JCH komme auf Sebaſtian Branden. Un - ter den rohen Verſen deſſelben kan man einen ſatyriſchen Sittenlehrer wahrnehmen, der mit geſunden Lebeusregeln wohl verſehen iſt; und dem es an geſchickten Zuͤgen, dieſelben aus - zubilden, nicht gefehlt hat. Seine Geiſtesart war zu dergleichen allegoriſchen Redensarten und Bildern, womit man zu ſeiner Zeit die mo - raliſchen und politiſchen Wahrheiten einkleidete, und welche damahls ſo beliebt waren, gantz ge - ſchickt. Man ſpuͤret ihm auch ſeine Literatur auf allen Blaͤttern an, insbeſondere blicket Horatz hier und dar aus ſeinen Vorſtellungen hervor. Wir doͤrffen nur ſeine abgebiſſenen und verſchrum - pelten Woͤrter wieder herſtellen, und ihnen die gehoͤrige Geſtalt, Ausbildung, Lange und Maaß geben, ſo wird dieſes offenbar gnug werden, und die Kuͤhnheit, die ein ſaͤchſiſcher Puriſt haben muß, ſich an der ungeſchliffenen Sprache zu verunrei - nigen, wird ihm mit guten Lehren und Charac - tern bezahlt werden, welche er in dem Schleſi - ſchen Helicon, Golau, Kottwitz, Lakmann, Langnau, Corvini, und zwantzig ihres gleichen vergebens ſuchen wird. Was er von ſeinem ei - genen Gemuͤtheszuſtande, als eines moraliſchen Scribenten ſchreibt, zeiget ein philoſophiſches und groſſes Hertz:
„ Wer Ohren hat, der hoͤre,[Crit. Sam̃l. VIII. St.] A 2„ und4Von der Poeſie„ und mercke. Jch ſchweige, denn der Wolf iſt „ nicht fern von mir. Ein Narr ſtraft man - „ chen vor der Zeit, ehe er weis, was ihm an - „ liegt. Muͤßte jeder des andern Ruͤcken ſeyn, „ ſo wuͤrde er bald innen werden, was ihn druͤ - „ ket. Jch weis wohl, wo mich der Schuh druͤ - „ ket, darum ob man mich ſchelten und ſprechen „ wollte, Artzt heile dich ſelber, denn du biſt „ auch in unſerer Rotte, ſo weis ich das, und „ bekenne es Gott; nemlich daß ich viel Thor - „ heiten gethan habe, und noch ietzo im Nar - „ renorden gehe; wie faſt ich an der Kappen „ ſchuͤttle, will ſie mich doch nicht gantz laſſen. „ Doch habe ich zu dieſem Ende Fleiß und Ernſt „ angekehrt, und damit, wie du ſieheſt, ſo viel „ gelernet, daß ich ietzo viel Narren kenne; ich „ habe auch den Muth mich, ob Gott will, fer - „ ner mittelſt Witzes und mit der Zeit zu beſ - „ ſern. „ Das ſtimmt mit Horatzens Vorſatze uͤberein: ‒ ‒ ‒ ‒ Fortaſſis & iſtinc. Largiter abſtulerit longa ætas, liber amicus, Conſilium proprium, neque enim deſum mihi.
Unſere heutigen poetiſchen Moraliſten haben das Hertz nicht, ſelber ein ſolches Bekenntniß von ſich ſelbſt abzulegen. Brand erzehlt uns ſein Vorhaben mit dem groͤſten Nachdruck bey der natuͤrlichſten Einfalt: „ Die gantze Welt lebt in finſterer Nacht,
„ und verharret als blind in Suͤnden. Alle Straſ - „ ſen und Gaſſen ſind voll Narren; die mit „ nichts anders als mit Thorheit umgehen, aber „ doch den Nahmen nicht haben wollen. Aus„ dieſer5des ſechszehnten Jahrhunderts. „ dieſer Urſache habe ich gedacht, Schiffe fuͤr „ die Narren auszuruͤſten; Galeren, Fuſten, „ Kragken, Nauen, Barken, Kiele, Weidlin - „ ge, Hornache, Rennſchiffe, daneben Schlitten, „ Karren, Roßbaͤren, Rollwagen, denn ein „ Schiff moͤchte nicht alle die tragen, die ietzo in „ der Zahl der Narren ſind. Einige haben gar „ kein Fahrzeug gefunden. Dieſe alle ſtieben um „ mich herum wie die Jmmen, viele unterſtehen ſich „ zum Schiffe herzu zu ſchwimmen. Hier will „ ein jeder Fuhrmann ſey. Jch habe die Bild - „ niſſe dieſer Thoren und Narren daneben aus - „ gefertiget, damit ob jemand waͤre, der die „ Schrift verachtete, oder vielleicht nicht leſen „ koͤnnte, derſelbe ſein Weſen im Gemaͤhlde ſaͤhe. „ Er wird darinnen finden, wer er iſt, und wem „ er gleich ſey, und was ihm gebricht. Jch „ nenne dieſes den Narren-Spiegel, in welchem „ ſich ein jeder Narr kennen kan. Wer recht „ in denſelben ſieht, wird von ihm berichtet, wer „ er ſey. Wer ſich recht ſpiegelt, der lehrt wohl, „ daß er ſich nicht vor weiſe achten ſolle, nicht „ auf ſich halten, was nicht iſt. Denn es iſt nie - „ mand, dem nichts gebricht, oder der mit Wahr - „ heit ſprechen duͤrffe, daß er weiſe und nicht ein „ Narr ſey. Aber wer ſich vor einen Narren „ achtet, der iſt bald zu einem Weiſen gemachet; „ hingegen wer witzig ſeyn will, der iſt mein „ Gevater Fatuus. Dieſer thut mir auch daran „ Gewalt, ſo fern er dieſes Buch nicht behaͤlt.
„ Hier iſt kein Mangel an Narren, ein jeder „ findet, was ihn geluͤſtet, und wozu er gebohrenA 3„ ſey;6Von der Poeſie„ ſey; auch warum ſo viele Thoren ſind; was „ vor Freude und Ehre die Weisheit hat, und wie „ beſorglich ſie dem Narren ſteht. Hier findet „ man den gantzen Lauf der Welt, ſo daß das „ Buch zum Kauf gut werden muß. Man findet „ hier Narren, wie man will, zum Schimpfe, „ zum Ernſt, und zu allem Spiele. Ein Wei - „ ſer findet was ihn erfreuet, ein Narr redet „ gern von ſeinen Bruͤdern. Man findet hier „ arme und reiche Thoren, ſchlimm ſchlemm, ein „ jeder findet hier ſeines gleichen.
Es zeigt ein unerſchrokenes Gewiſſen, ein ſtarckes Vertrauen auf die Wahrheit, und eine groſſe Liebe fuͤr die Beſſerung des Nebenmenſchen, wie er ſich uͤber die Vorſtellung der gefaͤhrlichen Ar - beit Satyren zu ſchreiben, troͤſtet.
„ Jch ſchneide „ hier manchem Manne eine Kappe, der ſich doch „ deſſen nichts annimmt. Haͤtte ich ihn bey ſei - „ nem Nahmen genannt, ſo haͤtte er geſagt, ich „ haͤtte ihn nicht erkennt. Doch hoffe ich, daß „ die Weiſen ein Wolgefallen daran haben, und „ aus ihrer Wiſſendheit ſagen werden, daß ich „ recht und wahr geſagt habe. Nachdem ich „ von den Narren ſolche Kundſchaft habe, ſo „ gebe ich einen Squizzo von ihnen, ſie muͤſſen „ alle die Wahrheit hoͤren, ob ſie ihnen gleich nicht „ gefaͤllt; wie Terentius wohl ſpricht, daß wer die „ Wahrheit ſagt, Haß verdiene. Und wer ſich „ lange ſchneutzt, der wirft etwann Blut von „ ſich; und wann man die Coleram anreget, ſo „ wird gar oft die Galle beweget. Darum achte „ ich es nicht, ob man mich ſchon mit Worten„ hinter -7des ſechszehnten Jahrhunderts. „ hintergehen, und um meine nuͤtzliche Lehre ſchel - „ ten wird. Jch habe mehr derſelben Narren, de - „ nen die Weisheit nicht wohl gefaͤllt, dies Buch „ iſt derſelben voll, doch bitte ich einen jeden, „ daß er vielmehr Vernunft und Ehre als mich „ oder mein ſchwaches Gedichte anſehen wolle. „ Jch habe wahrlich nicht ohne Arbeit ſo viele Nar - „ ren zuſammengebracht. Jch habe manchmahl „ des Nachts gewacht, da die ſchliefen, derer ich „ gedachte; oder vielleicht beym Spiele und Wein „ ſaſſen, und wenig an mich dachten. Einige „ fuhren in Schlitten im Schnee herum, daß „ ſie wohl halb erfroren. Andere giengen ſonſt „ auf Kalbesfuͤſſen; noch andre rechneten den „ Verluſt, den ſie den Tag gehabt hatten, oder „ was ihnen vor Gewinn aus etwas kommen „ moͤgte; oder wie ſie Morgens liegen und mit „ Schwaͤtzen verkaufen, und manchen betriegen „ moͤgten. Denſelben allen nachzudenken, wie „ ihre Weiſe, Worte, Wercke, mir gefallen, „ iſt kein Wunder, ob ich ſchon oft, da es nie - „ mand hoffete, gewachet habe, damit mein Ge - „ dichte nicht geſtraffet wuͤrde. Jn dieſen Spie - „ gel ſollen beyde Geſchlechter der Menſchen, die „ Maͤnner und die Frauen hineinſchauen. Jch „ meine je eines bey dem andern. Die Maͤnner „ ſind nicht die eintzigen Narren, ſondern man „ findet auch viel Naͤrrinnen, denen ich hier „ die Schleyer, die Schuͤrtze und Voiles, mit „ Narrenkappen bedecke; auch Metzen haben Nar - „ ren-Roͤcke an. Sie wollen ohne dieſes ietzo „ tragen, was vormahls den Maͤnnern ſchaͤnd -A 4„ lich8Von der Poeſie„ lich war, ſpitzige Schuhe, und ausgeſchnitte - „ ne Roͤcke, damit der Milchmarckt nicht be - „ decket werde. Sie wickeln viel Hudeln in die „ Zoͤpfe, und machen groſſe Hoͤrner auf die Koͤpfe, „ als ob es ein groſſer Stier waͤre. Alſo gehen „ ſie her, wie die wilden Thiere. Doch ſollen „ ehrbare Frauen mir verzeyhen, denn ich will „ ihrer zu keinem Argen gantz nicht gedencken. „ Der boͤſen giebt es doch nur zu viel. „
Ein Scribent, der mit dergleichen Gemuͤthes - Gedancken zum Vorſchein koͤmmt, muß ſich ſo wohl mit ſeiner Guthertzigkeit als ſeinem Ver - ſtande die Gunſt der Zuhoͤrer und Leſer erwerben.
