PRIMS Full-text transcription (HTML)
Verſuch uͤber die wahre Art das Clavier zu ſpielen
mit Exempeln und achtzehn Probe-Stuͤcken in ſechs Sonaten erlaͤutert.
Erſter Theil. Zweyte Auflage.
Jn Verlegung des Auctoris.
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Berlin,1759. Gedruckt beyGeorge Ludewig Winter.
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Vorrede.

So viele Vorzuͤge das Clavier beſitzet, ſo vielen Schwuͤrigkeiten iſt daſſelbe zu glei - cher Zeit unterworfen. Die Vollkom - menheit deſſelben waͤre leichte daraus zu erweiſen, wenn es noͤthig waͤre, weil es diejenigen Eigenſchaf - ten, die andere Jnſtrumente nur eintzeln haben, in ſich vereinet; weil man eine vollſtaͤndige Harmonie, wozu ſonſt drey, vier und mehrere Jnſtrumente erfordert werden, darauf mit einmahl hervor brin - gen kan, und was dergleichen Vortheile mehr ſind. * 2WemVorrede. Wem iſt aber nicht zugleich bekannt, wie viele For - derungen an das Clavier gemachet werden; wie man ſich nicht begnuͤget, dasjenige von einem Clavierſpie - ler zu erwarten, was man von jedem Jnſtrumen - tiſten mit Recht fordern kan, nemlich die Fertigkeit, ein fuͤr ſein Jnſtrument geſetztes Stuͤck den Regeln des guten Vortrags gemaͤß, auszufuͤhren? Man verlanget noch uͤberdies, daß ein Clavierſpieler Fan - taſien von allerley Art machen ſoll; daß er einen aufgegebenen Satz nach den ſtrengſten Regeln der Harmonie und Melodie aus dem Stegereif durch - arbeiten, aus allen Toͤnen mit gleicher Leichtigkeit ſpielen, einen Ton in den andern im Augenblick ohne Fehler uͤberſetzen, alles ohne Unterſcheid vom Blatte weg ſpielen ſoll, es mag fuͤr ſein Jnſtrument eigentlich geſetzt ſeyn oder nicht; daß er die Wiſſen - ſchaft des Generalbaſſes in ſeiner voͤlligen Gewalt haben, ſelbigen mit Unterſcheid, oft mit Verlaͤug - nung, bald mit vielen, bald mit wenigen Stimmen, bald nach der Strenge der Harmonie, bald galant, bald nach einem zu wenig oder zu viel, bald gar nicht und bald ſehr falſch bezieferten Baſſe ſpielen ſoll; daß er dieſen Generalbaß manchmahl aus Par - tituren von vielen Linien, bey unbezieferten, oder ofte gar pauſirenden Baͤſſen, wenn nemlich einevonVorrede. von den andern Stimmen zum Grunde der Harmo - nie dienet, ziehen und dadurch die Zuſammenſtim - mung verſtaͤrcken ſoll, und wer weiß alle Forderun - gen mehr? Dieſem ſoll nun noch mehrentheils auf einem fremden Jnſtrumente Genuͤge geſchehen, und ſiehet man gar nicht darauf, ob ſolches gut oder ſchlecht, ob ſolches im gehoͤrigen Stande iſt, oder nicht, wobey oft keine Entſchuldigung gilt. Jm Gegentheile iſt dieſes die gewoͤhnlichſte Zumuthung, daß man Fantaſien verlangt, ohne ſich zu bekuͤm - mern, ob der Clavieriſt in dem Augenblicke dazu genungſam aufgeraͤumt iſt oder nicht, und ohne ihm die dazu gehoͤrige Diſpoſition, entweder durch Dar - bietung eines tuͤchtigen Jnſtruments zu verſchaffen, oder ihm ſelbige zu erhalten.

Dieſer Forderungen ungeachtet findet das Cla - vier allezeit mit Recht ſeine Liebhaber. Man laͤſſet ſich durch die Schwuͤrigkeit deſſelben nicht abſchre - cken, ein Jnſtrument zu erlernen, welches durch ſeine vorzuͤglichen Reitze die darauf gewandte Muͤhe und Zeit voͤllig erſetzet. Es iſt aber auch nicht je - der Liebhaber verbunden, alle dieſe Forderungen an daſſelbe zu erfuͤllen. Er nimmt ſo vielen Antheil daran, als er will, und ihm die von Natur erhal - tenen Gaben erlauben.

NurVorrede.

Nur waͤre es zu wuͤnſchen, daß die Unterwei - ſung auf dieſem Jnſtrumente hin und wieder etwas verbeſſert, und das wahre Gute, welches, wie uͤber - haupt in der Muſick, alſo beſonders auf dem Cla - viere noch bisher bey wenigen anzutreffen geweſen iſt, dadurch allgemeiner wuͤrde. Die vortreflichſten Meiſter in der Ausuͤbung, denen man etwas Gutes abhoͤren koͤnnte, ſind noch nicht in ſo groſſer An - zahl zu finden, als man ſich vielleicht einbilden duͤrfte. Das Abhoͤren, eine Art erlaubten Diebſtahls, aber iſt in der Muſick deſto[nothwendiger], da, wenn auch die Abgunſt unter den Menſchen nicht ſo groß waͤre, viele Sachen aufſtoſſen, die man kaum wei - ſen, geſchweige ſchreiben kan, und die man alſo vom bloſſen Hoͤren erlernen muß.

Wenn ich hiemit der Welt eine Anleitung zum Clavierſpielen uͤbergebe: So iſt meine Abſicht im geringſten nicht, die vorher angefuͤhrten Anforde - rungen an daſſelbe nach einander durchzugehen, und zu zeigen, wie man allen dieſen beſonders ein Gnuͤge leiſten ſoll. Es wird hier weder von der Art zu fantaſiren, noch von dem Generalbaſſe gehandelt werden. Man findet dieſes zum Theil in vielen gu - ten Buͤchern bereits vorlaͤngſt ausgefuͤhret. Jch bin hier Willens, die wahre Art zu zeigen, Hand -ſachenVorrede. ſachen mit Beyfall vernuͤnftiger Kenner zu ſpielen. Wer aber hierinnen das Seinige gethan hat, der hat ſchon ſehr vieles auf dem Claviere gethan, und wird derſelbe in den uͤbrigen Aufgaben deſſelben deſto bequemer fortzukommen, die Faͤhigkeit haben. Die Anforderungen, die man vor allen andern Jnſtru - menten vorzuͤglich an das Clavier machet, zeugen von der Vollkommenheit und dem weiten Umfange deſſelben, und aus der muſikaliſchen Geſchichte be - mercket man, daß diejenigen, denen es gelungen, ſich einen groſſen Nahmen in der muſikaliſchen Welt zu machen, dieſes Jnſtrument mehrentheils vorzuͤg - lich ausgeuͤbet haben.

Bey allem dieſen habe ich hauptſaͤchlich meine Abſicht zugleich auf diejenigen Lehrer gerichtet, wel - che ihre Schuͤler bishero nicht nach den wahren Grundſaͤtzen der Kunſt angefuͤhret haben. Liebha - ber, die durch falſche Vorſchriften verhudelt wor - den, koͤnnen ſich von ſelbſten nach meinen Lehrſaͤ - tzen zurechte helfen, wenn ſie ſchon viel Muſick ſon - ſten geſpielt haben; Anfaͤnger aber werden, vermit - telſt derſelben, mit beſondrer Leichtigkeit in kurtzer Zeit dahin kommen, wo ſie kaum geglaubt haͤtten.

Diejenigen irren ſich, welche ein weitlaͤuftiges Lehrgebaͤude von mir erwartet haben; ich habe mehrDanckVorrede. Danck zu verdienen geglaubt, wenn ich das ziemlich ſchwehre Clavier-Studium durch kurtze Lehrſaͤtze, ſo viel moͤglich, leichte und angenehm machte.

Jndem ich unterſchiedene Wahrheiten mehr als einmahl zu erwehnen genoͤthiget worden bin, theils wegen der Gelegenheit, welche ſolches erfordert hat, theils um das viele Nachſchlagen zu vermeiden, theils weil ich glaube, daß man gewiſſe Hauptſaͤtze nicht zu oft einſchaͤrfen kan: ſo hoffe ich dißfals eben ſo wohl bey meinen Leſern Vergebung zu erhalten, als deswegen, daß ſich vielleicht mancher durch die Wahrheit getroffen finden wird, ohne daß ich gleich - wohl die geringſte Abſicht einer perſoͤnlichen Belei - digung gehabt habe.

Sollte gegenwaͤrtiges Werck bey vernuͤnftigen Kennern einigen Beyfall finden: ſo wuͤrde ich da - durch angereitzet werden, daſſelbe mit der Zeit, ver - mittelſt einiger Beytraͤge, fortzuſetzen.

Einlei -
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Einleitung.

§. 1.

Zur wahren Art das Clavier zu ſpielen, gehoͤren haupt - ſaͤchlich drey Stuͤcke, welche ſo genau mit einander verbunden ſind, daß eines ohne das andere weder ſeyn kan, noch darf; nehmlich die rechte Finger-Setzung, die guten Manieren, und der gute Vortrag.

§. 2.

Da dieſe Stuͤcke nicht allzu bekant ſind, und folglich ſo oft dawider gefehlet worden: ſo hat man mehrentheils Clavier - Spieler gehoͤret, welche nach einer abſcheulichen Muͤhe endlich ge - lernet haben, verſtaͤndigen Zuhoͤrern, das Clavier durch ihr Spie - len eckelhaft zu machen. Man hat in ihrem Spielen das runde, deutliche und natuͤrliche vermißt; hingegen, an ſtatt deſſen lauter Gehacke, Poltern und Stolpern angetroffen. Jndem alle andere Jnſtrumente haben ſingen gelernet; ſo iſt bloß das Clavier hierin - nen zuruͤck geblieben, und hat, an ſtatt weniger unterhaltenen Noten, mit vielen bunten Figuren ſich abgeben muͤſſen, dergeſtaltAdaß2Einleitung. daß man ſchon angefangen hat zu glauben, es wuͤrde einem angſt, wenn man etwas langſames oder ſangbares auf dem Clavier ſpielen ſoll; man koͤnne weder einen Ton an den andern ziehen, noch einen Ton von dem andern durch einen Stoß abſondern; man muͤſſe dieſes Jnſtrument bloß als ein noͤthiges Uebel zur Begleitung dulden. So ungegruͤndet und widerſprechend dieſe Beſchuldigungen ſind, ſo gewiſſe Zeichen ſind ſie doch der ſchlechten Art, das Clavier zu ſpielen. Jch weiß nicht, da man ſolchergeſtalt das Clavier fuͤr unſre heutige Muſic ſo gar ungeſchickt haͤlt, und mancher dadurch abgeſchreckt werden kan, ſolches zu erlernen, ob nicht ſelbſt die Wiſſenſchaft, welche ſchon jetzo ziemlich rar zu werden anfaͤngt, nicht noch mehr fallen werde, indem ſie groͤſtentheils durch groſſe Clavier-Spieler auf uns gebracht worden iſt.

§. 3.

Auſſer den Fehlern wider oben angefuͤhrte drey Punckte, hat man den Scholaren eine falſche Haltung der Haͤnde gewie - ſen, wenigſtens hat man ihnen ſolche nicht abgewoͤhnt; dadurch iſt ihnen folgends alle Moͤglichkeit abgeſchnitten worden, etwas Gu - tes heraus zu bringen, und man hat von den ſteifen und am Drath gezogenen Fingern ſchon auf das uͤbrige ſchlieſſen koͤnnen.

§. 4.

Jeder Lehr-Meiſter bey nahe, dringt ſeinen Schuͤlern ſeine eigene Arbeiten auf, indem es heute zu Tage eine Schande zu ſeyn ſcheint, nichts ſelber ſetzen zu koͤnnen. Dahero werden den Lehrlingen, andere gute Clavier-Sachen, woraus ſie was ler - nen koͤnten, unter dem Vorwande, als ob ſie zu alt oder zu ſchwer waͤren, vorenthalten. Beſonders iſt man durch ein uͤbles Vor - urtheil wider die frantzoͤſiſchen Clavier-Sachen eingenommen, welche doch allezeit eine gute Schule fuͤr Clavier-Spieler geweſen ſind, indem dieſe Nation durch eine zuſammenhaͤngende und pro - pre Spiel Art ſich beſonders vor andern unterſchieden hat. Alle noͤthige Manieren ſind ausdruͤcklich dabey geſetzt, die linke Hand iſt nicht geſchont und an Bindungen fehlet es nicht. Dieſe abertra -3Einleitung. tragen zur Erlernung des wohl zuſammenhaͤngenden Vortrages das Hauptſaͤchlichſte bey. Der Lehr-Meiſter kan oft ſelbſt nicht mehr als ſein Machwerk ſpielen; ſeine verwoͤhnte und ungeſchickte Maſchine theilt ſeinen Gedancken das Steife mit; er kan nichts anders ſetzen, als was er bezwingen kan; mancher wird fuͤr einen guten Clavier-Spieler gehalten, ohngeacht er kaum weiß, wie die Bindungen geſpielt werden muͤſſen; folglich ſehen wir daher eine groſſe Menge elender Arbeiten fuͤr das Clavier und verdor - bener Schuͤler entſtehen.

§. 5.

Man martert im Anfange die Scholaren mit abge - ſchmackten Murkys und andern Gaſſen-Hauern, wobey die lincke Hand bloß zum Poltern gebraucht, und dadurch zu ihrem wah - ren Gebrauche auf immer untuͤchtig gemachet wird, ohngeacht ſie vorzuͤglich auf eine vernuͤnftige Art ſolte geuͤbt werden, indem es um ſo viel ſchwerer haͤlt, daß ſie mit der rechten, eine gleiche Geſchicklichkeit erlangen kan, je mehr dieſe bey allen uͤbrigen Handlungen ihre Dienſte thun muß.

§. 6.

Faͤngt endlich der Schuͤler durch Anhoͤrung guter Muſiken an, einen etwas feinern Geſchmack zu kriegen, ſo eckelt ihm vor ſeinen vorgeſchriebenen Stuͤcken, er glaubt alle Clavier - Sachen ſind von derſelben Art, folglich nimmt er ſeine Zuflucht beſonders zu Singe-Arien, welche, wenn ſie gut geſetzt ſind, und die Gelegenheit da iſt, ſolche von guten Meiſtern ſingen zu hoͤ - ren, zu Bildung eines guten Geſchmacks und zur Uebung des guten Vortrags geſchickt ſind, aber nicht zu Formirung der Finger.

§. 7.

Der Lehrmeiſter muß dieſen Arien Gewalt thun und ſie auf das Clavier ſetzen. Auſſer andern daraus entſtehenden Ungleichheiten leidet hier abermahls die linke Hand, indem ſolche mehrentheils mit faulen oder gar Trommel-Baͤſſen geſetzt ſind, welche zu ihrer Abſicht ſo ſeyn mußten, aber beym Clavierſpielen der lincken Hand mehr Schaden als Nutzen bringen.

A 2§. 8.4Einleitung.

§. 8.

Nach allen dieſem verliert der Clavier-Spieler dieſen beſondern Vortheil, welchen kein anderer Muſikus hat, mit Leich - tigkeit im Tacte feſte zu werden, und deſſen kleinſte Theilgen auf das genaueſte zu beſtimmen, indem in eigentlichen Clavier-Sa - chen ſo viele Ruͤckungen, kleine Pauſen und kurtze Nachſchlaͤge vorkommen, als in keinen andern Compoſitionen. Auf unſerm Jnſtrumente fallen dieſe ſonſt ſchwere Tact-Theilgen zu erlernen beſonders leichte, weil eine Hand der andern zu Huͤlfe kommt; folglich entſteht hieraus unvermerckt eine Feſtigkeit im Tacte.

§. 9.

An ſtatt dieſer kriegt der Schuͤler durch oben ange - fuͤhrte Baͤſſe eine ſteife lincke Hand, indem kaum zu glauben ſteht, was das geſchwinde Anſchlagen eines Tons ohne Abwech - ſelung der Finger, den Haͤnden fuͤr Schaden thut. Mancher hat es ſchon mit ſeinem Nachtheil durch ein vieljaͤhriges fleißiges General-Baßſpielen, erfahren, als bey welchem oft beyde Haͤnde, beſonders aber die lincke, ſolche geſchwinde Noten durch beſtaͤndige Verdoppelung des Grund-Tones vorzutragen haben. (*)Jch habe fuͤr noͤthig gefunden denen zu Gefallen, welchen das Amt den General-Baß zu ſpielen aufgetragen iſt, meine Gedancken uͤber die Art geſchwinde Noten auf einem Tone mit der lincken Hand abzufertigen, bey dieſer Gelegenheit zu eroͤfnen. Es iſt dieſes ſonſt die ſicherſte Gelegenheit, wodurch die beſten Haͤnde verdorben und ſteif werden koͤnnen, indem dergleichen Noten bey unſerer jetzigen Setz-Art ſehr gewoͤhnlich ſind. Es koͤnnen ferner diejenigen durch dieſe Anmerckung ſich rechtfertigen, von welchen ausdruͤcklich verlangt wird, alle Noten mit der lincken Hand auszudruͤcken. Da das Durchgehen der Noten im General-Baſſe uͤberhaupt bekannt genug iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß die rechte Hand, in dieſem Falle ebenfalls nicht alle Noten anſchlaͤgt. Die geſchwinden Noten auf einem Tone, von deren Schaͤdlichkeit ich ſpreche, ſind die Acht-Theile in geſchwinder Zeit-Maaſſe, und in gemaͤßigter die Sechszehn-Theile. Jch ſetze ferner zum voraus, daß auſ - ſer dem Claviere noch ein anderes Jnſtrument den Baß mitſpielt. Jſt das Cla - vier alleine, ſo ſpielt man ſolche Noten, wie die Schwaͤrmer, mit abgewechſelten Fingern. Es wird zwar auf dieſe Art, durch Hinweglaſſung der Octave, der Baß nicht allezeit durchdringend genug ſeyn, man muß aber dieſe kleine Unvollkommen - heit andern groͤſſern Uebeln vorziehen. Man thut alſo am beſten, man laͤßt von ſolchen Noten nach Beſchaffenheit der Zeit-Maaſſe und der Tact-Art, eine, drey,oder

§. 10.5Einleitung.

§. 10.

Bey dieſer Steife der linken Hand, ſucht der Mei - ſter es bey der rechten wieder einzubringen, indem er ſeine Schuͤ - ler beſonders die Adagio und ruͤhrendeſten Stellen, dem guten Geſchmack zu noch mehrerem Eckel, aufs reichlichſte mit lieblichenA 3Tril -(*)oder fuͤnfe ohne Anſchlag durchgehen, und die anzuſchlagenden ſpielt man mit der Octave auch wohl bey fortiſſimo mit beyden vollen Haͤnden, mit ſchweren An - ſchlaͤgen, etwas unterhalten, damit die Sayten genugſam zittern koͤnnen, und ein Ton ſich mit dem andern wohl vereinige. Man kan allenfalls, um die Mitbeglei - tenden nicht zu verwirren, den erſten Tact, wie er geſchrieben ſtehet, ſpielen, und nachhero die Noten durchgehen laſſen. Sonſten haͤtte man, wenn ja jede Note auf dem Fluͤgel ſolte und muͤſte gehoͤret werden, noch dieſes Mittel uͤbrig, daß man in dieſem Falle durch einen mit beyden Haͤnden abwechſelnden Anſchlag die vorgeſchriebene Bewegung hervor braͤchte; doch habe ich aus der Erfahrung, daß dieſe Art zu begleiten fuͤr die Mitſpielenden etwas verfuͤhreriſch iſt, weil die rechte Hand beſtaͤndig zu ſpaͤt kommt, und dieſes hat mich in meiner Meynung be - ſtaͤrckt, daß das Clavier allezeit das Augenmerck des Tactes ſeyn und bleiben wird. So wenig unrecht, ja ſo nuͤtzlich die Art von Begleitung in gewiſſen Faͤllen iſt, wenn bey haltenden Noten, welche alle Stimmen haben, das Clavier die Tact - Theile durch den Anſchlag deutlich hoͤren laͤſſet; ſo leichte kan man das Noͤthige und Nuͤtzliche ſo wohl aus dem Durchgehenlaſſen, als das Schaͤdliche und Unmoͤg - liche aus dem Ausdrucke aller Noten erweiſen. Dieſes letztere iſt ſchaͤdlich; andere Jnſtrumentiſten koͤnnen dieſe Art Noten mit der Zunge und dem Gelencke heraus bringen; der Claviriſt allein muß mit dem gantzen ſteifen Arme dieſes Zittern her - vorbringen, wenn er wegen Verdoppelung der Octave mit den Fingern nicht ab - wechſeln kan. Hierdurch wird die lincke Hand aus doppelter Urſache ſteif, und folglich unvermoͤgend Paſſagien rund heraus zu bringen, erſtlich, weil alle Nerven in einer beſtaͤndigen Steife erhalten werden, zweytens, weil die uͤbrigen Finger nichts zu thun haben. Man verſuche es, und ſpiele einen mit Paſſagien verſehe - nen Baß, nachdem man ſich vorhero an Trommel-Baͤſſen muͤde gepauckt hat, man wird mercken, daß die linke Hand und der gantze Arm in einer ſolchen Muͤ - digkeit,[Dehnung] und Steife ſich befinden wird, daß man in der Folge unbrauch - bar iſt. Solchergeſtalt iſt dieſes Tockiren auch nicht moͤglich, indem man heut zu Tage ſehr viel ſolche Baͤſſe zu ſehen kriegt, von denen manchmahl kaum einer wegen ſeiner Laͤnge durchzudauren iſt. Bey allen Arten von Muſic ruhen biswei - len die andern Muſici, nur allein das Clavier iſt meiſtentheils ohne Abloͤſung bisweilen drey, vier und noch mehrere Stunden durch in beſtaͤndiger Arbeit. Ge - ſetzt man waͤre dieſer Arbeit gewachſen; ſo wuͤrde, auch der feſteſte Muſicus, durch eine gantz natuͤrlich erfolgende Muͤdigkeit ſchlaͤfrig und unvermerckt im Tacte ſchleppend werden. Er wird hierdurch aus dem Vermoͤgen und der Luſt geſetztan -6Einleitung. Trillerchen verbraͤmen lehret; oft wird mit alten Schulmeiſter - Manieren, oft mit herausgeſtolperten und zur Unzeit angebrach - ten Laufern, wobey die Finger zuweilen den Koller zu kriegen ſcheinen, abgewechſelt.

§. 11.

(*)andere ruͤhrende Gedancken richtig vorzutragen, weil er durch die Trommel-Baͤſſe, welche oft ohne beſondern | Ausdruck ſind, und wobey ſich nichts dencken laͤſſet, muͤde und verdruͤßlich worden iſt. Dieſes ſchaͤdliche Tockiren iſt ferner wider die Natur der Fluͤgel ſo wohl, als der piano forte, beyde Jnſtrumente verliehren hier - durch ihren natuͤrlichen Ton, und die Deutlichkeit; der Tangente von den Fluͤgeln ſpricht ſelten geſchwinde genug an. Die Frantzoſen, welche die Natur des Claviers ſehr gut wiſſen, und welchen wohl bekannt iſt, daß man auf ſelbigem etwas meh - reres als ein blos Geklimper hervor bringen kan, pflegen zu dem Ende noch jetzo in ihren General-Baͤſſen bey ſolchen Arten von Noten den Clavieriſten beſonders anzudeuten, daß er ſolche nicht alle anſchlagen darf. Auſſer dem kommt man durch langſame ſchwere, Anſchlaͤge, dem in vielen Baͤſſen durch Puncte oder Striche uͤber die erſte Noth einer Figur angedeuteten Ausdrucke zu Huͤlffe. Es koͤnnen ein Haufen Faͤlle vorkommen, wobey ein deutlicher und in beyden Haͤnden gleicher Anſchlag nicht nur nuͤtzlich, ſondern auch hoͤchſt nothwendig iſt. Das Clavier, welchem unſere Vorfahren ſchon die Anfuͤhrung anvertrauten, iſt ſolchergeſtalt am beſten im Stande, nicht allein die uͤbrigen Baͤſſe ſondern auch die ganze Mu - ſick in der noͤthigen Gleichheit vom Tacte zu erhalten; dieſe Gleichheit kan auch dem beſten Muſico, ob er ſchon uͤbrigens ſein Feuer in ſeiner Gewalt hat, im andern Falle durch die Ermuͤdung ſchwer werden. Da dieſes nun bey einem ge - ſchehen kan; ſo iſt dieſe Vorſicht, wenn viele zuſammen muſiciren, um ſo viel noͤthiger, jemehr hierdurch das Tact-Schlagen, welches heut zu Tage blos bey weitlaͤuftigen Muſicken gebraͤuchlich iſt, vollkommen erſetzet wird. Der Ton des Fluͤgels, welcher gantz recht von den Mitmuſicirenden umgeben ſtehet, faͤllt allen deutlich ins Gehoͤr. Dahero weiß ich, daß ſogar zerſtreuete und weitlaͤuftige Muſi - cken, bey welchen oft viele freywillige und mittelmaͤßige Muſici ſich befunden ha - ben, blos durch den Ton des Fluͤgels in Ordnung erhalten worden ſind. Steht der erſte Violiniſt folgends, wie es ſich gehoͤrt, nahe am Fluͤgel; ſo kan nicht leicht eine Unordnung einreiſſen. Bey Singe-Arien, worinnen das Zeit-Maas ſich ſchleunig veraͤndert, oder worinnen alle Stimmen gleich laͤrmen, und die Singe - Stimme allein lange Noten oder Triolen hat, welche wegen der Eintheilung einen deutlichen Tact-Schlag erfordern, haben die Saͤnger auf dieſe Art eine groſſe Er - leichterung. Dem Baſſe wird es ohnedem am leichteſten, die Gleichheit des Tac - tes zu erhalten, je weniger er gemeiniglich mit ſchweren und bunten Paſſagien beſchaͤftiget iſt, und je oͤfter dieſer Umſtand oft Gelegenheit giebt, daß man ein Stuͤck feuriger anfaͤngt als beſchlieſſet. Will jemand anfangen zu eylen oder zu ſchleppen, ſo kan er durchs Clavier am deutlichſten zu rechte gebracht werden,in -

7Einleitung.

§. 11.

Bevor wir dieſen Fehlern durch gegruͤndete Vor - ſchriften abzuhelfen ſuchen, muͤſſen wir noch etwas von dem Jn - ſtrumente ſagen. Man hat auſſer vielen Arten der Claviere, welche theils wegen ihrer Maͤngel unbekant geblieben, theils noch nicht uͤberall eingefuͤhrt ſind, hauptſaͤchlich zwey Arten, nemlich die Fluͤgel und Clavicorde, welche bis hieher den meiſten Beyfall erhalten haben. Jene braucht man insgemein zu ſtarcken Muſicken, dieſe zum allein ſpielen. Die neuern Forte piano, wenn ſie dau - erhaft und gut gearbeitet ſind, haben viele Vorzuͤge, ohngeachtet ihre Tractirung beſonders und nicht ohne Schwierigkeit ausſtu - diret werden muß. Sie thun gut beym allein ſpielen und bey einer nicht gar zu ſtarck beſetzten Muſic, ich glaube aber doch, daß ein gutes Clavicord, ausgenommen daß es einen ſchwaͤchern Ton hat, alle Schoͤnheiten mit jenem gemein und uͤberdem noch die Bebung und das Tragen der Toͤne voraus hat, weil ich nach dem Anſchlage noch jeder Note einen Druck geben kan. Das Clavicord iſt alſo das Jnſtrument, worauf man einen Clavieriſten aufs genaueſte zu beurtheilen faͤhig iſt.

§. 12.

Zur Eigenſchaft eines guten Clavicords gehoͤrt: daß es auſſer einem guten nachſingenden ſchmeichelnden Ton die gehoͤ - rige Anzahl Taſten habe, welche ſich wenigſtens von dem groſſen C bis ins〈…〉〈…〉 erſtrecken muß. Dieſes〈…〉〈…〉 iſt deswegen noͤthig, damit man manchesmal andere Sachen darauf probiren koͤnne, indem die Componiſten gern ſo hoch ſetzen, weil andere Jnſtru -men -(*)indem die andern wegen vieler Paſſagien oder Ruͤckungen mit ſich ſelbſt genug beſchaͤftiget ſind; beſonders haben die Stimmen, welche Tempo rubato haben, hier - durch den noͤthigen, nachdruͤcklichen Vorſchlag des Tacts. Endlich kan auf dieſe Art, weil man durch das zu viele Geraͤuſche des Fluͤgels an der genaueſten Wahr - nehmung nicht verhindert wird, ſehr leicht das Zeit-Maas, wie es oft noͤthig iſt, um etwas weniges geaͤndert werden, und die hinter, oder neben dem Fluͤgel ſich befindenden Muſici haben einen in beyden Haͤnden gleichen, durchdringenden und folglich den mercklichſten Schlag des Tacts vor Augen.8Einleitung. mente dieſes noch ſo ziemlich bequem haben koͤnnen. Dieſe Taſten muͤſſen ein richtiges Gewichte in ſich haben, welches den Finger wieder in die Hoͤhe hebt. Der Bezug muß vertragen koͤnnen, daß man es ſowol ziemlich angreifen als ſchmeicheln kan, und dadurch in den Stand geſetzet wird, alle Arten des forte und piano reine und deutlich heraus zu bringen. Vertraͤget es dieſes nicht, ſo werden in einem Falle die Sayten uͤberſchrieen und der Spieler kan ſeine Staͤrcke nicht brauchen; im andern Falle wird es entweder gar nicht oder unrein und undeutlich anſprechen.

§. 13.

Ein guter Fluͤgel muß ebenfalls auſſer dem guten Ton und den gehoͤrigen Taſten eine gleiche Befiederung haben; die Probe hiervon iſt, wenn man die kleinen Manieren nett und leicht heraus bringen kan, und wenn jeder Taſte gleich geſchwinde anſpricht, nachdem man durch[einen] gleichen und geringen Druck mit dem Nagel vom Daumen ihre Reihe uͤberſtrichen hat. Die Tractirung eines Fluͤgels muß nicht zu leichte und laͤppiſch ſeyn; die Taſten muͤſſen nicht zu tief fallen, die Finger einigen Wi - derſtand haben und von dem Tangenten wieder aufgehoben wer - den. Hingegen muß er aber auch nicht zu ſchwer niederzudruͤ - cken ſeyn. Denen zu Gefallen, welche noch keine Jnſtrumente von dieſer vorgeſchriebenen Weite beſitzen, habe ich meine Probe - Stuͤcke ſo eingerichtet, daß ſie auf einem Jnſtrumente von vier Octaven koͤnnen geſpielet werden.

§. 14[. ]

Beyde Arten von Jnſtrumenten muͤſſen gut tem - perirt ſeyn, indem man durch die Stimmung der Quinten, Quar - ten, Probirung der kleinen und groſſen Tertien und gantzer Ac - corde, den meiſten Quinten beſonders ſo viel von ihrer groͤßten Reinigkeit abnimmt, daß es das Gehoͤr kaum mercket und man alle vier und zwantzig Ton-Arten gut brauchen kan. DurchPro -9Einleitung. Probirung der Quarten hat man den Vortheil, daß man die noͤthige Schwebung der Quinten deutlicher hoͤren kan, weil die Quarten ihrem Grund-Tone naͤher liegen als die Quinten. Sind die Claviere ſo geſtimmt, ſo kan man ſie wegen der Ausuͤbung mit Recht fuͤr die reinſte Jnſtrumente unter allen ausgeben, indem zwar einige reiner geſtimmt aber nicht geſpielet werden. Auf dem Claviere ſpielet man aus allen vier und zwantzig Ton - Arten gleich rein und welches wohl zu mercken vollſtimmig, ohn - geachtet die Harmonie wegen der Verhaͤltniſſe die geringſte Un - reinigkeit ſogleich entdecket. Durch dieſe neue Art zu temperiren ſind wir weiter gekommen als vor dem, obſchon die alte Tempe - ratur ſo beſchaffen war, daß einige Ton-Arten reiner waren als man noch jetzo bey vielen Jnſtrumenten antrift. Bey man - chem andern Muſico wuͤrde man vielleicht die Unreinigkeit eher vermercken, ohne einen Klang-Meſſer dabey noͤthig zu haben, wenn man die hervorgebrachten melodiſchen Toͤne harmoniſch hoͤ - ren ſolte. Dieſe Melodie betruͤgt uns oft und laͤßt uns nicht eher ihre unreinen Toͤne verſpuͤren, bis dieſe Unreinigkeit ſo groß iſt, als kaum bey manchem ſchlechtgeſtimmten Claviere.

§. 15.

Jeder Clavieriſt ſoll von Rechtswegen einen guten Fluͤgel und auch ein gutes Clavicord haben, damit er auf bey - den allerley Sachen abwechſelnd ſpielen koͤnne. Wer mit einer guten Art auf dem Clavicorde ſpielen kan, wird ſolches auch auf dem Fluͤgel zuwege bringen koͤnnen, aber nicht umgekehrt. Man muß alſo das Clavicord zur Erlernung des guten Vortrags und den Fluͤgel, um die gehoͤrige Kraft in die Finger zu kriegen, brauchen. Spielt man beſtaͤndig auf dem Clavicorde, ſo wird man viel Schwierigkeiten antreffen, auf dem Fluͤgel fortzukommen; man wird alſo die Clavier-Sachen, wobey eine Begleitung von andern Jnſtrumenten iſt, und wel[c]he alſo wegen der Schwaͤche des Clavicords auf dem Fluͤgel gehoͤret werden muͤſſen, mitBMuͤhe10Einleitung. Muͤhe herausbringen; was aber mit vieler Arbeit ſchon muß geſpielet werden, das kan unmoͤglich die Wuͤrkung haben, die es haben ſoll. Man gewoͤhnt ſich bey beſtaͤndigem Spielen auf dem Clavicorde an, die Taſten gar zu ſehr zu ſchmeichlen, daß folglich die Kleinigkeiten, indem man nicht den hinlaͤnglichen Druck zu Anſchlagung des Tangenten auf dem Fluͤgel giebt, nicht allezeit anſprechen werden. Man kan ſogar mit der Zeit, wenn man blos auf einem Clavicorde ſpielt, die Staͤrcke aus den Fingern verliehren, die man vorhero hatte. Spielt man beſtaͤn - dig auf dem Fluͤgel, ſo gewoͤhnt man ſich an in einer Farbe zu ſpielen, und der unterſchiedene Anſchlag, welchen blos ein guter Clavicord-Spieler auf dem Fluͤgel herausbringen kan, bleibt verborgen, ſo wunderbar es auch ſcheint, indem man glauben ſolte, alle Finger muͤſten auf einerley Fluͤgel einerley Ton heraus - bringen. Man kann gar leicht die Probe machen, und zwey Perſonen, wovon der eine ein gutes Clavicord ſpielt, der an - dere aber blos ein Fluͤgel-Spieler iſt, auf dieſem letztern Jnſtru - mente ein Stuͤck mit einerley Manieren kurtz hinter einander ſpie - len laſſen, und hernach urtheilen, ob ſie beyde einerley Wuͤr - ckung hervorgebracht haben.

§. 16.

Nachdem nunmehro die gehoͤrige Wiſſenſchaft der Taſten, Noten, Pauſen, Eintheilung des Tacts u. ſ. w. da iſt, ſo laſſe man ſeine Scholaren eine gantze Zeit durch nichts anders als die Exempel uͤber die Applicatur im Anfange langſam und nachhero immer hurtiger uͤben, damit mit der Zeit die Setzung der Finger, ſo ſchwer und verſchieden ſie auch bey dem Clavier iſt, durch dieſe Uebung ſo gelaͤufig werde, daß man nicht mehr daruͤber dencken darf.

