PRIMS Full-text transcription (HTML)
Aus meinem Bühnenleben.
[figure]
Aus meinem Bühnenleben.
Erinnerungen
Mit dem Bildniß der Verfaſſerin in Photographie.
[figure]
Berlin,1871. Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei (R. v. Decker).
[—I—]

Inhalts-Verzeichniß.

  • Seite.
  • Karoline Bauer? III
  • I. Die erſte Gage1
  • II. Das erſte Engagement16
  • III. Eröffnung des Königſtädter Theaters33
  • IV. Heiße Bretter57
  • V. Eine heitere Kunſtpauſe75
  • VI. Wieder in Reih und Glied106
  • VII. Eine aufrichtige Gegnerin159
  • VIII. Drei Jahre in Petersburg175
  • IX. » Es giebt nur a Kaiſerſtadt «252
  • X. Vier Tage in Dresden332
  • XI. Beim alten Dramaturgen382
  • XII. Das letzte Engagement432
*[—II—][—III—]

Karoline Bauer?

Es war im Spätherbſt 1868. Ich ſaß am Re¬ dactionstiſche von » Ueber Land und Meer « und las einen Brief und dann ein beiliegendes Manuſcript: Bühnenerinnerungen, von Karoline Bauer

Karoline Bauer? Ich muß ehrlich bekennen, der Name war mir völlig fremd. Die alte tapfere Theater-Garde aus den zwanziger und dreißi¬ ger Jahren, die ſo fröhlich lebte und ſchwärmte und kunſtenthuſiaſtiſch glühte und ſich ſo gern und ſo ſtolz ergab, möge dem Nachgeborenen ver¬ zeihen.

In dem Briefe ſtand: » Ich war nicht die bedeutendſte und berühmteſte Künſtlerin meiner Zeit, aber ich hatte das Glück, in der Blütezeit dramatiſcher Kunſt mit den größten Mimen unſeres Jahrhunderts zuſammenwirken zu dürfen. Von die¬**—IV—ſen edlen Künſtlern und von dem ganzen vergange¬ nen Künſtlerleben zu erzählen, treibt mich mein Herz, das einſt ſo heiß für die Kunſt glühte und ſich noch immer ſo gern an dem Blütenduft der Erinnerung aus jenen unvergeßlichen Frühlingstagen erquickt. Ich habe treu und ehrlich und ſchmucklos nach dem Leben gezeichnet auch nach dem mei¬ nigen. Ich habe mich bemüht, wahr über mich und gerecht gegen Andere zu ſein. Vielleicht gehen dieſe Spiegelbilder aus alten Tagen auch nicht ganz nutzlos an den Augen und Herzen meiner jungen Leſer vorüber «

Dann las ich das Manuſcript und bald hatte ſich mein ganzes Herz liebevoll verſenkt in dieſe Blätter, in jene verſchollenen großen Künſtler¬ tage und vor Allem in das liebenswürdig feſſelnde, anmuthig erheiternde und belehrende und dann wieder ſo wunderbar tief rührende » Bühnenleben « der Schreiberin. Das war keine gewöhnliche Waare auf meinem ſo viel belagerten und gemi߬ brauchten Redactionstiſche.

» Haben Sie Karoline Bauer ſpielen ſehn? « fragte ich einen alten Tapferen jener ausſterbenden Berliner Theater-Garde Wie ſeine Augen da—V— leuchteten, ſo ſtolz und dann ſo wehmüthig feucht! Und ſein altes unſterblich junges Herz lag in den Worten: Karoline Bauer? Cara me¬ moria! La bella Donna Diana das holdeſte Käthchen von Heilbronn die liebreizendſte Julia die edelſte Maria Stuart die rührendſte Gabriele und dann wieder das übermüthigſte Suschen der keckſte Page in den Pagenſtreichen der flotteſte Armand Richelieu Karoline Bauer war entzückend ſchön, aber doch noch ausge¬ zeichneter durch Grazie, Anmuth, Liebenswürdigkeit, Wohllaut der Stimme und vor allen Dingen durch edelſte Naturwahrheit in der Darſtellung. Sie ſpielte ihre Rollen nicht, ſie lebte ſie. Darum gelangen ihr auch am Beſten die liebenswürdigen Partien, weil ſie in dieſen ſich ſelber gab. Sie war vielſeitig, wie heute wenige Schauſpielerinnen. Eine gediegene Geiſtes - und Herzensbildung unter¬ ſtützten ihr reiches Talent auf der Bühne, und machten die bewunderte Künſtlerin faſt noch mehr zum Liebling der Geſellſchaftskreiſe. Sie und ihre ſchöne hochgebildete Mutter waren eben ſo ganz an¬ ders, als die meiſten Theaterdamen wahrhaft vornehm! Im Uebrigen verweiſe ich Sie auf—VI— das Theater-Lexikon von Robert Blum, Herloßſohn und Marggraff und auf die » Portraits und Sil¬ houetten « von Guſtav Kühne «

Robert Blum, der damals als Theater-Secre¬ tair in Leipzig lebte und ſpäter durch ſeinen trau¬ rigen Tod ſo berühmt werden ſollte, ſchreibt nach der kurzen Biographie, die der Leſer in dem » Bühnen¬ leben « ja ausführlicher wiederfindet, 1839: » Ka¬ roline Bauer iſt eine der lieblichſten und achtungs¬ wertheſten Schauſpielerinnen; im feineren Luſtſpiel, im höheren Converſationsſtücke, in naiven, kecken, koketten, pikanten und ſchalkhaften Charakteren iſt ſie ausgezeichnet und dürfte nicht leicht eine würdige Rivalin in dieſem Genre finden; in der Tragödie hat ſie in der letzten Zeit außerordentliche Fort¬ ſchritte gemacht und ſich als eine treffliche Darſtel¬ lerin gezeigt, deren Mittel und Fähigkeiten das Vollkommenſte erwarten laſſen. Ihre Leiſtungen zeugen ebenſoſehr für ihr tiefes Gefühl und ihren klaren Verſtand, als für ihr eminentes Darſtellungs - Talent und ihre vollendete allſeitige Bildung; ſie erhalten einen beſonderen Reiz durch den Umſtand, daß ſie alle Effekthaſcherei verſchmäht und nur durch die Totalität eines vollkommen gerundeten Bildes—VII— zu wirken ſtrebt. Die reizendſte Perſönlichkeit unterſtützt ihre lebensvollen Darſtellungen und ſie weiß die ihr von Natur verliehenen ſchönen Mittel auf's vortheilhafteſte zu benutzen, ohne dieſelben je¬ mals an unpaſſender Stelle geltend zu machen. Ihrer liebenswürdigen Charaktereigenſchaften wegen wird ſie ebenſo geliebt und geehrt, als wegen ihrer künſtleriſchen Vortrefflichkeit geprieſen und bewundert! «

In Guſtav Kühne's » Portraits und Silhouet¬ ten « (Hannover 1843) heißt es über Karoline Bauer aus dem Jahre 1836:

» Nach dreiwöchentlicher Landestrauer wurde die Leipziger Bühne mit dem Gaſtſpiel von Fräu¬ lein Bauer wieder eröffnet. Ein Leipziger Cor¬ reſpondent in der Allgemeinen Zeitung nannte Fräu¬ lein Bauer eine Repräſentantin echt klaſſiſcher Schauſpielkunſt. Dieſer Ausdruck, falls er Sinn haben ſoll, läßt bei dem geehrten Herrn auf die entgegengeſetzte Annahme einer romantiſchen Schau¬ ſpielkunſt ſchließen.

Dieſe Unterſcheidungsweiſe mag etwas für ſich haben. Eine Repräſentantin romantiſcher Schau¬ ſpielkunſt dürfte ſich in der Schröder-Devrient fin¬ den, und wem aus der Erinnerung Wolff's und—VIII— Devrient's Geſtalten aufſteigen, der hätte recht eigent¬ lich Belege für dieſe zwiefache Richtung der Bühnen¬ kunſt. In Wolff war Claſſicität: ſein ganzes Spiel ging lediglich aus dem Verſtändniß des Dichters hervor; die Idee des Poeten zu erreichen, ſchien ihm das Höchſte, ein anderes Ziel kannte er nicht. Devrient's Spiel war nie das Ergebniß der Re¬ flexion, er hatte nie den Zweck, durch Studium den Gedanken des Dichters zur Erſcheinung zu bringen. Er hatte gleichſam ſeinen eigenen Gott für ſich, der ihn ſo, und nicht anders ſeine Rolle auffaſſen hieß, ihn nicht ſelten ganz irre führte, aber ihn, wo er zutraf, der größten Effekte gewiß machte. War ſeine Darſtellung einer Rolle mit der Inten¬ tion des Dichters identiſch, hatte ſein Genius rich¬ tig getappt, ſo ſah man wie durch wunderbares Walten das Höchſte zur Erſcheinung kommen. In Wolff feierte das Talent, in Devrient das Genie ſeine Triumphe.

Bei dieſer Unterſcheidung aber ſtehen bleiben und ſie auf eine einzelne Erſcheinung, die vielleicht noch nicht das Höchſte, was ſie vermag, erreicht hat, beziehen, hieße irre gehen. Hier wird weit weniger von einem großen Styl, als von Manieren—IX— in der Spielart die Rede ſein müſſen. Und in die¬ ſer Beziehung muß man an den Leiſtungen des Fräulein Bauer rühmlichſt anerkennen, daß ſie in einer Manier gehalten ſind, die gar keine Manier iſt. Bei Mad. Crelinger, Mad. Haizinger, Fräu¬ lein von Hagn kann man in der That von Ma¬ nieren reden, von großen, intereſſanten und liebens¬ würdigen, womit ſie zu effektuiren im Stande ſind, und mir fällt dabei das Wort der Catalani über die Sontag ein, von der ſie ſagte: ſie ſei groß in ihrer Manier, aber ihre Manier ſei nicht groß. Fräulein Bauer hat in ihrem Spiel den eigenthüm¬ lichen Vorzug, keine effektuirenden Nebenrückſichten zu kennen, ihr Spiel geht weſentlich aus dem Ver¬ ſtändniß des Dichters hervor, und tritt niemals aus dem Rahmen heraus, der ein Kunſtwerk zu einem Ganzen geſtaltet. Künſtleriſche Perſönlich¬ keiten dieſer Art erhalten ihre wahre Stellung recht eigentlich nur in einem allſeitig durchbildeten En¬ ſemble, deſſen Zuſammenſpiel nur den Zweck hat, ein echtes Kunſtwerk zur vollendeten Erſcheinung zu bringen. Wolff mußte ſich immer erſt ſeine Mit¬ ſpieler erziehen, damit ſie ihm ſo, wie es zu einem Totaleindruck nöthig war, in die Hand ſpielten. —X—Devrient bedurfte kaum talentvoller und convenabler Mitſpieler, er riß in ſeinen großen Momenten Alles mit ſich fort, und zwang dann auch den Stümper, wie ein willenloſes Werkzeug ihm zu folgen; in Nebenzügen ließ er das Stück und die Mitſpieler fallen.

Von effektuirenden Momenten iſt bei Fräulein Bauer eigentlich keine Spur. Mag das Bedingung ihres Naturells, oder Ergebniß ihres poetiſchen Ver¬ ſtändniſſes oder Beides ſein; ſo brillant ihre Er¬ ſcheinung auf der Bühne genannt werden kann, ſo wenig beſteht ihr Spiel aus brillanten Einzelheiten. Sie ſcheint ſelbſt auf Koſten der Wirkſamkeit nur einen Totaleindruck zu erzielen. Es liegt hierin etwas ſehr Schönes und echt Künſtleriſches; allein wie viel Rollen, ſelbſt gute Rollen giebt es nicht, deren Werth nur in der Entwickelung dieſes oder jenes Momentes beruht! Stände Fräulein Bauer immer in einem kunſtfertigen, ausgebildeten Enſemble, und brächten unſere Bühnen nur immer Claſſiſches, ſo würde das Talent dieſer Künſtlerin wohl niemals ſeiner Wirkſam¬ keit entbehren. Wie ſchön iſt in Dresden ihr Zuſammenſpiel als Julia mit der humoriſtiſch-ſal¬—XI— bungsvollen Werdy als Amme! Auf unſerer Bühne hatte ſie mit ihrer Amme förmlich zu käm¬ pfen, und der Zauber ihrer muſikaliſchen Stimme in den Balconſzenen zerbrach faſt an einem wortkargen Romeo, dem der Souffleur mit ſeinem Kaſten hätte nachlaufen müſſen in die grüne Schatten¬ laube. Durchaus glänzend und von dem Effekt, den die Dichtung bezweckt, war der große Monolog, nach welchem Julia den Giftbecher leert. In der Szene mit dem alten Capulet war ihr Kampf zwiſchen Liebe, Schmerz, Verzweiflung und kindlicher Ergebung meiſterhaft. Dagegen erſchien ſie in der Todtengruft zu kühl. Wie ſehr ihr Spiel jedoch, ſelbſt mit Aufopferung des Effekts, dem poetiſchen Verſtändniß huldigt, beweiſt unter anderem die Art und Weiſe, wie ſie in der Szene auf dem Ball die Worte: » Ihr küßt recht nach der Kunſt « von jeder ſonſt üblichen Betonung ver¬ ſchieden, zu geben wußte. Dieſe Worte laſſen ſich im Sinne der Julia kaum recht deuten; man weiß nicht, wie Julia zu dieſer auffälligen Rede kommt. In der Regel tappen die Darſtellerinnen über dieſe Schwierigkeit ſehr oberflächlich hin, Fräulein Four¬ nier ſchlägt wie erröthend den Blick dabei zu Bo¬—XII— den. Fräulein von Hagn ſieht dem Romeo dabei liſtig in's Auge, ſowie denn dieſe Schauſpielerin überhaupt dem Charakter einen Beigeſchmack von moderner Schalkhaftigkeit giebt, von der das Shake¬ ſpeare'ſche Mädchen nichts weiß. Beide Darſtelle¬ rinnen effektuiren aber mit dieſer Auffaſſung der Stelle. Fräulein Bauer ſpricht die Worte gewiſſer¬ maßen ganz harmlos in's Blaue, wie ein junges Ding einmal Gehörtes gedankenlos nachplaudert. Mich dünkt, Shakeſpeare habe ſo und nicht anders ſeiner Julia dergleichen in den Mund gelegt.

An Fräulein Bauer als Donna Diana iſt vielerlei als Mißgriff zu bezeichnen. Der ganze Charakter war mädchenhaft, deutſch, nicht ſpaniſch, nach ihrer Auffaſſung. In der Eiferſucht war ſie mehr die empfindlich Gereizte, als die Leidenſchaft¬ liche, vor deren Liebesſchmerz die Säulen des Stol¬ zes zuſammenbrechen. Ihre Leidenſchaft drohte nicht, ſie zu verzehren, ſie wurde nur gepeinigt von dem Gefühl der erwachten Liebe. Der ganze Cha¬ rakter wird von der Darſtellerin durchaus deutſch gefühlt und gegeben, mit allen Nüancen weiblicher Empfindſamkeit, weiblicher Liſt und mädchenhafter Luſt zu triumphiren.

—XIII—

In den erſten Akten mußte der Stolz pointir¬ ter, in der Gartenſzene die Coquetterie raffinirter gehalten werden. In Beiden iſt die Crelinger be¬ deutſamer, während ſich in ihrem Spiel wieder das verwiſcht, was Fräulein Bauer, die an der Natur¬ treue allgemein menſchlicher Auffaſſung feſthielt, durch den Reiz elegiſcher Rührung hervorruft. Meines Wiſſens war die zu früh für die Kunſt geſtorbene Sophie Müller diejenige Diana, welche den ſpaniſchen Typus mit dem allgemein poetiſchen Grundelement am richtigſten vereinte. Die heißeren Farben des Gemäldes waren in der Darſtellung von Fräulein Bauer viel zu ſehr durch Lieblichkeit und mädchenhafte Grazie vertuſcht.

Als Hedwig im Ball zu Ellerbrunn gab ſie ein vortreffliches Bild der modernen Salondame. Als Suſchen und Walpurgis entfaltete ſie die ganze Spielerei einer erſten jungfräulichen Neigung in allen ihren Stufengängen von der erwachenden Luſt bis zur liſtigen Verſchlagenheit. Wie die unbe¬ fangene Seele ſich überraſchen läßt von ihrem eige¬ nen Gefühle, trat in dieſen Bildern idylliſcher Ge¬ müthswelt als ganz beſonders glücklicher Moment hervor. Als Goldſchmidt's Tochter ließ ſie den—XIV— Zug einer religiöſen Stimmung nicht außer Acht und ſprach das Gebet vor Schlafengehen, das an¬ dere Darſtellerinnen in falſch verſtandener Auffaſſung dieſes Charakters fortlaſſen, mit jener echten Natur¬ einfalt des Gemüths, die bei Rollen dieſer Art ſo leicht in Coquetterie umzuſchlagen pflegt. So hob ſie auch ihres Vaters Rang als Altbürger von Ulm gegen den Ritter ganz beſonders hervor, und gab der Walpurgis dadurch jene Beimiſchung von mittel¬ alterlich-bürgerlichem Stolz, der dieſe Figur von aller modernen Naivetät abſcheidet.

Als Margarethe (in den Hageſtolzen) war ſie eine Erſcheinung, wie ſie alte niederländiſche Maler in ihren Bildern eines idylliſchen Friedens ſo gern zeichneten.

Ihr Käthchen von Heilbronn war von ganz beſonderem poetiſchen Verdienſt. Dieſen mittel¬ alterlichen Charakter ſieht man oft mit einer Sen¬ timentalität verſetzt, die ihn völlig vernichtet. Weil das Mittelalter ſchwärmte, glaubt man, es ſei auch ſentimental geweſen.

Heinrich von Kleiſt war ein zu tiefer Poet, um ſo fehlzugreifen. In dem Unbewußten, in dem Räthſel¬ haften des innern Dranges liegt die Romantik des—XV— Mittelalters, und dieſe dunkle Entzückung zeigt der Dich¬ ter in der ſpiegelreinen Mädchenſeele. Dies iſt die un¬ verwüſtliche Poeſie in dieſem Käthchen von Heilbronn.

Fräulein Bauer war in jeder Beziehung das lebendige Bild dieſer Dichtung. «

So Guſtav Kühne. Mein Intereſſe an dem » Bühnenleben « der mir unbekannten Künſtlerin, die ſich in ſo beſcheidener Weiſe bei » Ueber Land und Meer « einführte, wuchs natürlich nach dieſen glänzen¬ den Kränzen, welche die Mitwelt ihr geflochten und die ſo freundlich bis in unſere Tage fortgrünen und duften. Mit Liebe ging ich an die Redaction des Bühnenlebens eine fröhliche Oaſe in der ſonſt oft recht dürren Redactionsthätigkeit. Und die Früchte blieben nicht aus. Keine Artikel fanden während der 3 Jahre, in denen die Bühnen-Erinnerungen von Karoline Bauer in » Ueber Land und Meer « erſchienen, eine ſolche Theilnahme bei den Leſern, wie dies » Bühnen¬ leben «. Dafür zeugten die vielen herzlichen Briefe aus ganz Deutſchland, aus Rußland, ja aus Ame¬ rika, die bei der Redaction einliefen und von der unvergeſſenen und unvergeßlichen Karoline Bauer ſprachen und um Fortſetzungen und ſchließlich um eine Buchherausgabe der Erinnerungen baten.

—XVI—

Dieſer Wunſch auch mein wiederholter dringender Wunſch iſt mit dieſem Buche erfüllt. Die Verfaſſerin hat mir eine Sammlung und Heraus¬ gabe ihrer Bühnenartikel geſtattet. Für dies Buch übernehme ich als Herausgeber die volle Verant¬ wortlichkeit. Alſo, meine Herren Collegen mit den flinken Recenſentenfedern, reſpectiren Sie die Ano¬ nymität der Verfaſſerin, die ſich ſeit 1844 in ein hervorragendes glückliches Privatleben ſtill zurückge¬ zogen hat, und halten Sie ſich freundlichſt bei Ihren Beſprechungen an das » Bühnenleben « von Karoline Bauer und wenn's ſonſt noch Noth thut an den

verantwortlichen Herausgeber.

Wien, im Oktober 1871.

[1]

I. Die erſte Gage.

Ich hatte das Glück, eine engelsmilde, vortreffliche Mutter zu beſitzen. Sie liebte mich und meine drei Ge¬ ſchwiſter zärtlichſt und hätte ihr Leben freudig für uns geopfert, aber ſie konnte auch ſtreng und energiſch verfahren.

Mit 23 Jahren Wittwe geworden mein Vater blieb in der Schlacht bei Aspern, als ich noch nicht zwei Jahre zählte ſchön, anmuthig, geiſtreich, wies ſie jeden Heirathsantrag zurück, um ſich ganz ihren Kin¬ dern widmen zu können und das Andenken des Se¬ ligen treu zu bewahren. Es war keine leichte Aufgabe für eine ſo junge Wittwe: ohne bedeutendes Vermögen vier Kinder zu erziehen, fern vom heimatlichen freund¬ lichen Koburg und den Verwandten, ohne jede an¬ dere Stütze, als die allgemeine Achtung der Menſchen und ihr unerſchütterliches Vertrauen zu Gott! So ſteuerte ſie muthig vorwärts und überwand das Schwerſte.

Erinnerungen ꝛc. 12

Meine ältere Schweſter war ein wunderbar begab¬ tes Weſen, hold und lieblich; ſie ſtarb am Nervenfieber, erſt zwölf Jahre alt. Die Brüder waren gutmüthig, geiſtig aufgeweckt, aber wild und unbändig, wie die meiſten Knaben in unſerem Wohnorte Bruchſal im Gro߬ herzogthum Baden. Die faſt ununterbrochenen Truppen¬ durchmärſche 1813 1814, die Einquartierungen ſtörten die Hausordnung der Familien und die gequälten Eltern vermochten ihre Kinder nicht vom Umgang mit den Soldaten zurückzuhalten. Da hatte auch unſere Mutter ihre liebe Noth. Sie ſtrafte zwar ſehr ſtreng, ſperrte nicht ſelten die Brüder bei ſchmaler Koſt ein, doch das half nur auf kurze Zeit.

Auch ich drohte zu verwildern, denn ich liebte die Brüder über Alles und begleitete ſie nur zu gern, wenn Koſaken oder Mameluken zu ſehen waren. Ich jauchzte dann luſtig mit: Hurrah! oder: Vive l'Empereur!!

Bis zu meinem ſechsten Jahre kleidete die Mutter mich als Knabe, weil ich zu unſchön als Mädchen aus¬ ſähe. Die ſtarken Züge, die große Naſe paßten eher zum gelockten Tituskopf, und ein leichter Gang und Mo¬ bilität in allen Bewegungen ließen mich im Knaben¬ koſtüm hübſcher erſcheinen. Ich war auch nicht wenig ſtolz auf meinen Sonntagsanzug von dunkelblauem Tuch mit Spitzenkragen und hellgelben Saffianſtiefelchen. Ich hatte zwei Titel: » Großnaſe « und » kleine Komödiantin «. Der erſte demüthigte mich gar nicht, der zweite erfüllte mich mit Stolz. Ich bildete mir nicht wenig darauf3 ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchſal einige Vorſtellungen gegeben, nachahmen zu können, ſo auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner Knirps mit angeſehen. Wenn Trübſinn im Hauſe herrſchte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: » Ko¬ mödiantin, ſpiele uns etwas vor! « und die kleine Komödiantin gab ſich alle Mühe, die Traurigen zu er¬ heitern. Wenn bei Kaffeeviſiten die Unterhaltung ſtockte, hieß es: » Linchen, tanze! « und freudeſtrahlend that ich mein Beſtes. Einen Stock als Balancirſtange nach Art der Seiltänzer haltend, ſtellte ich mich auf eine Ritze des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem Pſeudo-Seil mit den zierlichſten Pas. Eine alte Dame, die einſt dieſe Seiltänzerſprünge ſah, hielt mich für behext und ſchlug das Kreuz vor mir. Erſt meine der Kammerjungfer abgelauſchten Lieder: » In einem Thal bei armen Hirten «, und » Willſt Dich, Hektor, ewig von mir wenden «, welche ich rein und wohlklingend geſungen haben ſoll, vermochten ſie etwas zu beruhigen. Einſt mußten viele Knaben Bruchſals in's Gefäng¬ niß wandern, ſo auch meine Brüder als Hauptſchuldige als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen wollen und verbrannten ſich dabei nebſt einigen Scheunen. Die Brüder ſaßen im Nord - und Südthurm. Da war es wenigſtens hell und luftig. Eine ganze Woche lang wanderte ich nun nach dem Nord - und Südthurme. Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufſprechen und Obſt und Brod für ſie abliefern. Da ſtand ich1 *4denn zuerſt am Nordthurm: » Louis! wie geht's Dir da oben? « Ein blaſſes, feines Geſicht ſah zum kleinen Fenſter heraus: » Ganz gut, Linchen! « » Haſt Du Hunger? « » Nein! gieb es dem Karl, der hat immer Hunger; lebe wohl! grüß 'die Mutter. « Dann eilte ich nach dem Südthurm: » Karl, wie geht's Dir in Deinem Krähenneſt? « Das runde, ſonſt ſo über¬ müthig luſtige Geſicht meines älteſten Bruders ſah weh¬ müthig nieder. » Nicht gut, Lina. « » Willſt Du Obſt und Brod? « » Gewiß! ich habe Hunger, « und der Wärter trug ihm meine Schätze hinauf

Wir zogen 1814 nach Karlsruhe, Louis kam in eine Penſion, um ſich zum Kaufmann auszubilden, Karl in die Junkerſchule, um Offizier zu werden. Die Mutter trennte ſich ungern von Bruchſal, ſie hatte mit unſerm Vater, der beim Dragoner-Regiment Heimrot ſtand, dort glückliche Jahre verlebt. Auch meiner Erziehung wegen ging ſie nach Karlsruhe. Die Knabenkleidung ward be¬ ſeitigt; und ich erſchien ſchon weniger häßlich als Mäd¬ chen; die Naſe hielt glücklicherweiſe im Wachsthum inne und mich ſchmückte blühendſte Geſundheit.

In Karlsruhe ging mir ein neues Leben auf und vor Allem ein Ahnen von der Bedeutung des Wortes » Komödiantin «, nachdem ich im großherzoglichen Theater einige Vorſtellungen geſehen hatte. Nichts vermochte mich ſo zu beſeligen, als wenn ich das Theater beſuchen durfte; mit nichts wurde mein Fleiß mehr angeſpornt, als durch das Verſprechen: » Du darfſt dann auch morgen in's5 Theater gehen! « Als die Händel-Schütz » lebende Bil¬ der « ſtellte, ſtand ich mit den der Mutter abgebettelten 24 Kreuzern ſchon zwei Stunden vor Beginn der Vor¬ ſtellung an der Eingangsthür des Muſeumsſaales. Aber nachdem ich dieſe in der That lebensvollſten Bilder ge¬ ſehen, wurde es der Mutter mit mir faſt zu bunt. Was einem Vorhang, Shawl, einer Draperie glich, wurde zuſammengeſchleppt und benutzt, um die Händel-Schütz nachzuahmen, bis endlich das mütterliche Machtgebot dem Treiben ein Ende machte. Ja, die » kleine Komödiantin « durfte nur ſelten noch das Theater beſuchen. Meine Mutter eiferte mich ſtets zum größten Fleiße an: » Be¬ nutze die koſtbare Zeit! « Sie erlaubte auch nie, daß ich mich bedienen ließ. Ich mußte mich ohne Hülfe friſiren, mich ſelbſt ankleiden, das Zimmer aufräumen, meine Kleider und Wäſche in Ordnung halten und auf rebelliſche Fragen: » Aber, Mama, wozu iſt denn die Kammerjungfer da? « gab's die ernſte Antwort: » Kind, Du wirſt es mir ſpäter noch danken! Je mehr Du lernſt, Dir ſelber zu helfen, deſto unabhängiger wirſt Du ſein und jede ſchwierige Lage leichter ertragen! «

Ich lernte eifrig und wurde bald die Erſte in der Klaſſe. Auf dem Klavier übte ich mit leidenſchaftlicher Beharrlichkeit. Die Mutter hielt mir den beſten und theuerſten Klavierlehrer, Marx. Noch nicht 13 Jahre alt, ſpielte ich das D-moll-Konzert von Mozart mit Orcheſter¬ begleitung in einem Dilettantenconcert im Muſeumsſaal. Gern hätte ich mich ganz der Muſik gewidmet.

6

Einige Wochen ſpäter, als ich das Mozart'ſche Con¬ cert geſpielt hatte, langte ein großer Brief mit mächtigem Siegel an. » Poſtſtempel Eiſenach? « ſagte die Mutter, » dort kenne ich Niemand, als meine Stiefſchweſter. « Als ſie den Inhalt überflogen, ſank ſie todtenblaß auf's Sopha Die Stiefſchweſter hatte eine gerichtliche Klage wegen der Erbſchaft vom ſeligen Großvater an¬ geſtrengt. Sie beanſpruchte die Hälfte von Allem, was meine Großmutter zur Zeit erhalten.

Verlor die Mutter den Prozeß und mußte heraus¬ zahlen, ſo blieb ihr nur die mäßige Penſion als Ritt¬ meiſterswittwe. Unſere Erziehung und die Kriegsjahre hatten große Opfer gefordert. Der berühmteſte Advokat wußte auch keinen beſſeren Troſt: » Im ſchlimmſten Falle müſſen Sie das Geld erſt nach einem Jahr herauszahlen. «

Sogleich war mein Entſchluß gefaßt. Als wir allein waren und die Mutter blaß und angegriffen ihr Herz durch Thränen erleichterte, fiel ich ihr um den Hals und fröhlich, zuverſichlich rief ich aus: » Sei ruhig! in einem Jahre nehme ich Dir alle Sorgen ab! Mutter, laß die kleine Komödiantin Schauſpie¬ lerin werden ich fühle: es ſoll ſo ſein gewiß, ich habe Talent. Weshalb wählte Kirchenrath Kazner mich, um das Gebet vor der Konfirmation zu ſprechen, mich von ſechszig vornehmeren, reicheren und begabteren Mädchen! Weshalb? Weil er vorausſetzte, daß ich es am beſten vortragen würde Und hat man nicht in der großen Kirche jedes Wort verſtanden? Weinten7 nicht Viele und ſagten nachher, ich hätte ſie durch meine gefühlvolle Rede zu Thränen gerührt? O, ich will mich übermenſchlich anſtrengen, um vor dem vierzehnten Jahre auftreten zu können, und mit dem vierzehnten nehme ich die erſte Gage ein. « Die Mutter umarmte mich, ſagte aber trotz wiederholter Bitten noch nicht ja. Bekannte und Freunde wurden zu Rath gezogen, es wurde dafür und dagegen geſprochen. Die Mutter ſchrieb nach Kaſſel an den Bruder des ſeligen Vaters, den General Bauer, allein dieſer rieth zu meiner Verzweiflung ab. Das Haupt der Familie in Koburg ſollte entſcheiden, der Neffe der Mutter, der nachher ſo berühmt gewordene Baron Stock¬ mar. Wir reiſten nach Koburg, die Verwandten lernten mich kennen, und der kluge, prächtige Vetter ſagte in ſeiner humoriſtiſchen, herzigen Weiſe zur Mutter: » Tante Chriſtiane! Bis jetzt iſt unſere Familie mit Talenten nicht geſegnet geweſen, es ſoll mich freuen, eine Künſtlerin Couſine nennen zu können; aber das bitte ich mir aus, Lina, daß Du eine wahre, edle, tüchtige Künſtlerin wirſt. «

Ich hatte alſo geſiegt! und mit Rieſenſchritten ging es dem erſten Verſuch entgegen.

Mein Lehrer der Aeſthetik war der berühmte Aloys Schreiber (Herausgeber der rheiniſchen Taſchenbücher), ein herzlicher Freund des lieben alemanniſchen Hebel. Oft wurde mir das Glück, dieſe herrlichen Männer ſprechen zu hören. Hebel kam gern in's gaſtliche Haus des Pro¬ feſſors und fühlte ſich behaglich in dem trauten Familien¬8 kreiſe, in dem ich bald heimiſch war. Wie lauſchten wir Jungen auf jedes Wort! Mit innigſter Verehrung blickte ich auf die Sprechenden mit dem niederwallenden Haar, den edlen Zügen und den ausdrucksvollen, klugen, mild verklärten Augen. Gütiges Lächeln umſpielte die Lippen und ermuthigte zu beſcheidenen Fragen. Welch 'goldene Lehren prägten ſich da uns ein in's junge Herz und Gedächtniß! Und wie harmlos heiter konnten dieſe liebens¬ würdigen Greiſe dann wieder ſich und uns necken!

Nie werde ich vergeſſen, wie anmuthig ſcherzend Schreiber einſt fragte: » Weshalb benahmen Sie denn Ludwig Tieck jede Hoffnung, Neues ſchaffen zu wollen, lieber Freund? « » Weil ich nicht gegen meine Ueber¬ zeugung ſprechen durfte! « entgegnete Hebel. » Dürfen wir nichts davon erfahren? « riefen wir im Chor. Hebel nickte lächelnd und Schreiber fuhr fort: » Tieck hielt ſich auf ſeiner Reiſe nach Baden einige Tage hier auf und wir ſahen ihn öfters. Als ich ihm mit Freund Hebel Lebewohl ſagte, kam das Geſpräch auf die aleman¬ niſchen Gedichte. Tieck erſchöpfte ſich in Lobeserhebungen und ſagte: » Weshalb, Verehrteſter, ſchreiben Sie nicht mehr ſolcher allerliebſten Sachen? « Treuherzig und mit größter Ruhe antwortete unſer Kirchenrath: » Weil mer nix, mehr einfalle thut! «

» Tieck ſchien ſeinen Ohren nicht zu trauen, und wiederholte in ſeiner gewinnenden, bezaubernden Sprach¬ weiſe im feinſten Hochdeutſch: » O! Sie wollen die Welt mit herrlicheren Dingen überraſchen! « Aber unſer Hebel9 wiederholte unerſchütterlich in ſeiner gemüthlichen Mund¬ art: » Gewiß, lieber Herr, es will mer nix mehr ein¬ falle! « Da lachte Hebel recht herzlich und wir Jungen getrauten uns einzuſtimmen. Der Profeſſor aber ſagte gerührt: » Kinder, wem die alemanniſchen Gedichte ein¬ gefallen, der kann auf ſeinen Lorbern ruhen « und dem Dichter die Hand reichend, fügte er hinzu: » Und hätten Sie auch nur » Vergänglichkeit « geſchrieben, theurer Freund! «

Mlle. Demmer, eine Schülerin Iffland's, welche ſich in Manheim zur vortrefflichſten Künſtlerin herange¬ bildet hatte, gab mir Stunden in der Deklamation. Sie mußte der Bühne im Zenith ihres Ruhmes Lebewohl ſagen und wurde penſionirt, weil ſie einige Mal während des Spielens plötzlich von einem Starrkrampf überfallen wurde Die Worte verhallten, und unbe¬ weglich, leeren Blickes ſtarrte ſie die entſetzten Zuſchauer an! Ihr Bruder (auch in Manheim gebildet und ein geſchätzter Künſtler) ſtürzte leichenblaß aus der Couliſſe und trug die Schweſter fort. Einmal war ich Zeugin von dieſer erſchütternden Scene; ſie erinnerte an den Aktſchluß in der Jungfrau von Orleans, als alle Welt ſich von Johanna wendet, ſie allein daſteht (im 4. Akt) und der treue Raimond ihre Hand faſſend ſagt: » Ich will Euch führen. « Ich konnte den Eindruck gar nicht los werden. Die Familie Demmer, Mutter, Bruder, Schweſter, waren ſehr liebe, achtungswerthe Menſchen; ſie lebten aber ſeit der Penſionirung ganz zurückgezogen. 10Die Schweſter litt an nicht zu beſiegendem Trübſinn, ſeit ſie der Bühne entſagen mußte. Monate lang wan¬ derte ich jeden Vormittag zu ihrer abgelegenen Wohnung, und meine Anweſenheit belebte dann die ſonſt ſo ſtillen Räume. Sie hallten wieder vom » Kampf mit dem Drachen « » Ein frommer Knecht war Fridolin « und als das Einſtudiren der Margarethe in den Hage¬ ſtolzen von Iffland begann, da glaubte ich das glücklichſte Geſchöpf der Welt zu ſein! Wie ein Feenland lag die Zukunft vor mir! Nichts ſchien mir zu ſchwer. Ich ge¬ lobte mir, Alles zu erreichen durch beharrlichen Fleiß und begeiſtertes Streben. Da ich auch groß für mein Alter war, glaubte meine Lehrerin, ich könne den erſten Verſuch bald wagen. Drei Monate, bevor ich 14 Jahr wurde, ſtand auf dem Theaterzettel: » Die Hageſtolzen, Schauſpiel von Iffland Margarethe Mlle. Karo¬ line Bauer, als erſter Verſuch! « Aus beſonderer Rück¬ ſicht für mich fanden zwei Proben von dem oft gege¬ benen Stück ſtatt, damit ich mit der Bühne, dem Pro¬ ſcenium, dem Kommen und Abgehen bekannt werde. Der große altväteriſche Theaterwagen, den ich ſo oft ſehnſüchtig betrachtet hatte, brachte mich mit Mlle. Demmer an's Schauſpielhaus. Dieſe wollte im Zu¬ ſchauerraum der Probe beiwohnen, um zu hören, ob ich laut genug ſpräche, und mir überhaupt noch manche Winke geben.

Ein unbeſchreibliches Gefühl erfaßte mich, als ich an der Hand meiner Lehrerin auf meine die Welt bedeutenden11 Bretter trat. Sie ſtellte mich den Mitgliedern vor, bat um Nachſicht für die Anfängerin, und Alle bewillkommten mich freundlich. Es wurde mit einer gewiſſen Feierlichkeit begonnen, wenigſtens kam es mir ſo vor. Später ſollte ich die Ueberzeugung gewinnen, daß da, wo Achtung und Pietät für die Kunſt herrſcht, die Proben ſtets mit Ernſt und größter Aufmerkſamkeit abgehalten werden. Die ſchwache Beleuchtung, der große dunkle Raum, die feierliche Stille, die Angſt, daß ich nun bald ſprechen müſſe, raubte mir faſt den Athem und das Herz klopfte hörbar. Zum Glück konnte ich nach und nach etwas Faſſung erringen. Ich hatte erſt im vierten Akt zu erſcheinen. Mit welchem Intereſſe beobachtete ich jetzt in der Nähe das Spiel der von mir ſo oft ſchon bewunderten Künſtler wie benahmen ſich Alle ſo würdig, einfach, edel! Ich hätte laut rufen mögen: » Habt mich doch ein Bischen lieb, ich gehöre ja nun auch zu Euch und ich will mit Ernſt und Fleiß an meine Aufgabe gehen! « Das Zeichen zum vierten Akt ertönte, ich mußte ſprechen und die peinigende Angſt war nach den erſten Worten wie durch Zauber entſchwunden! Immer vertrauter wurde mir die Umgebung, ich ſang auch das Lied ohne Bangen, und am Schluß der Probe lobten, ermunterten mich Alle. Mlle. Demmer ſchien zufrieden, ja gerührt zu ſein und hatte wenig zu tadeln. In erhöhter, glück¬ ſeliger Stimmung kam ich nach Hauſe und erzählte der beſorgten Mutter, wie Alles über Erwarten gegangen ſei. Die Hauptprobe andern Vormittags ging prächtig,12 ich wurde viel zutraulicher begrüßt. Die Schauſpieler mochten ſich wohl ihres erſten Verſuches erinnern.

Mittags vermochte ich vor Aufregung keinen Biſſen zu eſſen. Selbſt Bruder Karl's Fröhlichkeit und himmel¬ ſtürmender Uebermuth hatte ſich in Ernſt verwandelt, und die Mutter verſuchte umſonſt ihr Bangen zu ver¬ bergen. Um vier Uhr ſchon kleidete ich mich als Bäuerin ich ſeh 'mich heute noch im grünen, wollenen Rock, rothen Tuchleibchen, weißen Aermeln, großer, faltiger Schürze, am ſchwarzen Sammetbande das ſilberne Kreuz¬ chen, von dem Margarethe zu ſprechen hat, die Haare zurückgeſtrichen und in Zöpfe geflochten niederhängend. Ich kam mir ſchließlich aber doch furchtbar dünn vor und fand mich nur ziemlich hübſch in dem Koſtüm. Um 5 Uhr holte Mlle. Demmer die Mutter ab; ſie ſah aufgeregt aus und ihre Wangen glühten. Sie zeigte mir noch, wie ich mich verbeugen müßte im Fall ich her¬ vorgerufen würde, und fragte, was ich dann ſprechen wollte? » O, in die Verlegenheit werde ich wohl nicht kommen! « » Aber, Kind, im Fall es doch geſchehen ſollte, wie wollen Sie danken? « » Nun, ich werde ſprechen was mir gerade einfällt! « entgegnete ich reſolut. Die Demmer ſchüttelte bedenklich den Kopf. Der Wagen rollte heran, der Theaterdiener klopfte und bat um die mitzunehmenden Sachen. Ich umarmte Mutter, Bruder, Mlle. Demmer und bat Alle, ja ruhig zu ſein. Schnell flog ich die Treppen hinab, in den Wagen der Schlag klappte zu und einer Ohnmacht nahe13 ſchloß ich die Augen und bat Gott um ſeinen Beiſtand Im Konverſationszimmer verhielt ich mich ſehr ſtill und ging die Rolle noch in Gedanken durch. Herr Demmer, der den Konſulent Wachtel ſpielte, ſchminkte mich. Ich hörte die Ouverture, vernahm das Klingeln am Aktſchluß, wagte aber vor lauter Bangigkeit nicht zu¬ zuſehen. Da klingelte es zum dritten Male Herr Demmer führte mich zu dem Hügel, von welchem herab ich zu kommen hatte. Ich ſtand, des Stichworts harrend, mit Rechen, Hut, Waſſerkrug nein! der war ver¬ geſſen. » Mein Waſſerkrug! « rief ich und der Requiſiteur vermochte ihn mir noch zu geben. » Jetzt! « flüſterte Herr Demmer ich trat vor und wurde mit Beifall empfangen! Darauf war ich nicht vorbereitet, ich wußte nicht, ſollte ich mich verbeugen oder ſprechen, es flimmerte mir vor den Augen, die helle Beleuchtung blendete mich förmlich, aber mein Stoßgebet: » Lieber Gott, ſteh' mir bei « half und hell und fröhlich begann ich: » Iſt der Schwager noch nicht da? « Wie ich die Margarethe darſtellte weiß ich nicht; ob ich den Beifall verdiente eben ſo wenig, ich erinnere mich nur, daß es mir war, als ſei ich wirklich die Mar¬ garethe! daß ich mit Entzücken ſpielte, den Hofrath trotz ſeiner 45 Jahre liebte, weinte, lachte, wie es die Rolle mit ſich bringt, und als Herr Meierhofer (der den Hofrath hinreißend darſtellte) die letzten Worte ſprach, indem er mir die Feldblumen überreichte: » Blühe wie ſie, nütze wie ſie, und bleibe dem Schmucke getreu, mit dem14 Deine Felder Dich ſchmückten « ſank ich an ſeine Bruſt und erwachte wie aus einem Traum, als nach dem Fallen des Vorhangs » Margarethe « ſtürmiſch gerufen wurde.

Die Mutter ſchilderte den erſten Verſuch in dem Brief an eine theure Verwandte:

» Lina wagte geſtern ihren erſten Verſuch, worüber die ganze Stadt ſich freute. Ich ſelbſt bin noch wie betäubt davon. Jedermann wußte, welche Liebe und Luſt ſie zu dieſem Berufe führte, und ſo war denn das Haus ſchon um 5 Uhr ſo beſetzt, daß kaum noch ein Plätzchen zu finden war. Sie wurde vom Offizierkorps, das wohl damit das Andenken ihres tapferen Vaters ehren wollte, freundlich empfangen. Dies machte ſie etwas beklommen, doch faßte ſie ſich bald und ſpielte über Er¬ warten. Mit Enthuſiasmus wurde ſie gerufen. Ich mußte weinen; ich allein wußte ja, daß Lina außer durch Talent und Luſt noch durch edlere Zwecke zur Bühne geführt wurde. Sie iſt nach dieſem Erfolg eben ſo be¬ ſcheiden, ſo innig wie ein Kind. » Haſt Du mich lieb, Mutter? « war das Erſte, was ſie mir nach der Vor¬ ſtellung ſagte «

Meine zweite Rolle war Iffland's » Eliſe von Val¬ berg «, die dritte » Roſalie « im Inkognito von Ziegler. Es wurde mir Engagement angetragen, und ſtolz unter¬ ſchrieb ich den Kontrakt » Großherzoglich badiſche Hof¬ ſchauſpielerin. «

Als ich an meinem 14. Geburtstage ganz ſtill mit der Mutter, den Brüdern und unſerm gerichtlichen Bei¬15 ſtand um den Kaffeetiſch ſaß, trat der Theaterdiener in's Zimmer mit meiner erſten Monatsgage! Wir ſahen uns lächelnd an; wir hatten in demſelben Augen¬ blicke von meinem vor einem Jahre gegebenen Verſprechen geplaudert. Ich nahm die 50 Gulden in Empfang, zitternd vor Bewegung. Jubelnd, ſchluchzend warf ich mich der Mutter an den Hals: » Nicht wahr, Mütterchen jetzt hat die kleine Komödiantin ihr Wort gehalten! «

Später hatte ich größere Gagen einzunehmen, Kunſtreiſen, Benefize, Glücksfälle brachten Gewinn, der Prozeß endete auch bald nach meinem Engagement in Karlsruhe zu unſern Gunſten aber keine noch ſo große Summe beglückte mich wieder ſo unausſprechlich, wie dieſe 50 Gulden meiner erſten Gage.

[16]

II. Das erſte Engagement.

Als Debütrolle auf der Karlsruher Hofbühne gab ich in Kotzebue's Zigeunerin die Lazarilla. Es war eine höchſt unglückliche Wahl. Dieſe Aufgabe erfordert mehr Bühnengewandtheit, als natürliches Gefühl und Anmuth. Ueberdies ſollte mir beim Einſtudiren neuer Rollen der Beiſtand meiner trefflichen Lehrerin ſchon bei dieſer Lazarilla fehlen. Sie zog ſich zurück wegen einer grünen Schürze! Nach Mlle. Demmer's bühnenerfahrenem Rath ſollte ich nämlich in meiner dritten Proberolle als Roſalie im Inkognito eine ſchwarzſeidene Schürze wählen. Die Mutter wollte mich aber zum weißen, einfachen Kleide lieber mit einer grünen ſehen. Mlle. Demmer vermochte ihre verletzte Autorität nicht zu verſchmerzen, und verſagte fortan ihre mich ſo fördernde Hülfe. Sie war vollkommen im Recht und ich mußte die kleine ſo verzeihliche Eitelkeit der Mutter büßen. Noch ſehe ich die erſtaunten Blicke der guten Lehrerin, als ſie vor der17 Vorſtellung kam, um im Theaterwagen mit uns in's Schauſpielhaus zu fahren, und mich weiß und grün fand.

Die Freude über den freundlichſten Empfang und Beifall als Roſalie war keine ſo ungetrübte wie nach den Hageſtolzen, als Iffland's Eliſe von Valberg. Die Mutter kämpfte während der Vorſtellung mit den Thränen, denn kein Wort kam über die Lippen der neben ihr ſitzenden, ſonſt ſo ſanften Lehrerin. Dieſe ominöſe Schürze lehrte uns Künſtler-Empfindlichkeit ſchonen. Die Mutter und ich warnten uns ſpäter oft gegenſeitig: » Denk 'an die grüne Schürze! «

So mußten Mutter und Tochter nun auf eigene Hand verſuchen: de conduire leure barque! Daß der arme Nachen nicht gleich am Beginn des klippen¬ reichen Theater-Fahrwaſſers zerſchellte, begreife ich jetzt da ich mich am Abende meines Lebens redlich bemühe, mit der Deviſe: » Gerecht gegen Andere, ſtreng gegen mich « klaren, leidenſchaftloſen Blickes die ferne Vergangen¬ heit zu ſchildern oft ſelber kaum.

Wie waren die gute Mutter und ihr vierzehnjähriges Töchterchen doch ſo gar unerfahren und unpraktiſch in allen Couliſſendingen und viel zu beſcheiden für's Theaterleben!

Wir verſtanden nicht einmal: mich vortheilhaft zu ſchminken. Als einige ebenſo unerfahrene Freundinnen mir riethen, die blonden Augenbrauen zu ſchwärzen, um meinem weichen kindlichen Geſicht mehr Ausdruck zu geben, da zog ich im Eifer ſo kühne, ſchwarze Bogen, daßErinnerungen ꝛc. 218ich förmlich entſtellt ausſah. Zu meinem Unglück hatte ich überdies gehört, daß ſchwarze Punkte unter den Augen¬ wimpern dem Auge flammende ſpaniſche Glut geben und ich that auch hier des Guten mehr als zu viel.

Es ſtand wahrhaftig ſchlimm um die kleine Komö¬ diantin, und ſchon bekamen wir unter dem Mantel der Theilnahme manches mitleidige Lächeln zu ſehen, manch 'zweifelndes Wort über mein Talent zu hören.

Das Alles trieb mich, etwas Entſcheidendes zu wagen. Ich wählte als zweites Debüt unverzagt Prezioſa!

Ganz Karlsruhe gerieth in Aufruhr, daß ich das blutjunge, unerfahrene Ding, überhaupt erſt viermal vor's Publikum getreten, nach der gefeierten, ſchönen Amalie Neumann die ſchwere Rolle der Prezioſa ſpielen wolle. Die arme Mutter kam immer halbtodt aus ihren Tarock-Partieen nach Hauſe ſo ſehr hatten die Damen ihr wegen meiner » Prezioſa « bange gemacht. Selbſt Bruder Karl, der inzwiſchen Offizier geworden, berichtete oft kleinlaut, daß ſeine beſten Kameraden am Erfolge zu zweifeln anfingen. Die Frau Markgräfin ließ mir durch Major Hennehofer theilnehmend ihr Bedenken äußern, ob meine junge Stimme auch für die pathetiſchen Stellen der Prezioſa ausreichen würde.

Wenn ich aber die bangende Mutter anſah, ſo wuchs mir das muthige Wollen. Und ich ſetzte meine ganze junge Kraft daran, die Feuerprobe würdig zu beſtehen.

Auf meine Bitte arrangirte Balletmeiſter Zeiſig ein brillantes Solo: Pas de zephir der Gavotte für mich19 zu Weber's entzückender Muſik. Prezioſa's berühmtes Lied: » Einſam bin ich nicht alleine! « ſtudirte mir Geſang¬ lehrer Berger fleißig ein, und die melodramatiſche De¬ klamation übte ich unermüdlich nach dem Klavierauszuge. Bruder Karl beſorgte eine leichte Jagdflinte und exerzirte mich wie einen Rekruten damit ein: blitzſchnell zu zielen, während der Rede abſetzend und bei der geringſten Be¬ wegung des Zigeunerhauptmanns wieder anzulegen.

Und mit welchem Entzücken ſtaffirte die gute Mutter ihre Prezioſa heraus: ſpaniſches Koſtüm, himmelblau mit Silber, graziöſe Marabouts auf dem Kopf! So wünſchte mich ſpäter Maler Muxel in München zu malen. Er wählte die Scene, wo Prezioſa wie verklärt Alonſo's Bouquet aufgehoben. Ob das Bild noch in einer Münchener Galerie hängt ob in einer Trödelbude ich weiß es nicht.

Das Haus war überfüllt und vor Beginn des Stückes in aufgeregter ja, die Verehrer von Mad. Neumann in kampfgereizter Stimmung. Und wie klopfte mir ſelber das junge, bange Herz! Aber ſchon während der ſüßen, beſeligenden Melodieen der Ouverture kam mir eine wunderbare Ruhe und mit Gefühl und Begeiſterung konnte ich ſprechen:

» Lächelnd ſinkt der Abend nieder,
Rings erſchallen Jubellieder «

Der freundliche Beifall erhöhte meinen Muth meine Begeiſterung mein Glück!

Das eingelegte Solo tanzte ich, den Tambourin ſchwingend, wie von Flügeln getragen und ich dachte2 *20lächelnd dabei an des wilden Linchens Seiltänzerſprünge auf der Dielenritze. Auch mein durch das Einfallen des Horns und der Flöte im Takt ſo ſchwieriges Lied gelang glücklich. Das Haus wurde nicht müde, die neue Prezioſa zu rufen. Ich hatte vollſtändig geſiegt und doch war mein Glück kein ſo harmloſes, ungetrübtes, wie nach meinem erſten Erfolge als Margarethe. Ich hatte in dieſen wenigen Monaten die » heißen Bretter « ahnen ge¬ lernt. Das Anfangs ſo lachend nahe Feenland der idealen Kunſt war in immer weitere Fernen gerückt. Würde ich es je erreichen? würde ich je eine wahre, edle Künſtlerin werden? Daß es nur nach vielen bitteren Erfahrungen nach bangen, ſchweren Kämpfen und Ringen ſein könne, wußte ich jetzt ſchon. Aus der fröhlich und unbefangen durch's Leben hüpfenden kleinen Komödiantin war die nachdenkende Schauſpielerin einer bretternen Welt geworden.

Nach dieſem zweiten glücklichen Debüt trat ich in Reih und Glied mit den meiſt ausgezeichneten Künſtlern des Karlsruher Hoftheaters.

Hätte Ludwig Tieck doch dieſe » echten Komödianten « wie er am liebſten den wahren, kunſtbegeiſterten Schauſpieler nannte ſehen können! Er wäre entzückt geweſen. Behauptete er mir gegenüber doch ſpäterhin in Dresden ſtets hartnäckig: » Es iſt ein Nachtheil für die wahre Kunſt, daß die Komödianten nicht mehr die21 » Parias « des bürgerlichen Lebens ſind. Werden ſie fein bürgerlich, ſo iſt es mit dem Künſtler vorbei. Ihr Boden, auf dem ſie nur wachſen können, iſt das Land der Ideale. Ich kann trotz meiner 75 Jahre den Glauben an ein romantiſches Künſtlertreiben nicht verlieren. Nennen die Herren Kritiker mich doch auch immer den Romantiker! «

Unſere Karlsruher Komödianten machten ſich ſelber zu » Parias « des geſelligen Lebens. Und doch hätten ſie nach ihrer meiſt gediegenen Bildung in den beſten Ge¬ ſellſchaftskreiſen glänzen können. Aber ſie, die einſt in Jugendbegeiſterung Heimat, Freunde, glückliche Verhält¬ niſſe verlaſſen hatten, dem verführeriſchen Locken der Kunſt zu folgen Kummer, Noth, Enttäuſchungen jeder Art hatten ſie mit der Zeit menſchenſcheu gemacht.

Woher ſtammte der Liebling des Publikums, der auf der Bühne ſo lebensfriſche, fein humoriſtiſche ja übermüthig frohe Hartenſtein? Durch's Leben eilte er finſter, in trübe Gedanken verſunken.

In dem trefflichen Baſſiſten Sehring und ſeiner lieblichen Frau ſchäumte echtes, unruhiges Komödianten¬ blut. Beim Beginn der Theaterferien verſchwanden beide immer ſpurlos. Und einſt fand ein Bekannter das ge¬ heimnißvolle Paar in einem winzigen Landſtädtchen, auf einer aus Bettüchern und Fenſtergardinen improvi¬ ſirten Bühne Verkleidungsrollen ſpielend. Sie konnten nun einmal die Komödiantenfahrten nicht laſſen!

Der köſtliche, närriſche Komiker Labes, der das ganze Haus bei ſeinem Auftreten ſtets vom homeriſchen22 Lachen der Zuſchauer erſchüttern machte lächelte im Leben nie. In ſeinem Hauſe war er ſogar ein hypo¬ chondriſcher kleiner Tyrann. Er ſpielte prächtig Violine aber im abgelegenſten Winkel ſeiner Wohnung, hinter mehreren verſchloſſenen Thüren.

Bei welcher Wandertruppe hatte der tiefgebildete Regiſſeur Mittel ſeine Theaterlaufbahn begonnen? Er ſprach nie darüber.

Auch die Karlsruher Oper hatte damals einen wohl¬ verdienten Ruf. Mad. Gervais, die gefeierte erſte Sän¬ gerin, war die Tochter eines Pariſer Tanzmeiſters.

Die Perle unſerer Bühne war aber unſtreitig Amalie Neumann, die noch heute als Frau Haitzinger am Wiener Hofburgtheater glänzt und im Fach der » komiſchen Alten « unübertroffen in Deutſchland daſteht. Wer aber damals zu ſagen gewagt hätte: Amalie Neumann das reizendſte Blondchen in der » Entführung aus dem Serail « der lieblichſte Benjamin in » Jakob und ſeine Söhne « die entzückendſte jugendliche Liebhaberin in hundert naiven oder ſentimentalen Luſtſpiel-Rollen wird einſt eine prächtige » komiſche Alte « werden und die guten Wiener als » Martha « im Fauſt entzücken, den hätten unſere jungen Theaterenthuſiaſten ſicher auf Piſtole gefordert. » Unſere himmliſche Amalie Neumann unmöglich! « Und doch wird in 50 Jahren, die ſeitdem hinabgerollt ſind, im Leben ſo Manches möglich.

Amalie Morſtadt war 1800 in Karlsruhe geboren. In einer Wohlthätigkeitsvorſtellung betrat das liebliche23 zehnjährige Kind in Wranitzky's jetzt vergeſſener Oper » Oberon « in der Titelrolle zum erſten Male die Bühne. Der Erfolg des ſeltenen Kindes entſchied für ein Künſtler¬ leben. Mit fünfzehn Jahren war Amalie Mitglied des Karlsruher Hoftheaters, Anfangs nur in kleinen Opern¬ partieen thätig. Ein Jahr darauf heirathete ſie den Schauſpieler Neumann und trat ihre erſte glänzende Gaſt¬ ſpielreiſe durch Deutſchland an. Aus einem zweiten Gaſt¬ ſpiel in Berlin im Jahr 1824 ſchrieb mir Amalie Wolff, Goethe's geliebte Schülerin und die damals geiſtreichſte Künſtlerin der Berliner Hofbühne, über die bezaubernde Perſönlichkeit von Amalie Neumann: » Ein Weſen, wie eine verkleidete Prinzeſſin anzuſehen, trat zu mir in's Zimmer, ſtrahlend wie die Frühlingsgöttin in blühender Schönheit. Hellblauer Mouſſelin umwallte die etwas zu volle und gedrungene, aber doch zierliche Geſtalt. Ein runder italieniſcher Strohhut mit weißem Band, wie ihn die engliſchen Touriſtinnen tragen, beſchattete reiche hell¬ blonde Locken. Vergißmeinnicht-Augen blickten mich ſchelmiſch-freundlich an. Griechiſches Profil, purpurrother lieblicher Mund, Grübchen in den Wangen, roſig ange¬ haucht ſanfte, wohlklingende Stimme ſo bezaubernd die ganze Erſcheinung, daß ich vor ſtaunender Bewunderung kaum zu antworten vermochte! «

Wenn eine Kollegin eine Rivalin in ſolche Be¬ geiſterung ausbricht: iſt es da zu verwundern, wenn in jener Zeit des Theaterenthuſiasmus die ganze junge und alte Männerwelt bei Amalie Neumann's Gaſtrollen faſt24 närriſch vor Entzücken wurde? In Leipzig begnügte man ſich nicht mit Serenaden, Gedichten, Pferdeausſpannen nein, die Enthuſiaſten gründeten in allem Ernſt zu Ehren Amalie Neumann's einen » Roſenorden «, und als Königin mußte die Gefeierte präſidiren. In Wien hatten ihre extravaganteſten Verehrer ſich einen von den goldenen Schuhen zu verſchaffen gewußt, die Mad. Neumann als » Aſchenbrödel « getragen und aus dieſem Goldſchuh auf das Wohl der Vergötterten die Reihe herum Cham¬ pagner getrunken

Neben dieſer reizenden Künſtlerin ſpielte ich mit großem Fleiß zweite und dritte Rollen. Auch ich be¬ wunderte ſie neidlos mit kindlicher Begeiſterung. Sie war damals unſtreitig die vielſeitigſte Schauſpielerin Deutſchlands und unnachahmlich in heiteren Konverſations¬ ſtücken, naiven und ſentimentalen Mädchenrollen. Sie ſpielte mit unerſchöpflicher Wärme des Gefühls, reizender Anmuth und nie müder Laune. Dazu ſang ſie allerliebſt. Nur das hochtragiſche Fach war ihr verſchloſſen.

Während meines Debüts war Amalie Neumann auf Gaſtreiſen. Sie nahm die jugendliche Kollegin bei ihrer Wiederkehr freundlich auf. Nur einmal wußten taktloſe, ſchlechte Freunde die Harmonie des Verkehrs zu ſtören. Sie hatten gegen die Neumann das an mir gerühmt, was ſie nicht beſaß: die ſchlanke, geſchmeidige Figur und Leichtigkeit des Tanzes und die ſonſt ſo reich Ausge¬ ſtattete hatte darauf gereizt und unfreundlich über die Anfängerin geſprochen. Natürlich wurde mir dies ſchleu¬25 nigſt hinterbracht und ich fühlte mich ſehr geſchmeichelt, daß die prächtige bewunderte Roſe der beſcheidenen Knospe nicht gönnen wollte, auch bemerkt zu werden!

Das Lob über mein Tanzen als Prezioſa konnte ſie nicht vergeſſen. » Liebe Kleine, welche Pas haben Ihnen zu dem Beifall verholfen? « fragte ſie mich einſt. » Pas de zephir aus der Gavotte! « » O, die tanze ich auch! « rief ſie vergnügt. » Wir wollen ſie im » Räuſchchen « zu¬ ſammen tanzen. «

Ich ging gern darauf ein. Amalie Neumann hatte die brillante Rolle der Wilhelmine, ich die langweilig ſentimentale der Eliſe. Eigentlich ſoll Wilhelmine tanzen, um dem armen Brandchen den Kopf zu verdrehen, und Eliſe dazu Klavier ſpielen. Aber wir wußten es uns ſchon zurechtzulegen und übten fleißig das Pas de deux. Im dritten Akt ſagte dann auch Wilhelmine zum Ent¬ zücken des Publikums: Brandchen, ſpiel 'ein luſtig Stück auf Deiner Violine wir wollen tanzen! «

Brandchen-Labes geigte die Gavotte und ich tanzte mit Herzensluſt und bemerkte gar nicht, daß mein Vis-à-vis nicht gleichen Tritt hielt.

Am andern Morgen erhielt ich ein herrliches Blumen¬ bouquet mit einem anonymen Billet: » Die Blumenſpender gratuliren der leichten Infanterie zum Siege über die ſchwere Kavallerie. «

Als alte Frau darf ich wohl von einem ſolchen kleinen Triumphe ſprechen. Zu meiner innigen Freude kann ich aber hinzufügen, daß Amalie Neumann's liebliches Bild26 und ihre liebenswürdige Kollegialität gegen die junge An¬ fängerin bei mir noch heute unvergeßlich ſind. Ich habe ſpäterhin keine erſte Liebhaberin neben mir gehabt, die ihren Kolleginnen gegenüber ſo wenig herrſchſüchtig war, wie Amalie Neumann.

Zwei liebliche kleine Mädchen knospeten damals neben der vollblühenden Mutter auf. Louiſe Neumann entfaltete ſich zur leuchtendſten Wunderblume des deutſchen Luſtſpiels, bis Graf Schönfeld in Graz ſie der Kunſt entzog. Adol¬ phine Neumann's kaum entfalte Blüte brach der Tod.

Sechs Monate nach dem Debüt als Prezioſa trat ich mit achttägigem Urlaub meine erſte Gaſtreiſe an nach Manheim! Der Gedanke, mit den ausgezeichneten Künſtlern aus der Schule Iffland's, Dalberg's und Schiller's ſpielen zu dürfen, erfüllte mein fünfzehnjähriges Herz mit Stolz und Entzücken. Glückſelig packte ich mein beſcheidenes Reiſekofferchen für Margarethe und Prezioſa, und für die dritte Rolle die Huſarenuniform zu Kotzebue's Luſtſpiel: » Braut und Bräutigam in einer Perſon « ein.

Ferdinand Löwe ſtand damals im Vollglanz männ¬ licher und künſtleriſcher Schönheit, eine edle, hoch¬ poetiſche Erſcheinung. Ein wunderbarer Zauber umduftete alle ſeine Kunſtgebilde. Er hatte gleich mein junges, en¬ thuſiaſtiſches Herz gefangen. Während der Probe von Pre¬ zioſa, als ich im zweiten Akt Alonſo's Züge zu beſchreiben hatte, hielt ich plötzlich inne: » Hat Alexander Wolff Sie perſönlich gekannt? » Ja, aber warum? «

27

» O, da hat er alſo an Sie gedacht, als er dieſe Verſe dichtete! «

Löwe lächelte anmuthig über den Ausbruch meiner kindlichen Bewunderung und jetzt wurden auch Pre¬ zioſa's Worte!

» Und dies Grübchen Schelmerei! «

auf's Schönſte wahr.

So oft ich Heinrich Heine's Verſe aus den Atriden leſe:

» Blühend blieb mir im Gedächtniß
Dieſe ſchlanke Heldenblume
Nie vergeß ich dieſes ſchöne
Träumeriſche Jünglingsantlitz.
Das war eben dieſe Sorte,
Die geliebt wird von den Feen!
Und ein märchenhaft Geheimniß
Sprach aus dieſen edlen Zügen «

muß ich dabei an Ferdinand Löwe denken. Schon nach zehn Jahren ſollte dieſe » Heldenblume « zu Magde¬ burg in's Grab ſinken. Sein Sohn iſt der geniale Dar¬ ſteller von Helden - und erſten Liebhaberrollen und der wiſſenſchaftlich gebildete Regiſſeur des Stuttgarter Hof¬ theaters, Feodor Löwe, ſeine Tochter Sophie die einſt hochberühmte Opernſängerin zu Wien, vor wenigen Jahren als Fürſtin Friedrich von Liechtenſtein zu Peſt geſtorben, während ſeine zweite Tochter Lilla als Schauſpielerin glänzte, bis ſie die Gattin des Freiherrn v. Küſter wurde. Ein jüngerer Bruder Ferdinand's vor kaum einem Jahre als edelſte Kunſtgröße des Wiener Burgtheaters geſtorben: Ludwig Löwe wurde nach dem frühen Tode28 des Vaters von Ferdinand erzogen und zu ſeiner idealen Größe mit Liebe herangebildet,

Thürnagel, im Fach Ludwig Devrient's, Brand als Tell und Wallenſtein, die noch immer ſchöne und anmuthige Frau von Buſch ſtanden Ferdinand Löwe würdig zur Seite.

Iffland's Geiſt lebte in Manheim, wie auch in Karlsruhe beſonders wohlthuend fort: im maßvollen, klar durchdachten und naturtreuen Spiel! Auch dem Publikum war nichts unſympathiſcher, als affektirtes Uebertreiben und zu kühnes Wagen, ſelbſt bei genialen Gäſten.

Der Manheimer Intendant Graf Luxburg ſorgte wahrhaft väterlich für ſeine Schauſpieler und wurde von ihnen geliebt und verehrt. Leider fehlte ihm die einem Theater-Intendanten unentbehrliche hohe Geiſtesbildung. Er war aber ſo verſtändig, dies ſelber einzuſehen und ſeine trefflichen Regiſſeure gewähren zu laſſen.

Als ich 1835 zu Manheim in Charlotte Birch - Pfeiffer's » Günſtlingen « Katharina II. als Gaſt gab, ſpielte Mlle. Kinkel die Liebhaberin Seraphine. Von Kindheit an bei der Manheimer Bühne, wurde ſie von dem noch immer rührigen Intendanten Grafen Luxburg echt patriarchaliſch kurzweg » Du « angeredet. So hörte ich nach dem vierten Akt von ihm in ſeinem treuherzigen pfälzer Dialekt: » Kinkele, Du haſcht im Ganzen ziemlich ſchlecht geſpielt, biſcht aber ſchön in Ohnmacht g'fallen. «

Welch 'einen Kontraſt bildete dieſer behäbige, wohlge¬ nährte Intendant, der wie ein gutmüthiger Landedelmann29 ausſah, zu unſerm fein ritterlichen Karlsruher Intendanten, dem Dichter von » Alhambra «, » Löwe von Kurdiſtan « und dem Trauerſpiel » Viola «: Freiherrn von Auffenberg!

Das kleine Manheimer Gaſtſpiel hatte den be¬ glückendſten Erfolg für mich und erhöhte meine Zuver¬ ſicht nicht wenig. Die edle Großherzogin Stephanie, die ohne Schönheit durch Geiſt, Güte und Liebenswürdigkeit zu bezaubern wußte und von den Manheimern ebenſo geliebt als hochverehrt wurde, ließ mich am Morgen nach der » Prezioſa « zu ſich rufen. Noch heute höre ich ihre lieben, guten Worte und ſehe ihre milden, klugen Augen.

Große Reichthümer ſollte ich von meiner erſten Gaſt¬ ſpielreiſe nicht heimbringen. Aus Beſcheidenheit hatte ich vorher kein Honorar ausgemacht. Für mein drei¬ maliges Auftreten vor ſtets vollem bei Prezioſa ſogar überfülltem Hauſe erhielt ich von der Intendanz in Summa zehn Dukaten!

Wie mitleidig werden unſere heutigen Gaſtſpieler, die ſich für einen Abend 100, ja 500 Thlr. und noch mehr zahlen laſſen, auf dieſe winzige Summe herniederlächeln!

Ja, wir » Komödianten « von ehemals waren beſchei¬ dener und ich bin noch heute ſtolz darauf, daß wir es waren. Wir reiſten damals mit den primitivſten Lohnkutſchen, auch Hauderer genannt, logirten in Gaſt¬ höfen zweiten Ranges, begnügten uns mit einem einzigen Zimmerchen und waren dabei ein harmlos fröhliches Künſtlervölkchen.

30

Für die Einnahme von Gaſtrollen kaufte ich mir eine eigene Sparbüchſe und war glückſelig, da ich als Ueberſchuß von der erſten Manheimer Gaſtreiſe Einen Gulden hinein thun konnte. Der führte lange ein melan¬ choliſches Einſiedlerdaſein. Erſt nach meinem zweiten Gaſt¬ ſpiel (Hamburg 1826) erhielt er einige Geſellſchaft und nach der Petersburger Gaſtreiſe (1828) ward die Büchſe zu eng.

Der Wunſch, einer größeren Bühne anzugehören, bei der ich mehr beſchäftigt werden konnte, wurde immer ſehnlicher in mir. Die erſt 23 jährige Amalie Neumann dürfte ſich noch Jahre lang im Fach erſter jugendlicher Rollen behaupten und da wöchentlich nur dreimal geſpielt wurde, konnte ſie mir beim beſten Willen ohne Opfer keine bedeutenden Rollen überlaſſen.

Das geſellige Leben Karlsruhes bot wenig Erſatz für mein dürftiges Rollenfach. Der Adel ſonderte ſich ſtreng ab und nur auf den Muſeumsbällen tanzte er wenigſtens im gleichen Saale mit dem höheren Bürger¬ ſtande. Aber auch auf dieſen Bällen gab es eine adelige und bürgerliche Françaiſe. Ich ſehe noch die piquirten Blicke einiger hochadeligen Fräuleins, als ein junger Gleichgeborner wahrſcheinlich ein verkappter Republi¬ kaner es wagte, mich bei meinem erſten Erſcheinen als Hofſchauſpielerin auf dem Muſeumsballe in die adelige Françaiſe am oberen Ende des Saales einzuſchmuggeln. Mich amüſirten dieſe froſtigen Blicke nicht wenig ich31 rächte mich durch das Aufbieten meiner ganzen Tanzkunſt und die unbefangenſte, heiterſte Konverſation mit meinem kühnen Tänzer und bald war in die ſo ſchön ge¬ ſchloſſene hochadelige Phalanx für immer eine Breſche getanzt durch eine Schauſpielerin.

Erſt in Berlin begriff ich, daß Geiſt und Gemüth, erfriſchende Geſelligkeit, herzliches Entgegenkommen, lie¬ benswürdige Gaſtfreundſchaft in Karlsruhe um's Jahr 1823 gar nicht exiſtirten.

Und mein Sehnen, aus dieſen kleinlichen Verhält¬ niſſen fortzukommen, ſollte früher erfüllt werden, als ich ſelbſt zu hoffen gewagt.

In der Probe zu Kotzebue's » Wirrwarr « ſah ich neben dem Regiſſeur Mittel einen ältlichen Herrn mit wohlwollendem Geſicht und feinen Manieren. Ich hörte, es ſei Heinrich Bethmann, der liebenswürdige Schau¬ ſpieler und Gatte der ſo früh verſtorbenen berühmten Friederike Unzelmann-Bethmann. Zum Direktor des in Berlin von reichen Aktionären neu gegründeten » König¬ ſtädter Theaters « gewählt, machte er jetzt eine große Rundreiſe, um von den deutſchen Bühnen für das neue Unternehmen die beſten Kräfte zu gewinnen. Auf dieſer Tour hatte er ſich bereits den Namen » Bühnen-Pirat « erworben, den er mit großem Stolz trug.

» O, wenn er doch auch mich wegkapern wollte! « dachte ich ſehnſüchtig und war während der ganzen Probe zerſtreut Und als ich nach Hauſe kam, ſaß der Pirat traulich neben der Mutter auf dem Sopha32 und bot mir mit dem Zauber ſeiner berüchtigten Beredſamkeit ein ſehr verlockendes Engagement an als Erſte Liebhaberin. » Den 4. Auguſt wird unſere Bühne eröffnet, aber ſchon Ende Mai beginnt das Einſtudiren. Sie können bei uns nach Herzensluſt mit den bewähr¬ teſten Künſtlern ſpielen und ſich an den Vorbildern erhabenſter Kunſt auf der königlichen Bühne weiterbilden. Die guten Berliner werden Ihnen und der Frau Mutter ſchon gefallen « Wie berauſchend klang dies Alles aus Bethmann's Munde! Freudeſtrahlend unterzeichnete ich ein Engagement auf ein Jahr und bald ſchied ich mit tauſend Thränen von dem ſchönen Vaterlande, von den mir ſo herzlich wohlwollenden Kollegen und all' den andern guten, herzigen Menſchen in dem ſtillen Karls¬ ruhe. Hinaus ging's zum erſten Mal und jetzt nicht im Hauderer, nein, mit der Mutter im eigenen Wägel¬ chen mit Extrapoſtpferden und luſtig blaſendem Poſtillon hinaus in die weite, bunte, ſchimmernde Welt in den lachenden Frühling hinein Was wird dieſe fremde Welt dem jungen, quellenden, ſehnenden Herzen bringen? Roſen oder Dornen?

Wenn ich jetzt bei der ſich ſanft neigenden Sonne auf die ſeitdem herabgeglittenen vielen Jahre zurückblicke, ſo kann ich mit dankerfülltem Herzen gegen Gott und die Menſchen! niederſchreiben: jene weite, unbe¬ kannte Welt hat mir ſo viel köſtliche Roſen gebracht, daß ſie die Dornen faſt verdeckten!

[33]

III. Eröffnung des Königſtädter Theaters.

Welchem guten alten Berliner geht nicht noch heute das Herz ſo frühlingsfriſch und fröhlich und doch wieder ſo jugendſehnſüchtig-wehmüthig auf bei dem Namen: » Königſtädter Theater «? oder wenn er bei dem mächtigen, alten, längſt zur Wohnungskaſerne um¬ gewandelten Hauſe auf dem Alexanderplatze, der früher Ochſenmarkt hieß, vorübergeht und daran denkt, wie er vor ſiebenundvierzig Jahren im apfelgrünen Frack und drunter das junge theaterſchwärmende Herz die holde Julie mit den langen, braunen Locken und dem blau¬ ſeidenen Spencer und dem gelben Strohhut à la Galathea am Arm an einem heißen Auguſttage vier Stunden lang vor dem Theatereingange von glühenden Menſchen¬ wogen hin - und hergeſchoben wurde und wie endlich die Pforten ſich öffneten und der Strom ſtöhnend kämpfend dampfend ſich hineinzwängte und wie er doch zuletzt glücklich auf ſeinem Parterreplatze anlangte,Erinnerungen ꝛc. 334wenn auch mit dem Opfer des einen apfelgrünen Frack¬ ſchoßes und der Hälfte der braunen Locken und des einen blauen Atlaßſchuhes der holden Julie und wie ſie beide doch ſo unendlich glücklich waren, der Eröffnung des neuen Königſtädter Theaters beiwohnen zu können

In dies alte, theaterenthuſiaſtiſche Berlin von anno 1824 wie es ſich das junge Berlin von anno 1870 kaum noch denken kann fuhren die Mutter und ich am 26. Mai 1824 Nachts 11 Uhr ein, durch die nicht enden wollende Königsſtraße dem Ochſenmarkt zu. Bethmann hatte verſprochen, uns dort ein proviſoriſches Logis zu miethen.

Der große Ochſenmarkt war wie ausgeſtorben. In dem bezeichneten Hauſe links neben dem Theater ſchienen ſämmtliche Bewohner zu ſchlafen. Der Poſtillon blies, rief, klopfte, zog die Glocke lange vergebens. Endlich wurde ein Fenſter im erſten Stock geöffnet. Ein Licht und ein jugendliches Geſicht neigten ſich hinaus, und in bayeriſcher Mundart hörten wir: » Kommen Sie etwa aus Karlsruhe? Dann bitte heraufzukommen! Direktor Bethmann hat uns erſucht, Sie zu bewillkommnen; bis morgen müſſen Sie ſich ſchon mit dem beſtellten, leider ſehr unwohnlichen Zimmer behelfen. « Die artige Sprecherin, Fräulein Weidner aus München, begrüßte mich als Kol¬ legin ſehr herzlich. Aber eine Hiobspoſt kam nach: Beth¬ mann hatte nach einer heftigen Scene mit den Aktionären ſeine Entlaſſung gefordert erhalten und tief ge¬ kränkt Berlin verlaſſen.

35

Aus übervollem, bangen Herzen, mit Seufzen und Thränen klang uns dieſer Willkomm in der wildfremden Stadt entgegen. Bekümmert und erſchrocken ſetzten die Mutter und ich uns auf eines der Betten in dem ſopha¬ loſen, unbehaglichen Zimmer, und Fräulein Weidner und ihre Mutter auf das gegenüberſtehende. Klagend fuhr die Kollegin fort: » Es herrſcht hier heilloſe Unordnung! Nichts iſt fertig, nur Weniges vorbereitet. Keine Rollen ſind vertheilt, keine Proben angeſetzt. Vice-Direktor und Sekretär Baron von Biedenfeld vermag trotz des beſten Willens keine Autorität zu erlangen. Niemand will ge¬ horchen. Die Regiſſeure Schmelka und Angeli hemmen die Thätigkeit ihres einſichtsvollen Mitregiſſeurs Nagel durch Eiferſüchteleien und Mißtrauen. Der Geſchäfts¬ führer, Juſtizrath Kunowsky, iſt ein geiſtreicher Mann und mit Enthuſiasmus dem neuen Inſtitut ergeben, aber ihm fehlt Zeit, Praxis und Energie. Er taucht auf und verſchwindet wie ein Irrwiſch und hinterläßt nur Verwirrung. Die Aktionäre wiſſen wohl die Einnahmen zu berechnen, geizen aber mit den nöthigſten Ausgaben. O hätte ich doch mein trautes München nicht verlaſſen! «

» Und wir nicht unſer ſchönes Karlsruhe! « und Thränen drohten auch bei mir auszubrechen Da ertönte eine Flöte wehmüthige Melodieen ſehr gut geblaſen

» Der Stiefſohn Bethmann's « erklärte die Weid¬ ner, ſanfter, ernſter Jüngling; er wohnt über uns und muſizirt oft die ganze Nacht hindurch. «

3 *36

» Das fehlt 'uns noch! « rief meine Mutter in komiſcher Verzweiflung, » nichts ſtimmt trauriger, als melancho¬ liſches Flötenſpiel o wie er jetzt ſo ſchwermüthig bläſt:

» Mir auch war ein Leben aufgegangen! «

von Kapellmeiſter Himmel «

» Sicher folgt jetzt:

» An Alexis ſend 'ich Dich! «

lachte die Weidner und richtig: Gleich intonirte die melancholiſche Flöte den Roſengruß an Alexis.

Da lachten wir denn hell auf und wurden Alle heiterer und muthvoller. Und bald lullte uns:

» Freudvoll und leidvoll «

des ſchwärmeriſchen Flötenſpielers ganz angenehm ein die erſte Nacht in dem großen, wildfremden Berlin.

Der folgende Morgen ließ ſich beſſer an. Ein etwas zweifelhaftes Individuum präſentirte ſich als Theater¬ diener und brachte die erfreuliche Nachricht: die gegen¬ überwohnende Frau Doktorin Rintel ließe uns einladen, das freie, hübſche Logis über ihrer Wohnung zu be¬ ſichtigen.

Froh eilte ich hinüber und nach wenigen Stunden war Alles ſo weit eingerichtet, daß wir Beſuch empfangen konnten. Als ich treppauf treppab ſprang, um das Aus¬ packen zu überwachen, und rüſtig mit Hand anlegte trat mir aus dem Zimmer des erſten Stockes eine nicht mehr junge, aber höchſt anmuthige Dame entgegen und ſagte auf die liebenswürdigſte Weiſe: » Ich bin die37 Doktorin Rintel mein Vater iſt der Direktor der Singakademie Zelter! Bethmann, ein Freund meines Mannes, hat Sie uns empfohlen. Er kam vor ſeiner ſchnellen Abreiſe noch athemlos gerannt, um dies Brief¬ chen für Sie einzuhändigen. Recht viel Liebes haben wir von der Süddeutſchen vernommen; nach Kräften werden wir Ihnen beiſtehen! «

Da erſchien mir Berlin doch ſchon in einem roſigeren Lichte. Wir waren nicht mehr verlaſſen; gute, liebe Menſchen wollten ſich unſerer annehmen

Bethmann ſchrieb: » Um Ihretwillen, liebes Fräu¬ lein, bedaure ich hauptſächlich, Berlin ſo ſchnell verlaſſen zu müſſen! Denn Sie ſind unſtreitig von den Mitglie¬ dern die Unerfahrenſte im Theater-Treiben. Doch nur muthig vorwärts! Talent, Jugend und ernſtes, eifriges Streben werden auch Ihnen helfen, im neuen Kunſt¬ tempel Fuß zu faſſen. Vor dem Herbſt kehre ich wieder und ſtelle Sie meinen ehemaligen Kollegen von der könig¬ lichen Bühne vor «

Wie heimiſch fühlten wir uns gleich bei Rintels, wie ungenirt plauderten wir zuſammen, ſo vertrauens¬ voll, als ſei es nicht das erſte Mal, daß wir am Fami¬ lientiſch mit ihnen Kaffee tränken. Des Doktors ſanftes, würdiges Weſen beruhigte und flößte Sympathie ein. Das liebenswürdige Paar beſtätigte die Verſicherung Bethmann's, daß die Berliner mit Ungeduld der Er¬ öffnung des Königſtädter Theaters damals der ein¬ zigen Bühne neben der königlichen entgegenſähen,38 und das Publikum ſich freue auf die heiteren Lebens¬ bilder; denn nur Luſtſpielen, Lokalpoſſen, Operetten ſolle die neue Bühne geweiht ſein, höchſtens dürften dann und wann Melodramas ihre düſteren Schatten werfen. Der König hätte gern dem Kommerzienrath Cerf die Konzeſſion zum Bau eines zweiten Theaters ertheilt, da beim königlichen Theater das klaſſiſche Re¬ pertoir vorherrſche und der König heitere Lebensbilder im Volkston beſonders liebe.

» Aber warum läßt der König denn nicht ſeine Lieb¬ lingsſtücke auf ſeiner Bühne ſpielen? «

» Nein, Friedrich Wilhelm der Gerechte hat mehr als einmal geſagt: Ich will meinen Geſchmack dem Publikum nicht aufdrängen; und Graf Brühl, der Intendant, ſoll in Ruhe gelaſſen werden! «

Baron Biedenfeld machte uns ſeinen Beſuch. Der Vize-Direktor trug einen verſtümmelten Arm in ſchwarz¬ ſeidener Binde; die Orden auf ſeiner Bruſt erklärten uns, wie er zum Krüppel geworden. Der Mutter und mir ſtiegen die Thränen in's Auge wir dachten an meinen Vater, der aus jenen Schlachten für's Vaterland nicht wiederkehren durfte. Der Baron mochte wohl vier¬ zig Jahre zählen und hatte angenehme, intelligente Züge. Er zeigte ſich als feingebildeter Mann und plauderte bald gemüthlich in Wiener Mundart. Er lud uns freund¬ lich ein, ihn nach Hauſe zu Frau und Tochter zum Mit¬ tageſſen zu begleiten. Wir würden dort auch ſeinen Schwiegerſohn Spitzeder kennen lernen.

39

» Wenn das ſo fortgeht, « rief ich fröhlich, » müſſen wir an eine beſchützende, unſichtbare Macht glauben. Warum aber blicken Sie ſo traurig, Herr Baron? «

» Lina, bedenke doch! « verwies die Mutter Ent¬ ſchuldigen Sie, Herr Baron, das laute Denken meiner Tochter! «

» O, laſſen Sie das Fräulein doch aufrichtig ſein! Zu bald wird ſie leider nur Klugheit ſprechen müſſen, wenn ſie durchkommen will auf den heißen Brettern. Sie haben aber ganz recht geſehen, mein aufrichtiges Fräulein: ich bin ſehr deprimirt! Seit Bethmann's Zerwürfniß mit den Aktionären iſt meine Stellung uner¬ träglich geworden: ich ſoll Alles vermitteln, ermöglichen und werde bei der herrſchenden Konfuſion nachgerade mit verwirrt. Doch, dies darf Sie nicht entmuthigen, bitte, erfreuen Sie mit Ihrer Heiterkeit meine heimweh¬ kranke Frau und Tochter ſie vermiſſen hier noch mehr als ich unſer geliebtes Wien. «

Am Fuß der Treppe hörten wir einen Wagen an¬ raſſeln, und eben auf dem Trottoir ſtießen wir auf einen Herrn, den Biedenfeld: » Ah! Kunowsky! « begrüßte. Dann ſtellte er vor: » Herr Juſtizrath Kunowsky unſere Hauptſtütze, Geſchäftsführer und geiſtiger Dirigent des neuen Inſtituts, das belebende Element des ganzen Unternehmens! « Es klang wohl etwas Ironie aus dem Lobe, Kunowsky indeſſen nahm es à la lettre. Er bot mir ſeinen Arm, mich zu Biedenfeld's zu führen. Und nun während der kurzen Strecke ſollte ich die40 echte, berühmte und berüchtigte Berliner Suada kennen lernen. Solch 'ein Ueberſtürzen verſchiedener Thematas, ſolch' Gemiſch von Witz, Laune und Raketenſprühen im allerſchnellſten Tempo hatte ich bis dahin noch nie gehört. Betäubt verwirrt konnte ich nur ſelten einige Bemerkungen einſchalten. Kunowsky's Aeußeres frap¬ pirte mich auch; ich vermochte nicht zu ſagen, ob mich ein Alter-Junger, oder ein Junger-Alter führte. Die ſchlanke, geſchmeidige Figur, das nach Art der Studenten geſcheitelte, lockige, braune Haar, die blauen, geiſtvoll ſtrahlenden Augen und dazu ein ziemlich verwittertes, fahles Geſicht und bedenklicher Zahnmangel

Kunowsky ſprühte: » Unſer Theater wird bald das königliche überflügeln! junge Kräfte, immenſe Ta¬ lente! bei den Hofſchauſpielern iſt die Glanzperiode vorüber «

» Madame Stich iſt aber doch noch zu den jugend¬ lichen Künſtlerinnen zu zählen? «

» Jewiß! jewiß, impoſante Geſtalt, vortrefflich im Trauerſpiel, aber im Luſtſpiel ungraziös, gar nicht bedeutend «

» Und die geprieſene Frau v. Holtei? kaum in den Zwanzigen «

» Reizende Erſcheinung, beſonders als Käthchen von Heilbronn und Melitta, aber zu klein, zu lange Arme, beſchränktes Fach, auch nicht lebensfriſch genug, zu veilchenartig beſcheiden wirkend «

41

» Und Devrient, Wolff, ſeine Gattin, Rebenſtein, Krüger ꝛc., ſind das nicht Künſtler in voller Kraft ihres Talentes? «

» Jewiß! jewiß! aber unſere Königſtädter werden ihnen ſchon nachkommen. Klaſſiſche Stücke d. h. Trauerſpiele dürfen wir zwar nicht geben, doch das wird ſich finden. Und wir werden dafür ein brillantes Re¬ pertoir haben. Ludwig, Meyer, Piehl, Nagel welche Schauſpieler! Schmelka, Angeli, Röſike welche Ko¬ miker! und Spitzeder, unſere Perle, unſer Stolz! und die Damen Weidner, die Schweſtern Sa¬ torius und Herold, Karoline Müller, Sie, Verehrteſte welche Künſtlerinnen! «

» Erlauben Sie, Herr Juſtizrath, ſpielen dieſe Damen zweite Liebhaberinnen? «

» Nein! Erſte! «

» Sieben erſte Liebhaberinnen an einer Bühne da hätte ich Luſt, ſogleich wieder abzureiſen. Mein Kontrakt lautet auf erſte Partieen, und ich habe nicht die Karlsruher Bühne verlaſſen, wo ich neben Madame Neumann gefiel, um mit dieſen ſechs Damen hier um die Palme zu ringen! «

» Begreife, Verehrteſte, aber im Anfang müſſen Sie der Sache halber auch unbedeutendere Rollen über¬ nehmen. Im Tournier zu Kronſtein iſt die Gräfin Elsbeth Ihnen zugetheilt; in acht Tagen wird die erſte Probe ſtattfinden, am Geburtstag des Kronprinzen wird das Stück gegeben werden. «

42

Aber der Geburtstag iſt ja erſt am 15. Oktober und jetzt haben wir Mai. Warum werden denn nicht die vorhergehenden Stücke einſtudirt? «

» Kleinigkeit, wird Alles zur Zeit geſchehen und nun folgte eine wahre Apotheoſe des neuen Inſti¬ tutes, von dem Wohlwollen des Königs, der brennenden Ungeduld des Publikums einer neuen, herrlichen Kunſtepoche und ſo unaufhaltſam weiter

Erſt bei Biedenfeld's durfte ich freier athmen. Mit Herzlichkeit wurden wir von den Wienerinnen bewill¬ kommnet. Die Baronin hatte dieſelbe Ruhe und Milde in ihrem Benehmen, wie meine Mutter. Sie war früher an den Komiker Schüler in Deſſau verheirathet geweſen und hatte ſelbſt als Sängerin geglänzt. Ihre Tochter aus erſter Ehe, Frau Spitzeder, war eine zierliche Er¬ ſcheinung: ſchwarze Prachtaugen ſchauten aus dem blaſſen, lieblichen Geſicht unendlich wehmüthig, als ſuchten ſie vergebens das geliebte Wien, wo Henriette Spitzeder als erſte Sängerin der Liebling der Wiener war. Oder ahnten dieſe ſchönen, traurigen Augen, daß ſie ſich ſchon nach vier Jahren auf immer ſchließen ſollten? Spitz¬ eder, der berühmte Wiener Baßbuffo, dagegen ſah fröh¬ lich und zuverſichtlich aus. Ein großer, blondlockiger, ſchöner junger Mann, deſſen lächeln und blitzende tief¬ blaue Augen den humoriſtiſchen Schalk verriethen.

Plötzlich ſagte Kunowsky Adieu! und fort war er. Wir ſahen uns eine Weile beobachtend lächelnd an aber der köſtliche Spitzeder gab in ſeiner derb gemüth¬43 lichen Wiener Art den Gedanken Worte: » Unſer Ge¬ ſchäftsführer iſt heut wieder einmal e biſſel verruckt! Sonſt ein ſeelenguter, auch kluger Herr, aber hier im Oberſtübchen geht es manchmal drunter und drüber und zum Dirigenten für ein Theatervölkchen fehlt ihm eine gute Portion Energie und kaltes Blut! « Dann ſchlug er plötzlich in das höchſte Pathos um: » Wir fahren halt auf dem Meer fremder Verhältniſſe, und wiſſen nicht, ob's Schifflein glücklich landen wird! aber um uns zu ſtärken vor den herannahenden Kämpfen, wollen wir Leidensgefährten (in Wiener Mundart) jetzt echte Wiener Rahmſtrudel eſſen. «

Für mich war dies genügend, um in tolles Lachen auszubrechen; die andern mußten mit einſtimmen, ſelbſt die kleine ernſte Frau, und nun weidete ich mich förmlich an Spitzeder's unerſchöpflicher, liebenswürdiger Laune, die dem Komiker bald in Berlin auf Befehl des Königs 24 Stunden Arreſt eintragen ſollte. Während des ruſſiſch-türkiſchen Krieges extemporirte er nämlich im Königſtädter Theater: » Die Fuſelmänner gegen die Muſelmänner « und eine preußiſche Königſtochter war ja Kaiſerin der Fuſelmänner. Als wir mit Cham¬ pagner auf glückliches Landen des Schiffes anſtießen, kam ein Bote von Kunowsky mit einem Bleiſtiftzettel an mich: » Verehrteſte! Ich vergaß zu erinnern, daß Sie morgen durchaus den Herren Aktionären Beſuche abſtatten müſſen; hier die Adreſſe von den verheiratheten Mata¬ doren. Abends erwartet meine Frau Sie mit der werthen44 Mama. Es iſt unſer Empfangstag, und wir freuen uns, Sie mit den für Kunſt glühenden Stammgäſten bekannt zu machen. «

» Wie liebenswürdig! « bemerkte meine Mutter.

» Ja gewiß! « ſagte die Baronin reſignirt » aber die Damen werden gleich uns bei dem Rout Ent¬ ſetzliches ausſtehen: kleine Zimmer, überfüllt von Beſuchenden. Das iſt ein betäubendes Kommen, Gehen, Drängen, Schwätzen Ich werde ſtets krank von dem Vergnügen! «

In grauſeidenem Ueberrock, mit Roſa verziert, eine Pariſer roſa Atlas-Toque mit Marabouts auf den hoch¬ friſirten Locken, die Mutter ſchwarz, im hellgelben Krepp¬ hut fand ich unſere Toilette ſehr hübſch für die Viſiten bei den Herren Aktionären. Aber wie wurde ich angeſtarrt! Ob vielleicht die Toque zu verwegen auf¬ geſtülpt war? oder ob ich mich nicht demüthig genug vor den Millionären verbeugte? Ich vernahm wenigſtens ſpäter von Baron Biedenfeld, daß Bankier Fränkel ihm andern Tags geſagt: » Bedenken Sie ja die etwas deter¬ minirt ausſehende Blondine mit erſten Rollen, denn zweite wird ſie ſicherlich nicht oft übernehmen. «

Bankier Beneke, wegen ſeines Reichthums auch Fürſt Beneke genannt, ſprach ſehr leiſe, aber angenehm, und geleitete uns zu ſeiner Gattin wie verlegen. Durchlaucht lehnten in der Sophaecke, ein Riechfläſchchen45 in der Hand, und klagten herablaſſend im beſten Ber¬ liniſch über Nervenkopfweh. Wir wollten uns ſogleich entfernen, wurden aber erſucht, Platz zu nehmen. Eine gezwungene Unterhaltung entſpann ſich. Durch¬ laucht geruhten unter Anderm zu fragen: » Haben Sie denn ein jutes Jedächtniß? Das Auswendiglernen muß doch entſetzlich ſind! «

Ich war im Begriff pikirt zu antworten, aber ein Blick der Mutter verhinderte es. Rächen mußte ich mich aber doch, und ſo erwiederte ich lammfromm: » Ich beſitze jar kein Jedächtniß, ich bin ein jequältes Menſchenkind! «

Ihr Erröthen bewies, daß ſie mich verſtanden hatte. Sie blieb meine Gegnerin von dieſer Minute an. Ich habe nie wieder einen Fuß in dies goldene Haus geſetzt.

Von einer anderen Mad. Beneke, deren feenhafte Feſte Friedrich Wilhelm III. nicht ſelten beehrte, um ſich an dem unverfälſchten Berliniſch der Wirthin zu er¬ götzen, wußte Spitzeder allerlei Anecdoten zu erzählen. Sie titulirte den König nur » Majeſtäteken «. Als nun einſt eine wohlmeinende, aber weniger reiche Freundin die Millionärin vertraulich erinnerte, doch nicht immer » jeloffen « ſtatt gelaufen zu ſagen, platzte dieſe heraus: » Ach wat, Liebſte, laſſen Sie mir man: Ihre Töchter ſind nun ſchon 30 Jahre jelaufen und jelaufen un haben bis heute noch keinen Mann gekriegt meine Töchter ſind jeloffen un jeloffen un waren mit 17 Jahren ſchon futſch! «

Am Abend ſaß ich zum erſten Mal in höchſter46 Spannung im erſten Range des dichtbeſetzten königlichen Schauſpielhauſes. Es erſchien mir gegen das Karlsruher klein, aber eleganter, auch beſſer beleuchtet. Es wurde » Hermann und Dorothea « gegeben, von Dr. Karl Töpfer nach Goethe's Dichtung für die Bühne bearbeitet.

Neben mir ſaß ein gemüthlich-heiterer Herr von einigen 30 Jahren. Sein ganzes Weſen erinnerte mich lebhaft an meinen lieben Hofrath in Iffland's Hageſtolzen. Mein jugendlich aufblitzendes Entzücken über einzelne Stellen der Dichtung meine Begeiſterung über das vollendete Spiel ſchienen ihn zu ergötzen. Wir kamen in den Pauſen in's Plaudern. Mein Nachbar ſprach über Kunſt und Schauſpieler voll Verſtändniß und Be¬ ſcheidenheit angenehm und liebenswürdig. Er hatte ſogleich die Fremde und begeiſterte Kunſtnovize erkannt [und] nannte ſich mir als früheren Kollegen und Verfaſſer von » Hermann und Dorothea « Dr. Töpfer.

Töpfer war Hofſchauſpieler in Wien geweſen, hatte dann durch Deutſchland Kunſtreiſen gemacht und beſonders durch ſein Guitarrenſpiel entzückt. Seit einigen Jahren hatte er die Bühne verlaſſen und war mit großem Glück als Luſtſpieldichter und Novelliſt aufgetreten. Seine Luſtſpiele: » Des Herzogs Befehl « und » Der beſte Ton « wurden damals auf allen Bühnen gegeben und haben ſich bis heute auf dem Repertoir erhalten. Vor wenigen Wochen iſt Töpfer in Hamburg geſtorben.

» Hermann und Dorothea « iſt kein Effektſtück und vermag nicht rauſchenden Beifall zu erzielen; aber47 die faſt andächtige Aufmerkſamkeit des Publikums, das bewundernswürdige Zuſammenwirken der edlen Mimen ließen mich die » echte Weiſe der Kunſt « ahnen und den glühenden Wunſch in meinem Herzen aufſteigen: mit dieſen Künſtlern ſpielen, von ihnen lernen zu können! Da drängte ſich Niemand vor, da geſtaltete ſich das Ganze ſo harmoniſch, daß man das » Spiel « vergaß. Man konnte ſich einbilden, mit den biederen Menſchen dieſelbe Luft eingeathmet, jahrelang mit ihnen verkehrt zu haben, ja, den Sonnenſchein zu fühlen, der die reizende Gegend beleuchtete.

Und die Künſtler, die dieſen Täuſchungszauber her¬ vorbrachten, waren: Herr und Madame Wolff, Ludwig Devrient, Beſchort, Lemm, Rebenſtein und Karoline Lindner. Mad. Stich, die ſpätere berühmte Krelinger, fehlte in dem Künſtlerkreiſe. Sie weilte augenblicklich mit ihrem Gatten in Paris, um den Zorn der Berliner über eine damals vielbeſprochene unglückſelige Geſchichte, auf die ich zurückkommen werde, verdampfen zu laſſen.

In dem Rollenfach der Stich gaſtirte nun Karoline Lindner, die Zierde des Frankfurter National-Theaters. Heute gab ſie die Dorothea.

Bei dem erſten Anblick der kleinen, gedrungenen Dorothea mit dem unſchönen, dicken Kopfe flüſterte ich Dr. Töpfer zu: » Wie ſchade, daß die ſchöne Madame Stich heute nicht ſpielt! «

Er lächelte: » Nach dem Aktſchluß werden Sie anders urtheilen. «

48

Und ſo kam es. Kaum hatte Dorothea einige Worte geſprochen, ſo ſchämte ich mich des vorſchnellen Urtheils. Die ſüße Stimme mit der vibrirenden Innig¬ keit erfaßte mich mächtig, und die ſittſame Grazie ihres Weſens ließ ſie ſogar anmuthig erſcheinen. Die großen, ſeelenvollen Augen entſchädigten für die unſchöne Ge¬ ſichtsbildung.

Von einem anderen, noch glänzenderen Triumphe, den das ſeltene Talent und das reiche, ſchöne Herz der unſchönen Karoline Lindner ſogar über die jugendblühende, bildſchöne Amalie Neumann in Berlin davontrug, er¬ zählte mir ſpäter der bekannte Geheimrath Heun der viel geleſene, viel geliebte und viel geſchmähte Clauren.

Clauren hatte das Suschen in ſeinem » Bräutigam aus Mexiko « für Amalie Neuman geſchrieben und dies ſchöne Suschen hatte ganz Berlin entzückt berauſcht Und nun wollte die eckige, unſcheinbare Karoline Lindner es wagen, in derſelben Rolle vor das Berliner Publikum zu treten welche Anmaßung!

Clauren erzählte: » Das Theater war wohl mit aus Neugier, wie dies kühne Unternehmen der kleinen Frankfurterin ausfallen werde, überfüllt. Keine Hand rührte ſich, als nach dem Aufrollen des Vorhanges das reizloſe Suschen am Klöppeltiſch ſichtbar wurde.

Mir klopfte hörbar das Herz, und ich bedauerte, der Lindner dieſe Rolle nicht abgerathen zu haben. Ich konnte bemerken, wie viele Zuſchauer lächelten, die Köpfe ſchüttelten, als wollten ſie ſagen: das war vorauszuſehen,49 ein unbegreiflicher Mißgriff von einer ſonſt ſo denken¬ den Künſtlerin!

Die erſte Unterredung mit der Tante wurde gleich¬ gültig aufgenommen, doch nach und nach regte ſich die Theilnahme, und am Schluß des Aktes ertönte Beifall. Nach der Beſchreibung des Traumes im dritten Akt aber jubelte bereits das ganze Haus vor Entzücken, und nach dem vierten Akt geſtanden ſelbſt die glühendſten Verehrer des ſchönen Suschens, daß dieſem unſchönen, herzig gemüthlichen, heiter-ſeelenvollen der Preis gebühre. Die hellen Thränen liefen mir über die Wangen, als die tief gedemüthigte Spitzenklöpplerin ſo traurig und ergeben ſich zur Arbeit ſetzte, und klagte: » mein Mütterchen im Grabe, Du hörſt das Weinen Deines Kindes nicht! « Nur einer Nüance will ich erwähnen, welche das Publikum elektriſirte.

Wenn die Tante die von Suschen im Spitzenkarton eingeſchmuggelte ſeidene Schürze bemerkt, und ſie hervor¬ ziehend frägt: » Wie kommt denn die Schürze in den Karton? « waren wir gewohnt, die Neumann keck antworten zu hören, indem ſie die Tante dabei durchaus nicht ſchüchtern anblickte: » Wie kann man ſo vergeßlich ſein! Du haſt ſie ja ſelbſt hineingelegt! « Lindner-Suschen löſte verlegen den am Arm hängenden runden Strohhut, ſetzte ihn auf, und den Schirm ein wenig in's Geſicht drückend belog ſie zum erſten Mal ihre Wohlthäterin leiſe zitternd und vermochte nicht, der Tante dabei in's Auge zu ſehen! und ſo folgten unzählige Ge¬ müths - und Charakterblitze

Erinnerungen ꝛc. 450

Auch in höheren dramatiſchen Aufgaben leiſtete die Lindner Großes! Sogar als ſtummer Viktorin in » Waiſe und Mörder « wußte ſie durch ihre Mimik zu bezaubern. Sie gab keinen ſentimentalen Jüngling, koſtümirt wie der Page in Figaro's Hochzeit, den Tituskopf zierlich friſirt. Im dunklen Anzuge, der ſie ſchlank erſcheinen ließ, die Künſtlerlocken zurückgeſtrichen, trat dieſer Viktorin feſten Schrittes auf, die Augen, wie im Fieber glühend, ſuchten überall nach dem Mörder ſeines Vaters Man ſah einen jugendlichen, energiſchen Künſtler, der mit ſeinem Meißel ſchon das Andenken des theuren Vaters verewigte. Und als ſie Raimbauts endlich erkannte, ſtandirte ſie nicht, wie viele Gefeierte, nachdrücklich: » Dies iſt der Mörder meines Vaters! « nein, nach neunjährigem Verſtummen rang ſich ein Herz und Mark erſchütternder Schrei: » Mörder Vater! « gewaltſam krampfhaft aus der gequälten Bruſt und Victorin brach zuſammen «

Das Urtheil Clauren's war vielbedeutend, denn auch er zählte zur begeiſterten » alten Garde « Amalie Neumann's.

