PRIMS Full-text transcription (HTML)
Sammlung Critiſcher, Poetiſcher, und andrer geiſtvollen Schriften, Zur Verbeſſerung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poeſie.
Zweytes Stuͤck.
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Zuͤrich,BeyConrad Orell und Comp.1741.
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Nothwendiges Ergaͤntzungs-Stuͤcke Zu der Schutz-Vorrede Hrn. Dr. Tr[]ll[]rs Vor ſeinem neuen Aeſopiſchen Fabelwercke / Durch einen gluͤcklichen Zufall mitten aus dem Verderben errettet, Und den Verehrern der Tr[]ll[]riſchen Muſe Mitgetheilet von einem ihrer Schweitzeriſchen Zunftgenoſſen.

Ridiculum acri Fortius ac melius magnas plerumque ſecat res. HORAT.

1740.

2Stuͤcke der Schutzvorrede

Hiſtoriſche Nachricht.

NJemahls hat ein ſo treffliches Fragmen - tum von einem noch neuen Buche ein ſeltſameres Schickſal erlitten, als das gegenwaͤrtige Stuͤcke der Vorrede zu den Fabeln Hrn. D. Tr-ll-rs, welches ich das Gluͤck habe zum Ruhme dieſes vornehmen Dichters an das Licht zu ſtellen, und damit ein Werck zu ergaͤntzen, welchem die groͤſten Kenner mit ungedultiger Hoffnung ſchon ent - gegengeſehen hatten, da es noch in dem frucht - baren Gehirne ſeines Verfaſſers als in ſeiner Gebaͤhrmutter verſchloſſen gelegen war; ein Werck, das minder aus einem natuͤrlichen Triebe gefloſſen, als durch ſo viele liebreiche Erinnerungen und maͤchtige Befehle groſſer Goͤnner und Freunde dem Verfaſſer gleich - ſam durch einen Nothzwang abgedrungen worden, und welches ohne den gluͤcklichſten Zufall und meine beſondere Neigung der ge - lehrten deutſchen Welt zu dienen, auf immer unvollkommen geblieben waͤre. Jch verſehe mich, daß ich meinen Leſern, bevorab denen, die ſich um Hrn. D. Tr-ll-rs Ruhm und Schriften eben ſo ſehr bekuͤmmern, als ich, einen Gefallen erweiſen werde, wenn ich ih -nen3fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. nen erzehle, wie mir dieſes Fragmentum in die Haͤnde gefallen ſey. Die Freude theilet ſich gerne mit, und ſie duͤncket ſich nicht groß genug, wenn ſie keine Zeugen hat. Jch er - hielt ungefehr vor einem Monath ein Paͤck - gen von Canaſter und andren kleinen Wah - ren, die ich durch einen Kaufmann von der Leipziger Michelismeſſe hatte beſtellen laſſen. Dieſelben waren mit allerley gedruͤckten Bo - gen umwunden, und darunter war ein ein - ziger halb uͤberſchriebener, welcher dieſen un - erkannten Schatz in ſich enthielt. Die fran - zoͤſiſchen und deutſchen Verſe, die mir gleich beym erſten Anblick in die Augen fielen, rei - zeten mich, daß ich den Anfang dieſer Schrift mit einem fluͤchtigen Auge durchlief. Die er - baͤrmliche Klagen und hertzbrechende Seuf - zer brachten mich auf die Vermuthung, der Verfaſſer derſelbigen werde gewiß die Eyer verſchuͤttet haben, und die Schuld auf den harten gepflaſterten Boden legen wollen. Als ich aber aus dem Verfolge deutlich er - kannte, daß es eine Schutzſchrift fuͤr den Hrn. D. Tr-ll-r und ſeine Fabeln waͤre, ſtuhnd ich gantz betreten, ob ich die Ver - meſſenheit desjenigen, der dieſe Schutzſchrift veranlaſſet hat, mehr verabſcheuen, oder den uͤberzeugenden Nachdruck dieſer critiſchen Rechtfertigung mehr bewundern ſollte; doch nach einer kleinen Ueberlegung wollte mich be -A 2dun -4Stuͤcke der Schutzvorrededuncken, daß ich dieſe ſo geiſtreich ſiegende Schrift (die man den Triumphbogen des Tr-ll-riſchen Ruhms nennen koͤnnte) der Verwegenheit des Schweitzeriſchen Kunſt - richters eben ſo wohl zu dancken haͤtte, als ſich Joſeph ehmals vor ſeine Erhoͤhung in Egypten ſeinen treuloſen Bruͤdern verbunden geſehen. Das Verbrechen des Schweitzers, der ſich an dem Ruhm unſers deutſchen Eſo - pus ſo vermeſſen vergriffen hatte, kam mir nun gantz ertraͤglich vor, wann ich mir vor - ſtellete, daß die Welt ohne daſſelbe, dieſes vortreffliche Muſter einer critiſchen Verthei - digung vermiſſen wuͤrde, und daß der Ruhm des deutſchen Fabeldichters bey weitem nicht mit einem ſo hellen Glantz hervorſtechen wuͤr - de, wenn er nicht durch den Schatten, wel - chen die neue critiſche Dichtkunſt darauf ge - worfen, waͤre erhoͤhet worden. Jch konnte mir zwar anfaͤnglich gantz nicht einbilden, daß dieſes ein Original-Manuſcript waͤre. Das Gluͤck ſchien mir zu groß, und nicht vor mich aufbehalten, daß ich durch Erhaltung deſſelben zu dem Ruhme dieſes unverbeſſerli - chen Dichters und ſeiner Wercke nur das we - nigſte beytragen ſollte. Sollte es wohl moͤg - lich ſeyn, gedachte ich bey mir ſelbſt, daß ein ſo herrlicher critiſcher Verſuch, den nie - mand ohne Bewegung leſen kan, der ſchar - fen Nachfrage der Deutſchen ſollte entgan -gen,5fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. gen, und bis an den Fuß der Schweitzeri - ſchen mit ewigem Schnee bedeckten Alpge - buͤrge verſchlagen worden ſeyn? Oder wer koͤnnte glauben, daß in dem geſchickten Leip - zig ein ſo koſtbarer Schatz auf eine ſo ſchnoͤde Weiſe ſollte entweihet, und zur Ueberklei - dung etlicher Rollen Tabacks gemißbraucht worden ſeyn, eh und bevor er noch unter der Preſſe etliche tauſendmahl multiplicirt wor - den? Der Beſchluß dieſes Fragmenti ſchien mich auf die Vorrede der neuen Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln zu verweiſen. Jch ſtuhnd in der ſichern und gaͤntzlichen Beredung, daß ich daſelbſt mein Manuſcript nett und rein abgedruͤckt finden wuͤrde; alleine da ich die - ſelbe mit zitternder Begierde durchblaͤtterte, fand ich nichts darinnen, das dem Jnnhalt meines Manuſcriptes aͤhnlich war, ausge - nommen einige dunckle Spuren, die mich errathen lieſſen, daß etliche ſchlechte toben - de Neider und ſchaͤumende Verlaͤumder ſich gegen den unverbeſſerlichen deutſchen Poeten aufzulehnen, ſich muͤßten vermeſſen haben; er thut derſelben hin und wieder mit vieler Sanftmuth und Beſcheidenheit Meldung, unter den Titeln unreiffer Kluͤglinge, neu entſtandener tiefſinniger Fabelrichter, fre - cher und boßhafter Splitterrichter. Alleine auf wen dieſe Geheimnißreiche und verbluͤmte Titulatur nach der Abſicht des VerfaſſersA 3paſ -6Stuͤcke der Schutzvorredepaſſete, ſtuhnd nicht dabey, und niemand haͤtte ſolches ohne eine vertraͤuliche Offenbarung er - rathen koͤnnen. Es heißt auch hier, quod omnibus dicitur, nulli dicitur. Als ich an mei - nem wenigen Orte dieſe Vorrede das erſte mahl geleſen, hielt ich dieſe reſpective to - bende Neider und ſchaͤumende Verlaͤumder fuͤr pure Entia Rationis, die der Verfaſſer durch eine prophetiſche Begeiſterung ſich als gegenwaͤrtig vorgeſtellet haͤtte, weil er wohl vorſehen koͤnnen, daß das beſondere Gluͤck, welches ihm den Ruhm eines unverbeſſerli - chen Poeten erworben hatte, ihm nothwen - dig Neid erwecken muͤßte. Allein ſeit dem mir das beſagte Fragmentum zu Geſichte ge - kommen, ſehe ich mich genoͤthiget, dieſe er - ſten Gedancken zu wiederruffen, maſſen daſ - ſelbe den Schluͤſſel in ſich enthaͤlt, vermittelſt deſſen wir dieſe tobenden Neider und ſchaͤu - menden Verlaͤumder mit ihren Nahmen ent - decken koͤnnen, die ſonſt auf immer verbor - gen, und alſo auch ungeſtraft, geblieben waͤ - ren. Jn der Ungewißheit, was ich aus mei - nem Manuſcript machen ſollte, fiel mir in den Sinn daß mir vielleicht der Hr. von Boͤh - lau, der geheimſte Schuͤler des groſſen Tr-l - l-rs, auf die rechte Spur helfen koͤnnte: Jch zog daher ſeine poetiſchen Jugend-Fruͤchte zu Rath, die erſt dieſes Jahr ans Licht ge - treten, und die Hr. D. Tr-ll-r mit einerVor -7fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Vorrede verſehen, worinnen er die empfan - gene Hoͤflichkeiten mit einem poetiſchen Rauch - opfer freygebig erwiedert hat; aber auch all - da konnte ich in meinem Zweifelmuth wenig Troſt finden, und als ich auf die Zeitrech - nung Acht ſchlug, befand es ſich, daß dieſe poetiſche Jugend-Fruͤchte ſchon im Fruͤh - ling, hiemit zu einer Zeit an das Licht getre - ten waren, ehe noch dieſe beyden hoͤflichen Dichter an dem ſuͤſſen Genuß eines ſanfte ki - zelnden Lobeswechſels geſtoͤret worden; denn das Toben des Schweitzeriſchen Neiders und ſchaͤumenden Verlaͤumders war zu derſelbi - gen Zeit noch viel zu ſchwach und leiſe, als daß es bis nach Leipzig und Hamburg haͤtte durchdringen moͤgen.

Je weniger ich nun fuͤr meine erſte Mei - nung, daß dieſes Manuſcript ſchon gedruͤckt ſeyn muͤßte, einigen Grund fand, deſto mehr wuchs die Vermuthung bey mir, daß es vielleicht noch gantz friſch und ungedruͤckt waͤre: Als ich daſſelbe hierauf mit mehrerm Bedacht, als das erſte mahl, uͤberlas, ver - wandelte meine Muthmaſſung ſich in eine un - gezweifelte Verſicherung, ich befand, daß dieſes geſchriebene Stuͤcke unfehlbar zu der Vorrede des neuen Tr-ll-riſchen Fabel-Buchs muͤßte gewiedmet geweſen, und davon un - barmhertziger oder zufaͤlliger Weiſe abgeriſ - ſen worden ſeyn; allermaſſen es keine andreA 4Ab -8Stuͤcke der SchutzvorredeAbſicht hat, als das Geſpoͤtte des Schwei - zeriſchen Verfaſſers der neuen Critiſchen Dichtkunſt uͤber Hrn. D. Tr-ll-rs Unterſu - chung von der Natur der Fabel, und uͤber ein Duzt Beyſpiele, die ſich in dem An - hange ſeiner Gedichte befinden, und die in dieſer neuen Sammlung unveraͤndert beybe - halten worden, mit Glimpf und Ernſt abzu - fertigen. Alſo blieb mir allein uͤbrig, zu entdecken, auf welcher Stelle dieſe Schutz - ſchrift mit dem gantzen Coͤrper der Vorrede erſtlich in einem Zuſam̃enhang geſtanden haͤt - te, hernach davon abgeloͤßt worden waͤre. Jch muß auch geſtehen, daß die Wunde, wel - che man durch die Abloͤſung dieſer Riebe ge - ſchlagen hatte, ſo ſchoͤn und kunſtmaͤſſig zu - geheilet worden, daß ich dieſen Mangel ei - nes ſo ſchoͤnen Glieds ohne die Huͤlffe meines Manuſcripts niemahls haͤtte vermuthen koͤn - nen; denn die Vorreden ſind gemeiniglich, wie die vielgebeinten Jnſecten, denen man es nicht ſo bald anſiehet, wenn ſie ſchon etwann einen Schenckel verlieren. Aber da mir nun das von dem Coͤrper der Vorrede abgeſon - derte Glied wircklich vor Augen lag, ſo war es mir ein gar leichtes die Stelle zu finden, von welcher es abgeloͤſet worden. Jch ſahe nemlich, daß dieſe Vorrede mit den Thomi - ſten und Occamiſten ploͤtzlich endet, nachdem zuvor die Nutzbarkeit der Fabeln mit des groſ -ſen9fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. ſen Luthers Zeugniſſe und Exempel hinlaͤng - lich erwieſen worden; und daraus konnte ich mit ſattſamem Grund abnehmen, dem ſonſt beredten Vorredner muͤßte durch einen gewiſſen Zufall das Wort in dem Munde er - ſtecket worden ſeyn, daß er nicht weiter fort - kommen koͤnnen, daher ihm der ſcharfſinnige Balthaſar Schupp das Wort abnehmen, und die Vorrede beſchlieſſen muͤſſen; ohne wel - ches ſie noch bis auf dieſen Tag zwar aufhoͤ - ren, aber ohne Ende ſeyn wuͤrde. Und wie trefflich ſchicket ſich nicht auf den Uſum Inſti - tutorium der Uſus elencticus? Jch rathe alſo allen denen, die ſich Hrn. D. Tr-ll-rs neue Eſopiſchen Fabeln angeſchaffet haben, daß ein jeder in ſeinem Exemplare die Worte dieſe Vorrede beſchlieſſen durchſtreiche, und an dem Ende derſelben Cetera deſunt hin - zuſetze; mithin ſich mit dem gegenwaͤrtigen Anſchluſſe ſo lange behelffe, bis die neue Auf - lage von dieſen Tr-ll-riſchen Fabeln heraus - kommen wird, in welcher alle unvermeidli - chen Fehler ſollen angezeiget nnd gruͤndlich verbeſſert werden, ungeachtet es eine ſchwe - re Arbeit iſt, unvermeidliche Fehler zu ver - beſſern. Sie koͤnnen auch zuverlaͤſſig verſi - chert ſeyn, daß ſie nicht Jahre und Tage auf dieſe neue verbeſſerte Auflage werden war - ten muͤſſen, denn der Vorredner ſagt aus - druͤcklich, man wird dieſelbe, trotz allen fre -A 5chen10Stuͤcke der Schutzvorredechen Widerſpruͤchen boßhafter Splitterrich - ter, eheſtens zu hoffen haben, wenn an - ders die geneigten Verſicherungen gelehr - ter Kenner und Goͤnner nicht truͤgen, die ſchon ſchriftlich eingelauffen. Wer kan aber beſſer wiſſen, was Hr. D. Tr-ll-r im Sinn hat, als ſein Vorredner? Und wie ſollten die eingelaufenen ſchriftlichen Verſi - cherungen gelehrter Kenner und Goͤnner truͤ - gen koͤnnen? Es wird ja der Hr. Doctor nicht glauben, daß ſie ihn durch ihre Com - plimente und Lobſpruͤche vexieren duͤrfen. Dieſemnach iſt mit Grund zu vermuthen, daß kuͤnftigen Fruͤhling dieſe neue von unvermeid - lichen Fehlern gereinigte Auflage durch ge - neigten Vorſchub dieſer gelehrten Kenner und Goͤnner gewiß zum Vorſchein kommen wer - de: Und darum muß ich alle diejenigen, wel - che die Eſopiſchen Fabeln von dieſer Auflage noch nicht gekauft haben, treulich warnen, daß ſie ſich damit nicht uͤbereilen, ſondern ſchauen, wie ſie ſich noch dieſen Winter uͤber gedulden, und womit ſie ſich ſonſt die Zeit verkuͤrtzen koͤnnen.

Bey dieſem allem kam es mich uͤberaus ſchwer an, mich in dieſen unvermutheten Gluͤckesfall zu ſchicken, und ich konnte mich nicht eher zufrieden geben, bis ich denſelben, und die Art, wie es damit zugegangen, ge - nauer uͤberleget und ausgekundſchaftet hatte. Jch11fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Jch quaͤlete mich eine geraume Zeit mit hun - dert Muthmaſſungen und Wahrſcheinlichkei - ten, wie es moͤchte gekommen ſeyn, daß dieſes wichtige Stuͤcke der Vorrede alleine ungedruͤckt geblieben, da es doch des Drucks eher als alles uͤbrige wuͤrdig geſchienen. Jch konnte von mir nicht erhalten zu glauben, daß der Hr. D. Tr-ll-r ſeiner und ſeines er - worbenen Ruhms ſo weit haͤtte vergeſſen, und geſtatten koͤnnen, daß ſeine Neider und Verlaͤumder ungeſtraft uͤber ihn triumphier - ten; dieſe Vertheidigungsſchrift ſelbſt laͤßt niemand zweifeln, daß es nicht ein rechter Ernſt bey ihm geweſen, mit ſeinen Feinden eine Lanze zu brechen; und geſezt, daß ſein groſſes und dabey ſanftmuͤthiges Hertz dieſes alles haͤtte verdauen koͤnnen, ſo iſt dieſe Schutzſchrift an ihr ſelbſt und nach ihrem in - nern Werth betrachtet, ſo wohl gerathen, daß ich nicht begreiffen kan, wie der Hr. Doctor, ohne die groͤſte Ungerechtigkeit zu begehen, in die Unterdruͤckung dieſes vor - nehmen Stuͤcks ſeiner Vorrede jemahls haͤtte einwilligen koͤnnen. Jch an meinem Ort halte es vor ein rechtes Meiſterſtuͤcke in der pathetiſchen Schreibart, und ich getraue mir ohne Schmeicheley zu ſagen, daß Hr. Tr-ll-r noch nichts mit ſolchem lebhaften und unge - kuͤnſtelten Feuer geſchrieben habe, und ich zweifle ob Deutſchland etwas in dieſer ArtSchrif -12Stuͤcke der SchutzvorredeSchriften aufzuweiſen habe, das mit dieſem in einige Vergleichung komme. Faſt aus gleichmaͤſſigen Ueberlegungen konnte ich nicht glauben, daß ſeine Freunde, diejenige nem - lich, die ſeinen Ruhm vor allen Anfaͤllen zu bewahren ſich von Hertzen angelegen ſeyn laſ - ſen, ſich ſollten vermeſſen haben, dieſes nam - hafte Stuͤcke ſeiner critiſchen Einſicht ohne ſein Vorwiſſen zu unterſchlagen; ſie konnten ja wohl gedencken, daß dieſes ihr Beginnen nicht verborgen bleiben koͤnnte, und daß ſie ſich dadurch nothwendig eines geheimen Ver - ſtaͤndniſſes mit ſeinen geſchwornen Feinden verdaͤchtig machen wuͤrden. Zuweilen woll - te mir ſehr glaublich ſcheinen, daß dieſe Ver - ſtuͤmmlung der Tr-ll-riſchen Vorrede und Beraubung eines ihrer anſehnlichſten Glie - der fuͤr eine Wuͤrckung des boshaften Neids ſeiner Feinde zu halten ſey; alleine dieſe Wahrſcheinlichkeit verſchwand ſo gleich, wenn ich betrachtete, daß Hr. Tr-ll-r die Sorge und Verpflegung ſeines Fabelwercks ſeinen geheimſten Freunden anvertrauet, daß es alſo ſeinen Feinden unmoͤglich gefallen waͤre, demſelben beyzukommen, und ihren Muth - willen daran zu veruͤden. Als ich dieſe Un - ſchluͤſſigkeit meiner Gedancken einem meiner vertrauteſten Freunde eroͤffnete, wollte mich derſelbe uͤberreden, dieſe Verſtuͤmmlung waͤ - re die Folge einer mit guter Vorbetrachtungnud13fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. und auf hohen Rath der obrigkeitlich verord - neten Buͤcher-Aerzte vorgenommenen Ope - ration, die an dieſem Gliede eine haͤftige Entzuͤndung wahrgenommen, zu welcher der kalte Brand geſchlagen, daher ſie keinen beſ - ſern Rath gewußt haͤtten, als daß man die - ſes angeſteckte Glied der Vorrede abſtieſſe, nach einer bekannten Regel, Enſe recidendum eſt, ne pars ſincera trahatur. Alleine mein Freund wollte nicht hartnaͤckigt auf ſeiner Muthmaſſung beharren, als ich ihm uͤber - zeugende Proben von der Gelindigkeit und Gefaͤlligkeit der Herren Cenſoren in L .... vor Augen legete. Alſo mußten wir endlich dieſe Verſtuͤmmlung einem ſeltſamen Spiel des Gluͤckes zuſchreiben, wir befanden ein - muͤthig, daß dieſer halbe Bogen in der Druͤ - kerey durch Verwahrloſung des Setzers muͤſte verlohren, und aus Unachtſamkeit zu dem Kraͤmer getragen worden ſeyn; und da ſich niemand getraut haͤtte, dieſen Verluſt zu erſetzen, waͤre man genoͤthiget geweſen, die Vorrede ex abrupto zu ſchlieſſen, dabey aber dieſen Mangel ſo gut als moͤglich zu verber - gen, und inzwiſchen bedacht zu ſeyn, wie man dieſe Verwahrloſung beſchoͤnigen, und gegen Hrn. D. Tr-ll-r entſchuldigen wollte.

Bey allem aber kam uns am allermerck - wuͤrdigſten vor, daß dieſes verlohrne Frag - mentum viel eher in die Schweitz als anderſt -wohin14Stuͤcke der Schutzvorredewohin verſchlagen werden, und juſt demjeni - gen in die Haͤnde fallen muͤſſen der den wah - ren Werth deſſelben zu entdecken und es von ſeinem ſo nahen Untergange zu retten wuß - te, der aus beſonderer Hochachtung fuͤr Hrn. Tr-ll-r ſich auch dazu verbunden erkennete. Man ſetze nur, daß es dem Verfaſſer der Critiſchen Dichtkunſt oder einem ſeiner Freun - de in ihre unbarmhertzigen Haͤnde gerathen waͤre, wie grauſam und unverantwortlich wuͤrden ſie ſelbiges nicht gemißhandelt und ſo zugerichtet haben, daß ſolches aus ihren Haͤnden zu retten weder Rath noch Hoff - nung uͤbrig geblieben waͤre? Man hat ſchon laͤngſt angemercket, daß die Gerechtigkeit unter andern Regeln, die ſie in Beſtimmung ihrer Straffen insgemeine beobachtet, auch dieſer folget, daß ſie den Menſchen damit ſtraffet, womit er geſuͤndiget hat. Jch kan mit Grund dazuſetzen, daß eben dieſelbe Bil - ligkeit erfordere, daß einer an dem Orte buͤſſe, wo er geſuͤndiget hat. Wenn die - ſes Fragmentum in Deutſchland ans Licht waͤre geſtellt worden, ſo haͤtte es bey weitem nicht die Dienſte leiſten und den Nutzen ſchaf - fen koͤnnen, den es jezo unfehlbar ſchaffen wird. Ein volles Jahr ſtreicht insgemeine vorbey, ehe dergleichen Schriften wegen der Abgelegenheit in die Schweitz kommen, und unter uns bekannt werden; nun wuͤrden die -ſe15fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. ſe tobende Neider und ſchaͤumende Ver - laͤumder auf Hrn. Tr-ll-rs Unkoſten ſich in - zwiſchen recht luſtig gemachet, und uͤber ſein vorgegebenes Stillſchweigen ungeſtuͤm getri - umphiert haben. Hingegen wird jezo ihrem Muthwillen der Riegel beyzeiten vorgeſcho - ben, und ſie werden durch die Bekanntma - chung dieſer Schutzſchrift ſo ſehr in die En - ge getrieben werden, daß guter Rath bey ihnen theuer ſeyn wird; jedermann wird die Gerechtigkeit dieſer wohlverdienten Zuͤchti - gung erkennen, und ihnen von Hertzen goͤn - nen, und ſich erfreuen, daß ſie endlich ih - ren Meiſter gefunden haben, der ihnen das Handwerck niedergeleget, und ſo viele unter dieſem ſtrengen Joche ſeufzende Seelen von dieſer Critiſchen Tyrannie auf einmahl erle - diget hat. Neben dieſem verſehe ich mich auch, daß dieſe Herausgabe die critiſche Gerechtigkeit der Schweitzeriſchen Nation von vielem Argwohn und von einem uͤblen Ruff befreyen werde. Die Deutſchen wer - den daraus erkennen, daß die wenigſten Schweitzer ſo leckern ſind, und einen eben ſo eckeln Geſchmack haben, als die zween Zuͤrchiſchen Critiſchen Helden, die alles nach ihrem Kopfe meiſtern wollen, und die eben deßwegen bey ihren Landsleuten uͤberhaupt nicht hoͤher geachtet werden, als in Ober - und Niederſachſen. Jch werde nun auchdeſto16Stuͤcke der Schutzvorrededeſto eher Glauben finden, wenn ich bey meiner Eidsgenoͤſſiſchen Treue verſichere, daß die Verdienſte des Hrn. D. Tr-ll-rs um die deutſche Poeſie, ſo wohl als die Schoͤn - heit ſeiner Gedichte, unter uns eben ſo viel Verehrer haben, als wahre Kenner ſind; und man wird ins kuͤnftige den regierenden Geſchmack der Schweitzeriſchen Nation nicht mehr, wie bisher, liebloſer Weiſe nach dem eckeln und verzaͤrtelten Geſchmacke des Zuͤr - chiſchen Verfaſſers der Critiſchen Dichtkunſt beurtheilen.

Was indeſſen den Werth meines Manu - ſcriptes, und hiemit auch den Danck fuͤr meine Herausgabe, um ein nahmhaftes ver - mehren muß, iſt die Ueberzeugung, die ich bey mir ſelbſt habe, daß dieſes das Auto - graphum und das einzige Exemplar ſey, wel - ches jemahls in der Welt geweſen, und daß folglich die Erhaltung oder das Ver - derben deſſelben lediglich in meiner Gewalt und Willkuͤr geſtanden: Jch bin davon ſo feſt uͤberzeuget, als gewiß ich bin, daß derjenige nicht geſcheid handeln wuͤrde, der ein Manuſcript, welches jezt unter die Preſ - ſe geleget werden ſoll, durch ſchriftliche Co - pien bekannt zu machen ſuchen, das iſt, der Sonnen eine Fackel anzuͤnden wollte. Und dasjenige vorausgeſetzet, was ich bisdahin von dem ſeltſamen Geſchicke dieſes Manu -ſcrip -17fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. ſcriptes, nicht etwann nur erdichtet, ſon - dern mit Grund erzehlet habe, ſo kan ich eben ſo wenig begreiffen, daß Hr. D. Tr-l - l-r von dieſer Vorrede mehrere Abſchriften ſollte haben verfertigen laſſen, als ich be - greiffen kan, daß mein Exemplar mehr als eins ſey.

Sollte es dennoch ſolche unglaubige Spoͤt - ter geben, die mich in den Verdacht faſſen, und die Leute bereden wollten, als ob ich dieſes Manuſcript nicht auf beſagte wunder - bare Weiſe bekommen, ſondern aus Muth - willen erdichtet und Hrn. D. Tr-ll-r unter - geſchoben haͤtte, ſo wuͤrden ſie dadurch entwe - der ihre dumme Einfalt, oder ihre Boßheit augenſcheinlich verrathen: Jhre Einfalt, in - dem ſie ſich vermaͤſſen, mir etwas zuzuſchrei - ben, welches ich, ſo wenig als ſie ſelbſt, auf eine ſolche Art und mit ſo vieler Geſchicklich - keit auszufuͤhren im Stande ſeyn wuͤrde; Jhre Boßheit, indem ſie Hrn. D. Tr-ll-r aus Mißgunſt eben ſo vermeſſen dasjenige abſpraͤchen, was nach aller Kenner Urtheil niemand als Hr. D. Tr-ll-r zu verfertigen geſchickt geweſen. Diejenigen, die deſſelben moraliſche Ernſthaftigkeit, ſeine pathetiſche Schreibart, und ſeine feine Art hoͤflich und galant zu ſpotten, kennen, ſind gegen der - gleichen verfuͤhreriſchen Argwohn genugſam bewafnet; Jn Anſehung ſolcher aber, dieBwegen18Stuͤcke der Schutzvorredewegen ihrer Leichtglaubigkeit in Gefahr ſte - hen moͤchten, von dergleichen Spoͤttern ver - fuͤhrt zu werden, mache ich mich hiemit oͤffent - lich anheiſchig, ihnen mit ehrlichen Zeugen zu beſcheinigen, daß ich dieſes Manuſcript von ungefehr und auf die Weiſe, wie ich er - zehlet habe, durch die Hand meines Kauf - manns von Leipzig empfangen habe; und ich zweifle keinesweges, wenn Hr. Tr-ll-r ſeine Freunde, denen er ſein Manuſcript an - vertrauet, und dieſe den Schriftſetzer, dem ſie es werden uͤberantwortet haben, darum mit Ernſt befragen werden, daß nicht ihre Ausſage mit meiner Erzehlung uͤbereinſtimmen und ſie bekraͤftigen werde. Wenigſtens bin ich von Hrn. Tr-ll-rs moraliſcher Neigung zur Billigkeit verſichert, daß er mir ſelbſt, wenn es vonnoͤthen ſeyn wuͤrde, mit einem oͤffent - lichen und unwiderſprechlichen Zeugniſſe zu Steuer der Wahrheit nicht entſtehen, ſon - dern dieſe Arbeit fuͤr die ſeinige erklaͤren, und(*)Siehe die Vorrede zum II. Theil ſeiner Gedichte. alſo den Verdacht von mir ableh - nen wuͤrde, als ob ich ſo ſchlimm waͤre, ſol - che Kinder, die ihrem natuͤrlichen Vater boß - hafter Weiſe entfuͤhrt worden, in meinen Schutz zu nehmen und fuͤr die meinigen zu er - ziehen.

Da ich nun dieſe Vorrede und Schutz - ſchrift des Tr-ll-riſchen Fabelbuchs dem Hrn. Doc -19fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Doctor ſelbſt, als dem wahren Verfaſſer zu - ſchreibe, muß ich die Leſer erinnern, daß ſie ſich nicht etwann dadurch irre machen laſſen, wenn ſie gewahr werden, daß derſelbe nicht nur in der gedruͤckten Vorrede, ſondern auch in dem gegenwaͤrtigen Anhange nicht in ſei - nem eigenen Nahmen, ſondern in der dritten Perſon als von einem andern redet; denn dieſes geſchiehet nur aus einer poetiſchen De - muth und Beſcheidenheit, damit es nicht das Anſehen habe, als ob er ſich ſelbſten lobe, von dieſer Eitelkeit iſt ſeine großmuͤthige See - le himmelweit entfernet, allermaſſen wir uͤber - zeugende Proben davon haben, zum Exempel da ſeine Lobredner ſich ſelbſt oͤffentlich(*)Siehe die Vorrede zum I. Theil ſeiner Gedichte. be - klagen muͤſſen, er ſey auf ſie recht boͤſe wor - den, und habe es ihnen nicht verzeihen wol - len, daß ſie die Wahrheit ſo deutlich von ihm geſagt haben. Viele Vorredner unſrer Zei - ten loben die Wercke ihrer Helden mit einer Niedertraͤchtigkeit und Unverſchaͤmtheit, wel - che man kaum einem Verleger zu gute halten kan. Ein gewiſſer geiſtreicher Mann hat das laͤcherliche Thun dieſer Leute in einem ſinnrei - chen Bild ſehr artig vorgeſtellet; er hat ge - ſagt:

Dergleichen Vorſprecher und ihre Verfaſſer ſcheinen mir eben ſo laͤcherlich als jener welſche Marcktſchreyer, der mit einem tiefſinnigen Ernſt auf einem altenB 2 Roſſe20Stuͤcke der Schutzvorrede Roſſe einherzutraben pflegte, und einen Knaben voran lauffen ließ, der dem ſich verſammelnden Poͤbel mit heller Stim - me verkuͤndigen muſte, daß ſein Herr und Meiſter, das Wunder ſeiner Zeit, der Phoͤnix der Aerzte, die Sonne der Wiſ - ſenſchaften, ein unſterblicher Erhalter des menſchlichen Geſchlechtes, der Bezwinger aller Kranckheiten u. ſ. w. ſey. Zu wel - chem allem der Zahnarzt uur ſeinen Bart ſtreichelte, und zu Zeiten zu den Umſte - henden nur dieſes ſagte: Der Knabe ſpricht nichts als die wahrheit: Jch ruͤh - me mich nicht; aber er kennet mich.