Die Lehren und Lebensregeln, die Brand vor - traͤgt, die Frucht einer gereinigten Vernunft, wer - den mit einer Menge ſatyriſcher Stiche und cha - racteriſierender Zuͤge belebet. Die Exempel, die zwar ſymboliſch, doch meiſtens aus der wahren Hiſtorie hergenommen ſind, bekommen am meiſten Platzes. Manchmal fuͤhrt er ſeine Perſonen ſelbſt redend ein, zum Exempel den Koch, den er unter andern ſagen laͤßt: Wir achten fleiſſig da - rauf, wie wir viele Trachten zurichten; damit wir den Magen und die Luſt zu eſſen reitzen, kochen wir, ſieden, braten, ſchweitzen, roͤſten und ba - ken; wir machen Pfefferbrey voll Zucker, Gewuͤrtze und Specerey, wir geben einem Oxymel ein, der denn bey der Steige Gewell leidet, oder es wieder mit Syropen und mit Kliſtieren von ihm pur - gieren muß.
Von dem Ueberhandnehmen der Pracht bey ſchlechten Leuten ſagt er: Die Bauren warenehe -9des ſechszehnten Jahrhunderts. ehedem einfaͤltig; da die Gerechtigkeit aus den Staͤd - ten und den Mauren floh, wollte ſie in ſtrohern Huͤtten ſeyn, ehe denn die Bauern Wein tran - ken. Jhnen ſchmeckt der Zwilch nicht mehr, wie ehemals, ſie wollen kein Gippen mehr, es muß luͤndiſches und mechelſches Kleid ſeyn, und gantz zerhacket und geſpreitet, mit allen Farben wild uͤber wild, und auf dem Ermel ein Gauchsbild. Der zuvor ein Buͤrgerkauffmann war, will edel und Rittersgenoſſe ſeyn, der Edelmann begehrt ein Frey, der Graf gefuͤrſtet zu ſeyn, der Fuͤrſt begehrt die Krone des Koͤnigs.
Von der Pracht mit den Grabmaͤhlern ſagt er: Die Seele hilft ein koͤſtliches Grab nichts, oder daß man es von Marmor habe, und Schild, Helm und Panier aufhaͤnge. - Dann erſtechen ſich die Freunde um das Gut, welcher es gantz behalten ſolle; die Teufel ſind der Seele gewiß und triumphie - ren wuͤſte mit derſelben, fuͤhren ſie bald von ei - nem in das andere, von eitel Kaͤlte in eitel Hitze. Wir Menſchen leben gantz ohne Witz, daß wir der Seele nicht wahrnehmen, und immerdar des Leibes ſorgen. Alle Erde iſt Gott geſegnet, der liegt wohl, der da wohl todt iſt. Der Himmel decket manchen Todten, der ſich unter keinem Steine ſtreckt; wie koͤnnte der ein ſchoͤneres Grab haben, dem das Geſtirne von oben herab leuch - tet. Wer wohl ſtirbt, deſſen Grab iſt das hoͤhe - ſte, der Tod der Suͤnder iſt der boͤſeſte.
Wie ſchwer es ſey den Frauen recht zu thun: Die groͤſte Weisheit auf Erden iſt thun koͤnnen, was jeder begehrt, und wo man das nicht vorA 5gut10Von der Poeſiegut nimmt, doch thun koͤnnen, was jedem ge - ziemt. Wer aber Frauen recht thun will, der muß etwann mehr, als ein Knecht ſeyn. Denn ſie thun gar oft mehr durch ihre Bloͤdigkeit, als durch ihre Liſtigkeit.
Folgendes hat einen ſatyriſchen Schwung: Wen der Teufel betriegen will, dem giebt er viel Gut und Reichthum. Gedult in der Armut iſt beſſer, als aller Welt Gluͤck, Reichthum und Gut. Niemand uͤberhebe ſich ſeines Gluͤcks, denn es nimmt ab, wann Gott will. Der iſt ein Narr, der oft ſchreyt, o Gluͤck wie verlaͤſt du mich, was zeiheſt du mich, gieb mir ſo viel, daß ich noch eine Weile ein Narr bleibe! Denn groͤſſere Narren ſind niemals worden, als diejenige, wel - che hier alles Gluͤck gehabt haben.
Das Capitel von unnuͤtzlichen Wuͤnſchen iſt gantz lehrreich: Gott giebt uns allen das, was er will; er weis was recht iſt, was zu viel; auch was uns nuͤtze ſey, und wohl komme; woraus uns Schade entſpringen ſolle; wenn er uns nicht lie - ber haͤtte, als wir uns ſelbſt haben, und thaͤte, was wir wuͤnſchen, und machte es wahr, ſo reute es uns eh ein Jahr auskaͤme. Denn unſre Begierde macht uns blind, daß wir Dinge wuͤnſchen, die wider uns ſind. Wer wuͤnſchen will, daß er recht lebe, der wuͤn - ſche daß ihm Gott zu dieſem Ende einen geſun - den Sinn, Leib und Gemuͤthe gebe, und ihn vor der Furcht des Todes, vor Zorn, Begier - de, und dem boͤſen Geitz behuͤte.
Jn dem Capitel von dem Vorherwiſſen Got - tes ſind etliche tiefſinnige Gedancken: Eine Artz -ney11des ſechszehnten Jahrhunderts. ney macht einen geſund, und macht einen an - dern noch mehr kranck. Einer nachdem er Got - tes Strafe und gewaltige Hand empfunden, hat ſeine Suͤnde mit viel Seufzern bedacht; der an - dere hat ſeinen freyen Willen gebraucht, und da er Gottes Gerechtigkeit gemercket, doch ſeine Barm - hertzigkeit gemißbrauchet. Gott hat nie keinen verlaſ - ſen, er wußte wohl warum ers gethan haͤtte. Wenn er alles gleich wollte gehabt haben, ſo haͤtte er wohl nichts als Roſen gemacht: Aber er woll - te auch Diſteln haben, daß man an denſelben ſeine Gerechtigkeit ſaͤhe. -- Die Urtheile Got - tes ſind heimlich, niemand weis ihre Urſachen gaͤntzlich, je mehr man ſie zu ergruͤnden begehrt, je minder erfaͤhrt man davon. Ob jemand ſchon waͤhnet, daß er ſie wiſſe, ſo iſt er deſſen doch gantz ungewiß.
Folgender Character von denen, welche mit Vorſatz und aus Ruhmbegierde Narren ſeyn wol - len, iſt bey den Sittenrichtern ſeltenes Vorkom - mens:
„ Es iſt auf Erden mancher Narr, der „ ſich naͤrriſcher Gebehrden annimmt, und wenn „ man ihn ſchuͤnde, und ſoͤtte, ſo koͤnnte er es doch „ nicht weiter bringen, als daß er etwann die „ Ohren ſchuͤttelte; er will mit allem Fleiſſe naͤr - „ riſch ſeyn, doch ſeine Narrenweiſe gefaͤllt nie - „ manden; und wiewohl er einem Narren gleich „ thut, nimmt doch niemand ſeinen Schimpf vor „ gut auf. Daher ſprechen die Leute von ihm, „ der Narre wollte ſich gerne naͤrriſch ſtellen; und „ kan doch weder Weiſe noch Gebehrden, er iſt„ ein12Von der Poeſie„ ein Narre, und nichts werth. Es iſt ein „ ſeltzames Ding auf Erden, daß mancher ein „ witziger Mann ſeyn will, der ſich der Thor - „ heit annimmt, und daß ers vor einen Ruhm „ haͤlt, wenn man ſpricht: Der kann Narr - „ heit wohl. „
Er hat der Deutſchen nicht vergeſſen; und wir erkennen die Deutſchen ſeines Weltalters noch in ihren Jtztlebenden Nachkindern.
