PRIMS Full-text transcription (HTML)
Verſuch uͤber die wahre Art das Clavier zu ſpielen
mit Exempeln und achtzehn Probe-Stuͤcken in ſechs Sonaten erlaͤutert.
Erſter Theil. Zweyte Auflage.
Jn Verlegung des Auctoris.
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Berlin,1759. Gedruckt beyGeorge Ludewig Winter.
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Vorrede.

So viele Vorzuͤge das Clavier beſitzet, ſo vielen Schwuͤrigkeiten iſt daſſelbe zu glei - cher Zeit unterworfen. Die Vollkom - menheit deſſelben waͤre leichte daraus zu erweiſen, wenn es noͤthig waͤre, weil es diejenigen Eigenſchaf - ten, die andere Jnſtrumente nur eintzeln haben, in ſich vereinet; weil man eine vollſtaͤndige Harmonie, wozu ſonſt drey, vier und mehrere Jnſtrumente erfordert werden, darauf mit einmahl hervor brin - gen kan, und was dergleichen Vortheile mehr ſind. * 2WemVorrede. Wem iſt aber nicht zugleich bekannt, wie viele For - derungen an das Clavier gemachet werden; wie man ſich nicht begnuͤget, dasjenige von einem Clavierſpie - ler zu erwarten, was man von jedem Jnſtrumen - tiſten mit Recht fordern kan, nemlich die Fertigkeit, ein fuͤr ſein Jnſtrument geſetztes Stuͤck den Regeln des guten Vortrags gemaͤß, auszufuͤhren? Man verlanget noch uͤberdies, daß ein Clavierſpieler Fan - taſien von allerley Art machen ſoll; daß er einen aufgegebenen Satz nach den ſtrengſten Regeln der Harmonie und Melodie aus dem Stegereif durch - arbeiten, aus allen Toͤnen mit gleicher Leichtigkeit ſpielen, einen Ton in den andern im Augenblick ohne Fehler uͤberſetzen, alles ohne Unterſcheid vom Blatte weg ſpielen ſoll, es mag fuͤr ſein Jnſtrument eigentlich geſetzt ſeyn oder nicht; daß er die Wiſſen - ſchaft des Generalbaſſes in ſeiner voͤlligen Gewalt haben, ſelbigen mit Unterſcheid, oft mit Verlaͤug - nung, bald mit vielen, bald mit wenigen Stimmen, bald nach der Strenge der Harmonie, bald galant, bald nach einem zu wenig oder zu viel, bald gar nicht und bald ſehr falſch bezieferten Baſſe ſpielen ſoll; daß er dieſen Generalbaß manchmahl aus Par - tituren von vielen Linien, bey unbezieferten, oder ofte gar pauſirenden Baͤſſen, wenn nemlich einevonVorrede. von den andern Stimmen zum Grunde der Harmo - nie dienet, ziehen und dadurch die Zuſammenſtim - mung verſtaͤrcken ſoll, und wer weiß alle Forderun - gen mehr? Dieſem ſoll nun noch mehrentheils auf einem fremden Jnſtrumente Genuͤge geſchehen, und ſiehet man gar nicht darauf, ob ſolches gut oder ſchlecht, ob ſolches im gehoͤrigen Stande iſt, oder nicht, wobey oft keine Entſchuldigung gilt. Jm Gegentheile iſt dieſes die gewoͤhnlichſte Zumuthung, daß man Fantaſien verlangt, ohne ſich zu bekuͤm - mern, ob der Clavieriſt in dem Augenblicke dazu genungſam aufgeraͤumt iſt oder nicht, und ohne ihm die dazu gehoͤrige Diſpoſition, entweder durch Dar - bietung eines tuͤchtigen Jnſtruments zu verſchaffen, oder ihm ſelbige zu erhalten.

Dieſer Forderungen ungeachtet findet das Cla - vier allezeit mit Recht ſeine Liebhaber. Man laͤſſet ſich durch die Schwuͤrigkeit deſſelben nicht abſchre - cken, ein Jnſtrument zu erlernen, welches durch ſeine vorzuͤglichen Reitze die darauf gewandte Muͤhe und Zeit voͤllig erſetzet. Es iſt aber auch nicht je - der Liebhaber verbunden, alle dieſe Forderungen an daſſelbe zu erfuͤllen. Er nimmt ſo vielen Antheil daran, als er will, und ihm die von Natur erhal - tenen Gaben erlauben.

NurVorrede.

Nur waͤre es zu wuͤnſchen, daß die Unterwei - ſung auf dieſem Jnſtrumente hin und wieder etwas verbeſſert, und das wahre Gute, welches, wie uͤber - haupt in der Muſick, alſo beſonders auf dem Cla - viere noch bisher bey wenigen anzutreffen geweſen iſt, dadurch allgemeiner wuͤrde. Die vortreflichſten Meiſter in der Ausuͤbung, denen man etwas Gutes abhoͤren koͤnnte, ſind noch nicht in ſo groſſer An - zahl zu finden, als man ſich vielleicht einbilden duͤrfte. Das Abhoͤren, eine Art erlaubten Diebſtahls, aber iſt in der Muſick deſto[nothwendiger], da, wenn auch die Abgunſt unter den Menſchen nicht ſo groß waͤre, viele Sachen aufſtoſſen, die man kaum wei - ſen, geſchweige ſchreiben kan, und die man alſo vom bloſſen Hoͤren erlernen muß.

Wenn ich hiemit der Welt eine Anleitung zum Clavierſpielen uͤbergebe: So iſt meine Abſicht im geringſten nicht, die vorher angefuͤhrten Anforde - rungen an daſſelbe nach einander durchzugehen, und zu zeigen, wie man allen dieſen beſonders ein Gnuͤge leiſten ſoll. Es wird hier weder von der Art zu fantaſiren, noch von dem Generalbaſſe gehandelt werden. Man findet dieſes zum Theil in vielen gu - ten Buͤchern bereits vorlaͤngſt ausgefuͤhret. Jch bin hier Willens, die wahre Art zu zeigen, Hand -ſachenVorrede. ſachen mit Beyfall vernuͤnftiger Kenner zu ſpielen. Wer aber hierinnen das Seinige gethan hat, der hat ſchon ſehr vieles auf dem Claviere gethan, und wird derſelbe in den uͤbrigen Aufgaben deſſelben deſto bequemer fortzukommen, die Faͤhigkeit haben. Die Anforderungen, die man vor allen andern Jnſtru - menten vorzuͤglich an das Clavier machet, zeugen von der Vollkommenheit und dem weiten Umfange deſſelben, und aus der muſikaliſchen Geſchichte be - mercket man, daß diejenigen, denen es gelungen, ſich einen groſſen Nahmen in der muſikaliſchen Welt zu machen, dieſes Jnſtrument mehrentheils vorzuͤg - lich ausgeuͤbet haben.

Bey allem dieſen habe ich hauptſaͤchlich meine Abſicht zugleich auf diejenigen Lehrer gerichtet, wel - che ihre Schuͤler bishero nicht nach den wahren Grundſaͤtzen der Kunſt angefuͤhret haben. Liebha - ber, die durch falſche Vorſchriften verhudelt wor - den, koͤnnen ſich von ſelbſten nach meinen Lehrſaͤ - tzen zurechte helfen, wenn ſie ſchon viel Muſick ſon - ſten geſpielt haben; Anfaͤnger aber werden, vermit - telſt derſelben, mit beſondrer Leichtigkeit in kurtzer Zeit dahin kommen, wo ſie kaum geglaubt haͤtten.

Diejenigen irren ſich, welche ein weitlaͤuftiges Lehrgebaͤude von mir erwartet haben; ich habe mehrDanckVorrede. Danck zu verdienen geglaubt, wenn ich das ziemlich ſchwehre Clavier-Studium durch kurtze Lehrſaͤtze, ſo viel moͤglich, leichte und angenehm machte.

Jndem ich unterſchiedene Wahrheiten mehr als einmahl zu erwehnen genoͤthiget worden bin, theils wegen der Gelegenheit, welche ſolches erfordert hat, theils um das viele Nachſchlagen zu vermeiden, theils weil ich glaube, daß man gewiſſe Hauptſaͤtze nicht zu oft einſchaͤrfen kan: ſo hoffe ich dißfals eben ſo wohl bey meinen Leſern Vergebung zu erhalten, als deswegen, daß ſich vielleicht mancher durch die Wahrheit getroffen finden wird, ohne daß ich gleich - wohl die geringſte Abſicht einer perſoͤnlichen Belei - digung gehabt habe.

Sollte gegenwaͤrtiges Werck bey vernuͤnftigen Kennern einigen Beyfall finden: ſo wuͤrde ich da - durch angereitzet werden, daſſelbe mit der Zeit, ver - mittelſt einiger Beytraͤge, fortzuſetzen.

Einlei -
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Einleitung.

§. 1.

Zur wahren Art das Clavier zu ſpielen, gehoͤren haupt - ſaͤchlich drey Stuͤcke, welche ſo genau mit einander verbunden ſind, daß eines ohne das andere weder ſeyn kan, noch darf; nehmlich die rechte Finger-Setzung, die guten Manieren, und der gute Vortrag.

§. 2.

Da dieſe Stuͤcke nicht allzu bekant ſind, und folglich ſo oft dawider gefehlet worden: ſo hat man mehrentheils Clavier - Spieler gehoͤret, welche nach einer abſcheulichen Muͤhe endlich ge - lernet haben, verſtaͤndigen Zuhoͤrern, das Clavier durch ihr Spie - len eckelhaft zu machen. Man hat in ihrem Spielen das runde, deutliche und natuͤrliche vermißt; hingegen, an ſtatt deſſen lauter Gehacke, Poltern und Stolpern angetroffen. Jndem alle andere Jnſtrumente haben ſingen gelernet; ſo iſt bloß das Clavier hierin - nen zuruͤck geblieben, und hat, an ſtatt weniger unterhaltenen Noten, mit vielen bunten Figuren ſich abgeben muͤſſen, dergeſtaltAdaß2Einleitung. daß man ſchon angefangen hat zu glauben, es wuͤrde einem angſt, wenn man etwas langſames oder ſangbares auf dem Clavier ſpielen ſoll; man koͤnne weder einen Ton an den andern ziehen, noch einen Ton von dem andern durch einen Stoß abſondern; man muͤſſe dieſes Jnſtrument bloß als ein noͤthiges Uebel zur Begleitung dulden. So ungegruͤndet und widerſprechend dieſe Beſchuldigungen ſind, ſo gewiſſe Zeichen ſind ſie doch der ſchlechten Art, das Clavier zu ſpielen. Jch weiß nicht, da man ſolchergeſtalt das Clavier fuͤr unſre heutige Muſic ſo gar ungeſchickt haͤlt, und mancher dadurch abgeſchreckt werden kan, ſolches zu erlernen, ob nicht ſelbſt die Wiſſenſchaft, welche ſchon jetzo ziemlich rar zu werden anfaͤngt, nicht noch mehr fallen werde, indem ſie groͤſtentheils durch groſſe Clavier-Spieler auf uns gebracht worden iſt.

§. 3.

Auſſer den Fehlern wider oben angefuͤhrte drey Punckte, hat man den Scholaren eine falſche Haltung der Haͤnde gewie - ſen, wenigſtens hat man ihnen ſolche nicht abgewoͤhnt; dadurch iſt ihnen folgends alle Moͤglichkeit abgeſchnitten worden, etwas Gu - tes heraus zu bringen, und man hat von den ſteifen und am Drath gezogenen Fingern ſchon auf das uͤbrige ſchlieſſen koͤnnen.

§. 4.

Jeder Lehr-Meiſter bey nahe, dringt ſeinen Schuͤlern ſeine eigene Arbeiten auf, indem es heute zu Tage eine Schande zu ſeyn ſcheint, nichts ſelber ſetzen zu koͤnnen. Dahero werden den Lehrlingen, andere gute Clavier-Sachen, woraus ſie was ler - nen koͤnten, unter dem Vorwande, als ob ſie zu alt oder zu ſchwer waͤren, vorenthalten. Beſonders iſt man durch ein uͤbles Vor - urtheil wider die frantzoͤſiſchen Clavier-Sachen eingenommen, welche doch allezeit eine gute Schule fuͤr Clavier-Spieler geweſen ſind, indem dieſe Nation durch eine zuſammenhaͤngende und pro - pre Spiel Art ſich beſonders vor andern unterſchieden hat. Alle noͤthige Manieren ſind ausdruͤcklich dabey geſetzt, die linke Hand iſt nicht geſchont und an Bindungen fehlet es nicht. Dieſe abertra -3Einleitung. tragen zur Erlernung des wohl zuſammenhaͤngenden Vortrages das Hauptſaͤchlichſte bey. Der Lehr-Meiſter kan oft ſelbſt nicht mehr als ſein Machwerk ſpielen; ſeine verwoͤhnte und ungeſchickte Maſchine theilt ſeinen Gedancken das Steife mit; er kan nichts anders ſetzen, als was er bezwingen kan; mancher wird fuͤr einen guten Clavier-Spieler gehalten, ohngeacht er kaum weiß, wie die Bindungen geſpielt werden muͤſſen; folglich ſehen wir daher eine groſſe Menge elender Arbeiten fuͤr das Clavier und verdor - bener Schuͤler entſtehen.

§. 5.

Man martert im Anfange die Scholaren mit abge - ſchmackten Murkys und andern Gaſſen-Hauern, wobey die lincke Hand bloß zum Poltern gebraucht, und dadurch zu ihrem wah - ren Gebrauche auf immer untuͤchtig gemachet wird, ohngeacht ſie vorzuͤglich auf eine vernuͤnftige Art ſolte geuͤbt werden, indem es um ſo viel ſchwerer haͤlt, daß ſie mit der rechten, eine gleiche Geſchicklichkeit erlangen kan, je mehr dieſe bey allen uͤbrigen Handlungen ihre Dienſte thun muß.

§. 6.

Faͤngt endlich der Schuͤler durch Anhoͤrung guter Muſiken an, einen etwas feinern Geſchmack zu kriegen, ſo eckelt ihm vor ſeinen vorgeſchriebenen Stuͤcken, er glaubt alle Clavier - Sachen ſind von derſelben Art, folglich nimmt er ſeine Zuflucht beſonders zu Singe-Arien, welche, wenn ſie gut geſetzt ſind, und die Gelegenheit da iſt, ſolche von guten Meiſtern ſingen zu hoͤ - ren, zu Bildung eines guten Geſchmacks und zur Uebung des guten Vortrags geſchickt ſind, aber nicht zu Formirung der Finger.

§. 7.

Der Lehrmeiſter muß dieſen Arien Gewalt thun und ſie auf das Clavier ſetzen. Auſſer andern daraus entſtehenden Ungleichheiten leidet hier abermahls die linke Hand, indem ſolche mehrentheils mit faulen oder gar Trommel-Baͤſſen geſetzt ſind, welche zu ihrer Abſicht ſo ſeyn mußten, aber beym Clavierſpielen der lincken Hand mehr Schaden als Nutzen bringen.

A 2§. 8.4Einleitung.

§. 8.

Nach allen dieſem verliert der Clavier-Spieler dieſen beſondern Vortheil, welchen kein anderer Muſikus hat, mit Leich - tigkeit im Tacte feſte zu werden, und deſſen kleinſte Theilgen auf das genaueſte zu beſtimmen, indem in eigentlichen Clavier-Sa - chen ſo viele Ruͤckungen, kleine Pauſen und kurtze Nachſchlaͤge vorkommen, als in keinen andern Compoſitionen. Auf unſerm Jnſtrumente fallen dieſe ſonſt ſchwere Tact-Theilgen zu erlernen beſonders leichte, weil eine Hand der andern zu Huͤlfe kommt; folglich entſteht hieraus unvermerckt eine Feſtigkeit im Tacte.

§. 9.

