PRIMS Full-text transcription (HTML)
Letzte Gaben
Letzte Gaben.
Nachgelassene Blätter
[figure]
Hannover. Carl Rümpler.1860.

Druck von Auguſt Grimpe in Hannover.

Inhalts-Verzeichniß.

Gemüth und Leben.

  • Seite
  • Das Wort1
  • Halt feſt! 2
  • Carpe diem5
  • Durchwachte Nacht7
  • Mondesaufgang10
  • Der Mittelpunkt der Welt12
  • Grüße15
  • Doppeltgänger18
  • Im Graſe20
  • Die Golem22
  • Spätes Erwachen24
  • Stille Größe27
  • Gemüth31
  • Die todte Lerche34
  • Unter der Linde36
  • Meine Steckenpferde41
  • Der Dichter43
  • Seite
  • Der Abſchied45
  • Das Bild50
  • Sylveſter-Abend55

Erzählende Gedichte.

  • Das erſte Gedicht61
  • Gaſtrecht66
  • Mutaſſin69
  • Der Nachtwandler72
  • Das verlorne Paradies75
  • Der ſterbende General78
  • Volksglauben in den Pyrenäen81
    • 1. Sylveſterfey81
    • 2. Münzkraut85
    • 3. Loup Garou88
    • 4. Maiſegen92
    • 5. Höhlenfey97
    • 6. Johannisthau100

Denkblätter.

  • An Philippa105
  • An ***106
  • Das einzige Kind108
  • Schloß Berg109
  • An meine Mutter115
  • An Eliſe116
  • An ***117
  • An den Freiherrn von Madroux119
  • Seite
  • Die Mutter am Grabe120
  • An Ludowine123
  • An Joſeph von Laßberg124

Klänge aus dem Orient.

  • 1 20127 141
  • Die Judenbuche, Erzählung145
  • Bilder aus Weſtphalen231

Gemüth und Leben.

[1]

Das Wort.

Das Wort gleicht dem beſchwingten Pfeil,
Und iſt es einmal deinem Bogen
In Tändeln oder Ernſt entflogen,
Erſchrecken muß dich ſeine Eil.
Dem Körnlein gleicht es, deiner Hand
Entſchlüpft; wer mag es wiederfinden?
Und dennoch wuchert’s in den Gründen
Und treibt die Wurzeln durch das Land.
Gleicht dem verlornen Funken, der
Vielleicht erliſcht am feuchten Tage,
Vielleicht am milden glimmt im Haage,
Am dürren ſchwillt zum Flammenmeer.
Und Worte ſind es doch, die einſt
So ſchwer in deine Schaale fallen,
Iſt Keins ein Nichtiges von Allen,
Um jedes hoffſt du oder weinſt.
12
O einen Strahl der Himmelsau,
Mein Gott, dem Zagenden und Blinden!
Wie ſoll er Ziel und Acker finden?
Wie Lüfte meſſen und den Thau?
Allmächt’ger, der das Wort geſchenkt,
Doch ſeine Zukunft uns verhalten,
Woll ſelber deiner Gabe walten,
Durch deinen Hauch ſei ſie gelenkt!
Richte den Pfeil dem Ziele zu,
Nähre das Körnlein ſchlummertrunken!
Erſtick ihn oder fach den Funken!
Denn was da frommt, das weißt nur du.

Halt feſt!

Halt feſt den Freund, den einmal du erworben,
Er läßt dir keine Stätte für das Neue;
Läßt, wie das Haus, in dem ein Leib geſtorben,
Unrein das Herz, wo modert eine Treue;
3
Meinſt du, dein ſei der Hände Druck, der Strahl
Des eignen Auges arglos und voll Liebe?
Drückſt du zum zweitenmal, blickſt du zum zweitenmal,
Die Frucht iſt fleckig und der Spiegel trübe.
Halt feſt dein Wort, o feſt wie deine Seele;
So ſtolz und freudig mag kein Lorbeer ranken,
Daß er das Brandmal auf der Stirne hehle,
Die unter’m Druck des Wortes konnte wanken;
Der ärmſte Bettler, ſo ein ehrlich Herz,
Wird wie ein König dir genüber treten,
Und du? du zupfſt den Lorbeer niederwärts
Und heimlich mußt du dein peccavi beten.
Halt feſt den Glauben, laß ihn dir genügen!
Wer möcht ſein Blut mit fremdem Ichor tauſchen!
Verſtoße nicht den Cherub deiner Wiegen,
Aus jedem Blatt wird dir ſein Flügel rauſchen!
Und iſt dein Geiſt zu ſtark, vielleicht zu blind,
In ſeiner Hand das Flammenſchwert zu ſehen,
So zweifle nicht, er wird, ein weinend Kind,
An deinem letzten öden Lager ſtehen.
Und dann die Gabe, gnädig dir verliehen,
Den köſtlichen Moment, den gottgeſandten,
1*4
O feſſle, feſſle ſeinen Quell im Fliehen,
Halt jeden Tropfen höher als Demanten;
Noch ſchläft die Stunde, doch ſie wacht dereinſt
Da deinem Willen ſich die Kraft entwunden,
Wo du verloren ſchwere Thränen weinſt
In die Charybdis deiner todten Stunden!
Vor Allem aber halt das Kind der Schmerzen,
Dein angefochtnes Selbſt, von Gott gegeben.
O ſauge nicht das Blut aus deinem Herzen,
Um einen Seelenbaſtard zu beleben;
Daß, wenn dir einſtens vor dem Golem graut,
Es zu dir trete nicht mit leiſen Klagen:
So war ich, und ſo ward ich dir vertraut,
Unſel’ger, warum haſt du mich erſchlagen!
Drum feſt, nur feſt, nur keinen Schritt zur Seite,
Der Himmel hat die Pfade wohl bezeichnet,
Ein reines Aug erkennt ſie aus der Weite,
Und nur der Wille hat den Pfad verläugnet;
Uns allen ward der Compaß eingedrückt,
Noch keiner hat ihn aus der Bruſt geriſſen,
Die Ehre nennt ihn, wer zur Erde blickt,
Und wer zum Himmel, nennt ihn das Gewiſſen.
5

Carpe diem?

Pflücke die Stunde, wär ſie noch ſo blaß,
Ein falbes Moos, vom Dunſt des Moores naß,
Ein farblos Blümchen, flatternd auf der Haide;
Ach, einſt von Allem träumt die Seele ſüß,
Von Allem, was, ihr eigen, ſie verließ,
Und mancher Seufzer gilt entflohnem Leide.
In Alles ſenkt ſie Blutestropfen ein,
Legt Perlen aus dem heiligtiefſten Schrein,
Bewußtlos, ſelbſt in grauverhängte Stunden;
Steigt oft ein unklar Sehnen dir empor,
Du ſchauſt vielleicht wie durch Gewölkes Flor
Nach Tagen, längſt vergeſſen, doch empfunden.
Wer, der an ſeine Kinderzeit gedenkt,
Als die Vokabeln ihn in Noth verſenkt,
Wer möcht nicht wieder Kind ſein und ſich grauen?
Ja, der Gefangne, der die Wand beſchrieb,
Fühlt er nach Jahren Glückes nicht den Trieb,
Die alten Sprüche einmal noch zu ſchauen?
6
Wohl giebt es Stunden, die ſo ganz verhaßt,
Daß, dem Gedächtniß eine Centnerlaſt,
Wir ihren Schatten abzuwälzen ſorgen;
Doch ſelten ſchickt ſie uns des Himmels Zorn,
Und meiſtens iſt darin ein gift’ger Dorn,
Der Moderwurm geheimer Schuld verborgen.
Drum, wer noch eines Blicks nach oben werth,
Der nehme, was an Lieben ihm beſcheert,
Die ſtolze, wie die Stund im ſchlichten Kleide
Der ſchlürfe jeden ſtillen Tropfen Thau,
Und ſpiegelt drin ſich nicht des Aethers Blau,
So lispelt drüber wohl die fromme Weide.
Freu dich an deines Säuglings Lächeln, freu
Dich an des Jauchzens ungewiſſem Schrei,
Mit dem er ſtreckt die luſtbewegten Glieder;
Wär zehnmal ſtolzer auch, was dich durchweht,
Wenn er vor dir dereinſt, ein Jüngling, ſteht,
Dein lächelnd Kindlein gibt er dir nicht wieder.
Freu dich des Freundes, eh zum Greis er reift,
Erfahrung ihm die kühne Stirn geſtreift,
Von ſeinem Scheitel Grabesblumen wehen;
Freu dich des Greiſes, ſchau ihm lange nach,
7
In Kurzem gäbſt vielleicht du manchen Tag,
Um einmal noch dies graue Haupt zu ſehen.
O wer nur ernſt und feſt die Stund ergreift,
Den Kranz ihr auch von bleichen Locken ſtreift,
Dem ſpendet willig ſie die reichſte Beute;
Doch wir, wir Thoren drängen ſie zurück,
Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück,
Und unſre Morgen morden unſre Heute.

Durchwachte Nacht.

Es ſank die Sonne glüh und ſchön,
Und aus verſengter Welle dann
Wie rauchte nicht das Nebelmeer
Die ſternenloſe Nacht heran!
Ich höre ferne Schritte geh’n,
Die Uhr ſchlägt zehn.
Noch iſt nicht alles Leben eingenickt,
Der Schlafgemächer letzte Angeln knarren;
8
Vorſichtig in der Rinne Bauch gedrückt,
Schlüpft noch der Iltis an des Giebels Sparren;
Matt bin ich, möchte träumen nur;
Eilf ſchlägt die Uhr.
Ob mir das Blut ſo ſiedend fliegt?
Mich dünkt, ich hör der Sphären Summen,
Ein Schweigen, dem das Ohr erliegt,
Dann wieder fernes, dumpfes Brummen;
Doch horch! des Thurmes Glocke wacht;
’s iſt Mitternacht.
Und bange, gleich verhaltnem Weinen, ſteigt
Ein langer Klageton aus den Syringen;
O Nachtigall! ob Thal und Höhe ſchweigt,
Das Dunkel legt verrätheriſche Schlingen;
Ein Käuzlein wacht im Blätterſchmuck des Hains;
Die Uhr ſchlägt Eins.
Jetzt möcht ich ſchlafen, ſchlafen gleich,
Entſchlafen unter Mondeshauch,
Umſpielt vom flüſternden Gezweig,
Im Blute Funken, Funk im Strauch,
Und mir im Ohre Melodey;
Die Uhr ſchlägt Zwei.
9
Wie bin ich aufgeſchreckt; o Jugendbild,
Du biſt dahin, zerfloſſen mit dem Dunkel!
Die unerfreulich graue Dämmrung quillt,
Im Walde irrt ein ängſtliches Gemunkel;
Doch horch, des Hahnes erſter Schrei!
Die Uhr ſchlägt Drei.
Und wieder ruft der Hahn auf’s Neu;
Am Sims die Schwalbe gibt ſich kund,
Der Tauben Schwärme kreiſen ſcheu
Und taumelnd in des Hofes Rund;
Und drunten knarrt des Stalles Thür;
Die Uhr ſchlägt Vier.
Da flammt’s in Oſten auf, gleich Lavagluth
Die Sonne ſteigt, und mit den erſten Strahlen
In Wald und Feldern ſtrömt Geſanges Fluth,
Das Leben quillt aus ſchäumenden Pokalen;
Und wie ein Gletſcher ſinkt der Träume Land
Zerrinnend in des Horizontes Brand.
10

Mondesaufgang.

An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich;
Hoch über mir gleich trübem Eiskriſtalle
Zerſchmolzen ſchwamm des Firmamentes Halle;
Grauſchimmernd lag der See mit leiſem Stöhnen,
Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen?
Es rieſelte, es dämmerte um mich;
Du mildes Licht, ich wartete auf dich.
Hoch ſtand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Aſt und Stamm,
Im Laube ſummte der Phalänen Reigen;
Die Feuerfliege ſah ich zieh’n und ſteigen,
Und Blüten taumelten wie halb entſchlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern ſeliger Vergangenheit.
11
Die Schatten ſtiegen, drängten finſter ein;
Wo weilſt du, weilſt du denn mein milder Schein?
Sie drangen ein wie ſündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge ſchien zu ſchwanken;
Verzitternd loſch der Feuerfliege Funken,
Längſt die Phaläne war zum Grund geſunken;
Nur Bergeshäupter ſtiegen hart empor,
Ein düſtrer Richterkreis im Düſter vor.
Es visperten die Wipfel mir am Fuß,
Wie Warnungsflüſtern oder Todesgruß;
Ein Summen aus des Seees weitem Thale,
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müſſe etwas Rechnung geben
Von todten Pfunden, von verträumtem Leben,
Als ſtehe ein verkümmert Herz allein,
Einſam mit ſeiner Schuld und ſeiner Pein.
Da auf die Waſſer ſank ein Silberflor,
Und langſam ſtieg die Mondesſcheib empor,
Der Alpen finſtre Stirnen ſtrich ſie leiſe,
Und aus den Richtern wurden ſanfte Greiſe;
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Blatte ſah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen ſchien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.
12
O Mond, du biſt mir wie ein ſpäter Freund,
Der ſeine Jugend dem Verarmten eint,
Um ſeine ſterbenden Erinnerungen
Mit zartem Lebenswiderſchein geſchlungen;
Biſt keine Sonne, die ernährt und blendet,
In Feuerſtrömen lebt, im Blute endet,
Biſt, was dem kranken Sänger ſein Gedicht,
Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht.

Der Mittelpunkt der Welt.

Jüngſt haſt die Phraſe ſcherzend du geſtellt:
Wer Reichthum, Liebe will und Glück erlangen,
Der mache ſich zum Mittelpunkt der Welt,
Zum Kreiſe, drin ſich alle Strahlen fangen.
Dein Wort, mein Freund, war wie des Tempels Thür,
Die Inſchrift draußen und das Volksgedränge,
Doch durch die Spalten blinkt der Lampen Zier,
Zieh’n Opferduft und heilige Geſänge.
13
Wo könnte jemals wohl des Glückes Born
Aus anderm als aus eignem Herzen fließen?
Aus welcher Schaale wohl des Himmels Zorn
Als aus der ſelbſtgebotnen ſich ergießen?
O glücklich ſein, geliebt und glücklich ſein!
Möge mein Engel mir die Pfade deuten!
Da ſchrillt des Tempels Vorhang, zart und rein
Hör ich’s, wie Echo durch die Falten gleiten.
Standeſt an einem Krankenbett du je,
Nach wochenlangen ſelbſtvergeſſnen Sorgen?
Hobſt deine ſchweren Wimper in die Höh,
Gerührt zum heißen Dankgebet am Morgen,
Und ſah’ſt auf des Geneſenden Geſicht
Ein neuerwachtes Seelenleben ſchweben,
Und einen Liebesblick auf dich, wie nicht
Ihn Freund und nicht Geliebte können geben:
Hielteſt du je den Griffel in der Hand
Und rechneteſt mit frohem Geiz zuſammen
Die Groſchen, die du ſelber dir entwandt;
Schien jeder Heller dir wie Gold zu flammen,
Des Preiſes für den fremden Sorgenpfühl,
Um den du deine Freuden ſchlau betrogen,
Und haſt in deines Reichthums Vollgefühl
Tief, tief den Odem in die Bruſt geſogen:
14
Und der Moment, wo eine Rechte ſchwimmt
Ob theurem Haupte mit bewegtem Segen,
Wo ſie das Herz vom eignen Herzen nimmt,
Um weinend an das fremde es zu legen,
Haſt du ihn je erlebt? und ſtandeſt dann,
Die Arme ſtill und freundlich umgeſchlagen,
Selig berechnend, welche Früchte kann,
Wie liebliche das neue Bündniß tragen:
Dann biſt du glücklich, biſt geliebt und reich,
Ein Dach, an dem ſich alle Blitze ſpalten;
Dann mag dein Lorbeer welken, mögen bleich
Krankheit und Alter dir die Stirne falten:
Dann biſt der Mittelpunkt du deiner Welt,
Der Kreis, aus dem dir freud’ge Strahlen quillen,
Und was ſo friſch der Bäche Ufer ſchwellt,
Wie ſollte ſeinen Born es nicht erfüllen?
15

Grüße.

Steigt mir in dieſem fremden Lande
Die allbekannte Nacht empor,
Klatſcht es, wie Hufesſchlag vom Strande,
Rollt ſich die Dämmerung hervor,
Gleich Staubeswolken mir entgegen
Von meinem lieben ſtarken Nord,
Und fühl ich meine Locken regen
Der Luft geheimnißvolles Wort.
Dann iſt es mir, als hör ich reiten
Und klirren und entgegenzieh’n
Mein Vaterland von allen Seiten,
Und ſeine Küſſe fühl ich glüh’n;
Dann wird des Windes leiſes Munkeln
Mir zu verworrnen Stimmen bald,
Und jede ſchwache Form im Dunkeln
Zur tiefvertrauteſten Geſtalt.
16
Und meine Arme muß ich ſtrecken,
Muß Küſſe, Küſſe hauchen aus,
Wie ſie die Leiber könnten recken,
Die modernden, im grünen Haus;
Muß jeden Waldeswipfel grüßen,
Und jede Haid und jeden Bach,
Und alle Tropfen, die da fließen,
Und jedes Hälmchen, das noch wach.
Dir, Vaterhaus, mit deinen Thürmen,
Vom ſtillen Weiher eingewiegt,
Wo ich in meines Lebens Stürmen,
So oft erlegen und geſiegt;
Ihr breiten, laubgewölbten Hallen,
Die jung und fröhlich mich geſehn,
Wo ewig meine Seufzer wallen,
Und meines Fußes Spuren ſtehn.
Du feuchter Wind von meinen Haiden,
Der wie verſchämte Klage weint,
Du Sonnenſtrahl, der ſo beſcheiden
Auf ihre Kräuter niederſcheint;
Ihr Gleiſe, die mich fortgetragen,
Ihr Augen, die mir nachgeblinkt,
Ihr Herzen, die mir nachgeſchlagen,
Ihr Hände, die mir nachgewinkt.
17
Und Grüße, Grüße, Dach, wo nimmer
Die treu’ſte Seele mein vergißt,
Und jetzt bei ihres Lämpchens Schimmer
Für mich den Abendſegen liest,
Wo bei des Hahnes erſtem Krähen
Sie matt die graue Wimper ſtreicht,
Und einmal noch vor Schlafengehen
An mein verlaſſnes Lager ſchleicht.
Ich möcht euch Alle an mich ſchließen,
Ich fühl euch Alle um mich her.
Ich möchte mich in euch ergießen,
Gleich ſiechem Bache in das Meer.
O wüßtet ihr, wie krank geröthet,
Wie fieberhaft ein Aether brennt,
Wo keine Seele für uns betet,
Und Keiner unſre Todten kennt!
218

Doppeltgänger.

’S war eine Nacht, vom Thaue wachgeküßt,
Das Dunkel fühlt ich kühl wie zarten Regen
An meine Wange gleiten. Das Gerüſt
Des Vorhangs ſchien ſich ſchaukelnd zu bewegen,
’s war eine Nacht, wo man am Morgen denkt:
Ward Daſein jetzt dir, oder dort geſchenkt?
Mir war ſo wohl und federleicht zu Muth,
So ſchwimmend nun die Wimper halb geſchloſſen;
Verlorne Funken zuckten durch mein Blut,
Von fernen Lauten wähnt ich mich umfloſſen;
’s war eine Nacht, wo man am Morgen fragt:
Hat’s damals, oder hat es jetzt getagt?
Und immer heller ward der ſüße Klang,
Das liebe Lachen, es begann zu ſchwimmen
Wie Bilder von Daguerre die Deck entlang,
Gleich Feuerwürmern ſah ich Augen glimmen,
19
Dann wurden feucht ſie, blau und lind,
Und mir zu Füßen ſaß ein ſchönes Kind.
Das ſah zu mir empor, ſo ernſt geſpannt,
Als quelle ihm die Seele aus den Blicken,
Bald ſchloß es, ſchmerzlich zuckend, ſeine Hand,
Bald ſchüttelt es ſie funkelnd vor Entzücken,
Und horchend, horchend klomm es ſacht heran
Zu meiner Schulter und wo blieb es dann?
O wären’s Geiſterſtimmen aus der Luft,
Die ſich wie Vogelzwitſchern um mich reihten!
Wär Grabesbrodem nur der leiſe Duft,
Der mich umſeufzte aus verſchollnen Zeiten.
Doch nur mein Herz iſt eure ſtille Gruft,
Und meine Heil’gen, meine einſt Geweihten,
Sie leben alle, wandeln allzumal.
Vielleicht zum Segen ſich, doch mir zur Qual.
2*20

Im Graſe.

Süße Ruh, ſüßer Taumel im Gras,
Von des Krautes Arom umhaucht,
Tiefe Fluth, tief, tieftrunkne Fluth,
Wenn die Wolk am Azure verraucht,
Wenn auf’s müde, ſchwimmende Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab,
Liebe Stimme ſäuſelt, und träuft
Wie die Lindenblüth auf ein Grab.
Wenn im Buſen die Todten dann,
Jede Leiche ſich ſtreckt und regt,
Leiſe, leiſe den Odem zieht,
Die geſchloſſne Wimper bewegt,
Todte Lieb, todte Luſt, todte Zeit,
All die Schätze, im Schutt verwühlt,
Sich berühren mit ſchüchternem Klang
Gleich den Glöckchen, vom Winde umſpielt.
21
Stunden, flüchtiger ihr als der Kuß
Eines Strahls auf den trauernden See,
Als des ziehenden Vogels Lied,
Das mir niederperlt aus der Höh,
Als des ſchillernden Käfers Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er durcheilt,
Als der flücht’ge Druck einer Hand,
Die zum letzten Male verweilt.
Dennoch, Himmel, immer mir nur,
Dieſes Eine nur: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht,
Nur für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbigſchillernden Saum,
Jeder warmen Hand meinen Druck,
Und für jedes Glück einen Traum.
22

Die Golem.

Hätt ich dich nicht als ſüßes Kind gekannt,
Mit deinem Seraph in den klaren Blicken,
Dich nicht geleitet in der Mährchen Land,
Gefühlt der kleinen Hände zitternd Drücken:
Ich würde jetzt dich mit Behagen ſehen,
Du wärſt mir eine hübſche, brave Frau.
Doch ach, nun muß ich unter deiner Brau,
Muß ſtets nach dem entflognen Engel ſpähen.
Und du, mit deinem Wort, bedacht und breit,
Dem klugen Lächeln und der Stirne Falten,
Spricht dir kein armer Traum von jener Zeit,
Wo deine Glut die Felſen wollte ſpalten?
Ein braver Bürger biſt du hoch zu ehren,
Ein wahrer Heros auf der Mittelbahn,
Doch, o mein Flammenwirbel, mein Vulkan,
Ach, daß die Berge Mäuſe nur gebären.
23
Weh ihm, der lebt in des Vergangnen Schau,
Um bleiche Bilder wirbt, verſchwommne Töne!
Nicht was gebrochen, macht das Haar ihm grau,
Was Tod geknickt in ſeiner ſüßen Schöne;
Doch ſie, die Monumente ohne Todten,
Die wandernden Gebilde ohne Blut,
Sie, ſeine Tempel ohne Opferglut,
Und ſeine Haine ohne Frühlingsboten!
’S gibt eine Sage aus dem Orient
Von Weiſen, todter Maſſe Formen gebend,
Geliebte Formen, die die Sehnſucht kennt,
Und mit dem Zauberworte ſie belebend;
Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte,
Er ſpricht, er lächelt mit bekanntem Hauch,
Allein es iſt kein Strahl in ſeinem Aug,
Es ſchlägt kein Herz in ſeines Buſens Mitte.
Und wie ſich alte Lieb ihm unterjocht,
Er haucht ſie an mit der Verweſung Schrecken,
Wie angſtvoll die Erinnrung ruft und pocht,
Es iſt in ihm kein Schlafender zu wecken.
Und tief gebrochen ſieht die Treue ſchwinden,
Was ſie ſo lang und heilig hat bewahrt,
Was nicht des Lebens, nicht des Todes Art,
Nicht hier und nicht im Himmel iſt zu finden.
24
O kniee ſtill an deiner Todten Gruft,
Dort magſt du milde, fromme Thränen weinen,
Mit ihrem Odem ſäuſelt dir die Luft,
Mit ihrem Antlitz wird der Mond dir ſcheinen,
Dein ſind ſie, dein, wie mit gebrochnen Augen,
Wie dein ſie waren mit dem letzten Blick;
Doch fliehe vor den Golem, flieh zurück,
Die deine Thränen kalt wie Gletſcher ſaugen.

Spätes Erwachen.

Wie war mein Daſein abgeſchloſſen,
Als ich im grünumhegten Haus,
Durch Lerchenſchlag und Fichtenſproſſen
Noch träumt in den Azur hinaus!
Als keinen Blick ich noch erkannte,
Als den des Strahles durch’s Gezweig,
Die Felſen meine Brüder nannte,
Schweſter mein Spiegelbild im Teich!
25
Nicht rede ich von jenen Jahren,
Die dämmernd uns die Kindheit beut,
Nein, ſo verdämmert und zerfahren
War meine ganze Jugendzeit!
Wohl ſah ich freundliche Geſtalten
Am Horizont vorüberflieh’n;
Ich konnte heiße Hände halten
Und heiße Lippen an mich zieh’n.
Ich hörte ihres Grußes Pochen,
Ihr leiſes Wispern um mein Haus,
Und ſandte ſchwimmend, halbgebrochen,
Nur einen Seufzer halb hinaus.
Ich fühlte ihres Hauches Fächeln
Und war doch keine Blume ſüß!
Ich ſah der Liebe Engel lächeln,
Und hatte doch kein Paradies.
Mir war, als habe in den Noten
Sich jeder Ton an mich verwirrt,
Sich jede Hand, die mir geboten,
Im Dunkel wunderlich verirrt.
26
Verſchloſſen blieb ich, eingeſchloſſen
In meiner Träume Zauberthurm,
Die Blitze waren mir Genoſſen
Und Liebesſtimme mir der Sturm.
Dem Wald ließ ich ein Lied erſchallen,
Wie nie vor einem Menſchenohr,
Und meine Thräne ließ ich fallen,
Die heiße, in den Blumenflor.
Und alle Pfade mußt ich fragen:
Kennt Vögel ihr und Strahlen auch?
Doch keinen: wohin magſt du tragen,
Von welchem Odem ſchwillt dein Hauch?
Wie iſt das anders nun geworden,
Seit ich in’s Auge dir geblickt;
Wie iſt nun jeder Welle Borden
Ein Menſchenbildniß eingedrückt!
Wie fühl ich allen warmen Händen
Nun ihre leiſen Pulſe nach,
Und jedem Blick ſein ſcheues Wenden
Und jeder ſchweren Bruſt ihr Ach.
27
Und alle Pfade möcht ich fragen:
Wo zieht ihr hin, wo iſt das Haus,
In dem lebend’ge Herzen ſchlagen,
Lebend’ger Odem ſchwillt hinaus?
Entzünden möcht ich alle Kerzen
Und rufen jedem müden Sein:
Auf iſt mein Paradies im Herzen,
Zieht Alle, Alle nun hinein!

Stille Größe.

Ich klage nicht den Mann, der fällt
Ein Markſtein dem erkämpften Land,
Der ſeines Schickſals Becher hält,
Ihn miſchend mit entſchloſſner Hand,
Ihn, der entgegentritt dem Sturm
Und weiß, daß er die Eiche bricht;
Wer war ſo reich wie Götz im Thurm,
Wie Morus vor dem Blutgericht?
28
Ich klage nicht den Mann, der ſtirbt,
Von Welt und eigner Glut verzehrt,
Ihn, dem des Halmes Frucht verdirbt
Und den des Himmels Manna nährt;
Correggio nicht, der ſiech und falb
Die Kupferheller heimgebracht,
Cervantes, der verhungert halb
Ob ſeines Panſa noch gelacht.
Sie ſind des Unglücks Fürſten, ſind
Die Mächtigen im weiten Blau,
Sie fühlen, daß ihr Odem rinnt
Entzündend um der Erde Bau,
Daß nur aus dunkler Scholle gern
Und freudig ſchießt der Erndte Kraft,
Und daß zerfallen muß der Kern,
Soll ſtrecken ſich der Palme Schaft.
Ihn klag ich, deſſen Liebe groß
Und deſſen Gabe arm und klein,
Den, wie die Glut das dürre Moos,
Sengt jener Strahlen Wiederſchein;
Ihn, der des Funkens Irren fühlt
Verzehrend in der Adern Bau,
Und den die Welle dann verſpühlt,
Ein Aſchenhäuflein, karg und grau.
29
O, eure Zahl iſt Legion!
Ihr Halbgeſegneten, wo ſcheu
In’s Herz der Genius gefloh’n,
Und öde ließ die Phantaſei;
Ihr, die ihr möchtet flügellos
Euch ſchwingen mit des Sehnens Hauch,
Und nieder an der Erde Schooß
Sinkt, wie ein kranker Nebelrauch.
Nicht klag ich euch, weil ihr gering,
Nicht weil ihr ärmlich und verſiegt;
Ich weiß es, daß der Zauberring
Euch unbewußt am Finger liegt;
O ihr ſeid reich und wißt es nicht,
Denn reich iſt nur der Träume Land;
O ihr ſeid ſtark und wißt es nicht,
Denn ſtark iſt nur der Liebe Band.
Wenn ihr am leeren Pulte neigt
Und an der öden Staffelei,
Um euch des Himmels Odem ſteigt
Und in euch der Beklemmung Schrei;
Wenn zitternd nach dem Ideal
Ihr eure heißen Arme ſtreckt,
Und kaum für’s nächſte Kummermahl
Den Halm die nächſte Furche reckt.
30
Dann ſeid ihr mehr als der Poet,
Der ſeines Herzens Blut verkauft,
Mehr als der Künſtler, der ſo ſpät
Zur Heil’gen die Hetäre tauft;
Was ihr verſchweigt, iſt lieblicher
Als je des Dichters Stirn gekrönt,
Was ihr begrabt, iſt heiliger
Als Farb und Pinſel je verſchönt.
Mir gab Natur ein kühnes Herz,
Ich ſenke nicht ſo leicht den Blick;
Mich drückt nicht Größe niederwärts,
Drängt keine fremde Hand zurück;
Nie hat des Ruhmes Strahlenkranz
An fremder Stirne mich gegrämt;
Doch vor ſo ſtillen Blickes Glanz
Hab ich mich hundertmal geſchämt.
Weinende Quellen, wo ſich rollt
Das Sonnenbild im Wellenbann,
Glühende Stufen, wo das Gold
Nicht aus der Schlacke brechen kann;
Ich klag um euch, weil ihr betrübt,
Weil euch das Herz von Thränen ſchwillt,
Unwiſſend Sel’ge, weil ihr liebt,
Und zweifelt an der Gottheit Bild.
31
Behütet euren ſtillen Schatz,
Laßt uns das ſonnenöde Land!
Laßt uns den freien Bühnenplatz
Und ſterbt im Winkel unbekannt;
Einſt wißt ihr, was in Euch gelebt,
Und was in dem, der Euch gehöhnt;
Einſt, wenn der Strahlengott ſich hebt
Und wenn die Memnonsſäule tönt.

Gemüth.

Grün iſt die Flur, der Himmel blau,
Doch tauſend Farben ſpielt der Thau;
Es hofft die Erde bis zum Grabe,
Gewährung fiel dem Himmel zu;
Und ſprich, was iſt denn deine Gabe,
Gemüth, der Seele Iris, Du?
Du Tropfen Wolkenthau, der ſich
In unſrer Scholle Poren ſchlich,
Daß er dem Himmel ſie gewöhne
An ſeinem lieblichſten Gedicht,
Du irdiſch heilig wie die Thräne,
Und himmliſch heilig wie das Licht.
32
Ein Tropfen nur, ein Wiederſchein,
Doch alle Wunder ſaugend ein,
Ob Perle, dich am Blatte wiegend
Und ſpielend um der Wiege Fuß,
Ob ſüßer Traum, im Graſe liegend
Und lächelnd bei des Halmes Gruß.
O Erd und Himmel lächlen auch,
Wenn du, geweckt vom Morgenhauch,
Gleich einem Kinde hebſt den weichen
Verſchämten Mondesblick zum Tag,
Erharrend, was die Hand des Reichen
Von Glanz und Duft dir geben mag.
Lächle nur, lächle für und für,
Des Kindes Reichthum wird auch dir;
Dir wird des Zweiges Blatt zur Halle,
Zum Sammet dir des Mooſes Vließ,
Opale, funkelnde Metalle
Wäſcht Muſchelſcherbe dir und Kies.
Des kranken Blattes röthlich Grün
Drückt auf die Stirn dir den Rubin,
Mit Chriſolithes goldnen Flittern
Schmückt deinen Spiegel Kraut und Gras,
Und ſelbſt des dürren Laubes Zittern
Schenkt dir den bräunlichen Topas.
33
Und gar, wenn loſch das Sonnenlicht,
Und um dein eigenſtes Gedicht
Morgana deines Seees gaukelt,
Ein Traum von Licht um deinen Ball
Und zarte Schattenbilder ſchaukelt,
Gefangne Geiſter im Kriſtall:
Dann ſchläfſt du, ſchläfſt in eigner Haft,
Läßt walten die verborgne Kraft,
Was nicht dem Himmel, nicht der Erden,
Was deiner Schöpfung nur bewußt,
Was nie geweſen, nie wird werden,
Die Embryone deiner Bruſt.
O lächle, träume immer zu,
Iris der Seele, Tropfen du!
Den Wald laß rauſchen, im Gewimmel
Entfunkeln laß der Sterne Reih’n;
Du haſt die Erde, haſt den Himmel,
Und deine Geiſter obendrein.
334

Die todte Lerche.

Ich ſtand an deines Landes Gränzen,
An deinem grünen Saatenwald,
Und mit des erſten Strahles Glänzen
Iſt dein Geſang herabgewallt.
Der Sonne ſchwirrteſt du entgegen,
Gleich einer Mücke um das Licht,
Dein Lied war wie ein Blüthenregen,
Dein Flügelſchlag wie ein Gedicht.
Da ward es mir, als müſſ ich ringen
Und flattern in den jungen Tag,
Als höre ich mein eignes Singen
Und meinen eignen Flügelſchlag;
Die Sonne ſprühte glühe Funken,
In Flammen brannte mein Geſicht,
Ich ſelber taumelte wie trunken,
Wie eine Mücke nach dem Licht.
35
Da plötzlich ſank und ſank es nieder,
Gleich todter Kohle in die Saat,
Noch zucken ſah ich kleine Lider
Und bin erſchrocken dann genaht;
Dein letztes Lied, es war verklungen,
Du lagſt, ein armer kalter Reſt,
Am Strahl zerflattert und verſungen
Bei deinem halbgebauten Neſt.
Ich möchte heiße Thränen weinen,
Wie ſie das Weh vom Herzen drängt,
Denn auch mein Leben wird verſcheinen,
Ich fühl’s, verſungen und verſengt;
Du ſiecher Leib, ihr armen Reſte!
Dann nur ein Grab auf grüner Flur,
Und nah, nur nah bei meinem Neſte,
In meiner ſüßen Heimath nur.
3*36

Unter der Linde.

Es war an einem Morgen,
Die Vöglein ſangen ſüß,
Und über’m Raine wallte
Das ſchönſte Blumenvließ.
Das Börnlein mir zur Seite
Sprach leiſe, leiſe fort,
Mit halbgeſchloſſnen Augen
Saß ich und lauſchte dort.
Ich ſah die Schmetterlinge
Sich jagen durch das Licht,
Und der Libelle Flügel
Mir zittern am Geſicht.
Still ſaß ich wie geſtorben
Und ließ mir wohlig ſein,
Mich mit den Blüthenflocken
Vom Lindenzweig beſtreu’n.
37
Mein Sitz war dicht am Wege,
Ich konnte ruhig ſpäh’n;
Doch mich, verhüllt vom Strauche,
Mich hat man nicht geſeh’n;
Wenn knarrend Wagen rollten,
Dann drang zu mir der Staub,
Und wenn die Vöglein hüpften,
Dann zitterte das Laub.
Und nahe mir am Hange
’Ne alte Buche ſtand,
Um die der ernſte Eppich
Sich hoch und höher wand.
Sein düſtres Grün umrankte
Noch manchen kranken Zweig;
Doch die geſunden ſpielten
Wie doppelt grün und reich.
Es war im Maienmonde,
Die Blätter atlaszart;
Wie haſt du alter Knabe
So friſches Herz bewahrt?
Auf einer Seite thränend
Und auf der andern licht,
Zeigſt du auf grüner Säule
Ein Janusangeſicht.
38
Da dacht ich eines Freundes,
Deß Locken grau und lind,
Ein armes Wrack ſein Körper,
Und ach, ſein Herz ein Kind;
Mich dünkt, ich ſah ihn neigen
Mit Thränen auf ein Grab,
Und wieder Blumen ſtreuen
In eine Wieg herab.
Da weckten Rinderglocken
Mich aus den Phantaſey’n;
Ein trüber Staubeswirbel
Drang durch’s Gebüſch herein,
Und mit Geſchrei und Schelten
Riß einen Epheuſtab
Der Treiberknecht vom Baume
Und trieb ſein Vieh bergab.
Mir war, als ob geſchädigt
Ein frommes Leben ſei;
Doch horch, was trabt ſo neckend
So drall und knapp herbei?
Das Ränzel auf dem Rücken,
Barett im blonden Haar,
Kommt ein Student gepfiffen,
Ein luſtiger Scholar.
39
O pescator del onde
Es gellt mir dicht am Ohr;
Nun ſteht er an der Buche,
Er hebt den Arm empor.
Verbrämt ſein ſchlichtes Käpplein
Mit Lindenzweiges Zier,
Und pfeifend trägt er weiter
Sein flatterndes Zimier.
Glück auf, mein friſcher Junge,
Gott geb dir Luft und Raum!
Wie gern die luſt’ge Flagge
Dir gibt der heit’re Baum;
Er iſt kein ſchlimmer Alter,
Dem in verdorrter Bruſt
Das Herz vor Aerger zittert
Ob ſchmucker Jugend Luſt.
Doch ſtill, was naht ſich wieder?
Ein Huſten kurz und hohl,
Es ſchlürft den Anger nieder,
Ach Gott, ich kenn dich wohl!
Es iſt der Buche Zwilling,
Mein alter, kranker Freund,
Auf deſſen Haupt ſo flammend
Die Maienſonne ſcheint.
40
Nun ſteht er an dem Baume,
Lugt unter’m Zelt hinaus,
Wie riecht er ſo behaglich
An ſeinem Veilchenſtraus.
Nun ſucht er an der Rinde,
Er wandelt um und um,
Und lächelt ganz verſtohlen
Und blickt verſchüchtert um.
Dort ſchau ich tiefe Riſſe
Und dachte, Froſtesſpalt;
Doch wären’s Namenszüge,
Dann ſind ſie adamsalt;
Nun ſchlägt er einen Nagel,
Er hängt ſein Ränzchen auf,
Mich dünkt, ich ſeh erröthen
Ihn an die Stirn hinauf.
O könnteſt du mich ahnen,
Mein grauer Lyſias,
In deinem ganzen Leben
Wärſt du nicht wieder blaß.
Doch wer dein ſpotten könnte,
Du Herz voll Kindesſinn,
Das wär gewiß kein Mädchen
Und keine Dichterin.
41

Meine Steckenpferde, die Uhren.

O die Bevölkerung überall!
O unſre geſegneten Zeiten!
In Roßpalläſten und Menſchenſtall
Wie Flocken ſieht man es gleiten;
Von Bettlern wimmelt das ganze Land,
Von Künſtlergeſindel die Erde;
Doch keine Race nahm überhand,
Wie jene der Steckenpferde.
Der Eine reitet den Zernebock,
Der Andre, Himmel! den Göthe,
Und Jener ſprengt über Stein und Stock
Auf einer alten Muskete.
Ein Tonnenbacher rutſcht dieſer mit
Auf hochgetriebnem Pokale,
Und Jener macht den bedenklichen Ritt
Auf einem elektriſchen Aale.
42
Das war vor Zeiten ein anderes Ding:
Kam mal ’ne Möve geflogen,
Fing einer im Flor den Schmetterling,
Schier hätt man die Glocken gezogen,
Und wer vom Pegaſus nur geträumt,
Deß ſtaunten Freund und Verwandte;
Jetzt ſteht im Narrenſtalle gezäumt
Für Jeden die Rozinante.
Meine Steckenpferde ſind glatt und rund,
Sind blank gefütterte Schimmel,
Ihr Trab ein Flüſtern von Frauenmund,
Ihr Wiehern ein zartes Gebimmel.
Dort ſprangen ſie an der Longe hinaus!
Meine Silbergrauen und Fahlen,
Sechs Kreuzer dem, der ſie lobt zu Haus,
Und zwölf, der ſie lobt in Journalen!
43

Der Dichter.

Ihr, die beim frohen Mahle lacht,
Euch eure Blumen zieht in Scherben,
Und was an Gut euch zugedacht,
Euch wohlbehaglich laßt vererben,
Ihr ſtarrt dem Dichter in’s Geſicht,
Verwundert, daß er Roſen bricht
Von Diſteln, aus dem Quell der Augen
Korall und Perle weiß zu ſaugen;
Daß er den Blitz herniederlangt,
Um ſeine Lampe zu entzünden,
Im Wettertoben, wenn euch bangt,
Den rechten Odem weiß zu finden;
Ihr ſtarrt ihn an mit halbem Neid,
Den Geiſtes-Cröſus ſeiner Zeit,
Und wißt es nicht, mit welchen Qualen
Er ſeine Schätze muß bezahlen.
44
Wißt nicht, daß ihn, Verdammten gleich,
Nur reines Feuer kann ernähren,
Nur der durchſtürmten Wolke Reich
Den Lebensodem kann gewähren;
Daß, wo das Haupt ihm ſinnend hängt,
Sich blutig ihm die Thräne drängt;
Nur in des ſchärfſten Dornes Spalten
Sich ſeine Blume kann entfalten.
Meint ihr das Wetter zünde nicht?
Meint ihr der Sturm erſchüttre nicht?
Meint ihr die Thräne brenne nicht?
Meint ihr die Dornen ſtechen nicht?
Ja eine Lamp hat er entfacht,
Die nur das Mark ihm ſieden macht;
Ja Perlen fiſcht er und Juwele,
Die koſten nichts als ſeine Seele.
45

Der Abſchied.