„ Man - „ cher Narr haͤlt ſich vor hoch, daß er aus „ welſchen Landen gekommen iſt, als ob nicht „ auch in deutſcher Art Vernunft, und zarte „ Haͤupter waͤren, welche Weisheit und Kunſt „ lehren moͤgten, daß nicht noth waͤre, ſo fern „ zu Schulen zu kehren. ‒ ‒ Man meinte ehe - „ dem es waͤre keine Lehre, als zu Athen uͤber „ Meer. Hernach fand man ſie bey den Wel - „ ſchen, ietzo ſieht man ſie auch in Deutſch - „ land. Und gebraͤche uns nichts, waͤre der „ Wein nicht, und daß wir Deutſchen voll „ ſeyn wollen; und keine rechte Arbeit thun „ moͤgen.
Unter den allegoriſch-moraliſchen Bildern, an welchen man um die Zeiten der Glaubens - Reformation viel Geſchmackes gefunden, duͤn - ken mich folgende ſehr natuͤrlich: Wenn er z. Ex. von dem gedruͤckten Narren ſagt, daß ihm der Eſel auf dem Ruͤcken ſitze. Er fuͤhrt denſelben ein, wie er ſich ſelbſt derge - ſtalt ſchildert:
„ Jch bin der, den alle Dinge „ druͤcken, ich will mich in einen Winkel ſchmie - „ gen, ob der Eſel mich verlaſſen, und nicht„ ſtets13des ſechszehnten Jahrhunderts. „ ſtets auf meinem Ruͤcken ſtehen wollte. „
F[e]r - ner, wenn er einen der ein altes Weib zur Ehe nimmt, um das Schmer in den Eſel krie - chen laͤßt; wenn er die, welche ſich muthwilliger Weiſe ins Ungluͤck ſtuͤrtzen, in einen Brun - nen ſpringen laͤßt; wenn er den Frauenhuͤ - ter der Heuſchrecken an der Sonne huͤten laͤßt; wenn er d[i]e Venus Affen, Eſel, und Gaͤu - che an einem Seile nach ſich ziehen laͤßt; wenn der Bibliotaphos die Fliegen mir einem Wedel von den Buͤchern jagt; wenn er einem Alten, der ſeine Narrheiten nicht laſſen kan, das Schindmeſſer in den Hintern ſetzt, alldieweil er auf der Grube geht. Das gantze Werck iſt voll ſolcher kleinen Allegorien, welche aus Spruͤchwoͤrtern von gantz gemeinen Handlun - gen formiert, und geſchickt appliciert ſind. Es iſt verwunderſam, was er vor eine Mannig - faltigkeit an Vorſtellungen und Ausdruͤcken hat, eine jede Art der Thorheit unter einem eigenen ſinnlichen Bilde des alltaͤglichen Lebens ſicht - bar zu machen. Man wird in dem Buche wol 100 verſchiedene Ausdruͤcke zehlen, die ſo viel ſagen, als ein Narr ſeyn.
Dieſes koͤmmt nun in einem Wercke poe - tiſch genug heraus, wo ein ſatyriſcher Scribent ſich von der Proſa nicht weit entfernen darf. Doch fehlt es ihm auch nicht an Kunſtmit - teln der Poeſie, die niedrige Redensart am rechten Orte zu erhoͤhen Z. Ex. in dieſen Zeilen:
„ Wen Cupido trift, den entzuͤndt „ Amor ſein Bruder, daß er brennt, und die„ Flam -14Von der Poeſie„ Flamme nicht wohl loͤſchen mag, die der „ Dido ihr Leben nahm: Tereus waͤre kein „ Wiedehopf, Paſiphae vermiede den Stier, „ Phaͤdra fuͤhre nicht dem Theſeus nach, und „ ſuchte nicht an ihrem Stiefſohne Schande; „ Scylla lieſſe dem Vater ſein Haar, Hya - „ cinth waͤre kein Ritterſporn, Leander ſchwoͤm - „ me nicht, Sappho fiele nicht vom Berg, „ Cyclops und Pan pfiffen nicht ſo traurig, „ Leucothoe gebaͤhre nicht Wyhrauch, Myrr - „ ha waͤre nicht Adons Scheer, Danae em - „ pfienge nicht durch das Gold, Nyctimene „ floͤge nicht des Nachts aus, Echo waͤre nicht „ zu einer Stimme gemacht, Thisbe faͤrbte nicht „ die weiſſen Haare, Atallante waͤre keine Loͤ - „ win, ꝛc. wenn es die Liebe nicht gethan haͤtte. „
Nach dieſer Art hat Hr. Hagedorn geſagt:
Horatzens pallida mors æquo pulſat pede pau - perum tabernas, regumque turres, iſt recht gut gegeben: Der Tod erſchuͤttert mit gleichem Fuſſe die Koͤnigsſaͤle und die Hirtenhuͤtten. Und in demſelben Capitel von denen, welche den Tod nicht vorher ſehen, ſind etliche maleriſch ausgebildete Gedancken: Die Narrheit faͤr - bet uns, daß wir nicht daran gedencken, daß der Tod uns nicht hier laſſen, und unſers ſchoͤ - nen Haares, noch unſrer gruͤnen Kraͤntze und Kronen nicht ſchonen wird. Er heißt wahr - lich Hans acht ſein nicht, denn welchen er er - greift und erſchuͤttert, wie ſtarck, ſchoͤn oder jung der ſey, den lehret er einen gar ſeltza -men15des ſechszehnten Jahrhunderts. men Sprung ꝛc. - Darum iſt ein Thor, wer den, dem er nicht entrinnen mag, alle Tage flieht, und meint, wann er ſeine Schellen ſchuͤttere, daß ihn der Tod nicht ſehen moͤge. Es iſt kaum um einen Rock zu thun, daß der Sohn nach dem Vater lebe. Zuweilen ſtirbt er vor dem Vater, und man findet auch viel Kaͤlberhaͤute. „
Es iſt eine Scharfſinnigkeit, die aus der Sache ſelber entſpringet, wenn er von dem Koͤnig Midas ſagt, er habe recht gehabt, daß er ſeinen Kopf gedeckt habe, damit man ihm ſeine Eſelsohren nicht ſaͤhe; wiewohl dieſe hernach in den Rohren gewachſen waͤren.
Und was vor Worte koͤnnten erhabener fuͤr folgende hohe Gedancken ſeyn, als dieſe, wel - che er der Weisheit in den Mund giebt: Durch mich, ſagt ſie, haben die Koͤnige ihre Kronen, durch mich entſtehen alle rechtmaͤſſi - ge Geſetze, durch mich haben die Fuͤrſten ihr Land, durch mich hat jede Obrigkeit ihre Rechts - ſpruͤche. Wer mich lieb hat, den liebe ich auch; wer mich fruͤhe ſucht, der findet mich. Bey mir iſt Reichthum, Gut, und Ehre. Mich hat Gott der Herr von Anbeginn in der Ewigkeit beſeſſen, Er hat alle Dinge durch mich zuberei - tet; nichts iſt ohne mich gemachet.
Und mit was vor ſtarcken Zuͤgen hat er den weiſen Menſchen nach der Vorbildung Vir - gils geſchildert:
„ Der Weiſe iſt ſein eigener Richter, ſo oft er Abgang an Weisheit lei -det,16Von der Poeſie„ det; er verſucht ſich auf ein Naͤgelgen, „ er achtet nicht, was der Adel ſpricht, noch „ das Geſchrey des gemeinen Volckes, er iſt „ rund, gantz, wie ein Ey, damit kein frem - „ der Mackel auf ihm bleibe, und ſich auf glat - „ tem Wege anreibe. Wie lange der Tag „ ſich im Krebs ſtrecket, wie lange die Nacht „ den Steinbock bedecket, ſo gedencket er, „ und wiegt eben aus, daß er in keinem Win - „ kel ſeines Hauſes etwas treibe, oder ein „ Wort rede, das nicht auf allen Seiten „ gleich wege, ꝛc.