An ſtatt dieſer kriegt der Schuͤler durch oben ange - fuͤhrte Baͤſſe eine ſteife lincke Hand, indem kaum zu glauben ſteht, was das geſchwinde Anſchlagen eines Tons ohne Abwech - ſelung der Finger, den Haͤnden fuͤr Schaden thut. Mancher hat es ſchon mit ſeinem Nachtheil durch ein vieljaͤhriges fleißiges General-Baßſpielen, erfahren, als bey welchem oft beyde Haͤnde, beſonders aber die lincke, ſolche geſchwinde Noten durch beſtaͤndige Verdoppelung des Grund-Tones vorzutragen haben. (*)Jch habe fuͤr noͤthig gefunden denen zu Gefallen, welchen das Amt den General-Baß zu ſpielen aufgetragen iſt, meine Gedancken uͤber die Art geſchwinde Noten auf einem Tone mit der lincken Hand abzufertigen, bey dieſer Gelegenheit zu eroͤfnen. Es iſt dieſes ſonſt die ſicherſte Gelegenheit, wodurch die beſten Haͤnde verdorben und ſteif werden koͤnnen, indem dergleichen Noten bey unſerer jetzigen Setz-Art ſehr gewoͤhnlich ſind. Es koͤnnen ferner diejenigen durch dieſe Anmerckung ſich rechtfertigen, von welchen ausdruͤcklich verlangt wird, alle Noten mit der lincken Hand auszudruͤcken. Da das Durchgehen der Noten im General-Baſſe uͤberhaupt bekannt genug iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß die rechte Hand, in dieſem Falle ebenfalls nicht alle Noten anſchlaͤgt. Die geſchwinden Noten auf einem Tone, von deren Schaͤdlichkeit ich ſpreche, ſind die Acht-Theile in geſchwinder Zeit-Maaſſe, und in gemaͤßigter die Sechszehn-Theile. Jch ſetze ferner zum voraus, daß auſ - ſer dem Claviere noch ein anderes Jnſtrument den Baß mitſpielt. Jſt das Cla - vier alleine, ſo ſpielt man ſolche Noten, wie die Schwaͤrmer, mit abgewechſelten Fingern. Es wird zwar auf dieſe Art, durch Hinweglaſſung der Octave, der Baß nicht allezeit durchdringend genug ſeyn, man muß aber dieſe kleine Unvollkommen - heit andern groͤſſern Uebeln vorziehen. Man thut alſo am beſten, man laͤßt von ſolchen Noten nach Beſchaffenheit der Zeit-Maaſſe und der Tact-Art, eine, drey,oder

§. 10.5Einleitung.

§. 10.

Bey dieſer Steife der linken Hand, ſucht der Mei - ſter es bey der rechten wieder einzubringen, indem er ſeine Schuͤ - ler beſonders die Adagio und ruͤhrendeſten Stellen, dem guten Geſchmack zu noch mehrerem Eckel, aufs reichlichſte mit lieblichenA 3Tril -(*)oder fuͤnfe ohne Anſchlag durchgehen, und die anzuſchlagenden ſpielt man mit der Octave auch wohl bey fortiſſimo mit beyden vollen Haͤnden, mit ſchweren An - ſchlaͤgen, etwas unterhalten, damit die Sayten genugſam zittern koͤnnen, und ein Ton ſich mit dem andern wohl vereinige. Man kan allenfalls, um die Mitbeglei - tenden nicht zu verwirren, den erſten Tact, wie er geſchrieben ſtehet, ſpielen, und nachhero die Noten durchgehen laſſen. Sonſten haͤtte man, wenn ja jede Note auf dem Fluͤgel ſolte und muͤſte gehoͤret werden, noch dieſes Mittel uͤbrig, daß man in dieſem Falle durch einen mit beyden Haͤnden abwechſelnden Anſchlag die vorgeſchriebene Bewegung hervor braͤchte; doch habe ich aus der Erfahrung, daß dieſe Art zu begleiten fuͤr die Mitſpielenden etwas verfuͤhreriſch iſt, weil die rechte Hand beſtaͤndig zu ſpaͤt kommt, und dieſes hat mich in meiner Meynung be - ſtaͤrckt, daß das Clavier allezeit das Augenmerck des Tactes ſeyn und bleiben wird. So wenig unrecht, ja ſo nuͤtzlich die Art von Begleitung in gewiſſen Faͤllen iſt, wenn bey haltenden Noten, welche alle Stimmen haben, das Clavier die Tact - Theile durch den Anſchlag deutlich hoͤren laͤſſet; ſo leichte kan man das Noͤthige und Nuͤtzliche ſo wohl aus dem Durchgehenlaſſen, als das Schaͤdliche und Unmoͤg - liche aus dem Ausdrucke aller Noten erweiſen. Dieſes letztere iſt ſchaͤdlich; andere Jnſtrumentiſten koͤnnen dieſe Art Noten mit der Zunge und dem Gelencke heraus bringen; der Claviriſt allein muß mit dem gantzen ſteifen Arme dieſes Zittern her - vorbringen, wenn er wegen Verdoppelung der Octave mit den Fingern nicht ab - wechſeln kan. Hierdurch wird die lincke Hand aus doppelter Urſache ſteif, und folglich unvermoͤgend Paſſagien rund heraus zu bringen, erſtlich, weil alle Nerven in einer beſtaͤndigen Steife erhalten werden, zweytens, weil die uͤbrigen Finger nichts zu thun haben. Man verſuche es, und ſpiele einen mit Paſſagien verſehe - nen Baß, nachdem man ſich vorhero an Trommel-Baͤſſen muͤde gepauckt hat, man wird mercken, daß die linke Hand und der gantze Arm in einer ſolchen Muͤ - digkeit,[Dehnung] und Steife ſich befinden wird, daß man in der Folge unbrauch - bar iſt. Solchergeſtalt iſt dieſes Tockiren auch nicht moͤglich, indem man heut zu Tage ſehr viel ſolche Baͤſſe zu ſehen kriegt, von denen manchmahl kaum einer wegen ſeiner Laͤnge durchzudauren iſt. Bey allen Arten von Muſic ruhen biswei - len die andern Muſici, nur allein das Clavier iſt meiſtentheils ohne Abloͤſung bisweilen drey, vier und noch mehrere Stunden durch in beſtaͤndiger Arbeit. Ge - ſetzt man waͤre dieſer Arbeit gewachſen; ſo wuͤrde, auch der feſteſte Muſicus, durch eine gantz natuͤrlich erfolgende Muͤdigkeit ſchlaͤfrig und unvermerckt im Tacte ſchleppend werden. Er wird hierdurch aus dem Vermoͤgen und der Luſt geſetztan -6Einleitung. Trillerchen verbraͤmen lehret; oft wird mit alten Schulmeiſter - Manieren, oft mit herausgeſtolperten und zur Unzeit angebrach - ten Laufern, wobey die Finger zuweilen den Koller zu kriegen ſcheinen, abgewechſelt.

§. 11.

(*)andere ruͤhrende Gedancken richtig vorzutragen, weil er durch die Trommel-Baͤſſe, welche oft ohne beſondern | Ausdruck ſind, und wobey ſich nichts dencken laͤſſet, muͤde und verdruͤßlich worden iſt. Dieſes ſchaͤdliche Tockiren iſt ferner wider die Natur der Fluͤgel ſo wohl, als der piano forte, beyde Jnſtrumente verliehren hier - durch ihren natuͤrlichen Ton, und die Deutlichkeit; der Tangente von den Fluͤgeln ſpricht ſelten geſchwinde genug an. Die Frantzoſen, welche die Natur des Claviers ſehr gut wiſſen, und welchen wohl bekannt iſt, daß man auf ſelbigem etwas meh - reres als ein blos Geklimper hervor bringen kan, pflegen zu dem Ende noch jetzo in ihren General-Baͤſſen bey ſolchen Arten von Noten den Clavieriſten beſonders anzudeuten, daß er ſolche nicht alle anſchlagen darf. Auſſer dem kommt man durch langſame ſchwere, Anſchlaͤge, dem in vielen Baͤſſen durch Puncte oder Striche uͤber die erſte Noth einer Figur angedeuteten Ausdrucke zu Huͤlffe. Es koͤnnen ein Haufen Faͤlle vorkommen, wobey ein deutlicher und in beyden Haͤnden gleicher Anſchlag nicht nur nuͤtzlich, ſondern auch hoͤchſt nothwendig iſt. Das Clavier, welchem unſere Vorfahren ſchon die Anfuͤhrung anvertrauten, iſt ſolchergeſtalt am beſten im Stande, nicht allein die uͤbrigen Baͤſſe ſondern auch die ganze Mu - ſick in der noͤthigen Gleichheit vom Tacte zu erhalten; dieſe Gleichheit kan auch dem beſten Muſico, ob er ſchon uͤbrigens ſein Feuer in ſeiner Gewalt hat, im andern Falle durch die Ermuͤdung ſchwer werden. Da dieſes nun bey einem ge - ſchehen kan; ſo iſt dieſe Vorſicht, wenn viele zuſammen muſiciren, um ſo viel noͤthiger, jemehr hierdurch das Tact-Schlagen, welches heut zu Tage blos bey weitlaͤuftigen Muſicken gebraͤuchlich iſt, vollkommen erſetzet wird. Der Ton des Fluͤgels, welcher gantz recht von den Mitmuſicirenden umgeben ſtehet, faͤllt allen deutlich ins Gehoͤr. Dahero weiß ich, daß ſogar zerſtreuete und weitlaͤuftige Muſi - cken, bey welchen oft viele freywillige und mittelmaͤßige Muſici ſich befunden ha - ben, blos durch den Ton des Fluͤgels in Ordnung erhalten worden ſind. Steht der erſte Violiniſt folgends, wie es ſich gehoͤrt, nahe am Fluͤgel; ſo kan nicht leicht eine Unordnung einreiſſen. Bey Singe-Arien, worinnen das Zeit-Maas ſich ſchleunig veraͤndert, oder worinnen alle Stimmen gleich laͤrmen, und die Singe - Stimme allein lange Noten oder Triolen hat, welche wegen der Eintheilung einen deutlichen Tact-Schlag erfordern, haben die Saͤnger auf dieſe Art eine groſſe Er - leichterung. Dem Baſſe wird es ohnedem am leichteſten, die Gleichheit des Tac - tes zu erhalten, je weniger er gemeiniglich mit ſchweren und bunten Paſſagien beſchaͤftiget iſt, und je oͤfter dieſer Umſtand oft Gelegenheit giebt, daß man ein Stuͤck feuriger anfaͤngt als beſchlieſſet. Will jemand anfangen zu eylen oder zu ſchleppen, ſo kan er durchs Clavier am deutlichſten zu rechte gebracht werden,in -

7Einleitung.

§. 11.

Bevor wir dieſen Fehlern durch gegruͤndete Vor - ſchriften abzuhelfen ſuchen, muͤſſen wir noch etwas von dem Jn - ſtrumente ſagen. Man hat auſſer vielen Arten der Claviere, welche theils wegen ihrer Maͤngel unbekant geblieben, theils noch nicht uͤberall eingefuͤhrt ſind, hauptſaͤchlich zwey Arten, nemlich die Fluͤgel und Clavicorde, welche bis hieher den meiſten Beyfall erhalten haben. Jene braucht man insgemein zu ſtarcken Muſicken, dieſe zum allein ſpielen. Die neuern Forte piano, wenn ſie dau - erhaft und gut gearbeitet ſind, haben viele Vorzuͤge, ohngeachtet ihre Tractirung beſonders und nicht ohne Schwierigkeit ausſtu - diret werden muß. Sie thun gut beym allein ſpielen und bey einer nicht gar zu ſtarck beſetzten Muſic, ich glaube aber doch, daß ein gutes Clavicord, ausgenommen daß es einen ſchwaͤchern Ton hat, alle Schoͤnheiten mit jenem gemein und uͤberdem noch die Bebung und das Tragen der Toͤne voraus hat, weil ich nach dem Anſchlage noch jeder Note einen Druck geben kan. Das Clavicord iſt alſo das Jnſtrument, worauf man einen Clavieriſten aufs genaueſte zu beurtheilen faͤhig iſt.

§. 12.

Zur Eigenſchaft eines guten Clavicords gehoͤrt: daß es auſſer einem guten nachſingenden ſchmeichelnden Ton die gehoͤ - rige Anzahl Taſten habe, welche ſich wenigſtens von dem groſſen C bis ins〈…〉〈…〉 erſtrecken muß. Dieſes〈…〉〈…〉 iſt deswegen noͤthig, damit man manchesmal andere Sachen darauf probiren koͤnne, indem die Componiſten gern ſo hoch ſetzen, weil andere Jnſtru -men -(*)indem die andern wegen vieler Paſſagien oder Ruͤckungen mit ſich ſelbſt genug beſchaͤftiget ſind; beſonders haben die Stimmen, welche Tempo rubato haben, hier - durch den noͤthigen, nachdruͤcklichen Vorſchlag des Tacts. Endlich kan auf dieſe Art, weil man durch das zu viele Geraͤuſche des Fluͤgels an der genaueſten Wahr - nehmung nicht verhindert wird, ſehr leicht das Zeit-Maas, wie es oft noͤthig iſt, um etwas weniges geaͤndert werden, und die hinter, oder neben dem Fluͤgel ſich befindenden Muſici haben einen in beyden Haͤnden gleichen, durchdringenden und folglich den mercklichſten Schlag des Tacts vor Augen.8Einleitung. mente dieſes noch ſo ziemlich bequem haben koͤnnen. Dieſe Taſten muͤſſen ein richtiges Gewichte in ſich haben, welches den Finger wieder in die Hoͤhe hebt. Der Bezug muß vertragen koͤnnen, daß man es ſowol ziemlich angreifen als ſchmeicheln kan, und dadurch in den Stand geſetzet wird, alle Arten des forte und piano reine und deutlich heraus zu bringen. Vertraͤget es dieſes nicht, ſo werden in einem Falle die Sayten uͤberſchrieen und der Spieler kan ſeine Staͤrcke nicht brauchen; im andern Falle wird es entweder gar nicht oder unrein und undeutlich anſprechen.

§. 13.

Ein guter Fluͤgel muß ebenfalls auſſer dem guten Ton und den gehoͤrigen Taſten eine gleiche Befiederung haben; die Probe hiervon iſt, wenn man die kleinen Manieren nett und leicht heraus bringen kan, und wenn jeder Taſte gleich geſchwinde anſpricht, nachdem man durch[einen] gleichen und geringen Druck mit dem Nagel vom Daumen ihre Reihe uͤberſtrichen hat. Die Tractirung eines Fluͤgels muß nicht zu leichte und laͤppiſch ſeyn; die Taſten muͤſſen nicht zu tief fallen, die Finger einigen Wi - derſtand haben und von dem Tangenten wieder aufgehoben wer - den. Hingegen muß er aber auch nicht zu ſchwer niederzudruͤ - cken ſeyn. Denen zu Gefallen, welche noch keine Jnſtrumente von dieſer vorgeſchriebenen Weite beſitzen, habe ich meine Probe - Stuͤcke ſo eingerichtet, daß ſie auf einem Jnſtrumente von vier Octaven koͤnnen geſpielet werden.

§. 14[. ]

Beyde Arten von Jnſtrumenten muͤſſen gut tem - perirt ſeyn, indem man durch die Stimmung der Quinten, Quar - ten, Probirung der kleinen und groſſen Tertien und gantzer Ac - corde, den meiſten Quinten beſonders ſo viel von ihrer groͤßten Reinigkeit abnimmt, daß es das Gehoͤr kaum mercket und man alle vier und zwantzig Ton-Arten gut brauchen kan. DurchPro -9Einleitung. Probirung der Quarten hat man den Vortheil, daß man die noͤthige Schwebung der Quinten deutlicher hoͤren kan, weil die Quarten ihrem Grund-Tone naͤher liegen als die Quinten. Sind die Claviere ſo geſtimmt, ſo kan man ſie wegen der Ausuͤbung mit Recht fuͤr die reinſte Jnſtrumente unter allen ausgeben, indem zwar einige reiner geſtimmt aber nicht geſpielet werden. Auf dem Claviere ſpielet man aus allen vier und zwantzig Ton - Arten gleich rein und welches wohl zu mercken vollſtimmig, ohn - geachtet die Harmonie wegen der Verhaͤltniſſe die geringſte Un - reinigkeit ſogleich entdecket. Durch dieſe neue Art zu temperiren ſind wir weiter gekommen als vor dem, obſchon die alte Tempe - ratur ſo beſchaffen war, daß einige Ton-Arten reiner waren als man noch jetzo bey vielen Jnſtrumenten antrift. Bey man - chem andern Muſico wuͤrde man vielleicht die Unreinigkeit eher vermercken, ohne einen Klang-Meſſer dabey noͤthig zu haben, wenn man die hervorgebrachten melodiſchen Toͤne harmoniſch hoͤ - ren ſolte. Dieſe Melodie betruͤgt uns oft und laͤßt uns nicht eher ihre unreinen Toͤne verſpuͤren, bis dieſe Unreinigkeit ſo groß iſt, als kaum bey manchem ſchlechtgeſtimmten Claviere.