§. 17.

Hauptſaͤchlich uͤbe man die Exempel, wo uͤber jedem die Applicatur beyder Haͤnde angezeiget iſt, im Einklange, damit die Haͤnde gleich geſchickt werden.

§. 18.11Einleitung.

§. 18.

Alsdenn gehe man das Capitel von den Manieren fleißig durch und uͤbe ſolche, damit ſie in gehoͤriger Fertigkeit geſchickt heraus gebracht werden koͤnnen; und da dieſes eine Auf - gabe iſt, woran man beynahe Zeit Lebens lernen kan, indem dieſe Manieren zum Theil mehr Fertigkeit und Geſchwindigkeit erfordern als alle Paſſagien, ſo halte man den Scholaren damit nicht laͤnger auf, als bis man wegen dieſes Punckts mit ſeiner natuͤrlichen Faͤhigkeit und Jahren zur Noth zufrieden ſeyn kan.

§. 19.

Man gehe ſogleich an die Probe-Stuͤcke, man lehre ſie erſtlich ohne Manieren, welche beſonders zu uͤben ſind, um hernach mit denenſelben nach denen Regeln, welche in dem Ca - pitel von dem guten Vortrage abgehandelt ſind, zu ſpielen. Die - ſes muß im Anfange auf dem Clavicorde allein geſchehen, her - nach kan man mit dem Fluͤgel abwechſeln.

§. 20.

Einen groſſen Nutzen und Erleichterung in die gantze Spiel-Art wird derjenige ſpuͤren, welcher zu gleicher Zeit Gele - genheit hat, die Singe-Kunſt zu lernen, und gute Saͤnger fleißig zu hoͤren.

§. 21.

Damit man die Taſten auswendig finden lerne und das noͤthige Noten-Leſen nicht beſchwerlich falle, wird man wohl thun, wenn man das Gelernte fleißig auswendig im Finſtern ſpielet.

§. 22.

Da ich bey Bezeichnung der Probe-Stuͤcke alles noͤthige beygefuͤget habe, und ich ſolche zu vielen mahlen mit der groͤſten Achtſamkeit durchgeſpielet, damit mir auch nicht die geringſte Kleinigkeit entwiſchen moͤchte, ſo glaube ich, daß, wenn man alles in acht nimmt, hierdurch die Geſchicklichkeit der Haͤnde ſowohl als der Geſchmack hinlaͤnglich gebildet werden kan, an - dere und ſchwerere Sachen zu erlernen.

§. 23.

Jch habe zu Vermeidung aller Zweydeutigkeit die Triolen ohne 3, das Abſtoſſen der Noten ohne Striche mit bloſ -B 2ſen12Einleitung. ſen Punckten, und die abgekuͤrtzten Woͤrter: f. p. u. ſ. w. an den meiſten Oertern ohne hintenſtehende Punckte angedeutet.

§. 24.

Damit ich allerley Exempel der Finger-Setzung in allerley Ton-Arten, des Gebrauchs der Manieren und des guten Vortrags bey allerley Leidenſchaften habe anbringen koͤnnen, und dieſes Werck vollſtaͤndig erſcheine, ſo habe ich nicht verhindern koͤnnen, daß nicht zuletzt die Probe-Stuͤcke in der Schwierigkeit zugenommen haͤtten. Jch habe geglaubt es ſey gut, jederman zu dienen, nicht lauter Stuͤcke von der erſten Leichtigkeit beyzu - fuͤgen, und nicht vieles unberuͤhrt zu laſſen. Jch hoffe, daß die muͤhſam hinzugefuͤgte Applicatur und Spiel-Art die ſchwerern Stuͤcke nach vorher gegangenem deutlichen Unterrichte gantz leichte ma - chen werde. Es iſt ſchaͤdlich, die Scholaren mit zu vielen leich - ten Sachen aufzuhalten; ſie bleiben hierdurch immer auf einer Stelle, einige wenige von der erſten Art koͤnnen zum Anfange hinlaͤnglich ſeyn. Es iſt alſo beſſer, daß ein geſchickter Lehrmei - ſter ſeine Schuͤler nach und nach an ſchwerere Sachen gewoͤhnet. Es beruht alles auf der Art zu unterweiſen und auf vorhero gelegten guten Gruͤnden, hierdurch empfindet der Schuͤler nicht mehr, daß er an ſchwerere Stuͤcke gebracht worden iſt. Mein ſeliger Vater hat in dieſer Art gluͤckliche[Proben] abgelegt. Bey ihm muſten ſeine Scholaren gleich an ſeine nicht gar leichte Stuͤ - cke gehen. Solchergeſtalt darf ſich auch niemand vor meinen Probe-Stuͤcken fuͤrchten.

§. 25.

Solte es einigen wegen ihrer Fertigkeit geluͤſten, ſolche nur obenhin den bloſſen Noten nach vom Blatte wegzu - ſpielen; ſo bitte ich gar ſehr, dieſe Stuͤcke vorhero mit gehoͤriger Achtſamkeit bis auf alle die geringſten Kleinigkeiten durchzuſehen, bevor ſie ſolche ausuͤben wollen.

Das13

Das erſte Hauptſtuͤck. Von der Finger-Setzung.

§. 1.

Die Setzung der Finger iſt bey den allermeiſten Jnſtrumen - ten durch die natuͤrliche Beſchaffenheit derſelben gewiſſer - maſſen feſtgeſetzt; bey dem Claviere aber ſcheint ſie am willkuͤhrlichſten zu ſeyn, indem die Lage der Taſten ſo beſchaffen iſt, daß ſie von jedem Finger niedergedruckt werden koͤnnen.

§. 2.

Da nichts deſtoweniger nur eine Art des Gebrauchs der Finger bey dem Claviere gut iſt, und wenige Faͤlle in Be - trachtung der uͤbrigen mehr als eine Applicatur erlauben; da jeder neue Gedancke bey nahe eine neue und eigne Finger-Setzung er - fordert, welche oft durch die bloſſe Verbindung eines Gedancken mit den andern wieder veraͤndert wird; da die Vollkommenheit des Claviers eine unerſchoͤpfliche Menge von Moͤglichkeiten vor - zuͤglich darbietet; da endlich der aͤchte Gebrauch der Finger bis - hero ſo unbekant geweſen und nach Art der Geheimniſſe nur un - ter wenigen geblieben iſt, ſo hat es nicht fehlen koͤnnen, daß die allermeiſten auf dieſem ſchlupfrichen und verfuͤhreriſchen Wege haben irren muͤſſen.

§. 3.

Dieſer Jrrthum iſt um ſo viele betraͤchtlicher, je we - niger man ihn oft hat mercken koͤnnen, indem auf dem Claviere das meiſte auch mit einer falſchen Applicatur, obſchon mit ent - ſetzlicher Muͤhe und ungeſchickt, herausgebracht werden kan, an - ſtatt daß bey andern Jnſtrumenten die geringſte falſche Fingerſe - tzung ſich mehrentheils durch die platte Unmoͤglichkeit, das vorge - ſchriebene zu ſpielen, entdecket. Man hat daher alles der Schwie - rigkeit des Jnſtruments und der dafuͤr geſetzten Stuͤcke ſo gleichB 3zuge -14Das erſte Hauptſtuͤck. zugeſchrieben und geglaubet, es muͤſſe ſo und koͤnne nicht an - ders ſeyn.

§. 4.

Da man hieraus erkennen kan, daß der rechte Ge - brauch der Finger einen unzertrennlichen Zuſammenhang mit der gantzen Spiel-Art hat, ſo verlieret man bey einer unrichtigen Fin - ger-Setzung mehr als man durch alle moͤgliche Kunſt und guten Geſchmack erſetzen kan. Die gantze Fertigkeit haͤngt hiervon ab, und man kan aus der Erfahrung beweiſen, daß ein mittelmaͤſ - ſiger Kopf mit gut gewoͤhnten Fingern allezeit den groͤßten Mu - ſicum im Spielen uͤbertreffen wird, wenn dieſer letztere wegen ſeiner falſchen Applicatur gezwungen iſt, wider ſeine Ueberzeu - gung ſich hoͤren zu laſſen.

§. 5.

Aus dem Grunde, daß jeder neue Gedancke bey nahe ſeine eigene Finger-Setzung habe, folgt, daß die jetzige Art zu dencken, indem ſie ſich von der in vorigen Zeiten gar beſon - ders unterſcheidet, eine neue Applicatur eingefuͤhrt habe.

§. 6.

Unſere Vorfahren, welche ſich uͤberhaupt mehr mit der Harmonie als Melodie abgaben, ſpielten folglich auch mei - ſtentheils vollſtimmig. Wir werden aus der Folge erſehen, daß bey dergleichen Gedancken, indem man ſie meiſtentheils nur auf eine Art heraus bringen kan, und ſie nicht ſo gar viel Veraͤn - derungen haben, jedem Finger ſeine Stelle gleichſam angewieſen iſt; folglich ſind ſie nicht ſo verfuͤhreriſch wie die melodiſchen Paſſagien, weil der Gebrauch der Finger bey dieſen letztern viel willkuͤhrlicher iſt, als bey jenen. Vor dieſem war das Clavier nicht ſo temperirt wie heut zu Tage, folglich brauchte man nicht alle vier und zwanzig Tonarten wie anjetzo und man hatte alſo auch nicht die Verſchiedenheit von Paſſagien.

§. 7.

Ueberhaupt ſehen wir hieraus, daß man bey jetzigen Zeiten gantz und gar nicht ohne die rechten Finger geſchicklichfort -15Von der Finger-Setzung. fortkommen kan, da es noch eher vordem angieng. Mein ſeli - ger Vater hat mir erzaͤhlt, in ſeiner Jugend groſſe Maͤnner gehoͤrt zu haben, welche den Daumen nicht eher gebraucht, als wenn es bey groſſen Spannungen noͤthig war. Da er nun einen Zeitpunckt erlebet hatte, in welchem nach und nach eine gantz beſondere Veraͤnderung mit dem muſicaliſchen Geſchmack vorging: ſo wurde er dadurch genoͤthiget, einen weit vollkommenern Ge - brauch der Finger ſich auszudencken, beſonders den Daumen, wel - cher auſſer andern guten Dienſten hauptſaͤchlich in den ſchweren Tonarten gantz unentbehrlich iſt, ſo zu gebrauchen, wie ihn die Natur gleichſam gebraucht wiſſen will. Hierdurch iſt er auf ein - mahl von ſeiner bisherigen Unthaͤtigkeit zu der Stelle des Haupt - Fingers erhoben worden.

§. 8.

Da dieſe neue Finger-Setzung ſo beſchaffen iſt, daß man damit alles moͤgliche zur beſtimmten Zeit leicht herausbrin - gen kan; ſo lege ich ſolche hier zum Grunde.

§. 9.

Es iſt noͤthig, bevor ich an die Lehre der Applica - tur ſelbſt gehe, vorhero gewiſſe Dinge zu erinnern, welche man theils vorhero wiſſen muß, theils von der Wichtigkeit ſind, daß ohne ſie auch die beſten Regeln unkraͤftig bleiben wuͤrden.

§. 10.

Ein Clavieriſt muß mitten vor der Taſtatur ſitzen, damit er mit gleicher Leichtigkeit ſo wohl die hoͤchſten als tiefſten Toͤne anſchlagen koͤnne.

§. 11.

Haͤngt der Vordertheil des Armes etwas weniges nach dem Griffbrete herunter, ſo iſt man in der gehoͤrigen Hoͤhe.

§. 12.

Man ſpielet mit gebogenen Fingern und ſchlaffen Nerven; je mehr insgemein hierinnen gefehlet wird, deſto noͤthiger iſt hierauf acht zu haben. Die Steiffe iſt aller Bewegung hin - derlich, beſonders dem Vermoͤgen, die Haͤnde geſchwind auszudeh - nen und zuſammen zu ziehen, welches alle Augenblicke noͤthig iſt. Alle16Das erſte Hauptſtuͤck. Alle Spannungen, das Auslaſſen gewiſſer Finger, das Einſetzen zweyer Finger nach einander auf einen Ton, ſelbſt das unent - behrliche Ueberſchlagen und Unterſetzen erfordert dieſe elaſtiſche Kraft. Wer mit ausgeſtreckten Fingern und ſteifen Nerven ſpielt, erfaͤhret auſſer der natuͤrlich erfolgenden Ungeſchicklichkeit, noch einen Haupt-Schaden, nehmlich er entfernet die uͤbrigen Finger wegen ihrer Laͤnge zu weit von dem Daumen, welcher doch ſo nahe als moͤglich beſtaͤndig bey der Hand ſeyn muß, und benimmt dieſem Haupt-Finger, wie wir in der Folge ſehen werden, alle Moͤglichkeit, ſeine Dienſte zu thun. Dahero kommt es, daß der - jenige, welcher den Daumen nur ſelten braucht, mehrentheils ſteif ſpielen wird, dahingegen einer durch deſſen rechten Gebrauch dieſes nicht einmahl thun kan, wenn er auch wollte. Es wird ihm alles leichte; man kan dieſes im Augenblick einem Spieler anſehen; verſteht er die wahre Applicatur, ſo wird er, wenn er anders ſich nicht unnoͤthige Gebehrden angewoͤhnt hat, die ſchwe - reſten Sachen ſo ſpielen, daß man kaum die Bewegung der Haͤnde ſiehet, und man wird vornehmlich auch hoͤren, daß es ihm leichte faͤllt; dahingegen ein anderer die leichteſten Sachen oft mit vielem Schnauben und Grimaſſen ungeſchickt genug ſpielen wird.

§. 13.

Wer den Daumen nicht braucht, der laͤßt ihn her - unter hangen, damit er ihm nicht in Wege iſt; ſolcher Geſtalt faͤllt die maͤßigſte Spannung ſchon unbequem, folglich muͤſſen die Finger ausgeſtreckt und ſteif werden um ſolche heraus zu bringen. Was kan man auf dieſe Art wohl beſonders ausrichten? Der Gebrauch des Daumens giebt der Hand nicht nur einen Finger mehr, ſondern zugleich den Schluͤſſel zur ganzen moͤglichen Appli - catur. Dieſer Haupt-Finger macht ſich noch uͤberdem dadurch verdient, weil er die uͤbrigen Finger in ihrer Geſchmeidigkeiterhaͤlt,17Von der Finger-Setzung. erhaͤlt, indem ſie ſich allezeit biegen muͤſſen, wenn der Daumen ſich bald bey dieſem bald jenem Finger eindringt. Was man ohne ihn mit ſteiffen und geſtreckten Nerven beſpringen muſte, das ſpielt man durch ſeine Huͤlfe anjetzo rund, deutlich, mit gantz natuͤrlichen Spannungen, folglich leichte.

§. 14.

Es verſtehet ſich von ſelbſt, daß bey Spruͤngen und weiten Spannungen dieſe Schlappigkeit der Nerven und das Gebogene der Finger nicht beybehalten werden kan; ſelbſt das Schnellen erfordert bisweilen auf einen Augenblick eine Steiffe. Weil dieſes aber die ſeltneſten Vorfaͤlle ſind, und welche die Na - tur von ſelbſt lehret, ſo bleibt es in uͤbrigen bey der im zwoͤlf - ten §. gemeldeten Vorſchrift. Man gewoͤhne beſonders die noch nicht ausgewachſenen Haͤnde der Kinder, daß ſie, anſtatt des Hin - und Her-Springens mit der gantzen Hand, wobey wohl noch oft dazu die Finger auf einen Klumpen zuſammen gezogen ſind, die Haͤnde im noͤthigen Falle ſo viel moͤglich ausdehnen. Hier - durch werden ſie die Taſten leichter und gewiſſer treffen lernen, und die Haͤnde nicht leichte aus ihrer ordentlichen und uͤber der Taſtatur horizontal-ſchwebenden Lage bringen, welche bey Spruͤngen gerne bald auf dieſe bald auf jene Seite ſich zu ver - drehen pflegen.

§. 15.

Man ſtoſſe ſich nicht daran, wenn manchmahl ein beſonderer Gedancke den Lehrmeiſter noͤthiget, ſolchen ſelbſt zu probieren, um deſſen beſte Finger-Setzung mit aller Gewißheit ſeinen Schuͤlern zu weiſen. Es koͤnnen zuweilen zweifelhafte Faͤlle vorkommen, die man auch beym erſten Anblick mit den rechten Fingern ſpielen wird, ohngeachtet es Bedencklichkeiten ſetzen wuͤrde, ſolche Finger einem andern vorzuſagen. Beym Unterweiſen hat man ſelten mehr als ein Jnſtrument, damit der Lehrmeiſter zugleich mitſpielen koͤnne. Wir ſehen hieraus erſtlich, daß ohngeachtetCder18Das erſte Hauptſtuͤck. der unendlichen Verſchiedenheit der Applicaturen, dennoch wenige gute Haupt-Regeln hinlaͤnglich ſind, alle vorkommende Aufga - ben aufzuloͤſen; zweytens, daß durch eine fleißige Uebung der Gebrauch der Finger endlich ſo mechaniſch wird und werden muß, daß man, ohne ſich weiter darum zu bekuͤmmern, in den Stand geſetzet wird, mit aller Freyheit an den Ausdruck wichtigerer Sachen zu dencken.

§. 16.

Man muß bey dem Spielen beſtaͤndig auf die Folge ſehen, indem dieſe oft Urſache iſt, daß wir andere als die gewoͤhn - lichen Finger nehmen muͤſſen.

§. 17.

Die entgegene Lage der Finger an beyden Haͤnden verbindet mich die Exempel uͤber beſondere Vorfaͤlle, in zweyerley Bewegung anzufuͤhren, um ſolche beyden Haͤnden aus der Urſa - che, warum es hingeſetzet worden iſt, brauchbar zu machen. Dem ohngeacht habe ich die Exempel von einiger Erheblichkeit fuͤr beyde Haͤnde beziffert, damit man zugleich ſolche mit beyden Haͤnden uͤben koͤnne. Man kan nicht zu viel Gelegenheit geben, dieſe ſchon oben in der Einleitung angeprieſene Art von Uebung im Ein - klange anzuwenden. Jeder vorgezeichnete Schluͤſſel deutet an, fuͤr welche Hand die Ziffern gehoͤren; ſtehen uͤber, und unter den No - ten zugleich Ziffern, ſo gehen allezeit, es ſey was vor ein Schluͤſ - ſel vorſtehe, die oberſten die rechte, und die unterſten die lincke Hand an.

§. 18.

Nach dieſen in der Natur gegruͤndeten Vorſchriften werde ich nunmehro zu der Lehre der Applicatur ſelbſt ſchreiten. Jch werde ſie auch auf die Natur gruͤnden, weil dieſe Finger - Ordnung blos die beſte iſt, welche nicht mit unnoͤthigem Zwang und Spannungen vergeſellſchaftet iſt.

§. 19.

Die Geſtalt unſerer Haͤnde und des Griffbrets bil - det uns gleichſam den Gebrauch der Finger ab. Jene giebt unszu19Von der Finger-Setzung. zu erkennen, daß beſonders drey Finger an jeder Hand um ein anſehnliches laͤnger ſind, als der kleine Finger und der Daumen. Nach dieſer finden wir, daß einige Taſten tiefer liegen und vor den andern vorſtehen.

§. 20.

Jch werde nach der gewoͤhnlichen Art die Daumen mit der Ziffer 1, die kleinen mit 5, die Mittel-Finger mit 3, die Finger naͤchſt dem Daumen mit 2 und die neben dem klei - nen Finger mit 4 bezeichnen.

§. 21.

Die erhabenen und hinten ſtehenden Taſten werde ich in der Folge durch ihren mehr gewoͤhnlichen als richtigen Nahmen der Halbentoͤne von den uͤbrigen unterſcheiden.

§. 22.

Aus der im 19. §. gedachten Abbildung folgt na - tuͤrlicher Weiſe, daß dieſe halben Toͤne eigentlich fuͤr die 3 laͤng - ſten Finger gehoͤren. Hieraus entſtehet die erſte Hauptregel, daß der kleine Finger ſelten und die Daumen anders nicht als im Nothfalle ſolche beruͤhren.

§. 23.

Die Verſchiedenheit der Gedancken, vermoͤge wel - cher ſie baldein - bald mehrſtimmig, bald gehend bald ſpringend ſind, verbindet mich von aller Art Exempel zu geben.

§. 24.

Die einſtimmigen gehenden Gedancken werden nach ihrer Ton-Art beurtheilt, folglich muß ich bey der Abbildung derſelben von allen vier und zwantzig Ton-Arten ſo wohl im Herauf - als Herun - tergehen den Anfang machen. Hierauf werde ich die mehrſtim - migen Gedancken durchgehen; dieſen werden Exempel mit Span - nungen und Spruͤngen folgen, weil man ſie leicht nach den mehrſtimmigen Gedancken abmeſſen oder gar auf harmoniſche Zuſammenklaͤnge zuruͤckfuͤhren kan; endlich werde ich von den Bin - dungen, von einigen Freyheiten wider die Regeln, einigen ſchwe - ren Exempeln und Huͤlfs-Mitteln handeln; zuletzt werden die Probe - Stuͤcke das noch uͤbrige nachholen, durch deren Anhaͤngung ichC 2in20Das erſte Hauptſtuͤck. in verbundenen Gedancken von allerley Art mehr Nutzen zu ſtif - ten, und mehr Luſt zu dem ſchweren Studio der Applicatur zu erregen geglaubt habe, als wenn ich durch Ueberhaͤuffung vieler, aus ihrem Zuſammenhang geriſſenen Exempel unertraͤglich und zu weitlaͤuftig worden waͤre.

§. 25.

Die Abwechſelung der Finger iſt der hauptſaͤchlichſte Vorwurf der Applicatur. Wir koͤnnen mit unſern fuͤnf Fingern nur fuͤnf Toͤne nach einander anſchlagen; folglich mercke man vor - nehmlich zwey Mittel, wodurch wir bequem ſo viel Finger gleich - ſam kriegen als wir brauchen. Dieſe zwey Mittel beſtehen in dem Unterſetzen und Ueberſchlagen.

§. 26.

Da die Natur keinen von allen Fingern ſo geſchickt gemacht hat, ſich unter die uͤbrigen andern ſo zu biegen, als den Daumen, ſo beſchaͤftiget ſich deſſen Biegſamkeit ſammt ſeiner vor - theilhaften Kuͤrtze gantz allein mit dem Unterſetzen an den Oer - tern und zu der Zeit, wenn die Finger nicht hinreichen wollen.

§. 27.

Das Ueberſchlagen geſchiehet von den andern Fin - gern und wird dadurch erleichtert, indem ein groͤſſerer Finger uͤber einen kleinern oder den Daumen geſchlagen wird, wenn es gleichfals an Fingern fehlen will. Dieſes Ueberſchlagen muß durch die Uebung auf eine geſchickte Art ohne Verſchraͤnckung geſchehen.

§. 28.

Das Unterſetzen des Daumens nach dem kleinen Finger, das Ueberſchagen des zweytens Fingers uͤber den drit - ten, des dritten uͤber den zweyten, des vierten uͤber den kleinen, ingleichen des kleinen Fingers uͤber den Daumen iſt verwerflich.

§. 29.

Den rechten Gebrauch dieſer zwey Huͤlfs-Mittel werden wir aus der Ordnung der Ton-Leitern aufs deutlichſte erſehen. Dieſes iſt der Haupt-[Nutzen] dieſer Vorſchrift. Bey gehenden Paſſagien durch die Ton-Leitern, welche ſich nicht eben ſo anfangen und endigen, wie ſie hier abgebildet ſind, verſtehetes21Von der Finger-Setzunges ſich von ſelbſten, daß man wegen der Folge die Finger ſo ein - theilt, daß man juſt damit auskoͤmmt, ohne allezeit verbunden zu ſeyn, denſelben Finger eben auf die Taſte zu ſetzen und kei - nen andern.

§. 30.

Bey Tab. I. Fig. I. iſt uns die Scala C dur imTab. I. Aufſteigen vorgemahlt. Wir ſehen hierbey drey Arten von Fin - ger-Setzung fuͤr jede Hand. Keine davon iſt verwerflich, ohn - geachtet die mit dem Ueberſchlagen des dritten Fingers uͤber den vierten in der rechten Hand und in der lincken des zweyten Fingers uͤber den Daumen, und die, allwo der Daumen in F wieder eingeſetzet wird, vielleicht gewoͤhnlicher ſeyn moͤgen als die dritte Art. Jn wie fern jede gut zu brauchen iſt, ſehen wir aus den Exempeln bey Fig. II.

§. 31.

Fig. III. zeigt uns C dur im Abſteigen. Es finden ſich hier abermals drey Arten von Applicatur, welche alle drey gut ſeyn koͤnnen in gewiſſen Abſichten, wie wir aus den unter Fig. IV. angefuͤhrten Exempeln ſehen, ob ſchon auſſer dieſen Faͤl - len, wobey ſie ſo und nicht anders ſeyn muͤſſen, eine mehr uͤb - lich ſeyn kan wie die andere.

§. 32.

Wir lernen hierbey aus den unter Fig. II. und IV. befindlichen Exempeln, daß auſſer der Nothwendigkeit beſtaͤndig auf die Folge zu ſehen, der kleine Finger allezeit gleichſam zum Hinterhalt in gehenden Paſſagien bleibt und hierbey nicht eher gebraucht wird, als entweder im Anfange, oder wenn derſelben Umfang juſt mit ihm zu Ende gehet; dieſes verſtehet ſich gleichfalls bey den Scalen, wo er manchmahl druͤber ſteht. Auſſer dieſem Falle nimmt man dafuͤr den Daumen. Um wegen dieſes kleinen Fingers keine Verwirrung anzurichten, habe ich die Scalen bis uͤber die Octave verlaͤngert, damit man die Folge deſto deutlicher ſehen koͤnne.

C 3§. 33.22Das erſte Hauptſtuͤck.
Tab. II.
4

§. 33.

A moll im Aufſteigen finden wir bey Fig. V. mit zweyerley Finger-Setzung; doch iſt die, ſo gleich uͤber und unter den Noten ſtehet, die beſte; die andere kan allenfalls bey den un - ter Fig. VI. angefuͤhrten Exempeln gute Dienſte thun; indeſſen da man noch mehrere Arten ausfindig machen koͤnnte, wenn man die Exempel darnach einrichten wollte, und ſolche alſo da - durch dem ohngeachtet nicht ſo natuͤrlich wird, wie die naͤchſt den Noten, ſo habe ich ſie mehr zur Warnung, als zur Nach - ahmung angefuͤhrt, weil ich weiß daß ſie hier und da Mode iſt. Das unnatuͤrliche beſtehet darinnen, daß der Daumen in das D eingeſetzt wird, ohngeachtet das E mit zwey halben Toͤnen dar - auf folgt; denn der Daumen mag ſich gerne nahe an den halben Toͤ - nen aufhalten, wenigſtens iſt dieſe Haupt-Regel hierbey zu mer - cken, daß der Daumen der rechten Hand im Aufſteigen nach einem oder mehrern halben Toͤnen, im Abſteigen aber vor einem oder mehrern halben Toͤnen, und der lincke Daumen im Abſteigen nach, und im Aufſteigen vor den halben Toͤnen, eingeſetzt wird. Wer dieſe Haupt-Regel in den Fingern hat, dem wird es alle - zeit fremde fallen, bey Gaͤngen, wo halbe Toͤne vorkommen, den Daumen etwas entfernt von ſelbigen einzuſetzen.

§. 34.

A moll im Abſteigen ſehen wir bey Fig. VII. mit dreyerley Finger-Ordnung. Da hier, wie bey C dur, auch kein halber Ton vorkommt, ſo ſind ſie alle drey gut, und zu gebrau - chen. Die, wo der Daumen in das D eingeſetzt wird, iſt un - gewoͤhnlicher als die andern.

§. 35.

G dur im Aufſteigen zeigt ſich bey Fig. VIII. drey - fach. Die mit (*) bezeichnete Applicatur iſt die ungewoͤhnlichſte. Die mittelſte im Dißkante und unterſte im Baſſe giebt zu einer neuen Regel Gelegenheit, welche ſo heißt: Das Ueberſchlagen, welches mit dem zweyten Finger uͤber den Daumen, und mitdem23Von der Finger-Setzung. dem dritten Finger uͤber den vierten geſchiehet, hat ſeinen eigent -Tab II. lichen Nutzen bey Paſſagien ohne halben Toͤne; allda geſchiehet es auch, wenn es noͤthig iſt, oft hinter einander. Dann und wann geſchiehet es auch bey einem eintzigen vorkommenden halben Ton; man ſetzet in der Folge den Daumen oder vierten Finger gleich an dem halben Tone ein, und der zweyte oder dritte Fin - ger, welche dieſes wegen ihrer vorzuͤglichen Laͤnge bequem thun koͤnnen, ſteigen auf dieſen halben Ton; hierauf nimmt gantz natuͤr - lich der Daumen nach der §. 32. angefuͤhrten Regel ſeinen ihm zugekommenden Platz ein. Das bey Fig. IX. angefuͤhrte Exempel (a) koͤnnte eine Ausnahme wider unſere Regel abgeben, doch wird ſolches gewoͤhnlicher mit Unterſetzung des Daumens (b) ge - ſpielt. Folglich iſt das Ueberſchlagen mit dem zweyten Finger uͤber den Daumen auch in dergleichen Faͤllen brauchbarer als das mit dem dritten Finger uͤber den vierten. Dieſes Ueberſchlagen bey einem vorkommenden halben Tone hat mich genoͤthiget, dieſe Scala durch zwey Octaven wegen der Folge durchzufuͤhren.

§. 36.

G dur im Abſteigen erſcheint bey Fig. X. ebenfalls mit dreyerley Ordnungen der Finger. Die, wo der Daumen ins C ſteigt, iſt ohne Zweifel die ungewoͤhnlichſte; die von den Noten entfernſte, die gefaͤhrlichſte; alle 3 aber brauchbar.

§. 37.

E[moll] im Aufſteigen hat nur dieſe eintzige gute Applicatur, Fig. XI. Wer anſtatt den Daumen in die Quinte h, ſolchen in die Quarte a ſetzen wolte, muͤßte ſolches bey Exem - peln thun, wo die Folge dieſes erfordert, ſonſten iſt dieſe Fin - ger-Setzung nicht anzurathen. Man huͤte ſich bey dieſem durch eine gantze Octave aufſteigenden E moll, daß man den Daumen nicht ins g, nach der in gedachten 33. §. gegebenen Regel ein - ſetzt, weil man ſonſt nicht mit den Fingern auskaͤme. Dieſe ſonſt ſo gewiſſe Regel leidet wie wir in der Folge ſehen werden, nurein24Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. I. ein Paar Ausnahmen, welche gegen den Nutzen, den dieſe Regel uͤbrigens in der gantzen Lehre der Applicatur ſchaft, nichts be - deuten wollen.

§. 38.

E[moll] im Abſteigen ſehen wir bey Fig. XII. mit zweyerley Finger-Setzung, wovon die, naͤchſt uͤber und unter den Noten, die beſte iſt.

§. 39.

F dur im Aufſteigen hat im Dißkante nur eine gute Applicatur, laut Fig. XIII. hergegen ſind im Baſſe drey, welche in gewiſſer Art alle brauchbar und deswegen werth ſind, daß man ſie uͤbet.

§. 40.

F dur im Abſteigen zeigt ſich bey Fig. XIV. im Diß - kante mit zweyen, und im Baſſe mit dreyen Applicaturen. Die naͤchſt uͤber und unter den Noten ſind die gewoͤhnlichſten; in den andern iſt nichts unregelmaͤßiges, ſie koͤnnen bey gewiſſen Faͤllen noͤthig ſeyn, folglich kan man ſie darbey mit mercken.

§. 41.

D moll im Aufſteigen bey Fig. XV. hat fuͤr jede Hand dreyerley Finger-Setzung, welche alle gut und zu uͤben ſind, ohngeacht daß die von den Noten entfernteſte etwas unge - woͤhnlicher als die andern iſt.

§. 42.

D moll im Abſteigen finden wir bey Fig. XVI. mit zweyerley Arten von Setzung der Finger fuͤr jede Hand. Die beyden, welche am weiteſten von den Noten entfernt ſtehen, ſind wegen des vorkommenden halben Tones nicht die beſten, wel - cher hier gerne den Daumen in das a verlangt.

§. 43.

B dur hat nur dieſe eintzige bey Fig. XVII. ange - merckte Applicatur ſo wohl im Auf - als Abſteigen.

§. 44.

G moll im Aufſteigen hat bey Fig. XVIII. in der rechten Hand zweyerley, und in der lincken Hand dreyerley Arten von Finger-Setzung. Die naͤchſte uͤber den Noten und entfernteſte unterden25Von der Finger-Setzung. den Noten ſind der im 33. §. angefuͤhrten Regel gemaͤß; die andernTab. I. koͤnnen dem ohngeacht in gewiſſen Faͤllen auch gute Dienſte thun.

§. 45.

G moll im Abſteigen iſt nach Fig. XIX. nur ein - fach. Man wird von ſelbſt begreiffen, wenn eine Paſſagie nicht juſt ſich ſo anfinge, was man im Anfange vor einen Finger ein - ſetzen muͤſte.

§. 46.

D dur im Aufſteigen bey Fig. XX. hat in der rech - ten Hand nur eine, in der lincken aber drey Arten von Appli - caturen; die naͤchſte unter den Noten iſt nach der Regel wegen Einſetzung des Daumens und in allerley Arten von Paſſagien, welche nicht eben ſich ſo anfangen und endigen, wie hier vorge - ſchrieben iſt, zu brauchen; im uͤbrigen ſind die andern beyden, bey dieſem Falle beſonders auch gut und zu uͤben. Die mittelſte im Baſſe beweißt den im 35. §. angefuͤhrten Vorzug dieſes Ueberſchlagens.

§. 47.

D dur im Abſteigen zeigt in Fig. XXI. fuͤr die rechte Hand dreyerley und fuͤr die lincke zweyerley Finger-Setzung, wovon jede in ihrer Art brauchbar iſt.

§. 48.

H moll im Aufſteigen findet ſich bey Fig. XXII. fuͤr beyde Haͤnde einfach. Wenn die Paſſagie nicht juſt ſich anfaͤngt wie hier ſtehet, ſo ſetzet man in der lincken Hand an ſtatt des vierten Fingers den Daumen ein. Dieſes mercken wir uͤberhaupt bey allen Scalen, daß, nach veraͤndertem Anfange, der Finger eingeſetzet werden muß, welcher in der Folge uͤber der Octave ſtehet. Bey der rechten Hand findet ſich eine unvermeidliche Aus - nahme wider die im 33. §. angefuͤhrte Regel. Wer ſolche Re - gel gut in den Fingern hat, muß wohl acht haben, damit er nicht den Daumen ſtatt des e, in das d ſetze. Dieſer Punct macht dieſe Scale etwas verfuͤhreriſch.

§. 49.

H moll im Abſteigen treffen wir bey Fig. XXIII. einfach an. Man koͤnte auch mit dem kleinen Finger in derDrech -26Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. I. rechten Hand anfangen und den Daumen ins e, und hierauf den dritten Finger ins d ſetzen, daß hernach der Daumen wieder in die Octave kaͤme; Allein dieſe Applicatur, ob ſie ſchon zu ge - brauchen, und nicht unrecht iſt, iſt nur eine Octave durch gut, weiter herunter duͤrfte leicht eine Verwirrung entſtehen.

§. 50.

