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Bitterſüß.
Novellen
Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1891.
Bitterſüß.
Novellen.
Bitterſüß.
Novellen
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Berlin. Verlag von Gebrüder Paetel. 1891.

Inhaltsverzeichniß.

  • Seite
  • 1. Frauenliebe1
  • 2. Monika145
  • 3. Klärchen's Frühlingsfahrt187

Frauenliebe.

Es lag noch Schnee auf den ſchwerer zugänglichen Plätzen, in den Winkeln, welche die Sperrketten und Prellſteine vor den Seiten der Kirchen und der Muſeen bilden, aber der Schnee war ſtaubig und mürb, und auf den Sperrketten ſaßen die kleinen Mädchen und hatten beim Schaukeln die Winterjacken ausgezogen. In der Mitte der Straße floß das Schneewaſſer wie ein Bächlein bergab und rauſchte ordentlich, und um die leeren Baumkronen lag ein verheißungsvoller Schein, wie der Schatten künftiger Belaubung.

Ein junger Mann, ein ſchlanker, hübſcher Menſch mit einer Mappe unter dem Arm, ſchlenderte die Straße hinab, mit jener wohligen Läſſigkeit, die uns ſo gern im Frühling[überfällt], und ſtreifte mit träumeriſchen Augen die ſonnenbeſchienenen Häuſer mit den halboffenen Fenſtern, dann wieder die Am¬ ſeln auf den Bäumen, die es mit Hüpfen und Flöten höchſt eifrig hatten, endlich die ſchaukelnden MädchenFrapan, Bitterſüß. 12auf den Sperrketten, die nicht minder als jene kicher¬ ten und lärmten.

Endlich wandte er ſein ganz in Freude ge¬ tauchtes Geſicht zu einer der Kleinen nieder und fragte nach einem Hauſe und einem Namen, die er hier in der Adalbertſtraße zu ſuchen gekommen. Die kleine Münchnerin verſtand nicht ſogleich, denn er kam aus dem Norden, war erſt am vorigen Abend in der ſchönen Iſarſtadt angekommen, und das Kind lachte verlegen, ſtatt zu antworten. Ein größeres Mädchen trat dienſtfertig herzu und gab ihm die ge¬ wünſchte Auskunft.

Die Frau Brückner wohnt da, aber 's wird Alles beſetzt ſein; ſie hat ſieben Zimmerherren, lauter Maler und Studenten.

Du weißt ja gut Beſcheid, ſagte er lächelnd, iſt ſonſt kein Zimmer in der Nähe zu vermiethen?

Es gibt ſchon, wenn der Herr mitgehen will, ſagte die Kleine geſchmeichelt.

Sie führte ihn in ein Haus, das beſcheiden und ſchmucklos mit ſeinen kleinen karrirten Scheiben zwiſchen den neuen hohen erkerreichen Gebäuden ſtand. Unten war eine geringe Wirthſchaft.

Ueber eine Stiege, da wohnt meine Baſ ', die hat Platz.

Eine muntere Bürgersfrau begrüßte die Ankömm¬3 linge, aus der Küche tretend, die wie eine appetitlich duftende Nebelhöhle ausſah. Sie riß ſich die naſſe Schürze ab und ſchleuderte ſie hinter ſich; dann ging ſie mit einladendem Rückwärtsblicken den etwas dunk¬ len Gang hinab und öffnete die letzte Thür. Mit einem gewiſſen Stolz wies ſie ihm das hochgethürmte Bett mit dem bunten Zitzüberwurf, den breiten blau und weißen Kachelofen, das Haartuchſopha neben dem Fenſter und den verhängten Rahmen in der Ecke, der ſtatt eines Kleiderſchranks diente.

Und a Stiefelknecht kommt au no doher; ſchaug'ns, 's is a Fräulen dogeweſen, die hat koa braucht, und a Kerzen; und dös Waſchſchüſſerl, was do herein g'hört, is in der Kuchel; 's Fräulen hat a eigenes gehabt, wiſſens; Emerenz, bring 'doch g'ſchwind 'm ſeligen Herrn Panther ſein Waſch¬ ſchüſſerl her, daß der Herre ſiecht, daß alles in der Ordnung is.

Der junge Mann war ans Fenſter getreten und hatte eine der Scheiben geöffnet, die bei jedem Schritt auf dem ſchwächlichen Fußboden und bei jedem Wagen¬ geraſſel draußen ſurrend erzitterten. Ein voller Strahl der Märzſonne kam herein und dem Fremden in die Augen, daß er ſie blinzelnd wegdrehen mußte.

Dieſer warme Gruß überzeugte ihn vollends, daß er's hier ſehr gut getroffen habe, und über der Waſchſchüſſel, die Emerenz wie ein Opfergefäß zwiſchen1*4ſie beide hielt, ward er mit der Wirthin einig. Er gab ihr ſeine Karte, von der ſie ihm ſeinen Namen Alfred Heuvels, Bildhauer, ſtotternd vorlas, und die dienſtfertige Emerenz ſchickte ihm ihren Bruder, den Buben heraus, daß er für ſeinen Handkoffer doch keinen Fiaker zu nehmen brauche.

Sonderbar angeheimelt, obgleich ihm doch hier Alles fremd war, und berauſcht von dem immer¬ währenden Bewußtſein: das iſt nun München, nach dem ich mich ſo geſehnt habe, ſah ſich Alfred bald wieder in der prächtigen Bahnhofshalle und las mit lächelnden Blicken die Aufſchriften an den großen Ta¬ feln: Nach Starnberg; nach Salzburg; nach Innsbruck, Da geh ich überall hin, ſagte er ſich heimlich, und es ſchien ihm, als lache Italien ganz nahe zu ihm herüber, und er dürfe nur die Hand ausſtrecken und ſich hineinſchwingen. Freilich einſt¬ weilen noch nicht, erſt wollte er hierbleiben, ge¬ nießen, ſehen, lernen, arbeiten. Aber er fühlte, daß er das Sehen am Nöthigſten habe.

Vielleicht öffnete ihm ein bedeutender Künſtler ſein Atelier. Ihm klopfte das Herz vor Freude und Bangen, wenn er an ſeine eigenen geringen Entwürfe und an die überſchwängliche Fülle des Schönen dachte, die ihn hier erwartete. Eine dankbare Regung über¬ kam ihn gegen den unfreundlichen, geizigen Onkel, der ihm nun doch in ſeinem Teſtament dreitauſend5 Thaler vermacht hatte. Solch einen Schatz in der Taſche, und dazu fünfundzwanzig Jahre, Geſundheit, leichtes Herz und Augen, die nach Schönheit dürſteten und weit offen waren für die Lieblichkeit der Welt er genoß ſein Glück mit gerührter Seele. Ueber¬ muth war ihm fremd.

Er war hart auferzogen worden, hatte früh ums Brot arbeiten müſſen, ſeinem Vater, der Steinmetz und ſchwach auf der Bruſt war, früh beiſpringen müſſen. Und wenn der Vater ein Grabkreuz zu meißeln bekam, da war allemal Jemand geſtorben, den der kleine Alfred auch gekannt hatte, und zugleich mit der Freude über den Auftrag kam eine weinende Nach¬ barin in die Thür, und der Kleine ſah lieber frohe Geſichter. So ging ihm der Ernſt des Lebens früh¬ zeitig auf. Nun lebten die Eltern wohlverſorgt bei ſeiner älteren Schweſter, die einen vermögenden Holzhändler geheirathet hatte, und ihm war durch das Vermächtniß des Onkels der heißeſte Lebens¬ wunſch erfüllt. Was hatte er denn bis jetzt gelernt? Er war der beſte Schüler geweſen in der Gewerbe¬ ſchule, zu der er zwei Stunden weit täglich hatte marſchiren müſſen. Pah, eine Gewerbeſchule, die 's ja ſchon durch ihren Namen anſagt, daß ſie nichts mit der Kunſt zu ſchaffen habe. Danach freilich hatte er bei einem tüchtigen Bildhauer in Hamburg ar¬ beiten dürfen, fünf Jahre lang. Aber hatte nicht6 auch dieſer wackre Lehrer ihm vertraut, er ſei dort oben wie im Exil und könnte gar nimmer fort¬ machen, wenn er nicht ſo oft als thunlich im künſt¬ leriſchen Süden neue Anregung und Erfriſchung hole? Und wie hatte ihm die theilnehmende Freude vom Geſicht geleuchtet, als ihm Alfred den Glückszufall mit der Erbſchaft erzählt.

Gut, gut, da machen Sie geſchwind, daß Sie fortkommen, es iſt hohe Zeit für Sie. Dreitauſend Thaler? Das muß für acht, für zehn Jahre reichen, wenn Sie ſolid bleiben. Und nur nicht gleich hei¬ rathen! dann iſt's verſpielt, hatte er ſeufzend hin¬ zugefügt. Und als der Schüler kopfſchüttelnd gelacht: Ja, jetzt hat's Lachen keinen Werth, lachen Sie, wann Sie verliebt ſind! Eh glaub 'ich's nicht. Ein Hitzkopf ſind Sie auch. Und dann noch einmal beim Abſchied: Alſo Briefe, Berichte willkommen, aber Verlobungsanzeig verbitt ich, vor Ihrem fünfzigſten Geburtstag.

Warum kamen ihm dieſe ganz überflüſſigen Worte jetzt wieder in den Sinn, während er ſie beim Anhören nicht groß beachtet hatte? War es nicht vielleicht ſchon ein Gefühl der Einſamkeit in all dem neuen Glück, die Empfindung: hätt 'ich nur Jemand, dem ich's ſagen dürfte, wie ſchön das alles hier iſt? Er ertappte ſich darauf, daß er einem jungen, eifrig plaudernden Paare mit langem Halſe nachſah und7 erröthete, denn er hatte an die Stelle des jungen Mannes, der ſo lebhaft auf das Mädchen an ſeinem Arm einredete, ſich ſelbſt geſetzt In der Beſchämung darüber machte er auf einmal ſo weite Schritte wie um ſich ſelbſt zu entlaufen, daß der kleine Koffer¬ träger kläglich zu ſchnaufen begann und ſein Gepäck zuletzt rathlos und zornig auf den Boden ſtellte. Nun kam ihm der Gutmüthige ſchnell zu Hülfe. Er griff ſelbſt nach dem ſchwerſten Stück, ja drückte dem Buben gar die ſchmierige Mütze, die ihm entfallen war, wieder auf die ſchwarzen Haare und ſcherzte ſo freundlich mit ihm, daß der breite Mund ſich noch breiter zog, und die ſchiefen gelben Zähne hervorbleck¬ ten wie bei einem Teckel, den man ſtreichelt. Es war ein garſtiger Junge, aber heut' ſollte keiner ein kläg¬ liches oder böſes Geſicht machen ſeinetwegen. Er gab ihm ein ſo reiches Geldgeſchenk, daß der kleine Träger ohne Dank davonrannte und gleich mit einer Hand voll Münz zurückkam; er hatte wechſeln laſſen, weil er nicht geglaubt, das Alles ſei für ihn. Als er es zuletzt begriff, ſchoß ein warmer dankbarer Hunde¬ blick aus ſeinen kleinen Augen; der war von Stund an dem Fremden zugethan, das fühlten ſie alle Beide.

Sobald er ſich's etwas behaglich gemacht, ſchloß Alfred ſeinen Koffer auf, um an die Eltern zu ſchreiben.

Vielleicht war das ein Weg, ſich die Bruſt zu8 erleichtern. Doch hatte er kaum die Feder angeſetzt, als ihm einfiel, weder Vater noch Mutter würden recht begreifen, was er eigentlich meine, und ſo ſchrieb er nur eine flüchtige Karte, die meldete, daß er wohl angekommen ſei. Er begann einen Brief an die Schweſter; wie er ſich aber vorſtellte, daß grade ſie am wenigſten Verſtändniß für ſeine Luſt hinaus ge¬ habt, wie ſie ihm eifrig zugeredet, des Vaters ſchönes Geſchäft zu übernehmen und die Schweſter ihres Mannes zu heirathen, die wohlhabend und kaum zwei Jahre älter war als er, kamen ihm ſeine eignen Zeilen lächerlich vor, und er zerriß den Bogen mit einem drückenden Gefühl der Fremdheit gegen die erſte Freundin und Geſpielin ſeiner Kinderjahre. Nein, er wollte ſeinem Lehrer ſchreiben, dem guten Bildhauer, dem er Alles verdankte! Schreiben! Doch was? Hatte er denn ſchon etwas geſehen? Alles, was er ſagen gewollt, zerfloß in Nebel, wenn er des humoriſtiſchen Graukopfs gedachte, wenn er ſich des fatalen Lippenzuckens erinnerte, mit dem der ſolch 'einen blauen Dunſt von ſeinem älteſten Schüler aufnehmen würde. Nicht doch, dem ſchrieb man ernſte Briefe, inhaltreiche Briefe über Studium und Arbeit.

Alfred legte ſein Schreibgeräth in die Schieb¬ lade zurück in eigenthümlicher Enttäuſchung. Daß er hier fremd ſein mußte, war natürlich, aber daß er in der Heimath im Grunde ebenſo allein ſtand, war9 ihm nie ſo zum Bewußtſein gekommen. Aus dem Nebenzimmer drang der kratzende Ton einer Feder, die eilig und unermüdlich übers Papier glitt. Durch die breite Spalte der Thür ſah er im Vorübergehen einen geſenkten dunklen Kopf und heiße Wangen. Der ſchreibt gewiß an ſeinen Schatz, flog es ihm durch den Sinn.

Er nahm Rock und Hut und ging ins Gärtner¬ theater. Man gab ein oberbayriſches Volksſtück, rührſelig und derb komiſch, aber er nahm es ohne Kritik hin und erfreute ſich an dem echten Spiel, an Geſtalten und Trachten und an der Mundart, obwohl er ſie nur halb verſtand. Da geh ich auch überall hin, wiederholte er ſich, wie am Mittag.

Er hätte auch gern geplaudert in den Zwiſchen¬ akten, wie die Leute rechts und links um ihn. Seine Nachbarin war ein blühendes Mädchen mit muntern Augen, aber ſie blickte immer nach der andern Seite. Da entfiel ihr der Theaterzettel. Al¬ fred war hinterdrein, als ſei es ein Kleinod, und er¬ faßte ihn im Fluge. Aber ſie nahm ihn garnicht, dankte nur obenhin: Ich brauch 'ihn nimmer, und ſprach wieder mit ihrem Begleiter. Wenn man ihm bei ſeiner Abreiſe in Hamburg geſagt hätte: Du meinſt wohl, in München ſtehe ſchon Alles auf den Zehen und warte, bis Du kommſt? ſo wäre er ſicherlich beleidigt geweſen, daß man ihn für einen10 ſolchen Hans Narren halte, und doch war er ein bis¬ chen enttäuſcht, jetzt, daß man ihn ſo garnicht nöthig hatte und er die Andern, ach, ſo ſehr.

