſollten, um ſich ihren lieben Mitmenſchen als ein zuſammengehöriges Paar vorzuſtellen. Das war Alles ſo drollig, ſo wunderbar, das konnte nicht ſein, das widerſprach doch ſo ganz den Geſetzen, unter denen zu leben er ſich gewöhnt hatte. Er ertappte ſich auf dem Gedanken, auf dem leiſen, geheimen Wunſch, daß ſeine Braut ſo lange als möglich in459 Thüringen bleiben möchte. Er wollte ſich jetzt nicht von ihr ſtören laſſen, er gewann ſeine Einſamkeit täglich lieber, und doch hatte er in dieſen Tagen eigentlich gar Nichts vor ſich, er vegetirte mehr me - chaniſch dahin, als daß er bewußt lebte, als daß er jetzt eine Individualität ſein durfte, die ſich in ihrer reichen Subjektivität ſelbſt genug iſt.

Manchmal beunruhigte ihn das Schickſal Hed - wigs doch ſehr. Zuerſt zuckte er bei jedem Anſchlagen der Glocke zuſammen, er fürchtete, der Poſtbote würde in ſein Zimmer treten und ihm die tauſend Mark zurückbringen, deren Annahme die Adreſſatin verweigert hätte. Aber der ſonſt ſo Willkommene blieb aus, blieb aus einen Tag nach dem anderen und Adam war das in dieſem Falle ganz recht, er beruhigte ſich wieder. Hedwig hatte das Geld alſo angenommen, ihre Lage hatte ſie wohl dazu gezwungen, aber warum ſollte er Bedenken tragen, ſein Thun als eine Art von Sühne aufzufaſſen? Es iſt ja nun einmal ſo auf der Welt, daß ſeeliſche Verletzungen durch materielle Bußacte wieder ausgeglichen werden können. Und doch kam ihm der Gedanke an den Tod Irmers immer wieder, er ver - mied es mit ängſtlicher Scheu, eine Zeitung zur Hand zu nehmen, in der er etwa eine Notiz darüber finden konnte. Irmers Brief, den er in einer be - ſonders nervöſen Stunde aufgebrochen und in zit - ternder Haſt flüchtig überflogen hatte, nachdem er ihn ſchon unzählige Male in Händen gehabt, aber ſtets wieder bei Seite gelegt, hatte er ſofort ver -460 brannt. Er hatte ihn los ſein wollen .. und trium - phirend hatte er vor dem Häufchen Aſche geſtanden, die von ihm noch übrig geblieben war. In einer ſtillen Sommernachtsſtunde hatte er ſich weit zum Fenſter hinausgelehnt .. und die Aſche in alle Winde verſtreut .. Und doch blieb eine Stelle des letzten Vermächtniſſes Irmers haften in ſeinem Gedächtniß, ſie tauchte immer wieder auf, mochte er ſie auch mit aller Gewalt niederdrücken und zurückdrängen, ſie kamen wieder, immer wieder, jene ernſten, ſchweren, beſchwörenden Worte: Ich laſſe mein Kind in Ihren Händen zurück, Herr Doctor und ich weiß, Sie werden niemals vergeſſen, was ſie ihm ſchuldig ſind. Ich vertraue Ihnen und ſterbe ruhig Adam ſagte ſich ganz klar, daß er Hedwig gegenüber eine Schurkerei begangen, wenigſtens eine Schurkerei im Sinne der gültigen Moral der Maſſe, er fand ſchließ - lich auch höhere ethiſche Geſichtspunkte, die ihn tröſteten und freiſprachen, aber es fruchtete wenig, das Neue war noch zu dunkel in ihm, noch zu theoretiſch, zu vergeiſtigt, die alten thörichten Kate - chismusgefühle waren doch noch zu ſtark. Und ſie klagten ihn Tag für Tag aufs Neue an. Nein! wenn Hedwig noch einmal in ſein Leben träte, wollte er nicht zurückweichen vor ihr. Sie aber aufzuſuchen dazu hatte er nicht die Kraft und nicht den Muth. Und dann auch: ſie verachtete ihn gewiß ſchon ſo ſehr, daß ſie ſeine Nähe gar nicht ertragen würde. Was ſollte er alſo ſie und ſich quälen ? Es war überflüſſig.

461

Einmal dachte Adam auch an den Selbſtmord. Das war zu komiſch. Hatte er denn ganz vergeſſen, daß er zum Leben verurtheilt war? Hatte er das nur einen Augenblick vergeſſen können ? Ja! Es war doch möglich geweſen. Merkwürdig! Merkwürdig! Oh! Und er beſaß ja nicht einmal mehr die Größe und die Gewalt der Seele, die ſchmerzlich ſüßen Wolluſtſchauer eines Galaſelbſtmords genießen zu können. Das kritiſche Delirium hatte Alles zermalmt, Alles, Alles. Ja! Ja! das war das curioſe Märchen von der Analyſe und von der Syntheſe, die ſich ſo gut zu vertragen wiſſen ... Adam lächelte. Das Leben hatte ihn wieder.