Das Abendroth war ſchon zerfloſſen,
Wir ſtanden an des Weihers Rand,
Und ich hielt ihre Hand geſchloſſen
So feſt in meiner kalten Hand:
So müſſen wir denn morgen ſcheiden,
Das Schickſal würfelt mit uns beiden,
Wir ſind wie herrenloſes Land.
Von keines Hauſes Pflicht gebunden,
Meint Jeder nur, wir ſeien grad
Für ſein Bedürfniß nur erfunden,
In Noth das hülfbereite Rad.
Was hilft es uns, daß frei wir ſtehen,
Auf keines Menſchen Hände ſehen,
Man zeichnet täglich uns den Pfad.
46
Wo dicht die Bäume ſich verzweigen,
Da zögert nicht des Wandrers Stab,
Wo tauſend Nachbaräſte neigen
Sich ſchützend um den Stamm herab;
Doch drüben ſieh die einzle Linde,
Ein Jeder ſchreibt in ihre Rinde,
Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.
O hätten wir nur Muth zu walten
Der Gaben, die das Glück beſcheert!
Wer darf uns ſtören, darf uns halten,
Und wehren uns den eignen Heerd?
Wir leiden nach dem alten Rechte,
Daß, der ſich ſelber macht zum Knechte,
Iſt nicht der goldnen Freiheit werth.
Zieh hin, wie du berufen worden,
In der Campagna Glut und Schweiß,
Und ich will ſteh’n in meinem Norden,
Zu ſiechen unter Schnee und Eis.
Nicht würdig ſind wir beſſrer Tage,
Und daß nur Keins dem Andern klage,
Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß.
47
So ward an Weihers Rand geſprochen,
Im Zorne halb und halb in Pein;
Wir hätten gern den Stab gebrochen
Ob all den kleinen Tyrannei’n.
Und als die Regenwolken ſtiegen,
Da ſprachen erſt wir mit Vergnügen
Uns in den Aerger recht hinein.
So lang die Tropfen einzeln fielen,
War’s Stoff ja nur für unſern Trutz,
So recht als von des Schickſals Spielen
Zum Schaden uns und keinem Nutz.
Doch als der Himmel Schloßen ſtreute,
Da machten wir’s wie andre Leute
Und ſuchten auf der Linde Schutz.
Hier ſtand ein Häuflein dicht beiſammen,
Sich ſchauernd unter’m Blätterdach;
Die Wolke zuckte Schwefelflammen
Und jagte Regengüſſe nach.
Wir hörten’s auf den Blättern rauſchen
Und konnten ganz behaglich lauſchen
Aus unſerm laubigen Gemach.
48
Fürwahr, ein armes Völklein war es,
Das hier dem Wetterſturm entrann,
Ein dürrer Jud gebleichten Haares,
Mit ſeinem Hund ein blinder Mann,
Des Frohners Weib mit blonden Löckchen,
Und dann mit ſeinem alten Röckchen
Der kleine hinkende Johann.
Und alle ſah’n bei jedem Blitze
Vertrauend an den Stamm hinauf,
Behaglich rückend ſich im Sitze
Und drängten lächelnd ſich zu Hauf;
Denn wie gewalt’ger ſchlug der Regen,
So breiter warf dem Sturm entgegen
Der Baum die grünen Schirme auf.
Der Baum, der keines Menſchen Eigen,
Verloren in der Haide ſtand,
Nicht Früchte trug in ſeinen Zweigen,
Nicht Nahrung für des Heerdes Brand;
Der nur gepflanzt von Gottes Händen,
Dem müden Frohner Schutz zu ſpenden,
Dem Wandrer in der Steppe Sand.
49
Er kämpfte muthig und mit Treuen
Zu ſchützen, was ſich ihm vertraut,
Und rauſchend ſchien er ſich zu freuen
Des Glaubens, der auf ihn gebaut;
Ich fühlte ſeltſam mich befangen,
Beſchämt mit hocherglühten Wangen
Hab in die Krone ich geſchaut.
Zur Freundin ſah ich, ſie herüber:
Wohl Gleiches dachten wir vielleicht,
Denn ihre Mienen wurden trüber
Und ihre lieben Augen feucht;
Doch haben wir kein Wort geſprochen,
Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen,
Und ſtill die Hände uns gereicht!
450

Das Bild.

1.

Sie ſteh’n vor deinem Bild und ſchauen
In dein verſchleiert Augenlicht,
Sie prüfen Lippe, Kinn und Brauen
Und ſagen dann: du ſei’ſt es nicht;
Zu klar die Stirn, zu voll die Wange,
Zu üppig in der Locken Hange,
Ein lieblich, fremdes Angeſicht.
O wüßten ſie es, wie ein treues
Gemüth die kleinſten Züge hegt!
Ein Zucken ſchon ein flücht’ges, ſcheues,
Als Kleinod in die Seele legt.
Wie ſchon ein Wort von gleichem Klange
Gehaucht, dem Feinde ſelbſt, das bange,
Bewegte Herz entgegen trägt.
51
Sie würden beſſer mich begreifen,
Seh’n deiner Locken dunkeln Haag
Sie mich mit leiſem Finger ſtreifen,
Als lüft ich ſie dem jungen Tag;
Den Flor mich breiten dicht und dichter,
Daß deiner Augen zarte Lichter
Kein Sonnenſtrahl verletzen mag.
Was fremd, dahin will ich nicht ſchauen
Und will nicht wiſſen, wo ſie brennt,
Ob an der Lipp, der Wang, den Brauen,
Die Flamme, die dein Herz nicht kennt.
Ich will nur ſeh’n in deine Augen,
Den einen frommen Blick nur ſaugen,
Der leiſe meinen Namen nennt.
Ihn, der wie Mondlicht mich umfloſſen,
Als in der ernſten Abendzeit
Wir ſaßen, Hand in Hand geſchloſſen,
Und dachten Tod und Ewigkeit.
Ihn, der ſich von der Sonne Schwinden
Heilig gewendet, mich zu finden,
Und lächelnd ſprach: ich bin bereit!
4*52

2.

Und wär es wahr auch, daß der Jahre Hand
Dir Furchen in die reine Stirn geſchrieben,
Nicht ſo elaſtiſch deiner Züge Band
Bezeichne mehr dein Zürnen und dein Lieben,
Wenn minder klar die Hülle dich umſchlingt,
Durch die der Strahl, der gottbeſeelte, dringt,
Mir biſt die Gleiche immer du geblieben.
Wenn minder ſtolz und edel die Geſtalt,
Ich kenne ſie, die ungebeugte Seele;
Wenn es wie Nebel deine Stirn umwallt,
Ich weiß es, daß die Wolke Strahlen hehle;
Und deiner reichen Stimme tiefer Klang
Verhallend geiſterhaft, wie Wellenſang,
Ich fühl es, daß kein Liebeshauch ihm fehle.
O Fluch des Alters, wenn das Lebensheil
Mit ihm, dem Gottesbilde müßte weichen!
Wenn minder liebewarm ein Lächeln, weil
Ihm Kummer eingegraben ſeine Zeichen!
Ein Auge gütig nur, ſo lange leicht
Und ſilbern ſich die Thräne ihm entſchleicht,
Und roſ’ge Wangen zücht’ger als die bleichen.
53
Und dennoch hält ſie Alle uns bethört,
Die ſtaubgeborne Form, die wandelbare,
Scheint willig uns ein Ohr, das leiſe hört,
Kühn einer friſchen Kehle Luſtfanfare;
Wir Alle ſehen nur des Pharus Licht,
Die Glut im Erdenſchooße ſeh’n wir nicht,
Und Keiner denkt der Lampe am Altare.

3.

Ich weiß ein beſſres Bild zu finden,
Als jenes, dem du ferner geh’ſt,
Wie tiefer deine Wurzeln gründen
Und reifer du die Ernte mäh’ſt;
Ein beſſres, als zu deſſen Rahmen,
Wenn Jahre flohen, Jahre kamen,
Du wie dein eigner Schatten ſteh’ſt.
Weil ich am Strande ob der lauen
Entſchlafnen Flut mit ſcheuer Luſt:
Wird unter’m Stahl, dem ſilbern blauen,
Lebendig mir die tiefe Ruſt;
Am Grunde glühende Korallen
Der Fiſchlein goldig ſchimmernd Wallen;
Dann ſchau ich tief in deine Bruſt.
54
Und ſchwebend an der Grüfte Bogen
Seh ich der Mauerflechte Stab,
Mit allen Faſern eingeſogen
Tief in das Felſenherz hinab;
Von Thränen ſchwer die grauen Locken,
Die dunkeln Wimper, zarten Flocken;
Das iſt die Liebe über’s Grab!
Und dann an der Geneſung Bronnen
Im Saale tafeln Stern und Band,
Sich arme dürft’ge Kranke ſonnen
Und gierig ſchlürfen über’m Rand;
Mitleidig tränkt der Quell die Armen,
Dann denk ich ſtill an dein Erbarmen,
An deine warme, offne Hand.
O jener Quell, der heiß und ſpringend,
Ein Geiſer, deiner Bruſt entquillt,
Durch Schnee und Eiſesſcholle dringend
Mit Blumen ſeinen Gletſcher füllt.
Ihm ſieht nur gleich, was nie verloren,
Was ewig friſch und neugeboren,
Und die Natur nur iſt dein Bild!
55

Sylveſterabend.

Am letzten Tage des Jahres,
Da dacht ich, wie Mancher todt,
Den ich bei ſeinem Beginne
Noch luſtig geſehen und roth;
Wie mancher am Sargesbaume
Gelacht, unter’m laubigen Zelt,
Und wie vielleicht auch der meine
Zur Stunde ſchon ſei gefällt.
Wer wird dann meiner gedenken,
Wenn ich nun geſtorben bin?
Wohl wird man Thränen mir weihen,
Doch dieſe ſind bald dahin!
Wohl wird man Lieder mir ſingen,
Doch dieſe verweht die Zeit!
Vielleicht einen Stein mir ſetzen,
Den bald der Winter verſchneit.
56
Und wenn die Flocke zerronnen
Und kehrt der Nachtigall Schlag,
Dann blieb nur die heilige Meſſe
An meinem Gedächtnißtag;
Nur auf zerriſſenem Blatte
Ein Lied von flüchtigem Stift,
Und mir zu Häupten die Decke
Mit mooszerfreſſener Schrift.
Wohl hab ich viele Bekannte,
Die gern mir öffnen ihr Haus,
Doch wenn die Thüre geſchloſſen,
Dann ſchaut man nimmer hinaus;
Dann haben ſie einen Andern
An meiner Stelle erwählt,
Der ihnen ſingt meine Lieder
Und meine Geſchichten erzählt.
Wohl hab ich ehrliche Freunde,
Die greift es härter ſchon an;
Doch wenn die Kette zerriſſen,
Man flickt ſie ſo gut man kann;
Zwei Tage blieben ſie düſter,
Sie meinten es ernſt und treu,
Und gingen dann in die Oper
Am dritten Tage auf’s Neu.
57
Ich habe liebe Verwandte,
Die tragen im Herzen das Leid;
Allein wie dürfte verkümmern
Ein Leben ſo Vielen geweiht?
Sie haben ſich eben bezwungen,
Für andre Pflichten geſchont,
Nur ſchweben wohl meine Züge
Zuweilen noch über den Mond.
Ich habe Bruder und Schweſter,
Da ging in’s Leben der Stich,
Da ſind viel Thränen gefloſſen
Und viele Seufzer um mich.
O hätten ſie einſam geſtanden,
Ich lebte im ewigen Licht!
Nun haben ſie meines vergeſſen
Um ihres Kindes Geſicht.
Ich hab, ich hab eine Mutter,
Der kehr ich im Traum bei Nacht,
Die kann das Auge nicht ſchließen,
Bis mein ſie betend gedacht;
Die ſieht mich in jedem Grabe,
Die hört mich im Rauſchen des Hains,
O vergeſſen kann eine Mutter
Von zwanzig Kindern nicht eins.
[58][59]

Erzählende Gedichte.

[60]61

Das erſte Gedicht.

Auf meiner Heimath Grunde
Da ſteht ein Zinnenbau,
Schaut finſter in die Runde
Aus Wimpern ſchwer und grau.
An ſeines Fenſters Gittern
Wimmert des Kauzes Schrei,
Und drüber ſiehſt du wittern
Den ſonnentrunknen Weih.
Ein Wächter feſt wie Klippen,
Von keinem Sturm bewegt,
Der in den harten Rippen
Gar manche Kugel trägt;
Ein Mahner auch, ein ſtrenger,
Deß Giebel, grün und feucht,
Mit ſpitzem Hut und Fänger
Des Hauſes Geiſt beſteigt.
62
Und ſieht ihn das Geſinde
Am Fahnenſchafte ſteh’n,
Sich wirbelnd vor dem Winde
Mit leiſem Schreie dreh’n,
Dann pocht im Schloßgemäuer
Gewiß die Todtenuhr,
Oder ein tückiſch Feuer
Frißt glimmend unter’m Flur.
Wie hab ich ihn umſtrichen
Als Kind oft ſtundenlang,
Bin heimlich dann geſchlichen
Den ſchwer verpönten Gang
Hinauf die Wendelſtiege,
Die unter’m Tritte bog,
Bis zu des Sturmes Wiege,
Zum Hahnenbalken hoch.
Und ſaß ich auf dem Balken
Im Dämmerſtrahle falb,
Mich fühlend halb als Falken,
Als Mauereule halb,
Dann hab ich aus dem Brodem
Den Geiſt citirt mit Muth,
Ich, Hauch von ſeinem Odem,
Und Blut von ſeinem Blut.
63
Doch als nun immer tiefer
Die Schlangenſtiege ſank,
Als ſchiefer ſtets und ſchiefer
Dräute die Stufenbank:
Da klomm ich ſonder Harren
Hinan den Zinnenring,
Und in des Daches Sparren
Barg ich ein heimlich Ding.
Das ſollten Enkel finden,
Wenn einſt der Thurm zerbrach,
Es ſollte Etwas künden,
Das mir am Herzen lag;
Nun ſinn ich oft vergebens,
Was mich ſo aufgeregt,
Was mit Gefahr des Lebens
Ich in den Spalt gelegt.
Vielleicht mit Glasopalen
Ein Ring ein Dockenkleid
Das herrlich ſollte ſtrahlen
In die zukünft’ge Zeit;
Denn daß es hell geflittert,
Mir wie im Traume ſcheint,
Und daß ich ſehr gezittert
Und bitterlich geweint.
64
Mit einmal will mir’s tagen!
Es war ich irre nicht
In Goldpapier geſchlagen
Mein allererſt Gedicht.
Mein Lied vom Hähnchen, was ich
So ſtill gemacht, bei Seit,
Mich ſo geſchämt und das ich
Der Ewigkeit geweiht.
Wollteſt ſo hoch du fahren,
Du thöricht Kind? Wer weiß?
Vielleicht nach dreißig Jahren
Treibt ſchwach dein Lorbeerreis.
Du wirſt noch ſchwer und blutig
Durch manche Schule geh’n;
Und dann nicht halb ſo muthig
Vor deiner Nachwelt ſteh’n.
Zerfallen am Gewände
Iſt längſt der Stiege Rund,
Kaum liegt noch vom Gelände
Ein morſches Brett am Grund;
Und wenn die Balken knarren,
Im Sturm die Fahne kreiſ’t,
Dann gleitet an den Sparren
Nicht mehr des Ahnen Geiſt.
65
Es ſchien ihm übel hauſen
In dieſer Zeiten Lauf;
Ich aber ſtehe draußen
Und ſchau die Wand hinauf;
Späh durch der Sonne Lodern,
In welcher Ritze wohl
Es einſam mag vermodern,
Mein arm entthront Idol.
Nie ſorgt ein Falke ſchlechter
Für ſeine erſte Brut!
Doch du, mein grauer Wächter,
Nimm es in deine Hut;
Und iſt des Daches Schiene
Hinfürder nicht zu trau’n,
So laß die fromme Biene
Dran ihre Zelle bau’n!
566

Gaſtrecht.

Ich war in einem ſchönen Haus
Und ſchien darin ein lieber Gaſt;
Die Damen ſah’n wie Muſen faſt,
Sogar die Hunde geiſtreich aus.
Die Luft, von Ambraduft bewegt,
Schien aufgelöſ’te Phantaſie,
Und wenn ein Vorhang ſich geregt,
Dann war ſein Flüſtern Poeſie.
Zwar trat mir oft ein Schwindel nah,
Ich bin an Aether nicht gewöhnt,
Doch hat der Zauber mich verſöhnt
Und reiche Stunden lebt ich da.
All was man ſagte war ſo klar
Und ſo vortrefflich durchgeführt,
Daß ich mich habe ganz und gar
Oft wie ein Erzkameel geſpürt.
67
Da traf es eines Tags, daß oft
Man leis von einem Gaſte ſprach,
Der längſt geladen, hintennach
Kam wie die Reue unverhofft.
Wie ward zum Fenſter ausgeſchaut,
Ein ſeltſam Lächeln im Geſicht;
Ich hätte Häuſer drauf gebaut,
Der Gaſt ſei ein Parnaſſuslicht.
Und als er endlich angelangt,
Stieß jeder, eh zum Gruß er lief,
Erſt einen Seufzer lang und tief,
Beweis, wie das Entzücken bangt;
Mein Bruder in Hospitio
Schien mir ein ſchlichter Burſche nur:
Sein Blick war frank und lebensfroh,
Doch vom Erhabnen keine Spur.
Drei Tage lebten wir ſo fort
Zuſammen wie im Paradies;
Man ſprach von Wurzeln und Radies,
Doch auch manch klar und innig Wort.
Des Fremden Auge hat ſo friſch
Und freundlich wie ein Stern geblinkt,
Und als er endlich ſchied nach Tiſch,
Da ward ihm lange nachgewinkt.
5*68
Das hat gerührt mich und ergötzt,
Nur war mir etwas wunderſam
Der Blick, mit dem ſich die Madam
Schnell an die Stickerei geſetzt;
Der Zug am Mund, als Claudia
Sacht an den Arm der Schweſter griff,
Und daß ſich wandte der Papa
Und blinzelnd auf dem Finger pfiff.
Sie waren Leute ſein und tief,
Gar noble Leute allzumal;
Schon ſank die Dämmerung in’s Thal,
Bevor ihr Argustakt entſchlief,
Und hier und dort ein Nadelſtich,
Und kecker denn ein Meſſerſchnitt,
Und dann die Sonde ſäuberlich
In des Geſchiednen Schwächen glitt.
O ſichre Hand, o feſter Arm!
O Sonde, leuchtend wie der Blitz!
Ich lehnte an des Gaſtes Sitz,
Und fühlte ſacht ob er noch warm;
Und an das Fenſter trat ich dann,
Nahm mir ein allbekanntes Buch,
Und las, die Blicke ab und an
Verſendend in der Wolken Zug.
69

Mutaſſin.

Einſt vor dem Thron Mutaſſin des Kaliphen
In Feſſeln klirrend ein Verbrecher ſtand,
Dem, als vom Trunk betäubt die Wachen ſchliefen,
Des Herrſchers eigne Hand den Dolch entwandt;
Schon traf die läſſ’gen Söldner das Gericht,
Wie es ſie traf, die Sage kündet’s nicht,
Nur dieſes ſagt ſie, daß an jenem Tag
Ein ſchaudernd Schweigen über Bagdad lag,
Und daß, als man den Hochverräther führte
Zum Spruch, im Saal ſich keine Wimper rührte,
Und daß des Herrſchers Blick, zum Grund gewandt,
Die Blumen aus dem Teppich ſchier gebrannt.
Am Throne ſtand ein Becher mit Scherbet,
Den Gaumen des Kaliphen dörrten Gluthen,
Er fühlte ſeine Menſchlichkeit verbluten
Am Dolche der bedrohten Majeſtät.
Wer gibt ihm ſeiner Nächte Schlaf zurück?
Wer ſeinen Muth zum Schaffen und zum Lieben,
Wer das Vertrauen auf ſein altes Glück?
Das Alles ſtand in ſeinem Blick geſchrieben.
70
Der Frevler zittert, daß die Feſſel klirrt;
Als noch der Lohn ihm wäſſerte den Mund
Ein kecker Fuchs, und jetzt ein feiger Hund,
Würd er ſich doppelten Verraths nicht ſchämen;
Doch ſieht er deutlich, Keiner will ihn nehmen
Den Becher, daß er ihm zur Labe wird;
Zähnknirſchend ſchaut er zum Kaliphen auf,
Die Wimper zuckt, es drängt ein Schrei ſich auf,
Und wie im Strauch die kranke Schlange pfeift,
In einem ſchweren Krampf will er erſticken;
O Allah, wird er ſich dem Pfahl entrücken!
Und ſtürmiſch der Kaliph zum Becher greift,
Gießt mit den eignen Händen den Scherbet
Ihm in die Kehle, bis der Krampf vergeht.
Die Farbe kehrt, er athmet ſchwer und tief,
Das Auge, irr zuerſt, dann feſt und kühn,
Läßt lange er auf dem Beherrſcher glüh’n,
Dann ſpricht er ernſt: lang lebe der Kaliph!
Was er beſchließt, das kommt von Allah’s Hand,
Der will es nicht, daß er vom Zorn entflammt
Zum Marterpfahle einen Gaſt verdammt,
Dem ſeinen eignen Becher er geſandt.
Da wird Mutaſſin bleich vor innrer Qual,
Zittern ſah ihn ſein Hof zum erſten Mal,
71
Dann wie die Sonne ward ſein Auge hell,
Und hochgetragnen Hauptes rief er ſchnell:
Löſ’t ihm die Feſſeln, er ſei ungekränkt
Und frei, ich habe ihm die Schuld geſchenkt.
Und zu dem Thron trat der Vezir gebückt,
Sprich, Fürſt der Gläub’gen, was ſoll dann geſchehen,
Wenn er zum zweiten Mal den Dolch gezückt?
Mutaſſin ſpricht: das, was geſchrieben iſt
Von Ewigkeit, iſt Allah nur bekannt;
Doch nicht im Buch des Lebens kann es ſtehen:
Daß der Verbrecher keine Gnade fand,
Den der Kaliph getränkt mit eigner Hand!
Ich ſchloß das Buch und dachte nach,
An Türken, Chriſten, Mancherlei,
Mir war ein wenig ernſt und ſcheu,
Als ich entſchlüpfte dem Gemach.
Wie ſchien der Blumen wilde Zier,
Wie traulich mir das Himmelszelt
Und auf den Mittag hab ich mir
Die Pferde an der Poſt beſtellt!
72

Der Nachtwandler.

Siehſt du das Haus an dem Gehäge nicht?
Die Dämmrung ſinkt, laßt uns vorübereilen,
Bald hebt der Vollmond ſein geſpenſtig Licht,
Dann iſt nicht gut in jener Nähe weilen;
Hier ſchwebt kein Spuck den Buchengang hinauf,
Kein Räuber paßt im finſtern Schuppen auf,
Ein Bürgerhaus, ein bürgerlich Beginnen,
Es wohnt ein Krämer, wohnen Diener drinnen.
Alt iſt der Herr, wie alt, man weiß es kaum,
Er liebt es nicht, im Kirchenbuch zu leſen;
Ihm lebt ein Weib vor vieler Jahre Raum,
Er hatt ein Kind, das iſt nun lang geweſen;
Man ſagt, er habe ihr den Arzt verſagt,
Mit ſchlechter Koſt zu Tod das Kind geplagt;
Was ſagt man nicht, um Leute zu verdammen,
Wo ſich das Gold in Haufen rollt zuſammen.
73
Einſt war er arm, hat kümmerlich gezehrt,
Wohl kümmerlicher noch als Andre eben;
Da, heißt es, hab um eines Thalers Werth
Er einen Dieb dem Galgen übergeben.
Jung ſei der Dieb geweſen, hungerbleich,
Und ſeine Mutter krank, man glaubt es gleich;
Dies folgt dem Reichen; ſieh die Hütten drüben!
Dort wohnt die Noth, ſein iſt ihr Gut geblieben.
Man kann ihn fleißig in der Kirche ſehn,
Und ſeine Sitten dürfte Keiner rügen;
Doch ſeit des Körpers Kräfte ihm vergehn,
Muß einem ſchweren Siechthum er erliegen;
So oft der Vollmond ſenkt den blaſſen Schein,
Hüllt er ſich ſchaudernd in das Lailach ein,
Und kömmt vom Bett, das Kerzenſtümpflein tragend,
Ein Diener folgt ihm ganz von fern und zagend.
Durch jene Hüttenfenſter ſieht man dann
Am langen Tiſch ihn emſig wieder zählen,
Am Golde ſchaben, und mit raſchem Spann
Ihn plötzlich greifen, wie nach Diebeskehlen;
Schon iſt auch wohl ein Schrei hinausgeſchallt,
Als thue einer Seele man Gewalt,
Bis ihm die Arme ſinken wie verwittert,
Und weiter er mit ſeinem Stümpfchen zittert.
74
Sein nächſter Gang iſt in die Kammer, wo
Bei einem größern Lager ſteht ein kleines;
Dort kramet er am Bettchen ſo und ſo,
Als öffn er eine Flaſche edlen Weines,
Und gießt dann, gießt, als ſei es nie genug,
Und ſtopft und legt wie Biſſen an das Tuch,
Dann ſtoßend ſcheint er an den Puls zu greifen,
Gebückt, als lauſchend ſchwachen Odems Pfeifen.
Schleicht dann zu jenes Lagers grobem Flaus,
Scheint tröpfelnd über Arzenei’n zu bücken;
Er breitet ſchweigend eine Decke aus,
Und einen Schrein ſcheint er herbei zu rücken,
Er horcht, dann öffnet er das Fenſter ſchnell,
Das Fenſter, wo man ſieht den Galgen hell,
Der Diener ſpricht, man hört ein dumpf Gejammer,
Das Fenſter klirrt, und dunkel iſt die Kammer.
Scheint’s nicht zu ſchimmern an der Scheibe dort?
Siehſt du es leiſe glimmen, Funken zittern?
Nun zuckt ein blaues Flämmchen, fort, nur fort!
Mir iſt, als woll es über uns gewittern.
Schau nicht zurück! Verwegner, fluch ihm nicht!
Laß ihn allein mit Gott und dem Gericht!
Meinſt du, ein Fluch vergrößre ſeine Leiden?
Den Dieb am Galgen möchte er beneiden!
75

Das verlorne Paradies.

Als noch das Paradies erſchloſſen war
Dem erſten ſündeloſen Menſchenpaar,
Kein Gift die Viper kannte, keinen Dorn
Der Strauch, der Leu und Tiger keinen Zorn,
Noch fröhlich ſcholl der Nachtigallen Flöte;
Da ſchlief an jedem Abend Eva ein
An einem Roſenſtrauche, und der Schein
Von ihrer unſchuldsvollen Wangenröthe
Spielt lieblich um der Blume lichten Ball;
Denn damals waren weiß die Roſen all
Und dornenlos. Umnickt vom duft’gen Kranz,
Der über’m Haupte führte lichten Tanz,
Ruhte das erſte Weib, Gedanken ſinnend.
Die Embrhone ſchon der Gottheit Siegel
Am Haupte trugen, ſchon im Keime minnend
Bewegten halberſchloſſ’ne Seraphsflügel;
Sie lag den Zweig an ihre Bruſt gedrückt;
76
Denn keine Blume wurde noch gepflückt,
Bis leiſe ſich die Wimper niederließ
Und in die Träume ſchlich das Paradies;
O heilig war das Weib; wer ſie geſeh’n,
Nicht denken hätt er können, ob ſie ſchön,
Nur daß ſie rein wie Thau, und Gottes Spiegel.
Die Roſ auch lächelt ſelig, doch wie lange?
Hüte dich vor der Schlange!
Am grauen Horizonte murrend ſtand
Der erſten Donnerwolke düſtrer Rand,
Am Roſenſtrauche fiel die erſte Thräne,
Und drüben weint der Nachtigall Geſtöhne.
Wär dies das Bild von geſtern, dieſer Leib
Verhüllt in Blätterſchutz? ein arges Weib!
Das Auge, kündend ein verbotnes Wiſſen,
Wie ſcheint ſo heiß und hart des Mooſes Kiſſen,
Wie dunſterfüllt des Paradieſes Prangen,
Und wie ſo ſeltſam brennen ihre Wangen.
Feſt hielt den vollen Roſenzweig ſie, feſt
Wie der Verſinkende die Binſe preßt,
Oder ſein Lieb ein glüh Verlangen.
Ob ſie entſchlief? Wohl endlich hat die Nacht
Ihr Ruhe, bleiernſchweren Schlaf gebracht;
77
Der Regenguß, er hat ſie nicht erweckt,
Des Donners Rollen ſie nicht aufgeſchreckt,
Ihr Haar nur flatterte im Windestoſen,
Und ihr am Buſen zitterten die Roſen;
Wie eine Leiche lag ſie ſchmerzlich mild,
Zum erſtenmal im Schlaf des Todes Bild;
Und als am Morgen ſie die Wimper hob,
Und zuckend von der Bruſt die Zweige ſchob,
Da war all ihrer Wangen lichter Schein
Gezogen in der Blumen Rund hinein,
In glüher Sehnſucht alle aufgegangen,
Zum Kuſſe öffnend all den üpp’gen Mund;
Und Heva kniete weinend, ihre Wangen
Entfärbt, und ihre Bruſt von Dornen wund.
78

Der ſterbende General.

Er lag im dichtverhängten Saal,
Wo grau der Sonnenſtrahl ſich brach,
Auf ſeinem Schmerzensbette lag
Der alte kranke General.
Genüber ihm am Spiegel hing
Echarpe, Orden, Feldherrnſtab.
Still war die Luft, am Fenſter ging
Langſam die Schildwach auf und ab.
Wie der verwitterte Soldat
So ſtumm die letzte Fehde kämpft!
Zwölf Stunden, ſeit zuletzt gedämpft
Um Waſſer er, um Waſſer bat.
An ſeinem Kiſſen beugten Zwei,
Des Einen Auge rothgeweint,
Des Andern düſter, feſt und treu,
Ein Diener und ein alter Freund.
79
Tritt ſeitwärts, ſprach der Eine, laß
Ihn ſeines Standes Ehren ſeh’n!
Den Vorhang weg, daß flatternd weh’n
Die Bänder an dem Spiegelglas!
Der Kranke ſchlug die Augen auf,
Man ſah wohl, daß er ihn verſtand,
Ein Blick, ein leuchtender, und drauf
Hat er ſich düſter abgewandt.
Denkſt du, mein alter Kamerad,
Der jubelnden Vietoria?
Wie flogen unſre Banner da
Durch der gemähten Feinde Saat!
Denkſt du an unſers Prinzen Wort:
Man ſieht es gleich, hier ſtand der Wart!
Schnell, Konrad, nehmt die Decke fort,
Sein Odem wird ſo kurz und hart!
Der Obriſt lauſcht, er murmelt ſacht:
Verkümmert wie ein welkes Blatt!
Das Dutzend Friedensjahre hat
Zum Kapuziner ihn gemacht.
Wart! Wart! du haſt fo friſch und licht
So oft dem Tode dich geſtellt,
Die Furcht, ich weiß es, kennſt du nicht,
So ſtirb auch freudig wie ein Held!
80
Stirb, wie ein Leue, adelich,
In ſeiner Bruſt das Bleigeſchoß,
O ſtirb nicht, wie ein zahnlos Roß,
Das zappelt vor des Henkers Stich!
Ha, ſeinem Auge kehrt der Strahl!
Stirb, alter Freund, ſtirb wie ein Mann!
Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal,
Und Waſſer, Waſſer ſtöhnt er dann.
Leer iſt die Flaſche. Wache dort,
He, Wache, du biſt abgelöſ’t!
Schau, wo an’s Haus das Gitter ſtößt,
Lauf, Wache, lauf zum Borne fort!
’s iſt auch ein grauer Knaſterbart,
Und ſtrauchelt, wie ein Dromedar
Nur ſchnell, die Sohlen nicht geſpart!
Was, alter Burſche, Thränen gar?
Mein Commandant, ſpricht der Uhlan
Grimmig verſchämt, ich dachte nach,
Wie ich bleſſirt am Strauche lag,
Der General mir nebenan,
Und wie er mir die Flaſche bot,
Selbſt dürſtend in dem Sonnenbrand,
Und ſprach: du haſt die ſchlimmſte Noth .
Dran dacht ich nur, mein Commandant.
81
Der Kranke horcht, durch ſein Geſicht
Zieht ein verwittert Lächeln, dann
Schaut feſt den Veteran er an.
Die Seele der Victorie nicht,
Nicht Fürſtenwort gelöſ’t den Fluch,
Auf einem Tropfen Menſchlichkeit
Schwimmt mit dem letzten Athemzug
Sie lächelnd in die Ewigkeit.

Volksglauben in den Pyrenäen.

1. Sylveſterfey.

Der morſche Tag iſt eingeſunken,
Sein Auge gläſern, kalt und leer,
Barg keines Thaues linden Funken
Für den gebräunten Eppich mehr.
Wie’s draußen ſchauert! längs der Wand
Ruſchelt das Mäuslein unter’m Halme
Und langſam ſprießt des Eiſes Palme
Am Scheibenrand.
682
In tiefer Nacht wem ſoll noch frommen
Am Simſe dort der Lampe Strahl?
Da ſchon des Heerdes Scheit verglommen,
Welch ſpäten Gaſtes harrt das Mahl?
Längſt hat im Thurme zu Escout
Die Glocke zwölfmal angeſchlagen
Und glitzernd ſinkt der Himmelswagen
Dem Pole zu.
Durch jener Kammer dürre Barren
Zieh’n Odemzüge, traumbeſchwert,
Ein Ruck mitunter, auch ein Knarren,
Wenn ſich im Bett der Schläfer kehrt;
Und nur ein leiſer Huſten wacht,
Kein Traum die Mutter hält befangen,
Sie kann nicht ſchlafen in der langen
Sylveſternacht.
Jetzt iſt die Zeit, wo loſ und ſchleichend
Die Fey ſich durch die Ritze ſchlingt,
Mit langer Schlepp den Eſtrich ſtreichend,
Das Schickſal in die Häuſer bringt,
An ihrer Hand das Glück, Gewind
Und Roſ im Lockenhaar, ein ſchlankes,
Das Mißgeſchick ein fieberkrankes,
Ein weinend Kind.
83
Und trifft ſie Alles recht zu Danke
Geordnet von der Frauenhand,
Dann nippt vom Mahle wohl die ſchlanke
Und läßt auch wohl ein heimlich Pfand;
Doch ſollt ein Frevler lauſchen, riſch,
Im Hui zerſtoben iſt die Scene,
Und ſcheidend fällt des Unglücks Thräne
Auf Heerd und Tiſch.
O keine Bearnerin wird’s wagen
Zu ſteh’n am Aſtloch, lieber wird
Ein Tuch ſie um die Augen ſchlagen,
Wenn durch den Spalt die Lampe flirrt;
Manon auch drückt die Wimper zu,
Und zupft an der Gardine Linnen;
Doch immer, immer läßt das Sinnen
Ihr keine Ruh.
Ward glatt das Lailach auch gebreitet?
Hat hell der Becher auch geblinkt?
Ob jetzt das Glück zum Tiſche gleitet,
Ein Bröcklein naſcht, ein Tröpflein trinkt?
Oft glaubt ſie zarter Stimmen Hauch,
Verſchämtes Trippeln oft zu hören,
Und dann am Brode leiſes Stören
Und Knuspern auch.
6*84
Sie horcht und horcht das war ein Schlüpfen!
Doch nein der Wind die Föhren ſchwellt,
Und das am Flur ein ſchwaches Hüpfen,
Wie wenn zum Grund die Krume fällt!
Eugene, was wirfſt du dich umher,
Was ſoll denn das Gedehn und Ziehen?
Mein Gott, wie ihm die Händchen glühen!
Er träumt ſo ſchwer.
Sie rückt das Kind an ihrer Seiten,
Den Knaben dicht zu ſich heran,
Läßt durch ſein Haar die Finger gleiten,
Es hangen Schweißes Tropfen dran;
Erſchrocken öffnet ſie das Aug,
Will nach dem Fenſterglaſe ſchauen,
Da eben ſteigt das Morgengrauen,
Ein trüber Rauch.
Vom Lager fährt die Mutter, bebend
Hat ſie der Lampe Docht gehellt,
Als ſachte über’m Lailach ſchwebend
Ein Epheublatt zu Boden fällt.
Das Glück! das iſt des Glückes Spur?
Doch nein! ſie pflückt es ja dem Kinde,
Und dort naſcht an der Semmelrinde
Die Ratte nur.
85
Und wieder aus der Kammer ſtehlen
Sich Seufzer, halbbewußt Geſtöhn;
O Chriſt, was mag dem Knaben fehlen,
Eugene, wach auf, wach auf Eugene!
Du lieber Gott, iſt ſo geſchwind,
Eh noch der Morgenſtrahl entglommen,
Das Unglück mir in’s Haus gekommen
Als krankes Kind.

2. Münzkraut.

Der Frühling naht, es ſtreicht der Staar
Am Söller um ſein altes Neſt;
Schon ſind die Thäler ſonnenklar,
Doch noch die Scholle hart und feſt;
Nur wo der Strahl vom Felſen prallt,
Will mächtig ſich der Grund erweichen
Und ſchüchtern aus den Windeln ſchleichen
Der Gräſer dichter, lichter Wald.
86
Schau dort am Riff man ſieht es kaum
So recht vom Sonnenbrand gekocht
Das kleine Beet, vier Schritte Raum,
Vom Schieferhange überjocht,
Nach Oſt und Weſten eingehegt,
Mit ſtarken Planken abgeſchlagen,
Als ſollt es Wunderblumen tragen,
Und ſind nur Kräuter, was es trägt.
Und dort die Frau an Riffes Mitten,
Ach Gott, ſie hat wohl viel gelitten!
Sie klimmt ſo ſchwer den Steig hinan.
Nun ſteht ſie keuchend, löſ’t das Mieder,
Nun ſinkt ſie an dem Beete nieder,
Und faltet ihre Hände dann:
Liebe Münze, du werther Stab,
Drauf meines Heilands Sohle ſtand,
Als ihm drüben im Morgenland
Sanct Battiſte die Taufe gab;
Heiliges Kraut, das aus ſeinem Leibe
Ward geſegnet mit Wunderkraft,
Hilf einer Witw, einem armen Weibe,
Das ſo ſorglich um dich geſchafft.
87
Hier iſt Brod, und hier iſt Salz und Wein,
Sieh, ich leg’s in deine Blätter mitten;
Woll nicht zürnen, daß das Stück ſo klein,
Hab’s von meinem Theile abgeſchnitten;
Etwas wahrt ich, Münze gnadenreich,
Schaffens halber nur, ſonſt geb ich’s gleich.
Mein Knab iſt krank, du weißt es wohl,
Ich kam ja ſchon zu ſieben Malen,
Und geſtern mußt ich in Bregnoles
Den Trank für ihn ſo theuer zahlen.
Vier hab ich, vier, daß Gott erbarm!
Mit dieſen Händen zu ernähren,
Und, ſieh, ſo kann’s nicht länger währen,
Denn täglich ſchwächer wird mein Arm.
O Madonna, Madonna, meine gnädige Frau!
Ich hab gefrevelt, nimm’s nicht genau,
Ich hab geſündigt wider Willen!
Nimm, o nimm mir nur kein Kind,
Will ihm gern den Hunger ſtillen,
Wär’s mit Bettelbrod; nicht Eins
Kann ich miſſen, von Allen keins!
Zweimal muß ich noch den Steig hinan
Siebenmal bin ich nun hier geweſen.
88
Heil’ge Frau von Embrun, wär dann
Welk die Münze und mein Knab geneſen,
Gerne will dann an deinem Schrein
Meinen Treuring opfern, er iſt klein,
Nur von Silber, aber fleckenrein;
Denn ich hab mit Ehren ihn getragen,
Darf vor Gott und Menſchen mich nicht ſchämen;
Milde Fraue, laß mich nicht verzagen,
Liebe Dame, woll ihn gütig nehmen,
Denk, er ſei von Golde und Rubin,
Süße, heil’ge, werthe Himmelskönigin!

3. Der Loup Garou.

Brüderchen ſchläft, ihr Kinder, ſtill!
Setzt euch ordentlich her zum Feuer!
Hört ihr der Eule wüſt Geſchrill?
Hu! im Walde iſt’s nicht geheuer,
89
Frommen Kindern geſchieht kein Leid;
Drückt nur immer die Lippen zu,
Denn das böſe, das lacht und ſchreit,
Das holt die Eul und der Loup Garou.
Wißt ihr, dort, wo das Naß vom Schiefer träuft
Und über’m Weg ’ne andre Straße läuft,
Das nennt man Kreuzweg und da geht er um
Bald ſo, bald ſo, doch immer falſch und ſtumm,
Und immer ſchielend; vor dem Auge ſteht
Das Weiße ihm, ſo hat er es verdreht.
Dran iſt er kenntlich und am Kettenſchleifen,
So trabt er, trabt, darf keinem Frommen nah’n
Die ſchlimmen Leute nur, die darf er greifen
Mit ſeinem langen, langen, langen Zahn.
Schiebt das Reiſig der Flamme ein,
Puh, wie die Funken kniſtern und ſtäuben!
Pierrot, was ſoll das Wackeln ſein?
Mußt ein Weilchen du ruhig bleiben,
Gleich wird die Zeit dir Jahre lang.
Laß doch den armen Hund in Ruh!
Immer ſind deine Händ im Gang,
Denkſt du denn nicht an den Loup Garou?
90
Vom reichen Kaufmann hab ich euch erzählt,
Der ſeine dürſt’gen Schuldner ſo gequält,
Und kam mit ſieben Säcken von Bagneres,
Vier von Juwelen, drei von Golde ſchwer;
Wie er aus Geiz den ſchlimmen Führer nahm,
Und ihm das Unthier auf den Nacken kam.
Am Halſe ſah man noch der Kralle Spuren,
Die ſieben Säcke hat es weggezuckt,
Und ſeine Börſe auch, und ſeine Uhren,
Die hat es all zerbiſſen und verſchluckt.
Schließt die Thür, es brummt im Wald!
Als die Sonne ſich heut verkrochen,
Lag das Wetter am Riff geballt,
Und nun hört man’s ſieden und kochen.
Ruhig, ruhig, du kleines Ding!
Hörſt du? drunten im Stalle bu!
Hörſt du’s? Hörſt du’s? kling, klang, kling,
Schüttelt die Kette der Loup Garou.
Doch von dem Trunkenbolde wißt ihr nicht,
Dem in der kalten Weihnacht am Geſicht
Das Thier gefreſſen, daß am heil’gen Tag
Er wund und ſcheußlich über’m Schneee lag.
91
Zog von der Schenke aus, in jeder Hand
’Ne Flaſche, die man auch noch beide fand.
Doch wo die Wangen ſonſt, da waren Knochen,
Und wo die Augen, blut’ge Höhlen nur;
Und wo der Schädel, hier und da zerbrochen,
Da ſah man deutlich auch der Zähne Spur.
Wie am Giebel es knarrt und kracht?
Caton, ſchau auf, die Bühne droben!
Aber nimm mir die Lamp in Acht
Ob vor die Lucke der Riegel geſchoben.
Pierrot, Schlingel, das rutſcht herab
Von der Bank, ohne Strümpf und Schuh!
Willſt du bleiben, tapp, tipp, tapp,
Geht auf dem Söller der Loup Garou.
Und meine Mutter hat mir oft geſagt
Von einem tauben Manne, hochbetagt,
Faſt hundertjährig, dem es noch geſchehen
Als Kind, daß er das Scheuel hat geſehen,
Recht wie ’nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz
Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz,
Und ſpannenlang die Zunge aus dem Schlunde,
So mit der Kette weg an Waldes Bord,
Dann wieder ſah er ihn im Tobelgrunde,
Und wieder ſah er hin, da war er fort.
92
Hab ich es nicht gedacht? es ſchneit!
Ho, wie fliegen die Flocken am Fenſter!
Heilige Frau von Embrun, wer heut
Draußen wandelt, braucht keine Geſpenſter;
Irrlicht iſt ihm die Nebelſäul,
Führt ihn ſchwankend dem Abgrunde zu,
Sturmes Flügel die Todteneul,
Und der Tobel ſein Loup Garou.

