Das Abendroth war ſchon zerfloſſen,
Wir ſtanden an des Weihers Rand,
Und ich hielt ihre Hand geſchloſſen
So feſt in meiner kalten Hand:
So müſſen wir denn morgen ſcheiden,
Das Schickſal würfelt mit uns beiden,
Wir ſind wie herrenloſes Land.
Von keines Hauſes Pflicht gebunden,
Meint Jeder nur, wir ſeien grad
Für ſein Bedürfniß nur erfunden,
In Noth das hülfbereite Rad.
Was hilft es uns, daß frei wir ſtehen,
Auf keines Menſchen Hände ſehen,
Man zeichnet täglich uns den Pfad.
46Wo dicht die Bäume ſich verzweigen,
Da zögert nicht des Wandrers Stab,
Wo tauſend Nachbaräſte neigen
Sich ſchützend um den Stamm herab;
Doch drüben ſieh die einzle Linde,
Ein Jeder ſchreibt in ihre Rinde,
Und Jeder bricht ein Zweiglein ab.
O hätten wir nur Muth zu walten
Der Gaben, die das Glück beſcheert!
Wer darf uns ſtören, darf uns halten,
Und wehren uns den eignen Heerd? —
Wir leiden nach dem alten Rechte,
Daß, der ſich ſelber macht zum Knechte,
Iſt nicht der goldnen Freiheit werth.
Zieh’ hin, wie du berufen worden,
In der Campagna Glut und Schweiß,
Und ich will ſteh’n in meinem Norden,
Zu ſiechen unter Schnee und Eis.
Nicht würdig ſind wir beſſrer Tage,
Und daß nur Keins dem Andern klage,
Schweige, wer nicht zu kämpfen weiß.
47So ward an Weihers Rand geſprochen,
Im Zorne halb und halb in Pein;
Wir hätten gern den Stab gebrochen
Ob all den kleinen Tyrannei’n.
Und als die Regenwolken ſtiegen,
Da ſprachen erſt wir mit Vergnügen
Uns in den Aerger recht hinein.
So lang die Tropfen einzeln fielen,
War’s Stoff ja nur für unſern Trutz,
So recht als von des Schickſals Spielen
Zum Schaden uns und keinem Nutz.
Doch als der Himmel Schloßen ſtreute,
Da machten wir’s wie andre Leute
Und ſuchten auf der Linde Schutz.
Hier ſtand ein Häuflein dicht beiſammen,
Sich ſchauernd unter’m Blätterdach;
Die Wolke zuckte Schwefelflammen
Und jagte Regengüſſe nach.
Wir hörten’s auf den Blättern rauſchen
Und konnten ganz behaglich lauſchen
Aus unſerm laubigen Gemach.
48Fürwahr, ein armes Völklein war es,
Das hier dem Wetterſturm entrann,
Ein dürrer Jud gebleichten Haares,
Mit ſeinem Hund ein blinder Mann,
Des Frohners Weib mit blonden Löckchen,
Und dann mit ſeinem alten Röckchen
Der kleine hinkende Johann.
Und alle ſah’n bei jedem Blitze
Vertrauend an den Stamm hinauf,
Behaglich rückend ſich im Sitze
Und drängten lächelnd ſich zu Hauf;
Denn wie gewalt’ger ſchlug der Regen,
So breiter warf dem Sturm entgegen
Der Baum die grünen Schirme auf.
Der Baum, der keines Menſchen Eigen,
Verloren in der Haide ſtand,
Nicht Früchte trug in ſeinen Zweigen,
Nicht Nahrung für des Heerdes Brand;
Der nur gepflanzt von Gottes Händen,
Dem müden Frohner Schutz zu ſpenden,
Dem Wandrer in der Steppe Sand.
49Er kämpfte muthig und mit Treuen
Zu ſchützen, was ſich ihm vertraut,
Und rauſchend ſchien er ſich zu freuen
Des Glaubens, der auf ihn gebaut;
Ich fühlte ſeltſam mich befangen,
Beſchämt mit hocherglühten Wangen
Hab’ in die Krone ich geſchaut.
Zur Freundin ſah ich, ſie herüber:
Wohl Gleiches dachten wir vielleicht,
Denn ihre Mienen wurden trüber
Und ihre lieben Augen feucht;
Doch haben wir kein Wort geſprochen,
Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen,
Und ſtill die Hände uns gereicht! —