Alleine unſer Hr. D. Tr-ll-r iſt eines weit edelmuͤthigern Sinns, er hat deswegen dem J. C. B. der die beyden Theile ſeiner Ge - dichte mit Vorreden verſehen, ausdruͤcklich unterſagt, daß er den Werth ſeiner Ge - dichte nicht anpreiſen ſollte: Aber eben die - ſer Vorredner giebt nicht undeutlich zu ver - ſtehen, was fuͤr ein hartes Gebot dieſes ſey, und wie ſchwer es ihm falle, den Werth und die Verdienſte eines Mannes oder einer Schrift, die jedermann ſo ausnehmend vor - kommen, als gleichguͤltig zu behandeln. Man muß es darum vor die Wuͤrckung ei - ner raren Beſcheidenheit halten, daß Hr. Tr-ll-r bey der Ausgabe ſeiner Fabeln das Amt eines Vorredners keinem Fremden an -ver -21fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. vertrauet, ſondern ſolches ſich ſelbſt vorbe - halten, und durchaus ſo beſcheiden von ſich ſelbſt geredet hat, daß man beynahe mei - nen wuͤrde, er kennete ſich ſelbſten nicht, und der Verfaſſer des Fabelwercks gienge Hrn. Tr-ll-r von Haut und Haar nichts an. Jch habe mir auch ſagen laſſen, er habe ſich uͤber das, wiewohl hoͤchſtverdiente Lob, welches ihm der Hr. von Boͤhlau in ſei - nen Jugend-Fruͤchten Bl. 429. und 430. beygeleget hat, weit haͤftiger entruͤſtet, als uͤber die Verlaͤumdungen des Verfaſſers der Schweitzeriſch-Critiſchen Dichtkunſt. Alleine ich finde dieſes Lob ſo gerecht, daß ich mich nicht entbrechen kan, ſolches hier anzufuͤgen und zu wiederholen. Es heißt Bl. 430.

Das that der groſſe Geiſt, der mehr als tauſend nuͤtzet,
Mein Tr-ll-r, deſſen Kiel die Ehre Deutſchlands ſtuͤtzet,
Dem einſt noch Gronov, Clerc, Graͤv u. Salmaſius,
Ja Grot und Scaliger den Vortritt goͤnnen muß.
Der Franckreichs Munterkeit, der Britten Witz ver -
lacht,
Weil ſeiner Muſe Gluth ſich ihrer Meiſter macht.

Die Gerechtigkeit dieſer Lobeserhebung iſt ja in dem allgemeinen Ausſpruche Salomons gegruͤndet, der in ſeinem Prediger Cap. IX. v. 4. 5. 6. ſagt:

Ein lebendiger H iſt beſſer als ein todter Loͤwe; denn die Le -B 3 ben -22Stuͤcke der Schutzvorrede bendigen wiſſen, daß ſie ſterben werden, die Todten aber wiſſen nichts, ſie verdie - nen auch nichts mehr. Denn ihr Ge - daͤchtniß iſt vergeſſen, daß man ſie nicht mehr liebet, noch haſſet, noch neidet, und ſie haben keinen Theil mehr auf der Welt in allem, das unter der Sonnen geſchieht.

Nun ſind aber Gronov, Clerc, Graͤv, Salmaſius, Groot und Scaliger todt; ſollte denn nicht dem Hrn. Tr-ll-r ein billiger Vorzug uͤber dieſe alle gebuͤhren? Und die zwo leztern Zeilen ſind ſo unbe - ſtimmt, daß ich gar nicht ſehen kan, was die Neider des ſich ausbreitenden Tr-ll-ri - ſchen Ruhms daran auszuſetzen haben. Man wird bey den Franzoſen und Britten noch allezeit ſolche Scribenten antreffen, die an Munterkeit und Witz zu uͤbertreffen, eben keine groſſe Kunſt erfodert wird; und ich bin ſicher, wenn der Hr. von Boͤhlau ſich erklaͤren muͤßte, was er vor Franzoſen und Britten gemeint habe, uͤber die er ſeinem Meiſter einen ſolchen Vorzug giebt, es wuͤr - de jedermann den groſſen Unterſchied zwi - ſchen dieſen und jenen erkennen und die Vergleichung gutheiſſen muͤſſen. Aber ſo billig und beſcheiden auch dieſes Lob immer ſeyn mag, ſo muß dennoch Hr. Tr-ll-r ſel - biges nicht gerne, noch mit gleichguͤltigem Gemuͤthe aufgenommen haben, alleine ausder23fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. der vorſichtigen Beyſorge, es moͤgte ſelbi - ges etwann von neidigen Spoͤttern wider die Abſicht des Lobredners verdrehet und gemißdeutet werden. Sehet da ein ſeltenes Muſter einer recht edelmuͤthigen Beſchei - denheit bey einem Verdienſt-vollen Dich - ter, und zugleich die wahre Urſache, wa - rum er in der Vorrede zu ſeinem neueſten Fabelwerck das Wort ſelbſt fuͤhret, doch ſo, daß es ſcheinet, als ob er von einem an - dern rede.

Wollte aber jemand nur dieſes behaup - ten wollen, Hr. Tr-ll-r habe dieſe Vorre - de nicht ſelbſt geſchrieben, ſondern nur et - wa in die Feder dictirt, oder nachdem ſie von einem ſeiner Schuͤler verfertiget wor - den, uͤberſehen, veraͤndert und verbeſſert, ſo will ich mit einem ſolchen keinen Zanck anfangen, maſſen auch in dieſem Sinne von Hrn. Tr-ll-r eben ſo wohl kan geſagt werden, daß er der Verfaſſer dieſer Schutz - Schrift ſey, als dorten von Herodes ge - ſagt wird, er habe alle Kindlein zu Betle - hem getoͤdet.

Alleine ich will das gereizte Verlangen meiner Leſer nicht laͤnger an dem Genuſſe meines Manuſcripts hindern, zumahl da ich deſſen Werth bisdahin nicht geſchickter an - geprieſen habe, als dorten die Lobredner Salomons bey der Koͤnigin von Saba dieB 4Weiß -24Stuͤcke der SchutzvorredeWeißheit deſſelben nach ihrer Wuͤrdigkeit beſchrieben haben. Jch bin auch verſichert, daß die eigene Erfahrung meine Leſer eben ſo wohl, als jene Koͤnigin, von des Lob - redners Ungeſchicklichkeit uͤberzeugen, und meinem Lobe erſt das rechte Gewicht geben werde. Mithin da dieſes Manuſcript uns den ſchoͤnſten Anlaß giebt, manche critiſche Wahrheit in ein helles Licht zu ſetzen, ſo wird man mir erlauben, ſelbiges mit An - merckungen zu verſehen, inmaſſen es dieſe Ehre beſſer verdienet, als manches altes lateiniſche oder griechiſche Manuſcript, wel - che oft ſo unverſtaͤndlich an ſich ſelbſt ſind, oder von den Commentatoren gemachet wer - den, daß man ſelbſt nicht weiß, woran man ſich halten ſoll. Mein Manuſcript bedarf kei - ner dergleichen Erklaͤrungen, und ſie wuͤrden eben ſo wenig nuͤtze ſeyn, als wenn man der Sonne an dem hellen Mittag eine Fackel an - zuͤnden wuͤrde. Die Abſicht meiner Anmer - kungen gehet alleine dahin, einige moraliſche und critiſche Grundſaͤtze, die nur beylaͤuftig angefuͤhret werden, und auf welche der Ver - faſſer ſeine Urtheile gruͤndet, um der Ein - faͤltigen willen weiter auszufuͤhren, und die Kunſt, die in dieſer gantzen Schutzſchrift ver - borgen lieget, einigermaſſen aufzudecken.

Fra -25fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.

FRAGMENTUM der Vorrede zu den Tr[]ll[]riſchen Fabeln, Oder Schutz-Schrift gegen den Verfaſſer der Critiſchen Dichtkunſt.

MEin Gott! was erhebet nicht der ehr -licheAnmerckungen. Mein Gott!) Sehet da, in was vor einer chriſt - lichen Verfaſſung das ſanftmuͤthige Hertz des Verfaſ - ſers geſtanden hat, als er ſich an dieſe Vertheidigung gemachet. Ein anderer haͤtte aus einem andern Thone angefangen, als etwann:Arma Virumque cano! Oder:Muſa mihi cauſſas memora, quo numine læſo, Quidve dolens Regina Deûm, tot volvere caſus Inſignem pietate virum, tot adire labores Impulerit. Tantæne animis coeleſtibus iræ! Aber unſer ſanftmuͤthige Verfaſſer nimmt ſeine Zuflucht, als ein chriſtlicher Poet, zu der Invocatione, oder An -B 5rufung. 26Stuͤcke der Schutzvorredeliche Mann vor ein greuliches Lermen[:]Mitrufung. Er druͤckt dadurch ſeine Empfindlichkeit und innigſte Wehmuth, nicht uͤber die ihm angethane Un - bill; ſondern uͤber die ſchwere Verſuͤndigung des Ver - faſſers der neuen Critiſchen Dichtkunſt, ſehr lebhaft aus. Man kan im uͤbrigen von dieſer poetiſchen An - rufung Hrn. G-ttſch-ds Critiſche Dichtkunſt nachſe - hen.Dieſer ehrliche Mann) Er meinet den Schweitze - riſchen Verfaſſer der neuen Critiſchen Dichtkunſt: Er nennet ihn einen ehrlichen Mann, nicht per antiphra - ſin, wie etwann die Spoͤtter meinen moͤgten; ſon - dern damit er zeige, daß ihn die empfangene Unbill nicht hindere, auch von ſeinen Feinden gutes zu reden, nach dem bekannten Axiomate, & in hoſte laudanda Virtus. Und wenn wir dem Seneca glauben wollen, ſo iſt der Ruhm eines ehrlichen Manns allem andern Ruhm, auch dem Ruhm eines groſſen Dichters, ei - nes ſcharfſinnigen Kunſtrichters ꝛc. weit weit vorzuzie - hen: Magno impendio temporis, magna alienarum aurium moleſtia laudatio hæc conſtat, ô Hominem Li - teratum! Simus hoc titulo ruſticiore contenti, ô VI - RUM BONUM. Und in dieſen Gedancken ſtehet auch unſer Verfaſſer, daher er ſich dieſen Titel alſofort ſelbſt beyleget, wenn er ſagt: Wichtige Urſachen ... ehrliche Leute ſo unbaͤndig anzugreiffen! Wo dieſes Beywort ja unmoͤglich antiphraſtice kan verſtanden wer - den.Was erhebet er nicht vor ein greuliches Lermen[:]) Da er nemlich in dem ſiebenden Abſchnitte ſeiner Criti - ſchen Dichtkunſt, wo er von der Eſopiſchen Fabel aus - fuͤhrlich handelt, ſich daran nicht begnuͤget, die Tr-ll-ri - ſche Unterſuchung von der Natur der Fabel, Bl. 173.175.27fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Mit was vor Heftigkeit und Bitterkeit ſtoͤſ - ſet er ſeine Urtheile nicht aus? Warum denn dieſes alles? nemlich um Sylben, Gedan -ken,175. 177. 188. u. f. 195. hoͤhniſch durchzuziehen, ſon - dern noch uͤberdas von Bl. 214. bis 262. alleine bemuͤ - het iſt, die in dem Anhange der Tr-ll-riſchen Gedichte befindlichen Fabeln durch die Muſterung gehen zu laſ - ſen. Was bedurfte es ſolcher Weitlaͤuftigkeit, wenn er nichts mehrers ſagen wollte, als daß ihm dieſe Fa - beln mißfallen?Mit was vor Heftigkeit und Bitterkeit ꝛc.) Wa - rum muß er die Tr-ll-riſche Unterſuchung unbegruͤndt und ungluͤcklich nennen? Warum die Fehler, die ſich etwann ereignen, juſt vor eine Wuͤrckung einer ſchlech - ten Ueberlegung angeben? Warum auf den Wider - ſpruch, den er zu entdecken meinet, als etwas recht kin - diſches ſchmaͤhen? Und wann wuͤrde ich fertig werden, wenn ich alle die Critiſchen Hiebe und Streiche, womit er lincks und rechts unbarmhertziger Weiſe und ohne Mitleiden um ſich ſchmeißt, nahmhaft machen wollte? Jch bitte meine Leſer, die Muͤhe ſelbſt zu nehmen, und den ſiebenden Abſchnitt der Critiſchen Dichtkunſt mit Nachdencken zu leſen, ſo werden ſie dem Hrn. Doctor das Zeugniß geben muͤſſen, daß er noch gnaͤdig mit ſeinem Feinde verfaͤhrt, wenn er ihn bloß einer Hef - tigkeit und Bitterkeit in ſeinen Urtheilen beſchuldiget. Wenn er demſelben nicht verſchonet haͤtte, ſo waͤre es ihm ohne Zweifel ein leichtes geweſen, ſeine Urtheile vor falſch und unbegruͤndet auszuſchreyen.Um Sylben, Gedancken, Worte und Reime) Jch bin lange im Zweifel geſtanden, ob ſich nicht das Wort Gedancken hier wider die Abſicht des Verfaſſers eingeſchlichen habe: Denn, gedachte ich, falſche Ge -dan -28Stuͤcke der Schutzvorredeken, Worte, und Reime, um Fabeln undMaͤhr -dancken ſind endlich noch wohl einer Beurtheilung werth; und der Eifer eines guten Kunſtrichters gegen ſolche moͤgte endlich noch wohl zu rechtfertigen ſeyn. Alleine da mir die Hamburgiſchen Berichte von ge - lehrten Sachen No. LXXIV. ungefehr in die Haͤnde fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln ſehr fleiſſig angeprieſen, dem Schweitzeriſchen Kunſt - richter ſeine tollkuͤhne Vermeſſenheit derbe verwieſen, und die Vertheidigung dieſes unverbeſſerlichen deutſchen Dichters mit ſeinen eigenen Kern-Worten beſchloſſen wird, fand ich zu allem Gluͤcke eben dieſe Ausdruͤckung; es heißt gegen dem Ende: um Sylben, Gedancken, Woͤrter und Reime muͤſſen Beſcheidenheit, Gelin - digkeit und Menſchenliebe gaͤntzlich hintan geſezt werden? Dieſe Stellen ſind einander ſo aͤhnlich, daß keine ohne die andere kan veraͤndert werden, und es ſchwer zu errathen iſt, welche von der andern abgeſe - hen worden: Auch kan Hr. Z* am beſten wiſſen, was Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken uͤber critiſche Materien ſeyn. Jch verwerfe daher meine erſte Muthmaſſung ſelbſt, und erklaͤre den Sinn des Verfaſſers ſo, daß er nicht mehrers ſagen wolle, als, man muͤſſe den irrenden Scribenten, wenn ſie auch gleich in den Gedancken noch ſo uͤbel verſtoſſen, mit Sanftmuth und Hoͤflichkeit zurecht helfen.Um Fabeln und Maͤhrchen) Maͤhrchen ſind wun - derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit haben; hiemit wunderbare Luͤgen, dergleichen unverſtaͤndige Ammen den kleinen Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kuͤr - zen pflegen. Dieſe Maͤhrchen haben eben eine ſo lehr - reiche Abſicht, als die guten Fabeln; doch kan dieſes ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die Wahrheit und das Nuͤtzliche nicht durch Luͤgen fort -pflan -29fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Maͤhrchen, die zum Zeitvertreib fuͤr dieJu -pflantzen, und die unerfahrne Leichtglaͤubigkeit der Kin - der nicht mißbrauchen, noch weniger ihren Geſchmack durch abgeſchmackte und unmoͤgliche Erzehlungen zu einer Zeit verderben, da ſie noch nicht im Stande ſind, zwiſchen link und recht ſelbſt zu unterſcheiden. Aus dieſem laͤßt ſich die Frage leicht entſcheiden, wel - che Hr. Z* in der oberwehnten LXXIV. No. der Hamburgiſchen Berichte bey Anlaß der Tr-ll-riſchen Fabeln auf die Bahn bringet, nemlich, Was vor deutſche oder lateiniſche Fabeln der Schul-Jugend zu belieben, und in denen unterſten Claſſen einzu - fuͤhren rathſam ſeyn moͤgte? Jch antworte, nur keine Maͤhrchen nicht, ſondern alleine ſolche Fabeln, die ihre Glaubwuͤrdigkeit bey allem Scheine des Wun - derbaren genugſam rechtfertigen koͤnnen. Man wuͤrde ſich aber uͤbel betriegen, wenn man aus dieſer Stelle ſchlieſſen wollte, als ob Hr. D. Tr-ll-r ſeine Fabeln ſelbſt in keinem hoͤhern Werth hielte, als die Maͤhr - chen unperſtaͤndiger Ammen; Das ſey fern. Er be - dient ſich hier ſehr geſchickt einer Figur, welche die Schulgelehrten Meioſin oder Tapeinoſin heiſſen, wel - che etwas von ſeinem Werth kuͤnſtlich herunterſetzet und veraͤchtlich macht, damit etwas anders dadurch augen - ſcheinlich erhoben werde. Weil nun Hr. Tr-ll-r ſeines Gegners Heftigkeit und Bitterkeit in ſeinen Urtheilen recht laͤcherlich machen wollte, ſo mußte er ſeine eige - ne Arbeit, mit deren Beurtheilung ſich dieſer Criticus was groſſes duͤncket, um ein namhaftes ſelbſt verklei - nern: Angeſehen es ja recht laͤcherlich laſſen wuͤrde, wenn ein groſſer Kunſtrichter mit eben dem Anſehen und der Ernſthaftigkeit, mit welcher er etwann die Wercke eines Homers und Virgils zu beurtheilen pfle - get, die kindiſchen Maͤhrchen einer Amme unterſuchen, oder die Kinder in ihren naͤrriſchen Spielen hofmeiſtern wollte.30Stuͤcke der SchutzvorredeJugend aufgeſetzet, und als ein unvollkom - mener Verſuch angegeben worden. Wich -tigeDie zum Zeitvertreib fuͤr die Jugend aufgeſetzet) Es faͤhrt der Vorredner in der angefangenen Figur fort; und man muß dieſes nicht im Ernſt aufnehmen. Hr. D. Tr-ll-r weiß viel zu wohl, was fuͤr Behutſam - keit in dem Umgange mit der Jugend erfodert wird, und daß es nicht gleichguͤltig iſt, woran man ihren Geſchmack gewoͤhne: Nach dem bekanntenQuo ſemel eſt imbuta recens ſervabit odorem Teſta diu. Als ein unvollkommener Verſuch angegeben wor - den) Sein eigenes Bekenntniß in ſeiner Unterſu - chung von der Natur der Fabel Bl. 559. iſt hieruͤber gar deutlich: Dieſe Fabeln werden hiermit dem ge - neigten Leſer, als ein Anhang, dargereicht, zwar nicht in der Meinung, daß ſie etwas vollkomme - nes ſeyn ſollten. Und etwas ferner: Jch muß ſelbſt bekennen, dnß einige ſchon laͤngſt vrrfertigte die ſtrengſten Pruͤffungen nicht aushalten duͤrften. Wiewohl er anbey verſichert, daß er ſich aͤuſſerſt habe angelegen ſeyn laſſen, mit Wiſſen und Willen nicht wider die ſchweren Regeln der Fabel zu verſtoſſen. So groß aber die Beſcheidenheit Hrn. D. Tr-ll-rs iſt, kan ich gleichwohl das unhoͤfliche Zeugniß des Vor - redners zu dem zweyten Theile der Tr-ll-riſchen Ge - dichte darum nicht gutheiſſen, z. Ex. wenn er unter anderm von eben dieſer Haupt-Tugend unſers groſſen Dichters meldet, Er ſuche ſeinen unverdienterlang - ten Ruhm mehr mit Beſcheidenheit zu verbergen, als mit frechem Hochmuth auszubreiten. Heißt dieſes nicht ſeinen Helden dem Geſpoͤtte der Feinde preiß geben, und ihnen die Waffen ſelbſt in die Haͤndeliefern,31fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. tige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten,undliefern, womit ſie ihm beykommen koͤnnen, wenn man oͤffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm, welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr. D. Tr-ll-r kan ſein eigenes Heu Stroh nennen; aber das iſt darum einem andern nicht erlaubt, und Com - plimente muß man nicht grad vor Ernſt aufnehmen. Nicht beſſer iſt, was bald hernach folget: Vicle ſeiner Gedichte hat er in ſeiner noch bluͤhenden und feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft beſſer ſind, als die Gedancken. Und an einem andern Orte: Er glaͤubt, die gelehrte Welt koͤnne ſeiner poetiſchen Gedancken, die, aus Mangel der Zeit, nie ſattſam ausgearbeitet werden koͤnnen, mit leichter Muͤhe entrathen. Was koͤnnte wohl der aͤrgſte Feind ſchlimmers von einem Gedichte ſagen, als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die ſchoͤnen und praͤchtigen Worte wohl das beſte daran ſeyn? Wenn Hr. Doctor ſelbſt ſich alſo erklaͤren wuͤrde, ſo wuͤrde es jedermann vor eine Ausdruͤckung ſeiner an - gebohrnen Beſcheidenheit aufnehmen: Aber da es von einem andern geſagt wird, von dem man vorausſetzet, daß er auſſer Stand ſey, ſeinen Helden zu beſchimpfen, ſo duͤrften dergleichen loſe Reden im Ernſt aufgenom - men werden.Wichtige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten) Man bemercke hier die pathetiſche Figur des Ausrufs, welche dem ſtoͤrriſchen Kunſtrichter nothwendig eine Roͤ - the ins Angeſicht jagen, und ihn mit Scham bedecken wird. Sollte es nicht laͤcherlich ſeyn, daß ein ernſthaf - ter Criticus ſich uͤber unſchuldige und dabey noch lehr - reiche Maͤhrchen einer Kinderwaͤrterin, uͤber junger Leu - te Schertz und Kurtzweil, uͤber Sylben und Reimen, und andere ſolche Kleinigkeiten ſo heftig entruͤſtet, als ob es um die Beſtrafung eines Hochverraths zu thun waͤre?32Stuͤcke der Schutzvorredeund ehrliche Leute ſo unbaͤndig anzugreiffen, als ob es einen ſonderbaren Glaubens-Ar - tickel oder bedencklichen Friedens-Schluß anbetraͤfe. Richer mag ihm antworten:

Du ſolide Cenſeur diſtinguons le Pédant!
Cet Animal chagrin, plein d’un orgueil extréme,
N’aprouve rien, que ce, qu’il fait lui-même.
Sur tout il imprime ſa dent.

Man weiß wohl die Freyheit, die Gelehrtedieß -Ehrliche Leute) Ehrliche Leute angreiffen, iſt eine zweydeutige Redensart; denn entweder heißt die - ſes jemand durch Verleumdung an ſeinem ehrlichen Nahmen kraͤncken, oder, einen ehrlichen, unverleum - deten Mann wegen einiger Maͤngel und Gebrechen, die den ehrlichen Nahmen nicht beruͤhren, tadeln und beſtrafen. Und in dieſem leztern Sinn wird dieſer Aus - druck oͤfters per fallaciam compoſitionis, wie die Schul - gelehrten ſich in ihrer geweyheten Sprache ausdruͤcken, gemißbraucht; grad als ob einer kein ehrlicher Mann ſeyn koͤnnte, wenn er nicht ein untadelhafter Poet, oder unverbeſſerlicher Fabeldichter waͤre. Man kan daruͤber mit Erbauung nachleſen, was in der Samm - lung ſatyriſcher und ernſthafter Schriften, in der Vertheidigung Briontes des juͤngern, abſonderlich Bl. 254. und 255. uͤber dieſe Materie vorkoͤmmt.Man weiß wohl die Freyheit, die ꝛc.) Und wa - rum ſollten es die Herren Hamburger nicht wiſſen, da Briontes der juͤngere ſolches erſt neulich mitten unter ihnen ſo handgreiflich erwieſen hat, daß ich glaube, es ſey wohl mehr als einer, der es heimlich befeufze, daß dieſe Wahrheit Wahrheit iſt. Siehe die Vertheid. Briont. des juͤngern Bl. 256. 259. 260. u. f. Aberunſer33fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. dießfalls uͤber einander haben; es ſtehet je - dem frey, Schriften zu beurtheilen; es iſt auch nuͤtzlich und loͤblich: Alleine es muß mit Beſcheidenheit und Gelindigkeit, und nicht in einer Sprache geſchehen, die man eher in denen Muͤhlen, Scheuren und Schen - ken, als unter gelehrten und wohlgeſitteten Leuten, zu hoͤren gewohnt iſt.

Sind Wort und Sylben denn von ſolcher Wichtigkeit,
Daß man ſo ungeſtuͤm, wie Haͤrings-Weiber, ſchreyt?
Dießunſer groſſer Dichter hat keine Urſache, dieſe Wahrheit zu fuͤrchten. Siehe daſelbſt Bl. 262. 264. Er hat mehr, als ein Kleid,
er kan wohl leiden, wenn man ihm, ſo zu ſagen, ſein poetiſches Kleid aus - ziehet, ja es wuͤrde ihm ein leichtes ſeyn, ſolches ſelbſt abzulegen, indem er noch andere Kleider im Vorrath hat, welche er geziemend anlegen, und ſich damit unter Leuten zur Noth noch ſehen laſſen kan.
Wie ſein Vorredner zu dem zweyten Theil ſeiner Ge - dichte mit eben dieſen Worten gar ſinnreich und gruͤnd - lich von ihm bezeuget.
Es muß mit Beſcheidenheit und Gelindigkeit ꝛc.) Man kan dieſes in der oben gedachten Vertheidigungs - Schrift Bl. 270. u. f. desgleichen Bl. 281. u. f. gar gruͤndlich ausge[f]uͤhret leſen. Sind Wort u. Sylben denn von ſolcher Wichtigkeit) Dieſe Verſe haben die Kraft eines poetiſchen Exorciſmi, der alle critiſchen Spottgeiſter in die Flucht treiben kan: Und ſie gehoͤren als ein wichtiger Zuſatz in Hieronymi Mengi Flagellum Dæmonum. C34Stuͤcke der Schutzvorrede
Dieß bringt der Wiſſenſchaft gewiß den groͤſten Schaden,
Den ihre Meiſter ſelbſt durch Grobheit auf ſich laden,
Dadurch wird ſie hernach vernuͤnftigen verhaßt,
Und ein Gelehrter iſt ſo viel als ein Fantaſt.