Als er nach dem frühzeitigen Schluß des Spiels fröſtelnd durch die rauhe Nacht heimging, zauderte er mehr als einmal vor einem hellen Fenſter. Kann ich nicht hinein gehen zu denen, die da vertraut bei¬ ſammen ſitzen? Bitten, gönnt mir euer Wort, euer Licht und eure Herdflamme; ich bin auch ein Menſch und komme weit her und freue mich ſo, daß ich da bin? Kopfſchüttelnd ſchritt er weiter, ſolche Ein¬ fälle führt man nicht aus. Er hätte vielleicht in einem der zahlreichen Cafés oder Bierkeller noch gute Geſellſchaft gefunden, aber war nicht gewohnt, ins Wirthshaus zu gehen. Das hatte in Hamburg wenig Verlockendes, außer, wenn man hungrig war, von dem andern Lebenszuſchnitt hier wußte er noch nicht recht.

In ſeinem Zimmer flackerte ein beſcheidenes Feuer¬ chen, der große weißblaue Ofen fühlte ſich noch kühl an. Er entzündete das Licht, löſchte es aber bald wieder, denn das dünne trübſelige Flämmchen reichte nur eben hin, den warmen Ofenſchein zu verjagen, nicht aber das Gemach zu erhellen. Wie er noch ſo brütend daſaß, drang aus der Nähe irgendwo, aber doch wie gedämpft durch die Nacht, eine reiche volle Stimme herein, die ein ſanftes einfaches Lied ſang. 11Er horchte, verſtand aber nur hie und da eine Zeile von Roſenzeit und Herzeleid und dann am Schluß ein langes, ſehnſüchtiges vergeſſen, vergeſſen . Was aber kümmerten ihn die Worte. Ein beſtrickender Wohllaut lag in der Stimme, und der zarte ſeelen¬ volle Ausdruck griff ihm ans Herz. Ein Nixengeſang, aber keiner, der unſelig macht, einer der fromm macht und weich, aber auch das Heimweh weckt nach einer ſchöneren Welt, wo die Thüren aufgethan ſind und die Herzen keine Mauern kennen, wo die Menſchen Brüder ſind und mit den Sternen und den Blumen und allen Creaturen um die Wette die Herrlichkeit des Daſeins preiſen. Der junge Träumer ſah die Sängerin ſitzen; ſie trug einen Schilfkranz in den langen naſſen Locken und eine Harfe im Arm, wie die Lorelei in der Hamburger Kunſthalle. Der Arme hatte ſonſt noch keine Nixe geſehen. Aber er meinte doch, etwas runder ſei ſie vorzuſtellen, als jenes Bildwerk, und gar die Taille würde er nimmermehr ſo ſchmächtig formen wie bei der Lorelei. Nun klang es wieder, aber wie anders, wie voll herzlichem Weinen: Draußen vor der Pforte ſteht ein Leiermann, und gar weiter das: Wunderlicher Alter, laß mich mit Dir gehen , daß ein Schmerzensſchauer den einſamen Hörer über¬ rieſelte, als blicke er in alles ſtumme Leid und Elend der Menſchheit. Nun war es keine Nixe mehr, die12 ſang, nun trug ſie Flügel und die Schale der Er¬ quickung in den Händen; und ſie war ſchön wie nein, ihr glich keine der griechiſchen Göttinnen an troſtverheißender Milde, an ſinnender Güte! Auf ihrem Sockel ſtand er ſah es deutlich Ich bin das Mitleid. Ach, wenn er das bilden, das hin¬ ſtellen könnte, wie er es ſah! Sie ſtand ihm ja ſo klar, ſo greifbar nah vor Augen. Er wünſchte nur, daß es erſt morgen ſei, um gleich anzufangen. Alle Einſamkeit war verſchwunden, war belebt von bild¬ reichen Träumen, über denen ſich ſeine Wangen rötheten, ſein Herz hoffnungsvoll klopfte.

Da verſtummte die Sängerin. Ihm war, als werde ſeiner Geſtaltenwelt plötzlich das Licht entzogen. Es leuchtete wohl noch hie und da eine fließende Falte, ein ſchön gebogener Arm, aber das Ganze war ſeinen Blicken verhüllt. Eine unbeſchreibliche Sehnſucht nach den verklungenen Tönen überkam ihn. Er lauſchte mit angehaltenem Athem. Aber nun waltete über dem Hauſe nächtliche Stille, oder was man ſo nennt das Zuſammenhallen all der leiſen Geräuſche, die der Tag übertäubt.

Ohne das Licht zu entzünden, legte er ſich in das hochgethürmte Bett und träumte mit geſchloſſenen Augen weiter, bis an den hellen Morgen.

Er hörte, wie ſein Zimmernachbar ſich herum¬ warf und brummte, der da habe ihn aufgeweckt. 13Das beſchämte ihn, denn er war voll Rückſicht, und ganz geräuſchlos kleidete er ſich an, um nicht noch weiter zu ſtören. Während er für den Tag Pläne entwarf, miaute es draußen zart und leiſe, auch ein beſcheidenes Kratzen ließ ſich vernehmen. Er öffnete, und herein ſpazierte ein graues Kätzchen von zier¬ lichem Körperbau, ſah ſich mit einiger Verwunderung, wie es ſchien, im Zimmer um, und ſprang dann auf das Bett, wo es ſich behaglich in die noch warmen Kiſſen duckte. Alfred hatte ſeine Freude an dem niedlichen Gaſt, der hier ſo ganz wie zu Hauſe that, ſich willig ſtreicheln ließ und gleich zu ſchnurren be¬ gann unter ſolchen Liebkoſungen. Woher kommſt Du? fragte er munter, und was willſt Du bei mir? Aber das Kätzchen antwortete nur mit einem vielſagenden Zwinkern, legte ſich auf den Rücken und reckte die Pfötchen mit den roſenrothen Fußballen, als wolle es ſagen: Da gefällt mir's. Er hatte in ſeinem freundlichen Gemüthe ſchon beſchloſſen, das Waiſenkind zu adoptiren, als die Wirthin mit dem Kaffeebrett hereintrat und ſogleich ausrief: Nein, Du biſt amol a Naſeweis! In dem Herrn ſein Bett drin! Gelt, da iſt's gut warm? Da möcht ich auch lieber liegen, als in aller Herrgottsfrüh an' Brunnen ſpringen, weil die Waſſerleitung wieder amol zuge¬ froren is über Nacht. 's nimmt koa End 'mit dem Winter, ich ſag's ja.

14

Sie ſetzte das Frühſtück nieder und hielt dem Kätzchen den Arm hin.

Da hupf 'nauf, daß Dein Fräulein koa Angſt kriegt; die Emerenz trägt Dich' nüber.

Ach, das Thierchen hat ſchon einen Herrn? ſagte Alfred.

A guts, guts Fräulein; und ſingt ſo gar arg ſchön! Sie werden's auch noch hören. Sie hot ja in dem Stüberl do g'wohnt und wär 'noch heut' do, aber ſchaug'ns, do is die Wirthſchaft do herein, drunten, do hat's ihr nimmer paßt. Jetzt das Peterl, das Lumperl verlauft ſich als, weil's noch den Ge¬ ſchmack von der Wohnung in ſein 'Nos hot.

Nun hätte Alfred das Kätzchen doppelt gern ge¬ liebkoſt, aber die Frau hatte es mitgenommen. Er ſah ſich in dem beſcheidenen Raum um, früher alſo war die herrliche Stimme hier erklungen. War es nicht ſüß, nun da nach ihr zu hauſen? Hätte er doch nur die Frau ein bischen ausgefragt! Aber es war ihm faſt lieber ſo. Was hätte ihm die erzählen können? Ein gutes, gutes Fräulein, hatte ſie geſagt? Ja, das war ſie gewiß! Was brauchte er eigentlich noch von ihr zu wiſſen? Wußte er doch, daß ihm ihre Stimme wunderbar gefiel, und daß ihre ganze Perſon ihm wunderbar gefallen werde, wenn er ſie einſt erblicke. Sein Herz begann zu ſchlagen bei dem Gedanken an dieſen künftigen Augenblick. Dann aber15 fragte er ſich als der gewiſſenhafte Junge, der er war, ob er nicht ſeinem Lehrer Wort halten und ſolch eine verführeriſche Bekanntſchaft von vornherein mei¬ den ſolle; und er erkundigte ſich nicht weiter, obwohl er beim Hinausgehen noch einen Ständerling mit der Wirthin hatte über allerlei nothwendige und un¬ verfängliche Dinge.

Mit dem gehobenen Bewußtſein, das der kleinſte über ſich ſelbſt errungene Sieg verleiht, begab er ſich auf ſeine erſte Studienfahrt in die Glyptothek.

Wie aber ward dem Neuling hier! Wie ging ſeine Freude in bloßes Staunen, ſein Staunen in Schrecken, ſein Erſchrecken in völlige Zerſchmetterung über. Hier, ach, hier hatte erſt recht Niemand auf ihn gewartet, war nicht längſt Alles verſammelt und tauſendmal ſchöner, als er es auch nur geträumt? Er ſtand wie betäubt vor dem barbariniſchen Faun, in Grauen und Entzückung vor der Meduſa Ron¬ danini. Wenn das hier Menſchen gebildet hatten, Künſtler, was war dann er? Er riß ſeine Karte aus der Taſche und zog einen dicken Bleiſtiftſtrich durch das Wort Bildhauer unter ſeinem Namen, während es ihm heiß und ſtechend in die Augen ſtieg. Seine Schweſter hatte Recht gehabt: ſeines Vaters ſchönes Geſchäft , die Grabkreuze und abgebrochenen Säulen alle nach demſelben Muſter, das war das Richtige für ihn. Er mußte ſich Gewalt anthun, um16 nicht zu ſchluchzen wie ein Knabe: Alle gegen Einen! Wenn Alle ſo gegen Einen anſtürmen!

Gern wäre er fortgelaufen, aber doch hielt es ihn wieder wie mit Zangen. Die Erfahrung von geſtern, daß man ihn ſo garnicht nöthig habe und er die Andern ſo ſehr, ſo ſehr, kam wieder, aber heut mit einer qualvollen Schärfe, die ihn ganz durchbeizte. So kam er nach Hauſe. Alles Verlangen nach Speiſe und Trank war von ihm gewichen. Er ſchleppte ſich die Treppe hinauf und warf ſich todtmüde aufs Sopha. So tief war er getroffen, daß er wie ein körperlich Verwundeter vor Ermattung einſchlief und feſt und traumlos ſchlummerte ſtundenlang.

Mit der unklaren Empfindung eines großen Glücks, einer um ihn verbreiteten Wonne kam ihm die Beſin¬ nung zurück. Sie ſang wieder. Heut ſchien es noch ferner als in der Nacht, es legte ſich ſo vieles Tages¬ geräuſch dazwiſchen. Doch ſelbſt aus ſolcher Weite klang es wunderbar beruhigend, wie der Ausdruck der tiefen Uebereinſtimmung unter der ſcheinbar ſo verſchiedenen, ſo widerſtrebenden Weſenwelt. Es war kein deutſches Lied, irgend ein alter italieniſcher Hymnus. Ein leidenſchaftliches Flehen und Werben um Gnade, ein ſtammelndes Geloben der Hingebung, ein ſich Auf¬ löſen und Zerfließen in der Gottheit. Ach, wie ſie ſchön war! Er ſah ſie wieder, ſie trug die Züge der Geſtalt, die ſich das Mitleid nannte, aber ſie ſtand17 nicht mehr aufrecht, ſie hatte ſich auf die Kniee ge¬ worfen, drückte mit beiden Händen ein Schwert gegen ihre Bruſt und flehte mit verzücktem Antlitz: Gieb mir die Schmerzen der Welt, aber laß mich in allen Schmerzen Dein ſein, o Gott.

Mit einem langen, befreienden Athemzuge ſtand er auf. Was in ſeiner Vernichtung Neid und Mi߬ gunſt geweſen, fiel von ihm ab. Eine heiße Dank¬ barkeit wallte in ihm empor. O, die theure, die fromme, die Engelsſtimme! Ja, er war nur ein Nichts, verglichen mit Jenen, die der Menſchheit ewige Schätze geſchenkt hatten. Aber hatte es nicht auch eine Zeit gegeben, wo ſie noch nicht waren? Ein redliches Verſuchen, ein unermüdetes Ringen war noch keine Anmaßung. Es war nur eine Frage an ſeine eigne Natur, und die mußte doch erlaubt ſein. Er fühlte ſich ſo erhoben, als habe er ſchon gefragt und die Antwort laute: ja. Mit der ganzen Spann¬ kraft ſeiner fünfundzwanzig Jahre ſchwang er ſich den Hut auf den Kopf und ſtürmte hinaus. Er wollte ja, vor allen Dingen wollte er zu Mittag eſſen, denn was er noch von Unbehaglichkeit ſpürte, würde wohl Hunger ſein. Er vertiefte ſich mit einer Gründ¬ lichkeit in ſeinen Suppenteller, über die er ſelbſt ge¬ lacht hätte, wäre ihm nicht trotz der wiedergekehrten Friſche höchſt feierlich zu Muthe geweſen. Seine hei¬ ligen Entſchlüſſe und ſein geſunder Durſt wirkten zu¬Frapan, Bitterſüß. 218ſammen, ſo daß er heut mehr trank, als er gewohnt war. Voll Muth redete er einen älteren Herrn an, der ihm einen künſtleriſchen Anſtrich zu haben ſchien, fragte ihn, wann die Glyptothek geöffnet ſei, obgleich er's gut wußte, gerieth in ein erträgliches Geſpräch mit ihm über die Frage: Büſte oder ganze Figur bei Denkmälern für Dichter und Gelehrte? und kam mit der unklaren aber beſeligenden Empfindung, daß es ihm ſehr gut gehe, nach Hauſe. Aus dem Fenſter gegenüber hörte er Klavierſpiel; da wohnte ſie gewiß. Wie, wenn er hinaufging, ihr dankte für Alles, was ſie unwiſſentlich ſchon an ihm gethan hatte? Ein toller Gedanke! So keck war er doch ſonſt nicht! Um aber die Tollheit nicht auszuführen, wie es ihn mächtig lockte, lief er geſchwind in ſeine eigene Haus¬ thür und die Treppe hinauf.

Wieder wie geſtern der einſame Feuerſchein aus dem Kachelofen, das Licht auf dem Betttiſchchen. Aber halt, war das nicht ein ſanftes Miauen? Er leuchtete umher. Richtig, auf dem Kopfkiſſen ſeines Bettes ſaß es ſchon wieder, grau und klein und reckte die Pfötchen wie zum Willkommen. Das war zu viel für ſeine Standhaftigkeit. Er konnte doch das arme Fräulein nicht in der Unruhe laſſen! Sie mußte es ja vermiſſen und hätte gewiß die Nacht nicht geſchlafen, ohne den Liebling in Sicherheit zu wiſſen. Er riß das weiche Klümpchen von der Bett¬19 decke, auf der es ſich zierlich angehäkelt hatte, in ſei¬ nen ſchützenden Arm und rannte ohne Beſinnen den heute früh ſo gewiſſenhaft verſchworenen Weg entlang quer über die Straße. Ueber den hellen Hausflur, die Treppe hinauf und noch eine Treppe leitete ihn die Stimme, Ach, warum ſang ſie auch gerade ein neckendes Liebeslied! Es klang:

An blühender Hecke im rothen Kleid,
Habe Gott zum Gruß, Du zierliche Maid!
Du ſchauſt ſo ſchelmiſch und lächelſt ſüß,
Wie heißt Du?
Sprach ſie: Bitterſüß,
Herr, Bitterſüß.
Ei, rief ich lachend, die Bitterkeit,
Von ſolchen Lippen ſchafft wenig Leid.
Komm, grüße wieder, wie ich Dich grüß:
Möchte wohl!
Sprach Bitterſüß,
Schön Bitterſüß.

