Stolberg, uͤber der Stadt am ſchiffbaren Buſen der Oſtſee, Wo du, mich einſt zur Seite der Braut im Schatten des Fruͤhlings Gruͤßend, des Liebenden Gluͤck durch Freundſchaft gluͤcklicher machteſt: Kraͤnzt den Bord, der vor Alters die hoͤheren Fluten zuruͤckzwang, Hoch und verwachſen, ein Wald voll Kuͤhlung und ahndender Schauer. Alda ruht 'ich vom ſinnenden Gang', am beſchatteten Bergquell, Horchend der lockenden Wachtel im gruͤnlichen Rauche der Aehren, Und dem Wogengeraͤuſch, und dem fernherſaͤuſelnden Suͤdwind. Ueber mir wehten mit aͤnderndem Gruͤn die verſchlungenen Buchen; Und es ſtralte verſtohlen ein fluͤchtiger Schimmer der Sonne Jezt auf den finſtern Quell, und jezt auf die blinkende Stechpalm, Jezo mir blendend aufs Lied des grauen ioniſchen Saͤngers. Aber mit Einmal, ſiehe! da leuchtet 'es: Hain und Gefilde[4] Schwanden in Licht; es erſcholl, wie von tauſend Nachtigallchoͤren; Und ein Geduͤft, wie der Roſen, doch duftender, athmete ringsum. Und nun trat aus dem Licht ein Unſterblicher: ſeine Geſtalt war Morgenglanz, ſein Gewand ein feurigwallender Nordſchein. Zitternd verhuͤllt' ich mein Antliz; allein der Unſterbliche nahm mich Sanft bei der Hand, und Wonne durchſchauerte meine Gebeine. Und er begann zu reden, und ſprach mit melodiſcher Stimme:
Fuͤrchte nicht, o Juͤngling, den Maioniden Homaͤros, Welchen du Einſamer oft mit herzlicher lauter Entzuͤckung Nannteſt! Ich komme zu dir, nicht aus dem ſtuͤgiſchen Abgrund; Denn kein Aïdaͤs herſcht, kein Minos richtet die Todten Drunten in ewiger Nacht: ich komm 'aus dem lichten Gefilde, Wo auch mein Geſang zum Vater aller emporſteigt. Als mit himmliſcher Harfe der iſaïdiſche Seher Gott den Unſichtbaren im Allerheiligſten feirte, Sang ich mit irdiſcher Harfe den ſchwacherleuchteten Voͤlkern Stammelnd den ſichtbaren Gott im Heiligthume der Schoͤpfung; Und, gleich Davids, lohnte der Vater mein kindliches Stammeln. Sorgſam pfluͤckte mein Lied die Blume jeglicher Tugend, Wie ſie am ſchwaͤcheren Strale der goͤttlichen Wahrheit entbluͤhte: Unſchuld, goldene Treu und Einfalt; dankende Ehrfurcht Vor der Natur und der Kunſt wohlthaͤtigen Kraͤften, der Urkraft[5] Genien! flammende Liebe des Vaterlandes, der Eltern, Und des Gemahls und des Herrn; und menſchenerhaltende Kuͤhnheit. Dieſe ſchimmernden Blumen, erfriſcht vom Thaue des Himmels, Gab ich, in Kraͤnze geflochten, der jungen ioniſchen Sprache. Und zur Prieſterin weiht' ich die keuſche heilige Jungfrau Im Orakel der hohen Natur: daß ſie taͤglich, mit Nektar Sprengend die ſternenhellen und toͤneduftenden Kraͤnze, Aus dem Getoͤn weißagte; und Voͤlker von Morgen und Abend Beteten an die Natur, des Unendlichen ſichtbare Gottheit. Aber nun ſtuͤrmte der Schwarm des barbariſchen Wahns und der Dummheit Wuͤtend daher, und zerſchlug den Altar, und vertilgte der Kraͤnze Viele; die Prieſterin floh mit den uͤbrigen kaum in des Felſens Kluft, und ſtarb. Und ſiehe! die Kraͤnze meines Geſanges, Unerfriſcht vom Nektar der Jungfrau, dufteten welkend Leiſeren Laut, gleich fernverhallenden Harfentoͤnen. Oft zwar ſtieg in die Kluft ein Beſchwoͤrer, vom Geiſte der Jungfrau Nektar zu heiſchen; allein ſie erſchien, ein teuſchendes Unbild, Und antwortete nicht dem ungeheiligten Schwaͤzer. Auch ſtieg manche hinab der lebenden Sprachen, der todten Prieſterin Kraͤnze zu rauben; doch ſchnell verſchwanden die Kraͤnze Unter der Buhlerin Hand: dann pfluͤckte ſie heimiſche Blumen, Aehnlich jenen, und flocht weißagende Kraͤnze; mit Opfern[6] Stroͤmte das Volk in den Tempel, und horchte der Afterprofetin. Sohn der edleren Sprache Teutonia, die mit der juͤngern Schweſter Ionia einſt auf thraziſchen Bergen um Orfeus Spielte, von einerlei Koſt der Nektartraube genaͤhret; Dann im Bardenhain, mit dem keuſchen Volke der Freiheit, Frei und keuſch, die Geſpielen verachtete, welche des Auslands Klirrende Feſſel trugen, von jedem Sieger geſchaͤndet: Deine goͤttliche Mutter Teutonia, welche mein Klopſtock, Von Siona gefuͤhrt, mit Engelpalmen und Blumen Vom edeniſchen Strome bekraͤnzt 'und zur Seherin Gottes Weihete: ſie nur verdient der Natur weißagende Kraͤnze. Auf! und heilige dich, daß du, ihr wuͤrdiger Herold, Einen der Kraͤnze, beſprengt mit erfriſchendem Nektar, herauf bringſt. Fleuch der Ehre vergoldeten Saal, des ſchlauen Gewinſtes Laͤrmenden Markt, und die Gaͤrten der Ueppigkeit, wo ſie in bunter Muſchelgrotte ruht, und an der geſchnittenen Laubwand. Suche den einſamen Nachtigallhain, den roſenumbluͤhten Murmelnden Bach, und den See, mit Abendroͤthe bepurpert, Und im reifenden Korne den haſelbeſchatteten Raſen; Oder den glatten Kriſtall des Winterſtroms, die Gebuͤſche, Bluͤhend von duftigem Reif, und in hellfrierenden Naͤchten Funkelnde Schneegefilde, von Mond und Sternen erleuchtet. [7]Siehe da wird mein Geiſt dich umſchweben mit lispelnder Ahndung, Dich die ſtille Pracht der Natur und ihre Geſeze Lehren, und meiner Sprache Geheimniſſe: daß in der Felskluft Freundlich erſcheinend dir die Jungfrau reiche den Nektar. Furchtbar iſt, o Juͤngling, die Laufbahn, welche du wandelſt; Aber zittere nicht: denn ſiehe! dich leitet Homaͤros! Wie von der Sonne gefuͤhrt am goldenen Bande, die Erde Tanzet den wirbelnden Tanz; im Schmuck der Blumen und Fruͤchte Laͤchelt ſie jezt, und ſingt mit tauſend Stimmen; doch jezo Huͤllt ſie ihr Antliz in Wolken, umheult von Orkanen, des Weltmeers Steigender Flut, und dem Feuer, das hinſtroͤmt; aber ſie wandelt Ruhig fort, und ſegnet mit Licht und Waͤrme die Voͤlker: Alſo wandle auch du, vom Kuſſe der Braut erheitert, Und dem Lallen des Sohns am Buſen des laͤchelnden Weibes; Oder gehuͤllt in Schmerz, wann dir dein redlicher Vater Starb, und die einzige Schweſter, die friſchaufbluͤhende Roſe! Dreißig Monden daure die heilige Weihe; dann ſteige Kuͤhn und demutsvol in die ſchaudrichte Hoͤhle des Felſens. Unerſchreckt vom Gekraͤchze der Raben, die dich umflattern, Flehe der Prieſterin Geiſt, empfang' in goldener Schale Ihren ſprudelnden Nektar, und ſprenge den Kranz, der Oduͤßeus Tugenden toͤnt; den andern gebuͤhrt ein anderer Herold. [8]Dieſen trag 'in der hohen Teutonia Tempel. Der Welt nicht, Aber der Nachwelt Dank ſei dir Lohn, und uͤber den Sternen Unter Palmen ein Siz zur Seite deines Homaͤros.
Alſo ſprach er. Da ward mir, als ob mein Leben in Schlummer Sanft hinfloͤße. Ein Meer von Morgenroth umrauſchte Wiegend meinen Geiſt mit toͤnenden Harmonien. Als ich endlich geſtaͤrkt der ſanftumwallenden Kuͤhlung Schaudernd entſtieg; da erwacht 'ich; und ſiehe! Hain und Gefilde Gruͤnten wie vor; allein die niedergeſunkene Sonne Schien mir unter den Zweigen mit roͤthlichem Schimmer ins Antliz.
Freudig und ernſtvoll ging ich durch thauende Rockengefilde Heim, und erreichte bald die kleine Pforte der Mauer, Wo mir Erneſtine mit ausgebreiteten Armen Laͤchelnd entgegen ſprang, und zuͤrnete, daß ſie ſo lange Mir umſonſt in der Laube die ſuͤßen Kirſchen geſparet. “Aber du ſiehſt ja ſo bleich, mein Lieber! Sage, was fehlt dir? „ Sprach ſie, und ſah mich an. Allein ich wandte des Tages Brennende Hize vor, und ſagte nicht, was geſchehn war.
Sage mir, Muſe, die Thaten des vielgewanderten Mannes,V. 1.vielgewanderten. Die Gruͤnde, warum ich hier und anderswo von den angenommenen Erklaͤrungen abweiche, werde ich den Kennern der griechiſchen Sprache an einem ſchicklichern Orte vorlegen. Welcher ſo weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerſtoͤrung, Vieler Menſchen Staͤdte geſehn, und Sitte gelernt hat, Und auf dem Meere ſo viel 'unnennbare Leiden erduldet, Seine Seele zu retten, und ſeiner Freunde Zuruͤckkunft. 5Aber die Freunde rettet 'er nicht, wie eifrig er ſtrebte; Denn ſie bereiteten ſelbſt durch Miſſethat ihr Verderben: Thoren! welche die Rinder des hohen SonnenbeherſchersV. 8.Der Sonnengott hieß bei den alten Griechen Haͤlios, und nicht Foͤbos. Schlachteten; ſiehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zuruͤckkunft. Sage hievon auch uns ein weniges, Tochter Kronions. V. 10.Kronion hieß Zeus, ein Sohn des Kronos oder Saturnus.10
Alle die andern, ſo viel dem verderbenden Schickſal entflohen, Waren jezo daheim, dem Krieg 'entflohn und dem Meere: Ihn allein, der ſo herzlich zur Heimat und Gattin ſich ſehnte, Hielt die unſterbliche Nuͤmfe, die hehre Goͤttin Kaluͤpſo, In der gewoͤlbeten Grotte, und wuͤnſchte ſich ihn zum Gemahle. 15Selbſt da das Jahr nun kam im kreiſenden Laufe der Zeiten,10Oduͤßee. Da ihm die Goͤtter beſtimmt, gen Ithaka wiederzukehren;V. 17.Ithaka, eine kleine Inſel an der Weſtſeite von Griechenland, wo Oduͤßeus wohnte. Die Roͤmer nennen ihn Ulyßes und Ulyxes. Hatte der Held noch nicht vollendet die muͤdende Laufbahn, Auch bei den Seinigen nicht. Es jammerte ſeiner die Goͤtter; Nur Poſeidon zuͤrnte dem goͤttergleichen OduͤßeusV. 20.Poſeidon oder Poſeidaon, der Gott des Meers, bei den Roͤmern Neptunus.20 Unablaͤßig, bevor er ſein Vaterland wieder erreichte. V. 21.Aithiopen, die aͤußerſten Voͤlker in Aſien und Afrika, wovon die Grie - chen damals nur die naͤchſten Kuͤſten, ungefaͤhr von Kolchis bis Sizilien, kannten.
Dieſer war jezo fern zu den Aithiopen gegangen: Aithiopen, die zwiefach getheilt ſind, die aͤußerſten Menſchen, Gegen den Untergang der Sonnen, und gegen den Aufgang: Welche die Hekatombe der Stier 'und Widder ihm brachten. 25Alda ſaß er, des Mahls ſich freuend. Die uͤbrigen Goͤtter Waren alle in Zeus des Oluͤmpiers Hauſe verſammelt. V. 27.Oluͤmpos, ein Berg zwiſchen Theßalien und Mazedonien, der Goͤt - ter Wohnſiz.
Unter ihnen begann der Vater der Menſchen und Goͤtter; Denn er gedachte bei ſich des tadelloſen Aigiſthos,V. 29.Aigiſthos, ein Bruderſohn Agamemnons, des Heerfuͤhrers vor Troja. Den Agamemnons Sohn, der beruͤhmte Oreſtaͤs, getoͤdtet;30 Deſſen gedacht 'er jezo, und ſprach zu der Goͤtter Verſammlung:
Welche Klagen erheben die Sterblichen wider die Goͤtter! Nur von uns, wie ſie ſchrein, kommt alles Uebel; und dennoch Schaffen die Thoren ſich ſelbſt, dem Schickſal entgegen, ihr Elend. So nahm jezo Aigiſthos, dem Schickſal entgegen, die Gattin35 Agamemnons zum Weib ', und erſchlug den kehrenden Sieger,11Erſter Geſang. Kundig des ſchweren Gerichts! Wir hatten ihn lange gewarnet, Da wir ihm Hermaͤs ſandten, den wachſamen Argosbeſieger,V. 38.Hermaͤs oder Hermeias war, einige Geſchaͤfte abgerechnet, der Roͤ - mer Merkur. Seine Geſchichte mit dem hundertaͤugichten Argos iſt bekannt. Weder jenen zu toͤdten, noch um die Gattin zu werben. Denn von Oreſtaͤs wird einſt das Blut Agamemnons gerochen,40 Wann er, ein Juͤngling nun, des Vaters Erbe verlanget. So weißagte Hermeias; doch folgte dem heilſamen Rathe Nicht Aigiſthos, und jezt hat er alles auf Einmal gebuͤßet.
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:V. 44.Pallas Athaͤnaͤ, Minerva. Unſer Vater Kronion, der herſchenden Koͤnige Herſcher,45 Seiner verſchuldeten Strafe iſt jener Verraͤther gefallen. Moͤchte doch jeder ſo fallen, wer ſolche Thaten beginnet! Aber mich kraͤnkt in der Seele des weiſen Helden Oduͤßeus Elend, welcher ſo lang ', entfernt von den Seinen, ſich abhaͤrmt, Auf der umfloßenen Inſel, der Mitte des wogenden Meeres. V. 50.Kaluͤpſos Inſel Oguͤgia dachte man ſich in dem unbekannten Meere unter Sizilien.50Eine Goͤttin bewohnt das waldumſchattete Eiland, Atlas Tochter, des Allerforſchenden, welcher des Meeres Dunkle Tiefen kennt, und ſelbſt die ragenden Seulen Aufhebt, welche die Erde vom hohen Himmel ſondern. Deſſen Tochter haͤlt den aͤngſtlich harrenden Dulder,55 Immer ſchmeichelt ſie ihm mit ſanft liebkoſenden Worten, Daß er des Vaterlandes vergeße. Aber Oduͤßeus Sehnt ſich, auch nur den Rauch von Ithaka's heimiſchen Huͤgeln Steigen zu ſehn, und dann zu ſterben! Iſt denn bei dir auch12Oduͤßee. Kein Erbarmen fuͤr ihn, Oluͤmpier? Brachte Oduͤßeus60 Nicht bey den Schiffen der Griechen in Troja's weitem Gefilde Suͤhnender Opfer genung? Warum denn zuͤrneſt du ſo, Zeus?