Man leſe hiervon weiter unſers Verfaſſers Gedichte auf den ſeel. Hrn. Fabricius, von der unanſtaͤndigen Schmaͤhſucht der Gelehrten, nebſt denen Anmerckungen, und beſſere ſich. Man weiß nicht, ob man den boͤsartigen Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen ſoll, welcher andern Leuten die Fehler in Schriften zeigen will, und doch ſelbſt einer viel wichtigern Verbeſſerung ſeiner rauhen und ſtoͤrriſchen Sitten u. unhoͤflichen Schreib - art noͤthig hat, wie der Leſer mit Erſtaunenwahr -Der ſelbſt einer viel wichtigern Verbeſſerung noͤthig) Ein bekanntes Schul-Dictum lautet: Turpe eſt Do - ctori, quem culpa redarguit ipſum. Wer andre mit Recht tadeln will, der muß ſelbſt ohne Fehler und Ge - brechen ſeyn: Da nun keiner vollkommen und Engel - rein iſt, ſo waͤre es ja weit beſſer, und fuͤr die gemei - ne Ruhe weit vortraͤglicher, daß man das Tadeln und Richten, als ein friedenſtoͤrendes Handwerck, gaͤntzlich einſtellete, und einander haͤlfe, die gemeine Unvoll - kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol - cher laͤßt ſich ſchon aus einander ziehen, daß er weit genug wird, die Bloͤſſe ſo vieler Leute zu bedecken.Mit Erſtaunen) Der Verfaſſer kennet das Hertz der Menſchen, insbeſondere ſeiner deutſchen Leſer, ſo wohl, daß er mit Gewißheit voraus ſagen kan, was dieſe oder jene Vorſtellung vor einen Eindruck auf das - ſelbe machen werde. Hier verkuͤndiget er ein Erſtau -nen35fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. wahrnehmen wird. Alleine laßt uns nun ei - nige der wichtigſten Einwuͤrffe beſehen, dieernen, nemlich ein ſolches, das mit Furcht und Abſcheu verknuͤpfet iſt:Improviſum aſpris veluti qui ſentibus Anguem Preſſit humi nitens, trepidusque repente refugit Attollentem iras, & cœrula colla tumentem. Einige der wichtigſten Einwuͤrffe) Das Ge - wicht der Einwuͤrffe wird gemeiniglich von dem, der ſie machet, und von dem, der ſie beantworten ſoll, in einer gantz nngleichen Waage abgewogen. Sie werden hier die wichtigſten Einwuͤrffe genennet, nicht als ob ſie an ſich ſelbſt einiges Gewicht haben; ſondern in Vergleichung mit den uͤbrigen Einwuͤrffen, die wahr - haftig leichter ſind, als die Spreu. Jch will meinen Leſern zu gefallen eine kurtze Liſte von dieſen Einwuͤrffen herſetzen, damit ſie ſelbſt ein Urtheil davon faͤllen koͤnnen. Der Verfaſſer der Critiſchen Dichtkunſt wirft demnach folgende Fragen auf, die ſich auf Hrn. Tr-ll-rs Unter - ſuchung von den Fabeln, und auf die Fabeln ſelbſt beziehen, die in dem Anhange ſeiner Gedichte ſtehen. Ob Eſopus ſeinen Fabeln die Lehren ſelbſt angehaͤnget? Bl. 173. Ob Phaͤder zu tadeln ſey, daß er die Leh - re der Fabeln mehrmahlen vorne zu Anfang der Erzehlung geſetzet hat? Bl. 175. Ob La Motte we - gen der weitlaͤuftigen Vorreden, die er vor ſeinen Fa - beln geſetzet, zu entſchuldigen? Bl. 177. Ob die menſchlichen Fabeln wegen Mangel des Wunderbaren allemahl verwerflich ſeyn? Bl. 188. u. f. Ob La Motte geirret, da er die Fabel ein kleines Epiſches Gedichte genennet? Bl. 195. Ob die Fabel von dem kleinen Knaben, der das Meer in ein kleines Gruͤb -C 2lein36Stuͤcke der Schutzvorredeer wider die Trilleriſchen Fabeln gemacht,umlein ausſchoͤpfen wollen, von Hrn. Tr-ll-r erfunden worden, und ob dieſe Erfindung gutzuheiſſen ſey? Bl. 215. Ob die Veraͤnderung des Oceans in den Rheinſtrom, und des Gruͤbleins in zween Toͤpfe, in dieſer Fabel, gantz gleichguͤltig ſey? Bl. 216. Ob die gelehrte Abſicht, die Hr. Tr-ll-r dem Knaben bey dieſem Unternehmen zuſchreibet, wahrſcheinlich ſey? Bl. 218. Ob die Fabel von dem Kinde und dem Fro - ſche nicht wegen Mangel des Wunderbaren verwerflich ſey? und ob die Lehre, welche Hr. Tr-ll-r daraus herleitet, nicht gezwungen ſey? Bl. 219. u. f. Ob die Fabel, der Hund auf einem ſammtenen Kuͤſſen und der Hausherr, nicht ohne Noth unter die wunder - baren Fabeln gezehlet worden? Bl. 223. Ob die Fa - bel, der gereiſte Mann ein wunderlicher Koch, etwas mehrers ſey als ein bloſſes Gleichniß? Bl. 225. Ob die Fabel, die Raben-Bleiche betittelt, neu und noth - wendig ſey? Bl. 227. Ob Hr. Tr-ll-r in ſeiner Un - terſuchung von Fabeln Bl. 568. Urſache gehabt, die Eſopiſche Fabel von dem Fuchſe in des Bildhauers Werckſtatt, als unwahrſcheinlich zu verwerffen? Bl. 238. Ob er des Hrn. La Motte Critick uͤber dieſe Fa - bel recht verſtanden habe? Bl. 240. Ob er Recht ge - habt, die Fabel von dem Loͤwen, der ſich in eine Schaͤ - ferin verliebt, als unvernuͤnftig und widernatuͤrlich zu verwerffen? und ob ſeine vorgeſchlagene Verbeſſerung derſelben gutzuheiſſen ſey? Bl. 242. u. f. Ob nicht die meiſten Tr-ll-riſchen Fabeln in ihrer Erfindung all - zu menſchlich ſeyn, ſo daß ſie nichts wunderbares ha - ben, als den Nahmen der Thiere? Bl. 246. u. f. ꝛc. Jch fuͤrchte gar nicht, daß dieſe ausfuͤhrliche Nahm - haftmachung ſo vieler Fragen und Einwuͤrffe die Auf - richtigkeit meines Verfaſſers verdaͤchtig machen werde;der -37fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. um von dem Werth dieſer Critiſchen Dicht - kunſt hieraus zu urtheilen; denn alles zubeant -derſelbe iſt nicht von der Art derjenigen, die, wenn ſie etwan mit einem ſtrengen Gegner zu thun haben, aus einer gantzen Schrift nur dasjenige herausklauben, was am ſchwaͤchſten ſcheinet, und noch wohl zu ver - antworten iſt, inzwiſchen aber die ſtaͤrckſten Einwuͤrffe liſtiger Weiſe verhoͤlen. Man darf nur dieſe Fragen durchleſen, ſo wird man mit Haͤnden greiffen muͤſſen, daß es lauter Kleinigkeiten ſind, die keine Widerle - gung verdienen. Was liegt endlich dem Staate, oder der Kirchen, oder dem Hausweſen daran, ob die Leh - re vorne oder hinten an der Fabel ſtehe, wenn nur eine darinnen iſt? Ob ſie Wahrſcheinlichkeit genug ha - be, wenn ſie nur lehrreich und ergetzlich iſt? Jſt das Vorhaben, den Rheinſtrom in zween Toͤpfe auszuſchoͤ - pfen, nicht eben ſo thoͤricht und unmoͤglich, als das Weltmeer in ein Gruͤblein zu leiten? ꝛc. ꝛc.Um von dem Werth dieſer Critiſchen Dichtkunſt hieraus zu urtheilen) Ex ungue Leonem! Es iſt zwar nicht zu leugnen, was Plinius ſagt: Nullus li - ber tam malus eſt, in quo non aliquid inſit boni. Doch hindert dieſes uicht, daß man nicht ein Buch dem andern vorziehen duͤrfe. Wir haben ja Hrn. G-ttſch-ds Critiſche Dichtkunſt, und ſo haͤtten wir dieſer neuen Critiſchen Dichtkunſt wohl entbehren koͤnnen; um ſo viel mehr, da jener ſo beſcheiden und hoͤflich iſt, daß er, die Lebenden nicht zu erzoͤrnen, ſich nicht ſcheuet, die Manes der abgelebten Dichter in ihrer Ruhe zu ſtoͤ - ren; ungeachtet es in dem gemeinen Spruͤchwort heißt: De Mortuis nonniſi bene. Da hingegen der neuere Verfaſſer ſo unbeſcheiden iſt, daß er auch der noch le - benden nicht verſchonet, und ihnen ihre Fehler unterC 3das38Stuͤcke der Schutzvorredebeantworten verlohnet ſich nicht der Muͤhe, und das weitlaͤuftige Gewaͤſche von lauter Kleinigkeiten verdienet keine Widerlegung. Er fraget alſo unter andern: Ob die Eſpen, Tannen, Buch und Linden in einer Ca - ravane hinter dem Eichbaume hergezogen waͤren? Welche tiefſinnige Frage, die keinOedi -das Angeſicht vorruͤcket. Horatz iſt ein aberglaubiger Spoͤtter, wenn er von einem gewiſſen Poeten ſagt:Nec ſatis apparet, cur verſus factitet: utrum Minxerit in patrios cineres, an triſte bidental Moverit inceſtus: Certe furit. Er fraget alſo unter andern, ob die Eſpen, Tan - nen ꝛc.) Die verwegene Critick des Schweitzeriſchen Verfaſſers uͤber die Bibliſche Fabel des Joas lautet unter anderm Bl. 259. 260. alſo: Wenn wir die ausfuͤhrliche Abhandlung dieſer Fabel vor uns neh - men, ſo werden wir finden, daß Hr. Triller aller ſeiner Kunſt aufgeboten hat, recht laͤcherlich zu wer - den. Dieſe Kunſt beſtehet darinnen, daß er die Regel von dem Wahrſcheinlichen, in ſo ferne die - ſelbe in der Natur und Beſchaffenheit der Dinge ge - gruͤndet iſt, gaͤntzlich aus den Augen geſetzet hat. Die Baͤume haben ihre gantze Natur abgelegt, und koͤnnen alle menſchlichen Verrichtungen ſo gut nach - ahmen, als die Menſchen. Sie verſammeln ſich zuſammen in einen geheimen Rath, Bl. 605. ſie halten Beylager und legen ſich zuſammen ins Bette, Bl. 606. ſie ſchweeren bey ihrer Seelen; die Ge - ſchichte vom Koͤnig Salomo iſt ihnen im Grund bekannt; ſie beſitzen groß Geld und Gut, und wiſ - ſen39fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Oedipus aufloͤſen kan! Welcher ſchertzhafter Einfall, der einem Thraͤnen auspreſſen moͤg - te! Welche Critiſche Dichtkunſt, die den Ariſtoteles und Horaz weit uͤbertrift! Er fraget ferner, ob die Baͤume etwas vom Koͤnig Salomo wiſſen koͤnnen? Dieſesiſt ſen ſolches eben ſo geſchickt zu gebrauchen, einander zu beſtechen, als die Menſchen, Bl. 607. und 608. Sie ſchaͤtzen den Adel nach der Zahl der Ahnen; ſie beobachten in dem geheimen Cabinete unter ſich ei - nen Rang; ſie beſchencken einander mit guͤldenen Ketten; ſie halten einander Hochzeit-Maͤhler und Gaſtereyen; alſo werden ſie auch mit einander ſpei - ſen, Bl. 609. u. 610. Sie koͤnnen ſich auf ihre Fuͤſſe erheben, und nach Belieben langſam einher ſpatzieren, oder geſchwinde lauffen, und man trift oͤfters gantze Caravanen auf der Straſſe an, von Eſpen, Tannen, Buch und Linden, Bl. 610. Wie abentheurlich! Dieſes weitlaͤuftige Gewaͤ - ſche verdienet zwar keine Widerlegung, und es verloh - net ſich nicht der Muͤhe, alles zu beantworten. Jch will nur ein par kleine Anmerckungen beyfuͤgen. Die erſte ſiehet auf die Erkenntniß, welche die Dichtung leb - loſen Geſchoͤpfen in der Fabel beyleget. Sind ſie ei - niger Erkenntniß faͤhig, ſo muͤſſen ſie eine Seele ha - ben, und warum ſollten ſie dann nicht bey ihrer See - len etwas betheuren koͤnnen? So ſprach er, jeder fiel ihm bey, Aus unverſchaͤmter Schmeicheley, Selbſt Salomo, bey meiner Seelen! Koͤnnt weiſer nicht und beſſer waͤhlen. Dieſes iſt die Sprache des Herren von Dornbuſch.C 4Und40Stuͤcke der Schutzvorredeiſt gleichwohl ſehr wahrſcheinlich erdichtet, denn wenn die Baͤume nach der Fabel den - ken und reden koͤnnen; ſo muͤſſen ſie auch den Koͤnig Salomo wohl kennen, als welcher ſich um das Reich der Pflantzen ſo verdient gemacht, daß er ſie von der Ceder auf dem Libanon an, biß auf den Yſop, der aus derWandUnd warum ſollten die Baͤume und Pflantzen den Koͤ - nig Salomo nicht kennen, der ſich um ihr Reich ſo wohl verdient gemachet hat? Jch bin ſicher, wenn einmahl das Fieber, der Mond, die Luft, das Fir - mament ꝛc in Fabeln eingefuͤhrt werden ſollten, daß ſie mit gleichem Grunde der Wahrſcheinlichkeit Hrn. D. Tr-ll-rs Lob ausbreiten wuͤrden, als der Dornbuſch hier das Lob des Koͤnigs Salomons auspoſaunet. Die zweyte Anmerckung, welche dienet, einen groſſen Theil der uͤbrigen Schweitzeriſchen Beſchuldigungen abzuleh - nen, beziehet ſich auf den Grund der Dichtung in des Koͤnigs Joas Fabel. Die Dichtung, daß der Dorn - ſtrauch dem Cederbaum den Antrag habe machen laſ - ſen: Gieb deine Tochter meinem Sohne zum Weibe; iſt nicht von Hrn. D. Tr-ll-r, ſondern von dem Koͤnig Joas. Der Begriff aber von einer Heyrath oder Ver - maͤhlung ſchlieſſet ja das Beylager, eine Morgengabe, das Hochzeitmahl, und alle uͤbrigen Umſtaͤnde noth - wendig mit ein. Alſo fallen alle dieſe Beſchuldigun - gen nicht auf Hrn. D. Tr-ll-r, ſondern auf den Koͤnig Joas zuruͤcke; der mag es nun ſelbſt verantworten. Hr. D. Tr-ll-r hat ja nichts mehrers gethan, als daß er die Begriffe dieſes Koͤnigs in Jſrael aus einander gewickelt hat. Und ich glaube, wenn Joas dieſe Fa - bel leſen koͤnnte, er wuͤrde ſich uͤber die geſchickte Aus - fuͤhrung ſeiner ehmahligen Gedancken recht verwun - dern.41fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. Wand waͤchſt, oder biß zu der Mauer-Rau - te, das iſt vom groͤſten biß zum kleinſten Ge - waͤchſe, ausfuͤhrlich beſchrieben, wie die Schrift meldet, welche doch wenigſtens un - ſer Criticus gelten laſſen wird. Er fraget weiter, ob die Maͤuſe des Sonntags um die Stadt ſpazieren giengen, wie die BuͤrgerzuEr wird wenigſtens die Schrift gelten laſſen) Es iſt in Wahrheit ziemlich verdaͤchtig, wenn einer ſich nicht ſcheuet, eine Fabel, die in der Schrift ſtehet, der Unwahrſcheinlichkeit zu bezuͤchtigen, und noch dazu laͤugnen darf, daß die Ceder und der Dornſtrauch in der Fabel den Koͤnig Salomo nicht kennen.Er frager weiter, ob die Maͤuſe ꝛc.) Jch darf ſtatt einer Antwort nur die wohlausgebildeten Verſe des Hrn. Tr-ll-rs herſetzen:Sonntags, da die Predigt aus, die ja wohl ſo gut geweſen, Als wir ſie gemeiniglich in den Haus-Poſtillen leſen, Ließ die Stadtmaus ſich gefallen, fuͤr das Thor hin - auszugehn, Allda friſche Luft zu ſchoͤpfen, u. die Felder zu beſehn: Eben dieſes harte ſich auch die Feldmaus vorgenom̃en, Als ſie nun von ungefehr auf dem Weg zuſam̃enkom̃en, Und ſich unvermutherſahen, war es bey den angenehm, Deñ ſie waren alte Freunde u. Gevattern auſſer dem. Wer kan dieſe Beſchreibung leſen, ohne daß er die ſorgfaͤltige und recht mahleriſche Kunſt in Beſchreibung auch der kleinſten Umſtaͤnde mit einem verwunderſamen Ergetzen gewahr werde, es ſey dann einer, der ausC 5Bos -42Stuͤcke der Schutzvorredezu Hamburg? Jngleichen, ob der Stadr - maͤuſe ihre Loͤcher ſchoͤner und aufgepuz - ter waͤren; als der Feldmaͤuſe ihre? Sinn - reiche Einfaͤlle, die man ſich kaum artiger traͤumen laſſen ſollte! Wer vermag hierauf zu antworten? Und endlich fraget er (denn man wird dieſer Poſſen geſchwind muͤde,) obdieBosheit die Augen dafuͤr zuſchlieſſet? Muß ſich nicht Horatz mit ſeinem magernRuſticus urbanum murem mus paupere fertur Accepiſſe cavo &c. vor dem Reichthum dieſer praͤchtigen Mahlerey vor Scham verkriechen? Man kan aus dieſer Probe ab - nehmen, was die chriſtliche Religion auch einem Fa - beldichter vor Vortheile zur Auszierung ſeiner Fabeln an die Hand gebe, und wie die Poeſie bald ein ander Anſehen bekommen wuͤrde, wenn ſich alle Poeten der - ſelben ſo geſchickt zu bedienen wuͤßten, als Hr. D. Tr-ll-r.Ob der Stadt-Maͤuſe ihre Loͤcher ꝛc.) Hr. D. Tr-ll-r hat in ſeiner Fabel das Decorum gar richtig be - obachtet, indem er nicht vergeſſen die Stadtmaus ſtan - desmaſſig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende Worte in den Mund: Und ſie wuͤnſchte, daß ſie ſich nie in dieſes Loch begeben, Das ſo ſchmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fuͤrchterlich, Weil in dieſer wilden Gegend niemand leicht fuͤr uͤber geht. Und doch will man ihm dieſes zur Suͤnde rechnen, und gedenckt nicht, daß dieſes eine Maus von vor - nehmem Stande und gutem Geſchmack ſey.43fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. die Maͤuſe, ohne Verletzung des Gewiſſens und der Religion, einander Gevattern heiſſen koͤnnen. ? Dieſes leztere bejahen alle neuen Fabuliſten, als La Fontaine, Richer, und La Motte, als der es ſo gar gebietet; daher iſt nichts gewoͤhnlicher bey ihnen, als Com - pére Renard, Compére Corbeau, Commére Haze, Lionne, und dergleichen, und bey dem ehrlichen Froſchmaͤuſeler kommt der Gevatter Fuchs, Heins, und ſo weiter, zum oͤftern fuͤr, welche Stellen der muͤſſige Criticus ſelbſt nachſehen kan. Nur unſer Verfaſſer ſoll die Freyheit nicht haben, die Maͤuſe einander Gevatter heiſſen zu laſſen. Warum? Der ſtrenge Gebieter will es nun ſo haben. DieſesiſtOb die Maͤuſe einander Gevattern heiſſen koͤnnen?) Dieſen Einwurff hat Hr. Doctor alleine einer Antwort wuͤrdig geachtet, weil er das Gewiſſen antaſtet, und die Vertheidigung derſelben iſt ſo buͤndig gerathen, daß ich nichts beyſetzen koͤnnte, ohne ihren Nachdruck zu ſchwaͤchen. Exemplis vivimus, non præceptis. Und wenn ich La Fontaine, La Motte, Richer, zu Vorgaͤn - gern habe, malo cum his errare, quam ſolus recte ſapere. Es waͤre auch eine laͤhre Spitzfuͤndigkeit, wenn man ſagen wollte, bey den angezognen Fabuli - ſten werde dieſe Benennung den Thieren in den Mund geleget, hier aber ſage der Poet ſelbſt von der Feld - und der Stadt-Maus: Deñ ſie waren alte Freunde u. Gevattern auſſer dem. Wenn das, was geſagt wird, wahr iſt, ſo liegt ja nichts daran, wer es ſage.44Stuͤcke der Schutzvorredeiſt ſchon genug; man wird ihm alſo kuͤnftig auch hierinne blind gehorſamen. Was wuͤrde er aber nicht erſt alsdann fuͤr ein Laͤrmen ange - fangen haben, wenn der Verfaſſer gar Apo - ſtel und Propheten von denen Thieren ge - braucht haͤtte, als welches bey dem La Motte und Richer vorkoͤmmt; keinesweges aber zu billigen iſt, wenn es anders dem Criticus alſo und nicht anders gefaͤllig iſt.

Sehr laͤcherlich iſt es indeſſen, daß dieſer Mann jezt ein ſo zaͤrtliches Gewiſſen hat, daß er denen armen Maͤuſen ihre Gevatterſchaft nicht goͤnnen will; der doch kurtz zuvor das vornehmſte Geboth der chriſtlichen Liebe und Beſcheidenheit ſo groͤblich und ſo oft uͤbertreten. Heißt dieſes nicht recht Muͤken ſeigen, und Camele verſchlucken? Sind die - ſes nun die geſunden, nuͤtzlichen, und einemver -Der das vornehmſte Gebot der Chriſtl. Liebe ꝛc.) Ein guter Criticus gleichet einem klugen Arzt, der ſich nach dem Geſchmack ſeines Patienten richtet, und die bittern Pillen uͤberguͤldet und uͤberzuckert, damit ſie deſto angenehmer ſeyn. Man muß aber dieſe Ver - gleichung nicht ſo weit treiben, als die Spoͤtter thun, wenn ſie fragen, ob denn derjenige Arzt wider die chriſtliche Liebe handle, der bey einem unheilbaren Schaden corroſiva appliciert, oder ein angeſtecktes Glied abſtoͤßt, oder dem Patienten durch ſeine Cur ſonſt Schmertzen verurſachet. Wovon der Ertzvater der Spoͤtter, Briontes der juͤngere Bl. 283. u. f. nach - zuſehen iſt. Denn omne ſimile claudicat. 45fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. vernuͤnftigen Manne wohlanſtaͤndigen Urthei - le, das ſcharfe Saltz, und der gute und aus - erleſene Geſchmack; ſo hat man billig hohe Urſache, Gott hertzlich zu dancken, daß er einen mit einer ſolchen unmaͤſſigen Scharf - ſinnigkeit nicht geſtrafet, und mit einem ſo durchdringenden feinen Geſchmacke gnaͤdig verſchonet habe. Erfodert denn dieſes ſo groſſe Kunſt und Gelehrſamkeit, Geſpoͤtte mit Gegengeſpoͤtte abzuweiſen, und Thor - heiten mit Poſſen zu bezahlen? Eine Hand voll muthwilliger Einfaͤlle, und die ſchaͤdliche und elende Geſchicklichkeit, alles laͤcherlich zu machen, iſt der gantze Grund, woraufdieſeHohe Urſache Gott hertzlich zu dancken) Ein geſchickter Verfaſſer, der eine ſolche Danckſagungs - Formel aufſetzen und bekannt machen wollte, wuͤrde den mit ſich ſelbſt zufriedenen kleinen Geiſtern einen un - gemeinen groſſen Gefallen erweiſen. Felices pauperes ſua ſi bona norint! Thorhciten mit Poſſen zu bezahlen) Dieſes Wort Thorheiten beziehet ſich hier nicht auf Hrn. Tr-ll-rs Fabeln, ſondern auf des Schweitzers Critick, die ein laͤhres Geſpoͤtte iſt, und alſo ohne Muͤhe mit Geſpoͤtte abgewieſen wird.Die elende Geſchicklichkeit, alles laͤcherlich zu ma - chen) Wenn es anderſt wahr iſt, daß es eine ſolche Kunſt giebt, die alles ohne Unterſchied laͤcherlich ma - chen kan, ſo muß es in Wahrheit eine elende und ſchaͤd - liche Kunſt ſeyn, weil ſie ſo wohl das gute als das ſchlimme laͤcherlich und veraͤchtlich vorſtellen kan. Sohat46Stuͤcke der Schutzvorrededieſe ſonderbare theatraliſche Kunſt beruhet, und welche viele andere vielleicht eben ſo gut, wo nicht noch beſſer und hoͤflicher koͤnnen, als der allzu ſcharfſinnige Gegner.

Wie leicht koͤnnte man antworten, die wohl ausgedachte Caravane der Eſpen, Tan - nen, Buch und Linden haͤtten zuſammen im Thale ein groſſes Ballet getantzet, wo - zu der Herr Br-t-ng-r (denn ſo heißt die - ſer fuͤrchterliche critiſche Goliath, der dem poetiſchen Zwerge hohn ſpricht) den Tri - angel oder die Leyer zierlich geſpielet, oder beſſer einen groben Baß aufgeſtrichen haͤt - te. Oder, er moͤgte den Unterſchied der Maͤuſeloͤcher ſelbſt unterſuchen, damit er alſo gewiß wiſſen koͤnnte, ob die Stadt - maͤuſe beſſre Schlupfwinckel haͤtten, als die Land - und Feld-Maͤuſe, auf daß ſol - cher0hat ein Scarron Virgils Eneis durch ſeine poſſierliche Nachahmung recht laͤcherlich gemachet. Darum will ich jedermann erinnert haben, daß man alle Criticken, wenn ſie nicht ernſthaft ſind, vor verdaͤchtig halte, weil das, was auf eine poſſierliche Art vorgeſtellet wird, darum nicht allemahl verwerfflich iſt.Eben ſo gut, wo nicht noch beſſer ꝛc.) So ſchaͤd - lich und elend dieſe Kunſt zu ſpotten iſt, ſo hat doch unſer Vorredner in einem kleinen Verſuche zeigen wol - len, daß er dieſe Kunſt ſo gut verſtehe, als irgend ein anderer, und jedermann wird ihm Beyfall geben, daß er den Schweitzeriſchen Kunſtrichter in dem feinen Hechel-Schertz weit uͤbertreffe.47fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. cher Geſtalt dieſe hochwichtige Sache in ein groͤſſeres Licht geſetzet und der Verfaſſer der Fabel deſto nachdruͤcklicher von ſeiner poetiſchen Todſuͤnde uͤberfuͤhret wuͤrde.

Alleine man will nicht gleiches mit gleichem vergelten, noch mit dem Gegner wieder in die erſte Kindheit und den muthwilligen Schul - Stand zuruͤcke fallen, wo man dergleichen ſonderbare Anmerckungen zu machen pfleget; daher ſoll dieſes alles ſo gut, als nicht geſagt oder geſchrieben ſeyn, und man bittet im Ernſt um Verzeihung.

Jedoch es iſt nun einmahl Zeit, im Ernſt mit unſrem groſſen Ariſtarch zu reden. Man will ihm nemlich aus ſchuldiger Ehrerbietung voͤllig recht geben, um ihn nicht weiter zu er - zoͤrnen; denn er gehoͤret unter die ſeltſamen Leute, die ſtets recht haben wollen. Wohl - an dann, er ſoll und muß es auch haben. Wer will ſich gern mit einem Manne einlaſ - ſen, der einen eigenſinnigen Widerſpruch zurRicht -Jedoch es iſt nun einmahl Zeit, im Ernſt ꝛc.) Hier faͤngt der Urheber der Vorrede an, in der Jronie zu reden.Wer will ſich gerne mit einem Manne einlaſſen ꝛc.) Jn dieſem Abſatz macht unſer Vorredner den Character des Schweitzeriſchen Kunſtlehrers nach dem Leben: Aber ich muß dabey nothwendig erinnern, daß er hier die Jronie nicht fortſetzet; ſondern daß dieſer Charac - ter im Ernſt aufzunehmen ſey: Denn wenn man esper48Stuͤcke der SchutzvorredeRichtſchnur ſeiner Urtheile macht, der die Tugenden eines Scribenten verſchweiget, und die geringſten Fehler hingegen auf das aͤrgſte durchziehet, und laͤcherlich zu machen ſuchet; der den wahren Unterſchied unter den weſentlichen Stuͤcken einer Fabel, und un - ter den ſchertzhaften Nebenumſtaͤnden und Auszierungen derſelben nicht wi[ſſ]en will, da - mit er nur deſto freyer ſpotten koͤnne, und der endlich mehr Tadelſucht als Aufrichtig - keit und Beſcheidenheit beſitzet. Man geſte -hetper Ironiam verſtehen wollte, ſo wuͤrde es das feinſte Lob eines Critici in ſich begreiffen, welches man mit der veraͤchtlichen Art, womit er ſonſt den Schweitze - riſchen Critickſchreiber tractiert, nicht reimen koͤnnte. Jch fuͤrchte dennoch, wenn man den Abſchnitt von der Eſopiſchen Fabel in der Critiſchen Dichtkunſt durchleſen wuͤrde, daß die Spoͤtter duͤrften behaupten wollen, dieſes ſey eine bloſſe Jronie. Jch will alſo meinen Le - ſern gerathen haben, daß ſie ſich durch die Critiſche Dichtkunſt nicht irre machen laſſen, und lieber dieſelbe ungeleſen liegen laſſen, damit Hrn. G-ttſch-ds Weiſ - ſagung erfuͤllet werde, da er in ſeinen Beytraͤgen Bl. 666. vorher verkuͤndiget, es werde dieſe Critiſche Dichtkunſt (nicht ſeine eigene, ſondern des kuͤhnen Schweitzers) noch eines Buches beduͤrfen, welches ſie anpreiſe und beliebt mache. Jch bin auch beglaubt, daß man den Werth von Hrn. G-ttſch-ds Dichtkunſt erſt recht erkennen werde, wenn man die neue Schwei - zeriſche Dichtkunſt wird geleſen haben, nach dem be - kannten Axiomate Logico: Oppoſita juxta ſe poſita magis eluceſcunt. 49fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. het ihm alſo gerne zu, daß die Tr-ll-riſchen Gedichte wenig; ſeine Fabeln aber gar nichts taugen. Man beklagt dahero billig mehr als ein hundert arme Leſer, welche nunſeitDaß die Gedichte wenig, die Fabeln aber gar nichts taugen) Die Jronie, deren ſich unſer Vor - redner bedienet, iſt ſo fein, daß man oͤfters nicht zu ſagen weiß, ob es eine iſt oder nicht. Jedermann wird hier nichts deſtoweniger mercken, daß dieſes poetiſche Glaubensbekenntniß als eine Jronie auf - zunehmen ſey. Und doch darf ich verſichern, daß es Hrn. D. Tr-ll-r nicht ſauer ankommen wuͤrde, ein ſol - ches Bekenntniß auch ohne Jronie abzulegen. Denn ſo meldet J. C. B. in der Vorrede zu dem zweyten Theil ſeiner Gedichte mit ausdruͤcklichen Worten: Er hat den ſchwuͤlſtigen Titel eines Poeten nie begehrt, und wird es ihm daher gleich viel ſeyn, ob man ihn unter die groſſen, mittelmaͤſſigen, oder gar kleinen Dichter rechne, oder aber gaͤntzlich von der Zahl der Poeten ausſchlieſſen wolle. Er wird demjenigen nicht unhoͤfli - cher begegnen, der ihn fuͤr keinen Poeten haͤlt, als dieſem, der ihn dafuͤr achtet: Weil in dem einen die Schande klein, und in dem andern die Ehre nicht allzugroß: Er glaͤubt nicht, daß Versmachen eine Hexerey oder ein ſolches wichtiges Geheimniß ſey, welches nur groſſen und ſtarcken Geiſtern mitgethei - wuͤrde, und wovon alle uͤbrigen ausgeſchloſſen waͤ - ren. Mehr als ein hundert arme Leſer) Wer ſein Leb - tag jemahls mit Manuſcripten umgegangen iſt, der weiß, daß ſich die Fehler nirgend haͤufiger in einen Text einſchleichen koͤnnen, als wo die Zahlwoͤrter vor -Dkom -50Stuͤcke der Schutzvorredeſeit zwanzig Jahren die Trilleriſchen Schrif - ten vor nuͤtzlich und erbaulich gehalten; nun aber zu ihrem Gluͤck, durch die durchdrin - gende Einſicht des unbetruͤglichen Richters, auf einmahl erleuchtet und auf den rechten Weg gefuͤhret worden; daß ſie nun ohne Zweifel ihre Zeit und Koſten billig bereuen, und die poetiſchen Betrachtungen in Winckel werfen und zu Maculatur brauchen werden. Welcher Schimpf fuͤr den Verfaſſer, welcher Schaden fuͤr den Verleger! Welch groſſes Ungluͤck kan eine ſcharfe Critick nicht ſtiften!

Man
kommen. Mir koͤmmt auch hier die Lesart des Textes verdaͤchtig vor. Sollten die Tr-ll-riſchen Gedichte in zwantzig Jahren nicht mehr als hundert oder zweyhun - dert Leſer gefunden haben? Wenn ich nicht uͤberzeu - get waͤre, daß mein Manuſcript das Original und Autographum waͤre, ſo wuͤrde ich ſagen und behaup - ten, daß in dem Original nicht hundert, ſondern mit Ziefern 10000. geſtanden haͤtten: Da aber von dem Copiſten aus Unachtſamkeit zwey Zero auſſengelaſſen worden, weil ſie vor ſich ſelbſt nichts bedeuten. Ge - ſezt nun, daß in zwantzig Jahren 10000. Leſer dieſe Gedichte vor unverbeſſerlich gehalten, ſo verhaͤlt ſich das Urtheil des Schweitzeriſchen Kunſtrichters wie 1. gegen 10000. Dieſe 10000. werden noch nicht alle todt ſeyn, und viele werden ihre billige Hochachtung fuͤr Hrn. D. Tr-ll-r, wie Hannibals Vater den Haß gegen die Roͤmer durch Geluͤbde, auf ihre Erben fort - gepflantzet haben. Und ſo getraue ich mir, wenn ich alle Verehrer und Leſer derjenigen Poeten, die der kuͤh - ne Schweitzer angegriffen hat, aufmahnen wuͤrde, bisauf
4651fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.

Man bekennet ferner aufrichtig, daß der Criticus einen vollkommenen Sieg uͤber die Dornen, Maͤhrchen, Maͤuſe, und Maͤuſe - loͤcher ruͤhmlichſt erhalten, und wuͤnſchet von Hertzen, daß er dieſer groſſen Ehre lange Zeit ruhig genieſſen moͤge.

Man dancket weiter demuͤthig und ſchul - dig, daß er dem Verfaſſer die beſondere Eh -reauf kuͤnftigen Fruͤhling gegen dieſen Schweitzer ein flie - gendes Corpo von 40000. bis 50000. Mann auf die Beine zu ſtellen. Unſre heutigen Verfaſſer ſind nicht mehr des Sinns, wie ehedem Horatz: Neque te, ut miretur turba, labores, Contentus paucis Lectoribus. An tua demens Vilibus in ludis dictari carmina malis? (audax Non ego. Nam ſatis eſt equitem mihi plaudere: ut Contemtis aliis exploſa Arbuſcula dixit. Lib. I. Sat. X. Und etwas weiterhin:Plotius & Varius, Mecoenas, Virgiliusque Valgius, & probet hæc Octavius optimus, atque Fuſcus: & hæc utinam Viſcorum laudet uterque, Ambitione relegata te dicere poſſum Pollio, te Meſſala, tuo cum fratre: Simulque Vos Bibuli & Servi: Simul his te candide Furni, Complures alios, doctos ego quos & amicos Prudens prætereo, quibus hæc, ſint qualiacunque, Arridere velim, doliturus, ſi placeant ſpe Deterius noſtra. Man dancket weiter demuͤthig ꝛc.) Es iſt was ſeltenes, daß ein Krancker, ſo lange er die PurganzD 2noch52Stuͤcke der Schutzvorredere anthun, und ihn ſo großmuͤthig ſchimpfen wollen. Denn dieſes wollen die Leute wuͤrck - lich haben, daß man ihnen noch dazu groſſen Danck abſtatten ſoll, daß ſie einen gewuͤrdiget, muthwillig durchzuhecheln. Welches laͤcher - liche Begehren! Welches unverſchaͤmte An - ſinnen! Doch es ſey alſo! Man dancket billig, daß es der beſcheidene Herr Urtheils - faſſer nicht noch aͤrger und anzuͤglicher ge - macht habe, und bittet ferner um ein gnaͤ - diges Verſchohnen.

Man giebt ihm auch endlich gerne die Erlaubniß, etliche Quartanten oder Folian - ten, wie es beliebig iſt, gegen die Tr-ll -- riſchen Schriften zu ſchreiben, und ſie da - durch gantz und gar von der Erden zu ver -tilgen.0noch im Leibe hat, dem Doctor fuͤr die Artzney dan - ken ſollte; es giebt gemeiniglich viel ungedultige Worte. Und die Moraliſchen Patienten machen es gerne, wie der in ſeiner Einbildung gluͤckſelige Aberwitzige, von welchem Horatz erzehlet:Hic ubi cognatorum opibus curisque refectus, Expulit elleboro morbum, bilemque meraco, Et redit ad ſeſe: Pol me occidiſtis amici, Non ſervaſtis, ait, cui ſic extorta voluptas, Et demtus per vim mentis gratiſſimus error. (Lib. II. Epiſt. II. )Eine gleiche Sprache fuͤhret hier unſer Hr. Doctor, wenn man die Jronie ſeiner Worte aufloͤſet: Denn nie - mand wird dieſe Danckſagung vor Ernſt aufnehmen.53fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. tilgen. Er kan auch insbeſondere gegen die - ſe elenden Fabeln ein eigen Buch heraus - geben; doch bittet man ihn gehorſamſt, bey der XVII. XXVII. und XXXIIſten Fabel ein wenig ſtille zu ſtehen, und deren Jnhalt zu ſeiner Erbauung und Beſſerung anzuwen - den. Wahrheit wird indeſſen doch Wahr - heit bleiben, und rechte unpartheyiſche Ken - ner (worunter der Criticus und ſeine Helden gar nicht gehoͤren) werden nie aufhoͤren, de - nen Tr-ll-riſchen Gedichten den rechten Werth zu beſtimmen. Denn es iſt ſehr gut und troͤſtlich, daß dieſer ehrliche Mann nur ei - ne, und zwar noch ſehr ſchwache und mat - te Stimme in dem groſſen Rath der Ge - lehrten habe, welche der Sache keinen groſ -ſenGegen dieſe elenden Fabeln) Woraus klar zu ſe - hen iſt, daß dieſes Manuſcript zu der Vorrede der neuen Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln gewiedmet ge - weſen iſt. Nur eine, und zwar noch ſehr ſchwache und mar - re Stimme) Jn dem groſſen Rath der gelehrten klei - nen Geiſter Sententiæ numerantur, non ponderantur: Und die unendliche Anzahl der kleinen Geiſter laͤßt uns nicht fuͤrchten, daß dieſer mit ſeinem Gewaͤſche jemahls aufkommen werde. Es werden allezeit 10. gegen 1. ſeyn, die den Werth der Tr-ll-riſchen Fabeln erkennen werden; und dieſes ſind alleine die wahren Kenner: Denn wie ſollten diejenige unter die Zahl der Kenner gehoͤren, die nicht einmahl ſo viel Faͤhigkeit haben, daß ſie die Schoͤnheit der Tr-ll-riſchen Fabeln einſehen koͤnnen?D 354Stuͤcke der Schutzvorredeſen Ausſchlag geben wird, weil ſich gar we - nige darnach richten werden. Daher wird man nun alle ſolche knarrenden Critiquen vor ungedruͤckt und ungeſchrieben halten, und vielmehr in dieſem Stuͤcke dem hochberuͤhm - ten Mosheim nachzuahmen trachten, welcher die zwey groſſen Buͤcher, die der bekannte Peterſen gegen ihn wegen der Wiederbrin - gung geſchrieben, vor ungeſchrieben achtete. Denn unnuͤtze Streitſchriften und unnoͤthige Federkriege ſind kein Werck vor einen Mann, der ſeine ohne dem enge Zeit nuͤtzlicher und Gott wohlgefaͤlliger anzuwenden gedencket.