Nun ſtand er an der oberſten Treppenſtufe und ſuchte mit den Augen die Thür, aus der die Töne quollen. Das Kätzchen murrte leiſe, ſo drückte er es an ſich. Horch, weiter:

Und dreimal hab ich ſie heiß geküßt,
Und ſie, ſie hat es leiden gemüßt,
Roth war ihr Mieder, und weiß die Füß '.
2*20
Wohl bekomm's!
Sprach Bitterſüß,
Schön Bitterſüß.

Eine heimliche Drohung, verführeriſcher als eine Zuſage, lockte aus der Stimme der Singenden, daß es ihn überlief.

Doch wie ich weiter gewandert bin,
Da ward mir bange und krank zu Sinn;
Wer weiß auch, ob ich Dich wieder grüß?
Nimmermehr!
Sprach Bitterſüß,
Ach Bitterſüß.
O arge Maid! o täuſchender Nam '!
O weh mir, daß ich des Weges kam!
Nun wird mir bitter, was erſt ſo ſüß.
Wie es kommt!
Sprach Bitterſüß,
Ach Bitterſüß.

Das war wieder Nixengeſang! Spottend hallte es hinter dem Verlockten drein:

Dein Unglück trage nur fein gemach.
Die Bitterkeit kommt zuvor oder nach.
Ein ſüßes Bitter, ein bittres Süß
Iſt die Lieb!
Sprach Bitterſüß,
Ach Bitterſüß.
21

Das Lied verhallte ſo, mit einem Seufzer, und Alfred ſtand noch immer an derſelben Stelle. Ja ja murmelte er vor ſich hin, aber nun hilft es doch nicht, nun muß ich doch hineingehen. Ich glaube, ich bin im Schlaf, ich glaube, mir träumt das nur ſo hier, ich glaube, ich muß anklopfen, ſonſt werde ich verrückt, oder ich erwache, oder

Er ging langſam die drei fehlenden Schritte und klopfte mit zitternden Fingern. Herein! ſagte die volle weiche Alt-Stimme. Er griff nach ſeinem Hut, um ihn abzuziehen, aber er fand ihn nicht, er hatte ihn in der Haſt vergeſſen. Wie er ſich beſann, ob er denn nicht lieber erſt zurücklaufen, den Hut holen ſolle, ward das Herein wiederholt. Halb gegen ſeinen Willen öffnete er nun die Thür, ſeine Blicke flogen ihm voraus, doch ward er geblendet, weil er ſo lang im Halbdunkeln geſtanden hatte, und ſagte mit unſicherer Stimme in das Gemach hinein: Ich bitte um Verzeihung, ich glaube, dieſes Kätzchen

Ach Peterl, Peterl, Du machſt mir argen Kum¬ mer! ſagte die Dame, die da auf ihn zutrat und die Hände nach dem Thierchen ausſtreckte. Es ſprang auch gleich auf ihre Schulter und drückte ſich zärtlich an ihren Kopf, das ungetreue Geſchöpfchen. Alfreds Augen hatten ſich inzwiſchen erholt und flogen ſuchend über die Stühle, die um den runden Tiſch her ſtanden. Sie waren aber leer, und ebenſo alle22 Ecken, in die das Licht der über dem Tiſch hängen¬ den Lampe fiel. Leer war auch der Platz am Clavier; es war Niemand im Zimmer als die Dame, die jetzt freundlich ſagte:

Wollen Sie nicht ſitzen? Daher?

Das iſt doch nun gewiß ein Traum, dachte er bei ſich und erwiderte mit einem gewiſſen prüfenden Ton:

Ich hörte hier Geſang und wollte nicht ſtören

Ich habe geſungen wie immer am Abend und bin froh, wenn ich nicht Andere ſtöre, war die ein¬ fache Antwort.

Sie ſind die Sängerin? ſtotterte er und blickte mit der peinvollen Gewißheit, daß dies Alles ein böſer Traum ſei, der ihn aber doch herzlich quäle, in das grotesk-häßliche Geſicht vor ihm, über das unter ſeinem erſchrockenen Anſtarren ein leiſes wehmüthiges Zucken ging. Sie wandte ſich nun ab: Haben Sie das Singen gern?

Ja das heißt nein, ſtammelte er wie¬ der und ſah angſtvoll auf die große reizloſe Geſtalt, die knochigen Hände und das ſtumpfe chineſiſche Pro¬ fil. Dabei dachte er fortwährend: Ich muß dem hier doch ein Ende machen, ich muß doch das Wort ſagen, daß aus der häßlichen Haut die Nixe hervorſpringt, die Huldin, die Göttin.

So dank 'ich Ihnen eben recht, daß Sie mir23 mein Peterl wiedergebracht haben und bitt' um Ent¬ ſchuldigung wegen der Beläſtigung, ſagte die Sän¬ gerin ruhig, und wenn die Muſik Sie Abends ge¬ nirt, ſo kann ich zu andrer Zeit ſingen

O nein nicht doch es war ja nur weil ſein Sie mir nicht böſe

Weil Ihnen mein Geſicht nicht gefällt? ſagte ſie leiſe, da ſein Sie nur ruhig, mir gefällt's auch nicht; nein, ich bin nicht böſe, es ſind ſchon mehr an mir verſchrocken. Nicht dorthin, bitte, da geht's hinaus. Warten Sie, die Treppen möchten ſchon dunkel ſein.

Sie nahm einen Leuchter vom Clavier und be¬ gleitete ihn hinaus. Sie haben keinen Hut, Sie wohnen im Haus hier? fragte ſie. Als ſie hörte, er habe ihn vergeſſen, bat ſie ihn, mit umzukehren. Es möcht 'kalt ſein, ſo über die Straß'; 's iſt noch ein Hut da vom verſtorbenen Bruder, warten Sie.

Er ſaß in Beklemmung und wagte kaum, ſich in dem bücherreichen, behaglichen Zimmer umzuſehen. Ach, dieſe ſchlichte, unbefangene Freundlichkeit über¬ zeugte ihn, daß er leider nicht geträumt habe. Die ſüße Märchenſtimme war körperlos, und die Bilder alle, die er geſchaut, waren trügende Luftſpiegelungen geweſen, die er nimmermehr würde feſthalten können. Eine Art Erbitterung gegen die Sängerin ergriff ihn. Verlocken und dann enttäuſchen!

24

So enttäuſchen! Und dieſe philiſterhafte Er¬ kältungsfurcht! Warum ſollte er nicht ohne Hut nach Hauſe gehen? Er war ſchon im Begriff, fortzulaufen, als ſie mit einem großen grauen Filzhut in der Hand eintrat.

Nun kommen Sie, mein Mädchen iſt ſchlafen gegangen, und die Hausthür wird geſchloſſen ſein.

Als ſie die Treppen zuſammen hinabgingen, ſchlug es halb zwölf; ein Zugwind blies das Licht aus. Ihr Kleid rauſchte neben ihm auf der Stufe, und er fühlte ihre warme Nähe. Wieder ergriff es ihn wunderlich. Vielleicht war ſie Nachts wieder, was ſie eigentlich war, flog es ihm durch den Kopf. Er taſtete leiſe nach ihr, umfing ſie plötzlich und küßte die Ahnungsloſe auf die Lippen. Für all' die ſüßen Lieder, hauchte er, leide es nur! Muß ich nicht auch all die Träume leiden?

Sie hatte ihn ſchnell zurückgedrängt und das Licht wieder entzündet.

Gehen Sie, ſagte ſie traurig, ohne die Augen zu erheben, das war nicht recht, wir werden uns nicht wiederſehen. Sie betonte die letzten Worte, ſo daß ſie einem Befehl gleichkamen, reichte ihm auch nicht mehr die Hand, wie verlangend er die ſeine ausſtreckte, ſondern ſchloß haſtig die Thür hinter ihm. Dann aber ſtand ſie noch eine Weile, auf den Schritt horchend, der drüben verklang. Als ſie hinaufging,25 fiel eine große Thräne mitten in die Kerzenflamme hinein, daß ſie auskniſterte und faſt verlöſcht wäre. Peterl ſtand an der halboffenen Stubenthür. Sie nahm es und preßte das runde Köpfchen an ihre naſſe Wange, die langſam erröthete.

Du gutes dummes Thier, was haſt auch an¬ geſtellt, ſeufzte ſie, kannſt denn garnicht bei mir bleiben? Sie wiederholte die Frage noch ein paar¬ mal, während ſie Bücher und Noten zuſammenlegte und ſich zum Schlafengehen anſchickte. Draußen tobte der Frühlingsſturm und riß an den Fenſtern.

Der Schlaf nimmt nicht immer das Bewußtſein; oft bleibt uns nach heftiger Gemüthsbewegung die frohe oder trübe Empfindung alle Nachtſtunden hin¬ durch, und am Morgen bedarf es keines Beſinnens noch eh 'die Augen offen ſind, wiſſen wir, was uns freut oder fehlt, was gewonnen oder verloren iſt. Alfred erwachte mit dem Gefühl, daß ſein Tag öde, ſein Leben von heut ab trübe und ſchwer ſei, und er war ſo ungeübt in dieſer Empfindung, daß ſie ihn auch körperlich niederhielt. Wenn es ſo hergeht, wenn nichts iſt, was es ſcheint, ſeufzte er, dann iſt ja alle Freude Trug! Solch eine Stimme und ſolch ein Geſicht! O, es muß ein Teufel dahinter ſtecken, daß man die Augen weiter aufthut, als nöthig iſt, und nachher iſt Alles hin.

Auch ſein Betragen fiel ihm ſchwer aufs Herz. 26Sie war ſo gütig geblieben, wie eine Erwachſene, die einen wilden Knaben vor ſich ſieht. Sein unver¬ hohlenes Erſchrecken im Anfang, ſeine unzuſammen¬ hängenden Entſchuldigungen, ſeine beſinnungsloſe Keckheit, ſie hatte Alles mit lächelnder Nachſicht hingenommen. Nein, das Letzte doch nicht, da hatte ſie geſagt: Das war nicht recht. Warum auch hatte er ſie geküßt! Es war ja ſchon nach der Ent¬ zauberung. Und doch war er ſich bewußt, auch darin ganz ſeinem Gefühl gefolgt zu ſein. Es war nicht recht, aber falſch war es auch nicht. Sein Herz war übergeſtrömt gegen ſie in Liebe und Haß, ja auch Haß, daß ſie dem Bilde nicht glich, welches er ſich von ihr gemacht. Und in dieſer gemiſchten Empfin¬ dung hatte er ſich hinreißen laſſen. Und es war doch ein Kuß geweſen, als ſei ſie ſchön. Er fühlte es noch weich und duftig an ſeinen Lippen. Freilich, als ſie dann wieder das Licht entzündet

Er war wie in einem Ring gefangen und ſtieß ſich darin müde und matt. Zuletzt überredete er ſich, das ſei die Strafe für ſeine Widerſtandsloſigkeit. Im erſten Gefecht ſchon beſiegt, würde ſein Lehrer ſpotten, wenn er es wüßte. Was hatte er nach den Frauen zu gaffen. Und gar nach häßlichen! würde ſein Lehrer ſagen. Der hatte eine Kellnerin gehei¬ rathet, freilich eine ſchöne; ſein beſtes und beſtändiges Modell, wie er ſelbſt bekannte.

27

Voll Unluſt ging er endlich auf die Straße, weil er es ſo allein mit ſich nicht aushalten konnte. Vor der Hausthür gegenüber ſtand ein Wagen, der Kutſcher legte eben einen Reiſekoffer zurecht; ſeine Wirthin ſtand mit der Emerenz, die einen Reiſeſack in der Hand hielt.

Das Fräulein verreiſt auch wieder, ſagte ſie zu ihm im Vorbeigehen, da wird's Peterl nimmer zu Ihnen kommen, 's geht mit. Da ſchaug'ns.

Emerenz öffnete den Reiſeſack ein bischen, da war nichts weiter drin, als das wohlbekannte Kätzchen.

Verreiſt? fragte er betreten, die Sängerin?

Sie iſt keine Sängerin, aber ſie ſingt arg ſchön, erwiderte die Frau. Sie geht zu ihrer Schwägerin, die iſt krank. A guts, guts Fräulein, wenn Eins krank iſt, gelt Du, Emerenz?

Das Kind nickte eifrig und ſchaute in das Haus zurück. Da kam ſie die Treppen herunter. Er wandte ſchnell die Augen ab und ſtürmte um die Ecke, er wußte ſelbſt nicht warum.

Nun muß es anders mit mir werden, nun muß das abgethan ſein, dachte er. Er ging in die An¬ tikenſammlung und vertiefte ſich ganz ins Anſchauen. Auch entſchloß er ſich, ein Empfehlungsſchreiben des Bildhauers in Hamburg an einen Kunſtgenoſſen ab¬ zugeben. Der nahm ihn freundlich auf, über Er¬ warten; einen Gehülfen brauche er zwar im Augen¬28 blick nicht, aber er ſolle nur ins Atelier komme, ſo oft es ihm beliebe. Leider war dieſes Meiſters Kön¬ nen nicht nach Alfreds Geſchmack. Dieſe handhohen Rokokofigürchen mit den Blumenkörbchen und ſchiefen Hütchen, dieſe tragikomiſchen Katzengruppen, ſo ge¬ ſchickt ſie gemacht waren, erſchienen ihm wie Zucker¬ bäckerkunſtſtücke, und er ſtaunte innerlich über den Eifer und Stolz, womit der Mann, der ſich Bild¬ hauer nannte, dieſe Zierlichkeiten verfertigte. Seine Entwürfe gingen immer ins Große. Aber der be¬ häbige Meiſter meinte ganz trocken, ſeine Püppchen ſeien weit einträglicher, die könne ein Jeder brauchen, auf Schreibtiſch oder Kommodenkaſten. Zur Be¬ kräftigung dieſer Wahrheit führte er ihn eines Sonn¬ tagsnachmittags vor ſein hübſches Gartenhaus, das ihm ſeine Miniatur-Kunſt eingebracht hatte. Es trug denn auch dasſelbe zuckerige Gepräge, wie Alles, was er machte, war mit Säulchen, Thürmchen, Amoretten¬ fresken und Figuren in Niſchen überreich verziert, und an einem Springbrünnchen im Garten ſaß, wie eine lebendig gewordene Puppe ihres Papas, die Tochter des Bildhauers in einem kurzen hochgebauſchten Röck¬ chen, das unvermeidliche Blumentellerchen auf dem kurzen Lockenwerk. Sie hieß Fräulein Appolonia oder Loni , wie ſie ſich ſelbſt vorſtellte, war ſiebzehn Jahre alt, wie ſie hinzufügte, und hatte ein pikantes Geſichtchen mit hochgeſchwungenen Augenbrauen und29 tiefrothem Mündchen, wie Jeder ſehen konnte. Sie begrüßte den jungen Hamburger ſo unbefangen, als kenne ſie ihn ſeit Jahren, ließ ſich aber nicht ſtören in ihrer Beſchäftigung, eine Hand voll blauer und gelber Krokus, die ſie eben gepflückt hatte, zu einem Sträußchen zuſammenzubinden und an ihr rothes At¬ lasmieder zu ſtecken. Kaum aber ſaß es dort, ſo nahm ſie es wieder herunter und ſagte kopfſchüttelnd: Es paßt nicht, ich werf's fort, oder wollen Sie es haben? Dabei legte ſie ihm die kaum aufgeblühten, aber ſchon halbwelken Krokus in die offene Hand. Alfred hatte Blumen ſehr gern, die zarten Frühlings¬ kinder am liebſten.