Ihr antwortete drauf der Wolkenverſammler Kronion: Welche Rede, mein Kind, iſt deinen Lippen entflohen? O wie koͤnnte doch ich des edlen Oduͤßeus vergeſſen? 65Sein, des weiſeſten Mannes, und der die reichlichſten Opfer Uns Unſterblichen brachte, des weiten Himmels Bewohnern? Poſeidaon verfolgt ihn, der Erdumguͤrter, mit heißer Unaufhoͤrlicher Rache; weil er den Kuͤklopen geblendet, Poluͤfaͤmos, den Rieſen, der unter allen Kuͤklopen,70 Stark wie ein Gott, ſich erhebt. Ihn gebar die Nuͤmfe Thooſa, Forkuͤns Tochter, des Herſchers im wuͤſten Reiche der Waſſer,V. 72.Forkuͤn, einer von den Untergoͤttern des Meers Welche Poſeidon einſt in daͤmmernder Grotte bezwungen. Darum trachtet den Helden der Erderſchuͤttrer Poſeidon, Nicht zu toͤdten, allein von der Heimat irre zu treiben. 75Aber wir wollen uns alle zum Rath vereinen, die Heimkehr Dieſes Verfolgten zu foͤrdern; und Poſeidaon entſage Seinem Zorn: denn nichts vermag er doch wider uns alle, Uns unſterblichen Goͤttern allein entgegen zu kaͤmpfen!
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:80 Unſer Vater Kronion, der herſchenden Koͤnige Herſcher, Iſt denn dieſes im Rathe der ſeligen Goͤtter beſchloſſen, Daß in ſein Vaterland heimkehre der weiſe Oduͤßeus; Auf! ſo laßt uns Hermeias, den ruͤſtigen Argosbeſieger, Senden hinab zu der Inſel Oguͤgia: daß er der Nuͤmfe85 Mit ſchoͤnwallenden Locken verkuͤnde den heiligen Rathſchluß,13Erſter Geſang. Von der Wiederkehr des leidengeuͤbten Oduͤßeus. Aber ich will gen Ithaka gehn, den Sohn des Verfolgten Mehr zu entflammen, und Mut in des Juͤnglings Seele zu gießen: Daß er zu Rath berufe die hauptumlockten Achaier,V. 90.Achaier, die alten Beherſcher Griechenlands.90 Und den Freiern verbiete, die ſtets mit uͤppiger Frechheit Seine Schafe ſchlachten, und ſein ſchwerwandelndes Hornvieh; Will ihn dann ſenden gen Sparta, und zu der ſandigen Puͤlos:V. 93.Sparta, Menelaos Reich, lag an der oͤſtlichen, und Puͤlos, wo Neſtor herſchte, an der weſtlichen Seite Morea's. Daß er nach Kundſchaft forſche von ſeines Vaters Zuruͤckkunft, Und ein edler Ruf ihn unter den Sterblichen preiſe. 95
Alſo ſprach ſie, und band ſich unter die Fuͤße die ſchoͤnen Goldnen ambroſiſchen Solen, womit ſie uͤber die Waſſer Und das unendliche Land im Hauche des Windes einherſchwebt; Faßte die maͤchtige Lanze mit ſcharfer eherner Spize, Schwer und groß und ſtark, womit ſie die Schaaren der Helden100 Stuͤrzt, wenn im Zorn ſich erhebt die Tochter des ſchrecklichen Vaters. Eilend fuhr ſie hinab von den Gipfeln des hohen Oluͤmpos, Stand nun in Ithaka's Stadt, am Thore des Helden Oduͤßeus, Vor der Schwelle des Hofs, und hielt die eherne Lanze, Gleich dem Freunde des Hauſes, dem Fuͤrſten der Tafier Mentaͤs. V. 105.Tafos, eine Inſel nahe bei den echinadiſchen, die am Ausfluß des Acheloos lagen, und jezt mit dem feſten Lande verbunden ſind.105
Aber die mutigen Freier erblickte ſie an des Palaſtes Pforte, wo ſie ihr Herz mit Steineſchieben ergoͤzten, Hin auf Haͤuten der Rinder geſtreckt, die ſie ſelber geſchlachtet. Herold 'eilten umher und fleißige Diener im Hauſe:14Oduͤßee. Jene miſchten fuͤr ſie den Wein in den Kelchen mit Waſſer;110 Dieſe ſaͤuberten wieder mit lockern Schwaͤmmen die Tiſche, Stellten in Reihen ſie hin, und theilten die Menge des Fleiſches.
Pallas erblickte zuerſt Taͤlemachos, aͤhnlich den Goͤttern. Unter den Freiern ſaß er mit traurigem Herzen; denn immer Schwebte vor ſeinem Geiſte das Bild des treflichen Vaters:115 Ob er nicht endlich kaͤme, die Freier im Hauſe zerſtreute, Und, mit Ehre gekroͤnt, ſein Eigenthum wieder beherſchte. Dem nachdenkend, ſaß er bei jenen, erblickte die Goͤttin, Und ging ſchnell nach der Pforte des Hofs, unwillig im Herzen, Daß ein Fremder ſo lang 'an der Thuͤre harrte; empfing ſie,120 Druͤckt 'ihr die rechte Hand, und nahm die eherne Lanze, Redete freundlich ſie an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
Freue dich, fremder Mann! Sei uns willkommen; und haſt duV. 123.Freue dich! war der gewoͤhnliche Gruß. Dich mit Speiſe geſtaͤrkt, dann ſage, was du begehreſt.
Alſo ſprach er, und ging; ihm folgete Pallas Athaͤnaͤ. 125Als ſie jezt in den Saal des hohen Palaſtes gekommen; Trug er die Lanz 'in das ſchoͤngetaͤfelte Speerbehaͤltniß, An die hohe Seule ſie lehnend, an welcher noch viele Andere Lanzen ſtunden des leidengeuͤbten Oduͤßeus. Pallas fuͤhrt' er zum Thron, und breitet 'ein Polſter ihr unter,130 Schoͤn und kuͤnſtlichgewirkt; ein Schemel ſtuͤzte die Fuͤße. Neben ihr ſezt 'er ſich ſelbſt auf einen praͤchtigen Seßel, Von den Freiern entfernt: daß nicht dem Gaſte die Mahlzeit Durch das wuͤſte Getuͤmmel der Trozigen wuͤrde verleidet; Und er um Kundſchaft ihn von ſeinem Vater befragte. 135
15Erſter Geſang.Eine Dienerin trug in der ſchoͤnen goldenen Kanne, Ueber dem ſilbernen Becken, das Waſſer, beſtroͤmte zum Waſchen Ihnen die Haͤnd ', und ſtellte vor ſie die geglaͤttete Tafel. Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tiſchte das Brot auf, Und der Gerichte viel aus ihrem geſammelten Vorrat. 140Hierauf kam der Zerleger, und bracht 'in erhobenen Schuͤßeln Allerlei Fleiſch, und ſezte vor ſie die goldenen Becher. Und ein geſchaͤftiger Herold verſorgte ſie reichlich mit Weine.
Jezo kamen auch die mutigen Freier, und ſaßen All' in langen Reihen auf praͤchtigen Thronen und Seßeln. 145Herolde goßen ihnen das Waſſer uͤber die Haͤnde. Aber die Maͤgde ſezten gehaͤufte Koͤrbe mit Brod auf. Juͤnglinge fuͤllten die Kelche bis oben mit dem Getraͤnke, Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle. Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillt war,150 Dachten die uͤppigen Freier auf neue Reize der Seelen, Auf Geſang und Tanz, des Mahles liebliche Zierden. Und ein Herold reichte die ſchoͤngebildete Harfe Faͤmios hin, der an Kunſt des Geſangs vor allen beruͤhmt war, Faͤmios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu ſingen. 155Pruͤfend durchrauſcht 'er die Saiten, und hub den ſchoͤnen Geſang an.
Aber Taͤlemachos neigte das Haupt zu Pallas Athaͤnaͤ, Und ſprach leiſe zu ihr, damit es die andern nicht hoͤrten:
Lieber Gaſtfreund, wirſt du mir auch die Rede verargen? Dieſe koͤnnen ſich wohl bei Saitenſpiel 'und Geſange160 Freun, da ſie ungeſtraft des Mannes Habe verſchwelgen, Deßen weißes Gebein vielleicht ſchon an fernem Geſtade Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewaͤlzt wird.
16Oduͤßee.Saͤhen ſie jenen einmal zuruͤck in Ithaka kommen; Alle wuͤnſchten gewiß ſich lieber noch ſchnellere Fuͤße,165 Als noch groͤßere Laſt an Gold 'und praͤchtigen Kleidern. Aber es war ſein Verhaͤngniß, ſo hinzuſterben; und keine Hoffnung erfreuet uns mehr, wenn auch zuweilen ein Fremdling Sagt, er komme zuruͤck. Der Tag iſt auf immer verloren! Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit. 170Wer, wes Volkes biſt du? und wo iſt deine Geburtſtadt? Und in welcherlei Schiff kamſt du? wie brachten die Schiffer Dich nach Ithaka her? was ruͤhmen ſich jene vor Leute? Denn unmoͤglich biſt du doch hier zu Fuße gekommen! Dann erzaͤhle mir auch aufrichtig, damit ich es wiße:175 Biſt du in Ithaka noch ein Neuling, oder ein Gaſtfreund Meines Vaters? Denn unſer Haus beſuchten von jeher Viele Maͤnner, und er mocht 'auch mit Leuten wohl umgehn.
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Dieſes will ich dir alles, und nach der Wahrheit, erzaͤhlen. 180Mentaͤs, Anchialos Sohn, des kriegserfahrenen Helden, Ruͤhm 'ich mich, und beherſche die ruderliebende Tafos. Jezo ſchifft' ich hier an; denn ich ſteure mit meinen Genoßen Ueber das dunkle Meer zu unverſtaͤndlichen Voͤlkern, Mir in Temeſa Kupfer fuͤr blinkendes Eiſen zu tauſchen. V. 185.Temeſa, eine Stadt in Unteritalien.185Und mein Schiff liegt auſſer der Stadt am freien Geſtade, In der reithriſchen Bucht, an des waldichten Naͤion Fuße. Lange preiſen wir, ſchon von den Zeiten unſerer Vaͤter, Uns Gaſtfreunde. Du darfſt nur zum alten Helden LaertaͤsV. 189.Laertaͤs, Oduͤßeus Vater.17Erſter Geſang. Gehn und fragen; der jezt, wie man ſagt, nicht mehr in die Stadt kommt,190 Sondern in Einſamkeit auf dem Lande ſein Leben vertrauret, Bloß von der Alten bedient, die ihm ſein Eßen und Trinken Vorſezt, wann er einmal vom fruchtbaren Rebengefilde, Wo er den Tag hinſchleicht, mit muͤden Gliedern zuruͤckwankt. Aber ich kam, weil es hieß, dein Vater waͤre nun endlich195 Heimgekehrt; doch ihm wehren vielleicht die Goͤtter die Heimkehr. Denn noch ſtarb er nicht auf Erden der edle Oduͤßeus; Sondern er lebt noch wo in einem umfloßenen Eiland Auf dem Meere der Welt; ihn halten grauſame Maͤnner, Wilde Barbaren, die dort mit Gewalt zu bleiben ihn zwingen. 200Aber ich will dir anizt weißagen, wie es die Goͤtter Mir in die Seele gelegt, und wie's wahrſcheinlich geſchehn wird; Denn kein Seher bin ich, noch Fluͤge zu deuten erleuchtet. Nicht mehr lange bleibt er von ſeiner heimiſchen Inſel Ferne, nicht lange mehr, und hielten ihn eiſerne Bande;205 Sinnen wird er auf Flucht, und reich iſt ſein Geiſt an Erfindung. Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit. Biſt du mit dieſer Geſtalt ein leiblicher Sohn von Oduͤßeus? Wundergleich biſt du ihm, an Haupt und Glanze der Augen! Denn oft haben wir ſo uns zu einander geſellet,210 Eh er gen Troja fuhr mit den uͤbrigen Helden Achaia's. Seitdem hab 'ich Oduͤßeus, und jener mich nicht geſehen.
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Dieſes will ich dir, Freund, und nach der Wahrheit, erzaͤhlen. Meine Mutter die ſagt es, er ſei mein Vater; ich ſelber215 Weiß es nicht: denn von ſelbſt weiß niemand, wer ihn gezeuget. B18Oduͤßee. Waͤr 'ich doch lieber der Sohn von einem gluͤcklichen Manne, Den bei ſeiner Habe das ruhige Alter beſchliche! Aber der Ungluͤckſeligſte aller ſterblichen Menſchen Iſt, wie man ſagt, mein Vater; weil du mich darum befrageſt. 220
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Nun ſo werden die Goͤtter doch nicht den Namen des Hauſes Tilgen, da ſolchen Sohn ihm Paͤnelopeia geboren. V. 223.Paͤnelopeia, Oduͤßeus Gemahlin.Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit. Was vor ein Schmaus iſt hier, und Geſellſchaft? Giebſt du ein Gaſtmahl,225 Oder ein Hochzeitfeſt? Denn keinem Gelag 'iſt es aͤhnlich! Dafuͤr ſcheinen die Gaͤſte mit zu unbaͤndiger Frechheit Mir in dem Saale zu ſchwaͤrmen. Ereifern muͤßte die Seele Jedes vernuͤnftigen Manns, der ſolche Graͤuel mit anſaͤh!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:230 Fremdling, weil du mich fragſt, und ſo genau dich erkundeſt; Ehmals konnte dies Haus vielleicht beguͤtert und glaͤnzend Heißen, da jener noch im Vaterlande verweilte: Aber nun haben es anders die grauſamen Goͤtter entſchieden, Welche den herlichen Mann vor allen Menſchen verdunkelt! 235Ach! ich trauerte ſelbſt um den Tod des Vaters nicht ſo ſehr, Waͤr 'er mit ſeinen Genoßen im Lande der Troer gefallen, Oder den Freunden im Arme, nachdem er den Krieg vollendet. Denn ein Denkmal haͤtt' ihm das Volk der Achaier errichtet, Und ſo waͤre zugleich ſein Sohn bei den Enkeln verherlicht. 240Aber er ward unruͤhmlich ein Raub der wilden Harpuͤen;V. 241.Harpuͤen hießen die Stuͤrme, die man ſich als gefluͤgelte raͤubriſche Goͤttinnen vorſtellte.19Erſter Geſang. Weder geſehn, noch gehoͤrt, verſchwand er, und ließ mir zum Erbtheil Jammer und Weh! Doch jezo bewein 'ich nicht jenen allein mehr; Ach! es bereiteten mir die Goͤtter noch andere Leiden. Alle Fuͤrſten, ſo viel in dieſen Inſeln gebieten,245 In Dulichion, Samaͤ, der waldbewachſnen Zakuͤnthos,V. 246.Samaͤ, jezt Cefalogna; Zakuͤnthos, Zante; Ithaka, Theaki. Dieſe Inſeln gehoͤrten nebſt der Halbinſel Naͤrikos, oder der jezigen Inſel St. Maura, zu Oduͤßeus Reiche. Dulichion hatte mit den uͤbrigen echinadiſchen Inſeln einen beſondern Koͤnig. Und ſo viele hier in der felſichten Ithaka herſchen: Alle werben um meine Mutter, und zehren das Gut auf. Aber die Mutter kann die aufgedrungne Vermaͤhlung Nicht ausſchlagen, und nicht vollziehn. Nun verpraßen die Schwelger250 All mein Gut, und werden in kurzem mich ſelber zerreißen!