A dur im Aufſteigen finden wir unter Fig. XXIV. mit einer Applicatur fuͤr die rechte und zweyen fuͤr die lincke Hand. Die naͤchſte unter den Noten iſt nach der oft angefuͤhr - ten Regel, und bey allerley Faͤllen brauchbarer als die ſo da - runter ſtehet, ohngeacht ſie auch zuweilen noͤthig ſeyn kan.

§. 51.

A dur im Abſteigen zeigt Fig. XXV. einfach. Es verſteht ſich von ſelbſt, wie wir ſchon gehoͤrt haben, daß, wenn der Anfang nicht eben ſo iſt, wie hier, in der rechten Hand ſtatt des kleinen Fingers der Daumen eingeſetzt werden muß, und wenn eine Paſſagie aus dieſer Tonart mit dem Grund-Tone ſich anfaͤngt, anſtatt 2, 3, 4, fuͤr die lincke Hand, 1, 2, 3, ſte - hen muß.

§. 52.

Fis moll im Aufſteigen ſehen wir bey Fig. XXVI. einfach. Weiter iſt hierbey nichts zu mercken, als der Nutzen von der im 33. §. angefuͤhrten Regel, welcher die nunmehro noch vorkommende Scalen, jemehr Verſetzungs-Zeichen ſie haben, und jemehr halben Toͤne darbey vorkommen, deſto einfacher und deſto weniger gefaͤhrlich, folglich zur Uebung gantz leichte machen wird.

§. 53.

Fis moll im Abſteigen hat nach Fig. XXVII. mit[A] dur einerley Finger-Setzung, die eintzige im Aufſteigen fuͤr die lincke Hand, welche, wie wir §. 50. geſehen haben, nur dann und wann zu gebrauchen iſt, ausgenommen. Wir werden aus der Folge erſehen, daß nunmehro alle noch vorkommende weiche Ton - Arten im Abſteigen einerley Applicatur mit den harten Ton - Arten annehmen, welche einerley Verſetzungs-Zeichen mit jenengemein27Von der Finger-Setzung. gemein haben, oder, wegen Angraͤntzung der Ton-Arten mit denTab. I. Kreutzen an die mit Been noch deutlicher zu ſagen, deren Grund-Ton die kleine Terzie von der weichen Ton-Art iſt.

§. 54.

E dur hat bey Fig. XXVIII. fuͤr beyde Haͤnde ſo wohl im Aufſteigen als auch im Abſteigen einerley einfache Fin - ger-Ordnung. Cis moll im Abſteigen hat dieſelbe. Da jedem aus dem vorigen die Leitern von den abſteigenden weichen Ton - Arten bekannt ſeyn koͤnnen, ſo werde ich die Abbildung derſel - ben, in ſo fern ſie keine beſondere Applicatur haben, als etwas uͤberfluͤßiges weglaſſen.

§. 55.

Cis moll im Aufſteigen nach Fig. XXIX. hat eine eintzige moͤgliche gute Finger-Setzung.

§. 56.

H dur im Auf - und Abſteigen hat nebſt dem abſtei - genden Gis moll, nach Fig. XXX. einerley Finger. Dieſes letz - tere im Aufſteigen unterſcheidet ſich bloß durch die Groͤſſe der Jntervallen, aber nicht durch die Ordnung der Finger von den erſtern, wie wir aus Fig. XXXI. ſehen.

§. 57.

Fis dur auf - und abſteigend hat nebſt Es moll im Abſteigen eine gemeinſchaftliche unter Fig. XXXII. abgebildete Ap - plicatur. Die bey dem aufſteigenden Es moll, laut Fig. XXXIII. iſt eben dieſelbe, ohngeacht ſo wohl die Groͤſſe der Jntervallen als auch die Schreib-Art von jenen unterſchieden iſt. Wir be - mercken bey der lincken Hand eine noͤthige Ausnahme von unſe - rer im 33. §. angefuͤhrten Regel, vermoͤge welcher ſtatt des c der Daumen ins d haͤtte geſetzt werden ſollen.

§. 58.

Des oder Cis dur mit ſeiner Finger-Ordnung in beyderley Bewegung zeigt uns Fig. XXXIV. B moll hat bey dem Abſteigen dieſelbe Applicatur. Bey dem Aufſteigen gedachten[B] molls finden wir ſo wohl die Abbildung der Scala als derD 2Fin -28Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. I. Finger-Setzung unter Fig. XXXV. Die lincke Hand hat zwey - erley gute Applicatur.

§. 59.

As dur hat nach Fig. XXXVI. ſo wohl hinauf als herunter mit dem Abſteigenden[F] moll einerley Setzung der Fin - ger. Dieſes letzteren Applicatur beym Aufſteigen iſt unter Fig. XXXVII. beſonders abgebildet. Die lincke Hand hat hier aber - mals zweyerley gute Finger-Ordnungen, von denen die naͤchſt den Noten die brauchbarſte iſt, ob ſchon die unterſte das im 35. und 46. §. angefuͤhrte aufs neue beweiſet.

§. 60.

Es dur ſehen wir bey Fig. XXXVIII; dieſe Ord - nung der Finger gilt im Auf - und Abſteigen. Das abſteigende C moll hat dieſelbe Applicatur. Dieſe Ton-Art, wenn ſie in die Hoͤhe gehet, hat unter Fig. XXXIX. fuͤr jede Hand zwey Arten von Finger-Ordnungen, wovon die den Noten entlegenſten nur in dem Bezirck einer Octave in einer Folge gut ſeyn. Wir mercken hierbey an, daß jemehr die Verſetzungs-Zeichen und hal - ben Toͤne ſich bey den Tonarten verlieren, welches hauptſaͤchlich in den aufſteigenden weichen Scalen vor die andern geſchiehet, deſto mannigfaltiger die Applicaturen werden.

§. 61.

Wir ſehen aus der Vorſchrift dieſer Scalen, daß der Daumen niemals auf einen halben Ton geſetzt wird, und daß er bald nach dem zweyten Finger alleine, bald nach dem zwey - ten und dritten, bald nach dem zweyten, dritten und vierten Finger, niemals aber nach dem kleinen eingeſetzt wird. Weil jede Scala ſieben Stuffen hat, und die Wiederholung jeder Scale, um bey einer Ordnung zu bleiben, ihrem Anfange aͤhnlich ſeyn muß, ſo mercke man, daß der Daumen gemeiniglich einmahl nach den zweyten darauf folgenden Fingern und das andre mahl nach allen dreyen eingeſetzt wird; beym Aufſteigen mit der rechten Hand und beym Abſteigen mit der lincken heißt dieſes unterſetzen. Uebt man ſich ſo lange,bis29Von der Finger-Setzung. bis der Daumen auf eine mechaniſche Art ſich von ſelbſt auf dieſe Weiſe am gehoͤrigen Ort ein und unterſetzt; ſo hat man das meiſte in der Finger-Setzung gewonnen.

§. 62.

Wir ſehen ferner, daß das Ueberſchlagen bald mit dem zweyten Finger, bald mit dem zweyten und dritten, bald mit dem zweyten, dritten und vierten uͤber den Daumen und mit dem dritten Finger uͤber den vierten geſchiehet. Wir werden in der Folge eine kleine Ausnahme finden, vermoͤge welcher mit gewiſſen Umſtaͤnden erlaubet iſt, einmahl den vierten Finger uͤber den kleinen zu ſchla - gen; desgleichen werden wir bey Gelegenheit der Manieren einen Fall bemercken, worinnen der dritte Finger nach dem zweyten, wohl zu mercken, eingeſetzt worden. Man muß dieſes Einſetzen nicht mit dem Ueberſchlagen verwechſeln. Ueberſchlagen heißt: wenn ein Finger uͤber den andern gleichſam wegklettert, indem der an - dere noch uͤber der Taſte ſchwebet, welche er niedergedruckt hat; bey dem Einſetzen hingegegen iſt der andere Finger ſchon weg, und die Hand geruͤckt.

§. 63.

Endlich ſehen wir bey dieſer Abbildung der Ton-Lei - tern, daß die, ohne, oder mit den wenigſten Verſetzungs-Zeichen die meiſte Veraͤnderungen von Applicaturen erlauben, indem allda das Unterſetzen ſowohl als das Ueberſchlagen angehet; und daß die uͤbrigen nur einerley Abwechſelung der Finger geſtatten. Folglich ſind die ſo genannten leichten Ton-Arten (weil ihre Applicatur ſo verſchieden iſt, und man beyde Huͤlfs-Mittel zur rechten Zeit gebrauchen lernen muß, ohne ſie zu verwirren; weil es noͤthig iſt die einmahl erwaͤhlte Ordnung in der Folge bey - zubehalten, und man alſo wohl zu merken hat, wo der Dau - men eingeſetzt worden,) viel verfuͤhreriſcher und ſchwerer als die ſo genannten ſchweren Ton-Arten, indem ſie nur eine Art von Finger-Setzung haben, allwo der Daumen durch die Uebung inD 3ſei -30Das erſte Hauptſtuͤck. ſeinen ordentlichen Platz ſich von ſelbſt eindringen lernt. Dieſe letztern behalten den Nahmen der ſchweren nur aus der Urſache bey, weil entweder gar nicht, oder ſelten aus ſelbigen geſpielt und geſetzt wird. Hierdurch bleibt ihre Schreib-Art ſo wohl als die Lage ihrer Taſten allezeit fremde. Durch die wahre Lehre und Anwendung der Finger-Ordnung werden uns alſo dieſe ſchwere Ton-Arten eben ſo leichte, als groß die Schwierigkeit war, auf eine falſche Art, beſonders ohne Daumen oder den rechten Ge - brauch deſſelben in ſolchen fort zu kommen. Einer der groͤſten Vorzuͤge des Claviers, vermoͤge deſſen man mit beſonderer Leich - tigkeit aus allen vier - und zwantzig Ton-Arten ſpielen kan, iſt alſo durch die Unwiſſenheit der rechten Applicatur verborgen ge - blieben.

§. 64.

Das Unterſetzen und Ueberſchlagen als die Haupt - Huͤlfs-Mittel in der Abwechſelung der Finger muͤſſen ſo gebraucht werden, daß alle Toͤne dadurch gut zuſammen gehaͤnget werden koͤnnen. Deßwegen iſt in den Ton-Arten mit keinen oder weni - gen Verſetzungs-Zeichen bey gewiſſen Faͤllen das Ueberſchlagen des dritten Fingers uͤber den vierten und des zweyten uͤber den Daumen beſſer und nuͤtzlicher, um alles moͤgliche Abſetzen zu ver - meiden, als der uͤbrige Gebrauch des Ueberſchlagens und das Unterſetzen des Daumens, weil ſelbiger bey vorkommenden halben Toͤnen mehr Platz und folglich auch mehr Bequemlichkeit hat, unter die andern Finger durchzukriechen, als bey einer Folge von lauter unten liegenden Taſten. Bey den Ton-Arten ohne Ver - ſetzungs-Zeichen geſchiehet dieſes Ueberſchlagen ohne Gefahr des Stolperns hinter einander; bey den andern aber muß man wegen der halben Toͤne mehr Behutſamkeit brauchen.

§ 65.

Nach dieſen Scalen und nach dem in ſelbigen be - findlichen Gebrauch der beyden Huͤlfsmittel werden alle einſtim -mige31Von der Finger-Setzung. mige gehende Gedancken beurtheilt. Von einigen hierbey beſonderen Faͤllen und Freyheiten wird zuletzt gehandelt werden.

§. 66.

Wir ſchreiten nunmehro zu mehrſtimmigen Exempeln. Hierbey werden die Spruͤnge mit vorkommen, indem man ſie, weil ſelbige ſo viel moͤglich ohne Zwang nach der ordentlichen Laͤnge der Finger eingerichtet ſeyn muͤſſen, darnach abzumeſſen hat. Findet jemand wegen ſeiner langen Finger fuͤr bequem, gewiſſe harmoniſche Anſchlaͤge, Brechungen oder Spannungen mit andern Fingern zu nehmen, als hier vorgeſchrieben iſt, ſo ſtehet es ihm frey, nur muß es keine eingebildete Bequemlichkeit ſeyn. Jndem ich bey Verfertigung der Probe-Stuͤcke auf allerhand Faͤlle geſehen habe, ſo habe ich die Spruͤnge und Spannungen mit Fleiß in das Adagio aus dem B gelegt, um ſolche zu erleich - tern; wer Luſt hat, ſolche fuͤr ſich geſchwinde zu uͤben, dem ſteht es frey.

§. 67.

Zwey Klaͤnge zuſammen, welche um eine SecundeTab. I. von einander unterſchieden ſind, werden mit zwey an einander liegenden Fingern gegriffen. Aus den vorhergehenden und fol - genden Noten kan man leicht ſehen, welche es ſeyn muͤſſen. Bey Fig. XXXX. finden ſich Exempel von allerley Art. Wir ſehen, daß hier abermahls der Daumen von den halben Toͤnen verſchont bleibt. Bey den Noten ohne Ziffern bezieht man ſich auf das vorhergegangene. Der einmahl vorgezeichnete Schluͤſſel gilt ſo lange, bis er durch einen andern aufgehoben wird.

§. 68.

Gebrochene Secunden werden mit abgewechſelten Fingern ſo geſpielt wie bey Fig. XLI. zu ſehen iſt; Dieſes Ab - wechſeln iſt der uͤber ſolche Art Noten gewoͤhnlicher Maaſſen ange - deuteten Schleifung zutraͤglicher als das Fortſetzen eines Fingers, weil durch dieſes letztere die Noten mehr geſtoſſen werden, als es ſeyn ſoll. Wir ſehen hier, und werden es in der Folge nochoͤfter32Das erſte Hauptſtuͤck. oͤfter erfahren, daß gemeiniglich der Daumen und der zweyte Fin - ger an der lincken Hand am meiſten an den Oertern gebraucht wird, allwo man in der rechten Hand den zweyten und dritten Finger einſetzt.

§. 69.

Bey Anſchlagung der Tertien mercke man, daß ſie mit denjenigen Fingern gegriffen werden, welche wir bey denenTab. I. unter Fig. XLII. bezeichneten vielen Exempeln finden; man ſiehet hier ebenfalls auf das vorhergehende und folgende; der Daumen bleibt von den halben Toͤnen weg, desgleichen der kleine Finger; beyde koͤnnen blos die Erlaubniß bekommen, auf ſolche halbe Toͤne geſetzt zu werden, wenn ein vorhergegangener oder nach - folgender Sprung dieſes nothwendig macht. Jch habe deswegenTab. II. vielerley Exempel hierbey angefuͤhrt, weil oft viele Tertien hin - ter einander vorzukommen pflegen, um die hierzu noͤthige Abwech - ſelung der Finger deutlich zu zeigen. Der kleine Finger kan auch auf dem halben Tone ſeyn, wenn der andere zugleich mit anſchla - gende Finger auch auf ſelbigem iſt. Aus dieſer Urſache iſt die Applicatur der rechten Hand in dem bey (a) Tab. II. angefuͤhrten Exempel nicht ſo gut als die bey (b) und die fuͤr die lincke Hand bey (c). Dieſer kleine Finger wird ebenfalls ſo wenig fortgeſetzt, als durch einen andern abgeloͤßt (d), ſondern er koͤmmt nur im - mer einmahl und zwar in den aͤuſſerſten Toͤnen (e) vor, es ſey denn, wenn eine oder mehrere Noten zwiſchen die Tertien kom - men, wie bey (f) zu ſehen iſt. Ferner mercke man aus dem drit - ten und folgenden Exempeln bey Fig. XLII. daß einerley Toͤne mit denſelben Fingern genommen werden. Bey vielen hinter einander vorkommenden Tertien auf die Art wie die beyden[Exem - pel] (g) ausweiſen, ſetzt man bey geſchwinder Zeitmaaſſe lieber mit den Fingern fort, indem alsdenn das Abwechſeln ſchwerer faͤllt. Uebrigens ſehen wir, daß allerley Setzung von Fingernbey33Von der Finger-Setzung. bey dieſen Tertien vorkommen, obſchon einige oͤfter als andere;Tab. II. blos $$\begin{matrix}{5 5 4\\1 2 3}$$ ſind unnatuͤrlich und folglich verwerflich.

§. 70.

Gebrochene Terzien einzeln oder auch in einer Folge bey langſamer Zeitmaaß werden ſo geſpielt, wie wir ſie zuſam - men anzuſchlagen, im vorigen §. gelehrt haben. Viele hinterein - ander in geſchwindem Tempo vorkommende Tertien-Spruͤnge werden, ſo lange keine halben Toͤne ſich einmiſchen, ohne Abwech - ſelung der Finger entweder mit $$\begin{matrix}{1\\3}$$ oder $$\begin{matrix}{2\\4}$$ gegriffen, Tab. II. Fig. XLIII. (a); ſo bald aber halbe Toͤne darbey vorkommen, ſo wech - ſelt man mit den Fingern ab und haͤlt den Daumen von den halben Toͤnen zuruͤck (b). Jn Haltungen und Spruͤngen wird auch die Setzung $$\begin{matrix}{5\\3}$$ und $$\begin{matrix}{2\\1}$$ gefunden. (c). Der Daumen kriegt hierbey die Erlaubniß, auf die halben Toͤne geſetzt zu werden, welche ihm die Nothwendigkeit bey ſolchen Spannungen giebt.

§. 71.

Die Quarten werden gegriffen, wie wir bey Fig. XLIV ſehen. Bey dem Diſcant-Schluͤſſel werden die unterſten Noten mit der lincken und bey dem Baß-Schluͤſſel die oberſten mit der rechten Hand genommen. Die gebrochenen in langſa - mer Zeitmaaß haben eben dieſe Setzung. Bey vielen hinterein - ander vorkommenden geſchwinden Quarten-Spruͤngen ohne halbe Toͤne wird ohne Abwechſelung $$\begin{matrix}{1\\4}$$ oder $$\begin{matrix}{5\\2}$$ eingeſetzt (a). Bey vor - kommenden halben Toͤnen kan man auch dann und wann, aber nur einmahl ohne Folge $$\begin{matrix}{2\\4}$$ nehmen (b). Dieſe Spruͤnge werden auch mit $$\begin{matrix}{1\\2}$$ , $$\begin{matrix}{1\\3}$$ , $$\begin{matrix}{2\\4}$$ und $$\begin{matrix}{5\\3}$$ geſpielt, ſobald die nachfolgenden Noten ſolches erfordern, wie wir bey (c) und folgenden Exempeln ſehen.

§. 72.

Die Quinten und Sexten werden auf dreyerley Art gegriffen, wie unter Fig. XLV zu ſehen iſt. Aus Fig. XLVI ſehen wir die Finger-Setzung von Sexten in einer Folge. Mit dieſen gebrochenen Sexten wird es ebenfalls ſo gehalten, wie wir bey den Tertien und Quarten geſehen haben. Bey dieſen Span -Enun -34Das erſte HauptſtuͤckTab. II. nungen kan der kleine Finger oͤfter als einmahl hintereinander vorkommen, und wird alſo auch gebrauchet, ohne daß eben die Weite der Paſſagie mit ihm zu Ende gehet.

§. 73.

Die Septimen und Octaven werden mit $$\begin{matrix}{5\\1}$$ gegrif - fen. Wer lange Finger hat und kan die Septimen, wobey ein halber Ton iſt, mit $$\begin{matrix}{5\\2}$$ oder $$\begin{matrix}{4\\1}$$ ohne Zwang nehmen, dem ſteht es frey. Auſſer dem aber iſt es gar wohl erlaubt, daß hier der Daumen ſo wohl als der kleine Finger ohne Bedencken auf die halben Toͤne geſetzt wird.

§. 74.

Weil dieſe Octaven-Spruͤnge, beſonders in der lin - cken Hand, allwo ſie am oͤfterſten vorzukommen pflegen, das Fort - ſetzen mit dem Daumen oder dem kleinen Finger nothwendig ma - chen, ſo thun diejenigen, welche durch die Verdoppelung der Octaven im General-Baſſe noch nicht hinlaͤnglich hierinnen geuͤbt ſind, wohl, wenn ſie den erſten beſten Baß ergreifen, und ſolchen einmahl mit dem bloſſen Daumen und das andere mahl mit dem kleinen Finger alleine durchſpielen; dadurch kriegen ſie ohn - vermerckt eine Fertigkeit nicht allein in dieſem noͤthigen Fortſetzen, ſondern auch das Grifbret auswendig zu finden.

§. 75.

Die bey Fig. XLVII. befindlichen Exempel zeigen, daß man zuweilen theils wegen der vorhergehenden, theils folgen - den Noten an ſtatt des Daumens den zweyten Finger, und an ſtatt des kleinen den vierten Finger in Octaven Spruͤngen braucht. Der Daumen, wenn er auf einem halben Tone iſt, kan nicht ſo uͤbergeſchlagen werden, wie wir bey Fig. XLVIII. ſehen.

§. 76.

Wir nehmen nunmehro die Anſchlaͤge dreyer Klaͤnge zuſammen vor; bey Fig. XLIX. finden wir die Finger-Setzung von dergleichen Anſchlaͤgen in dem Bezirck einer Quarte. Bey den Exempeln (a) und (b) erfordert die Folge eine eigene Ap - plicatur.

§. 77.35Von der Finger-Setzung.

§. 77.

Fig. L. zeigt uns die Finger zu dreyfachen Zuſam -Tab. II. men-Klaͤngen in dem Umfange einer Quinte. Bey Gelegenheit des Exempels (a) mercke man, daß auſſer dieſem F moll noch C, Cis, Fis, G, Gis, B und H mit der kleinen Tertie, derglei - chen Setzung der Finger vertragen. Auſſer dem bey (b) ange - merckten Exempel koͤnnen auch Cis, Dis, E, Gis, A, B und H in der harten Ton-Art ſo gegriffen werden. Beſonders hat bey dieſen Moll und Dur Ton-Arten, wenn deren Tertie auf einen halben Ton faͤllt, der dritte Finger wegen ſeiner Laͤnge mehr Bequemlichkeit, hierauf geſetzt zu werden als der vierte.

§. 78.

Drey Stimmen zuſammen in dem Bezircke einer Sexte werden ſo genommen, wie wir bey Fig. LI. ſehen. Fig. LII. lehrt uns daſſelbe bey einem Umfange von einer Septime und Fig. LIII. von einer Octave. Bey dieſen weiten Spannun - gen von Septimen und Octaven, wie wir §. 73 geſehen haben, iſt allen Fingern erlaubt, auf die halben Toͤne zu kommen, indem dieſes allezeit beſſer iſt, als ein uͤberfluͤßiger Zwang.

§. 79.

Um zu zeigen, mit was fuͤr Fingern vier Toͤne zugleich angeſchlagen werden, finden wir bey Fig. LIV. die Ex - empel hiervon; (a) beſonders zeigt uns dieſen vierſtimmigen An - ſchlag in einer Weite von einer Quinte; (b) von einer Sexte; nach dem Exempel mit dem Baß-Schluͤſſel koͤnnen auch die im 77. §. angefuͤhrten dur Ton-Arten gegriffen werden; (c) von einer Septime und (d) von einer Octave. Die beyden nach (c) mit (*) (*) bezeichneten Exempel zeigen uns die Finger bey Perſonen welche ſolche beſonders lang haben; und die mit (1) (2) (3) (4) bezeichneten Exempel beziehen ſich auf die im 77. §. unter (a) und (b) vorgeſtellten Accorde, folglich werden auch alle die allda an - gefuͤhrte harmoniſche Dreyklaͤnge mit vier Stimmen nach dieſer Art gegriffen.

E 2§. 80.36Das erſte Hauptſtuͤck.
Tab. II.
4

§. 80.

Wenn bey dieſen harmoniſchen Zuſammen-Klaͤngen eine von den aͤuſſerſten Stimmen auf einen halben Ton faͤllt, ſo nimmt man eine Applicatur, wobey nach Erfordern der Dau - men oder kleine Finger gemißt werden kan. Doch da man, zu - mahl was den kleinen Finger betrift, nicht allezeit alle Bequem - lichkeit beybehalten kan, weswegen auch dieſer Finger mehr Erlaub - niß hat auf die halben Toͤne geſetzt zu werden, wie der Daumen: ſo muß man ſich nach dem vorhergehenden ſo wohl als nach der Folge richten, und, da alle Finger nicht gleich ſind, uͤberhaupt bey allen Spannungen auf das ungezwungene und natuͤrliche, ſo viel moͤglich, bedacht ſeyn, folglich eine kleine Unbequemlich - keit einer groͤſſern vorziehen, indem man oft den kleinen Finger, oder den Daumen lieber auf einen halben Ton ſetzt, als, ohne ſelbige Finger uͤbertriebene Spannungen vornimmt, welche nicht allezeit gluͤcken. Wenn viele vollſtimmige Anſchlaͤge hinter ein - ander vorkommen, ſo thut man wohl, wenn es ſeyn kan, daß man ſich ſolche durch die Abwechſelung der Finger erleichtert.

§. 81.

Wenn bey ſolchen mehrſtimmigen Griffen die beyden aͤuſſerſten Stimmen auf halben Toͤnen gegriffen werden muͤſſen, ſo iſt gar kein Bedencken wegen dieſer zwey kuͤrtzeſten Finger mehr uͤbrig, indem, wenn ſie beyde auf die hinten ſtehenden Taſten geſetzt werden, die gantze Hand dadurch hinter geruͤckt wird, und folglich die Urſache wegfaͤllt, warum der Daumen und der kleine Finger nicht gar bequem auf dieſen halben Toͤnen gebraucht werden.

§. 82.

Da man alle Brechungen und ſpringende Gedancken, ſo viel als es ſeyn kan, auf dieſe mehrſtimmige Anſchlaͤge zuruͤck fuͤhret, ſo folgt hieraus, daß ſie auch nach unſerer vorgeſchrie - benen Finger-Setzung geſpielt und zugleich nach den darbey ange - merckten Umſtaͤnden beurtheilet werden muͤſſen. Die aus dembey37Von der Finger-Setzung. bey Fig. LV. angezeigten Exempel heraus gezogenen GedanckenTab. II. werden meinen Leſern meine Meinung noch deutlicher machen.

§. 83.

Der gute Vortrag, ſowol als das vorhergegangene, erfordern bisweilen eine kleine Aenderung der Finger bey dieſen Brechungen. Beſonders findet man zuweilen bey gewiſſen von oben herunter gebrochenen Accorden den dritten Finger beque - mer als den vierten, ohngeachtet dieſer letztere natuͤrlicher bey denſelben Accorden, wann ſie auf einmahl angeſchlagen werden, eingeſetzt wird (1). Wegen des guten Vortrags kan man oft von einem ſchwaͤchern Finger den Grad der Deutlichkeit nicht erwarten, welchen man von einem ſtaͤrckern gar leicht erhaͤlt, weil die Deutlichkeit uͤberhaupt durch einen gleichen Druck vornehmlich mit hervorgebracht wird. Aus dieſer Urſache haben linckhaͤndige keinen geringen Vortheil auf unſerm Jnſtrumente. Bey dem (2) Exempel hat man die Tertie wegen des vorhergegangenen f, mit dem dritten Finger genommen.

§. 84.

Da wir aus allem bisher angefuͤhrten erſehen haben, daß vor allen andern Fingern beſonders der rechte Gebrauch des Daumens ſo wohl in den gehenden als ſpringenden, ſo wohl in den einſtimmigen als mehrſtimmigen Gedancken von beſonderer Er - heblichkeit ſey; ſo iſt der Schade um ſo viel groͤſſer, den einige, und zwar in unſern jetzigen Tagen, auswaͤrts heraus gekomme - nen Anweiſungen zum Clavier-Spielen auſſer andern falſchen Saͤ - tzen beſonders wegen dieſes Puncts anrichten. Einer laͤßt den Gebrauch des Daumens gar weg; ein anderer geht deſto un - freundlicher mit ſeinen Schuͤlern um, er fordert nicht allein von ihnen, daß ſie alle Finger ohne Unterſchied und ohne die gehoͤ - rige Ordnung auf allen Taſten herum klettern laſſen, ſie ſollen ſo gar dieſes auf einer Taſte allein thun koͤnnen. Der erſte zieht Schuͤler, welche nicht anders als durch Stolpern, AbſaͤtzeE 3und38Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. II. und Verſchrenckung der Finger fortkommen: des andern Scho - laren werden ohne Noth und Nutzen ſtrapazirt, beſonders muß bey ihnen alle Augenblick die Hand verſtellt und verzogen werden, indem ſie ſo gar in den Ton-Arten mit den meiſten Verſetzungs - Zeichen ohne die geringſte Noth den Daumen auf die halben Toͤne ſchleppen; durch dieſes Verdrehen kommen die andern Fin - ger aus ihrer natuͤrlichen Stellung, ſie koͤnnen anders nicht als durch Zwang gebraucht werden, folglich faͤllt alle Gelaſſenheit, alle Schlappigkeit der Nerven weg, und die Finger werden ſteif.

§. 85.

Je verfuͤhriſcher die Finger-Setzung bey den einſtim - migen und gehenden Gedancken vor den mehrſtimmigen und ſprin - genden iſt, wie wir aus den Scalen geſehen haben; deſto weniger gefaͤhrlich iſt ſie bey denen Bindungen. Jndem die gebundenen Noten aufs ſtrengſte nach der Vorſchrift gehalten werden muͤſſen, ſo pflegt daher ſelten mehr als eine Art, ſolche heraus zu brin - gen, moͤglich zu ſeyn. Man muß alſo hierbey mehr Freyheiten er - lauben, als ſonſten. Das Fortſetzen eines Fingers ohne Abwech - ſelung, das Steigen des Daumens auf einen halben Ton und andere Huͤlfs-Mittel, wovon wir hernach handeln werden, kan man ohne Bedencken brauchen. Da man alſo nicht leicht bey dieſen Bedingungen irren kan, ſo moͤgen die wenigen Exempel bey Fig LVI. hinlaͤnglich ſeyn.

§. 86.

Jch mache den Anfang bey Anfuͤhrung einiger be - ſonderer Exempel, unter Fig. LVII. bey (a) das Ueberſchlagen des zweyten, bey (b) des dritten und bey (c) des vierdten Fingers uͤber den Daumen in Spruͤngen zu zeigen. Bey Fig. LVIII. ſehen wir das Einſetzen des Daumens in ſpringenden Paſſagien; man mercke hier, daß allezeit nach dem Daumen der vierte Fin - ger, und nach dem zweyten der kleine eingeſetzet wird.

§. 87.39Von der Finger-Setzung.

§. 87.

Eine der noͤthigſten Freyheiten in der Applicatur iſt das Auslaſſen gewiſſer Finger wegen der Folge. Die unter Fig. LIX. befindlichen Exempel zeigen dieſes deutlich, unter welchen das mit (*) auf Tab. III. bezeichnete beweiſet, daß dieſes Auslaſ -Tab. III. ſen natuͤrlicher ſey, als die bey (*) (*) befindlichen Spannungen. Jn den Baͤſſen koͤmmt dieſe Nothwendigkeit beſonders oft vor. Die natuͤrliche Biegſamkeit des Daumens macht das bey (1) be - findliche Exempel, allwo drey Finger ausgelaſſen werden, beque - mer, als das bey (2), wo nur zwey Finger wegbleiben.

§. 88.

Wenn in den Probe-Stuͤcken zwey Ziffern neben einander uͤber eine Note vorkommen, ſo wird der eingeſetzte Fin - ger, welchen die erſte Ziffer anweiſet, nicht eher aufgehoben, als bis der andere da iſt, weil dieſe mit zwey Ziffern bezeichnete Note nur einmahl angeſchlagen werden darf, es ſey denn, daß eine daruͤber befindliche Manier, dieſe Note mehr als einmahl zum Ge - hoͤr bringet. Die Folge ſo wohl Tab. III. Fig. LX. (a) als die Ausuͤbung einiger Manieren machen dieſes Einſetzen zweyer Fin - ger hinter einander oft noͤthig; dann und wann iſt auch eine Aushaltung daran Schuld (b). Die Biegſamkeit des Daumens iſt zu dieſem Abloͤſen vorzuͤglich geſchickt. Da dieſes Huͤlfs-Mit - tel ſo gar leicht nicht iſt, geſchickt zu gebrauchen, ſo hat es von Rechts wegen nur bey einer wenigſtens etwas langen Note und im Falle der Noth ſtatt. Dieſe Vorſicht mercke man bey allen auſſerordentlichen Huͤlfs-Mitteln, welche theils von Natur theils wegen ihrer Seltenheit ſchwer ſind und auch bleiben. Man er - laube ſolche ſeinen Schuͤlern nicht eher, als bis entweder gar keine andere Moͤglichkeit mehr da iſt, oder man muͤſte eine noch groͤſſere Unbequemlichkeit ſich gefallen laſſen. Aus dieſer Urſache braucht Couperin, ſo gruͤndlich derſelbe ſonſten iſt, zu oft und ohne Noth dieſes Abloͤſen eines ſchon eingeſetzten Fingers. OhneZwei -40Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. III. Zweifel war der rechte Gebrauch des Daumens damals noch nicht voͤllig bekannt; man ſiehet dieſes aus einigen von ihm be - zifferten Exempeln, allwo er beſonders bey Bindungen ſo ver - faͤhrt, anſtatt den Daumen zu gebrauchen oder mit einem Finger fort zu gehen, welches beydes leichter iſt als dieſes Huͤlfs-Mit - tel. Da der Daumen von unſern Vorfahren nur ſelten, gebraucht wurde, ſo war er ihnen oft im Wege; folglich hatten ſie manch - mal zu viel Finger. Als man nachhero ſolchen fleißiger zu gebrau - chen anfing, ſo mengte ſich die alte Art noch oft unter die neue und man hatte gleichſam noch nicht das Hertz, den Daumen allezeit da, wo er hingehoͤret, einzuſetzen. Jetzo empfinden wir dann und wann, ohngeachtet des beſſern Gebrauchs der Finger bey unſerer Art von Muſick, daß wir deren zu wenig haben.

§. 89.

Dahero muß man zuweilen erlauben mit einem Finger, auch bey gehenden Noten, fortzugehen. Am oͤfterſten und leichteſten geſchiehet dieſes, wenn man wegen der Folge von einem halben Tone in die naͤchſte Taſte mit dem Finger herun - ter gleitet. Man druͤckt hierdurch ſehr bequem eine Schleifung aus, Fig. LXI. Da dieſes Herabgleiten ſehr leichte faͤllt, ſo kan es auch auſſer dieſer Urſache und in geſchwinderer Zeit-Maſſe ge - braucht werden als das Fortſetzen und Abloͤſen. Uebrigens mercke man beſonders hierbey an, daß das Fortſetzen in gewiſſen Faͤllen eben ſo geſchickt iſt, geſtoſſene Noten heraus zu bringen als ge - ſchleifte. Von der erſten Art finden wir bald zu Anfange des Probe-Stuͤcks aus dem fis moll, und von der andern Art bey Fig. LVI. Tab. II. Exempel. Uebrigens haben wir aus dem vo - rigen §. gehoͤrt, daß dieſes Fortſetzen natuͤrlicher ſey, zumahl bey Bindungen, wenn man die Wahl hat, als das Abloͤſen.

§. 90.

Wenn ein Ton oͤfter als einmal hinter einander in maͤßiger Geſchwindigkeit vorkommt, ſo wird mit den Fingernnicht41Von der Finger-Setzungnicht abgewechſelt, wohl aber bey dergleichen geſchwinden Noten. Tab. III. Man gebraucht hierzu nur zwey Finger auf einmal. Der kleine iſt hierzu der ungeſchickteſte, weil ihm wegen ſeiner Schwaͤche das Schnellen, welches hierzu erfordert wird, ſchwer faͤllt. Die - ſes Schnellen entſteht dadurch, indem jeder Finger ſo hurtig als moͤglich von der Taſte abgleiten muß, damit jedes Einſetzen deutlich gehoͤrt werden koͤnne. Auf dem Clavicorde bringt man am leichteſten dieſe Art von Paſſagien heraus.