Clauren und ſein Sohn wurden in Berlin nach Kotzebue's Luſtſpiel » die beiden Klingsberge « genannt, weil auch ſie Beide dieſelben Kreiſe beſuchten. Clauren's ſchriftſtelleriſche Produkte wurden oft bitter, unbarmherzig heruntergeriſſen, und ſein jährlich erſcheinender Taſchen¬ kalender » Vergißmeinnicht « kam aus der Mode. Am ſchärfſten hat ihn Wilhelm Hauff in ſeinem » Mann im Monde « mitgenommen, welcher Roman bekanntlich im51 ſüßlichen Clauren'ſchen Styl und unter dem Namen » Clauren « erſchien. Seit der Zeit hat Clauren einen gar böſen Ruf als Schriftſteller und Menſch aber ich habe ihn beſſer als ſein Ruf kennen gelernt. Geheime¬ rath Heun war gaſtfrei, aufrichtig, treu ſeinen Freunden ergeben und der liebenswürdigſte Geſellſchafter. Sein Sohn, den er durch das Nervenfieber verlor, zeigte keine große geiſtige Befähigung, war aber beſcheiden, gutmüthig und allgemein beliebt. Clauren heirathete nach dem Tode des einzigen Sohnes ein junges, ſchönes, braves Bürger¬ mädchen, und der Greis erlebte noch die Freude, ein Töchterchen auf ſeinen Armen wiegen zu können, das » Suschen « getauft wurde und zu einem holden Mädchen heranwuchs.

Die Probe vom » Turnier zu Kronſtein « benahm mir vollends alle Luſt, bei der Königſtädter Bühne zu bleiben. Je länger ich dem tollen Treiben zuſah, um ſo froher war ich, den Rath des Freiherrn von Auffenberg befolgt und mir im Kontrakt ausbedungen zu haben: nach ſechs Monaten und vorhergegangener dreimonatlicher Kündigung mein Engagement löſen zu können. Auch ſtand es mir frei, nach Karlsruhe in's frühere Engagement zurückzukehren.

Das ganze bunte, ordnungsloſe Treiben bei der neuen Königſtädter Bühne erinnerte an Wilhelm Meiſter's Truppe, nur fehlte der Meiſter! Zuletzt wurden auch4 *52die ernſten Künſtler vom übermüthigen Zuverſichts-Strudel mit fortgeriſſen und à la grace de Dieu ſteuerten wir dem 4. Auguſt, dem Eröffnungstag, entgegen.

Wenn man von der unfertigen Bühne in den Zu¬ ſchauerraum blickte, mußte man kopfſchüttelnd fragen: Am 4. Auguſt ſoll dort Publikum ſitzen? Die Sitze knarrten, die Oelfarbe klebte, Schutt, Steine, Holz bildeten ein Chaos, und auf der Bühne war es lebensgefährlich! Als der » Wunderſchrank « mit Beleuch¬ tung probirt wurde, fielen zwei mächtige eiſerne Rollen vom Theaterhimmel ſchmetternd zwiſchen uns nieder.

Aber je näher der Eröffnungstag heranrückte, deſto bemerkbarer wurde ein erfreulicher Umſchwung zum Beſſern bei der Leitung und den Schauſpielern. Das übermüthige Lachen und Renommiren verſtummte. Mit Ernſt und Eifer wurde ſtudirt und probirt, beſcheiden um Rath gefragt, und jede Eiferſucht ſchien verſchwunden. Herzlich reichten ſich Alle die Hand zur gegenſeitigen Unterſtützung. Jeder fühlte, daß der erſte Eindruck für das junge Inſtitut entſcheidend ſein würde. Und als endlich an den Straßenecken zu leſen ſtand:

Heute, den 4. Auguſt 1824: Eröffnung des Königſtädter Theaters. Prolog. Der beſte Freund. Luſtſpiel. Die Ochſenmenuette. Operette.

da ſtanden wir gerüſtet zum Kampf da zitternd vor Auf¬ regung, aber doch in hoffnungsfroher, erhöhter Stimmung.

53

Mir war die ſchwerſte Aufgabe zugefallen, ſelbſt für erfahrene Künſtler eine ſchwierige: den Prolog zu ſprechen.

Mir liegt ein alter, vergilbter Brief an meinen Bruder Louis vor. Dieſe verblaßten Schriftzüge werden jenen Tag am friſcheſten ſchildern:

» Seit zwei Uhr wogte bereits die Menſchenmaſſe auf dem Ochſenmarkte und kaum vermochten wir Schauſpieler uns durchzudrängen. Ich hatte zu Hauſe meine Toilette vollendet, fuhr im geſchloſſenen Wagen über den Platz, und die tauſend neugierigen Augen vermehrten meine Angſt. Mein Herz bebte ſtärker, als in Karlsruhe vor dem erſten entſcheidenden Auftreten. Zum erſten Mal ſollte ich vor dem kunſtſinnigen, aber auch ſtreng richten¬ den Publikum Berlins erſcheinen, noch dazu in der undankbaren Aufgabe als Sprecherin eines Prologs und in dem ganzen großen Berlin verſchwanden die wenigen mir freundlich Geſinnten in der Maſſe.

Auf der Bühne reichten wir uns ſtumm die Hand. Das Herz war uns zu voll, um reden zu können. Die elf Damen waren weiß, höchſt elegant gekleidet, die vierzehn Herren im ſchwarzen Geſellſchaftsanzuge.

Die hohen Herrſchaften waren bis auf den König bereits erſchienen.

Ein ſehr hübſch erdachter, närriſcher Vorprolog ſollte das Publikum überraſchen.

Das Zeichen zum Beginn der Ouverture wurde ge¬ geben der Kapellmeiſter erhob ſeinen Taktſtock aber kein Laut ertönte.

54

Da ſchrie Louis Angeli, der luſtige Vaudevilledichter, vom Olymp herab: » Herr Regiſſeur Nagel na, wird's bald? es die höchſte Zeit «

Nagel ſteckte ſein verzweifeltes Geſicht neben dem Vorhange heraus: » Ach! Herr Angeli iſt das eine Noth! Niemand iſt an ſeinem Platz Muſici Ma¬ ſchiniſten ſogar der Souffleur fehlen Wer ſoll da Muſik machen und den Vorhang aufziehen und ohne Souffleur, wiſſen Sie, haben Schauſpieler ja nun einmal kein Gedächtniß «

Der urkomiſche Schmelka tauchte aus dem Orcheſter auf und zankte: » Iſt das eine tolle Wirthſchaft in dem neuen Komödienhaus vorwärts marſch «

Das Publikum, das Anfangs gar nicht recht wußte, was es aus der Geſchichte machen ſollte, ging bald luſtig auf den Scherz ein, lachte, applaudirte bis die drei verzweifelten Regiſſeure plötzlich riefen: » Der König der König tritt in die Loge! « und der Vorhang ſich glatt erhob In ſchönſter Ordnung ſtand im Halbkreis das Perſonal. Ich mußte vortreten, verbeugte mich dreimal und begann erſt leiſe bebend dann muthiger und ſchloß mit Begeiſterung: » Es lebe Friedrich Wilhelm der Gerechte! « Der Prolog ſprach eigentlich meine Empfindungen aus, und erleichterte die Aufgabe:

Sie haben mich erwählt, das Wort des Grußes
An Euch zu richten, aber ſchüchtern nur
Vermag die Fremde vor Euch hinzutreten,
Denn eine neue, unbekannte Welt
55
Dringt rings mit ihren Strahlen auf ſie ein.
Da wird der Blick verwirrt, es klopft das Herz,
Und blöde weiß die Lippe nur zu ſtammeln.
Wie reizend hat ſich Alles hier geſtaltet,
Den ganzen Bau erfüllt der Gäſte Zahl,
Und herrlich prangt das kunſtgeſchmückte Haus

Beifolgende Rezenſionen werden Dir zeigen, daß mein banges Herzklopfen und alle Angſt reichlich belohnt wurden. Da kaunſt Du gedruckt ſehen, daß ich eine ſchöne Geſtalt habe, und ein ſeelenvolles Geſicht. Was meinſt Du? hat die Großnaſe und die kleine Komödiantin aus Bruchſal ſich nicht hübſch herausgemuſtert? Die Mutter hat ſich von der Gemüthsbewegung noch nicht erholt, und überläßt das Erzählen Deiner Lina, mit ihrem dritten Titel auch Plaudertaſche genannt.

Wir vermochten wie in Karlsruhe nichts zu eſſen; Kaffee mußte den Nerven aufhelfen. Als ich um zwei Uhr unter unſerm Fenſter die Menſchenmaſſe gleich dem Wogen des Meeres ſich über den weiten Theaterplatz bewegen ſah ſchwanden mir beinahe die Sinne, die Hände zitterten beim Friſiren, und die Mutter ſah mit Entſetzen, wie ich mich gar nicht zu faſſen vermochte.

Wir hatten das Glückskleid gewählt, in dem ich dem bewußten Muſeumsball beiwohnte, und zum erſten Mal in der geſprengten adeligen Francaiſe tanzte. Du erinnerſt Dich doch: roſa gaze iris mit Silberſtreifen und Blumen echte Pariſer roſa Hyazinthen mit weißen Roſen. Perlen als Schmuck, aber unechte. Ich ſah wirklich hübſch aus, und der Fächer war meine56 Rettung für die unbeſchäftigten Hände, da Geſten bei Prologen nur ſpärlich angebracht werden dürfen. Die vorgeſchriebenen drei Verbeugungen ſollen gut ausgefallen ſein, und gegen den Schluß des Prologs war die Angſt überwunden. Drei Abende wurde die gleiche Vorſtellung ſammt Prolog gegeben, und ſtets lohnte mir donnernder Applaus.

» Der beſte Freund « ſchien ſehr anzuſprechen, der Komiker Schmelka zeigte in der Hauptrolle ſein glänzendes Talent.

Die Ochſenmenuette machte Furore! Du hätteſt aber auch den prächtigen Spitzeder als Ungar ſprechen und ſingen hören ſollen. Ich konnte mich nicht enthalten, am Schluß ihm ſcherzend zu ſagen: » Nun, ſind Sie jetzt überzeugt, daß ihr Schiffle glücklich landen wird? es fehlen nur zur Erquickung die Rahmſtrudel! « Da lachte er ſo lieb und entgegnete: » Ich freue mich hauptſächlich wegen meinem Weiberl, nun wird ſie ſchon heiter werden! «

Sämmtliche Mitglieder waren vergnügt über den Erfolg, die Aktionäre ſtrahlten förmlich in ſtolzer Ge¬ nugthuung als ob ſie die Lorbern gepflückt hätten. Der König ſoll ſich gegen Kunowsky ſehr gnädig geäußert haben und wir Alle haben nur eine Bekümmerniß: daß Kunowsky vor Seligkeit überſchnappt!

Es gefällt uns täglich mehr in der ſchönen Reſidenz, bei den gaſtfreien, zuvorkommenden Berlinern und ich werde recht verwöhnt «

[57]

IV. Heiße Bretter.

Die Freude über den Erfolg meines erſten Auftretens in Berlin ſollte von kurzer Dauer ſein. Während dreier Wochen wurden nur Stücke gegeben, in denen ich Neben¬ rollen zu ſpielen hatte. Wenn ich den Regiſſeuren vor¬ ſtellte, wie wenig ſie die Bedingungen meines Kontraktes erfüllten, hieß es: » Nur Geduld; gehen Sie als Jüngſte mit gutem Beiſpiel voran, bereitwillig zum Wohl des Ganzen mitzuwirken. Der Wunderſchrank und Ihre Glanzrolle darin werden Wunder wirken! « Kunowsky ſchien verlegen jede Erörterung vermeiden zu wollen, es war eine recht unerquickliche Epoche, und ich wollte ſchon kündigen. Da ſtand eines Morgens in der Spener'ſchen Zeitung: » Die erſte Stelle unter dem weiblichen Perſonal des Königſtädter Theaters gebührt unbedingt Fräulein Bauer. Wir ſahen ſie leider nur wenig « und eine ſehr ſchmeichelhafte Kritik über meine Leiſtungen folgte.

58

Mit der Rezenſion bewaffnet kam ich zur Probe, und bat die Herren Regiſſeure, das Urtheil zu leſen! ſie ſtellten ſich an, als hätten ſie es vorausgeſehen.

Der Wunderſchrank gab meiner Stellung eine andere Wendung! Beifall, volle Häuſer, neue Rollen ent¬ ſchädigten mich für die erſte trübe Zeit. Das Melo¬ drama » Die Waiſe aus Genf « erregte Furore, man überſchätzte meine Leiſtung als Thereſe. Dann gefiel ſehr » Die diebiſche Elſter «, » Der Schwabe in Berlin «, die Aktionäre überboten ſich in Lobeserhebungen und Ku¬ nowsky vergoß reichliche Freuden - und Rührungsthränen. Voll Eifer und mit Herzensluſt ſpielte ich wohl vier - bis fünfmal wöchentlich. Der neue Wirkungskreis wurde mir lieb und nur kleine Wolken verdüſterten vorübergehend meinen Bühnenhimmel.

Eine ſolche Wolke war Saphir's erſtes öffentliches Auftreten in Berlin als Kritiker.

Der bekannte geiſtreiche und witzige aber ebenſo geſinnungs - als charakterloſe Schriftſteller erzählt ſpäter¬ hin, bei Gelegenheit meines Gaſtſpiels in Wien im Mai 1839, in ſeinem » Humoriſten « dieſe kleine, aber ſehr lehrreiche Geſchichte. Man erſieht daraus, in welcher leichtfertigen Weiſe oft Kritiken geſchrieben wurden und werden ohne daß die Herren Kritiker daran zu denken ſcheinen, wie tief ihre ſcharfen, giftigen Federn ein armes Menſchenherz verwunden

Saphir ſchreibt in ſeinem Humoriſten vom 22. Mai 1839: Als ich zum erſten Male nach Berlin kam, war59 das » Theater « mehr als je das einzige Magen - und Kräuterſäckchen der ganzen Berliner Konverſationswelt. Weder Cholera oder Politik, weder Frauen - noch Tabak¬ rauchen-Emanzipation, weder junges Deutſchland noch alter Myſtizismus hatte die geſelligen Elemente ange¬ freſſen und zerſetzt; es war Alles ein einziges Athemholen in dem unbegrenzten Element: Theater! Nie, nirgend und auf keine Weiſe war je die Theaterwuth ſo aus¬ ſchließlich das Lebensprinzip, die Daſeinsbedingung, der Bruſtkern der Exiſtenz und der Pulsſchlag aller Geſellig¬ keit, als dazumal in Berlin! Hegel, Neander und Ancelot verklangen in dem Namen Sonntag; Literatur, Kunſt und Wiſſenſchaft zerſtoben in den Namen Stich, Devrient, und Gewerb -, Induſtrie - und Erfindungsgeiſt flüchteten vor dem Namen: Olle. Karoline Bauer. Dieſe Letztere betrat dazumal gerade die theatraliſche Laufbahn auf dem Königſtädter Theater und bildete neben der gefeierten Sonntag den zweiten Stern der Dilettanti, der feurigen und der ſogenannten, dazumal weitverzweigten und in Norddeutſchland lange geneckten Theater-Alte-Garde. Von den Zelten Charlottenburgs bis zu Stralows Krebſen¬ fluren, von den Rüben Teltows bis zum Königsberger Klops zog ſich nur ein Schall durch die ganze Menſch¬ heit: Theater! Theater! Theater!

Um dieſe Zeit des allgemeinen Theaterkultus kam ich nach Berlin, und hatte gleich die große Wahrheit inne: Rede vom Theater, ſchreibe vom Theater, gleich¬ viel ob dumm oder klug, wenn du gehört ſein willſt. 60Ich war dazumal noch fremd und faſt ungekannt in Berlin, ein Neuling in dieſer großen Theaterepidemie, kein Blatt ſtand mir zum Rezenſiren offen, und doch war es nur eine » Theaterkritik «, die mir den Weg zur öffent¬ lichen Beachtung bahnen konnte.

Ich beſuchte alſo das königliche und das König¬ ſtädter Theater und ſchrieb eine Kritik über Madame Stich (jetzt Crelinger) und Dlle. Bauer. Dieſe Kritik trug ich in das Bureau der » Spenerſchen Zeitung « und fragte, ob ſie aufgenommen werden könnte. Der Mann, der da ſaß, nahm mir die Kritik ab und zählte die Zeilen. Ich ſtand ganz verwundert da, denn ich glaubte, er zählte an den Zeilen den Werth des Inhalts ab. Allein bald wurde ich eines Anderen, wenn auch keines Beſſeren belehrt. Der Mann wendete ſich pfleg¬ matiſch zu mir: » Acht Thaler und fünfzehn Silber¬ groſchen! «

Ich glaubte nun, ich bekäme dieſe Summe als Hono¬ rar; allein ich ſollte ſie als Inſertionsgebühren bezahlen! Furchtbarer Moment! Nie werde ich dich vergeſſen! Acht Thaler überſtiegen die Hälfte meines dazumaligen Ver¬ mögens mitſammt » meinen Gütern in der Provence! « Und dennoch hing an dieſer Kritik das Wohl Deutſch¬ lands, wie ich wähnte.

Ich lächelte und bezahlte! Was ich dabei empfun¬ den, mehr beim Bezahlen, als beim Lächeln, das, lieber Leſer, biſt Du nicht fähig, mit zu empfinden, wenn Du nicht in der Lage warſt, ausſchließlicher Beſitzer von61 dreizehn Thalern zu ſein und acht davon für einen Kritik¬ druck auszugeben.

Die Kritik erſchien in der » Spener'ſchen Zeitung «, in der ſogenannten Löſchpapiernen, mit der blaſſeſten Tinte auf dem ſchwärzeſten Papier, und gleich hinter ihr ſtand, wie das bei allen Kunſt - und Literaturkritiken jener Zeiten der Fall war, die Ankündigung, daß bei Wiſotzky guter Entenbraten und dabei Erpelgreifen ſtatt¬ finden werde. Ich las dieſe Kritik mit großem Ver¬ gnügen, nicht ohne dennoch im Geiſte zu berechnen, wie viel ich von der untenſtehenden Ankündigung hätte ge¬ nießen können, wenn ich die obenſtehende Kritik nicht verfaßt hätte!

Als die Kritik erſchien, war es in Berlin, als ob ein Erdbeben geweſen wäre; Alles war in Bewegung. Der Leſer wird und kann es nicht glauben, und nur wer die damalige, an Freneſie grenzende Theaterſucht der Berliner kannte, wird es nicht übertrieben finden. Ich ging zu Stehely, um zu hören, was darüber geſprochen würde, fand Alles in Gährung, und ein Referendar ſagte zu ſeinem Nachbar:

» Det muß ein janzer Racker ſind! « worauf jener lächelte und ſprach:

» Nicht nur ſind, ſondern auch ſeind! «

Wer die Blume des Berliner Referendaren-Witzes kennt, der weiß, daß obige Phraſen ſo viel heißen, als: das muß ein verdammter, geſalzener, gewaſchener,62 geriebener, dickhinterdenohrenhabender, hutantreibender, nierenguckender, hautundſeelbeizender Gottſeibeiuns ſein!

Ich hatte nämlich in dieſer Kritik mein auf zwei Seiten aufzumachendes Talent entwickelt: die zerrinnende, himmelbläuliche, duftſchwüle und blumengeſtickte Kunſt des Lobens, und auch die wortſpielvolle, witzüberladene, antitheſengeſpickte, abſpringende, bunte und ſcheckige Kunſt des Tadelns. Ich ſtellte den kritiſchen Jean qui rit und Jean qui pleure auf einmal aus, die Jakobsſtimme mit den Eſauhänden!

Das Weitere gehört nicht hierher; es iſt alſo Olle. Bauer, die mich ſo zu ſagen zuerſt in die nordiſch-kritiſche Schule einführte. «

Ich habe wohl kaum, nöthig, hinzuzufügen: daß Saphir die » zweite Seite « ſeines » aufzumachenden Ta¬ lentes « an mir » entwickelt « hatte.

In Wien machte er für mich auch » die erſte Seite « auf.

Da hieß es plötzlich: Karoline Müller*)Später beim Burgtheater in Wien viele Jahre hindurch ſehr gern geſehen im Fach der Koketten und ſcharf gezeichneten Luſtſpiel-Rollen. iſt ange¬ kommen der Liebling der Grazer, die hochberühmte Künſtlerin will am Königſtädter Theater als Franziska in » Minna von Barnhelm « debütiren

Mir recht, dachte ich, chacun à son tour! 63Sie iſt älter, geſchickter, ſpielt ſchon viele Jahre Ich bin nur froh, daß mir die langweilige Minna nicht zugetheilt wurde. Als ich mit dieſen philo¬ ſophiſchen Anſichten mich ſo recht beruhigt hatte, ließen ſich melden: Kunowsky, Biedenfeld, Angeli und Bankier Fränkel. Ganz erſtaunt frug ich: wie ich zur Ehre des Beſuches der geſammten Direktion käme? Endlich kam die verlegene Bitte ziemlich kleinlaut zum Vorſchein: Ich möchte die Minna in drei Tagen ein¬ ſtudiren, denn in fünf Tagen ſei das Luſtſpiel der königlichen Bühne verfallen es müßte daher am vierten Abende aufgeführt werden die Franziska ſei der Triumph der Müller

Sprachlos ſtarrte ich die naiven, unbegreiflich auf¬ richtigen Herren an Erſt nach langer Pauſe konnte ich erwidern: » Und da muthen Sie mir zu, meine Herren, ich ſoll mich blamiren um der neu Ange¬ kommenen zum Siege zu verhelfen?! ich ſoll die Minna in drei Tagen auswendig lernen wie viel Bogen hat die Plaudertaſche zu ſprechen? «

» Einundzwanzig! « ſagte Angeli ſehr leiſe.

» Dann iſt es ja von vornherein unmöglich! « rief ich entſetzt, » kaum die Worte vermöchte ich in's Ge¬ dächtniß zu drängen aber den Geiſt der Rolle die ſchwere Darſtellung nein! nein! ich kann Ihre Bitte nicht erfüllen acht Tage wenigſtens iſt geſetzlich «

» Dann iſt das Stück verfallen! « ſchrie Kunowsky verzweiflungsvoll. » Ein immenſer Schaden für unſer64 junges Inſtitut die Tragweite gar nicht zu be¬ rechnen Werthes Fräulein bitte! willigen Sie ein! « ſo drang es nun wahrhaft Schwindel er¬ regend von allen Seiten auf mich ein.

Biedenfeld, als ich in meiner Verwirrung nichts mehr erwiderte, legte die Rolle auf den Tiſch und fort waren die Herren. Ein Brief aus jenen Tagen an meinen Bruder berichtet das Reſultat meiner Opfer¬ bereitwilligkeit am treuſten:

Ich muß Dir mittheilen, daß ich bald von der neuen Bühne ſcheiden und Engagement bei dem könig¬ lichen Theater nehmen werde. Denke nur: in drei Tagen habe ich Minna von Barnhelm auswendig gelernt, um mich gefällig zu erweiſen. Wie habe ich ſtudirt! Ich mußte die Nächte zu Hülfe nehmen, denn eine ſolche Plaudertaſche par excellence war mir noch nicht vor¬ gekommen. Die Worte hatte ich endlich inne, aber von Einſicht, von Auffaſſung war keine Rede, ich ſprach tollkühn d'rauf los und wurde gleich der Franziska am Schluß gerufen; auch iſt mir ſo oft wie der Müller applaudirt. Während der Probe gefiel ſie mir un¬ gemein. Sie ſpielte gewandt, pikant, bewegte ſich gar zierlich, und die Ausſprache i ſtatt ü der wenig klang¬ volle Ton der Stimme ſtörte als Franziska nicht. Karo¬ line Müller ſcheint hoch in den Zwanzigen zu ſein, iſt mehr hübſch als ſchön, hat braune, beim Lampenlicht funkelnde Augen, ſchelmiſches, anziehendes Lächeln, und verdient Künſtlerin genannt zu werden. Du ſiehſt: ich65 bin gerecht, obgleich die Müller ſich ſehr ſpröde ge¬ gen mich benommen, und nach dem Schluß der Vor¬ ſtellung ſogar unartig feindlich.

Als wir im Garderobezimmer die Schminke ab¬ wiſchten und uns einhüllten, um über den Platz nach Hauſe zu gehen, kam noch Kunowsky, um uns Beiden ſeinen Dank zu Füßen zu legen Fräulein Müller zog ihn in die Ecke und flüſterte, heftig geſtikulirend ich konnte hören: » Ja, ja, Cabale war angezettelt worden mein Name wurde am wenigſten gerufen! « Er ſuchte ſie zu beruhigen aber vergebens! Ohne mir gute Nacht zu wünſchen ſtürzte ſie fort. Ich aber rief außer mir, Kunowsky feſthaltend: » Iſt das mein Dank? Ich opferte mich, der Direktion und Fräulein Müller zu Gefallen, und nun muß ich von Kabale hören und ein unartiges Benehmen dulden Nein! Herr Juſtiz¬ rath, ich verlaſſe dieſes Inſtitut nach ſechs Monaten, theilen Sie dies den Actionären mit! « ein Thränen¬ ſtrom folgte und weinend verließ ich das Zimmer, Ku¬ nowsky wie erſtarrt ſtehen laſſend. » Das ſind heiße Bretter! « klagte ich der betrübten Mutter » o, wären wir doch in unſerem ſchönen friedlichen Karlsruhe geblieben! «

Den folgenden Vormittag trat wie ein Friedensbote ein ſtattlicher Herr in's Zimmer der Geheimerath v. Gräfe.

Mit größtem Intereſſe betrachtete ich » den erſten Augenarzt und Chirurgen ſeiner Zeit! « Und wie ver¬Erinnerungen ꝛc. 566ehrte ich bald den feingebildeten, höflichen Mann! Noch in den beſten Jahren, mit intelligenten Zügen, klugen, freundlich blickenden Augen, die Haare von der freien Stirn zurückgeſtrichen, ſprach er ſo bezaubernd an¬ genehm, mit herzlicher Anerkennung von meinen Bühnen¬ leiſtungen und fragte dann im Namen ſeines Freundes, des Intendanten der königlichen Schauſpiele, Grafen Brühl vertraulich an: ob ich geneigt ſei, zur königlichen Bühne überzuſiedeln

Ich ſagte mit Freuden: ja! und wie glücklich ich ſein würde, mit einem Ludwig Devrient, Wolff und ſo vielen andern edlen Künſtlern ſpielen und von ihnen lernen zu dürfen Wir mußten dem liebenswürdigen Manne verſprechen, zum Diner zu kommen, ſeine Frau hätte ſchon längſt gewünſcht, uns kennen zu lernen.

Die Wohnung des Geheimerath Gräfe ſollteſt Du ſehen! Da fühlt man ſich erhoben durch die edelſten Kunſtwerke. Die weiten, hohen Zimmer bilden eine herrliche Gemäldegalerie von oben bis unten iſt kein Plätzchen frei. Seine Gattin, ſehr zart und vornehm ausſehend, empfing uns äußerſt liebreich, ein holdes Töchterchen und ein bildſchöner Knabe*)Der ſpäter ſo berühmte, kürzlich verſtorbene Augenarzt Albrecht v. Gräfe. Wer uns damals vorhergeſagt hätte, daß unſer berühm¬ ter, glückſtrahlender und lebensfroher Wirth ſchon nach 16 Jahren ein ſo furchtbares Ende nehmen würde! Gräfe war 1840 nach Han¬ nover berufen, den erblindeten Kronprinzen (den jetzigen Ex-König) zeigten ſich ſo wohlerzogen und kindlich und nach und nach füllten67 ſich die Räume mit den intereſſanteſten Perſönlichkeiten Berlins. Ein ariſtokratiſcher Ton herrſchte vor, aber ohne Steifheit. Gräfe wurde von hülfeſuchenden Kranken oft vom Tiſch abgerufen und ſtets ging er bereitwillig, ohne das geringſte Mißvergnügen zu zeigen. So ſoll er auch die Kranken ſeines Klinikums äußerſt ſanft behandeln. Mein Tiſchnachbar war Herr v. Bredow, alter Freund des Hauſes und glühender Patriot. Er erzählte mir charmante Anecdoten vom Könige. So auch dieſe:

» Finden Sie folgenden Zug ſeines Charakters nicht rührend edel? Ein höherer Offizier, wegen politiſcher Vergehen zur Feſtungsſtrafe verurtheilt, wendete ſich an des Königs Gnade um Hülfe für ſeine Familie zu erflehen. Die Räthe des Königs nannten das Geſuch unverſchämt. Der König aber ſagte nach einer Pauſe: » Der Mann iſt aber ſo unglücklich und um ſo beklagens¬ werther, weil durch eigene Schuld. Seiner Familie muß geholfen werden! « und reichliche Unterſtützung wurde ihr zu Theil. «

Einen ſehr genußreichen Abend nach der Minna - Alteration verlebten wir bei Zelter, dem Freund Goethe's, dem Direktor der Singakademie. Ich lernte dieſen herrlichen Greis bei ſeiner Tochter, der Doktorin Rintel, kennen, und war nicht wenig ſtolz auf den Ehren¬ platz an ſeiner Seite. Er liebt es ſehr, des Sonntags*)zu operiren Die Operation glückte nicht und Gräfe glaubte dies nicht ertragen zu können. In finſterer Melancholie warf er ſein Leben fort. Nur als Leiche kehrte er von Hannover zurück.5 *68im engen Familienkreiſe bei der Doktorin zu ſpeiſen. Er haßt allen Prunk und flieht elegante Viſitenzimmer, ſowie große Geſellſchaften. Einſtens hatte die Tochter ihn zur Einweihung eines Ballſaales herbeizulocken gewußt. Lange grollte Zelter aber, daß ſie mit dem alten Vater para¬ diren wollte. Als ich den großen, ernſten Mann zum erſten Mal ſah, verſtummte ich verſchüchtert; ſeine blauen, ausdrucksvollen Augen ſchienen bis in den Kern meines Herzens dringen zu wollen doch bald blickten ſie freund¬ lich mild er vermochte wohl in den meinen keine Ab¬ gründe zu entdecken. Er ſprach zu mir in väterlichem Ton und munterte mich auf, unverzagt meine Anſichten zum Beſten zu geben. Wie herzlich lachte er über drollige Einfälle! » Ich liebe fröhliche Jugend! « ſagte er, » nur friſch in's Leben geſchaut, übermüthige Blondine es wird leider ſchon anders kommen! « Zelter erinnert an Aloys Schreiber und Hebel, das gleiche biedere Weſen, das kluge Sprechen, die edlen Züge nur, ich möchte ſagen, umfließt ihn noch der Reiz als Komponiſt und Freund Goethe's, der ſein Abgott iſt. Wie oft faßte ich ſeine weiche Hand und küßte ſie raſch ehe er es ver¬ hindern konnte; und ſo wurde mir denn die ſeltene Ehre zu Theil, von ihm eingeladen zu werden. Er empfängt ſelten Gäſte und lebt ſehr zurückgezogen, ſorg¬ lichſt gepflegt von ſeiner jüngeren Tochter Dorothea, welche jeden Heirathsantrag zurückgewieſen, um ſich dem Vater widmen zu können; ein ſanftes, liebenswürdiges Mädchen. Als wir in's Vorzimmer getreten ich zitternd vor69 freudiger Erwartung, denn Zelter hatte verkündet, Louis Berger, der liebenswürdige Komponiſt und beliebteſte Klavierlehrer Berlins und Mendelsſohn, ſein beſter Schüler, Sängerinnen mit ſüßem Sopran und herrlicher Altſtimme würden zugegen ſein kam uns Dorothea entgegen und flüſterte: » Nur ganz leiſe bis die Dis¬ kuſſion beendet iſt, die Herren ſprechen eifrigſt über die Urtheilsfähigkeit des Berliner Publikums, hören Sie? « Da vernahmen wir eine jugendliche helle Stimme: » Wie grauſam ſind Ihre bewunderten Muſikkenner mit meinem erſten Verſuch mit meiner Operette verfahren! « und eine tiefere, gemüthvolle Stimme fügte hinzu: » Ich mußte während vierzehn Tagen das Bett hüten, ſo hatte mich die Gemüths¬ bewegung ergriffen das Mitgefühl für meinen jungen Freund! « Das war der gute, herrliche Ludwig Berger. Zelter erwiderte in ſeiner voll und kräftig klingenden Redeweiſe: » Hat nicht der beſte Menſch ſeine Launen, darf ein Publikum nie irren? Und dennoch ſind meine Berliner wahre Kunſtverehrer; Felix Mendels¬ ſohn-Bartholdy wird bald den entmuthigenden Eindruck verſchmerzt haben und glänzende Anerkennung erringen « Wir folgten Dorothea in den Saal und nun folgten ſeltene Genüſſe für Geiſt und Ohr Berger und Mendelsſohn ſpielten vierhändig dann Mendelsſohn Solo Zelter ſchlug mächtige Akkorde an ergreifende Choräle, und begleitete dann der ſeelenvollen Altſtimme eines jungen, ſchönen, bleichen Mädchens ſeine herrlichen70 Goethelieder: » Raſtloſe Liebe « und » Der König in Thule. « Zelter flüſterte ihr vor dem letzteren Liede zu: » Bitte, ſanft und frei als ſäßen Sie am Meeres¬ ufer ganz in Gedanken verſunken. «

Und wie durchſchauerte mich das wunderſame Lied beſonders die letzten Takte traurig verhallend wie in's Meer verſinkend Die andere Schülerin mit der Sopranſtimme trug » Roſe, die Müllerin « von Berger vor, dann ſein » Veilchen «, ein wehmüthig klagendes Lied, welches er nach dem Tode ſeiner Frau komponirt hatte:

» Von blauen Veilchen war der Kranz,
Der Hannchen's Locken ſchmückte,
Als ich zum erſten Mal beim Tanz
Sie ſchüchtern an mich drückte «

Zwölf Jahre hatte Berger in St. Petersburg, von Field protegirt, ſich übermenſchlich angeſtrengt, um ſein Hannchen, die geliebte Braut, heimführen zu können, und nach einem Jahre glücklichſter Ehe ſtarb ſie ſammt dem Kinde. Da verließ Berger Petersburg und zog nach Berlin. Er iſt allgemein geachtet, von ſeinen Schülern innigſt verehrt, nicht nur als ausgezeichneter Klavierlehrer, ſondern als fein gebildeter, geiſtreicher Mann. Seine Phyſiognomie trägt noch die Spuren tiefen Grames, auch ſieht er kränklich aus; aber man empfindet Sympathie für den ſo ſchwer Geprüften. Sein Benehmen iſt gewinnend und ſein Aeußeres wie das eines vierzigjährigen deutſchen Gelehrten, der aber die Toilette nicht vernachläſſigt.

71

Mendelsſohn iſt der anmuthigſte Jüngling, den man ſich denken kann. Kaum achtzehn Jahre alt, das dunkle Haar geſcheitelt, die ſanften, braunen Augen, der liebliche Mund, ſchönes Profil könnte er als Benjamin einen, Maler zum Modell dienen. Ja, wie ein echter Benjamin, » ein Sohn des Alters «, ein » Sohn der rechten Hand «, (ich hoffe, Du bewunderſt meine hebräiſche Gelehrſamkeit!) erſchien mir Mendelsſohn, wenn er ſo liebevoll, ſo kindlich Zelter und Berger anſah, ſo zutraulich ſprach.

Lächle nicht über dieſen Vergleich, Louis Du weißt, wenn ich Jemand ſchildere, verſuche ich es nach Bildern zu thun. So möchte ich Zelter mit Jakob ver¬ gleichen, denn patriarchaliſch zeigt ſich Zelter in ſeinem würdevollen und doch ſo einfach edlen Benehmen.

Es war hohe Zeit, daß wir uns zum Souper nieder¬ ließen und als Sterbliche den guten Sachen zuſprachen, denn alles Gehörte, Empfundene, hatte uns in fieber¬ hafte Aufregung gebracht wenigſtens mich und Mendels¬ ſohn. Seine Wangen glühten gleich den meinigen, und Zelter ſagte ſcherzend: » Die Augen der lieben Jugend glänzen gleich dem Karfunkel! « Es wurde viel ge¬ plaudert, auch gelacht; ſelbſt Berger wurde heiter und verglich Zelter mit einem Dirigenten, der mit Wohlgefallen ſein Orcheſter den Gaben Gottes zuſprechen ſieht.

Kurz vor dem Gehen erbat ich mir Zelter's Rath: ob ich Engagement bei der Hofbühne annehmen ſolle?

» Unbedingt! « entgegnete er raſch. » Was helfen momentane Erfolge, wenn Sie den Launen von un¬72 künſtleriſch denkenden Privatunternehmern unterworfen ſind? Das Wohlwollen ſolcher Herren richtet ſich nach vollen Häuſern und Applaus und iſt unzuverläſſig. Nur im Kreiſe bewährter Künſtler, unter den Augen eines für wahre Kunſt glühenden Intendanten vermag ein junges Talent ſich heranzubilden! «

Ich bin alſo entſchloſſen, Graf Brühl's Bedingungen zu acceptiren. In vierzehn Tagen wird Alles entſchieden ſein.

Den 15. Oktober ſpiele ich die Gräfin Elsbeth im » Turnier zu Kronſtein « und erſcheine im letzten Akte auf einem ſtattlichen Schimmel. Der gute Roſinante wird aber wohl nicht über die Lampen ſetzen, denn er iſt lamm¬ fromm und wie alle Theaterſchimmel ſtockblind

21. Oktober 1824.

Louis, was habe ich erlebt und was werden wir erleben! » Wenn ich den Verſtand nicht verliere, habe ich auch keinen zu verlieren! « möchte ich faſt mit der Gräfin Orſina ſagen.

Das Turnier ging nebſt dem Feſtſpiel am 15. Oktober, dem Geburtstage des Kronprinzen, glänzend von ſtatten. Lies ſelber! Die Mutter hat die Rezenſionen mit himmel¬ blauer Seide zuſammengenäht und ſah dabei wie ver¬ klärt aus.

Zwei Tage darauf, als ich eben die Kündigung abſenden wollte, kam Kunowsky zu uns, außer ſich vor Erregung. Er hätte vernommen, ich ſei abtrünnig ge¬ worden! Das ſei undankbar, ſchändlich! Die Mutter73 erwiderte: » Meine Tochter hatte Sie ja bereits mündlich davon in Kenntniß geſetzt! « » Das habe ich nicht für Ernſt genommen! « entgegnete er. » Weshalb nicht? « fiel ich ein. » Und in wie fern bin ich undankbar? Erſt wurde ich von der Direktion zurückgedrängt, dann half mir das Publikum ſiegen. Jetzt verſucht Karoline Müller auch wieder, mich zurück zu drängen nein! Laſſen Sie mich in Frieden ziehen, lieber die Dritte bei der königlichen Bühne, als hier die Erſte ſein .. Kunowsky ſtürzte fort, um mit den Aktionären Rückſprache zu nehmen, und nach einigen Stunden langte ein Brief der Direktoren an, mit dem Anerbieten » doppelter Gage « und allen möglichen Verſprechungen.

Ich hatte bereits den Kontrakt von der königlichen Intendanz unterzeichnet und wenn auch nicht, ich hätte mich nicht verlocken laſſen.

Nun folgten ſchreckliche Tage: alle Rollen wurden mir abgefordert, ſogar die Elsbeth dem Fräulein Müller eingehändigt, und mir ſchriftlich erklärt: ich dürfe nicht mehr auftreten, die Gage würde bis zum Dezember fort¬ bezahlt So glaubte man mich dem Publikum zu entfremden.

Sollen wir prozeſſiren? Vor Schluß des Prozeſſes dürfte ich doch nicht ſpielen. Alles hätte ich verſchmerzt, nur die Elsbeth that mir leid und ich bekam ordent¬ lich Heimweh nach der Rolle und nach dem Schimmel! Du glaubſt nicht, wie prächtig ich mich zu Pferde ausnahm, wie eine rechte Soldatentochter! Ich74 kam auch glücklich vom Schimmel wieder herab, ohne mich in die Schleppe zu verwickeln. Denke nur: die Herren Aktionäre ſollen an dem Tage, als Kunowsky ſie von meinem Abgang in Kenntniß geſetzt hatte, gar nicht auf die Börſe gegangen ſein, es iſt, als ob jetzt ohne mich das Inſtitut gar nicht beſtehen könnte. Erſt unterſchätzt man mich, jetzt werde ich überſchätzt. Und die vielen Gratulations -, Kondolenz - und Neugier¬ beſuche! Die Mutter wird ſicher noch krank und ich habe verweinte Augen. Plötzlich bin ich berühmt geworden, in ſo kurzer Zeit: vom 4. Auguſt bis 21. Oktober! aber es freut mich nicht, ich bin tief betrübt.

Nun habe ich Muße bis zum 15. Dezember und kann mit Bethmann, der jetzt wieder hier iſt und mich den ehemaligen Kollegen an der königlichen Bühne vor¬ ſtellen und empfehlen will, Beſuche machen. Einladungen giebt's auch die Fülle und wir dürfen den Vorſtellungen der königlichen Bühne beiwohnen; aber es iſt eine traurige, unfreiwillige Muße Ich hätte doch nie gedacht, daß die weltbedeutenden Bretter ſo rothglühend und furchtbar heiß werden könnten «

[75]

V. Eine heitere Kunſtpauſe.

Dieſe unfreiwillige Muße, dieſe plötzliche Verbannung von den heißen, aber immer doch noch heiß geliebten Brettern des Königſtädter Theaters dieſe Pauſe in meiner vergötterten Kunſt bis zu ihrer neuen, ſchöneren Blüthe auf der königlichen Bühne ſollte mir jedoch bald in einem roſigeren Lichte erſcheinen als in jener dunklen Stunde, wo mir von den racheſchnaubenden Herren Aktionären meine Lieblingsrollen abgefordert wurden Dank der mir ewig unvergeßlichen liebens¬ würdigen Theilnahme und Güte der Berliner, die ſich förmlich überboten, mich vergeſſen zu laſſen, daß es in Berlin auch Dornen giebt.

Vor mir liegt wieder ein alter, vergilbter Brief mit verblichenen Schriftzügen Ein junges, freudebebendes Herz hat ſie einſt vor faſt einem Menſchenleben dik¬ tirt eine warmpulſirende, roſige Mädchenhand hat ſie niedergeſchrieben Sie waren an das beſte, treueſte, warmfühlendſte Bruderherz gerichtet

76

Dies Herz, das die friſchen, ſprudelnden Schrift¬ züge einſt mit Jubel geleſen, hat ausgeſchlagen

Eine alte Frau legt die vergilbten Briefblätter zu den trockenen aber immer noch lieb duftenden Blumen¬ blättern ihrer Erinnerungen

Berlin, den 10. Dezember 1824.

Der Strudel des geſelligen Lebens hat uns ſeit einigen Wochen erfaßt und unaufhaltſam mit fortgeriſſen! Dankbar, gerührt von den Beweiſen des Wohlwollens, vermochten wir es nicht, die vielen herzlichen Einladungen zurückzuweiſen. Bälle, Konzerte in denen ich dekla¬ mirte Diners, Soupers, Familienfeſte, ſogar ein Maskenball wechſelten in bunter und ſchnellſter Reihen¬ folge Und was ſteht noch in Ausſicht bis Mitte Dezember, wo meine unfreiwilligen Ferien zu Ende ſind!

Wer hätte gedacht, lieber Louis, daß Eure kleine Komödiantin in dem kritiſirenden, ſelbſtbewußten, ge¬ lehrten Berlin Aufſehen erregen würde! Ungern von der grollenden Königſtädter Direktion entlaſſen, von der königlichen Intendanz mit Freuden engagirt und und was die Mutter am Meiſten freut im geſel¬ ligen Leben ſo ausgezeichnet und geſucht darf man da mit 17 Jahren nicht ein wenig übermüthig glücklich ſein? Ja, mon frère, ich bin ſeit dem » Turnier zu Kronſtein « das enfant gâté der Berliner, mein succès außerhalb der Bühne übertrifft womöglich den bretternen noch. Die gute Mutter wird nicht müde zu wiederholen: » Lina, dieſe Epoche wird wohl die glücklichſte77 Deines Lebens bilden. Theile nur Louis Alles aus¬ führlich mit, damit Du in trüben Zeiten Dich einſt an der Schilderung wieder erfreuen kannſt! « Ich bitte mir daher aus, den Brief Deiner unrühmlichen Gewohn¬ heit gemäß nicht zu vernichten; obwohl ich zu hoffen wage: erſt nach vielen, vielen Jahren in der Lage zu ſein, mich daran erquicken und aus dieſen Zeilen Muth ſchöpfen zu müſſen.

Die Mutter hat Recht, ich bin förmlich berauſcht von all' dem Erlebten, glücklich in der ſchönen, heiteren Gegenwart, und der Zukunft übermüthig fröhlich ent¬ gegenſehend! Die ausgeſtandenen Alterationen ſind weg¬ gewiſcht aus dem Gedächtniß und mit Luſt und Zuverſicht gehe ich an meine neue Aufgabe bei der königlichen Bühne. Ein ganzer Pack allerliebſter Rollen wurde mir ſchon abgeliefert: Strudelköpfchen, aus dem Franzöſiſchen, Die Gouvernante, von Körner, Wilhelmine, aus der Entführung, von Jünger, Die Nachtwandlerin, Operette von Karl Blum, welche er für Madame Neumann komponirte, und den Edwin in Raoul de Crequi Alſo, ſingen wird die kleine Komödiantin nun auch noch gar? Ja, Herzenslouis, ich bin ſo kühn! Karl Blum hat bereits meine Geſangs¬ fähigkeit geprüft, und folgenden Urtheilsſpruch der hohen Intendanz vorgelegt: » Nicht ſtarke, aber wohlklingende Altſtimme. Richtiges Gehör. Muſikaliſche Ausbildung. Summa: für Operetten und nicht zu ſchwere Geſangs¬ partieen vollkommen genügend! « Die berühmte Unzel¬78 mann hatte in früheren Jahren den Edwin geſungen. Recht wehmüthig ſtimmte mich der Anblick der ver¬ gilbten Rolle; neben dem ausgeſtrichenen verblichenen Namen der auf immer Verſtummten lacht mein junger, lebensfriſcher Name von Graf Brühl's feſter Hand geſchrieben. Für mich ein mahnendes Memento mori! kein triumphirendes vive le Roi! Ich übernehme die geiſtige Erbſchaft der großen Künſtlerin mit ernſter An¬ dacht ſie iſt mir wie ein Gruß aus Jenſeits: » Strebe beharrlich vorwärts, um der Ehre würdig zu ſein, mich erſetzen zu dürfen; es iſt ſchwer, Lorbern zu pflücken auch ich mußte ſie erkämpfen! «

Und welche, und wie viele jugend - und glück¬ ſtrahlende Namen werden einſt vielleicht bald neben meinem verblaßten ſtehen?!

Doch laß Dich nicht irre machen durch die mo¬ mentane Sentimentalität Deiner Schweſter meine Mobilität wächſt im Gegentheil rieſig. Leicht ergriffen noch ſchneller getröſtet, erſcheint mir mein Charakter für den erwählten Beruf ganz geeignet.

Und nun, mein Bruder, zu meinen neuen Erleb¬ niſſen! Freund Bethmann hätte zu keiner paſſenderen Zeit in Berlin wieder eintreffen können, als während meiner unfreiwilligen Ferien. Seine beruhigenden Ver¬ ſicherungen trugen viel dazu bei, uns wieder heiter zu ſtimmen. Bethmann lobte meine Selbſtüberwindung: der momentan glänzenden Stellung entſagt zu haben, um eine in den Augen der Welt unbedeutendere, aber79 förderndere einzunehmen. Er ſagte: » Dieſer Schritt anſcheinend rückwärts, wird Sie nicht gereuen, da Sie wahre Liebe und Achtung für Ihren Beruf empfinden! «

Der erſte Beſuch unter Bethmann's Protektion wurde Madame Eunike abgeſtattet. Bethmann wollte die Runde mit mir bei ſeiner älteſten, bewährteſten Freundin be¬ ginnen. Madame Eunike ſpielt die komiſchen Alten mit Humor und liebenswürdiger Anmuth. In jüngeren Jahren war ſie eine berühmte Geſangsſoubrette. Die älteſte Tochter Johanna iſt eine ſehr beliebte Sängerin, der Vater war einſt ein herrlicher Tenoriſt. Seine erſte von ihm geſchiedene Gattin iſt die berühmte Händel - Schütz, die Schöpferin der lebenden Bilder in Deutſch¬ land, die Meiſterin in der Attitüde und Mimik Mutter von ſechzehn Kindern und ſoeben auch von ihrem vierten Manne geſchieden.

Ich fand eine wahrhaft liebenswürdige, glückliche Künſtlerfamilie, das innige Liebesband von gegenſeitiger Achtung geknüpft. Zwei reizende Mädchenknospen blühten neben der Schweſter Johanna auf. Bald fühlte ich mich in dieſem harmoniſchen Kreiſe wie zu Hauſe. Ich wurde gefragt: welche Vorſtellung auf der königlichen Bühne und welcher Künſtler mich am mächtigſten ergriffen habe? Ich war ſchnell fertig mit dem Wort: Ludwig Devrient! Begeiſtert fuhr ich fort: » Wie hat er mich als Mer¬ cutio entzückt, als armer Poet gerührt, in den Drillingen erheitert, und als Raimbaut in Waiſe und Mörder, und in den Galeerenſklaven entſetzt! 80Aber wie ſieht der unſterbliche Devrient denn außer der Bühne aus? wird man denn nicht geblendet von den Strahlen ſeiner merkwürdigen Augen? « Da lächelte Madame Eunike: » Sie ſollen ihn nächſten Sonn¬ tag bei uns ſehen ja, proſaiſches Mittagsbrod mit dem Unſterblichen eſſen! Er flieht zwar jede Geſelligkeit, beſonders wenn Damen die Mehrzahl bilden, nur zu uns kommt er gern. Aber liebe Enthuſiaſtin, ver¬ lieren Sie nicht Ihr Herz, denn das ſeinige iſt felſenhart und nicht geſtimmt, ein verlorenes Herz aufzuheben. Und ſollte Ihrer Holdſeligkeit es vorbehalten ſein, dies Herz zu erweichen ſo würde ich Sie beklagen. Ich ſchätze Devrient als unſeren Freund und den größten Künſtler unſerer Tage, aber zur Frau möchte ich ihm keine meiner Töchter geben! « » Er will uns ja auch gar nicht! « fiel das junge Trio lachend ein. » Um mich armes Ding wird ein Ludwig Devrient auch nicht minnen! « ſchloß ich mit Reſignation. » Sie ſollen ihm gegenüber ſitzen, « flüſterte mir der Vater zu, » da können Sie den Weiberfeind ſo recht con amore be¬ trachten und beſtricken aber ja unbemerkt, denn wähnt er ſich beobachtet, ſo wird er verlegen wie ein ſchüchternes Mädchen. «

Drei Wochen vorher hatte ich als Minna von Barn¬ helm zu ſagen: » Eine Freude erwarten iſt auch eine Freude! « Wie fühlte ich die Wahrheit dieſer Worte, wie freute ich mich auf den Sonntag! Endlich, end¬ lich waren wir bei Eunikes, endlich trat Ludwig81 Devrient in's Zimmer. Ernſt und blaß, doch mit mil¬ den Zügen ſtand er vor mir und ſagte in bezaubernd anmuthiger Weiſe freundliche Worte ſeinen Freunden, dann mir, der jungen Kollegin, Wohlwollendes, Er¬ muthigendes! Devrient war ſchwarz gekleidet, fein, elegant, er ſprach leiſe, einfach, aber wie zur Unter¬ haltung gezwungen, bis er ſpäter bei Tiſche lebhafter wurde. Sein ſchwarzes, voll gelocktes Haar, die mar¬ morweiße Stirn, die kühnen Augenbrauen mußten ſchon frappiren; aber die magnetiſch anziehenden dunklen Augen, welche bald wie Lorenz Kindlein blickten, ſo gut, ſo fromm bald aufblitzend von Geiſt und Leben, feſſelten mich unwiderſtehlich. Der hübſch geformte Mund, den ſelbſt beim Lächeln Wehmuth umzitterte, das eigen Traumartige, Zerſtreute in ſeinem ganzen Weſen rührten mich tief. Ich fühlte die innigſte Sympathie mit dem beſcheidenen, ſich ſo anſpruchslos zeigenden Mann, der es gar nicht zu wiſſen ſcheint, daß er der größte Mime ſeines Jahrhunderts iſt! Ich hätte ihm Angenehmes, Beglückendes ſagen mögen denn ich fühlte den edlen, neidloſen Charakter des ſeltenen Künſtlers heraus und die Gewißheit, bald mit Devrient ſpielen zu können, beſeligte mich wahrhaft; die Chikanen der Aktionäre, die Rolle der Gräfin Elsbeth ja ſelbſt der geliebte blinde Theaterſchimmel Alles iſt verſchmerzt!

Herr Kapellmeiſter Schneider und ſeine ſanfte, ge¬ müthliche Gattin ſind uns auch ſchon ſehr lieb geworden. Es muß einem behaglich zu Muthe ſein bei dieſem bie¬Erinnerungen ꝛc. 682deren, wohlwollenden Paar. Ein liebliches Töchterlein umſchwirrt anmuthig die Eltern und ſingt allerliebſt. Der Sohn*)Die Tochter wurde eine beliebte Sängerin. Der Sohn Louis iſt der frühere Hofſchauſpieler und Verfaſſer reizender Luſtſpiele, wie » Der Kurmärker und die Pikarde «, und der jetzige Geheime Hofrath und Vorleſer des Kaiſers Wilhelm I. befindet ſich auf Reiſen. Wie heimelte es uns an, wenn die Frau Kapellmeiſterin mit überſtrö¬ mender Liebe von ihrem, Louis erzählte, von ſeinem eiſernen Fleiß, ſeinem Streben, und wie er zu den größten Hoffnungen berechtige! Unſere Mutter ſprach dann natürlich auch von ihrem herzlieben Louis, und ſo geſtaltete ſchon der erſte Beſuch ſich gemüthlich erquickend.

Von beſonderem Reiz für mich war mein Beſuch bei der Wittwe des berühmten Heldenſpielers Ferdinand Fleck, jenes leuchtenden Sterns am Theaterhimmel der Berliner Nationalbühne zur Glanzzeit Iffland's. Beide ruhen jetzt ſchon ſtill und erloſchen draußen auf dem grünen Friedhofe vor dem Halleſchen Thore. Sophie Louiſe Fleck, früher eine glänzende Liebhaberin, iſt ſeit 1808 mit dem Kammermuſikus Schröckh verheirathet. Sie hat das mild weibliche Weſen unſerer Mutter, eine flötenartig weiche und volltönende Stimme und das ſchönſte und reichſte Haar, das ich je geſehen. Ihre Schönheit war mir ſchon im » Käthchen von Heilbronn « aufgefallen, eine ſchönere Mutter Wetter's von Strahl kann man ſich kaum denken und doch iſt ſie bereits 48 Jahre alt. Auch jetzt bei Tage ſah ſie überaus83 anmuthig aus. Ihr von mir am meiſten bewundertes Haar hat jenen bezaubernden röthlich goldenen Reflex, wie auf vielen alten Heiligenbildern der italieniſchen Maler. Es iſt ſo üppig, daß ſie es nur dicht geflochten tragen kann, gleich einem Diadem um den Kopf ge¬ wunden. Auf meine unverhohlene Bewunderung ſagte ſie: » Und doch iſt mir die Haarfülle eine große Laſt und macht mir oft Kopfſchmerzen, ſo daß ich die Flechten löſen muß! « Auf meine Bitte, ſich mir doch einmal ſo zu zeigen, ließ ſie, wie ein junges Mädchen erröthend, die Prachthaare niederwallen der ſchönſte Goldſchleier, den ich je geſehen. Denke Dir dazu: feine Züge, aus¬ drucksvolle blaue Augen, lieblichen Mund, herrlichen Hals und Arme, ſchmale Kinderhändchen, Cendrillonfüße und die deutſche Rinon de Lenclos ſteht vor Dir, aber eine edle Rinon, mit allen häuslichen Tugenden geſchmückt!

Madame Schröckh ſpielt das ältere Fach, die Tante im Bräutigam aus Mexiko, auch dann und wann Lieb¬ lingsrollen, wie die » Eiferſüchtige Frau «, von Alexander Wolff vortrefflich unterſtützt. Der poetiſche Romeo, Fernando, der brillante Don Cäſar hat ſich hier plötzlich und wie durch Zauber in den einfältigſten Pantoffelmann verwandelt. Die Szene des Revoltirens, wo er in komiſcher Verzweiflung ausruft: » Auch ich will einmal Auſtern eſſen! « und dabei mit gleichen Füßen den kühnſten Luftſprung vollführt, erregte die unge¬ heuerſte Heiterkeit, aber ich, die ich doch ſonſt ſo6 *84gerne mitlache, verargte es faſt dem Künſtler: aus den idealen Schöpfungen herausgetreten zu ſein, denn die Darſtellung ſtreifte an die Poſſe; die Mutter fühlte gleich mir, rieth aber zu ſchweigen. Eine alte Dame, Frau Krikeberg, welche die undankbarſten Rollen über¬ nehmen muß, habe ich auch liebgewonnen. Sie war mit Kotzebue befreundet, erzählt feſſelnd aus vergan¬ genen Zeiten und wird von Rahel von Varnhagen ſehr geſchätzt.

Als ich im Begriff war, im vierten Stock bei Frau Krikeberg anzuklopfen, trat mir Rahel entgegen, blieb aber noch während meines Beſuches und forderte mich auf, ſie durch die Straßen bis zu ihrer Wohnung zu begleiten. Sie ſprach ſehr lebhaft, in ihrer bezaubern¬ den Redeweiſe. Unter Anderem ſagte ſie: » Von der alten Krikeberg habe ich mir oft Rath geholt, von ihr kann man Lebensweisheit lernen! «

» Sie die geiſtreiche Rahel, bedürfen der Weis¬ heit Anderer? « fragte ich lächelnd. » Mehr als jedes andere Menſchenkind! « ſagte ſie ſeufzend, » ich bin oft unausſtehlich trüb geſtimmt! Das wundert meinen lieben Narren, nicht? Ja, Sie Glückliche wiſſen noch nicht, wie Nerven quälen können. Frau Krikeberg ver¬ ſteht aus der dürftigſten Blume noch Honig zu ſchlürfen, iſt beladen mit den ſchwerſten Sorgen und doch ſtets heiter. Sie ſpart, entbehrt für Lieblingswünſche und giebt reſignirt das ſauer Erworbene den um Hülfe bit¬ tenden Töchtern, Schwiegerſöhnen, Enkeln, zufrieden,85 genug zu behalten, um ihre gefiederten Freunde nicht abſchaffen zu müſſen! «

» Gefiederte Freunde? « fragte ich verwundert.

» Ja, bemerkten Sie denn nicht die Menge Käfige mit Kanarienvögeln? Frau Krikeberg hört das luſtige Geſchmetter ſo gern und freut ſich kindiſch, wenn die reizenden Haushaltungen durch ausgebrütete Ankömm¬ linge vermehrt werden. Sie hat mir ſoeben verſprochen, nächſtens einen Kaffee zu geben mit Theater-Damen vom Großmutterfach bis zu den Kinderrollen. Sie kommen auch, lieber Narr? «

» Mit Freuden! ich helfe dann die Honneurs machen. «

» Und ich ſpendire die Kuchen. Das wird hübſch werden. Ich verkehre gern mit dem Theatervölkchen. Es ſind meiſtens gute Menſchen; wenn auch der Dämon der Leidenſchaften unter ihnen wohnt, ſo macht er ſich doch nur blitzartig vorübergehend bemerkbar. Das Beſſere überwiegt bei weitem die Fehler und ich wiederhole, ich liebe, ich verehre die Künſtler, ihr Um¬ gang erfriſcht mein Gemüth! «

Während dieſer Lobeserhebungen hatte ich meine liebe Noth: bald mußte ich das Tuch erhaſchen, welches ſtets von Rahel's Schultern glitt, dem Hut unbemerkt einen Knuff geben, denn er war ſchief aufgeſetzt ſie ſtützen, denn alle Augenblicke trat ſie auf ihr zu langes Kleid. Sie umarmte mich herzlich und ſchien keine Ahnung zu haben von ihrer ſo ganz eigenen, wunder¬ lichen Toilette. Als ich Frau Brede frug, weshalb ſie,86 als vertraute Freundin, nicht Rahel beſtimmte, doch nur die nothwendigſte Eitelkeit zu beobachten, oder Herrn von Varnhagen in's Komplott zöge, verſicherte ſie, das würde nichts nützen, Beide würden es weder begreifen, noch ausführen, übrigens ſeien alle Bekannten an dieſe Eigenheiten der liebenswürdigen und geiſtreichen Rahel längſt gewöhnt. Wie iſt denn aber Dein einfältiges Schweſterchen mit der berühmten Rahel auf einen ſo vertraulichen Fuß gekommen? Nicht wahr, Du fängſt jetzt endlich an, vor mir ein wenig Reſpekt zu bekommen!

Doch ich will ehrlich ſein ich habe mich Anfangs ſelber nicht wenig vor der Bekanntſchaft mit der be¬ rühmten, klugen, gelehrten, genialen Rahel von Varnhagen gefürchtet, und die Mutter himmelhoch gebeten, ohne mich bei Varnhagens Beſuch zu machen. Vergebens wurde mir vorgeſtellt, daß Frau von Varnhagen wäh¬ rend ihres Aufenthaltes in Karlsruhe, wo ihr Mann einige Zeit Geſandter geweſen, mehr noch durch Herzens¬ güte und ſanftes Weſen bezauberte, als durch ſprudeln¬ den Geiſt und hinreißende Unterhaltungsgabe ich konnte meine kindiſche Furcht vor der gelehrten Frau nicht überwinden. Erſt Frau Brede, der Jugend - und Herzensfreundin Rahel's*)Siehe Rahel's Briefe., einer beliebten Künſtlerin vom Stuttgarter Hoftheater, die gerade auf Beſuch in Berlin iſt und auch uns längſt eine liebe Bekannte geworden,87 war es vorbehalten, mich zu überreden. Frau Brede kam, uns bei Rahel einzuführen.

Als ſie vernahm, weshalb ich nicht mitgehen wollte, ermuthigte ſie mich: » Recht bald werden Sie Herr Ihrer Befangenheit werden. Meine Freundin iſt gern heiter mit der Jugend, ſie erwartet Sie und freut ſich, die Abtrünnige vom Königſtädter Theater, die ſo gerühmte Elsbeth aus dem Turnier zu Kronſtein zu ſehen. Rahel war krank und konnte keiner Vorſtellung beiwohnen. Kommen Sie getroſt, Sie werden mir noch für mein Zureden danken. « Und ich ging wirklich mit und dankte Frau Brede ſpäter von Herzen.

Das Vorzimmer bei Varnhagens war nicht einla¬ dend, klein und düſter, und die Viſitenſtube, obgleich ge¬ räumig und hübſch möblirt, gefiel mir erſt recht nicht. Auch hier hatte ſich die in Berlin ſo beliebte dunkelblaue Tapete eingebürgert, welche Jedermann ſo blaß erſcheinen läßt. Die grau-weißen Gardinen ſchienen ſehnlichſt einer Wäſche zu harren, und gaben dem Zimmer ein ſchwer¬ müthiges Ausſehen.

Frau von Varnhagen bewillkommte uns herzlich mit ſanfter, angenehm klingender Stimme. Als wir Platz genommen hatten, hoffte ich die geprieſene Frau recht aufmerkſam betrachten zu können, doch ich vermochte es nicht unbemerkt zu thun, denn während des lebhaften Geſprächs ſpielte ſie beſtändig mit einem Augenglas, und öfters führte ſie es blitzſchnell an die Augen, mich dadurch fixirend.

88

Rahel iſt klein, ziemlich ſtark, von Taille keine Spur. Ein graues Kleid hing wie ein Sack um ihre Geſtalt, nur von einer Gürtelſchnur loſe gehalten, deren Enden nachſchleiften. Die dunkelbraunen Haare ſchienen nur ſo in aller Eile hinaufgewirbelt zu ſein, von einem Kamm gehalten, der immer herabzuſtürzen drohte. Einige wilde kleine Locken ſchmückten ihre ſchöne Stirne, und freundlich blickende, tiefblaue Augen, von langen Wimpern beſchattet, milderten die ſcharfen jüdiſchen Züge; die ganze Phyſiognomie athmete Wohlwollen und hohe Intelligenz. Ich entſchuldigte auch bald die vernachläſſigte Toilette, denn trotz der größten Lebendigkeit, der geiſtreichſten Reden, ſah Rahel doch momentan wie ermüdet aus, und eine gewiſſe Wehmuth umſchleierte dann ihre Züge. Ganz eigenthümliche Bemerkungen überraſchten und feſſel¬ ten mich, Lachen und Scherzen wechſelten bei der ſeltenen Frau oft blitzſchnell mit ernſten Betrachtungen und Rührung.

So behauptete Frau von Varnhagen, daß ſie erſt beim Anblick ihrer Schwägerin, Madame Robert, und der Madame Neumann, meiner Kollegin in Karlsruhe, die Erzählung von des Grafen von Gleichen beiden Frauen begriffen habe: von der weißen und der rothen Roſe! Ludwig Robert Torno's Frau, mit römiſchem Geſicht, ernſt, marmorblaß, mit rabenſchwarzem Haar und großen, dunklen Augen, gleiche einer Juno; die Neumann, roſig blühend, blond, mit ſchelmiſchen Augen und zier¬ licher Geſtalt, ſei ein heiterer Maitag Plötzlich89 abbrechend frug ſie mich: » Warum ſagt denn die Jugend kein Wörtchen? « » Ich höre mit Entzücken zu, « er¬ widerte ich, und erzählte dann, wie glücklich ich in Karlsruhe geweſen ſei, die ſchöne Frau Robert, damals noch Frau Primaveſa, beim Kommen aus der Schule auf der Straße zu ſehen. Wie ich ſie anſtaunte, wähnend, die Fee aus dem eifrig geleſenen blauen Märchenbuch Du erinnerſt Dich doch, Louis? zu erblicken, welche aus ihrem Feenreiche zeitweiſe verbannt, jetzt in Karls¬ ruhe weile! So ſei ſie mir erſchienen: die hohe Geſtalt, traurig an mir vorüberſchwebend, aber mild, meinen ehr¬ erbietigen Knix, mit den Worten lohnend: » Wie geht es, liebes, freundliches Kind? «

» Wie hübſch ſich das anhört! « ſagte Rahel; » ja, der Kinderblick! wie richtig fühlen oft dieſe kleinen Menſchen heraus, ob Kummer unſer Gemüth bedrückt! Meine Schwägerin hatte damals manche Prüfung zu be¬ ſtehen und war ungern in Karlsruhe. «

Dann kam die Rede auf das Theater. Rahel freute ſich, daß wir ihr Entzücken über die Muſtervorſtellung von Kleiſt's » Käthchen von Heilbronn « theilten. Sie fragte mehrere Male: » Nicht wahr? Rebenſtein iſt ein prächtiger, biederer, ſchöner Wetter von Strahl? und könnte man ein holderes, lieblicheres Käthchen zu ſehen wünſchen, als Frau von Holtei? Wie entzückend iſt dieſe zarte, ätheriſche Erſcheinung, beſonders neben Wauer, dieſem herzigen Gottſchalk, der ſo brummig ſeinem Herrn die Wahrheit ſagt und doch dabei zum Freſſen lieb90 iſt! « Sie fand meine Anſicht ganz richtig, daß Frau von Holtei an Goethe's Mignon erinnere. » Wenn doch mein armer Kleiſt dieſen Erfolg ſeines Stückes erlebt hätte! « rief ſie mit Wehmuth aus, » er hätte nicht ſo furchtbar geendet von der eigenen Hand! Hätte dieſer Eine goldene Glücksſtrahl ſeine umdüſterte Seele erhellt, Muth und Kraft wären ihm zurückgekehrt zu neuem Leben zu neuem Dichten! «

Ihre Augen hatten im Eifer des Geſpräches einen wunderbaren Glanz bekommen, und die blaſſen Wangen waren geröthet. Das ließ ſie unendlich intereſſant und anziehend erſcheinen.

Madame Brede lenkte das Geſpräch auf Frau von Varnhagen's Herzblatt, Friederike Unzelmann-Bethmann, und ich bat inſtändigſt, mir von dieſer ſeltenen Künſtlerin zu erzählen. Heinrich Bethmann habe in rührender Begeiſterung mir ſo viele Wunder von der verſtorbenen Gattin berichtet. Rahel beſtätigte Alles. » Friederike Bethmann hat uns gezeigt, wie richtig das Wort: » La grâce plus belle que la beauté! « Obgleich etwas zu ſtark für ihre kleine Figur und mit zu dickem Halſe, wußte ſie doch trotz ihrer 48 Jahre alle Welt zu bezaubern, ſo daß Auguſt Wilhelm von Schlegel in ſeinem herrlichen Gedicht an die Bethmann ſie mit Recht » ein Feenkind « nennen durfte, bei dem die Anmuth mit den Grazien Pathen geweſen. Sie ſpielte gleich Ludwig Devrient ſtets wie plötzlich inſpirirt. Sie beſaß eine unerſchöpfliche Wärme des Gefühls, und ihre Stimme verſtand nicht91 nur lieblich zu entzücken auch zu erſchüttern, gewaltſam zu ergreifen vermochte ſie, wie keine andere. Dafür zeugten beſonders ihre Lady Macbeth und Phädra. Außerdem ſang und ſpielte ſie wunderlieblich in Ope¬ retten als Adeline, Königin von Golkonda, Fanchon. Die Vielſeitigkeit ihres Talentes iſt bis jetzt noch nicht übertroffen! «

Herrn von Varnhagen's Kommen unterbrach das für mich ſo höchſt intereſſante Geſpräch. Er machte auf mich von vornherein einen recht unbedeutenden, ja un¬ angenehmen Eindruck. Er hat nicht die Spur von ernſter, würdiger, imponirender Männlichkeit. Er gilt auch in ganz Berlin als eine Klatſchbaſe prima Sorte. Er ſpricht mit leiſer, beinahe flüſternder, gezierter Stimme. Die grauen, matten Augen vermögen dem runden, vollen Geſicht keinen belebenden Ausdruck zu verleihen, denn er hält ſie ſtets halb geſchloſſen, dabei ſpielt ein ſtereotypes Lächeln um ſeinen Mund, und das hellblonde Haar, die faſt weißen Wimpern laſſen die Züge noch unbedeutender und zerfloſſener erſcheinen. Gar keine anſprechende Per¬ ſönlichkeit! Herr von Varnhagen ſcheint ſeine Gattin über alle Maßen zu verehren! Er lauſcht mit faſt komiſcher Bewunderung jedem Worte Rahel's und beobachtet ihr Geſicht, ihre Bewegungen fortwährend aufmerkſam und mit Selbſtgefälligkeit, und aus ſeinem verſchwommenen, eitlen Semmelgeſichte triumphirt es: Ah! ſeht doch ich bin der Mann dieſer geiſtreichen, berühmten Frau! In meinen Augen die jammervollſte Rolle, die ein Mann92 ſpielen kann: der Mann ſeiner Frau zu ſein! alſo: hüte Dich davor, Louis!

Beim Abſchied umarmte uns Frau von Varnhagen ſehr herzlich und nahm uns das Verſprechen ab, recht oft zur traulichen Theeſtunde zu kommen Wenn wir nur die unſchmackhafte Milchſuppe von Mann nicht mit in den Kauf nehmen müßten!

Viele genußreiche, gemüthliche Stunden verlebten wir ſchon bei Rahel. Sie ſcheint mir gewogen zu ſein und Gefallen an meiner übermüthigen, jungen Fröhlichkeit zu finden, und ermuntert mich, ſtets ſo friſch von der Leber weg zu ſprechen, wie mir es gerade einfällt. Einſt ſagte ſie lachend zur Mutter, nachdem ihr Augenglas ſehr be¬ ſchäftigt geweſen war, mich zu fixiren, und ich ſo recht toll geplaudert hatte: » Ihre Tochter iſt ein Narr! aber ein lieber Narr! « Ich beſtehe nun darauf, ſtets ſo titulirt zu werden, denn dann iſt oder wird Rahel ſelber heiter und unnachahmlich liebenswürdig.

Du fragſt, ob Madame Milder-Hauptmann noch an die Emmeline in der Schweizerfamilie erinnere, die uns damals in Karlsruhe ſo entzückte bezauberte? Ach, Louis wie ward mir das Herz ſo weh über das Verblühen und Verblaſſen und Verklingen des armen Menſchenlebens, da das Ideal unſerer frohen Kinderjahre jetzt vor der jungen Kollegin ſtand: eine Marmorſtatue, der es erlaubt worden, ſich auf Augenblicke zu beleben! Keine Muskel zuckte in dem edel geformten Geſichte, die Augen blickten kalt faſt ſtarr wie abweſend. Gleich ſchweren93 Regentropfen fielen die Worte langſam eintönig von den blaſſen Lippen. Sie ſagte mir durchaus kein un¬ freundliches Wort ſie ſprach verſtändig, gebildet und mit einer gewiſſen ſtolzen Sicherheit aber ich fühlte mich in ihrer Marmornähe mit erſtarren und kürzte den Beſuch ab.

Und doch, wie bewundere ich die vierzigjährige Frau noch heute auf den Brettern als Iphigenie, als Elvira im Don Juan, als Fee in Spontini's Nurmahal und vor Allem als Alceſte die junoniſche, plaſtiſch ſchöne Geſtalt, das tragiſche Spiel, der Zauber der metall¬ reichſten, ſüßeſten Stimme! Sie ſoll auch im bürger¬ lichen Leben gut und ſehr wohlthätig ſein aber die Grazien ſtanden nicht an ihrer Wiege oder was muß dies Herz erlebt haben, ehe es ſo erſtarren konnte!

Spontini könnte als Pendant zur Milder dienen, was die Theilnahmloſigkeit, das kalte zurückhaltende Weſen betrifft. Nur muß Letztere mit einer edlen Marmorſtatue, und Spontini mit einer Wachsfigur verglichen werden.

Der italieniſche Maeſtro hat unſchöne Züge, gelb¬ weißlichen Teint, trägt große Vatermörder, immenſe weiße Halsbinde, in welche ſein Kinn ſtets zu verſinken droht. Die ſchwarzen Haare ſind als ungewöhnlich hoher Titus auffriſirt, die Naſe flach, der Mund breit. Die hagere Geſtalt ſieht vornehm aus, beſonders wenn Spon¬ tini vor dem Dirigenten-Pult ſteht und äußerſt graziös den kleinen Stab ſchwingt. Er ſteht beim Könige in großer Gunſt beim Publikum aber faſt gar nicht.

94

Frau von Spontini hat das exkluſive Weſen ihres Mannes angenommen und gleich ihm noch nicht zehn Wörtchen Deutſch gelernt. Sie ſpricht nur von Paris gleich einer unglücklich hieher Verbannten. Sie bewohnen ein prachtvolles Logis, ſind von vielen dienſtbaren Geiſtern umſchwirrt und machen ein glänzendes Haus.

Spontini lebt mit dem Grafen Brühl auf mehr als geſpanntem Fuße aber er iſt allmächtig, kann ſeine neu komponirten Opern nach Belieben und mit größter Verſchwendung in Szene ſetzen, hundert Proben halten und die Stimmen der armen Sänger und Sängerinnen auf ſeinen beliebten Amboſſen langſam zu Blech hämmern Niemand darf ihm hineinreden. Der König ſchützt ihn.

Das Publikum hat ſeine letzten Schöpfungen nicht beifällig aufgenommen und wirft ihm mit Recht Mangel an Melodie und zu maſſenhafte Orcheſter-Begleitung vor. Freunde Spontini's behaupten, dadurch ſei ſein Gemüth ſo verbittert worden. Daß die Veſtalin, Ferdinand Cortez zu den Meiſterwerken zählen, ſcheint ihn nicht zu beglücken. Graf Brühl hat viel von ſeinen Prätenſionen zu leiden.

Und dieſem ſteinernen Gaſte mußte ich bei einem Diner, von ſeinen Verehrern ihm gegeben, gegenüber ſitzen, ſogar ein weihrauchduftiges Gedicht vortragen. Madame Milder, Madame Schulz unſere Primadonnen ſaßen zu ſeiner Rechten und Linken, Madame Spontini neben mir. Rauſchende Muſik wurde aus ſeinen Opern vorgetragen. Nach meiner Deklamation wurde ihm mit95 Tuſch und Vivats ein Lorberkranz überreicht. Ich ſah o Wunder! die wächſernen Züge Spontini's einen milden Ausdruck annehmen und etwas wie Thränen in den harten Augen blinken ſie brachen ſich aber keine Bahn dieſe Gefühl verrathenden, Herz erfriſchenden Tropfen! Der Italiener hatte den Augenblick der Rüh¬ rung leicht überwunden; gefaßt, wie vorher berechnet, theilte er den Lorberkranz und überreichte die Hälften Madame Milder und Madame Schulz, in gebrochenem Deutſch hinzufügend: » Den Sängerinnen Lorber gebührt mir Sieg verholfen. «

Wie gerne hätte ich ihm zugerufen: Nicht einmal für Augenblicke können Sie gemüthlich deutſch empfinden, ſelbſt nicht im Kreiſe Ihrer Verehrer und möchten doch bei Deutſchen Sympathie erwecken! «

Da wurde mir es klar, daß Graf Brühl mit dem verſteinerten Maeſtro viel auszuſtehen hat. Graf Brühl, ganz Hingebung und Begeiſterung für die königliche Bühne, er, der Goethe und Schiller gekannt, Zeuge klaſſiſcher Darſtellungen in Weimars Glanzperiode ge¬ weſen, muß ſo den Intriguen des ſchlau berechnenden Italieners nachſtehen! Allgemein wird behauptet, daß der hochbegabte Intendant nicht allein Kunſtſinn auch Kunſtkenntniß beſitze, ſeine Mitglieder zu ſchätzen wiſſe und ſelbſt, wenn er Tadel ausſprechen muß, nie verletze.

Tags darauf, nach dieſem froſtigen Feſt, fuhren wir nach Potsdam, um in dem von Karl Blum dort arran¬96 girten Konzert mitzuwirken. Ja wir! Madame Grün¬ baum, die berühmte Tochter des Wiener Volkskomponiſten Wenzel Müller, die Gattin des Tenoriſten Grünbaum, die als Hofſängerin von der großen Oper in Wien hier gaſtirt und mit Recht den Namen » die deutſche Catalani « führt, eine fein gebildete, liebenswürdige Dame, und?! Moſcheles der geniale Virtuos die Mutter und ich.

Karl Blum hatte Moſcheles einige Tage vor dem Konzert uns vorgeſtellt. Wir wußten kaum, was mehr für ihn einnahm: das eminente Talent, oder ſein beſcheiden natürliches und doch ſo würdevolles Benehmen. In Moſcheles 'Augen würde Zelter auch gern blicken, denn ſein ſanftes Gemüth, ſeine reine Künſtlerſeele ſpiegeln ſich unverhohlen darin. Ich ſollte vor ihm ſpielen, aber ich wagte es nicht. Er verſtand es jedoch ſo prächtig, mir Muth einzureden, und ließ nicht nach, bis ich ein vierhändiges Rondo mit ihm ausführte Rondo Turc von Czerny. Wahrſcheinlich opferte er ſich der Mutter zu Liebe, denn die hat ihn ſchon ganz in ihr Herz ge¬ ſchloſſen und ſchwärmt für Moſcheles.

Blum hatte für einen bequemen Wagen geſorgt, und recht vergnügt begannen wir auf der Landſtraße zu plaudern, als Moſcheles, plötzlich die Augen ſchließend, todtenblaß zurückſank und ſtöhnte: » wie wird mir mein Kopf, mein Kopf! « Du kannſt Dir unſern Schrecken vorſtellen, wir ließen halten und riefen nach Karl Blum, der einige Schritte voraus fuhr. Das Geſicht des97 Konzertgebers hätteſt Du ſehen ſollen, als er ſeinen Freund in der Wagenecke liegen und ſein Konzert um die ſchönſte Zierde gebracht ſah. Doch ohne Bedenken ſagte er: » Schnell nach Berlin zurück! ich will in Potsdam abbeſtellen « Da öffnete Moſcheles matt die Augen und flüſterte: » Nein! nein! ich ſpiele und ſollte ich ſterbe nur vorwärts «

Und alles Proteſtiren Blum's half nicht.

» Ich ſpiele! « wiederholte matt der Kranke, und die Wagen ſetzten ſich in Bewegung. In Zehlendorf Pauſe, abermaliges Fragen, Bitten Blum's, ſich zu ſchonen die gleiche Antwort des halbtodten Moſcheles und endlich langten wir nach der peinlichſten Fahrt in Pots¬ dam an.

Alle Billete waren bereits vergriffen. Im Gaſthaus hatte Blum ſchönſtens vorgeſorgt, nach der Probe ſetzten wir uns zu Tiſch aber Moſcheles lag im Nebenzimmer auf dem Sopha, jede Erquickung verſchmähend. Er hatte in der Probe kaum die Kraft gehabt, die nöthigſten Akkorde für das Orcheſter anzuſchlagen. Wenn aber Blum nur Miene machte, gegen ſein Auftreten proteſtiren zu wollen, ſo blieb Moſcheles reſignirt dabei: » Ich ſpiele! «

Zum erſten Mal ſollte ich vor den Potsdamern er¬ ſcheinen. Ich hatte alſo eine reizende Toilette gewählt: weißen Tüll mit himmelblauen Aſtern! Ich ſollte mit Guitarre-Begleitung die Erlebniſſe eines Troubadours deklamiren. Blum akkompagnirte. Er ſoll der erſte Guitarreſpieler Deutſchlands ſein.

Erinnerungen ꝛc. 798

Um ſechs Uhr, als wir des Anfangs harrten, wankte Moſcheles in feinſter Toilette in's Verſammlungszimmer, mit fieberhaft glühenden Augen, blaß wie eine Leiche. Die Mutter rieb ihm die Schläfen mit Eau de Cologne und ſchminkte ihn, damit das Publikum nicht er¬ ſchrecken ſolle. Dann ſaß er auf dem Sopha, den Kopf in den Armen der Mutter, und ſah ſo jammervoll zu ihr auf, daß ich trotz meines Mitleids laut lachen mußte. Das Zeichen wurde gegeben und Moſcheles taumelte vor wurde rauſchend empfangen und ſpielte wie ein Gott! Raſender Applaus und der Ge¬ feierte flüchtete todmatt zum Sopha. Nach der zweiten Nummer gleicher Enthuſiasmus und gleiches Hinſinken auf's Sopha aber bald, ſo wie Moſcheles nicht mehr zu fürchten brauchte, daß durch ſeine Krankheit Blum's Konzert geſtört würde da fühlte er ſich wohler, ver¬ mochte ein wenig zu eſſen, und während der Rückfahrt verminderte ſich die Migräne ſo, daß ich meinem Muth¬ willen ſchon die Zügel ein wenig ſchießen laſſen durfte. Ich ahmte ſein Augenſchließen, Zurücklehnen, Liſpeln: » Ich ſpiele und ſollte ich auch ſterben « zu ſeinem größten Ergötzen nach.

Kaum waren wir von dieſer angreifenden Fahrt etwas zu uns gekommen, ſo ließ ſich Präſident Scheve melden, ein freundlicher, ehrwürdiger alter Herr, un¬ geheuer zeremoniös. Tief ſich verbeugend trug er feier¬ lichſt ſein Anliegen vor: Ich ſollte deklamiren im Konzert, zum Beſten des Louiſenſtiftes gegeben, deſſen Vorſteher99 nein, Schutzpatron der Präſident iſt. Gern ſagte ich zu, und finde mich auch recht leidlich darein: einſt¬ weilen zu deklamiren, ſtatt Komödie zu ſpielen. Aber, Louis, es iſt keine leichte Sache, ein geeignetes Gedicht zu wählen. Es ſoll nicht zu ernſt, auch nicht zu heiter, weder zu kurz noch zu lang ſein. Ich wählte » Nichts « von Theodor Hell.

Der Konzertſaal des Schauſpielhauſes iſt ein prächtig erleuchtetes, ſchönes Lokal, da erſcheint man ungeſchminkt, was mir beſſer ſteht. Und mein » Nichts « gefiel.

Zu unſerer Ueberraſchung beſuchte uns Präſident Scheve am andern Morgen abermals, um mir in ſeiner feierlichen Weiſe nochmals zu danken und eine lange Rede zu halten, deren kurzer Sinn war: daß » die tauſend¬ jährige Geſellſchaft « uns durch ihn mit der Einladung beglückte dem alljährlich ſtattfindenden Stiftungsdiner beizuwohnen «

» Tauſendjährige Dinergeber? « fragte ich nicht ohne Entſetzen » Ja, liebes Fräulein, die geſchloſſene Geſell¬ ſchaft beſteht aus vierzehn Mitgliedern dieſe zuſammen machen tauſend Jahre «

Du weißt leider, mein Bruder, daß ich ſtets ungern Rechenſtunden genommen und öfters die aufgegebenen Exempel von den Schulkameradinnen abſchrieb aber ſo viel konnte ich doch dividiren: daß tauſend durch vier¬ zehn getheilt, jedem Kopf 71 Jahre 6 Monate zuweiſt. Schon wollte ich mich entſchuldigen, aber die Mutter verſicherte raſch: wir würden mit Vergnügen erſcheinen 7 *100und ein gewiſſer Blick Louis, Du kennſt doch noch dieſen Blick? machte mich verſtummen.

Als Präſident Scheve uns verlaſſen hatte, beklagte ich mich aber bitter, daß ich nun gar mit ſiebenzigjährigen Herren ſpeiſen ſolle das ſei von einem jungen Mäd¬ chen zu viel verlangt Aber da hätteſt Du unſere Mutter hören ſollen: » Gegen junge, ſchöne Herren, nicht wahr? da wird es Dir nicht ſchwer, liebens¬ würdig zu ſein; das will aber gar nichts heißen, das können Viele! aber dem Alter gegenüber beſcheiden, an¬ muthig, zuvorkommend ſich zu benehmen das erfordert nicht allein Bildung, ſondern auch Herzensgüte. Nur gute Herzen vermögen zu ſchätzen, von ehrwürdigen Greiſen achtungsvoll, wohlwollend ausgezeichnet zu werden «

Und ich fühlte mich wahrlich tief beſchämt. Ich dachte aber doch daran, die alemanniſchen Gedichte mitzu¬ nehmen und etliche vorzutragen, wenn mich meine Weis¬ heit und Liebenswürdigkeit gegen die ehrwürdigen tauſendjährigen Herrn im Stiche laſſen ſollte.

Die Mutter ſchmückte mich, als ſollte ich mir einen Bräutigam erobern. Sie hatte ſich blühendes Geranium zu verſchaffen gewußt; und dieſe friſchen Blumen nahmen ſich gar hübſch in den blonden Locken aus.

Präſident Scheve holte uns in ſeiner Equipage ab, wir wurden von den alten Herren meiſt hohen Militärs, die Bruſt mit Orden bedeckt freundlichſt begrüßt und bald fühlte ich mich ſtolz und zufrieden in der tauſend¬ jährigen Geſellſchaft.

101

Du haſt keine Idee, Louis, auf welche liebenswürdig humoriſtiſche, geiſtreiche Weiſe die Unterhaltung geführt wurde! Wie dieſe alten Herren uns in's angenehmſte Geſpräch zu ziehen wußten, und wie meine unbefangenen Aeußerungen ſie erfreuten. Ich mußte von Karlsruhe die Mutter vom ſeligen Vater erzählen. Sie lachten herzlich über meine enthuſiaſtiſchen Lobeserhebungen über Berlin und die Berliner.

Beim Deſſert las ich » Hebel's Sommerabend « und » Hans und Verene «. Die alemanniſche Mundart war ihnen etwas Neues, und General Leſtock, mein Nachbar, bat immer wieder:

» O, nur noch einmal den Schluß « und ich wurde nicht müde zu ſagen: » jo frili willi, jo! «

Die Mutter ſah wie verklärt aus und lobte mich auch ſpäter. Beim Abſchiednehmen mußten wir ver¬ ſprechen: nächſtes Jahr dem Diner wieder beizuwohnen, und der Abweſenden zu gedenken. » Niemand wird fehlen! « rief ich lebhaft » ich ahne es! « und herzlich tönte es von beiden Seiten: » Auf frohes Wieder¬ ſehen über's Jahr! «*)Es fehlte auch Niemand im nächſten Jahre. Aber heute bin ich allein nur noch übrig aus jenem heiteren Kreiſe.

Und nun von den Bällen. Einer der hübſcheſten war der des General Herwarth, ein lieber alter Herr, ſeine Gemahlin die Sanftmuth ſelbſt. Beide ſind noch gar nicht von den Gebrechen des Alters heimgeſucht,102 und genießen ſo recht froh und dankbar den Lebensabend. Die beiden älteſten Söhne*)Der eine iſt der durch die letzten Kriege ſo berühmte General Herwarth v. Bittenfeld. ſind ſchön verheirathet, auch Militärs, eine glückliche Familie.

Dann folgte ein reizender Maskenball, durch Sub¬ ſkribenten veranſtaltet.

Bei Juſtizrath Ludolf eines der gaſtlichſten Häuſer Berlins, und namentlich für Künſtler, Gelehrte, Pro¬ feſſoren eine wahre Heimath, hatten wir Ludwig Rell¬ ſtab den ehemaligen Lieutenant und gefürchtetſten Kritiker Berlins kennen gelernt. Ein junger, korpu¬ lenter, häßlicher und doch höchſt einnehmender Mann. Seine etwas mongoliſchen Züge verrathen den regſten Geiſt, und durch die Brille blitzen klug forſchende Augen. Er ſpricht bezaubernd. Rellſtab ſoll gutmüthig ſein, einen ehrenwerthen Charakter haben, aber den Dämon der Satyre nicht immer zu zügeln vermögen. Was er ſchreibt: trifft verwundet ſchadet ſelbſt gegen ſeine Abſicht. Ich bat ihn himmelhoch, mich nie zu loben lieber gnädigſt zu tadeln**)Ludolfs Freundſchaft büßte Rellſtab durch ſein ſatyriſches Buch: » Henriette, die ſchöne Sängerin « ein, das 1826 anonym in Leipzig erſchien und der Sontag viele Thränen koſtete. Es geißelt das da¬ malige Sontagfieber in Berlin, enthält aber auch eine Menge der unwahrſten und boshafteſten Angriffe gegen Henriette Sontag und.

Während einer Soirée bei Ludolfs wurde viel von dem bevorſtehenden Maskenball geſprochen und nach103 vielem Zureden nahm ich den Vorſchlag Rellſtab's an: zuſammen als Papageno und Papagena zu erſcheinen. Wir wählten keinen Federnanzug, wie es auf der Bühne üblich, ſondern grün, gelb, roth ſchillernden Plüſch, mit kleinen rothen Federn garnirt. Ich trug einen Federn¬ ſchmuck auf dem Kopf gleich der Amazili in Ferdinand Cortez, Korallen um Hals und Arme und grüne Atlasſchuhe.

Rellſtab ſah gut, beinahe hübſch aus, denn die Halbmaske bedeckte die eingedrückte Naſe, und nur der feinlächelnde Mund war ſichtbar. Er hatte mich mit einem Blumenkörbchen verſehen, in welchem ſich gedruckte Sprüche, Verſe, Aphorismen in Bonbonform befanden natürlich auch viele Dornen darunter.

Wir erregten Aufſehen und wurden bald von neu¬ gierigen Masken umringt Ich theilte die Bonbons aus, Rellſtab gab prächtige Repliken, und Papagena bemühte ſich, ihrem Papageno keine Schande zu machen. Rellſtab verſicherte: wir hätten glänzend reüſſirt und ich erhielt nach dem Ball eine Menge Gedichte.

Die Berliner Subſkriptionsbälle im Opernhauſe habe ich auch zu » ſehen « bekommen, denn getanzt wird dort faſt gar nicht. Man konverſirt, beobachtet und**)ihre Verehrer, beſonders gegen den alten Commandanten v. Brauchitſch und den engliſchen Geſandten Clanwilliam. Auf Befehl des Königs wurde das Buch ſogleich verboten. Auch Spontini hatte viel von Rellſtab's kritiſcher und ſatyriſcher Feder zu leiden.D. Herausgb.104 muſtert und beneidet gegenſeitig die Toiletten. Die Herren bewegen ſich im Saal, die Damen ſitzen meiſt auf den rings herum angebrachten Eſtraden. Der König promenirt unermüdet durch das Gedränge und ſpricht leutſelig mit Vielen. Dabei ſchaut er lächelnd umher, wie ein Vater, der ſich freut, die Kinder vergnügt zu ſehen.

Auf der vierten Eſtrade ſaß ich ganz beſcheiden mit der Mutter und einer befreundeten Familie und ergötzte mich an dem glänzenden Gewirr im Saal als plötzlich mir zugeflüſtert wurde: » Der König will mit Ihnen ſprechen, ſteigen Sie herab « und ich ſtand vor Friedlich Wil¬ helm dem Gütigen.

Ich fühlte, daß ſämmtliche Anweſende mich beobachte¬ ten, wie ich mich benehmen würde, es flimmerte mir vor den Augen aber kaum begegnete ich den milden, gütigen Augen des Königs, ſo war ich gefaßt. Der König ſagte in ſeiner bekannten, abgebrochenen Weiſe: » Freue mich, Brühl Sie für meine Bühne gewonnen oft auf dem Königſtädter Theater geſehen viel Ver¬ gnügen gemacht muntres Weſen lieben ſehr gefallen. «

» Ew. Majeſtät beglücken mich «

» Wann auftreten? «

» Mitte Dezember! «

» Welchen Stücken? «

» Beſchämte Eiferſucht Juriſt und Bauer «

» Gut, liebe Luſtſpiele wünſche Glück! «

105

Dann nickte der König freundlich und ging weiter.

Hofrath Heun (Clauren) bot mir ſeinen Arm, mich wieder auf die Galerie zu geleiten; doch nur mit Mühe gelangte ich hinauf. Alle Welt wollte mir vorgeſtellt ſein mich ſehen mit mir ſprechen.

Bei meinem nächſten Schreiben bin ich ſchon in Reih und Glied unter den Berühmtheiten der königlichen Bühne und muß fleißig ſein, um den Namen Künſtlerin zu verdienen «

[106]

VI. Wieder in Reih und Glied.

Ueber mein erſtes Debüt auf der königlichen Bühne, Mitte Dezember 1824, war in der Spener'ſchen Zeitung folgendes zu leſen, von Hofrath Schulz unterzeichnet, dem nach Goethe's Ausſpruch » befähigtſten Kritiker Deutſch¬ lands: «

Als vor einigen Monaten verlautete, daß dieſes junge Mädchen das Königſtädter Theater, deſſen Stütze es war, verlaſſen wolle, um bei der königlichen Bühne, deren Hoffnung es iſt, Engagement anzunehmen, wurde überall heftig diskutirt! Eine Weltbegebenheit konnte nicht mehr beſprochen werden! Die Gemüther erhitzten ſich, und hätte das Auftreten damals gleich ſtattgefunden, ein Sturm würde ausgebrochen ſein.

Die dazwiſchen liegende Pauſe führte glücklicher¬ weiſe zu der Anſicht: daß es bei ſolcher Jugend von lobenswerther Selbſtkenntniß, von wahrer Liebe zur Kunſt zeuge, eine erſte Stellung aufzugeben, um eine zweite107 anzunehmen nur deshalb: um im Kreiſe der vor¬ trefflichen Mimen der königlichen Bühne den Namen Künſtlerin zu erringen.

Wir heißen daher das junge, ſtrebſame Talent herzlich willkommen und ſtimmen freudigſt dem herzlichen Empfang, Beifall, Hervorruf bei «

Ich hatte zwei beſcheidene Rollen gewählt: die Julia in der » beſchämten Eiferſucht « und Roſine in » Juriſt und Bauer «. Die kleinen Luſtſpiele wurden im über¬ füllten Opernhaus gegeben; die Annonce, daß der pen¬ ſionirte Komiker Unzelmann, erſter Gatte Friederike Bethmann's und in Berlin wegen ſeiner launigen, witzigen Einfälle ſehr beliebt, den Rechenmeiſter Grübler ausnahmsweiſe ſpielen würde, hatte das Intereſſe erhöht.

Nach dem Schluß der Vorſtellung führte mich, auf den Hervorruf, der ſchon 71jährige Liebling der Berliner an der Hand vor. Gar hübſch beurtheilte ein Kritiker andern Tags unſer Danken ohne Worte: » Die liebliche Roſine bot mit dem verehrten Veteranen das anſchaulichſte Bild der auf - und untergehenden Künſtlerlaufbahn. Beide blieben ſtumm. Die junge Debütantin nahm wohl aus Beſcheidenheit nicht das Wort, und Unzelmann ver¬ mochte vor Rührung nicht zu ſprechen «

In den » Quälgeiſtern « trat ich zunächſt auf; » Prezioſa « war mein drittes Debüt! Alexander Wolff ſpendete gleich ſeiner Gattin (Viarda) erfreuliches Lob, und ich blieb auch im Beſitz der geliebten Rolle; Prezioſa war der Glanzpunkt in meiner neuen Stellung.

108

So freundlich und gütig die Familie Eunike die zu¬ künftige Kollegin bei ſich aufgenommen hatte, das Herz ſtets auf der Zunge ſo kühl und ceremoniös empfingen mich anfangs, bei meinem erſten Beſuch, während meiner Kunſtpauſe, Herr und Madame Wolff: ſie gleich einer Oberhofmeiſterin, er wie ein Miniſter. Bethmann wußte aber bald die etwas affektirte Zurückhaltung zu beſeitigen, indem er unbefangen und gemüthlich in ſeiner unwider¬ ſtehlich herzlichen Weiſe ſagte: » Ihr alter Freund bittet Sie für dieſe Kunſtjüngerin um Wohlwollen und gütigen Rath. Ich habe ſie in meiner eigenen Vertrauensſeligkeit aus dem friedlichen Karlsruhe an das heiße Königſtädter Theater hergelockt und nun kann ich leider meinem Verſprechen, ſie in Allem zu unterſtützen, nicht nach¬ kommen Bitte, machen Sie gut, was ich vielleicht verſehen habe mir zur Liebe «

Da thauten denn Beide zuſehends auf und wurden zutraulicher. Sie verſprachen auch, mir ihren Beiſtand zu leihen.

Später, als Amalie Wolff freundlichſt mit mir ver¬ kehrte, geſtand ſie unverhohlen: ſie und ihr Mann ſeien gegen die Fremde eingenommen geweſen, denn Louiſe v. Holtei, von ihnen gleich einer Tochter geliebt, hätte kurz vor meinem Beſuch ihr Leid geklagt und die Be¬ fürchtung ausgeſprochen: von der neu Engagirten in ihrem Rollenfach beeinträchtigt zu werden!

Wolff's waren aber viel zu klug und gerecht, um nicht bald von der irrigen Anſicht ihres Lieblings über¬109 zeugt zu werden. Fr. v. Holtei's Individualität paßte nur für wenige Rollen, und ihre zarte Konſtitution ver¬ hinderte ſie, das jugendliche Fach allein auszufüllen. Eine Kollegin hätte ſie doch neben ſich dulden müſſen, und wahrſcheinlich eine pretentiöſere.

Amalie Wolff glänzte nicht im Mindeſten durch Schönheit; das kleine, angenehm geformte Geſicht hatte zu tief liegende Augen, die Geſtalt war unbedeutend und doch feſſelte ſie unwiderſtehlich: ihre Grazie, ihr feines Benehmen erinnerte an die gefeierte Mlle. Mars in Paris, ihre Unterhaltung entzückte beſonders durch die herrliche Gabe des echten Humors, der belebt, erquickt und nie verletzt. Geiſt, Talent, Anmuth, beharrlicher Fleiß hatten, harmoniſch zuſammenwirkend, Amalie Wolff, geborne Malcolmi, die geliebte würdige Schülerin Goethe's und Schiller's, zu einer der erſten Künſtlerinnen Deutſchlands erhoben. Sie glänzte Anfangs in ſanften, naiven, idealen Mädchenrollen, ſpäter aber durch ihre ſcharfe Indivi¬ dualiſirung im Charakter - und komiſchen Fach. Auch ihr Gatte, Pius Alexander Wolff, der Verfaſſer meiner lieben » Prezioſa « machte beim erſten Anblick mit ſeinen ſchmalen Schultern, müden Haltung, ſchlaffen Zügen und kranker Geſichtsfarbe den Eindruck der dürf¬ tigſt ausgeſtatteten Perſönlichkeit. Ich hätte fragen mögen: » Zu welchen Zaubermitteln haben Sie Ihre Zu¬ flucht genommen, um auf der Bühne ſo poetiſch ſchön auszuſehen? «

Die Unterhaltung den Anderen überlaſſend, ſuchte110 ich aus des Künſtlers Phyſiognomie herauszuleſen, wir er es ermöglichte, als Romeo, Oreſt, Hamlet, und in ſeiner bedeutendſten Schöpfung: Don Fernando im » Standhaften Prinzen « Alle zu überſtrahlen? Doch ſeine Stimme hatte ja einen ſo zu Herzen gehenden Wohllaut, und ſeine Augen ja, ſeine wunderbaren Augen! Alſo Sprache und Seelenſpiegel damit verdunkelte Alexander Wolff die brillanteſten Nebenbuhler. In dieſen Augenſternen lag die religiöſe Schwärmerei Don Fer¬ nando's, das tief forſchend Sinnende Hamlet's. Dann blickten ſie plötzlich wieder kindlich heiter, an Ludwig Devrient erinnernd, wenn dieſer lächelte. Auch Wolff ſpielte ausnahmsweiſe zu ſeiner Erholung gerne in über¬ müthigen Luſtſpielen mit fröhlichſter Laune.

Mit Entzücken erinnere ich mich noch jetzt jeder Vor¬ ſtellung, in welcher ich mit dem Künſtlerpaar Alexander und Amalie Wolff beſchäftigt war. Von Allen iſt mir ein Abend unvergeßlich geblieben, als Dr. Töpfer's » Her¬ mann und Dorothea « während der Abweſenheit von Mad. Stich gegeben wurde. Ich durfte die Dorothea ſpielen und am Schluß, als ſämmtliche Beſchäftigte mit Hervorruf belohnt wurden, verſuchte ich ſtill bei Seite zu gehen. Wolff's jedoch erlaubten es nicht und zogen mich mit ſanfter Gewalt auf die Bühne. Als ich nach dem Fallen des Vorhangs weinend verſicherte: » Es ſind Freuden¬ thränen, aber ich verdiene dieſe Auszeichnung nicht «, nannten mich Beide lachend einen Kindskopf! Ludwig Devrient, noch in ſeinem Koſtüm als dicker, herziger111 Apotheker, klopfte mir ſo recht wie ein guter Vater auf die Schulter und ſagte herzlich: » Aber ich liebe und lobe die Gefühle des Kindskopfes! «

Das war die Art und Weiſe, wie große Künſtler und beliebte Anfänger damals zuſammen verkehrten. Während meines fünfjährigen Engagements bei der könig¬ lichen Bühne in Berlin habe ich nicht eine boshafte Bemerkung, nicht eine unliebſame Aeußerung vernommen. Die Mitglieder gingen Hand in Hand, gegenſeitig wohl¬ wollend geſinnt, und löſten undankbare wie belohnende Aufgaben mit gleicher Hingebung und gewiſſenhaftem Fleiß, und das Wolff'ſche Ehepaar ging mit beſtem Beiſpiel voran. Alexander Wolff verdiente, was Goethe über ihn ſagte, als er Weimar längſt verlaſſen hatte: » So viel ich auch in's Ganze gewirkt habe und ſo Manches durch mich angeregt worden iſt, ſo kann ich doch nur einen Menſchen, der ſich ganz nach meinem Sinn gebildet hatte, nennen: das iſt der Schauſpieler Wolff! «

Aber Ludwig Devrient? Habe ich denn über ihn nichts zu ſagen über mein Idol? Da liegt wieder ein altes, verblichenes Blatt vor mir, das ich 1826 über Ludwig Devrient an meinen verehrten, würdigen Lehrer Aloys Schreiber nach Karlsruhe ſchrieb. Es mag hier ſeinen Platz finden meine heutige Feder würde doch nicht ſo friſch und lebensvoll zeichnen können.

