PRIMS Full-text transcription (HTML)
Letzte Gaben
Letzte Gaben.
Nachgelassene Blätter
[figure]
Hannover. Carl Rümpler.1860.

Druck von Auguſt Grimpe in Hannover.

Inhalts-Verzeichniß.

Gemüth und Leben.

  • Seite
  • Das Wort1
  • Halt feſt! 2
  • Carpe diem5
  • Durchwachte Nacht7
  • Mondesaufgang10
  • Der Mittelpunkt der Welt12
  • Grüße15
  • Doppeltgänger18
  • Im Graſe20
  • Die Golem22
  • Spätes Erwachen24
  • Stille Größe27
  • Gemüth31
  • Die todte Lerche34
  • Unter der Linde36
  • Meine Steckenpferde41
  • Der Dichter43
  • Seite
  • Der Abſchied45
  • Das Bild50
  • Sylveſter-Abend55

Erzählende Gedichte.

  • Das erſte Gedicht61
  • Gaſtrecht66
  • Mutaſſin69
  • Der Nachtwandler72
  • Das verlorne Paradies75
  • Der ſterbende General78
  • Volksglauben in den Pyrenäen81
    • 1. Sylveſterfey81
    • 2. Münzkraut85
    • 3. Loup Garou88
    • 4. Maiſegen92
    • 5. Höhlenfey97
    • 6. Johannisthau100

Denkblätter.

  • An Philippa105
  • An ***106
  • Das einzige Kind108
  • Schloß Berg109
  • An meine Mutter115
  • An Eliſe116
  • An ***117
  • An den Freiherrn von Madroux119
  • Seite
  • Die Mutter am Grabe120
  • An Ludowine123
  • An Joſeph von Laßberg124

Klänge aus dem Orient.

  • 1 20127 141
  • Die Judenbuche, Erzählung145
  • Bilder aus Weſtphalen231

Gemüth und Leben.

[1]

Das Wort.

Das Wort gleicht dem beſchwingten Pfeil,
Und iſt es einmal deinem Bogen
In Tändeln oder Ernſt entflogen,
Erſchrecken muß dich ſeine Eil.
Dem Körnlein gleicht es, deiner Hand
Entſchlüpft; wer mag es wiederfinden?
Und dennoch wuchert’s in den Gründen
Und treibt die Wurzeln durch das Land.
Gleicht dem verlornen Funken, der
Vielleicht erliſcht am feuchten Tage,
Vielleicht am milden glimmt im Haage,
Am dürren ſchwillt zum Flammenmeer.
Und Worte ſind es doch, die einſt
So ſchwer in deine Schaale fallen,
Iſt Keins ein Nichtiges von Allen,
Um jedes hoffſt du oder weinſt.
12
O einen Strahl der Himmelsau,
Mein Gott, dem Zagenden und Blinden!
Wie ſoll er Ziel und Acker finden?
Wie Lüfte meſſen und den Thau?
Allmächt’ger, der das Wort geſchenkt,
Doch ſeine Zukunft uns verhalten,
Woll ſelber deiner Gabe walten,
Durch deinen Hauch ſei ſie gelenkt!
Richte den Pfeil dem Ziele zu,
Nähre das Körnlein ſchlummertrunken!
Erſtick ihn oder fach den Funken!
Denn was da frommt, das weißt nur du.

Halt feſt!

Halt feſt den Freund, den einmal du erworben,
Er läßt dir keine Stätte für das Neue;
Läßt, wie das Haus, in dem ein Leib geſtorben,
Unrein das Herz, wo modert eine Treue;
3
Meinſt du, dein ſei der Hände Druck, der Strahl
Des eignen Auges arglos und voll Liebe?
Drückſt du zum zweitenmal, blickſt du zum zweitenmal,
Die Frucht iſt fleckig und der Spiegel trübe.
Halt feſt dein Wort, o feſt wie deine Seele;
So ſtolz und freudig mag kein Lorbeer ranken,
Daß er das Brandmal auf der Stirne hehle,
Die unter’m Druck des Wortes konnte wanken;
Der ärmſte Bettler, ſo ein ehrlich Herz,
Wird wie ein König dir genüber treten,
Und du? du zupfſt den Lorbeer niederwärts
Und heimlich mußt du dein peccavi beten.
Halt feſt den Glauben, laß ihn dir genügen!
Wer möcht ſein Blut mit fremdem Ichor tauſchen!
Verſtoße nicht den Cherub deiner Wiegen,
Aus jedem Blatt wird dir ſein Flügel rauſchen!
Und iſt dein Geiſt zu ſtark, vielleicht zu blind,
In ſeiner Hand das Flammenſchwert zu ſehen,
So zweifle nicht, er wird, ein weinend Kind,
An deinem letzten öden Lager ſtehen.
Und dann die Gabe, gnädig dir verliehen,
Den köſtlichen Moment, den gottgeſandten,
1*4
O feſſle, feſſle ſeinen Quell im Fliehen,
Halt jeden Tropfen höher als Demanten;
Noch ſchläft die Stunde, doch ſie wacht dereinſt
Da deinem Willen ſich die Kraft entwunden,
Wo du verloren ſchwere Thränen weinſt
In die Charybdis deiner todten Stunden!
Vor Allem aber halt das Kind der Schmerzen,
Dein angefochtnes Selbſt, von Gott gegeben.
O ſauge nicht das Blut aus deinem Herzen,
Um einen Seelenbaſtard zu beleben;
Daß, wenn dir einſtens vor dem Golem graut,
Es zu dir trete nicht mit leiſen Klagen:
So war ich, und ſo ward ich dir vertraut,
Unſel’ger, warum haſt du mich erſchlagen!
Drum feſt, nur feſt, nur keinen Schritt zur Seite,
Der Himmel hat die Pfade wohl bezeichnet,
Ein reines Aug erkennt ſie aus der Weite,
Und nur der Wille hat den Pfad verläugnet;
Uns allen ward der Compaß eingedrückt,
Noch keiner hat ihn aus der Bruſt geriſſen,
Die Ehre nennt ihn, wer zur Erde blickt,
Und wer zum Himmel, nennt ihn das Gewiſſen.
5

Carpe diem?

Pflücke die Stunde, wär ſie noch ſo blaß,
Ein falbes Moos, vom Dunſt des Moores naß,
Ein farblos Blümchen, flatternd auf der Haide;
Ach, einſt von Allem träumt die Seele ſüß,
Von Allem, was, ihr eigen, ſie verließ,
Und mancher Seufzer gilt entflohnem Leide.
In Alles ſenkt ſie Blutestropfen ein,
Legt Perlen aus dem heiligtiefſten Schrein,
Bewußtlos, ſelbſt in grauverhängte Stunden;
Steigt oft ein unklar Sehnen dir empor,
Du ſchauſt vielleicht wie durch Gewölkes Flor
Nach Tagen, längſt vergeſſen, doch empfunden.
Wer, der an ſeine Kinderzeit gedenkt,
Als die Vokabeln ihn in Noth verſenkt,
Wer möcht nicht wieder Kind ſein und ſich grauen?
Ja, der Gefangne, der die Wand beſchrieb,
Fühlt er nach Jahren Glückes nicht den Trieb,
Die alten Sprüche einmal noch zu ſchauen?
6
Wohl giebt es Stunden, die ſo ganz verhaßt,
Daß, dem Gedächtniß eine Centnerlaſt,
Wir ihren Schatten abzuwälzen ſorgen;
Doch ſelten ſchickt ſie uns des Himmels Zorn,
Und meiſtens iſt darin ein gift’ger Dorn,
Der Moderwurm geheimer Schuld verborgen.
Drum, wer noch eines Blicks nach oben werth,
Der nehme, was an Lieben ihm beſcheert,
Die ſtolze, wie die Stund im ſchlichten Kleide
Der ſchlürfe jeden ſtillen Tropfen Thau,
Und ſpiegelt drin ſich nicht des Aethers Blau,
So lispelt drüber wohl die fromme Weide.
Freu dich an deines Säuglings Lächeln, freu
Dich an des Jauchzens ungewiſſem Schrei,
Mit dem er ſtreckt die luſtbewegten Glieder;
Wär zehnmal ſtolzer auch, was dich durchweht,
Wenn er vor dir dereinſt, ein Jüngling, ſteht,
Dein lächelnd Kindlein gibt er dir nicht wieder.
Freu dich des Freundes, eh zum Greis er reift,
Erfahrung ihm die kühne Stirn geſtreift,
Von ſeinem Scheitel Grabesblumen wehen;
Freu dich des Greiſes, ſchau ihm lange nach,
7
In Kurzem gäbſt vielleicht du manchen Tag,
Um einmal noch dies graue Haupt zu ſehen.
O wer nur ernſt und feſt die Stund ergreift,
Den Kranz ihr auch von bleichen Locken ſtreift,
Dem ſpendet willig ſie die reichſte Beute;
Doch wir, wir Thoren drängen ſie zurück,
Vor uns die Hoffnung, hinter uns das Glück,
Und unſre Morgen morden unſre Heute.

Durchwachte Nacht.

Es ſank die Sonne glüh und ſchön,
Und aus verſengter Welle dann
Wie rauchte nicht das Nebelmeer
Die ſternenloſe Nacht heran!
Ich höre ferne Schritte geh’n,
Die Uhr ſchlägt zehn.
Noch iſt nicht alles Leben eingenickt,
Der Schlafgemächer letzte Angeln knarren;
8
Vorſichtig in der Rinne Bauch gedrückt,
Schlüpft noch der Iltis an des Giebels Sparren;
Matt bin ich, möchte träumen nur;
Eilf ſchlägt die Uhr.
Ob mir das Blut ſo ſiedend fliegt?
Mich dünkt, ich hör der Sphären Summen,
Ein Schweigen, dem das Ohr erliegt,
Dann wieder fernes, dumpfes Brummen;
Doch horch! des Thurmes Glocke wacht;
’s iſt Mitternacht.
Und bange, gleich verhaltnem Weinen, ſteigt
Ein langer Klageton aus den Syringen;
O Nachtigall! ob Thal und Höhe ſchweigt,
Das Dunkel legt verrätheriſche Schlingen;
Ein Käuzlein wacht im Blätterſchmuck des Hains;
Die Uhr ſchlägt Eins.
Jetzt möcht ich ſchlafen, ſchlafen gleich,
Entſchlafen unter Mondeshauch,
Umſpielt vom flüſternden Gezweig,
Im Blute Funken, Funk im Strauch,
Und mir im Ohre Melodey;
Die Uhr ſchlägt Zwei.
9
Wie bin ich aufgeſchreckt; o Jugendbild,
Du biſt dahin, zerfloſſen mit dem Dunkel!
Die unerfreulich graue Dämmrung quillt,
Im Walde irrt ein ängſtliches Gemunkel;
Doch horch, des Hahnes erſter Schrei!
Die Uhr ſchlägt Drei.
Und wieder ruft der Hahn auf’s Neu;
Am Sims die Schwalbe gibt ſich kund,
Der Tauben Schwärme kreiſen ſcheu
Und taumelnd in des Hofes Rund;
Und drunten knarrt des Stalles Thür;
Die Uhr ſchlägt Vier.
Da flammt’s in Oſten auf, gleich Lavagluth
Die Sonne ſteigt, und mit den erſten Strahlen
In Wald und Feldern ſtrömt Geſanges Fluth,
Das Leben quillt aus ſchäumenden Pokalen;
Und wie ein Gletſcher ſinkt der Träume Land
Zerrinnend in des Horizontes Brand.
10

Mondesaufgang.

An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich;
Hoch über mir gleich trübem Eiskriſtalle
Zerſchmolzen ſchwamm des Firmamentes Halle;
Grauſchimmernd lag der See mit leiſem Stöhnen,
Zerfloßne Perlen, oder Wolkenthränen?
Es rieſelte, es dämmerte um mich;
Du mildes Licht, ich wartete auf dich.
Hoch ſtand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Aſt und Stamm,
Im Laube ſummte der Phalänen Reigen;
Die Feuerfliege ſah ich zieh’n und ſteigen,
Und Blüten taumelten wie halb entſchlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern ſeliger Vergangenheit.
11
Die Schatten ſtiegen, drängten finſter ein;
Wo weilſt du, weilſt du denn mein milder Schein?
Sie drangen ein wie ſündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge ſchien zu ſchwanken;
Verzitternd loſch der Feuerfliege Funken,
Längſt die Phaläne war zum Grund geſunken;
Nur Bergeshäupter ſtiegen hart empor,
Ein düſtrer Richterkreis im Düſter vor.
Es visperten die Wipfel mir am Fuß,
Wie Warnungsflüſtern oder Todesgruß;
Ein Summen aus des Seees weitem Thale,
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müſſe etwas Rechnung geben
Von todten Pfunden, von verträumtem Leben,
Als ſtehe ein verkümmert Herz allein,
Einſam mit ſeiner Schuld und ſeiner Pein.
Da auf die Waſſer ſank ein Silberflor,
Und langſam ſtieg die Mondesſcheib empor,
Der Alpen finſtre Stirnen ſtrich ſie leiſe,
Und aus den Richtern wurden ſanfte Greiſe;
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Blatte ſah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen ſchien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimathlampe Schein.
12
O Mond, du biſt mir wie ein ſpäter Freund,
Der ſeine Jugend dem Verarmten eint,
Um ſeine ſterbenden Erinnerungen
Mit zartem Lebenswiderſchein geſchlungen;
Biſt keine Sonne, die ernährt und blendet,
In Feuerſtrömen lebt, im Blute endet,
Biſt, was dem kranken Sänger ſein Gedicht,
Ein fremdes, aber, o, ein mildes Licht.

