PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Poesieen.
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Zweyter Band.
Leipzig,bei Heinrich Gräff.1798.
[I]

Inhalt des zweyten Bandes.

Viertes Buch.

  • Seite

  • Ritogar und Wanda5
  • Frühgesang41
  • Die Erscheinung43
  • An Odalia46
  • An Kiesow's Fluren51
  • An Dieselben. (Zehn Jahr später gedichtet) 55
  • An Rosa56
  • An Dieselbe58
  • Die Täuschung60
  • Die Wehmuth der Erinnerung62
  • Des Siechen Flehgesang65
  • II
  • Seite

  • Das Erwachen list67
  • An Molly71
  • An Sulvina77
  • Elegie. An Minona79
  • An Fredegunde86
  • Elegie. An Rosa91
  • Des Grabes Fruchtbarkeit und Lieblichkeit102
  • Schläfer erwach109
  • Ellwinens Klage um Ellwill115
  • Die Erscheinung117
  • Der Sternhimmel124
  • An Fanny128
  • Drey Töchter an den Schatten ihres Vaters132
  • Seiner Rina136
  • Weihgesang140
  • Jubelgesang146
  • Der Maalstein150
  • Abschied von Wolgast157

Fünftes Buch.

  • Elisium167
  • Geist der Liebe183
  • Alles um Liebe185
  • Huldigung188
  • Der Traum192
  • III
  • Seite

  • Erwin an Ellwina list196
  • Erwin an Ellwina200
  • Erwin an Ellwina203
  • Ellwina an Erwin209
  • An Ellwina213
  • Erwin's Klaggesang216
  • Erwin und Ellwina221
  • Letztes Lied227
  • Theon und Theano232
  • Amandus an Amanda237
  • Walder und Oda242
  • An Gering243
  • An Hippolyta254
  • An Charlotte Schwarz260
  • An meine Schwester Marie Luise zum Abschiede266
  • An einem Gewitterabend270
  • An die untergehende Sonne274
  • Melancholikon277
  • Nachtgesang281

Sechstes Buch.

  • Arkona list285
  • Der Morgen296
  • Die Harmonie der Sphären298
  • Die Sterne301
  • IV
  • Seite

  • An Rosens Schatten305
  • Das Schicksal und das Ich310
  • Des edleren Selbst Ermunterung315
  • An Magdalena Schwarz320
  • Das Echo327
  • Der Nachtigallschlag328
  • Frostblumen329
  • Die Schwäne330
  • Die Namen351
  • Das Leichtere und Schwerere332
  • Letzte Bitte332
  • Eusebia335
  • An Juliens Grabe337
  • Cidli und Meli. Eine Idylle aus dem Paradiese343
  • Abends unter der Linde357
  • Letzte Ehre359
  • Ekloge360

Druckfehler.

Zweyter Band.

  • Seite 15. Zeile 25. er lies es
  • 27. er l. es
  • 16. 1. er l. es
  • 23. 12. kläglich l. klüglich
  • 33. 9. herum l. heran
  • 38. 11. nur einer l. unreiner
  • 52. 1. tiefste l. tiefe
  • 11. euren l. eurer
  • 78. 16. Thaten die Ruh l. Handeln der Ruh
  • 88. 9. Aug 'l. Auge
  • 109. 7. Von l. Vor
  • 120. 25. wiegt l. wägt
  • 137. 8. eurer l. neuer
  • 144. 14. des l. der
  • 171. 24. der l. das
  • 174. 1. Engeln l. Engen
[1]

Viertes Buch.

[2]

Seinem Freunde Joseph von Retzer zugeeignet.

[3]
[figure]
[4][5]

Ritogar und Wanda.