§. 91.

Bey etwas langſamen mehr als einmal hinter ein - ander vorkommenden einerley Toͤnen kan man dieſen beſondern Vortheil ſich zu Nutzen machen, daß man das letzte mahl den - jenigen Finger einſetzt, den die Folge haben muß. Ein Exem - pel hiervon findet man bey Fig. LXII. Dieſer Umſtand ereignet ſich beſonders bey der lincken Hand oft.

§. 92.

Wenn in denen Ton-Arten mit vielen halben Toͤnen Paſſagien vorkommen, welche nicht von der Weite ſeyn, daß nach unterſetztem Daumen, der gewoͤhnliche Finger, wegen der ſonſt ordentlich darauf folgenden Toͤne, muß geſetzt werden, ſo nimmt man nach dem Daumen den Finger, welcher vor dem Daumen da war. Die Urſache hiervon iſt dieſe, weil man hierdurch die Hand in einer Lage behaͤlt, anſtatt daß es unbequem fallen wuͤrde, wegen eines geſchwinde vorbey gehenden Tones die gantze Hand zu ruͤcken. Dieſe Regel gilt nur ſo lange, als blos ein Ton nach Einſetzung des Daumens darauf folgt; folgen aber zwey, ſo braucht man die Finger in ihrer gehoͤrigen Ordnung. Von beyderley Art finden wir Exempel unter Fig. LXIII. Einige brauchen dieſe Art von Applicatur bey Paſſagien, wo noch zwey Toͤne nach dem Daumen folgen, welche gantz oben uͤber die bey - den letzten Exempel ſtehet; ſie iſt nicht eben unrecht, ich glaubeFaber,42Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. III. aber, daß man das verbunden iſt zu thun, was man in weni - gen Veraͤnderungen ohne Unbequemlichkeit verrichten kan.

§. 93.

Jn den Probe-Stuͤcken finden ſich ein paar Stellen, wo wider die gegebene Regel, in einer einzeln Stimme der kleine Finger gebraucht wird an einem Orte, wo die Weite der Paſ - ſagie nicht mit ihm zu Ende gehet. Die Abbildung beyder Paſ - ſagien findet ſich bey Fig. LXIV. Der erſtere Fall iſt durch die maͤßige Zeit-Maaß der Noten zu entſchuldigen. Man darf dieſes Ueberſchlagen nicht anders gebrauchen, als wenn der vierte laͤngere Finger uͤber den auf eine der unterſten Taſten liegenden kleinen, auf einen halben Ton ziemlich bequem durch eine kleine Wendung der Hand klettern kan, und dieſes muß nur einmal und nicht oͤfter hinter einander geſchehen. Der andere Fall iſt ein Zeichen der noͤthigen Zuſammenziehung der Hand und wird durch die Hal - tung erleichtert; auſſerdem aber iſt dieſe Art von Applicatur falſch. Da die Zeit-Maaß des gantzen Stuͤckes ſehr geſchwind iſt, ſo moͤchte die Einſetzung zweyer Finger auf das f faſt ſchwerer ge - weſen ſeyn, als dieſes Zuſammenziehen. Die Hand wird bey dieſem Falle gleichfalls etwas weniges nach der rechten Seite ge - wendet. Das Einſetzen in eben demſelben Stuͤcke auf einer kuͤrtzern Note vor einer Manier, hat nicht vermieden werden koͤnnen, oder man haͤtte einen ungewiſſen Sprung wagen muͤſſen. Wir werden dieſes aus der Erklaͤrung dieſer Manier deutlicher begreifen.

§. 94.

Jn Stuͤcken von drey und mehrern Stimmen, wo jede Stimme ihren ausdruͤcklichen Geſang behaͤlt, ereignen ſich dann und wann Faͤlle, wo beyde Haͤnde abwechſeln muͤſſen, wenn die Gattung der Noten genau beobachtet werden ſoll, ob - gleich nach dem Noten-Plane der Gang nur einer Hand allein zu gehoͤren ſcheinet. Fig. LXV.

§. 95.43Von der Finger-Setzung.

§. 95.

Endlich habe ich um beyden Haͤnden GelegenheitTab. III. zu geben, ſich gleich zu uͤben, bey Fig. LXVI. zwey Exempel aus den verfuͤhreriſchſten Ton-Arten mit einem Verſetzungs-Zeichen bey - gefuͤgt, in welchen bey dem erſten durch lauter gehende Noten, und bey dem zweyten durch eingemiſchte Spruͤnge das Unterſetzen ſo wohl als das Ueberſchlagen nebſt dem Gebrauche des kleinen Fingers deutlich zu erſehen iſt.

§. 96.

Jn gewiſſen Faͤllen, wo man leicht ungewiß haͤtte ſeyn oder gar irren koͤnnen, welche Noten mit dieſer oder jener Hand muͤſſen geſpielt werden, habe ich die fuͤr die rechte den Strich in die Hoͤhe und die fuͤr die lincke den Strich herunter kehren laſſen. Wenn wegen Mangel des Raums einige Noten in den Mittelſtimmen nicht beſonders geſchwaͤntzt worden ſind, ſo muß man ihre Geltung und Aushaltung nach der Eintheilung anderer mit ihnen zugleich anſchlagenden Mittel - oder Grund-Stim - men-Noten beurtheilen. Da ich in der Schreib-Art der Probe - Stuͤcke hauptſaͤchlich darauf geſehen habe, daß denen Anfaͤngern ſo viel moͤglich eine Erleichterung verſchaffet und alle Gelegenheit benommen werde, die Haͤnde wegen der ihnen zukommenden Noten zu verwirren: ſo wird es niemand Wunder nehmen, wenn manch - mal die Geltung jeder Note und der Gang jeder Stimme nicht ausdruͤcklich ſo, wie man wohl ſonſten zu thun pfleget, ange - deutet worden. Ein Kenner wird dem ohngeacht gar leicht den Geſang jeder Stimme und die Geltung jeder Note aus einander finden koͤnnen; Jn den Probe-Stuͤcken aus dem D dur und aus dem As ereignet ſich die Urſache zu dieſem §. einige mahl.

§. 97.

Man findet unter gedachten Probe-Stuͤcken eines, wo die Haͤnde uͤberſchlagen werden muͤſſen. Jch habe auch dieſe natuͤrliche Hexerey nicht vorbey gehen wollen, welche ſeit kurtzem erſt wieder anfaͤngt etwas weniger gebraucht zu werden. DurchF 2die44Das erſte Hauptſtuͤck. Von der Finger-Setzung. die Vorzeichnung des Schluͤſſels habe ich hierbey jeder Hand das ihrige angewieſen; auſſerdem pflegt man auch durch hinzu - gefuͤgte Woͤrter dieſes zu thun. Man findet oft dergleichen Stuͤ - cke, wo der Urheber davon ohne Noth dieſes Ueberſchlagen der Haͤnde haben will. Man iſt alsdenn hieran nicht gebunden, ſondern ziehet den natuͤrlichen Gebrauch der Haͤnde dieſer Gau - ckeley vor. Dem ohngeacht iſt dieſe Art zu ſpielen gar nicht zu verwerfen, in ſo ferne ſie unſer Jnſtrument noch vollkomm - ner macht, und hierdurch gute neue Gedancken heraus gebracht werden koͤnnen. Nur muͤſſen ſie ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie ohne Ueberſchlagen entweder gar nicht, oder ſehr unbequem geſpielt werden koͤnnen, indem der Geſang jeder Stimme bald durch heß - liche Abſaͤtze verſtuͤmmelt, bald gar zerriſſen wird. Auſſerdem iſt es vergeblicher Wind, welcher blos Unverſtaͤndige blenden kan; denn ein Kenner weiß gar wohl, daß dieſes Ueberſchlagen allein betrachtet auſſer einer kleinen Ungewohnheit, welche bald uͤber - wunden iſt, gar nichts ſchweres in ſich hat, ob wir ſchon aus der Erfahrung wiſſen, daß ſehr gute und auch ſchwere Sachen auf dieſe Art geſetzt worden ſind.

§. 98.

Was wegen der Finger-Setzung bey den Manieren zu mercken iſt, wird in dem beſondern Haupt-Stuͤck von den Manieren abgehandelt werden, weil deren Erklaͤrung vorhero hierzu erfordert wird. Zuweilen ſind bey einigen durch kleine Noͤtgen angedeuteten Manieren die Ziffern weggelaſſen worden, weil man ſie aus der folgenden bezifferten Haupt-Note beurtheilen kan.

§. 99.

Jm uͤbrigen verweiſe ich meine Leſer auf die zu - letzt angehaͤngte Probe-Stuͤcke, allwo von allen in der Ap - plicatur vorkommenden Faͤllen zuſammen hangende Exempel an - zutreffen ſind.

Zwey -45

Zweytes Hauptſtuͤck. Von den Manieren.

Erſte Abtheilung. Von den Manieren uͤberhaupt.

§. 1.

Es hat wohl niemand an der Nothwendigkeit der Manieren gezweifelt. Man kan es daher mercken, weil man ſie uͤber - all in reichlicher Menge antrift. Jndeſſen ſind ſie aller - dings unentbehrlich, wenn man ihren Nutzen betrachtet. Sie haͤngen die Noten zuſammen; ſie beleben ſie; ſie geben ihnen, wenn es noͤthig iſt, einen beſondern Nachdruck und Gewicht; ſie machen ſie gefaͤllig, und erwecken folglich eine beſondere Auf - merckſamkeit; ſie helfen ihren Jnhalt erklaͤren; es mag dieſer traurig oder froͤlich oder ſonſt beſchaffen ſeyn wie er will, ſo tra - gen ſie allezeit das ihrige darzu bey; ſie geben einen anſehnlichen Theil der Gelegenheit und Materie zum wahren Vortrage; einer maͤßigen Compoſition kan durch ſie aufgeholfen werden, da hin - gegen der beſte Geſang ohne ſie leer und einfaͤltig, und der klaͤ - reſte Jnhalt davon allezeit undeutlich erſcheinen muß.

§. 2.

So viel Nutzen die Manieren alſo ſtiften koͤnnen, ſo groß iſt auch der Schade, wenn man theils ſchlechte Manieren waͤhlet, theils die guten auf eine ungeſchickte Art auſſer ihrem beſtimmten Orte und auſſer der gehoͤrigen Anzahl anbringet.

§. 3.

Deswegen haben diejenigen allezeit ſicherer gehandelt, welche ihren Stuͤcken die ihnen zukommenden Manieren deutlichF 3bey -46Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. beygefuͤgt haben, als wenn ſie ihre Sachen der Diſcretion unge - ſchickter Ausuͤber haͤtten uͤberlaſſen ſollen.

§. 4.

Auch hierinnen muß man den Frantzoſen Gerechtig - keit wiederfahren laſſen, daß ſie in der Bezeichnung ihrer Stuͤcke beſonders ſorgfaͤltig ſind. Die groͤßten Meiſter unſres Jnſtru - ments in Deutſchland haben daſſelbe, wiewohl nicht mit ſolchem Ueberfluß, gethan, und wer weiß, ob ſie nicht durch dieſe ver - nuͤnftige Wahl und Anzahl der Manieren Gelegenheit gegeben haben, daß die Frantzoſen anjetzo nicht mehr, wie vordem, faſt jede Note mit einem ſolchen Zierrath beſchweren, und dadurch die noͤthige Deutlichkeit und edle Einfalt des Geſanges verſtecken.

§. 5.

Wir ſehen hieraus, daß man lernen muͤſſe, die guten Manieren von den ſchlechten zu unterſcheiden, die guten recht vorzutragen und ſie an ihrem beſtimmten Orte in gehoͤriger An - zahl anzubringen.

§. 6.

Die Manieren laſſen ſich ſehr wohl in zwey Claſſen abtheilen. Zu der erſten rechne ich diejenigen, welche man theils durch gewiſſe angenommene Kennzeichen, theils durch wenige kleine Noͤtgen anzudeuten pflegt; zu der andern koͤnnen die uͤbrigen gehoͤren, welche keine Zeichen haben und aus vielen kurtzen No - ten beſtehen.

§. 7.

Da die letztere Art von Manieren von dem Geſchma - cke in der Muſick beſonders abhaͤnget und folglich der Veraͤnde - rung gar zu ſehr unterworfen iſt; da man ſie bey den Clavier - Sachen mehrentheils angedeutet antrift, und da man ſie allenfalls bey der hinlaͤnglichen Anzahl der uͤbrigen miſſen kan: ſo werde ich nur etwas weniges am Ende, bey Gelegenheit der Fermaten davon anfuͤhren, im uͤbrigen aber blos mit denen aus der erſten Claſſe zu thun haben, indem ſie mehrentheils ſchon von langen Zeiten her gleichſam zum Weſen des Clavier-Spielens gehoͤrt ha -ben47Von den Manieren uͤberhaupt. ben und ohne Zweifel allezeit Mode bleiben werden. Jch werde dieſen bekannten Manieren einige neue beyfuͤgen; ich werde ſie erklaͤren und ihnen ſo viel moͤglich ihren Sitz beſtimmen; ich werde der Bequemlichkeit wegen ihre Finger-Setzung, in ſo weit ſie merck - wuͤrdig iſt, ſo wohl als die Art ſie vorzutragen, gleich darbey mit anfuͤhren; ich werde durch Exempel das, was man nicht alle - zeit mit aller Gewißheit ſagen kan, erlaͤutern; ich werde von einigen falſchen oder wenigſtens undeutlichen Zeichen, damit man ſie von den rechten unterſcheiden lerne, ingleichen von verwerfli - chen Manieren das noͤthige erwehnen; ich werde zuletzt meine Le - ſer auf die Probe-Stuͤcke verweiſen, und hoffe durch alles dieſes das hier und da eingewurtzelte falſche Vorurtheil, von der Noth - wendigkeit der uͤberhaͤuften bunten Noten bey dem Clavier-Spie - len, ziemlich aus dem Wege zu raͤumen.

§. 8.

Dieſem ohngeachtet ſtehet es jedem, wer die Geſchick - lichkeit beſitzet, frey, auſſer unſern Manieren weitlaͤuftigere ein - zumiſchen. Nur brauche man hierbey die Vorſicht, daß dieſes ſelten, an dem rechten Orte und ohne dem Affecte des Stuͤckes Gewalt zu thun geſchehe. Man wird von ſelbſten begreifen, daß zum Exempel die Vorſtellung der Unſchuld oder Traurigkeit weniger Auszierungen leidet, als andere Leidenſchaften. Wer hie - rinnen das noͤthige in Obacht nimmt, den kan man fuͤr vollkom - men paßiren laſſen, weil er mit der ſingenden Art ſein Jnſtru - ment zu ſpielen, das uͤberraſchende und feurige, welches die Jn - ſtrumente vor der Singe-Stimme voraus haben, auf eine ge - ſchickte Art verknuͤpfet, und folglich die Aufmerckſamkeit ſeiner Zuhoͤrer durch eine beſtaͤndige Veraͤnderung vorzuͤglich aufzumun - tern und zu unterhalten weiß. Jn dieſem Puncte behalte man ohne Bedencken den Unterſcheid zwiſchen der Singe-Stimme und dem Jnſtrumente bey. Wer nur ſonſt die noͤthige Behutſam -keit48Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. keit wegen dieſer Manieren anwendet, der ſey uͤbrigens unbe - kuͤmmert, ob das, was er ſpielet, eben geſungen werden koͤnne oder nicht.

§. 9.

Jndeſſen muß man dennoch vor allen Dingen ſich huͤten, daß man auch mit unſerer Art von Manieren nicht zu verſchwenderiſch umgehe. Man betrachte ſie als Zierrathen, womit man das beſte Gebaͤude uͤberhaͤufen und als das Gewuͤrtze, wo - mit man die beſten Speiſen verderben kan. Viele Noten, indem ſie von keiner Erheblichkeit ſind, muͤſſen von ihnen verſchont blei - ben; viele Noten, welche an ſich ſchimmernd genug ſind, leiden ſie ebenfalls nicht, weil ſie nur die Wichtigkeit und Einfalt ſol - cher Noten erheben und von andern unterſcheiden ſollen. Widri - genfalls wuͤrde ich denſelben Fehler begehen, in den ein Redner faͤllt, welcher auf jedes Wort einen nachdruͤcklichen Accent legen wollte; alles wuͤrde einerley und folglich undeutlich werden.

§. 10.

Wir werden aus der Folge erſehen, daß mancher Fall mehr als eine Art von Manieren erlaubet; hier brauche man den Vortheil der Veraͤnderung; man bringe bald eine ſchmei - chelnde bald eine ſchimmernde Manier an, oder man trage zur Abwechſelung manchmal die Noten, in ſo ferne ſie es erlauben, gantz ſchlecht, ohne Manier, doch nach den Regeln des guten Vortrags, wovon in dem folgenden Hauptſtuͤcke gehandelt wer - den wird, und nach dem wahren Affect vor.

§. 11.

Es iſt ſchwer, den Sitz jeder Manier ſo gar genau zu beſtimmen, indem jeder Componiſt bey ſeinen Erfindungen, ohne daß er dem guten Geſchmacke Gewalt thut, die Freyheit hat, an den meiſten Oertern eine ihm beliebige Manier darbey zu ſetzen. Wir begnuͤgen uns, durch einige feſt beſtimmte Saͤtze und Exempel, wenigſtens durch Anfuͤhrung der Unmoͤglichkeit einer anzubringenden Manier unſere Leſer hierinnen zu unterrich -ten;49Von den Manieren uͤberhaupt. ten; und indem man bey denen Stuͤcken, wo alle Manieren an - gedeutet ſind, deswegen unbekuͤmmert ſeyn kan, ſo pflegen im Ge - gentheil die Stuͤcke, wo wenig oder nichts dabey gezeichnet iſt, nach der gewoͤhnlichen Art mit ihren Manieren verſehen zu werden.

§. 12.

Jndem ich mich in dieſer ſchweren Sache, noch zur Zeit keines Vorgaͤngers, welcher mir dieſe ſchluͤpfrige Bahn ge - brochen haͤtte, zu erinnern weiß: ſo wird mir niemand veruͤblen koͤnnen, wenn ich glaube, daß, ohngeacht gewiſſer feſt geſetzten Faͤlle, dennoch vielleicht eine Moͤglichkeit zur Ausnahme vorhan - den ſeyn kan.

§. 13.

Deswegen iſt noͤthig, weil bey dieſer Materie, um ſie mit Vernunft zu gebrauchen, viele Kleinigkeiten in acht zu nehmen ſind, daß man, ſo viel als moͤglich, durch fleißige An - hoͤrung guter Muſicken ſein Gehoͤr uͤbe, und vor allen Dingen, um vieles deſto beſſer zu verſtehen, die Wiſſenſchaft des General - Baſſes beſitze. Wir haben aus der Erfahrung, daß derjenige, wel - cher nichts gruͤndliches von der Harmonie verſteht, allezeit bey Anbringung der Manieren, im finſtern tappet, und den guten Ablauf niemals ſeiner Einſicht, ſondern dem bloſſen Gluͤcke zuzu - ſchreiben hat. Jch werde zu dem Ende allezeit, wo es noͤthig iſt, den Baß den Exempeln beyfuͤgen.

§. 14.

Ohngeachtet die Saͤnger ſo wohl als andere Jnſtru - mentiſten, wenn ſie ihre Stuͤcke gut ausuͤben wollen, eben ſo wenig die meiſten von unſern kleinen Manieren entbehren koͤnnen als die Clavieriſten, ſo haben doch die letztern ordentlicher ver - fahren, da ſie den Manieren gewiſſe Kennzeichen gegeben, wodurch die Art, ihre Stuͤcke zu ſpielen, deutlich angedeutet worden iſt.

§. 15.

Da man dieſer loͤblichen Vorſicht nicht gefolget iſt, und im Gegentheil durch wenige Zeichen alles andeuten wollen, ſo wird den uͤbrigen die Lehre von den Manieren nicht nur vielGſau -50Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. ſaurer, als den Clavier-Spielern, ſondern man hat auch aus der Erfahrung, daß dadurch viele undeutliche ja falſche Zeichen entſtanden ſind, welche noch jetzo zuweilen verurſachen, daß viele Sachen nicht gehoͤrig ausgefuͤhret werden. Zum Exempel der Mordent iſt in der Muſick eine noͤthige und bekannte Manier, indeſſen kennen wenige, auſſer die Clavieriſten, deſſen Zeichen. Jch weiß daß dadurch oft eine Stelle in einem Stuͤcke verdorben worden iſt. Dieſe Stelle muſte, wenn ſie nicht unſchmackhaft klingen ſollte, mit einem langen Mordenten heraus gebracht wer - den, welchen niemand ohne Andeutung wuͤrde errathen haben. Die Nothwendigkeit dieſes nur bey dem Claviere bekannte Zei - chen darzu zu ſetzen, weil man kein anders hat, verurſachte, daß man es mit dem Zeichen eines Trillers verwechſelte. Wir wer - den in der Folge aus der groſſen Verſchiedenheit dieſer zwey Manieren erſehen, wie unangenehm die Wuͤrckung hiervon gewe - ſen ſey.

§. 16.

Da die Frantzoſen ſorgfaͤltig in Beyſetzung der Zei - chen ihrer Manieren ſind, ſo folgt hieraus, gleichwie man ſich leider bishero uͤberhaupt von ihren Sachen und ihrer guten Art das Clavier zu ſpielen entfernt, daß man auch dadurch zugleich von der genauen Andeutung der Manieren dergeſtalt abgewichen iſt, daß dieſe ſonſt ſo bekannten Zeichen jetzo auch bey den Cla - vier-Sachen ſchon angefangen, fremde Dinge zu ſeyn.

§. 17.

Die in denen Manieren ſteckende Noten richten ſich wegen der Verſetzungs-Zeichen nach der Vorzeichnung bey dem Schluͤſſel. Dem ohngeacht werden wir in der Folge ſehen, daß bald die vorhergehenden, bald die nachfolgenden Noten und uͤber - haupt die Ausweichungen eines Geſanges in eine andere Tonart hierinnen eine Ausnahme oft zu machen pflegen, welche ein ge - uͤbtes Ohr bald zu entdecken weiß.

§. 18.51Von den Manieren uͤberhaupt.

§. 18.

Damit man aber auch denen deswegen ſich ereig - nenden Schwierigkeiten vorkommen moͤge, ſo habe ich fuͤr noͤthig gefunden, die Art beyzubehalten, vermoͤge welcher bey allen Ma - nieren die Verſetzungs-Zeichen zugleich mit angedeutet werden. Man wird ſie in denen Probe-Stuͤcken bald eintzeln bald dop - pelt, wo es noͤthig geweſen iſt, antreffen.

§. 19.

Alle Manieren erfordern eine proportionirte Ver - haͤltniß mit der Geltung der Note, mit der Zeit-Maaſſe und mit dem Jnhalte des Stuͤckes. Man mercke bey denen Faͤllen be - ſonders, wo unterſchiedene Arten von Manieren ſtatt haben, und wo man wegen des Affects nicht zu ſehr eingeſchraͤnckt iſt, daß je mehr Noten eine Manier enthaͤlt, deſto langſamer die Note ſeyn muß, wobey ſie angebracht werden ſoll, es entſtehe uͤbrigens dieſe Langſamkeit aus der Geltung der Note oder aus der Zeit - Maaſſe des Stuͤckes. Das brillante, welches die Manier hervor - bringen ſoll, muß alſo nicht dadurch gehindert werden, wenn zu viel Zeit-Raum von der Note uͤbrig bleibt; Jm Gegentheil muß man auch durch ein allzuhurtiges Ausuͤben gewiſſer Manieren keine Undeutlichkeit verurſachen; dieſes geſchiehet hauptſaͤchlich, wenn man Manieren von vielen Noten oder viele Manieren uͤber geſchwinde Noten anbringet.

§. 20.

Ohngeachtet wir in der Folge ſehen werden, daß man zuweilen mit Fleiß eine Manier uͤber einer langen Note anbringet, welche die Waͤhrung dieſer Note nicht voͤllig ausfuͤllt, ſo muß man dennoch hierbey die letzte Note einer ſolchen Ma - nier nicht eher aufheben, als bis die folgende koͤmmt, indem der Endzweck aller Manieren hauptſaͤchlich dahin gerichtet ſeyn muß, die Noten zuſammen zu haͤngen.

§. 21.

Wir ſehen alſo, daß die Manieren mehr bey lang - ſamer und maͤßiger als geſchwinder Zeit-Maaß, mehr bey langen als kurtzen Noten gebraucht werden.

G 2§. 22.52Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung.

§. 22.

Was wegen der Geltung der Noten ſo wohl bey den Zeichen als auch kleinen Noͤtgen zu bemercken iſt, werde ich alle - zeit bey der Erklaͤrung derſelben anfuͤhren. Auſſerdem findet man die letztern nach ihrer wahren Geltung in den Probe-Stuͤ - cken ausgedruͤckt.

§. 23.

Alle durch kleine Noͤtgen angedeutete Manieren ge - hoͤren zur folgenden Note; folglich darf niemals der vorhergehenden etwas von ihrer Geltung abgebrochen werden, indem blos die folgende ſo viel verliehrt, als die kleinen Noͤtgen betragen. Dieſe Anmerckung iſt um ſo viel noͤthiger, je mehr gemeiniglich hier - wider gefehlet wird, und je weniger ich habe verhindern koͤnnen, daß zuweilen bey den gehaͤuften Zeichen der Finger-Setzung, der Manieren und des Vortrags, der Raum bey den Probe-Stuͤ - cken erfordert hat, daß einige kleine Noͤtgen von ihrer Hauptnote, wozu ſie gehoͤren, haben muͤſſen abgeriſſen werden.

§. 24.

Vermoͤge dieſer Regel werden alſo ſtatt der folgen - den Haupt-Note dieſe kleinen Noͤtgen zum Baſſe oder andern Stim - men zugleich angeſchlagen. Man ſchleift durch ſie in die folgende Note hinein; hierwider wird gar ſehr oft gefehlet, indem man auf eine rauhe Art in die Haupt-Note hinein plumpt, nachdem noch wohl gar darzu die mit den kleinen Noten vergeſellſchaftete Manieren ungeſchickt an - und heraus gebracht worden ſind.

§. 25.

Da man bey unſerm heutigen Geſchmacke, wozu die Jtaliaͤniſche gute Sing-Art ein anſehnliches mit beygetragen hat, nicht mit den Frantzoͤſiſchen Manieren allein auskommen kan; ſo habe ich die Manieren von mehr als einer Nation zuſammen tragen muͤſſen. Jch habe ihnen einige neue beygefuͤgt: Jch glaube auch, daß bey dem Claviere ſo wohl als andern Jnſtru - menten die Spiel-Art die beſte ſey, welche auf eine geſchickte Art das Propre und Brillante des Franzoͤſiſchen Geſchmacks mit demSchmei -53Von den Manieren uͤberhaupt. Schmeichelhaften der Welſchen Sing-Art zu vereinigen weiß. Die Deutſchen ſind hierzu beſonders aufgelegt, ſo lange als ſie von Vorurtheilen befreyet bleiben.

§. 26.

Jndeſſen kan es wohl ſeyn, daß einige mit dieſer meiner Wahl von Manieren nicht gaͤntzlich zufrieden ſeyn wer - den, weil ſie vielleicht nur einem Geſchmacke geſchworen haben; ich glaube aber, daß niemand mit Grunde in der Muſick etwas beurtheilen kan, als wer nicht allerley gehoͤrt hat und das beſte aus jeder Art zu finden weiß. Jch glaube auch, nach dem Aus - ſpruch eines gewiſſen groſſen Mannes, daß zwar ein Geſchmack mehr gutes als der andere habe, daß dem ohngeacht in jedem etwas beſonders gutes ſtecke und keiner noch nicht ſo vollkom - men ſey, daß er nicht noch Zuſaͤtze leide. Durch dieſe Zuſaͤtze und Raffinement ſind wir ſo weit gekommen, als wir ſind und werden auch noch immer weiter kommen. Dieſes kan aber un - moͤglich geſchehen, wenn man nur eine Art von Geſchmacke bear - beitet und gleichſam anbetet; Man muß ſich gegentheils alles gute zu nutze machen, man mag es finden wo man will.

§. 27.

Da alſo die Manieren nebſt der Art ſie zu gebrau - chen ein anſehnliches zum feinen Geſchmacke beytragen; ſo muß man weder zu veraͤnderlich ſeyn, und den Augenblick jede neue Manier, es mag ſie vorbringen wer nur will, ohne weitere Un - terſuchung annehmen, noch auch ſo viel Vorurtheil fuͤr ſich und ſeinen Geſchmack beſitzen, aus Eigenſinn gar nichts fremdes an - nehmen zu wollen. Freylich gehoͤret allezeit eine ſcharfe Pruͤfung vorher, ehe man ſich etwas fremdes zueignet, und es iſt moͤg - lich, daß mit der Zeit durch eingefuͤhrte unnatuͤrliche Neuerun - gen der gute Geſchmack eben ſo rar werden kan, als die Wiſſen - ſchaft. Jndeſſen muß man doch, ob ſchon nicht der erſte, den - noch auch nicht der letzte in der Nachfolge gewiſſer neuer Ma -G 3nie -54Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. nieren ſeyn, um nicht aus der Mode zu kommen. Man kehre ſich nicht daran, wenn ſie anfangs nicht allezeit ſchmecken wollen. Das neue, ſo einnehmend es zuweilen iſt, ſo widerwaͤrtig pflegt es uns manchmahl zu ſeyn. Dieſer letztere Umſtand iſt oft ein Beweis von der Guͤte einer Sache, welche ſich in der Folge laͤnger erhaͤlt, als andre, die im Anfange allzuſehr gefallen. Gemeiniglich werden dieſe letzteren ſo ſtrapaziert, daß ſie bald zum Eckel werden.

§. 28.

Da die meiſten Exempel uͤber die Manieren in der rechten Hand vorkommen, ſo verbiete ich dieſe Schoͤnheiten der lincken gantz und gar nicht; ich rathe vielmehr jedem an, alle Manieren mit beyden Haͤnden fuͤr ſich zu uͤben, weil ſie eine Fertigkeit und Leichtigkeit, andre Noten herauszubringen, ver - ſchaffen. Wir werden aus der Folge ſehen, daß gewiſſe Manie - ren auch oͤfters bey dem Baſſe vorkommen. Auſſer dem aber iſt man verbunden, alle Nachahmungen bis auf die geringſte Klei - nigkeiten nachzumachen. Damit alſo die lincke Hand dieſes mit einer Geſchicklichkeit verrichten koͤnne, ſo iſt noͤthig, daß ſie hierinnen geuͤbt werde, indem es widrigenfalls beſſer ſeyn wuͤrde, die Manieren, welche ihre Anmuth verliehren, ſo bald man ſie ſchlecht vortraͤgt, wegzulaſſen.

§. 29.

Man wird aus dem folgenden ſehen, daß die dem zweyten Theil meiner Sonaten beygefuͤgte Erklaͤrung einiger Ma - nieren, welche der Verleger unter meinem Namen, ob ſchon wi - der meinen Willen und Wiſſen anzuhaͤngen ſich nicht entbloͤdet hat,[f]alſch iſt. Jch bin hieran ſo unſchuldig, als an der Her - ausgabe der im Lotterſchen Catalogus aller muſicaliſchen Buͤcher von dieſem Jahre auf der achten Seite unter meinem Vor - und Zunahmen und folgendem mercklichen Titel befindlichen VI Sonates nouveaux per Cembalo, 1751. Jch habe dieſe So -naten55Von den Vorſchlaͤgen. naten noch nicht zuſehen bekommen koͤnnen; ich glaube aber gantz gewiß, daß ſie mir entweder gar nicht zugehoͤren, oder daß es wenigſtens alte und falſch geſchriebene Stuͤcke ſeyn moͤgen, wie es gemeiniglich zu geſchehen pfleget, wenn jemand etwas heimlich erſchleichet und hernach herausgiebet.

Zweyte Abtheilung. Von den Vorſchlaͤgen.

§. 1.

Die Vorſchlaͤge ſind eine der noͤthigſten Manieren. Sie ver - beſſern ſo wohl die Melodie als auch die Harmonie. Jm erſten Falle erregen ſie eine Gefaͤlligkeit, indem ſie die Noten gut zuſammen haͤngen; indem ſie die Noten, welche we - gen ihrer Laͤnge oft verdrießlich fallen koͤnnten, verkuͤrtzen, und zugleich auch das Gehoͤr fuͤllen, und indem ſie zuweilen den vor - hergehenden Ton wiederholen; man weiß aber aus der Erfah - rung, daß uͤberhaupt in der Muſick das vernuͤnftige Wiederho - len gefaͤllig macht. Jm andern Falle veraͤndern ſie die Harmo - nie, welche ohne dieſe Vorſchlaͤge zu ſimple wuͤrde geweſen ſeyn. Man kan alle Bindungen und Diſſonantien auf dieſe Vorſchlaͤge zuruͤck fuͤhren; was iſt aber eine Harmonie ohne dieſe beyden Stuͤcke?

§. 2.

Die Vorſchlaͤge werden theils andern Noten gleich geſchrieben und in den Tackt mit eingetheilt, theils werden ſie durch kleine Noͤtgen beſonders angedeutet, indem die groͤſſernihre56Das zweyte Hauptſtuͤck, zweyte Abtheilung. ihre Geltung den Augen nach behalten, ob ſie ſchon bey der Ausuͤbung von derſelben allezeit etwas verlieren.

§. 3.

Das wenige, was etwa bey der erſten Art Vorſchlaͤge zu bemercken iſt, werden wir am Ende anfuͤhren, und uns blos jetzo mit den letzteren bekannt machen. Beyde Arten gehen ſo wohl von unten in die Hoͤhe, als von oben herunter.

§. 4.

Dieſe kleinen Noͤtgen ſind entweder in ihrer Gel - tung verſchieden, oder ſie werden allezeit kurtz abgefertiget.

§. 5.

Vermoͤge des erſten Umſtandes hat man ſeit nicht gar langer Zeit angefangen dieſe Vorſchlaͤge nach ihrer wahren Geltung anzudeuten, anſtatt daß man vor dieſem alle VorſchlaͤgeTab. III. durch Acht-Theile zu bezeichnen pflegte, Tab. III. Fig.[I]. Damahls waren die Vorſchlaͤge von ſo verſchiedener Geltung noch nicht eingefuͤhret; bey unſerm heutigen Geſchmacke hingegen koͤnnen wir um ſo viel weniger ohne die genaue Andeutung derſelben fort - kommen, je weniger alle Regeln uͤber ihre Geltung hinlaͤnglich ſind, weil allerley Arten bey allerley Noten vorkommen koͤnnen.

§. 6.

Wir ſehen zugleich aus dieſer Figur: daß die Vor - ſchlaͤge die vorige Noten zuweilen wiederholen (a), zuweilen auch nicht (b), und daß die folgende Note hinauf und herunter gehen und ſpringen kan.

§. 7.

Ferner lernen wir aus dieſer Abbildung zugleich ihren Vortrag, indem alle Vorſchlaͤge ſtaͤrcker, als die folgende Note ſammt ihren Zierathen, angeſchlagen, und an dieſe gezogen werden, es mag nun der Bogen darbey ſtehen oder nicht. Dieſe beyden Vorſichten ſind dem Endzwecke der Vorſchlaͤge gemaͤß, als wodurch die Noten zuſammen gehaͤnget werden ſollen; man muß ſie alſo ſo lange, bis ſie von der folgenden Note abgeloͤſet wer - den, aushalten, damit ſie gut binden. Der Ausdruck, wenn eine ſim - ple leiſe Note nach einem Vorſchlag folgt, wird der Abzug genennt.