Und mit zuͤrnendem Schmerz antwortete Pallas Athaͤnaͤ: Goͤtter, wie ſehr bedarfſt du des langabweſenden Vaters, Daß ſein furchtbarer Arm die ſchamloſen Freier beſtrafe! Wenn er doch jezo kaͤm ', und vorn in der Pforte des Saales255 Stuͤnde, mit Helm und Schild und zwoen Lanzen bewaffnet; So an Geſtalt, wie ich ihn zum erſtenmale geſehen, Da er aus Efuͤra kehrend von Ilos, Mermeros Sohne,V. 258.Efuͤra, hier das korinthiſche. Sich in unſerer Burg beim gaſtlichen Becher erquickte! Denn dorthin war Oduͤßeus im ſchnellen Schiffe geſegelt,260 Menſchentoͤdtende Saͤfte zu holen, damit er die Spize Seiner gefiederten Pfeile vergiftete. Aber ſie gab ihm Ilos nicht, denn er ſcheute den Zorn der unſterblichen Goͤtter; Aber mein Vater gab ihm das Gift, weil er herzlich ihn liebte:20Oduͤßee. Wenn doch in jener Geſtalt Oduͤßeus den Freiern erſchiene! 265Bald waͤr 'ihr Leben gekuͤrzt, und ihnen die Heirat verbittert! Aber dieſes ruhet im Schooße der ſeligen Goͤtter, Ob er zur Heimat kehrt, und einſt in dieſem Palaſte Rache vergilt, oder nicht. Dir aber gebiet' ich, zu trachten, Daß du der Freier Schaar aus deinem Hauſe vertreibeſt. 270Lieber, wohlan! merk auf, und nim die Rede zu Herzen. Fodere morgen zu Rath die Edelſten aller Achaier, Rede vor der Verſammlung, und rufe die Goͤtter zu Zeugen. Allen Freiern gebeut, zu dem Ihrigen ſich zu zerſtreuen; Und der Mutter: verlangt ihr Herz die zwote Vermaͤhlung,275 Kehre ſie heim in das Haus des wohlbeguͤterten Vaters. V. 276.Paͤnelopeiens Vater Ikarios war Fuͤrſt eines Theils von Akarnanien.Dort bereite man ihr die Hochzeit, und ſtate ſie reichlich Ihrem Braͤutigam aus, wie lieben Toͤchtern gebuͤhret. Fuͤr dich ſelbſt iſt dieſes mein Rath, wofern du gehorcheſt. Ruͤſte das treflichſte Schiff mit zwanzig Gefaͤhrten, und eile,280 Kundſchaft dir zu erforſchen vom langabweſenden Vater; Ob dirs einer verkuͤnde der Sterblichen, oder du Oßa,V. 282.Oßa, ungefaͤhr die Fama der Lateiner. Zeus Geſandte, vernehmeſt, die viele Geruͤchte verbreitet. Erſtlich fahre gen Puͤlos, und frage den goͤttlichen Neſtor, Dann gen Sparta, zur Burg Menelaos des braͤunlichgelockten,285 Welcher zulezt heim kam von den erzgepanzerten Griechen. Hoͤrſt du, er lebe noch, dein Vater, und kehre zur Heimat; Dann, wie bedraͤngt du auch ſeiſt, erduld 'es noch ein Jahr lang. Hoͤrſt du, er ſei geſtorben, und nicht mehr unter den Menſchen;21Erſter Geſang. Siehe dann kehre wieder zur lieben heimiſchen Inſel,290 Haͤufe dem Vater ein Mal, und opfere Todtengeſchenke Reichlich, wie ſichs gebuͤhrt, und gieb einem Manne die Mutter. Aber haſt du dieſes gethan und alles vollendet, Siehe dann denk 'umher, und uͤberlege mit Klugheit, Wie du die uͤppige Schaar der Freier in deinem Palaſte295 Toͤdteſt, mit heimlicher Liſt, oder oͤffentlich! Fuͤrder geziemen Kinderwerke dir nicht, du biſt dem Getaͤndel entwachſen. Haſt du nimmer gehoͤrt, welch ein Ruhm den edlen Oreſtaͤs Unter den Sterblichen preiſt, ſeitdem er den Meuchler Aigiſtos Umgebracht, der ihm den herlichen Vater ermordet? 300Auch du, Lieber, denn groß und ſtatlich biſt du von Anſehn, Halte dich wohl, daß einſt die ſpaͤteſten Enkel dich loben! Ich will jezo wieder zum ſchnellen Schiffe hinabgehn, Und den Gefaͤhrten, die mich, vielleicht unwillig, erwarten. Sorge nun ſelber fuͤr dich, und nim die Rede zu Herzen. 305
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Freund, du redeſt gewiß mit voller herzlicher Liebe, Wie ein Vater zum Sohn, und nimmer werd 'ichs vergeßen. Aber verweile bei uns noch ein wenig, wie ſehr du auch eileſt; Lieber, bade zuvor, und gieb dem Herzen Erfriſchung:310 Daß du mit froherem Mut heimkehreſt, und zu dem Schiffe Bringeſt ein Ehrengeſchenk, ein ſchoͤnes koͤſtliches Kleinod Zum Andenken von mir, wie Freunde Freunden verehren.
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Halte nicht laͤnger mich auf; denn dringend ſind meine Geſchaͤfte. 315Dein Geſchenk, das du mir im Herzen beſtimmeſt, das gieb mir,22Oduͤßee. Wann ich wiederkomme, damit ich zur Heimat es bringe; Und empfange dagegen von mir ein wuͤrdiges Kleinod.
Alſo redete Zeus blauaͤugichte Tochter, und eilend Flog wie ein Vogel ſie durch den Kamien. Dem Juͤnglinge goß ſie320 Kraft und Mut in die Bruſt, und fachte des Vaters Gedaͤchtniß Heller noch an, wie zuvor. Er empfand es im innerſten Herzen, Und erſtaunte darob; ihm ahndete, daß es ein Gott war.
Jezo ging er zuruͤck zu den Freiern, der goͤttliche Juͤngling. Vor den Freiern ſang der beruͤhmte Saͤnger; und ſchweigend325 Saßen ſie all', und horchten. Er ſang die traurige Heimfahrt, Welche Pallas Athaͤnaͤ den Griechen von Troja beſchieden.
Und im oberen Stock vernahm die himmliſchen Toͤne Auch Ikarios Tochter, die kluge Paͤnelopeia. Eilend ſtieg ſie hinab die hohen Stufen der Wohnung,330 Nicht allein; ſie wurde von zwo Jungfrauen begleitet. Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes, Und an jeglichem Arm ſtand eine der ſtatlichen Jungfraun. 335Thraͤnend wandte ſie ſich zum goͤttlichen Saͤnger, und ſagte:
Faͤmios, du weißt ja noch ſonſt viel reizende Lieder, Thaten der Menſchen und Goͤtter, die unter den Saͤngern beruͤhmt ſind; Singe denn davon eins vor dieſen Maͤnnern, und ſchweigend Trinke jeder den Wein. Allein mit jenem Geſange340 Quaͤle mich nicht, der ſtets mein armes Herz mir durchboret. Denn mich traf ja vor allen der unausſprechlichſte Jammer! Ach den beßten Gemahl bewein 'ich, und denke beſtaͤndig23Erſter Geſang. Jenes Mannes, der weit durch Hellas und Argos beruͤhmt iſt! V. 344.Hellas, eine Stadt in Theßalien, hier das ganze noͤrdliche Grie - chenland; Argos, eine Stadt im Peloponnes, hier die ganze Halbinſel.
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:345 Meine Mutter, warum verargſt du dem lieblichen Saͤnger, Daß er mit Liedern uns reizt, wie ſie dem Herzen entſtroͤmen? Nicht die Saͤnger ſind des zu beſchuldigen, ſondern allein Zeus, Welcher die Meiſter der Kunſt nach ſeinem Gefallen begeiſtert. Zuͤrne denn nicht, weil dieſer die Leiden der Danaer ſinget;350 Denn der neuſte Geſang erhaͤlt vor allen Geſaͤngen Immer das lauteſte Lob der aufmerkſamen Verſammlung: Sondern ſtaͤrke vielmehr auch deine Seele, zu hoͤren. Nicht Oduͤßeus allein verlor den Tag der Zuruͤckkunft Unter den Troern; es ſanken mit ihm viel andere Maͤnner. 355Aber gehe nun heim, beſorge deine Geſchaͤfte, Spindel und Webeſtuhl, und treib an beſchiedener Arbeit Deine Maͤgde zum Fleiß! Die Rede gebuͤhret den Maͤnnern, Und vor allen mir; denn mein iſt die Herſchaft im Hauſe!
Staunend kehrte die Mutter zuruͤck in ihre Gemaͤcher,360 Und erwog im Herzen die kluge Rede des Sohnes. Als ſie nun oben kam mit den Jungfraun, weinte ſie wieder Ihren trauten Gemahl Oduͤßeus; bis ihr Athaͤnaͤ Sanft mit ſuͤßem Schlummer die Augenlieder bethaute.
Aber nun laͤrmten die Freier umher in dem ſchattichten Saale,365 Denn ſie wuͤnſchten ſich alle, mit ihr das Bette zu theilen. Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſprach zur Verſammlung:
Freier meiner Mutter, voll uͤbermuͤtiges Trozes,24Oduͤßee. Freut euch jezo des Mahls, und erhebt kein wuͤſtes Getuͤmmel! Denn es fuͤllt ja mit Wonne das Herz, dem Geſange zu horchen,370 Wann ein Saͤnger, wie dieſer, die Toͤne der Himmliſchen nachahmt! Morgen wollen wir uns zu den Sizen des Marktes verſammeln; Daß ich euch allen dort freimuͤtig und oͤffentlich rathe, Mir aus dem Hauſe zu gehn! Sucht kuͤnftig andere Maͤhler; Zehret von euren Guͤtern, und laßt die Bewirtungen umgehn. 375Aber wenn ihr es ſo bequemer und lieblicher findet, Eines Mannes Hab ', ohn alle Vergeltung, zu freßen; Schlingt ſie hinab! Ich werde die ewigen Goͤtter anflehn, Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Thaten bezahle, Daß ihr in unſerm Hauſ' auch ohne Vergeltung dahinſtuͤrzt! 380
Alſo ſprach er; da bißen ſie ringsumher ſich die Lippen, Ueber den Juͤngling erſtaunt, der ſo entſchloßen geredet. Aber Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Ei! dich lehren gewiß, Taͤlemachos, ſelber die Goͤtter, Vor der Verſammlung ſo hoch und ſo entſchloßen zu reden! 385Daß Kronion dir ja die Herſchaft unſeres Eilands Nicht vertraue, die dir von deinem Vater gebuͤhret!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: O Antinoos, wirſt du mir auch die Rede verargen? Gerne naͤhm 'ich ſie an, wenn Zeus ſie ſchenkte, die Herſchaft! 390Oder meinſt du, es ſei das Schlechteſte unter den Menſchen? Wahrlich, es iſt nichts Schlechtes, zu herſchen; des Koͤniges Haus wird Schnell mit Schaͤzen erfuͤllt, er ſelber hoͤher geachtet! Aber es wohnen ja ſonſt genung achaiiſche Fuͤrſten In dem umfluteten Reiche von Ithaka, Juͤngling 'und Greiſe;395 Nehm 'es einer von dieſen, wofern Oduͤßeus geſtorben! 25Erſter Geſang. Doch behalt 'ich fuͤr mich die Herſchaft unſeres Hauſes, Und der Knechte, die mir der edle Oduͤßeus erbeutet!
Aber Poluͤbos Sohn Euruͤmachos ſagte dagegen: Dies, Taͤlemachos, ruht im Schooße der ſeligen Goͤtter,400 Wer das umflutete Reich von Ithaka kuͤnftig beherſchet; Aber die Herſchaft im Hauſ 'und dein Eigenthum bleiben dir ſicher! Komme nur keiner, und raube dir je mit gewaltſamen Haͤnden Deine Habe, ſo lange noch Maͤnner in Ithaka wohnen! Aber ich moͤchte dich wohl um den Gaſt befragen, mein Beßter. 405Sage, woher iſt der Mann? und welches Landes Bewohner Ruͤhmt er ſich? Wo iſt ſein Geſchlecht und vaͤterlich Erbe? Bracht 'er dir etwa Botſchaft von deines Vaters Zuruͤckkunft? Oder kam er hieher in ſeinen eignen Geſchaͤften? Warum eilt' er ſo ploͤzlich hinweg, und ſcheute ſo ſichtbar410 Unſre Bekanntſchaft? Gewiß, unedel war ſeine Geſtalt nicht!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Hin, Euruͤmachos, iſt auf immer des Vaters Zuruͤckkunft! Darum trau 'ich nicht mehr Botſchaften, woher ſie auch kommen, Kuͤmmre mich nie um Deutungen mehr, wen auch immer die Mutter415 Zu ſich ins Haus berufe, um unſer Verhaͤngniß zu forſchen! Dies war ein taſiſcher Mann, mein angeborener Gaſtfreund. Mentaͤs, Anchialos Sohn, des kriegserfahrenen Helden, Ruͤhmt er ſich, und beherſcht die ruderliebende Tafos.
Alſo ſprach er; im Herzen erkannt 'er die heilige Goͤttin. 420Und ſie wandten ſich wieder zum Tanz und frohen Geſange, Und beluſtigten ſich, bis ihnen der Abend herabſank. Als den Luſtigen nun der dunkle Abend herabſank; Gingen ſie alle heim, der ſuͤßen Ruhe zu pflegen.
26Oduͤßee. Erſter Geſang.Aber Taͤlemachos ging zu ſeinem hohen Gemache,425 Auf dem praͤchtigen Hof ', in weitumſchauender Gegend: Dorthin ging er zur Ruh mit tiefbekuͤmmerter Seele. Vor ihm ging mit brennenden Fackeln die tuͤchtige Alte Euruͤkleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peiſaͤnors, Welche vordem Laertaͤs mit ſeinem Gute gekaufet,430 In jungfraͤulicher Bluͤte, fuͤr zwanzig Rinder: er ehrte Sie im hohen Palaſt, gleich ſeiner edlen Gemahlin, Aber beruͤhrte ſie nie, aus Furcht vor dem Zorne der Gattin. Dieſe begleitete ihn mit brennenden Fackeln; ſie hatt 'ihn Unter den Maͤgden am liebſten, und pflegt' ihn, als er ein Kind war. 435
Und er oͤffnete jezt die Thuͤre des ſchoͤnen Gemaches, Sezte ſich auf ſein Lager, und zog das weiche Gewand aus, Warf es dann in die Haͤnde der wohlbedaͤchtigen Alten. Dieſe fuͤgte den Rock geſchickt in Falten, und haͤngt 'ihn An den hoͤlzernen Nagel zur Seite des zierlichen Bettes,440 Ging aus der Kammer, und zog mit dem ſilbernen Ringe die Thuͤre Hinter ſich an, und ſchob den Riegel vor mit dem Riemen.
Alſo lag er die Nacht, mit ſeiner Wolle bedecket, Und umdachte die Reiſe, die ihm Athaͤnaͤ gerathen.
Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Sprang er vom Lager empor der geliebte Sohn von Oduͤßeus, Legte die Kleider an, und haͤngte das Schwert um die Schulter, Band die ſchoͤnen Solen ſich unter die zierlichen Fuͤße, Trat aus der Kammer hervor, geſchmuͤckt mit goͤttlicher Hoheit,5 Und gebot den Herolden, ſchnell mit toͤnender Stimme Zur Verſammlung zu rufen die hauptumlockten Achaier. Toͤnend riefen ſie aus, und flugs war alles verſammelt. Als die Verſammelten jezt in geſchloßener Reihe ſich draͤngten, Ging er unter das Volk, in der Hand die eherne Lanze,10 Nicht allein, ihn begleiteten zween ſchnellfuͤßige Hunde. Siehe mit himmliſcher Anmut umſtralt 'ihn Pallas Athaͤnaͤ, Daß die Voͤlker alle dem kommenden Juͤnglinge ſtaunten. Und er ſaß auf des Vaters Stuhl, ihm wichen die Greiſe.