Hügel des weissen Gesteins, der schaurigrau -
schenden Eiche
Grauer Nährer; du bist mir lieb vor deinen Ge -
sellen.
Lockender winkt mir dein kaltes Gestein, als mein
schwellendes Lager.
Weicher umschmiegt mich dein duftendes Moos.
Dein Säuseln und Flistern
Lullet in tiefes Staunen mich ein. Wenn der Schat -
ten des Waldes
Dämmerung um dich strömt, wenn kläglich seuf -
zend der Nachtwind
6
In den ergrauenden Locken dir wühlt, auf den
Gipfeln der Graniz
Schweigend der Vollmond ruht und deine Wangen
beglänzet
Welche Wonne sodann, im Rauschen der Eich ',
in des Vollmonds
Dämmerscheine zu sitzen im Ringe des alternden
Maales!
Welche Wonn', im Rauschen des Waldes, im däm -
mernden Mondlicht,
Eingewiegt auf duftendem Moos 'in luftigen Schlum -
mer,
Unterzutauchen in lieblichen Traum und in trunkne
Gesichte!
Steigen seh' ich die Heldenschatten aus schlummern -
den Maalen,
Sehe sie zucken das Schwert, und den Schild em -
pören, und höre
Tosen die Berg 'und den Wald von der Kämpfer
Geschrey, von der Sieger
Wildem Frohlocken, der Sinkenden Ächzen, dem
Jammer der Mädchen.
Plötzlich erwach' ich. Ich raffe mich auf. Die
nichtigen Schatten
Schwinden in Luft. Es rauscht und stöhnt im
Wipfel der Eichen,
Dass das Haar sich leise mir hebt, und Schauder
mich schütteln.
7
Tausendjähriger Stein, wen deckst du? Welchem
Gefallnen
Thürmet das ehrende Maal? Was frag 'ich?
Verwittert, zerstoben
Ist der Helden Gebein in die Luft. Die Winde des
Himmels
Kriegen um ihren Staub. Vertilgt vom Antlitz der
Erde
Ist der Namen Gedächtniss sogar. Auf ewig ver -
hallt ist
Jeder Gesang von ihnen, erstummet jegliche
Klage.
Tochter Sulvills, die Seele umwölket mir
bitterer Unmuth
Über der Helden herbes Geschick. Die tückische
Norne
Seh 'ich zucken den blutigen Dolch; die zitternden
Schatten
Seh' ich mit funkelndem Stahl sie scheuchen bis hart
an des Abgrunds
Schwarzaufstarrenden Saum. Wie beben, wie
schauern die Blassen
Bange zurück! Ist denn keiner vorhanden, der Mäch -
tigen keiner,
Welcher beschwöre der Wütherin Grimm, mit dem
Zauber des Liedes
8
Ihre Wuth entwaffn ', und erlöse die flehenden
Schatten?
Tochter Sulvills, mir flammet die Seele. Das
Licht des Gesanges
Fühl 'ich erwachen in mir. Von der Eiche seufzen -
dem Aste
Reiche die Harfe mir her, die schwachbesaitete.
Dennoch
Ward es der Schwachen schon öfter vergönnt, die
hungrige Norne
Einzulispeln in seligen Schlaf und den Raub ihr zu
rauben.
Also sey es auch itzt mir vergönnt, der Räuberin
Krallen
Abzujagen ein wackeres Paar, dich König der
Inseln,
Muthiger Ritogar dich, und dich, holdselige
Wanda.
Über die Inseln des Meers, entlang die Küsten
der Ostsee,
Von der Trebel Blumengestad 'bis zur reissenden
Weichsel,
Herrschte die heilige Kraft des Helden Ritogar.
König
War er der Wilzen, der Wenden, der Tartsche -
schwingenden Guten,
9
Und der tausend Stämme der Rugen. Auf hoher
Arkona
Hielt er Hof, genoss dort schwererrungener
Ruhe.
Wohl behagte dem rüstigen Krieger die Musse
des Friedens.
Freundlich umfing ihn die schmeichelnde Ruh nach
Fehden und Schlachten.
Täglich genoss er der Freuden der Jagd in der krei -
digen Stubnitz.
Täglich in Rügens hundert Forsten. In dämmern -
der Frühe
Macht 'er sich auf zu Verfolgung des Wolfs und
des Keulers. Zu Abend
Kehrt' er beutebelastet zurück zur strahlenden
Halle,
Wo das stärkende Mahl ihn erharrt ', und der
schäumende Becher.
Doch bald däuchte die strahlende Hall 'ihm so
weit und so öde,
Ihm so einsam das nächtliche Lager. Holde Ge -
bilde
Schwebten oft um ihn im lieblichen Traum; von
zärtlichen Armen
Wähnt' er sich oft umschlungen, und oft von
schwatzenden Kleinen,
10
Die, erklimmend sein mächtiges Knie, in den Locken
ihm spielten.
Flammend rollte das Blut in des Jünglings Adern.
Gewaltig
Schlug ihm das Herz. Doch war er keusch nach
der Sitte der Deutschen.
Nicht verlockt 'ihn die Flamme der Jugend zu fre -
chem Gelüsten,
Nicht der Buhlerin lüsterner Blick, noch der Un -
schuld Erröthen.
Ihm zu kiesen ein holdes Weib aus den Töchtern
der Edlen,
Sandt' er seine Vertrauten umher. Ihm lächelt
Editha
Von der Warne. Ihm winkte die weisse Wisna
vom Elbstrom.
Keine vermochte sein Herz zu rühren. Die Weich -
sel herüber
War es erschollen von Wanda, der Tochter Kra -
kus, wie huldreich,
Und wie reizend sie sey, wie Mayluft lieblich,
wie Veilchen
Ihre Augen, ihr Haar wie der Lilie goldene
Fäden.
Ritogar hatte Boten gesendet dem Fräulein von
Krakow,
11
Dass sie ihr Frieden und Gruss entböten, das Zepter
der Rugen,
Und des Rugenköniges Herz. Mit stürmender Sehn -
sucht
Harrt 'er der kehrenden Boten; kaum dass die Jagd
und der Becher
Ihm die langsam schleichende Zeit zu beflügeln
vermochten.
Neunzehn Tage verflossen. Die Boten kehrten.
Willkommen,
Hiess sie der harrende König. Willkommen! Nun
eilet und sagt mir,
Was mir Wanda entbeut, der Lechen Tochter
und Fürstin.
Wanda entbeut dir Frieden und Gruss, und
Segen von Wodan
Deinen Waffen. Allein dein Herz und das Zepter
der Rugen
Darf sie nicht theilen. Sie weiht ein Gelübde zur
ewigen Jungfrau.
Sie ein Gelübd '? So gelob' ich bey Thor und
Mannus und Hertha,
Und dem tausendbucklichten Schilde des eisernen
Wodan,
12
Nicht zu rasten, zu strafen die Stolze, mit mäch -
tigem Arme
Sie zu erfassen, sie, fliegenden Haars, mit zerris -
senem Schleier
In mein Schlafgemach zu führen, ein niedriges
Kebsweib.
Fürchterlich flammte der Grimm des Königs;
furchtbar sein Eidschwur.
Nah und fern, auf den Inseln des Meers, an den
Küsten der Ostsee,
Von der Trebel Blumengestad 'bis zum Strande der
Oder
Wurden die Sassen entboten zu Ross und zu Fuss.
Sie kamen,
Rott' an Rotte, wie Schauer mit Schauern in
schlossender Herbstzeit
Wild sich jagen, herangeschwärmt die hohe Ar -
kona.
Alle Krieger kamen des quellenströmenden Jas -
mund;
Alle Söhne des meerumdonnerten Reddewisch.
Ralow
Sandte die lockenumwölkten Streiter. Die Jäger der
Wölfe
Sandte die Graniz, die Quistniz, die Wuster -
niz. Hoch vom Rugard
13
Braust 'ein gewaltiges Heer, wie der Strom, den der
schmelzende Schnee schwellt.
Wie in Tagen des Herbst, wenn der Wald
verwelkt und die See starrt,
Zu verreisen in mildere Zonen, sich Kraniche
rotten:
Also rotteten sich die Rugen zur hohen Ar -
kona.
Wie die weitgeuferte Donau mit wachsenden Was -
sern,
Erst ein Säugling, nur Wiesen wässert, weidende
Lämmchen
Tränkt, den ermatteten Wandrer erquickt, bald
aber, ein Jüngling,
Königsstädte beströmt, und Kaiserthümer durch -
wandelt;
Rings, wohin der Starke sich wälzet, reisst er die
Nymphe
Jedes begegnenden Stroms in sein Bett, und stürmt
und stürzet
Endlich mit allen, ein Meer, in das Meer aus
tausend Urnen:
Also brauste durch Länder und Reiche des Zürnen -
den Heersmacht;
Also wuchs im wälzenden Laufe der schwellende
Kriegszug.
14
Also stürmt 'und stürzt' er gewaltig ins Land der
Sarmaten.
Nicht zu steuern vermochte das Land dem ver -
derbenden Einbruch.
Weitauf dampft 'es in Blut und in Asche. Der
Saaten, der Wälder
Lohe stieg himmelempor in wirbelndem Rauche.
Zu Krakow
Sah man die Loh' und den Rauch. Ihn sah das
zitternde Fräulein.
Eine Thräne weinte die Holde dem Elend der
Treuen,
Wischte schleunig die Thräne hinweg, die glänzen -
den Locken
Deckte sie mit dem Helm, mit dem schuppigen
Panzer den Busen.
Also zog sie einher vor dem todeschleudernden
Heerzug:
Also funkelt 'ein freundlicher Stern am Saum des
Gewitters.
Ritogar hörte: Sie kommt! Es kommt die
fürstliche Jungfrau!
Freude durchzuckte sein stürmisches Herz, wie Blitz
durch die Nacht zuckt.
Bald zu kühlen gedacht 'er die Brunst der Lieb' und
der Rache.
15
Nacht sank nieder ins Thal, den arbeitseligen
Menschen
Ruhesäuselnd, den Kummer beschwichtigend, mil -
dernd die Sorgen.
Stirn 'an Stirne lagen die Heere der Rugen und
Lechen,
Weitgestreckt, von der Fette des Landes schwel -
gend. Ein Bächlein
Sonderte sie. Die Feuer des Lagers durchflammten
das Dunkel
Roth und grausig. An einer der halbverloderten
Eichen
Hatte sich Ritogar niedergestreckt, das Haupt auf
dem Schilde.
Ihn umflügelten Schlummer und Traum. Es daucht'
ihm, er ruhe
Neben dem Fräulein von Krakow auf bräutlichem
Lager; und wann er,
Sie zu umfassen, die Arm 'ausstreckte, so waren die
Arme
Welk ihm und schlaff, und wann er mit freundli -
chen Worten ihr kosen
Wollte, so war ihm die Zunge gelähmt. Urplötz -
lich beströmte
Blut das Lager. Urplötzlich begann er zu sinken,
und immer
Tiefer sank er, und immer umnachtender, grausiger,
düstrer
16
Engt' er sich ein. Da kamen sein Vater, und seines
Erzeugers
Vater, und grüssten ihn Sohn! und Willkom -
men! Plötzlich erwachend
Rafft 'er sich auf aus dem nichtigen Traum. Rings
um ihn im Lager
Waren die Feuer erloschen. Tief Dunkel war um
ihn. Der Halbmond
Blickte hervor aus düsterm Gewölk', um auf immer
zu scheiden.
Ängstlicher ward das Schweigen, die Stille stiller.
Dem Helden
Schauerte leis ', und es wehet' ihn an, wie Geister -
geflister.
Guthart, rief er, mein Freund, erwach '
aus täuschendem Schlummer!
Tief ist die Nacht, und das Lager so todt. Die
ermüdeten Krieger
Haben sich niedergestreckt auf ihre Schilde. Nun
lass uns
Wachen für sie, sie wachten für uns, und die
lauernden Feinde
Hüten, dass sie nicht kommen, und Sieg und
Leben uns stehlen.
Guthart raffte sich auf. Gefasst mit der Rechten
die Schwerter,
17
Und mit der Linken die Schilde, durchwallten sie
einsam das Lager.
Guthart, sagte der König, die Nacht ver -
weilet. Noch lange
Säumt es zu tagen. Du hast mir noch nicht von
Wanda, dem holden
Fräulein, erzählt, wie reizend sie sey; wie sie
herrschet in Krakow.
Sprich, ist sie würdig des Kampfes der Männer?
Du sahst sie in Krakow.
Ist sie schön, wie der Ruf sie feyert? Sag 'es mir,
Guthart!
Schön ist Wanda, so sprach mit geflügelten
Worten der Jüngling,
Schön vor allen Fräulein, die je mein Auge ge -
sehen,
Schöner, als Wunna vom Sund, und die weisse
Wisna vom Elbstrom.
Ich vergleiche die Holde dem blüthenduftenden
Frühling,
Einer Sonn 'ihr Gesicht, die Locken rollenden
Strahlen.
Ihre Augen umflort jungfräuliche Blöde. Noch
immer
Seh' ich ihr heiliges reines Leuchten, und sehe
noch immer
2 B
18
Ihre Wangen, zwey nie versiegende keusche Au -
roren,
Sehe die ewigfrischen Lippen, und höre noch
immer
Klingen das Harfengelispel in meiner innersten
Hörkraft.
Reiner ist nicht des Schwanes Hals als der Hals
der Erhabnen,
Blendender nicht der ballende Schnee als der Busen
der Hohen.
Weiss ist ihr Arm, wie weiss! wie weich! und
würdig, der Helden
Ersten in Schlummer zu wiegen. Indem die Hehre
einherging,
Glaubt 'ich Hertha schreiten zu sehn. Indem sich
ihr Busen
Unruhvoll, hochklopfend, halbschüchtern, den
Augen enthüllte,
Fasste mich heilige Scheu, wie sie fasst den Prie -
ster der Hertha,
Wenn er die Göttin sich baden sieht im einsamen
Waldsee.
Hold ist Wanda, ein holder Garten voll Blüthen
und Düfte,
Aber auch gut und weis' und geliebt von den Ihren.
Wir werden's
Inne werden, wann kehret der Tag in der stürmen -
den Feldschlacht.
19
Höre nun auch, wie an Wanda kam das Zepter
der Lechen.
Krakus war Lechus Sohn, und bauete Krakow.
Sein Sohn war
Krakus und Erbe des Zepters der Lechen. Dess
grollte der Jüngre,
Lechus genannt. Er verlockte den Bruder, und
stiess ihm den Jagdspiess
Tief in das Herz. Die schwarze That empörte die
Völker.
Lechus verbanneten sie, und gaben Wanden das
Zepter,
Wanden, der Tochter des älteren Krakus. Des
grauen Erzeugers
Kleinod war sie, so lang 'er lebte. Nun ist sie
der Völker
Preis und Lust, die Perle des Osten, des Kampfes
der Männer
Würdig, so würdig, als Bardengesang und ewiger
Nachruhm.
Ruhm errangen wir uns, sprach Ritogar.
Tönen im Liede
Unsre Namen nicht längst? Was mögen wir wün -
schen, als Liebe?
Freund, es ist Nacht. Was stehn wir und säumen
und eilen nicht längst schon
B 2
20
In der Lechen Lager hinüber! Vielleicht, dass
ich selber
Sie erschaue, sie drücke mit Wonn 'an den klop -
fenden Busen.
Auf, mein Geliebter! Mich schreckt nicht ihrer
Reisige Rasseln,
Nicht die Mauer von Stahl, die ihr Lager um -
funkelt. Die tausend
Tode schrecken mich nicht, die mir grinsen. Ich
will sie erfassen,
Will sie führen mit eisernem Arm in die bräutliche
Kammer.
Freudig durchschritten die Helden das Dunkel.
Des Baches Geriesel
Hemmte sie nicht. Sie erreichten das Lager. Die
flammenden Eichen
Waren erloschen. Von weitem nur glomm noch
dämmernd ein bleiches
Sterbendes Flämmchen. Sie folgten dem Dämmer -
scheine durch Reihen
Schlafender Tausende nach. Sie schliefen Schlummer
des Todes.
Mitten im Lager erblickten sie, siehe! in funkeln -
der Runde
Speer und Lanzen gespiesst. Es schlief bey jedem
der Speere
21
Einer der Starken lethargischen Schlummer. In
Mitten der Runde
Schlief, schön hingegossen, auf duftendem Moose,
die Schneebrust
Rings umschleyert von goldenen Locken, die fürst -
liche Jungfrau.
Heftiger pochte das Herz des kühnen Kriegers. Er
sah sie
Liegen beym blassen Schein der sterbenden Flamme.
Die Flamme
Fackelt noch einmal auf und erlosch. Im locken -
den Dunkel
Tappte sich Ritogar, zitternd jedoch, und mit
schlotternden Knieen
Zu dem schlafenden Mädchen hinzu, umschlang sie,
und hob sie,
Trug sie hinweg mit mächtigem Arm, an den po -
chenden Busen
Dicht sie gedrückt. Laut schrie sie erwachend.
Die Krieger erwachten,
Taumelten auf, ergriffen die Lanzen. Im wilden
Getümmel
Hieben sie blind um sich her. Noch rief das Fräu -
lein. Ihr Rufen
Tönte ferner mit jedem Moment, und dumpfer mit
jedem.
Rings, wo sie rief, erwachte das Lager, erklangen
die Schilde,
22
Klirrten die Speer 'und trafen die Lanzen, und
stürmt' es und tobt 'es.
Durch das Stürmen und Toben erscholl das Rufen
des Fräuleins.
Rings umdrängt sah Ritogar sich. Mit nerviger
Linken
Hielt er das Fräulein, das Schwert mit der Rechten.
So kämpfte, so stritt er,
Bis ihm die Kraft entging. Ihm sank das ringende
Mädchen
Aus dem schwerverwundeten Arm. Die mächtige
Rechte
Schleuderte Wunden und Tod. Und itzt rief Gut -
hart: Was frommt es,
Dass wir fallen unrühmlichen Falls, gleich Dieben
zur Nachtzeit!
Zween sind unser. Der Feinde sind tausend. Was
rasen wir? Tollkühn
Soll nicht der Tapfere seyn. Hinein, dieweil uns
noch Kraft bleibt!
Frisch hinein und hindurch! Und mit grauendem
Tag' an der Spitze
Unserer Schaaren zurückgekehrt, und erstritten
das Fräulein!
Also sprach er. Der König gehorchte dem Rath,
und gewaltig,
23
Unaufhaltsam, zwey Deich und Damm durchbre -
chende Ströme,
