PRIMS Full-text transcription (HTML)
ΓΝΩΘΙ ΣΑΥΤΟΝ
oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
als ein Lesebuch fuͤr Gelehrte und Ungelehrte.
Zehnter und letzter Band. 1
BerlinbeiAugust Mylius1793.
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Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Zehnten Bandes erstes Stuͤck.

1

Revision der Erfahrungsseelenkunde.

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Die Geschichte des bloͤdsinnigen Frieße ist, wie ich dafuͤr halte, kein Phaͤnomen der Erfahrungsseelenkunde. Sie ist keine Beschreibung einer Seelenkrankheit, deren Ursachen, Symptomen, und Kurart sich psychologisch bestimmen lassen, sondern die Beschreibung einer angebohrnen Seelenschwaͤche oder Mangels, die so wenig zur Seelenkrankheitslehre als angebohrner Mangel der Augen, Haͤnde und Fuͤße, oder ein Buckel zur Koͤrperkrankheitslehre gehoͤren. Es ist ein Phaͤnomen der menschlichen Natur uͤberhaupt, und gehoͤrt, so wie alle Arten der menschlichen Misgebuhrten unter die Abweichungen der Natur in der Naturgeschichte des Menschen.

Die Erfahrung der Seelenkrankheit des Herrn Kluge ist entweder daß man annimmt, daß die ganze2 Vorstellung desselben von einem Buche das er wider den Koͤnig von Preussen geschrieben haben sollte, eine Taͤuschung der Einbildungskraft war, die, wegen ihrer Lebhaftigkeit, seinen bloßen Vorsatz ein solches Buch zu schreiben ihm als eine schon vollbrachte Handlung vorspiegelte (wozu der Herausgeber dieses Aufsatzes geneigt zu seyn scheint). Oder (welches mir wahrscheinlicher zu seyn[ scheint)] er hat wirklich dieses Buch geschrieben, und bloß diesen Umstand, daß der Koͤnig von Preussen davon Notiz genommen, und des Verfassers Bestrafung beschlossen hatte, hinzu gedichtet. Daß man nach Herrn Klugs Tode weder Original noch Abschrift einer solchen Piece gefunden hatte, ist noch kein Beweis fuͤr die erste Erklaͤrungsart, indem es sehr natuͤrlich ist, daß so bald die Vorstellung von der sich durch dieses Buch zugezognen Ungnade des Koͤnigs von Preussen und der daruͤber anzustellenden Untersuchung in seiner Einbildungskraft lebhaft wurde, er (damit man zum wenigsten keine Belege seines Verbrechens finden koͤnnte) fuͤrs Erste dieses Buch aus dem Wege geraͤumt, und hernach sich gegen einen gewaltsamen Ueberfall in Vertheidigungsstand gesetzt hatte.

Jn der Geschichte des Musketirs Friedrich Wilhelm Majer (Seite 16.) sowohl, als des Kindermoͤrders Seibel (Seite 26.) glaube ich eine geheime psychologische Triebfeder zu entdecken. Jener geraͤth, aus Lebensuͤberdruß, auf den Entschluß3 sich durch einen begangnen Mord den Tod zuzuziehn, und gestand, reflektirt zu haben, ob er an der Krankenwaͤrterin, die ihn geschimpft hatte, den Mord ausuͤben solle, um sich zugleich zu raͤchen; oder an seinem noch schlafenden unschuldigen Kameraden, den er also da er gerade keine Suͤnde that umbringen wollte; wo denn wirklich das Letzte bei ihm die Oberhand behalten hatte. Dieser[ ermordete aus] Lebensuͤberdruß ein Kind, das er so sehr liebte und um es recht fromm zu machen, viele Gebete und Spruͤche aus der Bibel gelehrt hatte. Daß der Erste eine unschuldige, und der Zweite so gar eine von ihm geliebte Person zu diesem ungluͤcklichen Vorhaben gewaͤhlt hatte, laͤßt sich auf folgende Art erklaͤren. Die dem Menschen eingepraͤgte Liebe zum Leben ist so stark, daß wenn auch nach dem Kalkul der Vernunft die Quantitaͤt des zu erwartenden Uebels das Gute uͤbersteigt, das mindeste Gute, welches hinzukoͤmmt, den Entschluß zum Tode wankend machen kann. Derjenige also der nach dem Kalkul der Vernunft einen freiwilligen Tod beschlossen hat, ist geneigt, denselben auf die Art auszufuͤhren, wodurch der Entschluß immer befestigt wird. Haͤtte er also die Umbringung seines Feindes als Mittel dazu gewaͤhlt, so waͤre die Ausuͤbung der Rache, als Befriedigung einer Begierde diesem Entschluß entgegen.

Er waͤhlt daher lieber die Umbringung einer unschuldigen, oder sogar von ihm geliebten Person4 zum Opfer seiner Verzweiflung, damit die auf die Handlung erfolgte Reue die Reue in Ansehung des Entschlusses selbst verhindern, und er selbst darinn befestigt werden sollte. Wilhelm Meier kann also immerhin geglaubt haben, daß er bloß aus Ungeduld uͤber das Ausbleiben der Krankenwaͤrterin lieber die Ermordung seines unschuldigen Kameraden, so wie Seybel glauben konnte, daß er bloß aus Mangel an Gelegenheit (einen andern zu ermorden) die Ermordung des von ihm geliebten Kindes beschlossen hatte, und doch war das ihnen selbst unbekannte Motiv, wie schon gezeigt worden, ein Trieb den bei kalter Ueberlegung gefaßten Entschluß, durch Hinzukunft der Reue zu befestigen, und gegen alles, was dessen Ausfuͤhrung nicht verhindern, sondern bloß seine Vorstellung unangenehm machen konnte, zu sichern. Welches, wie ich dafuͤr halte, so wohl den psychologischen Prinzipien, als der Erfahrung gemaͤß ist.

Seite 34. 3) sagt5mein wuͤrdiger Freund(VIII) » die thaͤtigen Kraͤfte muͤssen mit den vorstellenden Kraͤften in einem gewissen Verhaͤltniß stehn; sind sie gegen dieselben zu stark, und bekommen das Uebergewicht, so ist dieses Krankheit der Seele, und eben der Zustand, wo man oft klagt: meliora video proboque, deteriora sequor. « Was mich anbetrift, so glaube ich, daß dieser Zustand nicht eine Folge des Uebergewichts der thaͤtigen in Vergleich mit den vorstellen -5 den Kraͤften, sondern des Uebergewichts der subjektiven aus Gewohnheit entsprungnen Begierden und Verabscheuungen in Vergleich mit den objektiven in dem wahren Verhaͤltniß der Gegenstaͤnde, so wohl untereinander, als zu unsrem Subjekte ist. Wenn jemand zufaͤlligerweise sich an den Genuß schaͤdlicher Nahrungsmittel (aus Mangel an Bessern) gewoͤhnt hat, oder oͤfter zum Zorn veranlaßt worden ist; so wird er, er mag aus der Diaͤtetik die Schaͤdlichkeit jener, und die uͤblen Folgen dieses noch so sehr einsehn lernen, dennoch seine Gewohnheit schwerlich verlassen. Die Gewohnheit ist die zweite Natur, und kann oft die Oberhand uͤber die erste Natur behalten.

4) » Von den Jdeen welche taͤglich und augenblicklich in die Seele stroͤmen, muͤssen nothwendig immer eine gewisse Anzahl bald wieder verdunkelt werden u.s.w. «

Die Ursache dieser Krankheiten ist im ersten Falle Mangel an Selbstmacht zu einer zweckmaͤßigen Wirksamkeit. Jm zweiten aber, Mangel des Reprodukzionsvermoͤgens.

III. Die Ursache des Alpendruͤckens uͤberhaupt ist nicht schwer anzugeben. Es ist eine Empfindung der (durch eine unbequeme Lage des Koͤrpers u. dergl. ) gehemmten Zirkulation des Bluts, die mit der Vorstellung einer eingebildeten Ursache (indem die zur Zeit alleinherrschende[ Einbildungskraft]6 die wahre Ursache nicht einzusehn im Stande ist,) nach Verschiedenheit der Temperamente und Lebensarten bei verschiedenen Menschen verschieden vorgestellt werden muß. Jch will hier ein merkwuͤrdiges Beispiel aus meiner eignen Erfahrung anfuͤhren. Jch wurde fruͤhzeitig genug sowohl mit den kabbalistischen Schwaͤrmereien, als (wegen meines hitzigen Temperaments) mit den unwillkuͤhrlichen naͤchtlichen Polutionen bekannt. Aus jenen bekam ich die Vorstellung von der Lilith, als einer boshaften, auf Verfuͤhrung der Jugend ausgehenden teuflischen Frauensperson, und seither geschahe es, daß wenn ich durch eine unbequeme Lage (auf dem Ruͤcken) im Schlafe von Alpendruͤcken uͤberfallen worden bin, ich mir immer vorstellte, als naͤherte sich mir dieses verfluchte Weib, beruͤhrte die Theile meines Koͤrpers nach und nach, bis sie mich zuletzt mit ihren Umarmungen beinahe erdruͤckte, so daß ich daruͤber oft in ein lautes Geschrei ausbrach, zuweilen auch strengte ich mich bloß an zum Schreien, ohne doch einen Laut von mir geben zu koͤnnen, straͤubte mich mit allen Kraͤften mich von dieser beschwerlichen Umarmung loß zu winden, welches mir nach vieler Muͤhe zu gelingen pflegte.

Hingegen erinnere ich mich, daß ich einst in Beth Hamidrasch (Juͤden-Akademie) nach einer Beschaͤftigung mit den Jdeen der Heiligkeit und Vereinigung mit der Gottheit, einschlief und unwill -7 kuͤhrlich in eben diese Lage gerieth, worauf ich im Traume sahe, die Schechina*)*) Schechina ist nach dem kabbalistischen Antropomorfismo, die weibliche Gottheit, die die Seelen der Frommen gebiert, und nach ihrer Trennung von ihren Koͤrpern[ wieder] aufnimmt, welches dieser Meinung zufolge auch bei lebendigem Leibe im Schlafe zu geschehn pflegt. als eine sanfte liebreiche Frauensperson sich mir naͤhern und mich auf eine Art die Liebe und Ehrfurcht einfloͤßt, holdseelig umarmen, so daß, nachdem ich den Unterschied zwischen der Vorerwaͤhnten und dieser Umarmung eingesehn, ich mir dieselbe ohne alles Dawiderstraͤuben gefallen ließ.

Man sieht hieraus, wie die Einbildung die Empfindungen zu modifiziren im Stande ist.

Seite 23. Ein aͤhnliches Beispiel, wo der Eine Mensch[ traͤumt,] von dem, was zur selben Zeit mit einem andern vorgeht, weiß ich aus meiner eignen Erfahrung.

Jm Jahre .... war ich Hofmeister bei einem Paͤchter in P. bei dem ich sowohl wegen der damaligen Hungersnoth in P. als besonders wegen des armseeligen Zustandes dieses Mannes und der Ungelehrigkeit meiner Schuͤler, viel auszustehn hatte. Dazu kam noch einst, daß ich einige Tage nach einander ausserordentliche Zahnschmerzen leiden mußte. Jn diesem Zustand der Betruͤbniß und8 der Schmerzen schlief ich eines Abends auf meinem harten Lager, ein. Es traͤumte mir, daß ich, ohne zu wissen wie, im himmlischen Jerusalem angelangt sey. Ein alter ehrwuͤrdiger Mann empfing mich am Thor sehr liebreich, fuͤhrte mich nach dem Tempel des Herrn, um mir alle Merkwuͤrdigkeiten darinn zu zeigen. Jch kam in einen großen Saal, worinn ich einen Buͤcherschrank fand. Jch griff also meiner Gewohnheit nach, nach einem Buche, um es zu besehn. Sobald ich es aufmachte, fand ich gleich auf dem Titelblatt den Titel eines mir dem Namen nach schon laͤngst bekannten kabbalistischen Buchs, und darunter den Namen Jehova mit großen Lettern. Jch blaͤtterte darinn weiter und fand uͤberall heilige Namen und Stellen aus der Bibel nach kabbalistischer Art erklaͤrt.

Dieses versetzte mich in einen Gemuͤthszustand, der aus Erstaunen, Ehrfurcht, und Freude zusammengesetzt war. Jch hatte darauf noch mehr Szenen dieser Art, konnte mich aber beim Aufwachen derselben nicht erinnern. Sobald als ich aus diesem Schlafe erwacht war, kamen meine Schuͤler, (die in einem entfernten Zimmer geschlafen hatten) zu mir, schaueten mich (wider ihre Gewohnheit) mit der groͤsten Aufmerksamkeit an, und schienen uͤber meinen Anblick in Verwunderung zu gerathen. Jch fragte sie nach der Ursache ihres seltsamen Benehmens, konnte aber anfangs von ihnen nichts herausbringen. Da ich aber weiter in sie9 drang, so sagten sie mir: ihr Bruder, der Paͤchter des naͤchsten Dorfes, der gestern hier (wie er oͤfters zu thun pflegte) zum Besuche gekommen, und uͤber Nacht geblieben war, waͤre heute Morgens in ihre Wohnstube gekommen (er schlief des Nachts in einer Heuscheune, die sowohl von der Wohnstube als von meiner Studirstube, wo ich geschlafen hatte, entfernt war) und habe ihnen allen einen sonderbaren Traum erzaͤhlt, den er diese Nacht gehabt haͤtte, und der hauptsaͤchlich mich anginge. Es kam ihm naͤmlich vor, als saͤhen sie mich alle nach dem himmlischen Jerusalem zugehn. Ein alter ehrwuͤrdiger Greiß kam mir am Thor entgegen, fuͤhrte mich herein, und stieß sie, indem sie mir nachfolgen wollten, zuruͤck. Sie blieben vor dem Thor stehn, um meine Ruͤckkunft abzuwarten, endlich kam ich wieder heraus, meine Gestalt war sehr ehrwuͤrdig, mein Angesicht leuchtete wie das Angesicht Mosis, da er die zwei Tafeln empfing. Sie fuͤrchteten, sich mir zu naͤhern, und waren in der groͤsten Verlegenheit, wie sie mit mir in der Zukunft umgehen sollten. Dieses, sagten meine Schuͤler ferner, war die Ursache, warum wir Sie mit einer solchen Aufmerksamkeit ansahen, und uͤber Jhren Anblick unsre Verwunderung aͤusserten. Bald darauf kam auch der traͤumende Bruder, und bekraͤftigte dieses alles aufs Neue. Seit der Zeit bin ich auch in diesem Hause ganz anders als vorher behandelt10 worden, wodurch mein Zustand einigermaßen verbessert war. So weit meine Geschichte.

Da ich schon damals zum Spekuliren geneigt war, so suchte ich mir diese Erscheinung auf folgende Art zu erklaͤren.

Alle menschliche Seelen sind gleichsam verschiedene Ausfluͤsse aus einerlei Quelle, sie moͤgen daher in ihrem gegenwaͤrtigen Zustande von einander noch so sehr entfernt seyn, so kommunizieren sie doch in ihrem Ursprunge mit einander; diese Kommunikazion ist aber zwischen einigen Seelen mehr, zwischen andern weniger, nach dem Grade ihrer Aehnlichkeit untereinander. Die Wirkung dieser Kommunikazion wird aber hauptsaͤchlich im Schlafe, da die Seelen zu ihrem Ursprunge zuruͤckkehren (in der philosophischen Sprache wuͤrde es heissen: Da die innere Seelenwirkung durch die sinnlichen Eindruͤcke nicht mehr unterbrochen wird) und folglich unmittelbar einander anschauen. Daher konnte dieser Mann im Traume sehn, alles was mit mir zur Zeit vorging. Wenn ich jetzt diese Sache reiflich uͤberlege, so muß ich gestehn, daß, alle schwaͤrmerischen Vorstellungen abgerechnet, in der Sache weit mehr stecken muß, als wovon unsre bisherige Psychologie Rechenschaft geben kann. Wie dieses in diesem Magazine durch haͤufige Beispiele bestaͤtigt wird.

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II. Sprache in psychologischer Ruͤcksicht.

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Der Unterschied zwischen Sprache in psychologischer und Logischer Ruͤcksicht besteht, wie ich dafuͤr halte, darinn: Jn dieser wird die Sprache als Ausdruck der transzendentalen Formen und Begriffe ohne ihre Anwendung auf besondere Gegenstaͤnde bestimmt; in jener hingegen wird das erstre schon vorausgesetzt, und blos auf das Letztere Ruͤcksicht genommen. Jch nehme z. B. diese zwei Saͤtze: Jch denke, und mich duͤnkt. Jm logischen Betracht ist es hinreichend, wenn ich sage: Jn[ dem] Satze: Jch denke, bedeutet Jch die Substanz, und denke ihre Akzidenz (ihren Zustand, indem ich denke, so viel ist, als ich bin gegenwaͤrtig denkend). Jn mich duͤnkt aber ist mich das leidende Objekt, duͤnkt die Wirkung, die sich auf eine unbekannte Ursache, die aber nicht ausgedruͤckt wird, bezieht. Jch habe also hier diese Saͤtze bloß im logischen Betracht untersucht.

Wenn ich aber ferner nach dem Grunde frage: warum ich im ersten Falle die Form von Substanz und Akzidenz; im letzten aber die von Ursache und Wirkung gebrauche, oder wie muͤssen die Gegenstaͤnde beschaffen seyn, wenn ich sie dieser oder jener12 Form subsumiren soll? und finde, daß das denken die zur Hervorbringung des[ Gedachten] zureichende Wirkung des Denkens bedeutet, so daß das Gedachte selbst als ein durch die Wirkung hervorgebrachter Zustand des Subjekts angesehn wird; das Duͤnken aber, die zur Hervorbringung des Gedachten unzureichende Wirkung des Denkens bedeutet, und in so fern ein Leiden in sich einschließt, daher ich mich im ersten Falle der Ersten, und im Lezten der leztern Form bediene, so habe ich diese Saͤtze in psychologischer Ruͤcksicht[ betrachtet.] Eben so ist es, wenn ich in: ich denke das Jch als Ursache und das Denken als Wirkung betrachte, so wird freilich die Form von Ursache und Wirkung in beiden Saͤtzen gebraucht, daß aber in dem einen Satze das Wirken, im andern aber das Leiden ausgedruͤckt wird, muß dennoch aus dem Vorerwaͤhnten Grunde psychologisch erklaͤrt werden u. dergl.

Jn Ansehung der unpersoͤnlichen Zeitwoͤrter sagt mein Freund der Verfasser dieses Aufsatzes (Seite 94) » Jhren Namen haben sie natuͤrlicherweise daher erhalten, weil man sich unter denselben eine bloße Veraͤnderung ohne eine handelnde Person (nach dieser Bestimmung muͤßten auch die mehrsten Verba, die sich zwar auf eine wirkende Ursache, aber nicht auf eine handelnde Person beziehen, (wie z. B. das Feuer schmilzt das Wachs u. dergl.) Jmpersonale heißen. Es muͤßte also13 hier hinzugefuͤgt werden: oder eine bestimmte Ursache, die personifizirt, d.h. als handelnde Person gedacht werden kann) denkt, wodurch diese Veraͤnderung hervorgebracht wird: ja man scheint nicht einmahl dabei auf eine naͤchste Ursache Ruͤcksicht zu nehmen. « »[ Denn wenn] ich z. B. sage: es donnert, so stelle ich mir unter dem es eigentlich nichts weiter als den Donner selbst vor. « Jch glaube, daß die Jmpersonale sich zwar nicht auf eine bestimmte, aber doch auf eine Ursache uͤberhaupt beziehn, und es donnert heist so viel als eine mir unbekannte Ursache donnert, oder bringt den Donner hervor, wie sich der Verfasser selbst in der Folge daruͤber erklaͤrt.

Ferner wirft der Verfasser die Frage auf (95.) woher mag es aber kommen u.s.w.?

Hier wird abermahl handelnde Person statt wirkende Ursache gesetzt. Freilich wissen wir von sehr wenigen Veraͤnderungen die handelnde Person, wir wissen aber von sehr vielen die wirkende Ursache als handelnde Person betrachtet; und dies ist der Grund, warum wir in der Sprache verhaͤltnismaͤßig so wenige Jmpersonale haben, weil diese nicht nur keine handelnde Person, sondern auch keine bestimmte Ursache, die als handelnde Person betrachtet wird, voraussetzen.

(97.) » Wie fein z. B. ist die Grenzlinie zwischen den Ausdruͤcken, es scheint mir, es daͤucht14 mir, es koͤmmt mir vor u.s.w., und dem Ausdruck: ich glaube, wo der Wille unsrer vorher schwankenden Meinung gleichsam noch den Ausschlag giebt. «

Diese Erklaͤrung setzt den Werth unsres Glaubens zu sehr herunter als[ daß] man sie gelten lassen kann, wo man nicht unter Willen das Vermoͤgen sich nach einem Prinzip der Vernunft zum Handeln zu bestimmen versteht; der Glaube wird alsdann die Voraussetzung solcher Objekte bedeuten, deren Erkenntniß bloß regulativ ist, und bloß, zum Behuf dieses Willens als konstitutiv angesehen wird. Diese Betrachtung ist aber zu fein als daß der gemeine Sprachgebrauch darauf Ruͤcksicht nehmen koͤnnte.

Was mich anbetrift, so halte ich dafuͤr, daß, es scheint mir, es daͤucht mir u. dergl. von der Ungewißheit unsrer Erkenntniß in Ansehung der Gegenstaͤnde selbst entstehen, ich glaube aber diese Ungewißheit in Ansehung ihrer Verhaͤltnisse zu einander bedeutet; es ist hier die Frage nicht, ob die Menschen im Sprechen diesen Unterschied bestaͤndig beobachten, sondern meine Behauptung geht bloß dahin, daß sie ihn, den urspruͤnglichen Gefuͤhlen zufolge beobachten sollten. Wenn jemand z. B. etwas Gelbes Goldaͤhnliches sieht, sollte er nicht sagen: ich glaube daß es Gold sey, sondern es scheint mir Gold zu seyn, weil hier die Ungewiß -15 heit in Ansehung des Gegenstandes selbst ist. Er kann aber nicht sagen: es scheint mir, daß ein unendlich vollkommenes Wesen die Welt regiere, sondern ich glaube u.s.w. Weil, weder der Begriff eines unendlich vollkommenen Wesens an sich, noch der Weltregierung an sich eine Ungewißheit zulaͤßt, sondern bloß ihr Verhaͤltniß zu einander.

» So sagen wir auch nicht ohne Grund: es schlaͤfert mich, aber nicht es schlaͤft mich, sondern ich schlafe. «

Ganz richtig! Schlaͤfern bedeutet die Wirkung einer aͤussern (von unsrer Willkuͤhr unabhaͤngigen) Ursache, die, wenn man sich ihr nicht widersetzt, das Schlafen hervorbringen wird; man kann sich aber bloß in Ansehung ihres Erfolgs (des Schlafens) durch eine Entgegenwirkung, nicht in Ansehung ihrer selbst widersetzen.

Das Schlafen also, nicht aber das Schlaͤfern haͤngt von unserm Willen ab.

Genauer zu reden, so ist das Schlaͤfern die Wirkung (operatio) einer aͤußern Ursache, wovon das Gewirkte (opus) nicht das Schlafen, sondern das Einschlafen ist. Das Schlafen ist bloß ein auf diese Wirkung erfolgter Zustand, man sagt daher mit Grund es schlaͤfert mich, d.h., etwas wirkt auf mich das Einschlafen und ich schlafe, welches so viel ist als ich bin schlafend, d.h., die hervorgebrachte Modifikazion des Schla -16 fens wird nicht mehr als Wirkung von etwas außer mir, sondern als Attribut von mir (indem es mein Zustand ist) betrachtet.

(98.) Meiner Meinung nach ist in mich hungert das Es per elip. ausgelassen, und mich hungert bezieht sich sowohl als es hungert mich, auf eine unbekannte Ursache. Daß man aber sagen kann, mich hungert, aber nicht mich freuet, sondern es freuet mich; ruͤhrt daher, weil sich das Es im letzten Falle, nicht auf das unbekannte Objekt, sondern auf den von mir vorgestellten Satz als Ursache der Freude bezieht; z. B. es freuet mich, daß mein Freund angekommen ist. Hier wird auf die entfernte Ursache meiner Freude (die Ursache des Ankommens meines Freundes) gar keine Ruͤcksicht genommen, sondern bloß die naͤchste Ursache (das Ankommen meines Freundes) in Erwaͤgung gezogen.

(Die Fortsetzung folgt.)

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III. Der freye Einsiedler mitten in der Welt, nach der Seelenerfahrungskunde.