Der Mittelpunkt der Welt.

Jüngſt haſt die Phraſe ſcherzend du geſtellt:
Wer Reichthum, Liebe will und Glück erlangen,
Der mache ſich zum Mittelpunkt der Welt,
Zum Kreiſe, drin ſich alle Strahlen fangen.
Dein Wort, mein Freund, war wie des Tempels Thür,
Die Inſchrift draußen und das Volksgedränge,
Doch durch die Spalten blinkt der Lampen Zier,
Zieh’n Opferduft und heilige Geſänge.
13
Wo könnte jemals wohl des Glückes Born
Aus anderm als aus eignem Herzen fließen?
Aus welcher Schaale wohl des Himmels Zorn
Als aus der ſelbſtgebotnen ſich ergießen?
O glücklich ſein, geliebt und glücklich ſein!
Möge mein Engel mir die Pfade deuten!
Da ſchrillt des Tempels Vorhang, zart und rein
Hör ich’s, wie Echo durch die Falten gleiten.
Standeſt an einem Krankenbett du je,
Nach wochenlangen ſelbſtvergeſſnen Sorgen?
Hobſt deine ſchweren Wimper in die Höh,
Gerührt zum heißen Dankgebet am Morgen,
Und ſah’ſt auf des Geneſenden Geſicht
Ein neuerwachtes Seelenleben ſchweben,
Und einen Liebesblick auf dich, wie nicht
Ihn Freund und nicht Geliebte können geben:
Hielteſt du je den Griffel in der Hand
Und rechneteſt mit frohem Geiz zuſammen
Die Groſchen, die du ſelber dir entwandt;
Schien jeder Heller dir wie Gold zu flammen,
Des Preiſes für den fremden Sorgenpfühl,
Um den du deine Freuden ſchlau betrogen,
Und haſt in deines Reichthums Vollgefühl
Tief, tief den Odem in die Bruſt geſogen:
14
Und der Moment, wo eine Rechte ſchwimmt
Ob theurem Haupte mit bewegtem Segen,
Wo ſie das Herz vom eignen Herzen nimmt,
Um weinend an das fremde es zu legen,
Haſt du ihn je erlebt? und ſtandeſt dann,
Die Arme ſtill und freundlich umgeſchlagen,
Selig berechnend, welche Früchte kann,
Wie liebliche das neue Bündniß tragen:
Dann biſt du glücklich, biſt geliebt und reich,
Ein Dach, an dem ſich alle Blitze ſpalten;
Dann mag dein Lorbeer welken, mögen bleich
Krankheit und Alter dir die Stirne falten:
Dann biſt der Mittelpunkt du deiner Welt,
Der Kreis, aus dem dir freud’ge Strahlen quillen,
Und was ſo friſch der Bäche Ufer ſchwellt,
Wie ſollte ſeinen Born es nicht erfüllen?
15

Grüße.

Steigt mir in dieſem fremden Lande
Die allbekannte Nacht empor,
Klatſcht es, wie Hufesſchlag vom Strande,
Rollt ſich die Dämmerung hervor,
Gleich Staubeswolken mir entgegen
Von meinem lieben ſtarken Nord,
Und fühl ich meine Locken regen
Der Luft geheimnißvolles Wort.
Dann iſt es mir, als hör ich reiten
Und klirren und entgegenzieh’n
Mein Vaterland von allen Seiten,
Und ſeine Küſſe fühl ich glüh’n;
Dann wird des Windes leiſes Munkeln
Mir zu verworrnen Stimmen bald,
Und jede ſchwache Form im Dunkeln
Zur tiefvertrauteſten Geſtalt.
16
Und meine Arme muß ich ſtrecken,
Muß Küſſe, Küſſe hauchen aus,
Wie ſie die Leiber könnten recken,
Die modernden, im grünen Haus;
Muß jeden Waldeswipfel grüßen,
Und jede Haid und jeden Bach,
Und alle Tropfen, die da fließen,
Und jedes Hälmchen, das noch wach.
Dir, Vaterhaus, mit deinen Thürmen,
Vom ſtillen Weiher eingewiegt,
Wo ich in meines Lebens Stürmen,
So oft erlegen und geſiegt;
Ihr breiten, laubgewölbten Hallen,
Die jung und fröhlich mich geſehn,
Wo ewig meine Seufzer wallen,
Und meines Fußes Spuren ſtehn.
Du feuchter Wind von meinen Haiden,
Der wie verſchämte Klage weint,
Du Sonnenſtrahl, der ſo beſcheiden
Auf ihre Kräuter niederſcheint;
Ihr Gleiſe, die mich fortgetragen,
Ihr Augen, die mir nachgeblinkt,
Ihr Herzen, die mir nachgeſchlagen,
Ihr Hände, die mir nachgewinkt.
17
Und Grüße, Grüße, Dach, wo nimmer
Die treu’ſte Seele mein vergißt,
Und jetzt bei ihres Lämpchens Schimmer
Für mich den Abendſegen liest,
Wo bei des Hahnes erſtem Krähen
Sie matt die graue Wimper ſtreicht,
Und einmal noch vor Schlafengehen
An mein verlaſſnes Lager ſchleicht.
Ich möcht euch Alle an mich ſchließen,
Ich fühl euch Alle um mich her.
Ich möchte mich in euch ergießen,
Gleich ſiechem Bache in das Meer.
O wüßtet ihr, wie krank geröthet,
Wie fieberhaft ein Aether brennt,
Wo keine Seele für uns betet,
Und Keiner unſre Todten kennt!
218

Doppeltgänger.

’S war eine Nacht, vom Thaue wachgeküßt,
Das Dunkel fühlt ich kühl wie zarten Regen
An meine Wange gleiten. Das Gerüſt
Des Vorhangs ſchien ſich ſchaukelnd zu bewegen,
’s war eine Nacht, wo man am Morgen denkt:
Ward Daſein jetzt dir, oder dort geſchenkt?
Mir war ſo wohl und federleicht zu Muth,
So ſchwimmend nun die Wimper halb geſchloſſen;
Verlorne Funken zuckten durch mein Blut,
Von fernen Lauten wähnt ich mich umfloſſen;
’s war eine Nacht, wo man am Morgen fragt:
Hat’s damals, oder hat es jetzt getagt?
Und immer heller ward der ſüße Klang,
Das liebe Lachen, es begann zu ſchwimmen
Wie Bilder von Daguerre die Deck entlang,
Gleich Feuerwürmern ſah ich Augen glimmen,
19
Dann wurden feucht ſie, blau und lind,
Und mir zu Füßen ſaß ein ſchönes Kind.
Das ſah zu mir empor, ſo ernſt geſpannt,
Als quelle ihm die Seele aus den Blicken,
Bald ſchloß es, ſchmerzlich zuckend, ſeine Hand,
Bald ſchüttelt es ſie funkelnd vor Entzücken,
Und horchend, horchend klomm es ſacht heran
Zu meiner Schulter und wo blieb es dann?
O wären’s Geiſterſtimmen aus der Luft,
Die ſich wie Vogelzwitſchern um mich reihten!
Wär Grabesbrodem nur der leiſe Duft,
Der mich umſeufzte aus verſchollnen Zeiten.
Doch nur mein Herz iſt eure ſtille Gruft,
Und meine Heil’gen, meine einſt Geweihten,
Sie leben alle, wandeln allzumal.
Vielleicht zum Segen ſich, doch mir zur Qual.
2*20

Im Graſe.

Süße Ruh, ſüßer Taumel im Gras,
Von des Krautes Arom umhaucht,
Tiefe Fluth, tief, tieftrunkne Fluth,
Wenn die Wolk am Azure verraucht,
Wenn auf’s müde, ſchwimmende Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab,
Liebe Stimme ſäuſelt, und träuft
Wie die Lindenblüth auf ein Grab.
Wenn im Buſen die Todten dann,
Jede Leiche ſich ſtreckt und regt,
Leiſe, leiſe den Odem zieht,
Die geſchloſſne Wimper bewegt,
Todte Lieb, todte Luſt, todte Zeit,
All die Schätze, im Schutt verwühlt,
Sich berühren mit ſchüchternem Klang
Gleich den Glöckchen, vom Winde umſpielt.
21
Stunden, flüchtiger ihr als der Kuß
Eines Strahls auf den trauernden See,
Als des ziehenden Vogels Lied,
Das mir niederperlt aus der Höh,
Als des ſchillernden Käfers Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er durcheilt,
Als der flücht’ge Druck einer Hand,
Die zum letzten Male verweilt.
Dennoch, Himmel, immer mir nur,
Dieſes Eine nur: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht,
Nur für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbigſchillernden Saum,
Jeder warmen Hand meinen Druck,
Und für jedes Glück einen Traum.
22

Die Golem.

Hätt ich dich nicht als ſüßes Kind gekannt,
Mit deinem Seraph in den klaren Blicken,
Dich nicht geleitet in der Mährchen Land,
Gefühlt der kleinen Hände zitternd Drücken:
Ich würde jetzt dich mit Behagen ſehen,
Du wärſt mir eine hübſche, brave Frau.
Doch ach, nun muß ich unter deiner Brau,
Muß ſtets nach dem entflognen Engel ſpähen.
Und du, mit deinem Wort, bedacht und breit,
Dem klugen Lächeln und der Stirne Falten,
Spricht dir kein armer Traum von jener Zeit,
Wo deine Glut die Felſen wollte ſpalten?
Ein braver Bürger biſt du hoch zu ehren,
Ein wahrer Heros auf der Mittelbahn,
Doch, o mein Flammenwirbel, mein Vulkan,
Ach, daß die Berge Mäuſe nur gebären.
23
Weh ihm, der lebt in des Vergangnen Schau,
Um bleiche Bilder wirbt, verſchwommne Töne!
Nicht was gebrochen, macht das Haar ihm grau,
Was Tod geknickt in ſeiner ſüßen Schöne;
Doch ſie, die Monumente ohne Todten,
Die wandernden Gebilde ohne Blut,
Sie, ſeine Tempel ohne Opferglut,
Und ſeine Haine ohne Frühlingsboten!
’S gibt eine Sage aus dem Orient
Von Weiſen, todter Maſſe Formen gebend,
Geliebte Formen, die die Sehnſucht kennt,
Und mit dem Zauberworte ſie belebend;
Der Golem wandelt mit bekanntem Schritte,
Er ſpricht, er lächelt mit bekanntem Hauch,
Allein es iſt kein Strahl in ſeinem Aug,
Es ſchlägt kein Herz in ſeines Buſens Mitte.
Und wie ſich alte Lieb ihm unterjocht,
Er haucht ſie an mit der Verweſung Schrecken,
Wie angſtvoll die Erinnrung ruft und pocht,
Es iſt in ihm kein Schlafender zu wecken.
Und tief gebrochen ſieht die Treue ſchwinden,
Was ſie ſo lang und heilig hat bewahrt,
Was nicht des Lebens, nicht des Todes Art,
Nicht hier und nicht im Himmel iſt zu finden.
24
O kniee ſtill an deiner Todten Gruft,
Dort magſt du milde, fromme Thränen weinen,
Mit ihrem Odem ſäuſelt dir die Luft,
Mit ihrem Antlitz wird der Mond dir ſcheinen,
Dein ſind ſie, dein, wie mit gebrochnen Augen,
Wie dein ſie waren mit dem letzten Blick;
Doch fliehe vor den Golem, flieh zurück,
Die deine Thränen kalt wie Gletſcher ſaugen.

Spätes Erwachen.

Wie war mein Daſein abgeſchloſſen,
Als ich im grünumhegten Haus,
Durch Lerchenſchlag und Fichtenſproſſen
Noch träumt in den Azur hinaus!
Als keinen Blick ich noch erkannte,
Als den des Strahles durch’s Gezweig,
Die Felſen meine Brüder nannte,
Schweſter mein Spiegelbild im Teich!
25
Nicht rede ich von jenen Jahren,
Die dämmernd uns die Kindheit beut,
Nein, ſo verdämmert und zerfahren
War meine ganze Jugendzeit!
Wohl ſah ich freundliche Geſtalten
Am Horizont vorüberflieh’n;
Ich konnte heiße Hände halten
Und heiße Lippen an mich zieh’n.
Ich hörte ihres Grußes Pochen,
Ihr leiſes Wispern um mein Haus,
Und ſandte ſchwimmend, halbgebrochen,
Nur einen Seufzer halb hinaus.
Ich fühlte ihres Hauches Fächeln
Und war doch keine Blume ſüß!
Ich ſah der Liebe Engel lächeln,
Und hatte doch kein Paradies.
Mir war, als habe in den Noten
Sich jeder Ton an mich verwirrt,
Sich jede Hand, die mir geboten,
Im Dunkel wunderlich verirrt.
26
Verſchloſſen blieb ich, eingeſchloſſen
In meiner Träume Zauberthurm,
Die Blitze waren mir Genoſſen
Und Liebesſtimme mir der Sturm.
Dem Wald ließ ich ein Lied erſchallen,
Wie nie vor einem Menſchenohr,
Und meine Thräne ließ ich fallen,
Die heiße, in den Blumenflor.
Und alle Pfade mußt ich fragen:
Kennt Vögel ihr und Strahlen auch?
Doch keinen: wohin magſt du tragen,
Von welchem Odem ſchwillt dein Hauch?
Wie iſt das anders nun geworden,
Seit ich in’s Auge dir geblickt;
Wie iſt nun jeder Welle Borden
Ein Menſchenbildniß eingedrückt!
Wie fühl ich allen warmen Händen
Nun ihre leiſen Pulſe nach,
Und jedem Blick ſein ſcheues Wenden
Und jeder ſchweren Bruſt ihr Ach.
27
Und alle Pfade möcht ich fragen:
Wo zieht ihr hin, wo iſt das Haus,
In dem lebend’ge Herzen ſchlagen,
Lebend’ger Odem ſchwillt hinaus?
Entzünden möcht ich alle Kerzen
Und rufen jedem müden Sein:
Auf iſt mein Paradies im Herzen,
Zieht Alle, Alle nun hinein!