4. Maiſegen.

Der Mai iſt eingezogen,
Schon pflanzt er ſein Panier
Am dunklen Himmelsbogen
Mit blanker Sterne Zier.
Die wilden Waſſer brauſen
Und rütteln aus den Klauſen
Rellmaus und Murmelthier.
93
Ob wohl das Gletſchereis den Strom gedämmt?
Von mancher Hütte geht’s auf ſchlimmen Wegen,
Der Sturm hat alle Firnen kahl gekämmt,
Und geſtern wie aus Röhren ſchoß der Regen.
Adieu, Jeanette, nicht länger mich gehemmt!
Adieu, ich muß, es gilt den Maienſegen;
Wenn vier es ſchlägt im Thurme zu Escout,
Muß jeder Senner ſtehen am Pointe de Droux.
Wie trunken ſchau’n die Klippen,
Wie taumelnd in die Schlucht!
Als nickten ſie, zu nippen
Vom Sturzbach auf der Flucht.
Da iſt ein raſſelnd Klingen,
Man hört die Schollen ſpringen,
Und brechen an der Bucht.
Auf allen Wegen zieh’n Laternen um
Und jedes Paſſes Echo wecken Schritte.
Habt Acht, habt Acht, die Nacht iſt blind und ſtumm,
Die Schneefluth fraß an manches Blockes Kitte;
Habt Acht, hört ihr des Bären tief Gebrumm?
Dort iſt ſein Lager an des Riffes Mitte;
Und dort die ſchiefe Klippenbank, fürwahr!
Sie hing ſchon los am erſten Februar.
94
Nun ſprießen blaſſe Roſen
Am Gletſcherbord hervor,
Und mit der Dämmrung koſen
Will ſchon das Klippenthor;
Schon ſchwimmen lichte Streifen,
Es lockt der Gemſe Pfeifen
Den Blick zum Grat empor.
Verlöſcht ſind die Laternen, und im Kreis
Steht eine Hirtenſchaar auf breiter Platte,
Voran der Patriarch, wie Silber weiß
Hängt um ſein tiefgebräunt Geſicht das glatte,
Geſtrählte Haar, und Alle beten leis
Nach Oſten ſchauend, wo das farbenſatte
Rubingewölk mit glitzerndem Geroll
Die ſtolze Sonnenkugel bringen ſoll.
Da kommt ſie aufgefahren
In ſtrenger Majeſtät,
Und von den Firnaltaren
Die Opferflamme weht:
Da ſinken in der Runde
So Knie an Knie, dem Munde
Entſtrömt das Maigebet:
95
Herr Gott, der an des Maien erſtem Tag
Den Strahl begabt mit ſonderlichem Segen,
Den ſich der ſünd’ge Menſch gewinnen mag
In der geweihten Stunde, allerwegen,
Segne die Alm, ſegne das Vieh im Hag,
Mit Luft und Waſſer, Sonnenſchein und Regen,
Durch Sanct Anton, den Siedler, Sanct Renee,
Martin von Tours und unſre Frau vom Schnee.
Segne das Haus, das Mahl auf unſerm Tiſch,
Am Berg den Weinſtock und die Frucht im Thale,
Segne die Jagd am Gletſcher, und den Fiſch
Im See, und das Gethiere allzumale,
So uns zur Nahrung dient, und das Gebüſch,
So uns erwärmt, mit Thau und Sonnenſtrahle
Durch Sanct Anton, den Siedler, Sanct Remy,
Sanct Paul und unſre Fraue von Clery.
Wir ſchwören alle Hände ſteh’n zugleich
Empor, wir ſchwören keinen Gaſt zu laſſen
Von unſerm Heerd, eh ſicher Weg und Steig,
Das Vieh zu ſchonen, keinen Feind zu haſſen,
Den Quell zu ehren, Recht an Arm und Reich
Zu thun und mit der Treue nicht zu ſpaßen.
Das ſchwören wir beim Kreuze zu Autun
Und unſrer mächt’gen Fraue von Embrun.
96
Da über’m Kreiſe ſchweben,
Als wollten ſie den Schwur
Zum Himmelsthore heben,
Zwei Adler; auf die Flur
Senkt ſich der Strahl vom Hange,
Und eine Demantſchlange
Blitzt drunten der Adour.
Die Weiden ſind vertheilt, und wieder ſchallt
In jedem Paſſe ſchwerer Tritte Stampfen.
Voran, voran, die Firnenluft iſt kalt,
Und ſcheint die Lunge eiſig zu umkrampfen.
Nur friſch voran ſchon ſeh’n ſie über’m Wald
Den Vogel zieh’n, die Nebelſäule dampfen,
Und wo das Riff durchbricht ein Klippengang
Summt etwas auf wie ferner Glockenklang.
Da liegt das ſchleierloſe
Gewäld in Sonnenruh,
Und wie mit Sturmgetoſe
Dem Aethermeere zu,
Erfüllt des Thales Breite
Das Angelusgeläute
Vom Thurme zu Escout.
97

5. Höhlenfey.

Siehſt du drüben, am hohlen Baum,
In’s Geklüfte die Schatten ſteigen,
Ueber’m Bord, ein blanker Saum,
Leiſes Quellengerieſel neigen?
Das iſt die Eiche von Bagneres,
Das iſt die Höhle Trou de fer,
Wo ſie tags in der Spalten Raum,
Nächtlich wohnt in den ſurrenden Zweigen?
O ſie iſt überalt die Fey,
Laut Annalen, vor grauen Jahren,
Zwei Jahrhunderten oder drei
Mußte ſie ſeltſam ſich gebahren:
Bald als Eule mit Uhu,
Bald als Katze und ſchwarze Kuh;
Auch als Wieſel mit ſeinem Schrei
Iſt ſie über die Kluft gefahren.
798
Aber, wenn jetzt im Mondenſchein
Zarte Lichter den Grund betüpfen,
Sieht mitunter man am Geſtein
Sie im ſchillernden Mantel hüpfen,
Hört ihr Stimmchen, Geſäuſel gleich;
Aber nahſt du, dann nickt der Zweig
Und das Waſſer wispert darein,
Und du ſiehſt nur die Quelle ſchlüpfen.
Reich an Gold iſt der Höhle Grund,
O wie Guinea und wie Bengalen!
Und man ſpricht vom bewachenden Hund,
Doch deß melden nichts die Annalen.
Aber Mancher, der wunderſam,
Unbegreiflich zu Gelde kam,
Ließ, ſo kündet der Sage Mund,
Es am Baum von Bagneres ſich zahlen.
Barg einen Beutel im Hohle breit,
Drin den neuen Liard, bedächtig,
Recht in der ſengenden Mittagszeit,
Die den Geiſtern wie mitternächtig,
Fand ihn abends mit Gold geſchwellt,
O kein Chriſt komme ſo zu Geld!
Falſch war Feyengold jederzeit,
Kurz das Leben, und Gott iſt mächtig.
99
Einmal nur, daß mich deß gedenkt,
Iſt ein Mann an den Baum gegangen,
Hat ſeinen Sack hineingeſenkt,
Groß eines Königs Schatz zu fangen;
’S war ein Wucherer, war ein Filz,
Ein von Thränen geſchwellter Pilz,
Nun, er hat ſich zuletzt gehenkt,
Beſſer hätt er ſchon da gehangen.
Hielt die Lippen ſo feſt geklemmt,
Denn Geflüſter nur, mußt du wiſſen,
Das iſt eben, was Alles hemmt,
Lieber hätt er die Zunge zerbiſſen;
Barfuß kam er, auf ſchlechten Rath,
Und als da in die Scherb er trat,
Hat er ſich nur an den Baum geſtemmt
Und den Schart aus der Wunde geriſſen.
Doch als aus dem Gemoder ſcheu
Schlüpft ’ne Schlange ihm längs den Haaren,
Da iſt endlich ein kleiner Schrei,
Nur ein winziger, ihm entfahren;
Und am Abend verſchwunden war
Großer Sack und neuer Liard.
O verrätheriſch iſt die Fey!
Und es wachen der Hölle Schaaren.
7*100

6. Johannisthau.

Es iſt die Zeit nun, wo den blauen Tag
Schon leiſer weckt der Nachtigallen Schlag,
Wo ſchon die Taube in der Mittagsgluth
Sich trunkner, müder breitet ob der Brut,
Wo abends, wenn das Sonnengold zergangen,
Verlorner Funke irrt, des Wurmes Schein,
An allen Ranken Blütenbüſchel hangen,
Und Düfte zieh’n in alle Kammern ein.
Weck mich zur rechten Zeit, mein Kamerad,
Verſäumen möcht ich Sanct Johannis Bad
Um Alles nicht; ich hab das ganze Jahr
Darauf gehofft, wenn mir ſo elend war.
Jerome, du mochteſt immer gut es meinen,
Biſt auch, wie ich, nur armer Leute Kind.
Doch haſt du klare Augen und die Deinen,
Und ich bin eine Waiſe und halb blind!
101
Hat ſchon der Hahn gekräht? ich hab’s verfehlt;
Oft ſchlaf ich feſt, wenn mich der Schmerz gequält.
Ob ſchon die Dämmrung ſteigt, ich ſeh es nicht,
Mir fährt’s wie Spinneweben am Geſicht;
Doch dünkt mich, hör im Walde ich Gebimmel
Und Peitſchenknall; was das für Fäden ſind,
Die mir am Auge ſchwimmen? lieber Himmel,
Ich bin nicht halb, ich bin beinah ſchon blind.
Hier iſt der Steg am Anger, weiter will
Ich mich nicht wagen, hier iſt Alles ſtill,
Und Thau genug für Kranke allzumal
Des ganzen Weilers, eh der Sonnenſtrahl
Mit ſeinem ſcharfen Finger ihn geſtrichen
Und aufgeſogen ihn der Morgenwind;
Doch iſt kein Zweiter wohl hieher geſchlichen;
Denn, Gott ſei Dank, nur Wenige ſind blind.
Das iſt ein Büſchel nein doch das iſt Gras,
Ich fühle meine Finger kalt und naß;
Johannes, heiliger Prophet, ich kam
In deinem werthen Namen her und nahm
Von jenem Thaue, den im Wüſtenbrande
Die Wolke dir geträufelt, lau und lind,
Daß nicht dein Auge in dem heißen Sande,
Nicht dein geſegnet Auge werde blind.
102
Gepredigt haſt du in der Steppengluth
So weißt du auch, wie harte Arbeit thut;
Doch arm und nicht der Arbeit fähig ſein,
Das iſt gewiß die allergrößte Pein.
Du haſt ja kaum geruht in Mutterarmen,
Warſt früh ein elternlos, verwaiſ’tes Kind,
Woll eines armen Knaben dich erbarmen,
Der eine Waiſe iſt wie du, und blind!
[103]

Denkblätter.

[104]105

An Philippa.

Im Oſten quillt das junge Licht,
Sein goldner Duft ſpielt auf den Wellen,
Und wie ein zartes Traumgeſicht
Seh ich ein fernes Segel ſchwellen;
O könnte ich der Möve gleich
Umkreiſen es im luſt’gen Ringen!
O wäre mein der Lüfte Reich,
Mein junge, lebensfriſche Schwingen.
Um dich, Philippa, ſpielt das Licht,
Dich hat der Morgenhauch umgeben,
Du biſt ein liebes Traumgeſicht
Am Horizont von meinem Leben;
Seh deine Flagge ich ſo fern
Und träumeriſch von Duft umfloſſen,
Vergeſſen möcht ich dann ſo gern,
Daß ſich mein Horizont geſchloſſen;
106
Vergeſſen, daß mein Abend kam,
Mein Licht verzittert Funk an Funken,
Daß Zeit mir längſt die Flagge nahm
Und meine Segel längſt geſunken;
Doch können ſie nicht jugendlich
Und friſch ſich neben deinen breiten,
Philippa, lieben kann ich dich
Und ſegnend deine Fahrt begleiten.

An ***

Auf hohem Felſen lieg ich hier,
Der Krankheit Nebel über mir,
Und unter mir der tiefe See
Mit ſeiner nächt’gen Klage Weh,
Mit ſeinem Jubel, ſeiner Luſt,
Wenn buntgeſchmückte Wimpel fliegen,
Mit ſeinem Dräu’n aus hohler Bruſt,
Wenn Sturm und Welle ſich bekriegen.
107
Mir iſt er gar ein trauter Freund,
Der mit mir lächelt, mit mir weint,
Iſt, wenn er grünlich golden ruht,
Mir eine ſanfte Zauberfluth,
Aus deren tiefem, klaren Grund
Geſtalten meines Lebens ſteigen,
Geliebte Augen, ſüßer Mund
Sich lächelnd tröſtend zu mir neigen.
Wie hab ich ſchon ſo manche Nacht
Des Mondes Wiederſchein bewacht!
Die klare Bahn auf dunklem Grün,
Wo meiner Todten Schatten zieh’n;
Wie manchen Tag den lichten Hang,
Bewegt von hüpfend leichten Schritten,
Auf dem mit leiſem Geiſtergang
Meiner Lebend’gen Bilder glitten.
Und als dein Bild vorüberſchwand,
Da ſtreckte ich nach dir die Hand,
Und meiner Seele ward es weh,
Daß dir verborgen ihre Näh;
So nimm denn meine Lieder nun
Als liebesrothe Flammenzungen,
Laß ſie in deinem Buſen ruh’n
Und denk ich hab ſie dir geſungen.
108

Das einzige Kind.

O ſchau, wie um ihr Wängelein
Ein träumendes Lächeln bebt,
Sieht ſie nicht aus wie ein Engelein,
Das über der Krippe ſchwebt.
Oft fürcht ich, ſie ſei für die Welt zu gut,
Sprich, Liebe, ſind wir wohl blind?
Ein wenig blind für das eigne Blut,
Unſer liebendes, einziges Kind?
Der Gatte fühlt den Meiſter und Herrn,
Giebt allen Mängeln ihr Recht,
Wie ſpielt er den Philoſophen ſo gern
Und wie geräth er ihm ſchlecht!
Nennt es ein Murmelchen anderen gleich,
Dran gar nichts zu loben iſt,
Indeß er ſtreichelt die Löckchen reich
Und ihm die Fingerchen küßt.
109

Schloß Berg im Thurgau*)Meinem väterlichen Freunde dem Grafen Theodor und meinen Freundinnen Emilie und Emma von Thurn-Valſaſſina gewidmet.

Ein Nebelſee quillt rauchend aus der Aue
Und duft’ge Wölkchen treiben durch den Raum,
Kaum graut ein Punkt im Oſten noch, am Thaue
Verloſch des Glühwurms kleine Leuchte kaum;
Horch, leiſes, leiſes Zirpen unter’m Dache
Verkündet, daß bereits die Schwalbe wache,
Und um manch Lager ſpielt ein ſpäter Traum.
Die Stirn gedrückt an meines Fenſters Scheiben
Schau ſinnend ich in’s duft’ge Meer hinein,
Und wie die hellen Wölkchen drüber treiben,
Mein Blick hängt unverwendet an dem Schein.
Ja, dort, dort muß nun bald die Sonne ſteigen,
Mir ungekannte Herrlichkeit zu zeigen;
Dort ladet mich der Schweizermorgen ein.
110
So ſteh ich wirklich denn auf deinem Grunde,
Beſungnes Land, von dem die Fremde ſchwärmt?
Du meines Lebens allerfrühſte Kunde
Aus einer Zeit, die noch das Herz erwärmt,
Als Eine
*)Auguſte, Gräfin von Thurn-Valſaſſina, Stiftsdame in Frecken - horſt, ſtarb an den Folgen des Heimwehs.
*), nie vergeſſen, doch entſchwunden,
So manche liebe, hingeträumte Stunden
An allzutheuren Bildern ſich gehärmt.
Wenn ſie gemalt, wie malet das Verlangen
Die Felſenkuppen und den ew’gen Schnee,
Wenn um mein Ohr die Alpenglocken klangen,
Vor meinem Auge blitzte auf der See,
Von Schloſſes Thurm, mit zitterndem Vergnügen
Ich zahllos ſah die blanken Dörfer liegen,
Der Königreiche vier von meiner Höh.
Mich dünkt, noch ſeh ich ihre blauen Augen,
Die aufwärts ſchau’n mit heiliger Gewalt,
Noch will mein Ohr die weichen Töne ſaugen,
Wenn echogleich ſie am Klavier verhallt,
Und drunten, wo die linden Pappeln wehen,
Noch glaub ich ihrer Locken Wald zu ſehen,
Und ihre zarte, ſchwankende Geſtalt.
111
Wohl war ſie gut, wohl war ſie klar und milde,
Wohl war ſie Allen werth, die ſie gekannt!
Kein Schatten haftet an dem reinen Bilde,
Man tritt ſich näher, wird ſie nur genannt,
Und über Thal und Ströme ſchlingt auf’s Neue
Um alles, was ſie einſt umfaßt mit Treue,
Aus ihrem Grabe ſich ein feſtes Band.
Euch, ruhend noch in dieſer frühen Stunde,
Verehrter Freund und meine theuren Zween,
Emilia und Emma, Eurem Bunde
Gewiß wird lächelnd ſie zur Seite ſteh’n.
Ich weiß es, denkend an geliebte Todten,
Habt ihr der Fremden eure Hand geboten,
Als hättet ihr ſeit Jahren ſie geſeh’n.
Schlaft ſanft, ſchlaft wohl! Ich aber ſteh und lauſche
Nach jedem Flöckchen, das vergoldet weht;
Iſt’s nicht, als ob der Morgenwind ſchon rauſche?
Wie’s drüben wogt und rollt, und in ſich dreht;
Nun breitet ſich’s, nun ſteht es über’m Schaume;
Was ſteigt dort auf? ein Bild aus kühnem Traume,
O Säntis, Säntis, deine Majeſtät!
112
Biſt du es, dem ringsum die Lüfte zittern,
Du weißes Haupt mit deinem Klippenkranz?
Ich fühle deinen Blick die Bruſt erſchüttern
Wie über’m Duft du rieſig ſteh’ſt im Glanz;
Ja, gleich der Arche über Wogengrimmen
Seh ich in weiter Wolkenflut dich ſchwimmen,
Im weiten, weiten Meere, einſam ganz.
Nein, einſam nicht dort taucht es aus den Wolken,
Cäſalpiana hebt die Stirne bleich;
Dort ragt der Glärniſch auf; dort ſeh ich’s ſchwellen,
Und Zack an Zack entſteigt der Flut zugleich;
O Säntis, wohl mit Recht trägſt du die Krone,
Da ſieben Fürſten ſteh’n an deinem Throne,
Und unermeßlich iſt dein luftig Reich.
Tyrol auch ſendet der Verbündung Zeichen,
Es blitzt dir ſeine kalten Grüße zu;
Welch Hof iſt wohl dem deinen zu vergleichen,
Mein grauer ſtolzer Alpenkönig du!
Die Sonne ſteigt, ſchon Strahl an Strahl ſie ſendet,
Wie’s droben funkelt, wie’s das Auge blendet,
Und drunten alles Dämmrung, alles Ruh.
113
So ſah ich, unter Mährchen eingeſchlafen,
In Träumen einſt des Winterfürſten Haus,
Den Eispalaſt, wo ſeinen goldnen Schafen
Er täglich ſtreut das Silberfutter aus;
Ja, in der That, ſie ſind hinabgezogen,
Die goldnen Lämmer, und am Himmelsbogen
Noch ſieht man ſchimmern ihre Wolle kraus.
Doch ſchau, iſt Ebbe in dies Meer getreten?
Es ſinkt, es ſinkt, und ſchwärzlich in die Luft
Streckt das Gebirge nun, gleich Rieſenbeeten,
Die waldbedeckten Kämme aus dem Duft;
Ha! Menſchenwohnungen an allen Enden!
Faſt glaub ich Gais zu ſeh’n vor Fichtenwänden;
Verſteckt nicht Weisbad jene Felſenkluft?
Und immer ſinkt es, immer zahllos ſteigen
Ruinen, Schlöſſer, Städte an den Strand;
Schon will der Bodenſee den Spiegel zeigen,
Und wirft gedämpfte Strahlen über Land,
Und nun verrinnt die letzte Nebelwelle,
Da ſteht der Aether, goldenrein und helle,
Die Felſen möcht man greifen mit der Hand.
8114
Wüßt ich die tauſend Punkte nur zu nennen,
Die drüben lauſchen aus dem Waldrevier,
Mich dünkt, mit freiem Auge müßt ich kennen
Den Sennen, tretend aus der Hüttenthür;
Ob meilenweit, nicht ſeltſam würd ich’s finden,
Säh in die Schluchten ich den Jäger ſchwinden,
Und auf der Klippe das verfolgte Thier.
So klar, ein ſtählern Band, die Thur ſich windet,
Und wie ich lauſchend ſpäh von meiner Höh,
Ein einz’ger Blick mir zwölf Kantone bindet;
Wo drüben zitternd ruht der Bodenſee,
Wo längs dem Strand die Wimpel läſſig gleiten,
Vier Königreiche ſeh ich dort ſich breiten,
Erfüllt iſt Alles, ohne Traum und Fee.
Mein ſtolzer edler Grund, dich möcht ich nennen:
Mein königlich, mein kaiſerliches Land!
Wer mag dein Bild von deinen Gletſchern trennen,
Doch Lieb’res ich in deinen Thälern fand;
Was klinkt an meiner Thür nach Geiſterweiſe?
Horch: Guten Morgen, Nette, flüſtert’s leiſe
Und meine Emma bietet mir die Hand!
115

An meine Mutter.

So gern hätt ich ein ſchönes Lied gemacht,
Von deiner Liebe, deiner treuen Weiſe,
Die Gabe, die für Andre immer wacht,
Hätt ich ſo gern geweckt zu deinem Preiſe.
Doch wie ich auch geſonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte ſtellen,
Des Herzens Fluthen wallten drüber her,
Zerſtörten mir des Liedes zarte Wellen.
So nimm die einfach ſchlichte Gabe hin,
Von einfach ungeſchmücktem Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meiſten fühlt, weiß man nicht viel zu ſagen.
8*116

An Eliſe.

Zum Geburtstage am 7. März 1845.

Das war gewiß ein andrer März,
Ein Mond, den Blüthenkränz umhegten,
Als Engel dich, geliebtes Herz,
In deine erſte Wiege legten;
Das war gewiß ein Tag ſo frei,
So friſch vom Sonnenſtrahl umglommen!
Doch auch im Wintermantel ſei
Er, wie der ſchönſte, mir willkommen.
Mir ward ein ſchlimmrer Mond zu Theil,
*)Der 12. Januar.
*)
Um den kein Vogel je geſungen,
Nur Eiſeszapfen blank und ſteil
Das kalte Diadem geſchlungen;
Ach anders wirken Schnee und Eis!
Und anders wohl der Sonnen Güte!
Ich ſteh, ein düſtres Tannenreis,
Du eine zarte Veilchenblüte.
117
Doch feſt zuſammen, feſt im Raum
Gehalten in des Winters Stürmen,
Du ſchmücke mich zum Weihnachtsbaum
Und ich will deine Blüte ſchirmen;
Dann muß uns willig oder nicht
Das Leben reiche Gaben zählen,
Und niemals wird das Himmelslicht,
Der Poeſie Beleuchtung fehlen.

An ***

Lebt wohl, es kann nicht anders ſein,
Spannt flatternd eure Segel aus!
Laßt mich in meinem Schloß allein,
In meinem geiſterhaften Haus.
Lebt wohl und nehmt mein Herz mit euch
Und meinen letzten Sonnenſtrahl,
Er ſcheide, ſcheide nur ſogleich,
Denn ſcheiden muß er doch einmal.
118
Laßt mich an meines Seees Bord,
Mich ſchaukelnd mit dem Wellenſtrich,
Allein mit meinem Zauberwort,
Dem Alpengeiſt und meinem Ich.
Verlaſſen, aber einſam nicht,
Erſchüttert, aber nicht erdrückt,
So lange noch das heil’ge Licht
Auf mich mit Liebesaugen blickt.
So lange mir der friſche Wald
Geſang aus jedem Blatte rauſcht,
Aus jeder Klippe, jedem Spalt,
Befreundet mir der Elſe lauſcht.
So lange ſich der Arm mir frei
Und waltend noch zum Aether ſtreckt,
Und jedes wilden Geiers Schrei
In mir die milde Muſe weckt.
119

An meinen verehrten Freund, den Freiherrn von Madroux, bei Ueberſendung der Gedichte.

Als dieſe Lieder ich vereint
Zum Kranz in ferner Heimath paarte,
Da kannt ich freilich nicht den Freund,
Den mir die Zukunft aufbewahrte;
Ich wußt es nicht, daß manches Wort,
Das ich aus tiefer Bruſt geſungen,
Fand in der ſeinen den Akkord,
Der es harmoniſch nachgeklungen.
Doch nun in ernſter Gegenwart,
In freundlicher, doch fremder Zone
Mir ſeines Beifalls Freude ward
Und ſeiner Freundſchaft Ehrenkrone;
Nun reich ich gern die Lieder dar,
Was Flücht’ges drin, das ſei vernichtet,
Was ritterlich, was gut und wahr,
Das ſei, als hab ich’s dir gedichtet.
120

Die Mutter am Grabe.

Du warſt ſo hold und gut, ſo ſanft und ſtille,
Mein frommes Kind, und ſterben mußteſt du!
Dein Geiſt, zu rein für dieſe Erdenhülle,
Flog wie ein Lichtſtrahl ſeiner Heimath zu.
Wenn weinend wir an deinem Grabe ſtehen,
Ich und dein Vater, deine Liebſten hier,
Dann ſeh’n wir nur des Grabes dunkle Thür,
Und können deine Seligkeit nicht ſehen.
O könnten einmal einer Mutter Blicke
Nur dringen durch den unbekannten Raum,
Dich ſeh’n in deinem unſchuldsvollen Glücke,
Und wär es nur im Schlummer, nur im Traum,
Dann würd ich ruhig auf die Stelle ſchauen,
Wo nur der Staub dem Staube ſich geſellt,
Doch abgeſchloſſen bleibt die Geiſterwelt,
Und nur der Glaube dringt in ihre Auen.
121
Wohl weiß ich es, daß über unſre Thränen
Du weit erhöht im lichten Glanze ſteh’ſt,
Daß dir verſtändlich mein geheimſtes Sehnen,
Du gern als Engel mir zur Seite geh’ſt;
Wohl fühl ich oft, wenn ſchaut mein Blick nach oben,
Mich aufgerichtet wie durch Gottes Hand,
Dann fühl ich auch, es gibt ein geiſtig Band
Und meines Kindes Hand hat mich erhoben.
Aus jenem Sterne, der ſo milde glühet,
Scheint wohl dein Blick in mein verweintes Aug?
Und in der Luft, die koſend mich umziehet,
Will tröſten mich vielleicht dein frommer Hauch?
Befreit von Feſſeln, die uns drunten binden,
Begabt mit Kräften, die uns nicht verlieh’n,
Wohl mag dein Odem öfters mich umzieh’n,
Conſtanze, kannſt du mir es nicht verkünden?
Mich dünkt, in ihrem tiefen Gram zu ſehen
Die Eltern, woran hing dein zärtlich Herz,
Zu wiſſen, ſie verſtehen nicht dein Wehen,
Mich dünkt, mein Kind, dies ſei dir doch ein Schmerz;
Doch nein, vor deinen klaren Geiſterblicken
Liegt hell und licht des Dornenpfades Ziel,
So ſcheint dir Menſchenkummer wohl ein Spiel,
Und was uns läutert, kann dich nur beglücken.
122
Von meinen heißen Thränen überregnet
Um meinen Segen bateſt du mich da:
Du haſt mich, Mutter, ja noch nie geſegnet,
Segne Conſtanze, ſegne mich Mama!
Dann Alle ſollt ihr in den Himmel kommen,
Ich bin bei euch, wenn ich geſtorben bin.
Und wie ein Hauch ſchwand deine Seele hin,
Zum Heimathland der Reinen und der Frommen.
Ich habe dich geſegnet unter Schmerzen,
Mit einem Kuß auf deine kalte Stirn,
Ich ſegnete dich mit gebrochnem Herzen,
Mit Todesangſt im ſiedenden Gehirn;
So ſegne mich denn auch, du reines Leben,
Du klarer Engel in der Himmelsau,
O ſegne mich mit deiner Liebe Thau,
O gib mir wieder, was ich dir gegeben.
Bei allen Bürden, allen Erdenpflichten,
Hauch an mit deiner Milde und Geduld
Mein irdiſch ſchwaches Herz, und laß ſich richten
Mein irrend Auge zu der höchſten Huld;
Hilf pflegen mir in Luſt, wie Schmerzensbanden
Das große Bild der ernſten Ewigkeit;
Dann ſtarb mein Kind für dieſe Spanne Zeit,
Allein ein Schutzgeiſt iſt es mir erſtanden.
123

An Ludowine.

Was iſt mehr denn Schmuck und Kleid?
Ein g’ſunder Leib, ſo’s in Freuden treit.
Was iſt mehr denn Gold ſo werth?
Ein frei Gemüth, ſo des mit entbehrt.
Was iſt mehr denn Kron und Grund?
Ein klug Gemüth, ſo des brauchen kunnt.
Was iſt mehr, denn glückſelig ſein?
Ein fein Gemüth, ſo des werth allein.
124

An Joſeph von Laßberg. Zum Geburtstage am 10. April 1848.

Grad heute, wo ich gar zu gern
Dir hätt ein herzlich Wort geſagt,
Grad heute hat mein böſer Stern
Mit argem Huſten mich geplagt;
Doch wär ich wohl hinaufgeklommen,
Wär nicht mein Schweſterlein gekommen,
Und hätt es ernſt mir unterſagt.
Was ſend ich meinem Gruße nach?
Ein buntes Glöckchen, arm und klein;
Wohl iſt ſein Stimmchen zart und ſchwach,
Doch iſt es ſilberhell und rein;
Und wo du läßt es klingelnd rauſchen,
Da wird das Ohr der Liebe lauſchen,
Und, glaub es mir, das hört gar fein!
[125]

Klänge aus dem Orient.

[126]127

O Nacht!

O Nacht, du goldgeſticktes Zelt,
O Mond, du Silberlampe,
Das du die ganze Welt umhüllſt,
Und die du Allen leuchteſt!
Wo birgt in deinen Falten ſich
Die allerreinſte Perle?
Wo widerſtrahlt dein träumend Licht
Im allerklarſten Spiegel?
O breite ſiebenfach um ſie
Das ſchützende Gewinde,
Daß nicht der Jüngling ſie erſchaut!
Auflodere in Flammen,
Daß kein verblühend Weib ſie trifft
Mit unheilvollem Auge!
Und, milde Lampe, ſchauend tief
In ihres Spiegels Klarheit,
Erblickteſt du ein Bild darin?
Und war es, ach, das meine?
128

Geſegnet.

Wer biſt du doch, o Mädchen?
Du mit dem ſchwarzen Schleier,
Und mit dem ſchwarzen Sklaven?
Der weißen Sklavin du?
Wie Sterne deine Augen
Durch deines Schleiers Nächte,
Dein Gang wie der Gazelle,
Wie Palme die Geſtalt.
Geſegnet ſind die Wellen
Des Bades, die dich kühlen,
Geſegnet die Gewänder,
Umſchließend deine Huld.
Und ſiebenfach geſegnet
Der Sklave, dem du winkeſt,
Der deinen Tritten lauſchet,
Der deine Stimme hört.
129
Und tauſendfach geſegnet
Die Sklavin, der du lächelſt,
An ihre Schulter lehnend
Dein unverſchleiert Haupt.

Der Fiſcher.

Wehe dem kleinen Fiſchersſohn,
Deß Vater fiſchen gegangen;
An den Strand läuft er täglich hinaus,
Am Morgen, am Abend nicht minder;
Kehre, Vater, o kehre zurück,
Und bringe die guten Fiſche!
Kleider, reiche, Sandalen auch
Und rede freundliche Worte;
Denn die Mutter in Grämen iſt ſtumm,
Und der Gläub’ger nahm die Gewande!
9130

Der Kaufmann.

Unglückſelig der Kaufmann iſt
Und ganz von Sorgen befangen,
An den Wolken hängt ſein Blick,
Am Flaume mißt er die Winde;
Aber ſelig des Räubers Loos,
Und herrlich lebt der Pirate!
Der die Meere Geſpielen nennt,
Die Windsbraut ſeine Geliebte;
Lachend ſieht er die Schiffe zieh’n,
Die aller Güter beraubten.
Fahret wohl, grüßt den Kaufmann mir,
Der am Flaum gemeſſen die Winde!
131

Das Kind.

Wär ich ein Kind, ein Knäblein klein,
Ein armes, ſchwaches, geliebtes;
Daß noch die Mutter mich wiegte ein
Und ſüße Lieder mir ſänge,
Blumen brächten die Sklavinnen auch,
Mit dem Wedel wehrten die Fliegen,
Aber Zillah, mich küſſend, ſpräch:
Geſegnet, mein ſüßes Knäbchen!

Der Greis.

Allah! laß des Greiſes Loos
Mich nicht, des Greiſes, erleben!
Aus dem Haupte das Haar ihm fällt
Und des Bartes köſtliche Zierde.
Ach, und Zillah’s liebe Geſtalt
Und Zillah’s ſchwebende Stimme!
Kalt und fühllos ſtößt er’s zurück,
Wie das Riff der Nachtigall Töne.
9*132

Geplagt.

Weh dem Knaben, der zwei Herrinnen hat!
Verloren iſt er, verloren!
Ruft die Stimme und ruft ſie dort:
Komm, binde mir die Sandalen!
Gib den Schleier; nun eile fort,
Vom Markte Narde zu holen!
Durch die Menge irrt er umher
Wie ein armer verſcheuchter Vogel,
Wie ein armes zerriſſnes Gewand,
Geflickt von tauſend Händen.
Wehe dem Knaben, der zwei Herrinnen hat!
Verloren iſt er, verloren!
133

Getreu.

So du mir thäteſt auch Schmach und Hohn,
Nicht wollt ich es klagen den Kindern,
Und ſchlägſt du mir ab die rechte Hand,
Noch wollt ich die Linke dir bieten;
So aber du nähmſt das unſelige Haupt,
Noch wollt ich warnend dir rufen:
Fernab, fernab ſtell o Paſcha dich,
Daß nicht mein Blut dich beſprenge;
Denn unſchuldiges Blut, wen es trifft,
Der fällt in ſchnelles Verderben.
134

Süß.

Auf den Gaſſen der Gärtner rief:
Kauft Trauben, kaufet die Trauben!
Aber im Herzen die Furcht ihm wohnt,
Es möchte ſie Keiner begehren;
Sauer waren und trocken ſie,
Sie hatte Mehlthau getödtet;
Naht ihm Haſſan: mein Gärtner, ſprich,
Was willſt du für deine Trauben?
Nimm, o Herr, und koſte ſie,
Und habe meiner Erbarmen!
O wie köſtlich, mein Gärtner, nimm
Und möge Allah dich ſegnen!
Abend naht und der andre Tag:
Weh mir, wie bin ich betrogen!
Hat mir geſtern Zuleima’s Kuß
Denn alſo verſüßet die Lippen?
135

Freundlich.

Und als ich nun gen Balſora kam,
Da rief die Stimme vom Gitter:
Biſt du es, Haſſan, geliebter Freund,
Komm herein, daß ich dich umfange,
Daß ich die Füße dir waſchen mag,
Und mag die Stirne dir ſalben.
Und als ich nach Mekka, der heiligen, kam,
Da grüßten mich viele Stimmen;
Nicht bin ich Haſſan, und Jener nicht,
Doch halt ich Allah’s Gebote;
Drum hat er geſegnet das Antlitz mir,
Daß ich Jegliches Freund ihm erſcheine.
136

Verliebt.

Schilt mich nicht, du ſtrenger Meiſter,
Daß im Divan ich geträumet,
Und bei des Muezzins Rufen,
Ach, nach Mittag ſtand gewendet.
Wiſſe, als ich kam vom Bade,
Als ich heimging aus den Gärten,
Schlüpfte Zillah mir vorüber,
Und den Schleier hob ſie ſchalkhaft.

Verhenkert.

Wie du gehſt und wie du ſtehſt,
Und was du ſprichſt und beginneſt,
Gift’ge Pfeile die Worte ſind,
Wie Nattern deine Geberden,
An dem Pfahle, da iſt dein Platz,
Und auf der luftigen Spindel,
Wo der Rabe dich grüßen mag,
Der ungeſättigte Vogel.
137

Verteufelt.

Naht, o naht dem Gewande nicht
Des todten Hundes, des Giauren,
Der erſchlagen den Muſelmann
An Mekka’s heiliger Pforte!
Nehmt auch die kleinen Kinder fort,
Daß ſie es nimmer erſchauen;
Denn die Dſchinnen hauchten’s an,
Und Iblis, der dreimal verruchte.

Verliebt.

Mutter, löſe die Spangen mir!
Mich hat ein Fieber befallen,
Denn das Fenſter ließeſt du auf,
Das immer ſorglich verhängte;
Und im Garten ich Mädchen ſah,
Die warfen Ringe im Kreiſe,
Flatternd ſelber, ein Blütenſchnee,
Vom leichten Winde getragen.
138
Immer flöten nur Stimmen mir,
Und immer Spiegel mir flirren,
Blind geworden bin ich ſchon ganz,
Taub werd ich nächſtens werden,
Mutter, löſe die Spangen mir!
Mich hat ein Fieber befallen.

Bezaubernd.

Und wenn ſie vorüber am Fenſter geht,
Und fällt ihr Schatten auf die Gaſſe,
Da ſteh’n die Jünglinge ſinnberaubt
Und wiſſen nicht, was ſie beginnen;
Doch in die Moſchee die Derwiſche flieh’n,
Rufend: Allah! errett uns!
Denn dein Feuer vom Himmel fiel,
Und mögen ihm nimmer entrinnen.
139

Verflucht.

Was ſchäumt das Meer, was wälzt es ſich
Und bäumt an das Geſtade?
Iſt’s Strömung, was da drunten wühlt?
Iſt’s unterirdiſch Feuer?
Nicht Strömung iſt es, was da wühlt,
Nicht unterirdiſch Feuer,
Ein Leichnam fiel in ſeinen Schooß,
Ein ſiebenmal verfluchter,
Des Kaufmanns, der um ſchnödes Gold
Erſchlug den eignen Bruder.

Herrlich.

Und wenn er aus der Pforte tritt
Und weht ſein Mantel über die Gaſſe,
Dann ſteh’n die Männer, das Haupt geneigt,
Sprechend: wo ſind deine Vaſallen?
Und die Wittwen und Waiſen knieend ſchrei’n:
Hilf uns, du mächt’ger Gebieter.
140

Unausſprechlich.

Die Nachtigall in den Kampf ſich gab
Mit der Lerche, der ſchwebenden Stimme,
Daß ihre Reize beſängen ſie
Und all ihre ſüße Geberde;
Doch die Nachtigallen reihten ſich
Und die Lerchen, wie Perlenſchnüre,
All lagen ſie todt in Gras und Strauch,
Verhaucht im ſüßen Geſange.

Unbeſchreiblich.

Dreitauſend Schreiber auf Teppichen ſaßen
Und rührten den Bart mit der Feder;
Sie ſchrieben, ſchrieben ſo manchen Tag,
Daß grau geworden die Bärte,
Daß trüb geworden die Augen längſt
Und längſt erkrummet die Finger;
Wer aber, was ſie geſchrieben lieſ’t,
Und lieſ’t das, was ſie geſchrieben,
Der ſpricht: es iſt ein Schatten wohl,
Oder iſt es der Schatten des Schattens.
141

Unerhört.

Der Oſſa ſprach zum Pelion:
Was iſt für ein Klang in den Lüften?
Singt wohl die ſterbende Nachtigall?
Oder eine verſtoßene Houri?
Zehnmal fielen meine Cedern hin,
Und meine Felſen zerbröckeln;
Sechstauſend Jahre machten mich grau
Und ſechszigtauſend Stunden;
Doch nie drang ſolch ein Laut zu mir
Vom Thal oder aus der Höhe.
Eine Mutter am Hange ſteht,
Die weint ihr einzig Söhnlein.
[142][143]

Die Judenbuche. Ein Sittengemälde aus dem gebirgigten Weſtphalen.

[144][145]
Wo iſt die Hand ſo zart, daß ohne Irren
Sie ſondern mag beſchränkten Hirnes Wirren,
So feſt, daß ohne Zittern ſie den Stein
Mag ſchleudern auf ein arm verkümmert Sein?
Wer wagt es, eitlen Blutes Drang zu meſſen,
Zu wägen jedes Wort, das unvergeſſen
In junge Bruſt die zähen Wurzeln trieb,
Des Vorurtheils geheimen Seelendieb?
Du Glücklicher, geboren und gehegt
Im lichten Raum, von frommer Hand gepflegt,
Leg hin die[Wagſchal], nimmer dir erlaubt!
Laß ruh’n den Stein er trifft dein eignes Haupt!

Friederich Mergel, geboren 1738, war der Sohn eines ſogenannten Halbmeiers oder Grund - eigenthümers geringer Klaſſe im Dorfe B., das, ſo ſchlecht gebaut und rauchig es ſein mag, doch das Auge jedes Reiſenden feſſelt durch die überaus maleriſche Schönheit ſeiner Lage in der grünen Waldſchlucht eines bedeutenden und geſchichtlich merkwürdigen Gebirges. Das Ländchen dem es angehörte, war damals einer jener abgeſchloſſenen Erdwinkel ohne Fabriken und Handel, ohne Heer - ſtraßen, wo noch ein fremdes Geſicht[Aufſehen] erregte, und einer Reiſe von 30 Meilen ſelbſt den Vornehmeren zum Ulyſſes ſeiner Gegend machte10146 kurz, ein Fleck, wie es deren ſonſt ſo viele in Deutſchland gab, mit all den Mängeln und Tu - genden, all der Originalität und Beſchränktheit, wie ſie nur in ſolchen Zuſtänden gedeihen.

Unter höchſt einfachen[und] häufig unzuläng - lichen Geſetzen waren die Begriffe der Einwohner von Recht und Unrecht einigermaßen in Verwirrung gerathen, oder vielmehr es hatte ſich neben dem geſetzlichen ein zweites Recht gebildet, ein Recht der öffentlichen Meinung, der Gewohnheit und der durch Vernachläſſigung entſtandenen Verjährung. Die Gutsbeſitzer, denen die niedrige Gerichtsbarkeit zuſtand, ſtraften und belohnten nach ihrer in den meiſten Fällen redlichen Einſicht; der Untergebene that, was ihm ausführbar und mit einem etwas weiteren Gewiſſen verträglich ſchien, und nur dem Verlie - renden fiel es zuweilen ein, in alten ſtaubigten Urkunden nachzuſchlagen. Es iſt ſchwer, jene Zeit unparteiiſch ins Auge zu faſſen; ſie iſt ſeit ihrem Verſchwinden entweder hochmüthig getadelt oder albern gelobt worden, da den, der ſie erlebte, zu viel theure Erinnerungen blenden und der Spätergeborene ſie nicht begreift. So viel darf man indeſſen behaupten, daß die Form ſchwächer, der Kern feſter, Vergehen häufiger, Gewiſſenloſigkeit ſeltener waren. Denn wer nach ſeiner Ueberzeugung handelt, und ſei ſie noch ſo mangelhaft, kann nie147 ganz zu Grunde gehen, wogegen nichts ſeelentödtender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anſpruch nehmen.

Ein Menſchenſchlag, unruhiger und unterneh - mender als ſeine Nachbarn, ließ in dem kleinen Staate, von dem wir reden, manches weit greller hervortreten als anderswo unter gleichen Umſtänden. Holz - und Jagdfrevel waren an der Tagesordnung und bei den häufig vorfallenden Schlägereien hatte ſich jeder ſelbſt ſeines zerſchlagenen Kopfes zu tröſten. Da jedoch große und ergiebige Waldungen den Hauptreichthum des Landes ausmachten, ward aller - dings ſcharf über die Forſten gewacht, aber weniger auf geſetzlichem Wege, als in ſtets erneuten Ver - ſuchen, Gewalt und Liſt mit gleichen Waffen zu überbieten.

