PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Poesieen.
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Zweyter Band.
Leipzig,bei Heinrich Gräff.1798.
[I]

Inhalt des zweyten Bandes.

Viertes Buch.

  • Seite

  • Ritogar und Wanda5
  • Frühgesang41
  • Die Erscheinung43
  • An Odalia46
  • An Kiesow's Fluren51
  • An Dieselben. (Zehn Jahr später gedichtet) 55
  • An Rosa56
  • An Dieselbe58
  • Die Täuschung60
  • Die Wehmuth der Erinnerung62
  • Des Siechen Flehgesang65
  • II
  • Seite

  • Das Erwachen list67
  • An Molly71
  • An Sulvina77
  • Elegie. An Minona79
  • An Fredegunde86
  • Elegie. An Rosa91
  • Des Grabes Fruchtbarkeit und Lieblichkeit102
  • Schläfer erwach109
  • Ellwinens Klage um Ellwill115
  • Die Erscheinung117
  • Der Sternhimmel124
  • An Fanny128
  • Drey Töchter an den Schatten ihres Vaters132
  • Seiner Rina136
  • Weihgesang140
  • Jubelgesang146
  • Der Maalstein150
  • Abschied von Wolgast157

Fünftes Buch.

  • Elisium167
  • Geist der Liebe183
  • Alles um Liebe185
  • Huldigung188
  • Der Traum192
  • III
  • Seite

  • Erwin an Ellwina list196
  • Erwin an Ellwina200
  • Erwin an Ellwina203
  • Ellwina an Erwin209
  • An Ellwina213
  • Erwin's Klaggesang216
  • Erwin und Ellwina221
  • Letztes Lied227
  • Theon und Theano232
  • Amandus an Amanda237
  • Walder und Oda242
  • An Gering243
  • An Hippolyta254
  • An Charlotte Schwarz260
  • An meine Schwester Marie Luise zum Abschiede266
  • An einem Gewitterabend270
  • An die untergehende Sonne274
  • Melancholikon277
  • Nachtgesang281

Sechstes Buch.

  • Arkona list285
  • Der Morgen296
  • Die Harmonie der Sphären298
  • Die Sterne301
  • IV
  • Seite

  • An Rosens Schatten305
  • Das Schicksal und das Ich310
  • Des edleren Selbst Ermunterung315
  • An Magdalena Schwarz320
  • Das Echo327
  • Der Nachtigallschlag328
  • Frostblumen329
  • Die Schwäne330
  • Die Namen351
  • Das Leichtere und Schwerere332
  • Letzte Bitte332
  • Eusebia335
  • An Juliens Grabe337
  • Cidli und Meli. Eine Idylle aus dem Paradiese343
  • Abends unter der Linde357
  • Letzte Ehre359
  • Ekloge360

Druckfehler.

Zweyter Band.

  • Seite 15. Zeile 25. er lies es
  • 27. er l. es
  • 16. 1. er l. es
  • 23. 12. kläglich l. klüglich
  • 33. 9. herum l. heran
  • 38. 11. nur einer l. unreiner
  • 52. 1. tiefste l. tiefe
  • 11. euren l. eurer
  • 78. 16. Thaten die Ruh l. Handeln der Ruh
  • 88. 9. Aug 'l. Auge
  • 109. 7. Von l. Vor
  • 120. 25. wiegt l. wägt
  • 137. 8. eurer l. neuer
  • 144. 14. des l. der
  • 171. 24. der l. das
  • 174. 1. Engeln l. Engen
[1]

Viertes Buch.

[2]

Seinem Freunde Joseph von Retzer zugeeignet.

[3]
[figure]
[4][5]

Ritogar und Wanda.

Hügel des weissen Gesteins, der schaurigrau -
schenden Eiche
Grauer Nährer; du bist mir lieb vor deinen Ge -
sellen.
Lockender winkt mir dein kaltes Gestein, als mein
schwellendes Lager.
Weicher umschmiegt mich dein duftendes Moos.
Dein Säuseln und Flistern
Lullet in tiefes Staunen mich ein. Wenn der Schat -
ten des Waldes
Dämmerung um dich strömt, wenn kläglich seuf -
zend der Nachtwind
6
In den ergrauenden Locken dir wühlt, auf den
Gipfeln der Graniz
Schweigend der Vollmond ruht und deine Wangen
beglänzet
Welche Wonne sodann, im Rauschen der Eich ',
in des Vollmonds
Dämmerscheine zu sitzen im Ringe des alternden
Maales!
Welche Wonn', im Rauschen des Waldes, im däm -
mernden Mondlicht,
Eingewiegt auf duftendem Moos 'in luftigen Schlum -
mer,
Unterzutauchen in lieblichen Traum und in trunkne
Gesichte!
Steigen seh' ich die Heldenschatten aus schlummern -
den Maalen,
Sehe sie zucken das Schwert, und den Schild em -
pören, und höre
Tosen die Berg 'und den Wald von der Kämpfer
Geschrey, von der Sieger
Wildem Frohlocken, der Sinkenden Ächzen, dem
Jammer der Mädchen.
Plötzlich erwach' ich. Ich raffe mich auf. Die
nichtigen Schatten
Schwinden in Luft. Es rauscht und stöhnt im
Wipfel der Eichen,
Dass das Haar sich leise mir hebt, und Schauder
mich schütteln.
7
Tausendjähriger Stein, wen deckst du? Welchem
Gefallnen
Thürmet das ehrende Maal? Was frag 'ich?
Verwittert, zerstoben
Ist der Helden Gebein in die Luft. Die Winde des
Himmels
Kriegen um ihren Staub. Vertilgt vom Antlitz der
Erde
Ist der Namen Gedächtniss sogar. Auf ewig ver -
hallt ist
Jeder Gesang von ihnen, erstummet jegliche
Klage.
Tochter Sulvills, die Seele umwölket mir
bitterer Unmuth
Über der Helden herbes Geschick. Die tückische
Norne
Seh 'ich zucken den blutigen Dolch; die zitternden
Schatten
Seh' ich mit funkelndem Stahl sie scheuchen bis hart
an des Abgrunds
Schwarzaufstarrenden Saum. Wie beben, wie
schauern die Blassen
Bange zurück! Ist denn keiner vorhanden, der Mäch -
tigen keiner,
Welcher beschwöre der Wütherin Grimm, mit dem
Zauber des Liedes
8
Ihre Wuth entwaffn ', und erlöse die flehenden
Schatten?
Tochter Sulvills, mir flammet die Seele. Das
Licht des Gesanges
Fühl 'ich erwachen in mir. Von der Eiche seufzen -
dem Aste
Reiche die Harfe mir her, die schwachbesaitete.
Dennoch
Ward es der Schwachen schon öfter vergönnt, die
hungrige Norne
Einzulispeln in seligen Schlaf und den Raub ihr zu
rauben.
Also sey es auch itzt mir vergönnt, der Räuberin
Krallen
Abzujagen ein wackeres Paar, dich König der
Inseln,
Muthiger Ritogar dich, und dich, holdselige
Wanda.
Über die Inseln des Meers, entlang die Küsten
der Ostsee,
Von der Trebel Blumengestad 'bis zur reissenden
Weichsel,
Herrschte die heilige Kraft des Helden Ritogar.
König
War er der Wilzen, der Wenden, der Tartsche -
schwingenden Guten,
9
Und der tausend Stämme der Rugen. Auf hoher
Arkona
Hielt er Hof, genoss dort schwererrungener
Ruhe.
Wohl behagte dem rüstigen Krieger die Musse
des Friedens.
Freundlich umfing ihn die schmeichelnde Ruh nach
Fehden und Schlachten.
Täglich genoss er der Freuden der Jagd in der krei -
digen Stubnitz.
Täglich in Rügens hundert Forsten. In dämmern -
der Frühe
Macht 'er sich auf zu Verfolgung des Wolfs und
des Keulers. Zu Abend
Kehrt' er beutebelastet zurück zur strahlenden
Halle,
Wo das stärkende Mahl ihn erharrt ', und der
schäumende Becher.
Doch bald däuchte die strahlende Hall 'ihm so
weit und so öde,
Ihm so einsam das nächtliche Lager. Holde Ge -
bilde
Schwebten oft um ihn im lieblichen Traum; von
zärtlichen Armen
Wähnt' er sich oft umschlungen, und oft von
schwatzenden Kleinen,
10
Die, erklimmend sein mächtiges Knie, in den Locken
ihm spielten.
Flammend rollte das Blut in des Jünglings Adern.
Gewaltig
Schlug ihm das Herz. Doch war er keusch nach
der Sitte der Deutschen.
Nicht verlockt 'ihn die Flamme der Jugend zu fre -
chem Gelüsten,
Nicht der Buhlerin lüsterner Blick, noch der Un -
schuld Erröthen.
Ihm zu kiesen ein holdes Weib aus den Töchtern
der Edlen,
Sandt' er seine Vertrauten umher. Ihm lächelt
Editha
Von der Warne. Ihm winkte die weisse Wisna
vom Elbstrom.
Keine vermochte sein Herz zu rühren. Die Weich -
sel herüber
War es erschollen von Wanda, der Tochter Kra -
kus, wie huldreich,
Und wie reizend sie sey, wie Mayluft lieblich,
wie Veilchen
Ihre Augen, ihr Haar wie der Lilie goldene
Fäden.
Ritogar hatte Boten gesendet dem Fräulein von
Krakow,
11
Dass sie ihr Frieden und Gruss entböten, das Zepter
der Rugen,
Und des Rugenköniges Herz. Mit stürmender Sehn -
sucht
Harrt 'er der kehrenden Boten; kaum dass die Jagd
und der Becher
Ihm die langsam schleichende Zeit zu beflügeln
vermochten.
Neunzehn Tage verflossen. Die Boten kehrten.
Willkommen,
Hiess sie der harrende König. Willkommen! Nun
eilet und sagt mir,
Was mir Wanda entbeut, der Lechen Tochter
und Fürstin.
Wanda entbeut dir Frieden und Gruss, und
Segen von Wodan
Deinen Waffen. Allein dein Herz und das Zepter
der Rugen
Darf sie nicht theilen. Sie weiht ein Gelübde zur
ewigen Jungfrau.
Sie ein Gelübd '? So gelob' ich bey Thor und
Mannus und Hertha,
Und dem tausendbucklichten Schilde des eisernen
Wodan,
12
Nicht zu rasten, zu strafen die Stolze, mit mäch -
tigem Arme
Sie zu erfassen, sie, fliegenden Haars, mit zerris -
senem Schleier
In mein Schlafgemach zu führen, ein niedriges
Kebsweib.
Fürchterlich flammte der Grimm des Königs;
furchtbar sein Eidschwur.
Nah und fern, auf den Inseln des Meers, an den
Küsten der Ostsee,
Von der Trebel Blumengestad 'bis zum Strande der
Oder
Wurden die Sassen entboten zu Ross und zu Fuss.
Sie kamen,
Rott' an Rotte, wie Schauer mit Schauern in
schlossender Herbstzeit
Wild sich jagen, herangeschwärmt die hohe Ar -
kona.
Alle Krieger kamen des quellenströmenden Jas -
mund;
Alle Söhne des meerumdonnerten Reddewisch.
Ralow
Sandte die lockenumwölkten Streiter. Die Jäger der
Wölfe
Sandte die Graniz, die Quistniz, die Wuster -
niz. Hoch vom Rugard
13
Braust 'ein gewaltiges Heer, wie der Strom, den der
schmelzende Schnee schwellt.
Wie in Tagen des Herbst, wenn der Wald
verwelkt und die See starrt,
Zu verreisen in mildere Zonen, sich Kraniche
rotten:
Also rotteten sich die Rugen zur hohen Ar -
kona.
Wie die weitgeuferte Donau mit wachsenden Was -
sern,
Erst ein Säugling, nur Wiesen wässert, weidende
Lämmchen
Tränkt, den ermatteten Wandrer erquickt, bald
aber, ein Jüngling,
Königsstädte beströmt, und Kaiserthümer durch -
wandelt;
Rings, wohin der Starke sich wälzet, reisst er die
Nymphe
Jedes begegnenden Stroms in sein Bett, und stürmt
und stürzet
Endlich mit allen, ein Meer, in das Meer aus
tausend Urnen:
Also brauste durch Länder und Reiche des Zürnen -
den Heersmacht;
Also wuchs im wälzenden Laufe der schwellende
Kriegszug.
14
Also stürmt 'und stürzt' er gewaltig ins Land der
Sarmaten.
Nicht zu steuern vermochte das Land dem ver -
derbenden Einbruch.
Weitauf dampft 'es in Blut und in Asche. Der
Saaten, der Wälder
Lohe stieg himmelempor in wirbelndem Rauche.
Zu Krakow
Sah man die Loh' und den Rauch. Ihn sah das
zitternde Fräulein.
Eine Thräne weinte die Holde dem Elend der
Treuen,
Wischte schleunig die Thräne hinweg, die glänzen -
den Locken
Deckte sie mit dem Helm, mit dem schuppigen
Panzer den Busen.
Also zog sie einher vor dem todeschleudernden
Heerzug:
Also funkelt 'ein freundlicher Stern am Saum des
Gewitters.
Ritogar hörte: Sie kommt! Es kommt die
fürstliche Jungfrau!
Freude durchzuckte sein stürmisches Herz, wie Blitz
durch die Nacht zuckt.
Bald zu kühlen gedacht 'er die Brunst der Lieb' und
der Rache.
15
Nacht sank nieder ins Thal, den arbeitseligen
Menschen
Ruhesäuselnd, den Kummer beschwichtigend, mil -
dernd die Sorgen.
Stirn 'an Stirne lagen die Heere der Rugen und
Lechen,
Weitgestreckt, von der Fette des Landes schwel -
gend. Ein Bächlein
Sonderte sie. Die Feuer des Lagers durchflammten
das Dunkel
Roth und grausig. An einer der halbverloderten
Eichen
Hatte sich Ritogar niedergestreckt, das Haupt auf
dem Schilde.
Ihn umflügelten Schlummer und Traum. Es daucht'
ihm, er ruhe
Neben dem Fräulein von Krakow auf bräutlichem
Lager; und wann er,
Sie zu umfassen, die Arm 'ausstreckte, so waren die
Arme
Welk ihm und schlaff, und wann er mit freundli -
chen Worten ihr kosen
Wollte, so war ihm die Zunge gelähmt. Urplötz -
lich beströmte
Blut das Lager. Urplötzlich begann er zu sinken,
und immer
Tiefer sank er, und immer umnachtender, grausiger,
düstrer
16
Engt' er sich ein. Da kamen sein Vater, und seines
Erzeugers
Vater, und grüssten ihn Sohn! und Willkom -
men! Plötzlich erwachend
Rafft 'er sich auf aus dem nichtigen Traum. Rings
um ihn im Lager
Waren die Feuer erloschen. Tief Dunkel war um
ihn. Der Halbmond
Blickte hervor aus düsterm Gewölk', um auf immer
zu scheiden.
Ängstlicher ward das Schweigen, die Stille stiller.
Dem Helden
Schauerte leis ', und es wehet' ihn an, wie Geister -
geflister.
Guthart, rief er, mein Freund, erwach '
aus täuschendem Schlummer!
Tief ist die Nacht, und das Lager so todt. Die
ermüdeten Krieger
Haben sich niedergestreckt auf ihre Schilde. Nun
lass uns
Wachen für sie, sie wachten für uns, und die
lauernden Feinde
Hüten, dass sie nicht kommen, und Sieg und
Leben uns stehlen.
Guthart raffte sich auf. Gefasst mit der Rechten
die Schwerter,
17
Und mit der Linken die Schilde, durchwallten sie
einsam das Lager.
Guthart, sagte der König, die Nacht ver -
weilet. Noch lange
Säumt es zu tagen. Du hast mir noch nicht von
Wanda, dem holden
Fräulein, erzählt, wie reizend sie sey; wie sie
herrschet in Krakow.
Sprich, ist sie würdig des Kampfes der Männer?
Du sahst sie in Krakow.
Ist sie schön, wie der Ruf sie feyert? Sag 'es mir,
Guthart!
Schön ist Wanda, so sprach mit geflügelten
Worten der Jüngling,
Schön vor allen Fräulein, die je mein Auge ge -
sehen,
Schöner, als Wunna vom Sund, und die weisse
Wisna vom Elbstrom.
Ich vergleiche die Holde dem blüthenduftenden
Frühling,
Einer Sonn 'ihr Gesicht, die Locken rollenden
Strahlen.
Ihre Augen umflort jungfräuliche Blöde. Noch
immer
Seh' ich ihr heiliges reines Leuchten, und sehe
noch immer
2 B
18
Ihre Wangen, zwey nie versiegende keusche Au -
roren,
Sehe die ewigfrischen Lippen, und höre noch
immer
Klingen das Harfengelispel in meiner innersten
Hörkraft.
Reiner ist nicht des Schwanes Hals als der Hals
der Erhabnen,
Blendender nicht der ballende Schnee als der Busen
der Hohen.
Weiss ist ihr Arm, wie weiss! wie weich! und
würdig, der Helden
Ersten in Schlummer zu wiegen. Indem die Hehre
einherging,
Glaubt 'ich Hertha schreiten zu sehn. Indem sich
ihr Busen
Unruhvoll, hochklopfend, halbschüchtern, den
Augen enthüllte,
Fasste mich heilige Scheu, wie sie fasst den Prie -
ster der Hertha,
Wenn er die Göttin sich baden sieht im einsamen
Waldsee.
Hold ist Wanda, ein holder Garten voll Blüthen
und Düfte,
Aber auch gut und weis' und geliebt von den Ihren.
Wir werden's
Inne werden, wann kehret der Tag in der stürmen -
den Feldschlacht.
19
Höre nun auch, wie an Wanda kam das Zepter
der Lechen.
Krakus war Lechus Sohn, und bauete Krakow.
Sein Sohn war
Krakus und Erbe des Zepters der Lechen. Dess
grollte der Jüngre,
Lechus genannt. Er verlockte den Bruder, und
stiess ihm den Jagdspiess
Tief in das Herz. Die schwarze That empörte die
Völker.
Lechus verbanneten sie, und gaben Wanden das
Zepter,
Wanden, der Tochter des älteren Krakus. Des
grauen Erzeugers
Kleinod war sie, so lang 'er lebte. Nun ist sie
der Völker
Preis und Lust, die Perle des Osten, des Kampfes
der Männer
Würdig, so würdig, als Bardengesang und ewiger
Nachruhm.
Ruhm errangen wir uns, sprach Ritogar.
Tönen im Liede
Unsre Namen nicht längst? Was mögen wir wün -
schen, als Liebe?
Freund, es ist Nacht. Was stehn wir und säumen
und eilen nicht längst schon
B 2
20
In der Lechen Lager hinüber! Vielleicht, dass
ich selber
Sie erschaue, sie drücke mit Wonn 'an den klop -
fenden Busen.
Auf, mein Geliebter! Mich schreckt nicht ihrer
Reisige Rasseln,
Nicht die Mauer von Stahl, die ihr Lager um -
funkelt. Die tausend
Tode schrecken mich nicht, die mir grinsen. Ich
will sie erfassen,
Will sie führen mit eisernem Arm in die bräutliche
Kammer.
Freudig durchschritten die Helden das Dunkel.
Des Baches Geriesel
Hemmte sie nicht. Sie erreichten das Lager. Die
flammenden Eichen
Waren erloschen. Von weitem nur glomm noch
dämmernd ein bleiches
Sterbendes Flämmchen. Sie folgten dem Dämmer -
scheine durch Reihen
Schlafender Tausende nach. Sie schliefen Schlummer
des Todes.
Mitten im Lager erblickten sie, siehe! in funkeln -
der Runde
Speer und Lanzen gespiesst. Es schlief bey jedem
der Speere
21
Einer der Starken lethargischen Schlummer. In
Mitten der Runde
Schlief, schön hingegossen, auf duftendem Moose,
die Schneebrust
Rings umschleyert von goldenen Locken, die fürst -
liche Jungfrau.
Heftiger pochte das Herz des kühnen Kriegers. Er
sah sie
Liegen beym blassen Schein der sterbenden Flamme.
Die Flamme
Fackelt noch einmal auf und erlosch. Im locken -
den Dunkel
Tappte sich Ritogar, zitternd jedoch, und mit
schlotternden Knieen
Zu dem schlafenden Mädchen hinzu, umschlang sie,
und hob sie,
Trug sie hinweg mit mächtigem Arm, an den po -
chenden Busen
Dicht sie gedrückt. Laut schrie sie erwachend.
Die Krieger erwachten,
Taumelten auf, ergriffen die Lanzen. Im wilden
Getümmel
Hieben sie blind um sich her. Noch rief das Fräu -
lein. Ihr Rufen
Tönte ferner mit jedem Moment, und dumpfer mit
jedem.
Rings, wo sie rief, erwachte das Lager, erklangen
die Schilde,
22
Klirrten die Speer 'und trafen die Lanzen, und
stürmt' es und tobt 'es.
Durch das Stürmen und Toben erscholl das Rufen
des Fräuleins.
Rings umdrängt sah Ritogar sich. Mit nerviger
Linken
Hielt er das Fräulein, das Schwert mit der Rechten.
So kämpfte, so stritt er,
Bis ihm die Kraft entging. Ihm sank das ringende
Mädchen
Aus dem schwerverwundeten Arm. Die mächtige
Rechte
Schleuderte Wunden und Tod. Und itzt rief Gut -
hart: Was frommt es,
Dass wir fallen unrühmlichen Falls, gleich Dieben
zur Nachtzeit!
Zween sind unser. Der Feinde sind tausend. Was
rasen wir? Tollkühn
Soll nicht der Tapfere seyn. Hinein, dieweil uns
noch Kraft bleibt!
Frisch hinein und hindurch! Und mit grauendem
Tag' an der Spitze
Unserer Schaaren zurückgekehrt, und erstritten
das Fräulein!
Also sprach er. Der König gehorchte dem Rath,
und gewaltig,
23
Unaufhaltsam, zwey Deich und Damm durchbre -
chende Ströme,
Stürzten die Freunde hinein in die drängenden Tau -
sende, brachen,
Pflasterten mitten hindurch sich eine blutige,
weite,
Öde Strasse. Der König entkam. Der wackere Gut -
hart
Strauchelt 'und fiel auf gethürmten Leichen. Es
jauchzten die Feinde.
Herzhaft umringten die Feigen den Fallenden, ban -
den ihn kläglich
Mit zwey mächtigen Stricken, und führten ihn stolz
zu der Fürstin.
Wanda, noch bleich und verstört, erblickte den
Jüngling. Sein Anblick
Regt 'ihr Mitleid. Vergebens sucht sie zu zürnen,
vergebens
Ihr sanftschmachtendes Auge mit Blitzen zu waffnen,
vergebens
Ihrer Stimme rührenden Laut zum Donner zu
schwellen.
Sey uns gegrüsst, o Sohn der Fremde! Und
seh' ich den starken
Ritogar hier in Ketten, in Ketten den Ersten der
Helden?
24
Ritogarn siehst du nicht hier in Ketten, ant -
wortet 'ihr Guthart.
Rügens Löwen zu fahn, sind deine Doggen zu
wenig.
Dennoch sey stolz auf deinen Gefangnen, Fräulein
von Krakow.
Guthart bin ich, der Nächste nach Ritogar! Ihm
der Nächste
An Gewalt und Liebe zu dir, o Schönstes der
Mädchen.
Röthe, so wie sie die Lilie färbt in der Nähe
der Rose,
Leise Röthe, beglänzte der Jungfrau Wangen. Nur
schüchtern
Schlug sie die seidenen Wimpern empor: Und liebt
mich dein König,
Guthart? Liebt mich in Ernst der Mann mit dem
eisernen Arme?
Ob er dich liebe, du Holde, so fragst du,
Tochter von Krakow?
Frage die tausend inbrünstigen Küsse, die er dir
heute
Drückt 'auf den rosigen Mund. Die tausend offe -
nen Wunden,
Die ihm bluten um dich, die frag', ob dich Ri -
togar liebe!
25
Guthart sprach es, und hoch erseufzete Wanda,
und eilends
Wandte sie von dem Dreisten sich weg, und im
schirmenden Dunkel
Überliess sie sich ganz des Herzens süssen Gefüh -
len,
Ganz der Seele dämmerndem Wunsch, und verbor -
genem Ahnen.
Immer noch flammten ihr Ritogars Küss 'auf den
brennenden Lippen.
Immer noch pochte sein schlagendes Herz an dem
Ihren. Noch immer
Klang ihr im innersten Ohr sein schmeichelndes Lie -
besgeflister.
Ritogar schritt indess durch die Nacht und die
Schwerter und Lanzen
Stracks vor sich hin, sprang über den Bach, und
vermisste nun Guthart.
Guthart! rief er, und abermal Guthart! und hun -
dertmal Guthart!
Nicht zu dulden vermocht 'er das dunkele Schicksal
des Freundes.
Schon beschloss er zurückzufliehn, den Bedräng -
ten zu retten,
Oder zu fallen zugleich mit dem Fallenden. Seine
Getreuen
26
Wehrten dem wilden Entschluss. Sie riethen ihm,
Rache zu nehmen,
Rühmliche Rach 'im Antlitz des Tags am Blute der
Feigen.
Also liess er sich kaum bereden, den Tag zu
erwarten.
Als nun der Tag ergraut ', und des Osten Rosen
erblühten,
Rafften die Heere sich jauchzend auf zur freudigen
Feldschlacht.
Als im Osten die Rosen zu lichterem Schimmer
erblassten,
Reihten sie sich den Fluss entlang, zwey stählerne
Mauern.
Als die ersten feurigen Strahlen dem Osten ent -
wallten,
Standen sie fürchterlich schön in stahlgepanzerten
Gliedern
Schimmernd und blendend hinab des Flusses Ufer.
Entgegen
Jauchzten die Schaaren der kommenden Sonne. Der
Hehren entgegen
Hoben sie hoch die geschliffenen Schilde, dass jeg -
licher Wölbung
27
Ihre lodernde Scheib 'entglänzt', und rings das Ge -
filde
Funkelte, wie in des Jänners Nächten die Feste
des Himmels.
Ritogar zäumte sein stattliches Schlachtross.
Schnaubend und scharrend
Bäumt 'es sich wild, schlug sprühende Funken.
Die silberne Trense
Triefte von Schaum. Ein Ahnen durchflog die Seele
des Königs.
Aber sich schnell ermannend, ergreift er die Zügel
des Rosses,
Streichelt den schimmlichten Nacken ihm schmei -
chelnd, führt' es die Reihen
Einmal hinauf und hinab, und schwingt sich ihm hui!
auf den Rücken.
Siehe, nun tummelt er freudig sein freudiges
Ross vor der Stahlwand.
Über und über bedeckt mit leuchtendem Stahle,
wie blitzt 'er
Über und über im Strahle der steigenden Sonne!
Sein Schlachtross
Wieherte, warf in die Luft den trotzigen Nacken.
Der Ostwind
Rollt' auseinander sein Silbergemähn, wie er ballen -
den Schnee rollt.
28
So nicht Wanda, der Lechen Fürstin. Im
Glanze der Schönheit,
In der Unschuld rührendem Reiz, in der stilleren
Würde,
Die die bedrängte Schönheit verleiht, stand einfach
und edel
Wanda auf einer der Höhen, zu schauen den Kampf
der Getreuen,
Ihre Gefahr zu theilen, und mit den Gefallnen zu
fallen.
Also sahen die Holde die Lechen und Rugen.
Sie sahen
Ihre Göttergestalt, der Formen lieblichen Um -
riss,
Sahn ihr Antlitz, den holden, den rosenspriessen -
den Frühling,
Ihre Augen, die lichten, die blauen glänzenden
Himmel,
Ihre Wangen, die nie versiegenden keuschen Au -
roren,
Ihre Lippen, die Heimath des seelegewinnenden
Wohllauts,
Ihren Lilienhals, des seufzersteigenden Bu -
sens
Stolze Wölbung. Sie sahn das ganze Strahlenge -
bilde
29
Jedes Fehlers baar und jeglicher Makel. Die
Krieger,
Wie von heiligem Graun ergriffen, standen und
staunten.
Ritogar gab die Losung der Schlacht. Verge -
bens! Sie standen.
Wie ein gegossener Säulengang stand starrend die
Stahlwand.
Zürnender, stürmender gab der König die Lo -
sung der Feldschlacht;
Aber als hätten geweihete Schauder, geheiligte
Schrecken
Ihnen die Sehnen gelähmt, so entsanken den trotzi -
gen Kriegern
Schwerter und Schilde Mit Männern geziemt es
Männern zu kämpfen,
Nicht mit Göttern, und nicht mit Weibern. Mit
jenen zu kämpfen,
Brächt 'uns nicht Sieg; uns brächte, mit diesen
zu streiten, nicht Ehre.
Männer wollen nur fechten mit Männern So
riefen die Schaaren.
Ritogar stand, wie vom Wetter gerührt; er
stand, und sein Ross stand,
Wie, auf Felsen emporgethürmt, ein eherner Held
steht.
30
Als er aus der Erstarrung erwacht, als bitterer
Ingrimm
Trat an die Stelle der dumpfen Betäubung mit
funkelnder Klinge
Drohet er itzt dem grollenden Volke; dann sprengt '
er verhängten
Zügels, gestreckten Laufs in die dichtesten Reihen
der Lechen.
Reissend, vertilgend, Verheerung rings um sich
breitend, ein Waldstrom,
Welchen schwellte der schmelzende Schnee von tau -
send Bergen,
Wüthet er unter den fliehenden Schaaren. Zerwor -
fen, zerschmissen
Stoben sie auseinander vor ihm, wie Spreu vor der
Worfel.
Einsam in ödem Raum stand Ritogar. Nur aus der
Ferne
Wagten sie ihn zu befehden. Von tausend eibenen
Bogen
Schnellten sie ihre Tod' auf ihn ab. Schon sank
sein Schlachtross.
Schon sank starrend vom Schweiss, vom Blut, und
blutigem Staube,
Umgebrochen vom doppelten Sturm der Lieb 'und
der Rache,
Ritogar auf sein schwankendes Knie. Um den
Sinkenden stürzten
31
Tausend zusammen. Doch Ritogar rief: Den Keu -
ler der Rugen,
Sollten den fahen die Hunde von Krakow? Die
schwindenden Kräfte
Rafft er zusammen, erfasset das Heft, stösst tief
sich, mit weit aus -
Hohlendem Arme, das blutige Schwert in das Herz,
dass dumpf ihm
Scholl die eherne Brust, und unter dem Falle des
Starken
Rings der Boden erdröhnte. Des Fallenden bre -
chende Augen
Zürnten noch, noch zürnte der Mund, und die
zuckende Lippe.
Zeugen des blutigen Schauspiels, wie standen
staunend die Lechen,
Staunender noch die Rugen! Der treue wackere
Guthart
Sprengte die Fessel, entschlüpfte den Wächtern,
ereilte die Rugen.
Sklaven, rief er, ihr feigen, ihr bellenden, klaf -
fenden Hunde,
Gierige Räuber! gewaltig beym Frass und bey
Weibern! im Schlachtfeld
Todtes Aas! mein Freund ist gefallen! gefallen
mein König!
32
Nein, er erlag den Tausenden nicht, nicht den
klaffenden Hunden,
Die ihn umgrinsten. Sich selbst erlag er. Noch
steht ihr und säumet
Rache zu nehmen, zu waschen mit Blut die ewige
Schande!
Nicht die Fluthen des Sund, nicht alle Wasser
der Belte
Mögen waschen die ewige Makel. Von Kindern
zu Kindern
Folgt sie euch unauslöschlich, untilgbar. Nicht
gnügt, sie zu tilgen,
Euer müdester Schweiss, noch der Feinde röthe -
stes Herzblut.
Also schalt er mit herzzerspaltenden Worten die
Rugen.
Aufgeregt von der glühenden Scham, von der lo -
dernden Rachgier
Scharfgestachelt, bestürmten sie nun die Schaaren
der Lechen.
Schwül ward die Schlacht. Der Tag ward schwül.
Den strahlenden Bogen
Hatte die Sonne bereits erstiegen. Noch währte die
Feldschlacht.
Wilder noch ward sie. Es thürmten in Meeren
schäumenden Blutes
33
Dampfende Leichengebirge sich auf. Die goldene
Deichsel
Hatte die Sonne bereits gesenkt. Noch währte die
Feldschlacht,
Noch das Würgen und Fallen, das Jauchzen und
Ächzen der Kämpfer.
Schon entbrannte der Abend. Schon zogen Geyer
und Adler
Langsam, gierigkreischend herum, gleich wandelnden
Wolken.
Itzund waren die Schaaren der Rugen zerschlagen,
zerschmettert,
Wie ein Ährengefild voll wallender Saaten. Der
Sturm war
Auf in der Nacht. Der Morgen ergraut. Nun eilet
der Landmann
Sorgend hinaus, schaut ängstlich um sich, findet
die Stätte
Seiner Saaten nicht mehr. So die Rugen. Vom
Antlitz des Himmels
Waren sie weggerafft, getilgt von der Erde, der
Rache
Wodans gestürzt, und der Schand 'entnervendem, fei -
gem Bewusstseyn.
Nieder wallte nunmehr die Nacht vom thauen -
den Himmel,
2 C
34
Hergefleht der flüchtigen Rugen ermüdeten Schaaren,
Hergesehnt der mordermatteten Schaaren der Sie -
ger,
Hergeschmachtet und hergeweint dem Fräulein von
Krakow.
Ach, nun war sie allein mit ihrem Jammer. Nun
hielt sie
Ihre Thränen nicht mehr. In der Schlucht des ein -
samen Ufers
Sass sie verloren, und jammert 'und schluchzt' und
weinte. Der Halbmond
Spiegelte sich in den glänzenden Thränen: So bist
du gefallen,
Ritogar, Preis der Helden, der Schönheit Blume,
gefallen!
Ach, wie erscholl von dem Stosse die Brust! Wie
beströmte das Blut sie!
Ach, nun liegst du erstarrt! erstummt! Mich liebet
in Zukunft
Keiner! Von mir wird keiner geliebt, in Ewigkeit
keiner!
Also sprach sie und weint 'und schluchzte. Im
schaurigen Mondlicht
Tappte sie durch das Leichengefilde sich hin zu der
Stätte,
Wo vom Staub' und Blut 'entstellt der schlafende
Held lag.
35
Eine der goldenen ringelnden Locken entschnitt sie
dem Schläfer,
Rings um den Finger rollte sie sie Sieh' da, den
Trauring!
Siehe, wie glänzt sein Gold, wie schmiegt er sich
treu um den Finger!
Dir gelob 'ich, mich nicht von dir zu scheiden
auf ewig!
Dir gelob' ich, bey dir zu bleiben, und bey dir
zu wohnen,
Dir dein Küssen von Staub zurecht zu legen, mich
selber
Neben dich hinzustrecken in Küssen von Staub und
zu sterben!
Also verging ihr die öde Nacht in einsamen
Jammer.
Als nun der Tag ergraut ', und des Osten Rosen
erblühten,
Machten die Schaaren der Lechen sich auf zum stol -
zen Triumphzug.
Als im Osten die Rosen zu lichterem Schimmer
erblassten,
Schmückten sie einen vergoldeten Wagen. An schim -
mernder Deichsel
C 2
36
Schirrten sie vier schneeweisse Rosse, die Fürstin
zu führen.
Als die ersten Strahlen der Sonne dem feurigen
Osten
Golden und roth entwallten, begann der stolze
Triumphzug.
Schön war der Morgen, wollüstig schön. Die hül -
lenden Nebel
Waren so eben hinabgeworfen vom Strahle der
Sonne.
Perlend lag die Erde nun da in bräutlicher Schön -
heit.
Brünstig bebt 'ihr duftender Schooss des blumigen
Frühlings
Heisser Umarmung entgegen. In Wandens Busen
erwachte
Unauslöschlicher Schmerz. Trübsinnig bestieg sie
den Wagen.
Als nun die Weichsel entlang der triumphirende
Zug zog,
Als in der Wogen Donnergetös ', in der Räder Ge -
rassel,
In der Rosse freudiges Wiehern, den Jubel des
Heerzugs
Immer Wanda erscholl, und immer Ritogar!
Heil dir
37
Wanda! er liegt, er modert im Staube, der trotzige
Freyer!
Plötzlich entsprang die geweihete Jungfrau dem rol -
lenden Wagen.
Eilenden Laufes, mit wehendem Haar und flattern -
dem Schleyer,
Flog sie das stickelste Ufer hinan, mit verbreiteten
Armen.
Angesichts des staunenden Heers und des schauen -
den Himmels,
Warf sie vom schroffesten Hang sich hinab in die
Wasser der Weichsel.
Dumpf auf tos'te die Fluth. Die Ufer donnerten.
Weit auf
That sich des Flusses blauer Schooss, und führte das
Fräulein
Tief hinunter in seine stillste heiligste Grotte.
Doch Allfader gebot dem Flusse, das liebliche
Fräulein
Weiter zu führen ins Grab der Natur, ins heilige
Weltmeer.
Dort liegt Wanda, und schläft. Es hat Allfader
sie selber
In das grundlose Grab versenkt des heiligen Welt -
meers.
38
Ritogar lag noch immer im Felde. Es thaute
der Morgen
Über ihn her. Es umweht 'ihn des Abends kühlen -
der Fittig.
Geyer und Adler zu tausend umschwärmten ihn.
Aber des Helden
Hatte sich Wodan erbarmt, und bedeckt' ihn mit
ehernem Schilde,
Dass kein Vogel der Luft, kein Thier des Feldes
noch Waldes
Mit nur einer Klau 'ihm sich nahte, dass keine Ver -
wesung
Seine Gestalt verderbte, noch Fäulniss die Glieder
versehrte.
Also lag er, von Wodans Schilde bedeckt, neun
Tage.
Mit dem zehnten erschien der treue, wackere Gut -
hart.
Ihn geleiteten zwanzig der tapfersten Diener des
Fürsten.
Diese erhuben die heilige Leiche. Mit traurigem
Pompe
Führten sie sie durch das feindliche Land in das
heimische Eiland.
Keiner der Lechen befehdete sie. Es störete
keiner
Ihren Zug. Sie waren betäubt vom Tode der Fürstin.
39
Als mit den Helden der todte Held in das hei -
mische Eiland
Rückkam, ward ihm sein enges Haus bereitet. Es
ward ihm
Über das enge Haus ein Hügel geschüttet, vor an -
dern
Herrlich und hoch und weit zu schaun. Auf dem
Gipfel des Hügels
Thürmten sie einen gewaltigen Stein. Um den mäch -
tigen wurden
Reiser gepflanzt der heiligen Eich '. Im Antlitz des
Himmels
Wuchsen die Zarten empor zu himmelanrauschenden
Bäumen,
Haben nun tausend Jahr' auf dem Hügel gerauschet.
Noch heute
Rauschen sie, leiser jedoch, mit minderen Zwei -
gen, mit ärmerm
Laube, mit berstendem Stamm ', und erdwärts sin -
kendem Wipfel.
Eich ', auch deine Kraft neigt sich zu Grabe.
Bald wirst du
Staub seyn. Hügel, du wirst zur Kluft einsinken.
Dich selber,
Mächtiger Quarz, auch dich wird der Zahn zer -
malmen der Zeiten!
40
Alles vergeht. Es vergeht der Held und des Helden
Denkmal.
Hügel des weissen Gesteins, der tausendjährigen
Eiche
Grauer Nährer, du wölkst mit Wehmuth die Seele.
Mir rieseln
Thränen die Wangen hinab, mit den Tropfen des
thauenden Spätroths.
Alles vergeht! Es vergeht der Held und des Helden
Denkmal.
Ach, nicht trösten würd 'ich mich können; in -
ssigem Grame
Würd' ich vergehn, und rosten lassen die Harf 'an
der Eiche,
Rauschte die Leyer Homers mir nicht durch den
ewigen Lorbeer,
Lispelte nicht aus verwitternden Eichen die Harfe
von Cona:
Alles vergeht! Es vergeht der Held und des Hel -
den Denkmal.
Aber die Stimme des Liedes mag nimmer verhallen,
verklingen,
Nimmer der Saiten Klang, die Phöbos weihet' und
Braga!
41

Frühgesang.

Der Aufgang flammt. Der Abend steht düsterblau.
Im klaren Äther schwimmet erblasst der Mond;
Denn schon erblühn Aurorens Wangen,
Thauend und frisch, wie die deinen, Rosa!
Erwacht, ihr Leben alle! Lobsingt dem Herrn!
Lobsing 'ihm, Lerche, Drossel und Nachtigall!
Brüllt euern Dank ihm, satte Heerden!
Wiehert ihm Rosse! frohlockt ihm, Adler!
Neig 'ihm die Häupter, wallender Aehrenwald!
Hauch' ihm Gerüche, thymianreiche Flur!
Erduftet, Wiesen! flistert, Hayne!
Rieselt, ihr Quellen, und donnre, Weltmeer!
42
Erwach 'in deiner Schöne, Holdselige!
In deiner Strahlenfülle, Goldlockige!
Erwach' und schüttle, Sonne Gottes,
Segnend den Thau aus den goldenen Locken!
Schau, sie erwacht! Wie lächelt die Freundliche!
Wie glüht ihr Mutterantlitz! Wie liegt die Erd '
Anbetend vor ihr, schauert Düfte,
Wimmert Entzücken, und jauchzet Freude!
Kraft meines Geistes, schwinge dich, Ewige!
Schlag meines Herzens, schlage gewaltiger!
Rauscht fey'rlich, meine frommen Saiten!
Mehret den Jubel der Morgenschöpfung!
Wem tönt mein unentheiligter Frühgesang?
Wem flammt die Flamme meiner entbrannten Brust?
Urschöner dir, und deiner Schönheit
Lichtestem, holdestem, hellstem Abglanz!
Wem weih 'ich diese trauten Vergissmeinnicht?
Die erste, Unvergesslicher, weih' ich dir!
Die zweyte deines reinen Odems
Reinster, unsträflichster, schönster Tochter!
43

Die Erscheinung.