§. 8.57Von den Vorſchlaͤgen.

§. 8.

Da die Zeichen der Vorſchlaͤge nebſt den ZeichenTab. III. der Triller beynahe die eintzigen allenthalben bekandten ſind, ſo findet man ſie gemeiniglich angedeutet. Da man ſich aber den - noch nicht allezeit hierauf verlaſſen kan, ſo muß man verſuchen, in wie weit es moͤglich iſt, den Sitz dieſer veraͤnderlichen Vor - ſchlaͤge zu beſtimmen.

§. 9.

Auſſerdem was wir im 6. §. geſehen haben, ſo kom - men die Vorſchlaͤge von veraͤnderlicher Geltung gemeiniglich vor: Bey gleichem Tacte im Niederſchlagen Fig. II. (a), und Aufheben (b); bey ungleichem Tacte aber im Niederſchlage alleine, Fig. III. allezeit vor einer etwas langen Note. Man findet ſie ferner vor den Schluß-Trillern Fig. IV. (a). Vor den halben Cadentzen (b), vor den Einſchnitten (c), vor den Fermaten (d), und vor der Schluß-Note nach (e) und ohne vorhergegangenen Triller (f). Wir ſehen bey dem Exempel (e), daß nach dem Triller der Vor - ſchlag von unten beſſer thut, als der von oben, deswegen wuͤrde der Fall bey (g) nicht gut klingen. Langſame punctirte Noten vertragen dieſe Art von Vorſchlaͤgen ebenfalls (h). Wenn dieſe Art von Noten auch ſchon geſchwaͤntzt waͤren, ſo muß doch die Zeit-Maaß gemaͤßiget ſeyn.

§. 10.

Dieſe veraͤnderlichen Vorſchlaͤge von unten kommen nicht leicht anders vor, als wenn ſie die vorige Note wiederho - len; die aber von oben trift man auch auſſerdem an.

§. 11.

Nach der gewoͤhnlichen Regel wegen der Geltung dieſer Vorſchlaͤge finden wir, daß ſie die Haͤlfte von einer folgen - den Note, welche gleiche Theile hat, Fig. V. (a), und bey unglei - chen Theilen (b) zwey Drittheile bekommen. Auſſerdem ſind fol - gende Exempel Fig. VI. merckwuͤrdig.

§. 12.

Die bey Fig. VII. befindlichen Exempel kommen auch oft vor. Die Schreib-Art davon iſt nicht die richtigſte, weilHbey58Das zweyte Hauptſtuͤck, zweyte Abtheilung. Tab. III. bey den Pauſen nicht ſtille gehalten wird. Es haͤtten, ſtatt der - ſelben, Puncte oder laͤngere Noten geſetzt werden ſollen.

§. 13.

Es iſt gantz natuͤrlich, daß die unveraͤnderlichen kur - tzen Vorſchlaͤge am haͤufigſten bey kurtzen Noten vorkommen, Fig. VIII. (a). Sie werden ein, zwey, dreymahl oder noch oͤfter geſchwaͤntzt und ſo kurtz abgefertiget, daß man kaum merckt, daß die folgende Note an ihrer Geltung etwas verliehret. Dem ohn - geacht kommen ſie auch vor langen Noten vor, zuweilen wenn ein Ton einige mahl angeſchlagen wird (b), auch auſſer dem (c). Man findet ſie ebenfalls vor den Einſchnitten bey einer geſchwin - den Note (d), bey Ruͤckungen (e), Bindungen (f) und bey Schlei - fungen (g); Die Natur dieſer Noten bleibt dadurch unverletzt. Das Exempel bey (h) mit Vorſchlaͤgen von unten thut beſſer, wenn die Vorſchlaͤge als Achttheile geſpielt werden. Uebrigens muͤſſen bey allen Exempeln uͤber die kurtzen Vorſchlaͤge, dieſe letz - tern kurtz bleiben, wenn auch die Exempel langſam geſpielt werden.

§. 14.

Wenn die Vorſchlaͤge Tertien-Spruͤnge ausfuͤllen, ſo ſind ſie auch kurtz. Bey dem Adagio aber iſt der Ausdruck ſchmeichelnder, wenn die Vorſchlaͤge bey dieſem Exempel Fig. IX. (a) als Achttheile von einer Triole, und nicht als Sechzehntheile geſpielt werden. Bey (b) kan man die deutliche Eintheilung ler - nen. Manchmahl muß wegen gewiſſer Urſachen in einem Geſange die Reſolution abgebrochen werden, allda muß der VorſchlagTab. IV. auch gantz kurtz ſeyn Tab. IV. (c) Die Vorſchlaͤge vor den Trio - len werden auch kurtz abgefertiget, damit die Natur der Triole deutlich bleibe (d) und widrigenfalls dieſer Ausdruck mit dem bey (e) nicht verwirret werde. Wenn der Vorſchlag die reine Octave vom Baſſe hat, ſo kan er auch nicht lang ſeyn, weil die Har - monie zu leer klingen wuͤrde (f). Bey der verkleinerten Octave hingegen findet man ihn oft lang (g).

§. 15.59Von den Vorſchlaͤgen.

§. 15.

Wenn ein Ton um eine Secunde ſteigt und als -Tab. IV. dann wieder zuruͤck geht, es mag nun dieſer Ruͤckgang durch eine Haupt-Note Tab. IV. Fig. X, oder durch einen neuen Vor - ſchlag, (a) geſchehen, ſo entſteht vor der mittelſten Note auch leicht ein kurtzer Vorſchlag. Bey Fig. XI. finden wir einen Hau - fen Exempel von allerley Noten, bey gleichen und ungleichen Tact - Arten; wir ſehen aus dem einen Exempel, daß auch ein langer Vorſchlag in dieſem Falle angeht. Da geſtoſſene Noten uͤberhaupt ſimpler vorgetragen werden muͤſſen als geſchleifte, und da die Vorſchlaͤge insgeſamt an die folgende Note gezogen werden: ſo verſteht es ſich von ſelbſten, daß bey dieſem Falle ebenfalls ge - ſchleifte Noten voraus geſetzt werden. Uebrigens wird auch hier - bey, wie bey allen Manieren eine proportionirte Zeit-Maaß er - fordert, weil die gar zu groſſe Geſchwindigkeit keine Auszierun - gen vertraͤget. Aus dem mit einem (*) bezeichneten Exempel ſehen wir, daß bey dieſer Gelegenheit, wenn nach einer kurtzen eine ungleich laͤngere Note folgt, der Vorſchlag vor dieſer letzteren nicht gut thut. Wir werden in der Folge ſehen, daß alsdenn eine andere Manier, welche beſſer ausfuͤllt, angebracht werden kan.

§. 16.

Auſſerdem, was bishero von der Geltung der Vor - ſchlaͤge angefuͤhrt worden iſt, kommen zuweilen Faͤlle vor, wo der Vorſchlag wegen des Affects laͤnger, als gewoͤhnlich gehalten wird, und folglich mehr als die Haͤlfte von der folgenden Note bekommt, Fig. XII. (a). Dann und wann muß man aus der Harmonie die Geltung der Vorſchaͤge beſtimmen; wenn bey (b) die Vorſchlaͤge ein gantzes Viertheil ausmachen ſollten, ſo wuͤr - den die zur letzten Baß-Note anſchlagenden Quinten eckelhaft klin - gen, und bey (c) wuͤrden offenbare Quinten zum Gehoͤr kom - men, wenn der Vorſchlag laͤnger, als da ſteht, gehalten wuͤrde. Bey dem mit (*) bezeichneten Exempel Tab. III. Fig. I. mußH 2der60Das zweyte Hauptſtuͤck, zweyte Abtheilung. Tab. IV. der Vorſchlag auch nicht laͤnger ſeyn, ſonſt klingt die Septime zu hart.

§. 17.

Man muß alſo ebenfalls bey Anbringung der Vor - ſchlaͤge, wie uͤberhaupt bey allen Manieren, der Reinigkeit des Satzes keinen Tort thun, deswegen ſind die Exempel bey Fig. XIII. nicht wohl nachzuahmen. Folglich iſt es am beſten, man deutet alle Vorſchlaͤge ſamt ihrer wahren Geltung an.

§. 18.

Alle dieſe Vorſchlaͤge, nebſt ihren Abzuͤgen, wenn ſie zumahl haͤufig vorkommen, thun beſonders bey ſehr affectuoͤſen Stellen gut, indem der letztere oft mit einem Pianißimo gleich - ſam verloͤſcht, Fig. XIV. Bey andern Gelegenheiten aber wuͤrden ſie den Geſang zu matt machen, wenn ſie nicht alsdenn entwe - der die Vorlaͤufer von lebhaftern Manieren waͤren, welche die folgende Note bekommet, oder ſelbſt noch einen Zuſatz von an - dern Zierrathen annaͤhmen.

§. 19.

Deswegen traͤgt man die folgende Note gerne ſim - pel vor, wenn ſie einen ausgezierten Vorſchlag gehabt hat. Dieſe Einfalt wird durch das gewoͤhnliche dieſen Noten zukommende Piano gluͤcklich erhalten. Ein ſimpel vorgetragener Vorſchlag hin - gegen leidet gerne eine ausgezierte Folge. Wegen des letztern Fal - les beſiehe Fig. XV. (a) und wegen des erſtern (b).

§. 20.

Dieſe Ausſchmuͤckung der Vorſchlaͤge, indem ſie oft neue kleine Noͤtgen erfordert, iſt Urſache zu andern in der Folge erklaͤrten Manieren, und man pflegt alſo in dieſem Falle dieſe Vorſchlaͤge gerne als ordentliche Noten in den Tackt mit einzutheilen (c). Bey langſamen Stuͤcken kan zuweilen der Vor - ſchlag ſo wohl als die folgende Note ausgeſchmuͤckt ſeyn (d).

§. 21.

Dem ohngeacht pflegt man die Vorſchlaͤge oft des - wegen in den Tact mit einzutheilen, damit weder ſie noch die folgende Note ausgezieret werden (e).

§. 22.61Von den Vorſchlaͤgen.

§. 22.

Die Noten nach den Vorſchlaͤgen, ohngeachtet ſieTab. IV. von ihrem Werthe etwas einbuͤſſen, verlieren doch nicht ihre Ma - nier, wenn eine druͤber ſteht Fig. XVI. Hingegen muß man auch nicht die Manier uͤber dieſe Noten ſetzen, welche der Vorſchlag haben ſoll. Man muß alſo allezeit die Manier uͤber ihren ge - hoͤrigen Ort deutlich andeuten. Sollen Manieren zwiſchen dem Vorſchlag und der folgenden Note angebracht werden, ſo muͤſſen ſie auch darzwiſchen angedeutet ſeyn. Fig. XVII.

§. 23.

Vor ausgeſchriebenen und in den Tackt eingetheilten Vorſchlaͤgen von oben koͤnnen manchmahl ſo wohl lange als kurtze Vorſchlaͤge aufs neue angebracht werden, (1) wenn die vor - hergehende Note wiederholt wird Fig. XVIII. (a); (2) wenn der ausgeſchriebene Vorſchlag nicht vor der Schluß-Note ſtehet, wie man bey (b) dieſen Fehler ſieht. Ausgeſchriebene Vorſchlaͤge von unten leiden keinen neuen Vorſchlag vor ſich, weder von unten noch von oben (c); nachhero aber wohl (d).

§. 24.

Ueber alle bishero angefuͤhrte Faͤlle, welche keine Vorſchlaͤge vertragen, wollen wir noch einige oft vorkommende Fehler betrachten, welche bey Gelegenheit der Vorſchlaͤge began - gen werden. Der erſte iſt dieſer: Wenn man bey dem Schluſſe nach einem ſcharfen Triller, in welchen man ohne Vorſchlag hin - ein gegangen iſt, einen Vorſchlag von oben macht Tab. III. Fig. IV. (g). Kommt ein Triller nach einem Vorſchlage vor, ſo kan vor der folgenden herunter Fig. XIX. (a) oder hinauf gehenden Note (b) ein neuer ſtehen. Der zweyte Fehler iſt: Wenn man den Vorſchlag von ſeiner folgenden Note abreißt, indem man ihn entweder nicht genugſam aushaͤlt, oder wohl gar in der Ein - theilung der vorhergehenden Note mit anhaͤnget Fig. XX. (a).

§. 25.

Aus dieſem letzten Verſehen ſind die haͤßlichen Nach - ſchlaͤge entſtanden, die ſo gar auſſerordentlich Mode ſind, undH 3welche62Das zweyte Hauptſt. zweyte Abth. Von den Vorſchlaͤgen. Tab. IV. welche leider noch, darzu nicht eher gebraucht werden, als bey den ſangbarſten Gedancken, z. E. (b). Wenn ja Vorſchlaͤge hier - bey angebracht werden ſollten und muͤßten, ſo iſt die Ausfuͤhrung bey (*) leidlicher. Man ſiehet hieraus, daß man dieſe Fehler ver - beſſern kan, wenn aus dieſen Nachſchlaͤgen Vorſchlaͤge werden. Bey Fig. XXI. iſt ein Fall wo die Nachſchlaͤge gut und gewoͤhn - lich ſind, das letzte Exempel iſt mehr Mode als nach der Har - monie reine.

§. 26.

Weil durch die kleinen eintzeln Noͤtgen oft etwas mehreres als Vorſchlaͤge angedeutet werden, ſo wollen wir in der Folge das noͤthige dieſerwegen anfuͤhren.

Dritte Abtheilung. Von den Trillern.

§. 1.

Die Triller beleben den Geſang, und ſind alſo unentbehr - lich. Vor dieſem brauchte man ſie nicht leichte eher, als nach einem Vorſchlage Tab. IV. Fig. XXII. (a), oder bey Wiederholung der vorigen Note (b); im erſtern Falle heißt man ſie angeſchloſſene Triller; heute zu Tage aber kommen ſie bey gehenden, bey ſpringenden Noten, gleich im Anfange, oft hin - ter einander, bey Cadenzen, auch auſſerdem, uͤber langen Haltun - gen (c), uͤber Fermaten (d), bey den Einſchnitten ohne vorher - gegangenen Vorſchlag (e), auch nach ſolchem (f) vor. Folglich iſt dieſe Manier anjetzo viel willkuͤhrlicher als ehedem.

§. 2.

Dem ohngeacht iſt ſehr nothwendig, daß man, zumahl bey affectuoͤſen Stellen, mit dieſer Manier beſonders rathſam umgehe.

§. 3.63Das zweyte Hauptſt. dritte Abth. Von den Trillern.

§. 3.

Man hat bey einer guten Art das Clavier zu ſpielenTab. IV. vielerley Triller, den ordentlichen, den von unten, den von oben und den Halben - oder Prall-Triller.

§. 4.

Sie werden jeder durch ein beſonderes Zeichen in Clavier-Sachen ſehr wohl angedeutet. Auſſer dieſen werden ſie insgeſammt bald durch ein tr. bald durch ein einfaches Kreutz bezeichnet; man darf alſo eben ſo gar ſehr nicht um ihren Sitz beſorgt ſeyn, weil ihre bekannte Zeichen faſt uͤberall darbey ge - ſchrieben zu werden pflegen.

§. 5.

Der ordentliche Triller hat eigentlich das Zeichen eines m Fig. XXIII. (a), bey langen Noten wird dies Zeichen verlaͤngert (b). Die Ausuͤbung iſt bey (c) zu ſehen. Er nimmt allezeit ſeinen Anfang von der Secunde uͤber den Ton, folglich iſt die Art ihn durch ein vorſtehendes Noͤtgen anzudeuten (d), wenn dies Noͤtgen nicht wie ein Vorſchlag gehalten werden ſoll, uͤberfluͤßig.

§. 6.

Zuweilen werden zwey Noͤtgen noch zuletzt von unten auf angehaͤngt, welche der Nachſchlag heiſſen, und den Triller noch lebhafter machen Fig. XXIV. (a). Dieſer Nachſchlag wird manchmahl ausgeſchrieben (b), auch durch einige Veraͤnderung des ordentlichen Zeichens angedeutet (c). Jedoch da ein langer Mordent beynahe daſſelbe Zeichen hat, ſo halte ich fuͤr beſſer, um keine Verwirrung anzurichten, daß man es bey dem m laͤßt.

§. 7.

Die Triller ſind die ſchwereſte Manier. Allen wol - len ſie nicht gelingen. Man muß ſie in der Jugend fleißig uͤben. Jhr Schlag muß vor allen Dingen gleich und geſchwinde ſeyn. Ein geſchwinder Triller iſt allezeit einem langſamen vorzuziehen; bey traurigen Stuͤcken koͤnnte ein Triller allenfalls etwas langſa - mer geſchlagen werden, auſſerdem aber erhebt der Triller, wenn er geſchwind iſt, einen Gedancken ſehr. Jn der Staͤrcke undSchwaͤ -64Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung. Tab. IV. Schwaͤche richtet man ſich nach dem Gedancken, wobey er vor - koͤmmt, es mag dieſer Forte oder Piano vorgetragen werden.

§. 8.

Man hebt bey deſſen Uebung die Finger nicht zu hoch, und einen wie den andern auf. Man macht ihn Anfangs gantz langſam und hernach immer etwas hurtiger, aber allezeit gleich; die Nerven muͤſſen hier ebenfalls ſchlapp ſeyn, ſonſt kommt ein meckernder ungleicher Triller heraus. Mancher will ihn dadurch erzwingen. Bey der Uebung muß man in der Geſchwindigkeit nicht eher weiter ſchreiten, als bis der Schlag voͤllig gleich iſt. Der hoͤchſte Ton bey den Trillern, wenn er zum letzten mahl vorkommt, wird geſchnellet, d. i. daß man nach dieſem Anſchlage die Spitze des auf das geſchwindeſte gantz krumm eingebogenen Fingers auf das hurtigſte von der Taſte zuruͤcke ziehet und ab - gleiten laͤßt.

§. 9.

Man muß die Triller mit allen Fingern fleißig uͤben. Die letztern werden hierdurch ſtarck und fertig. Jndeſſen wird niemand es dahin bringen, daß er mit allen Fingern gleich gut trillern lernt, weil durch die Sachen die man ſpielt, ſchon mehr Triller bey gewiſſen Fingern vorkommen; folglich werden dieſe ohnvermerckt vorzuͤglich geuͤbt, und weil auch ſelbſt in die Finger ein Unterſchied von der Natur gelegt iſt. Jndeſſen kommen doch zuweilen auszuhaltende Triller in den aͤuſſerſten Stimmen vor, wobey man nicht das Ausleſen von Fingern hat, weil unterdeſ - ſen die andern Stimmen ihre eigene Bewegung behalten, auſſer dem werden auch gewiſſe Gedancken ſehr ſchwer heraus zu brin - gen ſeyn, wenn man nicht ſo gar die kleinen Finger fleißig tril - lern laͤßt, z. E. Fig. XXV.

§. 10.

Man kan wenigſtens ohne zwey gute Triller in je - der Hand nicht fortkommen. Jn der rechten mit dem zweyten und dritten, und mit dem dritten und vierten Finger; in derlin -65Von den Trillern. lincken Hand mit dem Daumen und zweyten, und mit dem zwey -Tab. IV. ten und dritten Finger. Dieſe gewoͤhnliche Finger-Setzung bey den Trillern, iſt Urſache, daß der lincke Daumen beſonders ge - ſchickt wird, und daher nebſt dem zweyten Finger faſt das meiſte in der lincken Hand zu thun hat.

§. 11.

Einige pflegen auch in Tertien einen doppelten Tril - ler mit einer Hand zu uͤben; dieſe koͤnnen ſich nach Belieben unter den bey Fig. XLII. in der erſten und zweyten Tabelle be - findlichen Exempel unterſchiedene Arten von ſolchen doppelten Tertien-Trillern ausleſen. Auch dieſe Uebung, man bringe es nun ſo weit als man wolle, iſt wegen der Finger nuͤtzlich; auſſer dem aber laſſe man ſie bey der Ausfuͤhrung lieber weg, wenn ſie nicht recht gleich und ſcharf ſind, ohne welche zwey Puncte kein Triller gut ſeyn kan.

§. 12.

Wenn der oberſte Ton eines Trillers auf einen halben Ton faͤllt, und der unterſte auf der unterſten Reihe Ta - ſten iſt, ſo iſt es nicht unrecht mit dem uͤbergeſchlagenen lincken Daumen und dem zweyten Finger den Triller zu machen. Fig. XXVI. Einige Perſonen pflegen auch zu ihrer Bequemlichkeit, zu - mahl, wenn das Grifbrett hart iſt, mit der rechten Hand die Triller mit dem dritten und fuͤnften oder zweyten und vierten zu machen.

§. 13.

Der Triller uͤber einer Note, welche etwas lang iſt, ſie mag hinauf oder herunter gehen, hat allezeit einen Nach - ſchlag. Wenn nach der Note mit dem Triller ein Sprung folgt Fig. XXVII. (a), ſo findet der Nachſchlag auch ſtatt. Wenn die Noten kurtz ſind, ſo leidet ihn eine darauf folgende ſteigende Se - cunde allezeit eher (b), als eine fallende (c). Da bey gantz lang - ſamer Zeit-Maaß folgende Arten Noten (d) einen Nachſchlag ver - tragen, ohngeacht die geſchwinde Folge nach den Puncten dieJStel -66Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung. Tab. IV. Stelle eines Nachſchlags vertreten koͤnnte: ſo ſiehet man hieraus, daß blos eine fallende Secunde dieſem Nachſchlage am meiſten zuwider iſt. Die Ausfuͤhrung dieſes Exempels (d) mit Nach - ſchlaͤgen werden wir im folgenden §. bey Gelegenheit der pun - ctirten Noten deutlich erſehen. Es iſt indeſſen keine nothwendige Schuldigkeit, bey dieſem letztern Exempel Nachſchlaͤge zu machen, wenn man nur den Triller gehoͤrig aushaͤlt.

§. 14.

Punctirte Noten, worauf eine kurtze im Hinaufge - hen folgt, leiden auch Triller mit dem Nachſchlage (e). An ſtatt, daß ſonſt die letzte Note von dem Nachſchlage allezeit in der groͤ - ſten Geſchwindigkeit mit der folgenden verbunden wird (f): ſo geſchiehet dieſes bey punctirten Noten nicht, weil ein gantz klei - ner Raum zwiſchen der letzten Note des Nachſchlags und der folgenden bleiben muß (g). Dieſer Raum muß nur ſo viel be - tragen, daß man kaum hoͤren kan, daß der Nachſchlag und die folgende Note zwey abgeſonderte Dinge ſind. Da dieſer Raum mit der Zeit-Maaſſe ein Verhaͤltniß hat, ſo iſt die bey (g) be - findliche Ausfuͤhrung, allwo die Schwaͤntzung der letzten Note des Nachſchlags dieſen Raum andeutet, nur ſo ohngefehr abge - bildet. Es ruͤhrt dieſes von dem Vortrage der punctirten Noten, wovon in dem letzten Haupt-Stuͤcke gehandelt werden wird, her, vermoͤge deſſen die auf die Puncte folgenden kurtzen allezeit kuͤr - tzer, als die Schreib-Art erfordert, abgefertiget werden. Die bey (h) befindliche Verbindungen des Nachſchlags mit der folgenden Note iſt alſo falſch. Es muß ein Componiſt, wenn er dieſe Art von Ausfuͤhrung verlangt, ſolches ausdruͤcklich andeuten.

§. 15.

Weil der Nachſchlag ſo geſchwind wie der Triller ſeyn muß, ſo laͤßt es ſich in der rechten Hand mit dem Daumen und dem zweyten Finger nicht gut mit dem Nachſchlage trillern, indem zu dieſem letztern ein Finger fehlt, und durch das Ueber -ſchla -67Von den Trillern. ſchlagen der Nachſchlag nicht gleich geſchwind geſpielt werdenTab. IV. kan, ohne welchem Umſtand der beſte Triller am Ende verliehrt.

§. 16.

Die Triller ohne Nachſchlag lieben eine her - unter gehende Folge Fig. XXVIII. (a), und kommen uͤberhaupt uͤber kurtze Noten vor (b). Wenn viele Triller hinter einander gehen (c), wenn eine, oder mehrere kurtze Noten darauf folgen, welche die Stelle des Nachſchlags vertreten koͤnnen (d), ſo bleibt der letztere auch weg. Jn dieſem Falle muß die Zeit-Maaß bey dem Exempel mit (*) nicht die langſamſte ſeyn. Die Triolen ver - ſchont man ebenfalls mit dem Nachſchlage (e). Bey der letzten bleibt er allezeit weg, bey den erſten dreyen hingegen kan er allen - falls, nur allein bey ſehr langſamen Tempo, angebracht werden.

§. 17.

Ein mittelmaͤßig Ohr wird allezeit empfinden, wo der Nachſchlag gemacht werden kan oder nicht. Jch habe dieſes wenige blos Anfaͤngern zu gefallen, und weil es hieher gehoͤrt, anfuͤhren muͤſſen.

§. 18.

Jn ſehr geſchwinder Zeit-Maaſſe kan man zuweilen durch Vorſchlaͤge die Ausnahme eines Trillers bequem bewerck - ſtelligen Fig. XXIX. Die letzten zwey kurtze Noten druͤcken als - denn den Nachſchlag nicht uͤbel aus.

§. 19.

Wenn bey den Trillern und deſſen Nachſchlage die Verſetzungs-Zeichen nicht angedeutet ſind, ſo muß man ſie bald aus dem vorhergehenden Fig. XXX. (a), bald aus der Folge (b), bald aus dem Gehoͤre und der Modulation beurtheilen (c). Wir mercken hierbey mit an, daß in dem Verhaͤltniſſe der Jntervallen des Trillers und ſeines Nachſchlags unter ſich, keine uͤberfluͤßige Secunde ſeyn darf (d).

§. 20.

Unter den Fehlern, wovon die Triller die unſchul - dige Urſache ſind, entdecken wir zu erſt dieſen: indem viele dieJ 2erſte68Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung. Tab. IV. erſte unter denen bey Fig. XXXI. abgebildeten Noten mit einem Triller beſchweren, ohngeacht die gemeiniglich uͤber dieſe Paſſagien geſetzten Bogen dieſes verhindern ſollten. So verfuͤhreriſch man - chem dieſe Art von Noten ſcheinen moͤchte, ſo wenig leiden ſie einen Triller. Es iſt etwas beſonders, daß durch eine unrechte Spiel-Art gemeiniglich die beſten und ſangbarſten Stellen muͤſſen verdorben werden. Die meiſten Fehler kommen bey langſamen und gezogenen Noten vor. Man will ſie der Vergeſſenheit durch Triller entreiſſen. Das verwoͤhnte Ohr will beſtaͤndig in einer gleichen Empfindung erhalten ſeyn. Es empfindet nicht anders als durch ein Geraͤuſche. Man ſiehet hieraus, daß diejenigen, welche dieſen Fehler begehen, weder ſingend dencken koͤnnen, noch jeder Note ihren Druck und ihre Unterhaltung zu geben wiſſen. So wohl auf dem Clavicorde als auf dem Fluͤgel ſingen die No - ten nach, wenn man ſie nicht zu kurtz abfertiget. Ein Jnſtru - ment iſt hierzu geſchickter verfertiget als ein anderes. Bey den Franzoſen ſind die Clavicorde ſo gar ſonderlich nicht eingefuͤhrt, folglich ſie ſetzen ihre Sachen mehrentheils fuͤr den Fluͤgel; Dem ohngeacht ſind ihre Stuͤcke voller Bindungen und Schleifungen, welche ſie durch die haͤufigen Bogen andeuten. Geſetzt, die Zeit - Maaß waͤre zu langſam und das Jnſtrument zum gehoͤrigen Nach - ſingen zu ſchlecht; ſo iſt es doch allezeit ſchlimmer einen Gedan - cken, der gezogen und matt vorgetragen werden ſoll, durch Triller zu verſtellen, als etwas weniges an dem deutlichen Nachklange einer Note zu verliehren, welches man durch den guten Vortrag reichlich wieder gewinnet. Es kommen uͤberhaupt bey der Mu - ſick viele Dinge vor, welche man ſich einbilden muß, ohne daß man ſie wuͤrcklich hoͤret. Z. E. bey Concerten mit einer ſtarcken Begleitung, verliehrt der Concertiſt allezeit die Noten, welche fortißimo accompagnirt werden muͤſſen, und die, wobey das Tuttiein -69Von den Trillern. einfaͤllt. Verſtaͤndige Zuhoͤrer erſetzen dieſen Verluſt durch ihreTab. IV. Vorſtellungs Kraft. Dieſe Zuhoͤrer ſind es, denen wir haupt - ſaͤchlich zu gefallen ſuchen muͤſſen.

§. 21.

Wenn man dem Triller einen lahmen Nachſchlag anhaͤngt Fig. XXXII; wenn man dem letztern noch ein Noͤtgen beyfuͤgt Fig. XXXIII, welches man mit Recht unter die verwerf - lichen Nachſchlaͤge rechnen kan; wenn man den Triller nicht ge - hoͤrig aushaͤlt, ohngeacht alle Arten davon, bis auf den Prall - Triller, ſo lange geſchlagen werden muͤſſen, als die Geltung der Note, woruͤber er ſteht, dauret; wenn man in den Triller, wel - cher durch einen Vorſchlag angeſchloſſen iſt, hinein plumpt, ohne den Vorſchlag zu machen oder ihn an den Triller zu haͤngen; wenn man dieſen frechen Triller auf das ſtaͤrckſte ſchlaͤgt, ohn - geachtet der Gedancke ſchwach und matt vorgetragen werden ſoll; wenn man endlich zu viel trillert, indem man glaubt verbunden zu ſeyn, jedwede etwas lange Note mit einem Triller zu bezeich - nen: ſo begehet man eben ſo heßliche als gewoͤhnliche Fehler. Die - ſes ſind die lieblichen Trillerchen, von denen ſchon im Eingange §. 10. etwas erwehnt worden iſt.

§. 22.

Der Triller von unten mit ſeinem Zeichen und ſeiner Ausfuͤhrung iſt bey Fig. XXXIV. zu ſehen. Weil dieſes Zeichen auſſer dem Claviere nicht ſonderlich bekandt iſt, ſo pflegt dieſer Triller auch wohl ſo bezeichnet zu werden (*), oder man ſetzt das gewoͤhnliche Zeichen eines tr. und uͤberlaͤßt dem Gutbefinden des Spielers oder Saͤngers, was fuͤr eine Art von Triller er da anbringen will.

§. 23.

Weil dieſer Triller viele Noten enthaͤlt, ſo erfor - dert er zu ſeinem Sitze eine lange Note und hat alſo auch den gewoͤhnlichen Nachſchlag, es waͤren denn geſchwinde NachſchlaͤgeJ 3aus -70Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung. Tab. IV. ausgeſchrieben. Man richtet ſich hierinnen nach dem, was bey dem ordentlichen Triller angefuͤhrt worden iſt.

§. 24.

Die bey Fig. XXXV. angefuͤhrten Exempel ſind merck - wuͤrdig. Bey (a) ſehen wir, wie der Nachſchlag nach einer Hal - tung angebracht wird; bey (b) koͤnnte der Nachſchlag weg blei - ben wegen des folgenden Sechzehntheils, ingleichen bey (c) wegen zwey drauf folgender Zweyunddreyßigtheile; alleine wenn die Zeit - Maaß langſam genug iſt, oder gar eine Cadentz bey dieſem Ge - dancken angebracht worden iſt, oder eine Fermate drauf folgt, bey welchen beyden letzteren Faͤllen nach Belieben kan angehalten werden: ſo macht man den Nachſchlag und haͤngt die folgenden kurtzen Noten gleich dran, doch ſo, daß die letzte etwas langſa - mer bleibt als die uͤbrigen (d); dieſer anjetzo ſo gewoͤhnliche Zie - rath, glaube ich, kan alſo am beſten aus dem bey (c) abgebil - deten Exempel hergeleitet werden, ungeachtet man die letzten No - ten davon zuweilen mit verſchiedner Geſchwindigkeit hervor zu bringen pflegt. Wir bemercken im Vorbeygehen bey dieſem Exem - pel, daß man zuweilen in weichen Tonarten bey der Cadentz den Schluß-Triller, anſtatt der Quinte des Baſſes, in der Sexte ſchlaͤgt.

§. 25.

Alſo kommt dieſer Triller zwar uͤberhaupt bey lan - gen Noten, beſonders aber am meiſten vor Fermaten und Schluͤſ - ſen vor. Auſſerdem aber trift man ihn bey der Wiederholung der vorigen Note Fig. XXXVI. (a), im Gange (b), und nach ei - nem Sprunge (c) vor einer hinauf - und herunter gehenden Folge an. Bey langen Aushaltungen von einigen Tacten, welche man durchtrillert, kan der Triller, wenn er etwa matt werden wollte, aufs neue durch dieſe Art von Trillern einmahl angefriſcht wer - den; jedoch muß dieſes geſchehen, ohne den geringſten Zeit-Raum leer zu laſſen, folglich iſt dieſer Triller beſonders den Fingern zu -traͤg -71Von den Trillern. traͤglich, indem er ihnen gleichſam neue Kraͤfte zu trillern giebt. Tab. IV. Man kan durch dieſen Triller gantz bequem gantze Octaven durch - gehen, und die Finger-Setzung wird durch die Paar Noͤtgen, welche im Anfange angehaͤnget werden, um ein vieles erleichtert; bey Fig. XXXVII. ſehen wir die Art, wie man durch eine all - maͤhlige Geſchwindigkeit oft in dieſen Triller bey einer Cadentz zu gehen pflegt, bey Fig. XXXVIII. wie dieſer Triller mit guter Wuͤrckung gebraucht wird, wenn die Modulation ſich veraͤndert, und bey Fig. XXXIX. wie er auch in Einſchnitten gebraucht wird.

§. 26.

Wenn in Spruͤngen, welche auf einander folgen, Triller vorkommen Fig. XL, ſo findet der ordentliche allein ſtatt, und derjenige wuͤrde unrecht thun, welcher um dieſen Trillern eine beſondere Schaͤrfe zu geben, an dieſem Orte entweder einen Triller von unten oder einen von oben machen wollte.

§. 27.

Dieſer zuletzt genannte iſt mit ſeinem rechten Zei - chen und ſeiner Ausfuͤhrung bey Fig. XLI. abgebildet. Auſſer dem Claviere pflegt er auch dann und wann ſo angedeutet zu werden, wie wir bey (*) ſehen.

§. 28.

Da er unter allen Trillern die meiſten Noten ent - haͤlt, ſo erfordert er auch die laͤngſte Note; dahero wuͤrden ſich die beyden ſchon angefuͤhrten Arten von Trillern bey der unter Fig. XLII. angefuͤhrten Cadentz beſſer ſchicken als dieſer. Vor dieſem wurde er oͤfter gebraucht, wie heute zu Tage; jetzo braucht man ihn hauptſaͤchlich bey der wiederholten vorigen Note Fig. XLIII. (a) im herunter gehen (b), und im herunter ſpringen um eine Tertzie (c).

§. 29.