Nicht, nicht! bat er die kleine Zerſtörerin, die ſich ſchon wieder zu dem Beet gebückt hatte, ſehen Sie, wie ſie ſich an der Sonne freuen, wie ſie alle Kelche weit geöffnet haben.

Das Mädchen ſah ihn erſtaunt an:

Morgen gibt's wieder neue, die machen noch lang 'fort; ich nehm' jetzt nur die gelben, weil's Violett nicht zu dem Roth da geht.

An den Stachelbeerhecken ſchimmerten die grünen jungen Blättchen, hin und wieder war ſchon eine der beſcheidenen bräunlichen Blüthen ausgeſchlüpft. Vor Alfreds Seele ſtand plötzlich der kleine Garten ſeiner Kindheit, der Fliederbuſch, der wilde Wein an der Laube und ſein Kinderentzücken über die erſten grünen30 Stachelbeerblättchen. Dort war es ſchön geweſen. War es das? Hatte er ſich nicht Jahr für Jahr weggeſehnt von dort? Und nun ſchien er ſich ſo fremd in der Welt, ſo allein wie ein Stein , wie ein altes Lied ſagt.

Aha, da kommen ſie ja! Der Muckerl und der Storch, und der Kanonenjockel, guten Tag, Jockerl und der Herr Baron und der Bub ', gieb e Patſch, Bub', au! nit ſo derb! Ja, wo iſt denn der Papa?

Die Ausrufe kamen von Fräulein Loni, die in¬ mitten eines Kreiſes von fünf jungen Männern ſtand, die eben hereingetreten waren. Alfred ſuchte mit den Augen nach dem Buben , doch konnte er keinen erblicken, auf den die Bezeichnung gepaßt hätte.

Da iſt noch Einer, hörte er jetzt Loni ſagen und dann ſchau'ns, da ſteht er; ach bitt 'ſchön, Herr, wie heißen Sie doch gleich? ich möcht' die Herr¬ ſchaften mit einander bekannt machen.

Alfred trat etwas verwundert näher und hörte nun fünf Namen, die aber von ſeinem Trommelfell vorläufig gleich wieder abprallten.

Es war weder ein Herr Storch noch ein Baron darunter, doch ſchloß er bald, daß der Ueberſchlanke, der ihr zur Rechten ſtand, von dem Fräulein mit dem Vogelnamen ausgezeichnet worden. Der, den ſie jetzt wieder Bub nannte, hatte einen ſtattlichen31 Schnurrbart, den er beſtändig zauſte. Sie hatte das Buſenſträußchen eben wieder abgenommen und ver¬ theilte die Blumen, wozu ſie allerlei muthwillige Sprüche ſagte, die zwar meiſtens gar keine Beziehung zu ihr oder dieſen Männern hatten, aber doch laut belacht wurden. Zuletzt hielt ſie nur noch ein leeres Zweiglein, das als Stiel gedient hatte, in der Hand. Sie reichte es mit einer graziöſen Verbeugung Alfred hin und ſummte dazu: Wer nicht liebt Wein, Weib und Geſang

Fräulein, Fräulein, das hat ja der Luther ge¬ ſagt, unterbrach ſie ein kleiner Schwarzhaariger mit ſcherzhaftem Fingerdrohen.

Der Luther? fragte ſie zweifelhaft, warum nicht?

Der Luther war doch ein Ketzer! ermahnte der Schwarze unter dem Lachen der Uebrigen.

Ach geh, Muckerl, rief das Fräulein, den Kopf zurückwerfend, das haben unſere katholiſchen Herren lang 'gewußt, eh ſie's der Luther gelehrt hat.

Wieder lachte Alles.

Aber hat denn der Luther Euch Katholiken gelehrt? fragte der Schwarze in ſcheinbarer Ver¬ wunderung.

Die Kleine gerieth in die Enge.

Geſchwätz! ſagte ſie, mit dem Fuß auf den Kiesboden ſtampfend. Wer hat wen was gelehrt? 32Ich nicht, mich nicht. Mich hat Niemand nix ge¬ lehrt. Muckerl will wieder anbinden. Ich laß ihn ſtehn.

Sie bückte ſich zu dem Springbrunnen, als wolle ſie eine Hand voll Waſſer ſchöpfen. Der, den ſie Muckerl genannt hatte, wich in komiſcher Eile zurück.

Wein! von Wein war die Rede, Waſſer liebt Niemand! betheuerte er.

Und Ihr kriegt doch nur ein Bier! ſagte Fräulein Loni mit tiefſchmollender Miene. Iſt gut genug für Euch.

Sie huſchte die breite Treppe zu dem Garten¬ hauſe hinauf und machte noch droben eine kleine Fauſt nach rückwärts.

Die jungen Männer lachten noch immer, nur Muckerl ſah Alfred mit einem ſonderbar gemiſchten Blick an und ſagte plötzlich, vor ihm ſtehen bleibend:

Nicht wahr?

Und Alfred verſtand merkwürdiger Weiſe, was das heißen ſollte, und nickte mit einem Seitenblick nach dem Hauſe zu.

Der Schwarzhaarige trat ihm noch näher, zog die Mundwinkel tief herab und ſagte gedämpft:

Keine Mutter gehabt.

Alfred nickte wieder und ſah mit Antheil in das jetzt tief bekümmerte Geſicht des Andern. Es war ſcharf und fein, mit einem Zug des Leidens; der33 volle Bart, ſchwarz wie das Haupthaar, ließ die Züge noch bleicher erſcheinen. In den grauen Augen aber ſchien ein Schalk verborgen, der manchmal hell hervorblitzte.

Ein ſchönes Mädchen, ſagte Alfred, mehr um ihm einen Gefallen zu thun, als aus Ueberzeugung.

Sehr! ſehr! ſeufzte der Andere. Sie ſind wohl auch hergekommen, ihr das zu ſagen, wie all' die andern Sommerweſten da?

Alfred mußte über den betrübten Ton lächeln. Wo Blumen blühn, da fliegen Schmetterlinge.

Thun Sie's nicht! bat Jener mit einem drin¬ genden Blick in ſeine Augen, ſo ein Blümchen hat nur einen Kopf, und der iſt bald verdreht!

Soll ich Ihnen ein Verſprechen geben? lächelte Alfred, ſoll ich Ihnen ſagen, daß ſie mir nicht ge¬ fährlich werden kann?

Der Andre wehrte mit bedenklichem Geſicht. Zuviel! nichts verſchwören, das ruft die Rache der kleinen Teufel wach. Sie kennen ſie noch nicht, haben ſie noch nicht geſehen in ſtillen Augenblicken, ohne dieſen Hofſtaat, wie ich.

Ich will's trotzdem verſprechen, ſagte Alfred in ſo ehrlicher Bereitwilligkeit, daß nun der Andre lachte

Gut, gut, ich danke Ihnen; erlauben Sie, daß ich mich Ihnen vorſtelle: Max Wolff aus Würzburg; ich heiße nicht Muckerl natürlich, er errötheteFrapan, Bitterſüß. 334leicht, die Kleine hat dieſen Namen für mich aus¬ gedacht, weil ich ihr manchmal den Text leſe; ich bin der einzige Proteſtant, den ſie kennt, und obgleich ſie keine rechte Idee von dem Unterſchiede hat, nennt ſie mich doch auch manchmal Ketzerl . Er erröthete wieder. Sie iſt nicht wie Andre, es iſt keine Bos¬ heit dabei, Sie dürfen das glauben, ſagte er eifrig, ich könnte Ihnen Züge erzählen, Züge von Güte o nicht gegen mich, nein, darauf gründe ich meine einzige Hoffnung, ſie kann mich nicht ausſtehen das iſt doch immerhin eine Auszeichnung.

Alfred ſtreifte ihn mit einem verwunderten Sei¬ tenblick. O dieſe Liebe! Ein ernſthafter Mann mit einem großen Bart, gewiß zehn Jahre älter als er, und ganz erfüllt von dieſem kleinen Mädchen! Es iſt doch etwas Unheimliches, dachte er. Und zugleich ſehnte er ſich, dieſen unheimlichen Zwang auch ein¬ mal im vollen Umfang an ſich zu erleben. Der Kuß auf der Treppe fiel ihm wieder ein. Es ſchoß ihm heiß durch die Glieder. Das hier war doch Alles nur Spielerei.

Das Fräulein trat wieder aus dem Haus, hinter ihr das Mädchen mit einem Brett voll Bierkrügen. Zuletzt erſchien der Vater auf der Treppe und rief in den Garten hinab: Bier! Bier!

Ein zuſtimmender Ruf antwortete, und die jun¬ gen Leute ſtiegen zu der Veranda hinauf, wo auf35 dem Steintiſch auch Brot und friſche rothe Radies¬ chen aufgeſtellt waren. Im Nu ſaß Jeder hinter ſei¬ nem Bierkrug. Alfred ſah das Fräulein ſchärfer an, ſie war doch ſehr anziehend mit dem warmen Puppen¬ geſichtchen. Freilich ſaß ſie mit gekreuzten Füßen, die Arme übereinandergeſchlagen und ſchien unabſicht¬ lich oder abſichtlich Alles nachzuahmen, was die jun¬ gen Männer thaten. Sie gab ſich auch den Anſtrich, ebenſo durſtig zu ſein, ſetzte ihren Krug prahleriſch an den Mund, trank aber doch nur ein paar Tropfen jedesmal. Es kam die Rede auf einen bekannten Offi¬ zier. Sofort fing ſie an, ſeine Sprechweiſe nach¬ zuahmen, ſchleifte das R, wie ein Lieutenant, ſprach durch die Naſe und klemmte das Auge zu, als ſäße ein Monocle darin. Das Lachen der Zuhörer erhöhte ihre Ausgelaſſenheit.

Sie ſtülpte dem Buben , mit dem ſie am dreiſteſten umging, ihr Blumenhütchen auf den Kopf, ſchlang ihm ein buntſeidenes Tuch um die Schultern und begann nun, eine ſchmachtende Liebesrede an ihn zu richten, immer in karrikirtem Lieutenantsdeutſch.

Ihr Vater hielt ſich die Seiten vor Lachen.

So ein Sonntagnachmittag auf dem Lande ſtellt mich allemal wieder her, ſagte er behaglich zu dem neben ihm ſitzenden Alfred.

Alle lachen, nur der Muckerl nicht, bemerkte Fräulein Appolonia herausfordernd.

3*36

Daher der Name, erwiderte Wolff lakoniſch.

Ein wüſter Name, ſagte ſie achſelzuckend.

Den Sie mir gegeben haben, parirte er mit einer Verbeugung.

Paßt er nicht? fragte ſie unſchuldig.

So gut wie Ihnen die Uniform paßt er ſchon.

Sie ſah zweifelnd ihren Vater an.

Papa, ich glaub ', Muckerl will wieder anbin¬ den, wir zwei haben immer Händel, ſagte ſie in weinerlichem Ton.

Da ſitzt das Karnickel, entgegnete ihr Vater phlegmatiſch und legte die Hand auf ihr krauſes Köpfchen. Laß doch Jeden 'n Geſicht hinmachen, wie er will.

Wolff zuckte ein wenig: Fräulein ſieht mein Geſicht nicht gern, ſagte er reſignirt; dazu machte er eine Bewegung, als wolle er aufſtehen.

Das Mädchen blickte ſchnell auf.

Meinetwegen ſollen Sie nicht gehen, ich geh 'ſchon ſelbſt, rief ſie halb weinend, ſchob ihren Stuhl zurück und eilte in das Haus.

Was war das nun wieder! ſagte der Vater kopfſchüttelnd. So 'n Mädel bleibt doch ewig' n Mädel.

Eine Unbehaglichkeit fing an, ſich zu verbreiten. Man ſprach wohl noch, aber dazwiſchen horchte man doch auf den leichten Schritt, der wiederkommen ſollte[,]37 und nicht kam. Alle athmeten auf, als plötzlich ein wüthender Walzer aus den oberen offenen Fenſtern erklang.

Der Alte ſchoß einen Triumphblick zu Wolff hin¬ über, der unruhig auf ſeinem Sitz hin und her ge¬ rutſcht war. Nun ſtand er auf, ging die Stufen hinan, ſo daß er von oben geſehen werden konnte, und fing ein lautes Händeklatſchen und Bravorufen an, in das die noch Sitzenden bald einſtimmten. Das Klavierſpiel verſtummte, das Fräulein ſtreckte neu¬ gierig das Hälschen zum Fenſter heraus, zog es aber gleich wieder zurück.

Wiederkommen! Artig ſein! rief Wolff hinauf.

Wer ſoll artig ſein? fragte ſie noch ein bis¬ chen gereizt.

Ich natürlich! Will's gewiß nicht wieder thun, antwortete er in komiſcher Zerknirſchung.

Das Spiel oben begann von neuem, ſie ſchien noch nicht zur Verſöhnung geneigt. Wolff und Al¬ fred ſchlenderten in den ſchmalen Steigen umher, ohne zu ſprechen; auf dem Geſicht des Aelteren lag eine gewiſſe Unruhe.

Er warf plötzlich die Cigarre fort und ſagte:

Und darauf hat man ſich nun die ganze Woche gefreut!

Von der Veranda her kam lautes Gelächter; ſie38 ſahen ſich um und erblickten Fräulein Loni, die mit einer großen Stange in der Luft herumfocht.

Was hat das tolle Ding jetzt wieder? fragte Wolff, während er, wie von einem Faden gezogen, auf das Haus zuging.

's iſt nur mein Bergſtock, meinte ſie gelaſſen und ſtützte ſich darauf, ich geh 'auf den Berg da, zu den Veilchen, man muß doch was in die Hand zu nehmen haben.

Der Berg war eine kleine Anhöhe hinten im Garten, es ſtand auch eine Bank dort.

Die jungen Leute ſahen ſich einen Augenblick kopfſchüttelnd an, dann rief der Bub : Ich darf doch mitgehen in die Berg '? Und als ſie gnädig nickte: Und den Stock da gebens mir und ſtützen ſich auf mich!