» Ludwig Devrient iſt der genialſte Künſtler, die intereſſanteſte Perſönlichkeit, welche ich bis jetzt ge¬112 ſehen, ein Original im vollſten Sinne des Wortes, aber ein ſo liebenswürdiges, großartiges und doch ſo be¬ ſcheidenes, daß man ſeine Eigenheiten gern überſieht. Devrient's Darſtellung bietet immer Neues, Ueber¬ raſchendes. Wenn man ihn öfters in demſelben Stücke geſehen und ſich freut auf Scenen, welche er früher ſchon nach unſerem Bedünken unübertrefflich gab, da ſchafft er doch noch Ergreifenderes Manches Mal ſcheint er abgeſpannt zu ſein, mit ſich unzufrieden, geht hinter den Couliſſen raſch auf und ab, vor ſich hinſprechend: » Es geht heute gar nicht! « und fragt dann wohl einen vorübergehenden Kollegen: » Nicht wahr, ich ſpiele heute ſchlecht? Das Publikum iſt kalt giebt kein Lebens¬ zeichen!? « und plötzlich wieder weiß er zu elektriſiren, daß raſender Beifall ertönt und er ſelbſt wieder voll Zuverſicht erſcheint. Unſere herrliche Künſtlerin Mad. Wolff nennt dies » Genie « und ich hörte mehr als ein¬ mal, wie ſie ſagte: » Devrient trifft wie mit Zauber¬ gewalt das Richtige, was mein Mann erſt mühſam herausſtudirt. «

Fragen Sie mich nun: ſpielen Sie lieber mit Wolff oder Devrient? ſo erwidere ich unverhohlen: mit Erſterem! Man verliert die Faſſung nicht, wie bei Devrient, wenn er zerſtreut iſt, oft ganz anders eine Szene darſtellt, als in der Probe, oder ſo erſchütternd, daß man vor lauter Thränen nicht ſprechen kann. Ich ſage dies als Kunſtnovize, die Meiſterinnen werden mit Devrient ihre Aufgaben ſo ſicher löſen, wie mit Wolff. Hören Sie,113 was ich als Cordelia und in » Die Macht der Verhält¬ niſſe « empfand.

Für Madame Unzelmann mußte ich die Cordelia ſpielen. Ich ſtehe im letzten Akt über Lear gebeugt, ſein Erwachen erwartend: da erhebt ſich Devrient, erkennt die verſtoßene Tochter, ſinkt langſam mit gefalteten Händen wie um Verzeihung ſtehend vor mir nieder, mit dem Ausdruck eines ſo unſäglichen Seelenſchmerzes, mit einem Blick ſo voll Reue Liebe, daß ich nicht im Stande war, vor Mitgefühl und Erſchütterung zu ſprechen; es fehlte nicht viel, ſo wäre ich vor ihm niedergekniet und hätte das ehrwürdige Haupt geküßt und an mich gedrückt.

In Ludwig Robert's Trauerſpiel » Die Macht der Verhältniſſe «, hat Devrient die Sterbeſzene ſo dar¬ geſtellt, daß ſelbſt die ſonſt ſo ruhige Mad. Schröckh zitterte, weinte und eingeſtand: ihr Mann, der große, berühmte Fleck, habe niemals ergreifender geſpielt. Ueberhaupt, theurer verehrter Lehrer, wie würde Sie dieſe Vor¬ ſtellung entzückt haben, wo Alles ſich beſtrebte, der Meiſter Beſchort und Devrient würdig zu ſein! Sie kannten ja Robert, den Bruder von Frau Rahel Varn¬ hagen in Karlsruhe; hat er Ihnen nie aus dieſem bürger¬ lichen Trauerſpiel vorgeleſen?

Beſchort giebt einen Präſidenten, ſtolz, herzlos einen Sohn, welcher Militär iſt, anbetend, ihm Alles erlaubend. Der Präſident beſitzt eine edle Gattin, eine liebenswerthe Tochter (Mad. Schröckh und ich), und aufErinnerungen ꝛc. 8114dem Gipfel des Glückes vergißt er, daß ein früher ge¬ borener Sohn auch Anſprüche hat. Ein Bürgermädchen wurde einſt von ihm getäuſcht verlaſſen Sie erzog ihr Kind mit übermenſchlicher Anſtrengung zu einem edlen jungen Mann. Dieſer (Devrient) iſt Idealiſt, geiſtreich, ernährt eine Schweſter durch eine Stelle als Sekretär, kennt ſeinen Vater nicht, haßt aber den Adel, weil er ahnt, was ſeine Mutter einſt durch einen Hochgeſtellten gelitten. Er will auch nicht, daß ſeine Schweſter eine junge Gräfin (mich) bei ſich ſieht, die unter dem Vorwand kommt, Arbeit zu beſtellen und weil ſie das Bürgermädchen gern hat, in Wahrheit aber weil ſie heimliche Liebe für den Sekretär empfindet. Er warnt auch ſeine Schweſter vor den Liebesverſicherungen ihres Bruders des Rittmeiſters, und erklärt: er würde ihn tödten, wenn er nicht fern bliebe. Er erfährt, daß ein Rendezvous ſtattfinden ſoll, entfernt die Schweſter, der Rittmeiſter tritt herein und wird von ihm er¬ ſchoſſen. Den Monolog vor dem Morde trug Devrient meiſterhaft vor. Der Sekretär kommt in's Gefängniß, der Präſident muß ihn dem Gericht überliefern und erfährt, daß ſein Sohn es iſt, der ſterben muß, weil er ſeinen eigenen Bruder erſchoſſen

Es wurde während der Szene zwiſchen Beſchort und Devrient nicht applaudirt, aber man hätte eine Nadel fallen, eine Fliege ſummen hören können ſo aufmerk¬ ſam, ſo athemlos geſpannt verfolgte das Publikum das Spiel dieſer Meiſter. Alles ſagte der unglückliche Sohn,115 was er, was ſeine Mutter gelitten, er erſpart ſeinem Vater keinen Vorwurf, läßt aber auch ſeine edlen Gefühle, ſeinen Geiſt den Vater erkennen, und dieſer zu ſeinem qualvollen Entzücken fühlt eine raſende Liebe für den Verſtoßenen in ſeinem Herzen auflodern. Er erkennt jetzt den Werth ſeines armen Kindes zu ſpät.

Der Sekretär nimmt Gift, um die Ehre ſeines Vaters zu retten. Frau und Tochter des Präſidenten ſtürzen mit der von ihnen liebevoll aufgenommenen Schweſter herein, und in ihren Armen ſtirbt der Unglückliche. Herr Hofrath! zu ſchildern, wie Devrient ſtirbt, welchen Blick er dem um Verzeihung flehenden Vater ſchenkt, indem er ihm die Hand reicht das muß man ſehen zu beſchreiben iſt es nicht.

Und erſt der Todeskampf! das Zucken der Augen¬ wimpern, der Schmerzenszug um den Mund, das Er¬ löſchen der Stimme, das Beben des Körpers dann das letzte Aufflammen des Lebenslichtes vor dem Erlöſchen Alles unnennbar ergreifend und doch nichts übertrieben, kein kraſſes, zurückſtoßendes Mienenſpiel Devrient ſinkt, uns mit ſich niederziehend, hin der Vorhang fällt.

Tiefe Stille im Publikum wie noch unter dem Eindruck des Geſehenen. Dann ertönt's: » Devrient! Beſchort! « Wir wollen Devrient aufhelfen er rührt ſich nicht! Man kommt uns zu Hülfe, ich ſage: » Sie werden gerufen! « Da ſchlägt er mit einem tiefen Seufzer die Augen auf und ſagt leiſe mit wehmüthigem,8 *116müden Lächeln: » Ich dachte, ich ſei wirklich geſtorben! « und geht mit wankenden Schritten von der Bühne. So hatte er ſich in ſeine Aufgabe hineingeſpielt, hinein¬ gelebt.

Nun von weniger Ernſtem! In der Tragödie Raupach's, Raphaele, ſtellt Devrient einen Türken vor, Krüger und ich ſind ſeine Kinder. Der Vater muß uns etwas Wichtiges mittheilen, und aufmerkſam zuhörend ſitzen wir auf einem Divan rechts und links von ihm, etwas entfernt vom Souffleurkaſten. Die Rede beginnt mit: » Allah iſt groß! « und: » Allah iſt groß! « ſagt Devrient zum zweiten Mal man merkt, er iſt zer¬ ſtreut » Allah iſt groß! « zum dritten Mal Er kommt über Allah's Größe nicht hinweg. Da verſuche ich ihm die von mir ganz gut gehörten Worte zu ſouffliren, ganz leiſe Devrient verſteht mich, ſpricht nach, wird Herr ſeines Gedächtniſſes und ſpielt mit gewohnter Meiſter¬ ſchaft weiter.

Nach dem Akt ſehe ich ihn raſch auf mich zukommen; er legt ſeine Hand wie ſegnend auf meinen Turban und ſagt ſehr freundlich: » Brav, brav, liebe Kleine, ich danke! ich danke! « Wer war ſtolzer und glücklicher als ich!

Devrient half mir dann auch beim Einſtudiren der Karoline in » Die Nachtwandlerin « von Blum. Ich theilte ihm mit, wie ſchwer mir die Nachtwandlerſzene würde und wie Angſt es mir ſei, nach der Neumann dieſe Rolle zu ſpielen. Da erbot er ſich, mir Rath zu117 ertheilen, kam pünktlich zur verabredeten Stunde, und mit wahrer Engelsgeduld ließ er mich die Szene wieder¬ holen, zeigte, wie die Augen blicken müßten, beſchrieb das gewiſſe ſchleppende, doch lieblich klingende Sprechen beim Nachtwandeln, Gang, Bewegungen ſicher, leicht, und doch wie mechaniſch Genug, ich begriff, hatte großen Erfolg und dankte Devrient innigſt für ſeinen Beiſtand.

Seine Eigenheit kommt zuletzt. Devrient's Tochter lebte in Braunſchweig bei dem Schauſpieldirektor Klinge¬ mann, geliebt und gepflegt wie von guten Eltern. Sie kommt als 16 jähriges Mädchen nach Berlin, um den Vater zu umarmen und vor ihm zu ſpielen. Devrient ſtellt uns die Tochter vor; ein holdes Mädchen mit des Vaters Zügen, aber jugendlich weiblich, dieſelben Pracht¬ augen! Ich frage: » Iſt Ihr Vater ſchon die Rolle mit Ihnen durchgegangen? Was ſagte er? Das iſt ein Lehrer, ein vortrefflicher! « Da erwiderte ſie kleinlaut: » Ach nein! er meinte ich ſpräche « » Nun?! « » Etwas affektirt in ſo kurzer Zeit ſei es nicht möglich, anders zu werden er wolle erſt ſehen, wie ich die » Toni « ſpiele, dann mir Unterricht geben. Er wieder¬ holt immer: Klingemann'ſche Manier iſt mir zuwider! Unnatur! Nun begreifen Sie wohl meine Angſt wie wird es mir gehen! «

Wir ſprachen ihr Muth zu. » Die Gouvernante « von Körner ſollte als Nachſpiel gegeben werden, und während der Probe gefiel ſie nur ſehr gut. Devrient118 ließ ſich nicht erblicken. Abends freue ich mich, wie ſchön ſie ausſieht, erwarte großen Beifall aber der bleibt beinahe ganz aus. Auch mir kommt die Art des Dekla¬ mirens etwas unnatürlich vor, doch auch Manches hübſch und lobenswerth. Die Toni iſt vorüber kein Devrient zu ſehen! Der Tochter ſtanden Thränen im Auge. Wir ſpielen die Gouvernante, man applaudirt, denn ſie ſprach charmant franzöſiſch als alte Gouvernante. Dennoch kein Devrient! Andern Morgens kommt Fräulein Devrient und klagt uns: der Vater ließe ſie nicht mehr hier auftreten, es ſei mit Affektation nichts zu machen, ſie würde immer unnatürlich ſprechen, ſei von Klinge¬ mann's verſchroben gebildet, und es ſei undelikat, einem Publikum die Tochter aufzudringen, weil es den Vater liebe

Devrient hatte als Künſtler recht, aber als Vater konnte er doch wohl verſuchen, ob dieſe Manier der ſonſt ſo begabten Tochter nicht zu ändern ſei. Seine fixe Idee war aber: es ginge nicht

Louiſe von Holtei, geborne Rogée, ſollte ich nicht näher kennen lernen. Sie kränkelte ſchon längere Zeit und betrat nur noch ſelten die Bühne.

Und dann wenige Monate nach meinem Engage¬ ment während der Leſeprobe von » Pauline « (Schauſpiel von Frau von Weißenthurn) ſtürzte der Theaterdiener119 in großer Aufregung in den Saal mit den Worten: » Frau von Holtei iſt ſoeben verſchieden «

Wie waren wir da Alle Alle ſo erſchüttert, als träfe jeden Einzelnen dieſer Schlag ganz beſonders. Mad. Wolff ſchluchzte laut auf und ſelbſt ihr Gatte verlor die Faſſung. Niemand vermochte weiter zu leſen. Der Regiſſeur, Herr v. Lichtenſtein, ſchloß die Probe. Wolff flüſterte ſeiner Frau zu: » Ich will den armen Holtei beſuchen. Soll ich Dich vorher nach Hauſe be¬ gleiten? « » Nein! Ich muß mich hier erſt faſſen « Ein Strom von Thränen unterbrach ſie. » Ich werde hier bleiben und Mad. Wolff nach Hauſe führen! « ſagte ich hinzutretend. Aber vergebens ſuchte ich nach Troſtes¬ worten. Erſt als Amalie Wolff von der verſtorbenen Freundin ſprechen konnte, milderte ſich ihr Schmerz. Sie rühmte Louiſe Holtei als treue, ſorgliche Mutter, liebende Gattin und fleißige Hausfrau. Sie ſprach von ihrem reinen Engelsgemüth Aber ſie zitterte noch, wie ſie an meinem Arm nach Hauſe ging. Beim Lebe¬ wohlſagen blickte ſie mich liebevoll an und ſagte herzlich: » Nie werde ich vergeſſen, wie auch Sie die Todesnachricht aufgenommen und doch war Louiſe von Holtei Ihre gefährlichſte Nebenbuhlerin in dem Herzen des Berliner Kunſtpublikums. Von heute an zählen Sie vertrauensvoll auf meine wahre mütterliche Freundſchaft! « Und Amalie Wolff hielt Wort.

Dem Begräbniß der viel beweinten, kaum 25 Jahre alten Louiſe von Holtei wohnte auch ich bei dem erſten120 in meinem Leben, denn als meine kleine einzige Schweſter in Bruchſal begraben wurde, weilte ich bei Bekannten in Karlsruhe.

In einem großen Parterrezimmer verſammelten ſich die Beileidtragenden. Louiſe von Holtei das holde Käthchen lag weißgekleidet da, ſo lieblich, als ſchlummerte ſie ſüß unter dem Hollunderbaum, im Traum ihrem Ritter ihre mädchenhaft keuſche Liebe geſtehend Schwarze geſcheitelte Haare umrahmten die edle Stirn, und lange Augenwimpern beſchatteten die Wangen, als müßten ſie ſich jeden Augenblick zu Wetter von Strahl erheben

Und doch war das holde Käthchen von Heilbronn für immer von uns gegangen die ſchönſten Augen Berlins ſollten ſich nie wieder öffnen Starr lag ſie da in ihrem Sarge O, wie das ſo eiſig an mein junges, lebensfrohes Herz griff

Karl von Holtei, der damals dramatiſche Vorleſungen hielt und ſchon berühmt war durch ſeine » Wiener in Berlin «, ſtand bleich und vergrämt an der Seite des Sarges, ſein Töchterchen an der Hand

Vierzig Jahre ſind in's Meer der Ewigkeit verſunken, ſeit ich dieſe rührende Leiche geſehen, und doch kann ich mich auch heute noch jedes Zuges des ſelbſt im Tode ſo holden Antlitzes erinnern Es wird heute wenig mehr von Louiſe von Holtei geſprochen und doch hat man nach ihr keine lieblichere Melitta kein idealeres Käthchen von Heilbronn geſehen

121

Von Denen, die damals mit mir trauernd an dieſem ſo viel Schönheit und Kunſt und Glück umſchließenden Sarge ſtanden, iſt heute wohl Niemand mehr übrig, als Karl von Holtei und ich

Zunächſt ſollte ihr Alexander Wolff nachfolgen ſchon nach zwei Jahren.

Faſt dreizehn Jahre lang hatte dieſer Liebling Goethe's und der Muſen in idealen Geſtalten an der Berliner Hofbühne geglänzt. Vergebens hatten Goethe, Karl Auguſt und der Erbgroßherzog Karl Friedrich ihn und ſeine Gattin an Weimar zu feſſeln geſucht nach Ablauf ihres Kontrakts waren beide Künſtler auf die vielverheißenden Anträge des Grafen Brühl 1815 ge¬ ſchieden, wenn auch mit ſchwerem Herzen von der Weimar'ſchen Bühne, » der Wiege, der Schule, dem Ehrenfelde unſeres Strebens «, wie es in einem Briefe Wolff's an Goethe heißt.

Doch hatte Wolff ſeit Jahren ſchon ein bedenkliches Halsleiden und faſt alljährlich beſuchte er mit ſeiner Gattin Pyrmont und Ems. Als er einſt von dort zu¬ rückkehrte und nach langer Pauſe mit mir in » Hermann und Dorothea « wieder auftrat mit welchem Jubel empfing ihn das Publikum! Man hoffte, daß er nun von ſeinem Halsleiden geheilt und der Kunſt wieder ge¬ wonnen ſei. Das Opernhaus faßte die Herbeiſtrömenden nicht, und der Beifall, die Begeiſterung war ſo groß, die Freude, das Künſtlerpaar wieder bewundern zu können, ſo ſichtbar, daß man einem Familienfeſte beizuwohnen wähnte.

122

Wie liebenswürdig war Wolff in feinen Konverſations¬ ſtücken, wie belebend wirkte ſein Humor in Luſtſpielen, und wie meiſterhaft in ernſten, edlen, dramatiſchen Auf¬ gaben! Nie ſpielte er, um größeren Beifall zu erringen, gegen ſeine Ueberzeugung; er ſtrebte unermüdlich nach Vollkommenheit und war gegen ſich ſelbſt am ſtrengſten.

Und dieſer wahre, gewiſſenhafte Künſtler mußte im beſten Mannesalter ſterben! Bei dem Abſchied vor der letzten Reiſe nach Ems war der Ausdruck ſeiner ſchönen geiſtvollen Augen ein unendlich wehmüthiger. Er ver¬ ſuchte lächelnd auf Wiederſehen zu ſagen, aber es klang hoffnungslos.

Wie freudig wurden wir aber überraſcht, als uns Mad. Wolff hoffnungsvolle Briefe aus Ems ſandte! Zwar ſehr entkräftet, aber doch ſelbſt voll neuen Muthes, trat er die Rückreiſe an. Sie nahmen ihren Weg über Weimar, und hier zwang ihn die plötzlich wieder aus¬ brechende unbarmherzige Krankheit zum Bleiben.

Wo der Stern am Kunſthimmel ihm aufgegangen war, iſt der Stern ſeines Lebens erloſchen. An einem Sommerabend trugen ihn ſeine alten Freunde auf den Friedhof hinaus, wo auch Karl Auguſt, Goethe, Schiller, Hummel und ſeine Kollegen aus Goethe's Schule: Oels, Vohs und Moltke, jetzt längſt ruhen.

Mad. Wolff ſprach gern von dem Entſchlafenen; ſie verſicherte, daß es ſie beruhige und ihre Sehnſucht mildere, wenn ſie ſo mit ganzer Seele der Vergangenheit gedächte und mittheilen könne, wie viel des Schönen und123 Guten ihnen Gott gewährt. Sie konnte nicht genug rühmen, wie ſanft und fromm ergeben ihr Gatte geweſen ſei, und wie dankbar für alle Sorge und Beweiſe der Liebe! Auch erzählte ſie, daß er plötzlich einige Minuten vor dem Todeskampfe ſich aufgerichtet und mit begeiſtertem Ausdruck und laut (er, der ſo lange ſchon verſtummt war) einige Worte aus » dem ſtandhaften Prinzen « von Calderon geſprochen. Das letzte Aufflammen der Lebens¬ kraft war der Erinnerung an ſeine edelſte Schöpfung geweiht, an ſeine liebſte Rolle, und nach dem Ausſpruch aller Kenner, ſeine beſte

» Wolff ſehnte ſich auf ſeinem Sterbebette immer, eine Blume in der fieberheißen Hand zu halten «, erzählte Mad. Wolff, » er labte ſich an ihrem Dufte. Einige Theeroſen hatten den Kranken ſehr erfreut, beſonders bewunderte er die Grazie der Knoſpen.

» Ich wachte allein bei ſeiner Leiche, küßte ſeine Stirn und Wangen, nahm ſeine erkaltete Hand und erblickte in ihr eine welke Roſenknoſpe.

» Da nahm ich die Knospe und ſtellte ſie in ein Glas Waſſer; traurig ſenkte ſie das Köpfchen,

» Ach, hätte ich weinen können! Nicht weinen zu können war meine größte Qual. Wie hätten Thränen mein Herz erleichtert!

» Endlich gegen Morgen ſchlummerte ich vor Ermattung ein wenig ein, und als ich wieder erwachte, erblickte ich in jenem Glaſe eine herrlich erblühte Roſe!

» Da war es mir, als ob ein Lächeln über das124 Antlitz des Verklärten ginge, das mir ſagen ſollte: » Dies mein Gruß aus dem Jenſeits. Beruhige Dich, Geliebte Du verſtehſt mich wir ſehen uns wieder «

» Da konnte ich weinen «

Und kaum nach vier Jahren in den erſten Tagen des Januar 1833 trugen die Berliner Freunde auf ihren Schultern den größten Mimen unſeres Jahr¬ hunderts hinaus zur letzten Ruhe unter dem kühlen Raſen des ſtillen, jetzt faſt vergeſſenen franzöſiſchen Kirchhofs vor dem Oranienburger Thore zu Berlin, wo auch Seydelmann liegt Ludwig Devrient!

Wie hatte Devrient danach gelechzt gerungen: ſein Ideal einer Künſtleraufgabe Shakeſpeare's » Richard den Dritten « in Berlin darſtellen zu dürfen Endlich! endlich kam dieſer heißerſehnte Abend aber faſt zu ſpät für den großen und doch in ſeinem Leben ſo wenig glücklichen Mann Noch nicht 48 Jahre alt, waren ſeine phyſiſchen Kräfte erſchöpft weil ihm die mora¬ liſche Lebenskraft gefehlt hatte. Nicht glücklich in ſeinen drei Ehen getrieben von einer fortwährenden inneren Unruhe, Unbefriedigtheit und Zerriſſenheit, ſuchte er mit ſeinem Freunde, dem geiſtreichen, wunderlichen Kammer¬ gerichtsrath E. T. A. Hoffmann, Vergeſſenheit in der Weinſtube von Lutter und Wegener oft zu oft zuletzt täglich Der Wein und andere ſcharfe Getränke zerrütteten ſeine empfindſamen, leicht erregten Nerven immer mehr Und als er den Richard mit dem Auf¬125 gebot ſeiner letzten Kraft ſpielte und ſo ſpielte, wie man dieſe gigantiſche Rolle weder vor ihm noch nachher in Berlin wieder ſah da fühlte er doch ſelber zu ſeinem tiefſten Schmerz, daß er ſein Ideal von dieſer Rolle nicht erreicht hatte nie mehr erreichen konnte Das brach ſeine Lebenskraft vollends und er ſank auf's Krankenlager hin Aber noch einmal flackerte die alte Kunſtliebe und Kunſtbegeiſterung in dem gebrochenen Körper auf ſo mächtig, daß ſie auch dem müden Leibe noch für eine kurze Friſt Kraft gab. Devrient wollte konnte wieder ſpielen. Am 1. Dezember 1832 ſchleppte er ſich auf die Bühne und ſpielte den » Schewa «, eine ſeiner Lieblingsrollen, wie nur Ludwig Devrient ihn ſpielte Wer einmal die zornigen, ſchrillen Fiſtel¬ töne Schewa's von Devrient gehört hat bei ihnen zuſammengeſchauert iſt der wird mir Recht geben. Athemlos mit wehmüthigem, ernſten Schweigen folgte das volle Haus der erſchütternden Leiſtung Der Vorhang fiel, und Ludwig Devrient, der Wiedererſtandene, wurde ſtürmiſch gerufen Er wankte vor und dankte mit zitternder Stimme und erloſchenen Augen für dieſe beglückende Theilnahme und ſprach von ſeiner Freude, wieder vor ſeinen Gönnern auf der Bühne zu ſtehen und von der Hoffnung auf ein neues, friſches Leben und Blühen und Wachſen ſeiner Kunſt Aber er glaubte ſelber nicht an dieſe Worte an dieſe ſchöne Zukunft Mühſam ſchleppte er ſich in die Couliſſen zurück da brach er zuſammen und die Thränen ſtürzten ihm aus126 den Augen und das troſtloſe Wort bebte von ſeinen erbleichenden Lippen: » Es iſt mit mir vorbei für immer Alles! «

Und es war vorbei!

Am 30. December 1832 in nachtdunkler Morgen¬ ſtunde weinte die Muſe an der Leiche ihres edelſten Prieſters

Doch wer den Beſten ſeiner Zeit genug gethan,
Der hat gelebt für alle Zeiten

Doch meine Erinnerungen fliegen voraus

Aber mein Herz trieb mich, an dieſen wenigen leuchtenden Künſtlerbildern aus der alten, verſchollenen Zeit zu zeigen, wie beglückt ich war und ſein mußte: mit ſolchen edlen, begeiſterten Künſtlern ſpielen und von ihnen lernen zu dürfen!

Bald ſollte ich auch die volle Bedeutung der ſo oft gehörten Worte: » Alte Schule Traditionen Iffland's Pietät des Intendanten Grafen Brühl, im Iffland'ſchen Sinne dem Inſtitut vorzuſtehen, « verſtehen und würdigen lernen.

In Karlsruhe hatte ich auch Ordnung, Fleiß, esprit de corps wahrgenommen, aber bei weitem nicht in dem Maß, wie bei der königlichen Bühne. So vieler Be¬ ſcheidenheit bei eminentem Talent, liebenswürdigſter Bereitwilligkeit, dem Ganzen zu lieb die kleinſten Rollen127 zu übernehmen, begeiſtertem Streben, unermüdlichſtem Fleiß der berühmteſten Mimen, einem ſo harmlos heiteren, freundlichen Verkehr mit den Kollegen, und dabei anſpruchsloſen Benehmen der Gefeiertſten den jungen Anfängern gegenüber, bin ich in den 25 Jahren meines Bühnenlebens nie wieder begegnet.

Wohl haben ſpäter einzelne hervorragende gigantiſche Genies, leuchtende Perſönlichkeiten mit vollendeter Künſtler¬ ſchaft noch glänzendere Triumphe errungen, Ehrenbe¬ zeugungen jeder Art, reicherer Gewinn belohnte ihre Leiſtungen aber mit ſo ebenbürtigen, gleichgeſinnten, gleichberechtigten Künſtlern zu wirken dies hohe Glück blieb ihnen verſchloſſen.

Wenn ich ſpäter von den Anſprüchen und goldenen und lorbernen Erfolgen der Nachahmer Ludwig Devrient's hörte, mußte ich ſtets mit Rührung des unübertroffenen und doch ſo beſcheidenen Künſtlers gedenken Ludwig Devrient hatte eine Gage von 2500 Thalern, und die brillanteſte Kunſtreiſe brachte damals nur 400 höchſtens 600 Thaler ein. Ueberdies waren die Koſten dieſer Reiſen da man ſtets mit eigenem Wagen oder Extra¬ poſt reiſen mußte ſo bedeutend, daß oft die ganze Einnahme auf die Reiſe verwendet werden mußte Und heute?

Devrient iſt auch ſein Leben lang die Schulden nicht los geworden. Im Jahre 1809, als er noch in Leipzig engagirt war, hatte er 900 Thaler Schulden und wußte ſich vor ſeinen Gläubigern nicht anders zu retten, als128 durch Flucht nach Breslau. Dort begründete er ſeinen Ruf als Charakterſpieler.

Und bei nach heutigen Begriffen ſo geringem goldenen Lohn hatte die Berliner Hofbühne Muſtervor¬ ſtellungen im edelſten Sinne des Worts aufzu¬ weiſen, wie keine andere Bühne Deutſchlands. Die entzückten das dankbare und gebildete, nach höchſtem Maßſtabe richtende Publikum von Iffland's Direktion an bis zum Scheiden des Grafen Brühl und bis zum Tode Ludwig Devrient's.

Die ſpäter ſo mühſam veranſtalteten Muſtervor¬ ſtellungen auf der Münchener Bühne waren vorüber¬ gehend; ſie fanden nur 1833 und 1854 ſtatt ohne Blüte ohne Frucht.

Solche Erfolge in Berlin waren aber auch nur zu erreichen durch das einträchtige, ſelbſtloſe, begeiſterte Ringen Aller nach Einem Ziele. Die jüngeren, ſelbſt die beliebteſten Mitglieder ſtellten nie die Bitte: von kleinen effektloſen Rollen dispenſirt zu werden. Und wenn nur ein Zug von Ueberſchätzung ſich zu erkennen gab, hieß es gleich: hat man Ihnen nicht erzählt, wie Iffland und Friederike Bethmann Anmaßende zurechtgewieſen haben?! Hören Sie:

» Während des Probirens vom Krönungszuge in der Jungfrau von Orleans hatte ſich ein Anfänger für zu gut gehalten, zu zeigen, wie er das Kiſſen mit der Krone tragen werde, und ſchlenderte nachläſſigen Schrittes über die Bühne. Iffland unterbrach den Krönungszug, nahm129 dem Pretentiöſen das Kiſſen ab und ging ernſt, würde¬ voll es tragend gemeſſenen Schrittes vor ihm her Dann forderte er den jungen Ueberklug auf, das Kiſſen ebenſo zu tragen. Nach mehrmaligem Probiren ſagte Iffland laut: » Nun können Sie es wagen! Auf Ihre Manier wären Sie heute Abend ausgepfiffen worden! «

Der ſo Belehrte Beſchämte wurde beſcheiden und ein nützliches Mitglied der Berliner Hofbühne.

Eine junge, beliebte Sängerin wollte in einem Sing¬ ſpiel die zweite Partie nicht übernehmen. Da erbot ſich Friederike Bethmann: neben ihr die kleinere Rolle zu ſpielen und der jungen Dame die glänzende erſte zu überlaſſen Das half! Beſchämt geſtand die Anfängerin ihr Unrecht ein. So wurde ſie mit der Zeit eine ernſt ſtrebende liebenswürdige erſte Sängerin «

Von der wahrhaft rührenden Beſcheidenheit be¬ währter und gefeiertſter Künſtler zu meiner Zeit nur einige Beiſpiele: Muſikdirektor Karl Blum bat den be¬ rühmten Tenoriſten Bader, doch ihm zu Gefallen den Guſtav in ſeiner Operette » Die Nachtwandlerin « zu ſingen. Da es zugleich eine Spielrolle und Stümer damals noch zweiter Tenor nicht im Stande ſei, trotz des beſten Willens in Proſa zu ſprechen und ſich in elegant moderner Kleidung graziös zu bewegen, ſo ſei er in größter Verlegenheit.

Guſtav war Numero drei in der Operette, denn die Nachtwandlerin und Heinrich Blum als Rudolph hatten die dankbarſten Aufgaben.

Erinnerungen ꝛc. 9130

Und der gefeiertſte Sänger Deutſchlands, der ideale Licinius, bewunderte Cortez ſang den Guſtav, ſpielte entzückend, ſprach anmuthig, mit Gefühl und Dank ſeinem Mitwirken erregte die beſcheidene Operette Enthu¬ ſiasmus, blieb auf dem Repertoir und wurde ſtets vor beſetztem Hauſe gegeben.

Der ſpäter ſo berühmt gewordene Eduard Devrient (bis vor kurzem Intendant in Karlsruhe), damals Baſſiſt und nur in großen Opern beſchäftigt, übernahm bereit¬ willig die kleine Partie des Bedienten Guſtav's und ſpielte und ſang allerliebſt.

Das Hübſcheſte dabei war, daß Bader vor ſeinem Auftreten als Guſtav ſeine Befangenheit eingeſtand da er ſo gar nicht gewöhnt ſei, als ſüß girrender Lieb¬ haber zu ſprechen, mit halber Stimme zu ſingen, und da er ſich in dem modernen Koſtüme unbehaglich fühle Aber wie bezaubernd klang ſeine Stimme in dem leiſe vorge¬ tragenen Duette während der Nachwandlerſcene ſo ſüß verklingend faſt überirdiſch.

Ueberhaupt war Bader das Muſter eines edlen, guten Künſtlers, mit voller Glut ſich ſeinem Beruf widmend. In Spohr's » Jeſſonda « ſang er am liebſten. Nach dem Duette mit Mad. Seidler: » Laß uns dahin zieh'n « hatte er in der Probe Thränen in den Augen plötzlich brach er in die Worte aus: » Welche himmliſche Muſik, o großer Meiſter Spohr, wie ſoll ich Dir genug danken für den Genuß und die Gnade, deine Töne dem Publikum über¬131 mitteln zu dürfen! « Und das Orcheſter applaudirte jubelnd dieſen Worten.

Ludwig Devrient verſchmähte es nicht, in dem Vaudeville » Die Hottentottin « die kleine Rolle des Onkels zu übernehmen, der eigentlich nur eine Scene zu ſpielen hat. Aber er wirkte ſo belebend, erheiternd durch ſeinen köſtlichen Humor, daß die Hottentottin unzählige Male wiederholt werden mußte in Potsdam, Charlottenburg, ſogar in Sansſouci in dem von Friedrich dem Großen erbauten eleganten Miniaturtheater, dem bijou einer Bühne.

Rebenſtein, der prächtige Wetter von Strahl, der poetiſche Don Carlos, ſpielte in demſelben Vaudeville den Neffen, eine winzige Rolle. Ich als » Hottentottin « mußte ſingen und ein Solo tanzen.

Die Achtung, das Wohlwollen der Kollegen galt damals als Hauptſache! Nichts vermochte ſo zu ermuntern, wie deren Lob.

Aber dem großen Ganzen zu Liebe übernahmen wir Jüngeren unter Umſtänden auch wohl Aufgaben, die faſt über unſere Kräfte gingen.

Die Oper » Joconde « ſollte in Sansſouci aufgeführt werden mit Henriette Sontag als Gaſt. Der König hatte hohe Gäſte und ſelber dieſe Vorſtellung gewünſcht. Da wird die Sängerin krank, welche die Partie der Mathilde einſtudirt hatte. Keine Stellvertreterin war zu finden! Denn den erſten Sängerinnen Seidler und Schulz war doch der Antrag nicht zu ſtellen, neben der Sontag als Folie zu figuriren.

9 *132

Karl Blum kam zu mir in fliegender Haſt, im Auftrag des Kapellmeiſters und Intendanten. » Sie müſſen uns aus der Noth helfen! Singen Sie die Mathilde! Die hohen Herrſchaften freuen ſich, die Sontag und Bader in Joconde zu hören. Sie ſind muſikaliſch, es geht gewiß. Wir wollen gleich beginnen « und Blum öffnete den Flügel, drückte mir die Noten in die Hand und ſchlug das Accompagnement an.

» Ich mit der Sontag vor dem Hofe ſingen? « rief ich außer mir. » Mir ſchwinden ſchon bei dem Ge¬ danken die Sinne und dazu noch über Hals und Kopf einſtudiren? Fiasko machen ſtecken bleiben? lieber ſterben «

Aber Blum bat ſo beharrlich, verſuchte mich mit der Verſicherung zu beruhigen, dem König würde ge¬ meldet werden, ich hätte nur aus Gefälligkeit gewagt, neben der Sontag zu ſingen in Berlin würde ja Joconde nicht wiederholt und dazwiſchen ſpielte er immer Bruchſtücke der ſüßen, lockenden Melodieen, die Mathilde zu ſingen hatte Ich war überwunden und ſtudirte auf Tod und Leben die Rolle ein. Die Proben gingen gut; aber während der Hauptprobe in Sans¬ ſouci ſtand ich doch zitternd und angſtbeklommen da, denn der König wohnte mit Suite der Probe bei, dicht hinter dem Orcheſter.

Nach dem erſten Trio und Aktſchluß ſtand plötzlich Friedrich Wilhelm der Gute vor mir auf der Bühne und ſagte ſo recht mild, väterlich: » Sich nicht ängſtigen133 vernommen nur aus Gefälligkeit ſingen, recht ſchön lobenswerth wird gut gehen danke! danke! « Dabei nickte der leutſelige König freundlichſt und war verſchwunden. Das gab mir neuen Muth. Ich athmete auf, ſang und ſpielte tapfer weiter und blamirte mich nicht. Andern Tages erhielt ich vom Geheimen Kämmerer Timm im Auftrage des Königs köſtliche Potsdamer Trauben und einen reizenden Pariſer Hut. Das Geſchenk, das einzige, das ich vom Preußiſchen Hofe erhalten habe, beglückte mich wegen des beigefügten Billets: » Die Mathilde möge ſich gerne des gebrachten Opfers erinnern «

Ueberhaupt die Fahrten nach Potsdam! Wie liebten wir Alle dieſe heiteren Kunſtreiſen en mininiature im altmodiſchen Theater-Wagen, langſam von alten Pferden gezogen denn wie angenehm verplauderten ſich die vier Stunden mit Kolleginnen wie: Mad. Wolff, Stich, Schröckh, Eunike, Komitſch, Unzelmann und den Kollegen Ludwig Devrient, Alexander Wolff, Beſchort, Lemm, Krüger, Rebenſtein Nicht nur, daß die Geſpräche belehrten ſie wirkten auch wohlthätig auf das Gemüth; man lernte ſich beſſer kennen, ſchätzen und vertrauen. Es wurden Erlebniſſe mitgetheilt, das Wohl und Wehe der Angehörigen beſprochen und oft ganz merkwürdige Beichten abgelegt. Dabei kamen ſo liebenswerthe, vertrauenerweckende Eigenſchaften zu Tage, daß man ſich nicht fremd zu bleiben vermochte. Oft war es mir in unſerem großen grünen oder rothen134 Rumpelkaſten, als ſäße hier eine Familie traulich bei¬ ſammen.

Dieſes gegenſeitige Verſtehen und Vertrauen hat ſicher viel zu der damaligen herrlichen harmoniſchen Kunſtepoche beigetragen.

Als Feſte anderer Art, höchſt reizend und beneidens¬ werth, galten uns die Vorſtellungen in dem Palais des Königs, wo kleine Luſtſpiele, Geſang, Ballet mit lebenden Bildern abwechſelten.

Auf einem winzigen, proviſoriſch errichteten Theater, im größten Saal des Palais, wurden die Proben abge¬ halten, heiter und zwanglos, oft übermüthig. Da wurden Gruppen lebender Bilder geſtellt, während be¬ gleitender Geſang aus den Couliſſen ertönte. Dann wanderte wieder das fliegende Orcheſter in den Saal hinab, um Henriette Sontag und Mad. Seidler zu accom¬ pagniren, von Muſikdirektor Möſer dirigirt. Die Tänzerinnen figurirten in graziöſen Pas, und am Schluß der Probe ſetzte man ſich an reich ſervirte Tiſche zum Déjeûner à la fourchette zu Gaſt bei Sr. Majeſtät.

Der leutſelige Monarch wohnte manches Mal ein Stündchen den Proben bei und befahl, wenn Alle ſich ehrerbietig verbeugten und verſtummten, ungenirt fort¬ zufahren, mit Intereſſe das Treiben des Künſtlervölk¬ chens betrachend. Nicht ſelten richtete der König gütige Worte an die Mitwirkenden. Er konnte auch wohl herzlich lachen, z. B. als Meiſter Gropius das lebende135 Bild » Die neun Muſen « ſtellen wollte und auf der beſchränkten Breite der Bühne ſeine auserwählten Damen nicht zu placiren vermochte trotz des kameradſchaftlichſten Zuſammenrückens Da lachte der » Muſen verträglich ſein müſſen! « und endlich ſtanden wir auch in ſchönſter Harmonie als klaſſiſche Gruppe.

Zwei ſolcher Vorſtellungen von lebenden Bildern im königlichen Palais werden mir aber unvergeßlich bleiben wegen der dabei ausgeſtandenen Angſt.

Hofrath Esperſtedt brachte nur eines Tags mit wichtiger Miene die Nachricht, ich ſei berufen, im Palais in lebenden Bildern mitzuwirken und zwar als Klärchen mit Egmont-Rebenſtein nach dem bekannten Bilde, als » Philoſophie « nach Rafaels Wandgemälde im Vatican und

» Ich als Philoſophie, Herr Hofrath? Ich mit meinem vollen runden lebensfrohen Geſichte und meinem unſterblichen Kindskopf als ehrſame geſtrenge Weisheits¬ göttin? das iſt zu komiſch « Und ich ließ meiner leicht durchgehenden Heiterkeit die Zügel ſchießen

» Nun, man ſieht bei Ihrer Philoſophie ja nur das Profil und Ihre Naſe iſt «

» Echt philoſophiſch? Wie ſtolz mich das macht, Herr Hofrath. Wenn die Mutter mich einen Kindskopf ſchilt flugs halte ich ihr meine philoſophiſche Naſe en profil hin und ſie wird von meiner Weisheit über¬ zeugt ſein. Und als Klärchen? «

» Natürlich auch en profil «

136

Da war's mit meiner Ernſthaftigkeit vollends vor¬ bei. » Alſo Klärchen hat auch eine philoſophiſche Naſe gehabt? Armer Egmont! Und wann, Herr Hofrath, kommt mein armes Geſicht en face zu Ehren? «

» Als Fiſchermädchen in der Verlobung auf Helgo¬ land « polterte Esperſtedt und rannte bei dem neuen Ausbruch meiner Heiterkeit bitterböſe davon, aller Welt erzählend, ſolch ein übermüthiger Kindskopf ſei ihm noch nicht vorgekommen und ich paſſe für die Philoſophie, wie ſeine Naſe für den Egmont. Ich habe auch wirklich nie eine furchtbarere Habichtsnaſe geſehen.

Die Proben gingen ganz heiter und gelungen vor¬ über. Aber » die Seufzer und die Thränen, die kommen hinten nach! « ſagt Heine. Und Hofrath Esperſtedt ſollte am Abend der Vorſtellungen grauſam gerächt werden. Mir war als » Klärchen « und als » Philoſophie « nichts weniger als lachluſtig zu Muth.

Der Vorhang geht auf

Egmont-Rebenſtein thront wunderſchön im dunklen Sammetwamſe mit weißen Atlaspuffen auf hohem alter¬ thümlich geſchnitzten, ſtraffgepolſterten Lederſtuhle Klärchen, im altdeutſchen Gewande, weiß und him¬ melblau, kniet vor dem geliebten Manne, die Ellbogen auf ſeine Kniee geſtützt und ſchaut ſchwärmeriſch zu ihm auf Hinter den Couliſſen klingt's leiſe weh¬ müthig: » Freudvoll und leidvoll « und dann wie im Herzensjubel: » Glücklich allein iſt die Seele, die liebt! «

137

Ein Ah! der Bewunderung geht durch die Reihen bei hohen Zuſchauer Prinzeſſin Karl ſagte mir ſpäterhin: dies Bild habe am meiſten gefallen.

Aber plötzlich höre ich meinen Egmont angſtvoll durch die Zähne ziſcheln: Ich rutſche der verdammte Stuhl mit dem glatten, ſtraffen Leder

Ich halb todt vor Schreck, ohne jedoch mit den ſchwärmeriſchen Augen zu zucken, hauche zurück: » Um Gottes willen, rutſchen Sie nicht! Ich ſtütze Sie! « Und krampfhaft ſtemme ich meine Ellbogen gegen die Kniee Rebenſteins Bleiſchwer gleiten die Secunden an uns vorüber. Will denn der Vorhang in Ewigkeit nicht fallen? Ich fühle meine Kräfte erlahmen. Auf Egmonts Stirn perlen Angſttropfen und ſchon rinnt ſolch ein großer blanker Tropfen langſam die Naſe herab jetzt zittert er an Egmonts Naſenſpitze Wird er fallen? Und wohin? O Ihr Götter, Egmont rutſcht ſacht weiter Wie das Leder knarrt Und meine Arme ſind wie erſtorben Jetzt fällt auch der große Schweißtropfen von der Naſenſpitze Wie er an meinen Augen vor¬ über niederflirrt! Und es flirren die Bühne die Lichter Alles! Alles! um mich her vor meinen Augen Nein, ich kann nicht länger ſchmachtend zu Egmont aufblicken Und ſtände Todesſtrafe darauf, ich muß mit den Augen zucken doch! das Schurr! Schurr! über mir giebt mir neue Lebenskraft Gott ſei Dank, der Vorhang fällt Aber, ſo entſetzlich langſam und träge, wie noch nie Endlich hat er den138 Boden erreicht ich darf halb ohnmächtig die Augen ſchließen, die Arme niederfallen laſſen und den Kopf an den Stuhl lehnen und Egmont darf rutſchen rutſchen .. Welch eine Seligkeit in dieſem » dürfen! «

Rebenſtein nannte mich ſpäter gern ſeine freundlichſte und tapferſte Stütze.

Und dennoch ſollte ich als » Philoſophie « noch größere Angſt ausſtehen. Hofrath Esperſtedt ſagte mir ſpäterhin: » Als gerechte Strafe dafür, daß Sie die Ehre ſo wenig zu ſchätzen wiſſen, eine philoſophiſche Naſe zu haben und mit ihr in Rafaels herrlichem Wandgemälde figuriren zu dürfen. O, wenn ich ſolche Naſe hätte ich gäbe mit Hochgenuß zehn von meiner Sorte dafür hin «

Das berühmte Bild war mit echt künſtleriſchem Geſchmack und großer Pracht arrangirt. Eine goldene Wand nahm die ganze Bühne ein. In dieſer Wand be¬ fanden ſich vier medaillonförmige Ausſchnitte für die lebenden Bilder, zwei hoch oben und zwei unten. Mlle. Kleiſt, eine ſchöne Tänzerin, und ich ſollten in der Belle-Etage » Muſik und Philoſophie ſitzen, « während Mad. Unzelmann, als Göttin der Gerechtigkeit, mit der duftigen Poeſie glücklich Parterre wohnten. Ja, wie haben wir Hochgeſtellten, Himmliſchen an jenem Abende das ſolide Parterre beneidet!

Hinter den Himmelsfenſtern des oberen Stockwerkes waren winzige Sitze angebracht, lange ſchmale Treppen führten hinauf. Fröhlich ſtieg die Philoſophie hinan und ſetzte ſich auf ihr Präſentirtellerchen. Meiſter Gropius139 ſtieg mir nach und ſchob mir ein großes goldenes Buch unter den Arm, rückte meine philoſophiſche Naſe in's reinſte Profil und ſtellte auf meine Stirn, da wo die Locken begannen, ein ausgewachſenes diamantenfun¬ kelndes Entenei! Das war der Stein der Weiſen, aber leider nicht das Ei des Columbus, denn es wackelte trotz der dünnen Drähte, die von meinem griechiſchen Haar¬ knoten ausgingen und das Ei feſthalten ſollten, bei der leiſeſten Bewegung bedenklich hin und her. Und ich hatte keine Stütze für meine Arme, keine Lehne für den Rücken. Ich kam mir auf meinem luftigen Sitzlein vor, wie der Vogel auf dem höchſten Blatt eines Baumwipfels. Das hatte mir in den Proben und auch jetzt anfangs noch, vor dem Aufrollen des Vorhanges, gar wohl gefallen. Aber, wie viel Meiſter Gropius heute Abend an den Falten meines himmelblauen, goldgeſternten griechiſchen Gewandes, an meinen Locken, meiner Naſe und vor allen Dingen an dem unglückſeligen Stein der Weiſen auf meiner Stirn zu arrangiren hatte! Ueberdies ſaß ich in einem Sternenkranze von blinkenden Lampen, die ihr volles Licht ſtrahlend, glühend auf mein armes Perſönchen concentrirten. Mir flirrte es ſchon vor den Augen, noch ehe der Vorhang aufging und dann, als auch die Kron¬ leuchter aus dem Saale ihre Kreuzlichter auf die Bühne ſtreuten und ich ſo viele kritiſche Augen auf mich gerichtet ſah als mir der Qualm der Lampen betäubend, widerlich in meine philoſophiſche Naſe ſtieg und mir über¬ dies noch ein ſchadenfroher Kobold den hölliſchen Gedanken140 einblies: Wenn Du in dieſem Augenblick nieſen müßteſt ! da fing die ganze bretterne Welt an, ſich um mich zu drehen die Lampen huſchten wie wahnſinnige Stern¬ ſchnuppen durch einander der Stein der Weiſen auf meiner Stirn ſchwoll zum Chimboraſſo auf und wackelte, wie der Narr im Rochus Pumpernickel auf ſeiner Tonne und ich hörte ſogar des Narren ſchneidende Stimme: » Rührt mich nicht an, ich bin von Glas oder ich falle auf die Naſe der Philoſophie nieder und in Scherben zerbricht der ganze Plunder « Und dann, wie im tiefen Traume war's mir, als riefe eine andere leiſe ängſtliche Stimme: » Geſchwind den Vorhang nieder die Philo¬ ſophie wird ohnmächtig! Weiter hörte, ſah ich nichts! Ich kam erſt wieder zum Bewußtſein unten auf der Bühne. Gropius war die Treppe zu mir hinaufgeſprungen und hatte mich nach dem Fallen des Vorhanges in ſeinen Armen aufgefangen und hinabgetragen. Auch die » Muſik « ſagte mir kläglich, daß ſie keine Secunde länger hätte ſtillſitzen können, ohne von Schwindel ergriffen zu wer¬ den. Wir beide beſtanden darauf, daß bei den üblichen Wiederholungen der Bilder im Schauſpielhauſe unſere luftigen Sitze kleine Rückenlehnen erhielten.

Wenn nach der Vorſtellung im Palais und dem Souper, das auch für die mitwirkenden Künſtler in einem Nebenſaale ſplendid ſervirt wurde, die hohen Herrſchaften tanzten, ſah es der König gern, daß die beſchäftigt geweſenen Damen vom Theater dem glänzenden Feſte zuſchauten. Da munterte der König freundlich141 auf, näher heranzutreten, und er liebte es, wenn ſeine Gäſte mit uns ſprachen.

Nach dem Rafaelſchen Tableau, deſſen Störung Dank dem ſchnell niederrollenden Vorhange! nur wenige Zuſchauer bemerkt hatten, trat der König während des Balles auf mich zu und ſagte leutſelig: Philoſophie Angſt ausgeſtanden noch blaß ausſehn nächſtes Mal vorſichtiger ſein immer hübſch an's Wort Philo¬ ſophie denken, beherzigen «

» Aber ich weiß ja gar nicht genau, Majeſtät, was Philoſophie heißt! «

» Aus dem Griechiſchen, Kind Weisheit lieben! «

» Darum hat ſich die Philoſophie auch ſo grauſam an mir gerächt, Majeſtät, denn ich habe die Weisheit bis jetzt ſo wenig geliebt! «

Da lachte der König herzlich: » Wird ſchon kommen, noch jung ſein noch Zeit haben! «

Am andern Morgen ſandte mir der Geheimkämmerer Timm ein reizendes Körbchen Potsdamer Trauben mit einem Zettelchen: » Der Göttin Philoſophie für die Erdenangſt! «

Und wie verehrten wir Mitglieder der königlichen Bühne auch Alle Alle dieſen leutſeligen, väterlich wohlwollenden Monarchen aus vollen, dankbaren Herzen, ihn, der uns durch ſein zartes achtungsvolles Benehmen ſtets zeigte: daß er über den Künſtler nicht den Menſchen vergaß der ſtets ſo großmüthig und gerecht gegen uns war! Friedrich Wilhelm der Gerechte ſtand nicht142 zu hoch nicht zu fern da, wenn es galt, die Künſtler ſeiner Hofbühne gegen Launen und Mißgunſt des Publikums und der Recenſenten ja, ſogar gegen die Willkür der Vorgeſetzten zu ſchützen! Der König nahm Henriette Sontag nicht nur gegen Rellſtab's Angriffe, ſondern auf ihre Beſchwerde auch gegen Saphir's Spott und beißende Satyre in ſeiner » Tagespoſt « in Schutz. » Kunſtkritik erlaubt perſönliche Verhältniſſe aus dem Spiel laſſen! « diktirte er dem käuflichen Witzling. Friedrich Wilhelm der Gute hatte ſtets ein offenes Herz, eine offene Hand, wo es hieß, einen durch Krankheit oder anderes unverſchuldetes Unglück hartbedrängten Künſtler zu unterſtützen! So machte ſeine Großmuth allein es dem armen Pius Alexander Wolff möglich, alljährlich die für ſein Halsleiden ſo nöthigen, koſtſpieligen Bade¬ reiſen zu unternehmen.

Als Henriette Sontag zum erſten Mal bei einem Feſt im Palais geſungen und durch die Variationen von Rode entzückt hatte, ſtand ſie während des Tanzes im Seitenſaale neben mir, ihre Bemerkungen mir zu¬ flüſternd. Wie eine Sylphide, ſo lieblich und ſchön ſah ſie im weißen Seidenkleide und dem blauen Aſternkranze um die Locken aus. Wer ihr damals geſagt hätte: » 1844 wirſt Du als Geſandtin in dieſen Räumen glänzen und nach faſt einem halben Jahrhundert wird Deine Nachbarin von Dir der Unvergeßlichen erzählen! «

So ſehr es mich Anfangs betrübte, von Henriette Sontag verdunkelt zu werden, ſo aufrichtig erfreute ich143 mich ihrer Triumphe, nachdem ſie durch ihr anſpruchs¬ loſes, herziges Weſen mich erobert hatte. Jede Eifer¬ ſucht war verbannt; wir bewegten uns in denſelben Kreiſen, tanzten auf denſelben Bällen und verlebten beſonders unvergeßlich ſchöne Stunden in dem heiteren, gaſtlichen Hauſe des Juſtizraths Ludolf im Thier¬ garten. Dort wohnte die Sontag während eines Som¬ mers und nahm fürlieb mit einem kleinen Gaſtſtübchen, denn ſie fühlte ſich heimiſch bei der liebenswürdigen Hausfrau.

Da wurden Landpartien arrangirt, große Spazier¬ gänge unternommen, getanzt, Charaden aufgeführt, lebende Bilder dargeſtellt, und die Sontag war die Unternehmendſte und Muthwilligſte von Allen. Sie ritt tollkühn und lief ſogar auf hohen Stelzen im Garten herum, nicht wenig ſtolz auf die erlangte Fertigkeit.

Meine Mutter ſagte einmal: » Aber, liebes Fräu¬ lein, wenn Sie nun ausgleiten und ſich wehe thun? « » Bewahre, Frau Rittmeiſterin! « rief ſie hell lachend, und ſtand einige Sekunden auf einem Stelzfuß, ſich an unſerem Staunen wie ein Kind ergötzend. Eines milden Abends ſaßen wir vor dem Hauſe traulich plaudernd, da verſchwand Henriette unbemerkt, und nach kurzer Zeit öffnete ſich das Fenſter über uns, und die Arie aus dem » Barbier von Sevilla « tönte flöten¬ gleich in den Garten hinaus Plötzlich unterbrach ſie ſich und Mad. Stich täuſchend nachahmend, deklamirte ſie mit ſüßeſter Stimme: » O Romeo, warum denn,144 Romeo ꝛc., und für den Namen, der Dein Selbſt nicht iſt, nimm Meines ganz «.

Ich fiel ſogleich ein: » Ich nehme Dich beim Wort, Geliebte « (Wolff nachſprechend) und ſo ſpielten wir die Szene im Thiergarten, als wölbte ſich Italiens Himmel über uns.

Das war der Sontag harmlos heiterſte Zeit, wie ſie ſpäter oft verſicherte, und unvergeßlich blieb ihr wie mir ein Chriſtabend in Ludolf's traulichem Hauſe.

Es wurde am Weihnachtsabende uns und einigen Stammgäſten Chriſtkindchen beſchert. Unter Blumen hatte man kleine Geſchenke verſteckt, und unter Lachen und Scherzen wurden dieſelben geſucht und gefunden. Als gegenſeitig die niedlichen Sachen bewundert wurden, ertönte aus dem Nebenſaale: » Kommt a Vögli gefloge, ſetzt ſi nieder auf mei Fuß! « » Ach, die Tyroler, « riefen wir freudigſt überraſcht aus, und lauſchten dem herzigen Geſange.

Der freundliche Wirth hatte die Alpenſänger kommen laſſen, was nicht leicht zu bewerkſtelligen war, denn die angeſehenſten Familien Berlins wünſchten ihren Gäſten die Tyroler zu produziren, welche im Opernhauſe mit den einfachen Liedern gefallen hatten. Es waren vier Männer und eine Frau; ſie trugen Volkslieder mit wahren Prachtſtimmen vor. Nachdem ſie: » Steh nur auf, ſteh nur auf, ſchöner Schweizerbu '« geſungen, nahm die Sontag die Tyrolerin an's Klavier, denn ſie wollte hören, bis zu welcher ſchwindelnden Höhe die Stimme145 derſelben reichte. Sie probirten, indem die Sontag Ton für Ton auf dem Klavier antippte und mitſang aber bald rief ſie lachend: » Ich komme nicht nach! « Dann gab ſie den Bitten der Tyroler nach, ſetzte ſich an's Klavier, auch etwas zu ſingen. Sie wählte Mo¬ zart's göttliches: » Ihr, die ihr Triebe des Herzens kennt «. Wir dankten entzückt. Die Tyroler ſagten mit größter Ruhe, dabei mit den Köpfen nickend, in ihrem Dialekt: » Du ſingſcht recht artig! « Schallendes Gelächter antwortete auf dies Lob, und Henriette ſchien es ſehr zu amüſiren, artig ſingen zu können.

Dann mußten die Tyroler uns ihren Ländler zeigen, den wirklichen einfachen Ländler. Der Aelteſte tanzte ihn mit ſeiner Frau, die drei Andern ſangen die Tanzmelodie dazu; es währte nicht lange, ſo drehten wir uns ſämmtlich nach der geſungenen Ländlermelodie. Juſtizrath Ludolf wollte ſeinem Abgott noch einen Triumph bereiten und forderte einen Tyroler auf, zu ſagen, welche von uns Damen den ſchönſten Fuß beſäße.

Wir widerſetzten uns dem Scherz nicht, um dem liebenswürdigen Wirth nicht die Freude zu verderben, ſondern ſtellten uns in einen Kreis um unſern Richter, jede die Fußſpitze zeigend, Henriette ihr Cendrillonfüßchen äußerſt graziös neben meinen ſtellend.

Der Tyroler faßte aber ſeine Aufgabe ſehr gravi¬ tätiſch auf, betrachtete mit größter Ruhe aufmerkſam Damen und Fußſpitzen, und, o Entſetzen! ertheilte meinem, Fuße den Preis.

Erinnerungen ꝛc. 10146

Juſtizrath Ludolf rief verlegen: » Herr Tyroler, Sie haben ſich wohl geirrt! Hier, hier « (auf die Sontag deutend) » iſt die Dame mit dem kleinſten Fuß! «

Der Herr Tyroler ließ ſich aber nicht beirren und entgegnete mit vollkommenem Gleichmuth: » Ja, de do iſcht de Klaanſchte und hat de klaanſchte Fuß! De do aber « (auf mich zeigend) » iſcht groß und hat doch e klaane Fuß! Alſo hat de do den Priß! «

Den Jubel zu beſchreiben, der nach dieſem ſalomoni¬ ſchen Urtheil erfolgte, iſt kaum möglich; nur der Juſtiz¬ rath und ich ſtimmten nicht ein, wir waren beide con¬ ſternirt, was der Sontag Fröhlichkeit zu erhöhen ſchien, denn unter Lachen wiederholte ſie öfters: » Ich nehme es ja nicht übel, liebes Fräulein, ha, ha, ha! ich bin de Klaanſchte, und der arme Juſtizrath kommt nicht zu ſich über: de do! «

Beim Gutenachtſagen verſicherte die Sontag: » So vergnügt war ich noch nie! « Zugleich lud ſie die Tyroler auf den andern Morgen zu ſich in ihre Wohnung in der Königſtadt, dem Theater gegenüber, wo ſie mit ihrer wenig liebenswürdigen Mutter und der anmuthigen Schweſter, aber beſcheidenen Sängerin Nina während ihres Engagements bei der Königſtädter Bühne wohnte, und gab den fröhlichen Naturſängern ein ſplendides Frühſtück.

Aber ſchon damals machte ſich bei der liebens¬ würdigen Sängerin eine Leidenſchaft bemerkbar, die ihr ſpäterhin ſo viele, viele bittere ſorgenvolle Stunden147 bereiten ſollte ja, die vielleicht mit die Veranlaſſung war, daß die Frau Gräfin Roſſi Excellenz wieder für Geld ſingen mußte die Leidenſchaft für das Spiel! Während der belebteſten Geſellſchaft des rauſchendſten Tanzes konnte ſie ſich mit dem galanten ruſſiſchen Geſandten Alopeus in einem Nebenzimmer an den Spieltiſch ſetzen und mit fieberhafter Haſt und oft 20 Spielen Whiſtkarten das damals ſehr beliebte Rabuſche ſpielen Stunde auf Stunde!

Nach Henriette Sontag enthuſiasmirten die Berliner damals am Meiſten durch Geſang und Spiel Anna Schechner und Mad. Schröder-Devrient. Die Erſtere feierte ihren größten Triumph als Julia in der Veſtalin, wie denn überhaupt die Aufführung von Spontini's Meiſterwerk mit der Schechner die vollendetſte geweſen ſein ſoll, welche je ſtattgefunden hat.

Beim Anblick der majeſtätiſchen Milder-Hauptmann als Oberprieſterin, der edlen, ideal-ſchönen, jugendlichen Julia, dem herrlichen Bader als Licinius, und Heinrich Blum mußte man an die Worte Iphigeniens denken:

» Sie zogen aus,
Als hätte der Olymp ſich aufgethan
Und die Geſtalten der erlauchten Vorwelt
Herabgeſendet! «

Selbſt Spontini, der ſonſt ſo ſchlau berechnende, kaltherzige Maeſtro, wurde durch dieſe Aufführung be¬ geiſtert, und während er dirigirte, rief er unwillkürlich: » sublime! sublime! «

10 *148

Mad. Schröder-Devrient riß beſonders unwider¬ ſtehlich bin durch ihren ſeelenvollen dramatiſchen Vortrag, und viele Muſikkenner brachen für ſie die Lanze. Ihr zu Ehren wurde ein Diner mit Muſik, Gedichten, Lorber¬ kränzen und anderen Feſtlichkeiten veranſtaltet. Ich durfte nebſt anderen Damen die Honneurs machen und be¬ wunderte am Meiſten bei der gefeierten ſchönen Frau die Mobilität ihrer Züge, den ſeltenen Verein hoher geiſtiger Begabung mit lieblich naiver Heiterkeit. Von allen Seiten wurde ſie gebeten, ein Lied vorzutragen. Sogleich ließ ſie eine Guitarre kommen und begleitete ſich ſelbſt ein einfach gemüthliches Alpenlied:

» Auf der Alm, bin ich ſo gerne,
Denke Dein! Du ſüßes Lieb «

Welch 'ein Zauber lag in dieſem Geſange! Er lockte uns Thränen in die Augen. Tief bewegt lauſchten wir dem fein deklamatoriſchen, ſüß innigen Vortrage. Ein begeiſtertes » Dacapo! Dacapo! « erfüllte ſie gerührt dankend.

Der luſtige Spitzeder verſtand es aber prächtig, uns aus der beginnenden Sentimentalität zu reißen Plötz¬ lich begann er in ſeiner urkomiſchen Weiſe ein klaſſiſches Wiener Volkslied voll des blühendſten Unſinns, von dem mir nur noch die beiden Verſe erinnerlich ſind:

Mein Madel
Das kocht Knadel,
Die ſind groß als wie mein Kopf
(leiſe)
Hat kein Waſſer in dem Topf!
149
Dort auf der Birkenſpitz
Sitzt ein alter Stiegelitz,
Der pfeift in guter Ruh
(leiſe)
Und hat den Schnabel zu.

Aber, man hätte das liſtige liebe Geſicht Spitz¬ eder's dabei ſehen müſſen, um unſer Lachen bis zu Thränen begreifen zu können.

Ich ſah Wilhelmine Schröder erſt nach vielen Jahren 1836 während meines Gaſtſpiels in Breslau wieder. Als ich die Treppe zu ihr hinaufſtieg, ſang ſie mir von der oberſten Stufe mit ihren reizendſten Tönen entgegen:

Dort auf der Birkenſpitz
Sitzt ein alter Stiegelitz ..

aber wie wehmüthig klang mir das! der arme, liebe Spitzeder ſang ja jetzt nicht mehr Seit vier Jahren ruhte er auf dem Kirchhofe zu München

Dann begegneten wir uns 1838 als Mitglieder der königlichen Bühne in Dresden wieder.

Man gab die Hugenotten. Nach dem erſten Akt ſprach ich auf der Bühne mit Mad. Schröder und be¬ merkte, daß ſie ernſt, beinahe böſe ausſah. Ich fragte, was ihr begegnet. » Ach! « erwiederte ſie wie ein trotziges Kind, » ich bin außer mir! Auf den ausgeſprochenen Wunſch der Sontag muß ich die Valentine ſingen! Beobachten Sie nur, wie die Gräfin huldvoll mich belorgnettiren wird und ſo vornehm thun, als hätte ſie nie zu uns Theatervolk gehört! « Ich entgegnete: » Da150 wird die Gräfin brennende Sehnſucht empfinden, an Ihrer Stelle ſein zu können, wenn ſie Ihre herrliche Leiſtung bewundern muß! « » Sie haben Recht! « rief die Schröder freundlichſt. » Wer weiß, ob ſie uns nicht beneidet, frei, unabhängig der göttlichen Kunſt leben zu können! « Und mich umarmend flüſterte ſie, ganz fröh¬ lich geworden, noch: » Aber ſingen, ſingen will ich wie noch nie! « Sie hielt Wort und übertraf ſich ſelbſt. Ich bemerkte, wie die Sontag aufmerkſam zuhörte, immer bläſſer wurde, im vierten Akt oft Thränen trocknete und hingeriſſen applaudirte. Die Schröder vernahm das mit größter Genugthuung.

Graf Roſſi war als Geſandter von Petersburg nach Berlin verſetzt. Seine Gattin hielt ſich auf der Durchreiſe einige Zeit in Dresden auf.

Graf Roſſi hatte der » ſchönen Henriette « ſeine Liebe in etwas extravaganter Weiſe zu erkennen gegeben. Als die Sontag eines Abends aus der Oper nach Hauſe fuhr, öffnete ihr Graf Roſſi in Kutſcherlivrée und mit der ſtattlichſten ſeiner ſieben berühmten Perrücken, deren Haar von verſchiedener Länge war, um das Wachſen deſſelben nachzuahmen den Wagenſchlag. So wurde ſie die Geſandtin Gräfin Roſſi Excellenz!

Wilhelmine Schröder erlebte es noch, daß Gräfin Roſſi zum » Theatervolk « zurückkehrte. Man behauptete: durch Verhältniſſe dazu gezwungen. Wer aber Gelegen¬ heit hatte, ihre Leiſtungen, welche ja ſtets den Stempel der Begeiſterung trugen, zu bewundern, der war gewiß151 überzeugt, daß ſie freudigſt ſich der Kunſt wieder widmete.

Ihr wurde das ſeltene Glück zu Theil, nach jahre¬ langer Pauſe, in des Lebens Hochſommer noch Triumphe zu feiern, aber ein trauriges Sterben entriß ſie ihren Lieben. In Mexiko, fern von Deutſchland, von ihren Kindern und Geſchwiſtern und Freunden erlag ſie der Cholera. Nur ihr Gatte war bei ihr. Ihr letztes Wort nach Deutſchland war: » Der Beifall iſt hier förmlich tropiſch! « Welche Gefühle mögen ihr Herz bewegt haben, ehe es brach!

Frau Charles Maier, die Gattin des damals be¬ rühmteſten Klaviervirtuoſen, welche die Gräffin Roſſi oft in Petersburg gefeiert und im Glanze ihrer Stellung geſehen, dieſe Dame ſtand auf der Elbbrücke in Dresden, als der Sarg, aus Mexiko angelangt, aus¬ geſchifft wurde.

Sie erzählte mir ſpäter, welch 'einen wehmüthigen Eindruck dieſer Leichenzug gemacht, der beinahe unbemerkt, nur von Wenigen begleitet, durch Dresdens Straßen ſich bewegte.

Von Dresden wurde die Leiche nach dem letzten Wunſche der großen Sängerin in das Kloſter St. Marien¬ thal bei Oſtritz übergeführt, wo die Schweſter Nina Sontag längſt als Nonne lebte. Auch Marie Herold, früher erſte Liebhaberin im tragiſchen Fach auf der Königſtädter Bühne und von Kritikern für eine würdige Nachfolgerin der Stich gehalten, war in ihrer Glanzzeit in's Kloſter152 gegangen und lebt heute als Profeſſin im Kloſter St. Marienſtern bei Bautzen. Beſonders war Marie Herold in » Drei Tagen aus dem Leben eines Spielers « und in Wilibald Alexis 'Drama: » Mitternacht « gefeiert worden. Unglückliche Liebe hatte ſie in's Kloſter geführt. Während meines Dresdener Gaſtſpiels ſah ich ſie als Nonne wieder. Mit niedergeſchlagenen Augen und einer Grabesſtimme ſagte ſie mir: » Denken Sie ſtets daran, daß es Sünde iſt, den Namen Gottes auf der Bühne auszuſprechen « Die ehemalige gefeierte Schauſpielerin iſt wegen ihrer Milde und Frömmigkeit als Profeſſin hochverehrt. Henriettens Söhne trugen den Sarg in die Gruft hinab. Eine erlauchte Hand legte einen goldenen Lorberkranz auf ihre Gruft, die die Inſchrift trägt: » Der beſten Mutter der zärtlichſten Tochter der treueſten Gattin der edelſten Freundin der größten Sängerin. «

Die Hülle der geliebten Henriette, der Stütze und Freudenſpenderin der ganzen Familie, wird von der jüngeren Schweſter bewacht. Sie darf am Sarge der Verſtorbenen beten, weinen und fromme Weiſen ſingen

Die Catalani hätte anno 1827 nicht mehr gaſtiren ſollen. Mich hat ſelten etwas ſo unerquicklich an eine vergangene Größe gemahnt, wie ihr Konzert im Opern¬ hauſe. Die klaſſiſche Methode, die Anklänge einer ehe¬ mals wunderbar gewaltigen Stimme entſchädigten nicht153 für die Verzerrungen des Mundes bei der kleinſten Paſſage für ihr angſterweckendes Abmühen, Erfolge zu erringen.

Auf dramatiſchem Gebiet ergriff, überwältigte Sophie Schröder die größte Tragödin des Jahrhunderts. Sie trat am 19. September 1826 mit glänzendem Erfolge als Medea auf.

Sophie Müller, ebenfalls vom Wiener Burgtheater, zeigte ſich ebenbürtig, bei ihrem Berliner Gaſtſpiel mit Madame Stich den Lorber zu theilen.

Gefiel die Berliner Künſtlerin mehr als Donna Diana, Semiramis, Jungfrau von Orleans, ſo bezauberte die Müller als Julia in Romeo und Julie, in Iſidor und Olga und in den Nibelungen von Raupach. Vor Allem erregte ihre blinde Gabriele Senſation.

Noch nicht acht Jahre alt, ſah ich Sophie Müller in Karlsruhe mit ihrem Vater gaſtiren, einem echten Komödianten, vortrefflich im komiſchen Fach. Als Schutz¬ geiſt in Kotzebue's Schauſpiel ſchwebte Sophie mir lange vor Augen, und als Savoyardenknabe eroberte ſie nun gar mein Kinderherz. Von Karlsruhe reiſte ſie nach München, blieb einige Jahre im Engagement, und von da ging ſie nach Wien an's Burgtheater über um als Stern erſter Größe zu glänzen. Auch ihr Privat¬ leben war fleckenlos.

Nach ihrem erſten Debüt als Olga machte ich ihr meinen Beſuch, die liebe Landsmännin zu begrüßen.

Das große Zimmer war überfüllt von Huldigung Darbringenden, und ich erſchrak förmlich, Sophie blaß,154 die Augen wie träumend ſchwermüthig in's Weite ſtarrend zu finden. Ernſt, reſignirt horchte ſie ſchein¬ bar aufmerkſam auf die ſüßen Worte eines alten, be¬ weglichen Herrchens.

Vater Müller ſonnte ſich in den geſpendeten Lobes¬ erhebungen und antwortete, wie Audienz ertheilend, den Verehrern.

Ich wollte die Gefeierte nicht auch noch in Anſpruch nehmen und verſprach wiederzukommen. Sophie zog mich aber aufs Sopha neben ſich und flüſterte: » O, kommen Sie mir doch zu Hülfe, meine Kraft iſt er¬ ſchöpft « Dann ſtellte ſie mir den alten Herrn vor: » Auguſt Wilhelm von Schlegel! « lehnte ſich in die Ecke des Sophas zurück und ſchloß die Augen während ich das Glück hatte, mich mit dem Ueberſetzer Shakeſpeare's unterhalten zu dürfen d. h. ihn immer ſprechen zu hören Dabei konnte ich mir aber den Freund von Frau von Staël mit Muße betrachten und mich immer wieder fragen: dieſes zierlich aufgeputzte Männchen mit der hellblonden Lockenperrücke und ge¬ ſchminkten Wangen, das unabläſſig die runde Tabaks¬ doſe dreht, dabei wohlgefällige Blicke in den auf dem Deckel angebrachten Spiegel werfend heißt: Auguſt Wilhelm von Schlegel?! Dieſe lächerliche Parodie auf einen Mann konnte Friederike Bethmann ſo reizend beſingen und Shakeſpeare ſo wunderbar ſchön überſetzen?

Nun glaubte ich aber die mir oft erzählte und nie für möglich gehaltene Geſchichte, daß er, ein Kind um¬155 armend, ausgerufen: » Vergiß nie, daß Auguſt Wilhelm von Schlegel Dich küßte!! «

Auf einer kleinen Eva-Schwäche ſollte ich die edle Sophie Müller auch ertappen. Ich wollte von unſerem erſten Begegnen in Karlsruhe erzählen und wie ſie die Künſtlerin ſchon damals mein Kinderherz erfüllt hätte Aber faſt heftig unterbrach ſie mich nahm mich bei Seite und flüſterte mir zu: » Erzählen Sie die Geſchichte ja nicht man nachrechnen ich mache mich immer vier Jahre jünger « Und doch war Sophie Müller jetzt erſt 28 Jahr! Alſo auch Du, große Sophie, leideſt an der allgemeinen Mädchenthor¬ heit! dachte ich verwundert und nahm mir vor, ſtets des franzöſiſchen Sprichworts eingedenk zu bleiben: » On a l'âge, qu'on paraît! « und mein wahres Alter nie zu verleugnen Und ich hab's bis auf den heutigen Tag ehrlich gehalten.

Sophie Müller ſtarb einige Jahre nach den Berliner Triumphen an der Auszehrung Schon beim Beginn des Gaſtſpiels hatte ſie das Herannahen des Uebels gefühlt, aber ſich dennoch nach ihrer Rückkehr in Wien nicht genug geſchont. Ihre zarte Konſtitution war dem tragiſchen Fach nicht gewachſen und ſie ſpielte es mit ſo echter Leidenſchaft bis zum Dahinſtrömen ihres ſchönen Lebens Der Tod raubte in Sophie Müller Deutſchlands edelſte jugendliche Künſtlerin! Nach Ludwig Tieck's Ausſpruch erreichte ſie in manchen Rollen Mlle. Mars, beſonders in » Menſchenhaß und156 Reue «, und in » Gabriele «, in Frankreich » Valerie « genannt.

Im Januar 1828 wurde mir ein glänzendes Engage¬ ment von der kaiſerlich ruſſiſchen Intendanz für das Fach der erſten Liebhaberin am deutſchen Theater in St. Petersburg angetragen. Die junge, ſchöne Mad. Federſen, der Liebling des deutſchen Publikums, war plötzlich geſtorben und mußte erſetzt werden. Die Arme hatte zu viel Sauerkraut gegeſſen!

So verlockend die neue Stellung war und allen meinen Wünſchen zu entſprechen ſchien, zögerte ich doch mit der Zuſage und geſtand unumwunden: daß ich erſt nach erfolgtem Gaſtſpiel mich binden könne, um zu ſehen, wie ich und ob es mir in der Czarenſtadt gefiele.

Unermüdet hatte ich ſeit meinem erſten Auftreten auf der königlichen Bühne eifrigſt ſtudirt, die ſogenannte Schulzeit wie ein Soldat » von der Pike auf « durch¬ gemacht. In jeder Woche hatte ich wenigſtens dreimal geſpielt, jede auch die kleinſte Rolle willig übernommen und mir ſo ein ganz hübſches Luſtſpielrepertoir ge¬ bildet Aber die Pforten zu höheren Aufgaben waren mir nur ausnahmsweiſe geöffnet.

Wie in Karlsruhe Mad. Neumann, ſo ſuchte Mad. Stich in Berlin ihre Stellung zu behaupten. Entſchloß ſich Letztere je, einer Rolle zu entſagen, ſo fiel dieſe Mad. Unzelmann zu oder Mad. Komitſch, wie denn157 überhaupt bei dem königlichen Inſtitut das Recht der Anciennetät vorwaltete. Für das Ganze ſicher vorzüg¬ lich, iſt dieſe pietätvolle Einrichtung für das Ent¬ falten junger, aufſtrebender Talente im höchſten Grade hemmend.

Ich hatte Berlin wie eine zweite Heimat lieb gewonnen und es ſchmerzte mich tief, aus dem herrlichen Künſtlerkreiſe ſcheiden zu müſſen! Mit welch 'weh¬ müthigem Entzücken ſpielte ich mit den liebenswürdigen Kollegen, als nach meiner Rückkehr aus St. Petersburg mein Scheiden von Berlin feſtſtand!

Jede Vorſtellung war für mich ein Abſchiednehmen Unvergeßlich bleibt mir eine der letzten: Raupach's » Ritterwort «. Ich trat zuerſt als Page auf dann als die Dame des Ritterherzens in weißem Atlas, eine faſt tragiſche Rolle. Und wie mit ſo ganz eigenen wehmüthigen Gefühlen ſpielten wir Alle in dieſem Stück! Hatte doch Raupach die Hauptrolle: einen Ritter, der ein Gelübde gethan, nicht zu ſprechen für Pius Alexander Wolff geſchrieben, als deſſen Halsleiden ihm das Sprechen auf der Bühne unmöglich machte Aber auch für das pantomimiſche Durchführen der ſchweren Rolle fehlte dem großen Künſtler ſchon damals die phyſiſche Kraft Mit Zartſinn wurde das Stück zurückgelegt bis nach Wolff's Tode. Dann gab Rebenſtein, dieſe echt ritterliche Geſtalt, den ſtummen Helden bis auch er bald darauf für immer ver¬ ſtummte

158

Und dann war der Tag des Scheidens da O, wie ſchwer machten die Freunde die lieben Kol¬ legen mir gerade in den letzten Tagen dies Fortgehen von dem ſchönen, unvergeßlichen Berlin! Ich ging ja freiwillig und doch wollte mir das Herz ſchier brechen vor dem Weh und Bangen über das ewige, uralte, troſtloſe Scheiden und Meiden in dieſer armen Welt

[159]

VII. Eine aufrichtige Gegnerin.

Als ich im Mai 1824 nach Berlin gekommen war, um Mitglied des neuen Königſtädter Theaters zu werden, war Auguſte Stich, die berühmteſte Schauſpielerin der königlichen Bühne, mit ihrem Gatten auf einer längeren Kunſtreiſe abweſend von Berlin. Beide ſtudirten in Paris die dortigen Theaterverhältniſſe beſonders Talma und die Mars.

Auch war Beiden Berlin ſehr verleidet ſeit jener unglücklichen Kataſtrophe, die dem Schauſpieler Stich faſt das Leben ſeiner berühmten Gattin in dieſem Falle ihre Stellung, die Gunſt des Publikums, und der Kunſt eine ihrer berufenſten Prieſterinnen gekoſtet hätte.

Mir wurde viel von jener tragiſchen Geſchichte er¬ zählt und von der furchtbaren Aufregung in ganz Berlin, als eines Abends im Dezember 1823 durch das Schauſpielhaus und ſogleich wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt die Nachricht erſcholl: der Schauſpieler160 Stich iſt ſoeben von dem Anbeter ſeiner Frau, dem jungen Grafen Blücher, in ſeiner Wohnung nieder¬ geſtoßen worden!

Der König erfuhr die Kunde auch noch im Theater. Prinz Auguſt theilte ihm dieſelbe ſchonend mit. Er war tief erſchüttert und befahl die ſtrengſte Unterſuchung. Dieſe leitete Herzog Karl von Mecklenburg, Bruder der Königin Louiſe, mit ſeltenem Takte. Er verſtand die zarteſte Rückſicht auf einen alten, hiſtoriſchen, populären Heldennamen und auf den bis dahin fleckenloſen Ruf einer edlen Künſtlerin mit der Würde der Gerechtigkeit zu verbinden.

Die einfache, traurige Thatſache iſt folgende:

Der Graf Blücher, ein junger, liebenswürdiger Offizier und Enkel des alten Feldmarſchalls, des popu¬ lärſten Helden der Freiheitskriege, hatte ſchon längſt im Stillen in Auguſte Stich die große, bezaubernde Künſt¬ lerin verehrt, aber noch nie Gelegenheit gefunden, dieſe Verehrung ſeinem Idol auszuſprechen. Seine bevor¬ ſtehende Verſetzung von Berlin gab endlich dem feurigen Anbeter den Muth und die Macht der Ueberredung, von der Gefeierten ein Abſchiedswort in ihrer Wohnung zu erbitten und zu erlangen.

Stich war an jenem unglücklichen Abende, den 6. Februar 1823, in einem kleinen Luſtſpiel beſchäftigt. Am Ende ſeiner Rolle flüſterte ihm ſein Kollege, der Komiker Gern, zu: in dieſem Augenblick iſt Graf Blücher bei Deiner Frau

161

Wie wahnſinnig noch im Theaterkoſtüm ſtürzt Stich nach Hauſe Sogenannte gute Freunde hatten ihn ſchon früher vor dem glühenden, offen zur Schau getragenen Enthuſiasmus Blücher's gewarnt und ſeine Eiferſucht geweckt Auf der Treppe zu ſeiner Woh¬ nung begegnet er einem Manne, ganz in einen langen Civilmantel gehüllt. » Wer ſind Sie? was haben Sie hier zu ſuchen? « Statt der Antwort ſucht der Verhüllte ihn bei Seite zu ſchieben und die Treppe hinabzuſteigen. Da reißt Stich ihm den Mantel herab und ſinkt, von einem Dolchſtoß getroffen, mit einem gellen Hülferuf blutend auf der Treppe nieder So findet ihn ſeine Gattin Auch die Straße hat ſich bereits mit Neugierigen gefüllt Nur das Dazwiſchentreten einiger angeſehener Bürger, die den Grafen Blücher auf die Hauptwache führen, kann dieſen vor der Wuth des Volkes retten.

Stich[war nicht] tödtlich getroffen, wie man anfangs gefürchtet hatte. Er erholte ſich langſam wieder. Graf Blücher wurde zu mehreren Jahren Feſtung verurtheilt. Später ſah ich ihn wieder in Berlin: eine ſchlanke, noble Figur mit blaſſen, edlen Zügen, ſchwärmeriſchen Augen eine intereſſante Erſcheinung!

Madame Stich erwartete eine härtere Strafe. Für die wenigen Minuten Unterredung denn Schlimmeres wagten ihr ſelbſt ihre Feinde nicht nachzuſagen ſah ſie den Gatten wochenlang mit dem Tode ringen. Sie pflegte ihn mit Aufopferung und er dankte ihr durchErinnerungen ꝛc. 11162ſeine Verzeihung. Inmitten der peinlichſten Verhöre vor dem Gerichtshofe mußte ſie vor einen weit gefährlicheren Richter treten: vor das tauſendköpfige erzürnte Publikum und ſie wußte: Friedrich Wilhelm der Gerechte hatte befohlen: » Polizei nicht einmiſchen Publikum richten laſſen Recht dazu hat! « Herzog Karl von Mecklenburg aber hatte dafür geſorgt, daß kein Student für den Abend ein Billet erhielt und daß faſt alle Offiziere Berlins im Theater anweſend waren.

Ueber dies erſte, furchtbar ſchwere Wieder-Auf¬ treten der Stich, am 8. Mai, erzählte mir Amalie Wolff: » Die Stich hatte eine ihrer idealſten, edelſten Schöpfungen gewählt: die Thekla in Wallenſtein's Tod. Ich ſtand als Gräfin Terzky neben ihr auf der Bühne « und Amalie Wolff's Stimme bebte noch vor Er¬ regung » als ein minutenlanges Ziſchen, Pfeifen, Hohn¬ lachen und die gröblichſten Schmähworte uns umtoſten. Ich zitterte ſelber vor Entrüſtung über dieſe Schmach und war in Verſuchung, die arme Kollegin bei der Hand zu nehmen und von der Bühne zu ziehen und gleich der ſeligen Bethmann als dieſe wie eine ver¬ wundete Löwin ihre ausgeziſchte Tochter hinter die Cou¬ liſſen riß zu rufen: vor dieſem Publikum ſpielſt Du nicht wieder! *)Dies Wort hätte der berühmten Künſtlerin faſt ihre Stellung in Berlin gekoſtet. Das Publikum war tief beleidigt und verlangte öffentliche Abbitte. Ganz Berlin war in fieberhafter Aufregung: wie Friederike Bethmann dieſe Abbitte leiſten würde, ohne ihrer Künſtler¬

163

» In dieſen qualvollen Minuten habe ich die Stich wahrhaft bewundert, nur der Gedanke an ihre Kinder und an ihre Unſchuld konnte ihr dieſe Seelenſtärke Selbſtbeherrſchung geben. Sie ſagte mir ſpäter: in dieſer Stunde den Kampfplatz verlaſſen, hieße mich ſchuldig bekennen und ich wäre für immer auf der königlichen Bühne unmöglich geweſen Die Hände, wie bittend, gegen ihre Beleidiger erhoben, harrte ſie bleich bebend neben mir aus bis ſich der furchtbare Sturm be¬*)würde etwas zu vergeben. Als Lady Macbeth ſollte ſie dieſe Feuer¬ probe beſtehen zum erſten Mal wieder vor die Berliner treten. Was hatte die geniale Frau erſonnen? Ein Murmeln der Erwartung ein Drohen des kommenden Sturmes zittert durch das überfüllte Haus Lady Macbeth ſoll ja im nächſten Augenblick auf die Bühne treten und zum erſten Mal in ihrem Leben ausgeziſcht werden Aber ſie tritt nicht aus der Couliſſe vor ſie ſteckt nur ihren ſchönen Kopf mit dem unwiderſtehlichen Lächeln den bittenden Augen eines verzogenen Kindes heraus und ſagt mit ihrer ſüßeſten, bezauberndſten Stimme: » Darf ich? « Das war neu, überraſchend: das Haus verharrt in athemloſer Stille die ſchon zum Pfeifen geſpitzten Lippen bleiben ſtumm vor Erſtaunen und Lady Macbeth-Bethmann benutzte dieſe Pauſe aufs Beſte. Mit edler Würde tritt ſie vor und ſagt: » Verzeihen Sie der gekränkten Mutter, was die Künſtlerin an Ihnen verſchuldete « Das war zu viel für die leicht enthuſiasmirten Berliner Alles war vergeben und vergeſſen raſender Jubel erſchallt ſtatt des Ziſchens und Berlin war fortan noch ſtolzer auf ſeine vergötterte geiſtreiche Friederike Beth¬ mann. Bei der Stich'ſchen Kataſtrophe ging der Name Friederike Unzelmann-Bethmann wieder in Berlin von Mund zu Mund in einem witzigen Bonmot ihres erſten Gatten, des alten leichtlebigen Komikers Unzelmann. Er hatte geſagt: » Wenn alle Verehrer meiner Friederike mir auch nur einen Stich verſetzt hätten, wie dem armen Stich ich wäre längſt zum Sieb geworden «11 *164ruhigt hatte Sie ſpielte mit einer Tiefe des Gefühls, wie noch nie und nach der ergreifenden Schlußſzene des vierten Aktes wurde ihrem meiſterhaften Spiel don¬ nernder Beifall zu Theil «

Nach wenigen Wochen hatte ſie über ihre Gegner vollſtändig geſiegt und ſie ſtand wieder feſt in der bewun¬ dernden Gunſt des Publikums. Aber der bittere Stachel dieſer furchtbarſten Kämpfe, die ein Künſtler zu beſtehen haben kann, blieb in ihrem Herzen. Im geſelligen Leben zeigte ſie eine eiſige Zurückhaltung, ſcharfe Ironie und Verbitterung des Gemüths. Aber in der tragiſchen Kunſt wußte ſie ſeit dieſer Tragödie in ihrem eigenen Herzen nur noch ergreifender, erſchütternder, überwältigender zu wirken!

Ich ſah Auguſte Stich zum erſten Mal, als ſie nach der Pariſer Kunſtreiſe im Juli 1824 in Romeo und Julie im dichtbeſetzten Opernhauſe als bezaubernde Julia auf¬ trat und mit Blumen und Jubel empfangen wurde.

In Karlsruhe hatte die Intendanz auch wohl verſucht, das Publikum für dieſe Schöpfung Shakeſpeare's zu enthu¬ ſiasmiren und ſie nach langer Pauſe mit einer holdſeligen Julie, Amalie Neumann, wieder in's Repertoir aufzuneh¬ men; aber die Tragödie mußte nach kurzem Schein¬ leben abermals von der Karlsruher Bühne verſchwinden.

Die nüchternen Süddeutſchen konnten nicht begreifen, daß die Zeichnung Juliens Norddeutſchland ſo hinzureißen165 vermochte, ſie ließen ſich zwar von den Verehrern Shake¬ ſpeare's ſagen: daß in damaliger Zeit andere Sitten geherrſcht, Julia von den Eltern nicht geliebt worden ſei, alſo auch keine Hinneigung, Vertrauen von ihr ge¬ fordert werden durfte, unter dem glühenden Himmel Italiens ſchlüge das Herz eines fünfzehnjährigen Mäd¬ chens feuriger, ihr Charakter entwickle ſich ſchneller und ſelbſtſtändiger, als bei einer dreißig Jahre zählenden Frau im kühlen Norddeutſchland Ruhig, aber mit eigenſinnigem Beharren, entgegneten die guten, ehrlichen Karlsruher: ein ſittſames Mädchen dürfe doch nach dem erſten Erblicken des Geliebten, und ſei er ſo hold wie Romeo, nicht denken viel weniger ausſprechen:

» Iſt er vermählt,
So iſt ein Grab zum Brautbett mir erwählt! «

und Romeo, nicht Julia, hätte ſagen ſollen:

» Wenn Deine Liebe tugendſam geſinnt
Vermählung wünſcht, ſo laß mich morgen wiſſen
Durch Jemand, den ich zu Dir ſenden will,
Wo Du die Trauung willſt, und wann vollziehen;
Dann leg 'ich Dir mein ganzes Glück zu Füßen,
Und folge durch die Welt Dir dem Gebieter «

Das ſchicke ſich nicht!

Nichts natürlicher, als meine Spannung auf die erſte Aufführung von Romeo und Julie in Berlin. Madame Stich's Erſcheinen frappirte mich. Julia ſchritt gleich einer Juno impoſant daher ſelbſtbewußt ſelbſtſtändig Ihre Feueraugen ſenkten ſich nicht ver¬ ſchüchtert vor den flammenden Blicken Romeo's. Das166 ſüße Liebesgeflüſter in der Balkonſzene aber klang ent¬ zückend. Als Julia die Verbannung Romeo's erfährt, war ich hingeriſſen. Die gigantiſche Aufgabe der Gift¬ ſzene löſte ſie meiſterhaft Mitleid und Grauen er¬ regend.

Die Tragödie war mit großer Liebe einſtudirt und in Szene geſetzt. Die ausgezeichnetſten Künſtler der Hof¬ bühne hatten die kleinſten Rollen übernommen. Ludwig Devrient als Mercutio wirkte zauberiſch belebend. Er verſtand es, dieſen Mercutio, der ſchon im zweiten Akt ſtirbt, zu einem der koſtbarſten Edelſteine in ſeiner Künſtlerkrone zu geſtalten. Jetzt erſt begriff ich, wes¬ halb die Berliner ſtets herbeiſtrömten und nicht müde wurden, ihre Lieblinge in Romeo und Julie zu bewun¬ dern. Das Karlsruher Publikum würde ſicher bekehrt worden ſein und die holde Julia um Verzeihung gebeten haben für das liebloſe Urtheil: » Das ſchickt ſich nicht! «

Madame Stich ſah nicht jugendlich, aber ſchön und blühend aus. Ihre ausdrucksvollen Züge eigneten ſich zu vollendeter Mimik, und der etwas zu große Mund ſah gar anmuthig beim Sprechen aus. Ihre Stimme hatte einen ſeltenen Wohllaut und wußte ſich im tragiſchen Effekt zu einer erſchütternden Energie des Tons zu ſteigern.

Andern Morgens, als ich mit der Mutter über die vortreffliche Vorſtellung ſprach und bedauerte, den Empfeh¬ lungsbrief von Freundeshand während der Abweſenheit167 von Madame Stich in ihrer Wohnung gelaſſen zu haben, und daß wir doch nicht ſo bald abermals anklopfen könnten ließen ſich zu unſerer freudigſten Ueber¬ raſchung Herr und Frau Stich anſagen. Auch Herr Stich war eine angenehme Erſcheinung und gab mit Beifall und mit feinem Anſtande Salonliebhaber im Luſtſpiel. Beide zeigten ſich ſo liebenswürdig, zuvor¬ kommend, ſprachen ſo ohne alle Prätenſion angenehm, geiſtreich, und ſchienen ſo heiter zu ſein, ſo gegenſeitig herzlich daß ich ſchnell in das Urtheil Amalie Wolff's einſtimmte: nicht Schuld nur Unvorſichtig¬ keit ſei Auguſte Stich vorzuwerfen.

In Paris ſchien es Stichs ſehr gefallen zu haben. Sie rühmte das Spiel der Mlle. Mars, und freute ſich, die Glanzrolle derſelben Madame Dorville, in Dela¬ vigne's » L'École des Vieillards « nächſtens in guter Ueberſetzung in Berlin ſpielen zu können. Sie waren entzückt von ihrem Empfange bei Talma, und Herr Stich erzählte mit Genugthuung, wie der große Mime ihnen zu Ehren eine Soirée gegeben und hierzu die Elite der Pariſer Künſtler und Schöngeiſter eingeladen hätte, um die deutſche Künſtlerin deklamiren zu hören. » Nicht wahr, Auguſte? « frug Stich liebevoll, » das war ein unverge߬ licher Abend! Du wurdeſt reichlich für Dein Herzklopfen belohnt, als Alle bei Deinen Szenen aus Romeo und Julie enthuſiaſtiſches Lob ſpendeten «

Madame Stich erröthete lieblich, und lächelnd, wobei zwei Grübchen in den Wangen ſie noch reizender erſcheinen168 ließen, geſtand ſie ein: daß es ſie anfangs wirklich be¬ ängſtigt hätte, vor Franzoſen in deutſcher Sprache eine Szene darzuſtellen!

Nein! ſie ſpielten vor uns keine Komödie, und die Behauptung war nicht erfunden, daß Stich nach der Verwundung ſich gegen ſeine Frau noch ergebener und vertrauensvoller benommen habe.

Ich ſollte Madame Stich nach dieſem heiteren Morgenbeſuch erſt als Wittwe wieder ſprechen. Ihr Gatte ſtarb nach einigen Monaten an einem alten Bruſt¬ übel. Die Berliner blieben aber beharrlich dabei: an den Folgen jenes unglücklichen Dolchſtoßes.

Nach meinem Engagement bei der königlichen Bühne machte ich der Stich meinen Beſuch. Ernſt-höflich kalt empfing ſie mich. Unbefangen fragte ich nach dieſem ſo veränderten Benehmen, ich bewundere ſie ja doch ſo aufrichtig und freue mich ſo herzlich darauf, mit ihr ſpielen, von ihr lernen zu können

» Ja, das iſt jetzt etwas Anderes, « ſagte ſie mit derſelben eiskalten Stimme » damals waren Sie eine Kollegin auf einer andern Bühne heute aber ſtehen wir uns als Gegnerinnen gegenüber «

» Aber Sie ſind ja ſo bedeutend ich erſt eine Anfängerin und nur im Luſtſpiel beſchäftigt «

» Auch in dieſem Fache können Sie mir gefährlich werden « ſagte lebhaft. » Sie ſind viel jünger169 als ich Sie ſind ſchön liebenswürdig talent¬ voll und längſt ein Liebling der Berliner Nie werde ich hinterliſtig gegen Sie auftreten, nie Ihnen durch Kabalen zu ſchaden ſuchen Aber ich ſage Ihnen offen und ehrlich: ich werde meine Stellung als erſte Liebhaberin an der königlichen Bühne mit allen mir zu Gebote ſtehenden erlaubten Mitteln behaupten denn, glauben Sie mir, auch ich habe mir dieſelbe erſt durch jahrelangen beharrlichen Fleiß, durch Entbehrungen ja, durch Demüthigungen erkämpfen müſſen Nicht die kleinſte Rolle werde ich Ihnen freiwillig abgeben «

» O, wenn ich dies hätte ahnen können, ich würde um keinen Preis das Engagement bei der königlichen Bühne angenommen haben, « klagte ich betrübt » lieber wäre ich nach Karlsruhe zurückgekehrt «

» Mißverſtehen Sie mich nicht, liebes Fräulein, « ſagte meine » aufrichtige Gegnerin « jetzt freundlicher. » Ich weiß Ihre neue Stellung von Ihrer Perſönlichkeit ſehr wohl zu trennen und letztere iſt mir ſogar ſym¬ pathiſch und werth. Aber ich kann Ihnen doch unmög¬ lich ſelber dazu behülflich ſein, daß Sie am Ende gar in einzelnen Rollen mehr gefallen, als ich und mich ſo verdrängen verdunkeln? Wehren Sie ſich nach Kräften gegen mich ich werde Ihnen darum nicht böſe ſein machen Sie Ihre Schule durch, wie ich die meinige durchgemacht habe ſo werden Sie ſich mit der Zeit auch Bahn brechen Und wenn Sie erſt meine Jahre erreicht haben (die Stich zählte drei¬170 zehn Jahre mehr, als ich) ſo werden Sie gerechter über mein jetziges Benehmen denken und ſagen: die Stich hatte vollkommen Recht ſie konnte nicht anders handeln Alſo, ohne Groll, liebes Fräulein! « und ſie reichte mir ehrlich die Hand und ich ſchlug eben ſo ehrlich ein und vermochte ihr ſpäter ihre Gegnerſchaft nicht nachzutragen ihre Aufrichtig¬ keit hatte mich entwaffnet.

Ich ſehe auch heute noch ein, daß die Stich voll¬ kommen Recht hatte, ſo zu ſprechen Aber ich habe doch von ihr nicht gelernt, ſpäter als ich eine ähn¬ liche Stellung auf der Bühne als erſte Liebhaberin ein¬ nahm ebenſo zu ſprechen noch viel weniger danach zu handeln. Es iſt eben nicht Jedem gegeben: eiſig kalt berechnend ſeinen Weg zu verfolgen Vernunft und Herz ſind zwei ſo ganz verſchiedene Dinge

Frau Stich blieb ihrem Wort getreu; ſie intriguirte niemals gegen mich aber ſie überließ mir auch nur gezwungen für ſie und ihr Alter unpaſſend gewor¬ dene Rollen. Sogar die » Afanaſia « in » Graf Benjowsky «, deren Rolle ich ſchon in Händen hatte, mußte ich wieder herausgeben, denn Graf Brühl ſchrieb mir: » Ich kann nicht anders, mein blonder Schützling die Stich iſt außer ſich und ich darf ſie nicht erzürnen Seien Sie ein gutes Kind und geben Sie mir die Rolle wieder « und ich übergab die geliebte Rolle, auf die ich mich ſchon ſo lange gefreut, an der ich ſchon ſo fleißig ſtudirt hatte, mit heißen Thränen in die Hände des alten guten171 Theaterdieners Säger, der faſt mit mir weinte und ſtets ſo furchtbar ſtotterte, wenn das herz ihm auf die Zunge trat. Und mich hatte er ganz beſonders in ſein altes Herz geſchloſſen. Erſt als das Publikum über Afanaſia-Stich's Frage: » Was heißt, das Herz klopft? « laut lachte, verzichtete Frau Stich gezwungen auf dieſe Rolle und jubelnd und ſtotternd brachte der alte Säger ſie mir zurück: » Wir r ha ha ben ge e ſiegt üb be r r di die Al alte «

Auguſte Stich, die bald daraus den Aſſeſſor Cre¬ linger heirathete, war und blieb noch viele Jahre hin¬ durch die Stütze und Zierde der Berliner Hofbühne, der ſie ſchon als Auguſte Düring ſeit dem Jahre 1812, als man das unter Iffland's Leitung blühende einzige Theater Berlins noch mit Stolz » Nationalbühne « nannte, ange¬ hört hatte. Das junge ſechzehnjährige ſchöne Mädchen war von der Fürſtin Hardenberg, der früheren Schauſpielerin Langenthal, an Iffland warm empfohlen und gleich nach der erſten Probe von Auguſte Düring als » Mar¬ garethe « in den » Hageſtolzen « rief dieſer große Menſchen¬ kenner jubelnd aus: » Die Kleine iſt der ſeltenſte Fund meines Lebens eine Perle von Talent « Nach dem Tode der Bethmann rückte ſie in deren Rollenfach vor und ſpielte mit immer ſteigendem Beifall die Jungfrau von Orleans, eine ihrer prächtigſten Rollen, zu der ſie ihre hohe majeſtätiſche Geſtalt und imponirende Würde,172 und die überwältigende Macht ihres wundervollen Organs ſo ſehr berechtigten. Herrliche Kunſtſchöpfungen, als Emilie Galotti, Julie, Thekla, Minna von Barnhelm dann als Maria Stuart, Adelheid im Götz, Lady Macbeth, Phädra, Iſabella in der Braut von Meſſina vor Allem aber als Iphigenie folgten, und machten Auguſte Stich-Crelinger zu einer der erſten deutſchen Schauſpielerinnen ihrer Zeit. Sie durfte auf ihren Gaſt¬ ſpielen in Wien und München ohne Scheu den Wettkampf mit Sophie Müller und Sophie Schröder wagen und kein Kampfrichter hatte den Muth: Einer dieſer drei herrlichen Tragödinnen den Sieg zuzuſprechen.

Ja, Auguſte Stich-Crelinger war eine durch und durch großartige tragiſche Natur. Selbſt ihre Donna Diana war davon angehaucht, und ſie legte den Haupt¬ accent in dieſer Rolle auf den: Kampf des Stolzes mit der Leidenſchaft. Bürgerliche Rollen beſonders im Luſtſpiel waren nicht ihr Fach. Dazu fehlte ihr die Warmherzigkeit und Gemüthlichkeit des Tones, die Klein¬ bürgerlichkeit des Auftretens, das herzliche Lachen der Stimme, des Mundes und der Augen. Ihre in den tragiſchen Rollen ſo hinreißende ideale Mimik und Plaſtik ja ihr Pathos wirkten in kleinbürgerlichen Rollen nicht ſelten ſtörend. Von ihrem ſeltenen Fleiße ſpricht am beſten die Notiz, daß im Jahre 1852 bei ihrem vier¬ zigjährigen Bühnenjubiläum ein Theaterfreund berechnen konnte: Auguſte Stich-Crelinger hat in dieſer Zeit nicht weniger als 355 verſchiedene Rollen geſpielt! Und173 alle dieſe und ſeitdem noch mehr Rollen hat ſie auf Einer Bühne gegeben. Ja, ſie hat nie ein anderes Engagement angenommen, als an der Berliner Bühne, der ſie faſt 54 Jahre ununterbrochen angehörte. Mit 70 Jahren war ſie noch eine impoſante Bühnenerſcheinung, ihre Stimme klang melodiſch und gewaltig zugleich und ihr Spiel verdunkelte die Jugend.