Ich lag auf grünen Matten,
An klarer Quellen Rand.
Mir kühlten Erlenschatten
Der Wangen heissen Brand.
Ich dachte diess und jenes,
Und träumte sanftbetrübt
Viel Süsses mir und Schönes,
Das diese Welt nicht giebt.
44
Und sieh, dem Hayn entschwebte
Ein Mägdlein sonnenklar.
Ein weisser Schleyer webte
Um ihr nussbraunes Haar.
Dem hellen Aug 'entglänzte
Des Äthers reinstes Blau.
Die frischen Wangen kränzte
Die schönste Rosenau.
Um ihre Lippen schwebte
Ein Lächeln hold und gut.
An ihren Wimpern bebte
Der Thau der Wehemuth.
Ihr Auge mild 'und thränend,
So wähnt' ich, meinte mich
Wer war, wie ich, so wähnend!
So selig, wer, wie ich!
Ich auf, sie zu umfassen
Und ach! sie trat zurück.
Ich sah sie schnell erblassen,
Und trüber ward ihr Blick.
Sie sah mich an so innig,
Sie wies mit ihrer Hand
Erhaben und tiefsinnig
Gen Himmel, und verschwand.
45
Fahr wohl, fahr wohl, Erscheinung!
Fahr wohl! Ich kenn 'dich wohl!
Und deines Winkes Meinung
Versteh' ich, wie ich soll!
Kein Lieben und kein Loben
Verdient der Erde Tand.
Nur droben strahlt, nur droben
Der Liebe Vaterland!
46

An Odalia.

Unser Leben verwallt, meine Odalia!
Unser Jubel erstummt, unser Gejammer schweigt,
Wie ein Lächeln im Antlitz,
Wie ein Ächzen in weiter Luft.
Tage schmelzen wie Schnee, Monden wie Schlossen
hin;
Jahre schwinden wie Hauch. Wieder verrollt ist eins,
Eins der schönsten, Geliebte,
Die mir schwanden im Schwung der Zeit.
47
Dich, Odalia, dich führte das freundliche
Schon verscheidende Jahr mir in den heissen Arm,
Dich, du Reine und Milde,
Dich, du holde Vertrauliche!
Manches selige mal sah es mich frey und froh,
Dir und Rosen am Arm, wandeln auf stiller Flur,
Zwischen Blumen des Frühlings,
Zwischen Herbstesverwelkungen.
Manches leise Gefühl färbte die Wange dir;
Manches dämmernde Weh trübte dein blaues Aug '.
Säusel fassten dich, Milde!
Stürme Gottes mich Wilderen!
Selten haucht 'ich es aus, was mir den Busen hob;
Selten riss es sich los, was mir im Herzen rang.
Denn ich hass', es zu sagen,
Was der Rede zu mächtig ist.
Ohne Red 'und Gesang fasst uns der Edlere.
Auch mit Red' und Gesang fasst uns der Rohe nicht.
Gleichbesaitete Herzen
Ahnden, suchen, erkennen sich.
48
Schweigend sass ich bey dir, meine Odalia;
Stumm und schweigend bey dir unter dem Bogengang,
Im Gedämmer des Abends
Im wehmüthigen Mondenschein.
Schweigend stand ich bey dir unter den grausenden
Burggewölben. Ihr wart, grausende Trümmer, mir
An Odaliens Busen
Ein krystallenes Feyenschloss.
Schweigend sahest du mich, moosiger Golchaberg,
(Durch den herbstlichen Flor weinte die bleiche Sonn ')
Sahst mich glühend und schweigend
In Odaliens Armen ruhn.
Denk, Odalia, mein, wenn du auf Fluren wallst,
Wo ich wallte mit dir, unter dem Bogengang,
Durch die Flieder des Schlosses,
Auf dem heiligen Golchaberg.
Denk, Odalia, mein, bis du dich selbst verlierst,
Bis der Räuber dein Herz raubet, dem keins entrann:
Dann vergiss mich, Geliebte;
Denn ich hass 'es, der Zweyte n.
49
Mehr, denn starrenden Frost, hass 'ich den lauen Sinn.
Warm und weich ist mein Herz, trotzig und stolz
zugleich,
Tauscht nur Flammen um Flammen,
Wechselt Freundschaft um Freundschaft nur.
Innig gibt es sich hin, wo man sich wiedergibt,
Schauert plötzlich zurück, fühlt es die Gluth verkühlt,
Bricht demantene Ketten,
Wie du Fäden versengst und brichst.
Dennoch will ich an dich denken, und bist du gleich
Längst erkaltet, noch lang deiner Vortrefflichkeit,
Deiner Tugend und Schöne
Mich erinnern, Odalia.
Sey glückselig! Was ist wahre Glückseligkeit?
Reines Herzens zu seyn! schauen mit Ruheblick
In die Tage, die waren,
Und in jene, die künftig sind.
Sey glückselig! Was ist Menschenglückseligkeit?
Vollen Herzens zu seyn, offner und treuer Brust!
Thränen tauschen um Thränen,
Lieb 'um Lieben, und Gluth um Gluth!
2 D
50
Sey glückselig! Was ist Wonne des Edleren?
Die glückselig zu sehn, welche ihm theuer sind!
Diess - und jenseit der Urne
Sey glückselig, Odalia!
51

An Kiesow's Fluren.

Seyd mir gegrüsst, ihr grünenden Gefilde!
In euch wird mir so traurig wohl!
Mein trotzig Herz zerschmilzt in eurer Milde,
Des Busens Leere strömt so voll!
In euren freyen weiten Räumen
Erweitert sich mein Geist, umfängt die ganze Welt
Mit Liebe, wieget sich in Paradiesesträumen,
Und fühlt sich wieder Mann und Held!
Krystallne Bäche, dichtbebuschte Höhen,
Ihr Gärten sonder Kunst und Prunk,
Ihr stillen himmelklaren Seen,
Du holde Haynesdämmerung,
Ihr feyerlichen Tannenwälder
Voll Rauschens des Allgegenwärtigen,
Grasreiche Triften, saatengrüne Felder
Voll Segens des Allliebenden;
D 2
52
O welche Ruh, o welcher tiefste Friede,
Umsäuselt mich in eurem Schooss!
Ihr heilt des Wallers Lebensmüde,
Und söhnt ihn aus mit seinem Thränenloos.
Der erste Strahl der froherwachten Sonne
Küsst mich zu jungen Freuden wach,
Und ein Geflecht von ächter Lebenswonne
Umschlingt den vollgenossnen Tag.
O, möchte doch der Abend meiner Tage
In euren Schatten mir verwehn!
In euren Schatten wehmuthvoller Klage,
Mir meine Sonne niedergehn!
O, wehte wenigstens auf meinen Aschenhügel
Der Herbstwind euer röthlich Laub,
Und mischete des Sommerhauches Flügel
Mit eurem stillen Staube meinen Staub!
53

An Dieselben. (Zehn Jahre später gedichtet.)

Verkläre deinen Schleyer,
O herbstliche Natur!
Erschein 'in deiner Feyer,
O meine Lieblingsflur!
Entwölket euch, ihr Felder,
So freundlich, lieb und hold!
Erglänzt, erglänzt, ihr Wälder,
Im Abendsonnengold.
54
Ihr ewiggrünen Matten,
Ihr sanfgewölbten Höh'n,
Ihr düstern Tannenschatten,
Ihr spiegelklaren See'n,
Ihr kalmusreichen Wiesen,
Ihr Hayden, braun und wüst,
O seyd, seyd mir gepriesen,
Seyd herzlich mir gegrüsst!
Ich seh ', ich seh' euch wieder;
Und wie ich euch verliess,
So find 'ich ganz euch wieder,
So freundlich, lieb und süss.
Ihr dämmert noch so schaurig,
Ihr jubelt noch so laut,
Ihr lispelt noch so traurig,
Und schattet noch so traut!
Ihr seht, ihr seht mich wieder;
Und wie ihr sonst mich saht,
So seht ihr ganz mich wieder
An Art und Kraft und That.
Mein Herz ist noch so offen,
So schwärmend und so wild,
Mein Sehnen und mein Hoffen
Noch immer unerfüllt.
55
Ihr friedenvollen Felder,
Ihr thauberauschten Au'n,
Ihr feyerlichen Wälder,
Durchweht von heilgem Graun,
Umweht, umweht den Müden
Mit eurer tiefen Ruh,
Und lispelt euren Frieden
Dem heissen Schwärmer zu.
Auf euren braunen Hayden,
Im Busch, im Bruch, am Bach
Verschwärmen und vergeuden
Den langen Sommertag;
Beschirmt von euren Bäumen,
Gestreckt auf duftend Moos,
Die laue Nacht verträumen
O neideswerthes Loos!
O, nehmt in eure Wonne
Den müden Waller auf!
Es endet schon die Sonne
Den hohen Heldenlauf.
Der braune Abend schleyert
Den Forst, die Flur, die Fluth.
Die matte Schöpfung feyert,
Und alles Leben ruht.
56

An Rosa.

Warum bist du nicht hier, meine Geliebteste,
Dass mich gürte dein Arm, dass mich dein Händedruck
Labe, dass du mich pressest
An dein schlagendes Schwesterherz.
Rosa, bist du mir hold? Rosa, so hold, wie ich,
War dir keiner, und wird keiner dir wieder seyn
Von den Söhnen der Erde,
Von den Söhnen Elisiums.
57
Wärmer, Rosa, fürwahr, wärmer und zärtlicher
Könnte nimmer für dich schlagen mein fühlend Herz,
Hätt 'Ein Schooss uns geboren,
Hätt' uns einerley Brust gesäugt.
Matte labet der Quell, Müde der Abendstern,
Irre Wandrer der Mond, Kranke das Morgenroth;
Mich erlabet, Geliebte,
Dein Umfangen am kräftigsten.
Warum bist du nicht hier, meine Vertrauteste,
Dass dich gürte mein Arm, dass ich dir süssen Gruss
Lispl 'und feurig dich drücke
An mein schlagendes Bruderherz.
58

An Dieselbe.

Rosa, denkst du an mich? Innig gedenk 'ich dein.
Durch den grünlichen Wald schimmert das Abend -
roth,
Und die Wipfel der Tannen
Regt das Säuseln des Ewigen.
Rosa, wärest du hier, säh 'ich ins Abendroth
Deine Wangen getaucht, säh' ich vom Abendhauch
Deine Locken geringelt
Edle Seele, mir wäre wohl!
59
Lieber lehn 'ich an dir, als an der Einsamkeit
Trautem Busen. Mir klingt süsser der Flötenton
Deiner klagenden Stimme,
Als das Säuseln im Tannenhayn.
Oft umfingest du mich, meine Holdselige,
Mit vertraulichem Arm, wenn ich an deiner Brust
Melancholischen Frieden,
Schwärmens müde, mich rettete.
Jedes leisere Weh, jedes verschwiegne Ach,
Das den Busen mir presst, haucht 'ich dir öfter aus,
Schöpfte freyeren Odem,
Klomm' heroischer felsenan.
Nie soll darum ein Freund meiner holdseligen
Rosa mangeln, und nie Milderung ihrem Gram!
Nie sey trostlos ihr Leiden,
Ihre Urne nie blumenleer!
60

Die Täuschung.

Im Erlenbusch, im Tannenhayn,
In Sonn - und Mond - und Sternenschein
Umlächelt mich ein Bildniss.
Vor seinem Lächeln klärt sich schnell
Die Dämmerung in Himmelhell,
In Paradies die Wildniss.
Es säuselt in der Abendluft,
Es dämmert in dem Morgenduft,
Es tanzet auf der Aue.
Es flötet in dem Wachtelschlag,
Und spiegelt sich im klaren Bach,
Und badet sich im Thaue.
61
Es naht in holder Traulichkeit
Sich mir in tiefster Dunkelheit
So schüchtern und so leise.
Es lullt mich wohl in sanfte Ruh,
Und haucht im Schlaf mir Träume zu
Von wundersüsser Weise.
Ich öffn 'ihm sehnend meinen Arm,
Und streb', es traut und liebewarm
An meine Brust zu drücken.
Ich hasch ', und hasche leere Luft.
Und nichtig, wie ein Nebelduft,
Entwallt es meinen Blicken.
Wer bist du, holdes Luftgebild,
Das engelhold und engelmild
Mit Schmerz und Lust mich tränket?
Bist du ein Bothe bessrer Welt,
Der mich aus diesem öden Feld
In seine Heimath winket?
O fleug voran! Ich folge dir.
Bey dir ist Seligkeit, nicht hier.
Sprich, wo ich dich erfasse,
Und ewig dicht an dich geschmiegt,
Und ewig fest an dich gefügt,
Dich nimmer, nimmer lasse!
62

Die Wehmuth der Erinnerung.

Schöner herbstlicher Tag, dunkel und schön zu -
gleich,
Welches ahnende Weh, welche Melancholie
Weckt dein traurendes Lächeln
In des Wandrers empörter Brust!
Welk ist jegliches Grün. Jeder Gesang ist stumm.
Jeder Schimmer erblasst, jeglicher Saft versiegt.
Laublos trauren die Bäume,
Schmucklos jammert die Blumenflur.
63
Wenig schwirrendes Laub, golden und bunt schattirt,
Wenig welkendes Laub schmücket die Laube noch,
Wo ich träumend und wähnend
An Odaliens Busen lag.
Abend war es. Der Mond flimmerte durch das
Laub.
Blüthen bebten im Thau. Düfte umwallten uns.
Blühender, duftender, schöner
Sass Odalia neben mir.
Hingesunken an sie, innigst geschmiegt an sie
Träumt 'ich seligen Traum, schmolz in Vergessen -
heit,
Bis das Flistern der Blätter
Mich dem seidenen Traum entriss.
Itzund flistern sie nicht. Jedes Gelispel schweigt;
Jeder Jubel verhallt; jedes Gedüft verweht.
Schlaff ist jegliche Sehne,
Leer der Köcher der Schöpferin.
Jede Blüthe verblüht, welche der Lenz gebar,
Jede Schöne verwelkt, welche dem Staub 'ent -
spross.
Doch die schönere Seele
Blüht unsterblichen schönen Lenz.
64
Ewig jugendlich blüht meine Odalia,
Jeden kehrenden Lenz schöner und blühender,
Jeden rollenden Äon
Reiner, edler, vollkommener.
Ewig flammet die Gluth heiliger Sympathie.
Nie ermattet der Zug, welcher mich zu dir zog,
Meine Reine, als Ahnung
Deines Werthes mein Herz ergriff.
65

Des Siechen Flehgesang.

Auf welchen Fluren wandelt Odalia?
In welchen Lüften athmet die Herrliche?
Wo trinkt ihr dunkelblaues Auge
Friedlich und liebend das Licht des Himmels?
O komm 'in deiner rührenden Mädchenhuld!
In deiner herzgewinnenden Milde, komm!
In meinen Adern lodern Flammen;
Blitze durchzücken die siechen Schläfe.
2 E
66
O komm 'in deiner freundlichen Innigkeit!
In deiner unentheiligten Reine, komm'!
Denn deine Stirn 'umleuchtet Ruhe,
Heilung entträufelt den Honiglippen.
Ein Augenblick Hinsinkens an deine Brust,
Ein Augenblick Umschlingens von deinem Arm,
Erlabt mich, wie dein Flügelwehen,
Engel des Heiles und des Genesens.
67

Das Erwachen.

Schau, der Morgen erwacht über der Winterwelt.
Lunens Silber erbleicht; Phosphoros Gold erlischt;
In den Locken der Eos
Welkt der duftende Rosenkranz.
Luna, warum so blass? Eos und Phosphoros,
Wie so eilig zur Flucht? Säumet, o säumet noch!
Hellt Odaliens Fenster!
Winkt: Erwache! der Schlummernden!
Oda, Oda erwach! Siehe die Morgenwelt
Jauchzt im Schimmer des Tags. Luna und Phosphoros
Und die rosige Eos
Säumen, Lächelnde, dich zu schaun!
E 2
68
Oda, Oda erwach! Hört sie des Sängers Ruf?
Leise regt sich ihr Mund; leiser ihr Arm. Sie
schlägt,
Schau, die leuchtenden Augen
Gleich zwei schwellenden Himmeln auf.
Höher schwillt ihr die Brust; lauter erklopft ihr
Herz.
Wem erklopft es? Es klopft, Vater der Leben,
dir,
Der den Morgen mit Rosen,
Der mit Strahlen den Mittag lockt.
Leise Wehmuth bewölkt ihren gesunknen Blick.
Sehnsuchtseufzer entwehn ihrer gehobnen Brust.
Ach, sie wehn dem Beglückten,
Den ihr schweigendes Lieben meint.
Oda, Oda! und Ihm steiget 'dein Busen nicht,
Oder steigt ihm so spät, der von dem Dämmerstrahl
Des ergrauenden Morgens
Bis zur schattenden Nacht dein denkt?
Dieses spätere Ach, wähnst du, genüge mir?
Dieser flüchtige Blick? Laue, ich hasse dich!
Ich verachte den Handdruck,
Der der zögernden Hand entfährt.
69
Unmuth wandelt mich an, dumpfe Erbitterung,
Menschenfeindlicher Grimm Schau, ich zerreiss
den Kranz,
Der die Stirne mir schattet,
Und zerschmettre mein Saitenspiel.
Dunkel wölke den Tag, der mich gebären sah!
Rückzukehren zu mir, schwingt er den Fittig
schon.
Aber Dunkel umrolle,
Hagelwetter umrassle ihn!
Also sang ich und schwieg. Meine verstummende
Harf 'entbebte der Hand. Luna und Phosphoros
Dauchten Rachekometen,
Und das Frühroth mir Weltenbrand.
Schau, da lächelte mir durch der Melancholie
Starres Dunkel dein Bild, meine Odalia.
Wehmuth wölkte dein Auge;
Klag 'entbebte dem Rosenmund.
Warum, Sohn des Gesangs, warum ergrimmst du
mir?
Klag 'Odalia nicht, klage das Schicksal an,
Das demantene Riegel
Zwischen dich und dein Mädchen schob!
70
Oda, Oda vergib! Wusst 'ich es doch, dass nicht
Dein tieffühlendes Herz, dass das Verhängniss dir,
Meinem Arm zu entstreben,
Meinem Kuss zu entfliehn, gebeut.
Dennoch trauert mein Geist, dennoch umschattet
mich
Nie versiegender Gram, dass mit Titanenarm
Dich das eiserne Schicksal
Meinem sträubenden Arm entriss.
71

An Molly.

Riesle, riesle, mein Gesang,
Auf des Wohllauts Silberwellen!
Voll, wie voller Herzen Drang,
Sanft, wie sanfter Busen Schwellen,
Süss, wie Turteltaubenach
Und Sulvinens Nachtigallschlag.
Werde Morgendämmerung,
Trübsinn, welcher mich umnachtet!
Wehe mir Begeisterung,
Liebesgeist, der mich durchschmachtet!
Heute will ich fröhlich seyn,
Will mich meiner Molly freun.
72
Molly, Molly, Liebliche,
Reine duftende Narcisse,
Ungesonnte Lilie,
Unentadelte Melisse,
Heute, Traute, will ich dein,
Will mich deiner Schöne freun:
Deines Blickes sanft und klar,
Deines Handdrucks warm und herzlich,
Deines Ausdrucks treu und wahr,
Deines Kusses, süss und schmerzlich,
Deines Geistes, engelhold,
Hell wie Tag, und ächt wie Gold.
Rosa, reiche mir den Arm!
Lass uns hin zu Molly fliegen!
Lass uns innig, lass uns warm
Uns an ihren Busen schmiegen!
Molly ist nicht dein allein;
Molly, Rosa, ist auch mein!
Ach, und hielte Finsterniss
Mein Verhängniss nicht umflügelt,
Wäre mir zum Paradies
Nicht das goldne Thor verriegelt
Wahrlich, Rosa, mehr als dein
Sollte Molly meine seyn.
73
Sage, meine Liebliche,
Meine Süsse, meine Reine,
Meine Sehnsuchtswürdige,
Meine auserwählte Eine,
Sage: wolltest wohl nicht mein,
Wohl nicht ganz die Meine seyn?
Wolltest mit dem lieben Arm
Mich wohl treu und fest umfassen?
Mit mir theilen Lust und Harm,
Einst an meiner Brust erblassen,
Mir zur Seite schlafen gehn,
Mir zur Seiten auferstehn?
Rosa, Schwester, komm mit mir.
Lass uns im verschneyten Garten,
Im verstörten Blumrevier,
Blumen, die die Stürme sparten,
Blumen suchen, und daraus
Winden einen trauten Strauss.
Hier ist falber Rosmarin;
Hier ist ein Resedasprössling,
Hier der Myrte Immergrün,
Hier ein später Nelkenschössling.
Rosen und Vergissmeinnicht,
Liebes Mädchen, find 'ich nicht.
74
Wüsst 'ich, dass im Tannenthal,
In des Golchaberges Gründen,
Auf dem alten Schanzenwall
Noch die wilden Nelken stünden
Dich zu kränzen, Preisliche,
Flög' ich hin durch Eis und Schnee!
Aber ach! der barsche Nord
Hat die Zarten weggeblasen.
Kaum die Stengel, halb verdorrt,
Stehn noch auf dem welken Rasen
Nimm indess von lieber Hand
Dieses apfelgrüne Band.
Lass es dir vom weissen Hut
Um die braunen Locken schwirren,
Oder seine grüne Fluth
An dem hohen Busen girren.
Aber lass sein leises Flehn
Auch nicht unerhört verwehn.
Sieh, es fleht: Gedenke mein,
In des Morgens Rosenschimmer!
In des Mondes blassem Schein,
Wann er seine Silberflimmer
Auf dein einsam Lager giesst,
Einsam deine Thräne fliesst.
75
Wenn die Flur im Abendkühl,
Und im Thaugedüft erschauert;
Wenn wehmüthiges Gefühl
Aus dem Spätroth niedertrauert:
Dann, Geliebte, denk ich dein;
Dann, du Edle, denke mein!
Immer, Theure, denk 'ich dein,
Von des Morgens Dämmerstrahle
Bis sich Gottes Sterne reihn
An des Himmels blauem Saale,
Wann die Mitternacht mich deckt,
Und der Sehnsucht Sturm mich weckt.
Dein gedenkt mein selger Geist,
Wenn ich ausgetrauert habe,
Meinen Staub die Urne schleusst,
Und auf meinem stillen Grabe
Sanft die Abendröthe weint,
Blass und kalt der Vollmond scheint.
Dann wird aus der Lacher Schwarm
Aus der Freude Taumelhallen,
Molly an Rosaliens Arm
Zu dem stillen Hügel wallen,
Schweigend auf ihn niedersehn,
Und dem Schläfer Ruh 'erflehn.
76
Fühlt ihr's nicht, wie leisen Kuss,
Mädchen, eure Wangen rühren?
Wisst, es war mein Genius!
Auch in Edens Blumrevieren
Blüht die Blum 'Erinnerung
Ewig schön und ewig jung!
77

An Sulvina.

Erste der Mädchen, du Edelste Beste,
Traulich, wie flisternde Schatten am Bach,
Treu, wie des Himmels saffirene Feste,
Zärtlich, wie flötender Nachtigallschlag,
Siehe, wie feyern, wie fröhlich, o Beste,
Feyern wir deinen gesegneten Tag!
Dass wir dich haben, und dass du uns liebest,
Dass uns umgürtet dein freundlicher Arm,
Dass du mit uns dich erfreust und betrübest,
Dass du uns lächelst in Lust und in Harm,
Dass du der Tugenden Beyspiel uns giebest
Fühlen wir heute so innig, so warm!
78
Heiter, Geliebte, verwalle dein Leben,
Freundlich, wie Quellengeriesel im Hayn!
Jedem erblassenden Tag 'entschweben
Seelen, wie Engel, so lächelnd, so rein!
Heiss ist dein Ringen, und schön ist dein Streben,
Nützlich und theuer den Deinen zu seyn!
Nützlich, du Edle, und theuer den Deinen,
Wandle die Wallfahrt der Erde hinab!
Ruhe umarm 'dich in kühlenden Haynen,
Frömmigkeit reiche dir Anker und Stab?
Redliche werden den Rasen umweinen,
Welcher einst hüllet dein hüglichtes Grab.
Aber der himmlischen Heimath der Tugend
Schwinget die rechte Sulvina sich zu,
Wandelt dort oben in ewiger Jugend,
Ruhe folgt Thaten, und Thaten die Ruh.
Siehe, sie klimmet von Tugend zu Tugend,
Kräftiger, seliger jegliches Nu.
Liebe, Geliebte, die Himmlische immer.
Lilien welken und Rosen verblühn.
Welten zerfallen in grausige Trümmer;
Sonnen erlöschen und Sterne zersprühn.
Thätige Tugend glänzt ewigen Schimmer;
Nimmer verwelkt ihr unsterbliches Grün.
79

Elegie. An Minona.

Warum bist du so ernst? und warum thauet die
Thräne
Deine glühende Wang ', edeles Mädchen,
herab?
Warum hüllet dich Dunkel, und warum wölket
dich Trübsinn,
Da der Morgen dich weckt, welcher ins
Daseyn dich rief?
Wallen etwa die Schatten der abgeschiedenen Stun -
den
Deine Seele vorbey? Siehst du die flüch -
tige Schaar
80
Deiner Monden und Jahre sich stürzen in drängen -
den Wogen,
In der Vergangenheit alles verschlingendes
Meer?
Rufst du die Freuden zurück, die dir im Schoosse
der Vorzeit
Blühten? Winkst du dem Gram, welcher
dich trübte, zurück?
Lass sie ruhen! Sie sind verschwunden, wie nich -
tige Schatten.
Lass ihn schlummern! Er schläft in der
Vergessenheit Nacht.
Freue dich deiner Jugend. Noch gürtet ihr rosiger
Gürtel
Deine Hüfte; dein Haar ringelt die Freund -
liche noch.
Freue dich deines Seyns; denn süss ist Seyn, und
erfreulich
Ist es zu athmen. Und schön lächelst du,
seliges Licht.
Perlen streuet die Sonn' im Aufgang, Perlen im
Abend.
Freundlich leuchtet der Mond über die
schlummernde Welt.
Lüstern lächelt die Erd 'am Bräutigamsbusen des
Frühlings.
Leise pflücket der Herbst ihre Verwelkun -
gen weg.
81
Feyerlich ruht sie im Leichengewande des blenden -
den Schneees,
Bis sie verjüngt und verschönt wieder den
Gräbern entblüht.
Ja, es ist süss zu athmen auf Gottes herrlich be -
gabter
Schöner Erd'. Es ist Wonne, zu wandeln
auf ihr.
Wonne ist es, zu schaun des Frühlings funkelnden
Brautschmuck,
Wonne zu schauen den Wald glimmen im
silbernen Reif.
Hohe Wonn 'ists zu schaun des Menschen göttliches
Antlitz,
Glühend von tiefem Gefühl, feuernd von
Thatenbegier.
Höhere Wonn' ists, Herzen erobern, am Busen der
Freundschaft
Hoch aufathmen, im Arm liebender Lieb -
linge ruhn.
Aber die höchste der hohen, der seligen Wonnen
ist Wohlthun,
Übung der eigenen Kraft, Leistung der hei -
ligen Pflicht.
Diese Wonne sey dein! In dieser Wonnen Um -
schlingung
Möge dein Leben so hell, meine Geliebte,
verwehn,
2 F
82
Mög 'es vergleiten, wie Mondenschimmer auf spie -
gelndem Meere,
Mög' es verschweben, wie Hauch über den
Saiten verschwebt!
Mädchen, noch trittst du einher im Strahlengewande
der Schönheit,
Leicht, wie ein athmender West, blühend,
wie Blüthe des May's.
Deine Wange beschämt Aurorens glühende Wan -
ge;
Deines Busens Schnee blendet den blenden -
den Schaum,
Welcher den Fluthen entrollt. Der Locken däm -
mernde Nebel
Wallen ringelnd und voll rings um den wöl -
benden Hals.
Flamme des Himmels beseelt dein schimmerrollendes
Auge.
Lautenlispel entquillt deinem Gespräch und
Gesang.
Aber, wie bald, Geliebte, wie bald zerflattert der
Schönheit
Seifenblase! wie bald sinket der nichtige
Schaum!
Jene Rosen sind welk und jene Lilienblüthen
Störte der Sturmwind herab; jenes gerin -
gelte Haar
83
Säuselt in weissen Locken um deine gesunkene
Schläfe;
Jener Schimmer erlischt; jenes Gelispel
erstummt.
Wanderer kommen und fragen: Wo ist die Blume
der Schönheit,
Welche mit Blüthen und Duft schmückte
das funkelnde Feld?
Wandrer, sie ist nicht mehr; sie schläft den eiser -
nen Schlummer.
Ihren schlanken Halm knickten die Stürme;
der Duft
Ihres Kelches zerfloss in die Lüfte des Himmels;
die Blätter
Flattern am Boden verstreut, treiben im
Sturmwind umher.
Also ist das Loos der Erdenschöne gefal -
len.
Blüh 'und welk' und stirb! sprach das
Verhängniss zum Staub.
Trauerst du darum, Geliebte? Nein, traure nicht,
meine Minona!
Sprossen, blühen, verblühn möge die Schöne
des Staubs.
Eine Schöne giebt es, die nimmer verwelkt noch
verduftet.
Eine Jugend, die nie kränkelt, noch altert,
noch stirbt.
F 2
84
Wohlgeübte Kraft giebt unverwelkliche Jugend;
Ihren Aufwand ersetzt jeder erwachende
Tag.
Reine Herzensgüte giebt ewiggrünende Schönheit,
Schönheit vor Menschen und Welt, Schön -
heit vor Engeln und Gott.
Solche Schöne sey dein! Mit solcher Jugend ge -
gürtet,
Siehe mit Ruhe der Zeit rastlosen Flügel -
schwung zu.
Lass die Monde verrinnen, und lass die Jahre ver -
rollen!
Lass sie mit donnerndem Sturz in der Ver -
gessenheit Meer
Niederstrudeln. Die Wirbel des Strudels ergreifen
nur Asche.
Über der stäubenden Fluth schimmert der
ewige Geist.
Lass die Rosen verblühn, und lass die Lilien
welken!
Lass den schimmernden Stern sinken in ewige
Nacht!
Lass die Säulen des Tempels zertrümmern! Die
ewige Seele
Bleibet schön, wie sie war, war sie nur
weise und gut.
O, sey weis 'und gut! Wie könnt' ich dich seg -
nender segnen,
85
Meine Minona, und wie könnt 'ich wohl
edleren Wunsch,
Edlern und brüderlichern in dieses Tages Er -
wachen
Dir zuflistern, als den: Schwester, sey
weise, sey gut!
Weisheit lohnet mit Ruh, umsäuselt mit ewigem
Frieden,
Lächelt, wenn Thorheit verzagt, jubelt,
wenn trümmert das All.
Güte adelt den Menschen zum Engel, verähnlicht
der Gottheit,
Säet auf Hoffnung im Staub', erntet unend -
liche Saat.
86

An Fredegunde.

Von jener Säule, wo sie entschlummert schwebt,
Wo ihre goldnen Saiten der Mond beglänzt,
Wo ihr Vermögen schwirrt im Winde,
Reiche die Harfe mir, Fredegunde.
Bestrahlt des Liedes Flamme die Seele dir?
Weht dir Begeisterungsodem, du Harfensohn?
Willst du der Helden Preise singen,
Oder die Kunden verschollner Vorzeit?
87
Ich will nicht singen Thaten entschlafner Zeit,
Ich will nicht singen schlummernder Helden Ruhm;
Ich will der Freundschaft Preise feyern,
Preise der seligen Geisterfreundschaft.
Dich meines Geistes Freundin vermagst du ganz
Des Wortes Sinn zu fassen? vermagst den Flug
Des Sonnenadlers zu erfliegen?
Dich will ich singen, o Fredegunde!
Wie Hauch in Hauch versäuselt, wie Duft in Duft
Verrieselt, wie Gesang in Gesang verhallt,
Wie Thau in Thau zerschmilzt so schmelzen
Seelen in Seelen von gleichem Wohllaut.
So schmolz, Geliebte, öfter mein Flammengeist
In Eins mit deinem. Öfter an deine Brust
Mich lehnend, hört 'ich meinem Herzen
Deines harmonisch entgegenklopfen.
Verloren ist mir, welche der Ewige
Aus Einem Sonnenstrahle mit mir erschuf.
Verloren ist für mich Sulvina
Aber sie denket noch ihres Dichters.
88
Entschlafen ist mir, welche den Flammenbrand
Des heissen Schwärmers kühlte mit weiser Huld.
Entschlafen ist mir meine Emma
Aber sie liebt mich in bessern Welten.
Noch wacht dein Auge, meine Vertrauliche!
Noch klopft dein Busen, meine Tieffühlende!
Noch darf dein Herz an deines Freundes
Liebendem Herzen harmonisch schlagen!
So lang 'noch glänzt dein Aug', noch klopft dein Herz,
So lang 'noch ungefesselt dein Busen bebt,
Lass mich an deinem friedenvollen
Busen die Stürme des Herzens stillen.
Wer weiss, wie lang 'es währt, so entschläfst auch du,
So nimmt zurück die Erde dein Irdisches,
Und die verwiesne Seele kehret
Selig zurück zur ersehnten Heimath.
Wer weiss, wie lang 'es dauert, so sprengt sein Haus
Der Fremdling in mir, schüttelt die Fesseln ab,
Und schwingt sich jubelnd in die Räume
Seligen Lichtes und süsser Freiheit.
89
Bleicht nicht die Wange Geniusschwüle mir?
Blitzt nicht des Schnitters Sense mir ferneher?
Und schüttelt nicht des Riesen Rechte
Öfter, wie Wirbelwind, deine Feste?
Dess wollen wir nicht trauern, Geliebteste!
Dess sey uns doppelt theuer der Augenblick,
Und doppelt labend jeder Tropfe,
Welcher dem Kelch der Natur entstiebet!
Schon schwingt den Rosenfittig der holde Lenz,
Zu uns zurückzukehren. Wie ringeln ihm
Die krausen Hyazinthenlocken
Über den lilienhellen Nacken!
Wie weht sein Veilchenathem! Wie will ich mich
In seinem Necktarbecher berauschen, will
Mich baden in des Frühroths Wogen,
Und in den Gluthen der Abendröthe!
Will mit den jüngsten Blüthen mich kränzen, will
Mich lagern auf dem seidensten Rasen, will
Mich freun der schönen Erde Gottes,
Bis ich entschlummer 'an ihrem Busen.
90
Und schlummr 'ich ihr am Busen, und regnen nun
Des Spätroths Blumen über mein grünend Grab
Mag seyn! Die ewge Seele badet
Sich in des himmlischen Frühroths Gluthen.
Und dieses Frühroths Hoffnung, und deine Hand,
Der Himmel Huldin, Tugend, geleite mich
Und Fredegunden durch des Lebens
Blumige Au'n, und das Thal des Todes!
91

Elegie An Rosa.

Eine Rose blühte. Sie war die schönste des
Gartens;
Ihre schwellende Brust funkelt 'im perlen -
den Thau;
Ihre Blätter erglühten im Widerscheine des Früh -
roths;
Ihr vollströmender Duft lockte den Wandrer
herbey.
Jünglinge liebten die Holde; des Thales blühendste
Töchter
Hingen zärtlich an ihr, staunten erröthend
sie an
Aber sie welkt'; ihr Purpur verblich, ihr athmen -
der Duftkelch
Lechzte versiegt; verdorrt trieben die Blät -
ter umher.
92
Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge starben;
der Rose
Uranfänglicher Stoff schwebet 'im Äther
umher.
Und es beseelte des Ewigen Hauch den wandelnden
Urstoff,
Hauchete Stimm' und Gesang, Leben und
Lieben ihm ein.
Eine Nachtigal ward er, die liederreichste des
Thales.
Durch die Weiden am Bach flötet 'ihr
schmelzendes Lied.
Liebende wandelten horchend am Bach, und inniger
schlang sich,
Wenn die Sängerin schlug, an den Verlobten
die Braut.
Einen Frühling sang sie. Es welkte der freundliche
Frühling,
Und der Sängerin Lied tönte nicht ferner
am Bach.
Mit den sinkenden Blättern entsank sie dem Aste
des Strauches,
Und zum Äther zurück wallte der flüchtige
Staub.
Frühlinge wurden geboren und Frühlinge welkten.
Noch immer
93
Wallte der Sängerin Staub in dem ätheri -
schen Raum.
Wieder beseelte des Ewigen Odem den wandelnden
Urstoff,
Hauchte lebendigern Hauch, edlere Schön -
heit ihm ein.
Und er reift 'empor zu einer unsterblichen Seele
Leuchtender Hülle, zu dir, edele Rosa,
empor.
Sieh', ein holdes Mädchen entblühte der Asche,
mit jeder
Herzgewinnenden Huld, jeglicher Güte be -
gabt,
Traut, wie Schatten, demüthig, wie Veilchen,
milde, wie Lenzthau,
Rein, wie der Lilie Kelch, süss, wie
Narzissengedüft.
Unter dem Auge des Himmels, und unter des irdi -
schen Vaters
Zärtlichschirmendem Blick knospte das Mäd -
chen empor.
Sechzehn Frühlinge flohn und sechzehn Herbste ver -
welkten.
Jeder kehrende Lenz schwellte den knospen -
den Keim;
Und nun drängte die Blum 'in tausendblättriger
Schönheit
94
Düfteschauernd hindurch, schamhafterrö -
thend hervor.
Ihre Wangen mahlten die leisesten Tinten des Früh -
roths;
Um des Auges Stern ringelte himmlisches
Blau;
Goldner Locken Gewölk umwallte die leuchtende
Stirne.
Leicht, wie Rehe des Hayns, schwebte
die Huldin daher.
Jeglichem rührenden Laut der Lippen entbebet 'Em -
pfindung,
Und aus jeglichem Blick glänzte die Seele
hervor,
Ihre noch reine, noch unentheiligte Seele, des
Schöpfers
Mildester Odemzug, heiter, besonnen und
klar;
Nie verschroben durch Wahn, und nie verfinstert
durch Launen,
Nimmer durch Dünkel entweiht, nimmer
durch Schalksinn entstellt,
Nein, durch Einfalt verschönert, veredelt durch
Liebe zur Tugend,
Und durch Liebe zu dir, Vater des Lebens
und Lichts.
95
Also blühte das Mädchen, und also wallt 'es ge -
räuschlos
Deinen blumigen Pfad, freudige Jugend,
hinab.
Zween Abgründe belauschen die Pfade des wandeln -
den Mädchens,
Dieser der Eitelkeit, jener des falschen Ge -
fühls.
Aber sie täuschten sie nicht. Von Gottes Auge ge -
leitet,
Mied sie die Lockenden, ging graden und
sicheren Pfad,
Dachte, doch ohne zu träumen, empfand doch son -
der Empfindeln,
Fühlt', und handelte mehr, liebte, doch
liebelte nicht,
Liebet 'und wurde geliebt O höchstes, schönstes
der Loose,
Allen geliebet und werth, allen geliebet zu
seyn!
Was beblümet die Pfade des Lebens? Was kühlet
des Pilgers
Brennende Schläfe, was wärmt ihn in er -
starrender Nacht?
Seliglächelnde Freundschaft, du thust es, du reiche -
test Rosen
96
Deinen goldenen Kelch, perlenden Nektars
so voll!
Tochter des Himmels, du führtest dem Mädchen
ein Mädchen entgegen,
Edel und fühlend wie sie, zärtlich und lie -
bend, wie sie.
Und sie gewannen sich lieb mit unvergänglicher
Liebe;
Wandelten Arm in Arm zwischen den Blu -
men der Flur;
Schmolzen Seel 'in Seele bey jedem höhern Gedan -
ken,
Jeglichem schöneren Bild, jeglichem regern
Gefühl;
Spiegelten jegliche sich in ihrer Lieblingin Antlitz;
Übten in jeglicher Kraft, jeglicher Thätig -
keit sich.
Also wallen auf himmlischen Fluren zwey ähnliche
Seelen,
Trinken des nehmlichen Kelchs, kosten der
nehmlichen Frucht,
Also wandelte Rosa an ihrer Amalia Armen,
Bis sie ein heisserer Arm ihrer Umarmung
entwand,
Bis die Myrte des Bundes die goldenen Locken ihr
kränzte,
Und das spätere Band herrisch das ältre
zerriss.
97
Frühlinge blühten und Sommer verreiften und Herbste
verwelkten,
Auf dem Fittig des Sturms stöberten Winter
vorbey.
Und noch wallte, wie eine Erscheinung aus besse -
ren Welten,
Reich an Tugend und That, Rosa auf irdi -
scher Flur.
Hochauf wallte der Duft von ihrer Tugend, zum
Himmel
Rauschte die wogende Saat edeler Thaten
empor.
Ähre, du neigst dein Haupt, vom Segen Gottes
belastet!
Reife Frucht, du entsinkst leise dem be -
benden Ast.
Also neigte sich Rosa, gereift zu besseren Wel -
ten,
Senkte öfter den Blick ruheverlangend
hinab.
Einen schimmernden Jüngling es war der Engel
des Mädchens,
Leuchtender, liebender hat keinen der Him -
mel erzeugt
Sandte der Vater der Geister, die Tochter zu holen.
Er schwebte
Um die Schlummernde her, flisterte zärtlich
ihr zu:
2 G
98
Schwester, komm 'hinweg! Da verrannen, wie
rauschende Wogen,
Ihre Sinne. Hinweg schwanden ihr Erde
und Tag.
Nächtliches Dunkel umdämmert' ihr Aug '. Ambro -
sischer Schlummer
Überwältigte sie, säuselt' in Träume sie
ein,
Goldne Träume von Perlen und Kränzen und Pal -
men von Edens
Nimmererlöschender Lust, nimmerversiegen -
der Ruh.
Mit dem erblühenden Morgen entfloh die entkleidete
Seele.
Ihr Gewand aus Staub ward in die Erde
gesät.
Blumen sprossten empor auf ihren Rasen. Es klag -
ten
Trauerharfen, und sanft thaueten Thränen
hinab
Und wenn meine Harfe nicht dann auf ewig ver -
stummt ist,
Wenn dem Trauernden noch glänzet das
Licht des Gesangs:
Siehe, so raff 'ich mich auf in meinen silbernen
Locken,
Sing' ein heiliges Lied über der heiligen
Gruft,
99
Dass ein Schauer des ewigen Lebens den Rasen um -
rausche,
Und den schlummernden Staub süsserer
Schlummer umfah.
Frühlinge welken zu Hundert, und Herbste verrieseln
zu Tausend;
Reissenden donnernden Stroms strudeln die
Zeiten dahin.
Immer noch schlummert im Busen der Erde die
heilige Asche,
Schwimmt im Sonnenstrahl, wiegt sich in
wogender Luft.
Aber nun hebt aus dem Schoosse der Nacht sich ein
ewiger Morgen
Schön und süss und still, feyerlich, schreck -
lich und hehr.
Gräber schwellen und Urnen gebären; aus rau -
schenden Feldern
Keimt unsterbliche Saat, fluthet zum Him -
mel empor
Welche verklärte Gestalt entblühet der berstenden
Urne?
Schüttelt aus goldenem Haar freudig den
nichtigen Staub?
Rosa, sey mir gegrüsst in deiner unsterblichen Schön -
heit.
G 2
100
Deinem Aug 'entsprühn sterbliche Schimmer
nicht mehr.
Mehr denn Röthe des Aufgangs bestrahlt dir die
leuchtende Wange;
Mehr denn Westgeweh ringelt dein rollen -
des Haar
Rosa, wo schwebest du hin? Durch welche strah -
lende Zonen
Trägt dich dein Sonnenflug, leuchtender
Seraf, empor?
Willst du baden im Strome des Lebens? des himm -
lischen Lichtes
Urquell trinken? des Borns, welcher Vol -
lendete tränkt?
Willst du suchen den Hayn voll silberrieselnder
Quellen,
Wo ins Quellengeräusch jubelt der Seligen
Chor?
Willst du mengen dein jubelndes Lied in die Chöre
der Feyrer,
Dass, wie ihnen, auch dir, Fülle der Se -
ligkeit ward?
Fahre wohl, Geliebte! Nun sind der Endlichkeit
Fluthen
Alle verflossen. Verrollt ist der Vergäng -
lichkeit Bach.
Alle Zeit ist verschlungen, und alles Ende ge -
endet.
101
Jedes Ziel ist errannt, jegliches Kleinod
ersiegt.
Droben ist alles bleibend, und alles daurend, und
alles
Fliegt geraden Flugs Bahnen des Adlers
empor.
Droben wachsen die Töchter der Tugend von Güte
zu Güte,
Klimmen von Kraft zu Kraft, reifen von
Heile zu Heil,
Fallen alle geläutert zuletzt und alle vollendet
Dir in den liebenden Schooss, ewige Schön -
heit, zurück!
102

Des Grabes Furchtbarkeit und Lieblichkeit.