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Die allgemeine deutsche Bibliothek hat im 2ten Stuͤck des 50sten Bandes uͤber eine sonderbare Schrift, die Einsamkeit der Weltuͤberwinder, betrachtenswuͤrdige Gedanken geaͤußert. Sie machen einen Text aus, woruͤber einem welterfahrnen Einsamen weitre Gedanken aufgestiegen sind, die vielleicht zur Berichtigung des Autors sowohl als des Recensenten dienen koͤnnen. Wohlan! » man muß allerdings zugeben, sagt dort der Recensent, daß die Einsamkeit, eine Entfernung von allen Zerstreuungen sehr geschickt sey, die Seele zur Sammlung ihrer selbst zu veranlassen, die schon besessenen Kenntnisse von Gott und Tugend neu zu beleben, zu erhoͤhen und zu erweitern, und eine Festigkeit im Guten zu verschaffen: denn die guten Entschließungen, die ein in der Welt unter Geschaͤften lebender, nicht ganz standhafter Mann, heute faßt, sind morgen durch eben jene wie verwischt. « Ja, wenn es nur auf gute Entschließungen ankaͤme, guter Vorsaͤtze ist jeder Gutmeinende voll, so waͤre die Welt laͤngst voll Helden. Ein standhafter Mann von Natur oder Gewohnheit kan freilich mit guten Entschließungen weit kom -18 men, aber warum? weil er den Zweck der Entschließungen bestaͤndig vor Augen hat, mehr Beobachter seiner selbst und der Dinge um ihn zu seinem Zweck ist. Was ist dies anders als mehr Wachsamkeit uͤber sein Herz? Diese kann auch der schwaͤchste Redliche sich nach und nach angewoͤhnen, und die Wachsamkeit wird ihm mehr helfen als die staͤrksten Entschließungen. Ohne Wachsamkeit nuͤtzen alle die besten Vorsaͤtze und Entschließungen nichts. Man braucht keine Vorsaͤtze zu machen, nur wirkliche Anstalten, das zu erhalten, was man noͤthig findet. Die Welt ist ein Feld der Zerstreuung, die Einsamkeit ein Feld der Sammlung, doch kan die Einsamkeit ein tartarisches Gefilde der Quaal seyn fuͤr die, die sich nicht darin zu finden wissen. Allein laßt sie nun ein Feld der Sammlung seyn, was hilfts, wenn ich in die Welt, in die Zerstreuung hinaus muß? Jedermann hat zwar seine einsamen Orte und Stuͤndgen, ehe er in die Welt, in Gesellschaft der Arbeit oder Vergnuͤgung geht. Was helfen aber die stillen Orte und Stuͤndgen, wenn man sie nicht gehoͤrig zu benutzen weiß? Es koͤmmt also bloß darauf an, ob, wenn man nun einen Sammlungsplatz der Kraͤfte von außen hat, man auch einen Sammelplatz oder Sammlungspunkt der Seele von innen habe? Denn wenn man sich gleich sammeln wolte, und man wuͤste nicht recht worzu, man wuͤste nicht den festen Punkt, wohin alles zu richten waͤre, so wuͤrde man in der19 schoͤnsten Einsamkeit selber nur schwaͤrmen, wiewohl dieses, um seinen aufgebrachten Bewegungen einsam freyen Lauf zu lassen, und sich derselben und ihrer Unruhe nur zu entladen, zuweilen noͤthig und dienlich seyn mag, damit man sich endlich ruhig in einen festen Punkt setzen moͤge. Allein nun, welch ein Sammlungspunkt soll dann in der Seele seyn, wohin alle Kraͤfte zu richten sind, alle Richtung zusammen gezogen werden muß, um gute Staͤrkung von Grund aus zu sammeln, die in der Arbeit und Zerstreuung aushalten moͤge, um ein rechtschaffen erwuͤnschtes Ziel zu erhalten, und wenigstens davon nicht zu weit abzukommen unter tausend Reizen und Anstoͤßen? Erstlich muß nun ein jeder selbst, weil die Natur - und Gewohnheitsanlagen unendlich verschieden sind, in seiner eignen Seele beobachten, was eigentlich am meisten, am besten, am staͤrksten ihn zum hoͤchsten Gut reizen, und seine Kraͤfte insgesamt am meisten darzu ziehen, sammeln, und halten koͤnne; und diesem eigentlichen Mittel, das ihm besonders nun am besten zu dem Zwecke dienen kann, muß er aus allen Kraͤften nachgehen, so lange ihm solches so zweckmaͤßig kraͤftig dienet, und wenn dies Mittel auch an sich eine Kleinigkeit waͤre, als z. B. ein Bild oder ein Musikspiel, wobei er seine Gedanken und Neigungen am ruͤhrendsten zum Guten sammeln, seinen Geist am ehesten zum Himmel und zum Hoͤchsten uͤber alles erheben, oder sein Herz in tiefste Demuth vor Gott versenken koͤnnte. 20So auch ein Buch, welches er fuͤr sich besonders darzu schicklich finden mag, und dergleichen mehr. Ferner gehoͤrt auch hieher alle Stellung und die ganze Lage im Aeussern, die er darzu fuͤr sich am fuͤglichsten nun und dann erfahren mag. Alle solche Huͤlfsmittel, die jeder fuͤr sich selbst finden mag, sollen blos dienen, den Weg zum Zwecke zu erleichtern und zu foͤrdern, so weit und so lang sie fuͤr[jeden] dieses zu leisten vermoͤgen; an diese Mittel aber muß man sich nicht wie an den Zweck selber binden, sondern man mag sie nach verschiedner Disposition und Gutfinden zur Foͤrderung abaͤndern; denn manche Mittel koͤnnen auch an der Seele nach und nach abgenutzt werden. Allein wenn nun uͤber alle die Mittel von außen nicht noch etwas in der Seele ist, das sich nicht abnutzt und nicht abnutzen kann, so ist bald unsre ganze Haltungskunst gegen alle Zerstreuungen am Ende. Und wenn das nicht alte erfahrne Beobachter ausfindig gemacht haͤtten, was sich unter allem Getuͤmmel der Welt halten kann, so wuͤrde mans wohl im Taumel der Welt wenig inne. Dennoch weiß die Welt aus Erfahrung, daß es Gemuͤthsbewegungen und Seelenzustaͤnde giebt, die allen Zerstreuungen widerstehen, und zwar nicht nur traurige Gemuͤthslagen, sondern auch angenehme. Ein einziger Liebesgegenstand z. B. nimmt die ganze Seele ein, so daß aller Umgang, alle Zerstreuung, alle Arbeit dagegen nichts vermag, vielmehr wird alles in Beziehung21 auf den einigen Gegenstand verwandt, und verwandelt und bekoͤmmt eine andere Gestalt. Ein gelehrter Eigensinn, ein Baumeister von Hypothesenthuͤrmen, so geistig er immer seyn mag, will eben so voͤllig den Platz allein behaupten, und alles in einem Kopf nach sich richten. Warum soll dann nicht vielmehr die ewige Wahrheit der ewigen Guͤte von unendlichem Gewicht und unumschraͤnkter Ausbreitung uͤber alles der Gegenstand unsrer einzigen Liebe seyn, wenn sie gleich keine Puppe noch Krone dieser Welt ist? Wir muͤssen nur einen Standpunkt in uns ausfinden koͤnnen, woraus wir sie bestaͤndig im Gesichte zu halten, einen Sammelpunkt alles darzu zu richten, vermoͤgen, oder eine Schnellkraft, um alles damit zu beleben! Die Wirklichkeit ist der groͤste Beweis der Moͤglichkeit. Daß so etwas in uns zu finden seyn muͤsse, zeigen uns aus alten Zeiten sogar Koͤnige in aller ihrer Herrlichkeit, Hofmaͤnner unter allen den groͤßten Reizen der Welt, Kriegsleute und andre Personen von goͤttlicher Tugend unter allem Getuͤmmel und Gewimmel der Erde; Jhrer viele tausende von allen Staͤnden und Lebensarten in verschiednen Zeiten der gedruͤckten Religion versiegelten ihren festen himmlischen Sinn als standhafte Maͤrtyrer sogar mit ihrem Blute, und bei ruhigen Zeiten lebten sie patriarchalisch in der Welt. Sie waren zwar in der Welt, aber nicht von der Welt, nicht von der Art der Welt, wie sie insge -22 mein ist. Wie Einsiedler also, erschienen sie mitten in der Welt, wie die ganze Tugend und reale Wahrheit auf Erden gemeiniglich was Sonderbares ist. Toleranz ist daher fast alles, was sie in der Welt erhalten kann. Zwar wurde von Zeit zu Zeit durch große Exempel sehr allgemeine Ermunterung und viele Nacheiferung erweckt; allein wie sehr herrscht noch allgemeine Unerkenntniß, Unverstaͤndigkeit, Unbehuͤlflichkeit in Absicht des Besten der Menschheit? Deswegen ist eben von Zeit zu Zeit Wiedererinnerung und Anfuͤhrung des Besten in neuer Klarheit noͤthig; und gewiß! wenn die Menschen achtsam auf ihren Adel waͤren, wie wuͤrden sie nicht uͤber ihren eignen Unverstand und den unbeschreiblichen Verlust ihrer ewigen Wuͤrde erstaunen! Denn was ist groͤßer als daß der Mensch, so sehr er auch zur irrdischen Gesellschaft bestimmt seyn mag, doch zufoͤrderst zur allerhoͤchsten Gemeinschaft des Monarchen der Welt bestimmt ist, um mit ihm natuͤrlich verwandte Kraͤfte des Geistes und damit ewige Guͤter, die Gegenstaͤnde dieser Kraͤfte gemein zu haben, und in seiner Gesellschaft, in gemeinschaftlicher Verbindung der Kraͤfte und Gesinnungen alles zu regieren? Jst Gott ein Geist, und wir sind auch Geister, von Jhm, vom Vater aller Geister, sind denn nicht natuͤrlich aͤhnliche Geisteskraͤfte mit Jhm am naͤchsten verwandt, in Gemeinschaft der Natur, folglich auch in Gemeinschaft der allumfassenden, allerfuͤllenden Kraft und23 Liebe? Jst unsere Seele nicht eine allgemeine Lebenskraft und Regierungskraft fuͤr den Leib? Koͤmmt noch gleiche Gesinnung von uns mit Jhm durchaus darzu, welch eine edelmuͤthige allgemeine Liebesausbreitung kann dann nicht unser Geist mit seinem allgegenwaͤrtigen Geiste haben? Denn sein allgegenwaͤrtiger Geist ist selbst nur darum allgegenwaͤrtig, weil er hoͤchst allgemein kraͤftig, unendlich allgemeine Liebeskraft in unendlich alldurchschauendem Grundlicht ist. Jst seine Kraft-Gegenwart in allen Dingen außer Zweifel, so ists noch vielmehr seine wahrheitsvolle Geistesgegenwart in allen Geistern als ihre Lebensquelle, ihr Muster, ihr hoͤchstes Gut oder Ziel, ihr ewiges Licht und Recht in allen ewigen Wahrheiten des Verstandes und Gewissens, in allen Wahrheitsgefuͤhlen von ewiger Billigkeit, von lautrer Verbindlichkeit gegen Jhn und sein Allreich. Wie groß ist des Menschen Herz, daß Gott darinn wohnen, seinen Thron darin haben will? Dahin, dahin also ist das groͤste Augenmerk zu richten. Denn wo sonst als im Herzen, im Wesen der Willenskraft, sind die unentbehrlichen, die unersaͤttlichen, die ewigen Triebe zum hoͤchsten Gute? Die unausloͤschlichen Triebe zur Vollkommenheit und zur Vereinigung mit dem Vollkommensten, wo das nur zu finden seyn mag. Der Verstand, das Gedaͤchtniß, kann sich oft satt und muͤde denken, die Einbildungskraft sich muͤde schwaͤrmen, die Sinnlichkeit sich abnutzen, aber24 das Herz, die Willenskraft hat immer was zu lieben, zu verlangen, ist in unaufhoͤrlichem Triebe, in unersaͤttlichem Zuge zum Guten, Bessern, Besten. Da ist also die bestaͤndigste Wirksamkeit in uns, die unaufhoͤrlich fortgehen kann und muß, die groͤste und innerste stete Triebfeder, auf deren beste Richtung alles ankommt. Wo sonst als im Herzen sind die innersten Sinnen des edeln allgemeinen Harmoniesinnes fuͤr alles Schoͤne, Edle, Rechte, Gute, lebendig Wahre? Die ewigen Wahrheitssinne des Geistes, die sich alle vereinigen in eine einfaͤltige Empfindung der Vollkommenheit, in ein allharmonisches Gefuͤhl des lautern hoͤchsten Guts; des erhabensten Wahren und Rechten, der vollkommensten Reizungskraft, die uͤber alles erheben und entzuͤcken kann? Wo ist natuͤrlicher der Thron Gottes, des Quellgeistes von allem Guten, der Triebkraft zu aller Vollkommenheit, der Stimme Gottes im Menschen, des jedem Gewissen unwidersprechlich richterlichen Lebenslichtes, des lebendigen Worts, das die Sinnen und Gedanken des Herzens entscheidet, und alle Menschen in ihrem Gewissen treffend erleuchtet? Brauchen wir also Gott und sein sittliches Wort, sein Ebenbild, seinen Geist und Sinn des Lebens, erst in und uͤber allen Sternen, erst in allen Abgruͤnden der Natur außer uns zu suchen, da wir Jhn so nahe in uns, zunaͤchst im Grunde des Herzens, im Mittelpunkt unsers Wesens haben? Und wenn wir gleich in der ganzen25 uͤbrigen Natur Jhn als die unumschraͤnkteste Macht, Guͤte und Weisheit erkennen und verehren, wo finden wir ihn aber als Gesetzstiftungs - und Regierungskraft, als Lebenslicht der Geister, als lebendige Vollkommenheitsquelle und Triebkraft derselben, wo so lebendig geistig und ewig reizend als im Grunde unsers Herzens? Sein ewiges Rechts - und Liebesgesetz mit dem Gefuͤhl der Nothwendigkeit aller ewigen Wahrheiten, woher ist es so unausloͤschlich, so unwidersprechlich ins Jnnerste unsers Wesens gepraͤgt als von Jhm selbst? Haben die alten Weisen unter den Heiden, schon von den aͤltesten Zeiten her, Gott in uns erkannt, seine ewige absolute Wahrheits - und Gewissensstimme im Herzen, warum wir nicht? [Die] ewigen nothwendigen Wahrheitsgefuͤhle und Begriffe von allem unpartheiischen Rechten, Guten und Edeln sind ja die ewigen Pruͤfungssteine, die jeden redlichen Verstand und Muth des rechten Weges zu rechtem Zwecke versichern, und sie fuͤhren also nicht in irrige Einbildung oder Schwaͤrmerey. Ewige Wahrheitsgefuͤhle, die einen augenscheinlich goͤttlichen Zweck zu ganzer lautrer Rechtschaffenheit haben, die Bestimmung unsers ganzen Wesens darzu, koͤnnen unmoͤglich anders als rein und lauter von Gott kommen, von der selbststaͤndigen ewigen Lebenswahrheit, Lichtskraft und reinsten klaren Guͤte. Und wo bezeuget, wo zeiget sich diese so lebendig, so unwidersprechlich lauter zum puren ewigen Besten als26 im Jnnersten unsers Wesens, unsers ganzen Triebes zum unendlichen Gut zu lautrer, immer wachsender ewiger Vollkommenheit? Ein allgemeines Vollkommenheitsgefuͤhl ist der Grundreiz dieses Triebes. Alle unsre Vorstellungs - und Handlungskraͤfte sind nur diesem Triebe dienstbar, alle Begierden, Leidenschaften, Neigungen verlangen, saͤmmtlich immer, wiewohl nur blinder Weise, hoͤchstmoͤgliches Gutes; und das ist nur in lautrer ewiger Vollkommenheit unfehlbar ganz und bestaͤndig zu finden mit ganzer Wesensharmonie. Der Trieb zu lautrer ewiger Vollkommenheit zieht also alles in unserm ganzen Wesen nach sich, und was ist dieser Wesenstrieb als Trieb zum selbststaͤndigen ewigen Wesensgesetz und hoͤchsten Gute, das außer Gott nirgends zu finden, in Gott aber hoͤchst allgemein und ewig unfehlbar ist, so unumschraͤnkt richtig als immer gleich gegenwaͤrtig fuͤr unser innerstes Wesen; wo das innerste Wahrheitsgefuͤhl von seiner hoͤchsten Geistesrealitaͤt uns uͤberzeugt? Jst unsre ganze Vollkommenheit, wenn sie wahrhaftig ist, was anders als Befolgung der seinigen, Belebung von der seinigen nach seinem ewigen Wahrheitslicht? Wer ist also unsre ewig regelmaͤßige moralische Lebensquelle als Er selbst im Grund unsers Herzens, im ewigen hoͤchsten Wahrheitsgefuͤhl und Triebe zu lautrer ewiger Vollkommenheit, die selbststaͤndig der lebendige wahre Gott in uns ist? Woher kaͤme uns sonst auch nur ein Traum, eine Jdee von Voll -27 kommenheit, von hoͤchstem lauterm Reiz und Gut und Licht und Recht? Denn die ganze uͤbrige Natur kann uns keine Jdee davon selbst geben, sondern nur veranlassen, nur erwecken, wenn schon eine von hoͤchstem Eindruck in uns liegt und schlaͤft. Die Thiere haben gleiche aͤußere Sinnen und gleiche Welt, wie wir um uns, haͤtten sie nur auch in sich einen goͤttlich moralischen Sinn, sie waͤren ihm vielleicht treuer als wir. Die ewigen Gesetze unsrer Natur, die ewigen Bestimmungen unsers Wesens zur unsterblich herrlichen Vollkommenheit oder Theilnehmung an der goͤttlichen Kraft, Weisheit und Guͤte, die unsterblichen Triebe darzu mit allen ewigen Wahrheitseindruͤcken, die unserm Wesen innigst darzu eingepraͤgt sind zu unsrer hoͤchsten Veredlung, die bleiben in unsern innersten Kraͤften immer gleich richtig, immer gut, gerade und feste und ewig wie Gott; sie sind und bleiben also unzweifelhaft goͤttlich, die wesentlichen Faͤhigkeiten dieses innersten goͤttlichen Jnhalts, sind also auch unleugbar natuͤrlich zu Gott gerichtet, und fuͤr Jhn bestimmt, zu seiner Theilnehmung und Genießung; sie sind also die Wohnung Gottes in uns. Denn nichts, als was ewig gleich bleibt und zur hoͤchsten Vollkommenheit natuͤrlich zielet, kann Jhm zunaͤchst anstaͤndig zur Wohnung, zum Tempel, zum innersten Heiligthum seyn und dienen. Das ist ewig grundfeste Wesenswahrheit. Jn Morgenlands Bildersprache ist daher die Wohnung Gottes ein ewiger Berg, ein ho -28 her Fels; und bey den Geheimschreibern alter Erfahrungsweisheit ist sie die edelste goͤttliche Wesenskraft in uns, das oberste Theil der Seele, ihr Gipfel, die Spitze des Gemuͤths. Jn alter mathematischer Vorstellungssprache aber ist kein festerer Standpunkt in einer Sphaͤre, kein tieferer Grund, kein allgemeinerer Bestimmungspunkt, nach dem sich alles darinn richtet, als der Mittelpunkt; daher kann unser edelstes Jnneres auch der Mittelpunkt der Seele heißen. Die tiefste Lebenswahrheit ist in der groͤsten Einfalt der Natur verborgen. Die Natur selbst hat die Brust des Menschen zur Wohnung der groͤsten Kraft gemacht, zur Quelle der groͤsten Bewegungen, zum Hauptsitz des Lebens, der Empfindlichkeit und Springkraft aller Lebensregungen, zum Mittelpunkt des Zusammenflusses, des Austheilens und Umlaufs vom Anfang zum Ende, vom Ende zum Anfang aller stroͤmenden Lebenskraͤfte. So ist das Herz das lebendigste Bild des Ursprungs, von dem alles entspringt, zu dem alles wiederkehret, wie die Sonne in der Mitte unsers Weltgebaͤudes, die alle Kraͤfte des Himmels an sich ziehet und wieder von sich strahlet, um alle Sphaͤren ihres lichten Feuerreiches um sich her beherrschend zu beleben und in ewigem Umlauf zu erhalten. Die Sammlungskraft aller Kraͤfte und die Ausbreitungskraft von allen finden sich in einer Grundrealitaͤt beisammen, denn alles sammelt sich auf einen Mittelpunkt, und alles strahlt und breitet29 sich davon aus, und im Gemuͤthe ist das Herz der Seele, wenn ich so sagen darf, eine Kraft, welche die beyden Grundkraͤfte, die Sammlungs - und die Ausbreitungskraft, in sich vereinigt; denn was sammelt und vereinigt also mehr alles in sich als die Liebe? und was breitet sich mehr in alles aus, was theilt sich mehr allen mit, was fließet mehr in alles uͤber als die Liebe? um alles in sich wieder zuruͤck zu bringen, zu vereinigen ergiest sie sich in alles, und sammlet nur eben ihre Kraft in Eins, um sich wieder in alles auszubreiten, und so erwecken diese beiden Grundkraͤfte in ihr sich immer einander, und haben je eine die andere zum Ziel und Grund der Erweckung, der Bewegung, sie ruͤhren eine die andre zur Quellharmonie aller Lebenskraͤfte und machen ihren Grund zusammen aus, und aus beyder einmuͤthig harmonischen Grundempfindung zugleich entsteht die froheste wechselsweise Mittheilung, die uͤberstroͤmende Fuͤlle des Einklangs, die Freude der vollkommnen Einheit und Ausbreitung zugleich, die diese beiden Kraͤfte aufs ruͤhrendste fortpflanzet, immer weiter froh fruchtbar ergießet, immer weiter in reizendem Anziehen sammelnd vereinigt. Was ist nun die Sammlungskraft der Liebe anders als die Verlangens - oder Begehrungskraft nach ihrem ersten Ziele, der Einheit, um alle Kraͤfte an sich und in sich zusammen zu ziehen, alle ihre Staͤrke in Eins zu sammeln? Die Kraft des ersten Absehens, alles unter Einen Gesichtspunkt zu bringen,30 die erste Grundabsicht, in dem Sammlungspunkt alles zu begreifen, und diesen mit aller vereinten Staͤrke hoͤchst gewichtig in sich zu machen, daß er alles nach sich ziehe, daß sich alles darnach richte, darein fuͤge und senke als in seinen tiefsten Grund und Ruhepunkt. Diese Sammlungskraft, die durch die Vereinigung aller Kraͤfte in sich erfuͤllt ist, findet sich nun zufrieden in ihrem Ruhepunkt, und aus Zufriedenheit breitet dieser alle gesammelten Kraͤfte aus, strahlet sie aus, ergiest seine ruhige Sammlungsfuͤlle und Vergnuͤgungskraft in alle, eroͤffnet und offenbart damit seine Liebe, und wird hiemit das Liebeslicht, der ausstrahlende Glanz seines Mittelpunkts; und mit der Waͤrme der ausbreitenden Liebeskraft loͤset dieses Licht alles lieblich in sich auf, reizet und ziehet alles in den Kreis und Mittelpunkt der Liebe. Und dieser zieht alle mit Reizung erfuͤllte und ausgestrahlte Kraft der ersten in Licht verklaͤrten Liebe in sich, sie mit neuer vereinigender Freude auszuhauchen, und so alles damit in Umlauf von und zum Mittelpunkt der lautern klaren Liebe immer zu bringen, welches wohl die ein - und ausathmende Kreiskraft des Liebes-Lebens heißen koͤnnte, die alles in einen Umkreis, Wirbel oder Revolutionsgang vom Anfang zum Ende, von dem wieder zum Anfang umtreibt, damit die allgemeine Wesensliebe in allem Aus - und Einfluß verherrlicht werde. Denn die hoͤchste allgemeine Wesensliebe ist die lautre Vollkommenheit, und unser31 Wesenstrieb darzu ist der Grundtrieb zur hoͤchsten lautern Liebeseinheit und Seligkeit. Da heutiges Tages die allgemeine Menschenliebe uͤber alles gepriesen ist, so sollte man denken, die allgemeine Wesensliebe sollte es noch wohl mehr werden, und das mit hoͤchstem Rechte. Freylich! Aber man sehe dieser allgemeinen Wesensliebe nur erst recht unter die Augen. Jst sie etwan auch die allgemeine Liebe aller vergaͤnglichen Dinge ohne Unterschied? aller irrdischen Herrlichkeiten, Wolluͤste und Eigenthuͤme zugleich? O! dann fiele die ganze eitle Welt wie ein Vogelheer auf einmal solcher allgemeinen Wesensliebe zu, das ergaͤbe sich von sich selbst und brauchte keiner Weisheit, keiner Homilie, keiner Erinnerung, nicht einmal einfaͤltigen Vernunft darzu. Das waͤre aller Narren Paradies, der Taumelkreis der Gegenfuͤßler, des ewigen Lichts aller Wesen. Aber Zufall ist nicht Wesen, die zufaͤlligen Dinge sind nicht wesentlich; ewige Flucht vor allem Wesen und Wesentlichen, mit unersaͤttlich taumelnder Wechselliebe alles Zufaͤlligen ist nicht Wesensliebe. Welch eine Rechnung ohne den Wirth, wenn sich alle umlaufende thoͤrichte Welt die allgemeine Wesensliebe zueignen wollte! Nur in der allgemeinen Erbarmung der Wesensliebhaber kann sie eingeschlossen seyn. Wie einsam, wie einsiedlerisch werden also nicht wiederum die Wesensliebhaber mitten in der blinden Welt der Zerstreuung unter allen Zufaͤlligkeiten seyn! Nichts als Wesen in al -32 lem hat der Wesensliebhaber zum Augenmerk; alles Zufaͤllige muß dem Wesen dienen, nicht aber das Wesen dem Zufaͤlligen und Vergaͤnglichen, das ist die ewige Wesensordnung; und die bringt immer bestaͤndige Wesensharmonie und damit grundfeste Seligkeit mit sich, in Zeit und Ewigkeit gleich richtig, in Welt und Einsamkeit gleich gut, wesentlich fest. Jn allen Zerstreuungen unter zufaͤlligen Dingen kann der Wesensbeobachter Gott in seinen Werken sehen, und besonders Gott als die Allkraft der Liebe in allen kennen lernen, immer mehr als die hoͤchste liebvolle Anziehungs - Ausbreitungs - und Wallungskraft zur Gleichung und Fuͤgung der Harmonien von und zu aller Guͤte, Wahrheit und Schoͤnheit in allen Lebendigen, die Jhn abbilden, als Liebe, Licht und Lebensfreude, in Feuer, Licht und Luft als allbewegende, erleuchtende und belebende Liebe, in der ganzen Natur findet er uͤberall Anziehungs - oder Sammlungs - und Ausbreitungskraft, und die von beiden zusammen entspringende Respirations - und Revolutionskraft zum Umlauf aller Dinge der ganzen Welt, den Zug aller Gewichtskraͤfte in tiefen Grund, das Gegengewicht aller Ausdehnungskraͤfte, von beiden Stoß aller Schnell-Kraͤfte, davon Umtrieb in allen Kreisen und Wirbeln, und so alles von einer dreieinigen Triebkraft belebt, durchdrungen, erfuͤllt, uͤberstroͤmt. Findet er eine lautre dreikraͤftige Liebeskraft in sich, die ihn im Grunde des Herzens zu allem wahren ewigen33 Rechten, Guten und Schoͤnen um des wesentlichen Guten, Wahren und Edeln selbst willen leitet und antreibt, so findet er, dieser Lauterkeit nach, wahrhaftig Gott in sich, den Geist des Herrn in seinem Herzen, der allein die reine Liebe selbst ist, die unschaͤtzbare lautre ewige Sonne der Gerechtigkeit, Wahrheit und Guͤte, deren Gegenwart durch treue Beobachtung ihrer Lauterkeit unendlich Heil bringt. Die Richtung des Herzens darzu bewahren, und so vor Gott wandeln, ist uͤber alles wichtig. Jn dieser lautern Ruhe von ewig tiefer Grundfeste eroͤffnet sich die Liebe der ewigen Wahrheit um der unendlichen Wahrheit selbst willen, des ewigen vollkommnen Guten und Schoͤnen um des lautern Guten und Schoͤnen selbst willen, das ist die einige vollkommne Liebe, die Vollkommenheit der Liebe selbst, und die erste und ewige wesentliche Regel der Vollkommenheit ist nichts anders als diese reine Liebe selbst, Gott kann keine andre Liebe in sich haben, Gott kann keine andre selbst seyn noch mittheilen von Ewigkeit zu Ewigkeit, und keine Creatur kann sie von sich selber haben noch in sich durch sich selber machen, sondern den lautern Wesenstrieb darzu mit ewigem Wahrheitsgrund nur in sich finden, dem sie nur beizustimmen und zu folgen hat; wo dann also solche reine Liebe ist, da ist unzweifelhaft Gott selbst, sein ewiges Licht, sein ewiger Geist, dem die Seele nur zu folgen hat, Jhm unumschraͤnkt ergeben zu seyn,34 damit Er von Grund aus, so zu sagen, die Seele der Seele, die reine Lebensquelle derselben mehr und mehr werde. Und so kann nun der wahre Wesensliebhaber nach einigem Wahrheitsgrunde unzweifelhaft richtig Gott selbst in sich finden, richtig befolgen und mit treuer Beobachtung edler Herzensrichtung von Grund aus zu Jhm, Seiner lautern Gegenwart in sich ordentlich wahrnehmen; denn das ewige Wort der Wahrheit selbst versichert, daß reine Herzen Gott schauen, Gott verstehen, seine Stimme kennen, Jhm vertraut werden, in Jhm allein alle lautre Vollkommenheit und Seligkeit gewiß finden; und darin besteht das Herzensgeheimniß der Vertrauten Gottes von Anfang der Welt. Gott in seinen Werken außer uns zu finden ist noch am gemeinsten, und entzuͤckt schon alle redlich zweckmaͤßige Naturbeobachter. Wie seelig ists dann, Gott selbst in uns zu finden! Der allgemeine Wesensfreund kann aber noch mehrerley Arten als die schon eroͤffneten Gott zu betrachten oder zu bemerken, auch mitten in der Welt, finden. Davon wollen wir hier nur noch eine oder die andere hauptsaͤchliche Art kurz eroͤffnen. Wenn der Wesensliebhaber die Welt als ein kleines Schauspiel von Bildern einer einigen Allkraft ansieht, und diese Bilder, so lebendig sie seyn moͤgen, werden meist ohne ihr Wissen oder Bemerken von der ihnen verborgnen Allkraft durchdrungen, vielfaͤltig mit unerkannten moralischen Wirkungen ihrer dreifachen Grundkraft,35 die man aus dem besten und hoͤchsten Zweck abnimmt, uͤberstroͤmt, umgeben, unabsehlich belebt, so daß alles voll der Allkraft ist, (und diese Bilder selbst sind nur wie Kleinigkeiten verschiedner Vorstellungsausdruͤcke von ihr anzusehen, die in und von der einigen Allkraft bestehen, und ohne sie gar Nichts von sich selber sind noch seyn koͤnnten,) so sieht der Wesensliebhaber alle Dinge mit sich in dem einigen Grundwesen aller Wesen, in der Kraft aller Kraͤfte, in dem unermeßlich fruchtbaren Grund und Jnbegriff aller Maaße, Gewichte, Bildungskraͤfte, Stoffe und Formen, als unzaͤhliger Vorstellungsspiegel der Allanziehungs - Ausbreitungs - und Gleichungskraft des einigen All uͤber alles in allem. Alles ein einiges Schauspiel der dreyeinigen Allkraft! koͤnnt ihr was Groͤßeres sehen? Alles Endliche im Unendlichen! Wie durchscheinend bis auf die Grundkraͤfte! Ja auf einem einsamen Standpunkte, von allem, was nicht das unendliche Wesen selbst ist, abgezogen, den Unendlichen selbst, den einigen Wesensgrund von sich selbst in Allgenuͤgsamkeit der absoluten Allkraft, wo nichts Endliches ist, alles absolut unendlich, absolut vollkommen, alles Gott selbst im absoluten Urwesen uͤber alles, nur unendliche Gottheit im ewigen All von sich selbst, wovor alles andre verschwindet, die unvergleichliche unendliche Ewigkeit des einigen Wesens von, durch, und fuͤr und in sich selbst allein, im Nichts alles uͤbrigen! Die unbegreifliche Unendlichkeit in sich36 selbst! lauter Unendlichkeit der Unendlichkeiten! wo sich alle Begriffe und Geschoͤpfe verlieren. Und so haͤtten wir wohl schon wenigstens viererlei Arten von Gottesbeschauungen und Hauptseeligkeiten des Himmels auf Erden dem Wesensliebhaber in Gruͤnden der ewigen Wahrheit natuͤrlich einheimisch eroͤffnet, womit man ins Unendliche fortgehen kann, wenn einmal ein rechter Grundanfang da ist. Ein biblischer Geist Orients und Theosophe der Originalquelle aller Natur koͤnnte noch mehr Hauptscenen des goͤttlichen Schauplatzes uͤber die ganze Welt eroͤffnen, die wir aber einem evangelisch verstaͤndigen Grundbeobachter der ganzen goͤttlichen Haushaltung uͤberlassen. Je mehrerlei gute Vorstellungsarten von Gott und seinem Reich man uͤbrigens findet und sich gelaͤufig macht, desto fuͤglicher ists fuͤr verschiedne Gemuͤthsverhaͤltnisse in der Welt, damit wir fuͤr fast alle moͤgliche Gemuͤthslagen, auch mitten in Zerstreuungen, eine dienliche Denkform oder Erinnerungsart an das All Gottes und seines Reichs finden moͤgen. Genug, wir gehoͤren dem Geiste nach, zur unsichtbaren Welt, und die hat ihre eigne ewige Sonne, ihr eigen Feuer, Licht und Luft zum Leben der allen Raum und Zeitfluß durchdringenden ewigen Freiheit, ihren Himmelsreiz von Luft und Liebe in einer allgemeinen, allbelebenden und allregierenden Kraft, die der guten Geister allgemeines Gut, Licht und Recht, ihr allbeseligendes Liebesband ist, worinn alle edle Herzen in ewiger Harmonie zusam -37 menfließend, Eins sind: also koͤnnen wir, ohne von dieser unsichtbaren Liebeswelt auszugehen, mit ihrer allgemeinen Kraft auch in diese sichtbare Welt zu allem moͤglichen Guten wirken, mit ihr alles beobachten und zum allgemeinen und besondern Besten still wenden und befoͤrdern, so weit es immer moͤglich ist, mitten in allem Gewimmel der taumelnden Erde, ob wir gleich im Geist als unsichtbare Wirker durch die sichtbare Welt leben und hier in Dunkelheit bleiben.