Jetzo begann der Held Aiguͤptios vor der Verſammlung,15 Dieſer gebuͤckte Greis voll tauſendfacher Erfahrung. Deßen geliebter Sohn war ſamt dem edlen Oduͤßeus Gegen die Reiſigen Troja's im hohlen Schiffe geſegelt, Antifos, tapfer und kuͤhn; den hatte der arge Kuͤklope In der Hoͤhle zerfleiſcht, und zum lezten Schmauſe bereitet. 2028Oduͤßee. Noch drei andere hatt 'er: der eine, Euruͤnomos, lebte Unter den Freiern, und zween beſorgten des Vaters Geſchaͤfte; Dennoch bejammert' er ſtets des verlorenen Sohnes Gedaͤchtniß. Thraͤnend begann der Greis, und redete vor der Verſammlung:
Hoͤret mich jezt, ihr Maͤnner von Ithaka, was ich euch ſage! 25Keine Verſammlung ward und keine Sizung gehalten, Seit der edle Oduͤßeus die Schiffe gen Troja gefuͤhrt hat. Wer hat uns denn heute verſammelt? Welcher der Alten Oder der Juͤnglinge hier? Und welche Sache bewog ihn? Hoͤret 'er etwa Botſchaft von einem nahenden Kriegsheer,30 Daß er uns allen verkuͤnde, was er am erſten vernommen? Oder weiß er ein Andres zum Wohl des Landes zu rathen? Bieder ſcheinet er mir und ſegenswuͤrdig! Ihm laße Zeus das Gute gedeihn, ſo er im Herzen gedenket!
Sprachs '; und Taͤlemachos, froh der heilweißagenden Worte,35 Saß nicht laͤnger; er trat, mit heißer Begierde zu reden, In die Mitte des Volks. Den Zepter reichte Peiſaͤnor Ihm in die Hand, der Herold, mit weiſem Rathe begabet. Und er wandte zuerſt ſich gegen den Alten, und ſagte:
Edler Greis, nicht fern iſt der Mann, gleich ſollſt du ihn kennen:40 Ich verſammelte euch; mich druͤckt am meiſten der Kummer! Keine Botſchaft hoͤrt 'ich von einem nahenden Kriegsheer, Daß ich euch allen verkuͤnde, was ich am erſten vernommen; Auch nichts anderes weiß ich zum Wohl des Landes zu rathen: Sondern ich rede von mir, von meines eigenen Hauſes45 Zwiefacher Noth. Zuerſt verlor ich den guten Vater, Euren Koͤnig, der euch mit Vaterliebe beherſchte. Und nun leid 'ich noch mehr: mein ganzes Haus iſt vielleicht bald29Zweiter Geſang. Tief ins Verderben geſtuͤrzt, und all mein Vermoͤgen zertruͤmmert! Meine Mutter umdraͤngen mit ungeſtuͤmer Bewerbung50 Freier, geliebte Soͤhne der Edelſten unſeres Volkes. Dieſe ſcheuen ſich nun, zu Ikarios Hauſe zu wandeln, Ihres Vaters, daß Er mit reichem Schaze die Tochter Gaͤbe, welchem er wollte, und wer ihm vor allen gefiele; Sondern ſie ſchalten von Tage zu Tag 'in unſerm Palaſte,55 Schlachten unſere Rinder und Schaf 'und gemaͤſteten Ziegen Fuͤr den uͤppigen Schmaus, und ſchwelgen im funkelnden Weine Ohne Scheu; und alles wird leer; denn es fehlt uns ein ſolcher Mann, wie Oduͤßeus war, die Plage vom Hauſe zu wenden! Wir vermoͤgen ſie nicht zu wenden, und ach auf immer60 Werden wir huͤlflos ſein, und niemals Tapferkeit uͤben! Wahrlich ich wendete ſie, wenn ich nur Staͤrke beſaͤße! Ganz unertraͤglich begegnet man mir, ganz wider die Ordnung Wird mir mein Haus zerruͤttet! Erkennt doch ſelber das Unrecht, Oder ſcheuet euch doch vor andern benachbarten Voͤlkern,65 Welche rings uns umwohnen, und bebt vor der Rache der Goͤtter, Daß ſie euch nicht im Zorne die Uebelthaten vergelten! Freunde, ich fleh euch bei Zeus, dem Gott des Oluͤmpos, und Themis,V. 68.Themis, die Goͤttin der Gerechtigkeit, waltete anfangs uͤber alle oͤf - fentlichen Geſchaͤfte. Welche die Menſchen zum Rath verſammelt, und wieder zerſtreuet: Haltet ein, und begnuͤgt euch, daß mich der traurigſte Kummer70 Quaͤlt! Hat etwa je mein guter Vater Oduͤßeus Euch vorſaͤzlich beleidigt, ihr ſchoͤngeharniſchten Griecheu, Daß ihr mich zum Vergelt vorſezlich wieder beleidigt;30Oduͤßee. Warum reizet ihr dieſe? Mir waͤre beſſer gerathen, Wenn ihr ſelber mein Gut und meine Heerden hinabſchlaͤngt! 75Thaͤtet ihrs, ſo waͤre noch einſt Erſtatung zu hoffen! Denn wir wuͤrden ſo lange die Stadt durchwandern, ſo flehend Wiederfodern das Unſre, bis alles waͤre verguͤtet! Aber nun haͤuft ihr mir unheilbaren Schmerz auf die Seele!
Alſo ſprach er im Zorn, und warf den Zepter zur Erde,80 Thraͤnenvergießend, und ruͤhrte die ganze Verſammlung zum Mitleid. Schweigend ſaßen ſie all' umher, und keiner im Volke Wagte Taͤlemachos Rede mit Drohn entgegen zu wuͤten. Aber Eupeithàs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Juͤngling von troziger Red 'und verwegenem Mute, was ſprachſt du85 Da vor Laͤſterung aus? Du machteſt uns gerne zum Abſcheu! Aber es haben die Freier an dir des keines verſchuldet; Deine Mutter iſt ſchuld, die Liſtigſte unter den Weibern! Denn drei Jahre ſind ſchon verfloſſen, und bald auch das vierte, Seit ſie mit eitlem Wahne die edlen Achaier verſpottet! 90Allen verheißt ſie Gunſt, und ſendet jedem beſonders Schmeichelnde Botſchaft; allein im Herzen denket ſie anders! Unter anderen Liſten erſann ſie endlich auch dieſe: Truͤglich zettelte ſie in ihrer Kammer ein feines Uebergroßes Geweb ', und ſprach zu unſrer Verſammlung:95 Juͤnglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Oduͤßeus, Dringt auf meine Vermaͤhlung nicht eher, bis ich den Mantel Fertig gewirkt, (damit nicht umſonſt das Garn mir verderbe!) Welcher dem Helden Laertaͤs zum Leichengewande beſtimmt iſt, Wann ihn die finſtre Stunde mit Todesſchlummer umſchattet:100 Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle,31Zweiter Geſang. Laͤg 'er uneingekleidet, der einſt ſo vieles beherſchte! Alſo ſprach ſie mit Liſt, und bewegte die Herzen der Edlen, Und nun webete ſie des Tages am großen Gewebe; Aber des Nachs, dann trennte ſies auf, beim Scheine der Fackeln. 105Alſo teuſchte ſie uns drei Jahr, und betrog die Achaier. Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankamV. 107.Horen, die Goͤttinnen der Jahrszeiten. Und mit dem wechſelnden Mond viel Tage waren verſchwunden; Da verkuͤndet 'uns eine der Weiber das ſchlaue Geheimniß, Und wir fanden ſie ſelbſt bey der Trennung des ſchoͤnen Gewebes. 110Alſo mußte ſies nun, auch wider Willen, vollenden. Siehe nun deuten die Freier dir an, damit du es ſelber Wißeſt in deinem Herzen, und alle Achaier es wiſſen! Sende die Mutter hinweg, und gebeut ihr, daß ſie zum Manne Nehme, wer ihr gefaͤllt, und wen der Vater ihr waͤhlet. 115Aber denkt ſie noch lange zu hoͤhnen die edlen Achaier, Und ſich der Gaben zu freun, die ihr Athaͤnaͤ verliehn hat, Wundervolle Gewande mit klugem Geiſte zu wirken, Und der erfindſamen Liſt, die ſelbſt in Jahren der Vorwelt Keine von Griechenlands ſchoͤnlockigen Toͤchtern gekannt hat,120 Tuͤro nicht, noch Alkmaͤnaͤ, und nicht die ſchoͤne Muͤkaͤnaͤ; (Keine von allen war der erfindſamen Paͤnelopeia Gleich an Verſtand!) ſo ſoll ihr doch dieſe Erfindung nicht gluͤcken! Denn wir ſchmauſen ſo lange von deinen Heerden und Guͤtern, Als ſie in dieſem Sinne beharrt, den jezo die Goͤtter125 Ihr in die Seele gegeben! Sich ſelber bringet ſie freilich Großen Ruhm, dir aber Verluſt an großem Vermoͤgen! 32Oduͤßee. Eher weichen wir nicht zu den Unſrigen oder zu andern, Ehe ſie aus den Achaiern ſich einen Braͤutigam waͤhlet!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:130 Ganz unmoͤglich iſt mirs, Antinoos, die zu verſtoßen, Die mich gebahr und erzog; mein Vater leb 'in der Fremde, Oder ſei todt! Schwer wuͤrde mir auch des Gutes Erſtatung An Ikarios ſein, verſtieß' ich ſelber die Mutter. Denn hart wuͤrde gewiß ihr Vater mich druͤcken, und haͤrter135 Noch die goͤttliche Rache, wenn von uns ſcheidend die Mutter Mich den grauſen Erinnen verfluchte! dann waͤr 'ich ein AbſcheuV. 137.Erinnen, Furien. Aller Menſchen! — O nein! ich kann ihr das nicht gebieten! Haltet ihr euch dadurch in eurem Herzen beleidigt, Nun ſo geht aus dem Hauſ ', und ſucht euch andere Maͤhler! 140Zehret von eurem Gut, und laßt die Bewirtungen umgehn! Aber wenn ihr es ſo bequemer und lieblicher findet, Eines Mannes Hab 'ohn alle Vergeltung zu freßen; Schlingt ſie hinab! Ich werde die ewigen Goͤtter anflehn, Ob euch nicht endlich einmal Zeus eure Thaten bezahle,145 Daß ihr in unſerm Hauſ 'auch ohne Vergeltung dahinſtuͤrzt!
Alſo ſprach er, da ſandte der Gott weithallender Donner Ihm zween Adler herab vom hohen Gipfel des Berges. Anfangs ſchwebten ſie ſanft einher im Hauche des Windes, Einer nahe dem andern, mit ausgebreiteten Schwingen;150 Jezo uͤber der Mitte der ſtimmenvollen Verſammlung, Flogen ſie wirbelnd herum, und ſchlugen ſtark mit den Schwingen, Schauten auf aller Scheitel herab, und drohten Verderben, Und zerkrazten ſich ſelbſt mit den Klauen die Wangen und Haͤlſe,33Zweiter Geſang. Und ſie wandten ſich rechts, und ſtuͤrmten uͤber die Stadt hin. 155Alle ſtaunten dem Zeichen, das ihre Augen geſehen, Und erwogen im Herzen das vorbedeutete Schickſal.
Unter ihnen begann der graue Held Halitherſaͤs, Maſtors Sohn, beruͤhmt vor allen Genoßen des Alters, Voͤgelfluͤge zu deuten, und kuͤnftige Dinge zu reden;160 Dieſer erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und ſagte:
Hoͤret mich jezt, ihr Maͤnner von Ithaka, was ich euch ſage! Aber vor allen gilt die Freier meine Verkuͤndung! Ihre Haͤupter umſchwebt ein ſchreckenvolles Verhaͤngniß! Denn nicht lange mehr weilet Oduͤßeus fern von den Seinen;165 Sondern er nahet ſich ſchon, und bereitet Tod und Verderben Dieſen allen; auch droht noch vielen andern das Ungluͤck, Uns Bewohnern der Huͤgel von Ithaka! Laßt uns denn jezo Ueberlegen, wie wir ſie maͤßigen; oder ſie ſelber Maͤßigen ſich, und gleich! zu ihrer eigenen Wohlfahrt! 170Euch weißaget kein Neuling, ich red 'aus alter Erfahrung! Wahrlich das alles geht in Erfuͤllung, was ich ihm damals Deutete, als die Argeier in hohlen Schiffen gen TrojaV. 173.Argeier hießen die Griechen, von Argos, einem maͤchtigem Reiche im Peloponnes. Fuhren, mit ihnen zugleich der erfindungsreiche Oduͤßeus: Nach unendlicher Truͤbſal, entbloͤßt von allen Gefaͤhrten,175 Allen Seinigen fremd, wuͤrd 'er im zwanzigſten Jahre Wieder zur Heimat kehren. Das wird nun alles erfuͤllet!
Aber Poluͤbos Sohn Euruͤmachos ſagte dagegen: Hurtig zu Hauſe mit dir, o Greis, und deute das SchickſalC34Oduͤßee. Deinen Soͤhnen daheim, daß ihnen kein Uebel begegne! 180Dieſes verſteh ich ſelber, und beßer als du, zu deuten! Freilich ſchweben der Voͤgel genung in den Stralen der Sonne, Aber nicht alle verkuͤnden ein Schickſal! Wahrlich Oduͤßeus Starb in der Fern '! O waͤreſt auch du mit ihm ins Verderben Hingefahren! Dann ſchwazteſt du hier nicht ſo viel von der Zukunft,185 Suchteſt nicht Taͤlemachos Groll noch mehr zu erbittern, Harrend, ob er vielleicht dein Haus mit Geſchenken bereichre! Aber ich ſage dir an, und das wird wahrlich erfuͤllet! Wo du den Juͤngling dort, kraft deiner alten Erfahrung, Durch dein ſchlaues Geſchwaͤz aufwiegelſt, ſich wild zu gebehrden;190 Dann wird er ſelber zuerſt noch tiefer ſinken in Drangſal, Und im geringſten nichts vor dieſen Maͤnnern vermoͤgen. Und du ſollſt es, o Greis, mit ſchwerer kraͤnkender Buße Uns entgelten, damit du es tief in der Seele bereueſt! Aber Taͤlemachos hoͤre ſtatt aller nun meinen Rath an:195 Zwing 'er die Mutter zum Hauſe des Vaters wiederzukehren! Dort bereite man ihr die Hochzeit, und ſtate ſie reichlich Ihrem Braͤutigam aus, wie lieben Toͤchtern gebuͤhret! Eher werden gewiß der Achaier Soͤhne nicht abſtehn, Paͤnelopeia zu draͤngen; denn ſiehe! wir zittern vor Niemand,200 Selbſt vor Taͤlemachos nicht, und waͤr 'er auch noch ſo geſpraͤchig! Achten auch der Deutungen nicht, die du eben, o Alter, So in den Wind hinſchwazteſt! Du wirſt uns nur immer verhaßter! Unſer ſchwelgende Schmaus ſoll wieder beginnen, und niemals Ordnung im Hauſe beſtehn, bis jene ſich den Achaiern205 Wegen der Hochzeit erklaͤrt; wir wollen in ſteter Erwartung, Kuͤnftig wie vor, um den Preis wetteifern, und nimmer zu andern35Zweiter Geſang. Weibern gehn, um die jedwedem zu werben erlaubt iſt!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Hoͤr, Euruͤmachos, hoͤrt ihr andern glaͤnzenden Freier! 210Hierum werd ich vor euch nicht weiter flehen noch reden; Denn das wißen ja ſchon die Goͤtter und alle Achaier. Aber gebt mir ein ruͤſtiges Schiff und zwanzig Gefaͤhrten, Welche mit mir die Pfade des weiten Meeres durchſegeln. Denn ich gehe gen Sparta und zu der ſandigen Puͤlos,215 Um nach Kunde zu forſchen vom langabweſenden Vater; Ob mirs einer verkuͤnde der Sterblichen, oder ich Oßa, Zeus Geſandte, vernehme, die viele Geruͤchte verbreitet. Hoͤr 'ich, er lebe noch, mein Vater, und kehre zur Heimat; Dann, wie bedraͤngt ich auch ſei, erduld' ichs noch ein Jahr lang. 220Hoͤr 'ich, er ſei geſtorben, und nicht mehr unter den Menſchen; Siehe, dann kehr' ich wieder zur lieben heimiſchen Inſel, Haͤufe dem Vater ein Mal, und opfere Todtengeſchenke Reichlich, wie ſichs gebuͤhrt, und geb 'einem Manne die Mutter.