Furchthar ist das Grab!
Kalte Winde sausen,
Dumpfe Schauer grausen,
Gram und Grauen hausen
Um das stumme Grab.
Furchtbar ist das Grab.
Lieblich ist das Grab.
Linde Stille flistert,
Kühler Schatten düstert,
103
Tiefer Friede säuselt
Um das stille Grab.
Lieblich ist das Grab.
Graunvoll ist das Grab.
Ängstlich ist des Grabes Enge,
Seine Breite, seine Länge,
Seine Höhe, seine Tiefe
Messen sieben Schritte ab.
Graunvoll ist das enge Grab.
Lieblich ist das Grab.
Süss und schirmend seine Enge;
Vor dem lästigen Gedränge,
Vor dem gaukelnden Gepränge,
Vor der Thoren bunter Menge,
Rettet seine sichre Enge
Lieblich ist das enge Grab.
Graunvoll ist das Grab.
Sein mitternächtlich Dunkel
Durchblitzt kein Sonnenfunkel,
Durchblinkt kein Abendsternschimmer,
Durchflimmt kein Mondenflimmer.
Mohrenschwarz ist, ach, das Grab!
Lieblich ist das Grab.
Seine Schatten
104
Wehn dem matten
Wanderer Erquickung zu.
Seine Kühle
Lullt die schwüle
Müde Pilgerin in Ruh.
Lieblich ist des Grabes Ruh.
Furchtbar ist das Grab.
Regen rasselt,
Stürme heulen,
Schlossen stöbern
Rings um das wettergegeisselte Grab
Furchtbar, furchtbar ist das Grab.
Lieblich ist das Grab.
Frühlingswinde blasen
Um des Hügels Rasen;
Stille Veilchen spriessen
Zu des Hügels Füssen;
Zu des Hügels Häupten
Blühn Vergissnichtmein.
Luna flimmert,
Hesper wimmert,
Eos röthet
Und Aödi's Klage flötet
Um das grasbegrünte Grab
Lieblich, lieblich ist das Grab.
105
Einsam ist das Grab.
Kein Laut des Lebens,
Kein Tritt des Wandrers,
Kein Gruss des Frohen
Besucht das ewig öde Grab.
Ach, wie einsam ist das Grab!
Einsam ist das Grab.
Der Freude wilde Jubel,
Des Leichtsinns lautes Lachen,
Der Frechheit wüster Reigen
Besuchen nie das Grab.
Aber lebensmüde Weise,
Und der Wehmuth sanfte Töchter,
Und des Liedes edle Söhne,
Wandeln gern, wo Gräber grünen,
Schauen staunend drauf hinab
Nein, nicht einsam ist das Grab.
Fühllos ist das Grab.
Starr und taub und stumm,
Welk und schlaff und dumm,
Des Hoffens Lichtglanz,
Des Ahnens Blitzstrahl,
Des Grämens Wonne,
Des Liebens Wollust
Verloren sind sie für das todte Grab.
Furchtbar, furchtbar ist das Grab.
106
Lieblich ist das Grab.
Allen Hader,
Alle Zwietracht,
Jede Fehde
Begräbt das stille Grab.
Die Feldschlacht brüllt nicht mehr;
Die Brandung braust nicht mehr;
Der Vulkan raucht nicht mehr.
Langen Stillstand,
Tiefen Frieden
Gewährt das ewigstille Grab.
Lieblich, lieblich ist das Grab.
Ewig hüllt das Grab,
Seiner Pforten Riegel,
Wer entriegelt sie?
Seiner Schlösser Siegel,
Wer entsiegelt die?
Seiner Eisenbetten
Diamantne Ketten,
Wann zersprangen sie?
Ring 'deine Hände wund!
Rauf' deine Scheitel kahl!
Wein 'deine Sehkraft aus!
Vertraure deiner Röhren Mark!
Umsonst! Umsonst!
Das Unerbittliche gibt nie zurück.
107
Auf ewig schlingt sein Hungerschlund hinab;
Auf ewig wiederkäu't es seinen Raub.
Grässlich, grässlich ist das Grab!
Warum raufen dein Haar?
Warum verweinen dein Auge?
Warum zerringen die blutigen Hände?
Warum vertrauren dein edelstes Mark?
Feiger, ermanne dich!
Nicht ewig hüllet das Grab!
Monden verwallen,
Jahre verrollen;
Immer noch hüllet das Grab.
Aus den Jahren erschwellen Jahrhunderte,
Aus Jahrhunderten lange Jahrtausende.
Immer noch hüllet das Grab!
Aber nun sind sie verrollt, die hunderte, tausende
alle,
Aber schon schimmert die Berge herüber der Tag
der Vollendung!
Schau, es kreissen die Gräber. Die Särge gebären;
die Urnen
Bersten; der wölkende Staub wird Seele; die
Asche wird Leben.
Jene Enge weitet sich aus zu unendlichen Räu -
men;
Jene Dunkel hellen sich auf zum unendlichen Tage;
108
Jene lange Stille wird unauslöschlicher Ju -
bel;
Jenes öde Schweigen wird nie erschlaffende That -
kraft.
Darum zage nicht, Zager! Ewiglich hüllt nicht
das Grab.
109

Schläfer erwach.

Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, die Pforten des Osten
Önffet der röthliche Morgen,
Streuet Rosen und Krokos
Von der leuchtenden Tochter des Himmels daher
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, die Tochter des Himmels
Öffnet die goldenen Wimper.
110
Freundlich nickt sie,
Liebend blickt sie
Auf die thränenblitzende Flur.
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, wie blitzen die Fluren!
Schau, wie funkeln die Gärten!
Horch, wie lispelts im Hayn!
Jeder wankende Grashalm
Eine Perlenschnur!
Jeder nickende Wipfel
Ein Juwelenstrauss!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Wecket dich nicht der erwachenden Schöpfung
Strömender Frühpsalm?
Nicht das Brüllen der Heerden?
Nicht das Wiehern der Rosse?
Nicht das Bellen der Doggen?
Nicht das Hifthorn der Jagd?
Wecken dich nicht der schlummernden Menschheit
Mächtige Wecker?
Nicht der Durst nach Thaten?
111
Nicht der Liebe Lispel?
Nicht des Ruhms Drommete?
Schläfer, willst du ewig schlafen?
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, die schattenden Wimper
Schlägt Ellwina auf.
Schau, die leuchtenden Augen
Rollt die Holde umher.
Ihre Arme zucken
In die nichtige Luft.
Schwere Seufzer pressen
Ihr beklemmtes Herz.
Bittre Thränen baden
Ihr erlöschend Aug '.
Dir rufen ihre Thränen;
Dich meinen ihre Seufzer;
Dir breitet sie die Arme
Schläfer, willst du ewig schlafen?
Schläfer erwach!
Keine Stimme!
Keine Antwort!
Wohl tief und eisern ist des Todes Schlummer.
112
Er hört nicht die Stimme des Rufers;
Er sieht nicht des Lockenden Winke;
Er fühlt nicht des Weckenden Rütteln.
Die Sonne sinkt und steigt,
Der Mond verreis't und kehrt.
Er liegt und schläft und regt sich nimmer, nimmer
wieder!
113

Ellwinens Klage um Elwill.

Elwill, Elwill, du mein Gram, mein Sehnen,
Mein erwählter, mein verlorner Freund,
Siehst du auch die tausend Jammerthränen,
Die um dich dein traurend Mädchen weint?
Hörst du auch mein mitternächtlich Stöhnen?
Weisst um meines Herzens kranken Schlag?
Oder schweigt den Hallelujahtönen
Deines Edens jedes Erdenach?
2 H
114
Ach verloren, Elwill, ach verlassen
Hast du mich in diesen Wüsteneyn.
Auf der Welt getümmelvollen Strassen
Wandl 'ich künftig einsam und allein.
Leichenfeyer dünkt mich ihr Gepränge.
Ihre Blüthe haucht mir Gräbergraus,
Und des Lebens fürchterliche Länge
Dehnt sich mir zu Ewigkeiten aus.
Elwill, Elwill, wo sind nun die Stunden,
Die ich dir am Busen selig lag?
Wie ein Morgentraum sind sie verschwunden,
Sind verrieselt, wie ein Regenbach.
Elwill, Elwill, wo sind nun die Wonnen,
Die ich mir in deinem Arm verhiess?
Früh verflattert sind sie, schnell verronnen,
Wie ein Dunstbild, das der Sturm zerriss.
All getäuscht ist nun mein irdisch Hoffen.
Meine Saaten sind im Keim erstickt.
Meine Blüthen sind vom Hagelschlag getroffen;
Meine Halme hat der Nord geknickt.
Wie die Rebe, die der Ulm umranket,
Wenn der Blitz den hohen Ulm zerbrach,
Stützelos mit ihm zu Boden schwanket,
Schwank 'ich dir, du Frühgefallner, nach.
115
Hochverrath bedünkt mich Erdenfreude;
Frecher Frevel däucht mich froher Scherz.
Welkes Laub ist meine Augenweide;
Dürres Blätterrascheln labt mein Herz.
Meinem Gram hab 'ich den Ring gegeben,
Den ich dir zu geben am Altar
Und mein Leben mit dir durchzuleben,
Träumt', und träumend, ach, so selig war!
Wenn der Morgen meine Wände röthet,
Grüss 'ich ihn mit thränendunkelm Blick.
Wenn das Spätroth in mein Fenster flötet,
Träum' ich in die Vorzeit mich zurück.
Wenn der Mitternacht wehmüthge Hülle
Mich auf meinem Thränenlager hüllt,
Fantasier 'ich mich in jene Stille,
In die Nacht hinunter, die dich hüllt.
Schlummre sanft in deiner Schlummerstätte,
Mein Geliebter, schlummre sanft und süss,
Bis die gräbersprengende Drommete
Dich entruft der tiefsten Finsterniss.
Dein vergessen werd 'ich nimmer, nimmer,
Bis mein Geist die Schale Lethens trinkt;
Dein gedenken werd' ich immer, immer,
Bis dein Schatten meinen zu sich winkt.
H 2
116
Hoffnung, ach, des Wiederauferstehens
An der Allvollendung grossem Tag,
Süsse Hoffnung jenes Wiedersehens,
Nie verbittert durch der Trennung Ach
Reich 'mir, Sel'ge, deinen Lilienstengel
Auf des Lebens schwülem Wallertag,
Bis ich einst, gereift zum hellen Engel,
Meinem Elwill nach mich schwingen mag.
117

Die Erscheinung.

Schaurig ist die Nacht.
Nasskalt haucht der Herbstwind
Über die falbe Stoppel.
Mühsam rollt der Vollmond
Durch zerrissne Wolken
Seine Silberscheibe.
Schaurig ist die Nacht!
Schaurig ist die Nacht.
Wie heult es auf der Hayde!
Wie pfeift es durch die Stoppel!
Wie sausen die Tannen!
Wie flisterts im Haselbusch!
Schaurig ist die Nacht.
118
Warum sträubt sich mein Haar?
Warum schüttelt mich Grauen?
Ists nur Blättergeflister,
Was die Haseln durchschwirrt?
Ists nur Säuseln der Tangeln,
Was die Tannen durchschwirrt?
Schau!
Am fernen Hügel
Hebt sichs, wie Flamme,
Flattert über die Hayde;
Wandelt näher im Nachthauch
Nachtsohn, wer bist du?
Bist du Mondengeflitter?
Bist du streifender Schatten?
Bist du täuschender Irrschein?
Rede, Nachtsohn, wer bist du?
Und kennet Telynhard, des Liedes Sohn,
Nicht Elwill mehr, den frühgewelkten Jüngling?
Der Neumond sah mich blühn in meiner Kraft,
Der Halbmond flimmert 'auf mein Sterbelager,
Noch weint der Vollmond auf mein frisches Grab
Und Telynhard, des Thränenliedes Sohn,
Der Gräber Freund, der Geister Liebling, kennet
Nicht Elwill mehr, den frühgewelkten Jüngling?
119
Elwill, Elwill, bist du's?
Frühgewelkter, woher
Rauscht dein einsamer Flug?
Rede, Elwill, woher?
Von jenem Lande komm 'ich hergeschwebet,
Von welchem Kunde nie dem Staube scholl,
Von welchem Antwort nie den kühnen Frager
Rechtfertigte drum frage, Telynhard,
Nicht nach dem Lande mich, dem ich entschwebe.
Elwill, ist dir wohl
In deinem fernen Lande?
Deiner Trümmer wohl
In ihrer engen Klause?
Ob nah, ob fern, ob hier, ob da, ob dort?
Mag gleich dir gelten, Harfensohn Doch wohl,
Wohl ist der Trümmer in der engen Klause,
Viel wohler noch dem Fremdling, der verwiesen
Aus seiner Heimath in der Trümmer hauste,
Viel wohler, Dichter, als es dein Gesang,
Als deiner Fantasieen Adlerschwung,
Als deines Flammenliedes Schwanenflug
Erfliegen mag. Viel wohler, Freund, ist mir.
Elwill, ist dir helle,
Wo uns Dunkel hüllt?
120
Ist dir Wahrheit, Elwill,
Was uns Wahrheit däucht?
Wohl Manches, was dem eingekerkerten
Durch enge Gitter mühsam spähenden,
Durch weite Fernen ängstlich horchenden,
Verwiesnen Geiste Blitz der Wahrheit däuchte,
Was Denker mit der Schlüsse Kettenringen,
Was Priesterwuth mit Bann und Beil und Holzstoss,
Was Märtyrer mit hingebognem Nacken
Erwiesen, oder zu erweisen wähnten,
Ist dennoch Traum.
Wohl Manches, was der selbstzufriedne Grübler
Als Dichtertraum verlacht, der eitle Spötter
Als Priestermährchen höhnt, der kalte Grübler
Gar in der Unding 'öde Nacht verbannt,
Ist dennoch Wahrheit.
Eins ist mir helle, was mir dunkel war.
Das Andre dämmert mir nur noch. Das Dritte
Ist rabenschwarze Mitternacht noch immer.
Viel sind der langen Ewigkeit Äonen.
Viel Zeit ist hier zu lernen. Vieles ist
Dem ersten Seraph noch zu lernen übrig.
Elwill ist euch Tugend,
Was uns Tugend däucht?
Wiegt mit Menschenwage
Ihr des Menschen Werth?
121
Wohl anders ist des staubverhülleten,
Wohl anders des enthüllten Geistes Tugend;
Doch tröste dich. Mit Menschenwage wägen
Den Werth der Menschen die gerechten Götter.
Nach Einsicht richten sie, nach treugesuchter,
Nach heisserrungner, ernstbefolgter Einsicht,
Wär gleich die Einsicht Irre Telynhard,
Drum sey getrost, und nimmer lass zu forschen,
Und nimmer lass zu lehren, was du forschtest,
Und nimmer lass zu üben, was du lehrtest.
Elwill, harrt Vergeltung
In der Schatten Reich?
Spenden eure Götter
Lohn und Strafen aus?
Belehrung harret hier. Aus schlimmer Thaten
Gleich schlimmen Folgen keimt des Bessern Ein -
sicht.
Des Bessern Einsicht knospt zur That des Bessern.
Der schönen Knosp 'entblühn des Wohlseyns
Halme,
Stets höher, voller, dranger, körniger,
Der Ewigkeiten weite Felder durch.
So lohnen, strafen, so vergelten Götter,
Viel anders zwar, als eure Priester lehren,
Viel anders zwar, als eure Dichter singen.
122
Elwill, wärmt auch Liebe
Euer ödes Reich?
Weht auch Liebesodem
Durch die Schattenwelt?
Wohl wärmet Liebe auch die Schattenwelt;
Wohl haucht ihr Lebensathem Geister an.
Doch jene arme Erdenliebe nicht,
Die durch der Formen sanfte Schwingungen,
Und durch der Farben holde Mischungen,
Durch Umriss, Füll 'und Blüth' und Gluth geweckt,
Den Staub zu Staube zieht, dem Einzigen
Sich eignet, und die ganze weite Welt
Armselig in dem Einzigen vergisst
Die arme enge Liebe wohnt nicht hier,
Wohl aber jene reichre, edlere,
Die nur dem All sich eignet, sich das All,
Sich selig fühlt, nur in der Seligkeit
Des grossen Alls, und dessen Seligkeit
Rastlos zu fördern, höchste Wollust achtet.
Die Liebe kennen wir. Sie gastet nicht,
Sie wohnt und hauset unter uns. Sie ist
Bey uns daheim Doch Telynhard, fahr wohl!
Fahr wohl! Des Hades Zug entzeucht mich dir.
Fahr wohl! und nimmer werde lass zu forschen,
Und nimmer lass zu lehren, was du forschtest,
Und nimmer lass zu üben, was du lehrtest,
Bis dir der Wahrheit Urlicht strahlt, der hohen
123
Urschönheit Anschaun dich entzückt, das Urgut
Aus seines Bechers reinem Wein dich tränkt
Fahr wohl! Ich scheide. Denke mein! Fahr wohl!
Fahr wohl! Fahr wohl!
Schön ist dein Scheiden,
Im Blitz des Mondes,
Im Hauch der Nacht.
Fahr wohl! Fahr wohl!
Dir strahlt der Wahrheit Urlicht.
Dir glänzt das hohe Urschön.
Dich tränkt des ewgen Urguts
Goldener Becher
Fahr wohl! Fahr wohl!
124

Der Sternhimmel.

Freund, in welchen fernen Regionen,
Welchen sterngestickten Himmelszonen,
Schwebst du itzt auf unerspähter Bahn?
Schaust im ungeheuren Weltenraume
Ebentheuer, welche selbst im Traume
Kepler nicht, noch Galiläi sahn.
Musterst du der Allmacht Kriegesheere?
Siehst den drangen Halmwald ihrer Speere?
Horchst dem Sturmwind ihres Riesengangs?
Siehst das Funkeln ihrer Blitzgeschosse,
Hörst das Wiehern ihrer Flammenrosse,
Und die Donner ihres Schlachtgesangs?
125
Fliegst du mit Athair's Adlerschwinge
Weit und breit umher im Schlangenringe
An dem Finger der Unendlichkeit?
Ruderst du mit Albireos Schwane
In dem inselvollen Oceane
Uferloser Unermesslichkeit?
Landest itzt am Ufer der Hyaden,
Itzt am Archipelag der Plejaden,
Itzt an Wega's goldgediegnem Strand?
Klimmst empor auf Schedirs Demantzacken?
Rollst hinab auf Eniss Flammennacken
An des Horizontes fernsten Rand?
Tauchest dich in Alkalurops Gluthen,
Badest dich in Algols Feuerfluthen,
Schwimmst im silbernen Eridanus?
Steigst empor mit Kochab's Alpenwogen,
Schiffst hinab des Milchwegs schroffen Bogen
Bis zum Flammenschleudrer Sirius?
Staunst du ob Orions Riesenfluge?
Folgst begeistert seinem Siegeszuge
Durch der Urnacht alte Dämmerung?
Bebst nicht vor Bellatrix Kriegsgerassel?
Nicht vor Beteigeuzens Polgeprassel?
Nicht vor Rigels furchtbarm Achsenschwung?
126
Fährst du mit Allvaters Siegeswagen,
Siehst Benetnesch Goldhuf Funken schlagen,
Siehst, wie Mizar Flammen schnaubt und schäumt!
Wie vor Alkors grimmen Geisselhieben
Dubhe's goldne Mähnen auseinander stieben,
Und der trotz'ge Alioth sich bäumt!
Oder flüchtetest du wallfahrtmüde
Zu des Augelsternes sicherm Friede,
Pflegst auf seinem Söller stolzer Ruh?
Siehst der Welten Labyrinthentänzen
Sonder Stillstand, sonder Ziel und Gränzen
In erhabener Bewundrung zu?
Schwebe, wo du schwebst, in welchen Fernen,
Walle, wo du wallst, auf welchen Sternen
Weiss ich doch, dein wonnetrunkner Blick
Schauet oft aus jenen Glanzgefilden
Wehmuthdämmernd nach dem blassen milden
Mutterstern, der dich gebar, zurück.
Wo dir sieben und zwanzig Lenze sprossten,
Sieben und zwanzig Winter dich umschlossten,
Sieben und zwanzigmal der Herbst dein Haupt umflog;
Wo in ihrem warmen Mutterschoosse
Für das Gute, Wahre, Schöne, Grosse
Dich die freundliche Natur erzog;
127
Wo manch gutes Herz sich zu dir fügte,
Manches Freundes Arm sich um dich schmiegte,
Mancher Fühlende sich an dich hing;
Wo Ellwina dich mit Brautkuss küsste,
Wo Rosalia dich Bruder grüsste,
Und mein Jugendfreund auch dich umfing
Ja, ich weiss, du schaust mit sanftem Sehnen
Oft hinunter nach dem Stern voll Thränen,
Der dich keimen, blühn und welken sah.
Reifte doch dein Geist in seinen Strahlen,
Wandeln doch in seinen stillen Thalen
Noch Ellwina und Rosalia!
128

An Fanny.

Warum bleichet Kummerblässe,
Fanny, dein Gesicht?
Warum wölket Thränennässe
Deines Auges Licht?
Um dich lärmen laute Freuden.
Aber tiefverhohlnes Leiden
Nagt an deiner wunden Brust,
Und dir widern Scherz und Lust.
129
Klagst du ob der Guten, Frommen,
Die der Tod dir nahm?
Klage nicht um sie; entnommen
Ist sie jedem Gram.
Alles Herzeleids entbunden,
Jedem Ungemach entwunden,
Ruht sie in der Schwester Arm,
Härmt sich nur um deinen Harm.
Lass sie schlummern ihren Schlummer
Nach des Tages Last.
Süss behagt nach Müh 'und Kummer,
Sanft und süss die Rast.
Wenig waren ihrer Freuden;
Zahllos waren ihre Leiden.
Schwerermattet sank sie hin,
Eine fromme Dulderin
Warum blicken wir so traurig
In die Nacht hinab?
Warum dünkst du uns so schaurig,
Stilles kühles Grab?
Bist du doch die traute Kammer,
Welche schwichtigt jeden Jammer,
Welche jede Unruh stillt,
Schonend jede Schuld verhüllt.
2 I
130
Warum macht uns dein Erscheinen,
Tod, so angst und bang?
Säumst du doch dem Frommen Reinen,
Retter, nur zu lang!
Heil und Preis dem Abgesandten,
Der den schmachtenden Verbannten
Ruft aus seines Tomi Strand
Heim ins süsse Vaterland.
Warum ängstigt uns dein Dunkel,
Ewigkeit, so sehr!
Schönrer Welten Sterngefunkel
Glänzt durch dich daher!
Bürgt der Mond nicht für die Sonne?
Kränzt nicht Wehmuth sich mit Wonne?
Deutet Ahnen nicht auf Schaun,
Nicht auf Geister unser Graun?
Selig, die im Herrn entschliefen!
Selig, Fanny, sie!
Die die Engel dir entriefen,
Schau, sie führten sie
Aus den Nebeln in die Klarheit,
Aus den Träumen in die Wahrheit,
Durch das Zweifeln zum Vertraun,
Durch das Ahnen hin zum Schaun.
131
Darum trockne deine Thränen!
Heitre deinen Blick!
Nicht dein Jammern, nicht dein Sehnen
Bringt sie dir zurück.
Liebe! hoffe! dulde! glaube!
Und aus Edens schönster Laube
Schaut sie lächelnd deiner Ruh,
Segnend deinen Thaten zu!
I 2132

Drey Töchter an den Schatten ihres Vaters.

Vater, ach, wo schwebst du itzt
In dem weiten Raum der Welten?
Wo der Sonne Strahl erblitzt?
Oder, wo in fernen Belten
Sie ihr flammend Antlitz wäscht,
Und den Brand der Wangen löscht?
Schwimmst du in dem Ocean
Jener klaren Himmelferne?
Reisest du die hohe Bahn
Stiller Monden, milder Sterne?
Von dem bleichen Uranus
Bis zum funkelnden Sirius?
133
Oder ruhst du sanft und schön
In des Paradieses Auen,
Wo die Weste würzig wehn,
Wo die Fluren Nektar thauen,
Wo der Bach melodisch quillt,
Harmonie die Lüfte füllt?
Hast du etwa o der Lust!
Dort die Traute wiederfunden,
Und geschmiegt an ihre Brust,
Vom getreuen Arm umwunden,
Horchst du nun in süsser Ruh
Dem Gesang der Sphären zu?
Theurer Vater, gern, ach gern,
Gönnen wir dir deine Freuden.
Dennoch dünkst du uns so fern;
Dennoch schmerzet uns dein Scheiden.
Rastlos schauet unser Blick
Sehnsuchtvoll nach dir zurück.
Wann der goldne Tag uns weckt,
Ächzen wir: Wo bist du, Vater?
Wann die heilige Nacht uns deckt,
Seufzen wir: Schlaf ruhig, Vater!
In dem sanften Mondenschein
Denken wir mit Wehmuth dein.
134
Jedes Wölkchen, licht und schön,
Däucht uns deiner Locken Kräuseln;
Jedes Lüftchens leises Wehn
Dünkt uns deiner Stimme Säuseln;
Jeder Glanz, der uns umwallt,
Dünkt uns deine Lichtgestalt.
O, von deinem Stern herab
Schau auf die verwaisten Töchter!
Freundlich schau 'auf uns herab,
Sey uns Schutzgeist, sey uns Wächter,
Auf der Reise durch diess Land
Voller Thränen, Traum und Tand!
Lispl 'uns Muth und Tröstung zu!
Kräft'ge unsre Rosenjugend,
Dass wir klimmen treu, wie du,
Auf der Felsenbahn der Tugend
Zu den Glaubens Sonnenhöhn,
Und dereinst dich wiedersehn!
Wiedersehn, ach, Wiedersehn
In des Himmels Lenzgefilde
Komm Gedank ', elysisch schön,
Komm in deiner Huld und Milde,
Kühle freundlich unsern Schmerz,
Heile sanft das wunde Herz!
135
Wiedersehn, ach, Wiedersehn
In des Paradieses Auen,
Wo uns keiner Trennung Weh'n
Trüben, und kein Gräbergrauen,
Wo kein Angstgeschrey ertönt,
Keine Todtenklage stöhnt
O Gedanke, hell wie Tag!
Hoffnung, süss, wie Engelflistern!
Werd 'in unsrer Seele wach,
Wann uns Trauerschatten düstern!
Trennungsschmerzen, Todeswehn
Schwinden dir, o Wiedersehn!
136

Seiner Rina.

Rina, reiche mir die Rechte!
Leite durch des Lebens Nächte
Mich ins helle Vaterland.
Durch der Erde Distelpfade
Leite bis ans Grabgestade,
Freundin, mich an sanfter Hand.
Doch nicht lauter nächtlich Grauen
Hüllet unsrer Wallfahrt Auen;
Disteln zeugt nicht jedes Feld.
Sonnenschein und Regenschauer,
Licht und Schatten, Freud 'und Trauer
Wechseln stets auf unsrer Welt.
137
Alle Freuden, die uns spriessen,
Rina, wollen wir geniessen;
Jedes Blümchen, das uns winkt,
Jede Kühlung, die uns fächelt,
Jede Tröstung, die uns lächelt,
Jeden Schimmer, der uns blinkt.
Mit des Tages süsser Frühe
Wollen wir zu eurer Mühe
Muthig und getrost erstehn.
Mit des Abends linder Kühle,
An dem rasch erstrittnen Ziele,
Soll uns holde Ruh 'umwehn.
Ferner Stürme dumpfes Grollen,
Aufgewühlter Wogen Grollen
Dämpfe, Freundin, deine Huld.
Reste meiner Flammenjugend
Zähme deine stille Tugend,
Deine siegende Geduld.
Sorgsam will ich meine Freuden
Mit dir theilen, alle Leiden
Zärtlich tragen, die dir nahn.
Männlich will ich dich beschirmen,
Will in Ungestüm und Stürmen
Dich mit festem Arm umfahn.
138
Wann erdonnern alle Festen,
Wann erblitzen Ost und Westen,
Halte fest dich, fest an mich!
Pole schwanken, Achsen splittern,
Erden taumeln, Himmel schüttern
Meine Rechte stützet dich;
Gottes Rechte meine Rechte!
Unbesiegte, ungeschwächte,
Hehre Kraft, Religion!
Weihe, Himmelsbothin, weihe
Mich und meine Vielgetreue
Dir zur Tochter, dir zum Sohn!
Mit der schirmenden Egiden
Sicher 'unsrer Tage Frieden,
Läuter' unsre Leidenschaft,
Schatt 'uns in der Mittagsschwüle,
Wärm' uns in der Winterkühle,
Flügle uns zu That und Kraft!
In des Lebens furchtbarn Engen,
Wenn uns Welt und Schicksal drängen,
Schwinge deinen weissen Stab.
Zeig 'uns über Sonn' und Sternen
Jene lichten, weiten Fernen,
Sonder Sorgen, Gram und Grab.
139
An des Lebens schroffem Rande,
Wo zerreissen alle Bande,
Wo der goldne Trauring bricht,
Wo uns alle Tröster lassen,
Alle Schimmer uns erblassen
Himmlische, verlass uns nicht!
Reich 'uns deine Strahlenrechte!
Leite durch des Lebens Nächte
Uns ins helle Vaterland!
Wo der Tugend Kronen glänzen,
Wo die Treue Kränze kränzen,
Welche der Belohner wand!
140

Weihgesang*)Zur Eröffnung des neuen anatomischen Theaters in Rostock..

Erwache zu erhabner Geistesweide,
Erwache, gottgeliebtes Warnathen!
Und eil ', in deinem schönsten Feyerkleide,
Das neue Heil, das dir erglänzt, zu sehn.
Es lodern schon des Frühroths Purpurgluthen;
Es wallt schon aus des Osten Flammenmeer
Der schöngelockte Tag, den Weisen und den Guten
Ein vielgewünschter Tag, daher.
141
Zu unsers Musageten Preis und Ehre,
Dir, süsses Vaterland, zu Lob 'und Ruhm,
Euch, Söhnen Aeskulaps, zu Lust und Lehre,
Entriegelt heut ein neues Heiligthum
Sich unserm Blick Wem flammt die Altarlohe?
Wem wallt die lichte Weihrauchwolke hin?
Dir, Anatome, dir, du Hehre, Holde, Hohe,
Des ewgen Bildners Heroldin!
Entschwebet euren stillen Regionen,
Ihr Genien der grauen Wissenschaft,
Die ihr in Samos, Lemnos und Krotonen,
An des Ilyssus Ulmgestaden schlaft;
Entwallt, Heroen, euren Lorberschatten,
Und helfet unser Heiligthum uns weihn!
Verlasse, Greis von Kos, die immergrünen Matten
Und stimm 'in unsre Feyer ein!
Die ihr aus tausendjähr'ger Nacht erstandet,
Und kühn im Zwielicht eines schönern Tags
Die hohe Kunst der Barbarey entwandet,
Ihr Schatten Vesal's, Harvey's und Eu -
stach's,
Linnäus, Meteor aus Uplands Öden,
Verklärter Haller; Camper, Belgiens Ruhm
Entschwebt, ihr Herrlichen, entschwebet eurem
Eden,
Und weihet unser Heiligthum.
142
Heran, wem Liebe zu der ernsten Muse
Die Brust mit Sehnsucht und Verlangen schwellt,
Heran, und schöpft aus unsrer Arethuse
Die jedem Lechzer volle Labung quellt!
Heran, wem theuer seines Menschenseyns Kunde,
Wem wichtig inhaltreiche Wissenschaft,
Heran, und schauet hier im festverschlungnen Bunde
Raumlose Weisheit, Huld und Kraft.
Seht hier die morsche Hüls 'erhabner Seelen
Aus Stoffen tausendfacher Art gewebt,
Aus Salzen, Säuren, Kalken, Erden, Ölen,
Durch Licht und Luft und Feuerstoff belebt!
Seht hier das labyrinthische Geäder,
Dadurch des Blutes Kugelwoge rollt!
Seht hier des Daseyns Born, das grosse Rad der
Räder,
Dem jede Ader zinst und zollt!
Bist du es, kleiner Muskel unsers Lebens,
Rastloses Triebwerk, Unruh unsrer Brust?
Du Stifter unsers Drängens, Treibens, Strebens?
Du Quelle unsrer Qual und unsrer Lust?
Wir fühlen wohl dein ungestümes Dehnen,
Dein Jagen und dein Schlagen Nacht und Tag
Doch zu beschwichtigen dein Schmachten und dein
Sehnen,
Ist unsre Menschenkraft zu schwach.
143
Bist du es, enge Spalte, draus die Rede,
Das Angeld ewiger Veredlung, fleusst?
Draus jeder gährende Gedank 'und jede
Herzschwellende Empfindung sich ergeusst?
Bist du es, kleine leichtverschnürte Ritze,
Aus welcher Platons Honigweisheit floss?
Aus welcher Demosthen des Heroismus Blitze
Durch das entmannte Hellas schoss?
Bist du es, zartes fas'riges Geflechte,
Das nicht dem Demant, nicht der Zeder ward,
Das nur dem gottheitnähern Thiergeschlechte
Zum Majestätsbrief seines Vorzugs ward?
Seyd ihr es, tausendfach verschlungne Faden,
Durch die uns tausendfach Gefühl durchzückt,
Durch die in diesem Nu uns Wollustfluthen baden,
In jenem Mörder-Schmerz uns knickt.
Bist du es, weiches Mark, das unum -
schränket
Durch jenes Kunstgespinnstes zarten Zwirn
Die Muskeln spannt, das Spiel der Fibern lenket,
Itzt hemmt, itzt fortschnellt königliches Hirn!
Organ des Denkens, das, von Kepler's Stirne
Umwölbt, der Weltsysteme Tanz erräth!
Organ des Forschens, das in unsers Kant Gehirne
Das Thule der Vernunft durchspäht!
144
Und, o der Kunst, die mit Gedankenschnelle
Den holden Lichtstrahl in den Sehnerv lenkt!
Und, o der Weisheit, die des Schalles Welle
In unsers Ohrs Gekämmer sorgsam senkt!
Und, o Geheimniss, das die tausend Räder
Im Nu harmonisch regt und rückt und schiebt!
Wer bist du, leise Kraft? wo schnellst du, stille
Feder?
Wer ist, der dein uns Kunde giebt?
O leit 'uns, unser Führer, unser Lehrer!
Leit' uns, Josephi, auf der Göttin Spur!
Entschleyere dem Blicke deiner Hörer
Den ernsten Reiz der heiligen Natur!
Lass uns die Werkstatt des Verborgnen schauen,
Uns knie'n am Schemel ihres Heiligthums
Glückselig, winkt sie uns dereinst ins heilge Grauen,
Ins Dunkel ihres Adytums.
Jedoch zurück zum Hügel der Kamönen,
Zu Phöbus Lorberhaynen, Weihgesang!
Zurück und sing 'in auserwählten Tönen
Dem Stifter unsrer Freuden unsern Dank!
Doch wie? Ihm Dank? In Tönen, Worten,
Schällen?
O nein, so dankt man Friedrich Franzen nicht!
Die Hochempfindungen, die unsern Busen schwellen,
Erzähl' ihm Übung unsrer Pflicht!
145
Erzähl 'ihm unser unverdrossnes Streben
Hinan von Wissenschaft zu Wissenschaft!
Erzähl' ihm unser thatenreiches Leben,
Und unsers Geistes wohlgeübte Kraft!
Und jede Wahrheit, die sich uns verklärte,
Und jede Rettung, welche uns gelang,
Und jede schöne That, die Bruderwohlfahrt mehrte,
Sey Friedrich Franzen süsser Dank!
Wohl, wohl dem Völkerhirten, der der
Wahrheit,
Des Himmels schönstem Kinde, Tempel baut;
Der selbst in ihre sonnenhelle Klarheit
Mit Adleraugen ungeblendet schaut!
Der nie das hohe Vorrecht freyer Geister
Dich, Vorrecht, frey und laut zu denken kränkt,
Der, Vater seines Volks, und seiner Herzen Meister,
Es weis 'erzieht und schonend lenkt.
Es schlummert in des Grabmahls tiefem Frieden,
Das Lob, das feiler Schmeicheley entquillt.
Es trümmern Obelisk und Pyramiden;
Des Mausoläums finstre Pracht zerschillt.
Geh unter! ruft die richtende Geschichte
Dem Rauschgold falscher Fürstengrösse zu.
Dem Volksbeglücker Heil! Ihm donnert kein Gerichte;
Ihm lohnt der Himmel Ruhm und Ruh!
2 K146

Jubelgesang.

Oselig, wer der mütterlichen Erde,
Die ihn gebar und freundlich hegt und pflegt,
Die süsse Schuld bezahlt, und Arbeit und Beschwerde
In ihrem Dienste rastlos trägt;
Wer seinen Brüdern Recht, das Recht ist, spendet,
Die Unschuld schirmt, das kecke Laster schreckt,
Des Jünglings Herz gewinnt, der Thorheit ihn ent -
wendet,
Und für die Tugend früh ihn weckt;
Wer aller Narrheit frühversöhnter Hasser,
Sich ihrem Andrang stark entgegenstemmt,
Der Sittenfäulniss wehrt, der Frechheit wilde Wasser
In engre Ufer sorgsam dämmt;
147
Wer so durch manche mühevolle Jahre
Des Wohlthuns Lust in vollen Zügen trinkt,
Und endlich thatensatt und in schneeweissem Haare
Zufrieden in die Grube sinkt
So wandelt 'einst auf ruhmumstrahlten Pfaden
Aristides die hohe Bahn hinab;
So sank er allbeweint, an deinen Ulmgestaden,
Ilyssus, in sein duftend Grab.
So stand, umschwemmt von der Verderbniss
Fluthen,
Gleich fern von Sklaverey und Tyranney,
Roms Cato fest und stark, dem Wahren und dem
Guten
Und hoher Vätertugend treu.
So standst du, Trefflicher, seit funfzig Jahren,
Durch Weisheit gross, und gross durch Thatenkraft;
So stehst du noch, umkränzt mit silberweissen
Haaren,
Hochfreudig noch und unerschlafft.
Es huldigt dir die Unschuld, die du schütztest;
Es feyert dich das nie gebogne Recht.
Es ehrt die Bosheit dich, die du zu Boden blitztest,
Und nennt dich knirschend recht und schlecht.
K 2
148
Du standst allein in der Verderbniss Mitte,
Und ihre Strudel rissen dich nicht hin.
Fest hieltest du und steif an angestammter Sitte
Und an der Väter gradem Sinn.
Es prallten ab von deiner rauhen Tugend
Die Pfeile geckischer Verfeinerung.
Des Auslands Flittergold, der Firniss deutscher
Jugend
Bedünkte dich Verweichlichung.
Der bunten Thorheit gaukelndes Gepränge
Zerstob beschämt vor deinem finstern Blick.
Das Laster zitterte vor deines Spruches Strenge,
Und floh in sein Verliess zurück.
Im Felsengrund auf ehrnen Säulen baute
In deiner Brust sich einen goldnen Thron
Der Menschheit Trösterin, der Edleren Ver -
traute,
Die ewige Religion
So standest du, dieweil ein halb Jahrhun -
dert
Sanftgleitend über deine Scheitel floss;
Gefürchtet und geliebt, getadelt und bewundert,
Dir selbstgenügend, rauh und gross.
149
O, steh noch lang 'in deiner Enkel Mitte,
Ein Obeliskus der Vergangenheit,
Ein redender Ruin erloschner Ahnensitte,
Gesunkner Väterherrlichkeit.
Es messe sich des Vaterlandes Jugend
Mit deinem Starkmuth, deinem Felsensinn,
Und geb 'Empfindsamkeit für feste Männertugend,
Und Wortgeräusch für Weisheit hin!
Und wenn wir einst dein Mausoläum bauen
O wär 'es spät! so fahre aus dem Stein,
Der deine Trümmer deckt, ein ehrfurchtheischend
Grauen
Durch unser schütterndes Gebein!
150

Der Maalstein.