» Ein Geist, sagt der Schreiber der zween Tage eines Schwindsuͤchtigen, Hamburg 1772 kann eigentlich von keinem Orte zum andern kommen, sondern er ist immer in Seinem eignen Mittelpunkte, und kann, indem er auf der Erde wirkt, im Augenblik auch in einer andern Welt wirken, ohne daß man doch sagen kann, er sey an einem von beyden Orten (auf eingeschraͤnkte Art) gegenwaͤrtig. «

Ja ein Geist, besonders wenn er zu seinem einigen ewigen Ruhepunkt gekommen, lebt darinn wie ein Fisch im Meer, denn der Ruhepunkt der Ewigkeit ist das Wesen, dessen Mittelpunkt uͤberall, dessen Cirkumferenz nirgends ist, wie es der alte goͤttliche Hermes unvergleichlich beschreibt. Denn dies ewige Wesen ist die hoͤchst allgemeine Kraft aller Kraͤfte und die hoͤchst allgemeine Kraft kann von nichts weder eingeschlossen noch ausgeschlossen werden, als hoͤchst allgemeine Kraft ist sie wesentlich38 uͤberall gleich, uͤberall ganz, uͤberall vollkommen in ihrer hoͤchstkraͤftigen Allgemeinheit, die ihr Gleichgewicht aller Rechts - Lichts - und Lebenskraͤfte in einer menschlichen Welt so sehr ins Unendliche fort mit ihrer Kraftausbreitung zeigen kann, als jemals in der ganzen theilnehmenden physischen Welt, also ist sie an sich uͤberall gleich allgemein ein absolut vollkommner Mittelpunkt, demnach allen Geistern und Wesenskraͤften gleich allgemeines hoͤchstes Gut, das ihnen gleich allgemein innigst gegenwaͤrtig ist, wenn gleich jeder nur nach dem Maaß seiner Faͤhigkeit und Ergebenheit oder Folgsamkeit und Gleichfoͤrmigkeit, Theil daran hat.

Aber nun wollen wir auch wieder einmal sehen, was der gute Berliner Recensent macht, zu dessen Text wir unsere Noten zu setzen im Sinne hatten. Er faͤhrt fort:

» Oeftere Wiederhohlung eben derselben Eindruͤcke macht bekanntlich sie unausloͤschlich. « Freilich ja, und dies ist das Geheimniß des Festmachens der Seele, auch mitten in der Getuͤmmelwelt, wenn man nur hauptsaͤchlich darzu nimmt, daß man das Herz immer an das festeste Wesen aller Wesen selbst haͤnge, und im Geist alles Vorkommende als Bilder und Werkzeuge dieses Wesens ansehe, und so immer mehr als in Seinem Element, Licht und Gesichtspunkt uͤber alles lebe.

39

Der Einsiedler, (spricht unser Recensent,) der aus religioͤsen Absichten jede Zerstreuung durch voͤllige Entfernung aus der Welt unmoͤglich[ macht, «]

(Das kann er auch in der groͤsten Einoͤde nicht, wenn er nicht sich innerlich einsam, abgezogen im Herzen von allem, was nicht Gott und Gottes ist, verhaͤlt.)

» wird also seine Kenntnisse mehr ausbilden, vollkommner und lebendiger machen koͤnnen, und durch die guten Entschließungen, die er taͤglich jahrlang lebhaft wiederhohlt, muß er eine fast unuͤberwindliche, psychologische Festigkeit im Guten bekommen. «

(Besonders wenn er das Geheimniß eines unaufhoͤrlichen Herzensgebets, der Versetzung aller Dinge in Beziehung auf Gott und Ewigkeit, einer Verwandlung von allem in goͤttliche Vorstellungen, in der That und Wahrheit gruͤndlich zu verstehen und sich anzugewoͤhnen weiß bis zur andern Natur.)

» Das haben aber auch andre Gottseelige in der Welt erlangt. Der Vortheil des Einsamen besteht uͤberdies darinn, daß er nicht nur das Herz, den Willen, nicht nur von Zeit zu Zeit den Verstand, sondern gewoͤhnlich Geist und Seele, das ganze Gemuͤth mit allen Kraͤften zu Gott und Himmel richten, erheben, halten kann. Der Zustand eines solchen Mannes muß fuͤr ihn sehr behaglich seyn; denn keine andre Freude uͤbertrift doch die lebhaften Empfindungen einer ungeheu -40 chelten Liebe zu Gott und Tugend, und gewisse Aussichten auf eine gluͤckliche Ewigkeit: allein dies erweist noch nicht, daß eine solche Einsamkeit loͤblich oder Pflicht sey. «

(Wenn nun aber die Vorsehung des Ewigen durch verschiedne Faͤlle in eine solche Einsamkeit fuͤhrt, darzu Gelegenheit, Kraft und Lust oder Trieb giebt, von der Welt aͤußerlich und innerlich losmacht, soll man denn nicht folgen? Jst es denn nicht Beruf, Pflicht, Tugend? da die einzige Angelegenheit der Ewigkeit von unendlichem Gewicht wird! zumal man andern Gleichgesinnten oder Gutwilligen und geistlich Beduͤrftigen damit auch in Naͤhe und Ferne zum ewigen Besten dienen kann.)

» Der Gedanke, Gott alles aufzuopfern ist groß, und bey einem feurigen guten Herzen sehr natuͤrlich; aber kann diese Art des Opfers Jhm angenehm seyn? «

(Zu der Zeit Christi und der ersten Christen war das gar keine Frage. Die Apostel, die 70 Juͤnger, und Tausend andre verließen alles in der Welt, opferten alles Gott auf, nach dem Herzensruf Christi, Christo durchaus fuͤr das ganze Gottesreich nachzufolgen, der eiteln Welt abgestorben zu seyn, in arbeitsamer Enthaltsamkeit zu bleiben, und hernach sich zu evangelischen Boten in alle Welt frey brauchen zu lassen, worzu so ganz freie Geister erfordert wurden. Die Zeit kann vor dem Ende der Welt wohl wieder kommen, wenn je41 vorher noch das Evangelium aller Kreatur verkuͤndiget werden soll. Die Wahrheit, und die hoͤchste vor allen, sollte, und will ihrer Natur nach, die allerfreyesten Herzen von der Welt haben. Wer es fassen kann, auch mitten in der Welt, der fasse es. Wer das im ganzen Grunde einsiehet, der merke drauf! Ein ganzes Brandopfer von freyem und reinem Herzen kann freylich Gott am angenehmsten seyn, wenn Gott darzu faͤhig, fertig und fest macht! auch im Gedraͤnge der Welt. Denn ohne goͤttliche Festigkeit ists gar nicht einmal moͤglich, als blos in Bereitwilligkeit, die immer frisch bis zur Fertigkeit zu bringen ist, und diese muß schon in tausend Anfechtungen mehr und mehr bewaͤhrt werden. Uebrigens ists ein sinnliches Vorurtheil der Weltgeschaͤftigen, daß man in der Einsamkeit, in ganzer Abgeschiedenheit von der Welt, der Welt nicht zum wahren Besten dienen, nicht zum Nutzen und Heil, ja zum groͤsten Heil, seyn koͤnne. Der einzige einsame Elias war zu seiner Zeit einer ganzen Welt mehr nutz in Geist und Kraft, als das ganze Volk Jsrael und die weise Heidenklasse darzu. Moses wurde 40 Jahr in der Wuͤste zum groͤsten heroischen Propheten und Gesetzgeber bereitet. Der groͤste vom Weibe gebohrne, der einsiedlerische Johannes der Taͤufer wurde zum Vorlaͤufer Christi selbst. Die Seltenheit der Exempel schadet der tiefsten Wahrheit nichts. Kann ein einsamer fester Seher Gottes uns nicht unendlich besser und mehr42 im Geist und Wahrheit der ewigen Liebe mit Himmel und Erde durchdringendem Gebet dienen, als mit allen tausendfachen Sinnen? Die ganze Armee der Engel, die dem einsamen Propheten Elisa beistand, zeigte wohl, wo die groͤste und beste Gesellschaft und der kraͤftigste unsichtbare Dienst zum Heil guter Menschen, eines ganzen bedraͤngten Volks waͤre. Die concentrirteste Kraft der reinen Liebe im Unendlichen ist ja die wichtigste, staͤrkste, beste des Himmels fuͤr die ganze Erde.) » Eine auf Ueberzeugung gegruͤndete Liebe zu Gott, und einige wenige, aus dem Jnnersten eines redlichen Herzens unter dem Drange von Geschaͤften zu Jhm gerichtete Gedanken sind gewiß wohl Gott so angenehm, als stundenlange Unterhaltungen mit Jhm. (Ceteris paribus utique!) Denn Er sieht nicht auf die Art unsre Gesinnungen auszudruͤcken, sondern auf ihre Beschaffenheit selbst. (Allerdings!) Bei Gott macht sich also der Einsiedler dadurch nicht werther. « (Das kann und soll er auch nicht denken in Erkenntniß aller seiner Unwuͤrdigkeiten und Nichtigkeiten vor dem Unendlichen. Er ist der Einsamkeit nicht werth, wenn er nicht Gotte, im Verhaͤltniß gegen den guten gedraͤngten Weltmann, noch demuͤthigere, noch reinere, noch schwerere Opfer seiner selbst, mitten unter den Anfechtungen der Einsamkeit selber bringt: denn jeder Stand hat seine eigene Schwierigkeiten, Gefahren, Versuchungen, Beschwer -43 den, Leiden, der einsame so gut als jeder andere; wenn es so leicht waͤre, ein standhafter selbstgenuͤgsamer Einsamer zu seyn, wie die Welt sich etwan in ihrer Muße vorstellt, o! wie viele, die gern unabhaͤngig von allem seyn wollten, wuͤrden nicht immerfort Einsame? koͤnnen oft kaum ein Stuͤndgen fuͤr sich und Gott allein haben! O Himmel! wie selten im Treiben aller[ Welt!) ]

» Aber er, der Einsiedler, geniest viel groͤßeren geistigen Vergnuͤgens, als der Geschaͤftsmann faͤhig ist. «

(Wohl wahr! Aber dagegen fuͤhlt der Einsiedler auch oft mehr und tiefere geistige Beschwerden als der Geschaͤftsmann sinnliche erfaͤhrt; denn der Einsame, wenns ihm recht Ernst ist, vor Gott lauterlich zu stehen, Christi Nachfolge im Geist auf sich zu nehmen, im tiefsten allumfassenden Geistesgebet vor Gott, sieht und fuͤhlt mehr, tiefer, schmerzlicher, was ihm am Geist hinderlich ist, oder, wenn dies nicht, was aller armen Bedraͤngten Seelenlast und Gefahr ist, um nicht genug zum Licht, Leben, Liebeswesen Gottes und aller Kraͤfte von Jhm zu kommen. Wahrlich; rechte, vor Gott rechte Einsamkeit ist kein heiliger vergnuͤgter Muͤßiggang; es ist die groͤste moͤgliche Beschaͤftigung von allen im Angesicht des Himmels. Der auch in tiefster Ruhe unter alles vor Gott sinkende Einsame traͤgt vielmehr die Last der ganzen Welt im Gemuͤth vor Gott, mehr als die Welt selber fuͤhlt,44 vielweniger sieht. Jedes Gewicht, auch der einsamsten groͤsten Geistesfreuden in dieser Zeit hat sein Gegengewicht der Leiden in dieser Welt, wie Christus auch bis an den Tod des Kreuzes erfahren hat, und Johannes der Taͤufer bis zur Enthauptung.)

» Handelt dieser, der Geschaͤftsmann, indessen nicht viel edler, daß er jenes groͤßere geistige Vergnuͤgen aufopfert, um die unleugbare Pflicht, durch gesellschaftliche Thaͤtigkeit zur gemeinschaftlichen Gluͤckseeligkeit das Seinige beizutragen, vollkommner zu erfuͤllen? «

(Vollkommner? das Thun mag im aͤußern sinnlichen Dienste vollstaͤndiger, mehr seyn; ob es aber im Geistigen vor Gott vollkommner zugleich erfuͤlle, was goͤttliche Pflicht fuͤr den unsterblichen Naͤchsten will, ist eine andre Frage. Kann man beides zusammen verbinden und erfuͤllen, wie man soll, herrlich wohl und gut! wo aber das nicht, so ist doch wohl das rechtschaffne Geistige vor Gott zum Heil des Naͤchsten unendlich mehr und wichtiger, als alles Sinnliche der Weltdienste, als alle Verzehrung darinn. Was huͤlfe es mir, wenn ich die ganze Welt gewoͤnne und naͤhme Schaden an meiner Seele? oder ließe alles Geistige in Verderben gehen uͤber meinem Abarbeiten an blos irrdischen Diensten? Jedoch ist jederzeit der geringste Dienst, ganz mit herzlicher Liebe und Ordnung Gottes gethan, waͤre es auch nur einen Stein aus dem Weg45 zu heben, ist besser und groͤßer vor Gott als der groͤste Ministerdienst eines eiteln Großen oder Erzbischofs, der sich selbst mit Ehren und Schaͤtzen dieser Welt bezahlt. Gebet Gotte, was Gottes ist, vor allen Dingen, so dann in Seiner Liebe und Ordnung durchaus auch jedem das Seine, soviel ihr an Geist oder Leib oder beiden zusammen vermoͤget, in Einsamkeit oder Gesellschaft, wie es die Vorsehung zur Pflicht fuͤgt, das wird immer wohl das Beste seyn. Jeder sey seines Grundes, seines Haushaltens, Gotte und dem Reich Gottes in seiner Art und Faͤhigkeit zu dienen gewiß. Denn alles uͤbrige vergeht. Und von jedem Haushalter der Gaben Gottes wird nicht mehr erfodert, als daß er treu erfunden werde.)

» Zur Gesellschaft war der Mensch unstreitig geschaffen. «

(Ja, freilich zuvoderst zur goͤttlichen uͤber alles, zu aller himmlischen, und dann zu aller unschuldigen menschlichen, und nach dem Falle zwar zur gefallnen, aber um sie wieder aufzurichten, sie himmlisch und gottgefaͤllig zu machen, in Liebesgemeinschaft und Gott anstaͤndigem Liebesopfer. Allein man hat ja in unsrer Welt den ersten und wichtigsten Zweck der Bestimmung zur Gesellschaft, der kein blos irrdischer, thierischer war, ganz und gar vergessen. Was heist das jetzt: zur Gesellschaft, wie alle Welt groͤstentheils ist, bestimmt seyn? Zu Thiermenschen, Narren, Schaͤlken, Zeitverder -46 bern, listigen und frechen Verfuͤhrern der Jugend und des Alters, zu halben und ganzen eingefleischten Tollhaͤusern beiderlei Geschlechts. Oder ist es nicht sowohl zur Vergnuͤgung als zur Arbeit fuͤr die Gesellschaft: was ist doch der groͤste Theil der arbeitenden Klasse der Menschen, als irrdische Lastthiere von Morgen bis in die spaͤte Nacht in aller Vergessenheit und Entfremdung ihres wichtigsten Theils, der Seele, des Himmels, der Ewigkeit? Jst das des Menschen goͤttliche Naturbestimmung zur Gesellschaft?)

» Wer ihrer, der Gesellschaft, Pflichten sich entschlaͤgt, um selbst dem reinsten geistigen Vergnuͤgen bestaͤndig sich zu uͤberlassen, ist eigennuͤtzig, und wuͤrde Gott, ohne sein irrendes Gewissen, durch seinen Gottesdienst selbst misfallen. «

(Unumgaͤngliche, rechtschaffne Pflichten der Gesellschaft oder fuͤr die Gesellschaft, sind Arbeit und eigentliche Liebesdienste. Der Arbeit, nicht nur zum ordentlichen Unterhalt, sondern auch fuͤr Fremde, fuͤr Arme, hat sich gelegentlich kein einiger von allen Myriaden der ersten christlichen Einsamen in Afrika und Asia entzogen, und nirgends fand man freudigere, fertigere Liebesdienste als bei ihnen. Gehet hin und thut desgleichen! Der eitle Mensch aber, wie er insgemein ist, indem er[ dem] goͤttlichen Zweck der Arbeit vorbeigehet, macht sich damit selbst ganz entweder zum Lastthier der Welt, oder zum Sklaven seiner eignen Begierden und Lei -47 denschaften. Nun ists freilich allenfalls minder schaͤdlich ein Lastthier der Welt zu seyn, als ein Sklave der Luͤste zum Verderben an Seel und Leib; allein blos Lastthier zu seyn zwingt mehr theils Noth, theils Habsucht, als die Pflicht, und wie viel Unnoͤthiges macht nicht die Welt zur Pflicht? Wer in Noth ist, leide sie bis zur Erloͤsung! wer aber kann, erinnere sich des Worts Pauli: Jhr seyd theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte! der verderbensvollen Lustthiere nemlich. Denn gegen die rechtschaffnen Gutwilligen, ermahnt er, werdet immer uͤberfluͤssiger in der Liebe. Bist du ein Knecht berufen, sorge deswegen nicht; doch kannst du frey werden, so brauche das viel lieber mit stillem Wesen zu arbeiten, um eigen Brod zu essen und zu haben, um was zu geben den Duͤrftigen. Wer als ein freyer Mensch berufen ist, der ist ein Knecht Christi; wer ledig ist, sorget was dem Herrn angehoͤrt, siehet dahin, daß es fein anstaͤndig sey, stets und unverhindert dem Herrn zu Seinem Reich dienen zu koͤnnen. Paulus; der allen alles worden, und die Gesellschaftspflichten fuͤr das ganze menschliche Geschlecht unendlich mehr beobachtet hat als je ein Geschaͤftsmann oder Philosoph der Welt, hat doch wohl auch Verstand und Geist oder goͤttlichen Wahrheitssinn uͤber alles das gehabt, mehr als die ganze Welt.)

» Aber einer frommen Einsamkeit viele Stunden zu widmen, die andre auf leere Zerstreuungen48 verwenden, das ist edel und Pflicht. So viel von der Einsiedeley! «

(Nun da sind wir ja vollkommen einstimmig mit allen[ Freunden]. Gott gebe Tausenden den herrlichen himmlischen Sinn des wachsenden Lichtes zum wahren edeln, ja hoͤchsten Besten der Welt und ihrer paradiesischen Verjuͤngerung!)

