Jn der Einleitung zu dieſem Stuͤck kann ich mich kuͤrzer faſſen, da es mir weniger an’s Herz gewachſen iſt als jedes der anderen. Der Stoff dazu wurde von außen geboten, der Plan ſchnell gefaßt, die Abfaſſung ſchnell be - werkſtelligt. Jch will damit nicht ſagen, daß mich Stoff und Plan und Abfaſſung gleichguͤltig gelaſſen habe, o nein, ich bin mit allen Kraͤften lebhaft dabei betheiligt geweſen. Aber fuͤr uns Geſchoͤpfe der Zeit iſt auch die laͤngere oder kuͤrzere Dauer der Zeit ein Hauptbeſtandtheil fuͤr das was wir Treue nennen. Was ſich in uns nicht laͤngere Zeit hindurch angeſiedelt hat, das laͤßt auch nicht einen dauernden Eindruck zuruͤck, und ſo kommt mir jetzt ſchon nach Verlauf weniger Jahre dieſes ganze Thema der Bernſteinhexe und die Dramatiſirung deſſelben wie ein Paroxysmus vor, den ich nicht verlaͤugnen moͤchte, fuͤr den ich aber auch keine ausgedehnte Theilnahme in Anſpruch nehmen will. Jch erinnere mich ganz gern der ſechs Wo - chen, waͤhrend welcher ich der Altweiberſagen ſchleſiſcher10Einleitung.Jugend ſtandhaft eingedenk und mit nichts beſchaͤftigt war als mit dem ſtarren Hinlauſchen und Hinhorchen, ob nicht außer dem Bereiche unſerer Sinne noch eine an - dere, unſrer Menſchenwelt uͤberlegene Exiſtenz webe und ſchaffe, mit dem ſtarren Hinhorchen nach dem Fluͤſtern und Murmeln waͤhrend des Mondesdaͤmmers, waͤhrend der Kaminſtunden im Vaterhauſe und im einſamen Forſt - hauſe, waͤhrend der ſchauerlichen Nachtſtunden auf abge - legenen Jagdplaͤtzen der Haide. Der alte ernſthafte Jaͤ - ger hatte mir in trockener Grube leiſe entwickelt, daß es kindiſch ſei, die alten Geheimniſſe zu laͤugnen und hatte neben mir alle die aberglaͤubiſchen Formen beutegierigen Jaͤgerthumes erfuͤllt, und hatte ſo oft triumphirt, wenn das erwuͤnſchte und ſeltne Wild im weißen Mondenſcheine gerade an uns voruͤber ſeinen Weg genommen, obwohl doch die Haide ſo breit war und hundert Wege außerhalb unſeres Geſichtskreiſes und Schuſſes uͤbrig blieben. Vor allem Anderen aber war ich aus dem ſchwarzen Brau - hauſe meiner Vaterſtadt nicht mehr heraus gekommen in jenen ſechs Wochen. Dies Brauhaus, der ſchwarze Hei - dentempel meiner Hexenerinnerungen, lag abſeit von den Hinterhaͤuſern der Stadt, ganz einſam dicht an der ver - fallenden Stadtmauer, und ich mußte als zehn - bis zwoͤlf - jaͤhriger Bube des Jahres wohl ein Dutzend Mal in die - ſem Brauhauſe wachen helfen, daß von dem friſch gebrau - ten Biere aus den Buͤtten nichts entwendet wuͤrde. Mein einziger Gefaͤhrte bei dieſer wunderlichen Wacht war ein11Einleitung.altes Muͤtterchen von kleiner viereckiger Geſtalt, genannt Mutter Schoͤnknechten, runzlig und garſtig und von un - gezaͤhlten Jahren. Sie ſelbſt wußte am Wenigſten Aus - kunft zu geben, wie lange ſie ſchon auf der Welt ſei, ſie wußte nur daß Niemand in der Stadt jemals Bier ge - trunken, bei deſſen Siedung und Brauung ſie nicht be - hilflich geweſen waͤre. Mutter Schoͤnknechten galt fuͤr ungewoͤhnlich begabt. Obwohl ſo alt und ſo klein, wuſch ſie doch ſaͤmmtliche Faͤſſer zu einem Gebraͤude binnen ei - nem halben Tage rein und blank mit drahtdurchflochtenen Lappen und ſchwenkte trotz ihrer kurzen Arme die großen Faͤſſer umher als ob es Bierglaͤſer waͤren. Man reſpek - tirte das ſtille Muͤtterchen ungemein, man traute ihr, wie geſagt, Ungewoͤhnliches zu, aber Niemand dachte dabei an Hexenweſen und Hexenkraͤfte. Mutter Schoͤnknechten ward zur guten Sorte gerechnet, die Frau des Brauers aber galt fuͤr eine Hexe, und dieſe Frau des Brauers, Brauer-Lene genannt, galt fuͤr die toͤdtliche Feindin der Mutter Schoͤnknechten. Da war alſo gutes und boͤſes Prinzip des Geheimnißvollen fuͤr den aufmerkſamen Kna - ben. Zwiſchen jenen beiden Weibern figurirte als Jn - differenzpunkt der alte lange Brauer, der mit ſeinem als Hexe verſchrieenen Weibe lauter ſtarke Jungen zeugte, der immerdar ſo gewiß uͤberlegen lachte, wenn man der Hexe - rei in ſeiner Gegenwart erwaͤhnte, und der uͤbrigens die Mutter Schoͤnknechten ſo wohlwollend und ſchonend be - handelte, als ob er ſie einmal geliebt habe in juͤngeren12Einleitung.Jahren. Ach was, pflegte meine Mutter zu rufen, er weiß wie noͤthig er ſie braucht, denn es geht kein Bier ordentlich zuſammen ohne den Segen und die Gegenwart und vor allen Dingen ohne die Wuͤrze der Mutter Schoͤn - knechten! Er ſoll nur einmal die Wuͤrze von Jemand Anderem kochen laſſen, da werdet Jhr’s ſchale Bier er - leben! Aber das weiß er gar gut, der alte Suͤnder, daß er ohne den Zauber der guten Kraͤfte im Brauhauſe trotz aller Hexerei ſeiner Lene im Malzhauſe kein klares, wohl - ſchmeckendes Bier zu Stande bringt!
Zwiſchen dem Brauhauſe und Malzhauſe, welche an - einander ſtießen, erſchien er mir denn auch immer, jener alte Brauer mit ſeinem furchtbar altmodiſchen Geſichte, oben auf dem ſchwarzen Treppen-Altan. Altmodiſch war das Geſicht, weil es uͤberaus grobe Zuͤge, große Naſe und großes Kinn hatte. Sein Erſcheinen geſchah faſt immer mitten in der Nacht. Abends ward ich hin - uͤber geſchickt in’s Brauhaus, wo die Mutter Schoͤnknech - ten allein die Wuͤrze kochte in einem tiefen Loche, welches vor der Ofenthuͤr ausgemauert und mit zwei bretternen Wandbaͤnken verſehen war. Jch fand ſie ſtets beſchaͤftigt und gluͤhend roth wegen des großen Feuers unter dem Wuͤrzekeſſel, und zunaͤchſt gab es nichts Einſames und Schauerliches, denn es kam wohl auch noch unſere Koͤchin mit Kaffeekannen von Bunzlauer Geſchirr, die mit Wuͤrze gefuͤllt und an ein Paar Specialfreundinnen der Mutter als beſondere Delikateſſe noch am ſpaͤten13Einleitung.Abende warm verſchickt wurden. Gegen zehn Uhr Abends erſt ward es ganz ſtill; Mutter Schoͤnknechten war fer - tig und ſetzte ſich zu mir auf die hoͤlzerne Bank und ſtarrte lange Zeit ſchweigend in den verglimmenden Brand unter dem Keſſel. Der Schweiß troff ihr von der Stirn und ſie trocknete ſich ihn mit einer Schuͤrze von grober Sack - leinwand, welche gar nicht weich genug war, um alle Schweißtropfen in den Runzeln des Geſichtes aufzuſuchen. Uebrigens war es kalt in dem finſtern, hohen und weiten Brauhauſe, und ich mußte oͤfters an’s Ofenloch fluͤchten, um mich zu erwaͤrmen. Mutter Schoͤnknechten ſah das ganz gern, und ſagte zuweilen: junges maͤnnliches Blut bringe der Bierwuͤrze guten Geſchmack, ich ſollte mich nur waͤrmen und in die Waͤrme hineinathmen. Dies war die Zeit, in welcher ſie anfing Geſchichten zu erzaͤhlen, Hexen - und Geſpenſtergeſchichten. Mit Geſpenſterge - ſchichten machte ſie keine großen Umſtaͤnde, die alte Frau ſchien ſich gar nicht zu fuͤrchten und tiſchte mir den aͤrg - ſten Spuk auf ſo gleichguͤltig, als ob ſie mir ein Butter - brot reichte. Kam ſie aber an eine Hexengeſchichte, ſo mußte ich immer erſt aus dem Loche hinaufſteigen und an die Thuͤr gehen, welche unten in’s Malzhaus hinein fuͤhrte. Dieſe Thuͤr ſollte ich oͤffnen, um mich zu ver - ſichern, daß Niemand von der Brauersfamilie an den Malzhaufen beſchaͤftigt ſei. Jch hatte nicht immer den Muth zum Oeffnen, denn von Geſpenſter-Eindruͤcken voll war es mir gar zu ſchauerlich, in einen ſo weiten, unab -14Einleitung.ſehbar langen, nur von einem Laͤmpchen oder dem Mond - lichte erhellten Raum duͤnſtender Getraidehaufen den Kopf hineinzuſtecken. Jch klapperte gewoͤhnlich mit der Klinke und begnuͤgte mich, durch’s Schluͤſſelloch und in die Hoͤhe nach der Bodenthuͤr zu kucken. Zu dieſer Malz - bodenthuͤr fuͤhrte eine hoͤlzerne, von Rauch ganz ge - ſchwaͤrzte Freitreppe, und oben auf dem altanartigen Ab - ſatze derſelben pflegte der gefuͤrchtete Brauer zu erſchei - nen. Hoͤrte ich nichts von dem Schluͤrfen ſeiner Pantoffeln und ſah ich nichts von ihm, ſo ſchluͤpfte ich wieder in’s Loch hinab und verſicherte die Mutter Schoͤnknechten: der Hexenmeiſter ſei nicht in der Naͤhe. — Nicht doch, erwi - derte ſie, ein Hexenmeiſter iſt er nicht, kaum ein Lehr - junge; er naſcht nur davon, weil er ſein Weib zum Maͤl - zen braucht. — Und iſt die Brauer-Lene wirklich eine Hexe, Mutter Schoͤnknechten? — Stille, ſo was darf man nicht laut ſagen! Oben in den offnen Fenſtern ſitzen die Fledermaͤuſe, die hier in’s Brauhaus nicht her - ein duͤrfen, denen wir aber das Horchen nicht wehren koͤnnen, und die der Lene Alles zu wiſſen thun. Wenn Du die Lene geſehn haͤtteſt vor zwanzig Jahren, Du wuͤr - deſt gar nicht fragen. Damals war ſie ſchoͤn wie ein Engel und an den blauen Kuckaugen hatte der heikelſte Burſch nichts auszuſetzen. Jetzt ſind die Augenraͤnder dick geſchwollen und roth. Das kommt nur vom Wach - holderfeuer auf dem Blocksberge in der Walpurgisnacht — Du haſt doch die zwei abgekehrten Beſen wieder kreuz -15Einleitung.weis vor die Thuͤr oben gelegt? — Ja! — Das ſind ihre Reitpferde in der Walpurgisnacht, und in der Nacht haben wir auch mein Lebtag nicht gebraut. Das kann ich ihr nicht wehren; aber ſie iſt auch nicht im Stande, in der uͤbrigen Jahreszeit uͤber die Beſen hin - wegzuſteigen, denn ſie ſind halt fuͤr ſie ſo groß wie Reit - pferde. Und der Brauer nimmt ſie auch nicht weg, nicht oben, nicht unten, denn er weiß gar gut, daß das Bier nur geraͤth, wenn die boͤſen Geiſter in’s Brauhaus ſelbſt nicht herein ſchluͤpfen duͤrfen. Zum Malz braucht er ſie, das Bier verderben ſie —
Dieſen Dualismus entwickelte nun das Muͤtterchen in allerlei grauslichen Geſchichten, welche ich hier nicht auftiſchen will. Ploͤtzlich ſchlief ſie ein, ohne Kopf oder Schulter irgendwo anzulehnen. Sie war ſo kurz zuſam - mengebaut, daß ſie keinerlei Stuͤtze beim Schlafen zu brauchen ſchien; ich habe nie geſehen, daß ſie ſich nieder - gelegt und daß ſie anders als kerzengerad ſitzend, die kurzen Haͤnde im Schooß gefaltet, geſchlafen haͤtte. Von dieſem Momente des Einſchlafens begann meine Noth. Voll ſolcher Geſchichten und verworrener Anſchauungen fuͤrch - tete ich mich nun, wenn dies das richtige Wort iſt, in dem hohen wuͤſten Raume, deſſen hoch oben angebrachte Fen - ſter ſaͤmmtlich offen und uͤberhaupt nur Loͤcher waren. Der Wind ſpielte mit den alten Brettlaͤden, der Mond kuckte mitunter neugierig herein, und der Hund, welcher im naͤchſten Hofe zuweilen raſſelte oder bellte, gehoͤrte in16Einleitung.die Scharfrichterei, wo es nach meiner Wiſſenſchaft auch lauter unheimliche Kuͤnſte gab, wenigſtens eine unbegreif - liche Macht uͤber die Thierwelt.