Ueber ihre Eigenartigkeit als Künſtlerin ſagte ein Kritiker mit Recht: » Ihre Auffaſſung blieb mehr Seelen¬ forſchung im Dichterwerk, als Menſchenbeobachtung in der Wirklichkeit des Lebens. Es lag in ihrer Indivi¬ dualität die Neigung zu mehr plaſtiſchem als maleriſchem Ausdruck, daher erreichte ſie den höchſten Gipfel ihrer Kunſt in jener Sphäre, wo die reine Idealität herrſcht: in Goethe's Iphigenie und in der Antigone des Sophokles. Es gibt in ihren Darſtellungen mehr große Züge des Seelen¬ zuſtandes, der Leidenſchaft, als Charaktere, die in einem Reich¬ thum verſchiedener Beziehungen ſich vielfältig ausleben «

Dabei war Auguſte Stich-Crelinger die ſorglichſte, treueſte Mutter und eine muſterhafte Hausfrau. Ihre zweite Ehe war die glücklichſte.

Nach meinem Scheiden von Berlin ſah ich die Cre¬ linger erſt im Jahre 1834 wieder. Ich gab damals als kaiſerlich ruſſiſche Hofſchauſpielerin auf der Berliner Hof¬ bühne Gaſtrollen und Frau Crelinger benutzte dieſe Zeit zu einem Gaſtrollen-Cyclus von zwölf Vorſtellungen auf dem Königſtädter Theater mit der liebenswürdigen Hauptabſicht: dem Berliner Publikum ihre inzwiſchen hold erblühten Töchter Klara und Bertha Stich in freund¬174 lichſter Weiſe vorzuſtellen. Da ſah ich die berühmte Mutter und ihre jungen Töchter zuerſt in Minna von Barnhelm. Bertha gab die Minna, Klara (ſpäter Frau Hoppé und als Frau Liedtke geſtorben) die Franziska, während die Mutter die » Dame in Trauer « nicht für zu gering für ſich hielt. Am zweiten Abend debütirte Bertha als » Mädchen von Marienburg «, während die Mutter die » Gräfin Mentſchikoff « ſpielte. Die treffliche Schule der Mutter war bei den talentvollen Töchtern nicht zu verkennen, und man glaubte zuweilen die Mutter in den Töchtern wiederzuerkennen, ſo treu war beſonders die » Minna « kopirt. Ja, dieſe Minna war nicht in drei Tagen einſtudirt, wie ich es mußte, um bei der Königſtädter Bühne Karoline Müller zu ihren Triumphen als » Franziska « zu verhelfen.

In der Stich-Crelinger iſt die letzte Schülerin Iff¬ land's begraben. Obgleich ſie Schuld an meinem Scheiden von Berlin trug denn neben ihr hätte ich nie das erſte Fach erringen können ſo weinte ich doch theilnahmsvolle Thränen, als mich vor wenigen Jahren die Trauerkunde erreichte: Auguſte Stich-Crelinger iſt nicht mehr!

Auch die freundliche Genugthuung hatte ich noch, daß Frau Crelinger gegen die tüchtige Oberinſpektorin des Hamburger Thalia-Theaters, Emilie Faller, meiner lobend gedachte: » Eine ſo edle, ehrliche Rivalin habe ich nie wieder neben mir auf der Bühne gehabt. Das hat mich beſonders ihre Nachfolgerin empfinden laſſen! «

[175]

VIII. Drei Jahre in Petersburg.

Eine Reiſe von Berlin nach Petersburg heute und vor vierzig Jahren!

Heute ſteigt man um elf Uhr Abends in das weiche, warme Coupé des Kurierzugs, hüllt ſich in Pelz und Reiſedecken, erwacht zum Morgenkaffee in Dirſchau, früh¬ ſtückt à la fourchette in Königsberg dinirt um vier Uhr in Eydtkuhnen und am andern Tage um ſechs Uhr behaglich in Petersburg

Heute iſt eine Kunſtreiſe von Berlin nach Petersburg ein Gedanke eine Laune Damals beſonders im Winter war es ein ſchwerer Entſchluß eine That ja, ein Opfer, das man ſich ſelber brachte. Denn welche Anſtrengungen und Geldopfer koſteten nicht nur die wochenlange Reiſe, ſondern auch die Vorberei¬ tungen dazu. Da mußte für Reiſepelze geſorgt werden, als ging's nach Sibirien; da galt es einen bequemen und ſehr, ſehr dauerhaften Reiſewagen zu erſtehen, der176 die ſeltene Eigenſchaft beſaß, die 103 deutſchen Meilen ſchauerlicher, unchauſſirter, aufgeweichter Wege bis Po¬ langen und die noch ſchauerlicheren 840 Werſt grundloſen ruſſiſchen Bodens bis Petersburg ſtandhaft zu überwinden. Da durfte auch ein zuverläſſiger und handfeſter Bedienter nicht fehlen, der unter Umſtänden den Muth hatte, ein paar ſchutzloſe Frauen gegen deutſche Galanterien und gegen ruſſiſche Koſaken, Zollbeamte, betrunkene Bauern und dergleichen Landſtraßengewächſe zu ſchützen.

Heute koſtet eine Reiſe nach Petersburg 10 da¬ mals faſt 100 Friedrichsd'or!

Und wie ſieht es mit dem goldenen Lohn für ein ſolches Kunſtmarthyrium aus? Die Bedingungen, unter denen heut ein Gaſtſpiel oder ein Engagement in Petersburg abgeſchloſſen wird, ſind 10 20fach günſtiger, als damals. Wenigſtens in dieſem Punkte lebt man heut im goldenen Zeitalter der Kunſt. Das ſilberne iſt in die vierziger Jahre gefallen. Ich hatte das eiſerne durchzukämpfen.

Aber wie? iſt denn die Kunſt in dieſen vierzig Jahren auch um das 10 20fache gewachſen?

Wohl kaum aber das Virtuoſenthum!

Heute iſt die Gaſtſpielreiſe eines erſten Kunſtvirtuoſen durch Rußland ein Triumphzug Damals war die Reiſe eines Künſtlers ein Kreuzzug.

Und doch war jene Art zu reiſen viel poetiſcher, als heute. Wenigſtens für ein junges, fröhliches und muthiges Herz. Beſonders denke ich noch heute mit Vergnügen zurück an die ſtillen, klaren Mondſcheinnächte177 in der molligen Wagenecke neben der Mutter, wenn draußen Dörfer und Wälder wie im Traum an uns vorüberflogen und der Poſtillon dazu den alten Deſſauer oder das Mantellied ſo hübſch blies

Und was Alles erlebte man auf einer ſolchen lang¬ ſamen, wochenlangen Reiſe!

Anfangs März 1831 verließen wir Berlin, um gleich nach den Faſten in Petersburg einzutreffen. Zwei Tage und zwei Nächte fuhren wir, mit Ausnahme eines kleinen Haltepunktes in Elbing, ununterbrochen weiter, ſobald nur neue Extrapoſtpferde vor unſern Wagen be¬ ſchafft werden konnten.

Von Königsberg bis Memel ging die Fahrt durch troſtloſe, öde Gegenden, zum Theil an der Meeresküſte entlang. Es waren uns ſchaurige Begebenheiten von dem Verſinken im Triebſande erzählt, aber wir fuhren ja mit preußiſchen Poſtillonen: alſo getroſt vorwärts!

Memel machte durch die niedrigen Häuſer, die drückende Stille, die in dieſem Orte herrſchte, auf mich einen traurigen Eindruck.

Und dann ging's auf die ruſſiſche Grenze und das entſetzlichſte aller Mauthhäuſer zu

O, das hatte ich noch im allerfriſcheſten Andenken, obgleich ich es ſeit drei Jahren nicht geſehen. Dafür hatten die Herren Ruſſen trefflich geſorgt, daß ich ſie und ihr Zollweſen ſobald nicht wieder vergaß.

Es war auf meiner Gaſtſpielreiſe 1828, auch im März, als ich Memel verließ und der ruſſiſchen GrenzeErinnerungen ꝛc. 12178zuſteuerte. Der ruſſiſche Konſul in Memel, an den ich empfohlen war, hatte mir gerathen, zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten im Mauthhauſe, ſeinen ruſſiſch ſprechenden Unterſekretär bis Polangen mitzunehmen. » Indeſſen, « fügte er hinzu, » einige Trinkgelder müſſen Sie ſchon geben; die Leute ſind darauf angewieſen bei der kleinen Beſoldung. «

Unter dieſem Schutz machten wir uns denn auch auf den Weg. Aber bald ſollten wir zu der troſtloſen Einſicht kommen, daß unſer Ritter für uns das fünfte Rad am Wagen war, denn es fehlte ihm die allernöthigſte Energie.

» Sie führen doch keine neuen Gegenſtände mit ſich? « fragte er ängſtlich.

» Allerdings, meinen Reiſebedarf. «

» Schlimm, ſehr ſchlimm! «

» Warum? «

» Man wird ſie chikaniren «

» Klappern Sie nur mit dem Gelde, dann rechnen die Beamten auf gute Trinkgelder. «

» Ich habe keines bei mir, « erwiederte der Ritter etwas verlegen.

» Hier, mein Herr, « ſagte ich, indem ich ihm einige Rubel einhändigte.

Eine Stunde vor Polangen ſahen wir Reiter auf uns zukommen. Unſer Schützer ſagte: » Erſchrecken Sie nicht; es ſind nur Grenzwächter! «

» Und was gehen uns dieſe an? Was wollen ſie? «

» Uns bis zum Mauthhauſe begleiten. «

179

» Warum aber das? «

» Um Sie zu eskortiren, wenn Sie verdächtig er¬ ſcheinen oder Contrebande bei ſich führen in eine Sicherheit, die Ihnen ſchwerlich gefallen würde «

» Sehr erfreulich! « ſagte ich und betrachtete neugierig die Reiter, die übrigens ganz hübſch ausſahen, leicht, graziös auf den kleinen flinken Pferden ſaßen, aus mar¬ tialiſchen, bärtigen Geſichtern gutmüthig hervor blickten und mit geſchwungenen Lanzen unſern Wagen in die Mitte nahmen. Als wären wir Kriegsgefangene, hielten ſie uns umringt und verließen uns nicht eher, bis der Wagen vor dem Zollgebäude anhielt.

Dante's Wort: » Ihr, die Ihr eintretet, laßt jede Hoffnung draußen! « hätte als Schild vor der Eingangs¬ thür hängen müſſen, dann wären wir würdig vorbereitet geweſen auf dieſes Höllenzimmer.

Ein wahrer Qualm von Hitze und verpeſteter Luft ſchlug uns entgegen. Die Doppelfenſter ließen durch die trüben Scheiben wenig Tageshelle ein. Eine Menge Juden ſaßen und ſtanden umher, uns neugierig anſchauend. Die Beamten empfingen uns mürriſch und gingen langſam an's Oeffnen der Koffer, welche der Bediente hereintragen half. Aus aufgedunſenen, graublaſſen Geſichtern traf uns manchmal ein lauernder Blick, wenn ein Gepäckſtück ihnen aufzufallen ſchien. Der Sekretär wiſchte ſich den Angſtſchweiß von der Stirn, als einer der Unterſuchenden mit den ſchmutzigſten Fingern ihm Atlasſchuhe vorhielt, eifrigſt dabei ſprechend. Ich trat näher.

12*180

» Was fragt der Unhöfliche? «

» Warum Sie neue Schuhe mit ſich führen? «

» Soll ich etwa in alten Schuhen vor Ihren Maje¬ ſtäten in Petersburg ſpielen? oder dort erſt Schuhe anmeſſen laſſen? Verdolmetſchen Sie ihm das, ich bitte, Wort für Wort. «

Das half, es wurde weiter ausgepackt, etwas ſchneller, da hörte ich plötzlich hinter mir Ohrfeigen austheilen und heftig reden. Ich wandte mich um und ſah einen Knirps von Beamten, kaum 18 Jahr alt, einen alten, ehr¬ würdigen Bauer mit ſchneeweißem Haar und langem Bart, der verlegen ſeine Mütze drehte und leiſe Entſchuldi¬ gungen ſtammelte, rechts und links heftig ohrfeigen! Entrüſtet ſtellte ich mich raſch vor den Greis, und ihn mit ausgebreiteten Armen ſchützend, rief ich ganz außer mir, ohne daran zu denken, daß meine Worte nicht ver¬ ſtanden würden: » Hat er gefehlt, ſo wird er geſtraft werden, aber nicht durch Sie, junger Menſch! Ehren Sie das Alter! Ohrfeigt man einen Greis, der mit einem Fuß ſchon im Grabe ſteht? «

Nun wurde es lebendig in dem dumpfen Zimmer. Die Juden ſchrie'n, die Beamten traten auf uns zu, die Wache ſtürzte herein und unſer Bedienter rief, Alle über¬ tönend: » Wir ſtehen unter preußiſchem Schutz! Wir ſind Preußen! Die arme Mutter war auf einen Stuhl ge¬ ſunken, kaum im Stande, unſer Hündchen zurückzuhalten, welches wie raſend bellte und mich vertheidigen wollte. Der winzige Beamte ballte die Fauſt und ſuchte dem181 Bauern näher zu kommen. Der Sekretär ſagte leichen blaß und zitternd: » Was thun Sie? Man wird Sie nicht weiter reiſen laſſen! «

» Deſto beſſer, deſto beſſer! « entgegnete ich immer hitziger und blieb ſchützend vor dem alten Manne ſtehen. » Ich will gar nicht weiter, ich will nach Memel zurück, mir iſt alle Luſt nach näherer Bekanntſchaft mit einem Lande vergangen, in welches man wie ein Verbrecher von bewaffneten Reitern eingeführt, wo man wie ein Schmuggler behandelt wird, und wo uralte arme Leute geohrfeigt werden Ich will zurück! Verdolmetſchen Sie das und ſagen Sie, ich würde alles hier Vorgefallene dem Konſul in Memel mittheilen und ihn erſuchen, mein Nichteintreffen in Petersburg zu melden, und auch die Urſache deſſelben. Erfährt dann Fürſt Wolkonski, auf welche Weiſe die Unterbeamten die Befehle der Vorge¬ ſetzten überſchreiten, ſo wird die Strafe nicht ausbleiben und der boshafte Knirps da übel wegkommen! «

Endlich ſprach der Sekretär mit Energie. Ich ver¬ nahm öfters das Wort: Knäs (Fürſt) Wolkonski. Die Beamten befahlen dem Ohrfeigengeber, das Zimmer zu verlaſſen, und als endlich leider nur zu ſpät der Sekretär vernehmlich mit Geld klapperte, ging das Unterſuchen der Effekten raſch vorwärts, und bald konnten wir weiter fahren.

Mein Bauer wiſchte eine Thräne nach der andern mit ſeinen zitternden Händen ab, ich ſteckte ihm Geld zu und ſtreichelte ſeine mißhandelten Wangen, ihm182 freundlich Troſt zuſprechend, als müſſe er mich verſtehen. Er dankte mit Blicken, als wollten ſie ſagen: » Glück und Segen mit Dir, Fremde! Das erſte Weſen, das ſich meiner annahm! «

Die Juden eskortirten uns, freundlich nickend, an den Wagen, die Beamten grüßten ſogar, und der Bauer ſchwenkte ſeine Mütze, wahrſcheinlich glückliche Reiſe wünſchend. Der Sekretär hatte ſich von allen Altera¬ tionen etwas erholt, verſprach dem Konſul Bericht zu erſtatten, und wir ſuchten durch ein Geſchenk in klingender Münze ihm einigermaßen die angſtvolle Stunde zu ver¬ ſüßen

Dieſe Erfahrung hatte uns vorſorglicher gemacht. Mit den gewichtigſten Papieren von der ruſſiſchen Ge¬ ſandtſchaft in Berlin ausgerüſtet, überwanden wir das entſetzliche Mauthaus zu Polangen diesmal ſehr leicht. Vergebens ſah ich mich nach meinem alten Bauer um Er war nirgends zu ſehen. Vielleicht war er inzwiſchen auch ſchon geſtorben

Und weiter ging's der Düna zu mit dem erſten ruſſiſchen Poſtillon. Es war ein blutjunger, bildhübſcher Junge, geſchmeidig und übermüthig wild wie eine Katze. In einen langen, mit Schafpelz beſetzten Kittel gehüllt, der um die ſchlanke Taille von einem Ledergürtel gehalten wurde, auf dem Zottelkopf mit den blanken, wilden Augen eine Bärenmütze ſo ſtand er bald auf der Deichſel, bald ſprang er ab und lief ſchreiend und peitſchen¬ knallend neben den Pferden her, die doch gar keines183 Treibens bedurften und wie das wilde Heer über Knüppel¬ dämme, zugefrorene Gräben und Waſſerpfützen mit uns dahin flogen. Vergebens lud der Bediente den kleinen Wilden ein, neben ihm auf dem Bock Platz zu nehmen der wies ihm lachend die blitzenden Prachtzähne und ſprang übermüthig weiter, daß die langen Haare ihm um den Kopf flogen. Als ich einige Töne der ruſſiſchen Nationalhymne ſang und ihm freundlich dabei zunickte, verſtand er mich ſogleich, ſtimmte hell ein und ſang uns all' ſeine melancholiſchen ruſſiſchen Volkslieder, daß uns die vierzehn Werſt (ungefähr zwei deutſche Meilen) bis zur nächſten Station ſehr ſchnell und angenehm dahin flogen.

Ich fügte zum ausgemachten Trinkgeld noch ein Extra-na wodky, zu Schnaps, hinzu; das war mir in Memel angerathen worden. Da blinkten die weißen Zähne noch viel luſtiger, er konnte nicht müde werden, der guten » Matuſchka « (Mütterchen) die Hand zu küſſen. Lachend zeigte er auch dem nachfolgenden Poſtillon das Geſchenk und nun waren wir geborgen. Schnell und vorſichtig wurden wir weiter gefahren bis an das Ufer der Düna, welche uns noch von Riga trennte.

Als wir vor drei Jahren an der Düna anlangten, ſtanden Wächter am Ufer und verboten uns das Paſſiren des ſchon morſchen Eiſes. Jede Stunde könne der Eis¬ gang eintreten. Und doch wurde ich von dem Direktor Dölle beſtimmt zum Gaſtſpiel in Riga erwartet und ſollte morgen auftreten. In dieſer Rathloſigkeit brachte184 mir der ſoeben aus Riga angelangte Theaterdiener einen Brief des geängſteten Direktors, mit den rührendſten Bitten, ihn nicht im Stich zu laſſen das Haus ſei für morgen bereits ausverkauft. Aus beſonderer Rückſicht habe ihm der theater-enthuſiaſtiſche Gouverneur erlaubt, die Ueberfahrt und den Transport der Effekten auf kleinen Schlitten, je mit einem Pferde beſpannt, zu bewerkſtelligen. Doch müßte mit größter Schnelligkeit Alles vor ſich gehen: Sattler und Schmied würden das Zerlegen des Wagens beſorgen. Ich möge es wagen, es ginge noch gefahrlos. Jeden Augenblick könnten die Kanonenſchüſſe dröhnen, und dann ſei jedes Paſſiren auf's Strengſte verboten. Wie lange, ſobald ſich das Eis in Bewegung geſetzt habe, jede Kommunikation gehemmt bleibe, laſſe ſich zum Voraus nicht beſtimmen, und wo ich in dieſem Falle mit der Mutter ein Unterkommen finden würde?

» In Gottes Namen denn vorwärts! « ſprach die Mutter. Es begann nun um den Wagen von geſchäfti¬ gen Leuten zu wimmeln, die das Gepäck abluden und den Wagen auseinander nahmen; wir ſahen ergebungs¬ voll dem Zerſtörungswerke zu. Auf einen Schlitten kamen die Räder, auf den zweiten die Koffer, auf den dritten und größten der unbehülfliche Wagenkaſten, auf den vierten die Mutter und ich, das Hündchen Liſinka, dem das Treiben ſehr zu mißfallen ſchien, zwiſchen uns, auf den fünften der Bediente mit der Chatoulle. Die treue Seele gelobte uns zu retten, wenn wir dem Ver¬ ſinken nahe wären. Voraus fuhren der Schmied, der185 Sattler und der Theaterdiener, immer rufend und warnend vor morſchen Stellen.

Wir ſchloſſen die Augen, hielten uns umſchlungen und fühlten, daß es raſch im Fluge weiter ging. Konnte nicht das muntere Klingen der Schlittenglocken unſer Grabgeläute bedeuten? Wir wurden reichlich mit Waſſer beſpritzt, das ſchon fußhoch auf dem Eiſe ſtand. Oft glaubten wir zu ſinken o, wie ſchaurig krachte das Eis! Dann fuhren wir erſchreckt auf und blickten nach dem rettenden Ufer aus. Endlich war die Schreckens¬ fahrt überſtanden. Direktor Dölle empfing uns mit ſeinem geſammten Perſonal am Ufer; er war bewegt, freudig ergriffen. Die Damen umarmten uns unter Lachen und Weinen; wie alte Bekannte wurden wir be¬ willkommt. Klopfenden Herzens hatten Alle den Windun¬ gen der Schlittenkarawane zugeſehen, und geleiteten uns nun im Triumph nach Riga hinein zur Stadt London, wo wir zu unſerer Aufnahme Alles ſorglichſt hergerichtet fanden.

Eine halbe Stunde darauf dröhnten die verhängni߬ vollen Kanonenſchläge.

Der Erfolg meines Gaſtſpiels war ein in jeder Hinſicht zufriedenſtellender geweſen. Sämmtliche Reiſe¬ koſten wurden durch die Einnahmen gedeckt. Am meiſten hatte ich als Agnes im » Mann im Feuer « gefallen, eine naive Konverſationsrolle. Fünfmal ſpielte ich die Agnes, und im Ganzen vierzehnmal in drei Wochen. Die Mitglieder unterſtützten mich auf ſo freundliche,186 herzliche Art, daß ich wirklich wähnte, unter Freunden zu ſein. Die Stücke waren muſterhaft einſtudirt, ganz vortreffliche Künſtler hatte Direktor Dölle zu feſſeln ge¬ wußt, und die Rigaer verwöhnten mich förmlich durch ihre gaſtfreie, liebenswürdige Aufnahme.

Jetzt, Anfangs März 1831, konnten wir die Düna noch mit unſerem bepackten Reiſewagen paſſiren. Das Eis war noch ſo feſt, daß man mit Kanonen hätte darüber fahren können. Kaum waren wir wieder in der » Stadt London « unter dem gaſtlichen Dache der liebenswürdigen Madame Seemann angelangt, ſo waren wir auch ſchon von Bekannten umringt und ſo herzlich begrüßt, als hätten wir ihnen erſt vor drei Tagen Lebe¬ wohl geſagt.

Wie war die Stimmung in dem frohmüthigen, theaterluſtigen Riga aber jetzt ſo gedrückt! Man ſprach nur von dem blutigen Unterdrückungskriege Rußlands gegen das arme Polen, das immer noch nicht ſterben wollte und ſich jetzt wieder im Todeskampfe gegen das Czaarenthum aufgebäumt hatte

Man rieth uns, nicht weiter zu reiſen, bis die Truppendurchzüge nach Polen beendet wären. Die Wege ſeien überdies bodenlos von den vielen Kanonen. Reiſende ſeien von den erſten Stationen wieder zurückgekehrt, halb todt von den verſchiedenſten Alterationen.

Wir ruhten gern einige Wochen in dem gaſtlichen Riga aus, und als die neue Direktrice, Frau von Tſchernjäwski mein alter, braver Dölle hatte in¬187 zwiſchen die Direktion aufgegeben, um nach Petersburg überzuſiedeln mich dringend aufforderte, in einem größeren Cyclus zu gaſtiren, ſagte ich mit Freuden zu und benachrichtigte die Petersburger Intendanz von der Urſache meines verſpäteten Eintreffens, aber dennoch könne ſogleich nach den Faſten mein erſtes Debüt ange¬ ſetzt werden. Ich wurde von einer ſehr guten Geſellſchaft unterſtützt, ſtudirte die » Leonore « von Holtei ein und ſpielte die » Königin von ſechzehn Jahren « und die » junge Pathe « zum erſten Mal in Riga. Ich gaſtirte ſpäter noch dreimal in Riga und ſpielte dort in einem Zeitraume von Jahren im Ganzen 72 mal unter der freundlichſten Theilnahme. Viele von den trefflichen früheren Mitgliedern der Rigaer Bühne waren nach Petersburg engagirt worden, und ich hörte überhaupt zu meiner Beruhigung, daß die deutſche Bühne anders und viel beſſer organiſirt ſei, wie vor drei Jahren, auch der neue Intendant, Fürſt Gagarin, als kluger, gerechter und allgemein beliebter Chef bekannt ſei.

Das Originellſte und zugleich Fatalſte bei dem da¬ maligen Rigaer Theater war: daß es auf einem Eiskeller ſtand. Eine eiſige Luft wehte auf der Bühne und faſt alle Mitglieder waren erkältet und heiſer. So manche Sängerin hat bei dieſer eigenthümlichen Bauart ihre Stimme eingebüßt.

Riga hatte ſchwer durch die Kriegsunruhen und bei den nicht enden wollenden Truppendurchmärſchen durch Einquartierung gelitten. Und doch waren die Rigaer gut188 kaiſerlich geſinnt und am Siege zweifelte Niemand. Nur in vertrauten Kreiſen hörte man zuweilen fragen: » Wenn der Aufſtand ſo leicht zu überwältigen iſt, wie die Peters¬ burger Zeitungen ſchreiben wozu dieſe ungeheuren Truppenmaſſen nach Polen? «

Von Mitau kamen auch alarmirende Gerüchte: in Lithauen ſei es nicht geheuer. Und doch entſchloß ich mich, auf Wunſch der Mitauer mit der Rigaer Truppe ſechsmal bei ihnen aufzutreten. Aber ſchon nach der erſten Gaſtrolle war's vorbei, und auf allgemeinen Rath eilten wir zurück nach Riga. Man befürchtete in Mitau einen Ueberfall der Inſurgenten, die ſich ſchon nicht weit von der Stadt gezeigt haben ſollten. Mitau war völlig wehr - und ſchutzlos. Die Edelleute trotz ihrer bekannten Bra¬ vour waren nicht zahlreich genug, die Vertheidigung der Stadt zu übernehmen. Unſere Rückreiſe glich einer Flucht.

Doch bald ſtellte es ſich heraus, daß wir ganz ruhig hätten fortſpielen können. Es war blinder Lärm ge¬ weſen. Der Durchmarſch eines gerühmten Petersburger Garderegiments durch Riga bleibt bei mir unvergeßlich. Dies Regiment hatte nur Rappen, und die höheren Offi¬ ziere beſaßen deren 2-3, jedes im Preiſe von cira 2000 Silber-Rubeln. Kein Wunder, daß nach einigen Jahren Dienſt bei der Garde die meiſten Offiziere, Liv - und Kurländer, ihr Vermögen zugeſetzt haben.

Wie wir dem Durchmarſche dieſes Regiments zu¬ ſchauen, kommt athemlos ein Beamter der Krone, und ruft uns zu: » Viertauſend polniſche Soldaten ſind bei189 Warſchau mit dem Eiſe eingebrochen ſoeben kam die frohe Botſchaft an den Gouverneur, und ich eilte, ſie Ihnen zu verkünden. Die Blüte des Adels und der Jugend ſollen mit verſunken ſein «

Da mußte ich der polniſchen Studenten und Gutsbeſitzer gedenken, welche ich in Berlin hatte kennen gelernt. Und Alle hatten ſich durch feines, liebenswürdiges Benehmen ausgezeichnet. Bei keinem Balle durften die eleganten Tänzer fehlen; wer hätte ſonſt wohl die Mazurkas an¬ führen ſollen? Faſt alle dieſe jungen Polen waren beim Beginne des Aufſtandes nach Warſchau aufgebrochen. Welche glühenden Patrioten gab es unter ihnen! Wie begeiſtert hatte gleich nach der erſten Aufführung des » Alten Studenten « von Baron Maltitz der junge ſchwärmeriſche Dichter Garcinsky, ſehr mit Maltitz befreundet, uns er¬ zählt: die Aufführung dieſes Stückes hätte die ganze polniſche Jugend in Berlin förmlich beſeligt und ſie hätten während der Vorſtellung dieſem Enthuſiasmus Ausdruck geben müſſen, trotz des öftern mißbilligenden Herausblickens des Königs aus ſeiner Proſzeniumsloge im Königſtädter Theater Dafür waren ſie ja junge, heißblütige Polen!!

» Wie unbeſonnen! « bemerkte meine Mutter, » und weshalb den guten König ärgern? Konnten Sie ſich denn nicht weniger bemerkbar freuen? Wenn nun das Stück verboten wird? «

Und ſo kam es. Nicht allein durfte der » Alte Stu¬ dent « nicht mehr geſpielt werden, Baron Maltitz, der Verfaſſer, mußte Berlin verlaſſen.

190

» Garcinsky iſt ſicher mit in den Fluten der Weichſel begraben, « ſagte ich leiſe und traurig zur Mutter.

» Sehen Sie doch nicht ſo nachdenklich traurig aus, das iſt hier gefährlich! « flüſterte mir ein Landsmann zu, der Komiker Walter, der berühmte Staberl-Spieler, ebenfalls in Riga gaſtirend, » man beobachtet Sie ſchon Und: » Hurrah! Hurrah! « rief er laut, » Es lebe der Kaiſer! nun werden immer mehr Sieges¬ nachrichten eintreffen «

Die Weiterreiſe nach Petersburg war ſehr un¬ erquicklich und anſtrengend.

Nichts ermüdet die Sehnerven in dem Grade, als immerwährende Ebenen. Ein Dorf glich im Ausſehen dem andern; ſaubere, zierlich gebaute Holzhäuſer, wenig Leben, Alles ſtill, man möchte ſagen ſchlummerartig! In den Stationslokalen fanden wir überall große Zimmer und mit ſchwarzem Leder überzogene Sophas; die Wirths¬ leute und Poſthalter waren höflich, ſprachen auch deutſch, aber ſie erſchienen mir theilnahmlos, ſtumpf, gleichſam reſignirt im ewigen Einerlei ohne Wunſch und Klage dahinvegetirend. Als ein ſchöner Menſchenſchlag zeichneten ſich die Bauern aus, vor Allem die Männer mit ihren gutmüthigen, freundlichen Phyſiognomien. Die Frauen, obwohl auch von blühender Geſichtsfarbe, hatten nicht ſo regelmäßige Züge, aus den Augen ſprach wenig Intelli¬ genz, auch waren ſie meiſtens zu ſtark, beinahe plump191 gewachſen, was um ſo mehr auffiel, da die ruſſiſche Landestracht der Männer ſehr kleidſam iſt. Der um die kurzen Ueberröcke oder die bunten Hemden feſtgeſchnallte Gürtel läßt die Figur ſchlank und nicht ohne Grazie er¬ ſcheinen. Von der allerheiterſten Seite zeigt ſich der Eingeborene in einem gewiſſen Stadium des Rauſches. Ein gar fröhlich ausſehender Bauer verbeugte ſich in einem fort, als ich an ihm vorüberging, ſuchte meine Hand zu faſſen, küßte ſie und ſagte: » Matuſchka! Ma¬ tuſchka, ſei nicht böſe, daß ich ein kleines Räuſchchen habe! «

Zuweilen wurde die Einförmigkeit durch einen Kurier¬ wagen, Telega genannt, unterbrochen; es war ein ein¬ ſpänniger Holzwagen ohne Federn mit ſehr hohen Rädern, welcher in raſendem Tempo vorüberſauſte. Auf meiner erſten Reiſe war mir ſo die ſchöne Großfürſtin Helene mit ihrer Suite begegnet, auf ihrer Reiſe nach Deutſch¬ land. Mit Schwindel erregender Schnelligkeit flogen all' die Telega's an uns vorüber.

Eine Meile vor Petersburg trafen wir auf ſchöne Landhäuſer, auf großartigere, als im Berliner Thier¬ garten. Die hohen vergoldeten Kirchen-Kuppeln der ſtolzen Reſidenz, die endloſen breiten Straßen machen beim erſten Anblick einen eigenthümlichen fremden Ein¬ druck, ebenſo die unzähligen Viergeſpanne mit kleinen Knaben auf dem Vorderpferde, die hellen Kinderſtimmen fortwährend rufend: » Padi, Padi! « Aufgepaßt!

Unſer Empfang in Petersburg war diesmal ange¬192 nehmer als vor drei Jahren, da wir die ruſſichen Ver¬ hältniſſe noch nicht kannten.

Wir ſtiegen damals in einem großen Hotel ab, das uns brieflich empfohlen war. Der Direktor des deutſchen Theaters, Herr von Helmerſen, erwartete uns, begleitet von ſeinem Faktotum, Herrn Damier, über deſſen Bei¬ hülfe beim Aufſuchen einer Wohnung er uns zu verfügen bat; » denn, « ſetzte er hinzu, » hier können Sie nicht wohnen. «

» Warum nicht? « fragte ich verwundert. » Wir ſind ja doch in einem Gaſthofe «

» Weil die ruſſiſchen Familien ihre Betten und Köche ſtets mitbringen! «

» Alſo giebts in dieſem Gaſthofe kein Bett für uns und nichts zu eſſen? «

» Nein! «

» Sehr tröſtlich! «

Helmerſen, um in Rückſicht ſeines Alters ſeinen völligen Mangel an Energie ſo ſchonend wie möglich zu bezeichnen, war ein ſanfter, lieber, in dieſem Augenblick nur von einer Idee beherrſchter Mann, nämlich der meines Auftretens bei Hofe und das mußte morgen geſchehen, denn übermorgen reiſte die kaiſerliche Familie nach der Krim ab.

Und ſo dachte Helmerſen weder an unſere Müdigkeit, noch an eine Taſſe Kaffee, ſondern ſobald er mich ſah, rief er ſchier athemlos:

» Eilen Sie ſchnell zum Fürſten Wolkonski, nein, erſt zum Oberkammerherrn der Kaiſerin, um den193 Empfehlungsbrief des geheimen Kämmerers Timm aus Berlin abzugeben, dann zum Fürſten Dolgoruki, dann zu Cutaizow «

» Um Gottes willen, warum denn zu vier hohen Herren? Sind Sie nicht Direktor der deutſchen Bühne? «

» Ja wohl! Intendant derſelben aber iſt Fürſt Cutaizow, Dolgoruki Intendant vom franzöſiſchen Theater, der zur Vorſtellung bei Hofe auch ſeine Mitglieder in Kenntniß ſetzen muß, denn dieſe ſpielen nach den Deutſchen. Der Oberkammerherr muß Ihro Majeſtät der Kaiſerin Alexandra Ihre Ankunft melden, und Fürſt Wolkonski dann anfragen, ob noch eine Vorſtellung ſtattfinden wird, und wann? «

» Hören Sie auf! « rief ich, in's Wort fallend, » wie ſoll ich das Alles behalten? «

» Es iſt kein Augenblick zu verlieren, « drängte Helmer¬ ſen; » raſch, raſch! ich ſchicke nach einem Wagen. «

» Aber es iſt ja noch nicht ausgepackt, « erwiderte ich in größter Aufregung; » ich kann mich doch nicht im Reiſekleid vorſtellen? Meine Wangen glühen, die Augen brennen mir von Staub, Hitze und Ermüdung. «

» Und vor allen Dingen muß doch meine Tochter erſt etwas eſſen! « rief die gute Mutter beſorgt.

» Warum? « frug Helmerſen ſehr naiv, indem er ſeine waſſerblauen Augen groß aufriß.

» Warum? weil ich hungrig bin! « entgegnete ich ent¬ rüſtet. » Denken Sie doch, die ganze Nacht hindurch gefahren und nicht einmal eine Taſſe Kaffee oder Thee zur Erquickung! «

Erinnerungen ꝛc. 13194

» Ja, « ſeufzte Helmerſen, » dann werden Sie nicht bei Hofe ſpielen. Erläßt man heute nicht noch die Be¬ fehle, ſo iſt das Theater im großen Saal des Winter¬ palaſtes nicht mehr bis morgen herzurichten, und über¬ morgen reiſen die Majeſtäten ab «

Er verſtummte wehmüthig, ſeine Weisheit war zu Ende.

Alſo raſch wurde aus einem Koffer der roſa Atlas¬ überrock zu Tage gefördert, aus dem Hutkaſten das ſchwarze Sammetbaret geholt, die Locken wurden von den Wickeln befreit, hoch, deſperat hoch aufgethürmt, das Baret aufgeſtülpt, und fort ging es. Der Bediente kam uns athemlos im Korridor entgegen, indem er triumphirend ein Rebhuhn präſentirte, welches er einem Koch abgekauft. Stehend ich etwas davon, beinahe erſtickend vor Eile, denn Helmerſen rief verzweiflungs¬ voll: » Wir kommen zu ſpät, zu ſpät! « Athemlos ſtürzten wir die Treppe hinab in den Wagen und ſteuerten dem Oberkammerherrn zu Helmerſen glücklich, ich halbtodt von der Hetzjagd. Unterwegs fragte mich der weiſe Direktor, was ich ſpielen wolle, im Fall mir die Wahl überlaſſen würde? Ich entſchied mich im Hinblick auf meine Rigaer Erfolge in dieſer Rolle für den » Mann im Feuer «. Helmerſen bewies durch den Umſtand, daß er keinen Einſpruch erhob, die größte Un¬ kenntniß ſeines Perſonals und Publikums.

Endlich ſtiegen wir aus, es ging treppauf, treppab, durch unendliche Gänge, bis wir die Gemächer des Ober¬195 kammerherrn erreichten. Wir wurden gemeldet und ſo¬ gleich empfangen. Ich verbeugte mich vor einem würdig ausſehenden Manne und überreichte den Empfehlungsbrief ſeines Freundes Timm. Nachdem er das Schreiben raſch, aber aufmerkſam durchflogen, verſicherte er auf ſehr liebenswürdige Art, daß er ſogleich ſeine Herrin von meiner Ankunft in Kenntniß ſetzen würde, und er hoffe ſicher, ich ſei noch zu rechter Zeit angelangt. » Sagen Sie dies Fürſt Wolkonski, « fügte er ſich empfehlend hinzu.

Helmerſen durchwanderte wie verjüngt mit mir abermals endloſe Gangwindungen, es ging wieder trepp¬ auf, treppab. Dann war auch Wolkonski's Wohnung erreicht. Im Vorzimmer ſaßen und ſtanden eine Menge hoher Militärperſonen; es blitzte förmlich von Ordens¬ ſternen. Ich wurde mit Staunen angeſehen, und ich ſelbſt fühlte nur zu ſehr meine Wangen brennen, meine Augen glühen. Helmerſen mußte zuerſt mit dem Fürſten ſprechen und kam bald zurück, um mich demſelben vor¬ zuſtellen. Wolkonski's Aeußeres war nicht einnehmend: klein, alt, häßlich, aber während des Sprechens ge¬ wann er ſehr, denn neben den Formen des feinſten Weltmannes wußte er ſich klug und angenehm zu unter¬ halten. Er verſprach ebenfalls, ſogleich mit der Kaiſerin zu ſprechen, ließ ſich von Helmerſen das Stück » Der Mann im Feuer « aufſchreiben, und händigte mir einige Zeilen für Fürſt Dolgoruki ein. Wir fuhren gewiß eine halbe Stunde, ehe wir zu deſſen Palais gelangten.

13 *196

Dolgoruki trat mir entgegen, fuhr aber beinahe zu¬ rück, » denn «, geſtand er ſpäter, » Ihre hochrothen Wangen, die fieberhaft blickenden Augen, das Baret, ſo verwegen aufgeſtülpt, Alles das erſchreckte mich faſt Nach¬ dem ich aber Wolkonski's Zeilen übergeben und alle Erlebniſſe und Abhetzereien mitgetheilt hatte, wurde er ſehr artig, verſprach mir nach Kräften beizuſtehen und rieth uns, Cutaizow zu beſuchen.

Dieſer war der einſylbigſte von Allen, aber zuvor¬ kommend und artig.

Jetzt war ich aber auch ſo erſchöpft, daß ich ſchluch¬ zend in den Wagen ſank und rief: » Nun zur Mutter! Spielen oder nicht, ich bedarf der Ruhe. « Helmerſen blieb ungerührt bei meinen Klagen, denn ſein ſehnlichſter Wunſch ſchien erfüllt zu werden, mein Gaſtſpiel brillant enden zu wollen, indem der Anfang deſſelben bei Hofe gemacht wurde. Zum Glück war bereits ein hübſches Logis in Beſchlag genommen worden, der Bediente ge¬ leitete uns in die neue Behauſung, und die Mutter be¬ willkommnete mich mit einem ſehr erwünſchten Souper. Endlich konnten wir uns einer erquickenden Ruhe hin¬ geben, deren Wohlthat ich, wie noch nie, empfand.

Um acht Uhr anderen Morgens wurde ich zur Probe abgeholt, Abends ſollte geſpielt werden. Ich bewunderte den Prachtſaal, in welchem ſich das Theater befand, deſto weniger die Schauſpieler. Ich erkannte das lebensfriſche Luſtſpiel kaum wieder bei dieſer Darſtellungsweiſe. In Berlin hatten wir es in Stunden geſpielt, hier dehnte197 es ſich bis zu Stunden. Keine Spur von Konver¬ ſationston, kein Humor! Der große, ſtarke Barlow als General ſprach nicht, er deklamirte. Das » Guten Morgen, liebe Agnes! « trug er vor wie: » Geh 'in ein Kloſter, Ophelia! « Wiebe, der den jugendlichen Liebhaber gab, ſpielte ernſt und ſprach monoton langſam, wie ein Büßen¬ der; ſein Lächeln war gezwungen, als koſtete es ihm ent¬ ſetzliche Muskelanſtrengung. Von ſämmtlichen Beſchäftigten wurde jedes Wort angſtvoll dem Souffleur abgelauſcht genug, ich kam aus der Probe völlig entmuthigt zu Hauſe an. Verzweiflungsvoll klagte ich der Mutter meine Noth und Angſt wegen der Vorſtellung. Die Ueber¬ zeugung, daß die hohen Herrſchaften ſich langweilen müßten, und das Bewußtſein, daß ich Unglückliche die Veranlaſſung zu dieſer Aufführung ſei, benahmen mir Muth und Heiterkeit. Ich wollte ſogar zu Wolkonski eilen, ihm Alles ſagen und auf die Vorſtellung vor dem Hofe verzichten. Aber dann hätte ich auch nicht mehr am deutſchen Theater in Petersburg gaſtiren können, denn die Schauſpieler hätten ja den Grund meiner jetzigen Weigerung, vor dem Hofe aufzutreten, erfahren, und der Zweck der koſtſpieligen und mühſamen Reiſe wäre verfehlt geweſen. Mit betrübterem Herzen konnte kaum einer Auszeichnung entgegengeſehen werden.

Ehe die Ouverture begann, ſah ich durch ein Löwen¬ auge des Vorhanges und betrachtete das ſchön und reich geſchmückte vornehme Publikum. Der Prinz von Preußen (der jetzige Kaiſer) war zum Beſuche bei ſeiner erlauchten198 Schweſter eingetroffen und ſprach eifrigſt mit ihr; die Kaiſerin-Mutter ſaß neben Nikolaus und ich konnte kaum begreifen, daß dieſe ſchöne, blühende, kaum 40 Jahre alt ausſehende Frau ſeine Mutter war. Der ganze Anblick erinnerte an die Märchen von » Tauſend und Eine Nacht, « und die unermüdliche Scheherazade hätte keine ſchöneren Prinzen und Prinzeſſinen ſchildern können.

Mit furchtbarem Herzklopfen trat ich auf die Bühne; ich hatte das erſte Wort zu ſprechen.

Die Schauſpieler ſchienen das Gedächtniß jetzt völlig verloren zu haben. Mühſam, unerquicklich ſchläfrig ge¬ langten wir an den Schluß des traurigen Luſtſpiels, und Barlow, jahrelang ſchon in Petersburg, beging die Taktloſigkeit, im letzten Akt als General in einem alt¬ fränkiſchen, großgeblumten Schlafrock zu erſcheinen. Beſchort in Berlin hatte zu dieſer Duellſzene, welche ohne Licht im Wohnzimmer vor ſich geben ſoll, einen Ueberrock gewählt, und Barlow ſtolzirt vor den Kaiſe¬ rinnen im ſchlotterigen Schlafrock herum: der dicke, große Mann auf der kleinen Bühne Es war entſetzlich an¬ zuſehn!

Ich konnte es nicht mehr aushalten; ich verſchwand hinter dem großen Schirme des improviſirten Garderobe¬ zimmers, der in einer Ecke des weiten Saals hinter der Bühne angebracht war. Ich fühlte, daß ich blaß unter der Schminke war, und rang mit einer Ohnmacht. Da wurde ich gerufen; wankend trat ich aus meinem Verſteck hervor und ſah Fürſt Wolkonski auf mich zukommen. 199Er überreichte nur ein Geſchenk mit den Worten: » De la part de l'impératrice. «

» Ich danke! » erwiederte ich wehmüthig. » Nicht wahr, » mein Fürſt, die Herrſchaften haben ſich entſetzlich gelangweilt? Ich ſie leider mit! Und Barlow's Schlu߬ koſtüm «

» Ja, das war freilich unerquicklich, « entgegnete Wolkonski; » aber Sie haben gefallen. Haben Sie nicht bemerkt, wie die Kaiſerin ſo herzlich lachte, der Kaiſer applaudirte? «

» Das iſt Balſam für mich; aber darum iſt doch nicht weniger ſchrecklich geſpielt worden. Ich bin in Verzweiflung! «

Wolkonski ſah mich überraſcht an. Dann ſagte er freundlich: » Deshalb nehmen Sie ein Engagement bei uns an. Für beſſere Mitglieder ſoll geſorgt werden; Sie müſſen dem deutſchen Theater hier den Impuls geben. Durch Ihr Talent, Ihre Thätigkeit und Liebe zur Kunſt kann viel gebeſſert und die ganze Bühne geboben werden, und dann wird es Ihnen gut bei uns gefallen. «

Ich verbeugte mich innigſt dankend für die freund¬ lichen Verſicherungen und ſagte aufrichtig, daß ich gern in Petersburg bleiben würde, um ſo recht nach Herzens¬ luſt in allen Fächern ſpielen zu können, aber erſt müſſe doch auch das Publikum ſeine Anſicht über mich zu er¬ kennen geben.

Die liebe Frühlingsſonne, ſowie der glänzende Er¬ folg meines Gaſtſpiels hatten meine Betrübniß bald ver¬200 ſcheucht. Die Stücke waren beſſer einſtudirt; Barlow lernte ich im tragiſchen Fach als denkenden und mit Ge¬ fühl ſpielenden Künſtler kennen, und Wiebe, ſowie die Anderen erſchienen weniger ſteif und kopflos.

Das geſellige Leben Petersburgs gefiel mir ungemein. Der Engagementsantrag war annehmbar, und ſo unter¬ zeichnete ich denn einen Kontrakt für drei Jahre.

Dieſen zu erfüllen, war ich jetzt in Petersburg an¬ gelangt. Dank unſeren traurigen Erfahrungen und den Petersburger Freunden erwartete uns eine behagliche Woh¬ nung und kein übereiltes Auftreten im Winterpalais vor dem Hofe.

Mein Empfang war der freundlichſte, da ich als Suschen im » Bräutigam aus Mexiko « am Klöppeltiſch ſitzend zum erſten Mal wieder vor den lieben Peters¬ burgern erſchien. Die zweite Rolle war Holtei's » Leo¬ nore «, und das dritte Debüt die Polixena in » Kunſt und Natur «.

Das Perſonal war bedeutend verſtärkt und verbeſſert. Als jugendlicher Liebhaber war Herr Weiland recht brav. Der dicke Barlow hatte das Väterfach übernommen, Wiebe die Heldenrollen. Die Vorſtellungen gingen mit denen vor drei Jahren verglichen prächtig, und eine ſehr hübſche Brünette, Fräulein Gerſtel Schweſter des jetzt noch am Stuttgarter Hoftheater ſo beliebten erſten Komikers und Regiſſeurs Gerſtel ſpielte die zweiten201 Liebhaberinnen ganz charmant. Es herrſchte auch mehr Ordnung, mehr Eifer.

Als Intendant ſtand jetzt ſämmtlichen Theatern Fürſt Gagarin vor, unter und neben ihm leiteten die geſchäftlichen Angelegenheiten die Direktoren der ruſſiſchen, franzöſiſchen und deutſchen Bühnen. Gagarin wußte dem herrſchſüchtigen Fürſten Wolkonski gegenüber ſeine Würde zu bewahren, und behandelte die deutſchen Schauſpieler nicht mehr als Stiefkinder. Gagarin war ſtreng, aber gerecht und einſichtsvoll. Einzelne Widerſpenſtige, die den ſeit Jahren gewohnten bequemen Schlendrian ungern verbannt ſahen, wußte der Fürſt auf feine und liebens¬ würdige Art zu verſöhnen. Er beſtimmte nämlich, daß bei den vom Frühherbſt bis zur Faſtenzeit in jeder Woche üblichen Benefizen jede ſolche Vorſtellung in derſelben Woche wiederholt werden mußte, ehe das nächſte Benefiz an die Reihe kam. Auf dieſe Art zwang er die Trägen und Böswilligen, wenn ſie nicht den Vortheil ihres eigenen Benefizes verſcherzen wollten, mitwirkend ein¬ zugreifen.

Das Publikum hatte auch Vortheil von dieſer Neue¬ rung und war dankbar dafür. Es ſah ſo in jeder Woche ein neues Stück, oder ein älteres beliebtes gut einſtudirt, und die Wiederholung deſſelben. Es ging wirklich, wie die Franzoſen ſagen: » comme sur les roulettes! «

Auch die ruſſiſchen Choriſten und Tänzerinnen, die in manchen Stücken mitzuwirken hatten, die Maſchiniſten und ſonſtige ruſſiſche Theaterbeamte zeigten ſich mir202 gegenüber gefügiger und liebenswürdiger. Ich hatte vor drei Jahren manchen Strauß mit ihnen zu kämpfen gehabt und ſie in meiner Weiſe überwunden.

» Warum « (ich ſollte damals nun einmal aus den Warums nicht herauskommen) » lachten die Tänzerinnen, « frug ich den Balletmeiſter nach dem erſten Akt der Probe von Prezioſa, » während meines Solos? Wenn in Berlin daſſelbe nicht ausgelacht wurde, wird es wohl auch vor dieſen Jüngerinnen Terpſichore's Gnade finden können. «

» Es ſind Ruſſinnen, « entgegnete derſelbe. » Dieſe unterſtützen nicht gern die Deutſchen. «

» Ah ſo, « bemerkte ich; » deshalb ſehen auch die ruſ¬ ſiſchen Choriſten ſo verdroſſen aus und ſingen Weber's herrliche Melodien ſo kauderwälſch und rufen ſtets anſtatt: Heil Prezioſa, Heil der Schönen : hil Pitschoso, hil di schnula! «

Der Kapellmeiſter ſchob die Schuld dem Chordirektor zu: dieſer verwies den Automaten ihr Kauderwälſch, und während der Vorſtellung vernahm man kein Ruſſiſch - Chineſiſch und kein Lachen der Tänzerinnen.

Dann ſchien es dem Maſchiniſten bei der Feuerſzene im Käthchen von Heilbronn ganz gleichgültig zu ſein, ob eine Deutſche den Hals bräche oder nicht. Er ließ die Säule, an welche ſich Käthchen anklammern muß, auf der Probe ſo blitzſchnell und ruckweiſe fallen, daß ſie umſchlug. Zum Glück hatte ich mir den Vorgang zeigen laſſen, und als ich meine Bedenken darüber äußerte, antwortete der Maſchiniſt kaltblütig: » Nitschewo! «

203

» Was ſagt er? « frug ich.

» Nitschewo ſoll ausdrücken: es hat nichts zu be¬ deuten, « wurde mir erklärt.

Ich trat etwas erregt auf den Harmloſen zu: » Mein lieber Herr Nitschewo, wenn ich dieſen Abend bemerken ſollte, daß Sie bei der Feuerſzene nicht auf¬ paſſen, ſo gehe ich nicht auf die Brücke, und mit nichts, d. h. ohne Käthchen, fällt dann die Säule herab. Sie müſſen ſich dann verantworten. Empfehlen Sie aber ihren Maſchiniſten Vorſicht an, ſo daß ich mich der Säule anvertrauen kann, dann erhalten Sie na-wodka! « (Trinkgeld zu Schnaps). Das leuchtete dem Nitschewo ein und charmant gelangte ich von der brennenden Brücke, ſanft mit der Säule hinabſinkend, in die Arme meines Wetter von Strahl.

Die gedrückte Stimmung von Riga fand ich auch in Petersburg wieder nur in erhöhter Weiſe. Alle Gardetruppen waren in den unglückſeligen Polenkrieg gezogen. Viele Familien waren in Angſt um ihre Lieben. Kaiſer und Volk, Deutſche und alle anderen in Peters¬ burg ſo zahlreich vertretenen Nationalitäten ſehnten ſich nach dem Ende dieſes unſeligen Feldzugs.

Die Siegesnachrichten langten ſo ſpärlich an, und von der Feſtung wollten die Freudenſchüſſe die Ein¬ nahme Warſchau's immer noch nicht verkünden. Es iſt ruſſiſche Sitte: jeden Erfolg der Armee durch die Kanonen204 der Feſtung zu annonciren. Die in dem Polenfeldzuge ſo oft getäuſchte Erwartung der Siegesnachrichten lähmte jeden geſelligen Aufſchwung; die ſtolze Czarenſtadt ſchien wie in dumpfe Trauer verſunken, alles Leben ſchien da¬ raus entflohen zu ſein.

Plötzlich verbreitete ſich überdies noch das Gerücht: die Cholera iſt ausgebrochen! Daß ſie in Riga wüthete, war längſt bekannt. Und dann ſahen wir mit Grauſen große grünangeſtrichene Wagen langſam von verſtört und ängſtlich blickenden Kutſchern durch die Straßen fahren. Wimmern, Stöhnen wurde von näher Vorbeigehenden aus den Wagen vernommen. Man ſuchte die Bevölke¬ rung über die tägliche Zunahme dieſes fremdartigen An¬ blicks durch die ſanitätsſtatiſtiſche Auskunft zu beruhigen: die gegenwärtige Jahreszeit liefere immer die meiſten Kranken in die Spitäler Aber Niemand glaubte an dieſen Grund des ſtarken Krankentransportes.

Die Theater wurden wenig beſucht, mehr aus trüber Stimmung, als aus Furcht vor der Cholera.

Da beſuchte uns eines Tages unſer lieber Nachbar, der deutſche Paſtor Muralt. Er begrüßte uns unge¬ wöhnlich ernſt, beinahe feierlich. Dann ſagte er: » Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen mitzutheilen, daß die Cholera hier längſt ausgebrochen iſt. Die Regierung kann es nicht länger verheimlichen. Nicht nur die unteren Schichten der Bevölkerung werden hingerafft die Seuche klopft bei allen Ständen an. Ich komme ſo eben vom Sterbebett eines theuren Freundes. Haben205 Sie Verfügungen zu treffen? Ich komme, um Ihnen beizuſtehen und zu rathen: nach Waſſili-Oſtrow zu ziehen. Die Luft iſt dort reiner und Sie finden viele Deutſche «

Plötzlich ſtürzte ein Bekannter todtenbleich in's Zimmer, und auf dem Sopha wie ohnmächtig zuſammen¬ brechend ſtammelte er ſchaudernd: » Der arme Doktor Seemann ſo zu enden «

» Was iſt geſchehen? Faſſen Sie ſich, erklären Sie uns «

» O, Entſetzliches! Die Bauern, die berauſchten Muſchiks, haben unter wildem Geſchrei und Toben den Unglücklichen mit Fäuſten zu Boden geſchlagen, dann über das Pflaſter geſchleift und in den Kanal geſtürzt immer brüllend: Die Deutſchen vergiften die Brunnen Und was war die Veranlaſſung? Doktor Seemann kam aus dem Spital und roch an einem Kampherfläſchen «

Wir verſtummten zum Tode erſchrocken Und noch ehe wir Worte finden konnten, hörten wir die auf¬ geregte Stimme des Direktors Helmerſen vor der Thür: » Der Kaiſer will es aber nicht «

Dann trat er mit Regiſſeur Barlow leichenblaß herein und ſagte zitternd: » Zu meinem Leidweſen muß ich Ihnen mittheilen, daß der Czaar befohlen hat, mit den Vorſtellungen in gewohnter Weiſe fortzufahren, damit die Furcht in der Stadt nicht noch durch Schließung der Theater vergrößert werde. «

206

Barlow hatte Thränen im Auge und ſagte ſehr er¬ griffen: » Unſer trefflicher Kapellmeiſter Schreinzer liegt an der Cholera tödtlich erkrankt; er, der geſtern noch die Prezioſa dirigirte! Unſere beiden Theaterdiener mußten ſoeben in's Spital transportirt werden, zwei Angeſtellte fielen im Büreauzimmer um und wir ſollen fort¬ ſpielen? Dabei ſind, wie immer im Sommer, 40,000 Muſchiks in Petersburg, und die durchziehen jetzt wüthend die Straßen, Tod den Fremden ſchwörend und keine Truppen in der Reſidenz, ſie im Zaum zu halten! Der Kaiſer iſt mit ſeiner Familie in Zarskoje - Selo und weiß ſicher nicht genau, was ſich hier zu¬ trägt Wie ſollen wir ohne Lebensgefahr nur bis an's Theatergebäude gelangen? «

Muralt hatte aufmerkſam zugehört, dann reichte er uns haſtig die Hand zum Abſchiede: » Ich eile zu meinem Freund, dem Miniſter Cancrin, der ſoll ſogleich dem Kaiſer die Wahrheit mittheilen ſicher langt der Befehl zum Schließen der Theater baldigſt an «

Aber der Befehl blieb aus.

Doch wunderbar gewöhnt ſich der Menſch auch an das Schrecklichſte, wenn er es täglich vor Augen hat und weiß: nur Ruhe und Energie kann dich retten!

Ehe man in's Schauſpielhaus fuhr, nahm man zärtlich, aber gefaßt von den Seinigen Abſchied. Mit Gebet und Gottvertrauen ſtieg man in den Theaterwagen und getroſt ging's durch wilde Bauernhaufen und heranziehende Truppen. Es wurde nicht einmal207 zerſtreut geſpielt. Mit Theilnahme begegneten ſich die Kollegen, aller Neid und alle kleinliche Kabale ſchien beſſeren Gefühlen gewichen. Herzlich klang das » Gute Nacht! « und » Auf Wiederſehen! « am Schluß der Vor¬ ſtellung. Die Rückkehr nach Haus war ein Feſt Wie beſeligte die Gewißheit, ſich noch zu beſitzen!

Erſt als auch zwei franzöſiſche Schauſpieler der Cholera zum Opfer gefallen waren, kam der erſehnte Befehl zur Schließung ſämmtlicher Bühnen, und wir zogen hinaus auf's Land.

In Waſſili-Oſtrow lebte es ſich ganz angenehm. Die meiſten Häuſer ſind von kleinen, ſchattigen Gärten um¬ geben. Aber die ganzen Nächte hindurch denn bei Tage durfte nicht mehr begraben werden fuhren die nicht enden wollenden Leichenzüge unter unſern Fenſtern vorbei nach dem großen Friedhofe. Wochenlang ſtarben in Petersburg täglich ſechs - bis achthundert Perſonen.

Nur einmal ſahen wir dieſe geſpenſtiſche Leichenfahrt mit an. Vom Mond beleuchtet fuhren ſtolze Karoſſen vorüber, quer durch die Fenſter ein Sarg geſtellt Elegante Droſchken waren mit Särgen beladen da¬ zwiſchen plumpe Karren und Möbelwagen mit ganzen Ladungen von Särgen denn woher ſo viele Leichen¬ wagen nehmen: auf das damals nur zu wüſte, ſchaurige, große Petersburger Leichenfeld dieſe furchtbar reiche Ernte des Todes zu führen?! Popen begleiteten die Ver¬ ſtorbenen, weiter Niemand: kein leidtragender Ver¬ wandter oder Freund! Kein Tuch trocknete Thränen208 kein Schluchzen unterbrach das dumpfe, eintönige Rollen der Todtenwagen Raſch, geheimnißvoll ſchlang ſich der unüberſehbare Zug dem Kirchhofe zu, und eiligſt wurden Hohe und Niedrige, Reiche und Arme in weite, gemeinſchaftliche Gruben verſenkt und mit Kalk über¬ ſchüttet

Beim erſten Morgengrauen, wie im Hamlet, wenn ſein Vater das markerſchütternde » Ade! Ade! Gedenke mein! « ruft, verſtummte das dumpfſchaurige Getön, ver¬ ſchwanden Wagen und Geſtalten Man konnte andern Tages wähnen, geträumt zu haben Man athmete auf bis zur nächſten Mitternachtsſtunde, wo ſich dieſer grauenhafte Spuk wiederholte

Und dazu immer vergebliches Hoffen der Ruſſen auf die Siegesnachricht von der Erſtürmung Warſchau's auf Frieden!

Ein noch trüberer Schleier legte ſich über Peters¬ burg, als Großfürſt Konſtantin begraben wurde. Wer dieſes Leichenbegängniß mit anſah, hat es ſicher nie wieder vergeſſen. Es regnete; die Popen in den langen Röcken und plumpen Stiefeln ſchleppten ſich ſchwerfällig dem Leichenwagen nach. Der Kaiſer erſchien mit ſeiner Suite zu Pferd; ſein Geſicht war marmorblaß und kalt. Eine Menge Volks ſah gleichgültig den Bruder ſeines Czaren beſtatten

Man hatte Konſtantin in Petersburg nicht geliebt, darum betrauerte man ihn auch nicht. Er hatte dem Thron entſagt, um die Erwählte ſeines Herzens heirathen209 zu können die geiſtvolle, zauberſchöne, ſanfte Polin, Gräfin Johanna Grudczinska, die Kaiſer Nikolaus zur Fürſtin von Lowicz erhob. Gewiß zeugt dies von Leiden¬ ſchaft und Energie aber in dieſer Energie und Leiden¬ ſchaftlichkeit war er ein Deſpot oft bis zur Grauſam¬ keit. Seine angebetete Gemahlin, ſie, die ſich ihm opferte, um der Schutzengel Polens zu werden, war bitter ent¬ täuſcht. Bald von ihren Landsleuten, bald von den Ruſſen mißtrauiſch beobachtet, konnte ſie nur ſelten das Herz ihres Gemahls zur Milde ſtimmen für das arme, unglückliche Polen, deſſen Vizekönig er war. Konſtantin hatte beim Ausbruch des Polenaufſtandes aus Warſchau fliehen müſſen nur mit Mühe war er der Gefangen¬ ſchaft entronnen Und doch war Konſtantin ſtolz auf die Tapferkeit von Johanna's Landsleuten. Auf ein ſtolzes ruſſiſches Wort: » Die armſelige polniſche Armee wird bald zu Paaren getrieben und Warſchau erobert ſein « antwortete er mit ironiſchem Lachen: » Meint Ihr? Wartet nur ab, wie meine tapferen Polen ſich ſchlagen werden «

Die Polen, dieſe von den Ruſſen ſo gehaßten und ge¬ fürchteten » Rebellen « nannte der Bruder des Czaren ſtolz » ſeine tapferen Polen « Welch 'eine Aufgabe für einen Pſychologen, Konſtantin's Charakter zu entziffern!

Nach fünf Monaten ſtarb auch Johanna Grudczinska. Fern vom geliebten Vaterlande fern von Verwandten und Freunden, einſam, verlaſſen, vergeſſen, ſtarb ſie dem Gemahle nach, der ſie trotz aller Tyrannei heißErinnerungen ꝛc. 14210geliebt hatte! Wohl ihr, daß ſie eine gläubige Chriſtin war, eine ſtrenge Katholikin, ſonſt hätte Wahnſinn ſie erfaſſen müſſen bei all' dem Furchtbaren, was ſie gelitten!

Die Dichter ſuchen ſo oft nach Stoffen für Tra¬ gödien Sollte das Schickſal dieſer Märtyrerin nicht eine dankbare Aufgabe für die Feder die Phantaſie das Herz eines dramatiſchen Schriftſtellers ſein?

Auch das Begräbniß des Großfürſten wurde ver¬ geſſen, die Cholera ließ nach in ihrem Wüthen und die Theater wurden wieder geöffnet Und eines Tages verkündeten Kanonenſalven von der Feſtung aus auch die Einnahme Warſchau's! Endlich!

Das geſellige Leben bewegte ſich wieder in gewohnter froher und geräuſchvoller Weiſe, die Theater wurden mehr denn je beſucht und Ueberraſchung, ja Er¬ ſtaunen erregten die ſonſt ſo wenig beachteten deutſchen Vorſtellungen! Ein reiches Repertoir wurde entfaltet. Emilie Galotti, König Enzio, Eliſe von Valberg, Pauline, Schein und Sein, Der Müller und ſein Kind, Die Braut vom Kynaſt, Die Lichtenſteiner, Marie Louiſe von Orleans, Friedrich Auguſt in Madrid, Pfefferröſel alle damals neuen und gern geſehenen Luſtſpiele wurden mit Luſt und Leben dargeſtellt. Nach Verlauf eines Jahres konnte Fürſt Gagarin einen Ueberſchuß aufweiſen, den erſten von den kaiſerlichen Bühnen in Petersburg überhaupt, und zwar vom deutſchen Theater erzielt.

Hätte der Hof nur einige Male die Vorſtellungen mit ſeiner Gegenwart beehrt, die vornehmen ruſſiſchen211 Familien würden gefolgt und ein noch erfreulicheres Reſultat erzielt worden ſein. Es ſcheint, daß der Ein¬ druck der früheren Leiſtungen der deutſchen Schauſpieler die kaiſerliche Familie ſo nachhaltig abgeſchreckt hatte, daß ſie ſich die Erneuerung eines derartigen Genuſſes gern verſagte. Niemand fand das begreiflicher, als ich, wenn ich an den unglückſeligen » Mann im Feuer « von anno 1828 zurückdachte. Ich wurde daher förmlich überraſcht, als bei meinem zweiten Benefiz der Kaiſer und die Kaiſerin in der Hofloge erſchienen und Fürſt Wolkonski mir nach dem erſten Akt von » Friedrich Auguſt in Madrid « ein reiches goldenes Stirnband, mit einem funkelnden Edel¬ ſtein geſchmückt, im Namen der höchſten Herrſchaften überreichte. Uebrigens mußte auch ſchon das Lokal allein den Hof abſchrecken, denn nichts weniger als einladend war das ſchmutzige, dunkle Circustheater. Die deutſchen Schauſpieler fühlten ſich wie aus einer Verbannung er¬ löſt, als auch ſie im großen, prachtvollen Alexandra¬ theater und ſpäter im wunderhübſchen, eleganten Michael¬ theater gleich der ausgezeichneten franzöſiſchen Truppe ſpielen durften.

Die Kaiſerin Alexandra hatte mich gleich nach meinem erſten Debüt zu ſich rufen laſſen und mich in unvergleich¬ lich huldvoller Weiſe bewillkommt. Es iſt unmöglich, impoſanter und doch zugleich anmuthiger auszuſehen, graziöſer zu gehen und zu grüßen, als dieſe Fürſtin da¬ mals erſchien. Wenn ſie tanzte, überſtrahlte ſie, wie ich einige Mal Gelegenheit hatte zu beobachten, die jüngſten14 *212und blühendſten Schönheiten. Obgleich groß und ſtatt¬ lich, ſchwebte ſie dahin wie eine Feenkönigin. Kaiſerin Alexandra hatte von ihrer Mutter, der Königin Louiſe, nicht nur die Majeſtät, auch die bezaubernde Lieblichkeit geerbt, wie die Berliner mit Stolz von ihrer Königs¬ tochter ſagten. Ich wagte die Kaiſerin bei jener Au¬ dienz zu fragen: ob nicht auch das arme deutſche Theater bald auf die hohe Ehre eines Beſuches hoffen dürfe? Da erwiderte ſie gar holdſelig und echt deutſch gemüthlich: » Ach! für mein Leben gern würde ich Sie als Käthchen von Heilbronn ſehen, aber « fügte ſie lächelnd hinzu » die andern Damen ſind in dem Stück gewiß gar zu komiſch; ich kann nicht vergeſſen, wie dieſelben das Taſchen¬ tuch halten « Dabei ſtreckte ſie den Arm ſteif von ſich, faßte ihr Batiſttuch zimperlich an, ſchlug die Augen nieder und machte ein ſo landfräuleinartiges Geſicht und ſchien ſo vergnügt über ihre Nachahmungskunſt, daß ich alle Mühe hatte, ernſt zu bleiben, und die Kaiſerin bewun¬ dernd anblickte.

Man erzählte ſich in Petersburg gern und mit Stolz: Nikolaus ſei ſeiner Gemahlin innigſt und treu ergeben; er wüßte ihren Charakter, Geiſt und ihre Anmuth zu würdigen, Alexandra ſei ſeine erſte Liebe und noch immer ſein angebetetes Ideal. Dabei wurde dann gewöhnlich herzlich gelacht und geſpöttelt über jene Frauen, die ſich bemühten, den Kaiſer in ihre Netze zu ziehen. So wurde mir einſt die ſchönſte Frau Petersburgs, die junge Frau eines alten Generals, gezeigt und dabei erzählt, die213 Generalin habe einſt dem Kaiſer beim Tanzen zärtlich zu¬ geflüſtert: » O, wie glücklich bin ich, Majeſtät, mit dem ſchönſten Manne des Kaiſerreichs tanzen zu dürfen « und Nikolaus habe ihr kalt erwidert: » Madame, ich bin nur für meine Frau ſchön « Wenn auch der Czar ſeine Huldigungen der Schönheit und Jugend nicht verſagte, ſein Herz blieb ſeiner Gemahlin, und Eiferſucht ſoll Kaiſerin Alexandra nie gezeigt haben.

Als Charlotte von Hagn, meine Nachfolgerin an der Berliner Bühne, die jetzige Frau von Oven, 1833 am deutſchen Theater in Petersburg gaſtirte, beſuchten der ganze glänzende Hof und die erſten Familien der Reſidenz die deutſchen Vorſtellungen fleißig, ja, Stock¬ ruſſen bemühten ſich oft vergebens um Plätze.

Um während dieſes Gaſtſpiels die Aufführung einiger klaſſiſcher Stücke zu ermöglichen, übernahm ich gern ſo¬ genannte zweite Rollen. In Kabale und Liebe ſpielte Fräulein von Hagn die Louiſe, ich Lady Milfort, in Don Carlos war ſie Eboli, ich die Königin, ſie gab Eliſe Valberg, ich die Fürſtin. Sogar in dem kleinen Luſt¬ ſpiel » Die Papageien « ſpielten wir zuſammen. Der Kaiſer hatte nämlich befohlen, der von der franzöſiſchen Geſellſchaft gegebenen Tragödie: » Le Duc de Guise « ſolle ein kleines deutſches Luſtſpiel vorangehen, in dem Charlotte von Hagn und ich zwei gleich bedeutende Rollen hätten es war faſt, als ſollten wir vor den kaiſer¬ lichen Augen ein olympiſches Wettſpiel beginnen. Es war nicht leicht, in zwei Tagen ein paſſendes Stück zu214 wählen und einzuſtudiren. Stücke gab's wohl in Hülle und Fülle aber es fehlte entweder die eine oder die andere kaiſerliche Bedingung: die einaktige Kürze oder zwei erſte Damenrollen! Da entſchieden wir uns für Kotzebue's » Papageien « ein unendlich harmloſes Stück, das aber lebendig geſpielt eine ſehr erheiternde Wirkung übt. Der Inhalt des jetzt längſt vergeſſenen Stückes iſt kurz dieſer: Eine Mutter glaubt in ihrem Leben und in ihrer Ehe große Urſache gefunden zu haben, die böſen, böſen Männer zu haſſen. Damit nun ihr Töchterlein nicht dieſelben traurigen Erfahrungen macht, ſoll ſie die Männer gar nicht kennen lernen. Zu dieſem Zwecke hält die Mama das Töchterchen nebſt Ge¬ ſpielin von früheſter Kindheit an hinter Schloß und Riegel. Die beiden jungen Mädchen verbringen ihre Tage damit, in einem von hoher Mauer umſchloſſenen Parke ſpazieren zu gehen, Vögel zu ſchießen und gar poſſirlich zu plaudern: über die unbekannte Welt hinter jener Mauer voll lauter Frauen. Aber eines ſchönen Tages ſteigen bei Gelegenheit einer Jagd zwei Offiziere in ihren bunten Röcken über die Gartenmauer ſehen die jungen Mädchen und verlieben ſich natürlich ſterblich in ſie. Entſetzt fliehen die Fräulein vor dieſen unbe¬ kannten Raubthieren bis die Offiziere ſich ihnen als zwei Papageien vorſtellen. Zum Glück haben die Dämchen in der Naturgeſchichte gelernt, daß Papageien ganz unſchuldige Vögel ſind und oft recht ergötzlich zu plappern verſtehen. Das giebt ihnen Muth, ſich den215 hübſchen bunten Papageien zu nähern und bald finden ſie ſogar recht großen Geſchmack an dem Papageien¬ geplapper und den allerliebſten Thierchen in Röcken von zweierlei Tuch Das Uebrige ergiebt ſich von ſelbſt!

Ja, Kotzebue war doch bei aller anſcheinenden Harm¬ loſigkeit ein großer Satyriker!

Der Kaiſer hatte mit ſeiner Gemahlin die Pro¬ ßeniumsloge im Michaeltheater inne, alſo kaum zwei Schritte von uns Spielenden entfernt.

Charlotte von Hagn hatte als Partner einen ſehr hübſchen jungen Papagei, den jugendlichen erſten Lieb¬ haber Weiland, ich aber mußte mit dem ſchwerfälligen, dicken Barlow fürlieb nehmen. Weiland trippelte ſehr graziös vor und bewegte die Arme gleich Flügeln ganz charmant, als aber mein Papagei vortrappte die kurzen, dicken Arme ſteif ausgeſtreckt die großen Augen tragiſch aufreißend da ſchrie die Kaiſerin vor Lachen hell auf und ich hörte ſie hinter ihrem Tuche dem Kaiſer zuflüſtern: » Mais c'est pour en mourir de rire! Barlov est par trop comique «

Papagei Weiland nahm das ihm von der Hagn in den Mund geſtopfte Biscuit ganz zierlich mein Barlow riß es mir förmlich aus den Händen und verſchlang es heißhungrig, heftig mit den Flügelarmen dazu ſchla¬ gend ſo daß unſer Geplauder minutenlanges, hauser¬ ſchütterndes Lachen unterbrach. Die Hagn und ich füllten die Pauſe ganz ernſthaft mit dem Füttern unſerer Papa¬ geien aus was dann wieder neues Gelächter erregte.

216

Der Duc de Guise empfand die Nachwirkung dieſer Heiterkeit, denn das Publikum, das ſo reichlich Lachthränen geweint, hatte keine Rührungsthränen mehr.

Mlle. Bourbier, erſte franzöſiſche Liebhaberin, ſagte ſchmollend zu mir: » Ce sont vos perroquets qui nous ont gâté notre tragédie. «

Unſere Koſtüme in dieſen Rollen bildeten lange Zeit das Tagesgeſpräch in Petersburg: kurze, weiße Mouſſelin¬ röcke, hellgrüne Atlasſchuhe mit zierlichen Kreuzbändern, hellgrüne, enganliegende Amazonenſpenzer mit Stahl¬ knöpfen, weiße Kravatten und Manſchetten, runde, kleine Baſthüte, mit lang herabwallenden grünen Federn keck auf einem Ohr; das Haar geſcheitelt, die Zöpfe in griechiſche Knoten geſchlungen; Jagdtaſchen um und Flinten in der Hand. Dazu reizende Walddekoration genug, wir hatten trotz der kleinen Rollen und des dummen Stückes Heiterkeit und Furore erregt.

Eines anderen Gaſtſpiels an unſerer Bühne muß ich etwas ausführlicher gedenken wegen ſeiner traurigen Folgen für den liebenswürdigen Künſtler. Ich ſollte hier zum erſten Mal in meinem Leben die bange Erfahrung machen: daß ein zu reiches und zu plötzlich ausgeſchüttetes Glücksfüllhorn für das trunkene Menſchenherz und den armen ſchwindelnden Kopf oft gefährlicher iſt, als der härteſte Schickſalsſchlag!

217

Unſer Direktor vom deutſchen Hoftheater Herr v. Helmerſen überraſchte mich Mitte Mai 1833 mit der frohen Nachricht: daß einer der berühmteſten Mimen Berlins, Wilhelm Krüger, im Juni zum Gaſtſpiel ein¬ treffen würde. Helmerſen bat mich zugleich in ſeiner be¬ kannten klettenhaft inſtändigen Weiſe: doch noch vor der Ankunft des Gaſtes ſo und ſo viele bedeutende Rollen einzuſtudiren, denn ich müſſe jeden Abend mit ihm auf¬ treten, da die zweite Liebhaberin, Fräulein Gerſtel, trotz Anmuth und Talent unmöglich in den Trauerſpielen des hauptſächlich klaſſiſchen Repertoirs die erſten Rollen über¬ nehmen könne.

Das war wirklich für die Mutter und mich eine frohe Botſchaft! Denn wir ſchätzten Krüger nicht nur als geiſtvollen, hochbegabten Schauſpieler ſondern er war uns in den fünf Jahren meiner Berliner Bühnen¬ thätigkeit ein gar lieber Freund und ich ſogar ſeine Gevatterin geworden, die Pathin ſeines Töchterchens!

Schier zum Entſetzen des ſehr pedantiſchen Direktors jubelte ich in meiner Freude auf: » O, wie will ich meinen lieben Gevatter unterſtützen! Nun ſollen die Petersburger erſt ſehen, was ich zu leiſten vermag, mit einem edlen Künſtler wirkend! Nun kann ich herrliche, längſt erſehnte Aufgaben löſen unabhängig von der Laune unſeres erſten Liebhabers, der bald gut, bald ſchlecht ſpielt und oft ſo unerquicklich chikanirt O, Herr Direktor, Sie ſollen mal meinen Gevatter als Wetter von Strahl ſehen und mich als Käthchen von Heilbronn! Das iſt ein218 ander Ding, als mit unſerem Herrn Wiebe, der die Hollunder-Schlummerſzene mit ſpielt Und was hatte der geniale Trotzkopf, als er mir nach vielem Bitten verſprochen, die unglückſeligen eiſernen Hände das nächſte Mal wegzulaſſen, für dieſes Opfer auskombinirt? Mit dem Helm auf dem Starrkopf trat er zum ſchlummernden Käthchen noch dazu mit einem Stahlhelm, deſſen Viſir nicht pariren wollte

» Käthchen, ſchläfſt Du? «

» Nein, mein hoher « klipp das » Herr « über¬ tönend.

» Und doch haſt Du die Augenlider « klapp

» Da blinzelte ich ein wenig zum Sprechenden hinauf und ſah zu meinem Entſetzen: meinen geliebten Wetter von Strahl mit geſchloſſenem Viſir über mich gebeugt

Während ich antwortete: » Die Augenlider hoher Herr?! « ſchob Wiebe ganz gelaſſen das rebelliſche Viſir in die Höhe und fuhr fort:

» Wo biſt Du denn, mein Käthchen « klipp! raſſelte es abermals

Verzweiflungsvoll flüſterte ich: » Helm weg! «

» Sie meinen? « wiſperte der Entſetzliche mit größter Ruhe

» Helm weg! « wiederholte ich deſperat, » oder ich erhebe mich und gehe ab! «

Da marſchirte Wiebe langſam nonchalant, als ob er ſich in ſeiner Wohnſtube befände, in die Couliſſen und kehrte gemüthlich ohne Helm zum Hollunderbuſch219 zurück, und auf ſein abermaliges: » Wo biſt Du denn? « konnte ich, vor Alteration zitternd und faſt weinend, kaum erwidern: » Auf einer ſchönen grünen Wieſe, wo Alles bunt und voller Blumen iſt

» Können Sie es mir verdenken, Herr Direktor, daß mir das Käthchen ſeitdem verleidet iſt? «

Dann erſt brachte der vor meiner frohen Aufregung faſt erſtarrte Helmerſen einen Brief der Frau Krüger an die Mutter zum Vorſchein. Sie las folgende Stelle vor: » Sie, theure Freundin, ſind ſchon heimiſch in der ſtolzen Czarenſtadt. Stehen Sie Krüger mit gütigem Rath bei, und Karoline bitte ich herzlich, etwas von ihrem Froh¬ ſinn auf ihren Gevatter, der ſeit einiger Zeit von quä¬ lenden Grübeleien und Schwermuth bedrückt iſt, zu über¬ tragen. Ich und bewährte Freunde drängten Krüger zu dieſer Reiſe, in der Hoffnung, ſie werde ihn zerſtreuen und erfriſchen. Mäßige Anerkennung ſeiner Leiſtungen, ſo viel Gewinn, um die Koſten zu decken das iſt Alles, was Krüger erwartet und was ihm gut thun würde «

» An den rührend beſcheidenen Anſprüchen erkenne ich unſern Freund, « rief ich ergriffen, » und doch iſt Krüger ein wahrer, edler Künſtler! Nur Geduld, Herr Gevatter glänzend ſoll ſich Alles geſtalten, in jeder Einſicht, nicht wahr, Herr Direktor? «

Der nickte etwas automatenhaft.

» Krüger ſoll mit uns zu Mittag eſſen, Lina, « ſagte die Mutter, » damit er ſich in den unheimlichen Hotels220 nicht verlaſſen fühlt. Du fährſt dann im gleichen Wagen mit ihm zur Probe und zu den Vorſtellungen «

» O, es wird eine frohe, glückliche Zeit « jubelte ich fort.

Da trat der Theaterdiener in's Zimmer und über¬ reichte mir ein mächtiges Packet nebſt der Liſte ſämmt¬ licher darin befindlichen neuen Rollen, mit der Bitte, zu unterſchreiben Signé! hieß: ich werde gerüſtet ſein! Doch etwas beklommen gab ich dem Boten die mündliche Antwort: die Quittung werde Herr von Helmerſen er¬ halten

Meine Beklemmung verminderte ſich auch nicht, als ich » le revers de la Médaille « erſt vollſtändig erblickt hatte

» Iphigenie! Unmöglich, Herr Direktor! In wenig Wochen ſoll ich die ſchwerſte aller Rollen einſtudiren? Das überſteigt meine Kräfte! «

» O, nur den zweiten und dritten Akt hat Krüger zu ſpielen gewünſcht, « beſchwichtigte der alte gute Herr, » zugleich mit dem Drama » Der Paria « ſollen dieſe den Abend füllen «

» Dann iſt es auszuführen « athmete ich auf.

Im Paria hatte ich Alexander Wolff mit Mad. Stich in Berlin hinreißend ſpielen ſehen. Wie erſchütterte dieſes einaktige Drama, beſonders am Schluſſe, wenn die Hüttenwand zerſtört iſt und der Bramine erſcheint und frägt: » Wo iſt das Opfer?! « und die ſchaurige Antwort lautet: » Zwei für eines! Und dann ſcheint die ſtrah¬221 lende Sonne Indiens in die dunkle Hütte und beleuchtet den Paria mit ſeiner Geliebten Beide todt!

» Ophelie im Hamlet, « las ich weiter von meiner Liſte » Nun, die » Ophelia « mag in Gnaden paſſiren, die erfordert kein übermenſchliches Studium. Hat doch Tieck ſchon geſagt: » Ob Ophelia ihre Wahnſinnsſzenen lieblich mit Blumen geſchmückt oder grauſenerregend mit ſchwarzem Schleier und Strohkranz ſpielt Beifall ertönt ſtets « Und in den erſten Akten hat noch keine, ſelbſt die gefeiertſte Künſtlerin, Lorbern gepflückt Herr Direktor, iſt Ihnen etwa klar geworden, was Shakeſpeare meint, wenn er Ophelia ſprechen läßt: » Die Eule iſt eines Bäckers Tochter? «

» Gott bewahre mich in allen Gnaden, « entſetzte ſich Helmerſen

» Rrrrr! Eine andere Rolle: Bertha! Ahn¬ frau! Ah! willkommen traute Erinnerung meines kindlichen Entſetzens! Wie gefiel dieſes ſo bitter getadelte Trauerſpiel in Karlsruhe, als Mad. Neumann, kaum achtzehn Jahre alt, die Bertha ſpielte! Die berühmteſten Gaſtſpielerinnen in Karlsruhe, ſelbſt Frl. Pfeiffer aus München (ſpäter Mad. Birch), vermochten nicht die holde Amalie Neumann zu verdunkeln Bei Charlotte Pfeiffer ſtörte beſonders die koloſſale Geſtalt, ihr unſchöner Kopf, ihr tiefes, mächtiges Organ ſo bei der weichen, ele¬ giſchen Stelle:

Wohin ſeid ihr, gold'ne Tage,
Wohin biſt du, Feenland!
222
Wo ich ohne Wunſch und Klage
Lebte an der Unſchuld Hand?
Wo ein Hänfling meine Freude,
Eine Blume meine Luſt

Wenn nur, Herr Direktor «

» Nun? « frugen Helmerſen's waſſerblaue, ſtets verwunderungsvoll blickende Augen.

» Ja, wenn nur unſer dicker Barlow als Graf Bo¬ rotin ſich nicht etwas Ungeheuerliches ausdenkt, beſonders während des Todeskampfes! Wahrhaftig, ich würde ihn nicht wieder vom Erſticken retten, wie vor drei Jahren in Romeo und Julie Ich habe zu furchtbare Angſt ausgeſtanden «

Barlow und ich hatten nämlich verabredet, nach dem Vorgang von Mad. Stich und Alexander Wolff in Berlin, im letzten Akt eine Gruppe nach einem berühmten Ge¬ mälde zu bilden. Julia ruht im Sarge, welcher auf einer Erhöhung von ſieben oder acht Stufen ſteht. Nach¬ dem Romeo die Geliebte zum letzten Male umarmt hat, tritt er einige Stufen zurück, nimmt das Gift und ſtürzt, unter Qualen ſeine Seele aushauchend, den letzten Blick auf ſeine Gattin geheftet, am Sarge nieder, ſo daß der ſich anlehnende Körper von demſelben geſtützt wird. Die erwachte Julia kniet dann nach der Flucht Lorenzo's bei ihm hin, erſticht ſich und ſtirbt, ihr Haupt an Romeo's Bruſt geneigt. Die Väter erſteigen die Stufen und reichen ſich zur Verſöhnung die Hände über der Gruppe Romeo's und Julia's.

223

Nach dem über Erwarten gelungenen vierten Akt, der großen Aufgabe der Giftſzene (ich ſpielte die Rolle zum erſten Male), lag ich ganz vergnügt in der Nähe des grimmigen Thybald in der Gruft, mit ſtiller Vor¬ freude auf die Wirkung des maleriſchen Schlußtableaus.

Romeo nahm Abſchied, ich hörte ihn die Stufen hinabſteigen, wunderte mich aber, daß, wie in der Probe, das Gerüſt nicht vom fallenden Körper Barlow - Romeo's erzitterte. Lorenzo kommt, ich erwache mit der Frage: » Und wo iſt mein Gemahl? « ꝛc. und vernehme die Schreckenskunde: » Dein Gatte liegt zu Deinen Füßen todt! « Ich ſoll als Julia aufſchreien, ihn entſeelt erblickend; ich ſchreie, ſehe aber keinen Romeo. Ich bemerkte wohl, daß Lorenzo mich die Stufen herabziehen wollte, hielt es aber für ein fein kombinirtes Spiel, um mich dem Schreckensort des Todes zu entreißen Lorenzo flieht. Ich fahre fort: » Geh 'nur, entweich'! denn ich will nicht von hinnen! « und » Was iſt das? ein Fläſchchen feſt in meines Liebſten Hand? Gift, ſeh 'ich wohl, war ſein voreilig Ende. « Ich ſuche den Gatten, er iſt nir¬ gends zu erblicken nicht rechts, nicht links, nicht auf, noch vor den Stufen Ich muß ihn aber doch ſehen, muß mich mit dem an ſeinem Gürtel befeſtigten Dolche tödten, wenn das Stück enden ſoll

Ich ſteige alſo die Stufen hinab, gehe einen, zwei Schritte vorwärts, nach Romeo überall umherblickend, indem ich die Pauſe mit verzweiflungsvollem Händeringen auszufüllen ſuche kein Romeo zu ſehen! Ich trete ver¬224 wirrt noch einige Schritte vorwärts und erblicke endlich den Geliebten nicht weit vom Souffleurkaſten auf dem Rücken liegend, Kopf abwärts und die Füße mir zuge¬ wendet, mit weit aufgeriſſenen Augen und purpurrothem Geſicht Der ganze Hergang wurde mir augenblicklich klar.

Barlow hatte (unſere Verabredung verſchmähend), um größeren Effekt hervorzubringen, der Länge nach kopf¬ über ſtürzen wollen, dabei aber total vergeſſen, daß der Fußboden, wie bei jeder Bühne, ziemlich abſchüſſig iſt. Der dicke, um ſchlanker zu erſcheinen, ſtark geſchnürte Mann lag, dem Erſticken nahe, da, und ich kam noch gerade rechtzeitig, um dieſe Strafe von ihm abzuwenden, oder ihn zu zwingen, durch ſein Aufſtehen die herrliche Tra¬ gödie als Luſtſpiel enden zu laſſen. Einen Augenblick ſtarrte ich dieſen furchtbaren Romeo wie das Haupt der Meduſa an, warf mich dann neben ihm nieder, ſeinen Kopf aufhebend und ihn zärtlich im Arm behaltend. » Sie retten mich vom Tode! « flüſterte er mir in dem ihm eigenen tragiſchen Pathos zu. Es war keine leichte Aufgabe für mich, den ehrlichen dicken Jovis - oder richtiger Boviskopf ſo lange zu ſtützen, bis die lieben Väter ſich verſöhnt hatten denn man muß gütigſt berückſichtigen, daß ich mich inzwiſchen ſelber erdolcht hatte. Und dabei wollte mir mein Romeo während dieſer Schlu߬ ſzene und in dieſer verzweifelten Situation ſeine Todes¬ qualen ſchildern aber meine Geduld und meine Ernſthaftigkeit waren zu Ende. Ich kniff den todten Romeo nicht gerade ſanft in den fetten Hals und flüſterte225 donnernd: » Still! oder ich laſſe Ihren Kopf fallen « Das half augenblicklich. Romeo verſtummte.

Doch kehren wir zu unſerem echauffirten Direktor zurück!

» In Erinnerung der ausgeſtandenen Qualen von anno 28 wird Barlow diesmal hoffentlich ohne Prä¬ tenſion ſterben, « meinte lächelnd die Mutter.

» Sicher! « ſtimmte Helmerſen bei; » um ſo mehr, da Ihro Majeſtät die Kaiſerin ſchon geäußert: ſie wolle der Vorſtellung beiwohnen. «

» Dann ſind wir verloren! « klagte ich, » denn Barlow wird auf noch nie Dageweſenes erſinnen, um die Kaiſerin zu überzeugen, daß er Größeres zu ſchaffen weiß, als der gefeierte ruſſiſche Mime Karatygin «

Leider ſollte ich um dies hier gleich vorweg zu nehmen richtig geahnt haben. Im vierten Akt, als Borotin zum Tode getroffen auf einer Tragbahre ruht und vom alten Räuber erfährt, daß der Bruder Bertha's, ſein verloren geglaubter Sohn, ihn verwundete richtet der ſterbende Barlow ſich zur lauten Verwunderung des ganzen Hauſes hoch auf, und wie der Koloß von Rhodus auf der Bahre ſtehend ruft er mit Donner¬ ſtimme: » Widerrufe! « und beim zweiten » Widerrufe! « ſtürzt er gleich der vom Blitz getroffenen Eiche zuſammen.

Durch die Schwere ſeines Körpers kippte die Trag¬ bahre ſammt dem Letzten des Stammes vollſtändig um und das ſchallende, anhaltende Gelächter des beluſtigten Publikums zwang mich, erſt nach mehreren Minuten ausErinnerungen ꝛc. 15226der Ohnmacht zu erwachen. Sogleich bemerkte ich zu meiner Beruhigung, daß man meinen Vater klugerweiſe wieder auf die Tragbahre placirt hatte, und ich den Monolog ohne Gelächterbegleitung zu Ende bringen konnte. Nebenbei gewahrte ich auch, wie Helmerſen hinter der Szene neben dem erſtarrten Gevatter Jaromir verzweif¬ lungsvoll die Hände rang, denn er hatte von ſeinem Platz aus ſehen können: wie die Kaiſerin das Taſchen¬ tuch vor's Geſicht hielt und vom Lachen überwältigt die Loge verließ.

Nachdem uns Helmerſen verlaſſen, fing ich an zu memoriren; ich ſtudirte, repetirte mit eiſernem Fleiß, faſt Unmögliches hatte ich zu leiſten. Doch die Vor¬ freude: bald den lieben Freund begrüßen und mich ihm als tüchtigere Künſtlerin im Fach der erſten Liebhaberin zeigen zu können, half mir alle Anſtrengungen und Be¬ denken überwinden.

Krüger's erſtes Debüt war der Hamlet ich gab die Ophelia nach Tieck's Auffaſſung und der rauſchende Beifall des enthuſiasmirten Hauſes wollte kein Ende neh¬ men. Krüger hatte geſiegt und ſein ferneres Gaſtſpiel ging nun mit merkwürdiger Friſche und über alle Er¬ wartung glänzend von ſtatten. Selbſt die plötzlich ein¬ getretene Hitze hielt die Petersburger nicht ab, Krüger's Darſtellungen beizuwohnen; viele deutſche Familien ver¬ ſchoben das Ueberſiedeln in die reizenden Sommerwohnungen.

227

Die Kaiſerin erfreute einige Male durch ihre Gegen¬ wart Schauſpieler und Publikum. Aber die Anſtrengung ging faſt über meine Kräfte: jeden Vormittag Probe, viermal wöchentlich in neu einſtudirten Rollen ſpielen und dabei die entnervende Hitze, wie man ſie ſelbſt in den heißeſten Monaten in Deutſchland nicht kennt. Doch die allgemeine Begeiſterung, die Beweiſe von der Dank¬ barkeit des Publikums, das Zuſammenwirken mit dem vortrefflichen Künſtler und Freunde ſtählten und er¬ friſchten meine Geiſtes - und Körperkräfte. Sämmtliche Mitglieder ſchienen metamorphoſirt zu ſein, ihre ſonſt von mir ſo oft empfundene Gleichgültigkeit war dem regſten Eifer gewichen, und ſelbſt unbedeutende Talente thaten ihr Möglichſtes, um ein erquickendes Enſemble zu ſchaffen. Ja, dieſe Epoche des deutſchen Theaters in Petersburg war ſchön und wird mir unvergeßlich ſein.

Krüger's Benefiz: » Kaiſer Friedrich « brachte nach Abzug aller Koſten 4000 Rubel reinen Gewinn und dem beglückten Künſtler ein reiches Geſchenk vom Hofe. Das große Alexandratheater war überfüllt und die Darſtellung ſelbſt nannte Krüger tadellos!

Die Rolle Kaiſer Friedrich II. galt als Krüger's Triumph. Im zweiten Benefiz: » Die Räuber « er¬ zielte Krüger gleiche Einnahme und gleichen Beifall als Karl Moor.

Krüger fuhr mit uns nach Hauſe zu einer Taſſe Thee, wie gewöhnlich nach der Vorſtellung. Er war ſehr erregt. Schon am Schluß der Räuber, als ich zu Karl15 *228Moor zu ſprechen hatte: » Ich kann von Dir Engel nicht laſſen « und Karl mich erdolchen mußte, da zitterte Krüger ſo heftig, daß er mich nicht in ſeinen Armen zu Boden gleiten ſondern fallen ließ.

Seine Lippen bebten konvulſiviſch und markdurch¬ dringend klangen die letzten Reden.

Im Wagen bemerkten wir, daß er die Chatoulle nicht, wie nach dem erſten Benefiz, neben ſich ſtellte, er hielt ſie in den Armen und drückte ſie krampfhaft an ſich wie ein geliebtes Kind. Er ſprach wenig, reichte uns aber öfters die Chatoulle hin, damit wir fühlen ſollten, wie ſchwer ſie ſei.

Mein Bruder, der mir und der Mutter zu Liebe Gouverneur bei dem jüngſten Sohn des Fürſten Waſſiltſchi¬ koff geworden war, um uns nahe zu ſein, bewillkommte uns beim Ausſteigen. Er beglückwünſchte Krüger zu dem neuen glänzenden Erfolge und theilte ihm mit, daß viele vornehme ruſſiſche Familien im erſten Rang geweſen ſeien, da werde der dritte Gaſtrollencyclus ſicher ebenſo brillant ausfallen

Aber Krüger, ſonſt ſo dankbar für ſolche Beweiſe der Theilnahme, hörte zerſtreut zu und nahm ſogar beim Thee immer wieder das Geldkäſtchen in ſeine Arme, ſo eigen wehmüthig lächelnd und plötzlich fing er an bitterlich zu weinen » Was iſt Ihnen, liebſter Freund, was erfaßt Sie? « riefen wir erſchrocken. » Ich werde bald ſterben, « ſchluchzte Krüger, » meine arme Frau, meine unglücklichen Kinder «

229

Bruder Louis winkte uns in's Nebenzimmer und flüſterte: » Krügers Nerven haben gelitten die mora¬ liſchen und körperlichen Aufregungen und Anſtrengungen waren zu groß. Ich will ihn in ſeine Wohnung be¬ gleiten, für einen Wärter ſorgen und morgen in aller Früh unſern Hausarzt, den deutſchen Doktor, zu ihm ſchicken «

Krüger ließ ſich willig fortgeleiten und reichte uns die Hand zur guten Nacht! O, wie unſäglich traurig klang dieſes » Gute Nacht! « Faſt taumelnd faßte er des Bruders Arm, welcher die Chatouille trug.

Andern Morgens klingelte es heftig an der Zimmer¬ glocke, und herein ſtürzte Krüger und überreichte uns, in einen Foulard gebunden, Briefe von ſeiner Frau » Nehmen Sie! nehmen Sie! es wird mich beruhigen, dieſe koſtbaren Papiere in Ihren Händen zu wiſſen « » War denn kein Doktor bei Ihnen? « fragte die Mutter.

» Ja wohl! er hat mich eben verlaſſen gab mir Pulver forderte mich auf, in den nächſten Tagen nicht aufzutreten aber ich kann ſeinem Rath nicht nach¬ kommen, ich muß morgen Abend im Winterpalaſt den Eckenſteher Nante ſpielen, heute die Rolle memoriren «

» Um Gottes willen melden Sie ſich unwohl, « ſagte ich, » mit Ihrer Gemüthsſtimmung die niedrig komiſche Partie ſpielen das muß Ihre angegriffenen Nerven vollends zerrütten «

» Ich kann nicht anders die Kaiſerin wünſcht den Berliner Jargon zu hören, will lachen ich muß es230 möglich machen « Und fort ſtürzte er: blaß, verſtört, in furchtbarer Aufregung.

Die hohen Herrſchaften amüſirten ſich wirklich ſehr über den luſtigen Eckenſteher Nante. Krüger zeigte uns bei Tiſch als Geſchenk des Hofes einen prachtvollen Brillantring, vermochte aber nichts zu genießen. Er ſprach nur von ſeinem nahen Tode.

Wir ſchrieben nach Berlin, erwieſen ihm die ſorg¬ lichſte Pflege, konſultirten die berühmteſten Aerzte Deren Ausſpruch lautete: nur Ruhe im Kreiſe der Sei¬ nigen kann ihn retten.

Nach trübſeligen acht Tagen, die Krüger zuſammen¬ gekauert in der Sophaecke liegend durchweinte und durchſeufzte, kein Troſteswort verſtehend, mit roth¬ geweinten Augen in's Leere ſtarrend wurde er von einem ſicheren Manne nach Berlin begleitet.

Mir händigte er beim Abſchiednehmen ein Zettel¬ chen ein und liſpelte geheimnißvoll: » Lina Pathin meiner Tochter veranſtalten Sie nach meinem Tode hier ein Benefiz zum Vortheil der Meinigen und ſagen Sie den guten Petersburgern Dank mit meinen Worten, die hier auf dem Zettel ſtehen « Mit welcher Wehmuth las ich dieſen Dank: » Das holde Blümlein Vergißmeinnicht erblühet auf meinem Grabe. Ich ſende es Euch als Dank! Ich rufe noch von Jenſeits: Vergeßt mein nicht! «

Und Krüger iſt nie wieder ganz geneſen, ob¬ gleich er nach einer längeren Kur in Kiſſingen wieder231 die Bühne betrat, in den folgenden Jahren noch einmal mit glänzendem Erfolge in Petersburg und dann in Wien gaſtirte. In Wien befiel ihn 1836 die alte Schwer¬ muth wieder und ſo heftig, daß er ſich penſioniren laſſen mußte. Mit ſeiner Penſion von 1400 Thalern ging er erſt nach Weimar und dann zu ſeinen Töchtern nach Manheim. Obgleich er hier in den angenehmſten geſelligen und glücklichſten Familienverhältniſſen lebte, ſo gab er ſich doch bei einem neuen Ausbruch unbeſieg¬ barer Melancholie 1840 ſelber den Tod.

Ich bin noch heute der Anſicht, daß Krüger der liebenswürdige, beſcheidene Künſtler ein Opfer des in Petersburg zu plötzlich, zu berauſchend über ihn ausge¬ ſchütteten Ruhms und Goldregens geworden iſt. Einen ähnlichen Erfolg hatte er ja hat ſelbſt Ludwig De¬ vrient nie auf ſeinen Gaſtſpielen erlebt.

Stets ſoll Krüger auch mit Dankbarkeit, mit Ent¬ zücken der Petersburger Epoche gedacht haben. Dieſe Er¬ innerung beſeligte ihn bis wenige Tage vor ſeinem Tode.

Wir haben uns nie wiedergeſehen aber ich be¬ wahre noch heute treu und pietätvoll ſein » Vergißmein¬ nicht! « und wie ich ſeiner gedenke, erzählten dieſe Zeilen.

Welch 'ein Lebenskontraſt, wenn ich jetzt hier noch eines anderen deutſchen Kollegen gedenke, mit dem ich in Petersburg in Berührung gekommen bin!

Im Januar 1834 herrſchte in der Czarenſtadt eine Kälte, wie man ſich ſeit Jahren nicht zu erinnern wußte. 232Die ſonſt ſo belebte Reſidenz ſchien wie in Schlummer verſunken. Sämmtliche Theater waren auf kaiſerlichen Befehl geſchloſſen worden; Konzerte und Bälle wurden verſchoben, denn die Vornehmen und Reichen, ſonſt Kutſcher und Pferde nicht eben ſchonend, fühlten doch jetzt ein menſchliches Rühren und wollten bei der grim¬ migen Kälte die Equipagen nicht ſtundenlang ihrer im Freien harren laſſen.

Unvermeidliche Ausfahrten der Militairs, Beamten, Geſchäftsleute u. ſ. w. wurden in bedeckten, ſorglich ge¬ ſchloſſenen Schlitten eiligſt abgemacht. Gar zu komiſch nahmen ſich die Fußgänger mit den enormen Cache-nez aus, und wagten ja Befreundete bei der feindlichen Tem¬ peratur uns zu beſuchen, währte das Entpuppen aus den ſchützenden Hüllen ſtets einige Minuten. Erſchienen dabei die Naſenſpitzen verdächtig weiß, ſo wurde, unter Lachen, der erfrorene Theil mit Schnee eifrigſt gerieben, um ihn wieder zu beleben.

