PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ueber den altdeutſchen Meiſtergeſang.
[figure]
pruͤfe uns die blumen den kle ((der von Singenberg 1. 157.) )
Goͤttingenbei Heinrich Dieterich1811.

Meinen zwei lieben Bruͤdern Wilhelm und Ferdinand Grimm zugeeignet aus Treue, Liebe und Einigkeit.

[1]

Ueber den altdeutſchen Meiſtergeſang.

[2][3]

Vorrede.

Die gegenwaͤrtige Abhandlung iſt polemiſcher Art und war noch zudem darauf angelegt worden, in derſel - ben Zeitſchrift zu erſcheinen, worin bereits ihre Veran - laſſung gedruckt ſteht. Daher ruͤhrt der groͤßten Theils gegebene und beſchraͤnkte Plan, daher eine beabſichtigte Kuͤrze, an die gleichwohl manche Leſer nicht glauben wer - den und die auch weniger im Einhalten der Worte, als der Sachen liegt. Namentlich wurde es unvermeidlich, die Beweisſtellen zu excerpiren, deren woͤrtliches Ein - ruͤcken zwar einiges anſchaulicher gemacht, aber eine Menge Raum gekoſtet haͤtte. Als ich mich nun auf meines Gegners eigene Einladung an die berliner Heraus - geber des altdeutſchen Muſeums wendete, und den bal - digen Abdruck meines laͤngſt fertigen Auſſatzes auszuma - chen wuͤnſchte, moͤgen einige zu ſpaͤt angekommene Briefe die erwartete Antwort hintertrieben haben. Wenigſtens, da ſie endlich eintraf, hatte ich bereits mit einem Ver - leger die beſondere Erſcheinung verabredet; es war mir eigen zuwider, den ſchon durch andere Zufaͤlle aufgehal - tenen Streit meinerſeits laͤnger liegen zu laſſen. Denn es ermuͤdet gleich einer anhaltend fortgeſetzten Arbeit,A 24wenn man eine an ſich bereitete und erwartete ruhig auf - heben ſoll, ohne daß man Zeit oder Luſt gewinnt, ſie von neuem vorzunehmen, wozu es an Veranlaſſung und Reiz bei einem ſolchen Gegenſtand gar nicht fehlen kann.

Dieſer iſt einer der trockenſten und verwickeltſten in der altdeutſchen Poeſie uͤberhaupt und in keiner Hinſicht dem ſchon in der Arbeit uͤberall erfreuenden und im Re - ſultat viel reicher lohnenden Studium der poetiſchen Sa - gen an Seite zu ſetzen, welchem ich meine hauptſaͤchlichſte Neigung zugewendet. Sollte indeſſen die hier gelieferte Entſcheidung von den Kennern unſerer Literatur gebilligt werden, ſo gedenke ich in der Folge noch einmal etwas beſſeres und ich kann wohl ſagen, fuͤr mich viel leichteres, in der Sache zu thun. Ich werde dann ſo manches aus - laſſen koͤnnen, was jetzt der Streit erforderte, und dafuͤr anderes ausarbeiten, woran ich jetzt nicht kommen durfte. Die Irrthuͤmer, die in dem doch uͤberall zu beruͤhrenden Einzelnen leichtlich untergelaufen ſind, will ich alsdann, ſo viel an mir, ſelber berichtigen oder die Zurechtweiſung anderer dankbar erkennen. Mein Verzeichniß aller Toͤne des aͤlteren und neueren Meiſtergeſanges iſt ſchon jetzo ziemlich vollſtaͤndig, ich muß es aber mitzutheilen auch noch verſparen, weil es bloß die unbequeme Anordnung der Bodmeriſchen Sammlung entweder unnoͤthig weitlaͤuf - tig oder unſicher machen wuͤrde, da ich nicht einmal die einzelnen Lieder, geſchweige denn die Strophen anders als nach Blattſeite und mit Bezeichnung der Anfaͤnge citiren koͤnnte, wie auch in vorliegender Abhandlung ge - ſchehen.

5

Ich benutze den hier vergoͤnnten Raum, meine Ge - danken uͤber einige ſchwere Puncte zu bekennen, viel - leicht daß dadurch einige Seiten meines Aufſatzes ver - vollſtaͤndigt werden. Man mag darein ſtimmen oder nicht, ich bin mir bewußt, nichts mehr zu meiden, als ein todtes ſyſtematiſches Feſtſtehen in der Geſchichte der Poeſie, wo eine Idee, nachdem ſie lange ſcheint unter - gegangen zu ſeyn, ſich noch ploͤtzlich einmal regt und ein lang geſchwiegener Ton leiſe nachhallt, wo alles in ein - ander greift und verwandt iſt, wie in aller Natur ſelbſt, die zwei edle Metalle, Gold und Silber, in einer Erde wachſen laͤßt.

Ich habe einigemal den Unterſchied zwiſchen Natur und Kunſtpoeſie beſtimmt vorausgeſetzt. Die Verſchie - denheit deſſen, was unter dem ganzen Volk lebt, von allem dem, was durch das Nachſinnen der bildenden Menſchen an deſſen Stelle eingeſetzt werden ſoll, leuchtet uͤber die Geſchichte der Poeſie, und dieſe Erkenntniß al - lein verſtattet es uns, auf ihre innerſten Adern zu ſchauen, bis wo ſie ſich flechtend in einander verlaufen. Es iſt, als ziehe ſich eine große Einfachheit zuruͤck und verſchließe ſich in dem Maße, worin der Menſch nach ſeinem goͤtt - lichen Treiben ſie aus der eigenen Kraft zu offenbaren ſtrebt. Da nun die Poeſie nichts anders iſt, als das Leben ſelbſt, gefaßt in Reinheit und gehalten im Zauber der Sprache, (welche in ſo fern mit Recht eine himmli - ſche genannt und der Proſa entgegengeſtellt werden darf,) ſo theilt ſie ſich in die Herrſchaft der Natur uͤber alle Herzen, wo ihr noch jedes als einer Verwandtinn ins6 Auge ſieht, ohne ſie je zu betrachten; und in das Reich des menſchlichen Geiſtes, der ſich gleichſam von der erſten Frau abſcheidet, als deren hohe Zuͤge ihm nach und nach fremd und ſeltſam daͤuchen. Man kann die Naturpoeſie das Leben in der reinen Handlung ſelbſt nennen, ein lebendi - ges Buch, wahrer Geſchichte voll, das man auf jedem Blatt mag anfangen zu leſen und zu verſtehen, nimmer aber auslieſt noch durchverſteht. Die Kunſtpoeſieiſt eine Ar - beit des Lebens und ſchon im erſten Keim philoſophiſcher Art.

In den Heldengeſaͤngen reicht nur noch ein Zweig aus der alten Naturpoeſie in unſer Land heruͤber, die Freude, das Eigenthum des Volks an ſeinen geliebten Koͤnigen und Herren muß ſich, ſo zu ſagen, von ſelber an und fortgeſungen haben. Ueber der Art, wie das zugegan - gen, liegt der Schleier eines Geheimniſſes gedeckt, an das man Glauben haben ſoll. Denn die Leugner, die ſich dafuͤr lieber mit einer duͤrren Wahrſcheinlichkeit behelfen wollen, bringen Syſteme auf, welche man mit Wahrheit widerlegen kann und nach denen ih - nen nichts uͤbrig bleibt. Dieſe Unbewußtheit der Tiefe iſt es auch, was die alten großen Lieder auf die ſpaͤteſten des Volks geerbt haben. Alle ſagen ein Leben, ein Freuen und Leiden aus1)In des Nibelungenlieds hertlichem Eingang iſt die vollſtaͤndige Idee des Epos ausgeſprochen., das an ſich hoͤchſt klar vor uns liegt, allein ſie thun es ſo, in Gleichniſſen mehr denn in Wor - ten, daß außer der Klarheit noch eine reine tiefe Bedeu - tung erſcheint. Vielleicht iſt es eine verſchiedene Weiſe, worin wir jetzo die alte Poeſie genießen. Die Vorfah -7 ren ſchauten in dem Brunnen ſich ſelbſt und ihr Leben, wir fuͤhlen das nur hiſtoriſch mit und nach, allein zugleich ſenken wir in die Tiefe ein.

Man muß auch fragen: wer es denn uͤbernehme, die Poeſie zu verwalten? wer ſie gleichſam anzugreifen wage, weil ſie doch da iſt, und den Klang zu ruͤhren, der in der Saite verborgen ruht? Die Poeſie iſt kein Eigenthum der Dichter2)Es iſt zu beachten, daß eine in ſich beziehungsvolle Sage von dem durch Schlauheit entwundenen, von der ſtaͤrkeren Kunſt des Dichters aber wieder behaupteten Liedereigenthum, nirgends von einem Volksdichter vorkommt. So findet ſie ſich von dem indiſchen Hofſaͤnger Kalidas und mit aͤcht ſagenhafter Abwei - chung von Virgilius, und wieder vom Provenzalen Arnoldo Daniello. Moderner Nachſage, als truͤber Quelle entfloſſen, hier zu uͤbergehen. und das zu keiner Zeit weni - ger geweſen als in der epiſchen, da ſie, ein Blut, den gan - zen Leib des Volks durchdrungen. Niemand weiß von Dichtern, geſchweige daß es die Nachwelt erfahren ſollte, aber die Saͤnger ziehen in Haufen herum, und wem eine toͤnende Stimme zu Theil geworden, oder wer in ein treueres Gedaͤchtniß alte Lieder und Sagen niederlegen kann, da ihm das Licht der Augen entzogen wor - den, der tritt hin vor Koͤnig und Volk und ſingt fuͤr Ehre und Gaben. Es hat auch keinen Zweifel, (ſo ge - wiß duͤrfen wir uͤber unbekannte Dinge urtheilen,) daß Erbſchaft und Lehre das Amt des Geſanges fortpflanzten, weil in der Lehre die natuͤrliche Verehrung des Alters und in dem Stand die natuͤrliche Erbſchaft der Jugend liegt. Beides, daß der Saͤnger keiner hohen Abkunft und an keinem feſten Ort geſeſſen iſt, bringt alſo die Sache mit,8 und der herrliche Held und Spielmann Volker war doch ſelbſt eines Koͤnigs Dienſtmann geweſen. Ferner, Lehre und Sitte hielt die Saͤnger zuſammen, und der Gebrauch mag einer der fruͤheſten ſeyn, weil er ſo ganz einfaͤltig iſt, daß ſie unter ſich ein Reich ſtifteten, ein Haupt hatten und es ihren Koͤnig nannten. So iſt der Dienſt der Poeſie in alter Zeit geſchehen.

Daß in dem erbluͤhenden Minneſang eine eigen - thuͤmliche Kunſt zu walten anfange, habe ich mich zu zeigen bemuͤht und eben damit den Urſprung des Mei - ſtergeſangs geſetzt. Und doch moͤchte man in gewiſſer Hinſicht dieſe Poeſie kein Eigenthum der Dichter nennen. Unter andern iſt offenbar, daß nie eine Poeſie frauen hafter geweſen, als dieſe war, mit ihrer unermuͤdlichen Blumenliebe, mit ihrem ſtillen Glaͤnzen. Wer wollte noch Zweifel tragen, daß in dem Gemuͤth der Frauen damals ganz eine ſolche Welt geſtanden und tauſend ſol - cher Klaͤnge erklungen haben? Welche Herzenliebe (das bedeutet Minne) werden ſie ſich in all ihrer Heimlichkeit erdacht, weiches Herzenleid geklagt haben, zaͤrter als es je ein Mann geſungen! Auszuſprechen[fiel] aber jenen niemals bei, ihr Leben blieb ihr Dichten und Trachten, ihre Ohren oͤffneten ſich den Liedern mit Dank und Glau - ben, welche die Maͤnner, als einzige Pfleger der Poeſie vor ihnen ſangen. Auf der andern Seite habe ich ausgefuͤhrt, wie in eigener Kunſt der Reime der Dich - ter ein Eigenthum zu ſchaffen und ſeine Kraft zu be - weiſen ſtrebte. Aber ungeachtet der allgemeinen Empfaͤng - lichkeit fuͤr die neue Dichtkunſt, uͤberhoben ſich doch die9 Meiſter nicht ſo, daß ſie nicht mehr haͤtten damit dienen wollen; ihr ganzer Sinn ſtand zu den Hoͤfen, wo ſie an einigen ſolche Beguͤnſtigung erfuhren, als ſie hernach nur etwa in Italien vorkommt, denn deutſcher Adel, Fuͤrſten und Koͤnige nahmen an der Lieblichkeit des Min - negeſanges lange Zeit ihren eigenen Theil. Als aber die ewige Wiederkehr in die dageweſenen Toͤne die Beſchuͤtzer muͤde machte, ſo ſangen faſt bloß arme Dichter, klagend uͤber die abnehmenden Gaben. Da wandten ſie ſich vom Lieben aufs Loben, von Minne auf Ehrenlieder, ohne je damit rechte Wurzel zu faſſen, bis ſie zuletzt die Hoͤfe ſeyn ließen und ihre zu lieb gewonnene Kunſt in den Staͤdten anſetzten. In der geſellſchaftlichen, urſpruͤnglich von den Volksdichtern mitgebrachten Verbindung und in der ſich immer mehr dehnenden Reimkunſt habe ich den Samen nicht verkannt, woraus ſich die lange Dauer und das unergoͤtzliche Alter des Meiſtergeſangs entfal - tete. Nichts deſto weniger, und bei mancher Verwor - renheit, iſt der ſpaͤtere Meiſtergeſang nicht ohne das geweſen, was man in den Geſellſchaften das gute deut - ſche Princip nennen moͤchte; hieruͤber wuͤnſche ich nicht mißverſtanden zu werden.

In den Geſellſchaften herrſchen eigentlich zwei Ele - mente. Das gute iſt ein inneres, die Liebe, welche bin - det und haͤlt. Das andere ein aͤußeres und boͤſes, wenn der Eingang ohne Weihung iſt und ſich die Zeichen zu ſehr erheben. So wie der Staat einzig und allein in dem Worte: Vaterland, verſtanden wird, und ohne die Einheit der bis zum Tod bereiten Herzen alles Recht und10 alle Sicherheit eine elende Einrichtung bleibt, ſo ſtirbt alle Verbindung oder hat nie gelebt ohne jenen befruch - tenden Thau. Je mehr wahrer Geſellſchaften ein Staat zaͤhlt, deſto gluͤckſeliger iſt er zu preiſen, weil da kein Staat im Staate iſt, wo Liebe in Liebe wohnt.

Man hat neuerdings das Weſen deutſcher Univerſi - taͤten erkannt und faßt alles darin zuſammen, daß Freund - ſchaft die Herzen ſtaͤrkt und freut, und der allerſeits an - geregte Geiſt auf den Punct gebracht wird, dem er ſich frei und unabhaͤngig auf ſein Leben ergeben ſoll. Wo - gegen der Begriff der Aeademieen in ſeiner Nichtigkeit he[r]vortritt, weil es ihnen an gemuͤthlicher Gemeinſchaft und Betriebſamkeit mangelt.