» Der Verfasser redet uͤberdem noch einem gewissen Enthusiasmus, den viele Schwaͤrmerey nennen, das Wort, und tadelt diejenigen, die ihre Religion auf die Vernunft allein bauen wollen. «

(Nemlich auf die idealische, dialektische, die in der Welt noch nie mit sich selbst einig, noch immer offenbar streitig ist. Was das fuͤr ein gewisser Enthusiasmus ist, erhellt im ewigen Triebe der Vernunft, zu hoͤchstem Recht, Licht und Gut. Eine Hauptstelle uͤber Schwaͤrmerey in dem Buch, die Einsamkeit der Weltuͤberwinder, ist folgende p. 129. » Die Rechtschaffenen wissen und merken alle, daß die Entzuͤckung nur etwas Voruͤbergehendes ist, und kein Bestandwesen der Vereinigung mit Gott ausmacht; sie wissen, daß diese Vereinigung nur in der lautersten, tugendhaftesten Gottaͤhnlichkeit zu suchen ist, worzu nicht unstete Sinnlichkeit, sondern der freie Wille, (praktisch lautre unparteiische Vernunft) unbeweglich gerichtet seyn muß. « Wer außer aller unsteten Sinnlichkeit, nur in der lau -49 tersten tugendhaften Gottaͤhnlichkeit die Vereinigung mit Gott sucht, der haͤlt sich doch wohl an die strengste gruͤndliche praktische Vernunft, Realvernunft, der redet doch wohl keiner unlautern leeren Schwaͤrmerey das Wort. Eine andere Stelle p. 133. » Das Geheimniß ist nur, daß dieser Verstand, der groͤste lautre Verstand in der groͤsten jungen Einfalt, dem Herzen gleich, vollkommen ewig grundgemaͤß und ganz fuͤglich angemessen, recht aufgeweckt werde. « Dergleichen Stellen giebts in Menge, die des Autors gruͤndlichen Sinn, der sonst auch ziemlich genau vorsichtig bestimmend zu gehen scheint, stark genug darlegen. Aber er ist ein Enthusiast der praktischen absolut rechten Vernunft, gleich grad gegen und neben alle andre, und das ist toll. Soll etwan das ein Kopfsturz gegen diejenigen, die ihre Religion auf die ideale Vernunft allein bauen wollen, seyn, was er p. 152. schreibt? » Christus hat freilich die ganze Religion zur Hauptsache des Herzens und der redlichen Einfalt vor Gott gemacht: die Weltweisen machen sie aber mit aller Gewalt zur Hauptsache des Kopfs, des Wissens und ihrer gekuͤnstelten und Vielfaͤltigkeit liebenden Vernunft, die nichts weniger als die goͤttliche gerade Einfalt liebet. « (Und Vernunft soll doch Grundgesetzkraft der Einheit seyn. Das ist ja die Klage der besten rechtschaffnen Vernuͤnftigen selbst, die, von leerer und krummer Kunstvernuͤnfteley weg, alles wieder gern50 zur ersten, reinen, guten und geraden Einfalt des Verstandes und Herzens oder des ganzen Menschen gebracht sehen moͤchten. Des geraden klaren Oswalds Appellation an den gemeinen Menschenverstand fuͤr die Religion moͤchte wohl so ein kleiner purgatorischer Ventilator fuͤr die Vernuͤnftler seyn. Was ist Schade, daß, wo der Vernunft etwa mit Tadel erwaͤhnt wird, es nur einer angemaßten und selbst nicht gar zu vernuͤnftigen Kunst gelten muß, nicht aber der wahren in der Welt unerkannten ewigen absolut lautern und billigen Vernunft? Zumal der Autor ewig unterscheidet zwischen Verstand und Vernunft, wie ein Kant Verstand der Vernunft vorgehen laͤst, den lautern allgemeinen Wahrheitsverstand, den wahren, ewigen Grundverstand augenscheinlicher Gemeinwahrheiten, den lautern Verstand des zur Erfahrungsregel unumschraͤnkten Formeninbegriffs als wesentlichen Grund und ewigen Richtpunkt durchaus fuͤr uns angiebt, ja eben diesen Verstand in dieser unleugbaren ewigen Allgemeinheit aufs staͤrkste als nothwendige Richtschnur der Vernunft empfiehlt.)

» Vom Werth der innern Empfindungen: die kalten Vernuͤnftler waͤren nicht im Stande die Mystiker zu beurtheilen, weil dies Erfahrungen waͤren, von denen sie sich keinen Begriff machen koͤnnten. «

(Nemlich die Unerfahrnen; denn die mit Grunde Erfahrnen koͤnnen das wohl. Nur wirds wenige geben51 die in der Erfahrungsreife des lautern praktischen Geistes bis zum ewigen Grund der Seele zur Grundform des Wesens gelangt sind. Wer nicht die Linie des Aequators passirt ist, hat auch nicht die Sonne in ihrer groͤsten Macht gesehen und erfahren, wie die Ostindienfahrer bezeugen. Zum ewigen Gleichgewicht muß der ewige Aequator vertraut seyn. So stimmen auch alle uͤberein, die die Reise des Geistes bis zum ewigen Ziel desselben gemacht haben, von Anfang der Welt bis jetzt.)

» Allerdings ist die Religion nicht blos fuͤr kaltbluͤtige Ueberlegung bestimmt; auch unsere Leidenschaften, sagt Young, sind getauft, und sie koͤnnen nicht zu lebhaft in geistlichen Empfindungen seyn, sobald die Grundlage derselben Vernunft (ewige lautre Lebensvernunft von der Sonne der ewigen Gerechtigkeit) ist; aber blos auf Gefuͤhle und voruͤbergehende Regungen, (die nicht regelmaͤßige, immer in gleichen ewigen Grund fortgehende Erfahrungen sind,) alles zu bauen ist gefaͤhrlich, theils fuͤr die Sitten, indem sich in die inneren guten Gefuͤhle oft etwas Fleischliches einmischt, wie viele Beyspiele unter Pietisten, Quaͤkern, Herrnhutern etc. beweisen, gefaͤhrlich selbst fuͤr den Glauben, denn ein von jenen geglaubter, hernach klaͤrlich widerlegter Satz, macht sie das ganze System verwerfen. Der Uebergang von Schwaͤrmerey zum Unglauben ist mehr als zu gewoͤhnlich. «

52

(Deswegen eben ist es am besten, den ganzen innern Erfahrungsweg zum hoͤchsten Ziel auf lauter ewige Wahrheitsgruͤnde bauen, die wie Felsen Gottes unbeweglich sind, wie die alten besten grunderfahrnen Gottesweisen gethan haben in ewiger Grundwahrheit der Gleichfoͤrmigkeit mit Gott.)

» Gluͤcklich ist der, welcher bey einem gefuͤhlvollen Herzen einen aufgeklaͤrten Glauben besitzt! «

Ew.

(Und die ewige Wahrheit selber zum Leitstern! Amen, Hallelujah!)

11Oriades.

IV. Jntendirter Selbstmord aus Hypochondrie. 12(Aus gerichtlichen Akten gezogen.)

Die Pastorinn W ... zu E .... im Hannoͤverschen zeigte am 8ten Novbr. 1789. dem dasigen Amte an, daß sich der ehemals daselbst gestandene Organist H ....., ganz mit Blut bespritzt, in ihrem Hause eingefunden habe und selbst angebe, wie er sich vor einigen Stunden durch mehrere in den Leib gegebne Messerstiche zu toͤdten gesucht, solches aber nicht habe ausfuͤhren koͤnnen.

53

Nach gehoͤrig getroffnen Maasregeln wurde der Jnquisit in den folgenden Tagen uͤber seine That verhoͤrt, und sein Gestaͤndniß ist mit Beibehaltung seiner eignen Worte folgendes:

» Er heiße Salomon Elias H ...., sey 33 Jahr alt, und aus Duͤrrenfeld in Thuͤringen gebuͤrtig, wo sein Vater Schulmeister gewesen. Jn seinem 6ten Jahre sey ihm dieser gestorben, und er sey von seiner Mutter in der lutherischen Religion erzogen, auch in seinem 14ten Jahre confirmirt worden. Bald darauf sey auch seine Mutter gestorben, er habe sich nun bey seinen Anverwandten aufgehalten, und bis in sein zwanzigstes Jahr in der benachbarten Stadt Koͤnigssee die Musik gelernt. Hierauf sey er nach Hannover in das dasige Chor gegangen, habe auch zugleich waͤhrend der sieben Jahre seines Aufenthalts das Seminarium frequentiret. Um Ostern 1783 sey er endlich nach E ... als Kantor gekommen.

Jn Hannover habe er einer gewissen Wittwe B .... die Ehe versprochen, und dieses sey der Grund seines ganzen Ungluͤcks. Da diese Person in der Folge einen schlechten Lebenswandel gefuͤhrt, auch einen Diebstahl begangen, so habe er sein Versprechen nicht halten wollen, und sich durch 50 Rthl. und die Versicherung ihr sobald er koͤnne noch 300 Rthl. zu geben, mit ihr abgefunden. Jn der Folge sey er auf die Gedanken gerathen, daß ihm diese B .... bey einer andern guten Parthie, die54 er in E ... thun koͤnnen hinderlich gewesen sey, und ihm verschiedne Feindschaften zugezogen habe. Man sey seiner uͤberdruͤßig geworden, und wahrscheinlicherweise habe selbst die Koͤnigliche Regierung zu Hannover ihm in den Speisen elektrische Materie oder Gewitterluft beybringen lassen, um sein Leben abzukuͤrzen. Dieser Zweck waͤre zwar nicht erreicht worden, allein er habe seit der Zeit doch eine große Nervenschwaͤche verspuͤrt. Unfaͤhig zu allen Geschaͤften habe er um Weihnachten 1786 seinen Dienst freiwillig quittiret, E .... mit 150 Rthl. verlassen, und sey nach Stralsund gewandert. Nach drey viertel Jahren waͤre sein Geld bis auf 20 Rthl. geschmolzen gewesen, er habe sich nach E ... zuruͤck gesehnt, und um seinen ehemaligen Dienst schriftlich angehalten, aber zur Antwort bekommen, daß der Cantordienst schon wieder besetzt, die Organistenstelle aber erledigt sey. Ob er sich gleich dadurch erniedrigen muͤssen, so habe er doch dieselbe angenommen. Kaum aber sey er wieder in E .... gewesen, so haͤtte er schon wieder geglaubt von seinen Feinden verfolgt und durch beigebrachte Gewitterluft krank gemacht zu seyn. Auch habe er den Gedanken nicht los werden koͤnnen, daß der vorige Organist nicht wuͤrklich todt sey und er also auch nicht im Dienst stehe. Seines Lebens uͤberdruͤßig, habe er selbst angefangen, es fuͤr Gottes Willen zu halten, sich zu toͤdten. Nach einigen mißlungnen Versuchen habe er, ohngefaͤhr 14 Tage55 vor Michaelis seinen Dienst zum zweitenmahle verlassen, in der Absicht, so lange herum zu schwaͤrmen, als das Geld reichen wuͤrde, nachher aber sich das Leben zu nehmen. Ohne Plan sey er durch das Eisenachsche, Hildburghausensche, Saalfeldsche und Hessensche, und so wieder zuruͤck gezogen. Bey Naumburg habe er sich in die Saale stuͤrzen wollen, da er aber gehoͤrt, daß eben in Leipzig Messe sey, so habe er Lust bekommen, diese noch erst zu sehen. Hier habe er seine Uhr und einen Rock verkauft, und mit diesem Gelde noch eine Tour uͤber Merseburg, Halle, Eisleben und Nordhausen gemacht, nachher aber sich wieder in die Gegend um E .... begeben, wo er sich in einem Walde, ohngefaͤhr eine Meile von E ... eine Huͤtte gebauet, sich daselbst 14 Tage aufgehalten, und nur zuweilen Lebensmittel aus Wernigerode gehohlt. Seine Absicht sey im Grunde gewesen, sich nach und nach der Nahrungsmittel wirklich zu entziehn, und so zu[ verhungern.] Es habe ihm aber zu lange gedauert, von der rauhen Witterung sey er endlich aus der Huͤtte vertrieben worden, und habe sich nur zuweilen darinn, die meiste Zeit aber auf dem Zechenhause zu den drey Annen aufgehalten. Endlich sey sein Geld voͤllig zu Ende gegangen und er habe nun den festen Vorsatz gefaßt, sich das Leben zu nehmen, auch zu dem Ende giftigen Fliegenschwamm gegessen, den er aber wieder von sich gegeben. Jn Wernigerode habe er in einer Apotheke Gift ver -56 langt, aber keinen bekommen, da er daselbst unbekannt gewesen. Jn voller Verzweiflung habe er nun seine Zuflucht zu seinen Messern, einem Federmesser, einem Barbiermesser und einem Taschenmesser genommen. Gestern Morgen um 10 Uhr sey er nach einem einsamen Ort im Walde gegangen, habe sich den Rock ausgezogen und einige Adern oͤffnen wollen. Am linken Arm habe er mit dem Federmesser den Versuch gemacht die Adern zu durchschneiden aber vergebens. Er habe also die Weste aufgeknoͤpft, das Hemd aufgeschnitten, und mit dem Taschenmesser zwischen den Rippen hindurch zu kommen versucht, es habe aber nicht gehn wollen, daher er sich in der groͤßten Wuth mit dem Taschenmesser zwey Stiche in den Leib gegeben, wobey er so stark ausgehohlt, daß das Messer bis an das Heft in den Leib gegangen. Die Kraͤfte haͤtten ihn gleich so verlassen, daß er noch einige Stiche nur sehr schwach fuͤhren koͤnnen, zumal er stark gezittert und ihn die Wunden sehr geschmerzt haͤtten. Einige Minuten sey er auf dem Platze herum gegangen, bald aber sey ihm ein Schwindel und eine solche Ermattung angekommen; daß er sich auf den Bauch niederlegen muͤssen. Jn der gewissen Hoffnung bald zu sterben, habe er einige Zeit ganz still gelegen; da er aber kalt geworden und die Wunden aufgehoͤrt zu bluten, habe er wohl gemerkt, daß es mit dem Tod noch Zeit haben werde. Er habe nun gesucht, sich mit dem Barbiermesser den Hals ab -57 zuschneiden und es zu dem Ende festgebunden. Vor starkem Zittern habe er aber nicht dazu kommen koͤnnen, und es sey ihm nunmehr der Gedanke eingefallen: daß er mit dem Messer sich das Leben vielleicht nicht nehmen solle. Jn dem Wirthshause zu den drey Annen, wohin er gegangen, habe man ihn, des scheußlichen Anblicks wegen, nicht dulden wollen. Er sey daher nach E ... gekommen, um sich von dem Pastor W ... eine alte Pistole zum Erschießen zu holen, die dieser von ihm in Verwahrung gehabt. Als man ihn hier von Amtswegen in Empfang genommen, habe er geglaubt, es geschaͤhe solches blos in der Absicht, um seinen Tod zu befoͤrdern, und man wuͤrde ihn den naͤchsten Morgen umbringen. Da er aber gesehen, daß man seine Wunden verbunden habe, und auf seine Heilung bedacht waͤre, so sey er von diesen Gedanken zuruͤckgekommen. Er glaube auch nunmehr uͤberzeugt zu seyn: es sey Gottes Wille nicht, daß er sich das Leben nehmen solle; weil er sonst seine Absicht wohl wuͤrde haben ausfuͤhren koͤnnen. Uebrigens aber wuͤrde er gewiß noch immer von seinen Feinden verfolgt, und halte sich nur so lange sicher, als er hier auf dem Amte[ sey. «]

Aus dem von dem dasigen Prediger ertheilten testimonio vitae ante actae ergiebt sich:

» Daß der H ...., waͤhrend den ersten zwey oder drey Dienstjahren sich die allgemeine Achtung und Liebe seiner Vorgesetzten, der Buͤrger -58 schaft und Schuljugend erworben; daß er aber nach dieser Zeit mehreren Hang zur Einsamkeit, oͤftere Anwandlungen von Tiefsinn, verschlossenen Charakter und sonderbare Eigenheiten beim Essen und Trinken gezeigt, man auch mehrere Unbiegsamkeit in seinen Meinungen und Handlungen bemerkt habe; unter verschiedenem Vorwande habe er sich oͤfters von E ... zu entfernen gesucht; da man aber dieses hintertrieben, habe er zuletzt um Urlaub auf eine kurze Zeit angesucht, weil er einige Erbschaftsangelegenheiten persoͤnlich besorgen muͤsse.

Jm Anfange seines zweiten Aufenthalts in E ... habe er als Organist mehrere Thaͤtigkeit[ gezeigt.] Doch bald sey verdoppelte Schuͤchternheit an ihm zu merken gewesen. Sonderbare Reden und Handlungen haͤtten mit dilucidis intervallis abgewechselt, bis er zuletzt etc. etc.

Durch die guͤtige und menschenfreundliche Vorsorge der Koͤnigl. Regierung zu Hannover wurde der Jnquisit, nachdem seine uͤbrigens nicht gefaͤhrlichen Wunden geheilt waren, unter die Aufsicht eines geschickten Arztes gegeben, und durch diesen von seinen hypochondrischen Grillen voͤllig befreit.

Er befindet sich jetzt als Organist zu J ..., unweit Hannover, und hat die Tochter des Schulzen geheurathet, bey welchem er, waͤhrend seiner Kur in Aufsicht gewesen.

59

Jch fuͤge hier noch einen von ihm waͤhrend seines Arrests geschriebenen Aufsatz und einige Stellen aus einem weitlaͤuftigen Gedicht bey, das er, seiner Angabe nach, waͤhrend seines Herumschwaͤrmens verfertigt hat. Man wird darinn die duͤstre mitternaͤchtliche Seelenstimmung bemerken, die diesen Ungluͤcklichen, der nicht ganz ohne Kopf zu seyn scheint, peinigte:

Dem prosaischen Aufsatze, betitelt:

Die letzten Tage meines Erdenlebens Nicht ein einem Lebenslaufe aͤhnlicher Aufsatz, sondern beschriebenes Ende meines Schicksals

hat er das Motto vorgesetzt: fuͤr die Wahrheit ist vieler Edlen Blut geflossen.

» Den 17. Oktober 1789. reißte ich ziemlich bewegt von Nordhausen nach Jlefeld, dem Harz, als bestimmtem Orte meiner lezten Tage entgegen. Hoffnung nach Elbingerode gerufen zu werden, aͤußerte sich in meinem Herzen so wenig, als ichs selbst wuͤnschte. Mit einem verderbten Koͤrper war mir mein Leben auch in Leipzig, wo (ich gesteh es) die Liebe zum Leben sehr geweckt wird, laͤstig. Vielmehr war mir der Ort, wo ich so viel gelitten, wenn nicht verhaßt doch gleichguͤltig. Bei Jlefeld dacht 'ich an jene reitzvollen seelig verlebten Tage meiner unschuldigen Jugend zuruͤck, und60 pfluͤckte unbekuͤmmert Haselnuͤsse. Koͤnnt ich sie zuruͤckrufen, dacht' ich, wie gluͤcklich! Wie sehr nuͤtzlich, Gott und Menschen wohlgefaͤllig, sollten sie angewandt werden! Jch seufzete tief, und von Wehmuth, die ich nie so empfand, durchdrungen, irrte ich vom Wege ab, auf einen Klippenberg, worauf ich keine Spur eines Menschen bemerkte als Voͤgeln toͤdtliche Schlingen. Ach! sprach ich zu mir selbst, waͤrst du jezt Vogel, du wuͤrdest um leben zu wollen sterben (Gierigkeit und unersaͤttliche Leckerey, war oft das Grab vieler Menschen).

Die Nacht uͤbereilte und brennender Durst nagte mich. Der Stimme eines Knaben, und einem schnellen Wasserfalle, des Sprudeln mir jezt suͤsser toͤnte, als der vom Wein gefuͤllte Pokal, folgte ich, als einer der sich gluͤcklich fuͤhlt, der vom Schrecken befreit angenehm uͤberrascht wird. O Menschenherz! wars nicht Schwachheit feiger Muth! Mein Schicksal ists nicht brennender als heißer Durst! Nicht schwaͤrzer als die fuͤrchterlichste Mitternacht! Nicht oͤder und einsamer im Herzen, als es auf steilen Klippen ist! So oft sezt ich dir eine staͤhlerne Brust entgegen. Ging mit maͤnniglichem Muthe nicht selten unter drohenden Schwerdtern! Ertrug so mannichmal verachtungblickende Augen, derer die von mir nie beleidigt, nie gesehen, deck sie auf Schicksal! Manche vielleicht erscheinen hassenswuͤrdiger mit holdem und heroischem Sinne. Jst nicht meinen gleichen61 Muth zu schwaͤchen, Arzenei gebraucht worden? Es sind voruͤbergleitende Minuten, worinnen das Herz unsern Muth in Feigheit wandelt, und uns selbst beschaͤmt. (Ein zaͤrtlich Gefuͤhl ist der Philosophie das, was das Mutterherz der guten Kinderzucht ist.) Jch kam an eine Saͤgemuͤhle, woraus der Bewohner durch donnernde und anzuͤgliche Worte meiner Andringlichkeit auszuweichen meinte. Er irrte sich, denn meine Absicht war, von nun an in Waͤldern zu uͤbernachten, um meinen Koͤrper toͤdtlicher zu machen, und[ keinem] Menschen Sorge zu verursachen, und nicht viel gute Worte zu verschwenden. Suͤße Schwermuth in mir, und Dunkel um mich, ging ich unwissend, anstatt vor ruͤckwaͤrts und waͤhlte in einem Birkenthal mein Nachtlager, unter einer Eiche. Kaum hatte ich mich gelegt, so schienen (wenigstens mir) ein paar Eulen zu wetteifern, mein Elend recht jaͤmmerlich zu beweinen. Jch fand darinn eine gewisse Beruhigung. Das Ungewoͤhnliche Zerstreuete aus den klagenden Stimmen Ach und Weh! fuͤrchterlich bange Ahndung Verzweifelung, konnte nirgends besser angetroffen, und ausgedruͤckt folglich auch gefuͤhlt, und lebhafter empfunden werden, als von mir in diesem Thale; wo alles zusammentraf waͤhnte ich fremdes Mitleid. Hiebei erkannte ich, daß auch im Wahn, oder in schiefem Gefuͤhl einiges Gluͤck liege. Jn neblichter Phantasie und ungleichmaͤßiger Vorstellung suchen62 und finden zwar unzaͤhlige wohlthaͤtig großes Gluͤck und schlummern in behaglicher Selbstgenuͤgsamkeit. Allein mich oft getaͤuscht wissen und gluͤcklich fuͤhlen, moͤcht ich nicht feine Seele nennen, sondern verdorbenes Gefuͤhl, das sich an jedes rauschende Blatt anhakt, zu viel Reiz hat, oft laͤstig ist, und mißmuͤthig macht; andern leicht unertraͤglich und laͤcherlich wird, und uns gefaͤhrlich werden kann. Z.B. zu zaͤrtliche Romane, Schooshuͤndchen, Puͤpchen, und dergl. feine Saͤchelchen, die nach einer hoͤhern Sphaͤre riechen, welche einem Traumgespinst vom uͤbermaͤßigen Genuß des Weins erzeugt, gleicht, das mit seinem Entstehen zerflattert. Jch war auch angesteckt mit Schaden fuͤr diese, zum Gluͤck fuͤr eine bessere Welt aber gluͤcklich geheilet. Bald haͤtte ich den holen Todtensang vergessen. Sie schwiegen vermuthlich aus hungriger Beduͤrfniß, und mit diesem Gedanken zerrann mein suͤßer Wahn. Um aber der ungewohnten Herbstkuͤhle, ein schwach linderndes Mittel entgegen zu setzen, ließ ich meine Phantasie spielen, und reimte folgende Worte zu jenem wuͤrklich einschneidenden melancholischen Gesange.

Heulet Klagen! Todessaͤnger!
Prophezeyt mir Tod und Grab.
Heulet schaudernd daß es baͤnger
Schallt ins stille Thal herab.
Heulets: daß nun Tod nicht fern
Heulet nur, ich hoͤr euch gern.
63
Vielen deutet eure Klage,
Schrecklich nahes Sterben an,
Denen, wo nach alter Sage,
Ein'ge euch auf Daͤchern sahn.
Aber mir, dem Tod nicht fern,
Heulet nur, ich hoͤr euch gern.

Die zunehmende Kuͤhle siegte uͤber Phantasie und Schlaf, bis ich mich setzte und ganz verhuͤllte. Unterbrochen einschlafen und wieder erwachen, war meine naͤchtliche Beschaͤftigung. Eher als ichs vermuthete, wurde ich von angenehmer Morgendaͤmmerung begruͤßt, betete andaͤchtiger, inniger und zufriedener zu Gott, als ich in manchem Wirthshause gebetet hatte.

Unfehlbar ist das Beten aus Buͤchern, zwischen Poltern, Reden und Geschaͤften, nur das erste weltliche Tageswerk, das aus scheinheiliger Froͤmmelei, oder angewohnter Gemuͤthsrichtung, oder aus mißverstandener Verdienstlichkeit, verrichtet wird. Schon ein kleines Kind ist vermoͤgend die Andacht und gehoͤrige Gedankenfestigkeit zu stoͤren. Lermende Arbeiten und fordernde Befehle vom Gesinde; ein Topf, kaum einen Dreier werth, von einem Kinde zerbrochen, unterbricht nicht nur die Andacht, sondern verwandelt sich gemeiniglich in Schelten, Fluchen und Schlagen. Auch ist das Gemuͤth der mehresten Menschen, die ich beim Gebet beobachtet, schon zu sehr getheilt, und auf irrdische Beduͤrfnisse geleitet oder in der Schuͤssel, auf den64 fortgehenden Nahrungsstand geheftet: Der Befehl Jesu: Wenn du betest, so gehe in dein Kaͤmmerlein etc. wie goͤttlich und angemessen den Menschen! Vor dem Aufstehen, oder in Buͤchern allein und ungestoͤrt zu beten, muͤßte jedem Menschen ehrwuͤrdig und nothwendig seyn und werden. Vergnuͤgt blickte ich der aufgehenden Sonne in ihre wohlthaͤtigen Strahlen, und ging gestaͤrckter den Berg mit Fichten bekraͤnzt empor. Ohne in einem Hause einzukehren, ließ ich Beneckenstein rechts liegen, kam unvermuthet zur Sorge, nach Braunlage, neben Otterbruͤck vorbei, und gieng daselbst den Weg zuruͤck nach Schirke zu. Ob ich gleich von starker Tagesreise, und Entziehen der noͤthigen Speisen, muͤde und schwach war, sucht 'ich doch nicht Schirke zu erreichen, sondern blieb wieder im Walde. Ein enges Bette in kuͤhler Erde wie ein Grab, mit bloßen Haͤnden gegraben, mit Fichtenreisern umpflanzt, eine lange kalte Nacht hingestreckt, ohne Freund und Gesellschaft, ohne Hoffnung eines irrdisch Bessern, von Hunger, Durst und Frost zu leiden, und Schlaf, wodurch alles Leiden eine Zeitlang gemildert und vergessen wird, zu entbehren Ach! (seufzt' ich) mein Schicksal ist doch hart Jst nun mit Recht ein Elend zu nennen. Gott! (betete ich) Nimm meine Seele diese Nacht zu dir! Genug gelitten, gekaͤmpft und gerungen habe ich, werth zu seyn, von dir aufgenommen zu werden! Meine Suͤnden habe ich un -65 zaͤhlige mal bereuet, verwuͤnscht und verabscheut, Besserung angelobt und gehalten; und wofuͤr ich nicht gebuͤßet und zeitlich buͤßen kann, dafuͤr hat dein Sohn Jesus Christus Genugthuung geleistet. Erbarm dich meiner, und laß mich jetzt sterben. So betete ich und versuchte einzuschlummern. Umsonst! Jch fror so sehr, und wurde, durch mein eigen Schicksal angewiesen und zugleich gerechtfertiget, auf den Gedanken gefuͤhrt, mir das bischen kurze elende und unnuͤtze Leben abzukuͤrzen. Nur der schuͤttelnde Frost, und Besorgniß, selbiges nicht vollkommen toͤdtlich ausfuͤhren zu koͤnnen, hinderten mich diesmal.