Die Eindruͤcke jener Stunde vor Mitternacht habe ich nie vergeſſen, und im Gedaͤchtniſſe derſelben bin ich jederzeit bereit, Geſpenſter - und Hexengeſchichten bis auf einen gewiſſen Grad andaͤchtig anzuhoͤren.
Um Mitternacht kam gewoͤhnlich Erloͤſung, eine Er - loͤſung, vor der ich mich auch fuͤrchtete bis ſie eintrat. All mein Nervenleben kroch in den Ohren zuſammen und lauſchte, ob ſich des Brauers ſchluͤrfende Pantoffeln ganz fern oben auf den Malzboͤden hoͤren ließen. Ja! zitternd klang es in mir Ja! und die Beklemmung ſteigerte ſich, bis oben an der ſchwarzen Treppe die Thuͤr knarrte und quietſchte und der Alte hervortrat im weißen Schafpelze. Sobald ich den weißen Schafpelz ſah, wußte ich, es war der Brauer, ein wirkliches Menſchenkind, und athmete auf. Gleichzeitig oͤffnete auch immer die Mutter Schoͤn - knechten ihre kleinen Augen: es ſchien eine Sympathie zu herrſchen zwiſchen den beiden Leuten. Nun fragte der Brauer von oben, ob Alles in Ordnung ſei, und ſie antwortete unten, ohne ſich umzukehren: Freilich! Dann verſuchte er einen Scherz, den ſie nicht beantwortete, und dann fragte er mich, ob „ mir nicht graute “, worauf ſie ſtatt meiner patzig erwiderte: Warum nicht gar! Der Brauer ſchlug nun eine kurze Lache auf, welche von da oben durch das leere Haus garſtig widerhallte; dann trat17Einleitung.den Malzboden, wir hoͤrten ihn fortſchluͤrfen, und je fer - ner dies wurde, deſto tiefer fielen die Augenlider der Mutter Schoͤnknechten, und wenn man ihn nicht mehr hoͤrte, dann ſchlief ſie wieder feſt, und ich ſank ebenfalls in Schlummer, eine Wacht wie die Garantie einer Staats - verfaſſung: ein altes Muͤtterchen und ein kleiner Bub, Gott muß fuͤr Alles ſtehen!
Dieſe daͤmoniſchen Verhaͤltniſſe im Brau - und Malz - hauſe haben nach der Verſicherung meiner Mutter an die dreißig Jahre geſpielt, und dabei hat die Stadt immer gu - tes Bier gehabt. Ploͤtzlich iſt einmal des Morgens die Mutter Schoͤnknechten ein wenig angelehnt gefunden wor - den; man hat ſich gewundert, iſt in ihr Loch hinabgeſtie - gen, um ſie zu wecken und hat erkennen muͤſſen, daß ſie todt ſei. Von dem Tage an iſt die Brauer-Lene zum erſten Male im Brauhauſe geſehn worden, und von dem Tage an iſt trotz aller Hexereien kein Bier mehr gerathen. Der alte Brauer iſt aus Kummer daruͤber erkrankt und geſtorben; einer ſeiner Soͤhne, ein ſehr geſchickter Brauer, iſt an ſeine Stelle getreten und hat auch nichts zu Stande gebracht als die Schwindſucht am eigenen ſonſt ſo ſtarken Leibe. Die Brauer-Lene iſt alle Tage magerer geworden und hat am Ende wie eine trockne Schindel mit rothen Raͤndern ausgeſehn. Man hat der Familie das Amt ab - nehmen muͤſſen, und ſie hat ſich zerſtreut in alle Winde — vom Tode der Lene haben ſich die wunderlichſten Sagen verbreitet, wohlunterrichtete alte Weiber aber ſagen, ſieLaube, dram. Werke. III. 218Einleitung.lebe heute noch und koͤnne nicht ſterben, bis die Mutter Schoͤnknechten ſich zum erſten Male im Grabe umwenden werde.
Wie abgeſchmackt dergleichen Dinge am heutigen lich - ten Tage erſcheinen, ſie wurden doch in mir lebendig, als ich, von einer Reiſe heimkehrend, das Meinhold’ſche Buch von der „ Marie Schweidler “auf meinem Tiſche fand und in das Leſen deſſelben hineingerieth. Wir koͤnnen ja doch die Eindruͤcke unſrer Lebensgeſchichte nicht verlieren, wie wenig auch eine ſpaͤter erworbene Bildung dazu ſtimmen mag. Sie gehoͤren zu unſerm Koͤrper, welchen keine Me - dizin oder Brunnenkur jemals ganz aͤndern kann, ſie ge - hoͤren zu unſern Anlagen, die niemals ganz uͤberbaut werden koͤnnen. Jedermann hat ſolch einen Punkt in ſich welcher Wahnſinn genannt wird, ſobald er ſich einmal unbekuͤmmert um die herrſchenden Grundſaͤtze ausbreitet und geltend macht. Wenigſtens wird, er fixe Jdee, wenn das Jndividuum paſſiver Natur iſt und nicht ſein Leben zum geſetzgeberiſchen Leben durchſetzen will, was eine ener - giſche Natur alle Zeit zu thun getrieben iſt.
So weit trieb es denn nun wohl die Hexen-Erinne - rung mit mir nicht, eben weil es nur eine ferne Erinne - rung ſein konnte. Jch hatte ja ohne Zuthun nur zuge - ſchaut und zugehoͤrt in fruͤher Jugend, ich hatte alſo nur Empfaͤnglichkeit, nicht aber ein Organ der Thaͤtigkeit dafuͤr. Ein einziges Mal im ſpaͤteren Leben hatte der kurioſe Ver - kehr mit der Geiſterwelt ein Pfoͤrtchen zu thaͤtiger Theil -19Einleitung.nahme fuͤr mich geoͤffnet. Das geſchah einmal im Fruͤh - jahr tief im Walde: Jch ſtrich mit dem Gewehr umher auf der Pirſch und hoͤrte aus einem tiefen Thale einen Schuß fallen. Auf einer Meile Rund wenigſtens durfte Niemand ſchießen in dieſem Forſte, der Schuß mußte alſo von einem Wilddiebe ausgegangen ſein, und ich ſchlich vorſichtig in das Thal hinab, eines Wildſchuͤtzens gewaͤr - tig, den ich uͤber Zerlegung des geſchoſſenen Thiers finden wuͤrde. Statt ſeiner fand ich einen Steinſprenger, der ſich mir bei laͤngerer Unterhaltung fuͤr einen Geiſterbeſchwoͤrer und Schatzgraͤber ausgab. Heutiges Tages begegnet Einem Dies nur noch in der Wildniß, dort nimmt ſich Dies aber ganz anders aus, und es machte mir denn auch wirklich einen Eindruck, als ich den ganz verſtaͤndigen Mann mit der ruhigſten Sicherheit von ſeiner Macht uͤber die Gei - ſterwelt reden hoͤrte. Er beſchrieb ſo genau, wie wir eine Reiſe beſchreiben, in welcher Weiſe und Geſtalt die Gei - ſter auf ſeine Beſchwoͤrung erſchienen, als dicke Nebel, bald grau, bald gelblich, bald ſchwaͤrzlich. Dazu nannte er ſie alle mit wunderlichen Namen und ſchien mit jedem einzelnen perſoͤnlich bekannt zu ſein. Jn Boͤhmen wollte er das Beſchwoͤren gelernt haben und behauptete ruhig, dieſe geheime Wiſſenſchaft werde noch durch die ganze Welt von einer verborgenen, eng zuſammenhaͤngenden Kette kundiger Leute betrieben. Er ſelbſt habe es nur bis zum zweiten Grade gebracht, und koͤnne noch keinen Schatz he - ben, weil er die Formel des dritten Grades nicht erlernt2*20Einleitung.habe. Geiſter wolle er mir indeſſen citiren ſo viel ich haben wollte, und wenn ich das wuͤnſchte, ſo werde er zum Abende des bevorſtehenden Pfingſtſonnabends auf’s Waldſchloͤßchen hinaufkommen, welches ich mutterſeelen allein bewohnte und welches ſehr geeignet ſei zu ſolchem Werke. Von den Wieſen und aus den hohen Fichtenbe - ſtaͤnden wuͤrden die Nebel praͤchtig aufſteigen und ſich zu Geſtalten mit langen Schleppen formiren, und durch die Fenſter und Ritzen hineinſchluͤpfen in mein Zimmer zwi - ſchen elf und zwoͤlf Uhr in der Nacht. — Nicht zwiſchen zwoͤlf und eins? — Nein, zwiſchen elf und zwoͤlf iſt die Geiſterſtunde! — Kurz, es wurde abgemacht zwiſchen uns. Er wollte vorher einmal hinkommen, und ein Paar Buͤcher bringen. Dabei fragte er mich, ob ich ihm ein gewiſſes Buch verſchaffen koͤnnte — er nannte den Titel — in dieſem ſolle die Formel des dritten Grades ſtehen. Jch verſprach, mich umzuthun und wir ſchieden.
Er kam richtig und brachte ein Paar alte Scharteken mit gemalten Geiſterkreiſen und betrieb unſer Werk mit ſolcher Ruhe und Ernſthaftigkeit, als ob es ſich um das Aufſchichten einer Klafter Holz handle. Dabei verſchwieg er indeſſen nicht, daß es ſeine Gefahr habe, wenn die For - mel nicht ſtark genug ſei oder man aus dem Kreiſe hinaus gerathe, denn die Geiſter ſeien grauſam.
Der Pfingſtſonnabend ruͤckte naͤher, und ich geſtehe offen, daß ich mich ganz gehoͤrig fuͤrchtete. Am Donner - ſtage indeſſen trat der Foͤrſter zu mir und fragte mich,21Einleitung.was ich denn mit dem Steinſprenger vorhaͤtte? Derſelbe ſei eben auf ein entferntes Revier beordert worden und habe eingewendet, daß er uͤbermorgen eine Arbeit fuͤr mich uͤbernommen. Ob dem ſo waͤre, und ob ich den Mann wirklich brauchte? — Aus innerer Scheu vor dem Aben - teuer beſtand ich nicht auf Freigebung des Steinſprengers, und ich hab’ ihn nicht wieder geſehen.
Er ſelbſt war alſo doch nicht zuruͤckgetreten und ver - traute alſo auf ſeine Macht! Das war ein Jahr vor dem Augenblicke geſchehn, da ich die „ Marie Schweidler “auf meinem Tiſche fand. Wer konnte alſo geneigter ſein als ich, auf die Hexengeſchichte dieſes Buches einzugehen! Man ſpielt ja ſo gerne mit dem Stolze der Aufklaͤrung, deren Epoche wir angehoͤren, wenn dies Spielen auf dem dunklen Hintergrunde der Hamletworte geſchehen kann: „ Es giebt Dinge zwiſchen Himmel und Erde, von denen ſich unſre Philoſophie nichts traͤumen laͤßt. “ Man laͤßt ſich gar ſo gerne auslachen von denen, welche die ganze ſichtbare und unſichtbare Welt als einen kleinen Knaͤuel von Kategorien auf der Zunge mit ſich herumfuͤhren zu jeder Zeit. Man macht ſo gerne gegen ſich ſelbſt Oppo - ſition. Jch wenigſtens muß von mir ſelbſt geſtehen, daß ich niemals an die Dauer und Fertigkeit der eben herr - ſchenden Anſchauungen glaube, und daß mir der Glaͤubige mit den eben beliebten Figuren ſeiner Phantaſie wie der Philoſoph mit der eben entdeckten Abſolutheit ſeiner Fol - gerungen gleichmaͤßig nur Gegenſtaͤnde der Curioſitaͤt22Einleitung.ſind. Die grell verſchiedenen Richtungen dramatiſch ge - gen einander in Bewegung zu ſetzen, das iſt ein Trieb, der aller Orten und Enden mich bewegt und leicht das Wunderlichſte und Verwirrendſte zum Vorſchein braͤchte, wenn man nicht nebenher ein wohlerzogener Staatsbuͤr - ger und Praktikant zu ſein und nur das Brauchbare zu veroͤffentlichen befliſſen waͤre. Jene Dialektik, welche ſich durch Perſoͤnlichkeiten und Handlungen bethaͤtigt und welche dem Autor ſelbſt unerhoͤrte Reſultate erzeugt, jene Dialektik des Schachſpiels mit Menſchen iſt ja der tiefſte Reiz dramatiſcher Thaͤtigkeit, ein Reiz, der nicht zu theuer bezahlt wird mit manchem Mißgriffe. Wer keinem Miß - griff ausgeſetzt ſein will, der verſchreibt ſich der Mittel - maͤßigkeit.
