Meinen getreuen Freunden Theodor Kugler, Guſtav Mühl, Auguſt Nefftzer zur Erinnerung an entſchwundener Jugendzeit trauliche Weiheſtunden gewidmet.
Nancy, den 29. Mai 1853.
K. C.
Ich könnte es überhoben sein, diese von Lothrin¬ gen her uns dargereichte innige und seelenvolle dich¬ tung mit meinen worten zu begleiten, da unfehlbar ihr reines, zartgefaltetes gewand den blick von selbst auf sich ziehen wird. ihre überschrift mahnt mich an Otfried, der, bald sind es nun schon tausend jahre, im kloster Weiszenburg, also auch jenseit Rheines, seinen evangeliono deil den stolzen Franken laut er¬ schallen liesz, thaz wir Kriste sungun in unsera zungun; fast um dieselbe zeit, wo eines armen im walde hütenden hirten stimme, dessen name verschollen ist, durch ein nachtgesicht plötzlich zur poesie entzündet, den Alt¬ sachsen ihren Heiland sang. so begierig waren diese Deutschen, ihres frischen glaubens inhalt aus dem rö¬ mischen kleid zu ziehen und in ein heimisches, dem volke gefüges zu gieszen; sie folgten den evangelischen berichten auf dem fusze, Otfried mehr aushebend, er¬ bauliche, geistliche gedanken zwischen einstreuend, der Sachse voller, epischer, in seiner mildeindringenden sprache klingen heidnische weisen nach. welchen eindruck diese werke auf ihre zeitgenossen hinter¬ lieszen, wissen wir nicht, beide dichter hätten aber nicht zu ahnen vermocht, wie zu danke sie späten ge¬ schlechtern geschrieben haben, denen nichts höher an¬ lag, als aus dem schutte langer vergessenheit die sie¬VI benschläfer zu wecken, und an ihrer unverwitterten gestalt, als lautersten denkmälern, die regel und den ganzen wollaut unserer alten sprache zu erforschen. solange deutsche zunge dauert, werden diese ehrwür¬ digen gedichte gelesen werden und nimmer untergehn. O des wandels! eine edle hehre dichtung, die vor erst hundert jahren in allen händen war, und mit mäch¬ tigem ruck durch ihren angebornen adel unsere gesamte poesie empor gehoben hat, beginnt, wer wollte es sich verbergen?, ungelesen zu sein und zu versinken. Klop¬ stocks Messias, nachdem er so grosze, in ihm und zu¬ gleich auszer ihm gelegene Wirkung auf seine zeit her¬ vorgebracht hatte, hört fortzuleben auf, und wir müssen ihn heute für ein verfehltes werk erklären. sein dichter wähnte dadurch, dasz er in der evangelisten heilige berichterstattung eine reihe englischer, menschlicher und teuflischer wesen schaltete, ein wahrhaftes epos zu er¬ zeugen, da doch die zwischentretenden gestalten immer nur scheinthätig sind, d. h. alles was geschieht eben¬ so wol auch ohne sie geschehen müste oder geschehen wäre. diese schwebenden und betenden cherubim und seraphim bis auf unser überempfindsames urelternpaar herab halten nicht wider, sie sind lauter fünfte räder am wagen und werden durch ihre erdichtung und unwahr¬ heit uns auf die länge unerträglich, jedes epos aber fordert ungestörten glauben. Klopstocks Christus selbst, so erhaben und gefühlvoll er gehalten sei, ist doch we¬ der geistig fein genug, noch menschlich blühend, dasz beide naturen einander tief durchdrängen.
Christus ist gar nicht episch darzustellen, nur lyrisch, denn aller mythischen auffassung entgegen strebt die unverrückbare bestimmtheit unserer religion.VII wer aber sehen will, wie lyrisch er aufzunehmen und wiederzugeben sei, lese, dünkt mich, unsern neuen dichter, der vom boden menschlicher und irdischer gefühle aus dem innersten seiner brust ausgehend auf in geistige höhe klimmt und sich von ihr herabsenkt, um von seinem fluge zu ruhen und zum aufschwung neue stärke zu sammeln. diese mit dichterischer be¬ sonnenheit überall gepaarte schwärmerei scheint sein eigenstes kennzeichen, und steigender funken art ist es zu schwärmen, ja alle lyrische begeisterung, mag sie gott, den sieg oder die liebe zum gegenstand haben, musz schwärmerisch sein.