Die Natur anderer deutſchen Einrichtungen iſt erſt noch anzuerkennen. Den innern feſten Bau der Hand - werkszuͤnfte bezeugt ihre Haltſamkeit, ſeitdem alle Ver - folgung uͤber ſie ergangen, nachdem man faſt alle Zeichen ihrer Luſt ihnen abgeriſſen, mit dem Untergang gedroht und wirklich Hand angelegt hat. Unter dieſen Hand - werkern hatte ſich Froͤmmigkeit und Tugend erhalten3)Auf dem Reinhalten ruht alle Reinheit, leiſes Anruͤhren verletzt die Schamhaftigkeit am erſten, man kann den Anſtand abbla - ſen, waͤhrend man ihm noch gar nichts genommen zu haben meint. Das bleibt ein Grund gegen alle Miſchung der Katho - liken mit den Proteſtanten, der Chriſten und Juden und gar wohl der Tuͤrken. Es iſt Thatſache, ſeitdem die Zuͤnfte gezwun - gen worden, uneheliche Kinder aufzunehmen, daß dieſer ſo viel geworden ſind, daß viel mehr als ſonſt uͤbrig bleiben, die zu kei - nem Handwerk gelangen., und von Sinn und Erfindung haben ſie aller Welt mehr Beiſpiel gegeben, als auswaͤrtige, bei denen die beſte11 Kraft ſich auf Plane zu Gelderwerb, ſtatt auf ein ehr - liches Auskommen gewendet. Die Poeſie geht aus hei - liger Stille des Gemuͤths auf, aus unter die Menſchen, und ſoll darum in keinen aͤußeren Banden liegen. Ich will hier nicht den Unſinn der vielen Dichtergeſellſchaften herbeiziehen und ſtrafen, aber die Meiſterſaͤnger damit entſchuldigen, daß, nachdem ſchon alle ihre Regel aus den wahren Schranken getreten war, die bloße Foͤrm - lichkeit auf die Reinheit ihrer Sitten gewirkt und ein Band geſtiftet hat, werther denn ihre Kunſt war. Der Meiſtergeſaug zeigt ſich mithin als ein Mittel mehr, welches auf den Bund der Buͤrger wohlthaͤtig gewirkt hat. Ihre Kunſt trieben ſie fern von aller Anmaßung und in Ver - ehrung ihrer Lehrer. Wenig Dichter haben, z. B. die letztere ſo herzlich dargegeben, als Puſchmann, wenn er den Meiſter im Traum erblickt in einem wunderſelt - ſamen Gartenhaͤuslein ſitzen, weiß von Alter wie eine Taube, er neigt ſich bloß, er hoͤrt nicht und antwortet auf keine Frage mehr, nur der Sinn des Geſichts iſt ihm unvergangen, das braucht er, in dem goldbeſchla - genen heiligen Werk bis an ſein ſeliges Ende zu leſen. Dieß alles iſt zugleich die reinſte Poeſie. Man iſt leicht damit fertig geweſen, die Geſchmackloſigkeit und Trok - kenheit der ſpaͤteren Meiſterſaͤnger zu tadeln, hat aber dabei die Ehrlichkeit und Selbſtverkennung ganz uͤberſe - hen, womit ſie ihre fromme Kunſt uͤbten. Die bibli - ſche Geſchichte kam ihnen in der eckigten Einfaſſung neu ehrwuͤrdig vor; haͤtte man nach ihrer Poeſie ge - fragt, ſo wuͤrden ſie freudig auf ſolche Meiſtergeſaͤnge12 hingezeigt haben. Dieſe copirten ſie fleißig und zierlich ab, waͤhrend es ihnen nicht beifiel, das aufzuſchreiben, was von wahrem Dichten in jedem ſtillen und kraͤftigen Leben vorkommen muß, und das zu einer Zeit, da ſich treffliche Buͤcher in Proſa genug fanden, mitten darun - ter alte herrliche Lieder fortlebten und neue geſungen wurden. In ein ſchlechtes dunkeles Bretterhaus weiß dennoch die Poeſie, gleich der Sonne, durch einen Ritz oder ein Aſtloch warm und mildthaͤtig herein zu bre - chen. Ueberhaupt muͤßte ſich von mehreren Seiten aus die Geſchichte des deutſchen Handwerkerweſens recht intereſſant ſchreiben laſſen.

Caſſel, am 19. Auguſt 1810.

J. G.

13

Einleitung.

Ich halte es fuͤr beſonders nothwendig, den Leſer in den Geſichtspunct zu bringen, worin ein zwiſchen Herrn Docen in Muͤnchen und mir uͤber das Verhaͤltniß des Minneſangs zum Meiſtergeſang gepflogener literaͤriſcher Streit Anfangs geſtanden, und wie er ſich nunmehr gewendet hat. Ob ich naͤmlich gleich den erſten Band des altdeutſchen Muſeums in den Haͤnden aller Freunde altdeutſcher Literatur vorausſetzen darf, und darin mein Gegner nicht nur ſeinen erſten Aufſatz gaͤnzlich, ſondern auch die meinigen groͤßten Theils und auszugsweiſe wiederum abdrucken laſſen, ſo muß gerade eine einfache Darſtellung der Sache den Lefern jener Zeitſchrift ſelbſt zu einem Beduͤrfniß geworden ſeyn.

Wenige Zeilen, die ich vor einigen Jahren (1807.) in dem neuen liter. Anz. erſcheinen ließ, hatten die Abſicht, Quellen und Huͤlfsmittel zu erwecken, welche fuͤr eine gruͤndliche Aus - einanderſetzung der nachſtehenden Meinung erſt gebraucht wer - den mußten. Ich ſtellte auf, daß man in der Geſchichte un - ſerer altdeutſchen Poeſie falſch verfahre, wenn man die Mei - ſterfaͤnger von den fruͤheren Minnedichtern trenne, fuͤr welche Trennung man nicht einmal eine beſtimmte Zeit anzuſetzen wiſſe, beide ſeyen identiſch, und ihrem Grundweſen nach, das ich in nichts anders, als in die bisher mehr an den Meiſterfaͤngern verachtete, wie an den Minneliedern bewunderte, in keinen von beiden aber recht verſtandene Kuͤnſtlichkeit legen konnte.

Die von Herrn Docen in demſelben Blatt dagegen ein - geruͤckte Beſtreitung, halte ich, aufrichtig zu geſtehen, noch jetzo fuͤr eigens unklar geſchrieben, und daß ein gewiſſer ab - thuender Ton abſichtlich ſtreitentzuͤndend geweſen ſeyn ſoll (S. 81.)14 mag ebenſo auf ſich beruhen, als ich die nunmehrige Beſchei - denheit gewiß noch hoͤher achten wuͤrde, wenn ſie nicht nach jener Conſequenz, da ſie auch auf mich ausgeſtreckt worden iſt (S. 76.)1)Es iſt bei dieſer Stelle vermuthlich auf zwei Aufſaͤtze der Her - ren von Hagen und Buͤſching abgeſehen, worin dieſe ihre Meinung uͤber den ſtreitigen Punet niedergelegt. Sie ſtehen im erwaͤhnten lit. Anz. 1808. gedruckt., fuͤr uns beide etwas Niederſchlagendes haben muͤßte. Er erklaͤrte aber in jener Abhandlung hin und wieder im Weſentlichen: man muͤſſe, als woruͤber ich ganz hinausge - gangen, auf die Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde des Meiſter - und Minnegeſangs Acht geben, eine Form habe am Ende je - der Sang, allein das Lied fuͤr ſeine Gefuͤhle verlange eine ganz andere, wie die ernſihafte Betrachtung; und wenn in den Minneliedern Wohllaut herrſche, ſo ſey in den Meiſtergeſaͤngen ſtrenges Bauwerk wahrzunehmen, daher die Form anlangend, jene ſich in harmoniſchen Weiſen darſtellen, dieſe in beſchloſſe - nen Strophen. Ich moͤge einmal fuͤr meine Meinung in der ganzen Sammlung der Minnedichter von Veldeck an ein Lied aufweiſen, das mit den Meiſterſaͤngen eines Frauenlob oder Folz formell uͤbereinkomme, und finde ſich etwa Aehnlichkeit, ſo ſey ſie gewiß zufaͤllig; was ſpaͤter Verabrodung, Regel, fruͤ - herhin nur eine Zierde der Kunſt. Alles das laſſe ſich an dem Versmaß eines erzaͤhlenden beruͤhmten Gedichts, des Tyturel, ins Klare bringen, ob dieß gleich kein Meiſterſaͤngerton, ſo liege doch der Keim dazu in ihm vorgebildet2)Die Unſchicklichkeit in dieſem gerade etwas anomalen Ton eine Weiſſagung des ſpaͤteren M. G. zu erblicken, hat Docen her - nach ſelber erkannt. Davon unten mehr., es ſey ein epiſch-lyriſcher. Was die Namen betreffe, Minneſaͤnger ſolle man abſchaffen, da dieſe Dichter mannichmal auch andere Sa - chen beſungen, dafuͤr aber die aͤlteren Meiſter Meiſterſin - ger und die ſpaͤteren, wie uͤblich, Meiſterſaͤnger nennen. 15[Auf] die Handwerker ſeyen auch nach dem 14. J. H. einige Formen uͤbergegangen, doch beide ganz verſchieden.

In dieſem offenbar einem fruͤheren Papier (das woͤrtlich ausgezogen wird) zu Gefallen geſchriebenen Aufſatz, war mir das Schwanken zwiſchen dem Erkennen der alten bisher igno - rirten Meiſter, und doch wieder das Verwerfen und Umgehen alles deſſen, was ſie mit den ſpaͤtern gemein machen ſollte, faſt unerklaͤrlich, mitunter unverſtaͤndlich. Dieſe Ungewißheit ſuchte ich nun vornehmlich durch eine Reihe innerer und hiſto - riſcher Beweiſe zu vernichten; auf Namen machen kam es nicht an, die vorgeſchlagenen, im Dialect verſchiedenen, in der Sache gaͤnzlich nichts ſagenden waren ohnedas dem menſchlichen Ge - daͤchtniß hoͤchſt verwirrlich, und Herr Docen wird ihnen ohne Muͤhe entſagen3)Ich ſchlage ſonſt gleich vor, den Geſang in Liet und Lied zu unterſcheiden, unter erſtem das epiſche, unter letztem das lyriſche zu verſtehen. Uebrigens ſchreibt Wagenſeil u. a. beſtaͤndig unſer Wort mit einem i, und nicht .. Allein deſto angelegentlicher beſtand ich darauf, daß es hier gerade nicht auf die Gegenſtaͤnde des Geſanges ankomme, uͤberhaupt und zwar nothwendig alle er - wachende Kunſtpoeſie an Toͤnen und Farben haͤnge, und eben dieſer vernachlaͤſſigte Punct in der Geſchichte unſerer Poeſie zu bearbeiten ſey. Daß aber in den fruͤheren, wie den ſpaͤ - ten Dichtern ein nicht bloß aͤhnliches, ſondern gleiches Princip der Foͤrmlichkeit regiere, bewies ich durch Beiſpiele4)Den Marner und Bremberger, beide ſtehen in der mane - ßi[ſch]en Sammlung, ich konnte aber viel wiſſen, ob ſie Docen fuͤr Minne - oder Meiſterſinger gelten haben will. Es hat ſich gezeigt, daß er wohl den erſten fuͤr einen ſolchen nimmt, nicht aber den Reinman von Brennenberg. und da uͤberdieß noch andere, aͤltere und neuere Zeugniſſe, die ich zu - ſammen ſtellte, hinzukamen, ſo glaubte ich meine Anſicht um ſo mehr gerechtfertigt, als ohne Schaden des Ganzen allen -16 falls einige ſpecielle Beweiſe wegfallen konnten. Daß Meiſter - gefang an ſich unlyriſch ſeyn ſollte, verwarf ich mit demſelben Grunde, wodurch ich ein gleiches Schickſal von dem Sonett abhielt, das ſich in unſern Streit ganz unſchuldig, wiewohl gar nicht zum Vortheil des Gegners, zu verlaufen ſchien.

In der gleich damals angekuͤndigten, jedoch erſt vor kur - zem (im altdeutſchen Muſeum Heft 1 u. 2.) erſchienenen neuen Erwiederung Docens iſt nicht ſowohl die unternommene ge - naue Pruͤfung, die manchmal ſcharfſinnige Umwendung einiger literariſchen Beweisſtellen zu beruͤckſichrigen, Hauptfache iſt die von dem Gegner ergriffene, eigene Meinung. Jene Stellen waren noch ſehr unvollſtaͤndig, ungenau und in Eile, aus Eifer einen nicht ganz gerechten Angriff abzuwehren, niedergeſchrie - ben worden, und mußten mancherlei Einwendungen bloßgege - ben ſeyn; ich hatte das Gefuͤhl, daß es mir eben noch um mehr Huͤlfe und Aufklaͤrung zu thun ſey, ſchon durch die erſte Veranlaſſung gezeigt. Geſetzt nun, es waͤre Docen ge - lungen, alle dieſe Gruͤnde zu widerlegen, ſo noͤthigten ſie ihn doch mit ſeiner eigenen Anſicht der Sachen herauszutreten, und was hat er als eine ſolche gegeben? Folgendes: unter den Dichtern, die man ſeither pflegt Minneſaͤnger zu nennen, gibt es auch unſtreitig Meiſterſinger, die uͤbrigen ſind aber bei weitem keine geweſen. Nun muß man gleich fortfragen, weil doch nichts an den Namen liegt, beſonders wo ſie nicht recht bewieſen werden: worin unterſcheiden ſich dann dieſe bei - derlei Dichter von einander, welche zu einerlei Zeit lebten und deren Gedichte ſich auf ein Haar gleichen? Gerade uͤber die - ſen Hauptpunct wird nirgends beſtimmt geſprochen, und alles was ich muͤhſam aus der ganzen Abhandlung zu gewinnen ſuche, iſt: Dieſe aͤlteren Meiſterſinger waren arme, an Fuͤr - ſtenhoͤfen umfahrende Ritter oder Buͤrgerliche, die ſich gewiſſe Regeln machten und fuͤr Lohn ſangen. Die eigentlichen17 Minneſaͤnger ſind die Koͤnige, Herzoge, Fuͤrſten, Grafen und reiche Edelleute5)Auch von der Hagen definirt den Minneſang: eine freie adeliche Kunſt. Nur eine Thatſache dagegen: zweifelt er wohl an der Armuth und der Noth, etwas zu verdienen, die der Minneſaͤnger Geltar ſo deutlich ausſpricht?, welche Poeſie uͤbten aus freier Luſt und Ueppigkeit, nichts damit erwerben wollten, dabei ſich ſchoͤne Neigung aber keine Regel zeigt. Daß ſie nicht wandern, ſon - dern an ihren Hoͤfen ſitzen bleiben, verſteht ſich hiernach na - tuͤrlich auch.

Nun moͤchte ich vor allem wiſſen, ob Docen in den Minneliedern ſelbſt, ſey es an ihrer Form oder dem Inhalt, Anlaß zu dieſem ſehr auffallenden, dem Anſchein nach ganz un - noͤthigen, Unterſchied entdeckt, oder ob ihn vielmehr die aus aͤußern Zeugniſſen wenigſtens hervorgehende, alſo von ihm nicht abgeleugnete, Exiſtenz6)Dieſe will ſchon in ſeiner erſten Aeußerung Docen nicht ge - leugnet haben, allein dagegen halte man, was er noch jetzo in der zweiten ſagt, ſie waͤren recht beſehen keine eigentliche Mei - ſterſaͤnger u. ſ. w. Ohnedem waͤre es mir unmoͤglich geweſen, den Ausweg, den er ſpaͤter genommen, oder doch erſt ausge - ſprochen, fruͤher zu ahnen, und das Verwerfen meiner Anſicht war ſo beſtimmt und die billigende Erwaͤhnung der alten Mei - ſter ſo zweifelhaft. Ich ziehe hierher auch die ſonderbare, aber deutliche Neigung, unter meinen Beweismitteln ſelbſt die zu entkraͤften, welche doch auch die Exiſtenz ſeiner eigenen alten Meiſter haͤtten beweiſen muͤſſen. Bei der Unſicherheit ſeiner Meinung uͤber den aͤlteren Meiſtergeſang haͤtte er um ſo weni - ger eine Bemerkung uͤber deſſen Beſtimmung zuruͤck behalten ſollen. (S. 448, 449.) der alten Meiſter gezwungen habe, ſich in eine ſolche Paradoxie und damit wenigſtens ſeine vor - nehmen Minneſinger vor dem unangenehmen Meiſterweſen zu retten? Letzteres muß durchgehends ſcheinen, denn waͤre eine Verſchiedenheit in der Sache ſelbſt zu ſehen, ſo koͤnnte er eine genaue Liſte aller Meiſterſinger geben, und haͤtte ſie in ſeinem bei der Gelegenheit ausgearbeiteten Dichterverzeichniſſe gegeben. B18So aber erfahren wir daruͤber nichts ſicheres, und alle die fuͤr Meiſter zugeſtandenen ſind lauter ſolche, die ſich nach jenen aͤußeren Umſtaͤnden dazu eignen. Ohne letztere haͤtte Docen an Hadloub nimmermehr etwas Meiſterfaͤngeriſches entdeckt, und ich war mit Recht erſtaunt, den Veldeck, deſſen Lieder mir erſt als ein wahres Gegenmuſter aller Meiſterſaͤnger auf - gegeben wurden, nunmehr unter ihnen ſelbſt zu finden.

Es mag ſeyn, daß ſich Docen dieſe nicht zu verbergende Behauptung nicht recht eingeſtanden hat, er ſcheint ſogar einige mal ſein Syſtem auf die Gedichte uͤberzutragen, einen Mei - ſterſinger anzunehmen, welcher außerdem auch noch Minnelieder gemacht habe, und dann in ſo fern kein Meiſterſaͤnger ſey7)S. 453 hat er das wieder nicht angenommen, hier heißt es beſtimmt, die ſieben Wartburger Dichter ſeyen keine Minneſaͤn - ger. S. 454 ſcheinen ſie wieder: nicht bloß Minneſinger. . Aber das beſſert nichts, denn nun weiſe er dieſe gewiſſen Mei - ſterlieder her, ob ſie von den Minneliedern des naͤmlichen Dichters ſo verſchieden ausſehen8)Es iſt damit ganz anders, als wenn der Meiſterſaͤnger Sachs auch andere Gedichte ſchreibt, die keiner fuͤr Meiſterſaͤnge haͤlt, und ich auch nicht, oder wenn die alten Meiſter in unver - ſchlungenen Reimen lange Romane., und iſt nicht eines ſo un - recht wie das andere, anzunehmen, entweder: es haben Zeit - genoſſen gelebt und einerlei Lieder geſungen, die einen ſind davon Meiſterſaͤnger geweſen, die andern nicht? oder: ein und derſelbe Dichter hat außer den Meiſterliedern auch noch Minnelieder gemacht, da doch beiderlei dieſelbe Foͤrmlichkeit in ſich tragen und in den Handſchriften mitten unter einander ſtehen?