Jch habe ſchon Meldung gethan, daß Brand die moraliſchen Spruͤche, von der Beſcheiden - heit betitelt, zum Drucke befoͤdert, welche Freydanck, einen Poeten aus dem dreyzehn - ten Jahrhundert, zum Verfaſſer gehabt. Brand ſagt uns davon in der Beſchlußrede, die er zu dieſem Buche geſchrieben hat, daß er da - zu von Mattheus Hoͤlderlin, und Jacob Wol - fen verurſacht worden, dieſer Letztere habe es zu Straßburg in der Cantzley zweymahl ab - geſchrieben. Er lobet Freydanck als einen hertzhaften Freund der Wahrheit, und ſtellt ihn den Deutſchen zu einem Beyſpiel vor, daß auch vor langen Zeiten Leute unter ihnen ge - weſen, welche die Wahrheit mit der erfoder - ten Freyheit haben reden doͤrffen. Er hat dem Werck den Titel gemacht: Von dem rechten Wege des Lebens und aller Tugenden Aem - tern und Eigenſchaften. Allein wir ſehen gleich aus den erſten Verſen, daß der Ver -faſſer17des ſechszehnten Jahrhunderts. faſſer es betitelt hat: Von der Beſcheidenheit; denn es faͤngt mit dieſen Zeilen an:
Er nimmt das Wort Beſcheidenheit vor die Tugend Ziel und Maaß in ſeinem Thun und Laſſen zu halten. Seine moraliſchen Lehren hangen ſelten lange zuſammen, ſie ſind meiſtens eine Verfaſſung von kurtzen Spruͤchen, Lebens - regeln, und Betrachtungen, die zwar oͤfters lange von einem Hauptſtuͤcke handeln, aber unter ſich nicht verknuͤpfet ſind. Es giebt dar - unter eben ſo wohlgedachte, als ſie insgemein klug und gruͤndlich ſind. Er ſagt von dem Liebhaben:
Von den Weibern hat er recht feine Ge - dancken:
Von der Weisheit ſagt er mit weiſen Sinnen:
Von der Ehre macht er die wahre Anmer - kung:
Von dem Lobe:
Von Gewalt:
Man wird in dieſen Exempeln den natuͤrli - chen Nachdruck der alten Sprache durchge - hends wahrnehmen. Die Woͤrter ſind nicht ſo zerfetzet und zerbiſſen, wie bey Branden; von dem Sylbenmaſſe koͤnnen wir nicht wohl urtheilen, weil es uns nicht voͤllig bekannt iſt, und man uͤber das aus gewiſſen Merckzeichen gewahr wird, daß hin und wieder einige Syl - ben von dem Abſchreiber bald weggeworffen, bald hinzugeſetzet worden. Es koͤmmt mir auch vor, als ob einige alte Woͤrter aus -B 2gemer -20Von der Poeſie ꝛc. gemertzet, und neuere dafuͤr geſetzet worden. Viel Poeſie finden wir darinnen nicht, der Verfaſſer hat eintzig auf das Spruchreiche, und Deutliche geſehen; doch koͤnnen wir auch einige lebhafte Stellen auszeichnen:
DEr Herr Friedrich von Hagedorn Seere - tair der Engliſchen Compagnie in Ham - burg iſt einer von denen wenigen Verfaſſern, welche den Kunſtrichtern unſrer Zeiten durch vortreffliche Wercke Anlaß geben, die gute Beſchaffenheit ihres Hertzens, das mit Be - gierde lobet, und nur genoͤthiget tadelt, an den Tag zu legen. Die Muſe hat ihn an ih - rer Bruſt geſaͤuget, und ſein großmuͤthiger Geiſt hat ihm die Denckensart der Engellaͤn - der gantz uͤblich und eigen gemachet. Dieſe hat ſich in ſeine Gedichte ergoſſen. Doch ich kan ſeinen Werth nicht lebhafter abſchildern, als einer von meinen Landesleuten in der poe - tiſchen Sprache, (da er von einem Poeten redet,) gethan hat:
Das Lob, das dieſer geſchickte Mann von Kennern der wahren Poeſie bekommen, hat die Wuͤrckung gehabt, daß auch ſchale Koͤpfe angefangen haben, ihn vor etwas zu halten. Dieſes hat ihm das Ungluͤck zugezogen, daß er von den verwegenen Verfaſſern der Be - luſtigungen des Witzes und Verſtandes vor einen ihrer Bande ausgeruffen worden. Ueber - dies haben ſie ihm ſeine Ode auf den Wei - ſen, die er abſonderlich fuͤr ſeine Freunde, und gar nicht fuͤr ſie gedruckt hatte, aufge - fangen, und unter die monatlchen Geburten ihres Witzes geworffen. Eine unbillige und corſarenmaͤſſige Caperey! Wir haben darum nicht vor gut gefunden, ihnen dieſe Beute zu laſſen; wir haben ſie ihnen wieder abgenom - men, und der Hr. Verfaſſer ſelbſt hat uns erlaubet, ſie in der gegenwaͤrtigen Sammlung einzutragen, wo wir Sorge tragen wollen, ſie in ihrem eigenen unverdunckelten Glantze vorzulegen.
Jn dieſem philoſophiſchen Gedichte ſtechen uͤberhaupt zweierley Schoͤnheiten hervor. Ei - nige beziehen ſich auf die Erhabenheit der Ge - dancken; die andern hingegen auf die Kraft und Kuͤhnheit des Ausdruckes Jndem der Poet uns die erhabenen Entſchluͤſſe ſeines Wei - ſen entdecket, und zeiget wie er ſich dadurchvon23auf den Weiſen. von dem niedrigen Poͤbel entfernet, und ſei - ne Gluͤckſeligkeit bey ſich ſelbſt findet, laͤßt er uns ſein eigenes großmuͤthiges Hertz gleich - ſam offen ſehen und bewundern; er giebt da - durch ſeiner philoſophiſchen Beſchreibung ein groſſes Gewicht der Glaubwuͤrdigkeit: Zumah - len da in dieſem kleinen Gedichte mehr der - gleichen kuͤhne Entſchluͤſſe und Hertzens-Ge - danken zu finden ſind, als man in mancher weit - laͤuftigen Sammlung deutſcher Poeſien vergeb - lich ſuchen wird. Dergleichen ſind:
Von der Schmeicheley und unverdienten Schande:
Von der Weisheit:
Was jetzo den edeln und kuͤhnen Ausdruck betrift, der dieſem ſonſt philoſophiſchen Gedichte ein poetiſches Anſehen mitheilen ſoll, ſo finde ich, daß der Verfaſſer unterſchiedliche Kunſt - griffe gebraucht hat, dieſes zu erhalten: AlsB 4z. E.24Crit. Betracht. uͤber die Odez. Ex. da er abgezogene Weſen mit guter Wahl und Nachdruck in Perſonen verwandelt, und ih - nen auch ſo gar aͤuſſerliche und ſichtbare Hand - lungen zuſchreibet.
Die Schaͤtze,
Die Sorgen:
Die Gunſt, Macht und Freyheit,
Das Lob,
Die Schmeicheley:
Die Schmeicheley legt ihre ſanften Bande, Jhr glattes Joch nur eiteln Seelen an.
Von der Weisheit ſagt er:
Ein anderer Kunſtgriff ſind einige gluͤcklich an - gebrachte Umſchreibungen, und Erweiterungen. z. E.
Jch ſage nichts von den hier und da eingeſtreu - ten kleinen aber lebhaften Beſchreibungen, als z. E. in der dritten Strophe, noch von der gluͤck - lichen Wahl der Beywoͤrter u. a. d.
Ein25auf den Weiſen.Faͤllt der Himmel, er kan Weiſe decken; Aber nicht ſchrecken. Haller!
JHr alleine muͤßtet nicht wiſſen, was vor einen gewaltigen Stoß das Anſehen des Hrn. Prof. Gottſcheds ſeit einem halben Jahre erlitten hat, wenn ihr euch noch mit der Hoffnung aufhalten koͤnn - tet, daß ſein Beglaubigungsbrief die Kraft habe, eurer Aeneis den Credit wieder herzuſtellen, den ihr die Critiken bekannter Kunſtverſtaͤndigen faſt durchgehends genommen haben. Der Hr. Prof. hat ſeit einiger Zeit ſelbſt Creditive noͤthig; ſeine heftigen Gegner haben ihm ſo wenig Credit uͤbrig gelaſſen, daß man ihm auf ſein Wort nichts mehr glaubt, was er nicht, wie einer aus dem niedrigſten Poͤbel, mit baaren Gruͤnden bewei - ſen kan. Aber was hat er eurem neuen Wer - ke zum beſten hervorgebracht, die Cenſuren zu widerlegen, oder die Schoͤnheiten deſſelben, die unter den Schnitzern verborgen liegen, darun - ter hervorzuziehen. Er ſagt uns viel Zeug von einem Schocke elender Ueberſetzungen der Aeneis,[Crit. Sam̃l VIII. St.] Cdie34Schreiben an Hrn. Zunckeldie Hrn. Schwartzens vorhergegangen ſind, und ſchließt zuletzt, daß dieſe letztere alle dieſelben uͤber - treffe. Ein ungeſchicktes Lob, daß Hr. Schwartz es beſſer gemacht habe, als Murner oder Spreng, oder Lau! Er verſichert uns zwar, daß es ihn nicht gereuet habe, was er von der erſten Probe geurtheilet: Aber was beweiſet dieſes gegen ſeine Richter? Sie werden ſagen, er moͤgte ein ſolch verſtockter Suͤnder ſeyn, daß ihn eine groͤſſere Uebelthat nicht reuete. Vielleicht ſey die Zeit ſeiner Bekehrung noch nicht vorhanden, ſein Hertz ſey noch verſteinert. Wahrhaftig der Pfleg - vater der deutſchen Aeneis, der zuerſt den Ta - lent des Hrn. Schwartzens zu einem ſolchen Un - ternehmen erblicket, und ihn durch ſeine Aufmun - terungen dazu verleitet hat, haͤtte ſich beſſer an - greiffen ſollen, er haͤtte Virgil den halben Weg herunterreiſſen, und Schwartzen die andre Helfte emporruͤcken ſollen, damit ſie naͤher zu einander gekommen waͤren. Vordieſem haͤtte er Muthes und Worte genug dazu gehabt. Er haͤtte uns ge - ſagt:
„ Jn Virgils Gedichte herrſchete lohen - „ ſteiniſche und miltoniſche Schwulſt, ſein Aus - „ druck ſey in allen unſern Buͤchern unerhoͤrt, „ mancher wackere Magiſter koͤnne vieles darin - „ nen nicht verſtehen, oder muͤßte es mit vielem „ Nachſinnen und Kopfbrechen errathen, die „ Conſtruction ſey verworffen, man hoͤre der - „ gleichen Latein auf den Univerſiteten nicht; Vir - „ gil verſchwende die Beywoͤrter zu uͤberfluͤſſigen „ Vorſtellungen, die weiter zu nichts dieneten, als „ zu ſchildern. Daher habe Hr. Schwartz bil -„ lig35als Verleger der deutſch. Aeneis. „ lig die Aeneis natuͤrlicher, allgemeiner und ver - „ ſtaͤndlicher gemachet; er habe billig alle die „ Ausdruͤcke, die nur mahleten, weggeworffen; „ und die andern in unſre gewoͤhnliche Sprache, „ die man auf den Gaſſen und in den Krambu - „ den redete, uͤberſetzet. „
Mit dergleichen Vor - ſtellungen hat Hr. Gottſched die Leſer nothwen - dig einnehmen ſollen, wenn er gewollt hat, daß ſie Hrn. Schwartzens Ueberſetzung vor guͤltig er - kenneten, welche in allen dieſen Stuͤcken von ih - rer Urkunde abweichet, und gantz mager, kalt und platt iſt, wo dieſe lebhaft, mahleriſch, praͤch - tig und poetiſch iſt. Es war um ſo viel noth - wendiger, weil die Critiken durchgehends tieffe Eindruͤcke gemachet haͤtten.