§. 15.

Jeder Clavieriſt ſoll von Rechtswegen einen guten Fluͤgel und auch ein gutes Clavicord haben, damit er auf bey - den allerley Sachen abwechſelnd ſpielen koͤnne. Wer mit einer guten Art auf dem Clavicorde ſpielen kan, wird ſolches auch auf dem Fluͤgel zuwege bringen koͤnnen, aber nicht umgekehrt. Man muß alſo das Clavicord zur Erlernung des guten Vortrags und den Fluͤgel, um die gehoͤrige Kraft in die Finger zu kriegen, brauchen. Spielt man beſtaͤndig auf dem Clavicorde, ſo wird man viel Schwierigkeiten antreffen, auf dem Fluͤgel fortzukommen; man wird alſo die Clavier-Sachen, wobey eine Begleitung von andern Jnſtrumenten iſt, und wel[c]he alſo wegen der Schwaͤche des Clavicords auf dem Fluͤgel gehoͤret werden muͤſſen, mitBMuͤhe10Einleitung. Muͤhe herausbringen; was aber mit vieler Arbeit ſchon muß geſpielet werden, das kan unmoͤglich die Wuͤrkung haben, die es haben ſoll. Man gewoͤhnt ſich bey beſtaͤndigem Spielen auf dem Clavicorde an, die Taſten gar zu ſehr zu ſchmeichlen, daß folglich die Kleinigkeiten, indem man nicht den hinlaͤnglichen Druck zu Anſchlagung des Tangenten auf dem Fluͤgel giebt, nicht allezeit anſprechen werden. Man kan ſogar mit der Zeit, wenn man blos auf einem Clavicorde ſpielt, die Staͤrcke aus den Fingern verliehren, die man vorhero hatte. Spielt man beſtaͤn - dig auf dem Fluͤgel, ſo gewoͤhnt man ſich an in einer Farbe zu ſpielen, und der unterſchiedene Anſchlag, welchen blos ein guter Clavicord-Spieler auf dem Fluͤgel herausbringen kan, bleibt verborgen, ſo wunderbar es auch ſcheint, indem man glauben ſolte, alle Finger muͤſten auf einerley Fluͤgel einerley Ton heraus - bringen. Man kann gar leicht die Probe machen, und zwey Perſonen, wovon der eine ein gutes Clavicord ſpielt, der an - dere aber blos ein Fluͤgel-Spieler iſt, auf dieſem letztern Jnſtru - mente ein Stuͤck mit einerley Manieren kurtz hinter einander ſpie - len laſſen, und hernach urtheilen, ob ſie beyde einerley Wuͤr - ckung hervorgebracht haben.

§. 16.

Nachdem nunmehro die gehoͤrige Wiſſenſchaft der Taſten, Noten, Pauſen, Eintheilung des Tacts u. ſ. w. da iſt, ſo laſſe man ſeine Scholaren eine gantze Zeit durch nichts anders als die Exempel uͤber die Applicatur im Anfange langſam und nachhero immer hurtiger uͤben, damit mit der Zeit die Setzung der Finger, ſo ſchwer und verſchieden ſie auch bey dem Clavier iſt, durch dieſe Uebung ſo gelaͤufig werde, daß man nicht mehr daruͤber dencken darf.

§. 17.

Hauptſaͤchlich uͤbe man die Exempel, wo uͤber jedem die Applicatur beyder Haͤnde angezeiget iſt, im Einklange, damit die Haͤnde gleich geſchickt werden.

§. 18.11Einleitung.

§. 18.

Alsdenn gehe man das Capitel von den Manieren fleißig durch und uͤbe ſolche, damit ſie in gehoͤriger Fertigkeit geſchickt heraus gebracht werden koͤnnen; und da dieſes eine Auf - gabe iſt, woran man beynahe Zeit Lebens lernen kan, indem dieſe Manieren zum Theil mehr Fertigkeit und Geſchwindigkeit erfordern als alle Paſſagien, ſo halte man den Scholaren damit nicht laͤnger auf, als bis man wegen dieſes Punckts mit ſeiner natuͤrlichen Faͤhigkeit und Jahren zur Noth zufrieden ſeyn kan.

§. 19.

Man gehe ſogleich an die Probe-Stuͤcke, man lehre ſie erſtlich ohne Manieren, welche beſonders zu uͤben ſind, um hernach mit denenſelben nach denen Regeln, welche in dem Ca - pitel von dem guten Vortrage abgehandelt ſind, zu ſpielen. Die - ſes muß im Anfange auf dem Clavicorde allein geſchehen, her - nach kan man mit dem Fluͤgel abwechſeln.

§. 20.

Einen groſſen Nutzen und Erleichterung in die gantze Spiel-Art wird derjenige ſpuͤren, welcher zu gleicher Zeit Gele - genheit hat, die Singe-Kunſt zu lernen, und gute Saͤnger fleißig zu hoͤren.

§. 21.

Damit man die Taſten auswendig finden lerne und das noͤthige Noten-Leſen nicht beſchwerlich falle, wird man wohl thun, wenn man das Gelernte fleißig auswendig im Finſtern ſpielet.

§. 22.

Da ich bey Bezeichnung der Probe-Stuͤcke alles noͤthige beygefuͤget habe, und ich ſolche zu vielen mahlen mit der groͤſten Achtſamkeit durchgeſpielet, damit mir auch nicht die geringſte Kleinigkeit entwiſchen moͤchte, ſo glaube ich, daß, wenn man alles in acht nimmt, hierdurch die Geſchicklichkeit der Haͤnde ſowohl als der Geſchmack hinlaͤnglich gebildet werden kan, an - dere und ſchwerere Sachen zu erlernen.

§. 23.

Jch habe zu Vermeidung aller Zweydeutigkeit die Triolen ohne 3, das Abſtoſſen der Noten ohne Striche mit bloſ -B 2ſen12Einleitung. ſen Punckten, und die abgekuͤrtzten Woͤrter: f. p. u. ſ. w. an den meiſten Oertern ohne hintenſtehende Punckte angedeutet.

§. 24.

Damit ich allerley Exempel der Finger-Setzung in allerley Ton-Arten, des Gebrauchs der Manieren und des guten Vortrags bey allerley Leidenſchaften habe anbringen koͤnnen, und dieſes Werck vollſtaͤndig erſcheine, ſo habe ich nicht verhindern koͤnnen, daß nicht zuletzt die Probe-Stuͤcke in der Schwierigkeit zugenommen haͤtten. Jch habe geglaubt es ſey gut, jederman zu dienen, nicht lauter Stuͤcke von der erſten Leichtigkeit beyzu - fuͤgen, und nicht vieles unberuͤhrt zu laſſen. Jch hoffe, daß die muͤhſam hinzugefuͤgte Applicatur und Spiel-Art die ſchwerern Stuͤcke nach vorher gegangenem deutlichen Unterrichte gantz leichte ma - chen werde. Es iſt ſchaͤdlich, die Scholaren mit zu vielen leich - ten Sachen aufzuhalten; ſie bleiben hierdurch immer auf einer Stelle, einige wenige von der erſten Art koͤnnen zum Anfange hinlaͤnglich ſeyn. Es iſt alſo beſſer, daß ein geſchickter Lehrmei - ſter ſeine Schuͤler nach und nach an ſchwerere Sachen gewoͤhnet. Es beruht alles auf der Art zu unterweiſen und auf vorhero gelegten guten Gruͤnden, hierdurch empfindet der Schuͤler nicht mehr, daß er an ſchwerere Stuͤcke gebracht worden iſt. Mein ſeliger Vater hat in dieſer Art gluͤckliche[Proben] abgelegt. Bey ihm muſten ſeine Scholaren gleich an ſeine nicht gar leichte Stuͤ - cke gehen. Solchergeſtalt darf ſich auch niemand vor meinen Probe-Stuͤcken fuͤrchten.

§. 25.

Solte es einigen wegen ihrer Fertigkeit geluͤſten, ſolche nur obenhin den bloſſen Noten nach vom Blatte wegzu - ſpielen; ſo bitte ich gar ſehr, dieſe Stuͤcke vorhero mit gehoͤriger Achtſamkeit bis auf alle die geringſten Kleinigkeiten durchzuſehen, bevor ſie ſolche ausuͤben wollen.

Das13

Das erſte Hauptſtuͤck. Von der Finger-Setzung.

§. 1.

Die Setzung der Finger iſt bey den allermeiſten Jnſtrumen - ten durch die natuͤrliche Beſchaffenheit derſelben gewiſſer - maſſen feſtgeſetzt; bey dem Claviere aber ſcheint ſie am willkuͤhrlichſten zu ſeyn, indem die Lage der Taſten ſo beſchaffen iſt, daß ſie von jedem Finger niedergedruckt werden koͤnnen.

§. 2.

Da nichts deſtoweniger nur eine Art des Gebrauchs der Finger bey dem Claviere gut iſt, und wenige Faͤlle in Be - trachtung der uͤbrigen mehr als eine Applicatur erlauben; da jeder neue Gedancke bey nahe eine neue und eigne Finger-Setzung er - fordert, welche oft durch die bloſſe Verbindung eines Gedancken mit den andern wieder veraͤndert wird; da die Vollkommenheit des Claviers eine unerſchoͤpfliche Menge von Moͤglichkeiten vor - zuͤglich darbietet; da endlich der aͤchte Gebrauch der Finger bis - hero ſo unbekant geweſen und nach Art der Geheimniſſe nur un - ter wenigen geblieben iſt, ſo hat es nicht fehlen koͤnnen, daß die allermeiſten auf dieſem ſchlupfrichen und verfuͤhreriſchen Wege haben irren muͤſſen.

§. 3.

Dieſer Jrrthum iſt um ſo viele betraͤchtlicher, je we - niger man ihn oft hat mercken koͤnnen, indem auf dem Claviere das meiſte auch mit einer falſchen Applicatur, obſchon mit ent - ſetzlicher Muͤhe und ungeſchickt, herausgebracht werden kan, an - ſtatt daß bey andern Jnſtrumenten die geringſte falſche Fingerſe - tzung ſich mehrentheils durch die platte Unmoͤglichkeit, das vorge - ſchriebene zu ſpielen, entdecket. Man hat daher alles der Schwie - rigkeit des Jnſtruments und der dafuͤr geſetzten Stuͤcke ſo gleichB 3zuge -14Das erſte Hauptſtuͤck. zugeſchrieben und geglaubet, es muͤſſe ſo und koͤnne nicht an - ders ſeyn.

§. 4.

Da man hieraus erkennen kan, daß der rechte Ge - brauch der Finger einen unzertrennlichen Zuſammenhang mit der gantzen Spiel-Art hat, ſo verlieret man bey einer unrichtigen Fin - ger-Setzung mehr als man durch alle moͤgliche Kunſt und guten Geſchmack erſetzen kan. Die gantze Fertigkeit haͤngt hiervon ab, und man kan aus der Erfahrung beweiſen, daß ein mittelmaͤſ - ſiger Kopf mit gut gewoͤhnten Fingern allezeit den groͤßten Mu - ſicum im Spielen uͤbertreffen wird, wenn dieſer letztere wegen ſeiner falſchen Applicatur gezwungen iſt, wider ſeine Ueberzeu - gung ſich hoͤren zu laſſen.

§. 5.

Aus dem Grunde, daß jeder neue Gedancke bey nahe ſeine eigene Finger-Setzung habe, folgt, daß die jetzige Art zu dencken, indem ſie ſich von der in vorigen Zeiten gar beſon - ders unterſcheidet, eine neue Applicatur eingefuͤhrt habe.

§. 6.

Unſere Vorfahren, welche ſich uͤberhaupt mehr mit der Harmonie als Melodie abgaben, ſpielten folglich auch mei - ſtentheils vollſtimmig. Wir werden aus der Folge erſehen, daß bey dergleichen Gedancken, indem man ſie meiſtentheils nur auf eine Art heraus bringen kan, und ſie nicht ſo gar viel Veraͤn - derungen haben, jedem Finger ſeine Stelle gleichſam angewieſen iſt; folglich ſind ſie nicht ſo verfuͤhreriſch wie die melodiſchen Paſſagien, weil der Gebrauch der Finger bey dieſen letztern viel willkuͤhrlicher iſt, als bey jenen. Vor dieſem war das Clavier nicht ſo temperirt wie heut zu Tage, folglich brauchte man nicht alle vier und zwanzig Tonarten wie anjetzo und man hatte alſo auch nicht die Verſchiedenheit von Paſſagien.

§. 7.

Ueberhaupt ſehen wir hieraus, daß man bey jetzigen Zeiten gantz und gar nicht ohne die rechten Finger geſchicklichfort -15Von der Finger-Setzung. fortkommen kan, da es noch eher vordem angieng. Mein ſeli - ger Vater hat mir erzaͤhlt, in ſeiner Jugend groſſe Maͤnner gehoͤrt zu haben, welche den Daumen nicht eher gebraucht, als wenn es bey groſſen Spannungen noͤthig war. Da er nun einen Zeitpunckt erlebet hatte, in welchem nach und nach eine gantz beſondere Veraͤnderung mit dem muſicaliſchen Geſchmack vorging: ſo wurde er dadurch genoͤthiget, einen weit vollkommenern Ge - brauch der Finger ſich auszudencken, beſonders den Daumen, wel - cher auſſer andern guten Dienſten hauptſaͤchlich in den ſchweren Tonarten gantz unentbehrlich iſt, ſo zu gebrauchen, wie ihn die Natur gleichſam gebraucht wiſſen will. Hierdurch iſt er auf ein - mahl von ſeiner bisherigen Unthaͤtigkeit zu der Stelle des Haupt - Fingers erhoben worden.

§. 8.

Da dieſe neue Finger-Setzung ſo beſchaffen iſt, daß man damit alles moͤgliche zur beſtimmten Zeit leicht herausbrin - gen kan; ſo lege ich ſolche hier zum Grunde.

§. 9.

Es iſt noͤthig, bevor ich an die Lehre der Applica - tur ſelbſt gehe, vorhero gewiſſe Dinge zu erinnern, welche man theils vorhero wiſſen muß, theils von der Wichtigkeit ſind, daß ohne ſie auch die beſten Regeln unkraͤftig bleiben wuͤrden.

§. 10.

Ein Clavieriſt muß mitten vor der Taſtatur ſitzen, damit er mit gleicher Leichtigkeit ſo wohl die hoͤchſten als tiefſten Toͤne anſchlagen koͤnne.

§. 11.

Haͤngt der Vordertheil des Armes etwas weniges nach dem Griffbrete herunter, ſo iſt man in der gehoͤrigen Hoͤhe.

§. 12.

Man ſpielet mit gebogenen Fingern und ſchlaffen Nerven; je mehr insgemein hierinnen gefehlet wird, deſto noͤthiger iſt hierauf acht zu haben. Die Steiffe iſt aller Bewegung hin - derlich, beſonders dem Vermoͤgen, die Haͤnde geſchwind auszudeh - nen und zuſammen zu ziehen, welches alle Augenblicke noͤthig iſt. Alle16Das erſte Hauptſtuͤck. Alle Spannungen, das Auslaſſen gewiſſer Finger, das Einſetzen zweyer Finger nach einander auf einen Ton, ſelbſt das unent - behrliche Ueberſchlagen und Unterſetzen erfordert dieſe elaſtiſche Kraft. Wer mit ausgeſtreckten Fingern und ſteifen Nerven ſpielt, erfaͤhret auſſer der natuͤrlich erfolgenden Ungeſchicklichkeit, noch einen Haupt-Schaden, nehmlich er entfernet die uͤbrigen Finger wegen ihrer Laͤnge zu weit von dem Daumen, welcher doch ſo nahe als moͤglich beſtaͤndig bey der Hand ſeyn muß, und benimmt dieſem Haupt-Finger, wie wir in der Folge ſehen werden, alle Moͤglichkeit, ſeine Dienſte zu thun. Dahero kommt es, daß der - jenige, welcher den Daumen nur ſelten braucht, mehrentheils ſteif ſpielen wird, dahingegen einer durch deſſen rechten Gebrauch dieſes nicht einmahl thun kan, wenn er auch wollte. Es wird ihm alles leichte; man kan dieſes im Augenblick einem Spieler anſehen; verſteht er die wahre Applicatur, ſo wird er, wenn er anders ſich nicht unnoͤthige Gebehrden angewoͤhnt hat, die ſchwe - reſten Sachen ſo ſpielen, daß man kaum die Bewegung der Haͤnde ſiehet, und man wird vornehmlich auch hoͤren, daß es ihm leichte faͤllt; dahingegen ein anderer die leichteſten Sachen oft mit vielem Schnauben und Grimaſſen ungeſchickt genug ſpielen wird.