Darin mißverſteht mich Docen am meiſten, daß er thut, als ob ich das Weſen des Meiſtergeſangs in einige Zufaͤllig - keiten ſetze, darum weil ich dieſe mit zu Beweiſen brauche.

19

Dergleichen koͤnnen ſich fruͤher finden und ſpaͤter nicht, oder umgekehrt, unſtreitig muͤſſen wir aber auszumachen ſuchen, welche zu beiden Zeiten gegolten haben, damit wir auch in Beſonderem das Allgemeine beſ[t]aͤtigt ſehen. Andererſeits liegt die offenbarſte Unhaltbarkeit ſeiner Meinung darin, daß er zwar den Begriff ſeines Meiſtergeſangs in folche Zufaͤlligkei - ten ſetzt, ſtatt ihre Wandelbarkeit zu erkennen, dennoch aber nicht beſtimmt damit heraustritt.

Wie man ſieht, ſo ſcheint ſich beinahe aller Zweifel vom Verhaͤltniß der alten Dichter zu den ſpaͤteren Meiſterſaͤngern weg zu entfernen. Docen gibt die Exiſtenz fruͤherer Meiſter - ſaͤnger zu und verredet nicht allen Zuſammenhang mit denen der folgenden Zeit. Ich haͤtte alſo nur ſeinen zwiſchen den alten Meiſtern und andern Minnedichtern gelaſſenen Unterſchied zu widerlegen, und mein ganzer Satz waͤre von ihm unange - fochten. Die allmaͤlige Veraͤnderung, worin dann eine offen - bare Verſchlechterung, bliebe bloß noch hiſtoriſch aufzuhellen.

Freilich, ſo haͤtte meiner Meinung nur eine einzige con - ſequente entgegengeſtellt werden koͤnnen, wenn ſie auszufuͤhren geweſen waͤre, die naͤmlich, welche eigenthuͤmliche Kennzeichen ſpaͤteres Meiſtergeſanges zum allgemeinen, nothwendigen Character annehmend, alle Dichter, die nun jene nicht an ſich truͤgen, fuͤr Nichtmeiſterſaͤnger erklaͤrte9)Buͤſching hat in der That ſo etwas unternommen, indem er den Urſprung des Meiſtergeſangs von der Zeit der wirklichen Tabulaturen an abhaͤngig macht. (N. lit. A. 1808. Col. 406.) Zum Ungluͤck muͤßte dann etwa die Auffindung einer fruͤheren Tabulatur das ganze Syſtem umwerfen! Davon abgeſehen, daß, ſo viel ich weiß, alle Tabulaturen local geweſen ſind.. Hierin iſt neben der ſcheinbaren Conſequenz aber eine große Uncritik zu finden; wenn eine Unterſuchung kein allmaͤliges Bilden (oder Verbil - den) zulaͤßt und gleich ein feſtſtehendes will, ſo mangelt ihr ein Hauptſtuͤck hiſtoriſcher Forſchung, Empfaͤnglichkeit fuͤr allesB 220Lebendige und Bewegliche. Docen hingegen hat die fruͤhen literariſchen Spuren des Meiſtergeſangs nicht verkennen koͤnnen, und ſcheint mir damit ſein Spiel verloren zu geben, das Wahre, Einfache einzuſehen, hindert ihn eine vorgefaßte Meinung von der Harmonie und Leichtigkeit des Minnegeſanges, die ich nicht leugne, ſondern hiſtoriſch nachweiſe. Er mag ſie aber auf keine Weiſe mit dem Meiſterſang vereinbaren, ſelbſt wenn man ihn, wie doch nothwendig, im Entſtehen in der freieſten Art, annimmt.

Vielleicht waltet ein Mißverſtaͤndniß ob, das ihn jenen Unterſchied zwiſchen den reichen Dichtern, die ihrer Poeſie ſtolz ſind, und den armen, die damit dienen wollen, machen laͤßt. Vermuthlich denke ich mir die Erſcheinung einer dienenden und wandernden Dichtkunſt ganz anders. Meiner Meinung zufolge hat aller Kern, alle Kraft des Minneſangs in den dienenden Dichtern gelegen, und erſt an ihrem Feuer haben ſich die Reichen und Hohen entzuͤndet und begeiſtert, die Lieder aber, welche ſie jenen nachgeſungen, reichen an Zahl und Wichtigkeit nicht an die der aͤrmeren Dichter9 b)Das ſtaͤrkſte Beiſpiel hiergegen ſcheint einer der trefflichſten Minneſaͤnger, Ulrich von Lichtenſtein abzugeben.. Aus dieſem einen Grund - ſtock iſt die Minnepoeſie in die ganze Zeit ergangen, die Fuͤr - ſten, der hohe Adel mit dem Schutz und Lohn nicht zufrieden, den ſie der lieblichen Kunſt gewaͤhrten, wollten ſich ſelber darin zeigen; was Docen ſo ſehr verwirrt, ſtellt ſich hoͤchſt einfach dar. Sie mochten nun beſtimmte Lehre genoſſen oder ſich an der bloßen Sitte gebildet haben, ſo war doch all ihre Kunſt in dem Bilde des Meiſters empfangen und geboren, und es iſt nicht abzuſehen, warum man zu Gefallen ihrer Lieder eine eigene, verſchiedene Claſſe machen will. Sind ſie naͤmlich in ſich frei und herrlich, ſo ſind es auch die andern nicht min - der, denn wie vermochte der Einklang einer Grundweiſe, die21 ſich in hunderterlei Verſchiedenheit entwickeln konnte, der Friſche dieſer Poeſie ſelbſt etwas zu benehmen?

Das alles wuͤrde ſich noch klaͤrer ergeben, haͤtte die Un - gunſt der Zeit nicht die meiſten Minnelieder der alten großen Meiſter verloren. Wie wenige haben ſich des reichen Wolf - rams erhalten und von Gottfried nur ein Paar koſtbare, ja von Ofterdingen gar nichts, uͤber deſſen Perſon uͤber - haupt ein ſonderbares Dunke! waltet! Beſaͤßen wir nur von Veldeck ſo viel als von Walter! Andererſeits faͤllt es auf, daß mancher ſangliebende Fuͤrſt, wie Landgr. Herrmann, keine eigene Lieder hinterlaſſen hat.

Docen ſucht ſich ſo zu helfen, daß nach ihm die Minne - ſaͤnger zwar einigen Unterricht erhielten, das waͤre nicht einmal noͤthig anzunehmen doch aber deßhalb in keiner engſten Verbindung geſtanden haͤtten.

Dieß letzte zu behaupten, waͤre auch gewiß ſehr unhiſto - riſch10)Daß ich wenigſtens das nie gewollt, ſehe man aus meinem erſten Aufſatz, wo ich ſagte: vielleicht alle Minneſinger ſind eigentliche Meiſterſinger, einen ſolchen Einwand ahnend. Die Sache iſt aber deutlicher, wenn das unterſirichene Wort wegbleibt., und um nur eines zu ſagen, der Wuͤrdigkeit der hoͤheren Staͤnde unangemeſſen; weniger die aͤußerliche Zuthat, ſondern die Bedingung des inneren Auftreibens bluͤhender Poeſie ſoll ja hier erklaͤrt werden. In ſo fern iſt es uns gleichviel, ob ſie ſelbſt damals fuͤr Meiſter geachtet worden11)Zum wenigſten iſt es ganz erklaͤrlich, wenn ſie nicht eben Mei - ſter genannt werden, welches Docen S. 446. gegen mich bei - bringt. In dem Glanz ihres Standes erblaßte ſchon wieder der Ehrenname des Dichters. Im 17. und 18. Jahrhundert war z. B. das Drechslen eine Lieblingsbeſchaͤftigung mancher deutſchen Fuͤrſten, keiner wird aber Drechslermeiſter geheißen haben, obgleich ſie wirkliche Drechslerarbeit lieferten. Die auf den ſpaͤtern Meiſterſchulen von den bloßen Singern oder Schul -, denn es22 genuͤgt, daß ihre Poeſie dieſelbe Farbe traͤgt, und fuͤr uns hiſtoriſch betrachtet muß ſie wahrer Meiſterſang ſeyn. Sie ſelbſt moͤgen eifriger an ihre Frauen als an ihre Singkunſt gedacht, und ſich mehr vor den Merkern ihrer Liebe als ihrer Geſaͤnge gehuͤtet haben.

Gegen dieſe Vorſtellung und fuͤr die Exiſtenz einer beſon - deren vom Meiſterſang verſchiedenen Fuͤrſtenpoeſie, welche dann als Quelle des Minneſangs zu betrachten waͤre, ließe ſich ſa - gen: unter den aͤlteſten Meiſterſaͤngern, d. h. folglich unter denen, die Docen aus aͤußerlichem Grund fuͤr ſolche haͤlt, kom - men bloß arme, adeliche oder buͤrgerliche Dichter vor, nie aber Koͤnige, Fuͤrſten und reicher Adel, von denen wir bloß Minne - lieder haben und deren Reihe die maneßiſche Sammlung eroͤffnet.

Nichts iſt gefaͤhrlicher, als ſolche negative Beweiſe beizu - bringen, denen leicht eine Menge aͤhnlicher und ſtaͤrkerer ent - gegen geſtellt werden kann.

Ich raͤume eln, daß ſich von den letztgenannten Dichtern faſt nur Liebeslieder finden, aber die Urſache iſt, weil ſie ſich nur gelegentlich und gleichſam ſpielend dem Geſang ergeben haben, darum hoͤren ihre Lieder gar nicht auf meiſterſaͤngeriſch zu ſeyn. Die Unbedeutendheit dieſer Dichter im Verhaͤltniß zu den andern, auch minneſingenden Meiſtern, mag am beſten aus Gottfrieds Stelle im Triſtan dargethan werden, wo er von den Nachtigallen ſprechend keinen einzigen Koͤnig oder Her - zog u. ſ. w. nennt, ſondern bloß den Walter und den in Dun - kelheit getretenen Hagenau, (nur, daß er nicht aus hoͤherem Stande, moͤchte kaum zu bezweifeln ſeyn); alſo mußten da - mals ſchon die Minnelieder der Vornehmen ganz richtig als Nebenſproſſen und Zweige erſcheinen; ich frage mit allem Fug: ob ein ſolcher Ruhm des Minneſanges haͤtte verſchwiegen blei -11)freunden gemachte Meiſtergeſaͤnge ſind eben ſo gewiß wirkliche, obſchon ihre Dichter im damaligen Sinn keine Meiſter waren.23 ben koͤnnen? Alle Stimmen wuͤrden ſich des kaiſerlichen Ur - ſprungs erfreut und die Sage ihn fortgepflanzt haben!

Das Schweigen der ſpaͤteren Meiſter waͤre alſo ſchon in den fruͤheren gerechtfertigt, es beſtaͤtigt nur, daß jene Reichen ſich nie zu großen, wichtigen Werken gewendet; die maneßiſche Sammlung beinahe allein iſt es, welche in ihrem Glanze ſtrahlt und ſich deſſen wohl bewußt geworden zu ſeyn ſcheint; augen - ſcheinlich iſt ſie nicht nach dem Alter der Dichter angeordnet, ſondern nach ihrem aͤußeren Rang12)Es moͤgen noch viel Minnelieder außer ihr exiſtirt haben, und eine genaue Beſtimmung des Verhaͤltniſſes der vatieaniſchen H. S. zu ihr, welche wir von Gloͤckle hoffen, hat ſchon darum ihr großes Intereſſe. Spaͤter hat man offenbar fuͤr die H. S. der aͤlteren Meiſterlieder wenig geſorgt, ſonſt muͤßten ihrer mehr erhalten worden ſeyn. In Puͤterichs ganzer Bibliothek keine einzige!.

Was noch mehr, andererſelts erblicken wir, nach dem Ex - tract aus der ſpaͤten Straßburger Tabulatur in einem gewiß nicht nach den uns bekannten Minneliederſammlungen gemach - ten, alles unter einander werfenden Verzeichniß der alten Mei - ſter mehrere aus den hoͤheren Staͤnden, indem ich der adeli - chen geſchweige, einen Graf von Bernburg, von Helderung, Herzog Otto von Oeſtreich, Leopold und Wenzel von Boͤhmen. Man darf daher nicht behaupten, den ſpaͤteren Meiſterfingern ſey die Exiſtenz ihrer fuͤrſtlichen Vorfahren gaͤnzlich unbekannt geblieben, allein ſie haben nicht darin die Ehre ihrer Kunſt geſetzt, weil der Urſprung der Kunſt nicht in jenen gelegen. Und dieſes kann auch wohl dienen, die Paradoxie eines Freun - des zu widerlegen, daß vielleicht kein Fuͤrſt die ihm zugeſchrie - benen Lieder ſelbſt gemacht, ſondern ſie auf ſeinen Namen von beruͤhmten Dichtern habe verfaſſen laſſen. Dem widerſpraͤche auch ſo manches, was aus dem Leben der Provenzal - und franzoͤſiſchen Dichter bekannt geworden; einem Richard Loͤwen -24 herz, Wilhelm von Poitou, einem Koͤnig von Navarra laͤßt ſich das Eigenthum der Lieder nicht abſprechen. In ganz Eu - ropa ergriff damals das Dichten die Fuͤrſten, wie ſpaͤter im 15. und 16. Jahrh. die Gelehrſamkeit, oder wie ſie vorher von den Spielleuten Geſang und Harfe erlernten.

Eine Stelle Meiſter Alexanders kommt mir gerade in Ge - danken, welche ich noch erwaͤhne, damit ſie keiner gegen mich gebrauchen will. Er klagt darin den Verfall der Saͤngerkunſt, die ehedem von Herren und Koͤnigen waͤre getrieben werden. Gleich ſchon der Umſtand, daß hier ein unbeſtrittener Meiſter - ſaͤnger ſpricht, iſt dem Schluß entgegen, den man aus der Stelle ziehen koͤnnte, ſie wuͤrde dann bloß beweiſen, daß die aͤlteſten und beruͤhmteſten Meiſter aus hohem Stande gewe - ſen, was ich gewiſſermaßen leugne. Auch ließe ſich etwa al - les von dem Schutz auslegen, der ehemals dem Meiſterge - ſang zu Theil geworden, da er noch an den Hoͤfen beliebt ge - weſen, was niemand leugnen wird. Man braucht indeſſen nur die folgende Strophe Alexanders zu leſen, um zu merken, daß er dießmal weit uͤber die deutſche Zeit hinaus an das Beiſpiel13)Dieſes figurirt auch noch terminologiſch in den Meiſterſchulen. Vergl. auch Morolf u. Sal. v. 1320 u. 2508. des ſingenden David und der tanzenden Herodias gedacht.

Hiermit hoffe ich gezeigt zu haben, daß ein Unterſchied zwiſchen den alten Meiſtern und gleichzeitigen Minnedichtern unhiſtoriſch ſey, ja widerſinnig, und noch vielmehr einer zwi - ſchen gleichzeitigen Meiſter - und Minneliedern, nach welchem ſich zweierlei Geſang in einer und derſelben Perſon und in denſelben Weiſen darthun ſoll.

Gibt man mir dieſes zu, ſo habe ich ſtreng genommen meinen Gegner widerlegt. Da er indeſſen von der Exiſtenz der alten Meiſter manchmal zweideutig redet und den innigen Zuſammenhang mit den ſpaͤtern nicht gern eingeſtehet, ſo laſſe ich nun meine ganze Vorſtellung folgen. Die ſeinige wird da -25 bei unfehlbar von allen Seiten eroͤrtert und dadurch daß ich die Gruͤnde fuͤr den alten Meiſtergeſang auch bei ſeinen vorbe - haltenen Minnedichtern eben ſo gut, als bei ſeinen Meiſterſin - gern entdecke, im Einzelnen beſtritten werden. Denn darin liegt der von Docen begehrte Veweis, der Unzertrennlichkeit der Minnelieder und alten Meiſtergeſaͤnge, daß in beiden die naͤmliche innere Geſtalt und an den Verfaſſern beider die naͤm - liche Sitte dargethan werde.

Zweierlei wuͤnſche ich, moͤge uͤberall deutlich bleiben, wie um dieſe zwei Puncte dreht ſich meine ganze Meinung, in ih - rer Einigung und Durchgreifung liegt mir die ganze Hiſtorie des Meiſtergeſangs. Einmal, daß das Lebendige und Gute als das Urſpruͤngliche aufgewieſen und erkannt werde, ſelbſt noch aus der ſpaͤteſten Entartung; zweitens daß dieſe, oder das Toͤdtende als nicht urſpruͤnglich entwickelt, jedoch keimend erſcheine. Keines kann in Trennung des Alten vom Neuen vollbracht werden. Ich halte es fuͤr den Hauptmangel meiner fruͤheren Aufſaͤtze, daß in ihnen das foͤrmliche Princip des Meiſtergeſangs, obgleich durch Beiſpiele bewieſen, nicht klar ausgeſprochen worden iſt, es fehlte mir dazumal an Zeit zu der muͤhſamen Unterſuchung, ohne welche zwar Vorausſetzung aber keine Darlegung des Rechten moͤglich war und deren Re - ſultat ich gegenwaͤrtig der Pruͤfung des Publicums unterwerfe.