Eines Morgens fühlte er ſich beſonders behag - lich. Er hatte gut, beſſer wenigſtens, denn gewöhn - lich, geſchlafen, ſchleimige Träume hatten ihn ver - ſchont, er fühlte ſich ſtärker, freier, flüſſiger, auf das Spiel der Menſchen und Dinge .. und auf das Mit - ſpielen geſtimmter. Er trank ſeinen Kaffee und rauchte mit großem Genuß ſeine Morgencigarette. Er lehnte ſich zurück und dachte an Lydia. Er nahm ſich vor, ihr heute zu ſchreiben, ganz beſtimmt zu ſchreiben, ſie könnte ſonſt leicht auf allerlei Gedanken kommen und das hatte ſicher ſeine Schattenſeiten und Nachtheile für ihn. Er verdankte ihr doch eigentlich recht Viel, es wäre barbariſch dumm geweſen, leicht - ſinnig wieder fahren zu laſſen, was ſie ihm aus Liebe entgegengebracht. Ja! Nun er ſich zum erſten Male wieder werkthätiger aufgelegt fühlte, fand er ſeine Bräutigamsſchaft äußerſt famos und praktiſch. Es462 iſt gut, wenn der Menſch eine reiche Partie macht. Adam wurde mit der Partie, die er gemacht hatte, immer einverſtandener. Er nahm ſich vor, unter der Hand bei einem kaufmänniſchen Auskunftsbureau einmal genauer nach den Vermögensverhältniſſen Lydias zu recherchiren das war doch ſehr von Belang für ihn. In den letzten Tagen war ihm überdies öfter ein Gedanke zurückgekehrt, mit dem er ſchon vor Jahren geſpielt, der ſich aber wieder ver - flüchtigt hatte, weil damals zu ſeiner Verwirklichung blutwenig Ausſicht, weil blutwenig Material vorhan - den geweſen war. Nun ſtand die Sache ſchon an - ders. Jetzt durfte er ſchon mit größerem Rechte an ſein geliebtes Paedagogium der Zukunft denken. Und Adam beſchloß, ſich demnächſt einmal ernſtlich daran zu machen, die Grundprincipien dieſes ſeines Paedagogiums der Zukunft zu entwerfen.

Auf die Tage der äußeren und inneren Stürme und Kataſtrophen ſollten die Tage ernſter, geſammel - ter, ſühnender Arbeit folgen. Ja! Er wollte ar - beiten, beſaß er doch noch Ideale! Vielleicht noch zwei, vielleicht ſogar noch drei, vielleicht auch nur noch eins. Er vermied es, ſich zu fragen, wie dieſes eine, dieſes letzte Ideal hieße, wie es beſchaffen wäre, in welcher Richtung es läge ? Er wußte, daß er dieſe Frage vermied, und das beunruhigte ihn. Und doch freute es ihn zugleich, daß er ſich über - haupt noch entſchließen konnte, im Dienſte eines Ideals zu arbeiten. Ja! Er wolle arbeiten. Und war das im tiefſten Grunde auch nur eine463 Reſignation ſchließlich bedeutete dieſer Entſchluß doch auch eine Hoffnung auf die Zukunft und eine Bürgſchaft für die Zukunft. Adam zweifelte daran wenigſtens nur dann und wann.

Im Uebrigen wurde er von Tag zu Tag mehr und mehr guter Dinge. Er koſtete die kargen, letzten Zeitläufte ſeiner Freiheit in ſanfter Behaglichkeit aus. Der Sommer war ſo ſchön, die Roſen blüh - ten, bald mußte es auch Levkojen und Reſeda geben. Und ſonſt na! Ick bin ja man ooch bloß in absentia uff der Welt tröſtete ſich Adam der brave Klempnergeſelle behielt doch Recht.

Auf welcher Welt werden wir einmal nicht in absentia daſein ?

Adam hatte gut fragen. Die Antwort war ihm ja doch furchtbar ſchnuppe.

Ende.

Druck von Oswald Schmidt, Leipzig-Reudnitz.

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About this transcription

TextAdam Mensch
Author Hermann Conradi
Extent476 images; 94372 tokens; 15145 types; 675749 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAdam Mensch Hermann Conradi. . 463 S. FriedrichLeipzig1889.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 FAB VIII, 6278 (1)https://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20FAB%20VIII%2C%206278%20(1)

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; mts

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ShelfmarkGöttingen SUB, 8 FAB VIII, 6278 (1)
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