§. 13.

Wer den Daumen nicht braucht, der laͤßt ihn her - unter hangen, damit er ihm nicht in Wege iſt; ſolcher Geſtalt faͤllt die maͤßigſte Spannung ſchon unbequem, folglich muͤſſen die Finger ausgeſtreckt und ſteif werden um ſolche heraus zu bringen. Was kan man auf dieſe Art wohl beſonders ausrichten? Der Gebrauch des Daumens giebt der Hand nicht nur einen Finger mehr, ſondern zugleich den Schluͤſſel zur ganzen moͤglichen Appli - catur. Dieſer Haupt-Finger macht ſich noch uͤberdem dadurch verdient, weil er die uͤbrigen Finger in ihrer Geſchmeidigkeiterhaͤlt,17Von der Finger-Setzung. erhaͤlt, indem ſie ſich allezeit biegen muͤſſen, wenn der Daumen ſich bald bey dieſem bald jenem Finger eindringt. Was man ohne ihn mit ſteiffen und geſtreckten Nerven beſpringen muſte, das ſpielt man durch ſeine Huͤlfe anjetzo rund, deutlich, mit gantz natuͤrlichen Spannungen, folglich leichte.

§. 14.

Es verſtehet ſich von ſelbſt, daß bey Spruͤngen und weiten Spannungen dieſe Schlappigkeit der Nerven und das Gebogene der Finger nicht beybehalten werden kan; ſelbſt das Schnellen erfordert bisweilen auf einen Augenblick eine Steiffe. Weil dieſes aber die ſeltneſten Vorfaͤlle ſind, und welche die Na - tur von ſelbſt lehret, ſo bleibt es in uͤbrigen bey der im zwoͤlf - ten §. gemeldeten Vorſchrift. Man gewoͤhne beſonders die noch nicht ausgewachſenen Haͤnde der Kinder, daß ſie, anſtatt des Hin - und Her-Springens mit der gantzen Hand, wobey wohl noch oft dazu die Finger auf einen Klumpen zuſammen gezogen ſind, die Haͤnde im noͤthigen Falle ſo viel moͤglich ausdehnen. Hier - durch werden ſie die Taſten leichter und gewiſſer treffen lernen, und die Haͤnde nicht leichte aus ihrer ordentlichen und uͤber der Taſtatur horizontal-ſchwebenden Lage bringen, welche bey Spruͤngen gerne bald auf dieſe bald auf jene Seite ſich zu ver - drehen pflegen.

§. 15.

Man ſtoſſe ſich nicht daran, wenn manchmahl ein beſonderer Gedancke den Lehrmeiſter noͤthiget, ſolchen ſelbſt zu probieren, um deſſen beſte Finger-Setzung mit aller Gewißheit ſeinen Schuͤlern zu weiſen. Es koͤnnen zuweilen zweifelhafte Faͤlle vorkommen, die man auch beym erſten Anblick mit den rechten Fingern ſpielen wird, ohngeachtet es Bedencklichkeiten ſetzen wuͤrde, ſolche Finger einem andern vorzuſagen. Beym Unterweiſen hat man ſelten mehr als ein Jnſtrument, damit der Lehrmeiſter zugleich mitſpielen koͤnne. Wir ſehen hieraus erſtlich, daß ohngeachtetCder18Das erſte Hauptſtuͤck. der unendlichen Verſchiedenheit der Applicaturen, dennoch wenige gute Haupt-Regeln hinlaͤnglich ſind, alle vorkommende Aufga - ben aufzuloͤſen; zweytens, daß durch eine fleißige Uebung der Gebrauch der Finger endlich ſo mechaniſch wird und werden muß, daß man, ohne ſich weiter darum zu bekuͤmmern, in den Stand geſetzet wird, mit aller Freyheit an den Ausdruck wichtigerer Sachen zu dencken.

§. 16.

Man muß bey dem Spielen beſtaͤndig auf die Folge ſehen, indem dieſe oft Urſache iſt, daß wir andere als die gewoͤhn - lichen Finger nehmen muͤſſen.

§. 17.

Die entgegene Lage der Finger an beyden Haͤnden verbindet mich die Exempel uͤber beſondere Vorfaͤlle, in zweyerley Bewegung anzufuͤhren, um ſolche beyden Haͤnden aus der Urſa - che, warum es hingeſetzet worden iſt, brauchbar zu machen. Dem ohngeacht habe ich die Exempel von einiger Erheblichkeit fuͤr beyde Haͤnde beziffert, damit man zugleich ſolche mit beyden Haͤnden uͤben koͤnne. Man kan nicht zu viel Gelegenheit geben, dieſe ſchon oben in der Einleitung angeprieſene Art von Uebung im Ein - klange anzuwenden. Jeder vorgezeichnete Schluͤſſel deutet an, fuͤr welche Hand die Ziffern gehoͤren; ſtehen uͤber, und unter den No - ten zugleich Ziffern, ſo gehen allezeit, es ſey was vor ein Schluͤſ - ſel vorſtehe, die oberſten die rechte, und die unterſten die lincke Hand an.

§. 18.

Nach dieſen in der Natur gegruͤndeten Vorſchriften werde ich nunmehro zu der Lehre der Applicatur ſelbſt ſchreiten. Jch werde ſie auch auf die Natur gruͤnden, weil dieſe Finger - Ordnung blos die beſte iſt, welche nicht mit unnoͤthigem Zwang und Spannungen vergeſellſchaftet iſt.

§. 19.

Die Geſtalt unſerer Haͤnde und des Griffbrets bil - det uns gleichſam den Gebrauch der Finger ab. Jene giebt unszu19Von der Finger-Setzung. zu erkennen, daß beſonders drey Finger an jeder Hand um ein anſehnliches laͤnger ſind, als der kleine Finger und der Daumen. Nach dieſer finden wir, daß einige Taſten tiefer liegen und vor den andern vorſtehen.

§. 20.

Jch werde nach der gewoͤhnlichen Art die Daumen mit der Ziffer 1, die kleinen mit 5, die Mittel-Finger mit 3, die Finger naͤchſt dem Daumen mit 2 und die neben dem klei - nen Finger mit 4 bezeichnen.

§. 21.

Die erhabenen und hinten ſtehenden Taſten werde ich in der Folge durch ihren mehr gewoͤhnlichen als richtigen Nahmen der Halbentoͤne von den uͤbrigen unterſcheiden.

§. 22.

Aus der im 19. §. gedachten Abbildung folgt na - tuͤrlicher Weiſe, daß dieſe halben Toͤne eigentlich fuͤr die 3 laͤng - ſten Finger gehoͤren. Hieraus entſtehet die erſte Hauptregel, daß der kleine Finger ſelten und die Daumen anders nicht als im Nothfalle ſolche beruͤhren.

§. 23.

Die Verſchiedenheit der Gedancken, vermoͤge wel - cher ſie baldein - bald mehrſtimmig, bald gehend bald ſpringend ſind, verbindet mich von aller Art Exempel zu geben.

§. 24.

Die einſtimmigen gehenden Gedancken werden nach ihrer Ton-Art beurtheilt, folglich muß ich bey der Abbildung derſelben von allen vier und zwantzig Ton-Arten ſo wohl im Herauf - als Herun - tergehen den Anfang machen. Hierauf werde ich die mehrſtim - migen Gedancken durchgehen; dieſen werden Exempel mit Span - nungen und Spruͤngen folgen, weil man ſie leicht nach den mehrſtimmigen Gedancken abmeſſen oder gar auf harmoniſche Zuſammenklaͤnge zuruͤckfuͤhren kan; endlich werde ich von den Bin - dungen, von einigen Freyheiten wider die Regeln, einigen ſchwe - ren Exempeln und Huͤlfs-Mitteln handeln; zuletzt werden die Probe - Stuͤcke das noch uͤbrige nachholen, durch deren Anhaͤngung ichC 2in20Das erſte Hauptſtuͤck. in verbundenen Gedancken von allerley Art mehr Nutzen zu ſtif - ten, und mehr Luſt zu dem ſchweren Studio der Applicatur zu erregen geglaubt habe, als wenn ich durch Ueberhaͤuffung vieler, aus ihrem Zuſammenhang geriſſenen Exempel unertraͤglich und zu weitlaͤuftig worden waͤre.

§. 25.

Die Abwechſelung der Finger iſt der hauptſaͤchlichſte Vorwurf der Applicatur. Wir koͤnnen mit unſern fuͤnf Fingern nur fuͤnf Toͤne nach einander anſchlagen; folglich mercke man vor - nehmlich zwey Mittel, wodurch wir bequem ſo viel Finger gleich - ſam kriegen als wir brauchen. Dieſe zwey Mittel beſtehen in dem Unterſetzen und Ueberſchlagen.

§. 26.

Da die Natur keinen von allen Fingern ſo geſchickt gemacht hat, ſich unter die uͤbrigen andern ſo zu biegen, als den Daumen, ſo beſchaͤftiget ſich deſſen Biegſamkeit ſammt ſeiner vor - theilhaften Kuͤrtze gantz allein mit dem Unterſetzen an den Oer - tern und zu der Zeit, wenn die Finger nicht hinreichen wollen.

§. 27.

Das Ueberſchlagen geſchiehet von den andern Fin - gern und wird dadurch erleichtert, indem ein groͤſſerer Finger uͤber einen kleinern oder den Daumen geſchlagen wird, wenn es gleichfals an Fingern fehlen will. Dieſes Ueberſchlagen muß durch die Uebung auf eine geſchickte Art ohne Verſchraͤnckung geſchehen.

§. 28.

Das Unterſetzen des Daumens nach dem kleinen Finger, das Ueberſchagen des zweytens Fingers uͤber den drit - ten, des dritten uͤber den zweyten, des vierten uͤber den kleinen, ingleichen des kleinen Fingers uͤber den Daumen iſt verwerflich.

§. 29.

Den rechten Gebrauch dieſer zwey Huͤlfs-Mittel werden wir aus der Ordnung der Ton-Leitern aufs deutlichſte erſehen. Dieſes iſt der Haupt-[Nutzen] dieſer Vorſchrift. Bey gehenden Paſſagien durch die Ton-Leitern, welche ſich nicht eben ſo anfangen und endigen, wie ſie hier abgebildet ſind, verſtehetes21Von der Finger-Setzunges ſich von ſelbſten, daß man wegen der Folge die Finger ſo ein - theilt, daß man juſt damit auskoͤmmt, ohne allezeit verbunden zu ſeyn, denſelben Finger eben auf die Taſte zu ſetzen und kei - nen andern.

§. 30.

Bey Tab. I. Fig. I. iſt uns die Scala C dur imTab. I. Aufſteigen vorgemahlt. Wir ſehen hierbey drey Arten von Fin - ger-Setzung fuͤr jede Hand. Keine davon iſt verwerflich, ohn - geachtet die mit dem Ueberſchlagen des dritten Fingers uͤber den vierten in der rechten Hand und in der lincken des zweyten Fingers uͤber den Daumen, und die, allwo der Daumen in F wieder eingeſetzet wird, vielleicht gewoͤhnlicher ſeyn moͤgen als die dritte Art. Jn wie fern jede gut zu brauchen iſt, ſehen wir aus den Exempeln bey Fig. II.

§. 31.

Fig. III. zeigt uns C dur im Abſteigen. Es finden ſich hier abermals drey Arten von Applicatur, welche alle drey gut ſeyn koͤnnen in gewiſſen Abſichten, wie wir aus den unter Fig. IV. angefuͤhrten Exempeln ſehen, ob ſchon auſſer dieſen Faͤl - len, wobey ſie ſo und nicht anders ſeyn muͤſſen, eine mehr uͤb - lich ſeyn kan wie die andere.

§. 32.

Wir lernen hierbey aus den unter Fig. II. und IV. befindlichen Exempeln, daß auſſer der Nothwendigkeit beſtaͤndig auf die Folge zu ſehen, der kleine Finger allezeit gleichſam zum Hinterhalt in gehenden Paſſagien bleibt und hierbey nicht eher gebraucht wird, als entweder im Anfange, oder wenn derſelben Umfang juſt mit ihm zu Ende gehet; dieſes verſtehet ſich gleichfalls bey den Scalen, wo er manchmahl druͤber ſteht. Auſſer dieſem Falle nimmt man dafuͤr den Daumen. Um wegen dieſes kleinen Fingers keine Verwirrung anzurichten, habe ich die Scalen bis uͤber die Octave verlaͤngert, damit man die Folge deſto deutlicher ſehen koͤnne.

C 3§. 33.22Das erſte Hauptſtuͤck.
Tab. II.
4

§. 33.

A moll im Aufſteigen finden wir bey Fig. V. mit zweyerley Finger-Setzung; doch iſt die, ſo gleich uͤber und unter den Noten ſtehet, die beſte; die andere kan allenfalls bey den un - ter Fig. VI. angefuͤhrten Exempeln gute Dienſte thun; indeſſen da man noch mehrere Arten ausfindig machen koͤnnte, wenn man die Exempel darnach einrichten wollte, und ſolche alſo da - durch dem ohngeachtet nicht ſo natuͤrlich wird, wie die naͤchſt den Noten, ſo habe ich ſie mehr zur Warnung, als zur Nach - ahmung angefuͤhrt, weil ich weiß daß ſie hier und da Mode iſt. Das unnatuͤrliche beſtehet darinnen, daß der Daumen in das D eingeſetzt wird, ohngeachtet das E mit zwey halben Toͤnen dar - auf folgt; denn der Daumen mag ſich gerne nahe an den halben Toͤ - nen aufhalten, wenigſtens iſt dieſe Haupt-Regel hierbey zu mer - cken, daß der Daumen der rechten Hand im Aufſteigen nach einem oder mehrern halben Toͤnen, im Abſteigen aber vor einem oder mehrern halben Toͤnen, und der lincke Daumen im Abſteigen nach, und im Aufſteigen vor den halben Toͤnen, eingeſetzt wird. Wer dieſe Haupt-Regel in den Fingern hat, dem wird es alle - zeit fremde fallen, bey Gaͤngen, wo halbe Toͤne vorkommen, den Daumen etwas entfernt von ſelbigen einzuſetzen.

§. 34.

A moll im Abſteigen ſehen wir bey Fig. VII. mit dreyerley Finger-Ordnung. Da hier, wie bey C dur, auch kein halber Ton vorkommt, ſo ſind ſie alle drey gut, und zu gebrau - chen. Die, wo der Daumen in das D eingeſetzt wird, iſt un - gewoͤhnlicher als die andern.

§. 35.

G dur im Aufſteigen zeigt ſich bey Fig. VIII. drey - fach. Die mit (*) bezeichnete Applicatur iſt die ungewoͤhnlichſte. Die mittelſte im Dißkante und unterſte im Baſſe giebt zu einer neuen Regel Gelegenheit, welche ſo heißt: Das Ueberſchlagen, welches mit dem zweyten Finger uͤber den Daumen, und mitdem23Von der Finger-Setzung. dem dritten Finger uͤber den vierten geſchiehet, hat ſeinen eigent -Tab II. lichen Nutzen bey Paſſagien ohne halben Toͤne; allda geſchiehet es auch, wenn es noͤthig iſt, oft hinter einander. Dann und wann geſchiehet es auch bey einem eintzigen vorkommenden halben Ton; man ſetzet in der Folge den Daumen oder vierten Finger gleich an dem halben Tone ein, und der zweyte oder dritte Fin - ger, welche dieſes wegen ihrer vorzuͤglichen Laͤnge bequem thun koͤnnen, ſteigen auf dieſen halben Ton; hierauf nimmt gantz natuͤr - lich der Daumen nach der §. 32. angefuͤhrten Regel ſeinen ihm zugekommenden Platz ein. Das bey Fig. IX. angefuͤhrte Exempel (a) koͤnnte eine Ausnahme wider unſere Regel abgeben, doch wird ſolches gewoͤhnlicher mit Unterſetzung des Daumens (b) ge - ſpielt. Folglich iſt das Ueberſchlagen mit dem zweyten Finger uͤber den Daumen auch in dergleichen Faͤllen brauchbarer als das mit dem dritten Finger uͤber den vierten. Dieſes Ueberſchlagen bey einem vorkommenden halben Tone hat mich genoͤthiget, dieſe Scala durch zwey Octaven wegen der Folge durchzufuͤhren.