Da wir ſchon erwehnt haben, daß man uͤberhaupt bey Anbringung der Manieren beſonders acht haben muͤſſe, daß man der Reinigkeit der Harmonie keinen Schaden thue: ſo wuͤrde man aus dieſer Urſache bey dem Exempel unter Fig. XLIV. ambeſ -72Das zweyte Hauptſtuͤck, dritte Abtheilung. Tab. IV. beſten einen ordentlichen Triller, oder den von oben anbringen, weil der Triller von unten verbotene Quinten-Anſchlaͤge hervor - bringet.

§. 30.

Der halbe oder Prall-Triller, welcher durch ſeine Schaͤrfe und Kuͤrtze ſich von den uͤbrigen Trillern unterſcheidet, wird von den Clavier-Spielern der bey Fig. XLV. befindlichen Abbildung gemaͤß bezeichnet. Wir finden allda auch ſeine Aus - nahme vorgeſtellt. Ohngeachtet ſich bey dieſer der oberſte Bo - gen vom Anfange bis zu Ende ſtreckt, ſo werden doch alle Noten bis auf das zweyte g und letzte f angeſchlagen, welche durch einen neuen Bogen ſo gebunden ſind, daß ſie ohne Anſchlag liegen bleiben muͤſſen. Dieſer groſſe Bogen bedeutet alſo blos die noͤthige Schleifung.

§. 31.

Durch dieſen Triller wird die vorhergehende Note an die folgende gezogen, alſo koͤmmt er niemahls bey geſtoſſenen Noten vor. Er ſtellet in der Kuͤrtze einen durch einen Vorſchlag oder durch eine Haupt-Note an die folgende angeſchloſſenen Triller ohne Nachſchlag vor.

§. 32.

Dieſer Triller iſt die unentbehrlichſte und angenehm - ſte, aber auch darbey die ſchwerſte Manier. Er kommt entweder gar nicht zum Gehoͤr, oder auf eine lahme und unausſtehlige Weiſe, welche ſeinem natuͤrlichen Weſen entgegen iſt, wenn man ihn nicht vollkommen gut macht. Man kan ihn dahero ſeinen Schuͤlern nicht wohl langſam weiſen, wie die uͤbrigen Manieren. Er muß recht prallen; der zuletzt angeſchlagene oberſte Ton von dieſem Triller wird geſchnellt; dieſes Schnellen allein macht ihn wuͤrcklich, und geſchiehet mit der im 7ten §. angefuͤhrten Art, und mit einer auſſerordentlichen Geſchwindigkeit, ſo, daß man Muͤhe hat, alle Noten in dieſem Triller zu hoͤren. Hieraus ent - ſtehet eine gar beſondere Schaͤrfe, gegen welche auch der ſchaͤrfſte Triller von anderer Art in keinen Vergleich kommt. Dieſer Tril -ler73Von den Trillern. ler kan dahero eben ſo wohl, wie die kurtzen Vorſchlaͤge uͤberTab. IV. einer geſchwinden Note vorkommen, welche dem ohngeacht nicht verhindern darf, daß dieſer Triller deswegen doch ſo hurtig ge - macht werden muß, daß man glauben ſollte, die Note, woruͤber er angebracht wird, verloͤhre nicht das geringſte hierdurch an ihrer Geltung, ſondern traͤfe auf einen Punct zur rechten Zeit ein. Dahero muß er nicht ſo fuͤrchterlich klingen, als er ausſehen wuͤrde, wenn man alle Noͤtgen von ihm allezeit ausſchreiben wollte. Er macht den Vortrag beſonders lebhaft und glaͤntzend. Man koͤnnte allenfalls, wenn es ſeyn muͤſte, eher eine andere Manier oder auch die uͤbrigen Arten von Trillern miſſen, und den Vor - trag ſo einrichten, daß man ihnen aus dem Wege gehen und andere leichtere Manieren an ihre Stelle ſetzen koͤnnte; nur ohne den Prall-Triller kan niemand zurechte kommen, und wenn alles uͤbrige noch ſo gut ausgefuͤhret worden waͤre, ſo wuͤrde man dennoch bey dem Mangel an dieſem Triller nicht zufrieden ſeyn koͤnnen.

§. 33.

Weil er nicht anders als beſonders geſchickt und geſchwind gemacht werden muß: ſo koͤnnen ihn die Finger nur, welche vor den uͤbrigen den beſten Triller ſchlagen, am beſten ausfuͤhren; folglich iſt man oft ſchuldig, wie wir bey Fig. XLVI. ſehen, Freyheiten wider die Finger-Setzung und auſſerordentliche Huͤlfs-Mittel vorzunehmen, damit man in der Folge dieſen Triller gut machen koͤnne; doch muß dieſes ſo geſchickt geſchehen, daß der Vortrag nicht darunter leidet.

§. 34.

Dieſer Prall-Triller kan nicht anders als vor einer fallenden Secunde vorkommen, ſie mag nun durch einen Vor - ſchlag oder eine groſſe Note entſtehen Fig. XLVII. Man findet ihn uͤber kurtzen Noten (a), oder ſolchen, welche durch einen Vor - ſchlag kurtz werden (b). Deswegen wenn er auch uͤber fermiren -Kden74Das zweyte Hauptſt. dritte Abth. Von den Trillern. Tab. IV. den Noten vorzukommen pflegt, ſo haͤlt man den Vorſchlag gantz lang, und ſchnappt hernach gantz kurtz mit dieſem Triller ab, in - dem man den Finger von der Taſte entfernet. (c).

§. 35.

Man findet ihn oft auſſer den Cadentzen und Fer - maten, bey Paſſagien, wo drey oder auch mehrere Noten herunter ſteigen Fig. XLVIII. und, weil er die Natur eines Trillers ohne Nachſchlag hat, welcher ſich herunter neiget, ſo iſt er, wie die - ſer, in Faͤllen anzutreffen, wo auf lange Noten kurtze hinter -Tab. V. her folgen, wie wir Tab. V. bey Fig. XLIX. ſehen.

§. 36.

Bey Gelegenheit des Vortrags dieſes Trillers mer - cken wir noch an, daß ſich auf dem Forte piano, wenn dieſe Manier leiſe gemacht werden ſoll, eine bey nahe unuͤberſteigliche Schwierigkeit findet. Man weiß, daß alles Schnellen durch einen gewiſſen Grad der Gewalt geſchehen muß; dieſe Gewalt macht allezeit den Anſchlag auf dieſem Jnſtrumente ſtarck; unſer Triller kan gantz und gar nicht ohne Schnellen hervor gebracht werden; alſo leidet ein Clavier-Spieler allezeit hierinnen, um ſo viel mehr, da dieſer Triller gar ſehr oft theils allein, theils in Geſellſchaft des Doppel-Schlags nach einem Vorſchlag, und folg - lich nach den Regeln des Vortrags aller Vorſchlaͤge, piano vor - koͤmmt. Dieſe Unbequemlichkeit ereignet ſich bey allem Schnel - len, beſonders aber hier bey der ſchaͤrfſten Art von Schnellen. Jch zweifle, ob man auch durch die groͤßte Uebung, die Staͤrcke des Anſchlags bey dieſem Triller auf benanntem Jnſtrumente allezeit in ſeiner Gewalt wird haben koͤnnen.

[figure]
Vierte
75

Vierte Abtheilung. Von dem Doppelſchlage.

§. 1.

Der Doppelſchlag iſt eine leichte Manier, welche den Ge -Tab. V. ſang zugleich angenehm und glaͤntzend macht. Seine An - deutung und Ausuͤbung finden wir Tab. V. bey Fig. L. abgebildet. Wir ſehen hierbey die Nothwendigkeit, bey drauf fol - genden Octaven oder anderen weiten Spruͤngen dieſen Doppel - ſchlag mit vier Fingern zu machen. Man pflegt in dieſem Falle zwey Ziffern neben einander uͤber die Note zu ſetzen.

§. 2.

Weil er die allermeiſte Zeit hurtig ausgefuͤhret wird, ſo habe ich die Geltung ſeiner Noͤtgen, welche er enthaͤlt, ſo wohl bey langſamer als auch geſchwinder Zeit-Maaß entwerfen muͤſſen. Er hat auch das bey (*) befindliche Zeichen. Jch habe dismahl das erſtere erwaͤhlt, um aller ſich etwa ereignenden Zweydeutig - keit wegen der Ziffern aus dem Wege zu gehen.

§. 3.

Dieſe Manier wird ſo wohl in langſamen als auch geſchwinden Stuͤcken, bey Schleifung ſo wohl als auch bey ge - ſtoſſenen Noten angebracht. Eine gantz kurtze Note vertraͤgt ſie nicht wohl, weil hierdurch wegen der vielen Noten, welche ſie enthaͤlt und welche doch eine gewiſſe Zeit erfordern, der Geſang leicht undeutlich werden kan.

§. 4.

Man findet den Doppelſchlag theils allein uͤber einer Note, theils in Geſellſchaft des unter ihm befindlichen Prall-Trillers, theils, nach einer oder zweyen kleinen dreymahl geſchwaͤntzten Noͤtgen, welche vor einer Note ſte - hen und ſich, wie wir in der Folge ſehen werden, von den Vor - ſchlaͤgen unterſcheiden.

K 2§. 5.76Das zweyte Hauptſtuͤck, vierte Abtheilung.
Tab. V.
4

§. 5.

Der Doppelſchlag allein kommt entweder gerade uͤber einer Note oder nach ſelbiger etwas zur rechten Hand vor.

§. 6.

Jm erſtern Falle findet man ihn Fig. LI. bey gehen - den Noten (a), bey ſpringenden (b), bey Einſchnitten (c), bey Ca - dentzen (d), bey Fermaten (e), ex abrubto ſo wohl bey dem An - fange (f) als in der Mitte (g), nach einem Vorſchlage am Ende (h), uͤber einer wiederholten Note (i), uͤber der folgenden nach dieſer wiederholten, wenn ſie nicht aufs neue wiederholt wird, ſie mag gehen (k) oder ſpringen (l), ohne Vorſchlag, mit ſol - chem, uͤber dieſen (m), nach dieſem u. ſ. w.

§. 7.

Dieſe ſchoͤne Manier iſt gleichſam zu gutwillig, ſie ſchickt ſich faſt allerwegens hin, und wird aus dieſer Urſache oft gar ſehr gemißbraucht, indem viele glauben, die gantze Zierde und Annehmlichkeit des Clavier-Spielens beſtehe darinnen, daß ſie alle Augenblicke einen Doppelſchlag anbringen. Es wird alſo noͤthig ſeyn, deſſen geſchickte Anbringung naͤher zu unterſuchen, weil ohngeachtet dieſer Gutwilligkeit ein Haufen verfuͤhreriſcher Gelegenheiten vorkommen koͤnnen, wo dieſe Manier nicht gut thut.

§. 8.

Da dieſe Manier in den mehreſten Faͤllen gebraucht wird, um die Noten glaͤntzend zu machen, ſo werden gemeinig - lich die, ſo wegen des Affects unterhalten und ſimpel vorgetragen werden muͤſſen, und wobey denen, ſo den wahren Vortrag und Druck nicht verſtehen, die Zeit insgemein zu lang wird, dadurch verdorben. Auſſerdem pflegt ſich bey dieſem Doppelſchlag der Fehler einzuſchleichen, welcher bey dem Gebrauch aller Manieren zu vermeiden iſt, nehmlich der Ueberfluß.

§. 9.

Aus der Betrachtung, daß dieſe Manier in der Kuͤrtze die Stelle eines ordentlichen Trillers mit dem Nachſchlage vertritt, kan man ſchon eine naͤhere Einſicht in den rechten Ge - brauch dieſes Doppelſchlages kriegen.

§ 10.77Von dem Doppelſchlage.

§. 10.

Da dieſer Doppelſchlag die allermeiſte Zeit geſchwindeTab. V. gemacht und die oberſte Note nach der ſchon angefuͤhrten Art geſchnellt wird, ſo begehet man einen Fehler, wenn man bey einer langen Note ſtatt des ordentlichen Trillers den Doppel - ſchlag gebraucht, weil dieſe Note, welche durch den Triller aus - gefuͤllt werden ſollte, hierdurch zu lerr bleibt.

§. 11.

Jch muß bey dieſer Gelegenheit einer Ausnahme gedencken, welche ſich ereignet, wenn man in langſamen Tempo wegen des Affects ſo wohl bey dem Schluſſe Fig. LII, als auch auſſer dem nach einem Vorſchlage von unten (a) ſtatt des Tril - lers einen leiſen Doppelſchlag macht, indem man die letzte Note davon ſo lange unterhaͤlt, bis die folgende eintritt.

§. 12.

Aus der Aehnlichkeit dieſes Doppelſchlags mit einem Triller mit dem Nachſchlage folgt, daß der erſtere ſich ebenfalls mehr nach hinauf als herunterwaͤrts neiget. Man trillert alſo bey geſchwinden Noten gantze Octaven und weiter bequem durch dieſe Manier hinauf, aber nicht herunter. Dieſer oft vorkom - mende Fall wird gemeiniglich auſſer dem Claviere ſo angedeutet, wie wir bey Fig. LIII. ſehen. Bey geſchwinden herunter ge - henden Noten hat alſo der Doppelſchlag nicht ſtatt.

§. 13.

Es fließt ferner aus dieſer Aehnlichkeit, daß man unſere Manier ohne Bedencken uͤber Noten, welche ſpringen, an - bringen koͤnne Fig. LIV. Wir ſehen hierbey hinauf - und herun - terſpringende Exempel.

§. 14.

Ohngeachtet der Doppelſchlag gerne uͤber einer wie - derholten Note angebracht wird, ſo vertraͤgt ihn in dieſem Falle eine drauf folgende ſteigende Secunde dennoch eher als eine her - unter gehende, indem der Anſchlag bey dieſem letztern Falle beſ - ſer thut, Fig. LV.

K 3§. 15.78Das zweyte Hauptſtuͤck, vierte Abtheilung.
Tab. V.
4

§. 15.

Auſſerdem kommt der Doppelſchlag oft nach langen Vorſchlaͤgen uͤber etwas langen Noten vor, wie wir Tab. V. Fig. LI. bey (c) (e) (f) und (h) geſehen haben. Wir mercken hierbey an, daß der Doppelſchlag uͤber einem Vorſchlage (denn die im vorigen §. angefuͤhrten wiederholten Noten ſind faſt alle - zeit Vorſchlaͤge) nicht leidet, daß die folgende Note einen Zierrath bekomme Fig. LVI; es ſey denn dieſer Vorſchlag vor einer Fer - mate, wobey er auch wegen des daruͤber befindlichen Zeichens laͤn - ger gehalten wird, als ſeine Geltung erfordert; die letzte Note von dieſem Doppelſchlage wird unterhalten, daß man alſo ohne Eckel gar wohl nach einem kleinen Zwiſchen-Raume in den da - rauf folgenden langen Mordenten hinein gehen kan (a).

§. 16.

Vorſchlaͤge, welche die vorhergehende Note nicht wiederholen, leiden uͤber ſich keinen Doppelſchlag Fig. LVII, ob er ſchon uͤber der darauf folgenden Aufloͤſung angebracht wird, (a).

§. 17.

Da man auſſer dem Claviere das Zeichen des Dop - pelſchlags eben ſo wenig kennet, als noͤthig dieſe Manier in der Muſick iſt: ſo deutet man ſie durch das gewoͤhnliche Zeichen des Trillers, oder wohl gar durch das Zeichen des Mordenten, wel - ches manchmahl einen Triller vorſtellen ſoll, an. Bey Fig. LVIII. finden ſich ein Haufen Exempel, bey welchen allen der Doppel - ſchlag beſſer und bequemer iſt als der Triller. Die mit einem (*) bezeichneten enthalten den eigentlichen Sitz eines Doppelſchla - ges, weil allda keine andere Manier ſtatt hat. Die mit (1) (2) (3) und (4) bezeichneten Figuren, wobey aber die letzte Note allezeit die wiederholte mittelſte ſeyn muß, ſind eben ſo gewiß ein Sitz eines Trillers, als eines Doppelſchlags bey geſchwindem Tempo. Bey dem Exempel (X) wird zuweilen in langſamer Zeit - Maaß nach dem Doppelſchlage noch ein Vorſchlag an dieſelbe Note gehaͤngt.

§. 18.79Von dem Doppelſchlage.

§. 18.

Der Mangel an Kennzeichen der Manieren auſſerTab. V. unſerm Jnſtrumente noͤthigt alſo die Componiſten oft das Zeichen des tr. dahin zu ſetzen, wo der Triller entweder wegen der Ge - ſchwindigkeit kaum moͤglich oder wegen der Schleifung ungeſchickt iſt. Das letzte Exempel mit zweyerley Endigung, unter dem Titel: Recit, von denen bey der erſten die letzte Note von dem Doppelſchlage nicht, wie gewoͤhnlich unterhalten wird, um das Sprechen nachzuahmen, erfordert uͤber der vorletzten Note in beyden Faͤllen ausdruͤcklich einen Doppelſchlag. Da man nun ohnmoͤglich das Zeichen des tr. hierbey ſetzen kan, ſo muß man, wenn man kein anders hat, dieſe Noten der Diſcretion der Spie - lenden uͤberlaſſen.

§. 19.

Der Doppelſchlag kommt zwar, wie wir Tab. V. Fig. LI. bey (e) geſehen haben, uͤber einer Fermate vor, wo man durch einen Vorſchlag von unten hinein gegangen iſt, niemahls aber findet man ihn uͤber einer Schluß-Note, wo vorher ein Vorſchlag von unten geweſen iſt, Fig. LIX. Jn beyden Faͤllen aber kan er vorkommen nach einem Vorſchlage von oben (a) und Fig. LI. (h).

§. 20.

Ohngeachtet der Aehnlichkeit des Doppelſchlages mit dem Triller unterſcheidet ſich doch der erſtere von dem letz - tern durch zwey Stuͤcke: erſtlich dadurch, indem er ſeine letzten Noten nicht geſchwinde mit der folgenden verbindet, weil die er - ſten geſchwinder ſind als die letzte, und alſo vor der folgenden Note allezeit ein kleiner Zeit-Raum uͤberbleiben muß; zweytens dadurch, daß er zuweilen ſeinen Schimmer ablegt, und bey lang - ſamen Stuͤcken voller Affeckt mit Fleiß matt gemacht wird, Fig. LX. Dieſer Ausdruck pflegt auch ſo angedeutet zu werden, wie wir bey (a) ſehen.

§. 21.80Das zweyte Hauptſtuͤck, vierte Abtheilung.
Tab. V.
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§. 21.

Der Doppelſchlag allein kommt auch nach einer Note oder Vorſchlag vor, und zwar erſtlich, wenn ſolche et - was lang ſind Fig. LXI. (a); zweytens, bey einer Bindung (b), und drittens, wenn Punckte nachfolgen, (c).

§. 22.

Jm erſten Falle geſchiehet dieſes bey allerley Bewe - gung, nur nicht wohl vor einer fallenden Secunde. Wenn man zuweilen bey einer Cadentz keinen Triller anbringen will, ſo macht man nach dem Vorſchlage von unten, welcher in die Schluß-Note hinein gehet, einen Doppelſchlag (*); es darf aber alsdenn uͤber der letzten Note kein Mordent gemacht werden. Die Eintheilung des Doppelſchlags iſt bey allen Exempeln unter (a) dieſelbe, wel - che zuletzt abgebildet iſt.

§. 23.

Jm zweyten Falle entſtehet nach der bindenden Note ein Punckt und die letzte Note des Doppelſchlags macht mit der gebundenen eine Note aus; iſt die Zeit-Maaß aber hurtig, ſo faͤllt der Punckt weg; beyde Eintheilungen ſind bey (b) deutlich an - gezeigt. Dieſes Exempel kommt oft vor Cadentzen vor.

§. 24.

Jm dritten Falle entſtehen zwey Punckte, zwiſchen welchen der Doppelſchlag gemacht wird (c). Die Eintheilung finden wir bey (2) in Noten ausgeſchrieben und iſt allezeit die - ſelbe. Dieſer Fall kommt oft vor, wenn das Tempo ſo langſam iſt, daß dieſe Art von Noten zu langweilig werden will, inglei - chen bey Einſchnitten (1), und vor den Cadentzen, wenn nach einer puncktirten Note in demſelben Tone ein Triller darauf fol - get (2). Bey heruntergehenden puncktirten Noten von keiner be - ſondern Laͤnge, kommt dieſe Art den Doppelſchlag anzubringen nicht vor. Das Exempel (3), wenn es ſoll durch dieſe Manier ausgefuͤllet werden, ſtellet einen eigentlichen Sitz des Doppelſchlags vor, weil ein Triller ſtatt deſſen, ſo wohl uͤber der erſten Note, als auch nach ihr, allezeit falſch iſt. Wir ſehen aus der Abbil -dung81Von dem Doppelſchlage. dung dieſes Exempels, daß der Doppelſchlag ſo wohl nach derTab. V. erſten als uͤber der zweyten Note (4) angebracht wird. Aus der dabey befindlichen Eintheilung kan man leicht urtheilen, daß zu dieſem Falle ein langſames Tempo erfordert wird.

§. 25.

Das Verſetzungs-Zeichen bey dem Doppelſchlage erkennet man, wie bey den Trillern, aus dem vorhergehenden, aus der Folge und aus der Modulation. Dieſe Manier leidet eben ſo wenig, wie die Triller, in ſich eine uͤberfluͤßige Secunde Tab. IV. Fig. XXX. (d).

§. 26.

Das noͤthige Schnellen bey dem Doppelſchlage, wozu der kleine Finger nicht geſchickt genung iſt, erfordert zu - weilen eine etwas weniges geſpannte Applicatur. Fig. LXII.

§. 27.

Wenn bey dem Doppelſchlage die zwey erſten No - ten durch ein ſcharfes Schnellen in der groͤßten Geſchwindigkeit wiederholt werden, ſo iſt er mit dem Prall-Triller verbunden. Man kan ſich dieſe zuſammen geſetzte Manier am deutlichſten vor - ſtellen, wenn man ſich einen Prall-Triller mit dem Nachſchlage einbildet. Dieſe Manier giebt dem Clavier-Spielen zugleich eine beſondere Anmuth und Glantz. Sie ſtellt in der Kuͤrtze und in einer groͤſſern Lebhaftigkeit einen angeſchloſſenen Triller mit dem Nachſchlage vor. Man muß ſie alſo mit dieſem nicht verwech - ſeln, indem ſie ſich ſo weit davon unterſcheidet, als der Prall - Triller und der Doppelſchlag von dem ordentlichen Triller. Dieſe Manier iſt ſonſt noch nicht angemerckt worden. Wegen des lan - gen Bogens uͤber der letzten Figur beziehe ich mich auf das, was bey dem Prall-Triller angefuͤhrt iſt. Jch habe ſie ſo bezeich - net, und ſie ſieht in der Ausfuͤhrung ſo aus, wie beydes bey Fig. LXIII. abgebildet iſt.

§. 28.

Dieſer prallende Doppelſchlag findet ſich ohne und nach einem Vorſchlage; niemahls aber kan er anders vor -Lkom -82Das zweyte Hauptſtuͤck, vierte Abtheilung. Tab. V. kommen, als der Prall-Triller, nehmlich nach einer fallenden Secunde, von welcher er gleichſam abgezogen wird Fig. LXIII. und LXIV. Da dieſe zuſammen geſetzte Manier mehr Noten enthaͤlt, als die einfachen Manieren, woraus ſie beſteht, ſo fuͤllt ſie auch die Geltung einer etwas langen Note beſſer aus; folg - lich wird ſie auch in dieſem Falle lieber gebraucht als der Prall - Triller allein, Fig. LXV. Hingegen thut der Prall-Triller allein, bey dem Exempel (*), in Allegretto und in einer noch hurtigern Zeit-Maaſſe beſſer als zuſammen geſetzt. Man kan uͤberhaupt mercken, daß ſo wohl der einfache als prallende Doppelſchlag an den Stellen ſelten gut thut, wo ein Triller ohne Nachſchlag ſtatt hat.

§. 29.

Wenn in langſamer Zeit-Maaſſe drey Noten herunter ſteigen, ſo entſteht vor der mittelſten ein Vorſchlag, worauf uͤber ſolcher der prallende Doppelſchlag eintritt, welchen ein abermahliger Vorſchlag vor der letzten Note nachfolget. Die - ſer Fall iſt bey Fig. LXVI. einfach (a), mit ſeinen Zierathen (b), und mit ſeiner Ausfuͤhrung (c) abgebildet. Der erſte Vorſchlag iſt etwas gewoͤhnliches bey langſamen Noten, indem er ſie gut ausfuͤllt; auſſerdem aber war er hier noͤthig, um den prallen - den Doppelſchlag bequem und nicht eher anzubringen, als bis die Haͤlfte der Note, woruͤber er ſich befindet, vorbey war, welche Haͤlfte er juſt ausfuͤllt. Der letzte Vorſchlag dient nicht nur zur Verkuͤrtzung der letzten langen Note, damit ſie wegen ihrer Dauer ein Verhaͤltniß mit der vorigen bekomme, ſondern er iſt auch noͤthig wegen der Natur des Doppelſchlages, welcher, wie der ihm aͤhnliche Triller mit dem Nachſchlage, ſich gerne in die Hoͤhe neiget. Man darf dieſen letzten Vorſchlag nicht von ſeiner Note abreiſſen, (1) weil es ein Vorſchlag und kein Nachſchlag ſeyn ſoll, (2) weil nach der gegebenen Erklaͤrung von den Doppel -ſchlaͤ -83Von dem Doppelſchlage. ſchlaͤgen, die letzte Note derſelben niemahls mit der folgenden ſo -Tab. V. gleich verbunden werden darf, und allezeit ein kleiner Zeit-Raum uͤbrig bleiben muß, damit widrigenfalls kein Triller mit der drit - ten verwerflichen nachſchlagenden Note daraus entſtehe; (3) um die proportionirte Geltung der letzten Note beyzubehalten. Wir ſehen hier abermahl, was das Abreiſſen der Vorſchlaͤge von ihrer Note fuͤr Schaden thun kan. Dieſes leichte zu verhuͤten, macht man den prallenden Doppelſchlag nach der Regel ſo ſcharf als moͤglich, damit das c wie ein ſimples Sechzehntheil zu klingen ſcheine; hierdurch wird der folgende Vorſchlag hinlaͤnglich von dieſer Manier abgeſondert. Ohngeachtet die abgebildete Ausfuͤh - rung dieſer Paſſagie ziemlich bunt ausſieht und noch fuͤrchterlicher ſcheinen koͤnnte, wenn ſie ſo, wie ſie ſimpel bey dem Adagio oft vorzukommen pflegt, nehmlich mit noch einmahl ſo geſchwinden Noten ausgeſchrieben wuͤrde; ſo beruht doch die gantze Kunſt der geſchickten Ausfuͤhrung auf die Fertigkeit einen rechten ſcharfen Prall-Triller zu machen, und die Ausnahme muß alsdenn gantz natuͤrlich und leichte ausfallen. Bey (d) iſt das Exempel etwas veraͤndert, es behaͤlt aber dennoch dieſelbe Ausfuͤhrung bey den letzten zwey Noten.

§. 30.

Da der Doppelſchlag allein eben ſo wohl wie der Triller mit dem Nachſchlage, wegen dieſes letztern allezeit einen Finger zum Hinterhalt haben muß; da das Schnellen, welches hierbey ſo wohl als vornehmlich bey dem hinzu geſetzten Prall - Triller, nur mit einigen Fingern gut ausgeuͤbet werden kan, ſo ereignet ſich wegen der Finger-Setzung bey dieſer zuſammen ver - bundenen Manier oft eine der groͤßten Schwierigkeiten, welchen abzuhelfen beſondere Freyheiten vorgenommen werden muͤſſen. Bey Fig. LXVII. findet man einige Faͤlle dieſer Art. Bey dem Exem - pel (a) wird durch einen kleinen Ruck mit der Hand nach derL 2lin -84Das zweyte Hauptſtuͤck, vierte Abtheilung. Tab. V. lincken Seite nach dem e mit dem zweyten Finger, der dritte aufs folgende d geſetzt, aber nicht uͤber den zweyten geſchlagen, wie die verwerflichen Applicaturen lehren. Das Exempel (b) erfordert wegen dieſer zuſammengeſetzten Manier, daß man mit dem drit - ten Finger von dem halben Tone herunter gleite. Die leichteſte Finger-Setzung alſo bey dieſem prallenden Doppelſchlage iſt die bey (c) abgebildete. Dem ohngeacht thut man dennoch wohl, wenn man ihn fleißig mit allen Fingern uͤbet, weil ſie dadurch ſtarck und fertig werden; uͤberdem haͤngt es nicht allezeit von uns ab, welche Finger wir gerne zu dieſer oder jener Manier nehmen.

§. 31.

Man bringt zwar nicht leichte im Baſſe Manieren an, wenn ſie nicht ausdruͤcklich angedeutet ſind; dennoch kan man zuweilen bey dergleichen Gelegenheiten, wie wir bey Fig. LXVIII. ſehen, den prallenden Doppelſchlag brauchen.

§. 32.

Der Prall-Triller und der mit ihm vereinte Doppel - ſchlag, da ſie auf einem uͤbel zu rechte gemachten Fluͤgel gar nicht anſprechen, ſind eine ſichere Probe von deſſen gleicher Befiederung. Man muß dahero billig Mitleiden mit den Clavieriſten haben, da man ihnen gemeiniglich durch ſchlecht im Stande ſeyende Jn - ſtrumente dieſe noͤthigſten und vornehmſten Zierrathen benimmt, welche alle Augenblicke vorkommen, und ohne welchen die meiſten Stuͤcke ſchlecht ausgeuͤbet werden.

§. 33.

Wenn ein Doppelſchlag uͤber geſtoſſenen Noten an - gebracht werden ſoll, ſo erhaͤlt er eine beſondere Schaͤrfe durch eben dieſelbe im Anfange hinzugefuͤgte Note, woruͤber er ſtehet. Dieſe noch nicht anders wo bemerckte Manier habe ich durch ein kleines Zweyunddreyßigtheil vor der mit dem Doppelſchlage verſehenen Note angedeutet. Dieſe dreyfache Schwaͤntzung bleibt bey allerley Geltung der folgenden Note und bey allerley Zeit - Maaſſe unveraͤndert, weil dieſes Noͤtgen allezeit durch den geſchwin -deſten85Von dem Doppelſchlage. deſten Anſchlag mit einem ſteifen Finger heraus gebracht undTab. V. ſogleich mit der geſchnellten Anfangs-Note des Doppelſchlags ver - bunden wird. Auf dieſe Art entſtehet eine neue Art vom pral - lenden Doppelſchlage, welchen man zum Unterſcheide wegen des noͤthigen Schnellens gar wohl den geſchnellten Doppelſchlag nennen kan. Bey hurtigen Noten iſt dieſe Manier bequemer als ein Triller, weil ich uͤberhaupt glaube, daß der letztere am beſten thut, wenn die Geltung der Note erlaubet, ſolchen wenigſtens eine ziemliche Weile zu ſchlagen, indem man widrigenfalls eine andere Manier an dieſe Stelle ſetzen kan. Der Doppelſchlag er - haͤlt durch dieſes Noͤtgen eben den Glantz, welchen er durch den vereinbarten Prall-Triller erhaͤlt, nur bey gantz widrigen Faͤllen.

§. 34.

Denn, indem der prallende Doppelſchlag allein nach einer fallenden Secunde und anders nicht gebraucht werden kan, wobey allezeit eine Schleifung iſt: ſo ſind juſt dieſes Jntervall in derſelben Bewegung und die geſchleiften Noten uͤberhaupt die eintzigen moͤglichen Hinderniſſe, dieſen geſchnellten Doppelſchlag anzubringen. Bey Fig. LXIX. finden wir ſein Zeichen (a), ſeine Geſtalt in der Ausfuͤhrung (b), und einige Faͤlle wobey er ſtatt hat (c). Er kommt alſo im Anfange und in der Mitten, vor einem Gange und Sprunge, aber nicht uͤber einer Schluß-Note vor, wenn ſie auch kurtz abgefertiget werden ſollte. Man kan hierbey mit anmercken, daß bey dieſen Exempeln auſſer dem Claviere das Zeichen des Trillers und bey den Clavier-Sachen das einfache Zeichen des Doppelſchlags zu ſtehen pflegt.

§. 35.

Dieſe Manier kan entweder gar nicht gemacht wer - den, oder ſie wird wenigſtens nicht leichte ihre noͤthige Lebhaf - tigkeit erhalten, wenn ſie bey einer Note vorkommt, welche mit dem Daumen, dem vierten oder kleinen Finger gegriffen werden ſoll. Die uͤbrigen Finger ſind hierzu geſchickter.

L 3§. 36.86Das zweyte Hauptſt. vierte Abth. Von dem Doppelſch.
Tab. V.
4

§. 36.

Man verwirre dieſe unſere Manier ja nicht mit dem einfachen Doppelſchlage, welcher nach einer Note vorkommt. Sie ſind gar ſehr unterſchieden, indem der letzte eine gantze Weile nach der Note eintritt und bey geſchleiften und ausgehaltenen Noten zu finden iſt. Die Figuren beyder Manieren beyſammen ſehen wir unter Fig. LXX, um ihren Unterſchied deutlich zu erkennen.

§. 37.

Endlich koͤmmt der Doppelſchlag auch nach zwey kleinen Zweyunddreyßigtheilen vor der Note, woruͤber er ſtehet, vor. Dieſe Noͤtgen werden ſo geſchwind als moͤglich an den Doppelſchlag gehaͤngt und mit ihm verbunden. Die dreyfache Schwaͤntzung bleibt ebenfalls allezeit unveraͤndert. Dieſe noch zeithero von niemanden angemerckte Manier ſtellt in der Kuͤrtze einen Triller von unten vor, und wird alſo auch an deſſen Stelle uͤber einer kurtzen Note gebraucht. Man kan dieſe Ma - nier den Doppelſchlag von unten nennen. Sein Zeichen und ſeine Ausfuͤhrung iſt bey Fig. LXXI. abgebildet.

Fuͤnfte Abtheilung. Von dem Mordenten.

§. 1.

Der Mordent iſt eine noͤthige Manier, welche die Noten zuſammen haͤngt, ausfuͤllet und ihnen einen Glantz giebt. Er iſt bald lang bald kurtz. Sein Zeichen im erſtern Falle iſt Tab. V. bey Fig. LXXII. nebſt der Ausfuͤhrung abge - bildet; jenes wird niemahls verlaͤngert, dieſe aber wohl, wenn es noͤthig iſt (a). Der kurtze Mordent nebſt ſeiner Wuͤrckung iſt bey (b) zu ſehen.

§. 2.87Von dem Mordenten.

§. 2.

Ohngeachtet man gemeiniglich einen langen Morden -Tab. V. ten nur allein uͤber lange Noten, und einen kurtzen uͤber kurtze Noten abzubilden pflegt; ſo findet ſich dennoch jener oft uͤber Viertheilen und Achttheilen, nachdem die Zeit-Maaſſe iſt, und dieſer uͤber Noten von allerley Geltung und Laͤnge.

§. 3.

Man hat noch eine beſondere Art, den Mordenten, wenn er gantz kurtz ſeyn ſoll, zu machen (c). Von dieſen bey - den zugleich angeſchlagenen Noten wird allein die oberſte gehalten, die unterſte hebt man gleich wieder auf. Dieſer Ausdruck iſt nicht zu verwerfen, ſo lange als man ihn ſeltner als die andern Mor - denten anbringt. Er kommt blos ex abrupto, d. i. ohne Ver - bindung vor.

§. 4.

Dieſe Manier liebt hinaufgehende oder ſpringende No - ten vorzuͤglich; bey herunter ſpringenden kommt ſie nicht ſo oft, bey fallenden Secunden gar nicht vor. Sie laͤßt ſich im An - fange, in der Mitte, und am Ende eines Stuͤckes finden.