Nec bella geri placuit, nullos habitura triumphos.
Der aͤrgerliche Geiſt, den viel Gelehrte treiben,
Wird von ihm lebenslang mit Ernſt vermieden bleiben;
Wie mancher heiſt ein Fuͤrſt in Kunſt und Wiſſenſchaft,
Und ſchreibt und zanckt ſich doch mit andern poͤbelhaft.
Wer bey den Kuͤnſten nicht die Hoͤfligkeit ſtudiret,
Scheint ihm wie eine Sau, mit guͤldnem Band gezieret.

Doch wir halten uns mit ſolchen Kleinigkei - ten allzu lange auf; und wollen dieſe Vor - rede nicht zum Kampfplatz unnuͤtzer Grillen - faͤngereyen und Sylbenkriege machen, in - ſonderheit wegen der hohen Nahmen, wel - chen dieſes Buch zugeſchrieben worden. Phaͤdrus mag indeſſen von dieſem Ausbunde eines recht hoͤflichen Gelehrten in des Ver - faſſers Nahmen Abſchied nehmen, und ihmvor55fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln. vor ſeine liebreiche und beſcheidene Unterwei - ſung den gebuͤhrenden Danck abſtatten.

Tu, qui, Naſute, ſcripta deſtringis mea,
Et hoc jocorum legere faſtidis genus,
Quid ergo poſſum facere tibi, Cenſor Cato,
Si nec Fabellæ te juvant, nec Fabulæ!
Noli moleſtus eſſe omnino litteris,
Majorem exhibeant ne tibi moleſtiam.
Hoc illis dictum eſt, ſi qui Stulti nauſeant,
Et, ut putentur ſapere, Coelum vituperant.

Et ut putentur ſapere, Coelum vituperant. ) Und ich ſchlieſſe meine Anmerckungen im Nahmen des Verfaſſers mit den Worten Horatii:

Prætulerim Scriptor delirus inersque videri,
Dum mea delectent mala me, vel denique fallant:
Quam ſapere & ringi.
56Mehrere authentiſche Urkunden

Nuͤtzlicher Anhang von einigen authentiſchen Urkunden, welche dienen, den Ruhm der Tr[*]ll[*]riſchen Fabeln zu befeſtigen; und die neue Critiſche Dichtkunſt ſchwartz und haͤßlich zu machen.

I. Hamburgiſ. Berichte von Gelehrten Sachen. Auf das Jahr 1740. den 16. Herbſtm. No. LXXIV. Bl. 641. u. f.

PHÆDRUS I. 30. Facilis vindicta eſt mihi, Sed inquinari nolo ignavo ſanguine.

Hamburg.

JN Herolds Verlag iſt heraus, D. Dan. Wilh. Trillers neue Eſopiſche Fabeln inVer -Anmerckungen. Facilis vindicta eſt mihi) Dieſe Worte des Phaͤd - rus hat der Verfaſſer dieſer gelehrten Berichte Hr. Z* nicht in ſeinem eigenen Nahmen, ſondern im Nah -men57zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. Verſen, worinn in gebundener Rede aller - hand erbauliche Sittenlehren und Lebensre - geln vorgetragen werden. Der beruͤhmte Hr. Triller gehoͤret unter die geringe Zahlder -men und auf hohen Befehl des deutſchen Eſopus, Hrn. Doctor Tr-ll-rs, vorne an dieſer Nachricht geſetzet, die - ſer wollte dadurch vor den Augen der gantzen Welt ei - ne feyrliche Erklaͤrung thun, daß er den Schweitzeri - ſchen Gegner viel zu veraͤchtlich hielte, als daß er in eigener Perſon mit ihm anbinden ſollte. Es muͤſſen andre Helden ſeyn, an denen er in einem Duell Ehre einzulegen ſuchet. Zudem hat er auch nicht noͤthig ſei - ne eigene Perſon zu wagen, er hat ja ein par Duzt Zeitungsſchreiber und Vorredner im Sold und zu Dien - ſten, die er nach Belieben fuͤr den Riß ſtellen kan, und es iſt Ehre genug fuͤr den Schweitzeriſchen Par - theygaͤnger, wenn dergleichen Buſchkloͤpfer ſich mit ihm rauffen. Wenn Hr. Tr-ll-r nicht ein Doctor der Artz - ney-Kunſt waͤre, ſo haͤtte er ohne Zweifel dieſen Ver - ſen des Phaͤders das nachdruͤckliche Diſtichon jenes alten Kirchenlehrers: Hoc ſcio pro certo, quod ſi cum ſtercore certo &c. an die Seite geſetzet. Wenn denn ſchon die folgende Nachricht, inſonderheit was partem elencticam angehet, in Anſehung der Schreibart, des Ausdrucks, der Anzuͤge u. ſ. f. der Tr-ll-riſchen Vor - rede eben ſo aͤhnlich iſt, als ein Ey dem andern, ſo muß man darum den Verfaſſer dieſer gelehrten Nach - richt Hrn. Z* nicht als einen Plagiarium oder gelehrten Beutelſchneider verdaͤchtig halten, weil er ſich dieſer anſehnlichen Waffenruͤſtung nicht ohne Vorwiſſen und Bewilligung des Hrn. Doctor Tr-ll-rs bemaͤchtiget hat.D 558Mehrere authentiſche Urkundenderjenigen Maͤnner, die den Werth der Sit - tenlehre und der Dichtkunſt richtig zu be - ſtimmen wiſſen. Durch ſeine moraliſchen Ge - dichte, wovon die Welt bereits zween Thei - le lieſet, hat er ſeit einigen Jahren gezeiget, wie redlich er es mit den Menſchen meine, und wie geſchickt er ſey, die Schoͤnheiten der Tugenden und die Haͤßlichkeit der Laſter in ihrer wahren Geſtalt abzuſchildern. Gegen - waͤrtig hat der Hr. Verfaſſer einen Verſuch gemacht, uns die Wahrheiten der Sitten - lehre mit ſchertzvermiſchtem Ernſt unter demFlorDen Werth der Dichtkunſt richtig zu beſtimmen) Wenn ich a priori zeigen muͤſte, wie begruͤndt dieſes Lob ſey, ſo wuͤrde ich allzu weitlaͤuftig und verdießlich fallen. Wir duͤrfen nur ſein poetiſches Glaubensbe - kaͤnntniß in der Vorrede zu dem zweyten Theil ſeiner Gedichte aufſchlagen, ſo werden wir finden, wie ge - nau er den Werth der Dichtkunſt zu beſtimmen gewußt hat: Er glaubet, daß der geringſte Kuͤnſtler und Handwercksmann, der ſeine Handthierung wohl ver - ſtehet und fleiſſig treibet, dem gemeinen Weſen mehr nuͤtzliche Dienſte leiſte, als der beſte Poet, und ſie - het daher die Poeſie als Blumen an, welche ſchoͤn ausſehen und annehmlich riechen, aber doch in der Artzneykunſt keinen Nutzen ſchaffen. Er iſt nicht von denen, welche glauben, daß das Vers - machen eine Hexerey, oder ein ſolches wichtiges Geheimniß ſey, welches nur groſſen und ſtarcken Geiſtern mitgetheilet wuͤrde, und wovon alle uͤbrigen ausgeſchloſſen waͤren. Wer hat jemals den Werth der Dichtkunſt richtiger und genauer beſtimmet?59zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. Flor der Fabeln zu verhuͤllen. Er kennet den Menſchen: Er weiß, daß man ſich un - terſchiedlicher Mittel bedienen muͤſſe, wenn man ihm ſeine Bloͤſſe zeigen, und die Wege des Guten lehren will; denn er hoͤret unger - ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu bekennen. Ein geſchickter Schriftſteller, handelt daher nach Art eines vernuͤnftigen Artzneyverſtaͤndigen, der ſeine heilſamen, aber bittern Huͤlfsmittel ſeinen eigenſinnigen Kran - ken unter mancherley Geſtalten beybringet. Es iſt bisher faſt durchgehends ein Fehler in der Sittenlehre geweſen, daß man ihre Saͤ - ze und Wahrheiten in einer trockenen und magern Schreibart vorgetragen; daher ha - ben nur einige wenige, die ſich zum Nachſin - nen gewoͤhnet, ſich daraus erbauen, andere aber hingegen ſolches unterlaſſen muͤſſen. Die Fabel iſt von je her geſchickt geweſen, dieſem Mangel abzuhelffen; nur ſchade, daßwirEr kenner den Menſchen) Nicht nur als ein Ana - tomicus, ſondern auch als ein guter Moraliſt: Eine Probe davon iſt folgende Entdeckung: Der Menſch hoͤret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we - niger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu bekennen. Wer muß nun nicht wider Willen geſtehen, daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Claſſe dieſer Menſchen gehoͤre, und alſo, weil er geartet wie der groͤſte Hauffen, bey ſich abnehmen koͤnne, wie der Menſch beſchaffen iſt?60Mehrere authentiſche Urkundenwir Deutſche uns derſelben ſo ſpaͤt bedienen, da wir doch faſt in allen Nationen geſchickte Vorgaͤnger gehabt haben. Wir wuͤſten in in unſrer Sprache nichts beſonders namhaft zu machen, als was uns erſt kuͤrtzlich ein auf - geweckter Stoppe und ſcharfſinniger von Hagedorn in dieſer Art geliefert. Der Hr. Triller hat daher ſich ſeine Landsleute noch mehr verbindlich gemacht, da er ſich dieſen geſchickten Koͤpfen zugeſellet hat. Seine Fabeln ſind ſo beſchaffen, daß ſie alle Auf - merckſamkeit eines vernuͤnftigen Leſers mit Recht verdienen. Ein jedes Alter und Ge - ſchlecht, uud ein jeder Stand kan hier ſeine Lehre leſen. Wir ſind voͤllig uͤberzeuget, daßvieleDa er ſich dieſen geſchickten Koͤpfen zugeſellet hat) Aus der Vorrede der neuen Auflage des Tr-ll-riſchen Fabelwercks zeiget ſich, daß ſich dieſe beyden Fabeldich - ter ihm zugeſellet haben: Denn er verſichert, daß ſei - ne Fabeln faſt alle mit einander ſchon entworffen gewe - ſen, ehe noch dieſe beyden Fabelbuͤcher ans Licht ge - treten waren, und beruffet ſich deßfalls fein keck auf die Zeugniſſe ſeiner Freunde: Wie meine Freunde wiſſen. Doch was er alſobald beyfuͤget, zeiget uns, daß er es ſich vor keine Schande halte, wenn man von ihm ſagt, daß er ſich ihnen zugeſellet habe: Denn, wie gluͤcklich auch etwann jene neue Fabeldichter ge - weſen ſeyn moͤgen, wiewohl deren Arbeit in denen Gelehrten Zeitungen auf gantz unterſchiedliche Art beurtheilet worden, ſo moͤchten doch vielleicht auch hierinne noch manche Stuͤcke vorkommen, welche zugleich erbauen und beluſtigen koͤnnten. 61zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. viele nach Durchblaͤtterung dieſes Buchs zu einer gewiſſen Selbſterkenntniß gelangen wer - den, die ſie noͤthiget, ſelbiges mit einem ange - nommenen Laͤcheln von ſich zu legen. Denen aber der Poet antworten mag: Quid rides? mutato nomine de te Fabula narratur. Der heranwachſenden Jugend koͤnnen wir dieſes Buch nicht genug anpreiſen, und unſer muͤſ - ſiges Frauenzimmer duͤrfte auch noch vieles in ſelbigem bemercken, worauf bisher wenige geachtet haben. Es waͤre zu wuͤnſchen, daß geſchickte Schullehrer ſelbiges in den erſten Claſſen einfuͤhren moͤgten. Es ge - hoͤret in unſern Tagen mit zum Verfall der Schulen, daß man die Jugend mit Lateini - ſchen Fabeln quaͤlet, da ſie doch noch lan - ge nicht geſchickt iſt, das Nuͤtzende und Ergetzende derſelben einzuſehen.

Die Schreibart des Hrn. Trillers iſt nach dem Begriff eines jeden Leſers; und ſie ge - hoͤret eigentlich zur mittlern. Sie iſt zwar nicht erhaben, doch auch nicht kriechend, ſon -dernDaß ſie alle Aufmerckſamkeit eines vernuͤnftigen Leſers mit Recht verdienen) Wer hiemit dieſes Fa - belbuch ſeiner Aufmerckſamkeit nicht wuͤrdiget, der kan ſich verſehen, daß er in die Claſſe unvernuͤnftiger Leſer werde eingeſchrieben werden. Zwar iſt das Wort Auf - merckſamkeit vox media, hier aber wird es unſtreitig fuͤr Hochachtung genommen: Sonſt muͤßte man auch den Schweitzeriſchen Criticus unter die guten Leſer zehlen.62Mehrere authentiſche Urkundendern zierlich, deutlich, und rein. Es waͤre auch unbillig, wenn man einen Æſopum in cothurnis begehren wollte. Jn der Vorrede wird auch gemeldet, warum dieſe Schreibart beliebet worden. Hieran haͤtte ſich, unſers Erachtens, der Hr. Breitinger begnuͤgen ſollen; ſo waͤre vieles aus dem ſiebenden Ab - ſchnitt Bl. 164 ſeiner Critiſchen Dichtkunſt, da er von der Eſopiſchen Fabel handelt, viel - leicht weggeblieben. Wir behalten uns vor, das Schaͤtzbare dieſes Buchs zur andern Zeit nahmhaft zu machen. Hier erwehnen wir nur beylaͤuftig, daß Bitterkeit, Schmaͤh - ſucht, und Unhoͤflichkeit eine jede WahrheitundHieran haͤtte ſich, unſers Erachtens, der Hr. Breitinger begnuͤgen ſollen.) Hier verraͤth ſich der Hr. Zeitungsſchreiber, daß er weder den anzuͤglichen Abſchnitt in der Critiſchen Dichtkunſt geleſen, noch den Statum controverſiæ verſtehe: Maſſen der Schweitzer nicht die Tr-ll-riſche Schreibart, ſondern den Mangel der Wahrſcheinlichkeit in der Dichtung der Fabeln an - gegriffen hat: Auch hatte er die Vorrede und die Ver - theidigung der Schreibart in derſelben nicht leſen koͤn - nen, ehe ſie auf der Welt war. Man wuͤrde es ihm noch wohl zu gute halten, wenn ſeine beiſſende Cri - tick ſich nur uͤber der Schreibart aufhalten wuͤrde. Daß Bitterkeit, Schmaͤhſucht und Unhoͤflichkeit eine jede Wahrheit ꝛc.) Jch wuͤrde bald ſagen, Non his auxiliis, nec defenſoribus iſtis T .... eget. Grad als ob man zugeben muͤſte, daß die Urtheile und Criticken des Schweitzeriſchen Cenſors an und fur ſich ſelbſt gegruͤndet und die Wahrheit ſeyn!63zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. und Beurtheilung vielmehr ſchwaͤchen und verſtellen, als annehmlich machen. Soll denn hierinn der gute Geſchmack beſtehen, wovon man auf allen Blaͤttern ſo viel Ruͤh - mens macht? wir glauben es nicht: Es iſt wahr, es ſcheinet, als ob die Kunſtrichter einer gewiſſen Nation bey ihren Urtheilen allemahl eine grobe Sprache fuͤhren wollen. Wir ſind es ſeit einigen Jahren alſo gewohnt. Wir geſtehen aufrichtig, daß ſie uns durch ihre critiſche Schriften viel falſches in der Beredtſamkeit und Dichtkunſt entdecket ha - ben, welches von vielen ſo heilig iſt verehret worden. Es ſind aber auch zum oͤftern un - noͤthige Klaubereyen mit untermengt. Den Vortrag aber, deſſen ſie ſich bedienet, ha - ben geſittete Leute jederzeit verabſcheuet. Sie werden aber auch glauben, daß ſie nicht die einzigen Befoͤrderet des guten Geſchmacks ſind. Hinter dem Gebirge wohnen auchLeute.Als ob die Kunſtrichter einer gewiſſen Nation ꝛc.) Parcite paucorum diffundere crimen in omnes! Sonſt moͤgte man euch die Hoͤflichkeit eines Neum .. Edz.. und ſo vieler anderer auch in die Rechnung bringen. Jch hoffe aber mein Beyſpiel werde dieſe Nation gegen den Vorwurff der Liebloſigkeit und Unhoͤflichkeit genug - ſam ſchuͤtzen. Viel Falſches in der Beredtſamkeit) Wer hat dem Hrn. Z* befohlen, dieſes zu bekennen? Da die Deutſchen ihre Verbeſſerung lieber den Franzoſen als den Schweitzern zu dancken geneigt ſind?46[64]Mehrere authentiſche UrkundenLeute. Es iſt eben nicht allemahl noͤthig ein Schweitzer zu ſeyn, wenn man vernuͤnf - tig dencken will. Alles was der geſchickte Hr. Verfaſſer der Critiſchen Dichtkunſt wi - der den Hrn. Doct. Triller anbringet, haͤtte er in einer andern Sprache ſagen koͤnnen; und wir ſind uͤberzeuget, daß der Hr. Tril - ler, als ein beſcheidener Gelehrter, ihm gar gerne die Freyheit und das Recht, welches Gelehrte diesfalls uͤber einander haben, zu - geſtanden haͤtte. Er weiß mehr als zu wohl, wie noͤthig und nuͤtzlich eine vernuͤnftige und beſcheidene Critick ſey. Allein wo geht es wohl wunderlicher her, als im Reiche der Dichter? Um Sylben, Gedancken, Woͤr - ter, Reime, und Maͤhrchen muͤſſen Beſchei - denheit, Gelindigkeit, und Menſchenliebe gaͤntzlich hintan geſetzet werden? Wo blei - bet hier der Ausſpruch ihres goͤttlichen Ho - ratz, von welchem ſie ja ſonſt keines Fingers breit abweichen wollen: Ubi plura nitent,paucisEs iſt eben nicht allemahl noͤthig ein Schweitzer zu ſeyn ꝛc.) Man hat ja bisher geglaubt, daß ein Schweitzer ſeyn, und vernuͤnftig gedencken, aſyſtata ſeyn. Und die Deutſchen haben noch nicht Urſache zu fuͤrchten, daß ſie den Ruhm wohlgedenckender und geiſtreicher Koͤpfe verliehren: Trotz dem Verfaſſer der Lettres Germaniques, und andern Spoͤtter ſeiner Art. Haͤrte er in einer andern Sprache ꝛc.) Vielleicht meint er die lateiniſche: Denn ſo haͤtten ſeine Critick nicht alle Deutſche leſen koͤnnen.65zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. paucis non offendar maculis. Was fuͤr Vor - theile haben ſich die Wiſſenſchaften von einem ſolchen Betragen zu verſprechen? Ein Poet mag es melden:

Sind Wort und Sylben denn von ſolcher Wichtigkeit,
Daß man ſo ungeſtuͤm, wie Haͤringsweiber, ſchreyt?
Dieß bringt der Wiſſenſchaft gewiß den groͤſten Schaden,
Den ihre Meiſter ſelbſt aus Grobheit auf ſich laden;
Dadurch wird ſie hernach vernuͤnftigen verhaßt,
Und ein Gelehrter gilt ſo viel als ein Fantaſt.
Ein Poet mag es melden) Und der iſt mit Nah - men Hr. D. Dan. Tr-ll-r ſelbſt, der dieſe Verſe aus einer nicht nur poetiſchen, ſondern gar prophetiſchen Begeiſterung, welches er aber ſelber nicht gewuſt hatte, ſchon vor einiger Zeit geſchrieben hat.
60
EHrn. 66Mehrere authentiſche Urkunden

II. Herrn G-ttſch-ds Critiſche Beytraͤge. Stuͤck XXIV. Art. IV. Bl. 666.

Zum Schluſſe macht ſich der Herr Ver - faſſer die troſtreiche Hoffnung, daß die neue Critiſche Dichtkunſt, (die naͤmlich in Zuͤrch neulich herausgekommen,) nicht we -Anmerckungen. Jn Zuͤrch neulich herausgekommen) Dieſe Pa - rentheſis war uͤberaus nothwendig den Leſer zu erin - nern, daß Herr G-ttſch-d auch einen Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen an das Licht geſtellt habe, wovon ſchon im Jahr 1737. die zweyte Auflage herausgekommen. Wie begierig dieſes Werck ſey geleſen worden, was vor einen geſegneten Einfluß daſſelbige auf die falſchen Begriffe der Deutſchen von dem wahren Weſen der Poeſie, und auf die Schriften der Poeten gehabt, und was vor ein Anſehen ihm ſel - biges erworben habe, das kan man aus der Vorrede zu der neuen Auflage von ihm ſelbſt mit mehrerm ver - nehmen, wo er ſich auch auf ſchriftliche Urkunden und Verſicherungen von bekannten Perſonen beruffet, an denen die herrliche Wuͤrckung einer poetiſchen Wieder - geburt ſich augenſcheinlich geaͤuſſert hat. Man hat ſich alſo wohl vorzuſehen, daß man den Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen, der in Leip - zig im Jahre 1737. herausgekommen, und Hrn. G-tt - ſch-d zum Verfaſſer hat, nicht mit der Critiſchen Dichtkunſt, die in Zuͤrch neulich herausgekommen, vermiſche. Denn ſo weit Leipzig von Zuͤrch entfernet iſt, eben ſo weit ſind dieſe beyde Wercke in Anſehungihres67zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. wenig zu dem Ende, das iſt, den Mil - ton in Anſehen zu bringen, beytragen wer - de.ihres Werths von einander unterſchieden. Jch will nur beylaͤuftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel - che dienen koͤnnen, dieſen Unterſchied einigermaſſen zu erkennen zu geben. Das erſte iſt, daß das eine Werck in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer - tiget und gedruͤckt worden; Kan man nun in Abſicht auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et - was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck - mahl iſt, daß dieſes eine Critiſche Dichtkunſt uͤberhaupt, jenes aber eine Critiſche Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen iſt. Es kan zwar das eine Werck ſo wenig als das an - dere von jemand geleſen werden, der die deutſche Spra - che nicht verſteht, und in dieſem weitlaͤuftigen Sinn ſind beyde Wercke nur fuͤr die Deutſchen geſchrieben: Aber das Leipzigiſche Werck iſt auf den deutſchen Ho - rizont ſo geſchickt eingerichtet, daß wenn es gleich in eine andere Sprache uͤberſezt wuͤrde, dennoch niemand als ein gebohrner Deutſcher ſolches verſtehen, oder ſich zu Nutze machen koͤnnte: Es leitet das innere Weſen der Poeſie und der Dichtung nicht aus der all - gemeinen Natur der Menſchen uͤberhaupt, ſondern aus der Natur der deutſchen Nation ins beſondre her: Und der Verfaſſer hat aus dieſem Grunde gar genau und mit einer mehr als mathematiſchen Gewißheit be - ſtimmen koͤnnen, daß es lediglich unmoͤglich ſey, und daß es mit der Natur der deutſchen Nation ſtreite, daß ein redlicher Deutſcher jemahls einen Geſchmack an Miltons Verlohrnem Paradieſe finden ſollte. Wem alſo noch einige Tropfen deutſches Bluts in den Adern rinnen, der wird den Lohenſteiniſchen Geſchmack, der in dem Miltoniſchen Gedichte herrſchet, verabſcheuen,undE 268Mehrere authentiſche Urkunden de. Kuͤnftige Dinge ſind ungewiß, und wir wollen ihm alſo nicht vor der Zeit alle Hoffnung abſprechen. Alleine nach vielen Wahrſcheinlichkeiten, die wir hier beſſer, als in der Schweitz haben koͤnnen, zu ur - theilen, ſollte man eher das Gegentheil glauben; indem auch dieſe neue Dichtkunſt viel -und Addiſon, als einen Verfuͤhrer der gantzen Engli - ſchen Nation, und als einen Verfechter des verderb - ten Geſchmacks verachten. Man wird hieraus nun genugſam abnehmen koͤnnen, daß die Critiſche Dicht - kuͤnſt, auf welche der Schweitzeriſche Verfechter des Miltoniſchen Anſehens alle ſeine Hoffnung ſetzet, nicht die Leipzigiſche ſeyn koͤnne, die Hrn. G-ttſch-d zum Verfaſſer hat.Kuͤnftige Dinge ſind ungewiß) Etiam ſententias loquitur Terent. Die wir hier beſſer, als in der Schweitz haben koͤnnen) Freylich kan man in Deutſchland die Wahr - ſcheinlichkeiten beſſer haben, als in der Schweitz, wie es einem gedruͤckten Wercke ergehen werde; allermaſ - ſen ſie dieſe Wahrſcheinlichkeiten und das Schickſal ei - nes Buchs ſelbſt machen koͤnnen. Wie leicht wird es ihnen fallen, durch ihr Anſehen, welches ſie bey ih - ren Schuͤlern haben, durch die Gefaͤlligkeit ihrer Vor - redner, Journaliſten, Zeitungsſchreiber, die ſie uͤber - all zu ihren Dienſten haben, durch ihre gelehrten Buͤnd - niſſe ꝛc. ein Buch, das dem Ruhm einiger von den beruͤhmteſten deutſchen Poeten ſo ſehr im Lichte ſtehet, in den Ruff zu bringen, daß es weder gekauft, noch gele en zu werden verdiene.69zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. vielleicht noch ein Buch bedoͤrfen wird, welches ſie anpreiſe und beliebt mache,
Vielleicht noch ein Buch bedoͤrfen wird) Eben wie Milton des Addiſons Vertheidigung beduͤrftig ge - weſen. Hr. G-tt[ſ]ch-d, und alle Deutſchen, die ei - nen eben ſo feinen Geſchmack haben als er, glauben nicht ſo leicht, daß man guten Wein finde, wo kein Krantz ausgehaͤnget wird.
65

III.

Jn Herren G-ttſch-ds Critiſchen Bey - traͤgen, Stuͤck XXIV. Bl. 679. und 680. ſtehet von der neuen Critiſchen Dichtkunſt folgendes Urtheil:

Jn dieſem Buche ſind einige Materien, die zur Dichtkunſt uͤber - hauptUeberhaupt gehoͤren) Er verſtehet diejenigen Ma - terien, die aus der Natur des Menſchen uͤberhaupt hergeleitet werden, als da ſind, von der Nachah - mung der Natur, von der Wahl der Materie, von dem Neuen, von dem Wunderbaren und von dem Wahrſcheinlichen, von der Eſopiſchen Fabel, von den Charactern, Reden und Gemuͤthesgedancken, oder Spruͤchen ꝛc. Sehr weitlaͤuſtig) Hr. G-ttſch-d hat ja in ſei - nem Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deut - ſchen ein vollkommenes Muſter gegeben, wie man die Haupt-Materien, die zur Dichtkunſt gehoͤren, nicht eben noͤthig habe aus allgemeinen Grundſaͤtzen herzu -leitenE 370Mehrere authentiſche Urkunden haupt gehoͤren, ſehr weitlaͤuftig, andre aberleiten und ſo weitlaͤuftig auszufuͤhren, ſondern wie die - ſe Materien geſchickt auf das Abſonderliche gezogen, und nach dem verjuͤngten Maßſtabe ins Kleine gebracht werden koͤnnen. So hat er z. Ex. in dem 4ten Haupt - ſtuͤcke, wo er von den drey Gattungen der poetiſchen Nachahmung handelt, die gantze weitlaͤuftige Materie von der Poetiſchen Schilderey, wovon Hr. Bodmer von Zuͤrch erſt neulich ein groſſes Werck mehr als 40. Bogen ſtarck herausgegeben, in zwo Octav-Seiten Bl. 136. u. 137. gantz vollſtaͤndig abgehandelt. So hat er auch die Materie von den Charactern Bl. 138. bis 141. in 3. §. §. gar kuͤnſtlich ausgefuͤhret. Die Erklaͤrung von der Natur der Fabel hat ihm recht ſau - re Muͤh gekoſtet, und doch als er ſie zu Stand gebracht hatte, blieb ihm noch die Frage uͤbrig zu eroͤrtern: Ob die poetiſchen Fabeln nothwendig moraliſche Ab - ſichten haben muͤſſen[:]Bl. 151. Jn dem folgenden fuͤnften Hauptſtuͤcke bekuͤmmert er ſich nicht lange, die Natur des Wunderbaren zu erklaͤren, ſondern er thei - let das Wunderbare in ſeine Claſſen ein, und iſt ins - beſondere der Abſchnitt von der poetiſchen Anruffung der Goͤtter ſehr ausfuͤhrlich gerathen, von Bl. 162. bis 170. Jn dem ſechsten Hauptſtuͤcke, wo er von der Wahrſcheinlichkeit in der Poeſie handelt, giebt er ſich nicht lange Muͤhe, die Natur derſelben auszu - kundſchaften und ihre Grade zu beſtimmen; ſondern er laͤßt die alten und neuen Epiſchen Dichter von Ho - mer an bis auf Voltaire durch die Muſterung gehen, und verweiſet ihnen alle die Unwahrſcheinlichkeiten, die ihnen jemahls moͤgen zur Laſt geleget worden ſeyn, denn er glaͤubt, daß diejenigen keine Narren geweſen, von denen er ſeine Beſchuldigungen geborget hat. Es verdiente auch dieſe Dichtkunſt in Abſicht auf den Ver -faſſer71zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. aber gar nicht beruͤhret: Dagegen ſind einige Capitel eingeſchaltet, die man hier gar nicht ſuchen wuͤrde; darinn ein par unſrer beruͤhmteſten Poeten angegriffen wer -faſſer viel ehender Hiſtoriſch als Critiſch genennet zu werden, es ſey denn, daß man das vortreffliche Cri - tiſche Stuͤcke, Bl. 181. wo er Sal. Francken Abendſe - gen auf eine ſcharfſinnige Weiſe beurtheilet, in eine be - ſondere Betrachtung ziehen wollte. Jm uͤbrigen iſt alles auf den deutſchen Horizont gerichtet, und es werden darinn ſolche Fragen eroͤrtert, die niemand als einem Deutſchen in den Sinn kommen koͤnnten.Andre aber gar nicht beruͤhret) Naͤmlich die ſo nothwendigen Capitel und Abſchnitte, die in Herrn G-ttſch-ds Dichtkunſt gleich zu Anfang ſtehen, vom Urſprunge und Wachsthum der Poeſie uͤberhaupt; von dem Chara[c]ter eines Poeten; vom guten Ge - ſchmacke. Sind einige Capitel eingeſchaltet) Dergleichen ſind: Vergleichung der Mahlerkunſt und der Dichtkunſt; Erklaͤrung der Poetiſchen Mahlerey; von der Ver - wandlung des Wircklichen ins Moͤgliche; von der Kunſt gemeinen Dingen das Anſehen der Neuheit beyzulegen; von etlichen abſonderlichen Mitteln, die ſchlechte Materie aufzuſtuͤtzen; von der Wahl der Umſtaͤnde und ihrer Verbindung ꝛc. Ein par unſrer beruͤhmteſten Poeten) Naͤmlich in dem ſiebenden Abſchnitte Herr D. Tr-ll-r wegen ſei - ner Fabeln, und im zehnten Abſchn. wo die Frage er - oͤrtert wird: Ob die Schrift Auguſt im Lager ein Gedicht ſey; Hr. Koͤnig. Angegriffen werden) Verſtehe, durch eine allzu freye critiſche Unterſuchung und Pruͤffung ihrer FabelnundE 472Mehrere authentiſche Urkunden ꝛc. werden. Vielleicht geben wir mit der Zeit noch ausfuͤhrliche Nachricht davon.
und Gedichte: Equidem vita & fama pari paſſu ambu - lant, ſagt der Lateiner; doch iſts noch beſſer, als mortuo inſultare leoni.
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Vielleicht geben wir ꝛc.) Hr. G-ttſch-d wird ſich um den deutſchen Pindus recht verdient machen, wenn er fein bald in ſeinen Beytraͤgen, (auf welchem Kampf - platz er ſchon manchen Ritter, und erſt neulich einen Damm, einen Hirſch, einen C. G. G. erleget hat,) dieſem Critiſchen Tell nach dem Kopf greiffet, und dieſe neue Critiſche Dichtkunſt als ein hoͤchſtſchaͤdliches und gefaͤhrliches Buch, mit ſeiner recht hoͤflichen und dabey immer fieghaften Schreibart fein ſchwartz und verhaßt machet.
73

Poſt Scriptum.