Das Dorf B. galt für die hochmüthigſte, ſchlaueſte und kühnſte Gemeinde des ganzen Fürſten - thums. Seine Lage inmitten tiefer und ſtolzer Waldeinſamkeit mochte ſchon früh den angebo - renen Starrſinn der Gemüther nähren; die Nähe eines Fluſſes, der in die See mündete und bedeckte Fahrzeuge trug, groß genug, um Schiffbauholz bequem und ſicher außer Land zu führen, trug ſehr dazu bei, die natürliche Kühnheit der Holzfrevler zu ermuthigen, und der Umſtand, daß Alles umher von Förſtern wimmelte, konnte hier nur aufregend10*148wirken, da bei den häufig vorkommenden Schar - mützeln der Vortheil meiſt auf Seiten der Bauern blieb. Dreißig, vierzig Wagen zogen zugleich aus in den ſchönen Mondnächten mit ungefähr doppelt ſo viel Mannſchaft jedes Alters, vom halbwüchſigen Knaben bis zum ſiebzigjährigen Ortsvorſteher, der als erfahrener Leitbock den Zug mit gleich ſtolzem Bewußtſein anführte, als er ſeinen Sitz in der Gerichtsſtube einnahm. Die Zurückgebliebenen horch - ten ſorglos dem allmähligen Verhallen des Knarrens und Stoßens der Räder in den Hohlwegen und ſchlie - fen ſacht weiter. Ein gelegentlicher Schuß, ein ſchwacher Schrei ließen wohl einmal eine junge Frau oder Braut auffahren; kein Anderer achtete darauf. Beim erſten Morgengrau kehrte der Zug eben ſo ſchwei - gend heim, die Geſichter glühend wie Erz, hier und dort einer mit verbundenem Kopf, was weiter nicht in Betracht kam, und nach ein paar Stunden war die Umgegend voll von dem Mißgeſchick eines oder mehrerer Forſtbeamten, die aus dem Walde getragen wurden, zerſchlagen, mit Schnupftaback geblendet und für einige Zeit unfähig, ihrem Berufe nach - zukommen.

In dieſen Umgebungen ward Friedrich Mergel geboren, in einem Hauſe, das durch die ſtolze Zu - gabe eines Rauchfanges und minder kleiner Glas - ſcheiben die Anſprüche ſeines Erbauers, ſo wie durch149 ſeine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umſtände des jetzigen Beſitzers bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachläſſig - ten Zaune gewichen, das Dach ſchadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem Acker zunächſt am Hofe, und der Garten enthielt, außer ein paar holzigten Roſenſtöcken aus beſſerer Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches hiervon herbeigeführt; doch war auch viel Unordnung und böſe Wirthſchaft im Spiel. Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel, war in ſeinem Junggeſellenſtande ein ſogenannter ordentlicher Säufer, d. h. einer, der nur an Sonn - und Feſttagen in der Rinne lag und die Woche hindurch ſo manierlich war wie ein Anderer. So war denn auch ſeine Bewerbung um ein recht hübſches und wohlhabendes Mädchen ihm nicht erſchwert. Auf der Hochzeit giengs luſtig zu. Mergel war nicht gar zu arg betrunken, und die Eltern der Braut giengen Abends vergnügt heim; aber am nächſten Sonntage ſah man die junge Frau ſchreiend und blutrünſtig durchs Dorf zu den Ihrigen rennen, alle ihrer guten Kleider und neues Hausgeräth im Stich laſſend. Das war freilich ein großer Skandal und Aerger für Mergel, der allerdings Troſtes bedurfte. So war denn auch am Nachmittage keine Scheibe an ſeinem Hauſe150 mehr ganz, und man ſah ihn noch bis ſpät in die Nacht vor der Thürſchwelle liegen, einen abgebro - chenen Flaſchenhals von Zeit zu Zeit zum Munde führend und ſich Geſicht und Hände jämmerlich zerſchneidend. Die junge Frau blieb bei ihren Eltern, wo ſie bald verkümmerte und ſtarb. Ob nun den Mergel Reue quälte oder Scham, genug, er ſchien der Troſtmittel immer bedürftiger und fing bald an, den gänzlich verkommenen Subjekten zugezählt zu werden.

Die Wirthſchaft verfiel; fremde Mägde brachten Schimpf und Schaden; ſo vergieng Jahr auf Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armſeliger Wittwer, bis er mit einem - male wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für ſich unerwartet, ſo trug die Perſönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Ver - wunderung zu erhöhen. Margareth Semmler war eine brave, anſtändige Perſon, ſo in den Vierzigen, in ihrer Jugend eine Dorfſchönheit und noch jetzt ſehr klug und wirthlich geachtet, dabei nicht unver - mögend; und ſo mußte es Jedem unbegreiflich ſein, was ſie zu dieſem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in dieſer ihrer ſelbſtbewußten Voll - kommenheit zu finden. Am Abend vor der Hochzeit ſoll ſie geſagt haben: Eine Frau die von ihrem Manne übel behandelt wird, iſt dumm oder taugt151 nicht: wenn’s mir ſchlecht geht, ſo ſagt, es liege an mir. Der Erfolg zeigte leider, daß ſie ihre Kräfte überſchätzt hatte. Anfangs imponirte ſie ihrem Manne; er kam nicht nach Haus oder brach in die Scheune, wenn er ſich übernommen hatte; aber das Joch war zu drückend, um lange getragen zu werden, und bald ſah man ihn oft genug quer über die Gaſſe ins Haus taumeln, hörte drinnen ſein wüſtes Lärmen und ſah Margreth eilends Thür und Fenſter ſchließen. An einem ſolchen Tage keinem Sonntage mehr ſah man ſie Abends aus dem Hauſe ſtürzen, ohne Haube und Halstuch, das Haar wild um den Kopf hängend, ſich im Garten neben ein Krautbeet niederwerfen und die Erde mit den Händen aufwühlen, dann ängſtlich um ſich ſchauen, raſch ein Bündel Kräuter brechen und damit langſam wieder dem Hauſe zugehen, aber nicht hinein, ſondern in die Scheune. Es hieß, an dieſem Tage habe Mergel zuerſt Hand an ſie gelegt, obwohl das Bekenntniß nie über ihre Lippen kam. Das zweite Jahr dieſer unglücklichen Ehe ward mit einem Sohne, man kann nicht ſagen erfreut,[denn] Margareth ſoll ſehr geweint haben, als man ihr das Kind reichte. Dennoch, obwohl unter einem Herzen voll Gram getragen, war Friedrich ein geſundes hübſches Kind, das in der friſchen Luft kräftig gedieh. Der Vater hatte ihn ſehr152 lieb, kam nie nach Hauſe ohne ihm ein Stückchen Wecken oder dergleichen mitzubringen, und man meinte ſogar, er ſei ſeit der Geburt des Knaben ordentlicher geworden; wenigſtens war der Lärmen im Hauſe geringer.

Friedrich ſtand in ſeinem neunten Jahre. Es war um das Feſt der heiligen drei Könige, eine rauhe, ſtürmiſche Winternacht. Hermann war zu einer Hochzeit gegangen und hatte ſich ſchon bei Zeiten auf den Weg gemacht, da das Brauthaus Dreiviertelmeilen entfernt lag. Obgleich er verſprochen hatte, Abends wiederzukommen, rechnete Frau Mergel doch um ſo weniger darauf, da ſich nach Sonnen - untergang dichtes Schneegeſtöber eingeſtellt hatte. Gegen zehn Uhr ſchürte ſie die Aſche am Herde zu - ſammen und machte ſich zum Schlafengehen bereit. Friedrich ſtand neben ihr, ſchon halb entkleidet, und horchte auf das Geheul des Windes und das Klappen der Bodenfenſter.

Mutter, kommt der Vater heute nicht? fragte er.

Nein Kind, morgen. Aber warum nicht, Mutter? er hat’s doch verſprochen. Ach Gott, wenn der Alles hielte, was er verſpricht! Mach, mach voran, daß du fertig wirſt.

Sie hatten ſich kaum niedergelegt, ſo erhob ſich eine Windsbraut, als ob ſie das Haus mit -153 nehmen wollte. Die Bettſtatt bebte und im Schorn - ſtein raſſelte es wie ein Kobold. Mutter, es pocht draußen! Still, Fritzchen, das iſt das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt. Nein, Mutter, an der Thür! Sie ſchließt nicht; die Klinke iſt zerbrochen. Gott, ſchlaf doch! bring mich nicht um das armſelige Bischen Nacht - ruhe. Aber wenn nun der Vater kommt? Die Mutter drehte ſich heftig im Bett um. Den hält der Teufel feſt genug! Wo iſt der Teufel, Mutter? Wart du Unraſt! er ſteht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig biſt!

Friedrich ward ſtill; er horchte noch ein Weil - chen und ſchlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte ſich gewendet und ziſchte jetzt wie eine Schlange durch die Fenſterritze an ſeinem Ohr. Seine Schulter war erſtarrt; er kroch tief unter’s Deckbett und lag aus Furcht ganz ſtill. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht ſchlief. Er hörte ſie weinen und mitunter: Gegrüßt ſeiſt du, Maria! und bitte für uns arme Sünder! Die Kügelchen des Roſenkranzes glitten an ſeinem Geſicht hin. Ein unwillkührlicher Seufzer entfuhr ihm. Friedrich, biſt du wach? Ja, Mutter. Kind, bete ein wenig du154 kannſt ja ſchon das halbe Vaterunſer daß Gott uns bewahre vor Waſſer - und Feuersnoth.

Friedrich dachte an den Teufel, wie der wohl ausſehen möge. Das mannigfache Geräuſch und Getöſe im Hauſe kam ihm wunderlich vor. Er meinte, es müſſe etwas Lebendiges drinnen ſein und draußen auch. Hör, Mutter, gewiß, da ſind Leute, die pochen. Ach nein, Kind; aber es iſt kein altes Brett im Hauſe, das nicht klap - pert. Hör! hörſt du nicht? es ruft! hör doch!

Die Mutter richtete ſich auf; das Toben des Sturms ließ einen Augenblick nach. Man hörte deutlich an den Fenſterläden pochen und mehrere Stimmen: Margareth! Frau Margareth, heda, aufgemacht! Magareth ſtieß einen heftigen Laut aus: Da bringen ſie mir das Schwein wieder!

Der Roſenkranz flog klappernd auf den Brett - ſtuhl, die Kleider wurden herbeigeriſſen. Sie fuhr zum Herde und bald darauf hörte Friedrich ſie mit trotzigen Schritten über die Tenne gehen. Mar - gareth kam gar nicht wieder; aber in der Küche war viel Gemurmel und fremde Stimmen. Zweimal kam ein fremder Mann in die Kammer und ſchien ängſtlich etwas zu ſuchen. Mit einem Male ward eine Lampe hereingebracht; zwei Männer führten die Mutter. Sie war weiß wie Kreide und hatte155 die Augen geſchloſſen. Friedrich meinte, ſie ſei todt; er erhob ein fürchterliches Geſchrei, worauf ihm Jemand eine Ohrfeige gab, was ihn zur Ruhe brachte, und nun begriff er nach und nach aus den Reden der Umſtehenden, daß der Vater vom Ohm Franz Semmler und dem Hülsmeyer todt im Holze gefunden ſei und jetzt in der Küche liege.

Sobald Margareth wieder zur Beſinnung kam, ſuchte ſie die fremden Leute los zu werden. Der Bruder blieb bei ihr und Friedrich, dem bei ſtrenger Strafe im Bett zu bleiben geboten war, hörte die ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche kni - ſtern und ein Geräuſch wie von Hin - und Her - rutſchen und Bürſten. Geſprochen ward wenig und leiſe, aber zuweilen drangen Seufzer herüber, die dem Knaben, ſo jung er war, durch Mark und Bein gingen. Einmal verſtand er, daß der Oheim ſagte: Margareth, zieh dir das nicht zu Gemüth; wir wollen Jeder drei Meſſen leſen laſſen, und um Oſtern gehen wir zuſammen eine Bittfahrt zur Muttergottes von Werl.

Als nach zwei Tagen die Leiche fortgetragen wurde, ſaß Margareth am Herde, das Geſicht mit der Schürze verhüllend. Nach einigen Minuten, als Alles ſtill geworden war, ſagte ſie in ſich hinein: Zehn Jahre, zehn Kreuze. Wir haben ſie doch156 zuſammen getragen, und jetzt bin ich allein! Dann lauter: Fritzchen, komm her!

Friedrich kam ſcheu heran; die Mutter war ihm ganz unheimlich geworden mit den ſchwarzen Bändern und den verſtörten Zügen. Fritzchen, ſagte ſie, willſt du jetzt auch fromm ſein, daß ich Freude an dir habe, oder willſt du unartig ſein und lügen, oder ſaufen und ſtehlen? Mutter, Hülsmeyer ſtiehlt. Hülsmeyer? Gott bewahre! Soll ich dir auf den Rücken kommen? wer ſagt dir ſo ſchlechtes Zeug? Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm ſechs Groſchen genommen. Hat er dem Aaron Geld genommen, ſo hat ihn der verfluchte Jude gewiß zuvor darum betrogen. Hülsmeyer iſt ein ordentlicher angeſeſſener Mann, und die Juden ſind alle Schelme. Aber, Mutter, Brandes ſagt auch, daß er Holz und Rehe ſtiehlt. Kind, Brandes iſt ein Förſter. Mutter, lügen die Förſter?

Margareth ſchwieg eine Weile, dann ſagte ſie: Höre, Fritz, das Holz läßt unſer Herrgott frei wachſen und das Wild wechſelt aus eines Herren Lande in das andere; die können Niemandem ge - hören. Doch das verſtehſt du noch nicht; jetzt geh in den Schuppen und hole mir Reiſig.

Friedrich hatte ſeinen Vater auf dem Stroh geſehen, wo er, wie man ſagt, blau und fürchter -157 lich ausgeſehen haben ſoll. Aber davon erzählte er nie und ſchien ungern daran zu denken. Ueber - haupt hatte die Erinnerung an ſeinen Vater eine mit Grauſen gemiſchte Zärtlichkeit in ihm zurück - gelaſſen, wie denn nichts ſo feſſelt, wie die Liebe und Sorgfalt eines Weſens, das gegen alles Uebrige verhärtet ſcheint, und bei Friedrich wuchs dieſes Gefühl mit den Jahren, durch das Gefühl mancher Zurückſetzung von Seiten Anderer. Es war ihm äußerſt empfindlich, wenn, ſo lange er Kind war, Jemand des Verſtorbenen nicht allzu löblich ge - dachte; ein Kummer, den ihm das Zartgefühl der Nachbarn nicht erſparte. Es iſt gewöhnlich in jenen Gegenden, den Verunglückten die Ruhe im Grabe abzuſprechen. Der alte Mergel war das Geſpenſt des Brederholzes geworden; einen Betrunkenen führte er als Irrlicht bei einem Haar in den Zellerkolk (Teich); die Hirtenknaben, wenn ſie Nachts bei ihren Feuern kauerten und die Eulen in den Gründen ſchrieen, hörten zuweilen in abgebrochenen Tönen ganz deutlich dazwiſchen ſein: Hör mal an, fein’s Liſeken, und ein unprivilegirter Holzhauer, der unter der breiten Eiche eingeſchlafen und dem es darüber Nacht geworden war, hatte beim Erwachen ſein geſchwollenes blaues Geſicht durch die Zweige lauſchen ſehen. Friedrich mußte von andern Knaben Vieles darüber hören; dann heulte er, ſchlug um158 ſich, ſtach auch einmal mit ſeinem Meſſerchen und wurde bei dieſer Gelegenheit jämmerlich geprügelt. Seitdem trieb er ſeiner Mutter Kühe allein an das andere Ende des Thales, wo man ihn oft Stun - den lang in derſelben Stellung im Graſe liegen und den Thymian aus dem Boden rupfen ſah.

Er war 12 Jahre alt, als ſeine Mutter einen Beſuch von ihrem jüngeren Bruder erhielt, der in Brede wohnte und ſeit der thörichten Heirath ſeiner Schweſter ihre Schwelle nicht betreten hatte.

Simon Semmler war ein kleiner, unruhiger, magerer Mann mit vor dem Kopf liegenden Fiſch - augen und überhaupt einem Geſicht wie ein Hecht, ein unheimlicher Geſelle, bei dem dickthuende Ver - ſchloſſenheit oft mit eben ſo geſuchter Treuherzigkeit wechſelte, der gern einen aufgeklärten Kopf vorge - ſtellt hätte und ſtatt deſſen für einen fatalen, Händel ſuchenden Kerl galt, dem Jeder um ſo lieber aus dem Wege ging, je mehr er in das Alter trat, wo ohnehin beſchränkte Menſchen leicht an Anſprüchen gewinnen, was ſie an Brauchbarkeit verlieren. Dennoch freute ſich die arme Margareth, die ſonſt keinen der Ihrigen mehr am Leben hatte.

Simon, biſt du da? ſagte ſie, und zitterte, daß ſie ſich am Stuhle halten mußte. Willſt du ſehen, wie es mir geht und meinem ſchmutzigen Jungen? Simon betrachtete ſie ernſt und159 reichte ihr die Hand: Du biſt alt geworden, Margreth! Margreth ſeufzte: Es iſt mir derweil oft bitterlich gegangen mit allerlei Schick - ſalen. Ja, Mädchen, zu ſpät gefreit, hat immer gereut! Jetzt biſt du alt und das Kind iſt klein. Jedes Ding hat ſeine Zeit. Aber wenn ein altes Haus brennt, dann hilft kein Löſchen. Ueber Margreths vergrämtes Geſicht flog eine Flamme, ſo roth wie Blut.

Aber ich höre, dein Junge iſt ſchlau und gewichſt, fuhr Simon fort. Ei nun ſo ziem - lich, und dabei fromm. Hum, ’s hat mal Einer eine Kuh geſtohlen, der hieß auch Fromm. Aber er iſt ſtill und nachdenklich, nicht wahr? er läuft nicht mit den andern Buben? Er iſt ein eigenes Kind, ſagte Margreth wie für ſich; es iſt nicht gut. Simon lachte hell auf: Dein Junge iſt ſcheu, weil ihn die andern ein paarmal gut durchgedroſchen haben. Das wird ihnen der Burſche ſchon wieder bezahlen. Hülsmeyer war neulich bei mir, der ſagte, es ſei ein Junge wie ’n Reh.

Welcher Mutter geht das Herz nicht auf, wenn ſie ihr Kind loben hört? Der armen Mar - greth ward ſelten ſo wohl, Jedermann nannte ihren Jungen tückiſch und verſchloſſen. Die Thränen traten ihr in die Augen. Ja, Gottlob, er hat gerade Glieder. Wie ſieht er aus? fuhr160 Simon fort. Er hat viel von dir, Simon, viel. Simon lachte: Ei. das muß ein rarer Kerl ſein, ich werde alle Tage ſchöner. An der Schule ſoll er ſich wohl nicht verbrennen. Du läßt ihn die Kühe hüten? Eben ſo gut. Es iſt doch nicht halb wahr, was der Magiſter ſagt. Aber wo hütet er? Im Telengrund? im Koderholze? im Teutoburger Wald? auch des Nachts und früh? Die ganzen Nächte durch; aber wie meinſt du das?

Simon ſchien dies zu überhören; er reckte den Hals zur Thüre hinaus: Ei da kommt der Geſell! Vatersſohn! er ſchlenkert gerade ſo mit den Armen wie dein ſeliger Mann. Und ſchau mal an! wahr - haftig, der Junge hat meine blonden Haare!

In der Mutter Züge kam ein heimliches, ſtolzes Lächeln; ihres Friedrichs blonde Locken und Simons röthliche Borſten! Ohne zu antworten, brach ſie einen Zweig von der nächſten Hecke und ging ihrem Sohne entgegen, ſcheinbar, eine träge Kuh anzu - treiben, im Grunde aber, ihm einige raſche, halb - drohende Worte zuzuraunen; denn ſie kannte ſeine ſtörriſche Natur, und Simons Weiſe war ihr heute einſchüchternder vorgekommen als je. Doch ging Alles über Erwarten gut; Friedrich zeigte ſich weder verſtockt, noch frech, vielmehr etwas blöde und ſehr bemüht, dem Ohm zu gefallen. So kam es denn dahin, daß nach einer halbſtündigen Unterredung161 Simon eine Art Adoption des Knaben in Vor - ſchlag brachte, vermöge deren er denſelben zwar nicht gänzlich der Mutter entziehen, aber doch über den größten Theil ſeiner Zeit verfügen wollte, wofür ihm dann am Ende des alten Junggeſellen Erbe zufallen ſolle, das ihm freilich ohnedies nicht ent - gehen konnte. Margreth ließ ſich geduldig aus - einanderſetzen, wie groß der Vortheil, wie gering die Entbehrung ihrerſeits bei dem Handel ſei. Sie wußte am beſten, was eine kränkliche Wittwe an der Hülfe eines zwölfjährigen Knaben entbehrt, den ſie bereits gewöhnt hat, die Stelle einer Tochter zu erſetzen. Doch ſie ſchwieg und gab ſich in Alles. Nur bat ſie den Bruder, ſtreng, doch nicht hart gegen den Knaben zu ſein.

Er iſt gut, ſagte ſie, aber ich bin eine ein - ſame Frau; mein Sohn iſt nicht wie einer, über den Vaterhand regiert hat. Simon nickte ſchlau mit dem Kopf: Laß mich nur gewähren, wir wollen uns ſchon vertragen, und weißt du was? gieb mir den Jungen gleich mit, ich habe zwei Säcke aus der Mühle zu holen; der kleinſte iſt ihm grad recht, und ſo lernt er mir zur Hand gehen. Komm, Fritzchen, zieh deine Holzſchuh an! Und bald ſah Margreth den Beiden nach, wie ſie fort - ſchritten, Simon voran, mit ſeinem Geſicht die Luft durchſchneidend, während ihm die Schöße des rothen11162Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er ziemlich das Anſehen eines feurigen Mannes, der unter dem geſtohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm nach, fein und ſchlank für ſein Alter, mit zarten, faſt edlen Zügen und langen blonden Locken, die beſſer gepflegt waren, als ſein übriges Aeußeres er - warten ließ; übrigens zerlumpt, ſonnenverbrannt und mit dem Ausdrucke der Vernachläſſigung und einer gewiſſen rohen Melancholie in den Zügen. Dennoch war eine große Familienähnlichkeit Beider nicht zu verkennen, und wie Friedrich ſo langſam ſeinem Führer nachtrat, die Blicke feſt auf denſelben geheftet, der ihn gerade durch das Seltſame ſeiner Erſcheinung anzog, erinnerte er unwillkürlich an Jemand, der in einem Zauberſpiegel das Bild ſeiner Zukunft mit verſtörter Aufmerkſamkeit betrachtet.

Jetzt nahten die Beiden ſich der Stelle des Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Ab - hang des Gebirges niederſteigt und einen ſehr dun - keln Grund ausfüllt. Bis jetzt war wenig geſprochen worden. Simon ſchien nachdenkend, der Knabe zer - ſtreut, und Beide keuchten unter ihren Säcken. Plötzlich fragte Simon: Trinkſt du gern Brannt - wein? Der Knabe antwortete nicht. Ich frage, trinkſt du gern Branntwein? gibt dir die Mutter zuweilen welchen? Die Mutter hat ſelbſt keinen, ſagte Friedrich. So, ſo, deſto beſſer! 163 kennſt du das Holz da vor uns? Das iſt das Brederholz. Weißt du auch, was darin vorgefallen iſt? Friedrich ſchwieg. Indeſſen kamen ſie der düſtern Schlucht immer näher.

Betet die Mutter noch ſo viel? hob Simon wieder an. Ja, jeden Abend zwei Roſenkränze. So? und du beteſt mit? Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seiten - blick. Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Eſſen den einen Roſenkranz, dann bin ich noch nicht wieder da mit den Kühen, und den an - dern im Bette, dann ſchlaf ich gewöhnlich ein. So, ſo, Geſelle! Dieſe letzten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche geſprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jetzt ganz finſter; das erſte Mondviertel ſtand am Himmel, aber ſeine ſchwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenſtänden, die ſie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges An - ſehen zu geben. Friedrich hielt ſich dicht hinter ſeinem Ohm; ſein Odem ging ſchnell, und wer ſeine Züge hätte unterſcheiden können, würde den Aus - druck einer ungeheuren, doch mehr phantaſtiſchen als furchtſamen Spannung darin wahrgenommen haben. So ſchritten Beide rüſtig voran, Simon mit dem feſten Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich ſchwankend und wie im Traum. Es kam11*164ihm vor, als ob Alles ſich bewegte und die Bäume in den einzelnen Mondſtrahlen bald zuſammen, bald von einander ſchwankten. Baumwurzeln und ſchlüpf - rige Stellen, wo ſich das Waſſer geſammelt, machten ſeinen Schritt unſicher; er war einige Male nahe daran, zu fallen. Jetzt ſchien ſich in einiger Ent - fernung das Dunkel zu brechen, und bald traten Beide in eine ziemlich große Lichtung. Der Mond ſchien klar hinein und zeigte, daß hier noch vor Kurzem die Axt unbarmherzig gewüthet hatte. Ueberall ragten Baumſtümpfe hervor, manche meh - rere Fuß über der Erde, wie ſie gerade in der Eile am bequemſten zu durchſchneiden geweſen waren; die verpönte Arbeit mußte unverſehens unterbrochen worden ſein, denn eine Buche lag quer über dem Pfad, in vollem Laube, ihre Zweige hoch über ſich ſtreckend und im Nachtwinde mit den noch friſchen Blättern zitternd. Simon blieb einen Augenblick ſtehen und betrachtete den gefällten Stamm mit Aufmerkſamkeit. In der Mitte der Lichtung ſtand eine alte Eiche, mehr breit als hoch; ein blaſſer Strahl, der durch die Zweige auf ihren Stamm fiel, zeigte, daß er hohl ſei, was ihn wahrſcheinlich vor der allgemeinen Zerſtörung geſchützt hatte. Hier ergriff Simon plötzlich des Knaben Arm.

Friedrich, kennſt du den Baum? Das iſt die breite Eiche. Friedrich fuhr zuſammen und165 klammerte ſich mit kalten Händen an ſeinen Ohm. Sieh, fuhr Simon fort, hier haben Ohm Franz und der Hülsmeyer deinen Vater gefunden, als er in der Betrunkenheit ohne Buße und Oelung zum Teufel gefahren war. Ohm, Ohm! keuchte Friedrich. Was fällt dir ein? Du wirſt dich doch nicht fürchten? Satan von einem Jungen, du kneipſt mir den Arm! laß los, los! Er ſuchte den Knaben abzuſchütteln. Dein Vater war übrigens eine gute Seele; Gott wird’s nicht ſo genau mit ihm nehmen. Ich hatte ihn ſo lieb, wie meinen eigenen Bruder. Friedrich ließ den Arm ſeines Ohms los; beide legten ſchweigend den übrigen Theil des Waldes zurück und das Dorf Brede lag vor ihnen, mit ſeinen Lehmhütten und den einzelnen beſſeren Wohnungen von Ziegelſteinen, zu denen auch Simons Haus gehörte.

Am nächſten Abend ſaß Margreth ſchon ſeit einer Stunde mit ihrem Rocken vor der Thür und wartete auf ihren Knaben. Es war die erſte Nacht, die ſie zugebracht hatte, ohne den Athem ihres Kin - des neben ſich zu hören, und Friedrich kam noch immer nicht. Sie war ärgerlich und ängſtlich und wußte, daß ſie beides ohne Grund war. Die Uhr im Thurm ſchlug ſieben, das Vieh kehrte heim; er war noch immer nicht da und ſie mußte aufſtehen, um nach den Kühen zu ſchauen.

166

Als ſie wieder in die dunkle Küche trat, ſtand Friedrich am Herde; er hatte ſich vorn übergebeugt und wärmte die Hände an den Kohlen. Der Schein ſpielte auf ſeinen Zügen und gab ihnen ein widriges Anſehen von Magerkeit und ängſtlichem Zucken. Margreth blieb in der Tennenthür ſtehen, ſo ſeltſam verändert kam ihr das Kind vor.

Friedrich, wie geht’s dem Ohm? Der Knabe murmelte einige unverſtändliche Worte und drängte ſich dicht an die Feuermauer. Friedrich, haſt du das Reden verlernt? Junge, thu das Maul auf! du weißt ja doch, daß ich auf dem rechten Ohr nicht gut höre. Das Kind erhob ſeine Stimme und gerieth dermaßen in’s Stammeln, daß Margreth es um nichts mehr begriff.

Was ſagſt du? einen Gruß von Meiſter Semmler? wieder fort? wohin? die Kühe ſind ſchon zu Hauſe. Verfluchter Junge, ich kann dich nicht verſtehen. Wart, ich muß einmal ſehen, ob du keine Zunge im Munde haſt! Sie trat heftig einige Schritte vor. Das Kind ſah zu ihr auf mit dem Jammerblick eines armen, halbwüchſigen Hundes, der Schildwacht ſtehen lernt, und begann in der Angſt mit den Füßen zu ſtampfen und den Rücken an der Feuermauer zu reiben.

Margreth ſtand ſtill; ihre Blicke wurden ängſt - lich. Der Knabe erſchien ihr wie zuſammengeſchrumpft,167 auch ſeine Kleider waren nicht dieſelben, nein, das war ihr Kind nicht! und dennoch Friedrich, Friedrich! rief ſie.

In der Schlafkammer klappte eine Schrank - thür und der Gerufene trat hervor, in der einen Hand eine ſogenannte Holzſchenvioline, d. h. einen alten Holzſchuh, mit drei bis vier zerſchabten Gei - genſaiten überſpannt, in der andern einen Bogen, ganz des Inſtrumentes würdig. So ging er gerade auf ſein verkümmertes Spiegelbild zu, ſeinerſeits mit einer Haltung bewußter Würde und Selbſt - ſtändigkeit, die in dieſem Augenblicke den Unterſchied zwiſchen beiden ſonſt merkwürdig ähnlichen Knaben ſtark hervortreten ließ.

Da, Johannes! ſagte er und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunſtwerk; da iſt die Violine, die ich dir verſprochen habe.

Mein Spielen iſt vorbei, ich muß jetzt Geld verdienen. Johannes warf noch einmal einen ſcheuen Blick auf Margreth, ſtreckte dann langſam ſeine Hand aus, bis er das Dargebotene feſt er - griffen hatte, und brachte es wie verſtohlen unter die Flügel ſeines armſeligen Jäckchens.

Margreth ſtand ganz ſtill und ließ die Kinder gewähren. Ihre Gedanken hatten eine andere, ſehr ernſte Richtung genommen, und ſie blickte mit un - ruhigem Auge von Einem auf den Andern. Der168 fremde Knabe hatte ſich wieder über die Kohlen gebeugt mit einem Ausdruck augenblicklichen Wohl - behagens, der an Albernheit grenzte, während in Friedrichs Zügen der Wechſel eines offenbar mehr ſelbſtiſchen als gutmüthigen Mitgefühls ſpielte und ſein Auge in faſt glasartiger Klarheit zum erſten - male beſtimmt den Ausdruck jenes ungebändigten Ehrgeizes und Hanges zum Großthun zeigte, der nachher als ſo ſtarkes Motiv ſeiner meiſten Hand - lungen hervortrat.

Der Ruf ſeiner Mutter ſtörte ihn aus Ge - danken, die ihm eben ſo neu als angenehm waren.

Sie ſaß wieder am Spinnrade.

Friedrich, ſagte ſie zögernd, ſag einmal und ſchwieg dann. Friedrich ſah auf und wandte ſich, da er nichts weiter vernahm, wieder zu ſeinem Schützling. Nein, höre und dann leiſer: was iſt das für ein Junge? wie heißt er? Friedrich antwortete eben ſo leiſe: Das iſt des Ohms Simon Schweinehirt, der eine Botſchaft an den Hülsmeyer hat. Der Ohm hat mir ein paar Schuhe und eine Weſte von Drillich gegeben, die hat mir der Junge unterwegs getragen; dafür hab ich ihm meine Violine verſprochen; er iſt ja doch ein armes Kind; Johannes heißt er. Nun? ſagte Margreth. Was willſt du, Mutter? Wie heißt er weiter? Ja weiter nicht 169 oder, warte doch: Niemand, Johannes Niemand heißt er. Er hat keinen Vater, fügte er leiſer hinzu.

Margreth ſtand auf und ging in die Kammer. Nach einer Weile kam ſie heraus mit einem harten, finſtern Ausdruck in den Mienen. So, Friedrich, ſagte ſie, laß den Jungen gehen, daß er ſeine Be - ſtellung machen kann. Junge, was liegſt du da in der Aſche? haſt du zu Hauſe nichts zu thun?

Der Knabe raffte ſich mit der Miene eines Verfolgten ſo eilfertig auf, daß ihm alle Glieder im Wege ſtanden und die Holzſchenvioline bei einem Haar in’s Feuer gefallen wäre.

Warte, Johannes, ſagte Friedrich ſtolz, ich will dir mein halbes Butterbrod geben, es iſt mir doch zu groß, die Mutter ſchneidet allemal über’s ganze Brod.

Laß doch, ſagte Margreth, er geht ja nach Hauſe.

Ja, aber er bekommt nichts mehr; Ohm Simon ißt um 7 Uhr. Margreth wandte ſich zu dem Knaben: Hebt man dir nichts auf? Sprich, wer ſorgt für dich? Niemand, ſtotterte das Kind. Niemand? wiederholte ſie; da nimm, nimm! fügte ſie heftig hinzu; du heißt Niemand und Niemand ſorgt für dich! Das ſei Gott geklagt! Und nun mach dich fort! Friedrich, geh nicht mit ihm, hörſt du, geht nicht zuſammen durch’s Dorf. 170 Ich will ja nur Holz holen aus dem Schup - pen, antwortete Friedrich. Als beide Knaben fort waren, warf ſich Margreth auf einen Stuhl und ſchlug die Hände mit dem Ausdruck des tiefſten Jammers zuſammen. Ihr Geſicht war bleich wie ein Tuch. Ein falſcher Eid, ein falſcher Eid! ſtöhnte ſie. Was iſt’s? Simon, Simon, wie willſt du vor Gott beſtehen!

So ſaß ſie eine Weile, ſtarr mit geklemmten Lippen, wie in völliger Geiſtesabweſenheit. Friedrich ſtand vor ihr und hatte ſie ſchon zweimal angeredet. Was iſt’s? was willſt du? rief ſie auffahrend. Ich bringe Euch Geld, ſagte er, mehr erſtaunt als erſchreckt. Geld? wo? Sie regte ſich und die kleine Münze fiel klingend auf den Boden. Friedrich hob ſie auf. Geld vom Ohm Simon, weil ich ihm habe arbeiten helfen. Ich kann mir nun ſelber was verdienen. Geld vom Simon? wirf’s fort, fort! nein, gib’s den Armen. Doch nein, behalt’s, flüſterte ſie kaum hörbar; wir ſind ſelber arm; wer weiß, ob wir bei dem Betteln vor - beikommen! Ich ſoll Montag wieder zum Ohm und ihm bei der Einſaat helfen. Du wieder zu ihm? nein, nein, nimmermehr! Sie umfaßte ihr Kind mit Heftigkeit. Doch, fügte ſie hinzu, und ein Thränenſtrom ſtürzte ihr plötzlich über die eingefallenen Wangen; geh, er iſt mein171 einziger Bruder, und die Verläumdung iſt groß! Aber halt Gott vor Augen und vergiß das täg - liche Gebet nicht!

Margreth legte das Geſicht an die Mauer und weinte laut. Sie hatte manche harte Laſt getragen, ihres Mannes üble Behandlung, noch ſchwerer ſeinen Tod und es war eine bittere Stunde, als die Wittwe das letzte Stück Ackerland einem Gläu - biger zur Nutznießung überlaſſen mußte und der Pflug vor ihrem Hauſe ſtille ſtand. Aber ſo war ihr nie zu Muthe geweſen; dennoch, nachdem ſie einen Abend durchgeweint, eine Nacht durchwacht hatte, war ſie dahin gekommen, zu denken, ihr Bruder Simon könne ſo gottlos nicht ſein, der Knabe gehöre gewiß nicht ihm, Aehnlichkeiten wollen nichts beweiſen. Hatte ſie doch ſelbſt vor 40 Jahren ein Schweſterchen verloren, das genau dem fremden Hechelkrämer glich. Was glaubt man nicht gern, wenn man ſo wenig hat und durch Unglauben dies wenige verlieren ſoll!

Von dieſer Zeit an war Friedrich ſelten mehr zu Hauſe. Simon ſchien alle wärmeren Gefühle, deren er fähig war, dem Schweſterſohn zugewendet zu haben; wenigſtens vermißte er ihn ſehr und ließ nicht nach mit Botſchaften, wenn ein häusliches Geſchäft ihn auf einige Zeit bei der Mutter hielt. Der Knabe war ſeitdem wie verwandelt, das träu -172 meriſche Weſen gänzlich von ihm gewichen, er trat feſt auf, fing an, ſein Aeußeres zu beachten und bald in den Ruf eines hübſchen, gewandten Burſchen zu kommen. Sein Ohm, der nicht wohl ohne Projekte leben konnte, unternahm mitunter be - deutende öffentliche Arbeiten, z. B. beim Wegbau, wobei Friedrich für einen ſeiner beſten Arbeiter und überall als ſeine rechte Hand galt; denn obgleich deſſen Körperkräfte noch nicht ihr volles Maß er - reicht hatten, kam ihm doch nicht leicht Jemand an Ausdauer gleich. Margreth hatte bisher ihren Sohn nur geliebt, jetzt fing ſie an, ſtolz auf ihn zu werden und ſogar eine Art Hochachtung für ihn zu fühlen, da ſie den jungen Menſchen ſo ganz ohne ihr Zuthun ſich entwickeln ſah, ſogar ohne ihren Rath, den ſie, wie die meiſten Menſchen, für unſchätzbar hielt und deshalb die Fähigkeiten nicht hoch genug anzuſchlagen wußte, die eines ſo koſtbaren Förderungsmittels entbehren konnten.

In ſeinem achtzehnten Jahre hatte Friedrich ſich bereits einen bedeutenden Ruf in der jungen Dorfwelt geſichert durch den Ausgang einer Wette, in Folge deren er einen erlegten Eber über zwei Meilen weit auf ſeinem Rücken trug, ohne abzu - ſetzen. Indeſſen war der Mitgenuß des Ruhms auch ſo ziemlich der einzige Vortheil, den Margreth aus dieſen günſtigen Umſtänden zog, da Friedrich173 immer mehr auf ſein Aeußeres verwandte und all - mählig anfing, es ſchwer zu verdauen, wenn Geld - mangel ihn zwang, irgend Jemand im Dorf darin nachzuſtehen. Zudem waren alle ſeine Kräfte auf den auswärtigen Erwerb gerichtet; zu Hauſe ſchien ihm, ganz im Widerſpiel mit ſeinem ſonſtigen Rufe, jede anhaltende Beſchäftigung läſtig, und er unter - zog ſich lieber einer harten, aber kurzen Anſtrengung, die ihm bald erlaubte, ſeinem frühern Hirtenamte wieder nachzugehen, was bereits begann, ſeinem Alter unpaſſend zu werden, und ihm gelegentlichen Spott zuzog, vor dem er ſich aber durch ein paar derbe Zurechtweiſungen mit der Fauſt Ruhe ver - ſchaffte. So gewöhnte man ſich daran, ihn bald geputzt und fröhlich als anerkannten Dorfelegant an der Spitze des jungen Volkes zu ſehen, bald wieder als zerlumpten Hirtenbuben einſam und träumeriſch hinter den Kühen herſchleichend, oder in einer Waldlichtung liegend, ſcheinbar gedankenlos und das Moos von den Bäumen rupfend.

Um dieſe Zeit wurden die ſchlummernden Ge - ſetze doch einigermaßen aufgerüttelt durch eine Bande von Holzfrevlern, die unter dem Namen der Blau - kittel alle ihre Vorgänger ſo weit an Liſt und Frechheit übertraf, daß es dem Langmüthigſten zu viel werden mußte. Ganz gegen den gewöhnlichen Stand der Dinge, wo man die ſtärkſten Böcke der174 Heerde mit dem Finger bezeichnen konnte, war es hier trotz aller Wachſamkeit bisher nicht möglich geweſen, auch nur ein Individuum namhaft zu machen. Ihre Benennung erhielten ſie von der ganz gleichförmigen Tracht, durch die ſie das Er - kennen erſchwerten, wenn etwa ein Förſter noch einzelne Nachzügler im Dickicht verſchwinden ſah. Sie verheerten Alles wie die Wanderraupe, ganze Waldſtrecken wurden in einer Nacht gefällt und auf der Stelle fortgeſchafft, ſo daß man am andern Morgen nichts fand, als Späne und wüſte Haufen von Topholz, und der Umſtand, daß nie Wagen - ſpuren einem Dorfe zuführten, ſondern immer vom Fluſſe her und dorthin zurück, bewies, daß man unter dem Schutz und vielleicht mit dem Beiſtande der Schiffseigenthümer handelte. In der Bande mußten ſehr gewandte Spione ſein, denn die Förſter konnten Wochen lang umſonſt wachen; in der erſten Nacht, gleichviel, ob ſtürmiſch oder mondhell, wo ſie vor Uebermüdung nachließen, brach die Zer - ſtörung ein. Seltſam war es, daß das Landvolk umher ebenſo unwiſſend und geſpannt ſchien, als die Förſter ſelber.

Von einigen Dörfern ward mit Beſtimmtheit geſagt, daß ſie nicht zu den Blaukitteln gehörten, aber keines konnte als dringend verdächtig bezeichnet werden, ſeit man das verdächtigſte von allen, das175 Dorf B. freiſprechen mußte. Ein Zufall hatte dies bewirkt, eine Hochzeit, auf der faſt alle Be - wohner dieſes Dorfes notoriſch die Nacht zugebracht hatten, während zu eben dieſer Zeit die Blaukittel eine ihrer ſtärkſten Expeditionen ausführten.

Der Schaden in den Forſten war indeß all - zugroß, deshalb wurden die Maßregeln dagegen auf eine bisher unerhörte Weiſe geſteigert; Tag und Nacht wurde patrouillirt, Oberknechte, Haus - bediente mit Gewehren verſehen und den Forſtbeamten zugeſellt. Dennoch war der Erfolg nur gering und die Wächter hatten oft kaum das eine Ende des Forſtes verlaſſen, wenn die Blaukittel ſchon zum andern einzogen. Das währte länger als ein volles Jahr, Wächter und Blaukittel, Blaukittel und Wächter, wie Sonne und Mond, immer ab - wechſelnd im Beſitz des Terrains und nie zu - ſammentreffend.

Es war im Juli 1756 früh um drei Uhr; der Mond ſtand klar am Himmel, aber ſein Glanz fing an zu ermatten und im Oſten zeigte ſich be - reits ein ſchmaler gelber Streif, der den Horizont beſäumte und den Eingang einer engen Thalſchlucht wie mit einem Goldbande ſchloß. Friedrich lag im Graſe, nach ſeiner gewohnten Weiſe, und ſchnitzelte an einem Weidenſtabe, deſſen knotigem Ende er die Geſtalt eines ungeſchlachten Thieres zu geben ver -176 ſuchte. Er ſah übermüdet aus, gähnte, ließ mit - unter ſeinen Kopf an einem verwitterten Stamm - knorren ruhen und Blicke, dämmeriger als der Horizont, über den mit Geſtrüpp und Aufſchlag faſt verwachſenen Eingang des Grundes ſtreifen. Ein paarmal belebten ſich ſeine Augen und nahmen den ihnen eigenthümlichen glasartigen Glanz an, aber gleich nachher ſchloß er ſie wieder halb und gähnte und dehnte ſich, wie es nur faulen Hirten erlaubt iſt. Sein Hund lag in einiger Entfernung nah bei den Kühen, die unbekümmert um die Forſtgeſetze eben ſo oft den jungen Baumſpitzen als dem Graſe zuſprachen und in die friſche Mor - genluft ſchnaubten.