Den wahren Sinn meiner Anſicht kurz und eigenſt aus - zudruͤcken, bietet mir der philoſophiſche Sprachgebrauch ein Mittel dar, wenn er dem Leſer uͤberall gangbar oder gegenwaͤr - tig vorauszuſetzen waͤre: die Identitaͤt des Minne - und Mei - ſtergeſangs will ich ausfuͤhren, ihre Einerleiheit leugnen. Daß ich fruͤherhin, dieſer Terminologie uneingedenk, den letzten Aus - druck einigemal fehlerhaft gebraucht habe, darf mir natuͤrlich keinen Schaden thun, uͤberhaupt aber, wen die Worte nichts angehen, der halte ſich an die Sache.

26

Ueberſicht der Meiſterkunſt von Anfang bis zu Ende.

Ueber den Urſprung des Meiſterſangs etwas Beſtimmtes oder nur Wahrſcheinliches zu ſetzen, iſt auf den erſten Anblick unthunlich. Vor allem nach der bisherigen Anſicht, wie ſollte ſich eine ſo ſcharfe und engfoͤrmliche Geſellſchaft, als man doch in dem 15ten und 16ten Jahrhundert erkennt, niedergeſetzt und geſtiftet haben, ohne daß es dabei zu ſchriftlichen Urkunden gekommen waͤre? Dieß anzunehmen, ſcheint um ſo noͤthiger, da man weiß, daß ſpaͤterhin in den Schulen der Meiſterſaͤnger gewiſſe geſchriebene Ordnungen und Geſetze vorhanden waren; warum ſollten ſich alſo dieſe nicht von einer fruͤheren herleiten?

Allein gerade alle ſolche Urkunden, oder gar die einer Stiftung mangeln gaͤnzlich. Die aͤlteſte bekannte Tabulatur14)Dieſes Wort iſt ſchon fruͤher, als es in Meiſterſchulen gebraucht wurde, fuͤr die Muſik uͤblich geweſen, und es wohl noch., die Straßburger, kann hoͤchſtens nur eine fuͤr die dortige Zunft neu aufgeſetzte und veraͤnderte ſeyn, ſie iſt voll hiſtoriſcher Verirrung uͤber gar viel aͤltere Meiſter. (Man ſehe den Aus - zug bei Schilter v. Bardus.) Die Straßburger Zunft mag immerhin erſt 1493, (nach dem vermuthlich von C. Span - genberg aufgeſetzten Brief des Raths von 1598) aufgekommen ſeyn, unerachtet manches mit Grund dagegen zu ſagen waͤre; ſo iſt doch die Meiſterſaͤngerei des vierzehnten Jahrhunderts zu unleugbar, als daß wir ihn erſt ſo ſpaͤt duͤrften beginnen laſ - ſen. Und keine einzige Chronik, kein Document des vierzehn - ten oder funfzehnten Jahrhunderts thut Meldung einer ſolchen27 Stiftung, da doch ſonſt der Buͤrgerſtand fuͤr das Gedaͤchtniß anderer Dinge, die ihn betrafen, nicht unbeſorgt war. Wer wollte an eine ſpaͤtere Stiftung des Meiſtergeſangs glauben?

Gleichen Grund, nur daß deſſen Gewicht immer bedeu - tender wird, je mehr aͤußerliche Widerſpruͤche ihm entgegen ſtehn, hat Docen gegen ſich, der genau genommen gar zu gern zweierlei, wo moͤglich unterſchiedene Arten Meiſterſaͤnger annehmen moͤchte. Die aͤlteſten Meiſter, ein Eſchenbach, Of - terdingen, ja der reſtituirte Veldeck, ſollen immer noch keine rechte Meiſterſaͤnger ſeyn, ihr eigentliches Weſen, (woruͤber er uns freilich in Unſicherheit ſchweben laͤßt, allenfalls das ſchul - maͤßige iſolirte,) ſoll erſt mit Frauenlobs Zeit15)S. z. B. S. 115. Seite 473. ſcheint der Punct des eigentli - chen Meiftergeſangs erſt auf dem Jahr 1500 zu ſchweben! Anno 1600 war er gewiß noch eigentlicher. angegangen haben. Gut, ſo weiſe er eine Art Urkunde vor, oder zeige, daß dergleichen erſt ſeitdem exiſtirt! Aber weder Frauen - lob, noch irgend einer ſeiner Zeit - und Kunſtgenoſſen reden von ihrer geſtifteten Schule16)Vielleicht ſoll ein Beweis in ſpaͤtern Behauptungen, (wie in dem Memminger Bericht vorkommend) liegen, wonach die er - ſten Schulen zu Mainz, Frauenlobs Ort, gehalten worden. Meinethalben auch, die beſtimmte Schulfeierlichkeit gehoͤrt nicht zum Weſen des Meiſtergeſangs., von ihren neuen Einrichtun - gen. Sie ſtellen ſich vielmehr immer als Nachfolger aͤlterer Meiſter dar, und wenn ſie ſich deren einigemal in der Kunſt uͤberheben, ſo klagen ſie deſto mehr uͤber den Verfall der letz - tern, uͤber die zunehmende Gleichguͤltigkeit der Fuͤrſten und reichen Herren, wie deſſen jede Seite der Jenaiſchen H. S. Zeugniß ablegt.

Allen ſolchen Einwuͤrfen, die ſich im Verfolg noch deutli - cher ergeben ſollen, iſt meine Anſicht nicht bloßgeſtellt, darum weil ſie eine allmaͤhlige aber unzertrennliche Entwickelung des ganzen Weſens in einer vollſtaͤndigen Erſcheinung annimmt.

28

Schon lange vordem, ehe das in Deutſchland zu gelten anfing, was in meiner ganzen Abhandlung unter dem Mei - ſtergeſang verſtanden wird, waren Geſaͤnge und Saͤnger. Was die Geſaͤnge angeht, ſo zeigte ſich in ihnen ein hoͤchſt einfa - ches und einfoͤrmiges Gebaͤude; wir haben wenig Gruͤnde zu bezweifeln, daß die Weiſen von vier langen Zeilen das alte und recht volksmaͤßige Maas geweſen, aber wir duͤrfen dieß nicht auf die epiſchen Lieder beſchraͤnken. Auch alte Minne - lieder, und gewiß im zwoͤlften Jahrhundert, haben ſich darin bewegt, gerade wie deren noch einige in der maneßiſchen Samm - lung ſtehen, obwohl dieſe zum groͤßten Theil neuer gedich - tet ſind17)Wie will man anders die Fragmente des alten Titurels erklaͤ - ren, der noch vor Veldeck faͤllt? Hier iſt naͤmlich bei der Aehn - lichkeit einzelner Wendungen ein großer Abſtand vom Stil der Nibelungen, aber auch noch gar wenig von der ausſchweifen - den ſpaͤtern Manier. Die Form ganz einfach und ohne Mei - ſterſaͤngeriſches. Will man mir aber einwerfen, warum ich denn die adliche Minnepoeſie nicht als eine Fortſetzung ſolcher alten Lieder, unabhaͤngig vom Meiſterweſen, gelten laſſe? ſo iſt die Antwort: eben weil die adlichen Dichter ſich hoͤchſt wahrſcheinlich und einige erweislich nach den armen gebildet, und weil ihre Lieder das entſcheidend meiſterfaͤngeriſche an ſich tragen. Denn gewoͤhnlich haben wir von ihnen auch recht kuͤnſt - liche Geſaͤnge, den Kuͤrenberger etwa koͤnnte man fuͤr einen aͤlteren Dichter halten, der noch nichts von unſerm Meiſterſang gewußt. Unrecht thut man mir uͤbrigens mit jener Frage, zu glauben, daß ich die ſpaͤtere Minnepoeſie von jener alten tren - nen wolle..

Sodann aber iſt wieder kein Bedenken, daß die Dichter und Saͤnger einen eigenen Stand gebildet, der unter dem Volk und an den Hoͤfen herum gezogen und auf irgend eine Weiſe zuſammen gehalten hat.

Aus dieſem Beſtehenden und Alten ging nun ein Neues hervor, wohin ſchon auf eine nicht zu uͤberſehende Art der29 Name ſelber weiſt (mehr davon unten) und wie es faſt uͤberall geſchieht. Was erſt allgemein geweſen, trat in ein charakteri - ſtiſches uͤber und nahm mit der vorher nicht dageweſenen Schaͤrfe eine eigentliche Differenz an. Die Anwendung iſt leicht zu machen: der innere Grundbau der Lieder wurde hervorgehoben, und ihnen zugleich eine Fuͤlle der Entfaltung gelaſſen, weßhalb man dann die alten Meiſterlieder einmal feſter und ſtrenger, dann auch freier und gewandter als den Volksgeſang erkennen muß. Andrerſeits blieb die perſoͤnliche Sitte beſtehen, die Mei - ſterſinger lebten an den Hoͤfen, und wandten ihre Kunſt auf den Lohn der Fuͤrſten, nur iſt hier wieder entſcheidend, daß ſich die Dichter eben ihres Kunſtmaͤßigen, Eigenthuͤmlichen be - wußt werden und ſich darum auf einer hoͤhern Stufe glauben mußten, um ſo mehr als vermuthlich ſchon damals die Le - bensart der Volksſinger in der oͤffentlichen Achtung geſunken war18)Wenn Docen aus irgend einem bloßen Minneſaͤnger eine der nachſtehenden aͤhnliche Stelle beibraͤchte, ſo wuͤrde er damit um ſo weniger gegen mich beweiſen, als dieſe ſelbſt von einent un - beſtrittenen Meiſter herruͤhrt. Conrad von Wirzburg ſingt 2. 207 a: 〟Edelſang ſey eine innerliche Kunſt, die nicht gelchrt werden koͤnne, ſondern von ſelber kommen muͤſſe. 〟enſelben Gedanken mit andern Worten im troj. Krieg: Der Meiſter, dem die Kunſtregel nicht verborgen geweſen ſeyn kann, erkennt die hoͤhere Nothwendigkeit innerliches Berufs. In aͤhnlichent Sinn ſagt auch der von Morungen 1. 53, daß er durch Sang zur Welt geboren worden..

Beides nun, das Verfeinern der Form und die Wiederer - hebung des Standes wurde befoͤrdert und veranlaßt durch ei - nen uͤberwiegenden, aber laͤngſt zeitigen Hang zu dem ſubjecti - ven, lyriſchen Princip. Die Zeit ſtand mitten in zwiſchen der raſtloſen Heldenthaͤtigkeit und dem ernſten Niederſetzen und Arbeiten des Geiſtes; es war eine ſehnende ſeelige Bewegung des Gemuͤths, das ſich uͤber ſich ſelbſt zu beſinnen anfing und30 an ſeiner Zierde und Pracht ein reines Wohlgefallen trug. Bei dieſer natuͤrlichen Stimmung fuͤr eine feine und glaͤnzende Dichtkunſt braucht die ploͤtzlich aufſtehende Vielheit der Min - nelieder gar keine Erklaͤrung und zu einer Zeit, wo geiſtliche und weltliche Orden gelten und aufkommen, iſt es an ſich zu erwarten, daß man die Poeſie gerade ſo und nicht anders als ſo vieles im ganzen Leben genommen.

Dieſe drei Momente ſetzen mir die Entſtehung des Mei - ſtergeſanges und es iſt ſchwer zu beſtimmen, wie das letztere allgemeine auf die beiden erſteren eingewirkt und auch durch ſie verſtaͤrkt worden, oder wie ſie beide in einander gegriffen haben. Die Epoche aber faͤllt in keine andere als Veldecks Lebenszeit, und hieruͤber iſt Gottfrieds beruͤhmte Stelle ganz und gar entſcheidend. Indem er ſich ausdruͤcklich auf das Zeugniß anderer Meiſter bezieht, verſichert er beſtimmt: 〟daß Veldeck das erſte Reis in deutſcher Zunge geimpft, von dem nachher alle Blumen gekommen. Die aͤlteren Gedichte, die erzaͤhlenden langen und die kleineren konnten dem Gottfried gewiß nicht unbekannt geblieben ſeyn, allein er dachte nicht an ſie, als die ganz außer dem Kreiſe der neu geſchaffenen bluͤ - henden Kunſt lagen. Fruͤhere Meiſterſaͤnger haben alſo vor Veldeck nicht gelebt, damals ſtand der neue Geſang auf und gleich in bedeutender Menge da, indem ihm ſeine Lieblichkeit eine allgemeine Theilnahme und Nachahmung erweckten.

An eine Stiftungsurkunde des Meiſtergeſangs iſt kein Ge - danke, (denn bloß ihr Andenken wuͤrde der Nachzeit feſter an - gehangen haben) gleich Anfangs die Regel auszuſprechen kam niemanden bei, was ſich ſelbſt guͤltig machte, blieb und galt fort. Aber Regel und Meiſter gab es mit dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ſchon genug und dafuͤr haben wir gluͤcklicherweiſe mittelbare Documente uͤbrig. Die Verherrli - chung der Gegenwart ſchien viel reitzender, als der todten Hel -31 den Thaten und Ruhm, die Poeſie wurde lebendiger und ins Le - ben eingreifender, ſo wie das Verdienſt der Perſon des Dichters eigenthuͤmlicher, ehrenvoller war. In Staͤdten, auf dem Lande mag der Minnegeſang wenig Eingang gefunden haben, die ließen ſich das Alte nicht ſo nehmen und wiederum verſchmaͤh - ten es die meiſten Hofdichter, ſich durch Ergoͤtzung des unge - bildeten Volks gleichſam zu erniedrigen. Dieſem mußten die Liebesklagen zu fein und geſtaltlos vorkommen, wie haͤtte es fuͤr allegoriſche Deutung, Gelehrſamkeit und Tiefe Sinn ge - habt? Das war unſtreitig der Urſprung und die hoͤchſte Bluͤthe der Meiſterkunſt, als ſie an den Hoͤfen herrſchte und von ihren Goͤnnern belohnt und mitgetrieben froͤhlich ausbrei - tete19)Daher der ſehr uͤbliche Ausdruck: hofelicher Sang. Truchſeß (bei Adelung 1. 100. ) von Walter, womit dieſer ſelbſt zu vergl. Maneße 1. 112 und 131. Tanhuſer 2. 69. Marner 2. 179. Suonenburg 2. 213. conf. Titurel 1609. Gottfried Er. 1843 will nicht von Siechheit und Arzenei ſpre - chen, er vermeide alle Rede, die nicht 〟des Hovis ſi. Ru - melant nennt ausdruͤcklich als Zweck der Kunſt: 〟die Herren froh zu machen〟 (CCCXXXI. ) und Miſner ſich ſelbſt einen Fuͤrſtendiener, der auf Gnade ſinge. (DXC.) Das Wort: hoͤflich, nahm in der Folge die viel allgemeinere, und eben aus ihm entſprungene Bedeutung von huͤbſch (hobiſch, hin - biſch), und ſo koͤnnen auch ſpaͤte Meiſter noch 〟ſunſt ander hoͤffliche Gedicht〟 anpreiſen. (Arnims Codex, Num. 70.).