Stürzten die Freunde hinein in die drängenden Tau -
sende, brachen,
Pflasterten mitten hindurch sich eine blutige,
weite,
Öde Strasse. Der König entkam. Der wackere Gut -
hart
Strauchelt 'und fiel auf gethürmten Leichen. Es
jauchzten die Feinde.
Herzhaft umringten die Feigen den Fallenden, ban -
den ihn kläglich
Mit zwey mächtigen Stricken, und führten ihn stolz
zu der Fürstin.
Wanda, noch bleich und verstört, erblickte den
Jüngling. Sein Anblick
Regt 'ihr Mitleid. Vergebens sucht sie zu zürnen,
vergebens
Ihr sanftschmachtendes Auge mit Blitzen zu waffnen,
vergebens
Ihrer Stimme rührenden Laut zum Donner zu
schwellen.
Sey uns gegrüsst, o Sohn der Fremde! Und
seh' ich den starken
Ritogar hier in Ketten, in Ketten den Ersten der
Helden?
24
Ritogarn siehst du nicht hier in Ketten, ant -
wortet 'ihr Guthart.
Rügens Löwen zu fahn, sind deine Doggen zu
wenig.
Dennoch sey stolz auf deinen Gefangnen, Fräulein
von Krakow.
Guthart bin ich, der Nächste nach Ritogar! Ihm
der Nächste
An Gewalt und Liebe zu dir, o Schönstes der
Mädchen.
Röthe, so wie sie die Lilie färbt in der Nähe
der Rose,
Leise Röthe, beglänzte der Jungfrau Wangen. Nur
schüchtern
Schlug sie die seidenen Wimpern empor: Und liebt
mich dein König,
Guthart? Liebt mich in Ernst der Mann mit dem
eisernen Arme?
Ob er dich liebe, du Holde, so fragst du,
Tochter von Krakow?
Frage die tausend inbrünstigen Küsse, die er dir
heute
Drückt 'auf den rosigen Mund. Die tausend offe -
nen Wunden,
Die ihm bluten um dich, die frag', ob dich Ri -
togar liebe!
25
Guthart sprach es, und hoch erseufzete Wanda,
und eilends
Wandte sie von dem Dreisten sich weg, und im
schirmenden Dunkel
Überliess sie sich ganz des Herzens süssen Gefüh -
len,
Ganz der Seele dämmerndem Wunsch, und verbor -
genem Ahnen.
Immer noch flammten ihr Ritogars Küss 'auf den
brennenden Lippen.
Immer noch pochte sein schlagendes Herz an dem
Ihren. Noch immer
Klang ihr im innersten Ohr sein schmeichelndes Lie -
besgeflister.
Ritogar schritt indess durch die Nacht und die
Schwerter und Lanzen
Stracks vor sich hin, sprang über den Bach, und
vermisste nun Guthart.
Guthart! rief er, und abermal Guthart! und hun -
dertmal Guthart!
Nicht zu dulden vermocht 'er das dunkele Schicksal
des Freundes.
Schon beschloss er zurückzufliehn, den Bedräng -
ten zu retten,
Oder zu fallen zugleich mit dem Fallenden. Seine
Getreuen
26
Wehrten dem wilden Entschluss. Sie riethen ihm,
Rache zu nehmen,
Rühmliche Rach 'im Antlitz des Tags am Blute der
Feigen.
Also liess er sich kaum bereden, den Tag zu
erwarten.
Als nun der Tag ergraut ', und des Osten Rosen
erblühten,
Rafften die Heere sich jauchzend auf zur freudigen
Feldschlacht.
Als im Osten die Rosen zu lichterem Schimmer
erblassten,
Reihten sie sich den Fluss entlang, zwey stählerne
Mauern.
Als die ersten feurigen Strahlen dem Osten ent -
wallten,
Standen sie fürchterlich schön in stahlgepanzerten
Gliedern
Schimmernd und blendend hinab des Flusses Ufer.
Entgegen
Jauchzten die Schaaren der kommenden Sonne. Der
Hehren entgegen
Hoben sie hoch die geschliffenen Schilde, dass jeg -
licher Wölbung
27
Ihre lodernde Scheib 'entglänzt', und rings das Ge -
filde
Funkelte, wie in des Jänners Nächten die Feste
des Himmels.
Ritogar zäumte sein stattliches Schlachtross.
Schnaubend und scharrend
Bäumt 'es sich wild, schlug sprühende Funken.
Die silberne Trense
Triefte von Schaum. Ein Ahnen durchflog die Seele
des Königs.
Aber sich schnell ermannend, ergreift er die Zügel
des Rosses,
Streichelt den schimmlichten Nacken ihm schmei -
chelnd, führt' es die Reihen
Einmal hinauf und hinab, und schwingt sich ihm hui!
auf den Rücken.
Siehe, nun tummelt er freudig sein freudiges
Ross vor der Stahlwand.
Über und über bedeckt mit leuchtendem Stahle,
wie blitzt 'er
Über und über im Strahle der steigenden Sonne!
Sein Schlachtross
Wieherte, warf in die Luft den trotzigen Nacken.
Der Ostwind
Rollt' auseinander sein Silbergemähn, wie er ballen -
den Schnee rollt.
28
So nicht Wanda, der Lechen Fürstin. Im
Glanze der Schönheit,
In der Unschuld rührendem Reiz, in der stilleren
Würde,
Die die bedrängte Schönheit verleiht, stand einfach
und edel
Wanda auf einer der Höhen, zu schauen den Kampf
der Getreuen,
Ihre Gefahr zu theilen, und mit den Gefallnen zu
fallen.
Also sahen die Holde die Lechen und Rugen.
Sie sahen
Ihre Göttergestalt, der Formen lieblichen Um -
riss,
Sahn ihr Antlitz, den holden, den rosenspriessen -
den Frühling,
Ihre Augen, die lichten, die blauen glänzenden
Himmel,
Ihre Wangen, die nie versiegenden keuschen Au -
roren,
Ihre Lippen, die Heimath des seelegewinnenden
Wohllauts,
Ihren Lilienhals, des seufzersteigenden Bu -
sens
Stolze Wölbung. Sie sahn das ganze Strahlenge -
bilde
29
Jedes Fehlers baar und jeglicher Makel. Die
Krieger,
Wie von heiligem Graun ergriffen, standen und
staunten.
Ritogar gab die Losung der Schlacht. Verge -
bens! Sie standen.
Wie ein gegossener Säulengang stand starrend die
Stahlwand.
Zürnender, stürmender gab der König die Lo -
sung der Feldschlacht;
Aber als hätten geweihete Schauder, geheiligte
Schrecken
Ihnen die Sehnen gelähmt, so entsanken den trotzi -
gen Kriegern
Schwerter und Schilde Mit Männern geziemt es
Männern zu kämpfen,
Nicht mit Göttern, und nicht mit Weibern. Mit
jenen zu kämpfen,
Brächt 'uns nicht Sieg; uns brächte, mit diesen
zu streiten, nicht Ehre.
Männer wollen nur fechten mit Männern So
riefen die Schaaren.
Ritogar stand, wie vom Wetter gerührt; er
stand, und sein Ross stand,
Wie, auf Felsen emporgethürmt, ein eherner Held
steht.
30
Als er aus der Erstarrung erwacht, als bitterer
Ingrimm
Trat an die Stelle der dumpfen Betäubung mit
funkelnder Klinge
Drohet er itzt dem grollenden Volke; dann sprengt '
er verhängten
Zügels, gestreckten Laufs in die dichtesten Reihen
der Lechen.
Reissend, vertilgend, Verheerung rings um sich
breitend, ein Waldstrom,
Welchen schwellte der schmelzende Schnee von tau -
send Bergen,
Wüthet er unter den fliehenden Schaaren. Zerwor -
fen, zerschmissen
Stoben sie auseinander vor ihm, wie Spreu vor der
Worfel.
Einsam in ödem Raum stand Ritogar. Nur aus der
Ferne
Wagten sie ihn zu befehden. Von tausend eibenen
Bogen
Schnellten sie ihre Tod' auf ihn ab. Schon sank
sein Schlachtross.
Schon sank starrend vom Schweiss, vom Blut, und
blutigem Staube,
Umgebrochen vom doppelten Sturm der Lieb 'und
der Rache,
Ritogar auf sein schwankendes Knie. Um den
Sinkenden stürzten
31
Tausend zusammen. Doch Ritogar rief: Den Keu -
ler der Rugen,
Sollten den fahen die Hunde von Krakow? Die
schwindenden Kräfte
Rafft er zusammen, erfasset das Heft, stösst tief
sich, mit weit aus -
Hohlendem Arme, das blutige Schwert in das Herz,
dass dumpf ihm
Scholl die eherne Brust, und unter dem Falle des
Starken
Rings der Boden erdröhnte. Des Fallenden bre -
chende Augen
Zürnten noch, noch zürnte der Mund, und die
zuckende Lippe.
Zeugen des blutigen Schauspiels, wie standen
staunend die Lechen,
Staunender noch die Rugen! Der treue wackere
Guthart
Sprengte die Fessel, entschlüpfte den Wächtern,
ereilte die Rugen.
Sklaven, rief er, ihr feigen, ihr bellenden, klaf -
fenden Hunde,
Gierige Räuber! gewaltig beym Frass und bey
Weibern! im Schlachtfeld
Todtes Aas! mein Freund ist gefallen! gefallen
mein König!
32
Nein, er erlag den Tausenden nicht, nicht den
klaffenden Hunden,
Die ihn umgrinsten. Sich selbst erlag er. Noch
steht ihr und säumet
Rache zu nehmen, zu waschen mit Blut die ewige
Schande!
Nicht die Fluthen des Sund, nicht alle Wasser
der Belte
Mögen waschen die ewige Makel. Von Kindern
zu Kindern
Folgt sie euch unauslöschlich, untilgbar. Nicht
gnügt, sie zu tilgen,
Euer müdester Schweiss, noch der Feinde röthe -
stes Herzblut.
Also schalt er mit herzzerspaltenden Worten die
Rugen.
Aufgeregt von der glühenden Scham, von der lo -
dernden Rachgier
Scharfgestachelt, bestürmten sie nun die Schaaren
der Lechen.
Schwül ward die Schlacht. Der Tag ward schwül.
Den strahlenden Bogen
Hatte die Sonne bereits erstiegen. Noch währte die
Feldschlacht.
Wilder noch ward sie. Es thürmten in Meeren
schäumenden Blutes
33
Dampfende Leichengebirge sich auf. Die goldene
Deichsel
Hatte die Sonne bereits gesenkt. Noch währte die
Feldschlacht,
Noch das Würgen und Fallen, das Jauchzen und
Ächzen der Kämpfer.
Schon entbrannte der Abend. Schon zogen Geyer
und Adler
Langsam, gierigkreischend herum, gleich wandelnden
Wolken.
Itzund waren die Schaaren der Rugen zerschlagen,
zerschmettert,
Wie ein Ährengefild voll wallender Saaten. Der
Sturm war
Auf in der Nacht. Der Morgen ergraut. Nun eilet
der Landmann
Sorgend hinaus, schaut ängstlich um sich, findet
die Stätte
Seiner Saaten nicht mehr. So die Rugen. Vom
Antlitz des Himmels
Waren sie weggerafft, getilgt von der Erde, der
Rache
Wodans gestürzt, und der Schand 'entnervendem, fei -
gem Bewusstseyn.
Nieder wallte nunmehr die Nacht vom thauen -
den Himmel,
2 C
34
Hergefleht der flüchtigen Rugen ermüdeten Schaaren,
Hergesehnt der mordermatteten Schaaren der Sie -
ger,
Hergeschmachtet und hergeweint dem Fräulein von
Krakow.
Ach, nun war sie allein mit ihrem Jammer. Nun
hielt sie
Ihre Thränen nicht mehr. In der Schlucht des ein -
samen Ufers
Sass sie verloren, und jammert 'und schluchzt' und
weinte. Der Halbmond
Spiegelte sich in den glänzenden Thränen: So bist
du gefallen,
Ritogar, Preis der Helden, der Schönheit Blume,
gefallen!
Ach, wie erscholl von dem Stosse die Brust! Wie
beströmte das Blut sie!
Ach, nun liegst du erstarrt! erstummt! Mich liebet
in Zukunft
Keiner! Von mir wird keiner geliebt, in Ewigkeit
keiner!
Also sprach sie und weint 'und schluchzte. Im
schaurigen Mondlicht
Tappte sie durch das Leichengefilde sich hin zu der
Stätte,
Wo vom Staub' und Blut 'entstellt der schlafende
Held lag.
35
Eine der goldenen ringelnden Locken entschnitt sie
dem Schläfer,
Rings um den Finger rollte sie sie Sieh' da, den
Trauring!
Siehe, wie glänzt sein Gold, wie schmiegt er sich
treu um den Finger!
Dir gelob 'ich, mich nicht von dir zu scheiden
auf ewig!
Dir gelob' ich, bey dir zu bleiben, und bey dir
zu wohnen,
Dir dein Küssen von Staub zurecht zu legen, mich
selber
Neben dich hinzustrecken in Küssen von Staub und
zu sterben!
Also verging ihr die öde Nacht in einsamen
Jammer.
Als nun der Tag ergraut ', und des Osten Rosen
erblühten,
Machten die Schaaren der Lechen sich auf zum stol -
zen Triumphzug.
Als im Osten die Rosen zu lichterem Schimmer
erblassten,
Schmückten sie einen vergoldeten Wagen. An schim -
mernder Deichsel
C 2
36
Schirrten sie vier schneeweisse Rosse, die Fürstin
zu führen.
Als die ersten Strahlen der Sonne dem feurigen
Osten
Golden und roth entwallten, begann der stolze
Triumphzug.
Schön war der Morgen, wollüstig schön. Die hül -
lenden Nebel
Waren so eben hinabgeworfen vom Strahle der
Sonne.
Perlend lag die Erde nun da in bräutlicher Schön -
heit.
Brünstig bebt 'ihr duftender Schooss des blumigen
Frühlings
Heisser Umarmung entgegen. In Wandens Busen
erwachte
Unauslöschlicher Schmerz. Trübsinnig bestieg sie
den Wagen.
Als nun die Weichsel entlang der triumphirende
Zug zog,
Als in der Wogen Donnergetös ', in der Räder Ge -
rassel,
In der Rosse freudiges Wiehern, den Jubel des
Heerzugs
Immer Wanda erscholl, und immer Ritogar!
Heil dir
37
Wanda! er liegt, er modert im Staube, der trotzige
Freyer!
Plötzlich entsprang die geweihete Jungfrau dem rol -
lenden Wagen.
Eilenden Laufes, mit wehendem Haar und flattern -
dem Schleyer,
Flog sie das stickelste Ufer hinan, mit verbreiteten
Armen.
Angesichts des staunenden Heers und des schauen -
den Himmels,
Warf sie vom schroffesten Hang sich hinab in die
Wasser der Weichsel.
Dumpf auf tos'te die Fluth. Die Ufer donnerten.
Weit auf
That sich des Flusses blauer Schooss, und führte das
Fräulein
Tief hinunter in seine stillste heiligste Grotte.
Doch Allfader gebot dem Flusse, das liebliche
Fräulein
Weiter zu führen ins Grab der Natur, ins heilige
Weltmeer.
Dort liegt Wanda, und schläft. Es hat Allfader
sie selber
In das grundlose Grab versenkt des heiligen Welt -
meers.
38
Ritogar lag noch immer im Felde. Es thaute
der Morgen
Über ihn her. Es umweht 'ihn des Abends kühlen -
der Fittig.
Geyer und Adler zu tausend umschwärmten ihn.
Aber des Helden
Hatte sich Wodan erbarmt, und bedeckt' ihn mit
ehernem Schilde,
Dass kein Vogel der Luft, kein Thier des Feldes
noch Waldes
Mit nur einer Klau 'ihm sich nahte, dass keine Ver -
wesung
Seine Gestalt verderbte, noch Fäulniss die Glieder
versehrte.
Also lag er, von Wodans Schilde bedeckt, neun
Tage.
Mit dem zehnten erschien der treue, wackere Gut -
hart.
Ihn geleiteten zwanzig der tapfersten Diener des
Fürsten.
Diese erhuben die heilige Leiche. Mit traurigem
Pompe
Führten sie sie durch das feindliche Land in das
heimische Eiland.
Keiner der Lechen befehdete sie. Es störete
keiner
Ihren Zug. Sie waren betäubt vom Tode der Fürstin.
39
Als mit den Helden der todte Held in das hei -
mische Eiland
Rückkam, ward ihm sein enges Haus bereitet. Es
ward ihm
Über das enge Haus ein Hügel geschüttet, vor an -
dern
Herrlich und hoch und weit zu schaun. Auf dem
Gipfel des Hügels
Thürmten sie einen gewaltigen Stein. Um den mäch -
tigen wurden
Reiser gepflanzt der heiligen Eich '. Im Antlitz des
Himmels
Wuchsen die Zarten empor zu himmelanrauschenden
Bäumen,
Haben nun tausend Jahr' auf dem Hügel gerauschet.
Noch heute
Rauschen sie, leiser jedoch, mit minderen Zwei -
gen, mit ärmerm
Laube, mit berstendem Stamm ', und erdwärts sin -
kendem Wipfel.
Eich ', auch deine Kraft neigt sich zu Grabe.
Bald wirst du
Staub seyn. Hügel, du wirst zur Kluft einsinken.
Dich selber,
Mächtiger Quarz, auch dich wird der Zahn zer -
malmen der Zeiten!
40
Alles vergeht. Es vergeht der Held und des Helden
Denkmal.
Hügel des weissen Gesteins, der tausendjährigen
Eiche
Grauer Nährer, du wölkst mit Wehmuth die Seele.
Mir rieseln
Thränen die Wangen hinab, mit den Tropfen des
thauenden Spätroths.
Alles vergeht! Es vergeht der Held und des Helden
Denkmal.
Ach, nicht trösten würd 'ich mich können; in -
ssigem Grame
Würd' ich vergehn, und rosten lassen die Harf 'an
der Eiche,
Rauschte die Leyer Homers mir nicht durch den
ewigen Lorbeer,
Lispelte nicht aus verwitternden Eichen die Harfe
von Cona:
Alles vergeht! Es vergeht der Held und des Hel -
den Denkmal.
Aber die Stimme des Liedes mag nimmer verhallen,
verklingen,
Nimmer der Saiten Klang, die Phöbos weihet' und
Braga!
41