Der Hr. Schwartz ſelbſt hat die Nothwen - digkeit deſſen wohl eingeſehen, und darum einen ernſtlichen Verſuch gethan zu beweiſen, daß es unmoͤglich waͤre, alle Redensarten des lateiniſchen Originals mit ihren beſtimmten Begriffen in ih - rem wahren Grade zu geben, und ſolche gleich - wohl nach ſeiner Art, nemlich Zeile von Zeile, in gereimte Proſa zu bringen. Man muß auch be - kennen, daß er dieſes mit ſeinen eigenen Exem - peln genugſam dargethan hat, und man kan nichts dagegen einwenden, woferne das was ihm nicht moͤglich war, auch allen andern eben ſo unmoͤg - lich iſt. Es ſcheint zwar daß er ſelbſt einen Zwei - fel in ſeinen Satz geſetzet habe, weil er das gan - ze erſte B. der Aeneis umgeſetzet hat, damit er den Erinnerungen ſeiner Tadler gemaͤß die Be - griffe des Virgilianiſchen Ausdruckes genauer undC 2getreuer36Schreiben an Hrn. Zunckelgetreuer verdeutſchete; und man koͤnnte daraus ſchlieſſen, daß es zum wenigſten ihn gereuet haͤtte, die erſtere Probe, die Hr. Prof. Gottſched ſich nimmer reuen laͤßt zu loben, ſo ſchwach und nied - rig verfertiget zu haben: Allein ſeine zweyte Ueber - ſetzung iſt nicht praͤchtiger oder lebhafter aus - gefallen als die erſtere, und wird ihn vermuth - lich in ſeinem Grundſatze von der Unmoͤglichkeit Virgils Gedancken deutſch zu geben beſteiffet ha - ben. Man haͤtte es ihm auch vor ein redliches Stuͤcke anfgenommen, wenn er dieſes gerades - weges bekennt haͤtte, und er haͤtte damit, wo nicht ſeine uͤbelgerathene Ueberſetzung, doch we - nigſtens ſeine Aufrichtigkeit bewaͤhret. Allein je - dermann hat ſich daran geaͤrgert, daß er ſeinen Kunſtlehrern, deren getreuen Unterricht er ge - noſſen, und gerne genutzet haͤtte, wenn es in ſei - nem Vermoͤgen geſtanden waͤre, ſo ungeſchickte und looſe Worte giebt, als wenn ſie Urſache waͤren, daß er es nicht hat beſſer machen koͤnnen: Es iſt in der That ſehr unerbaulich, daß er ſo viel boͤſe Worte mit ſo groſſer Gelaſſenheit giebt, und be - zeuget, er rede noch ohne einen aufgebrach - ren hitzigen Affect, und ſey gantz und gar nicht geſonnen, ſich zu raͤchen, weil er ſonſt gantz anders mit ſeinen Gegnern zu verfah - ren wuͤßte. Bey Leſung dieſer Worte hat ein ehrbarer Mann geſagt: Wenn es hier aus kal - ten Wolcken donnert und blitzet, was wird wohl vor ein Ungewitter entſtehen, wenn ſie in Hitze kommen? Der gute Herr iſt in ſeinem Affecte ſo blind, daß er es ſelbſt nicht weis. Was hatihn37als Verleger der deutſch. Aeneis. ihn ſonſt verblendet, wenn es nicht ein aufge - brachter Affect gethan hat, daß er ſeinen groͤ - ſten Feind nicht erkannt, ſondern ihn vor Hrn. Bodmer angeſehen hat? Er ſollte doch von ſei - nem groſſen Goͤnner, dem Hrn. Prof. Gottſched mehr als einmahl gehoͤret haben, wie der Ver - faſſer der fatalen Zuͤrichiſchen Dichtkunſt heiſſe, die ſeiner eigenen ein Ende gemacht hat. Hr. Bod - mer hat ihm nicht den geringſten Schnitzer in ſeiner Ueberſetzung ausgeſtellet, daß er damit das Geſetze der Natur an ihm uͤbertreten, oder ſich an der Gottheit verſuͤndiget haͤtte. Viel - leicht aber hat Herr Schwartz allein zu einer Probe ſeines gelinden Verfahrens, damit er nicht boͤſes mit boͤſem vergoͤlte, dem wahren Nahmen ſeines Gegners verſchonet, und an deſ - ſen Statt Hrn. Bodmers geſetzet, welchem ſei - ne ungebundenſten Reden keinen Schaden thun moͤgen, weil ein andrer gemeint iſt. Es waͤre gut, daß man dieſes gewiſſen Leſern uͤberreden koͤnnte, welche lieber hundert Schnitzer, als ei - ne eintzige Unbill verzeyhen, weil ſie die Fehler des Witzes nur vor laͤcherlich, die Fehler des Willens hingegen vor ſuͤndlich halten. Man laͤßt einem Scribenten gern das Recht wieder - fahren, daß ers nicht im Vermoͤgen gehabt ha - be, in die feinen und fuͤr ihn unſpuͤrbaren Fuß - tapfen Virgils einzutreten. Mancher armer Dich - ter hat eine innerliche Ueberzeugung von der Vor - trefflichkeit ſeines Werckes, er redet davon ſeiner kurtzen Einſicht gemaͤß, und man glaubt ihm ſo gut, als man einem Gelbſuͤchtigen Glauben zu -E 3ſtellt.38Schreiben an Hrn. Zunckelſtellt. Man ſiehet auch wohl, daß Virgils Aus - bildung, Mahlerey, Beſtimmung der Begriffe, Hrn. Schwartzen zu fein und zu verſteckt wa - ren, und ein jeder fiel vor ſich auf die Gedan - ken, daß er ſie ohne Muthwillen und ohne Suͤn - de ſo matt gegeben haͤtte. Aber wie will man ihn doch entſchuldigen, daß er Leute die ſich Muͤ - he gegeben, ihn etwas rechtes zu lehren, und ihm weiters nichts zu Leide gethan haben, ja daß er Bodmern, der ihm nicht einmahl dieſes zu Leid gethan hat, mit ſo feindſeligen Worten uͤberſudelt. Es zeiget zwar ein gutes Gemuͤthe, da er eine ſo groſſe Sorgfalt fuͤr eure Buchhand - lung, und einen ſo groſſen Eifer gegen diejenigen blicken laͤßt, die euch an eurer Nahrung Abbruch thun wollen. Aber wenn dieſe Sorgfalt und dieſer Eifer nicht etwas angenommenes ſind, ſo duͤrffet ihr ihm nur ſagen, daß eben er dieſer ſchaͤdliche Menſch iſt, der euch mit der deutſchen Aeneis den groͤſten Schaden zugefuͤget hat; das wird ihn ſchon vermoͤgen, daß er euch den Verluſt bis auf die eitele Hoffnung von Gewinn, wovon er euch guͤldene Berge vorgeſchwatzet hat, erſetze. Er hat das Werck gemacht, woran er Verluſt vorſiehet, und er hat es ſo ungeſchickt gemacht, daß noth - wendig dabey verlohren werden muß. Weder Hr. Breitinger noch Hr. Pyra, noch Hr. Bod - mer haben es verfertiget, und ſo ſchaͤdlich ge - macht. Dieſe Herren haben es nicht dadurch zu einem ſchlimmen Buche gemacht, daß ſie deſſen Fehler eingeſehen, oder daß ſie ſolche kund ge -macht39als Verleger der deutſch. Aeneis. macht haben. Sie ſind durch ſeine innerliche Beſchaffenheit genoͤthiget und berechtiget worden, ſo davon zu denken und zu reden, wie von ih - nen geſchehen iſt. Eure Aeneis haͤtte nicht ei - nen Donatſchnitzer weniger, als ſie hat, wenn kein Kunſtrichter ſie angetaſtet haͤtte, und wenn ihr 1000. Thaler damit