Stille Größe.

Ich klage nicht den Mann, der fällt
Ein Markſtein dem erkämpften Land,
Der ſeines Schickſals Becher hält,
Ihn miſchend mit entſchloſſner Hand,
Ihn, der entgegentritt dem Sturm
Und weiß, daß er die Eiche bricht;
Wer war ſo reich wie Götz im Thurm,
Wie Morus vor dem Blutgericht?
28
Ich klage nicht den Mann, der ſtirbt,
Von Welt und eigner Glut verzehrt,
Ihn, dem des Halmes Frucht verdirbt
Und den des Himmels Manna nährt;
Correggio nicht, der ſiech und falb
Die Kupferheller heimgebracht,
Cervantes, der verhungert halb
Ob ſeines Panſa noch gelacht.
Sie ſind des Unglücks Fürſten, ſind
Die Mächtigen im weiten Blau,
Sie fühlen, daß ihr Odem rinnt
Entzündend um der Erde Bau,
Daß nur aus dunkler Scholle gern
Und freudig ſchießt der Erndte Kraft,
Und daß zerfallen muß der Kern,
Soll ſtrecken ſich der Palme Schaft.
Ihn klag ich, deſſen Liebe groß
Und deſſen Gabe arm und klein,
Den, wie die Glut das dürre Moos,
Sengt jener Strahlen Wiederſchein;
Ihn, der des Funkens Irren fühlt
Verzehrend in der Adern Bau,
Und den die Welle dann verſpühlt,
Ein Aſchenhäuflein, karg und grau.
29
O, eure Zahl iſt Legion!
Ihr Halbgeſegneten, wo ſcheu
In’s Herz der Genius gefloh’n,
Und öde ließ die Phantaſei;
Ihr, die ihr möchtet flügellos
Euch ſchwingen mit des Sehnens Hauch,
Und nieder an der Erde Schooß
Sinkt, wie ein kranker Nebelrauch.
Nicht klag ich euch, weil ihr gering,
Nicht weil ihr ärmlich und verſiegt;
Ich weiß es, daß der Zauberring
Euch unbewußt am Finger liegt;
O ihr ſeid reich und wißt es nicht,
Denn reich iſt nur der Träume Land;
O ihr ſeid ſtark und wißt es nicht,
Denn ſtark iſt nur der Liebe Band.
Wenn ihr am leeren Pulte neigt
Und an der öden Staffelei,
Um euch des Himmels Odem ſteigt
Und in euch der Beklemmung Schrei;
Wenn zitternd nach dem Ideal
Ihr eure heißen Arme ſtreckt,
Und kaum für’s nächſte Kummermahl
Den Halm die nächſte Furche reckt.
30
Dann ſeid ihr mehr als der Poet,
Der ſeines Herzens Blut verkauft,
Mehr als der Künſtler, der ſo ſpät
Zur Heil’gen die Hetäre tauft;
Was ihr verſchweigt, iſt lieblicher
Als je des Dichters Stirn gekrönt,
Was ihr begrabt, iſt heiliger
Als Farb und Pinſel je verſchönt.
Mir gab Natur ein kühnes Herz,
Ich ſenke nicht ſo leicht den Blick;
Mich drückt nicht Größe niederwärts,
Drängt keine fremde Hand zurück;
Nie hat des Ruhmes Strahlenkranz
An fremder Stirne mich gegrämt;
Doch vor ſo ſtillen Blickes Glanz
Hab ich mich hundertmal geſchämt.
Weinende Quellen, wo ſich rollt
Das Sonnenbild im Wellenbann,
Glühende Stufen, wo das Gold
Nicht aus der Schlacke brechen kann;
Ich klag um euch, weil ihr betrübt,
Weil euch das Herz von Thränen ſchwillt,
Unwiſſend Sel’ge, weil ihr liebt,
Und zweifelt an der Gottheit Bild.
31
Behütet euren ſtillen Schatz,
Laßt uns das ſonnenöde Land!
Laßt uns den freien Bühnenplatz
Und ſterbt im Winkel unbekannt;
Einſt wißt ihr, was in Euch gelebt,
Und was in dem, der Euch gehöhnt;
Einſt, wenn der Strahlengott ſich hebt
Und wenn die Memnonsſäule tönt.

Gemüth.

Grün iſt die Flur, der Himmel blau,
Doch tauſend Farben ſpielt der Thau;
Es hofft die Erde bis zum Grabe,
Gewährung fiel dem Himmel zu;
Und ſprich, was iſt denn deine Gabe,
Gemüth, der Seele Iris, Du?
Du Tropfen Wolkenthau, der ſich
In unſrer Scholle Poren ſchlich,
Daß er dem Himmel ſie gewöhne
An ſeinem lieblichſten Gedicht,
Du irdiſch heilig wie die Thräne,
Und himmliſch heilig wie das Licht.
32
Ein Tropfen nur, ein Wiederſchein,
Doch alle Wunder ſaugend ein,
Ob Perle, dich am Blatte wiegend
Und ſpielend um der Wiege Fuß,
Ob ſüßer Traum, im Graſe liegend
Und lächelnd bei des Halmes Gruß.
O Erd und Himmel lächlen auch,
Wenn du, geweckt vom Morgenhauch,
Gleich einem Kinde hebſt den weichen
Verſchämten Mondesblick zum Tag,
Erharrend, was die Hand des Reichen
Von Glanz und Duft dir geben mag.
Lächle nur, lächle für und für,
Des Kindes Reichthum wird auch dir;
Dir wird des Zweiges Blatt zur Halle,
Zum Sammet dir des Mooſes Vließ,
Opale, funkelnde Metalle
Wäſcht Muſchelſcherbe dir und Kies.
Des kranken Blattes röthlich Grün
Drückt auf die Stirn dir den Rubin,
Mit Chriſolithes goldnen Flittern
Schmückt deinen Spiegel Kraut und Gras,
Und ſelbſt des dürren Laubes Zittern
Schenkt dir den bräunlichen Topas.
33
Und gar, wenn loſch das Sonnenlicht,
Und um dein eigenſtes Gedicht
Morgana deines Seees gaukelt,
Ein Traum von Licht um deinen Ball
Und zarte Schattenbilder ſchaukelt,
Gefangne Geiſter im Kriſtall:
Dann ſchläfſt du, ſchläfſt in eigner Haft,
Läßt walten die verborgne Kraft,
Was nicht dem Himmel, nicht der Erden,
Was deiner Schöpfung nur bewußt,
Was nie geweſen, nie wird werden,
Die Embryone deiner Bruſt.
O lächle, träume immer zu,
Iris der Seele, Tropfen du!
Den Wald laß rauſchen, im Gewimmel
Entfunkeln laß der Sterne Reih’n;
Du haſt die Erde, haſt den Himmel,
Und deine Geiſter obendrein.
334

Die todte Lerche.

Ich ſtand an deines Landes Gränzen,
An deinem grünen Saatenwald,
Und mit des erſten Strahles Glänzen
Iſt dein Geſang herabgewallt.
Der Sonne ſchwirrteſt du entgegen,
Gleich einer Mücke um das Licht,
Dein Lied war wie ein Blüthenregen,
Dein Flügelſchlag wie ein Gedicht.
Da ward es mir, als müſſ ich ringen
Und flattern in den jungen Tag,
Als höre ich mein eignes Singen
Und meinen eignen Flügelſchlag;
Die Sonne ſprühte glühe Funken,
In Flammen brannte mein Geſicht,
Ich ſelber taumelte wie trunken,
Wie eine Mücke nach dem Licht.
35
Da plötzlich ſank und ſank es nieder,
Gleich todter Kohle in die Saat,
Noch zucken ſah ich kleine Lider
Und bin erſchrocken dann genaht;
Dein letztes Lied, es war verklungen,
Du lagſt, ein armer kalter Reſt,
Am Strahl zerflattert und verſungen
Bei deinem halbgebauten Neſt.
Ich möchte heiße Thränen weinen,
Wie ſie das Weh vom Herzen drängt,
Denn auch mein Leben wird verſcheinen,
Ich fühl’s, verſungen und verſengt;
Du ſiecher Leib, ihr armen Reſte!
Dann nur ein Grab auf grüner Flur,
Und nah, nur nah bei meinem Neſte,
In meiner ſüßen Heimath nur.
3*36

Unter der Linde.

Es war an einem Morgen,
Die Vöglein ſangen ſüß,
Und über’m Raine wallte
Das ſchönſte Blumenvließ.
Das Börnlein mir zur Seite
Sprach leiſe, leiſe fort,
Mit halbgeſchloſſnen Augen
Saß ich und lauſchte dort.
Ich ſah die Schmetterlinge
Sich jagen durch das Licht,
Und der Libelle Flügel
Mir zittern am Geſicht.
Still ſaß ich wie geſtorben
Und ließ mir wohlig ſein,
Mich mit den Blüthenflocken
Vom Lindenzweig beſtreu’n.
37
Mein Sitz war dicht am Wege,
Ich konnte ruhig ſpäh’n;
Doch mich, verhüllt vom Strauche,
Mich hat man nicht geſeh’n;
Wenn knarrend Wagen rollten,
Dann drang zu mir der Staub,
Und wenn die Vöglein hüpften,
Dann zitterte das Laub.
Und nahe mir am Hange
’Ne alte Buche ſtand,
Um die der ernſte Eppich
Sich hoch und höher wand.
Sein düſtres Grün umrankte
Noch manchen kranken Zweig;
Doch die geſunden ſpielten
Wie doppelt grün und reich.
Es war im Maienmonde,
Die Blätter atlaszart;
Wie haſt du alter Knabe
So friſches Herz bewahrt?
Auf einer Seite thränend
Und auf der andern licht,
Zeigſt du auf grüner Säule
Ein Janusangeſicht.
38
Da dacht ich eines Freundes,
Deß Locken grau und lind,
Ein armes Wrack ſein Körper,
Und ach, ſein Herz ein Kind;
Mich dünkt, ich ſah ihn neigen
Mit Thränen auf ein Grab,
Und wieder Blumen ſtreuen
In eine Wieg herab.
Da weckten Rinderglocken
Mich aus den Phantaſey’n;
Ein trüber Staubeswirbel
Drang durch’s Gebüſch herein,
Und mit Geſchrei und Schelten
Riß einen Epheuſtab
Der Treiberknecht vom Baume
Und trieb ſein Vieh bergab.
Mir war, als ob geſchädigt
Ein frommes Leben ſei;
Doch horch, was trabt ſo neckend
So drall und knapp herbei?
Das Ränzel auf dem Rücken,
Barett im blonden Haar,
Kommt ein Student gepfiffen,
Ein luſtiger Scholar.
39
O pescator del onde
Es gellt mir dicht am Ohr;
Nun ſteht er an der Buche,
Er hebt den Arm empor.
Verbrämt ſein ſchlichtes Käpplein
Mit Lindenzweiges Zier,
Und pfeifend trägt er weiter
Sein flatterndes Zimier.
Glück auf, mein friſcher Junge,
Gott geb dir Luft und Raum!
Wie gern die luſt’ge Flagge
Dir gibt der heit’re Baum;
Er iſt kein ſchlimmer Alter,
Dem in verdorrter Bruſt
Das Herz vor Aerger zittert
Ob ſchmucker Jugend Luſt.
Doch ſtill, was naht ſich wieder?
Ein Huſten kurz und hohl,
Es ſchlürft den Anger nieder,
Ach Gott, ich kenn dich wohl!
Es iſt der Buche Zwilling,
Mein alter, kranker Freund,
Auf deſſen Haupt ſo flammend
Die Maienſonne ſcheint.
40
Nun ſteht er an dem Baume,
Lugt unter’m Zelt hinaus,
Wie riecht er ſo behaglich
An ſeinem Veilchenſtraus.
Nun ſucht er an der Rinde,
Er wandelt um und um,
Und lächelt ganz verſtohlen
Und blickt verſchüchtert um.
Dort ſchau ich tiefe Riſſe
Und dachte, Froſtesſpalt;
Doch wären’s Namenszüge,
Dann ſind ſie adamsalt;
Nun ſchlägt er einen Nagel,
Er hängt ſein Ränzchen auf,
Mich dünkt, ich ſeh erröthen
Ihn an die Stirn hinauf.
O könnteſt du mich ahnen,
Mein grauer Lyſias,
In deinem ganzen Leben
Wärſt du nicht wieder blaß.
Doch wer dein ſpotten könnte,
Du Herz voll Kindesſinn,
Das wär gewiß kein Mädchen
Und keine Dichterin.
41

Meine Steckenpferde, die Uhren.