Jch bereue es auch deshalb ganz und gar nicht, daß ich mich den Spielereien der Phantaſie in Hexen - und Zaubergeſchichten einige Wochen wieder ſo lebhaft hin - geben konnte, als ob ich wieder ein Knabe neben dem alten Muͤtterchen, oder nur ein traͤumeriſcher Jaͤgersmann neben dem Koͤhler des Waldes waͤre. Was an dieſer Hinge - bung fehlerhaft war, das wird ſich bald zeigen, und es wird ſich auch zeigen, daß es von Vortheil iſt, uͤber den Grund und den Umkreis eines Fehlers auf’s Reine zu kommen.
Die Darſtellung einer Hexengeſchichte an ſich kann heute noch einen ſtarken und ſchoͤnen Reiz ausuͤben, das hat Meinholds „ Marie Schweidler “dargethan. Jn der23Einleitung.lebhaften Theilnahme an dieſem Reize uͤberſah ich nur, daß die Form den ſtaͤrkſten Antheil hatte an Erſchaffung dieſes Reizes. Meinholds Buch giebt ſich als treue Dar - ſtellung „ nach einer defecten Handſchrift des Pfarrers Abraham Schweidler in Coſerow auf Uſedom. “ Dieſer Paß oͤffnet ihm alle Thore. Man hat mich, verwundert uͤber meinen Mangel an Exegeſe, gefragt: aber haben Sie denn nicht an dieſem und jenem Zeichen gemerkt, daß es eine gemachte Chronik war? Darauf haͤtte ich ganz einfaͤltig zu erwidern: Nein! wenn ich nicht beizufuͤgen haͤtte: darum habe ich mich gar nicht gekuͤmmert! Die blanke Aechtheit oder Unaͤchtheit in Betreff der geſchicht - lichen Quelle war mir vollkommen gleichguͤltig, und ich muß auf alle Gefahr hin ſogar hinzufuͤgen, daß ſie mir dies unter ſolchen Umſtaͤnden immer iſt, daß mir das wirklich Geſchehene verhaͤltnißmaͤßig unwichtig iſt neben dem Wah - ren. Jch ſehe ſeit zwanzig Jahren Geſchichte entſtehen, und habe hinreichend erfahren, daß die einzelnen Wirklichkei - ten nicht nur unwichtig, ſondern ſogar neben der aus Mannigfaltigkeit entſtehenden Wahrheit geradezu unwahr werden koͤnnen, wenn man ſie realiſtiſch betont. Außer - dem aber bilde ich mir ein, von kuͤnſtleriſcher Natur zu ſein, und inſofern iſt es meine geringſte Sorge und Frage vor dem Reize einer Geſchichte, ob ſie geradeſo paſ - ſirt iſt wie ſie mir erzaͤhlt wird. Jede gut erzaͤhlte Ge - ſchichte iſt mir auch eine wahre Geſchichte.
Endlich glaube ich auch heute noch nicht, daß Mein -24Einleitung.hold die ganze Geſchichte erfunden habe, ſondern ich bin feſt uͤberzeugt, daß er Theile des Torſo vorgefunden und ſie im Style deſſelben zuſammengeſetzt hat. Das wird freilich ſchwer aufzuklaͤren ſein, wenn er ſelbſt daruͤber nichts mittheilen will, ſondern auf der wunderlichen Grille beharrt, durch ſolche Taͤuſchung und Enttaͤuſchung einen Beweis geliefert zu haben, daß die Zweifler an der Aecht - heit der Evangelien kein Vertrauen in Anſpruch nehmen duͤrften. Jeder natuͤrliche Verſtand entgegnet ihm, daß ja grade ſeine Taͤuſchung von vielen Leuten glaͤubig hinge - nommen, dadurch alſo von Neuem der Beweis geliefert worden ſei: man koͤnne recht wohl etwas kuͤnſtlich zuſam - menſetzen und fuͤr wirklich Erlebtes oder direkt Ueberlie - fertes ausgeben, ohne Augen - und Ohrenzeuge, ja ohne im Beſitz einer direkten Ueberlieferung geweſen zu ſein. Es iſt wohl nicht leicht wider Willen den Evangeliſten ein uͤbleres Kompliment gemacht worden, als mit dieſer Logik und in Achtung vor dem Talente Meinholds duͤrfen wir vorausſetzen, dieſe verneinende Wendung ſei nur der zweite Akt ſeines logiſchen Drama’s gegen die Rationali - ſten. Jm dritten, die Komoͤdie ſchließenden Akte wird er ſagen: Siehe da, Jhr habt denn auch die Verneinung wie - der kurzſichtig hingenommen. Sie erſchien blos, um die Nichtigkeit Eurer Kritik zum zweiten Male darzuthun; jetzt ward etwas fuͤr ein kuͤnſtliches Machwerk ausgegeben, es ward Euch ein Trug wahrſcheinlich gemacht, das war Etwas nach Eurem Sinn, und Jhr riefet: „ Freilich! frei -25Einleitung.lich! das hatten wir wohl gemerkt, Dergleichen iſt ja immer Machwerk! “ Jetzt erſt kommt die Aufloͤſung: die Ueber - lieferung von der Marie Schweidler iſt wirklich aͤcht, ich habe nur die auseinander geriſſenen Theile aneinander ge - fuͤgt. Da habt Jhr das mitſprechende Beiſpiel fuͤr alte Ueberlieferungen und fuͤr Eure Kritik!
Doch genug uͤber einen abſonderlichen Scherz, welcher die kritiſchen Leute laͤnger intereſſiren mag als die kuͤnſt - leriſchen. Dieſen wird Meinholds Buch unter allen Um - ſtaͤnden werth bleiben, und mich perſoͤnlich entzuͤckte es der - maßen, daß ich, erfuͤllt von lauter dramatiſchen Formen, nicht Raſt noch Ruhe hatte, bis ich es als Theaterſtuͤck vor mir ſah. Jch war mitten in der Abfaſſung des Stru - enſee begriffen, und alſo nicht nur nicht verlegen um ei - nen Stoff, ſondern im Gegentheil geſtoͤrt durch das bereits ausgebreitete Leben eines ganz andern Stoffes, welcher nach Erledigung ungeſtuͤm in meinem Jnnern pochte. Der Drang war ſo groß, daß ich weſentliche Uebelſtaͤnde, welche ſich meinem Verſtande aufdraͤngten, durchaus uͤberſehen wollte. Der Verſtand ſagte mir: der Hauptreiz in der „ Schweidlerin “ſind die naiven Ausbreitungen im Detail, ſind die leiſen Toͤne und Striche in der Charakteriſtik der Perſonen, in der Fuͤhrung der Begebenheit, und eine wich - tige Hilfe fuͤr den Hauptreiz iſt die alte Sprache! Das Alles geht Dir fuͤr’s Drama verloren, denn dieſes ver - traͤgt die Ausbreitung des Details, vertraͤgt die leiſen Wendungen, vertraͤgt die alte Sprache nicht, es fordert raſch26Einleitung.zum Ziele ſchreitende Handlung — umſonſt, ich war eben im Paroxismus, ich zwang den Struenſee nieder, ich ſchrieb in fuͤnf Wochen „ die Bernſteinhexe “und ſagte getroſt: Das ſoll und wird den meiſten Kritikern als alter Stoff und derbe Geſtalt nicht gefallen, aber es wird ein kraͤftiges Theaterſtuͤck ſein, welches ein tief nationales Thema deutſchen Lebens zur Anſchauung bringt, und welches auf eine ungeſchminkte Schilderung hiſtoriſchen Lebens Anſpruch machen kann.
Kaum war es beendigt und an einige Buͤhnen ver - ſendet, ſo ward angekuͤndigt, daß auch in Darmſtadt Herr Nodnagel mit Dramatiſirung dieſes Stoffes beſchaͤftigt ſei, ein Zeichen, wie nahe die dramatiſche Verſuchung gelegen. Uebrigens ſei beilaͤufig bemerkt, daß dieſes Stuͤck bei den Theatern kein Hinderniß fand, und daß es der Wiener Cenſur allein vorbehalten blieb, auch in dieſem Thema des Hexenprozeſſes einen Anſtoß und Anlaß zum Verbote zu entdecken: ein hoher Beamter (der Amtshaupt - mann) werde darin bloßgeſtellt!
Das Hamburger Stadttheater brachte die erſte Auf - fuͤhrung des Stuͤcks, und dort ſah ich es ſelbſt zum erſten Male auf den Brettern. Einer unſrer erſten Kuͤnſtler, Herr Grunert, hatte demſelben ſeine beſondere Theil - nahme zugewendet und die Rolle des Amtshauptmann mit derjenigen Sorgfalt und gruͤndlichen Umſicht ein - ſtudirt, welche ihm eigen ſind und ihn ſo vortheilhaft aus - zeichnen. Das Daͤmoniſche des Charakters reizte ihn zur Entwickelung all der feinen Wendungen im Vortrage und27Einleitung.Mienenſpiel, vermittelſt deren die aͤngſtliche Scheu des Zuſchauers geſteigert wird bis zu Furcht und Schrecken vor unterirdiſchen Gewalten. Er wurde vom Publikum durch wiederholten Hervorruf ausgezeichnet, und neben ihm wirkte das ſchoͤne Feuer der Entruͤſtung, welchem ſich Herr Hendrichs als Ruͤdiger mit hinreißender Natuͤrlich - keit hingab ſo hilfreich, daß die Vorſtellung uͤberſchuͤttet wurde mit aͤußeren Zeichen des Beifalls. Einen Augen - blick nur ſchien das Publikum vom Gange des Stuͤcks be - troffen zu werden: als Schweidler ſelbſt ſein Kind aufzu - geben ſcheint, um es zu retten. Dieſe Spannung wirkte zu peinlich, und nach Verlauf der halben Minute, welche ſie andauert und nach welcher ſie in’s Gegentheil aufge - loͤſ’t wird, brach das Publikum in neuen Beifall aus, gleichſam zum Ausdruck der Genugthuung. Jn dieſer guͤnſtigen Stimmung der Zuſchauer ward das Stuͤck zu Ende geſpielt und ward der endliche Tod Wittichs und der gluͤckliche Ausgang mit voͤlligem Jubel aufgenommen.
Die Wirkung war alſo nicht nur außerordentlich ſtark, ſondern ſie war auch dem Ausdrucke nach außerordentlich guͤnſtig geweſen beim Theaterpublikum, und in Betreff des Theaters ſelbſt hatte mich alſo meine Erwartung bei Ab - faſſung des Stuͤckes nicht getaͤuſcht. So iſt es auch bei allen Vorſtellungen auf andern Theatern geworden: der Theatererfolg iſt uͤberall guͤnſtig geweſen und was die Zeitungsberichte Gegentheiliges geſagt, das haben ſie ge - logen. Jch erinnere mich zum Beiſpiele, daß ein Bericht28Einleitung.in der Europa von der zweiten Vorſtellung des Stuͤckes in Berlin erzaͤhlte: am Schluſſe habe ſich keine Hand ge - regt und das Publikum ſei ſtill und mißvergnuͤgt hinweg - gegangen. Zufaͤllig bin ich ſelbſt zugegen geweſen, und habe geſehen und gehoͤrt, daß am Schluß der zweiten wie am Schluß der erſten Vorſtellung allgemein applaudirt und das ſpielende Perſonal in ſeinen Hauptvertretern ge - rufen wurde. Dieſe Nebenſache erwaͤhne ich nicht bloß, um in einer vergeſſenen Angelegenheit unnuͤtz zu wider - ſprechen, und auch nicht bloß um die Gewiſſenloſigkeit in Berichterſtattungen nachzuweiſen — was wuͤrde das hel - fen bei einem viel tiefer liegenden Uebel?! — Nein, ich erwaͤhne ſie, um auf den Eindruck zu kommen, welchen mir ſelbſt die erſte Vorſtellung in Hamburg gemacht hatte, und um beilaͤufig einen Fehler der Berichterſtatter, wel - chen ſie ablegen koͤnnen, einleuchtend zu ruͤgen. Jch bin naͤmlich weit entfernt, unwahre Berichte uͤber meine Stuͤcke immer nur perſoͤnlicher Feindſchaft und unlauterer Par - teiung zuzuſchreiben und ich habe bei dieſer Gelegenheit deutlich eingeſehn, wie ſolche Luͤgenberichte entſtehen. Das Stuͤck hatte dem Berichterſtatter ſelbſt mißfallen, und er war eitel und oberflaͤchlich genug, ſeinen Eindruck fuͤr den allgemeinen auszugeben — in der naͤchſten Zeile ſpricht er von der Wuͤrde oͤffentlicher Meinung, nachdem er ſie eben in Verlaͤugnung oͤffentlicher Thatſache miß - handelt hat. Solche Berichterſtatter haben zu lernen, daß getreue Darſtellung des Thatbeſtandes eine Pflicht29Einleitung.und Kunſt an ſich iſt und eben ſo viel nuͤtzt als die bei - gefuͤgte Kritik, wenn dieſe Kritik einſichtig iſt. Falſche Berichte verwirren unſer Theaterweſen mindeſtens eben ſo als ſchiefe Kritiken, denn ſie verfaͤlſchen die Urtheils - ſpruͤche des großen Publikums, deren Kenntnißnahme fuͤr die Entwickelung des Theaters mindeſtens eben ſo wichtig iſt als die Kenntnißnahme des Urtheilsſpruches, welchen der Einzelne faͤllen zu muͤſſen glaubt.