§. 36.

G dur im Abſteigen erſcheint bey Fig. X. ebenfalls mit dreyerley Ordnungen der Finger. Die, wo der Daumen ins C ſteigt, iſt ohne Zweifel die ungewoͤhnlichſte; die von den Noten entfernſte, die gefaͤhrlichſte; alle 3 aber brauchbar.

§. 37.

E[moll] im Aufſteigen hat nur dieſe eintzige gute Applicatur, Fig. XI. Wer anſtatt den Daumen in die Quinte h, ſolchen in die Quarte a ſetzen wolte, muͤßte ſolches bey Exem - peln thun, wo die Folge dieſes erfordert, ſonſten iſt dieſe Fin - ger-Setzung nicht anzurathen. Man huͤte ſich bey dieſem durch eine gantze Octave aufſteigenden E moll, daß man den Daumen nicht ins g, nach der in gedachten 33. §. gegebenen Regel ein - ſetzt, weil man ſonſt nicht mit den Fingern auskaͤme. Dieſe ſonſt ſo gewiſſe Regel leidet wie wir in der Folge ſehen werden, nurein24Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. I. ein Paar Ausnahmen, welche gegen den Nutzen, den dieſe Regel uͤbrigens in der gantzen Lehre der Applicatur ſchaft, nichts be - deuten wollen.

§. 38.

E[moll] im Abſteigen ſehen wir bey Fig. XII. mit zweyerley Finger-Setzung, wovon die, naͤchſt uͤber und unter den Noten, die beſte iſt.

§. 39.

F dur im Aufſteigen hat im Dißkante nur eine gute Applicatur, laut Fig. XIII. hergegen ſind im Baſſe drey, welche in gewiſſer Art alle brauchbar und deswegen werth ſind, daß man ſie uͤbet.

§. 40.

F dur im Abſteigen zeigt ſich bey Fig. XIV. im Diß - kante mit zweyen, und im Baſſe mit dreyen Applicaturen. Die naͤchſt uͤber und unter den Noten ſind die gewoͤhnlichſten; in den andern iſt nichts unregelmaͤßiges, ſie koͤnnen bey gewiſſen Faͤllen noͤthig ſeyn, folglich kan man ſie darbey mit mercken.

§. 41.

D moll im Aufſteigen bey Fig. XV. hat fuͤr jede Hand dreyerley Finger-Setzung, welche alle gut und zu uͤben ſind, ohngeacht daß die von den Noten entfernteſte etwas unge - woͤhnlicher als die andern iſt.

§. 42.

D moll im Abſteigen finden wir bey Fig. XVI. mit zweyerley Arten von Setzung der Finger fuͤr jede Hand. Die beyden, welche am weiteſten von den Noten entfernt ſtehen, ſind wegen des vorkommenden halben Tones nicht die beſten, wel - cher hier gerne den Daumen in das a verlangt.

§. 43.

B dur hat nur dieſe eintzige bey Fig. XVII. ange - merckte Applicatur ſo wohl im Auf - als Abſteigen.

§. 44.

G moll im Aufſteigen hat bey Fig. XVIII. in der rechten Hand zweyerley, und in der lincken Hand dreyerley Arten von Finger-Setzung. Die naͤchſte uͤber den Noten und entfernteſte unterden25Von der Finger-Setzung. den Noten ſind der im 33. §. angefuͤhrten Regel gemaͤß; die andernTab. I. koͤnnen dem ohngeacht in gewiſſen Faͤllen auch gute Dienſte thun.

§. 45.

G moll im Abſteigen iſt nach Fig. XIX. nur ein - fach. Man wird von ſelbſt begreiffen, wenn eine Paſſagie nicht juſt ſich ſo anfinge, was man im Anfange vor einen Finger ein - ſetzen muͤſte.

§. 46.

D dur im Aufſteigen bey Fig. XX. hat in der rech - ten Hand nur eine, in der lincken aber drey Arten von Appli - caturen; die naͤchſte unter den Noten iſt nach der Regel wegen Einſetzung des Daumens und in allerley Arten von Paſſagien, welche nicht eben ſich ſo anfangen und endigen, wie hier vorge - ſchrieben iſt, zu brauchen; im uͤbrigen ſind die andern beyden, bey dieſem Falle beſonders auch gut und zu uͤben. Die mittelſte im Baſſe beweißt den im 35. §. angefuͤhrten Vorzug dieſes Ueberſchlagens.

§. 47.

D dur im Abſteigen zeigt in Fig. XXI. fuͤr die rechte Hand dreyerley und fuͤr die lincke zweyerley Finger-Setzung, wovon jede in ihrer Art brauchbar iſt.

§. 48.

H moll im Aufſteigen findet ſich bey Fig. XXII. fuͤr beyde Haͤnde einfach. Wenn die Paſſagie nicht juſt ſich anfaͤngt wie hier ſtehet, ſo ſetzet man in der lincken Hand an ſtatt des vierten Fingers den Daumen ein. Dieſes mercken wir uͤberhaupt bey allen Scalen, daß, nach veraͤndertem Anfange, der Finger eingeſetzet werden muß, welcher in der Folge uͤber der Octave ſtehet. Bey der rechten Hand findet ſich eine unvermeidliche Aus - nahme wider die im 33. §. angefuͤhrte Regel. Wer ſolche Re - gel gut in den Fingern hat, muß wohl acht haben, damit er nicht den Daumen ſtatt des e, in das d ſetze. Dieſer Punct macht dieſe Scale etwas verfuͤhreriſch.

§. 49.

H moll im Abſteigen treffen wir bey Fig. XXIII. einfach an. Man koͤnte auch mit dem kleinen Finger in derDrech -26Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. I. rechten Hand anfangen und den Daumen ins e, und hierauf den dritten Finger ins d ſetzen, daß hernach der Daumen wieder in die Octave kaͤme; Allein dieſe Applicatur, ob ſie ſchon zu ge - brauchen, und nicht unrecht iſt, iſt nur eine Octave durch gut, weiter herunter duͤrfte leicht eine Verwirrung entſtehen.

§. 50.

A dur im Aufſteigen finden wir unter Fig. XXIV. mit einer Applicatur fuͤr die rechte und zweyen fuͤr die lincke Hand. Die naͤchſte unter den Noten iſt nach der oft angefuͤhr - ten Regel, und bey allerley Faͤllen brauchbarer als die ſo da - runter ſtehet, ohngeacht ſie auch zuweilen noͤthig ſeyn kan.

§. 51.

A dur im Abſteigen zeigt Fig. XXV. einfach. Es verſteht ſich von ſelbſt, wie wir ſchon gehoͤrt haben, daß, wenn der Anfang nicht eben ſo iſt, wie hier, in der rechten Hand ſtatt des kleinen Fingers der Daumen eingeſetzt werden muß, und wenn eine Paſſagie aus dieſer Tonart mit dem Grund-Tone ſich anfaͤngt, anſtatt 2, 3, 4, fuͤr die lincke Hand, 1, 2, 3, ſte - hen muß.

§. 52.

Fis moll im Aufſteigen ſehen wir bey Fig. XXVI. einfach. Weiter iſt hierbey nichts zu mercken, als der Nutzen von der im 33. §. angefuͤhrten Regel, welcher die nunmehro noch vorkommende Scalen, jemehr Verſetzungs-Zeichen ſie haben, und jemehr halben Toͤne darbey vorkommen, deſto einfacher und deſto weniger gefaͤhrlich, folglich zur Uebung gantz leichte machen wird.

§. 53.

Fis moll im Abſteigen hat nach Fig. XXVII. mit[A] dur einerley Finger-Setzung, die eintzige im Aufſteigen fuͤr die lincke Hand, welche, wie wir §. 50. geſehen haben, nur dann und wann zu gebrauchen iſt, ausgenommen. Wir werden aus der Folge erſehen, daß nunmehro alle noch vorkommende weiche Ton - Arten im Abſteigen einerley Applicatur mit den harten Ton - Arten annehmen, welche einerley Verſetzungs-Zeichen mit jenengemein27Von der Finger-Setzung. gemein haben, oder, wegen Angraͤntzung der Ton-Arten mit denTab. I. Kreutzen an die mit Been noch deutlicher zu ſagen, deren Grund-Ton die kleine Terzie von der weichen Ton-Art iſt.

§. 54.

E dur hat bey Fig. XXVIII. fuͤr beyde Haͤnde ſo wohl im Aufſteigen als auch im Abſteigen einerley einfache Fin - ger-Ordnung. Cis moll im Abſteigen hat dieſelbe. Da jedem aus dem vorigen die Leitern von den abſteigenden weichen Ton - Arten bekannt ſeyn koͤnnen, ſo werde ich die Abbildung derſel - ben, in ſo fern ſie keine beſondere Applicatur haben, als etwas uͤberfluͤßiges weglaſſen.

§. 55.

Cis moll im Aufſteigen nach Fig. XXIX. hat eine eintzige moͤgliche gute Finger-Setzung.

§. 56.

H dur im Auf - und Abſteigen hat nebſt dem abſtei - genden Gis moll, nach Fig. XXX. einerley Finger. Dieſes letz - tere im Aufſteigen unterſcheidet ſich bloß durch die Groͤſſe der Jntervallen, aber nicht durch die Ordnung der Finger von den erſtern, wie wir aus Fig. XXXI. ſehen.

§. 57.

Fis dur auf - und abſteigend hat nebſt Es moll im Abſteigen eine gemeinſchaftliche unter Fig. XXXII. abgebildete Ap - plicatur. Die bey dem aufſteigenden Es moll, laut Fig. XXXIII. iſt eben dieſelbe, ohngeacht ſo wohl die Groͤſſe der Jntervallen als auch die Schreib-Art von jenen unterſchieden iſt. Wir be - mercken bey der lincken Hand eine noͤthige Ausnahme von unſe - rer im 33. §. angefuͤhrten Regel, vermoͤge welcher ſtatt des c der Daumen ins d haͤtte geſetzt werden ſollen.

§. 58.

Des oder Cis dur mit ſeiner Finger-Ordnung in beyderley Bewegung zeigt uns Fig. XXXIV. B moll hat bey dem Abſteigen dieſelbe Applicatur. Bey dem Aufſteigen gedachten[B] molls finden wir ſo wohl die Abbildung der Scala als derD 2Fin -28Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. I. Finger-Setzung unter Fig. XXXV. Die lincke Hand hat zwey - erley gute Applicatur.

§. 59.

As dur hat nach Fig. XXXVI. ſo wohl hinauf als herunter mit dem Abſteigenden[F] moll einerley Setzung der Fin - ger. Dieſes letzteren Applicatur beym Aufſteigen iſt unter Fig. XXXVII. beſonders abgebildet. Die lincke Hand hat hier aber - mals zweyerley gute Finger-Ordnungen, von denen die naͤchſt den Noten die brauchbarſte iſt, ob ſchon die unterſte das im 35. und 46. §. angefuͤhrte aufs neue beweiſet.

§. 60.

Es dur ſehen wir bey Fig. XXXVIII; dieſe Ord - nung der Finger gilt im Auf - und Abſteigen. Das abſteigende C moll hat dieſelbe Applicatur. Dieſe Ton-Art, wenn ſie in die Hoͤhe gehet, hat unter Fig. XXXIX. fuͤr jede Hand zwey Arten von Finger-Ordnungen, wovon die den Noten entlegenſten nur in dem Bezirck einer Octave in einer Folge gut ſeyn. Wir mercken hierbey an, daß jemehr die Verſetzungs-Zeichen und hal - ben Toͤne ſich bey den Tonarten verlieren, welches hauptſaͤchlich in den aufſteigenden weichen Scalen vor die andern geſchiehet, deſto mannigfaltiger die Applicaturen werden.

§. 61.

Wir ſehen aus der Vorſchrift dieſer Scalen, daß der Daumen niemals auf einen halben Ton geſetzt wird, und daß er bald nach dem zweyten Finger alleine, bald nach dem zwey - ten und dritten, bald nach dem zweyten, dritten und vierten Finger, niemals aber nach dem kleinen eingeſetzt wird. Weil jede Scala ſieben Stuffen hat, und die Wiederholung jeder Scale, um bey einer Ordnung zu bleiben, ihrem Anfange aͤhnlich ſeyn muß, ſo mercke man, daß der Daumen gemeiniglich einmahl nach den zweyten darauf folgenden Fingern und das andre mahl nach allen dreyen eingeſetzt wird; beym Aufſteigen mit der rechten Hand und beym Abſteigen mit der lincken heißt dieſes unterſetzen. Uebt man ſich ſo lange,bis29Von der Finger-Setzung. bis der Daumen auf eine mechaniſche Art ſich von ſelbſt auf dieſe Weiſe am gehoͤrigen Ort ein und unterſetzt; ſo hat man das meiſte in der Finger-Setzung gewonnen.

§. 62.

Wir ſehen ferner, daß das Ueberſchlagen bald mit dem zweyten Finger, bald mit dem zweyten und dritten, bald mit dem zweyten, dritten und vierten uͤber den Daumen und mit dem dritten Finger uͤber den vierten geſchiehet. Wir werden in der Folge eine kleine Ausnahme finden, vermoͤge welcher mit gewiſſen Umſtaͤnden erlaubet iſt, einmahl den vierten Finger uͤber den kleinen zu ſchla - gen; desgleichen werden wir bey Gelegenheit der Manieren einen Fall bemercken, worinnen der dritte Finger nach dem zweyten, wohl zu mercken, eingeſetzt worden. Man muß dieſes Einſetzen nicht mit dem Ueberſchlagen verwechſeln. Ueberſchlagen heißt: wenn ein Finger uͤber den andern gleichſam wegklettert, indem der an - dere noch uͤber der Taſte ſchwebet, welche er niedergedruckt hat; bey dem Einſetzen hingegegen iſt der andere Finger ſchon weg, und die Hand geruͤckt.

§. 63.

Endlich ſehen wir bey dieſer Abbildung der Ton-Lei - tern, daß die, ohne, oder mit den wenigſten Verſetzungs-Zeichen die meiſte Veraͤnderungen von Applicaturen erlauben, indem allda das Unterſetzen ſowohl als das Ueberſchlagen angehet; und daß die uͤbrigen nur einerley Abwechſelung der Finger geſtatten. Folglich ſind die ſo genannten leichten Ton-Arten (weil ihre Applicatur ſo verſchieden iſt, und man beyde Huͤlfs-Mittel zur rechten Zeit gebrauchen lernen muß, ohne ſie zu verwirren; weil es noͤthig iſt die einmahl erwaͤhlte Ordnung in der Folge bey - zubehalten, und man alſo wohl zu merken hat, wo der Dau - men eingeſetzt worden,) viel verfuͤhreriſcher und ſchwerer als die ſo genannten ſchweren Ton-Arten, indem ſie nur eine Art von Finger-Setzung haben, allwo der Daumen durch die Uebung inD 3ſei -30Das erſte Hauptſtuͤck. ſeinen ordentlichen Platz ſich von ſelbſt eindringen lernt. Dieſe letztern behalten den Nahmen der ſchweren nur aus der Urſache bey, weil entweder gar nicht, oder ſelten aus ſelbigen geſpielt und geſetzt wird. Hierdurch bleibt ihre Schreib-Art ſo wohl als die Lage ihrer Taſten allezeit fremde. Durch die wahre Lehre und Anwendung der Finger-Ordnung werden uns alſo dieſe ſchwere Ton-Arten eben ſo leichte, als groß die Schwierigkeit war, auf eine falſche Art, beſonders ohne Daumen oder den rechten Ge - brauch deſſelben in ſolchen fort zu kommen. Einer der groͤſten Vorzuͤge des Claviers, vermoͤge deſſen man mit beſonderer Leich - tigkeit aus allen vier - und zwantzig Ton-Arten ſpielen kan, iſt alſo durch die Unwiſſenheit der rechten Applicatur verborgen ge - blieben.

§. 64.