O die Bevölkerung überall!
O unſre geſegneten Zeiten!
In Roßpalläſten und Menſchenſtall
Wie Flocken ſieht man es gleiten;
Von Bettlern wimmelt das ganze Land,
Von Künſtlergeſindel die Erde;
Doch keine Race nahm überhand,
Wie jene der Steckenpferde.
Der Eine reitet den Zernebock,
Der Andre, Himmel! den Göthe,
Und Jener ſprengt über Stein und Stock
Auf einer alten Muskete.
Ein Tonnenbacher rutſcht dieſer mit
Auf hochgetriebnem Pokale,
Und Jener macht den bedenklichen Ritt
Auf einem elektriſchen Aale.
42
Das war vor Zeiten ein anderes Ding:
Kam mal ’ne Möve geflogen,
Fing einer im Flor den Schmetterling,
Schier hätt man die Glocken gezogen,
Und wer vom Pegaſus nur geträumt,
Deß ſtaunten Freund und Verwandte;
Jetzt ſteht im Narrenſtalle gezäumt
Für Jeden die Rozinante.
Meine Steckenpferde ſind glatt und rund,
Sind blank gefütterte Schimmel,
Ihr Trab ein Flüſtern von Frauenmund,
Ihr Wiehern ein zartes Gebimmel.
Dort ſprangen ſie an der Longe hinaus!
Meine Silbergrauen und Fahlen,
Sechs Kreuzer dem, der ſie lobt zu Haus,
Und zwölf, der ſie lobt in Journalen!
43

Der Dichter.

Ihr, die beim frohen Mahle lacht,
Euch eure Blumen zieht in Scherben,
Und was an Gut euch zugedacht,
Euch wohlbehaglich laßt vererben,
Ihr ſtarrt dem Dichter in’s Geſicht,
Verwundert, daß er Roſen bricht
Von Diſteln, aus dem Quell der Augen
Korall und Perle weiß zu ſaugen;
Daß er den Blitz herniederlangt,
Um ſeine Lampe zu entzünden,
Im Wettertoben, wenn euch bangt,
Den rechten Odem weiß zu finden;
Ihr ſtarrt ihn an mit halbem Neid,
Den Geiſtes-Cröſus ſeiner Zeit,
Und wißt es nicht, mit welchen Qualen
Er ſeine Schätze muß bezahlen.
44
Wißt nicht, daß ihn, Verdammten gleich,
Nur reines Feuer kann ernähren,
Nur der durchſtürmten Wolke Reich
Den Lebensodem kann gewähren;
Daß, wo das Haupt ihm ſinnend hängt,
Sich blutig ihm die Thräne drängt;
Nur in des ſchärfſten Dornes Spalten
Sich ſeine Blume kann entfalten.
Meint ihr das Wetter zünde nicht?
Meint ihr der Sturm erſchüttre nicht?
Meint ihr die Thräne brenne nicht?
Meint ihr die Dornen ſtechen nicht?
Ja eine Lamp hat er entfacht,
Die nur das Mark ihm ſieden macht;
Ja Perlen fiſcht er und Juwele,
Die koſten nichts als ſeine Seele.
45

Der Abſchied.

Das Abendroth war ſchon zerfloſſen,
Wir ſtanden an des Weihers Rand,
Und ich hielt ihre Hand geſchloſſen
So feſt in meiner kalten Hand:
So müſſen wir denn morgen ſcheiden,
Das Schickſal würfelt mit uns beiden,
Wir ſind wie herrenloſes Land.
Von keines Hauſes Pflicht gebunden,
Meint Jeder nur, wir ſeien grad
Für ſein Bedürfniß nur erfunden,
In Noth das hülfbereite Rad.
Was hilft es uns, daß frei wir ſtehen,
Auf keines Menſchen Hände ſehen,
Man zeichnet täglich uns den Pfad.
46
Wo dicht die Bäume ſich verzweigen,
Da zögert nicht des Wandrers Stab,
Wo tauſend Nachbaräſte neigen
Sich ſchützend um den Stamm herab;
Doch drüben ſieh die einzle Linde,
Ein Jeder ſchreibt in ihre Rinde,
Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.
O hätten wir nur Muth zu walten
Der Gaben, die das Glück beſcheert!
Wer darf uns ſtören, darf uns halten,
Und wehren uns den eignen Heerd?
Wir leiden nach dem alten Rechte,
Daß, der ſich ſelber macht zum Knechte,
Iſt nicht der goldnen Freiheit werth.
Zieh hin, wie du berufen worden,
In der Campagna Glut und Schweiß,
Und ich will ſteh’n in meinem Norden,
Zu ſiechen unter Schnee und Eis.
Nicht würdig ſind wir beſſrer Tage,
Und daß nur Keins dem Andern klage,
Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß.
47
So ward an Weihers Rand geſprochen,
Im Zorne halb und halb in Pein;
Wir hätten gern den Stab gebrochen
Ob all den kleinen Tyrannei’n.
Und als die Regenwolken ſtiegen,
Da ſprachen erſt wir mit Vergnügen
Uns in den Aerger recht hinein.
So lang die Tropfen einzeln fielen,
War’s Stoff ja nur für unſern Trutz,
So recht als von des Schickſals Spielen
Zum Schaden uns und keinem Nutz.
Doch als der Himmel Schloßen ſtreute,
Da machten wir’s wie andre Leute
Und ſuchten auf der Linde Schutz.
Hier ſtand ein Häuflein dicht beiſammen,
Sich ſchauernd unter’m Blätterdach;
Die Wolke zuckte Schwefelflammen
Und jagte Regengüſſe nach.
Wir hörten’s auf den Blättern rauſchen
Und konnten ganz behaglich lauſchen
Aus unſerm laubigen Gemach.
48
Fürwahr, ein armes Völklein war es,
Das hier dem Wetterſturm entrann,
Ein dürrer Jud gebleichten Haares,
Mit ſeinem Hund ein blinder Mann,
Des Frohners Weib mit blonden Löckchen,
Und dann mit ſeinem alten Röckchen
Der kleine hinkende Johann.
Und alle ſah’n bei jedem Blitze
Vertrauend an den Stamm hinauf,
Behaglich rückend ſich im Sitze
Und drängten lächelnd ſich zu Hauf;
Denn wie gewalt’ger ſchlug der Regen,
So breiter warf dem Sturm entgegen
Der Baum die grünen Schirme auf.
Der Baum, der keines Menſchen Eigen,
Verloren in der Haide ſtand,
Nicht Früchte trug in ſeinen Zweigen,
Nicht Nahrung für des Heerdes Brand;
Der nur gepflanzt von Gottes Händen,
Dem müden Frohner Schutz zu ſpenden,
Dem Wandrer in der Steppe Sand.
49
Er kämpfte muthig und mit Treuen
Zu ſchützen, was ſich ihm vertraut,
Und rauſchend ſchien er ſich zu freuen
Des Glaubens, der auf ihn gebaut;
Ich fühlte ſeltſam mich befangen,
Beſchämt mit hocherglühten Wangen
Hab in die Krone ich geſchaut.
Zur Freundin ſah ich, ſie herüber:
Wohl Gleiches dachten wir vielleicht,
Denn ihre Mienen wurden trüber
Und ihre lieben Augen feucht;
Doch haben wir kein Wort geſprochen,
Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen,
Und ſtill die Hände uns gereicht!
450

Das Bild.

1.

Sie ſteh’n vor deinem Bild und ſchauen
In dein verſchleiert Augenlicht,
Sie prüfen Lippe, Kinn und Brauen
Und ſagen dann: du ſei’ſt es nicht;
Zu klar die Stirn, zu voll die Wange,
Zu üppig in der Locken Hange,
Ein lieblich, fremdes Angeſicht.
O wüßten ſie es, wie ein treues
Gemüth die kleinſten Züge hegt!
Ein Zucken ſchon ein flücht’ges, ſcheues,
Als Kleinod in die Seele legt.
Wie ſchon ein Wort von gleichem Klange
Gehaucht, dem Feinde ſelbſt, das bange,
Bewegte Herz entgegen trägt.
51
Sie würden beſſer mich begreifen,
Seh’n deiner Locken dunkeln Haag
Sie mich mit leiſem Finger ſtreifen,
Als lüft ich ſie dem jungen Tag;
Den Flor mich breiten dicht und dichter,
Daß deiner Augen zarte Lichter
Kein Sonnenſtrahl verletzen mag.
Was fremd, dahin will ich nicht ſchauen
Und will nicht wiſſen, wo ſie brennt,
Ob an der Lipp, der Wang, den Brauen,
Die Flamme, die dein Herz nicht kennt.
Ich will nur ſeh’n in deine Augen,
Den einen frommen Blick nur ſaugen,
Der leiſe meinen Namen nennt.
Ihn, der wie Mondlicht mich umfloſſen,
Als in der ernſten Abendzeit
Wir ſaßen, Hand in Hand geſchloſſen,
Und dachten Tod und Ewigkeit.
Ihn, der ſich von der Sonne Schwinden
Heilig gewendet, mich zu finden,
Und lächelnd ſprach: ich bin bereit!
4*52

2.

Und wär es wahr auch, daß der Jahre Hand
Dir Furchen in die reine Stirn geſchrieben,
Nicht ſo elaſtiſch deiner Züge Band
Bezeichne mehr dein Zürnen und dein Lieben,
Wenn minder klar die Hülle dich umſchlingt,
Durch die der Strahl, der gottbeſeelte, dringt,
Mir biſt die Gleiche immer du geblieben.
Wenn minder ſtolz und edel die Geſtalt,
Ich kenne ſie, die ungebeugte Seele;
Wenn es wie Nebel deine Stirn umwallt,
Ich weiß es, daß die Wolke Strahlen hehle;
Und deiner reichen Stimme tiefer Klang
Verhallend geiſterhaft, wie Wellenſang,
Ich fühl es, daß kein Liebeshauch ihm fehle.
O Fluch des Alters, wenn das Lebensheil
Mit ihm, dem Gottesbilde müßte weichen!
Wenn minder liebewarm ein Lächeln, weil
Ihm Kummer eingegraben ſeine Zeichen!
Ein Auge gütig nur, ſo lange leicht
Und ſilbern ſich die Thräne ihm entſchleicht,
Und roſ’ge Wangen zücht’ger als die bleichen.
53
Und dennoch hält ſie Alle uns bethört,
Die ſtaubgeborne Form, die wandelbare,
Scheint willig uns ein Ohr, das leiſe hört,
Kühn einer friſchen Kehle Luſtfanfare;
Wir Alle ſehen nur des Pharus Licht,
Die Glut im Erdenſchooße ſeh’n wir nicht,
Und Keiner denkt der Lampe am Altare.

3.

Ich weiß ein beſſres Bild zu finden,
Als jenes, dem du ferner geh’ſt,
Wie tiefer deine Wurzeln gründen
Und reifer du die Ernte mäh’ſt;
Ein beſſres, als zu deſſen Rahmen,
Wenn Jahre flohen, Jahre kamen,
Du wie dein eigner Schatten ſteh’ſt.
Weil ich am Strande ob der lauen
Entſchlafnen Flut mit ſcheuer Luſt:
Wird unter’m Stahl, dem ſilbern blauen,
Lebendig mir die tiefe Ruſt;
Am Grunde glühende Korallen
Der Fiſchlein goldig ſchimmernd Wallen;
Dann ſchau ich tief in deine Bruſt.
54
Und ſchwebend an der Grüfte Bogen
Seh ich der Mauerflechte Stab,
Mit allen Faſern eingeſogen
Tief in das Felſenherz hinab;
Von Thränen ſchwer die grauen Locken,
Die dunkeln Wimper, zarten Flocken;
Das iſt die Liebe über’s Grab!
Und dann an der Geneſung Bronnen
Im Saale tafeln Stern und Band,
Sich arme dürft’ge Kranke ſonnen
Und gierig ſchlürfen über’m Rand;
Mitleidig tränkt der Quell die Armen,
Dann denk ich ſtill an dein Erbarmen,
An deine warme, offne Hand.
O jener Quell, der heiß und ſpringend,
Ein Geiſer, deiner Bruſt entquillt,
Durch Schnee und Eiſesſcholle dringend
Mit Blumen ſeinen Gletſcher füllt.
Ihm ſieht nur gleich, was nie verloren,
Was ewig friſch und neugeboren,
Und die Natur nur iſt dein Bild!
55

Sylveſterabend.