Bruder Louis beſuchte uns, trotz der Kälte, eines Sonntags Nachmittags. In gar gemüthlicher Stim¬ mung ſetzten wir uns zum Kaffee, denn es war gut ſein im warmen, behaglichen Zimmer, von keiner Sorge be¬ läſtigt in der für Viele ſo ſchweren Zeit. Wir ſprachen von der Noth der ärmeren Klaſſen. » Zum Glück iſt das Holz in Petersburg wohlfeil und die Menſchen ſind hülf¬ reich, « ſagte die Mutter, » hier wird Niemand ver¬ hungern noch erfrieren. « Kaum war das letzte Wort geſprochen, als die Thürklingel heftig gezogen wurde, und233 nach einigen Augenblicken ſtürzte das Kammermädchen aufgeregt mit den Worten herein: » Ein verſtört aus¬ ſehender Mann will das Vorzimmer nicht verlaſſen! Er ſtarrt das gegebene Almoſen verwirrt an, dabei ſtam¬ melnd: » Frau geſtorben Fräulein Hülfe! «

Louis erhob ſich, um nach dem Eindringling zu ſehen. Wir hörten ſprechen, ſchluchzen, aufſchreien, und eilten dem Bruder nach. Da ſahen wir ihn, wie be¬ täubt vom Gehörten, vor einem älteren Manne ſtehen, der auf einen Stuhl geſunken war, mit geſchloſſenen Augen und ſchlaff herabhängenden Armen, von Beſin¬ nung und Kraft verlaſſen.

Doch wie mußte ich ſtaunen, in dem Unglücklichen den Schauſpieler Brede zu erkennen. Im Spätherbſt war er auf's Gerathewohl mit ſeiner Familie nach Pe¬ tersburg gekommen, auf ein Engagement nach geglücktem Gaſtſpiel hoffend. Er mißfiel, und zweimal ſteuerten ſämmtliche deutſche Theatermitglieder zuſammen, damit er die Rückreiſe antreten konnte. Niemand hatte ihn ſpäter geſehen, und man wähnte ihn bereits vor Aus¬ bruch des Winters in Deutſchland angelangt.

Der Bruder wiederholte uns, was der Unglückliche ihm mitgetheilt: Brede wohne zur Zeit in der äußerſten Vorſtadt, unter Stockruſſen niedrigſter Klaſſe, ſeine Frau war niedergekommen und die Abreiſe mußte verſchoben werden. Nach und nach habe Brede Alles verkauft und zugeſetzt, indem er nicht gewagt, ſeine Kollegen zum dritten Mal um Hülfe zu bitten. Geſtern ſei die Frau234 geſtorben, der Säugling ruhe an der erſtarrten Bruſt, die Knaben ſchrieen vor Verzweiflung und Hunger, die ältere Tochter ſei heute ohnmächtig zuſammengeſunken kein Feuer, kein Brod, kein Geld Da ſei er fort¬ geſtürzt, die deutſche Kollegin aufzuſuchen und ihr ſein Leid zu klagen » Was iſt zu thun? Der arme Mann verliert noch den Verſtand. «

Wir führten Brede in's Wohnzimmer, erquickten ihn mit Kaffee und ſuchten ihn zu tröſten und zu be¬ ruhigen. Eiligſt wurde Wein, Thee, Brod, Zucker in ein Körbchen gepackt. Louis ſuchte einen Schlitten auf¬ zutreiben und fuhr mit dem Unglücklichen nach der Woh¬ nung des Jammers, uns baldige Rückkehr verſprechend.

Ich hielt mit der Mutter Kriegsrath, was zu thun ſei, denn oberflächliche Hülfe konnte Brede nicht retten. Der Mann mußte die Mittel erhalten, um nach Deutſch¬ land zurückreiſen zu können. Da erfaßte mich der Ge¬ danke, unſerm lieben deutſchen Paſtor Muralt, an den ſich jeder Hülfsbedürftige vertrauensvoll wenden durfte, dem Schutzengel der Ausländer, Alles mitzutheilen. » Thu 'es, Lina, « rief die Mutter, » man weiß ja, daß Muralt zu jeder Stunde bei den höchſten Herrſchaften und den erſten Familien wie beim Bürgerſtande als Fürſprecher willkommen iſt. Er iſt überdies unſer Freund, er ſteht uns gewiß bei, nur raſch an ihn geſchrieben! «

Mit wenig Worten ſchilderte ich die Lage der Fa¬ milie. Ich ſchrieb, wie mein Herz es mir diktirte, und trotz der Kälte trug unſer Mädchen den Brief zum235 Paſtor; er wohnte nicht weit entfernt. Nach einer hal¬ ben Stunde kam ſie beinahe erſtarrt zurück und berich¬ tete, der Herr Paſtor hätte gerade nach dem Winter¬ palais fahren wollen, den Brief aber geleſen und ge¬ ſagt: » Morgen Vormittag werde ich perſönlich antwor¬ ten. « Wir athmeten ſchon freier, aber ſehnlichſt harrten wir des Bruders Zurückkunft. Die Nacht war ange¬ brochen und die Kälte ſchien noch zugenommen zu ha¬ ben. Waſſiltſchikoffs ließen fragen, ob dem Gouverneur etwas begegnet ſei, da er, ganz gegen ſeine Gewohnheit, nicht zum Souper heimgekehrt. Fieberhaft aufgeregt horchten wir auf jedes Schlittenglöckchen. Nach qual¬ vollen Stunden langte der Bruder endlich an; er war blaß und angegriffen.

» So etwas Herzzerreißendes möchte ich nie wieder erblicken, « rief er. » Ueber einen großen, düſtern Hof führte mich Brede nach einer Art Remiſe; in einer kleinen feuchten Kammer lag die Leiche der armen Mutter auf Stroh! Der Säugling, an die ſtarre, ſtumme Bruſt geſchmiegt, ſuchte umſonſt nach Nahrung. Zwei Knaben von ſechs bis ſieben Jahren, wahre Jammergeſtalten, weinten laut; die ältere Tochter kniete bei der Mutter Leiche, war aber ſelbſt zu ſchwach, um das Kindchen in die Arme zu nehmen. Grabeskälte herrſchte in dem ſchrecklichen Raume. Ich rief im Vorderhauſe nach dem Dwornik (Hausknecht), der mürriſch und langſam zum Vorſchein kam, und gab ihm Geld, um einzufeuern; mein Bischen Ruſſiſch that mir dabei gute Dienſte. Er236 wurde dienſtfertiger nach Empfang des Geldes, brachte Holz und Thee und nahm den Säugling, um ihn einſt¬ weilen ſeiner Frau zur Pflege zu bringen. Dann half ich die Leiche aus der Kammer tragen, vertheilte die Lebensmittel, kaufte Stroh und ließ das alte fortſchaffen. Ich verließ die Familie ſatt und in einem durchwärmten Raume. Doch nun gute Nacht! «

Des andern Morgens um 11 Uhr kam Paſtor Muralt und rief freudeſtrahlend: » Alles nach Wunſch gegangen! Seht nur! « und ſo ſprechend legte er eine Reihe blanker Goldſtücke auf den Tiſch. » Ja, Ihr Brief, der hat geholfen. Wie ſchön und rührend haben Sie mit wenig Zeilen das Unglück geſchildert; ich möchte in meinem Zürcher Dütſch ſagen: Das iſcht prächti g'ſi! (Das iſt prächtig geweſen!) « Unſere Gegenrede unterbrach er mit den Worten: » Nur ſchnell das Nö¬ thigſte, ich habe Eile! Die Frau muß begraben, die Söhne bei braven Leuten untergebracht, das Kleine ver¬ ſorgt werden. Ich komme eben aus der Höhle denn ſo nur iſt die Wohnung zu benennen. Für den Vater iſt es beſſer, er kehrt mit der Tochter in die Heimat zu¬ rück, die Buben können hier gut erzogen werden. «

« Herrlicher Menſchenfreund! « konnten wir endlich ausrufen. » Aber woher das viele Geld? «

» Woher? Vom Kaiſer, von der Kaiſerin und den drei lieblichen Großfürſtinnen Als ich Ihren Brief empfing, wollte ich eben in das Winterpalais fahren, um den Prinzeſſinnen Nachricht von einer geliebten Leh¬237 rerin zu geben, welche zu einer Reiſe in ihr Vaterland, Kanton Genf, Urlaub erhalten hat. Nachdem ich mei¬ nen Auftrag ausgerichtet und die holden Weſen gar lieb mit mir plauderten, ſagte ich: » Wollen Ew. Hoheiten leſen, wie es Fremden in der ſchönen Reſidenz ergeht? Wollen Sie den Armen beiſtehen? « » Gewiß! « rie¬ fen drei frohe, helle Stimmen. Ich las alſo Ihren Brief vor. Die älteſte Großfürſtin, Marie, nahm ihn mir aus der Hand, rufend: » Das muß Mama auch leſen! « und eilte davon. Die Anderen gingen an ihre Ripptiſchchen und zogen zierliche Beutelchen hervor, tauchten die Händchen hinein und brachten mir mit kind¬ licher Freude blanke Goldſtücke. Nicht lange währte es, ſo öffnete ſich die Thür des Nebenſaales, und wer trat zu uns? der Kaiſer, die Großfürſtin Marie an der Hand führend! » So recht! « rief er huldvoll. » So recht, Paſtor! Sie haben meinen Töchtern Gelegenheit gegeben, Gutes zu thun, und ich freue mich herzlich, daß es meine Kinder beglückt! «

» O, wenn Sie die Gruppe gleich mir hätten be¬ wundern können! « rief Muralt begeiſtert, » der majeſtä¬ tiſche Vater und die reizenden Töchter. Großfürſtin Marie hielt den Kaiſer umſchlungen, Olga ruhte an ſeine Bruſt gelehnt, die Jüngſte, Alexandra, hielt ſeine Hand und küßte ſie zärtlich es war ein entzückender An¬ blick! «

» Bei der Fahrt zu Brede, « ſagte der Paſtor, mußte ich an Hebels » Winter « denken. Sie wiſſen ja,238 er iſt mein Lieblingsdichter. Bitte, ſprechen Sie die Schlußverſe zum Lohn für mein Bemühen! «

» O wie gern, prächtiger Herr Pfarrer! « rief ich, und mit Andacht las ich die unvergleichliche Dichtung. Wie trefflich paßten die Worte zu dem Erlebten

» 's mueß wohr ſy, wie 's e Sprüchli git:
Sie ſeihe nit und ernde nit!
ſie hen kei Pfluegg und hen kei Joch,
und Gott im Himmel nährt ſie doch '«

» Und nun eilen Sie zu unſerm Kröſus, Baron Stieglitz, wenn dieſer Matador unter Ihren Brief eine Summe zeichnet, folgen die erſten Häuſer ſeinem Bei¬ ſpiel. «

Und auch dieſer Schritt wurde reich belohnt.

Nach acht Tagen ſagte Brede ſeinen Söhnen Lebe¬ wohl; ein Uhrmacher und ein Sattler hatten die Knaben zu ſich genommen und bebandelten ſie wie die eigenen Kinder. Das Kleinſte war einer braven Amme anver¬ traut worden und ſollte von einigen deutſchen Müttern überwacht werden. Der Vater mit der Tochter, beſtens ausgeſtattet und mit Reiſegeld reichlich verſehen, kehrten in die deutſche Heimat zurück. Nach Abzug aller Koſten blieben 3000 Rubel als Kapital. Das Geld wurde gut angelegt, um ſo vermehrt einſtens den erwachſenen Kindern eingehändigt zu werden.

239

Und nun zum Abſchiede von der prächtigen Czaren¬ ſtadt einige frohmüthigere Bilder aus dem geſelligen Leben.

Auf liebenswürdigere Weiſe habe ich, nirdends Gaſt¬ freundſchaft ausüben ſehen und nie wohlwollendere Menſchen getroffen, als in Petersburg. Da war von den ſonſt ſo verbreiteten Dornen und Dörnchen der Ge¬ ſelligkeit: von Neid, Klatſcherei, Verleumdung keine Spur! Die ominöſen » on dit « wurden nicht boshaft oder unbe¬ ſonnen erzählt, oder gar entſtellt nein! ſtets klang eine Entſchuldigung zwiſchendurch, und die circonstances attenuantes wurden taktvoll hervorgehoben. Wie oft mußte ich, nach Deuſchland zurückgekehrt, vernehmen, wenn ich dieſe Tugend der Petersburger, der echten Ruſſen wie der Angeſiedelten, lobend erwähnte: dies Be¬ gütigen beruht mehr auf Gleichgültigkeit, man hat nicht Zeit, an Andere zu denken, beſchäftigt ſich nur mit dem geliebten Ich O, wie bitter oft ſollte ich noch Ur¬ ſache haben, bei mir zu denken: wie gut, wie erquickend wäre es, wenn auch anderwärts ſolche Gleichgültigkeit ſich einbürgern wollte! Wie würde der geſellige Ver¬ kehr ſich gemüthlicher, erfriſchender geſtalten, wenn man nicht durch neugieriges Ueberwachtwerden, durch nadel¬ ſtichartige Bemerkungen gezwungen würde, ſich ſtets auf der Defenſive zu halten!

Selbſt der Sommer bot in Petersburg reiche ge¬ ſellige Annehmlichkeiten. Befreundete Familien, welche ihren Wohnſitz in der Nähe der Stadt auf dem Lande240 genommen, luden wie im Winter ein, Aber ohne Equi¬ page waren wir oft gezwungen, dieſer Erholung zu ent¬ ſagen, da die Villas und Landhäuſer, auch das reizende Beſitzthum von Baron Stieglitz, ein bis zwei Stunden von Petersburg entfernt liegen. Ueberdies koſtete ein gewöhnliches Fuhrwerk für den halben Tag 20 Rubel, Sonntags auch 30 bis 40. Als einzige Reſſource, friſche Luft zu ſchöpfen, blieb den in die Reſidenz Gebannten nur der Sommergarten. Der war damals aber ſo ein¬ förmig, ſo unbelebt, wie in tiefſte Melancholie verſunken. Die Vögel wagten nicht laut zu zwitſchern und gerade in dieſem Sommergarten erfaßte mich das Heim¬ weh nach Deutſchlands lieblichen Gärten, den öffentlichen ſchattigen Sommerlokalen mit herrlich dirigirtem Or¬ cheſter und dem traulichen Geplauder fröhlicher Menſchen am heftigſten, wenn wir die regelmäßigen, ſtillen Alleen nach kurzer Promenade in trübſeliger Stimmung baldigſt wieder verließen.

Was in Petersburg die tanzliebende Welt zu leiſten im Stande iſt, grenzt an's Unglaubliche! und der Lenz des blühendſten Mädchens, der ſchönſten jungen Frau iſt nach wenigen Saiſons vorüber.

Ich will nur ſchildern, was ich während einer ein¬ zigen Woche mitzumachen verſuchte. Dann mußte ich mich aber etwas zurückziehen, um mich nicht in kurzer Zeit um meine Geſundheit, ja um meine Künſtler¬ laufbahn, die ſo viel geiſtige und körperliche Friſche er¬ forderte, gebracht zu ſehen.

241

An einem hellglänzenden Wintervormittag fuhr bei uns ein eleganter Schlitten vor. Die ſehr geſchätzte und gefeierte Gattin des reichen Kaufmanns Pleske begrüßte die Mutter gleich mit den Worten: » Erlauben Sie mir, Frau Rittmeiſterin, Ihre liebe Tochter zu entführen, ſie ſoll unſere Rutſchberge kennen lernen, ein entzückendes Vergnügen «

» Aber morgen, « ſchob ich etwas kleinlaut ein, » ſoll die erſte Probe von König Enzio ſtattfinden, übermorgen die Benefizvorſtellung, wenn ich nun heiſer würde, nicht ſpielen könnte der arme Pollert käme um ſeine Einnahme «

» Sie und krank werden! « lachte Mad. Pleske, » Sie blühend Starke! Wir wollen Sie ſchon ſorgfältig in Pelze hüllen; dann ſpeiſen wir en petit comité bei meiner Schwägerin, Mad. Ritter. Jetzt iſt es 11 Uhr um 3 Uhr kehren Sie zur Mama zurück. «

» Meine Tochter muß auch die neue Rolle noch durch¬ gehen! « meinte die Mutter beſorgt.

» Das kann ſie Abends zur Genüge! « erwiederte Mad. Pleske. » Bitte! verderben Sie uns nicht die Freude «

Alſo warf ich mich in Eile in's Winterkoſtüm und ſauſte bald in dem pelzgefütterten Schlitten mit dem ſil¬ bernen Glockengeläute durch die Straßen dahin und dann waren wir draußen bei den Rutſchbergen, dem reizendſten ja berauſchenden Nationalvergnügen der Petersburger.

Erinnerungen ꝛc. 16242

Zwei hohe, ſpiegelglatte Eisberge, mit Treppen ver¬ ſehen, ſtehen ſich auf weiter Ebene gegenüber. Ein win¬ ziger Schlitten, von einem ſicheren Führer geleitet, nimmt uns auf der Höhe des einen Berges auf und pfeil¬ ſchnell fliegt der Schlitten herab, die ebene Bahn ent¬ lang dem gegenüberliegenden Eisberge zu Dann wird der Schlitten verlaſſen, die hohe Treppe dieſes Eis¬ berges erſtiegen, um abermals von der Höhe mit der Windsbraut in die Wette zu ſauſen und ſo geht es ohne Raſt immer zu, wie eine chaine anglaise. Iſt aber der Leiter des Schlittens nicht gewandt und kalt¬ blütig, dann kann er ſammt ſeiner Dame leicht Arme und Beine, auch wohl den Hals brechen. Das Kühne, Gefahrvolle erhöht aber gerade den eigenthümlich auf¬ regenden Reiz des Vergnügens. Es iſt der höchſte Ehr¬ geiz eines eleganten Petersburger Herrn, den Ruf eines geſchickten Rutſchbahnführers ſich errungen zu haben. Dieſen Ruf hatte der ritterlich ſchöne Kaiſer Nikolaus mit vollſtem Recht, und die Petersburger und ich konnten nie müde werden, bewundernd zuzuſchauen, wenn der Czar den kleinen Rutſchbahnſchlitten der Kaiſerin Alexandra ſo elegant und ſicher lenkte.

Um 1 Uhr waren wir ſämmtlich nicht mehr roth¬ wangig, ſondern vom Druck der eiſigen Luft bläulich angelaufen, und die erſtarrten Lippen vermochten nur noch mit Anſtrengung zu ſprechen und zu lächeln. Bei den gaſtlichen Ritters erholten wir uns bald von den Vergnügungsſtrapazen und im Nu war 3 Uhr mah¬243 nend da. Ich wollte zur harrenden Mutter und zu meiner zu memorirenden Rolle aufbrechen, da rief der liebenswürdige Wirth: » Sie entkommen uns noch nicht! Ein Klavierſpieler iſt beſtellt, Tänzer und Tänzerinnen eingeladen, ich habe den Ball zur Ueberraſchung meines Frauchens improviſirt. «

» Aber in Winterkleidern kann ich doch nicht tanzen? «

» Auch dafür iſt geſorgt, « triumphirte Herr Ritter, » ich hatte vor dem Eſſen noch Zeit, Ihre Frau Mutter zu beſuchen, ihr Alles vorzuſtellen und die Balltoilette harrt Ihrer ſchon ſehnſüchtig, ich half ſie in den Karton packen «

» Aber König Enzio! «

» Ach was Enzio! Sie ſprechen dem Souffleur nach und ſiegen doch « erſchallte es von allen Sei¬ ten. So mußte ich mich denn metamorphoſiren und tanzte fröhlich bis 10 Uhr.

Obwohl ſehr ermüdet, lernte ich noch fleißig an der Rolle, fühlte während der Probe die heranrückende Heiſerkeit ſagte aber nichts, um den Benefizianten Pollert nicht zu beunruhigen. Nun wurde Bruſtthee zu Hülfe genommen, das Bett gehütet und das Benefiz ging glücklich vorüber.

Andern Tages wurde ich zu einer Soirée musicale entführt, den dritten Tag Repetition des Enzio, den vierten Morgens Probe einer Quadrille zu einem Ball costumé ich ſtellte Flora vor, mein Tänzer den16 *244Winter, fünfter Abend Käthchen von Heilbronn, ſechſter der koſtümirte Ball ſiebenter Morgens Probe von der Braut vom Kynaſt, Abends Benefizvorſtellung vom Tyran domestique der franzöſiſchen Truppe, den achten Tag Vorſtellung der Kynaſtbraut, eine hochtra¬ giſche, anſtrengende Rolle: ich ſehe meine Freier ganz ruhig von der Ringmauer ſtürzen, bis der wirklich Ge¬ liebte den Ritt wagen will Genug, ich war total erſchöpft und ließ mich nicht mehr überreden, an allen Vergnügungen Theil zu nehmen

Doch alle Zerſtreuungen, alle Kunſtgenüſſe ver¬ mochten nie das lebhafte Intereſſe der Petersburger an der kaiſerlichen Familie zu verdrängen. Dieſe enthuſiaſtiſche Verehrung bildete das eigentliche Lebensprinzip der Peters¬ burger. Unwillkürlich ſchloſſen wir uns dieſem Kultus an und lauſchten bald jeder Anekdote, jeder Mittheilung über die hohen Herrſchaften mit gleichem Intereſſe.

Da vernahm man, wie Bildhauer Wichmann aus Berlin, der die lebensgroße Statue der Kaiſerin aus¬ führte, gerührt, entzückt erzählte: der Kaiſer habe bei Beſichtigung der Arbeit ausgerufen: » Ja, ja, das ſind die edlen Züge meiner Matuſchka (Mütterchen) das iſt das klaſſiſche Profil meiner Alexandra, der herrliche Nacken So recht, Wichmann, Sie ſchaffen ein erhabenes Kunſtwerk! « und wie dann die Kaiſerin fröhlich über das geſpendete Lob die Wangen ihres Gemahls geſtreichelt, er ſie iu des Künſtlers Gegenwart echt bürgerlich an's Herz gedrückt und zärtlich wie ein Bräutigam geküßt habe.

245

Dann wieder hieß es: » Haben Sie ſchon vernommen, daß das hohe Paar Alles ſelbſt zur Chriſtbeſcherung anordnete, geſchäftig von einem Tiſch zum andern ſchwirrte und die Geſchenke zurechtlegte? «

Wit Lachen wurde erzählt, Nikolaus habe zu einem fremden Architekten geſagt, dabei auf Fürſt Wolkonski deutend: » Verlangen Sie nur viel, denn dieſer für mich ſparende Geizkragen wird ſchon abhandeln ! «

Beſonders bei den Damen machte es Senſation, wie der Kaiſer ſo zart, ſo liebevoll die Kaiſerin auf den bal¬ digen Tod ihrer älteſten, vertrauteſten Kammerfrau vor¬ bereitet hätte, und wie ſie gleich einem Kind an ſeiner Bruſt geweint und ruhiger geworden ſei.

Voll Intereſſe beſichtigten wir die Herrlichkeiten der kaiſerlichen Reſidenz und der Eremitage, ich hörte auch die koloſſale Spieluhr die Ouverture aus » Don Juan « exekutiren.

Mit eigenen Gedanken betrachtete ich das lebensgroße Bild der Kaiſerin Katharina II. Eine ſchöne Geſtalt, von weißem Atlas umfloſſen, mit himmelblauem Ordens¬ band geſchmückt, mit imponirend majeſtätiſcher Haltung, den einen Arm wie zum Befehlen ausgeſtreckt. Das ganze Leben dieſer merkwürdigen Herrſcherin und ent¬ zückend ſchönen Frau tritt beim Anblick des Bildes leb¬ haft vor unſere Seele. Die dunkelblonden, wellenartig zurückgeſchlungenen Haare, wie bei Marie Antoinette, mit Perlen durchzogen, die blauen, bedeutenden Augen, die edle Stirn, die fein geformte Naſe, der liebliche Mund246 feſſeln unwiderſtehlich. Dabei ein edel geſchwungener Nacken, ſchön geformte Arme und Hände genug: man begriff, daß dieſe Perſönlichkeit, verbunden mit Scharf¬ ſinn, hohen Geiſtesgaben, bezaubernder Liebenswürdigkeit, Alles wagen durfte.

Neben dem Gemälde ſaß auf einem Papageigeſtelle ein großer, uralter Kakadu. Unter ſeinen Augen mit unheimlich verſtändigem Blick hingen große Falten nie¬ der. Ich frug, wie dieſer Vogel in dieſen Prachtſaal käme? und bekam zur Antwort, daß die Kaiſerin Katharina den Liebling immer um ſich gehabt habe. Aus Pietät gegen ſie werde er ſorgfältig gepflegt, und da er nur in dieſem hellen, von Beſuchenden ſelten leer werdenden Saale und vor dem Bilde ſeiner ehemaligen Herrin ruhig ſei, ſo gönne man dem gewiß achtzig Jahre alten Kakadu ſein Lieblingsplätzchen.

Auch an meinen Urgroßvater, den einſt berühmten Chirurgen Ramdor in Braunſchweig, mußten wir bei dem Bilde der Kaiſerin denken. In ihrer letzten Krank¬ heit hatte Katharina ihn nach Petersburg rufen laſſen. Leider traf er zu ſpät ein; die Operation konnte nicht mehr gewagt werden; aber reich beſchenkt wurde der Ur¬ großvater entlaſſen, und nie konnte er müde werden, von der Huld und Gnade der Kaiſerin zu erzählen.

Auf dem Porträt meiner Urgroßmutter iſt noch eine Brillant-Rivière zu ſehen, welche die Kaiſerin dem Chirurgen für ſeine Frau hatte einhändigen laſſen und die Urenkelin, von den Nachkommen der Kaiſerin auch247 durch ein ſchönes Sévigné erfreut, bewunderte die pracht¬ vollen Räume, welche der Urgroßvater einſtens durch¬ wandert hatte

Noch ergreifender für mich war aber die Audienz, die Herzog Paul von Württemberg mir und Bruder Louis in ſeinem Palais in Petersburg gewährte er wollte die Kinder ſeines lieben Oberſtſtallmeiſters Bauer, der dem Prinzen einſt das Leben gerettet hatte, indem er ihn mit eigener Gefahr und Dank ſeiner Rieſenkraft aus einem tiefen Sumpf zog, kennen lernen. War doch auch Herzog Paul zugleich die Urſache, daß der Vater unſere Mutter fand als er im Auftrage des Prinzen nach Koburg kam, um der zauberſchönen Prinzeſſin Helene die Brautjuwelen zu überreichen!

Aber trotz der nie wankenden Gunſt des Publikums und trotz der herzlichſten Aufnahme in den liebenswür¬ digſten Familienkreiſen dachten wir doch längſt an's Scheiden. Die Mutter konnte das Klima nicht vertragen und fing an zu kränkeln. Auch ich ſpürte die Wirkung der entnervenden Sommer der anſtrengenden Winter.

Fürſt Gagarin legte zu Aller Bedauern die Inten¬ danz nieder, Herr von Gedeonoff wurde ſein Nachfolger.

Wie derſelbe ſeine Aufgabe auffaßte und zu löſen ſuchte davon hier nur ein Beiſpiel.

Während des Don Carlos ich gab die Eboli und während der großen herrlichen Szene zwiſchen König248 Philipp und Marquis Poſa, aber noch vor den Worten: » Sire, geben Sie Gedankenfreiheit! « trat Herr von Gedeonoff auf den Regiſſeur Barlow zu und befahl ihm, den König und Poſa ſogleich abtreten zu laſſen, indem das Geſchwätz den Hof langweile

Der ehrliche Barlow ſtand wie eine Salzſäule da und wußte ſich keinen Rath, wie er ohne großen Eclat die beiden unliebſamen Schillerſchen » Schwätzer « von der Szene verſchwinden laſſen könne.

Da ſprühte mein gutes deutſches Schiller-Herz über:

» Nun, Herr Barlow, ſo treten Sie doch als Re¬ giſſeur vor und machen dem Publikum eine Verbeugung und ſagen: » Allons, König Philipp, allons, Marquis Poſa mit dem demokratiſchen Kopfe und dem Herzen voll ſtolzer Weltbeglückungsträume marſch von der Bühne, Se. ruſſiſche Majeſtät langweilt Euer Geſchwätz lang¬ weilt die Gedankenfreiheit «

Der Intendant ſah mich giftig an und trat dann faſt aus den Couliſſen heraus und ſchrie dem verdutzten König Philipp und Marquis Poſa zu: » Sogleich ab¬ treten, oder ich laſſe Euch durch Soldaten von der Bühne holen «

Und ſie traten ab.

Mein geflügeltes Wort war aber nicht zwiſchen den Couliſſen verklungen. Bei meiner Abſchiedsrolle blieb allein die kaiſerliche Loge leer!

Mein Kontrakt war zu Ende und trotz der günſtig¬ ſten Bedingungen lehnte ich ſeine Erneuerung ab. Der249 Hauptzweck meines Engagements: in allen Fächern zu ſpielen, auch im tragiſchen Fach ein reiches Repertoir zu bilden, war vollkommen erreicht worden.

Ich ſchied von Petersburg mit dankbarem Herzen, den mir wahrhaft ergebenen Familien beim Lebewohl ſagend: » Auf Wiederſehen im ſchönen Deutſchland! « Ich gedachte eine große Kunſtreiſe anzutreten, und dann zu bleiben, wo ich und wo mir es am beſten gefallen würde.

Als mein letztes Auftreten ſtattfinden ſollte, waren alle Plätze ſchon Morgens 9 Uhr verkauft, und am Abend der Vorſtellung mußten Hunderte zurückgewieſen werden, und doch fand die Vorſtellung im großen Alexandratheater ſtatt und die Petersburger hatten mich wenigſtens 300mal ſpielen ſehen!

Ich gab die Elsbeth im Tournier zu Kronſtein, und zum Schluß die Roſa in der Operette: » Zwei Worte, oder die Herberge im Walde. « Roſa hat eine liebliche Melodie am Schluß zu ſingen, da wählte ich Worte des Dankes und des Abſchiedes dazu, vermochte ſie auch zu ſingen, wenn gleich mit bebender, thränenverſchleierter Stimme, Stürmiſch rief das ganze Haus: » Noch ein¬ mal ſpielen! noch einmal! « Und ſo wurde andern Abends die Vorſtellung im Michaeltheater wiederholt. Das war Mitte Januar 1834, deutſchen Styles.

Viele Freunde und Bekannte begleiteten uns bis zur erſten Station, auch ruſſiſche Familien. Ich lernte eine gar ſchöne Volksſitte kennen, daß man vor dem letzten250 Lebewohl ein ſtilles Gebet verrichtet. Mit Rührung ge¬ dachte ich während dieſer feierlichen Stille nur des Guten, das mir in Petersburg ſo reich zu Theil ge¬ worden war

Und darf ich hier den originellen Reiſepaß, den das kalte Rußland mir in ſeinem Enthuſiasmus mit auf den Weg gab, einfügen?

Ja, eine alte Frau die längſt in ſtiller Zurück¬ gezogenheit lebt, die des Herzens Eitelkeit überwunden hat die darf es.

So klebe ich denn das Stückchen einer alten Zeitung hier her:

» Reiſepaß unſerer hochgefeierten Karoline Bauer.

Dem erſten Engel der deutſchen Bühne in St. Pe¬ tersburg, Demoiſelle Karoline Bauer, wird hiermit die Bewilligung zur Rückreiſe ertheilt. Zu näherer Kennt¬ lichkeit fügen wir folgende Perſonalbeſchreibung bei: Heimat: Ueberall zu Hauſe. Charakter: Alle Abend einen neuen, jeder vortrefflich. Stand: Anſtand. Figur: Poetiſch. Alt: In der Kunſt, ſonſt jung. Angeſicht: Maiblume. Augen: Laſſen Alles blau anlaufen. Haare: Locken (natürliche). Zähne: Dreimal zehne und zwei. Unterſchreibt gewöhnlich: Alles Schöne und Gute. Mit ihr reiſen von hier ab: Die Kunſt, ihre ſtete Geſell¬ ſchafterin, Thalia, Euphroſyne und Aglaja, ihre Kammermädchen, die Anmuth, ihre Erzieherin, der Geſchmack, ihr Garderobier, der Frohſinn, ihr Leibarzt. Beſondere Kennzeichen: Hat auf der linken251 Seite ein rechtes Herz und ſpielt in Trauerſpielen mit Luſt; ſie iſt ſanft und doch hinreißend; ſie iſt in allen Rollen zu Hauſe und giebt doch, immer viel Gaſtrollen; ſie iſt eine ausgelernte Spielerin, und doch gewinnt Der, der mit ihr ſpielt; ſie iſt die ſanfteſte Perſon und hat doch viele Auftritte, die allgemeine Senſation erregen; ſie hat einen kleinen Fuß und macht doch große Fort¬ ſchritte. Es beſtrebte ſich Alles, ſie nicht vom Orte zu laſſen, und doch rief man ſie immer heraus; ihr Ruf iſt feſt gegründet und fliegt doch durch ganz Europa. Nach dieſem Signalement werden alle Behörden erſucht, ſie auf ihrer Reiſe freundlich aufzunehmen und ſchmeichel¬ haft zu empfangen. Alle Erdenleiden und Uebel ſind auf's Strengſte angehalten, ihr kein Hinderniß in den Weg zu legen. Alle Herzen ſind beordert, ſie auf ihr Verlangen frei ein - und auspaſſiren zu laſſen und ihr mit Huldigung und Verehrung den gebührenden Vorſchub zu leiſten. «

[252]

IX. Es giebt nur a Kaiſerſtadt.

Petersburg Rußland lagen hinter uns und ob¬ gleich mir das Scheiden bitterſchwer geworden war und ich mit dem innigſten Danke auf die vielen lieben Freunde und ein meinem Bühnenwirken drei Jahre hindurch treu¬ gebliebenes, herzlich wohlwollendes Publikum an der ſtolzen Newa zurückblicken durfte ſo waren die Mutter und ich doch glücklich und fröhlich, wie Kinder: wieder daheim in unſerem wunderſchönen, traulichen Deutſchland zu ſein

Es war auf der erſten größeren Gaſtſpielreiſe nach der Heimkehr

Der Vormittagsgottesdienſt war ſoeben beendet. Unter dem hellen Geläute der Kirchenglocken fuhren wir an einem ſonnigen Sonntage Ende Mai 1834 zum erſten Mal in die ſchöne, fröhliche Kaiſerſtadt an der blauen Donau ein. Eine Menge feſtlich geputzter Leute, auf deren wohligen Geſichtern ein herzfröhliches Vergnügtſein253 ſtrahlte, wogte auf den ſauberen Straßen. Fiakers und prächtige Equipagen rollten vorüber und elegante, kecke Reiter ſteuerten durch das Gewühl Das war ein ſo frohmüthiges Lachen und Plaudern und Grüßen und Winken um unſere landſtraßenſtaubige und auch ſchon recht landſtraßenmüde Kutſche, wie ich's noch nie geſehen hatte. Und ich wurde bald ſelber fröhlich mit den Fröhlichen und ſorglos mit dem lieben närriſchen, ſorg¬ loſen Völkchen um mich her und doch fuhr ich dem verhängnißvollſten aller Gaſtſpiele entgegen: an dem ſtolzen, in der ganzen Bühnenwelt tonangebenden Burg¬ theater! Und zuletzt ſummte ich gar in das bienenfröhliche Summen hinein, aus Holtei's köſtlichen » Wienern in Berlin «, das Lied, mit dem Amalie Neumann 1824 die Berliner im Sturm eroberte:

» Es giebt nur a Kaiſerſtadt,
's giebt nur a Wien «

Auch die Mutter lächelte in der Wagenecke wie der ſonnige Frühlingstag, und unſere gute Laune wurde nicht mal getrübt, als wir von einem Gaſthof zum andern fahren mußten und überall die Antwort bekamen: » Kein Platz mehr! «

» Nun, Ihro Gnaden, da fahren mer in die » golden Anden «, ſagte der Poſtillon, » da iſt ſicher noch Platz, und a paar Tage wird's dort halt ſchon geh'n! «

» Goldene Anden «, ſagte ich verwundert, » was iſt das für ein Ding? «

254

» Nu a Anden Ihro Gnaden, dös ſchmeckt halt, wenn's geback'n, gar prächti! «

» Backhandl Backhandl «, lachte ich, » Mutter, wir ſind in der Stadt der Backhandl «

» A Anden iſt aber halt a Biſſel größer als a Handl «, ſagte treuherzig der Poſtillon, und fuhr uns nach der » Goldenen Ente «.

Die Anden war nicht ſchön, außen und innen, aber artige Wirthsleute und der poſſirlichſte aller Lohn¬ bedienten ließen ein Unbehagen über das unfreundliche Quartier gar nicht aufkommen.

Schon wenn man den ehrlichen Sepperl in dem ausgewachſenen zeiſiggrünen Frack und den gelben Ran¬ kingnen und der hohen ſchäbig-gentilen Angſtröhre auf dem fuchſigen, unciviliſirten Tituskopf anſah, mußte man ihm heiter zugethan werden.

Meine erſte Frage an Sepperl war natürlich nach dem Burgtheater » Was wird heut 'Abend gegeben, Sepperl? «

» Das Feſt in Knillwurſt, Ihro Gnad'n! «

» Knillwurſt Knillwurſt « rief ich lachend » auch ſo a Ding zum Eſſen, wie die goldne Anden? «

Aber ſchon hatte Sepperl einen zerknillten Theater¬ zettel aus ſeiner Angſtröhre hervorgeſucht und auf den Rankingnen glatt geſtrichen und ich glaubte, ich ſollte ſterben vor Lachen, als ich las: » Das Feſt in Kenil¬ worth « Aber dann jubelte ich auf: » Eliſabeth Amalie Wolff als zweite Gaſtrolle Sieh, Mütterchen,255 wir haben Glück meine theuerſte Kollegin und unſere herzliche Freundin aus Berlin finden wir jetzt gleich bei unſerem Entrée in Wien wieder welch 'frohe Ueber¬ raſchung Geſchwind, Sepperl, Billets zur Knillwurſt und dann dieſen Brief an den Hofſchauſpieler Schwarz und dieſen an den Schriftſteller Dr. Witthauer «

Und Sepperl ſteckte die Briefe zierlich in das Leder ſeines Himmelſtürmers und ſtürzte fort, daß die Zeiſig¬ flügel flatterten und nach kaum einer Stunde flatterte er athemlos wieder in die Anden und meldete: Herr von Schwarz, 'n charmanter alter Herr, folgt mi auf dem Fuße hat mi auf Seel halt ſehr gut g'fall'n und auch der Herr von Witthauer wird gleich da ſein, der hat mi aber halt nit ſo gut g'fall'n, ſchaut ſo finſter drein «

» Und die Billets, Sepperl? « unterbrach ich den Redſeligen

» Ja ja die Billets die Billets ach, Ihro Gnad'n die hab 'i bei mei Seel partout ver¬ ſchwitzt «

» Aber die Billets waren ja gerade die Hauptſache, wie konnten Sie die nur vergeſſen? « klagte die Mutter.

» Ja ja weil i halt a großer Eſel bin, Ihro Gnad'n «, und dabei ſah Sepperl ſo ehrlich aus, daß wir ihm dies auf's Wort gern glaubten, und in das unauslöſchlichſte Gelächter ausbrachen, und immer256 unauslöſchlicher lachten, je verdutzter Sepperl ſeine großen waſſergrünen Augen aufriß

» Nun, das nenn 'ich einen guten Anfang in unſerer luſtigen Kaiſerſtadt «, rief eine fröhliche Stimme, und ein liebes, gutes, altes Geſicht lächelte uns an. Es war der Hofſchauſpieler Schwarz. Er brachte uns Grüße von Frau Brede, der innigſten Freundin von Rahel Varnhagen, und verſprach, während unſeres Wiener Aufenthalts unſer treuer Steuermann durch alle Ver¬ gnügungen und Gaſtſpielgeſchäfte zu ſein.

» Womit beginnen wir heute? « fragte der liebens¬ würdige Greis » Beſuche bei Deinhardſtein, oder bei dem Intendanten, oder «

» Heut 'nichts von Geſchäften, theurer Freund, heut' wollen wir rechtſchaffen fröhlich ſein mit den Fröhlichen «, unterbrach ich übermüthig, » heute heißt's:

Was macht denn der Prater,
Sag ', blüht er recht ſchön? «

Da fiel Schwarz ebenſo ein:

» 's ſein Leut drin, man kann faſt
Vor Menſchheit nit geh'n «

» Nun, für uns wird auch wohl noch ein Plätzchen übrig ſein, wo wir Kaffe trinken, Kipfel eſſen, und Strauß und Lanner ihre herrlichen Tänze ſpielen hören können Ja, mein Herr von Schwarz, ich darf mir dergleichen Allotria heute wohl erlauben. Seit Mitte Februar habe ich in Riga, Königsberg, Danzig, Poſen, Brünn 50 Mal geſpielt und die Kaſſette iſt noch257 ganz hübſch gefüllt. Alſo, wenn unſer Berliner Freund Witthauer hier iſt, geht's hinaus in den Prater «

» Ah! Sie kennen den liebenswürdigen und geiſt¬ vollen Schriftſteller? Er wird es nicht bereut haben, von der Spree an die Donau übergeſiedelt zu ſein. Seine Feder hat ſich eine ſehr geachtete, ja unter Umſtänden gefürchtete Stellung errungen. Seine Kunſt - und Literaturkritiken in der Wiener Modenzeitung ſind tonangebend. Und wenn er zuweilen einige allzu kühne Seitenſprünge auf das politiſche oder perſönliche Terrain wagt ſo hat ihm Metternich nicht ſelten über die ſtrenge Cenſur hinweggeholfen. Der Miniſter will ihm ſehr wohl! «

» Ja, ich erinnere mich mit Vergnügen aus Berlin ſeines blendenden Witzes, ſeiner überſprudelnden Heiter¬ keit «

» Hm! hm! heiter haben wir Wiener ihn ſchon lange nicht mehr geſehen. Er lebt ſehr zurückge¬ zogen und hat ſich hier bereits den Ruf eines argen Hypochonders erworben «

» Unglückliche Liebe? « rief ich erſtaunt, neugierig. » Wer iſt die Unglückliche, die dieſen edlen Mann nicht glücklich machen will? «

» Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen «, und Schwarz kopirte den Wachtmeiſter aus Minna von Barnhelm, » darf es auf der Welt denn gar kein Leiden geben, als nur durch Euch? Die unglückliche Liebe des Dr. Erinnerungen ꝛc. 17258Witthauer ſitzt im Magen ſchlechte Verdauung ergo Hypochondrie ergo «

» Herr Dr. Witthauer «, meldete Sepperl und ſeine Angſtröhre gab zugleich triumphirend zwei Billets zur Knillwurſt her.

Und der geſchätzte Jugendfreund aus Berlin ſtand vor uns. Aber war das derſelbe blühende, lebensfriſche, fröhliche Witthauer, vor neun Jahren das belebende Element aller Geſellſchaften in der Stadt der Intelligenz und der äſthetiſchen Thees? Er ſah blaß, müde, ſchwer¬ müthig aus. Er freute ſich ſichtbar unſeres Wiederſehens, aber der alte heitere Herzenston wollte nicht wieder an¬ klingen.

Da ſagte ich betrübt über dieſe Veränderung: » Und muß ich Sie denn daran erinnern, daß heute der 28. Mai iſt und daß mich heute vor neun Jahren unter der Ueberfülle von Geſchenken, Blumen und Gedichten nichts ſo ſehr erfreute, als ein Roſenſtock mit hundert Blüthen und Knoſpen und einem Roſablättchen mit den Worten: » Ein armer Gelehrter hat auf Ihren Lebensweg nur Blumen zu ſtreuen «

» Iſt's möglich heut Ihr Geburtstag und ich konnte den vergeſſen « und ſein Auge war feucht.

Da wußte ich, daß der Sitz ſeiner Schwermuth doch nicht im Magen war

Armer Freund! Er iſt nie wieder froh geworden, wie damals, als wir mit einander die hundert Knoſpen259 und Blüthen an jenem Roſenſtock zählten, der meinen erſten Berliner Geburtstagstiſch ſchmückte.

Friedrich Witthauer ruht ſeit 1846 auf dem Fried¬ hofe zu Meran.

Sepperl hatte den eleganteſten Wagen beſorgt, den er hatte finden können, und als wir drin ſaßen, drehte er ſich mit verklärtem Geſicht vom Bock zu uns um und ſagte, als hätten wir ſchon ein Dutzend Jahre Salz und Brod mit einander gegeſſen: » I freu mi närriſch auf den Prater, da wird's auch Ihna ſchon g'fallen, Ihro Gnaden es giebt nichts Luſtigers auf der Welt, als unſern lieben Prater. «

Und hinaus ging's in den luſtigen Prater, und ich wurde faſt wieder zum Kind, da wir durch die glück¬ ſtrahlenden, jubelnden, ſonntäglich geputzten Spazier¬ gänger dahinrollten, und beim Beſuch der » Buden « mit Wunderthieren und tanzenden Zwergen, Rieſendamen, Panoramas, Haſen, die Piſtolen abfeuerten, und Hunden und Affen in den Koſtümen der Pompadour und ihres Hofſtaats, den Frohſinn, die Harmloſigkeit und beneidens¬ werthe Naivetät des Wiener Völkchens: Bürger und Soldaten, Kindermädchen und Studenten, Geſellen und Meiſterinnen, Alles bunt durch einander und gleich entzückt von den gebotenen Genüſſen, in vollſter Natürlichkeit und Freiheit genießen konnten.

17 *260

Und dann ſaßen wir unter den frühlingsgrünen Praterbäumen an zierlich ſervirten Tiſchchen und tranken bei Lanner's entzückenden Walzern echten Wiener Kaffee mit Obers (Sahne) und endlich konnte ich mein langjähriges Sehnen nach Wiener Kipfeln ſtillen! Ja, erſt jetzt begriff ich ganz jene Kipfel-Anekdote, die mir in Petersburg ein öſterreichiſcher Geſandtſchafts - Attaché erzählt hatte, und die ich jetzt wieder zum Beſten gab: » Die Donau war über ihre Ufer getreten, und einzelne Dörfer waren von allem Verdienſt abgeſchnitten. Regierungskommiſſäre beſuchten in Kähnen die einzelnen Hütten, um wo's Noth that Lebensmittel zu ſpenden. Eine Frau erhielt reichlich Brod und Mehl und Kaffee, als aber Kommiſſäre weiter ruderten, da rief ſie ihnen nach: » Ah! Herr Kommiſſär und nicht a anzigs Kipfel haben's mi mitbracht? Dös iſt ſchändlich Nu, i bitt ſchön, vergeſſen's das nächſte Mal nicht die Kipfel, das iſt mei anzig Leidenſchaft «

Und ſchon jetzt theilte ich die einzige Leidenſchaft der guten Frau.

Wir ſprachen über das Gaſtſpiel von Amalie Wolff. Sie hatte bereits Frau Feldern in Töpfer's » Hermann und Dorothea « gegeben ohne ſonderlichen Erfolg.

» Das begreif ich nicht, Amalie Wolff's Feldern entzückte ſtets ganz Berlin durch die Lebensfriſche und Lebenswahrheit Sie ſchuf ein wahres Genrebild aus dieſer dankbaren Rolle «

261

» Gewiß nur für den Rahmen unſeres Burg¬ theaters zu treu nach dem Leben kopirt. Hier liebt man Alles idealiſirt, geſchminkt und aufgeputzt. So konnte ganz Wien es nicht begreifen, daß eine Berliner Hofſchauſpielerin ſo wenig Toilettengeſchmack entwickelte und als Frau Feldern in Klapp - Pantoffeln, großblumi¬ gem Kattunkleide mit Schößen, Schürze und altmodiſcher Haube auf die Bretter des Burgtheaters zu treten wagte «

» Aber Frau Wolff wählte das Koſtüm ja nach Goethe's Dichtung? « rief ich erſtaunt.

» Thut nichts «, ſagte Witthauer trübe lächelnd, » unſern Wienern gefällt ihre Burgtheater-Feldern, die Frau von Weißenthurn, weit beſſer in ihrem ſtattlichen, braunſeidenen Kleide, ſchwarzen Atlasſchuhen mit Kreuz¬ bändern und Blondendormeuſe Unſere Bühne iſt überhaupt augenblicklich ſtark in der Modeepoche «

» Modeepoche? «

» Leider werden Sie das bald nur zu leicht verſtehen, wenn Sie erſt einigen Vorſtellungen im Burgtheater beigewohnt oder gar ſelber einige Male aufgetreten ſind. Das trefflichſte Spiel unſerer Damen genügt heute nicht mehr, wenn es nicht in neuer, glänzender und überraſchender Toilette vor dem kritiſchen Publikum erſcheint. Karoline Müller iſt die Modelöwin unſerer armen klaſſiſchen Bretter und des ganzen eleganten Wiens und ich würde mich gar nicht wundern, wenn es nächſtens bei jeder Rolle der Müller auf dem Theater¬ zettel heißt: die Dame wird ſich dem geehrten Publikum262 heute Abend in vier fünf ſechs funkelnagelneuen Toiletten direkt per Kurier aus Paris bezogen präſentiren Und ich der Kritiker, ſoll dann ſtets all' dieſe Kleiderpracht in meinen Rezenſionen aufzählen und haarklein beſchreiben und » kritiſiren «, ſonſt finden die guten Wiener meine Kritiken ledern und langweilig Wundern Sie ſich alſo nicht, meine Damen, wenn Sie die Kritiken über das alte herrliche Burgtheater nächſtens von dem berühmten Bär, dem » göttlichſten « Damen¬ ſchneider Wiens, oder von Madame Roſa, unſerer » genialſten « Pariſer Modiſtin unterzeichnet finden «

So bitter hatte ich unſern ſonſt ſo milden, liebens¬ würdigen Witthauer noch nie reden hören Und plötzlich ging mir ein trübes Licht auf: ſeine tiefe Schwermuth hatte nicht ihren Sitz im Magen, nicht im Herzen nein: in der Mode-Epidemie des Burgtheaters!

» Ah! dann verſtehe ich es auch, warum die herrliche Julie Rettich das Burgtheater verließ und nach Dresden ging und warum man die edle Tragödin gehen ließ. O, Mutter «, fügte ich tragi-komiſch hinzu, » wie wird Deiner Lina es ergehen mit ihren armen Fähnchen, die keine Ahnung haben von Paris! «

» Wenn Sie mit Karoline Müller nicht in der Toilette rivaliſiren, ſo fallen Sie durch «, ſagte Witthauer melancholiſch, » ja, Sie können Gott und den Wienern danken, wenn Sie nicht ausgepfiffen werden «

» Und keine Rettung keine? « klagte ich mit den Tönen einer Iphigenie.

263

» Keine als dem Moloch Bär zu opfern, rothes rothes Gold viel Gold! « ſtimmte Schwarz in demſelben Ton ein.

» Das Opfer ſei gebracht « und meine gute Laune war mit dieſem Entſchluß wieder zur Stelle.

Ein eleganter Reiter auf prächtigem Schimmel ſprengte kühn und graziös vorüber

» Welch 'herrliches Thier und wie würdig ſeiner der Reiter! « rief ich entzückt aus. Das Rittmeiſtersblut meines lieben, ſeligen Vaters, der ein berühmter Reiter war, regte ſich in mir.

» Le cavalier à la mode der tollkühnſte Reiter der Welt der populärſte Mann Wiens Graf

Moriz Sandor! « ſagte Witthauer. Doch da iſt er ſchon wieder, ich werde ihn begrüßen, und dann können die Damen den berühmten Wundermann mit Muße be¬ trachten. «

Der arabiſche Schimmel hielt im Fluge neben unſerem Tiſche an und ſcharrte feurig ſchnaubend mit den feinen Hufen. Der Reiter grüßte graziös zu uns herüber und plauderte mit Witthauer, der ihm entgegen gegangen war. Voll Intereſſe betrachtete ich den originellen Grafen, deſſen Reiterſtückchen ihm bereits einen europäiſchen Ruf erworben hatten. Graf Sandor war damals 29 Jahre alt, kaum mittelgroß, aber von ſeltener Eleganz und geſchmeidiger Kraft in allen Bewegungen. Er ſaß wie angegoſſen auf dem Schimmel, ſich graziös in den Hüften wiegend. Sein mehr intereſſantes als hübſches Geſicht264 war tiefbraun, von einem kurzen ſchwarzen Bart umrahmt, und ſeine dunklen Augen blitzten in Lebensluſt und neckiſchem Muthwillen. Das Ganze Pferd und Reiter boten das Bild übermüthigen Jugendfeuers, Grazie mit Kraft verſchmolzen. Seine Feueraugen huſchten zu uns herüber, und dann ließ er ſich uns vorſtellen. Er plauderte gewandt, ſprudelnd, aber für meine Gewohnheiten doch etwas zu Wieneriſch cavalièrement. Kaum hatten wir zwei Minuten mit einander geplaudert, ſo bat er, uns morgen im Prater ſpazieren fahren zu dürfen. Als ich etwas kühl für dieſe Ehre dankte, ſahen mich die brennenden Augen ſchier verwundert an, als wollten ſie ſagen: » Graf Sandor bietet ſeine prachtvolle Equipage und ſeine noch prachtvollere Perſon als Kutſcher einer Schauſpielerin an und dieſe lehnt Alles ab das iſt wirklich neu in Wien « Aber, ſein ganzes Benehmen ſein Ton, ſein Blick, ſein Gruß nahmen doch gleich eine andere Färbung an und ſo oft wir uns auch wieder in Wien begegneten, ſtets bezeugte er mir ſeinen Reſpekt im beſten Sinne des Worts.

Im Prater konnte man den Grafen täglich ſehen. Ja, der Wiener konnte ſich ſeinen Prater gar nicht mehr ohne den luſtigen, übermüthigen, wilden und ſo überaus erfindungsreichen Grafen Sandor denken, der ſo prächtig für das Amüſement der guten Wiener ſorgte. Wo er ſich zeigte, wurde er von der Menge mit Jubel und Händeklatſchen begrüßt, und auf allen Geſichtern zuckte die größte Spannung: ob der Graf denn nicht heute265 wieder etwas Hübſches, Luſtiges, Halsbrechendes losließe, das ſie dann in den Kaffeehäuſern oder den Nachbarn mit Wichtigkeit als ein Erlebnis weiter erzählen könnten

Graf Sandor, einer der reichſten, altadeligen Fami¬ lien Ungarns angehörend, hatte den prächtigſten Marſtall in Wien. Täglich zeigte er ſich auf einem andern wunder¬ ſchönen, wildfeurigen Pferde, die er alle daheim auf den weiten ungariſchen Steppen er ſelber in dem male¬ riſchen, flatternden Mantel eines Pferdehirten zuge¬ ritten und gebändigt hatte. Nicht ſelten ritt er im Prater die wildeſten Renner ohne Sattel, Zaum und Steigbügel und nur die Eingeweihten wußten, daß er ſie an einem kaum ſichtbaren ſeidenen Schnürchen lenkte. Das war gar nichts Seltenes, daß der Reitergraf über einen dahin rollenden Fiaker, über eine Hökerin mit ſammt ihrem hochgethürmten Töpferkram plötzlich hinwegſprengte und dann den Erſchrockenen eine Handvoll Gulden hin¬ warf als Schmerzensgeld für den kleinen Schreck, denn Schaden richtete er nie an. Auch ſeine Wetten bildeten das Tagesgeſpräch und füllten die Spalten der Zeitungen. So gewann er einſt eine Wette: die Treppen in ein drittes Stockwerk hinaufzureiten, und dort oben auf ſchmalem Balkon ſein Pferd zu wenden auf den Hinterfüßen, die Vorderfüße hoch in der Luft!

Von dem Exerzirplatze am Fuße der Baſtei zu Ofen ſprengte er oft plötzlich die ſteilen Treppen des Schloßberges hinan nach dem Schloß ſeiner Väter und dann ſahen die Soldaten mit Jubel Chef und266 Pferdekopf gemüthlich aus den höchſten Fenſtern des Schloſſes niederblicken.

Selten benutzte er einen Thorweg, um in den Hof eines Gaſthofes oder Gutes zu reiten, er ſetzte über die Mauer hinweg.

Als ſpäter die Eiſenbahn von Wien nach Peſt er¬ öffnet wurde, ritt er in Folge einer Wette die Strecke in ſechs Stunden und kam zwei Stunden früher an, als der zugleich mit ihm abgegangene Poſtzug.

Auch liebte Graf Sandor es, ſich den guten Wienern zuweilen zu Wagen zu zeigen, aber wo möglich jedes Mal in einem andern Bauwerk ſeiner Erfindung. Heute ſaß er in einem römiſchen Triumphwagen à la Julius Cäſar, morgen mit ſeinen Freunden auf einem haushohen Geſtell, übermorgen lag er zwiſchen zwei Rieſenrädern gleichſam in einer Hängematte faſt auf der Erde, und dann wieder kutſchirte er auf drei Rädern einher. Wäre Graf Sandor nicht ein zu großer Pferdefreund geweſen, unſer modernes Velociped wäre ſicher ſchon 40 Jahre früher von ihm erfunden und im Wiener Prater exekutirt. Aber die Wagen waren für ſeine Pferde ja nur Staffage. Heute fuhr er mit ſechs Schecken lang vom Bock, morgen ſpannte er Schimmel, Rappen, Fuchs und Braunen zu¬ ſammen, übermorgen drei Schimmel einſpännig vorein¬ ander, heute ruſſiſch morgen engliſch über¬ morgen magyariſch geſchirrt!

Damals ſprach ganz Wien von der glühenden, ro¬ mantiſchen Liebe des intereſſanten Grafen zur Prinzeſſin267 Leontine Metternich-Winneberg, der Tochter des allmächtigen Staatskanzlers. Man zweifelte aber faſt allgemein, daß der Fürſt ſeine ſchöne Tochter einem ſo tollen Wagehalſe anvertrauen werde. Und doch war im Februar 1835 bereits die glanzvolle Hochzeit, und die Prinzeſſin hat es auch nie bereut, den ritterlichſten Kavalier Wiens gewählt zu haben. Das junge Paar wohnte nun theils in Wien, theils in Ofen, auf dem prächtigen und zugleich romantiſchen Stammſitz der Sandors. Als Metternich's Stern unterging, brachte die erregte Menge eines Abends vor Sandor's Palais eine entſetzliche Katzenmuſik. Plötzlich tauchte aus dem lärmenden Volkshaufen ein Mann auf, der ſich auf die Rampe des Palais poſtirte, und am lauteſten ſchrie, pfiff, trommelte es war Graf Sandor! Kaum hatte die Menge ihn erkannt, ſo ſtutzte ſie und verſtummte Dann brach auf allen Seiten ein homeriſches Gelächter aus es war ja auch zu komiſch und originell, daß ein Mann begeiſtert in die Katzenmuſik einſtimmte, die vor ſeinem eigenen Hauſe gebracht wurde Und dann rief eine Stimme: » Hoch! hoch! Sandor dem leut¬ ſeligſten Grafen Wiens dem Mann, der Sinn und Herz für's Volk hat Hoch der Gräfin Sandor nur dem Vater Metternich gilt dieſe Demonſtration! « und die Menge ſtimmte jubelnd mit ein. Der Sturm war vorüber und ſingend, lachend zog der kurz vorher noch ſo erregte Haufen davon.

268

Und dieſer liebenswürdige, geiſtvolle Mann muß ſo traurig enden! Bei einem unglücklichen Sturz mit dem Pferde zog er ſich eine Gehirnerſchütterung zu. Düſtere Schatten ja oft tiefe Nacht verhüllen den einſt ſo heiteren Geiſt.

Als ich 1824 der erſten Vorſtellung im Berliner Schauſpielhauſe beiwohnte, war mir gar wunderbar feierlich ja andächtig zu Muth, und das junge ſieben¬ zehnjährige Herz blühte mir ſo ſelig auf, wie am erſten ſonnigen Frühlingsmorgen im knoſpenden, duftigen Walde. Die herrlichen Künſtler erſchienen mir als höhere Weſen und mein Auge und Herz hingen gläubig an ihrem Munde und an jeder ihrer Bewegungen. Das Publikum exiſtirte für mich nur in den Zwiſchenakten. Das Haus war nichts weniger als brillant erleuchtet. Von ſogenannten großen Toiletten war ſelbſt im erſten Range nichts zu ſehen. In der königlichen Loge ſaß die holde Kronprinzeſſin in einfachſter Toilette neben dem Kronprinzen. Nirgends ein Sichvordrängen der Mode oder der Koketterie. Das Publikum war der Vorſtellung wegen gekommen und nicht: um geſehen zu werden!

Wie anders zehn Jahre ſpäter im Wiener Burg¬ theater! Das hohe, nicht gerade architektoniſch ſchöne, aber ariſtokratiſch geſchmückte Haus ſtrahlte im hellſten Licht. Der erſte, zweite und dritte Rang wogte und flimmerte von den eleganteſten, auffallendſten ja ge¬ wagteſten Toiletten. Modiſche Herren gingen von einer Loge in die andere und machten den Damen den Hof.

269

Ueberall Lachen, Kokettiren und die lauteſte, un¬ genirteſte Unterhaltung und nicht nur in den Zwiſchen¬ akten. Fächer und Lorgnette manövrirten, weiße ſchöne Frauenarme präſentirten ſich auf den rothſammtenen Logenbrüſtungen möglichſt vortheilhaft man ſah: Jeder und noch mehr Jede wollte geſehen werden und ſuchte ſich in das glänzendſte Licht zu ſtellen. Die Bühne war Nebenſache.

Die arme » Knillwurſt « ging ſpurlos vorüber. Der feurige, geniale Ludwig Löwe, die anmuthige Fournier, und ſelbſt Goethe's genialſte Schülerin meine theure Amalie Wolff, vermochten nicht zu enthuſiasmiren. Eliſabeth's in Berlin ſo berühmtes ſanftes: » Leiceſter, ich befehle! « und ihr herrſchendes, hartes: » Burleigh, ich bitte « dieſe fein pſychologiſchen Nuancen wurden in Wien gar nicht beachtet. Kein Wunder alſo, daß Amalie Wolff's Spiel immer befangener wurde. Sie ſagte mir ſpäter ſelber: » Ich bin ſchwer dafür geſtraft, daß ich meinem Vorſatze: nach meines Mannes Tode nicht mehr zu gaſtiren! untreu wurde. Und dann irrte ich in der Wahl der Rollen. In Wien dominirt heute das Luſtſpiel. Ich hätte nur im humoriſtiſchen Fache auftreten ſollen und wäre hier auch der wirkſamſten Unterſtützung ſicher geweſen.

Und Amalie Wolff hatte Recht. Im heiteren, graziöſen Genre des Luſtſpiels und Konverſationsſtücks bewährte das Burgtheater ſeinen in den zwanziger Jahren unter Schreyvogel's trefflicher Leitung begründeten Ruf:270 neben dem Théàtre français das liebenswürdigſte und vollendetſte Enſemble zu bieten! auch in den erſten Jahren unter Deinhardſtein's ſchwächlicher Direktion noch. Als Liebhaber wechſelten ab: der elegante, noble Korn, der feuerſprühende Ludwig Löwe, der witzſprudelnde, liebenswürdige Fichtner. Anſchütz war ein Heldenvater zum Staunen, Wilhelmi ein komiſches Väterchen zum Küſſen, und Coſtenoble ein lieber, närriſcher Charakter¬ komiker zum Todtlachen! Karoline Müller war eine glänzende Salondame, die kleine hübſche Peche eine reizende naive Liebhaberin, der ſogar ihr prononcirter böhmiſcher Dialekt allerliebſt ſtand und die guten, luſtigen Wiener gaben dazu das dankbarſte Luſtſpiel¬ publikum her. Freilich, mit dem Berliner Schau - und Trauerſpiel durfte das Wiener Burgtheater ſich trotz ſeiner großen Tragödin Sophie Schröder nicht meſſen, die lange Jahre mit Sophie Müller im klaſſiſchen Trauerſpiel als ſeltenſter Stern am Burgtheater geglänzt hatte. Aber ſeit Sophie Müller's heißes Künſtlerherz ſich an der Kunſt verblutet hatte und Sophie Schröder und Julie Rettich grollend ausgewandert waren, ſtand das tragiſche Fach verlaſſen da, wenn auch Antoinette Fournier eine ſehr anmuthige und verſtändige Schau¬ ſpielerin in ſentimentalen Rollen des Trauerſpiels war.

Bauernfeld's Luſtſpiele waren die Lieblinge der Wiener. Scherzend wurde darüber geſtritten: ob Bauern¬ feld den Wienern geſchenkt ſei, für ihre Burgtheater¬ lieblinge dankbare Rollen zu ſchreiben oder ob Karo¬271 line Müller und die Peche, Anſchütz, La Roche und Löwe, Korn und Fichtner expreß dazu geboren ſeien, Bauern¬ feld's Stücke ſo zu ſpielen, wie ſie geſpielt werden mußten.

Ich lernte Bauernfeld in Geſellſchaften kennen und freute mich, ein ſo ſeltenes Talent, reiches Wiſſen und bezaubernde Liebenswürdigkeit durch die größte perſönliche Beſcheidenheit nur noch gehoben zu ſehen.

Für den dritten Abend meiner Anweſenheit in Wien war eine Novität angekündigt: » Der Traum ein Leben «, von Grillparzer. Ganz Wien war in fieberhafter Auf¬ regung und das überfüllte ſtrahlende Haus vor Er¬ wartung faſt im Delirium. Und dann, als der Vorhang endlich endlich aufrollte und die tiefpoetiſche Dichtung » unſeres Grillparzer's « durch » unſeren Löwe « und » unſeren La Roche « ſo würdig verkörpert an dem ſtrahlenden Auge der Zuſchauer vorüberzog da brach ein förm¬ licher Sturm von Jubel und Begeiſterung los, abwechſelnd mit Pauſen athemloſer Spannung. Ja, das Publikum ſpielte förmlich mit, wie ich es ſonſt nur im Théâtre français geſehen hatte. Die Geiſtesfunken, die von der Bühne ſprühten, blitzten zündend wieder in den Augen, den belebten Phyſiognomien und in den einzelnen be¬ geiſterten Ausrufen der enthuſiasmirten Zuſchauer. Wie einſt in den Pariſer Theatern die jungen Heißſporne des Quartier latin, ſo intereſſirte mich hier im Wiener Burgtheater jetzt auch unter den Zuſchauern am meiſten die akademiſche Jugend, die Kopf an Kopf im Parterre272 ſtand und ihrer himmelſtürmenden Begeiſterung oft in draſtiſchſter Weiſe Luft machte.

Beſonders ergriff die Schlußſcene: als der Hirt (Ludwig Löwe) in ſeiner beſcheidenen Hütte erwacht ein reiner, gottvertrauender Menſch, arm und unbekannt aber ſo froh und dankbar, daß er allen Glanz und Reichthum und den Verrath und Mord, durch die er ſein Sehnen nach Macht und Glück geſtillt nur geträumt hatte. Daß der Zuſchauer erſt in dieſem Augenblick erfährt: es war Alles nur ein Traum das bekundet die Meiſterſchaft des Dichters.

Im Theater an der Wien ſah ich zum erſten Mal den bezaubernden Raimund und ſeine entzückenden Zauber¬ märchen. Eine neue Welt ging mir hier auf den Brettern auf. Ich wurde wieder zum lachenden und weinenden Kinde und gut und gläubig und hoffnungsſelig wie ein Kind, das des Lebens Dornen und Giftblumen noch nicht kennt.

Im » Alpenkönig « bildeten Direktor Karl, Raimund und der Komiker Scholz das köſtlichſte Enſemble, und im » Verſchwender « war Raimund ein wundernärriſcher lieber Valentin.

Ja, in Raimund als Dichter und Schauſpieler lebte den Wienern ein Stück deutſchen Shakeſpeare's: ſo körnig, ſo urſprünglich und naturwüchſig iſt in ſeinen gemüthvollen Dichtungen Alles. Wenn Shakeſpeare aber in ſeinen finſterſten Tragödien oft heitere Bilder aufblitzen läßt und durch dieſen jähen Kontraſt gerade273 die erſchütterndſten Wirkungen erzielt ſo mahnt Raimund uns in ſeinen luſtigſten Zaubermärchen plötzlich durch ein tiefſchmerzliches Antlitz an des Lebens bitterſten Ernſt. O, ich liebe dieſen Humor, der mit dem einen Auge lacht mit dem anderen weint!

Und dieſer herzfröhliche Dichter dieſer urnärriſche Komiker war ſchon damals im bürgerlichen Leben ein finſterer Hypochonder ein Schwarzſeher. Die fixe Idee von ſeinen lieben Wienern nicht verſtanden, nicht gewürdigt zu werden, trübte ſeinen ſonſt ſo klaren Blick. Gepeinigt von ſolchen düſteren Gedanken verbarg er ſich oft tagelang auf ſeiner hübſchen Villa Gutenſtein vor aller Welt Augen. Vor einigen Jahren war es ſeiner langjährigen Freundin, der genialen Thereſe Krones, doch noch oft gelungen, ihn aus ſeinen Grübeleien zu reißen aber Thereſe Krones war jetzt ſchon ſeit vier Jahren todt. Die Wiener ſagten: das zehre auch an ſeinem Herzen Und nach zwei Jahren 1836, in einer finſteren Stunde in dem Wahne, von einem tollen Hunde gebiſſen und unrettbar der Hundswuth preisgegeben zu ſein da warf er dies verdüſterte Leben von ſich und Wien, das luſtige Wien, das ſo oft über ſeinen Liebling Rai¬ mund und ſeine Zauberpoſſen aus vollem Herzen bis zu Thränen gelacht hatte, das weinte jetzt aus ebenſo vollem Herzen bei ſeinem Leichenbegängniß.

Wie mich 1836 in Dresden die Nachricht erſchütterte: Ferdinand Raimund hat ſich erſchoſſen! und wieErinnerungen ꝛc. 18274mich in dieſen Tagen ein Buch entzückte als Zeichen, daß Raimund trotz unſerer ſo ſehr vergeßlichen Zeit doch noch unvergeſſen iſt! Ich meine das Trauerſpiel Julius Reuper's: » Ferdinand Raimund «. Der Dichter zeichnet uns hier mit Wärme und Pietät die Kämpfe, welche Raimund zu beſtehen hatte, ehe er der arme Conditor¬ lehrling ſich der vergötterten Bühne widmen durfte die Dornen ſeines Künſtlererdenwallens und ſeinen Tod. Es wäre eine intereſſante und dankbare Aufgabe unſerer Bühnen, durch dies Trauerſpiel das Andenken Ferdinand Raimund's neu zu beleben.

Zur großen Betrübniß unſeres zeiſiggrünen Sepperl hatten wir die ungemüthliche » Goldene Anden « ſchon den dritten Tag mit dem comfortablen » Erzherzog Karl « vertauſcht.

Ich mußte nun auch ernſtlich daran denken, mich den Gewalthabern des Burgtheaters vorzuſtellen und das Nöthige wegen meines Gaſtſpiels Anfangs Auguſt zu be¬ ſprechen. Ich beſuchte zuerſt den artiſtiſchen Direktor Deinhardſtein und fand einen liebenswürdigen, jovialen Herrn, der es gewohnt zu ſein ſchien, das Leben und die Kunſt und ſeine Stellung möglichſt bequem und leicht auf die Achſeln zu nehmen. Er war in Wien als paſſionirter Angler bekannt und ließ ſich dann nicht gern durch Direk¬ tionsgeſchäfte ſtören. Ueber ſeinen Chef, den Oberſt¬ kämmerer und Intendanten Grafen Czernin, der eines275 ſchönen Tags den verdienſtvollen, aber ziemlich kurz an¬ gebundenen Direktor Schreyvogel sans façons in Un¬ gnaden » fortgejagt « und den Verfaſſer von » Hans Sachs « und » Garrick in Briſtol « zu deſſen Nachfolger ernannt hatte, ſprach er ziemlich ungenirt ja unvorſichtig, und ſchob alle Verwaltungs - und Direktionsſünden des Burgtheaters dem Herrn Grafen lachend in die Oberſt¬ kämmererſchuhe. Ich weiß nicht, ob es Deinhardſtein's Ernſt war, daß er ſelber die ſtiefmütterliche Behandlung des Trauerſpiels mir gegenüber bedauerte, oder ob er glaubte, ſich mir die ich mit Begeiſterung von der klaſſiſchen Berliner Zeit ſprach dadurch im günſtigſten Lichte zu zeigen.

Den Intendanten mußte ich in Schönbrunn auf¬ ſuchen. Wie war ich enttäuſcht von dieſer berühmten jetzt ſo öden, traurigen, vernachläſſigten kaiſerlichen Sommerreſidenz und der Graf Czernin erſchreckte mich förmlich beim erſten Anblick. Ich hatte an einen ſtattlichen, liebenswürdigen und geiſtvollen Grafen Brühl gedacht, der mir von Berlin her unvergeßlich als Inten¬ dant war und fand ein uraltes, vertrocknetes Männchen mit tauſend Runzeln in dem winzigen Geſicht¬ chen, erloſchenen, faſt blöden Augen und geſchminkt und geputzt wie ein franzöſiſcher Marquis des ancien régime. Damit harmonirte auch ſein ganzes Auftreten und ſein künſtleriſches Urtheil.

Ebenſo ungenirt, wie Deinhardſtein ſich gegen die Fremde über ſeinen Chef ausgeſprochen hatte,18 *276plauderte dieſer über ſeinen Direktor und über die Schauſpieler.

» Frl. Peche iſt die Perle unſerer Bühne in naiven und kindlich elegiſchen Partien Die Königin von ſechzehn Jahren ſpielt ſie unvergleichlich, obgleich Anſchütz ſie durch ſein langſames Sprechen ſchlecht unterſtützt, ſo daß die arme kleine Königin während ſeiner endloſen Rede am Schluß des Stücks nicht mehr weiß, wo ſie ein wirkſames Mienenſpiel hernehmen ſoll «

» Aber Excellenz, Anſchütz iſt doch ein Meiſter aus der klaſſiſchen Schule «

» Mag ſein « ſagten Excellenz nachläſſig » ich kümmere mich um die klaſſiſchen Stücke wenig, Drama und Trauerſpiel langweilen mich zum Sterben Und wenn nicht das Luſtſpiel wäre, möchte der Henker den ganzen Theaterkram holen «

Etwas neugierig klopften Excellenz an: ob ich wohl Engagementspläne für das Burgtheater hege.

Unbefangen und aus voller Seele ſagte ich: » Nein, Excellenz! Mein Fach iſt hier reichlich beſetzt, und ehe ich in Norddeutſchland wieder ein Engagement annehme, möchte ich noch einige Zeit gaſtiren. Wenn die Wiener mich aber bei meinem bevorſtehenden Debüt freundlich aufnehmen, ſo wird es mich glücklich machen, hin und wieder auch am Burgtheater zu gaſtiren. «

Da floſſen Excellenz faſt über vor Süßigkeiten aus der Galanterie-Bonbonniere des ancien régime. 277Er hatte gefürchtet, ich wolle ſeine liebe kleine Peche verdrängen.

Auch die Wiener Geſelligkeit ſollte ich kennen und ſchätzen lernen. Baron d'Andlaw, erſter Geſandtſchaftsſekretär bei der badiſchen Geſandtſchaft, brachte der Mutter und mir den landsmannſchaftlichen Gruß ſeines Chefs, des Grafen Tetten¬ born, und die Einladung zum Diner am nächſten Tage. » Sie werden auch den Prinzen Guſtav Waſa ſehen «

» O, ich habe mit ſeinen Schweſtern Cäcilie und Amalie einſt ſo fröhlich auf den Kinderbällen getanzt, die von der Frau Markgräfin häufig auf dem Schloß in Karlsruhe gegeben wurden, weil die Kaiſerin Eliſabeth ſolche kleine Feſte ſehr liebte Und auch des ſchwe¬ diſchen Kronprinzen Guſtav Waſa erinnere ich mich noch ſehr gut, wie er ſo blaß und ſchmächtig und melancholiſch durch die Straßen von Karlsruhe ritt und wir Kinder ihm nachſchauten und uns geheimnißvoll wichtig zu¬ flüſterten: Sein Vater war ein König und weil die böſen Schweden dem die Krone genommen und ihn und die Königin und die armen Kinder aus ihrem Königreich getrieben haben darum iſt Prinz Guſtav ſo traurig und blaß und mager «

» Nun traurig und blaß und mager iſt Guſtav Waſa heute gerade nicht mehr « lachte Baron d'Andlaw » man gewöhnt ſich im Leben mit der Zeit an Alles ſogar an eine verlorene Königskrone! «

278

» Aber ſein Vater hat es doch ſein Leben lang nicht verwinden können Es muß auch zu troſtlos ſein: erſt die Krone und die Heimat und dann noch die Gattin und die Kinder zu verlieren Armer Oberſt Guſtav¬ ſon! «

Graf und Gräfin Tettenborn hatten den ſeligen Vater gekannt und zeigten in herzlichſter Weiſe ſeiner Wittwe und Tochter, wie ſehr ſie ihn ſchätzten. Ihr liebenswürdiges Haus wurde uns während unſeres Aufent¬ halts in Wien bald ein Stück badiſcher Heimat.

In dem runden, rothwangigen, echt Wieneriſch lebens¬ luſtigen Prinzen Guſtav Waſa hätte ich freilich den armen, blaſſen, melancholiſchen Königsſohn ohne Land und Krone aus Karlsruhe nicht wiedererkannt.

Gräfin Fikelmont in Petersburg hatte mir ein Em¬ pfehlungsſchreiben an die franzöſiſche Geſandtin, Marquiſe St. Aulair, gegeben und mit feinem Lächeln hinzugefügt: » Sie werden Legitimiſten pur sang kennen lernen! «

Ich wurde anfangs etwas enttäuſcht! Die ganze Geſandtſchaft war mir zu koloſſal gebildet, zu über¬ irdiſch ſanftmüthig und weltverachtend und ſelbſt die jungen, hübſchen Töchter gemeſſen und zugeknöpft, wie Puritanerinnen. Alle ſchienen einen geheimen Schauer vor dem helläugigen, lebensluſtigen Weltkinde zu em¬ pfinden, das noch obendrein den gottverlaſſenen Brettern angehörte. Aber nach und nach entſchauerten und knöpften ſie ſich einer nach dem Andern auf. Wir plauderten über Petersburg, Paris, die Mars und ich fand zuletzt279 ſo ſehr Gnade vor den Weltluſt verachtenden Augen, daß die Frau Marquiſe mir die Hand drückte und ver¬ ſicherte: ſie würde alle meine Debüts beſuchen » Ah, vous jouerez la jeune maraine? On dit: une char¬ mante pièce mais la jeune maraine est elle bien éleevée? «

Ich konnte mit gutem Gewiſſen ſagen, daß die junge Pathin eine ſehr wohlerzogene Perſon ſei.

Bei dem berühmten Orientalen Hammer-Purgſtall fühlte ich mich dagegen gleich heimiſch. Hier lernte ich alle Größen der Kunſt und Wiſſenſchaft des damaligen Wien kennen. Mit dein feinſten Takt und unermüdlicher Liebenswürdigkeit verſtanden Wirth und Wirthin es, alle Gäſte des vielgeſuchten gaſtfreien Hauſes mit einander bekannt zu machen.

Fürſt Gortſchakoff, erſter Attaché der ruſſiſchen Ge¬ ſandtſchaft, machte mir auf den Empfehlungsbrief des Fürſten Wolkonſki in Abweſenheit ſeines Chefs in feinſter und zuvorkommendſter Weiſe die Honneurs ſeines Landes, dem ja auch ich drei Jahre hindurch mit Vergnügen an¬ gehört hatte. Ein echter Kavalier, mit den eleganteſten Manieren, rundem, behaglichen Geſicht, ſanften Zügen, gütigem Lächeln, großen klugen Augen, geiſtvoller, ja bezaubernder Unterhaltung machte der Fürſt ſchon damals den Eindruck einer bedeutenden Perſönlichkeit Aber er ſelber ahnte wohl noch nicht, daß er berufen ſei, als Diplomat eine ſo große und für ganz Europa ſo ein¬ flußreiche Rolle auf dem politiſchen Welttheater zu ſpielen!

280

» En d'autres villes on mange ce n'est qu'à Paris qu'on dine « ſagt Alexander Dumas, der größte Epikuräer an der Seine, irgendwo. Als er dies niederſchrieb, kannte er die luſtige Kaiſerſtadt an der Donau noch nicht, ſonſt hätte er zu Gunſten Wiens ſicher eine Diner-Ausnahme gemacht. Ich wenigſtens habe ſelbſt in Paris nicht ſo köſtlich und ſo angenehm dinirt, wie in Wien ſogar in den öffentlichen Lokalen. Schon daß es im » Erzherzog Karl « keine langen und langweiligen tables d'hôte gab, an denen man mit wildfremden und oft recht unerquicklichen Leuten, von der Laune des Kellners bunt zuſammengewürfelt, pflichtſchuldigſt die lange Speiſe¬ karte abhaſpelt, gefiel mir außerordentlich. Wir ſaßen da mit guten Freunden nach unſerer Wahl an kleinen, elegant und appetitlich ſervirten Tiſchen zuſammen, und nach unſeren Wünſchen war das reizendſte kleine Diner ſchnell zuſammengeſtellt. Häufig » dinirten « wir mit unſeren Freunden auch in irgend einem der ſchönen Gärten im Prater oder in den Vorſtädten Wiens unter den kühlen Bäumen und unter den entzückenden Melodien von Strauß und Lanner an ſolchem Tiſchchendeckdich.

Beſonders eins von dieſen kleinen improviſirten Diners iſt mir unvergeßlich. Unſere Tiſchgenoſſen waren der liebens¬ würdige Dichter der » Todtenkränze « der » nächtlichen Heer¬ ſchau « und des » Sterns von Sevilla «: der Kammerherr des Kaiſers Joſeph Freiherr von Zedlitz, die Herren von Dalberg und Varnhagen, Dr. Witthauer und Frau Brede. Die Nord - und Süddeutſchen ſprühten bald im brillan¬281 teſten Witzkreuzfeuer: pro et contra Berlin oder Wien! Jeder wußte einen Vorzug ſeiner Stadt in das beſte Licht zu ſtellen. Als ich an die Reihe kam, meine Lanze zu werfen, ſagte ich: » Von Politik verſtehe ich nichts und bin auch herzlich froh darüber. Aber ſo viel ich in dieſer kurzen Zeit vom Wiener Leben geſehen habe, ſo hat Berlin einen Vorzug vor Wien: den der äſthetiſchen Verehrer von uns Künſtlerinnen! «

» Ah! wie ſo? wie ſollen wir das verſtehen? «

» In Berlin giebt es ſolche Verehrer zu Dutzenden, die den Künſtlerinnen Abends nach dem Theater am Wagen eine zierliche, anbetende Verbeugung machen und ſchon für unendlich kühn gelten, wenn ſie Sonntag Mittags nach der Kirche in feinſter Tournüre ihren Angebeteten eine Stutzviſite machen, ein Bouquet über¬ reichen oder ein Gedicht auf roſa Seidenpapier durch die Poſt überſchicken «

» Und « fiel Witthauer faſt wehmüthig ein » unendlich glücklich ſind, wenn ſie auf den Geburtstags¬ tiſch einer verehrten Künſtlerin einen blühenden Roſen¬ ſtock ſtellen dürfen «

Gerührt reichte ich dem treueſten der Freunde die Hand.

Schon lange hatte ich bemerkt, daß ein ſchlanker, blonder und auf's Zierlichſte herausgeputzter Jüngling, der am Tiſchchen neben uns ſaß und uns durch Baron Zedlitz als Graf B. L. vorgeſtellt war, dieſem Geſpräch mit der größten Spannung ja Verwunderung gefolgt282 war. Schon mehr als einmal hatte er ſein duftendes Lockenköpfchen bedenklich geſchüttelt jetzt hielt er ſich nicht länger, trat an unſeren Tiſch und ſah mich mit ſeinen weitaufgeriſſenen grünlichen Augen ſchier entſetzt an: » Erlauben's, meine Herrſchaften, daß i auch a Wörtl mitſchwätz denn die Lieb iſt mei Paſſion Wie mi aber ſcheint, iſt die Red von der romantiſchen Lieb? «

Wir lachten herzlich und Witthauer flüſterte mir zu: » Ein berühmter Wiener beau! «

» Ja, Herr Graf, « ſagte ich » von der einzig wahren ewigen Liebe «

» Jetzt laſſen's mi aus, mei Gnäd'ge « lachte der beau » die langweil'ge Geſchicht 'von der ewigen Lieb hab' i auch ſchon a mal mitgemacht, bin aber bald gründ¬ lich davon kurirt word'n I war in die allerliebſte kleine Peche ſterblich verliebt, hab 'g'ſeufzt und g'ſchmacht zum Erbarmen, Blumen und G'dicht geſchickt bis i vor Lieb ganz blaß und mager g'worden bin Abers nach drei Wochen hab i g'ſehn, daß dieſe romantiſche ewige Lieb a groß Dummheit iſt und mi vorgenommen, nie mehr romantiſch und ewig zu lieben «

Ich mußte ſo unaufhaltſam lachen, daß der beau faſt verlegen wurde und nicht recht wußte, ob er meine Heiterkeit übel nehmen oder einſtimmen ſollte. Zum Glück zog er vor, das Letztere zu thun. Die Mutter lenkte auf ein weniger gefährliches Thema ein wir ſprachen über die Vorzüge von Strauß und Lanner.

Ich hatte Beide oft im Prater gehört. Es war eine283 Luſt, Strauß ſeine Tänze dirigiren zu ſehen: den kleinen, beweglichen Mann mit der kleinen Zaubervioline in der Hand: er hüpfte, nickte, geigte, wiegte ſich in zitternder Aufregung nach den berauſchenden Tönen. Das Orcheſter leiſtete Vorzügliches, Oberon's Horn konnte nicht zaube¬ riſcher zum Tanzen einladen.

» Wer g'fällt Ihna halt beſſer der Strauß oder der Lanner? « fragte mich unſer beau.

» Ich höre Beide gleich gern aber tanzen möchte ich mit dem beſten Tänzer nach Strauß mit dem liebſten nach Lanner. Die Walzer von Strauß ſind frohſinniger die von Lanner poetiſcher gefühl¬ voller «

Der beau ſah mich an, als wollte er ſagen: » Ihr Norddeutſchen ſeind doch halt a närriſch Volk mit eurer romantiſchen ewigen Lieb und poetiſchen gefühlvollen Muſik i freu mi ſehr, daß i a luſtig Wiener bin. «

Es war die höchſte Zeit, an mein kontraktlich ver¬ ſprochenes Gaſtſpiel in Peſt zu denken. So hieß es denn auf einige Wochen von der luſtigen Kaiſerſtadt an der ſchönen Donau ſcheiden. An einem flimmernden Junimorgen rollten wir alſo zum Thore hinaus Ungarn zu. Die Mutter und ich, Hündchen Cora und Papagei Coco ſaßen im Wagen, der Diener neben dem Poſtillon auf dem Bock. Die ungariſchen Poſtillone ſind flink und ſehen in ihren maleriſchen Koſtümen gar ſchmuck aus. Sie fahren faſt ebenſo toll, wie die ruſſiſchen, nur daß dies auf der ſchmalen, hochgewölbten284 Chauſſee, zu beiden Seiten tiefe Gräben, ſpärlich mit melancholiſchen alten Weiden eingefaßt, viel gefahrvoller für uns war, als auf den ruſſiſchen Ebenen. Da half kein Bitten und Befehlen wie die wilde Jagd ging's weiter, oft mit zwei Rädern ſchon im Graben. Aber wirklich lebensgefährlich wurde dieſe Fahrt, als uns einige Meilen vor Peſt auf dieſer ſchmalen Straße eine Heerde von 5 600 ungariſchen Ochſen entgegenkam. Es waren große, prächtige Thiere, ſchneeweiß, mit geraden, abſtehenden Hörnern, jedes wohl eine Elle lang. Anfangs ergötzte mich dies weißwogende lebende Meer um uns her, wenn die ſchönen Thiere den Kopf mit den großen, feuchtglänzenden Juno-Augen neugierig in den Wagen ſteckten Aber Cora und Coco ſchienen weniger Geſchmack an den Fremdlingen zu finden ſie bellten und ſchimpften nach Kräften auf die Gehörnten ein und zur Abwechslung pfiff Coco ſein Bravourſtück das Jägerlied aus dem Freiſchütz Da ſtutzten die Schlepp¬ füßler und wie ein Palliſadenzaun ſtarrten uns die Hörner entgegen

» Still zudeck muckſtill oder wir ſein kaput! « ſchrie der Poſtillon in ſeinem gebrochenen Deutſch und griff nach einem Weidenaſt, als wolle er ſich hinauf¬ ſchwingen. Zum Glück für uns konnte er dieſen Zu¬ fluchtsort nicht erreichen der Gute hätte uns ſicher unſerem Schickſal und den Gehörnten überlaſſen. Der Diener ſaß halb ohnmächtig auf dem Bock. Ich deckte geſchwind ein Tuch über Coco's Käfig. Die Mutter285 beruhigte Cora und die Ochſen öffneten uns gro߬ herzig eine ſchmale Gaſſe. Ich hörte ſpäterhin erſt, welch 'einer großen Gefahr wir entgangen ſeien. Denn wär mir ein einziger Ochſe wild geworden und hätte uns mit ſeinen Hörnern attaquirt, ſo wären ſeine lieben Kollegen unzweifelhaft ſeinem Beiſpiele gefolgt und mit meinen Kunſtreiſen wäre es wohl auf immer vor¬ bei geweſen.

Die Schweſterſtädte Peſt-Ofen gefielen mir ungemein; beſonders Ofen liegt ſehr maleriſch auf dem Berge. Die Straßen machen einen freundlichen, großſtädtiſchen Ein¬ druck und ſind mit den ſchönſten, ſtolzen, feurigen Menſchen belebt. Sogar die Juden ſehen hier weniger jüdiſch aus, als in Poſen.

Aber welch 'einen Schreck bekam ich, als ich bei der erſten Probe das Peſter deutſche Theater betrat! Die Bühne iſt über nochmal ſo breit und tief, als im Berliner Opernhauſe, das Proſzenium wie ein troſtlos kahler Exerzirplatz und der Zuſchauerraum kaum zu überſehen. Dabei iſt das Haus ſo gegen alle Regeln der Akuſtik gebaut, daß, wenn der Schauſpieler nicht mit ganzer Lungenkraft ſchreit, er von vornherein darauf verzichten muß, auch nur vom erſten Parterre verſtanden zu werden. Darum dominirten anno 1834 in Peſt auch die Oper, Spektakelſtücke und Lokalpoſſen.

Von meinem erſten Auftreten als Donna Diana ſchweige ich am beſten. Wie verrathen und verloren kam ich mir auf der Rieſenbühne vor und geiſterhaft286 klang mir meine eigene Stimme in dieſem weiten, öden Raum. Ich hätte keine unglücklichere Wahl treffen können, als dies graziöſeſte, feinſte aller Luſtſpiele. Alle poeſieduftigen, zarten Nüancen verflogen ſpurlos in der Leere und Hohlheit des Raumes und der Augen, Ohren und Herzen des ungariſchen Publikums, obgleich die deutſchen Zuſchauer mir redlich ihre Theilnahme zeigten, Verzweiflungsvoll griff ich zu ſtärkeren Mitteln und zwar zum » Letzten Mittel « der Frau von Weißen¬ thurn. Ich gab die Baronin Waldhüll und mußte das lieblich verſchämt zu mir ſelber geſprochene: » Er kommt er kommt gewiß! « laut in's Parterre hinab¬ ſchreien, um nur dort wenigſtens verſtanden zu werden und er, der Geliebte, der es doch nicht hören ſollte, ſtand wenige Schritte von mir Mich wundert heute noch, daß ihm das Trommelfell nicht geſprungen.

Mir war das Weinen längſt näher, als das Lachen. In dieſer Stimmung erklärte ich dem Direktor, daß ich auf dieſer Bühne auf poetiſche Liebhaberinnen und zarte Salondamen verzichten müſſe

» Aber was dann, mein Fräulein? «

» Probiren wir einmal » Kartoffeln in der Schale « da kann Ihr werthes Publikum mich doch ſentimental - naiv Kartoffeln ſchälen und kindlich hüpfen ſehen, wenn es auch keine Sylbe verſteht « ſagte ich mit wahrem Galgenhumor.

Aber auch ſogar das » Hüpfen « ſollte mir in Peſt verleidet werden und mir faſt meine Lunge koſten.

287

Es ging mit dem kartoffelſchälenden, kindlich naiven Suschen Anfangs über Erwarten gut. Bis zur Fenſter¬ ſzene hatte ich mich glücklich durchgearbeitet und durchgeſchrieen Nun ging das Hüpfen los und ich hüpfe auch mit Bravour und ſeelenvergnügt, daß ich die ſeidene Schürze, mit der ich ſpäter meinen geliebten Alonſo be¬ zaubern will, glücklich in den Spitzenkarton hineinpraktizirt habe, unter jubelndem Beifall des Hauſes auf die Thür zu weiter und immer weiter Endlich, nach einer wahren Reiſe, habe ich die Thüre erreicht und ſchöpfe draußen tief Athem, froh, daß auch dies Martyrium glücklich überſtanden iſt Aber, o weh! Suschens Hüpfen hat vor den feurigen Augen und martialiſchen Schnauzern der edlen Magyaren Gnade gefunden Sie rufen und rufen Eljen! und klatſchen und trampeln und klatſchen und das arme Suschen muß wieder auf die Bühne hüpfen und ihren Dank knixen und hüpft dann wieder ab und ſo noch ein halb Dutzend Mal von vorn an, bis meine arme Lunge ihren letzten Hauch Athem geopfert hat Und als die Tante Suschen dann auffordert, im Zimmer zu bleiben und ihren Traum zu erzählen ja, da kann ſie nicht » jappen « und muß die Tante und das hochgeehrte Publikum erſt panto¬ mimiſch um Geduld bitten, bis ſie ein wenig Athem geſchöpft hat und dann geht das in infini¬ tum wieder von vorn an und die tapferen Magyaren rufen wieder Eljen und Dacapo und klatſchen und trampeln, und Suschen muß wieder fünf bis ſechs Mal vorhüpfen288 und knixen Endlich liegt Suschen halb todt in ihrem Garderobezimmer auf dem Divan und hat Weinkrämpfe und wünſcht ſich ſelber tauſend Meilen fort und wär's in das Land, wo der Pfeffer wächſt gleichviel, nur fort

Als ich mich dann bitter darüber beklagte, daß die Hinterwanddekoration ſo unendlich weit zurückgehängt ſei ſagte der Maſchiniſt ganz ruhig und harmlos: » O, Ihnen zu Liebe haben wir die Dekoration heut viel näher vorgerückt, als ſonſt «

» So? Da wundere ich mich auch nicht mehr, daß die Schauſpielerinnen hier nur noch lispeln können Schade nur, daß Dante die Peſter deutſche Bühne nicht gekannt hat, er hätte ihr in ſeiner » Hölle « ſicher den hervorragendſten Platz als Marterort für ſündige Schau¬ ſpieler angewieſen «

Naive Hüpfrollen wollte ich nun auch nicht mehr riskiren. Bereitwillig ging der Direktor ſein ganzes Repertoir mit mir durch. Als ich auch » Waiſe und Mörder « fand da jubelte ich auf: » Ich ſpiele den ſtummen Viktorin da brauche ich weder zu ſprechen noch zu hüpfen o, wenn ich auf Ihrer Bühne doch nur in ſolchen Rollen auftreten könnte! «

Der Gute lächelte verlegen. Er fühlte die Miſère des deutſchen Theaters in Peſt nur zu gut, aber er wußte keinen Rath.

Ich ſpielte den ſtummen Viktorin mit aller Luſt und Leidenſchaft und obgleich das feinere Mienenſpiel289 natürlich faſt ganz für das Publikum verloren ging, ſo zeigte es ſich doch ſehr freundlich gegen die arme Waiſe.

Dann trat ich noch in einigen Birch-Pfeiffer'ſchen Stücken auf, die damals auf der Höhe ihrer Beliebtheit ſtanden. In den » Günſtlingen « amüſirte mich und das ganze Haus ein komiſches Intermezzo, wie es aber auch nur in Peſt vorkommen konnte. Die Herren Studenten und Offiziere brachten nämlich ganz familièrement ihre vielgeliebten Hunde mit in's Theater. Daß ſie ihre noch vielgeliebteren Pferde zu Hauſe ließen, erkenne ich noch heute als ungemein rückſichtsvoll mit großem Dank an. Plötzlich im zweiten Akt der » Günſtlinge «, bei einer ſehr ſentimentalen Szene, höre ich in weiter Ferne einen Hund bellen und ſehe gleich darauf etwas Weißes durch die Luft fliegen Es war auch ein » Günſtling « ein großer Pudel. Er war im Zwiſchen - Akt ſeinem Herrn, einem Studenten, aus dem Parterre in den zweiten Rang gefolgt; ſolche Viſiten gab's auch während des Spiels. Dort hatte der vierbeinige Günſtling ſich ſo gut mit einem anderen Pudel unter¬ halten, daß er nicht bemerkte, wie ſein Herr fort¬ ging. Erſt während meiner Szene auf der Bühne war es ihm eingefallen, ſich nach ſeinem Herrn umzuſehen. Er fand ihn nicht mehr in der Loge und die Thür ver¬ ſchloſſen. Heulend ſtellte er ſich mit den Vorderfüßen auf die Logenbrüſtung da rief ihm ſein Gönner aus dem Parterre ein helles, ermuthigendes » Ici, Caro, ici! « zu und Caro ſprang kurz entſchloſſen unter demErinnerungen ꝛc. 19290großen Jubel des ganzen Hauſes aus dem zweiten Range in's Parterre hinab und ſo geſchickt auf den Kopf einer alten fetten Jüdin, daß er ihre Dormeuſe und ihren ganzen Schatz falſcher Rabenlocken mit ſich fortriß Das ganze Haus brach natürlich vor Entzücken in einen raſenden Beifallſturm aus.

Aber ich ſollte in Peſt noch reichere Bühnen¬ erfahrungen machen und zum erſten Mal mit einem geprügelten Liebhaber ſpielen.

Schon in der Probe von » Maria Petenbec « bemerkte ich, daß mein feuriger Verehrer ſtets die linke Seite des Geſichts mit ſeinem Taſchentuch bedeckt hielt.

» Haben Sie Zahnſchmerzen, Herr Grohmann? « fragte ich theilnehmend.

» Das gerade nicht, « ſagte er etwas verlegen und lüftete ein wenig das Tuch. Ich ſah große blaugrüne Flecken.

Noch immer arglos ſagte ich: » Sie hätten ſich die Augen aus dem Kopf fallen können gewiß iſt dieſe entſetzliche Bühne Schuld daran «

Da lächelte er über meine Unſchuld. » Auch das nicht! Ich gerieth nur geſtern Abend in einer Wein¬ ſtube mit einigen Studenten in Streit über Deutſchthum und Magyarenthum und zuletzt blieb es nicht bei Worten. Aber Bruder Studio hat auch ſeine Püffe bekommen «

» O weh! Da werden Sie ſicher heute Abend ausgepfiffen und ich mit Ihnen Es muß entſetzlich291 ſein, einem pfeifenden Hauſe gegenüberzuſtehen voll¬ ſtändig machtlos «

» Haben Sie ſich das noch nicht verſucht, liebes Fräulein? « fragte Grohmann wie erſtaunt. » Mir iſt das ſchon oft paſſirt und ich bin nicht daran geſtorben Aber ſeien Sie ganz ruhig, « fügte er faſt mitleidig lächelnd hinzu » bis heute Abend iſt Alles wieder in beſter Ordnung. Gleich nach der Probe feiern wir ein kleines Friedensfeſt in feurigem Ungarwein! «

» Nur nicht zu feurig, wenn ich bitten darf « rief ich, ſchon wieder an eine neue Gefahr denkend: daß aus dem geprügelten auszupfeifenden Liebhaber ein ſtark angeſäuſelter werden könne! Ja, man mußte in Peſt auf Alles gefaßt ſein.

Doch es ging über Erwarten gut. Der Blau¬ geprügelte war nur ein wenig angeheitert. Er wurde von den zahlreich im Stehparterre anweſenden Studenten glänzend empfangen und mit mir nach jeder Szene gerufen. » Sehen Sie, « ſagte er triumphirend zu mir, » daß ein paar blaue Flecken auch ihr Gutes haben und daß man in Peſt zu leben verſteht leben und leben laſſen! «

Aber nicht alle Mitglieder der deutſchen Bühne ſahen das Peſter Leben in ſo roſigem Licht und lebten es ſo leichtlebig mit, wie Herr Grohmann. Ich hatte mich gefreut, eine Tochter meiner guten alten Berliner Freundin, Frau Krikeberg, bei der Rahel ſo gern Lebens¬ weisheit ſuchte und fand, als Frau Dehni in Peſt zu finden. Sie war für das Charakterfach und Anſtands¬19 *292damen engagirt und ſeufzte die Zeit herbei, wo ihr Kontrakt zu Ende und ſie nach Deutſchland zurückkehren könne. » Selbſt nach Jahren fühlt der Deutſche ſich hier ſtets in der Fremde. Gemüthliche Geſelligkeit iſt in Peſt nicht zu finden, nur ein wildes Jagen nach Ver¬ gnügen. «

» Aber ſchön iſt dieſe Race « ſagte ich. » Wie impoſant und feurig elaſtiſch ſchreitet die Jugend einher, die ſchlanken, graziöſen Geſtalten durch maleriſch kleid¬ ſames Koſtüm noch gehoben dazu dieſe ideal ſchönen Züge blitzenden Augen über dem zierlich gewölbten Munde mit den lachenden Zähnen das keckſte Bärtchen «

» Und wenn dieſes reizende Mündchen ſich öffnet und der koſtbare Schnauzer ſich kräuſelt dann ent¬ fliehen dem Gehege dieſer lachenden Zähne die geiſtvollen Worte: Pferde Frauen Hunde Pfeifen und:

» Rückwärts! rückwärts! Don Rodrigo,
Rückwärts! rückwärts! edler Eid! «

Pfeifen Hunde Frauen Pferde «

Frau Dehni mußte traurige Erfahrungen mit dieſen ſchönen kühnen Schnurrbärten gemacht haben!

Mir gegenüber entkräuſelten ſie ſich nur in liebens¬ würdigſter, achtungsvollſter Weiſe. Mein Gaſtſpiel in Peſt gehört zu den beifallrauſchendſten, die ich kennen lernte. Vierzehn Mal ſpielte ich vor dichtbeſetztem Hauſe und doch war ich überfroh, als ich mich endlich glücklich durch dieſe Herkulesaufgabe durchge ſchrieen hatte.

293

Käthchen von Heilbronn war meine letzte Rolle. Ob das Publikum von der poetiſchen Traumſzene unter dem Hollunderbuſch auch nur ein Säuſeln gehört hat ich glaube es kaum. Mir war zuletzt Alles furchtbar egal geworden.

» Mutter « ſagte ich nach der Vorſtellung auf¬ athmend » nachdem ich dies Gaſtſpiel überwunden habe, muß mir jede Aufgabe der bretternen und der erdigen Welt leicht werden! «

Gleich nach der Vorſtellung fing ich an zu packen. Schon in der Frühe wollten wir Peſt verlaſſen. Da ertönte unter meinem Fenſter die herrlichſte Militair¬ muſik. Die Offiziere, denen ihre weiß-grünen Uniformen gar ſchmuck ſtanden, brachten mir ein Ständchen. Das ſtimmte mich ſehr fröhlich aber es mußte doch weiter gepackt werden. Nach den brauſenden Klängen eines Galopps chaſſirte ich mit Käthchens altdeutſcher Haube nach dem Hutkaſten ihr Brautkleid wurde in den Koffer gewalzt. Die Gulden, mit denen ich die Gaſthof¬ rechnung bezahlte, hüpften nach den ſprühenden Tönen eines feurigen Cſardas. Mein dankendes Grüßen vom Fenſter aus brachte mir deutſche Vivats und ungariſche Eljens ein.

Ich habe Peſt nie wieder geſehen, aber mich herzlich gefreut, als ich kürzlich in den Zeitungen las: das deutſche Theater in Peſt wird abgebrochen, obgleich Felicitas von Veſtvali, dieſer moderne Hamlet und Romeo, eine ſehr bedeutende Pachtſumme darfür geboten hat.

294

Was aber wohl Ludwig Devrient und Pius Alex¬ ander Wolff oder Auguſte Stich und Amalie Wolff dazu geſagt hätten, wenn ihnen ein weiblicher Hamlet hätte über ihre liebe, ſo hoch gehaltene Bühne ſtolziren wollen oder gar William Shakeſpeare?

Ja, die Zeiten ſind ſehr ſehr anders geworden!

Meine Ferien bis zu meinem Wiener Gaſtſpiele verlebten wir in dem reizenden Baden bei Wien. Das war ſo recht ein grünes, friedliches Plätzchen, das Peſter Martyrium zu vergeſſen und davon auszuruhen. Durch das liebliche Thal mit den ſauberen Bauernhäuschen und zierlichen Villen führt ein anmuthiger Promenaden¬ weg. Sonntags war hier das ganze luſtige und glän¬ zende Wien zu ſehen: an der Spitze Kaiſer Franz mit den Prinzen und Prinzeſſinnen. Auch in der Woche kam der leutſelige Monarch manchmal nach Baden. Er war hier, wie in Wien, die populärſte Figur, und ſah ſo recht väterlich wohlwollend aus. Und doch er¬ zählte man ſich lachend, daß er ſich von ſeinen Miniſtern ſeine Faſſerl nicht aufſchlagen ließ.