Aus dem Walde drang von Zeit zu Zeit ein dumpfer, krachender Schall; der Ton hielt nur einige Sekunden an, begleitet von einem langen Echo an den Bergwänden und wiederholte ſich etwa alle 5 bis 8 Minuten. Friedrich achtete nicht darauf; nur zuweilen, wenn das Getöſe ungewöhn - lich ſtark oder anhaltend war, hob er den Kopf und ließ ſeine Blicke langſam über die verſchiedenen Pfade gleiten, die ihren Ausgang in dem Thal - grunde fanden.

Es fing bereits ſtark zu dämmern an; die Vögel begannen leiſe zu zwitſchern und der Thau ſtieg fühlbar aus dem Grunde. Friedrich war an177 dem Stamm hinabgeglitten und ſtarrte, die Arme über den Kopf verſchlungen in das leiſe einſchleichende Morgenroth. Plötzlich fuhr er auf: über ſein Geſicht fuhr ein Blitz, er horchte einige Sekunden mit vorgebeugtem Oberleib wie ein Jagdhund, dem die Luft Witterung zuträgt. Dann ſchob er ſchnell zwei Finger in den Mund und pfiff gellend und anhaltend. Fidel, du verfluchtes Thier! Ein Steinwurf traf die Seite des unbeſorgten Hundes, der vom Schlafe aufgeſchreckt, zuerſt um ſich biß und dann heulend auf drei Beinen dort Troſt ſuchte, von wo das Uebel ausgegangen war.

In demſelben Augenblicke wurden die Zweige eines nahen Gebüſches faſt ohne Geräuſch zurück - geſchoben und ein Mann trat heraus, im grünen Jagdrock, den ſilbernen Wappenſchild am Arm, die geſpannte Büchſe in der Hand. Er ließ ſchnell ſeine Blicke über die Schlucht fahren und ſie dann mit beſonderer Schärfe auf dem Knaben verweilen, trat dann vor, winkte nach dem Gebüſch, und allmählig wurden 7 bis 8 Männer ſichtbar, alle in ähnlicher Kleidung, Waidmeſſer im Gürtel und die geſpannten Gewehre in der Hand.

Friedrich, was war das? fragte der zuerſt Erſchienene. Ich wollte, daß der Racker auf der Stelle krepirte. Seinetwegen können die Kühe12178mir die Ohren vom Kopfe freſſen. Die Canaille hat uns geſehen, ſagte ein Anderer.

Morgen ſollſt du auf die Reiſe mit einem Stein am Halſe, fuhr Friedrich fort und ſtieß nach dem Hunde. Friedrich, ſtell dich nicht an wie ein Narr! Du kennſt mich und du verſtehſt mich auch! Ein Blick begleitete dieſe Worte, der ſchnell wirkte. Herr Brandes, denkt an meine Mutter! Das thu ich. Haſt du nichts im Walde gehört? Im Walde? Der Knabe warf einen raſchen Blick auf des Förſters Geſicht. Eure Holzfäller, ſonſt nichts. Meine Holzfäller!

Die ohnehin dunkle Geſichtsfarbe des Förſters ging in tiefes Braunroth über. Wie viele ſind ihrer, und wo treiben ſie ihr Weſen? Wo - hin Ihr ſie geſchickt habt; ich weiß es nicht. Brandes wandte ſich zu ſeinen Gefährten: Geht voran; ich komme gleich nach.

Als einer nach dem andern im Dickicht ver - ſchwunden war, trat Brandes dicht vor den Knaben: Friedrich , ſagte er mit dem Ton unterdrückter Wuth, meine Geduld iſt zu Ende; ich möchte dich prügeln wie einen Hund, und mehr ſeid ihr auch nicht werth. Ihr Lumpenpack, dem kein Ziegel auf dem Dach gehört! Bis zum Betteln habt ihr es, gottlob, bald gebracht, und an meiner Thür179 ſoll deine Mutter, die alte Hexe, keine verſchimmelte Brodrinde bekommen. Aber vorher ſollt ihr mir noch Beide in’s Hundeloch. Friedrich griff krampf - haft nach einem Aſte. Er war todtenbleich und ſeine Augen ſchienen wie Kryſtallkugeln aus dem Kopfe ſchießen zu wollen. Doch nur einen Augen - blick. Dann kehrte die größte, an Erſchlaffung grenzende Ruhe zurück. Herr, ſagte er feſt, mit faſt ſanfter Stimme, Ihr habt geſagt, was Ihr nicht verantworten könnt, und ich vielleicht auch. Wir wollen es gegen einander aufgehen laſſen, und nun will ich Euch ſagen, was Ihr verlangt. Wenn Ihr die Holzfäller nicht ſelbſt beſtellt habt, ſo müſſen es die Blaukittel ſein; denn aus dem Dorfe iſt kein Wagen gekommen; ich habe den Weg ja vor mir, und vier Wagen ſind es. Ich habe ſie nicht geſehen, aber den Hohlweg hinauffahren hören. Er ſtockte einen Augenblick.

Könnt Ihr ſagen, daß ich je einen Baum in Eurem Revier gefällt habe? überhaupt, daß ich je anderwärts gehauen habe, als auf Beſtellung? Denkt nach, ob Ihr das ſagen könnt?

Ein verlegenes Murmeln war die ganze Ant - wort des Förſters, der nach Art der meiſten rauhen Menſchen leicht bereute. Er wandte ſich unwirſch und ſchritt dem Gebüſche zu. Nein Herr, rief Friedrich, wenn Ihr zu den andern Förſtern12*180wollt, die ſind dort an der Buche hinaufgegangen. An der Buche? ſagte Brandes zweifelhaft, nein, dort hinüber, nach dem Maſtergrunde. Ich ſage Euch, an der Buche; des langen Heinrich Flintenriemen blieb noch am krummen Aſt dort hängen; ich hab’s ja geſehen!

Der Förſter ſchlug den bezeichneten Weg ein.

Friedrich hatte die ganze Zeit hindurch ſeine Stellung nicht verlaſſen, halb liegend, den Arm um einen dürren Aſt geſchlungen, ſah er dem Fort - gehenden unverrückt nach, wie er durch den halb - verwachſenen Steig glitt, mit den vorſichtigen weiten Schritten ſeines Metiers, ſo geräuſchlos wie ein Luchs die Hühnerſtiege erklimmt. Hier ſank ein Zweig hinter ihm, dort einer; die Umriſſe ſeiner Geſtalt ſchwanden immer mehr. Da blitzte es noch einmal durch’s Laub. Es war ein Stahlknopf ſeines Jagdrocks; nun war er fort. Friedrichs Geſicht hatte während dieſes allmähligen Ver - ſchwindens den Ausdruck ſeiner Kälte verloren und ſeine Züge ſchienen zuletzt unruhig bewegt. Gereute es ihn vielleicht, den Förſter nicht um Verſchweigung ſeiner Angaben gebeten zu baben? Er ging einige Schritte voran, blieb dann ſtehen. Es iſt zu ſpät, ſagte er vor ſich hin und griff nach ſeinem Hute. Ein leiſes Picken im Gebüſche, nicht zwanzig Schritte von ihm. Es war der Förſter, der den181 Flintenſtein ſchärfte. Friedrich horchte. Nein! ſagte er dann mit entſchloſſenem Tone, raffte ſeine Siebenſachen zuſammen und trieb das Vieh eil - fertig die Schlucht entlang.

Um Mittag ſaß Frau Margreth am Heerd und kochte Thee. Friedrich war krank heimge - kommen, er klagte über heftige Kopfſchmerzen und hatte auf ihre beſorgte Nachfrage erzählt, wie er ſich ſchwer geärgert über den Förſter, kurz den ganzen eben beſchriebenen Vorgang, mit Ausnahme einiger Kleinigkeiten, die er beſſer fand, für ſich zu behalten. Margreth ſah ſchweigend und trübe in das ſiedende Waſſer. Sie war es wohl gewohnt, ihren Sohn mitunter klagen zu hören, aber heute kam er ihr ſo angegriffen vor, wie faſt nie. Sollte wohl eine Krankheit im Anzuge ſein? ſie ſeufzte tief und ließ einen eben ergriffenen Holzblock fallen.

Mutter! rief Friedrich aus der Kammer. Was willſt du? War das ein Schuß? Ach nein, ich weiß nicht, was du meinſt. Es pocht mir wohl nur ſo im Kopfe, verſetzte er. Die Nachbarin trat herein und erzählte mit leiſem Flüſtern irgend eine unbedeutende Klatſcherei, die Margreth ohne Theilnahme anhörte. Dann ging ſie.

Mutter! rief Friedrich. Margreth ging zu ihm hinein. Was erzählte die Hülsmeyer? 182 Ach gar nichts, Lügen, Wind! Friedrich richtete ſich auf. Von der Gretchen Siemers; du weißt ja wohl die alte Geſchichte; und iſt doch nichts Wahres dran. Friedrich legte ſich wieder hin. Ich will ſehen, ob ich ſchlafen kann, ſagte er.

Margreth ſaß am Heerde; ſie ſpann und dachte wenig Erfreuliches. Im Dorfe ſchlug es halb zwölf; die Thüre klinkte und der Gericht - ſchreiber Kapp trat herein.

Guten Tag, Frau Mergel, ſagte er; könnt Ihr mir einen Trunk Milch geben? ich komme von M. Als Frau Mergel das Verlangte brachte, fragte er: Wo iſt Friedrich? Sie war gerade beſchäftigt, einen Teller hervorzulangen und überhörte die Frage. Er trank zögernd und in kurzen Abſätzen. Wißt Ihr wohl, ſagte er dann, daß die Blaukittel in dieſer Nacht wieder im Maſterholze eine ganze Strecke ſo kahl gefegt haben, wie meine Hand? Ei, du frommer Gott! verſetzte ſie gleichgültig. Die Schandbuben, fuhr der Schreiber fort, ruiniren Alles; wenn ſie noch Rückſicht nähmen auf das junge Holz, aber Eichenſtämmchen wie mein Arm dick, wo nicht einmal eine Ruderſtange drin ſteckt! Es iſt, als ob ihnen anderer Leute Schaden eben ſo lieb wäre wie ihr Profit! Es iſt Schade! ſagte183 Margreth. Der Amtsſchreiber hatte getrunken und ging noch immer nicht. Er ſchien etwas auf dem Herzen zu haben. Habt Ihr nichts von Brandes gehört? fragte er plötzlich. Nichts; er kommt niemals hier in’s Haus. So wißt Ihr nicht, was ihm begegnet iſt? Was denn? fragte Margreth geſpannt. Er iſt todt! Todt! rief ſie, was, todt? Um Gotteswillen! er ging ja noch heute Morgen ganz geſund hier vorüber mit der Flinte auf dem Rücken! Er iſt todt, wiederholte der Schreiber, ſie ſcharf fixirend; von den Blaukitteln erſchlagen. Vor einer Viertelſtunde wurde die Leiche in’s Dorf gebracht.

Margreth ſchlug die Hände zuſammen. Gott im Himmel, geh nicht mit ihm in’s Gericht! er wußte nicht, was er that! Mit ihm! rief der Amtsſchreiber, mit dem verfluchten Mörder, meint Ihr? Aus der Kammer drang ein ſchweres Stöhnen. Margreth eilte hin und der Schreiber folgte ihr. Friedrich ſaß aufrecht im Bette, das Geſicht in die Hände gedrückt und ächzte wie ein Sterbender. Friedrich, wie iſt dir? ſagte die Mutter. Wie iſt dir? wiederholte der Amts - ſchreiber. O mein Leib, mein Kopf! jammerte er. Was fehlt ihm? Ach Gott weiß es, verſetzte ſie; er iſt ſchon um vier mit den Kühen heimgekommen, weil ihm ſo übel war. 〈…〉〈…〉184Friedrich, Friedrich antworte doch, ſoll ich zum Doctor? Nein, nein, ächzte er, es iſt nur Kolik, es wird ſchon beſſer.

Er legte ſich zurück; ſein Geſicht zuckte krampf - haft vor Schmerz; dann kehrte die Farbe wieder. Geht, ſagte er matt; ich muß ſchlafen, dann gehts vorüber.

Frau Mergel, ſagte der Amtsſchreiber ernſt, iſt es gewiß, daß Friedrich um vier zu Hauſe kam, und nicht wieder fortging? Sie ſah ihn ſtarr an. Fragt jedes Kind auf der Straße. Und Fortgehen? wollte Gott, er könnt es! Hat er Euch nichts von Brandes erzählt? In Gottes Namen, ja, daß er ihn im Walde geſchimpft und unſere Armuth vorgeworfen hat, der Lump! Doch Gott verzeih mir, er iſt todt! Geht! fuhr ſie heftig fort; ſeid Ihr gekommen, um ehrliche Leute zu beſchimpfen? Geht! Sie wandte ſich wieder zu ihrem Sohne; der Schreiber ging. Friedrich, wie iſt dir? ſagte die Mutter; haſt du wohl gehört? ſchrecklich, ſchrecklich! ohne Beichte und Abſolution!

Mutter, Mutter, um Gotteswillen, laß mich ſchlafen; ich kann nicht mehr!

In dieſem Augenblicke trat Johannes Niemand in die Kammer; dünn und lang wie eine Hopfen - ſtange, aber zerlumpt und ſcheu, wie wir ihn vor185 fünf Jahren geſehen. Sein Geſicht war noch bleicher als gewöhnlich. Friedrich, ſtotterte er, du ſollſt ſogleich zum Ohm kommen; er hat Arbeit für dich; aber ſogleich. Friedrich drehte ſich gegen die Wand. Ich komme nicht, ſagte er barſch, ich bin krank. Du mußt aber kommen, keuchte Johannes; er hat geſagt, ich müßte dich mitbringen.

Friedrich lachte höhniſch auf: das will ich doch ſehen! Laß ihn in Ruhe, er kann nicht, ſeufzte Margreth, du ſiehſt ja, wie es ſteht. Sie ging auf einige Minuten hinaus; als ſie zurückkam, war Friedrich bereits angekleidet. Was fällt dir ein? rief ſie, du kannſt, du ſollſt nicht gehen! Was ſein muß, ſchickt ſich wohl, verſetzte er und war ſchon zur Thüre hin - aus mit Johannes. Ach Gott, ſeufzte die Mutter, wenn die Kinder klein ſind, treten ſie uns in den Schooß, und wenn ſie groß ſind, in’s Herz!

Die gerichtliche Unterſuchung hatte ihren An - fang genommen, die That lag klar am Tage; über den Thäter aber waren die Anzeigen ſo ſchwach, daß, obſchon alle Umſtände die Blaukittel dringend verdächtigten, man doch nicht mehr als Muth - maßungen wagen konnte. Eine Spur ſchien Licht geben zu wollen: doch rechnete man aus Gründen186 wenig darauf. Die Abweſenheit des Gutsherrn hatte den Gerichtſchreiber genöthigt, auf eigene Hand die Sache einzuleiten. Er ſaß am Tiſche; die Stube war gedrängt voll von Bauern, theils neu - gierigen, theils ſolchen, von denen man in Er - mangelung eigentlicher Zeugen einigen Aufſchluß zu erhalten hoffte. Hirten, die in derſelben Nacht ge - hütet, Knechte, die den Acker in der Nähe beſtellt, Alle ſtanden ſtramm und feſt, die Hände in den Taſchen, gleichſam als ſtillſchweigende Erklärung, daß ſie nicht einzuſchreiten geſonnen ſeien.

Acht Forſtbeamten wurden vernommen. Ihre Ausſagen waren völlig gleichlautend: Brandes habe ſie am zehnten Abends zur Runde beſtellt, da ihm von einem Vorhaben der Blaukittel müſſe Kunde zugekommen ſein; doch habe er ſich nur unbeſtimmt darüber geäußert. Um zwei Uhr in der Nacht ſeien ſie ausgezogen und auf manche Spuren der Zer - ſtörung geſtoßen, die den Oberförſter ſehr übel ge - ſtimmt; ſonſt ſei Alles ſtill geweſen. Gegen vier Uhr habe Brandes geſagt: wir ſind angeführt, laßt uns heimgehen. Als ſie nun um den Bremerberg gewendet und zugleich der Wind um - geſchlagen, habe man deutlich im Maſterholz fällen gehört und aus der ſchnellen Folge der Schläge geſchloſſen, daß die Blaukittel am Werk ſeien. Man habe nun eine Weile berathſchlagt, ob es thunlich187 ſei, mit ſo geringer Macht die kühne Bande an - zugreifen, und ſich dann ohne beſtimmten Entſchluß dem Schalle langſam genähert. Nun folgte der Auftritt mit Friedrich. Ferner: nachdem Brandes ſie ohne Weiſung fortgeſchickt, ſeien ſie eine Weile vorangeſchritten und dann, als ſie bemerkt, daß das Getöſe im noch ziemlich weit entfernten Walde gänzlich aufgehört, ſtille geſtanden, um den Ober - förſter zu erwarten.

Die Zögerung habe ſie verdroſſen, und nach etwa zehn Minuten ſeien ſie weiter gegangen und ſo bis an den Ort der Verwüſtung. Alles ſei vorüber geweſen, kein Laut mehr im Walde, von zwanzig gefällten Stämmen noch acht vorhanden, die übrigen bereits fortgeſchafft. Es ſei ihnen un - begreiflich, wie man dieſes in’s Werk geſtellt, da keine Wagenſpuren zu finden geweſen.

Auch habe die Dürre der Jahrszeit und der mit Fichtennadeln beſtreute Boden keine Fußſtapfen unterſcheiden laſſen, obgleich der Grund ringsumher wie feſtgeſtampft war. Da man nun überlegt, daß es zu nichts nützen könne, den Oberförſter zu er - warten, ſei man raſch der andern Seite des Waldes zugeſchritten, in der Hoffnung, vielleicht noch einen Blick von den Frevlern zu erhaſchen. Hier habe ſich einem von ihnen beim Ausgange des Waldes die Flaſchenſchnur in Brombeerranken verſtrickt, und188 als er umgeſchaut, habe er etwas im Geſtrüpp blitzen ſehen; es war die Gurtſchnalle des Ober - förſters, den man nun hinter den Ranken liegend fand, grad ausgeſtreckt, die rechte Hand um den Flintenlauf geklemmt, die andere geballt und die Stirn von einer Axt geſpalten.

Dies waren die Ausſagen der Förſter; nun kamen die Bauern an die Reihe, aus denen jedoch nichts zu bringen war. Manche behaupteten, um vier Uhr noch zu Hauſe oder anderswo beſchäftigt geweſen zu ſein, und ſie waren ſämmtlich angeſeſſene, unverdächtige Leute. Man mußte ſich mit ihren negativen Zeugniſſen begnügen.

Friedrich ward herein gerufen. Er trat ein mit einem Weſen, das ſich durchaus nicht von ſeinem gewöhnlichen unterſchied, weder geſpannt noch keck. Das Verhör währte ziemlich lange und die Fragen waren mitunter ziemlich ſchlau geſtellt; er beantwortete ſie jedoch alle offen und beſtimmt und erzählte den Vorgang zwiſchen ihm und dem Ober - förſter ziemlich der Wahrheit gemäß, bis auf das Ende, das er gerathener fand, für ſich zu behalten. Sein Alibi zur Zeit des Mordes war leicht er - wieſen.

Der Förſter lag am Ausgange des Maſter - holzes; über dreiviertel Stunden Weges von der Schlucht, in der er Friedrich um vier Uhr ange -189 redet und aus der dieſer ſeine Heerde ſchon zehn Minuten ſpäter in’s Dorf getrieben. Jedermann hatte dies geſehen; alle anweſenden Bauern be - eiferten ſich, es zu bezeugen; mit dieſem hatte er geredet, jenem zugenickt.

Der Gerichtsſchreiber ſaß unmuthig und ver - legen da. Plötzlich fuhr er mit der Hand hinter ſich und brachte etwas Blinkendes vor Friedrichs Auge. Wem gehört dies? Friedrich ſprang drei Schritt zurück. Herr Jeſus! ich dachte Ihr wolltet mir den Schädel einſchlagen. Seine Augen waren raſch über das tödtliche Werkzeug gefahren und ſchienen momentan auf einem ausgebrochenen Splitter am Stiele zu haften. Ich weiß es nicht, ſagte er feſt. Es war die Axt, die man in dem Schädel des Oberförſters eingeklammert gefunden hatte. Sieh ſie genau an, fuhr der Gerichts - ſchreiber fort. Friedrich faßte ſie mit der Hand, beſah ſie oben, unten, wandte ſie um. Es iſt eine Axt wie andere, ſagte er dann und legte ſie gleichgültig auf den Tiſch. Ein Blutfleck ward ſichtbar; er ſchien zu ſchaudern, aber er wiederholte noch einmal ſehr beſtimmt: Ich kenne ſie nicht. Der Gerichtsſchreiber ſeufzte vor Unmuth. Er ſelbſt wußte um nichts mehr, und hatte nur einen Ver - ſuch zu möglicher Entdeckung durch Ueberraſchung190 machen wollen. Es blieb nichts übrig, als das Verhör zu ſchließen.

Denjenigen, die vielleicht auf den Ausgang dieſer Begebenheit geſpannt ſind, muß ich ſagen, daß dieſe Geſchichte nie aufgeklärt wurde, obwohl noch viel dafür geſchah und dieſem Verhöre mehrere folgten. Den Blaukitteln ſchien durch das Auf - ſehen, das der Vorgang gemacht und die darauf folgenden geſchärften Maßregeln der Muth genommen; ſie waren von nun an wie verſchwunden, und ob - gleich ſpäterhin noch mancher Holzfrevler erwiſcht wurde, fand man doch nie Anlaß, ihn der be - rüchtigten Bande zuzuſchreiben. Die Axt lag zwanzig Jahre nachher als unnützes corpus delicti im Gerichtsarchiv, wo ſie wohl noch jetzt ruhen mag mit ihren Roſtflecken. Es würde in einer erdichteten Geſchichte Unrecht ſein, die Neugier des Leſers ſo zu täuſchen. Aber dies Alles hat ſich wirklich zu - getragen; ich kann nichts davon oder dazu thun.

Am nächſten Sonntage ſtand Friedrich ſehr früh auf, um zur Beichte zu gehen. Es war Mariä Himmelfahrt und die Pfarrgeiſtlichen ſchon vor Tagesanbruch im Beichtſtuhle.

Nachdem er ſich im Finſtern angekleidet, ver - ließ er ſo geräuſchlos wie möglich den engen Ver - ſchlag, der ihm in Simons Hauſe eingeräumt war.

In der Küche mußte ſein Gebetbuch auf dem191 Sims liegen und er hoffte, es mit Hülfe des ſchwachen Mondlichtes zu finden; es war nicht da. Er warf die Augen ſuchend umher und fuhr zu - ſammen; in der Kammerthür ſtand Simon, faſt unbekleidet, ſeine dürre Geſtalt, ſein ungekämmtes, wirres Haar und die vom Mondſchein verurſachte Bläſſe des Geſichts gaben ihm ein ſchauerlich ver - ändertes Anſehen. Sollte er nachtwandeln? dachte Friedrich, und verhielt ſich ganz ſtill. Friedrich, wohin? flüſterte der Alte. Ohm, ſeid Ihr’s? ich will beichten gehen. Das dacht ich mir; geh in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Chriſt. Das will ich, ſagte Friedrich. Denk an die zehn Gebote: du ſollſt kein Zeugniß ablegen gegen deinen Nächſten. Kein falſches! Nein, gar keines; du biſt ſchlecht unterrichtet; wer einen andern in der Beichte anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.

Beide ſchwiegen. Ohm, wie kommt Ihr darauf? ſagte Friedrich dann; Eu’r Gewiſſen iſt nicht rein; Ihr habt mich belogen. Ich? ſo? Wo iſt Eure Axt? Meine Axt? auf der Tenne. Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo iſt der alte? Den kannſt du heute bei Tage im Holzſchuppen finden.

Geh, fuhr er verächtlich fort, ich dachte du ſeieſt ein Mann; aber du biſt ein altes Weib,192 das gleich meint das Haus brenne, wenn ihr Feuer - topf raucht. Sieh, fuhr er fort, wenn ich mehr von der Geſchichte weiß, als der Thürpfoſten da, ſo will ich ewig nicht ſelig werden. Längſt war ich zu Haus, fügte er hinzu. Friedrich ſtand be - klemmt und zweifelnd. Er hätte viel darum ge - geben, ſeines Ohms Geſicht ſehen zu können. Aber während ſie flüſterten, hatte der Himmel ſich bewölkt.

Ich habe ſchwere Schuld, ſeufzte Friedrich, daß ich ihn den unrechten Weg geſchickt ob - gleich doch, dies hab ich nicht gedacht, nein, gewiß nicht. Ohm, ich habe Euch ein ſchweres Ge - wiſſen zu danken. So geh, beicht! flüſterte Simon mit bebender Stimme; verunehre das Sa - crament durch Angeberei und ſetze armen Leuten einen Spion auf den Hals, der ſchon Wege finden wird, ihnen das Stückchen Brod aus den Zähnen zu reißen, wenn er gleich nicht reden darf geh!

Friedrich ſtand unſchlüſſig; er hörte ein leiſes Geräuſch; die Wolken verzogen ſich, das Mondlicht fiel wieder auf die Kammerthür: ſie war geſchloſſen. Friedrich ging an dieſem Morgen nicht zur Beichte.

Der Eindruck, den dieſer Vorfall auf Friedrich gemacht, erloſch leider nur zu bald. Wer zweifelt daran, daß Simon Alles that, ſeinen Adoptivſohn dieſelben Wege zu leiten, die er ſelber ging? Und in Friedrich lagen Eigenſchaften, die dies nur zu193 ſehr erleichterten: Leichtſinn, Erregbarkeit, und vor Allem ein grenzenloſer Hochmuth, der nicht immer den Schein verſchmähte, und dann Alles daran ſetzte, durch Wahrmachung des Uſurpirten möglicher Beſchämung zu entgehen. Seine Natur war nicht unedel, aber er gewöhnte ſich, die innere Schande der äußern vorzuziehen. Man darf nur ſagen, er gewöhnte ſich zu prunken, während ſeine Mutter darbte.

Dieſe unglückliche Wendung ſeines Charakters war indeſſen das Werk mehrerer Jahre, in denen man bemerkte, daß Margreth immer ſtiller über ihren Sohn ward und allmählich in einen Zuſtand der Verkommenheit verſank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie wurde ſcheu, ſaum - ſelig, ſogar unordentlich, und Manche meinten, ihr Kopf habe gelitten. Friedrich ward deſto lauter; er verſäumte keine Kirchweih oder Hochzeit, und da ein ſehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime Miß - billigung Mancher nicht überſehen ließ, war er gleich - ſam unter Waffen, der öffentlichen Meinung nicht ſowohl Trotz zu bieten, als ſie den Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich, nüch - tern, anſcheinend treuherzig, aber liſtig, prahleriſch und oft roh, ein Menſch, an dem Niemand Freude haben konnte, am wenigſten ſeine Mutter, und der dennoch durch ſeine gefürchtete Kühnheit und noch13194mehr gefürchtete Tücke ein gewiſſes Uebergewicht im Dorfe erlangt hatte, das um ſo mehr anerkannt wurde, je mehr man ſich bewußt war, ihn nicht zu kennen und nicht berechnen zu können, weſſen er am Ende fähig ſei. Nur ein Burſch im Dorfe, Wilm Hülsmeyer, wagte im Bewußtſein ſeiner Kraft und guter Verhältniſſe ihm die Spitze zu bieten; und da er gewandter in Worten war, als Friedrich, und immer, wenn der Stachel ſaß, einen Scherz daraus zu machen wußte, ſo war dies der Einzige, mit dem Friedrich ungern zuſammentraf.

Vier Jahre waren verfloſſen; es war im Oc - tober; der milde Herbſt von 1760, der alle Scheunen mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte ſeinen Reichthum auch über dieſen Erdwinkel ſtrömen laſſen, und man ſah mehr Betrunkene, hörte von mehr Schlägereien und dummen Streichen, als je. Ueberall gab’s Luſtbarkeiten; der blaue Montag kam in Aufnahme, und wer ein paar Thaler erübrigt hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm heute eſſen und morgen hungern helfen könne. Da gab es im Dorfe eine tüchtige, ſolide Hochzeit, und die Gäſte durften mehr erwarten, als eine verſtimmte Geige, ein Glas Branntwein und was ſie an guter Laune ſelber mitbrachten. Seit früh war Alles auf den Beinen; vor jeder Thüre wurden Kleider ge - lüftet, und B. glich den ganzen Tag einer Trödel -195 bude. Da viele Auswärtige erwartet wurden, wollte Jeder gern die Ehre des Dorfes oben halten.

Es war 7 Uhr Abends und Alles in vollem Gange; Jubel und Gelächter an allen Enden, die niedern Stuben zum Erſticken angefüllt mit blauen, rothen und gelben Geſtalten, gleich Pfandſtällen, in denen eine zu große Heerde eingepfercht iſt. Auf der Tenne ward getanzt, das heißt, wer zwei Fuß Raum erobert hatte, drehte ſich darauf immer rund um und ſuchte durch Jauchzen zu erſetzen, was an Bewegung fehlte. Das Orcheſter war glänzend, die erſte Geige als anerkannte Künſtlerin prädominirt die zweite und eine große Baßviole mit drei Saiten von Dilettanten ad libitum geſtrichen; Branntwein und Kaffee im Ueberfluſſe, alle Gäſte von Schweiß triefend; kurz, es war ein köſtliches Feſt.

Friedrich ſtolzirte umher wie ein Hahn, im neuen himmelblauen Rock, und machte ſein Recht als erſter Elegant geltend. Als auch die Gutsherr - ſchaft anlangte, ſaß er gerade hinter der Baßgeige und ſtrich die tiefſte Saite mit großer Kraft und vielem Anſtand.

Johannes! rief er gebieteriſch, und heran trat ſein Schützling von dem Tanzplatze, wo er auch ſeine ungelenken Beine zu ſchlenkern und eins zu jauchzen verſucht hatte. Friedrich reichte ihm den Bogen, gab durch eine ſtolze Kopfbewegung ſeinen13*196Willen zu erkennen und trat zu den Tanzenden. Nun luſtig, Muſikanten: den Papen van Iſtrup! Der beliebte Tanz ward geſpielt und Friedrich machte Sätze vor den Augen ſeiner Herrſchaft, daß die Kühe an der Tenne die Hörner zurückzogen und Kettengeklirr und Gebrumme an ihren Ständern herlief. Fußhoch über die Andern tauchte ſein blonder Kopf auf und nieder, wie ein Hecht, der ſich im Waſſer überſchlägt; an allen Enden ſchrieen Mäd - chen auf, denen er zum Zeichen der Huldigung mit einer raſchen Kopfbewegung ſein langes Flachshaar in’s Geſicht ſchleuderte.

Jetzt iſt es gut! ſagte er endlich und trat ſchweißtriefend an den Kredenztiſch; die gnädigen Herrſchaften ſollen leben und alle die hochadeligen Prinzen und Prinzeſſinnen, und wer’s nicht mit - trinkt, den will ich an die Ohren ſchlagen, daß er die Engel ſingen hört! Ein lautes Vivat beant - wortete den galanten Toaſt. Friedrich machte ſeinen Bückling. Nichts für ungut, gnädige Herrſchaften; wir ſind nur ungelehrte Bauers - leute!

In dieſem Augenblick erhob ſich ein Getümmel am Ende der Tenne, Geſchrei, Schelten, Gelächter, alles durcheinander. Butterdieb, Butterdieb! riefen ein paar Kinder, und heran drängte ſich, oder viel - mehr ward geſchoben, Johannes Niemand, den Kopf197 zwiſchen die Schultern ziehend und mit aller Macht nach dem Ausgange ſtrebend. Was iſt’s? was habt ihr mit unſerm Johannes? rief Friedrich gebieteriſch.

Das ſollt Ihr früh genug gewahr werden, keuchte ein altes Weib mit der Küchenſchürze und einem Wiſchhader in der Hand. Schande! Jo - hannes, der arme Teufel, dem zu Hauſe das Schlech - teſte gut genug ſein mußte, hatte verſucht, ſich ein halbes Pfündchen Butter für die kommende Dürre zu ſichern, und ohne daran zu denken, daß er es, ſauber in ſein Schnupftuch gewickelt, in der Taſche geborgen, war er an’s Küchenfeuer getreten und nun rann das Fett ſchmählich die Rockſchöße entlang.

Allgemeiner Aufruhr; die Mädchen ſprangen zu - rück, aus Furcht, ſich zu beſchmutzen, oder ſtießen den Delinquenten vorwärts. Andere machten Platz, ſo - wohl aus Mitleid als Vorſicht. Aber Friedrich trat vor: Lumpenhund! rief er; ein paar derbe Maul - ſchellen trafen den geduldigen Schützling; dann ſtieß er ihn an die Thür und gab ihm einen tüchtigen Fußtritt mit auf den Weg. Er kehrte niederge - ſchlagen zurück; ſeine Würde war verletzt, das all - gemeine Gelächter ſchnitt ihm durch die Seele, ob er ſich gleich durch einen tapfern Juchheſchrei wieder in den Gang zu bringen ſuchte es wollte nicht mehr recht gehen. Er war im Begriff, ſich wieder198 hinter die Baßviole zu flüchten; doch zuvor noch ein Knalleffekt: er zog ſeine ſilberne Taſchenuhr hervor, zu jener Zeit ein ſeltener und koſtbarer Schmuck. Es iſt bald zehn, ſagte er. Jetzt den Braut - menuet! ich will Muſik machen.

Eine prächtige Uhr! ſagte der Schweinehirt und ſchob ſein Geſicht in ehrfurchtsvoller Neu - gier vor.

Was hat ſie gekoſtet? rief Wilm Hüls - meyer, Friedrichs Nebenbuhler. Willſt du ſie bezahlen? fragte Friedrich. Haſt du ſie be - zahlt? antwortete Wilm. Friedrich warf einen ſtolzen Blick auf ihn und griff in ſchweigender Ma - jeſtät zum Fidelbogen. Nun, nun, ſagte Hülsmeyer, dergleichen hat man erlebt. Du weißt wohl, der Franz Ebel hatte auch eine ſchöne Uhr, bis der Jude Aaron ſie ihm wieder abnahm. Friedrich antwortete nicht, ſondern winkte ſtolz der erſten Violine, und ſie begannen aus Leibeskräften zu ſtreichen.

Die Gutsherrſchaft war indeſſen in die Kammer getreten, wo der Braut von den Nachbarfrauen das Zeichen ihres neuen Standes, die weiße Stirnbinde, umgelegt wurde. Das junge Blut weinte ſehr, theils weil es die Sitte ſo wollte, theils aus wahrer Beklemmung. Sie ſollte einem verworrenen Haus - halt vorſtehen, unter den Augen eines mürriſchen199 alten Mannes, den ſie noch obendrein lieben ſollte. Er ſtand neben ihr, durchaus nicht wie der Bräu - tigam des hohen Liedes, der in die Kammer tritt wie die Morgenſonne. Du haſt nun genug geweint, ſagte er verdrießlich; bedenk, du biſt es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glück - lich! Sie ſah demüthig zu ihm auf, und ſchien zu fühlen, daß er Recht habe. Das Geſchäft war beendigt; die junge Frau hatte ihrem Manne zugetrunken, junge Spaßvögel hatten durch den Dreifuß geſchaut, ob die Binde gerade ſitze, und man drängte ſich wieder der Tenne zu, von wo unauslöſchliches Gelächter und Lärm herüberſchallte. Friedrich war nicht mehr dort. Eine große, uner - trägliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler aus dem nächſten Städtchen, plötzlich erſchienen war, und nach einem kurzen, unbefriedigenden Zwiegeſpräch ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von zehn Thalern für eine ſchon um Oſtern gelieferte Uhr gemahnt hatte. Friedrich war wie vernichtet fortgegangen und der Jude ihm gefolgt, immer ſchreiend: O weh mir! warum hab ich nicht gehört auf vernünftige Leute! Haben ſie mir nicht hun - dertmal geſagt, Ihr hättet all Eu’r Gut am Leibe und kein Brod im Schranke! Die Tenne tobte von Gelächter; manche hatten ſich auf den Hof200 nachgedrängt. Packt den Juden! wiegt ihn gegen ein Schwein! riefen Einige; Andere waren ernſt geworden. Der Friedrich ſah ſo blaß aus wie ein Tuch, ſagte eine alte Frau, und die Menge theilte ſich, wie der Wagen des Gutsherrn in den Hof lenkte. Herr von S. war auf dem Heimwege verſtimmt, die jedesmalige Folge, wenn der Wunſch, ſeine Popularität aufrecht zu erhalten, ihn bewog, ſolchen Feſten beizuwohnen. Er ſah ſchweigend aus dem Wagen. Was ſind denn das für ein paar Figuren? Er deutete auf zwei dunkle Geſtalten, die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun ſchlüpften ſie in’s Schloß. Auch ein paar ſelige Schweine aus unſerm eigenen Stall! ſeufzte Herr von S. Zu Hauſe angekommen, fand er die Haus - flur vom ganzen Dienſtperſonal eingenommen, das zwei Kleinknechte umſtand, welche ſich blaß und athemlos auf der Stiege niedergelaſſen hatten. Sie behaupteten, von des alten Mergels Geiſt verfolgt worden zu ſein, als ſie durch’s Brederholz heim - kehrten. Zuerſt hatte es über ihnen an der Höhe gerauſcht und gekniſtert; darauf hoch in der Luft ein Geklapper, wie von aneinander ſchlagenden Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz deutlich die Worte: O weh, meine arme Seele! hoch von oben herab. Der Eine wollte auch glü - hende Augen durch die Zweige funkeln geſehen haben,201 und Beide waren gelaufen, was ihre Beine ver - mochten.

Dummes Zeug! ſagte der Gutsherr ver - drießlich und trat in die Kammer, ſich umzukleiden. Am andern Morgen wollte die Fontaine im Garten nicht ſpringen, und es fand ſich, daß Jemand eine Röhre verrückt hatte, augenſcheinlich um nach dem Kopfe eines vor vielen Jahren hier verſcharrten Pferdegerippes zu ſuchen, der für ein bewährtes Mittel wider allen Hexen - und Geiſterſpuck gilt. Hm, ſagte der Gutsherr, was die Schelme nicht ſtehlen, das verderben die Narren.

Drei Tage ſpäter tobte ein furchtbarer Sturm. Es war Mitternacht, aber Alles im Schloſſe außer dem Bett. Der Gutsherr ſtand am Fenſter und ſah beſorgt in’s Dunkle, nach ſeinen Feldern hin - über. An den Scheiben flogen Blätter und Zweige her; mitunter fuhr ein Ziegel hinab und ſchmetterte auf das Pflaſter des Hofes. Furchtbares Wetter! ſagte Herr von S. Seine Frau ſah ängſtlich aus. Iſt das Feuer auch gewiß gut verwahrt? ſagte ſie; Gretchen, ſieh noch einmal nach, gieß es lieber ganz aus! Kommt, wir wollen das Evangelium Johannis beten. Alles kniete nieder und die Haus - frau begann:

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Ein202 furchtbarer Donnerſchlag. Alle fuhren zuſammen; dann furchtbares Geſchrei und Getümmel die Treppe heran. Um Gotteswillen! brennt es? rief Frau von S. und ſank mit dem Geſichte auf den Stuhl. Die Thüre ward aufgeriſſen und herein ſtürzte die Frau des Juden Aaron, bleich wie der Tod, das Haar wild um den Kopf, von Regen triefend. Sie warf ſich vor dem Gutsherrn auf die Kniee. Gerechtigkeit! rief ſie, Gerechtigkeit! mein Mann iſt erſchlagen! und ſank ohnmächtig zuſammen.

Es war nur zu wahr, und die nachfolgende Unterſuchung bewies, daß der Jude Aaron durch einen Schlag an die Schläfe mit einem ſtumpfen Inſtrumente, wahrſcheinlich einem Stabe, ſein Leben verloren hatte durch einen einzigen Schlag. An der linken Schläfe war der blaue Fleck, ſonſt keine Verletzung zu finden. Die Ausſagen der Jüdin und ihres Knechtes Samuel lauteten ſo: Aaron war vor drei Tagen am Nachmittage ausgegangen, um Vieh zu kaufen, und hatte dabei geſagt, er werde wohl über Nacht ausbleiben, da noch einige böſe Schuldner in B. und S. zu mahnen ſeien. In dieſem Falle werde er in B. beim Schlachter Sa - lomon übernachten. Als er am folgenden Tage nicht heimkehrte, war ſeine Frau ſehr beſorgt geworden und hatte ſich endlich um drei Uhr Nachmittags in203 Begleitung ihres Knechtes und des großen Schlächter - hundes auf den Weg gemacht. Beim Juden Sa - lomon wußte man nichts von Aaron; er war gar nicht da geweſen. Nun waren ſie zu allen Bauern gegangen, von denen ſie wußten, daß Aaron einen Handel mit ihnen im Auge hatte.

Nur zwei hatten ihn geſehen, und zwar an demſelben Tage, an welchem er ausgegangen. Es war darüber ſehr ſpät geworden. Die große Angſt trieb das Weib nach Haus, wo ſie ihren Mann wiederzufinden eine ſchwache Hoffnung nährte. So waren ſie im Brederholz vom Gewitter überfallen worden und hatten unter einer großen, am Berg - hange ſtehenden Buche Schutz geſucht; der Hund hatte unterdeſſen auf eine auffallende Weiſe umher - geſtöbert und ſich endlich, trotz allem Locken, im Walde verlaufen. Mit einem Male ſieht die Frau beim Leuchten des Blitzes etwas Weißes neben ſich im Mooſe. Es iſt der Stab ihres Mannes, und faſt im ſelben Augenblicke bricht der Hund durch’s Gebüſch und trägt etwas im Maule: es iſt der Schuh ihres Mannes. Nicht lange, ſo iſt in einem mit dürrem Laube gefüllten Graben der Leichnam des Juden gefunden.

Dies war die Angabe des Knechtes, von der Frau nur im Allgemeinen unterſtützt; ihre über - große Spannung hatte nachgelaſſen und ſie ſchien204 jetzt halb verwirrt oder vielmehr ſtumpfſinnig. Aug um Auge, Zahn um Zahn! dies waren die einzigen Worte, die ſie zuweilen hervorſtieß.

In derſelben Nacht noch wurden die Schützen aufgeboten, um Friedrich zu verhaften. Der Anklage bedurfte es nicht, da Herr von S. ſelbſt Zeuge eines Auftritts geweſen war, der den dringendſten Ver - dacht auf ihn werfen mußte; zudem die Geſpenſter - geſchichte von jenem Abende, das Aneinanderſchlagen der Stäbe im Brederholz, der Schrei aus der Höhe. Da der Amtsſchreiber gerade abweſend war, ſo be - trieb Herr von S. ſelbſt alles raſcher, als ſonſt geſchehen wäre. Dennoch begann die Dämmerung bereits anzubrechen, bevor die Schützen ſo geräuſchlos wie möglich das Haus der armen Margreth um - ſtellt hatten. Der Gutsherr ſelber pochte an; es währte kaum eine Minute, bis geöffnet ward und Margreth völlig angekleidet in der Thüre erſchien. Herr von S. fuhr zurück; er hatte ſie faſt nicht erkannt, ſo blaß und ſteinern ſah ſie aus. Wo iſt Friedrich? fragte er mit unſicherer Stimme.

Sucht ihn, antwortete ſie und ſetzte ſich auf einen Stuhl. Der Gutsherr zögerte noch einen Augenblick.