Die zweite Epoche iſt ſchon viel fruͤher vorbereitet, erſt im vierzehnten Jahrhundert beſonders hervorgegangen. Wo die Kunſt im Leben ſchwer gemacht wird, zieht ſie ſich in ſich ſelbſt zuruͤck, ſobald ſie noch Kraft hat zu dauern; gerade auf den Meiſterſang mußte die Wirkung nachtheilig und einſeitig ſeyn. Die Fuͤrſten ermuͤden der Minnelieder nach und nach, das Volk kann ſie nicht brauchen. Die Meiſter klagen uͤber den Verfall des hoͤfiſchen Sangs, die Loblieder auf die Fuͤrſten und Herren gerathen immer haͤufiger, ſchmeichelnder und ge -32 zierter, je ſchlechter ſie bezahlt werden, und ſie unterlaſſen dabei nie zu ſagen, daß ihr Lob ein wahres ſey und ſie das der Schlechten verabſcheuen. Sie moͤgen aus allen freien Kuͤnſten ſchoͤpfen, um neue reizende Gleichniſſe zu erfinden, ihr Anfehen kann nun nicht mehr erhalten werden. Der Mei - ſter kehret ſich ganz ſeinem Gemuͤth zu, die Luſt, große Ro - mane zu reimen, verliert ſich, aber die Luſt, den Weltlauf zu ergruͤnden, die goͤttlichen und menſchlichen Dinge zu betrach - ten wird immer reger20)Die merkwuͤrdigſte und deutlichſte mir bekannte Stelle, worin die ſaͤmmtlichen ſieben freien Toͤchter auf den Meiſtergeſang angewendet werden, iſt in einem Geſang in dem langen Re - genbogen, bald zu Ende des Weimariſchen Codex. Ich wuͤrde ihn gern mittheilen, wenn es der Raum erlaubte. Daß aber, ſo bald wir den Meiſtergeſang richtig, d. h. hiſtoriſch betrach - ten, ſein Weſen von dem Studium der ſieben Kuͤnſte, unab - haͤngig iſt, wird noch unten vorkommen, Note 66. Man vergl. Regenbog Maneße 2. 197. Canzler 2. 246 u. Wagenſeil 552. 553., ohne Zweifel waren die meiſten Dichter mit der Frucht ihrer Arbeit hoͤchſt vergnuͤgt. Dabei verſieht ſich von ſelbſt, daß ſie die Form der Worte aufs hoͤchſte trieben und durch deren geheimnißvolle Stellung das Geheimnißreiche (nicht ohne Grund) zu ehren ſtrebten, eben ſo glaublich iſt es, daß ſie ihre aͤußerliche Verbindung unter ein - ander weit entfernt fahren zu laſſen, in manchen Ceremonien zu befeſtigen ſuchten. Man darf die im vierzehnten Jahrhun - dert erſchienenen Meiſterlieder nicht ſogleich ſchlecht heißen, noch weniger ihre Verfaſſer herunterſetzen. Unter dieſen lebten aͤcht poetiſche Gemuͤther, Frauenlobs Werke ſind uͤberreich, wun - derbar und von einer Verworrenheit, aus der ſie ſich gleichſam zu ihrem eigenen Schmerz nicht zu loͤſen vermoͤgen. Nicht ſo wohl er, wenn wir nach dem Uebriggebliebenen urtheilen, (ob - gleich ſein ganz anders zu erklaͤrender Name, und die Sage darauf hinweiſen), ſondern andere mit ihm gleichzeitige, fallen33 zuweilen in die alten Liebestoͤne ein. Alexanders Geſang uͤber ſeine Kindheit iſt in einer zarten Ruhe gedichtet, die uns jetzt viel werther daͤucht, als die ſchwerſten Kunſtlieder; auch Wizlau21)Dieſen ſcheint D. nach S. 113. nicht fuͤr einen Meiſterfinger paſſiren zu laſſen, obgleich er die ſenende (Minne -) weiſe eines gleichzeitigen Meiſters nachgeſungen habe! macht eine Ausnahme, und Hadloub, von dem wir bluͤhende Minnelieder uͤbrig haben, obſchon er um 1300 ſchrieb, und wir das ohne Zweifel der laͤngeren Neigung ei - niger Schweitzerherrn verdanken.

In der dritten Epoche, welche ich vom funfzehnten Jahr - hundert bis ans Ende rechne, wies es ſich nun noch deutlicher aus, daß fuͤr die Meiſterpoeſie die Zeit des Hoflebens und Wan - derns voruͤber22)Ein ſpaͤtes Beiſpiel iſt bekanntlich der Chriſtian Hafner, deſſen Amſel den daͤniſchen Hof auf den Meiſtergeſang ihres Lehrers neugierig machte, worauf der gute Mann aus Nuͤrn - berg (1666.) nach Copenhagen reiſte und jedermann uͤberaus wohlgefiel. Eine fruͤhere Erzaͤhlung von einem Nuͤrnberger (?) Meiſterſaͤnger, der 1551 in Preußen auf einer Hochzeit vom heidniſchen Abgott Baechus ſang, hat Kotzebue Geſch. von Preußen 2. 194. 195. aus Vincentii moguntini chronicon prussiae, oder vielmehr dem Auszug daraus in Beckers Ver - ſuch einer Geſch. der Hochmeiſter. Berlin 1798. war, denn es hatten die Fuͤrſten den Mei - ſtern alle Gunſt entzogen, und auf andere Staͤnde konnten ſie eine Einwirkung nicht erneuern, die ſie nie gehabt. Dagegen gerieth die Kunſt in den Buͤrgerſtand allmaͤlig herab, nicht als ob vorher keine Buͤrger derſelben theilhaftig geweſen, ſon - dern weil jetzo eine Menge aus dieſem Stand ſie umfaßten und bluͤhender als je machten, wenn man auf die Anzahl der Ausuͤbenden ſieht. Nirgend haͤtte der ſinkende Meiſtergeſang ſo lange gehalten, wenn er nicht in die deutſchen Staͤdte ge - langt waͤre, wo die wohlhabenden Buͤrger es ſich zur Ehre erſahen, daß ſie die Kunſt einiger ihrer Vorfahren nicht aus -C34gehen ließen, und bald war ſie durch eine Menge Theilnehmer in Anſehen und Foͤrmlichkeit geſichert23)Hans Sachs ſoll den Meiſtergeſang ſo aufgebracht haben, daß mit ihm 250 zu Nuͤrnberg geweſen. (Vogt.). Die gelehrten Mei - ſter der vorigen Periode ſtarben aus, in den Formen hatten ſich leicht Schuͤler angelernt. Von den tiefen, ſubtilen For - ſchungen wandte ſich der einfache Sinn allmaͤlig ab und hielt ſich an die Darſtellung von Wahrheiten der heiligen Schrift und leichter Allegorien. Zwiſchen den Minneliedern lag ohnedem die Kluft der vorigen Periode, und in den proteſtantiſchen Staͤdten, den Hauptſitzen des ſpaͤteren Meiſterſangs kam die Reformation hinzu, die uͤberall reines Haus haben wollte, es wurden daher weltliche Gegenſtaͤnde durch Sitte oder vielleicht ſelbſt in einigen Ordnungen vom Geſang ausgeſchloſſen. Man darf aber durchaus nicht dieſe ſicher nicht allgemeine Einſchraͤn - kung aus dem Princip des Meiſtergeſangs ableiten, dem ſie nur aufgedrungen und fremdartig war; wir haben ſogar nicht wenig wirkliche Meiſterlieder aus der letzten Zeit, welche von Liebe oder luſtigen Spaͤßen handeln24)Docen hat ſelbſt einige dergleichen aus etwas fruͤherer Periode mitgetheilt, die er ja nicht Minnelieder, aber doch erotiſche nennt. Ueberhaupt ſind ihm einige Abfertigungen zur Hand, welche auf alle Beiſpiele paſſen, die man gegen ihn anfuͤhrt. Citirt man ihm das gefoderte Exempel einer ſpaͤtern Form in fruͤher Zeit, ſo ſcheint der Dichter entweder ein armer dann iſt es ja auch ein Meiſterſinger, oder ein reicher dann iſt die Aehnlichkeit zufaͤllig. Citirt man ein Minnelied eines alten Meiſters, ſo iſt es nebenbei, außerhalb der Meiſter - kunſt gemacht und kein eigentliches Meiſterlied, oder eines ſpaͤten ſo iſt es kein eigentliches Minnelied. Ich moͤchte wiſſen, wo die Zeit angeht, nach der er ein Minnelied in unleugbarer Meiſterform fuͤr einen Meiſterſang gelten laͤßt!. Wenn das auch nicht gern auf den Schulen oͤffentlich abgeſungen wurde, ſo ſchrieben es doch zu Haus die Meiſter in ihre Buͤcher mitten unter die andern und niemand wird in der That Lieder, die in35 kunſtgerechten Meiſtertoͤnen gedichtet ſind, fuͤr etwas anderes halten wollen. Die Regeln fuͤr aͤußerliche Form und Feier - lichkeit wurden anſcheinlich immer noch vermehrt24 b)Und alles in der beſten Meinung von wahrem Fortſchreiten in der Kunſt; wie es ein Lied aus dem ſechszehnten Jahrhun - dert ausdruͤckt:man thut von tag zu tag ſich gar drin ſterken und fortwalten. , waͤhrend doch manche Feinheit der Alten verloren ging und von der ei - gentlichen Grundform die ſpaͤten Tabulaturen, als einer uͤbri - gens bekannten Sache, faſt gaͤnzlich ſchweigen.

C 236

Innere Beweiſe.

Das Weſen alles Geſangs beſteht in einem Maaß, wo - durch ſich gewiſſe gleiche Abſchnitte oder Ruhen einſetzen, und das man zuletzt nur aus demſelben Princip zu begreifen ver - mag, welches das Athmen, das Schlagen des Bluts, die Schritte des Gehens leitet. Ein Satz, durch den auf die Innigkeit der ganzen Natur mit der Poeſie helles Licht faͤllt, ohne den keine Metrik in der allgemeinſten Bedeutung des Worts verſtanden werden kann, deſſen Ausfuͤhrung aber nicht hierher gehoͤrt. Ich habe ſchon anderswo25)Heidelberg. Jahrb. 1810. Heft 27. angedeutet, wie die Volkspoeſie alles ihr Maaß klar und rein in ſich behaͤlt, die Kunſtpoeſie hingegen nicht ſelten falſch anwendet und eigenen Gefallen findet, ſich zu beſchraͤnken.

Eine ſolche Beſchraͤnkung tritt auch an unſerm Meiſter - geſang ſichtbar hervor. Seine ganze Art zeigt und ſeine Ge - ſchichte beſtaͤtigt, daß ein tiefgegruͤndetes, herrliches Princip nach und nach ausgehoͤhlt und ein todtes aus einem lebendi - gen geworden iſt.

Als ich das Weſen des Meiſtergeſanges in eine gewiſſe Kuͤnſtlichkeit der Form ſetzte, haͤtte ich darauf am wenigſten die Einwendung erwartet: daß jedes Gedicht, wenigſtens je - der Geſang, eine Form haben muͤſſe, jene Beſtimmung mit - hin gar nichts ausſage. In dem Meiſterſang iſt ſich nicht nur die Form durchaus ihrer bewußt geworden, ſondern ſie uͤbt ſich auch neben groͤßter Mannichfaltigkeit in gezogenen Kreiſen. Wir haben folglich, wenn wir ſie einer eigenen Klaſſe von Dichtern Jahrhunderte hindurch beſonders zuſprechen muͤſſen, immer das Recht dieſelbe Form von allen andern hiſtoriſch abzuſondern.

37

Gegen das dreizehnte Jahrhundert hin, bis wo man nichts als die lang gemeſſenen Laute alter Heldenlieder geſun - gen und gehoͤrt26)Oder in kurzen einfachen Reimzeilen erzaͤhlt. Otfrieds Evan - gelia waren ſo wenig fuͤr den Geſang, als Werners Maria, allein Ludwigs Ehrenlied wurde doch geſungen, und nicht un - moͤglich auch Koͤnig Rother in deſſen abweichender Form das unvolksmaͤßige beigemiſchte Element vorzuͤglich anzuerkennen., erſchallt auf einmal, wie aus der Erde geſtiegen, ein wunderbares Gewimmel von Toͤnen und Klaͤn - gen. Von weitem meinen wir denſelben Grundton zu verneh - men, treten wir aber naͤher, ſo will keine Weiſe der andern gleich ſeyn. Es ſtrebt die eine ſich noch einmal hoͤher zu he - ben, die andere, wieder herunter zu ſinken, und mildernd zu maͤßigen, was die eine wiederhohlt, ſpricht die andere nur halb aus. Denkt man dabei an die begleitende Muſik, ſo kann dieſe ſchon wegen der Menge Stimmen, denen die In - ſtrumente nicht genuͤgt haͤtten, nicht anders, als hoͤchſt einfach geweſen ſeyn. Sie muß beinahe mit in den Reimen gelegen, und zwar der Harmonie, nicht aber der Melodie entbehrt ha - ben27)Es verdient beſonders unterſucht zu werden, ob ſich nicht auch darin der Meiſterſang von dem Volkslied unterſcheide, wie ich vermuthe, daß das natuͤrliche allgemeine Moll dem letztern, das individuelle Dur dem erſtern gemaͤß iſt.. Tauſend reine bunte Farben liegen dahin gebreitet, grell froͤhlich an einander geſetzt, gar ſelten vermiſcht, daher es kommt, daß alle Minnelieder ſelbſt die verſchiedenſten ſich dennoch zu gleichen ſcheinen. Dieſe Dichter haben ſich ſelbſt Nachtigallen genannt28)Ich begnuͤge mich hier an Gottfrieds von Straßburg be - kannte Stelle zu erinnern, Triſtan 4631 ꝛc. Da er hier bloß von erzaͤhlenden Meiſtern reden will, ſo ſcheidet er ganz recht bloße Liederdichter, wie den von Hagenau und Walter von den vorgenannten Veldeck, Blicker, Hartmann u. ſ. w., ob gleich dieſe auch einige Lieder gemacht. Jene aber: horent nicht zu dirre ſchar. An einen Unterſchied zwiſchen Meiſtern, und gewißlich koͤnnte man auch durch38 kein Gleichniß, als das des Vogelſangs, ihren uͤberreichen, nie zu erfaſſenden Ton treffender ausdruͤcken, in welchem jeden Augenblick die alten Schlaͤge in immer neuer Modulation wie - derkommen. An der jugendlichen friſchen Minnepoeſie hat alle Kunſt ein Anſehen der Natuͤrlichkeit gewonnen, und ſie iſt auf gewiſſe Weiſe auch nur natuͤrlich29)Ich fuͤhle es wohl, darin muß etwas gegen meine Anſicht lie - gen, daß man ſich die Unſchuld dieſer Poeſie mit der Kunſt nicht zuſammen denken mag. Ohne zu wiſſen oder ſelbſt zu glauben, daß Tiek meine Vorſtellung billigt, kann ich mich hier nicht beſſer ſchuͤtzen, als mit deſſen eigenen Worten: ſo viel Kunſt und ſtrenge Schule auch ſo manche Gedichte dieſer Zeit verrathen, ſo moͤchte man doch dieſe Poeſie nicht Kunſt nen - nen; ſie iſt gelernt, aber nicht um gelehrt zu erſcheinen, die Mei - ſterſchaft verbirgt ſich in der Unſchuld und Liebe, der Poet iſt unbeſorgt um das Intereſſe, daher bleibt er in aller Kuͤnſtlich - keit ſo einfaͤltig und naiv, er ſucht ſeinen Gegenſtand lieber durch eine neue Anordnung der Reime, als durch neue und auf - fallende Gedanken hervorzuheben. ; nie hat vorher, noch nachher, eine ſo unſchuldige, liebevolle, ungeheuchelte Poeſie die Bruſt des Menſchen verlaſſen, um den Boden der Welt zu betreten, und man darf in Wahrheit ſagen, daß von keinem dichtenden Volk die geheimnißvolle Natur des Reims in ſolcher Maße erkannt und ſo offenbar gebraucht worden. Allein wir ahnen voraus, wie das poetiſche Leben, das ſich zarter Kind - lichkeit aufgethan, auf einmal falſch verſtanden und die goͤtt - liche Blume den abgoͤtternden Haͤnden ihren Kelch der reichſten Farben zuſchließend, nur die Außenſeite uͤbrig laſſen werde, die gleiche Geſtalt hat, aber bleich iſt. So ſtreift der hoͤchſte Gipfel des lebendigen Spiels ſchon mit einigen Zuͤgen in ſtille28)und Minneſ. denkt aber der Dichter nicht, wozu gerade der Ort geweſen waͤre, ja er nennt die Nachtigall von der Vogelweide ſelber eine Meiſterinne (v. 4680.), wenn auch im allgemeinen Sinn, der aber hier, falls jener Unterſchied Statt geſunden, ſelbſt vermieden worden waͤre.39 Erſtarrung, die erſtiegene Hoͤhe iſt zu fern, als daß wir nicht noch eine Weile geblendet in der Taͤuſchung fortdauern ſollten.

Einige Jahrhunderte ſpaͤter ſehen wir keine Hoͤfe mehr, vor denen Saͤnger ankommen, mit ihren Liedern das Feſt zu erfreuen und die Freigebigkeit des Herren in ſinnreichem Lob zu erheben. Wir finden ſtille, geſchloſſene Staͤdte, in deren Mauern ehrſame Buͤrger wohnen, die unter einander eine ſelt - ſame ſteife Kunſt treiben. Betrachten wir dieſe naͤher, ſo hat ſie in nichts das Anſehen einer neuen Erfindung. Schon uͤber - haupt ließe ſich kein Grund einbilden, warum der Buͤrgerſtand eine beſondere Reimkunſt unter ſich eingefuͤhrt haben ſollte; viele ſprechen dafuͤr, daß er mit Stolz und Treue bewahrte, was aus der Borzeit hergekommen war. Aller andere Schmuck iſt ferngehalten aus ihrer Poeſie, die Reime aber ſtehen ver - waiſt an den alten Orten, wohin ſie nicht recht mehr gehoͤren, und ohne Bedeutung, wie man lange noch die Zeichen eines verloren gegangenen Guts fortfuͤhrt, ohne ihres Sinns zu ge - denken. Man hat den ſpaͤteren Meiſterſang bisher ganz un - verſtaͤndig aufgefaßt und eben in ſeiner Unbehuͤlflichkeit den al - ten Urſprung nicht geſehen. Ich behaupte, ſeine Erſcheinung wuͤrde uns unerklaͤrlich fallen, wenn wir nicht bis auf die erſte Bluͤte des Minneſangs zuruͤckgehen koͤnnten. Denn je feſter, toͤd - tender etwas Unſcheinbarem angehangen wird, deſto herrlicher und kraͤftiger muß die Grundlage geweſen ſeyn, und ohne Entzuͤk - kung im Anfang ließe ſich nicht begreifen, mit welcher Scheu ein Volk den leeren Dogmen eines Glaubens treu bleiben kann. Alſo weiſen auch unſere beiden Perioden nothwendig auf ein - ander hin und es bliebe in jeder da ein unverſtaͤndlicher Punct, wo man ſie nicht innig mit einander verbindet.