Wen haben sie hier in den Staub gebettet?
Wen in die enge öde Nacht verscharrt,
Aus der kein Hahngeschrei, kein weckend Frühroth
rettet,
Auf die kein Sonnenaufgang harrt?
In jene Nacht, in die kein Laut des Lebens,
Kein leiser Hoffnunglispel niederwallt;
Für die der Freude Sturm, der Angst Geheul vergebens
Empor zum blauen Bogen hallt?
In jene Nacht, in die der Witwe Stöhnen,
Der Waisen Klage nicht hinunterdringt;
In jene Ferne, draus kein Flehen und kein Sehnen
Den theuren Flüchtling wiederbringt!
151
Wer ists, um den das menschliche Bedauern
Auch des Empfindungslosern Auge nässt,
Um den diess stumme Weh, diess lebensmüde
Trauern
Der Überbliebnen Busen presst?
Bist du es, Edler, der in unserm Kreise
So gross und so demüthig wandelte?
So friedlich und so still, so einfach und so
weise
Und christlich dacht 'und handelte?
Den alle Guten liebten, die ihn kannten?
Dem auch der Leumund keinen Makel fand?
Den unsre Dürftigen stillsegnend Vater nannten?
Der du mit immer offner Hand
Holz dem Verklommnen, dem Brodlosen Speise,
Dem nackten Bruder Kleidung spendetest,
Der unversorgten Witwe, der verlassnen Waise
Vollherzig dich erbarmetest?
Der du, wie eignen Schmerz, den Schmerz der
Schwären
Des pflegelosen Lazarus empfandst;
Dir tausend Segnungen und Myriaden Zähren
Des Dankes und der Lieb 'erwandst?
152
Und dich, dem Seelelabsal, Brüder laben,
Und Menschen retten, Engelwollust war,
Dich, Edlen, haben sie hier in den Staub be
graben?
Und alle deine Tugend war
Zu schwach, den grimmen Würger zu be -
zwingen,
Der hungrig seine Arme um dich schlang?
Verloren war für dich der Gattin Händeringen,
Und deiner Kinder Qualendrang?
Verschlossen ist dein freundlich Aug 'auf immer?
Verriegelt ewig dein mitleidig Ohr?
Du liegst und schläfst und schlägst die schweren
Wimper nimmer
Aus deinem Todesschlaf empor?
Und Herzensreinheit, Herzensgüte wäre
Nicht besser, als das Gras, das Wiesen schmückt,
Und in der Sonne dorrt? nicht edler, als die Ähre,
Die halbgereift der Sturmwind knickt?
Nein, Menschenfreund, in diesem engen Hause
Wohnt nicht dein bessres, nicht dein wahres Du!
Dein wahres Du, zu gut für dieser Welt Karthause,
Flog jenen schönern Welten zu.
153
Nur dein Gewand, zerrissen und zertrümmert,
Vertrauten wir der grossen Mutter Schooss
Ein Samenkorn, dem einst der Menschheit Blum '
entschimmert,
Unkränkbar, schmerzlos, todeslos.
Du selbst, Verklärter, schwangst mit Strahlen -
schnelle
Dich über Erdengram und Sargesnacht
Und Gräbereng 'empor zu deines Edens Schwelle,
Wo dir ein mildrer Himmel lacht;
Wo eine schönre Sonne dich umlächelt,
Wo eine schönre Erde dich umglänzt,
Wo Gottes Kühlung dir die heissen Schläfe fächelt,
Und der Vollendung Kranz dich kränzt
Wie war dir, Selger, als die neue Sonne
Dir Staunendem entgegenfunkelte?
Als dich des Paradieses namenlose Wonne
Hochwogig überfluthete?
Wie war dir, als auf deinem hellen Pfade
Dir Paul Vinzent, und Secondat,
Und Braunschweigs Leopold, und Fenelon
und Schade,
Und Atticus und Woltemad,
154
Und alle, welchen heilig das Erbarmen
Und Bruderrettung Engelwollust war,
Entgegenwandelten mit ausgestreckten Armen?
Vollendeter, sprich, wie dir war,
Als er, der Menschenretter Erster, Grösster,
Als Jesus Christus liebend zu dir sprach:
Sey mir gegrüsst, Geliebter! Sey getrost, Er -
lös'ter!
Dir folgen deine Thaten nach!
Mich hungerte, und du hast mich gespeiset!
Mich schauerte, und du hast mich erwarmt!
Ich irrt 'in fremden Land verlassen und ver -
waiset,
Und du hast meiner dich erbarmt.
Krank lag ich, und auf meinem Schmerzensbette
Besuchtest und erquicketest du mich.
Gefangen lag ich hart; du schämtest meiner Kette
Dich nicht, kamst und umhalstest mich.
Mein Herr und Gott, wann hätt 'ich dich gesehen,
Dich hungern, der die Welten hegt und pflegt?
Dich frieren, der du schürst der Sonne Flammen -
wehen?
Dich dursten, der das Weltmeer wägt?
155
Dich nackend, der die Frühlingsanger kleidet?
Dich eingekerkert, der die Himmel füllt?
Dich arm, der Überfluss aus voller Urne geudet?
Dich krank, dem alle Kraft entquillt?
Wann hätt 'ich dich erquicken und erlaben
Und trösten können, du Vollseliger?
Wann sollt' ich dich gespeist, getränkt, erwär -
met haben,
Ich Armer! ich Ohnmächtiger!
Und liebend schaute Jesus auf dich nieder,
Und sprach: Ich sag 'es, und ich schwör' es dir:
Was du gethan hast einem meiner kleinsten Brü -
der,
Das thatest du, mein Bruder, mir.
O Wonn '! o Ruhm! so lohnet Jesus Christus
Dem Mann, der wie sein Ich die Brüder liebt!
Der, schauend auf sein grosses Vorbild Jesus
Christus,
Barmherzigkeit an Brüdern übt!
Barmherzigkeit, du Reine, Holde, Milde,
Voll Einfalt, Demuth, Herzlichkeit und Ruh,
Du allerschönster Zug aus Gottes Ebenbilde
Barmherzigkeit, wie schön bist du!
156
Barmherzigkeit, du träufst in Todeswunden
Des Mitleids Öl, der Hoffnung Labewein.
Die schauerliche Nacht der letzten bangen Stunden
Erhellt dein sanfter Mondenschein.
Barmherzigkeit, du führst uns stracks und grade
Zum Vater der Barmherzigkeit empor,
Knie'st an des Richters Stuhl, und flehest Gnade!
Gnade!
Und sprengst des Paradieses Thor
Barmherzigkeit, du flichst in stiller Schwermuth
Um unsern Todten diesen Rosmarin,
Der blühn und duften soll, bis Rosmarin und Wer -
muth
Nicht mehr auf Leichenhügeln blühn!
157

Abschied von Wolgast.

Einmal noch in deiner Fluthen Rauschen,
Blaue Peene, rauscht mein Hochgesang.
Einmal noch, und nimmer wieder, lauschen
Deine Ufer meiner Lyra Klang.
Einen Tag des Wehs wird Eos röthen,
Und des Liebesliedes leises Flöten,
Und des Hymnus fey'rliches Drommeten
Schweigt auf deiner Flur äonenlang.
158
Drob empfind 'ich Wehmuth mich umschleyern.
Meine Seele wölkt Melancholie.
Deinen Tag, mein Bruder, wollt' ich feyern;
Doch der goldnen Saiten Harmonie
Weinet in gebrochnen Dissonanzen,
Und des Brautgesanges sanfte Stanzen,
Statt des Hymenäus Tanz zu tanzen,
Schleichen trägen Gang, wie Threnodie.
Haucht nicht Frühling schon in lauern Lüften?
Goldet sich nicht schon der Berge Moos?
Weint der Halbmond nicht aus weissen Düften?
Kreisst nicht schon der Erde Mutterschooss?
Wann am Blüthenbaum die Knospe schwellet,
Wann der Haiden düstres Braun sich hellet,
Und der Unke Lied im Schilfe gellet,
Reiss 'ich mich von meinen Lieben los;
Eile, ungehemmt von ihren Klagen,
Hin, wo mir dein Finger, Vorsicht, winkt;
Wo der Sonne goldgeschirrter Wagen
Früher steigt, und früher niedersinkt;
Wo der Belte Grundeis später thauet,
Später das erfrorne Jahr erlauet,
Wo Fomahant nie dem Meer entschauet,
Mirach nie des Oceanes trinkt.
159
Ha! schon seh 'ich, Dwina, deine Fluthen
Überweht von Wimpeln sonder Zahl!
Wie sie lodern in des Frühroths Gluthen!
Wie sie flimmern in des Monden Strahl!
Wie die farbenreichen Flaggen wallen!
Wie des frohen Seemanns Jubel schallen!
Horch, die buchtenvollen Ufer hallen,
Und es lauscht des Hirten friedlich Thal.
Aber, wann die müde Schöpfung feyert,
Wann des Abends dunkles Negligee
Alle Flur und alle Fluth verschleyert,
So umwölkt mich heimverlangend Weh.
Sehnsuchtvoll entschleich 'ich dem Gewimmel,
Wandle fern von lastendem Getümmel,
Schau' empor zum sternbesäten Himmel,
Horche traurend dem Gebrüll der See;
Und in ferne trauliche Gefilde
Träum 'ich mich zu meinen Lieblingen,
Wandel' itzt an deinen Ufern, Hylde,
Itzt, o Peene, längs den deinigen,
Itzt in Grevesmühlens stillen Gründen,
Itzt, o Warn ', im Schatten deiner Linden,
Itzt in Rügens Berg - und Waldgewinden,
Unter meinen Heimgebliebenen.
160
Blässer färben sich des Spätroths Gluthen,
Ernster sieht das Antlitz der Natur.
Jedes Trauten denk 'ich, jedes Guten
Auf des Vaterlandes süsser Flur.
Denk' auch eurer, ihr geliebten Beyden,
Die ihr heut 'in Freuden und in Leiden,
Einer von dem andern nie zu scheiden,
Euch vereinigtet mit heilgem Schwur.
Seyd beglückt, ihr Guten, mit dem Glücke,
Das der Himmel Wenigen gewährt.
Eure Seelen, sonder Falsch und Tücke
Sind des bessern Erdelooses werth.
Mögen, Eines an des andern Seiten,
In den Ocean der Ewigkeiten
Euer Leben hell und klar vergleiten,
Durch Verhängnissstürme nie versehrt.
Blühn in eures Hauses stillem Zirkel
Müss 'um euch das Blümchen Fröhlichkeit!
Sonder Schnörkel ist, und sonder Schnörkel,
Still und heimisch ist Glückseligkeit.
Nicht in bunten, steifen, stummen Kreisen,
In Visiten nicht, und nicht in Schmäusen,
Nicht am Schenk - noch Spieltisch winkt dem Weisen
Herzerquickende Zufriedenheit.
161
Sondern heim am Herd der eignen Hütte,
In des Gatten tugendlichem Schooss,
In geliebter Kleinen froher Mitte,
Lebt sichs neideswerth und neideslos.
Lässt's der Himmel einem dann noch glücken
Hier und da den Bruder zu erquicken,
Und sein sorgend Auge zuzudrücken,
O, so fühlt man sich recht froh und gross.
Euer seyn sie, diese ächten Wonnen!
Denn was sonst dem Menschen Wonne daucht,
Ist Gespinnst, im Herbstgedüft gesponnen,
Und zerflattert, wann der Morgen haucht.
Nur die Freude schönerfüllter Pflichten
Mag des Lebens heissen Hader schlichten,
Und das grimme Dunkel um uns lichten,
Wann das Seyn ins Nichtseyn untertaucht.
Schöne, menschenehrende Gefühle!
Leitet meine Lieben sanft und schön
Durch des Lebens Kreuzzug zu dem Ziele,
Wo die Palmen der Belohnung wehn;
Wo die Nebel unserm Blick entwallen,
Wo die Schuppen uns vom Auge fallen,
Wo die Staunenden Entzücken lallen,
Und Geschiedene sich wieder sehn.
2 L
162
Aber, bis wir dort uns wiederschauen,
Denket auch in meiner Ferne mein!
Denket mein, die ihr in diesen Auen
Mich umfinget sonder Schmink 'und Schein!
Wann ihr wandelt, wo die hohen Rüstern
In des Abends Säusel schaurig lüstern,
Längs der weissen Kirchhofmauer flistern,
Meine Theuern, so gedenket mein!
Wann ihr irret in den alten Trümmern,
Wo im weitverheerten Burgrevier
Blasse Schatten auf dem Schutte wimmern,
Aller Kraft beraubt und aller Zier;
Wann dann in den dunkeln Fliedergängen
Leise Schauer euch die Brust beengen,
Und Erinn'rungen euch überdrängen,
Meine Trauten, o so sprecht von mir!
Wann ihr auf der Zisa braunen Gipfeln
Arm in Arm euch sonnt im Abendstrahl;
Wann es sauset in den Tannenwipfeln,
Und es dampft in Hochdorfs Wiesenthal;
Wann ihr starr dann in das Spätroth blicket,
Dann euch inniger die Hände drücket,
Dann euch hier und da ein Nelkchen pflücket:
Meine Theuern, denkt auch mein einmal!
163
Denken will ich euer, bis die Parze
Meines Lebens schlanken Stengel knickt.
Bis der Jüngling mit gesenkter Kerze
Zu Elisiums Sängern mich entrückt;
Bis am wogenbrechenden Gestade,
Wo ich wallte meine letzten Pfade,
Meine Urn die traurende Najade
Mit Seelilien und Lotos schmückt.
Und mich ahnet, dass nicht lange, lange
Jene Zone mich gefangen hält.
Mächtig ahnets mich und süss und bange,
Dass der Fremdling, der die Brust mir schwellt,
Den schon lange dieser Kerker enget,
Der schon lange rastlos aufwärts dränget,
Bald vielleicht die morsche Hülle sprenget,
Und empor sich schwingt zu bessrer Welt.
O des Trostes! o des Vollgenusses!
Aller Thorheit, aller Eitelkeit,
Alles Siechens, alles Überdrusses,
Alles Tands und alles Zwangs entfreyt
In den sonnenvollen Himmelzonen,
In des Empyräums Regionen,
Mit den Sokraten und den Platonen
Lustzuwandeln durch die Ewigkeit!
L 2
164
O des ächten Geisterwerthen Glückes,
Unzerstreut durch inhaltlosen Harm,
Ungelähmt durch Schläge des Geschickes,
Ungeneckt durch niedrer Sorgen Schwarm
Eingelullt in trunkenes Vergnügen,
Höchstes Schön, in deinem Schooss zu liegen,
Deiner Brust sich innigst anzuschmiegen,
Sanft umschürzt von deinem Feenarm!
Eines nur ist Noth, und Eins wird bleiben!
Möge Pepromenens Machtgebot
Der Atomen Bau wie Spreu zerstäuben
Eines höhnt den Sichelschwinger Tod.
Möge die Natur ihr Grablied girren,
Sonn 'und Mond aus ihren Bahnen irren,
Flug - und Schwerkraft selber sich verwirren
Eines bleibet, und nur Eins ist noth.
[165]

Fünftes Buch.

[166]

Seiner Freundin Caroline Schlegel zugeeignet.

[figure]
167

Elisium.

Vorüber die lange Nacht?
Vom eisernen Schlummer erwacht,
Bin ich? leb 'ich? athm' ich wieder?
Schwebe mit sonnebestrahltem Gefieder
Hervor! herauf aus grausender Gruft!
Hindurch die sausende Himmelsluft!
Hindurch des Äthers schwellende Fluthen!
Entgegen Aurorens Purpurgluthen!
Entgegen dem vollsten Mittagslicht!
Sein Glanz, sein Gluthmeer blendet mich
nicht
Staunen, Entzücken, ich trage dich nicht!
168
Unbekanntes Bangen,
Namenlose Lust,
Schüchternheit und Verlangen
Heben die stürmende Brust.
Wechselnde Schauer,
Freud 'und Trauer
Süsse Wehmuth, köstlicher Schmerz
Schüttern das bebende
Strebende
Herz.
Wonne, die mich durchschauert,
Du bist nicht Erdenwonne!
Hehre, die droben wandelt,
Du bist nicht Erdensonne!
Anders ist dieser Himmel!
Anders diese Flur!
Blauer und milder der Himmel!
Duftender, grüner die Flur!
Ambrosische Saaten durchfluthen die Felder,
Unsterbliche Stimmen durchflöten die Wälder;
Den Quellen entrieselt Harmonikaklang,
Den Bächen entmurmelt Schlummergesang.
Jedes athmende Blümchen
Nickt mir leisen Gruss,
In jedem schmeichelnden Lüftchen
Umschauert mich Geisterkuss.
169
Ich selbst! wie anders!
Wie Kraftgeflügelt!
Wie geniusstark!
Mir schwellet den Busen dämonisches Leben!
Mir spannet die Muskeln gewaltiges Streben!
Unsterblichkeit wogt mir durch Nerven und
Mark!
Röthe des Aufgangs entschimmert der Wange!
Mir entrieselt die Stimm 'in melodischem Klange!
Mir entrollen die Locken, wie ringelndes
Gold!
Der Himmlischen Einer durchschwimm' ich die
Lüfte,
Umsäuselt die Schläfe von Mayengedüfte,
Mit schimmernden Strahlen die Scheitel umrollt.
Wonne, die mich durchschauert,
Wer bist du, Mächtige?
Sonne, die droben wandelt,
Wer bist du, Freundliche?
Rieselnde Quellen, kristallene Seen,
Funkelnde, sonnenvergoldete Höhen,
Amaranthenduftendes Blumenrevier,
Sagt mir, wer seyd ihr, ihr Nimmerbesungnen,
Nimmer mit Schwinge der Ahnung erschwungnen,
Saget, ach sagt, ach verkündet es mir.
170
Stimmen.
Chor.
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen in Elisium!
Du bist dem Staub 'entnommen!
Vom Tode losgekettet,
Aus Nacht und Grab gerettet
Bist in Elisium!
Wo alle Dunkel tagen,
Wo jedes bange Klagen
Gejubel wird, die Sehnsucht
Genuss wird, und die Hoffnung
Ihr Ziel erfliegt Willkommen!
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen in Elisium!
Einzelne Stimmen.
Dessen Seele rastlos schwärmt 'und strebte,
Dessen Busen rastlos wogt' und webte
Von der Leidenschaften Sturm und Drang
Ruhe nun in unsern stillen Thalen,
Eingewiegt von lauen Abendstrahlen,
Eingelullt von Nachtigalgesang.
171
Der du lechztest in des Stoffes Enge,
In der Massen lastendem Gedränge,
Nach den Räumen der Unendlichkeit
Schwärme fröhlich nun durch Ewigkeiten
In des Weltalls ungemessnen Weiten.
Schrankenlos sind Edens Raum und Zeit.
Weckten dir des Ruhmes Donnerglocken,
Dir die Lorbeern in der Helden Locken
Unmuth, Eifersucht und Thatbegier?
Jüngling, hier sind Kränze zu erringen,
Säulen zu erstreben, Lorbeern zu ersingen,
Auf und wirb, und kühn erwirb sie dir!
Trachtete dein Geist mit regem Trachten,
Schmachtete dein Herz mit heissem Schmachten
Nach der Wahrheit ungetrübtem Quell
Ihre Pforte sey dir hier entriegelt!
Ihr geweihter Urborn dir entsiegelt!
Schöpfe, Lechzer, schöpfe tief und hell!
In der Heimath bunter Nichtigkeiten
Träumtest du dir thöricht Seligkeiten,
Die nicht Überdruss, nicht Reue trübt.
Liebe lechzten deine Flammentriebe?
Sey geliebt von uns mit jener Liebe,
Welche zehnfach der Empfangne wiedergibt.
172
Oder sind die Trauten dir entwichen?
Freunde dir im warmen Arm erblichen?
Sey getrost! die Flüchtlinge sind hier,
Halme, die des Schicksals Finger knickte,
Blumen, die der Hauch des Todes pflückte,
Sammeln, hegen, und bewahren wir!
Liebende, für jene Welt geschieden,
Wandeln hier in ewigsüssem Frieden
Arm in Arm in Haynesdämmerung.
Ihrer Fackeln Brand verlodert nimmer,
Ihrer vollen Urn 'entsprudeln immer
Freuden ewig frisch, und ewig jung.
Alle Thränen, die die Erde weinte,
Alle Wünsche, die der Staub verneinte,
Trocknet und erhört Elisium.
Alle Kämpfe, die die Tugend kämpfte,
Alle Stürme, die die Weisheit dämpfte,
Endet und belohnt Elisium.
Chor.
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen in Elisium!
Du bist dem Staub 'entnommen,
Der Eitelkeit entschwunden,
173
Der Thorheit Arm entwunden,
Des Fesselzwangs entbunden,
Bist in Elisium!
Wo keine Ketten klirren,
Wo keine Klagen girren,
Wo keine Nebel irren,
Wo Licht und Lieb' und Tugend
Einheimisch sind. Willkommen!
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen!
Willkommen in Elisium
Welche Ruhe, welcher Friede,
Welche wollustreiche Müde,
Welche Agonie der Lust
Welch würgendes Entzücken,
Welch Schlagen und welch Drücken
Durchtobet die kämpfende Brust!
Alles vorüber!
Alles verwallt!
Jeder Kummer verschwunden!
Jede Klage verhallt!
Jedes Wetter verwittert!
Jede Schranke zersplittert!
Jede Fessel gesprengt!
174
Allen Engeln entschwungen,
Jede Klemme durchrungen,
Jedem Gedräng 'entdrängt!
Jeder Seufzer verstöhnt!
Jede Sünde versöhnt!
Alle Kämpfe gekämpft!
Aller Aufruhr gedämpft!
Hinausgehoben über Trug und Wahn,
Über der Thorheit stürmischen wilden Orkan!
Über der Falschheit tückisches Heucheln!
Über des Laurers giftiges Schmeicheln!
Über des Neides Zähngefletsche!
Über der Klatschsucht Luggeträtsche!
Über der Ehrsucht umdonnerte Höhn!
Über der Trennung betäubende Wehn!
Schlaff der Bogen des Schicksals!
Des Todes Sense stumpf!
Sieg! Sieg!
Jubel! Jubel!
Triumph! Triumph! Triumph!
Alles bestanden!
Alles besiegt!
Geschlagen jegliche Schlacht!
Jegliches Opfer gebracht!
175
Selige Tugend, dir nun ewig treu,
Himmlische Wahrheit, ewig froh und frey.
Mich lehnen an deinen reinen Busen,
Dir schauen in dein hellstrahlend Antlitz,
Mich weiden an deiner Engelschöne
Deinen Schleyer zerreissen, spröde Feye Natur!
Dir folgen durch Feld und Wald und Flur,
Behorchen deine leisesten Tritte,
Belauschen deine verhülltesten Schritte,
Mich wagen bis hart an die Säume des Nichts,
Mich schwingen bis hoch zur Quelle des
Lichts,
Rudern im weiten Raum der undurchschiff baren Leere,
Durch der donnernden Schöpfung Inselmeere,
Von Pol zu Pol, von Sphäre zu Sphäre,
Vom Regulus,
Zum Sirius,
Von Präsepens Strand bis zum Strand der
Hyaden,
Von Weltengestaden zu Weltengestaden,
Die Tycho nicht, Herschel nicht, Kep -
ler nicht sah
Luft! Luft!
Freyheit! Freyheit!
Victoria! Victoria! Victoria!
Und welche süsse Botschaft
Drang dem Entzücken in das trunkne Ohr!
176
Euch soll ich wiederschauen,
Die sich mein Herz erkohr!
Die ihr euch liebend an mich hinget,
Die ihr mit Inbrunst mich umfinget,
Mit eurem Muth mich stützetet;
Die ihr im Frost der Welt an eurer Brust mich
wärmtet,
Des Jünglings Schwäche trugt, um meinen Gram
euch härmtet,
In meine Jubel jubeltet!
Geliebte meines Herzens,
Vertraute meiner Seele,
Wo seyd ihr?
In welchen Rosenschatten,
An welchen Silberquellen,
In welchen Haynen wandelt ihr?
Wo staunt mein Agathon in ewiggrünem Schatten?
Wo mustert mein Arist die Flora neuer Matten?
Wo flicht das edle Weib, das mich gebar,
Sich Blumen in ihr blondes Haar?
In welchem blühenden Gefilde
Lustwandeln Zilia und Fridamilde?
An welches Baches veilchenblauem Rand
Pflückt Ida Immergrün und Amaranth?
In welches Haynes Dämmerungen,
Von Nachtigalen rings umsungen,
177
Von ihrer Rosa Arm umschlungen,
Wallt meine freundliche Odalia?
Und die, die mich mit treuem Arm umschlang,
Durch jedes Dorngeflecht des Lebens mit mir
drang,
Mit nimmerlauer Liebe mich beglückte,
Mit nimmermüder Duldung mich erquickte,
Und Labung noch in meine Seele blickte,
Als mir das Licht entschwand und mir die Erd '
entwich
Wo, meine Rina, wo, wo find' ich dich?
Die ihr mich im Staube liebtet,
Mit mir ranget, mit mir strittet,
Mit mir jauchztet, mit mir littet,
Himmlische, wo find 'ich euch?
Immer heisser säumt nicht länger
Immer lauter, immer bänger
Schlägt mein liebend Herz nach euch.
Schau!
Es glänzt!
Des Haynes Nacht
Entrauscht, wie Lautengelispel,
Entwallt, wie Mondenflimmer,
Eine Strahlengestalt.
2 M
178
Schimmergelockter,
Ätherumflossner,
Blühender, strahlenumgürteter Jüngling,
Ich kenne dich Eudämon!
Ich bin, ich bin Eudämon!
(Und während sich die Seligen umschlossen,
Geist in Geist sich ergossen,
Schimmer in Schimmer und Äther in Äther zerflossen,
Ward feyerliche Stille
Rings in Elisium.
Leiser rauschten die Hayne;
Melodischer quollen die Quellen,
Harmonischer weinten die Harfen;
Feyerliche Stille
Ward in Elisium.)
Lass mich, mein Geliebter!
Umschlinge so innig mich nicht!
Viel harren noch deiner der süssen Sekunden
Des Wiedererblickens, des Wiedererkennens,
Des Wiederumarmens in unsern glückseligen Fluren.
Siehst du den sonnigen Hügel
Jenseit des blitzenden Stroms?
Düft 'umwölken ihn;
179
Jubel enttönen ihm;
Schimmer entglänzen ihm.
Es ist der Hügel des Wiedersehns.
Dort dichtet Agathon in kühlen Lorbeerschatten;
Dort freuet sich Arist des Flors der bunten Matten;
Dort flicht das edle Weib, das dich gebar,
Sich Myrten in ihr blondes Haar.
Dort ruhn Sulvina, Zilia und Fridamilde
Im seidnen Rasen blühender Gefilde;
Dort pflückt dir Ida an kristallner Quellen
Rand
Violen, Immortell und Amaranth.
In jenes Haynes Dämmerungen,
Von Nachtigallen rings umsungen,
Von ihrer Rosa Arm umschlungen,
Wallt neunmal schimmernder, denn sonst, Odalia.
Doch, die durch jenes Wallerland
Dich leitet 'an getreuer Hand,
Ist noch nicht hier. Sie wandelt müd' und stille
Und heimverlangend noch in ihrer Staubeshülle,
Besuchet oft im blassen Mondenlicht
Dein melancholisch Grab, und streut Vergiss -
meinnicht
Und Rosenblätter drauf. Und manche leise Thränen
Entbeben ihrem Aug ', und manches heisse Sehnen
M 2
180
Hebt ihren Geist hinweg aus Tand und Eitelkeit,
Hinauf zum goldnen Sitz der Unvergänglichkeit
Doch eil ', ach eile, folge mir!
Siehst du den sonnigen Hügel?
Lichtere Schimmer entwallen ihm!
Lautere Jubel entstürzen ihm!
Dichtere Schatten umströmen ihn!
Harret, Geliebte, wir kommen!
Öffnet die Arme! Wir eilen
Tönenden Fittiges, sausenden Flugs
In eure offenen Arme!
An eure liebende Brust!
Stimmen.
Chor.
Wonne!
Wonne!
Wonne!
Entzückungvolles Wiedersehn!
Vergeltung aller Leiden!
Vollendung aller Freuden!
Heil dir, der Himmel Wollust!
Heil dir, o Wiedersehn!
Wonne!
Wonne!
Wonne!
Entzückungtrunknes Wiedersehn!
181
Einzelne Stimmen.
Pilger in der Trennung Thalen,
Waller zwischen Todtenmaalen,
Staubgeborne, trauert nicht!
Durch der Trennung schwarze Trauer,
Durch des Hades düstre Schauer,
Schimmert nieerlöschend Licht.
Und in dieses Lichtes Strahlen,
Und in unsern Friedensthalen
Schwinden alle Lebenswehn.
Thränen, die den Todten flossen,
Thränen, Trennung, dir vergossen,
Fliessen hier dem Wiedersehn.
Wiedersehen, Wiederschauen
Derer, die des Grabes Grauen,
Die des Schicksals Strenge schied;
Wiederfinden, Wiedergrüssen,
Innigs Geist in Geist - zerfliessen,
Deine Wonne singt kein Lied.
Deine Wonn 'ist überschwenglich,
Rein und süss und unvergänglich,
Wie der Gottheit Seligkeit!
Ewigjung, wie Himmelslenze,
Gränzet sie mit Weltengränze,
Endet sie mit Ewigkeit.
182
Chor.
Wonne!
Wonne!
Wonne!
Entzückungtrunknes Wiedersehn!
Ersatz für alle Leiden!
Vollendung aller Freuden!
Erhabnes Götterschauspiel
Heil dir, o Wiedersehn!
Wonne!
Wonne!
Wonne!
Der Himmel Wollust Wiedersehn!
183

Geist der Liebe.

Wer bist du, Geist der Liebe,
Der durch das Weltall webt?
Den Schooss der Erde schwängert,
Und den Atom belebt,
Der Elemente bindet,
Der Weltenkugeln ballt,
Aus Engelharfen jubelt,
Und aus dem Säugling lallt?
Wer bist du, Kraft der Kräfte,
Die Greisesaugen hellt?
Der Jünglingswangen röthet,
Und Mädchenbusen schwellt?
Der Liebe beut und fodert,
Um Liebe ringt und wirbt,
Und Messiaden dichtet,
Und Brutustode stirbt?
184
Bist du nicht Odem Gottes,
Unsträflich, wie sein Licht,
Und stark, wie seine Rechte,
Die Welten baut und bricht?
Bist unsers Kreuzzugs Fahne,
Entflammst mit heilger Scham
Den Feigen und den Matten,
Ein wehend Oriflamm.
Nur der ist gut und edel,
Dem du den Bogen spannst.
Nur der ist gross und göttlich,
Den du zum Mann ermannst.
Sein Werk ist Pyramide,
Sein Wort ist Machtgebot.
Ein Spott ist ihm die Hölle,
Ein Hohn ist ihm der Tod
185

Alles um Liebe.

Was ist es, das die Seele füllt?
Ach Liebe füllt sie, Liebe!
Sie füllt nicht Gold noch Goldeswerth,
Nicht, was die öde Welt begehrt,
Sie füllt nur Liebe, Liebe!
Was ist es, das die Sehnsucht stillt?
Ach, Liebe stillt sie, Liebe!
Sie stillt nicht Titel, Stand noch Rang,
Und nicht des Ruhmes Schellenklang;
Sie stillt nur Liebe, Liebe!
186
Was ists, wonach das Herz zerlechzt?
Es lechzet, ach, nach Liebe!
Es schmachtet nicht nach Druck und Kuss,
Nicht nach der Wollust Vollgenuss;
Es schmachtet nur nach Liebe,
Gern geb 'ich, was ich hab' und bin,
Gern geb 'ichs hin um Liebe.
Des Reichthums bunter Seifenschaum,
Der Wollust Rausch, des Ruhmes Traum,
Was frommt mirs ohne Liebe?
Viel süsser ist's gering und arm
An treuer Brust verschmachten,
Als ungeliebt und liebelos
Den Tag verprassen, und im Schooss
Der Wollust übernachten!
O liebe Traute, liebe mich,
So wahr, wie ich dich liebe!
Dann schwinde Ruhe, Ruhm und Glück!
Nimm alles, alles hin, Geschick;
Mir gnügt Ellwinens Liebe.
Und wär mein Loos, getrennt von dir,
Mein Leben zu vertrauren;
Und wüsst 'ich nur, dass du mich liebst,
Und wüsste nur, dass du mir bliebst
Wer dürfte mich bedauren?
187
Und wär 'ich in der Sklaverey,
In freundeloser Wildniss,
Und wäre dein, nur dein gewiss,
So wäre Sklaverey mir süss,
Und Paradies die Wildniss.
Und hüllte Todesfinsterniss
Dich, meines Lebens Sonne,
Und stürb 'ich nur, von Ihr gemeint,
Von Ihr beklagt, von Ihr beweint,
So stürb' ich, ach, mit Wonne!
Viel besser ist's jung, kräftig, kühn
Im Arm der Liebe sterben,
Als ungeliebt und liebelos
In dumpfer Freuden mattem Schooss
Veralten und verderben!
188

Huldigung.

Gar verloren, ganz versunken
In dein Anschaun, Lieblingin,
Wonnebebend, liebetrunken,
Schwingt zu dir mein Geist sich hin.
Nichts vermag ich zu beginnen,
Nichts zu denken, dichten, sinnen.
Nichts ist, was das Herz mir füllt,
Huldin, als dein holdes Bild.
189
Süsse, Reine, Makellose,
Edle, Theure, Treffliche,
Ungeschminkte rothe Rose,
Unversehrte Lilie,
Anmuthreiche Anemone,
Aller Schönen Preis und Krone,
Weisst du auch, Gebieterin,
Wie ich ganz dein eigen bin?
Huldin, dir hab 'ich ergeben
Seel' und Leib und Herz und Sinn.
Ohne dich wär Tod das Leben,
Und mit dir der Tod Gewinn.
Süsser ist es, dir zu frohnen,
Als zu tragen goldne Kronen,
Edler, deinem Dienst sich weihn,
Als des Erdballs Herrscher seyn.
Wenn ich, Traute, dich erblicke,
Wird die Seele mir so klar;
Wenn ich dir die Hände drücke,
Zuckt's in mir so wunderbar.
Des Olympos hohe Zecher
Labt nicht so der Nektarbecher,
Der Ambrosia Genuss,
Als mich labt dein keuscher Kuss.
190
Mich umbeben süsse Schauer.
Kraft und Athem mangeln mir,
Freude schüttelt mich und Trauer,
Bange Scheu und Gluthbegier,
Wann ich mich dem Heiligthume
Deines Kelches, edle Blume,
Zitternd nahe, Nelkenduft
Mich umweht und Ambraluft.
Könnt 'ich, ach, dich nur umschmiegen
Einen langen Sommertag,
Dir am offnen Busen liegen,
Lauschend deines Herzens Schlag!
Könnt' ich, ach, dich nur umflechten
In den längsten Winternächten,
Eingewiegt in seidnen Traum
Auf des Busens Schwanenflaum!
Könnt 'ich, ach, mein ganzes Leben
Einzig dir, Ellwina, weihn!
Dürft' ich handeln, dulden, streben
Für dich und mit dir allein!
Wahrlich, dann wär Daseyn Wonne!
Und wann meines Lebens Sonne
Unterging 'in Finsterniss,
O, so wär' auch Tod mir süss.
191
Sollte Dunkel Den umweben,
Dem Ellwinens Auge glänzt?
Sollt 'ich vor der Urne beben,
Die Ellwina weinend kränzt?
Sollt' ich nicht, du kühle Kammer,
In dir schlummern sonder Jammer?
Horch! Ellwina wehmuthvoll
Seufzt: mein Liebling, schlummre wohl!
Und wie bald ist nicht verschwunden
Jenes Schlummers kurze Nacht!
Horch, es jubelt: Überwunden!
Schau, der ewge Tag erwacht!
Dann du Theure, dann du Eine,
Bist du ganz und ewig Meine!
Trennung ist das Loos der Zeit!
Ewig einigt Ewigkeit!
192

Der Traum.

Einen süssen Traum hab 'ich geträumet.
Rosig war sein Gürtel; goldbesäumet
War der Fittig, der den Gaukler trug.
Spottend ist der Flattrer nun entflogen,
Tückisch hat der Täuscher mich betrogen;
Dennoch dankt mein Herz ihm den Betrug.
Abend war es; und im Abendschimmer
Stand ich auf Arkonens heilger Trümmer,
Schaute staunend in die weite See.
Schimmernd in des Spätroths Widerscheine,
Stand bey mir die namenlose Eine,
Die ich wachend träumend einzig seh.
193
Schön bekränzt von Schlüsselblumenglocken,
Floss ihr Haar in schweren blonden Locken
Von des Zephyrs Odem aufgehaucht.
Weiss und schwellend, wie des Schwans Gefieder,
Wallt 'ihr Schneegewand die Hüften nieder,
In der Abendsonne Gold getaucht.
Röther brannten itzt des Spätroths Gluthen,
Düstrer donnerten die düstern Fluthen,
Gross und fey'rlich sank die Sonn 'hinab.
Rings umrauschte sie des Meeres Fülle;
Aber plötzlich ward es stille, stille,
Wie um eines guten Menschen Grab.
Staunend schauten wir vom schroffen Hügel
Nieder in des Meeres Lasurspiegel,
Staunender zum Abendroth empor.
Schon erblassten seine Purpurnelken.
Schau! da dämmert 'aus den Duftgewölken
Bleich und lieb der Abendstern hervor.
Und mir ward, als hört 'ich Angstgestöhne,
Grabgewimmer, dumpfe Jammertöne
Von dem blassen Stern herüberwehn.
Stern der Liebe, rief ich mit Erstarren,
Siehst du auch, du Blasser, Gräber scharren,
Herzen brechen, Leben untergehn?
2 N
194
Schwärmend rief ichs, und die Edle blickte
Schweigend mir ins Auge. Schweigend drückte
Sie die Hand mir. Und vom süssen Schmerz
Überwältigt, sank die Tadellose,
Eine blasse sturmgebeugte Rose,
Angesichts des Weltalls mir ans Herz.
Horch, da wandelte das Angstgestöhne
Plötzlich sich in Hymenäentöne.
Brautgesänge schallten Chor um Chor.
Töne, wie sie Dulon nie entquollen,
Wie sie Franklins Glocken nie entschwollen,
Schlichen schmelzend in mein trunknes Ohr.
Von der Sterne Schimmerlicht umflossen,
Von der Locken Goldgewölk umgossen,
Lag die Edle athmend mir im Arm.
Weggeschwemmt war aus dem selgen Herzen,
Das an ihrem schlug, die Fluth der Schmerzen,
Weggewaschen jeder alte Harm.
Eine grosse, selige Minute
Hielt ich so das Schöne und das Gute
Angeschmiegt an die getreue Brust.
Aber ach, der beerenreichen Trauben
Keine dem gewünschten Baum zu rauben,
War zu lockend die verbotne Lust.
195
Nur den leisesten der Küsse drückte
Ich auf ihre Lippen. Plötzlich zückte
Mir es rächerisch durch Mark und Bein.
Aufgeschüttelt aus dem süssen Traume
Fand ich mich im weiten öden Raume,
Fand ich, ach! im Weltall mich allein!
Also hat mich Phantasus berücket;
Täuschend hat der Gaukler mich entzücket
In der Fabel luft'ges Paradies.
Tückisch hat der Falsche mich verlassen.
Dennoch kann ich nicht den Täuscher hassen;
Traum und Wahn sind Liebenden so süss!
N 2196

Erwin an Ellwina.