Alſo ſprach der Juͤngling, und ſezte ſich. Jezo erhub ſich225 Mentor, ein alter Freund des tadelloſen Oduͤßeus, Dem er, von Ithaka ſchiffend, des Hauſes Sorge vertrauet, Daß er dem Greiſe gehorcht ', und alles in Ordnung erhielte. V. 228.Dem Greiſe, Laertaͤs.Dieſer erhub im Volk die Stimme der Weisheit, und ſagte:
Hoͤret mich jezt, ihr Maͤnner von Ithaka, was ich euch ſage! 230Kuͤnftig befleiße ſich keiner der zepterfuͤhrenden Herſcher, Huldreich, mild und gnaͤdig zu ſein, und die Rechte zu ſchuͤzen; Sondern er wuͤte nur ſtets, und frevle mit grauſamer Seele! 36Oduͤßee. Niemand erinnert ſich ja des goͤttergleichen Oduͤßeus Von den Voͤlkern, die er mit Vaterliebe beherſchte! 235Aber ich eifere jezt nicht gegen die trozigen Freier, Die ſo gewaltſame Thaten mit tuͤckiſcher Seele beginnen; Denn ſie weihen ihr Haupt dem Verderben, da ſie Oduͤßeus Habe wie Raͤuber verpraſſen, und waͤhnen, er kehre nicht wieder. Jezo ſchelt 'ich das uͤbrige Volk, daß ihr alle ſo gaͤnzlich240 Stumm daſizt, und auch nicht mit Einem ſtrafenden Worte Dieſe Freier, die wenigen, zaͤhmt, da euer ſo viel ſind!
Aber Euaͤnors Sohn Leiokritos ſagte dagegen: Mentor, du Schadenſtifter von thoͤrichtem Herzen, was ſprachſt du Da vor Laͤſterung aus, und befahlſt, uns Freier zu zaͤhmen? 245Schwer, auch mehreren, iſt der Kampf mit ſchmauſenden Maͤnnern! Wenn auch ſelbſt Oduͤßeus, der Held von Ithaka, kaͤme, Und die glaͤnzenden Freier, die ſeine Guͤter verſchmauſen, Aus dem Palaſte zu treiben gedaͤchte; ſo wuͤrde ſich dennoch Seine Gemahlin nicht, wie ſehr ſie auch ſchmachtet, der Ankunft250 Freun! Ihn traͤfe gewiß auf der Stelle das Schreckenverhaͤngniß, Wenn er mit mehreren kaͤmpfte! Du haſt nicht kluͤglich geredet! Aber wohlan! ihr Maͤnner, zerſtreut euch zu euren Geſchaͤften! Dieſem beſchleunigen wohl Halitherſaͤs und Mentor die Reiſe, Welche von Alters her Oduͤßeus Freunde geweſen! 255Aber ich hoffe, er ſizt noch lang ', und ſpaͤhet ſich Botſchaft Hier in Ithaka aus; die Reiſe vollendet er niemals!
Alſo ſprach der Freier, und trennte ſchnell die Verſammlung. Alle zerſtreueten ſich, ein jeder zu ſeinen Geſchaͤften; Aber die Freier gingen zum Hauſe des edlen Oduͤßeus. 260
Und Taͤlemachos ging beiſeit ans Ufer des Meeres,37Zweiter Geſang. Wuſch in der grauen Flut die Haͤnd ', und flehte Athaͤnen:
Hoͤre mich, Gott, der du geſtern in unſerm Hauſe erſchieneſt, Und mir befahlſt, im Schiffe das dunkle Meer zu durchfahren, Und nach Kunde zu forſchen vom langabweſenden Vater:265 Himmliſcher, ſiehe! das alles verhindern nun die Achaier, Aber am meiſten die Freier voll uͤbermuͤtiger Bosheit!
Alſo ſprach er flehend. Ihm nahte ſich Pallas Athaͤnaͤ, Mentorn gleich in allem, ſowohl an Geſtalt wie an Stimme. Und ſie redet 'ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:270
Juͤngling, du mußt dich hinfort nicht feige betragen noch thoͤricht! Haſt du von deinem Vater die hohe Seele geerbet, Biſt du, wie jener einſt, gewaltig in Thaten und Worten; Dann wird keiner die Reiſe dir hindern oder vereiteln. Aber biſt du nicht ſein Samen und Paͤnelopeiens;275 Dann verzweifl 'ich, du wirſt niemals dein Beginnen vollenden. Wenige Kinder nur ſind gleich den Vaͤtern an Tugend, Schlechter als ſie die meiſten, und nur ſehr wenige beßer. Wirſt du dich aber hinfort nicht feige betragen noch thoͤricht, Und verließ dich nicht voͤllig der Geiſt des großen Oduͤßeus;280 Dann iſt Hoffnung genug, du wirſt das Werk noch vollenden. Darum kuͤmmre dich nicht das Sinnen und Trachten der Freier: Thoren ſind ſie, und kennen Gerechtigkeit weder noch Weisheit, Ahnden auch nicht einmal den Tod und das ſchwarze Verhaͤngniß, Welches ſchon naht, um ſie alle an Einem Tage zu wuͤrgen. 285Aber dich ſoll nichts mehr an deiner Reiſe verhindern. Ich, der aͤlteſte Freund von deinem Vater Oduͤßeus, Will dir ruͤſten ein hurtiges Schiff, und dich ſelber begleiten. Gehe nun wieder zu Hauſ ', und bleib in der Freier Geſellſchaft;38Oduͤßee. Dann bereite dir Zehrung, und hebe ſie auf in Gefaͤßen:290 Wein in irdenen Kruͤgen, und Mehl, das Mark der Maͤnner, In dichtnaͤthigen Schlaͤuchen. Ich will jezt unter dem Volke Dir Freiwillige ſammlen zu Ruderern. Viel ſind der Schiffe An der umfluteten Kuͤſte von Ithaka, neue bei alten; Hiervon will ich fuͤr dich der treflichſten eines erleſen. 295Hurtig ruͤſten wir dieſes, und ſteuren ins offene Weltmeer.
Alſo ſprach Athaͤnaia, Kronions Tochter: und laͤnger Saͤumte Taͤlemachos nicht; er gehorchte der Stimme der Goͤttin, Und ging wieder zu Hauſe mit tiefbekuͤmmertem Herzen. Alda fand er die Schaar der ſtolzen Freier: im Hofe300 Streiften ſie Ziegen ab, und ſengten gemaͤſtete Schweine. Und Antinoos kam ihm lachend entgegen gewandelt, Faßte Taͤlemachos Hand, und ſprach mit freundlicher Stimme:
Juͤngling von troziger Red 'und verwegenem Mute, ſei ruhig, Und bekuͤmmre dich nicht um boͤſe Thaten und Worte! 305Laß uns, kuͤnftig wie vor, in Wolluſt eßen und trinken: Dieſes alles beſorgen dir ſchon die Achaier, ein ſchnelles Schiff und erleſne Gefaͤhrten; damit du die goͤttliche Puͤlos Bald erreichſt, und Kunde vom treflichen Vater erforſcheſt!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:310 O wie ziemte mir das, Antinoos, unter euch Stolzen Schweigend am Mahle zu ſizen, und ruhig im Taumel der Freude? Iſt es euch nicht genung, ihr Freier, daß ihr ſo lange Meine koͤſtlichen Guͤter verſchwelgt habt, da ich ein Kind war? Jezt da ich groͤßer bin, und tuͤchtig, Anderer Reden315 Nachzuforſchen, und hoͤher der Mut im Buſen mir ſteiget, Werd 'ich ſtreben, auf euch des Todes Rache zu bringen,39Zweyter Geſang. Ob ich gen Puͤlos geh, oder hier in Ithaka bleibe! Reiſen will ich, und nichts ſoll meinen Entſchluß mir vereiteln, Im gedungenen Schiffe! Denn weder Schiffe noch Rudrer320 Hab 'ich in meiner Gewalt: ſo ſchien es euch freilich am beßten!
Alſo ſprach er, und zog die Hand aus der Hand des Verraͤthers Leicht. Die Freier im Saale bereiteten aͤmſig die Mahlzeit. Und ſie ſpotteten ſeiner, und redeten hoͤhnende Worte. Unter dem Schwarme begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling:325
Wahrlich, Taͤlemachos ſinnt recht ernſtlich auf unſre Ermordung! Gebt nur Acht: er holet ſich Huͤlf 'aus der ſandigen Puͤlos, Oder ſogar aus Sparta! Er treibts mit gewaltigem Eifer! Oder er lenkt auch jezo nach Efuͤra's fruchtbarem Lande Seine Fahrt, und kauft ſich toͤdtende Gifte; die miſcht er330 Heimlich in unſeren Wein, dann ſind wir alle verloren.
Und von neuem begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling: Aber wer weiß, ob dieſer nicht auch mit dem Leben die Schiffahrt, Fern von den Seinen, bezahlt, umhergeſtuͤrmt wie Oduͤßeus? Denkt, dann macht 'er uns hier noch ſorgenvollere Arbeit! 335Theilen muͤßten wir ja das ganze Vermoͤgen, und raͤumen Seiner Mutter das Haus, und ihrem jungen Gemahle!
Aber Taͤlemachos ſtieg ins hohe weite Gewoͤlbe Seines Vaters hinab, wo Gold und Kupfer gehaͤuft lag, Praͤchtige Kleider in Kaſten, und Faͤßer voll duftendes Oeles. 340Alda ſtanden auch Tonnen mit altem balſamiſchen Weine, Welche das lautre Getraͤnk, das ſuͤße, das goͤttliche, faßten, Nach der Reihe gelehnt an die Mauer, wenn jemals Oduͤßeus Wieder zur Heimat kehrte, nach ſeiner unendlichen Truͤbſal. Feſt verſchloß das Gewoͤlbe die wohleinfugende Thuͤre,34540Oduͤßee. Mit zween Riegeln verwahrt. Die Schaffnerin ſchaltete drinnen Tag und Nacht, und bewachte die Guͤter mit ſorgſamer Klugheit, Euruͤkleia, die Tochter Ops, des Sohnes Peiſaͤnors. Und Taͤlemachos rief ſie hinein ins Gewoͤlb ', und ſagte:
Muͤtterchen, eil und ſchoͤpfe mir Wein in irdene Kruͤge,350 Mild und edel, den beßten nach jenem, welchen du ſchoneſt Fuͤr den duldenden Koͤnig, den goͤttergleichen Oduͤßeus, Wenn er einmal heimkehret, dem Todesſchickſal entronnen. Hiermit fuͤlle mir zwoͤlf, und ſpuͤnde ſie alle mit Deckeln. Ferner ſchuͤtte mir Mehl in dichtgenaͤhete Schlaͤuche;355 Zwanzig Maaße gieb mir des feingemalenen Mehles. Aber thu es geheim, und lege mir alles zuſammen. Denn am Abende komm 'ich und hol' es, wenn ſich die Mutter In ihr oberes Zimmer entfernt, und der Ruhe gedenket. Denn ich gehe gen Sparta und zu der ſandigen Puͤlos,360 Um nach Kunde zu forſchen von meines Vaters Zuruͤckkunft.
Alſo ſprach er. Da ſchluchzte die Pflegerin Euruͤkleia; Lautwehklagend begann ſie, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
Liebes Soͤhnchen, wie kann in dein Herz ein ſolcher Gedanke Kommen? Wo denkſt du denn hin in die weite Welt zu gehen,365 Einziger liebſter Sohn? Ach ferne vom Vaterlande Starb der edle Oduͤßeus bei unbekannten Barbaren! Und ſie werden dir gleich, wenn du gehſt, nachſtellen, die Meuchler! Daß ſie dich toͤdten mit Liſt, und alles unter ſich theilen! Bleibe denn hier, und ſiz auf dem Deinigen! Lieber, was zwingt dich,370 Auf der wuͤtenden See in Noth und Kummer zu irren?
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Muͤtterchen, ſei getroſt! ich handle nicht ohne die Goͤtter. 41Zweiter Geſang. Aber ſchwoͤre mir jezo, es nicht der Mutter zu ſagen, Ehe der elfte Tag vorbei iſt oder der zwoͤlfte,375 Oder mich jene vermißt, und hoͤrt von meiner Entfernung: Daß ſie nicht durch Thraͤnen ihr ſchoͤnes Antliz entſtelle.
Alſo ſprach er; da ſchwur ſie bei allen unſterblichen Goͤttern. Als ſie es jezo gelobt, und vollendet den heiligen Eidſchwur; Schoͤpfte ſie ihm alsbald des Weines in irdene Kruͤge,380 Schuͤttete ferner das Mehl in dichtgenaͤhete Schlaͤuche. Und Taͤlemachos ging in den Saal zu der Freier Geſellſchaft.
Aber ein Neues erſann die heilige Pallas Athaͤnaͤ: In Taͤlemachos Bildung erſcheinend, eilte ſie ringsum Durch die Stadt, und ſprach mit jedem begegnenden Manne,385 Und befahl, ſich am Abend beim ruͤſtigen Schiffe zu ſammeln. Hierauf bat ſie Fronios Sohn, den edlen Noaͤmon, Um ein ruͤſtiges Schiff; und dieſer verſprach es ihr willig.
Und die Sonne ſank, und Dunkel umhuͤllte die Pfade. Siehe nun zog die Goͤttin das Schiff in die Wellen, und brachte390 Alle Geraͤthe hinein, die Ruͤſtung ſegelnder Schiffe; Stellt 'es darauf am Ende der Bucht. Die tapfern Gefaͤhrten Standen verſammelt umher, und jeden ermahnte die Goͤttin.
Und ein Neues erſann die heilige Pallas Athaͤnaͤ: Eilend ging ſie zum Hauſe des goͤttergleichen Oduͤßeus,395 Ueberthauete ſanft mit ſuͤßem Schlafe die Freier, Machte die Saͤufer berauſcht, und den Haͤnden entſanken die Becher. Muͤde wankten ſie heim durch die Stadt, und konnten nicht laͤnger Sizen, da ihnen der Schlaf die Augenlieder bedeckte.
Aber Taͤlemachos rief die heilige Pallas Athaͤnaͤ400 Aus dem Saale hervor des ſchoͤngebauten Palaſtes,42Oduͤßee. Mentorn gleich in allem, ſowohl an Geſtalt wie an Stimme:
Jezo, Taͤlemachos, ſizen die ſchoͤngeharniſchten Freunde Alle am Ruder bereit, und harren nur deiner zur Abfahrt. Laß uns zu Schiffe gehn, und die Reiſe nicht laͤnger verſchieben! 405
Als ſie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athaͤnaͤ Eilend voran; und er folgte den Schritten der wandelnden Goͤttin. Und da ſie jezo das Schiff und des Meeres Ufer erreichten, Fanden ſie an dem Geſtade die hauptumlockten Genoßen. Unter ihnen begann Taͤlemachos heilige Staͤrke:410
Kommt, Geliebte, mit mir, die Zehrung zu holen. Sie liegt ſchon Alle beiſammen im Hauſ '; und nichts argwoͤhnet die Mutter, Noch die uͤbrigen Maͤgde; nur Eine weiß das Geheimniß.