Und warum glaub’ ich ſo bereitwillig, daß mein Stuͤck einem luͤgenhaften Berichterſtatter mißfallen haben muͤſſe? Weil es mir ſelbſt in der Auffuͤhrung nicht gefallen hatte.
Tieck hat ein ſehr richtiges Wort geſagt: das Stuͤck ſei zu grauſam. Und dabei hat er nicht einmal wie ich zu meinem Schrecken mit angeſehn, daß eine Dame inmitten der erſten Vorſtellung in Hamburg ohnmaͤchtig wurde. Solche Wirkungen ſind keineswegs wuͤnſchenswerth.
Dieſe Grauſamkeit iſt es aber nicht allein, welche mir meine eigne Arbeit verleidete. Mich peinigte noch ein an - derer Fehler, ein Fehler, welchen die herkoͤmmliche Kri - tik wahrſcheinlich einen Vorzug nennen wuͤrde, mich pei - nigte die hiſtoriſche Treue. Die Kunſt des Theaters iſt nicht dazu vorhanden, bloße Portraits von geſchichtlichen Perſonen und Zuſtaͤnden zu geben, nein, ſie iſt eine ganz beſtimmte und abgegrenzte Ueberlieferung der Vergangen - heit an die lebendige Gegenwart, ſie hat die Vergangen - heit nicht als einen Leichnam voruͤberzutragen, nein, ſie hat ihn mit dem Hauche der Gegenwart zu beleben. Das30Einleitung.ſoll ſie nicht thun bei Perſonen und Zuſtaͤnden, welche den Hauch der Gegenwart abſolut nicht vertragen wuͤrden, ohne entſtellt zu werden, ſie ſoll die Geſchichte nicht ver - faͤlſchen, nein, aber ſie ſoll eben deshalb ſolche mit der Gegenwart unvertraͤgliche Perſonen und Zuſtaͤnde nicht waͤhlen fuͤr das Theater. Sie ſoll nur ſolche waͤhlen, welche in beſtimmten Nerven fortleben bis in die Gegen - wart, und an dieſe fortlebenden Nerven ſoll ſie die Wie - dergeburt der Vergangenheit knuͤpfen. So nur ent - ſteht wirkliches Leben in hiſtoriſchen Dramen. Einen Hexenprozeß getreulich auf die heutige Buͤhne bringen iſt eben ſo ſehr ein Mißgriff, als Karl dem Fuͤnften prote - ſtantiſchen Liberalismus in den Mund legen. Der Hexen - prozeß iſt durch keinen Nerv mehr mit unſrer Zeit ver - knuͤpft. Das hatte ich uͤberſehn in meiner Liebhaberei fuͤr wunderliche oder wunderbare Erſcheinungen und Geheim - niſſe. Anderes Geiſter - und Geſpenſterthum mag noch mit uns zuſammenhaͤngen und wird wohl dem Menſchenthume, welches ſo viel Veranlaſſung und ſo wenig Auskunft er - haͤlt, immer bis auf einen gewiſſen Grad lebendig bleiben, vielleicht auch das Hexenweſen ſelbſt mit ſeinen lockenden und ſchreckenden Geheimniſſen der eigenthuͤmlich maͤchti - gen Perſoͤnlichkeit — aber der Hexenprozeß ſelbſt nicht. Er iſt nur ein brutales Anfaſſen der geheimnißvollen Per - ſonen, wie es eben nur eine beſtimmte rohe Zeit mit ſich brachte, welche dem Henker uͤberantwortete was ihr un - verſtaͤndlich blieb; er iſt nur ein Akt, welchen die Aufklaͤ -31Einleitung.rung zwar nicht aus unſerm Gedaͤchtniſſe aber doch aus unſerer Auffaſſungsweiſe geſtrichen, ein Akt, welcher in keinen Nerven mehr fortlebt. Wird er auf’s Theater ge - bracht ſo kann er wohl durch die ihm inwohnende Furcht - barkeit und durch eine ſpannende Technik des Stuͤckes Furcht und Schrecken im alltaͤglichen Sinne, alſo auch Jntereſſe in trivialer Bedeutung des Wortes erregen, er kann alſo ganz wohl einen lebhaften und ſcheinbar guͤn - ſtigen Theatererfolg erringen, aber Furcht und Schrecken im hoͤheren Sinne erregt er nicht, denn er iſt kein Ergeb - niß einer bedeutenden ſondern nur einer rohen Weltan - ſchauung, er erregt alſo eigentlich Empoͤrung unſrer beſſe - ren Faͤhigkeiten, und deshalb iſt er als Mittelpunkt eines Theaterſtuͤcks aͤſthetiſch zu verwerfen.
Das war der Grund meines Mißbehagens beim Zu - ſehn geweſen, und als ich mir hinterher entwickelte, wo - her dieſes Mißbehagen gekommen ſei, da entwickelte ſich mir das obige Raiſonnement. Die berichterſtattende Kri - tik hat mir leider nicht dazu verholfen, ſie zaus’te nur an den Symptomen des Grundes.
Warum dann aber, kann man fragen, das Stuͤck noch drucken laſſen und den Leſern aufnoͤthigen? Ei, was ich da gegen mein Stuͤck vorgebracht, das gilt dem Theater - ſtuͤcke, dem durch Fleiſch und Blut und durch den ganzen ſceniſchen Apparat bis zur Taͤuſchung lebendig gemachten Stuͤcke, und nur dieſem. Nur die Buͤhne hat der Ge - ſchichte gegenuͤber ſo empfindliche Nerven, nur ſie iſt trotz32Einleitung.aller Verhuͤllungen innerlich ſo ganz und gar Gegenwart, daß ſie nichts Todtes verwerthen kann. Denn ſie iſt nicht allein und unnahbar wie das Buch. Sie ſteht in unmit - telbarem Zuſammenhange mit dem Publikum. Jeder Pulsſchlag, den ſie thut, weckt auf der Stelle ein ent - ſprechendes Leben und, was die Hauptſache iſt, ein han - delndes, ein entſcheidendes Leben im Publikum. Sie ge - biert alſo ſofort lebendige Mißgeburten, wenn ſie eine Handlung aus wirklich uͤberlebter Vergangenheit ent - wickelt.
Das Buch hat einen ganz andern Wirkungskreis, denn es macht nicht den Anſpruch, ein unmittelbares, unabweisliches Leben zu ſein. Zwiſchen dem Buche und dem Leſer bleibt eine hundertfaͤltige Vermittelung offen, ſelbſt eine ergiebige Vermittelung, wenn Buch und Leſer einander gar nicht gefallen.
Aus ſolchen Gruͤnden hab’ ich ſelbſt meinem Stuͤcke das weitere Theaterleben abgegraben, indem ich nach er - lebter eigner Anſchauung vielen Directionen abrieth, das Stuͤck aufzufuͤhren; aus ſolchen Gruͤnden nehm ich aber auch gar keinen Anſtand, das grauſame Stuͤck als Buch dem Leſepublikum vorzulegen. Das wuͤrde ich thun, auch wenn ich nicht zahlreiche Beweiſe haͤtte, daß kundige Lite - raten nach der Lectuͤre des Manuſcriptes von jenen Feh - lern des Theaterſtuͤcks ganz und gar unberuͤhrt geblieben waren und mir dadurch ein Zeugniß geliefert hatten, daß33Einleitung.ſich die geruͤgten Umſtaͤnde eben in der Lectuͤre ganz an - ders ausnehmen.
Aus ſolchen Gruͤnden endlich moͤge Herr Grunert mir die Verſicherung geſtatten, daß ich bei der Widmung des Buches gehofft habe, etwas Jntereſſantes an ſeinen Na - men zu knuͤpfen. Die Widmung ſoll oͤffentlich von mei - ner Dankbarkeit zeugen fuͤr die thaͤtige Hingebung des aus - gezeichneten Schauſpielers an ein neues Drama, deſſen Theatergeburt uns ſo lebhaftes Geſpraͤch, ſo mannigfaches Jntereſſe bereitet hat, und deſſen Theaterleben er heute noch mit liebenswuͤrdiger Hartnaͤckigkeit gegen mich ſelbſt in Schutz nimmt. Moͤge er als ſtrenger Vertreter des Schauſpiels nicht ſchelten, wenn ich ſchließlich gerade her - aus ſage, daß das folgende Schauſpiel — eine Oper wer - den mußte. Die Muſik verhuͤllt und verſoͤhnt Alles, auch die unbegreifliche Vergangenheit.
Erregten Augen und Ohren iſt der Aberglaube immer bereitwillig: wie ein unerkennbarer Nachtvogel hat er mir mit lautloſem Fluͤgelſchlage um dies Stuͤck geſchwebt. Jn Berlin fand ich zur Darſtellerin der Bernſteinhexe ein ſchoͤnes, blondes Maͤdchen, ſanft und liebenswuͤrdig ganz und gar, welches auf den Proben eine wunderbare Hin - gebung zeigte an den Charakter dieſer raͤthſelhaften, ge - peinigten Marie, und welches durch ſolche Jnnigkeit und Anmuth die Vorſtellung ſo gefaͤllig machte, daß man den Schauer uͤberwinden und Beifall ſpenden konnte. Kein Menſch hielt dieſes Maͤdchen fuͤr krank, und als ſie ſichLaube, dram. Werke. III. 334Einleitung.nach der zweiten Vorſtellung unwohl fuͤhlte und die dritte deshalb aufgeſchoben werden mußte, da dachte Niemand was Arges. Dieſes Maͤdchen war Adolphine Neumann, die Schweſter der ſo grazioͤſen Kuͤnſtlerin Louiſe Neumann, die Tochter der mit Recht ſo beruͤhmten Luſtſpielzauberin Frau Neumann-Haizinger, das dritte liebliche Blatt die - ſes reizenden Kleeblatts am deutſchen Theater. Und mit den Phantaſieen der Marie Schweidlerin legte ſich Adol - phine Neumann auf’s Krankenlager und verließ es nicht eher wieder als bis man ſie hinausfuhr zum Grabe, eine wunderſchoͤne Leiche.
Das hatte mir einen ſchauerlichen Eindruck gemacht, und ich hatte mein Stuͤck nicht mehr angeſehn oder geleſen bis jetzt, da mir der Verleger ſchrieb, es harre der Druck meines dritten Dramas.
Herrn Carl Grunert Mitgliede des K. Hoftheaters zu Stuttgart gewidmet.
Amtshauptmann auf Uſedom.
deſſen Pflegeſohn.
Conſul der Stadt Uſedom.
Pfarrer in Coſerow.
Muͤllerburſch.
Buͤttel in Pudagla.
Pfarrer Schweidler’s Tochter.
deren Magd.
aus Uſedom.
Ort der Handlung: Die Jnſel Uſedom. Die erſten zwei Akte im Pfarrhauſe zu Coſerow, die letzten drei Akte auf dem Schloſſe Pudagla; die letzten Scenen des letzten Aktes auf dem Streckelberge an der Oſtſee bei Pudagla und Coſerow. Zeit der Handlung: Ende Auguſt 1630.
’Sie hat’s verſchuͤttet, ſonſt waͤr’ ſie lang’ wieder da!
Die Sonne geht zu Ruͤſte, da helfen die guten Geiſter weder Menſchen noch Vieh!
Marie!
Die Jungfer iſt noch nicht wieder ’rein!
Wo bleibt ſie denn?
Je Herr Gott, die alte gluderaͤugige Kolken-Lieſe hat ſie fortgeſchleppt, weil ihr die rothe Kuh gefallen iſt, und die Jungfer ſie beſprechen ſoll!
’s iſt aber vorbei mit dem Beſprechen!
Die Kolken-Lieſe?
Ja!
Jch hab’ aber doch der Marie geſagt, ſie ſolle ſich mit dem Weibsbilde nicht mehr einlaſſen: ’s iſt ’ne Hexe!
Hab’s auch geſagt, aber die Jungfer hat ihren Kopf aufgeſetzt und ſpricht: Hexe oder nicht, geholfen muß wer - den! — fuͤr ſich — und kann doch nicht mehr helfen!
Das kleine Buch auf dem Tiſche brauch’ ich, fix!
Gleich!
Jch will noch in die Luft hinaus!
Hier!