Die Miniſter waren nämlich, wie gerade nicht ſelten, in der größten Geldklemme. Sie ſtellten ſogar Staatsbankerott in Ausſicht, wenn der Kaiſer nicht mit ſeinem großen Privatvermögen, das in Fäſſern in den Gewölben der Burg lagerte, zu Hülfe käme.

295

Doch der Kaiſer hatte auf alle Bitten und Vor¬ ſtellungen nur die eine Antwort: » Machen's was Sie wollen aber mei Faſſerl laß i nit aufſchlag'n! «

Der gute Franz hatte überhaupt ſeine eigene Art, ſich aus der Affaire zu ziehen. Als der kleine Herzog von Reichſtadt der unglückliche König von Rom, der Sohn Napoleon's und Marie Louiſens von Oeſtreich, der nun auch ſchon ſeit zwei Jahren in der kaiſerlichen Gruft bei den Kapuzinern in Wien von ſeinen Königs¬ träumen und Erdenſchmerzen ausruhte als Knabe ſeinen Großvater einſt fragte: » Warum haſt Du denn meinen lieben Papa auf die häßliche Felſeninſel geſchickt, daß ich ihn gar nicht ſehen kann? « da antwortete ihm Kaiſer Franz ſehr ruhig: » Weil dein Papa nit gut 'than hat und wenn Du nit gut thuſt, kommſt auch nach St. Helena! «

Als aber der Knabe ihn mit ſeinen großen, ſchönen, traurigen Augen anſah und ernſthaft ſagte: » Gro߬ papa, ſag 'mir, wie ich's mach', ich will auch nit gut thun daß ich zu meinem Papa komme, der hat mich doch viel lieber gehabt, als ihr Alle « Da ging dem guten Franz doch die Weisheit aus und er ſagte ehrlich: » Da frag 'Dei Mutter, die weiß das, wie's g'macht wird die will halt auch nit gut thun! «

Ich ſchrieb damals von Baden aus an meinen Bruder:

» Der Thronerbe (der ſpätere Kaiſer Ferdinand I.) iſt unſchön. Seine kleine plumpe Geſtalt mit dem großen296 Kopf fällt neben ſeiner ideal ſchönen Gemahlin einer rührenden Erſcheinung mit feinen, blaſſen, milden Zügen nur noch mehr auf. Aber er ſchaut ſo gutmüthig und wohlwollend darein, daß ich mich redlich bemühe, ſeine Unſchönheit gar nicht mehr zu ſehen. Fürſt Metternich hat die Haltung eines Königs und die Augen eines klugen Miniſters. Die Fürſtin, ſeine zweite Frau, iſt jung, blühend und ſehr graziös aber ſie ſieht ſtolz und ſelbſtbewußt aus. Dazu paßt prächtig die kleine Geſchichte, die mir hier erzählt wird: Der Marquis St. Aulair, der Geſandte des Bürgerkönigs Louis Philipp, machte der Fürſtin einſt das Kompliment: » Welch 'ein prachtvolles Diadem ſchmückt Ihre ſchöne Stirn! «

Stolz antwortete ihm die Fürſtin: » Es iſt wenig¬ ſtens kein geraubtes, wie das mancher Könige! «

Sogleich eilte der Marquis zum Fürſten Metternich, erzählte ihm das Vorgefallene und ſagte: » Mein Fürſt, nach einer ſolchen Beleidigung meines Königs von der Gattin des öſtreichiſchen Staatskanzlers werde ich nach Paris ſchreiben müſſen und um meine Abberufung bitten! «

Wie diplomatiſch fein war Metternich's Antwort! Dem Marquis die Hand reichend, ſagte er mit milder Würde: » Mon cher Marquis! J'ai aimé ma femme, je l'ai choisie, mais je ne l'ai pas élevée! «

Und der Marquis war beſänftigt. *)Dies erinnert mich an eine hübſche kleine Geſchichte, die ſpäter Franz Liszt mit der ſtolzen Fürſtin Metternich paſſirt iſt. Liszt war an die Fürſtin empfohlen und machte ihr in Wien ſeinen

297

Metternich's Töchter ſind ſchlank, blond, und mehr anmuthig lieblich, als ſchön. Graf Sandor iſt ſtets an der Seite ſeiner Angebeteten. Im Uebrigen betet der hohe Adel hier in ungenirteſter Weiſe an.

» Wer iſt die ſchöne, glänzende Amazone, die dort mit dem jungen, eleganten Kavalier reitet? « fragte ich.

» Die Gräfin P «

» Sicher ein ſehr glückliches junges Ehepaar. Sie ſind unzertrennlich, wie zwei Turteltäubchen! « ſagte ich theilnehmend.

» Ja, ja, glücklich wohl und ein Turteltäubchenpaar auch aber kein Ehepaar Er iſt der Fürſt Tr «

*)Beſuch. Er wurde angenommen und in einen Salon geführt, in dem die Fürſtin ſich mit einer andern Dame lebhaft unterhielt. Ein vornehmes Kopfnicken erwiderte den Gruß des damals ſchon welt¬ berühmten Künſtlers eine graziöſe Handbewegung lud ihn ein, Platz zu nehmen. Aber vergebens wartete der ſtolze und verwöhnte Mann darauf, daß ihm der Beſuch vorgeſtellt und ihm Gelegenheit geboten werde, an der Unterhaltung Theil zu nehmen Die Fürſtin unterhielt ſich mit der Dame ruhig weiter, als ob Franz Liszt gar nicht auf der Welt, am wenigſten in ihrem Salon vorhanden ſei und beehrte ihn endlich mit der kühlen, nachläſſig hingeworfenen Frage: » Sie gaben in Italien Konzerte haben Sie gute Geſchäfte gemacht? «

» Fürſtin, ich mache Muſik und keine Geſchäfte, « war die ſtolze Antwort des Künſtlers eine kühle Verbeugung und er verließ den Salon.

Auch hier zeigte ſich Fürſt Metternich als vollendeter diplomatiſch feiner Weltmann. Bei dem erſten Konzert Liszt's in Wien ging er zu ihm auf die Muſikbühne, drückte ihm herzlich vor aller Welt die Hand und bat leiſe, mit einem graziöſen Lächeln: » Ich hoffe, Sie werden meiner Frau eine Flüchtigkeit der Sprache verzeihen Sie wiſſen ja, wie die Frauen nun einmal ſind «

*)298

» Und Graf P was ſagt der dazu? «

Dort fährt er die Tänzerin G .. ſpazieren! «

Ja, man lebt, promenirt, liebt und badet hier wunderbar gemüthlich in dem Wieneriſchen Baden. Ich habe die Mutter heute Morgen in ihrem warmen Bade¬ ſalon beſucht und bin faſt geſtorben vor Lachen. Denke Dir ein großes, luxuriös ausgeſtattetes Baſſin, in das natürlich-warmes Waſſer fortwährend aus dem Boden emporquillt. In dem Baſſin promeniren oft 20 30 Männlein und Weiblein, in lange, weite Bademäntel gehüllt und bis an's Kinn im heißen Waſſer. Da hier der Toilettenluxus natürlich ſehr erſchwert iſt, iſt alle Kunſt auf die Friſur verwendet. Damen und Herren ſind auf's Schönſte und Modernſte friſirt als wollten ſie zu Ball gehen. Und dabei die heiterſte und lebhafteſte Unterhaltung zwiſchen den Badenden und den Gallerie¬ beſuchern. Noch viel ungenirter geht es bei den kalten Flußbädern zu. Die Schwimmlehrer, die auch bei den Damenbädern das Regiment führen, erinnern mich an das Wort jener Dame, die eine junge Freundin, als dieſe ſich in Oſtende ſträubte, von dem Bademeiſter ſich in's Meer tragen zu laſſen, damit beruhigte: » Kind, weißt Du denn das noch nicht? Doktoren, Kammerdiener, Friſeure, Schneider und Bademeiſter ſind für uns gar keine Männer! « Unſere Schwimmlehrer behandeln die ſtattlichſten und hochſommerlichſten Madams, wenn die ſich noch an die Schwimmleine wagen, wie Kinder. Eine ſolche Szene werde ich nie vergeſſen. Eine ſehr,299 ſehr dicke, mittelalterliche Jüdin war zum erſten Mal an der Leine und geberdete ſich überaus zimperlich. Von der Leine gehalten, lag ſie zappelnd auf dem Waſſer.

» Jetzt ſchaun's zu, Ihro Gnad'n jetzt laß i los «

Kaum hatte die Gute jedoch die Naſe in's Waſſer geſteckt, ſo ſchrie ſie mörderlich: » Halt! halt! i erſauf ' i erſauf' «

» Warum net gar! Bei mi iſt erſt a anzigs erſauft, un die hat net parirn woll'n un war mager wie die magerſte von Pharao's Kühen und Ihro Gnad'n ſeind fett, wie i no kane g'habt hab, und das Fett hält Ihna ſchonſt allain oben So, nun müſſen's ſich auch, bewegen wie'n Fröſchli, erſt Handerl, dann Füßerl ſo, Ihro Gnad'n Schaun's? Das Fett ſchwimmt ganz allein eins zwei drei recht ſo, mei Krötli, patſcherln ſchon panz paſſabel «

Und die Hochſommerliche glänzte vor Stolz über dies Lob und vor Fett «

Soweit jener alte Brief.

Intereſſant war ein ländlicher Ball, den die Fürſtin Metternich als Dame patronesse in Baden zu einem wohlthätigen Zweck veranſtaltete. Das ganze vornehme und elegante Wien war dazu herausgekommen. Die Patronin ſtrahlte im weißen, duftigen Spitzenkleide mit friſchen Granatblüthen als Ballkönigin, ihre Stieftöchter im weißen Muſſelin blühten wie liebliche Blumen. Lange engliſche Locken waren die beliebteſte Frisur und nach300 wenigen von Strauß und Launer abwechſelnd geſpielten Tänzen glichen alle Tänzerinnen der armen Ophelia in der letzten Szene. Es wurde nicht getanzt ſondern geraſt. Davon zeugten auch die abgetretenen Schleppen, verlornen Blumen und ſogar einen weißen ſeidenen Schuh ſah man fliegen.

Aber es ſollte nicht nur für die Armen getanzt, ſondern für ſie auch Komödie geſpielt werden. Die Burgſchauſpieler wirkten alljährlich bei dieſer von dem Ortsvorſtande veranſtalteten Vorſtellung mit, und der geniale Charakterkomiker Korn bat auch mich um meine Unterſtützung. Ich ſagte gern zu war es doch gleich¬ ſam eine Art Vorſpiel zu meinem Gaſtrollencyclus am Burgtheater. Ich wählte die Salondame in dem feinen, aus dem Franzöſiſchen überſetzten Luſtſpiel: » Zwei Jahre verheirathet! « und die letzten Akte der » Hageſtolzen «. War doch die » Margarethe « in dieſem liebenswürdigen Iffland'ſchen Stück mein erſtes und mich ſo glückbe¬ rauſchendes Debüt zu Karlsruhe, und ich durfte ja ſo dankbar auf die zwölf Jahre Bühnenleben zurückblicken, die zwiſchen der erſten kindlichen Margarethe und der jetzigen lagen. Vielleicht brachte mir dieſe Glücksrolle jetzt bei den Wienern auch ein freundliches Geſicht ein!

Ich ſollte nicht fehlgegriffen haben.

Kaiſer Franzerl ſagte nach den » Hageſtolzen « zu ſeiner Tochter Marie Louiſe, die einſt Kaiſerin der Franzoſen war, und deren Oberhofmeiſterin mit uns in demſelben Hauſe wohnte und mir das hübſche Wort gleich wieder erzählte:

301

» Schau, Louiſerl, das war an ganz herzig's Mar¬ garethe! « und nach den » Zwei Jahren verheirathet « hatte der Kaiſer kritiſirt: » I hab 'das Fräulein gern g'ſehn ſie ſpielt ſo comme il faut! «

Anſchütz war in den Hageſtolzen aber auch ein herziger Hofrath, ſo treu und innig und wahr, ganz wie meine verehrten Meiſter aus der alten Schule, und beſſere Partner als Korn und Herzfeld und einen genialeren Schneider, als den Herrn VON Bär hätte ich nur für das Salonſtück nicht wünſchen können.

Ja, ich hatte mir die Winke über die jetzige » Mode - Epoche « am Wiener Burgtheater wohl gemerkt, und der ewig hungrigen Göttin Mode und ihrem mammon¬ dürſtenden Oberprieſter Bär, wenn auch mit ſchwerem Herzen, meine ſo mühſelig in Peſt erſchrieene Gaſtſpiel¬ gage bis auf den letzten Heller zu Füßen gelegt für drei » himmliſche « Salondamen-Anzüge zu den » Zwei Jahren verheirathet «.

Der Herr von Bär hatte ſich in Wien längſt den Ruf eines Zauberers erworben, in deſſen Kleidern Hä߬ liche ſchön Bucklige » wie eine Tanne ſo ſchlank « und Schöne wie Engel ausſähen und neben dieſer Berühmtheit auch natürlich ein ganz anſtändiges Ver¬ mögen. Dies Wunder von Schneidermeiſter beſuchte ſeine Kunden in eleganteſter Equipage, verſammelte Sonntags in ſeinem glänzend eingerichteten Hauſe ein Quartett und ſpielte ſelber dabei » zu ſeiner Erholung « die erſte Geige. Nicht ohne Herzklopfen machte ich dieſem302 Wundermann meine Viſite. Er ſah mich mit ſcharf prüfendem Blick von oben bis unten an und lächelte wohlgefällig. Als ich ihm beſcheiden meine » Wünſche « über Farbe und Stoffe mitgetheilt hatte, fing er ein Kunſtgeſpräch an. Endlich mußte ich mir doch erlauben, den Herrn von Bär in zarteſter Weiſe zu bitten, ob er nicht die Güte haben wolle, mir nun auch Maß zu nehmen

Da richtete er ſich würdevoll auf, ſah mich noch einmal mit dem unfehlbaren Blick eines Imperators von oben bis unten an und ſagte: » Mein gnädiges Fräulein, ich nehme nie Maß nie! «

» Aber aber wie, « ſtotterte ich, denn ich glaubte unbewußt ein Kapitalverbrechen gegen den großen Mann begangen zu haben.

» Mein gnädiges Fräulein, ich ſehe die Damen nur einmal an ich habe auch Sie bereits angeſehen und ich garantire Ihnen: die Kleider ſitzen wie angegoſſen «

Ich war vernichtet!

Aber der Herr von Bär rächte ſich nicht für meinen Frevel, daß ich ihn in eine Ideenverbindung mit einem ganz ordinären Schneidermaß bringen konnte die drei Toiletten ſaßen » wie angegoſſen « und machten Furore.

Wenn ich aber an dieſe und andere Bären-Rechnungen denke ſo fühle ich noch heute einige Gewiſſensbiſſe über den Leichtſinn: die Wiener Burgtheater-Mode-Epoche mit¬ gemacht zu haben.

303

Da ſaßen wir denn wieder wohlbehalten und traulich im hübſchen » Erzherzog Carl « zu Wien und die Vorbe¬ reitungen für mein Gaſtſpiel begannen. Zunächſt machte ich den Kollegen vom Burgtheater meinen Beſuch.

Es war damals freilich und iſt auch leider noch heute Sitte, daß die gaſtirenden Künſtler ſich ſolchen Höflich¬ keitsbeſuchen durch Ueberſendung der Viſitenkarte gern entziehen und die Kollegen, mit denen ſie auftreten, erſt in der Probe begrüßen. Ich habe dieſe kühle Höflichkeit nie mitgemacht und ſtets den größten Genuß davon ge¬ habt und auch nicht wenig Weltweisheit nicht nur der bretternen Welt dabei gelernt. Das waren meine lieben Privat-Gaſtreiſen und noch heute erinnere ich mich mit dem treuen Gedächtniß des Herzens dankbar jener frohmüthigen, belehrenden, Geiſt und Herz er¬ friſchenden Beſuchsſtunden bei den alten, werthen Kollegen an den bedeutendſten Theatern Deutſchlands, Rußlands und Frankreichs Aber unter faſt allen jenen einſt ſo volltönigen Namen ſteht ſchon ein ſchwarzes Kreuzchen!

Ich wurde in Wien von allen Kollegen ſehr freundlich aufgenommen ſogar von Karoline Müller, mit der ich vor neun Jahren an der Königſtädter Bühne in Berlin jenes Rencontre hatte, das mir ſo viel Thränen gekoſtet. Jetzt lachten wir herzlich über die alten Scharmützel wegen meiner geliebten Gräfin Elsbeth, die auf dem Tournier von Kronſtadt einen ſo herrlichen blinden Theaterſchimmel reitet und dieſen Schimmel, der mir nach meiner Meinung allein gebührte, mußte ich von304 dem gaſtſpielenden Fremdling mir vor der Naſe weg¬ kapern ſehen. Ja, das that meinem ſiebenzehnjährigen kunſtglühenden, ehrgeizigen Herzen bitter weh!

» Und nicht wahr, jetzt ſehen Sie ſelber ein, daß ich Ihnen den theuren Schimmel nicht laſſen konnte? « ſagte Karoline Müller. » Ruhe iſt die erſte Bürger - Selbſterhaltung aber die erſte Künſtlerpflicht! «

» Nun, wenn auch gerade nicht die erſte Künſtlerpflicht ſo doch leider Gottes eine bittere Nothwendigkeit, wie ich ſeitdem auch ſchon erfahren habe «, ſeufzte ich. » Ja, Vol¬ taire hat nicht ſo Unrecht, wenn er behauptet: Il faut pour réussir, qu'un artiste ait le diable au corps «

Ich wollte als » Suſchen « debütiren, weil ich gerade in dieſer Rolle ſo glänzende Erfolge hatte, ſogar auf dem öden Exerzirplatz des Peſter Theaters.

Nicht brillant genug für Wien keine Toiletten - Effekte! « ſagte Karoline Müller bedenklich.

Ich ſollte ſpäterhin bereuen, ihrer Welt - und be¬ ſonders Wien-Erfahrung nicht vertraut zu haben und meinem eigenen Kopfe gefolgt zu ſein.

Einen intereſſanten Beſuch glaubte ich bei Frau von Weißenthurn, deren allerliebſten Stücken ich als Pauline Baronin Waldhüll Julie in » Beſchämte Eiferſucht « u. ſ. w. ſo hübſche Erfolge verdankte, machen zu können. Sie wohnte in einer reizenden Villa vor den Thoren Wiens und lebte in ſehr behaglichen, ja ſogar glänzenden Verhältniſſen. Eines Koblenzer Schauſpielers Kind, hatte Veronika Grünberg mit ihren Geſchwiſtern ſchon in den305 70ger und 80ger Jahren des vorigen Jahrhunderts die jetzt längſt vergeſſenen Kinderkomödien aus Weiße's Kinderfreund geſpielt. Auch ſie war, wie ich, ſchon mit vierzehn Jahren als jugendliche Liebhaberin engagirt, und zwar 1787 am Hoftheater in München. Drei Jahre darauf kam ſie an's Wiener Burgtheater, heirathete, den Herrn von Weißenthurn und ſpielte viele Jahre die böſe Welt ſagte ſogar: viel zu viele Jahre erſte Lieb¬ haberinnen. Auch jetzt, trotz ihrer Erfolge als Schau¬ ſpieldichterin und trotz ihrer 61 Jahre, war ſie dem Theater noch treu und ſpielte ältere Charakterrollen bis zum Jahre 1841. Sechs Jahre darauf iſt ſie ge¬ ſtorben und ihre Stücke ſind auch faſt vergeſſen.

Frau von Weißenthurn empfing mich ſehr freundlich aber furchtbar elegiſch.

Schon ihre Begrüßung und Bitte: » Liebes Fräulein, wollen Sie nicht Platz nehmen? « klang wie Thekla's Schmerz:

» Was iſt das Leben ohne Liebesglanz? «

und dann: » Es freut mich, daß es Ihnen bei uns in Wien gefällt « wie Desdemona's Lied von der Weide

Als Frau von Weißenthurn mich ſchließlich noch bat, eine Taſſe Kaffee mit ihr zu trinken da zerfloß ſie faſt in Wehmuth und in Luſt und ich zog es vor, ſchleunigſt aufzubrechen, um ihrer völligen zerſchmelzenden Auflöſung nicht beiwohnen zu müſſen und um meineErinnerungen ꝛc. 20306nicht allzu zuverläſſigen Lachmuskeln nicht auf eine zu harte Probe zu ſtellen

Johanna ging und kehrte nimmer wieder!

Aber, wie ich draußen in meinem Fiaker gelacht habe und dann, als ich der Mutter und Freund Witthauer dramatiſch und vor allen Dingen elegiſch von meinem Beſuche Bericht erſtattete davon darf ich wohl ſchweigen.

Und dann gab Witthauer auch ein Hiſtörchen von der ſtadtbekannten, in den alltäglichſten Dingen über¬ ſchwenglichen Sentimentalität der Frau von Weißenthurn zum Beſten und unſere kaum ein wenig eingedämmte Heiterkeit brach wieder wolkenbruchartig hervor. Ja, die Feder entfällt noch heute vor Lachen meiner Hand, wenn ich mir die Situation ſo recht lebensvoll vor's Auge zaubere.

Es regnet nämlich in Wien und Frau von Weißen¬ thurn ſteigt mit graziöſem Storchſchritt hochgeſchürzt durch die Waſſerfluten, elegiſch ihren Parapluie balan¬ cirend. Zu ihrem Unglück muß ſie an einer Fiakerreihe vorüber.

» Fahr'n mer, Ihro Gnad'n? « ſagt der erſte Kutſcher.

» Ich danke, mein Freund, ich habe einen Schirm! » entgegnet Frau von Weißenthurn ſchmachtend, mit ele¬ giſchem Augen - und Parapluie-Aufſchlag, als deklamirte ſie mit Johanna:

» Kurz iſt der Schmerz und ewig iſt die Freude! «
307

Der Kutſcher ſtarrt ſie ſprachlos an. Fiaker Nr. 2 wiederholt die ſtehende Fiakerfrage: » Fahr'n mer, Ihro Gnad'n? «

Unermüdlich antwortet Frau von Weißenthurn auch Nr. 2:

» Ich danke, mein Freund, ich habe einen Schirm! « doch noch um einige Herzenstöne ſchmachtender und mit elegiſchem Augen - und Schirm-Aufſchlag im Kom¬ parativ, etwa wie Gretchen haucht:

» Ach neige,
Du ſchmerzensreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth! «

Länger hält nun aber auch der bekannte übermüthige Wiener Fiakerwitz nicht ſeine Schleuſen zu und Fiaker Nr. 2 macht eine Geſte, als wolle er vor Schreck vom Bock fallen, und haucht dann noch elegiſcher im Sonntags - Hochdeutſch:

» Aber, mein Gott, Ihro Gnad'n, warum denn ein ſo hingebendes Weſen? «

» Wer wollt 'ſo dumm fragen, Tonerl, Du hörſt ja doch: ſie hat einen Schirm!!! « iſt die klaſſiſche Antwort von Fiaker Nr. 1.

Das iſt das Signal und von Fiaker zu Fiaker geht es:

» Hörſt, Kaſperl, ſie hat 'nen Schirm «

» No! no! wir fahr'n net, ſie hat 'nen Schirm «

Frau von Weißenthurn ſagt nichts mehr, ſie ſeufzt nur leiſe vor ſich hin, huſcht ſo ſchnell als möglich vor¬20 *308über und wirft nur hin und wieder einen Blick auf die Rotte Korah wie etwa Eliſabeth in Don Carlos bei den Worten:

» Ich achte keinen Mann mehr! «

Die Wiener nahmen mich als » Suschen « freundlich auf aber doch, als wären ſie etwas enttäuſcht. Das war meine Strafe dafür, daß ich nicht Karoline Müller's Rath folgte und mich in einer glänzenden Toilettenrolle den hierin ſehr verwöhnten Wienern präſentirte. Meine » Madame Danville «, die ich in Paris nach dem Vor¬ bilde der herrlichen Mars ſtudirt hatte, gefiel noch weniger. Man fand meine » Danville « zu gemeſſen, nicht pikant genug zugeſpitzt. Aber am meiſten verdachten mir die guten Wiener es, daß Madame Danville es wagte, vor ihnen in demſelben wenn auch » entzückend ſchönen « (jedenfalls aber bärenmäßig theuren) Ballkleide zu er¬ ſcheinen, in dem ich ſchon zu Baden in » Zwei Jahre verheirathet « paradirt hatte.

Als » wohlerzogene « junge Pathe und als Marga¬ rethe hatte ich die glänzendſten Erfolge, wurde applaudirt und gerufen aber ich glaube kaum um einen Herzſchlag wärmer, als wenige Tage darauf Karoline Müller's » engelhaftes « Hütchen und » himmliſches « neues Kleid.

Ich ſaß im Parket, das mir noch unbekannte Stück: » Die Folgen einer Mißheirath « kennen zu lernen. Die309 hübſche Peche gab die ſentimentale Rolle mit warmen Herzenstönen und rührender Naturwahrheit und ſah als arme Sergeantentochter in ihrem weißen, einfachen Mouſſelinkleide liebreizend aus. Keine Hand rührte ſich ich ſah nur Achſelzucken und hörte wohl gar: » Wie geſchmacklos wie gewöhnlich deßwegen braucht man nicht für ſein ſchweres Geld in's Burgtheater zu gehen ſolche Toiletten kann man alle Sonntage in der Au und im Prater zu Hunderten ſehen «

Ich war empört und zitterte vor Erregtheit. Die Mutter hatte genug zu thun, meine Zunge zu zügeln.

Und dann trat Karoline Müller im zweiten Akt auf und wurde rauſchend anhaltend empfangen. » Nun, ſie hat gewiß eine große, ſchwere Rolle « dachte ich bei mir.

Mais point du tout nichts von alledem nach einigen unbedeutenden Phraſen rauſchte ſie unter dem jubelnden Applaus des ganzen Hauſes wieder ab und das liebe Publikum ruhte nicht, bis ſie wieder und wieder ſich präſentirte Und ich hörte meine Nach¬ barinnen, welche vorhin die arme Peche ſo ſcharf mitge¬ nommen hatten, in Ekſtaſe einmal über das andere aus¬ rufen: » Charmant ja, Karoline Müller überſtrahlt doch alle Andern ſie iſt hinreißend welch 'Erfin¬ bungstalent «

» Was hat ſie denn erfunden? « fragte ich, noch immer unſchuldsvoll, meine Nachbarin » ihre Rolle iſt doch bis jetzt ſehr unbedeutend «

310

Da ſah mich die dicke Wienerin mit großen, runden, fetten Augen faſt mitleidig ſtaunend an, als bewegte ihr liebes Herz der furchtbare Gedanke: » Armes Kind, biſt Du denn blind oder aus der Polakei? « Dann entrollte es grollend dem Gehege ihrer kunſtvollen Zähne: » Ach, was Rolle! Sehen Sie denn nicht, wie reizend ſich die geniale Kombination von Weiß und Grün ihres Kleides ausnimmt? Es erinnert an Schottiſch iſt aber doch viel origineller, pikanter und dies neue Koſtüm hat Karoline Müller erfunden. Uebermorgen können Sie es ſchon im Prater in den verſchiedenſten Variationen ſehen Und wie entzückend ihr dazu der kleine, zarte Baſthut mit den Moosroſen ſteht ein wahres Modebild! «

» Ach ſo! « ſeufzte ich ziemlich zornmüthig » ich vergaß, daß wir am Burgtheater jetzt die Mode - Epoche haben! «

Als ich dann 1837 zu meinem zweiten Gaſtſpiel nach Wien kam, war ich leichtſinnig genug, auch in der Toilette den Kampf mit Karoline Müller aufzu¬ nehmen. Ich trat elfmal auf und erhielt für die Vor¬ ſtellung 20 Dukaten Honorar damals ungeheuer viel heute eine Bagatelle. Dies ganze Honorar opferte ich mit ſchwerem Herzen dem Modemoloch Bär, deſſen Wunderruf bei den gläubigen Ammonitern Wiens, zu dem aber auch Hebräer, Chriſten und Türken ſchwuren, noch grauenhaft gewachſen war. Herr von Bär nahm mein beſcheidenes Opfer huldvoll lächelnd an und ver¬ ſprach mich » himmliſch « zu ſchmücken.

311

Nach dem Urtheil aller Ammoniter hat der Moloch glänzend Wort gehalten. Sie ſtrömten in unüberſehbaren Schaaren Abend für Abend in den Tempel » Burgtheater « und huldigten mir das heißt dem Werk ihres großen Götzen Bär nach Kräften mit Hand und Mund und Fuß.

Am meiſten Furore machten wir nämlich Herr von Bär in erſter und Karoline Bauer in zweiter Reihe als » Marie, oder: Die drei Epochen «. Zuerſt bekamen die entzückten Ammoniter an der Donau ein junges Mädchen im reizenden, poeſieduftigen Koſtüm zu ſehen, dann dieſelbe Marie als Frau in feenhafter Balltoilette und zuletzt die junge Wittwe Marie in ſirenenhaft beſtrickendem Putz, ihren zweiten Freier erwartend

Aehnlichen Erfolg hatten » wir « im » Ball zu Eller¬ brunn « und in » Bürgerlich und romantiſch « von Bauernfeld.

Solche Erfolge machten mich übermüthig unvor¬ ſichtig ich ging trotz aller treugemeinten Abmahnung auf's Glatteis und ich kann noch heute von Glück ſagen, daß ich ſo gut davon kam.

Zu gleicher Zeit mit mir gaſtirte an der Burg mein trefflicher Dresdener Kollege Pauli, ſehr geſchätzt und beliebt in Elb-Athen. Wir waren oft mit einander in Albini's Luſtſpiel: » Die gefährliche Tante « aufge¬ treten und hatten große Erfolge gehabt. Ich habe ſpäterhin überhaupt nur einen » Freiherrn von Emmer¬ ling « kennen gelernt, der Pauli's fleißig und geiſtvoll bis in's Detail ausgearbeitetes, ſcharf und meiſterhaft gezeichnetes Charakterbild in dieſer Rolle verdunkelte. 312Das war der » Emmerling « von Theodor Döring, jetzt die größte Zierde des Berliner Schauſpielhauſes. Döring hat mich ſtets lebhaft an Ludwig Devrient erinnert und ich halte ihn für den würdigſten Nachfolger des großen Todten. Auch Ludwig Tieck ſchätzte Döring ſehr und nannte ſeinen Adam in Kleiſt's » zerbrochenem Krug « ein vollendetes Meiſterwerk.

Pauli und ich verabredeten alſo ſchon in Dresden, am Burgtheater zuſammen in der » gefährlichen Tante « zu gaſtiren. Ausnahmsweiſe wurde mir von der Dres¬ dener Intendanz geſtattet, mein ſchönes, antikes Tanten¬ koſtüm mitzunehmen. Das ſtammte ſicher aus dem vorigen Jahrhundert und war altmodiſch und koſtbar, wie die Urgroßmütter es getragen. Das ſchwere braun und gelb geſtreifte Atlaskleid war mit Blumen durch¬ wirkt, dazu eine koloſſale, reich getollte und hochge¬ thürmte weiße Haube.

Pauli debütirte als Jago in » Othello «, fand glän¬ zenden Empfang und wurde nach jedem Akt gerufen. Meiſter Anſchütz war ein unübertrefflicher Othello, und Julie Rettich, die ſeit einem Jahre mit lebenslänglichem Engagement wieder dem Burgtheater angehörte, entzückte und rührte wunderbar als Desdemona.

Alles ließ ſich prächtig an. Graf Fürſtenberg, der Nachfolger des Grafen Czernin als Intendant, gab den beiden Dresdener Gäſten zu Ehren ein gemütliches Künſtlerdiner, und Pauli und ich waren ſeelenvergnügt. Der Intendant, ein freundlicher, zuvorkommender Herr313 von etwa 40 Jahren, machte einen angenehmen Wirth bis zum Deſſert, wo er plötzlich in ſeine, mir ſchon bekannte, ſeltene Aufrichtigkeit verfiel.

» Wann treten Sie mit Herrn Pauli in der » gefähr¬ lichen Tante « auf? « wurde ich von einem Gaſt gefragt.

» Morgen Abend! «

» O, unſere Karoline Müller und Wilhelmi ſind unübertrefflich unerreichbar als gefährliche Tante und als Emmerling! « dachten Seine Execllenz der Herr Intendant mit einem Male laut.

Pauli's Augen ſchoſſen Blitze und um ſeine Mund¬ winkel zuckte ein bitter-ſarkaſtiſcher Zug.

Ich verſuchte ein anderes Thema anzuſchlagen vergeblich: Excellenz dachten immer begeiſterter weiter:

» Welche Bühne wollte ſich mit dem Burgtheater meſſen? Unſere Künſtler ſind die leuchtendſten die einzig wahren Sterne am Theaterhimmel der Jetztzeit «

» Aber, Excellenz, warum werden denn ſo oft die Mitglieder anderer Bühnen zu Gaſtſpielen aufgefordert? « unterbrach Pauli nicht ohne Schärfe.

» Um um auch andere Talente kennen zu lernen « ſagten Excellenz doch etwas verlegen und hoben gewandt die Tafel auf, ſo weitere unerquickliche Erörterungen vermeidend.

Wir nahmen den Kaffee im Salon. Pauli war furchtbar aufgeregt und dann immer ſehr zerſtreut. Er lehnte neben mir in der Fenſterecke und ich ſah nicht ohne Heiterkeit, wie er in ſeiner Zerſtreuung ein Stück314 Zucker nach dem andern in ſeine Taſſe warf, bis dieſe überquoll und der Diener ſchon die Augen ſoweit auf¬ geriſſen hatte, als es ihm nur irgend möglich war.

Ich flüſterte dem vor Aufregung zitternden und vor verbiſſenem Ingrimm puterrothen Kollegen zu: » Er hat's ſicher nicht ſo böſe gemeint es iſt nun mal ſeine Art ſo, laut zu denken. Und dann iſt es doch ſehr hübſch von einem Intendanten, wenn er die Künſtler ſeiner Bühne Fremden gegenüber ſo hoch hält. Ich wünſchte, wir könnten das von unſerer Dresdener Excellenz auch ſagen.

» Ja, ja, die macht's leider oft umgekehrt Aber, ſo furchtbar klaſſiſch aufrichtig ſollte ein Intendant doch nicht ſein beſonders an großer Mittagstafel und in ſeinem eigenen Hauſe «

» O, mit uns hat er's noch gnädig gemacht «, lachte ich » da ſollten Sie erſt hören, wie es dem armen Pollert, meinem Petersburger Kollegen, hier in Wien beim Grafen Fürſtenberg ergangen iſt. «

» Wie ſo? « fragte Pauli neugierig » bitte, erzählen Sie! «

» Pollert hat mir in Dresden ſeine Szene bei Sr. Excellenz ſelber geſchildert ja, dramatiſch dargeſtellt. Den ſonſt ſo beſcheidenen Künſtler hatte er wußte ſpäter¬ hin ſelber keine andere Entſchuldigung dafür hier in Wien plötzlich ein hämiſcher Hochmuthsteufel geritten, auf dem Burgtheater als König Enzio, Kaiſer Friedrich's ideal¬ ſchöner, tief-poetiſcher Sohn, zu debütiren und doch315 fehlte ihm nicht mehr als Alles zu dieſer Rolle: Adel und Schönheit der Geſtalt, ſeelenvolles Organ und poetiſcher Geiſtesſchwung. Der arme Pollert hatte wirk¬ lich eins der flachſten, alltäglichſten Semmelgeſichter, die mir vorgekommen ſind. Das Fiasko blieb auch nicht aus König Enzio-Pollert fiel mehr als glänzend durch, und nur der Gutmüthigkeit der Wiener hatte er es zu danken, daß er ſeine Partie zu Ende ſpielen durfte.

» Doch laſſe ich Freund Pollert jetzt ſelber ſeine Geſchichte weiter erzählen. Er begann ſtets mit einem tiefen Seufzer: Der Intendant ließ mich am Morgen nach dieſem qualvollſten Abende meines Lebens zu ſich bitten. Mir war nicht allzu gut dabei zu Muth, als ich das Empfangzimmer betrat. Graf Fürſtenberg ſtand in der Mitte des Zimmers kerzengerade, und meine tiefe Verbeugung nicht durch das kleinſte Kopfnicken erwidernd. Dabei ſah er mich ſo ſtarr an, als hätte ich die verſteinernde Eigenſchaft des Gorgonen¬ hauptes.

» Excellenz haben befohlen « ſtotterte ich nach einer peinlichen Minute.

» Keine Antwort Excellenz ſtarrten mich nur noch ſteinerner an.

» Mir wurde ganz unheimlich zu Muth. Sollten Excellenz an momentanem Nachtwandeln leiden? Dann nahm ich mein Herz in beide Hände und begann von Neuem: Excellenz hatten die Gewogenheit zu befehlen .. «

316

» Da öffneten ſich die ſteinernen Lippen und im Nachtwandlertone entglitt es ihnen: » Wie iſt's nur mög¬ lich mit ſo einem Geſicht mit ſo einem Geſicht «

» Was befehlen Excellenz? « ſtammelte ich, nun ganz aus dem Häuschen.

» Jetzt endlich belebten ſich die ſteinernen Züge aber furchtbar für mich Aermſten. Und mit Donner und Blitz brach das Unwetter über mich los Excellenz packten mich am Arm und zerrten mich vor den hohen Spiegel und ſchrieen förmlich wie außer ſich:

» Mit ſo einem Geſicht den Enzio ſpielen wollen auf unſerem Burgtheater Herr, waren's denn nicht bei Troſt mit ſo einem Schuſterbub'ngeſicht? Haben's denn nie in einen Spiegel g'ſchaut Jeſes! Jeſes! Mit ſo einem Fratzerl, das kein anſtändiger Menſch aufnimmt, wenn er's auf der Straß 'liegen ſieht König Enzio mit ſo einem Fratzerl

» Doch als wenn er jetzt plötzlich ein Verſtändniß dafür hätte, was in meinem armen Kadaver vorging in gutmüthigerem Tone fuhr der Intendant fort: » Nun nun war nit ſo bös gemeint, aber ſein's g'ſcheidt, laſſen's ſich Honorar zahlen, reiſen's nach Haus, aber nehmen's Rath an und ſpielen's nie mehr den König Enzio, denn mit ſo einem Geſicht mit ſo einem Schuſterbub'ngeſicht «

Da lachte Pauli herzlich mit mir in der Salon - Fenſterniſche dieſes aufrichtigſten aller Intendanten: » Nun, da können wir ja von Glück ſagen, wenn wir317 von Sr. Excellenz nicht noch ſchlimmere Dinge zu hören bekommen, als heute Mittag! « Mein Zweck war erreicht das Gewitter in der arbeitenden Bruſt des verwun¬ deten, ehrgeizigen Künſtlers hatte ſich ohne Donner und Blitz verzogen und wir gingen am andern Morgen wohlgemuth in die Probe zur » gefährlichen Tante «. Aber ich ſollte ſie nicht verlaſſen, ohne neue Erfahrungen gemacht zu haben.

In der Pauſe fragte mich Frl. Reichel, welche die Kammerjungfer ſpielte: » Sie werden doch in dem präch¬ tigen rothen Sammetmantel, mit echtem Hermelin be¬ ſetzt, auftreten, wie Karoline Müller? Der nimmt ſich zu dem weißen Atlaskleide prächtig aus! «

» Nein, ich werde mich bemühen, wie » Adele Müller « zu erſcheinen, die bei einem kleinen Provinztheater ange¬ ſtellt iſt und ſchwerlich einen Hermelinmantel beſitzt, um in demſelben nach der Vorſtellung nach Hauſe zu fahren. «

» Dann werden Sie nicht beim Auftreten applau¬ dirt werden, wie Karoline Müller ſtets «

» Aber Adele Müller hätte ja für ſolch 'einen koſt¬ baren Mantel mehr als eine ganze Jahresgage opfern müſſen, und ſie iſt doch nur Schauſpielerin, um ihre arme Familie zu erhalten? «

Die Reichel zuckte die Achſeln: » Danach fragt unſer Publikum nicht! «

Das war der erſte Stachel aber es ſollten noch mehr dazu kommen.

318

Nach der Probe trat der gute alte Theaterfriſeur Weber geſchäftig auf mich zu: » Mein Fräulein ein Wort von größter Wichtigkeit «

Weber war wirklich eine ſehr bedeutungsvolle Per¬ ſönlichkeit für das Burgtheater und der Liebling Aller. Er hatte in den vielen Jahren ſeiner Thätigkeit an den Burgtheaterköpfen reiche Erfahrungen geſammelt und war eine lebende Chronik aller Theaterverhältniſſe und Er¬ eigniſſe. Dabei ſah er ſtets wie die gute Stunde aus, war mit Leib und Seele bei ſeiner » Kunſt «, klug, ver¬ ſchwiegen, dienſtfertig aber er hatte doch auch ſeine Sympathien und Antipathien und empfand jede kleine Kränkung ſehr tief, noch tiefer aber jede Freund¬ lichkeit. Mich hatte der gute Alte noch von meinem erſten Gaſtſpiel her feſt in's Herz geſchloſſen und nahm an meinen Erfolgen wirklich rührenden Antheil konnte aber auch » furchtbar wild « ſein, wenn ich nach ſeiner Meinung mal zu wenig applaudirt wurde.

Und wenn ich dann neckend ſagte: » Wie kommt's nur, lieber Weber, daß Sie an der Fremden ſo herz¬ lichen Antheil nehmen? «

Dann konnte er ſo gar eigen lächeln und ſeine großen braunen Augen ſchauten mich dabei ſo treuherzig an und ge¬ heimnißvoll flüſterte er mir zu: » Mi ſind Sie keine Fremde! I kann's Ihna nur nit ſo ſag'n, wie's mi hi um's Herz iſt, aber i hab Ihna lieb wie a Töchterli. Das Fräulein hab'n a rechtſchaffen gut's G'müth, ſeind nit hoffährtig wie die Andern i ging halt gleich für Ihna durch's Feu'r «

319

» Wo ſoll i die kleinen Lockerl für das g'fährliche Tanterl ordnen? Hier in der Garderob oder im Hotel? « fragte er mich jetzt voll Wichtigkeit.

» Gar nicht nöthig, lieber Weber. Ich hab 'meine Dresdener graue Haartour wohl verpackt mitgebracht Alles in beſter Ordnung! «

» Graue Haartour unter dem feinen Spitzenhäuberl? « rief er entſetzt.

» Nein, kein Spitzenhäuberl ſondern eine recht¬ ſchaffene alte derbe Tantendormeuſe! «

» Aber das wird ja ſchreckli ausſchaun zu dem koſt¬ baren weißen Atlaskleid mit der ſtolzen langen Schleppen! «

» O, ſein Sie unbeſorgt die Haube paßt zu meinem gelb und braun geſtreiften hundertjährigen Kleide vortrefflich «

» Gelb und braun geſtreift hundertjährig graue Haartour Urahnen-Dormeuſe mi rührt der Schlag! « ſchrie der kleine bewegliche Alte förmlich auf.

Ich mußte trotz dieſes zweiten Stachels herzlich lachen, beſonders als Weber ſentimental fortfuhr:

» Und Fräulein Karoline Müller ſchaut gerade als Tante ſo ſchön und zart aus wie a Zuckerpupp'n wie a Zuckerpupp'n zum Anbeiß'n «

» Aber, Weber, die gefährliche Tante darf ja gar nicht wie a Zuckerpupp'n zum Anbeiß'n ausſehen ſie ſoll vielmehr durch ein recht ehrwürdiges tantenhaftes Ausſehen dem eigenſinnigen Emmerling Vertrauen ein¬ flößen «

320

» Wahr leider wahr «, klagte der gute Alte ver¬ zweiflungsvoll weiter » was nutzt uns aber das Ehr¬ würdige, wenn wir damit durchfallen glänzend durch¬ fallen Geben's Acht, was d'raus wird! «

Und mir war ob all' dem Unkengeſchrei wirklich ſelber ganz bänglich zu Muth geworden, und ſolche zweifelvollen Stunden vor einer Gaſtrolle gehören zu den peinlichſten des Bühnenlebens.

Beim Friſiren zum erſten Akt ſeufzte Weber ganz erbärmlich und beſchwor mich, mir noch ſchnell den rothen Sammet-Hermelinmantel geben zu laſſen. Doch ich blieb feſt, ſelbſt als die mitwirkenden Damen mein Tantenkoſtüm anſtarrten wie Frau Lot die Salzſäule.

Pauli trat zuerſt auf keine Hand rührte ſich. Ich folgte im grauen Mantel Todtenſtille! Dann ein grauſig anſchwellendes A a ah der Enttäuſchung für mein allerdings etwas verwöhntes Liebhaberinnen¬ ohr gleich den Poſaunenſtößen beim Weltuntergange. Doch ich nahm mich zuſammen und ſpielte muthig weiter. Die hübſche Szene mit dem Kammermädchen gab mir Gelegenheit, einen kleinen feinen Stich anzubringen. Ich änderte einige Worte und rezitirte:

» Auch ich ſah den Himmel offen
Und der Sel'gen Angeſicht
Doch in dieſem Bühnenleben
Fand ich, ach! den Himmel nicht «

Stürmiſcher Applaus der ſimple graue Mantel war überwunden!

321

Der arme Pauli ging noch immer leer aus.

Als ich mich meinen Verehrern im reizenden, koſt¬ baren Negligee präſentirte wurde dies funkelnagelneue Zauberwerk des Herrn von Bär nach Gebühr beklatſcht.

Der Hauptmoment nahte. Mit Herzklopfen und unter Aſſiſtenz von reichlichen Weber'ſchen Seufzern ſtülpte ich die unglückſelige Dormeuſe auf die graue Haartour, warf das gelb und braun geſtreifte hundert¬ jährige Tantenkleid über und die Todtenſtille, die mich empfing, war wo möglich noch todtenſtiller, als vorhin und das Enttäuſchungs-A a a ah ſchwoll zum Drommetenton an.

Pauli hatte ganz den Kopf verloren und fand ihn den Abend über auch nicht mehr wieder. Erſt als wir die kleine Marie ſorglich-zärtlich zu Bett brachten leiſe leiſe um das geliebte Kind nicht auf¬ zuwecken da erwärmten ſich die Wiener Herzen und Hände und rauſchender Beifall und Hervorruf lohnte den armen Dresdener Gäſten.

Weber ſtand wie vom Alpdruck befreit da und drückte mir ſogar herzlich die Hand, was er ſonſt nie gewagt hatte, und flüſterte: » Können von Glück ſagen hätt's nimmer gedacht, daß es noch ſo gut abgehen würd ' mit einem ſolchen Kleidel und ſolchem Ungethüm von Haub' und ſolchen erbärmlichen grauen Lockerl Aber wie würd's erſt gegangen ſein, wenn's ſich ſo ſchön ge¬ macht hätten, wie «

» Wie an Zuckerpupp'n zum Anbeiß'n! « fiel ich lachendErinnerungen ꝛc. 21322ein. Aber im Grunde war mir gar nicht luſtig zu Muth und am Schluß, als Emmerling, der Tante Koſtüm am Boden liegen ſehend, ſagt: » Gottlob, da liegt die Tante! « da erfaßte mich ein förmlicher Ingrimm gegen das einſt ſo geliebte Gelbbraun-Ge¬ ſtreifte, und auch die arme Haube hat's leider erfahren, als ich ſie in den Karton warf.

Als ich dann nach einigen Abenden mit vor Erwar¬ tung gerötheten Wangen und klopfendem Herzen im Parterre ſaß, um Karoline Müller als » gefährliche Tante « zu ſehen als dann das » Zuckerpupp'n « wirklich entzückend ſchön im purpurſammtnen Hermelinüberwurf und Federbarett und ſpäter im weißen Atlaskleide mit Halbſchleppe, reich mit Spitzen garnirt, und in reizender Spitzenhaube à la Maintenon und koketten Löckchen von ſchier überſchnappendem Jubel des Hauſes empfangen wurde da ſagte ich zu mir: » Sie hat Recht, erſt ſchön dann wahr! Aber ich werde doch bei meinem Künſtlermotto bleiben: Erſt wahr dann ſchön! « Und ich hab's nach Kräften gehalten und es auch nie bereut.

» Vergoldung vergeht Schweinsleder beſteht! «

ſagt der Zinnſoldat in Anderſen’s Märchen.

Von dem Burgtheaterfieber geneſen, kehrte ich fröh¬ lich nach meinem lieben Dresden zurück, jetzt erſt recht zu323 ſchätzen wiſſend, welch 'eine beneidenswerthe Stellung ich an der dortigen Bühne und in den Herzen der guten, herzigen Dresdener mein nannte.

Auf unſern Wunſch durften Pauli und ich in der » gefährlichen Tante « wieder auftreten. Es war uns, als wären wir uns dieſe kleine Genugthuung ſchuldig. Und wie empfingen uns die Dresdener!! Es war ein Freudenfeſt, als wären wir Jahre fort geweſen. Und doch trug ich nur eine garſtige alte Haube und graue Locken und ein hundertjähriges unſchönes Kleid Die Dresdener vermißten keinen Purpurhermelin, kein » Zuckerpupp'n zum Anbeiß'n « ihnen war das Bild mehr werth, als der Rahmen, der geſunde Kern lieber, als die vergoldete taube Nußſchale

Und ich könnte wirklich von Wien ſcheiden, ohne von ſeiner wahrſten und größten Künſtlerin zu ſprechen von Sophie Schröder?

Dieſen Genuß habe ich mir bis zuletzt aufgeſpart.

Ich kannte Sophie Schröder ſchon ſeit 1826 und ſpielte damals mit ihr auf der Berliner Hofbühne in verſchiedenen klaſſiſchen Stücken. Sie war ſeit 1815 am Wiener Burgtheater engagirt und damals auf einer Gaſtſpielreiſe. Ihr Ruf als tragiſche Heldin und Helden¬ mutter war längſt ein europäiſcher. Sie trat zuerſt als Sappho in Grillparzer's Trauerſpiel auf. Ich war in dem Stück nicht beſchäftigt und erwartete im Parket des21*324dichtgefüllten Opernhauſes in glühender Spannung das Erſcheinen der berühmten Kollegin. Ich werde nie den überwältigenden Eindruck vergeſſen, als Sappho, im weißen Gewande mit Purpurmantel und Lorberkranz, auf goldenem Triumphwagen, unter dem nicht enden wollenden Jubel des ganzen großen Hauſes impoſant, majeſtätiſch wie eine Königin des idealen klaſſiſchen Griechenthums edel, berauſchend, anbetungswürdig, wie ein hohes reines Weib und eine gottbegnadete, be¬ geiſterte Dichterin auf der prächtigen Szene erſchien Wie Sonnen leuchteten Sappho's wunderbare große Augen im Kreiſe umher und von ihren Lippen klang es wie Muſik:

» Dank, Freunde, Dank!
Um Euretwillen freut mich dieſer Kranz «

Dann ſchwoll ihre herrliche ſonore, ſo überaus mo¬ dulationsfähige Stimme, wie ich keine zweite gehört habe, gleich Orgelton an, bis ſie in voller, ſeltener Kraft und Klangfülle das ganze große Haus durch¬ rauſchte. Und wie erſchütternd überwältigend klang dann ihr Schmerzensgrollen:

» Undank! Undank!
Wißt Ihr, was Undank zu bedeuten hat?! «

Wer da nicht ſein Herz in allen Fibern erbeben fühlte der hatte eben kein Herz!

Ja, ihr Vortrag war ihre Hauptſtärke; ſie hatte aus der edlen Redekunſt ihr ganzes Bühnenleben lang ein ernſtes, unermüdliches Studium gemacht und es325 hierin zu einer Meiſterſchaft gebracht, wovon unſere heutige Theaterwelt keine Ahnung mehr hat. Sie ſtammte aus der alten klaſſiſchen, ernſthaften Schule von Ludwig Schröder in Hamburg und hat dieſe nie verleugnet. Jedes Wort, jede Betonung war bei ihr überlegt, erprobt und vollberechtigt. Und daß doch das Ganze in reinſter Harmonie dahinquoll und der Hörer von Ab¬ ſichtlichkeit und langem, mühſamen Studium nichts merkte, das war eben die nie übertroffene Kunſt von Sophie Schröder. Mit dieſem wunderbaren Vor¬ trage gingen ihre ſeelenvolle Mimik und klaſſiſche Plaſtik Hand in Hand. Und doch hatte Mutter Natur dieſem Lieblinge der Muſen und Grazien ſo bitterwenig Hülfs¬ mittel und Zehrung mit auf die Reiſe über die bretterne Welt gegeben. Als ich am andern Morgen die damals ſchon 45jährige Schröder in der Probe zur » Medea « zum erſten Mal mitten im alltäglichen Leben ſah, erſchrak ich förmlich. War dieſe kleine, dicke, ſtarkknochige Frau mit dem robuſten Geſicht und der kurzen ſtarken Naſe, im jugendlichen, kurzen Indiennekleide und koketten Häubchen, zierliche Kreuzbänder an den Schuhen die königliche, ideale, berauſchende Sappho von geſtern Abend? Nichts erinnerte mehr an die Auferſtandene des ſchönen Griechenthums, als das ſeelenvolle, große, leuchtende Auge.

Freund Krüger, der den Jaſon geben ſollte, ſah mein Erſtaunen. Er lächelte: » Nur Geduld Sie werden trotz der Kreuzbänder bald in der Medea eine würdige Schweſter der Sappho wiederfinden. Als er mich dann326 der Schröder als ihre » Kreuſa « vorſtellte, reichte ſie mir herzlich die Hand und ein mildes, wohlwollendes Lächeln verſchönte ihre unregelmäßigen Züge, indem ſie, meine Befangenheit bemerkend, mir ſagte, wie viel Schönes ſie ſchon über mein Talent gehört habe.

Und Krüger hatte Recht. Schon nach meiner erſten Szene mit Medea hatte Kreuſa die Kreuzbänder, das kurze Indiennekleid, das kokette Häubchen und die ganze Unſchönheit ihrer Medea total vergeſſen. Und das war gerade der Zauber ihrer Kunſt. Wie wenig äußerliche Schönheit ſie in die Theater-Garderobe mitbrachte, ſpricht ſich am deutlichſten in dem bekannten Wort König Lud¬ wig's I. von Bayern aus: » Schröder, Ihre ganze Grazie liegt in Ihrem griechiſchen Oberarm! «

Ein ſolcher Beifallsſturm, wie am Abend der Vor¬ ſtellung nach den Worten:

» Zurück, wer wagt's Medeen zu berühren! «

losbrach, ſoll im Berliner Opernhauſe noch nie gehört ſein, und noch heute ſteht die grauenhaft ſchöne, dämo¬ niſche Zauberin Medea lebensvoll vor meinen Geiſtesaugen.

Sie gab die » Iſabella « in der » Braut von Meſſina « ich die » Beatrice « und in dieſem Augen¬ blicke, wo mein erinnerungswehmüthiges, altes Herz ſehnſüchtig in jene Zeiten zurücktaucht, höre ich Iſa¬ bella's markdurchdringenden, herzerſchütternden Schrei im letzten Akt:

» Er iſt mein Sohn! «
327

Auch in dem kleinen Drama » Fluch und Segen « und beſonders durch den damit verbundenen Vortrag von Schiller's » Glocke « hatte ſie während ihres zwölf¬ maligen Gaſtſpiels in Berlin den größten Erfolg.

Und doch hatte dieſe große Künſtlerin eine Schwäche als Weib! Die hat ſie oft und ſchwer büßen müſſen.

Sie hatte in ihrer Jugend naive und ſentimentale Liebhaberinnen gegeben. Es ward ihr ſchwer, ſich von der » Jugend « zu trennen.

Einſt erſchien ſie in Müller's » Schuld « als Elvira vor den Wienern. Zu ihrem Unglück hat Graf Hugo von dem Gürtel zu ſprechen, den er um » Elvira's ſchlanken Leib « legen will und da lachten die lach¬ luſtigen Wiener laut über die kleine, dicke, unſchöne Elvira.

Und auch in Berlin ſollte Sophie Schröder dieſe Weiberſchwäche büßen.

Sie hatte darauf beſtanden, die Maria Stuart zu ſpielen und nicht die Königin Eliſabeth. In Berlin gab die ſchöne Auguſte Stich ſonſt die Maria Stuart und ſie war eine bezaubernde Schottenkönigin. Nun trat eine kleine, dicke, unſchöne Maria, die überdies in der großen Stuartshaube noch um zehn Jahre älter aus¬ ſah, als ſonſt, vor die verwöhnten Berliner, Amalie Wolff als Eliſabeth erſchien dagegen jung und ſchön. Und als dann zum Ueberfluß Mortimer begeiſtert zu Maria Stuart ſagt:

» Du biſt das ſchönſte Weib auf dieſer Erde! «

328 da lachte auch das große Berliner Publikum, und ſelbſt die enthuſiaſtiſchſten Verehrer der großen Künſtlerin lächelten.

Ob denn Frau Schröder nie davon gehört hatte, daß nach Goethe's Beſtimmung in Weimar Mad. Vohs als ſchönſte Schauſpielerin die Maria und Frau von Heigendorf als geiſtreichſte die Eliſabeth ſpielte?

Aber auch die » Eliſabeth « hatte ihre Klippen für Sophie Schröder und als anno 1840 die Wiener bei den Worten Leiceſter's zu Eliſabeth:

» Ja, wenn ich jetzt die Augen auf Dich werfe,
Nie warſt Du, nie zu einem Sieg der Schönheit
Gerüſteter, als eben jetzt «

über die jungfräuliche Königin der 59jährigen Sophie Schröder lachten da zog ſie ſich tiefgekränkt und grollend von der Bühne nach München zurück.

Schon als ich 1834 nach Wien kam, war Sophie Schröder ebenſo ſehr als Weib verletzt, wie als Künſtlerin trauernd über den Verfall der Tragödie auf dem Burgtheater, tiefgrollend von Wien gegangen.

Ihr trotz zweier unglücklicher Ehen und reicher trauriger Liebeserfahrungen ungebändigtes, wild glühen¬ des Herz hatte ſich mit blinder Leidenſchaft in den faſt um die Hälfte jüngeren, blühend ſchönen Heldenſpieler Kunſt verliebt. Der talentvolle, aber geiſtig rohe und gemüthloſe Mann ließ ſich die Huldigungen der berühmten Künſtlerin gern gefallen und glaubte als Gatte von Sophie Schröder des brillanteſten Engagements ſicher zu329 ſein. Frau Schröder hatte beim Kaiſer Franz Audienz und ſtellte als Bedingung ihres Bleibens in Wien: ein Engagement ihres Bräutigams Kunſt für erſte Rollen

Da ſagte ihr Kaiſer Franzerl, der es herzlich gut mit ihr meinte, in ſeiner Weiſe:

» Schröder, ſein's g'ſcheidt, bleiben's bei uns und laſſen's die dummen Heirathsg'ſchicht'n außi bedenken's doch: ſo an alt's Weiberl und ſo an jung's Mannerl «

» Ich an alt's Weiberl? noch nicht ganz 48, Majeſtät «, war die entrüſtete Antwort, in den Tönen einer Lady Macbeth.

» Nu nu i mein ja nur im Verhältniß zu dem jung'n Mannerl könnt 'ja halt faſt zwei Mal Ihr Sohn ſein « begütigte Franzerl.

Das war zu viel für das liebende Herz von Sophie Schröder. Sie kündigte, heirathete den ſchönen Kunſt und drang nach ſechs Wochen ſelber auf Scheidung dieſer unglückſeligen Ehe, die jedoch erſt 1859 durch den Tod von Kunſt wirklich getrennt wurde, obgleich der junge Ehemann ſeine Frau und Wien bereits vier Wochen nach der Hochzeit heimlich verlaſſen hatte.

Im Jahre 1843 ſah ich Sophie Schröder in Dresden beim Beſuch ihrer genialen Tochter, Wilhelmine Schröder - Devrient wieder. Die hatte von der Mutter das große dramatiſche Talent aber auch das unglückſelige, leiden¬ ſchaftheiße Herz geerbt. Ob aber Mutter und Tochter ohne dieſe wilde Glut der Leidenſchaft ſo große Künſt¬ lerinnen geworden wären? Ich glaube kaum.

330

Auf den Wunſch des Hofes trat Sophie Schröder noch einige Mal in Dresden auf. Durch ihre erſchütternde Tragik erhob ſie als » Claudia « in » Emilia Galotti « den dritten Akt zu dem bedetendſten.

Im kleinen, geiſtig angeregten Kreiſe bei Wilhelmine Schröder lernte ich die perſönliche Liebenswürdigkeit, Geiſtesfriſche und die gediegene Bildung ihrer Mutter erſt recht kennen. Dabei war ſie heiter, witzig und oft übermüthig, als hätten die vielen dornigen Herzens¬ erfahrungen ihres Lebens ſie nicht tiefer berührt.

Einſt war von der ſüßen böſen Liebe die Rede

Da erhob ſich Sophie Schröder die zweiund¬ ſechzigjährige, erregt und rief mit der Geſte und in den tiefſten Tönen der Medea:

» Dieſer niederträchtigen Leidenſchaft habe ich entſagt auf ewig auf ewig ! «

Erſt ſahen wir Jungen ſie ſprachlos an dann fragte ein kleines luſtiges Fräulein Naſeweis:

» Seit wann haben Sie dieſer niederträchtigen Leidenſchaft entſagt? «

Mit dem größten Ernſt und in den alten tiefen Herzenstönen antwortete die Tragödin:

» Seit zwei Jahren! «

Dieſer kleine Zug charakteriſirt das Weib Sophie Schröder.

Ich habe ſie nie wieder geſehen aber mit herzlicher Theilnahme geleſen, wie die faſt achtzigjährige Greiſin 1859 an Schiller's hundertjährigem Geburtstage auf den331 Wunſch ihres alten Gönners, des Dichter-Königs Ludwig von Bayern, noch einmal die Münchener Bühne betrat und durch den Vortrag der » Glocke « das ganze Haus tief rührte und in ihrer ewig jungen Begeiſterung mit fortriß und wie ſie neun Jahre darauf in München geſtorben iſt.

Ich weiß mit keinem beſſern Wort von Sophie Schröder Abſchied zu nehmen, als den Zeilen, die Grill¬ parzer ſeiner von Wien ſcheidenden Sappho in's Album ſchrieb:

» Zwei Schröder, Frau und Mann, Umgrenzen unſers Dramas höhern Lauf;

Der Eine ſtand in Kraft, als es begann,
Der Andre ſchied da hört's wohl, fürcht 'ich, auf! «
[332]

X. Vier Tage in Dresden.

Im Oktober 1834, nach einer ſehr ermüdenden Reiſe von Wien über Prag, ſtiegen wir eines Nachmittags im Hotel de Saxe in Dresden ab. Während meiner ganzen Kunſtreiſe waren wir von keinem zuvorkommenderen Wirth empfangen worden, und die eleganten wohnlichen Zimmer verſetzten uns gleich in die behaglichſte Stimmung.

Meine Freude war groß beim Erblicken des Theater¬ zettels! » Taſſo's Tod « von Raupach ſollte mit Emil Devrient und Julie Rettich gegeben werden. Ich ſollte Beide als vollendete Künſtler wiederſehen. Devrient hatte mich ſchon in Berlin während ſeines Gaſtſpiels beſonders als Don Carlos entzückt, und Mad. Rettich hatte ich vor einigen Jahren auf dem Wiener Burgtheater als Fräulein Glay bewundert.

Mein Herz klopfte vor Ungeduld, und ſchon um halb ſechs Uhr ſaß ich mit der Mutter in einer Parterre¬ loge des häßlichen Kunſttempels. Es war ein kleines,333 uraltes Haus, das erſt 1841 durch Semper's herrliches architektoniſch prächtiges Theater heute auch ſchon eine Brandruine! erſetzt wurde. Etwas Schmuck¬ loſeres kann man ſich kaum denken, als dies alte Dresdener Hoftheater. Es hatte eine melancholiſche, trübe grüne Farbe und von Luxus keine Spur. Dabei war es kaum nothdürftig beleuchtet. Das Poſener, Grazer, ſelbſt das Linzer Schauſpielhaus, in denen ich kürzlich gaſtirt hatte, ſchauten frohmüthiger darein.

Das Publikum nahm geräuſchlos Platz und erſchien einfach, gar nicht aufgeputzt. Es fehlten die glänzenden Uniformen Petersburgs, die eleganten Damen Wiens, die ſchönen Prinzen und Prinzeſſinnen Berlins in den Hoflogen. Aber wie ſympathiſch wurde mir während der Vorſtellung dieſes Publikum! Wie heimelte es mich an, ja, wie rührte mich das aufmerkſame, faſt andächtige Lauſchen, mich an die Blütezeit klaſſiſcher Kunſt in Berlin erinnernd, wenn Ludwig Devrient, Alexander Wolff, Rebenſtein, Lemm, Auguſte Stich, Amalie Wolff, Louiſe v. Holtei die Zuſchauer entzückten, rührten, erhoben!

Der Beifall zeigte ſich nicht überlaut. Nur hin und wieder, bei beſonders ergreifenden Stellen, brach er los unaufhaltſam aus vollem Herzen!

Als Taſſo bei der wieder erlangten Freiheit aufjubelt da jubelte das bewegte Publikum ſtürmiſch mit. Aber, wie gab Emil Devrient auch dieſen Taſſo! Alles war ideal ſchön harmoniſch edel an dem Künſtler: der334 Schwung und Klang der Rede, die geiſtige Auffaſſung der Rolle, das Beherrſchen der Szene, die plaſtiſchen Bewegungen, die ganze edle, hohe, ſchlanke, jugendſchöne Erſcheinung!

Emil Devrient hatte über ein wundervolles, jeder Modulation fähiges, klangvolles Organ zu gebieten, ſeine Züge waren wie nach der Antike geformt, und verſtanden es, die leiſeſte Seelenregung wiederzuſpiegeln.

Beſonders ergriff mich der letzte Akt. Als endlich Taſſo, vor dem erſchütternden Erlöſchen, von Leonoren vernimmt: daß auch ſie ihn liebe aber ihre Neigung nicht geſtehen durfte da traten mir Thränen in's Auge. Unnachahmlich rief Devrient aus:

» Mein wahrhaft Herz, Du haſt mir nicht gelogen! «

nach dem liebevoll bangen Wort der Prinzeſſin:

» Was iſt Dir, Taſſo? Du wirſt ſo bleich! «

wie zerfloß da förmlich ſein ſchönes Sein in dem letzten Hauch:

» O ſinge, ſüßer Schwan, Du ſingſt
Der Seel 'ein holdes Abſchiedslied! «

Der Aufſchrei Leonorens machte das Haus erbeben, Wahr¬ haft groß ſprach Julie Rettich auf des Herzogs Wort

» Er iſt dahin! «

mit ſeelenvollem Schmerzenston und doch mit erhebender Zuverſicht:

» Er iſt nun zwiefach!
Auf Erden ſtirbt er nicht, ſo lang ein Herz
Noch für das Edle ſchlägt
Und Jenſeits hat ſein Leben nun begonnen! «

335 und während ſich Leonore über den Theuren neigt, ſeine Hand erfaßt und flüſtert:

» Leb 'wohl, mein Freund, auf wenig flücht'ge Stunden! «

rollt der Vorhang langſam nieder die herrliche Gruppe den Blicken entziehend.

Ich wünſchte wohl, ein Maler hätte dies Schlu߬ bild verewigt: Italieniſche Landſchaft, im Hintergrund der impoſante Herzog Antonio, und ein Mönch im weißen Ordenskleide, in dem der alte Werdy ehrwürdig-pracht¬ voll ausſah. Im Vordergrunde der todte Taſſo, mit dem Lorber geſchmückt, den Leonore von ſeiner auf dem Kapitol bekränzten Büſte genommen hat. Die ſchöne Prin¬ zeſſin, in fürſtlichem Glanze prangend, mit Julie Rettich's ſüdlichen, ausdrucksvollen Zügen über Emil Devrient's blaſſes, edles Antlitz ſich beugend Mir wird dies Bild unvergeßlich ſein.

Von dieſer herrlichen Künſtlergruppe leben heute nur noch Taſſo-Devrient, der aber auch ſchon der Bühne Lebewohl geſagt hat, und Antonio-Porth, der noch bis vor Kurzem mit jugendlicher Kraft und echtem Kunſt¬ feuer die Dresdener von der Bühne herab durch ſein maßvolles, durchdachtes Spiel entzückte und ſich jetzt eines frohen Lebendsabends in wohlverdienter Ruhe erfreut. Der Herzog, Herr Weimar, ein gewiſſenhafter, ſehr be¬ liebter Mime, ſtarb im ſchönſten Mannesalter.

Leonore Julie Rettich, dieſe wahre Prieſterin der Kunſt, mußte im Zenith ihres Ruhmes und nach336 langen Leiden ſcheiden, und auch der mich ſo be¬ zaubernde Mönch, Werdy, ſchläft längſt.

In gehobener Stimmung verließen wir das häßliche, uns ſo lieb gewordene Haus, und die Mutter und ich geſtanden uns gegenſeitig unſern ſehnlichen Wunſch: ich möchte bei dieſer Bühne ein dauerndes Engagement finden.

Wir Beide hatten die damals ja noch ſehr ermüdenden und wenig einträglichen Gaſtſpielreiſen herzlich ſatt und ſehnten uns nach Ruhe nach echt deutſcher Gemüthlich¬ keit im geſelligen Leben und nach einem Wirkungskreiſe für mich, wie ich ihn nach dieſer Vorſtellung in Dresden zu finden hoffen durfte. Die Mutter war ganz bezaubert von Emil Devrient und nannte es ihr ſtolzeſtes Hoffen, mich mit dem herrlichen Künſtler ſpielen zu ſehen: als Donna Diana und Don Cäſar. Dieſer mütterliche Wunſch ſollte in Erfüllung gehen.

Mein erſter Beſuch galt am andern Morgen dem berühmten Kunſthiſtoriker Hofrath Böttiger, dem ich bereits das Schreiben eines ehemaligen Schülers, jetzt ſehr geſchätzten Profeſſors in St. Petersburg, geſendet hatte. Dieſer hatte mir beim Abſchiede geſagt:

» Befolgen Sie in Dresden nur den Rath meines herrlichen Lehrers. Sie werden einen wohlwollenden, klugen Greis finden, der mit den Zuſtänden der dortigen Bühne genau bekannt iſt. «

337

Der Hofrath wohnte ſehr hoch, die Treppen nahmen gar kein Ende. Böttiger bewillkommte mich wie eine liebe Bekannte. Er bot das Bild eines vollkommen glücklichen Greiſes. Er hatte gutmüthige Züge, ein immerwährendes mildes Lächeln auf den Lippen und kleine, helle Aeuglein, welche klug, manchmal forſchend blickten; Böttiger war damals bereits 74 Jahre alt.

» Waren Sie ſchon bei Tieck? « war eine ſeiner erſten Fragen, als er hörte, daß ich in Dresden gern ein Enga¬ gement annehmen würde.

» Nein, Herr Hofrath, ich wollte erſt Hofrath Wink¬ ler (Theodor Hell) beſuchen, den ich bei Clauren in Berlin kennen lernte, und ihn bitten, mich bei Tieck einzuführen! «

Da machte der alte Herr ein kurioſes Geſicht, das ich ſpäter erſt verſtehen ſollte. Er ſagte aber harmlos:

» Es trifft ſich augenblicklich ſehr günſtig für Ihre Wünſche. Die Rettich will nicht hier bleiben; ihr Mann kann Karl Devrient nicht erſetzen, das Publikum behandelt ihn mit eiſiger Kälte, und mit Tieck hat die Freundſchaft auch längſt aufgehört! Er lobt ſie gar nicht mehr! «

» Seine ſo geliebte Schülerin? wie iſt das möglich? « rief ich verwundert.

» Hm! Die Schülerin iſt ſelbſtſtändig geworden, keine geiſtige Sklavin mehr, kann auch nicht mehr zwei - bis dreimal in der Woche vorleſen hören «

» Dreimal in einer Woche? Herr Hofrath! wie wird es dann meiner armen Mutter ergehen? Bei Holtei'sErinnerungen ꝛc. 22338vortrefflichen Vorleſungen in Berlin hatte ſie ſtets mit dem Einnicken zu kämpfen, und mehrere Damen ent¬ ſchlummerten ſanft, ſich gegenſeitig entſchuldigend: Der Geiſt ſei willig geweſen, aber die Nerven zu ſchwach! «

Böttiger lächelte nicht ganz ſo harmlos, wie vorhin!

So iſt es ſchon Manchem bei Tieck ergangen. Als die berühmte Sophie Müller und ihr Vater Tieck's Vor¬ leſung von Macbeth hörten, ſaß die Tochter zu entfernt, um den Vater munter erhalten zu können. Da am Schluß beim Stühlerücken erwacht der alte Müller, klatſcht überlaut in die Hände und ruft: » Bravo, bravo! köſtlicher Humor! « Das Entſetzen der Gäſte können Sie ſich vorſtellen. Sophie Müller fiel beinahe in Ohn¬ macht, und ſoll den andern Morgen auf der Probe noch ganz alterirt geweſen ſein. « Ich lachte herzlich mit und beſchloß, die Mutter zu bitten: nur Luſtſpiele bei Tieck zu hören.

Böttiger fuhr fort:

Der Dramaturg wird alſo Alles thun, daß Sie für unſere Bühne gewonnen werden, erſtens, weil Sie ein vortrefflicher Erſatz für die Rettich ſind «

» Nicht für's Trauerſpiel, Herr Hofrath, « fiel ich ein.

» Aber deſto mehr für's Luſtſpiel, « ſagte Böttiger äußerſt artig » wenigſtens nach dem, was mein ehe¬ maliger Schüler ſchreibt. Nun, und dann wird Tieck Sie auch aus Rache gegen die Rettich protegiren. Wer Tieck's Eigenliebe verletzt, wird verbannt! Doch Sie waren ja nicht ſeine Schülerin. Seien Sie alſo getroſt,339 ſo bald wird keine Spannung eintreten; Tieck kann be¬ zaubernd liebenswürdig ſein und lieſt unübertrefflich vor! Sie können viel bei ihm lernen. Ueberdies treffen Sie in ſeinem Hauſe intereſſante Perſönlichkeiten, alle bedeu¬ tende Fremden ſtellen ſich ihm vor, und die Frau und Töchter ſind wahrhaft liebenswerthe Charaktere. Die bleiben Denen, die ſie einmal in ihr Herz geſchloſſen haben, treu und vertheidigen ſelbſt die bei Tieck in Ungnade Ge¬ fallenen gegen den Alten nach Kräften. Suchen Sie Dorothea's, der älteſten Tochter, Freundſchaft zu ge¬ winnen; ſie iſt ein ſelten begabtes und herzensgutes Mädchen. Gegen die Gräfin Finkenſtein müſſen Sie aber beſonders artig ſein «

» Wer iſt denn das? « fragte ich neugierig.

» Die Freundin Tieck's, und auch der Familie. Seit vielen Jahren exiſtirt dies eigenthümliche Verhältniß. Die Gräfin ſteht aufopfernd dem Hausweſen vor und iſt das Echo Tieck's, und Diejenigen, welche von ihm mit Kälte behandelt werden, ſind auch für die Gräfin nicht mehr auf der Welt. Alſo hübſch klug ſein, mein liebes Fräu¬ lein, und es wird Ihnen bei uns ſchon gefallen. Ich bedaure aufrichtig, Sie bei Tieck nicht einführen zu können, aber ich bin ein wenig geſpannt mit dem Hofrath «

» Die Rettich iſt mit Tieck geſpannt und nun Sie auch? «

Ganz freundlich nickend lächelte Böttiger:

» Ja wohl, wie ſo Viele! Doch, daß Sie zu den Verbannten gehören, werde ich ſicher nicht mehr erleben22 *340 ich bei meinen vierundſiebenzig Jahren. Aber ich hoffe, Sie werden auch jetzt, ſo lange die Sonne der Gnade über Ihnen ſcheinen wird, mit den Verſtoßenen in Freund¬ ſchaft leben! «

Ich dankte dem liebenswürdigen, wohlwollenden Greiſe herzlich für ſeine Theilnahme und ſeinen Rath und verſprach, ihn treu zu befolgen. Ich bat ihn die Mutter zu beſuchen, die noch viel von ſeinem jungen Petersburger Freunde zu erzählen hätte, und gelobte, trotz der verheißenen Tieck'ſchen Gnadenſonne, noch recht oft die vielen Treppen zu dem alten in Ungnade Ge¬ fallenen hinaufzuklettern, wenn ich in Dresden ein Engagement fände. Das habe ich auch gehalten. Aber es war mir nur ein Jahr vergönnt. Da ſtarb der liebens¬ würdige Böttiger und er hat es richtig nicht mehr erlebt, daß auch ich bei Tieck in Ungnade fiel.

Von Böttiger ging ich zunächſt zum Hofrath Winkler, Theater-Intendant unter dem ruſſiſch-preußiſchen Gouver¬ nement, jetzt Herausgeber der » Abendzeitung « und unter dem Pſeudonym » Theodor Hell « gewandter Ueberſetzer der beliebteſten franzöſiſchen Theaterſtücke. Er wohnte auf dem Altmarkte in einem Eckhauſe, Tieck gegenüber.

Die ſchöne Frau Hofräthin empfing mich auf die zuvorkommendſte Weiſe. Sie hatte ſchon vernommen, daß ich im Theater geweſen war und ſo aufmerkſam zu¬ gehört hatte, daß die Mutter ſo mild und vornehm aus¬ ſähe, ſogar: daß ich einen wunderhübſchen Hut mit wei¬ ßen Roſen aufgehabt

341

Ich mußte lächeln über mein liebes kleinſtädtiſches Deutſchland! Aber es that mir ſo recht anheimelnd wohl nach den drei Jahren in der Fremde in dem großen, ſtolzen, glänzenden Petersburg!

Da trat Theodor Hell herein und hieß mich ſo trau¬ lich willkommen, als ob wir geſtern erſt fröhlich mit einander bei Clauren in Berlin dinirt hätten. Im ſäch¬ ſiſchen Dialekt fuhr er mit großer Volubilität fort:

» Ei, meine Beſte, das trifft ſich ja herrlich, daß Sie gerade jetzt unſere Stadt beſuchen, ich will Sie heute noch bei Seiner Excellenz anmelden, denn ich hoffe, Sie ſind nicht abgeneigt, die Unſrige zu werden, da Madame Rettich nach Wien überſiedelt? «

Ganz aufrichtig gab ich zu: » Wenn ich bei meinem Gaſtſpiel gefalle, bleibe ich gern! Dresden heimelt mich und die Mutter ſo echt deutſch bürgerlich an, und der geſtrige Theaterabend hat in mir den Wunſch geweckt, mit Dresdens Künſtlern weiter wirken zu können. Nur werde ich die Rettich ſchwerlich erſetzen können. Mein Feld iſt das Luſtſpiel: Salon-Damen, naive und ſenti¬ mentale Rollen. Für hochtragiſche fehlt mir die Kraft der Stimme, ſelbſt das impoſante Aeußere. Auch will ich mich in dies Fach nicht hineinzwängen «

» Das wird ſich finden, meine Beſte! Da würden Sie vielleicht auch nicht ungern in meinen Ueberſetzungen aus dem Franzöſiſchen auftreten? «

» Mit Entzücken! « rief ich. » In Paris habe ich342 Mlle. Mars gerade in dieſen Rollen bewundert, ja ſtudirt und mir Manches anzupaſſen geſucht. «

» Vortrefflich, charmant! « rief Winkler freudeſtrahlend » Aber Tieck müſſen Sie bald beſuchen, « ſetzte er bedächtiger hinzu » wer geleitet Sie aber zu Tieck? Es iſt wirklich recht fatal, daß ich augenblicklich mit ihm geſpannt bin «

» Sie auch? « rief ich, jetzt wirklich erſchrocken » Sie ſind ſchon der Dritte, von dem ich heute Morgen höre, daß er mit Tieck auf geſpanntem Fuße ſteht erſt die Rettich dann Hofrath Böttiger und «

» Und noch ſo Viele, Viele! « lachte er bitter. » Emil Devrient, Pauli, Werdy wohnen auch keinen Vorleſungen Tieck's mehr bei und das iſt ſtets das ſicherſte Zeichen, daß der alte Dramaturg grollt oder daß ſeine Günſt¬ linge ein Haar in den ewigen Vorleſungen gefunden haben Doch, davon erzähle ich, Ihnen ſpäter einmal ausführlicher «

Winkler, damals faſt ſechzig Jahre alt, war ſeit Berlin womöglich noch häßlicher geworden. Aber man vergaß dieſe Häßlichkeit ſogleich über ſeiner heiteren Liebenswürdigkeit. Er erblickte Alles im roſenfarbenſten Lichte.

Bei der Mutter traf ich einen alten Freund aus Karlsruhe, Baron Sternberg. Seine Tochter war meine Duzfreundin; in ſeinem Hauſe hatte ich manche frohe Stunde verlebt. Als früherer Intendant des vortreff¬ lichen Manheimer Theaters intereſſirte er ſich noch im¬343 mer für die Bühne. Ich mußte ihm in Karlsruhe manchmal vorleſen. Er war einmal außer ſich, daß ich die Marianne in den » Geſchwiſtern « von Goethe ſo ge¬ fühllos auffaßte, und beſonders die Worte: » Wilhelm! was war das für ein Kuß? « geſprochen hätte, wie: » Wilhelm! wie viel Uhr iſt es? «

Ich begrüßte ihn mit der heiteren Frage: » Haben Sie mir jetzt verziehen, was ich als Marianne ge¬ ſündigt? «

» Immer noch ſo muthwillig? « lächelte Sternberg. » Aber laſen Sie wirklich nicht abſichtlich ſo gefühllos? «

» Die Hand auf's Herz, Herr Baron, nein! Noch jetzt will mir die Phraſe nicht gelingen, und ſtammt ſie auch aus Goethe's Feder. Ueberhaupt iſt mir die Ma¬ rianne nie recht ſympathiſch geworden. Und ſeien wir mal ehrlich: Würden » die Geſchwiſter « heute noch lebensfähig auf der Bühne ſein, wenn nicht der Name Goethe auf dem Zettel ſtände? «

» Aber Kind, woher haben Sie nur dieſe gottloſen revolutionären Ideen? Aus dem böſen Peterburg? «

Lachend zeigte ich auf meine Stirn.

» Ja, Herr Baron, ſie hat immer noch ihren un¬ vorſichtigen Kindskopf! « ſeufzte die Mutter.

Zu meiner Freude erfuhr ich, daß Sternberg mit Tieck traulich verkehre. Er verſprach, mich dem Dra¬ maturgen vorzuſtellen.

Bei Tiſch hatten wir einen lieben Gaſt: Baron von Maltitz, der wegen ſeines Stücks: » Der alte Student «344 aus Berlin verbannt war. Nach einem kurzen Aufenthalt in Hamburg hatte er ſich jetzt in Dresden niedergelaſſen. Er zeigte ſich im Innern und Aeußern unverändert. Sein Witz war noch ebenſo ſchneidig ſcharf und ſein Feuer verzehrend, aber eine reine Flamme. Der aus¬ drucksvolle Kopf mit den tiefblickenden Augen ſaß auf einer dürftigen, verwachſenen Geſtalt, und die langen, langen Arme warf er im Eifer des Geſprächs weit herum, ganz wie früher. Die Welt gefiele ihm gar nicht mehr! verſicherte er ernſthaft aber plötzlich er¬ heiterten ſich ſeine Züge und das fröhliche Lachen, das mich in Berlin ſo angeſprochen hatte, riß mich unwider¬ ſtehlich mit ſich fort. Auch das alte, ehrliche, gute Herz war daſſelbe geblieben. Er ſprach mit liebevollſter Begeiſterung von Tiedge, dem Dichter der Urania.

» Iſt es nicht erhebend, « rief er in ſeiner flammen¬ den Weiſe aus » daß ein achtzigjähriger Greis noch mit voller Glut des Herzens ſein Mitgefühl für Polens Kampf und Geſchick in einem Gedicht ausſprechen konnte? Sie müſſen ihn kennen lernen! Bei ihm fühle ich mich heimiſch und empfinde, daß mein Gemüth noch der in¬ nigſten Anhänglichkeit fähig iſt «

Und wir verabredeten einen gemeinſchaftlichen Be¬ ſuch bei Tiedge am andern Tage.

345

Hofrath Winkler war ſo artig, mich Theater - Intendanten, Herrn von Lüttichau, zu geleiten, blieb aber nur zu Anfang des Geſpräches.

Herr von Lüttichau gewann ſehr, im Vergleich mit dem Petersburger und Wiener Intendanten. Er ſprach nicht ohne würdevollen Stolz von ſeinem Inſtitut, und das gefiel mir. Er zeigte im Laufe der Unterhand¬ lung Sinn und Verſtändniß für wahre Kunſt und ein warmes Herz für ſeine Aufgabe und ſeine Künſtler. Als wir aber zu den Bedingungen meines Gaſtſpiels kamen und Excellenz von 30 Thalern für die Rolle ſprach da erſtarrte ich doch ein wenig, obgleich wir Künſt¬ ler anno 1834 nicht ſo verwöhnt waren, wie heute eine Lucca und Patti, eine Ziegler und Wolter auf ihren Gaſtreiſen. Aber ein Honorar von 30 Thalern für die Rolle, wodurch die damals noch koſtſpieligeren Reiſen mit Extrapoſt, der Aufenthalt im Hotel und der Garderobe-Aufwand nicht gedeckt werden konnten, war mir bis dahin ſelbſt von einer Provinzbühne nicht zuge¬ muthet. Etwas vorwitzig ſagte ich: » Excellenz ſcheinen die Dresdener Bühne für eine ſo erhabene zu halten, daß fremde Künſtler ſich glücklich ſchätzen müſſen, hier nur der Ehre halber ſpielen zu dürfen. «

Der feine Hofmann lächelte, erröthete aber doch und antwortete mit Würde:

» Nennen Sie mir einen zweiten Emil Devrient, eine Wilhelmine Schröder, eine Doris-Devrient! Julie Rettich haben Sie bewundert, Pauli, Porth, Werdy346 werden Sie ſchätzen lernen. Nennen Sie mir einen Dramaturgen von Tieck's Bedeutung Sie werden eingeſtehen müſſen, daß ich ſtolz auf unſere Bühne ſein darf! «

Da war denn die Röthe in meine Wangen geſtie¬ gen. Ich war beſtraft. Ich erhob mich und meine ſchönſte Verbeugung ausführend, ſagte ich:

» Sowie mein Berliner Gaſtſpiel beendet iſt, treffe ich ein. Aber, nicht wahr, Excellenz? achtmal trete ich wenigſtens auf, ſonſt würden ja die Reiſekoſten nicht herauskommen, und Donna Diana iſt meine Debüt¬ rolle? «

Freundlich lächelnd bewilligte Herr von Lüttichau Alles.

» Mit Emil Devrient die Donna Diana ſpielen zu dürfen, « rief die Mutter bei meiner Heimkehr entzückt, » Lina, das iſt für Dich ja ein künſtleriſches Ereigniß, daß dies Glück auch ganz ohne Honorar noch berauſchend wäre «

Maltitz kam, mich zu Tiedge abzuholen. » Begleiten Sie uns nicht, Frau Rittmeiſterin? « ſagte er, als ich mich allein zum Ausgehen rüſtete.

» Nein, nein, « meinte die Mutter kläglich, » Baron Sternberg hat uns ſchon darauf vorbereitet, daß wir heute Abend bei Tieck einer Vorleſung beiwohnen müſſen. Und dazu muß ich mich ruhen Kräfte ſammeln! 347O, wenn ich nur wenigſtens wüßte, was für ein Stück er wählt! Ich ſchwebe ſchon jetzt in Todesangſt, daß er einen Shakeſpeare'ſchen Heinrich oder gar den entſetzlichen Richard leſen wird Dann ſind meine Nerven verloren «

» Trinken Sie nur kurz vorher recht ſtarken ſchwar¬ zen Kaffee, « rief Maltitz ernſthaft, » der hält wach und erfriſcht die Nerven wenigſtens für einige Zeit. Mir hat der Kaffee bei Tieck ſchon manches Mal durch¬ geholfen. Mit der Zeit bin ich aber ſo nervös gewor¬ den, daß auch dies Mittel nicht mehr wirkt. Meine langen Arme geriethen zuletzt in ſo bedenkliche Zuckungen, daß in den Vorleſungen Niemand mehr neben mir ſitzen wollte der lieben Selbſterhaltung wegen! «

Wir lachten. Mit tragikomiſchem Seufzen ſetzte die Mutter hinzu:

» O Lina, wenn wir doch ſchon in Berlin das Rettungsmittel gekannt und vor dem Leſen von » Alexan¬ der und Darius « ſchwarzen Kaffee getrunken hätten «

Maltitz ſah uns fragend an. Ich erklärte, nicht ohne Pathos und mimiſch-plaſtiſches Zubehör:

» Ich war noch nicht lange bei der königlichen Bühne in Berlin engagirt, als mein Kollege und Gevatter, Hof¬ ſchauſpieler Krüger, die Mutter und mich einlud, der Vorleſung des neuen, ſoeben der Intendanz zur Auf¬ führung eingereichten Trauerſpiels des Baron Uechtritz: » Alexander und Darius « in ſeiner Wohnung beizuwoh¬ nen. Es ſollte zugleich auf Wunſch des Grafen Brühl348 eine Art Probe für die Bühnenfähigkeit des Stückes ſein, und der Intendantur-Sekretair Teichmann, Brühl's rechte Hand, würde auch eine Rolle leſen » Das kritiſche Publikum werden ſein: die Frau Rittmeiſterin, Saphir und meine Frau Alſo auf Wiederſehen zu Thee und Butterbrod und äſthetiſchem Kunſt¬ genuß! «

Die Art, wie die Berliner » Butterbrod « ausſprechen, iſt wirklich gar zu allerliebſt. Sie ſchnarren das R noch bedeutender, als ſonſt, faſt lieutenantsartig, und geben ſich beim Einladen das Ausſehen rührendſter Beſcheiden¬ heit, doch können ſie nicht umhin, eine gewiſſe ſanfte, ſelbſtbewußte Würde durchblicken zu laſſen. Ich bat den Kollegen noch ſcherzend, Sorge zu tragen, die » But¬ terrrbrrödchen « nicht gar zu klein und niedlich ſchneiden zu laſſen! denn Vorleſen und Zuhören erweckten rieſen¬ haften Appetit!

Der Plauder-Thee und die wirklich nicht zu ätheri¬ ſchen Butterrrbrrödchen gingen auch ſehr vergnügt vor¬ über. Saphir, der damals die gefürchtete » Schnellpoſt « und den giftigen » Berliner Courier « herausgab, ſprudelte über von Witz und Bosheit. Selbſt Frau Krüger wurde ganz muthwillig, und ich hatte bald meine Be¬ fangenheit: daß ich vor ſo großen Kennern und geſtrengen Kritikern eine mir ganz unbekannte Rolle leſen ſollte, von Herzen fortgelacht. Daß der gute Teichmann immer elegiſcher und überſchwänglicher wurde, obgleich wir auch ſonſt ſchon ein gut Theil Sentimentalität an349 ihm gewohnt waren, ſtimmte unſere Heiterkeit nicht herab im Gegentheil!

Das war die Einleitung zu dem äſthetiſchen Kunſt¬ genuß: Alexander und Darius.

Dann ſaßen wir leſefertig und möglichſt feierlich um den großen, runden Sophatiſch. Das kritiſche Pu¬ blikum: die Mutter und Frau Gevatterin Krüger thron¬ ten auf dem Sopha, der ſchadenfrohe Saphir hatte ſich mir gerade gegenüber geſetzt und ſchnitt ſeine unmög¬ lichſten Geſichter. Er iſt ja bekanntlich ſtolz auf die wirklich abnorme Häßlichkeit ſeiner Viſage.

Krüger machte den Regiſſeur und vertheilte die Rollen:

  • Alexander der GroßeKrüger.
  • DariusDer Dichter, Baron Uechtritz.
  • Vertraute des KönigsDr. Wilke.
  • Statira, Gemahlin des KönigsSekretair Teichmann.
  • TänzerinKaroline Bauer.

Und die Qual begann

Schon nach dem erſten Akt hätten die Mutter und ich uns klüglich entfernen ſollen Naſenbluten Zahn¬ weh Schwindel oder dergleichen kleine unſchuldige ge¬ ſellſchaftliche Aushülfemittel vorſchützend Ja, ſogar eine Ohnmacht wäre unter dieſen Verhältniſſen Tugend Pflicht der Selbſterhaltung geweſen.

Der Dr. Wilke deklamirte mit ungeheurer Energie und hatte die Manie: nach jedem Satz ſämmtliche An¬350 weſende der Reihe nach herausfordernd anzuſehen, als wollte er fragen: » Habt Ihr gehört und verſteht Ihr auch zu würdigen, wie bewundernswürdig ich leſe? « Und dabei ſein Geſicht mit den ſtarren, runden, glanz¬ loſen Augen wie ein Wachskopf mit weit offenen Glasaugen im Schaufenſter eines Friſeurs!

Baron Uechtritz las ſeinen Darius mit großem Ge¬ fühl und Ausdruck. Seine angenehme Stimme würde ihn auch wirkſam unterſtützt haben, wenn er nicht die leidige Angewohnheit gehabt hätte, jeden Satz mit hoher Stimme anzufangen und nach und nach immer tiefer hinabzuſteigen bei langen Perioden zuletzt ſo tief hinab wo's, nach Schiller, anfängt fürchterlich zu werden. So ſchloß er ſelten ohne jenes an Sommer¬ abenden aus der Ferne recht anheimelnd zu uns herüber¬ tönende Quoax, Quoax, das Schönwetter verkünden ſoll. Zum Unglück fielen mir bei dieſem Gequacke auch noch die Fröſche des Ariſtophanes ein und Wieland's Ab¬ deriten.

Der gute Teichmann ſchien ſich bei dem Liebes¬ flüſtern der zärtlichen Statira förmlich auflöſen zu wol¬ len » in Wehmuth und in Luſt « zerfließend! Seine großen, wäſſerigen Augen ſchauten perpetuirlich zur buntbemalten Zimmerdecke hinauf, als bekäme er von dort ſeine Inſpiration und ſein Liebesfeuer. In ſeiner Verzückung kniff er heute noch mehr, als ſonſt, die Zähne auf die Unterlippe, dabei nach allen Seiten reich¬ lich begeiſterungziſchenden Schaum ſprühend!

351

Dies Alles wäre ſchon hinreichend geweſen, ein junges lachluſtiges Mädchen aus der Faſſung zu brin¬ gen Aber zu meinem Unglück mußte ich auch noch für die arme Mutter fürchten, die bereits zuſammen¬ gekrümmt in ihrer Sophaecke kauerte und das Taſchen¬ tuch gegen die Lippen gepreßt am unnatürlichſten Huſten zu erſticken drohte dabei jedoch es für ihre mütterliche Pflicht hielt, mir zwiſchendurch die verzweif¬ lungsvollſten Blicke zuzuwerfen, die mir ſagen ſollten: » Lina, Du wirſt mir doch nicht das Herzeleid anthun und losplatzen?! « Die Frau Gevatterin Krüger kam aus dem erſchütterndſten Nieſen und aus ihrem Schnupf¬ tuche gar nicht mehr heraus und ich ſah nicht ohne Ge¬ nugthuung, wie ſie bald roth, bald blaß wurde im qualvollſten aller geſellſchaftlichen Kämpfe gegen den Dämon: Lachkitzel!

Immer tiefer und tiefer ſank das Haupt Krügers auf ſein Manuſcript und ſeine ſonſt ſo klangvolle Stimme tönte gepreßt, wie aus der Unterwelt. Er hatte wenig¬ ſtens die Kraft der Selbſtrettung: Niemanden mehr eines Blickes zu würdigen. Seine Hände umklammerten zitternd und zerknitternd das unſelige Manuſcript, als hinge Leben und Seligkeit davon ab.

Noch hatte ich mich mit übermenſchlicher Kraft ge¬ halten da begegneten meine armen Augen den teuf¬ liſch blitzenden Brillengläſern Saphirs Wie ein Sa¬ tyr ſaß er da, vor Vergnügen förmlich glänzend und ſich ſchadenfroh an unſeren Qualen weidend Und352 wenn Statira-Teichmann im ſchmelzenden Flöten ſich faſt verhauchte dann rief der Schändliche mit ſeinen entzückteſten Tönen: » Bravo! meiſterhaft geleſen! ſo gemüthvoll! ſo poeſieduftig « uns Armen noch den Reſt von Selbſtbeherrſchung raubend.

Ich habe in meinem Leben nie ähnliche Qualen aus¬ geſtanden, wie in dieſem zweiſtündigen Kampfe gegen das Lachen. Eine Tortur in den Gefängniſſen der ſpa¬ niſchen Inquiſition ſoll ja darin beſtanden haben, daß die armen Opfer ſo lange gekitzelt wurden, bis ſie ge¬ ſtanden oder ſich zu Tode gelacht hatten Von dieſem Abende an verſtand ich erſt das Furchtbare dieſer Tortur! Und doch möchte ich faſt behaupten: Wir haben bei » Alexander und Darius « noch mehr gelitten denn wir wurden zwei Stunden lang gekitzelt und durften doch nicht lachen! Ich glaube, ich hätte mit Vergnügen eine ganze Monatsgage dafür gegeben, wenn die Mutter und ich uns hätten nur drei Minuten lang ſo recht von Herzen frei auslachen dürfen! Ich nahm meine ganze Kraft zuſammen, ſtemmte die Füße wie Atlas gegen den Fußboden, biß die Zähne auf die arme Zunge und ſtammelte beſinnungslos meine Rolle weiter

Da kam aber noch die ſchwerſte Prüfung. Statira - Teichmann ſieht im letzten Akt im Geiſt, wie eine Viſion, das furchtbare Schlachtgewühl Sie ſchildert in Ekſtaſe, wie ihr geliebter Darius flieht verfolgt wird und wird ohnmächtig Eine ſolche Prachtauf¬353 gabe ließ ſich der ſentimentale Teichmann natürlich nicht entgehen Er ziſchelte ſo gefühlvoll durch die Zähne, daß das Naß wie ein Sprühregen um den Tiſch flog und Saphir ſich in ſeiner Akklamations-Begeiſterung faſt überſchlug Endlich! endlich! o Rettungsſecunde! brannte Perſepolis König Darius hauchte ſeinen Todesſeufzer aus und ich ſtürzte fort, wie wahn¬ ſinnig, gefolgt von der Mutter, daß Teichmann und der Dichter Uechtritz uns entſetzt nachſtarrten

Aber und hätte mein Leben davon abgehangen ich hätte jetzt, wo die Aufmerkſamkeit der Haupt¬ betheiligten von Alexander und Darius und Statira ab¬ gezogen und auf mich armes, ſchwaches Menſchenkind gerichtet war, nicht noch zwei Minuten in nur einiger¬ maßen ſchicklicher Ernſthaftigkeit bleiben können darum that ich, was ich ſchon längſt hätte thun ſollen: ich entfloh den ſtarren Wachspuppenaugen des Dr. Wilke, dem Vaterſtolz des Dichters, der ſprühenden, weichmüthi¬ gen Begeiſterung der guten Statira, den dämoniſchen Brillengläſern Saphir's und vor allen Dingen mir ſelber! Ich ließ Hut und Mantel im Stich nur fort! nur fort! hinaus in die ſtille, verſchwiegene Nacht! Und unten auf der Straße preßte ich die entſetzte Mutter krampfhaft in die Arme und lachte auf endlich ſo tief, ſo laut, ſo herzerleichternd und markdurchdringend, wie noch nie in meinem Leben und die Mutter lachte mit So taumelten wir förm¬ lich vor Lachen nach Hauſe, daß die Leute auf derErinnerungen ꝛc. 23354Straße uns ängſtlich aus dem Wege gingen und uns bedenklich nachſahen und zu Hauſe ſetzten wir uns Jede in eine Sophaecke und weinten bitterlich vor Nervenabſpannung und Scham über mein rückſichts¬ loſes und für Uechtritz und Teichmann ſo verletzendes kindiſches Benehmen bis der Lachdämon wieder über mich kam und auch die Mutter mit fortriß, wenn ich an die verſchiedenen hochkomiſchen Einzelheiten des Abends erinnerte und Darius und Statira und den wachsäugi¬ gen Vertrauten kopirte.

Die Nacht verbrachten wir im Fieber und am an¬ dern Morgen mußte der Arzt kommen und die zerrütte¬ ten Nerven beruhigen, ſonſt hätte ich unmöglich am Abende als Strudelköpfchen auftreten können.

Zu unſerem Troſt kam Gevatter Krüger und war liebenswürdig, wie immer, und anſtatt mich wegen meines Benehmens zu ſchelten, bedauerte er uns wegen der ausgeſtandenen Qualen ſeine Frau liege auch noch vor Nervenabſpannung, mit kalten Umſchlägen um den Kopf, auf dem Sopha.

» Und Uechtritz und Teichmann? « fragte die Mutter beklommen.

» O, wir haben unſer Möglichſtes gethan, ſie über die Urſache der nicht mehr zu verbergenden Heiterkeit und Ihrer Flucht im Unklaren zu laſſen Sie wer¬ den ſchon wieder gut werden «

Aber ſie wurden nicht wieder gut. Für den ver¬ letzten Dichter exiſtirte ich nicht mehr und Teichmann355 ſeufzte ſtets ſo erbärmlich auf, wenn er mich ſah wie über eine verlorene Seele.

Bei der Aufführung von Alexander und Darius erhielt ich ſtatt der mir ſonſt ſicher zu Theil gewordenen Glanzrolle der Tänzerin die entſetzliche Strafrolle » Vertraute der Statira «, die nur die ſieben Worte zu ſagen hat: » Mein Geliebter todt? dann ſterb 'ich auch! « Sprach's und thut's! «

So, in die heiterſte Laune verſetzt, traten Maltitz und ich unſere Wanderung zu Tiedge an er wie in Siebenmeilenſtiefeln ausſchreitend, die langen Arme in den bedenklichſten Pendelſchwingungen

» Aber, Baron, bedenken Sie doch, daß wir Komö¬ diantinnen ſtets auf der Szene ſind und vom lieben Publikum angeſtarrt und bekrittelt werden, wenn wir auch nur über die Dresdener Elbbrücke im Erynnien - Pas ſchreiten « ſagte ich athemlos und ſchloß pa¬ rodirend:

» So ſchreiten nicht Theater-Damen
Da heißt's: hübſch zierlich demi-pas!
Was Dresden » klaſſiſch « nennt in Dramen,
» Emancipirt « heißt's auf der Straß

» Bitte! bitte! nur immer langſam voran ich er¬ rege wirklich bei den Vorübergehenden ſchon Aufſehen «

» Weil ein ſo auffallender, lächerlicher Kavalier neben Ihnen hertrabt « ſagte Maltitz, ohne die geringſte Bitterkeit auf ſeine kleine, verkümmerte, verwachſene Figur anſpielend » Aber ich bin nun einmal ſo eine23 *356unglückſelige Queckſilbernatur, in der es fortwährend gährt, treibt, ſprüht und die gar nicht über das junge, feurige achtzehnjährige Blut hinauskommen kann Und doch habe ich ſchon die Freiheitskriege mitgemacht «

» Sie Soldat? « rief ich unwillkürlich.

» Ja, nicht wahr, in Uniform können Sie ſich den armen buckligen Maltitz gar nicht denken? Ob mir da¬ mals wohl Jemand nachfühlte, welch 'großes Opfer ich meinem theuren Vaterlande brachte, als ich die Uniform anzog und in die Reihen der jungen, ſchönen, ſchlanken Krieger trat? Es iſt wirklich kein kleines Opfer, ſich mit vollem Bewußtſein der Lächerlichkeit preiszu¬ geben «

Ich wußte dem Edlen nicht beſſer darauf zu ant¬ worten, als daß ich ſtillſchweigend ſeinen Arm nahm. Er führte in ſtummem Dank meine Hand an ſeine Lip¬ pen er hatte mich verſtanden!