Wer gewohnt dem Gluͤck im Schooße,
Sich zu wiegen, stets zu freun;
Wem der Dorn nicht sticht, die Rose
Jmmer bluͤht im Sonnenschein;
Jammert kindisch, und entfliehet,
Wenn ein Woͤlckchen droht!
Glaubt ungluͤcklich sich, und siehet
Nichts als lauter Noth.
Wer nur Leiden-Nahmen nennet,
Nie von Leiden selbst gedruͤckt,
Leiden nicht durch Urtheil kennet,
Fuͤhllos Leidende erblickt;
Leidet zehnfach, wenn er siehet,
Daß sein Gluͤck verdirbt,
Und die Rose ihm verbluͤhet;
Fuͤhlt nur Dorn und stirbt.
66
Wenige die selbst sich toͤdten,
Staͤrkt und ruͤstet wahrer Muth.
Gab nicht Heldenherzen Bloͤden
Oft der Leidenschaften Gluth?
Selten ist ein Loos der Erden
Ohne Hoffnungsstrahl.
Selbst der Tod erloͤßt zu werden
Lindert alle Quaal. etc. etc.

Aus dem Gedicht, wo hin und wieder manche wuͤrklich poetische Schilderung vorkoͤmmt, und worin besonders ein wehmuͤthiger Ruͤckblick auf die frohen in Tugend und Gottgefaͤlligkeit durchlebten Tage seiner Jugend merkwuͤrdig ist, ziehe ich folgende aus seinem damaligen Gemuͤthszustand fließende, Stellen aus:

Menschen, Arbeits muͤde,
Ruhen sanft im Friede
Weit und breit umher.
Aber mich druͤckt Kummer,
Mich, dem suͤßer Schlummer
Oefters noͤthig war?
Manches Ach! bey Nacht und Tag
Heiß geseufzt in truͤben Stunden
Jst dort uͤberwunden.
Ach wenn koͤmmt der Tag!
Er ist nah, das Grab ist da.
Staͤrke mich durch Jesu Wunden
Gott in Todesstunden.
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Fest in Hoffnung sterben,
Ew'ges Reich zu erben,
Groͤßtes Menschengluͤck!
Leben wir, so leben
Wir dem Herrn, wir geben
Sterbend uns zuruͤck.
Wie im Heer, so auf dem Meer,
Durch Gebrechen, Krankheit, Morden,
Gott an allen Orten.

Jst eine Vermuthung erlaubt, so glaube ich, daß eine Schwaͤchung seines Koͤrpers durch Ausschweifungen in der Liebe waͤhrend seines Umgangs mit der Wittwe B .... in Hannover, den ersten und vorzuͤglichsten Grund zur Hypochondrie des bedauernswuͤrdigen Mannes gelegt habe, die in der Folge wie das Gutachten des Landphysikus zeigt durch schlechte Diaͤt zu einem so hohen Grade getrieben worden.

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V. Fragment aus dem Tagebuche Weilers. Herausgegeben von l.

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De hoc, priusquam scribamus, haec praecipienda videntur lectoribus, ne alienos mores ad suos referant; neve ea, quae ipsis leviara sunt, pari modo apud caeteros fuisse arbitrentur, (Nep. in Epam)

Julien gewidmet.

Als ich von Jhnen Abschied nahm es sind nun sechs Jahre da sagt 'ich wie man denn meistentheils beim Abschied etwas sagt was man nicht noͤthig hat, wenigstens nicht noͤthig haben sollte, indessen laͤßt man's gelten, und so eine Wiederholung ist oft so ruͤhrend, und wirkt so maͤchtig aufs Herz wie das einfache Thema, am Ende eines Rondos wiederholt. Jm Grunde hat man je doch nur das Thema durchgefuͤhrt, sich auf alle moͤglichen Arten geseufzt, geblickt, gehaͤndedruckt, gestammelt, gesagt, gekuͤßt: Jch liebe69 dich. Vor sechs Jahren, als ich von Jhnen Abschied nahm, da sagt' ich Sie wissen, ich sagte sehr wenig; mein Herz konnte damals von der Sprache meines Mundes keinen Gebrauch machen, es sandte Thraͤnen, seine zitternde Boten, die Sie anflehen mußten ihm seinen bittern bittern Schmerz zu glauben. Damals, bei unserm Abschied Gott weiß es, Julie, es war eine bange Stunde! Wie ichs immer nicht glauben wollte, immer fuͤr unmoͤglich hielt, mich wie von einem Quaͤlgeiste, der die Menschen in einsamen naͤchtlichen Stunden mit schrecklichen Gestalten aͤngstigt, loszumachen suchte ach! vergebens. Es war kein Traum, ach! es war die kalte unbeugsame Wirklichkeit. Und doch, Julie hab 'ich seitdem noch manchen herben Abschied nehmen muͤssen. Ein Wunsch, eine suͤße Fantasie nach der andern trennte sich seitdem von mir, wie der schoͤnen Tage immer weniger werden, wenn nun der Lenz hin ist, ihm, ihm alles nacheilt, Bluͤthen und Blumen und Waldgesang und gaukelnde Luͤftgen, und die Sonne traurend sich in Nebel verhuͤllt, und der Nord laut heult, daß er alles so leer und oͤde findet, und ist mir nichts geblieben als mein altes treues Herz, ein Gefaͤhrte all meiner Truͤbsalen, der mit mir gekaͤmpft und geblutet hat, und nun still geworden ist, und sich in keine Sache mehr mischt, und nur, wenn wir ganz allein sind, von unsern Schicksalen, Leiden und Wunden erzaͤhlt, und wie all das hinge -70 schwunden und keine Spur mehr uͤbrig sey, und wie wir, herausgedraͤngt aus unserm Vaterlande, wo all unsre Wuͤnsche begraben liegen unter schweigenden Huͤgeln, fern in fremden kalten Lande nun noch so weit abwarten muͤssen, bis der Nord den Baum schuͤttelt, und uns hinabweht in des Baches Welle, die uns hinabfluthet in die Vergessenheit. Damals, Julie, wenn Sie sich unsers Abschiedes noch erinnern, und, bei Gott, Julie! Nein! Nein! Sie werden ihn nicht vergessen haben! damals sagt' ich ein wenig unverstaͤndlich vielleicht, denn ich verbarg mein Gesicht schluchzend in Jhren Schoos, und meine empor gehobene Arme hielten Sie umschlungen, sagt 'ich

» Julie! Jch kann nie aufhoͤren Dich zu lieben, einst nach Jahren sollst du das noch von mir wissen. «

Hier ists Julie: Leiden konnten mich quaͤlen, aber wehmuͤthig konnten sie mich nicht machen. Jch habe Sie verloren, kann ich noch uͤber etwas anders trauern? sagt 'ich. Freuden giengen mir voruͤber, und ich streckte meine Hand nicht aus: wenn ich sie nicht mit Jhr theilen kann, so sind sie mir fades Possenspiel.

Julie! Jch habe nicht aufhoͤren koͤnnen Dich zu lieben!

Nimm dies und dies Fragment es enthaͤlt die Klagen eines Elenden wohl uns, Julie! Wir waren ungluͤcklich, aber elend sind wir71 nicht. Auch diese Thraͤne, die da heimlich uͤber meine Wange rinnt, und gern mit zu dir sich stehlen will und leb wohl! Julie! werd 'ich nie mehr etwas von dir hoͤren? Leb wohl, theure, theure Julie!

l.

Ruͤckkehr zur Tugend! Besserung! leere Worte, die einmal einer ersann, der dem aͤußern Elende des Lasters entronnen war, um zu seinem neuen behaglichen Zustande auch noch eine gewisse erkuͤnstelte Ruhe des Geistes hinzuzufuͤgen! Ruͤckkehr zur Tugend! Unsinn! Als waͤre sie außer uns, als bestaͤnd nicht eben das Wesen des Lasters in der Unfaͤhigkeit gluͤcklich und gut zu seyn. Laͤhmt dem Adler seine Schwingen, und nehmt dem Menschen seine Tugend, beide erheben sich nie wieder! Sie sind gefallene Engel der ewigen Pein, Gottes Glanz zu wissen und zu meiden, hingegeben.

Unbegreifliches Loos, das der Menschheit fiel! Leicht und sorglos, den Busen voll Wonne des jungen Lebens, huͤpft der Knabe seinen ersten einzigen Unschuldsweg daher; hier theilt er sich, er muß waͤhlen; dort winken ihm die Goͤtter der Freude jung, und laͤcheln wie er seine Bruͤder. Er fliegt ihnen zu und verschwunden ist der Zauber, und kalter Nebel umgiebt ihn dicht. Ver -72 gebens blickst du so bebend zuruͤck, du wirst keinen Ruͤckweg finden! Aber still armes Kind, bald erscheint dir eine andere wohlthaͤtige Gottheit. Du wirst aͤngstlich vor ihr zuruͤckschauern, aber zage nicht, in diesem Lande der Traͤume ist alles anders wie es scheint. Trotz des Entsetzens, das sie umgiebt, ist sie doch die einzige, die dich fortan nicht verlaͤßt, die dir Staͤrke und Muth giebt, die mit dir weint und mit dir lacht, die deine Klagen anhoͤrt und deine Fragen beantwortet: denn das ist ihr Amt auf Erden. Als Gott bei der Schoͤpfung das Elend werden ließ, da fragte sie vorwitzig: warum? und sie wurde mit dem schrecklichen Geheimnisse in die duͤstern Thaͤler des Lasters verbannt, mit dem Berufe jedem Sterblichen, der sich dahin verirrt, seine Fragen aufzuloͤsen.

Ja, Verzweiflung, ich fuͤhls, ich fuͤhls, alles hat mich verlassen, nur du bist noch um mich! Du bist meine Lehrerin, deine Stimme allein ist es, die ich noch hoͤre.

Geziemts mir wohl zu trauern? Aber warlich ich traure auch nicht. Traure! und woruͤber? daß mich mit ihm nun die letzte menschliche Huͤlfe verlassen hat? So schwach kann ich nicht seyn. Jch darf verworfen seyn, aber nicht schwach, an meinen Grimm nagen, aber nicht trauern.

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Hm, als er Abschied nahm, und ein Langes und Breites von Verhaͤltnissen sprach, die ihn zuruͤckruften nicht ferner gestatteten O du jaͤmmerlicher Hanswurst, lauf, lauf zur lieben Mama, und laß dich[ in] Jntegrum restituiren! das wird nicht mehr Zeit kosten, als einen Esel aus seiner Loͤwenhaut heraus zu peitschen. Fuͤr dein Geld, das du an mich verschwendetest, wardst du was du werden konntest: aus einem faden nichtigen Purschen ein vollstaͤndiger Narr. An dir hab 'ich mich nicht versuͤndiget: Dein schlechtes Metall galt vorher gar nichts, ich gab ihm das einzige Gepraͤge, dessen es faͤhig war.

Was sprach er doch von Freundschaft? Gutes Herz! aber graͤm dich daruͤber nicht, ich wollte ich haͤtte mich allein uͤber deine verlorne Freundschaft zu troͤsten. Aber, wahrhaftig, ich bin bettelarm; er wird sogar meinen Kredit mit weggenommen haben. Soll ich mich nun auch noch von den erbaͤrmlichen Brodsorgen foppen lassen? Nun, ich will leben so lange es geht, das wie sollte eigentlich nie die Sorge eines Menschen ausmachen. Jm Grunde ist mirs doch lieb, daß ich ihn los bin. Der Pinsel glaubte in meiner Verbindlichkeit zu stehen, weil ich einmal, um sein krankes Leben zu retten, zwei gesunde Menschen ermordete; mir wars indessen doch immer, als haͤtt 'ich ihm meinen Unterhalt zu danken. Fahre wohl theuerster Freund!

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Aber wie kam mir vorhin das Wort Trauern? Jch glaubte, das stuͤnde laͤngst nicht mehr in meinem Woͤrterbuche. Und doch was war das, wie ich so allein wieder zuruͤckgieng, an dem Fluß her? Die Nacht war in der That schoͤn, das hab 'ich empfunden? Nein! Schoͤnheit empfinden soll ja eben Wonne seyn, und wie kaͤm Wonne in meine Brust? Aber ich weiß es doch, daß sie schoͤn war. Wie der Mond uͤber dem stillen Wald schwebte, und in die Ebene und auf den Fluß Silber goß und alles so still war, und ich denn in die dunkele Allee kam ich allein nur mich hoͤrte in meinem dunkeln Leben dahin tappen! Ja einst haͤtt' ich hier getrauert, als ich noch so haͤngen konnte an Bildern des Leidens, sie geistig umarmen und meine Bruͤder nennen, und mir so Lieben und Freunde machen unter den Geistern meiner Fantasie, und mit ihnen, sanften Stolzes, aus feuchtem Auge laͤcheln der Menschen Muͤhe und des Menschen Standes. Aber jetzt hab 'ich meine gute Engel alle von mir gescheucht, bin nun ganz allein verlassen! Ja! das ist das Wort! So ist mirs wie verlassen.

Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wort des bittersten Schmerzes, nicht der Trauer! Wort der Pein! Wenn graͤßliche Kaͤlte, Leere, ewiges endloses Nichts dies arme Jch quaͤlen, das wahrlich etwas bedarf, um sich ertragen zu koͤnnen. Ja! ich bin verlassen! Kein Engel gesellt sich mehr zu mir und gießt aus seinem himmlischen Fuͤllhorn,75 das Einzige was dem Menschen heilsam ist, von aller suͤßer Empfindung Trauer in mein Herz. Jch bin verlassen, in meinen oͤden kalten Erdenverhaͤltnissen allein! Kein Engel wird mich einst aufwaͤrts leiten zu der ewigen Schoͤnheit; allein werd 'ich dahin kommen, und sie anschauen wie die heutige Nacht.

O laßt euch recht viel vorschwatzen von der menschlichen Gluͤckseeligkeit, merkt auf wenn von der Wahrheit die Rede ist, und geht dann geschwind zu Bette, ihr werdet recht gut schlafen! Koͤnnt ich allen meinen Empfindungen, so wie sie in meinem Jnnern rasen, einen Ton geben, und ruft 'ich dann in diesem Tone euch zu: es giebt keine Gluͤckseeligkeit, und die Wahrheit fuͤhrt zur Verzweifelung: ihr wuͤrdet allen euren Glauben an diese Worte verlieren.

Nein! Nein! Nein! Jch bin auch ein Mensch, und ich bin nur elend. Aber glaubt mir, ihr andern, ich moͤchte eure Gluͤckseeligkeit nicht einmal theilen. Jch bin ein Rebell; und ihr seyd Sklaven, ich habe Muth und Verzweiflung wie ein Rebell, und danke meinem Vaterlande nichts; ihr wißt nur zu winseln. Jch thue, was ich will, weil ich mein Leben an alles setzen kann, ihr muͤßt thun,76 was man will, weil ihr aͤngstlich zu erhalten sucht, was ich verachte.

Nein, ich danke dir nichts Natur! Du gabst mir nichts, was mir dies Leben ertraͤglich machen koͤnnte, und verdarbst mir alles was ich um meine Huͤtte angepflanzt hatte.

O ein unbegreiflicher Muthwille scheint mich zu seinem Spiel geschaffen zu haben! Ein Herz, das unaufhoͤrlich nach Genuß duͤrstet, und kein Mittel es zu befriedigen. Jch moͤchte lieber am Pranger stehen, als Jemanden merken lassen, daß mir meine Haͤßlichkeit so unertraͤglich ist, und doch, ist es wahr, beneid 'ich jeden laͤchelnden Buben um sein menschliches Gesicht. Himmel, nur das, wenn ich nur schoͤn waͤre! Ha! wenn sie mir so erzaͤhlen, wie ihnen da ein wolluͤstiges Maͤdchen in die Arme gesunken, wie sie dort eine Goͤtternacht gefeiert, und nicht ahnden, daß auch in meinen Adern Feuer rollt, daß ich um Liebe gern alles alles hingaͤbe; und ich denn ein kaltes satyrisches Air annehme, uͤber Maͤdchen und Liebe spotte, waͤhrend ich in diesem Drang von Empfindungen vergehen moͤchte! O es ist rasend! Die Einzige, die ich errungen hatte, ist hingeopfert. Marie, wie ist dir jetzt? O sagt nicht ich habe sie geopfert! Jch liebte sie bei Gott mehr als mich, und nur sie allein, und der Ausdruck meiner Liebe war staͤrker, als meine Haͤßlichkeit, sie gab sich mir hier das Wonnemaͤdchen. Wir waren beide wahre Menschen, hatten77 Kraft zu genießen, und schmeckten die hoͤchste Wonne des Lebens. Ha! meine Fantasie vergluͤht an dieser Ruͤckerinnerung! Wart ihr denn nicht Rasende, als ihr mich umsonst auf den Knien flehen ließet, mir das Maͤdgen einst zum Weibe zu geben, wenn ich sie errungen, mich aufwaͤrts zum Mann und Buͤrger wuͤrde gebildet haben? Waͤre dann nicht alles wieder gut gewesen, das Verbrechen getilgt, das eure schiefen Begriffe und jaͤmmerlichen Gesetze dazu machten? Aber Nein! Jch war arm und haͤßlich, und hatte gleichwohl die Vermessenheit gehabt des Lebens Freude zu kosten. Dies durftet ihr mir nicht verzeihen. Jhr entzogt mir euern Beistand, verstießt mich, und quaͤltet sie langsam todt mit euern Vorwuͤrfen und Haß und Verfolgung. O wohl mir, daß ich alles abgeschuͤttelt habe was fromm und sanft heißt, daß ich euch doch nun bitterlich fluchen kann Zerstoͤrer ihr! Kalte entsetzliche Teufel! Die ihr den Pfiff versteht, die Gesetze um ihren Schutz zu betruͤgen, und außerdem die giftigste Brut seid, die man todschlagen sollte, wo man sie findet.

Gott! Gott! Wo kommen mir jetzt die Thraͤnen her? Milder Thau des Himmels! Ach! aber auch sie spotten meiner! Jch soll nicht rasend werden, ich soll meine Quaal recht zergliedern, recht mit Vernunft mich martern: Darum mildern sie dieses wuͤthige Toben in mir.

78

Zuweilen ist mirs, als gaͤbs doch noch eine Art von Gluͤckseeligkeit wenigstens von Gefuͤhl gegenwaͤrtigen Liebens fuͤr mich. Hab 'ich nicht Muth und Kraft und eine Verzweiflung in mir, die allen Gefahren Hohn spricht, weil keiner mir etwas zu rauben vermag, das mir werth waͤre. Wie! wenn mich das Schicksal geflissentlich auf diesen Punkt haͤtte bringen wollen? Jch sollte erst Thaten thun, erst dem Leben seinen Preis abverdienen, oder es ekelhaft finden, und um die Lust zum Leben anzufrischen, etwas Gefahrvolles unternehmen? O gewiß! Unmoͤglich kann ja meine Quaal der einzige Zweck meines Daseyns seyn. Jn dem Menschen liegt ja alles, er kann ja, was er will. Der Fisch, den eine unruhige Welle an das Ufer wirft, windet sich auf dem trockenen Sande, und verschmachtet, aber der Mensch vertraͤgt jedes Element. Und war dies nicht vielleicht der Gang, den jeder Held nahm? Er muß sich erst sein Leben verderben, muß nichts mehr darinnen finden, das seines Wunsches werth sey, um es verachten zu koͤnnen. Die Ruͤckkehr in seine Knabengefilde zu jener ruhigen Gluͤckseeligkeit muß ihm abgeschnitten seyn. Er hat keine Wahl mehr; entweder muß er sich der Verachtung, dem niedrigen schmutzigen Jnsektenleben hingeben, oder mit seinem Elende wuchern. Er fuͤrchtet nichts, weil er nichts zu ver -79 lieren hat, er ist allein frei und ausgenommen von allem Gesetz. Denn er ist schon gerichtet; er darf Fluͤche fuͤr sie alle auf sich laden, denn er hat kein Mitleiden mehr zu hoffen und will keins. Er ist die Hand des Raͤchers und darf alle Thaten thun. Ja! Giebt es nicht auch zwei Kraͤfte in der Natur, eine, die erzeugt und hegt und pflegt, und die andere, die zerstoͤrt und aufreibt? Und so, Mensch, entweder pflanz Baͤume und zieh Kohl in deinem Garten, und ihn ruhigen Sinnes mit deinem Weibe und deinen Kindern: oder, wenn du diesen deinen ruhigen Sinn verloren hast, wenn dir ekelt vor dem Kreis deiner stillen Gluͤckseeligkeit, so schlag nieder, verdirb mit der naͤmlichen Natur, mit der du vorhin aufbautest!

Nur ein leeres Leben ist ein klaͤgliches Leben. Wo kein Genuß ist, und keine Thaten, was ist da das Leben? Besteht es nicht aus einem Stuͤcke Zeit? und die Zeit ist ja nur eine Folge von Begebenheiten. Auf! Auf! mich durchfleußt ein neuer Odem, ich trinke die Luft hoͤherer Sphaͤren! Offenbarung hat sich in meine Seele gesenkt ich frage nicht wohin? nicht warum? Jn diesem Wollen liegt die Antwort auf alles. Gluͤcklich mag die Turteltaube seyn: mir geziemts alle Gluͤckseeligkeit zu verachten, und zu zertreten. Jch bin nur heiße Gier und Raub und Aufschwung sonnenwaͤrts!

80

Wie laͤcherlich, daß ich noch in irgend etwas Befriedigung suche! Thaten? was thun? die Zeiten der Thaten sind voruͤber wie die des Genusses. Man kann nicht mehr die Welt durchziehen um sie von Ungeheuern und Raͤubern zu befreien. Man kann kein einzelner Mensch seyn, und als selbststaͤndiges Wesen aus eigner Kraft und eigenem Triebe handeln. Die Welt ist in Ordnung; alles steht an seinem Platze, und leiert da vom Morgen bis zum Abend an seinem Rade, und bekuͤmmert sich den Henker darum wozu das gut sey? Genug daß sie ihr taͤglich Brod haben und keine Schlaͤge bekommen. Seid Jhr Menschen? womit wollt ihr mir das beweisen? An eure Stelle abgerichtete Esel, und alles gienge den naͤmlichen Gang. Faͤllt euch dann nicht wenigstens zuweilen die Frage ein: Fuͤr wen, wenn nicht fuͤr uns? Doch still! im Gebrause des Rheins bebt schon mancher Ton heruͤber wilden frohen Freiheitsgesangs. Mein Volk horcht auf; wie wenn ich sein Barde wuͤrde, und dann sein Massaniello? Sein Barde? Ach Gott! Truͤg ich nicht die Verdammniß in meinem Busen! haͤtt 'ich jene Geistesstille, jenes Gerechtfertigte, Gefuͤhl des Wohlgefallens des Obersten der Geister, jenes kindliche Lallen, das alles sagen darf in seiner Unschuld und einfaͤltigen Herzenshoheit, dem kein Gefuͤhl widersteht! Jn meinem Busen ist ein ewiger hoͤllischer Krieg. Lauter81 Anklaͤger, lauter Verdammungsurtheile; kein Vertheidiger, kein Entschuldiger! Mir bleibt nichts uͤbrig als zuweilen, wenns zu viel wird, wenn das Maas meiner Quaalen uͤberlaͤuft, in meiner Verzweiflung, wie Herkules in die Flammen mich zu werfen, und mein Martern hinweg zu martern. Herkules! Ja ich bin gewiß so uͤberzeugt wie er, daß dies Leben fuͤr mich nicht taugt; aber haͤtt' ich auch seine Entschließung! Doch ist es warlich nicht Furcht vor dem Tode die mich abhaͤlt. Wahrlich nicht! Aber soll ich denn wie ein Polyp aus diesem Leben hinausgehen? Soll ich gar kein Andenken mitnehmen und zuruͤcklassen? Hu! Vergessen! wer den Tod wuͤnscht, der wuͤnscht darum keine Vernichtung. Jm Grunde ist es doch nur die Hoffnung seine gegenwaͤrtige druͤckende Verhaͤltnisse wenigstens zu verwechseln. Aber vergessen, weggetilgt seyn, das ist dem menschlichen Geiste so unertraͤglich wie die Leere: er kann und mag sie nicht denken.

Wohl, ich will jede That begierig aufhaschen, wie ich als selbststaͤndiges Jch handeln kann, mich in alle Begebenheiten einmischen, jeder Gefahr meine Brust bieten. Vielleicht begrab 'ich mich denn einmal unter den Ruinen einer meiner Unternehmungen; und, wird das Auge der Liebe mein Grab gleich nie benetzen, so sollen sie doch sagen muͤssen: Hier liegt er!