’s iſt mir wie ’n Ungluͤck, das ſich auf’s Dach ſetzte — die graue Kraͤhe ſchreit draußen auf dem Birnbaum gar ſo erbaͤrmlich!
Jlſe!
Herr Jeſ’!
Schrei ſie nicht ſo einfaͤltig, ’s iſt bloß der Birkhahn!
Dummer Muͤller, was huſcht er ’rum wie ein Froſch! Was will er denn? Der Herr Pfarr wird gleich ’raus kommen und wird ihm die Wege weiſen, ihm Naſeweis!
Kommt er gleich!
Freilich! Er will an die Luft gehn, hat ſich krumm geſeſſen — morgen iſt Sonntag und Predigt, und er ſagt, Kopfarbeit mache trocken — mach er, daß er fortkommt, Zabel, er weiß wohl, daß der Herr Pfarr ’nen Zahn auf ihn hat!
Weiß.
Jch weiß auch warum!
Den Teufel auch, Jlſe, weißt Du!
Gott behuͤt’ uns! Jmmer iſt der Gottſeibeiuns ſein drittes Wort!
Jlſe! merken wir’s denn nicht einen Augenblick vor - her, eh’ er heraustritt? — Jch bin wie ein Wieſel ’naus und um die Ecke —
Na, manchmal ſchlaͤgt er’s Fenſter zu und ruͤckt den Stuhl auf die Seite — aber was hat er denn hier zu ſuchen, Zabel, na! Meint er mich?
Ne.
Grobian.
Die Jungfer moͤcht’ ich ſprechen!
Das glaub’ ich! Pack er ſich fort! Der Herr Pfarr ruͤckt den Stuhl!
Hab’ gute Ohren, Jlſe!
Lange Muͤllerohren!
Grobheit hilft nicht gegen meine Neuigkeiten, Jlſe!
’s werden ſaubre Neuigkeiten ſein!
Nein, unſaubre ſind’s
Na —?
Der Amtshauptmann iſt eben in’s Dorf ’rein geritten.
Der bringt uns ſein Lebtag kein Gluͤck.
Dafuͤr iſt er auch nicht Amtshauptmann! Ungelegen - heit bringt er; der Wulf iſt bei ihm —
Der Taugenichts!
Macht zwei Taugenichtſe!
Nimm Dich in Acht, Zabel!
Nehmt Jhr Euch nur in Acht! Bei der Schmiede druͤben neben unſrer Muͤhle hielten ſie, weil dem Schim - mel ein Eiſen klapperte, und waͤhrend der Schmied nagelte und ein Regenſchauer klatſchte, trat der Herr Wittich unter unſer Schauerdach, und ich kuckte eine Elle uͤber47Die Bernſteinhexe.ihm aus dem Taubenloche, hinter dem er keinen Men - ſchen vermuthete. Und da hoͤrt’ ich Alles. Wulf! ſchrie er, laß den Geſellen Schimmels Bein halten und komm her! Und nun ſchalt er ihn, daß er hier im Pfarrhauſe noch immer nichts ausgerichtet bei der Jungfer, und ſagt’ ihm, er wuͤrde ihm fuͤr alte Suͤnden den Hals umdrehn laſſen, wenn die Jungfer Marie nicht binnen 48 Stun - den druͤben bei ihm waͤre in Pudagla —
Ach Du mein Jeſu!
Heul ſie nicht! Der Herr Wittich kann auch nicht Alles, und wir ſind auch noch da!
Das iſt was Rechts!
Und der Junker von Mellenthin?
Na der fehlte noch dazu!
Wie der Bock zum Gaͤrtner?! Das iſt, Gott ſtraf’ mich, richtig. Aber der Junker iſt wenigſtens brav. — Na, und nun ſprach der Wittich von der Kolken-Lieſe, mit der er fruͤher ſein Weſen gehabt hat —
Der Herr Pfarr kommt!
Komm an die Birken, wenn’s ſchummrig wird, ich werd’ Dir auserzaͤhlen —
Jlſe!
Ja!
Wirſt Du kommen?
Wo iſt denn mein Stock, Jlſe?
Hat das verdammte Schloß zugeſchnappt! Das iſt mein Treffer!
Er wird wohl wieder unter dem Riechkraut ſtehn, die Jungfer ſtellt ihn immer dahin — richtig!
’s iſt ein poetiſch Weſen das Kind!
Ja, ſie hat leider ihr Weſen!
Was?
Wird’s zeitig genug erfahren.
Nix!
Sie ſoll mir auf den Streckelberg nachkommen, ’s iſt ein ſchoͤner gottſeliger Auguſtus-Abend, und die See wird goldig ſchimmern — hoͤrſt Du?
Ja doch!
Warum biſt Du denn ſo verdrießlich? — Hoͤre, gieb Acht, ich hab’ geſehn, daß der Junker Ruͤdiger da druͤ - ben in den Straͤuchern mit dem Schießgewehr ’rum kriecht. ’s ſieht aus, als wollt’ er junge Haſen ſchießen, aber ’s kommt mir ſchon lange vor, als pirſcht’ er am Liebſten hier herein! Daraus kann kein Segen ſprießen —
Wo kaͤm’ der Segen her!
Ein Junker und ein Pfarrkind paſſen ſo wenig zuſam - men wie Sperber und Taube, und wenn der Herr Wit - tich davon merkt, der mir ohnedies ein abholder Mann und uͤberhaupt kein gottesfuͤrchtiger Mann iſt, ſo entſteht nur neues Aergerniß.
Als ob’s dran fehlte.
Schick’ alſo Marien gleich hinter mir drein, wenn ſie kommt, damit ſie nicht allein zu Haus betroffen werde — warum ſteht denn der Seiger ſtill?
Gott weiß! Das iſt der Jungfer Sache; es ſtockt aber jetzt allerwegs und giebt lauter ſchreckliche Zeichen!
Das Kind wird wirklich wunderlich. (Er betrachtet den Seiger und ſieht unter dem Fenſterfluͤgel Birkhahn’s Beine. Erſchreckt tritt er einige Schritte zuruͤck.) Alle guten Geiſter, da iſt wohl ein Stuͤck Teufel herein gefahren!
Ach Herr Jeſus, da geht’s los!
Beelzebub, weiche!
Ach die verlorne Jungfer, da iſt der Teufel ſchon im Hauſe!
Das iſt mein Treffer!
Beelzebub, weiche! — Er weicht nicht! — Hol’ mir51Die Bernſteinhexe.das Buͤchelchen wieder heraus, und das Tintenfaß, daß ich ihn banne!
Ach mir hat er die Beine feſtgenagelt, der Satan, ich kann nicht von der Stelle.
Mit Euren Teufeleien macht Jhr einem ſelber Angſt, und mit dem Tintenfaß obendrein.
Was? der nichtsnuͤtzige Muͤller-Zabel?!
Der Kerl iſt noch hier?!
Was macht er hier? Will er ſtehlen?
Ach was, ich ſoll wohl die Jlſe ſtehlen! Die koͤnnt’ ich umſonſt haben!
Du Luͤgenmaul!
Sprich, gottloſer Bube, was machſt Du hier?
Gottlos bin ich nicht, wenn ich auch Euer Teufels - zeug nicht glaube! und ich wollt’ Euch ſagen kommen,4*52Die Bernſteinhexe.daß Jhr Eure Jungfer in Acht nehmen ſolltet! Das dumme Volk im Dorfe ſteckt die Koͤpfe zuſammen, weil ſie dem kranken Vieh nicht mehr helfen kann, und ſie wiſcheln und ziſcheln ſchon die ſchlimmſten Dinge, und die alten Weiber klatſchen: ’s waͤr’ vorbei mit der Jungfer ihrer Kraft, und der Teufel ſteckte ſchon dahinter! Es ſteckt aber nichts dahinter als die Kolken-Lieſe, die ſich ihr Handwerk nicht verderben laſſen will durch die Jungfer, und wenn der Herr Pfarr dem Dinge nicht ein Ende macht, ſo wird er das ganze dumme Bauernvolk auf den Hals kriegen, und die Jungfer wird Schaden nehmen! Und das hab’ ich ihm ſagen wollen, und hab’ mir’s nicht getraut, weil die dumme Jlſe gethan hat, als wuͤrdet Jhr mich freſſen, und deshalb hab’ ich mich fix verkrochen, als das alte Thuͤrſchloß im unrechten Augenblick zugeſchnappt war, und das iſt die ganze Teufelei, Herr Pfarr, und deshalb bin ich noch nicht gottlos!
Gottlos iſt er doch, weil er nichts Rechtes glaubt — zieh’s Schloß wieder auf, Jlſe, ich muß an die Luft, mir iſt ſchlecht zu Muthe.
Wenn er nur nicht ſo grob waͤre, Zabel, und nicht ſo unglaͤubig, ſo haͤtt’ er ſchon recht mit der ganzen Ge - ſchichte. Aber der Jungfer iſt nicht mehr zu helfen, und das nimmt ein Ende mit Schrecken!
’s iſt wohl nicht moͤglich?! Sie wird wohl fuͤr den Schrecken ſorgen durch ihr Geſchrei, Sie Kirchendohle!
Jſt der Vater nicht da?
Richtig, da kommt ſie ſchon durch die Hinterthuͤr herein!
Wo iſt er denn?
Nach dem Streckelberge; die Jungfer ſoll ihm nach kommen.
Jch kann jetzt nicht — die Leute ſchreien hinter mir her!
Na da haben wir’s!
Aber friſche Luft brauch’ ich!
Ach, Gott ſei Dank!
Mach Sie doch der Jungfer einen friſchen Milchtrunk zurecht mit ſtarkem Gewuͤrz; ſie braucht was gegen den Schreck.
Freilich braucht ſie was!
Ach, Du biſt’s, Zabel! Gruͤß Dich Gott!
Und Euch helf Gott, Jungfer!
’s thut Noth, Zabel!
Jch mag Euch nicht ſchelten, aber geſagt hab’ ich’s Euch von fruͤh auf, Jhr ſolltet Euch nicht mit den Bauer - kunſtſtuͤcken einlaſſen; ſie nehmen immer ein ſchiefes Ende.
Du haſt aber auch Dein Lebtag nichts davon ver - ſtanden!
Das iſt auch richtig, ich war immer ein Holzklotz —
Und was fuͤr einer!
Um hart’ Holz drauf zu hacken.
Wie wir Verſteckens ſpielten, und Du von der Eiche ’runter fielſt, und das Blut ſtromweiſe von Dir floß, half’s nicht gleich, als ich’s verſprach und meine Hand drauf legte?
Ja, Jhr hattet immer eine gluͤckliche Hand; aber Jhr habt’s uͤbertrieben. Einem Menſchen, der Einen lieb hat, was Wunderbares anthun, das mag wohl geſchehen koͤn - nen, aber jedem Bauer und Ochſen, dem ganzen Coſero - wer Rindvieh zu helfen, nein, das geht uͤber die Natur!
Wiſſen wir denn, wie weit die Natur geht?
Na freilich wiſſen wir das!
Das wiſſen wir nicht!
Da ſteckt eben Euer Hochmuth.
Sei nicht garſtig, Zabel, ’s iſt nicht eitel Hochmuth. Jch bin dazu gekommen, wie man zum Wachsthum kommt. Man waͤchſt groß und man weiß nicht wie! Weißt Du noch, wie meine Mutter noch lebte, und wie uns draußen am Schmollen-See unſre bunte Kuh ploͤtzlich niederfiel?
Ob ich’s noch weiß!
Na, ich macht’ es zum erſten Male, wie ich’s von der Mutter geſehn hatte: ich zog der bunten Kuh drei Haare aus dem Schweif, ſprach ein Vater unſer druͤber und vergrub ſie, und ſtrich dann die Kuh vom Genick bis auf den Schweif mit der linken Hand, und was ge - ſchah?
Die bunte Kuh ſtand auf, und war friſch und geſund, das iſt richtig.
Siehſt Du, das war auch Natur, aber eine Natur, die wir nicht kannten.
Das iſt eben der Fehler dran — und was ſoll denn nun draus werden? Jetzt hilft’s nicht mehr, und Eure Hand iſt nicht mehr gluͤcklich, und die Bauern munkeln das niedertraͤchtigſte Zeug —
Sie ſchreien’s ſchon laut auf der Gaſſe! Zabel, ich hab’ jetzt druͤben bei der Kolken-Lieſe Dinge hoͤren muͤſ - ſen, daß mir die Haut ſchauert. Jch glaub’, ich krieg eine Krankheit!
Das waͤr’ noch’s Geringſte. Aber nun kommt noch der Wittich dazu, der Euch Tag und Nacht nachſtellt, und dem die Kolken-Lieſe Alles zu Gefallen thun muß, und der mit den Bauern umſpringt, wie der Wolf mit den Scha - fen — ’s ſollt’ mich arg verwundern, wenn der nicht einen ſiedend heißen Brei zuſammen ruͤhrte —
Der Wittich? Ach nein, der hat mich gern.
Nur allzu gern. Eben deswegen.