Sollte dieſe Schutzſchrift das Gluͤck haben, den deutſchen Leſern nicht zu mißfallen, woruͤber ich meinen geheimen und vertrauten Correſpondenten N. N. um ſchleunige Nachricht hiemit will gebeten haben, ſo wuͤr - de mir dieſes Muth machen, auch die uͤbrigen angefoch - tenen Poeten Deutſchlands in meinen Critiſchen Schutz zu nehmen, und gegen meinen Landsmann zu verthei - digen.

Pinge duos angues: Pueri! Sacer eſt locus, extra mejite! PERSIUS.
Ableh -73

Ablehnung des Verdachts, daß die Schweitzeriſche Nation ſich habe uͤberreden laſſen, an Miltons Verl. Par. einen Geſchmack zu finden.

DEr Hr. G-ttſch-d, der groͤſte iztlebende Kunſtrichter u. Poet Deutſchlandes nach Hrn. Tr-ll r, hat im 4ten Art. des 24ſten St. ſei - ner Crit. Beyt. den Abſchlag der D. an Mil - tons Verl. Par. eine Luſt zu finden, ſo buͤndig gerechtfertiget, daß ihm alle diejenigen Beyfall gegeben haben, die bey ihm in die Schule ge - gangen ſind. Er gruͤndet ſich auf die unſtreitige Freyheit dieſer Nation, welche ihren Character, ihre Erziehung, ihre Luſtbarkeiten, fuͤr ſich ſelber hat, u. nicht gezwungen werden kan, ſolche mit andern zu vertauſchen; am allerwenigſten ihren Geſchmack zu aͤndern, nach dem ſie ſich dabey je - derzeit wohl befunden, u. bey allen an dern Voͤl - kern in Ruhm u. Anſehn gebracht hat. Es iſt ei - ne Luſt zu ſehen, wie dapfer er den eigenmaͤchti - gen Zuͤrchiſchen Kunſtrichter zuruͤckeweiſet, der die Deutſ. zwingen will, ein auslaͤndiſches Buch zu bewundern; welche doch den Opitz ſelbſt nicht anderſt als freywillig hochgeſchaͤtzet haben, bis ein beſonderes Schickſal ihn durch ſeine Gewalt verdrungen. Ein Deutſcher kan nicht anders, als eine hohe Meinung von ſeiner Nation u. ſich ſelbſt empfangen, wenn er ſiehet, wie B-dm-r mit Addiſon u. der gantzen Engl. E 5Na -74Ablehnung des Verdachts /Nation in eine Linie geſetzet wird, nur zu dem Ende, damit er mit ihnen von dieſer Hoͤhe da - niedergeſtuͤrtzet u. zum Gelaͤchter gemacht wer - de. Kein beſſeres Schickſal verdienete mein Landsmann, nachdem er ſich vermeſſen, die D. in ihrer alten Gleichguͤltigkeit im Anſehen Miltons zu ſtoͤren, u. ſich fuͤr ihn, wie Addiſon bey den Engl., muͤde zu ſchreiben u. zu verbuͤr - gen, damit man dieſen Poeten einiger Auf - merckſamkeit wuͤrdigte. Dieſer Addiſon war ein leichtfertiger Kopf, wie jener beym Eras - mus, der ſ. Gefaͤhrten, ſo mit ihm uͤber Land ritten, beredet, ſie ſaͤhen ein Luftzeichen am Himmel. Er uͤberredete die Engellaͤnder, daß ſie dergleichen Dinge in Milton ſaͤhen. Laͤcher - lich genug! Hr. G-ttſch-d hat dieſe Thorheit derſelben in der charactermaͤſſigen Rede, die er ihnen in den Mund leget, in ihrem Urſprung vorgeſtellet. Wie, laͤßt er ſie ſagen, ſollen Grie - chenland u. Rom alleine groſſe Poeten haben? Wir ſind eben ſo ehrlich als ſie. Milton ſey al - ſo ein Poet! Wir wollen den Homer u. Virgil zuſammenſchmeltzen, u. einen Milton daraus machen. Wer will uns das wehren? Wir En - gel. werden es doch beſſer wiſſen, als die Aus - laͤnder. Er laͤßt ſie hier vollkommen reden, wie ſie ſeinen Abſichten gemaͤß reden mußten. Er kennet ſie beſſer als ſie ſelber. Nur reden ſie zu geiſtreich, ſo daß man ſchier daͤchte, er haͤtte ihnen etwas von ſeinem eigenen Witz gelichen. Allein was die D. anbelangt, ſo geht es nicht ſo leicht an, ſie aus ihrer Kaltſinnigkeit zu ſetzen:ſie75daß die Schw. das v. P. bewundern. ſie ſind gegen die Blendungen beſſer verwahrt, und auf ihren freyen Willen eiferſuͤchtiger; ſie laſſen ſich durch die Natur der Dinge, und ihre Eindruͤcke ſelbſt nicht zwingen. Sie machen die Eindruͤcke lieber, als daß ſie ſolche von den Sa - chen empfangen. Allein ſo gruͤndlich die Ver - theidigung des willkuͤhrlichen Geſchmacks der freyen D. gerathen iſt, ſo uͤbereilt muß ich es heiſſen, daß Hr. G. die ſchweiz. Nation in Ver - dacht faſſet, daß ſie ſich eben ſo leichtſinnig habe hintergehen laſſen, als die Engl. den M. hochzu - ſchaͤtzen. Er ſagt: Was die Ueberſetzung Addi - ſons anbetrift, ſo kan ſie vielleicht in der Schw. ſo gute Wuͤrckungen haben, als die Ueberſe - zung M. gehabt hat. Jch muß ihm mit aller der Hoͤflichkeit, die ein Schweitz. haben kan, ſa - gen, daß er dieſe Nation nicht recht kennet, wenn er ihr dergleichen elenden Geſchmack zu - trauet. Wir ſind auf unſre geiſtliche Freyheiten, unter welche ich die Freyheit des Geſchmacks zuerſt zehle, eben ſo eiferſuͤchtig, als auf die leib - lichen; wir haben eben ſo wol als die Sachſen Scythiſches Blut in den Adern, u. bleiben ſo ſteif auf dem hergebrachten Geſchmack unſrer Vorfahren, als ſie, wofern es uns nicht von uns ſelbſt, ohne jemands arbeitſame Bemuͤhung, anderſt in den Sinn koͤmmt; die Dinge moͤgen denn ihrer Natur nach einen Eindruck auf das Gemuͤthe fodern, welchen ſie wollen, ein Schw. wird ſich demſelben ſo handfeſt als ein D. zu wi - derſetzen wiſſen, & ſibi res non ſe rebus ſubmittere. Um deſſentwillen hat es uns ſehr geaͤrgert, alsder76Ablehnung des Verdachts /der Ueberſetzer M. nicht gewartet, ob wir die Schoͤnheiten in dem V. P. freywillig empfin - den wollten, ſondern ſich vermeſſen, uns in einer langen Legende zu uͤberfuͤhren, daß wir es aus Nothwendigkeit thun muͤßten, weil M. ſolche Springfedern u. Triebraͤder in ſein Gedichte gebracht, welche der Natur des menſchl. Her - zens gemaͤß ihre gewiſſen Wuͤrckungen thaͤten. Auf dieſe Weiſe koͤm̃t man mit uns nicht aus; wir wiſſen uns, weñ es uns gefaͤllt, in unſrer al - ten Gleichguͤltigkeit zu erhalten. Jch kan zwar nicht leugnen, daß nicht ein halb duzt ungera - thene Landskinder in Zuͤrch u. Bern zur Secte Addiſons uͤbergegangen; allein mit dem groſ - ſen Haufen hat es keine Gefahr; insbeſondere kan mir Hr. G. glauben, daß die Einwohner der Alpen, je tieffer ſie in den Spaͤlten der Ber - ge wohnen, deſtoweniger von M. Lobrednern eingenom̃en ſind; man koͤñte alſo noch richtig zu 50000. Eidsgenoſſen zehlen, ohne Weiber u. Kinder, welche nur nicht gehoͤret haben, daß ein Milt. oder Addiſon geweſen. Jch muß auch ihm zum Troſt erwaͤhnen, ob Hr. Haller gleich dieſe Alpenbewohner, ihre Berge, Kraͤuter u. Blumen auf das genaueſte kennet, daß die Ge - dichte dieſes halben Milt. bey ihnen hingegen ſo unbekañt ſind, als Arminius u. Baniſe, ſo daß man nicht fuͤrchten darf, daß der Miltoniſche Schwulſt, ſeine ungeheure Einbildungen u. hochtrabenden Ausdruͤckungen mit ihrem glaͤnzenden Nichts den unſchuldigen Geſchmak dieſer Leute ſo bald verderben werden. So ferniſt77daß die Schw. das v. P. bewundern. iſt es, daß die Schw. alle Addiſons Geſchmack haben. Der Eifer fuͤr die Ehre meiner Lands - leute hat mich nicht ruhen laſſen, bis ich Hrn. G. davon Nachricht gegeben, u. ihn gebeten haͤtte, daß er guͤtiger von uns dencken, u. das Verbre - chen, deſſen ſich etliche wenige unter uns ſchul - dig machen, nicht der gantzen Nation in die Rechnung ſetzen moͤgte. Jch zweifle nicht, daß er ihr nicht Recht wiederfahren laſſen wer - de, indeſſen hat ſein uͤbereilter Verdacht mich u. andre von meinen Landsleuten, die von der glaubigen Secte ſind, ſo ſehr in die Naſe gebiſ - ſen, daß wir die Freude nur halbig empfunden haben, ſo ſeine meiſterhafte Umtreibung unſers eigenſinnigen Landsmanns uns ſonſt verurſa - chet haͤtte. Wir haben doch nicht ohne Luſt be - obachtet, wie ſinnreich er die Gewohnheit der Alten ihre Schriften auf oͤffentlichen Plaͤtzen vor gantzen Verſam̃lungen von Leuten allerley Stands zu leſen, u. die Eindruͤcke derſelben in der Zuhoͤrenden Gebehrden zu beobachten, auf das Leſen in den Trivialſchulen verdrehet. Und wie geſchickt hat er B-d-m-rn auf einmahl alle Deut. Poeten uͤber die Haube gerichtet, weil er geſagt, daß in Deutſchl. gemeine Poeten waͤ - ren, die man fleiſſig laͤſe, u. die ihren Leſern ein ungereimtes u. wunderliches Ergetzen gewaͤh - reten. Hr. G. hat dieſes ſehr gluͤcklich auf alle D. Poet. gute u. boͤſe, erſtrecket, u. der Amtsei - fer ſteht ihm trefflich wohl an, mit welchem er ihn deßwegen zum Laͤſterer wider unſer Vater - land erklaͤret. Und wie fein hat er den freyenGeiſt78Ablehnung des Verdachts /Geiſt, den der Ueberſetzer dem knechtiſchen ent - gegenſetzet, der von fleiſchl. Affecten u. irdiſchen Geſchaͤften regieret wird, von dem fluͤchtigen Mercurialiſchen verſtanden! Wie ſchlau hat er vorgegeben, daß Milt. Staͤrcke in Fehlern wider die Gram̃atick, in Verkehrungen aller gewoͤhnlichen Wortfuͤgungen, u. in tauſend andern ſonſt unerlaubten u. von keinem an - dern Poeten begangnen Schnitzern beſtehe; wie ſcharfſiñig hat er auf dieſen Grund Hans Sachſen zum geſchmeidigſten deutſch. Poeten gemacht! Wie kuͤnſtlich hat er das Lob wieder zuruͤckgenom̃en, das er im 19ten St. der Crit. Beytr. Art. 18. B-dm-rs Ueberſetzung erthei - let:

Gewiß alle Kenner Miltons ſind erſtau - net, als ſie dieſe Dollmetſchung deſſelben gele - ſen haben. Denn wer haͤtte ſichs eingebildet, daß dieſes mit Gedancken ſo beſchwerte Ge - dichte, deſſen Ausdruck ſo koͤrnigt, ſinnreich u. tief iſt, ſich ſo nachdruͤckl. u. vollſtaͤndig deutſch wuͤrde geben laſſen! U. doch hat es der Hr. B. gethan.

Alſo redete die Hoͤflichkeit; aber nach dem B[]dm[]r dieſelbe verwuͤrcket hat, fuͤhrt Hr. G. billig eine gantz andre Sprache, u. wa - rum ſollte er nicht berechtiget ſeyn, was er einſt ohne Verdienen gelobet hatte, ein andermahl ohne Verdienen zu tadeln? Warum ſollten ſei - ne Liebeswuͤrckungen laͤnger dauren als ſeine Liebe? Jch verwundere mich gar nicht, daß ihm der deutſche Ausdruck in dem V. Par. ſeltſam u. widerlich duͤnkt, er koͤm̃t uns in der Schweiz, ſo hart gleich unſre Ohren ſind, eben ſo vor, B. ſollte79daß die Schw. das v. P. bewundern. ſollte ihn verſchoͤnert haben, welches gar leicht geweſen waͤre, wenn er den Teufeln nur ſolche Redensarten zugeeignet haͤtte, wie in unſern galanten, verliebten u. vermiſchten Gedichten gefunden werden. Nicht nur die Ausdruͤckun - gen, ſondern auch die Gedancken des Poet. ſind ſchrecklich u. wild, wie die boͤſen Engel, denen ſie in den Mund geleget werden, die Catonen, Portii, Arſenen, in unſern guten Trauerſpielen haben ſchon mehr Lieblichkeit u. Zierlichkeit in ihren Spruͤchen u. Meinungen. Wie ungeſchikt har ferner Hr. G. ſeinen Gegner ſagen laſſen, unſre Kunſtr. haben Milt. Gedicht aus einem Abſcheue vor der Materie verworffen, u. die - ſes Vorurtheil koͤñe mit gleichem Grunde von der Jlias, der Odyſſea, u. Eneis gefaſſet wer - den! Wie liſtig verweiſet er endlich den ſchweiz. Kunſtricht., daß ſie Brockes u. Koͤnig fuͤr die groͤſten iztlebenden Poeten erklaͤret haben, oh - ne Zweifel, weil ſie dieſelben am fleiſſigſten an - gezogen, u. am liebſten getadelt haben! Grad als ob ſie in den G-ttſch-diſchen Schriften nicht eben ſo wol Exempel von herrlichen Fehlern, die einen eignen Abſch. verdienten, angetroffen haͤt - ten. Auf dieſe Weiſe bemeiſtert ſich ein guter Redner ſeiner Materie u. ſeines Gegners, keh - ret die Worte u. Gedancken deſſelben nach ſei - nen Abſichten, u. leihet der Widerparte ſeine eignen Meinungen, wodurch er ſie am allerge - wiſſeſten ſchwarz, ungereimt u. laͤcherlich machẽ kan. Wollte jemand Scrupel machen, daß die - ſe Rednerkuͤnſte ſich mit der Billigkeit nicht wolver -80Ablehnung des Verdachts / daß die ꝛc. vertragen, der muß wiſſen, daß wider einen Mañ, gegen den uns die Hoͤflichkeit, das Band aller Pflichten u. Tugenden, nicht mehr bindet, alles erlaubet iſt. B. mag es ſich ſelber danken, daß er von dieſem Muſter der Hoͤflichkeit, der ſich ſonſt nicht uͤberwinden kan, jemand zu ta - deln, der es nicht mit ſeinem Tode verſchuldet hat, nicht gelinder tractirt wordẽ; warum hat er lieber ſcharf beurtheilet u. getadelt, als mit Stillſchweigen uͤbergangen werden wollen; u. warum hat er ſich die Freyheit genom̃en, alles nach ſeiner Einſicht u. Meinung, nicht nach H. G-ttſch-ds oder Tr-ll-rs, zu beurtheilen. Da - rum wird er mir u. andern von ſeinen Landsleu - ten, ob wir gleich ſeine Eidsgenoſſen ſind, nicht veruͤbeln koͤnnen, wenn wir uns mit dem ſieghaften Hrn. G-ttſch-d wider ihn verbinden, u. alſo zu erkennen geben, daß wir, ob wir gleich Nachkommen der Alpiniſchen Ri - ſen ſind, die den Oeſtreichiſchen Jupiter bekrieget ha - ben, wie Hr. G-ttſch-d ſich in geſchmeidigem deutſch aus - druͤket, deñoch Deutſche ſeyn wollen, wo nur die Deutſchen uns, die wir ſo grundboͤſe Hæreticos in der Critick unter uns erzogen haben, mit denſelbigen, Unſchuldige mit den Schuldigen, nicht vermiſchen. Wir hoffen aber, daß ſie ſich an unſrer Erklaͤrung begnuͤgen, und bey ihnen, wie wir bey uns, fortfahren werden, den alten Geſchmack, wie die alte Religion, zu verfechten, damit alle Einwohner Deutſchlands in allen Provinzen, als Kinder eines Scythiſchen Gebluͤtes, ohne ein gefaͤhrliches Schiſma, in vollkommener Einigkeit des Geſchmacks, beſtaͤndig mit dem Hertzen verſtehen und mit dem Verſtande glauben.

[81]

Nachrichten von dem Urſprung und Wachsthum der Lritik bey den Deutſchen.

[82]83

Nachrichten von dem Urſprung und Wachsthum der Critik bey den Deutſchen.

OPizens poetiſche Schriften, welche die er - ſten ſind, die wir ohne Schamroͤthe an - ziehen doͤrffen, geben uns durch die Ein - druͤcke, ſo ſie in dem Gemuͤthe verurſachen, ge - nug zu erkennen, daß dieſem geſchickten Mann keines von denen Kunſt-Stuͤcken verborgen gewe - ſen, wodurch das Hertz geruͤhrt, und die Wahr - heiten auf eine angenehme Weiſe in den Verſtand gebracht werden. Es waͤre einem Wunderwer - ke gleich, wenn er Schriften, die ſo tuͤchtig ſind, uns zu gefallen, und dieſes mit ſo vieler Gewiß - heit und Gleichheit thun, ohne eine genaue Er - kaͤnntniß der Mittel, wodurch ſolches zuwegege - bracht wird, verfertiget haͤtte. Unterdeſſen hat er die Grundregeln, nach welchen er gearbeitet hat, die Anmerkungen von dem Verhaͤltniß des menſch - lichen Gemuͤthes mit den Dingen, und die Mit - tel, wodurch daſſelbe einer gewiſſen Abſicht ge - maͤß in Bewegung geſezet wird, lieber im Wer - ke ſelbſt und in der Ausfuͤhrung anwenden, als in einem Kunſtbuche zuſammenſchreiben wollen. Er hat uns einzig und allein ein Lehrbuch von wenig Bogen hinterlaſſen, worinnen er etliche wenig allgemeine Anmerkungen von der Erfindung, von den Gattungen der Gedichte, von der Zubereitung und Zierde der Worte ꝛc. zuſammengetragen hat, ohne ſich in die beſondern Grundſaͤtze und Theile der Dichtung oder der Rede tiefer einzulaſſen. Er[Crit. Sam̃l. II. St.] F 2ſagt84Nachrichten von dem Urſprungeſagt in der Vorrede zu dieſem Werckgen gleich beym Eingange;

Er vermeine keinesweges daß man jemanden durch gewiſſe Regeln und Geſe - ze zu einem Poeten machen koͤnne, maſſen die Poetercy auch eher getrieben worden, als man je von derſelben Art, Amt, und Zugehoͤr ge - ſchrieben, ſo daß die Gelehrten, was ſie in den Poeten, welcher Schriften aus einem goͤttli - chen Antriebe und von Natur herkommen, auf - gemerket, nachmals durch richtige Verfaſſun - gen zuſammengeſchloſſen, und aus vielen Tu - genden eine Kunſt gemachet haben.

Wir thaͤten ihm unrecht, wenn wir aus dieſen Wor - ten eine Geringachtung der Regeln ſchlieſſen woll - ten. Er hat damit allein den Nuzen derſelben be - ſtimmen wollen. Denn es iſt gewiß, daß dieſe ohne das Naturell, ohne einen Affectreichen, ſchnellentbrandten Geiſt, ohne einen reichen Vor - rath an Bildern nicht zureichen, einen Poeten zu machen. Wie ſollte aus einem ungehirnten, in der Erkaͤnntniß der Natur, des Menſchen, der Welt Sitten und Haͤndel, unerfahrnen Mann ein Poet herauszubringen ſeyn? Die Regeln ſind nur eine Hand, welche den Weg zeiget, den man gehen ſoll, eine Fakel, welche um uns her helle machet, aber gleichwie die Erkaͤnntniß des Weges einen Lahmen, und eine aufgeſteckte Fa - kel den Blinden nichts nuͤzet, alſo geben die Re - geln einem plumpen und ſchweren Geiſt wenig Troſt. Aber ohne die Wegweiſende Hand und ohne das Licht ſteht auch ein guter und ſcharffſe - hender Laͤufer in Gefahr irre zu gehen.

Die85der Critick bey den Deutſchen.

Die muntern Koͤpfe, die zu einer Zeit mit Opizen lebeten, empfanden zwar die Gewalt der Regeln, die er in ſeinen Schriften angewandt hatte, nicht nur ſo gut, als der gemeine Mann, ſondern nach dem groͤſſern Maaſſe ihrer Geſchick - lichkeit in weit hoͤhern Graden. Doch beſann ſich keiner von ihnen, dieſelben darinnen aufzuſuchen, und die Uebereinſtimmung der Eindruͤcke mit der menſchlichen Natur, auf welcher ſie beruheten, in ſorgfaͤltigen und wohluͤberlegten Unterſuchungen der Opiziſchen Exempel zu entdecken. Sie gien - gen nicht weiter, als daß ſie ſeinen neuen Vers nach ſeinem aͤuſſerlichen Ausſehen betrachteten, und einige Regeln auf das Muſter derſelben feſt - ſezeten. Wenn ſie die innerliche Kunſt ſeiner Ge - dichte im Tiefen und Abſonderlichen eingeſehen, und aus ſeinen, oder ihren eigenen, Erfahrun - gen und weitern Nachſinnen eine gruͤndliche Theo - rie bekommen haben, ſo haben ſie dieſe nicht in critiſchen Schriften oder Kunſtbuͤchern ſondern ebenfalls in der Ausuͤbung gebraucht.

Wir ſehen in der That, daß ſie ihren Opiz fleiſſig geſtudiert haben; der Schwung, den ſie ihren Gedichten gegeben, insbeſondere mittelſt dergleichen Zuſaͤze, womit Opiz das Ende ſeiner Redeſaͤze ſo gerne mit unerwartetem Nachdruck verſtaͤrkete, eine Menge Redensarten, Bilder, Lebensregeln, Gleichniſſe, Alluſionen, ſo ſie von ihm angenommen haben, zeigen genugſam, daß ſie ihm mit ſorgfaͤltigen Schritten nachgegangen ſind. Andreas Tſcherning hat zum Ex. ein Gluͤck -F 3wuͤnſch -86Nachrichten von dem Urſprungewuͤnſchungsgedichte an David Rheniſchen mit fol - genden Zeilen angefangen:

Wir muͤſſen freylich nur, wir armes Volck, bekennen,
Daß Erde, Feuer, Luft, und Waſſer, ſchrecklich brennen,
Aus Eifer gegen uns: Des hohen Himmels Haus,
Das ſchuͤttet ſeinen Zorn mit Blitz und Donner aus,
Von allen Ecken her, nachdem ſo ſchwere Plagen,
Jn dieſer See der Welt mit Macht zuſammenſchlagen
Auf unſren Suͤndenhals; doch gleichwohl iſt ein Gott,
Der ſeiner Gnaden Licht laͤßt ſcheinen in der Noth,
Wann Caurus um den Maſt mit harten Stuͤrmen ſauſet,
Wann die erzoͤrnte Flut um alle Seiten brauſet,
Und will mit uns Grundab: Dem nichts ſich bergen kan;
Der, ob er ſchon betruͤbt, nimmt dennoch wieder an,
Nur daß man eifrig blaͤßt die ſtarken Bußvoſaunen
Aus Feindſchaft unſrer Schuld, und auch die Bethcarthaunen,
Die Himmelsbrecher, pflanzt vor Gottes ſchoͤne Stadt,
Uns zeucht nicht eher ab, bis man das Jawort hat.
Das guͤldne Sonnenrad hat fuͤnfmahl ſeinen Wagen
Durch alle Zeichen ſchon am Himmel durchgetragen,
Seit mich das Vaterland hat heiſſen fremde ſeyn. ꝛc.

Wer erinnert ſich nicht faſt alle dieſe Bilder und Ausdruͤcke im Opitz geleſen zu haben? Jn dem Gedichte an den Freyherren von Burghaus heiſſet es:

Wir koͤnnen freylich nicht vorbey, mein Vaterland,
Und muͤſſen nur geſtehn, der Himmel ſey entbrandt
Aus Eifer gegen uns, nachdem ſo ſchwere Plagen
Von allen Ecken her bey dir zuſammenſchlagen.
Doch gleichwohl iſt ein Gott,
Der ſeiner Gnaden Licht auch mitten in der Noth
Des truͤben Wetters zeigt.
Wo Caurus um den Korb des hohen Maſtes pfeift,
Wo die ergrimmte See mit ganzen Wellen ſtreift,
Und87der Critick bey den Deutſchen.
Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen,
Der lieb hat, wenn er zoͤrnt.

Jn der Ode auf das Leichbegaͤngniß der Herzo - gin zu Muͤnſterberg:

Der des Gebethes Stuͤcke
Pflanzt fuͤr die Himmelsſtadt,
Und weichet nicht zuruͤcke,
Bis er das Jawort hat.

Und in der Daphne ſagt der Chor der Hirten zu Apollo:

Du groſſer Gott, der du den Feuerwagen
Rings um den ſchoͤnen Himmel fuͤhrſt.

Allein gleichwie es eben keine groſſe Kunſt braucht, dergleichen Formen der Rede nachzumachen, ſo waͤchßt Tſcherningen, Dachen, Flemmingen und andern von ihrer Zeit ein ſchlechter Ruhm da - her zu. Opitz wußte Kunſtſtuͤcke, die eine tiefere und verborgenere Erkaͤnntniß des Menſchen und der Dinge zu erkennen geben; dieſe koͤnnen wir in ſeinen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei - nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie ſie bey ihm vorhanden waren. Sie moͤgen aber ei - ne groſſe oder kleine Theorie davon gehabt haben, ſo haben ſie von ſolcher keine Lehrbuͤcher noch criti - ſche Abhandlungen verfaſſet. Was wir critiſches von ihnen haben, ſind kurze Urtheile, fluͤchtige Lobſpruͤche, Meinungen, die nicht bewieſen, oder auf gruͤndliche Unterſuchungen gebauet, noch zum wenigſten mit Exempeln erklaͤret werden, ſondern ſchlechthin auf dem Glauben beruhen, den wirF 4von88Nachrichten von dem Urſprungevon dem Verſtande, der Geſchicklichkeit, und der Aufrichtigkeit deſſen haben, der ſolche Urthei - le gefaͤllet hat.

Von dieſer Art iſt der Ausſpruch, den Riſt von Opitz gefaͤllet hat:

Es hat uns zwar der ed - le und hochberuͤhmte Poet Martin Opitz in ſei - nen theils luſtigen theils nuͤtzlichen Schriſten und Gedichten genugſam Anleitung gegeben, wie wir unſrer faſt verderbten und durch ſo viel fremdes in dieſelbe gleichſam vermummten deut - ſchen Sprache wieder auf die Beine helffen, ihr die unbekannten Larven wieder abziehen, und derſelben Glantz, Zier, und Reinlichkeit in Aufnehmen bringen koͤnnen.

Und an ei - nem andern Orte:

Wir Deutſchen, ob wir ſchon in den Lateiniſchen und Griechiſchen Spra - chen ſo vortreffliche Poeten gehabt, und noch zur Zeit haben, daß wir auch keinen fremden Nationen in denſelben etwas bevorgeben; ſo iſt doch faſt niemand gefunden, der ſich um unſ - re ſo ſchoͤne und wortreiche Mutterſprache haͤt - te bekuͤmmern, oder dieſelbe durch die goͤttliche Poeſie haͤtte beruͤhmt machen wollen, bis end - lich vor wenig Jahren der hochgelahrte Opitius hervorgekommen, der den Weg zur ſelbigen ge - bahnet, das Eis gebrochen, und uns Deut - ſchen die rechte Art gezeiget, wie auch wir in unſrer Sprache Petrarchas, Arioſtos, und Ronſardos haben koͤnnen.

Buchner hat von der Opiziſchen Muſe noch in hoͤherm Thone be - zeuget: Non poteſt aſcendere altius Muſa patria, & neceſſe eſt, ut quieſcat eo faſtigioquo89der Critick bey den Deutſchen. quo tu collocaſti: Interim te ſequemur lon - ge, & tua veſtigia adorabimus: Sic tamen non obſcuri prorſus morituri. Jn dieſem pa - negyriſchen Thone hat damahls jedermann von Opizen geurtheilet; ohne daß nur ein einiger die innerliche Art ſeiner Gedichte mit characteriſtiſchen Zuͤgen beſtimmet haͤtte.

Hofmannswaldau hat zuerſt einen Character von ſeiner Poeſie zu entwerffen vorgenommen, den er uͤber dieſes durch eine Vergleichung derſelben mit andern Poeten in ein verſchiedneres Licht ge - ſtellet hat.

Folgende Jahre, ſagt er, iſt die deutſche Poeſie nicht viel beſſer worden, bis un - gefehr vor fuͤnfzig Jahren Opitz als ein unge - meiner gelehrter und aufgeweckter Kopf die rechte Reinlichkeit der Woͤrter und eigentliche Kraft der Beywoͤrter genauer beobachtet, und das Maaß der Sylben, richtige Reimendung, gute Verknuͤpfung, und ſinnreiche Spruͤche, ſeinen Gedichten einverleibet. Wie er denn in allen Stuͤcken der Poeſie beſonders in Ueberſe - zungen vortrefflich gluͤckſelig geweſen. Wel - chem bald drey ſeiner Landsleute, als Tſcher - ning, ſo ſich ſehr an ſeine Art gehalten, dann Coler und Czepko ruͤhmlich gefolget, nach wel - chen auch Dach, ein Preuſſe, dem die Lieder nicht uͤbel gerathen, und Flemming, ein Meiß - ner, ſo vor andern ein Sonnet gar wohl ge - ſchrieben, wie auch Riſt, ein Holſteiner, ſo viel geiſtliche Geſaͤnge herausgegeben, dann Tiz und Muͤhlpfort, als Poeten bekannt wor - den. Dabey ich dann auch des weitbekanntenF 5 Hars -90Nachrichten von dem Urſprunge Harsdoͤrfers unvergeſſen, der zwey beruͤhmten ſinnreichen Maͤnner, Gryphii und des von Lo - henſtein ſchuldigſt gedenke, ſo, wie in allen Sa - chen, ſo ſie angegriffen, alſo auch in ihren Trauerſpielen, nach Art Sophocles und Se - necaͤ gefertiget, was ein hurtiger und gelehrter Geiſt kan, zur Gnuͤge erwieſen.