Des dichters deutschen Christus dürfte man so nehmen, als ob heimwehvoll und im bewustsein der ihm ungeschwächt einwohnenden muttersprache er seine lieder entsende. vielmehr aber ist offenbar die meinung, dasz er einen Christus in deutschem sinn aufstelle, wie ihn deutsche gemütsart und gedankenerhebung ge¬ funden, gehegt und erkannt hat, seit durch die reforma¬ tion herz und glaube gelöst und frei gemacht und jener kalte, allgemeine Christus der katholischen kirche aufgehoben wurde. als echten protestanten gibt den verfasser schon seine äuszere stellung kund, und schöne, warme worte, die jeder finden wird, verbürgen ihn.
Er wählte sich eine der geschmeidigsten italieni¬ schen formen aus, die vollen gedankenreichthum wal¬ ten läszt und in ungezwungne reime einschlieszt; unter allen würde ich der vierten canzone und der zwölften den preis zuerkennen, worin er seines sohnes taufe feiert, den an die hergegebnen weihetropfen dereinst zu mahnen er alle gewässer lieblich aufruft.
Mir verargt es keiner, wenn ich ein paar wort¬VIII bemerkungen beifüge. Candidus bedient sich einiger ungewöhnlichen ausdrücke, die er vielleicht einführt, wie neustets für stets von neuem, er setzt im conjunctiv das praeteritum statt des praesens, wie seite 69 entböte, 75 sprösse, was aber mit einem empfindlichen mangel unserer sprache zusammenhängt, seite 7 möchte man lesen hatt es für hat es. schneuse für schneise seite 87 kann gestattet werden. herse seite 64 für egge, im reim auf ferse schwer zu meiden, ist das einzige ent¬ schlüpfte französische wort (aus irpex, ital. erpice, harpago). die schreibung ortnung sucht bezüge auf ort, spitze, ecke, wovon doch schon in der alten sprache orde, ordnung fern steht, wol aber könnte tief¬ einschlagende etymologie die verhüllte verwandtschaft zwischen sohn und sühne (goth. sunus und saun) an den tag bringen.
Berlin 26 dec. 1853.
Jacob Grimm.
Nun freue ich mich in meinem Leiden, daß ich für euch leide, und erſtatte an meinem Fleiſche, was noch mangelt an Trübſalen in Chriſto, für ſeinen Leib, welcher iſt die Gemeinde.
Was iſt das für ein Glanz und Stral?
Es ſteht verklärt ein Todespfal.
Ein kahler Kreuzesſtamm ſchlägt aus?
In einen grünen Lebensſtrauß!
Sagt, was belebt ihn für ein Saft?
Es iſt der Liebe Wort und Kraft.
Was fließt in ſeinen Adern gut?
Es iſt ein dreimal heilig Blut.
Wie ſteht der Baum ſo göttlich kühn! Wie rauſchet uns der Aeſte Grün! Des Himmels Lichter glänzen dran Und Früchte roſig angethan! O Weihnachtsbaum, o Lebensholz, O Demutsſtamm, o Freiheitsſtolz, Erhebe dich am Strom der Zeit Voll Kraft und Herrlichkeit!
Hat nicht die Erde ſich bewegt?
Der Bauherr hat den Grund gelegt.
Was beut ſich meinen Blicken dar?
Ein Münſter hehr und wunderbar.
Wie heißt der Grundſtein?
Jeſus Chriſt.
Wie heißt der Schlußſtein?
Jeſus Chriſt.
Wie heißt die Säule?
Jeſus Chriſt.
Nennt mir den Gott auch.
Jeſus Chriſt.
O Kirche Chriſti, Braut und Chriſt, Wie Prieſter du und Opfer biſt, Gott und Gemeine allzugleich, An aller Gottesfülle reich, Du voller Mond, Abglanz des Herrn, Du ſelber Herr, du nah, du fern, O Münſter, rage himmelhoch Und ſei der Himmel doch!
Was rauſcht ſo wunderlieblich gar?
In Kanaan ein Bergquell klar.
Was deckt wie Meeresflut das Land?
Erkenntniß Gottes wird's genannt.
Wer iſt die Quelle?
Jeſus Chriſt.
Wer iſt das Weltmeer?
Jeſus Chriſt.
Wer hat beſiegt den grimmen Tod?
Der uns Erkenntniß Gottes bot.
O du dich ſelbſt Ergründender, Uns ew'ges Leben Spendender, Gott Vater, Sohn und heil'ger Geiſt, Der ſich als Eines uns erweiſt, Alleins, Allmittler, Jeſu Chriſt, Du aller Schönheit Umkreis biſt! Auf! geſtern Jeſus Chriſt und heut ', Derſelb' in Ewigkeit.
Druck von Otto Wigand in Leipzig.
S. 43. Z. 2. v. o. ſetze nach Straßen ein Komma.
S. 89. Z. 6. v. u. iſt nach ſinket ebenfalls ein Komma ſtatt des Puncts zu ſetzen.
Leipzig Verlag von S. Hirzel. 1854.
Druck von Otto Wigand in Leipzig.
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