gewonnen haͤttet. Jhr koͤnnet von ihnen unbehindert noch ietzo ſo viel da - rauf gewinnen, wenn es den Kaͤufern gelegen iſt. Der Hr. Prof. Gottſched hat mit eben ſo ſchlechter Waar noch ein weit mehrers gewonnen. Es ſcheinet Hr. Schwartz traue den ietzigen Zei - ten nicht ſo viel gutes zu, als den vorigen, da oͤfters der bloſſe Nahme Hrn. Gottſcheds ein ma - geres Buch verkauft hat, eh und bevor er noch mit einer Hochmagnificenz verherrlichet war. Laſ - ſet uns die Wahrheit geſtehen, eure Aeneis iſt eine grundplatte Schrift. Jch ſage es nicht euch zu beleidigen, oder zu erſchrecken, ſondern vielmehr eurem mehrern Schaden vorzukommen. Das ſchlimmſte fuͤr euch iſt, daß jedermann dieſes ein - ſiehet, man hat ſie in allen Geſellſchaften zum Be - ſten, und dem plumpeſten Kopf entfaͤhrt bey die - ſer Gelegenheit ein luſtiger Einfall. Man ſagt oͤffentlich, der Hr. Verfaſſer habe ſeine Sinnen und Gedancken vielmehr in patina als in Vir - gils Aeneis gehabt; die Ueberſetzung ſey nur ſeine Nebenabſicht, die Hauptabſicht ſey eine gute Sup - pe und ein Kaͤlberbraten geweſen; er habe die Aeneis in Beyeriſche Schincken und Knackwuͤrſte uͤberſetzet; dem Leſer wuͤrde von ſeiner Verdeut - ſchung ſo uͤbel, als wenn unus coquus confunditC 4multa40Schreiben an Hrn. Zunkelmulta Jura; in dieſem Verſtande ſey Hr. Schwartz ein Coctor Jurium; und was mehr dergleichen poſſierliche Einfaͤlle ſind, die wenigſtens nicht ſo zauberiſch herauskommen, als wenn dieſer ſchertz - hafte Verfaſſer ein paar Schweitzerhoſen ver - ſchluͤckt. Aber niemand hat die deutſche Aeneis aͤrger geſchimpft, als der Herr von Jonquilie. Die gantze Stadt traͤgt ſich mit der Execution, die er damit vorgenommen. Er lud am letzten Abend des vorigen Jahres eine groſſe Anzahl Her - ren und Frauenzimmer zu ſich, denſelben eroͤffnete er beym Camin, daß er uͤber Schwartzens Ae - neis Gericht gehalten haͤtte; und er haͤtte bey ſei - nen richterlichen Amtspflichten gefunden, daß das goͤttliche Gedichte Virgils darinnen geſchaͤndet, entweyhet und entheiliget waͤre; dafuͤr habe er ſie zum Feuer verurtheilet. Er hoffete daß niemand wider ſein Richteramt oder ſein Urtheil etwas ein - zuwenden haben werde, jenes habe er mit einem halben Reichsthaler rechtmaͤſſig gekauft, und die - ſes wollte er gegen einen jeden behaupten, wo - fern jemand vorhanden waͤre, der fuͤr die Ver - urtheilete reden wollte. Man billigte insgemein ſein ausgeſprochenes Urtheil, und lobete ſeinen Ei - fer fuͤr die Ehre des roͤmiſchen Poeten. Es ſchien, daß ſich niemand der deutſchen Aeneis annehmen wollte, bis nach langem ein junger Magiſter, Nahmens Hr. Tulipe, ein bekannter Freund der Hrrn. Gottſched u. Schwartz, auf den jedermanns Augen gerichtet waren, ein Hertz faſſete, und erſtlich vorſtellete, was vor ſaure Muͤhe es den Hrn. Schwartz gekoſtet haͤtte, die Aeneis Vir -gils41als Verleger der deutſch. Aeneis. gils in eben ſo viele deutſche Verſe Zeile von Zeile zu uͤberſetzen, und dabey alle Regeln der cri - tiſchen Reinigkeit auf das genaueſte zu beobach - ten, damit er der ſtudierenden Jugend ein Mu - ſter einer reinen Poeſie vorlegete. Er bat fer - ner daß Hr. Jonquilie auf die kuͤnſtliche Vermi - ſchung der Selbſtlauter und Mitlauter Acht ge - ben moͤgte, welche in verſtaͤndigen Ohren einen ſo ſuͤſſen Wohlklang verurſachete. Dieſer ant - wortete ihm darauf: Es waͤre nicht genug, daß die ſchwartziſche Aeneis eben ſo viel Zeilen haͤtte, als die Roͤmiſche, ſie ſollte ihr vielmehr an der Anzahl der Begriffe, an dem Maaſſe, dem Nach - druck, und Leben derſelben gleichen; nichts waͤre leichter als ein Werck von eben ſo vielen Verſen machen, als Virgils haͤtte; man koͤnnte die An - zahl der Virgilianiſchen Verſe vielleicht eben ſo richtig im Hans Sachſen finden. Was den Wohl - klang anlangete, ſo waͤre wahr, daß die Ohren ſo viel Verſtand darinnen faͤnden, daß es ſchiene aller Verſtand und Witz des Ueberſetzers waͤre in die Buchſtaben und Sylben gefahren; man wuͤrde in folgenden und tauſend dergleichen Zeilen nichts weiters antreffen, als kuͤnſtlich vermiſchte Selbſtlauter und Mitlauter; und in dieſer Be - trachtung koͤnnte eine jede von denſelben fuͤr ſich ſelbſt beſtehen, ohne daß ſie einen gewiſſermaſſen beſtimmten Verſtand in ſich faſſete; oder die von ihm geruͤhmte critiſche Reinigkeit verletzete, wel - che ſich nicht weiter als auf den Klang bezoͤge. Wie rein und klingend, ſagte er, ſind zum Exempel:
C 5‒ ‒ beſetz -42Schreiben an Hrn. ZunkelDie Nymphen wohnen da, man braucht kein Seil und kei - (nen ‒ ‒
Jedoch, fuhr er fort, damit Hr. Tulipe ſehe, daß ich mit der Aeneis ſeines Freundes nicht nach der Schaͤrffe verfahre, ſo will ich nicht ſo viel fodern, wie Horatz gethan, der ein Werck ver - warf, das nicht mehrere Schoͤnheiten, als Feh - ler hatte, ſondern ich will zufrieden ſeyn, wenn er mir nur fuͤnfzig Zeilen von Virgils Geiſt und Leben zeigen kan. Jch will in ſolchem Fall mein Urtheil alſobald widerruffen. Hier nahm ein ge - wiſſer Hr. das Wort und ſagte im Spotte, fuͤnf -〈…〉〈…〉 ig Virgilianiſche Zeilen von Schwartzen zu fo -[d]ern, waͤre zu viel; wenn man ihm dreiſſig zei - gen koͤnnte, ſo wuͤrde er nicht ſo grauſam ſeyn, und um der zwanzig willen, die an der gefoder - ten Anzahl abgiengen, ſein Urtheil vollſtrecken. Hr. Jonquilie erklaͤrete ſich darauf, daß er um der anweſenden Frauensperſonen willen, die aus angebohrner Mildigkeit an Mord und Brand keinen Gefallen haͤtten, dem gantzen Wercke ver - ſchonen wollte, wenn man ihm nur zehn Zeilen vonVir -43als Verleger der deutſch. Aeneis. Virgils Mahlerey und Nachdruck vorlegen koͤnnte. Nach dieſer Erklaͤrung blaͤtterte Hr. Tulipe in der neuen Aeneis lange hin und her, und kam endlich mit folgenden Verſen vor den Tag:
‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ der Tag bricht an, es ſcheinen Die Sternen ſchon nicht mehr, ſo daß ihr ſchlaffen ſollt.