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Begegnet mir gestern der Hofrath Engel vor dem Pilgersthore Ein seltsamer Mann, der sich durch die Muͤhseeligkeiten des Lebens hindurchgeschlagen, und ein reines Herz, guten Willen und Heiterkeit gerettet hat. Jch haͤtt 'ihn hier noch nicht besucht. Was soll ich auch bei ihm? Jch ehre seine Guͤte, und darum mag ich ihn nicht betruͤgen, und großen Geist hat er nicht genug, um mich unter seinen Stolz zu beugen, dem er auf allerlei Weise ein Maͤntelchen umzuhaͤngen weiß; und außerdem ist er immer mit einer Menge von jenen wohlgerathenen Soͤhnen umgeben, die ohne Zuchtmeister nicht leben koͤnnen, und immer eine Ruthe fein von zu Haus mitbringen, und nebst gehorsamer Empfehlung von Papa und Mama an einen, der so gut seyn will, sie mannichmal durchzupeitschen, uͤberliefern. Es geht denn alles so sittsam und verstaͤndig in diesen Gesellschaften her, daß man meint, man hoͤre den Nathanael und Polykarpus in Joachim Langens Kollegien konversiren.

Er. Ei, Herr Weiler, muß mans denn dem Ungefaͤhr danken, wenn man Sie einmal hier zu sehen bekoͤmmt!

Jch sagte ihm so eine gewoͤhnliche Entschuldigung.

Er. Wie leben Sie? wie gehts Jhnen?

Jch. (Bekam uͤber die Frage wirklich einen Anfall von Lautlachen? Hm! wie gehts Jhnen,83 Herr Prometheus an ihrem Felsen?) Jch antwortete: Jch wuͤrde besser leben, wenn ich mehr in der Vergangenheit leben koͤnnte. Dies schien mir in dem Augenblick eine Klage zu enthalten, und klagen wollt 'ich nicht. Jch setzte also hinzu: Wer ist uͤberhaupt wohl mit seiner Gegenwart zufrieden? Der Gluͤckliche klagt mit Recht, daß sie immer fliehe, nie wirklich da sey, und dem Ungluͤcklichen ist sie eine Fessel, die er allenthalben unmuthig mit sich herumschleppt.

Er. sah mich eine Weile an, als woll 'er Etwas in mir lesen. Kann ich Jhnen dienen?

Jch. Sie nicht und kein Mensch.

Er. Junger Mann, Sie taͤuschen sich. Jhre Leiden scheinen Jhnen unbezwingliche Ungeheuer. Muth und ein tapferer Angriff, und die Truggestalten schwinden!

Jch. Herr Hofrath! Jch bin verkannt, verlassen, dahingegeben, geschaͤndet ich und meine Henker sind allein! O! Sie wissen ja alles, wissen, daß auch in der That die Gerechtigkeit Recht hatte, mich dieser Einoͤde und meinen Martern zu uͤbergeben. Was ist noch an mir zu retten? Hoͤchstens koͤnnte man meine aͤußern Verhaͤltnisse ein wenig ausbessern, und diese sind es gerade, die mich in all diesem Gedraͤnge am wenigsten pressen.

Er. Haͤtten wir nur erst Ein Glied wieder gesund, die andern werdens dann oft von selbst: Er -84 innern Sie sich noch des ersten Jahres in H ...? Damals waren Sie doch wohl gluͤcklicher?

Jch. Jch weiß was Sie sagen wollen. Damals lebt 'ich still und schien tugendhaft, und that meine Pflichten. Man glaubte, ich bereue meinen Fehler, und sei auf dem Wege der Besserung, und nun meinen Sie, solle ich so fortgefahren seyn. Lieber Herr Hofrath! Jch uͤbte eine menschliche Tugend, ihr Preis wurde mir entruͤckt, ich mochte mich nicht mehr um ein leeres Ziel entathmen.

Er. Preis der Tugend! Sie ist selbst Preis.

Jch. Gewiß! das muß sie nach meiner Ueberzeugung allerdings seyn, und eben darum glaub 'ich daß ich nie tugendhaft war. Preis! Ohne Zweifel! Preis der Vollkommenheit. Erst lassen Sie uns diese erlangen, dann kann erst von der Tugend die Rede seyn, in so fern sie Preis genannt zu werden verdient. Was man jetzt von einem tugendhaften Mann fordert, ist, die Wahrheit zu gestehen, nichts als eine blinde Grausamkeit gegen sich selbst. Ewiger Krieg mit Begierden und Leidenschaften, ach! die ihm doch alle so lieb sind. Man ehrt die Thraͤne des Helden, die er nach gewonnener Schlacht, auf dem Wahlplatz, uͤber seine Erschlagenen vergießt; und soll der Mensch nicht trauern um eine Leidenschaft, die er, wie ein liebliches Maͤdgen, den Verhaͤltnissen, der Barbarei unserer Einsichten, unserer Gesetze und Verfassungen opfern mußte? 85Dieser moralische Krieg ist so gut eine Geburt unserer Barberei wie jener, wo es Menschenleben gilt.

Werden wir alle einst so weit kommen, daß wir die Stimme der reinen Wahrheit zu hoͤren vermoͤgen, werden wir einmal die Kinderschuhe vertreten, jenes zaͤnkische eigensinnige grillenhafte Wesen fahren lassen, dann rotten wir uns nicht mehr zusammen, von der Betruͤgerei entflammt, um ein Land zu erobern, wo vor einigen Jahrhunderten ein außerordentlicher Mensch gelebt hatte, oder um Leute zu zwingen, daß sie kuͤnftig nicht mehr diesem, sondern gerade dem Menschen gehorchen, dessen Sklaven wir sind; und eben so wenig werden wir dann noͤthig haben uns gegen unsere Neigungen zu erklaͤren. Wir werden dann keine Helden mehr haben, verdammt in ewigem Widerspruch mit sich selbst zu leben, aber wir werden alle Menschen seyn, und uns daran genuͤgen.

Er. Aber wenn der Krieg, wie[ Sie] sagen Barbarei ist, wenn wir erst dann reine Menschen sind, wenn diese Barbarei aufhoͤrt, so ist es doch wohl indessen jedes biedern Mannes Pflicht dieser Vollkommenheit von seiner Seite entgegen zu kommen, von seiner Seite wenigstens keinen Krieg, das ist, keine gewaltsame Aufloͤsung sich widersprechender Prinzipien, zu veranlassen. Der Mann der folglich so handelt, daß der Grundsatz, worauf seine Handlungen gebauet sind, wenn er[ der Grundsatz] der ganzen Welt waͤre, alle Disharmonie aufhuͤbe, traͤgt86 das seinige zur Vervollkommnung der Menschheit bei, uͤbt, was wir nennen, Tugend.

Jch. (roch Kompendien-Geschwaͤtz, und waͤre bald aͤrgerlich geworden.) Da steckts ihm eben: wenn er der Grundsatz der ganzen Welt waͤre! Muͤssen wir uns die Menschen nicht immer in einer gewissen gesellschaftlichen Verbindung denken? diese beruht auf Gesetzen, wodurch man sich ihrer Dauer hat versichern wollen, man ist aber uͤbrigens unbekuͤmmert gewesen, wie sich der einzelne Mensch dabei stehe, ob die individuelle Natur des Menschen nicht gerade diesen Gesetzen widerspreche? Heißt das nicht von außen gegen den Feind sich verschanzen, und innen verhungern, oder sich unter einander aufreiben? So besteht denn unsere Tugend in Aufopferung unserer menschlichen Rechte, um der Dauer einer Gesellschaft willen, die uns fuͤr all das kaum Sicherheit gewaͤhrt. Daher kommts, daß wir in jedem Zeitalter fast eine andere Tugend antreffen. Jch spreche von der Tugend, wie sie unter dem Volke lebt, wie sie uns ihre Redner und Dichter geben, nicht von dem Gerippe,[ das] die Schulen von je her aufstellten, das todt ist an ihm selber, und hoͤchstens der Vollstaͤndigkeit wegen, und um des Kunstkenners willen da steht, wie das meiste in den Schulen. Die Tugend eines Homer eines Euripides heißt: Handele, und verdiene damit dem Leben seinen Reiz und sein frohes Gefuͤhl ab; die Tugend eines Klopstocks, eines Hermes, eines87 Addissen, heißt: entbehre, und schmachte nach einer bessern Zukunft!

Setzen Sie einen Menschen in die bestmoͤglichste Gesellschaft, das ist in die, wo die Dauer des Ganzen die wenigste Aufopferung des Einzelnen verlangt, und er wird tugendhaft seyn oder es giebt einen Teufel, der[ den] Menschen zum Boͤsen Lust macht, und eine Erbsuͤnde, und wer weiß was alle noch fuͤr unerklaͤrbare wunderliche Dinge.

Er. Jhre Philosophie kann nie die meinige werden, so wie[ Jhre] Unzufriedenheit nicht die meinige ist. Jch hatte nie starke Leidenschaften, nur Hang; und da ich fruͤh an Leiden und Entbehren gewoͤhnt ward, so bekam ich dadurch eine Biegsamkeit, die mich alle die Formen annehmen ließ, die mein Hang nothwendig machte, und so erreicht 'ich, unter bestaͤndiger Resignazion, meine Wuͤnsche. Was ich Jhnen daher etwa rathen moͤchte, wuͤrde aus meiner Eigenthuͤmlichkeit fließen, und kann in[ Jhren] Grundsaͤtzen freilich nichts aͤndern. Nur daran lassen Sie sich noch erinnern, daß diese Leidenschaften, deren Befriedigung Jhnen jetzt so unentbehrlich zu[ Jhrer] Gluͤckseeligkeit scheint, befriediget oder nicht, dereinst erkalten, daß Jhre Wuͤnsche dann eine ganz andere Richtung nehmen, daß Sie dann vielleicht, wenn stille buͤrgerliche Haͤuslichkeit und Familien-Gluͤck, Wiederaufleben in seinen Kindern, in guten Menschen, die man gluͤcklich gemacht hat, Jhr einziger wahrer Genuß des Lebens seyn wuͤrde, daß88 Sie dann doch vielleicht die Jahre wieder zuruͤckwuͤnschen, wo Sie sich all das bereiten konnten, und die eben Jhre gegenwaͤrtigen sind. Bedenken Sie dies, und wissen Sie, daß man Sie beobachtet, um Jhnen, im Fall Sie gewisse Forderungen erfuͤllen, wieder beizuspringen, und daß man aus Jhrem hiesigen Leben schon anfaͤngt zu hoffen.

Jch wollte reden, er verließ mich aber, und sagte nur noch: Sie verstehn mich, ich erwarte Sie bald wieder bei mir.

Ja, ich verstehe dich ehrliche Haut: aber mein Leben sei nun kuͤnftig, welches es wolle so sollt Jhr, die ihr meine Marie toͤdten konntet, wahrlich nie den Triumph haben mich meiner Besserung wegen zu belohnen. Elende Menschen! warum ließt ihr mir Sie nicht, um die ich alles alles gethan haͤtte? und ich sollte mich Euch zu gefallen bestreben, um euren Beifall, wie ein Schulknabe, aͤngstlich seyn? Jch habe nur Eine Empfindung fuͤr euch alle Rache! denn ihr habt mir alles gemordet, Sie und meine Empfindung fuͤr das Gute, und mein ganzes irrdisches Gedeihen.

O Marie! Maͤdchen des Himmels! warum trennten uns diese Rasende wohl?

Nein! kein schlechter Mensch bin ich, sonst wuͤrden die schlechten Menschen nicht so erbaͤrmlich vor mir dastehen.

89

War das deine Absicht, guter Bursche? Nein beim Himmel! mit dir und deines gleichen werd 'ich nie gemeine Sache machen. So ein jaͤmmerlicher furchtsamer Boͤsewicht! Aber, wollt' er nicht schon einmal ein Pasquill von mir gemacht haben? Jch begreife nicht, warum ich ihm das so hingehen ließ? Ueberhaupt muß das der Wiegand verrathen haben, daß ich Verse mache; die Leute, die mich hier kennen, machen ordentlich Praͤtensionen an meinen Witz. Als ich ihm das abschlug, kam er seltner zu mir, und vermied mich endlich ganz, und ich glaube nicht, daß ihn die Art, wie ich unsere Bekanntschaft erneuert habe, eben erbaut hat.

Aber warum traͤgt mir auch diese Handlung nicht die Frucht des Wohlgefallens? Freilich ist die Zeit nun voruͤber, auf welche Wiegand vorausbezahlt hatte, und ich brauche eine andere Wohnung. Freilich kann es seyn, ich sage, kann seyn, daß ich mich um die ganze Niedertraͤchtigkeit nicht bekuͤmmert haͤtte, wenn ich mich nicht gerade um eine andere Wohnung zu bekuͤmmern gehabt haͤtte. Aber auch dieses kann seyn mich um den Genuß einer Handlung zu bringen, die ich doch auch eben so wahrscheinlich vielleicht auch ohne Ruͤcksicht auf Vortheile gethan haͤtte! Freilich muͤßt 'ich nun den Vortheil ausschlagen. Aber was dann anfangen? Jsts nicht besser, ich nehme dies Zimmer an, als daß ichs vielleicht einem andern schuldig bleibe? Die -90 ser hat mirs doch schon umsonst angeboten, und ich betruͤg' ihn daher auf alle Faͤlle nicht. Genug ich werde einziehen, und just ihn suchen zu bezahlen. Vielleicht bringt mir mein alter treuer B.. in W.. ein Baͤndgen Gedichte an den Mann betrogen wird freilich immer, indessen kanns das muͤßige Publikum immer eher verschmerzen, das es ja nicht besser haben will, als er, der bei aller phlegmatischen Muthlosigkeit, doch eine ganz gute Art Mensch zu seyn scheint.

Was er nun wohl beginnen wird? Jn der That, ich wollte er wagte sich an mich, auf welche Art es waͤre, heimlich oder oͤffentlich, ich moͤchte einmal, um mir die Langeweile zu vertreiben, so eine kleine Hetze haben. Sah er nicht aus als wollt 'er das Fieber kriegen, als ich mit meiner uͤbermuͤthigsten Mine zu ihm in das Zimmer trat?

Jch. Herr Muͤller, es ist billig, daß ich[ Jhnen] einen Vorgang melde, worauf Sie und[ Jhre] Freunde, mit welchem Rechte und Nachdruck? werden Sie unter sich berichtiget haben, eine fuͤrchterliche Drohung gesetzt haben. Jch werde ein Zimmer in dem Erfaischen Haus beziehen.

Er. Das freut mich um der Nachbarschaft willen. Uebrigens muß ich bekennen, daß ich Sie nicht ganz verstehe.

Jch. So muß ich mich wohl erklaͤren. Herr Muͤller, ich fordere Sie und[ Jhre] Freunde auf,[ Jhre] Drohungen, womit Sie den ersten Miethmann91 des Herrn Steuerrath Erfa heimzusuchen sich verbunden haben, an mir wahr zu machen, denn in dreien Tagen wohn 'ich in seinem Hause.

Er. Wunderlicher Freund, ich verzeihe Jhnen zum voraus,[ Jhre] Hitze

Jch. O Herr, wir kennen uns, denk 'ich, was brauchts da der Ausfluͤchte? Ehe ich zu Jhnen gieng, wußt' ich, daß[ Jhre] Feigheit Seitenspruͤnge genug machen wuͤrde. Die Wahrheit zu gestehn will ich blos meinen Spaß mit Jhnen haben: Denn; warlich, daran dacht 'ich keinen Augenblick, daß Sie Ernst machen wuͤrden. Diese Art zu handeln waͤre, Jhre Feigheit abgerechnet, zu offen, zu deutsch fuͤr Sie, nicht in Jhrem Lieblingsgeschmack dem Jtalienischen.

Er. (Jndem er etwas hinunter zu schlucken scheint.) Wenn Sie deutlicher sprechen wollten, so wuͤrd 'ich wenigstens erfahren, was Sie zu allen diesen Beleidigungen veranlaßt?

Jch. Nun denn so hoͤren Sie Jhre eigene Geschichte. Sie hatten den ehrlichen Rath Erfa in Verdacht, als habe er[ Jhrem] zukuͤnftigen Schwiegervater die Augen uͤber das Ungluͤck, das seiner Tochter und seinem ganzem Hause durch[ Jhre] Verwandtschaft droht, oͤffnen wollen. So brav dies immer gewesen waͤre, so haͤtte das ganze phlegmatische Wesen dieses Mannes Sie an diesem Beweise eines freundschaftlichen Eifers sollen zweifeln lassen. Allein eine bloße nichtswuͤrdige Vermu -92 thung war Jhnen genug, und herzlich willkommen, weil Sie Jhnen doch immer Gelegenheit gab boshaft zu seyn. Nun geben Sie Acht: Zuerst griffen Sie[ Jhren] Feind mittelbar, aber um desto empfindlicher an. Sie suchten seine Tochter um das Kostbarste, was ein Maͤdgen in unsern Tagen hat, um ihren guten Ruf zu bringen. Herr von B.. der einen unwiderstehlichen Hang zu laͤppischen, und nach Befinden, schlechten Streichen hat, ließ sich mit leichter Muͤhe zu[ Jhrem] Werkzeug machen. Er bestach des Erfa Magd, und diese spielte ihm einige Briefe ihrer Mamsell in die Haͤnde, die am Ende doch weiter nichts aussagten, als daß sie mit einem jungen Manne in Briefwechsel stehe. Diese wurden nun in allen oͤffentlichen Haͤusern abgelesen. Eine Zeitlang amuͤsirte man sich damit, badinirte sich daruͤber, und endlich gaͤhnte man, und das Maͤdchen blieb wer sie war. Jetzt giengen Sie weiter. Herr von B .... der, wo moͤglich, gern den Liebesritter spielt, mußte an die Erfa schreiben, um eine geheime Zusammenkunft bitten, wo er gewisse Dinge von Wichtigkeit entdecken wolle. Um sie von der einen Seite sicher und von der andern unruhig zu machen; fuͤhrte sein Brief, fuͤr jenes, eine Menge moralisch-empfindsamer Sittenspruͤche im Munde, fuͤr dieses die Nachricht, daß boshafte Leute ihre Briefe in ... wollten in Druck geben. Die Erfa that, was jedes ehrliche Maͤdgen in dem Fall thun muß, sie zeigte den Brief ih -93 rer Mutter, und Herr v. B.. erhielt ein Abschlagsdekret. Nahm das Maͤdgen den heimlichen, und, wie weislich hinzugefuͤgt war, naͤchtlichen Besuch an, so war sie verlohren. Herr v. B.. steht in dem besten Rufe der noͤthigen Frechheit, um Gluͤck bei den Damen zu machen; den Tag darauf wuͤrde man in der ganzen Stadt gewußt haben, daß er eine Nacht bei der Erfa zugebracht habe, und mochte nur geschehen seyn was wollte, so glaubte die Welt das Aergste. Schade um den vortreflichen Plan, daß er an der Einfalt eines Maͤdgens scheiterte.

Er. Sind[ Sie] fertig?

Jch. Noch eine kurze Gedult. Zum Gluͤck fanden Sie selbst unter des Erfa Hausbewohnern einige junge Leute, die sich gegen ihn aufbringen ließen. Sie emanzipirten sich, es schlugen sich noch andere Wildfange zu ihnen, und kurz es kam zu jener[ foͤrmlichen] Revolte, woran auf die Letzt bald die Buͤrgerschaft, die den ehrlichen Erfa liebt, Theil genommen haͤtte. Das Haus stand nun leer, und Jhr Haß und[ Jhre] Verfolgung bedrohte den ersten, der es wieder bezieht, und, mit diesem Fluche behaftet, steht es wirklich noch leer.

Er. Und Sie wollen sich nun der bedraͤngten Unschuld annehmen?

Jch. Keinen Spott, wenn Sie gern in heiler Haut schlafen! Jetzt sagen Sie Jhrem Komplott: Jhren Anfuͤhrer haͤtt 'ich vor einen nichtswuͤrdigen94 Buben erklaͤrt. Dies ist ja wohl das Mittel,[ sie] gegen mich aufzubringen: oder haben sie diese Erfahrung schon selbst gemacht? Auf alle Faͤlle finden[ Sie] saͤmmtlich mich bereit[ Jhnen] uͤber alles Red' und Antwort zu geben, ich sei in dem Erfaischen Hause zu erfragen, wo ich kuͤnftig wohnen wuͤrde.

Er. (fast weinend) Recht gut Herr Weiler, die Gerechtigkeit wird mir gegen[ Jhre] Jnsulten Huͤlfe schaffen.

Jch. Elender Bursche! Hast Du denn so gar nichts von einem Manne, daß Du nicht einmal boͤs zu machen bist? Die Gerechtigkeit! Was muͤßte das fuͤr eine Gerechtigkeit seyn, die Dir nicht wenigstens den Pranger zuerkennte? Pasquillant!

Er. O das ist abgethan. Jch habs ihm selbst gestanden, und er hat mir verziehen.

Jch. Haben Sie ihm auch sonst alles gestanden? Auch den Plan, den Sie mit der .. auf sein Vermoͤgen Ehre und guten Nahmen gemacht haben? haben Sie ihm gestanden, daß Sie im Begriffe sind, seine Tochter zum beklagenswerthesten Geschoͤpf unter der Sonne zu machen? Jch bins muͤde Jhnen Jhre Raͤnke alle vorzuerzaͤhlen, aber Sie wissen, was ich dokumentiren kann. Wollen Sie sich noch mehr auf die Gerechtigkeit berufen?

Er. Mich duͤnkt Sie wurden, Jhrer guten Auffuͤhrung wegen, doch auch nicht von G.. weggeschickt. Ueberhaupt befremdet mich dieser Ton an Jhnen ungemein. Wir waren sonst so gute95 Freunde, und koͤnntens noch seyn, wenn Sie nur wollten. Wer weiß ob ich Jhnen nicht einmal nuͤtzlich seyn koͤnnte?

Jch. Warum nicht gar mein Goͤnner! Ha! ha! ha! Leben Sie wohl theuerster Goͤnner!

Und so gieng ich zur Thuͤr hinaus, und hoͤrt 'ihn auf der Treppe noch lachen, aber das Jnstrument klang doch ein wenig verstimmt.

Nun in dreien Tagen werd 'ich also eine neue Wirthschaft anfangen. Mein Zimmerchen ist klein aber bequem und luͤftig. Jch weiß nicht wie mir geschieht, aber ich freue mich recht darauf. Wenn mir Gott Ruhe schenkte, so wollt' ich einmal wieder lesen und schreiben Unser Vater! o Ruhe, Ruhe und Geistesstille! Ach! jetzt ist mirs einmal so, als koͤnnte mirs wohl seyn! Wie lange wird das dauern.

Evan! Evoe! Jo! [Bacche] Triumphe! credite Posteri! vidi Bacchum!

O ich kann kaum noch lallen! aber suͤß suͤß! suͤßer Wahn! Weg mit aller Wirklichkeit, und aller elenden gegenwaͤrtigen Beschraͤnktheit! Wein und Maͤdgen und Musik und Gesang und der Mensch ist ein seeliger Gott! Gesang! O ihr himmlischen Maͤchte! was hat sie in meinen Busen gesungen? Wonne? Schmerz? Nein! 96Nein! Nein! Sie in den Arm nehmen moͤcht 'ich, und mich aufschwingen ewig hoch! und dann o meine Wuͤnsche koͤnnen nicht sagen, was all ich moͤchte. Evan! Evoe! Ha ich hoͤr' ihn daher schallen durch den Forst den maͤchtigen Jubel! Kraft und Wollust und Rausch! Sie taumeln daher, sie stuͤrmen daher! Alluͤberschwenglich reißts mich hin! Jch muß, ich muß unter sie! Jch muß hier sterben, von ihren Thyrsusstaͤben hingemartert Ha suͤß, suͤß!

Nein, es ist nicht wahr! Nichts ist wahrhaftig geschehen. Mich hatte der Wein umnebelt, und meine Fantasie schwamm in seeligem Rosenlichte. Sie mein? Das hat sie nicht gesagt, aber fuͤhl 'ich ihre Kuͤsse nicht noch? durft' ich sie nicht fest an meine Brust druͤcken? Nannte sie mich nicht Du, und reichte mir den Becher auf Du und Du? Haͤtte mir denn Ein Tag alles alles wiedergegeben? Sie! O ihr himmlischen Maͤchte! wenn es nicht wahr waͤre, wenn ich sie wieder verloͤre, dann, ihr, die ihr so unbegreifliches Spiel mit mir treibt, mich bald hinab stoßt in die Hoͤlle der Verzweiflung, bald wieder mit himmlischem Aether meine Schlaͤfe kuͤhlt, dann ist es Wink von euch nicht zum Drittenmale das Leben anzufangen, dann muß ich fort! Sie! o waͤre es moͤglich? wollt ihr97 Sie mir geben? O so habt Dank fuͤr alle eure Quaalen! Lenker meines Schicksals! Hier lieg 'ich im Staube, und weine dir meines Herzens Anbetung und Dank. Schuͤtt' alle Erdennoth auf mich herab, laß jeden Schmerz mich durchfuͤhlen! Jmmer werd 'ich dich mit froher inniger Kinderliebe: Mein Vater, nennen. Lenker meines Schicksals! O laß mir Sie, Sie! Und wenn ich thoͤricht bitte, o so kommen alle Folgen dieser Thorheit uͤber mich! Jch habe ja die Verzweiflung in meinem Herzen herumgetragen, und kann nun alles alles tragen! Ach Sie! Sie! Hier strahlen alle meine Wuͤnsche in einen Gluͤhpunkt zusammen. Was ein Mensch thun kann, will ich thun um Sie. Hinweggeschwunden ist der Nebel, der schwer und giftig auf meinem Leben lag; meine Kraͤfte treiben wieder aufwaͤrts; heiter und sonnig liegt alles um mich her; Meine Pruͤfung ist aus, ich bin wieder ein gluͤcklicher, wonnefuͤhlender Mensch.

Und doch ist mirs immer, als muͤßt 'ich zweifeln. Mein verwoͤhntes Auge vermag den Strahl des Tages noch nicht zu ertragen, und doch ist es gewiß gewiß wahr! Wars nicht, als wenn die Natur und alle Menschen meine Wiederaufnahme mitfeierten? O ich muß mir alle Augenblicke, alle Raͤumchen dieses einzigen Wonnetages aufzeichnen. Nichts darf verlohren gehen, und wenn ich98 mich selbst verliere, so will ich mich hier einst wiederfinden.