Am letzten Tage des Jahres,
Da dacht ich, wie Mancher todt,
Den ich bei ſeinem Beginne
Noch luſtig geſehen und roth;
Wie mancher am Sargesbaume
Gelacht, unter’m laubigen Zelt,
Und wie vielleicht auch der meine
Zur Stunde ſchon ſei gefällt.
Wer wird dann meiner gedenken,
Wenn ich nun geſtorben bin?
Wohl wird man Thränen mir weihen,
Doch dieſe ſind bald dahin!
Wohl wird man Lieder mir ſingen,
Doch dieſe verweht die Zeit!
Vielleicht einen Stein mir ſetzen,
Den bald der Winter verſchneit.
56
Und wenn die Flocke zerronnen
Und kehrt der Nachtigall Schlag,
Dann blieb nur die heilige Meſſe
An meinem Gedächtnißtag;
Nur auf zerriſſenem Blatte
Ein Lied von flüchtigem Stift,
Und mir zu Häupten die Decke
Mit mooszerfreſſener Schrift.
Wohl hab ich viele Bekannte,
Die gern mir öffnen ihr Haus,
Doch wenn die Thüre geſchloſſen,
Dann ſchaut man nimmer hinaus;
Dann haben ſie einen Andern
An meiner Stelle erwählt,
Der ihnen ſingt meine Lieder
Und meine Geſchichten erzählt.
Wohl hab ich ehrliche Freunde,
Die greift es härter ſchon an;
Doch wenn die Kette zerriſſen,
Man flickt ſie ſo gut man kann;
Zwei Tage blieben ſie düſter,
Sie meinten es ernſt und treu,
Und gingen dann in die Oper
Am dritten Tage auf’s Neu.
57
Ich habe liebe Verwandte,
Die tragen im Herzen das Leid;
Allein wie dürfte verkümmern
Ein Leben ſo Vielen geweiht?
Sie haben ſich eben bezwungen,
Für andre Pflichten geſchont,
Nur ſchweben wohl meine Züge
Zuweilen noch über den Mond.
Ich habe Bruder und Schweſter,
Da ging in’s Leben der Stich,
Da ſind viel Thränen gefloſſen
Und viele Seufzer um mich.
O hätten ſie einſam geſtanden,
Ich lebte im ewigen Licht!
Nun haben ſie meines vergeſſen
Um ihres Kindes Geſicht.
Ich hab, ich hab eine Mutter,
Der kehr ich im Traum bei Nacht,
Die kann das Auge nicht ſchließen,
Bis mein ſie betend gedacht;
Die ſieht mich in jedem Grabe,
Die hört mich im Rauſchen des Hains,
O vergeſſen kann eine Mutter
Von zwanzig Kindern nicht eins.
[58][59]

Erzählende Gedichte.

[60]61

Das erſte Gedicht.

Auf meiner Heimath Grunde
Da ſteht ein Zinnenbau,
Schaut finſter in die Runde
Aus Wimpern ſchwer und grau.
An ſeines Fenſters Gittern
Wimmert des Kauzes Schrei,
Und drüber ſiehſt du wittern
Den ſonnentrunknen Weih.
Ein Wächter feſt wie Klippen,
Von keinem Sturm bewegt,
Der in den harten Rippen
Gar manche Kugel trägt;
Ein Mahner auch, ein ſtrenger,
Deß Giebel, grün und feucht,
Mit ſpitzem Hut und Fänger
Des Hauſes Geiſt beſteigt.
62
Und ſieht ihn das Geſinde
Am Fahnenſchafte ſteh’n,
Sich wirbelnd vor dem Winde
Mit leiſem Schreie dreh’n,
Dann pocht im Schloßgemäuer
Gewiß die Todtenuhr,
Oder ein tückiſch Feuer
Frißt glimmend unter’m Flur.
Wie hab ich ihn umſtrichen
Als Kind oft ſtundenlang,
Bin heimlich dann geſchlichen
Den ſchwer verpönten Gang
Hinauf die Wendelſtiege,
Die unter’m Tritte bog,
Bis zu des Sturmes Wiege,
Zum Hahnenbalken hoch.
Und ſaß ich auf dem Balken
Im Dämmerſtrahle falb,
Mich fühlend halb als Falken,
Als Mauereule halb,
Dann hab ich aus dem Brodem
Den Geiſt citirt mit Muth,
Ich, Hauch von ſeinem Odem,
Und Blut von ſeinem Blut.
63
Doch als nun immer tiefer
Die Schlangenſtiege ſank,
Als ſchiefer ſtets und ſchiefer
Dräute die Stufenbank:
Da klomm ich ſonder Harren
Hinan den Zinnenring,
Und in des Daches Sparren
Barg ich ein heimlich Ding.
Das ſollten Enkel finden,
Wenn einſt der Thurm zerbrach,
Es ſollte Etwas künden,
Das mir am Herzen lag;
Nun ſinn ich oft vergebens,
Was mich ſo aufgeregt,
Was mit Gefahr des Lebens
Ich in den Spalt gelegt.
Vielleicht mit Glasopalen
Ein Ring ein Dockenkleid
Das herrlich ſollte ſtrahlen
In die zukünft’ge Zeit;
Denn daß es hell geflittert,
Mir wie im Traume ſcheint,
Und daß ich ſehr gezittert
Und bitterlich geweint.
64
Mit einmal will mir’s tagen!
Es war ich irre nicht
In Goldpapier geſchlagen
Mein allererſt Gedicht.
Mein Lied vom Hähnchen, was ich
So ſtill gemacht, bei Seit,
Mich ſo geſchämt und das ich
Der Ewigkeit geweiht.
Wollteſt ſo hoch du fahren,
Du thöricht Kind? Wer weiß?
Vielleicht nach dreißig Jahren
Treibt ſchwach dein Lorbeerreis.
Du wirſt noch ſchwer und blutig
Durch manche Schule geh’n;
Und dann nicht halb ſo muthig
Vor deiner Nachwelt ſteh’n.
Zerfallen am Gewände
Iſt längſt der Stiege Rund,
Kaum liegt noch vom Gelände
Ein morſches Brett am Grund;
Und wenn die Balken knarren,
Im Sturm die Fahne kreiſ’t,
Dann gleitet an den Sparren
Nicht mehr des Ahnen Geiſt.
65
Es ſchien ihm übel hauſen
In dieſer Zeiten Lauf;
Ich aber ſtehe draußen
Und ſchau die Wand hinauf;
Späh durch der Sonne Lodern,
In welcher Ritze wohl
Es einſam mag vermodern,
Mein arm entthront Idol.
Nie ſorgt ein Falke ſchlechter
Für ſeine erſte Brut!
Doch du, mein grauer Wächter,
Nimm es in deine Hut;
Und iſt des Daches Schiene
Hinfürder nicht zu trau’n,
So laß die fromme Biene
Dran ihre Zelle bau’n!
566

Gaſtrecht.

Ich war in einem ſchönen Haus
Und ſchien darin ein lieber Gaſt;
Die Damen ſah’n wie Muſen faſt,
Sogar die Hunde geiſtreich aus.
Die Luft, von Ambraduft bewegt,
Schien aufgelöſ’te Phantaſie,
Und wenn ein Vorhang ſich geregt,
Dann war ſein Flüſtern Poeſie.
Zwar trat mir oft ein Schwindel nah,
Ich bin an Aether nicht gewöhnt,
Doch hat der Zauber mich verſöhnt
Und reiche Stunden lebt ich da.
All was man ſagte war ſo klar
Und ſo vortrefflich durchgeführt,
Daß ich mich habe ganz und gar
Oft wie ein Erzkameel geſpürt.
67
Da traf es eines Tags, daß oft
Man leis von einem Gaſte ſprach,
Der längſt geladen, hintennach
Kam wie die Reue unverhofft.
Wie ward zum Fenſter ausgeſchaut,
Ein ſeltſam Lächeln im Geſicht;
Ich hätte Häuſer drauf gebaut,
Der Gaſt ſei ein Parnaſſuslicht.
Und als er endlich angelangt,
Stieß jeder, eh zum Gruß er lief,
Erſt einen Seufzer lang und tief,
Beweis, wie das Entzücken bangt;
Mein Bruder in Hospitio
Schien mir ein ſchlichter Burſche nur:
Sein Blick war frank und lebensfroh,
Doch vom Erhabnen keine Spur.
Drei Tage lebten wir ſo fort
Zuſammen wie im Paradies;
Man ſprach von Wurzeln und Radies,
Doch auch manch klar und innig Wort.
Des Fremden Auge hat ſo friſch
Und freundlich wie ein Stern geblinkt,
Und als er endlich ſchied nach Tiſch,
Da ward ihm lange nachgewinkt.
5*68
Das hat gerührt mich und ergötzt,
Nur war mir etwas wunderſam
Der Blick, mit dem ſich die Madam
Schnell an die Stickerei geſetzt;
Der Zug am Mund, als Claudia
Sacht an den Arm der Schweſter griff,
Und daß ſich wandte der Papa
Und blinzelnd auf dem Finger pfiff.
Sie waren Leute ſein und tief,
Gar noble Leute allzumal;
Schon ſank die Dämmerung in’s Thal,
Bevor ihr Argustakt entſchlief,
Und hier und dort ein Nadelſtich,
Und kecker denn ein Meſſerſchnitt,
Und dann die Sonde ſäuberlich
In des Geſchiednen Schwächen glitt.
O ſichre Hand, o feſter Arm!
O Sonde, leuchtend wie der Blitz!
Ich lehnte an des Gaſtes Sitz,
Und fühlte ſacht ob er noch warm;
Und an das Fenſter trat ich dann,
Nahm mir ein allbekanntes Buch,
Und las, die Blicke ab und an
Verſendend in der Wolken Zug.
69

Mutaſſin.

Einſt vor dem Thron Mutaſſin des Kaliphen
In Feſſeln klirrend ein Verbrecher ſtand,
Dem, als vom Trunk betäubt die Wachen ſchliefen,
Des Herrſchers eigne Hand den Dolch entwandt;
Schon traf die läſſ’gen Söldner das Gericht,
Wie es ſie traf, die Sage kündet’s nicht,
Nur dieſes ſagt ſie, daß an jenem Tag
Ein ſchaudernd Schweigen über Bagdad lag,
Und daß, als man den Hochverräther führte
Zum Spruch, im Saal ſich keine Wimper rührte,
Und daß des Herrſchers Blick, zum Grund gewandt,
Die Blumen aus dem Teppich ſchier gebrannt.
Am Throne ſtand ein Becher mit Scherbet,
Den Gaumen des Kaliphen dörrten Gluthen,
Er fühlte ſeine Menſchlichkeit verbluten
Am Dolche der bedrohten Majeſtät.
Wer gibt ihm ſeiner Nächte Schlaf zurück?
Wer ſeinen Muth zum Schaffen und zum Lieben,
Wer das Vertrauen auf ſein altes Glück?
Das Alles ſtand in ſeinem Blick geſchrieben.
70
Der Frevler zittert, daß die Feſſel klirrt;
Als noch der Lohn ihm wäſſerte den Mund
Ein kecker Fuchs, und jetzt ein feiger Hund,
Würd er ſich doppelten Verraths nicht ſchämen;
Doch ſieht er deutlich, Keiner will ihn nehmen
Den Becher, daß er ihm zur Labe wird;
Zähnknirſchend ſchaut er zum Kaliphen auf,
Die Wimper zuckt, es drängt ein Schrei ſich auf,
Und wie im Strauch die kranke Schlange pfeift,
In einem ſchweren Krampf will er erſticken;
O Allah, wird er ſich dem Pfahl entrücken!
Und ſtürmiſch der Kaliph zum Becher greift,
Gießt mit den eignen Händen den Scherbet
Ihm in die Kehle, bis der Krampf vergeht.
Die Farbe kehrt, er athmet ſchwer und tief,
Das Auge, irr zuerſt, dann feſt und kühn,
Läßt lange er auf dem Beherrſcher glüh’n,
Dann ſpricht er ernſt: lang lebe der Kaliph!
Was er beſchließt, das kommt von Allah’s Hand,
Der will es nicht, daß er vom Zorn entflammt
Zum Marterpfahle einen Gaſt verdammt,
Dem ſeinen eignen Becher er geſandt.
Da wird Mutaſſin bleich vor innrer Qual,
Zittern ſah ihn ſein Hof zum erſten Mal,
71
Dann wie die Sonne ward ſein Auge hell,
Und hochgetragnen Hauptes rief er ſchnell:
Löſ’t ihm die Feſſeln, er ſei ungekränkt
Und frei, ich habe ihm die Schuld geſchenkt.
Und zu dem Thron trat der Vezir gebückt,
Sprich, Fürſt der Gläub’gen, was ſoll dann geſchehen,
Wenn er zum zweiten Mal den Dolch gezückt?
Mutaſſin ſpricht: das, was geſchrieben iſt
Von Ewigkeit, iſt Allah nur bekannt;
Doch nicht im Buch des Lebens kann es ſtehen:
Daß der Verbrecher keine Gnade fand,
Den der Kaliph getränkt mit eigner Hand!
Ich ſchloß das Buch und dachte nach,
An Türken, Chriſten, Mancherlei,
Mir war ein wenig ernſt und ſcheu,
Als ich entſchlüpfte dem Gemach.
Wie ſchien der Blumen wilde Zier,
Wie traulich mir das Himmelszelt
Und auf den Mittag hab ich mir
Die Pferde an der Poſt beſtellt!
72

Der Nachtwandler.