Er wollte die Anzahl der zehne, mit dergleichen Zeilen voll machen, als Hr. Jonquilie ihm ein - redete, und ſagte: Wenn ich nicht irre, ſo giebt er mit ſeinem der Tag bricht an, Virgils nox humida cœlo præcipitat, und mit es ſcheinen die Sternen ſchon nicht mehr, ſo daß ihr ſchlaffen ſollt, giebt er das ſuadent cadentia ſydera ſomnos. Er ſetzt, ein Feuer ſchlagen, wo Virgil geſagt, ſilicis ſcintillam excudere, und ſich zur Schmauſerey geſchickt machen, iſt das Lateiniſche ſe prædæ ac dapibus futuris ac - cingere. Nun will ich ſchon wetten, er giebt das torquet medios nox humida curſus, die Mitter - nacht iſt vorbey; und me ſævus equis oriens af - flavit anhelis, ich ſpuͤre daß der Tag vorhan - den ſey; rapere in fomitem flammam, ein Feuer anmachen, Ceres undis corrupta, das naſſe Brod, cerealia arma expedire, das Backzeug auspa - ken; implentur veteris Bacchi, ſie trancken Wein; o quam te memorem Virgo, o Jungfer wieſoll44Schreiben an Hrn. Zunkelſoll ich dich gruͤſſen? Er giebt dieſes in der That nicht anders, ſagte Hr. Tulipe, und wa - rum ſollte ers anders geben, das iſt der eigent - liche Verſtand dieſer Woͤrter. Wolltet ihr wohl begehren, daß man bey einer Ueberſetzung bey allen Redensarten des Originales bleiben, und ſolche gleichwohl nach Hrn. Schwartzens Art, Zeile von Zeile in gereimte Verſe bringen ſoll - te? Das waͤre eine phyſicaliſche Unmoͤglichkeit; denn die Natur der Sprache litte ſolches nicht; es waͤre auch wuͤrklich abgeſchmackt und un - gereimt, wenn man uͤberall der Lateiner Re - densarten behalten wollte. Es hat ja jede Sprache ihren beſondern Nachdruck, welchen man Genium linguæ nennet. Hr. Jonquilie er - wiederte: Niemand ſagt, daß man das Latein von Wort zu Wort geben muͤſſe, wie man jedes im Woͤrterbuche nach ſeiner erſten und fluͤchtig - ſten Bedeutung verdeutſchet findet; ſondern man muß die Jdee von einem jeden mit aller Genauig - keit und Beſtimmung in ihrem rechten Maaſſe und Grade liefern. Glaubet ihr nun, daß man die Virgilianiſchen Redensarten nicht ge - nauer und nachdruͤcklicher geben koͤnne, als Hr. Schwartz gethan hat, woferne man von der Na - tur der deutſchen Sprache nicht abweichen, und nicht abgeſchmackt werden wollte? Wuͤrde es nicht ſchon Virgilianiſcher toͤnen, und doch Deutſch blei - ben, wenn ich ſagte: Jch muß endlich ſcheiden; die thauigte Nacht haͤlt ihren Lauf an dem mitt - lern Theile des Himmels, ich verſpuͤre ſchon die ſcharfe Luft des ankommenden Morgens, der michmit45als Verleger der deutſch. Aeneis. mit ſeinen ſchnaubenden Pferden anwehet. Viel - leicht aber mißfaͤllt euch dieſes, weil es euch uner - hoͤrt iſt. Wir druͤcken uns im gemeinen Um - gange nicht ſo aus. Dem iſt alſo, aber wir ge - ben uns im gemeinen Leben auch vor keine Poeten. Man hat ſich auch zu Rom nicht ausgedruͤcket, wie Virgil in der Aeneis thut, wenn man mit ſeinem Koche, oder ſeinem Becker geredet hat. Hr. Tulipe merckete, daß er anders faſſen muͤß - te, er erinnerte ſich einer Stelle, die er in Hrn. Gottſcheds Vorrede zu der deutſchen Aeneis gele - ſen hatte, welche er dergeſtalt anbrachte: Jch ſehe wohl Hr. Schwartz hat fuͤr euch zu deutlich ge - ſchrieben, ihr haltet als ein ſcharfſinniger Kopf mehr auf etwas weitgeſuchtes, gelehrtes und ſchwe - res. Das iſt nun euer Geſchmack, und de gu - ſtibus non eſt diſputandum. Wenn euch aber Hr. Schwartz in dieſem Stuͤcke keine Gnuͤge gethan, ſo iſt das zu wenig, als daß ihr deßwegen ſei - ne gantze Arbeit verwerffen ſolltet. Die Vor - trefflichkeit der Aeneis beſtehet nicht bloß in der Reinigkeit und der Schoͤnheit des Lateins, in dem Adel und erhabenen Pracht der Schreibart, in dem flieſſenden Wohlklange, und der bezaubern - den Anmuth der Verſe. Es giebt darinnen noch viel ſchaͤtzbarere Eigenſchaften, z. Ex. die aͤuſſet - liche und die innerliche Groͤſſe ſeiner Fabel, und der Hauptzweck des Dichters, nach welchem er die Roͤmer bereden wollen, ihre republickani - ſche Freyheit zu vergeſſen, und ſich dem neu - en Regenten willig zu unterwerffen. Auf dieſe Stuͤcke hat Hr. Schwartz hauptſaͤchlich ge -ſehen46Schreiben an Hrn. Zunckelſehen, und ſie in ſeiner Ueberſetzung gluͤcklich vor - geſtellet. Die ſittſamern und gewoͤhnlichern Re - densarten, womit er ſich ausdruͤcket, haben ihn daran nicht gehindert. Jch will euch dieſes gel - ten laſſen, ſagte Hr. Jonquilie, aber ich ſehe dann nicht, was Hr. Schwartz vor groͤſſere Ver - dienſte habe, als Murner, oder Sprenge. Wir finden in ihren Knittelreimen die Fabel der Ae - neis, ihre Anlage, Verfaſſung, ihre Hauptab - ſicht, und Hauptlehre ſo gut, als in Hrn. Schwar - zens Wercke, und ein Ueberſetzer muͤßte den Kopf in den Fingern haben, wenn er ſie gaͤntzlich ver - fehlen ſollte. Wenn ihr dann daſſelbe vom Holtz - ſtoſſe erretten wollet, ſo muͤſſet ihr mir etwas mehrers darinnen zeigen, als dieſe geſchicktern Bruͤ - der Hans Sachſens haben, ihr muͤſſet mir die Kuͤrtze Virgils darinnen finden, der ſeinen beſten Vortheil aus den Beywoͤrtern ziehet, womit er die Geſtalten und die Beſchaffenheiten der Din - ge erklaͤret, ſeine zuſammengepreßte Begriffe, die Hoͤhe und den Glantz der Farben in ſei - nen kunſtreichen Gemaͤhlden. Koͤnnet ihr die - ſes nicht, ſo muß der Gerechtigkeit eine Genuͤge gethan, und die deutſche Aeneis dem Vulcan ab - gethan werden. Jhr ſollet bald ſehen, was ich mit dieſem unerhoͤrten Ausdrucke ſagen wolle. Mit dieſem Worte hielt er ſie, wie ſie mit ei - nem ehrbaren Leichenkleide in ſchwartzem Mar - roquin angethan war, uͤber das Caminfeuer, wo ſie ſich bald in Rauch und Aſche, ihre erſten Elemente, wieder aufloͤſete.
Jhr47als Verleger der deutſch. Aeneis.Jhr koͤnnet aus dem allen genugſam abneh - men, Herr Zunckel, was euch die groſſe Hoff - nung eintragen werde, welche man euch von die - ſem Buche gemachet hatte. Es waͤre ein Gluͤck fuͤr euch, wenn es vielen dergleichen ſcharffen Rich - tern in die Haͤnde gerathen wuͤrde, ihr koͤnntet ſein ſo wenigſtens ohne Schaden loos werden, allein es giebt allzuwenig Leſer, die einen Poeten zum Holtz - ſtoſſe erkauffen, damit ſie ihn vom Moder erret - ten. Die gemeine Stimme der Groſſen und der Kleinen ſpricht uͤber ſie das Urtheil, daß ſie Mak - latur ſey, und wieder zu Maklatur werden ſolle. Dieſes kan freylich nicht ohne Abbruch eurer Nah - rung geſchehen, und weil ich ſehr zweifle, daß Hr. Schwartz, der ſie nicht beſſer gemacht hat, oder Herr Gottſched, der ihn zu dieſer ſchaͤdlichen That aufgeſtiftet hat, euch den Verluſt gutthun werden, ſo kraͤncket es mich, um eurentwillen, in der Seele. Das Mitleiden, das ich deßwe - gen mit euch habe, hat mich ſinnreich gemachet, ein Mittel zu erfinden, wie ihr wenigſtens ohne Schaden davon kommen koͤnnet; und ich habe euch wuͤrcklich einen Vorſchlag zu thun, den ich vor unfehlbar anſehe. Er iſt ſehr einfaͤltig, und beſtehet kurtz darinn, daß ihr die neue Aeneis fuͤr das ausgebet, was ſie iſt, nehmlich fuͤr eine verkleidete, und verkehrte Aeneis, wo Virgils Werck ſeiner Pracht und Majeſtaͤt in den Be - griffen und dem Ausdruck beraubet, und zu der all - taͤglichen Plattheit des Ausdruckes und abentheur - lichen Poſſen erniedriget worden, jungen Magiſtern und ihren Untergebenen, welchen ſie im Lateinunver -48Schreiben an Hrn. Zunckelunverſtaͤndlich und unerhoͤrt geweſen, das Leſen derſelben zu erleichtern, und ſie fuͤr ihre Faͤhig - keit gemaͤß