Mild und liebevoll ſprach Maltitz von Tiedge und dem ſeltenen Freundſchaftsbündniſſe, das den Dichter der Urania ſo viele, viele Jahre mit der Freiin Eliſa von der Recke verband, bis dieſe vor einem Jahre in Dres¬ den geſtorben. » Aber ſelbſt über das Grab hinaus, das ſie auf ihren Wunſch, nur in Leintücher gehüllt, ohne Sarg, in der mütterlichen Erde gefunden, geht die ſor¬ gende Freundſchaft für den verehrten Dichter. Sie hat ihm nicht nur ihr ganzes Vermögen vermacht, ſondern auch dafür geſorgt, daß Tiedge in dem alten freund¬ lichen Hauſe und ganz in der gewohnten Weiſe, als ſei357 Eliſa noch bei ihm, friedlich ſeinen Lebensabend be¬ ſchließen kann. Stets ſind ein alter Freund oder eine Freundin bei ihm, die ihn pflegen und an Geburts - und anderen feſtlichen Erinnerungstagen kleine Geſellſchaften veranſtalten ganz wie zu Lebzeiten Eliſa's «

Und ſo fand ich auch das alte Haus und in einem altmodiſchen, freundlichen Zimmer eine Geſellſchaft von uralten, verſchollenen Herren und Damen und in einem Lehnſtuhl den 82jährigen Dichter. Er wollte ſich erhe¬ ben aber ich hielt ihn ſanft in ſeinem Seſſel zurück und küßte gerührt ſeine Hand und ſchaute innig in ſein gutes, altes wehmüthig-freundliches Geſicht und in ſein mildes, kindliches, braunes Auge auf. Sanft ſtreichelte er mir die Locken ich hielt ſtumm ſeine andere Hand ſo ſaß ich zu ſeinen Füßen.

Es war mir faſt zu Muth, als erlebte ich ein Mär¬ chen. In dem Zimmer war es feierlich ſtill; nur die Uhr an der Wand tickte leiſe und der Sonnenſchein und die Schatten der Baumblätter vor den Fenſtern ſpielten auf dem Fußboden und an den Wänden auf den Por¬ träts von der todten Eliſa und den todten Jugendfreun¬ den: Göcking, Gleim, Clamer-Schmidt, Hölty, Voß, Bürger und den Stolbergen und auf den verſtaub¬ ten Wachsfiguren-Geſichtern der altmodiſchen Herren und der alten, vergilbten Damen in den engen Keil¬ röcken mit breiten Gürteln und großen Schnallen, win¬ zigen ſilbernen Löckchen unter koloſſalen weißen Hauben und mit verblaßtem Lächeln und farbloſen Augen 358 Es war, als wäre die ganze Geſellſchaft vom Todes¬ engel hier unten vergeſſen worden

Erſt als ich auf Tiedge's Wunſch aus meinem Bühnenleben, von meinen Engagements in Berlin und Petersburg, meinen Gaſtſpielen in den größeren Städten Deutſchlands erzählte, die der Dichter ja einſt als Reiſe¬ begleiter ſeiner Eliſa beſucht hatte, und als ich ſo nach und nach meine alte ſprudelnde Lebhaftigkeit wiederfand und allerlei luſtige Erlebniſſe und Theateranekdoten aus¬ kramte da kam ſogar etwas Leben in die Schatten¬ geſellſchaft, wenn die alten Herren auch jetzt noch nur ſchattenhaft lächelten und ihr Flüſtern wie ein Todes¬ hauch klang und Alle zuſammenſchraken, wenn mein Kaffeelöffel gegen die kleine zierliche Meißner Taſſe ein wenig klirrte. Selbſt der alte, weißköpfige Diener, der den Kaffee präſentirte, ging wie auf Sammetſohlen. Das waren ſie Alle noch ſo gewohnt aus den Tagen der ſeligen Eliſa, die meiſt an nervöſem Kopfweh litt.

Tiedge war noch der Lebhafteſte und intereſſirte ſich beſonders für meinen dreijährigen Aufenthalt in Peters¬ burg, wo ja ſeine Eliſa einſt auch hochgeehrt am Hofe Katharina's gelebt hatte. Eine geborene Kurländerin, Gräfin Eliſabeth von Medem und Stiefſchweſter der be¬ rühmten Herzogin Dorothea von Kurland, hatte ſie mit 17 Jahren 1771 den Freiherrn von der Recke geheirathet. Dieſe unglückliche Ehe, die nach ſieben Jahren wieder getrennt wurde, der Tod ihrer geliebten Tochter und ihres Bruders, Friedrich von Medem, der ſie mit rüh¬359 render Liebe erzogen und gebildet hatte, führte die reli¬ giöſe Schwärmerin dem damals ſtark Mode gewordenen Myſticismus in die Arme. Zu ihrem Unglück lernte ſie in Mietau den Gaukler Caglioſtro kennen, der ihre geliebten Todten vor ihr erſcheinen ließ und ihre Kaſſe in unverſchämteſter Weiſe plünderte. Sie war die begeiſtertſte Jüngerin ſeiner Lehre bis ſie den verehrten Großkophta zu ihrem Schmerz als ge¬ meinen Dieb und Betrüger entlarvt ſah. Mit Takt und Würde trat ſie in ihrer Schrift über Caglioſtro den vielen häßlichen Gerüchten über ihr Verhältniß zu dem Abenteurer entgegen und dies Buch machte ſo großes Aufſehen, daß die Kaiſerin Katharina es in's Ruſſiſche überſetzen ließ und die Verfaſſerin an ihren Hof einlud und für die Plünderungen Caglioſtro's durch ein Gut in Kurland entſchädigte, wo Eliſa ganz in der Stille der Erziehung armer Mädchen lebte bis ihre Nerven¬ reizbarkeit ſie auf Reiſen nach Deutſchland führte, an das die ideale Freundſchaft mit Tiedge ſie bis an ihren Tod feſſelte.

Beim Erzählen und Plaudern wurde Tiedge immer lebhafter und freundlicher und ſein Händedruck ſo wohl¬ thuend warm, als hätten wir uns ſchon jahrelang ge¬ kannt. Selbſt die Schattengeſtalten um uns her nahmen ein wenig Fleiſch und Blut und Stimme an und nicht ſelten konnten ſie ſich auf einem ganz menſchlichen Kichern ertappen. Und als Tiedge mich beim Abſchiede herzlich bat, doch recht bald und recht oft wiederzukommen360 es ſei ihm heut wie ein lachender Frühlingstag aus ſeiner ſchönen, goldenen Jugendzeit geweſen da ſtimm¬ ten die verſtaubten, verſchollenen Schatten ganz herzhaft laut mit ein.

» Welch 'ein glücklicher, ſonniger Lebensabend! « ſagte Maltitz beim Nachhauſegehen » Wer doch auch mit ſo klarem, friedlichen Auge lächelnd ſchon auf den nahen Sonnenuntergang warten dürfte! Tiedge hat bald überwunden aber wir? Gott weiß, welche Kämpfe und Stürme uns noch beſchieden ſind! Sie Glückliche, der es ſo leicht wurde, dort im Spätherbſt fröhlich klingenden, duftig blühenden, ſonnigen Frühling hervor¬ zuzaubern und ſelbſt den Mumien Leben und Herzen einzuhauchen! Möge auch Ihnen auch uns dereinſt, wenn's ſtill und einſam um uns geworden iſt, die Jugend die frohe, lachende, ſtrahlende Jugend nicht fehlen, die uns verſteht und für uns ein wenig liebenswürdig ſein will Wir wollen noch oft zu Tiedge hinaus¬ gehen Und wenn Sie zuletzt noch allein übrig ge¬ blieben ſind dann laſſen Sie in Ihrem Abendtraum auch ein freundlich Bild vorübergleiten von dem armen, närriſchen Maltitz und von dieſer Minute auf der Dres¬ dener Elbbrücke «

Und noch oft ſind wir mit einander hinausgewandert über die Elbbrücke in das Haus von Tiedge » Sie kommen, wie das Mädchen aus der Fremde! « ſagte der liebenswürdige Greis ſcherzend. Nach drei Jahren ging ich den Weg allein. Maltitz war geſtorben, kaum361 43 Jahre alt gern! Er war nicht glücklich trotz des beſten, reichſten, liebevollſten Herzens und ſeiner Er¬ folge als Schriftſteller. Er fühlte ſich einſam in der Welt und unverſtanden. Tiedge überlebte den jungen Freund noch vier Jahre. Die meiſten der Schattenfiguren aus ſeiner Umgebung mußte er noch vorher ganz er¬ bleichen ſehen, bis ich auf den Sarg des faſt neunzig¬ jährigen Greiſes meinen friſchen Blüthenkranz legen konnte.

Daß ich jene Minute auf der Elbbrücke daß ich der goldenen Worte des edlen Maltitz nicht vergaß dafür ſpricht dies wehmüthig-frühlingsduftige Er¬ innerungsblatt.

Auf dem Wege nach dem Altmarkt zu Ludwig Tieck klopfte mir das Herz doch etwas unruhig: wie wird der vielgerühmte und vielgetadelte Dichter, der große Dramaturg dich empfangen? Ich fühlte, daß von dieſer erſten Begrüßung mein Bleiben in Dresden oder mein Weiterwandern nach kurzem Gaſtſpiel abhängen werde.

Zu meiner Beruhigung diente es durchaus nicht, was mein Begleiter, Baron Sternberg, mir unterwegs über die Urſache der Spannung die man aber längſt richtiger » Feindſchaft « nennen müſſe zwiſchen Tieck und Winkler und Bötticher erzählte:

» Es war eines Abends bei Tieck Geſellſchaft. Der Mittelpunkt der Unterhaltung war ein junger, talent¬ voller Maler, der erſt kürzlich aus Italien zurückgekehrt war und eine reiche Mappe voll intereſſanter Skizzen und362 einen ganzen Sack voll luſtiger Geſchichten, Abenteuer und Windbeuteleien mitgebracht hatte. Tieck ging wie ein grollender Löwe umher, denn er kann es nicht gut vertragen: einen Andern, wenn auch nur vorübergehend in ſeiner Gegenwart die erſte Geige ſpielen zu hören. Er hat ſich und die liebe, weihrauchopfernde Welt hat ihn im Kreislauf der Jahre zu ſehr daran gewöhnt: alle Solis gebühren » dem erſten Romantiker, Vorleſer und Dramaturgen « ſeiner Zeit dem Herrn Hofrath Tieck!

» Aber an jenem Abende wurde ſogar ſein Grollen wenig beachtet. Beſonders die junge, neugierige, lach¬ luſtige, plauderhafte Welt fand zu großen Geſchmack an den Geſchichten des Italieners.

» Natürlich haben ſie auch die Bekanntſchaft der Herren Banditen gemacht, ſonſt hätte Ihrer Römer¬ fahrt ja Pfeffer und Salz gefehlt, mein Herr Maler! « rief eine übermüthige junge Schauſpielerin.

» Ei ſicher, Signora mehr als einmal, wie hätte ich es ſonſt wagen dürfen, vor Ihre ſchönen Augen zu treten? In Italien geweſen und den Herren Banditen nicht in die Hände gefallen zu ſein, heißt im lieben Deutſchland ja ebenſoviel wie: in Rom den Papſt nicht geſehen zu haben «

» Alſo, Signor Paolo? «

» Alſo es war in den Abruzzen. Ich war mutter¬ ſeelenallein mit meiner Malertaſche ſchon zwei Tage lang in den wilden Bergen umhergeklettert, um Naturſtudien zu machen und nebenbei, einen zerlumpten Hirtenknaben363 mit ſeiner Ziegenheerde oder gar da ich ja ein Sonntags¬ kind im Erleben von Abenteuern bin ein ganzes Ban¬ ditenneſt zu malen Hirtenknaben hatte ich ſchon ein ganzes Dutzend in meiner Mappe aber noch nicht einen einzigen Signor Räuber abcontrefeit, ja, nicht einmal eine einzige Banditenkugel im Leibe. Schon wollte ich melancholiſch die tugendhaften Berge verlaſſen als endlich endlich ein halbes Dutzend blaue Bohnen um mich her pfiffen und ein Dutzend der kapitalſten ſchwarz¬ haarigen, ſonnverbrannten Kavaliere der Abruzzen mich umzingelt hatten und meine Taſchen vergebens nach einigen Scudis durchſuchten «

» Und da wurden Sie natürlich grauſam gemeuchelt «

» Bitt 'um Vergebung, meine Grauſamſte, doch nicht ganz! Schon waren die zwölf Banditenmeſſer ſymmetriſch auf mich gezückt da donnerte ihnen der Signor Haupt¬ mann ein fröhliches: Halt! zu. Er hatte einen neu¬ gierigen Blick in meine Malertaſche gethan und eine Inſpiration der lieben Eitelkeit erhalten

» Alſo ich wurde ſäuberlich in das eigentliche Räuber¬ neſt geführt natürlich mit verbundenen Augen und dort hatte ich das Vergnügen, der » Sonne der Abruzzen « la bella Signora Annunziata der Banditenbraut vorgeſtellt zu werden kurz und gut, den Herrn Hauptmann und die ganze Bande und die ſchönſte der Banditenbräute malen zu dürfen. Acht Tage weilte ich porträtirend in dieſem originellen Maler-Atelier, auf's Beſte mit dem zähſten Ziegenfleiſch und Knoblauch und364 halbverbrannter Polenta und kleiſterartigen Maccaronis gefüttert und zärtlich von zwei Karabinerläufen bewacht, Endlich war das große Werk vollbracht und die Banditen - Galerie in der rauchigen Felſenhöhle ſymmetriſch auf¬ gehängt. Ich hoffe, die Modelle ſind ihr inzwiſchen nach¬ gefolgt was das Hängen anbetrifft. Die ganze Bande, und beſonders la bella Annunziata waren ſehr befriedigt von meinem Talent. Nun, die Farben hatte ich nicht geſpart. So wurde ich endlich mit heiler Haut an die friſche Luft der Abruzzen geſetzt, mit der freundlichen Mahnung: in Zukunft nicht das Revier honetter Leute unſicher zu machen. In Rom holte ich triumphirend zwei kleine Kopien des Räuberhauptmanns und der ſchönen Banditenbraut, die ich in unbewachten Augenblicken zum Andenken für mich und zur Beglaubigung meines Aben¬ teuers gemacht hatte, aus dem Verſteck meines Stiefel¬ ſchaftes der auch ſo treulich meine Reiſekaſſe verborgen hatte hervor und hier ſind ſie: Signor Giuseppe und la bella Annunziata «

» Es waren zwei kleine Aquarelle: der Räuber wüſt, wilder, ſchwarzer Bart, blutgierige Augen, die Sig¬ nora üppig, rothwangig, glutäugig, ſchwarzlockig

» Kinderchen, was habt ihr da? « ſagte Böttiger, der mit einem fremden Profeſſor in der Fenſterecke ge¬ ſprochen und von der ganzen Geſchichte kein Wort gehört hatte, mit ſeinem freundlichſten Lächeln herantretend.

» Zwei Portraits, « meinte Winkler in ſeiner neckiſchen Weiſe, uns Andern einen Blick zuwerfend, der365 bedeutete: Aufgepaßt laßt mich nur machen das giebt einen Hauptſpaß! » Sie erkennen doch die Originale, Herr Hofrath? «

» Ei! ei! natürlich wie ſollte ich denn nicht! « ſagte der gute Böttiger, der ſehr kurzſichtig iſt, die beiden Bilder dicht vor das Auge haltend » Dies hier iſt ja unſer verehrter Tieck und dies ei! allerliebſt getroffen unſere theure Gräfin Finkenſtein «

» Das welterſchütternde Lachen der ganzen Geſellſchaft läßt ſich nicht beſchreiben: man muß es mit erlebt haben ebenſo Tieck's verdutztes Geſicht, das nicht wußte, ob es mitlachen, oder grob werden ſollte. Schließlich bequemte es ſich zu einem mitleidigen, weltverachtenden Lächeln und fand auch den ganzen Abend nicht mehr aus demſelben heraus. Aber inwendig grollte es furcht¬ bar! Ihn mit einem italieniſchen Banditen und ſeine Freundin, die arme alte, elegiſche Gräfin Finkenſtein mit einer frechen, gottloſen Banditenbraut zu verwechſeln das war für ſeine liebe Eitelkeit zu viel. Ueberdies glaubt er noch heutigen Tags, die Geſchichte ſei von dem gottloſen Theodor Hell ſchlau eingefädelt worden, um ihn lächerlich zu machen. Und Tieck vergiebt nie denken Sie daran, mein liebes Fräulein! nie eine Be¬ leidigung eine Vernachläſſigung. Er rächte ſich auch an Theodor Hell und an dem guten, ganz unſchuldigen Böttiger auf jede Art Ja, zuletzt griff er ſogar zur Feder und ſchrieb die beißendſten anonymen Schmäh¬ ſchriften gegen Winkler und Böttiger, und daß der366 ſatyriſche Winkler dieſe nicht geduldig einſteckte, ſondern in gleicher Münze erwiderte, können Sie ſich denken. «

Das war der Prolog zu meiner erſten Vorſtellung bei Ludwig Tieck. Ich lachte wohl Anfangs über die poſſirlichen Situationen jener Banditenbildergeſchichte, die Sternberg mir mit ſo vieler Laune und draſtiſcher Mimik gezeichnet hatte aber dann wurde mir doch das Herz etwas ſchwer bei dem Gedanken: wie wird Dir es mit deiner Lachluſt und übermüthig ungezügelten Zunge bei dieſem empfindlichen Dramaturgen ergehen?!

Nicht ohne Herzklopfen betrat ich das durch Tieck ſo berühmt gewordene Eckhaus am Altmarkt.

Eine alte, freundliche Magd empfing uns mit den Worten: » Der Herr Hofrath erwartet Sie! «

» Ein gutes Omen! « flüſterte mir Sternberg zu, der meine Befangenheit bemerkte, » Nicht Jeder darf ſich eines ſolchen Empfanges rühmen. Sie ſind ihm ſehr willkommen! «

Wir traten in einen geräumigen Salon. Zugleich öffnete ſich die Thüre des Nebenzimmers und vor mir ſtand der berühmte Dichter in ſeiner ganzen bezaubernden Liebenswürdigkeit.

Tieck war damals bereits 61 Jahre alt, hatte aber in ſeiner Perſönlichkeit und beſonders in ſeinem Weſen etwas ungemein Friſches, anmuthig Jugendliches. Er trug einen langen ſchwarzen, talarartigen Sammetrock mit weiten Aermeln à la Raphael und ein ſchwarzes Sammetkäppchen, welches ein wenig kokett ausſah, dem367 Dichter aber allerliebſt ſtand. Der ſchwarze Sammet hob die Marmorbläſſe des ſchönen, edel geformten Ge¬ ſichts mit den großen, tiefen, dunklen Augen und die alabaſterartig ſchimmernden kleinen, wohlgepflegten Hände ſehr vortheilhaft hervor. Und wie verſtand er es, daß Geſpräch durch wenige graziöſe Handbewegungen zu be¬ leben! Ein bezauberndes Lächeln umſpielte den fein ge¬ ſchnittenen, faſt jugendlich knospenden Mund, als er mich im reinſten norddeutſchen Dialekt und wohlklingender metalliſcher Stimme in Dresden willkommen hieß. » Ich habe ſchon viel Hübſches und Rühmliches von Ihrem Talent und Ihrem Streben gehört und freue mich auf Ihr Gaſtſpiel, das « fügte er mit anmuthiger Ver¬ beugung hinzu » hoffentlich zu einem dauernden En¬ gagement führen wird Zunächſt alſo gehen Sie, wie ich höre, nach Berlin, um auf den alten Brettern neue Lorbern zu ernten? «

» Ich würde für einige freundliche Blumen der Er¬ innerung und des Willkommens ſehr dankbar ſein, die Lorbern, Herr Hofrath, gönne ich herzlich gern den unſterblichen Geiſtern! « ſagte ich mit Beziehung auf den mir gegenüberſitzenden Dichter.

» Nun, die Blüthen werden Ihnen nicht fehlen « lächelte er, den Tribut, wie ihm gebührend, in Empfang nehmend. » Sie werden überall Erfolg haben, wo Sie ſich nur zeigen Sie ſind jung ſind ſchön «

» Die Schwägerin von Rahel Varnhagen, die wunder¬ bar ſchöne Frau von Ludwig Robert Torno, die ge¬368 feierte Schwäbin, meinte: Ich ſei hübſch nur hübſch und deren Ausſpruch galt in Schönheitsangelegen¬ heiten damals in Berlin als Orakel Und dieſe ſchönſte Frau, die ich je geſehen habe, mußte ſo jung ſterben. Man erzählte mir nach meiner Heimkehr aus Petersburg, ſie ſei vor zwei Jahren in Baden ihrem Gatten nach wenigen Tagen aus Gram nachgeſtorben «

» Ludwig Robert hatte ein ſchönes Talent für das Drama. Sind Sie je in ſeinem Trauerſpiel: » Die Macht der Verhältniſſe « aufgetreten? «

» Ja, in Berlin. Es war ein vortreffliches Enſemble: Ludwig Devrient in einer ſeiner Meiſter-Rollen Be¬ ſchort als Vater erſchütternd dann Rebenſtein, Lemm, die ideale Komitſch die ſchöne Schröckh mit der ſeelen¬ vollen Flötenſtimme Ich hatte nur eine kleine Rolle, die » Gräfin «

» Aber eine ſehr ſchwere, die nicht nur geſpielt, ſondern bis in die feinſten Falten des Seelenlebens ſtudirt und nachgefühlt ſein will. «

» Und dieſer kleinen Partie verdanke ich das erſte, mich hochbeglückende Lob von Alexander Wolff in tra¬ giſchen Rollen, während er im Luſtſpiel meiſtens mit mir zu¬ frieden war. In der Tragödie bekam ich ſonſt immer von ihm zu hören: » Recht hübſch geſpielt aber man glaubt Ihnen nicht, daß Sie wirklich ſo tief leiden, wie Ihre Worte ſagen! « Nach meiner » Gräfin « kam Wolff expreß zu mir in die Garderobe, um mir herzlich die Hand zu drücken und zu ſagen: » Heute, Fräulein369 Luſtſpiel, haben Sie mich wahrhaft überraſcht. Das war ja eine Tragödie, wie ſie im Buche ſteht: edel, tief empfunden und nicht geſpielt, ſondern gelebt! «

» Ein herrlicher Künſtler und Menſch! « ſagte Tieck gedankenvoll, wie in Erinnerung verſunken. » Nach dem genialen Fleck und meiner großen Bethmann bewunderte ich in Berlin das Wolff'ſche Ehepaar am meiſten. Das waren noch echte Komödianten aus der guten alten Schule mit Leib und Seele ihren ſo hochgehaltenen Brettern angehörend. Alexander Wolff's Tod iſt ein unerſetzlicher Verluſt, nicht nur für Berlin ſondern für das ganze deutſche Theater. «

» Und doch, Herr Hofrath, ſeit ich Ihren herrlichen Emil Devrient als Taſſo geſehen habe « Aber ich blieb ſtecken, Tieck ſah mich mit ſo eigenen, großen Cäſar-Augen an, als wollte er ſagen: » Auch Du, Brutus und jetzt ſchon? «

Zugleich mahnte mich ein freundſchaftliches Ellbogen - Memento Sternberg's daran, daß Emil Devrient in dieſen Räumen eine persona ingrata.

» Haben Sie jemals Sophie Müller geſehen, die ſo früh von der Kunſt und von uns ſcheiden mußte? « fragte Tieck plötzlich, die peinliche Pauſe endend. » Wer hätte gedacht, als ſie hier in Dresden die blinde Valerie ſo rührend, ſo innig, ſo erſchütternd und ſo einfach wahr gab, daß ſich dieſe ſchönen, klugen, ſeelenvollen Augen ſo bald auf immer ſchließen ſollten «

» Ich ſah ſie als Kind in Karlsruhe und dann in Berlin. Sie hat ſich zu Tode geſpielt. Sie gab ſich mitErinnerungen ꝛc. 24370verzehrender Inbrunſt ihrer Aufgabe hin und hauchte ihre große, ſchöne Seele ganz ihren Geſtalten, ihren Schöpfungen ein. Das konnte eine ſo zart und reich beſaitete Natur nicht lange ertragen. Aber es lebt augen¬ blicklich noch eine geiſtige Schweſter von Sophie Müller «

» Und auf welcher deutſchen Bühne? « fiel Tieck ge¬ ſpannt ein. » Wie heißt ſie? «

» Auf keiner deutſchen Bühne, Herr Hofrath. Ich meine die Mars vom Théâtre français. Ich habe ſie oft ſehr oft in Paris ſpielen ſehen und jedesmal er¬ innerte ſie mich lebhaft an unſere Sophie Müller: durch die Innigkeit des Gefühls, holde Weiblichkeit, ſüßes Organ und das Maßvolle, Lebenswahre in ihrem ganzen Auftreten und Spiel. Ja, die Mars iſt die einzige franzöſiſche Schauſpielerin, die echt deutſch ſpielt und von ihren Landsmänninnen nur die unnachahmliche Grazie und das Mouſſirende des Esprit adoptirt hat. Die guten Pariſer bewundern in ihrer » göttlichen Mars « freilich ohne es zu ahnen, denn ſonſt würde der Stolz der grande nation dieſe Bewunderung nicht zulaſſen deutſche Kunſt, deutſche Seele, deutſches Spiel! Beſonders erinnerte mich auch die » blinde Valerie « der Mars erſchütternd an die blinde Gabriele unſerer Sophie Müller. Und ich ſah die Mars fünfmal in dieſer ſchweren Rolle. Beide gaben die Blinde im Gegenſatz zu der ſonſtigen lang¬ weiligen Auffaſſung, die uns durch das Monotone, Schleppende, Sentimentale des Spiels die Unglückliche wohl bemitleiden, aber nicht ſo recht herzlich liebgewinnen371 läßt jugendlich anmuthig: friſch wie ein ſonniger Frühlingstag und fröhlich wie ein Waldvögelein Und wie erſchüttert bei dieſem holden, liebenswürdigen Ge¬ ſchöpf gerade die Blindheit! Das ſeelenvolle » Ich war¬ tete « unſerer deutſchen Gabriele klingt mir eben ſo ge¬ waltig im Herzen nach, wie das berühmte: » J'attendais « der Franzöſin. Nur am Schluß, wenn die Mars ihr » J'existe! « zum Himmel aufjubelt, entzückt und ent¬ zückend, daß es den Hörer elektriſch durchzuckt dann muß das » Ich lebe! « von Sophie Müller erbleichen «

Tieck hörte mir mit ſichtlichem Intereſſe zu. Er bat mich ſogar, beide Szenen gleichſam als Kopien der Mars und der Müller dramatiſch wiederzugeben, und lobte die feinen Nüancen meiner Nachahmung.

Wir waren ſehr lebhaft geworden, und ich mußte dann noch zur großen Beluſtigung von Tieck und Stern¬ berg erzählen, wie auf dem Théàtre français Kotzebue's » Menſchenhaß und Reue « gegeben wurde.

» Der herrliche Armand erſcheint als Meinau wie ein Vermummter: langer, weiter, grauer Ueberrock, aus dem nur die Spitzen ſeiner Stiefel und viertelellenlange Sporen vorgucken ſein edles Haupt verbirgt eine rie¬ ſige Zopfperrücke und fußhohe Halsbinde. Unwillkürlich rief ich beim erſten Erblicken dieſer Vogelſcheuche aus: » Oh, comme Armand est laid dans ce costume! « und nicht wenig beluſtigte es mich, als meine fran¬ zöſiſche Nachbarin mich, die deutſche Schauſpielerin, mit ſtrafendem Blick belehrte: » Mais, c'est ainsi, que l'on24 *372se met en Allemagne « Die gute Mars ſah in ihrem grauen, engen, hohen Kleide und dem ſchmuckloſen weißen Häubchen aus wie eine verkümmerte Pfarrerswittwe. Als dann die Gäſte kamen, ſchmückte ſie ſich mit einem blauen Bande. Aber wie ſpielten Armand und die Mars in dieſem lächerlichen Koſtüm! Man vergaß über dem Spiel alles Andere ſogar die 45 Jahre der Mars. Beſonders in der Schlußſzene, da hätten deutſche Schau¬ ſpielerinnen von dieſer Franzöſin deutſch denken, fühlen, ſpielen lernen können. Ich ſelber weinte und lachte mit ihr, wie ein Kind, als ſie nach dem erſchütternden Ab¬ ſchiede von Meinau ſich abwendend ihren Knaben erblickt, unter Thränen aufjauchzt und Alles um ſich her ver¬ geſſend vor dem Kinde niederkniet und mit ſeinen Locken ſpielt Da erſt verſtand man, warum Meinau jetzt plötzlich ausruft ausrufen muß: » Eulalie, ich verzeihe Dir! « Und wie die Mars dann das Kind an die Bruſt reißt und ſo in Meinau's Arme taumelt im überwältigenden Glück «

» Gerade ſo ſpielte meine große Bethmann dieſe Szene! « ſagte Tieck lebhaft. Das war das höchſte Lob, das er einer Schauſpielerin zu ſpenden vermochte.

Nachdem der Dramaturg mich noch über mein Repertoir befragt hatte, ſagte er: » Ich hoffe, Sie in Dresden mit der Zeit auch noch in hochtragiſchen Rollen zu ſehen. Sie haben Leidenſchaft, ein ſympathiſches Organ, edle Geſten «

» Aber kein tragiſches Geſicht, Herr Hofrath! « fiel ich tragikomiſch ein.

373

Tieck lächelte fein: » Der Geiſt überwindet auch das! Ich wünſchte, Sie verſuchten einmal die Maria Stuart. Ich werde die Rolle gern mit Ihnen durchgehen wie ich ſie einſt mit Friederike Bethmann durchging. Die glaubte Anfangs auch, nur für naive und ſentimentale Rollen ge¬ ſchaffen zu ſein und ſie wurde die größte Maria Stuart ihrer Zeit. Sie ſollen jetzt durch mich von der Beth¬ mann lernen auch, wie man in der Gartenſzene königlich ſtolz auf die Eliſabeth zuſchreiten kann: denn ich bin Euer König! « ohne zu thun, als wollte man ihr Eins verſetzen, wie manche modernen be¬ rühmten Maria Stuarts dieſe Szene ſo gern ſpielen, « ſchloß er ſcherzend, aber doch ein wenig verächtlich.

Ich dankte dem Meiſter von Herzen, verſprach Alles, auch mit der Mutter am Abende zur Vorleſung zu kommen und ging bezaubert nach Hauſe. Tieck's ganze bedeutende und ſo hinreißend liebenswürdige Per¬ ſönlichkeit, das Magnetiſche ſeiner Augen, das Be¬ rauſchende ſeiner Sprache, der Zauber ſeines Lächelns hatten mich ganz gefangen. Wie weggeweht war Alles, was ich über ſeine Eitelkeit, Herrſchſucht, Ungerechtigkeit, Empfindlichkeit und kleinliche Rachſucht gehört und was mir das Herz ſelber ſo ſchwer und mißtrauiſch gemacht hatte.

Als Sternberg über meine Begeiſterung lächelte: » So iſt es ſchon Vielen bei Tieck's erſtem Sehen ergangen, aber ſie ſind nur zu ſchnell furchtbar abgekühlt worden! « da rief ich faſt unartig: » So gönnen Sie mir doch374 dieſen Traum, er beglückt mich ja ſo ſehr! Und an mir ſoll es ſicher nicht liegen, daß ich ſo bald daraus erwache, wie Andere. Es wird ſtets mein Stolz ſein, von Ludwig Tieck belehrt und berathen zu werden. Ich will redlich verſuchen, die größte Geduld mit ſeinen Eigenheiten und kleinen Schwächen zu haben, ohne mir ſelber untreu zu werden und ſollte ich nach Jahren dennoch in Un¬ gnade fallen, in Tieck's Hauſe Enttäuſchungen und Kränkungen erfahren haben ſo werde ich mich doch ſtets dankbar dieſer heutigen und ſo Gott will noch vieler ſolcher Gnadenſtunden bei Ludwig Tieck erinnern «

Wir befolgten den Rath des Baron Maltitz und tranken vielen ſtarken ſchwarzen Kaffee, zur Nerven¬ ſtärkung vor der gefürchteten erſten Vorleſung bei Tieck. Schönſtens geputzt gingen wir gegen Abend nach dem Altmarkt. Der Mutter hatten der ſchwarze Kaffee und die Angſt vor der Vorleſung rothe Bäckchen gemacht, und die ſtanden ihr zu dem weißen Tüllhäubchen mit den ſchon ſeit Jahren gewohnten blaßgelben Bändern aller¬ liebſt. Ich war ſtolz auf die ſchöne Mutter und gefiel mir in dem modiſchen Wiener Staate des Herrn von Bär auch nicht übel. Als wir die Treppe hinaufſtiegen, bat ich die Mutter noch himmelhoch, während der Vor¬ leſung nicht einzunicken und mich auch nicht durch den kleinſten Blick an das Elend von Alexander und Darius zu erinnern. Wir gaben uns die Hand darauf, uns375 gegenſeitig keine Schande zu machen. » Lina, wenn es doch ein Luſtſpiel wäre! « dieſer Seufzer der Mutter klang ſchon in das bunte Summen hinein, das uns beim Ablegen der Ueberkleider im Entree durch die Saal¬ thür umrauſchte. » Wohl große Geſellſchaft? « fragte ich die alte, freundliche Dienerin. » O, nur dreißig Perſonen! « war ihre würdevolle Antwort. Es lag in dieſen » nur « der echte, prächtige Dienſtbotenſtolz: » Ja, aufgeſchaut und allen Reſpekt! Wir ſind ſehr geſuchte, berühmte Leute! «

Der Saal war brillant erleuchtet. Stattlich, freund¬ lich trat uns Ludwig Tieck im ſchwarzen Frack und weißen Halstuch entgegen. Er führte uns zu einem Sopha am Ende des Saales und ſtellte uns einer winzigen alten Dame vor, deren ſchmales Geſichtchen vor lauter Tüll¬ rüſchen und weißen Spitzentüchelchen vollends verſchwand: Gräfin Finkenſtein. Die Mutter mußte neben ihr Platz nehmen. Mich führte der Hofrath zu ſeinen Töchtern Dorothea und Agnes, zwei liebenswürdigen Mädchen mit ſanften, klugen Augen und herzenswarmem Hände¬ druck. Dann kam mein bei meinen Freunden ſo be¬ rühmtes und bei andern Leuten auch wohl etwas be¬ rüchtigtes Spießruthen-Vorſtellungs-Halbkompliment zur vollſten Geltung: » Baronin Frieſen Frl. von Brunnow Frau von Bülow Frl. Reinhold Hofrath Ca¬ rus Herr von Bandiſſin nebſt (bildſchöner) Tochter « und ſo ging es noch eine Weile fort, bis Dorothea mich in einen ſtillen Winkel zu ihrer Mutter und zu376 Julie Rettich führte. Die Hofräthin ſah leidend aus und lehnte in einem hohen Lehnſeſſel ſo ergeben, eine Dulderin in der frohen Geſellſchaft! Aber es wurde mir gleich heimiſch in dieſem ſtillen Winkel, und ich dachte wie Hebel's Haferkörnle: » Do blieb i! was no us mer will werde! «

Als ich der Rettich mein Entzücken über ihre vollen¬ dete Kunſtleiſtung in » Taſſo's Tod « ausdrückte als mir das Herz immer lebendiger auf die Zunge trat da ſahen mich Mutter und Tochter Tieck wie erſtaunt an, als wollten ſie ſagen: » Es giebt alſo doch noch Wunder: eine Schauſpielerin, die gerecht gegen ihre Rivalin iſt! « Und ſie wurden immer zutraulicher und ehe noch das Klappern der Theetaſſen aufgehört hatte, ſagte ich mir mit Freude: » Der gute Böttiger hat Recht! Die Beiden bleiben Dir treu wenn des Dramaturgen Gnadenſonne auch dereinſt für Dich unter¬ gegangen iſt! «

Inzwiſchen hatte ich aber auch Auge und Ohr für die übrige Geſellſchaft offen gehabt. Wie ein Grand Seigneur wandelte Tieck unter ſeinem Hofſtaate umher, bald hier ein freundlich Wort, bald dort ein Lächeln ſpendend. Bei aller Liebenswürdigkeit hatte dies » ar¬ tiger Wirth ſein « doch einen kleinen Anflug von Herab¬ laſſung. Wenn er nur den Mund aufthat, ſah ich die Tüllrüſchen der Gräfin nebſt Zubehör vor Bewunderung und Entzücken förmlich vibriren. Dabei herrſchte eine tropiſche Hitze in dem Saal und die vielen Lampen waren377 ohne Schirm und thaten dem Auge weh. » Hierzu nun noch ein Richard III. oder einer von den vielen Hein¬ richen und die Mutter iſt trotz Maltitz's Kaffee-Extrakt verloren! « Dieſer Gedanke beunruhigte mich nicht wenig.

Endlich ſollte ich aber aus dieſer Unruhe erlöſt werden. Auf einen königlichen Wink Tieck's ſtellte die Dienerin ein Tiſchchen mit zwei Wachskerzen in die Mitte des Saals, gegenüber den drei großen, berühmten Vor¬ leſungs-Sophas. Noch ein wenig Stuhlrücken dann lautloſe, faſt angſtvolle Stille und aus dem Polſter¬ ſeſſel hinter den beiden Kerzen ertönte es:

» Prinz von Homburg, Trauerſpiel von Heinrich v. Kleiſt. «

Es war faſt, als ginge ein Athmen der Erleichterung durch den Saal. Frau Rettich flüſterte mir zu: » Eine glückliche Wahl das Stück iſt nicht ſo furchtbar lang und Tieck lieſt es herrlich vor. « Die Hofräthin hatte ſich reſignirt in ihren Sorgenſtuhl zurückgelehnt und die Augen geſchloſſen die Tüllrüſchen ſtrahlten mein armes Mütterlein hatte ergeben die Hände über ihrem Schnupftüchlein im Schooße gefaltet und ſchien ein letztes Stoßgebetlein an den namenloſen Gott der Nerven zu richten (die alten Heiden kannten ja noch keine Nerven) und ich lauſchte in athemloſer Spannung.

Der Prinz von Homburg hatte mich ſtets ganz be¬ ſonders gefeſſelt ergriffen. Es war zu meiner Ber¬ liner Zeit viel darüber geſtritten: ob Homburg ein Held ſei oder das Gegentheil! Ich legte ſtets eine Lanze378 für den » Helden « ein, denn ich liebte ihn trotz des Todesgrauens, das er zeigt, als er an ſeinem offenen Grabe ſteht. In offener Schlacht würde Prinz Hom¬ burg keine Todesfurcht gekannt haben Und wie dem armen Kleiſt wohl zu Muth war, als er ſein Leben fort¬ warf? War das Heldenmuth oder Feigheit? So oft wir im Theaterwagen nach Potsdam zur Vorſtellung fuhren und an den Gräbern von Heinrich v. Kleiſt und Henriette Vogel vorüberkamen, wurde von der unſeligen That in Wehmuth geſprochen. Wir liebten ja Alle den Dichter von Käthchen von Heilbronn und Prinz von Homburg. Und Kleiſt hatte es nicht erlebt, daß ganz Deutſchland von ſeinem Käthchen hingeriſſen wurde! Iffland wies das Stück als » unſpielbar « von der könig¬ lichen Bühne zurück. Als ich Rahel Varnhagen fragte: » Warum hat der arme Kleiſt ſich nur erſchoſſen? aus Liebe? « Da ſagte ſie mit Thränen in den ſchönen Augen: » Nein, Kind, der Mann, der den Wetter von Strahl und den Homburg geſchaffen, erſchießt ſich nicht um einer Weiberlaune willen. Er wurde von ſeinem Vaterlande nicht verſtanden nicht anerkannt. Er hatte mit Noth und Sorgen zu kämpfen. Und als ihn die Kraft zum Leben verließ, da wählte er den Tod «

An dies Alles mußte ich denken, da Ludwig Tieck an jenem Abende den Homburg las. Und wie las er ihn wie ich nie wieder vorleſen hörte!

Zuerſt nannte er die Perſonen dann nur bei einer neuen Szene. Aber bei Tieck's wunderbarer Leſe¬379 kunſt glaubte man die verſchiedenen Akteure vor ſich auf der Bühne reden zu ſehen. Vor Allem aber entzückte mich die edle Einfachheit im Vortrage. Da war keine Spur von hohlem Deklamiren oder Stelzen-Pathos. Goethe's Wort bewährte ſich auch hier: » Die höchſte Kunſt iſt die veredelte Natur! «

Tieck las ſchnell. In der ergreifenden Szene, wo den Prinzen die Angſt vor dem offenen Grabe, vor der ſchimpflichen Hinrichtung martert, da jagten ſich ſeine Worte förmlich in Haſt und Fieberglut wie Gewitter¬ wolken! Um ſo größer war die Wirkung, als der Himmel ſich klärte als der Prinz gefaßt iſt, auch ſein Leben dahinzugeben für ſeine Ueberzeugung. Das floß wie er¬ quickender Sonnenſchein von des Leſers Lippen.

Köſtlich, wie Thaugefunkel auf Frühlingsblumen, glänzte die Szene zwiſchen Natalie und dem Kurfürſten:

» O, dieſer Fehltritt, blond, mit blauen Augen «

und dann wie kräftig und fröhlich friſch das Wort des prächtigen Kurfürſten:

» Wenn ich der Bey von Tunis wär '! «

Ja, da verſtand man, daß der tapfere Kottwitz für ſolch 'einen Fürſten freudig in den Tod geht.

Als ich dem Hofrath für dieſen genußreichen Abend meinen aufrichtigen, begeiſterten Dank ſagte, drückte er mir mit ſeinem bezaubernden Lächeln die Hand: » Beweiſen Sie mir, daß Sie den alten Tieck380 öfter leſen hören möchten und kommen Sie mit den erſten Schwalben wieder nach Dresden für immer!

Und noch vor den Schwalben waren wir wieder in dem ſchönen, heiteren Elb-Florenz. Mein Gaſtſpiel in Berlin war über Erwarten und Hoffen glänzend und wohlthuend ausgefallen. Publikum und Kollegen zeigten mir in liebenswürdigſter Weiſe, daß ich unvergeſſen ſei. Sogar Hofrath Teichmann hatte inzwiſchen ſeinen Groll über die Lachtragödie » Alexander und Darius « vergeſſen und empfing mich bei unſerer Ankunft mit den übrigen Freunden in unſerem, in einen wahren Blumengarten umgewandelten Abſteigequartier. Dann ging's nach Magdeburg, da Freund Bethmann mich in ſeiner aller¬ liebſten tragikomiſchen Verzweiflung gebeten hatte: » ihn, den unglückſeligſten aller abgebrannten Direktoren, mal wieder rechtſchaffen flott zu machen « Er verſicherte mir bei meiner Abreiſe, daß meinem Gaſtſpiele dies glänzend gelungen ſei » aber wie lange wird's dauern, ſo ſitze ich wieder knietief im Sumpf! « fügte er ſeufzend hinzu. » Lieber Berliner Droſchkengaul, als Magdeburger Theaterdirektor aber ein geborner Komödiant kann's nun mal nicht laſſen! « Dann wurde noch ein Abſtecher nach Braunſchweig, Hannover und Poſen gemacht, wo Direktor Vogt auch » knietief im Sumpfe ſteckte « und Anfang April 1835 hielten die Mutter und ich wieder unſern hoffnungsfröhlichen Einzug im Hotel de Saxe in Dresden.

Ich gaſtirte mit immer ſteigendem Beifall als Donna Diana, Blinde Gabriele, Junge Pathe, Goldſchmieds381 Töchterlein, Käthchen von Heilbronn, in der Schule der Alten, Menſchenhaß und Reue und in den Hageſtolzen. Dann kam der Probirſtein für tragiſche Rollen: Maria Stuart, bei Tieck und nach den Traditionen von Frie¬ derike Bethmann einſtudirt. Der Dramaturg war ſehr mit meiner Leiſtung zufrieden, die Dresdener beglückten mich durch Beifall und ſo unterſchrieb ich nach der Vorſtellung von Maria Stuart fröhlichen Herzens den Engagements-Kontrakt, den Herr von Lüttichau mir vor¬ legte und der mich zunächſt auf vier Jahre an Dresden feſſelte. Und ich habe es auch nie zu bereuen gehabt.

[382]

XI. Beim alten Dramaturgen.

Ludwig Tieck erbot ſich bei meinem Engagement in Dresden im Frühjahr 1835 freundlich, jede Rolle als Dramaturg mit mir durchzugehen, und erlaubte mir, nach jedem erſten Auftreten in einer neuen Rolle, ſein kritiſches Urtheil darüber einzuholen. » Auch ſonſt werden Sie mir immer herzlich willkommen ſein, und meine alte Komödiantenerfahrung und mein väterlicher Rath ſtehen Ihnen jede Stunde offen. Ihr glückliches Geſicht, Ihr frohes Lachen erquicken mich. Alſo auf baldiges und oftmaliges Wiederſehen und gute Freundſchaft! « ſagte er mit ſeinem bezaubernden Lächeln und hielt mir ſeine ſchöne, alabaſterweiße Hand hin.

Und ob ich einſchlug? O, von Herzen gern, und mein ganzes volles, jubelndes Herz legte ich zugleich in dieſe liebenswürdige Hand. Ich war bezaubert von Ludwig Tieck. Ich liebte, ich bewunderte ihn, ich ſchwärmte für ihn. Und wie oft, wie unzählige Male bin ich über den Dresdener Altmarkt geeilt und in das liebe, alte383 Eckhaus mit dem finſteren Hausflur und die genick¬ brecheriſche Treppe hinauf geſtürmt und dort oben in dem büchertraulichen Gelehrtenſtübchen habe ich un¬ vergeßlich reiche Stunden verlebt und bin von Ludwig Tieck belehrt, berathen, gelobt und geſcholten worden, ganz wie eine gute Tochter vom guten Vater. Die milde Hofräthin, die ihre ſchmerzhafte Krankheit, die Waſſerſucht, ſtill und ergebungsvoll trug, die Töchter, die geiſt - und gemüthvolle Dorothea, der wir ſo manche treffliche Ueberſetzung Shakeſpeare's verdanken, und die heitere Agnes, waren mütterlich und ſchweſterlich lieb und gut zu mir und ſelbſt die Gräfin Finkenſtein, die langjährige Freundin der Familie und der ſorgende Haus¬ geiſt, ſchüttete das Füllhorn ihrer Gunſt reich über mich aus, ſo lange ihres vergötterten Freundes Tieck Gnadenſonne freundlich über mir lachte.

Ich fehlte bei keiner Vorleſung im Eckhauſe des Altmarktes, und ſelbſt die Mutter brachte mir das Opfer, wenigſtens einmal wöchentlich eine Sophaecke vor dem hiſtoriſchen Tiſchchen mit den beiden Wachslichten einzunehmen. Oefter erlaubten ihr das die Nerven nicht. Tieck zeichnete mich bei den Vorleſungen und an den geſelligen Abenden in ſeinem Hauſe und in ſeiner Stellung als Dramaturg an der Hofbühne freundlich aus und die Dresdener ſagten: » Der alte Dramaturg hat einen neuen Liebling gefunden; er will zeigen, daß Julie Rettich auf der Bühne und in ſeinem Herzen vollſtändig erſetzt iſt und daß ihn ihr Abgang nach384 Wien nicht ſchmerzt Aber wie lange wird's dauern? «

Nun, es dauerte ſchöne, lange, glückliche Jahre, und dafür bin ich noch heute dem viel gelobten und viel geſchmähten großen Todten von Herzen dankbar.

Unvergeßlich theuer ſind mir auch die ſeltenen Abend¬ ſtunden, die ich in Tieck's engſtem Familienkreiſe ver¬ leben durfte. Gewöhnlich waren dann außer der Hof¬ räthin, den Töchtern, der Gräfin Finkenſtein nur noch zugegen die treue Hausfreundin Fräulein Reinhold, die begabte Verfaſſerin von König Sebaſtian und Irrwiſch Fritze, meine Mutter und ich. Tieck zog für dieſen kleinen traulichen Kreis nicht mit dem eleganten Frack den be¬ rühmten, gefeierten Dichter an. Er blieb in ſeinem kleidſamen talarartigen ſchwarzen Sammetrock und in ſeinem ganzen Auftreten und Sprechen ungeſchmückter, menſchlicher, liebenswürdiger. Und wie heiter gemüthlich konnte er dann erzählen von ſeiner ärmlichen Kindheit, ſeiner ſtürmiſchen Jugend, ſeinen bunten Manneserleb¬ niſſen und Erfahrungen und ſeinen liebſten » Komö¬ dianten «! Wie verſtand er es, uns in dem engen, düſteren Hinterſtübchen der Berliner Roßſtraße heimiſch zu machen, in dem er am 31. Mai 1773 geboren war. Er führte den Vater, den praktiſch klugen, weit umher gewanderten und vermöglichen Seilermeiſter und die milde, fromme Mutter, die ihn aus der Bibel und dem verehrten Porſt'¬ ſchen Geſangbuche leſen lehrte, ſeine zwei Jahre jüngere, poetiſch hochbegabte Schweſter Sophie, und den kleinen385 Bruder Friedrich, den ſpäter ſo berühmten Bildhauer, mit dem ihm wunderbar eigenen Stimmnachahmungs¬ talent lebhaft bei uns ein. Er ſchilderte uns ſein Kinder¬ entzücken, wie er als erſtes Buch nach der Bibel und dem Porſt den » Götz von Berlichingen « geleſen und zum erſten Mal eine Aufführung im Berliner Schauſpiel¬ hauſe anſehen nein, mitleben durfte. Da waren all' ſeine Gedanken für's Theater gefangen. Er zimmerte und kleiſterte ſich ein Puppentheater zurecht und führte den Götz von Berlichingen und die Räuber auf, und die Geſchwiſter und Dienſtboten und Nachbarkinder gaben andächtige Zuſchauer ab. Die fromme Mutter ſchüttelte den Kopf zu ſolchem gottloſen Teufelsſpuk. Und welche glänzende Träume träumte der kleine Puppenſpieler bei dem Jubel ſeines Publikums in ſeinem Herzen! Er wollte einſt, wenn er nur erſt groß genug dazu ſei, ſelber unter die geliebten Komödianten gehen etwas Beneidenswertheres gab es für ihn auf Erden nicht. Aber der Vater wollte einen Gelehrten und die Mutter einen Kanzelredner aus dem begabten Knaben machen und ſo kam Ludwig auf das berühmte Gymnaſium des alten Gedike. Er lernte fleißig Latein und Griechiſch, aber das Komödienſpielen konnte er doch nicht laſſen. Nur genügten ihm die dummen Papierpuppen nicht mehr. Mit den Geſchwiſtern und den Schulfreunden Wilhelm Heinrich Wackenroder und Wilhelm von Burgsdorff wurde überall Komödie geſpielt, wo ſich gerade ein Plätzchen dazu fand: im Seilerſchuppen oder in verſteck¬Erinnerungen ꝛc. 25386ten grünen Winkeln des Thiergartens. Und welche Aufgaben ſtellten ſich ſchon die kleinen Komödianten: Shakeſpeare, Goethe, Schiller, Leſſing Alles, was ihnen vor die Finger kam! Mit beſonderer Vorliebe und Leidenſchaft ſpielten ſie die grauſigen Hungerſzenen in Gerſtensberg's » Ugolino «. In eine geordnete Bahn kam dies Komödienſpiel, als der liebenswürdige Kom¬ poniſt von Goethe's Liedern, Reichardt, durch ſeinen Stiefſohn mit unſeren Komödianten bekannt wurde und ſie aufmunterte, in ſeinem Hauſe vor einem größeren und kunſtverſtändigeren Publikum und unter ſeiner An¬ leitung zu ſpielen, und als Reichardt's junge Schwä¬ gerinnen vor und hinter den Couliſſen die Liebhaberinnen¬ rollen übernahmen Hiebei warf Tieck ſeiner Frau ſtets einen ſchalkhaften Blick zu, denn ſie war ja eine jener Liebhaberinnen, Reichardt's Schwägerin, Amalie Alberti, Tochter eines bekannten Hamburger Predigers. Einſt ſpielte die kleine Truppe auf Einladung der Baronin Rietz in ihrem prunkvollen Hauſe ſogar vor dem Könige und ſeinem vertrauten Hofe, und der dicke Wilhelm und ſeine Favoritin waren ſehr erbaut davon der geſtrenge Direktor Gedike aber ſchnitt ſein grimmigſtes Geſicht über ſolche allotria ſeiner Gymnaſiaſten.

Wie herzlich, wie übermüthig konnte Tieck lachen, wenn er von ſeinen erſten poetiſchen, ſelbſtſchöpferiſchen Federarbeiten erzählte auf dem Gymnaſium! Sein Lehrer Rambach füllte ſeine Mußeſtunden und ſeine faſt immer leere Kaſſe damit, daß er nach dem Geſchmack387 des damaligen Publikums auf Buchhändlerbeſtellung und nach der Elle Schauerromane, Spuk -, Räuber -, Ritter - und Mordgeſchichten ſchrieb, ſo auch einſt für eine Sammlung von » Thaten und Freiheiten renommirter Kraft - und Kniffgenies « die Hiſtorie vom bayeriſchen Hieſel, dem berüchtigten Wilddiebe und Räuber Mathias Kloſtermayer. » Pah! « dachte Rambach eines faulen Tages » wie wär's, wenn Du Dir für dies Geſchäft einen Lehrling zulegteſt? Da hätteſt Du die halbe Arbeit und verdienteſt doch doppelt ſo viel liebes ſchnell¬ rollendes Geld Verſuchen wir es einmal mit der gewandten und in ſeinen deutſchen Arbeiten ſo abenteuer¬ reichen Feder von dem Scholar Ludwig Tieck und geben ihm den bayeriſchen Hieſel als Kraft - und Kniffgenie zu verherrlichen « Und der Verſuch wurde gemacht und fiel über Erwarten des glücklichen Präzeptors goldig glänzend aus und der Lehrling überflügelte den Meiſter bald in allen Ausſchweifungen einer wilden Schauer¬ phantaſie und entzückte ihn beſonders durch das Höllen¬ gebräu von Blut und Sünde und Verzweiflung und Wahnſinn in dem entſetzlichen Gräuelroman: » Die eiſerne Maske «. In ähnlicher Weiſe arbeitete Ludwig Tieck auch ſchon auf dem Gymnaſium für ſeinen hoch¬ begabten, aber zerfahrenen Lehrer Bernhardi, der ſpäter¬ hin ſeine geliebte Schweſter Sophie als Gatte ſo un¬ glücklich machen ſollte

Aber dieſe Ausſchweifungen einer unreifen Phantaſie zerrütteten Tieck's Nervenſyſtem bedenklich. » Halb verrückt «25 *388 wie er ſelber ſagte ging er im Frühjahr I792 nach Halle, um Theologie zu ſtudiren, So glaubte die gute Mutter wenigſtens. Er gab ſich aber jetzt nur noch ungebundener ſeiner wilden Phantaſie und Feder hin, und las und ſchrieb und trieb Spuk über Spuk, ſo daß er ſich oft ſelber vor den Fleiſch und Blut und Schrecken gewordenen Ausgeburten ſeiner Phantaſie entſetzte In Halle und Göttingen beendete er ſo das ſchaurige Phantaſieſtück » Abdallah « und arbeitete an dem » Lovell «, beide bereits auf dem Gymnaſium begonnen.

Mit draſtiſchem Humor malte er uns die Szene aus, wie er, gegen Oſtern 1793 mit ſeinem Freunde Wackenroder auf der Wanderſchaft nach Erlangens Uni¬ verſität begriffen, bei Fürth in die bunte Geſellſchaft von wandernden Komödianten und lagernden Reichs¬ ſoldaten gerieth, und wie die alte tolle Knabenleidenſchaft wieder über ſie kam und er und Wackenroder mit den Komödianten unter freiem Himmel vor den Reichsſoldaten Komödie ſpielten und wie ſchließlich die Soldaten auch mitſpielen wollten und eine allgemeine Verwirrung und Balgerei draus wurde, und der feurige Student wegen ſeiner derben norddeutſchen Hiebe am Ende wohl gar von den Reichsſoldaten füſilirt worden wäre, wenn nicht der General ein freundlich Macht - und Gnadenwort ge¬ ſprochen hätte Und in derſelben Nacht verirrte er ſich noch im Walde in ein buntes Zigeunerlager Noch immer bedauerte er faſt ernſthaft, daß am Ende ſeiner Studentenzeit der tolle Plan: mit Wackenroder389 und Burgsdorff in das romantiſche Land Italia zu ent¬ fliehen, dort ein genial poetiſches, abenteuerliches Leben zu führen und nur als Berühmtheiten nach dem ſpie߬ bürgerlichen Deutſchland zurückzukehren, nicht zur Aus¬ führung kommen konnte aus Mangel an goldenen Sohlen

Kein Wunder, dachte ich bei ſolchen Erzählungen ſtill für mich, daß jetzt der alte » Romantiker « vor Dir ſitzt.

Launiſch und ſpöttiſch erzählte Tieck gern von ſeinem Beſuch bei Klopſtock in Hamburg, wie er eine ideale Dichtergeſtalt zu ſehen erwartet und einen echten vertrockneten deutſchen Profeſſor im zerriſſenen Schlaf¬ rock mit der Tabakspfeife zwiſchen den Zähnen gefunden habe, deſſen erſte Frage an die Studenten war: » Nun, hat ſich denn der tolle Goethe immer noch nicht todt¬ geſchoſſen? « wie ergötzlich der alte Stimmkünſtler die ſchneidend hohen Fiſteltöne des göttlichen Sängers der Meſſiade nachmachen konnte!

In Berlin begann im Herbſt 1794 für den jungen 21jährigen Poeten ein neues, wunderſames Leben. Für den bekannten Buchhändler Nikolai bearbeitete er aus dem Franzöſiſchen eine Reihe damals beliebter ſatyriſch¬ moraliſcher Geſchichten, und dieſer lieferte ihm dafür die Mittel, mit der Schweſter Sophie und dem jungen Bild¬ hauer Friedrich Tieck einen eigenen genialiſchen Künſtler - Hausſtand zu führen, in dem ſich auch der große Mime Fleck oft wohl fühlte. » Der alte Nikolai aber wurde390 einſt fuchswild, als ich ihm auf all' ſeine fragen immer nur wiederholen konnte, ich habe » die beiden merkwürdigen Tage aus Sigmund's Leben « keinem franzöſiſchen Ori¬ ginale nachgebildet, ſondern einfach meinem eigenen Hirn entſpringen laſſen bis der Alte mit den Worten fort¬ rannte: Junger Mann, für ſo eitel hätte ich Sie doch nicht gehalten und mir wollen Sie das weiß machen, mir, dem alten Nikolai? Er hat's mir auch nie geglaubt, der alte Nikolai, daß ich die wunderliche Hiſtorie allein zu Stande gebracht «

Iſt's mir doch, als hörte ich noch heute Tieck's be¬ hagliches Lachen über dieſen Jugendtriumph und über den alten Nikolai.

Oft las Tieck uns dann im engen traulichen Kreiſe auch ſeine reizenden Volksmärchen vor: Blaubart die Haimonskinder die Magelone der blonde Eckbert und wie wunderbar märchenhaft ſüß und zau¬ beriſch und dann auch wieder wie erſchütternd und grauenerregend verſtand er ſie zu leſen! Und gern knüpfte er an dieſe Jugendarbeiten (1797) die glücklichen Er¬ innerungen, wie ihm gerade dieſe Märchen die Freund¬ ſchaft Auguſt Wilhelm von Schlegel's erworben und ſo beide Dichter ſpäterhin zur gemeinſamen Ueberſetzung von Shakeſpeare's Werken verbunden hatten und auch die Freundesherzen von Novalis und Schelling ihm zu¬ führten. Dieſe Freunde zogen ihn im Herbſt 1799 mit der jungen Frau und der kleinen Dorothea nach Jena, aber ſchon am Neujahrstage 1801 ſollte ihm Novalis391 durch den Tod entriſſen werden, wie ſchon wenige Jahre früher der treue und geniale Freund Wackenroder.

Mit großer Erregung ſprach Tieck ſtets von ſeinen literariſchen und perſönlichen Federkämpfen jener Tage mit dem Satyriker Falk, dem Kritiker Gottlieb Merkel, mit Soltau, der gleich ihm den Don Quixote überſetzte, und mit Iffland, der ſich für eine bittere Kritik Bern¬ hardi's durch das in Berlin aufgeführte ſatyriſche Luſt¬ ſpiel des Schauſpielers Beck: » Chamäleon « an der ganzen neuen Tieck'ſchen romantiſchen Schule rächte.

Ueber meinen vergötterten Schiller, den er damals auch in Jena kennen gelernt hatte, äußerte der alte Romantiker ſich zu meinem Schmerz und Verdruß ſtets ſehr vornehm ablehnend und herablaſſend, und nannte ihn wohl achſelzuckend einen » ſpaniſchen Seneca « oder gar einen » guten Menſchen «.

Goethe konnte er nie die eigenthümliche Kritik über ſein religiös-myſtiſches Trauerſpiel » Genovefa « vergeben, als der Altmeiſter nach Tieck's Vorleſung deſſelben im Jenaiſchen Schloß nur ſeinem kleinen Wolfgang fein lächelnd die Locken aus der Stirne ſtrich und ſagte: » Nun, mein Söhnchen, was ſagſt Du zu all' den Farben, Blumen, Spiegeln und Zauberkünſten, von denen unſer Freund uns vorgeleſen hat? Iſt das nicht recht wunder¬ bar? «

Ja, leider war Tieck nicht groß genug, ſeine Empfind¬ lichkeit gegen gekränkte Eitelkeit zu verbergen. Er zeigte dann nur zu gern die Schärfe ſeiner Zunge und Feder.

392

Auch mit dem armen Kleiſt war er in Berührung gekommen. Bei der Verſchiedenartigkeit ihrer menſchlichen und dichteriſchen Anlagen konnten ſie ſich aber nicht näher treten. Tieck ſprach, bei aller Anerkennung von Kleiſt's großem dramatiſchen Talent, nur zu gern von des un¬ glücklichen Dichters fixen Ideen, die ſich ſogar ſo krank¬ haft ſteigerten, daß Kleiſt einſt im Ernſt verſucht habe, Adam Müller von der Dresdener Elbbrücke zu ſtoßen, weil er ſich einbildete, deſſen Frau wahnſinnig zu lieben und ohne ihren Beſitz nicht leben zu können.

Köſtlich parodirte er dagegen den windigen Klemens Brentano, der ſich beſonders darin gefiel, zarten Frauen ſeine Seelenleiden vorzuſeufzen und ſie durch ſeine welt¬ ſchmerzliche Zerriſſenheit und Verlorenheit bis zu Thränen des Mitgefühls oder wohl gar des Erbarmens zu rühren. » Als Brentano dieſe Höllenkünſte auch in meinem Hauſe probiren wollte, ſagte ich ihm ernſthaft: lügen Sie meinen Frauenzimmern ſo viel vor, wie Sie wollen, nur eine Bedingung hab 'ich, lieber Freund: laſſen Sie es heiter ſein! und die poetiſche Zwiebel gelobte alles mögliche Gute und Beſte. Aber als ich dann eines Tags nach Hauſe komme, was find' ich? meine Frau und die Gräfin Finkenſtein und die Dorothea und die Reinhold ſämmtlich in Thränen ſchwimmend und mitten unter ihnen meinen ſeufzenden, zerriſſenen Fuchs Brentano. Aber ich hab 'meine Frauenzimmer kurirt und dem Schalk im Thränenkleide heimgeleuchtet, indem ich ihm zurief: » Plagt Sie der Teufel? Sie haben mir393 ja die Hand darauf gegeben, meinen Frauen nur Luſtiges vorzulügen! «

» Meinen Frauen! « Ich muß heute darüber lächeln, wie harmlos patriarchaliſch dies Wort von Tieck's Lippen klang und wie ſcharf, wie ſpöttiſch die böſen Zungen Dresdens es betonten. Die nannten Tieck oft nur den » Grafen von Gleichen unſeres Jahrhunderts «.

Es war allerdings ein wunderliches Verhältniß, das ſich im Lauf der Jahre zwiſchen dem alten Roman¬ tiker und ſeiner Frau und der Freundin Gräfin Finken¬ ſtein gebildet hatte. Aber es war auch eine andere, romantiſchere Zeit, als unſere Tage.

Tieck hatte, wie ſeine Lieblingshelden, lange Jahre eine Art fahrendes Künſtlerleben geführt zum Theil mit Weib und Kind. Seine geniale, abenteuerliche Jugendzeit gährte fort und fort in ihm und ließ ihn nicht zu einem feſten Lebenshalt kommen und auch nicht zu einem feſten Wohnſitz. Und da ſeine pekuniären Verhältniſſe nie die glänzendſten waren, lebte er bald hier, bald da und oft jahrelang bei Freunden als Gaſt, am liebſten und am längſten in Ziebingen, erſt auf dem Gute ſeines Freundes v. Burgsdorff und dann im Hauſe des Grafen Finkenſtein. Hier finden wir die Familie Tieck in den erſten achtzehn Jahren dieſes Jahr¬ hunderts faſt jeden Sommer. Von hier aus machte er ſeine Reiſe nach Italien, um in den Bädern von Piſa und unter dem milden Himmel von Rom Geneſung von ſeinem heftigen Gichtleiden zu ſuchen, das den erſt394 22jährigen Dichter befiel und zeitweiſe ganz des Ge¬ brauchs ſeiner Glieder und ſeiner Feder beraubte. Leider war die Heilung keine dauernde und in Dresden fand ich den Armen oft von Gicht ganz zuſammengekrümmt in ſeinen Lehnſeſſel gebannt. Von Ziebingen aus ging er mit dem treuen und ſtets hülfreichen Burgsdorff nach England und machte in Londons Bibliotheken und Theatern Studien zu einem wiſſenſchaftlichen Werk über Shakeſpeare, das aber kaum über Notizen hinausgekommen iſt. Als Graf Finkenſtein im Frühjahr 1818 ſtarb, ging die Gräfin mit Tieck und deſſen Familie nach Dresden und gründete dem vergötterten Dichter mit ihren reichen Mitteln ein behagliches, ſorgenfreies Daheim. Sie leitete und beſtritt den Hausſtand, ſie machte an den Beſuchs - und Vorleſeabenden die Honneurs, ſie pflegte den von Gicht Geplagten unermüdlich, ſie begleitete den Theater¬ freund und ſpäteren Dramaturgen in's Theater und Tieck's Jugendliebe, ſeine Gattin Amalie, ging mit wunderbarer Milde und zartfühligem Takt in dies ſelt¬ ſame Verhältniß ein. Ja, ich habe nie einen ernſten Mißton zwiſchen den beiden Frauen unſeres Grafen Gleichen bemerkt; auch die Töchter Dorothea und Agnes verkehrten auf's Freundlichſte mit der Gräfin Finken¬ ſtein, und der alte Romantiker ſchien ſich als Graf Gleichen II. ſehr behaglich zu fühlen.

Als ich die Gräfin Finkenſtein kennen lernte, hatte ſie den Freund ſchon über dreißig Jahre mit rührender Treue verehrt, gepflegt, ſich in jede ſeiner vielen Launen395 gefügt, ihm mit Aufopferung ihres Vermögens jeden Wunſch ſeiner koſtſpieligen Bücherliebhaberei zu erfüllen geſucht und ihn o Wunder! ſicher zehntauſendmal vorleſen gehört ja, was noch mehr ſagen will: hundert¬ mal gehörte Shakeſpeares und Spanier mit gleichem Ent¬ zücken, mit verklärtem Geſicht, mit ſprudelndem Enthu¬ ſiasmus!

Ich ſprach einſt mit Amalie Wolff, die zum Beſuch zu Verdys, ihren werthen Kollegen aus der alten glänzen¬ den Blüthezeit des Weimariſchen Theaters unter Goethe's Sonne, nach Dresden gekommen war und eine nur eine einzige Shakeſpeare-Vorleſung bei Tieck mit angehört hatte. Ich fand die liebe Berliner Freundin am andern Morgen über Nervenkopfweh klagend auf dem Sopha liegen. In ihrer humoriſtiſchen Art ſchilderte ſie mir ihre verbiſſenen Gähnkrämpfe, unterdrückten Nerven¬ zuckungen während Tieck's Vorleſung von Richard III » Er lieſt ja meiſterhaft vor, wie kein anderer Sterb¬ licher, entzückend ſchön aber eine Tantalusqual bleibt's doch, in dieſer Backofenhitze drei Stunden lang wie eine egyptiſche Sphinx daſitzen zu müſſen vor dieſen beiden müden Wachslichten, ſich nicht rühren, nicht zucken, nicht räuſpern, nicht gähnen, ja nicht einmal ein wenig ſchlafen zu dürfen, denn dieſe ſchreckliche Mumie von Gräfin beobachtete unter ihrem grünen Augenſchirm hervor jeden beglückten Zuhörer mit Argusaugen, ob er ſich auch nicht ein Kapitalverbrechen gegen ihren Abgott zu Schulden kommen ließ ich glaube, kein Schlummer¬396 auge wäre vor ihren gräflichen Nägeln ſicher. Und dieſe kleine, alte, zarte, kränkliche Gräfin, die ausſieht, als könnte man ſie umblaſen, als müßte ſie Krämpfe be¬ kommen, wenn eine Stricknadel auf die Erde klirrt dies Schattenweſen hört nun ſchon ſeit dreißig Jahren Abend für Abend Heinriche, Richarde, Othellos und erſt die furchtbaren Spanier ohne ein Wimperzucken heroiſch mit an, während mich der eine Richard ſchon beinahe umbrachte Räthſelhaft! unfaßlich! Wahrhaftig, die Gräfin Finkenſtein verdiente das achte Weltwunder das Nervenwunder genannt zu werden «

» Aber Tieck verehrt, ſchätzt Sie ſo hoch, theure Freundin «

» Ich ihn ja auch aber hübſch in der Ferne, oder wenn er keine Richarde lieſt. Ein kleines Luſt¬ ſpiel hält meine Verehrung auch noch aus doch bei einem fünfaktigen Shakeſpeare ſchlagen die Nerven ſie todt! «

Ich mußte herzlich lachen. » Auch mein Bruder, der Rittmeiſter, der Nerven wie Stahl hat und den ich eines heißen Auguſtnachmittags mit zu Tieck vor ſein Richard-Tribunal ſchleppte und der Zucken in Händen und Füßen bekam und große Angſttropfen ſchwitzte, wäh¬ rend die Gräfin ihm ihre triumphirendſten Blicke zuwarf, als wollte ſie ſagen: Nicht wahr? ſo haſt Du noch nie vorleſen hören! mein Bruder ſagte mir beim Nach¬ hauſeſchwanken: » Alles kann ich Dir verzeihen, Lina, daß Du unter die Komödianten gegangen biſt und mit397 Deiner Gage ſo oft meine Lieutenantsſchulden bezahlt haſt aber, ich fürchte, Richard-Qualen nie! «

Jeder Dresdener Bekannte, jeder gebildete Fremde hatte Zutritt zu dieſen halb öffentlichen Vorleſungen. Ein Empfehlungsgruß, ja eine einfache Selbſteinführung genügte, um von Tieck liebenswürdig empfangen zu werden. Und kein durchpaſſirender Gelehrter, Kunſt¬ freund, Neugieriger, Raritätenliebhaber verſäumte es, einen Vorleſeabend bei Ludwig Tieck kennen zu lernen. Der alte Romantiker wurde dabei halb und halb als Sehenswürdigkeit Dresdens betrachtet. Zuletzt fragten die Lohnbedienten und Fremdenführer der Hotels ganz ungenirt Morgens bei Tieck's alter Dienerin an, ob am Abende Vorleſung ſei ſie hätten ſo und ſo viel Fremde hinzuführen. Und es that Tieck's lieber Eitelkeit wohl, ſo aufgeſucht und als Dresdener Sehenswürdigkeit an¬ geguckt zu werden.

Dabei war er aber unerbittlich pünktlich mit dem Beginn ſeiner Vorleſungen. Mochten ihn die bedeutend¬ ſten, vornehmſten Gäſte in die intereſſanteſten Geſpräche verflochten haben: Punct 7 Uhr gab er ſeinem alten weiblichen Faktotum das Zeichen und das berühmte Tiſchchen mit den Wachskerzen ſtand plötzlich in der Mitte des Zimmers, Tieck dahinter Athemloſe, bange Stille im Zimmer: Was wird er heute leſen? Einen der nervenzerrüttenden Heinriche? den furchtbaren Richard III. oder gar ſeine geliebten Spanier: » Das öffentliche Ge¬ heimniß « oder » Der Richter von Zalamea «? Dieſe398 angſtvollen Fragezeichen ſtanden auf den Geſichtern aller Ein¬ heimiſchen zu leſen und gewöhnlich auch daneben ein herz¬ liches Ausrufungszeichen: Möchte es doch heute ein kurzes Luſtſpiel ſein! Und wenn Tieck dann mit ſeiner herrlichen volltönenden Stimme ſagte: » Der Richter von Zalamea, Drama aus dem Spaniſchen des Lopez ! « ſo fielen wir Eingeweihten mit ſtillen Seufzern und lammfrommen Duldermienen in die möglichſt bequemſte Ergebungspoſition zurück und ließen den Richter von Zalamea über uns er¬ gehen und, wem's gegeben war, an uns vorübergehen. Tönte es jedoch zwiſchen den beiden Lichten hervor: » Der zerbrochene Krug, Luſtſpiel von Heinrich von Kleiſt! « oder: » Minna von Barnhelm, vaterländiſches Luſtſpiel von Leſſing! « da ging ein Aufathmen der Erleichterung, der Genugthuung durch den Saal, und wenn der Vorleſer am Schluß noch ſeine kleinen be¬ liebten Epiloge hielt, wie: » Der zerbrochene Krug! welch 'kerniger, friſcher Humor in dieſem Prachtluſtſpiel! « oder: » Eine Muſter-Proſa in der Minna von Barnhelm! Welch' ein Genuß, ſie nachzuſprechen! Und welche Fein¬ heit des Witzes und meiſterhafte Zeichnung der Charaktere! Ja, es iſt noch immer unſer unerreichtes deutſches Muſter¬ luſtſpiel! « dann nickten wir dem Redner und uns gegenſeitig vergnügt zu. Die kurzen Luſtſpiele hatten uns mobiliſirt, die langen Spanier hätten uns halb todt gemacht.

War Tieck beſonders guter Laune, ſo fragte er auch wohl ſchon während des Theetrinkens: » Was399 wünſchen die werthen Gäſte heute zu hören? « und von allen Seiten wurden mir, dem verzogenen Günſt¬ lings, flehentliche Blicke zugeworfen und gelinde Ell¬ bogenſeufzer eingebohrt, und ich gab dem allgemeinen Geſumm Worte: » Bitte, goldigſter Herr Hofrath, ein Luſtſpiel, wenn's ſein kann Holberg's » Wochenſtube « ich habe ſo lange nicht recht von Herzen gelacht « Dann drohte er wohl mit ſeinem köſtlichen Lächeln ſchalkhaft mit dem Finger: » Wer Ihnen das glaubte, Uebermuth! Wie die Blume nicht ohne Sonnenſchein, ſo können Sie ja keinen Tag ohne Lachen exiſtiren. Nun denn, Sie ſollen heut Abend einmal lachen, ſo recht friſch und herzfröhlich hell, hör 'ich's doch ſelber ſo gern « Wir waren vor den Heinrichen und den Spaniern gerettet und er las uns ein tolles Luſtſpiel und in kleinem Kreiſe auch wohl » Die Wochenſtube «.

Das närriſche Stück, ein echtes prächtiges Bild aus der lieben deutſchen Kleinſtädterei, iſt leider ganz von der Bühne verſchwunden und hat unſauberem Poſſenkram und Offenbach's Frivolitäten Platz gemacht. Auch der Inhalt wird ſchwerlich vielen meiner Leſer bekannt ſein.

Eine Wöchnerin empfängt die erſten Staatsviſiten und muß Alle liebenswürdig begrüßen, unterhalten und traktiren ſo verlangt es der gute Ton des Städtchens. Den Reigen eröffnet eine ſehr ſchüchterne Dame, die kaum ein Wort herausbringt, dann folgt eine Klatſch¬ ſchweſter, wie ſie im Buche ſteht, daß der armen jungen400 Mutter dabei ganz ſchwindlig wird, eine Pleureuſe läßt ihren butterweichen Gefühlen und ſalzigen Thränen freieſten Lauf, eine ſolide Buchdruckersfrau hat nur die praktiſche Seite des Lebens im Auge und auf der Zunge, eine Schulmeiſterin docirt Lebensweisheit und zuletzt, als Knalleffekt, treten drei Schweſtern ein, die ſtets zu gleicher Zeit auf die Wöchnerin einſprechen Wie Tieck das fertig brachte, daß man wirklich drei ver¬ ſchiedene Stimmen und zu gleicher Zeit zu hören glaubte, das iſt mir noch heute ein Räthſel. Hier wurde aus dem Stimmkünſtler faſt ein Stimmzauberer. Aber die Wirkung war auch eine glänzende. Wir lachten nicht mehr, wir ſchrieen förmlich wie übermüthige, glückſelige Kinder, und ſelbſt die kranke Hofräthin ſtimmte herzlich mit ein. Das kleine, vertrocknete Geſicht der Gräfin Finkenſtein aber ſtrahlte aus ihren tauſend Tüllrüſchen hervor, wie eitel Sonnenſchein. Ihr Tieck hatte ja dieſe Wirkung hervorgebracht. Alles Andere war ihr Nebenſache.

Wollte Tieck aber aus ſeinen eigenen Dichtungen vorleſen, ſo wurden alle Stammgäſte ſchon einige Tage vorher förmlich dazu eingeladen, und im Saal, Neben - und Vorzimmer verſammelten ſich gewöhnlich gegen 50 Perſonen. Es wurde im Eckhauſe des Altmarkts übel notirt, wenn man ſich entſchuldigen ließ. Mit einer gewiſſen Feierlichkeit wurden wir empfangen, mit Thee und feſtlicheren Kuchen bewirthet. Die Wachslichte waren dicker, Tieck trug ſeinen beſten Frack und feier¬401 lichſten Knoten im hohen weißen Halstuch, und die Gräfin hatte zur Feier des Abends einige Dutzend Tüll¬ rüſchen mehr um ihr altes Geſichtchen zittern.

Hinreißend las Tieck ſeinen Fortunat, Octavian, die Genovefa, den geſtiefelten Kater und vor allen den Blau¬ bart vor. Der war beſonders der Liebling, das Ent¬ zücken der Gräfin Finkenſtein, und wie ein Kind freute ſie ſich immer auf den Hauptmoment den größten Effekt, den wohl je ein einziges Wort erzielt hat. Es iſt die Szene, wo Agnes, des Blaubart's Frau, mit Angſt die Heimkehr des Tyrannen erwartet, denn ſie hat ſein Gebot übertreten und einen Blutfleck am gol¬ denen Schlüſſel. Die alte Magd Mechtilde erzählt den Schweſtern ein Märchen, ihre Unruhe einzulullen » Es wohnte ein Förſter in einem dicken, dicken Walde Einen Tag in der Woche verbietet der Vater den Kindern aus der Hütte zu gehen. Da der Vater weg iſt, wagt es dennoch das Mädchen. Nicht weit vom Hauſe lag ein grauer, ſtillſtehender See. Das Mädchen ſetzt ſich an den See und indem ſie hinein ſieht, iſt es ihr, als wenn ihr fremde bärtige Geſichter entgegenſchauen; da fangen die Bäume an zu rauſchen, da iſt es, als wenn es in der Ferne gehe, da kocht das Waſſer und wird ſchwarz und immer ſchwärzer mit einem Mal, ſiehe, ſpringt es in der trüben Woge wie Fiſchlein oder Fröſche, und drei blutige, ganz blutige Hände tauchen hervor und weiſen mit dem rothen Zeigefinger nach dem Mädchen hin «

Erinnerungen ꝛc. 26402

Agnes: » Blutig? Schweſter, um Gotteswillen, ſieh 'die alte Hexe! Wie ſie ihr Geſicht verzogen hat! Sieh', Schweſter! «

Mechtilde: » Kind, was iſt Dir? «

Agnes: » Blutig, ſagſt Du? Ja, blutig, Du wildes Scheuſal, Blutig iſt euer Leben, ihr Schlächter, ihr gräßlichen Mörder, Fort, ich mag Dein grinſendes Antlitz nicht mir gegenüber. «

Mechtilde: » Das ſind ja ganz beſondere Einfälle. « (Geht.)

Anna: » Schweſter, mäßige Dich doch! «

Agnes: » Du haſt es nicht geſehen, wie ſie ſich unter der Erzählung verwandelte! «

Anna: » Du biſt erhitzt, das ſind Einbildungen. «

Agnes: » Nun, warum ſpricht ſie auch von Blut? Ich kann das Wort nicht hören, ohne toll zu werden «

Beim Beginn der Märchenſzene lüftete die Gräfin Finkenſtein ſtets ihren grünen Augenſchirm und ſchaute die unglücklichen, ahnungsloſen Fremden mit ſiegesſicheren Falkenblicken an O, ſie konnte der armen Opfer auch ſicher ſein. Denn dem entſetzten Aufſchrei von Agnes: » Blutig? « aus Tieck's Munde hat kein Ohr, kein Herz widerſtanden, Und welch 'ein Entzücken, welch ein Triumph ſtrahlte dann zwiſchen den zitternden Tüllrüſchen, wenn ihre Opfer, wie von einer Todtenhand geſchüttelt, zuſammenfuhren und ein Fröſteln ſelbſt durch die Reihen der gewohnten Zuhörer lief Aber als ich dann dies » Blutig? « ein Dutzend Mal ſchauernd gehört403 hatte ja, dann ging es mir faſt wie der guten Gräfin: ich freute mich auch ſchon vorher auf das ent¬ ſetzliche » Blutig? «, um die Fremden zuſammenfahren zu ſehen.

Ja, Tieck war einzig groß als Vorleſer, und ſicher wäre er als Schauſpieler der größte Mime ſeiner Zeit geworden. Nie hat mich z. B. die Iphigenie auf der Bühne ſo ergriffen, wie vor dem kleinen Leſepulte im Eckhauſe des Dresdener Altmarkts. Wenn er nach Oreſt's wilder grauenerregender Verzweiflung:

Zerreiße dieſen Buſen und eröffne
Den Strömen, die hier ſieden, einen Weg!

verſöhnend fortfuhr:

Welch 'ein Geliſpel hör' ich in den Zweigen?
So bin auch ich willkommen? Und ich darf
In Euren feierlichen Zug mich miſchen?

wie verklärten ſich förmlich bei den weichen Tönen der herrlichen Stimme die ausdrucksvollen Züge des Vorleſers, wie leuchtete ſeine Stirn!

Im kleinen Kreiſe las Tieck uns auch hin und wieder Bruchſtücke aus ſeinem märchenhaften Novellen - Cyklus » Phantaſus « und aus ſeinen Novellen vor, die damals gerade bei Brockhaus erſchienen. Beſonders feſſelte mich ſein » junger Tiſchlermeiſter «, weil man wußte, daß der Dichter Vieles aus ſeinem äußeren und inneren Leben hineingewoben. Aus » Accorombona « hörte ich ihn nie leſen. Dorothea liebte das Buch nicht und ſprach das auch freimüthig aus. Als die Gräfin26 *404einſt ihr überſchwängliches Entzücken über dieſe Dichtung äußerte, ſagte Dorothea einfach, ernſt: » Ich wünſchte, mein Vater hätte Accorombona nie geſchrieben. «

Trat Tieck aus ſeinem Arbeitszimmer unter die ſtets zahlreich verſammelten Gäſte, ſo glaubte man, trotz der Gicht, einen Grand Seigneur zu ſeinem Hof¬ ſtaat herabſteigen zu ſehen. Bei aller Würde und Artig¬ keit, mit der er Fremde empfing, lag doch in ſeinem ganzen Weſen ein wenig Herablaſſung, ſelbſt gegen Vor¬ nehme und Berühmtheiten. Prächtig aber gefiel es mir, wenn der geiſtvolle Ueberſetzer von Shakeſpeare, der in alle Feinheiten der Sprache ſo tief eingedrungen war, und der das Franzöſiſche ſo elegant zu plaudern ver¬ ſtand, auf die Anſprache der Engländer und Franzoſen in ihrer Mutterſprache ſtets mit ſeinem Lächeln antwor¬ tete: » Ich ſpreche nur deutſch! « und die Verdutzten durch den Blick ſeiner großen, klugen Augen dann vollends verblüffte.

Unter den oft wiederkehrenden fremden Gäſten des Eckhauſes am Altmarkt war mir der liebſte: Friedrich von Raumer, der berühmte Geſchichtſchreiber der Hohen¬ ſtaufen. Wie geiſtreich und unterhaltend und dabei doch ſo einfach, beſcheiden und gemüthlich plauderte er mit dem jungen luſtigen Volk! Auch die ernſte, ſinnige Dorothea wurde heiterer, theilnehmender, wenn Raumer bei ihnen weilte.

Tieck, von der Gicht immer mehr zuſammengekrümmt, verließ ſeine traute Dichterburg ſelten. Nur wenn er405 als Dramaturg ſeit 1825 nahm er dieſe Stellung bei der Dresdener Bühne ein und bezog dafür das be¬ ſcheidene Gehalt von 800 Thalern im Theater Proben oder Vorſtellungen beiwohnen mußte, oder wenn er zum Vorleſen nach Hofe berufen war, ſtieg er mühſam die Treppen hinab und ließ ſich in einer Portechaiſe an ſein Ziel tragen, Geſellſchaften beſuchte er nie mehr, außer zweimal im Jahre bei dem Intendanten, Herrn von Lüttichau, deſſen Frau für den alten Romantiker ſchwärmte. Auch Beſuche machte er nie, empfing ſie aber um ſo häufiger und lieber. Nur ſeine Bücherleidenſchaft ließ ihn oft die Gicht vergeſſen und auch das mäßige Budget eines deutſchen Dichters. Hörte er, daß irgend¬ wo ein ſeltenes Buch, beſonders eine uralte Shakeſpeare - Ausgabe zu kaufen ſei, dann ließ er Beſuche, Arbeiten, Theaterproben Alles im Stich, eilte mit jugendlicher Lebhaftigkeit die Treppe hinab, verſprach den Porte¬ chaiſenträgern ein Extratrinkgeld, wenn ſie raſch aus¬ ſchritten, und zahlte mit der ihm eigenen Sorgloſigkeit in Geldſachen, was ihm für das geliebte Buch abverlangt wurde. Triumphirend brachte er den Schatz nach Hauſe, und wenn die Hofräthin über den hohen Preis ſeufzte, konnte er ihr wie ein Kind ſchmeicheln, und nicht müde werden, uns Allen auseinanderzuſetzen, daß für dies Spottgeld das koſtbare einzige Buch ja faſt geſchenkt ſei. Und die Gräfin ſtrahlte mit dem ſtrahlenden Freunde um die Wette, und hatte immer noch ein Kapitälchen aufzunehmen, das durch den Bücherkauf406 geriſſene große Loch im Hausbudget heimlich wieder zuzuſtopfen.

Tieck verſtand es überhaupt, wie kein anderer Sterblicher, des Lebens Sorgen leicht abzuſchütteln, alle Schattenſeiten roſig zu beleuchten, Schmerzliches möglichſt wenig tief zu empfinden und ſich und Anderen einzureden: » o, es hätte noch viel ſchlimmer kommen können! Was man nicht ändern kann, darüber muß man auch nicht klagen! « war einer von den Lieblingsſprüchen ſeiner Lebensweisheit. So fürchte ich auch, hat er nie ernſtlich, ſchmerzlich über irgend ein Unrecht nachgedacht, das er in ſeiner leicht reizbaren, gekränkten Eigenliebe leider ſo oft Anderen zufügte, und ſich nie reuevoll ge¬ ſagt: » Du irrteſt, du ließeſt dich fortreißen mache es wieder gut! « Ich habe nie wieder einen Menſchen gefunden, der ſo aufrichtig mit ſich zufrieden war, und ſelbſt in ſeinem gebrechlichen Alter behauptete: er fühle ſich ſo aufrichtig, ſo ungetrübt glücklich, wie in ſeiner blühendſten Jugend. Altwerden ſei überhaupt ein Vorurtheil. Das Herz könne ſtets mit jugendlicher Friſche empfinden, und vor den Augen der wahren Liebe gäbe es weder Runzeln noch graue Haare

Und ich ſollte den Beweis erhalten, daß Tieck und der Schatten ſeiner Gefühle, das Echo ſeiner Worte: die Gräfin Finkenſtein, in allem Ernſt ſo dachten und handelten.

Es war an einem herrlichen Mainachmittage. Tieck wollte eine neue Rolle mit mir durchgehen, und ich ging407 in die Zauberburg am Altmarkt und überreichte dem alten Romantiker einen Strauß Lilas mit Maiblumen. Solche kleinen Aufmerkſamkeiten erfreuten ihn ſtets ſehr. Er war in heiterſter Laune und lobte mein blühendes Ausſehen, fand meine neue Frühlingstoilette von hell¬ grüner Mouſſeline mit weißem, maiblumengeſchmückten Baſthute ſehr hübſch und kleidſam und lächelte: » Sie mögen auch oft in den Spiegel geguckt haben, über¬ müthiges Weltkind! « was ich gar nicht verneinte. Dann gingen wir an die Arbeit. Ich rezitirte meine Rolle, als plötzlich während meiner pathetiſchſten Stelle die Bibliothekthür mir gegenüber ſich öffnete und eine lange, hagere Geſtalt im weißen Percal Ueberrocke mit roſa Gürtel und weißem Tüllhäubchen mit zierlichen roſa Schleifen gleich einer verſchollenen Ahnfrau herein¬ ſchwebte Mir ſtockte die Rede, als ich die alte, faſt ſiebenzigjährige Gräfin Finkenſtein ſo geſchmückt ſah. Sie grüßte zierlich und durchſchritt den kleinen Raum bis zu der Saalthür auffallend langſam, in der Thür ſchaute ſie ſich noch einmal um und nickte dem geliebten Freunde kokett lächelnd zu, als wollte ſie ſagen: » Nicht wahr, ſo gefalle ich Dir doch? « Tieck nickte ihr mit zärtlichem, wohlgefälligen Lächeln wieder zu und ſagte nach dem Verſchwinden der Ahnfrau: » Nun, iſt die Gräfin nicht noch höchſt anmuthig? Die Gute hat ſich ſchön herausgeputzt, um mit nur heute Abend Mozart's herrliche Zauberflöte zu hören! « Zum erſten Mal fehlte meiner flinken Zunge eine Antwort. 408Ich ſtarrte Tieck an, als traute ich meinen Ohren nicht. Mich hatte dieſe Schattengeſtalt in dem engen, altmo¬ diſchen weißen Ueberrock, der kokette roſa Gürtel, dies kleine vertrocknete Mumiengeſicht zwiſchen den roſigen Bändern förmlich entſetzt und er, der Dichter, fand dieſe Karrikatur auf die Jugend » höchſt anmuthig « und ſaß doch mir jungem, friſchroſigen Geſchöpf gegenüber.

Und es war Tieck voller Ernſt mit dieſem Wort, wie auch der Gräfin mit ihrem Flügelkleide. Dieſe beiden ſeltſamen Menſchen hatten wirklich nicht gemerkt, daß ſie alt und altmodiſch geworden waren. Sie be¬ merkten auch nicht, daß als ſie Abends neben ein¬ ander auf ihren gewohnten Plätzen im zweiten Range ſaßen: die Gräfin, wie eine aufgeputzte Mumie, ihr alter Freund zuſammengekrümmt von der Gicht, und in heiterſter Laune mit einander plauderten und lachten und oft mit den Köpfen den Takt der Muſik nickten ja, daß ſie allgemeine Aufmerkſamkeit erregten, daß man über das wunderliche Paar lachte und ſpöttelte.

Mir that das weh, denn dieſe Jugendtraumſeligkeit der alten Freunde hatte etwas Rührendes für mich.

Die Gräfin aber hatte auch ihre trüben Stunden voll Heimweh nach entſchwundenen Jugendtagen und auch wohl voll Selbſterkenntniß über ihre eigenthümliche ſchiefe Stellung neben des Dichters Gattin. Vor dem Freunde verbarg ſie dieſe dunklen Stunden ſorgfältig. Als ich aber einſt in eine ſolche Stunde hineinlauſchen409 durfte, empfand ich inniges Mitgefühl mit der alten Dichterfreundin.

Ich kam eines Tages, bald nach jener Aufführung der Zauberflöte, zu ungewohnter Stunde in Tieck's Wohnung. Die alte Dienerin ſagte mir, daß Nie¬ mand außer der Gräfin zu Hauſe ſei. Zugleich hörte ich aus dem Zimmer der Gräfin ein altes, harfenartig klingendes Spinett und dazu eine traurige, zarte, zitternde Sopranſtimme nach einer alten, wehmüthigen italieniſchen Kirchenmelodie leiſe ſingen:

Lacrimosa,
Dum pendebat filius

Schluchzen unterbrach den Geſang oft und beim Weiter¬ ſingen klang die Stimme thränenverſchleiert.

Die alte Dienerin erzählte mir: » Der Herr Hofrath hat's auch nicht gern, wenn die Gräfin ſingt, da ſie immer dabei an ihre frohen Mädchentage und an viele todte Lieben denken und ſo ſchmerzlich weinen muß. Doch wenn ſie allein zu Hauſe iſt und ſich unbelauſcht glaubt, eilt ſie an's Klavier und ſpielt und ſingt die alten Stücke, die ſie vor vielen Jahren im Hauſe ihres Vaters geſungen hat und weint ſtill vor ſich hin «

Der Schlußakkord verhallte langſam, leiſe, gar zu traurig. Dann hörte ich unterdrücktes Schluchzen Ich bat die Dienerin, der Gräfin nicht zu ſagen, daß ich ihrem Geſange zugehört habe und eilte tiefergriffen fort.

Arme Gräfin! welches Weh mag oft Dein Herz durchzittert haben ein Weh, um ſo tiefer und ſchmerz¬410 licher, weil Du es vor der Welt und ſelbſt vor Deinem geliebteſten Freunde verbergen mußteſt!

Die Gräfin ſtammte aus einer vornehmen, hochge¬ bildeten Familie. Ihr Vater liebte und übte beſonders alte italieniſche Kirchenmuſik. Seine Söhne und Töchter wirkten bei dieſen von ihm dirigirten Hausaufführungen mit. Unſere Gräfin ſang mit ſüßer Stimme und großem muſikaliſchem Verſtändniß hohe Sopranpartien und was ich hörte, waren die wehmüthigen Nachklänge dieſer glücklichen Mädchenjahre.

Als Politiker rühmte ſich Tieck gern, ein einge¬ fleiſchter Konſervativer zu ſein, ja oft nannte er ſich lachend: » un rétrogade par excellence! « Aber eigentlich war er gar kein Politiker, und die Strömun¬ gen der Zeit, die franzöſiſche Revolution, die Demago¬ genhetze, ja ſelbſt die Freiheitskriege waren ziemlich ſpur¬ los an dem » Romantiker « vorübergegangen. Wurde von den neuen Bewegungen in Berlin beim Beginn der Re¬ gierung Friedrich Wilhelm's IV. geſprochen, ſo ſagte er wohl herablaſſend: » War es nicht auch zu meiner Zeit ſchon ganz gut in Berlin, in der Welt? Was will denn eigentlich der ſogenannte Fortſchritt? Wir lebten früher auch ohne ihn zufrieden, glücklich! « worauf ihm einſt Dr. Witthauer aus Wien lachend antwortete: » Ihre Welt, Herr Hofrath, war freilich herrlich, vollkommen, denn Sie fanden dieſe im Theater, wenn Fleck und Friederike Bethmann ſpielten! « und vergnügt nickte Tieck dazu. Wurde Napoleons Feldherrntalent ge¬411 rühmt, ſo ſagte er achſelzuckend: » Dem tollen Menſchen iſt Vieles geglückt! « Suchte man ihm aus den Blättern der Geſchichte irgend ein Gegentheil zu beweiſen, ſo lehnte er es vornehm ab: » Spätere Geſchichtſchreiber werden es richtiger zu beurtheilen verſtehen! « Trieben ihn Raumer, Steffens, Humboldt aber dennoch gar zu ſehr in eine politiſche Sackgaſſe hinein und er vermochte ſich nicht anders zu retten, ſo wußte er eine ſo ſprechende Miene der Langenweile und Zerſtreutheit anzunehmen, daß die Freunde gern auf Fortſetzung des politiſchen Turniers verzichteten.

Für junge, feurige Dichter unſerer Zeit hatte der alte Romantiker kein Herz, kein Verſtändniß und keine freundlich führende und helfende Hand. Er wurzelte zu tief in einer ſtrahlenden Vergangenheit, in ſeinen Träumen und Vorurtheilen und in dem Bewußtſein ſeiner eigenen Unfehlbarkeit und Größe. Er ſchien total vergeſſen zu haben, daß er einſt den » geſtiefelten Kater « geſchrieben.

Verſuchten wahre Freunde, ihn auf ſtrenge, aber gerechte Kritiken und ſo auf leicht zu beſeitigende Mängel in ſeinen Werken oder in ſeiner dramaturgiſchen Thätig¬ keit aufmerkſam zu machen, ſo antwortete er ſicher mit überlegenem ironiſchen Lächeln und einer vornehm ab¬ lehnenden Handbewegung: » Beſter Freund, wozu erzählen Sie mir ſolche Geſchichten? «

Beſonders die gute Dorothea, die den Vater ſo ſehr liebte und ſchon ſeit vielen Jahren ſeine Studien und Arbeiten treu theilte, hatte ein tiefes, ſchmerzliches412 Verſtändniß für ſolche Eitelkeitsſchwächen und verſuchte oft, aber faſt immer vergebens, dem Vater die Sache im wahren Lichte zu zeigen. Sie hatte dann ſtets einen harten Stand mit der Gräfin Finkenſtein, die völlig blind war für die Schwächen ihres Idols und nach ſolch 'einer kleinen häuslichen Szene ſich doppelt bemühte, ihren gekränkten Abgott mit ihren ſüßeſten Schmeicheleien zu umſpinnen und einzulullen Und das hat ihr das nie ſchwer gemacht!

Der Vergangenheit, wie ſie ſich im Laufe der Jahre in ſeinen Träumen und in ſeinem Urtheile geſtaltet hatte, blieb Tieck unwandelbar treu, der Gegenwart ſelten. Sein Urtheil über Fleck und Friederike Bethmann lautete noch ebenſo enthuſiaſtiſch, wie vor dreißig Jahren. Wir Künſtler der Gegenwart aber ſollten den Wankelmuth und die Parteilichkeit des alten Dresdener Dramaturgen erfahren Alle, denn ich wüßte nicht eine einzige Aus¬ nahme zu nennen.

Wurde ein Stück, welches er vorgeſchlagen hatte, trotz des oft einſtimmig ausgeſprochenen Zweifels ſämmt¬ licher erſten Schauſpieler an deſſen Bühnenwirkſamkeit, aufgeführt und fiel entſchieden durch ſo zuckte der Dramaturg ſtets mitleidig die Achſel: » Allerdings hab 'ich mich geirrt, ich traute unſern Schauſpielern mehr Talent zu Mein Fleck und meine Bethmann hätten in dem Stück glänzende Triumphe gefeiert und für die Dichtung erzielt «

Das that weh, das verſtimmte, erkältete, entfrem¬413 dete Das ſollte auch ich im Wechſel der Jahre und der Launen Ludwig Tieck's erfahren.

Wie manches Mal bin ich nach der erſten Aufführung eines ſolchen Unglücksſtückes klopfenden Herzens die düſtere Treppe zu meinem Richter hinaufgeſtiegen und habe die Runzeln ſeines alten weiblichen Faktotums ſtudirt, denn treuer als ein Wetterglas ſpiegelten ſie ab, ob mich drinnen in der Bibliothek Regen oder Sonnenſchein oder gar Donnerwetter erwartete.

Tieck liebte die Stücke der Birch-Pfeiffer nicht. Aber ſie ſtanden damals in der höchſten Blüthe der Gunſt beim Publikum und wir Schauſpieler ließen uns die dankbaren, oft glänzenden Rollen gern gefallen.

So mußte der Dramaturg 1837 den Wünſchen des Publikums, des Intendanten und auch der erſten Schau¬ ſpieler nachgeben und dem Schauſpiel » Guttenberg « einen Platz auf der Dresdener Hofbühne gönnen aber er prophezeite uns ein glänzendes Fiasko. Doch der Guttenberg wurde mit rauſchendem Beifall vor aus¬ verkauftem Hauſe gegeben und ich in der dankbaren Rolle des » Käthchen « nach dem dritten Akte gerufen, was da¬ mals noch als eine Auszeichnung angeſehen werden durfte.

Ein wenig triumphirend trat ich am andern Morgen in die Bibliothek vor den Dramaturgen. Er war beſter Laune und rief mir ſchnell entgegen: » Nur nicht zu ſtolz, daß Sie diesmal mit dem Erfolge der Birch-Pfeifferiade Recht hatten, denn Sie ſollten doch wiſſen, daß der Beifall des Publikums nie maßgebend für mich iſt «414 Und wie bitter vermißte gerade Tieck dieſen Beifall, wenn er gegen ſeine Erwartung und Prophezeiung mal ausblieb! » Auch glauben Sie wohl beſonders Großes als Käthchen geleiſtet zu haben, weil Sie ſogar im Zwiſchenakt gerufen wurden? «

» Denk 'nicht d'ran «, lachte ich heiter » denn als Käthchen muß jede nur einigermaßen hübſche und gewandte Anfängerin Triumphe feiern: ihrer Opferfreudig¬ keit für Guttenberg kann kein hochgerührtes, thränen¬ reiches Publikum widerſtehen «

» Laſſen Sie das unſere guten Dresdener nicht hören «, lächelte Tieck freundlich verſöhnt. Ernſter fuhr er fort: » Aber Sie werden mich verſtehen, daß mich bei dieſem raſenden Beifallsjubel über ſolch 'ein Machwerk tiefe Entmuthigung und Wehmuth ergreifen mußte, als ich daran dachte, daß kaum acht Tage vorher in den¬ ſelben halbleeren Räumen während der Muſtervorſtellung von Kleiſt's gewaltigem » Prinzen von Homburg « keine Hand ſich rührte, kein Laut des Beifalls, der Erſchütte¬ rung, der Rührung ertönte Und doch, wie großartig gab Emil Devrient den Prinzen, wie trefflich der alte Verdy den Kottwitz, wie edel Weimar den Kurfürſten, und Sie «

» Bravo! Nicht wahr, eine recht anmuthige Natalie, die überdies das Glück gehabt hatte, daß Dresdens be¬ rühmter Dramaturg die Rolle mit ihr durchging! «

» Meinen Sie, liebe Eitelkeit? « lächelte der Alte jetzt immer freundlicher. » Nun ja, die Schülerin hat415 dem alten Dramaturgen große Ehre gemacht als Natalie. Aber Kind, wo gerathen wir und die Kunſt hin, wenn Kleiſt's Meiſterwerk kalt, gleichgültig läßt, langweilt und gehaltloſe, effekthaſcherige Stücke wie » Guttenberg « Furore erregen? «

» Aber die Birch-Pfeiffer ſchreibt uns Komödianten gar prächtige Rollen, elle est du metier, Madame l'artiste und Sie werden ſehen, daß auch die » Günſt¬ linge « glänzend reuſſiren «

» Das will ich zur Ehre unſeres Dresdener Publi¬ kums nicht hoffen! Denken Sie doch nur an dieſen er¬ bärmlichen modernen Jaſon Mamanoff und an dieſe tolle Katharina II., welche die Stirn hat zu ſagen: meine erſte, einzige Liebe war Rußland «

» Und mich verdammen Sie, dieſe tolle Czarin zu ſpielen? Nein, meine erſte, einzige Liebe iſt nicht Rußland. Aber im Ernſt, Herr Hofrath, bitte, entbinden Sie mich von der Rolle der Kaiſerin. Mir fehlen wirklich die Bühnenmittel, im vierten Akt als weiblicher Dämon über die Bretter zu raſen. Was hilft da alle innere Leidenſchaft, wenn Stimme und ſelbſt das Mienenſpiel mich im Stich laſſen! «

» Der Intendant wünſcht aber von Ihnen die Katha¬ rina geſpielt, und ich muß ihm Recht geben, daß die erſten Akte wichtiger ſind, und daß Sie für dieſelben Alles beſitzen: Anſtand, Feinheit, Eleganz des Konver¬ ſationstons, Mobilität und Intrigue für die ſpannende Billetſzene mit Potemkin «

416

» Ah! wie freundlich zergliedert da der Herr Drama¬ turg ſelber die Kunſt der Birch-Pfeifferin, feſſelnde und ſpannende Rollen zu ſchreiben! « lachte ich übermüthig. Da trat der Intendant ein, Herr von Lüttichau. Ich wollte gehen, aber er bat mich, zu bleiben. Er komme wegen der Aufführung des » Glöckners von Notre-Dame « und ob ich auf ſeinen Wunſch die Rolle der Esmeralda geleſen habe und die Partie übernehmen wolle?