Siehſt du das Haus an dem Gehäge nicht?
Die Dämmrung ſinkt, laßt uns vorübereilen,
Bald hebt der Vollmond ſein geſpenſtig Licht,
Dann iſt nicht gut in jener Nähe weilen;
Hier ſchwebt kein Spuck den Buchengang hinauf,
Kein Räuber paßt im finſtern Schuppen auf,
Ein Bürgerhaus, ein bürgerlich Beginnen,
Es wohnt ein Krämer, wohnen Diener drinnen.
Alt iſt der Herr, wie alt, man weiß es kaum,
Er liebt es nicht, im Kirchenbuch zu leſen;
Ihm lebt ein Weib vor vieler Jahre Raum,
Er hatt ein Kind, das iſt nun lang geweſen;
Man ſagt, er habe ihr den Arzt verſagt,
Mit ſchlechter Koſt zu Tod das Kind geplagt;
Was ſagt man nicht, um Leute zu verdammen,
Wo ſich das Gold in Haufen rollt zuſammen.
73
Einſt war er arm, hat kümmerlich gezehrt,
Wohl kümmerlicher noch als Andre eben;
Da, heißt es, hab um eines Thalers Werth
Er einen Dieb dem Galgen übergeben.
Jung ſei der Dieb geweſen, hungerbleich,
Und ſeine Mutter krank, man glaubt es gleich;
Dies folgt dem Reichen; ſieh die Hütten drüben!
Dort wohnt die Noth, ſein iſt ihr Gut geblieben.
Man kann ihn fleißig in der Kirche ſehn,
Und ſeine Sitten dürfte Keiner rügen;
Doch ſeit des Körpers Kräfte ihm vergehn,
Muß einem ſchweren Siechthum er erliegen;
So oft der Vollmond ſenkt den blaſſen Schein,
Hüllt er ſich ſchaudernd in das Lailach ein,
Und kömmt vom Bett, das Kerzenſtümpflein tragend,
Ein Diener folgt ihm ganz von fern und zagend.
Durch jene Hüttenfenſter ſieht man dann
Am langen Tiſch ihn emſig wieder zählen,
Am Golde ſchaben, und mit raſchem Spann
Ihn plötzlich greifen, wie nach Diebeskehlen;
Schon iſt auch wohl ein Schrei hinausgeſchallt,
Als thue einer Seele man Gewalt,
Bis ihm die Arme ſinken wie verwittert,
Und weiter er mit ſeinem Stümpfchen zittert.
74
Sein nächſter Gang iſt in die Kammer, wo
Bei einem größern Lager ſteht ein kleines;
Dort kramet er am Bettchen ſo und ſo,
Als öffn er eine Flaſche edlen Weines,
Und gießt dann, gießt, als ſei es nie genug,
Und ſtopft und legt wie Biſſen an das Tuch,
Dann ſtoßend ſcheint er an den Puls zu greifen,
Gebückt, als lauſchend ſchwachen Odems Pfeifen.
Schleicht dann zu jenes Lagers grobem Flaus,
Scheint tröpfelnd über Arzenei’n zu bücken;
Er breitet ſchweigend eine Decke aus,
Und einen Schrein ſcheint er herbei zu rücken,
Er horcht, dann öffnet er das Fenſter ſchnell,
Das Fenſter, wo man ſieht den Galgen hell,
Der Diener ſpricht, man hört ein dumpf Gejammer,
Das Fenſter klirrt, und dunkel iſt die Kammer.
Scheint’s nicht zu ſchimmern an der Scheibe dort?
Siehſt du es leiſe glimmen, Funken zittern?
Nun zuckt ein blaues Flämmchen, fort, nur fort!
Mir iſt, als woll es über uns gewittern.
Schau nicht zurück! Verwegner, fluch ihm nicht!
Laß ihn allein mit Gott und dem Gericht!
Meinſt du, ein Fluch vergrößre ſeine Leiden?
Den Dieb am Galgen möchte er beneiden!
75

Das verlorne Paradies.

Als noch das Paradies erſchloſſen war
Dem erſten ſündeloſen Menſchenpaar,
Kein Gift die Viper kannte, keinen Dorn
Der Strauch, der Leu und Tiger keinen Zorn,
Noch fröhlich ſcholl der Nachtigallen Flöte;
Da ſchlief an jedem Abend Eva ein
An einem Roſenſtrauche, und der Schein
Von ihrer unſchuldsvollen Wangenröthe
Spielt lieblich um der Blume lichten Ball;
Denn damals waren weiß die Roſen all
Und dornenlos. Umnickt vom duft’gen Kranz,
Der über’m Haupte führte lichten Tanz,
Ruhte das erſte Weib, Gedanken ſinnend.
Die Embrhone ſchon der Gottheit Siegel
Am Haupte trugen, ſchon im Keime minnend
Bewegten halberſchloſſ’ne Seraphsflügel;
Sie lag den Zweig an ihre Bruſt gedrückt;
76
Denn keine Blume wurde noch gepflückt,
Bis leiſe ſich die Wimper niederließ
Und in die Träume ſchlich das Paradies;
O heilig war das Weib; wer ſie geſeh’n,
Nicht denken hätt er können, ob ſie ſchön,
Nur daß ſie rein wie Thau, und Gottes Spiegel.
Die Roſ auch lächelt ſelig, doch wie lange?
Hüte dich vor der Schlange!
Am grauen Horizonte murrend ſtand
Der erſten Donnerwolke düſtrer Rand,
Am Roſenſtrauche fiel die erſte Thräne,
Und drüben weint der Nachtigall Geſtöhne.
Wär dies das Bild von geſtern, dieſer Leib
Verhüllt in Blätterſchutz? ein arges Weib!
Das Auge, kündend ein verbotnes Wiſſen,
Wie ſcheint ſo heiß und hart des Mooſes Kiſſen,
Wie dunſterfüllt des Paradieſes Prangen,
Und wie ſo ſeltſam brennen ihre Wangen.
Feſt hielt den vollen Roſenzweig ſie, feſt
Wie der Verſinkende die Binſe preßt,
Oder ſein Lieb ein glüh Verlangen.
Ob ſie entſchlief? Wohl endlich hat die Nacht
Ihr Ruhe, bleiernſchweren Schlaf gebracht;
77
Der Regenguß, er hat ſie nicht erweckt,
Des Donners Rollen ſie nicht aufgeſchreckt,
Ihr Haar nur flatterte im Windestoſen,
Und ihr am Buſen zitterten die Roſen;
Wie eine Leiche lag ſie ſchmerzlich mild,
Zum erſtenmal im Schlaf des Todes Bild;
Und als am Morgen ſie die Wimper hob,
Und zuckend von der Bruſt die Zweige ſchob,
Da war all ihrer Wangen lichter Schein
Gezogen in der Blumen Rund hinein,
In glüher Sehnſucht alle aufgegangen,
Zum Kuſſe öffnend all den üpp’gen Mund;
Und Heva kniete weinend, ihre Wangen
Entfärbt, und ihre Bruſt von Dornen wund.
78

Der ſterbende General.

Er lag im dichtverhängten Saal,
Wo grau der Sonnenſtrahl ſich brach,
Auf ſeinem Schmerzensbette lag
Der alte kranke General.
Genüber ihm am Spiegel hing
Echarpe, Orden, Feldherrnſtab.
Still war die Luft, am Fenſter ging
Langſam die Schildwach auf und ab.
Wie der verwitterte Soldat
So ſtumm die letzte Fehde kämpft!
Zwölf Stunden, ſeit zuletzt gedämpft
Um Waſſer er, um Waſſer bat.
An ſeinem Kiſſen beugten Zwei,
Des Einen Auge rothgeweint,
Des Andern düſter, feſt und treu,
Ein Diener und ein alter Freund.
79
Tritt ſeitwärts, ſprach der Eine, laß
Ihn ſeines Standes Ehren ſeh’n!
Den Vorhang weg, daß flatternd weh’n
Die Bänder an dem Spiegelglas!
Der Kranke ſchlug die Augen auf,
Man ſah wohl, daß er ihn verſtand,
Ein Blick, ein leuchtender, und drauf
Hat er ſich düſter abgewandt.
Denkſt du, mein alter Kamerad,
Der jubelnden Vietoria?
Wie flogen unſre Banner da
Durch der gemähten Feinde Saat!
Denkſt du an unſers Prinzen Wort:
Man ſieht es gleich, hier ſtand der Wart!
Schnell, Konrad, nehmt die Decke fort,
Sein Odem wird ſo kurz und hart!
Der Obriſt lauſcht, er murmelt ſacht:
Verkümmert wie ein welkes Blatt!
Das Dutzend Friedensjahre hat
Zum Kapuziner ihn gemacht.
Wart! Wart! du haſt fo friſch und licht
So oft dem Tode dich geſtellt,
Die Furcht, ich weiß es, kennſt du nicht,
So ſtirb auch freudig wie ein Held!
80
Stirb, wie ein Leue, adelich,
In ſeiner Bruſt das Bleigeſchoß,
O ſtirb nicht, wie ein zahnlos Roß,
Das zappelt vor des Henkers Stich!
Ha, ſeinem Auge kehrt der Strahl!
Stirb, alter Freund, ſtirb wie ein Mann!
Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal,
Und Waſſer, Waſſer ſtöhnt er dann.
Leer iſt die Flaſche. Wache dort,
He, Wache, du biſt abgelöſ’t!
Schau, wo an’s Haus das Gitter ſtößt,
Lauf, Wache, lauf zum Borne fort!
’s iſt auch ein grauer Knaſterbart,
Und ſtrauchelt, wie ein Dromedar
Nur ſchnell, die Sohlen nicht geſpart!
Was, alter Burſche, Thränen gar?
Mein Commandant, ſpricht der Uhlan
Grimmig verſchämt, ich dachte nach,
Wie ich bleſſirt am Strauche lag,
Der General mir nebenan,
Und wie er mir die Flaſche bot,
Selbſt dürſtend in dem Sonnenbrand,
Und ſprach: du haſt die ſchlimmſte Noth .
Dran dacht ich nur, mein Commandant.
81
Der Kranke horcht, durch ſein Geſicht
Zieht ein verwittert Lächeln, dann
Schaut feſt den Veteran er an.
Die Seele der Victorie nicht,
Nicht Fürſtenwort gelöſ’t den Fluch,
Auf einem Tropfen Menſchlichkeit
Schwimmt mit dem letzten Athemzug
Sie lächelnd in die Ewigkeit.

Volksglauben in den Pyrenäen.

1. Sylveſterfey.

Der morſche Tag iſt eingeſunken,
Sein Auge gläſern, kalt und leer,
Barg keines Thaues linden Funken
Für den gebräunten Eppich mehr.
Wie’s draußen ſchauert! längs der Wand
Ruſchelt das Mäuslein unter’m Halme
Und langſam ſprießt des Eiſes Palme
Am Scheibenrand.
682
In tiefer Nacht wem ſoll noch frommen
Am Simſe dort der Lampe Strahl?
Da ſchon des Heerdes Scheit verglommen,
Welch ſpäten Gaſtes harrt das Mahl?
Längſt hat im Thurme zu Escout
Die Glocke zwölfmal angeſchlagen
Und glitzernd ſinkt der Himmelswagen
Dem Pole zu.
Durch jener Kammer dürre Barren
Zieh’n Odemzüge, traumbeſchwert,
Ein Ruck mitunter, auch ein Knarren,
Wenn ſich im Bett der Schläfer kehrt;
Und nur ein leiſer Huſten wacht,
Kein Traum die Mutter hält befangen,
Sie kann nicht ſchlafen in der langen
Sylveſternacht.
Jetzt iſt die Zeit, wo loſ und ſchleichend
Die Fey ſich durch die Ritze ſchlingt,
Mit langer Schlepp den Eſtrich ſtreichend,
Das Schickſal in die Häuſer bringt,
An ihrer Hand das Glück, Gewind
Und Roſ im Lockenhaar, ein ſchlankes,
Das Mißgeſchick ein fieberkrankes,
Ein weinend Kind.
83
Und trifft ſie Alles recht zu Danke
Geordnet von der Frauenhand,
Dann nippt vom Mahle wohl die ſchlanke
Und läßt auch wohl ein heimlich Pfand;
Doch ſollt ein Frevler lauſchen, riſch,
Im Hui zerſtoben iſt die Scene,
Und ſcheidend fällt des Unglücks Thräne
Auf Heerd und Tiſch.
O keine Bearnerin wird’s wagen
Zu ſteh’n am Aſtloch, lieber wird
Ein Tuch ſie um die Augen ſchlagen,
Wenn durch den Spalt die Lampe flirrt;
Manon auch drückt die Wimper zu,
Und zupft an der Gardine Linnen;
Doch immer, immer läßt das Sinnen
Ihr keine Ruh.
Ward glatt das Lailach auch gebreitet?
Hat hell der Becher auch geblinkt?
Ob jetzt das Glück zum Tiſche gleitet,
Ein Bröcklein naſcht, ein Tröpflein trinkt?
Oft glaubt ſie zarter Stimmen Hauch,
Verſchämtes Trippeln oft zu hören,
Und dann am Brode leiſes Stören
Und Knuspern auch.
6*84
Sie horcht und horcht das war ein Schlüpfen!
Doch nein der Wind die Föhren ſchwellt,
Und das am Flur ein ſchwaches Hüpfen,
Wie wenn zum Grund die Krume fällt!
Eugene, was wirfſt du dich umher,
Was ſoll denn das Gedehn und Ziehen?
Mein Gott, wie ihm die Händchen glühen!
Er träumt ſo ſchwer.
Sie rückt das Kind an ihrer Seiten,
Den Knaben dicht zu ſich heran,
Läßt durch ſein Haar die Finger gleiten,
Es hangen Schweißes Tropfen dran;
Erſchrocken öffnet ſie das Aug,
Will nach dem Fenſterglaſe ſchauen,
Da eben ſteigt das Morgengrauen,
Ein trüber Rauch.
Vom Lager fährt die Mutter, bebend
Hat ſie der Lampe Docht gehellt,
Als ſachte über’m Lailach ſchwebend
Ein Epheublatt zu Boden fällt.
Das Glück! das iſt des Glückes Spur?
Doch nein! ſie pflückt es ja dem Kinde,
Und dort naſcht an der Semmelrinde
Die Ratte nur.
85
Und wieder aus der Kammer ſtehlen
Sich Seufzer, halbbewußt Geſtöhn;
O Chriſt, was mag dem Knaben fehlen,
Eugene, wach auf, wach auf Eugene!
Du lieber Gott, iſt ſo geſchwind,
Eh noch der Morgenſtrahl entglommen,
Das Unglück mir in’s Haus gekommen
Als krankes Kind.