§. 5.

Sie haͤngt die geſchleiften Noten, ſie moͤgen gehen oder ſpringen, ohne und mit einem Vorſchlage zuſammen Fig. LXXIII. Dieſes Verbinden geſchiehet am oͤfterſten bey einer ſteigenden Se - cunde; dann und wann auch auſſerdem durch Vorſchlaͤge (*). Wenn der Mordent uͤber einem Vorſchlage von unten, vor einem Sprunge ſich finden laͤßt (a), ſo muß die Haupt-Note lang ſeyn, damit ſie ſo viel als noͤthig iſt von ihrer Geltung verliehren koͤn - ne, um dieſem Vorſchlage durch einen langen Mordenten einen Nachdruck zu geben. Jn dieſem Falle verbindet und fuͤllet dieſe Manier zugleich. Bey den Rccitativen pflegt dieſer Fall zu - weilen vorzukommen.

§. 6.

Der Mordent nach einem Vorſchlage wird nach der Regel des Vortrags der Vorſchlaͤge leiſe gemacht.

§. 7.88Das zweyte Hauptſtuͤck, fuͤnfte Abtheilung.
Tab. V.
4

§. 7.

Der Mordent wird bey auszuhaltenden Noten zur Ausfuͤllung gebraucht; alſo trift man ihn, wie wir bey Fig LXXIV. ſehen, uͤber bindenden (a), punctirten (b), und ruͤckenden No - ten an; dieſe letzten moͤgen auf einem Tone oft hinter einander (c), oder bey Abwechſelung der Jntervallen ruͤcken (d). Bey dieſer letztern Art von Noten laͤßt ſich der Mordent am beſten uͤber der einmahligen Wiederholung des vorigen Tones anbringen (e). Jn dieſen Ruͤckungen fuͤllt der Mordent nicht allein, ſondern er macht zugleich die Noten glaͤntzend.

§. 8.

Bey den Exempeln mit (a) und (b) kan man an - mercken, daß man, wenn ja die Zeit-Maaß ſo langſam waͤre, daß auch ein langer Mordent zum Ausfuͤllen nicht hinreichen wolte, dieſe lange Noten dadurch verkuͤrtzet, indem man ſie noch einmahl anſchlaͤgt, und ohngefehr ſo vortraͤgt, wie wir in der Abbildung unter eben den Buchſtaben ſehen. Dieſe Freyheit muß man nicht anders als aus Noth und Vorſicht brauchen. Man muß den Abſichten des Verfaſſers eines Stuͤckes dadurch nicht Tort thun. Man wird dieſem Fehler dadurch leicht entgehen koͤnnen, wenn man durch den gehoͤrigen Druck und durch die Unterhaltung einer Note gewahr wird, daß unſer Jnſtrument den Ton laͤnger aushaͤlt, als viele glauben moͤgen. Man muß alſo bey Gele - genheit des langen Mordenten weder die Schoͤnheit des Nachklangs verhindern, und denſelben, ſo wie die uͤbrigen, weder uͤber jeder etwas langen Note anbringen, noch zu lange aushalten. Bey allen Ausfuͤllungen durch Mordenten muß allezeit noch ein kleiner Zeit-Raum uͤbrig bleiben und der am beſten angebrachte Mor - dent wird eckelhaft, wenn er ſich wie der Triller, in einer ge - ſchwinden Verbindung an die folgende Note anſchließt.

§. 9.

Der Mordent uͤber ſpringenden und abgeſtoſſenen No - ten giebt ihnen einen Glantz. Es wird hierzu meiſtentheils derkurtze89Von dem Mordenten. kurtze gebraucht. Man findet ihn uͤber Noten, welche man inTab. V. Anſehung der Harmonie anſchlagende zu nennen pflegt, und wel - che daher oft von beſonderm Gewichte ſind, Fig. LXXV. (a); bey gewiſſen Brechungen (b), und bey vollſtimmigen Griffen in der Mitte (c), allwo bey einer etwas langen Note auch der lange Mordent ſtatt haben kan; dieſe Manier kommt ebenfalls vor bey abgeſtoſſenen punctirten Noten, wo die Puncte nicht gehalten werden (d), und wo Pauſen darauf folgen (e). Wenn nach eini - gen kurtzen Noten, welche theils um eine Secunde ſteigen (f), theils ſpringen (g) eine laͤngere nachfolget: ſo wird er bey die - ſer letztern angebracht.

§. 10.

Unter allen Manieren, kommt der Mordent im Baſſe, ohne daß man ihn andeutet, am oͤfterſten vor, und zwar uͤber Noten, welche in die Hoͤhe gehen (h), oder ſpringen (i), bey und auſſer Caden - tzen, beſonders wenn der Baß nachhero eine Octave herunter ſpringt (k).

§. 11.

Wegen der Verſetzungs-Zeichen richtet ſich dieſe Ma - nier, wie die Triller nach den Umſtaͤnden. Oft kriegt der unterſte Ton dieſer Manier, wegen der Schaͤrfe, ein Verſetzungs-ZeichenTab. VI. Tab. VI. Fig. LXXVI.

§. 12.

Damit man nach einer kurtzen Note die noͤthigen Finger zum Mordenten gleich und frey habe, ſo nimmt man zu - weilen eine beſondere Finger-Setzung vor Fig. LXXVI. Dieſe Applicatur erfordert ein maͤßiges Tempo und rechtfertiget ſich aus der kurtzen Abfertigung der puntirten Noten, vermoͤge welcher nach eingeſetztem vierten Finger der Daumen und der zweyte Fin - ger zur Ausuͤbung des Mordenten gleich bereit da ſeyn muͤſſen. Man hat bey der langen Note mit dem dritten Finger Zeit genung, die Hand um ein weniges nach der rechten Seite zu ruͤcken. Wenn dieſe Paſſagie ohne Puncte oder in geſchwinder Zeit-Maaſſe vorkommt, alsdenn bleibt man bey der gewoͤhnlichen Ordnung der Finger.

M§. 13.90Das zweyte Hauptſtuͤck, fuͤnfte Abtheilung.
Tab. VI.
4

§. 13.

Da wir geſehen haben, daß der Mordent, zumahl wenn er lang iſt, bey lang auszuhaltenden Noten zur Ausfuͤl - lung gebraucht wird; ſo kan er auch nach einem Triller in die - ſem Falle vorkommen; man muß ihn aber durch die Theilung der langen Note von dem Triller abſondern. Auſſer dieſer Vor - ſicht wuͤrde es unrecht ſeyn, unmittelbar nach dem Triller den Mordenten anzubringen, weil man niemahls die Manieren hinter einander haͤufen ſoll. Nach der bey Fig. LXXVII. abgebildeten Ausfuͤhrung eines Exempels iſt alſo beyden Anmer - ckungen ihr Recht wiederfahren. Die Waͤhrung des Mordenten richtet ſich nach dem Tempo, welches allerdings nicht geſchwinde ſeyn darf, weil man ſonſt dieſes Huͤlfs-Mittel nicht noͤthig hat.

§. 14.

Bey dieſer Gelegenheit kan man anmercken, daß der Mordent und der Prall-Triller zwey entgegengeſetzte Manieren ſind. Der letzte kan nur auf eine Art, nehmlich bey einer fal - lenden Secunde angebracht werden, wo gar niemahls ein Mor - dent ſtatt hat. Das eintzige haben ſie mit einander gemein, daß ſie beyderſeits in die Secunde hineinſchleifen, der Mordent im hinaufſteigen, und der Prall-Triller im heruntergehen. Bey Fig. LXXVIII. ſehen wir dieſen Fall deutlich vorgeſtellt.

§. 15.

Bey Gelegenheit des Mordenten muß ich einer will - kuͤhrlichen Manier Erwehnung thun, welche wir zuweilen in lang - ſamen Stuͤcken im Anfange, und vor Fermaten oder Pauſen, beſonders von den Saͤngern hoͤren. Die ſimpeln Noten, wo dieſe Manier ſtatt hat, ſammt ihrer Ausfuͤhrung finden wir unter Fig. LXXIX. Da dieſe letztere den Noten eines Mordenten vollkom - men aͤhnlich iſt, und der Fall, wo man ſie trift, einen Morden - ten leidet, nur daß er nach dem gewoͤhnlichen Vortrage zu bald vorbey gehen duͤrfte, ſo kan man dieſe Manier fuͤr einen langſamen Mordenten anſehen, welcher auſſer dieſem Falle verwerflich iſt.

Sechſte91

Sechſte Abtheilung. Von dem Anſchlage.

§. 1.

Wenn man ſtatt einen Ton ſimpel anzugeben, die vorigeTab. VI. Note noch einmahl wiederhohlet, und alsdenn mit einer Secunde von oben in die folgende herunter geht; oder wenn man ſtatt dieſe vorhergehende Note zu wiederholen, die Unterſecunde von der folgenden zuerſt anſchlaͤget, und darauf mit der Secunde von oben in dieſelbe geht: ſo nennet man dieſes den Anſchlag.

§. 2.

Wir werden dieſe Manier aus der Tab. VI. Fig. LXXX. befindlichen Abbildung deutlicher kennen lernen, vermoͤge welcher wir ſehen, daß ſie auf zweyerley Art vorkommt.

§. 3.

Der Vortrag von dieſen Noͤtgen iſt im erſtern Falle nicht ſo hurtig als im zweyten, allezeit aber werden ſie ſchwaͤ - cher als die Haupt-Note geſpielt Fig. LXXXI. Der Geſang wird durch dieſe Manier gefaͤllig, indem die Noten theils gut zuſam - men gehaͤngt, theils auch einigermaaſſen ausgefuͤllt werden.

§. 4.

Bey der letzten Art findet oft ein Punckt zwiſchen den beyden kleinen Noͤtgen ſtatt, die erſtere hingegen leidet keine Veraͤnderung, ſie wird nur bey gemaͤßigter Zeit-Maaße gebraucht, wenn die folgende Note in die Hoͤhe ſpringt. Bey Fig. LXXXII. finden wir einige Faͤlle abgebildet.

§. 5.

Der Anſchlag, wenn durch die kleinen Noͤtgen die Secunde daruͤber oder darunter von der folgenden Note vorhero zum Gehoͤr kommt, kan wegen der Geſchwindigkeit dieſer Noͤtgen auch in geſchwinderer Zeit-Maaſſe gebraucht werden. Bey Fig. LXXXIII. befindet ſich ein Exempel, welches uns den eigentli -M 2chen92Das zweyte Hauptſtuͤck, ſechste Abtheilung. Tab. VI. chen Sitz dieſes Anſchlages zeiget, indem keine andere Manier ſtatt deſſen geſchicklich angebracht werden kan. Dieſes Exempel mit derſelben Ausfuͤhrung gilt nur ſo lange, als man es nicht langſamer als Andante ſpielt, ob es wohl in der Hurtigkeit zu - nehmen kan.

§. 6.

Auſſer dieſem Falle kan der Anſchlag mit dem Ter - tien-Sprunge bey allen unter Fig. LXXXII. befindlichen Exem - peln ebenfalls ſtatt haben. Man findet ihn auch bey eintzeln Noten zwiſchen Pauſen Fig. LXXXIV. (a), und bey der Wieder - holung eines Tones vor einer fallenden Secunde (b). Bey dieſer Wiederholung vor dem herunter ſteigenden Jntervall iſt er natuͤr - licher als der Doppelſchlag, ſo wie dieſer beſſer thut vor einer ſteigenden Secunde (*). Hiernaͤchſt kan der Anſchlag in langſa - men Tempo auch ſehr wohl gebraucht werden, indem er das Diſ - ſonirende der uͤberfluͤßigen Secunde beſſer vermindert als der Dop - pelſchlag (c). Man braucht ihn ferner vor einer ſteigenden Se - cunde (d) und Septime (e), ingleichen vor einem Vorſchlage vor einer fallenden Secunde (f). Man mercke uͤberhaupt, daß der Anſchlag beſſer thut, wenn nachhero die Melodie faͤllt, als wenn ſie ſteigt; blos die Wiederholung einer mit dem Anſchlage verzier - ten Note und ein langſames Tempo koͤnnen hierinnen eine Aus - nahme machen (g).

§. 7.

Der Anſchlag mit dem Punckte wird entweder durch einen Vorſchlag von unten, oder durch die bey Fig. LXXXV. befindliche Vorſtellung angedeutet. Er wird auf verſchiedene Ar - ten in den Tackt eingetheilet. Jn den Probe-Stuͤcken habe ich dieſes allezeit deutlich ausgedruckt. Der folgenden Note wird ſo viel von ihrer Geltung abgezogen, als dieſer Anſchlag betraͤgt.

§. 8.

Dieſer Anſchlag kommt in geſchwinden Sachen nie - mahls vor. Er wird mit Nutzen bey affectuoͤſen Stellen gebraucht. Sein93Von dem Anſchlage. Sein Sitz iſt theils bey einer wiederholten (a), theils bey einerTab. VI. um eine Secunde geſtiegenen Note (b), welche in beyden Faͤllen hernach entweder durch einen Vorſchlag (b), oder ohne denſelben (a) herunter ſteigen muß. Das Exempel (a) iſt oft im Adagio ein Einſchnitt. Das Tab. IV. Fig. XI. mit einem (*) bezeichnete Exempel vertraͤgt wegen der langen Note f dieſen Anſchlag eher als einen bloſſen Vorſchlag. Die Ausfuͤhrung hiervon ſehen wir Tab. VI. Fig. LXXXV. (c).

§. 9.

Man kan wegen des Anbringens dieſer Manier nicht leicht fehlen, ſo bald man ihren Urſprung erweget. Wenn eine Note durch einen veraͤnderlichen Vorſchlag von unten um eine Secunde hinauf gehet, Fig. LXXXVI. (a), und, ehe die fol - gende Note angeſchlagen wird, ein neuer kurtzer Vorſchlag von oben darzu kommt (b), ſo entſtehet zwiſchen dieſen zwey Vorſchlaͤgen ein Punckt und folglich unſere Manier (c). Nur iſt die Nothwendigkeit darbey, daß nachher eine oder mehrere No - ten herunter ſteigen muͤſſen.

§. 10.

Bey dem Vortrage dieſes Anſchlags iſt zu mercken, daß die erſte kleine Note vor dem Punckte jederzeit ſtarck und die andere mit der Haupt-Note ſchwach angeſchlagen werden. Die letzte kleine Note wird ſo kurtz als moͤglich an die Haupt-Note gehaͤngt und alle drey werden geſchleift.

§. 11.

Bey Fig. LXXXVII. ſehen wir noch mehrere Exem - pel mit ihrer Ausfuͤhrung. Bey der Andeutung dieſer Manier habe ich mit Fleiß die Art, um ſie kennen zu lernen, beybehalten, vermoͤge welcher man dieſe Manier durch einen bloſſen Vorſchlag nicht deutlich genug andeutet. Je mehr Affect der Gedancke enthaͤlt und je langſamer das Tempo iſt, deſto laͤnger haͤlt man den Punckt, wie wir unter dieſer Figur bey NB. ſehen.

M 3Siebente94

Siebente Abtheilung. Von den Schleifern.

§. 1.

Tab. VI.
4

Die Schleifer kommen ohne und mit einem Pnncte vor. Jhr Vortrag liegt im Worte angedeutet. Sie machen die Gedancken flieſſend.

§. 2.

Die Schleifer ohne Puncte beſtehen theils aus zweyen, theils aus dreyen Noͤtgen, welche man vor der Haupt-Note anſchlaͤget.

§. 3.

Die erſtern werden durch zwey kleine Zweyund - dreyßigtheile angedeutet Tab. VI. Fig. LXXXVIII. Bey dem Allabreve-Tackte koͤnnen es auch Sechzehntheile ſeyn (*). Man findet dieſe Manier bisweilen ſo bezeichnet wie wir bey (a) ſehen. Oft wird ſie auch mit ihrer Ausfuͤhrung ausgeſchrieben (b).

§. 4.

Die Schleifer von zweyen Noͤtgen unterſcheiden ſich noch von denen mit dreyen Noͤtgen auf zweyerley Art; (1) kom - men jene allezeit vor einem Sprunge vor, allwo ſie die Jnter - vallen darzwiſchen ausfuͤllen Fig. LXXXVIII, dieſe hingegen, wie wir bald ſehen werden, kommen auch auſſer dieſen vor; (2) wer - den jene allezeit geſchwinde geſpielt (b), dieſe aber nicht.

§. 5.

Bey Fig. LXXXIX. (a) ſehen wir die Ausfuͤhrung dieſes Schleifers von dreyen Noͤtgen. Die Geſchwindig - keit dieſer Manier wird von dem Jnhalte eines Stuͤckes und deſ - ſen Zeit-Maaſſe beſtimmt. Da man von dieſem Schleifer noch kein gewoͤhnliches Zeichen hat, und ſeine Ausfuͤhrung einem Dop - pelſchlage in der Gegen-Bewegung vollkommen gleich iſt; ſo habe ich ihn viel bequemer durch das bey (b) befindliche Zeichen ange - deutet, als wenn ich ſtatt deſſen drey kleine Noͤtgen haͤtte ſetzenwol -95Von den Schleifern. wollen, wie man zuweilen antrift (c). Das Auge kan unſereTab. VI. Bezeichnungs-Art leichter uͤberſehen und die Noten bleiben in der Naͤhe beyſammen.

§. 6.

Dieſe Manier, liebt das ſehr geſchwinde und das ſehr langſame, das gleichguͤltige und das alleraffectuoͤſeſte, und wird alſo auf zweyerley ſehr verſchiedene Art gebraucht. (1) Bey geſchwin - den Sachen zur Ausfuͤllung und zum Schimmer; hier ſtellt ſie bequem einen Triller von unten ohne Nachſchlag vor, wenn die Kuͤrtze der Note zu dieſem Triller nicht hinreichen will Fig. XC, und wird allezeit geſchwinde gemacht. Die folgenden Noten koͤn - nen gehen oder ſpringen.

§. 7.

Jm andern Falle wird dieſer Schleifer als eine trau - rige Manier, bey matten Stellen, beſonders im Adagio, mit Nu - tzen gebraucht. Er wird alsdenn matt und piano geſpielt, und mit vielem Affecte und mit einer Freyheit, welche ſich an die Gel - tung der Noten nicht zu ſclaviſch bindet, vorgetragen. Sein gewoͤhnlichſter Sitz iſt auf der wiederholten Note Fig. XCI. (a). Auſſerdem kommt er auch im hinaufgehen und ſpringen vor (b). Man ſiehet hieraus, daß dieſer Schleifer alsdenn ein langſam ausgefuͤllter Anſchlag mit dem Tertien-Sprunge iſt. Man kann durch ihn eine Haltung ebenfalls mit Affecte ausfuͤllen (c).

§. 8.

Weil die Diſſonantzien geſchickter ſind, Leidenſchaften zu erregen als die Conſonantzen, ſo trift man dieſe Manier auch am oͤfterſten uͤber jenen an, und zwar bey einer langſamen Note, welche mit Fleiß entweder nicht voͤllig, oder wenigſtens ſchleppend ausgefuͤllt wird. Sie wird mit eben dieſen Umſtaͤnden auch im Allegro gebraucht, wenn zumahl eine Verſetzung der harten Ton-Art in die weiche vorkommt. Die kleine mangelhafte Septime, die uͤber - fluͤßige Sexte wenn ſie die Quinte bey ſich hat, ingleichen die Sexte mit der uͤbermaͤßigen Quarte und kleinen Tertie und der -glei -96Das zweyte Hauptſtuͤck, ſiebente Abtheilung. Tab. VI. gleichen harmoniſche Zuſammenklaͤnge mehr, leiden dieſen Schleif - fer beſonders. Da die Folge bey allen Manieren hauptſaͤchlich aus dem Baſſe zugleich mit erkannt wird, ſo kan man leicht urtheilen, daß dieſe Manier ſich herunter neiget.

§. 9.

Wir lernen bey Gelegenheit dieſes Schleifers zweyer - ley: (1) daß man bey gewiſſen Gedancken mehr auf einen un - gekuͤnſtelten matten Ausdruck, als auf die Ausfuͤllung ſehen muͤſſe, und daß man alſo bey langſamen Noten nicht eben allezeit ver - bunden ſey, Manieren von vielen Noten zu waͤhlen, indem man ſonſt ſtatt dieſes Schleifers den Doppelſchlag von unten brau - chen koͤnnte, welcher einige Aehnlichkeit in Noten mit ihm hat, (2) Daß man im Gegentheil auch nicht allezeit das affectuoͤſe einer Manier aus der Wenigkeit ihrer Noten erkennen muͤſſe, weil ſonſt folgen wuͤrde, daß ein Anſchlag, welcher nur aus zweyen Noten beſtehet, mehr Affect enthielt, als unſer Schleifer, oder, welches einerley iſt, wenn dieſer Anſchlag ausgefuͤllet wird.

§. 10.

So bequem dieſer aus dreyen Noͤtgen beſtehende Schleifer eine Traurigkeit erwecken kan, ſo viel Gefaͤlligkeit erregt der Schleifer aus zweyen Noͤtgen mit einem darzwiſchen ſtehenden Puncte.

§. 11.

Bey Fig. XCII. ſehen wir ihn angedeutet. Seine Eintheilung iſt ſo verſchieden als bey keiner andern Manier. Sie wird ebenfalls durch den Affect beſtimmt. Jch habe deswegen in den Probe-Stuͤcken bey dieſer Manier eben ſo wohl, als bey dem Anſchlage mit dem Puncte, die Andeutung, auch zuweilen die Ausfuͤhrung ſo deutlich, als es nur moͤglich geweſen iſt, aus - gedruͤckt.

§. 12.

Bey Fig. XCIII. finden wir unterſchiedene Exem - pel mit ihrer verſchiedenen Ausfuͤhrung. Wir ſehen bey (*) daß dieſe Eintheilung wegen des Baſſes beſſer iſt als die drauffol -97Von den Schleifern. folgende. Ueberhaupt koͤnnen die meiſten von dieſen ExempelnTab. VI. einen eigentlichen Sitz von dieſer Manier vorſtellen, indem man bey Anſchauung der ſimpeln Noten bald aus der Haͤrte der an - ſchlagenden Diſſonantz, bald aus dem Leeren der Octaven leicht mercken kan, daß dahin etwas gehoͤre. Es kan aber keine an - dere Manier alsdenn wohl angebracht werden als dieſe. Die folgende Noten nach dieſer Manier pflegen gemeiniglich herun - ter zu gehen, ob wir ſchon aus dem Exempel (x) ſehen, daß der Geſang in demſelben Tone bisweilen auch fortfahren kan.

§. 13.

Das uͤbrige zum Vortrage dieſer Manier iſt bey Fig. XCIII. unter (1) und (2) abgebildet. Wir finden allda, daß die Note mit dem Puncte ſtarck, die darauf folgende hinge - gen ſammt der Haupt-Note ſchwach geſpielt wird. Der Punct uͤber dem kleinen Bogen (1) bedeutet, daß uͤber dieſer Note der Finger eher aufgehoben werden muß als die Geltung dauret, folglich wird, wie bey (2) zu ſehen iſt, aus dem Puncte nach der Haupt-Note eine Pauſe.

Achte Abtheilung. Von dem Schneller.

§. 1.

Den kurtzen Mordent in der Gegen-Bewegung, deſſen hoͤch - ſten Ton man ſchnellt, und die uͤbrigen beyden mit dem ſteifen Finger vortraͤget, habe ich jederzeit, ohne Veraͤn - derung, ſo angedeutet, wie wir Tab. VI. unter Fig. XCIV. ſehen. Wegen dieſes Schnellens kan man dieſe noch ſonſten nicht be - merckte Manier gar wohl den Schneller nennen.

N§. 2.98Das zweyte Hauptſtuͤck, achte Abth. Von dem Schneller.
Tab. VI.
4

§. 2.

Dieſer Schneller wird allezeit geſchwinde gemacht und kommt niemahls anders als bey geſtoſſenen und geſchwinden No - ten vor, welchen er einen Glantz giebt, und wo er juſt zur Aus - fuͤllung zureicht.

§. 3.

Er thut in der Geſchindigkeit die Wuͤrckung eines Trillers ohne Nachſchlag, und gleichwie der letztere mit dem Nach - ſchlage eine ſteigende Folge liebt, ſo mag der Schneller gerne herunter gehende Noten nach ſich haben, ohne Zweifel, weil ſein letztes kleines Noͤtgen und die Haupt-Note zuſammen genommen einen Nachſchlag von dem Triller in der Gegen-Bewegung vor - ſtellen. Dem ohngeachtet unterſcheidet er ſich von den Trillern dadurch, daß er niemahls angeſchloſſen und bey Schleifungen vorkommen kan.

§. 4.

Er muß ſehr geſchickt ausgeuͤbt werden, weil er ſich ſonſt nicht gut ausnimmt. Es koͤnnen ihn daher blos die ſtaͤr - ckeſten und fertigſten Finger bewerckſtelligen, und man muß aus Noth oft mit einem Finger fortgehen, welches dem Stoſſen, ſo ihm natuͤrlich iſt, keinen Schaden thut, Fig XCV. (a). Man kan dieſe Manier beſonders auch bey den Einſchnitten brauchen (b).

Neunte Abtheilung. Von den Verzierungen der Fermaten.

§. 1.

So wenig meine Abſicht geweſen iſt, mich mit weitlaͤuftigern Manieren, als die bishero angefuͤhrten ſind, abzugeben; ſo noͤthig finde ich doch etwas weniges bey Gelegenheit der Fermaten davon anzufuͤhren.

§. 2.99Von den Verzierungen der Fermaten.

§. 2.

Man braucht dieſe letztern oft mit guter Wuͤrckung;Tab. VI. ſie erwecken eine beſondere Aufmerckſamkeit. Man deutet ſie durch das gewoͤhnliche Zeichen eines Bogens mit einem Puncte darunter an, und haͤlt ſo lange dabey ſtille, als es ohngefehr der Jnhalt des Stuͤckes erfordert.

§. 3.

Zuweilen fermirt man aus Affect, ohne daß etwas angedeutet iſt. Auſſerdem aber kommen dieſe Fermaten auf dreyerley Art vor. Man haͤlt entweder uͤber der vorletzten Note, oder uͤber der letzten Note des Baſſes, oder nach dieſer uͤber einer Pauſe ſtille. Es ſollte dieſes Zeichen von Rechtswe - gen allezeit an dem Orte, wo man anfaͤngt zu fermiren und allenfalls noch einmahl, bey dem Ende der Fermate, angedeu - tet ſeyn.

§. 4.

Die Fermaten uͤber Pauſen kommen mehrentheils im Allegro vor, und werden gantz ſimple vorgetragen. Die an - dern zwey Arten findet man gemeiniglich in langſamen und affecktuoͤſen Stuͤcken, und muͤſſen verzieret werden, oder man faͤllt in den Fehler der Einfalt. Es koͤnnen alſo allenfalls bey den uͤbrigen Stellen eines Stuͤckes eher weitlaͤuftigere Manieren gemiſſet werden als hier.

§. 5.

Jch habe zu dem Ende bey Fig. XCVI. einige Ex - empel von Fermaten beyderley Art mit ihren Zierrathen beygefuͤgt. Dieſe Exempel erfordern eine langſame oder wenigſtens gemaͤßigte Zeit-Maaß. Da dieſe Verzierungen allezeit ein Verhaͤltniß mit dem Affecte des Stuͤckes haben muͤſſen, ſo kan man ſie mit Nu - tzen brauchen, wenn man auf dieſen Affect genaue Achtung giebt. Aus der Bezieferung des Baſſes laſſen ſich die uͤbrigen aͤhnlichen Faͤlle dieſer Fermaten leicht entdecken.

N 2§. 6.100Das zweyte Hauptſt. neunte Abth. Von den Verzier.
Tab. VI.
4

§. 6.

Wer die Geſchicklichkeit nicht hat, weitlaͤuftige Ma - nieren hierbey anzubringen, der kan ſich zur Noth dadurch hel - fen, daß er uͤber einem vorkommenden Vorſchlage von oben vor der letzten Note im Discante einen langen Triller von unten an - bringet Fig. XCVII. (a). Findet ſich aber in dieſem Falle ein Vorſchlag von unten, ſo traͤgt man ihn ſimpel vor und macht uͤber der Haupt-Note den erwehnten langen Triller (b). Bey Fermaten ohne Vorſchlag hat dieſer Triller uͤber der letzten Note im Discante ebenfalls ſtatt (c).

[figure]
Drittes
101

Drittes Hauptſtuͤck. Vom Vortrage.

§. 1.

Es iſt unſtreitig ein Vorurtheil, als wenn die Staͤrcke eines Clavieriſten in der bloſſen Geſchwindigkeit beſtuͤnde. Man kan die fertigſten Finger, einfache und doppelte Triller haben, die Applicatur verſtehen, vom Blatte treffen, es moͤgen ſo viele Schluͤſſel im Laufe des Stuͤckes vorkommen als ſie wol - len, alles ohne viele Muͤhe aus dem Stegereif transponiren, De - cimen, ja Duodecimen greifen, Laͤufer und Kreutzſpruͤnge von aller - ley Arten machen koͤnnen, und was dergleichen mehr iſt; und man kan bey dem allen noch nicht ein deutlicher, ein gefaͤlliger, ein ruͤhrender Clavieriſte ſeyn. Die Erfahrung lehret es mehr als zu oft, wie die Treffer und geſchwinden Spieler von Pro - feßion nichts weniger als dieſe Eigenſchaften beſitzen, wie ſie zwar durch die Finger das Geſicht in Verwunderung ſetzen, der em - pfindlichen Seele eines Zuhoͤrers aber gar nichts zu thun geben. Sie uͤberraſchen das Ohr, ohne es zu vergnuͤgen, und betaͤuben den Verſtand, ohne ihm genung zu thun. Jch ſpreche hiemit dem Spielen aus dem Stegereif nicht ſein gebuͤhrendes Lob ab. Es iſt ruͤhmlich, eine Fertigkeit darinnen zu haben, und ich ra - the es ſelbſt einem jeden aufs beſte an. Es darf aber ein bloſ - ſer Treffer wohl nicht auf die wahrhaften Verdienſte desjenigen Anſpruͤche machen, der mehr das Ohr als das Geſicht, und mehr das Hertz als das Ohr in eine ſanfte Empfindung zu ver - ſetzen und dahin, wo er will, zu reiſen vermoͤgend iſt. Es iſtN 3wohl102Das dritte Hauptſtuͤck. wohl ſelten moͤglich, ein Stuͤck bey dem erſten Anblicke ſogleich nach ſeinem wahren Jnhalt und Affect wegzuſpielen. Jn den geuͤbteſten Orcheſtern wird ja oft uͤber einige, den Noten nach ſehr leichte Sachen mehr als eine Probe angeſtellet. Die mei - ſten Treffer werden viemahls nichts mehr thun, als daß ſie die Noten treffen, nnd wie vieles wird vielleicht nicht der Zuſammen - hang und die Verbindung der Melodie leiden, wenn auch im ge - ringſten nicht in der Harmonie geſtolpert wuͤrde? Es iſt ein Vorzug fuͤrs Clavier, daß man es in der Geſchwindigkeit darauf hoͤher als einem andern Jnſtrumente bringen kan. Man muß aber dieſe Geſchwindigkeit nicht mißbrauchen. Man verſpare ſie bis auf die Gaͤnge, wo man ihrer noͤthig hat, ohne gleich das Tempo vom Anfange zu uͤberſchreiten. Daß ich der Geſchwin - digkeit nicht ihr Verdienſt, und folglich weder ihren Nutzen noch Nothwendigkeit nehme, wird man daraus abnehmen, daß ich ver - lange, daß die Probe-Stuͤcke aus dem G und F moll, und die aus den kleinſten Noten beſtehenden Laͤufer in dem, aus dem C moll aufs hurtigſte wiewohl deutlich geſpielet werden muͤſſen. Jn einigen auswaͤrtigen Gegenden herrſchet gegentheils beſonders dieſer Fehler ſehr ſtarck, daß man die Adagios zu hurtig und die Allegros zu langſam ſpielet. Was fuͤr ein Widerſpruch in einer ſolchen Art von Ausfuͤhrung ſtecke, braucht man nicht methodiſch darzuthun. Doch halte man nicht dafuͤr, als ob ich hiemit die - jenigen traͤgen und ſteifen Haͤnde rechtfertigen will, die einen aus Gefaͤlligkeit einſchlaͤfern, die unter dem Vorwande des ſangbaren das Jnſtrument nicht zu beleben wiſſen, und durch den verdrieß - lichen Vortrag ihrer gaͤhnenden Einfaͤlle noch weit mehrere Vor - wuͤrfe, als die geſchwinden Spieler verdienen. Dieſe letztern ſind zum wenigſten noch der Verbeſſerung faͤhig; ihr Feuer kan ge - daͤmpfet werden, wenn man ſie ausdruͤcklich zur Langſamkeit an -haͤlt,103Vom Vortrage. haͤlt, da das hypochondriſche Weſen, das aus den matten Fin - gern bis zum Eckel hervorblicket, wohl wenig oder gar nicht durch das Gegentheil zu heben iſt. Beyde uͤbrigens uͤben ihr Jnſtru - ment blos maſchienenmaͤßig aus, da zu dem ruͤhrenden Spielen gute Koͤpfe erfodert werden, die ſich gewiſſen vernuͤnftigen Regeln zu unterwerfen und darnach ihre Stuͤcke vorzutragen faͤhig ſind.

§. 2.

Worinn aber beſteht der gute Vortrag? in nichts anderem als der Fertigkeit, muſikaliſche Gedancken nach ihrem wahren Jnhalte und Affect ſingend oder ſpielend dem Gehoͤre empfindlich zu machen. Man kan durch die Verſchiedenheit deſ - ſelben einerley Gedancken dem Ohre ſo veraͤnderlich machen, daß man kaum mehr empfindet, daß es einerley Gedancken geweſen ſind.

§. 3.

Die Gegenſtaͤnde des Vortrages ſind die Staͤrcke und Schwaͤche der Toͤne, ihr Druck, Schnellen, Ziehen, Stoſſen, Beben, Brechen, Halten, Schleppen und Fortgehen. Wer dieſe Dinge entweder gar nicht oder zur unrechten Zeit gebrauchet, der hat einen ſchlechten Vortrag.

§. 4.

Der gute Vortrag iſt alſo ſofort daran zu erkennen, wenn man alle Noten nebſt den ihnen zugemeſſenen guten Ma - nieren zu rechter Zeit in ihrer gehoͤrigen Staͤrcke durch einen nach dem wahren Jnhalte des Stuͤcks abgewognen Druck mit einer Leichtigkeit hoͤren laͤßt. Hieraus entſtehet das Runde, Reine und Flieſſende in der Spielart, und wird man dadurch deutlich und ausdruͤckend. Man muß aber zu dem Ende die Beſchaffenheit desjenigen Jnſtruments, worauf man ſpielet, wohl unterſuchen, damit man es weder zu wenig, noch zu viel angreife. Manches Clavier giebt nicht eher ſeinen vollkommen und reinen Ton von ſich, als wenn man es ſtarck angreift; ein anderes wiederum muß ſehr geſchonet werden, oder man uͤbertreibt das Anſprechen des Tons. Dieſe Anmerckung, die ſchon im Eingange gemachtwor -104Das dritte Hauptſtuͤck. worden, wiederhohle ich allhier deswegen noch einmahl, damit man auf eine vernuͤnftigere Art, als insgemein geſchiehet, nemlich nicht durch eine uͤbertriebene Gewalt des Anſchlages, ſondern vielmehr durch harmoniſche und melodiſche Figuren, z. E. die Raſerey, den Zorn oder andere gewaltige Affecten vorzuſtellen ſuche. Auch in den geſchwindeſten Gedancken muß man hiebey jeder Note ih - ren gehoͤrigen Druck geben; ſonſten iſt der Anſchlag ungleich und undeutlich. Dieſe Gedancken werden gemeiniglich nach der bey den Trillern angefuͤhrten Art geſchnellet.