Frühgesang.

Der Aufgang flammt. Der Abend steht düsterblau.
Im klaren Äther schwimmet erblasst der Mond;
Denn schon erblühn Aurorens Wangen,
Thauend und frisch, wie die deinen, Rosa!
Erwacht, ihr Leben alle! Lobsingt dem Herrn!
Lobsing 'ihm, Lerche, Drossel und Nachtigall!
Brüllt euern Dank ihm, satte Heerden!
Wiehert ihm Rosse! frohlockt ihm, Adler!
Neig 'ihm die Häupter, wallender Aehrenwald!
Hauch' ihm Gerüche, thymianreiche Flur!
Erduftet, Wiesen! flistert, Hayne!
Rieselt, ihr Quellen, und donnre, Weltmeer!
42
Erwach 'in deiner Schöne, Holdselige!
In deiner Strahlenfülle, Goldlockige!
Erwach' und schüttle, Sonne Gottes,
Segnend den Thau aus den goldenen Locken!
Schau, sie erwacht! Wie lächelt die Freundliche!
Wie glüht ihr Mutterantlitz! Wie liegt die Erd '
Anbetend vor ihr, schauert Düfte,
Wimmert Entzücken, und jauchzet Freude!
Kraft meines Geistes, schwinge dich, Ewige!
Schlag meines Herzens, schlage gewaltiger!
Rauscht fey'rlich, meine frommen Saiten!
Mehret den Jubel der Morgenschöpfung!
Wem tönt mein unentheiligter Frühgesang?
Wem flammt die Flamme meiner entbrannten Brust?
Urschöner dir, und deiner Schönheit
Lichtestem, holdestem, hellstem Abglanz!
Wem weih 'ich diese trauten Vergissmeinnicht?
Die erste, Unvergesslicher, weih' ich dir!
Die zweyte deines reinen Odems
Reinster, unsträflichster, schönster Tochter!
43

Die Erscheinung.

Ich lag auf grünen Matten,
An klarer Quellen Rand.
Mir kühlten Erlenschatten
Der Wangen heissen Brand.
Ich dachte diess und jenes,
Und träumte sanftbetrübt
Viel Süsses mir und Schönes,
Das diese Welt nicht giebt.
44
Und sieh, dem Hayn entschwebte
Ein Mägdlein sonnenklar.
Ein weisser Schleyer webte
Um ihr nussbraunes Haar.
Dem hellen Aug 'entglänzte
Des Äthers reinstes Blau.
Die frischen Wangen kränzte
Die schönste Rosenau.
Um ihre Lippen schwebte
Ein Lächeln hold und gut.
An ihren Wimpern bebte
Der Thau der Wehemuth.
Ihr Auge mild 'und thränend,
So wähnt' ich, meinte mich
Wer war, wie ich, so wähnend!
So selig, wer, wie ich!
Ich auf, sie zu umfassen
Und ach! sie trat zurück.
Ich sah sie schnell erblassen,
Und trüber ward ihr Blick.
Sie sah mich an so innig,
Sie wies mit ihrer Hand
Erhaben und tiefsinnig
Gen Himmel, und verschwand.
45
Fahr wohl, fahr wohl, Erscheinung!
Fahr wohl! Ich kenn 'dich wohl!
Und deines Winkes Meinung
Versteh' ich, wie ich soll!
Kein Lieben und kein Loben
Verdient der Erde Tand.
Nur droben strahlt, nur droben
Der Liebe Vaterland!
46

An Odalia.

Unser Leben verwallt, meine Odalia!
Unser Jubel erstummt, unser Gejammer schweigt,
Wie ein Lächeln im Antlitz,
Wie ein Ächzen in weiter Luft.
Tage schmelzen wie Schnee, Monden wie Schlossen
hin;
Jahre schwinden wie Hauch. Wieder verrollt ist eins,
Eins der schönsten, Geliebte,
Die mir schwanden im Schwung der Zeit.
47
Dich, Odalia, dich führte das freundliche
Schon verscheidende Jahr mir in den heissen Arm,
Dich, du Reine und Milde,
Dich, du holde Vertrauliche!
Manches selige mal sah es mich frey und froh,
Dir und Rosen am Arm, wandeln auf stiller Flur,
Zwischen Blumen des Frühlings,
Zwischen Herbstesverwelkungen.
Manches leise Gefühl färbte die Wange dir;
Manches dämmernde Weh trübte dein blaues Aug '.
Säusel fassten dich, Milde!
Stürme Gottes mich Wilderen!
Selten haucht 'ich es aus, was mir den Busen hob;
Selten riss es sich los, was mir im Herzen rang.
Denn ich hass', es zu sagen,
Was der Rede zu mächtig ist.
Ohne Red 'und Gesang fasst uns der Edlere.
Auch mit Red' und Gesang fasst uns der Rohe nicht.
Gleichbesaitete Herzen
Ahnden, suchen, erkennen sich.
48
Schweigend sass ich bey dir, meine Odalia;
Stumm und schweigend bey dir unter dem Bogengang,
Im Gedämmer des Abends
Im wehmüthigen Mondenschein.
Schweigend stand ich bey dir unter den grausenden
Burggewölben. Ihr wart, grausende Trümmer, mir
An Odaliens Busen
Ein krystallenes Feyenschloss.
Schweigend sahest du mich, moosiger Golchaberg,
(Durch den herbstlichen Flor weinte die bleiche Sonn ')
Sahst mich glühend und schweigend
In Odaliens Armen ruhn.
Denk, Odalia, mein, wenn du auf Fluren wallst,
Wo ich wallte mit dir, unter dem Bogengang,
Durch die Flieder des Schlosses,
Auf dem heiligen Golchaberg.
Denk, Odalia, mein, bis du dich selbst verlierst,
Bis der Räuber dein Herz raubet, dem keins entrann:
Dann vergiss mich, Geliebte;
Denn ich hass 'es, der Zweyte n.
49
Mehr, denn starrenden Frost, hass 'ich den lauen Sinn.
Warm und weich ist mein Herz, trotzig und stolz
zugleich,
Tauscht nur Flammen um Flammen,
Wechselt Freundschaft um Freundschaft nur.
Innig gibt es sich hin, wo man sich wiedergibt,
Schauert plötzlich zurück, fühlt es die Gluth verkühlt,
Bricht demantene Ketten,
Wie du Fäden versengst und brichst.
Dennoch will ich an dich denken, und bist du gleich
Längst erkaltet, noch lang deiner Vortrefflichkeit,
Deiner Tugend und Schöne
Mich erinnern, Odalia.
Sey glückselig! Was ist wahre Glückseligkeit?
Reines Herzens zu seyn! schauen mit Ruheblick
In die Tage, die waren,
Und in jene, die künftig sind.
Sey glückselig! Was ist Menschenglückseligkeit?
Vollen Herzens zu seyn, offner und treuer Brust!
Thränen tauschen um Thränen,
Lieb 'um Lieben, und Gluth um Gluth!
2 D
50
Sey glückselig! Was ist Wonne des Edleren?
Die glückselig zu sehn, welche ihm theuer sind!
Diess - und jenseit der Urne
Sey glückselig, Odalia!
51

An Kiesow's Fluren.

Seyd mir gegrüsst, ihr grünenden Gefilde!
In euch wird mir so traurig wohl!
Mein trotzig Herz zerschmilzt in eurer Milde,
Des Busens Leere strömt so voll!
In euren freyen weiten Räumen
Erweitert sich mein Geist, umfängt die ganze Welt
Mit Liebe, wieget sich in Paradiesesträumen,
Und fühlt sich wieder Mann und Held!
Krystallne Bäche, dichtbebuschte Höhen,
Ihr Gärten sonder Kunst und Prunk,
Ihr stillen himmelklaren Seen,
Du holde Haynesdämmerung,
Ihr feyerlichen Tannenwälder
Voll Rauschens des Allgegenwärtigen,
Grasreiche Triften, saatengrüne Felder
Voll Segens des Allliebenden;
D 2
52
O welche Ruh, o welcher tiefste Friede,
Umsäuselt mich in eurem Schooss!
Ihr heilt des Wallers Lebensmüde,
Und söhnt ihn aus mit seinem Thränenloos.
Der erste Strahl der froherwachten Sonne
Küsst mich zu jungen Freuden wach,
Und ein Geflecht von ächter Lebenswonne
Umschlingt den vollgenossnen Tag.
O, möchte doch der Abend meiner Tage
In euren Schatten mir verwehn!
In euren Schatten wehmuthvoller Klage,
Mir meine Sonne niedergehn!
O, wehte wenigstens auf meinen Aschenhügel
Der Herbstwind euer röthlich Laub,
Und mischete des Sommerhauches Flügel
Mit eurem stillen Staube meinen Staub!
53

An Dieselben. (Zehn Jahre später gedichtet.)