Herein, herein! ſagte er dann barſch; worauf warten wir? Man trat in Friedrichs Kammer. Er war nicht da, aber das Bett noch205 warm. Man ſtieg auf den Söller, in den Keller, ſtieß in’s Stroh, ſchaute hinter jedes Faß, ſogar in den Backofen; er war nicht da. Einige gingen in den Garten, ſahen hinter den Zaun und in die Apfelbäume hinauf; er war nicht zu finden.

Entwiſcht! ſagte der Gutsherr mit ſehr ge - miſchten Gefühlen: der Anblick der alten Frau wirkte gewaltig auf ihn. Gebt den Schlüſſel zu jenem Koffer. Margreth antwortete nicht. Gebt den Schlüſſel! wiederholte der Gutsherr, und merkte jetzt erſt, daß der Schlüſſel ſteckte. Der Inhalt des Koffers kam zum Vorſchein; des Ent - flohenen gute Sonntagskleider und ſeiner Mutter ärmlicher Staat; dann zwei Leichenhemden mit ſchwarzen Bändern, das eine für einen Mann, das andere für eine Frau gemacht. Herr von S. war tief erſchüttert. Ganz zu unterſt auf dem Boden des Koffers lag die ſilberne Uhr und einige Schrif - ten von ſehr leſerlicher Hand, eine derſelben von einem Manne unterzeichnet, den man in ſtarkem Verdacht der Verbindung mit den Holzfrevlern hatte. Herr von S. nahm ſie mit zur Durchſicht, und man verließ das Haus, ohne daß Margreth ein anderes Lebenszeichen von ſich gegeben hätte, als daß ſie unaufhörlich die Lippen nagte und mit den Augen zwinkerte.

Im Schloſſe angelangt, fand der Gutsherr206 den Amtsſchreiber, der ſchon am vorigen Abend heimgekommen war und behauptete, die ganze Ge - ſchichte verſchlafen zu haben, da der gnädige Herr nicht nach ihm geſchickt.

Sie kommen immer zu ſpät, ſagte Herr von S. verdrießlich. War denn nicht irgend ein altes Weib im Dorfe, das Ihrer Magd die Sache erzählte? und warum weckte man Sie dann nicht? Gnädiger Herr, verſetzte Kapp, allerdings hat meine Anne Marie den Handel um eine Stunde früher erfahren als ich; aber ſie wußte, daß Ihre Gnaden die Sache ſelbſt leiteten, und dann, fügte er mit klagender Miene hinzu, daß ich ſo todtmüde war! Schöne Polizei! murmelte der Guts - herr, jede alte Schachtel im Dorf weiß Beſcheid, wenn es recht geheim zugehen ſoll. Dann fuhr er heftig fort: Das müßte wahrhaftig ein dummer Teufel von Delinquenten ſein, der ſich packen ließe!

Beide ſchwiegen eine Weile. Mein Fuhrmann hatte ſich in der Nacht verirrt, hob der Amts - ſchreiber wieder an; über eine Stunde lang hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich dachte, der Wind werde den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in Gottes Namen darauf los, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand vor den Augen zu ſehen. Da ſagte der207 Kutſcher: wenn wir nur nicht den Steinbrüchen zu nahe kommen! Mir war ſelbſt bange; ich ließ halten und ſchlug Feuer, um wenigſtens etwas Un - terhaltung an meiner Pfeife zu haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendicular unter uns die Glocke ſchlagen. Ew. Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zu Muth wurde. Ich ſprang aus dem Wagen, denn ſeinen eigenen Beinen kann man trauen, aber denen der Pferde nicht. So ſtand ich, in Koth und Regen, ohne mich zu rühren, bis es Gottlob ſehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten wir? dicht an der Heerſer Tiefe und den Thurm von Heerſe gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritte weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes geweſen. Das war in der That kein Spaß, verſetzte der Gutsherr, halb verſöhnt.

Er hatte unterdeſſen die mitgenommenen Pa - piere durchgeſehen. Es waren Mahnbriefe um ge - liehene Gelder, die meiſten von Wucherern. Ich hatte nicht gedacht, murmelte er, daß die Mergels ſo tief drin ſteckten. Ja, und daß es ſo an den Tag kommen muß, verſetzte Kapp; das wird kein kleiner Aerger für Frau Margreth ſein. Ach Gott, die denkt jetzt daran nicht! Mit dieſen Worten ſtand der Gutsherr auf und verließ das Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichen -208 ſchau vorzunehmen. Die Unterſuchung war kurz, gewaltſamer Tod erwieſen, der vermuthliche Thäter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravirend, doch ohne perſönliches Geſtändniß nicht beweiſend, ſeine Flucht allerdings ſehr verdächtig. So mußte die gerichtliche Verhandlung ohne genügenden Erfolg geſchloſſen werden.

Die Juden der Umgegend hatten großen An - theil gezeigt. Das Haus der Wittwe ward nie leer von Jammernden und Rathenden.

Seit Menſchengedenken waren nicht ſo viel Juden beiſammen in L. geſehen worden.

Durch den Mord ihres Glaubensgenoſſen auf’s Aeußerſte erbittert, hatten ſie weder Mühe noch Geld geſpart, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Man weiß ſogar, daß einer derſelben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem ſeiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte ſchuldete und den er für einen beſonders liſtigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte, falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube war allgemein unter den Juden, daß der Thäter nur mit guter Beihülfe entwiſcht und wahrſcheinlich noch in der Umgegend ſei. Als dennoch Alles nichts half und die gerichtliche Ver - handlung für beendet erklärt worden war, erſchien am nächſten Morgen eine Anzahl der angeſehenſten209 Iſraeliten im Schloſſe, um dem gnädigen Herrn einen Handel anzutragen. Der Gegenſtand war die Buche, unter der Arons Stab gefunden und wo der Mord wahrſcheinlich verübt worden war. Wollt ihr ſie fällen? ſo mitten im vollen Laube? fragte der Gutsherr.

Nein, Ihro Gnaden, ſie muß ſtehen bleiben im Winter und Sommer, ſo lange ein Span daran iſt. Aber, wenn ich nun den Wald hauen laſſe, ſo ſchadet es dem jungen Aufſchlag. Wollen wir ſie doch nicht um gewöhnlichen Preis. Sie boten 200 Thaler. Der Handel ward ge - ſchloſſen und allen Förſtern ſtreng eingeſchärft, die Judenbuche auf keine Weiſe zu ſchädigen.

Darauf ſah man an einem Abende wohl gegen ſechszig Juden, ihren Rabbiner an der Spitze, in das Brederholz ziehen, alle ſchweigend und mit geſenkten Augen.

Sie blieben über eine Stunde im Walde und kehrten dann ebenſo ernſt und feierlich zurück, durch das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo ſie ſich zerſtreuten und Jeder ſeines Weges ging.

Am nächſten Morgen ſtand an der Buche mit dem Beil eingehauen: שׂ שֶׂה לִי אִם חַעַמּר בַּמָּקוֹם הַזֶּה יִכְּגַע בָּך כַּאֲשֶׁר אַתָּח

14210

Und wo war Friedrich? Ohne Zw-ifel fort, weit genug, um die kurzen Arme einer ſo ſchwachen Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war bald verſchollen, vergeſſen. Ohm Simon redete ſelten von ihm, und dann ſchlecht; die Judenfrau tröſtete ſich am Ende und nahm einen andern Mann. Nur die arme Margreth blieb ungetröſtet.

Etwa ein halbes Jahr nachher las der Guts - herr einige eben erhaltene Briefe in Gegenwart des Amtsſchreibers.

Sonderbar, ſonderbar! ſagte er. Denken Sie ſich, Kapp, der Mergel iſt vielleicht unſchuldig an dem Morde. So eben ſchreibt mir der Prä - ſident des Gerichtes zu P.: Le vrai n’est pas toujours vraisemblable; das erfahre ich oft in meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wiſſen Sie wohl, daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den Juden mag eben ſo wenig erſchlagen haben, als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweiſe, aber die Wahrſcheinlichkeit iſt groß. Ein Mitglied der Schlemming’ſchen Bande (die wir jetzt, nebenbei geſagt, größtentheis unter Schloß und Riegel haben), Lumpenmoiſes genannt, hat im letzten Verhöre ausgeſagt, daß ihn nichts ſo ſehr gereue, als der Mord eines Glaubensgenoſſen, Aaron, den er im Walde erſchlagen und doch nur ſechs Groſchen bei ihm gefunden habe.

211

Leider ward das Verhör durch die Mittags - ſtunde unterbrochen, und während wir tafelten, hat ſich der Hund von einem Juden an einem Strumpf - bande erhängt. Was ſagen Sie dazu? Aaron iſt zwar ein verbreiteter Name u. ſ. w.

Was ſagen Sie dazu? wiederholte der Gutsherr: und weshalb wäre der Eſel von einem Burſchen denn gelaufen?

Der Amtsſchreiber dachte nach. Nun, vielleicht der Holzfrevel wegen, mit denen wir ja gerade in Unterſuchung waren. Heißt es nicht: der Böſe läuft vor ſeinem eigenen Schatten? Mergels Gewiſſen war ſchmutzig genug auch ohne dieſen Flecken.

Dabei beruhigte man ſich. Friedrich war hin, verſchwunden und Johannes Niemand, der arme, unbeachtete Johannes, am gleichen Tage mit ihm.

Eine ſchöne lange Zeit war verfloſſen, acht - undzwanzig Jahre, faſt die Hälfte eines Menſchen - lebens; der Gutsherr war ſehr alt und grau ge - worden, ſein gutmüthiger Gehülfe Kapp längſt be - graben. Menſchen, Thiere und Pflanzen waren entſtanden, gereift, vergangen, nur Schloß B. ſah immer gleich grau und vornehm auf die Hütten herab, die wie alte hektiſche Leute immer fallen zu wollen ſchienen und immer ſtanden.

14*212

Es war am Vorabende des Weihnachtsfeſtes den 24. December 1788.

Tiefer Schnee lag in den Hohlwegen, wohl an zwölf Fuß hoch, und eine durchdringende Froſt - luft machte die Fenſterſcheiben in der geheizten Stube gefrieren. Mitternacht war nahe, dennoch flimmerten überall matte Lichtchen aus den Schnee - hügeln, und in jedem Hauſe lagen die Einwohner auf den Knieen, um den Eintritt des heiligen Chriſt - feſtes mit Gebet zu erwarten, wie dies in katho - liſchen Ländern Sitte iſt, oder wenigſtens damals allgemein war. Da bewegte ſich von der Breder Höhe herab eine Geſtalt langſam gegen das Dorf; der Wanderer ſchien ſehr matt oder krank; er ſtöhnte ſchwer und ſchleppte ſich äußerſt mühſam durch den Schnee.

An der Mitte des Hanges ſtand er ſtill, lehnte ſich auf ſeinen Krückenſtab und ſtarrte unverwandt auf die Lichtpunkte. Es war ſo ſtill überall, ſo todt und kalt; man mußte an Irrlichter auf Kirch - höfen denken. Nun ſchlug es zwölf im Thurm; der letzte Schlag verdröhnte langſam und im nächſten Hauſe erhob ſich ein leiſer Geſang, der, von Hauſe zu Hauſe ſchwellend, ſich über das ganze Dorf zog:

213
Ein Kindelein ſo löbelich
Iſt uns geboren heute,
Von einer Jungfran ſäuberlich,
Deß freu’n ſich alle Leute;
Und wär das Kindlein nicht gebor’n,
So wären wir alle zuſammen verlor’n:
Das Heil iſt unſer Aller.
O du mein liebſter Jeſu Chriſt,
Der du als Menſch geboren biſt,
Erlös uns von der Hölle!

Der Mann am Hange war in die Knie ge - ſunken und verſuchte mit zitternder Stimme einzu - fallen: es ward nur ein lautes Schluchzen daraus, und ſchwere, heiße Tropfen fielen in den Schnee. Die zweite Strophe begann; er betete leiſe mit; dann die dritte und vierte. Das Lied war geendigt und die Lichter in den Häuſern begannen ſich zu bewegen. Da richtete der Mann ſich mühſelig auf und ſchlich langſam hinab in das Dorf. An mehrern Häuſern keuchte er vorüber, dann ſtand er vor einem ſtill und pochte leiſe an.

Was iſt denn das? ſagte drinnen eine Frauenſtimme; die Thüre klappert und der Wind geht doch nicht. Er pochte ſtärker. Um Gotteswillen, laßt einen halberfrornen Menſchen ein, der aus der türkiſchen Sklaverei kommt! Geflüſter in der Küche. Geht in’s Wirthshaus, antwortete eine andere Stimme; das fünfte Haus214 von hier! Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich ein! ich habe kein Geld.

Nach einigem Zögern ward die Thür geöffnet und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. Kommt nur herein; ſagte er dann, Ihr werdet uns den Hals nicht abſchneiden.

In der Küche befanden ſich außer dem Manne eine Frau in den mittlern Jahren, eine alte Mutter und fünf Kinder. Alle drängten ſich um den Ein - tretenden her und muſterten ihn mit ſcheuer Neu - gier. Eine armſelige Figur! mit ſchiefem Halſe, gekrümmtem Rücken, die ganze Geſtalt gebrochen und kraftlos; langes, ſchneeweißes Haar hing um ſein Geſicht, das den verzogenen Ausdruck langen Leidens trug. Die Frau ging ſchweigend an den Heerd und legte friſches Reiſig zu. Ein Bett können wir Euch nicht geben, ſagte ſie; aber ich will hier eine gute Streu machen; Ihr müßt Euch ſchon ſo behelfen. Gott’s Lohn! verſetzte der Fremde; ich bin’s wohl ſchlechter gewohnt. Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt, und er ſelbſt bethätigte, daß er derſelbe ſei, der einſt mit Friedrich Mergel entflohen.

Das Dorf war am folgenden Tage voll von den Abenteuern des ſo lange Verſchollenen.

Jeder wollte den Mann aus der Türkei ſehen, und man wunderte ſich beinahe, daß er noch aus -215 ſehe wie andere Menſchen. Das junge Volk hatte zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten fanden ſeine Züge noch ganz wohl heraus, ſo er - bärmlich entſtellt er auch war.

Johannes, Johannes, was ſeid Ihr grau geworden! ſagte eine alte Frau. Und woher habt Ihr den ſchiefen Hals? Vom Holz und Waſſer tragen in der Sklaverei, verſetzte er.

Und was iſt aus Mergel geworden? Ihr ſeid doch zuſammen fortgelaufen?

Freilich wohl; aber ich weiß nicht, wo er iſt, wir ſind von einander gekommen. Wenn Ihr an ihn denkt, betet für ihn, fügte er hinzu, er wird es wohl nöthig haben.

Man fragte ihn, warum Friedrich ſich denn aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch nicht erſchlagen? Nicht? ſagte Johannes und horchte geſpannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr gefliſſentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen zu löſchen. Alſo ganz umſonſt, ſagte er nachdenkend, ganz um - ſonſt ſo viel ausgeſtanden! Er ſeufzte tief und fragte nun ſeinerſeits nach Manchem. Simon war lange todt, aber zuvor noch ganz verarmt, durch Prozeſſe und böſe Schuldner, die er nicht gerichtlich belangen durfte, weil es, wie man ſagte, zwiſchen ihnen keine reine Sache war.

216

Er hatte zuletzt Bettelbrod gegeſſen und war in einem fremden Schuppen auf dem Stroh ge - ſtorben. Margreth hatte länger gelebt, aber in völliger Geiſtesſtumpfheit.

Die Leute im Dorf waren es bald müde ge - worden, ihr beizuſtehen, da ſie alles verkommen ließ, was man ihr gab, wie es denn die Art der Menſchen iſt, gerade die Hülfloſeſten zu verlaſſen, ſolche, bei denen der Beiſtand nicht nachhaltig wirkt und die der Hülfe immer gleich bedürftig bleiben. Dennoch hatte ſie nicht eigentlich Noth gelitten; die Gutsherrſchaft ſorgte ſehr für ſie, ſchickte ihr täglich das Eſſen und ließ ihr auch ärztliche Be - handlung zukommen, als ihr kümmerlicher Zuſtand in völlige Abzehrung übergegangen war. In ihrem Hauſe wohnte jetzt der Sohn des ehemaligen Schweinehirten, der an jenem unglücklichen Abende Friedrichs Uhr ſo ſehr bewundert hatte.

Alles hin, Alles todt! ſeufzte Johannes.

Am Abend, als es dunkel geworden war und der Mond ſchien, ſah man ihn im Schnee auf dem Kirchhofe umherhumpeln; er betete bei keinem Grabe, ging auch an keines dicht hinan, aber auf einige ſchien er aus der Ferne ſtarre Blicke zu heften. So fand ihn der Förſter Brandes, der Sohn des Erſchlagenen, den die Gutsherrſchaft abgeſchickt hatte, ihn in’s Schloß zu holen.

217

Beim Eintritt in das Wohnzimmer ſah er ſcheu umher, wie vom Licht geblendet, und dann auf den Baron, der ſehr zuſammengefallen in ſeinem Lehnſtuhl ſaß, aber noch immer mit den hellen Augen und dem rothen Käppchen auf dem Kopfe wie vor achtundzwanzig Jahren; neben ihm die gnädige Frau, auch alt, ſehr alt geworden.

Nun, Johannes, ſagte der Gutsherr, erzähl mir einmal recht ordentlich von deinen Abenteuern. Aber, er muſterte ihn durch die Brille, du biſt ja erbärmlich mitgenommen in der Türkei!

Johannes begann: wie Mergel ihn Nachts von der Heerde abgerufen und geſagt, er müſſe mit ihm fort. Aber warum lief der dumme Junge denn? Du weißt doch, daß er unſchuldig war? Johannes ſah vor ſich nieder: Ich weiß nicht recht, mich dünkt, es war wegen Holz - geſchichten. Simon hatte ſo allerlei Geſchäfte; mir ſagte man nichts davon, aber ich glaube nicht, daß Alles war, wie es ſein ſollte. Was hat denn Friedrich dir geſagt? Nichts, als daß wir laufen müßten, ſie wären hinter uns her. So liefen wir bis Heerſe; da war es noch dunkel und wir verſteckten uns hinter das große Kreuz am Kirchhofe bis es etwas heller wurde, weil wir uns vor den Steinbrüchen am Zellerfelde fürchteten, und wie wir eine Weile geſeſſen hatten, hörten218 wir mit einemmale über uns ſchnauben und ſtampfen und ſahen lange Feuerſtrahlen in der Luft gerade über dem Heerſer Kirchthurm.

Wir ſprangen auf und liefen, was wir konnten in Gottes Namen gerade aus, und wie es dämmerte, waren wir wirklich auf dem rechten Wege nach P.

Johannes ſchien noch vor der Erinnerung zu ſchaudern, und der Gutsherr dachte an ſeinen ſeligen Kapp und deſſen Abenteuer am Heerſer Hange.

Sonderbar! lachte er, ſo nah wart ihr einander! aber fahr fort.

Johannes erzählte nun, wie ſie glücklich durch P. und über die Grenze gekommen.

Von da hatten ſie ſich als wandernde Hand - werksburſche durchgebettelt bis Freiburg im Breis - gau. Ich hatte meinen Brodſack bei mir, ſagte er, und Friedrich ein Bündelchen; ſo glaubte man uns. In Freiburg hatten ſie ſich von den Oeſtreichern anwerben laſſen: ihn hatte man nicht gewollt, aber Friedrich beſtand darauf. So kam er unter den Train. Den Winter über blieben wir in Freiburg, fuhr er fort, und es ging uns ziemlich gut; mir auch, weil Friedrich mich oft erinnerte und mir half, wenn ich etwas verkehrt machte. Im Frühling mußten wir marſchiren, nach Ungarn, und im Herbſt ging der Krieg mit den Türken los. Ich kann nicht viel davon nach -219 ſagen, denn ich wurde gleich in der erſten Affaire gefangen und bin ſeitdem ſechsundzwanzig Jahre in der türkiſchen Sklaverei geweſen! Gott im Himmel! das iſt doch ſchrecklich! ſagte Frau von S. Schlimm genug, die Türken halten uns Chriſten nicht beſſer als Hunde; das Schlimmſte war, daß meine Kräfte unter der harten Arbeit vergingen; ich ward auch älter und ſollte noch immer thun wie vor Jahren.

Er ſchwieg eine Weile.

Ja, ſagte er dann, es ging über Menſchen - kräfte und Menſchengeduld; ich hielt es auch nicht aus. Von da kam ich auf ein holländiſches Schiff. Wie kamſt du denn dahin? fragte der Gutsherr. Sie fiſchten mich auf aus dem Bosporus, verſetzte Johannes. Der Baron ſah ihn befremdet an und hob den Finger warnend auf; aber Johannes erzählte weiter.

Auf dem Schiffe war es ihm nicht viel beſſer gegangen. Der Skorbut riß ein; wer nicht ganz elend war, mußte über Macht arbeiten, und das Schiffstau regierte eben ſo ſtreng wie die türkiſche Peitſche.

Endlich, ſchloß er, als wir nach Holland kamen, nach Amſterdam, ließ man mich frei, weil ich unbrauchbar war, und der Kaufmann, dem das ſchiff gehörte, hatte auch Mitleiden mit mir220 und wollte mich zu ſeinem Pförtner machen. Aber er ſchüttelte den Kopf ich bettelte mich lieber durch bis hieher. Das war dumm ge - nug, ſagte der Gutsherr. Johannes ſeufzte tief: O Herr, ich habe mein Leben zwiſchen Türken und Ketzern zubringen müſſen, ſoll ich nicht wenigſtens auf einem katholiſchen Kirchhofe liegen? Der Gutsherr hatte ſeine Börſe gezogen: Da Johannes, nun geh und komm bald wieder. Du mußt mir das Alles noch ausführlicher erzählen; heute ging es etwas konfus durch einander.

Du biſt wohl noch ſehr müde? Sehr müde, verſetzte Johannes; und, er deutete auf ſeine Stirn, meine Gedanken ſind zuweilen ſo kurios, ich kann nicht recht ſagen, wie es ſo iſt. Ich weiß ſchon, ſagte der Baron, von alter Zeit her. Jetzt geh. Hülsmeyers behalten dich wohl noch die Nacht über, morgen komm wieder.

Herr von S. hatte das innigſte Mitleiden mit dem armen Schelm; bis zum folgenden Tage war überlegt worden, wo man ihn einmiethen könne; eſſen ſollte er täglich im Schloſſe, und für Kleidung fand ſich auch wohl Rath. Herr, ſagte Jo - hannes, ich kann auch noch wohl etwas thun; ich kann hölzerne Löffel machen, und Ihr könnt mich auch als Boten ſchicken.

Herr von S. ſchüttelte mitleidig den Kopf:221 Das würde doch nicht ſonderlich ausfallen. O doch Herr, wenn ich erſt im Gange bin es geht nicht ſchnell, aber hin komme ich doch, und es wird mir auch nicht ſo ſauer, wie man denken ſollte. Nun, ſagte der Baron zweifelnd, willſt du’s verſuchen? hier iſt ein Brief nach P. Es hat keine ſonderliche Eile.

Am folgenden Tage bezog Johannes ſein Kämmerchen bei einer Wittwe im Dorfe.

Er ſchnitzelte Löffel, auf dem Schloſſe und machte Botengänge für den gnädigen Herrn. Im Ganzen ging’s ihm leidlich; die Herrſchaft war ſehr gütig, und Herr von S. unterhielt ſich oft lange mit ihm über die Türkei, den öſtreichiſchen Dienſt und die See.

Der Johannes könnte viel erzählen, ſagte er zu ſeiner Frau, wenn er nicht ſo grundeinfältig wäre. Mehr tiefſinnig als einfältig, verſetzte ſie; ich fürchte immer, er ſchnappt noch über. Ei bewahre! antwortete der Baron, er war ſein Lebenlang ein Simpel; ſimple Leute werden nie verrückt.

Nach einiger Zeit blieb Johannes auf einem Botengange über Gebühr lange aus. Die gute Frau von S. war ſehr beſorgt um ihn und wollte ſchon Leute ausſenden, als man ihn die Treppe heraufſtelzen hörte.

222

Du biſt lange ausgeblieben, Johannes, ſagte ſie; ich dachte ſchon, du hätteſt dich im Brederholz verirrt.

Ich bin durch den Föhrengrund gegangen.

Das iſt ja ein weiter Umweg; warum gingſt du nicht durch’s Brederholz?

Er ſah trübe zu ihr auf: Die Leute ſagten mir, der Wald ſei gefällt, und jetzt ſeien ſo viele Kreuz - und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen. Ich werde alt und du - ſelig, fügte er langſam hinzu. Sahſt du wohl, ſagte Frau von S. nachher zu ihrem Manne, wie wunderlich und quer er aus den Augen ſah? Ich ſage dir, Ernſt, das nimmt noch ein ſchlimmes Ende.

Indeſſen nahte der September heran. Die Felder waren leer, das Laub begann abzufallen und mancher Hektiſche fühlte die Scheere an ſeinem Le - bensfaden. Auch Johannes ſchien unter dem Ein - fluſſe des nahen Aequinoctiums zu leiden; die ihn in dieſen Tagen ſahen, ſagten, er habe auffallend verſtört ausgeſehen und unaufhörlich leiſe mit ſich ſelber geredet, was er auch ſonſt mitunter that, aber ſelten. Endlich kam er eines Abends nicht nach Hauſe. Man dachte, die Herrſchaft habe ihn ver - ſchickt, am zweiten auch nicht, am dritten ward ſeine Hausfrau ängſtlich. Sie ging in’s Schloß und223 fragte nach. Gott bewahre, ſagte der Guts - herr, ich weiß nichts von ihm; aber geſchwind den Jäger gerufen und Förſters Wilhelm! Wenn der armſelige Krüppel, ſetzte er bewegt hinzu, auch nur in einen trockenen Graben gefallen iſt, ſo kann er nicht wieder heraus. Wer weiß, ob er nicht gar eines von ſeinen ſchiefen Beinen gebrochen hat! Nehmt die Hunde mit, rief er den abziehenden Jägern nach, und ſucht vor Allem in den Gräben; ſeht in die Steinbrüche! rief er lauter.

Die Jäger kehrten nach einigen Stunden heim; ſie hatten keine Spur gefunden. Herr von S. war in großer Unruhe: Wenn ich mir denke, daß Einer ſo liegen muß wie ein Stein, und kann ſich nicht helfen! Aber er kann noch leben; drei Tage hält’s ein Menſch wohl ohne Nahrung aus. Er machte ſich ſelbſt auf den Weg; in allen Häuſern wurde nachgefragt, überall in die Hörner geblaſen, ge - rufen, die Hunde zum Suchen angehetzt um - ſonſt! Ein Kind hatte ihn geſehen, wie er am Rande des Brederholzes ſaß und an einem Löffel ſchnitzelte; er ſchnitt ihn aber ganz entzwei, ſagte das kleine Mädchen. Das war vor zwei Tagen geweſen. Nachmittags fand ſich wieder eine Spur: abermals ein Kind, das ihn an der andern Seite des Waldes bemerkt hatte, wo er im Gebüſch ge - ſeſſen, das Geſicht auf den Knieen, als ob er ſchliefe. 224Das war noch am vorigen Tage. Es ſchien, er hatte ſich immer um das Brederholz herumgetrieben.

Wenn nur das verdammte Buſchwerk nicht ſo dicht wäre! da kann keine Seele hindurch, ſagte der Gutsherr. Man trieb die Hunde in den jungen Schlag; man blies und hallohte und kehrte endlich mißvergnügt heim, als man ſich überzeugt, daß die Thiere den ganzen Wald abgeſucht hatten. Laßt nicht nach! laßt nicht nach! bat Frau von S.; beſſer ein paar Schritte umſonſt, als daß etwas verſäumt wird. Der Baron war faſt ebenſo beängſtigt wie ſie. Seine Unruhe trieb ihn ſogar nach Johannes Wohnung, obwohl er ſicher war, ihn dort nicht zu finden. Er ließ ſich die Kam - mer des Verſchollenen aufſchließen. Da ſtand ſein Bett noch ungemacht, wie er es verlaſſen hatte, dort hing ſein guter Rock, den ihm die gnädige Frau aus dem alten Jagdkleide des Herrn hatte machen laſſen; auf dem Tiſche ein Napf, ſechs neue hölzerne Löffel und eine Schachtel.

Der Gutsherr öffnete ſie; fünf Groſchen lagen darin, ſauber in Papier gewickelt, und vier ſilberne Weſtenknöpfe; der Gutsherr betrachtete ſie aufmerk - ſam. Ein Andenken von Mergel, murmelte er und trat hinaus, denn ihm ward ganz beengt in dem dumpfen, engen Kämmerchen.

Die Nachſuchungen wurden fortgeſetzt, bis225 man ſich überzeugt hatte, Johannes ſei nicht mehr in der Gegend, wenigſtens nicht lebendig.

So war er denn zum zweitenmal verſchwunden; ob man ihn wiederfinden würde vielleicht ein - mal nach Jahren ſeine Knochen in einem trockenen Graben? ihn lebend wieder zu ſehen, dazu war wenig Hoffnung, und jedenfalls nach achtundzwanzig Jahren gewiß nicht.

Vierzehn Tage ſpäter kehrte der junge Brandes Morgens von einer Beſichtigung ſeines Reviers durch das Brederholz heim. Es war ein für die Jahres - zeit ungewöhnlich heißer Tag; die Luft zitterte, kein Vogel ſang, nur die Raben krächzten langweilig aus den Aeſten und hielten ihre offenen Schnäbel der Luft entgegen. Brandes war ſehr ermüdet. Bald nahm er ſeine von der Sonne durchglühte Kappe ab, bald ſetzte er ſie wieder auf. Es war Alles gleich unerträglich, das Arbeiten durch den kniehohen Schlag ſehr beſchwerlich. Rings umher kein Baum außer der Judenbuche. Dahin ſtrebte er denn auch aus allen Kräften und ließ ſich todtmatt auf das beſchattete Moos darunter nieder. Die Kühle zog ſo angenehm durch ſeine Glieder, daß er die Augen ſchloß.

Schändliche Pilze! murmelte er halb im Schlaf. Es giebt nämlich in jener Gegend eine Art ſehr ſaftiger Pilze, die nur ein paar Tage15226ſtehen, dann einfallen und einen unerträglichen Ge - ruch verbreiten. Brandes glaubte ſolche unangenehme Nachbarn zu ſpüren, er wandte ſich ein paarmal hin und her, mochte aber doch nicht aufſtehen; ſein Hund ſprang unterdeſſen umher, kratzte am Stamm der Buche und bellte hinauf. Was haſt du da, Bello? eine Katze? murmelte Brandes. Er öffnete die Wimper halb und die Judenſchrift fiel ihm in’s Auge, ſehr ausgewachſen, aber doch noch ganz kennt - lich. Er ſchloß die Augen wieder; der Hund fuhr fort zu bellen und legte endlich ſeinem Herrn die kalte Schnauze an’s Geſicht.

Laß mich in Ruh! was haſt du denn? Hiebei ſah Brandes, wie er ſo auf dem Rücken lag, in die Höhe, ſprang dann mit einem Satze auf und wie beſeſſen in’s Geſtrüpp hinein.

Todtenbleich kam er auf dem Schloſſe an: in der Judenbuche hänge ein Menſch; er habe die Beine gerade über ſeinem Geſichte hängen ſehen. Und du haſt ihn nicht abgeſchnitten, Eſel? rief der Baron.

Herr, keuchte Brandes, wenn Ew. Gnaden da geweſen wären, ſo wüßten Sie wohl, daß der Menſch nicht mehr lebt. Ich glaubte Anfangs, es ſeien die Pilze. Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog ſelbſt mit hinaus.

Sie waren unter der Buche angelangt. Ich227 ſehe nichts, ſagte Herr von S. Hierher müſſen Sie treten, hierher, an dieſe Stelle! Wirklich, dem war ſo: der Gutsherr erkannte ſeine eigenen abgetragenen Schuhe.

Gott, es iſt Johannes! Setzt die Leiter an! ſo nun herunter! ſacht, ſacht! laßt ihn nicht fallen! Lieber Himmel, die Würmer ſind ſchon daran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde. Eine breite Narbe ward ſicht - bar; der Gutsherr fuhr zurück.

Mein Gott! ſagte er; er beugte ſich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerkſamkeit und ſchwieg eine Weile in tiefer Erſchütterung.

Dann wandte er ſich zu dem Förſter: Es iſt nicht recht, daß der Unſchuldige für den Schul - digen leide; ſage es nur allen Leuten: der da er deutete auf den Todten war Friedrich Mergel.

Die Leiche ward auf dem Schindanger ver - ſcharrt.

Dies hat ſich nach allen Hauptumſtänden wirklich ſo begeben im September des Jahres 1788.

Die hebräiſche Schrift an dem Baume heißt:

Wenn du dich dieſem Orte naheſt, ſo wird es dir ergehen, wie du mir gethan haſt.

15*[228][229]

Bilder aus Weſtphalen.

(1840.)

[230][231]

1.

Die Phyſiognomie des Landes Paderborn, Münſter, der Grafſchaft Mark und des Herzogthums Weſtphalen.

Wenn wir von Weſtphalen reden, ſo be - greifen wir darunter einen großen, ſehr verſchiedenen Landſtrich, verſchieden nicht nur den weit aus - einanderliegenden Stammwurzeln ſeiner Bevölkerung nach, ſondern auch in Allem, was die Phyſiognomie des Landes bildet, oder weſentlich darauf zurück - wirkt, in Klima, Naturform, Erwerbsquellen, und, als Folge deſſen, in Cultur, Sitten, Charakter, und ſelbſt Körperbildung ſeiner Bewohner: daher möch - ten wohl wenige Theile unſeres Deutſchlands einer ſo vielſeitigen Beleuchtung bedürfen.

Zwar giebt es ein Element, das dem Ganzen, mit Ausnahme einiger kleinen Grenzprovinzen, für den oberflächlichen Beobachter einen Anhauch von Gleichförmigkeit verleiht, ich meine das des gleichen (katholiſchen) Religionscultus und des gleichen frü - heren Lebens unter den Krummſtäben, was in ſeiner232 feſten Form und gänzlicher Beſchränkung auf die nächſten Zuſtände, immer dem Volkscharakter und ſelbſt der Natur einen Charakter von bald beſchau - licher, bald in ſich ſelbſt arbeitender Abgeſchloſſenheit giebt, den wohl erſt eine lange Reihe von Jahren, und die Folge mehrerer, unter fremden Einflüſſen herangebildeter Generationen völlig verwiſchen dürf - ten. Das ſchärfere Auge wird indeſſen ſehr bald von Abſtufungen angezogen, die in ihren Endpunkten ſich faſt zum Contraſte ſteigern, und, bei der noch großentheils erhaltenen Volksthümlichkeit, dem Lande ein Intereſſe zuwenden, was ein vielleicht beſſerer, aber zerfloſſener Zuſtand nicht erregen könnte. Gebirg und Fläche ſcheinen auch hier, wie überall, die ſchärferen Grenzlinien bezeichnen zu wollen; doch haben, was das Volk betrifft, Umſtände die ge - wöhnliche Folgenreihe geſtört, und ſtatt aus dem flachen, haidigen Münſterland, durch die hügelige Grafſchaft Mark und das Bisthum Paderborn, bis in die, dem Hochgebirge naheſtehenden Bergkegel des Sauerlandes (Herzogthum Weſtphalen) ſich der Natur nachzumetamorphoſiren, bildet hier vielmehr der Sauerländer den Uebergang vom friedlichen Haidebewohner zum wilden, faſt ſüdlich durchglühten Inſaſſen des Teutoburger Waldes. Doch laſſen wir dies beiläufig bei Seite und faſſen die Land - ſchaft in’s Auge, unabhängig von ihren Bewohnern,233 inſofern die Einwirkung derſelben (durch Cultur ꝛc. ) auf deren äußere Form dies erlaubt.

Wir haben bei Weſel die Ufer des Niederrheins verlaſſen und nähern uns durch das, auf der Karte mit Unrecht Weſtphalen zugezählte, noch echt rhei - niſche Herzogthum Cleve, den Grenzen jenes Landes. Das allmähliche Verlöſchen des Grüns und der Betriebſamkeit; das Zunehmen der glänzenden Sand - dünen und einer gewiſſen lauen träumeriſchen At - moſphäre, ſowie die aus den ſeltenen Hütten immer blonder und weicher hervorſchauenden Kindergeſichter ſagen uns, daß wir ſie überſchritten haben, wir ſind in den Grenzſtrichen des Bisthums Münſter. Eine troſtloſe Gegend! unabſehbare Sandflächen, nur am Horizonte hier und dort von kleinen Wal - dungen und einzelnen Baumgruppen unterbrochen. Die von Seewinden geſchwängerte Luft ſcheint nur im Schlafe aufzuzucken. Bei jedem Hauche geht ein zartes, dem Rauſchen der Fichten ähnliches Ge - rieſel über die Fläche, und ſäet den Sandkies in glühenden Streifen bis an die nächſte Düne, wo der Hirt in halb ſomnambüler Beſchaulichkeit ſeine Socken ſtrickt und ſich ſo wenig um uns kümmert, als ſein gleichfalls ſomnambüler Hund und ſeine Haidſchnucken. Schwärme badender Krähen liegen quer über den Pfad, und flattern erſt auf, wenn wir ſie faſt greifen könnten, um einige Schritte ſeit -234 wärts wieder niederzufallen, und uns im Vorübergehen mit einem weiſſagenden Auge, oculo torvo sini - stroque zu betrachten. Aus den einzelnen Wach - holderbüſchen dringt das klagende, mövenartige Geſchrill der jungen Kibitze, die wie Taucher-Vögel im Schilf in ihrem ſtachlichen Aſyle umſchlüpfen, und bald hier bald dort ihre Federbüſchel hervor - ſtrecken. Dann noch etwa jede Meile eine Hütte, vor deren Thür ein paar Kinder ſich im Sande wälzen und Käfer fangen, und allenfalls ein wan - dernder Naturforſcher, der neben ſeinem überfüllten Torniſter kniet und lächelnd die zierlich verſteinerten Muſcheln und Seeigel betrachtet, die wie Modelle einer früheren Schöpfung hier überall verſtreut lie - gen, und wir haben Alles genannt, was eine lange Tagereiſe hindurch eine Gegend belebt, die keine andere Poeſie aufzuweiſen hat, als die einer faſt jungfräulichen Einſamkeit, und einer weichen, traumhaften Beleuchtung, in der ſich die Flügel der Phantaſie unwillkürlich entfalten. Allmählich bereiten ſich indeſſen freundlichere Bilder vor, zerſtreute Grasflächen in den Niederungen, häufigere und friſchere Baumgruppen begrüßen uns als Vorpoſten nahender Fruchtbarkeit, und bald befinden wir uns in dem Herzen des Münſterlandes, in einer Gegend, die ſo anmuthig iſt, wie der gänzliche Mangel an Gebirgen, Felſen und belebten Strömen dieſes nur235 immer geſtattet, und die wie eine große Oaſe, in dem ſie von allen Seiten, nach Holland, Olden - burg, Cleve zu, umſtäubenden Sandmeer liegt. In hohem Grade friedlich, hat ſie doch nichts von dem Charakter der Einöde, vielmehr mögen wenige Land - ſchaften ſo voll Grün, Nachtigallenſchlag und Blu - menflor angetroffen werden, und der aus minder feuchten Gegenden Einwandernde wird faſt betäubt vom Geſchmetter der zahlloſen Singvögel, die ihre Nahrung in dem weichen Kleiboden finden. Die wüſten Steppen haben ſich in mäßige, mit einer Haideblumendecke farbig überhauchte Weideſtrecken zuſammengezogen, aus denen jeder Schritt Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge auf - ſtäuben läßt. Faſt jeder dieſer Weidegründe enthält einen Waſſerſpiegel, von Schwertlilien umkränzt, an denen Tauſende kleiner Libellen wie bunte Stäbchen hängen, während die der größeren Art bis auf die Mitte des Weihers ſchnurren, wo ſie in die Blätter der gelben Nymphäen wie goldene Schmucknadeln in emaillirte Schalen niederfallen, und dort auf die Waſſerinſekten lauern, von denen ſie ſich nähren. Das Ganze umgrenzen kleine, aber zahlreiche Wal - dungen. Alles Laubholz, und namentlich ein Eichen - beſtand von tadelloſer Schönheit, der die holländiſche Marine mit Maſten verſieht in jedem Baume ein Neſt, auf jedem Aſte ein luſtiger Vogel und236 überall eine Friſche des Grüns und ein Blätterduft, wie dieſes anderwärts nur nach einem Frühlings - regen der Fall iſt. Unter den Zweigen lauſchen die Wohnungen hervor, die langgeſtreckt, mit tief nieder - ragendem Dache, im Schatten Mittagsruhe zu halten und mit halbgeſchloſſenem Auge nach den Rindern zu ſchauen ſcheinen, welche hellfarbig und geſcheckt, wie eine Damwildheerde ſich gegen das Grün des Waldbodens, oder den blaſſen Horizont abzeichnen, und in wechſelnden Gruppen durcheinander ſchieden, da dieſe Haiden immer Almenden ſind, und jede wenigſtens ſechzig Stück Hornvieh und darüber ent - hält. Was nicht Wald und Haide iſt, iſt Kamp, d. h. Privateigenthum, zu Acker und Wieſengrund benutzt, und, um die Beſchwerde des Hütens zu vermeiden, je nach dem Umfange des Beſitzes oder der Beſtimmung, mit einem hohen, von Laubholz überflatterten Erdwalle umhegt. Dieſes begreift die fruchtbarſten Grundſtrecken der Gemeinde, und man trifft gewöhnlich lange Reihen ſolcher Kämpe nach - und nebeneinander, durch Stege und Pförtchen verbunden, die man mit jener angenehmen Neugier betritt, mit der man die Zimmer eines dachloſen Hauſes durchwandert. Wirklich geben auch vorzüg - lich die Wieſen einen äußerſt heitern Anblick durch die Fülle und Mannigfaltigkeit der Blumen und Kräuter, in denen die Elite der Viehzucht, ſchwerer237 oſtfrieſiſcher Race, überſättigt wiederkaut, und den Vorübergehenden ſo träge und hochmüthig an - ſchnaubt, wie es nur der Wohlhäbigkeit auf vier Beinen erlaubt iſt. Gräben und Teiche durchſchneiden auch hier, wie überall, das Terrain, und würden, wie alles ſtehende Gewäſſer, widrig ſein, wenn nicht eine weiße, von Vergißmeinnicht umwucherte Blü - thendecke und der aromatiſche Duft des Münzkrautes dem überwiegend entgegenwirkten; auch die Ufer der träg ſchleichenden Flüſſe ſind mit dieſer Zierde ver - ſehen, und mildern ſo das Unbehagen, das ein ſchläfriger Fluß immer erzeugt. Kurz dieſe Gegend bietet eine lebhafte Einſamkeit, ein fröhliches Allein - ſein mit der Natur, wie wir es anderwärts noch nicht angetroffen. Dörfer trifft man alle Stunde Weges höchſtens eines, und die zerſtreuten Pachthöfe liegen ſo verſteckt hinter Wallhecken und Bäumen, daß nur ein ferner Hahnenſchrei, oder ein aus ſeiner Laubperrücke winkender Heiligenſchein ſie dir an - deutet, und du dich allein glaubſt mit Gras und Vögeln, wie am vierten Tage der Schöpfung, bis ein langſames Hott oder Haar hinter der näch - ſten Hecke dich aus dem Traume weckt, oder ein grellanſchlagender Hofhund dich auf den Dachſtreifen aufmerkſam macht, der ſich gerade neben dir, wie ein liegender Balken durch das Geſtrüpp des Erd - walles zeichnet. So war die Phyſiognomie des238 Landes bis heute, und ſo wird es nach vierzig Jahren nimmer ſein. Bevölkerung und Luxus wachſen ſicht - lich, mit ihnen Bedürfniſſe und Induſtrie. Die kleinern maleriſchen Haiden werden getheilt; die Cultur des langſam wachſenden Laubwaldes wird vernachläſſigt, um ſich im Nadelholze einen ſchnelleren Ertrag zu ſichern, und bald werden auch hier Fich - tenwälder und endloſe Getreideſeen den Charakter der Landſchaft theilweiſe umgeſtaltet haben, wie auch ihre Bewohner von den uralten Sitten und Ge - bräuchen mehr und mehr ablaſſen; faſſen wir des - halb das Vorhandene noch zuletzt in ſeiner Eigen - thümlichkeit auf, ehe die ſchlüpfrige Decke, die all - mählich Europa überfließt, auch dieſen ſtillen Erd - winkel überleimt hat.