Meinſt Du? Garſtig begehrliche Augen hat er, der Wittich!
Und was er begehrt, das gebt Jhr ihm nicht —
Herr Gott nein! es ſchauert mir, wenn ich dran denke!
Aus dem alten Pudagla kommt doch nichts als Schwe - renoth!
Willſt Du wohl ſolche Dinge ſprechen, Birkhahn!
Herr Gott, der Junker!
Der fehlt noch! Das iſt wieder mein Treffer!
Laßt Euch nicht ſtoͤren, Jungfer! Wuͤnſch’ Euch einen guten Abend, und ſaͤh’ es gern, wenn Jhr ſitzen bliebt, wie Jhr geſeſſen,
— Jhr ſeht ſo allerliebſt ehrwuͤrdig aus in dem alten Backenſtuhle!
Jmmer ſpotten!
’s waͤr vielleicht beſſer, wenn ich ſpotten koͤnnte — ich trachte einem Wolf nach, der hier um den Streckelberg ſchleicht. Die Luft iſt trocken und da bin ich einen Augen - blick eingetreten, um von der Jungfer einen friſchen Trunk zu erbitten.
Je, mehr als einen!
Bitte, bleibt im Großvaterſtuhle! Birkhahn, hol’ mir ’nen Krug Waſſer!
Laß Dir von der Jlſe den Milchtrunk geben, mir iſt beſſer.
Das ſeh’ ich; und damit’s nicht noch beſſer wird, will ich den Herrn Pfarr holen!
Was knurrſt Du? — Was hat denn der Birkhahn gegen unſer Pudagla?
Er fuͤrchtet ſich vor Herrn Wittich.
Das thun alle Leute!
Warum iſt er auch ſo ſchlimm!
Na er iſt eigen und ſtreng und iſt verwoͤhnt. Hat zu lange ſchon Uſedom beherrſcht, das verdirbt ſchon ein Wenig. Mir hat er doch alles Gute angethan, ſeit er mich nach meiner Eltern Tod von Mellenthin heruͤberge - nommen, und das iſt doch ein gut’ Zeichen, was hat er von mir?
Einen ſtattlichen Sohn. Das lohnt doch der Muͤhe, da er ſonſt nicht Kind noch Kegel beſitzt.
Ach geht, Marie, das iſt ſonſt nicht Eure Art, eine gute Handlung zu verkleinern —
Das moͤcht’ ich auch um Nichts in der Welt, aber —
Doch ein Aber?
Ja, er iſt doch garſtig gegen alle anderen Menſchen und gegen meinen Vater und gegen den lieben Gott!
Was weiß denn Hinz, wie Kunz mit dem lieben Gott ſteht. Mit dem hat Jeder ſeine eigne Liebſchaft, und die Zuſchauer koͤnnen’s nicht beurtheilen.
Ja, wenn Herr Wittich nur den lieben Gott liebte, da waͤr’s ſchon recht!
Wie naͤrriſch! Ein ſo kluger Mann als Wittich, ein Mann, der in Natur und Kunſt ſo erfahren iſt, wie kaum ein Zweiter im Pommernlande, und ſoll die Groͤße Got - tes verkennen. Gott nicht zu lieben, iſt ja nicht blos Nichtswuͤrdigkeit, es iſt ja auch Dummheit.
Das mag wohl ſein, aber die Diener Gottes mißhan - delt er, das weiß ich gewiß. Damals, eh’ der Schweden - koͤnig heruͤberkam uͤber die See, und als die Kroaten ganz Uſedom aufgegeſſen hatten, als wir vor Krieg und Peſti - lenz von Brombeeren leben und Tannenrinde fuͤr Brod anſehen mußten, damals hat er’s gezeigt, daß er nicht62Die Bernſteinhexe.gottesfuͤrchtig und brav ſei. Damals ließ ihn der Vater um ein wenig Brot und um einen Kelch Wein fuͤr den Al - tar bitten, denn die armen Leute ſchmachteten noch mehr nach geiſtlicher Speiſe als nach weltlicher. Und was gab er der Jlſe fuͤr einen Beſcheid? Der Pfarr ſollte ſeine Schafe aus einem Waſſereimer traͤnken, wie er’s auch thaͤte! War das etwa nicht gotteslaͤſterlich?
Nun ja, gegen die Kirche iſt er immer barſch!
Und nun vergiebt er’s nimmermehr, daß der Vater von der Kanzel ein Wenig drauf geſcholten hat, iſt das brav und gut?
Nein, das iſt’s nicht. Aber der Trunk wird heißer eingeſchenkt, als man ihn trinkt —
Warum nicht gar heiß! Kalt iſt der Trunk, geſtrenger Herr Junker!
’s iſt gut, ’s iſt gut, Jlſe.
Wo ſoll ich denn ſpinnen, Jungfer?
Draußen, Jlſe, draußen!
So?
Wißt Jhr wohl, Jungfer, daß mit der damaligen Lan - dung des Koͤnigs von Schweden auch mein Lebensſchiff - lein zum erſten Male froͤhlich gelandet iſt?
Nun, wie denn? Jhr habt wohl wieder ſchalkhaft Zeug im Sinne!
Ei, ei! als ob ich leichtſinnig waͤre!
Nicht doch, Jhr ſeid gar ehrwuͤrdig mit Euren 24 Jah - ren und Eurem gekraͤuſelten Barte, hoͤchſt ehrwuͤrdig, Herr Junker von Mellenthin!
Nicht wahr? Da habt Jhr’s; dies geſetzte Weſen ſchreibt ſich von jenem Landungstage her!
Das waͤre!
Als ich von der hohen Schule in Wittenberg heim - kehrte und Eurem Vater druͤben im Mecklenburgiſchen bei Guͤſtrow begegnete, da hatte ich noch aͤußerſt leichtes Blut und eine aͤußerſt leichte Zunge; Alles an mir war ſchnell wie der Wind zu allerlei Thorheit —
Wie die Geſchichte bezeugt mit dem Galgengeſpenſte bei Guͤſtrow!
Mit dem Schuſter Schwelm, der Geſpenſter ſpielte, richtig. Na, ſo gar thoͤricht war das nicht, ſie riß ein großes Loch in den einfaͤltigen Geſpenſterglauben, und ſie brachte mich Abends ſpaͤt hierher in’s Pfarrhaus, und ich ſah eine ſchoͤne Jungfer zum erſten Male!
Ja doch, hattet ſie genug geſehn, eh’ Jhr nach Witten - berg gingt!
Die Schweidler Marie, ja, aber Jungfer Marie Schweidler ſah ich zum erſten Male, wie ſie an dieſem Tiſche beim Lampenlicht in dieſem großen Buche las —
Jm Ovidius Naſo!
Und wie ſie den Herrn Vater in lateiniſcher Rede be - gruͤßte!
Ach bin ich damals erſchrocken bis in’s Herz hinein! Auf Nimmerwiederſehn wart Jhr fort, und ſtandet auf einmal vor mir mit der luſtigen rothen Feder am grauen Hut! Und ſpaͤt am Abend, und der Vater hatte unbedacht Euch eingeladen, hier zu uͤbernachten!
Sehr unbedacht!
Ja wohl, denn die ſchwere Kriegszeit war kaum vor - uͤber, und wir hatten keine Betten.
Habe aber doch ein ſehr gutes Bett gekriegt damals —
Ja, das ſagtet Jhr am andern Morgen, als wir zu - ſammen fruͤhſtuͤckten — ich hatte aber gar unruhig geſchla - fen im Bett der Jlſe!
Jm Bett der Jlſe, ſo? Nun begreif’ ich, daß ich gleich in der erſten Nacht verzaubert worden war und immer wieder kommen mußte nach dem Pfarrhauſe in Coſerow. Es war mir angethan worden!
Wollt Jhr wohl ſtill ſein! Jhr glaubt ja an keine Zauberei.
Je nachdem ſie iſt! Jetzt muß ich wohl!
Jſt das Euer geſetztes Weſen, von dem Jhr anfingt?
Freilich! Mit dem 29. Juni begann es. Wißt Jhr noch?
Ob ich’s weiß! ’s war der ſchoͤnſte Dienſtag meines Lebens!
O der Montag, eh’ der Koͤnig landete, war auch nicht zu verachten. Wir ſaßen draußen auf der Altan - bank, und Jhr naͤhtet Euer ſeiden Kleid —
Das himmelblaue mit gelbem Schurzfleck; morgen zum Sonntage zieh’ ich’s wieder an!
Das waͤre!
Und das gelbe Schultertuͤchlein dazu, und die genetzte gelbe Haarhaube, eitel Blau und Gelb zu Ehren der ſchwe - diſchen Farben! ’s hat mir damals viel Schmeichelreden gekoſtet, eh’ mir der Vater das Zeug dazu in Wolgaſt kau -67Die Bernſteinhexe.fen ließ — nicht der Ausgabe wegen, denn ſeit wir den Schatz gefunden, konnten wir ſchon —
Einen Schatz habt Jhr gefunden?
Ach mein Gott, die Zunge geht mir durch! Aber bei Euch ſchadet’s ja nichts, Jhr werdet’s nicht verſchwaͤtzen, nicht wahr, Junker Ruͤdiger?
Wenn ich nur wuͤßte, wie der Schatz ausſieht! Groß oder klein?
Groß!
Blond oder ſchwarz?
Dunkelblond.
Und was hat er fuͤr Augen?
Ach Jhr treibt wieder Poſſen! Jhr meint ſonſt einen Schatz! Jhr ſeid falſch!
Nein, liebe Marie!
Nein? Na, ich will’s glauben. Kurz, der Vater gab der Hoffahrt nach, weil er den Kopf voll hatte mit dem5*68Die Bernſteinhexe.lateiniſchen Gedicht fuͤr den ſchwediſchen Koͤnig, das ich lernen und dem Koͤnige herſagen ſollte —
Und das ich Euch noch Montags draußen auf der Bank einſtudiren half —
Und ich wollt’s Euch nicht glauben, daß die Schweden das Lateiniſche ſo kurios ausſpraͤchen, und daß ſie üt ſag - ten ſtatt ut und ratscho ſtatt ratio!
Und Herr Guſtav Adolph haͤtt’ Euch doch nicht ver - ſtanden, wenn Jhr das Lateiniſche am andern Tage nicht ſchwediſch ausgeſprochen haͤttet druͤben am Huͤhnenſteine, wo er anhielt —
Gerade auf unſerem Acker! Oh, das war ſchoͤn! Aber gezittert hab’ ich wie’n Espenlaub, als immer ein Schiff nach dem andern heruͤberkam vom Ruden, und als ein Kanonenſchuß mit einer wirklichen Kugel losging wie der Koͤnig an’s Land ſtieg —
Und die Kugel in die Eichenzweige einſchlug, daß es krachte und gruͤne Reiſer regnete!
Ja, und wie er nun geritten kam der Herr Koͤnig, ganz ſchwarz angethan, auf einem pechſchwarzen Roſſe, und hatte69Die Bernſteinhexe.nichts Lichtes an ſich als das helle Geſicht mit blondem Barte und die goldne Kette auf der Bruſt —
Nun kommt’s! Die goldne Kette hat mich damals ſo ernſthaft gemacht!
O, ich hab’ ſie noch!
Glaub’s wohl! Und wie Jhr ihm tapfer das Gedicht hergeſagt hattet —
Jn elegiſchem Versmaaße!
Jn elegiſchem Versmaaße! — Und er nun laͤchelnd ſeine Kette abnahm und Euch umhing, und ſich vom Roſſe niederbeugte, Euch zu kuͤſſen als die erſte deutſche Jung - frau, die ihn auf deutſcher Erde begruͤßt —
Die erſte Deutſche, iſt das nicht ſchoͤn?
Natuͤrlich! Aber ſeht, Marie, er that doch ein Uebri - ges und kuͤßte Euch —
Ja —
Nicht auf die Stirn, wie’s bei ſo was Sitte iſt
ſon - dern auf den Mund!
Ach Gott, Junker Ruͤdiger.
Verzeiht! —
— Seht, damals, wie ſeine Hut - federn bis auf Euren Nacken herunterfielen und Euch ganz einhuͤllten, ſeht, da wurde mir ganz wunderlich —
Mir auch!
Und von dem Augenblicke an bin ich ein geſetzter Menſch geworden.
Guter Junker Ruͤdiger!
— Herr Gott, was ha - ben wir denn gemacht?
Wir haben uns was erzaͤhlt!
’s iſt richtig der Junker! Das wird ein gefaͤhrlich We -71Die Bernſteinhexe.ſen!
Zabel!
Hier, Herr Pfarr!
Schau’ Dich um im Dorfe, daß Du mir’s anſagſt, wenn der Herr Amtshauptmann hier in’s Pfarrhaus ein - treten will! —
Oho!
Das wird dem Junker ſchon Beine machen.
Guten Abend, Herr Pfarr!
Ei, ſteh’ da, ſo vornehme Herren-Geſellſchaft in mei - nem Hauſe — vergnuͤgten Abend!