Verkläre deinen Schleyer,
O herbstliche Natur!
Erschein 'in deiner Feyer,
O meine Lieblingsflur!
Entwölket euch, ihr Felder,
So freundlich, lieb und hold!
Erglänzt, erglänzt, ihr Wälder,
Im Abendsonnengold.
54
Ihr ewiggrünen Matten,
Ihr sanfgewölbten Höh'n,
Ihr düstern Tannenschatten,
Ihr spiegelklaren See'n,
Ihr kalmusreichen Wiesen,
Ihr Hayden, braun und wüst,
O seyd, seyd mir gepriesen,
Seyd herzlich mir gegrüsst!
Ich seh ', ich seh' euch wieder;
Und wie ich euch verliess,
So find 'ich ganz euch wieder,
So freundlich, lieb und süss.
Ihr dämmert noch so schaurig,
Ihr jubelt noch so laut,
Ihr lispelt noch so traurig,
Und schattet noch so traut!
Ihr seht, ihr seht mich wieder;
Und wie ihr sonst mich saht,
So seht ihr ganz mich wieder
An Art und Kraft und That.
Mein Herz ist noch so offen,
So schwärmend und so wild,
Mein Sehnen und mein Hoffen
Noch immer unerfüllt.
55
Ihr friedenvollen Felder,
Ihr thauberauschten Au'n,
Ihr feyerlichen Wälder,
Durchweht von heilgem Graun,
Umweht, umweht den Müden
Mit eurer tiefen Ruh,
Und lispelt euren Frieden
Dem heissen Schwärmer zu.
Auf euren braunen Hayden,
Im Busch, im Bruch, am Bach
Verschwärmen und vergeuden
Den langen Sommertag;
Beschirmt von euren Bäumen,
Gestreckt auf duftend Moos,
Die laue Nacht verträumen
O neideswerthes Loos!
O, nehmt in eure Wonne
Den müden Waller auf!
Es endet schon die Sonne
Den hohen Heldenlauf.
Der braune Abend schleyert
Den Forst, die Flur, die Fluth.
Die matte Schöpfung feyert,
Und alles Leben ruht.
56

An Rosa.

Warum bist du nicht hier, meine Geliebteste,
Dass mich gürte dein Arm, dass mich dein Händedruck
Labe, dass du mich pressest
An dein schlagendes Schwesterherz.
Rosa, bist du mir hold? Rosa, so hold, wie ich,
War dir keiner, und wird keiner dir wieder seyn
Von den Söhnen der Erde,
Von den Söhnen Elisiums.
57
Wärmer, Rosa, fürwahr, wärmer und zärtlicher
Könnte nimmer für dich schlagen mein fühlend Herz,
Hätt 'Ein Schooss uns geboren,
Hätt' uns einerley Brust gesäugt.
Matte labet der Quell, Müde der Abendstern,
Irre Wandrer der Mond, Kranke das Morgenroth;
Mich erlabet, Geliebte,
Dein Umfangen am kräftigsten.
Warum bist du nicht hier, meine Vertrauteste,
Dass dich gürte mein Arm, dass ich dir süssen Gruss
Lispl 'und feurig dich drücke
An mein schlagendes Bruderherz.
58

An Dieselbe.

Rosa, denkst du an mich? Innig gedenk 'ich dein.
Durch den grünlichen Wald schimmert das Abend -
roth,
Und die Wipfel der Tannen
Regt das Säuseln des Ewigen.
Rosa, wärest du hier, säh 'ich ins Abendroth
Deine Wangen getaucht, säh' ich vom Abendhauch
Deine Locken geringelt
Edle Seele, mir wäre wohl!
59
Lieber lehn 'ich an dir, als an der Einsamkeit
Trautem Busen. Mir klingt süsser der Flötenton
Deiner klagenden Stimme,
Als das Säuseln im Tannenhayn.
Oft umfingest du mich, meine Holdselige,
Mit vertraulichem Arm, wenn ich an deiner Brust
Melancholischen Frieden,
Schwärmens müde, mich rettete.
Jedes leisere Weh, jedes verschwiegne Ach,
Das den Busen mir presst, haucht 'ich dir öfter aus,
Schöpfte freyeren Odem,
Klomm' heroischer felsenan.
Nie soll darum ein Freund meiner holdseligen
Rosa mangeln, und nie Milderung ihrem Gram!
Nie sey trostlos ihr Leiden,
Ihre Urne nie blumenleer!
60

Die Täuschung.

Im Erlenbusch, im Tannenhayn,
In Sonn - und Mond - und Sternenschein
Umlächelt mich ein Bildniss.
Vor seinem Lächeln klärt sich schnell
Die Dämmerung in Himmelhell,
In Paradies die Wildniss.
Es säuselt in der Abendluft,
Es dämmert in dem Morgenduft,
Es tanzet auf der Aue.
Es flötet in dem Wachtelschlag,
Und spiegelt sich im klaren Bach,
Und badet sich im Thaue.
61
Es naht in holder Traulichkeit
Sich mir in tiefster Dunkelheit
So schüchtern und so leise.
Es lullt mich wohl in sanfte Ruh,
Und haucht im Schlaf mir Träume zu
Von wundersüsser Weise.
Ich öffn 'ihm sehnend meinen Arm,
Und streb', es traut und liebewarm
An meine Brust zu drücken.
Ich hasch ', und hasche leere Luft.
Und nichtig, wie ein Nebelduft,
Entwallt es meinen Blicken.
Wer bist du, holdes Luftgebild,
Das engelhold und engelmild
Mit Schmerz und Lust mich tränket?
Bist du ein Bothe bessrer Welt,
Der mich aus diesem öden Feld
In seine Heimath winket?
O fleug voran! Ich folge dir.
Bey dir ist Seligkeit, nicht hier.
Sprich, wo ich dich erfasse,
Und ewig dicht an dich geschmiegt,
Und ewig fest an dich gefügt,
Dich nimmer, nimmer lasse!
62

Die Wehmuth der Erinnerung.

Schöner herbstlicher Tag, dunkel und schön zu -
gleich,
Welches ahnende Weh, welche Melancholie
Weckt dein traurendes Lächeln
In des Wandrers empörter Brust!
Welk ist jegliches Grün. Jeder Gesang ist stumm.
Jeder Schimmer erblasst, jeglicher Saft versiegt.
Laublos trauren die Bäume,
Schmucklos jammert die Blumenflur.
63
Wenig schwirrendes Laub, golden und bunt schattirt,
Wenig welkendes Laub schmücket die Laube noch,
Wo ich träumend und wähnend
An Odaliens Busen lag.
Abend war es. Der Mond flimmerte durch das
Laub.
Blüthen bebten im Thau. Düfte umwallten uns.
Blühender, duftender, schöner
Sass Odalia neben mir.
Hingesunken an sie, innigst geschmiegt an sie
Träumt 'ich seligen Traum, schmolz in Vergessen -
heit,
Bis das Flistern der Blätter
Mich dem seidenen Traum entriss.
Itzund flistern sie nicht. Jedes Gelispel schweigt;
Jeder Jubel verhallt; jedes Gedüft verweht.
Schlaff ist jegliche Sehne,
Leer der Köcher der Schöpferin.
Jede Blüthe verblüht, welche der Lenz gebar,
Jede Schöne verwelkt, welche dem Staub 'ent -
spross.
Doch die schönere Seele
Blüht unsterblichen schönen Lenz.
64
Ewig jugendlich blüht meine Odalia,
Jeden kehrenden Lenz schöner und blühender,
Jeden rollenden Äon
Reiner, edler, vollkommener.
Ewig flammet die Gluth heiliger Sympathie.
Nie ermattet der Zug, welcher mich zu dir zog,
Meine Reine, als Ahnung
Deines Werthes mein Herz ergriff.
65

Des Siechen Flehgesang.

Auf welchen Fluren wandelt Odalia?
In welchen Lüften athmet die Herrliche?
Wo trinkt ihr dunkelblaues Auge
Friedlich und liebend das Licht des Himmels?
O komm 'in deiner rührenden Mädchenhuld!
In deiner herzgewinnenden Milde, komm!
In meinen Adern lodern Flammen;
Blitze durchzücken die siechen Schläfe.
2 E
66
O komm 'in deiner freundlichen Innigkeit!
In deiner unentheiligten Reine, komm'!
Denn deine Stirn 'umleuchtet Ruhe,
Heilung entträufelt den Honiglippen.
Ein Augenblick Hinsinkens an deine Brust,
Ein Augenblick Umschlingens von deinem Arm,
Erlabt mich, wie dein Flügelwehen,
Engel des Heiles und des Genesens.
67

Das Erwachen.

Schau, der Morgen erwacht über der Winterwelt.
Lunens Silber erbleicht; Phosphoros Gold erlischt;
In den Locken der Eos
Welkt der duftende Rosenkranz.
Luna, warum so blass? Eos und Phosphoros,
Wie so eilig zur Flucht? Säumet, o säumet noch!
Hellt Odaliens Fenster!
Winkt: Erwache! der Schlummernden!
Oda, Oda erwach! Siehe die Morgenwelt
Jauchzt im Schimmer des Tags. Luna und Phosphoros
Und die rosige Eos
Säumen, Lächelnde, dich zu schaun!
E 2
68
Oda, Oda erwach! Hört sie des Sängers Ruf?
Leise regt sich ihr Mund; leiser ihr Arm. Sie
schlägt,
Schau, die leuchtenden Augen
Gleich zwei schwellenden Himmeln auf.
Höher schwillt ihr die Brust; lauter erklopft ihr
Herz.
Wem erklopft es? Es klopft, Vater der Leben,
dir,
Der den Morgen mit Rosen,
Der mit Strahlen den Mittag lockt.
Leise Wehmuth bewölkt ihren gesunknen Blick.
Sehnsuchtseufzer entwehn ihrer gehobnen Brust.
Ach, sie wehn dem Beglückten,
Den ihr schweigendes Lieben meint.
Oda, Oda! und Ihm steiget 'dein Busen nicht,
Oder steigt ihm so spät, der von dem Dämmerstrahl
Des ergrauenden Morgens
Bis zur schattenden Nacht dein denkt?
Dieses spätere Ach, wähnst du, genüge mir?
Dieser flüchtige Blick? Laue, ich hasse dich!
Ich verachte den Handdruck,
Der der zögernden Hand entfährt.
69
Unmuth wandelt mich an, dumpfe Erbitterung,
Menschenfeindlicher Grimm Schau, ich zerreiss
den Kranz,
Der die Stirne mir schattet,
Und zerschmettre mein Saitenspiel.
Dunkel wölke den Tag, der mich gebären sah!
Rückzukehren zu mir, schwingt er den Fittig
schon.
Aber Dunkel umrolle,
Hagelwetter umrassle ihn!
Also sang ich und schwieg. Meine verstummende
Harf 'entbebte der Hand. Luna und Phosphoros
Dauchten Rachekometen,
Und das Frühroth mir Weltenbrand.
Schau, da lächelte mir durch der Melancholie
Starres Dunkel dein Bild, meine Odalia.
Wehmuth wölkte dein Auge;
Klag 'entbebte dem Rosenmund.
Warum, Sohn des Gesangs, warum ergrimmst du
mir?
Klag 'Odalia nicht, klage das Schicksal an,
Das demantene Riegel
Zwischen dich und dein Mädchen schob!
70
Oda, Oda vergib! Wusst 'ich es doch, dass nicht
Dein tieffühlendes Herz, dass das Verhängniss dir,
Meinem Arm zu entstreben,
Meinem Kuss zu entfliehn, gebeut.
Dennoch trauert mein Geist, dennoch umschattet
mich
Nie versiegender Gram, dass mit Titanenarm
Dich das eiserne Schicksal
Meinem sträubenden Arm entriss.
71

An Molly.