Alſo ſprach er, und eilte voran; ſie folgten dem Fuͤhrer, Brachten alles, und legtens im ſchoͤngebordeten Schiffe415 Nieder, wie ihnen befahl der geliebte Sohn von Oduͤßeus. Und Taͤlemachos trat in das Schiff, gefuͤhrt von Athaͤnen. Dieſe ſezte ſich hinten am Steuer; nahe der Goͤttin Sezte Taͤlemachos ſich. Die andern loͤſten die Seile, Traten dann ſelber ins Schiff, und ſezten ſich hin auf die Baͤnke. 420Einen guͤnſtigen Wind ſandt 'ihnen Pallas Athaͤnaͤ, Leiſe ſtreifte der Weſt das rauſchende dunkle Gewaͤſſer. Aber Taͤlemachos trieb und ermahnte die lieben Gefaͤhrten, Schnell die Geraͤthe zu ordnen. Sie folgeten ſeinem Befehle: Stellten den fichtenen Maſt in die mittlere Hoͤhle des Bodens,425 Richteten hoch ihn empor, und banden ihn feſt mit den Seilen; Spannten die weißen Segel mit ſtarkgeflochtenen Riemen. Hochauf woͤlbte der Wind das volle Segel, und donnernd43Zweiter Geſang. Wogte die purpurne Flut um den Kiel des gleitenden Schiffes;V. 429.Purpurn heißt bei den Alten dunkelbraun. Schnell durchlief es die Wogen in unaufhaltſamer Eile. 430
Als ſie nun die Geraͤthe des ſchwarzen Schiffes befeſtigt, Stellten ſie Kelche hin, bis oben mit Weine gefuͤllet. Und ſie goßen des Weins fuͤr alle unſterblichen Goͤtter, Aber am meiſten fuͤr Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ, Welche die ganze Nacht und den Morgen die Waſſer beſchiffte. 435
Jezo erhub ſich die Sonn 'aus ihrem ſtralenden Teiche Auf zum ehernen Himmel, zu leuchten den ewigen Goͤttern Und den ſterblichen Menſchen auf lebenſchenkender Erde. Und die Schiffenden kamen zur wohlgebaueten Puͤlos, Naͤleus Stadt. Dort brachten am Meergeſtade die MaͤnnerV. 5.Naͤleus, Neſtors Vater, war der Erbauer von Puͤlos.5 Schwarze Stiere zum Opfer dem blaͤulichgelockten Poſeidon. Neun war der Baͤnke Zahl, fuͤnfhundert ſaßen auf jeder; Jede von dieſen gab neun Stiere. Sie koſteten jezo Alle der Eingeweide, und brannten dem Gotte die Lenden. Jene ſteurten ans Land, und zogen die Segel herunter,10 Banden das gleichgezimmerte Schiff, und ſtiegen ans Ufer. Auch Taͤlemachos ſtieg aus dem Schiffe, gefuͤhrt von der Goͤttin. Ihn erinnerte Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:
Jezo, Taͤlemachos, brauchſt du dich keinesweges zu ſcheuen! Darum biſt du die Wogen durchſchifft, nach dem Vater zu forſchen,15 Wo ihn die Erde verbirgt, und welches Schickſal ihn hinnahm. Auf denn! und gehe gerade zum Roßebaͤndiger Neſtor; Daß wir ſehen, was etwa ſein Herz vor Rath dir bewahre. 45Dritter Geſang. Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkuͤnde. Luͤgen wird er nicht reden; denn er iſt viel zu verſtaͤndig! 20
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Mentor, wie geh ich doch, und wie begruͤß 'ich den Koͤnig? Unerfahren bin ich in wohlgeordneten Worten; Und ich ſcheue mich auch, als Juͤngling den Greis zu befragen!
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:25 Einiges wird dein Herz dir ſelber ſagen, o Juͤngling; Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du biſt nicht Ohne waltende Goͤtter geboren oder erzogen.
Alſ ſie die Worte geredet, da wandelte Pallas Athaͤnaͤ Eilend voran; und er folgte den Schritten der wandelnden Goͤttin. 30Und ſie ereichten die Size der puͤliſchen Maͤnner, wo Neſtor Saß mit ſeinen Soͤhnen, und rings die Freunde zur Mahlzeit Eilten das Fleiſch zu braten, und andres an Spieße zu ſtecken. Als ſie die Fremdlinge ſahn, da kamen ſie alle bei Haufen, Reichten gruͤßend die Haͤnd ', und noͤthigten beide zum Size. 35Neſtors Sohn vor allen, Peiſiſtratos, nahte ſich ihnen, Nahm ſie beid 'an der Hand, und hieß ſie ſizen am Mahle, Auf dickwollichten Fellen, im Kieſelſande des Meeres, Seinem Vater zur Seit' und Thraſuͤmaͤdaͤs dem Bruder; Legte vor jeden ein Theil der Eingeweide, und ſchenkte40 Wein in den goldenen Becher, und reicht 'ihn mit herzlichem Handſchlag Pallas Athaͤnen, der Tochter des wetterleuchtenden Gottes:
Bete jezt, o Fremdling, zum Meerbeherſcher Poſeidon, Denn ihr findet uns hier an ſeinem heiligen Mahle. Haſt du, der Sitte gemaͤß, dein Opfer gebracht und gebetet,45 Dann gieb dieſem den Becher mit herzerfreuendem Weine46Oduͤßee. Zum Trankopfer. Er wird doch auch die Unſterblichen gerne Anflehn; denn es beduͤrfen ja alle Menſchen der Goͤtter. Aber er iſt der Juͤngſte, mit mir von einerlei Alter; Darum bring 'ich dir zuerſt den goldenen Becher. 50
Alſo ſprach er, und reicht 'ihr den Becher voll duftendes Weines. Und Athaͤnaͤ ward froh des gerechten verſtaͤndigen Mannes, Weil er ihr zuerſt den goldenen Becher gereichet; Und ſie betete viel zum Meerbeherſcher Poſeidon:
Hoͤre mich, Poſeidaon, du Erdumguͤrter! Verwirf nicht55 Unſer frommes Gebet; erfuͤlle, was wir begehren! Neſtorn kroͤne vor allen und Neſtors Soͤhne mit Ehre; Und erfreue dann auch andern Maͤnner von Puͤlos Fuͤr ihr herliches Opfer mit reicher Wiedervergeltung! Mich und Taͤlemachos laß heimkehren als frohe Vollender60 Deßen, warum wir hieher im ſchnellen Schiffe gekommen!
Alſo betete ſie, und erfuͤllte ſelber die Bitte, Reichte Taͤlemachos drauf den ſchoͤnen doppelten Becher. Eben ſo betete jezt der geliebte Sohn von Oduͤßeus. Als ſie das Fleiſch nun gebraten, und von den Spießen gezogen,65 Theilten ſies allen umher, und feirten das praͤchtige Gaſtmahl. Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillt war; Sprach der geraͤniſche Greis, der Roßebaͤndiger Neſtor:V. 68.Geraͤnia war eine Stadt im Peloponnes, wo Neſtor war erzog[en]worden.
Jezo ziemt es ſich beſſer, die fremden Gaͤſte zu fragen, Wer ſie ſein, nachdem ſie ihr Herz mit Speiſe geſaͤttigt. 70Fremdlinge, ſagt, wer ſeid ihr? Von wannen traͤgt euch die Woge? 47Dritter Geſang. Habt ihr wo ein Gewerb ', oder ſchweift ihr ohne Beſtimmung Hin und her auf der See: wie kuͤſtenumirrende Raͤuber, Die ihr Leben verachten, um fremden Voͤlkern zu ſchaden?
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen,75 Ohne Furcht; denn ihm goß Athaͤnaͤ Mut in die Seele, Daß er nach Kundſchaft forſchte vom langabweſenden Vater, Und ſich ſelber ein gutes Geruͤcht bei den Menſchen erwuͤrbe:
Neſtor, Naͤleus Sohn, du großer Ruhm der Achaier Fragſt, von wannen wir ſein; ich will dir alles erzaͤhlen. 80Siehe von Ithaka her am Naͤion ſind wir gekommen, Nicht in Geſchaͤften des Volks, im eigenen; dieſes vernim jezt. Meines edlen Vaters verbreiteten Ruhm zu erforſchen, Reiſ 'ich umher, Oduͤßeus des leidengeuͤbten, der ehmals, Sagt man, ſtreitend mit dir, die Stadt der Troer zerſtoͤrt hat85 Von den uͤbrigen allen, die einſt vor Ilion kaͤmpften, Hoͤrten wir doch, wie jeder dem grauſamen Tode dahinſank; Aber von jenem verbarg ſogar das Ende Kronion. Niemand weiß uns den Ort zu nennen, wo er geſtorben: Ob er auf feſtem Lande von feindlichen Maͤnnern vertilgt ſei,90 Oder im ſtuͤrmenden Meere von Amſitritens Gewaͤßern. V. 91.Amſitritaͤ, die Gemahlin Poſeidons.Darum fleh ich dir jezo, die Knie 'umfaßend, du wolleſt Seinen traurigen Tod mir verkuͤndigen; ob du ihn ſelber Anſahſt, oder vielleicht von einem irrenden Wandrer Ihn erfuhrſt: denn ach! zum Leiden gebar ihn die Mutter! 95Aber ſchmeichle mir nicht, aus Schonung oder aus Mitleid; Sondern erzaͤhle mir treulich, was deine Augen geſehen. 48Oduͤßee. Flehend beſchwoͤr 'ich dich, hat je mein Vater Oduͤßeus Einen Wunſch dir gewaͤhrt mit Worten oder mit Thaten, In dem troiſchen Lande, wo Noth euch Achaier umdraͤngte:100 Daß du, deßen gedenkend, mir jezo Wahrheit verkuͤndeſt!
Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor: Lieber weil du mich doch an jene Truͤbſal erinnerſt, Die wir tapfern Achaier im troiſchen Lande geduldet; Wann wir jezt mit den Schiffen im dunkelwogenden Meere105 Irrten nach Beute umher, wohin Achilleus uns fuͤhrte; Jezt um die große Stadt des herſchenden Priamos kaͤmpften: Dort verloren ihr Leben die tapferſten aller Achaier! Dort liegt Aias, ein Held gleich Araͤs; dort auch Achilleus;V. 109.Araͤs, Mars. Dort ſein Freund Patroklos, an Rath den Unſterblichen aͤhnlich;110 Dort mein geliebter Sohn Antilochos, tapfer und edel, Ruͤſtig vor allen Achaiern im Lauf, und ruͤſtig im Streite! Und wir haben auch ſonſt noch viele Leiden erduldet! Welcher ſterbliche Menſch vermoͤchte ſie alle zu nennen? Bliebeſt du auch fuͤnf Jahr 'und ſechs nacheinander, und forſchteſt115 Alle Leiden von mir der edlen Achaier; du wuͤrdeſt Ueberdruͤßig vorher in deine Heimat zuruͤckgehn. Denn neun Jahre hindurch erſchoͤpften wir, ihnen zu ſchaden, Alle Liſten des Kriegs; und kaum vollbracht 'es Kronion! Da war keiner im Heere, der ſich mit jenem an Klugheit120 Maß; alluͤberſehend erfand der edle Oduͤßeus Alle Liſten des Kriegs, dein Vater; woferne du wuͤrklich Seines Geſchlechtes biſt. — Mit Staunen erfuͤllt mich der Anblick! 49Dritter Geſang. Auch dein Reden gleichet ihm ganz; man ſollte nicht glauben, Daß ein juͤngerer Mann ſo gut zu reden verſtuͤnde! 125Damals ſprachen wir nie, ich und der edle Oduͤßeus, Weder im Rath verſchieden, noch in des Volkes Verſammlung; Sondern Eines Sinns rathſchlagten wir beide mit Klugheit Und mit Bedacht, wie am beßten das Wohl der Achaier gediehe. Als wir die hohe Stadt des Priamos endlich zerſtoͤret,130 Gingen wir wieder zu Schiff; allein Gott trennte die Griechen. Damals beſchloß Kronion im Herzen die traurigſte Heimfahrt Fuͤr das argeiiſche Heer; denn ſie waren nicht alle verſtaͤndig,V.133Der Lokrer Aias hatte bei der Eroberung von Troja Priamos Toch - ter Kaßandra in Athaͤnens Tempel geſchaͤndet. Noch gerecht; drum traf ſo viele das Schreckenverhaͤngniß. Siehe des maͤchtigen Zeus blauaͤugichte Tochter entzweite,135 Zuͤrnender Rache voll, die beiden Soͤhne von Atreus. Dieſe beriefen das Heer zur allgemeinen Verſammlung; Aber verkehrt, nicht der Ordnung gemaͤß, da die Sonne ſich neigte; Und es kamen, vom Weine berauſcht, die Soͤhne der Griechen. Jezo trugen ſie vor, warum die Voͤlker verſammelt. 140Menelaos ermahnte das ganze Heer der Achaier, Ueber den weiten Ruͤcken des Meers nach Hauſe zu ſchiffen. Aber ſein Rath misfiel Agamemnon gaͤnzlich: er wuͤnſchte, Dort das Volk zu behalten, Hekatomben zu opfern, Daß er den ſchrecklichen Zorn der beleidigten Goͤttin verſoͤhnte. 145Thor! er wußte nicht, daß ſein Beginnen umſonſt war! Denn nicht ſchnell iſt der Zorn der ewigen Goͤtter zu wandeln. D50Oduͤßee. Alſo ſtanden ſie beid ', und wechſelten heftige Worte; Und es erhuben ſich die ſchoͤngeharniſchten Griechen Mit unendlichem Lerm, getheilt durch zwiefache Meinung. 150Beide ruhten die Nacht, voll ſchadenbruͤtendes Grolles; Denn es bereitete Zeus den Achaiern die Strafe des Unfugs. Fruͤhe zogen wir Haͤlfte die Schiff 'in die heilige Meersflut, Brachten die Guͤter hinein, und die ſchoͤngeguͤrteten Weiber. Aber die andere Haͤlfte der Heerſchaar blieb am Geſtade155 Dort, bei Altreus Sohn Agamemnon, dem Hirten der Voͤlker. Wir indeß in den Schiffen entruderten eilig von dannen, Und ein himmlicher baͤhnte das ungeheure Gewaͤßer. Als wir gen Tenedos kamen, da opferten alle den Goͤttern, Heimverlangend; allein noch hinderte Zeus die Heimfahrt;160 Denn der Zuͤrnende ſandte von neuem verderbliche Zwietracht. Einige lenkten zuruͤck die gleichberuderten Schiffe, Angefuͤhrt von dem tapfern erfindungsreichen Oduͤßeus, Daß ſie ſich Altreus Sohn 'Agamemnon gefaͤllig erwieſen. Aber ich flohe voraus mit dem Schiffsheer, welches mir folgte;165 Denn es ahndete mir, daß ein Himmliſcher Boͤſes verhaͤngte. Tuͤdeus kriegriſcher Sohn floh auch, und trieb die Gefaͤhrten. Endlich kam auch zu uns Menelaos der braͤunlichgelockte, Als wir in Lesbos noch rathſchlagten wegen der Laufbahn:V. 169.Lesbos, jezt Metellino; Chios; Scio; Mimas, ein Vorgebirge in Aſien. Ob wir oberhalb der bergichten Chios die Heimfahrt170 Lenkten auf Pſuͤria zu, und jene zur Linken behielten; Oder unter Chios, am Fuße des ſtuͤrmiſchen Mimas. 51Dritter Geſang. Und wir baten den Gott, uns ein Zeichen zu geben; und dieſer Deutete uns, und befahl, gerade durchs Meer nach EuboͤaV. 174.Euboͤa, jezt Negroponte. Geraiſtos, eine Stadt darin. hinzuſteuren, damit wir nur ſchnell dem Verderben entfloͤhen. 175Jezo blies ein ſaͤuſelnder Wind in die Segel der Schiffe; Und ſie durchliefen in Eile die Pfade der Fiſche, und kamen Nachts vor Geraiſtos an. Hier brannten wir Poſeidaon Viele Lenden der Stiere zum Dank fuͤr die gluͤckliche Meerfahrt. Jezt war der vierte Tag, als in Argos mit ſeinen Genoßen180 Landete Tuͤdeus Sohn, Diomaͤdaͤs der Roßebezaͤhmer. Aber ich ſezte den Lauf nach Puͤlos fort, und der Fahrwind Hoͤrte nicht auf zu wehn, den uns der Himmliſche ſandte. Alſo kam ich, mein Sohn, ohn alle Kundſchaft, und weiß nicht, Welche von den Achaiern geſtorben ſind, oder noch leben. 185Aber ſo viel ich hier im Hauſe ſizend erkundet, Will ich, wie ſichs gebuͤhrt, anzeigen, und nichts dir verhehlen. Gluͤcklich kamen, wies heißt, die ſtreitbaren Muͤrmidonen, Angefuͤhrt von dem treflichen Sohne des großen Achilleus; Gluͤcklich auch Filoktaͤtaͤs, der glaͤnzende Sohn des Poͤas. 190Auch Idomeneus brachte gen Kraͤta alle Genoßen, Welche dem Krieg 'entflohn, und keinen raubte das Meer ihm Endlich von des Atreiden Zuruͤckkunft habt ihr Entfernten Selber gehoͤrt, wie Aigiſthos den traurigſten Tod ihm bereitet. Aber wahrlich er hat ihn mit ſchrecklicher Rache gebuͤßet! 195O wie ſchoͤn, wenn ein Sohn von einem erſchlagenen Manne Nachbleibt! Alſo hat jener am Meuchelmoͤrder Aigiſthos Rache geuͤbt, der ihm den herlichen Vater ermordet! 52Oduͤßee. Auch du, Lieber, denn groß und ſtatlich biſt du von Anſehn, Halte dich wohl, daß einſt die ſpaͤteſten Enkel dich preiſen! 200
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Neſtor, Naͤleus Sohn, du großer Ruhm der Achaier, Schreckliche Rache hat jener geuͤbt, und weit in Achaia Wird erſchallen ſein Ruhm, ein Geſang der ſpaͤteſten Enkel. O beſchieden auch mir ſo viele Staͤrke die Goͤtter,205 Daß ich den Uebermut der raſenden Freier beſtrafte, Welche mir immer zum Troz die ſchaͤndlichſten Graͤuel erſinnen! Aber verſagt ward mir ein ſolches Gluͤck von den Goͤttern, Meinem Vater und mir! Nun gilt nichts weiter, als dulden!
Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor:210 Lieber, weil du mich doch an jenes erinnerſt; man ſagt ja, Daß um deine Mutter ein großer Haufe von Freiern, Dir zum Troz, im Palaſte ſo viel Unarten beginne. Sprich, ertraͤgſt du das Joch freiwillig, oder verabſcheun Dich die Voͤlker des Landes, gewarnt durch goͤttlichen Ausſpruch? 215Aber wer weiß, ob jener nicht einſt, ein Raͤcher des Aufruhrs, Kommt, er ſelber allein, oder auch mit allen Achaiern. Liebte ſie dich ſo herzlich, die heilige Pallas Athaͤnaͤ, Wie ſie einſt fuͤr Oduͤßeus den hochberuͤhmten beſorgt war, In dem troiſchen Lande, wo Noth uns Achaier umdraͤngte;220 (Niemals ſah ich ſo klar die Zeichen goͤttlicher Obhut, Als ſich Pallas Athaͤnaͤ fuͤr ihren Geliebten erklaͤrte!) Liebte ſie dich ſo herzlich, und waltete deiner ſo ſorgſam: Mancher von jenen vergaͤße der hochzeitlichen Gedanken!
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen:225 Edler Greis, dies Wort wird ſchwerlich jemals vollendet;53Dritter Geſang. Denn du ſagteſt zu viel! Erſtaunen muß ich! O nimmer Wuͤrde die Hoffnung erfuͤllt, wenn auch die Goͤtter es wollten!
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Welche Rede, o Juͤngling, iſt deinen Lippen entflohen? 230Leicht bringt Gott, wenn er will, auch Fernverirrte zur Ruhe! Und ich moͤchte doch lieber nach vielem Jammer und Elend Spaͤt zur Heimat kehren und ſchaun den Tag der Zuruͤckkunft, Als heimkehrend ſterben am eigenen Heerde, wie jener Durch Aigiſthos Verrath und ſeines Weibes dahinſank. 235Nur das gemeine Loos des Todes koͤnnen die Goͤtter Selbſt nicht wenden, auch nicht von ihrem Geliebten, wenn jezo Ihn die finſtere Stunde mit Todesſchlummer umſchattet.
Und der verſtaͤndige Juͤngling Taͤlemachos ſagte dagegen: Mentor, rede nicht weiter davon, wie ſehr wir auch trauren! 240Jener wird nimmermehr heimkehren; ſondern es weihten Ihn die Unſterblichen laͤngſt dem ſchwarzen Todesverhaͤngniß. Jezo will ich Neſtorn um etwas anderes fragen, Ihn, der vor allen Menſchen Gerechtigkeit kennet und Weisheit. Denn man ſaget, er hat drei Menſchenalter beherſchet;245 Darum ſcheinet er mir ein Bild der unſterblichen Goͤtter. Neſtor, Naͤteus Sohn, verkuͤnde mir lautere Wahrheit! Wie ſtarb Atreus Sohn, der große Held Agamemnon? Wo war denn Menelaos? Und welchen liſtigen Anſchlag Fand der Meuchler Aigiſthos, den ſtaͤrkeren Mann zu ermorden? 250War er etwa noch nicht im achaiiſchen Argos, und irrte Unter den Menſchen umher, daß der ſich des Mordes erkuͤhnte?
Ihm antwortete drauf der Roßebaͤndiger Neſtor: Gerne will ich, mein Sohn, dir lautere Wahrheit verkuͤnden. 54Oduͤßee. Siehe, du kannſt es dir leicht vorſtellen, wie es geſchehn iſt. 255Haͤtt 'er Aigiſthos noch lebendig im Hauſe gefunden, Als er von Ilion kehrte, der Held Menelaos Atreidaͤs: Niemand haͤtte den Todten mit lockerer Erde beſchuͤttet; Sondern ihn haͤtten die Hund' und die Voͤgel des Himmels gefreſſen, Liegend fern von der Stadt auf wuͤſtem Gefild ', und es haͤtte260 Keine Achaierin ihn, den Hochverraͤther! beweinet. Waͤhrend wir andern dort viel blutige Schlachten beſtanden, Saß er ruhig im Winkel der roßenaͤhrenden Argos, Und liebkoſte dem Weib 'Agamemnons mit ſuͤßem Geſchwaͤze. Anfangs hoͤrte ſie zwar den argen Verfuͤhrer mit Abſcheu,265 Kluͤtaimnaͤſtra die edle; denn ſie war gut und verſtaͤndig. Auch war ein Saͤnger bei ihr, dem Agamemnon beſonders, Als er gen Ilion fuhr, ſein Weib zu bewahren vertraute. Aber da ſie die Goͤtter in ihr Verderben beſtrickten, Fuͤhrt 'Aigiſthos den Saͤnger auf eine verwilderte Inſel,270 Wo er ihn zur Beute dem Raubgevoͤgel zuruͤckließ; Fuͤhrte dann liebend das liebende Weib zu ſeinem Palaſte; Opferte Rinder und Schaf 'auf der Goͤtter geweihten Altaͤren, Und behaͤngte die Tempel mit Gold' und feinem Gewebe, Weil er das große Werk, das unverhoffte, vollendet. 275Jezo ſegelten wir zugleich von Ilions Kuͤſte, Menelaos und ich, vereint durch innige Freundſchaft. Aber am attiſchen Ufer, bei Sunions heiliger Spize,V. 278.Sunion, ein Vorgebirge von Attika. Siehe da ward der Pilot des menelaïſchen Schiffes Von den ſanften Geſchoſſen Apollons ploͤzlich getoͤdtet,28055Dritter Geſang.Haltend in ſeinen Haͤnden das Steuer des laufenden Schiffes: Frontis, Onaͤtors Sohn, der vor allen Erdebewohnern Durch der Orkane Tumult ein Schiff zu lenken beruͤhmt war. Alſo ward Menelaos, wie ſehr er auch eilte, verzoͤgert, Um den Freund zu begraben, und Todtengeſchenke zu opfern. 285Aber da nun auch jener, die dunkeln Wogen durchſegelnd, Seine geruͤſteten Schiffe zum hohen Gebirge MaleiaV. 287.Maleia, ein Vorgebirge im lakoniſchen Gebiete, war immer wegen ſeines ſtuͤrmiſchen Meers beruͤchtigt. Hatte gefuͤhrt; da verhaͤngte der Gott weithallender Donner Ihm die traurigſte Fahrt, ſandt 'ihm lautbrauſende Stuͤrme, Und hoch wogten, wie Berge, die ungeheuren Gewaͤſſer. 290Ploͤzlich zerſtreut 'er die Schiffe; die meiſten verſchlug er gen Kraͤta, Wo der Kuͤdonen Volk des Jardanos Ufer umwohnet. An der gortuͤniſchen Grenz', im dunkelwogenden Meere, Thuͤrmt ſich ein glatter Fels den draͤngenden Fluten entgegen, Die der gewaltige Suͤd an das linke Gebirge vor Faiſtos295 Stuͤrmt; und der kleine Fels hemmt große brandende Fluten. Dorthin kamen die meiſten; und kaum entflohn dem Verderben Noch die Maͤnner, die Schiffe zerſchlug an den Klippen die Brandung. Aber die uͤbrigen fuͤnfe der blaugeſchnaͤbelten Schiffe Wurden von Sturm und Woge zum Strom Aiguͤptos getrieben. V. 300.Aiguͤptos hieß damals der Nilſtrom.300Alda fuhr Menelaos bei unverſtaͤndlichen Voͤlkern Mit den Schiffen umher, viel Gold und Schaͤze gewinnend. Unterdeßen veruͤbte zu Hauſ 'Aigiſthos die Schandthat, Bracht' Agamemnon um, und zwang das Volk zum Gehorſam. Sieben Jahre beherſcht 'er die ſchaͤzereiche Muͤkaͤnaͤ. 30556Oduͤßee.Aber im achten kam zum Verderben der edle Oreſtaͤs Von Athaͤnai zuruͤck, und nahm von dem Meuchler Aigiſthos Blutige Rache, der ihm den herlichen Vater ermordet; Brachte dann mit dem Volk ein Opfer bei der Begraͤbniß Seiner abſcheulichen Mutter und ihres feigen Aigiſthos. 310Eben den Tag kam auch der Rufer im Streit Menelaos, Mit unendlichen Schaͤzen, ſo viel die Schiffe nur trugen. Auch du, Lieber, irre nicht lange fern von der Heimat, Da du alle dein Gut und ſo unbaͤndige Maͤnner In dem Palaſte verließeſt: damit ſie nicht alles verſchlingen,315 Deine Guͤter ſich theilend, und fruchtlos ende die Reiſe! Aber ich rathe dir doch, zu Atreus Sohn Menelaos Hinzugehen, der neulich aus fernen Landen zuruͤckkam, Von entlegenen Voͤlkern, woher kein Sterblicher jemals Hoffen duͤrfte zu kommen, den Sturm und Woge ſo weithin320 Ueber das Meer verſchlugen, woher auch ſelbſt nicht die Voͤgel Fliegen koͤnnen im Jahre: ſo furchtbar und weit iſt die Reiſe! Eil und gehe ſogleich im Schiffe mit deinen Gefaͤhrten! Oder willſt du zu Lande, ſo fodere Wagen und Roße, Meine Soͤhne dazu: ſie werden dich ſicher gen Sparta325 Fuͤhren, der praͤchtigen Stadt Menelaos des braͤunlichgelockten. Aber du mußt ihm flehn, daß er die Wahrheit verkuͤnde. Luͤgen wird er nicht reden; denn er iſt viel zu verſtaͤndig!
Alſo ſprach er. Da ſank die Sonn ', und Dunkel erhob ſich. Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:330
Wahrlich, o Greis, du haſt mit vieler Weisheit geredet. Aber ſchneidet jezo die Zungen, und miſchet des Weines, Daß wir Poſeidaon und allen unſterblichen Goͤttern57Dritter Geſang.Opfern, und ſchlafen gehn; die Stunde gebeut uns zu ruhen; Denn ſchon ſinket das Licht in Daͤmmerung. Laͤnger geziemt ſichs335 Nicht, am Mahle der Goͤtter zu ſizen, ſondern zu gehen.
Alſo die Tochter Zeus, und jene gehorchten der Rede. Herolde goßen ihnen das Waßer uͤber die Haͤnde; Juͤnglinge fuͤllten die Kelche bis oben mit dem Getraͤnke, Theilten dann rechts herum die vollgegoßenen Becher. 340Und ſie verbrannten die Zungen, und opferten ſtehend des Weines. Als ſie ihr Opfer vollbracht, und nach Verlangen getrunken, Machte Athaͤnaͤ ſich auf und Taͤlemachos, goͤttlich von Bildung, Wieder von dannen zu gehn zu ihrem geraͤumigen Schiffe. Aber Neſtor verbot es mit dieſen ſtrafenden Worten:345
Zeus verhuͤte doch dieſes und alle unſterblichen Goͤtter, Daß ihr jezo von mir zum ſchnellen Schiffe hinabgeht, Gleich als waͤr 'ich ein Mann in Lumpen, oder ein Bettler, Der nicht viele Maͤntel und weiche Decken beſaͤße, Fuͤr ſich ſelber zum Lager, und fuͤr beſuchende Freunde! 350Aber ich habe genug der Maͤntel und praͤchtigen Decken! Wahrlich nimmer geſtat 'ich des großen Mannes Oduͤßeus Sohne, auf dem Verdeck des Schiffes zu ruhen, ſo lang' ich Lebe! Und dann auch werden noch Kinder bleiben im Hauſe, Einen Gaſt zu bewirten, der meine Wohnung beſuchet! 355
Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Edler Greis, du haſt ſehr wohl geredet, und gerne Wird Taͤlemachos dir gehorchen, denn es gebuͤhrt ſich! Dieſer gehe denn jezo mit dir zu deinem Pallaſte, Dort zu ruhn. Allein ich muß zum ſchwaͤrzlichen Schiffe360 Gehen, unſere Freunde zu ſtaͤrken, und alles zu ordnen. 58Oduͤßee.Denn von allen im Schiffe bin ich der einzige Alte; Juͤnglinge ſind die andern, die uns aus Liebe begleiten, Alleſamt von des edlen Taͤlemachos bluͤhendem Alter. Alda will ich die Nacht am ſchwarzen gebogenen Schiffe365 Ruhn, und morgen fruͤh zu den großgeſinnten KaukonenV. 366.Dieſe Kaukonen wohnten nicht weit von Puͤlos, in Arkadien. Gehen, daß ich die Schuld, die weder neu noch gering 'iſt, Mir einfodre. Doch dieſen, den Gaſtfreund deines Palaſtes, Send' im Wagen gen Sparta, vom Sohne begleitet, und gieb ihm Zum Geſpanne die ſchnellſten und unermuͤdlichſten Roße. 370
Alſo redete Zeus blauaͤugichte Tochter, und ſchwebte, Ploͤzlich ein Adler, empor; da erſtaunte die ganze Verſammlung. Wundernd ſtand auch der Greis, da ſeine Augen es ſahen, Faßte Taͤlemachos Hand, und ſprach mit freundlicher Stimme:
Lieber, ich hoffe, du wirſt nicht feige werden noch kraftlos;375 Denn es begleiten dich ſchon als Juͤngling waltende Goͤtter! Siehe kein anderer wars der himmelbewohnenden Goͤtter, Als des allmaͤchtigen Zeus ſiegprangende Tochter Athaͤnaͤ, Die auch deinen Vater vor allen Achaiern geehrt hat! Herſcherin, ſei uns gnaͤdig, und kroͤn 'uns mit glaͤnzendem Ruhme,380 Mich und meine Kinder und meine theure Genoßin! Dir will ich opfern ein jaͤhriges Rind, breitſtirnig und fehllos, Unbezwungen vom Stier, und nie zum Joche gebaͤndigt: Dieſes will ich dir opfern, mit Gold die Hoͤrner umzogen!