Da wär 'mir der Storch lieber, der iſt dünner, erwiderte ſie gemächlich.

Der Schlanke trat eilig vor und hielt ihr den zierlich gekrümmten Arm hin.

Nein, nein, ich könnt 'Ihnen was zerbrechen, lachte der Wildfang, ſtieß den Bergſtock unten in den Boden und flog mit weitem Schwung hinterdrein, ich hab' ſchon manche Bergtour allein gemacht, bleibt nur alle da. Dies galt als Aufforderung, zu folgen, nur ihr Vater blieb mit einem ſehr wohl¬39 genährten Jüngling am Tiſch ſitzen, es war der fri¬ ſirte Lockenkopf, den ſie Jockerl geheißen hatte.

Wolff nahm ſeinen Hut und flüſterte Alfred zu: Jetzt kann ich nicht mehr, und Sie ſcheinen auch genug zu haben, kommen Sie mit?

Beide verabſchiedeten ſich von dem Alten.

Und dem Fräulein ſagen wir nicht Adieu? fragte Alfred befremdet, als Wolff ihn ſchnell der Gitterthür zudrängte.

Nachher, das heißt. Sie Sie haben ja kein Intereſſe daran ſtotterte Wolff, ich aber komme zurück zum Gutenachtſagen, ich mache das immer ſo leider! Ich hoffe immer, ſie ſoll mich vermiſſen, fuhr er ſarkaſtiſch fort, aber dann bin ich ſolch 'ein Tropf, ſehen Sie, dann lauf' ich nach zwei Stunden wieder her und will ſehen, wie ſie's aufgenommen hat, und dann, ſo wie ſie mich ſieht, natürlich, ſagt ſie: Ach Muckerl, ſind Sie noch da? oder ſo etwas, daß ich aus der Haut fahren möchte, 's iſt grad 'ſo, wie ich als kleiner Bub gethan hab', da ich meine Erbſen und Bohnen jeden Tag aus dem Boden genommen hab ', um zu ſehen, ob ſie ſchon wachſen. Aelter wird man ſchon, klüger wird man nicht. Ich gäb' Gott weiß was drum, wenn ich jetzt aus meiner Haut da herausfahren könnt '!

Die Zutraulichkeit dieſer Klagen machte den Zuhörer kühn.

40

Sie ſollten ſich aber doch nicht ſo gehen laſſen, Sie ſollten Ihren Stolz zu Hülfe rufen, ein Mann

Ach Du lieber Gott, ſtöhnte Wolff, laſſen's mich aus mit dem Gered 'da. Was Stolz gegen ſo ein kleines armes Kind, denn das iſt ſie ja! Geht's ihr nicht elend genug? Hat ſie denn nur einen Menſchen auf der Welt? Iſt das ein Vater? Iſt das ein Umgang? Buben, die ihr den Kopf verdrehn und ihre Hanswurſtenſtreiche auf allen Gaſſen herum¬ tragen! Fragen Sie mal bei den jungen Malern herum, wer die Loni Spitzer nicht kennt! Alle ken¬ nen ſie, die meiſten freilich vom Hörenſagen, und das iſt das Schlimmſte. Er ergriff plötzlich Alfreds Hand. Sie werden nit einſtimmen! Sie werden ihr nichts anhängen! ſagte er mit halberſtickter Stimme.

Alfred drückte herzlich die ihm gebotenen Finger. Auch ihm war die Rührung bis in den Hals ge¬ ſtiegen. Das war nicht mehr der unheimliche Zauber, der dieſen Mann gefangen hielt, das war eine herzen¬ verbindende Kraft.

Sie waren einige Straßen weit miteinander ge¬ gangen, nun ward es Abend. Die ſchmale Mond¬ ſichel tauchte aus dem Sonnenuntergangsnebel und ſchimmerte durch die Ulmenkronen mit ihrem braunen Blüthengekräuſel. Ein friſcher Wind ſtreute die grü¬41 nen Ahorndolden auf den Boden, ihr Honigduft kam in Wellen angetrieben; in dem noch winterſchwarzen Epheu an den Hauswänden lärmten die Spatzen. Wolff blieb ſtehen und zog die Uhr. Dann ſagten Beide mit dem gleichen lebhaften Ton und Aufblick: Wann ſehen wir uns wieder? Und ſchnell be¬ ſchloſſen ſie, daß es ſchon morgen ſein ſolle, in Wolff's Atelier. Mit feſtem Händedruck ſchieden ſie; der Ver¬ liebte kehrte auf ſeinem Wege um und zu dem Spitzer'ſchen Hauſe zurück, nicht ohne viel ironiſches Kopfſchütteln über ſich ſelbſt und den Rath an den neuen Freund, ſeine Freiheit feſtzuhalten; Alfred ſchlenderte noch ziellos weiter. Der ſanfte Abend hatte es ihm angethan; dazu all' dies Liebesgeſäuſel. Der Gedanke an ſeinen kahlen Käfig ſchreckte ihn mehr als je ach, es drang keine holde Stimme mehr herein, es kamen keine Götterbilder mehr zu Beſuch. Eine ſtille Sehnſucht nach den Abenden, da er ihr zugehört, ergriff ihn, als habe er nur damals wirk¬ lich gelebt die Erinnerung an die ihm wider¬ fahrene Enttäuſchung drängte er gewaltſam zurück, ſobald ſie wieder aufſteigen wollte. Er gerieth zu¬ letzt in eine ſolche Verträumung hinein, daß es ihm deutlich war, als ſage Jemand ihm ins Ohr: Geh nach Hauſe, ſie iſt wieder da. Er ſtürmte nun heim und trat klopfenden Herzens in ſein Zimmerchen; es war von außen verſchloſſen, das kam ihm garnicht42 zum Bewußtſein. Als er ein leiſes Raſcheln hörte, fuhr er zuſammen und taſtete noch im Dunkeln auf ſeiner Bettdecke umher, ob nicht etwa das Kätzchen wieder daſitze. Er fand natürlich nichts, nur auf dem Fußboden lag ein Brief, den der Poſtbote durch die Thürritze geſchoben haben mochte. Bei der unruhig flackernden Kerze las er die Adreſſe; es war ſeines Meiſters Handſchrift; er legte den Brief ungeleſen bei Seit '. Doch war mit den bekannten markigen Zügen ſoviel Tageslicht in ſeine Dämmerung gefallen, daß er ſich wieder einmal wie einen Dritten, der ihn nicht viel anging, betrachten konnte. Alſo weil man das Höchſte nicht erreichen kann, zum Faullenzer werden, der überhaupt nicht mehr den Finger rührt; weil man auf eine ſchöne Stimme gehorcht, die leider einem häßlichen Körper gehört, ſich einreden, man ſei ver¬ liebt, natürlich hoffnungslos, unglücklich! So alſo hat das Leben bei meinem erſten Ausflug auf mich gewirkt; ſo ſchwach findet es mich. Bin ich aber ſchwach, ſo tauge ich nichts und thäte gut, mich ſel¬ ber zu begraben. Hab' ich dazu Luſt? Ach nein, auch das nicht! Was will ich denn? Nun, etwas leiſten und glücklich ſein! Gut, ſo fange an lieber zu arbeiten, gleich morgen ſchon! Und verliebe Dich nicht wieder in eine Stimme ohne Körper. Die Stimme iſt Dir aus dem Weg gegangen, Du haſt's ja43 leicht; nun geh Du auch aus dem Wege, und Du biſt wieder frei.

Er ſeufzte, nickte ernſthaft vor ſich hin und griff dann nach dem Brief, der ihm jetzt, in dieſer geſam¬ melteren Stimmung, viel Beherzigenswerthes und Zu¬ ſtimmendes ſagte. Er ging endlich ſchlafen und träumte. Es kam ſingend die dunkle Treppe herunter und fiel ihm weich und warm in die Arme. Plötz¬ lich ward Licht, und er erkannte Fräulein Loni, die ihn anlachte, und ſo erſchrak er über ihr niedliches Geſicht, daß er zuſammenfuhr und die lange, lange Treppe hinunterſauſte wie ein Sturmwind.

Der andere Morgen traf unſern Freund in jener unternehmenden geſpannten Gemüthsverfaſſung, die neue Entſchlüſſe hervorzurufen pflegen. Der Be¬ ſuch bei Wolff machte ihm faſt bange; er wollte ſich durchaus zur Thätigkeit aufraffen und fürchtete, ein Geſpräch mit dem verliebten Genremaler könne ſeinen guten Vorſätzen vielleicht hinderlich ſein. Doch ſehnte er ſich bald wieder nach einem freundlichen Ohr und ging deshalb zu früher Stunde in das Atelier mit der Abſicht, ihn dort zu erwarten. Zu ſeiner Verwunderung fand er den Maler ſchon in voller Arbeit; wie dieſer ihm mittheilte ſchon ſeit Stunden. Ein Modell zu einem Dorfſchmied, den er eben malte, war gerade im Begriff, ſeine rußige Jacke abzuziehen und ſich in einen Jäger zu verwan¬44 deln, als welcher er im anſtoßenden Atelier eine Sitzung zu leiſten hatte. Der Maler erwartete, wie er ſagte, jeden Augenblick die Kindermodelle, die auf ſeinem Bilde, an der Thür der Schmiede ſtehend, erſt flüchtig mit Kohle entworfen waren. Alfred freute ſich an der ſchon vielverſprechenden Gruppe; beſonders ein derber Bube, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, ganz als dunkle Silhouette gegen den Feuerſchein drinnen ſich abhebend, erregte ſeinen Beifall durch die Wahrheit und Abſichtsloſigkeit, die in der ganzen klei¬ nen Geſtalt ſich ausſprach. Wolff malte auch jetzt unverdroſſen weiter am Hintergrunde und ſprach nur hie und da ein Wort, während Alfred die Rahmen an den Wänden umdrehte, um die Bilder zu be¬ ſchauen. Es that ihm wohl, den neuen Freund ſo im Eifer zu finden, und es war ganz ohne Empfind¬ lichkeit, als er ihn endlich fragte, ob er nicht beſſer thue, wieder zu gehen.

Nein, bleiben Sie noch, ſagte der Andre bit¬ tend; ich möchte, daß Sie die kleine Babett ſähen, das wäre auch etwas für Sie. Sie müſſen gleich kommen.

Alfred ſetzte ſich in einen wurmſtichigen ſchön¬ geſchnitzten Armſtuhl und wartete. Allmälig aber fing die Vertieftheit des Malers ihn zu kitzeln an.

Haben Sie Ihren Gutenachtgruß geſtern noch angebracht? warf er hin.

45

Wolff hob die Hand mit dem Pinſel und drohte ihm lächelnd. Heute iſt Montag, ſagte er bedeut¬ ſam; und als ihn Alfred fragend anſah:

Sonntags die Liebe, und Wochentags die Ar¬ beit, ſonſt kommt man auf den Hund, erklärte der Maler ſchon wieder mit den Augen auf der Leinwand.

Sie haben Recht, rief Alfred etwas betroffen, ich möchte mir ein kleines Atelier miethen, anfan¬ gen zu arbeiten. Ich weiß zwar noch nicht, was

Der Maler legte die Palette hin und kam mit ernſtem theilnehmenden Geſicht auf ihn zu. Ich bitte Sie, ſehen Sie ſich die Babett an, die könnte Sie auf Gedanken bringen. Wenn ich das Ding ſehe, fallen mir alle Kindermärchen ein; ſo ein Rothkäppchen oder Schneewittchen, Sie werden ſchon wiſſen, wofür Sie ſich entſcheiden. Ein Atelier im Nachbarhauſe iſt frei, im Hintergebäude, hell und ſtill, wie Sie's brauchen. Miethen Sie's, wenn es Ihnen zuſagt, und dann kommen Sie wieder und ſehen ſich das Kind an.

Der Maler hatte mit dem Arbeitskittel einen ganz andern Menſchen angezogen. Alfred gehorchte voll Freude. Nun erſt wünſchte er ſich von Herzen zu der Bekanntſchaft Glück.

Das Atelier, von dem Wolff geſprochen, lag zu ebener Erde und hauchte eine feuchte Kellerluft aus, da es den Winter über leer geſtanden hatte; dennoch46 freute ſich der junge Bildhauer auf ſeinen erſten Ar¬ beitstag in dieſem kahlen weißgetünchten Raum, wie auf die erſte Zuſammenkunft mit der Geliebten. Kaum war er mit dem Vermiether einig geworden, ſo eilte er zu dem Maler zurück, um ihm zu danken und nun womöglich gleich ſein Modell zu beſtellen. Er hörte ſchon Kinderſtimmen ſprechen, bevor er die Thür öffnete, und als er es that, kam das Urbild des netten Kerlchens mit den geſpreizten Beinen und nackten Schultern neugierig gelaufen und meldete ſein Kommen.

Mit Wolff war jetzt noch weniger zu reden, er nickte nur und wies dann mit dem Pinſel auf eins der Kinder, das, vorläufig noch nicht im Feuer, auf einem Schemelchen am Fenſter kauerte und, die Arme auf die Kniee geſtützt, das Kinn in die Handflächen gelegt, gradaus guckte. Alfred ſah bald, daß der Maler Recht gehabt. Es war ein Geſichtchen, auf dem noch der volle Kinderſchlaf lag, nichts von Be¬ wußtſein ihrer ſelbſt. Alfred rief ſie heran und ſah mit Entzücken die wohlgeformten nackten Füße, die ſchlanken Beinchen unter dem kurzen Rock und wun¬ derte ſich über die Anmuth, mit der ſich die Kleine bewegte. Babett war ſieben Jahre alt, wie er müh¬ ſam herausbrachte, und hatte keine Eltern mehr; der derbe Bub, der Karle war ihr Bruder. Sie trug ein ſchlechtes graues Miederchen, an den Nähten zerplatzt47 und von den Schultern tief herabhängend, die Schön¬ heit des Kindes ſtand faſt unbekleidet vor ihm. Nein, das war kein Rothkäppchen, kein ſchelmiſches, von der Großmutter verhätſcheltes, von der Mutter gut gehaltenes Dirnlein. Auch kein Schneewittchen, kein ſchwarzhaariges, trauriges Königskind; das war die Schönheit im Bettelkleid, die noch reich iſt, weil ſie ihre blauen Augen hat und den blauen Himmel über ſich. Haſt Du kein Tuch, Babett? ſagte der junge Bildhauer mitleidig. Das Kind ſchüttelte die vollen blonden Locken.

Hab ich Dir nicht Freitag eins gegeben? rief der Maler ſich umdrehend.

Die Kleine zeigte auf ein anderes Mädchen, das ſich plötzlich ängſtlich zuſammenduckte, als erwarte es etwas Schlimmes.

Die Luiſ 'hat's. Sie hat kalt gehabt.

Und Dich friert's nicht, Babett?

Sie ſchüttelte den Kopf.

Sternthaler, ſagte Alfred für ſich, das iſt es, freilich! könnt ich nur gleich anfangen.