Er meint ferner, daß durch gedachter Maͤnner Fleiß und Nachſinnen die deutſche Poeſie ſo reine worden, daß ſie der auslaͤndiſchen nichts mehr nachgebe. Doch geſtehet er, daß die Welſchen, wegen ih - rer insgemein angebohrnen Verſtandes und Scharf - ſinnigkeit, an guter Erfindung den Deutſchen manchesmahl zuvorgehen. Von ſeinen eigenen Gedichten, insbeſondere von ſeinen Heldenbriefen, urtheilet er:

Die Art zu ſchreiben darinnen iſt gelaͤuftig, leicht, und mehr lieblich als praͤchtig, dazu denn Ovidius mein Anfuͤhrer geweſen. Viel von heidniſchen Goͤttern und uͤberſteigen - den gezwungenen Redensarten, wie auch ande - re gemeine Schulpoſſen, werden hier wenig zu finden ſeyn, und machen die den Enthalt der Sachen eigentlich bedeutende Woͤrter, etliche kraͤftige Beywoͤrter, und andre mit Verſtand angewandte Kleinigkeiten die ganze Verfaſſung meines Schreibens.

Welcher dieſem fluͤchtigen Urtheil Glauben zuſtel - len ſoll, muß das Anſehen Hoffmannswaldaus ſo viel bey ſich gelten laſſen, daß er ihm auf ſein bloſſes Wort glaͤubt. Eine obgleich nur kurze Ein - ſicht in die Schriften Opitzens und ſeiner Schuͤler, eine Vergleichung derſelben mit Gryphii, undLo -91der Critick bey den Deutſchen. Lohenſteins Gedichten, eine nur fluͤchtige Betrach - tung der eigenen Hoffmannswaldauiſchen Gedich - te, vornehmlich ſeiner Heldenbriefe, wuͤrde zu bald verrathen, wie uͤbel ausgemeſſen, wie unbe - gruͤndet, wie ungereimt dieſes lobreiche Urtheil iſt, und wie wenig es mit ſich ſelber beſtehen koͤnne. Denn Hoffmannswaldau iſt zuerſt von Opitzens Muſter abgewichen, welche bey dem Mangel gruͤndlicher Lehrbuͤcher bisdahin vor Vorſchriften gedienet hatten; er hat eine Schreibart eingefuͤhrt, welche von dem, was er ſelbſt von ihr ruͤhmet, das Wiederſpiel in ſich hat, und eben ſo wenig Natur in den Sachen als in dem Ausdrucke zei - get; aber nichtsdeſtoweniger von ſeinen Landsleu - ten vor ein gleich ſo treffliches oder noch treffliche - res Modell poetiſcher Wercke, als Opitz waͤre, angenommen worden. Es iſt am Tage, was vor einen Haufen Uebels dieſer Jrrthum in der Poeſie nach ſich gezogen, welches ſich deſtoweniger zu verwundern iſt, weil ihm durch keine critiſche Unterſuchung, ſo ſich auf die Natur der Sachen bezogen haͤtte, Einhalt gethan ward. Die unge - meſſenen Lobſpruͤche, die ehdeſſen zu Gunſt der opi - ziſchen Poeſie gefaͤllet worden, wurden izo mit eben derſelben Dreiſtigkeit, aber mit mehr Unge - ſchicklichkeit und Parteiligkeit dem Hoffmanns - waldau und ſeinem uͤberſteigenden Nachfolger dem von Lohenſtein, verſchwendet.

Dieſer hat ſein Urtheil von dem erſtern mit fol - genden Worten abgefaſſet:

Dem Herren von Hoffmannswaldau hat es die deutſche Sprache zu dancken, daß ihr Spanien mit ſeiner nach - denck -92Nachrichten von dem Urſprunge dencklichen, Welſchland mit ſeiner ſcharfſinni - gen, Franckreich mit ſeiner lieblichen Feder nicht mehr uͤberlegen iſt. Denn Opitz that es den Alten und Auslaͤndern nach, unſer Herr von Hoffmannswaldau aber zuvor.

Und in dem Gedichte an den von Logau hat er dieſes Lob noch weiter getrieben:

Denn Opitz iſt zwar werth,
Den erſten Lorbeerkrantz in Deutſchland zu erlangen,
Er hat mit ſolchem Ruhm das Hauptwerck angefangen,
Daß keiner nach der Zeit ihm iſt geflogen fuͤr,
Als Hofmannswaldaus Geiſt, der Oder hoͤchſte Zier;
Der deutſche Pindarus, dem keiner nach wird kommen.

Wir muͤſſen uns uͤber dieſes ausſchweifende Lob nicht verwundern, weil Lohenſtein wahrhaftig ſich ſelbſt in Hoffmannswaldau geprieſen hat. Jhm hat hernach gantz Deutſchland dieſes Urtheil nach - geſagt, und nicht leiden wollen, daß jemand ſol - ches groſſe Lob mit Hoffmannswaldau theilete, als nur eben der von Lohenſtein ſelbſt. Alſo ward Opitz von ihnen hinuntergeſezet.

Neukirch, der fuͤr den Erben der Lohenſteini - ſchen Feder geprieſen worden, hat ſein Urtheil da - von mit dieſen Worten gegeben:

Wir wenden uns zu dem vortrefflichen Herrn von Lohenſtein, deſſen Nahme bereits ſo weit erſchollen, daß er unſre Ausblaſung nicht mehr vonnoͤthen hat. Alle ſeine Gedancken ſind ſcharfſinnig, ſeine Aus - bildungen zierlich, und wenn ich die Wahrheit ſa - gen ſoll, ſo findet man in dieſem einzigen faſt alles beyſammen, was ſich in denen andern nur ein - zeln zeiget. Denn er hat nicht allein von Opi - zen93der Critick bey den Deutſchen. zen die heroiſche, von Gryphio die bewegliche, und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an ſich genommen; ſondern auch viel neues hinzu - gethan, und abſonderlich in Sententien, Gleich - niſſen, und hohen Erfindungen ſich hoͤchſtgluͤck - lich erwieſen. Seine Tragoͤdien ſind von den beſten, ſeine geiſtlichen Gedancken voller Kraft, und ſeine Begraͤbnißgedichte unvergleichlich. Jn ſeinem Arminius aber hat er ſich als einen rech - ten Poeten erwieſen, und ſo viel artige, kurze, und Geiſtvolle Dinge erſonnen, daß wir uns nicht ſchaͤmen duͤrffen, dieſelbigen allen heuti - gen Franzoſen entgegen zu ſetzen.

Er bringet nach dieſem etliche Exempel, um denjenigen, wel - che die Deutſchen ſo hoher Gedancken unfaͤhig ach - ten, die Augen, wie er ſagt, zu oͤffnen. Das erſte iſt ein Sonnet, worinnen Olympia, eine Perſon aus dem Arminius, welche zu Bewah - rung ihrer Keuſchheit den Koͤnig Artabazes und ſich ſelbſt erſtochen hatte, der roͤmiſchen Lucretia vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet:

Lucrezen ſey nur recht,
Olympien zuviel durch ihren Stich geſchehen.

Und dieſer wird aus dem Foͤrderſatze gezogen.

Lucretia ließ zu vorher die ſchnoͤden Luͤſte,
Olympia hat nichts von geiler Brunſt geſchmeckt.

Hier ſetzet Lohenſtein voraus, daß Lucretia dem Tarquin ohne Zwang zu Willen geweſen, welches der Geſchichte zuwiderlaͤuft. Sie iſt eben da -rum94Nachrichten von dem Urſprungerum von ihren Landsleuten ſo hoch erhoben worden, weil ſie eine Schandthat, zu der ſie gezwungen wor - den, nicht hat uͤberleben wollen. Das Lob, das Olympien den Vorzug vor einer ſolchen giebt, wel - che die ſchnoͤden Luͤſte zugelaſſen hat, will alſo nicht viel ſagen. Der Poet meint es damit zu erheben, daß er von Olympia ſagt:

Die ihren Heldenarm zu ſtrenger Rach ausſtreckt,
Eh als zum erſten mahl ſie Artabazes kuͤßte.

Sie ſtrafft demnach nur den Vorſatz, nicht die That, und dieſen an ihr ſelbſt, an der unſchuldi - gen; eine Ungerechtigkeit, die wahrhaftig ſtraf - wuͤrdiger iſt, als Artabazens bloſſer Vorſatz!

Wenn wir mithin der Lucretia That beym Licht beſehen, ſo war ſie ſelbſt hoͤchſt ſtrafwuͤrdig; ſie hat gewaltſame Hand an ſich ſelbſt geleget, ihre Rache an Tarquin zu befoͤrdern, ſie hat vorher ihre Anverwandten zur Empoͤrung wieder ihren rechtmaͤſſigen Koͤnig angeſtraͤnget, und hierdurch das gantze roͤmiſche Volck in einen unſichern Stand und eine langwierige Unruhe geſetzet. Die - ſes machet ſie noch mehr ſchuldig als den Tarquin ſelbſt, deſſen Uebelthat nur ein Weib getroffen hat. Und dieſes faͤllt auch Olympien zur Laſt, welche eine gleiche That begangen, ohne daß ſie dergleichen Bewegurſache dazu gehabt hatte, wie Lucretia.

Neu -95der Critick bey den Deutſchen.

Neukirch giebt unter den Exempeln, womit er die Faͤhigkeit der Deutſchen zu hohen Gedancken beweiſen will, auch den bekannten Strophen ei - nen Platz, worinnen die Annehmlichkeit der Liebe uͤber die Suͤſſigkeit des Zuckers, des Honigs, und alles deſſen erhoben wird, was in der Natur und neben der Natur ſuͤß iſt, das iſt, er verglei - chet die Luſtbarkeiten des Geſchmackes mit den Luſtbarkeiten der Einbildungskraft, wozu kein groſ - ſes Beſtreben des Geiſtes erfodert wird. Wenn man nichts trefflichers hat, den Frantzoſen entge - genzuſetzen, ſo wird man kluͤger handeln, daß man ſich mit ihnen in keinen Eiferſtreit einlaſſe.

Er hat uns zugleich ſeine Urtheile von allen an - dern beruͤhmten Poeten Deutſchlands eroͤffnet, und dieſes mit mehr Umſtaͤnden, als noch keiner vor ihm gethan hatte. Er haͤlt Opitzen vor einen Mann, welcher ſo viel Verſtand, als Feuer, viel Sprachen zu ſeinen Dienſten, und von allen Wiſſenſchaften eine gruͤndliche und ungemeine Kaͤnntniß gehabt.

Jch will, faͤhrt er fort, eben mit Buchner nicht ſagen, daß er die Poe - ſie ſo hoch erhoben, daß ihm alle die andern nur folgen muͤſſen: Es iſt aber unſtreitig, daß er darinnen mehr gethan, als man meinet, und daß viel Versmacher in Deutſchland le - ben, welche die Kraͤfte dieſes Poeten noch nicht erkennet.

Er verweiſet es denjenigen, welche meinen, daß ſie lauter Wunderdinge im Boileau finden, und dennoch nicht wiſſen, was in unſremaller -96Nachrichten von dem Urſprungeallererſten Poeten, dem Opitzen, ſtecket.

Wenn wir uns alle bemuͤheten, ſagt er ferner, den Weg zu gehen, den er gegangen, das iſt, durch Leſung der Griechen und Roͤmer klug zu werden, ihre Gedancken mit Anmuth anzubrin - gen, und endlich eigne aus unſrem Gehirne aus - zubruͤten, ſo wuͤrden wir den Franzoſen bald naͤher kommen, und uͤber die Ungleichheit ihrer und unſrer Schriften nicht mehr klagen duͤrffen: Maſſen ſie doch alles, was ſie ſagen, den Al - ten entweder nachgeafft oder abgeſtohlen.

Er meint, Tſcherning ſey Opitzen nicht beyge - kommen, Dach ſey unvergleichlich in geiſtlichen Liedern, und ungemein gluͤcklich in Ueberſetzung der Pſalmen, Flemming behalte noch wohl den Ruhm, daß er unter ſeinen Landsleuten am be - ſten geſungen, wenn er ihn aber bey die drey be - ruͤhmten Maͤnner Gryphius, Hoffmannswaldau und Lohenſtein ſtelle, ſo duͤrfte er faſt von ihm und ſeines gleichen das Urtheil faͤllen, ſie waͤren zwar groſſe Helden, aber ſie kaͤmen nicht an die Zahl der drey. Denn dieſe haben nicht allein dem Opitz weit gluͤcklicher als Flemming gefolget, ſon - dern ihn in gewiſſen Stuͤcken auch uͤbertroffen. Und zwar, was Gryphius belange, ſo ſey unſtretig, daß ſeine Gelehrſamkeit unmaͤßlich, ſein Verſtand unvergleichlich, und ſowohl in Erfindung als Aus - bildung der Dinge ſehr hurtig und ſchnell geweſen.

Seine Tragoͤdien, ſagt er, ſind voller Kraft, alle Beywoͤrter wohl ausgeſonnen, und wenn ich die Wahrheit ſagen ſoll, ſo maͤnnlich, nach - druͤcklich, und donnernd, daß es ihm keiner von97der Critick bey den Deutſchen. von allen ſeinen Nachfolgern hierinnen gleich gethan. Jn Bewegung und Vorſtellung der Affecten hat er ebenfalls etwas ſonderliches. Was man aber am meiſten an dieſem Mann bewundern muß, iſt, daß er in luſtigen Sa - chen eben ſo gluͤcklich geweſen iſt, als in trauri - gen.

Von Hoffmannswaldau merket er an, er ha - be gantz einen andern Weg, als Opitz und Gry - phius erwehlet, indem er ſich ſehr an die Jtaliaͤ - ner gehalten, und die liebliche Schreibart, wel - che in Schleſien herrſchete, am erſten eingefuͤhrt. Er geſtehet zwar, daß ſein Stylus zu Tragoͤdien oder heroiſchen Gedichten ſich nicht wohl ſchicken wuͤrde; allein er habe ſich auch an dergleichen Dinge niemahls gemacht, ſondern ſeine meiſte Kunſt in galanten und verliebten Materien ange - wandt, worinnen er ſich auch ſo ſinnreich erwie - ſen, daß man ihn billig fuͤr den deutſchen Ovi - dius preiſen mag; ſeine Liebesbriefe ſeyn auſſer et - lichen harten Metaphoren, ſo er von den Wel - ſchen behalten, nicht zu verbeſſern; aus ſeinen Begraͤbnißgedichten koͤnne man ſehen, daß es ihm an ernſthaften und moraliſchen Gedancken auch nicht gemangelt: Seine Liebesbriefe aber haben ihm nicht allein uͤber alle Deutſchen ſondern auch uͤber die meiſten auslaͤndiſchen Poeten den Sitz erworben, und er kan ſchwerlich glauben, daß ihm denſelbigen auch in kuͤnftigen Zeiten jemand be - ſtreiten werde.

Von Morhof urtheilet er, daß er zwar ſo lieb - lich nicht geſchrieben, als gelehrt, er habe aber[Crit. Sam̃l. II. St.] Gſehr98Nachrichten von dem Urſprungeſehr wohl verſtanden, was zu einem Gedichte er - fodert wird. Beſſer ſey in beyden ſehr gluͤcklich, und habe nicht allein einen ſcharfen Geſchmack von guten Gedancken, ſondern ſchreibe auch ſolche Verſe, welche ein jegliches Ohr vergnuͤgen koͤn - nen. Wiewohl man nun meinen ſollte, daß zu der Vollkommenheit der deutſchen Poeſie wenig mehr uͤbrig waͤre, habe es dem Hrn. Opitz noch an Zierlichkeit, dem Hrn. von Hoffmannswal - dau an Ernſthaftigkeit, dem Hrn. von Lohenſtein an Zeit, andern an was anderm gemangelt. Er ſchlaͤgt zuletzt etliche Mittel vor, wie der Poeſie bald aufzuhelffen waͤre. Wir koͤnnen daraus et - was mehrers von ſeinen Einſichten in das Weſen der Poeſie erlernen.

Wer in der Poeſie groß zu werden gedencket, ſagt er, muß nicht allein an natuͤrlichen Gaben uͤberaus reich, ſondern auch in Erfindungen tiefſinnig, in der Arbeit gedultig, nnd in der Schreibart gantz feſt und poliert ſeyn. Er muß viel Sprachen verſtehen, in allen Wiſſenſchaften wohlgegruͤn - det, in der Welt erfahren, durch eigne Zufaͤlle gewitziget, ſeiner Affe[c]ten Meiſter, und in Ur - theilung andrer Leute Gebrechen vernuͤnftig ſeyn. Alsdann iſt es Zeit, daß er allgemach anfange, ein Poete zu werden, welches aber ohne Leſung und Unterſcheidung poetiſcher Buͤcher nicht wohl geſchehen kan. Die einheimiſchen Poe - ten lieſet man vornehmlich wegen des Styli. Weilen aber dieſer nach Erfoderung der Mate - rien mancherley iſt, ſo muß man auch hier ei - nen Unterſcheid machen, und von Opitz und Flem -99der Critick bey den Deutſchen. Flemming die heroiſche, von Gryphius die be - wegliche und durchdringende, von Hoffmanns - waldau die liebliche, galante, und verliebte, von Lohenſtein die ſcharfſinnige, ſpruchreiche und gelehrte, und alſo von einem jeden eine be - ſondere Schreibart lernen, und durch deren kuͤnſtliche Vermiſchung diejenige zuwegebringen, welche die Lateiner den Stilum Sublimem nen - nen.

Endlich ſchließt er, daß unter tauſen - den kaum einer ſo gluͤckſelig ſey, daß er ſich zur Poeſie rechtſchaffen ſchickete; und ſo er es ja end - lich ſey, ſo gebreche es ihm doch entweder an Ge - dult, oder Zeit, oder am Gluͤcke in ſeiner Befoͤ - derung, und alſo am vornehmſten, welches zu ei - nem Dichter erfodert wird, nemlich an einem froͤ - lichen Gemuͤthe. Dannenhero thun nach ſeinem Erachten diejenigen am beſten, welche die Mittel - ſtraſſe halten, ſich bloß auf galante Gedichte le - gen, und um die Geheimniſſe der hohen Poeſie unbekuͤmmert laſſen. Ein Schluß, welcher der Mei - nung der Alten ſchnurſtracks zuwieder iſt:

Mediocribus eſſe poetis
Non DI, non homines, non conceſſere columnæ.

Dieſe Urtheile ſind zur ſelben Zeit durchgehends vor feine Critick angeſehen worden, ungeachtet ſie allein auf den willkuͤrlichen Geſchmack des Kunſt - richters gebauet ſind. Ja ungeachtet man von der Kraft, ſo den Trauerſpielen Lohenſteins, und Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmannswal - daus zugeſchrieben wird, in Durchleſung derſelben nichts empfindet, hat man dieſe Ausſpruͤche dochG 2mit100Nachrichten von dem Urſprungemit Verleugnung der eigenen Empfindung ohne Foderung eines gruͤndlichen Beweiſes, ohne Un - terſuchung, mit Glauben und Liebe angenommen. Was man darinnen nirgend hinzubringen gewußt hat, was dunckel, zweydeutig und verworren geſchienen, hat man lieber ſeiner eigenen Unge - ſchicklichkeit, als des dreiſten Kunſtrichters ver - worrenen Kopf zugeſchrieben. Jndeſſen iſt Neu - kirch ſelbſt einer der erſten geweſen, der in die Lo - henſteiniſche Schreibart einen Zweifel geſetzet, und ſein Urtheil auf gewiſſe Weiſe zuruͤckegenom - men hat. Er that dieſes eine ſehr kurtze Zeit her - nach; wie wir aus folgenden bekannten Zeilen ſe - hen, die aus einem Vermaͤhlungsgedichtee von 1700 genommen ſind:

Mein Reim klingt vielen ſchon ſehr matt und ohne Kraft:
Warum? Jch traͤnck ihn nicht mit Muſcateller-Saft;
Jch ſpeiſ ihn auch nicht mehr mit theuren Ambrakuchen,
Denn er iſt alt genug, die Nahrung ſelbſt zu ſuchen.
Zibeth und Bieſam hat ihm manchen Dienſt gethan:
Nun will ich einmahl ſehn, was er alleine kan.
Alleine? Fraget ihr: Ja, wie gedacht, alleine.
Denn, was ich ehmahls ſchrieb, war weder mein noch ſeine.
Hier hatte Seneca, dort Plato was geſagt;
Da hatt ich einen Spruch dem Plautus abgejagt;
Und etwann anderswo den Tacitus beſtohlen.
Auf dieſen ſchwachen Grund, ich ſag es unverholen,
Baut ich von Verſen oft damahls ein gantzes Haus,
Und ziert es noch dazu mit Sinnebildern aus.
Wie oftmahls muß ich nicht der abgeſchmackten Sachen,
Wann ich zuruͤcke ſeh, noch bey mir ſelber lachen.
Gleichwohl gefielen ſie, und nahmen durch den Schein,
Wie ſchlecht er immer war, viel hundert Leſer ein.
Ha! ſchrie man hier und da; fuͤr dem muß Opitz weichen.
Ja, dacht ich, wenn ich ihn nur erſtlich koͤnnt erreichen!
Den Willen haͤtt ich wohl. So wie ich es gedacht,
So101der Critik bey den Deutſchen.
So iſt es auch geſchehn. Jch habe manche Nacht
Und manchen Tag geſchwizt; allein ich muß geſtehen,
Daß ich ihm noch umſonſt verſuche nachzugehen.

Jn den folgenden Zeilen ſaget er uns auch, wem er dieſe Veraͤnderung ſeines Geſchmackes zu dan - ken habe:

O grauſamer Horaz, was hat dich doch bewegt,
Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten aufgelegt?
So bald ich nur dein Buch mit Luſt und Ernſt geleſen,
So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen. ꝛc.

Jn der Satyre auf unverſtaͤndige Poeten hat er von ſeinem erſten Suͤndenſtande und hernach ge - folgten Bekehrung mit demſelben bußfertigen Her - zen geredet:

Ein halb mit Pikelſchertz vermengtes Operettchen,
Ein ſtinkender Roman von raſenden Chryſettchen,
Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon
Des uͤppigen Marin erbauter Venusthron,
Der der Geliebten Schoos bis auf den Grund entdecket,
Und Buͤſch und Bruͤnnen draus, und Vogelneſter hecket
Ein rohes Trauerſpiel, in dem die Regeln fehlen,
Und ſo viel Schnizer faſt, als Sylben ſind, zu zehlen;
Ein Brief, den Adam ſchon der Eva zugeſandt,
Da beyde dazumahl doch keine Schrift gekandt;
Ein kreiſſendes Sonnet, das mit dem Tode ringet,
Und der Gedanken Rad, ſo wie die Reimen zwinget,
Und ein nach Poͤbelart geprieſner Buhlerblick
Jſt oft bey dieſer Zeit das groͤſte Meiſterſtuͤck.
So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,
Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,
Der Reime duͤrren Leib mit Purpur ausgeſchmuͤckt,
Und abgeborgte Kraft den Woͤrtern angeflickt;
So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;
Allein ſobald ich nur der Spure nachgegraben,
G 3Auf102Nachrichten von dem Urſprunge
Auf der man zur Vernunft beſchaͤmt zurucke kehrt,
Und endlich nach und nach nur den Parnaß erreicht,
So iſt es aus mit mir.

Jn eben derſelben Satyre ſchmaͤlet er auf die ſchwaͤrmende Vernunft

Der von der Hungerſucht bethoͤrten Dichterzunft,
Die ſich durch falſche Kunſt auf den Parnaß geſchlichen,
Von der geſezten Bahn der Alten abgewichen,
Der Griechen Zaͤrtlichkeit das Todesurtheil faͤllet,
Des Maro klugen Wiz in Kinderclaſſen weiſt,
Horazens Dichterbuch verrauchte Grillen heißt. ꝛc.

Nichtsdeſtoweniger, wenn wir ſeine letztern Wer - ke nach dieſen griechiſchen und lateiniſchen Muſtern beurtheilen, muͤſſen wir ſchlieſſen, daß er die Kunſt derſelben nicht in ihrer vollen Kraft eingeſe - hen habe, oder daß der Wille bey ihm beſſer ge - weſen ſey, als das Vermoͤgen, maſſen wir da - rinnen zwar nicht mehr dergleichen falſche Pracht, aber hingegen ſehr viel gemeines, plattes, nie - dertraͤchtiges, und verworrenes Zeug ſo wohl in den Gedanken, und Bildern, als dem Ausdruck wahrnehmen, das einen unbefeſtigten Geſchmack anzeiget. Jch finde zum Exempel in eben dieſer Satyre auf die unverſtaͤndigen Poeten folgende theils poͤbelhafte theils ungeſchickte Redensarten: Jn Schulſtaub ſpringen; mit Ebraͤerwitz geſpickt: einen ins Re Mi Fa Sol La der Huͤbneriſten ja - gen; notenmaͤſſig ſeyn; ein Jammerlied im Tan - ze drechſeln; das Dichterſaltz juͤckt in den Adern; zum Floͤtenritter ſchlagen; den Trieb der Redlich -keit103der Critik bey den Deutſchen. keit mit Silberzaͤumen lenken; nach Narrenwaſ - ſer lechzen; durch ein Haberrohr zum Federſtur - me blaſen; einem Muͤhe und Schweiß in den Jammerbuſen ſchieben; auf den Weg der Hun - gerwieſen fuͤhren. Multi dum vitant vitia in contraria currunt.

Zu derſelben Zeit, da Neukirchen zu Berlin dieſes ungewiſſe Licht in der Critik aufgegangen war, hatte die Stadt Hamburg einen Kunſt - verſtaͤndigen, bey welchem ein hellerer Tag in die - ſer Wiſſenſchaft ſchon angebrochen war. Wer - nike tappete daſelbſt nicht im Dunckeln, er ver - ließ ſich nicht auf die betruͤgliche Empfindung in Schriften, wo nicht das Hertz und die Affecte al - lein, ſondern eben ſo oft der Witz und der Ver - ſtand herrſchen ſollen. Er urtheilte auf feſtgeſetzte und beſtaͤndige Grundſaͤze; welches vor ihm noch keiner gethan hatte. Er betrachtete die Gedichte der Deutſchen ohne Vorurtheile, und ſah auf die Wahrheit der Sache, nicht auf das Anſehen, oder den Beyfall andrer. Aufrichtigkeit und Freyheit, mit Beſcheidenheit ohne Schmeicheley, fuͤhrten ihm die Feder. Jn ſeinem Verſuche von Ueberſchriften ſind die geſchickteſten Exempel von ſcharfſinnigen Gedancken in groſſer Verſchiedenheit enthalten, und in den Anmerckungen, die er hin - zugeſetzet hat, findet man gantz natuͤrliche Grund - ſaͤtze von dem Witze und der Scharfſinnigkeit, die derſelbe manchmahl in Beurtheilung der abſon - derlichſten Einfaͤlle mit gehoͤriger Einſicht und Be - ſtimmung anwendet. Wir werden oͤfters von ihm berichtet, was ſeine erſten Einfaͤlle uͤber eineG 4Sache104Nachrichten von dem UrſprungeSache geweſen; indem er dieſelben izo ſelbſt ver - wirfft, zeiget er uns zugleich an, warum er ſie ausgeloͤſchet habe; und wie er bey einer Veraͤnde - rung nicht nur geſucht, den erſten Fehler zu he - ben, ſondern an ſtatt des ungeſchickten Gedankens einen trefflichen zu erſinnen. Unter einer groſſen Anzahl Ueberſchriften gehen nun eine ziemliche Menge auf die deutſchen Poeten, den Witz der Deutſchen, die Vorruͤckungen des Vater Bu - hurs, und dergleichen Dinge. Der Autor iſt dann befliſſen, die Urtheile, ſo er in den ſticheln - den Ueberſchriften gefaͤllt hat, in den Anmerckun - gen zu erklaͤren und zu bekraͤftigen. Wir wollen ihn ſeine Begriffe von der Poeſie, der Critik, und ihrem Gebrauche ſelber entdecken laſſen.

Etliche Ueberſchriften, ſagt er, ſind wider un - ſere deutſchen Poeten, oder daß man ſeine Mei - nung deutlicher ausdruͤcke, mehr wider die ein - gefuͤhrte Schreibart, als die Poeten ſelbſt ge - richtet. Man haͤlt davor, und man hoffet, es werde dem Verfaſſer von keinem vernuͤnfti - gen Menſchen uͤbel gedeutet werden, daß er ſei - ne Meinung ſo frey herausſaget; man haͤlt da - vor, daß wir bisher in unfern Verſen mit eiteln und falſchen Woͤrtern zuviel geſpielet, und ſehr wenig auf das bedacht geweſen, was die Wel - ſchen Concetti, die Franzoſen Penſées, die Engellaͤnder Thoughts, und wir fuͤglich Ein - faͤlle nennen koͤnnen; da doch dieſelbe die Seele eines Gedichtes ſind. Ja daß auch eben die, welche ſinnreich zu ſeyn gewußt, dennoch nicht eine nachdruͤckliche und maͤnnliche Art zu ſchrei - ben105der Critik bey den Deutſchen. ben gehabt haben. Wohlflieſſende Ver - ſe zu ſchreiben iſt die geringſte obgleich noͤthige Tugend eines Poeten, und verdienet niemand dieſen Nahmen, der nicht zugleich die Eigen - ſchaft der Sprache, in der er ſchreibt, und der - ſelben Staͤrcke zierlich auszudruͤcken, und da - bey mit groſſer Sinnlichkeit zu ſchreiben weiß. Die hoͤchſte Vollkommenheit der Poeſie aber be - ſteht darinnen, daß man erſtlich die Anſtaͤnd - lichkeit in allen Dingen genau beobachte, und hernach durch edle und großmuͤthige Meinungen die Seele ſeines Leſers entzuͤcke. Bey uns haben Opitz und Gryph, und derſelben zwey beruͤhmte Nachfolger, Hofmannswaldau und Lohenſtein den groͤſten Preiß bisher verdienet. Dieſe zwey letztern inſonderheit werden anizt am meiſten geleſen. Sinnreich und lieblich iſt der erſte; ſinnreich und durchdringend der an - dere. Jenen iſt jedermann geneigt; dieſen iſt jedermann gezwungen zu ruͤhmen. Man findet in der That in den Trauerſpielen des leztern unterſchiedliche vortreffliche Oerter, und unter denen einige, welche es in Ausdruͤckung einer Sache den beſten alten Poeten gleich thun. Wenn man aber die Wahrheit geſtehen darf, ſo hat er ſich auch hierinnen unterweilen durch ſeine Hitze ſo weit verfuͤhren laſſen, daß er ſchoͤ - ne Sachen zur Unzeit angebracht; und praͤchti - ge Worte ſeinem Verſtande zum Nachtheil, und gleichſam in einer poetiſchen Raſerey geſchrie - ben hat. Unzeitiger Witz iſt Unverſtand, und die Einfalt hingegen in vielen GelegenheitenG 5 ver -106Nachrichten von dem Urſprunge verwunderungswuͤrdig. Man iſt gaͤntz - lich der Meinung, daß was die franzoͤſiſche Schreibart zu der heutigen Vollkommenheit ge - bracht hat, meiſtentheils daher ruͤhre, daß ſo - bald nicht ein gutes Buch ans Licht koͤmmt, daß nicht demſelben eine ſogenannte Critique gleich auf den Fuß nachfolgen ſollte, worinnen man die von dem Verfaſſer begangenen Fehler ſittſamlich und mit aller Hoͤflichkeit und Ehrer - biethung anmercket. Sintemahl dadurch ohne alle Aergerniß dem Leſer der Verſtand geoͤff - net, und der Verfaſſer in gebuͤhrenden Schran - ken gehalten wird.

Ueber das Epigramma auf die ſchleſiſche Poeten fuͤgt er ſeine Anmerckung mit folgenden Worten bey:

Der groſſe Ruhm den man allhier den ſchleſiſchen Poeten zuleget, ſtimmet mit einigen vorhergehenden Ueberſchrif - ten und denen Anmerckungen nicht allerdings uͤberein; und dieſer Unterſcheid im urtheilen ruͤhret von dem groſſen Unterſcheid des Verfaſ - ſers Jahre her. Man hatte, als man dieſe Ue - berſchrift ſchrieb, nicht allein keine engliſche und franzoͤſiſche Poeten, ſondern ſo gar auch die beſten lateiniſchen nicht anders als der Spra - che halber geleſen, wannenhero es kein Wunder iſt, daß man ſich damahls in ſeinem Urtheil in etwas verſtiegen. Die Sache kurtz zu ma - chen, ſo iſt man annoch der Meinung, daß die ſchleſiſche nicht allein unſre beſte Poeten, ſondern auch mit den beſten Auslaͤndiſchen moͤg - ten zu vergleichen ſeyn, wenn die zwey beruͤhm - ten Maͤnner Lohenſtein und Hoffmannswaldau es107der Critik bey den Deutſchen. es bey der reinen und natuͤrlichen Schreibart des Opizs und Gryphs haͤtten bewenden laſſen, und nichts anders als ihre eigene Scharfſinnig - keit derſelben zugefuͤget haͤtten. Es ſcheint aber daß ſie beyderſeits unter allen fremden Poeten ſich die Welſchen zum Muſter geſezet.