Oder will man das Alles in der Zeit ſuchen, die im Mittel liegt, ſo daß man ſie nicht als wahrhaft vermittelnd betrachtet, ſondern dahin ein beſtimmtes Endigen der einen40 und ein Anfangen der neuen Erſcheinung ſetzt? Dann ließe ſich zur Noth noch jenes Ende begreifen, (weil ein Leben ab - geſchnitten werden kann,) aber durchaus nicht dieſer neue An - fang. Der Meiſtergeſang im vierzehnten oder funfzehnten Jahr - hundert als etwas eigenthuͤmliches erſtanden, waͤre ein Kind ohne Jugend, und die ganze Geſchichte dieſer Zeit koͤnnte uns nirgends ſeine Wundergeburt deutlich machen. Vielmehr ſtoßen wir allerſeits an eine eigentliche Mitte, welche auf fruͤheres und ſpaͤteres hinweiſt und unſere Kenntniß von beiden erſt vollſtaͤndig macht.

Ich wende mich nun naͤher zu dem, was ich fuͤr den be - ſten Leitſtern unſerer Unterſuchung, fuͤr das Charakteriſtiſche des Meiſterſangs halte, um dadurch, wofern es der fruͤheren und ſpaͤteren Zeit auf gleiche Art zukommt, meine Vorſtellung zu rechtfertigen.

Unter allen Regeln der Metrik, ſo willkuͤrlich ſie auch ſcheinen moͤgen, liegt zuletzt ein Geheimniß, deſſen Kunde uns entgangen ſeyn kann, waͤhrend die aus ihm hervorgewachſenen Bildungen es beſtaͤndig fort in ſich tragen. Wenn ſich nun ſo - gar in unſerer deutſchen Kunſtpoeſie ein ſolches Fundament nicht verleugnet hat und beſtimmt waltet, ſo erwirbt ſich auch hier die Nation das Vorrecht einer Gruͤndlichkeit, wie ſie bei andern die Geſchichte der Poeſie wenigſtens nicht ſo deutlich ausfinden oder nachweiſen kann.

Es iſt hier von andern metriſchen Grundformen keine Rede und ſoll daruͤber nicht entſchieden werden, aber gewiß, die der Dreiheit traͤgt das Merkmal der Einfachheit und zugleich großen Sinnes und tiefer Bedeutung in ſich. Wie ſich in ei - nem Theil der Natur, z. B. im Pflanzenreich, die Bildung eines Ganzen meiſtens in und durch einen ungleichen Theil beſchließt, oder deutlicher vielleicht, der zuletzt hinzutretende Schlußſtein eine ungleiche Zahl macht, ſo entwickelt ſich hier in der Poeſie41 aus zweien gleichen Saͤtzen ein dritter ungleicher nach einer in - nerlichen Nothwendigkeit. Folgte ein zweiter gleicher Satz un - mittelbar auf den erſten und weiter nichts, ſo wuͤrde das Ganze leer, matt und unfruchtbar erſcheinen; folgte aber in dem zweiten ſelbſt ſchon ein dem erſten ungleicher, ſo wuͤrde das Ganze unempfaͤnglich ſeyn. In dem erſten Fall waͤre keine Ruhe, kein Schluß, ſondern unendliches Schwanken; im zwei - ten wuͤrde der Reitz des letzten als des neuen Satzes immer uͤber den alten ſiegen und deſſen Wirkung in ſeine hinuͤberzie - hen, folglich vernichten. Da aber das Weſen der Poeſie auch in ein gemuͤthliches Gleichgewicht geſetzt werden muß, und weil das Folgende nur in dem Vorausgehenden erklaͤrt werden kann, ſo kommt der erſte Satz zweimal, damit er Staͤrke gewinne, den dritten zu zeugen, zu tragen und ſelber neben ihm zu blei - ben. Es iſt auch, als ob mit einem Mal die poetiſche Luſt an der gewonnenen Weiſe noch nicht erſchoͤpft ſey, als daß man den Satz ſchon fahren laſſen koͤnne, oder als ob erſt in ſeiner Wiederhohlung, da das Anheben gleichſam zu frei und ſorglos geweſen, das Neue in mehr Bedaͤchtigkeit vorbereitet werden koͤnne.

Man erklaͤre paſſender und deutlicher, was man leichter fuͤhlen wird, aber die Wahrheit des Grundſatzes ruht auf dem Element des Volksgeſanges und Tanzes, wo immer der erſte Theil wiederhohlt wird, bevor er ſich in ein Trio aufloͤſen kann.

Iſt aber nicht alle Volkspoeſie (als ihrer Natur nach ſang - und ſtrophenmaͤßig) in Strophen von gleichen Zeilen, und zwar die deutſche Anfangs von vier langen, nachher auch von acht kur - zen? Ich gebe eine vermuthliche, mir gleichwohl ſehr wahrſcheinti - che Erklaͤrung dieſes anſcheinenden Widerſpruchs, eben die große Einfachheit der Volkslieder bietet ſie dar. Alles liegt hier an der begleitenden Stimme und Muſik. Wahrſcheinlich wurde die zweite Haͤlfte der Strophe, nachdem man die erſte entweder42 wiederhohlt oder bloß in zwei gleiche Theile zerlegt hatte, in einer andern Melodie abgeſungen. In manchen Faͤllen wird auch der Refrain fuͤr einen dritten Theil gegolten haben. Hier - aus erklaͤrt ſich nun das Neigen der letzten Zeile in Volkslie - dern zu einer groͤßeren Laͤnge, weil die eigenthuͤmliche Natur der zweiten Haͤlfte des Ganzen (nach meiner Anſicht des dritten Theils) dieſe ſcheinbare Ungleichheit moͤglich und ganz natuͤr - lich macht.

Iſt noch eine andere Anwendung hier erlaubt, ſo offen - bart ſich in der nordiſchen Alliterationspoeſie ein analoges Sy - ſtem; denn in den vier - (oder acht -) zeiligen Strophen ſtehen zwei Reimbuchſtaben meiſtentheils in der erſten Zeile, der dritte aber erfuͤllt die zweite ganz allein; in den ſechszeiligen hingegen hat die erſte und die zweite Zeile jede nur einen ſol - chen Reim, die dritte aber deren zwei eigene. Die Aehnlich - keit, die ferner im Verhaͤltniß der griechiſchen Strophe und Gegenſtrophe liegt, wird niemand verkennen, ob ſie gleich ſchief ausgelegt werden koͤnnte.

Nirgends nun tritt unſer trilogiſches Princip klaͤrer auf, als in dem altdeutſchen Meiſtergeſang, in deſſen ſpaͤteren Pro - ductionen es auch von jeher anerkannt und hervorgehoben wor - den iſt, eben weil es in der ſpaͤteren Sitte aͤußerlich (ich meine, in den Handſchriften) ausgezeichnet wurde. Auf der andern Seite hat dieſer letzte Umſtand eine falſche, (wie in ſich ungenuͤgende ſo hoͤchſt uncritiſche) directe Herleitung aus dem Griechiſchen veranlaßt. Meine Abſicht geht jetzt dahin, dieſe Trilogie auch in dem Bau der fruͤheren Meiſterlieder, alſo der Minneſaͤnge nachzuweiſen. Sehr merkwuͤrdig bleibt es, wenn gezeigt werden kann, was ich hiermit behaupte, daß unter den Liederweiſen der maneßiſchen Sammlung (als fuͤr uns wenigſtens des Inbegriffs und Vorraths aller Minnepoeſie) vielleicht nur funfzig nicht recht unter die aufgeſtellte Regel43 paſſen, die uͤbrigen aber ſie geradezu in ſich darſtellen. Mit - hin kann ſchon jetzo faſt kein Zweifel obwalten, daß die Regel ſelbſt gegolten, eher darf man ſich wundern, daß in einer auf das vielſeitigſte ſpielenden Reimkunſt ſo wenig Abweichung von einem Grundſatz in der That vorkomme, deſſen Tiefe wohl den meiſten Dichtern unbewußt war. Wenigſtens duͤrfte der, welcher um der Ausnahmen willen, die Regel leugnete, ſie auch ſpaͤterhin nicht mehr finden wollen, indem ſich auch ſpaͤ - tere Anomalien aufweiſen laſſen werden, und worin wollte dieſer dann die Eigenthuͤmlichkeit des ſpaͤtern Meiſtergeſanges ſetzen? Von Allem iſt nun im Einzelnen zu handeln.

I. Regel.

In allen Meiſterſaͤngen, ſowohl in den Minneliedern als in denen der mittleren und letzten Periode erkenne ich folgen - den Grundſatz:

Die ganze Strophe, oder das ganze Geſaͤtz, hat drei Theile, davon ſind ſich die zwei erſten gleich und ſtehen in nothwendi - gem Band, der dritte ſteht allein und iſt ihnen ungleich30)Ich habe es ſchon vorhin zu dem Hauptfehler meines erſten Aufſatzes gemacht, daß ich anfaͤnglich dieſes dreigliedrige Prin - cip in einigen alten Minneliedern nicht anerkennen zu duͤrfen waͤhnte. Dazu verleiteten mich einige Anomalien, die ich da - mals nicht recht zu erklaͤren wußte, dann die anſcheinend gluͤck - liche hiſtoriſche Nachweiſung des Namens der Stollen. (ſ. folg. Note.) Jedoch muß ich ausdruͤcklich aufheben, daß mir Do - cen mit Unrecht S. 105. die Leugnung des dreigliedrigen Satzes da zuſchreibt, wo ich nur von fruͤher nicht dageweſenen ſpaͤte - ren Kleinigkeiten ſpreche. Wie haͤtte ich die allerſichtbarſte Ei - genſchaft des ſpaͤteren Meiſtergeſangs eine Kleinigkeit heißen koͤnnen? Ich dachte aber bei dem Worte Abtheilungen an nichts als das aͤußerliche Abtheilen und Abſetzen in den Hand - ſchriften, wie jeder Aufmerkſame ſogleich ſehen wird.. Ich werde der Bequemlichkeit wegen die bekannteſten Namen44 gebrauchen, und die beiden erſten; Stollen, den dritten den Abgeſang nennen, das Ganze aber Strophe31)Strophe, als etwas Wiederkehrendes, (versus) iſt zwar hier unei - gentlich und wuͤrde ſich eher fuͤr den Begriff unſeres Stollen paſſen. Indeſſen das Wort: Geſaͤtz, wuͤrde ungewohnt, und Lied ganz verwirrend ſeyn, obgleich ich recht gut weiß, daß die ſpaͤ - tern den erſten Ausdruck brauchten, und die Minneſaͤnger ſo - wohl, als die ſpaͤtern Meiſter ganz beſtimmt dasjenige, was ich hier unter Strophe verſtehe, Lied benennen. Es iſt uns jetzo aber viel zu[gelaͤufig], darunter das ganze Gedicht zu begreifen, oder eigentlich, ſo haben wir den noch aͤlteren, volksmaͤßigen Gebrauch dieſes Wortes wiederum eingeſetzt, nach welchem z. B. das ganze Gedicht der Nibelungen Lied heißt. Eine aͤhnliche Vermiſchung hat das Wort Weiſe betroffen, worunter wir jetzt nur den Ton, die Melodie einer Strophe verſtehen, da die Daͤnen mit ihren Viſer auch ganze Lieder bezeichnen. Den Namen Stoll betreffend, ſo nehme ich meine fruͤhere Vermuthung, als ob er mit dem Meiſter Stolle in Verbindung zu bringen ſey, zuruͤck, da er ſich auch weit natuͤrlicher (er mag aufgekommen ſeyn, wann er will) im terminologiſchen Geiſt des Meiſtergeſangs erklaͤren laͤßt, das ganze Geſaͤtz ruhte oder ſaß gleichſam auf zweien Fuͤßen. Aufgeſang fuͤr Stoll, welches Docen durch ein Beiſpiel von 1515 rechtfertigt (Note 11. ſei - ner Abh.) waͤre eine ſehr paſſende Benennung und entſpraͤche dem Abgeſang. Man vergleiche das Jen. M. z. B. CCCLXIII. wo Rumelant auf Singofs Namen anſpielt: ſingof, ſing abe, ſing hin, ſing her. welche Stelle fuͤr das ziemlich hohe Alter beider Woͤrter ſtreitet.. Der gewoͤhn - liche Fall iſt, daß ſich die Stollen durchaus gleich ſind, in Zahl der Silben und Zeilen, und Stellung der Reime. Letzteres iſt jedoch nicht nothwendig, denn man begreift, daß der Haupt - eindruck der Gleichheit gar nicht verletzt werde, wenn auch zu - weilen die Reime eine andere, etwa umgekehrte Richtung er - halten, und alsdann richten ſich die Silben entweder nach den Zeilen oder den Reimen. Ferner, meiſtentheils werden die Reime der Stollen freilich in ihnen ſelbſt gebunden, es wider - ſpricht aber dem Princip wiederum nicht, wenn ſie manchmal45 erſt in dem Abgeſang gebunden werden, oder gar in und mit der folgenden Strophe32)Fuͤr letzteres haben die ſpaͤtern Meiſter den techniſchen Ausdruck Korn oder Koͤrner.. Was die Silbengleichheit angeht, ſo iſt ſie zu natuͤrlich, als daß ſie im eigentlichen Sinn ver - letzt werden koͤnnte. Doch muß man hier den alten einfachen Minneliedern eine Freiheit vor den ſpaͤtern Meiſtergeſaͤngen zulaſſen, die erſtern gleichen darin oft noch dem Volksgeſang, daß ſie unter dieſelbe Melodie ein Paar Silben mehr bringen, oder einige weniger und in die Laͤnge ziehen koͤnnen. Am lieb - ſten ergibt ſich die Schlußzeile des zweiten Stollen einer groͤße - ren Laͤnge. Man vergleiche Friedrich von Huſens Lied: wol ir ſie iſt ꝛc. (1. 95. und im weimar. C. in ſchlechtem Text aber mit zwei Strophen mehr.) Hier neigt die vierte Zeile uͤber die ihr entſprechende zweite ſichtlich hinaus in den beiden er - ſten Strophen, allein faſt gar nicht in der dritten, und im weimariſchen Text dieſes Geſangs ſcheinen ſich beide Zeilen in allen Strophen gleich zu ſeyn.

Der Abgeſang iſt gewoͤhnlich keiner weiteren Zerlegung faͤhig, zuweilen koͤnnte man ihn auch in zwei eigene Theile zer - ſchneiden, wo ſich aber faſt immer zuletzt ein Anhang findet. Uebrigens kann er laͤnger oder kuͤrzer ſeyn, als die beiden Stollen zuſammen, oder gar kuͤrzer, als einzelne33)Z. B. Dietmar v. Aſt (1. 40. Lied: ich ſufte und hilfet ꝛc. ) und derſelbe Ton in dem erſten Lied des Burggr. v. Liunz (1. 90. ), in welchen beiden der Stoll 4, der Abh. nur 2 Zeilen hat. Dasſelbe Verhaͤltniß in anderem Ausdruck bei Winli (2. 23. Lied: ſwer in leide ꝛc.) Fuͤr den ſpaͤten Meiſtergeſang begnuͤge ich mit den Beiſpielen von Nunnenbecks abgeſchie - denem und Kettners hohem Ton.. Man fuͤhlt zugleich, daß die ungewoͤhnlicheren Faͤlle doch etwas ſtei - fes, unbefriedigendes in ſich tragen, dagegen iſt ein anderer ziemlich haͤufiger, wo in dem Abgeſang einzelne Partien aus46 den Stollen wleder anklingen, deſto anmuthiger und durchaus von guter Wirkung; es kann wohl der ganze Stoll nochmals zu Ende des Abgeſangs wiederhohlt werden34)Der ganze Stoll wiederhohlt in einem Minnelied Meiſter Teſch - lers 2. 88. (frowe minne) u. Roſts 2. 90. (hei roͤſelechter.). Das Ge - gentheil war jedoch auch in ſpaͤterer Zeit bei weitem gebraͤuch - licher, und Wagenſeil (S. 522.) fehlt, wenn er das Ano - maliſche als eine Regel zu behandeln ſcheint.