Er nahm ein Blatt Papier und fing an zu zeich¬ nen, um nur ſeine Ungeduld gleich etwas zu be¬ ſchwichtigen. Dann lief er wieder in den neuerwor¬ benen Raum und beſichtigte den Ofen, beſtellte eine Menge Feuerung und heizte endlich ſelbſt, damit der Ort bald bewohnbar werde. Mit einer großen Er¬48 leichterung erfuhr er, daß Wolff die Babett jetzt nicht zu malen gedenke; er hatte das Kind erſt zu ſpät ge¬ ſehen, das paßte nun nicht in die fertig geplante Gruppe; zudem war ſeine Lieblichkeit dort zwecklos, wie der Maler ſagte, er ſparte ſie ſich für ſpäter.

So konnte denn Alfred wirklich am folgenden Tage beginnen und that es mit einem Fieber, das dem älteren Freund rührend dilettantiſch vorkam.

Aber Alfred ſtutzte nicht ob des böſen Wortes.

Warten Sie nur, ſagte er gutmüthig, ich weiß ſchon, wir Norddeutſchen kommen Euch ein bis¬ chen dumm vor mit unſerer unkritiſchen Begeiſte¬ rung, wie Ihr ſagt, und Ihr traut ihr nicht. Aber wie kritiſch Ihr Euch immer anſtellen mögt, 's iſt auch nur äußerlich, und ich weiß doch, wie warm es auch bei Euch drinnen ausſieht.

Und als der Maler immer noch lächelte, rief er faſt ärgerlich:

Sie wollen mir doch nicht einreden, daß Sie dabei nichts empfunden haben? Er deutete ſo hef¬ tig auf das Bild auf der Staffelei, daß Wolff un¬ willkürlich wie zum Schutz die Hand erhob. Dann klopfte er Alfred auf die Schulter. Sie ſind ein guter Kerl; machen Sie nur das Babettle recht, ſo will ich mich auch dafür begeiſtern und Ihre Ge¬ ſundheit trinken.

Machen Sie's recht. Ja, das war freilich leicht49 geſagt! Es ſchien von Tag zu Tag ſchwerer zu wer¬ den. Alfred theilte ſeine Zeit zwiſchen Arbeit und Studium in den Sammlungen. Jeden Morgen be¬ gann er mit leiſer Hoffnung, daß ihm heut etwas Gutes gelingen müſſe, und die Hoffnung ward zur beglückenden Ueberzeugung, wie die Stunden ver¬ rannen. Mit heißen Wangen, mit gehobenem Selbſt¬ gefühl beendete er die Arbeitszeit. Dann kam der Nachmittag und mit ihm der Umſchwung. Vor den fertigen Meiſterwerken ſchwand ſein eignes Beginnen in ein lächerliches Nichts zuſammen; die Zerſchmette¬ rung jenes erſten Beſuchstages wiederholte ſich, wenn auch nicht ſo ganz vernichtend, weil ſie nicht mehr ſo neu war. Sein Lehrer in Hamburg hatte an ihm eine gewiſſe unbefangene Keckheit gelobt, ja zuweilen bewundert. Die kam ihm hier ganz abhanden.

Alles ward Vorſicht, Abſicht. Statt des flotten Zugreifens ein ängſtliches Taſten, eine qualvolle Un¬ ſicherheit, die bald nicht mehr aus noch ein wußte. Er blieb aus dem Atelier des Malers fort, beſchränkte ſich ganz auf ſich, wollte erzwingen, was ſich nur mühſam Schritt für Schritt erarbeiten läßt, und quälte die geduldige Kleine mit endloſen Sitzungen, daß ſie darüber blaß und ſchläfrig wurde.

Als er es acht Tage ſo getrieben hatte, trat eines Nachmittags Wolff in die von allen heiteren Geiſtern verlaſſene Arbeitsſtätte. Alfred warf mit un¬Frapan, Bitterſüß. 450ruhigem Erröthen ein Tuch über ſein Thonmodell und bemühte ſich, den Maler auf die andere Seite zu locken. Doch Jener ging ruhig auf das verhüllte Werk zu und betrachtete es eine Weile ſchweigend, während der junge Bildhauer haſtig auf und ab lief. Wolff hatte ſchon an der Begrüßung empfunden, wie es hier ſtehe, und daß ermuthigender Zuſpruch eine Lebensfrage bedeute. Er fing an, dies und jenes zu loben, rieth ihm aber dann, die Arbeit, an der er ſich offenbar müde geſehen, eine Weile ruhen zu laſſen und irgend eine andere Aufgabe zu wählen.

Alfred athmete auf; er drückte dem Freunde lebhaft die Hand. Dann erzählte er ihm von ſeinen täglichen Leiden; der Maler nickte wie zu etwas Längſtbekanntem.

Sie ſind noch nicht weit genug, um den freien Genuß und Nutzen davon zu haben. Machen Sie jetzt etwas, und gehen Sie inzwiſchen nicht in die Theken , es wird beſſer ſein. Und wenn Sie jetzt Zeit haben, kommen Sie mit auf einen Spaziergang, ich möcht 'mit Ihnen reden.

Alfred entließ Babett, die, müde ſich dehnend, in einer Ecke ſtand. Sie gingen hinaus und quer durch die Stadt, den Iſarauen zu. Die jungen Uferweiden ſchimmerten in hellem Grün; doch war es kühl und menſchenleer auf den kiesbeſtreuten Wegen.

Ich muß reiſen, ſagte der Maler, gleich mor¬51 gen früh; ich hab 'eine ſchwindſüchtige Schweſter da¬ heim, die wird wohl in dem Frühjahr draufgehen, ſchreibt mir die Mutter. Man weiß nicht, wie lang es an¬ ſtehen kann, ich möcht ſie noch ſehen. Vielleicht mal' ich ſie für die Mutter, ſie hat immer danach verlangt, ihr zartes Geſicht zu haben.

Er ſchwieg; der Leidenszug trat heute deutlich hervor, ſein gelaſſener Ton kontraſtirte ſeltſam damit.

Ach, wie das traurig iſt, ſagte Alfred herzlich.

Ja, aber es hilft nicht, es iſt nun ſchon ſo; wir haben's ſeit drei Jahren kommen ſehen, daß es ſo geht, aber hin will ich noch. Er ſah den Bild¬ hauer mit zuckendem Munde an, als wolle er noch etwas ſagen.

Kann ich irgend etwas thun? rief der, ſeine warmen kindlichen Augen halbſchließend, damit der Andre nicht ſehe, daß eine Thräne darin ſtand,

Gehen Sie manchmal zum Spitzer, und geben Sie Acht auf die Loni, erwiderte Wolff, nicht wahr, Sie ſind nicht angebrannt?

Seien Sie meiner ganz ſicher, ſagte Alfred ehrlich betheuernd.

Nun alſo; ſehen Sie dort nach dem Rechten, Sie wiſſen ja, wie's hergeht, haben's ja ſelbſt ge¬ ſeh'n. Ich möcht's nicht erleben, daß ſie ſich etwa mit dem Buben oder dem Storch in eine Liebes¬4 *52geſchicht 'einlaßt, aus der ich ſie nachher wieder her¬ ausſchälen müßt.

Alfred ſah ihn etwas verwundert an.

Ich hab 'die heimliche Ueberzeugung, daß ſie mir zuletzt zufallen muß, ſagte der Maler nachdenk¬ lich, denn die Buben alle geh'n nur des Lachens wegen hin. Freilich, der Alte iſt nicht unbemittelt, wer weiß und die Loni könnt' nen dummen Streich machen und ſich aus Langerweil anbinden. Das muß verhütet werden.

Aber wär 'es nicht beſſer, Sie ſprächen mit dem Fräulein vor ihrer Abreiſe?

Ueber Wolffs Geſicht flog ein leiſes Roth.

Nein, ſagte er abwehrend, ſo weit ſind wir noch nicht. Sie iſt ſo gar jung, was würd 'ſie zu ſolch' einem Geſicht ſagen; und kann doch im Augen¬ blick kein anderes hinmachen, ſelbſt ihretwegen nicht; ich geh nicht mal zum Abſchiednehmen hin. Ich hoffe, ſie ſoll mich vermiſſen!

Alfred war verſtummt; er fühlte ſich wie zu¬ ſammengepreßt, wie eingeſchnürt.

Ach, rief er endlich, und ſo ſchlägt man ſich, drängt man ſich, quält man ſich von einem Tag auf den andern.

Ja, ſo lebt man, war die leiſe Antwort.

Leben? Das iſt das Leben? fragte er in ſchmerzlicher Verwunderung.

53

Haben Sie Andres erwartet? ſagte Wolff mit¬ leidig lächelnd. Aber fügen Sie noch hinzu: Und ſo gewinnt man Freunde, da klingt's doch gleich a biſſel beſſer.

Alfred drückte ihm mit einer Art Schwärmerei die Hand.

Werd 'ich von Ihnen hören?

Ich ſchick 'Ihnen den Trauerbrief, wenn's ſo¬ weit iſt, murmelte der Maler.

Wieder gingen ſie eine Weile ſchweigend neben einander her.

Ich ſoll Fräulein Loni Ihre Abſchiedsgrüße bringen? fing Alfred wieder an.

Wenn ſie nach mir fragt, eher nicht; verhin¬ dern Sie nur, daß ſie ſich verliebt, verlobt u. ſ. w.; und reden Sie Gutes von mir. Sie ſelbſt, nicht wahr

Er ſah Alfred mit einem langen, prüfenden Blick in die Augen, die ihn ſicher und freudig er¬ widerten.

Gut Freund, wiederholte der junge Bildhauer ernſt, Sie dürfen mir vertrauen.

Mit einem feſten Händedruck ſagten ſie ſich Lebe¬ wohl.

Alfred Heuvels war ſeit jenem Sonntag nicht in der Villa Spitzer geweſen und hatte nur den Alten einmal in ſeinem Atelier unter den Rokoko¬54 dämchen beſucht. Jetzt war er verpflichtet, ſich nach dem närriſchen Fräulein umzuſehen. Es war im Grunde ein recht ſonderbarer Auftrag, den ihm der Freund da hinterlaſſen, und Alfred ging mit nicht ſehr behaglichen Empfindungen hinaus. War er doch ein ganz Fremder dort im Hauſe und hatte ſich in jenen Stunden keineswegs wohl gefühlt. Wie ſollte er ſich dem verzogenen Kinde nähern, ohne falſche Vorausſetzungen zu erwecken? Sie nahm es ſo ſelbſt¬ verſtändlich hin, daß ihr Jeder ſeine Huldigungen brachte.

Und wenn er ſich's recht überlegte, ſchien ihm das auch die beſte Umgangsform mit ihr zu ſein. Er aber ſollte vernünftig mit ihr reden und ſie be¬ aufſichtigen! Eben das hatte ja auch der Wolff ver¬ ſucht, und es war ihm ſo elend mißlungen. Mit heimlichem Widerſtreben dachte Alfred daran, daß ſie nun auch ihm irgend einen Spottnamen anhängen und ihn ſo hitzig behandeln werde wie das Muckerl . Es war ihm garnicht recht geheuer, als er jetzt die Glocke an der Gartenpforte zog; und als endlich das Mädchen mit einer kleinen Laterne herauskam und ihm meldete, der Herr ſei noch nicht daheim, und das Fräulein ſei in einer italieniſchen Stund ', zog er ganz erleichtert ſeine Karte heraus und empfahl ſich eilig. Er hatte dieſe ſpäte Stunde gewählt, um nicht zuviel Arbeitszeit zu verlieren. Denn er hatte das Relief¬55 porträt eines charakteriſtiſchen alten Männerkopfs begonnen und war in ſeinem gewohnten Anfangs¬ fieber. Um ſich in der Stimmung zu erhalten, hatte er diesmal Wolffs Rath befolgt, nichts andres in¬ zwiſchen zu ſehen, und war bis zum Dunkelwerden an ſeinem Werk geblieben.

Als die Straße zu Ende war und er in die nächſte einbiegen wollte, rannte er faſt mit einer Dame zuſammen, die eilig daherkam. Wie ſie anein¬ ander vorbei wollten, erkannten ſie ſich.

Ah, Fräulein Spitzer, ich komme grade von Ihnen.

Von mir? ach, das iſt geſchickt, da geh'ns mit mir z'rück, 's iſt ſo arg dunkel, rief ſie erfreut, der Papa wollt mich abholen, iſt aber net kommen, fügte ſie hinzu.

Alfred verbeugte ſich und kehrte mit um, doch hielt er es nicht für loyal, ihr den Arm anzubieten, ſo freundlich ihn die ſchwarzen Augen unter dem Kraushaar anlachten.

Sie machen ſich rar, ſagte ſie, zu ihm hinauf¬ ſehend, es hat Ihnen, ſcheint's, nicht bei uns ge¬ fallen.

O, wie können Sie denken fing er an.

Es ſchad't nix, begütigte ſie, Sie dürfen meinethalb 'nicht lügen. Es thut halt Jeder, was er mag.

56

Der Ton war ſehr harmlos, aber er reizte doch zum Widerſpruch, zum Complimentemachen.

Es kommen mehr Leut ', als ich mag, ſagte ſie nun auch ſchon, da er nicht geantworet hatte.

Wen ſehen Sie denn am liebſten? fragte Al¬ fred ſcherzend, er hoffte auf Wolff zu kommen.

Ja, darüber hab 'ich mir noch nie den Kopf zerbrochen! lachte ſie, ihn mit einem erwartungs¬ vollen Seitenblick ſtreifend.

Ich aber weiß Jemand, der für ſein Leben gern jetzt an meiner Statt hier ginge, ſagte Alfred mit plötzlichem Entſchluß.

Das heißt. Sie thun's nit ſo gern, erwiderte ſie etwas gereizt; da ſchaun's, ich bin gleich z'Haus, ſie wies mit ihrem Sonnenſchirmchen vorwärts.

Sie werden mich doch nicht am Gartenthor entlaſſen? rief Alfred wärmer, als es ihm ums Herz war.

Sie nickte nachläſſig mit dem Kopf:

Der Papa iſt noch nicht daheim, und ich bin arg müd ', ich muß ſchlafen gehn.

Der Bildhauer biß ſich auf die Lippen.

Sie ſind heut ſehr ungnädig, ſagte er lebhaft.

Und Sie könnten ein biſſel galanter ſein, gab ſie zurück.

Liegt Ihnen ſo viel daran? entfuhr es ihm faſt wider Willen.

57

Sie legte den Kopf zurück, drückte die Augen zu¬ ſammen und ſagte ſpöttiſch: Sie wollen wohl auch mit mir anbinden? Sie gehen wohl beim Muckerl in die Schul '?

Wenn Sie von meinem Freunde reden rief der Bildhauer faſt heftig.

So, Sie ſind Freunde miteinander, Ihr ſeid ein Paar! ſagte ſie wegwerfend.

Der Zorn ſtieg ihm zu Kopf.

Ich bitte Sie, ſeien Sie einmal vernünftig, rief er, Sie ſind noch jung, Sie kennen die Men¬ ſchen noch nicht, aber daß Wolff ein edler, ein ſeltner Menſch iſt, das ſollten auch Ihre Kinderaugen ſchon erkannt haben, falls ſie überhaupt die Fähigkeit haben, das Gute und Rechte wahrzunehmen.