Riesle, riesle, mein Gesang,
Auf des Wohllauts Silberwellen!
Voll, wie voller Herzen Drang,
Sanft, wie sanfter Busen Schwellen,
Süss, wie Turteltaubenach
Und Sulvinens Nachtigallschlag.
Werde Morgendämmerung,
Trübsinn, welcher mich umnachtet!
Wehe mir Begeisterung,
Liebesgeist, der mich durchschmachtet!
Heute will ich fröhlich seyn,
Will mich meiner Molly freun.
72
Molly, Molly, Liebliche,
Reine duftende Narcisse,
Ungesonnte Lilie,
Unentadelte Melisse,
Heute, Traute, will ich dein,
Will mich deiner Schöne freun:
Deines Blickes sanft und klar,
Deines Handdrucks warm und herzlich,
Deines Ausdrucks treu und wahr,
Deines Kusses, süss und schmerzlich,
Deines Geistes, engelhold,
Hell wie Tag, und ächt wie Gold.
Rosa, reiche mir den Arm!
Lass uns hin zu Molly fliegen!
Lass uns innig, lass uns warm
Uns an ihren Busen schmiegen!
Molly ist nicht dein allein;
Molly, Rosa, ist auch mein!
Ach, und hielte Finsterniss
Mein Verhängniss nicht umflügelt,
Wäre mir zum Paradies
Nicht das goldne Thor verriegelt
Wahrlich, Rosa, mehr als dein
Sollte Molly meine seyn.
73
Sage, meine Liebliche,
Meine Süsse, meine Reine,
Meine Sehnsuchtswürdige,
Meine auserwählte Eine,
Sage: wolltest wohl nicht mein,
Wohl nicht ganz die Meine seyn?
Wolltest mit dem lieben Arm
Mich wohl treu und fest umfassen?
Mit mir theilen Lust und Harm,
Einst an meiner Brust erblassen,
Mir zur Seite schlafen gehn,
Mir zur Seiten auferstehn?
Rosa, Schwester, komm mit mir.
Lass uns im verschneyten Garten,
Im verstörten Blumrevier,
Blumen, die die Stürme sparten,
Blumen suchen, und daraus
Winden einen trauten Strauss.
Hier ist falber Rosmarin;
Hier ist ein Resedasprössling,
Hier der Myrte Immergrün,
Hier ein später Nelkenschössling.
Rosen und Vergissmeinnicht,
Liebes Mädchen, find 'ich nicht.
74
Wüsst 'ich, dass im Tannenthal,
In des Golchaberges Gründen,
Auf dem alten Schanzenwall
Noch die wilden Nelken stünden
Dich zu kränzen, Preisliche,
Flög' ich hin durch Eis und Schnee!
Aber ach! der barsche Nord
Hat die Zarten weggeblasen.
Kaum die Stengel, halb verdorrt,
Stehn noch auf dem welken Rasen
Nimm indess von lieber Hand
Dieses apfelgrüne Band.
Lass es dir vom weissen Hut
Um die braunen Locken schwirren,
Oder seine grüne Fluth
An dem hohen Busen girren.
Aber lass sein leises Flehn
Auch nicht unerhört verwehn.
Sieh, es fleht: Gedenke mein,
In des Morgens Rosenschimmer!
In des Mondes blassem Schein,
Wann er seine Silberflimmer
Auf dein einsam Lager giesst,
Einsam deine Thräne fliesst.
75
Wenn die Flur im Abendkühl,
Und im Thaugedüft erschauert;
Wenn wehmüthiges Gefühl
Aus dem Spätroth niedertrauert:
Dann, Geliebte, denk ich dein;
Dann, du Edle, denke mein!
Immer, Theure, denk 'ich dein,
Von des Morgens Dämmerstrahle
Bis sich Gottes Sterne reihn
An des Himmels blauem Saale,
Wann die Mitternacht mich deckt,
Und der Sehnsucht Sturm mich weckt.
Dein gedenkt mein selger Geist,
Wenn ich ausgetrauert habe,
Meinen Staub die Urne schleusst,
Und auf meinem stillen Grabe
Sanft die Abendröthe weint,
Blass und kalt der Vollmond scheint.
Dann wird aus der Lacher Schwarm
Aus der Freude Taumelhallen,
Molly an Rosaliens Arm
Zu dem stillen Hügel wallen,
Schweigend auf ihn niedersehn,
Und dem Schläfer Ruh 'erflehn.
76
Fühlt ihr's nicht, wie leisen Kuss,
Mädchen, eure Wangen rühren?
Wisst, es war mein Genius!
Auch in Edens Blumrevieren
Blüht die Blum 'Erinnerung
Ewig schön und ewig jung!
77

An Sulvina.

Erste der Mädchen, du Edelste Beste,
Traulich, wie flisternde Schatten am Bach,
Treu, wie des Himmels saffirene Feste,
Zärtlich, wie flötender Nachtigallschlag,
Siehe, wie feyern, wie fröhlich, o Beste,
Feyern wir deinen gesegneten Tag!
Dass wir dich haben, und dass du uns liebest,
Dass uns umgürtet dein freundlicher Arm,
Dass du mit uns dich erfreust und betrübest,
Dass du uns lächelst in Lust und in Harm,
Dass du der Tugenden Beyspiel uns giebest
Fühlen wir heute so innig, so warm!
78
Heiter, Geliebte, verwalle dein Leben,
Freundlich, wie Quellengeriesel im Hayn!
Jedem erblassenden Tag 'entschweben
Seelen, wie Engel, so lächelnd, so rein!
Heiss ist dein Ringen, und schön ist dein Streben,
Nützlich und theuer den Deinen zu seyn!
Nützlich, du Edle, und theuer den Deinen,
Wandle die Wallfahrt der Erde hinab!
Ruhe umarm 'dich in kühlenden Haynen,
Frömmigkeit reiche dir Anker und Stab?
Redliche werden den Rasen umweinen,
Welcher einst hüllet dein hüglichtes Grab.
Aber der himmlischen Heimath der Tugend
Schwinget die rechte Sulvina sich zu,
Wandelt dort oben in ewiger Jugend,
Ruhe folgt Thaten, und Thaten die Ruh.
Siehe, sie klimmet von Tugend zu Tugend,
Kräftiger, seliger jegliches Nu.
Liebe, Geliebte, die Himmlische immer.
Lilien welken und Rosen verblühn.
Welten zerfallen in grausige Trümmer;
Sonnen erlöschen und Sterne zersprühn.
Thätige Tugend glänzt ewigen Schimmer;
Nimmer verwelkt ihr unsterbliches Grün.
79

Elegie. An Minona.

Warum bist du so ernst? und warum thauet die
Thräne
Deine glühende Wang ', edeles Mädchen,
herab?
Warum hüllet dich Dunkel, und warum wölket
dich Trübsinn,
Da der Morgen dich weckt, welcher ins
Daseyn dich rief?
Wallen etwa die Schatten der abgeschiedenen Stun -
den
Deine Seele vorbey? Siehst du die flüch -
tige Schaar
80
Deiner Monden und Jahre sich stürzen in drängen -
den Wogen,
In der Vergangenheit alles verschlingendes
Meer?
Rufst du die Freuden zurück, die dir im Schoosse
der Vorzeit
Blühten? Winkst du dem Gram, welcher
dich trübte, zurück?
Lass sie ruhen! Sie sind verschwunden, wie nich -
tige Schatten.
Lass ihn schlummern! Er schläft in der
Vergessenheit Nacht.
Freue dich deiner Jugend. Noch gürtet ihr rosiger
Gürtel
Deine Hüfte; dein Haar ringelt die Freund -
liche noch.
Freue dich deines Seyns; denn süss ist Seyn, und
erfreulich
Ist es zu athmen. Und schön lächelst du,
seliges Licht.
Perlen streuet die Sonn' im Aufgang, Perlen im
Abend.
Freundlich leuchtet der Mond über die
schlummernde Welt.
Lüstern lächelt die Erd 'am Bräutigamsbusen des
Frühlings.
Leise pflücket der Herbst ihre Verwelkun -
gen weg.
81
Feyerlich ruht sie im Leichengewande des blenden -
den Schneees,
Bis sie verjüngt und verschönt wieder den
Gräbern entblüht.
Ja, es ist süss zu athmen auf Gottes herrlich be -
gabter
Schöner Erd'. Es ist Wonne, zu wandeln
auf ihr.
Wonne ist es, zu schaun des Frühlings funkelnden
Brautschmuck,
Wonne zu schauen den Wald glimmen im
silbernen Reif.
Hohe Wonn 'ists zu schaun des Menschen göttliches
Antlitz,
Glühend von tiefem Gefühl, feuernd von
Thatenbegier.
Höhere Wonn' ists, Herzen erobern, am Busen der
Freundschaft
Hoch aufathmen, im Arm liebender Lieb -
linge ruhn.
Aber die höchste der hohen, der seligen Wonnen
ist Wohlthun,
Übung der eigenen Kraft, Leistung der hei -
ligen Pflicht.
Diese Wonne sey dein! In dieser Wonnen Um -
schlingung
Möge dein Leben so hell, meine Geliebte,
verwehn,
2 F
82
Mög 'es vergleiten, wie Mondenschimmer auf spie -
gelndem Meere,
Mög' es verschweben, wie Hauch über den
Saiten verschwebt!
Mädchen, noch trittst du einher im Strahlengewande
der Schönheit,
Leicht, wie ein athmender West, blühend,
wie Blüthe des May's.
Deine Wange beschämt Aurorens glühende Wan -
ge;
Deines Busens Schnee blendet den blenden -
den Schaum,
Welcher den Fluthen entrollt. Der Locken däm -
mernde Nebel
Wallen ringelnd und voll rings um den wöl -
benden Hals.
Flamme des Himmels beseelt dein schimmerrollendes
Auge.
Lautenlispel entquillt deinem Gespräch und
Gesang.
Aber, wie bald, Geliebte, wie bald zerflattert der
Schönheit
Seifenblase! wie bald sinket der nichtige
Schaum!
Jene Rosen sind welk und jene Lilienblüthen
Störte der Sturmwind herab; jenes gerin -
gelte Haar
83
Säuselt in weissen Locken um deine gesunkene
Schläfe;
Jener Schimmer erlischt; jenes Gelispel
erstummt.
Wanderer kommen und fragen: Wo ist die Blume
der Schönheit,
Welche mit Blüthen und Duft schmückte
das funkelnde Feld?
Wandrer, sie ist nicht mehr; sie schläft den eiser -
nen Schlummer.
Ihren schlanken Halm knickten die Stürme;
der Duft
Ihres Kelches zerfloss in die Lüfte des Himmels;
die Blätter
Flattern am Boden verstreut, treiben im
Sturmwind umher.
Also ist das Loos der Erdenschöne gefal -
len.
Blüh 'und welk' und stirb! sprach das
Verhängniss zum Staub.
Trauerst du darum, Geliebte? Nein, traure nicht,
meine Minona!
Sprossen, blühen, verblühn möge die Schöne
des Staubs.
Eine Schöne giebt es, die nimmer verwelkt noch
verduftet.
Eine Jugend, die nie kränkelt, noch altert,
noch stirbt.
F 2
84
Wohlgeübte Kraft giebt unverwelkliche Jugend;
Ihren Aufwand ersetzt jeder erwachende
Tag.
Reine Herzensgüte giebt ewiggrünende Schönheit,
Schönheit vor Menschen und Welt, Schön -
heit vor Engeln und Gott.
Solche Schöne sey dein! Mit solcher Jugend ge -
gürtet,
Siehe mit Ruhe der Zeit rastlosen Flügel -
schwung zu.
Lass die Monde verrinnen, und lass die Jahre ver -
rollen!
Lass sie mit donnerndem Sturz in der Ver -
gessenheit Meer
Niederstrudeln. Die Wirbel des Strudels ergreifen
nur Asche.
Über der stäubenden Fluth schimmert der
ewige Geist.
Lass die Rosen verblühn, und lass die Lilien
welken!
Lass den schimmernden Stern sinken in ewige
Nacht!
Lass die Säulen des Tempels zertrümmern! Die
ewige Seele
Bleibet schön, wie sie war, war sie nur
weise und gut.
O, sey weis 'und gut! Wie könnt' ich dich seg -
nender segnen,
85
Meine Minona, und wie könnt 'ich wohl
edleren Wunsch,
Edlern und brüderlichern in dieses Tages Er -
wachen
Dir zuflistern, als den: Schwester, sey
weise, sey gut!
Weisheit lohnet mit Ruh, umsäuselt mit ewigem
Frieden,
Lächelt, wenn Thorheit verzagt, jubelt,
wenn trümmert das All.
Güte adelt den Menschen zum Engel, verähnlicht
der Gottheit,
Säet auf Hoffnung im Staub', erntet unend -
liche Saat.
86

An Fredegunde.