2. Münzkraut.

Der Frühling naht, es ſtreicht der Staar
Am Söller um ſein altes Neſt;
Schon ſind die Thäler ſonnenklar,
Doch noch die Scholle hart und feſt;
Nur wo der Strahl vom Felſen prallt,
Will mächtig ſich der Grund erweichen
Und ſchüchtern aus den Windeln ſchleichen
Der Gräſer dichter, lichter Wald.
86
Schau dort am Riff man ſieht es kaum
So recht vom Sonnenbrand gekocht
Das kleine Beet, vier Schritte Raum,
Vom Schieferhange überjocht,
Nach Oſt und Weſten eingehegt,
Mit ſtarken Planken abgeſchlagen,
Als ſollt es Wunderblumen tragen,
Und ſind nur Kräuter, was es trägt.
Und dort die Frau an Riffes Mitten,
Ach Gott, ſie hat wohl viel gelitten!
Sie klimmt ſo ſchwer den Steig hinan.
Nun ſteht ſie keuchend, löſ’t das Mieder,
Nun ſinkt ſie an dem Beete nieder,
Und faltet ihre Hände dann:
Liebe Münze, du werther Stab,
Drauf meines Heilands Sohle ſtand,
Als ihm drüben im Morgenland
Sanct Battiſte die Taufe gab;
Heiliges Kraut, das aus ſeinem Leibe
Ward geſegnet mit Wunderkraft,
Hilf einer Witw, einem armen Weibe,
Das ſo ſorglich um dich geſchafft.
87
Hier iſt Brod, und hier iſt Salz und Wein,
Sieh, ich leg’s in deine Blätter mitten;
Woll nicht zürnen, daß das Stück ſo klein,
Hab’s von meinem Theile abgeſchnitten;
Etwas wahrt ich, Münze gnadenreich,
Schaffens halber nur, ſonſt geb ich’s gleich.
Mein Knab iſt krank, du weißt es wohl,
Ich kam ja ſchon zu ſieben Malen,
Und geſtern mußt ich in Bregnoles
Den Trank für ihn ſo theuer zahlen.
Vier hab ich, vier, daß Gott erbarm!
Mit dieſen Händen zu ernähren,
Und, ſieh, ſo kann’s nicht länger währen,
Denn täglich ſchwächer wird mein Arm.
O Madonna, Madonna, meine gnädige Frau!
Ich hab gefrevelt, nimm’s nicht genau,
Ich hab geſündigt wider Willen!
Nimm, o nimm mir nur kein Kind,
Will ihm gern den Hunger ſtillen,
Wär’s mit Bettelbrod; nicht Eins
Kann ich miſſen, von Allen keins!
Zweimal muß ich noch den Steig hinan
Siebenmal bin ich nun hier geweſen.
88
Heil’ge Frau von Embrun, wär dann
Welk die Münze und mein Knab geneſen,
Gerne will dann an deinem Schrein
Meinen Treuring opfern, er iſt klein,
Nur von Silber, aber fleckenrein;
Denn ich hab mit Ehren ihn getragen,
Darf vor Gott und Menſchen mich nicht ſchämen;
Milde Fraue, laß mich nicht verzagen,
Liebe Dame, woll ihn gütig nehmen,
Denk, er ſei von Golde und Rubin,
Süße, heil’ge, werthe Himmelskönigin!

3. Der Loup Garou.

Brüderchen ſchläft, ihr Kinder, ſtill!
Setzt euch ordentlich her zum Feuer!
Hört ihr der Eule wüſt Geſchrill?
Hu! im Walde iſt’s nicht geheuer,
89
Frommen Kindern geſchieht kein Leid;
Drückt nur immer die Lippen zu,
Denn das böſe, das lacht und ſchreit,
Das holt die Eul und der Loup Garou.
Wißt ihr, dort, wo das Naß vom Schiefer träuft
Und über’m Weg ’ne andre Straße läuft,
Das nennt man Kreuzweg und da geht er um
Bald ſo, bald ſo, doch immer falſch und ſtumm,
Und immer ſchielend; vor dem Auge ſteht
Das Weiße ihm, ſo hat er es verdreht.
Dran iſt er kenntlich und am Kettenſchleifen,
So trabt er, trabt, darf keinem Frommen nah’n
Die ſchlimmen Leute nur, die darf er greifen
Mit ſeinem langen, langen, langen Zahn.
Schiebt das Reiſig der Flamme ein,
Puh, wie die Funken kniſtern und ſtäuben!
Pierrot, was ſoll das Wackeln ſein?
Mußt ein Weilchen du ruhig bleiben,
Gleich wird die Zeit dir Jahre lang.
Laß doch den armen Hund in Ruh!
Immer ſind deine Händ im Gang,
Denkſt du denn nicht an den Loup Garou?
90
Vom reichen Kaufmann hab ich euch erzählt,
Der ſeine dürſt’gen Schuldner ſo gequält,
Und kam mit ſieben Säcken von Bagneres,
Vier von Juwelen, drei von Golde ſchwer;
Wie er aus Geiz den ſchlimmen Führer nahm,
Und ihm das Unthier auf den Nacken kam.
Am Halſe ſah man noch der Kralle Spuren,
Die ſieben Säcke hat es weggezuckt,
Und ſeine Börſe auch, und ſeine Uhren,
Die hat es all zerbiſſen und verſchluckt.
Schließt die Thür, es brummt im Wald!
Als die Sonne ſich heut verkrochen,
Lag das Wetter am Riff geballt,
Und nun hört man’s ſieden und kochen.
Ruhig, ruhig, du kleines Ding!
Hörſt du? drunten im Stalle bu!
Hörſt du’s? Hörſt du’s? kling, klang, kling,
Schüttelt die Kette der Loup Garou.
Doch von dem Trunkenbolde wißt ihr nicht,
Dem in der kalten Weihnacht am Geſicht
Das Thier gefreſſen, daß am heil’gen Tag
Er wund und ſcheußlich über’m Schneee lag.
91
Zog von der Schenke aus, in jeder Hand
’Ne Flaſche, die man auch noch beide fand.
Doch wo die Wangen ſonſt, da waren Knochen,
Und wo die Augen, blut’ge Höhlen nur;
Und wo der Schädel, hier und da zerbrochen,
Da ſah man deutlich auch der Zähne Spur.
Wie am Giebel es knarrt und kracht?
Caton, ſchau auf, die Bühne droben!
Aber nimm mir die Lamp in Acht
Ob vor die Lucke der Riegel geſchoben.
Pierrot, Schlingel, das rutſcht herab
Von der Bank, ohne Strümpf und Schuh!
Willſt du bleiben, tapp, tipp, tapp,
Geht auf dem Söller der Loup Garou.
Und meine Mutter hat mir oft geſagt
Von einem tauben Manne, hochbetagt,
Faſt hundertjährig, dem es noch geſchehen
Als Kind, daß er das Scheuel hat geſehen,
Recht wie ’nen Hund, nur weiß wie Schnee und ganz
Verkehrt die Augen, eingeklemmt den Schwanz,
Und ſpannenlang die Zunge aus dem Schlunde,
So mit der Kette weg an Waldes Bord,
Dann wieder ſah er ihn im Tobelgrunde,
Und wieder ſah er hin, da war er fort.
92
Hab ich es nicht gedacht? es ſchneit!
Ho, wie fliegen die Flocken am Fenſter!
Heilige Frau von Embrun, wer heut
Draußen wandelt, braucht keine Geſpenſter;
Irrlicht iſt ihm die Nebelſäul,
Führt ihn ſchwankend dem Abgrunde zu,
Sturmes Flügel die Todteneul,
Und der Tobel ſein Loup Garou.

4. Maiſegen.

Der Mai iſt eingezogen,
Schon pflanzt er ſein Panier
Am dunklen Himmelsbogen
Mit blanker Sterne Zier.
Die wilden Waſſer brauſen
Und rütteln aus den Klauſen
Rellmaus und Murmelthier.
93
Ob wohl das Gletſchereis den Strom gedämmt?
Von mancher Hütte geht’s auf ſchlimmen Wegen,
Der Sturm hat alle Firnen kahl gekämmt,
Und geſtern wie aus Röhren ſchoß der Regen.
Adieu, Jeanette, nicht länger mich gehemmt!
Adieu, ich muß, es gilt den Maienſegen;
Wenn vier es ſchlägt im Thurme zu Escout,
Muß jeder Senner ſtehen am Pointe de Droux.
Wie trunken ſchau’n die Klippen,
Wie taumelnd in die Schlucht!
Als nickten ſie, zu nippen
Vom Sturzbach auf der Flucht.
Da iſt ein raſſelnd Klingen,
Man hört die Schollen ſpringen,
Und brechen an der Bucht.
Auf allen Wegen zieh’n Laternen um
Und jedes Paſſes Echo wecken Schritte.
Habt Acht, habt Acht, die Nacht iſt blind und ſtumm,
Die Schneefluth fraß an manches Blockes Kitte;
Habt Acht, hört ihr des Bären tief Gebrumm?
Dort iſt ſein Lager an des Riffes Mitte;
Und dort die ſchiefe Klippenbank, fürwahr!
Sie hing ſchon los am erſten Februar.
94
Nun ſprießen blaſſe Roſen
Am Gletſcherbord hervor,
Und mit der Dämmrung koſen
Will ſchon das Klippenthor;
Schon ſchwimmen lichte Streifen,
Es lockt der Gemſe Pfeifen
Den Blick zum Grat empor.
Verlöſcht ſind die Laternen, und im Kreis
Steht eine Hirtenſchaar auf breiter Platte,
Voran der Patriarch, wie Silber weiß
Hängt um ſein tiefgebräunt Geſicht das glatte,
Geſtrählte Haar, und Alle beten leis
Nach Oſten ſchauend, wo das farbenſatte
Rubingewölk mit glitzerndem Geroll
Die ſtolze Sonnenkugel bringen ſoll.
Da kommt ſie aufgefahren
In ſtrenger Majeſtät,
Und von den Firnaltaren
Die Opferflamme weht:
Da ſinken in der Runde
So Knie an Knie, dem Munde
Entſtrömt das Maigebet:
95
Herr Gott, der an des Maien erſtem Tag
Den Strahl begabt mit ſonderlichem Segen,
Den ſich der ſünd’ge Menſch gewinnen mag
In der geweihten Stunde, allerwegen,
Segne die Alm, ſegne das Vieh im Hag,
Mit Luft und Waſſer, Sonnenſchein und Regen,
Durch Sanct Anton, den Siedler, Sanct Renee,
Martin von Tours und unſre Frau vom Schnee.
Segne das Haus, das Mahl auf unſerm Tiſch,
Am Berg den Weinſtock und die Frucht im Thale,
Segne die Jagd am Gletſcher, und den Fiſch
Im See, und das Gethiere allzumale,
So uns zur Nahrung dient, und das Gebüſch,
So uns erwärmt, mit Thau und Sonnenſtrahle
Durch Sanct Anton, den Siedler, Sanct Remy,
Sanct Paul und unſre Fraue von Clery.
Wir ſchwören alle Hände ſteh’n zugleich
Empor, wir ſchwören keinen Gaſt zu laſſen
Von unſerm Heerd, eh ſicher Weg und Steig,
Das Vieh zu ſchonen, keinen Feind zu haſſen,
Den Quell zu ehren, Recht an Arm und Reich
Zu thun und mit der Treue nicht zu ſpaßen.
Das ſchwören wir beim Kreuze zu Autun
Und unſrer mächt’gen Fraue von Embrun.
96
Da über’m Kreiſe ſchweben,
Als wollten ſie den Schwur
Zum Himmelsthore heben,
Zwei Adler; auf die Flur
Senkt ſich der Strahl vom Hange,
Und eine Demantſchlange
Blitzt drunten der Adour.
Die Weiden ſind vertheilt, und wieder ſchallt
In jedem Paſſe ſchwerer Tritte Stampfen.
Voran, voran, die Firnenluft iſt kalt,
Und ſcheint die Lunge eiſig zu umkrampfen.
Nur friſch voran ſchon ſeh’n ſie über’m Wald
Den Vogel zieh’n, die Nebelſäule dampfen,
Und wo das Riff durchbricht ein Klippengang
Summt etwas auf wie ferner Glockenklang.
Da liegt das ſchleierloſe
Gewäld in Sonnenruh,
Und wie mit Sturmgetoſe
Dem Aethermeere zu,
Erfüllt des Thales Breite
Das Angelusgeläute
Vom Thurme zu Escout.
97