Das Fräulein hatte die nach der Glocke aus¬ geſtreckte Hand ſinken laſſen und ihn eine Weile in ſprachloſer Verwunderung angeſtarrt. Sie that einen tiefen Athemzug. Dann ſagte ſie langſam:

Das iſt brav von Ihnen, daß Sie ihn in Schutz nehmen; das muß wohl auch ein Freund thun, Sie zog die Klingel und fuhr in demſelben gezähmten Tone fort: Wenn Sie Sonntag kommen wollen, es wird Ihnen arg langweilig ſein, aber mir machen Sie eine Freud 'damit. Auf Wieder¬ ſehn! Sie ſtockte, erröthete und reichte ihm das Händchen im ſeidnen Handſchuh. Er fühlte ihren58 heftigen Pulsſchlag, wie er es einen Augenblick feſt¬ hielt. Dann eilte ſie, ohne ihn anzuſehen, an dem Dienſtmädchen vorüber und durch den dunklen Gar¬ ten; ihr leichter Fuß klang hörbar auf den Marmor¬ ſtufen, dann war ſie im Hauſe verſchwunden. Mit langſamen Schritten entfernte ſich Alfred. Er hatte wohl etwas erreicht, aber er war doch nicht zufrieden mit ſich, nein, er war nicht zufrieden!

Kaum zu Hauſe angelangt, ſchrieb er einen Brief an Wolff, bat ihn, den Auftrag von ihm zu neh¬ men; er ſei ungern bei den Spitzers und nicht die geeignete Perſon, Fräulein Loni zu beeinfluſſen. Danach ſchlief er ruhig und zerriß folgenden Mor¬ gens den Brief, aus Rückſicht für den Freund. Der hatte Sorge und Schmerz genug, der ſollte nicht um eines übertriebenen Skrupels willen beunruhigt wer¬ den. Als er erſt bei der Arbeit war, fand er ſeinen Halt wieder und vergaß zuletzt Alles in der Welt, außer dem Geſicht da vor ſich und dem Thonklumpen in ſeinen Händen. In der Frühſtückspauſe kam das alte Modell geſchlichen und beſah ſich, was da wurde. Sein verſtändnißvolles Schmunzeln und Nicken dünkten den jungen Künſtler werthvoller als alle gelehrte Kritik. Der Schufterl , wie er in den Ateliers ge¬ nannt ward, hatte ſein Geſicht ſo oft auf der Lein¬ wand und in allerlei anderem Material geſehen, daß er ſchon ein Urtheil beſaß.

59

So gingen die Tage bis zum Wochenſchluß wie im Traum dahin, und hin und wieder nur kam eine einſame Abendſtunde, in der Alfred, von unbeſtimmter ſehnſüchtiger Unruhe getrieben, das Fenſter aufriß und hinaushorchte, und wenn Alles ſtill blieb, nach dem Hute griff und ins Freie rannte, um ſich müde zu machen und ſeine Gedanken und ſein warmes junges Blut zu kühlen. Dabei war es ihm eine Annehmlich¬ keit, daß ſein Zimmernachbar ausgezogen war und der leere Raum ganz anſpruchslos daſtand; die Wirthin hatte ſogar die Verbindungsthür zwiſchen jenem und dem ſeinigen geöffnet, ſo lange es unbenutzt ſei, und Alfred freute ſich, für ſeine langen Beine etwas mehr Spielraum zu haben. Was ihm die Frau gewonnen hatte, war die Freigebigkeit des jungen Hamburgers und ſeine Dienſtbereitſchaft für alles Weibliche im Haus, ſei es das alte Mütterchen im dritten Stock, der er den entfallenen Arbeitsbeutel hinauftrug, ſei es das Wäſchermädchen, dem er den ſchweren Korb auf den Kopf ſetzen half. Es lag ihm eben in der Natur, daß ſein angenehmes Geſicht noch freundlicher wurde, wenn es ein langes Haar und einen faltigen Rock zu ſehen bekam.

Am Sonntag fühlte er ſich wieder unbehaglich und aufgeregt, doch kam ihm garnicht der Gedanke, daß er ja vielleicht aus dem Spitzer'ſchen Hauſe weg¬ bleiben dürfe. Noch hatte er das Fräulein nicht ge¬60 ſprochen, kein Wort über Wolffs Abreiſe mit ihr ge¬ tauſcht. Er haſtig zu Mittag und mußte dann, weil es noch viel zu früh war, zwei Stunden mit dem Leſen öder Zeitungen verbringen; er hielt dabei zuletzt die Uhr in der Hand und bekam aus reiner Langerweile Herzklopfen.

Endlich ſchlug es drei Uhr, in einer halben Stunde war er draußen. Er hatte ſich vorgenommen, mit Ernſt und Beſtimmtheit der gefährlichen Kleinen entgegenzutreten und es zu keiner Neckerei kommen zu laſſen. Er kam daher etwas aus der Faſſung, als ihn Fräulein Loni mit einem ausgelaſſenen Gelächter begrüßte, in das der Vater und die jungen Burſchen, die ſchon alleſammt unter einem großen blühenden Apfelbaum ſaßen, faſt beleidigend einſtimmten.

Kommen Sie, Herr Niemand, für Niemand iſt noch Platz! rief ſie, und zog einen Gartenſtuhl an ihre Seite, auf dem Alfred indeſſen nicht Platz nahm.

Darf ich nicht wiſſen, warum Sie ſo luſtig ſind? fragte er, noch außerhalb des Kreiſes ſtehend, die Augen von Einem zum Andern wandern laſſend.

Da ſehn Sie! zwitſcherte das Mädchen und hielt ihm eine Karte vor die Augen; die Kart haben Sie unſerm Mädel 'geben, warum haben's ſich denn vor ausgeſtrichen, wann's ſich nun doch wieder einſtellen?

Ach, ſeine Viſitkarte, auf der er damals in der61 Glyptothek ſeinen Beruf, und wie er nun ſah, in dem ſchmerzlichen Eifer jener Stunde, unabſichtlich auch ſeinen Namen durchſtrichen hatte! Der Zufalls¬ kobold hatte ihm auch gerade dieſe in die Hand ſpielen müſſen, und er hatte garnicht hingeſehen, als er ſie abgab.

Was heißt denn das? Was bedeutet das? fragte man von allen Seiten. Alfred ward es immer unbehaglicher; mit der ganzen Wahrheit, die ihn ſo nahe anging, mochte er nicht vor dieſen Neugierigen herausrücken. Dennoch mußte er etwas ſagen. Er ſtotterte eine Entſchuldigung wegen des Mißgriffs; aber Loni ſah ihn kopfſchüttelnd und forſchend von der Seite an und fuhr fort, ihn Herr Niemand zu nennen, was ſie in allerlei dreiſten Scherzen aus¬ beutete.

Niemand darf aus meinem Glaſe trinken, gelt Papa? ſagte ſie, ihm ihr Glas kredenzend, und es ebenſo ſchnell zurückziehend und eifrig leerend. Aber Niemand findet mehr einen Tropfen drin, rief ſie und ſtieß es ausgelaſſen auf den Tiſch nieder. Der Alte lachte über die Wetterhex , und Alfred ſaß dabei mit ſüßſaurer Miene und wäre gern weit fort geweſen. In einer Pauſe ſah ſie ſich nach allen Seiten um, guckte auch unter den Tiſch und rief dann mit geheuchelter Ueberraſchung:

Jeſſas, der Muckerl iſt nicht da!

62

Da bin ich froh dran, fiel der Alte ein, er hat was Zuwideres.

Wolff iſt ein wackrer Künſtler und ein edler Menſch! ſagte Alfred, während es ihm roth ins Ge¬ ſicht ſtieg und ſeine Stirn ſich unmuthig zuſammenzog.

Kann ſein, aber ich mag ihn net, erwiderte Spitzer und klopfte behaglich ſeine kurze Pfeife aus.

Armer Freund! Alfred ſah Loni ſcharf an, aber ſie klapperte mit ihrem Armband und bat dann den Buben , ſie einen Salamander reiben zu lehren, ſie könne es nimmer recht. Der abſichtlich laute un¬ bekümmerte Ton ſchien dem Bildhauer eine neue Her¬ ausforderung. Doch bekämpfte er ſeinen Aerger und rief nun ſelbſt: Exercitium salamandri! daß das Mädchen die Augen aufriß und auch der Alte ſich mit Schmunzeln nach ihm umwandte und ihm mit einem väterlichen: Ich hab's gern, wenn junge Leut 'luſtig ſind, auf die Schulter klopfte.

Wider Willen ſah ſich Alfred in die geräuſch¬ volle ſeichte Heiterkeit hineingezogen. Blindekuh! Wir ſpielen Blindekuh! rief das Fräulein, riß ihr Tüchlein hervor und verband ihm die Augen. Dann lief ſie ſo neckend an ihm vorbei, daß die Andern wohl merkten, es ſei eigentlich nur ein Spiel zwiſchen dieſen Beiden, und ſich bedeutſame Blicke zuwarfen. Nicht lange dauerte es, da hatte er ſie erhaſcht und hielt ihre warmen weichen Hände feſt in den ſeinen. 63Er ſchüttelte mit einer Bewegung das Tuch ſo weit herunter, daß er ſehen konnte, ſie waren zwiſchen zwei Bäumen und fern von den Uebrigen.

Nicht eher geb 'ich Sie los, als bis Sie eine Frage thun, rief er in halbem Zorn.

Welche Frage? Sie ſuchte ihre Hände zu be¬ freien und war purpurroth.

Rathen Sie! Rathen Sie! drängte er und ſah ſie mit dem Gefühl an, daß ſie es doch nicht rathen werde, und daß ſie ihm überlegen ſei und ihn um den Finger wickle.

Plötzlich war ſie frei, ſtellte ſich gerade vor ihn hin und ſagte mit einem bittenden Kleinmädchenblick in ſeine blauen Augen:

Es wäre ſchon beſſer, Sie ſagten mir's, ich bin halt gar zu dumm!

Mein Freund Wolff, fing er an, aber es klang ihm ſelbſt wie eine Formel, und das Fräulein hatte ſich ſchnell abgewandt und war ein bischen zu¬ ſammengezuckt.

Wolff iſt fort, ſagte er mit einer neuen Kraft¬ anſtrengung, ich ſoll Sie grüßen.

Nun ſchien ſie doch zu erſtaunen.

Fort? Ganz fort? fragte ſie und ſagte dann nach einer Weile: Da kann er mir nimmer die Le¬ viten leſen, aber daß er ſo ſchnell gangen iſt

64

Seine Schweſter iſt im Sterben , fuhr er in bebendem Ton fort, er iſt ſehr beklagenswerth.

Sie maß ihn betroffen. Muckerl? fragte ſie leiſe, als habe ſie den noch niemals in dieſem Lichte erblickt.

Wie ſie ſo nachdenkend ſtand, das lachende Mündchen ernſthaft geſchloſſen, die zierliche Geſtalt vom Abendſonnenſchein umſtrahlt, war es Alfred auf einmal, als ſei er blind geweſen. Sie iſt ja reizend! dachte er, und im gleichen Augenblick traf ihn ihr Blick ſo voll Wohlgefallen, daß ſein Herz hoch auf¬ ſchlug.

Sie ſind brav, ſagte ſie langſam und ohne den Blick von ihm zu wenden, wer Ihr Freund iſt, hat es gut.

Nun fing er mit einer wahren Ueberſtürzung an, von dieſem Freund zu reden; er rühmte ſeine Güte, ſeinen Fleiß, ſeine Begabung und demüthigte ſich zu¬ letzt ſo tief vor ihm, daß Loni abwehrend den Kopf ſchüttelte. Nein, jetzt, das iſt zuviel, das würd 'er nicht annehmen.

Etwas verwirrt kehrten ſie zu den Uebrigen zu¬ rück, die ihnen zuriefen, man habe ſchon überall nach ihnen geſucht. Fräulein Loni ſchlug den Schlanken, den ſie Storch nannte, geringſchätzig auf die Fin¬ ger, die er ihr entgegenſtreckte.

Da hätt 'ich viel zu thun, wenn ich all' Euer65 Geſchwätz glauben wollt', ſagte ſie achſelzuckend, Ihr habt derweil Bier trunken; ich kenn 'Euren Sonntagsnachmittagsdurſt.

Der Bub ſah Alfred mit frechem Lächeln an: Haben Sie ſich fangen laſſen, mein Beſter? fragte er.

Nein, er hat mich gefangen! rief das tolle Kind, er war ja Blindekuh; plötzlich aber lief ein Erröthen über ihr feines Geſichtchen, der Bub hatte ſo beleidigend aufgelacht.

Das is amal a dicker Spatz, ſtotterte ſie me¬ chaniſch und zeigte geradeaus auf den Raſenfleck unter dem Birnbaum.

Aber Fräulein, das iſt ja der Jockerl! näſelte der Storch mit komiſchem Mißverſtehen.

Loni lief zu ihrem Vater und ſetzte ſich neben ihn. Ich bin müde, flüſterte ſie, ſchick ſie weg, Papa. Sie ſtützte den Kopf auf die Hand und ließ die Lippe hängen.

Wenn Du müd 'biſt, geh ſchlafen, ſagte der Vater mürriſch, man braucht Dich net.

Die Kleine machte ein hülfloſes Geſicht. Nie¬ mand, ich weiß nicht, wie er eigentlich heißt ſie lachte ſchon wieder alſo Niemand kann hier¬ bleiben, aber, bitte, Papa, ſchick die Andern weg.

Du biſt nicht geſcheut, war die Antwort, Herrgott, hat man eine Noth mit ſo Mädelen. ErFrapan, Bitterſüß. 566goß ärgerlich ſein Glas hinunter. Jockerl, der ihm gegenüber ſaß und etwas von der halblauten Unter¬ redung gehört hatte, grunzte beiſtimmend und trank ebenfalls.

Sie iſt doch elend dran! dachte Alfred, Wolff hat ganz Recht. Sie könnte eine Andre werden. Ob aber durch ihn?

Guten Abend, Fräulein Loni, ſagte er, hinter ihren Stuhl tretend, ich möchte mich verabſchieden.

Ich auch! erwiderte ſie mit traurigem Nicken, ich thu's auch bald! Sie ſtand auf, obgleich Alle ſie anſahen.

Ich begleite Niemand! rief ſie mit dem ge¬ wohnten ſpitzbübiſchen Lachen, ja, macht nur lange Hälſe, iſt mir auch eins.

Ich wollt, die Andern gingen und Sie blieben da, ſagte ſie, als ſie zwiſchen den Blumenbeeten ſtanden, nun fangen ſie bald an Skat zu ſpielen, und da bringt man ſie vor Mitternacht net weg. Spielen Sie auch Skat?

Nein, lächelte Alfred.

Sie ſeufzte tief. Grad ſo ungebildet wie ich, denn wer nicht Skat ſpielt, ſei ungebildet, ſagt Jockerl. Ich glaub's aber net.

Wolff rührt keine Karte an, betheuerte der Bildhauer mit einer heldenmüthigen Anſtrengung.