Wie ich hoͤre, erwartet Jhr noch mehr Herren-Geſell - ſchaft, Herrn Wittich
, ich glaub’s nicht!
Zu dienen, Herr Junker, und darf ich fragen, wie mein Haus zu der Ehre kommt? —
Bin auf dem Anſtande, Herr Pfarr!
Ein Anſtand thaͤte Noth in allen Dingen!
Aha! — Ja, ’s iſt ein gefraͤßiger Wolf, der ſich hier herumtreibt!
Gefraͤßig? Das waͤr’ ein grobes Wort — naſchhaft vielleicht, Herr Junker, naſchhaft!
Ein ſehr hoͤfliches Wort fuͤr einen Wolf!
Ja — na, was ſteht ſie denn ſo unnuͤtz, Jungfer! Und warum iſt denn die Jlſe nicht hier? he? Haſt Du
nicht gehoͤrt, daß der Herr Amts - hauptmann jetzt gleich einſprechen will?
Leider!
Leider? Ja. Leider, nein! Sagt man „ leider, “wenn der Herr Pflegeſohn daneben ſteht? Hoͤflichkeit in allen Stuͤcken!
Keine Umſtaͤnde, Herr Pfarr! Herr Wittich vertritt mich nicht bei den Jungfern und ich vertrete ihn nicht, der Geſchmack iſt frei.
So? Verſteh’s nicht recht, und was ich verſtehe, iſt mir nicht recht; aber unnuͤtz hab’ ich geſagt, weil der Tiſch nicht gedeckt wird. Der Herr Amtshauptmann wird Hun - ger haben, der Abend wird kalt —
Gleich, lieber Vater, gleich!
Und wenn er was zu eſſen findet, ſo ſpricht er we - niger —
Und wenn er weniger ſpricht, ſo maͤkelt und marktet er weniger.
Grad’ heraus geſagt, ja, man kann wohl vom Mark - ten ſprechen; denn noch der hochſelige Herr Herzog Phi - lippus zu Wolgaſt hat mir eine Gehaltzulage verſprochen, und der Herr Wittich auf Pudagla hat ſie mir bis heute noch nicht geſtattet.
Herzog Philippus iſt leider todt!
Oh, der jetzt regierende Herr Herzog Bogislav war dabei und hat’s mit angehoͤrt, und wuͤrd’ es nicht verlaͤug - nen, wenn man einen ſo hohen Herrn mahnen koͤnnte!
74Die Bernſteinhexe.Jch hab’ die vornehmen Herrn damals auch geſpro - chen, fragt nur!
Lateiniſch hat ſie mit ihnen geſprochen, denn mein Kind hat eine klaſſiſche Erziehung und iſt nicht anzuſehn wie aller Leute Kind!
Das ſtellt ſich dar, lieber Herr Schweidler! Aber Jhr ſolltet jenes Verſprechen nicht in den Wind gejagt ſein laſſen, und vielleicht kann ich Euch dabei dienen: ich habe Herzog Bogislav erſt neulich in Stettin geſprochen und komm’ wohl wieder einmal dazu, denn er war meinem Vater und iſt mir freundlich zugethan. Wenn ich alſo die Sache richtig anbringen koͤnnte, ſo waͤr’s nicht weggewor - fen, was Euch mit den Herrſchaften begegnet iſt —
Das laͤßt ſich hoͤren. Die Sache war folgende: Von ungefaͤhr luſtwandelte ich im Schloßgarten zu Wolgaſt mit — erlaubt, daß ich mich ſetze, die Beine fangen an ſchwach zu werden —
alſo mit meinem Toͤchterlein, ſo damals ein Kind bei zwoͤlf Jahren war, und ich zeigte ihr die ſchoͤnen Blumen — bemuͤht Euch doch!
da ſahen wir unſern Herrn Herzog Phi - lippus Julius auf einem Huͤgel ſtehn, und neben ihm Herrn Herzog Bogislav, der zum Beſuche in Wolgaſt war, und wir wollten deshalb ſtracks umkehren, um nicht zudringlich zu erſcheinen. Da gingen aber die Herr - ſchaften auf die Schloßbruͤcke zu, und wir beſahen uns nun den Huͤgel, auf welchem ſie geſtanden, und mein Maͤdchen hub alsbald ein Freudengeſchrei an — warum? Sie fand einen koſtbaren Siegelring im Graſe, den die Herrſchaften zweifelsohne verloren. Nun gingen wir ihnen denn eilig nach, und ich inſtruirte mein Maͤdchen, wie ſie lateiniſch ihre Rede anbringen ſollte, denn ’s ging ihr ſchon rundweg vom Schnaͤuzchen, und wie und was wir gefunden, und Alles ſo, daß man daran ſein Wohlgefal - len haben koͤnnte. Solches verſprach ſie auch, fuͤrchtete ſich aber hinten nach, und ich mußte ihr ein neu Kleidchen ver - ſprechen, denn ſie gab ſchon damals viel auf eitlen Putz —
Oh, Du biſt ſchlimm, Vater!
Ja doch, iſt’s etwa nicht ſo? — Vergiß mir den Ho - nig nicht!
Schon da, Vater!
Na, ſie blieb aber doch bloͤdiglich ſtehn, als ſie ſchon76Die Bernſteinhexe.hinan gelaufen war, und fuͤrchtete ſich vor den Sporen der hohen Herren, die arg knarrten und raſterten, und die ganze Vorſtellung ſchien in’s Waſſer zu fallen. Da ſah die gnaͤ - dige Frau Herzogin Agnes aus dem Fenſter, und ward der Abſicht inne, und rief den Herren, ſie ſollten ſich nach dem kleinen Maͤdchen umſehn —
Und nun ging Alles gar lieblich! Die Herren ver - wunderten ſich uͤber mein Latein, und antworteten latei - niſch, und fragten wieder, und wunderten ſich wieder, daß ich antworten konnte, und nahmen mich mit in’s Schloß, und die Frau Herzogin gab mir einen Plinzenkuchen und kuͤßte mich!
Ei der tauſend!
Wahrhaftig! Die Hauptſache aber war —
Die Hauptſache war, daß der Herr Herzog ſagte, mein ſchwaches Salarium ſollte verſtaͤrkt werden aus dem Klo - ſtergute in Pudagla.
Ach nicht doch, das mein’ ich nicht.
Was denn ſonſt?
Sondern?
Nein, der eine Herr ſagte, und ich glaube, es war der von Stettin: „ Wenn Du einmal groß geworden biſt, kleine Lateiniſche, ſagte er, und einmal heirathen willſt, ſo ſag’ mir’s, dann ſollſt Du von mir wieder einen Ring haben, und was ſonſt fuͤr eine Braut gehoͤrt “— das ſagte er!
Das ſagte er?
Ja, das ſagte er.
Du lieber Gott, Sagen iſt Sagen, Herr Philippus iſt todt, und Herr Bogislav hat’s lang’ vergeſſen —
Wird ſich ſchon dran erinnern laſſen —
Aber wie iſt mir denn? Wir eſſen drauf los, und zu Dreien, und der Herr Amtshauptmann iſt ja gar nicht ge - kommen, und der Herr Junker —?
Der war ſchon da.
Ganz richtig, aber — es wird aber daruͤber doch eine ernſthafte Explikation noͤthig werden
ſehr wuͤrdiger Herr Junker, denn das geht nicht ſo weiter mit Beſuchen und vertrauli - chem Weſen, maaßen Jhr ein vornehmer Junker ſeid, und —
Ach Du gerechter Gott! da kommt der Wittich und die Kolken-Lieſe auf einem Drachenwagen und die Lieſe haͤlt einen langen Spieß gerade auf mein Herz! Helft mir, Junker, helft mir um Gotteswillen!
Um’s Himmelswillen, Marie, was iſt Euch denn!
Das iſt ein traurig Zaubergeſicht, mein Kind!
Ach, ich dank Euch fuͤr die Hilfe — da hinten zum Fenſter kamen ſie herein —
Zum Fenſter?
’s iſt Niemand am Fenſter!
Laßt’s nur gut ſein, Junker, ’s iſt ein innres Geſicht des Kindes, und wir koͤnnen’s nicht zu ſehn kriegen!
Ein Phantaſiebild!
Nicht doch, ſie hat Dergleichen von Kindheit auf ge - habt, ’s iſt eine Zauberkraft, die ihr der Herr verliehen, die ihr aber, Gott verhuͤt’ es, das groͤßte Ungluͤck bringen kann.
Aber lieber Ehren Abraham, wie koͤnnt Jhr ſolche uͤberſpannte Dinge durch ſolche Auslegung noch befoͤr - dern!
Was?
Die Jungfer iſt ohnedies in Gefahr, vor dem rohen Glauben des Volkes verlaͤumdet zu werden, und wie ich mit Schrecken ſehe, verſtaͤrkt Jhr noch mit Eurem Anſehn dieſen Kinder-Glauben.
Junger Herr Junker, was geht Euch die Zunge ſchnell! Jhr glaubt nicht an Wunder und Zauber?!
Ei, das iſt ja Alles Lug und Trug mit der Zau - berei!
Gott behuͤte Euch, junger Herr, aber ich haͤtt’ Euch fuͤr80Die Bernſteinhexe.froͤmmer und kluͤger gehalten. Wie ſchlecht ſeid Jhr in der Bibel zu Hauſe! Es iſt dieſe Eure Weisheit aus Witten - berg, mit Verlaub zu ſagen, eine Gottloſigkeit, ja baare Atheiſterei, wie man ſich ausdruͤckt.
Leſ’t einmal den Johannem Wierum, dies iſt ein nie - derlaͤndiſcher Arzt; der beweiſ’t Euch, daß alle Hexen me - lancholiſche Perſonen ſind, die ſich ſelbſt nur einbilden, einen Pakt mit dem Teufel zu haben, und die mehr er - barmens - als ſtrafwuͤrdig ſind.
Johannem Wierum? Mich duͤnkt, ich kenne eine Schrift von ihm uͤber die praestigia daemonum, worin die Beſchwoͤrung der Geiſter gelehrt und die Hoͤlle beſchrie - ben wird mit Namen und Zunamen ihrer 572 Teufels - fuͤrſten —
Ganz richtig! Solch Zeug hat er in ſeiner Jugend geſchrieben, ſpaͤter iſt er klug geworden.
Das heißt unglaͤubig und gottlos —
Jſt das Alles Euer Ernſt, Junker Ruͤdiger?
Ei freilich!
So hat Euer Herz eine harte Rinde und noch Wenig erfahren: es kennt Gottes Zauber noch nicht!
Jch kenne nur ein menſchlich Weſen, das zu zaubern verſteht —
Nun?
Das iſt ein ſchoͤnes und kluges Maͤdchen, welches die Zauberkunſt in den Augen ſitzen hat!
O geht! Jhr ſpielt mit der Rede! Was bloß in den Augen ſitzt, das verfliegt leicht —
Der Herr Wittich kommt wirklich!
Der Amtshauptmann kommt!
Da haben wir’s! Man ſoll nur den Teufel an die Wand malen!
Das wird Ernſt!
Geh’ zu Bett, Marie!
Ja, Vater!
Raſch!
Jch ſchlafe ſchon.
Es iſt ſo ſpaͤt, daß ich anſtaͤndigerweiſe dieſem Pro - konſul ebenfalls ausweichen kann — Jlſe, ich bin zu Bett, wenn Jemand kommt.
Jch auch.
Das iſt ein richtiger Taubenſchlag.
Und wir?
Wir werden gefangen wie zwei Marder — er war83Die Bernſteinhexe.mir auf den Ferſen, und Jhr rennt ihm entgegen, wenn Jhr aus der Thuͤr tretet!
Um ſo ſicherer, je laͤnger ich warte!
Was thuſt Du hier, mein Sohn?
Jch habe zur Nacht gegeſſen!
Jſt dies Dein Wirthshaus? — huͤte Dich vor dieſem Hauſe, das Auge des Gerichtes ruht darauf, und morgen ſchon kann die Stimme des Richters Wehe daruͤber rufen!
Jhr ſcherzt, Herr Vater; hier wohnen Menſchen des Friedens und der Gerechtigkeit.
Die Gerechtigkeit wird wiſſen, wo ihre Staͤtte ſei6*84Die Bernſteinhexe.und wohin ihr Friede gehoͤre — ſtoͤre mich nicht, ich bin im Amte; kehre heim nach Pudagla! Dort werd’ ich bin - nen einer Stunde des Naͤheren mit Dir ſprechen. Leuchte ihm, Wulf
bis an den Bach!
Jch finde dies Alles uͤberſpannt, lieber Vater, und ſage Jhnen voraus, daß ich kein ruhiger Zuſchauer ſein werde, wenn dieſe Ueberſpannung weiter gehen ſollte als zu drohenden Worten.
Herr Junker Ruͤdiger — Jhr faſelt! Folgt meinem Gebote und kehrt nach Pudagla.
Jch ehre Euch, Herr Vater, das wißt Jhr! Jn die - ſem Hauſe liebe und ehre ich aber ebenfalls, und was hier angerichtet werden ſollte, das faͤnde in mir einen ruͤck - ſichtsloſen Widerſacher.