Folgende beide Puncte, als charakteriſtiſch fuͤr den Mei - ſterſang, muß ich noch verwerfen:

1) Daß der Sinn der Gedanken mit der Strophe ſchließe, alſo jede fuͤr ſich ein Ganzes bilde. Dieß iſt bekanntlich nicht bei den Minneliedern der Fall, aber eben ſo wenig bei den ſpaͤteren Meiſterliedern, obgleich hier der Gegenſtand haͤufiger ein Abbrechen mit ſich bringt, z. B. in der mittlereu Zeit bei Lobgeſaͤngen auf Fuͤrſten, wo jeder meiſtens in einer Strophe abgethan wird. Docen, welcher obigen Satz aufſtellt (S. 93. 102. ), hat ſelber Gedichte, wie den Wartburger Krieg, nicht umgehen koͤnnen und das als eine ſich von ſelbſt verſtehende Ausnahme behandelt. Dieſe einzige Ausnahme iſt indeſſen von der Beſchaffenheit, daß ſie in meinen Augen ſeine ganze Regel umſtoͤßt. Uebrigens laſſen ſich auch Minnelieder aufzeigen, die nur aus einer Strophe beſtehen, man ſehe die des Veldeck, Dietmar v. Aſt ꝛc. und die letzte Strophe des Alram (2. 110. ), und neue Meiſtergeſaͤnge von nur einem Geſaͤtz kann man in einem Band des Ambr. Metzger S. 69. 70. finden. (Handſchriftl. in Arnims Beſitz.)

2) Daß ein Meiſterſang aus drei Strophen beſtehen muͤſſe. Dieſe auch von Docen ausgeſprochene Regel widerſpricht nun zwar der vorigen nicht gerade in ſeiner Meinung, indem er wohl annimmt, daß man drei ſolcher in ſich unzuſammen - haͤngender Strophen in demſelben Ton abgeſungen. Die Sache47 iſt aber ganz falſch. Es gibt viel ſpaͤtere Meiſterſaͤnge von mehr als drei Strophen35)Das heißt in ihrer Sprache: außer den gedritten gibt es z. B. noch gevierte, gefunfte, geſiebente Meiſterlieder. Man ſehe Puſchmanns Lieder auf H. Sachs bei Raniſch und den Cod. vatic. 680., und wenn in der That die mei - ſten nur aus dreien beſtehen, (worin man leicht moͤglich etwas ſuchte, was meinem trilogiſchen Princip allenfalls nicht unver - wandt), ſo haben auch eine Menge fruͤherer Dichter ſchon den - ſelben Gebrauch befolgt36)Z. B. Lupin, Diuring, Hetzbolt, Bubenburg, Teſch - ler, Roſt, Canzler (ſehr haͤufig) Rifen (bei Benecke.), den ich um deswillen nicht zur Regel machen will, weil gleichfalls oͤfters die fruͤheren Mei - ſterlieder regelmaͤßig aus fuͤnf Strophen beſtehen37)Man ſehe Frauenlobs Geſaͤnge im weimar. Cod..

Erſte Einwendung gegen das dreitheilige Princip. (Einfache Lieder.)

Es gibt in der maneßiſchen Sammlung einige einfache Min - nelieder, in welchen man ſchwerlich den aufgeſtellten Grundſatz zu entdecken ſcheint. Dahin gehoͤren vor allen die folgenden, ſaͤmmtlich aus Strophen von vier langen Reimen beſtehenden:

  • Veldeck 1. 22. (Anfang: manichen herzen ꝛc.) Die dritte Zeile iſt kuͤrzer, dadurch ein Unterſchied und Abſchnitt.
  • Nifen 1. 23. (von walhen fuor ꝛc.) Die dritte kuͤrzer, die vierte viel laͤnger.
  • Kiurenberg 1. 38. Die letzte neigt zu uͤberwiegender Laͤnge, leider iſt das herrliche Lied incorrect und ver - dorben.
  • Dietmar v. Aſt 1. 39. (ahy nu kumt ꝛc.)
  • von Mure 1. 49. (ahy nu ſol ꝛc.) Die letzte offenbar laͤnger.
  • Reinmar 1. 72. (hoh alſam ꝛc.) Dritte kurz.
  • Rubin 1. 169. (wol im der ſin ꝛc.) Wie vorhin.

48

  • Lichtenſtein 2. 30. 31. (ir edeln frowen ꝛc.)
  • Derſelbe 2. 32. (alle die in ꝛc.) Dritte kurz.
  • Alram 2. 110. (mich dunket ꝛc.)
  • v. Regensburg 2. 117. Dritte kuͤrzer.

ſo wie auch einige ſechszeilige, als:

  • Milons von Sevelingen Lieder (die zwei letzten Stro - phen gehoͤren ihm ſchwerlich.)
  • Kol von Niuſſen.

In den gleich zugefuͤgten Anmerkungen habe ich nun ſchon dar - gethan, wie ſich die Zeilen des Abgeſangs meiſtens aͤußerlich unterſcheiden, und ſelbſt was die ganz gleichzeitigen darunter betrifft, ſo komme ich auf meine obige Bemerkung zuruͤck, daß uns hier die Muſik fehlt, welche nicht anders als in den Ni - belungen die drei Theile beſtimmt haben wird. Da ich an - nehme, daß der Meiſterſang nicht allein die Sitte der Volks - dichter beibehalten, ſondern auch ſein eigenes Princip aus dem Volksgeſang geſchoͤpft und nur aͤußerlich aufgeſtellt und fortge - fuͤhrt hat, ſo finde ich es ganz natuͤrlich, daß die Form dieſer einfachen Lieder an den Volksgeſang erinnere. Ich halte ſie uͤbrigens fuͤr vortrefflich und groͤßten Theils ſehr alt, man glaubt in ihnen die Grundlage aller Liebeslieder zu erblicken. Allein der meiſterſaͤngeriſchen Regel widerſtehen ſie nicht, wenn ſie ſolche auch am unſcheinbarſten und ſchwaͤchſten darſtellen. Haben doch die ſpaͤten Meiſter noch die einfache Aufloͤſung der langen gleichen Zeilen, in acht kurze gleiche (Wolframs Hoͤn - weis) ohne Anſtoß geduldet und in den Schulen gebraucht, und den Abgeſang gerade zu mit der fuͤnften (alſo ohne Aufloͤſung, mit der dritten) Zeile angefangen38)Dieſe Aufloͤſung ſehe man in einem merkwuͤrdigen Beiſpiel ſchon in dem Minnelied des Joh. v. Brabant, 1. 8. frowe durch got genade ꝛc.) Vergl. auch den Meiſterſaͤnger Had - loub 2. 194. (o we ſi wigt ſo kleine ꝛc.); womit die Muſiknoten dieſer Weiſe in Volksliederbuͤchern (wie Forſters) ganz uͤber - einſtimmen.

49

Nicht viel anders verhaͤlt es ſich mit den bei Hiltbolt 1. 146. (kalte rifen und ſne ꝛc. ) und Nithart 2. 82. (ein altu vor ꝛc. ) befindlichen kurzzeiligen Strophen von vier Rei - men. In ſolchen ſtreift Volksgeſang in den meiſterlichen hinuͤ - ber, oder umgekehrt. Noch weniger koͤnnen die in einem Liede Wolframs 1. 147. (der helden minne ꝛc. ) und bei Walter 1. 102. (ich ſas uf einem ꝛc.) 1. 109. (do der ſumer ꝛc. ) vor - kommenden, nicht uͤberſchlagenden39)Beſſer waͤre ein poſitiver Ausdruck. Man koͤnnte ſie die ſo - gleich gebundenen, unmittelbaren nennen, im Gegenſatz zu den ſich verſchlingenden. Reime eingeworfen wer - den, in denen nichts volksmaͤßiges liegt. In Dietmars Liede 1. 39. (es ſtuont ein frowe ꝛc. ) treten ſie kaum aus den Aſſonanzen heraus, reiner ſind ſie bei demſelben 1. 41. (ſlafeſt du friedel ꝛc. ) und bei Friedr. v. Huſen 1. 93. (ſi darf mich ꝛc.) Ich brauche bloß zu bemerken, daß eine gleiche Anomalie in Hans Sachſens Spruch - und Roſenweis ſtatt findet, worin auch ſolche unmittelbare Reime. Dahin gehoͤrt endlich die fuͤnfzeilige Strophe Walters 1. 113. (uns hat der Winter ꝛc. ) und ſein Vocalenſpiel 1. 125.

Zweiter Einwand. (Abnorme Faͤlle.)

Wichtiger ſcheinen ſich einige offenbare kunſtmaͤßige Lieder nicht das Syſtem gefallen zu laſſen. Sie fodern eine genaue Aufmerkſamkeit.

1) Die maneßiſche Sammlung zaͤhlt Lieder, die nur aus zwei zu einander zugewandten oder ſich genau auf einander be - ziehenden Theilen zu beſtehen ſcheinen, ſo daß das Ende des einen an den Anfang des andern reicht und nun dieſelbe Reim - leiter wieder hinaufgeſtiegen wird; oder auch nur ſo, daß alle in dem erſten Theil aufgewandte Toͤne in dem zweiten ihreD50Bindung erreichen, ſey es nun in welcher Ordnung. Der Ab - geſang ſcheint mithin zu fehlen. Allein da ſich dann in keinem dieſer Lieder ein eigentlicher Mittelpunct faͤnde, und uͤberhaupt nicht anzunehmen iſt, daß eine Melodie von der Mitte heraus zu ihrem Anfang und Ende hin ſich gleichmaͤßig ausbreite, ſo iſt wohl in den nachſtehenden Schematen der Abſchnitt nach der punctirten Linie zu verwerfen und es verhaͤlt ſich damit wahrſcheinlich ſo: ſtatt, daß ſonſt der Abgeſang auf die zwei Stollen folgt, iſt er hier in die Mitte zwiſchen beide genom - men und der zweite Stoll macht den Beſchluß. Den Beweis koͤnnte wieder erſt die Muſik ſolcher Lieder liefern, wohin nur die nachſtehenden gehoͤren. Dabei muß Herrn Docen auf - fallen, daß dieſe Anomalie ſich noch dazu ganz beſonders bei Walter von der Vogelweide, alſo einem von ihm anerkann - ten Meiſterſaͤnger und zum Theil bei ernſthaftem Inhalte fin - det. Aus dem ſpaͤtern Meiſterſang weiß ich dießmal kein Bei - ſpiel zu liefern.

[figure]
  • (Gewißheit haben wir uͤber ſolche Abtheilungen freilich noch nicht, und es ließen ſich auch einige anders verſuchen.)
51
[figure]
[figure]

2) In andern Geſaͤngen ſpringen zwar die drei Theile deut - lich hervor, aber die Reimfolge in den beiden erſten (den Stol - len) iſt nicht gleichmaͤßig. Hierin liegt, wie ſchon oben be - ruͤhrt worden, an ſich nichts Unnatuͤrliches, weil die Gleich - heit im Ganzen wohl vorhanden iſt. Alle erregten Toͤne wer - den befriedigt und geloͤſt, ob nun der letzte dießmal zuerſt, oder wie es geſchehen mag, beleidigt nicht das Princip. We - nigſtens bekommen die beiden Stollen, wo ſie ſich einander bloß zudrehen, eine Art von Rundung und Ganzem; ich ver -D 252muthe aber, daß zu demſelben Reim auch die Muſik des er - ſten Theils zuruͤckgekehrt ſey. Hierher ſind folgende zu rechnen:

Rudolf v. Neuenb. 1. 8. (gewan ich ꝛc.) Stretlin - gen 1.45. (ach dar ich ꝛc.) Bligge 1. 177. (min alte ſwere ꝛc.) Schwerer und unangenehmer aͤußert ſich dieſe Anomalie manch - mal da, wo die Stollen aus mehrern Zeilen beſtehen. Ich laſſe in den Beiſpielen die Abgeſaͤnge aus:

[figure]

In einigen dieſer Lieder muͤſſen die Reime warten, bis ſie im Abgeſang gebunden werden; will man aus der Zeit des53 ſpaͤteren Meiſtergeſangs auch dazu Beiſpiele haben; ſo ſchlage man den verwirrten Ton Vogels oder den verkehrten Mi - chael Pehams nach. Hier ſprechen merkwuͤrdig genug die Namen fuͤr die Abweichung und alſo mit fuͤr die Regel, dieſe ſtand feſt und bekannt da, die Kuͤnſtlichkeit wagte ſich aber dennoch in Anomalien, die ſie ſchon in der Benennung auszu - druͤcken ſorgte.

3) Von geringer Abweichung ſind einige andere Faͤlle, die ich deßwegen auch lieber zufaͤllig erklaͤren moͤchte. Bei Vel - deck 1. 20. ſtehen einige Lieder: gern het ich ꝛc. es tuont diu Vogelin ꝛc. die bloß einzelne Strophen ſind, woraus ſich noch gar nichts abnehmen laͤßt, um ſo mehr, als andere dem An - ſchein nach ebenfalls abnorme wie einige von Nifen 1. 22. 23. nun nicht mehr ſo erſcheinen, ſeitdem die in Bodmers Ab - druck mangelnden Zeilen ergaͤnzt worden ſind (ſ. Benecke 4. und 21.) So verhaͤlt es ſich ungefaͤhr mit der 1. 175. einſam da ſtehenden Strophe: got weis wol ꝛc. Das Lied des von Tuifen 1. 45: ich minne in minem muote ꝛc. iſt auf den er - ſten Anblick unregelmaͤßig, ſodald man aber merkt, daß die folgende abgeſetzte: min munt demſelben ꝛc. keine eigentliche iſt, ſondern nur den Abgeſang zu den in der vorigen liegenden Stollen enthaͤlt, kommt alles in Ordnung. Sonderbar iſt das 2. 33. ſtehende Lied Lichtenſteins: wißet frowe ꝛc. Man koͤnnte die erſte und zweite Strophe fuͤr den einen Stollen, die dritte und vierte fuͤr den zweiten, die fuͤnfte fuͤr den Ab - geſang auslegen, in allen fuͤnfen alſo eigentlich nur eine Stro - phe (einen Bar) finden. Vielleicht iſt es aber ein Stuͤck Leich, wovon bald nachher.

Walters ſchoͤnem aber unregelmaͤßigem Tagel. 1. 107: fruͤnt - liche lag ꝛc. ſcheint der Refrain und darin der Abgeſang zu mangeln. Denn ſo gewiß das, was wir unter Refrain verſtehen, in den Meiſterliedern manchmal von dem Abgeſang ganz unabhaͤngig iſt, ſo wahrſcheinlich hat es ihn andremal gerade gebildet. Einige54 Lieder, welche deutlich nur aus zwei Theilen beſtehen, moͤgen auch einen ſolchen Anhang in der Muſik bekommen haben, oder man kann ſie wirklich fuͤr ein Paar Ausnahmen gelten laſſen. Dahin gehoͤren: Walter von Metz 1. 166. (mirſt min ꝛc.) Lichtenſtein 2. 26. (nu ſchouwent ꝛc. ) und Hawart 2. 111. 112. (ob es an ꝛc. ), bei welchem letzten man jedoch auf die Silbenzaͤhlung zu achten hat. Vergl. auch den gereimten Pro - log Conrad Megenbergs (Muſeum 1. 148.)

4) Zuweilen zeigt ſich in fruͤhern und ſpaͤteren Meiſterſaͤngen eine ganz eigene Kuͤnſtlichkeit; ſtatt daß die Reime ſonſt die Zeile ſchließen, ſtehen ſie da zu Anfang und zwar um einen irgendwo liegenden Endreim zu binden, der ſonſt Waiſe geblie - ben waͤre, oder um ſich unter einander Anfangsreim mit An - fangsreim zu vereinigen. Sie brauchen nicht gerade ganz vorne vorzukommen, ſondern koͤnnen auch erſt nach einer, zwei oder mehr Silben folgen. Characteriſtiſch ſcheint mir nun: beiderlei Faͤlle haben zu gleicher Zeit und untereinander ſtatt, koͤnnen in jeder Zeile ſtehen, in beiden Stollen, oder nur in einem, nur im Abgeſang oder im Abgeſang und einem Stollen. Dar - aus folgt dann: dieſe Anfangsreime haben auf das Princip der eigentlichen Reime, d. h. der zu Ende ſtehenden keinen Ein - fluß, Waiſen (ungebundene Reime) ſind ja ohnedem zulaͤſſig im alten und neuen Meiſtergeſang. Jene alſo greifen in das Ge - baͤude der Stollen und Abgeſaͤnge gar nicht ein, womit ſie ſonſt in Widerſpruch ſtehen wuͤrden; es iſt folglich fehlerhaft, ſie im Druck in neue Zeilen abzuſetzen, als wenn ſie ſelber wahre Endreime waͤren, was ſie dadurch werden. Benecke, ſo wie er ſonſt das Reimſyſtem weit ſorgfaͤltiger behandelt, als die Raßmanniſche Vergleichung thut, hat hierin zu viel geleiſtet, und offenbar durch das Ausruͤcken ſolcher Aufangs - reime den Typus des Meiſterſangs verruͤckt, beſonders einzelnen Zeilen ihre Silbengleichheit benommen.

55

Ich ſchlage vor, dergleichen Reime bloß zu unterſtreichen, da ſie allerdings verſtanden werden ſollen und, wo ſie nicht ins Geſicht fallen, von unſern entwoͤhnten Ohren gewiß uͤberhoͤrt werden muͤſſen. Zuweilen ſcheinen ſie in der That unvernehm - lich, zwoͤlf und mehr Zeilen liegen dazwiſchen, und es muß uns das Zwang und leere Spielerei ſeyn, was im Urſprung leicht eine andere Bedeutung gehabt hat.