Ich denk 'an dich und holde Fantasieen,
Und rosenfarbne Träume schmeicheln mir.
Mein liebelechzend Herz zerschmilzt in Elegieen,
Und jede Fiber tönt von dir,
Und jeder Muskel zuckt, dich zu erstreben,
Der Sehnsucht Sturmwind fasst mich stark und wild,
Und schüttelt meinen Bau, dass seine Pfeiler beben,
Und meiner Kräfte Fluth erschwillt.
197
Getragen von dem Fittig der Gedanken,
Gehoben von der Welle der Begier,
Entschwingt der freye Geist sich kühn des Raumes
Schranken,
Und pflegt Vertraulichkeit mit dir.
Doch ach, wenn ich nun wirklich zu dir
fliege,
So überwältigt mich geheimes Graun.
Der Blöde wagt es nicht, die seelenvollen Züge,
Das klare Antlitz anzuschaun.
Mein Blick bebt bange vor dem deinen nieder.
Von ferne steh 'ich träumend. Jedes Wort,
Das dir entsäuselt, klingt aus meinem Innern
wieder,
Ein liebelispelnder Accord.
Wenn im Vorüberfliehn dein Kleid mich streifet,
Dein irrend Auge meines blinzelnd fasst,
Dein himmelheller Blick den meinigen ergreifet,
So stockt die Rede. Wechselnd blasst
Und feuert mir die Wange. Nebel flirren
Vor meinen Augen; jeder Umriss schwankt,
Es schwindelt der Begriff in ausganglosen Irren,
Und rings die Feste rollt und wankt.
198
Doch, wenn du schonend deine Macht ge -
brauchest,
Mir mild und gütig in das Auge blickst,
Ein leises Denke mein! mir in die Seele hau -
chest,
Und scheidend mir die Hände drückst:
Wie selig fühl 'ich dann mich, überselig;
Ein Heros, wähn' ich, sey ich, sey ein Gott!
Und blutete für dich mit Freuden, sänke fröhlich
Für dich, Geliebte, in den Tod!
Dann könnt 'ich alles dulden, alles tragen,
Der Bande Schmach, der Kerker Finsterniss;
Ich trotzet', um für dich mein Alles hinzuwagen,
Den Parzen und der Nemesis.
Dann möcht 'ich gern die ganze Welt be -
glücken,
Den Todfeind möcht' ich brüderlich umfahn,
Die starre Hölle selbst an meinen Busen drücken,
Und rettend mich dem Orkus nahn.
Das Sieb der Danaiden möcht 'ich füllen,
Dem müdgequälten Sisyph Kühlung wehn,
Prometheus Fessel brechen, Tantals Hunger stillen,
Ixions Rad mitleidig drehn.
199
Ein himmlisch Feuer fühl 'ich in mir lodern;
Die Grossen, Starken, die Heroën all
Gebeut der Dämon mir zum Kampf herauszufodern,
Auf Leyer, Griffel oder Stahl.
Drum lass, Ellwina, lass dich, Edle, lieben!
Dein Erwin wünscht sich nichts von dir zurück;
Ihm gnügt sein Saitenspiel, die Wollust, dich zu
lieben,
Dein Anschaun, Huldin, und dein Blick!
200

Erwin an Ellwina.

Ich sahe sie in ihrer Schönheit Strahle,
Ich sah die schönste Blume unsrer Flur,
Dich sah ich, Lieblingin, im seebespühlten Thale,
Im hehren Tempel der Natur.
Im hellen Reihen der Anbeterinnen
Sah ich dich sitzen sonder Schmuck und Zier;
Und stürmisch schlug mein Herz. Es schwindelte
den Sinnen,
Und meine Kraft versagte mir.
Nur schüchtern wagt 'ich es, den Unbekannten
Zu preisen, schüchtern nur die ewige,
Die göttliche Natur. In meinem Innern brannten
Die Flammen für die Sterbliche.
201
Und ist nicht Liebe heilig, wie die Tugend?
Ist sie nicht süss, wie die Unsterblichkeit?
Was frommet ohne sie der Götter ewge Jugend,
Was aller Himmel Seligkeit?
Für Einen Tag, verlebt an deiner Seiten,
Für Eine Nacht, durchwacht an deiner Brust,
Wär 'eine Welt mir feil voll schaler Seligkeiten,
Und eines Himmels matte Lust.
Für Einen Kranz, von deiner Hand gewunden,
Für Eine Schleife, deiner Liebe Pfand,
Gäb 'ich den Lorbeer hin, den mir in schönern
Stunden
Die Muse um die Schläfe wand.
Wer liebt, wie ich, die Dichter und die Weisen!
Doch ach, für Eine Zeile deiner Hand
Vertauscht 'ich ohne Schmerz die Bücher meiner
Weisen,
Und aller Hochgelahrtheit Tand.
Dein trauter Gruss durchströmt mich mit Ent -
zücken,
Wie keines Dichters lieblichster Gesang.
Dein Lob, dein süsses Lob, dein lohnend Hände -
drücken
Entflammt mich, wie der Nachwelt Dank.
202
Dein Wink, dein Nick, o wunderbares Wesen,
Dein Lächeln, dein bedeutungsreicher Blick,
Macht den Verzweifelnden von jeder Qual genesen,
Und ruft vom Orkus ihn zurück.
O dürft 'ich einmal nur dich fest umstricken!
Dürft' ich nur einmal von der Sehnsucht Drang
Dahingerissen dich an meinen Busen drücken
Zwei selige Minuten lang!
Dürft 'ich nur einmal an dein Herz dir sinken,
Nur einmal bis zum vollen Überschwang
Den Wein der Seligkeit von deinen Lippen trinken,
Und gält' es Tod und Untergang!
Was soll das Leben dem, der dessen Wonnen
Rein aus bis auf die bittern Hefen trank?
Der Kelch ist ausgeleert, der Freude Born zerronnen.
Willkommen Tod und Untergang!
203

Erwin und Ellwina.

Ellwina.
Weg ist sie, Gottes Sonne. Wohlthuns müde,
Und, wie die Tugend ruhig, schlief sie ein.
O wiegte diese Ruh, o lullte dieser Friede
Mich in den langen Schlummer ein!
Erwin.
Schön sank sie hin, die Starke, Hohe, Grosse,
Und steigt bald wieder schimmernder empor.
So blüht Ellwina einst aus der Verwesung Schoosse
Verschönert und verjüngt hervor.
204
Ellwina.
Wie glüht der Westen! Erwin, sieh, wie
wallen
Die rothen Fluthen um der Sonne Grab!
Es regnet Rosen, Erwin; Diamanten fallen
Aus jenem Duftgewölk herab.
Erwin.
Und regnen einstens diese Rosen, fallen
Des Thaues Perlen einst auf meinen Stein,
Wird auch Ellwina wohl zu Erwins Hügel wallen,
Und Blumen auf den Stillen streun?
Ellwina.
Wie sagst du, Erwin? Ach, die klare
Bläue,
Die, wie ein wogend Lichtmeer, uns umschwillt!
Wie diese lautre Fluth, wie diese Füll 'und
Treue
Des matten Herzens Lechzen stillt!
Erwin.
Diess matte Herz lechzt, Beste, nach dem
Lande,
Wo das Verhängniss sich der Lieb 'erbarmt;
Wo alles Zwanges los, und ledig aller Bande
Sich selig Seel' und Seel 'umarmt.
205
Ellwina.
Siehst du den regen Punkt hoch in den Lüften?
Hörst du der Lerche wirbelnd Abendlied?
Itzt schweigt sie, kreist herab auf thauberauschte
Triften,
Und sinkt ins hochbegraste Ried.
Erwin.
Die Glückliche! Sie lebt ein selig Leben!
Ihr kürzt den Tag die süsse Harmonie;
Die süssre Nacht verwallt ihr zephyrleicht und
eben
Am Busen der geliebten Sie.
Ellwina.
Zurück du Rascher! Morde nicht das Veil -
chen,
Von Thau und Düften schwer hinabgedrückt!
Verstreue deinen Duft, verblühe, frommes Veilchen,
Von meinem Finger ungepflückt!
Erwin.
Du wolltest Florens Lieblingskind verachten?
Missgönnen wolltest ihm den Stolz, die Lust,
Sein Leben auszublühn, sein Daseyn auszuschmach -
ten
An eines Engels reiner Brust?
206
Ellwina.
Wie meinst du, Erwin? Erwin, welche
Frische!
In Amboina's Würzen schwimmt die Luft!
Die kleebeblümte Flur, die thaubesprengten Büsche,
Sie träufeln Balsam, strömen Duft.
Erwin.
Es ist der Liebe Hauch, der um uns säuselt,
Es ist der Liebe Athem, der uns kühlt,
Der Liebe Lispel ists, der deine Locken kräu -
selt,
Und fächelnd um die Wangen spielt.
Ellwina.
Ja wohl ists Abglanz einer ewgen Güte,
Die in den rothen Wolken dort sich mahlt.
Wohl ist es Kraft und Huld, die uns aus jeder
Blüthe,
Aus jedem Halm entgegenstrahlt.
Erwin.
Und die mir strahlt in dieser Wangen Blüthe,
In dieser Augen himmelblauem Licht,
O wandellose Huld, o anspruchlose Güte,
Die jedem dieser Züg 'entspricht!
207
Ellwina.
Ja, schön bist du, du unsers Lebens Wiege,
Und einstens unser Grab! Ach, wann ich nun
An deiner kalten Brust, du gute Mutter, liege,
So lass mich schuldlos an dir ruhn!
Erwin.
Ja schön ist unser Stern im Frühlingsgrüne;
Doch schöner ist ein menschlich Angesicht,
Wenn leis 'aus jedem Zug, und laut aus jeder Miene
Der Seele hohe Schönheit spricht;
Wenn Kindessinn im Wangengrübchen wohnet,
Der Rührung Thau in seidnen Wimpern bebt,
Auf wolkenloser Stirn die Ruh der Unschuld thronet,
Und um die frischen Lippen schwebt.
Die Flur erschliesst sich lauen Regengüssen;
Der Blume Kelch dem jungen Morgenlicht.
So fühlt zu solcher Huld mein Herz sich hingerissen,
Und liebte gern 'und darf es nicht.
Ellwina.
Und darf nicht Erwin? Wonne, Erwin, Wonne!
Sie schlägt die Sängerin, die Nachtigal.
Entzücken, das mich schwellt, bist du noch Erdenwonne?
Bist du nicht Eden, selig Thal?
208
Erwin.
Ja, Eden ist es. Wo du weilst, ist Eden,
Und, wo du lächelst, blüht Elysium
Ach lächle nicht so hold. Dein Lächeln täuscht den
Blöden,
Und wandelt ihn zum Helden um.
Horch, wie sie flötet! Weckt kein leises Sehnen,
Kein süsses Ahnen dieser Ton in dir?
Du wendest dich? du weinst? Was deuten diese
Thränen,
Was weissagt diess Erblassen mir?
Nein, länger, länger duld 'ich's nicht. Zu brechen
Droht dieses Herz, zurückgedrängt in sich.
Lass, theure Seele, lass das grosse Wort mich
sprechen:
Ellwina, ach, ich liebe dich!
209

Ellwina an Erwin.

O Erwin, welche Wehmuth, welch Entzücken,
Durchbebt mich seit den selgen Augenblicken,
Die mir unlängst, von deinem Arm umschlossen,
So hell verflossen!
Als du so flehend mir ins Auge blicktest,
Als du so blöd 'und bang' mich an dich drücktest,
Als mir zum erstenmal, was in dir brannte,
Dein Mund bekannte.
2 O
210
Noch immer wähn 'ich, Bester, dich zu sehen.
Ich höre noch dein seelerührend Flehen,
Wie Lieblingsmelodieen um uns singen,
Tief in mir klingen.
Ich fühle noch der Pulse rasches Jagen,
Dem deinigen mein Herz entgegen schlagen,
Dem deinigen des Busens rege Wellen
Entgegenschwellen.
Ich weiss es noch, und ich vergess 'es nimmer,
Wie du, umgossen von des Spätroths Schimmer,
In deiner schlanken Schönheit vor mit standest,
Dann mich umwandest,
Dann wieder los mich liessest, dann es wagtest,
Das Unaussprechliche mir stammelnd sagtest,
Und während du es auszusprechen rangest,
Mich heiss umschlangest
O Gott! wie ward der Armen da zu Muthe!
Wohl zehnmal floh und kam in der Minute
Das Blut mir ins Gesicht. Der Boden wankte,
Die Feste schwankte,
211
Und um mich rollten rings die hohen Sphären.
Dem Aug 'entquollen wollustreiche Zähren.
Ich stand die seligste der Viertelstunden,
Von dir umwunden.
O Erwin, welche Wehmuth, welch Entzücken
Durchströmt seit jenen schwülen Augenblicken
Dein armes Mädchen! Welches süsse Wähnen,
Und welches Sehnen!
Wie trunken wandl 'ich in der Meinen Mitte!
Es irrt mein Fuss, es taumeln meine Tritte.
Der Träumenden verwehen, wie Sekunden,
Die Tagesstunden.
Willkommen naht die Nacht. Zu Bette legen
Die Andern sich, um süsser Ruh zu pflegen.
Gedankenvoll sitz 'ich bey Mondenschimmer
Im engen Zimmer.
Es gaukeln um mich holde Fantasieen;
Mein Ohr umtönen ferne Melodieen;
Mein Aug 'umschweben himmlische Gesichte
Im Dämmerlichte.
O 2
212
Ich schaudre auf. Und um mich ists so stille.
Aus Duftgewölken weint des Mondes Fülle;
Dann droht es, mir mit ungestümen Drängen
Die Brust zu sprengen.
Ach, Erwin, dieses Staunen, dieses Wähnen,
Diess wache Träumen, diese süssen Thränen,
Die ungerufen meinem Aug 'entgleiten,
Kannst du sie deuten?
Ach schweig nur! schweig nur! Von Beschä -
mung brennen
Mir schon die Wangen Erwin, nur bekennen
Muss ich die süsse Schuld, die blöden Triebe
Ich liebe! liebe!
213

An Ellwina.

Theures Mädchen, wenn ein andrer Himmel,
Doch kein schön'rer, einstens um dich wallt;
Wenn der Stadt zerstreuendes Getümmel
Lauter itzt, itzt dumpfer um dich schallt;
Wenn die bunten Gecken um dich gaukeln,
Kräuseln gleich, sich um dich drehn und schaukeln,
Ekeln Weihrauch deiner Schönheit streun,
Dann, Geliebte, denke mein!
214
Wenn du, satt des seelelosen Lärmens,
Abends in dein einsam Zimmer eilst;
In der Wonne dann des süssen Schwärmens
Noch ein stilles Stündchen staunend weilst;
Dann dem Genius der Ruhe winkest,
Dann dem Schlummer in die Arme sinkest,
Der dich wiegt in holde Träumerein,
Edle Seele, denke mein!
Wenn, dieweil die müde Schöpfung feyert
Und die Dämmerung die Welt verhüllt,
Sanfte Schwermuth deinen Geist umschleyert,
Und von Ahndungen dein Busen schwillt,
Zarte Sorgen dann dein Herz beklemmen,
Thränen deine Wimper überschwemmen,
Süsse Thränen, die die Neugier scheun
Edle, so gedenke mein!
Ich gedenk 'an dich in meiner Wildniss,
In der Einsamkeit vertrautem Arm.
Durch das tiefe Dunkel glänzt dein Bildniss,
Täuscht mit holdem Lächeln meinen Harm.
Wenn das Spätroth mein Gemach durchschimmert,
Hesperus in meine Fenster flimmert,
Früh mich weckt Aurorens rother Schein
Immer, Edle, denk' ich dein!
215
Wenn ich lese, funkelt mir aus jeder
Zeile deines Namens theurer Zug.
Wenn ich schreibe, zeichnet meine Feder
Unwillkührlich den geliebten Zug.
Wenn ich lieg 'und träume, horch! so schwimmen
Um mich ferne leise süsse Stimmen.
Ach, die Stimmen nennen dich allein.
Immer, Edle, denk' ich dein.
Wenn ich einst das helle Land erfliege,
Draus die Wahrheit und die Freyheit stammt,
Selig mich in jenen Räumen wiege,
Wo Orion und die Lyra flammt,
Öfter schweb 'ich aus der hohen Ferne
Dann herab zum blassen Erdensterne,
Wiege dich in süsses Staunen ein
Ewig, Edle, denk' ich dein.
216

Erwin's Klaggesang.

Siehe, wie die Fluren trauern!
Wie der Sonne goldnes Licht
Durch den Flor von Regenschauern
Mühsam nur und weinend bricht!
Florens holde Kinder neigen
Ihre Häupter krank und matt.
Von den leisgeregten Zweigen
Taumelt raschelnd Blatt auf Blatt.
Ausgestorben sind die Wälder
Einem Wahlplatz gleicht die Flur,
Einer Maalstatt Wies 'und Felder,
Einer Wittwe die Natur.
217
Trauert immer, holde Auen,
Traute Fluren, trauert nur!
Hüllet euch in Nacht und Grauen!
Traure, traure nur, Natur.
Auch dein Freund und Liebling trauert,
Seines Geistes Licht ist hin;
Schimmerlose Nacht umschauert
Seinen gramumwölkten Sinn.
Leer ist seiner Pfeile Köcher,
Seines Bogens Sehn 'erschlafft,
Ausgeschöpft der goldne Becher,
Ausgelöscht des Herzens Kraft.
Und mit Recht wohl mag ich trauern.
Fern von ihrer Mutterflur,
Im Bezirke dumpfer Mauern,
Im Gebiet der Unnatur,
Wandelt, die ich einzig meine,
Die mir Sinn und Seele füllt,
Sie, die Klare, sie die Reine,
Deren glanzumstrahltes Bild
Jenes Schön mir widerspiegelt,
Das aus höhern Sphären stammt,
Die zum Heros mich beflügelt,
Und zum Halbgott mich entflammt.
218
Ach, und taumelnd mit der Menge,
Die des Herzens Glück nicht kennt,
Fortgerissen vom Gedränge,
Das nach eiteln Freuden rennt,
Von der Thorheit Ring umrungen,
Von der Moden Fluth umrollt,
Schwindelnd vor den Huldigungen,
Die die Schmeicheley ihr zollt;
Von der Lust Sirenentönen
Eingewiegt in Lethargie,
Denkst du wohl, o Preis der Schönen,
Deines schlichten Freundes nie.
Oder widern deinem Herzen
Schellenklang und Flatterglanz?
Gnügt dir nicht der Saal voll Kerzen,
Voll Gesang und Spiel und Tanz?
Sehnst du wohl 'mal aus der Schwüle,
Aus der Enge dich zurück
In die freye weite Kühle,
In des Dörfleins ländlich Glück?
In die kleebeblümten Matten,
An den kalmusreichen Bach,
In des Gartens Blüthenschatten
Unter deiner Lauben Dach?
219
Denkst du wohl im Rausch der Freuden,
In dem Glanz, der dich umgiebt,
An des Freundes stilles Leiden,
Der dich unaussprechlich liebt?
Denkst du wohl im frohen Reigen
Wonnetrunkner Jünglinge,
An sein Dulden, an sein Schweigen,
An sein überstandnes Weh?
An sein Lieben sonder Tadel,
An sein Meinen treu und rein,
Tauschest nicht des Geistes Adel,
Edles Weib, um äussern Schein?
O so kehre, kehre wieder,
Holde Tochter der Natur!
Preis und Inhalt meiner Lieder,
Kehre heim auf unsre Flur.
Mayenluft soll dich umfliessen,
Veilchenodem um dich wehn.
Spriessen soll zu deinen Füssen
Güldenklee und Tausendschön.
Rosen sollen dich umregnen,
Blüthen auf dich niederschneyn;
Jede Seele soll dich segnen,
Jedes Auge dein sich freun.
220
Und mit holdem Grussgesange
Wird dein Dichter dich empfahn.
Zitternd wird er, scheu und bange
Seiner Heissgeliebten nahn.
Schüchtern wird sein Blick dich fragen,
Wie die blöde Liebe pflegt:
Ob noch, wie in schönern Tagen,
Ihm dein Herz entgegenschlägt.
Glücklich, wenn der Zweifler findet,
Wess sein Stolz sich kaum vermisst!
Selig, wenn dein Blick ihm kündet,
Dass du, die du warst, noch bist!
221

Erwin und Ellwina.

Ellwina.
Wie so düster, mein Freund? Rings um dich
lächelt die Freude;
Aber ihr lächelnder Gruss rühret den -
steren nicht.
Welche Trauer umwölkt den ewig seligen Dich -
ter?
Scheuche die Wolken hinweg. Freue dich,
Ernster, mit uns!
222
Erwin.
Meine Geliebte, mir klingt so melancholisch die
Freude.
Sinket der Jauchzenden nicht weinend die
Schwermuth in Arm?
Siehe die blutige Brust der Federnelke. Wie diese
Trägst du in blutiger Schooss, Freude, den
Samen des Grams.
Ellwina.
Nicht die Freude, mein Erwin. Dein Geist nur
gleicht dem Gewitter,
Welches aus düsterem Schooss Schlossen und
Leuchtungen sprüht.
Aber die Wetter verziehn, und freundlicher schim -
mert der Abend.
Würziger duftet die Flur. Freue dich,
Erwin, mit uns!
Erwin.
Würd 'ich lieben, Geliebte, wenn ich so stürmisch
mich freute?
Wahrlich der taumelnden Lust ahnt' es von
Liebe noch nie!
Hoffende Liebe, du bist zur wilden Freude zu
selig.
Hoffnungslose, zu tief ritzt dein vergifteter
Pfeil.
223
Ellwina.
Hoffe immer, o Freund! Dem Lebenden lächelt
die Hoffnung,
Selbst auf der Schütte von Stroh, selbst auf
gescheitertem Bret.
Schau, es kreiset der Kelch; es jauchzen die fröh -
lichen Zecher;
Himmelan schwillt der Gesang. Freue dich,
Erwin, mit uns!
Erwin.
Freue dich, Holde. Es ziemt der Jugend und Schön
heit die Freude.
Mir nur geziemet sie nicht. Lass mir, Ge -
liebte, den Gram.
Meine Hoffnung erlosch; auch die letzte, beste ver -
losch mir,
Jene süssschmeichelnde, dir, Theuerste,
theuer zu seyn!
Ellwina.
Wie, mein Erwin, ich wähnte, dich trübte die
himmlische Schwermuth,
Die, der Begeisterung hold, gerne den
Dichter besucht?
Hüte dich, Erwin! Es ist des Unmuths launischer
Dämon,
Welcher dich peinigt und mich. Scheuche
den Tückischen fort!
224
Erwin.
Ja, ich freute mich jüngst, als ich im tobenden
Zirkel,
Im verborgenen Eck, Liebliche, neben dir
sass,
Manches vertrauliche Wort in deine Seele dir
hauchte
Aber nicht Stimme noch Blick trösten den
Einsamen heut.
Ellwina.
Schilt den Zufall, o Freund, und strafe den eiser -
nen Anstand,
Dessen herrischer Spruch deine Ellwina dir
nahm.
Aber es fesselt nicht Ort noch Ferne den leisen Ge -
danken;
Spottend der Zeit und des Raums, schmiegt
er sich liebend um dich.
Erwin.
Weh mir! es rauschen die Saiten; es wirbeln die
Reigen; verwegen
Schmiegen die Taumelnden sich dir um die
schwellende Brust.
Und ich schmachte, den Saum nur deines wallen -
den Kleides
Zu berühren, umsonst! Halte, Tyrannin,
halt ein!
225
Ellwina.
Undankbarer, hielt nicht dein Arm mich öfter um -
schlungen?
Lagst du der Liebenden nicht oft an der
schlagenden Brust?
Lass den taumelnden Tänzer das fröhliche Mädchen
umschlingen.
Klopfet doch ihm nicht das Herz, das er
verwegen umschlingt!
Erwin.
Wüsstest du, meine Ellwina, wie ich so schmerz -
lich dich liebe,
Wie mir dein flüchtigster Blick zucket durch
Nerven und Mark,
Wie dein Lausinn mich schmerzt, wie mich dein
Lächeln begeistert:
Wahrlich, du zürntest nicht; wahrlich,
dich jammerte mein!
Ellwina.
Erwin, ich zürne dir nicht! Wie sollt 'ich zürnen
dem Kranken,
Welchem der Krankheit Gewalt Freudigkeit
raubet und Kraft.
Erwin, mich jammert dein Schmerz. Komm, me -
lancholischer Erwin,
Lass mich bannen den Geist, welcher dich
feindlich besitzt ....
2 P
226
Erwin.
O Ellwina ... o meine Ellwina ... o Schmerzlich -
geliebte ...
Halte, Geliebte, halt ein! Dieser erbar -
menden Huld,
Dieser Seligkeit Last, dem qualenreichen Ent -
zücken
Gnüget der Endliche nicht. Halte, Geliebte,
halt ein!
Ellwina.
Theurer Erwin, du wähnst, die stürmende launende
Liebe
Wäre Lieb 'allein? Anders gemahnet es
mir.
Opfer um Opfer, o Freund, geziemen der Zarten.
Ich opfre
Dir den flatternden Sinn; opfre den störri -
gen mir!
227

Letztes Lied.

Bin ich schon der Erde Qual entbunden?
Schlägt das kranke Herz gehaltnern Schlag?
Schöne Seele, du hast überwunden,
Und erröthend ringt dein Freund dir nach.
Opfern will ich dir mit Kampf und Thränen
Nicht die Flamme, welche mich durchflammt
Aber jedes ungestüme Sehnen,
Was von niedrer Erde stammt.
P 2
228
Liebend, Lieblingin, an dir zu hangen,
Edlen Zutrauns voll mich dir zu nahn,
Mit Bewunderung dich zu umfangen,
Mit Begeisterung dich zu umfahn,
Mit der Inbrunst trunkenem Entzücken
Zu der Wangen bleichem Morgenroth,
Zu der Augen Himmel aufzublicken
Wehret keiner Pflicht Verbot.
Sollte je in mir der Zug erschlaffen,
Der mich hinzieht zur Vortrefflichkeit?
Sollte mich ein Gott mit Blindheit strafen
Für die Schönheit und Vollkommenheit?
Sollt 'in mir die hohe Gluth verlodern,
Ohne die ich feig' im Staube schlich?
Sollt 'in mir das Göttliche vermodern?
Ewig, Edle, lieb' ich dich.
Aber sorgsam kühlen, emsig dämpfen
Will ich jede stürmische Begier.
Jeden leisen Wunsch will ich bekämpfen,
Jede Selbstsucht bannen fern von mir.
Ritterlich will ich den Trieb bekriegen,
Seinen Stürmen tapfer widerstehn.
Ich gelob 'es: Glorreich will ich siegen,
Oder glorreich untergehn!
229
Lächle nur, o Seele meiner Seele,
Lächle mir bisweilen tröstend zu.
Blicke Kraft mir in die müde Seele
Aus dem Auge voll erhabner Ruh.
Wenn die Schwüle mir den Athem hemmet,
Reiche huldreich mir die theure Hand.
Wenn das dumpfe Daseyn mich beklemmet,
Zeige mir das helle Land,
Wo der Leidenschaft Tumulte schweigen,
Wo kein Sinnenrausch den Geist verwirrt;
Wo Entzücken in den Blüthenzweigen,
In den Blumenkelchen Liebe girrt;
Wo berauscht vom Duft der Ambramatten,
Aufgelöst vom Zauber des Gesangs,
Seelen selig sich zu Seelen gatten,
Ledig jedes Fesselzwangs.
Wo am Busen seiner Gabriele
Coucy seines Herzens Sehnsucht letzt;
Wo Petrarka's ewig treue Seele
Sich an Laurens Anschaun hoch ergötzt;
Wo von ihrem Abälard umschlungen
Heloise jeden Wunsch verneint;
Und von Agnes Lilienarm umrungen
Julius Entzücken weint ...
230
Aber bis des Lebens Hefen sinken,
Bis das Maass der Erdenqualen voll,
Bis uns Lethens Blumenufer winken,
Fahre wohl, Geliebte, fahre wohl!
Fahret wohl, erhabne Schwärmereyen,
Dämmerungen, hohen Ahnens voll,
Goldne Träume, seidne Fantaseyen,
Fahret wohl, auf ewig wohl! ....
Aller Qualen wär 'ich schon entbunden?
Jede Fehde wär' hinweggethan?
Von der Erde Ketten losgewunden
Flög 'ich schon der Freiheit Adlerbahn?
Nein, ach nein! In jeder Nervenfaser
Zuckt noch des Entsagens herber Schmerz,
Und aus jeder losgerissnen Zaser
Blutet das zermalmte Herz.
Dennoch will ich das Gelübde halten,
Treulich halten den geschwornen Schwur;
Möge gleich das Herz sich sträubend spalten,
Schaudernd weg sich wenden die Natur!
Mannlich will ich meinen Schmerz bekriegen,
Schweigend dulden des Verläugnens Weh'n
Schöne Seele, glorreich will ich siegen,
Oder glorreich untergehn.
231
Trotz geboten sey des Schicksals Grimme
Trotz des Todes dumpfem Donnerschritt!
Weiss ich doch, dass eine leise Stimme
Tief in deinem Innern mich vertritt!
Mag doch ewig nicht das Band zerstieben,
Das an dich mich kettet, dich an mich!
Ewig, Treffliche, wirst du mich lieben!
Ewig, Edle, lieb 'ich dich!
232

Theon und Theano.

Theano.
OTheon, seit ein Gott mir dich gegeben,
Verwallt mir zephyrleicht das süsse Leben.
Es blüht um mich ein Unschuldparadies;
Sanft ist mein Schlaf, und mein Erwachen süss.
Theon.
Geliebte, seit sich unsre Seelen fanden,
Und schnell und tief und innig sich verstanden,
Seit dem, du Treffliche, gemahnt es mich,
Als wohnt 'in mir ein andres bessres Ich.
Es funkelt mir in unbewölkter Klarheit
Des Geistes Angelstern, der Stern der Wahrheit.
Es lächelt mir der Seele holde Braut,
Die wesentliche Schönheit, lieb und traut.
233
Des Kampfes satt, des langen Haders müde,
Schliefst mit dem Triebe der Gedanke Friede.
Die Pflicht umarmt die Neigung; schwesterlich
Schlingt um die Tugend die Entzückung sich.
Als trotzt 'in mir der Götter ewge Jugend,
Fühl' ich mir Kraft zu jeder That und Tugend.
Als schwellte mein Gebein Heroënmark,
Frohlock 'ich, löwenkühn und riesenstark.
Hinweggeschwemmt sind aus dem selgen Herzen
Des Grolles und des Unmuths dumpfe Schmerzen.
Was sonst den Geist zu bitterm Hass empört,
Dünkt mich des Mitleids, nicht des Hasses, werth.
Elisium dünkt mich die Welt voll Mängel;
Des Staubes Sohn ein eingeleibter Engel;
Mein Wirkungskreis ein Freudenparadies,
Mein Schlaf ambrosisch, mein Erwachen süss.
Theano.
Ja, mein Geliebter, seit ich dich gefunden,
Hat sich in mir dem gröbern Stoff entwunden
Das bessre Selbst, das mir im Busen lebt,
Und himmelan in deinen Armen strebt.
234
Wie Nebel seh 'ichs meinem Blick entwallen;
Wie Schuppen fühl' ichs mir vom Auge fallen;
Ein neuer Sinn ist in mir aufgethan,
Ein Sinn, wie nur Geweihte ihn empfahn.
Ich hör 'entzückt das Wahre mit dem Schönen
In süsser Symphonie zusammentönen.
Der Töne Jubel trägt den Geist empor;
Der Sphären Liede lauscht das trunkne Ohr.
Und schweb 'ich wieder aus der hohen Ferne
Zurück zum lieben mütterlichen Sterne
O, wie verklärt erscheint mir die Natur!
Arkadisch funkelt die smaragdne Flur.
Ein magisch Licht versilbert Berg und Fläche.
Verständlich, dünkt mich, flistern Büsch 'und Bäche;
Die Lerche wirbelt sphärischen Gesang.
Im Wonnerausch schweb' ich die Flur entlang
Und selig, wer der Seligen begegnet!
Ich geb 'und nehm'; ich segn 'und bin gesegnet.
Ich gebe doppelt wieder, dem, der giebt,
Und liebe dreyfach wieder, was mich liebt.
235
Theon.
O du, mein Glück, mein Ruhm und meine Habe,
O du, des Himmels letzte, beste Gabe!
Du gabst mir Alles, Theure, was mir fehlt;
Du nahmst mir Alles, Traute, was mich quält.
Wie volle Gnüge ward dem Nimmersatten
Durch dich gewährt! Wie ward dem Sehnsuchtmatten
Der Labekelch durch dich so voll geschenkt;
Der mit Ambrosia und Nektar tränkt!
Mich täuscht nicht mehr des Ruhmes Irrlicht -
schimmer;
Der Hochgelahrtheit Dunst berauscht mich nimmer.
Dein Blick, dein Nick, dein Handdruck und dein Kuss
Sind Sporns und Danks genug dem Genius.
Um feuriger zu dir zurückzuflüchten,
Verlass 'ich dich, zu üben schöne Pflichten.
Um sie zu üben mit verjüngter Lust,
Flieg' ich aus ihrem Arm an deine Brust.
So sanft verwallt, so spiegelklar und eben,
An deinem Busen mir das süsse Leben.
Die Hore schlüpft dahin in leichtem Tanz,
Und reicht mir fliehend ihren Blumenkranz.
236
Theano.
O Theon, du mein Stolz und meine Habe,
O du, des Himmels letzte, beste Gabe,
O du, mein zweytes und mein bessres Ich,
Was hätt 'ich, und was wär' ich ohne dich!
O Theon, Theon, wenn ich dich verlöre!
Vergib, Geliebter, der besorgten Zähre!
Zu selig bin ich, um mich recht zu freun!
Ach, dürften Staubgeborne selig seyn!
Theon.
Umarme mich, Geliebte. Liebe, Liebe
Regiert des grossen Alles Kunstgetriebe,
Und jenseit jener Wolken wohnt ein Geist,
Den unsre Lieb 'und unsre Wonne preist.
Umarme mich, Theano! Gott der Liebe
Genehmiget die tugendhaften Triebe.
Sey ruhig, Traute! Unsre Wonne preist,
Und unsre Liebe freut den guten Geist.
237

Amandus an Amanda.

Nicht lieben soll ich dich? Amanden ich nicht
lieben,
An die der Ewigkeiten Schwur mich band?
Mag doch der Schöpfung Kranz, wie welkes Laub,
zerstieben,
Das Daseyn schwindeln an des Nichtseyns Rand,
Des Lichtes Urquell in die alte Nacht sich tauchen,
Das Weltall, eingeäschert von dem Zorngericht
Des jüngsten Tags, hinauf zum Thron der Gottheit
rauchen
Amandus lässt Amanden nicht!
238
Kann ich die Elemente auseinander rütteln,
Die das Verhängniss löthete?
Kann ich den alten Riesen, Schicksal, schütteln,
Wie Herkules den Anteus schüttelte?
Kann ich die Marmortafel niederstürzen,
Die früher, als der Schöpfung Eckstein stand?
Kann ich den Knoten aus einander schürzen,
Den siebenfach um dich und mich die Gottheit
wand?
Und könnt 'ich es ich will sie nicht be -
siegen
Die Flamme, die mir Kraft und Stolz und Adel
giebt?
Du willst es? Heuchlerin! straft nicht dein Herz
dich Lügen?
Ich weiss, dass mich Amanda liebt!
Las ich sie nicht, die Flammenschrift, geschrieben
Von jener Hand, die Sonnen ballt und Seelen traut:
Amandus wird Amanda lieben!
Amanda sey Amandus Braut!
Las ich ihn nicht den schönsten meiner Siege?
Las ich es nicht, dass mich Amanda liebt,
In jedem Buchstab deiner Engelzüge,
In jedem Blitz, der deinem Aug 'entstiebt?
239
Verstand ich nicht der Blicke Funkensprühen,
Der Hände rednerischen Druck,
Des Odems Flammenwehn, der Wangen heissres
Glühen,
Der Nerven fieberhaften Zuck?
Verstand ich nicht diess unnennbare Toben
Der Pulse, nicht des Herzens wildern Schlag,
Wenn ich, von seinen Fluthen hoch empor gehoben,
An deinem Busen wimmernd lag?
Wenn, dich umschlingend und von dir um -
schlungen,
In dich verloren und an dich gebannt,
Die Erde mir, wie Nebeldämmerungen,
Der Himmel mir, wie Thaugedüft, verschwand?
Wenn ich aus deiner Lippen reiner Fülle
Das süsse Gift begierig in mich trank,
Und niedertaumelte in wollusttrunkne Stille,
Und athemlos mit Seyn und Nichtseyn rang?
Kann dieser Augenblicke Brand verlodern?
Kann, weggerissen aus dem Ring der Zeit,
Das Gestern Heute werden? Können Seelen mo -
dern?
Nein, du bist mein, Amanda, Ewigkeit!
240
Hör 'auf zu heucheln! Störe nicht, Amande,
Den schönen Einklang, den die Schöpfung klingt.
Entwinde nicht rebellisch dich dem Bande,
Das Körperwelt und Geisterwelt umschlingt.
O komm, o stürze dich mit rührendem Ergeben
In meinen offnen Arm Der Himmel Melodie
Ist Liebe. Liebe klopft der Pulsschlag aller Leben,
Und Liebe klingt der Sphären Harmonie.
Sich, meine Reine, wie entzückt, wie -
stern
Die Erde rings um uns in süssen Schauern bebt!
Wie Liebe! Liebe! rings die Blätter flistern,
Und Liebe! Lieb '! in jedem Säusel webt!
Horch, wie aus Edens Flur die Palmen heller
rauschen,
Die ewiggrünen Myrten süssre Düfte streun!
Die Seligen von goldnen Wolken niederlauschen,
Und unsrer Seligkeit sich freun!
Mehr als der Andacht Psalm, mehr als des
Beters Knieen
Ehrt Menschenseligkeit den grossen guten Geist,
Der Mayenrosen blühn, und Morgenröthen glühen,
Und Orionen funkeln heisst.
241
Ihm, der in seinem ungemessnen Alle
Des Würmchens Lunge schwellt, des Cherubs Zunge
regt,
Der Sonnenstaub 'und Sonnenballe
Mit gleicher Huld an seinem Herzen trägt;
Ihm ist der Thränendank, den ihm Beglückte
zollen,
Viel köstlicher, als seiner Himmel Herrlichkeit.
Er gönnt uns unsre Liebe. Mögen Teufel grollen!
Und zischen mag die alte Viper Neid!
2 Q242

Walder und Oda.

Walder.
Oda, Oda, meine Früherwählte,
Meine Langverlobte, meine Neuvermählte,
Meine Eine, Eigne, Einzige!
Horch, sie schlägt, die heissersehnte Stunde;
Ewge Weihe winket unserm Bunde;
Wonne wird der Sehnsucht schmachtend Weh.
Oda.
Walder, Walder, welche süsse Trauer
Überwölkt mich! Welche Wonneschauer
Überglühn dein Mädchen Guss auf Guss.
Überwunden, Walder, überwunden
Sind der Treue schwüle Prüfungsstunden,
Und ich küsse dich mit Gattinkuss.
243
Walder.
Also, Traute, bist du mein auf immer!
Mein für Zeit und Ewigkeit! und nimmer
Reisst mich Zeit noch Ewigkeit von dir!
Oda.
Dein, Geliebter, bin ich, dein auf immer;
Dein vor Welt und Himmel. Nimmer, nimmer
Trennen Welt und Himmel mich von dir.
Walder.
Aber Oda, meine Oda, sage:
Wirst du nach, wie vor dem Bundestage
Mich auch lieben voll so lieb? so warm?
Oda.
Walder, Walder, du mein Früherwählter,
Du mein Langgewünschter, du mein Neuvermählter,
Deine Frage weckt mir leisen Harm.
Ahnet 'ich nicht deines Geistes Tugend
Schon im Knospen meiner Rosenjugend,
Schloss mich fest an dich, Geliebter, an?
Wies zurück des Stutzers süsslich Heucheln,
Blickte Hohn des Gecken ekelm Schmeicheln,
Hing an dir, du deutscher, grader Mann?
Q 2
244
Weiht 'ich dir nicht meine schönsten Kräfte?
Dachte dein bey jedem Tagsgeschäfte,
Dein, wann Schlummer meine Wimper schloss?
Dein, sobald des Morgens Rosenschimmer
Mich umstrahlten? dein, wenn seine Flimmer
Blass der Vollmond in mein Fenster goss?
O, wie oft an deine Brust gesunken,
Und vom Kelch der Liebe wonnetrunken,
Sehnt 'ich mich, erst ewig dein zu seyn!
Heute, heute hab' ich dich erwunden;
Und vollendet sind der Prüfung Stunden,
Und mein Walder ist nun ewig mein!
Walder, Walder, du mein Theurerrungner,
Mein nun ganz Umfangner, mein nun ganz Um -
schlungner,
Und du fürchtest, deiner Gattin Arm
Werde minder innig dich umschmiegen?
Minder traut ihr Herz sich zu dir fügen?
Ihre Brust dir klopfen minder warm?
Walder nein, mit jedes Morgens Spriessen
Will ich inniger mich an dich schliessen;
Will mich näher dir, mein Edler, nahn.
Wie die Rebe um den Ulmbaum ranket,
Mit ihm steigt und mit ihm niederschwanket,
Will ich dich in Freud 'und Leid umfahn.
245
Fest mich lehnend, Freund, an deine Rechte,
Will ich mit dir durch des Lebens Nächte,
Und des Todes Grauenthale gehn;
Nimmer von dir wanken, nimmer von dir lassen,
Dir am Busen athmen, dir im Arm erblassen,
Dir zur Seite schlummern, mit dir auferstehn!
Walder.
Halt, Geliebte, deine Lieb 'und Treue,
Warm, wie Frühlingsodem, rein, wie Tempelweihe,
Übermannet meine Mannlichkeit.
Deine Lieb' ist stark, wie Mark der Jugend,
Seelelabend, wie der Wein der Tugend,
Unverletzlich, wie ein Altareid.
Welcher Friede, meine Vielgetreue,
Welcher Freuden ungebrochne Reihe
Harret mein an deiner treuen Brust.
Mögen Menschen und Verhängniss schmollen;
Mögen Stürme stürmen; mögen Donner grollen:
Dir am Busen blühn mir Trost und Lust.
Dir am Busen wär 'die Welt voll Mängel
Mir Elisium, der Mensch mir Engel,
Und das Leben mir ein Jubelreihn;
Wenn mich nicht der Nachtgedanke trübte,
Meine Oda, dass auch die Geliebte,
Und die selge Liebe sterblich seyn!
246
Der Dichter.
Sollte Liebe mit dem Staube modern?
Ihre Flamme kerzengleich verlodern?
Ihre Blüthe blätterngleich verwehn?
Liebe, die in Herzensreinheit flammet,
Liebe, die aus bessern Welten stammet,
Mag nicht gar verlöschen, mag nicht gar vergehn.
Zwar das Auge, das Empfindung blicket,
Zwar die Hand, die sympathetisch drücket,
Zwar der Mund, der Liebe lispelte, wird Staub.
Und der Unschuld helle Morgenröthe
Und die Jugend, die Verschonung flehte,
Wird des mitleidlosen Würgers Raub.
Aber Lichtgedanke! Wonneglaube!
Aus des Aschenkruges stillem Staube
Ringet sich ein lichter Funke los,
Schwingt sich über Grab und Grabestrümmer
Über Aldabarans stille Schimmer
In der ewgen Liebe sichern Schooss.
Liebe rauscht in Edens hellen Palmen;
Liebe jubelt in des Seraphs Psalmen,
Und verschönert der Verklärung Glanz;
Lieb 'ist Puls und Herz der Welten alle,
Schürzet Siebensterne, ballet Sonnenballe,
Flicht die Schöpfungen in Einen Kranz.
247
In des Kranzes duftigem Gewinde
Thronet Gott der Liebe, mild und linde.
Seine Braut ist die Unendlichkeit;
Seinem Liebesblick entglimmen Sonnen;
Seinem Inbrunstkuss entsäuseln Wonnen,
Und umfluthen seine Schöpfung weit und breit.
248

An Gering.