Er zeiget hernach aus des Hoffmannswaldaus eignen Geſtaͤndniß, daß dieſer ſich die Welſchen, und zwar die ſchlimmen unter denſelben zum Bey - ſpiel geſetzet, welches er ferner mit etlichen Exem - peln aus deſſelben Heldenbriefen beſteiffet, uͤber die er folgende drey Dinge mit Bedacht und ohne Vorurtheil zu erwegen bittet, eh man ihn einer Unbeſcheidenheit beſchuldige, die unbequemen Re - densarten, die harten Metaphoren, und den fal - ſchen Witz. Von allen drey Arten fuͤhret er Exempel mit ſeinen Anmerckungen an, und dieſe werden in der That ſo beſcheiden und ehrerbiethig eingefuͤhrt, daß man in Zweifel geraͤth, ob er mehr Fehler eingeſehen oder mehr verſchwiegen habe.

Jn der Ueberſchrift, wo er ſo ſchertzreich ſagt, daß ſeine Muſe, wenn ſie zornig iſt, keine Bie - ſamkuchen bake, erklaͤrt er ſich von dem damahligen Zuſtand der Poeſie bey den Deutſchen ſehr verſtaͤndig.

Dieſe Zukerbekerey, ſagt er, laͤßt man gar ger - ne den heutigen Schleſiſchen Poeten, als wel - che dergleichen lekerhafte Sachen in ihren Ver - ſen ſo haͤuffig zu Kauffe haben, daß ſie ſo gar auch nicht der Mandeln und des Marzipans vergeſſen, und man ſich folgends einbilden ſoll - te, daß ſie alle ihre Leſer vor Kinder hielten. Jch weiß zwar wohl, was Deutſchland Schle - ſien108Nachrichten von dem Urſprunge ſien wegen der Dichtkunſt ſchuldig iſt; derſelben Urſprung, Fortgang, ſo gar, alle Poeten, die ſich bishero unter uns einen Nahmen ge - machet haben. Es fehlet aber ſo weit, daß ſie unſre Poeſie annoch in den Stand ſollten geſe - zet haben, worinnen wir, ich will nicht ſagen der Griechen und Lateiner, ſondern nur der heu - tigen Franzoſen und Engellaͤnder ihre finden, daß ſie vielmehr uns zu vielen Fehlern verfuͤhrt, und dieſelben durch ihre wohlflieſſende und zahl - reiche Verſe ſo gar unter uns gangbar gemacht haben, daß man ſich ſogleich einen gantzen Schwarm deutſcher Dichterlinge auf den Hals ladet, ſo bald man Liebe genug zu ſeinem Va - terlande traͤgt, dieſelben als Fehler anzumer - ken. Die Rede nach der unterſchiedenen Art der Gedichte unterſchiedlich einzurichten; in ei - nem Schaͤfergedichte ſittſam zu ſinken, ohne zu fallen, in einer Ode hergegen zwar hoch aber nicht aus dem Geſichte zu ſteigen, und in die - ſer unterweilen eine kuͤnſtliche Unordnung ſehen zu laſſen; in den Schauſpielen die Einigkeit der Zeit, des Orts, und der Sache gantz genau zu beobachten, und zwar in den Luſtſpielen die Sitten zu verbeſſern, und in den Trauerſpielen die Hoͤrer zum Schrecken und zum Mitleiden zu bewegen; in allen aber insgemein voller ſinn - reichen Gedancken und Einfaͤlle, und großmuͤ - thigen und ſchoͤnen Meinungen zu ſeyn, ſo daß dieſelben nach Leſung des Gedichtes in dem Ge - daͤchtniß ſtecken bleiben; dieſes alles iſt das, worauf die wenigſte unſrer Poeten bishero ge - dacht,109der Critik bey den Deutſchen. dacht, oder was die wenigſte ihrer Leſer in ih - nen geſucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich, wird dieſe Anmerckung in ihr rechtes Licht ſezen, und ihr den Neid und Haß benehmen, den ſie ſich hierdurch bey unbedachtſamen und parthei - ſchen Leſern anizo ohne Zweifel erwecken wird.

Wernike war der einzige zu ſeiner Zeit, der die Poeſie in dieſem wahren Lichte erkannte; ich fin - de insbeſondere nicht, daß jemand vor ihm dasje - nige angeprieſen habe, was er gar geſchickt die Meinungen, und die Franzoſen les Sentimens, heiſſen. Er iſt daneben der erſte, der die Ein - fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter beſtraffet hat, Bl. 93. der erſte, der die poetiſche Zahl darinnen groſſentheils gefunden, daß die Wendung und der Fall der Verſe unterſchiedlich ſey, und daß die Verſe zwar flieſſen, aber einer dem andern nicht allzeit gleich flieſſen muͤſſe, Bl. 99. der erſte, der die Schreibart, die von den Franzoſen Bur - lesque genannt wird, welche er Knittelgedichte heißt, in der rechten Materie angewendet, und das unterſcheidende Zeichen, (wie er Bl. 209. das Wort Character giebt,) dieſer Art Gedichte ſowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan - ken genau beſtimmt hat, der erſte der von den Ei - genſchaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge - ſchrieben hat. ꝛc.

Das Bekenntniß, das dieſer ſatyriſche Kunſt - richter hier und dar ſeiner eigenen Fehler halber thut, iſt eben ſo liebenswuͤrdig, als die Verbeſ - ſerung derſelben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr - reich iſt. Er hatte von einem Kind und einemGrei -110Nachrichten von dem UrſprungeGreiſen den Gegenſatz gemacht: Die Kindheit neh - me bey dem erſten durch die Jahre ab, bey dem andern zu; ſtraft ſich aber wegen dieſes Einfalles ſelber mit dieſen Worten:

Zu der Zeit da ich dieſe Ueberſchrift aufſetzte, dacht ich Wunder, was ich vor einen herrlichen Fund gethan, an - izo aber erkenne ich nur gar zu wohl den alber - nen Witz derſelben. Jch war damahls in ei - nen Emanuel Theſaurus, Juglaris, und Ma - ſenius verliebt, anizo kan ich kaum einen Se - neca und Plinius mit Vergnuͤgen leſen.

Jn einer andern Ueberſchrift hatte er die Mutter zu Rom, die ihren todtgeglaubten Sohn geſund und munter heimkommen ſehen, zweymahl ſterbend, und den Sohn als den Nachlaß beyder Leichen eingefuͤhrt; eine jede Reihe, ein jedes Wort, zeig - ten durch eine gezwungene Sinnlichkeit, wie er ſelber bekennt, nur gar zuviel die Jahre an, da - rinnen ſie geſchrieben waren. Nun haͤtte er dieſe von ihm ſelbſt verworffene Ueberſchrift wohl unter - druͤcken koͤnnen, allein er wollte ſie lieber mitthei - len, den Leſer damit zu ſeiner Unterrichtung zu be - luſtigen, und demſelben zugleich anzuzeigen, wie wenig man den Leuten gefalle, wenn man denſel - ben gar zu viel zu gefallen ſucht. Sehet auch Bl. 128. und 203. Man erkennet wohl, daß er zuerſt nachgedacht, eh er die Feder ergriffen, und daß er Zeit uud Muͤhe an die Ausfuͤhrung ſeiner Gedancken gewendet hat. Eben dieſes hat er ſei - nen Landesleuten empfohlen, von denen er ſagt, ſie haben Witz genug, aber ſie laſſen ſich nicht Zeit genug, etwas dauerhaftes zu ſchreiben; ſielaſſen111der Critik bey den Deutſchen. laſſen es nicht allein bey dem erſten Einfall, ſon - dern auch bey der erſten Redensart bewenden, und wie ſie allein zu ſchreiben ſcheinen, damit es der Sezer in der Druͤckerey leſen koͤnne, alſo ver - aͤndern ſie in ihren Schriften auch nichts, als was dieſer darinnen verſehen hat. Weiſe und Franciſci, vieler anderer zu geſchweigen, haͤtten ſich mit Recht einen Nahmen in Deutſchland ge - machet, wenn ſie weniger geſchrieben haͤtten: Sie ſeyn zwey Fluͤſſe, welche wegen ihres ſchnellen und ungewiſſen Laufs ſo viel Schlamm und Unflat mit ſich fuͤhren, daß man den guͤldnen Sand der - ſelben nicht erkennen koͤnne.

Mit allen dieſen critiſchen Einſichten und Tu - genden hat Wernike nicht vermeiden koͤnnen, daß ſeine Strafurtheile nicht ſolche Leute in den Har - niſch gejaget, welche in der Poeſie von nichts als einem Lohenſtein und Hoffmannswaldau wiſſen, und weil ſie in denſelben ohne Unterſcheid alles mit Verwunderung leſen, diejenigen mit Zorn und ei - nem poetiſchen Amtseifer anſehen, welche ſich un - terſtehen, etwas in denſelben zu tadeln. Es hat darwieder nicht geholffen, daß er den Verehrern Hoffmannswaldaus und Lohenſteins das Exempel Homers und Virgils vorgehalten, welche we - gen vieler Dinge von vielen groſſen und beruͤhm - ten Leuten, und zwar insgemein ohne ihre Schuld, getadelt worden. Die Hoͤflichkeit und geziemen - de Ehrerweiſung, die er mitten in ſeinen Beſtra - fungen gebraucht, haben ihn vor Haſſe nicht bewah - ren moͤgen. Das Lob, das er beſagten deutſchen Poeten beygeleget, hat ihm keine Vergebung desTadels112Nachrichten von dem UrſprungeTadels derſelben erlanget, ungeacht es ihm gewiß Muͤhe gemacht haͤtte, das Lob mit eben ſo guͤlti - gen Anmerckungen zu erweiſen, als die ſind, wo - mit er die getadelten Stellen verworffen hat. Laſ - ſet uns ihn wieder ſelber vernehmen.

Es ha - ben dieſe zwey beruͤhmte Maͤnner zwar das ih - rige mit groſſem Lob, aber doch noch lange nicht ſo viel gethan, daß ihre Nachfolger, ſo wie Alexander uͤber ſeines Vaters Siege, Urſache zu ſeufzen haben ſollten, daß ihnen nichts mehr zu thun uͤberlaſſen worden ſey. Des von Hoff - mannswaldaus Gedichte werden wegen ſeiner Heldenbriefe mehr als des von Lohenſteins gele - ſen. Weswegen ich zum Verſuche den erſten derſelben durchgegangen, und einige Anmer - kungen daruͤber gemachet habe. Wer derglei - chen uͤber des von Lohenſteins Schriften ma - chen wollte, der wuͤrde Zeug genug zu ſeiner Arbeit finden. Es iſt derſelbe, man geſtehet es gerne, ein groͤſſerer Poete als der erſtere. Der vom Horatius erfoderte, und von hohen Sachen klingende Mund laͤßt ſich mit Vergnuͤ - gung in hundert Oertern ſeiner Schriften hoͤren. Allein dieſes iſt auch unſtreitig, daß wie man an ihm vielmehr zu ruͤhmen, alſo auch vielmehr zu tadeln findet, als in dem erſtern.

Er zieht hierauf einen ungeſchickten Vers aus Lohenſtein an, den er beurtheilet, und dann fortfaͤhrt:

Waͤ - ren aller unſerer Poeten Gedichte dieſem Verſe, oder alle Verſe des Herrn von Lohenſteins die - ſem gleich, ſo koͤnnte man es dem ehrwuͤrdi - gen Vater Buhurs nicht verdencken, daß er uns113der Critik bey den Deutſchen. uns nicht mehr Witz als den Moſcoviten zuer - kannt hat. Unterdeſſen ſo gehet man ſo weit nicht, um dem von Lohenſtein zu nahe zu tre - ten. Man vergißt gern ſeine Fehler, wegen ſeiner anderwaͤrtigen herrlichen Tugenden. Man hat es nur mit denen zu thun, die deſſen Tugenden nicht erkennen, und ſich allein an deſſen Fehler halten, dieſelben zu ihrer Richtſchnur im Schrei - ben ſezen, und wenn ſich jemand findet, der aus keinem Neide des Poeten, ſondern bloß allein zu Befoͤderung der deutſchen Poeſie dieſel - ben anmerket; ſich gleich thoͤrigter Weiſe ein - bilden, man haͤtte einem Koͤnig nach ſeiner Krone gegriffen. Glaubet man in der That, daß die Poeſie mit der Zauberkunſt eine gleiche Grund - feſte habe? Und bildet man ſich ein, daß man den Unverſtand, ſo wie das Fieber mit nichtsbe - deutenden Worten und Zeichen vertreiben koͤn - ne?

Dergleichen Leute gab es wuͤrcklich.

Poſtel, deſſen Singſpiele damahls in dem Hamburgiſchen Opernhauſe erſchalleten, konnte Hoffmannswaldaus und Lohenſteins Schreibart nicht verurtheilet ſehen, ohne zu begreiffen, daß ihm ein gleiches Urtheil wie denſelben geſprochen waͤre. Seine Gelahrtheit war ſo groß, als Lo - henſteins, ſein Witz nicht geringer, aber wegen Mangel an Urtheilskraft eben ſo ausſchweifend. Wenn Wernike von einer Muſe redete,

Die in ein Spinngeweb das Bild der Dichtkunſt praͤgt,
Die Marmor und Albaſt aus Bruſt und Haͤnden haut,
Die Edelſtein und Stern aus ihrer Feder ſprizt,
Die in dem Aug Achat, in Thraͤnen Perlen findt,
Und aus den Diſteln Zeug der Luſt zum Schlafrock ſpinnt,
[Crit. Sam̃l. II. St.] Hſo114Nachrichten von dem Urſprunge

ſo paßte dieſes ſo wohl auf Poſtel, als auf Hoff - mannswaldau, und wenn Poſtel es nicht ſelbſt wahrnahm, ſo ſagten es ihm andere. Seine Ue - berſetzung eines der anmuthigſten Stuͤke aus der Jlias war ſchon im Druke und mit einem groſſen Krame von Gelehrſamkeit, wie er auch mit ſeinen Singſpielen pflegete, begleitet worden, in wel - chem man mehr Gedaͤchtniß und Fleiß im Zuſam - mentragen, als Verſtand im Anbringen fand. Er hatte auch ſchon 1698. angefangen, die erſten Buͤcher von ſeinem Wittekind zu ſchreiben; dieſes Gedichte hatte alle die Fehler, die Hr. Wernike angegriffen. Die Singſpiele hatten einen groſſen Zulauf bekommen, welchen ihr Urheber nicht er - mangelte ihrem eigenen Werthe zuzuſchreiben, das aber, wenn wir Werniken glauben, mehr den Saͤngern und Saͤngerinnen zu danken war; man gieng in die Oper, wie viel Leute die Kirche beſu - chen, nicht um der Predigt, ſondern um des Ge - ſanges Willen. Poſtel muͤßte ſehr gelernig gewe - ſen ſeyn, und ſich ſelber gewußt haben zu verleug - nen, wenn er Hoffmannswaldaus, Lohenſteins und ſeine eigene Vernichtung ohne Empfindung geſehen haͤtte. Es fehlte ihm nicht an Verehrern, die in ſeinem Geſchmacke waren, die von ſeinen Gedichten urtheilten, wie Hr. Weichmann noch vor wenig Jahren (1724.) von ſeinem Wittekind mit dieſen Worten gethan hat:

Er hat den Geſchmack der Alten und Neuern zu verbinden ge - wußt: Jch erſtaune uͤber die vielfaͤltige und wohl darinn angebrachte Wiſſenſchaft. Die Leb - haſtigkeit und das Feuer, womit die verſchie - denen115der Critik bey den Deutſchen. denen Affecten ausgedruͤckt ſind, ruͤhret mich oͤfters auf das empfindlichſte. Der Reichthum und die Staͤrcke in der Sprache bewundere ich. Die haͤufig einflieſſenden erbaulichen Sittenleh - ren dienen mir zu ſo viel Wegweiſern durch die Welt. Kurtz ich bin verſichert, daß wenn dieß Werck voͤllig waͤre ausgearbeitet worden, Deutſchland weit groͤſſern Ruhm davon gehabt haͤtte, als Jtalien von ſeinem Taſſo und Ma - rino zugleich.

Die bey Poſteln im Schwang gehende, nichtsbedeutende Worte, dieſe inornata & dominantia nomina tantum, bekleideten, wie Wernike Bl. 184. ſagt, ſo artig ihren Platz, und waren von ſo geſchickten Leuten eingefuͤhrt worden, daß ſie faſt durchgehends angenommen worden. Nam decipit Exemplar vitiis imitabile. Po - ſtel dachte darum bald mit Werniken fertig zu werden, und mit einmahl Lohenſtein und ſich ſel - ber zu ſchuͤtzen: Er ſchrieb ein kurzes Sonnet, in welchem er Lohenſtein einem Leuen, Werniken aber einem Haſen vergleicht, der auf dem todten Leuen herumſpringet. Dieſer antwortete ihm mit dem comiſchen Heldengedichte Hans Sachs, worin - nen er Poſteln von Hans Sachſen zu ſeinem Reichs - nachfolger einſegnen laͤßt. Poſtel ſchaͤmte ſich und ſchwieg ſtille. Oder wie einige Berichte lauten uͤber - gab er die Feder Menantes d. i. Georg Siegmund Hunolden, der damahls als ein irrender, verlieb - ter armer Ritter zu Hamburg war, wo er ſich anfangs bey einem Advocaten mit ſchreiben ge - nehrt, nachgehends aber ſelber Rechtsſachen zu verwalten uͤbernommen, daneben auch anfiengH 2mit116Nachrichten von dem Urſprungemit Romanen ſchreiben ſich etwas zu verdienen, auch einige Opern verfertigete. Dieſer ließ erſtlich etliche ſatyriſche Briefe, und hernach ein rechtes Poſſenſpiel voller Frazen und Anzuͤglichkeiten wie - der Wernike druken, unter dem Titel: Der thoͤrigte Pritſchmeiſter, oder, ſchwermende Poet ꝛc. von Menantes. Coͤlln, bey Peter Martau dem juͤngern 1704. Die Perſonen dieſes Poſſenſpieles ſind, ein gelehrter Mann, der von ſeinen Renten lebet, ein Schulmeiſter, ein Ertzpritſchmeiſter, ein luſtiger Bedienter, ein Pegnitzſchaͤfer, Hans Sachſens Geiſt, Mirandola, in die ſich der Ertz - pritſchmeiſter verliebt, Amarillis des gelehrten Manns Tochter, die er gleichfalls liebt, eine Schuſtersmagd, eine Milchdirn, eine Troͤdel - frau. Der Schertz, und das Gelaͤchter, das ſie fuͤhren, und das Werniken gelten ſoll, iſt dem Stande dieſer Perſonen aus dem niedrigſten Poͤ - bel gemaͤß. Es beſteht meiſtens aus ungereimten Anwendungen der Wernikiſchen Sinngedichte, welche ſie ſich durch ihre Verdrehungen zugleich eigen und laͤcherlich machen. Es ſind immunda, ignominioſaque dicta, die niemand anderm als dem gemeinen Poͤbel zur Ergetzung dienen koͤn - nen. Der Nahme Wernike, wird in Wecknarr und Narrweck verwandelt, und dem Ertzpritſch - meiſter der erſte, der andere der luſtigen Perſon beygeleget. Das Laͤcherliche, worauf Wernike mit einem ſchertzreichen Einfall geſtichelt, wird ihm ſelber aufgebuͤrdet, und alſo der Stachel ſtatt des Schuldigen auf ihn geworffen. Dieſe Poſ - ſen ſind mit Anmerckungen begleitet, worinnenMenan -117der Critick bey den Deutſchen. Menantes theils anzeiget, auf was vor Sinnge - dichte Wernikens er gezielet habe, theils von ſol - chen nach ſeiner Weiſe urtheilet, und insbeſonde - re einige von demſelben angegriffene Stellen zu entſchuldigen ſuchet. Er zeiget aber in dieſer Ar - beit eben ſo wenig Aufrichtigkeit als Einſicht. Was ſich noch am beſten hoͤren laͤßt, beſteht in Vertheidigung derjenigen Fehler, ſo in Hoffmanns - waldaus Sprache ausgeſezet worden; und in Ge - genbeſchuldigungen eben dieſes Punctens halber. Wernikens Sprache war in der That nicht die reineſte noch die beſtflieſſende; indem er befliſſen war, die Sachen mit Geiſt und gepreßten Nach - druck auszudruͤken, verſaͤumte er manchmahl das aͤuſſerliche in den Worten und dem Verſe. Jch will ein Paar von den ernſtlichſten Wiederlegun - gen der Urtheile des Hr. Wernike zum Muſter vor Augen legen. Dieſer tadelte vor harte Me - taphern folgende:

Jch weiß daß meine Glut ſich denckt zu hoch zu heben,
Und daß mein Kieſelſtein zu Diamanten will.
Das iſt zu ſagen; der Schreiber will der Prin - zeſſin zu Leibe; was aber des Geheimſchreibers Kieſelſtein ſey, iſt nicht wohl zu begreiffen, und macht folgends wunderliche Gedancken. Drauf ſagt er von der Liebe:
Sie bindet Gold an Stahl, und Garn zu weiſſer Seide
Macht daß ein Neſſelſtrauch die edle Roſe ſucht,
Zu Perlen legt ſie Gras, zu Kolen legt ſie Kreide.
Die Metapher von dem Neſſelſtrauche und derH 3Roſe118Nachrichten von dem Urſprunge Roſe iſt zierlich genug, und druͤckt des Poeten Meinung gnugſam aus; die uͤbrigen aber ſchei - nen nicht allein nur lauter Flickwoͤrter zu ſeyn, die Verſe damit zu fuͤllen, ſondern zeigen auch gar nicht an, was ſie hier ſonſt bedeuten ſollten. Denn daß die Liebe Gold mit Stahl, das iſt, Reichthum mit Dapferkeit verbinde, iſt gar nichts ungemeines. Aus Garn kan man faſt ſo zarte und koſtbare Tuͤcher, als aus Seide machen: Und ich finde keinen andern Unterſcheid zwiſchen den Kolen und den Kreiden, als daß die eine weiß, die andere ſchwartz, und im uͤbrigen bey - de ungefehr einerley Werthes ſind. Jch ge - ſchweige der Perlen und des Graſes, welche mit einander gar keine Vergleichung haben. Denn ich ſchreibe es dem Drucker zu, welcher vielleicht Gras vor Glas mag geſetzet haben.

Hierauf ſagt Menantes zur Vertheidigung der zwey erſtern Verſe:

Die wunderlichſten Ge - danken machen des Hrn. Autors unzeitige Gril - len; denn wenn gleich ſonſten des Geheimſchrei - bers Kieſelſtein zu der Princeſſin ihrem Dia - mant gekommen waͤre, ſie wuͤrden einander kei - nen Schaden gethan haben. Aber vernuͤnftiger zu reden; die Glut ſteiget zu hoch, und ein Kie - ſelſtein will zu Diamanten, oder was ſchlechtes zu was koſtbares, ſind Metaphoren, die abge - ſchmackte Meiſterſaͤnger nicht verſtehen, aber bey verſtaͤndigen laͤngſt mit Approbation gele - ſen worden.

Zur Rettung der drey letztern Verſe ſagt er:

Daß er dieſe Metaphoren nicht verſteht, iſt daraus119der Critik bey den Deutſchen. daraus zu erſehen, indem er meinet, Gold und Stahl bedeute hier Reichthum und Tapferkeit. Allein Eginhard will ſich gantz nicht gegen die Prinzeſſin ruͤhmen, daß er mehr Dinte als Blut vor ſie vergoſſen; ſondern erniedriget ſich nur auf eine anſtaͤndige Art gegen eine ſo hochge - ſchaͤtzte Perſon, indem er ſie dem Golde ſich aber geringen Stahl vergleichet. ꝛc.

Wernike hatte folgende drey Verſe aus Lo - henſteins Jbrahim angezogen:

Und meiner Adern Brunn, fuͤr dem Criſtall nicht rein,
Und Schwanen flekigt ſind, ſoll ein Gefaͤſſe ſeyn,
Darinn der geile Hengſt den Schaum der Unzucht ſpruͤze?

Und daruͤber folgendergeſtalt geurtheilet:

Wer findet dieſe Verſe nicht ſchoͤn? Aber was kan wohl ungereimter als eben dieſelben ſeyn, wenn man betrachtet, daß er ſolche Worte, welche allein von einer wohlberittenen und abgenutzten Thais mit Fuge geſprochen werden koͤnnen, der Ambre, des Mufti Tochter, einem unerfahr - nen Kinde von zwoͤlf Jahren in den Mund ge - leget? Viel ehe koͤnnte man die angenehmen Sitten eines zu Hofe aufgebrachten Juͤnglings in einem wilden Tartar; und einen ſchlauen und durchtriebenen Machiavelli in einem Dre - ſcher in der Scheune vorſtellen.

Auf dieſe Beſchuldigung antwortet Menantes:

Die gan - ze Cenſur beſtehet darinnen, daß die Worte zwar ſchoͤn, aber viel zu frey und ungereimt waͤ - ren, indem Lohenſtein ſie der Ambre, als ei - nem jungen Frauenzimmer in den Mund gelegetH 4 haͤtte:120Nachrichten von dem Urſprunge haͤtte. Nun frage ich, ob das vernuͤnftig cen - ſieren heißt; einen Mann nach ſeinem Tode wegen eines freyen Verſes durch die Hechel zu ziehen? Dem Leſer geſchiehet vielleicht durch dieſen einzigen Vers ein unvergleichlicher Nu - zen in der Poeſie? Oder der Hr. von Lohen - ſtein wird deßwegen ſeine Gedanken im Grabe verbeſſern lernen? Oder des ſeligen Mannes hoͤchſtſchaͤtzbare Meriten und andre Vortrefflich - keiten in der Poeſie verdienen nicht, daß man ihm das geringſte nachſiehet?

Jch finde nicht, daß Wernike dieſe abentheur - liche Frazen einer Antwort gewuͤrdiget habe, auf die ſatyriſche Briefe Menantes hat er wohl in et - lichen Ueberſchriften geſtichelt. Was er von der - gleichen Schnapphanen fuͤr Gedanken gehabt habe, giebt er in dem Epigrammatiſchen Geſpraͤche zwiſchen Maͤvius und Bavius d. i. Menantes und Po - ſteln Bl. 311. zu verſtehen. Bavius ſagt daſelbſt zu Maͤvius:

Wer lachenswerth mich ſchaͤtzt, der denckt nicht einſt an dich.

Jch weiß nicht, ob die Deutſchen ſich durch der - gleichen Widerlegungen und Vorſtellungen ha - ben abſchreken laſſen, Wernikens Cenſuren Ge - hoͤr zu geben, das iſt gewiſſer, daß die Vorur - theile zu Gunſt der Hoffmannswaldauiſchen Schreib - art, ungeachtet der eben ſo gruͤndlichen als ſcharf - ſinnigen Critiken des Hr. Wernike, hernach wie zuvor in ihrer vollen Kraft geherrſchet. Jch darf dem Argwohn nicht Platz geben, daß die Sinn - gedichte dieſes muntern Kopfs den Deutſchen zuvoll121der Critik bey den Deutſchen. voll Geiſtes geweſen, dadurch ihnen die Leſung derſelben zu muͤhſam und unangenehm gefallen ſey. Dieſes wuͤrde einem franzoͤſiſchen Vater Buhurs beſſer anſtehen zu behaupten. Wernike ſagt zwar in der Vorrede zu denſelben, daß ſie an einem groſ - ſen Koͤniglichen Hofe von hohen Perſonen mit Vergnuͤgen geleſen worden, und der beruͤhm - te Clericus hatte eine Ueberſchrift deſſelben auf den Koͤnig Wilhelm von Groß-Britannien, die er in der Ueberſetzung geſehen, nicht allein in ſei - nem hiſtoriſchen und politiſchen Mercur vom Mo - nat October 1699. angezogen, ſondern auch hier - von Gelegenheit genommen, den Pater Buhurs durch die Hechel zu ziehen. Si le Pere Bouhours, ſagt er, voyoit cette Epigramme, il ne met - troit point en queſtion, je m’aſſeure, ſi un Allemand peut être bel Eſprit, il avoueroit que l’eſprit eſt de tout pais. Jndeſſen weiß mich nicht zu erinnern, daß ihrer von einigem ge - ſchickten Scribenten nur ſchlechthin oͤffentlich waͤre gedacht worden, Hrn. Koͤnig ausgenommen, der in ſeiner Unterſuchung vom Geſchmacke, mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Herausgebung, ihn als einen Mann von ausbuͤndigem Geſchmacke ge - lobet, und fuͤr den erſten angeprieſen, der das Hertz gehabt ſich der Lohenſteiniſchen Schreibart in oͤffentlichem Drucke zu wiederſetzen. Die Exemplare von ſeinem Werke haben ſich auch ſo gaͤntzlich verlohren, daß ich ungeachtet aller Muͤ - he, die ich mit Nachfragen gehabt, nur neulich dasjenige, deſſen ich mich izo bediene, durch ei - nen Zufall entdecket habe. NichtsdeſtowenigerH 5war122Nachrichten von dem Urſprungewar des Verfaſſers Perſon in ſeinem Leben be - kannt genug, und konnte er ſich, wie Horatius, ruͤhmen, daß er mit groſſen Standsperſonen Um - gang gehabt habe. Von ſeiner Herkunft zwar iſt mir nichts mehrers bewußt, als daß er von vaͤterlicher Seite ein Sachſe, von der muͤtterli - chen ein Engellaͤnder, und von Geburt ein Preuſ - ſe war. Man hatte ſeine Jugend dem beruͤhm - ten Morhofen zur Aufſicht und Unterweiſung an - vertrauet. Hernach bracht er drey Jahre an einem vornehmen Hofe zu, wo eine hohe Frauensperſon ſeinen muntern Kopf fleiſſig uͤbete, indem ſie ihm bald dieſe, bald jene geiſtliche oder weltliche Begeben - heit vorlegete, daß er ſein Urtheil davon in einigen kurtzen Zeilen abfaſſete. Nach dieſem trat er ei - ne Reiſe nach Franckreich und den damit benach - barten Laͤndern und Koͤnigreichen an, bis er nach Verflieſſung etlicher Jahre Anlaß hatte, ſich an dem Engliſchen Hofe aufzuhalten, wo ihm aber das Gluͤck, das er ſchon bey der Hand erwiſchet zu haben vermeint, fehlgeſchlagen. Seine Hoffnung desfalls war auf viele geleiſtete Dienſte gegruͤndet, und der Compaß ward ihm ohne ſeine Schuld durch einen unverſehenen Zufall verruͤcket. Den - noch hat Hunold hernach eben hiervon Anlaß ge - nommen, die anzuͤglichſten Gloſſen uͤber Werni - kens Betragen in Engelland zu machen, ſo daß er ihn treuloſer Handlungen und ſich ſelbſt damit zugezogener Straffe verdaͤchtig gemachet. Das in Londen mißlungne Gluͤck machte, daß Wer - nike wieder an den Ort zuruckkehrete, woſelbſt er ſeine erſten Jahre mit vieler Zufriedenheit zuge -bracht123der Critik bey den Deutſchen. bracht hatte. Damahls ſuchte er ſeine bey Hrn. Rath Pf .... in Verwahrung gelaſſenen Schrif - ten wieder hervor, und ſchickte erſtlich nur einige wenigere Ueberſchriften zum Verſuche in die Welt hinaus; hernachmahls aber uͤberſah er alle insge - ſammt, ſonderte viele aus, verbeſſerte viele, und ſezete noch viele neue hinzu. Nachdem er einige Zeit ohne Dienſt in ſtiller Ruhe zugebracht, ward er von ihrer Koͤnigl. Daͤniſchen Majeſtaͤt zu ihrem Staatsrath ernannt, und darauf nach Paris ge - ſandt, wo er auch in der Qualitet eins Daͤhniſchen Reſidenten ungefehr vor 20. Jahren geſtorben.