Ich moͤchte ſolche Reime Alliterationsreime nennen und glaube, daß ihnen auch ein aͤhnliches Gefuͤhl zum Grunde liege, nur daß hier den Vocalen ganz die einſchlagende Macht der Conſonanten uͤbertragen iſt, die Conſonanten ſelbſt aber nicht alliteriren. Sollte hierin eine Spur altdeutſcher Allite - ration bis in ſpaͤtere Zeiten gelangt ſeyn? 40)Folgender Punct iſt aͤußerſt merkwuͤrdig. In der ſeandinavi - ſchen Poeſie exiſtirt ganz derſelbe anomale Fall in den beiden Sangarten Drottmaͤllt und Togmaͤllt, wo ſich jedwede Zeile in ſich ſelbſt reimt, und zwar 1) ohne daß dieſe Reime in das da - neben beſtehende Alliterationsſyſtem eingriffen, denn ſie koͤnnen gleichguͤltig an den alliterirenden Woͤrtern ſelbſt oder an andern angebracht werden, (eine hoͤchſt willkommene Analogie fuͤr die Unabhaͤngigkeit unſerer deutſchen Anomalie vom Princip des Meiſtergeſangs. 2) Die Reime ſind unvollkommen, inſofern es mehr auf die Conſonanten ankommt und alte Vocalen gleich - bedeutend gebraucht werden koͤnnen, (ein wahrer Gegenſatz der Aſſonanz und ein Beweis der Verwandtſchaft mit der Alli - teration, man koͤnnte das Ganze eine verſtaͤrkte und verſetzte Alliteration nennen.) 3) Sie uͤberſchlagen nie und bleiben in einer Zeile, worin eine Unaͤhnlichkeit mit dem deutſchen Fall; allein in der nordiſchen Poeſie war die Grundeinfachheit nie ver - draͤngt worden, daß die alliterirenden Woͤrter noch beiſammen ſtehen muͤſſen, Ueberſchlagen iſt ungebraͤuchlich, wie man aus den Runhend ſehen kann. In Deutſchland mußte ſich die Ano - malie, gleich der uͤbrigen Reimkunſt, mehr Freiheit in der Stel - lung und Verſetzung nehmen, dafuͤr aber auch die nordiſche Willkuͤrlichkeit der Vocalenaufgeben. Olafſen irrt, daß er das Princip des Drott - und Togmaͤllt dem Norden ausſchließlich

56

Die Beiſpiele will ich bloß andeuten, damit ſie jeder ſelbſt nachſchlagen kann.

  • Walter 1. 121. (ich wil niht me ꝛc.) Das erſte Wort der letzten, bindet das letzte der erſten Zeile.
  • Ebenderſ. 1. 121. (ob ich mich ſelben ꝛc.) Die erſte und letzte Z. des Abgeſ. reimen ſich durch Anfang und Schluß.
  • Ebenderſ. 1. 122. (ir reinuͤ wib ꝛc.) Hier iſt der Abgeſang in der Mitte. Der Anfang der erſten Zeile des Abgeſ. reimt in das Ende der zweiten und der Anfang der drit - ten in das Ende der vierten, die Ende der erſten und dritten reimen ordentlich.
  • Lichtenſtein 2. 37. (wol mich iemer.) Das erſte und letzte Wort jeder Strophe reimen und zwar in allen drei Strophen auf einem Reim.
  • Derſelbe 2. 38. (frouwe min got.) Schlußzeile bindet ſich ſelbſt durch ihren Anfang und ihr Ende.
  • Derſelbe. 2. 41. (ein man bedarf.) Wie vorhin.
  • Derſelbe 2. 43. (wißet alle das ich kan.) Die erſte Z. des Abgeſ. wie vorhin.
  • Brunwart v Oughen 2. 55. (jarlang valwent.) Die letzte Zeile des Abgeſ. wird in der zweiten Silbe des erſten Stollen gebunden.
  • Hawart 2. 111. (ich wil dir herre ꝛc.) Hier reimt die erſte Silbe beider Stollen mit der letzten des Abgeſ.

Die beſonders haͤufigen Beiſpiele aus Nifens Liedern citire ich aus Benecke:

  • Num. 1. Die letzte Zeile des Abgeſ. gebunden durch die fuͤnfte Silbe der erſten Zeile des erſten Stollen.
  • 5. Die erſte und letzte Silbe des Ganzen.
  • 6. Ebenſo.

40)zuſpricht. Man darf bei unſerm deutſchen Fall uͤbrigens auch an die Art denken, wie Otfried ſeine Akroſtichen in den Anfang und das Ende der Zeilen bringt.

57
  • Num. 10. Die zweite Silbe des erſten Stollen mit der letz - ten des Ganzen.
  • 25. Die letzte Silbe diesmal im Abgeſang ſelbſt ge - bunden und zwar in der Anfangsſilbe ſeiner zweiten Zeile.
  • 38. Hier binden ſich die erſte und letzte Silbe des Abgeſ.
  • 43. Letzte Silbe gebunden mit des zweiten Stollen erſter.
  • 45. Die letzte Zeile gebunden durch die vierte Silbe des erſten Stollen und der Schlußreim des zweiten Stollen mit der dritten Silbe der zweiten Zeile des Abgeſangs. (In dieſem reimverwirrten Lied werden uͤberdem die Stollenreime erſt im Abgeſang vermaͤhlt. Oder will man zwei gleiche Haͤlften jeder Strophe annehmen?)

Das merkwuͤrdigſte Beiſpiel und einer der unverſtaͤndigſten Toͤne, die je erdacht worden, iſt der, welcher gleich die wei - mariſche Handſchrift eroͤffnet, deſſen Namen ich nicht ange - ben kann, weil mit einigen verlorenen Blaͤttern die Rubrik mangelt. (Ich bezweifle nicht, daß er von Frauenlob; ſollte es deſſen Tagsweis oder Kupferton ſeyn, die ich mir noch nicht verſchaffen koͤnnen? denn beide ſind zwanzigreimig.) Schon iſt es alles moͤgliche, daß die Stollenreime erſt im Abgeſ. Band erhalten, und zwar auf folgende Art: jeder Stoll hat 5, der Abg. 10, das Ganze alſo 20 Reime, 1 bindet mit 13, 2 mit 17, 3 mit 11, 4 mit 19, 5 mit 18, 6 mit 15, 7 mit 12, 8 mit 16, 9 mit 14, 10 mit 20. Allein das iſt lange noch nicht alle Kunſt, denn nun treten unſere Anfangsreime daneben auf. Die erſte Silbe der er - ſten, zweiten und vierten, imgleichen die zweite der dritten Zeile reimen ſich unter einander. Ferner die erſte Silbe der fuͤnften, ſechsten und eilften Zeile reimen ſich und zwar auf denſelben Endreim, den die zehnte und zwanzigſte Zeile ha - ben. Die Anfangsſilbe der ſiebenten und achten Zeile endlich reimen wiederum die erſte der neunzehnten und zwanzigſten. Es muͤſſen wenig Lieder ſo ſteif ſeyn, als dieß uͤberladene,58 manche Stellen werden dadurch ganz[unverſtaͤndlich], noch dazu in dem ſchlechten Text, aber die Regel iſt dafuͤr genau durch alle Strophen ausgehalten.

Das waͤren ungefaͤhr alle anomale Faͤlle, außer zweien, die in der dritten und vierten Einwendung eigens abgehandelt werden ſollen. Ich habe mich dabei auf die maneßiſche Samm - lung eingeſchraͤnkt, als die reinſte und erſte Quelle des Min - neſangs, auf den es vorzuͤglich abgeſehen.

Vielleicht ſind mir Einzelnheiten oder Beiſpiele entgan - gen, die Unterſuchung war eben ſo muͤhſam als langweilig, gleichwohl hielt ich ſie zur Sicherung des laͤngſt vermutheten Reſultats fuͤr unumgaͤnglich. Ich frage alſo: was beweiſen dieſe wenigen Anomalien unter zwoͤlfhundert Toͤnen, in wel - chen das Princip deutlich regiert? Und ich habe die Abwei - chung zu erklaͤren verſucht, und, was nicht zu uͤberſehen iſt, bewieſen, daß ſie fruͤh und ſpaͤt vorkommen und in jenem Fall nicht bloß in den Minneliedern, ſondern auch in denen, welche Docen ausſchließlich zu Meiſtergeſaͤngen machen will.

Dritte Einwendung. (Der Ton des Titurel.)

Betrachtet man bloß die Reime, ſo iſt dieſer Ton ein ſehr einfacher und regelmaͤßiger, von ſechs Reimen oder vielmehr ſieben Zeilen, wo dann die mittlere des Abgeſangs ungebunden bleibt. Eine auffallende Abweichung zeigt ſich aber ſogleich im Silbenverhaͤltniß, und dieſe hat offenbar immer darin gelegen und iſt aus keinem ſpaͤtern Mißverſtand herzuleiten. Wolfram verſichert ſelbſt, daß er die Lieder (Strophen) ſorgfaͤltig nach - gemeſſen, und nach den Regeln des Meiſtergeſangs. Wir muͤſſen alſo glauben, es ſey ein Meiſterton und ſein Silben - verhaͤltniß mit allem Bedacht von dem Dichter angenommen worden. Was Wolfram ſelbſt befuͤrchtet, Entſtellung unter den Haͤnden der Abſchreiber, iſt zwar eingetroffen und wir haben den Ton in ſeiner Reinheit in keiner der bekannten59 Handſchriften des Titurels, ſondern in der vortrefflichen ma - neßiſchen Sammlung bei Otto v. Turne40 a)Damit ſtimmen auch die ſeitdem bekannt gemachten Frag - mente einer guten Regensburger H. S. des Titurel uͤberein. aufzuſuchen. Ich bin danach uͤberzeugt, daß der ganze Ton aus 60 Silben beſteht, naͤmlich die drei erſten Zeilen jede aus 7, die ſechste auch aus 7, die vierte, fuͤnfte und ſiebente aber aus 11 Silben. Mithin fallen davon auf den erſten Stoll 14, auf den zweiten 17, auf den Abgeſang 2941)Es iſt naͤmlich ganz gewiß, daß ſchon fruͤhe Meiſter die Silben ihrer Lieder nachgemeſſen. Wolfram ſpricht ausdruͤcklich vom Meſſen dieſes Tons, und man ſehe die große Regelmaͤßigkeit vieler anderer in dem Stuͤck. Marner hat die Silben am Finger, nach Rumelant CCCXIII. Herman Damen (XI. ) von gemeſſenem, ebenem Geſang. Hingegen in manchen alten Liedern iſt noch die Frei - heit der Volkspoeſie, wo es auf einige Silben mehr oder we - niger gar nicht ankommt.. Zur Entſchuldigung dieſer Un - gleichheit ließe ſich allerdings ſagen, daß die erſten Zeilen je - des Stollen regelmaͤßig und gleich ſind, und da der Schluß des zweiten um drei Silben laͤnger, der erſte vollſtaͤndig darin enthalten, das weiter Folgende ein bloßer Anhang iſt, wie denn ſchon oben erwaͤhnt, daß die Natur alles Geſangs gern mit ſich bringe, auf dem Schluß eines Abſchnitts laͤnger zu weilen.

Gluͤcklicherweiſe findet ſich aber uͤber die ganze Anomalie ein befriedigender hiſtoriſcher Aufſchluß. Wolfram gedenkt einer fruͤheren, ein halb Jahrhundert aͤlteren Bearbeitung der - ſelben Geſchichte, dieſe hat ſich in einer Muͤnchener Hand - ſchrift erhalten. Herr Docen iſt ſo guͤtig geweſen, mir einen Theil des in aller Ruͤckſicht vortrefflichen alten Gedichts mit - zutheilen41 a)Er hat es nunmehr drucken laſſen, und entwickelt die neue aus der alten Form auf eine aͤhnliche Weiſe. Beruͤckſichtigung verdient die intereſſante Bemerkung, daß einige Zeilen der alten. Was auf den erſten Blick erhellt, iſt, daß es60 Wolfram zu dem Grund ſeiner ſpaͤteren Arbeit gelegt, ſo weit es ihm nur vergoͤnnt geweſen, faſt alle Worte laſſen ſich nach - weiſen. Und was uns hier beſonders intereſſirt, die neue Form hat ſich aus der alten entwickelt und iſt durch ſie lediglich be - ſtimmt worden.

Der alte Titurel hat vierzeilige Strophen, wie ich ſie außer ihm noch nirgends in altdeutſcher Poeſie angetroffen42)Haͤtten wir das Lied von Morolf und Salome in aͤlterer Geſtalt, ſo faͤnde ſich hier vielleicht große Uebereinſtimmung im Bau der Strophen. Man vergleiche folgende Strophe, die in den Verſen 2014 19 der Hagenſchen Ausg. liegt; ſchon ſo iſt die Aehnlichkeit bedeutend:Die kele worden bereit an den ſtaden Die morolf vnd die reiſe uͤber das waſſer ſoltent tragen Darinne gingen die hilde lobeſam Da furt er zehen duſent uber des wilden meres ſtran. (Cfr. 2187 90. 2191 96 u. ſ. w.), es iſt in ihnen ein einfacher Geiſt, wie in den Volksliedern, und keine genaue Silbenhaltung. Doch laͤßt ſich ungefaͤhr feſt - ſetzen, daß die zweite Zeile um einige Silben laͤnger als die erſte, die dritte um einlge kuͤrzer als die erſte, und die vierte, wo nicht der zweiten gleich, meiſtens noch um einige laͤnger iſt, als die zweite. Wir haben alſo hier wieder das Laͤngern der Schlußzeile des Ganzen, wie in den Nibelungen, von deren Bau uͤbrigens eine ſichtliche Verſchiedenheit. Namentlich in der characteriſtiſchen Kuͤrze der dritten Zeile, welche in den Nibelungen ohne Beiſpiel, wohl aber habe ich vorhin einige alte Minnelieder angegeben, welche gleichfalls die dritte Zeile verkuͤrzen. Und ſelbſt von dieſen weicht der alte Titurel wie - der durch die merkwuͤrdige Verlaͤngerung der zweiten Zeile ab. Ich zweifele faſt nicht, daß die Muſik der erſten Zeile in der41 a)Form an die hexametriſche erinnern. Dieß koͤnnte weiter ver - folgt werden, und dazu dienen die Natur des volksmaͤßigen Hexameters dem ſpaͤtern kuͤnſtlichen und bewußten entgegen zu ſtellen.61 zweiten wiedergekehrt und nur mit einem laͤngeren Verweilen geſchloſſen habe; die dritte und vierte muͤſſen das Trio gebil - det haben.

Nun iſt offenbar, wie Wolfram mit dem, was er vor - fand, verfuhr. Die beiden erſten Zeilen zerſchnitt er in vier Theile und erfand fuͤr ſeine nunmehrige erſte und dritte neue Reime, wozu ſich im alten Bau durchaus keine Vorneigung ſpuͤrt. In der zweiten und vierten ließ er die Reime der alten erſten und zweiten, ſo wie in ſeiner fuͤnften und ſechsten (oder ſiebenten) die der alten dritten und vierten ſtehen; ſehr begreiflich, weil er ſonſt alles Herrliche haͤtte zerſtoͤren muͤſſen. Aber eben dieſen beibehaltenen alten Reimen zu Gefallen durfte er das Ganze nicht vermengen. Zu zwei ſilbengleichen Stollen konnte er mithin unmoͤglich gelangen, haͤtte er jede der zwei erſten alten Zeilen in gleiche Haͤlften geſchnitten, ſo wuͤrde ſich ſein erſter und zweiter Stoll in keiner Zeile gleich geworden ſeyn, daher ſchnitt er die zweite alte Zeile in ungleiche Theile und wendete die uͤberfließende Laͤnge ſeiner Schlußzeile (d. i. ſeiner vierten) allein zu. Nicht nur in richtigem Gefuͤhl des alten Klanges, ſondern auch, weil er ein ſolches Ueberfließen nicht gerade mit ſeinem Meiſtergeſang unvereinlich hielt. We - niger Muͤhe koſtete ihm der Abgeſang, oder vielleicht gar keine, denn es laͤßt ſich nicht ganz entſcheiden, ob die Trennung der ſechsten, leer gelaſſenen Zeile ſchon von ihm hergeruͤhrt oder erſt ſpaͤter beliebt worden ſey. Wenigſtens theilt die hannoͤ - veriſche H. S. nicht, wie der Druck, die ſechste und ſiebente Zeile, und darin ſcheint ſie mit der Wiener43)Altdeutſches Muſ. 1. 575. uͤberein zu kommen. Andererſeits iſt nicht unvermuthlich, daß Eſchen - bach eine gewiſſe aͤußere Gleichſtellung aller Zeilen beabſichtigt und indem er von der alten vierten 7 Silben fuͤr ſeine ſechste abgenommen, darin die erſte Zeile der Stollen wieder erſchei - nen laſſen wollen. Dazu kommt, daß in Wolframs Titurel62 und bei Otto von Turne nach den ſieben Silben der Ab - ſchnitt deutlich zu vermerken iſt, nicht aber im alten Titurel, folglich iſt er abſichtlich eingelegt worden. Der