(Die Fortsetzung folgt.)

VI. Ueber die Anmerkungen des Herrn17Maimonzu der Fortsetzung des Aufsatzes uͤber Taͤuschung und besonders vom Traume im 9ten Bande 2ten Stuͤck S. 2.

18

Mein Freund Herr20Salomon Maimonhat zur Fortsetzung meines Aufsatzes uͤber Taͤuschung und besonders vom Traume Anmerkungen[ hinzugefuͤgt], darinn er einige meiner Behauptungen zu widerlegen sucht.

Jch habe Ursache mit seiner Beurtheilung nicht zufrieden zu seyn, und werde hier weiter nichts thun, als daß ich mich bemuͤhen werde, meine von ihm bestrittene Behauptungen, seine Gegengruͤnde, und den Punkt, worauf es eigentlich ankommt, dem Leser vor Augen zu legen.

Zur Aufschrift meines Aufsatzes macht21H. M.folgende Anmerkung. » Dieser Aufsatz, der bei allem Mangel an Einheit des Prinzips sehr scharf -99 sinnige Bemerkungen enthaͤlt, verdient hier allerdings eine Stelle.

Jch habe durch einige beigefuͤgte Anmerkungen die Jdee des Verfassers zu berichtigen, und mit den meinigen gegen einander zu halten gesucht, wodurch der denkende Leser sie zu beurtheilen eher im Stande seyn wird. « Einheit des Prinzips was will22H. M.hiemit sagen? will er zu verstehen geben, daß es dem Leser schwer fallen wird, den Jdeengang meines ganzes Aufsatzes mit Einem Blicke zu uͤbersehn? *)*) Dieses ist zwar wahr, wie das Gewissen des V. ihm selbst zu sagen scheint; da aber ein jeder Leser es so gut einsehen kann als ich, so waͤre es von mir uͤberfluͤssig, ausdruͤcklich davon zu sprechen.24S. M. dieses kann ich unmoͤglich glauben.

Meint25H. M.aber, daß Widerspruͤche in meinen Behauptungen liegen, so haͤtte er sie in seinen Anmerkungen darstellen muͤssen. Allein der wahre Punkt scheint dieser zu seyn. 26H. M.klagt: » Der Verfasser hat nicht, wie ich es zu thun geneigt bin, die psychologische Erscheinung aus einem einzigen Prinzipium hergeleitet, **) «**) Unter Einheit des Prinzips verstehe ich nicht eben, daß die Erscheinungen auf ein einziges Prinzip zuruͤckgebracht werden sollen, sondern bloß die zu einer jeden Wissenschaft erforderliche Sparsamkeit der Prinzipien, so daß man kein unbekanntes Prinzip annehmen darf, so lange die Erscheinungen aus den schon bekannten Prinzipien sich erklaͤren lassen. So lange daher die psychologischen Erscheinungen sich aus dem Gesetz der Jdeenassociation (dem einzigen bekannten psychologischen Prinzip) erklaͤren lassen, haben wir kein Recht zur Erklaͤrung gewisser Erscheinungen andere Prinzipien außer demselben anzunehmen.28S. M. und ich bekenne mich zu dieser Suͤnde. Sie ist indeß schon von mehrern be -100 gangen worden, und mir ist kein Philosoph bekannt, der die Erfahrungsphilosophie in der That auf einen einzigen Grundsatz gegruͤndet haͤtte; ja selbst der Philosoph29Salomon Maimonmacht hierin keine Ausnahme. Bey aller Muͤhe, welche er sich giebt, alle psychologische Erscheinungen blos aus der Jdeenassociation herzuleiten, so nimmt er dennoch ganz stillschweigend auch andere Grundsaͤtze an, und was noch schlimmer ist, er beruft sich sogar, wie man in der Folge sehn wird, auf die Harmonie der Seele mit dem Koͤrper; *)*) Dieses ist dem sonstigen Scharfsinne des V. zuwider, indem er gegen mich dasjenige anfuͤhrt, was in der That fuͤr mich beweißt, wie sehr ich nehmlich die Regel der Sparsamkeit der Prinzipien uͤberall zu beobachten mich bemuͤhe. Die wolfisch-leibnitzische Philosophie nimmt (um gewisse psychologische Erscheinungen, die sich nach dem bekannten Gesetz der Association klarer Vorstellungen nicht erklaͤren lassen, dennoch erklaͤren zu koͤnnen) das Daseyn der dunklen Vorstellungen an. Jch hingegen leugne das Daseyn der dunklen Vorstellungen, indem Vorstellungen, wenn sie von bloßen koͤrperlichen Eindruͤcken unterschieden werden sollen, nichts anders als Modifikazionen des Bewustseyns, folglich Vorstellungen ohne Bewustseyn undenkbar sind. Da man also darauf nicht durch unmittelbare Wahrnehmung, sondern bloß durch einen Schluß gerathen ist, so suche ich diese Erscheinungen, die sonst darauf fuͤhren, aus dem bekannten Erfahrungssatze von der Verbindung der Seele und des Koͤrpers (einer jeden Vorstellung mit einer ihr korrespondirenden koͤrperlichen Veraͤnderung) so zu erklaͤren, daß man ihrer entbehren kann. (Siehe 9ten Bandes 3tes Stuͤck Seite 5-6.)31S. M. da man doch, wenn man erklaͤren will, sich hierauf gar nicht berufen sollte;101 denn man sagt mit einer solchen Erklaͤrung weiter nichts als: Dieses ist so, weil es die Harmonie zwischen Seele und Koͤrper so mit sich bringt, und da ihr von dieser nichts wisset, so koͤnnt ihr auch weiter keine Erklaͤrung verlangen. Es ist auch nicht einzusehn, warum gerade der Erfahrungspsychologie der Vorzug zukommen sollte, nur auf einen einzigen Grundsatz zu sehn, da alle andere Wissenschaften mehrerer beduͤrfen. Euklides hat sich nicht gescheuet, seiner Wissenschaft 12 Grundsaͤtze voranzuschicken, und in der angewandten Mathematik werden die Lehren des Euklides und noch andere vorausgesetzt, und noch Erfahrungssaͤtze hin -102 zugefuͤgt. Um z. B. eine Linie zu finden, welche entstehen muß, wenn ein Apfel von einem Baume geworfen wird, muß man 4 Grundsaͤtze annehmen: der Traͤgheit, vermoͤge welcher die Kraft des Seitenwurfs fortwirkt, der Schwere, des Widerstandes der Luft, und der Zusammensetzung der Kraͤfte, wovon wenigstens 3 Prinzipien aus der Erfahrung genommen sind. Eine Wissenschaft scheint eine Ausnahme zu machen; allein ist denn die Affinitaͤt ein Prinzip? laͤßt sich denn aus dem gegebenen Grade der Affinitaͤt zweier Koͤrper auf den Grad der Affinitaͤt schließen, den einer derselben mit allen uͤbrigen Koͤrpern hat? Ein Prinzip muß eine Regel enthalten, darnach man subsumiren kann; enthaͤlt es keine, so verdient es diesen Nahmen nicht. Wenn mir der Theist oder Fatalist eine Naturbegebenheit blos dadurch erklaͤren will, daß der Wille Gottes oder die Ordnung der Natur es erfoderte, so sehe ich wohl, daß eine dieser Behauptungen gegruͤndet seyn muß, aber ich sehe auch ein, daß mir keiner von beiden die vorgekommene Erscheinung aus einem Prinzip erklaͤrt hat, weil weder der Wille Gottes noch die Ordnung der Natur eine Regel enthalten, darnach ich irgend eine besondere Naturveraͤnderung subsumiren kann. 2) Giebt es noch so manche Luͤcke, welche offenbar mit der Affinitaͤt nicht auszufuͤllen ist.

Es ist allerdings vernunftmaͤßig keine entbehrliche Prinzipien anzunehmen; allein man muß103 auch keine Erklaͤrung erkuͤnstlen, sie mit Hypothesen beladen, und hineinweben was wider die Wahrscheinlichkeit ist. Eine Erklaͤrung welche nur ein einziges Prinzipium zur Grundlage hat, ist wahrscheinlicher als eine andere darinn mehrere angenommen werden; allein die Erklaͤrung muß nicht wiederum in einer andern Ruͤcksicht wider die Wahrscheinlichkeit suͤndigen.

Und daß ich es im Vorbeygehn bemerke: mir scheint32H. M.zu der Jdeenassociation zu viel Vorliebe zu haben. Wie wuͤrde er sonst die Entstehung der Erfahrungsprinzipien aus der Association erklaͤren wollen? ist denn die Jdeenassociation kein Erfahrungsprinzip? muß nicht auch dieses Gesetz gelaͤugnet werden, wenn die Erfahrung uͤberhaupt geleugnet wird? *)*) Jch weiß nicht was der V. vom Erklaͤren einer Erscheinung fuͤr einen Begriff haben mag. Eine Erscheinung erklaͤren, heist dieselbe einem bekannten Gesetze subsumiren. Dieses Gesetz mag a priori oder a posteriori seyn. So wird das Aufsteigen des Wassers in den Haarroͤhrchen; die Bildung der[ Tropfen;] Ebbe und Fluth und dergl. nach dem durch Jndukzion allgemein gemachten Erfahrungsgesetz der Attrakzion erklaͤrt. Ja die ganze Naturlehre enthaͤlt lauter Erklaͤrungen nach Gesetzen a posteriori, indem die Gesetze a priori allgemeine Bedingungen aller Erscheinungen uͤberhaupt, aber keine Erklaͤrungsgruͤnde besonderer Erscheinungen abgeben koͤnnen. Der Vorwurf des V. ist also ungegruͤndet.34S. M. Mit einem Worte: ist es moͤglich, irgend etwas, was in der Erfahrung vorkommt zu erklaͤren, wenn gar nichts vorhanden ist, das auch ohne alle Erfahrung angenommen werden muß? doch ich schreite zur Hauptsache.

Jn dem 8ten Bande 3ten Stuͤck S. 2. habe ich zwei Arten von Vorstellungen unterschieden 1) eine104 solche, von der uns bekannt ist, daß sie in uns nach dem Gesetze der Jdeenassociation entstanden ist, wir moͤgen die Mittelideen und die ganze Verbindung genau kennen, oder auch nur uͤberhaupt wissen, daß die Vorstellung die Folge der ihr vorhergegangenen in uns gewesen ist, als wenn wir z. B. uns auf etwas zu erinnern bemuͤhen, so sind wir uns nicht aller Vorstellungen bewußt, welche wir durchwandert haben; aber wir wissen uͤberhaupt, daß wir sie durchwandert haben, und daß die Erinnerung, wenn sie wirklich geschiehet, eine Folge aller vorhergegangenen gewesen, und nach dem Gesetze der Jdeenassociation in uns entstanden ist. Von einer Vorstellung dieser Art koͤnnen wir erst glauben, daß sie außer uns eine Wirklichkeit habe, sobald wir von einer Einbildung wissen, daß sie sich in uns entsponnen hat, so wissen wir auch, daß sie nur in und nicht außer uns eine Wirklichkeit hat. Hingegen giebt es 2tens Vorstellungen, welche sich mit einemmahle uns aufdringen, ohne daß wir eine Spur eines vorhergegangenen Jdeengangs bemerken, welcher uns darauf105 geleitet haben koͤnnte: als wenn z. B., indem ich dieses schreibe, ein Vogel vor meinen Augen vorbeistreicht, so glaube ich uͤberzeugt zu seyn, daß in allen meinen vorhergehabten Jdeen kein Faden anzutreffen sey, daran sich die Vorstellung des Vogels geknuͤpft haͤtte, und daß also durch sie der Gang meiner Jdeen unterbrochen worden ist. Von einer Vorstellung dieser Art muß ich glauben, daß sie nicht blos in mir, sondern auch außer mir eine Wirklichkeit habe; denn, da alle Vorstellungen, welche sich blos in mir entspinnen, an das Gesetz der Jdeenassociation gebunden sind, so kann eine ohne Association in mir erfolgte Vorstellung ihr Daseyn nicht blos in mir, sondern muß auch außer mir eine Basis haben. *)*) Auch die Vorstellungen, die nach dem Gesetz der Jdeenassociation der Koexistenz und Succession auf einander folgen, haben nothwendig einen Grund außer mir. Denn dieses Gesetz bestimmt nicht, welche Jdeen mit einander in Verbindung gebracht werden sollen, sondern diejenigen werden mit einander associirt, die in der Erfahrung wirklich mit einander verbunden sind.36S. M. Also ist die Unterbrechung der Jdeenreihen ein Kennzeichen einer aͤußern Wirklichkeit, und die Nichtunterbrechung derselben ein Kennzeichen, daß die Vorstellung ihr Daseyn blos in mir hat. **) [**)] Es ist dieses falsch, wie ich schon in meinen Anmerkungen zu diesem Aufsatze gezeigt habe.38S. M.

106

Hieraus folgt, daß wir auch getaͤuscht werden koͤnnen: wenn wir auf unsre Jdeen nicht ganz Acht haben, oder wenn wir uns gar in einem Zustande befinden, darinn das Bewußtseyn unsrer Jdeenfolge nicht vollkommen ist, wie z. B. im Traum und in widernatuͤrlichen Zustaͤnden; so koͤnnen wir glauben, daß eine Vorstellung nicht nach der Association entstanden sey, ohnerachtet sie sich in der That aus den Vorhergegangenen[ entwickelt] hat; wir wuͤrden ihr also eine aͤußere Wirklichkeit zuschreiben, welche sie nicht hat; das ist, wir wuͤrden getaͤuscht werden. *) *) Jch habe schon grade das Gegentheil davon gezeigt; daß wir nehmlich eben durch die Unterbrechung der Associationsreihe die Taͤuschung und den Traum als solche erkennen.40S. M.

Ob wir aber gleich selbst im Wachen und bey vollkommener Gesundheit nicht immer auf unsren Jdeengang genau Acht haben, so sind wir dennoch in diesem Zustande nicht leicht einer Taͤuschung ausgesetzt, weil wir darinn Merkmale haben, daran wir sie erkennen koͤnnen, und zwar 1) an dem Mangel an Lebhaftigkeit, welchen die Vorstellung hat: Die Einbildungskraft vermag z. B. in dem vorausgesetzten Zustande, dem Bilde der Sonne nicht die Lebhaftigkeit zu verleihen, welche es in der Natur hat; es versteht sich aber, daß in Zustaͤnden, darinn die Einbildungskraft außerordentlich wirksam ist, als in vielen widernatuͤrlichen und im Traume107 dieses Merkmal der Taͤuschung auch wegfallen muß. 2) erkennen wir die Taͤuschung an der Nichtuͤbereinstimmung mit dem Gesetze und der Ordnung der Natur; *)*) Aber was ist diese Nichtuͤbereinstimmung mit den Gesetzen der Natur anders als die Unterbrechung der in der besondern Erfahrung gegruͤndeten Associationsreihe? Daß der Marienthurm, der dem V. einfaͤllt, nicht in der Straße ist, wo er wohnt, ist wahrhaftig kein eigentlich so genanntes Naturgesetz. Der V. widerspricht sich hier selbst, und sieht sich gezwungen meiner Anmerkung beizupflichten, daß nehmlich Unterbrechung der in der Erfahrung gegruͤndeten Jdeenreihe weit entfernt ein Merkmal des Wachens abzugeben, vielmehr ein Merkmal des Traͤumens ist.42S. M. gesetzt auch, es fiele mir ploͤtzlich, ohne daß ich eine Jdeenassociation mit meinen vorigen Jdeen wahrnaͤhme, der Marienthurm ein, und meine Einbildungskraft mahlte sein Bild in mir so lebhaft als es der wirkliche Thurm in mir gewirkt hat; so wuͤrde ich selbst in diesem angenommenen Falle denn in der That findet er im Wachen und bei voͤlliger Gesundheit nicht statt wohl wissen, daß in mir eine Taͤuschung vorgehe, weil der Thurm in der Straße darinn ich wohne, gar nicht gesehn werden kann. Jn eben der Art erkennen wir bey dem Erwachen, daß alles, was uns im Traume vorgekommen ist, eine Taͤuschung war, weil die Erscheinungen, welche wir darinn gehabt haben, mit der Ordnung der Natur nicht bestehen.

108

Jch habe in einer Parenthesis bemerkt, daß der vorhin angenommene Fall in der That im Wachen und bei voͤlliger Gesundheit nicht statt hat, und dieses aus keinem geringern Grunde als weil Widerspruch darin liegt; denn wenn die Einbildungskraft so herrschend ist, als ich sie vorhin beschrieben habe, dann unterdruͤckt sie die hoͤheren Seelenkraͤfte, und wir sind entweder nicht bei vollkommener Geistesgesundheit, oder wir traͤumen; auch wuͤrden wir die Nichtuͤbereinstimmung nicht bemerken, weil zu einer solchen Bemerkung die hoͤhern Seelenkraͤfte ihre Funktionen ungestoͤrt verrichten muͤssen.

Aus allen diesem ziehe ich folgendes Resultat: in einem Zustande darinn unser Bewußtseyn unvollkommen, und unsre Einbildungskraft so außerordentlich herrschend ist, daß die Bilder, welche sie mahlt, und die Begebenheiten, welche sie schildert, von den Naturbildern und Naturbegebenheiten an dem Grade von Lebhaftigkeit und an Nachdruck nicht merklich unterschieden werden koͤnnen, muͤssen auch nothwendig Taͤuschungen statt haben; denn da unser Bewußtseyn unvollkommen ist, so muͤssen uns unsre Jdeenreihen oft unterbrochen scheinen, mithin muͤssen wir auch aͤußere Wirklichkeiten zu erblicken glauben; wovon wir, wegen der herrschenden Einbildungskraft, die Taͤuschung nicht erkennen koͤnnen.

Die Wolfianer setzen blos in die Uebereinstimmung mit Naturgesetz und Ordnung das Kennzeichen der Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit; allein109 meiner Meinung nach, kann dieses Kennzeichen weder das einzige noch das primitive seyn. Wenn wir im Traume Mond und Sterne ganz in der Ordnung wahrzunehmen glauben, wie sie in der Natur geordnet sind, und wir bemerken dann, daß sich alle diese Darstellungen in uns entsponnen haben, so wissen wir auch im Traume, daß wir traͤumen, ob wir gleich gar keine Unuͤbereinstimmungen wahrgenommen haben; und dieser Fall muß sich sogar in der Natur ereignen; denn es kommen in dieser Seelenkunde oft Faͤlle vor, daß man im Traume die Gewißheit daß man traͤumt: durch die Erinnerung herauszubringen gesucht hat. Man hat nehmlich sich auf die Jdeen erinnern wollen, welche auf die Vorstellungen, die man fuͤr eine aͤußere Wirklichkeit haͤlt, geleitet haben.

Es kann aber auch die Uebereinstimmung mit der Naturordnung nicht das primitive Kennzeichen der Wirklichkeit seyn, denn woher sollten wir Einheit und Bestaͤndigkeit der Natur abstrahiren? da die Einbildungskraft mit der Wirklichkeit im Streite ist, vereint was sie trennt, und trennt was diese[ vereint.] Allein in der That geht es so zu: alle unsre Vorstellungen stellen sich zufoͤrderst in zwei Klassen in uns dar, in stetig fortlaufende und unterbrochene Jdeenreihe, und dann bemerken wir in der Klasse der unterbrochnen Einheit, Ordnung und Gesetz. Wir haben also schon, ehe wir Naturgesetze erkannten, die wahre Natur von der eingebildeten unterschieden, mithin110 kann die Uebereinstimmung mit derselben das primitive Kennzeichen nicht seyn, daran wir die Wirklichkeit erkennen. Folgende Bemerkung scheint diese Behauptung zu bestaͤtigen: Kinder, welche seit ihrer Geburt oft herumgetragen worden, geben sehr fruͤhe zu erkennen, daß sie schon Begriffe erlangt haben, da man doch gerade das Gegentheil hiervon vermuthen sollte: die große Menge von Gegenstaͤnden, welche sie sehn, sollte sie hindern von irgend einem einen Begriff festzusetzen; wenn aber die erste Bildung, welche ein Kind erlangt, darinn besteht, daß es die Klasse der unterbrochenen Jdeenreihe von der Klasse der stetig fortlaufenden unterscheidet, so wird durch die bestaͤndige Abaͤnderung der empfangnen Eindruͤcke die Kenntniß der unterbrochenen Jdeenreihe, mithin die erste Bildung, befoͤrdert.

Wie dem auch sey, so hat das Resultat seine Richtigkeit, welches ich vorhin angezeigt, und in dem 9ten Bande 2ten Stuͤck Seite 10 folgendermaßen ausgedruͤckt habe: » Aus den Gruͤnden, welche bisher vorgetragen worden, kann nun folgendes hergeleitet werden: wenn die Einbildungskraft regiert, Bilder sehr lebhaft mahlt, Begebenheiten mit Nachdruck schildert, und also die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, dann ist sie, wenn das Bewußtseyn zugleich unvollkommen ist, auch taͤuschend, weil die Spur der vorhergegangenen Jdeenreihen, mithin das Kennzeichen der innern Erzeugung einer Vorstellung oft verloren geht, und die Ungereimtheiten111 wegen der Schwaͤche der Vernunft und des Verstandes nicht auffallen koͤnnen. «

Jch spreche hier im Allgemeinen und gar nicht vom Traume; meine eigentliche Erklaͤrung vom Traume geschiehet erst Seite 21. Nimmt man indessen aus der Erfahrung, daß im Traume die Einbildungskraft herrschend, und das Bewußtseyn unvollkommen ist, so erklaͤrt sich aus meinem genommenen Resultat die Taͤuschung in diesem Zustande, daß wir darin die Jdeen der Einbildungskraft fuͤr aͤußere Wirklichkeiten halten; Herr M. macht daher von diesem Resultat eine Anwendung auf den Traum, und antizipirt eine Anmerkung. Jch werde sie theilweise hersetzen, und uͤber jeden Theil meine Meinung sagen: » Aber warum ist die Einbildungskraft wegen ihrer Lebhaftigkeit taͤuschend? « Jch habe nicht gesagt, daß die Einbildungskraft allein, sondern in Verbindung mit einem unvollkommenen Bewußtseyn taͤuschend ist, und hiezu waren die Gruͤnde schon angegeben. wo sich taͤuschen heißt, dasjenige was nicht wirklich ist, fuͤr wirklich halten. Nun aber ist der Erklaͤrung des Verfassers zufolge die Unterbrechung der Jdeenreihe ein Kennzeichen der Wirklichkeit, so wie umgekehrt das Bewustseyn der Erzeugung der Jdeen aus einander nach dem Gesetze der Association ein Kennzeichen der Nichtwirklichkeit; im Traume aber da die Seele gaͤnzlich außer sich geraͤth, und sich blos mit den ihr vorschwebenden Bildern beschaͤftigt, urtheilt man112 so wenig von der Wirklichkeit als von der Nichtwirklichkeit dieser Bilder, ihre Folge in Ansehung des Subjekts ist immer eben dieselbe. «

43Herr Maimonsowohl als ich haben die Thatsache zu erklaͤren gesucht: warum man im Traume einen Gegenstand mit Augen zu sehn glaubt, der nicht vorhanden ist? Jch kann also nicht einsehn, wie44Herr M.diese Thatsache hier bezweiflen kann; wenn wir im Traume glauben einen Gegenstand zu sehn, so urtheilen wir uͤber dessen Wirklichkeit. *)*) Man urtheilt nur alsdann uͤber die Wirklichkeit wenn man sich eines Merkmals der Wirklichkeit bewust ist, welches im Traume nicht statt finden kann, weil das Traͤumen sonst unmoͤglich waͤre.46S. M. Es ist wahr, daß das Selbstbewußtseyn im Traume nur geringe ist; wir betrachten uns selbst nur selten als einen Gegenstand, und daher habe ich im 8ten Bande 3ten Stuͤck Seite 31 gesagt: » Das Jch ist in diesem Zustande nur[ schwebend «]; allein das hindert nicht, daß wir im Traume uͤber die Wirklichkeit eines aͤußern Gegenstandes urtheilen koͤnnten; wenn wir im Wachen ein solches Urtheil faͤllen, so betrachten wir uns in diesem Augenblicke nicht selbst in der Art als einen Gegenstand, daß wir ein Selbstbewußtseyn haben sollten, sondern der Ruͤckblick auf das Jch unterbleibt in diesem Augenblick ganz. Ueberhaupt setzt47H. M.in seinem Aufsatze uͤber Taͤuschung jederzeit die Einbildungs -113 kraft im Traume als blos uͤberspringend voraus, und es ist wahr, daß sie es manchmahl darinn ist, und daß wir alsdann uͤber die Wirklichkeit der Gegenstaͤnde gar nicht urtheilen; die Seele geraͤth, wie48H. M.unter dieser Bedingung richtig sagt, gaͤnzlich außer sich, und erkennt, wie ich noch hinzusetze nicht einmal einen Gegenstand; allein die Einbildungskraft ist zuweilen auch uͤberspringend und weilend, wie im Zorne, und zuweilen blos weilend, wie in der Traurigkeit. Jm Traume finden auch diese Zustaͤnde der Einbildungskraft oft statt; und nur alsdann erkennen wir im Traume einen Gegenstand; ja nur alsdann ist darin eine Taͤuschung moͤglich.

» Nach dem Aufwachen urtheilt man dieser Erklaͤrung zufolge, durch Erinnerung der Ununterbrechung der Jdeenreihe, daß sie blos subjektiv, nicht wirklich ist. « Wo habe ich dieses gesagt?

» Aber wo ist hier Taͤuschung? Hat man sie denn im Traume fuͤr objektiv gehalten? Das kann nicht seyn, da man in ihr (soll vermuthlich heißen in ihm) keine Unterbrechung, die nach dem Verfasser Merkmal der Objektivitaͤt ist, wahrgenommen hatte. «

Warum? Da das Bewußtseyn im Traum von unsrem Jdeengange sehr unvollkommen ist, so hat man diesen Jdeengang fuͤr unterbrochen gehalten, und daher geglaubt eine aͤußre Wirklichkeit wahrzunehmen.