Aus den Trümmern der Vergangenheiten
Aus den Aschen unsrer Jugendzeiten
Windet sich ein selger Schatten los.
Freund, es ist der Schatten jener Stunde,
Wo mein Geist zum hohen Freundschaftsbunde
Mit dem deinigen zusammenfloss;
Wo ich einen Blutsfreund in dir spürte,
Mit der Wahrheit Prüfstein dich berührte,
Und bewährt, wie ächtes Gold, dich fand;
Wo ich dann mit dir und unserm Dritten
Für der Trennung und des Bleibens Hütten
Unsrer Freundschaft kühnes Ideal erfand;
249
Wo ich mich in euch verdreyfacht schaute,
Mir mit euch vor keinem Abgrund graute,
Und vor keiner Höhe schwindelte;
Wo ich, wie Themistokles, nach Lorbern thränte,
Schon im Geist mich einen Heros wähnte,
Schon vom Kelch des Nachruhms taumelte.
Wo mir, jeden Strudel zu durchschwimmen,
Jeden Zackenfelsen zu erklimmen,
Jede Schauerwildniss zu durchziehn,
In der Wahrheit Adytum zu dringen,
Zu den Sternen mich emporzusingen,
Knabenspiel an eurem Busen schien
Goldne Träume! Süsse Rasereyen!
Heldengluthen! Rosenfantaseyen!
Ahnungreiche Lebensdämmerung!
Du bist hin! Die Pulse klopfen milder;
Blasser mahlt die Fantasie die Bilder;
Matter lodert die Begeisterung.
Abgemüdet von der Meeresengen
Lautem Brandungdonner, furchtbarn Klippendrängen,
Steuert jeder ans Gestad ', und sucht,
Bis die letzte frische Kühlung wehe,
Und ihn führe auf die sichre Höhe,
Eine stille, ringsumschirmte Bucht.
250
Selig, wer in seinem kleinen Kreise
Thut, so viel er kann, und froh und leise
Seine unbemerkte Rolle spielt,
Und des Busens unauslöschlich Schmachten
Und des Geistes rastlos Höhertrachten
Mit der Hoffnung bessrer Zeiten kühlt.
Selig, Bruder, du! die bunte Bühne
Räumst du, und entweichst in deine grüne,
Deine schöne traute Einsamkeit;
Sie, für jene ferne bessre Zeiten
Dir der Kronen viele zu erstreiten,
Grade nicht zu eng und nicht zu weit.
Deiner warten sehnsuchtswerthe Stille,
Mangelfreye neideslose Fülle,
Gleichgewicht von Arbeit und Genuss.
Edle, herzerhebende Geschäfte,
Und nach der Entspannung deiner Kräfte
Wartet dein Theresens keuscher Kuss.
O Therese, meines Quistorp Schwester,
Meines Gering Auserwählte, fester
Gründe, Freundin, meines Gering Glück.
Deine Liebe golde seine Tage,
Deinem Lächeln schweige jede Klage,
Taumle jeder Trauerblick zurück.
251
Lerne täglich seines Ernstes Höhen,
Seiner Güte Tiefen mehr verstehen,
Bis du, angehaucht von seinem Geist
Und durchathmet gar von seiner Tugend,
Innig ihn umschmiegend, fest dich an ihn fugend,
Ganz in Eins mit ihm verschlungen seyst.
Bis du, wie zwey gleichgestimmter Saiten
Silbertöne in einander gleiten,
Mit ihm vollen reinen Einklang klingst,
Und an seinem Arm, von gleichem Zuge
Angezogen, dich mit gleichem Fluge
Der Vollendung Ziel entgegenschwingst
Und auch du, mein Theurester, mein Bester,
Mache glücklich unsers Quistorp Schwester,
Mache glücklich deine Lieblingin.
Ihrer Blicke sanfter Glanz erheitre
Deine Dämmrung! Ihre Klarheit läutre
Deines Ernstes inhaltschweren Sinn.
In der Lerche Früh - und Spätgesängen,
In des Gartens blüthenweissen Gängen,
An des Baches blaubeblümtem Rand,
Im Gesäusel quelldurchströmter Büsche,
In der Mainacht wollustreicher Frische,
Wandle froh an deines Weibes Hand.
252
Lass sie in der Myrias der Wesen
Jener hohen Einheit Züge lesen,
Die des Eingeweihten Auge sieht;
Die im ungeheuren Weltenringe
Körper, Geister, Schöpfer, alle Dinge
Widerstandlos an einander zieht.
In der Sterne Saat, am Blüthenstaube,
An Orion, am smaragdnen Hals der Taube
Lass sie Wahrheit, Schönheit, Güte sehn.
Lehre sie den Tanz der Weltenballe,
Und des Ganzen Harmonieenhalle
Und der Sphären Jubelpsalm verstehn!
Dass sie nicht nur durch die kurze Weite
Dieser Erdenwallfahrt dich begleite;
Dass sie, wann dein fesselloser Geist
Einst die ungezählten Cykloiden
Aller Weltsysteme nimmermüden,
Nimmerlassen Adlerflugs durchreist,
Dass sie auch in jenen weiten Irren,
Wo sich Zirkel, Maass und Zahl verwirren,
Bruder, deine Reis'gefährtin sey;
Und sich so, Genossin deines Strebens
Nach Vortrefflichkeit, mit dir des Lebens
Und warum nicht auch des Sterbens? freu!
253
Wahrlich, sehnsuchtswürdig ists zu leben,
Täglich eine Sprosse höher streben
Auf der Stufenleiter der Vollkommenheit!
Wahrlich, sehnsuchtswürdig ists zu sterben,
Diamanten zu erstehn für morsche Scherben,
Seyn und Bleiben für Vergänglichkeit.
254

An Hippolyta.

Immer höher, immer schwanker,
Blume, sprosst dein Halm empor.
Immer röther, immer frischer
Prangst du in dem Blumenflor.
Aufgekost vom Lenzgesäusel,
Aufgeküsst vom lauen Strahl,
Öffnest du dich tausendblättrig
Und durchduftest Hayn und Thal.
255
Wer bewahrt mir meine Blume,
Dass kein Frevel sie entweih,
Dass kein frecher Sturm sie knicke,
Dass der Mehlthau Schmeicheley
Ihre Blätter nicht versenge,
Dass nicht schwüle Fantasie
Ihres Halmes Saft verzehre,
Wer bewahrt, wer schirmet sie?
Einen Engel und noch Einen
Kenn 'ich, meine Lieblingin,
Die die Schüchterne beschirmen:
Thätigkeit und reinen Sinn.
Jene schützt dich vor dir selber;
Dieser scheucht die Frechheit weg.
Beyde leiten sanft und sicher
Dich der Jugend Blumenweg.
Lieblich ist der Lenz des Jahres,
Lieblich, doch gefährlich auch.
Ihm entsäuseln Gift und Balsam,
Lebensodem, Todeshauch.
Liebling ist der Lenz des Lebens,
Aber auch gefahrenvoll;
Seinem Blüthenkelch entduften
Lebensweh und Lebenswohl.
256
Welches Ahnen, welches Bangen
Schwellt des Mädchens junge Brust?
Welches unbekannte Sehnen?
Welche träumerische Lust?
Dieses Staunen, dieses Wähnen,
Dieses dämmernde Gefühl
Ruf 'es an das Licht, Geliebte!
Gib ihm Namen, Zweck und Ziel!
Jedes Sehnen, meine Theure,
Das du dir nicht laut bekennst,
Jeder schüchterne Gedanke,
Den du deinem Gott nicht nennst,
Jeder Wunsch, der scheu und blöde
Aus des Reinen Gegenwart
Wegbebt und ins Dunkel flüchtet
Freundin, ist nicht lautrer Art.
Jede Stimmung, meine Traute,
Die in Trübsinn sich verstimmt,
Itzt in trägem Traum sich wieget,
Itzt in feigen Thränen schwimmt,
Die der Seele kranke Fibern
Itzt erschlaffet, itzt verspannt,
Stammt vom Erebus, und werde
In den Erebus verbannt.
257
Jeder Geck, der schöngeglättet,
Schöngefirnisst um dich kriecht,
Sich in jeder deiner Launen
Schlangenschmeidig schmiegt und fügt,
Itzt mit schalem Scherz dich peinigt,
Itzt mit Schmeicheln dich entehrt,
Kennt nicht deine wahre Würde,
Ist nicht deiner Achtung werth.
Jeder Bube, der die Tugend
Und die heilge Zucht verlacht,
Den der Unschuld Schamerröthen
Kühner nur und frecher macht
Wär 'er schön und reich und witzig,
Wär' er Fürst und Fürstensohn
Blitze stolz den Buben nieder!
Lohn 'ihm mit gerechtem Hohn!
Aber, wo du einen graden
Ernsten, festen Menschen weisst,
Der getrost das Unrecht Unrecht,
Und den Schurken Schurken heisst
Wär 'er niedrig, arm und einfach,
Trät' er schlecht und recht herein
Dennoch acht 'ihn! dennoch strebe
Seiner Achtung werth zu seyn!
2 R
258
Achtung achtungswerther Menschen
Sichert vor Erniedrigung.
Ehrfurcht vor sich selber rettet
Von des Thoren Huldigung.
Demuth, Sanftmuth, Wahrheit, Klarheit,
Nimmerlasse Regsamkeit,
Herzenseinfalt, Herzensgüte
Sind des Mädchens Feyerkleid.
Herzenseinfalt, Herzensgüte
Rühren siegender fürwahr,
Als der Wangen frische Rose,
Veilchenaug 'und Lockenhaar;
Welken nicht mit Erdenblüthen,
Fliehn nicht mit des Lebens May,
Grünen ewig grünen Frühling,
Ewig jung und ewig neu.
Herzenseinfalt, Herzensgüte
Schaffen süsseres Gefühl,
Als der Freude Schallgelächter,
Tanz, Gesang und Saitenspiel.
Reinen Seelen strahlt die Sonne,
Glänzt der Vollmond mildern Glanz.
Reinen Seelen flicht die Liebe
Ihren schönsten Myrtenkranz.
259
Herzenseinfalt, Herzensgüte,
Engel aus Elysien,
Leitet freundlich Hippolyten
Durch die Schlangenkrümmungen
Dieses Lebens, durch der Erde
Eitelkeit und Traum und Tand,
In der ausgeprüften Waller
Himmelhelles Vaterland.
R 2260

An Charlotte Schwarz.

Blumen sucht 'ich meiner Holden,
Blumen unter Schnee und Schlossen.
Doch der hochgeschwollnen Dolden
Fand ich keine noch erblüht.
Hyacinthen fand ich schossen,
Krokos, Primeln kaum erst sprossen.
Nimm denn, Traute, was die Noth beschied,
Nimm diess Buch, diess Band, diess Lied.
261
In des Büchleins Silberblättern
Hörst du itzt ein Heimchen schwirren,
Itzt den Sprosser gellend schmettern,
Itzt den Bach, der schwatzend rollt.
Nie verlocken, nie verirren
Wird dich dieser Zither Girren;
Unentheiligt klingt ihr bebend Gold:
Darum sey dem Büchlein hold.
Dieses Gürtels Goldgewinde
Wird dich, Beste, nicht entstellen.
Heilig ist das Angebinde,
Heilig aus des Dichters Hand.
Seiner Schleifen lose Wellen
Lass um deine Hüften schwellen.
Ehre, Freundin, in dem armen Band
Edler Freundschaft Unterpfand.
Doch, des Dichters beste Habe,
Seines Geistes süsse Weide,
Seiner Freundschaft schönste Gabe
Ist der heilige Gesang.
Dieser adelt seine Freude,
Tröstet ihn im Lebensleide,
Kühlt ihn in der Leidenschaften Drang,
Sichert ihm der Enkel Dank.
262
Also flötet Philomele,
Wenn die Abendwolken blühen;
Flammen strömen in die Seele,
Und der Brust entstöhnt ein Ach!
Also zittern, also glühen,
Wenn des Liedes Strahlen sprühen,
Fromme Herzen, schlagen heissern Schlag,
Und die Thräne stürzet nach.
Kennst du, Freundin, wohl die Feyen,
Die des Mädchens Herz bewachen?
Jene Guten, jene Treuen,
Die aus Eden hergesandt,
Der Entschlafnen Kühlung fachen,
Die Erwachende umlachen,
Und die Tappende mit treuer Hand
Leiten in das bessre Land?
Einfalt mit dem Taubenmuthe,
Unschuld mit der Lammesblöde,
Anmuth mit dem Schäferhute
Diese sind der Jungfrau hold.
Sorgsam leiten sie die Blöde
Durch des Lebens Wüst 'und Öde
In das Land, wo keine Thräne rollt,
Keine Tücke schmollt noch grollt.
263
Sahst du wohl die Einfalt sitzen,
Fremd dem modischen Getändel?
Fremd dem Putz von Flor und Spitzen,
Unterm niedern Halmendach?
Ihr Parfum ist Wiesenquendel
Und die Blüthe der Lavendel,
Ihre Zierde die Viol 'am Bach,
Ihr Concert der Wachtelschlag.
Willst du schaun der Unschuld Züge?
Leise, leise, wie auf Socken,
Nahe dich der kleinen Wiege,
Drin der holde Säugling ruht!
Ihn umringeln blonde Locken,
Wie der Schlüsselblume Glocken.
Still in blauen Adern fliesst sein Blut,
Weil er schuldlos ist und gut.
Siehst du dort bey Kerzenglanze
Nymphenhaft die Anmuth schweben,
Itzt im ernstern Feyertanze,
Itzt im raschern Ringelreihn?
Dieses Sinken, dieses Heben,
Dieses Wallen, dieses Weben,
Dieser hohe Rythmus ist allein
Innrer Schönheit Widerschein
264
Die ihr unversöhnlich hasset,
Euch der Schuld zu offenbaren,
Aber gern euch schauen lasset
Ungefälschtem reinem Sinn:
O ihr Treuen, o ihr Wahren,
O ihr Himmlischen, ihr Klaren,
Leitet freundlich meine Lieblingin
Durch des Lebens Irren hin!
In des Frühroths lichtem Schimmer,
In des Spätroths blassem Golde
Wandle friedlich, meine Holde,
Auf der Freude Rosenspur.
Fern vom kerzenhellen Zimmer
Ruhe gern im Sterngeflimmer
Auf dem Teppich der beblümten Flur,
An dem Busen der Natur.
Wenn zu brausend und zu lüstern
Dir der Freude Becher blinket,
Lausch 'auf jener Stimme Flistern,
Die in deinem Busen spricht.
Wenn die Sünde kosend winket,
Wenn die Schwachheit schwankt und sinket,
Höre du den ernsten Ruf der Pflicht,
Höre sie und wanke nicht!
265
Würzig dufte, rosig blühe
Eine schimmernde Aurore,
Deines Lebens süsse Frühe,
Bis dir winkt die ernstre Pflicht;
Bis die hochzeitliche Hore,
Hold wie Hebe, frisch wie Flore,
Dir mit hocherröthendem Gesicht
Myrten um die Locken flicht.
Keines Unmuths Wölkchen trübe
Deiner Zukunft glatten Spiegel.
Wandl 'im Schirm der ewgen Liebe,
Bis dein Mittag Abend wird.
Schwinge, Psyche, nun die Flügel,
Während um den stillen Hügel
Melancholisch die Cypresse schwirrt,
Und ein Täubchen einsam girrt.
266

An meine Schwester Marie Luise zum Abschiede.

Es schlägt! es schlägt! mein Herz ist voll,
Dein Auge nebeltrübe!
Nun, süsse Schwester, lebe wohl,
Und denke mein in Liebe!
Gedenke mein, wenn Lunens Licht,
In deine Fenster flimmert,
Und wenn dein klares Angesicht
Im Glanz Aurorens schimmert.
267
Gedenke mein, wenn du empor
Zum Morgenhimmel blickest,
Und in des Abends grauem Flor
In süssen Schlummer nickest.
Denk öfter an mein fernes Land,
An meine Hochgestade,
An Wittow's meerumrauschten Strand
Und traute Uferpfade.
Denk öfter an den Schattengang
In meinem stillen Garten,
Wo wir manch einsam Stündlein lang
In holder Dämmrung harrten.
Denk, wie wir öfter Hand in Hand
Hoch auf Arkona ruhten.
Wie klang der hochgebirgte Strand!
Wie donnerten die Fluthen!
Gedenk 'an mich. Doch öfter noch
Gedenk' an Freundin Tugend;
Ihr Arm ist sanft, und süss ihr Joch,
Und hold ist sie der Jugend.
268
Sey kalt, wie Eis! Sey rein, wie Schnee!
Wie Veilchen sey demüthig!
Sey mild, wie Milch, rasch, wie ein Reh,
Wie Lämmchen fromm und gütig!
Sey rüstig, deine Pflicht zu thun,
Zu handeln, dulden, lieben!
Auch Mägdlein mögen Thaten thun,
Und heilge Pflichten üben!
Sey fromm, sey fromm und fürchte Gott!
Und halt, halt 'an im Glauben,
Und lass nicht frecher Frevler Spott
Dir deine Krone rauben!
Und wird dir eng und bang ums Herz
Von Ahnung, Sehnsucht, Reue,
Und presst dich tiefverschwiegner Schmerz,
So tritt hinaus ins Freye!
Schau auf! schau auf ins Vaterland!
Das Vaterland ist droben!
Was irdisch ist, ist Traum und Tand;
Was bleibend letzt, ist oben.
269
Und oben ist auch Wiedersehn
Drum weine nicht, Luise!
Uns winkt, uns lächelt Wiedersehn
Im schönern Paradiese!
270

An einem Gewitterabend.

Ja, wahrlich, du bist schön! bist einer ew'gen
Milde
Und einer ewgen Kraft unsterbliches Gebilde,
Du meiner Wallfahrt Land, du Land, das mich gebar,
Mich säugte, mich erzog, mir Wieg 'und Amme war;
Mich dreissig Frühlinge mit seinen Rosen kränzte,
Mir im kristallnen Schnee durch dreissig Winter
glänzte,
Und einstens diesen Staub, durch Gottes Hauch
belebt,
In seinen Schooss begräbt.
271
Schön bist du, Erde, schön im goldnen Sommer -
kleide.
Dich grüsst mein Preisgesang; dich ehret meine
Freude.
Sieh, wie die gelbe Saat die schweren Häupter
neigt!
Wie unter seiner Last das schwanke Reis sich
beugt!
Wie auf der fetten Trift die satte Heerde hüpfet!
Wie durch das hohe Gras das Sonnenwürmchen
schlüpfet!
Horch, wie der Wachtel Schlag im Weizen, tief
im Wald
Der Drossel Flöte schallt!
Doch schwüler wird die Luft; die Kreaturen
ächzen;
Die matte Schöpfung stöhnt; die welken Fluren
lechzen.
Allvater winkt, und schnell klimmt schwarze Wet -
ternacht
Herauf aus Süd und West. Des Sturmes Kraft erwacht.
Es blitzt. Der Donner grollt. Das Bodenfeste zittert.
Das wilde Weltmeer tobt. Der Eichwald dampft
und splittert.
Der Haingesang erstummt. Das scheue Ross ent -
fleucht,
Und Held und Memm 'erbleicht!
272
Allvater lächelt. Schnell verbraust der Donner
Rasen.
Der Blitze Flamm 'erlischt; des Sturms verheerend
Blasen
Wird leises Wehn; es schweigt das aufgewühlte
Meer
Schön, Erde, ist dein Ruhn nach Wettern, schön
und hehr.
Des Donners Drohn wird Huld, sein Schelten mil -
der Segen.
Der Wolken Fülle rauscht; es rieseln laue Regen.
Nun trinkt, was durstete; nun labt sich die Natur;
Nun jubeln Wald und Flur.
Die Dünste fliehn. Die Luft verklärt sich.
Gross und milde
Beglänzt die Abendsonn das träufelnde Gefilde.
Wie blitzt in ihrem Glanz, wie funkeln Bach und
Au!
Wie düster steht der Wald, das ferne Meer, wie
blau!
Sie sinkt; der Westen glüht. Der müde Landmann
feyert;
Die Heerden kehren heim; der braune Abend
schleyert
Das Feld, das stille Dorf, den feyerlichen Hain
In seinen Mantel ein.
273
Sie kommt, gewünscht dem Gram; sie kommt,
ersehnt dem Müden,
Die süsse, süsse Nacht, und träufelt Trost und Frieden
In jede wunde Brust, und schliesst zu sanfter Ruh
Und holder Träumerey die nassen Wimper zu.
Es scheint der stille Mond in des Verlassnen Kammer
Durch enge Fensterchen, und weint in seinen Jammer.
Der wache Weise sinnt in ernster Dunkelheit
Gott, Grab und Ewigkeit.
Ja, wahrlich, du bist schön, mein mütterlich
Gefilde!
Bist einer ewgen Kraft und einer ewgen Milde
Unsträflichs Meisterstück Gesegnet seyst du mir!
Gesegnet und gewünscht, so lang 'ich wall' auf dir!
Gesegnet jede Lust, gesegnet jeder Kummer,
Der deiner Brust entquillt willkommen einst mein
Schlummer
In deinem stillen Schooss, der alle Unruh stillt,
Und allen Jammer hüllt.
2 S274

An die untergehende Sonne.

Sonne, du sinkst!
Sonne, du sinkst!
Sink 'in Frieden, o Sonne!
Still und ruhig ist deines Scheidens Gang,
Rührend und feyerlich deines Scheidens Schweigen.
Wehmuth lächelt dein freundliches Auge;
Thränen entträufeln den goldenen Wimpern;
Segnungen strömst du der duftenden Erde.
Immer tiefer,
Immer leiser,
Immer ernster und fey'rlicher
Sinkst du die Lüfte nach!
Sonne, du sinkst,
Sonne, du sinkst,
Sink 'in Frieden, o Sonne!
275
Es segnen die Völker,
Es säuseln die Lüfte,
Es räuchern die dampfenden Wiesen dir nach.
Winde durchrieseln dein lockiges Haar;
Wogen kühlen die brennende Wange;
Weit auf thut sich dein Wasserbett
Ruh 'in Frieden!
Schlummr' in Wonne!
Die Nachtigall flötet dir Schlummergesang.
Sonne, du sinkst!
Sonne, du sinkst!
Sink 'in Frieden, o Sonne!
Schön sinkt sichs nach den Schweissen des Tags,
Schön in die Arme der Ruhe
Nach wohlbestandenem Tagwerk.
Du hast dein Tagwerk bestanden,
Du hast es glorreich vollendet,
Hast Welten erleuchtet und Welten erwärmt,
Den Schooss der Erde befruchtet,
Die schwellenden Knospen geröthet,
Der Blumen Kelche geöffnet,
Die grünen Saaten gezeitigt,
Hast Welten gesäuget, und Welten erquickt
Geliebt und Liebe geerntet,
S 2
276
Gesegnet und rings mit Segnungen
Dein rollendes Haar bekränzt.
Schlummre sanft
Nach den Schweissen des Tags;
Erwache freudig
Nach verjüngendem Schlummer!
Erwach 'ein junger freudiger Held!
Erwach' zu neuen Thaten!
Dein harrt die lechzende Schöpfung:
Dein harren Au 'und Wiesen;
Dein harren Vögel und Heerden;
Dein harrt der Wandrer im Dunkeln;
Dein harrt der Schiffer in Stürmen;
Dein harrt der Kranke im Siechbett;
Dein harret der Wonnen seligste:
Die Wonne zu lieben, und zu werden geliebt;
Der Seligkeiten unaussprechlichste:
Die hohe vergötternde Seligkeit, wohlzuthun!
Sink 'in Frieden!
Schlummr' in Ruhe!
Erwach 'in Entzückungen, Sonne!
277

Melancholikon.

Schöne Himmelssonne,
Mild und hold und hehr,
Urquell aller Wonne,
Wogend Flammenmeer!
So blass sind deine Schimmer!
So matt sind deine Flimmer!
Heldin, ist der Köcher
Deiner Pfeile leer?
Öde Stoppelfelder,
Blumenarme Flur,
Ausgestorbne Wälder,
Siechende Natur,
Woher so stumm und traurig?
Woher so bang 'und schaurig?
Winket denn die Urne
Aller Kreatur?
278
Auf den grünen Matten,
Längs dem Wiesenbach,
Wo im Erlenschatten
Ich süssträumend lag,
Wo Lieb 'und Leben schwirrte,
Und flötet, summt' und girrte
Wimmert Todesklage,
Ächzt gebrochnes Ach!
Schlüsselblumen schmückten
Diess bescheidne Thal.
Wilde Rosen nickten
Hier im lauen Strahl
Wo seyd ihr Trauten, Lieben,
Wo seyd, wo seyd ihr blieben?
Ehret eure Asche
Kein verkündend Maal?
Goldner Weizen kränzte
Jene stolze Höh;
Hier im Blachfeld glänzte
Eine Halmensee.
Ich seh sie nicht mehr wallen.
Gefallen, ach, gefallen
Vor dem Schwung der Sichel
Ist die Wogende.
279
Ahnung, die mich düstert,
Sprich, wo stammst du her?
Stimme, die mir flistert,
Sprich verständlicher!
Die Sonn 'ist untergangen;
Von Hespers kalten Wangen
Träufeln starre Thränen
Auf den Wanderer.
Unbekanntes Grausen
Schüttelt mein Gebein.
Dumpfer Wetter Brausen
Donnert fern im Hain.
Es rasselt tausendstimmig;
Es fasst mich wild und grimmig
Riesenarm, wer bist du?
Schrecklicher, halt ein!
Nachtschwarz rauscht dein Flügel,
Würger Tod, um mich.
Deine Demantriegel,
Grab, entriegeln sich.
Hinunter aus der Schwüle!
Hinunter in die Kühle!
Drunten ists vertraulich,
Eng und schauerlich.
280
Deiner Flügel Sausen,
Dräuer, schreckt mich nicht.
Deines Dunkels Grausen,
Grab, entfärbt mich nicht
Hinunter aus der Schwüle!
Hinunter in die Kühle!
Jenseit jubelt Leben;
Jenseit dämmert Licht.
281

Nachtgesang.

Tiefe Feyer
Schauert um die Welt.
Braune Schleyer
Hüllen Wald und Feld.
Trüb und matt und müde
Nickt jedes Leben ein,
Und namenloser Friede
Umsäuselt alles Seyn!
Wacher Kummer,
Verlass ein Weilchen mich!
Goldner Schlummer,
Komm und umflügle mich!
Trockne meine Thränen
Mit deines Schleyers Saum,
Und täusche, Freund, mein Sehnen
Mit deinem schönsten Traum.
282
Blaue Ferne,
Hoch über mich erhöht!
Heilge Sterne
In hehrer Majestät!
Sagt mir, ist es stiller,
Ihr Funkelnden, bey euch,
Als in der Eitelkeiten
Aufruhrvollem Reich?
[283]

Sechstes Buch.

[284]

Seinem Freunde Friedrich Richter zugeeignet.

[figure]
285

Arkona.

Die Sonne neigte sich. Zu athmen, nach der
Schwüle
Und nach der Last des Tags, des Abends frische
Kühle,
Entriss ich lechzend mich der Mauren dumpfem
Brand,
Und wandelte hinab zum schöngebognen Strand.
Kein Lüftchen kräuselte des Meeres Spiegelglätte;
Der Seehund sonnte sich auf dem granitnen Bette.
Die Taucher plätscherten, es scherzten Möw 'und
Schwan
Im lauen Ocean.
286
Und tiefer sank die Sonn '. Getaucht in Rosen -
gluthen,
Bespühlt den rauhen Fuss mit düstergrünen Flu -
then,
Lagst du, der Väter Stolz, der alten Rugia
Gepries'nes Kapitol, Arkona, thürmend da.
Ich nahte mich, erklomm des Burgrings schroffe
Zacken,
Beschritt mit dreistem Fuss des heilgen Hügels
Nacken,
Und schaute schrankenlos fern über Land und
See
Ins Unermessliche.
Wie schwoll die Brust, wie schlug in immer
raschern Schlägen
Dem ungemessnen Raum das rege Herz entgegen!
Den lautern Ätherstrom, so labend, frisch und
rein,
Wie lüstern schlürften ihn der Lunge Röhren
ein!
Der eingepressten Brust entstürzten Felsenblöcke,
Dem zugeschnürten Aug 'entrollten Bind' und
Decke.
Des Stoffes Rinde borst; der Schwere Fessel
sprang;
Der Thierheit Brodem sank.
287
Und tiefer sank die Sonn '. Schon küssten ihr
die Wange
Der Woge Wallungen, doch schauernd noch und
bange.
Noch warf die Liebende des Abschieds milden
Blick,
Den Blick des Lebewohls auf ihre Welt zurück.
Noch glühten, angeblitzt von ihrem letzten
Strahle,
Der Dünen Silberschnee, die grauen Heldenmaale.
Itzt tauchte sie so taucht ein Menschenfreund
ins Grab
Die blaue Fluth hinab.
Fahr wohl, du mildes Licht! erseufzt 'ich,
schaute sehnend
Der Heimgegangnen nach; und staunend, träumend,
wähnend,
Verlor ich mich, bis mir die Wirklichkeit ver -
schwand,
Und rings vor meinem Blick ein selig Eden stand.
Ein magisch Licht umschwamm die schimmernde
Musive
Der Landschaft; sanft verschmolz in blauer Per -
spective
Die Ferne; rings umfloss ein heilig Dunkelklar
Arkonens Hochaltar.
288
Noch stand ich aufgelöst in ahnungtrunknes
Staunen;
Da hört 'ichs mir ins Ohr, wie Geistgeflister
raunen:
Knie nieder und bet' an! Ich kniet 'ins falbe
Moos,
Und also rang es sich aus meinem Innern los:
O du wie nenn' ich dich, dem alle Busen
wallen,
Und alle Herzen glühn, und alle Zungen lallen
Zeus, Tien, Manitu, Allfader, Brama,
Foh,
Eloah, Allah, O!
Sey, wer du seyst, du bist! Ja, Wesen
aller Wesen,
Ich glaube, dass du bist! Ich glaub 'und bin ge -
nesen!
Ruhlechzend lehnt an dir der Grübelns müde Geist,
Den rastlos der Begriff in ewgem Wirbel reisst.
Mag gleich dein Wie und Wo kein Syllogism
erklügeln,
Kein Seherblick erspähn, kein Vedam uns entsie -
geln,
Mag faseln der Epopt, und spötteln der So -
phist
Ich glaube, dass du bist!
289
Es zeuget, dass du seyst, die Harmonie der
Sphären.
Der Himmel ruft's der Erd ', die Erde ruft's den
Meeren,
Das Meer den Inseln zu, die seine Fluth bespühlt;
Es zeugt's der Donnersturm, das Lüftchen, das
uns kühlt;
Die Katarakte zeugt's, die wild der Alp' entstrudelt;
Der Vulkan, dessen Schlund geschmolzne Felsen
sprudelt,
Der Eichwald und das Moos, der Lotos und der
Tang,
Das Sandkorn und Montblanc.
Es zeuget, dass du seyst, der göttliche Ge -
danke,
Der jeden Zwang verschmäht und spottet jeder
Schranke,
Den Himmel itzt erfliegt, zur Hölle dann sich senkt,
Das All, sein eignes Ich, und dich, Erhabner,
denkt.
Die ernste Stimme zeugt's, die nimmer schweigt
noch heuchelt,
Die nie dem Triebe frohnt, und nie den Lüsten
schmeichelt,
Die, wenn der Sinn sich sträubt, und wenn die
Neigung schmollt,
Gebietend spricht: Du sollt!
2 T
290
Ich soll! ich kann! ich will! Die Fessel ist
zerbrochen!
Erhabnes Pflichtgesetz, du hast mich freyge -
sprochen!
Nothwendigkeit, dein Sklav streift deine Fesseln
ab,
Und schaut ein Geist, ein Held, ein Gott, auf
dich herab!
Verschmäh 'es, Trefflicher, dem Eiteln nachzu -
schmachten!
Dir ziemt durch Heiligkeit nach Seligkeit zu
trachten!
O du, der heilig ist, o du, der selig ist,
Ich glaube, dass du bist!
So rufend schaut 'ich auf und sieh'! des Spät -
roths Gluthen
Erblassten. Schwer und tief hing auf die schwarzen
Fluthen
Und auf der Dünen Schnee ein Trauerflor hinab.
Noch war erhaben still die Schöpfung, wie ein Grab.
Schon rauscht es fern; der Sturm erwacht; die
Wogen grollen;
Es blitzt in Süd und West; in Süd und Westen
rollen
Die Donner. Dumpf erklingt die hohle Uferwand,
Dumpf Jasmunds Riesenstrand.
291
Und reissend, wie ein Pfeil, geschnellt vom
eibnen Bogen,
Kam, wie ein Weltgericht, das Wetter hergeflogen.
In wildem Aufruhr gohr die Luft, das Meer, das
Land;
Die Brandung geisselte den schaumbesprützten Strand;
Dem Wolkenschwall entschoss ein Knäuel weisser
Flammen;
Ein friedlich Dörflein sank in Schutt und Graus zu -
sammen;
Der Hagel schlug die Saat, und ein entmastet
Schiff
Zerschellt 'am Felsenriff.
Und durch den lauten Sturm und durch der
Donner Dröhnen
Erscholl der Schrey der Angst, des Jammers dumpfes
Stöhnen.
Mich wehten Schauder an. Mich fasste blitzge -
schwind
Und schüttelt 'Hünenstark der Zweifel Wirbelwind.
Gestemmt auf meinen Grimm schaut' ich mit bitterm
Hohne
Und frevelm Trotz empor zum blitzumschossnen
Throne
Des Donnerschleuderers, und rief mit frechem Spott:
Thor, wo ist nun dein Gott?
T 2
292
Wo ist der Selge nun, der Heilge, der Ge -
rechte!
Orkane weckt sein Hauch, sein Schnauben Wetter -
nächte.
Hier raucht des Armen Saat; dort dampft sein
Halmendach.
Dort stöhnt ein Scheiternder, gequetscht vom Wel -
lenschlag.
Triumph! den Selgen ehrt die Todesangst der
Seinen.
Victoria! ihn preis't der Unschuld lautes Wei -
nen.
Ihm ist der Wuth Geheul, des Wahnsinns Phre -
nesie
Erhabne Psalmodie.
So wird dem Sturm die Spreu, so ward ich dir
zum Raube,
Megäre Zweifelsucht! Geknicket war mein Glaube.
Gestaltlos grauste mich die Schöpfung, ein Tyrann
Der Schöpfer, kalt und starr ein eisern Fatum
an.
Von seinem Drachenschweif umschlungen und zer -
quetschet,
Von Larven angegrins't, von Furien angefletschet,
Mit ausgeschöpfter Kraft und ausgelöschtem Sinn
Sank ich aufs Antlitz hin.
293
Als hätte Gottes Strahl mich in den Staub ge -
schmettert,
Vom Ouragan umheult, vom Hagelsturm um -
wettert,
Lag ich gedankenlos, und mancher schwere Schlag
Erschütterte den Grund, auf dem der Zweifler
lag.
Noch immer läuteten des Donners Aufruhrglocken;
Die Flammen leckten mir an den durchnässten
Locken.
Itzt peitscht 'ein Schlossenschwall, und itzt ein
Wolkenbruch,
Den Gipfel, der mich trug.
Zwey schwarze Stunden flohn. Itzt war der
Blitze Köcher,
Der Schlossen Schatz erschöpft. Es grollte ferner,
schwächer.
Ein lindes Säuseln rann durch die erfrischte Luft,
Und der erquickten Flur entwallte Opferduft.
Ich taumelt 'auf. Und sieh! zerrissen war der
Schleyer
Der andern Welt. Es steht an Tagen grosser
Feyer
Ein Allerheiligstes. So stand in hehrer Pracht
Die vollgestirnte Nacht.
294
Wie strudelte, wie wogt 'aus undenkbaren Fernen
Der Orellanastrom von Sonnen, Monden, Sternen!
Wie äugelten so mild aus dem saphyrnen Guss
Die weisse Azimech, der rothe Regulus!
Es rollte Welt an Welt, es brauste Sonn' in Sonne
Ein seliges Gewühl von Leben, Füll 'und Wonne.
Es lag das grosse All stillsäugend, liebewarm
In seines Vaters Arm.
Und weich ward mir das Herz; es schmolz in
süsses Sehnen.
Das Auge letzte sich in wollustreichen Thränen;
Zu hoher Freudigkeit erwuchs das kalte Graun,
Der scheue Sklavensinn zu kindlichem Vertraun.
O Vater, rief ich aus, o du, in dessen Armen
Der Engel und der Wurm, und Mensch und Mück '
erwarmen,
Dir sinkt dein reuig Kind mit gramgemischter Lust
An die versöhnte Brust.
Ich seh, ich sehe schon des Daseyns Nacht gelichtet,
Versöhnet jede Fehd ', und jeden Zank geschlichtet.
Entlarvt seh ich den Trug; ich seh den Wahn verstreut,
Mit Elend Schuld gepaart, mit Tugend Seligkeit!
O Vater, bis sich dort des Diesseits Räthsel lösen,
Bewahre mich vor Schuld! Behüte mich vor Bösem!
Gewünscht sey mir die Pflicht! Gesegnet dein Gebot!
Willkommen einst der Tod!
295
Gekräftigt stieg ich nun herab vom Prüfungs -
hügel.
In Osten wehten schon des Morgens Safranflügel.
Im hochzeitlichen Schmuck stand prangend die Natur,
Das Meer ein Amethyst, und ein Smaragd die Flur.
Am trümmervollen Strand, im Schutt verbrannter
Hütten,
Trat ich ein Retter auf in der Verarmten Mitten.
Ich träuft 'in ihren Kelch des Mitleids Honigseim,
Und ging getröstet heim!
296

Der Morgen.

Jüngling, sey mir gegrüsst! Über die Schöpfungen
Schwebst du tönenden Schwungs freudig und stolz
daher!
Deine Wange, wie glüht sie
In den Gluthen des Morgenroths!
Dein gelbringelndes Haar, deinen weitwallenden
Safranmantel, ihn schwellt, siehe! der Morgenwind,
Und entblättert die Rosen,
Die dir kränzen den hellen Schlaf.
Dir, Unsterblicher, dir feyert die junge Welt,
Dir der spiegelnde See, dir der entbrannte Wald,
Dir der sonnige Hügel,
Dir die perlenbesä'te Flur.
297
Dir, Unsterblicher, dir jubelt mein Saitenspiel.
Innig liebt dich mein Herz. Weckt nicht dein leiser
Kuss
Mich aus lähmendem Schlummer
In des Daseyns Entzückungen?
Heil dir, Strahlender, Heil! Gürte, so oft du
kehrst,
Meine Hüfte mit Kraft. Stähle zu festem Trotz
Meine Schenkel. Erfülle
Meine Röhren mit Löwenmark.
Deine Jugend verwelkt nimmer. Die meinige
Welkt in Kurzem. Nicht lang, siehe, so suchest du
Mich vergebens im Felde,
Rufst vergebens dem Schlummerer.
Tief im Staub 'ist mein Schlaf, niedrig mein grünend
Haus.
Thaue Thränen darauf, Holder, und röth' es sanft,
Bis dein himmlischer Bruder
Mich zum ewigen Tage weckt.
298

Die Harmonie der Sphären.

Horch, wie orgelt, wie braust die Äolsharfe der
Schöpfung!
Droben und drunten und rings tönet ihr
bebendes Gold.
Helios Flammengeschoss, Selenens silberner Bo -
gen,
Hesperus Strahlengespann klirren im sphä -
rischen Tanz.
Heilige Lyra, dein Hauch beflügelt den festlichen
Reigen;
Singend steiget, es sinkt singend der himm -
lische Schwan.
299
Melodieen entwehn dem Flügelschwunge des Ad -
lers.
Auf der olympischen Bahn schmettern die
Wagen daher.
Wie der Harmonika Glocken erklingen die Schalen
der Wage.
Katarakten gleich braust aus der Urne der
Strom.
Donnernder strudelt daher der Orellana des Him -
mels.
Zürnend erhebt sich, ergrimmt fasset Orion
den Schild,
Schüttelt den Funkelnden, klopft in die tausend -
bucklichte Wölbung,
Sendet melodischen Sturm durch die ambro -
sische Nacht.
Freundliche Erde, du schwebst im Ringelreihen der
Welten
Leis 'und linde, doch nicht tonlos noch
seellos dahin.
Zunge wurde dem Wald, dem Blättchen Athem
gegeben,
Stimme dem schwatzenden Quell, Sprache
dem rieselnden Bach.
Liebewirbelnd begrüsst Bardale den röthlichen
Morgen,
Der ambrosischen Nacht klaget Aödi ihr
Leid.
300
Von der Accorde Fluthen ergriffen, erbebet des
Menschen
Zartbesaitetes Herz hinter der wölbenden
Brust.
Siehe, die Bebungen schwellen zu Lauten, die Laute
zur Rede!
Horch, in süssem Gesang säuselt die Rede
dahin!
Welcher Finger berührt die Harmonikaglocken der
Schöpfung?
Welchem beseelenden Hauch zittern die Sai -
ten des All?
Grosser Harfner, dir tönt der Welten feyrender
Hymnus!
Hauchender Odem, dir schwillt heisser und
höher das Herz.
Sey mein Leben ein tönendes Lied! Im Päan der
Sphären
Schmelz 'es, ein reiner Accord, sanft und
melodisch dahin!
301

Die Sterne.