Wir haben dieſen Raum des Münſterlandes eine Oaſe genannt, ſo ſind es auch wieder Steppen, Sand und Fichtenöden, die uns durch Paderborn, die ehemalige Reſidenz und Grenzſtadt, in das Bis - thum gleichen Namens führen, wo die Ebene all - mählich zu Hügeln anſchwillt, von denen jedoch die höchſten der jenſeitigen Grenze zu die Höhe eines mäßigen Berges nicht überſteigen. Hier iſt die Phyſiognomie des Landes bei weitem nicht ſo anziehend, wie die ſeiner Bewohner, ſondern ein ziemlich reizloſer Uebergang von der Fläche zum Gebirge, ohne die Milde der erſteren oder die Groß -239 artigkeit des letzteren; unabſehbare Getreidefelder, ſich über Thal und Höhen ziehend, welche die Frucht - barkeit des Bodens bezeugen, aber das Auge er - müden, Quellen und kleine Flüſſe, die recht munter laufen, aber gänzlich ohne Geräuſch und die phantaſtiſchen Sprünge der Bergwäſſer, ſteinigter Grund, der, wo man nur den Spaten einſtößt, treffliches Baumaterial liefert, aber nirgends eine Klippenwand vorſtreckt, außer der künſtlichen des Steinbruchs, niedere Berge von gewöhnlicher Form, unter denen nur die bewaldeten auf einige Anmuth Anſpruch machen können, bilden zuſammen ein wenig hervorſtechendes Ganze. Selbſt der claſſiſche Teutoburger Wald, das einzige, zwar nicht durch Höhe, aber durch ſeine Ausdehnung und mitunter maleriſchen Formen impoſante Waldgebirge, iſt in neueren Zeiten ſo durchlichtet und nach der Schnur beforſtet worden, daß wir nur mit Hülfe der rothen (eiſenhaltigen) Erde, die fortwährend unter unſern Tritten kniſtert, ſowie der unzähligen fliegenden Leuchtwürmchen, die hier in Sommernächten an jeden Zweig ihr Laternchen hängen, und eine rege Phantaſie von Stein, Gras und Grein träumen können. Doch fehlt es dem Lande nicht an ein - zelnen Punkten, wo das Zuſammentreffen vieler kleiner Schönheiten wirklich reizende Partieen her - vorbringt, an hübſchen grünen Thalſchluchten,240 z. B. von Quellen durchrieſelt, wo es ſich recht an - muthig und ſogar ein wenig ſchwindelnd durch die ſchlanken Stämme bergauf ſchauen läßt; liegt nun etwa noch ein Schlößchen droben, und gegenüber ein Steinbruch, der für’s Auge ſo ziemlich die Klippen erſetzt, ſo wird der wandernde Maler gewiß ſein Album hervorlangen, und der benachbarte Flach - länder kehrt von ſeiner Ferienreiſe mit Stoff zu langen Erzählungen und Nachentzückungen heim; ein Dorf am Fuße des Berges kann übrigens das Bild nur verderben, da das Bisthum Paderborn hiervon ausgemacht die elendeſten und rauchigſten Exemplare Weſtphalens aufzuweiſen hat, ein Um - ſtand, zu dem Uebervölkerung und Leichtſinn der Einwohner in gleichen Theilen beitragen.

Haben wir die paderbornſche Grenze gleichviel ob zur Rechten oder zur Linken überſchritten, ſo beginnt der hochromantiſche Theil Weſtphalens, rechts das geiſtliche Fürſtenthum Corvey, links die Grafſchaft Mark; erſteres die mit Recht berühmten Weſerlandſchaften, das andere die gleichſchönen Ruhr - und Lenne-Ufer umſchließend. Dieſe beiden Pro - vinzen zeigen, obwohl der Lage nach getrennt, eine große Verwandtſchaft der Natur, nur daß die eine durch ſegelnde Fahrzeuge, die andere durch das Pochen der Hämmer und Gewerke belebt wird; beide ſind gleich lachend und fruchtbar, mit gleich wellen -241 förmigen, üppig belaubten Bergrücken geſchmückt, in die ſich nach und nach kühnere Formen und Klippenwände drängen, bis die Weſerlandſchaft, wie eine Schönheit, die ihren Scheitelpunkt erreicht hat, allmählich wieder einſinkt und gleichſam abwelkt, während von der Ruhr aus immer kühnere Gebirgs - formen in das Herz des Sauerlandes dringen, und ſich durch die höchſte romantiſche Wildheit bis zur Oede ſteigern. Daß die vielbeſprochene Porta Weſt - phalica nur einen geringen Beitrag zu jener Bilder - reihe ſteuert, und nur den letzten zweifelhaften beau jour der bereits verblichenen Weſerſchönheit aus - macht, iſt ſchon öfters geſagt worden; deſto reizender iſt der Strombord in ſeinem Knospen, Erblühen und Reifen, das Corveyer Ländchen und die an - ſchließenden Striche entlang bis zur kurheſſiſchen Grenze: ſo ſanfte Berghänge und verſchwimmende Gründe, wo Waſſer und Land ſich zu haſchen und einander mit ihrer Friſche anzuhauchen ſcheinen; ſo angenehme Kornfluren im Wechſel mit Wieſe und Wald; ſo kokette Windungen des Stroms, daß wir in einem Garten zu wandeln glauben. Immer mannichfaltiger wird die Landſchaft, immer reicher ſchattirt von Laub - und Nadelholz, ſcharfen und wellenſchlagenden Linien. Hinter dem alten Schloſſe Wehern und der Türkenruine hebt der Wildberg aus luftigen Hügeln, die ihn wie vom16242Spiel ermüdete Kinder umlagern, ſeinen ſtachlichen Sargrücken, und ſcheint nur den Cathagenberg ge - genüber, der ihn wie das Knochengebäude eines vorweltlichen Ungeheuers aus rothen Augenhöhlen anſtarrt, ſeiner Beachtung werth zu halten. Von hier an beginnen die Ufer ſteil zu werden, mit jeder Viertelſtunde ſteiler, hohler und felſiger, und bald ſehen wir von einer ſtundenlangen, mit Mauern und Geländern eingehegten Klippe die Schiffe unter uns gleiten, klein, wie Kinderſpielzeug, und hören den Ruf der Schiffer, dünn wie Mövengeſchrei, während hoch über uns von der Feldterraſſe junge Laubzweige niederwinken, wie die Hände ſchöner Frauen von Burgzinnen. Bei dem neu-antiken Schloſſe Herſtelle hat die Landſchaft ihren Höhepunkt erreicht, und geht, nach einer reichen Ausſicht die Weſer entlang, und einem ſchwindelnden Nieder - blicke auf das heſſiſche Grenzſtädtchen Carlshafen, der Verflachung und überall dem Verfall entgegen.

Dieſen ähnliche Bilder bietet die Grafſchaft Mark, von gleicher theils ſanfter, theils kräftiger auftre - tenden Romantik, und durch die gleichen Mittel. Doch iſt die Landſchaft hier belebter, reicher an Quellengeräuſch und Echo, die Flüſſe kleiner und raſcher, und ſtatt Segel bei uns vorbeigleiten zu laſſen, ſchreiten wir ſelbſt an ſchäumenden Wehren und Mühlrädern vorüber, und hören ſchon weit243 her das Pochen der Gewerke, denn wir ſind in einem Fabriklande. Auch iſt die Gegend anfangs, von der Nähe des Münſterlandes angehaucht, noch milder, die Thäler träumeriſcher, und tritt dagegen, wo ſie ſich dem eigentlichen Sauerlande nähert, ſchon kühner auf, als die Weſer. Das Felſenmeer unweit Menden z. B., ein Thal, wo Rieſen mit wüſten Felswürfeln geſpielt zu haben ſcheinen und die Bergſchlucht unter der Schloßruine und der bekannten Tropfſteinhöhle Kluſenſtein dürfen unbezweifelt einen ehrenvollen Platz im Gebiete des Wildromantiſchen anſprechen, ſonderlich das Letzte und eben dieſe ſtarr gegeneinander rückenden Fels - wände, an denen ſich der kaum fußbreite Ziegenpfad windet oben das alte Gemäuer, in der Mitte der ſchwarze Höllenſchlund, unten im Keſſel das Getöſe und Geſchäum der Mühle, zu der man nur vermittelſt Planken und Stege gelangt, und wo es immer dämmert ſollen dem weiland vielgeleſenen Spies den Rahmen zu einem ſeiner ſchlimmſten Schauerromane (ich glaube die Teufelsmühle im Höllenthal) geliefert haben. Doch ſind dieſes Ausnahmen, die Landſchaften durchgängig ſanft, und würden, ohne die induſtrielle Regſamkeit ihrer Bewohner, entſchieden träumeriſch ſein. Sobald wir die Fläche überſchritten, verliert ſich indeſſen das Milde mehr und mehr, und bald begegnet es uns16*244nur noch in einzelnen, gleichſam verirrten Partieen, die uns jetzt durch ihre Seltenheit ſo überraſchend anregen, wie früher die kühneren Formen, von denen wir fortan durch tagelange Wanderungen faſt über - ſättigt werden. Der Sauerländer rühmt ſich eines glorreichen Urſprungs ſeiner Benennung dieſes iſt mir ein ſaures Land geworden, ſoll Karl der Große geſagt haben und wirklich, wenn wir uns durch die mit Felsblöcken halb verrammelten Schluchten des Binnenlandes winden, unter Wänden her, deren Unerſteiglichkeit wir mit ſchwindelndem Auge meſſen und aus denen ſich koloſſale Balkone ſtrecken, breit und feſt genug, eine wilde Berghorde zu tragen, ſo zweifeln wir nicht an der Wahrheit dieſes Worts, mag es nun geſagt ſein oder nicht. Das Gebirge iſt waſſerreich, und in den Thal - ſchlünden das Getöſe der niederrauſchenden und brodelnden Quellen faſt betäubend, wogegen der Vogelgeſang in den überhand nehmenden Fichten - waldungen mehr und mehr erſtirbt, bis wir zuletzt nur Geier und Habichte die Felszacken umkreiſen ſehen, und ihre grellen Diebspfeifen ſich hoch in der Luft antworten hören. Ueberall ſtarren uns die ſchwarzen Eingänge der Stollen, Spalten und Stalaktitenhöhlen entgegen, deren Senkungen noch zum Theil nicht ergründet ſind, und an die ſich Sagen von Wegelagerern, Berggeiſtern und ver -245 hungerten Verirrten knüpfen. Das Ganze ſteht den wildeſten Gegenden des Schwarzwaldes nicht nach, ſonderlich, wenn es zu dunkeln beginnt, gehört viel kaltes Blut dazu, um ſich eines mindeſtens poetiſchen Schauers zu erwehren, wenn das Volk der Eulen und Schuhu’s in den Spalten lebendig wird, und das Echo ihr Gewimmer von Wand zu Wand laufen läßt, und wenn die Hohöfen wie glü - hende Rachen aus den Schluchten gähnen, wirre Funkenſäulen über ſich aufblaſen und Baum und Geſtein umher mit rothem Brandſcheine überzittern. In dieſem Style nimmt die Landſchaft immer an Wildheit zu, zuletzt Klippen bietend auf denen man ſchon verirrte Ziegen hat tagelang umherſchwanken ſehen bis die Zackenform der Berge allmählich kahlen Kegeln weicht, an denen noch wohl im hohen Mai Schneeflecke lagern, der Baumwuchs faſt gänzlich eingeht und endlich bei Winterberg die Gegend nur noch das Bild troſtloſer Oede beut, kahle Zuckerhutformen, an denen hier und dort ein Fleck - chen magerer Haferſaat mehr gilbt als grünt.

[246]

2.

Handelsgeiſt im Sauerlande. Wilde Poeſie in Pader - born. Die Barackenbewohner. Ihre Ehen. Die Branntweinpeſt. Sittenverderbniß. Alte Gebräuche. Aberglauben. Beſprechungen. Raufluſt. Eine Gerichtsſcene.

Wir haben im Vorhergehenden den Charakter der Eingebornen bereits flüchtig angedeutet, und geſagt, daß, dem gewöhnlichen Einfluſſe der Natur auf ihre Zöglinge entgegen, am, verhältnißmäßig in einem zahmen Lande aufgenährten Paderborner der Stempel des Bergbewohners, ſowohl moraliſch als körperlich, weit entſchiedener hervortritt, als an dem, durch ſeine Umgebung weit mehr dazu be - rechtigten Sauerländer. Der Grund liegt nahe; in den Handelsverhältniſſen des Letzteren, die ſeine Heimath dem Fremden öffnen, und ihn ſelbſt der Fremde zutreiben, wo unter kaufmänniſcher Cultur die Sitten, durch auswärtige Heirathen das Blut ſeines Stammes ſich täglich mehr verdünnen, und wir müſſen uns eher über die Kraft einer Ader wundern, die, von ſo vielen Quellen verwäſſert,247 doch noch durchgängig einen ſcharfen, feſten Strich zeichnet, wie der Rhein durch den Bodenſee. Der Sauerländer iſt ungemein groß und wohlgebaut, vielleicht der größte Menſchenſchlag in Deutſchland, aber von wenig geſchmeidigen Formen; koloſſale Körperkraft iſt bei ihm gewöhnlicher, als Behendig - keit anzutreffen. Seine Züge, obwohl etwas breit und verflacht, ſind ſehr angenehm, und bei vor - herrſchend lichtbraunem oder blondem Haare haben doch ſeine langbewimperten blauen Augen alle den Glanz und den dunkeln Blick der ſchwarzen. Seine Phyſionogmie iſt kühn und offen, ſein An - ſtand ungezwungen, ſo daß man geneigt iſt, ihn für ein argloſeres Naturkind zu halten, als irgend einen ſeiner Mitweſtphalen; dennoch iſt nicht leicht ein Sauerländer ohne einen ſtarken Zuſatz von Schlauheit, Verſchloſſenheit und praktiſcher Ver - ſtandesſchärfe und ſelbſt der ſonſt Beſchränkteſte unter ihnen wird gegen den geſcheidteſten Münſter - länder faſt immer praktiſch im Vortheil ſtehen. Er iſt ſehr entſchloſſen, ſtößt ſich dann nicht an Kleinigkeiten, und ſcheint eher zum Handel und gutem Fortkommen geboren, als dadurch und dazu herangebildet. Seine Neigungen ſind heftig, aber wechſelnd, und ſo wenig er ſie Jemandes Wunſch zu Liebe aufgiebt, ſo leicht entſchließt er ſich aus eigener Einſicht oder Grille hierzu. Er iſt ein248 raſtloſer und zumeiſt glücklicher Spekulant, vom reichen Fabrikherrn, der mit Vieren fährt, bis zum abgeriſſenen Herumſtreicher, der Kirſchen für Lumpen ausbietet; und hier findet ſich der einzige Adel Weſtphalens, der ſich durch Eiſenhämmer, Papier - mühlen und Salzwerke dem Kaufmannsſtande an - ſchließt. Obwohl der Confeſſion nach katholiſch, iſt das Fabrikvolk doch an vielen Orten bis zur Gleichgültigkeit lau, und lacht nur zu oft über die Schaaren frommer Wallfahrer, die vor ſeinen Gnadenbildern beſtäubt und keuchend ihre Litaneien abſingen, und an denen ihm der Klang des Geldes, das ſie einführen, bei weitem die verdienſtvollſte Muſik ſcheint. Uebrigens beſitzt der Sauerländer manche anziehende Seite; er iſt muthig, beſonnen, von ſcharfem aber kühlem Verſtande, obwohl im Allgemeinen berechnend, doch aus Ehrgefühl be - deutender Aufopferungen fähig; und ſelbſt der ge - ringſte beſitzt einen Anflug ritterlicher Galanterie und einen naiven Humor, der ſeine Unterhaltung äußerſt angenehm für denjenigen macht, deſſen Ohren nicht allzu zart ſind. Daß in einem Lande, wo drei Viertel der Bevölkerung, Mann, Weib und Kind, ihren Tag unter fremdem Dache (in den Fabrikſtuben) zubringen, oder auf Handels - füßen das Land durchziehen, die häuslichen Ver - hältniſſe ſehr locker, gewiſſermaßen unbedeutend ſind,249 begreift ſich wohl; ſo wie aus dem Geſagten her - vorgeht, daß dort nicht der Hort der Träume und Mährchen, der charakteriſtiſchen Sitten und Ge - bräuche zu ſuchen iſt; denn obwohl die Sage manche Kluft und unheimliche Höhle mit Berggeiſtern, und den Geſpenſtern Ermordeter, oder in den Irrgängen Verſchmachteter bevölkert hat, ſo lacht doch jedes Kind darüber, und nur der minder beherzte oder phantaſiereichere Reiſende fährt zuſammen, wenn ihm in dem ſchwarzen Schlunde etwa eine Eule entgegenwimmert, oder ein kalter Tropfen von den Steinzapfen in ſeinen Nacken rieſelt. Kurz der Sohn der Induſtrie beſitzt vom Bergbewohner nur die eiſerne Geſundheit, Körperkraft und Entſchloſſen - heit, aber ohne den romantiſchen Anflug und die Phantaſie, welche ſich an großartigen Umgebungen zu entwickeln pflegen, er liebt ſein Land, ohne deſſen Charakter herauszufühlen; er liebt ſeine Berge, weil ſie Eiſen und freien Athemzug; ſeine Felſen, weil ſie vortreffliches Material und Fern - ſichten, ſeine rauſchenden Waſſerfälle, weil ſie den Fabrikrädern raſcheren Umſchwung geben, und das Ganze endlich, weil es ſeine Heimath und in deſſen Luft ihm am wohlſten iſt. Seine Feſtlichkeiten ſind nach den Umſtänden des Gaſtgebers, den ſtädtiſchen möglichſt nachgebildet; ſeine Trachten desgleichen. Alles wie anderwärts, ſtaubende250 Chauſſeen mit Frachtwagen und Einſpännern bedeckt, Wirthshäuſer mit Kellern und gedruckten Speiſe - zetteln; einzelne Dörfer im tiefſten Gebirge ſind noch ſtrohdachig und verfallen genug, die meiſten jedoch, nett wie alle Fabrikorte, erhalten allein durch die ſchwarze Schieferbekleidung und die mit Steinplatten beſchwerten Dächer, die man hier der Rauhigkeit des Klima’s entgegenſetzen muß, einen ſchwachen Anſtrich von Ländlichkeit, und nur die Kohlen - brenner in den Waldungen, die bleichen Hammer - ſchmiede vor ihren Höllenfeuern, und die an den Stollen, mit Lederſchurz und blitzendem Bleierz auf ihrem Kärrchen aus - und einfahrenden Berg - knappen geben der Landſchaft hier und dort eine paſſende Staffage.

Anders iſt es im Hochſtifte Paderborn, wo der Menſch eine Art wilder Poeſie in die ſonſt nüchterne Umgebung bringt, und uns in die Abruzzen verſetzen würde, wenn wir Phantaſie ge - nug hätten, jene Gewitterwolke für ein mächtiges Gebirge, jenen Steinbruch für eine Klippe zu halten. Nicht groß von Geſtalt, hager und ſehnig, mit ſcharfen, ſchlauen, tiefgebräunten, und vor der Zeit von Mühſal und Leidenſchaft durchfurchten Zügen fehlt dem Paderborner nur das brandſchwarze Haar zu einem entſchieden ſüdlichen Ausſehen. Die Männer ſind oft hübſch und immer maleriſch, die251 Frauen haben das Schickſal der Südländerinnen, eine frühe üppige Blüthe und ein frühes, zigeuner - haftes Alter. Nirgends giebt es ſo rauchige Dörfer, ſo dachluckige Hüttchen, als hier, wo ein unge - ſtümes Temperament einen ſtarken Theil der Be - völkerung übereilten Heirathen zuführt, ohne ein anderes Kapital, als vier Arme und ein Dutzend zuſammengebettelter und zuſammengeſuchter Balken, aus denen dann eine Art von Koben zuſammen - geſetzt wird, eben groß genug für die Heerdſtelle, das Ehebett, und allenfalls einen Verſchlag, der den ſtolzen Namen Stube führt, in der That aber nur ein ungewöhnlich breiter und hoher Kaſten mit einem oder zwei Fenſtergläſern iſt. Beſitzt das junge Paar Fleiß und Aus - dauer, ſo mögen nach und nach einige Verſchläge angezimmert werden; hat es ungewöhnlichen Fleiß und Glück zugleich, ſo dürfte endlich eine beſcheidene Menſchenwohnung entſtehen, häufig aber laſſen Armuth und Nachläſſigkeit es nicht hierzu kommen und wir ſelbſt ſahen einen bejahrten Mann, deſſen Pallaſt zu kurz war um ausgeſtreckt darin zu ſchlafen, ſeine Beine ein gutes Ende in die Straße recken. Selbſt der Roheſte iſt ſchlau und zu allen Dingen geſchickt, weiß jedoch ſelten nachhaltigen Vortheil daraus zu ziehen, da er ſein Talent gar oft in kleinen Pfiffigkeiten, deren Ertrag er ſofort252 vergeudet, erſchöpft, und ſich dem Einfluſſe von Winkeladvokaten hingiebt, die ihm über jeden Zaun - pfahl einen Prozeß einfädeln, der ihn völlig aus - ſaugt, faſt immer zur Auspfändung, und häufig von Hof und Haus bringt. Große Noth treibt ihn zu großen Anſtrengungen, aber nur bis das dringendſte Bedürfniß geſtillt iſt, jeder erübrigte Groſchen, den der Münſterländer ſorglich zurück - legen, der Sauerländer in irgend ein Geſchäft ſtecken würde, wird hier am liebſten von dem Kind der Armuth ſofort dem Wirthe und Kleinhändler zu - getragen, und die Schenken ſind meiſt gefüllt mit Glückſeligen, die ſich einen oder ein paar blaue Montage machen, um nachher wieder auf die alte Weiſe fort zu hungern und zu taglöhnern. So verleben leider Viele, ohwohl in einem fruchtbaren Lande, und mit allen Naturgaben ausgerüſtet, die ſonſt in der Welt voran bringen, ihre Jugend in Armuth und gehen einem elenden Alter am Bettel - ſtabe entgegen. In ſeiner Verwahrloſung dem Aberglauben zugeneigt, glaubt der Unglückliche ſehr fromm zu ſein, während er ſeinem Gewiſſen die ungebührlichſten Ausdehnungen zumuthet. Wirklich ſtehen auch manche Pflichten ſeinen mit der Mutter - milch eingeſogenen Anſichten von eigenem Rechte zu ſehr entgegen, als daß er ſie je begreifen ſollte, jene gegen den Gutsherrn zum Beiſpiel, den er253 noch ſeinem Naturrecht gern als einen Erbfeind oder Uſurpator des eigentlich ihm zuſtändigen Bodens betrachtet, dem ein ächtes Landeskind nur aus Liſt, um der guten Sache willen, ſchmeichle, und übri - gens Abbruch thun müſſe, wo es immer könne. Noch empörender ſcheinen ihm die Forſt - und Jagdgeſetze, da ja unſer Herrgott das Holz von ſelbſt wachſen läßt, und das Wild aus einem Lande in das andere wechſelt. Mit dieſem Spruche im Munde glaubt der Frierende ſich völlig berechtigt, jeden Förſter, der ihn in flagranti überraſcht, mit Schnupftaback zu blenden, und wie er kann mit ihm fertig zu werden. Die Gutsbeſitzer ſind deshalb zu einem erſchöpfenden Aufwande an Forſt - beamten gezwungen, die den ganzen Tag und manche Nacht durchpatrouilliren, und doch die maſſivſten Forſtfrevel, z. B. das Niederſchlagen ganzer Wald - ſtrecken in einer Nacht, nicht immer verhindern können. Hier ſcheitern alle Anſtrengungen der ſehr ehrenwerthen Geiſtlichkeit, und ſelbſt die Ver - ſagung der Abſolution im Beichtſtuhle verliert ihre Kraft, wie bei dem Corſen, wenn es eine Vendetta gilt. Noch vor dreißig Jahren war es etwas ſehr gewöhnliches, beim Mondſcheine langen Wagen - reihen zu begegnen, neben denen dreißig bis vierzig Männer hertrabten, das Beil auf der Schulter, den Ausdruck lauernder Entſchloſſenheit in den ge -254 bräunten Zügen und der nächſte Morgen brachte dann gewiß, je nachdem ſie mit den Förſtern zuſammen getroffen, oder ihnen glücklich ausgewichen waren die Geſchichte eines blutigen Kampfes, oder eines grandioſen Waldfrevels. Die Ueber - wachung der preußiſchen Regierung hat allerdings dieſer Oeffentlichkeit ein Ziel geſetzt, jedoch ohne be - deutende Reſultate in der Sache ſelbſt, da die Frevler jetzt durch Liſt erſetzen, was ſie an Macht einbüßten, und es iſt leider eine Thatſache, daß die Holzbedürftigen, ſogar Beamte, von Leuten, denen doch, wie ſie ganz wohl wiſſen, kein rechtlicher Splitter eigen iſt, ihren Bedarf ſo ruhig nehmen, wie aller Orts Strandbewohner ihren Kaffee und Zucker von den Schmugglern zu nehmen pflegen. Daß auch dieſer letztere Erwerbzweig hier dem Cha - rakter des Beſitzloſen zu ſehr zuſagt, als daß er ihn vernachläſſigen ſollte, ſelbſt wenn die mehr - ſtündige Entfernung der Grenze ihn mühſam, ge - fahrvoll und wenig einträglich zugleich macht, läßt ſich wohl vorausſetzen und faſt bis im Herzen des Landes ſehen wir bei abendlichen Spaziergängen kleine Truppen von Fünfen oder Sechſen haſtig und ohne Gruß an uns vorüber der Waſſergegend zuſtapfen und können ſie in der Morgendämme - rung mit kleinen Bündeln, ſchweißtriefend und nicht ſelten mit verbundenem Kopfe oder Arme, wieder255 in ihre Baracken ſchlüpfen ſehen. Zuweilen folgen die Zollbeamten ihnen ſtundenweit; die Dörfer des Binnenlandes werden durch nächtliche Schüſſe und wüſtes Geſchrei aufgeſchreckt, am nächſten Morgen zeigen Gänge durchs Kornfeld, in welcher Richtung die Schmuggler geflohen; zerſtampfte Flächen, wo ſie ſich mit den Zöllnern gepackt haben, und ein halbes Dutzend Taglöhner läßt ſich bei ſeinem Dienſtherrn krank melden. Ihre Ehen, meiſt aus Leidenſchaft und mit gänzlicher Rückſichtsloſigkeit auf äußere Vortheile geſchloſſen, würden ander - wärts für höchſt unglücklich gelten, da kaum eine Barackenbewohnerin ihr Leben beſchließt, ohne Be - kanntſchaft mit dem ſogenannten braunen Heinrich, dem Stocke nämlich, gemacht zu haben. Sie aber finden es ländlich, ſittlich, und leben der Ueber - zeugung, daß eine gute Ehe wie ein gutes Gewebe zuerſt des Einſchlags bedarf, um nachher ein tüch - tiges Hausleinen zu liefern. Wollten wir eine Zuſammenſtellung der unteren Volksklaſſen nach den drei Hauptfarben Weſtphalens wagen, ſo würden wir ſagen: der Sauerländer freit wie ein Kauf - mann, nach Geld und Geſchicklichkeit und führt auch ſeine Ehe ſo kühl und auf gemeinſchaft - lichen Erwerb gerichtet. Der Münſterländer freit wie ein Herrnhuther, gutem Rufe und dem Willen ſeiner Eltern gemäß, und liebt und trägt ſeine256 Ehe, wie ein aus Gottes Hand gefallenes Loos, in friedlicher Pflichterfüllung. Der Paderborner Wildling aber, hat Erziehung und Zucht nichts an ihm gethan, wirbt wie ein derbes Naturkind mit allem Ungeſtüm ſeines heftigen Bluts. Mit ſeinen und den Eltern ſeiner Frau muß es daher auch oft zu heftigen Auftritten kommen. Er geht unter die Soldaten, oder läuft Gefahr zu verkommen, wenn ſeine Neigung unerwiedert bleibt. Die Ehe wird in dieſen dürftigen Hütten den Frauen zum wahren Fegfeuer, bis ſie ſich zurechtgefunden; Flüche und Schimpfreden haben, wie bei den Matroſen, einen großen Theil ihrer Bedeutung verloren, und laſſen eine rohe Art aufopfernder Liebe wohl neben ſich beſtehen. Ueber das Verderbniß der dienenden Klaſſen wird ſehr geklagt: jedes noch ſo flüchtige Verhältniß zwiſchen den zwei Geſchlechtern müſſe ſtreng überwacht werden von denen, welche ihr Haus rein von Scandal zu erhalten wünſchen; ſelbſt die Unteraufſeher, Leute von geſetzten Jahren und ſonſt ſtreng genug, ſcheinen taub und blind, ſobald nicht ein wirkliches Verlöbniß, ſondern nur der Glaube an eine ernſtliche Abſicht vorhanden ſei: die Beiden freien ſich und damit ſeien alle Schranken gefallen, obwohl aus zwanzig ſolcher Freiereien kaum eine Ehe hervorgehe und die Folgen257 davon den Gemeinden zur Laſt fielen. Auch die Branntweinpeſt fordert hier nicht wenige Opfer, und bei dieſem heftigen Blut wirkt das Uebermaß um ſo wilder und gefährlicher. Dieſe Verwahr - loſung iſt um ſo mehr zu beklagen, da es auch dem Letzten nicht leicht an Talenten und geiſtigen Mitteln gebricht, und ſeine ſchlaue Gewandtheit, ſein Muth, ſeine tiefen einwohnenden Leidenſchaften, und vor Allem ſeine reine Nationalität, verbunden mit dem markirten Aeußern, ihn zu einem allerdings würdi - gen Gegenſtande der Aufmerkſamkeit machen. Alter Gebräuche bei Feſtlichkeiten giebt es wenige und in ſeltener Anwendung, da der Paderborner jedem Zwange zu abgeneigt iſt, als daß er ſich eine Luſt durch etwas, das nach Ceremoniell ſchmeckt, ver - derben ſolle. Bei den Hochzeiten z. B. fällt wenig Beſonderes vor, das allerwärts bekannte Schlüſſel - und Brod-Ueberreichen findet auch hier ſtatt, d. h. wo es, außer einer alten Truhe, etwas giebt, was des Schlüſſels bedarf, nachher geht Jeder ſeinem Jubel bei Tanz und Flaſche nach, bis ſich alles zum Papen von Iſtrup ſtellt, einem beliebten Nationaltanz, einem Durcheinanderwirbeln und Verſchlingen, das erſt nach dem Lichtanzünden beginnt, und dem Reiſenden für Völker - und Länderkunde den Zeitpunkt angiebt, wo es für ihn gerathener ſein möchte, ſich zu entfernen, da fortan17258die Aufregung der Gäſte bis zu einer Höhe ſteigt, deren Culminationspunkt nicht voraus zu berechn en iſt. Iſt die Braut eine echte Flüggebraut, eine Braut in Kranz und fliegenden Haaren, ſo tritt ſie gewiß ſtolz wie eine Fürſtin auf, und dieſes glorreiche Familienereigniß wird noch der Ruhm ihrer Nachkommen, die ſich deſſen wohl zu rühmen wiſſen, wie ſtattlich ſie mit Spiegeln und Flittergold in den Haaren einhergeſtrahlt ſei. Lieber als eine Hochzeit iſt dem Paderborner noch die Faſtnacht, an deren erſtem Tage (Sonntag Esto mihi) der Burſche daherſteigt, in der Hand, auf goldenem Apfel, einen befiederten Hahn aus Brod - teig, den er ſeiner Liebſten verehrt, oder auch der Edelfrau, nämlich, wenn es ihm an Geld für die kommenden naſſen Tage fehlt. Am Montag iſt der Jubel im tollſten Gange, ſelbſt Bettler, die nichts anderes haben, hängen ihr geflicktes Bettuch über den Kopf, und binden einen durchlöcherten Papierbogen vor’s Geſicht, und dieſe machen, wie ſie mit ihren, aus der weißen Umrändung blitzenden Augen und langen Naſenſchnäbeln die Mauern entlang taumeln, einen noch grauſigeren Eindruck wie die eigentlichen Maskenzüge, die in ſcheußlichen Verkleidungen mit Geheul und Hurrah auf Acker - gäulen durch die Felder galoppiren, alle hundert Schritte einen Sandreiter zurücklaſſend, der ihnen259 wüſt nachjohlt, oder als ein hinkendes Ungethüm in’s Dorf zurückkrächzt. Sehr beliebt iſt auch das Schützenfeſt, zum Theil der Ironie wegen, da an dieſem Tage der Wildſchütz vor dem Auge der ſein Gewerb ignorirenden Herrſchaft mit ſeinem ſicheren Blicke und ſeiner feſten Hand paradiren darf, und oft der ſchlimmſte Schelm, dem die Förſter ſchon wochenlang nachſtellten, dem gnädigen Fräu - lein Strauß und Ehrenſchärpe als ſeiner Königin überreicht und mit ihr die Ceremonie des erſten Tanzes durchmacht. Ihm folgt am nächſten Tage das Frauenſchießen, eine galante Sitte, die man hier am wenigſten ſuchen ſollte, und die ſich anmuthig genug ausnimmt. Morgens in aller Frühe ziehen alle Ehefrauen der Gemeinde, unter ihnen manche blutjunge und hübſche, von dem Edelhofe aus, in ihren goldenen Häubchen und Stirnbinden, bebändert und beſtraußt, jede mit dem Gewehr ihres Mannes über die Schulter. Voran die Frau des Schützenkönigs, mit den Abzeichen ihrer Würde, dem Säbel an der Seite, wie weiland Maria Thereſia auf den Kremnitzer Dukaten; ihr zunächſt die Fähndrichin mit der weißen Schützen - fahne; auf dem Hofe wird Halt gemacht, die - nigin zieht den Säbel, kommandirt rechts links kurz alle militäriſchen Evolutionen; dann wird die Fahne geſchwenkt, und das blanke Regiment17*260zieht mit einem feinen Hurrah dem Schießplatze zu, wo jede Manche mit der zierlichſten Koketterie ihr Gewehr ein paar mal abfeuert, um unter klingendem Spiele nach der Schenke zu marſchiren, wo es heute keinen König giebt, ſondern nur eine Königin und ihren Hof, die alles anordnen, und von denen ſich die Männer heute Alles gefallen laſſen. Einen gleich ſtarken Gegenſatz zu den derben Sitten des Landes giebt der Beginn des Erndtefeſtes. Dieſes wird nur auf Edelhöfen und großen Pachtungen im altherkömmlichen Style gefeiert. Der voranſchreitenden Muſik folgt der Erndtewagen mit dem letzten Fuder, auf deſſen Garben die Großmagd thront, über ſich auf einer Stange den funkelnden Erndtekranz; dann folgen ſämmtliche Dienſtleute, paarweiſe mit gefalteten Händen, die Männer baarhaupt, ſo ziehen ſie lang - ſam über das Feld dem Edelhofe zu, das Te Deum nach der ſchönen alten Melodie des katholiſchen Ritus abſingend, ohne Begleitung, aber bei jedem dritten Verſe von den Blasinſtrumenten abgelöſt, was ſich überaus feierlich macht, und gerade bei dieſen Menſchen, und unter freiem Himmel etwas wahrhaft Ergreifendes hat. Im Hofe angelangt, ſteigt die Großmagd ab, und trägt ihren Kranz mit einem artigen Spruche zu jedem Mitgliede der Familie, vom Hausherrn an bis zum kleinſten261 Junkerchen auf dem Schaukelpferde, dann wird er über das Scheuerthor an die Stelle des vorigjäh - rigen gehängt, und die Luſtbarkeit beginnt. Obwohl ſich keiner ausgezeichneten Singorgane er - freuend, ſind die Paderborner doch überaus geſang - liebend; überall in Spinnſtuben auf dem Felde hört man ſie quinkeliren und pfeifen, ſie haben ihre eigenen Spinn -, ihre Acker -, Flachs - brech - und Rauflieder, das letzte iſt ein ſchlimmes Spottlied, was ſie nach dem Takte des Raufens jedem Vorübergehenden aus dem Stegreif zuſingen. Sonderlich junge Herren, die ſich, dem Verhältniſſe nach, zu Freiern ihrer Fräulein qualifiziren, können darauf rechnen, nicht ungeneckt vorbei zu kommen, und ſich von zwanzig bis dreißig Stimmen nach - krähen zu hören: He! he! he! er iſt ihr zu dick, er hat kein Geſchick, oder, er iſt ihr zu arm, daß Gott erbarm! Den Kuinkel den kuank, der Vogel der ſang, das Jahr iſt lang, oh! oh! oh! laßt ihn gehn! Ueberhaupt rühmen ſie ſich gern, wo es ihnen Anlaß zum Streit verſpricht, ihrer Herr - ſchaft, als ob ſie aus Gold wäre; ſtehen auch in ernſteren Fällen aus demſelben Grunde bisweilen zu ihr gleich dem Beſten, und es iſt hier, wie bei der Pariſer Polizei, nichts Ungewöhnliches, die ſchlimmſten Wildſchützen nach einigen Jahren als Forſtgehülfen wieder zu finden, denen es alsdann262 ein Herzensgandium iſt, ſich mit ihren alten Kame - raden zu raufen, und den bekannten Liſten neue entgegen zu ſetzen; und noch vor Kurzem packten ein Dutzend ſolcher Praktiker ihren Herzensfreund, den Dorfſchulmeiſter, der ſie früher in der Taktik des Holzſuchens unterrichtet hatte, wie er eben daran war, die dritte oder vierte Auflage der Re - kruten einzuüben, etwa achtzig baarfüßige Schlingel nämlich, die, wie junge Wölfe, zuerſt mit dem Blut - ausſaugen anfangen, mit ihren krummen Meſſern kunſtfertig in dem jungen Schlag wütheten, während der Pädagog, von einer breiten Buche herab, das Commando führte. Wir haben bereits den Volks - aberglauben erwähnt; dieſer äußert ſich, neben der Geſpenſterfurcht und dem Hexenglauben, vorzugs - weiſe in ſympathetiſchen Mitteln und dem ſogenannten Beſprechen, einem Act, der Manches zu denken giebt und deſſen wirklich ſeltſame Erfolge ſich durch bloßes Hinwegläugnen keineswegs beſeitigen laſſen. Wir ſelbſt müſſen geſtehen, Zeugen unerwarteter Reſultate geweſen zu ſein. Auf die Felder, die der Beſprecher mit ſeinem weißen Stäbchen um - ſchritten, und worauf er die Scholle eines verpfändeten Ackers geworfen hat, wagt ſich in der That kein Sperling, kein Wurm, fällt kein Mehlthau, und es iſt überraſchend, die Strecken mit ſchweren, niederhangenden Aehren zwiſchen weiland Flächen263 leeren Strohes zu ſehen. Ferner: ein prächtiger Schimmel, arabiſcher Race, und überaus feurig, war, zu einem übermäßigen Sprunge geſpornt, ge - ſtürzt und hatte ſich die Zunge dicht an der Wurzel durchgebiſſen. Da das Schlagen des wüthenden Thieres es in den erſten Tagen unmöglich machte, der Wunde beizukommen, war der Brand hinzu - getreten, und ein ſehr geſchickter Arzt erklärte das ſchöne Pferd für rettungslos verloren. Jetzt ward zur Waffenſalbe geſchritten, keinem Arznei - mittel, wie man wahrſcheinlich glauben wird, ſon - dern einem geheimnißvollen, mir unbekannt geblie - benen, Gebrauch, zu deſſen Behuf dem mehrere Stunden entfernten Beſprecher nur ein von dem Blut des Thieres beflecktes Tuch geſandt wurde. Man kann ſich denken, welches Vertrauen ich in dieſes Mittel ſetzte! Am nächſten Tage wurde das Thier jedoch ſo ruhig, daß ich dieſes als ein Zeichen ſeiner nahenden Auflöſung anſah; am folgenden Morgen richtete es ſich auf, zerbiß und verſchluckte, obwohl etwas mühſam, einige Brodſcheiben ohne Rinde, am dritten Morgen ſahen wir zu unſerm Erſtaunen, daß es ſich über das in der Raufe be - findliche Futter hergemacht, und einen Theil des - ſelben bereits verzehrt hatte, während nur ein be - hutſames Auswählen der weicheren Halme und ein leiſes Zucken um Lippen und Nüſtern die Empfind -264 lichkeit der, wie wir uns durch den Augenſchein überzeugen mußten, völlig geſchloſſenen Wundſtelle andeuteten; und ſeitdem habe ich den ſchönen Araber manches mal friſch und feurig, wie zuvor, mit ſeinem Reiter durchs Feld ſtolziren ſehen. Der - gleichen und Aehnliches fällt oft vor und hierbei iſt die Annäherung des Beſprechers oder ſeines Mittels an den zu beſprechenden Gegenſtand immer ſo gering (in manchen Fällen, wie dem eben ge - nannten, fällt ſie gänzlich fort), daß eine Erklärung durch natürlich wirkende Eſſenzen hier keine Statt haben kann, ſo wie die vielbeſprochene Macht der Phantaſie bei Thieren, Kräutern und ſelbſt Geſtein wegfallen muß, und dem Erklärer wohl nur die Kraft des menſchlichen Glaubens, die magnetiſche Gewalt eines feſten Willens über die Natur als letztes Auskunftsmittel bleiben dürfte. Folgenden Vorfall haben wir aus dem Munde eines glaub - würdigen Augenzeugen: In dem Garten eines Edelhofes hatte die grüne Kohlraupe dermaßen überhand genommen, daß der Beſitzer, obwohl Proteſtant, in ſeinem Ueberdruſſe endlich zum Be - ſprecher ſchickte. Dieſer fand ſich alsbald ein, umſchritt die Gemüſefelder, leiſe vor ſich hinmur - melnd, wobei er mit ſeinem Stäbchen hier und dort einen Kohlkopf berührte. Nun ſtand un - mittelbar am Garten ein Stallgebäude, an deſſen265 ſchadhaftem Dache einige Arbeiter flickten, die ſich den Spaß machten, den Zauberer durch Spottreden, hinabgeworfene Kalkſtückchen ꝛc. zu ſtören. Nach - dem dieſer ſie wiederholt gebeten hatte, ihn nicht zu irren, ſagte er endlich: Wenn ihr nicht Ruhe haltet, ſo treibe ich euch die Raupen auf das Dach, und als die Neckereien dennoch nicht aufhörten, ging er an die nächſte Hecke, ſchnitt eine Menge fingerlanger Stäbchen, ſtellte ſie horizontal an die Stallmauer und entfernte ſich. Alsbald ver - ließen ſämmtliche Raupen ihre Pflanzen, krochen in breiten grünen Colonnen über die Sandwege an den Stäbchen die Mauer aufwärts, und nach einer halben Stunde hatten die Arbeiter das Feld ge - räumt und ſtanden im Hofe, mit Ungeziefer be - ſäet, und nach dem Dache deutend, das wie mit einer grünen wimmelnden Decke überzogen war. Wir geben das Ebenerzählte übrigens keineswegs als etwas Beſonderes, da die oben berührte Er - klärung durch auf den Geruch wirkende Eſſenzen hier am erſten ſtattfinden dürfte, ſondern nur als ein kleines Genrebild aus dem Thun und Treiben eines phantaſiereichen und eben beſprochenen Volkes.