und anſtaͤndig zu machen. Jhr ſchrie - bet zwar hiemit dem Hrn. Schwartzen einen Vor - ſatz zu, den er nicht gehabt haben will, der ihm aber weit mehr Ehre braͤchte, als da er ſeine Plattheiten und zweydeutige Schwaͤncke vor eine getreue und ſorgfaͤltige Ueberſetzung der lateini - ſchen Aeneis geben will. Jetzo ſagt man, er habe die Aeneis aus Unwiſſenheit, Unvermoͤgen und Mangel an Geſchmacke und Empfindung ſo niedrig und poſſierlich gemacht, er habe ihr das zugetheilet, was ihm natuͤrlich und eigenthuͤmlich waͤre, was albern waͤre ohne daß er es ver - ſtuͤhnde und einſaͤhe; das luſtige Zeug darinnen waͤre eine ungeſchmakte Frucht ſeines ſchalen Gei - ſtes, der Plattheit vor Natuͤrlichkeit, und Lappe - reien vor Witz hielte. Anſtatt deſſen wuͤrde es kuͤnftig heiſſen, Hr. Schwartz haͤtte durch ſeinen Witz und muntern Kopf aus eben denen Dingen Niedrigkeit und Poſſen herausziehen koͤnnen, in welchen Virgil Hoheit und Pracht gefunden; er habe uns damit luſtig gemacht, womit jener uns in Verwunderung geſetzet; er habe mit Witz und Geſchicklichkeit ausgeſchweifet; er habe die Poſ - ſen ſo kuͤnſtlich nachgeahmet, als wenn ſie ihm eigen waͤren. Man wird ihn mit dem Titel des deutſchen Scarrons beehren. Es iſt ohne Zwei - fel ein groͤſſerer Ruhm, die Narrheit wohl koͤn - nen, als die Weisheit und den Ernſt ungeſchickt nachmachen. Es waͤre darum gut, daß ihr zu die - ſer verkleideten Aeneis Anmerckungen und Erklaͤ -rungen49als Verleger der deutſchen Aeneisrungen machen lieſſet, worinnen der laͤcherliche Witz und die poſſierliche Verkehrung in ihr rech - tes Licht geſetzet, und dem Leſer auf die Spur des Luſtigen geholffen wuͤrde; man muͤßte die wohlflieſſende Plattheit, die feinen Zweydeutig - keiten, die geſchickte Erniedrigung des Praͤchtigen, die unerwartete Vermiſchung des Schimpfes mit dem Ernſte, die angenehme Vermeidung aller har - ten und Nachdencken erfodernden Gedancken ſorg - faͤltig anmercken, und das alles des Hrn. Schw. Kunſt und Vorſatze zuſchreiben. Man muͤſte um - ſtaͤndlich anzeigen, wie er verſchiedene und gantz abgeſonderte Begriffe in einem Guß zuſammen - geſchmeltzet; mit einander verbunden, was unmoͤg - lich zugleich beſtehen kan; den Nebenumſtand in die Haupthandlung verkehret; Wunderwercke ver - richtet; alltaͤgliche Wahrheiten mit unwiderſprech - lichen Gruͤnden unterſtuͤtzet hat; und was derglei - chen mehr iſt. Dieſes iſt deſto noͤthiger, weil man ihm mit gutem Grunde vorwerffen koͤnnte, ſeine Schwaͤncke ſeyn zu ſchal und ſeine Ausſchweifungen haben das Saltz nicht, das in dem franzoͤſiſchen Scarron den Poſſen einen Geſchmack giebt; der - geſtalt daß man ihn mit denen Pritſchmeiſtern ver - gleichen koͤnnte, welche ſich gerne naͤrriſch ſtellen wollten, aber weder Weiſe noch Gebehrde dazu verſtehen, und wenn man ſie gleich ſchuͤnde, es nicht hoͤher bringen koͤnnen, als daß ſie die Ohren ſchuͤtteln. Wird die Sache nach meiner Jdee geſchickt ausgefuͤhret, ſo wird eure Aeneis nicht nur den jungen Magiſtern und Studenten anſtaͤn - dig ſeyn, welche die geheimnißvollen und mit Be -[Crit. Sam̃l. VIII. St.] D[1]grif -50Schreiben an Hrn. Zunckelgriffen und Bildern ſo beſchwerten und unverſtaͤnd - lichen Verſe Virgils ihrer Laſt ſo geſchickt entle - diget, und mit Schertz und Schwaͤncken ihrem Witz und Naturelle gemaͤß bereichert ſehen, ſondern ſelbſt diejenigen, die jetzo nicht leiden koͤnnen, daß Hr. Schwartz ſeine Aeneis mit Virgils in einen gleichen Grad der Wuͤrde ſtel - len will, werden ihr den Werth einer verkeh - rten Aeneis gerne zugeſtehen. Sie moͤgen wohl leiden, daß Virgil ſo klein gemachet werde, als die Menſchen insgemein ſind, aber ſie geſtehen nicht gerne, daß Schwartz eben ſo groß ſeyn ſolle, als Virgil iſt. Wenn er es recht uͤberleget, ſo wird er mit meinem Vorſchlage wohl zufrieden ſeyn, er waͤre denn aus der Zahl derer, die lie - ber poſſierlich ſeyn, als heiſſen wollen. Er wird mir dancken, daß ich ſeinen wahren Talent, und den eigentlichen Werth ſeiner Aeneis ausgefunden habe. Jſt er in der poetiſchen Mahlerey nicht ge - ſchickt ein lebhaftes Auge oder einen wohlberedten Mund zu ſchildern, ſo hat er hingegen ein natuͤr - liches Geſchicke, einen Schincken, einen Schuh, oder einen Buckel nach dem Leben zu entwerffen. Er hat denn ſchon verantwortet, warum man nicht zehn Virgilianiſche Zeilen in ſeinem Wercke fin - de, das waͤre wider ſeine Abſicht geweſen, er hat nicht uͤberſetzen ſondern verhudeln wollen, und die - ſes geſchickt ausgefuͤhrt. Waͤre es ihm aber nicht anſtaͤndig, ſo hat es nichts zu bedeuten, ihr habet ſeine Einwilligung nicht vonnoͤthen, die Aeneis iſt euer, ihr habet ſie bezahlet. Wenn ihr zu der vorgeſchlagenen Einrichtung oder den Anmerckun -gen51als Verleger der deutſchen Aeneis. gen meiner Dienſte noͤthig habet, ſo ſtehen ſie euch bereit. Jch will dann trachten, den Hrn. Conrec - tor Erlebach, und den Hrn. Conr. Pyras wie auch den unparteyiſchen Correſpondenten, meine aller - liebſten Freunde, zu bereden, daß ſie zu Ver - herrlichung eurer Aeneis das ihrige mit beytragen. Laſſet mir eure Gedancken durch den Weg, durch welchen euch dieſe Zeilen zukommen werden, mit eheſtem wiſſen, und ſeht mich an, als denjenigen, der gantz geneigt iſt, euch aus der augenſchein - lichen Gefahr groſſen Abbruches an eurer Nahrung nach ſeinem Vermoͤgen zu erretten. Jch habe das Titelblatt, wie es nach meinem Vorſchlage lauten muͤßte, nach ſeinem voͤlligen Jnhalt und der ſcheinbarſten Abſetzung der Zeilen hier bey - geſchloſſen. ꝛc.
Stephan Finck.
NAchſchrift. Jch habe die Ehre ench hierbey aus dem ſiebenden Stuͤcke der Schweitzeri - ſchen Critiſchen Sammlung das AbentheuerD 2zu52Schreiben an Hrn. Zunckel. zu uͤberſenden, welches ſich in Hr. Conrector Er - lebachs Schule mit eurer Aeneis zugetragen hat. Jhr werdet ſelbſt ſehen, wie wacker Hr. Schwartz in dieſer Schrift zugedecket iſt. Man will uͤber diß wiſſen, wann er unter dieſer Decke nicht liegen wolle, ſo wollen ihn die Schweitzer noch mehr uͤberdecken, bis daß er zu ſchwitzen komme; in Hoffnung, werde er nicht weiß, ſo werde er doch ein wenig zarter, und wie ſie ſagen, hand - ſamer.
WEr recht uͤberſetzen will, muß vornehmlich den Geiſt deſſen haben, den er uͤberſetzet; und dann auch die Sprache deſſelben wohl ver - ſtehen. Man hat darum in der neuen Vorrede zu Hrn. Heinekens Longin dem Hr. Prof. G. gerathen, daß er aus dem Beyeriſchen uͤberſetzen ſollte; ohne Zweifel, weil man das Vertrauen zu ihm gehabt hat, daß er den Geiſt der beyeri - ſchen Scribenten gluͤklich erreichen, und ſich da - neben von ihrer Sprache leichter als von der la - teiniſchen meiſter machen koͤnnte. Der junge Menſch, von welchem folgende Ueberſetzung iſt, hat ſich aus eben dieſer Urſache nicht hoͤher ge - waget, als daß er einige Fabeln aus der alten deutſchen Handſchrift des vierzehnten Jahrhun - derts uͤberſetzet hat, von welcher in dem Abſchnitt von der deutſchen Poeſie unter dem ſchwaͤbiſch. Stamme einige Nachrichten gegeben worden. Es duͤnket mich in der That, daß er in den Geiſt und die Sprache ſeines Originales geſchikt ein - geſchlagen habe. Jch habe ihn darum angefri - ſchet, daß er mit dieſer Arbeit fortfahren ſollte, und ihm verſprochen, daß ich eine Probe davon in dieſer Sammlung einruͤcken wollte, damit er das Urtheil der Kunſtverſtaͤndigen daruͤber ver - nehmen koͤnnte.
Die55Fabeln.