Wie wohl ist mir im Dunkeln!
Wie weht die laue Nacht!
Die Sterne Gottes funkeln
In feyerlicher Pracht!
Komm, Ida, komm ins Freye,
Und lass in jene Bläue
Und lass zu jenen Höhn
Uns staunend aufwärts sehn.
302
Sieh, wie die Leyer schimmert!
Sieh, wie der Adler glüht!
Sieh, wie die Krone flimmert,
Und Gemma Funken sprüht!
Die hellen Wächter winken,
Die goldnen Wagen blinken,
Und stolz durchschwimmt der Schwan
Den blauen Ocean.
O Sterne Gottes, Zeugen
Und Boten bessrer Welt,
Ihr heisst den Aufruhr schweigen,
Der unsern Busen schwellt.
Ich seh 'hinauf, ihr Hehren,
Zu euren lichten Sphären,
Und Ahnung bessrer Lust
Stillt die empörte Brust.
O Ida, wenn die Schwermuth
Dein sanftes Auge hüllt,
Wenn dir die Welt mit Wermuth
Den Lebensbecher füllt;
So geh hinaus im Dunkeln,
Und sieh die Sterne funkeln,
Und leiser wird dein Schmerz,
Und freyer schlägt dein Herz.
303
Und wenn im öden Staube
Der irre Geist erkrankt;
Wenn tief in dir der Glaube
An Gott und Zukunft schwankt;
Schau auf zu jenen Fernen
Zu jenen ewgen Sternen!
Schau auf und glaub 'an Gott,
Und segne Grab und Tod.
O Ida, wenn die Strenge
Des Schicksals einst uns trennt,
Und wenn das Weltgedränge
Nicht Blick noch Kuss uns gönnt;
So schau hinauf ins Freye,
In jene weite Bläue!
In jenen lichten Höhn,
Dort, dort ist Wiedersehn!
Und wenn ich einst, o Theure,
Von allem Kampf und Krieg,
Im stillen Grabe feyre,
So schau 'empor und sprich:
In jenen hohen Fernen,
Auf jenen goldnen Sternen,
Dort, wo's am hellsten blitzt,
Wallt mein Verlorner itzt.
304
O Sterne Gottes, Boten
Und Bürger bessrer Welt,
Die ihr die Nacht der Todten
Zu milder Dämmrung hellt!
Umschimmert sanft die Stätte,
Wo ich aus stillem Bette
Und süssem Schlaf erwach
Zu Edens schönerm Tag!
305

An Rosens Schatten.

Wer bist du, Lichtgestalt, die durch die
Dämmerungen,
Von Glorie umstrahlt, von Glanzgewölk um -
schlungen,
Von goldnem Haar umwallt, von Mondenblitz um -
bebt,
In schlanker Majestät vor mir vorüberschwebt?
Es schwirrt im Abendhauch der silberhelle Schleyer;
Dem blauen Aug 'entsprüht ein überirdisch Feuer;
Der wonnetrunkne Blick, die hochgehabne Hand
Meint jenes Vaterland!
2 U
306
Bist du es, Herrliche? bist du es, Frühver -
klärte,
Du ewger Huldigung und langer Thränen werthe,
Die du aus Edens Flur zu uns herunterstiegst,
Und duldend lächeltest, und qualumrungen
schwiegst?
Ach, viel zu streng für dich war unsers Zembla
Boden,
Zu rauh der Frost der Nacht, zu barsch des Nord -
winds Oden;
Du blühtest, welktest, sankst, und bargst dich kla -
gelos
In Tellus mildem Schooss.
O Rosa, dein gedenkt mein Geist mit Wonn '
und Wehmuth,
Gedenkt mit süssem Schmerz der ungeschminkten
Demuth,
Des ungetrübten Sinns, der ungekränkten Huld,
Der nieermattenden, gerntragenden Geduld.
Holdselig schwebtest du in deiner Lieben
Mitte,
Mit Engelfreundlichkeit, mit leisem Rehes -
tritte,
Mit Würde sonder Stolz, mit Güte sonder
Schein,
Treu, einfach, keusch und rein.
307
Wo seyd, wo seyd ihr hin, zu schnell ver -
flossne Zeiten,
Ihr Tage reich an Qual und reich an Selig -
keiten,
Wo ich im Abendlicht an Rosens Seite sass
Und jeden Erdengram in ihrem Arm vergass;
Wo schnell dem ihrigen mein Herz entgegen -
brannte,
Wo sie mich schnell begriff, mich feurig Bruder!
nannte,
Wo an ihr Schwesterherz das meine fest sich
schloss,
Ganz Geist in Geist zerfloss!
Wie oft, wenn ich versengt von deines Sa -
mum Brande,
Tyrannin Leidenschaft, und kaum dem schroffen
Rande
Des Untergangs entschlüpft, an Rosens Busen flog,
Und Trost aus ihrem Blick und ihrem Handdruck
sog;
Wie troff so heilend dann aus ihrem Honigmunde
Der Weisheit Öl und Wein auf meine Herzens -
wunde!
Beschämt, gestärkt, versöhnt mit Welt und mit
Geschick
Kehrt 'ich ins Joch zurück.
U 2
308
Und, o der schmerzlichen, der nie vergessnen
Stunde,
Wo ich zu früh entwinkt dem schönen Schwester -
bunde,
Zum letztenmal sie sah, sie in den Arm mir
sank,
Heissweinend mich umfing, lautschluchzend mich
umschlang;
Wo ich, dem finstrer Gram das starre Auge nässte,
Das herbe Lebewohl auf ihre Lippen presste,
Dann schnell mich losriss Ha, wann strahlst,
wann winkst du, ach!
Des Wiedersehens Tag!
Tagt es im Grabe? Nie, nie werd 'ich Rosa
schauen.
Die Ausgeprüfte wallt auf ewiggrünen Auen.
Heil ihr! Getauscht hat sie der Erde Brodem -
luft
Mit Edens lindem Wehn und Amaranthenduft.
Geküsst vom lauen Strahl, erfrischt vom leisen
Kosen
Des Athers, schau, wie blühn die gramerblichnen
Rosen
Der Wange! sieh, wie schwillt vom Athem höh'rer
Lust
Die schmerzgebrochne Brust!
309
O Rosa, schau herab aus deiner lichten Ferne,
Schau nieder, Heilige, zum mütterlichen Sterne!
Auf deinen Bruder schau, auf den verlassnen Freund,
Der, Selge, nicht um dich, der um sich selber weint.
Du ruhst, Vollendete, auf Edens Rosenbetten.
Mich Armen lasten noch der Eitelkeiten Ketten.
Es schwelgt in meinem Mark, es prasst in meiner
Kraft
Der Tieger Leidenschaft.
O Rosa, schweb 'herab aus deinem hellen Sterne!
Schweb' nieder, Selige, in diese öde Ferne!
Umschimmre traulich mich im stillen Mondenlicht!
Umlisple mich im Hauch, der in den Espen spricht!
Sey Feuersäule mir auf meines Irrsals Pfaden!
Sey mir im Sturm ein Strahl auf winkenden Ge -
staden!
Und endet mein Exil, so leit 'an deiner Hand
Mich heim ins Vaterland!
287[310]

Das Schicksal und das Ich. (Nach Jean Paul.)

Das Schicksal.
Sohn des Staubes, vernimm des schwererweich -
lichen Schicksals
Freundlichen Antrag: Dir ist eine der Bit -
ten gewährt.
Mancherley Freuden vergolden der Menschen neb -
lichtes Leben.
Wähl ', und welche du wählst, sey dir vom
Schicksal gewährt!
Das Ich.
Keine Freuden begehr 'ich. Ich pflückte die Beere
der Freude;
Aber mit tückischem Dorn ritzte die Täu -
schende mich.
311
Schimmert die Sonn 'auch einmal durch die schwar -
zen drängenden Wetter,
Werfen die Drohenden nur schwärzere Schat -
ten herab.
Blinzelnder, glänzt es um dich? Es ist das Glän -
zen des Schwertes,
Welchen der kommende Tag gegen den heu -
tigen zuckt!
Ich entsage dir, Freude! die du den Wandrer
verlockest,
Und den Verlockten umschlingst, und den
Umschlungnen erdrückst.
Öd' und leer wird das schwindelnde Herz im Wirbel
der Freude.
Du, o Schwermuth, allein füllest das Lech -
zende aus!
Das Schicksal.
Sohn des Staubes, es haben die Götter ihr Schooss -
kind, die Liebe,
Freundlich den Menschen gesandt. Wählest
du Liebe, so sprich.
Das Ich.
Nein, nicht Liebe begehr 'ich. Ich drückte die
Rose der Liebe
An die verschmachtende Brust, und sie
durchstach mir das Herz.
312
Warme Tropfen bethauten am Abend die duftende
Rose;
Aber im Athem der Nacht froren die Tropfen
zu Eis.
Liebe, du schüttest am Morgen des Lebens, ein
strahlendes Frühroth,
Über des Wanderers Haupt Rosen und Per -
len herab.
Taumelnder Wandrer, zurück! Betritt nicht die
glimmende Wolke!
Ihre Rosen sind Dunst. Thränen, ihr Perlen,
seyd ihr
Ich entsage dir, Liebe. Ich will an schöneren
Schmerzen,
An erhabnerem Gram sterben als, Feindin,
an dir!
Das Schicksal.
Sohn des Staubes, es heilt der Freundschaft Balsam
die Busen,
Welche die Liebe zerriss. Wählest du
Freundschaft, so sprich.
Das Ich.
Keine Freunde begehr 'ich. Wo seyd ihr, holde
Gestalten,
Die ihr mit liebendem Arm euren Geliebten
umschlangt?
313
Siehe, wir standen auf hohlen, dünnüberwölbeten
Gräbern,
Nah an einander geschmiegt, fest in einander
verschürzt ...
Und das Gewölbe zerborst. Die Erblassenden san -
ken hinunter;
Über sie schloss sich die Gruft. Einsamer
blieb ich zurück.
Ich entsage dir, Freundschaft. Erst, wann der
Orkan erstummt ist,
Wann die Gescheiterten erst landen im ret -
tenden Port
Walle dann wärmer, genesene Brust! Unauslösch -
liches Auge,
Weine dann froher. Erscheint, die ihr
mich liebtet, erscheint!
Fliegt aus dem Osten und Westen dem harrenden
Freund 'in die Arme,
Welchen kein Orkan hinfort eurer Umar -
mung entreisst.
Das Schicksal.
Sohn des Jammers, ist nichts, gar nichts denn
unten im Staube,
Welches den Lechzenden letzt? Nenne das
Eine, und nimm!
314
Das Ich.
Eins wohl letzte den Lechzer. Um Eines fleh 'ich
dich, Schicksal,
Um heroischen Muth, und um das hüllende
Grab.
Trockne tröstend das strömende Auge; dann schliess'
es auf ewig.
Stille das stürmende Herz! Bett 'es mitlei -
dig in Staub!
Einst, wann Psyche die Flügel entfaltet, zur blü -
henden Heimath
Triumphirend sich schwingt, ewige Blumen
umschwärmt,
Wann ich feyer' in schönerer Erde den schönern
Geburtstag,
Wann im Schoosse der Ruh jegliche Wunde
sich schliesst,
Dann, o Schicksal, vernimm des Seligen Wünsche ...
wenn anders
In Elisium nicht jegliches Wünschen er -
stummt.
315

Des edleren Selbst Ermunterung.

Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der
Nacht,
Die eisern dich umsitzt. Der Schwermuth Raben -
tracht
Beschämt das Rosenroth von Gottes schöner Welt.
Sey Weiser, Mann und Held!
Bist gegen Tausend du gleich klein und namenlos;
Bist du vor Tausenden doch herrlich auch und gross,
Bist vor Zehntausenden geformt aus edlerm Thon,
Uraniens Lieblingssohn!
316
Spannt deinen Bogen nicht noch ungeschwächte
Kraft?
Schwellt deine Adern nicht die Woge Leidenschaft?
Giebt dem Begeisterten der Schönheit Genius
Nicht manchen Liebeskuss?
Ist nicht die Wahrheit dir, bist du nicht ihr
vertraut?
Drückt dich nicht an ihr Herz Natur, wie eine
Braut?
Schlingt nicht um deinen Hals die Tugend liebe -
warm
Den himmelhellen Arm?
Strömt nicht, wie Schlossen wild, wie Gottes
Donner stark,
Dein Hochgesang daher, und schüttert Nerv 'und
Mark?
Schmelzt nicht dein sanftres Lied des Edlern fühlend
Herz
In wollustvollen Schmerz?
Gelang im Dunkeln dir nicht manche bessre
That,
Die keine Zeugen hier, die Zeugen droben hat?
Hast du die Thräne nicht der Inbrunst, ernst
und schön,
Dir dankbar fliessen sehn?
317
Sind dir nicht nah und fern die Guten hold
und freund?
Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir
nicht feind?
Und drängt nicht manches Herz, das nirgends hal -
ten kann,
Sich liebend an dich an?
Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der
Nacht,
Die eisern dich umhüllt. Der Schwermuth Trauer -
tracht
Lass jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver -
rann
Du aber, sey ein Mann!
Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne
Zeit.
Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng -
lichkeit!
Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt,
Ist Hohngelächter werth!
Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher
Schnee;
Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie;
Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes Blatt;
Des Auges Blitz wird matt.
318
Der Erde Ruhm ist Hauch, der durch die Luft
verwallt;
Der Erde Freundschaft Schall, der hohlem Fass 'ent -
hallt;
Der Erde Ewigkeit währt Wendung einer Hand;
Ihr Glaub' ist Ufersand.
Die Sonne sinkt und steigt; einst wird ihr Bett
ihr Grab.
Der Himmel wirft sein Heer, wie dürre Blätter ab.
Vergänglichkeit vergeht. Das Staubgebäu zer -
stäubt;
Die ewge Seele bleibt.
Die ewge Seele schwingt hoch über Wahn und
Trug
Der Erde sich empor, erfleugt mit Adlerflug
Der Wahrheit Flammenborn, der jeden Durst er -
löscht,
Und jede Makel wäscht;
Wo keine Täuschung irrt, und keine Gier uns
plagt,
Wo keine Sehnsucht lechzt, und keine Reue
nagt,
Wo leise Wonne Schmerz, Entzücken Wehmuth
heisst
Ermanne dich, mein Geist!
319
Empor, Unsterblicher! entwinde dich dem
Tand,
Der Raupenseelen nährt! Erfleug dein Vaterland!
Durch Dulden und durch Thun erring die bessre
Welt!
Sey Weiser, Mann und Held!
320

An Magdalena Schwarz.

Meine Freundin, es ist der Tag der Pfingsten
erschienen.
Ihn umarmet der Tag, welcher ins Leben
dich rief
In diess dämmernde Leben, das einst ein Traum
uns gemahnet,
Wann den entkerkerten Geist Wahrheit und
Freyheit umstrahlt;
In diess seufzende Rund, das nur als Schwelle des
Himmels
Unsre Liebe verdient; in diess polarische
Land,
Dessen Nächte nur sparsam der Meinungen Nordlicht
durchflimmert,
Dessen ewiges Eis, Liebe, dein Athem
nicht schmelzt;
321
In diess Siberien, wo, gleich einem flüchtigen
Freunde,
Schüchtern die Freud 'uns besucht, schnell
uns umhalset und flieht;
Wo die Gegenwart Wund' ist, und die Vergan -
genheit Narbe;
*)Jean Paul.
*)
Wo die Besten von uns Früchte nicht tra -
gen, nur Laub;
Wo wir klimmen auf staubigen Stufen der Thorheit
und Sünde,
Zu der Vollkommenheit leuchtendem Tempel
hinan.
Meine Freundin, ich wollte zum fröhlichen Tage
der Pfingsten
Dir ein fröhliches Lied dichten; ich wollte
dein Lob,
Das schon lange den Busen mir wärmet, mit Einfalt
der Wahrheit,
Nicht mit der Dichtungen Schmuck einmal
nur singen, und nie.
Aber es hüllt mir die Seel 'ein unauswölkbares
Dunkel;
Regengedanken umwehn meinen umnach -
teten Geist;
2 x
322
Grauer Schatten umflort den weissen Brautschmuck
des Frühlings;
Feuchter Nebelduft hüllet das freundliche
Grün.
Diese blühende Welt und jener lasurene Him -
mel,
Dieses prangende All däucht mir ein wöl -
bendes Grab,
Drinnen tausendmal tausend geborstene Herzen ver -
wesen
(Ach, sie schwollen so voll einst von Ent -
zücken und Schmerz);
Drinnen zusammengesunken in wenige stiebende
Asche
An des Bräutigams Brust ruhet die schlum -
mernde Braut.
Die du uns trägst und begräbst, wer zählet, o Erde,
die Stummen,
Welche schlafen in dir, welche kein Hahnen -
ruf weckt!
Frühlinge sprossten zu tausend, zu tausenden welkten
die Sommer.
Über den blühenden Staub wandelten Men -
schen dahin,
Hohe, erhabne, geflügelte Menschen. Sie kamen
und gingen.
323
Aber wir fanden sie nicht; nimmer umarm -
ten wir sie.
Frühlinge werden noch blühen zu tausenden, spros -
sen und welken
Werden der Sommer noch viel, ehe der
letzte verblüht.
Vieler noch werden der hohen geflügelten himmli -
schen Wesen
Zwischen den Blumen der Flur wandeln in
menschlichem Reiz.
Aber, sie werden nicht uns, nur unsern Gräbern
begegnen;
Nimmer erkannten sie uns, nimmer umarm -
ten wir sie.
Wenige schnelle Minuten (wir Sterblichen nennen
sie Jahre)
Wandeln wir über dem Staub, welcher
uns morgen bedeckt.
Wenige holde Gestalten begegnen uns; freudig er -
schreckend
Zittern wir ihnen ans Herz, schmiegen uns
innig an sie.
Dreymal krähet der Hahn; und was wir umarmten,
ist Asche!
Ach, des Entzückens Krampf knickte das
zuckende Herz.
X 2
324
Selig, wer himmelan stieg mit Adlerfittig des
Glaubens!
Diese blühende Welt schrumpfet zum Stäub -
chen ihm ein.
Selig, wer über die Nebelgewölke des Erdballs
hinausschaut!
Jenseit ist lauteres Blau, jenseit erquicken -
der Tag.
Selig, wem es gelang, die Stürme des Innern zu
dämpfen!
Stürme von draussen, ihr krümmt nimmer
dem Tapfern ein Haar.
Weissest du, was mich die Weisen, die todten
und lebenden, lehrten,
Die von gestern und heut, die von Athen
und von Rom?
Willst du die alte und neue und neueste Weisheit
vernehmen?
Thue, was heischet die Pflicht; duldend
erwarte, was kommt.
Also lehrten die Weisen, und also, Beste der
Frauen,
Übtest im Stillen du längst. Friede sey,
Friede mit dir!
325
Mög 'in der Schwüle dir nie ein kühlendes Lüft -
chen ermangeln!
In der schauernden Nacht nie ein umfan -
gender Arm!
Mög 'auf wiegendem Arm dich tragen die heilige
Vorsicht,
Wie auf zärtlichem Arm wieget die Mutter
ihr Kind!
Nimmer werde der Kreis, den deine Strahlen er -
wärmen,
Auseinander gesprengt durch des Verhäng -
nisses Hauch.
Möge der schwellenden Knospen, die deine Krone
verzieren,
Keine, vom Sturmwind gepflückt, ehe sie
zeitigt, verblühn!
Mögen sie aufgeschlossen in tausendblättriger Schön -
heit
Um den nährenden Stamm säuseln mit Blü -
then und Laub.
Mögest du wandeln hinab von deines Reisege -
fährten
Zärtlichem Arme gestützt in das elysische
Land!
326
Möge der Genius, welcher aus unabsehbaren Him -
meln
Auf uns niederschaut freundlichen segnenden
Blicks,
Mög 'er euch Beyde dereinst in Einem ambrosischen
Kusse
An sein schlagendes Herz heben im nehm -
lichen Nu!
Nebel deuten auf Land; und Träume zeugen von
Geistern.
Fliehe denn Leben, du Traum! Wolkige
Kugel, vergeh!
Sink ', o Sonne des Lebens, hinunter im röthlichen
Westen!
Hinter der Scheidenden strahlt tröstend das
Spätroth herauf.
Heiliger Schimmer, du reichst an eines Tages
Aurore,
Welchen kein Nebel umwölkt, welchen kein
Abend beschränkt.
327

Das Echo.

Echo, Echo, du Widerhall aus Maalen der
Vorzeit,
Welcher Erinnerungen Fluth reget dein ma -
gischer Laut?
Grauer Rousseau, so scholl aus den Tagen däm -
mernder Kindheit
Dir ein schmeichelnder Laut in das verödete
Herz.
328

Der Nachtigallschlag.

Hörest du wohl, wie die Nachtigall schlägt! Wie
ihr schmetternder Wirbel
Durch die ambrosische Nacht leiser und
leiser vertönt?
Meine Jugend, ich denk 'an dich. Verjauchzt und
verschmettert
Bist du. Melodischer nun töne mein Leben
dahin.
329

Frostblumen.

Sieh, im Dufte der Fenstern, wie blinket die
Blume des Frostes!
Vater Jennern umarmt neckend der fröhliche
May.
So umarme mich einst, Erinnerung schönerer
Tage!
So umschmeichle dereinst kosend den trau -
renden Greis!
330

Die Schwäne.

Glückliche Vögel, euch trägt ein unermüdlicher
Fittig
Fern vom gefrierenden Pol in den erlauenden
Süd.
Ewig wärest du, Psyche, an dieses Zembla ge -
schmiedet?
Psyche, dein Tinian winkt! Schwinge den
Fittig und fleug!
331

Die Namen.

Deines Namens fröhlichen Wuchs, den wir sä'ten
in Kresse,
Staunst du mit inniger Lust, liebliches
Töchterchen, an?
Läsest du erst den Namen, gesä't vom Finger der
Allmacht,
In den Blumen der Flur, in den Gestirnen
der Nacht!
332

Das Leichtere und Schwerere.

Gutes üben ist leicht, und Grosses leisten noch
leichter.
Eines ist noth und ist schwer: standhaft
das Böse verschmähn!

Letzte Bitte.

Wollt ihr dem Sterbenden einst das bittere Schei -
den versüssen?
Stärket ihn, die ihr ihn liebt, scheidend
noch Gutes zu thun.
333

Eusebia.

Wem, o Freundin, als dir, die du den einsa -
men Waller
Auf der Reis 'in das Grab leitest mit freund -
licher Hand,
In den einsamen Weg manch duftendes Blümchen
ihm streutest,
Aus dem Antlitz ihm bogst manchen ver -
wundenden Dorn;
Die du, sorgsam den Frieden der eigenen Seele
bewahrend,
In des Gefährten Brust öfter die Stürme
beschworst,
Jede Schickung ertrugst mit überwindender Liebe,
Immer wahr und treu jegliche Prüfung be -
standst;
334
Die du uns, Beste, umschlangst mit dieser Blu -
menguirlande
Knospender Menschen, sie pflegt liebend
der Strahl und der Thau.
Horch, wie jauchzen die Frohen! wie stürmen die
Freudigen, siehe!
Diese mit Anmuth geschmückt, jene gerüstet
mit Kraft!
Zwischen den Lilien spielt, selbst Lilie, unsre
Allwine,
Hinter dem Schmetterling jagt Gottfried,
der Schmetterer, her;
Während am Saume der kosenden Mutter sich Julie
anschmiegt,
Und in dem Schooss, der ihn trug, lächelnd
Emilius ruht
*)Diese blühende Guirlande ist nun zerrissen. Unsre engelgleiche Julie entschlief drey Tage nach Abfassung dieser Elegie; unser lächelnder Emilius drey Wochen später.
*)
Edele, Anspruchlose, Demüthige, Friedliche, Stille,
Wem, Geliebte, als dir, sollt 'ich Eu -
sebien weihn!
Hast du Eusebien wohl, die Tochter des Himmels,
gesehen?
Zu den Hütten des Grams stieg sie erbar -
mend herab.
335
Ihre Lippen umfliesst ein trostverkündendes -
cheln;
Ihrer Augen Gewalt mildert der Mensch -
lichkeit Thau.
Freundlich leitet und sicher die Höhe den tappenden
Wandrer
Auf der Pflicht und des Rechts stickelen
Pfaden hinan;
Leuchtet im Nebel des Meinens ihm vor mit der
Lampe des Glaubens;
Rettet auf schmalem Steg ihn durch die
Sümpfe des Wahns,
Mahlt ihm in jegliche träufelnde Wolke den Bogen
des Friedens,
Färbet mit Lasur und Gold jeden zerfliessen -
den Duft;
Und wenn hinter die Gräber die Sonne des Lebens
hinabsinkt,
Wenn erebische Nacht um die Erblindenden
starrt,
Zeigt sie der Ewigkeit Riesenscheitel uns funkeln
im Goldglanz
Einer Aurora, die dir, Insel der Seligen,
strahlt.
Mög 'Eusebia uns durchs trübe Leben geleiten!
Möge sie Kühlungen uns wehn in der
Schwüle des Tags,
336
In den Frösten der Nacht uns decken mit wärmen -
dem Fittig,
Uns in der ehernen Schlacht wapnen mit
ehernem Muth!
Möge sie letzen das Sehnen des schwerbefriedigten
Herzens,
Möge sie schlichten den Streit zwischen
dem Nicht-Ich und Ich!
Wenn der Vergangenheit Leichenflor die Gegenwart
einhüllt,
Wenn die Gegenwart selbst schwindelt am
Rande der Zeit,
Möge die Gütige dann den dichtgewebeten Schleyer,
Welcher die Zukunft deckt, lüpfen mit
freundlicher Hand,
Dass umgossen vom Glanz des nie erblassenden Früh -
roths,
Von Accorden umtönt, welche kein Mo -
zart vernahm,
Von Gestalten begrüsst, die keine Angelika mahlte,
Über die Sterne hinaus schwebe der trun -
kene Geist!
Friede, Beste, mit dir! Mit unsern Lieblingen
Freude!
Deine Liebe dem Mann, der dir Eusebien
weiht!
[figure]
337

An Juliens Grabe.

Welches Säuseln regt die Espenwipfel?
Welches Flistern spricht im Fliedergang?
Durch der Pappeln mondbestrahlte Gipfel
Schwirrt verwehter Stimmen Widerklang.
Julie! ächzt es in den regen Blättern;
Julie! in dem Nachtigallenschlag;
Julie! in der Wachtel hellem Schmettern;
Julie! in des Rohrspaz dumpfem Ach.
Weste schauern, und im lauen Hauch des Westes
Taumeln weisse Blüthen auf das grüne Grab,
Das dich, Julie, deckt, dich, Köstlichstes und
Bestes,
Was der Ewige mir gab.
2 Y
338
Julie, Julie, du des Nachts mein Träumen,
Und des Tags mein Gram, wo schwebst du itzt?
Schwebst du droben in den lichten Räumen,
Wo Arkturus glänzt, und Gemma blitzt?
Wallst du unter dieser Bäume Schatten,
Schöne Psyche, wo dein Flügelkleid verbleicht?
Wo gestützt auf den verarmten Gatten
Die verarmte Mutter jammernd schleicht?
Siehst du, Selige, die Salzfluth bittrer Thränen,
Die der Deinen nimmertrockne Augen über -
schwemmt?
Weisst du um das stumme niegestillte Sehnen,
Das ihr trauernd Herz beklemmt?
Süsses Kind, zu plötzlich uns entwunden!
Holde Tochter, uns zu früh geraubt!
Flohen nicht, gleich dreyssig kurzen Stunden,
Deine dreyssig Monden über unser Haupt?
War nicht Wohllaut jeder deiner Züge?
Nicht dein Bau die reinste Eurythmie?
Sprach dein sanftes Aug 'nicht Seelengnüge?
Nicht dein klares Lächeln Seelenmelodie?
Lag ein Himmel nicht in deinem Antlitz offen,
Dessen Glanz und Heitre Sinn und Herz erquickt?
Und zermalmt im Keim ward unser schönstes
Hoffen!
Unsre Ros' als Knosp 'erstickt!
339
O der finstersten der finstern Stunden,
Wo dein zarter Bau zusammenbrach!
Wo nach hundert durchgequälten Stunden
Deine Kraft dem Stärkern unterlag!
Lächelnd griffst du in den Stahl der Parzen,
Der dir zögernd durch das Leben fuhr!
Lächelnd lagst du auf dem Bett der Schmerzen,
Und verweht war jedes Schmerzes Spur!
Wahrlich, diese himmelangebrochnen Augen
Sehn Geheimnisse, die Worte nur entweihn.
Diese lechzend aufgeschlossnen Lippen saugen
Himmelslüfte lüstern ein!
Und schon prangt die Alabasterbüste
In der Unschuld Liliengewand,
Auf dem schwarz beflorten Klaggerüste,
Eine Ros 'in ihrer rechten Hand,
In der Linken fünf Violenglöckchen,
Die der Frühe lauer Hauch erschloss,
Einen Myrtenkranz um ihre blonden Löckchen,
Myrtenreiser rings auf Brust und Schooss
Wie sie lächelnd liegt! Ist das des Todes
Weise?
Nein, diess holde Mägdlein ist nicht todt; es
schläft!
Ich beschwör' euch, Freunde! tretet leise, leise!
Denn mein theures Mägdlein schläft!
Y 2
340
Tragt die Schläferin in ihre Kammer!
Tragt sie in ihr kühles Schlafgemach,
Dass sie ruhe sonder Qual und Jammer
Bis zu des Erwachens schönerm Tag!
Horch, es brausen schon die Tempelhallen,
Die Gewölbe dröhnen dumpfen Klangs.
Durch das Schluchzen und das Weinen wallen
Trunkne Töne des Triumphgesangs:
Wonne, Wonne, meine Palm 'hab' ich erwun -
den!
Freude, Freude, meinen Kranz hab 'ich erkämpft!
Frühe, frühe ward ich aller Qual entbunden
All mein Jammer früh gedämpft!
Einzeln dann und matt, wie aus den Tiefen
Weiter Ferne, weht ein leiser Laut:
Selig sind, die früh und sanft entschliefen!
Selig ich, des Himmels jüngste Braut!
Weinend scheiden ist das Loos der Erden;
Doch ihr Weinen währet kurze Zeit.
Freunde, euer Gram wird Freude werden,
Und Entzücken euer Herzeleid.
Noch ein Kleines, und ich werd 'euch nicht mehr
sehen!
Noch ein Kleines, und ich werd' euch wiedersehn.
Lebt denn wohl, und lasst zu jenen lichten Höhen,
Lasset mich zum Vater gehn!
341
Nun, so zeuch denn hin zum rechten Vater!
Zeuch in Frieden, herzgeliebtes Kind!
Ich befehle dich dem grossen Vater,
Ohne Den wir alle Waisen sind!
Einmal nur noch lass dich Tochter grüssen,
Einmal noch dein liebes Antlitz sehn!
Einmal noch mich diese Stirne küssen!
Und nun Lebewohl auf Wiedersehn!
Also sprach ich und nach letzter bittrer Letze
Senkten sie ins ernste Dunkel sie hinab;
Und den edelsten, den schönsten meiner Schätze,
Ach, verschlang das öde Grab.
Julie, Julie, du des Tags mein Träumen,
Und des Nachts mein Gram, wo weilst du
itzt?
Weilst du droben in den lichten Räumen,
Wo das schöne Schnittermägdlein blitzt?
Wandelst du in grünen Paradiesen,
Musterst deines Vaters Blumenflor,
Tanzest auf den amaranthnen Wiesen
Unter leuchtender Gespielen Chor?
Welche Glanzgestalt hiess freundlich dich will -
kommen?
Welche Huldin wurde deine Führerin?
Süsse Tochter, bist du etwa meiner frommen
Weisen Mutter Zöglingin?
342
O des holden Wahns! des goldnen Traumes!
Und warum denn Wahn und Traum und Tand?
Zirkel unsrer Zeit und unsers Raumes,
Wärest du es, der das All umspannt?
Was dem ruhbedürftgen Geist gemahnet,
Was des Daseyns Räthsel einzig löst,
Was dem sehnsuchtkranken Herzen schwanet,
Was dem Ich kein Grübler eingeflösst?
Worauf Sokrates den Schierlingsbecher leerte,
Worauf Jesus Christus ruhig blutete
Wäre Täuschung? Nein! Du gingst nicht unter,
Werthe!
Du erwachst einst, Schlummernde!
Schlummre denn in deinem engern Hause!
Schlummr 'entgegen einem schönern Nu!
Rings um deine grünende Karthause
Säusle tiefe ahnungreiche Ruh!
Röth', Aurora, meiner Julie Hügel!
Giesse Silber, Luna, auf ihr Grab!
Reget, Weste, die bethauten Flügel!
Sprengt Juwelen auf ihr Moos herab!
Kommt, ihr Wenigen, die mir noch übrig blieben!
Lasst uns Blumen auf der Schwester Urne streun!
Julie, Julie, sieh, wie dich die Deinen lieben!
Julie, nie vergess 'ich dein!
343

Cidli und Meli. Eine Idylle aus dem Paradiese.

Zilia sass in Zederschatten. Die liebliche
Cidli
Sass auf Ziliens Schooss. Es flog dem blühenden
Mägdlein
Rings um die Schultern das ringelnde Haar im Säu -
sel des Abends.
Staunend sass sie. So staunt, wer süss geträumet,
und plötzlich
Aus dem Traum 'erwacht. So staunte die sinnende
Cidli
Ob dem jüngst verflatterten Traume des nichtigen
Lebens.
344
Manches fragte die Kleine; und manche lehrende
Antwort
Gab ihr Zilia schonend zurück. Mit vertraulicher
Liebe
Hing des Mägdleins glänzendes Aug' an der Führerin
Antlitz.
Und es neigte der Tag. Auf des Meers lasure -
nem Bette
Ruhete grossgeaugt und segenspendend die Sonne.
Feyrend lag vor der Segnenden Auge die freundliche
Schöpfung.
Düft 'entströmten dem Wipfel der Zedern; melodi -
sche Stimmen
Rieselten durch ihr säuselndes Laub. Aus der Näh'
und der Ferne
Wehten äolischer Harfen Kläng 'und der Orphica
Lispel.
Cidli's staunende Seele durchzitterten Schauer auf
Schauer.
Inniger schmiegte sie sich und fester an Ziliens
Busen.
Und nun waltete heilig die Nacht auf Hügeln
und Thalen,
Lau und frisch und strömend von Düften. Es
glimmte das Spätroth
345
Durch das flitternde Laub, und färbte die Wangen
des Mägdleins.
Staunend empor sah Cidli zum sternebesäeten
Himmel.
Andere Stern 'erschienen der Wundernden; andre,
als jene,
Die ihr der Vater gezeigt, wenn gegenüber den
Fenstern
Sirius flammten und Rigel, und Betegeuze die
Schöne;
Andere, schönere, funkelndre Stern' erschienen der
Kleinen.
Emsig schaute sie auf. Und sieh! am Saume des
Osten
Glomm ein weisslicher Schimmer empor. Der sil -
berne Schimmer
Lichtete sich mit jeglichem Nu. Und siehe, mit
einmal
Quoll ein leuchtender Ball herauf aus den grollenden
Fluthen.
Weithin glänzte die Fluth; es glänzten die Häupter
der Berge.
Ziliens hehres Aug 'erglänzt' in Thränen der Rüh -
rung.
Zärtlicher schmiegte sich Cidli an sie; und Zilia
sprach sie:
Welch ein Mond ist diess! Viel schöner wahrlich
ist dieser,
346
Als der blasse, der manche Nacht mit fliessendem
Silber
Unsre Wände daheim besprengt 'und mein schwel -
lendes Lager.
Lieb war jener und gut; doch grösser ist dieser
und schöner.
Lächelnd durch ihre Thränen sprach Zilia: Lieb -
liches Mägdlein,
Was du schauest, ist nicht der Mond, der ein -
stens die Küssen
Deines Bettchens umflittert '. Es ist die Wiege,
Geliebte,
Drin du den Traum geträumt des schnellverflat -
terten Lebens.
Cidli schauerte sanft zusammen. Ihr helles Ge -
burtsland
Sahe sie schweben im glänzenden Blau. Sie schmiegte
sich innigst
In der Führerin Arm, und sprach mit seufzender
Sehnsucht:
Soll ich dir sagen, o Gute, wie deiner Cidli ums
Herz ist?
Schön, unnennbar schön, ist dieses blühende Ei -
land,
Jenes Smaragdgebirg ', und diese Lilienebne.
347
Mildere Lüfte schmeicheln um uns; ein blaurer
Himmel
Äugelt auf uns herab, und eine freundlichre
Sonne.
Diese Blumen nicken mir zu, gleich liebenden
Wesen;
Diese Blätter flistern um mich, wie kosende
Zungen;
Jene Vögelein flöten mich an, wie fühlende
Seelen.
Köstlicher mundet der Palme Saft, die ambrosische
Traube,
Als die Milch und das Obst, das mich dort unten
gespeiset.
Seliger fühl' ich mich, Traute, an deinem Busen,
als einstens
Auf der Gebärerin Schooss und in dem Arm des
Erzeugers.
Dennoch denk 'ich noch oft mit heimverlangender
Wonne
An die wenigen flüchtigen Monden (sie dünken
mich Stunden),
Die ich im Arm des Vaters gelebt, auf dem Schoosse
der Mutter,
Und im Kreise geliebter Gespielen. Ach, sage mir,
Gute,
Vater und Mutter hatten mich lieb. Ach, sollten
bisweilen
348
Vater und Mutter noch wohl der fernen Cidli ge -
denken?
Lächelnd durch ihre Thränen sprach Zilia:
Nimmer vergessen
Vater und Mutter dein! Nicht leicht vergisst sich
der Säugling,
Den man empfing im Wonnemoment des höchsten
Entzückens,
Den man dem Herzen zunächst neun lange Monden
getragen,
Den man mit Angst gebar, mit seinen Brüsten
ihn tränkte
Nie, o Töchterchen, nie vergessen deiner die
Deinen.
Heiterlächelnd sprach Cidli: Und meine Trau -
ten, o Gute,
Lilla, die Holde, und Lili, der Fromme, was
machen wohl diese?
Manchen fröhlichen Tag und manchen vertraulichen
Abend
Haben wir miteinander gekürzt in mancherley
Spielen.
Greifens spielten wir itzt, und itzt Versteckens.
Am liebsten
Spielten wir Bräut'gam und Braut. Der silber -
lockige Lili
349
Pflegte der Bräut'gam zu seyn, und deine Cidli
das Bräutchen.
Festlich geschmückt ward Cidli dann mit Blumen
und Bändern.
Priesterlich pflegt 'uns Lilla zu traun. Der kindi -
schen Trauung
Folgte der festliche Schmaus, dem Schmause der
Tanz und der Reigen.
Lilla und Lili, o süsse Gespielen, was macht
ihr wohl itzund?
Lächelnd durch ihre Thränen sprach Zilia: Lilla
und Lili
Wallen noch drunten und trauren um dich. Sie
werden nicht wieder
Bräutigam spielen und Braut; es fehlt die bräut -
liche Cidli.
Ach und Meli, rief itzt die Kleine mit stei -
gender Sehnsucht:
Wäre doch Meli hier, der süsse, lächelnde Säug -
ling!
Wenige Monden erst ruht am Busen der Mutter
der Kleine.
Seinen Lippen ist noch kein kosendes Wörtchen
entquollen;
Aber es redet das flammende Aug 'unaussprechliche
Dinge.
350
Ach, ich hatte Meli so lieb! Ich sah ihn so
gerne
Liegen und zappeln und girren vor Wonne im
Schoosse der Mutter,
Sah ihn schlummern so gern in seinem schweben -
den Bettchen.
Dieser Schooss hat ihn öfter getragen; mit diesen
Armen
Hab' ich ihn öfter umfasst. Dann lächelte Meli so
freundlich.
Wäre doch Meli hier, der holde, lächelnde Säug -
ling!
Also rief es die Kleine. Mit Inbrunst rief sie's;
und plötzlich
Schimmert 'ein Regenbogen vor ihr im Nebel des
Thaues.
Sanft zerflossen die Nebel. Es flatterten glänzende
Wölkchen
Rings durch das ausgeheiterte Blau; der glänzenden
Wölkchen
Schwebte das Eine heran. Es zerfloss, und schim -
mernd von Schönheit,
Reingebadet im lauteren Strom des lebendigen
Äthers
Stand vor seiner staunenden Schwester der lächelnde
Meli.
351
Meli, Meli, bist du's? rief Cidli. Aus Zi -
liens Armen
Wand sie eilend sich los, und umschlang den schim -
mernden Bruder.
Meli, Meli, bist du's? O sage, sage mir, Trau -
ter,
Sage, von wannen du kommst? wohin du eilest?
O sage,
Ob auch Vater mich grüsst, ob Mutter? ob Lilla
und Lili?
Ob sie an Cidli auch denken? O sage, sage mir
alles!
Tief erschüttert stand Zilia auf. Vom Baume
des Lebens
Brach sie der goldenen Äpfel einen, und reichet '
ihn Meli.
Meli genoss der ambrosischen Frucht. Da wurde
dem Knaben
Aufgeschlossen der innere Sinn. Zu hellem Bewusst -
seyn
Lichtete sich sein dämmernd Gefühl. Aus dem Ab -
grund des Geistes
Stiegen Erinnrungen auf des dumpfverträumeten Le -
bens.
Siehe, sein Auge ward aufgethan. Er erkannte die
Schwester.
352
Horch, ihm wurde die Zunge gelös't. Er redete
lieblich.
Cidli, Traute, bist du's? Ja, süsse Schwe -
ster, dich grüssen
Vater und Mutter. Es grüssen dich, Trauteste,
Lili und Lilla.
Wenige Tag 'erst warest du weg. Das Auge der
Deinen
War noch nicht trocken um dich. Da erkrankt'
ich; Flammen versengten
Mir das Gehirn und das innerste Mark. Auf Saliens
Schoosse
Lag ich sieben Tag 'und sieben Nächte, vom
Arme
Itzt der Mutter umschlungen und itzt vom Arme
des Vaters.
Mit der Frische des achten Morgens erloschen die
Flammen;
Liebliches Kühl umfing mich. Es summte, wie
Wiegengelulle,
Mir in das klingende Ohr. Den brechenden Augen
erschienen
Helle Gestalten. Itzt stand mein Herz; der Athem
versiegte.
Eingelispelt vom Engel der Ruh in seligen Schlum -
mer,
[figure]
353
Lag ich, wie trunken. Wie träumend, vernahm
ich die Stimme des Vaters:
Zeuch in Frieden, o Sohn! Zeuch hin zu Cidli,
und grüsse
Tausendmal grüsse die Süsse von uns! Ja, Cidli,
dich grüssen
Vater und Mutter, es grüssen dich, Trauteste,
Lili und Lilla.
Tausendmal grüssen sie dich, und lieben uns ewig,
Geliebte.
Also entquoll es den Lippen des Knaben, wie
Lautengelispel.
Feuriger itzt umschlang den Liebling die freudige
Schwester.
Zärtlich umschmiegte die zitternde Schwester der
liebliche Meli.
Zilia aber, in Rührung zerschmolzen, umfasste
die Kleinen,
Drückte sie heiss an das schlagende Herz, und
feyerlich sprach sie:
Ich bin Zilia. Ich bin die Mutter des Mannes,
Welchen Ihr Vater grüsstet, bin eure Mutter,
ihr Lieben.
Wenige Lenze nur sah ich die schwellende Knospe
des Knaben.
2 Z
354
Sah sie und freute mich ihrer. Sie schwoll, um
herrlich zu blühen.
Aber ich sollte die Blüthe nicht schaun. Hinweg
aus der Erde
Ward ich gerückt, um dir, o Sohn, die Kind -
lein zu ziehen.
Weiter sprach sie mit segnendem Blick und ge -
falteten Händen:
Sprosset ihr Zarten heran in des Himmels schauen -
dem Auge!
Blühet herauf, ihr Holden, zu nimmerwelkender
Schöne!
Werdet geschmückt mit jeglicher Kraft, mit jeg -
licher Tugend,
Dass ich dem Vater dereinst die vollgezeitigte
Jungfrau,
Dass ich der Mutter dereinst den thatenrüstigen
Jüngling
Führen mög 'an Edens Schwell' in die offenen
Arme!
Sprosset ihr Zarten indess und reift vor des Ewigen
Antlitz.
Also sprach sie, und endet 'in inbrunstvoller
Umarmung.
Rings in Eden war fey'rliches Still und heiliges
Schweigen.
355
Aber nicht lange, so folgte der Still' unauslösch -
licher Jubel.
Aus der Näh 'und der Fern', von des Ararat
Höh'n, von des Pison
Goldsandwälzendem Strom, von des Gihon Ambra -
gestaden,
Aus den Palmen des Phrath, und aus den Zy -
pressen Hidekel
Flatterten flimmend und zartbeschwingt, wie Li -
bellen zur Herbstzeit,
Über die Lilienebnen heran die Seelen der Kind -
lein,
Welche knospend des Ewigen Hauch aus der Erde
gehoben.
Rings umgürtet vom hellen Chor stand Cidli ver -
wundernd;
Freudig erschreckt stand Meli. Des Tonreichs Wir -
bel erwachten;
Lautenlispel entbebten den Wipfeln der Zedern. Die
Quellen
Quollen dahin mit Orphicaklang. Äolische Har -
fen
Wehten aus Myrtengebüschen daher zum Reigen der
Kinder.
Cidli und Meli flogen dahin im himmlischen Rei -
gen.
Taumelnd und wirbelnd flogen sie hin, dass rings
um die Schultern
Z 2
356
Ihnen das Haar wild strömt 'und die Kränze den
Locken entstoben.
Also waltet 'im seligen Eden unendlicher Ju -
bel,
Während drunten im Lande der Gräber der einsame
Vater,
Neben den Urnen stand und seine Verlornen be -
weinte.
357

Abends unter der Linde.