Ehe wir von dieſem zu anderen übergehen, er - lauben wir uns noch zum Schluſſe die Mittheilung einer vor etwa vierzig Jahren vorgefallenen Scene, die allerdings unter der jetzigen Regierung nicht mehr266 ſtattfinden könnte, jedoch den Charakter des Volks zu anſchaulich darſtellt, als daß wir ſie am unge - eigneten Orte glauben ſollten. Zu jener Zeit ſtand den Gutsbeſitzern die niedere Gerichtsbarkeit zu und wurde mitunter ſtreng gehandhabt, wobei ſich, wie es zu gehen pflegt, der Untergebene mit der Härte des Herrn, der Herr mit der Böswillig - keit des Untergebenen entſchuldigte, und in dieſer Wechſelwirkung das Uebel ſich fortwährend ſteigerte. Nun ſollte der Vorſteher (Meier) eines Dorfes, allzugrober Betrügereien und Diebſtähle halber ſeines Amtes entſetzt werden. Er hatte ſich Manchen verpflichtet, Manchen bedrückt und die Gemeinde war in zwei bittere Parteien geſpalten. Schon ſeit mehreren Tagen war eine tückiſche Stille im Dorfe bemerkt worden, und als am Gerichtstage der Gutsherr, aus Veranlaſſung des Unwohlſeins, ſeinen Geſchäftsführer bevollmächtigte, in Verein mit dem eigentlichen Juſtitiar die Sache abzumachen, war den beiden Herren dieſe Abänderung keines - weges angenehm, da ihnen recht wohl bewußt war, daß der Bauer ſeine Herrſchaft zwar haßt, jeden Städter aber und namentlich das Schreibervolk aus tiefſter Seele verachtet. Ihre Beſorgniß ward nicht gemindert, als einige Stunden vor der Sitzung ein Schwarm baarfüßiger Weiber in den Schloß - hof zog, wahre Poiſſarden, mit fliegenden Haaren267 und Kindern auf dem Arm, ſich vor dem Haupt - gebäude zuſammendrängte und wie ein Neſt junger Teufel zu krähen anfing: Wir revoltiren! wir proteſtiren! wir wollen den Meier behalten! unſere Kerle ſind auf dem Felde und mähen, und haben uns geſchickt, wir revoltiren! Der Gutsherr trat ans Fenſter und rief hinaus: Weiber! macht euch fort, der Amtmann (Juſtitiar) iſt noch nicht da, worauf der Schwarm ſich allmählich, unter Geſchrei und Fluchen verlor. Als nach einigen Stunden die Sitzung begonnen hatte, und die bereits abge - haltenen Verhöre verleſen wurden, erhob ſich unter den Fenſtern des Gerichtslokals ein dumpfes, viel - ſtimmiges Gemurmel, das immer zunahm, dann drängten ſich ein paar ſtarkknochige Männer in die Stube, wieder andere, in Kurzem war ſie zum Erſticken überfüllt. Der Juſtitiar, an ſolche Auftritte gewöhnt, befahl ihnen mit ernſter Stimme hinauszugehen; ſie gehorchten wirklich, ſtellten ſich aber, wie er ſehr wohl ſah, vor der Thür auf; zugleich bemerkte er, daß Einige, mit grimmigem Blicke auf die Gegenpartei, ihre Kittel lüfteten und kurze ſchwere Knittel ſichtbar werden ließen, was von der anderen Seite mit einer ähn - lichen Pantomime erwiedert wurde. Dennoch las er das Urtheil mit ziemlicher Faſſung ab, und ſchritt dann, ſeinen Gefährten am Kleide zupfend,268 haſtig der Thür zu. Dort aber drängten ſich die Außenſtehenden hinein, und ließen ihre Knittel ſpielen, und daß wir es kurz machen die heilige Juſtiz mußte froh ſein, die Nähe eines Fenſters zu einem etwas unregelmäßigen Rückzuge benutzen zu können. Dem Gutsherrn war in - deſſen durch den ſich allmählig nach Außen ziehen - den Tumult die Lage der Dinge bereits klar ge - worden, und er hatte die Schützengilde aufbieten laſſen, lauter Angehörige der Betheiligten, die ſich freuten, bei dieſer ſchönen Gelegenheit auch einmal darauf loswaſchen zu können. Sie waren eben aufmarſchirt, als die Sturmglocke erſchallte. Einige Schützen rannten nun ſpornſtreichs in den Thurm, wo ſie ein altes Weib fanden, das aus Leibeskräften den Strang zog, ſofort aber gepackt und auf Umwegen ins Hundeloch ſpedirt wurde. Indeſſen ſtand der Gutsherr am Fenſter, und überwachte mit ſeinem Tubus die Wege, welche zu den berüchtigtſten Dörfern führten, und nicht lange, ſo ſah er es von allen Bergen herunter wimmeln, wie die Beduinenſchwärme, er konnte deutlich die Knittel in ihren Händen unterſcheiden und an ihren Gebärden ſehen, wie ſie ſich einander riefen und zuwinkten. Schnell beſonnen, warf er einen Blick auf die Windfahne des Schloßthurmes, und nachdem er ſich überzeugt hatte, daß die Luft den269 Lärm nicht bis zu der Stelle führe, wo die Kommenden etwa in einer Viertelſtunde angelangt ſein konnten, wurden eilends einige zuverläſſige Leute abgefertigt, die in Hemdärmeln mit Senſe und Rechen, wie Arbeiter, die aufs Feld ziehen, den verſchiedenen Trupps entgegen ſchlendern und ihnen erzählen mußten, das Geläute im Dorfe habe einem brennenden Schlote gegolten, der aber bereits gelöſcht ſei. Die Liſt gelang, alle trollten ſich fluchend heim, während drinnen die Schützen - gilde auch ihr Beſtes mit Fauſt und Kolben that, und ſo der ganze Scandal mit einigen ernſtlich Verwundeten und einem Dutzend ins Loch Geſteckten endigte, zwei Drittel der Gemeinde aber eine Woche lang wie mit Peſtbeulen behaftet ausſahen, und eine beſondere Schwerfälligkeit in ihren Bewegungen zeigten. Aehnliche Auftritte waren früher ſo gewöhnlich, wie das tägliche Brod; noch heute, trotz des langjährigen Zwanges, iſt der gemeine Mann innerlich nicht um ein Haar breit von ſeinen Gelüſten und Anſichten abgewichen, er kann wohl niedergehalten werden, die Gluth wird aber unter der Aſche immer fortglimmen. Erhöhter Wohlſtand würde Einiges mildern, wären nicht Leichtſinn und die Leidenſchaft, welche zuerſt eine dürftige Bevölkerung zu Wege bringen, deren ge - ringes Eigenthum Schenkwirthen und Winkel -270 advokaten zur Beute wird. Dennoch kann man ſich des Bedauerns mit einem Volke nicht enthalten, das mit Kraft, Scharfſinn und Ausdauer begabt und im Beſitze eines geſegneten Bodens, in ſo vielen ſeiner Glieder den traurigſten Verhältniſſen anheimgefallen iſt.

[271]

3.

Die Grenze. Münſteriſches Stillleben. Patriarcha - liſches Weſen. Brautwerbung und Hochzeitsgebräuche. Frömmigkeit und harmloſer Aberglaube. Die Vor - geſchichte. Duldender Muth und Herzensgüte.

Selten mögen wenige Meilen einen ſo raſchen Uebergang hervorbringen, als jene, welche die Grenz - ſtriche Paderborns und ſeines frommen Nachbar - landes, des Bisthums Münſter, bilden. Noch vor einer Stunde, hinter dem nächſten Hügel, haben kleine ſchwarzbraune Schlingel, die, im halben Na - turzuſtande, ihre paar mageren Ziegen weniger hüteten, als bei ihnen diebswegen Wache ſtanden, auf deine Frage nach dem Wege dich zuerſt durch verſtelltes Mißverſtehen und Witzeleien gehöhnt, und dir dann unfehlbar einen Pfad angegeben, wo du wie eine Unke im Sumpfe, oder wie Abrahams Widder in den Dornen geſteckt haſt, d. h. wenn du nicht mit Geld klimperſt, denn in dieſem Falle haben nicht einer, ſondern ſämmtliche Buben ihre272 Ziegen, um ſie deſto ſicherer wiederzufinden, in’s Kornfeld getrieben und mindeſtens ein Dutzend Zäune zerbrochen und Pfähle ausgeriſſen, um dir den nächſten Weg zu bahnen, und du haſt dich, gut oder übel, zu einer vierfachen Abfindung ent - ſchließen müſſen, und jetzt ſtehſt du wie ein Amerikaner, der ſo eben den Wigwams der Irokeſen entſchlüpft iſt, und die erſten Einfriedigungen einer Herrnhuterkolonie betritt, vor ein paar runden Flachsköpfen, in mindeſtens vier Kamiſölern, Zipfel - mützen, Wollſtrümpfen und den landesüblichen Holz - ſchuhen, die ihre Kuh ängſtlich am Strick halten und vor Schrecken aufſchreien, wenn ſie nach einer Aehre ſchnappt. Ihre Züge, deren Milchhaut die Sonne kaum hat etwas anhaben können, tragen ſo offen den Ausdruck der gutmüthigſten Einfalt, daß du dich zu einer nochmaligen Nachfrage ent - ſchließeſt. Herr! ſagt der Knabe, und reicht dir eine Kußhand, das Ort weiß ich nicht. Du wendeſt dich an ſeinen Nachbar, der gar nicht ant - wortet, ſondern dich nur anblinzt, als dächte er, du wolleſt ihn ſchlagen. Herr! nimmt der Erſtere wieder das Wort, der weiß es auch nicht; verdrießlich trabſt du fort, aber die Knaben haben zuſammen geflüſtert und der große Redner kömmt dir nachgeklappert: Meint der Herr vielleicht ? (hier nennt er den Namen des Orts im Volks -273 dialekt); auf deine Bejahung ſtapft er herzhaft vor dir her, immer nach ſeinen Kameraden umſchauend, die ihm mit ihren Augen den Rücken decken, bis zum nächſten Kreuzweg; dann haſtig mit der Hand eine Richtung bezeichnend, ſpringt er fort, ſo ſchnell es ſich in Holzſchuhen galoppiren läßt, und du ſteckſt deinen Dreier wieder ein, oder wirfſt ihn in den Sand, wo die kleinen Haidläufer, die dich aus der Ferne beobachten, ihn ſchon nicht werden umkommen laſſen. In dieſem Zuge haſt du den Charakter des Landvolkes in Kürze. Gutmüthigkeit, Furcht - ſamkeit, tiefes Rechtsgefühl und eine ſtille Ordnung und Wirthlichkeit, die, trotz ſeiner geringen Anlage zur Speculation und glücklichen Gedanken, ihm doch einen Wohlſtand zu Wege gebracht hat, der ſelbſt den ſeines gewerbtreibenden Nachbars, des Sauer - länders, weit übertrifft. Der Münſterländer hei - rathet ſelten, ohne ein ſicheres Einkommen in der Hand zu haben, und verläßt ſich, wenn ihm dieſes nicht beſchieden iſt, lieber auf die Milde ſeiner Ver - wandten oder ſeines Brodherrn, der einen alten Diener nicht verſtoßen wird; und wirklich giebt es keine, einigermaßen bemittelte Wirthſchaft, ohne ein paar ſolcher Segenbringer, die ihre müden Knochen auf dem beſten Platze am Herde auswärmen. Die illegitime Bevölkerung iſt gar nicht in Anſchlag18274zu bringen, obwohl jetzt eher, als wie vor dreißig Jahren, wo wir in einer Pfarre von fünftauſend Seelen ein einziges uneheliches Kind antrafen.

Bettler giebt es unter dem Landvolke nicht, weder dem Namen, noch der That nach, ſondern nur in jeder Gemeinde einige arme Männer oder Frauen, denen in bemittelten Häuſern nach der Reihe die Koſt gereicht wird, wo dann die nach - läſſigſte Mutter ihr Kind ſtrafen würde, wenn es an dem armen Mann vorüberging, ohne ihn zu grüßen. So iſt Raum, Nahrung und Frieden für Alle da, die Regierung möchte gern zu einer ſtärkeren Bevölkerung anregen, die aber gewiß traurige Folgen haben würde bei einem Volke, das wohl ein Eigenthum verſtändig zu bewirthſchaften weiß, dem es aber zum Gewerbe mit leerer Hand gänzlich an Geſchick und Energie fehlt, und das Sprichwort: Noth lehrt beten (resp. arbeiten), würde ſich ſchwerlich hinlänglich hier bewähren, wo ſchon die laue, feuchte Luft den Menſchen träu - meriſch macht, und ſeine Schüchternheit zum Theil körperlich iſt, ſo daß man ihn nur anzuſehen braucht, um das langſame Rollen ſeines Bluts gleichſam mitzufühlen.

Der Münſterländer iſt groß, fleiſchig, ſelten von großer Muskelkraft; ſeine Züge ſind weich, oft äußerſt lieblich, und immer durch einen Ausdruck275 von Güte gewinnend, aber nicht leicht intereſſant, da ſie immer etwas Weibliches haben, und ſelbſt ein alter Mann oft frauenhafter ausſieht, als eine Paderbörnerin in den mittleren Jahren; die helle Haarfarbe iſt durchaus vorherrſchend; man trifft alte Flachsköpfe, die vor Blondheit nicht haben ergrauen können.

Dieſes und alles dazu Gehörige die Hautfarbe blendendweiß und roſig, und den Sonnenſtrahlen bis in’s überreife Alter widerſtehend, die lichtblauen Augen, ohne kräftigen Ausdruck, das feine Geſicht mit faſt lächerlich kleinem Munde, hierzu ein oft ſehr anmuthiges und immer wohl - wollendes Lächeln und ſchnelles Erröthen, ſtellen die Schönheit beider Geſchlechter auf ſehr ungleiche Wage, es giebt nämlich faſt keinen Mann, den man als ſolchen wirklich ſchön nennen könnte, wäh - rend unter zwanzig Mädchen wenigſtens funfzehn als hübſch auffallen und zwar in dem etwas faden, aber doch lieblichen Geſchmacke der engliſchen Kupferſtiche. Die weibliche Landestracht iſt mehr wohlthätig als wohlſtehend; recht viele Tuchröcke mit dicken Falten, recht ſchwere Goldhauben und Silberkreuze an ſchwarzem Sammetbande, und bei den Ehefrauen Stirnbänder an möglichſt breiter Spitze, bezeichnen hier den Grad des Wohlſtandes, da ſelten Jemand18*276in den Laden geht ohne die nöthigen blanken Thaler in der Hand, und noch ſeltener durch Putzſucht das richtige Verhältniß zwiſchen der Kleidung und dem ungeſchnittenen Leinen und anderen häuslichen Schätzen geſtört wird. Der Hausſtand in den, zumeiſt vereinzelt liegenden Bauernhöfen iſt groß und in jedem Betracht reichlich, aber durchaus bäuriſch. Das lange Gebäude von Ziegelſteinen, mit tief niederragendem Dache, und von der Tenne durchſchnitten, an der zu beiden Seiten eine lange Reihe Hornvieh, oſtfrieſiſcher Race, mit ſeinen Ketten klirrt, die große Küche, hell und ſauber, mit gewaltigem Kamine, unter dem ſich das ganze Haus - perſonal bergen kann; das viele zur Schau geſtellte blanke Geſchirr und die abſichtlich an den Wänden der Fremdenſtube aufgethürmten Flachsvorräthe er - innern ebenfalls an Holland, dem ſich überhaupt dieſe Provinz, was Wohlſtand und Lebensweiſe be - trifft, bedeutend nähert, obwohl Abgeſchloſſenheit und gänzlich auf den inneren Verkehr beſchränktes Wirken ihre Bevölkerung von all den ſittlichen Ein - flüſſen, denen handelnde Nationen nicht entgehen können, ſo frei gehalten haben, wie kaum einen anderen Landſtrich. Ob ſtarke Reibungen mit der Außenwelt dem Münſterländer den Muth und die Betriebſamkeit des Batavers, ein patriarchaliſches Leben dieſem die Sitteneinfalt und Milde des277 Münſterländers geben könnten, müſſen wir dahin geſtellt ſein laſſen, bezweifeln es aber; jetzt mindeſtens ſind ſie ſich in den Zügen, die man als die natio - nalſten Beider anzuſehen pflegt, faſt feindlich ent - gegengeſetzt, und verachten ſich auch gegenſeitig, wie es Nachbarn zukömmt. Wir haben ſchon früher von dem überaus friedlichen Eindrucke eines Mün - ſteriſchen Gehöftes geſprochen. In den Sommer - monaten, wo das Vieh im Felde iſt, vernimmſt du keinen Laut, außer dem Bellen des ſich an ſeiner Kette abzappelnden Hofhundes, und, wenn du dicht an der offenen Hausthür herſchreiteſt, dem leiſen Zirpen der in den Mauerneſſeln aus - und einſchlüpfenden Küchlein und dem gemeſſenen Pendelſchwung der Uhr, mit deſſen Gewichten ein paar junge Kätzchen ſpielen; die im Garten jätenden Frauen ſitzen ſo ſtill gekauert, daß du ſie nicht ahndeſt, wenn ein zufälliger Blick über den Hagen ſie dir nicht verräth und die ſchönen ſchwermüthigen Volksbal - laden, an denen dieſe Gegend überreich iſt, hörſt du etwa nur auf einer nächtlichen Wanderung durch das Schnurren der Spinnräder, wenn die blöden Mädchen ſich vor jedem Ohre geſichert glauben. Auch auf dem Felde kannſt du im Gefühl der tiefſten Einſamkeit gelaſſen fortträumen, bis ein zufälliges Räuspern oder das Schnauben eines Pferdes dir verräth, daß der Schatten, in den du ſoeben trittſt,278 von einem halbbeladenen Erndtewagen geworfen wird, und du mitten durch zwanzig Arbeiter geſchritten biſt, die ſich weiter nicht wundern, daß der nachdenkende Herr ihr Hutabnehmen nicht beachtet hat, da er nach ihrer Meinung andächtig iſt, das heißt den Roſenkranz aus dem Gedächtniſſe herſagt. Dieſe Ruhe und Eintönigkeit, die aus dem Innern hervorgehen, ver - breiten ſich auch über alle Lebensverhältniſſe. Die Todten werden mäßig betrauert, aber nie ver - geſſen, und alten Leuten treten noch Thränen in die Augen, wenn ſie von ihren verſtorbenen Eltern reden. An den Eheſchlüſſen hat frühere Neigung nur ſelten Theil; Verwandte und achtbare Freunde empfehlen ihre Lieblinge einander und das Fürwort des Geachtetſten giebt in der Regel den Ausſchlag, ſo kömmt es, daß manches Ehepaar ſich vor der Copulation kaum einmal geſehen hat, und unter der franzöſiſchen Regierung kam nicht ſelten der lächerliche Fall vor, daß Sponſen, die meilenweit hergetrabt waren, um für ihre Braut die nöthigen Scheine bei der Behörde zu löſen, weder Vor - noch Zunamen derjenigen anzugeben wußten, die ſie in der nächſten Woche zu heirathen gedachten, und ſich höchlich wunderten, daß die Bezeichnung als Magd oder Nichte irgend eines angeſehenen Gemeindegliedes nicht hinreichend gefunden wurde. Daß unter279 dieſen Umſtänden die möglichſt große Anzahl der Anträge noch ehrenvoller und für den Ruf ent - ſcheidender iſt, als anderwärts, begreift ſich, und wir ſelbſt wohnten der Trauung eines wahren Kleinodes von Brautpaare bei, wo der Bräutigam unter acht - undzwanzigen, die Braut unter zweiunddreißigen gewählt hatte. Trotz der vorläufigen Verhandlung iſt jedoch ſelbſt der Glänzendſte hier ſeines Erfolges nicht ſicher, da die Ehrbarkeit ein beſtimmtes Ein - gehen auf die Anträge des Brautwerbers verbietet, und jetzt beginnt die Aufgabe des Freiers. Er tritt an einem Nachmittage in das Haus der Geſuchten und zwar jedesmal unter dem Vorwande, ſeine Pfeife anzuzünden, die Hausfrau ſetzt ihm einen Stuhl und ſchürt ſchweigend die Gluth auf, dann knüpft ſie ein gleichgültiges Geſpräch an vom Wetter, den Kornfrüchten ꝛc. und nimmt unterdeſſen eine Pfanne vom Geſimſe, die ſie ſorgfältig ſcheuert und über die Kohlen hängt. Jetzt iſt der entſcheidende Augenblick gekommen. Sieht der Freier die Vor - bereitungen zu einem Pfannenkuchen, ſo zieht er ſeine dicke ſilberne Uhr hervor und behauptet, ſich nicht länger aufhalten zu können; werden aber Speck - ſchnitzel und Eier in die Pfanne gelegt, ſo rückt er kühnlich mit ſeinem Antrage heraus, die jungen Leute wechſeln die Treue, nämlich ein Paar alte Schaumünzen, und der Handel iſt geſchloſſen.

280

Einige Tage vor der Hochzeit macht der Gaſt - bitter mit ellenlangem Spruche ſeine Runde, oft meilenweit, da hier, wie bei den Schotten, das ver - wandte Blut bis in das entfernteſte Glied und bis zum Aermſten hinab geachtet wird. Nächſt die - ſem dürfen vor Allen die ſogenannten Nachbarn nicht übergangen werden, drei oder vier Familien nämlich, die vielleicht eine halbe Meile entfernt woh - nen, aber in uralten Gemeinderegiſtern, aus den Zeiten einer noch viel ſparſameren Bevölkerung, als Nachbarn verzeichnet ſtehen, und gleich Prinzen von Geblüt vor den näheren Seitenverbindungen, ſo auch ihre Rechte und Verpflichtungen vor den, vielleicht erſt ſeit ein paar hundert Jahren Näher - wohnenden wahren. Am Tage vor der Hochzeit findet der Gabenabend ſtatt eine freundliche Sitte, um den jungen Anfängern über die ſchwerſte Zeit wegzuhelfen. Abends, wenn es bereits ſtark dämmert, tritt eine Magd nach der andern in’s Haus, ſetzt mit den Worten: Gruß von unſerer Frau einen mit weißem Tuch bedeckten Korb auf den Tiſch und entfernt ſich ſofort; dieſer enthält die Gabe: Eier, Butter, Geflügel, Schinken je nach den Kräften eines Jeden und die Geſchenke fallen oft, wenn das Brautpaar unbemittelt iſt, ſo reichlich aus, daß dieſes um den nächſten Winter - vorrath nicht ſorgen darf. Eine liebenswürdige,281 das Volk bezeichnende Höflichkeit des Herzens ver - bietet die Ueberbringung der Gabe durch ein Fa - milienmitglied; wer keine Magd hat, ſchickt ein frem - des Kind. Am Hochzeitmorgen, etwa um acht, beſteigt die Braut den mit einer weißen, goldflin - kernden Fahne geſchmückten Wagen, der ihre Aus - ſtattung enthält; ſie ſitzt allein zwiſchen ihren Schätzen, im beſten Staate, aber ohne beſonderes Abzeichen und weint auf’s Jämmerlichſte; auch die auf dem folgenden Wagen gruppirten Brautjungfern und Nachbarinnen beobachten eine ernſte, verſchämte Haltung, während die auf dicken Ackergäulen nebenher trabenden Burſche durch Hutſchwenken und hier und dort ein ſchwerfälliges Juchhei ihre Luſtigkeit aus - zudrücken ſuchen, und zuweilen eine alte, blindge - ladene Flinte knallen laſſen. Erſt vor der Pfarr - kirche findet ſich der Bräutigam mit ſeinem Gefolge ein, beſteigt aber nach der Trauung nicht den Wagen der Braut, ſondern trabt als einziger Fußgänger nebenher bis zur Thür ſeines Hauſes, wo die junge Frau von der Schwiegermutter empfangen und mit einem Gott ſegne deinen Ein - und Aus - gang feierlich über die Schwelle geleitet wird. Lebt die Mutter nicht mehr, ſo vertritt der Pfarrer ihre Stelle, oder, wenn er zufällig gegenwärtig iſt, der Gutsherr, was für eine ſehr glückliche Vorbe - deutung gehalten wird, die den Neuvermählten und282 ihren Nachkommen den ungeſtörten Genuß des Hofes ſichert, nach dem Spruche: Wen die Herrſchaft einleitet, den leitet ſie nicht wieder heraus. Wäh - rend dieſer Ceremonie ſchlüpft der Bräutigam in ſeine Kammer und erſcheint alsbald in Kamiſol, Zipfelmütze und Küchenſchürze. In dieſem Aufzuge muß er an ſeinem Ehrentage den Gäſten aufwarten, nimmt auch keinen Theil am Hochzeitsmahle, ſon - dern ſteht, mit dem Teller unterm Arme, hinter der Braut, die ihrerſeits keinen Finger rührt und ſich wie eine Prinzeſſin bedienen läßt. Nach Tiſche beginnen auf der Tenne die althergebrachten Tänze: der halbe Mond, der Schuſtertanz, hinten im Garten , manche mit den anmuthigſten Ver - ſchlingungen. Das Orcheſter beſteht aus einer oder zwei Geigen und einer invaliden Baßgeige, die der Schweinehirt oder Pferdeknecht aus dem Steg - reif ſtreicht. Iſt das Publikum ſehr muſikliebend, ſo kommen noch wohl ein Paar Topfdeckel hinzu und eine Kornſchwinge, die abwechſelnd von den Gäſten mit einem Spane aus Leibeskräften wider den Strich gekratzt wird. Nimmt man hiezu das Gebrüll und Kettengeklirr des Viehes, das er - ſchrocken an ſeinen Ständern ſtampft, ſo wird man zugeben, daß die unerſchütterliche Gravität der Tänzer mindeſtens nicht dem Mangel an aufregendem Ge - räuſche zuzuſchreiben iſt. Hier und dort läßt wohl283 ein Burſche ein Juchhei los, was aber ſo einſam klingt, wie ein Eulenſchrei in einer Sturmnacht. Bier wird mäßig getrunken, Branntwein noch mäßiger, aber ſiedender Kaffee zur Abkühlung in ganzen Strömen, und mindeſtens ſieben blanke Zinnkeſſel ſind in ſteter Bewegung. Zwiſchen dem Tanzen verſchwindet die Braut von Zeit zu Zeit und kehrt allemal in einem andern Anzuge zurück, ſo viel ihr derer zu Gebote ſtehen, vom Trauſtaate an bis zum gewöhnlichen Sonntags - putze, in dem ſie ſich noch ſtattlich genug ausnimmt, in der damaſtenen Kappe mit breiter Goldtreſſe, dem ſchweren Seidenhalstuche und einem ſo impoſanten Körperumfange, als ihn mindeſtens vier Tuchröcke übereinander hervorbringen können. Sobald die Hängeuhr in der Küche Mitternacht geſchlagen hat, ſieht man die Frauen ſich von ihren Bänken er - heben und mit einander flüſtern; gleichzeitig drängt ſich das junge Volk zuſammen, nimmt die Braut in ſeine Mitte und beginnt einen äußerſt künſtlichen Schneckentanz, deſſen Zweck iſt, im raſchen Durch - einanderwimmeln immer eine vierfache Mauer um die Braut zu erhalten, denn jetzt gilt’s den Kampf zwiſchen Ehe und Jungfrauſchaft. So wie die Frauen anrücken, wird der Tanz lebhafter, die Ver - ſchlingungen bunter, die Frauen ſuchen von allen Seiten in den Kreis zu dringen, die Junggeſellen284 durch vorgeſchobene Paare ſie wegzudrängen; die Parteien erhitzen ſich, immer raſcher wirbelt die Muſik, immer enger zieht ſich die Spirallinie, Arme und Kniee werden zu Hülfe genommen, die Burſche glühen wie Oefen, die ehrwürdigen Matronen triefen von Schweiß, und man hat Beiſpiele, daß die Sonne über dem entſchiedenen Kampfe aufgegangen iſt; endlich hat eine Veteranin, die ſchon einige zwanzig Bräute in den Eheſtand gezerrt hat, ihre Beute gepackt; plötzlich verſtummt die Muſik, der Kreis ſtäubt auseinander, und Alles ſtrömt den Siegerinnen und der weinenden Braut nach, die jetzt zum letzten Male umgekleidet und mit Anlegung der fraulichen Stirnbinde ſymboliſch von ihrem Mädchenthum geſchieden wird, ein Ehrendienſt, welcher den (ſogenannten) Nachbarinnen zuſteht, an dem ſich aber jede anweſende Ehefrau, die Gattin des Gutsherrn nicht ausgenommen, durch irgend eine kleine Dienſt - leiſtung betheiligt. Die Braut erſcheint nun bar - häuptig und in Hemdärmeln, gleichſam eine be - zwungene und fortan zum Dienen willige Brunhildis, greift aber dennoch nach ihres Mannes bereitliegen - dem Hute und ſetzt ihn auf; die Frauen thun des - gleichen, und zwar jede den Hut ihres eigenen Mannes, den er ihr ſelbſt ehrerbietig reicht und eine ſtattliche Frauenmenuett beſchließt die Feier und giebt zugleich die Vorbedeutung eines ehrenhaften, fleißigen,285 friedlichen Eheſtandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß ſie am Hochzeitstage ihres Mannes Hut getragen. Noch bleibt den Gäſten, bevor ſie ſich zerſtreuen, eine ſeltſame Aufgabe: der Bräutigam iſt nämlich während der Menuett unſichtbar ge - worden, er hat ſich verſteckt, offenbar aus Furcht vor der behuteten Braut, und das ganze Haus wird umgekehrt, ihn zu ſuchen; man ſchaut in und unter die Betten, raſchelt im Stroh und Heu umher, durchſtöbert ſogar den Garten, bis endlich Jemand in einem Winkel voll alten Gerümpels den Quaſt ſeiner Zipfelmütze oder ein Endchen der Küchen - ſchürze entdeckt, wo er dann ſofort gefaßt und mit gleicher Gewalt und viel weniger Anſtand als ſeine ſchöne Hälfte der Brautkammer zugeſchleppt wird. Bei Begräbniſſen fällt wenig Ungewöhnliches vor, außer daß der Tod eines Hausvaters ſeinen Bienen angeſagt werden muß, wenn nicht binnen Jahresfriſt alle Stöcke abzehren und verziehen ſollen, weshalb, ſo - bald der Verſcheidende den letzten Athemzug gethan, ſo - fort der Gefaßteſte unter den Anweſenden an den Stand geht, an jeden Korb pocht und vernehmlich ſpricht: Einen Gruß von der Frau, der Herr iſt todt, worauf die Bienen ſich chriſtlich in ihr Leid finden und ihren Geſchäften nach wie vor obliegen. Die Leichenwacht, die in Stille und Gebet abgehalten wird, iſt eine Pflicht jener entfernten Nachbarn, ſo286 wie das Leichenmahl ihr Recht und ſie ſorgen mit dafür, daß der Todte ein feines Hemd erhält, recht viele ſchwarze Schleifen und einen recht flimmernden Kranz und Strauß von Spiegeln, Rauſchgold und künſtlichen Blumen, da er unfehlbar am jüngſten Tage in demſelben Aufzuge erſcheinen wird, wo ſie dann Lob und Tadel mit den Hinterlaſſenen zu theilen haben. Der Münſterländer iſt überhaupt ſehr abergläubiſch, ſein Aberglaube aber ſo harmlos, wie er ſelber. Von Zauberkünſten weiß er nichts, von Hexen und böſen Geiſtern wenig, obwohl er ſich ſehr vor dem Teufel fürchtet, jedoch meint, daß dieſer wenig Veranlaſſung finde, im Münſterlande umzugehen. Die häufigen Geſpenſter im Moor, Haide und Wald ſind arme Seelen aus dem Fege - feuer, deren täglich in vielen tauſend Roſenkränzen gedacht wird, und ohne Zweifel mit Nutzen, da man zu bemerken glaubt, daß die Sonntags - ſpinnerin ihre blutigen Arme immer ſeltener aus dem Gebüſche ſtreckt, der diebiſche Torfgräber nicht halb ſo kläglich mehr im Moore ächzt und vollends der kopfloſe Geiger ſeinen Sitz auf dem Waldſtege gänzlich verlaſſen zu haben ſcheint. Von den ebenfalls häufigen Hausgeiſtern in Schlöſſern und großen Bauernhöfen denkt man etwas unklar, aber auch nicht ſchlimm und glaubt, daß mit ihrem völligen Verſchwinden die Familie des Beſitzers aus -287 ſterben oder verarmen werde. Dieſe beſitzen weder die häuslichen Geſchicklichkeiten, noch die Tücke an - derer Kobolde, ſondern ſind einſamer, träumeriſcher Natur, ſchreiten, wenn es dämmert, wie in tiefen Gedanken langſam und ſchweigend an irgend einer verſpäteten Milchmagd oder einem Kinde vorüber und find ohne Zweifel echte Münſterländer, da man kein Beiſpiel hat, daß ſie Jemanden beſchädigt oder abſichtlich erſchreckt hätten. Man unterſcheidet ſie in Timphüte und Langhüte. Die erſteren kleine, runzliche Männchen, in altmodiſcher Tracht, mit eisgrauem Barte und dreieckigem Hütchen; die an - deren übernatürlich lang und hager, mit langem Schlapphut, aber beide gleich wohlwollend, nur daß der Timphut beſtimmten Segen bringt, der Lang - hut dagegen nur Unglück zu verhüten ſucht. Zu - weilen halten ſie nur in den Umgebungen, den Alleen des Schloſſes, dem Wald - und Wieſen - grunde des Hofes ihre philoſophiſchen Spaziergänge; gewöhnlich haben ſie jedoch außerdem einen Speicher oder eine wüſte Bodenkammer inne, wo man ſie zuweilen Nachts auf - und abgehen, oder einen knarrenden Haspel langſam umdrehen hört. Bei Feuersbrünſten hat man den Hausgeiſt ſchon ernſt - haft aus den Flammen ſchreiten und einen Feldweg einſchlagen ſehen, um nie wiederzukehren, und es war dann hundert gegen eins zu wetten, daß die288 Familie bei dem Neubau in einige Verlegenheit und Schulden gerathen würde.

Größere Aufmerkſamkeit als dieſes verdient das ſogenannte Vorgeſicht, ein bis zum Schauen oder mindeſtens deutlichen Hören geſteigertes Ahnungs - vermögen, ganz dem Second sight der Hoch - ſchotten ähnlich, und hier ſo gewöhnlich, daß, ob - wohl die Gabe als eine höchſt unglückliche eher geheim gehalten wird, man doch überall auf noto - riſch damit Behaftete trifft, und im Grunde faſt kein Eingeborner ſich gänzlich davon freiſprechen dürfte. Der Vorſchauer (Vorgucker) im höheren Grade iſt auch äußerlich kenntlich an ſeinem hell - blonden Haare, dem geiſterhaften Blitze der waſſer - blauen Augen, und einer blaſſen oder überzarten Geſichtsfarbe; übrigens iſt er meiſtens geſund und im gewöhnlichen Leben häufig beſchränkt und ohne eine Spur von Ueberſpannung. Seine Gabe überkömmt ihn zu jeder Tageszeit, am Häufigſten jedoch in Mondnächten, wo er plötzlich erwacht, und von fieberhafter Unruhe ins Freie oder ans Fenſter getrieben wird; dieſer Drang iſt ſo ſtark, daß ihm kaum Jemand widerſteht, obwohl Jeder weiß, daß das Uebel durch Nachgeben bis zum Unerträglichen, zum völligen Entbehren der Nachtruhe geſteigert wird; wogegen fortgeſetzter Widerſtand es allmäh - lig abnehmen, und endlich gänzlich verſchwinden289 läßt. Der Vorſchauer ſieht Leichenzüge lange Heereskolonnen und Kämpfe er ſieht deutlich den Pulverrauch und die Bewegungen der Fechten - den, beſchreibt genau ihre fremden Uniformen und Waffen, hört ſogar Worte in fremder Sprache, die er verſtümmelt wiedergiebt, und die vielleicht erſt lange nach ſeinem Tode auf demſelben Flecke wirk - lich geſprochen werden. Auch unbedeutende Be - gebenheiten muß der Vorſchauer unter gleicher Be - ängſtigung ſehen, z. B. einen Erndtewagen, der nach vielleicht zwanzig Jahren auf dieſem Hofe umfallen wird; er beſchreibt genau die Geſtalt und Kleidung der jetzt noch ungebornen Dienſtboten, die ihn aufzurichten ſuchen; die Abzeichen des Fohlens oder Kalbes, das erſchreckt zur Seite ſpringt, und in eine jetzt noch nicht vorhandene Lehmgrube fällt ꝛc. Napoleon grollte noch in der Kriegs - ſchule zu Brienne mit ſeinem beengten Geſchicke, als das Volk ſchon von ſilbernen Reitern ſprach, mit ſilbernen Kugeln auf den Köpfen, von denen ein langer, ſchwarzer Pferdeſchweif flatterte, ſo wie von wunderlich aufgeputztem Geſindel, das auf Pferden wie Katzen (ein üblicher Ausdruck für kleine knollige Roſſe) über Hecken und Zäune fliege, in der Hand eine lange Stange mit eiſernem Stachel daran. Ein längſt verſtorbener Guts - beſitzer hat viele dieſer Geſichte verzeichnet, und es19290iſt höchſt anziehend, ſie manchem ſpäteren ent - ſprechenden Begebniſſe zu vergleichen. Der minder Begabte und nicht bis zum Schauer Geſteigerte hört er hört den dumpfen Hammerſchlag auf dem Sargdeckel und das Rollen des Leichenwagens, hört den Waffenlärm, das Wirbeln der Trommeln, das Trappeln der Roſſe, und den gleichförmigen Tritt der marſchirenden Colonnen. Er hört das Ge - ſchrei der Verunglückten, und an Thür oder Fenſter - laden das Anpochen desjenigen, der ihn oder ſeinen Nachfolger zur Hülfe auffordern wird. Der Nichtbegabte ſteht neben dem Vorſchauer und ahnet Nichts, während die Pferde im Stalle ängſtlich ſchnauben und ſchlagen, und der Hund jämmerlich heulend, mit eingeklemmtem Schweife ſeinem Herrn zwiſchen die Beine kriecht. Die Gabe ſoll ſich jedoch übertragen, wenn ein Nebenſtehender dem Vorgucker über die linke Schulter ſieht, wo er zwar für dieſes Mal nichts bemerkt, fortan aber für den Anderen die nächtliche Schau halten muß. Wir ſagen dies faſt ungern, da dieſer Zuſatz einem un - läugbaren und höchſt merkwürdigen Phänomen den Stempel des Lächerlichen aufdrückt. Wir haben den Münſterländer früher furchtſam genannt, dennoch erträgt er den eben berührten Verkehr mit der über - ſinnlichen Welt mit vieler Ruhe, wie überall ſeine Furchtſamkeit ſich nicht auf paſſive Zuſtände er -291 ſtreckt. Gänzlich abgeneigt, ſich ungeſetzlichen Handlungen anzuſchließen, kommt ihm doch an Muth, ja Hartnäckigkeit des Duldens für das, was ihm recht ſcheint, Keiner gleich, und ein geiſtreicher Mann verglich dieſes Volk einmal mit den Hindus, die, als man ihnen ihre religiöſen und bürgerlichen Rechte ſchmälern wollte, ſich zu vielen Tauſenden verſammelten, und auf den Grund gehockt, mit verhüllten Häuptern, ſtandhaft den Hungertod er - warteten. Dieſer Vergleich hat ſich mitunter als ſehr treffend erwieſen.

Unter der franzöſiſchen Regierung, wo Eltern und, nachdem dieſe ausgeplündert waren, auch Ge - ſchwiſter mit ihren Habſeligkeiten für diejenigen ein - ſtehen mußten, die ſich der Militairpflicht entzogen hatten, haben ſich zuweilen alle Zweige eines Stammes, ohne Rückſicht auf ihre unmündigen Kinder, zuerſt bis zum letzten Heller exequiren, und dann bis aufs Hemde auspfänden laſſen, ohne daß es einem eingefallen wäre, dem Verſteckten nur mit einem Worte den Wunſch zu äußern, daß er aus ſeinem Bretterverſchlage oder Heuſchober hervor - kriechen möge, und ſo verhaßt, ja entſetzlich Jedem damals der Kriegsdienſt war, dem manche ſogar durch freiwillige Verſtümmelung, z. B. Abhacken eines Fingers, zu entgehen ſuchten, ſo häufig trat doch der Fall ein, daß ein Bruder ſich für den292 andern ſtellte, wenn er dachte, dieſer werde den Strapazen erliegen, er aber möge noch mit dem Leben davonkommen. Kurz der Münſterländer beſitzt den Muth der Liebe, und einer unter dem Schein des Phlegmas verſteckten ſchwärmeriſchen Religiöſität, ſo wie er überhaupt durch Eigenſchaften des Herzens erſetzt, was ihm an Geiſtesſchärfe ab - geht, und der Fremde verläßt mit Theilnahme ein Volk, das ihn zwar mitunter langweilte, deſſen häusliche Tugenden ihm aber immer Achtung ein - flößen und zuweilen ihn tief gerührt haben. Müſſen wir noch hinzufügen, daß alles bisher Geſagte nur das Landvolk angeht? ich glaube nein , Städter ſind ja überall gleich, Kleinſtädter wie Großſtädter. Oder, daß alle dieſe Zuſtände am Verlöſchen ſind, und nach vierzig Jahren viel - leicht wenig mehr davon anzutreffen ſein möchte? Auch leider nein, es geht ja überall ſo!

About this transcription

TextLetzte Gaben
Author Annette von Droste-Hülshoff
Extent311 images; 43067 tokens; 10667 types; 292404 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLetzte Gaben Nachgelassene Blätter Annette von Droste-Hülshoff. Levin Schücking (ed.) . 292 S. RümplerGrimpeHannover1860. (Die \"Letzten Gaben\" (1860), postum von Levin Schücking aus dem Nachlass Annette von Droste-Hülshoffs herausgegeben, enthalten mehrere Texte, die zum Teil zu Lebzeiten der Autorin bereits andernorts veröffentlicht worden waren. Beispielsweise erschien Droste-Hülshoffs Novelle \"Die Judenbuche\" zuerst 1842 im \"Morgenblatt für gebildete Leser\"; die \"Westfälischen Schilderungen\" erschienen 1845 in den \"Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland\". Einzelne Gedichte sind in Journalen und Jahrbüchern erschienen, andere wurden aus dem Nachlass erstmals in der hier digitalisierten Edition von Levin Schücking veröffentlicht (z.B. die Gedichte \"Der Nachtwanderer\", \"Doppeltgänger\" und \"Halt fest!\"). In den meisten Fällen handelt es sich somit nicht um Erstveröffentlichungen der Texte, wohl aber um die erste Publikation in Buchform, weshalb die Nachlassedition für das DTA herangezogen wurde.)

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 8 Yz 8401 (RARA)http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=59944861X

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Lyrik; Prosa; core; ready; china; women

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:30:05Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 8 Yz 8401 (RARA)
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.