» Und der Herr Hofrath iſt mit der Aufführung dieſer neuen Birch-Pfeifferiade einverſtanden? « paro¬ dirte ich ein wenig.

» O ja «, ſagte Tieck kleinlaut » ich finde den Glöckner hoch über Guttenberg und den Günſtlingen ſtehend und das Sujet großartig, intereſſant. Viktor Hugo's Genie durchſtrahlt, erhebt, durchgeiſtigt die Theatermache von Madame l'Artiſte. Die Feder der Birch-Pfeifferin hat den großen Romantiker an der Seine wirklich nicht ganz umzubringen vermocht und das genügt. «

» Aber wird das große melodramatiſche Stück nicht in dem kleinen Rahmen unſerer Bühne eher lächerlich, als erſchütternd wirken, da der grauſige Roman zu be¬ kannt iſt? Denken Sie nur an das Davonlaufen mit dem Geldſack auf unſerer winzigen Bühne! Und dann, wie kann ich noch als fünfzehnjähriger Backfiſch über die Bretter hüpfen? Ganz Dresden weiß, daß mein Vater in der Schlacht von Aspern fiel, und kann mir ſo be¬ quem meine Jahre an den Fingern nachzählen! «

417

» Und doch ſind die pathetiſchen Szenen der Esme¬ ralda einer gereiften erſten Liebhaberin würdig. Die kann kein Neuling ſpielen! « ſagte Tieck entſchieden und ſo ſtudirte ich ſchweren Herzens im Eckhauſe des Altmarktes die Esmeralda ein. Der alte Dramaturg hatte einmal für den » Glöckner « Partei ergriffen, ging mit allen Hauptperſonen die Rollen durch, wohnte den Proben pünktlich bei und hatte wunderbarer Weiſe mit ſeinem Enthuſiasmus die Kollegen angeſteckt. Pauli ſchwärmte für Quaſimodo, Weimar deklamirte enthu¬ ſiaſtiſch den Frollo, Mlle. Feldheim jammerte und fluchte als Gervaiſe aus ihrem Kerkerloch zum Steinerbarmen herauf. Die Volksſzenen wurden ſorgfältig eingeübt, glänzende neue Dekorationen und charakteriſtiſche Koſtüme angeſchafft Kurz, der Glöckner wurde auf's Beſte in Scene geſetzt.

An einem Sonntage, bei brechend vollem Hauſe, fand die erſte einzige Vorſtellung des » Glöckner von Notre-Dame « ſtatt. Zu Anfang machte ſich die Geſchichte ganz hübſch, mein Tanz wurde mit Beifall aufgenommen aber gleich darauf, als die unglückſelige Gervaiſe aus ihrem Mauſeloch von Kerker zu jammern, ſtöhnen, fluchen anfängt und ihre wilden Verwünſchungen in's Lampen¬ licht hinauf ſchleudert da begann unſere hochnoth¬ peinliche Tortur man lachte! Und ſo ging es cres¬ cendo fort bis zum Schluß. Die berühmte Gruppe, als Esmeralda Quaſimodo den Krug reicht, erweckte Heiterkeit wegen Pauli's vorgeſchriebener gräßlicher Maske:Erinnerungen ꝛc. 27418ein Auge und zwei Höcker; Frollo's Lamentiren in der Kerkerſzene wurde ausgelacht, und dem Haupteffekt, dem Rufe Quaſimodo's: » Aſyl! Aſyl! « antwortete als Echo Lachen aus dem Zuſchauerraum. Der arme Pauli hatte Unglück. In den Proben trug er ſeine Esmeralda ſo ſtattlich vom Scheiterhaufen in's » Aſyl « auf die Stufen von Notre-Dame. Bei der Vorſtellung aber hemmte ihn das enge Quaſimodokoſtüm und die Angſt, die beiden Höcker möchten ſich bewegen oder gar verſchieben, und er ließ mich nach drei Schritten aus den Armen gleiten. Da mußte allerdings das Aſylrufen komiſch wirken.

Nach dem Aktſchluß klagten wir uns gegenſeitig unſere Noth, unſere tiefe Beſchämung, unſere Muth¬ loſigkeit, weiter zu ſpielen. Die arme Gervaiſe weinte vor Angſt: was noch kommen könne! Ich fing in meiner Verzweiflung ein wenig Krakehl mit Phöbus (Herr Stölzel) an, weil er ſo phlegmatiſch drein ſchaute, als ginge die Heiterkeit des lieben Publikums ihn nicht das Geringſte an. Vergebens ſchaute ich mich nach dem alten Dramaturgen und dem Intendanten um. Es hätte mir unendlich wohl gethan, ihnen in dieſer Stimmung in's Geſicht zu ſagen: » Nun, wie gefällt Ihnen die Heiterkeit des Hauſes? Ja, ja, der Glöckner von Notre-Dame hat eine glänzende Wirkung « Aber Hr. v. Lüttichau und Tieck waren vom Theaterboden wie weggeweht.

Wir unglücklichen Komödianten verabredeten, dem Schluß ein wenig entgegen zu galoppiren, und ſprachen ſo ſchnell wie nur irgend möglich. Das Erkennen der419 Mutter ging ſpurlos vorüber und vor dem Fallen des Vorhanges erregte das Fortſchleppen des großen Geld¬ ſackes über die kleine Bühne die ungeheuerſte Heiterkeit des lieben Publikums.

Am andern Morgen fand ich Tieck wie verlegen in ſeiner Bibliothek. Er begann ein gleichgültiges Geſpräch und ſchien Erörterungen über den unglückſeligen Glöckner ausweichen zu wollen. Aber herzhaft ſagte ich: » Nicht wahr, Herr Hofrath, unſer Spiel war am geſtrigen Fiasko nicht ſchuld? «

Da zuckte er auf: » Doch! doch! Sie ſowie alle Anderen ſpielten nicht kühn, nicht großartig romantiſch genug. Niemand verſtand es, das Publikum zu packen, zu überwältigen «

» Herr Hofrath! « rief ich aufflammend, außer mir: » Nicht uns Schauſpieler hat das Publikum aus¬ gelacht, ſondern das jammervolle, lächerliche Stück. Aber Sie Sie ſind ungerecht Und Sie wiſſen, daß ich mit Uebernahme der Esmeralda ein Opfer brachte, um Ihrem und des Intendanten Wunſch zu entſprechen und dies iſt mein Dank! « Ich brach in Thränen aus.

Dorothea war in die Bibliothek getreten. Sie nahm mich in den Arm, zog mir ſanft die Hände von den Augen und ſagte herzlich: » Sehen Sie doch nur den Vater an er hat Sie ja ſo lieb « Und richtig, Tieck lächelte mich gütig an: » Bravo, Kind! Wie das echte Komödiantenblut aufſchäumt! Die Esmeralda ſpielt27 *420noch nach. So lieb 'ich meine Komödianten. Aber nun Frieden, Brauſeköpfchen «

Ja, wenn Tieck ſolche Töne anſchlug, dann war er unwiderſtehlich.

Aber ſie wurden immer ſeltener, als ich nicht immer und immer wieder gegen meine Ueberzeugung ihm ſolche Esmeralda-Opfer bringen wollte, um meiner Selbſtachtung als Künſtlerin willen nicht bringen durfte.

Das größte Opfer brachte ich dem alten Drama¬ turgen, als ich auf ſeinen immer wiederkehrenden drin¬ genden Wunſch die Lady Macbeth zu ſpielen übernahm ich, mit meinem Luſtſpielgeſicht, mit meiner fröh¬ lichen Stimme, mit meinem Konverſationston die ent¬ ſetzliche blutige Lady Macbeth!

» Pah! nichts leichter, als dem abzuhelfen! « ſagte Tieck leichthin. » Die Stimme, die Töne muß eine echte Komödiantin ganz nach Bedürfniß aus ihrem Innern heraufzaubern können, und was das Luſtſpielgeſicht an¬ belangt, ſo laſſen Sie ſich eine ſchwarze Perrücke machen, färben die Augenbrauen ſchwarz, ſchminken ſich grau¬ weiß und ſparen die Energielinien an den Mundwinkeln und zwiſchen den Augenbrauen nicht «

Da aber erklärte ich feſt: » Nein, Herr Hofrath, als Karrikatur ſoll mich Dresden denn doch nicht ſehen. Ihnen zu Liebe will ich die Rolle übernehmen und an Studium und Fleiß es nicht fehlen laſſen aber ich weiß es nur zu gut: ich habe nicht das Zeug zu einer Lady Macbeth ich falle durch «

421

Und wenn ich auch nicht durchgefallen bin, ſo blieb das Publikum doch bei all' meinem Eifer: Grauen, Ent¬ ſetzen einzuflößen! ziemlich ungerührt. Noch heute freue ich mich über das Urtheil, das der gelehrte Prinz Johann, jetzt Sachſens König, zu Tieck über meine Lady Mac¬ beth äußerte: » Ich erkenne den Studienfleiß der Bauer und ihre tiefe geiſtige Auffaſſung dieſes gräßlichſten Shake¬ ſpeare'ſchen Frauencharakters an, aber man glaubte dieſer Lady Macbeth nicht all' das Furchtbare, Grauſige, Blutige, was ſie ſagte und that! «

Tieck erzählte mir das wieder, fügte aber kühl bis an's Herz hinzu: » Sie haben allerdings meinen Erwartungen nicht entſprochen und mit einer ſchwarzen Perrücke hätten Sie ganz andere Wirkungen erzielt «

Das glaube ich wohl. Man hätte mich einfach aus¬ gelacht.

Als ich Tieck fragte, warum er nicht den Macbeth nach Schiller's Arrangement aufführen ließe, wie die Berliner Bühne, da ſagte er vornehm: » Der gute Menſch hat ſich zu viel gegen Shakeſpeare herausgenommen! Ich will kein Mitſchuldiger an dieſem Verbrechen Schiller's ſein. «

Tief konnte es Tieck verſtimmen, wenn man der bei ihm bereits in Ungnade Gefallenen in ſeiner Gegenwart rühmend erwähnte, wie: Theodor Hell, Julie Rettich und Emil Devrient. Als ich ihm mein Entzücken darüber ausſprach, in dem von Hell aus dem Franzöſiſchen über¬ ſetzten Stück: » Maria, oder die drei Epochen « die Titel¬422 rolle der Mars, die ich in Paris darin bewundert hatte, nachſpielen zu können, ſagte er grämlich: » Zu meinem Schmerz muß ich ſehen, daß auch Sie nur gefallen und in Effektrollen applaudirt werden wollen die wahre Flamme der Kunſt glüht nicht in ihrer Seele! « Und Tieck kam nicht in dieſe Vorſtellung und ſuchte das Stück überhaupt todtzuſchweigen.

Selbſt ſeine liebſte und begabteſte Schülerin, Julie Rettich, die auf ſeinen Wunſch mit ihrem Gatten von Wien nach Dresden berufen war, konnte der alte Drama¬ turg mit verletzender Gleichgültigkeit wieder nach Wien ziehen ſehen, als die Künſtlerin ihm ſelbſtſtändiger ent¬ gegentrat, unpaſſende Rollen zurückwies und nicht mehr regelmäßig vor ſeinem Leſepulte ſaß. Kalt konnte er ſagen: » Julie Rettich iſt nicht mehr das einfach edle Talent, wie vor ihrem Wiener Engagement. Sie hat ſich zu ſehr nach dem Geſchmack des Wiener Publikums gerichtet und trägt die Farben zu ſtark auf. Ich habe mich in ihr geirrt! « Und doch war die holde Künſt¬ lerin als Julie Gley jahrelang Tieck's Liebling und lebte mit der Familie wie ein Kind vom Hauſe.

Emil Devrient, der herrliche Hamlet, Egmont, Poſa, Taſſo, gehörte auch ſchon zu den bei Tieck in Un¬ gnade Gefallenen, als ich nach Dresden kam. In den erſten Jahren ſeiner langjährigen Bühnenthätigkeit am Dresdener Hoftheater, als der junge Emil noch pflicht¬ ſchuldigſt bei keiner Vorleſung Tieck's fehlte und neue Rollen unter den Augen und Lippen des alten Drama¬423 turgen einſtudirte, war Emil Devrient in Tieck's Augen und Munde der größte Mime ſeiner Zeit. Als aber Devrient des Gängelbandes und der ewigen, hundertmal gehörten Vorleſungen müde und immer müder wurde und immer ſeltener als Schüler und als Gaſt das Eck¬ haus am Altmarkte beſuchte, als er dem alten Drama¬ turgen mehr und mehr als ſelbſtſtändig denkender, ſchaffen¬ der, handelnder Künſtler gegenübertrat da ward Tieck kühler und kühler und ſuchte auch Emil Devrient todt¬ zuſchweigen. Daß ihm das in den Augen des Publikums und in den Augen aller echten Kunſtfreunde und Künſtler nicht gelang, verſtimmte, erkältete, reizte Tieck nur noch mehr. Er hielt ſich ſogar nicht frei von Chi¬ kanen. Er ſtudirte einem jungen, unreifen Anfänger eine von Devrient's liebenswürdigſten Charakterrollen ein, den » Landwirth « in dem gleichnamigen Stücke der Prinzeſſin Amalie von Sachſen, nur um den alten Landwirth zu kränken. Aber mit ſolchen kleinlichen Chikanen hatte Tieck ſelten Glück, auch diesmal nicht. Das Publikum lehnte den jungen Landwirth entſchieden ab und forderte ſeinen alten, lieben, köſtlichen Landwirth Devrient ſtür¬ miſch zurück. In meiner Gegenwart ſprach Tieck den Namen Emil Devrient ſelten aus, weder tadelnd, noch lobend. Er wußte, daß ich eine der enthuſiaſtiſchſten Bewunderinnen von Devrient's Genialität und Liebens¬ würdigkeit war und ſtets eine Lanze für ihn bereit hatte. Nur zuweilen ging das alte, echte, kunſtſchwärmende Komödiantenherz mit Tieck durch und überwand kühn424 alle häßlichen Hinderniſſe der verletzten Eigenliebe. Dann konnte er auch gerecht gegen den » Abtrünnigen « ſein.

So iſt mir eine kleine Unterredung mit Tieck unver¬ geßlich. Ich hatte zum erſten Mal den » Konradin « ge¬ ſpielt und war auch recht mit mir zufrieden. Als ich dann aber am andern Morgen zum alten Dramaturgen kam, um mir ſeinen Urtheilsſpruch zu holen, empfing er mich mit den Worten: » Sie haben ſich alle Mühe ge¬ geben, Gutes zu leiſten, und das Meiſte gelang Ihnen auch vortrefflich aber, Kind, wann werden Sie dem Devrient ſein » Beherrſchen der Szene, ablauſchen? Dieſe edle Sicherheit, das durch und durch Fertige, Vollendete ſeines Spiels? Ja, auch geſtern überſtrahlte er in der kleinen Nebenrolle des Schwiegerſohnes vom Herzog von Anjou Alle Alle, ſelbſt den lieblichen Konradin. «

Als aber ich einſt in einer böſen Stunde Tieck's meiner Bewunderung für Emil Devrient's Künſtlerſchaft feurige Worte lieh und anfangs nicht bemerkte, daß der Dramaturg immer einſylbiger, kühler, verſtimmter wurde, da ſahen mich ſeine großen, ſprechenden Augen zuletzt ſchier wie die des Blaubart an und er ſagte kopfſchüttelnd: » So werden auch Sie bald treulos werden «

» Ich treulos? und gegen Sie? « fiel ich er¬ ſchrocken ein. » Darf ich denn nicht das Verdienſt Anderer anerkennen? «

Aber es traten doch immer tiefere Schatten zwiſchen uns. Ich war kein Kind mehr auf der Bühne und im425 Leben. Ich konnte, ich wollte, ich durfte mich nicht immer und immer wieder den Launen des Dramaturgen opfern. Die Mutter war bei all' den Heinrichen, Richards und Spaniern zuletzt ſo nervös geworden, daß ich ſie nach einigen Jahren auch nicht mehr zu kleinen Luſtſpielen auf den Opferſtuhl vor Tieck's Leſepult führen durfte. Ich ſelber war verſchiedene Male von den grünbeſchirmten geheimen Polizeiaugen der Gräfin Finkenſtein bei einem Gähnkampf auf Leben und Tod gegen einen nicht umzu¬ bringenden ſpaniſchen Don ertappt worden. Ja ich muß es geſtehen ich benützte im Kreislauf der Jahre und der wiederkehrenden Vorleſungen immer öfter und lieber Gelegenheiten, dem Leſepult hinter die Schule zu gehen, ſo daß ich manche Woche nur einmal als getreue Zuhörerin notirt werden konnte. Im Eckhauſe des Alt¬ marktes ging die Gnadenſonne täglich trüber für mich nieder. Tieck wurde kühler, einſylbiger, die Gräfin ge¬ reizter, kampfluſtiger. Und dann tauchte eines Tages in Dresden ein junges Mädchen aus Graz auf und Herr v. Lüttichau, Tieck, die Gräfin Finkenſtein und die Zahl ihrer Nachbeter wurden nicht müde, täglich zu Ehren dieſes jungen, glänzenden Schauſpieltalentes lauter in die Lobpoſaunen zu blaſen um mir bange zu machen, die Debütantin würde mich verdunkeln. Tieck ſtudirte ihr eifrig meine liebſten Rollen ein. Schon ſprach man von dem » neuen Liebling « des Dramaturgen und daß der alte nun endlich auch in Ungnade gefallen ſei. Und dann trat die Grazerin auf und fiel mit Glanz durch. 426Sie ſprach nicht mal richtig deutſch. Dieſer geſcheiterte Plan, mir wehe zu thun und mich in der Gunſt der Dresdener zu verdrängen, verſtimmte den launiſchen Tieck nur noch tiefer gegen mich. Er, der ſich ſonſt immer gefreut hatte, wenn meine Fröhlichkeit etwas Sonnen¬ ſchein in ſein melancholiſches Studirſtübchen brachte, ließ ſich ſogar bei meinen Beſuchen einige Male verleugnen. Da kam ich dann nicht wieder. Und ſo wurden die Schatten zwiſchen uns dunkler und dichter und länger. Zu einer Szene, zu einem Ausſprechen iſt es nie zwiſchen uns gekommen, auch nie zu einem offenen, ehrlichen Bruch. Ich gehörte einfach zu den vielen, vielen » in Ungnade Gefallenen «, von denen mir der alte, liebens¬ würdige Böttiger ſchon bei meinem Gaſtſpiel in Dresden geſagt hatte. Aber mir hat im Leben ſelten etwas ſo weh gethan, wie dieſe Ungnade meines trotz all' ſeiner Schwächen und Launen doch bis auf den heutigen Tag hochverehrten, geliebten Ludwig Tieck.

Ob dieſe Schatten, dies kühle, fremde Auseinander¬ gehen dem alten Dramaturgen auch wohl ein wenig wehe thaten?

Ich glaube es kaum. Ich fürchte, Ludwig Tieck iſt nie wahrer, uneigennütziger, ſelbſtloſer Freundſchaft und Liebe fähig geweſen.

Als er 1837 ſeine Gattin, ſeine erſte Knabenliebe und langjährige treue, milde Gefährtin, verloren hatte und ich einen Kranz auf den Sarg legte und mit Thränen ni den Augen von ſeinem, von unſerem großen Verluſte427 ſprach da ſah Tieck wohl bläſſer, ernſter als ſonſt aus, aber er antwortete mir mit größter Ruhe: » Ihr Uebel war nicht zu heilen. Sie hat viel gelitten und iſt gern geſtorben. Das beruhigt mich! «

Aber dies ſelbſtſüchtige Herz ſollte bald noch ſchmerz¬ licher auf die Probe geſtellt werden. Im Frühjahr 1841 ſtarb plötzlich nach kurzem Krankenlager am Nervenfieber ſeine älteſte Tochter Dorothea, die ihm zugleich die treueſte Freundin im Leben, die berufenſte Gehülfin in ſeinen Arbeiten geweſen war. Mit ihr ſank ein tiefinnerliches, reiches Leben in's Grab. Sie hatte nur für den Vater und ſeine Kunſtſchöpfungen gelebt. Mit ſeinem Ver¬ ſtändniß und treuem Fleiß lieferte ſie dem Vater für ſeine Herausgabe des alt-engliſchen Theaters und für den Tieck-Schlegel'ſchen Shakeſpeare viele treffliche Ueber¬ ſetzungen. Zugleich war ſie eine tief religiöſe, wahre, offene Natur. Sie litt ſtill unter dem Weihrauchnebel, in den die Gräfin Finkenſtein und andere blinde Verehrer den großen Romantiker fortwährend hüllten und in den der eitle Mann ſich nur zu gern hüllen ließ, bis es ihm ſelber oft nebelhaft vor den ſonſt ſo klaren Augen wurde. Sie durfte es wagen, mit kühler Hand dieſen Nebel zu zertheilen und dem geliebten Vater die Welt und ihre Geſtalten und viele ſeiner eigenen Schwächen im klaren Tageslichte zu zeigen. Dorothea hat den Vater vor mancher Thorheit und Ungerechtigkeit bewahrt. Und doch hatte ſie nur zu oft den Schmerz, den Nebelgeiſt Gräfin Finkenſtein die Uebermacht gewinnen zu ſehen. 428Auch ſie » iſt gern geſtorben «. Eine rührende Szene von ihrem Sterbebette ſchilderte mir Theodor Hell. Ihre junge Schweſter Agnes ſank in der letzten Stunde ſchluch¬ zend an ihrem Bett nieder: » Dorothea, Du darfſt mich nicht verlaſſen, wie ſoll ich ohne Dich leben? « und Dorothea flüſterte ſanft, mit mildem, verklärten Lächeln: » Kind, lerne von mir ſterben! «

Unter dieſem Schlage wollte Tieck doch faſt zuſammen¬ brechen. Daß auch Dorothea gern geſtorben, hat ihn diesmal wenig zu beruhigen vermocht. Er verſchloß ſich in ſeine Bibliothek und wollte Niemanden ſehen. Dort ſaß er ſinnend, ſtumm, thränenlos

Und auch des Lebens Sorgen drohten an ihn heran¬ zu treten. Der Gräfin Vermögen war zerronnen und der alte Romantiker war müde: zu ſchreiben, zu arbeiten, zu erwerben. In dem Eckhauſe am Altmarkt ward es immer ſtiller, düſterer, trauriger. Die Gräfin klagte über ihre Geſundheit und war faſt ganz erblindet. Der Kreis der Verehrer war in den letzten Jahren bedenklich dünn geworden, und vor dem geliebten Leſepulte gab es ſchon mehr leere, als beſetzte Stühle. Auch Agnes dachte an's Scheiden, um einem geliebten Manne als Gattin nach Schleſien zu folgen. Immer ſtiller wurde es um die beiden alten Bewohner der romantiſchen Zauberburg.

Da fiel es wie ein Sonnenſtrahl in die düſteren Schatten des verödeten traurigen Eckhauſes hinein, der Ruf Friedrich Wilhelm IV. von Preußen an den alten Romantiker: mit einem Jahrgehalt von 3000 Thalern429 nach Berlin überzuſiedeln und die Sommermonate im Park von Sansſouci zu verleben und den König durch ſein Talent als Vorleſer zu erfreuen!

Tieck's wahre Freunde in Dresden athmeten auf. Dieſe königliche Gnade war der beſte Balſam für das wunde Herz des Vaters. Und auch der alte Dramaturg ſollte in Berlin noch eine hohe Freude erleben: der König ließ durch ihn die Antigone mit Mendelsſohn's Muſik auf¬ führen! Das war ſeit Jahren ein Lieblingswunſch Tieck's geweſen. Nach Berlin wurde die Antigone auch in Dresden und anderen großen deutſchen Theatern aufgeführt.

Was der alte Dramaturg für Dresden geweſen war, empfanden wir erſt bei ſeinem Scheiden. Dresden hatte mit Tieck einen anziehenden Mittelpunkt für das geiſtige Leben verloren. Die intereſſanten Fremden und die be¬ deutendſten Träger der einheimiſchen Kunſt und Wiſſen¬ ſchaft fanden im Eckhauſe des Altmarktes nicht mehr das lockende Irrlicht, das es ſo hübſch verſtand, die Geiſter im brillanten Farbenſpiel aufeinander platzen zu laſſen. Und Dresdens Bühne hat ſie je eine glänzendere Zeit gehabt, als unter der Herrſchaft Ludwig Tieck's? War dieſer Herrſcher auch oft launenhaft, eigenwillig, ungerecht ſo überwogen doch die belebenden, leuchtenden Strahlen ſeines Genies und ſeiner Liebenswürdigkeit. Und wer herrſchte nach Tieck's Scheiden auf Dresdens Bühne? Zunächſt ein äſthetiſcher Theeklub von zartbeſaiteten, ſogenannten kunſtſinnigen Damen, deren Einfluß der In¬ tendant von Lüttichau ſich nicht zu entziehen vermochte.

430

Mein letztes Geſpräch mit Tieck war ein freundliches, wehmüthiges. Ich kam von meiner Gaſtſpielreiſe aus Wien (1839) zurück und brachte dem Dramaturgen und ſeinen Töchtern die herzlichſten Grüße von Julie Rettich. Ihre Worte waren: » Sagen Sie dem Hofrath, ich würde nie vergeſſen, daß ich einſt ſeine liebſte Schülerin war und ihm die Kunſt der Rede ablauſchen durfte. Ich werde ſtets ſeine dankbare Schülerin bleiben. Umarmen Sie für mich Dorothea. Ich liebe ſie wie eine Schweſter. «

Dorothea weinte. Tieck war tief ergriffen. Fühlte er in dieſem Augenblick, wie ungerecht er gegen dieſe liebſte Schülerin geweſen war? Er ſprach es nicht aus. Er ſagte auch nicht das kleine, freundliche Wort, das mich jetzt noch wieder in dankbarer Verehrung zu ſeinen Füßen zurückgeführt hätte. Wir ſahen uns fortan nur noch auf der Probe.

Aber dennoch, obgleich Tieck mir oft und mit vollem Bewußtſein tief weh gethan hat, habe ich ihm ſtets ein warmes, dankbares Herz bewahrt, und im Jahre 1853, als die Nachricht von ſeinem Tode aus Berlin zu mir in meinen ſtillen Erdenwinkel am Züricher See drang, habe ich ihm Thränen der Erinnerung und der Wehmuth nachgeweint.

Die Gräfin Finkenſtein war wenige Jahre vorher geſtorben, nachdem ſie in Berlin noch eine ſchmerzhafte und gefährliche Augenoperation überſtanden hatte. Man ſagte, ſie habe ſich die Augen blind geweint. Der alte Romantiker ſtand nun ganz einſam da in dem bunt¬431 bewegten Leben ſeiner Vaterſtadt. Im Jahre 1850 bezog er zum letzten Mal ſeine Sommerwohnung im Park von Sansſouci, in der Nähe ſeines königlichen Freundes. Dort beſuchte ihn mein lieber alter Kollege aus Dresdens froher Kunſtzeit, Herr Porth, und ſchrieb mir darüber: » Ich fand unſern alten Dramaturgen noch voll¬ kommen geiſtesfriſch und ſo bezaubernd liebenswürdig, wie in ſeinen beſten Dresdener Stunden. In ſeinen Urtheilen aber war er milder, gerechter geworden. Der ſeltene Mann wird mir trotz aller Schwächen und Eigen¬ heiten unvergeßlich theuer bleiben. So oft ich am Eck¬ hauſe des Altmarkts vorübergehe, erfaßt's mich wie Heimweh nach den dort verlebten ſchönen, frohen, lehr¬ reichen Stunden. Zu den Zeiten des alten Dramaturgen hatte Dresden doch ſeine herrlichſte Kunſtepoche «

Mit wehmüthigem Entzücken und voll Heimweh ſtimme ich bei.

[432]

XII. Das letzte Engagement.

Das zweite alte Haus Dresdens, an das ſich meine liebſten heimatfröhlichſten Lebens - und Kunſterinnerungen knüpfen, iſt ſeit jetzt gerade dreißig Jahren von der Erde verweht. Ging ich vom Eckhauſe des Aktmarktes in die Theaterprobe oder Vorſtellung und wie oft und wie fröhlich habe ich dieſen Weg gemacht! ſo kam ich bald an einen freien Platz am Elbufer der Altſtadt, und hier, links von der Elbbrücke, ſtand das alte » Komödienhaus «. Ich muß wiederholen, es war keine Schönheit, kein glänzender architektoniſcher Schmuck für Dresden; es konnte nicht mal auf ein wenig Heiterkeit und Anmuth Anſpruch machen. Ich wüßte kaum, daß ich jemals ein häßlicheres altes Komödienhaus geſehen hätte. Es ſah von außen aus wie eine unförmliche, grau-grün ange¬ ſchimmelte Rieſenpaſtete, und im Innern, als ob die Mäuſe die Paſtete ausgehöhlt hätten und die Decke würde in der nächſten Minute einſtürzen. Wie dunkel433 es in der Paſtete war, ſah man erſt, wenn die wenigen Lichtchen angezündet waren. Aber wie ſpielte es ſich in dieſem kleinen, engen, ſchmuckloſen Hauſe! So traulich, ſo natürlich, ſo ungeſchminkt! Wir waren da mit dem ungeputzten Publikum gleichſam unter uns, im Haus¬ kleide und wie zu Hauſe. Jede Unnatur, jedes manie¬ rirte Pathos, jede Effekthaſcherei wären in dieſem engen Rahmen geradezu lächerlich geworden. Nur ein einfaches, edles Spiel war hier am Platze, und das hatte ſich auch ſchon ſeit Jahren in dem alten Hauſe eingebürgert und wurde mit Pietät vererbt und gepflegt. Den Namen » Komödienhaus « verdiente es, wie kaum ein anderes Haus. Es war ſo recht die Bühne, der gemüthliche Tummelplatz für Komödien, für Luſtſpiele und Konver¬ ſationsſtücke. Die wurden hier auch meiſterhaft gegeben, wie: » Stille Waſſer ſind tief « » Die gefährliche Tante « » Das letzte Mittel « von Frau von Weißenthurn » Die Geſchwiſter « von Raupach » Rubens in Madrid « » Die Schule des Lebens « » Chevalier St. George « » Noch iſt es Zeit « und die Stücke der Prinzeſſin Amalie: » Der Majoratsherr « » Der Landwirth « u. a.

Köſtlich war Emil Devrient als Majoratsherr, be¬ ſonders in der Szene, wo er mit Bärmann im Neben¬ zimmer ein Duo geigt und Beide geigend aus der Seiten¬ thür auf die Bühne treten und der Majoratsherr erregt ausruft: » Aber Bärmann, Ihr geigt ja beſinnungslos immer fort, immer fort « bis er mich plötzlich vor ſich ſieht und in reizender Verlegenheit EntſchuldigungenErinnerungen ꝛc. 28434ſtammelt. Wie lag da in Devrient's Mienen ſchon das Ge¬ ſtändniß, daß er nahe daran ſei, ſich der ſtill Geliebten endlich auf Gnade und Ungnade gefangen zu geben! Und der alte, liebe Meiſter Pauli, war er nicht ein Bärmann zum Küſſen? Er war ein echter Komödiant mit Leib und Seele. Mit welcher rührenden Hingabe und Gewiſſen¬ haftigkeit ſpielte er ſelbſt die kleinſten, undankbarſten Rollen, er, der ſo Großes leiſtete als Jago und Franz Moor! Die Mitwelt hat dem Künſtler wenig gelohnt und die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze. Wer erinnert ſich heute noch daran, welche köſtlichen Charakter¬ rollen Pauli ſchuf als lieber närriſcher Emmerling in der » Gefährlichen Tante «, als brummiger Vater im » Tem¬ pora mutantur », als Allerweltsdoktor im » Ball zu Ellerbrunn « und als Iffland'ſcher Vater in Eduard Devrient's » Verirrungen «? Darum gönnt es der alten Kollegin, dem wackeren, beſcheidenen Künſtler dieſe we¬ nigen Lorberblätter wehmuthduftig, erinnerungsgrün auf das vergeſſene Grab zu legen

Eduard Devrient's » Verirrungen « wurden überhaupt im alten Komödienhaus prächtig geſpielt. Tieck protegirte das Stück, ſtudirte es fleißig ein und kam ſogar zu allen drei Proben, während er ſich ſonſt gewöhnlich auf die Generalprobe beſchränkte. Ich ſehe im Geiſte den alten Dramaturgen während der Proben in ſeiner kleinen Pro¬ ſzeniumsloge ſitzen und uns Mitſpielern auf der Bühne freundlich zunicken, und höre noch ſein lobendes: » Bravo! 435Charmant! Vortrefflich! « Er hatte zum erſten Mal kein Wort des Tadels für uns.

Emil Devrient war in dem Stücke ſeines Bruders wie immer der edle, liebenswürdige, warmherzige Mittel¬ punkt. Und was ſchuf Doris Devrient aus der kleinen Rolle des Lenchen! Pauli und Frau Werdy gaben mit köſtlichem Humor das überzärtliche Elternpaar, Hellwig den närriſchen Chriſtel und Heckſcher den flotten, leicht¬ ſinnigen Vetter. Auch Eduard Devrients » Treue Liebe « ſpielten Emil Devrient, Frl. Bayer und ich (Gräfin) mit großer Liebe und beſtem Erfolge.

In Gutzkow's » Werner « war Emil Devrient der begeiſterte Künſtler, der große, edle, ſtarke Mannescharakter. Auguſte Anſchütz war eine reizende Marie: brünett, mit griechiſchem Profil und dunklen Prachtaugen. Ihre weiche, modulationsfähige Stimme ſprach zum Herzen, weil ſie vom Herzen kam. Ihr einfaches, natürliches Spiel feſſelte ungemein. Daß Dresden die liebenswürdige Künſtlerin ſobald verlieren mußte! Sie ging nach Wien an's Burgtheater, als Gattin des Malers Koberwein. An ihre Stelle trat die junge, ſchöne und glänzend begabte Bayer, die noch heute als Frau Bayer-Bürk eine Zierde der Dresdener Bühne iſt. Und der froh¬ müthige Porth, der ſo gern und herzlich mit mir lachte und die Kunſt beſaß, die Welt immer im roſigſten Lichte zu ſehen was für einen ſchleichenden Hallunken ver¬ ſtand der fleißige, gewiſſenhafte Künſtler aus dem falſchen Hausfreund zu machen!

28 *436

Unter den klaſſiſchen Stücken wurde Kleiſt's » Prinz von Homburg « zu einer Muſtervorſtellung. Bei Emil Devrient vereinigte ſich Alles: edle, idealſchöne Erſchei¬ nung, wundervolles Organ und tiefes, geiſtiges Auffaſſen, Durchdringen und Wiedergeben des wunderſamen Cha¬ rakters, um aus der Titelrolle etwas Großes, Vollendetes zu ſchaffen. Ich habe keinen zweiten Prinzen von Hom¬ burg geſehen, der ſich mit Emil Devrient vergleichen könnte. Wie verklärt erſchien er mir in der Briefſzene, als ich ihm geſtand: » Du gefällſt mir! « Und einen prächtigeren Kottwitz konnte man ſchwerlich finden, als unſern Werdy, dieſen ehrwürdigen Veteranen mit dem ſchönen Apoſtelkopf, der herzenstiefen Stimme und der einfach-edlen Sprache nach Schröder's Schule!

Ich könnte noch lange fortplaudern von den lieben alten und in meinem Herzen ſo herrlich fortgrünenden Kunſtzeiten und Kunſtſchöpfungen und den werthen, alten, großen Kunſtgenoſſen Aber wer kennt, wer verſteht, wer liebt ſie heute noch? Sie ſind verweht wie das alte Haus, und nur noch in der Erinnerung weniger alter Kunſtfreunde leben ſie leben wir fort. Verweht! ver¬ geſſen! das iſt ja Erdenlos!

Nur aus dem Zuſchauerraume möchte ich noch eine Loge hervorheben die königliche! Wie that es uns Komödianten ſo wohl, wenn wir die Theilnahme ſahen, mit der die königliche Familie faſt allabendlich unſeren Kunſtbeſtrebungen folgte. Da waren zuerſt der leutſelige achtzigjährige König Anton und ſein nicht viel jüngerer437 Bruder Max. Das laute Denken des alten Monarchen hat uns manches Lächeln entlockt. Als ich (1834) in der Wahnſinnſzene der Ophelia ſang:

» Wie erkenn 'ich dein Treulieb
Vor den andern nun?
An dem Muſchelhut und Stab
Und den Sandelſchuh'n «

da ſagte der König, dem dies Singen neu war, denn meine Vorgängerin in der Rolle hatte die Worte ge¬ ſprochen, ganz laut vor ſich hin: » Ich glaube gar, ſie ſingt «

» Pſt! Pſt! Pſt! « rief das Parterre.

Und da hörte ich den alten Herrn in ſeinem lieben ſächſiſchen Dialekt wiederum ganz laut, halb ärgerlich, halb humoriſtiſch, zu der Prinzeſſin Auguſte ſagen: » Na! na! man werd 'doch noch redden derfen! «

Es ſoll aus ſeinem ſächſiſchen Munde auch ſehr hübſch geklungen haben, als der alte Herr die Prinzeſſin Marie von Baden, jetzige Marquiſe Douglas, in die Polonaiſe führte mit den Worten: » Prinzeſſin, Sie müſſen nun ſchon mit dem jüngſten Tänzer fürlieb nehmen! «

Prinz Johann, der jetzige König, der mir meine Lady Macbeth ſo hübſch und geiſtvoll kritiſirt hatte, be¬ ſuchte mit ſeiner Gemahlin meiſtens nur klaſſiſche Stücke. Ein Lob aus dem Munde dieſes gütigen Kunſtfreundes und geiſtreichen Kenners und Gelehrten war unſer Stolz.

Es rührte mich tief, als ich (1840) Halm's Griſeldis gab und die Königin Marie, Friedrich Auguſt's Gemahlin, weinen ſah.

438

Die Prinzeſſinnen Auguſte und Amalie waren Stammgäſte im alten Komödienhauſe. Wir vermißten ſie ſogleich, wenn ihre Plätze mal leer blieben. Beſonders trat uns Prinzeſſin Amalie näher als talent - und ge¬ müthvolle Verfaſſerin vieler trefflicher bürgerlicher Schau - und Luſtſpiele. Und Jeder von uns that redlich das Seine, dieſe Schöpfungen der beſcheidenen Prinzeſſin auch bühnenwirkſam zu geſtalten. Jeder Beifall des Publikums freute uns für die fürſtliche Dichterin. Vor Kurzem iſt ſie ſtill geſtorben, wie ſie ſtill gelebt hatte.

Und dann kam ein wehmütiger Abend. Es war der 31. März 1841. Es wurde zum letzten Mal auf der kleinen, häßlichen lieben Bühne geſpielt. Das alte Komödienhaus war mit der Zeit doch zu eng, zu unſchön, zu altmodiſch für die fröhliche, glänzende Welt - und Kunſtſtadt Dresden geworden. Schon im Jahre 1838 war der Grundſtein zu einem neuen Schauſpiel¬ hauſe gelegt, wenige hundert Schritt von dem alten entfernt, und in drei Jahren hatte Meiſter Semper den prächtigen, großen, ſchönen Kunſttempel erbaut, der 28 Jahre lang Dresdens Stolz und Freude und am 21. September 1869 ein Opfer der Flammen wurde.

Minna von Barnhelm war das letzte Stück. Dann ſprach unſer Veteran Burmeiſter einen ergreifenden Epilog in dem alten Hauſe. Uns Mitſpielenden war zu Muth, wie Kindern beim Abſchied aus dem lieben Vaterhauſe.

Und bald darauf, am 12. April 1841, fand die feſtliche Eröffnung des neuen Hauſes ſtatt. Ganz439 Dresden war auf den Beinen. Ueber 7000 ſchriftliche Billet¬ wünſche waren eingegangen. Nicht 2000 konnten erfüllt werden. Aber wer keinen Platz im Hauſe fand, wollte doch wenigſtens die glänzende Beleuchtung ahnen, die Muſik rau¬ ſchen hören, das Publikum ſtrömen ſehen. Auf dem Theater¬ platz wogte es beſonders den Abend Kopf an Kopf. Als der König und der Hof in die Loge traten, brach im Hauſe ein ju¬ belndes Hoch aus und die Menge draußen ſtimmte fröhlich ein.

Die Feſtvorſtellung begann mit einem wirkſamen Prolog von Theodor Hell. Alle erſten Schauſpieler und Sänger traten darin auf. Pauli als Baumeiſter erklärte das Werk vollbracht, die Bühne verwandelte ſich aus einer Halle in eine freie Gegend, und in dieſe traten folgende allegoriſche Geſtalten ein, von den neuen Räumen Beſitz nehmend, einer nach dem andern:

  • Die Liebe Dem. Bauer.
  • Der Glaube Hr. Schöpe .
  • Die Tapferkeit Dem. Berg.
  • Der Scherz Franziska Schöler.
  • Ein Hirtenmädchen Dem. Anſchütz.
  • Die Romanze Mad. Schröder-Devrient .
  • Der Dichter Hr. Emil Devrient.

Dann folgten die Hauptgeſtalten unſerer größten Dichter und Opernkomponiſten:

  • Mephiſtopheles und Marthe Hr. Koch und Mad. Drewitz .
  • Tell und ſeine Frau Hr. Dittmarſch und Mad. Dor. Devrient.
  • 440
  • Falſtaff und Prinz Heinrich Hr. Keller und Hr. Böhme.
  • Nathan der Weiſe und Tempelherr Hr. Porth und Hr. Hellwig .
  • Oberförſter und Oberförſterin (Iffland) Hr. und Mad. Werdy .
  • Nikolaus Staar und ſeine Mutter (Kotzebue) Hr. Burmeiſter und Mad. Hartwig .
  • Iphigenia und Oreſtes Mad. Wächter und Hr. Mitterwurzer.
  • Fidelio und Floreſtan (Beethoven) Dem. Wüſt und Hr. Aſcher.
  • Don Juan und Zerline Hr. Wächter und Mad. Schubert.
  • Oberon und Puck (Weber) Hr. Schuſter und Dem. Pecci.
  • Ivanhoe und Rebekka (Marſchner) Hr. Tichatſcheck und Mad. Mitterwurzer.
  • Cortez und Amazili (Spontini) Hr. Babnigg und Dem. Marx.

Die eigentliche Feſtvorſtellung, Goethe's » Torquato Taſſo «, wurde durch Weber's Jubelouverture eingeleitet. Ich gab die Leonore von Eſte, Frl. Berg die andere Leonore, Heckſcher den Alphons, Emil Devrient den Taſſo, Porth den Antonio. » Die Namen der Dar¬ ſtellenden verbürgten den Werth der Vorſtellung. Die in jeder Beziehung ſplendide und geſchmackvolle Aus¬ ſtattung, die in ähnlicher Schönheit und Illuſion noch441 nie geſehenen Dekorationen die erſte des Prologs, dann die des zweiten, dritten und fünften Aktes von den franzöſiſchen Malern Desplechin, Dieterle, Feuchere und Séchan, die zweite des Prologs und die des vierten Aktes vom Hoftheatermaler Arrigoni ernteten die leb¬ hafteſte Bewunderung « ſagt der » Dresdener Omnibus « vom 14. April 1841 kurz und bündig darüber.

Seit jenem Abende ſind jetzt gerade 30 Jahre hinab¬ gerauſcht und von einem frühlingsgrünen Berge der Schweiz ſinnt eine alte Frau zurück

Ihr werthen Gefährten,
Wo ſeid ihr zur Zeit mir
Ihr Lieben geblieben?
Ach! Alle zerſtreut
Die Einen, ſie weinen,
Die Andern, ſie wandern,
Die Dritten noch mitten
Im Wechſel der Zeit,
Auch Viele am Ziele,
Zu den Todten entboten

Ja, manches, manches kleine Todtenkreuzchen hat die Hand, die einſt damals Taſſo-Devrient den Lorber reichte, auf den alten, vergilbten Theaterzettel gezeichnet

Von all' jenen Theaternamen nennt der heutige Dresdener Theaterzettel nur noch Frl. Berg, Hrn. Böhme, Hrn. und Mad. Mitterwurzer. Mehrere Collegen leben als Penſionäre in Dresden, darunter Tichatſcheck und Hofrath Emil Devrient als Ehrenmitglieder des Hof¬ theaters. Aſcher iſt jetzt Direktor des Karltheaters in Wien. Auguſte Anſchütz-Koberwein wurde kürzlich penſionirt.

442

Jüngſt, am 2. September 1871, feierte ich in meinem Herzen ein ſchönes Dresdener Bühnenfeſt mit: den Jubel¬ tag, an dem meine einſtige liebe und geniale Collegin, Franziska Berg, vor 40 Jahren als » Königin von 16 Jahren « die Dresdener Hofbühne zum erſten Mal mit glänzendem Erfolge betrat. Wie rangen wir Beide ſo begeiſtert und neidlos Jahre hindurch neben einander als erſte Liebhaberinnen um die Palme! Und wie freute ich mich, kürzlich von Augenzeugen zu hören, daß Fran¬ ziska Berg noch immer eine der geachtetſten Stützen des Hoftheaters in Dresden iſt und als Mutter im » Fechter von Ravenna « und Marfa in Schiller's Tragödie » De¬ metrius «, nach Guſtav Kühne's trefflicher Bearbeitung, die wohlverdienteſten Triumphe feierte. Möchte es der Künſtlerin vergönnt ſein, in Dresdens neuem Theater, das Meiſter Semper augenblicklich in unvergleichlicher Schöne aufwachſen läßt, noch lange Jahre die klaſſiſche Zeit des alten Komödienhauſes zu repräſentiren.

Am Morgen nach der Eröffnung des neuen Hauſes, in der Frühe ging ich noch allein in das kleine, alte Komödienhaus, einen ſtillen, wehmüthigen Abſchied zu nehmen von der ſchmuckloſen Bühne, auf der ich meine reichſten ſieben Jahre hindurch ſo blüthenfröhlich und ſo fruchtbeglückt geſpielt nein, gelebt hatte! Ich nahm Abſchied von meinem traulichen Garderobenzimmerchen, das ſonſt von Blumenopfern duftete und Abends ſo oft von übermüthigem Lachen erklang, wenn die liebens¬ würdige Obergarderobiere, Frl. Bertha Heyſe, mir bei443 der Toilette ihre verſchönende Hand und die bretterne Welt hinter den Couliſſen und die andere Welt vor den ſelben uns immer neuen Heiterkeitsſtoff liehen und das heute ſo ſtill und kahl und traurig ausſah. Ich nahm auch wehmüthigen, dankbaren Abſchied von der kleinen vergitterten Proſzeniumsloge, aus der mich des alten Dramaturgen herrliche Augen in der guten alten Gnadenzeit ſo oft und ſo väterlich lieb angeleuchtet hatten. Und auch ſpäter wirkte das Bewußtſein: Tieck blickt jetzt auf dich! ſo wunderbar poetiſch anregend, hebend auf mich auf uns Alle in den Proben und Vorſtellungen.

Aber auch mit beklommenem Herzen nahm ich Ab¬ ſchied von dem alten Hauſe. Ich konnte das Bangen nicht los werden: mit dem alten Hauſe zerbröckelt auch Dresdens einfach edle, gemüthvolle, ungekünſtelte Schau¬ ſpielkunſt! In dieſem engen Rahmen war die herzlichſte Natürlichkeit zu Hauſe. In dem großen Prachtgebäude wird muß ein brillantes Virtuoſenthum ſich mehr und mehr an's Lampenlicht drängen, das beſcheidene, herzinnige Zuſammenwirken um der Sache willen wird einem Wetteifer der Perſonen: ſich neben - und vor¬ einander geltend zu machen! weichen auf Koſten der wahren Kunſt!

Leider ſollte ich nicht ſo ganz Unrecht mit dieſen Befürchtungen haben, obgleich ich die glänzenden Vor¬ züge des neuen Hauſes für große klaſſiſche und handlungs¬ reiche Stücke, wie » Tell «, » Jungfrau von Orleans «, » Maria Stuart « u. a. bald anerkennen lernte. Auch444 war die Akuſtik des neuen Hauſes eine ſo vorzügliche, daß wir nur deutlich, nie mit Anſtrengung zu ſprechen brauchten, um in den großen Räumen überall leicht ver¬ ſtanden zu werden. Ueberdies war die Beleuchtung eine ſo günſtige, daß wir auf den Brettern wie verjüngt er¬ ſchienen, im Vergleich zu dem alten, düſteren Hauſe.

Eine meiner liebſten, dankbarſten Aufgaben in dem neuen Hauſe war die » Beate « in Gutzkow's reizender Schöpfung! » Ein weißes Blatt «. Gutzkow wurde wenige Jahre darauf Dramaturg in Dresden und leiſtete Hervor¬ ragendes, gab die Stellung aber nach zwei Jahren wieder auf. Er fühlte ſich nicht wohl in den engen Verhältniſſen. Ihm folgte als Dramaturg: Eduard Devrient, aber auch nur für kurze Zeit. Was Eduard Devrient als Leiter einer Bühne zu leiſten vermochte, durfte er erſt in Karls¬ ruhe beweiſen.

Zweier Theaterabende in dem » neuen Hauſe « möchte ich etwas ausführlicher gedenken.

Der erſte war der Abſchiedsabend, das letzte Auf¬ treten überhaupt der großen dramatiſchen Sängerin Frau Ungher-Sabatier. Zuerſt war ich der Künſtlerin bei meinem Gaſtſpiel in Wien 1839 begegnet und hatte ſie lieb¬ gewonnen und war ihr lieb geworden. Meine Freude war groß, als Herr und Frau Sabatier bald darauf nach Dresden überſiedelten. Es ſchien eine der glücklichſten Künſtlerehen zu ſein, obgleich Frau Sabatier bedeutend445 älter war, als ihr Gatte. Allerliebſt fand ich es von ihr, daß ſie ganz offen über dies Mißverhältniß der Jahre ſprach, und nichts klang herziger, als wenn ſie im Wiener Dialekt erzählte: » I han mei'm Mannerl oft vorg'ſtellt, i ſei halt a Biſſel zu alt für ihn bah! er wollt's nit glaub'n und ſo mußt 'i ihn zuletzt nur nehmen. Wir Beid' haben's auch nit bereut «

Das ſah man deutlich in der heiteren, gemüthlichen Häuslichkeit des liebenswürdigen Paares und an den intereſſanten größeren Geſellſchaftsabenden, an denen die Wirthin ihre reizenden Lieder ſang und wo ſelten her¬ vorragende Fremde fehlten.

Dresden hatte die Künſtlerin auf der Bühne und im Salon ſtets verehrt und ausgezeichnet. In Dresden wollte die Sängerin, die auf ihren vielen Gaſtſpielreiſen in aller Herren Ländern glänzende Triumphe gefeiert hatte, von der Bühne Abſchied nehmen. Mit richtiger Selbſterkenntniß ſagte ſie zu mir: » Es iſt Zeit es iſt die höchſte Zeit! Ich könnte vielleicht mit demſelben Recht, wie andere Sängerinnen, noch einige Jahre ſin¬ gen und auf den geliebten Brettern Gold - und Lorber - Ernten halten aber es muß ein trauriges Gefühl ſein, die Rudera alter, glänzender Kunſtzeiten um dieſer Ver¬ gangenheit willen vom Publikum geduldet zu ſehen. Die größte Kunſt des Künſtlers iſt es, zur richtigen Stunde der öffentlichen Kunſtübung zu entſagen «

An einem traulichen Abende waren wir näheren Freunde bei Sabatiers, um über die Abſchiedsrolle der446 künſtlerin zu berathen. Die meiſten Stimmen waren für die Frau in » Beliſario «. » Aber warum wollen Sie zum letzten Mal in einer ſo grauſigen Rolle, als Büßerin und mit ſchmerzzerriſſenen Zügen vor ein Publikum treten, das Sie liebt? Ich würde die lieb¬ liche Lucia von Lammermoor wählen! « wagte ich ein¬ zuwenden. » Nicht effektvoll, nicht großartig genug für die gerade ſo hervorragende dramatiſche Schöpfungsmacht unſerer Freundin! « ſagten die Verehrer der Künſtlerin. Sie wählte die unſelige Frau Beliſario's und leider als vorletzte Rolle Norma dieſe Glanzpartie unſerer Schröder-Devrient. Dieſe ſaß während der Norma - Aufführung unter den Zuſchauern, und die Freunde der Sabatier verübelten es ihr ſehr, daß ſie unter den Bei¬ fallsſtürmen des Publikums allein wie theilnahmlos ge¬ blieben, mit keiner Wimper gezuckt, keine Hand zum Beifall gerührt habe.

Aber Wilhelmine Schröder-Devrient war eine zu ehrliche, aufrichtige Natur. Sie hätte an dem Abende heucheln müſſen. Norma's Stimme klang ſcharf und reichte einige Mal nicht mehr aus für die hohen Töne. Sie überſchlug ſich.

Daß aber Niemandem Mißgunſt oder gar kleinlicher Neid ferner liege, als Wilhelmine Schröder-Devrient, ſollten die Dresdener im Beliſario erfahren. Die glän¬ zendſten Ovationen waren vorbereitet, die Sabatier wurde den ganzen Abend in ihrer wirklick großartigen drama¬ tiſchen Geſtaltung von Beliſario's Frau mit Beifall,447 Blumen, Gedichten überſchüttet, zierliche Brieftauben flatterten auf die Bühne aber Wilhelmine Schröder und ich hatten der ſcheidenden Künſtlerin eine noch größere Huldigung als Ueberraſchung vorbereitet. Am letzten Aktſchluß trat ich vor auf die Bühne, im wei߬ roſigen Muſengewande, Blumen im Haar, und ſprach zu dargebotenen Blumen bewegt Abſchiedsverſe. Der Sängerin traten Thränen in die Augen da lockte ſie eine melodiſche Stimme auf der anderen Seite: es war Wilhelmine Schröder, ebenfalls als Muſe, der Kunſt¬ ſchweſter mit innigen Worten einen vollen Lorberkranz reichend Erſchüttert ſank die ſcheidende Sängerin der noch berühmteren Nebenbuhlerin in die Arme und ich hörte ſie ſchluchzend flüſtern: » Und daß Sie gerade Sie, mein Scheiden ſo herrlich verſchönen wie beglückt es mich! « » Dürfte auch ich einſt ſo der Bühne Lebe¬ wohl ſagen! « war die Antwort Wilhelmine Schröder's.

Das überraſchte Haus nahm gerührt und entzückt den innigſten und ſtürmiſchſten Antheil an dieſer Scheide¬ ſzene im Jahr 1841. Es jubelte jetzt nicht nur der ſcheidenden Sabatier, es jubelte jetzt auch der großherzigen Schröder zu.

Im folgenden Jahre ſollten die Dresdener ein ganz anderes Bild auf ihren geliebten Brettern ſehen eine ſpaniſche Tänzerin. Die damals noch wenig berühmte und noch weniger berüchtigte Lola Montez war in Dresden448 angekommen, um auf der Hofbühne ſpaniſche National¬ tänze zu tanzen. Sie ſollte gewichtige Empfehlungen an den Hof haben, aus vornehmer ſpaniſcher Familie ſtammen, wunderſchön ſein und den Hof in Pillnitz durch ihren Geſang ſpaniſcher Nationallieder zur Guitarre ent¬ zückt haben. Kein Wunder, daß die intereſſante Tänzerin das Dresdener Theaterpublikum ſchon vor ihrem Auf¬ treten lebhaft beſchäftigte. Ich hatte die Heldin noch nicht geſehen, aber der Theaterdiener kam eines Morgens ganz echauffirt zu mir und machte ſeinem Herzen Luft: » Heute iſt wieder die Spanierin los und erſt geſtern hat ſie uns Allen den Kopf heiß gemacht. Nein, was die für Raupen im Kopf hat! Sie verlangt ganz apart für ſich Draperien, Beleuchtung, Dekorationen. Sie will ſich erſt in der Tiefe der Bühne unter rothen Dra¬ perien und von vielen Extra-Lampen von oben herab beleuchtet als lebendes Bild in phantaſtiſcher Stellung bewundern laſſen, ehe ſie vorchaſſirt. Und Niemand konnte es ihr zu Dank machen, und ſelbſt unſer Balletmeiſter kann ihr närriſches Franzöſiſch nicht recht verſtehen. Da blitzen denn ihre Augen und ſie ſtampft mit dem Fuß auf, wie ein ungezogener Junge. Ich aber ſage, wer ſo viel Hokuspokus angiebt, muß kurios tanzen. Ich ſollte auch nur ſagen, daß das Fräulein heute nicht um 9 Uhr auf die Probe zu kommen braucht, ſondern erſt um 10 Uhr. Denn bis dahin nimmt die Spanierin noch allein die Bühne mit ihren Faxen in Anſpruch. Empfehle mich gehorſamſt «

449

Kaum war der Alte fuchswild fortgerannt, ſo ließ unſer Hausgenoſſe, Herr von Bülow, der Vater des ſpäter ſo berühmt gewordenen Klaviervirtuoſen Hans von Bülow, bitten, trotz der frühen Morgenſtunde ſeinen Beſuch machen zu dürfen in wichtiger, unaufſchieb¬ barer Angelegenheit. Es mußte allerdings etwas Wich¬ tiges ſein, was den gelehrten Herrn, den Tieck ſehr be¬ vorzugte, ſo früh ſchon aus ſeiner etwas pedantiſchen Ruhe und aus dem Schlafrock herausgebracht hatte. Er, der ſonſt ſo leiſe und langſam bedächtig ſprach und einher¬ ſchritt, trat mir in größter Aufregung, mit gerötheten Wangen entgegen und ſein erſtes geflügeltes Wort war: » Lola Montez! «

» Alſo auch Sie, Graf Oerindur? Wer löſt mir die¬ ſen Zwieſpalt der Natur? « unterbrach ich ihn lachend.

» Lola Montez möchte Sie näher kennen lernen, Sie haben geſtern Abend als » Donna Diana « das feurige Kind Spaniens im Sturm erobert. Die ſchöne Lola ſaß neben mir und ſchlug wie ein Kind jubelnd in die Hände und rief ein Mal über das andere faſt etwas zu laut für unſere Dresdener Gewohnheiten aus: » Oh, la bella Donna! Je voudrais la connaître! «

» Sehr ſchmeichelhaft! Aber wer und was iſt denn eigentlich dies » Mädchen aus der Fremde? «

» Das entzückendſte, holdeſte, liebenswürdigſte We¬ ſen «

» Und das ſagen Sie mir in's Geſicht der bella Donna? « unterbrach ich neckend den Enthuſiaſten.

Erinnerungen ꝛc. 29450

» Pardon! ich wollte hinzuſetzen: das unter Spaniens Sonne erglühte! Sie iſt die Tochter eines tapferen Ge¬ nerals, der für Don Carlos fiel. Sie mußte aus der Heimat fliehen mittellos, ſchutzlos. Aber ſie hatte Muth, Energie und reiche Talente. Ihre angeborene graziöſe Tanzkunſt entwickelte ſich wunderbar unter einem franzöſiſchen Balletmeiſter; dazu ſingt ſie entzückend ſpa¬ niſche Nationallieder zur Guitarre. Frei und glänzend wie ein Schmetterling flattert das bezaubernde Weſen durch die Welt und «

» Bezaubert unſere ernſthafteſten Gelehrten und Dichter! « lachte ich dazwiſchen. » Aber ſo ganz allein ohne Schutz flattert dieſer gefährliche Schmetterling durch die Lande? «

» O, ſie iſt tugendhaft tugendhaft und ſtolz und tapfer, wie Jeanne d'Arc. Als meine Frau, die auch von Lola Montez entzückt, bezaubert iſt, wie Alle, die ſie kennen, ſahen, leiſe an die Gefahr ihrer Schutzloſigkeit erinnerte, da zog ſie mit ſtammenden Augen einen kleinen nadelſpitzen Dolch hervor, machte eine entzückende Bravo - Geſte damit und ſagte ſtolz: » Voilà mon protecteur! « Iſt das nicht koſtbar? «

» Und wie Viele hat die edle Donna denn ſchon er¬ dolcht? Es müßte ſich doch reizend ausnehmen, wenn ſie zugleich mit dem Dolch eine Art Leporello-Tagebuch hervorgezogen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin zu¬ geſungen hätte: » Schöne Donna, dies kleine Regiſter nennt ſie Alle, die ich abgemurkſet «

451

» Spotten Sie nur. Auch Sie werden bald von Lola Montez bezaubert ſein. Und wie ehrlich, wie naiv offenherzig ſie iſt! Als ich ſie geſtern durch unſere Ge¬ mäldegalerie führte, ſagte ſie: Raphael und Correggio langweilten ſie durch ihre ewigen rothhaarigen Madonnen dagegen blieb ſie mit leuchtenden Augen vor den nur mittelmäßig gekleckſten Bildern eines ſpaniſchen » Stier¬ kampfes « und eines » Fandango « auf offener Straße von Toledo ſtehen und klatſchte vor Entzücken in die Hände und vorgeſtern Abend gähnte ſie laut bei der herr¬ lichen Tenorarie Moriani's und ſagte: Lucia von Lammer¬ moor ſei zum Einſchlafen «

» Und das bewundern Sie der Dichter? «

» Ja, ich bewundere die reine, unverfälſchte Natur in dieſem Mädchen. Sie iſt noch nicht von unſeren äſthetiſchen Thees angekränkelt. Ich finde das originell, frappant, kühn «

» Aber Dresden! «

» Ja, in unſeren lauwarmen Lebensanſchauungen könnte das Alleinſtehen, die Selbſtſtändigkeit, die ganze freimüthige, kühne Originalität der ſchönen Lola nicht ganz ſo beurtheilt werden, und da komme ich, Sie zu bitten, das holde Kind ein wenig unter Ihre Flügel zu nehmen «

» Mit anderen Worten, ich ſoll die Theater-Tante der ſchönen Spanierin machen? Ich, bis heute noch immer Dresdens erſte jugendliche Liebhaberin? Wirklich eine eigenthümliche neue Rolle, die Sie mir da zuertheilen «

29 *452

Als ich aber das verdutzte, verlegene Geſicht unſeres Enthuſiaſten ſah, mußte ich doch lachen. Und meine alte Gutmüthigkeit überwog wieder. Ich reichte dem Beſuch die Hand und ſagte: » Ich will verſuchen, Lola's Theater - Tante zu ſpielen. Ich will ſie heute noch auf der Probe anſprechen ſo recht ehrbar, würdevoll und tanten¬ haft «

Ich ging um 10 Uhr in die Probe des Luſtſpiels: » Die Waſſerkur «. Aber ich kam noch viel zu früh. Lola Montez war immer noch nicht fertig mit ihren neuen Arrangements und Draperien und Attitüden. Endlich fiel die Beleuchtung ſtrahlend genug auf ihr » lebendes Bild « und ſie konnte zum ſpaniſchen National¬ tanze hervorchaſſiren. Ihr Tanzen war eigenthümlich. Sie tanzte weder kunſtvoll, noch elegant und graziös. Ihre Pas kamen ruckweiſe, queckſilbern hervor, wie mit Hemmſchuhen. Aber ihre Sprünge waren kühn, über¬ raſchend, feurig und ſie ſah wunderbar ſchön beim Tanzen aus. Ich hatte Muße, ſie von der Couliſſe aus anzuſchauen. Ihre Geſtalt war zu hager, um voll¬ kommen ſchön zu ſein, aber ihr feiner, mädchenhafter Kopf mit dem rabenſchwarzen, glänzenden Haar, die durchſichtige, zarte Bläſſe des jungen Geſichts mit den regelmäßigen edlen Zügen, und vor Allem ihre Augen ihre großen, tiefblauen, leuchtenden Augen und ihr liebliches Lächeln waren berauſchend ſchön. Und dies wunderbare Gemiſch von Kindlichkeit, Uebermuth, auf¬ blitzender Glut und ungebändigtem Trotz in ihrem ganzen453 Auftreten, im Ausſprechen immer neuer toller Forderun¬ gen gegen den Balletmeiſter und den Maſchinenmeiſter, ja ſelbſt ihr kurioſes Franzöſiſch hatten etwas dämoniſch Berückendes. Jetzt erſt war mir der momentane Wahn¬ ſinn des ſonſt ſo ehrbaren Herrn von Bülow verſtändlich. Feſſelte mich doch ſelber ſchon dies tolle, verzogene, ſchöne Kind unwiderſtehlich.

Als der Tanz zu Ende war, trat ich aus der Couliſſe vor, ſie als Theater-Tante anzureden. Aber kaum hatte ſie mich erblickt, ſo ſtürzte ſie mir jubelnd an den Hals und rief: Enfin! ma bella Donna. Çe vous aime, nous nous préçenterons çe çoir ensemble! moi çe dançerais, vous parlerez, çe çera çarmant « und weiter ſchwirrte es ſinnverwirrend in ihrem Idiom: » Ich liebe die Schönheit und den Tanz. Ich will auch berühmt werden, wie Sie aber als Tänzerin. Ich tanze leidenſchaftlich. Wir Beide ſind ſchön ich wie der Süden, Sie wie der Norden. Ich liebe Sie und Sie müſſen mich wieder lieb haben. O! Sie ſollen mich heute Abend nur erſt im Koſtüm ſehen « und fort¬ hüpfend rief ſie mir noch mit ihrer hellen, klingenden, fröhlichen Stimme, mit ihrem kindlichen Lächeln zu: » au revoir, ma bella Donna à çe çoir, à çe çoir! «

Aber merkwürdiger Weiſe blieb das Publikum am Abende bei der Attitüde der ſchönen Spanierin und bei ihrem tollen Queckſilbertanze kühl. Keine Hand rührte ſich, keine Blume flog. Wo waren denn nur die Ver¬ ehrer? Ich hatte doch ſchon am Nachmittage Kränze454 und Bouquets geſehen, die für Lola Montez beſtimmt waren. Durften die Herren Ehemänner der Tänzerin nicht öffentlich huldigen? Ich erfuhr, daß die Blumen für den zweiten Tanz aufgeſpart waren. Aber Lola Montez wollte nicht mehr tanzen vor ſo undankbaren Barbaren! Das ſagte mir der Intendant v. Lüttichau ſehr aufgeregt. Ich war auf dem Wege nach dem Konverſationszimmer und trug meine beiden kleinen Wachtelhunde auf dem Arm, mit denen Fräulein Berg im zweiten Akt als überſchwengliche Hundefreundin er¬ ſcheinen ſollte. » Sie müſſen mir beiſtehen, den Trotzkopf zur Raiſon zu bringen! « fuhr der Intendant fort. » Mein Latein iſt zu Ende und an Ihnen hat der Kobold ja einen Narren gefreſſen. Mußte ich ihr doch verſprechen, morgen ſchon wieder ein Luſtſpiel zu geben, in dem Sie auf¬ treten. Nein, ſo ein unerzogenes, ungezogenes Fräulein iſt mir auf den Brettern noch nicht vorgekommen da ſehen Sie ſelber « und damit öffnete Herr von Lüttichau die Thür zur Garderobe der Tänzerin.

Das war allerdings ein urkomiſches Bild, das ſich uns im Rahmen der Thür bot. In der Mitte ſtand Lola Montez in ihrem winzigen ſpaniſchen Balletkoſtüm; die Hände auf den Toilettentiſch geſtützt, hüpfte ſie mit beiden Füßen zugleich wild in die Höhe, wie ein Schul¬ kind, und ſchlug dabei trotz des mobilſten jungen Fohlens hintenaus und im Halbkreiſe und reſpektvollſter Entfernung von wegen des Hintenausſchlagens umſtanden ſie mit trübſeligen, rathloſen Mienen die455 Konzertmeiſter Lipinski und Reiſſiger, zwei ſehr bekannte Hofräthe und noch ein halb Dutzend anderer glühender Kunſtenthuſiaſten, während Lola bei ihrer Gymnaſtik fortwährend ſchrillte! » Non! çe ne dance plus! on n'a pas applaudi quand çe faiçais ça (Pantomime des Kußhandwerfens) çe ne dance plus devant un tel publique .. «

Ich hatte Mühe, nicht hell in dieſe Szene hinein¬ zulachen, beſonders als die Verehrer mich mit verlegenen Geſichtern pantomimiſch baten, ihnen zu Hülfe zu kommen, Ich trat in die Garderobe. Kaum hatte Lola mich und meine Hündchen geſehen, ſo ſtellte ſie ihre tollen Sprünge ein, machte einen kühnen Salto mortale auf mich zu und jubelte: » Oh, ma bella Donna! Oh! çes çolis petits çiens! oh! çes bijoux mais, çe ne dance plus devant un tel publique méconnaissant « und das Aufſtemmen, Hüpfen, Hintenausſchlagen ſollte wieder luſtig losgehen.

» Und was ſoll mit den vielen ſchönen Blumen werden, die ſchon durch das Haus duften? « ſagte ich franzöſiſch.

» Blumen? Blumen im Theater? Ich hab 'keine geſehen, mir hat man keine geworfen, obgleich ich meine ſchönſte Kußhand warf «

» Die Blumen ſollen Ihnen ja auch erſt nach dem zweiten Tanze huldigen. So iſt es in Dresden Sitte. «

» Pas possible! «

» Und es ſind Kränze darunter mit langflatternden Altlasbändern und darauf gedruckten Gedichten «

456

Çe dançerais! çe dançerais! Quel bonheur! de çolis bouquets, des rubans, des vers çe dançerais! çe dançerais! und mir ein Hündchen entreißend und daſſelbe hoch in die Luft werfend und wieder auffangend piruettirte Lola Montez wie ein Quirl in der kleinen Garderobe umher, daß die Verehrer ſich ſcheu in die Ecken drückten.

Aus dem trotzigen Kinde war ein fröhlich jauchzen¬ des geworden. So tanzte ſie den zweiten Tanz und wurde ein wenig applaudirt und von ihren Verehrern hervorgerufen und Kränze und Bouquets und Gedichte flogen zu ihren Füßen Glückſtrahlend raffte ſie die¬ ſelben auf und konnte nach dem Fallen des Vorhangs nicht müde werden, uns ihre Schätze zu zeigen und zu rufen: Oh! que çe çuis heureuse! voyez donc çes fleurs, çes rubans et çes vers!

Und dies Entzücken hatte etwas ſo Kindliches, Auf¬ richtiges, Ungekünſteltes, daß Alle ihr dieſen kleinen Triumph gern gönnten und kein ſpöttisches Lächeln ihn trübte.

Lola Montez trat 1842 in Dresden nur noch ein¬ mal als Ballerina auf, denn das Publikum konnte ſich nicht für ihre queckſilbernen Pas erwärmen. Die Zahl ihrer perſönlichen Verehrer mehrte ſich aber von Tag zu Tage und Lola Montez ſchwamm vierzehn Tage lang von einem glänzenden Weihrauchfeſt zum andern, und die tugendſtolzeſten, prüdeſten Damen Dresdens verſchmähten es nicht, der ſchönen » carliſtiſchen Generalstochter » die457 Honneurs zu machen. Bei einem ſolchen Zauberfeſte mußte Lola Montez im vollen Tänzerinnenkoſtüm er¬ ſcheinen. Vom Hofe erhielt die » ſpaniſche Sängerin « ein ſchönes Armband als Andenken. Genug, Lola Montez konnte mit ihrem Dresdener Debüt, wenn auch nicht als Tänzerin, ſo doch als ſchöne Abenteurerin zufrieden ſein. Und ſie ſpielte ihre Rolle als carliſtiſche Generalstochter mit vielem Takt und Glück zu Ende.

Doch als Lola Montez nach einem Jahre wieder nach Dresden kam, da war ihr Tugendnimbus er¬ blichen. Auch an die carliſtiſche Generalstochter glaubte Niemand mehr. Bei Hofe wurde ſie nicht empfangen. Selbſt ihre früheren Gönnerinnen und Anbeter mieden ſie und bekamen faſt Verlegenheitskrämpfe, wenn ihr Name nur genannt wurde. Nur in Geſellſchaft einiger kühner Herren wurde die ſchöne Abenteurerin noch geſehen.

Welche Rolle Lola Montez bald darauf in Berlin und München ſpielte, iſt bekannt.

Und dann nach vielen Jahren las ich mit tiefer Bewegung in einer Zeitung: » Lola Montez iſt in New - York geſtorben, arm und verlaſſen, in der Hütte einer iriſchen Quäkerfamilie, und nach furchtbaren Kämpfen. Gewiſſensbiſſe verzehrten ſie, daß ſie einen jungen Fran¬ zoſen verführt hatte, Weib und Kinder zu verlaſſen und ihr nach Auſtralien zu folgen. Als ſie den mit wilder Leidenſchaft geliebten Mann dann vor ihren Augen vom Meer verſchlungen ſah, kehrte ſie kraftlos,458 müde, gebrochen nach New-York zurück. Ihr ganzes Vermögen gab ſie der verrathenen Wittwe. Sie ſelbſt verbarg ſich bei der armen iriſchen Quäkerfamilie und ergab ſich in ihrer Angſt und Verzweiflung einer myſtiſchen Frömmigkeit. Sie hat viel gefehlt, aber ſchwer gebüßt «

Eine intereſſante Gemälde-Galerie iſt bei dem Brande am 21. September 1869 mit dem neuen Hauſe zu Grunde gegangen: die Portraits der erſten Künſtler in ihren bedeutendſten Rollen! So auch das wunder¬ volle Bild von Wilhelmine Schröder-Devrient. Ich wurde gewürdigt, in meinen beliebteſten Dresdener Rol¬ len dieſer Theatergalerie einverleibt zu werden: als Or¬ ſina in » Emilia Galotti «, Kaiſerin Katharina II. in den » Günſtlingen «, Elene in » Rubens in Madrid « und als Camilla im » Bild « von Houwald. Sämmtliche Ori¬ ginale ſind mit verbrannt.

Lallemand zeichnete mich in der Gartenſzene der Donna Diana, und der liebenswürdige Hanfſtängl litho¬ graphirte das Bild für den Kunſthandel.

Profeſſor Hanfſtängl und ſeine ſchöne, junge, gra¬ ziöſe Frau machten damals eines der angenehmſten und gaſtfreieſten Häuſer Dresdens. Dort habe ich viele frohe, genußreiche Stunden verlebt. Wenn an den be¬ rühmten Tieck-Abenden das kleine Leſepult doch immer einen gewiſſen Schatten in die Geſellſchaft warf, ſo herrſchte bei Hanfſtängls ſprudelnder Frohſinn vor. Und Alles, was Dresden an ſchimmernder Jugend und Schönheit, an Geiſt und Kunſt und an intereſſanten459 Fremden zu bieten hatte, durfte auf den gemüthlichen Bällen bei Hanfſtängls nicht fehlen.

Mir iſt beſonders ein ſolcher Ball unvergeßlich, im Winter 1838, weil ich an dieſem Abende zuerſt Julius Moſen's perſönliche Bekanntſchaft machte. Denn zu Tieck's Vorleſeabenden kam er ſchon längſt nicht mehr. Auch er gehörte deswegen bereits zu den in Ungnade Gefallenen. Moſen ſagte mir ſpäter oft, wie um mich über die untergehende Gnadenſonne des alten Drama¬ turgen zu tröſten: » Tieck iſt ein großer Dichter aber er hat kein Herz. Nennen Sie mir einen jungen Dich¬ ter, dem er die Hand zum Beiſtande reichte, ja, den er nur neben ſich duldete? Er iſt der größte Egoiſt, den ich kenne, und förmlich von ſeinen Vorurtheilen einge¬ ſponnen. Auch ich habe redlich verſucht, als Schüler zu ſeinen Füßen zu ſitzen, von ihm zu lernen und bewun¬ dernd zu ihm aufzuſchauen. Aber ich bin nicht blind und keine herzloſe Sprechmaſchine, kein Automat wie die Gräfin Finkenſtein, die nach Tieck's aufziehendem Schlüſſel tanzt und weint und lacht und Ja oder Nein ſagt. Ich kann, ich will nicht gegen meine Ueberzeu¬ gung ſprechen. Darum habe ich lieber das Eckhaus am Altmarkt gemieden, um eine bittere Erfahrung reicher «

Emil Devrient und ich kamen als die letzten Ball¬ gäſte, denn wir hatten an dem Abende mit einander in » Noch iſt es Zeit « Komödie zu ſpielen. Als der ſchöne erſte Liebhaber in den Saal trat, ging es wie ein Flüſtern der befriedigten Erwartung durch die Reihen der Tänze¬460 rinnen. Mich aber intereſſirte ſogleich ein Tänzer mit geiſtvollem ſüdlich dunklen Geſicht, blitzenden Augen und ſehr beweglichen Zügen, der die graziöſe Wirthin mit einem Feuer ſchwenkte, daß ſeine dunklen Locken ſich bäumten. Es war der Dichter des » Nußbaums « und des » Liedes vom Ritter Wahn « Julius Moſen, da¬ mals 35 Jahre alt.

Er ließ ſich mir vorſtellen und wir tanzten viel, plauderten aber noch mehr mit einander. Ich fühlte mich bald ungemein durch die ſeltene Vereinigung von Geiſt, Gemüth und Begeiſterung für ſeine poetiſchen Aufgaben, ſowie durch ſeine rührende Beſcheidenheit zu dem Dichter hingezogen. Moſen ſagte mir, daß er näch¬ ſtens der Intendanz ein neues Trauerſpiel einreichen werde: » Die Bräute von Florenz «, in dem er für Emil Devrient den Helden, für Fräulein Berg und mich die » Bräute « geſchrieben habe. » Sie aber müſſen leider an Gift ſterben! « fügte er lächelnd hinzu. Ich verſprach ihm heiter, dies auf's Rührendſte und Beſte zu beſorgen. Wir konnten um ſo ungezwungener mit einander plau¬ dern und ſcherzen, da Moſen damals ſchon für's Leben gewählt hatte: ein liebenswürdiges, ſanftes und geiſt¬ volles Mädchen, das bald darauf ſeine Frau wurde. Wir ſchieden wie gute alte Bekannte, denn bei aller Un¬ ruhe und Leidenſchaftlichkeit ſeines Weſens hatte der Dichter doch etwas ungemein Vertrauenerweckendes und aus ſeinen Worten und aus ſeinen Zügen ſchimmerte ein edles, kindlich heiteres Herz.

461

Die » Bräute von Florenz « gingen erſt 1841 in Dresden über die Bretter; Moſen's » Bernhard von Weimar « kam zwei Jahre darauf in Dresden zur Auf¬ führung. Faſt hätte die erſte Vorſtellung meinetwegen verſchoben werden müſſen. Nach der zweiten Probe mußte ich zum erſten Mal in Dresden zu unſerem alten, gutmüthigen Theaterdoktor Rolank ſchicken. Mein linker Arm war plötzlich wie gelähmt und ſchmerzte, wie von glühenden Nadeln durchſtochen.

» Rheumatismus fliegender Rheumatismus! « ſagte der Doktor bedächtig. » Ruhe, Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht «

» Aber, lieber, guter Herzensdoktor ich muß, muß morgen in Moſen's » Bernhard von Weimar « ſpie¬ len, ſonſt iſt ja die Vorſtellung nicht möglich und der Dichter und ſeine junge Frau und alle Freunde haben ſich ſchon ſo lange darauf gefreut «

Der Doktor zuckte die Achſeln.

Da wurde Moſen gemeldet und trat gleich darauf in's Zimmer. Er ſah meine Beſtürzung. Der Doktor meldete ihm mediziniſch gelehrt das Eintreffen des » fliegenden Rheumatismus «, der im Fluge komme, meiſtens auch im Fluge wieder gehe, aber ſchwerlich bis morgen

Ich las in des Dichters Geſicht die Beſtürzung. Entſchloſſen reichte ich ihm die geſunde rechte Hand: » Sein Sie ruhig, Eliſabeth von Heſſen wird ſpielen! «

» Nein! nein! « rief Moſen aus » ich nehme Ihr462 Opfer nicht an. Ich eile zum Intendanten, daß die Vorſtellung abbeſtellt wird «

» Halt! Halt! erſt noch eine Künſtlerpetition bei un¬ ſerem Doktor Eiſenbart, kurirt die Leut 'nach ſeiner Art. Sicher hat er irgend eine Parforcekur in Petto, die den Fliegenden bis morgen Abend wenn auch nicht gründlich, ſo doch ein wenig in die Flucht ſchlagen wird. Liebſter, goldenſter Doktor, laſſen Sie die ganze Armee Ihrer Kunſt anrücken, ich will ja geduldig die garſtigſten Mittel hinabſchlucken, unter Opodeldoc und ſpaniſchen Fliegen Ihr Loblied ſingen habe ich doch ſchon einmal ſiedenden Talg getrunken, um am andern Abend nur ſpielen zu können «

» Talg ſiedenden Talg getrunken? « riefen der Dichter entſetzt und der Doktor ungläubig aus.

Und ich erzählte:

» Es war in Riga. Ich hatte verſprochen, am fol¬ genden Abend zum Benefiz eines wackeren Kollegen und überreichen Familienvaters die » Precioſa « zu ſpielen, zu tanzen und ſingen. Und ich war am Morgen nach einer winterlichen Tanzgeſellſchaft mit einer totalen Heiſerkeit aufgewacht. Kein klares Wort wollte über meine Lippen. Ich ließ ſogleich den Direktor Dölle und den Benefizianten von dieſem wortloſen Hinderniß be¬ nachrichtigen. Beide ſtürmten mit einander heran. Der arme Benefiziant war mehr todt als lebendig. Er hatte nicht nur die meiſten Logen - und Parketplätze ſchon glück¬ lich verkauft, ſondern auch mit der ungewöhnlich reichen463 Einnahme ſeine ſchlimmſten Gläubiger bezahlt. » Und woher nun das Geld nehmen, um es dem Publikum zurückzuzahlen? Solch 'eine Einnahme hatte ich noch nie zu meinem Benefiz. Ich geh' ins Waſſer aber dann meine armen, armen elf Waislein « Ich konnte nur traurig ſtumm den Kopf ſchütteln. » Wenn Sie ſich entſchließen könnten, mein altes Künſtlerhausmittel zu gebrauchen? « ſagte Dölle kleinlaut. » Probatum est aber es iſt für eine zarte Dame doch wohl zu furchtbar ruſſiſch « Für mein Leben gern hätte ich aus dem » Feſt der Handwerker « geſungen: » Das wird ja den Ha als nicht koſten! « aber ich hatte keinen Ton in der Kehle. Ich mußte mich darauf beſchränken, panto¬ mimiſch zu ſagen: Nur heraus mit Eurem ruſſiſchen Mittel, ich bin zu Allem bereit! « Zagend fing Di¬ rektor Dölle an: » Sie müſſen einen Schoppen ſiedend heißes Braunbier langſam, ohne abzuſetzen, durch die heiſere Kehle gleiten laſſen. « Ich, wieder pantomi¬ miſch, mit vergnügtem Lächeln: » Pah! wenn's weiter nichts iſt? Tant de bruit pour une omelette « » Aber, es iſt noch weiter Etwas, verehrtes Fräulein, « ſagte Dölle immer kleinlauter. » Sie müſſen nämlich vor dem Trinken ein ganzes Talglicht ſo lange in das heiße Braunbier halten, bis ſie nur den Docht heraus¬ ziehen und zwar ein Talglicht, ſo dick und ſo lang, daß vier von der Sorte ein Pfund geben « Da ſchau¬ derte ich denn doch. Aber als ich den armen Benefi¬ zianten mit gefalteten Händen und angſtvollen Augen464 daſtehen ſah, ſchluckte ich erſt das Grauſen und hernach das hölliſche Koſackengebräu hinunter und am Abend ſang ich als Precioſa meines theuren Pius Alexander Wolff's ſchwärmeriſche Worte:

Einſam bin ich nicht alleine,
Denn es ſchwebt ja ſüß und mild
Um mich her beim Mondenſcheine
Dein geliebtes, theures Bild!

mit klarer, talgglatter Stimme den guten Rigaern zu. » Sie ſehen, Doktorchen, ich vermag das Meinige zu thun, nun thun Sie das Ihrige! «

Und der Doktor bepinſelte mir den Arm und wickelte ihn in Watte, ſo daß Eliſabeth von Heſſen ihn wirklich am andern Abend zu einigen fürſtlichen Geſten gebrauchen konnte. Der gute Dichter und die Dresdener ahnten aber nicht, welche glühenden, ſtechenden Schmerzen mich jede dieſer Geſten koſtete.

Noch Eins knüpfte das Freundſchaftsband zwiſchen Julius Moſen und mir feſter das war unſere ge¬ meinſame Verehrung für die Großherzogin Cäcilie von Oldenburg. Ich mußte dem Dichter und ſeiner Gattin oft von meinen Begegnungen mit der ſchönen und liebens¬ würdigen Fürſtin erzählen:

» Es war im Januar 1814. Ich war Jahr alt. Eine Freundin meiner Mutter hatte mich von Bruchſal auf einige Wochen zu ſich nach Karlsruhe eingeladen, um mit ihrem Töchterchen bei dem Tanzmeiſter Richard die Tänze à la mode einzuüben. Des guten Tanzmeiſters465 Fiedel war wohl noch nie ſo ſehr von kleinen Tänzerinnen in Anſpruch genommen worden, wie zu dieſer Zeit. Es ſtand ein ſeltenes Kinderfeſt bevor. Die Frau Markgräfin gab auf Wunſch ihrer Tochter Eliſabeth, Kaiſerin von Rußland, die in Karlsruhe zum Beſuch und eine große Kinderfreundin war, ihren lieblichen Enkelinnen, Prin¬ zeſſinnen Cäcilie und Amalie von Schweden, Töchter des unglücklichen vertriebenen Schwedenkönigs, der damals als Oberſt Guſtafsſon ſtill und faſt vergeſſen in Deutſch¬ land lebte, im Schloſſe einen fröhlichen Kinderball. Alle 4 10jährigen Töchterchen von Offizieren, höheren Staats¬ beamten und ſonſtigen Honoratioren von Karlsruhe waren eingeladen. Die größeren Mädchen übten die Tänze als Herren ein. Durch die Generalin von Freiſtedt erging noch in den letzten Tagen vor dem Feſt auch an mich eine Einladung. Wer war glücklicher als ich! » Aber Linchen hat ja kein Ballkleid! « dies Bedenken hätte faſt meine ganze Freude zerinnen laſſen. Doch ich wußte Rath. » Ich habe zu Hauſe ein wunderhübſches Jungen-Koſtüm, denn bis zum vorigen Sommer kleidete mich die Mutter gleich den Brüdern. Der Kittel iſt von grünem Percal, dazu weiße Höschen und eine lange grüne Atlas-Schärpe das wird mir die Mutter ſchicken. Da bin ich der einzige Herr unter den Tänzern und Herr Richard ſagt, ich tanze am beſten von allen kleinen Mädchen als Herr « Und die Mutter ſchickte mein Jungen-Koſtüm und dazu funkelnagelneue grüne Atlasſchuhe. Ich war ſelig. Etwas Schöneres auf der Welt, als dieſe kleinen Schuhe, gabErinnerungen ꝛc. 30466es für mich nicht. Ich küßte die reizenden Grünen, nahm ſie zärtlich in den Arm, wie eine Puppe, und tanzte ſo jubelnd durch's Zimmer. Wenn die andern kleinen Tänzerinnen in den letzten Tanzſtunden bei Richard mit ihren reizenden neuen Ballkleidern prahlten, dann ſagte ich wohl triumphirend: » Wer hat grüne Atlas¬ ſchuhe? Ich! Ich! «

Endlich war der köſtliche Ballabend da. Die fürſt¬ lichen Damen ſaßen im lichtfunkelnden Tanzſaale des Reſidenzſchloſſes auf einer Eſtrade. Die kleinen Tänzerinnen mußten zuerſt paarweiſe bei ihnen vorbeidefiliren und ihre Verbeugung machen, wie Herr Richard es uns ge¬ lehrt hatte. Ich, in meinem Jungen-Koſtüm und in den geliebten grünen Atlasſchuhen, den blonden Tituskopf mit friſchen Epheuranken geſchmückt, führte gravitätiſch meine kleine, weißgerockte Tänzerin und machte den fürſtlichen Damen meinen ſchönſten Diener. Da rief ein kleines, elfenhaftes Mädchen im roſa Tüllkleidchen neben der Kaiſerin Eliſabeth: » Tante, mit dem reizenden Knaben möchte ich tanzen! « Es war Prinzeſſin Cäcilie von Schweden.

Ein Kammerherr führte mich zu der Prinzeſſin und flüſterte mir zu, ich müſſe meine Tänzerin Hoheit und Sie anreden. Das kam mir kurios vor, einem ſo kleinen Mädchen gegenüber. Blöde ſtand ich da. Als aber der erſte Tanz geſpielt wurde und meine Tänzerin mir die Hand reichte da war alle Blödigkeit und Hoheit ver¬ geſſen und fröhlich und flink ſchwenkte ich Prinzeſſin467 Cäcilie durch den Saal. Dann tanzte ich mit der jüngeren Prinzeſſin Amalie und bald wollten beide kleinen Prin¬ zeſſinnen nur noch mit mir tanzen. Ich hielte ſie am beſten und ſchwenkte ſie am leichteſten ſagten ſie. Scherzend nannten ſie mich den guten Waldelfen, von dem ſie im Märchen geleſen, denn der habe auch Epheu¬ ranken im Haar und tanze ſo luſtig im Mondenſchein. Nach der großen Françaiſe mit Solo des Messieurs et des Dames wollte ich auch die Kuchenfreuden des Balles ein wenig genießen und delektirte mich gerade an einem ſüßen Fruchttörtchen da ſtand wieder der Kammerherr vor mir, nahm mir die Süßigkeit aus der Hand und ſagte freundlich: » Kleine, die Kaiſerin will Dich ſprechen. Zu der mußt Du immer Majesté! ſagen! « Damit faßte er meine Hand und führte mich zu der Kaiſerin Eliſabeth von Rußland. Die lächelte gütig zu mir nieder und ſagte dann ſanft:

» Ma petite, parlez-vouz français? «

Verſchüchtert ſchlug ich die Augen nieder. Denn ich verſtand von dieſer Anrede weiter nichts, als daß es fran¬ zöſiſche Worte ſeien. Aber ich konnte ja auch zwei fran¬ zöſiſche Worte ſagen oui und non! Alſo ich faßte mir ein Herz und ſagte auf gut Glück friſch drauf los:

» Oui, Majesté! «

» Le bal est charmant, n'est-ce pas? «

Da mußte ich doch auch mein anderes franzöſiſches Wort anbringen und ſo wechſelte ich hübſch ab:

» Non, Majesté! «

30*468

» Mes nièces vous ont joliment fatigué? «

» Oui, Majesté! «

» Aimez-vous la danse? «

» Non, Majesté! «

» Vous êtes un enfant charmant! «

» Oui, Majesté! «

Warum lachten die Umſtehenden? Das trieb mir die Thränen in die Augen. Die Kaiſerin aber lächelte gütig, zog mich an ſich, küßte mich auf die Stirn und ſagte deutſch: » Du biſt ein gutes Kind! « Mit über¬ ſtrömendem Gefühl küßte ich die ſanfte Hand und ſchluchzte dabei mein: » Oui, Majesté! Non, Majesté! «

Als ich im Jahre 1828 in Petersburg gaſtirte, war die gütige Kaiſerin Eliſabeth bereits von dieſer Erde geſchieden.

Die Prinzeſſinnen Cäcilie und Amalie von Schweden ſah ich ſpäter öfter, als die Mutter mit mir und den Brüdern nach Karlsruhe überſiedelte. Auf einem Jugend¬ balle bei der Generalin Freiſtedt erinnerten ſie ſich und mich freundlich an ihren erſten Tänzer, den epheu¬ bekränzten Waldelfen aus dem Märchen, und wir lachten herzlich miteinander über das närriſche Oui und Non.

Als ich dann wiederum nach einigen Jahren in Karlsruhe die Bühne betrat, und mit Glück als » Mar¬ garethe « in den Hageſtolzen und als » Precioſa « debütirt hatte, ließ mich die Königin von Schweden in ihr Palais bitten. Die Prinzeſſinnen hatten meinem Debüt bei¬ gewohnt und wollten ihrem » ehemaligen Kavalier « ihren Glückwunſch ausſprechen.

469

Beide Prinzeſſinnen waren lieblich erblüht. Amalie, zart, blaß, blondgelockt, mit tiefblauen, wehmüthigen Augen, war eine ätheriſche Erſcheinung. Cäcilie dagegen glühte wie eine friſche Roſe; lange, braune Locken um¬ floſſen glänzend das edelſchöne Geſicht, und ihre wunder¬ vollen Augen leuchteten bald auf wie die eines fröhlichen Kindes, bald blickten ſie ſinnend mild wie bei Murillo's Madonnen. Und Beide waren gut und lieb zu der kleinen Komödiantin, wie einſt zu ihrem kindlichen Tänzer. Sie verſäumten auch nie eine Vorſtellung, wenn ich in einer neuen Rolle auftrat, und nickten mir ſogar oft aus ihrer Loge auf die Bühne ermuthigend zu. Und als ich im Mai 1824 Abſchied von Karlsruhe und auch im ſchwediſchen Palais nahm, um in mein neues Engagement nach Berlin zu gehen, da waren beide Prinzeſſinnen ſichtbar betrübt.

» Wann werden wir Sie wiederſehen? « fragte Cäcilie.

» Wenn ich den Namen Künſtlerin verdiene! «

» Und wenn wir Sie dann rufen? « ſagte Cäcilie.

» So fliege ich herbei! « war meine thränenerſtickte Antwort.

Die Königin von Schweden ſollte ich nicht wieder¬ ſehen. Sie ſchloß bald darauf die ſchönen Augen, die ſo viel geweint haben, wie wohl keine anderen Augen, über denen einſt eine Königskrone ſtrahlte. Aber nach vierzehn Jahren, als ich in Bremen gaſtirte, ließ Cäcilie, Großherzogin von Oldenburg, die » Künſtlerin « zu einem Gaſtſpiel nach Oldenburg einladen und mir ſchreiben: » Der Weg von Bremen hierher iſt langweilig, die470 pekuniären Vortheile des Gaſtſpiels können nicht bedeutend ſein, aber die Großherzogin hofft, die Künſtlerin kommt gern, ihrer Jugendtänzerin Cäcilie wegen «

Und wie gern kam ich! Welch 'ein Wiederſehen war das zwiſchen Fürſtin und Künſtlerin! Die Großher¬ zogin Cäcilie war eine edel-ſchöne, königliche Erſcheinung, aber herzlich und freundlich, wie in den alten Oui - und Non-Tagen. Davon erzählte ſie auch einfach bürgerlich » ihrem Mann «, wie ſie den bedeutend älteren Großherzog nannte, der mir viel Treffendes und Geiſtvolles über meine » Donna Diana « ſagte. Nach zwei Jahren folgte ich gern einer neuen Einladung zu einem längeren Gaſt¬ ſpiel nach Oldenburg. Die Maria Stuart ſpielte ich vor geräumtem Orcheſter, etwas Unerhörtes für die kleine Reſidenz. Es ſpielte und lebte ſich hübſch in Oldenburg. Ein gutes, fein gerundetes Enſemble entzückte mich. Die Schauſpieler hielten freundlich zuſammen, wie eine große Familie. Herr von Starklof war ein geiſt - und gemüth¬ voller Intendant, ein feiner Kunſt - und Menſchenkenner und ein noch größerer Kunſt - und Menſchenfreund. Er war dem Hofe und ſeinem Kunſtinſtitut wahrhaft ergeben, und für die Schauſpieler ſorgte er wie ein guter Vater. Er hatte nur über beſcheidene Mittel zu verfügen, aber da keine koſtſpielige Oper, kein Luxus-Ballet davon zehrten, ſo vermochte er für das Schauſpiel Bedeutendes zu leiſten. Beſonders entzückte mich an dem Intendanten ſein köſt¬ licher Humor und dennoch, nach wenigen Jahren ſchon ſollte er das Opfer einer finſteren Stunde werden. 471Er ertränkte ſich. Erſt ſo lebensmuthig, ward er plötzlich ſo lebensmüde wie Raimund! Ja, es giebt bitter¬ ſchwere Menſchenräthſel hier unten.

Es fehlte 1840 an einer erſten Liebhaberin, da die ſchöne und talentvolle Mad. Moltke plötzlich geſtorben war. Halb im Scherz hatte ich ſchon oft zu der Mutter geſagt: » Wenn mein Kontrakt in Dresden abgelaufen iſt, wollen wir nach Oldenburg überſiedeln. Ich glaube, die Großherzogin würde ſich auch freuen, das alte Karlsruher Oui und Non hier zu haben! « » Ich habe auch ſchon daran gedacht, Lina, « ſagte die Mutter ernſthaft. » In Oldenburg möchte auch ich wohl leben und ſterben. «

Und dann ſchlug die Großherzogin eines Tages ſelber dieſe Saite an. Es war nach meiner ſo glänzend auf¬ genommenen » Maria Stuart «. Die Großherzogin ſprach echt weiblich über meine Auffaſſung dieſer Rolle. Dann ſagte ſie plötzlich: » könnte Schottlands Königin ſich wohl entſchließen, über die Herzen des kleinen Oldenburgs das meine mit inbegriffen dauernd zu herrſchen? «

Ich ſagte gerührt, daß es ſchon lange ein ſtiller, lieber Wunſch von mir ſei, eine treue Unterthanin Cäciliens von Oldenburg zu werden.

» Aber unſere Bühne iſt klein und nicht reich « ſagte ſie leiſe, wie verlegen.

» Der längere Urlaub, der wohlfeilere Aufenthalt hier ſtellt das Gleichgewicht ſicher wieder her! « ſagte ich feſt und unter Thränen lächelnd fuhr ich fort: » und ſollte wirklich noch ein wenig am Goldgewicht fehlen, ſo

472legt Oui und Non ſein verehrendes Herz und die theuerſten Kindheitserinnerungen mit dazu «

Herzlich reichte mir die Fürſtin ihre ſchöne Hand. Ich küßte ſie.

Da trat der Großherzog ein. Freudig, wichtig rief die holde Frau ihm entgegen: » Fräulein Bauer will wirklich die Unſrige werden unſerer Kinderzeit zuliebe! «

» Das freut mich herzlich, am meiſten um Deinet¬ willen, Cäcilie, Kind, Du biſt ja ganz Feuer und Flamme Und wann können Sie zu uns kommen? « wen¬ dete der Fürſt ſich zu mir.

» In zwei Jahren bin ich frei! «

Die Großherzogin hatte aus einem Käſtchen eine reizende Broche genommen. Eine Biene, kunſtvoll aus Edelſteinen gebildet, ſitzt auf Blumen mit Diamantthau¬ tropfen. Die reichte ſie mir mit den Worten: » Dieſe kleine Biene erinnere die Künſtlerin an dieſe Stunde und an die Blumen, die in Oldenburg ihrer warten! «

Als ich nach meiner ſechſten Gaſtrolle mich im Schloß zu Oldenburg verabſchiedete, fand ich die ſchöne Fürſtin niedergeſchlagen, müde und traurig. » Faſt könnte ich Sie um Ihr frohes, friſches Künſtlerherz und ewig ſchaffendes, buntbewegtes Leben beneiden! « ſagte Sie mit wehmüthigem Lächeln. Und als ich Cäcilie von Olden¬ burg, die von dem Gatten und ihrem Volk geliebt und auf Händen getragen wurde, ſtaunend anſah, fuhr ſie noch trauriger fort: » Ich habe vorhin mal wieder meiner beiden lieben kleinen Knaben gedenken müſſen, die geſtorben473 ſind. Dann fühle ich mich unter allem Glanz ſo recht arm und allein. Und auch mein Mann ſehnt ſich ſo ſehr nach Kindern «

Ihr » Lebewohl! « und » Auf Wiederſehen! « klingt mir noch heute traurig durch's Herz

Davon ſprach ich mit Julius Moſen und ſeiner Gattin ſo gern. Hatte Moſen doch gerade damals einen ſehr ehrenvollen Ruf als Dramaturg nach Oldenburg erhalten. Und wir waren hoffnungsfröhlich, uns bald in Oldenburg wieder zu begegnen und unter Cäciliens Augen künſtleriſch mit einander wirken zu können

Da kommt Moſen eines Tags todtenbleich zu mir: » Unſere Großherzogin iſt plötzlich geſtorben «

Ich weinte viele Thränen um die edle Fürſtin. Und nach Oldenburg bin ich nie wieder gegangen. Cäcilie erwartete mich ja nicht mehr.

Auch Julius Moſen wurde in Oldenburg zu Grabe getragen, nachdem er dort zwanzig Jahre lang an's Schmerzenslager gekettet war. Aber der Geiſt und das Herz lebten, glühten, ſchafften göttlich frei und rein in dem gefeſſelten Prometheus.

Ich ſollte Moſen nach jenen Dresdener Tagen nicht wiederſehen. Aber wir blieben Freunde bis an's Grab. Moſen war groß als Dichter, aber noch größer als Dulder. Doch auch an des Lebens leuchtendſten Blumen fehlte es dieſer ſchmerzensreichen Krankenſtube nicht. Ein Engel der opferfreudigſten Liebe und Milde wachte, ſorgte tröſtete, linderte die vielen, vielen bangen Jahre hindurch474 an dem Siechenlager des vollſtändig gelähmten Dichters ſeine Gattin, Minna Moſen. Hoffnungsvolle Söhne blühten am Krankenbett des Vaters auf. Der älteſte iſt vor wenigen Monaten dem Vater gefolgt in's beſſere Land. Erich Moſen hatte vom Vater das große, freiheit¬ glühende, echt deutſche Herz. Schon 1866 ging er mit Preußen für die deutſche Sache begeiſtert freiwillig in den Kampf, und jetzt wieder gehörte er zu den erſten Freiwilligen, die gegen den deutſchen Erbfeind Frank¬ reich ſiegesfröhlich, ſterbensmuthig in's Feld zogen. Bei Mars la Tour hat er ſein Herzblut dahingegeben für ſein theures, großes, herrliches Vaterland. Die arme, arme Mutter ſandte der alten Freundin aus frohen Jugend¬ tagen das Bild ihres Heldenſohnes. Er iſt ſo recht das Abbild eines ſchönen, reinen deutſchen Jünglings! Und wie es mich an den Vater und an die alten guten Dres¬ dener Tage erinnerte! Wehmüthig!

Ja, ſchon manches, manches Blatt ſah ich um mich niederfallen frühlingsgrüne und herbſtesmüde. Und wie Viele nein, wie Wenige ſind noch übrig aus den alten lenzfrohen Tagen? Und es geht immer tiefer in den Herbſt hinein. Im Walde wird's ſtiller und ſtiller und öder und öder. Wie müde die wenigen Blätter an den Zweigen zittern und wie welk! Nur die Erinnerung grünt fort und fort, wie der Epheu um die winterlichen Bäume

475

Der Tod meiner guten Mutter, die mir 22 Jahre hindurch in meinem Bühnenleben die treueſte Gefährtin und Freundin, Stütze und Beſchützerin geweſen war, be¬ wog mich, der Bühne zu entſagen und einer theuren Hand in ein zurückgezogenes Stillleben zu folgen. In Gutzkow's » Werner «, als Armand, Richelieu im » Erſten Waffengang « und Franziska in » Mutter und Sohn « nahm ich im März 1844 von meiner lieben Bühne und dem freundlichen Dresden Abſchied für immer. Es war mir ein Herzensbedürfniß, in dieſer ſchmuckloſen Auf¬ zeichnung meiner Bühnenerinnerungen den goldenen Jugendtraum noch einmal an mir vorüberziehen zu laſſen durch meinen ſchönen ſtillen Abendtraum. Es hat mich tief gerührt und beglückt, daß dieſe Erinnerungen bei ihrem erſten vereinzelten Erſcheinen einen ſo freund¬ lichen Wiederhall in ſo vielen jungen und alten Herzen gefunden haben daß Karoline Bauer nicht ver¬ geſſen iſt. Herzlichen Dank dafür, innigen Gruß meinem theuren deutſchen Vaterlande, ein gerührtes Lebewohl allen Freunden und, ſo Gott will, hin und wieder ein freundliches Zuſammenklingen unſerer Herzen in ſpä¬ teren Erinnerungsblättern.

Berlin, gedruckt in der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei (R. v. Decker).

About this transcription

TextAus meinem Bühnenleben
Author Karoline Bauer
Extent507 images; 98624 tokens; 17000 types; 711792 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationAus meinem Bühnenleben Erinnerungen Karoline Bauer. Arnold Wellmer (ed.) . XVI, 475 S. DeckerBerlin1871.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yp 1742<a>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=604087934

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; Autobiographie; core; ready; ocr; women

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:08Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Yp 1742<a>
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.