Von jener Säule, wo sie entschlummert schwebt,
Wo ihre goldnen Saiten der Mond beglänzt,
Wo ihr Vermögen schwirrt im Winde,
Reiche die Harfe mir, Fredegunde.
Bestrahlt des Liedes Flamme die Seele dir?
Weht dir Begeisterungsodem, du Harfensohn?
Willst du der Helden Preise singen,
Oder die Kunden verschollner Vorzeit?
87
Ich will nicht singen Thaten entschlafner Zeit,
Ich will nicht singen schlummernder Helden Ruhm;
Ich will der Freundschaft Preise feyern,
Preise der seligen Geisterfreundschaft.
Dich meines Geistes Freundin vermagst du ganz
Des Wortes Sinn zu fassen? vermagst den Flug
Des Sonnenadlers zu erfliegen?
Dich will ich singen, o Fredegunde!
Wie Hauch in Hauch versäuselt, wie Duft in Duft
Verrieselt, wie Gesang in Gesang verhallt,
Wie Thau in Thau zerschmilzt so schmelzen
Seelen in Seelen von gleichem Wohllaut.
So schmolz, Geliebte, öfter mein Flammengeist
In Eins mit deinem. Öfter an deine Brust
Mich lehnend, hört 'ich meinem Herzen
Deines harmonisch entgegenklopfen.
Verloren ist mir, welche der Ewige
Aus Einem Sonnenstrahle mit mir erschuf.
Verloren ist für mich Sulvina
Aber sie denket noch ihres Dichters.
88
Entschlafen ist mir, welche den Flammenbrand
Des heissen Schwärmers kühlte mit weiser Huld.
Entschlafen ist mir meine Emma
Aber sie liebt mich in bessern Welten.
Noch wacht dein Auge, meine Vertrauliche!
Noch klopft dein Busen, meine Tieffühlende!
Noch darf dein Herz an deines Freundes
Liebendem Herzen harmonisch schlagen!
So lang 'noch glänzt dein Aug', noch klopft dein Herz,
So lang 'noch ungefesselt dein Busen bebt,
Lass mich an deinem friedenvollen
Busen die Stürme des Herzens stillen.
Wer weiss, wie lang 'es währt, so entschläfst auch du,
So nimmt zurück die Erde dein Irdisches,
Und die verwiesne Seele kehret
Selig zurück zur ersehnten Heimath.
Wer weiss, wie lang 'es dauert, so sprengt sein Haus
Der Fremdling in mir, schüttelt die Fesseln ab,
Und schwingt sich jubelnd in die Räume
Seligen Lichtes und süsser Freiheit.
89
Bleicht nicht die Wange Geniusschwüle mir?
Blitzt nicht des Schnitters Sense mir ferneher?
Und schüttelt nicht des Riesen Rechte
Öfter, wie Wirbelwind, deine Feste?
Dess wollen wir nicht trauern, Geliebteste!
Dess sey uns doppelt theuer der Augenblick,
Und doppelt labend jeder Tropfe,
Welcher dem Kelch der Natur entstiebet!
Schon schwingt den Rosenfittig der holde Lenz,
Zu uns zurückzukehren. Wie ringeln ihm
Die krausen Hyazinthenlocken
Über den lilienhellen Nacken!
Wie weht sein Veilchenathem! Wie will ich mich
In seinem Necktarbecher berauschen, will
Mich baden in des Frühroths Wogen,
Und in den Gluthen der Abendröthe!
Will mit den jüngsten Blüthen mich kränzen, will
Mich lagern auf dem seidensten Rasen, will
Mich freun der schönen Erde Gottes,
Bis ich entschlummer 'an ihrem Busen.
90
Und schlummr 'ich ihr am Busen, und regnen nun
Des Spätroths Blumen über mein grünend Grab
Mag seyn! Die ewge Seele badet
Sich in des himmlischen Frühroths Gluthen.
Und dieses Frühroths Hoffnung, und deine Hand,
Der Himmel Huldin, Tugend, geleite mich
Und Fredegunden durch des Lebens
Blumige Au'n, und das Thal des Todes!
91

Elegie An Rosa.

Eine Rose blühte. Sie war die schönste des
Gartens;
Ihre schwellende Brust funkelt 'im perlen -
den Thau;
Ihre Blätter erglühten im Widerscheine des Früh -
roths;
Ihr vollströmender Duft lockte den Wandrer
herbey.
Jünglinge liebten die Holde; des Thales blühendste
Töchter
Hingen zärtlich an ihr, staunten erröthend
sie an
Aber sie welkt'; ihr Purpur verblich, ihr athmen -
der Duftkelch
Lechzte versiegt; verdorrt trieben die Blät -
ter umher.
92
Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge starben;
der Rose
Uranfänglicher Stoff schwebet 'im Äther
umher.
Und es beseelte des Ewigen Hauch den wandelnden
Urstoff,
Hauchete Stimm' und Gesang, Leben und
Lieben ihm ein.
Eine Nachtigal ward er, die liederreichste des
Thales.
Durch die Weiden am Bach flötet 'ihr
schmelzendes Lied.
Liebende wandelten horchend am Bach, und inniger
schlang sich,
Wenn die Sängerin schlug, an den Verlobten
die Braut.
Einen Frühling sang sie. Es welkte der freundliche
Frühling,
Und der Sängerin Lied tönte nicht ferner
am Bach.
Mit den sinkenden Blättern entsank sie dem Aste
des Strauches,
Und zum Äther zurück wallte der flüchtige
Staub.
Frühlinge wurden geboren und Frühlinge welkten.
Noch immer
93
Wallte der Sängerin Staub in dem ätheri -
schen Raum.
Wieder beseelte des Ewigen Odem den wandelnden
Urstoff,
Hauchte lebendigern Hauch, edlere Schön -
heit ihm ein.
Und er reift 'empor zu einer unsterblichen Seele
Leuchtender Hülle, zu dir, edele Rosa,
empor.
Sieh', ein holdes Mädchen entblühte der Asche,
mit jeder
Herzgewinnenden Huld, jeglicher Güte be -
gabt,
Traut, wie Schatten, demüthig, wie Veilchen,
milde, wie Lenzthau,
Rein, wie der Lilie Kelch, süss, wie
Narzissengedüft.
Unter dem Auge des Himmels, und unter des irdi -
schen Vaters
Zärtlichschirmendem Blick knospte das Mäd -
chen empor.
Sechzehn Frühlinge flohn und sechzehn Herbste ver -
welkten.
Jeder kehrende Lenz schwellte den knospen -
den Keim;
Und nun drängte die Blum 'in tausendblättriger
Schönheit
94
Düfteschauernd hindurch, schamhafterrö -
thend hervor.
Ihre Wangen mahlten die leisesten Tinten des Früh -
roths;
Um des Auges Stern ringelte himmlisches
Blau;
Goldner Locken Gewölk umwallte die leuchtende
Stirne.
Leicht, wie Rehe des Hayns, schwebte
die Huldin daher.
Jeglichem rührenden Laut der Lippen entbebet 'Em -
pfindung,
Und aus jeglichem Blick glänzte die Seele
hervor,
Ihre noch reine, noch unentheiligte Seele, des
Schöpfers
Mildester Odemzug, heiter, besonnen und
klar;
Nie verschroben durch Wahn, und nie verfinstert
durch Launen,
Nimmer durch Dünkel entweiht, nimmer
durch Schalksinn entstellt,
Nein, durch Einfalt verschönert, veredelt durch
Liebe zur Tugend,
Und durch Liebe zu dir, Vater des Lebens
und Lichts.
95
Also blühte das Mädchen, und also wallt 'es ge -
räuschlos
Deinen blumigen Pfad, freudige Jugend,
hinab.
Zween Abgründe belauschen die Pfade des wandeln -
den Mädchens,
Dieser der Eitelkeit, jener des falschen Ge -
fühls.
Aber sie täuschten sie nicht. Von Gottes Auge ge -
leitet,
Mied sie die Lockenden, ging graden und
sicheren Pfad,
Dachte, doch ohne zu träumen, empfand doch son -
der Empfindeln,
Fühlt', und handelte mehr, liebte, doch
liebelte nicht,
Liebet 'und wurde geliebt O höchstes, schönstes
der Loose,
Allen geliebet und werth, allen geliebet zu
seyn!
Was beblümet die Pfade des Lebens? Was kühlet
des Pilgers
Brennende Schläfe, was wärmt ihn in er -
starrender Nacht?
Seliglächelnde Freundschaft, du thust es, du reiche -
test Rosen
96
Deinen goldenen Kelch, perlenden Nektars
so voll!
Tochter des Himmels, du führtest dem Mädchen
ein Mädchen entgegen,
Edel und fühlend wie sie, zärtlich und lie -
bend, wie sie.
Und sie gewannen sich lieb mit unvergänglicher
Liebe;
Wandelten Arm in Arm zwischen den Blu -
men der Flur;
Schmolzen Seel 'in Seele bey jedem höhern Gedan -
ken,
Jeglichem schöneren Bild, jeglichem regern
Gefühl;
Spiegelten jegliche sich in ihrer Lieblingin Antlitz;
Übten in jeglicher Kraft, jeglicher Thätig -
keit sich.
Also wallen auf himmlischen Fluren zwey ähnliche
Seelen,
Trinken des nehmlichen Kelchs, kosten der
nehmlichen Frucht,
Also wandelte Rosa an ihrer Amalia Armen,
Bis sie ein heisserer Arm ihrer Umarmung
entwand,
Bis die Myrte des Bundes die goldenen Locken ihr
kränzte,
Und das spätere Band herrisch das ältre
zerriss.
97
Frühlinge blühten und Sommer verreiften und Herbste
verwelkten,
Auf dem Fittig des Sturms stöberten Winter
vorbey.
Und noch wallte, wie eine Erscheinung aus besse -
ren Welten,
Reich an Tugend und That, Rosa auf irdi -
scher Flur.
Hochauf wallte der Duft von ihrer Tugend, zum
Himmel
Rauschte die wogende Saat edeler Thaten
empor.
Ähre, du neigst dein Haupt, vom Segen Gottes
belastet!
Reife Frucht, du entsinkst leise dem be -
benden Ast.
Also neigte sich Rosa, gereift zu besseren Wel -
ten,
Senkte öfter den Blick ruheverlangend
hinab.
Einen schimmernden Jüngling es war der Engel
des Mädchens,
Leuchtender, liebender hat keinen der Him -
mel erzeugt
Sandte der Vater der Geister, die Tochter zu holen.
Er schwebte
Um die Schlummernde her, flisterte zärtlich
ihr zu:
2 G
98
Schwester, komm 'hinweg! Da verrannen, wie
rauschende Wogen,
Ihre Sinne. Hinweg schwanden ihr Erde
und Tag.
Nächtliches Dunkel umdämmert' ihr Aug '. Ambro -
sischer Schlummer
Überwältigte sie, säuselt' in Träume sie
ein,
Goldne Träume von Perlen und Kränzen und Pal -
men von Edens
Nimmererlöschender Lust, nimmerversiegen -
der Ruh.
Mit dem erblühenden Morgen entfloh die entkleidete
Seele.
Ihr Gewand aus Staub ward in die Erde
gesät.
Blumen sprossten empor auf ihren Rasen. Es klag -
ten
Trauerharfen, und sanft thaueten Thränen
hinab
Und wenn meine Harfe nicht dann auf ewig ver -
stummt ist,
Wenn dem Trauernden noch glänzet das
Licht des Gesangs:
Siehe, so raff 'ich mich auf in meinen silbernen
Locken,
Sing' ein heiliges Lied über der heiligen
Gruft,
99
Dass ein Schauer des ewigen Lebens den Rasen um -
rausche,
Und den schlummernden Staub süsserer
Schlummer umfah.
Frühlinge welken zu Hundert, und Herbste verrieseln
zu Tausend;
Reissenden donnernden Stroms strudeln die
Zeiten dahin.
Immer noch schlummert im Busen der Erde die
heilige Asche,
Schwimmt im Sonnenstrahl, wiegt sich in
wogender Luft.
Aber nun hebt aus dem Schoosse der Nacht sich ein
ewiger Morgen
Schön und süss und still, feyerlich, schreck -
lich und hehr.
Gräber schwellen und Urnen gebären; aus rau -
schenden Feldern
Keimt unsterbliche Saat, fluthet zum Him -
mel empor
Welche verklärte Gestalt entblühet der berstenden
Urne?
Schüttelt aus goldenem Haar freudig den
nichtigen Staub?
Rosa, sey mir gegrüsst in deiner unsterblichen Schön -
heit.
G 2
100
Deinem Aug 'entsprühn sterbliche Schimmer
nicht mehr.
Mehr denn Röthe des Aufgangs bestrahlt dir die
leuchtende Wange;
Mehr denn Westgeweh ringelt dein rollen -
des Haar
Rosa, wo schwebest du hin? Durch welche strah -
lende Zonen
Trägt dich dein Sonnenflug, leuchtender
Seraf, empor?
Willst du baden im Strome des Lebens? des himm -
lischen Lichtes
Urquell trinken? des Borns, welcher Vol -
lendete tränkt?
Willst du suchen den Hayn voll silberrieselnder
Quellen,
Wo ins Quellengeräusch jubelt der Seligen
Chor?
Willst du mengen dein jubelndes Lied in die Chöre
der Feyrer,
Dass, wie ihnen, auch dir, Fülle der Se -
ligkeit ward?
Fahre wohl, Geliebte! Nun sind der Endlichkeit
Fluthen
Alle verflossen. Verrollt ist der Vergäng -
lichkeit Bach.
Alle Zeit ist verschlungen, und alles Ende ge -
endet.
101
Jedes Ziel ist errannt, jegliches Kleinod
ersiegt.
Droben ist alles bleibend, und alles daurend, und
alles
Fliegt geraden Flugs Bahnen des Adlers
empor.
Droben wachsen die Töchter der Tugend von Güte
zu Güte,
Klimmen von Kraft zu Kraft, reifen von
Heile zu Heil,
Fallen alle geläutert zuletzt und alle vollendet
Dir in den liebenden Schooss, ewige Schön -
heit, zurück!
102

Des Grabes Furchtbarkeit und Lieblichkeit.