Alſo ſprach er flehend; ihn hoͤrete Pallas Athaͤnaͤ. 385Und der geraͤniſche Greis, der Roßebaͤndiger Neſtor, Fuͤhrte die Eidam 'und Soͤhne zu ſeinem ſchoͤnen Palaſte. 59Dritter Geſang.Als ſie den hohen Palaſt des Koͤnigs jezo erreichten, Sezten ſich alle in Reihn auf praͤchtige Thronen und Seßel. Und den Kommenden miſchte der Greis von neuem im Kelche390 Suͤßen balſamiſchen Wein; im elften Jahre des Alters Waͤhlte die Schaffnerin ihn, und loͤſte den ſpuͤndenden Deckel. Dieſen miſchte der Greis und flehete, opfernd des Trankes, Viel zu der Tochter des Gottes mit wetterleuchtenden Schilde. Als ſie ihr Opfer vollbracht, und nach Verlangen getrunken,395 Gingen ſie alle heim, der ſuͤßen Ruhe zu pflegen. Aber Taͤlemachos hieß der Roßebaͤndiger Neſtor Dort im Palaſte ruhn, den Sohn des edlen Oduͤßeus, Unter der toͤnenden Hall ', im ſchoͤngebildeten Bette. Neben ihm ruhte der Held Peiſiſtratos, welcher allein noch400 Unvermaͤhlt von den Soͤhnen in Neſtors Hauſe zuruͤckblieb. Aber er ſelber ſchlief im Innern des hohen Palaſtes, Und die Koͤnigin ſchmuͤckte das Ehbett ihres Gemahles.
Als nun die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Da erhub ſich vom Lager der Roßebaͤndiger Neſtor,405 Ging hinaus, und ſezte ſich auf gehauene Steine, Vor der hohen Pforte des ſchoͤngebauten Palaſtes, Weiß und glaͤnzend wie Oel. Auf dieſen pflegte vor Alters Naͤleus ſich hinzuſezen, an Rath den Unſterblichen aͤhnlich. Aber er war ſchon todt und in der Schatten Behauſung. 410Nun ſaß Neſtor darauf, der geraͤniſche Huͤter der Griechen, Seinen Stab in der Hand. Da ſammelten ſich um den Vater Eilend aus den Gemaͤchern, Echefron, Stratios, Perſeus, Und Araͤtos der Held, und der goͤttliche Thraſuͤmaͤdaͤs. Auch der ſechſte der Bruͤder Peiſiſtratos eilte zu Neſtor. 41560Oduͤßee.Und ſie ſezten den ſchoͤnen Taͤlemachos neben dem Vater. Unter ihnen begann der Roßebaͤndiger Neſtor:
Hurtig, geliebteſte Kinder, erfuͤllt mir dieſes Verlangen, Daß ich vor allen Goͤttern Athaͤnens Gnade gewinne, Welche mir ſichtbar erſchien am feſtlichen Mahle Poſeidons! 420Gehe denn einer aufs Feld, damit in Eile zum Opfer Komme die Kuh, gefuͤhrt vom Hirten der weidenden Rinder. Einer gehe hinab zu des edlen Taͤlemachos Schiffe, Seine Gefaͤhrten zu rufen, und laße nur zween zur Bewahrung. Einer heiße hieher den Meiſter in Golde Laerkaͤs425 Kommen, daß er mit Gold des Rindes Hoͤrner umziehe. Aber ihr uͤbrigen bleibt hier alleſamt, und gebietet Drinnen im hohen Palaſte den Maͤgden, ein Mahl zu bereiten, Und uns Seßel und Holz und friſches Waſſer zu bringen.
Alſo ſprach er, und aͤmſig enteilten ſie alle. Die Kuh kam430 Aus dem Gefild '; es kamen vom gleichgezimmerten Schiffe Auch Taͤlemachos Freunde: es kam der Meiſter in Golde, Alle Schmiedegeraͤthe, der Kunſt Vollender, in Haͤnden, Seinen Hammer und Ambos und ſeine gebogene Zange, Auszubilden das Gold. Es kam auch Pallas Athaͤnaͤ435 Zu der heiligen Feier. Der Roßebaͤndiger Neſtor Gab ihm Gold; und der Meiſter umzog die Hoͤrner des Rindes Kuͤnſtlich, daß ſich die Goͤttin am prangenden Opfer erfreute. Stratios fuͤhrte die Kuh am Horn und der edle Echefron. Aber Araͤtos trug im blumigen Becken das Waſſer440 Aus der Kammer hervor, ein Koͤrbchen voll heiliger Gerſte In der Linken. Es ſtand der kriegriſche Thraſuͤmaͤdaͤs, Eine geſchliffene Axt in der Hand, die Kuh zu erſchlagen. 61Dritter Geſang.Perſeus hielt ein Gefaͤß, das Blut zu empfangen. Der Vater Wuſch zuerſt ſich die Haͤnd ', und ſtreute die heilige Gerſte,445 Flehte dann viel zu Athaͤnen, und warf in die Flamme das Stirnhaar.
Als ſie jezo gefleht und die heilige Gerſte geſtreuet, Trat der mutige Held Thraſuͤmaͤdaͤs naͤher, und haute Zu; es zerſchnitt die Axt die Sehnen des Nackens, und kraftlos Stuͤrzte die Kuh in den Sand. Und jammernd beteten jezo450 Alle Toͤchter und Schnuͤr 'und die ehrenvolle Gemahlin Neſtors, Euruͤdikaͤ, die erſte von Kluͤmenos Toͤchtern. Aber die Maͤnner beugten das Haupt der Kuh von der Erde Auf; da ſchlachtete ſie Peiſiſtratos, Fuͤhrer der Menſchen. Schwarz entſtroͤmte das Blut, und der Geiſt verließ die Gebeine. 455Jene zerhauten das Opfer, und ſchnitten, nach dem Gebrauche, Eilig die Lenden aus, umwickelten dieſe mit Fette, Und bedeckten ſie drauf mit blutigen Stuͤcken der Glieder. Und ſie verbrannte der Greis auf dem Scheitholz, ſprengte daruͤber Dunkeln Wein; und die Juͤngling 'umſtanden ihn mit dem Fuͤnfzack. 460Als ſie die Lenden verbrannt, und die Eingeweide gekoſtet, Schnitten ſie auch das Uebrige klein, und ſtecktens an Spieße, Drehten die ſpizigen Spieß 'in der Hand, und brietens mit Vorſicht.
Aber den bluͤhenden Juͤngling Taͤlemachos badet 'indeßen Poluͤkaſtaͤ die ſchoͤne, die juͤngſte Tochter des Neſtor. 465Als ſie ihn jezo gebadet, und drauf mit Oele geſalbet, Da umhuͤllte ſie ihm den praͤchtigen Mantel und Leibrock. Und er ſtieg aus dem Bad ', an Geſtalt den Unſterblichen aͤhnlich, Ging und ſezte ſich hin bei Neſtor, dem Hirten der Voͤlker.
Als ſie das Fleiſch nun gebraten, und von den Spießen gezogen,470 Sezten ſie ſich zum Mahle. Die edlen Juͤnglinge ſchoͤpften62Oduͤßee. Dritter Geſang.Aus dem Kelche den Wein, und vertheilten die goldenen Becher. Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillt war, Sprach der geraͤniſche Greis, der Roßebaͤndiger Neſtor:
Eilt, geliebteſte Kinder, und bringt ſchoͤnmaͤhnichte Roße;475 Spannt ſie ſchnell vor den Wagen, Taͤlemachos Reiſe zu foͤrdern!
Alſo ſprach er; ihn hoͤrten die Soͤhne mit Fleiß, und gehorchten. Eilend ſpannten ſie vor den Wagen die hurtigen Roße. Aber die Schaffnerinn legt 'in den Wagen die koͤſtliche Zehrung, Brot und feurigen Wein und goͤttlicher Koͤnige Speiſen. 480Und Taͤlemachos ſtieg auf den kuͤnſtlichgebildeten Wagen. Neſtors mutiger Sohn Peiſiſtratos, Fuͤhrer der Menſchen, Sezte ſich neben ihn, und hielt in den Haͤnden die Zuͤgel; Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße In das Gefild ', und verließen die hochgebauete Puͤlos. 485Alſo ſchuͤttelten ſie bis zum Abend das Joch an den Nacken.
Und die Sonne ſank, und Dunkel umhuͤllte die Pfade. Und ſie kamen gen Faͤrai, zur Burg des edlen Dioklaͤs,V. 488.Faͤrai lag in Meßaͤnien. Welchen Alfeios Sohn Orſilochos hatte gezeuget, Ruhten bei ihm die Nacht, und wurden freundlich bewirtet. 490
Als die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Ruͤſteten ſie ihr Geſpann, und beſtiegen den praͤchtigen Wagen, Lenkten darauf aus dem Thore des Hofs und der toͤnenden Halle. Treibend ſchwang er die Geißel, und willig enteilten die Roße, Und durchliefen behende die Weizenfelder, und jezo495 War die Reiſe vollbracht: ſo flogen die hurtigen Roße. Und die Sonne ſank, und Dunkel umhuͤllte die Pfade.
Und ſie erreichten im Thale die große Stadt Lakedaimon, Lenkten darauf zur Burg Menelaos des ehregekroͤnten. Und Menelaos feirte mit vielen Freunden die Hochzeit Seines Sohnes im Hauſe, und ſeiner lieblichen Tochter. Dieſe ſandt 'er dem Sohne des Schaarentrenners Achilleus. 5Denn er gelobte ſie ihm vordem im troiſchen Lande; Und die himmliſchen Goͤtter vollendeten ihre Vermaͤhlung. Jezo ſandt 'er ſie hin, mit Roßen und Wagen begleitet, Zu der beruͤhmten Stadt des Muͤrmidonenbeherſchers. Aber dem Sohne gab er aus Sparta die Tochter Alektors,10 Megapenthaͤs dem ſtarken, den ihm in ſpaͤterem Alter Eine Sklavin gebar. Denn Helenen ſchenkten die Goͤtter Keine Frucht, nachdem ſie die liebliche Tochter geboren, Hermione, ein Bild der goldenen Afroditaͤ. V. 14.Afroditaͤ, Venus.
Alſo feierten dort im hochgewoͤlbten Saale15 Alle Nachbarn und Freunde des herlichen Menelaos Froͤhlich am Mahle das Feſt. Es ſang ein goͤttlicher Saͤnger In die Harfe ſein Lied. Und zween nachahmende Taͤnzer64Oduͤßee.Stimmten an den Geſang, und dreheten ſich in der Mitte.
Aber die Roße hielten am Thore des hohen Palaſtes,20 Und Taͤlemachos harrte mit Neſtors glaͤnzendem Sohne. Siehe da kam Eteoneus hervor, und ſahe die Fremden, Dieſer geſchaͤftige Diener des herlichen Menelaos. Schnell durchlief er die Wohnung, und brachte dem Koͤnige Botſchaft, Stellte ſich nahe vor ihn, und ſprach die gefluͤgelten Worte:25
Fremde Maͤnner ſind draußen, o goͤttlicher Held Menelaos, Zween an der Zahl, von Geſtalt wie Soͤhne des großen Kronions! Sage mir, ſollen wir gleich abſpannen die hurtigen Roße; Oder ſie weiter ſenden, damit ſie ein andrer bewirte?
Voll Unwillens begann Menelaos der braͤunlichgelockte:30 Ehmals warſt du kein Thor, Boaͤthos Sohn Eteoneus; Aber du plauderſt jezt, wie ein Knabe, ſo thoͤrichte Worte! Wahrlich wir haben ja beid 'in Haͤuſern anderer Menſchen So viel Gutes genoßen, bis wir heimkehrten! Uns wolle Zeus auch kuͤnftig vor Noth bewahren! Drum ſpanne die Roße35 Hurtig ab, und fuͤhre die Maͤnner zu unſerem Gaſtmahl!
Alſo ſprach er; und ſchnell durcheilete jener die Wohnung, Rief die geſchaͤftigen Diener zuſammen, daß ſie ihm folgten. Und nun ſpanneten ſie vom Joche die ſchaͤumenden Roße, Fuͤhrten ſie dann in den Stall, und banden ſie feſt an die Krippen,40 Schuͤtteten Haber hinein, mit gelblicher Gerſte gemenget, Stellten darauf den Wagen an eine der ſchimmernden Waͤnde, Fuͤhrten endlich die Maͤnner hinein in die goͤttliche Wohnung.
Staunend ſahn ſie die Burg des goͤttergeſegneten Koͤnigs. Gleich dem Strale der Sonn ', und gleich dem Schimmer des Mondes,45 Blinkte die hohe Burg Menelaos des ehregekroͤnten. 65Vierter Geſang.Und nachdem ſie ihr Herz mit bewunderndem Blicke geſaͤttigt, Stiegen ſie beide zum Bad 'in ſchoͤngeglaͤttete Wannen. Als ſie die Maͤgde gebadet, und drauf mit Oele geſalbet, Und mit wollichtem Mantel und Leibrock hatten bekleidet;50 Sezten ſie ſich auf Throne bei Atreus Sohn Menelaos. Eine Dienerin trug in der ſchoͤnen goldenen Kanne Ueber dem ſilbernen Becken das Waßer, beſtroͤmte zum Waſchen Ihnen die Haͤnd ', und ſtellte vor ſie die geglaͤttete Tafel. Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tiſchte das Brot auf,55 Und der Gerichte viel aus ihrem geſammelten Vorrat. Hierauf kam der Zerleger, und bracht 'in erhobenen Schuͤßeln Allerlei Fleiſch, und ſezte vor ſie die goldenen Becher. Beiden reichte die Haͤnde der Held Menelaos, und ſagte:
Langt nun zu, und eßt mit Wohlgefallen, ihr Freunde! 60Habt ihr euch dann mit Speiſe geſtaͤrkt, dann wollen wir fragen, Wer ihr ſeid. Denn wahrlich aus keinem verſunknen Geſchlechte Stammt ihr, ſondern ihr ſtammt von edlen zeptergeſchmuͤckten Koͤnigen her; denn gewiß Unedle zeugen nicht ſolche!
Alſo ſprach er, und reichte den fetten gebratenen Ruͤckgrat65 Von dem Rinde den Gaͤſten, der ihm zur Ehre beſtimmt war. Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle. Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillt war, Neigte Taͤlemachos ſein Haupt zum Sohne des Neſtor, Und ſprach leiſe zu ihm, damit es die andern nicht hoͤrten:70
Schaue doch, Neſtoride, du meines Herzens Geliebter, Schaue den Glanz des Erzes umher in der hallenden Wohnung,E66Oduͤßee.Und des Goldes und Ambra's und Elfenbeines und Silbers! V. 73.Ambra, Bernſtein.Alſo glaͤnzt wohl von innen der Hof des oluͤmpiſchen Gottes! Welch ein unendlicher Schaz! Mit Staunen erfuͤllt mich der Anblick! 75
Seine Rede vernahm Menelaos der braͤunlichgelockte, Wandte ſich gegen die Fremden, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
Liebe Soͤhne, mit Zeus wetteifre der Sterblichen keiner; Ewig beſteht des Unendlichen Burg und alles, was ſein iſt! Doch von den Menſchen mag einer mit mir ſich meßen an Reichthum,80 Oder auch nicht! Denn traun! nach vielen Leiden und Irren Bracht 'ich ihn