5. Höhlenfey.

Siehſt du drüben, am hohlen Baum,
In’s Geklüfte die Schatten ſteigen,
Ueber’m Bord, ein blanker Saum,
Leiſes Quellengerieſel neigen?
Das iſt die Eiche von Bagneres,
Das iſt die Höhle Trou de fer,
Wo ſie tags in der Spalten Raum,
Nächtlich wohnt in den ſurrenden Zweigen?
O ſie iſt überalt die Fey,
Laut Annalen, vor grauen Jahren,
Zwei Jahrhunderten oder drei
Mußte ſie ſeltſam ſich gebahren:
Bald als Eule mit Uhu,
Bald als Katze und ſchwarze Kuh;
Auch als Wieſel mit ſeinem Schrei
Iſt ſie über die Kluft gefahren.
798
Aber, wenn jetzt im Mondenſchein
Zarte Lichter den Grund betüpfen,
Sieht mitunter man am Geſtein
Sie im ſchillernden Mantel hüpfen,
Hört ihr Stimmchen, Geſäuſel gleich;
Aber nahſt du, dann nickt der Zweig
Und das Waſſer wispert darein,
Und du ſiehſt nur die Quelle ſchlüpfen.
Reich an Gold iſt der Höhle Grund,
O wie Guinea und wie Bengalen!
Und man ſpricht vom bewachenden Hund,
Doch deß melden nichts die Annalen.
Aber Mancher, der wunderſam,
Unbegreiflich zu Gelde kam,
Ließ, ſo kündet der Sage Mund,
Es am Baum von Bagneres ſich zahlen.
Barg einen Beutel im Hohle breit,
Drin den neuen Liard, bedächtig,
Recht in der ſengenden Mittagszeit,
Die den Geiſtern wie mitternächtig,
Fand ihn abends mit Gold geſchwellt,
O kein Chriſt komme ſo zu Geld!
Falſch war Feyengold jederzeit,
Kurz das Leben, und Gott iſt mächtig.
99
Einmal nur, daß mich deß gedenkt,
Iſt ein Mann an den Baum gegangen,
Hat ſeinen Sack hineingeſenkt,
Groß eines Königs Schatz zu fangen;
’S war ein Wucherer, war ein Filz,
Ein von Thränen geſchwellter Pilz,
Nun, er hat ſich zuletzt gehenkt,
Beſſer hätt er ſchon da gehangen.
Hielt die Lippen ſo feſt geklemmt,
Denn Geflüſter nur, mußt du wiſſen,
Das iſt eben, was Alles hemmt,
Lieber hätt er die Zunge zerbiſſen;
Barfuß kam er, auf ſchlechten Rath,
Und als da in die Scherb er trat,
Hat er ſich nur an den Baum geſtemmt
Und den Schart aus der Wunde geriſſen.
Doch als aus dem Gemoder ſcheu
Schlüpft ’ne Schlange ihm längs den Haaren,
Da iſt endlich ein kleiner Schrei,
Nur ein winziger, ihm entfahren;
Und am Abend verſchwunden war
Großer Sack und neuer Liard.
O verrätheriſch iſt die Fey!
Und es wachen der Hölle Schaaren.
7*100

6. Johannisthau.

Es iſt die Zeit nun, wo den blauen Tag
Schon leiſer weckt der Nachtigallen Schlag,
Wo ſchon die Taube in der Mittagsgluth
Sich trunkner, müder breitet ob der Brut,
Wo abends, wenn das Sonnengold zergangen,
Verlorner Funke irrt, des Wurmes Schein,
An allen Ranken Blütenbüſchel hangen,
Und Düfte zieh’n in alle Kammern ein.
Weck mich zur rechten Zeit, mein Kamerad,
Verſäumen möcht ich Sanct Johannis Bad
Um Alles nicht; ich hab das ganze Jahr
Darauf gehofft, wenn mir ſo elend war.
Jerome, du mochteſt immer gut es meinen,
Biſt auch, wie ich, nur armer Leute Kind.
Doch haſt du klare Augen und die Deinen,
Und ich bin eine Waiſe und halb blind!
101
Hat ſchon der Hahn gekräht? ich hab’s verfehlt;
Oft ſchlaf ich feſt, wenn mich der Schmerz gequält.
Ob ſchon die Dämmrung ſteigt, ich ſeh es nicht,
Mir fährt’s wie Spinneweben am Geſicht;
Doch dünkt mich, hör im Walde ich Gebimmel
Und Peitſchenknall; was das für Fäden ſind,
Die mir am Auge ſchwimmen? lieber Himmel,
Ich bin nicht halb, ich bin beinah ſchon blind.
Hier iſt der Steg am Anger, weiter will
Ich mich nicht wagen, hier iſt Alles ſtill,
Und Thau genug für Kranke allzumal
Des ganzen Weilers, eh der Sonnenſtrahl
Mit ſeinem ſcharfen Finger ihn geſtrichen
Und aufgeſogen ihn der Morgenwind;
Doch iſt kein Zweiter wohl hieher geſchlichen;
Denn, Gott ſei Dank, nur Wenige ſind blind.
Das iſt ein Büſchel nein doch das iſt Gras,
Ich fühle meine Finger kalt und naß;
Johannes, heiliger Prophet, ich kam
In deinem werthen Namen her und nahm
Von jenem Thaue, den im Wüſtenbrande
Die Wolke dir geträufelt, lau und lind,
Daß nicht dein Auge in dem heißen Sande,
Nicht dein geſegnet Auge werde blind.
102
Gepredigt haſt du in der Steppengluth
So weißt du auch, wie harte Arbeit thut;
Doch arm und nicht der Arbeit fähig ſein,
Das iſt gewiß die allergrößte Pein.
Du haſt ja kaum geruht in Mutterarmen,
Warſt früh ein elternlos, verwaiſ’tes Kind,
Woll eines armen Knaben dich erbarmen,
Der eine Waiſe iſt wie du, und blind!
[103]

Denkblätter.

[104]105

An Philippa.

Im Oſten quillt das junge Licht,
Sein goldner Duft ſpielt auf den Wellen,
Und wie ein zartes Traumgeſicht
Seh ich ein fernes Segel ſchwellen;
O könnte ich der Möve gleich
Umkreiſen es im luſt’gen Ringen!
O wäre mein der Lüfte Reich,
Mein junge, lebensfriſche Schwingen.
Um dich, Philippa, ſpielt das Licht,
Dich hat der Morgenhauch umgeben,
Du biſt ein liebes Traumgeſicht
Am Horizont von meinem Leben;
Seh deine Flagge ich ſo fern
Und träumeriſch von Duft umfloſſen,
Vergeſſen möcht ich dann ſo gern,
Daß ſich mein Horizont geſchloſſen;
106
Vergeſſen, daß mein Abend kam,
Mein Licht verzittert Funk an Funken,
Daß Zeit mir längſt die Flagge nahm
Und meine Segel längſt geſunken;
Doch können ſie nicht jugendlich
Und friſch ſich neben deinen breiten,
Philippa, lieben kann ich dich
Und ſegnend deine Fahrt begleiten.

An ***

Auf hohem Felſen lieg ich hier,
Der Krankheit Nebel über mir,
Und unter mir der tiefe See
Mit ſeiner nächt’gen Klage Weh,
Mit ſeinem Jubel, ſeiner Luſt,
Wenn buntgeſchmückte Wimpel fliegen,
Mit ſeinem Dräu’n aus hohler Bruſt,
Wenn Sturm und Welle ſich bekriegen.
107
Mir iſt er gar ein trauter Freund,
Der mit mir lächelt, mit mir weint,
Iſt, wenn er grünlich golden ruht,
Mir eine ſanfte Zauberfluth,
Aus deren tiefem, klaren Grund
Geſtalten meines Lebens ſteigen,
Geliebte Augen, ſüßer Mund
Sich lächelnd tröſtend zu mir neigen.
Wie hab ich ſchon ſo manche Nacht
Des Mondes Wiederſchein bewacht!
Die klare Bahn auf dunklem Grün,
Wo meiner Todten Schatten zieh’n;
Wie manchen Tag den lichten Hang,
Bewegt von hüpfend leichten Schritten,
Auf dem mit leiſem Geiſtergang
Meiner Lebend’gen Bilder glitten.
Und als dein Bild vorüberſchwand,
Da ſtreckte ich nach dir die Hand,
Und meiner Seele ward es weh,
Daß dir verborgen ihre Näh;
So nimm denn meine Lieder nun
Als liebesrothe Flammenzungen,
Laß ſie in deinem Buſen ruh’n
Und denk ich hab ſie dir geſungen.
108

Das einzige Kind.

O ſchau, wie um ihr Wängelein
Ein träumendes Lächeln bebt,
Sieht ſie nicht aus wie ein Engelein,
Das über der Krippe ſchwebt.
Oft fürcht ich, ſie ſei für die Welt zu gut,
Sprich, Liebe, ſind wir wohl blind?
Ein wenig blind für das eigne Blut,
Unſer liebendes, einziges Kind?
Der Gatte fühlt den Meiſter und Herrn,
Giebt allen Mängeln ihr Recht,
Wie ſpielt er den Philoſophen ſo gern
Und wie geräth er ihm ſchlecht!
Nennt es ein Murmelchen anderen gleich,
Dran gar nichts zu loben iſt,
Indeß er ſtreichelt die Löckchen reich
Und ihm die Fingerchen küßt.
109

Schloß Berg im Thurgau*)Meinem väterlichen Freunde dem Grafen Theodor und meinen Freundinnen Emilie und Emma von Thurn-Valſaſſina gewidmet.

Ein Nebelſee quillt rauchend aus der Aue
Und duft’ge Wölkchen treiben durch den Raum,
Kaum graut ein Punkt im Oſten noch, am Thaue
Verloſch des Glühwurms kleine Leuchte kaum;
Horch, leiſes, leiſes Zirpen unter’m Dache
Verkündet, daß bereits die Schwalbe wache,
Und um manch Lager ſpielt ein ſpäter Traum.
Die Stirn gedrückt an meines Fenſters Scheiben
Schau ſinnend ich in’s duft’ge Meer hinein,
Und wie die hellen Wölkchen drüber treiben,
Mein Blick hängt unverwendet an dem Schein.
Ja, dort, dort muß nun bald die Sonne ſteigen,
Mir ungekannte Herrlichkeit zu zeigen;
Dort ladet mich der Schweizermorgen ein.
110
So ſteh ich wirklich denn auf deinem Grunde,
Beſungnes Land, von dem die Fremde ſchwärmt?
Du meines Lebens allerfrühſte Kunde
Aus einer Zeit, die noch das Herz erwärmt,
Als Eine
*)Auguſte, Gräfin von Thurn-Valſaſſina, Stiftsdame in Frecken - horſt, ſtarb an den Folgen des Heimwehs.
*), nie vergeſſen, doch entſchwunden,
So manche liebe, hingeträumte Stunden
An allzutheuren Bildern ſich gehärmt.
Wenn ſie gemalt, wie malet das Verlangen
Die Felſenkuppen und den ew’gen Schnee,
Wenn um mein Ohr die Alpenglocken klangen,
Vor meinem Auge blitzte auf der See,
Von Schloſſes Thurm, mit zitterndem Vergnügen
Ich zahllos ſah die blanken Dörfer liegen,
Der Königreiche vier von meiner Höh.
Mich dünkt, noch ſeh ich ihre blauen Augen,
Die aufwärts ſchau’n mit heiliger Gewalt,
Noch will mein Ohr die weichen Töne ſaugen,
Wenn echogleich ſie am Klavier verhallt,
Und drunten, wo die linden Pappeln wehen,
Noch glaub ich ihrer Locken Wald zu ſehen,
Und ihre zarte, ſchwankende Geſtalt.
111
Wohl war ſie gut, wohl war ſie klar und milde,
Wohl war ſie Allen werth, die ſie gekannt!
Kein Schatten haftet an dem reinen Bilde,
Man tritt ſich näher, wird ſie nur genannt,
Und über Thal und Ströme ſchlingt auf’s Neue
Um alles, was ſie einſt umfaßt mit Treue,
Aus ihrem Grabe ſich ein feſtes Band.
Euch, ruhend noch in dieſer frühen Stunde,
Verehrter Freund und meine theuren Zween,
Emilia und Emma, Eurem Bunde
Gewiß wird lächelnd ſie zur Seite ſteh’n.
Ich weiß es, denkend an geliebte Todten,
Habt ihr der Fremden eure Hand geboten,
Als hättet ihr ſeit Jahren ſie geſeh’n.
Schlaft ſanft, ſchlaft wohl! Ich aber ſteh und lauſche
Nach jedem Flöckchen, das vergoldet weht;
Iſt’s nicht, als ob der Morgenwind ſchon rauſche?
Wie’s drüben wogt und rollt, und in ſich dreht;
Nun breitet ſich’s, nun ſteht es über’m Schaume;
Was ſteigt dort auf? ein Bild aus kühnem Traume,
O Säntis, Säntis, deine Majeſtät!
112
Biſt du es, dem ringsum die Lüfte zittern,
Du weißes Haupt mit deinem Klippenkranz?
Ich fühle deinen Blick die Bruſt erſchüttern
Wie über’m Duft du rieſig ſteh’ſt im Glanz;
Ja, gleich der Arche über Wogengrimmen
Seh ich in weiter Wolkenflut dich ſchwimmen,
Im weiten, weiten Meere, einſam ganz.
Nein, einſam nicht dort taucht es aus den Wolken,
Cäſalpiana hebt die Stirne bleich;
Dort ragt der Glärniſch auf; dort ſeh ich’s ſchwellen,
Und Zack an Zack entſteigt der Flut zugleich;
O Säntis, wohl mit Recht trägſt du die Krone,
Da ſieben Fürſten ſteh’n an deinem Throne,
Und unermeßlich iſt dein luftig Reich.
Tyrol auch