Das Unterſetzen und Ueberſchlagen als die Haupt - Huͤlfs-Mittel in der Abwechſelung der Finger muͤſſen ſo gebraucht werden, daß alle Toͤne dadurch gut zuſammen gehaͤnget werden koͤnnen. Deßwegen iſt in den Ton-Arten mit keinen oder weni - gen Verſetzungs-Zeichen bey gewiſſen Faͤllen das Ueberſchlagen des dritten Fingers uͤber den vierten und des zweyten uͤber den Daumen beſſer und nuͤtzlicher, um alles moͤgliche Abſetzen zu ver - meiden, als der uͤbrige Gebrauch des Ueberſchlagens und das Unterſetzen des Daumens, weil ſelbiger bey vorkommenden halben Toͤnen mehr Platz und folglich auch mehr Bequemlichkeit hat, unter die andern Finger durchzukriechen, als bey einer Folge von lauter unten liegenden Taſten. Bey den Ton-Arten ohne Ver - ſetzungs-Zeichen geſchiehet dieſes Ueberſchlagen ohne Gefahr des Stolperns hinter einander; bey den andern aber muß man wegen der halben Toͤne mehr Behutſamkeit brauchen.

§ 65.

Nach dieſen Scalen und nach dem in ſelbigen be - findlichen Gebrauch der beyden Huͤlfsmittel werden alle einſtim -mige31Von der Finger-Setzung. mige gehende Gedancken beurtheilt. Von einigen hierbey beſonderen Faͤllen und Freyheiten wird zuletzt gehandelt werden.

§. 66.

Wir ſchreiten nunmehro zu mehrſtimmigen Exempeln. Hierbey werden die Spruͤnge mit vorkommen, indem man ſie, weil ſelbige ſo viel moͤglich ohne Zwang nach der ordentlichen Laͤnge der Finger eingerichtet ſeyn muͤſſen, darnach abzumeſſen hat. Findet jemand wegen ſeiner langen Finger fuͤr bequem, gewiſſe harmoniſche Anſchlaͤge, Brechungen oder Spannungen mit andern Fingern zu nehmen, als hier vorgeſchrieben iſt, ſo ſtehet es ihm frey, nur muß es keine eingebildete Bequemlichkeit ſeyn. Jndem ich bey Verfertigung der Probe-Stuͤcke auf allerhand Faͤlle geſehen habe, ſo habe ich die Spruͤnge und Spannungen mit Fleiß in das Adagio aus dem B gelegt, um ſolche zu erleich - tern; wer Luſt hat, ſolche fuͤr ſich geſchwinde zu uͤben, dem ſteht es frey.

§. 67.

Zwey Klaͤnge zuſammen, welche um eine SecundeTab. I. von einander unterſchieden ſind, werden mit zwey an einander liegenden Fingern gegriffen. Aus den vorhergehenden und fol - genden Noten kan man leicht ſehen, welche es ſeyn muͤſſen. Bey Fig. XXXX. finden ſich Exempel von allerley Art. Wir ſehen, daß hier abermahls der Daumen von den halben Toͤnen verſchont bleibt. Bey den Noten ohne Ziffern bezieht man ſich auf das vorhergegangene. Der einmahl vorgezeichnete Schluͤſſel gilt ſo lange, bis er durch einen andern aufgehoben wird.

§. 68.

Gebrochene Secunden werden mit abgewechſelten Fingern ſo geſpielt wie bey Fig. XLI. zu ſehen iſt; Dieſes Ab - wechſeln iſt der uͤber ſolche Art Noten gewoͤhnlicher Maaſſen ange - deuteten Schleifung zutraͤglicher als das Fortſetzen eines Fingers, weil durch dieſes letztere die Noten mehr geſtoſſen werden, als es ſeyn ſoll. Wir ſehen hier, und werden es in der Folge nochoͤfter32Das erſte Hauptſtuͤck. oͤfter erfahren, daß gemeiniglich der Daumen und der zweyte Fin - ger an der lincken Hand am meiſten an den Oertern gebraucht wird, allwo man in der rechten Hand den zweyten und dritten Finger einſetzt.

§. 69.

Bey Anſchlagung der Tertien mercke man, daß ſie mit denjenigen Fingern gegriffen werden, welche wir bey denenTab. I. unter Fig. XLII. bezeichneten vielen Exempeln finden; man ſiehet hier ebenfalls auf das vorhergehende und folgende; der Daumen bleibt von den halben Toͤnen weg, desgleichen der kleine Finger; beyde koͤnnen blos die Erlaubniß bekommen, auf ſolche halbe Toͤne geſetzt zu werden, wenn ein vorhergegangener oder nach - folgender Sprung dieſes nothwendig macht. Jch habe deswegenTab. II. vielerley Exempel hierbey angefuͤhrt, weil oft viele Tertien hin - ter einander vorzukommen pflegen, um die hierzu noͤthige Abwech - ſelung der Finger deutlich zu zeigen. Der kleine Finger kan auch auf dem halben Tone ſeyn, wenn der andere zugleich mit anſchla - gende Finger auch auf ſelbigem iſt. Aus dieſer Urſache iſt die Applicatur der rechten Hand in dem bey (a) Tab. II. angefuͤhrten Exempel nicht ſo gut als die bey (b) und die fuͤr die lincke Hand bey (c). Dieſer kleine Finger wird ebenfalls ſo wenig fortgeſetzt, als durch einen andern abgeloͤßt (d), ſondern er koͤmmt nur im - mer einmahl und zwar in den aͤuſſerſten Toͤnen (e) vor, es ſey denn, wenn eine oder mehrere Noten zwiſchen die Tertien kom - men, wie bey (f) zu ſehen iſt. Ferner mercke man aus dem drit - ten und folgenden Exempeln bey Fig. XLII. daß einerley Toͤne mit denſelben Fingern genommen werden. Bey vielen hinter einander vorkommenden Tertien auf die Art wie die beyden[Exem - pel] (g) ausweiſen, ſetzt man bey geſchwinder Zeitmaaſſe lieber mit den Fingern fort, indem alsdenn das Abwechſeln ſchwerer faͤllt. Uebrigens ſehen wir, daß allerley Setzung von Fingernbey33Von der Finger-Setzung. bey dieſen Tertien vorkommen, obſchon einige oͤfter als andere;Tab. II. blos $$\begin{matrix}{5 5 4\\1 2 3}$$ ſind unnatuͤrlich und folglich verwerflich.

§. 70.

Gebrochene Terzien einzeln oder auch in einer Folge bey langſamer Zeitmaaß werden ſo geſpielt, wie wir ſie zuſam - men anzuſchlagen, im vorigen §. gelehrt haben. Viele hinterein - ander in geſchwindem Tempo vorkommende Tertien-Spruͤnge werden, ſo lange keine halben Toͤne ſich einmiſchen, ohne Abwech - ſelung der Finger entweder mit $$\begin{matrix}{1\\3}$$ oder $$\begin{matrix}{2\\4}$$ gegriffen, Tab. II. Fig. XLIII. (a); ſo bald aber halbe Toͤne darbey vorkommen, ſo wech - ſelt man mit den Fingern ab und haͤlt den Daumen von den halben Toͤnen zuruͤck (b). Jn Haltungen und Spruͤngen wird auch die Setzung $$\begin{matrix}{5\\3}$$ und $$\begin{matrix}{2\\1}$$ gefunden. (c). Der Daumen kriegt hierbey die Erlaubniß, auf die halben Toͤne geſetzt zu werden, welche ihm die Nothwendigkeit bey ſolchen Spannungen giebt.

§. 71.

Die Quarten werden gegriffen, wie wir bey Fig. XLIV ſehen. Bey dem Diſcant-Schluͤſſel werden die unterſten Noten mit der lincken und bey dem Baß-Schluͤſſel die oberſten mit der rechten Hand genommen. Die gebrochenen in langſa - mer Zeitmaaß haben eben dieſe Setzung. Bey vielen hinterein - ander vorkommenden geſchwinden Quarten-Spruͤngen ohne halbe Toͤne wird ohne Abwechſelung $$\begin{matrix}{1\\4}$$ oder $$\begin{matrix}{5\\2}$$ eingeſetzt (a). Bey vor - kommenden halben Toͤnen kan man auch dann und wann, aber nur einmahl ohne Folge $$\begin{matrix}{2\\4}$$ nehmen (b). Dieſe Spruͤnge werden auch mit $$\begin{matrix}{1\\2}$$ , $$\begin{matrix}{1\\3}$$ , $$\begin{matrix}{2\\4}$$ und $$\begin{matrix}{5\\3}$$ geſpielt, ſobald die nachfolgenden Noten ſolches erfordern, wie wir bey (c) und folgenden Exempeln ſehen.

§. 72.

Die Quinten und Sexten werden auf dreyerley Art gegriffen, wie unter Fig. XLV zu ſehen iſt. Aus Fig. XLVI ſehen wir die Finger-Setzung von Sexten in einer Folge. Mit dieſen gebrochenen Sexten wird es ebenfalls ſo gehalten, wie wir bey den Tertien und Quarten geſehen haben. Bey dieſen Span -Enun -34Das erſte HauptſtuͤckTab. II. nungen kan der kleine Finger oͤfter als einmahl hintereinander vorkommen, und wird alſo auch gebrauchet, ohne daß eben die Weite der Paſſagie mit ihm zu Ende gehet.

§. 73.

Die Septimen und Octaven werden mit $$\begin{matrix}{5\\1}$$ gegrif - fen. Wer lange Finger hat und kan die Septimen, wobey ein halber Ton iſt, mit $$\begin{matrix}{5\\2}$$ oder $$\begin{matrix}{4\\1}$$ ohne Zwang nehmen, dem ſteht es frey. Auſſer dem aber iſt es gar wohl erlaubt, daß hier der Daumen ſo wohl als der kleine Finger ohne Bedencken auf die halben Toͤne geſetzt wird.

§. 74.

Weil dieſe Octaven-Spruͤnge, beſonders in der lin - cken Hand, allwo ſie am oͤfterſten vorzukommen pflegen, das Fort - ſetzen mit dem Daumen oder dem kleinen Finger nothwendig ma - chen, ſo thun diejenigen, welche durch die Verdoppelung der Octaven im General-Baſſe noch nicht hinlaͤnglich hierinnen geuͤbt ſind, wohl, wenn ſie den erſten beſten Baß ergreifen, und ſolchen einmahl mit dem bloſſen Daumen und das andere mahl mit dem kleinen Finger alleine durchſpielen; dadurch kriegen ſie ohn - vermerckt eine Fertigkeit nicht allein in dieſem noͤthigen Fortſetzen, ſondern auch das Grifbret auswendig zu finden.

§. 75.

Die bey Fig. XLVII. befindlichen Exempel zeigen, daß man zuweilen theils wegen der vorhergehenden, theils folgen - den Noten an ſtatt des Daumens den zweyten Finger, und an ſtatt des kleinen den vierten Finger in Octaven Spruͤngen braucht. Der Daumen, wenn er auf einem halben Tone iſt, kan nicht ſo uͤbergeſchlagen werden, wie wir bey Fig. XLVIII. ſehen.

§. 76.

Wir nehmen nunmehro die Anſchlaͤge dreyer Klaͤnge zuſammen vor; bey Fig. XLIX. finden wir die Finger-Setzung von dergleichen Anſchlaͤgen in dem Bezirck einer Quarte. Bey den Exempeln (a) und (b) erfordert die Folge eine eigene Ap - plicatur.

§. 77.35Von der Finger-Setzung.

§. 77.

Fig. L. zeigt uns die Finger zu dreyfachen Zuſam -Tab. II. men-Klaͤngen in dem Umfange einer Quinte. Bey Gelegenheit des Exempels (a) mercke man, daß auſſer dieſem F moll noch C, Cis, Fis, G, Gis, B und H mit der kleinen Tertie, derglei - chen Setzung der Finger vertragen. Auſſer dem bey (b) ange - merckten Exempel koͤnnen auch Cis, Dis, E, Gis, A, B und H in der harten Ton-Art ſo gegriffen werden. Beſonders hat bey dieſen Moll und Dur Ton-Arten, wenn deren Tertie auf einen halben Ton faͤllt, der dritte Finger wegen ſeiner Laͤnge mehr Bequemlichkeit, hierauf geſetzt zu werden als der vierte.

§. 78.

Drey Stimmen zuſammen in dem Bezircke einer Sexte werden ſo genommen, wie wir bey Fig. LI. ſehen. Fig. LII. lehrt uns daſſelbe bey einem Umfange von einer Septime und Fig. LIII. von einer Octave. Bey dieſen weiten Spannun - gen von Septimen und Octaven, wie wir §. 73 geſehen haben, iſt allen Fingern erlaubt, auf die halben Toͤne zu kommen, indem dieſes allezeit beſſer iſt, als ein uͤberfluͤßiger Zwang.

§. 79.

Um zu zeigen, mit was fuͤr Fingern vier Toͤne zugleich angeſchlagen werden, finden wir bey Fig. LIV. die Ex - empel hiervon; (a) beſonders zeigt uns dieſen vierſtimmigen An - ſchlag in einer Weite von einer Quinte; (b) von einer Sexte; nach dem Exempel mit dem Baß-Schluͤſſel koͤnnen auch die im 77. §. angefuͤhrten dur Ton-Arten gegriffen werden; (c) von einer Septime und (d) von einer Octave. Die beyden nach (c) mit (*) (*) bezeichneten Exempel zeigen uns die Finger bey Perſonen welche ſolche beſonders lang haben; und die mit (1) (2) (3) (4) bezeichneten Exempel beziehen ſich auf die im 77. §. unter (a) und (b) vorgeſtellten Accorde, folglich werden auch alle die allda an - gefuͤhrte harmoniſche Dreyklaͤnge mit vier Stimmen nach dieſer Art gegriffen.

E 2§. 80.36Das erſte Hauptſtuͤck.
Tab. II.
4

§. 80.

Wenn bey dieſen harmoniſchen Zuſammen-Klaͤngen eine von den aͤuſſerſten Stimmen auf einen halben Ton faͤllt, ſo nimmt man eine Applicatur, wobey nach Erfordern der Dau - men oder kleine Finger gemißt werden kan. Doch da man, zu - mahl was den kleinen Finger betrift, nicht allezeit alle Bequem - lichkeit beybehalten kan, weswegen auch dieſer Finger mehr Erlaub - niß hat auf die halben Toͤne geſetzt zu werden, wie der Daumen: ſo muß man ſich nach dem vorhergehenden ſo wohl als nach der Folge richten, und, da alle Finger nicht gleich ſind, uͤberhaupt bey allen Spannungen auf das ungezwungene und natuͤrliche, ſo viel moͤglich, bedacht ſeyn, folglich eine kleine Unbequemlich - keit einer groͤſſern vorziehen, indem man oft den kleinen Finger, oder den Daumen lieber auf einen halben Ton ſetzt, als, ohne ſelbige Finger uͤbertriebene Spannungen vornimmt, welche nicht allezeit gluͤcken. Wenn viele vollſtimmige Anſchlaͤge hinter ein - ander vorkommen, ſo thut man wohl, wenn es ſeyn kan, daß man ſich ſolche durch die Abwechſelung der Finger erleichtert.

§. 81.

Wenn bey ſolchen mehrſtimmigen Griffen die beyden aͤuſſerſten Stimmen auf halben Toͤnen gegriffen werden muͤſſen, ſo iſt gar kein Bedencken wegen dieſer zwey kuͤrtzeſten Finger mehr uͤbrig, indem, wenn ſie beyde auf die hinten ſtehenden Taſten geſetzt werden, die gantze Hand dadurch hinter geruͤckt wird, und folglich die Urſache wegfaͤllt, warum der Daumen und der kleine Finger nicht gar bequem auf dieſen halben Toͤnen gebraucht werden.

§. 82.

Da man alle Brechungen und ſpringende Gedancken, ſo viel als es ſeyn kan, auf dieſe mehrſtimmige Anſchlaͤge zuruͤck fuͤhret, ſo folgt hieraus, daß ſie auch nach unſerer vorgeſchrie - benen Finger-Setzung geſpielt und zugleich nach den darbey ange - merckten Umſtaͤnden beurtheilet werden muͤſſen. Die aus dembey37Von der Finger-Setzung. bey Fig. LV. angezeigten Exempel heraus gezogenen GedanckenTab. II. werden meinen Leſern meine Meinung noch deutlicher machen.