Furchthar ist das Grab!
Kalte Winde sausen,
Dumpfe Schauer grausen,
Gram und Grauen hausen
Um das stumme Grab.
Furchtbar ist das Grab.
Lieblich ist das Grab.
Linde Stille flistert,
Kühler Schatten düstert,
103
Tiefer Friede säuselt
Um das stille Grab.
Lieblich ist das Grab.
Graunvoll ist das Grab.
Ängstlich ist des Grabes Enge,
Seine Breite, seine Länge,
Seine Höhe, seine Tiefe
Messen sieben Schritte ab.
Graunvoll ist das enge Grab.
Lieblich ist das Grab.
Süss und schirmend seine Enge;
Vor dem lästigen Gedränge,
Vor dem gaukelnden Gepränge,
Vor der Thoren bunter Menge,
Rettet seine sichre Enge
Lieblich ist das enge Grab.
Graunvoll ist das Grab.
Sein mitternächtlich Dunkel
Durchblitzt kein Sonnenfunkel,
Durchblinkt kein Abendsternschimmer,
Durchflimmt kein Mondenflimmer.
Mohrenschwarz ist, ach, das Grab!
Lieblich ist das Grab.
Seine Schatten
104
Wehn dem matten
Wanderer Erquickung zu.
Seine Kühle
Lullt die schwüle
Müde Pilgerin in Ruh.
Lieblich ist des Grabes Ruh.
Furchtbar ist das Grab.
Regen rasselt,
Stürme heulen,
Schlossen stöbern
Rings um das wettergegeisselte Grab
Furchtbar, furchtbar ist das Grab.
Lieblich ist das Grab.
Frühlingswinde blasen
Um des Hügels Rasen;
Stille Veilchen spriessen
Zu des Hügels Füssen;
Zu des Hügels Häupten
Blühn Vergissnichtmein.
Luna flimmert,
Hesper wimmert,
Eos röthet
Und Aödi's Klage flötet
Um das grasbegrünte Grab
Lieblich, lieblich ist das Grab.
105
Einsam ist das Grab.
Kein Laut des Lebens,
Kein Tritt des Wandrers,
Kein Gruss des Frohen
Besucht das ewig öde Grab.
Ach, wie einsam ist das Grab!
Einsam ist das Grab.
Der Freude wilde Jubel,
Des Leichtsinns lautes Lachen,
Der Frechheit wüster Reigen
Besuchen nie das Grab.
Aber lebensmüde Weise,
Und der Wehmuth sanfte Töchter,
Und des Liedes edle Söhne,
Wandeln gern, wo Gräber grünen,
Schauen staunend drauf hinab
Nein, nicht einsam ist das Grab.
Fühllos ist das Grab.
Starr und taub und stumm,
Welk und schlaff und dumm,
Des Hoffens Lichtglanz,
Des Ahnens Blitzstrahl,
Des Grämens Wonne,
Des Liebens Wollust
Verloren sind sie für das todte Grab.
Furchtbar, furchtbar ist das Grab.
106
Lieblich ist das Grab.
Allen Hader,
Alle Zwietracht,
Jede Fehde
Begräbt das stille Grab.
Die Feldschlacht brüllt nicht mehr;
Die Brandung braust nicht mehr;
Der Vulkan raucht nicht mehr.
Langen Stillstand,
Tiefen Frieden
Gewährt das ewigstille Grab.
Lieblich, lieblich ist das Grab.
Ewig hüllt das Grab,
Seiner Pforten Riegel,
Wer entriegelt sie?
Seiner Schlösser Siegel,
Wer entsiegelt die?
Seiner Eisenbetten
Diamantne Ketten,
Wann zersprangen sie?
Ring 'deine Hände wund!
Rauf' deine Scheitel kahl!
Wein 'deine Sehkraft aus!
Vertraure deiner Röhren Mark!
Umsonst! Umsonst!
Das Unerbittliche gibt nie zurück.
107
Auf ewig schlingt sein Hungerschlund hinab;
Auf ewig wiederkäu't es seinen Raub.
Grässlich, grässlich ist das Grab!
Warum raufen dein Haar?
Warum verweinen dein Auge?
Warum zerringen die blutigen Hände?
Warum vertrauren dein edelstes Mark?
Feiger, ermanne dich!
Nicht ewig hüllet das Grab!
Monden verwallen,
Jahre verrollen;
Immer noch hüllet das Grab.
Aus den Jahren erschwellen Jahrhunderte,
Aus Jahrhunderten lange Jahrtausende.
Immer noch hüllet das Grab!
Aber nun sind sie verrollt, die hunderte, tausende
alle,
Aber schon schimmert die Berge herüber der Tag
der Vollendung!
Schau, es kreissen die Gräber. Die Särge gebären;
die Urnen
Bersten; der wölkende Staub wird Seele; die
Asche wird Leben.
Jene Enge weitet sich aus zu unendlichen Räu -
men;
Jene Dunkel hellen sich auf zum unendlichen Tage;
108
Jene lange Stille wird unauslöschlicher Ju -
bel;
Jenes öde Schweigen wird nie erschlaffende That -
kraft.
Darum zage nicht, Zager! Ewiglich hüllt nicht
das Grab.
109

Schläfer erwach.

Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, die Pforten des Osten
Önffet der röthliche Morgen,
Streuet Rosen und Krokos
Von der leuchtenden Tochter des Himmels daher
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, die Tochter des Himmels
Öffnet die goldenen Wimper.
110
Freundlich nickt sie,
Liebend blickt sie
Auf die thränenblitzende Flur.
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, wie blitzen die Fluren!
Schau, wie funkeln die Gärten!
Horch, wie lispelts im Hayn!
Jeder wankende Grashalm
Eine Perlenschnur!
Jeder nickende Wipfel
Ein Juwelenstrauss!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Wecket dich nicht der erwachenden Schöpfung
Strömender Frühpsalm?
Nicht das Brüllen der Heerden?
Nicht das Wiehern der Rosse?
Nicht das Bellen der Doggen?
Nicht das Hifthorn der Jagd?
Wecken dich nicht der schlummernden Menschheit
Mächtige Wecker?
Nicht der Durst nach Thaten?
111
Nicht der Liebe Lispel?
Nicht des Ruhms Drommete?
Schläfer, willst du ewig schlafen?
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schläfer erwach!
Schau, die schattenden Wimper
Schlägt Ellwina auf.
Schau, die leuchtenden Augen
Rollt die Holde umher.
Ihre Arme zucken
In die nichtige Luft.
Schwere Seufzer pressen
Ihr beklemmtes Herz.
Bittre Thränen baden
Ihr erlöschend Aug '.
Dir rufen ihre Thränen;
Dich meinen ihre Seufzer;
Dir breitet sie die Arme
Schläfer, willst du ewig schlafen?
Schläfer erwach!
Keine Stimme!
Keine Antwort!
Wohl tief und eisern ist des Todes Schlummer.
112
Er hört nicht die Stimme des Rufers;
Er sieht nicht des Lockenden Winke;
Er fühlt nicht des Weckenden Rütteln.
Die Sonne sinkt und steigt,
Der Mond verreis't und kehrt.
Er liegt und schläft und regt sich nimmer, nimmer
wieder!
113

Ellwinens Klage um Elwill.

Elwill, Elwill, du mein Gram, mein Sehnen,
Mein erwählter, mein verlorner Freund,
Siehst du auch die tausend Jammerthränen,
Die um dich dein traurend Mädchen weint?
Hörst du auch mein mitternächtlich Stöhnen?
Weisst um meines Herzens kranken Schlag?
Oder schweigt den Hallelujahtönen
Deines Edens jedes Erdenach?
2 H
114
Ach verloren, Elwill, ach verlassen
Hast du mich in diesen Wüsteneyn.
Auf der Welt getümmelvollen Strassen
Wandl 'ich künftig einsam und allein.
Leichenfeyer dünkt mich ihr Gepränge.
Ihre Blüthe haucht mir Gräbergraus,
Und des Lebens fürchterliche Länge
Dehnt sich mir zu Ewigkeiten aus.
Elwill, Elwill, wo sind nun die Stunden,
Die ich dir am Busen selig lag?
Wie ein Morgentraum sind sie verschwunden,
Sind verrieselt, wie ein Regenbach.
Elwill, Elwill, wo sind nun die Wonnen,
Die ich mir in deinem Arm verhiess?
Früh verflattert sind sie, schnell verronnen,
Wie ein Dunstbild, das der Sturm zerriss.
All getäuscht ist nun mein irdisch Hoffen.
Meine Saaten sind im Keim erstickt.
Meine Blüthen sind vom Hagelschlag getroffen;
Meine Halme hat der Nord geknickt.
Wie die Rebe, die der Ulm umranket,
Wenn der Blitz den hohen Ulm zerbrach,
Stützelos mit ihm zu Boden schwanket,
Schwank 'ich dir, du Frühgefallner, nach.
115
Hochverrath bedünkt mich Erdenfreude;
Frecher Frevel däucht mich froher Scherz.
Welkes Laub ist meine Augenweide;
Dürres Blätterrascheln labt mein Herz.
Meinem Gram hab 'ich den Ring gegeben,
Den ich dir zu geben am Altar
Und mein Leben mit dir durchzuleben,
Träumt', und träumend, ach, so selig war!
Wenn der Morgen meine Wände röthet,
Grüss 'ich ihn mit thränendunkelm Blick.
Wenn das Spätroth in mein Fenster flötet,
Träum' ich in die Vorzeit mich zurück.
Wenn der Mitternacht wehmüthge Hülle
Mich auf meinem Thränenlager hüllt,
Fantasier 'ich mich in jene Stille,
In die Nacht hinunter, die dich hüllt.
Schlummre sanft in deiner Schlummerstätte,
Mein Geliebter, schlummre sanft und süss,
Bis die gräbersprengende Drommete
Dich entruft der tiefsten Finsterniss.
Dein vergessen werd 'ich nimmer, nimmer,
Bis mein Geist die Schale Lethens trinkt;
Dein gedenken werd' ich immer, immer,
Bis dein Schatten meinen zu sich winkt.
H 2
116
Hoffnung, ach, des Wiederauferstehens
An der Allvollendung grossem Tag,
Süsse Hoffnung jenes Wiedersehens,
Nie verbittert durch der Trennung Ach
Reich 'mir, Sel'ge, deinen Lilienstengel
Auf des Lebens schwülem Wallertag,
Bis ich einst, gereift zum hellen Engel,
Meinem Elwill nach mich schwingen mag.
117

Die Erscheinung.

Schaurig ist die Nacht.
Nasskalt haucht der Herbstwind
Über die falbe Stoppel.
Mühsam rollt der Vollmond
Durch zerrissne Wolken
Seine Silberscheibe.
Schaurig ist die Nacht!
Schaurig ist die Nacht.
Wie heult es auf der Hayde!
Wie pfeift es durch die Stoppel!
Wie sausen die Tannen!
Wie flisterts im Haselbusch!
Schaurig ist die Nacht.
118
Warum sträubt sich mein Haar?
Warum schüttelt mich Grauen?
Ists nur Blättergeflister,
Was die Haseln durchschwirrt?
Ists nur Säuseln der Tangeln,
Was die Tannen durchschwirrt?
Schau!
Am fernen Hügel
Hebt sichs, wie Flamme,
Flattert über die Hayde;
Wandelt näher im Nachthauch
Nachtsohn, wer bist du?
Bist du Mondengeflitter?
Bist du streifender Schatten?
Bist du täuschender Irrschein?
Rede, Nachtsohn, wer bist du?
Und kennet Telynhard, des Liedes Sohn,
Nicht Elwill mehr, den frühgewelkten Jüngling?
Der Neumond sah mich blühn in meiner Kraft,
Der Halbmond flimmert 'auf mein Sterbelager,
Noch weint der Vollmond auf mein frisches Grab
Und Telynhard, des Thränenliedes Sohn,
Der Gräber Freund, der Geister Liebling, kennet
Nicht Elwill mehr, den frühgewelkten Jüngling?
119
Elwill, Elwill, bist du's?
Frühgewelkter, woher
Rauscht dein einsamer Flug?
Rede, Elwill, woher?
Von jenem Lande komm 'ich hergeschwebet,
Von welchem Kunde nie dem Staube scholl,
Von welchem Antwort nie den kühnen Frager
Rechtfertigte drum frage, Telynhard,
Nicht nach dem Lande mich, dem ich entschwebe.
Elwill, ist dir wohl
In deinem fernen Lande?
Deiner Trümmer wohl
In ihrer engen Klause?