§. 5.

Die Lebhaftigkeit des Allegro wird gemeiniglich in geſtoſſenen Noten und das Zaͤrtliche des Adagio in getragenen und geſchleiften Noten vorgeſtellet. Man hat alſo beym Vor - trage darauf zu ſehen, daß dieſe Art und Eigenſchaft des Alle - gro und Adagio in Obacht genommen werde, wenn auch dieſes bey den Stuͤcken nicht angedeutet iſt, und der Spieler noch nicht hinlaͤngliche Einſichten in den Affect eines Stuͤckes hat. Jch ſetze oben mit Fleiß gemeiniglich, weil ich wohl weiß, daß aller - hand Arten von Noten bey allerhand Arten der Zeit-Maaſſe vor - kommen koͤnnen.

§. 6.

Einige Perſonen ſpielen klebericht, als wenn ſie Leim zwiſchen den Fingern haͤtten. Jhr Anſchlag iſt zu lang, indem ſie die Noten uͤber die Zeit liegen laſſen. Andere haben es ver - beſſern wollen, und ſpielen zu kurtz; als wenn die Taſten gluͤhend waͤren. Es thut aber auch ſchlecht. Die Mittelſtraſſe iſt die beſte; ich rede hievon uͤberhaupt; alle Arten des Anſchlages ſind zur rechten Zeit gut.

§. 7.

Wegen Mangel des langen Tonhaltens und des voll - kommnen Ab - und Zunehmen des Tones, welches man nicht un - recht durch Schatten und Licht mahleriſch ausdruͤckt, iſt es keine geringe Aufgabe, auf unſerm Jnſtrumente ein Adagio ſingend zuſpie -105Vom Vortrage. ſpielen, ohne durch zu wenige Ausfuͤllungen zu viel Zeitraum und Einfalt blicken zu laſſen, oder durch zu viele bunte Noten undeutlich und laͤcherlich zu werden. Jndeſſen, da die Saͤnger und diejenigen Jnſtrumentiſten, die dieſen Mangel nicht empfinden, ebenfalls nur ſelten die langen Noten ohne Zierrathen vortragen duͤrfen, um keine Ermuͤdung und Schlaͤfrigkeit blicken zu laſſen, und da bey unſerm Jnſtrumente dieſer Mangel vorzuͤglich durch verſchiedene Huͤlfsmittel, harmoniſche Brechungen, und dergleichen hinlaͤnglich erſetzet wird, uͤber dieſes auch das Gehoͤr auf dem Claviere mehr Bewegung leiden kan, als ſonſten: ſo kan man mit gutem Erfolge Proben ablegen, womit man zufrieden ſeyn kan, man muͤßte denn beſonders wider das Clavier eingenom - men ſeyn. Die Mittelſtraſſe iſt freylich ſchwer hierinnen zu fin - den, aber doch nicht unmoͤglich; zudem ſo ſind unſere meiſten Huͤlfsmittel zum Aushalten, z E. die Triller und Mordenten, bey der Stimme und andern Jnſtrumenten ſo gut gewoͤhnlich als bey dem unſrigen. Es muͤſſen aber alle dieſe Manieren rund und dergeſtalt vorgetragen werden, daß man glauben ſollte, man hoͤre bloſſe ſimple Noten. Es gehoͤrt hiezu eine Freyheit, die alles ſclaviſche und maſchinenmaͤßige ausſchlieſſet. Aus der Seele muß man ſpielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel. Ein Clavieriſt von dieſer Art verdienet allezeit mehr Danck als ein andrer Muſikus. Dieſem letztern iſt es ehe zu verdenken, wenn er bizarr ſingt oder ſpielt, als jenem.

§. 8.

Um eine Einſicht in den wahren Jnhalt und Affect eines Stuͤckes zu erlangen, und in Ermangelung der noͤthigen Zeichen, die darinnen vorkommenden Noten zu beurtheilen, ob ſie geſchleift oder geſtoſſen u. ſ. w. werden ſollen, ingleichen, was bey Anbringung der Manieren in Acht zu nehmen iſt, thut man wohl, daß man ſich Gelegenheit verſchaffet, ſo wohl eintzelne Mu -Oſicos106Das dritte Hauptſtuͤck. ſicos als gantze Muſickuͤbende Geſellſchaften zu hoͤren. Dieſes iſt um ſo viel noͤthiger, je mehrern zufaͤlligen Dingen meiſten - theils dieſe Schoͤnheiten unterworfen ſind. Man muß die Ma - nieren in einer nach dem Affect abgemeßnen Staͤrcke und Ein - theilung des Tackts anbringen. Wiewohl man, um nicht un - deutlich zu werden, alle Pauſen ſo wohl als Noten nach der Straͤnge der erwehlten Bewegung halten muß, ausgenommen in Fermaten und Cadentzen: So kan man doch oͤfters die ſchoͤnſten Fehler wider den Tackt mit Fleiß begehen, doch mit dieſem Unterſcheid, daß, wenn man alleine oder mit wenigen und zwar verſtaͤndigen Perſonen ſpielt, ſolches dergeſtalt geſchehen kan, daß man der gantzen Bewegung zuweilen einige Gewalt anthut; die Begleitenden werden daruͤber, anſtatt ſich irren zu laſſen, viel - mehr aufmerckſam werden, und in unſere Abſichten einſchlagen; daß aber, wenn man mit ſtarcker Begleitung, und zwar wenn ſelbige aus vermiſchten Perſonen von ungleicher Staͤrcke beſteht, man blos in ſeiner Stimme allein wider die Eintheilung des Tackts eine Aenderung vornehmen kan, indem die Hauptbewegung deſ - ſelben genau gehalten werden muß.

§. 9.

Alle Schwuͤrigkeiten in Paſſagien ſind durch eine ſtarcke Uebung zu erlernen, und erfordern in der That nicht ſo viele Muͤhe als der gute Vortrag einfacher Noten. Dieſe ma - chen manchem zu ſchaffen, welcher das Clavier fuͤr ſimpler haͤlt als es iſt. So fauſtfertig man unterdeſſen ſey: ſo traue man ſich nicht mehr zu als man bezwingen kan, wenn man oͤffentlich ſpielt, indem man alsdenn ſelten in der gehoͤrigen Gelaſſenheit, auch nicht allezeit gleich aufgeraͤumt iſt. Seine Faͤhigkeit und Diſpoſition kan man an den geſchwindeſten und ſchwerſten Paſ - ſagien abmeſſen, damit man ſich nicht uͤbertreibe und hernach ſte - cken bleibe. Diejenigen Gaͤnge, welche zu Hauſe mit Muͤhe undſogar107Vom Vortrage. ſogar nur dann und wann gluͤcken, muß man oͤffentlich weglaſ - ſen, man muͤßte denn in einer gantz beſondern Faſſung des Ge - muͤthes ſeyn. Auch durch Probirung der Triller und andrer kleinen Manieren kan man das Jnſtrumeut zuvor erforſchen. Alle dieſe Vorſichten ſind aus zweyerley Urſachen nothwendig, erſtlich, damit der Vortrag leicht und flieſſend ſey, und ferner, damit man gewiſſe aͤngſtliche Gebaͤhrden vermeiden koͤnne, die die Zu - hoͤrer, anſtatt ſie zu ermuntern, vielmehr verdrießlich machen muͤſſen.

§. 10.

Der Grad der Bewegung laͤßt ſich ſo wohl nach dem Jnhalte des Stuͤckes uͤberhaupt, den man durch gewiſſe bekannte italiaͤniſche Kunſt-Woͤrter anzuzeigen pflegt, als beſon - ders aus den geſchwindeſten Noten und Figuren darinnen beur - theilen. Bey dieſer Unterſuchung wird man ſich in den Stand ſetzen, weder im Allegro uͤbereilend, noch im Adagio zu ſchlaͤfrig zu werden.

§. 11.

Die begleitenden Stimmen muß man, ſoviel moͤg - lich, von derjenigen Hand verſchonen, welche den herrſchenden Geſang fuͤhret, damit ſie ſelbigen mit aller Freyheit ungehindert geſchickt herausbringen koͤnne.

§. 12.

Wir haben im §. 8. als ein Mittel, den guten Vortrag zu erlernen, die Beſuchung guter Muſicken vorgeſchla - gen. Wir fuͤgen allhier noch hinzu, daß man keine Gelegen - heit verabſaͤumen muͤſſe, geſchickte Saͤnger beſonders zu hoͤren: Man lernet dadurch ſingend dencken, und wird man wohl thun, daß man ſich hernach ſelbſt einen Gedancken vorſinget, um den rechten Vortrag deſſelben zu treffen. Dieſes wird allezeit von groͤſſerm Nutzen ſeyn, als ſolches aus weitlaͤuftigen Buͤchern und Discurſen zu hohlen, worinn man von nichts anderm als von Natur, Geſchmack, Geſang, Melodie, hoͤret, ungeachtet ihre Urheber oͤfters nicht im Stande ſind, zwey Noten zu ſetzen, welcheO 2natuͤr -108Das dritte Hauptſtuͤck. natuͤrlich, ſchmackhaft, ſingend und melodiſch ſind, da ſie doch gleichwohl alle dieſe Gaben und Vorzuͤge nach ihrer Will - kuͤhr bald dieſem bald jenem, jedoch meiſtens mit einer ungluͤck - lichen Wahl, austheilen.

§. 13.

Jndem ein Muſickus nicht anders ruͤhren kan, er ſey dann ſelbſt geruͤhrt; ſo muß er nothwendig ſich ſelbſt in alle Affecten ſetzen koͤnnen, welche er bey ſeinen Zuhoͤrern erregen will; er giebt ihnen ſeine Empfindungen zu verſtehen und bewegt ſie ſolchergeſtalt am beſten zur Mit-Empfindung. Bey matten und traurigen Stellen wird er matt und traurig. Man ſieht und hoͤrt es ihm an. Dieſes geſchicht ebenfalls bey heftigen, luſti - gen, und andern Arten von Gedancken, wo er ſich alsdenn in dieſe Affecten ſetzet. Kaum, daß er einen ſtillt, ſo erregt er einen andern, folglich wechſelt er beſtaͤndig mit Leidenſchaften ab. Dieſe Schuldigkeit beobachtet er uͤberhaupt bey Stuͤcken, welche ausdruͤckend geſetzt ſind, ſie moͤgen von ihm ſelbſt oder von je - manden anders herruͤhren; im letztern Falle muß er dieſelbe Lei - denſchaften bey ſich empfinden, welche der Urheber des fremden Stuͤcks bey deſſen Verfertigung hatte. Beſonders aber kan ein Clavieriſte vorzuͤglich auf allerley Art ſich der Gemuͤther ſei - ner Zuhoͤrer durch Fantaſien aus dem Kopfe bemeiſtern. Daß alles dieſes ohne die geringſten Gebehrden abgehen koͤnne, wird derjenige blos laͤugnen, welcher durch ſeine Unempfindlichkeit ge - noͤthigt iſt, wie ein geſchnitztes Bild vor dem Jnſtrumente zu ſitzen. So unanſtaͤndig und ſchaͤdlich heßliche Gebaͤhrden ſind: ſo nuͤtzlich ſind die guten, indem ſie unſern Abſichten bey den Zuhoͤrern zu Huͤlfe kommen. Dieſe letztern Ausuͤber machen ungeachtet ihrer Fertigkeit ihren ſonſt nicht uͤbeln Stuͤcken oft ſelbſten ſchlechte Ehre. Sie wiſſen nicht, was darinnen ſteckt, weil ſie es nicht heraus - bringen koͤnnen. Spielt ſolche Stuͤcke aber ein anderer, wel -cher109Vom Vortrage. cher zaͤrtliche Empfindungen beſitzet, und den guten Vortrag in ſeiner Gewalt hat; ſo erfahren ſie mit Verwunderung, daß ihre Wercke mehr enthalten, als ſie gewuſt und geglaubt haben. Man ſieht hieraus, daß ein guter Vortrag auch ein mittelmaͤßi - ges Stuͤck erheben, und ihm Beyfall erwerben kan.

§. 14.

Aus der Menge der Affecten, welche die Muſick erregen kan, ſieht man, was fuͤr beſondre Gaben ein vollkommner Muſickus haben muͤſſe, und mit wie vieler Klugheit er ſie zu ge - brauchen habe, damit er zugleich ſeine Zuhoͤrer, und nach die - ſer ihrer Geſinnung den Jnhalt ſeiner vorzutragenden Wahrhei - ten, den Ort, und andere Umſtaͤnde mehr in Erwegung ziehe. Da die Natur auf eine ſo weiſe Art die Muſick mit ſo vielen Veraͤnderungen begabet hat, damit ein jeder daran Antheil neh - men koͤnne: ſo iſt ein Muſickus alſo auch ſchuldig, ſo viel ihm moͤglich iſt, allerley Arten von Zuhoͤrern zu befriedigen.

§. 15.

Wir haben oben angefuͤhrt, daß ein Clavieriſte be - ſonders durch Fantaſien, welche nicht in auswendig gelernten Paſſa - gien oder geſtohlnen Gedancken beſtehen, ſondern aus einer guten muſickaliſchen Seele herkommen muͤſſen, das Sprechende, das hurtig uͤberraſchende von einem Affecte zum andern, alleine vor - zuͤglich vor den uͤbrigen Ton-Kuͤnſtlern ausuͤben kan; Jch habe hiervon in dem letzten Probe-Stuͤck eine kleine Anleitung ent - worfen. Hierbey iſt nach der gewoͤhnlichen Art der ſchlechte Tact vorgezeichnet, ohne ſich daran zu binden, was die Einthei - lung des Gantzen betrift; aus dieſer Urſache ſind allezeit bey die - ſer Art von Stuͤcken die Abtheilungen des Tactes weggeblieben. Die Dauer der Noten wird durch das vorgeſetzte Moderato uͤberhaupt und durch die Verhaͤltniß der Noten unter ſich beſon - ders beſtimmt. Die Triolen ſind hier ebenfalls durch die bloſſe Figur von drey Noten zu erkennen. Das Fantaſiren ohne TactO 3ſcheint110Das dritte Hauptſtuͤck. ſcheint uͤberhaupt zu Ausdruͤckung der Affecten beſonders geſchickt zu ſeyn, weil jede Tact-Art eine Art von Zwang mit ſich fuͤhret. Man ſiehet wenigſtens aus den Recitativen mit einer Beglei - tung, daß das Tempo und die Tact-Arten oft veraͤndert werden muͤſſen, um viele Affecten kurtz hinter einander zu erregen und zu ſtillen. Der Tact iſt alsdenn oft bloß der Schreib-Art we - gen vorgezeichnet, ohne daß man hieran gebunden iſt. Da wir nun ohne dieſe Umſtaͤnde mit aller Freyheit, ohne Tact, durch Fantaſien dieſes auf unſerm Jnſtrumente bewerckſtelligen koͤnnen, ſo hat es dieſerwegen einen beſondern Vorzug.

§. 16.

Jndem man alſo ein jedes Stuͤck nach ſeinem wah - ren Jnhalte, und mit dem gehoͤrigen Affecte ſpielen ſoll; ſo thun die Componiſten wohl, wenn ſie ihren Ausarbeitungen auſſer der Bezeichnung des Tempo, annoch ſolche Woͤrter vorſetzen, wo - durch der Jnhalt derſelben erklaͤret wird. So gut dieſe Vor - ſicht iſt, ſo wenig wuͤrde ſie hinlaͤnglich ſeyn, das Verhudeln ihrer Stuͤcke zu verhindern, wenn ſie nicht auch zugleich die gewoͤhn - lichen Zeichen, welche den Vortrag angehen, den Noten bey - fuͤgten. Wegen des erſten Puncts wird man mir leichte ver - geben, wenn man bey den Probe-Stuͤcken einige Woͤrter findet, welche eben ſo gar gewoͤhnlich nicht ſeyn moͤgen, ob ſie ſchon zu meiner Abſicht bequem geweſen ſind. Wegen der Zeichen habe ich bey denſelben die noͤthige Sorgfalt gleichfalls gebrauchet, weil ich gewiß weiß, daß ſie bey unſerm Jnſtrumente eben ſo noͤthig ſind als bey andern. Wenn eine Stimme anders vorgetragen wer - den ſoll als die uͤbrigen, ſo hat ſie deswegen ihr beſonderes Zei - chen, auſſerdem aber gehoͤrt ein ſolches Zeichen der gantzen Hand zu, ſie mag eine oder mehrere Stimmen ſpielen. Die bloſſe Figur dieſer Zeichen mag vielleicht bekannter ſeyn als die Wiſ - ſenſchaft, ſolche gleichſam zu beleben, und die abgezielte Wuͤr -ckung111Vom Vortrage. ckung davon hervor zu bringen. Zu dem Ende wollen wir das Vornehmſte deswegen in einigen Exempeln und Erklaͤrungen beyfuͤgen.

§. 17.

Das Anſchlagen der Taſten oder ihr Druck iſt einerley. Alles haͤnget von der Staͤrcke oder von der Laͤnge deſſelben ab. Die Noten, welche geſtoſſen werden ſollen, wer - den ſowohl durch daruͤber geſetzte Strichelchen als auch durch Puncte bezeichnet Tab. VI. Fig. I. Wir haben dismahl die letz -Tab. VI. tere Art gewaͤhlet, weil bey der erſtern leicht eine Zweydeutig - keit wegen der Ziffern haͤtte vorgehen koͤnnen. Man muß mit Unterſchied abſtoſſen, und die Geltung der Note, ob ſolche ein halber Tact, Viertheil oder Achttheil iſt, ob die Zeit-Maaße hur - tig oder langſam, ob der Gedancke forte oder piano iſt, erwe - gen; dieſe Noten werden allezeit etwas weniger als die Haͤlfte gehalten. Ueberhaupt kan man ſagen, daß das Stoſſen mehren - theils bey ſpringenden Noten und in geſchwinder Zeit-Maaſſe vor - kommt.

§. 18.

Die Noten welche geſchleift werden ſollen, muͤſſen ausgehalten werden, man deutet ſie mit daruͤber geſetzten Bogen an Fig. II. Dieſes Ziehen dauret ſo lange als der Bogen iſt. Bey Figuren von 2 und 4 ſolcher Noten, kriegt die erſte und dritte einen etwas ſtaͤrckern Druck, als die zweyte und vierte, doch ſo, daß man es kaum mercket. Bey Figuren von drey Noten kriegt die erſte dieſen Druck. Bey andern Faͤllen kriegt die Note dieſen Druck, wo der Bogen anfaͤngt. Man pflegt zuweilen der Bequemlichkeit wegen bey Stuͤcken, wo viele geſtoſ - ſene oder gezogene Noten hintereinander vorkommen, nur im An - fange die erſtern zu bezeichnen, und es verſteht ſich, daß dieſe Zeichen ſo lange gelten, bis ſie aufgehoben werden. Wenn Schleiffungen uͤber gebrochene Harmonien vorkommen, ſo kanman112Das dritte Hauptſtuͤck. Tab. VI. man zugleich mit der gantzen Harmonie liegen bleiben Fig. III. Jn dem Probe-Stuͤck aus dem E dur kommt dieſer Fall oft vor, man erhaͤlt hierdurch auſſer der beſonders guten Wuͤrckung eine leichtere und beſſer zu uͤberſehende Schreib-Art. Jn dem Probe-Stuͤck aus dem As iſt dieſer Fall in beſonderen Stimmen ausgeſchrieben, damit man dieſe Schreib-Art, welche die Franzo - ſen beſonders ſtarck brauchen, kennen lerne. Ueberhaupt zu ſa - gen, ſo kommen die Schleifungen mehrentheils bey gehenden Noten und in langſamer oder gemaͤßigter Zeit-Maaſſe vor.

§. 19.

Die bey Fig. IV. befindlichen Noten werden gezo - gen und jede kriegt zugleich einen mercklichen Druck. Das Ver - binden der Noten durch Bogen mit Puncten nennt man bey dem Claviere eigentlich das Tragen der Toͤne.

§. 20.

Eine lange und affectuoͤſe Note vertraͤgt eine Be - bung, indem man mit dem auf der Taſte liegen bleibenden Fin - ger ſolche gleichſam wiegt; das Zeichen davon ſehen wir bey Fig. IV. (a).

§. 21.

Die Fig. V. befindlichen Noten ſpielt man ſo, daß der Anfang des Bogens mit dem Finger einen kleinen Druck kriegt. Die Noten bey Fig. VI. werden eben ſo geſpielt, nur mit dem Unterſcheid, daß das Ende des Bogens nicht ausge - halten wird, weil man den Finger bald aufheben muß. Der Ausdruck bey Fig. IV. geht nur auf dem Clavicorde an; der bey V und VI. aber ſo wohl auf dem Fluͤgel als Clavicorde. Der Ausdruck bey Fig. V und VI. muß nicht mit dem Ausdrucke bey Fig. VI. (a) verwechſelt werden. Anfaͤnger begehen dieſen Fehler leicht.

§. 22.

Die Noten, welche weder geſtoſſen noch geſchleift noch ausgehalten werden, unterhaͤlt man ſo lange als ihre Haͤlfte betraͤgt; es ſey denn, daß das Woͤrtlein Ten: (gehalten) dar -uͤber113Vom Vortrage. uͤber ſteht, in welchem Falle man ſie aushalten muß. DieſeTab. VI. Art Noten ſind gemeiniglich die Achttheile und Viertheile in ge - maͤßigter und langſamer Zeit-Maaſſe, und muͤſſen nicht unkraͤf - tig, ſondern mit einem Feuer und gantz gelinden Stoſſe geſpielt werden.

§. 23.

Die kurtzen Noten nach vorgegangenen Puncten werden allezeit kuͤrtzer abgefertiget als ihre Schreib-Art erfordert, folglich iſt es ein Ueberfluß dieſe kurtze Noten mit Puncten oder Strichen zu bezeichnen. Bey Fig. VII. ſehen wir ihren Ausdruck. Zuweilen erfordert die Eintheilung, daß man der Schreib-Art ge - maͤß verfaͤhrt (*). Die Puncte bey langen Noten, ingleichen die bey kurtzen Noten in langſamer Zeit-Maaſſe und auch ein - tzeln werden insgemein gehalten. Kommen aber, zumahl in geſchwindem Tempo, viele hintereinander vor, ſo werden ſie oft nicht gehalten, ohngeacht die Schreib-Art es erfordert. Es iſt alſo wegen dieſer Veraͤnderung am beſten, daß man alles gehoͤ - rig andeutet, widrigenfalls kan man aus dem Jnhalte eines Stuͤ - ckes hierinnen vieles Licht bekommen. Die Puncte bey kurtzen Noten, worauf ungleich kuͤrtzere nachfolgen, werden ausgehalten Fig. VIII.

§. 24.

Die erſte Note von den bey Fig. IX. befindlichen Figuren, weil ſie geſchleift werden, wird nicht zu kurtz abgefer - tiget, wenn das Tempo gemaͤßigt oder langſam iſt, weil ſonſt zu viel Zeit-Raum uͤbrig bleiben wuͤrde. Dieſe erſte Note wird durch einen gelinden Druck, aber ja nicht durch einen kurtzen Stoß oder zu ſchnellen Ruck marquirt.

§. 25.

Bey langen Aushaltungen hat man die Freyheit, die lange gebundene Note dann und wann wieder anzuſchlagen Fig. X.

P§. 26.114Das dritte Hauptſtuͤck.
Tab. VI.
4

§. 26.

Die gewoͤhnlichen Zeichen der gebrochenen Harmo - nie ſehen wir ſamt ihrer Wuͤrckung Fig. XI. Unter (*) be - mercken wir die Brechungen mit Acciaccaturen. Wenn bey langen Noten das Wort arpeggio ſtehet, ſo wird die Harmo - nie einige mahl hinauf und herunter gebrochen.

§. 27.

Seit dem haͤufigen Gebrauche der Triolen bey dem ſo genannten ſchlechten oder Vier Viertheil-Tacte, ingleichen bey dem Zwey - oder Dreyviertheil-Tacte findet man viele Stuͤcke, die ſtatt dieſer Tact-Arten oft bequemer mit dem Zwoͤlf, Neun oder Sechs Achttheil-Tacte vorgezeichnet wuͤrden. Man theilt als - dann die bey Fig. XII. befindlichen Noten wegen der andern Stimme ſo ein, wie wir allda ſehen. Hierdurch wird der Nachſchlag, welcher oft unangenehm, allezeit aber ſchwer faͤllt, vermieden.

§. 28.

Fig. XIII. zeigt uns unterſchiedene Exempel, wo man aus Affect bisweilen ſo wohl die Noten als Pauſen laͤnger gelten laͤßt, als die Schreib-Art erfordert. Dieſes Anhalten habe ich theils deutlich ausgeſchrieben, theils durch kleine Kreutze angedeutet. Das letzte Exempel zeigt, daß ein Gedancke mit zwey verſchiedenen Begleitungen Gelegenheit zum Anhalten giebt. Ueberhaupt geht dieſer Ausdruck eher in langſamer oder gemaͤßig - ter als ſehr geſchwinder Zeit-Maaſſe an. Jm erſten Allegro und drauf folgenden Adagio der ſechſten Sonate in H moll mei - nes zweyten gedruckten Theils ſind auch Exempel hiervon. Be - ſonders im Adagio kommt ein Gedancke durch eine dreymahlige Transpoſition, in der rechten Hand mit Octaven und in der lin - cken mit geſchwinden Noten vor; dieſer wird geſchickt durch ein allmaͤhliges gelindes Eilen bey jeder Ueberſetzung ausgefuͤhret, welches kurtz drauf ſehr wohl mit einem ſchlaͤfrigen Anhalten im Tacte abwechſelt.

§. 29.115Vom Vortrage.

§. 29.

P. bedeutet Piano; dieſes piano wird durch dieTab. VI. Vermehrung dieſes Buchſtabens noch ſchwaͤcher. M. f. bedeutet mezzo forte oder halb ſtarck. F bedeutet forte, dieſes forte wird ſtaͤrcker wenn man dieſem f mehrere beyfuͤgt. Damit man alle Artrn vom pianißimo bis zum fortißimo deutlich zu hoͤren kriege, ſo muß man das Clavier etwas ernſthaft mit einiger Kraft, nur nicht dreſchend angreiffen; man muß gegentheils auch nicht zu heuchleriſch daruͤber wegfahren. Es iſt nicht wohl moͤg - lich, die Faͤlle zu beſtimmen, wo forte oder piano ſtatt hat, weil auch die beſten Regeln eben ſo viel Ausnahmen leiden als ſie feſt ſetzen; die beſondere Wuͤrckung dieſes Schatten und Lichts haͤngt von den Gedancken, von der Verbindung der Gedancken, und uͤberhaupt von dem Componiſten ab, welcher eben ſo wohl mit Urſache das Forte da anbringen kan, wo ein andermahl piano geweſen iſt, und oft einen Gedancken ſammt ſeinen Con - und Diſſonanzen einmahl forte und das andre mahl piano bezeichnet. Deßwegen pflegt man gerne die wiederholten Gedancken, ſie moͤ - gen in eben derjenigen Modulation oder in einer andern, zumahl wenn ſie mit verſchiednen Harmonien begleitet werden, wiederum erſcheinen, durch forte und piano zu unterſcheiden. Jndeſſen kan man mercken, daß die Diſſonanzen insgemein ſtaͤrcker und die Conſonanzen ſchwaͤcher geſpielt werden, weil jene die Leiden - ſchaften mit Nachdruck erheben und dieſe ſolche beruhigen, Fig. XIV. (a). Ein beſonderer Schwung der Gedancken, welcher einen heftigen Affect erregen ſoll, muß ſtarck ausgedruckt werden. Die ſo genannten Betruͤgereyen ſpielt man dahero, weil ſie oft deßwegen angebracht werden, gemeiniglich forte (b). Man kan allenfalls auch dieſe Regel mercken, welche nicht ohne Grund iſt, daß die Toͤne eines Geſangs, welche auſſer der Leiter ihrer Ton-Art ſind, gerne das forte vertragen, ohne Abſicht, ob esP 2Con -116Das dritte Hauptſtuͤck. Con - oder Diſſonanzen ſind, und daß gegentheils die Toͤne, welche in der Leiter ihrer modulirenden Ton-Art ſtehen, gerne piano geſpielt werden, ſie moͤgen conſoniren oder diſſoniren (c). Wegen der Kuͤrtze habe ich in den Exempeln hieruͤber das f. und p. haͤufen muͤſſen, ohngeacht ich wohl weiß, daß dieſe Art, alle Augenblicke Schatten und Licht anzubringen, verwerflich iſt, weil ſie ſtatt der Deutlichkeit eine Dunckelheit hervor bringet, und ſtatt des Frappanten zuletzt etwas gewoͤhnliches wird. Ohngeacht alle forte und piano in den Probe-Stuͤcken ſorgfaͤltig angedeutet ſind, ſo iſt es doch noͤthig, wegen der Manieren das im zweyten Haupt-Stuͤcke davon bemerckte, in ſo ferne der Vortrag dieſer Manieren ſich mit dem forte und piano beſchaͤftigt, in acht zu nehmen. Spielt man dieſe Probe-Stuͤcke auf einem Fluͤgel mit mehr als einem Grifbrette, ſo bleibt man mit dem forte und piano, welches bey einzeln Noten vorkommt, auf demſelben; man wechſelt hierinnen nicht eher, als bis gantze Paſſagien ſich durch forte und piano unterſcheiden. Auf dem Clavicorde faͤllt dieſe Unbequemlichkeit weg, indem man hierauf alle Arten des forte und piano ſo deutlich und reine heraus bringen kan, als kaum auf manchem andern Jnſtrumente. Bey ſtarcker oder laͤrmender Begleitung muß man allezeit die Haupt-Melodie durch einen ſtaͤr - ckern Anſchlag hervorragen laſſen.

§. 30.

Die verzierten Cadenzen ſind gleichſam eine Com - poſition aus dem Stegereif. Sie werden nach dem Jnhalte eines Stuͤckes mit einer Freyheit wider den Tackt vorgetragen. Deß - wegen iſt die angedeutete Geltung der Noten bey dieſen Cadenzen in den Probe-Stuͤcken nur ohngefehr. Sie ſtellt blos einiger maſſen die Geſchwindigkeit und Verſchiedenheit dieſer Noten vor. Bey zwey - oder dreyſtimmigen Cadenzen wird allezeit zwiſchen jeder Propoſition ein wenig ſtille gehalten, ehe die andre Stimmeanfaͤngt;117Vom Vortrage. anfaͤngt; Dieſes Stillehalten und zugleich das Ende jeder Pro - poſition habe ich durch weiſſe Noten, ohne mich an die gewoͤhn - liche Schreib-Art der Bindungen zu kehren, und ohne weitre Ab - ſicht, in den Probe-Stuͤcken angedeutet. Dieſe weiſſen Noten werden ſo lange ausgehalten, bis ſie in derſelben Stimme von andern abgeloͤſet werden. Man mercke hier, wenn eine andre Stimme in die Queere kommt, daß man alsdenn die auszuhal - tende Note zwar auf einige Zeit aufheben muß; dem ohngeacht aber laͤßt man ſie aufs neue liegen, wenn die in die Queere gekommene Stimme ſolche das letzte mahl anſchlaͤget. Sollte die - ſer Fall bey zwey beſchaͤftigten Haͤnden vorkommen, ſo ergreift ſo gleich die andere Hand dieſe zuletzt angeſchlagene Note bevor ihn die erſte Hand verlaͤßt. Hierdurch erhaͤlt man das Nachſingen ohne einen neuen Anſchlag zu machen. Das bey die - ſen weiſſen Noten erforderte Stillehalten geſchiehet deßwegen, da - mit man das Cadenzenmachen zweyer oder dreyer Perſonen, ohne Abrede zu nehmen, nachahme, indem man dadurch gleichſam vor - ſtellet, als wenn eine Perſon auf die andere genau Achtung gebe, ob deren Propoſition zu Ende ſey oder nicht. Auſſer dem wuͤr - den die Cadenzen ihre natuͤrliche Eigenſchaft verliehren, und es duͤrfte ſcheinen, als ob man, ſtatt eine Cadenz zu machen, ein ausdruͤcklich nach dem Tackt geſetztes Stuͤck mit Bindungen ſpielte. Dem ohngeacht faͤllt dieſes Stillehalten weg, ſo bald die Aufloͤ - ſung der Harmonie, welche bey dem Eintritt einer weiſſen Note vorgehet, erfordert, daß die gerade uͤber dieſer weiſſen ſtehende Note zugleich mit ihr angeſchlagen werden muß.

§. 31.

Das Probe-Stuͤcke aus dem F dur iſt ein Abriß, wie man heute zu Tage die Allegros mit 2 Repriſen das an - dere mahl zu veraͤndern pflegt. So loͤblich dieſe Erſindung iſt, ſo ſehr wird ſie gemißbrauchet. Meine Gedancken hiervon ſindP 3die -118Das dritte Hauptſtuͤck. dieſe: Man muß nicht alles veraͤndern, weil es ſonſt ein neu Stuͤck ſeyn wuͤrde. Viele, beſonders die affectuoͤſen oder ſpre - chenden Stellen eines Stuͤckes laſſen ſich nicht wohl veraͤndern. Hieher gehoͤret auch diejenige Schreib-Art in galanten Stuͤcken, welche ſo beſchaffen iſt, daß man ſie wegen gewiſſer neuen Aus - druͤcke und Wendungen ſelten das erſte mahl vollkommen einſieht. Alle Veraͤnderungen muͤſſen dem Affect des Stuͤckes gemaͤß ſeyn. Sie muͤſſen allezeit, wo nicht beſſer, doch wenigſtens eben ſo gut, als das Original ſeyn. Simple Gedancken werden zuweilen ſehr wohl bunt veraͤndert und umgekehrt. Dieſes muß mit keiner geringen Ueberlegung geſchehen, man muß hierbey beſtaͤndig auf die vorhergehenden und folgenden Gedancken ſehen; man muß eine Abſicht auf das gantze Stuͤck haben, damit die gleiche Ver - miſchung des brillanten und ſimplen, des feurigen und matten, des traurigen und froͤlichen, des ſangbaren und des dem Jnſtru - ment eignen beybehalten werde. Bey Clavier-Sachen kan zugleich der Baß in der Veraͤnderung anders ſeyn, als er war, indeſſen muß die Harmonie dieſelbe bleiben. Ueberhaupt muß man, ohn - geacht der vielen Veraͤnderungen, welche gar ſehr Mode ſind, es allezeit ſo einrichten, daß die Grundliniamenten des Stuͤckes, welche den Affect deſſelben zu erkennen geben, dennoch hervor leuchten.

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TextVersuch über die wahre Art das Clavier zu spielen
Author Carl Philipp Emanuel Bach
Extent127 images; 32350 tokens; 4388 types; 225768 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationVersuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mit Exempeln und achtzehn Probe-Stücken in sechs Sonaten erläutert Erster Theil Carl Philipp Emanuel Bach. 2. Auflage. [4] Bl., 118 S. SelbstverlagWinterBerlin1759. (Die Erstauflage dieses Teils erschien als selbständiger Band 1753 in Berlin im Selbstverlag (vgl. http://stabikat.staatsbibliothek-berlin.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=135320259).)

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