§. 83.

Der gute Vortrag, ſowol als das vorhergegangene, erfordern bisweilen eine kleine Aenderung der Finger bey dieſen Brechungen. Beſonders findet man zuweilen bey gewiſſen von oben herunter gebrochenen Accorden den dritten Finger beque - mer als den vierten, ohngeachtet dieſer letztere natuͤrlicher bey denſelben Accorden, wann ſie auf einmahl angeſchlagen werden, eingeſetzt wird (1). Wegen des guten Vortrags kan man oft von einem ſchwaͤchern Finger den Grad der Deutlichkeit nicht erwarten, welchen man von einem ſtaͤrckern gar leicht erhaͤlt, weil die Deutlichkeit uͤberhaupt durch einen gleichen Druck vornehmlich mit hervorgebracht wird. Aus dieſer Urſache haben linckhaͤndige keinen geringen Vortheil auf unſerm Jnſtrumente. Bey dem (2) Exempel hat man die Tertie wegen des vorhergegangenen f, mit dem dritten Finger genommen.

§. 84.

Da wir aus allem bisher angefuͤhrten erſehen haben, daß vor allen andern Fingern beſonders der rechte Gebrauch des Daumens ſo wohl in den gehenden als ſpringenden, ſo wohl in den einſtimmigen als mehrſtimmigen Gedancken von beſonderer Er - heblichkeit ſey; ſo iſt der Schade um ſo viel groͤſſer, den einige, und zwar in unſern jetzigen Tagen, auswaͤrts heraus gekomme - nen Anweiſungen zum Clavier-Spielen auſſer andern falſchen Saͤ - tzen beſonders wegen dieſes Puncts anrichten. Einer laͤßt den Gebrauch des Daumens gar weg; ein anderer geht deſto un - freundlicher mit ſeinen Schuͤlern um, er fordert nicht allein von ihnen, daß ſie alle Finger ohne Unterſchied und ohne die gehoͤ - rige Ordnung auf allen Taſten herum klettern laſſen, ſie ſollen ſo gar dieſes auf einer Taſte allein thun koͤnnen. Der erſte zieht Schuͤler, welche nicht anders als durch Stolpern, AbſaͤtzeE 3und38Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. II. und Verſchrenckung der Finger fortkommen: des andern Scho - laren werden ohne Noth und Nutzen ſtrapazirt, beſonders muß bey ihnen alle Augenblick die Hand verſtellt und verzogen werden, indem ſie ſo gar in den Ton-Arten mit den meiſten Verſetzungs - Zeichen ohne die geringſte Noth den Daumen auf die halben Toͤne ſchleppen; durch dieſes Verdrehen kommen die andern Fin - ger aus ihrer natuͤrlichen Stellung, ſie koͤnnen anders nicht als durch Zwang gebraucht werden, folglich faͤllt alle Gelaſſenheit, alle Schlappigkeit der Nerven weg, und die Finger werden ſteif.

§. 85.

Je verfuͤhriſcher die Finger-Setzung bey den einſtim - migen und gehenden Gedancken vor den mehrſtimmigen und ſprin - genden iſt, wie wir aus den Scalen geſehen haben; deſto weniger gefaͤhrlich iſt ſie bey denen Bindungen. Jndem die gebundenen Noten aufs ſtrengſte nach der Vorſchrift gehalten werden muͤſſen, ſo pflegt daher ſelten mehr als eine Art, ſolche heraus zu brin - gen, moͤglich zu ſeyn. Man muß alſo hierbey mehr Freyheiten er - lauben, als ſonſten. Das Fortſetzen eines Fingers ohne Abwech - ſelung, das Steigen des Daumens auf einen halben Ton und andere Huͤlfs-Mittel, wovon wir hernach handeln werden, kan man ohne Bedencken brauchen. Da man alſo nicht leicht bey dieſen Bedingungen irren kan, ſo moͤgen die wenigen Exempel bey Fig LVI. hinlaͤnglich ſeyn.

§. 86.

Jch mache den Anfang bey Anfuͤhrung einiger be - ſonderer Exempel, unter Fig. LVII. bey (a) das Ueberſchlagen des zweyten, bey (b) des dritten und bey (c) des vierdten Fingers uͤber den Daumen in Spruͤngen zu zeigen. Bey Fig. LVIII. ſehen wir das Einſetzen des Daumens in ſpringenden Paſſagien; man mercke hier, daß allezeit nach dem Daumen der vierte Fin - ger, und nach dem zweyten der kleine eingeſetzet wird.

§. 87.39Von der Finger-Setzung.

§. 87.

Eine der noͤthigſten Freyheiten in der Applicatur iſt das Auslaſſen gewiſſer Finger wegen der Folge. Die unter Fig. LIX. befindlichen Exempel zeigen dieſes deutlich, unter welchen das mit (*) auf Tab. III. bezeichnete beweiſet, daß dieſes Auslaſ -Tab. III. ſen natuͤrlicher ſey, als die bey (*) (*) befindlichen Spannungen. Jn den Baͤſſen koͤmmt dieſe Nothwendigkeit beſonders oft vor. Die natuͤrliche Biegſamkeit des Daumens macht das bey (1) be - findliche Exempel, allwo drey Finger ausgelaſſen werden, beque - mer, als das bey (2), wo nur zwey Finger wegbleiben.

§. 88.

Wenn in den Probe-Stuͤcken zwey Ziffern neben einander uͤber eine Note vorkommen, ſo wird der eingeſetzte Fin - ger, welchen die erſte Ziffer anweiſet, nicht eher aufgehoben, als bis der andere da iſt, weil dieſe mit zwey Ziffern bezeichnete Note nur einmahl angeſchlagen werden darf, es ſey denn, daß eine daruͤber befindliche Manier, dieſe Note mehr als einmahl zum Ge - hoͤr bringet. Die Folge ſo wohl Tab. III. Fig. LX. (a) als die Ausuͤbung einiger Manieren machen dieſes Einſetzen zweyer Fin - ger hinter einander oft noͤthig; dann und wann iſt auch eine Aushaltung daran Schuld (b). Die Biegſamkeit des Daumens iſt zu dieſem Abloͤſen vorzuͤglich geſchickt. Da dieſes Huͤlfs-Mit - tel ſo gar leicht nicht iſt, geſchickt zu gebrauchen, ſo hat es von Rechts wegen nur bey einer wenigſtens etwas langen Note und im Falle der Noth ſtatt. Dieſe Vorſicht mercke man bey allen auſſerordentlichen Huͤlfs-Mitteln, welche theils von Natur theils wegen ihrer Seltenheit ſchwer ſind und auch bleiben. Man er - laube ſolche ſeinen Schuͤlern nicht eher, als bis entweder gar keine andere Moͤglichkeit mehr da iſt, oder man muͤſte eine noch groͤſſere Unbequemlichkeit ſich gefallen laſſen. Aus dieſer Urſache braucht Couperin, ſo gruͤndlich derſelbe ſonſten iſt, zu oft und ohne Noth dieſes Abloͤſen eines ſchon eingeſetzten Fingers. OhneZwei -40Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. III. Zweifel war der rechte Gebrauch des Daumens damals noch nicht voͤllig bekannt; man ſiehet dieſes aus einigen von ihm be - zifferten Exempeln, allwo er beſonders bey Bindungen ſo ver - faͤhrt, anſtatt den Daumen zu gebrauchen oder mit einem Finger fort zu gehen, welches beydes leichter iſt als dieſes Huͤlfs-Mit - tel. Da der Daumen von unſern Vorfahren nur ſelten, gebraucht wurde, ſo war er ihnen oft im Wege; folglich hatten ſie manch - mal zu viel Finger. Als man nachhero ſolchen fleißiger zu gebrau - chen anfing, ſo mengte ſich die alte Art noch oft unter die neue und man hatte gleichſam noch nicht das Hertz, den Daumen allezeit da, wo er hingehoͤret, einzuſetzen. Jetzo empfinden wir dann und wann, ohngeachtet des beſſern Gebrauchs der Finger bey unſerer Art von Muſick, daß wir deren zu wenig haben.

§. 89.

Dahero muß man zuweilen erlauben mit einem Finger, auch bey gehenden Noten, fortzugehen. Am oͤfterſten und leichteſten geſchiehet dieſes, wenn man wegen der Folge von einem halben Tone in die naͤchſte Taſte mit dem Finger herun - ter gleitet. Man druͤckt hierdurch ſehr bequem eine Schleifung aus, Fig. LXI. Da dieſes Herabgleiten ſehr leichte faͤllt, ſo kan es auch auſſer dieſer Urſache und in geſchwinderer Zeit-Maſſe ge - braucht werden als das Fortſetzen und Abloͤſen. Uebrigens mercke man beſonders hierbey an, daß das Fortſetzen in gewiſſen Faͤllen eben ſo geſchickt iſt, geſtoſſene Noten heraus zu bringen als ge - ſchleifte. Von der erſten Art finden wir bald zu Anfange des Probe-Stuͤcks aus dem fis moll, und von der andern Art bey Fig. LVI. Tab. II. Exempel. Uebrigens haben wir aus dem vo - rigen §. gehoͤrt, daß dieſes Fortſetzen natuͤrlicher ſey, zumahl bey Bindungen, wenn man die Wahl hat, als das Abloͤſen.

§. 90.

Wenn ein Ton oͤfter als einmal hinter einander in maͤßiger Geſchwindigkeit vorkommt, ſo wird mit den Fingernnicht41Von der Finger-Setzungnicht abgewechſelt, wohl aber bey dergleichen geſchwinden Noten. Tab. III. Man gebraucht hierzu nur zwey Finger auf einmal. Der kleine iſt hierzu der ungeſchickteſte, weil ihm wegen ſeiner Schwaͤche das Schnellen, welches hierzu erfordert wird, ſchwer faͤllt. Die - ſes Schnellen entſteht dadurch, indem jeder Finger ſo hurtig als moͤglich von der Taſte abgleiten muß, damit jedes Einſetzen deutlich gehoͤrt werden koͤnne. Auf dem Clavicorde bringt man am leichteſten dieſe Art von Paſſagien heraus.

§. 91.

Bey etwas langſamen mehr als einmal hinter ein - ander vorkommenden einerley Toͤnen kan man dieſen beſondern Vortheil ſich zu Nutzen machen, daß man das letzte mahl den - jenigen Finger einſetzt, den die Folge haben muß. Ein Exem - pel hiervon findet man bey Fig. LXII. Dieſer Umſtand ereignet ſich beſonders bey der lincken Hand oft.

§. 92.

Wenn in denen Ton-Arten mit vielen halben Toͤnen Paſſagien vorkommen, welche nicht von der Weite ſeyn, daß nach unterſetztem Daumen, der gewoͤhnliche Finger, wegen der ſonſt ordentlich darauf folgenden Toͤne, muß geſetzt werden, ſo nimmt man nach dem Daumen den Finger, welcher vor dem Daumen da war. Die Urſache hiervon iſt dieſe, weil man hierdurch die Hand in einer Lage behaͤlt, anſtatt daß es unbequem fallen wuͤrde, wegen eines geſchwinde vorbey gehenden Tones die gantze Hand zu ruͤcken. Dieſe Regel gilt nur ſo lange, als blos ein Ton nach Einſetzung des Daumens darauf folgt; folgen aber zwey, ſo braucht man die Finger in ihrer gehoͤrigen Ordnung. Von beyderley Art finden wir Exempel unter Fig. LXIII. Einige brauchen dieſe Art von Applicatur bey Paſſagien, wo noch zwey Toͤne nach dem Daumen folgen, welche gantz oben uͤber die bey - den letzten Exempel ſtehet; ſie iſt nicht eben unrecht, ich glaubeFaber,42Das erſte Hauptſtuͤck. Tab. III. aber, daß man das verbunden iſt zu thun, was man in weni - gen Veraͤnderungen ohne Unbequemlichkeit verrichten kan.

§. 93.

Jn den Probe-Stuͤcken finden ſich ein paar Stellen, wo wider die gegebene Regel, in einer einzeln Stimme der kleine Finger gebraucht wird an einem Orte, wo die Weite der Paſ - ſagie nicht mit ihm zu Ende gehet. Die Abbildung beyder Paſ - ſagien findet ſich bey Fig. LXIV. Der erſtere Fall iſt durch die maͤßige Zeit-Maaß der Noten zu entſchuldigen. Man darf dieſes Ueberſchlagen nicht anders gebrauchen, als wenn der vierte laͤngere Finger uͤber den auf eine der unterſten Taſten liegenden kleinen, auf einen halben Ton ziemlich bequem durch eine kleine Wendung der Hand klettern kan, und dieſes muß nur einmal und nicht oͤfter hinter einander geſchehen. Der andere Fall iſt ein Zeichen der noͤthigen Zuſammenziehung der Hand und wird durch die Hal - tung erleichtert; auſſerdem aber iſt dieſe Art von Applicatur falſch. Da die Zeit-Maaß des gantzen Stuͤckes ſehr geſchwind iſt, ſo moͤchte die Einſetzung zweyer Finger auf das f faſt ſchwerer ge - weſen ſeyn, als dieſes Zuſammenziehen. Die Hand wird bey dieſem Falle gleichfalls etwas weniges nach der rechten Seite ge - wendet. Das Einſetzen in eben demſelben Stuͤcke auf einer kuͤrtzern Note vor einer Manier, hat nicht vermieden werden koͤnnen, oder man haͤtte einen ungewiſſen Sprung wagen muͤſſen. Wir werden dieſes aus der Erklaͤrung dieſer Manier deutlicher begreifen.

§. 94.

Jn Stuͤcken von drey und mehrern Stimmen, wo jede Stimme ihren ausdruͤcklichen Geſang behaͤlt, ereignen ſich dann und wann Faͤlle, wo beyde Haͤnde abwechſeln muͤſſen, wenn die Gattung der Noten genau beobachtet werden ſoll, ob - gleich nach dem Noten-Plane der Gang nur einer Hand allein zu gehoͤren ſcheinet. Fig. LXV.

§. 95.43Von der Finger-Setzung.

§. 95.

Endlich habe ich um beyden Haͤnden GelegenheitTab. III. zu geben, ſich gleich zu uͤben, bey Fig. LXVI. zwey Exempel aus den verfuͤhreriſchſten Ton-Arten mit einem Verſetzungs-Zeichen bey - gefuͤgt, in welchen bey dem erſten durch lauter gehende Noten, und bey dem zweyten durch eingemiſchte Spruͤnge das Unterſetzen ſo wohl als das Ueberſchlagen nebſt dem Gebrauche des kleinen Fingers deutlich zu erſehen iſt.

§. 96.

Jn gewiſſen Faͤllen, wo man leicht ungewiß haͤtte ſeyn oder gar irren koͤnnen, welche Noten mit dieſer oder jener Hand muͤſſen geſpielt werden, habe ich die fuͤr die rechte den Strich in die Hoͤhe und die fuͤr die lincke den Strich herunter kehren laſſen. Wenn wegen Mangel des Raums einige Noten in den Mittelſtimmen nicht beſonders geſchwaͤntzt worden ſind, ſo muß man ihre Geltung und Aushaltung nach der Eintheilung anderer mit ihnen zugleich anſchlagenden Mittel - oder Grund-Stim - men-Noten beurtheilen. Da ich in der Schreib-Art der Probe - Stuͤcke hauptſaͤchlich darauf geſehen habe, daß denen Anfaͤngern ſo viel moͤglich eine Erleichterung verſchaffet und alle Gelegenheit benommen werde, die Haͤnde wegen der ihnen zukommenden Noten zu verwirren: ſo wird es niemand Wunder nehmen, wenn manch - mal die Geltung jeder Note und der Gang jeder Stimme nicht ausdruͤcklich ſo, wie man wohl ſonſten zu thun pfleget, ange - deutet worden. Ein Kenner wird dem ohngeacht gar leicht den Geſang jeder Stimme und die Geltung jeder Note aus einander finden koͤnnen; Jn den Probe-Stuͤcken aus dem D dur und aus dem As ereignet ſich die Urſache zu dieſem §. einige mahl.

§. 97.