Sie erwiderte nichts; nach einiger Zeit bückte67 ſie ſich zu einem Quittenſtrauch, deſſen kaum er¬ ſchloſſene granatrothe Blüthen durch das ſpärliche Grün leuchteten.

Sie reichte ihm ein Zweiglein und ſteckte ſich ſelbſt eins an. Er haſchte nach der niedlichen Hand und küßte ſie ſchnell.

Ihnen kann man ſchon etwas zu Liebe thun, ſagte ſie, während ihr wieder das Blut ins Geſicht ſtieg, ſich dann aber der Ausdruck plötzlich ins Schalk¬ hafte veränderte: Sie ſind ja doch Sie ſind ja doch Niemand!

Damit wollte ſie fortlaufen; er aber hielt ſie feſt und warf einen ſchnellen Blick rückwärts; der Tiſch war nicht zu ſehen, die Büſche traten davor.

Niemand? ſagte er mit drohendem Flüſtern, iſt es wahr, Loni, bin ich Ihnen wirklich Nie¬ mand? Er wußte ſelbſt kaum, was er ſprach, nur daß ſie ſehr lieblich war, und daß ihre kleine Hand wie ein warmes zuckendes gefangenes Mäuschen in der ſeinen lag.

Ich will ich will auf ihrer Kart 'nachſchaun, wie Sie heißen, flüſterte ſie.

Alfred! hauchte er.

Alfred, wiederholte ſie wie ein leiſes Echo; und dann noch leiſer: Gute Nacht, Alfred.

Gute Nacht, Loni! er beugte ſich auf ihr ge¬ ſenktes Köpfchen und drückte ſeine Lippen auf das5*68weiche dunkle Gelock, ſein Herz ſchlug ängſtlich und hart.

Da ging ein Mann an der Gartenpforte vor¬ über, nah 'bei ihnen; Alfred ſah nicht viel mehr, als den grauen Schlapphut, aber es fuhr ihm wie ein Stich durch die Bruſt. Trug nicht Wolff ſolch einen Hut? Wolff und er o!

Gute Nacht! ſtammelte er mit einem haſtigen kurzen Händedruck und war, ohne ſich umzuſehen, mit einem Sprung aus dem Garten.

Er ging nicht der Richtung nach, die jener Spa¬ ziergänger genommen, der den Schlafwandler auf¬ geweckt. O nein! Er eilte nach der entgegengeſetzten Seite, obgleich ſie ihn weiter hinausführte. Wenn der Mann wirklich ſein Freund geweſen wäre, er hätte nicht erſchrockener vor ihm fliehen können. Und doch lief er eigentlich vor ſich ſelbſt und zwar mit dem erdrückenden Bewußtſein, daß das nutzlos ſei und daß er ſich nicht entlaufen könne. Was hatte er gethan! Weh, was hatte er gethan! Für ſich ge¬ nommen, was er dem Freund bewahren ſollte! Es verdiente die ſchwärzeſten Namen. Wie er ſich an¬ klagte, wie er ſich haßte. Solch ein Menſch, ſolch ein Freund! Solch ein Vertrauen! Und dazwiſchen erboſte er ſich wieder für ſeine bisherige Unſchuld, kämpfte mit ſich ſelbſt für ſie. Für mich genom¬ men? ſagte er ſich, nicht doch in den Schoß69 gefallen. Wie wenig hab ich dazu gethan! Und wider Willen kam ihm ihre Geſtalt zurück und ihr unverhohlenes Wohlgefallen und wie allein ſie ſei mit dem Vater und unter jenen plumpen, läppiſchen Ge¬ ſellen. Ihn ſah ſie gern, war es nicht Pflicht viel¬ leicht, ihr die Freude zu gönnen? Sie war ja ganz gleichgültig geblieben bei ſeinem Bericht über Wolff! Nicht ein gutes, freundliches Wort für den Abweſen¬ den hatte er herausgehört, und von Vermiſſen war auch nichts zu bemerken geweſen. Armer Wolff, es ſchien ganz hoffnungslos. Der Vater war ihm auch abgeneigt, nun alſo! Sehe ich aus wie Einer, der einen Freund betrügt? Habe ich nicht den beſten Willen gehabt, für ihn zu werben? Aber wer kann denn Liebe erzwingen und noch gar Liebe für einen Andern?

So zuckte ſeine Seele hin und her; er war zu klar, zu ſehr Pflichtmenſch, um ſich dauernd vor ſich ſelbſt entſchuldigen zu können, und er war zu warm und zu verliebt, um ſein Unrecht ohne Umſchweif zu bereuen. Er hatte ſich ja nur treiben laſſen, wie der Strom ihn zog. Ihm ſchien vor Allem unbegreiflich ſeine frühere Verblendung, ſtrafbar ſeine Sicherheit, ſein unbeſonnenes Verſprechen. Aber hatte nicht auch Wolff gefehlt, der doch ſo viel älter war und wiſſen mußte, daß es Stimmungen gibt und Impulſe, die Niemand vorausahnt? Eine Viertelſtunde lang70 dünkte es Alfred, als könne er allen Zorn auf den Freund wälzen. Nicht wie ein Freund, wie ein Ver¬ ſucher hat er an mir gehandelt! aber das unklare Wehgefühl, das nicht weichen wollte, belehrte ihn eines Beſſeren. Ach, er war unglücklich, er war tief be¬ dauernswerth, er liebte die Geliebte ſeines Freundes und hatte es ihr nicht geſagt, aber doch deutlich ge¬ zeigt. Ihm wurden die Augen naß vor Mitleid mit ſich ſelbſt, mit ihr, die er ohne Zweifel durch ſein plötzliches Davoneilen gekränkt, und mit ihm, der ſich in trüber Leidenszeit durch den Gedanken an ſie Beide aufrecht hielt und ſo ſchmählich betrogen war. Wie ein Irrgarten lag die Zukunft vor ihm. Wel¬ chen Weg einſchlagen? Und der Lockvogel, der ihm unaufhörlich ins Ohr ſang: Sie liebt dich, und du liebſt ſie auch; wer liebt, hat Recht, geh wieder hin! Du haſt nur ihre Locken geküßt, küß ihre Lippen: ſie warten auf dich, ſie rufen dich. Er nahm die rothen Blüthen aus dem Knopfloch und küßte ſie, bis nicht ein Blättchen daran blieb, aber ſie waren kühl und küßten nicht wieder!

Der andere Morgen fand ihn matt und mit ſchmerzendem Kopf auf ſeinem Lager. Doch ſtand er haſtig auf, ſowie er munter geworden, er ſcheute ſich vor dem Grübeln und Beſinnen. Werd 'ich ſie heute ſehen? Darf ich ſie ſehen? war Alles, was er dachte. Erſt auf dem Wege zu ſeinem Atelier fiel ihm ein,71 daß heut eigentlich ein großer Tag für ihn ſei: der Marmor, den er für die Mädchenfigur Sternthaler beſtimmt hatte, ſollte heut ausgewählt werden. Mar¬ mor! Er hatte ſich ſo danach geſehnt, das edle Ge¬ ſtein unter ſeinen Fingern zu fühlen. Es war ein großer Luxus, und Wolff hatte ihm abgerathen, und nun erſt Spitzer: Sie ſtecken da viel Geld hinein, das Sie nie herausbekommen! Stellen Sie doch Ihren Gips aus, wie andre Leute. Das iſt faſt protzig gethan, ſag' ich Ihnen. Aber Alfred hatte in guter Laune erwidert, er habe ſich's einmal in den Kopf geſetzt, für die Babett ſei nur Marmor gut ge¬ nug. Er bekomme ihn billig aus dem Nachlaß eines verſtorbenen Künſtlers, es werde auch nichts allzu Rares ſein.

Sein Modell wartete ſchon auf ihn, das kam ſonſt nicht vor. Auch nicht, daß er ſo ohne Gruß an ihm vorbei ging und mit ſo zerſtreuter Unluſt zu arbeiten begann. Er ſah bald ſelber ein, heut för¬ dere er nichts, heut verderbe er nur; er ſchickte den Schufterl nach zwei Stunden fort und begab ſich in den Schuppen neben dem Atelier des Todten, wo drei noch rohe Blöcke lagerten. Er verſtand ſich nicht ganz ſchlecht auf das Geſtein. Sein Meiſter in Ham¬ burg hatte mancherlei unter den Händen gehabt und ihm, als dem vertrauteſten Schüler, jede Belehrung zukommen laſſen, die ihm nützlich werden konnte. 72Ein reicher Kaufmann hatte einen Saal mit rundum laufenden Frieſen und mit Statuen am Kamin ſchmücken laſſen, zu denen der Marmor von dem Bild¬ hauer ſelbſt in den Brüchen von Seraveza ausgewählt worden, damit man ein fehlerloſes Material erhalte. Dabei hatte Alfred viel gelernt.

Der junge Mann hatte Hammer und Meißel zu ſich geſteckt, denn er hatte an den Erben, den Bruder des Verſtorbenen, das Anſuchen geſtellt, nicht bloß mit den Augen prüfen zu dürfen. Der Verkäufer war nicht ſelbſt zugegen, doch hatte er einen Arbeiter geſchickt, welcher ihm etwa behülflich ſein dürfe und jetzt wartend auf einem Dreibein im ſonnigen Hofe ſaß. Der Bildhauer winkte ihm, ruhig ſitzen zu bleiben, bis er ihn nöthig habe, und ging allein in den Schuppen, froh genug, daß er ganz ungeſtört wählen könne. Er überzeugte ſich bald, daß der eine Block ſeiner Größe wegen ganz außer Betracht komme, der zweite Riſſe zeige, von denen ſich nicht beſtimmen ließ, wie tief ſie ſeien, und daß der dritte wahrſchein¬ lich der beſte für ihn ſei, auch dem Korn nach.

Der Arbeiter hörte ihn hämmern und klopfen, zog, da er nicht gerufen ward, ein Brot hervor, und that einige herzhafte Züge aus ſeiner Flaſche. Dann ſtützte er den Kopf auf die Arme und nickte in der warmen Mittagsſonne in ſeiner unbequemen Stellung ein; er merkte es nicht einmal, daß ihm die Mütze73 herabfiel. Der Mann erwachte davon, daß er ſeit¬ wärts von dem Bock herunterrutſchte und ſich plötz¬ lich auf dem Boden ſitzen fand. Es war ſtill, die Sonne ſchon aus dem Hof heraus. Der hat ſich ſo hehlings davon gemacht, man könnt 'grad meinen, er hab' was mitgenommen, brummte der Arbeiter, trat in den Schuppen und warf einen Blick rundum. Er fuhr mit einem Schreckensruf zurück: Dort zwiſchen den zwei kleineren Blöcken lag der Fremde auf dem Boden, ganz mit Staub und Splittern überſchüttet, den Meißel noch feſt in der Hand, ohne Hut, mit blutbeflecktem Geſicht. Eine friſche weiße Bruchfläche an dem einen Marmor gab die Erklärung, dicht neben der Schläfe lag ein fauſtgroßes abgeſprungenes Stück.

Herr, Herr! rief der Arbeiter und faßte ihn an der Schulter, um ihn aufzurichten. Er ſchien in Ohnmacht zu liegen, er antwortete nicht, doch athmete er deutlich, und die Hand war warm. Der Mann ſprang an den Brunnen, holte ſeine Mütze voll Waſſer und goß ſie dem Liegenden über den Kopf. Das hatte geholfen, er reckte die Arme, als wolle er aufſtehen.

Herr! Herr! rief der Arbeiter wieder, dies¬ mal dicht an ſeinem Ohr, Sie ſind, ſcheint's, bleſſirt, wo gehören's zu Haus, daß ich an Einſpänner be¬ ſorgen kann?

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Meine Augen! ſagte der Verwundete matt, während er ſich mit Hülfe des Andern halb aufrich¬ tete, voll Staub! mehr Waſſer.

Als der Arbeiter vom Brunnen zurückkam, fand er ihn angelehnt auf dem Boden ſitzen, er fuhr immer mit den Händen über die Augen hin.

Iſt ſchon Abend? fragte er ängſtlich, als er den Schritt hörte, wird es ſchon dunkel?

Es iſt zwei Stunden nach Mittag, da trinken Sie, ſagte der Arbeiter, ihm die Flaſche an den Mund haltend.

Er trank begierig, dann riß er die Augenlider gewaltſam auf und fuhr wieder mit den Händen danach, hielt ſie mit zitternden Fingern offen. Und plötzlich ſtieß er einen heftigen Schrei aus: Dämme¬ rung! Nacht! Meine Augen! und ſank zum zwei¬ ten Mal ohnmächtig hintenüber.

Es gab ein mitleidiges Zuſammenlaufen auf der Straße, als die Droſchke mit dem Verunglückten vor dem Hauſe der Frau Huber hielt und der Arzt und der Arbeiter, der ihm beigeſtanden hatte, den jungen Bildhauer langſam mit verbundener Stirn die Treppe hinaufführten. Er hatte hierher verlangt.

Die Wirthin hatte nach Emerenz gerufen, und die immer hülfbereite Kleine war um Eis zur nächſten Brauerei geſprungen und hatte auch das Rezept nach der Apotheke getragen.

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Ja, was iſt denn? Was hat er denn? frag¬ ten die Leute und drängten ſich um das Kind, das mit der Schürze vor den Augen auf der Haustreppe ſaß, weil der Arzt es oben fortgeſchickt hatte.

So bleich iſt er und kann net ſehn und hat a rothen Fleck in jedem Aug ', ſo grauſig! Und da hat er ein großes Loch: ſie zeigte auf die Schläfe, aber er ſagt, das macht nix, und der Doktor ſagt's auch, jammerte Emerenz mit der Wichtigkeit einer Ein¬ geweihten.

Ha, da thät ich heulen! rief ein kleiner Kerl und ſtieß einen Kameraden, den häßlichen Bruder der Emerenz an, gelt, Du thätſt auch heulen, wann Du da a Loch hättſt?

Der aber ſchüttelte mit ſtoiſcher Miene den dicken Kopf: Ha nein! Ich bin ſchon die Stiegen herunter¬ rumpelt, hab 'ich da a Loch kriegt, er wies auf ſeinen Ellbogen; es hat heidenmäßig brennt, aber heult hab i net.

Das Loch macht nex, ſagte Emerenz eifrig, aber er geſieht nimmer nex! Gelt, da thätſt doch heulen, wenn's Dir ſo gehn thät, gelt Leo?

Ha, da braucht ich net in Schul ', da thät ich net heulen, beharrte der Junge.

Biſt a dummer Bub! rief Emerenz empört, wenn's nur auch das Fräulein Marianne wiſſen thät! fuhr ſie altklug und nachdenkend fort.

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Fräulein Marianne iſt net daheim, ſagte eine Stimme.

Doch, ſie iſt geſtern Abend heimkommen, ich hab a Bretzel von ihr kriegt, erwiderte eine andre.

Da geh ich auch hin! Vielleicht krieg 'ich auch eins, rief ein kleiner Bub und kaute ſchon im Vor¬ aus mit leeren Backen.

Da bleibſt! rief Emerenz, die eine Art Mutter¬ ſtellung bei den Kindern hier in der Straße beſaß, ich geh '