Woher, o namenloses Sehnen,
Das den beklemmten Busen presst?
Woher, ihr bittersüssen Thränen,
Die ihr das Auge dämmernd nässt?
O Abendroth, o Mondenblitz,
Flimmt blasser um den Lindensitz!
Es säuselt in dem Laub der Linde;
Es flistert im Akazienstrauch.
Mir schmeichelt süss, mir schmeichelt linde
Des grauen Abends lauer Hauch.
Es spricht um mich, wie Geistergruss;
Es weht mich an, wie Engelkuss.
358
Es glänzt, es glänzt im Nachtgefilde.
Der Linde graue Scheitel bebt
Verklärte himmlische Gebilde,
Seyd ihr es, die ihr mich umschwebt?
Ich fühle eures Athems Kuss,
O Julie! o Emilius!
Bleibt, Sel'ge, bleibt in eurem Eden!
Des Lebens Hauch bläst schwer und schwül
Durch stumme leichenvolle Öden.
Elisium ist mild und kühl.
Elisium ist wonnevoll
Fahrt wohl, ihr Trauten! fahret wohl!
359

Letzte Ehre.

Schöne Blume, mit Blumen bestreu 'ich dein bräut -
liches Bette.
Siehe, sie lächeln so lieb; aber ich opfre
sie dir!
Blümchen, ihr jammert mich nicht! Es welkte die
schönere Schwester!
Neben dem edleren Staub mag der gering're
verwehn!
360

Ekloge.

Die ihr vom Sund bis zum Istrischen Golf,
vom Rhein bis zur Dwina
Öfter den Niegeseh'nen begrüsset mit freundlichen
Zeilen,
Eurer Liebe Kund 'ihm bringet, und Kunde da -
gegen
Seines Leidens und Thuns von dem Nimmerzusehen -
den heischet;
Hört, wie ich leb', ihr Guten, in meiner äusser -
sten Thule,
Wie am Gestade des wogenden Meers, wie so fern
von der Städte
Lärmendem Prunk, von den Freuden des Klubs,
von den Zirkeln der Weisen
361
Und von der Freund 'erquickendem Umgang; wie
mir des Tages
Zögernde Stunden entfliehn, und die einsamen
Stunden des Abends
Dieses alles vernehmt, dieweil ihr es heischtet,
Geliebte.
Zwischen wallenden Saaten, und zwischen den
Pappeln des Kirchhofs,
Rechts und links umgürtet mit labyrinthischen Gär -
ten,
Von Sturmweiden bekränzt und hundertjährigen
Eschen,
Ruhet des Einsamen stilles Gehöft am Saume des
Fleckens.
Räumig und rein ist der ländliche Hof. In des Ho -
fes Vorgrund
Wohnt im bescheidenen Häuschen der wohlbeleibte
Colonus.
Manche zog er der rüstigen Söhne, der blühenden
Töchter,
Deren die Einen am Pflug ', an der Sens', in der
Scheun 'und der Wiese,
Diese mit hochgeschürztem Gewand am Herd und
der Krippe,
Auf der Bleich' und am Webstuhl die alternden
Eltern erleichtern.
362
Reges Leben, und fröhlicher Fleiss, unendlicher
Jubel
Tönt um uns her in die sinkende Nacht vom däm -
mernden Morgen.
Horch, es pfeift im Verschlag der Hechselschneider.
Es flöten
Während des Sägens die munteren Bursche. Die
fröhlichen Dirnen
Säubern dahlend den Stall, und bleichen jachternd
die Leinwand.
Siehe, wie brausen im Weiher des Hofes die dam -
pfenden Pferde!
Siehe den breitgestirnten Stier, die hüpfende
Starke,
Und die ehrbarwandelnde Kuh mit strotzendem
Euter.
Schnaufend stehen sie, schlürfen des trüben Teiches.
Die Enten
Lärmen dazwischen; es schnattern die Gäns '; es
kollert der Truthahn.
Lauter denn all' erjauchzt der schwemmende Junge.
Das Mägdlein
Kniet am Eimer indess und singt sich ein lustiges
Stuckchen.
Aber ein wenig zurückgerückt vom Lärmen der
Wirthschaft
363
Ruht an des Hofes fernstem Saume das ländliche
Wohnhaus.
Finster belaubte Kastanien schirmen die Stufen des
Eingangs
Vor der Sonne mittäglichem Brand. Ein lachender
Rasen
Dienet zum Tummelplatze, zum fröhlichen, wei -
ten, den Kleinen,
Welche das rothe Staket vor des Teichs Gefahren
beschützet.
Schlecht und recht ist mein ländliches Haus. Nicht
Pfannen noch Zungen
Decken es, sondern der wärmende Halm, und die
Wand ist nur leimern.
Aber drinnen ist's dämmernd und kühl. Es umsäu -
seln den Gastfreund
Fried 'und Still' und vertrauliche Ruh. Nicht tauscht '
ich mein Halmdach
Gegen Potemkins Eisenpallast, mein freundliches
Zimmer
Nicht um den Bernsteinsaal der grossen Frauen in
Osten.
Wie ich verlebe den zögernden Tag, wie des
einsamen Abends
Langsam gleitende Stunden dem Abgeschiedenen
fliehen,
364
Dieses vernehmt nunmehr, dieweil ihr es heischtet,
Geliebte.
Dämmernd erwacht in Osten der Tag. Die Blume
des Morgens
Öffnet die tausendblättrige Knospe. Die Rosen, die
Krokos
Regnen mir zwischen den Vorhang hinein. Die
wachsende Helle
Reget mir leise die Wimper, und sanft erwach 'ich
ins Leben.
Angelächelt vom werdenden Tag' entschlüpf 'ich
dem Lager,
Lehn' ins offene Fenster hinaus, und Augen und
Seele
Weiden sich, wiedergeborne Natur, an deiner Ver -
jüngung.
Dieses lautere Blau, und diese lebendige
Kühle,
Diese duftende Frisch ', und dieses wogende Licht -
meer
Quellen sie, rieseln sie nicht aus des Ewigen strö -
mender Urne?
Heben sie nicht den ermatteten Geist zu dämoni -
schem Leben,
Blähen mit Äther die Brust, und schwellen die
Adern mit Ichor?
365
Sieh, wie das springende Licht in immer mäch -
tigern Strahlen
Aufsprüht! Wega erblasst; es verbleicht die Wange
Selenens;
Phosphoros hängt mit geschorenen Locken. Im lo -
dernden Frühroth,
Siehe, wie funkeln die Gärten! Wie weben die
Wipfel der Esche!
Siehe, wie blitzet die thauende Flur! Der blühende
Himmel
Strahlet gemildert zurück aus des Meers geschliffe -
nem Spiegel.
Also entstieg dem Bade des Meers der Dulder
Odysseus,
Schimmernd von Schönheit und Reiz. Wie die pur -
purne Blum 'Hyakinthos
Wallte geringeltes Haar um seine blendenden
Schultern.
Also enttauchet in blendendem Glanze, von bren -
nenden Locken
Rings umrollt die Sonne den öftlichen Fluthen.
Wie glühet
In ihr fliessendes Gold getaucht des Hütteney -
lands
Graue Scheitel. Wie flimmern die Wetterfahnen des
Dorfes,
366
Wie die Fenster der Burg, worinnen mein Julius
wohnet!
Aber schon wird dem Betrachter des unermess -
lichen Himmels
Und der lebenernährenden Erde zu enge das Zim -
mer.
Lechzend den volllebendigen Strom mit lüsternen
Zügen
Einzuschlürfen, mich sehnend an deinen wallenden
Busen,
Mutter Natur, mich anzuschmiegen, mit Inbrunst
des Kindes,
Flieg 'ich die Stufen hinab, entschlüpfe den Pfor -
ten, und schreite
Selig hinaus in den seligen Tag; die Kühle des
Morgens
Wehet schauernd mich an, wie Säusel der nahen
Gottheit!
Sinnend wandl 'ich nun auf und ab auf duften -
dem Rasen,
In der Kastanien fächerndem Schirm, erfrische die
Glieder
Mit der Kühle des Quells und mit der Kühlung des
Morgens,
Mustre die Blumen, die hinter den grünen Staketen
am Fenster
367
Etwa die thauende Nacht erschloss, und die freund -
liche Frühe,
Breche die blühendste mir, die blätterreichste der
Rosen,
Höre der Melkerin Morgengesang, des tränkenden
Jungen
Frohes Gejauchz', und bedenke die Pflichten des
eigenen Tagwerks.
Itzund träget der Diener der gabenreichen Le -
vante
Balsamhauchendes Öl hinan die Stufen. Nicht un -
gern
Folg 'ich dem Knaben. Und während noch säuselt
die freundliche Frühe,
Während noch schlummern das liebende Weib und
die lärmenden Kleinen,
Tauch' ich hinunter in seliger Muss 'in die Wonne
des Denkens,
Steige hinab in die Tiefen des Ich, in den Schacht
des Bewusstseyns,
Lüpfe den Schleyer des Denkens und lausch' am
Vorhang des Wollens;
Suche das ewig entschlüpfende Band, das mit dem
Gedanken
Das Gedachte verknüpft und mit dem Grunde die
Wirkung;
368
Grübl 'über Raum und Zeit, und über das Seyn und
das Nichtseyn,
Über die Form und den Stoff, und über das Ich
und das Nicht-Ich;
Über den Trieb und die Pflicht, und über das Thun
und das Leiden;
Über den schwerzuschlichtenden Zwist der Natur
und der Satzung,
Über den ewigen Kreisgang, und den unendlichen
Fortschritt;
Über das eiserne Fatum, und den anarchischen Zu -
fall;
Über des Weisen tröstende Ahnung, den Glauben
der Guten
An moralische Ordnung und weise Güte des Welt -
plans
Über diess alles versteigt sich der Grübler in schau -
dernde Tiefen,
Thürmet Soriten, und spaltet Begriffe, und wäget
den Ausdruck,
Bis es ihm schwindelt. Der Faden entschlüpft, die
Fackel erlischt ihm.
Undurchdringliche Nacht und ausganglose Verwir -
rung
Starren um den Tappenden her. Es retten ihn kaum
noch
Des Gemeinsinns leitender Strahl und der Rufer
im Busen.
369
Meidend der Doxis weichenden Sand, und die
Syrten der Skepsis,
Lausch 'ich ein anderes Mal dem Wink der Erfah -
rung, durchwandle
In der Geschichte spärlichem Tag die Gefilde der
Vorzeit.
Mühsam tapp' ich den thürmenden Schutt, den
rankenden Epheu,
Mühsam die trümmernden Maale mich durch bis zur
Wiege der Menschheit;
Sehe den lallenden Säugling entfaltet zum tändeln -
den Knaben,
Sehe den Knaben erwachsen zum trotzigen Jüng -
ling, den Jüngling
Reifen zum rüstigen Mann, und bald von der blu -
migen Fessel
Der Cultur den Starken gebändigt, vom Becher des
Luxus
Seine Knie ihm gelöst, und den Mann verschrumpfet
zum Greise.
Völker seh 'ich erblühn auf dem ewigändernden
Schauplatz,
Und die Erblüheten wieder verwelken, wie Gras
auf der Hayde;
Zeugungen seh' ich hinweggemäht von der Sense
des Chronos;
Lese von Tiegertoden, von Ländern, welche der
Fluthen
2 A a
370
Strudel verschlang, von Städten, die hoch ein
Stoss in die Luft warf;
Lese von kronentragenden Schlächtern, die Helden
sich nannten,
Von Mordbrennern, Erobrer gegrüsst, von Seso -
stren und Cäsarn,
Tamerlanen und Dschinkis Khanen, und vierzehnten
Ludwigs,
Welche, berufen sich wähnend, den Wald der
Menschheit zu lichten,
Ströme rötheten, Äcker mit Äsern düngten, die
Strassen
Meilenweit besä'ten mit weissgebleichten Gebei -
nen.
Bürger seh ich 'das Schwert auf den Bürger zucken,
den Bruder
Seh' ich vom Bruder erdolcht, den Vater verrathen
vom Sohne;
Herrscher seh 'ich, wie schlechtes Gewürme, die
Völker zertreten,
Gaukler, die blendende Bind' um die Augen des
Glaubenden schnüren;
Priester schwingen den mordenden Stahl im Namen
der Gottheit;
Lodern seh 'ich den Brand des hundertjährigen
Krieges,
Bartholomäusnächt' erblick 'ich, und Pulvercom -
plotte,
371
Dragonaden und Autos da , und wende voll
Unmuths
Von den Gräueln mich weg. Ein schadenfroher
Ariman,
Dünkt mich, führe das Ruder der Welt, kein
gütiger Hormuzd.
Satt des Wirklichen, überdrüssig der Thoren
und Buben,
Schwing 'ich ein anderes mal mich auf dem Fittig
des Liedes
In der Ideen magisches Land und das Eden der
Fabel.
Euren Entzückungen lausch' ich, ihr Göttlichen,
welchen von oben
Aufgeschlossen der Sinn und die feurige Zunge ge -
löst ward,
Um die mühebeladenen Brüder zu trösten und lehren;
Die ihr das Thier durch die Kraft des Gesanges zum
Menschen erzoget,
Durch das seeleschmelzende Lied den rauhen Na -
tursohn
Für die Schönheit gewannt, und itzt in strafenden
Tönen
An der Cultur entartetem Sohn die verschmähte
Natur rächt;
Die ihr sanget am stillen Ilyss, an der gelblichen
Tiber,
A a 2
372
An den Gestaden des Jonischen Meers, auf den
Bergen von Lochlin;
Die ihr sanget in späterer Zeit am Quell der Vau -
cluse,
An der Thames hallendem Strand, und am friedli -
chen Avon;
Die ihr singet noch itzt am siebenarmigen Ister,
An der Elb ', an der Saal', an der hochbegnadigten
Ilme
Edle, theure, unsterbliche Sänger, ihr strömet
dem Lauscher
Flammen ins Herz und Thränen ins Auge. Das Licht
des Gesangs
Fühl 'ich erwachen in mir. Des Dichtens heiliger
Wahnsinn
Wehet mich an und reisset mich hin. Die Zukunft
enthüllt sich.
Siehe, ein neues Geschlecht, ein bessres, entsteigt
dem Olympos.
Dice waltet, die Hehre; es waltet Irene; er -
haben
Schlichtet Eunomia jeglichen Zwist In seligem
Bunde
Gatten sich Neigung und Pflicht; es huldigt der
Trieb dem Gedanken,
Und zur Nothwendigkeit klimmt der gezeitigte
Mensch durch die Freyheit.
373
Also verwehn, wie Minuten, die Stunden mir.
Gänzlich vergess 'ich
Über des Denkens hohen Genuss und des Dichtens
Entzücken
Meiner wunden Brust und des menschenfreundlichen
Arztes
Weiser Warnung. Mich würd' am Pulte der Mittag
ereilen,
Träte nicht dieser und jener herein, der den Sin -
nenden störte:
Itzt die sorgende Gattin, zu fragen nach diesem und
jenem;
Dann der rüstige Grossknecht, um für die Geschäfte
des Tages
Sich die Befehle zu holen; dann mein süssschmei -
chelndes Winchen,
Um zu warten der Puppen, der Niedlichen, welche
sie sorgsam
Vor des Bruders zerstörendem Grimm auf mein
Zimmer geflüchtet,
Wo sie zu Plato und Kant und Gibbon sich friedlich
gesellen.
Doch nicht lange, so kommt der zerstörungselige
Gottfried
Selber heraufgepoltert, und heischet das Buch mit
den Hunden,
Oder den theuren Borowsky, (wie theuer, kümmert
ihn wenig)
374
Oder die Reisen zu Wasser und Land mit den präch -
tigen Schlössern,
Porzellanenen Thürmen und glotzenden Menschen -
gesichtern.
Mächtig heischt er die Bücher, und Vater muss
sie schon geben.
Jene nun dahlt mit dem niedlichen Püppchen, und
lullt es in Schlummer;
Dieser durchtobet das stiebende Buch, und Vater,
was ist das?
Fragt er bey jeglichem Bilde. Fürwahr, da dichtet
sichs trefflich!
Immer noch such 'ich zu fahen den oft entschlüp -
fenden Faden.
Siehe, da tritt vor der sorgenden Mutter mein züch -
tiges Julchen
Trippelnd herein, und zupfet den schreibenden
Vater am Ermel.
Nieder schau' ich, zu schmählen. Des Mägdleins
glänzendes Auge
Trifft mir das Herz; mir entsinket die Feder. Nicht
länger mich haltend
Spring 'ich auf von dem wehenden Blatt, und drücke
mit Inbrunst
Mein süsslallendes Kind an den schlagenden Busen.
Hinunter
Stürmen nun Gross und Klein in den blüthenduften -
den Garten.
375
Vieles wird hier geschmählt, wenn der kunst -
verständige Gärtner
Etwa die schwebende Nelke zu fest an das Stäbchen
geschnüret,
Oder den Bux und den Tax mir zu umbarmherzig
gestutzt hat;
Aber auch vieles gerühmt, wenn nun auf zierlichen
Beeten
Prangend die Pflanzungen stehn, und schwellend in
üppiger Fülle.
Höchlich erfreut mich der fröhliche Wuchs der
süssen Laktuke,
Höchlich die wuchernde Möhr ', und die hochauf -
rankende Erbse,
Höchlich die brennende Blüthenguirlande der indi -
schen Bohne.
Jedes Beet wird gemustert, und jede Pflanze be -
schauet,
Jede Blume beäugelt, die etwa der freundliche
Morgen
Oder die thauende Nacht erschloss. Mit inniger
Wonne
Hanget das trunkene Aug' am Kelch der keuschen
Narzisse,
Oder der eben aufbrechenden Rose. Diess ruhige
Leben,
Diese kindliche Stille, diess nimmerändernde Da -
seyn,
376
Diese ewige Einheit mit sich entlocket dem
freyen,
Aber der Freyheit nicht mächtigen Geist ein Seuf -
zen der Wehmuth.
Aber mir naschen die Kleinen indess von des
Stacheldornes
Halbgezeitigter Frucht, und von der Johannisbeer -
staude
Kaum erst röthelnden Träubchen. Hinweg von den
lockenden Sträuchen
Führ 'ich sie eilends zur schwankenden Wipp' im
Schatten des Birnbaums,
Oder schleudre sie hoch in die Luft in der schwe -
benden Schaukel.
Und nun flammet die Sonn 'im sengenden Mit -
tag. Der Diener
Kommt und ladet zum ländlichen Mahle. Wir
schmausen vertraulich
Von der köstlichen Milch der eigenen Kühe, vom
Brote,
Das wir bauten auf eigener Flur, vom Gemüse der
Gärten,
Und von des eigenen Teichs Karauschen. Es trinken
die Kindlein
Von dem lebendigen Quell. Es trinket der schwä -
chere Vater,
377
Eingedenk der Vermahnung des heiligen Paul und
des Arztes,
Wenige Gläser des röthlichen Medok. Der schel -
mische Gottfried
Lauschet genau auf die Neig', und schlürfet sie -
stern hinunter.
Eingenommen ist schon das Mahl. Die gesät -
tigten Kindlein
Hüpfen hinaus in das duftende Grün. Der schlä -
fernde Vater,
Von der Schwüle des Tags erschöpft und der gei -
stigen Arbeit,
Wandelt hinauf in sein stilles Gemach, um im
schwellenden Polster
Wenige stille Minuten zu ruhn. Um den Ruhenden
gaukeln
Leicht und luftig unzählige Bilder. Gleich stöbern -
den Schlossen
Treiben und jagen und kreuzen sie sich, verschmel -
zen doch endlich
In ein grosses dämmerndes Ganzes. In süsser Be -
täubung
Sink 'ich zusammen, erwach' aus luftigem Schlum -
mer, und fühle
Jeden Nerv gestrafft, und jede ermattete Fiber.
378
Heiter setz 'ich mich dann zum schöngeformeten
Schreibtisch,
Welchen zum jüngsten heiligen Christ mir mein
Julius schenkte,
Sich erbarmend der Noth des geplagten Autors, den
vormals
Auf dem engeren Pult, ein unentwirrbares Chaos,
Rechts und links die Papier' umstarrten, seit Wo -
chen und Monden
Über einander geschichtet; dem rechts und links
die Quartanten
Und die gewaltigen Foliobände, vom staubigen
Estrich
Bis zum Kinn ihm thürmend, die Luft und die
Sonne verbauten.
Solcher Noth sich erbarmend, verehrte der Schöne
und Gute
Mir zum jüngsten heiligen Christ den staatlichen
Schreibtisch,
Welchen, von ihm belehrt, der kunstverständige
Schreiner
Tüchtig und zierlich erbaut und mit schimmerndem
Weiss bemahlt hat.
Mit Auszügen ist er versehn, und unzähligen
Fächern
Mit geräumigem Blatte, zu fassen die Fülle der
Bücher,
379
Mit schiefliegender Schreibefläche, zur Schonung
des Auges
Sorgsam mit grünem Tuche bekleidet. Zur Rechten
und Linken
Thürmen auf künstlich durchbrochnen Gerüsten die
Globen von Akrell.
Drüben prangen in zierlichem Schreine Britanniens
Weise,
Galliens Lehrer, und ihr, der heiligen Hellas Heroen.
Solche Männer im Auge, von solchen Mustern ent -
flammet,
Setz 'ich mich heiteren Muthes, versuche das Blatt
zu vollenden,
Das ich am Morgen begann, und wenn es der Ge -
nius wehret,
Wähl' ich mir flugs ein andres Geschäft. Denn ha -
dern zu wollen
Mit dem Genius frommt nicht; er nahet und flieht
nach Belieben.
Wieder vertief 'ich mich nun in die Freuden
und Mühen der Arbeit;
Doch nur wenige Stunden. Denn schon den We -
sten beschreitend,
Sendet die Sonne mir blendendes Licht, unerträg -
liche Gluthen
In das Gemach. Ihr wehret vergebens der wehende
Vorhang.
380
Willig räum' ich der Wüthenden dann den dampfen -
den Wahlplatz,
Flüchte, das Buch in der Hand, in eine der Lau -
ben des Gartens,
Unter den fächernden Schirm der breiten Kastanien -
wipfel,
Oder ins nördliche kühle Gemach, wo in schim -
mernden Reihen
Hangen die Weste, die Reynolds, die Raphael,
Guido, Correggio
Nachgebildet in sprödes Kupfer vom Griffel der
Meister.
Aber schon toset vom morschen Thurm, den
Jüngern der Fibel
Und des Valentin Heyn willkommen, die brum -
mende Betglock.
Fröhlichen Muthes entwimmeln die Kleinen der
schmorenden Stube
Nach dem Vesperbrot lüsternd, und nach der seli -
gen Freyheit.
Auch mein Töchterchen hüpfet herbey; bey Küsters
Luisen
Hat sie genäht und gestrickt und in Campe gelesen
und Salzmann.
Väterchen, ruft sie, das Wetter ist schön; auch
wird es schon kühler.
381
Wollen wir nicht ein wenig spazierenfahren ans
Wasser,
Etwa nach Goor, oder Vitt, oder nach der
schönen Arkona?
Nicht nach Arkona, mein Kind! Arkona ist fern,
und die Sonne
Neiget mit Macht. Doch wollen wir fahren ans
kühle Gestade.
Christian wird nun entboten, der rüstige
Kutscher. Es wird ihm
Angedeutet, in Eil den grossen hollsteinischen
Wagen
Anzuspannen. Nicht ungern gehorchet der rüstige
Kutscher.
Aber, so ruft noch dem Eilenden nach die sor -
gende Hausfrau,
Aber bey Leibe nur nicht den scharrenden Rappen
genommen,
Oder den brausenden Wittfoth! Die Thiere ge -
berden sich gräulich.
Freundlich nicket der Schalk, und thut nach eignem
Belieben.
Hurtig nun werden die Hüte, die Mäntel und
Flore gesammelt.
Manches noch hat die Mutter zu rüsten, der emsi -
gen Köchin
382
Manches noch auszugeben, dem durstigen Witte
das Schlückchen
Zuzuspenden, dem flinken Georg, dem muthigen
Buslaf
Und dem vielerfindenden Jochen das Brot mit
dem Schafkäs.
Angesprengt kommt Christel indess. Es stieben die
Funken,
Und das schütternde Pflaster erdröhnt. Die sorgende
Mutter
Reicht ihm den stärkenden Schluck und die mächtige
Butterschnitte,
Vieles noch mahnend und flehend, doch ehrbar zu
fahren und langsam.
Freundlich nicket der Schalk, und thut nach eignem
Belieben.
Eingestiegen wird itzt. Im Hintergrunde des
Wagens
Sitzen die liebenden Eltern; auf wohlgepolsterter
Rückbank
Sitzen behaglich die Kleinen. Und nun fliegt pras -
selnd und schmetternd
Christian mit uns im Sturmwind dahin. Ein wackerer
Kutscher
Muss ja zeigen den Leuten, dass er sein Handwerk
verstehe.
383
Ängstlich sinkt auf den Boden des Wagens die zit -
ternde Mutter;
Ängstlich schmiegt sich Allwine an sie. Dem schel -
mischen Gottfried
Lachet indess im Leibe das Herz; und das liebliche
Julchen,
Nichts befahrend, ergötzt sich am raschen Schwunge
der Räder.
Also stäuben wir hin durch die Gasse des länd -
lichen Fleckens,
Wie im Gewitter. Es rollen zur Rechten und Lin -
ken die Häuser
Hinter uns weg. Wir vermögen den freundlich -
nickenden Nachbarn
Kaum den vertraulichen Gruss zu erwiedern. Es
geht, wie im Fluge,
Bis wir das Blachfeld draussen erreichen. Von nun
an beliebt es
Im bescheidenen Trott behaglich uns weiter zu
führen.
Welche Wonne nunmehr zu schaun auf den
wachsenden Fluren
Des Getraides üppige Pracht; zu schauen der
Gerste
Grünlichschimmernde Fluth, und den weisslich -
wogenden Roggen,
384
Und den lichtblaublühenden Flachs und die Fülle
des Weizens!
Welche mächtigre Wonne, so bald wir die Höhe
gewannen,
Anzuschauen des heiligen Meers lebendige Bläue!
O du heiliges Meer, ein Emblem des Erhabnen,
ein Spiegel
Unausschöpflicher Kraft und unauslöschlicher
Milde!
Nimmer zu schauen vermag ich dein majestätisches
Ruhen,
Nimmer zu hören das Grollen der fernherwälzenden
Fülle,
Ohne dass mir das Herz erschwillt, dass Schauder
mich anwehn,
Und der Unendlichkeit Riesengefühl die Seele mir
ausfüllt.
Rechts ab lenken wir nun aus der dörfergat -
tenden Strasse
An das Gestade des heiligen Meers Da thürmt
schon der Vorzeit
Hehrer Ruin, das Hünenmaal, geründet aus Stei -
nen,
Welche beschämen den Fels, auf dem der eherne
Zaar steht.
Abzusteigen wird hier beschlossen. Es werden mit
Vorsicht
385
Von dem Wagen die Kleinen gehoben. Am thür -
menden Ufer
Wandeln wir langsam, und schauen mit schauernder
Wonn 'in die Tiefe;
Schauen, o Jasmund, hinüber nach deinen Riesen -
gestaden,
Klimmen sodann behutsam auf schmalem, schlängeln -
dem Pfade
Eine der Schlüchte hinab zum kieselgepflasterten
Meerstrand.
Höchlich ergötzet die Kleinen das schimmernde glatte
Gerölle!
Sieh, wie sie sammeln die blankesten Kiesel, wie
neidisch! wie lüstern!
Nicht zu fassen vermögen die Schätze die strotzenden
Taschen.
Staunend sitzet die Mutter auf einem gewaltigen
Quarzblock,
Welchen der wühlende Schnee dem mürben Gestad'
entspühlte,
Während der Vater mit Hülfe des hohlgeschliffenen
Glases
Mühsam späht nach des Steinreichs Wundern, nach
deinen Gebilden,
Unergründliche Kraft, die du itzt den Quarz und
den Feldspath
Innigst zum Ganzen vereinst, und itzt das gedie -
gene Ganze
2 B b
386
Launisch wieder zerreibest zum stiebenden Sande der
Dünen;
Die du Länder bewölkst mit undurchdringlichen
Wäldern,
Dann den verschlemmten Wald verkohlest im Bette
des Meeres;
Die du den fallenden Tropfen zum Stalaktiten ver -
dichtest,
Und des Schalthiers Gallert zum funkenstiebenden
Kiesel;
Die du wölbest im Schoosse der Berge krystallene
Grotten,
Kunstreich dann den Basalt zu Rotunden thürmest
und Domen;
Solcher Wunder gedenkend, durchspäh 'ich das
bunte Geschiebe.
Manchen Zeugen ertapp' ich des umgewälzten Pla -
neten;
Manchen Fremdling, herein von den Antipoden ge -
wandelt,
Manchen Ruin aus des Erdballs Kindheit. Ich freue
nicht minder
Meines Fundes mich, als unsre Kleinen des Ihren.
Schneller schon eilet die Sonne hinab zu den
westlichen Fluthen;
Und wir verlassen den Strand. Hinan das schroffe
Gestade
387
Klimmen wir tiefaufstöhnend. Am Saume des krei -
digen Ufers
Setzen wir uns ein Weilchen, und staunen die Flu -
then hinüber,
Sehen auf breitem Gestein sich sonnen den zottigen
Seehund,
Sehen das fröhliche Volk der Möwen die Wogen
beschiffen,
Sehen im leichten Kahn sich schaukeln den Fischer
der Vitte,
Sehn an des Horizonts duftigem Saume manch weiss -
liches Segel.
Hurtiger eilet indess die Sonne den Bogen hin -
unter.
Feuernd von Ungeduld scharret der Rapp, und
wiehert der Adler.
Manches Pfeifchen bereits erlosch dem rüstigen
Christel.
Itzund werden die Kiesel mit Fleiss in den Wagen
gepacket,
Itzund die Kleinen. Wir rollen dahin. Im Golde
des Abends
Siehe, wie lodert die Fluth! wie brennen die hüg -
lichten Dünen!
Bald vollbracht ist die fröhliche Fahrt. Der
ländliche Flecken
B b 2
388
Nimmt uns schon auf; uns empfängt das vertraute
Gehöfte. Gar freundlich
Harret unser am knarrenden Heck die fromme
Sophie,
Nebst dem flinken Georg und dem lustigwedelnden
Dachshund.
Siehe, der Tisch ist gedeckt; das Mahl ist berei -
tet. Die Seeluft
Reizet die Lust. Wie mundet den Heimgekommnen
die Nachtkost,
Wie den Kleinen die köstliche Milch, den Eltern
der Spargel
Samt dem geräucherten Lachs, den ihnen die Vitter
verehrten!
Nun ist die Sonne zu Gotte gegangen. Die wir -
belnden Vögel
Gingen zu Neste, zu Neste die jüngsten und zär -
testen Kindlein.
Julie liegt schon, die Holde, und schlummert im
schwebenden Bettchen.
Niedergebeugt hat der bleyerne Schlaf den wackeren
Gottfried
Auf die Polster des Sopha. Noch sitzt in der Kühle
des Abends
Meine Allwine bey mir, und plaudert von diesem
und jenem.
389
Väterchen, spricht sie, die Milch ist geseiht.
Gesahnt sind die Schalen.
Mutter ist fertig. Wie, wenn wir itzt noch ein
wenig spazierten
Zwischen den Häusern des Dorfs? Es spaziert sich
so traulich im Dunkeln.
Und wir thun ihr den Willen. Den pappelbeschat -
teten Kirchhof
Wallen wir schauernd entlang. Es thauet der Rasen
der Gräber.
Über den tückischen Rost wird sorglich die Kleine
gehoben;
Und nun wandern wir auf und ab in den Gassen
des Fleckens.
Mancher ehrsame Nachbar, der treulich die Schweisse
des Tags trug
Sitzt in der Thür, und freut sich des Pfeifchens
und freut sich der Kleinen,
Welche rastlos noch schnellen den Ball und jagen
den Dritten.
Rechts und links wird jeder gar freundlich gegrüsset.
Mit jedem
Wird zur Rechten und Linken ein freundliches
Wörtchen gekoset;
Manche friedliche Schwelle beschritten. Die schlum -
mernden Kindlein
Werden beschauet und höchlich gelobet. Des nied -
lichen Gärtchens
390
Planzungen werden besehn, und über die Maassen
gepriesen.
Aber wann brauner nun werden die Schatten, und
stiller die Hütten,
Wann die schmählende Mutter die tummelnden Klei -
nen nun heimruft,
Und nach erloschenem Pfeifchen der schläfernde
Vater ins Haus wankt;
Gerne sitzen wir dann am Weiher des Dorfs auf
den Blöcken,
Welche der emsige Wagner zu Axen und Felgen
zersägte,
Sehen den Himmel sich spiegeln im stillen Wasser
des Teiches,
Sehen die Lampen erlöschen, vernehmen das Lullen
der Mütter,
Und den klagenden Abendgesang der einsamen
Wittwe.
Dunkler wird es und stiller um uns, und stiller im
Busen.
Endlich beginnt es Allwinen zu grauen. Es wird
schon so dunkel.
Väterchen, gehen wir bald? Wir thun ihr den
Willen und gehen.
Väterchen, sieh ', es brennt! ruft Wina, indem
wir des Kirchhofs
Düstre Schatten beschreiten und siehe! der hei -
lige Vollmond
391
Wallt gross, glühend, und lodernd herauf aus dem
Osten, und Flammen
Sprühet er durch das säuselnde Laub der Esp' und
der Pappel.
Stiller noch wird es um uns, und stiller im
Busen. Wir wallen
Zögernden Schrittes zurück in unsre friedliche Woh -
nung.
Hier herrscht feyerliche Ruh und leiseschauerndes
Dunkel.
Ausgestorben ist jedes Gemach. Auf der Flur, auf
dem Vorsprung,
Rings auf dem räumigen Hof und draussen auf Fel -
dern und Weiden
Waltet die heilige Nacht. Bey der Lampe wanken -
dem Schimmer
Legt Allwine sich schlafen. Es legt sich die zärt -
liche Mutter,
Von der Schwüle des Tags erschöpft und den Lasten
der Wirthschaft.
Aber ich wandle noch lang 'in den Schattengän -
gen des Gartens,
Während der Mond die Bäume versilbert, und fern
aus dem Westen
Einer Vergangenheit gleich das Spätroth blasser her -
aufstrahlt.
392
Dann umschatten mich ernste Gedanken, Gedanken
der Tage,
Welche dahin sind, Gedanken der längstverblüheten
Jugend.
Ich gedenke der Guten, die fern' aus dem Süd 'und
dem Osten
Nach dem Geliebten die Arm' ausstrecken; der Nim -
mergeseh'nen,
Nimmerzusehenden denk 'ich, die öfter vom Rhein
bis zur Dwina,
Öfter vom Sund bis zum Istrischen Golf in freund -
lichen Zeilen
Ihrer Liebe Kunde mir geben; der Stummen ge -
denk' ich,
Deren Gräber der Mond versilbert; dein denk 'ich
vor allen,
Treffliche Ida, und dein zunächst, holdselige
Rosa
Edle, reine, unschuldige Seelen, ihr Seelen mit
Thränen
Und mit Träumen und Flügeln ... mit Flügeln,
die, ach, nur zu frühe,
Viel zu frühe zurück euch trugen zur besseren Hei -
math.
Ich gedenke der Zeit, der nahen vielleicht, wo
ich selber
Lieg' und schlafe den eisernen Schlaf, wo die lie -
bende Gattin
393
Schluchzend des Schläfers Hügel besucht, wo meine
Allwine
Jammernd den Vater ruft, den nie erwachenden
Vater,
Während bestürzt die Unmündigen dastehn, wenig
es ahnend,
Was dem Schwesterchen sey und der händeringen -
den Mutter.
Dieses bedenkend durchwandl 'ich des Gartens schat -
tende Gänge.
Dunkler werden die Schatten um mich. Wie Grä -
bergedüfte
Wehen mich an die Gerüche des blühenden Flieders.
Des Rohrspaz
Dumpfes Rufen gemahnt mich wie Todtengeläute,
bis etwa
Sich der thränende Blick erhebt zum ewigen Him -
mel,
Bis mit der Nacht entschleyertem Glanz, mit dem
Schimmer der Sterne,
Mit des Arkturus röthlichem Licht, mit dem Fun -
keln der Wega
Strahlend in mir der Gedank' erwacht, das hohe
Bewusstseyn:
Dass wir sind, um ewig zu seyn! Gestärkt und
getröstet
Wandl 'ich nun heim auf mein stilles Gemach. Die
Wolke des Schlummers
394
Wallet hernieder und schliesst mir leisesäuselnd die
Augen.
Also verfliesst mir das Leben in meiner blühen -
den Öde.
Also vergleiten in reinen Genüssen und seligen
Mühen
Mir die Stunden des Tags, und des Abends däm -
mernde Stunden.
Fliehet ihr Horen dahin! Und müsse der Flie -
henden keine
In den Busen mir weinend drücken den Stachel der
Reue!
Fliehet ihr Horen dahin! Und müsse die jüngste,
die schönste
Engelhold und bräutlich gekränzt mit duftender
Palme
Kühlung dem Scheidenden wehn, und lächelnd die
Augen ihm schliessen!

Berlin, gedruckt bey Johann Georg Langhoff.

About this transcription

TextPoesieen
Author Ludwig Gotthard Kosegarten
Extent439 images; 44017 tokens; 12008 types; 297261 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationPoesieen Zweyter Band Ludwig Gotthard Kosegarten. . GräffLeipzig1798.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Ym 1932-2http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=502779934

Physical description

Antiqua

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Belletristik; Lyrik; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Ym 1932-2
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