Bleib!
Gehorche, Wulf!
Was willſt Du hier?
Als wie ich?
Antworte, ſtatt zu fragen!
Fragen iſt leichter als Antworten.
Schlingel!
Muͤllerburſche, Herr Amtshauptmann, weiter nichts.
Wo iſt der Schweidler und deſſen Tochter?
Der Herr Pfarrer iſt zu Bett gegangen und deſſen Jungfer Tochter desgleichen.
Weck’ die Tochter!
Jch bin ein Muͤller, Herr Amtshauptmann, und nur in meiner Muͤhle zu Hauſe.
Du biſt ein aͤchter Birkhahn, Burſche, weil Du nichts zu verlieren haſt. Jch will Dir wohl. Aber ich laſſe Dich peitſchen, wenn Du dem Junker hier in Coſerow zu Dienſten biſt, hoͤrſt Du?
Jch hoͤre wie ein Haaſe.
Der Junker iſt hier auf uͤblem Wege, und je mehr er darauf beharrt, deſto ſichrer ſtuͤrzt er dieſe Familie in’s Verderben. Darnach nimm Deine Partei. Wenn Du Dich gut auffuͤhrſt, ſoll’s Dein Vortheil ſein. Jetzt pack Dich!
Zu Befehl.
Jch will Dir ſchon was auf - fuͤhren!
Hinweg denn aus einem Hauſe, das ſich vor ſeinen Gaͤſten verſchließt!
Sie horcht gewiß, und wird wohl ausſchaun kommen, ob von den Fußtapfen des geliebten Junkers nicht ein Herzensduft aufzufangen ſei. Verliebt - heit ſchlaͤft nicht vor Mitternacht! — Er muß fort! Das Verhaͤltniß wird widerwaͤrtig; ich ſetze ſeine Anhaͤnglich - keit fuͤr mich auf’s Spiel, denn vor jugendlicher Liebe verſinken alle anderen Pflichten. — Bloß vor jugendli - cher? — Auch vor der meinigen; Liebe bewegt die Engel und bewegt die Teufel, Liebe iſt alles Verlangen, das exiſtirt, und der Haß iſt nur die Kehrſeite der Liebe, er iſt daſſelbe Gefuͤhl. — Daſſelbe Gefuͤhl — es giebt eben nur ein Gefuͤhl. — Wie thoͤricht iſt es, dagegen zu kaͤm - pfen; dies heißt ja gegen ſein Leben kaͤmpfen. Man kaͤmpfe, um zu erobern; jeder andere Kampf iſt Dummheit. — Still!
Er iſt fort! — und Ruͤdiger wird ſicherlich harren!
Die Luft iſt kalt, ich muß auf den Streckelberg und die Ader ſorgfaͤltig verſchließen!
Um Gotteswillen, wer iſt’s?
Pſt!
Ach Gott, was thut Jhr, Junker?
So weit alſo biſt Du mit meinem Junker einig?
Der Wittich!
Hier muß der Vater helfen!
Sachte, mein Taͤubchen!
Wir wollen und muͤſſen allein mit einander fertig werden. 89Die Bernſteinhexe.Wirf ab die unnuͤtzen Zeichen von Bloͤdigkeit! Wer ſo tief wie Du in die Geheimniſſe der Natur hinein getreten, der braucht die Jungfernziererei nicht mehr — ſieh’, der Mond ſteigt auf aus der See, es iſt die Nacht vom Juden - Sabbath zum Chriſten-Sabbath, die Nacht zwiſchen Toll - heit und Thorheit, vortrefflich geeignet zur Abſchließung unſers Paktes.
Jch glaube, Jhr ſeid ſuͤßen Weines trunken, Herr Wittich!
Deiner Augen bin ich trunken, Maͤdchen, ſonſt trieb ich’s nicht zum Aeußerſten, denn dahin treib ich’s — ſetze Dich zu mir, wir haben beide Platz auf dieſem Stuhle!
Jch ſetze mich nicht zu Euch, und ich bitte Euch gar ſehr, meine Hand frei zu geben!
Wirf die Sproͤdigkeit hinter Dich, Taube, ſie braͤchte Dir Ungluͤck. Du biſt doch wahrhaftig ſo weit, um die albernen Maͤdchen-Vorurtheile zu uͤberwinden. Einem unerfahrenen Kinde mag ſolch ein rothbackiger Junker ge - faͤhrlich werden, ſolch ein nuͤchterner, unkundiger Geſell! Was kann er Dir ſein, die Du mit Geiſtern verkehrſt! Wir brauchen einander, Schweidlerin, das iſt genug. Jch liebe Dich, Du wirſt mich lieben. Dies iſt unſer Heute und Morgen. Deine Hand zuckt!
Was geht Entſetzliches in mir vor!
Du wirfſt mir vor, daß ich mein Weſen habe mit der Kolken-Lieſe? Das hat gute Wege. ’s war eine rohe Kraft, die in ihr herrſchte, die Deinige iſt feiner und mir naͤher verwandt. Die Kolken-Lieſe hat kaum noch zwei mal vier und zwanzig Stunden zu leben, ihr Herz iſt ver - trocknet, ſeit ſie oben im Streckelberge ihrem Kerl dem Selden-Hinrich den Teufel auf den Hals gehetzt und ihr Geſicht dabei dem gluͤhenden Athem des Satans preis ge - geben hat, ſie lebt nur noch vom letzten Blutstropfen, hoͤrſt Du?
Jch entſetze mich vor Euch!
Du biſt abgeſchmackt! So wiſſe denn,
wenn Du nicht meine Daͤmonenbraut werden willſt gut und gerne, ſo ſoll Dich die oberflaͤchliche Welt dazu zwingen. Du biſt reif fuͤr die thoͤrichten weltlichen Richter! Die ein - faͤltigen Bauern zeigen bereits mit Fingern auf Dich, die Kinder ſchreien hinter Dir: „ Da geht die Hexe von Coſe - row! “und der abgeſchmackte Buͤrgermeiſter von Uſedom, den ich heute Nacht noch holen laſſe, verurtheilt Dich morgenden Tages zum Scheiterhaufen fuͤr Deine Hexen - kuͤnſte — glaubſt Du Dies?
Ja wohl!
Nun alſo: Schlag ein! Dann gehe hinaus auf den Streckelberg und verſchließe die Ader, welche Dich mit der Unterwelt in Verbindung ſetzt, verſchließe ſie, wie Du vorhin gewollt — ich werde Dir ein zierlich Jaͤger - haus daneben aufbauen, damit Du ſie zu gelegener Stunde mit Bequemlichkeit wieder oͤffnen magſt; mein Jaͤger, den ich Dir zum Manne angetragen habe, ſoll Dich vor der Welt leidlich in Ehren halten und im Hauſe doch nicht beruͤhren duͤrfen. Jch werd’ ihn zum Oberjaͤger ernen - nen, und ich werde ſorgen, daß es im Hauſe meines Ober - jaͤgers fein ausſehn und hergehn ſoll wie im feinſten Schloſſe. Sprich, ſind wir einig?
Verflucht ſei Euer Sabbath-Bund!
Nichtswuͤrdiges Geſchick!
Du biſt verloren, Dirne, wenn Du ihn erhoͤrſt, und biſt verloren, wenn Du ihm Dein Ohr verſchließeſt. Wenn Du ihn erhoͤrſt, ſo ergreifen Dich die Teufel, welche mein Blut ſaugen, und wenn Du ihn nicht erhoͤrſt, ſo ergreifen Dich die Richter von Wolgaſt und ſchleppen Dich zum Scheiterhaufen. Waͤhle!
Fix, Wulf! es iſt die Lieſe!
Jch find’ den Junker nicht, er muß rechts nach dem Streckelberge ſein!
Was kuͤmmert Dich die Lieſe, ſie iſt im Verſchei - den — ſo ſprich, ſind wir einig?
So mir Gott helfe, nein!
Gott wird Dir helfen zum Hexengerichte!
Herr Jeſus, Herr Jeſus, der Teufel holt die Jungfer!
Um Chriſti willen, was geht hier vor?
Meine Kraͤfte ſchwinden! Barmherzigkeit! Hilf mir, Vater, vor boͤſen Menſchen und boͤſen Geiſtern!
Kein Maͤuschen regt ſich; ich glaube wahrhaftig, ſie hat ſich ein Herz gefaßt und iſt in die Fruͤhkirche gegan - gen! Jch hatte aber das Herz nicht, in die Kirche hinein zu treten; ſolch ’ne Angſt hab’ ich mein Lebtag nicht in den Gliedern gehabt! —
Halb Sechs! Hat ſie doch geſtern Abend die Ruhe noch gefun - den, den Seiger aufzuziehn, gute Jungfer, ſie iſt gewiß un - ſchuldig! Aber ’s glaubt mir’s kein Menſch. — Mag’s ſein wie’s will, und wenn mein Muͤhlſtein druͤber den Kaſten zerreißt, ich bleibe bei ihr und ſuch’ ihr zu hel -95Die Bernſteinhexe.fen. — Jn einer halben Stunde koͤnnen ſie hier ſein; — ich muß doch in die Kirche hinuͤber, und muß ſie abwin - ken, denn hier darf ſie nicht gefunden werden, wenn die Uſedomer kommen; ſie muß ’naus in die Haide uͤber den Streckelberg. Wenn der erſte Waſſerſturz abgeprallt iſt, kann ſich Vielerlei aͤndern — in der Dachkammer bei mei - ner Muhme in der Haidemuͤhle ſucht ſie kein Buͤttel — alſo fix!
Wo iſt ſie?
Jn der Kirche!
Die Richter von Uſedom kamen eben uͤber den Huͤgel nach Pudagla zu; ſie verweilen ſich hoͤchſtens zum Fruͤh - ſtuͤck in unſerm Hauſe, dann ſind ſie hier —
Drum will ich die Jungfer raſch abrufen und in ein ſicheres Mauſeloch bringen —
Das wird nicht gehn, das wird nicht gehn!
Warum denn nicht?
Erſtens wuͤrde man ihre Flucht wie ein Zugeſtaͤndniß ihrer Schuld betrachten, und dann —
Und dann?
Jſt auch die Flucht kaum noch moͤglich!
Werd’ ſie ſchon moͤglich machen —
Die Leute ſtehn in Haufen vor der Kirche, ’s iſt bei ihnen vorbei mit aller Gottesfurcht; die Kolken-Lieſe hat ſie verhetzt, ſie lauern alle auf die Jungfer, und wenn dieſe wirklich in der Kirche iſt, ſo iſt ſie nur noch mit aͤußerſter Gewalt zu befrein!
So ſchlag’ der Teufel drein, ’s iſt um kein Haar beſ - ſer — da kommt auch ſchon der Herr Amtshauptmann und die Schwerenoths-Lieſe; machen wir, daß wir fort - kommen!
Jm Gegentheil, ich will ihm in’s Gewiſſen reden!
Fuͤr mich hat er kein Gewiſſen — und wenn ich was helfen ſoll, ſo muß er denken, es ſei mir All’s einerlei — ich verſuch’ mein Gluͤck bei der Kirche!
O Menſchen, Menſchen! wie mißhandelt Jhr die ſchoͤne Welt, welche Gott Euch gegeben! Wo Jhr den wunderbaren Zuſammenhang in ihr nicht verſteht, da er - boſ’t Jhr Euch und verfolgt Euch unter einander, wie Kinder einander ſchlagen aus kindiſchem Zorne.
Jhr werdet Euch tapfer betruͤgen, Herr Wittich, nicht heut noch morgen greift mich der Tod, und ichLaube, dram. Werke. III. 798Die Bernſteinhexe.werde Kraft genug haben, Euer doppeltes Spiel zu zer - ſtoͤren.
Du biſt verruͤckt, Lieſe!
Bin nicht umſonſt Eure Schuͤlerin geweſen von meiner Jugend auf, ja, Herr Wittich, wißt Jhr wohl noch, wie alt ich war, als Jhr mich zum erſten Male bei ſchwuͤler Fruͤhlingszeit draußen in der Haide uͤberraſchtet und mir bei einbrechender Nacht die Sternbilder lehrtet? Oh, Wittich, ich war nicht beſſer und nicht ſchlimmer als dieſe Pfarrdirne, welche Du heute auf andre Manier den - ſelben Weg fuͤhren willſt, den Du mich gefuͤhrt haſt! Nicht beſſer und nicht ſchlimmer! Und ſo ſoll es ihr denn auch nicht beſſer ergehn, denn mir, aber ſchlimmer. Denn ich haſſe ſie, — und ich quaͤle Euch, indem ich ſie verderbe. Euch zu quaͤlen, ſtolzer Wittich, iſt mein letztes Vergnuͤ - gen auf Erden.
Schuͤtte Deine Galle aus, es wird Dich erleichtern — miſcheſt Du aber ein Wort von Deinem thoͤrichten, un - wahren Geſchwaͤtz vor