» Meiner Erklaͤrung zufolge (im 9ten Bandes 1ten Stuͤck S. 2.) beruht das Urtheil von der Ob -114 jektivitaͤt der Jdeen auf dem Bewußtseyn der Selbstmacht, die Association der Jdeen zweckmaͤßig zu bestimmen. « Die Frage, welche ich (8n Bds. 3s Stuͤck S. 18.) aufgeworfen habe, ist diese: » da alle unsre Vorstellungen Beschaffenheiten unsres denkenden[ Wesens] sind, so fraͤgt es sich: woher kommt es, daß wir irgend etwas als ein Ding ansehn, welches außer uns wirklich, und so wenig von unsrer Vorstellung abhaͤngt, daß es noch fortdauern kann, wenn auch wir und unser denkendes Wesen und mit ihm alle unsre Vorstellungen zernichtet werden sollten? « und ich setze jetzt noch hinzu: mit einem Worte, warum sind wir nicht alle erklaͤrte Egoisten? es muß also irgend ein Prinzip vorhanden seyn, welches wenigstens Zweifel gegen den Egoismus erregt. Hat nun49H. M.diese Frage beantwortet? Kann die Selbstmacht eine Wirklichkeit beweisen, die außer uns und von unsrer Selbstmacht ganz unabhaͤngig ist?

Den uͤbrigen Theil seiner Anmerkung uͤbergehe ich; denn es ist meine Absicht nicht das zu widerlegen, was gar keinen Einfluß auf meine Behauptungen hat; ich werde daher zur Widerlegung der Einwuͤrfe schreiten, welche in den uͤbrigen Anmerkungen des50Herrn M.vorkommen.

Es ist vorhin schon ausgefuͤhrt worden, daß ein unvollkommenes Bewußtseyn und eine herrschende Einbildungskraft Taͤuschungen hervorbringen. Die Erfahrung lehrt, daß beide im Traume vorhanden sind; aber ich frage zufoͤrderst nach der Ursache der herrschenden Einbildungskraft in diesem Zustande. Meh -115 rentheils setzt man sie in den beinahe gaͤnzlichen Mangel der sinnlichen Empfindung. Die Einbildungskraft wirkt, dieser Erklaͤrung zufolge staͤrker, weil wir von den Vorstellungen, welche uns zustroͤhmen, nicht gestoͤrt werden. 51Herr M.tritt dieser Meinung auch bei; denn er sagt (im 9n Bandes 1n Stuͤck S. 71.) » Die Ursache des Traumes ist eine durch die Wirksamkeit der Sinne ununterbrochene Einbildungskraft, « ich mache aber in meiner Fortsetzung (im 9ten Bande 2ten Stuͤck S. 13.) folgenden Einwurf: » Allein es fraͤgt sich: warum erhalten nicht durch den Mangel an sinnlicher Empfindung auch die hoͤhern Seelenkraͤfte einen hoͤhern Schwung? warum sinken sie vielmehr so tief herab, daß wir im Traume alle die Ungereimtheiten im Ernste glauben, welche uns darin vorkommen? Warum verhaͤlt es sich nicht grade so, als wenn wir im Finstern saͤßen; denn nicht blos die Einbildungskraft, sondern auch die hoͤhern Seelenkraͤfte, leisten alsdann ihre Funktionen weit besser, so daß viele denkende Koͤpfe, und besonders viele Englaͤnder, sich ins Finstere setzen, oder den Eingang des Lichts bei hellem Tage verhindern, um eine Spekulation durchzudenken. «

Und nun werde ich Anfang und Ende von der Anmerkung anzeigen, welche52Herr M.zu dieser Stelle gemacht hat: » Diese Frage habe ich schon im gedachten Aufsatze (das ist im 9ten Bande 1ten Stuͤck S. 2. darinn seine vorangefuͤhrte Erklaͤrung vorkommt) auf folgende Art beantwortet, « und zu Ende dieser Anmerkung sagt53H. M.dem Leser im116 voraus: » Der Verfasser scheint, ob zwar mit Umschweif eben dasselbe zu sagen, « und ich antworte vorlaͤufig: diese Frage steht ganz zuverlaͤssig in dem bemerkten Aufsatze des54H. M.ganz und gar nicht; ja er kann, aus dem von mir angefuͤhrten Grunde, nicht einmahl an sie gedacht haben; und nun werde ich den ganzen uͤbrigen Theil seiner Anmerkung nach und nach anfuͤhren, und wo es noͤthig seyn wird, meine Meinung daruͤber sagen. 55H. M.glaubt also geantwortet zu haben: » Jm Schlafe verliert der Koͤrper seine zur Wirksamkeit der Seele, nach der bekannten Harmonie zwischen Seele und Koͤrper erforderliche Spannung. Jm Traume bekommt er zum Theil diese Spannung wieder. Die Einbildungskraft zeigt sich alsdann thaͤtig in Ansehung derjenigen Associationsart, die keine Selbstmacht der Seele erfordert, als der Aehnlichkeit, Konsistenz, (soll wohl Koexistenz heißen) und Sukzession, d.h. solcher, worinn die associirten Jdeen schon durch die aͤußern Objekte bestimmt werden, nicht aber in Ansehung der Associationsart der nothwendigen Dependenz, von Grund und Folge, die eine Selbstmacht der Urtheilskraft erfordert. « Hiergegen finde ich Folgendes zu erinnern: 1) Jst es nicht wahr, daß beim Traͤumen keine Art von Einbildungskraft vorkommt, welche eine Selbstmacht der Seele erfordert; es werden im Traume ganze zusammenhaͤngende Begebenheiten geschildert, und dies sollte keiner Selbstmacht noͤthig haben? Mir ist das unbegreiflich. Die Fantasie denn die117 Schilderung und Erdichtung der Begebenheiten gehoͤrt eigentlich zur Fantasie kann ohne Selbstmacht, ja sogar ohne Selbstmacht der Urtheilskraft nicht bestehn. Wenn man nicht von einer besondern Art des Traumes spricht, darin die Einbildungskraft blos uͤberspringend ist, so kann man vom Traume nicht sagen, daß gar keine hoͤhere Seelenkraͤfte darin wallten, und mithin keine Selbstmacht der Urtheilskraft darin vorhanden sey. Es fehlt in einem Traume, darin die Fantasie herrscht, nur an einer solchen Selbstmacht der Seele, welche von ihr nicht ausgeuͤbt wird, wenn sie nicht der Vorsatz in dem eigentlichen Sinne des Wortes veranlaßt; und daß ich es hier vorlaͤufig bemerke, wenn ein Traum lange fortgesetzt wird, so daß keine Ruͤckfaͤlle aus demselben in den tiefen Schlaf geschehen, dann findet sich auch der Vorsatz ein, und dann sind sogar Erfindungen moͤglich. Das war also meine erste Erinnerung, und nun zur zweyten: Die Frage war: warum sind im Traume die hoͤhern Seelenkraͤfte unterdruͤckt? oder mit andren Worten: warum werden die Kraͤfte unterdruͤckt, welche eine Willkuͤhr der Seele erfordern, und dem Zusammenhange der Dinge nach Grund und Folge nachspuͤren? Jch finde in der angefuͤhrten Anmerkung keine andre Antwort als: » Weil es die Harmonie zwischen Seele und Koͤrper so mit sich bringt; « und das haͤtte ich gesagt? ich haͤtte mich statt einer Erklaͤrung auf diese Harmonie berufen? 56H. M.faͤhrt fort: » Trift es sich aber zufaͤlligerweise, daß diese118 beiderley Associationsarten in ihren Wirkungen uͤbereinstimmen, alsdann wird nicht nur die Einbildungskraft sondern auch die hoͤhern Seelenkraͤfte in Wirksamkeit gesetzt, « aber warum? wenn die Einbildungskraft die Wirkung hervorbringt, welche sonst die hoͤhern Seelenkraͤfte hervorzubringen pflegen, so werden sie dadurch noch nicht in Wirksamkeit gesetzt; und ist nicht diese eben angenommene Harmonie eine Hypothese und noch dazu eine hoͤchst unwahrscheinliche Hypothese, die sich durch weiter nichts erklaͤren laͤßt, als daß sie ein Werk des Zufalles ist. » Man geraͤth alsdann wirklich auf neue Erfindungen in Wissenschaften, auf Aufloͤsung schwerer Probleme und dergleichen. « Dieser Fall ist, wie57H. M.bald darauf selbst erinnert, sehr selten; allein warum nimmt Herr Maimon einen Fall an, der sich auch im Wachen nur bei wenigen Menschen, und auch bei diesen aͤußerst selten ereignet? hingegen kommen die Faͤlle sehr haͤufig vor, daß man im Traume uͤber gewisse Gegenstaͤnde raisonnirt; das Raisonnement mag unrichtig seyn oder nicht, so beweist es entweder, daß die hoͤheren Seelenkraͤfte im Traume nur unterdruͤckt, aber nicht ganz außer Wirksamkeit gesetzt werden; oder man muß auch fuͤr diese aͤußerst haͤufig vorkommenden Faͤlle die hoͤchst unwahrscheinliche Hypothese des58H. M.annehmen. » Da aber der Fall sich sehr selten ereignet, daß z. B. die Associationsart der Konsistenz (Koexistenz) mit der Dependenz in den Objekten uͤbereinstimmt, so darf freilich niemand darauf Rechnung machen,119 und jeder thut am besten, wenn er seine Untersuchung huͤbsch wachend anstellt. « Wenn der Scherz hievon abgesondert wird, so bleibt im Ernste noch Folgendes uͤbrig: Die Uebereinstimmung der Einbildungskraft mit den hoͤhern Seelenkraͤften ist so unwahrscheinlich, daß sie sich im voraus nicht erwarten laͤßt; und hierin hat59H. M.allerdings Recht; denn wie sollte es wahrscheinlich seyn, daß zwey so entgegengesetzte Kraͤfte harmonische Wirkungen hervorbringen wuͤrden?

Jch werde nunmehr zu meiner Erklaͤrung schreiten; es ist nehmlich darzuthun, warum im Traume das Bewußtseyn unvollkommen, und die Einbildungskraft herrschend ist. Zufoͤrderst werde ich die Unvollkommenheit des Bewußtseyns hypothetisch annehmen, um daraus die Herrschaft der Einbildungskraft herzuleiten.

Es liegen der dogmatischen Vernunft zwey Hindernisse im Wege, welche von der Selbstmacht der Seele herkommen, 1) erregen die unsinnlichen Begriffe, als Zweck, Wesen u.s.w. Zweifel uͤber ihre Moͤglichkeit und Anwendbarkeit; die nehmlichen Bewegungsgruͤnde, welche die Vernunft bestimmen, ihre Selbstmacht zu der Verbindung der Begriffe zu bestimmen, bestimmen sie auch das Gehalt der Begriffe selbst zu pruͤfen, und sie wird alle Augenblicke in ihren Fortschritten gehindert. 2) Entspricht jedem sinnlichen Begriff eine Anschauung; die weilende Einbildungskraft verwandelt die Anschauung in ein Bild, da die Ausmahlung der Naturbilder sehr120 viele Anziehung fuͤr uns hat, und die Vernunft wird hierdurch ebenfalls in ihren Fortschritten gestoͤrt. Durch diese Hindernisse wird die Seele von ihren angestellten Untersuchungen ganz abgebracht; die weilende Einbildungskraft und die Selbstmacht, welche durch die vorigen Operationen rege wurden, verbinden sich mit einander und erzeugen die Fantasie; denn diese ist nichts anders als eine Einbildungskraft, welche weilend genug ist, um Bilder vollkommen auszumahlen, mit Selbstmacht vereint, um Fortschritte zu machen, und von einer Vernunft begleitet, welche keine Zweifel erregt, als solche, die dem Entwurfe der Einbildungskraft zu statten kommen. Diese vorerwaͤhnten Schwierigkeiten stehn der Erlernung einer neuen Wissenschaft, und der Fortsetzung einer Untersuchung entgegen, auch enthalten sie die Ursache, daß Schulknaben, nachdem sie lange studirt, eine Anwandlung von Fantasie in dem eben erklaͤrten Sinn bekommen, welche eine Zerstreuung noͤthig macht.

Bey Erlernung der reinen Mathematik sind jedoch diese Schwierigkeiten nicht vorhanden; denn in der Geometrie fallen Anschauungen und Begriffe ineinander; die Anschauungen unterstuͤtzen also noch die Vernunft, und die weilende Einbildungskraft hat gar keine Gelegenheit sie in Naturbilder zu verwandeln; noch hat die Geometrie Begriffe, welche Zweifel erregen. Jn der Arithmetik und gemeinen Algebra haben die Begriffe gar keine Anschauungen; die weilende Einbildungskraft kommt also auch in121 diesen Wissenschaften mit der Vernunft in gar keine Kollision, und die Begriffe derselben sind ebenfalls nicht dem mindesten Zweifel unterworfen. Man sagt daher mit Recht, daß nicht derjenige dumm sey, der die Metaphisik oder auch eine praktische Wissenschaft nicht zu fassen vermag, sondern derjenige, welcher die Faͤhigkeit nicht hat, die reine Mathematik zu erlernen; denn um diese zu erlernen braucht man keinen Hindernissen entgegen zu arbeiten, welche von den Seelenkraͤften selbst herkommen, und man muß also den Grad der Vernunft nicht haben, der zu ihrer Erlernung erfordert wird; das ist, man ist in Absicht dieser Wissenschaft dumm.

Jch habe gesagt in Absicht dieser Wissenschaft; denn ich will gar nicht behaupten, daß derjenige, dem es zu schwer wird, die Lehren der reinen Mathematik zu fassen, in keiner andern Wissenschaft fortkommen kann; denn die Mathematik erfordert einen[ Grad] der Vernunft, welchen wenige andere Wissenschaften erfordern; ich sage nur, daß der Fehler in dem Grad der Vernunft selbst liegen muß, wenn jemand die reine Mathematik nicht zu begreifen vermag.

Man siehet, daß der Beendigung einer Untersuchung, der Erlernung aller Wissenschaften große Schwierigkeiten entgegen stehen, und daß davon nur eine einzige ausgenommen ist, zu deren Erlernung aber ein großer Grad der Vernunft erfordert wird, und hiemit hat sich die vorhin angezeigte Frage: warum im Traume die Einbildungskraft walltet, und die hoͤhern unterdruͤckt sind, in eine ganz an -122 dere verwandelt, nehmlich: warum ist nicht auch im Wachen die Einbildungskraft herrschend und die hoͤheren Seelenkraͤfte unterdruͤckt, da selbst die Wirksamkeit der Vernunft die Einbildungskraft in Wirksamkeit setzt, und die angezeigten Operationen der hoͤhern Seelenkraͤfte hindert? Woher kommt es also, daß Untersuchungen durchgefuͤhrt, Wissenschaften erlernt, ja sogar erfunden werden koͤnnen?

Jch antworte: der Vorsatz vermag alles dieses; die Anspornung, das einmal Vorgenommene auszufuͤhren, und die Schwierigkeiten zu besiegen, welche sich der Ausfuͤhrung entgegenstellen, belebt die Macht welche wir haben, Jdeen zu schwaͤchen, zu staͤrken und zu leiten; der Vorsatz ist es also, welcher im Wachen der Vernunft aufhilft, die Einbildungskraft zu Gunsten der letztern unterdruͤckt, und die Zweifel, welche ihren Fortgang hindern, zuruͤckweist.

Jch kann mich nicht enthalten, hier wiederum im Vorbeygehn eine Anmerkung zu machen: man wundert sich uͤber die Entstehung der Selbsttaͤuschung, und scheint zu vergessen, daß sie von der Kraft herruͤhrt, welche wir haben, Zweifel zuruͤck zu weisen. Wenn wir also etwas erwaͤgen, dabei wir sehr interressirt sind, so sind wir in Gefahr die Gruͤnde abzuweisen, von denen wir merken, daß sie nicht zum Vortheil unsrer Selbstbefriedigung ausfallen werden, und die Gruͤnde zu erheben, welche sich mit ihr vertragen. Wer sich zu taͤuschen sucht, wiederhohlt die Gruͤnde, welche fuͤr seine Lieblingsmeinung sind unzaͤhligemahl, und hoͤrt nicht gerne die Gegen -123 gruͤnde vortragen. Daß man aber wirklich die Kraft hat, Zweifel zuruͤck zu weisen, beweisen unsre Erfahrungskenntnisse. Wuͤrden wir deren haben, wenn wir bei Anstellung der Erfahrung die Zweifel erwogen haͤtten, welche gegen die Erfahrungsschluͤsse statt finden? und muͤssen sie nicht einem jeden eingefallen, und bey Anstellung der Erfahrung und Gruͤndung aller Erfahrungslehren zuruͤckgewiesen worden seyn? Also das im Vorbeigehn und nun wiederum zur Sache.

Die Selbstmacht muß jederzeit einen Bestimmungsgrund in dem Begehrungsvermoͤgen haben, die Bestimmungsgruͤnde der Selbstmacht zur Fantasie sind aus dem bereits Vorgetragenen leicht abzunehmen, aber zur Selbstmacht welche zur Vernunft gehoͤrt? dazu kann nun kein andrer Bestimmungsgrund vorhanden seyn, als der Reitz, den es fuͤr uns hat, das Vorgenommene auszufuͤhren, und die Schwierigkeiten zu uͤberwinden; allein wir trotzen den Schwierigkeiten nicht, wenn wir nicht wenigstens vermuthen, daß wir sie uͤberwinden koͤnnen; hiezu wird aber wiederum erfordert, daß wir eine Kenntniß von unsrer Faͤhigkeit besitzen; dann machen wir uns selbst zum Gegenstand unsrer Betrachtungen und fragen: vermag ich das? Also setzt die Ausuͤbung des Vorsatzes auch ein Selbstbewußtseyn voraus; da nun ohne Ausuͤbung des Vorsatzes die Einbildungskraft herrschen muß, auch alsdann die reinere Vernunft im Gegensatz einer solchen, welche sich mit der Fantasie verbindet nicht wallten kann, so muß auch im Traume die Einbil -124 dungskraft herrschend und die reine Vernunft unterdruͤckt seyn, weil unser Bewußtseyn darin unvollkommen ist.

Es wird nun noch zu zeigen seyn, warum das Bewußtseyn im Traume unvollkommen ist. Das ist, warum wir im Traume nur selten uns als einen Gegenstand betrachten, und uns auch die Spuren unsres Jdeenganges oft verloren gehn; denn beyde Bestimmungen sind vom Traume angenommen worden.

Wenn wir uns als einen besondern Gegenstand betrachten, das ist, wenn wir ein Selbstbewußtseyn haben sollen, dann muͤssen wir Ruͤckblicke von unsren Vorstellungen auf die Quelle derselben werfen. Nun wird, wie Homer bemerkt hat, der Ruͤckblik von Folge auf Grund der Seele sehr schwer, es muͤssen daher dem Selbstbewußtseyn im Traume zwei Schwierigkeiten entgegen stehen, 1) die eben angegebene, 2) werden die mehresten Traumideen in einem Traume, darinn Taͤuschungen vorgehn in einem Traume, darinn die Einbildungskraft blos uͤberspringend ist, geht, wie mehreremale erinnert worden, gar keine Taͤuschung vor, weil darin kein Urtheil vorhanden ist es werden also die mehresten Traumideen durch eine Selbstmacht der Seele hervorgebracht, und die Seele ist demnach mit Hervorbringung derselben zu sehr beschaͤftigt, als daß sie einen Ruͤckblick auf sich selbst werfen koͤnnte, daher muß auch unser Selbstbewußtseyn im Traume nur geringe seyn. Hieraus folgt aber, daß uns auch die Spur unsrer Gedankenreihen oft verloren gehn muͤs -125 se; denn um sie zu kennen muͤssen wir von Zeit zu Zeit eine Revision uͤber unsre Gedankenreihe anstellen, wie das im Wachen wirklich geschiehet; dazu ist aber die Erinnerung erforderlich, welche wiederum ohne Selbstbewußtseyn nicht moͤglich ist. Jn dem Augenblick, in welchem wir uns auf etwas zu erinnern bemuͤht sind, muͤssen wir einen hohen Grad von Selbstbewußtseyn haben, wir betrachten uns als einen Gegenstand, und rechnen die Begriffe her, welche diesem Gegenstande zugekommen sind. Da nun das Selbstbewußtseyn im Traume nur selten da ist, so kann auch die Revision nur selten geschehen, und es muͤssen daher die Spuren des Jdeenganges oft verloren gehn.

Wenn aber ein Traum lange fortgesetzt wird, ohne daß Ruͤckfaͤlle in den tiefern Schlaf geschehen, so verbessert sich das Selbstbewußtseyn, und mit ihm alle Funktionen der Seele; denn die Seele beschaͤftigt sich alsdann mit den Bildern, welche sie schon vorher hervorgebracht hat, bringt weniger neue Bilder hervor, und verhaͤlt sich also in Absicht der ihr vorschwebenden Bilder mehr leidend als wirkend, und kann demnach weit eher ihre Thaͤtigkeit anwenden, um Ruͤckblicke auf sich selbst zu werfen, und ihr Selbstbewußtseyn zu verbessern.

Wenn uns aber Vorstellungen von aussen zustroͤhmen, dann verhalten wir uns nicht nur mehr leidend als wirkend, sondern auch der Ruͤckblick auf eine Ursache wird dadurch sehr erleichtert, welches ich in meinem Aufsatze aus der Erfahrung darzu thun suche.

126

Die Streitpunkte zwischen60Herrn Maimonund mir sind also folgende.

Nach mir ist die Unterbrechung und Nichtunterbrechung der Jdeenreihen ein Kennzeichen der aͤussern Wirklichkeit, oder Nichtwirklichkeit, welches61H. M.leugnet. Nach62Herrn M.ist die Selbstmacht, welche wir anwenden, eine Jdeenreihe fortzusetzen oder zu unterbrechen ein Kennzeichen der aͤussern Wirklichkeit, welches ich leugne. Nach63Herrn M.giebt es keine Selbstmacht im Traume; nach mir hingegen ist dieses nur von Traͤumen wahr, darinn die Einbildungskraft blos uͤberspringend ist, nicht aber in solchen, darinn die Einbildungskraft weilend ist, und darinn allein eine Taͤuschung vorgeht, denn in solchen Traͤumen ist auch Selbstmacht nach meiner Behauptung vorhanden.

Nach64H. M.urtheilen wir im Traume nicht uͤber die Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit der uns vorschwebenden Bilder, welches ich leugne, weil im Traume, darinn die Einbildungskraft weilend ist, allerdings ein solches Urtheil gefaͤllt wird.

Nach65H. M.kann man in der Psychologie alles aus einem einzigen Prinzip erklaͤren, welches ich leugne.

Die beiden letzten Anmerkungen des66H. M.betreffen die Transcendentalphilosophie und haben keinen Einfluß in diese Materie, daher ich sie nur beruͤhren werde.

S. 22. habe ich gesagt: » ob wir gleich eine Art von Erkenntniß unsres Jchs haben muͤssen, ehe wir gar eine Vorstellung haben koͤnnen, « es127 war meine Absicht gar nicht mich in die ernsten Spekulationen der Transcendentalphilosophie einzulassen, und ich sagte dieses nur im Vorbeygehn. 67Herr M.faͤngt seine Anmerkung folgendermaßen an: » Jch glaube schwerlich: Die Wahrnehmung des Jchs u.s.w. « Jch bemerke blos, daß ich von keiner Wahrnehmung, sondern von einer gewissen Art der Erkenntniß gesprochen. Es ist aber hier der Ort nicht ausfuͤhrlich hieruͤber zu seyn.

S. 24. faͤngt sich die Anmerkung des68H. M.folgendermaßen an: » So wenig die Vorstellungen, welche sich in uns erzeugen (welche bloße Formen der Erkenntniß sind u.s.w.) « Jch kann mich zu dem Kommentar, den69H. M.in Klammern eingeschlossen hat, nicht verstehn. Jch habe an Kantische Formen gar nicht gedacht, sondern unter dem Ausdrucke Vorstellungen, welche sich in uns erzeugen, vorzuͤglich die Bilder der Einbildungskraft verstanden; da ich in dem ganzen Aufsatze diesen Ausdruck in diesem Sinne genommen habe, kann ich nicht einsehn, worin70H. M.mit mir streitet. *) *) Jch habe hier nur diejenigen Stellen dieses Aufsatzes beruͤhrt, die hauptsaͤchlich mich betreffen. Was noch uͤber diesen Aufsatz anzumerken ist, soll in der Fortsetzung der Revision vorkommen.72S. M.

73Joseph Veit.

Jnhalt.

1

Seite.

  • 1. Revision der Erfahrungsseelenkunde. Von2Salomon Maimon.1.
  • 2. Sprache in psychologischer Ruͤcksicht. (Von3eben demselben.)11.
  • 3. Der freie Einsiedler mitten in der Welt, nach der Seelenerfahrungskunde. 17.
  • 4. Jntendirter Selbstmord aus Hypochondrie. (Aus gerichtlichen Akten[ gezogen. )]52.
  • 5. Fragment aus dem Tagebuche Weilers. 68.
  • 6. Uber die Anmerkungen des4Herrn Maimonzu der Fortsetzung des Aufsatzes uͤber Taͤuschung und besonders vom Traume im 9n Bande 2n Stuͤck S. 2. Von Hrn5Joseph Veit.98.

About this transcription

TextGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde
Author[unknown]
Extent130 images; 25626 tokens; 5867 types; 173218 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

Christof WingertszahnSheila DicksonUniversity of GlasgowGoethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-StiftungNote: Erstellung der Transkription nach DTA-RichtlinienNote: Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.2015-06-09T11:00:00Z Matthias BoenigDeutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu BerlinNote: Konvertierung nach DTA-Basisformat2015-06-09T11:00:00Z UB Uni-BielefeldNote: Bereitstellung der Bilddigitalisate2015-06-09T11:00:00Z CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationGnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde als ein Lesebuch für Gelehrte und Ungelehrte zehnten Bandes erstes Stück Karl Philipp Moritz, Carl Friedrich Pockels, Salomon Maimon (eds.) . MyliusBerlin1793.

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Psychologie; Wissenschaft; Psychologie; ready; dtae

Editorial statement

Editorial principles

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