Man findet unter gedachten Probe-Stuͤcken eines, wo die Haͤnde uͤberſchlagen werden muͤſſen. Jch habe auch dieſe natuͤrliche Hexerey nicht vorbey gehen wollen, welche ſeit kurtzem erſt wieder anfaͤngt etwas weniger gebraucht zu werden. DurchF 2die44Das erſte Hauptſtuͤck. Von der Finger-Setzung. die Vorzeichnung des Schluͤſſels habe ich hierbey jeder Hand das ihrige angewieſen; auſſerdem pflegt man auch durch hinzu - gefuͤgte Woͤrter dieſes zu thun. Man findet oft dergleichen Stuͤ - cke, wo der Urheber davon ohne Noth dieſes Ueberſchlagen der Haͤnde haben will. Man iſt alsdenn hieran nicht gebunden, ſondern ziehet den natuͤrlichen Gebrauch der Haͤnde dieſer Gau - ckeley vor. Dem ohngeacht iſt dieſe Art zu ſpielen gar nicht zu verwerfen, in ſo ferne ſie unſer Jnſtrument noch vollkomm - ner macht, und hierdurch gute neue Gedancken heraus gebracht werden koͤnnen. Nur muͤſſen ſie ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie ohne Ueberſchlagen entweder gar nicht, oder ſehr unbequem geſpielt werden koͤnnen, indem der Geſang jeder Stimme bald durch heß - liche Abſaͤtze verſtuͤmmelt, bald gar zerriſſen wird. Auſſerdem iſt es vergeblicher Wind, welcher blos Unverſtaͤndige blenden kan; denn ein Kenner weiß gar wohl, daß dieſes Ueberſchlagen allein betrachtet auſſer einer kleinen Ungewohnheit, welche bald uͤber - wunden iſt, gar nichts ſchweres in ſich hat, ob wir ſchon aus der Erfahrung wiſſen, daß ſehr gute und auch ſchwere Sachen auf dieſe Art geſetzt worden ſind.

§. 98.

Was wegen der Finger-Setzung bey den Manieren zu mercken iſt, wird in dem beſondern Haupt-Stuͤck von den Manieren abgehandelt werden, weil deren Erklaͤrung vorhero hierzu erfordert wird. Zuweilen ſind bey einigen durch kleine Noͤtgen angedeuteten Manieren die Ziffern weggelaſſen worden, weil man ſie aus der folgenden bezifferten Haupt-Note beurtheilen kan.

§. 99.

Jm uͤbrigen verweiſe ich meine Leſer auf die zu - letzt angehaͤngte Probe-Stuͤcke, allwo von allen in der Ap - plicatur vorkommenden Faͤllen zuſammen hangende Exempel an - zutreffen ſind.

Zwey -45

Zweytes Hauptſtuͤck. Von den Manieren.

Erſte Abtheilung. Von den Manieren uͤberhaupt.

§. 1.

Es hat wohl niemand an der Nothwendigkeit der Manieren gezweifelt. Man kan es daher mercken, weil man ſie uͤber - all in reichlicher Menge antrift. Jndeſſen ſind ſie aller - dings unentbehrlich, wenn man ihren Nutzen betrachtet. Sie haͤngen die Noten zuſammen; ſie beleben ſie; ſie geben ihnen, wenn es noͤthig iſt, einen beſondern Nachdruck und Gewicht; ſie machen ſie gefaͤllig, und erwecken folglich eine beſondere Auf - merckſamkeit; ſie helfen ihren Jnhalt erklaͤren; es mag dieſer traurig oder froͤlich oder ſonſt beſchaffen ſeyn wie er will, ſo tra - gen ſie allezeit das ihrige darzu bey; ſie geben einen anſehnlichen Theil der Gelegenheit und Materie zum wahren Vortrage; einer maͤßigen Compoſition kan durch ſie aufgeholfen werden, da hin - gegen der beſte Geſang ohne ſie leer und einfaͤltig, und der klaͤ - reſte Jnhalt davon allezeit undeutlich erſcheinen muß.

§. 2.

So viel Nutzen die Manieren alſo ſtiften koͤnnen, ſo groß iſt auch der Schade, wenn man theils ſchlechte Manieren waͤhlet, theils die guten auf eine ungeſchickte Art auſſer ihrem beſtimmten Orte und auſſer der gehoͤrigen Anzahl anbringet.

§. 3.

Deswegen haben diejenigen allezeit ſicherer gehandelt, welche ihren Stuͤcken die ihnen zukommenden Manieren deutlichF 3bey -46Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. beygefuͤgt haben, als wenn ſie ihre Sachen der Diſcretion unge - ſchickter Ausuͤber haͤtten uͤberlaſſen ſollen.

§. 4.

Auch hierinnen muß man den Frantzoſen Gerechtig - keit wiederfahren laſſen, daß ſie in der Bezeichnung ihrer Stuͤcke beſonders ſorgfaͤltig ſind. Die groͤßten Meiſter unſres Jnſtru - ments in Deutſchland haben daſſelbe, wiewohl nicht mit ſolchem Ueberfluß, gethan, und wer weiß, ob ſie nicht durch dieſe ver - nuͤnftige Wahl und Anzahl der Manieren Gelegenheit gegeben haben, daß die Frantzoſen anjetzo nicht mehr, wie vordem, faſt jede Note mit einem ſolchen Zierrath beſchweren, und dadurch die noͤthige Deutlichkeit und edle Einfalt des Geſanges verſtecken.

§. 5.

Wir ſehen hieraus, daß man lernen muͤſſe, die guten Manieren von den ſchlechten zu unterſcheiden, die guten recht vorzutragen und ſie an ihrem beſtimmten Orte in gehoͤriger An - zahl anzubringen.

§. 6.

Die Manieren laſſen ſich ſehr wohl in zwey Claſſen abtheilen. Zu der erſten rechne ich diejenigen, welche man theils durch gewiſſe angenommene Kennzeichen, theils durch wenige kleine Noͤtgen anzudeuten pflegt; zu der andern koͤnnen die uͤbrigen gehoͤren, welche keine Zeichen haben und aus vielen kurtzen No - ten beſtehen.

§. 7.

Da die letztere Art von Manieren von dem Geſchma - cke in der Muſick beſonders abhaͤnget und folglich der Veraͤnde - rung gar zu ſehr unterworfen iſt; da man ſie bey den Clavier - Sachen mehrentheils angedeutet antrift, und da man ſie allenfalls bey der hinlaͤnglichen Anzahl der uͤbrigen miſſen kan: ſo werde ich nur etwas weniges am Ende, bey Gelegenheit der Fermaten davon anfuͤhren, im uͤbrigen aber blos mit denen aus der erſten Claſſe zu thun haben, indem ſie mehrentheils ſchon von langen Zeiten her gleichſam zum Weſen des Clavier-Spielens gehoͤrt ha -ben47Von den Manieren uͤberhaupt. ben und ohne Zweifel allezeit Mode bleiben werden. Jch werde dieſen bekannten Manieren einige neue beyfuͤgen; ich werde ſie erklaͤren und ihnen ſo viel moͤglich ihren Sitz beſtimmen; ich werde der Bequemlichkeit wegen ihre Finger-Setzung, in ſo weit ſie merck - wuͤrdig iſt, ſo wohl als die Art ſie vorzutragen, gleich darbey mit anfuͤhren; ich werde durch Exempel das, was man nicht alle - zeit mit aller Gewißheit ſagen kan, erlaͤutern; ich werde von einigen falſchen oder wenigſtens undeutlichen Zeichen, damit man ſie von den rechten unterſcheiden lerne, ingleichen von verwerfli - chen Manieren das noͤthige erwehnen; ich werde zuletzt meine Le - ſer auf die Probe-Stuͤcke verweiſen, und hoffe durch alles dieſes das hier und da eingewurtzelte falſche Vorurtheil, von der Noth - wendigkeit der uͤberhaͤuften bunten Noten bey dem Clavier-Spie - len, ziemlich aus dem Wege zu raͤumen.

§. 8.

Dieſem ohngeachtet ſtehet es jedem, wer die Geſchick - lichkeit beſitzet, frey, auſſer unſern Manieren weitlaͤuftigere ein - zumiſchen. Nur brauche man hierbey die Vorſicht, daß dieſes ſelten, an dem rechten Orte und ohne dem Affecte des Stuͤckes Gewalt zu thun geſchehe. Man wird von ſelbſten begreifen, daß zum Exempel die Vorſtellung der Unſchuld oder Traurigkeit weniger Auszierungen leidet, als andere Leidenſchaften. Wer hie - rinnen das noͤthige in Obacht nimmt, den kan man fuͤr vollkom - men paßiren laſſen, weil er mit der ſingenden Art ſein Jnſtru - ment zu ſpielen, das uͤberraſchende und feurige, welches die Jn - ſtrumente vor der Singe-Stimme voraus haben, auf eine ge - ſchickte Art verknuͤpfet, und folglich die Aufmerckſamkeit ſeiner Zuhoͤrer durch eine beſtaͤndige Veraͤnderung vorzuͤglich aufzumun - tern und zu unterhalten weiß. Jn dieſem Puncte behalte man ohne Bedencken den Unterſcheid zwiſchen der Singe-Stimme und dem Jnſtrumente bey. Wer nur ſonſt die noͤthige Behutſam -keit48Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. keit wegen dieſer Manieren anwendet, der ſey uͤbrigens unbe - kuͤmmert, ob das, was er ſpielet, eben geſungen werden koͤnne oder nicht.

§. 9.

Jndeſſen muß man dennoch vor allen Dingen ſich huͤten, daß man auch mit unſerer Art von Manieren nicht zu verſchwenderiſch umgehe. Man betrachte ſie als Zierrathen, womit man das beſte Gebaͤude uͤberhaͤufen und als das Gewuͤrtze, wo - mit man die beſten Speiſen verderben kan. Viele Noten, indem ſie von keiner Erheblichkeit ſind, muͤſſen von ihnen verſchont blei - ben; viele Noten, welche an ſich ſchimmernd genug ſind, leiden ſie ebenfalls nicht, weil ſie nur die Wichtigkeit und Einfalt ſol - cher Noten erheben und von andern unterſcheiden ſollen. Widri - genfalls wuͤrde ich denſelben Fehler begehen, in den ein Redner faͤllt, welcher auf jedes Wort einen nachdruͤcklichen Accent legen wollte; alles wuͤrde einerley und folglich undeutlich werden.

§. 10.

Wir werden aus der Folge erſehen, daß mancher Fall mehr als eine Art von Manieren erlaubet; hier brauche man den Vortheil der Veraͤnderung; man bringe bald eine ſchmei - chelnde bald eine ſchimmernde Manier an, oder man trage zur Abwechſelung manchmal die Noten, in ſo ferne ſie es erlauben, gantz ſchlecht, ohne Manier, doch nach den Regeln des guten Vortrags, wovon in dem folgenden Hauptſtuͤcke gehandelt wer - den wird, und nach dem wahren Affect vor.

§. 11.

Es iſt ſchwer, den Sitz jeder Manier ſo gar genau zu beſtimmen, indem jeder Componiſt bey ſeinen Erfindungen, ohne daß er dem guten Geſchmacke Gewalt thut, die Freyheit hat, an den meiſten Oertern eine ihm beliebige Manier darbey zu ſetzen. Wir begnuͤgen uns, durch einige feſt beſtimmte Saͤtze und Exempel, wenigſtens durch Anfuͤhrung der Unmoͤglichkeit einer anzubringenden Manier unſere Leſer hierinnen zu unterrich -ten;49Von den Manieren uͤberhaupt. ten; und indem man bey denen Stuͤcken, wo alle Manieren an - gedeutet ſind, deswegen unbekuͤmmert ſeyn kan, ſo pflegen im Ge - gentheil die Stuͤcke, wo wenig oder nichts dabey gezeichnet iſt, nach der gewoͤhnlichen Art mit ihren Manieren verſehen zu werden.

§. 12.

Jndem ich mich in dieſer ſchweren Sache, noch zur Zeit keines Vorgaͤngers, welcher mir dieſe ſchluͤpfrige Bahn ge - brochen haͤtte, zu erinnern weiß: ſo wird mir niemand veruͤblen koͤnnen, wenn ich glaube, daß, ohngeacht gewiſſer feſt geſetzten Faͤlle, dennoch vielleicht eine Moͤglichkeit zur Ausnahme vorhan - den ſeyn kan.

§. 13.

Deswegen iſt noͤthig, weil bey dieſer Materie, um ſie mit Vernunft zu gebrauchen, viele Kleinigkeiten in acht zu nehmen ſind, daß man, ſo viel als moͤglich, durch fleißige An - hoͤrung guter Muſicken ſein Gehoͤr uͤbe, und vor allen Dingen, um vieles deſto beſſer zu verſtehen, die Wiſſenſchaft des General - Baſſes beſitze. Wir haben aus der Erfahrung, daß derjenige, wel - cher nichts gruͤndliches von der Harmonie verſteht, allezeit bey Anbringung der Manieren, im finſtern tappet, und den guten Ablauf niemals ſeiner Einſicht, ſondern dem bloſſen Gluͤcke zuzu - ſchreiben hat. Jch werde zu dem Ende allezeit, wo es noͤthig iſt, den Baß den Exempeln beyfuͤgen.

§. 14.

Ohngeachtet die Saͤnger ſo wohl als andere Jnſtru - mentiſten, wenn ſie ihre Stuͤcke gut ausuͤben wollen, eben ſo wenig die meiſten von unſern kleinen Manieren entbehren koͤnnen als die Clavieriſten, ſo haben doch die letztern ordentlicher ver - fahren, da ſie den Manieren gewiſſe Kennzeichen gegeben, wodurch die Art, ihre Stuͤcke zu ſpielen, deutlich angedeutet worden iſt.

§. 15.

Da man dieſer loͤblichen Vorſicht nicht gefolget iſt, und im Gegentheil durch wenige Zeichen alles andeuten wollen, ſo wird den uͤbrigen die Lehre von den Manieren nicht nur vielGſau -50Das zweyte Hauptſtuͤck, erſte Abtheilung. ſaurer, als den Clavier-Spielern, ſondern man hat auch aus der Erfahrung, daß dadurch viele undeutliche ja falſche Zeichen entſtanden ſind, welche noch jetzo zuweilen verurſachen, daß viele Sachen nicht gehoͤrig ausgefuͤhret werden. Zum Exempel der Mordent iſt in der Muſick eine noͤthige und bekannte Manier, indeſſen kennen wenige, auſſer die Clavieriſten, deſſen Zeichen. Jch weiß daß dadurch oft eine Stelle in einem Stuͤcke verdorben worden iſt. Dieſe Stelle muſte, wenn ſie nicht unſchmackhaft klingen ſollte, mit einem langen Mordenten heraus gebracht wer - den, welchen niemand ohne Andeutung wuͤrde errathen haben. Die Nothwendigkeit dieſes nur bey dem Claviere bekannte Zei - chen darzu zu ſetzen, weil man kein anders hat, verurſachte, daß man es mit dem Zeichen eines Trillers verwechſelte. Wir wer - den in der Folge aus der groſſen Verſchiedenheit dieſer zwey Manieren erſehen, wie unangenehm die Wuͤrckung hiervon gewe - ſen ſey.

§. 16.

Da die Frantzoſen ſorgfaͤltig in Beyſetzung der Zei - chen ihrer Manieren ſind, ſo folgt hieraus, gleichwie man ſich leider bishero uͤberhaupt von ihren Sachen und ihrer guten Art das Clavier zu ſpielen entfernt, daß man auch dadurch zugleich von der genauen Andeutung der Manieren dergeſtalt abgewichen iſt, daß dieſe ſonſt ſo bekannten Zeichen jetzo auch bey den Cla - vier-Sachen ſchon angefangen, fremde Dinge zu ſeyn.

§. 17.

Die in denen Manieren ſteckende Noten richten ſich wegen der Verſetzungs-Zeichen nach der Vorzeichnung bey dem Schluͤſſel. Dem ohngeacht werden wir in der Folge ſehen, daß bald die vorhergehenden, bald die nachfolgenden Noten und uͤber - haupt die Ausweichungen eines Geſanges in eine andere Tonart hierinnen eine Ausnahme oft zu machen pflegen, welche ein ge - uͤbtes Ohr bald zu entdecken weiß.

§. 18.51Von den Manieren uͤberhaupt.

§. 18.

Damit man aber auch denen deswegen ſich ereig - nenden Schwierigkeiten vorkommen moͤge, ſo habe ich fuͤr noͤthig gefunden, die Art beyzubehalten, vermoͤge welcher bey allen Ma - nieren die Verſetzungs-Zeichen zugleich mit angedeutet werden