Nach dieſem Anfall, den Wernike mit mehr Recht und Geſchicklichkeit als Gluͤck auf den falſchen Geſchmack gethan, fuͤhrten Hoffmanns - waldau und Lohenſtein ihre poetiſche Herrſchaft unangefochten fort. Maͤnnling und Schroͤter poſaunten den letztern mit aufgeblafenen Backen aus. Selbſt Thomaſe und Gundling erhuben ſei - ne Schriften ungemein. An dem Berliniſchen Hofe ſchrieben zwar Canitz und Beſſer, am Braun - ſchweig-Luͤneburgiſchen Breſſand, in einer na - tuͤrlichern Schreibart geſchicktere Sachen, wie hernach Koͤnig an dem Saͤchſiſchen, und Heraͤus an dem Wieneriſchen. Jch gedencke Weiſen und Huͤbners mit Vorſatz nicht, welche das Natuͤrli - che von der Schreibart in der Leichtigkeit eines magern von Kraft der Gedancken und Eindruck der Vorſtellungen laͤhren Gedichtes geſucht, und die Lohenſteiniſche Art zu ſchreiben vielmehr aus einer einfaͤltigen Empfindung, als aus einer wohl - befeſtigten Einſicht verworffen haben. Mithinhaben124Nachrichten von dem Urſprungehaben ſich auch Caniz und Heraͤus ſelbſt von dem groſſen Strohme fortreiſſen laſſen, und Hoffmanns - waldau und Lohenſteinen Weyhrauch geſtreuet. Der erſtere hat in der Satyre, wo er die unna - tuͤrliche Schreibart mit ſo geiſtreichen und arti - gen Schertzen zum Gelaͤchter machet, etliche Ver - ſe einflieſſen laſſen, die Hoffmannswaldau und Lohenſteinen nebſt Opitzen alleine vor Poeten gelten laſſen:

Wo ſieht man Hoffmanns Brunn, und Lohnſteins Stroͤhme (flieſſen?

Jn dieſer Metapher hat er zugleich die Kennzei - chen ihrer Schreibart ausdruͤcken wollen. Er hat - te in der vorhergehenden Zeile geſagt:

Durch Opitzs ſtillen Bach gehn wir mit trocknen Fuͤſſen.

Und auf dieſe beyden Zeilen folget:

Und nehm ich Beſſern aus, wem iſt wohl mehr vergoͤnnt, Daß er den wahren Quell der Hippocrene kennt?

Der andere, Heraͤus, hat ſein Urtheil von die - ſen und andern beruͤhmten Poeten Deutſchlands mit dieſen Worten eroͤffnet:

Wem duͤrffen nachgehen in gravitetiſcher Sprache der Tra - goͤdien ein Lohenſtein, ein Gryphius? Jn ver - liebten Schertzen, und durchgehends (wo die - ſer angenehme Poet mehr auf ſeinen Lands - mann den Opitz, als auf die welſchen Allego - rien und Metaphoren gedacht,) ein Hoffmanns - waldau? Jn Satyren und Oden ein Canitz, der Herr Kanzeleyrath Amthor, der Herr Rath125der Critik bey den Deutſchen. Rath Menken? Jn Staatsgedichten und hiſto - riſchen Erzehlungen ein Beſſer, und andere ſich gleichſam in die Wette hervorthuende, als der Herr Pietſch, Herr Neukirch, Hr. Koͤnig, Hr. Richey, Hr. Stief? Des Hrn. Brokes genaue und kuͤnſtliche Ueberſetzung einer bisher welſchen Schreibart kan gleichfalls ein Beweis - thum ſeyn, wie faͤhig die deutſche Sprache ſey, allerley Arten nachzureden.

Es iſt ſchwer ſich vorzuſtellen, wie der Verſtand eines Kunſtrichters ſolche Schreibarten, und Dichtar - ten, die manchmahl ſo verſchieden ſind, als wie - derwaͤrtige Dinge, z. Ex. Canizens, Beſſers, Koͤnigs, einestheils, und Hoffmannswaldaus, Lohenſteins, Amthors, anderntheils, in einem Satze habe anpreiſen, und hier und da Geſchmack finden koͤnnen.

Wir koͤnnen dergleichen wiederſinnige Urtheile nicht anderſt aufnehmen, als daß ſie von einer uͤberſpannten Hoͤflichkeit, in Hoffnung auf eine gleiche Lobeserwiederung, oder aus Furcht vor Unglimpf, Haß, und Laͤſterungen, die man ſich mit Aufrichtigkeit und großmuͤthiger Freyheit zuziehen moͤgte, entſprungen ſeyn.

Der blinde Geſchmack, dem die rechtſchaffene Critik keinen Wiederſtand that, fieng izo an, ſich nicht nur uͤber Opitzen, ſondern auch uͤber Opitzens Muſter, die alten Griechen und Roͤmer mit hochgetragenen Haupte zu erheben. Dieſes hat Amthor ungeſtraft mit folgenden Worten ge - than.

Wie hoch ich ſonſt auch ſelbſt die noch vorhandene Ueberbleibſel der alten Poeten ſchaͤ - ze,126Nachrichten von dem Urſprunge ze, ſo laſſe ich doch dahin geſtellet ſeyn, ob nicht die Ehrerbiethung gegen das Alterthum hierin manchmahl zu weit gehe, wenn man deſſelben Poeſien zum Theil vor ſo unvergleichlich haͤlt, daß ſie alle heutige weit uͤbertreffen ſollen. Wahr iſt es, daß die lateiniſchen Redensarten guten - theils kuͤrtzer als die Deutſchen ſind, und man - ches mahl vor andern Sprachen viel mit weni - gem ſagen koͤnnen; doch iſt dieſes eben nicht ſo allgemein, daß nicht auch im Deutſchen ſehr viel ſich ja ſo kurtz, und nachdruͤcklich ſollte ge - ben laſſen. Die vormahlige heidniſche Mythologie gab den Poeten gleichfalls einen groſſen Vorrath von Nahmen und Goͤttern, die nicht nur ſich uͤberall, wie die Scharwen - zel gebrauchen lieſſen, ſondern auch Gelegen - heit zu hunderterley Erfindungen gaben, de - ren man heutiges Tags muͤſſig gehen muß. Und iſt in dieſem Anſehen freylich wahr, daß ein ſolches Heldengedichte, wie Virgilius von ſei - nem Eneas aufgeſetzet, nicht wohl mehr ge - ſchrieben werden koͤnne. Ob es aber deßwegen nicht in ſeiner heutigen, obſchon von jener unter - ſchiedenen Art, eben ſo gut zu machen ſtuͤhnde, iſt eine andre Frage, die meines Beduͤnckens nicht ſo ſchlechterdings muß verneinet werden. Dann daß man meinet, es koͤnne kein Helden - gedichte vollkommen ſeyn, wo es nicht mit uͤber - natuͤrlichen Wunderfaͤllen den Leſer hier und da erſtaunen machet, iſt ein handgreiflich falſches Vorurtheil, nach welchem die Leute vor die - ſem dasjenige am liebſten hatten, was in ih - nen127der Critik bey den Deutſchen. nen die meiſte Verwunderung erweckte, wann auch die Fabeleyen noch ſo plump, und darinn, ſo zu reden, Stein und Baͤume aus der Erden gelogen waren. Selbſt nach eingefuͤhrtem Chriſtenthum, da man ſich ſolcher grober heid - niſcher Poſſen haͤtte entſchlagen, und mit de - nen ſogenannten Fictionen wenigſtens behutſa - mer umgehen ſollen, klebte den Poeten dieſer alte Jrrthum noch immer an, und wird man ſchwerlich einen Jtalieniſchen, Spaniſchen, Franzoͤſiſchen, oder deutſchen Roman, in ge - bundener, oder ungebundener Rede, von ſel - bigen, ja wohl von noch viel juͤngern Zeiten finden, der nicht durch und durch mit Beſchwee - rungen, Verwuͤnſchungen, Rieſen, und an - derm ſolchem Zeuge angefuͤllet iſt, das alle Ver - nunft und Wahrſcheinlichkeit uͤberſteigt. Nach - dem aber nunmehr die vorige Leichtglaͤubigkeit der Leute ſich um ein groſſes vermindert hat, und die alten Hexen und Hexenmeiſter bey uns nicht mehr ſo ſtarck in der Mode ſind, ſo muß auch dieſer Handgriff der Dichtkunſt bey vernuͤnftigen Gemuͤthern nothwendig ſeinen Preis verliehren, und folglich getrachtet wer - den, daß man dagegen die Stelle mit andern anmuthigen Dingen erſetze: Wie meines Er - achtens, wenn man ja ein groſſes Heldenge - dichte ſchreiben wollte, durch Erwehlung, und fernere kuͤnſtliche Ausſchmuͤckung einer zwar ſonderbaren, jedoch wahrſcheinlichen Begeben - heit, und ſonſt in andern Verſen uͤberhaupt durch ſchoͤne Beywoͤrter, Gleichniſſe, Meta - phoren,128Nachrichten von dem Urſprunge phoren, und dergleichen, gar fuͤglich geſchehen kan. Dann wann man die Blendungen bey - ſeite ſetzen will, ſo gehet das heidniſche Fabel - werck, nebſt allen gar zu weit hergeholten Fic - tionen, doch hauptſaͤchlich nur auf Beluſti - gung, wo nicht gar auf eine annehmliche Ver - derbung der Einbildungskraft, die ſo zu reden von Natur Luſt zum gaukeln hat, und weil ſie der gemeinen Jdeen leichtlich muͤde wird, ger - ne mit beſtaͤndiger Abwechſelung ſolcher gantz auſſerordentlicher Gemuͤthsbilder ſpielen mag. Was hingegen durch ſcharfſinnige Gedancken und wohl angebrachte Realien zur Zierde der Poeſie beygetragen wird, ger eichet mehr zur Beluſtigung oder Ausarbeitung des Verſtands: Und da wenigſtens nach dieſem letztern Stuͤck die heutige Dichtkunſt ja ſo reich, wo nicht noch vollkommener iſt, als die alte jemahls ge - weſen, ſo folget hieraus von ſelbſten, daß ſie wohl ſo edel und maͤnnlich als jene ſey, obgleich in der Erfindung und gewiſſen heidniſchen Re - densarten ein und andrer vermeinter Vortheil verlohren gegangen. Bevorab da der eigent - lich ſogenannte Verſtand niemahls leicht zu viel geſchaͤrfet, die Phantaſie aber gar bald durch unzeitige Uebung kann verwirret werden, und eben daher vielleicht das ehmalige Vorur - theil bey viel Leuten mag entſtanden ſeyn, daß groſſe Poeten ſelten mit gantz unverruͤckten Spar - ren gefunden wuͤrden.

Wir erkennen hieraus genug, daß Amthor von der Kraft des Wunderbaren, die Einbildungs -kraft129der Critik bey den Deutſchen. kraft zu ruͤhren, und dem geſchickten Gebrauche deſſelben nur eine kahle und fluͤchtige Theorie ge - habt hat. Er ſieht in den Wercken der alten Poeten nichts als Mythologiſche Dinge, die izo nicht mehr geglaubt werden; der hypothetiſche Grund ihrer Erdichtungen, der Zuſammenhang ihrer Erfindungen, die Verknuͤpfung ihrer Abſich - ten, die Affecte, ſo ſie dadurch ſo geſchickt zu er - hoͤhen, und zu verringern gewußt, der Eindruck, und die Empfindungen, ſo ſie an jedem Orte ih - rer Abſicht und der Sache gemaͤß in dem gehoͤri - gen Grade mit einer beſtaͤndigen Anmuth erwecken, die Sitten der Menſchen, der Nationen, die Arten der Laͤnder, der gantzen Natur Lauf und Weſen, das Schoͤne, das Groſſe, das Wil - de in derſelben, wovon ſie ſo vortreffliche Ge - maͤhlde machen, der moraliſche Unterricht, der mit allen dieſen Sachen vergeſellſchaftet iſt, die geſchickte und mahleriſche Ausdruͤckung, und der - gleichen Dinge ſind vor den Augen und dem Ver - ſtande dieſes uͤberſichtigen Kunſtrichters gaͤntzlich verborgen geblieben. Nach dieſem koͤmmt uns nicht fremd vor, daß er die Verdienſte der da - mahlslebenden deutſchen Poeten eben ſo wenig zu ſchaͤtzen gewußt hat. Er meinete, die viere, nem - lich Beſſer, Canitz, Neukirch, und Wenzel, koͤnnten mit allen uͤbrigen um den Vorzug ſtreiten, und er gab unter dieſen vieren dem letztern den Vorzug.

Jnſonderheit hat Wenzel, ſagt er, mir zum Muſter gedienet, dem ich in meiner Maaſſe, ſo gut ich gekonnt, zu folgen getrach - tet, weil die liebliche Fluͤſſigkeit des Hoffmanns -[Crit. Sam̃l. II. St.] J wal -130Nachrichten von dem Urſprunge waldaus, und das heroiſche Weſen von Lo - henſtein ſchwerlich bey irgend einem andern unſ - rer iztlebenden deutſchen Poeten in einem hoͤhern Grade als hier verknuͤpft duͤrfte gefunden wer - den.

Nun hat dieſes Urtheil, das Wenzeln ſo hoch erhebet, zwar keinen Beyfall gefunden, aber die Verkleinerung der alten Poeten hat den - noch dieſelben bey vielen jungen Leuten noch in groͤſ - ſere Verachtung gebracht, man hat ſie im Stau - be ligen laſſen, und die Hochachtung, die ihnen gebuͤhrte, ihren unverſtaͤndigen Veraͤchtern zuge - wandt. Amthor ſelbſt iſt in ein groſſes Anſehen gekommen, und zwar bey ſolchen Maͤnnern, die ſich zu unſern Zeiten fuͤr die Verfechter des durch die Critik gereinigten Geſchmackes ausgegeben haben.

Jndem nun die geſchickten Maͤnner, welche die Hochachtung gegen die Alten nicht abgeleget hatten, und deren Gedichte zeigeten, daß ſie mit ihnen vertraulich genug bekannt waren, als Men - ken zu Leipzig, Koͤnig zu Dresden, Pietſch zu Koͤnigsberg, Guͤnther und andre an andern Or - ten ſich keine beſondere Muͤhe gaben, dem herr - ſchenden Uebel der ſchreibſuͤchtigen Zeiten mit Nach - druck zu wiederſtehen; erwekete ein guͤnſtiger Stern an einem Orte, wo es niemand vermuthet hatte, dem falſchen Geſchmacke etliche maͤchtige Wieder - ſacher, welche ihn in ſeinen innerſten Bruſtweh - ren anfallen durfften. Sie machten zwar den An - fang dazu ohne einen abſonderlichen Vorſatz und gleichſam nur beylaͤuftig und im Vorbeygehen: Aber die Umſtaͤnde fuͤhren ſie nach und nach aufſolche131der Critik bey den Deutſchen. ſolche Unterſuchungen, welche nicht nur der ſchlim - men Schreibart den Untergang droheten, ſondern zugleich bequem waren, die rechtſchaffene Poeſie in ihrem natuͤrlichen Licht und Leben herzuſtellen. Sie nahmen hierzu die aͤchte und reine Critik, die in Deutſchland noch gantz unbekannt war, zu Huͤlffe.

Nemlich in den Jahren 1721. 1722. lieſſen eini - ge Schweizer von Zuͤrich in einer moraliſchen Wo - chenſchrift, die ſie unter verdeckten Nahmen nach der Art des Engliſchen Zuſchauers verfertigten, verſchiedene kleine Abhandlungen von critiſchen Materien mit unterlaufen; worinnen ſie ſich zur Behauptung ihrer Urtheile in die Unterſuchung einiger Grundſaͤtze der Schreibart und der Wohl - redenheit einlieſſen. Solche giengen uͤber die Kunſt zu leſen, uͤber die Beywoͤrter, die gleich - guͤltigen Woͤrter, die verſchiedenen Arten der Wortſpiele, die Phantaſieſpiele, die Anbauung der Einbildungskraft in Anſehen der Poeten, uͤber das Phoͤbus, die Fabeln, und dergleichen. Die - ſe Unterſuchungen wurden durch Exempel, ſowohl aus verſtorbenen als damahlslebenden Poeten, mit einer Freyheit erlaͤutert, welche ſich vor keiner Gefahr oder Nachrede fuͤrchtete. Opitz ward bey allen Anlaͤſſen hervorgezogen; eine Ehre, de - ren er nur allzulange beraubet geweſen war! Den Sachſen, und andern, die izo gewohnt waren, nur Lohenſteins, Hunolds, Amthors, und Neumeiſters Lob zu hoͤren, kam dieſes ſo fremde vor, daß ſie dieſe critiſchen Blaͤtter, die in der Provinzial-Mundart von Zuͤrich, und fuͤr dieJ 2Zuͤri -132Nachrichten von dem UrſprungeZuͤricher geſchrieben waren, nicht ohne Vergnuͤ - gen laſen, ungeachtet ihr zartes Gehoͤr dadurch ſehr ſtarck beleidiget ward. Man hat in den ge - lehrten Zeitungen von Leipzig N. XVII. mit dieſen Worten davon geurtheilet:

Die Schreibart ſcheint je laͤnger je ſinnreicher zu werden; ſie fahren noch fort, ſowohl die Fehler im gemei - nen Leben, als auch die Schwachheiten der Buͤcherſchreiber, als des Lohenſteiniſchen Armi - nius, des deutſchen Hercules, ſonderlich der Poeten, Hunolds, Neukirchs, Lohenſteins, ꝛc. her - unter zu machen, aber zugleich von allerhand Ma - terien verſchiedene ſinnreiche und vernuͤnftige Ur - theile zu geben. Die Verfaſſer ziehen Opitz, Canitz, und Beſſer, allen deutſchen Poeten vor.

Vor allen andern hat ihnen Herr Gott - ſched in einer gleichmaͤſſigen moraliſchen Schrift, die Tadlerinnen betitelt, ſeinen Beyfall durch Ausſchreibung vieler Stellen aus ihnen und ruh - mesvolle Beynahmen oͤffentlich bezeuget. Jm XIV. St. des zweyten Th. ſagt er von ihnen:

Vor wenig Jahren haben ſich in der Schweitz etliche muntere Koͤpfe gefunden, die einen gu - ten Anfang zu dergleichen oͤffentlichen Beurthei - lungen gemachet haben. Sie haben die gebun - dene Beredtſamkeit vorgenommeu, und in man - chem groſſen Poeten und Redner Schnizer ge - wieſen, die vorhin niemand bemercket hatte. Sie haben dieſes auf eine ſo ſinnreiche Art ge - than, daß ſich kein Vernuͤnftiger des Lachens enthalten kan, wenn er es lieſet. Und es iſt nicht zu ſagen, was ſie bereits an verſchiedenen Orten133der Critik bey den Deutſchen. Orten vor gutes geſtiftet. Ein einziges hat dieſen geſchickten Maͤnnern noch gefehlet, nem - lich das Vermoͤgen ſich in einer reinen hochdeut - ſchen Schreibart auszudruͤken. Jhr Vater - land hat ſie gehindert, daß ſie in Worten und Redensarten die Richtigkeit nicht beobachten koͤnnen, die ſie in ihren Gedancken und Ver - nunftsſchluͤſſen erwieſen. Dieſes ſollte aber bey einem oͤffentlichen Beurtheiler der Scriben - ten von Rechtswegen ſeyn. Es waͤre alſo nichts mehr zu wuͤnſchen, als daß ſie ihre Schrift noch einmahl uͤberſehen, und mit Bey - huͤlffe eines rechten Kenners der Zierlichkeit unſ - rer Mutterſprache alle diejenigen Stellen, die mehr nach der Schweitz, als nach Deutſch - land ſchmecken, ausbeſſern moͤgten. Daß es ihnen leicht ſey, ihre eigene Fehler zu erkennen, haben ſie ſchon ſelbſt gewieſen.

Jm Eingan - ge deſſelben vierzehnten Stuͤckes hatte Herr Gott - ſched ausdruͤcklich bekannt, daß die Deutſchen noch wenige Criticos oder Beurtheiler von derglei - chen Sachen gehabt haben, und es dieſem Man - gel zugeſchrieben, daß dieſelbigen es in den freyen Kuͤnſten, die mit zur Gelehrſamkeit gerech - net werden, noch nicht ſoweit gebracht haben, als die alten Griechen und Roͤmer, und als die heutigen Franzoſen.

So lange unter den Ge - lehrten niemand iſt, ſind ſeine Worte, der das albere Weſen der meiſten Buͤcherſchreiber oͤffentlich entdecket, ihre Fehler durchziehet, und den uͤbeln Geſchmack des ſtudierten Poͤbels verlacht; ſo lange ſind alle Tintenkleker groſſeJ 3 Scri -134Nachrichten von dem Urſprunge Scribenten. Sobald ſich aber ſtrenge Beurtheiler unter den Gelehrten hervorthun, die das Gute gut, das Gruͤndliche gruͤndlich, das Schlechte ſchlecht, das Matte matt, nen - nen; ſobald kommt viele Buͤcherſchreiber Furcht und Zittern an.

Jn beſagter Schrift der Tadlerinnen wird das Lob, das die Zuͤricher Opitzen beygeleget, zuerſt mit einem gewiſſen Fleiſſe wiederholet. Jn dem XXXVIII. St. wird geklaget, daß dieſer groſſe Dichter weniger geleſen werde, als er wohl verdienete.

Auch ſo gar diejenigen, die Poeten heiſſen wollen, heißt es daſelbſt, haben oftmahls ſeine Schrif - ten nie geſehen: Da ſie doch eine rechte Quelle des guten Geſchmackes in ſich faſſen. Und nim - mermehr wuͤrde Deutſchland ſo viel Jtalieni - ſche, und Spaniſche, ich meine ſchwulſtige, ausſchweifende, und zuweilen gar raſende Ge - dichte geſehen haben: Wenn man Opitzen fleiſ - ſiger, als einige andre inn - und auslaͤndiſche Poeten geleſen haͤtte.

Jn Hr. Junkers Unterſuchung der Hankiſchen Gedichte kan man ohne Muͤhe wahrnehmen, wie viel er auf den Urtheilen der Zuͤrichiſchen Kunſt - richter gehalten hat, indem er zu glauben ſcheint, daß ſeine Saͤtze durch ihre angefuͤhrten Zeugniſſe ein mehrers Anſehn erhielten. Man ſieht auch, daß er ihre Abhandlungen fleiſſig geleſen, und ge - ſchickt angewendet. Er nahm ihre Partie oͤffent - lich gegen Hr. Hanken; dieſer war nicht damit zufrieden, daß ſie Opizen, Canizen und Beſ - ſern dem Hrn. Neukirchen vorgezogen hatten.

Jſt135der Critik bey den Deutſchen.
Jſt es ſchon ſo weit gekommen, lauten ſeine Worte, daß man dem gelehrten Hr. von Lohen - ſtein und dem beruͤhmten Hr. Neukirch, unge - achtet der erſte bey Kennern wahrer Gelehr - ſamkeit einen allgemeinen Beyfall und unſterb - lichen Ruhm erworben, der andere aber unter allen jemahls geweſenen, und noch lebenden Poe - ten keinen ſeines gleichen gefunden, in oͤffentli - chen Schriften viele Fehler beyzumeſſen, und ihnen andre Leute, welche vielleicht noch nicht unter die Deos medioxumos gehoͤren, vor - zuziehen weiß, ſo ſtelle ich mir das Progno - ſticon, daß man mit mir nicht ſaͤuberlicher verfahren, ſondern meine wenige Gedancken mit eben ſo zornigen Augen anſehen werde.

Worauf Hr. Junker dieſes geantwortet:

Es ſollte uns ein Vergnuͤgen ſeyn, wenn der Herr Hanke dieſe Tadler mit kraͤftigen Gruͤnden wie - derlegete. So aber bleibt der Beyfall Leuten von gutem Geſchmack noch unbenommen.

Hr. Junker hat in der Unterſuchung der Hankiſchen Gedichte den Zuͤrichern auch in ihrer Freyheit im Beurtheilen gefolget, welches ihm ziemlich uͤbel bekommen, indem Herr Hanke ihm deßwegen ſchlimme Haͤndel gemachet hat. Jndeſſen haben wir an dieſer Schrift einen Beweisthum, wie bald der gute Geſchmack die Oberhand erhalten wuͤrde, wenn die Critik nicht durch Macht und Anſehn an ihrem freyen Gerichte gehindert wuͤrde.

Hr. Johann Georg Hamann hat um dieſelbe Zeit ein Lexicon von poetiſchen Redensarten, Bey - woͤrtern, und Beſchreibungen herausgegeben,J 4mit136Nachrichten von dem Urſprungemit einer Anweiſung zur Dichtkunſt, in welcher er ſich oͤfters auf die Lehrſaͤtze der critiſchen Schwei - zer bezieht; mithin aber in einigen Stuͤcken von ihnen abweichet, wo ſie die beſten Gruͤnde gege - ben: Zum Exempel, da ſie diejenigen getadelt haben, welche die Beywoͤrter allein aus dem Ge - daͤchtniſſe und nicht von der Beſchaffenheit der Sache, und der beſondern Abſicht einer Beſchrei - bung hernehmen. Herr Hamann hat dieſes Ur - theil fuͤr ſein Lexicon, das eben nur fuͤr die Erleich - terung der Gedaͤchtnißarbeit gewiedmet war, ſo ſchaͤdlich gehalten, daß er ſich verpflichtet geſehen, demſelben zu wiederſprechen. Er ſagt:

Wie ich aber die Hochachtung hiermit oͤffentlich be - kenne, die ich gegen dieſen groſſen Kenner des guten Geſchmackes habe, ſo wird mir doch mit deſſen Verguͤnſtigung erlaubet ſeyn, mein Unternehmen nach meinem Vermoͤgen zu recht - fertigen.

Hierauf ſagt er ferner, ſeine Ab - ſicht gehe nur auf die Jugend, die noch die Spra - che nicht verſtehe, nicht Bilder genug beſitze, ſol - che nicht auszubilden wiſſe. Man muͤſſe ihr ei - ne Menge Beywoͤrter, als Prædicata von einer Sache, vor Augen legen, und ſie ſich dann mit einiger Wahl derſelben uͤben laſſen. Allein wa - rum bringet er ihr nicht lieber die Sachen ſelber vor Augen, und weiſet ihr nicht darinnen das ver - ſchiedene Licht, die Seiten und Umſtaͤnde derſel - ben; und zeiget ihr die Nahmen eines jeden Stuͤ - kes derſelben an? Nach dieſem wuͤrde ſie gewiß ſtaͤrcker davon geruͤhrt werden, die Bilder, ſo ſie davon faſſete, wuͤrden lebhafter ſeyn, und ſiewuͤrde137der Critik bey den Deutſchen. wuͤrde in ihrer Wahl ihre Zuflucht nicht zu den Woͤrterbuͤchern nehmen duͤrffen. Eben ſo wenig iſt Hr. Hamann mit den Zuͤrchiſchen Kunſtrich - tern wegen ihrer Verwerffung der Reimen zufrie - den. Er erklaͤrt ſich hieruͤber mit dieſen Worten:

Diejenige ſcharfſinnige Geſellſchaft in der Schweitz, welche verſchiedene Theile allerhand geiſtreicher Diſcurſe druͤcken laſſen, hat einen beo Eſprit unter ſich, der ſich die Muͤhe gege - ben, den Geſchmack unſers Vaterlands in der Dichtkunſt zu verbeſſern, und dabey die gemei - nen Fehler unſrer Poeten auszuhoͤnen. Er hat an den bisher ſo hochgeſchaͤtzten Schriften des Hoffmannswaldau, Neukirchs, und Lohen - ſteins, ꝛc. ſehr vieles auszuſetzen gefunden, und wie er hin und wieder die Gedancken unſ - rer Dichter mit ſeinen Satyren laͤcherlich ge - machet, ſo hat er auch endlich den aͤuſſerlichen Zierrath ihrer Verſe, nemlich die Reimen, ziemlich hart angegriffen.

Er erzehlet hier - auf des Schweitzers Gruͤnde, meinet aber, daß ſie von Hrn. Weichmann ſehr wohl beantwortet worden; und weil er uͤber dieſes nicht wahrge - nommen, daß jemand den Vorſchlaͤgen des Kunſt - lehrers gefolget, haͤlt er dafuͤr, daß das Capitel von den Reimen von ihm nicht habe duͤrffen uͤber - gangen werden. Aus welchem Schluſſe ſcheinet, daß er mehr bekuͤmmert geweſen, ſein Capitel von den Reimen, als die Reimen ſelber zu retten.

Hr. Weichmann hatte ſich am meiſten daran geaͤrgert, daß der Zuͤrchiſche Zuſchauer die Rei - men unrecht und eine Narrheit genannt haͤtte. J 5Er138Nachrichten von dem UrſprungeEr hingegen hielt ſie vor ein bloſſes Mittelding, und meinte, es waͤre ein wenig zu hitzig, ſo vie - le groſſe Poeten einer Narrheit in Mitteldingen zu beſchuldigen, daran ſie von undencklichen Jah - ren ein allgemeines Belieben gehabt. Wenn man erſtlich einraͤumete, daß die Reimen nur ein kleines und kindiſches Ergetzen verurſacheten, wel - ches durch den Zwang, worinn ſie den Poeten ſetzen, allzu theuer gekauft wuͤrde, und andern Quellen eines hoͤhern Ergetzens, ſo von dem Ver - ſtande und der Phantaſie entſpringet, im Wege ſtuͤhnde, wuͤrde man ſie nothwendig unter die Thorheiten zehlen muͤſſen, ſie waͤren dann auch kein Mittelding mehr. Hierauf koͤmmt es haupt - ſaͤchlich an. Herr Weichmann hat bey dieſem Anlaſſe geſagt:

Wer an buͤndigen Einfaͤllen einen Ueberfluß hat, und dazu ſich auf ſeine Sprache recht verſtehet, der iſt niemahls mehr durch den Reim, als durch die Scanſion, ja durch das eine ſo wenig, als durch das andre, gezwungen, das geringſte unvernuͤnftige nie - derzuſchreiben. Wird ſein Gedancke auf eine Art durch den Reim zuruͤckgehalten, ſo faͤllt es ihm nicht ſchwer, denſelben in verſchiedene andre Formen zu gieſſen, wovon zum wenigſten eine ſich endlich ſchicket.

Dieſer Satz iſt noch weit verderblicher, als die Lehre von den Reimen, die man damit vertheidigen will; denn er ſetzet voraus, daß an einem Orte, bey einer, obgleich gantz beſondern, Abſicht, viele gleichguͤltige Ein - faͤlle ſeyn, ferner daß ein Gedancke in verſchiede - ne Formen der Rede gegoſſen werden koͤnne, und doch unveraͤndert der vorige bleibe.

Man139der Critik bey den Deutſchen.

Man ſchrieb den Zuͤrichiſchen Sitten - und Kunſt - lehrern, der Hr. von Beſſer wuͤrde ſich die Muͤ - he geben, durch wichtigere Einwendungen die Rei - men wider ſie zu vertheidigen. Allein er ließ es bleiben, wiewohl er deßwegen ſo ſehr aufgebracht war, daß dieſes eine Urſache mit geweſen, wa - rum er ſogleich dem Hamburgiſchen Patrioten ſei - nen Beyfall gegoͤnnet; zumahl da er anfangs von der damahls faſt uͤberall angenommenen irrigen Meinung nicht abzubringen war, als ob ein ge - wiſſer Baron Knigge der Verfaſſer des Patrioten waͤre; wie er ſich dann hernach, da er die Ge - wißheit davon erfahren, nicht wenig geſchaͤmt. Was zwar die Stelle des Hrn. von Beſſer zu des Patrioten Lob anlangt, welche man in einem Papiere deſſelben eingetragen findet, ſo hatte der - ſelbe ſolche nur an den Verleger geſchrieben, von welchem der Herr Weichmann ſie bekommen, und ſeinen Papieren eindruͤcken laſſen, welches den Hrn. von Beſſer nicht wenig verdroſſen.

Sonſt hat Hr. Weichmann auch die Urtheile der Zuͤrichiſchen Kunſtrichter von den deutſchen Poe - ten nicht nach ſeinem Geſchmacke gefunden: Er hat ſich zwar nicht bemuͤhet, Gruͤnde gegen Gruͤn - de zu ſetzen, ſondern ſich mit Nebenſachen beholf - fen, welche ich hier ausſchreiben muß, damit wir daraus die Manier ſeiner critiſchen Schreib - art bemercken.

Der Feind von gereimten Ver - ſen, ſagt er, hat zugleich an verſchiedenen Or - ten faſt uͤber jedweden unſerer deutſchen Poeten insbeſondere geurtheilet. Nun ſtehet es ihm zwar ſo wenig zu verdencken, daß er vielmehr den140Nachrichten von dem Urſprunge den verbindlichſten Danck verdienet, wenn er zugleich an ſeinem Orte die gar zu harten und ſchwuͤlſtigen Metaphoren, die laͤppiſchen Wort - ſpiele, und andere mehrentheils freywillige Schwachheiten des Verſtandes, den Leuten verhaßt zu machen ſuchet; doch ſcheinet es faſt, als ob er hierbey dem Verdacht einiger Par - theiligkeit nicht gaͤntzlich ausweichen werde. Opitz, von Caniz, und von Beſſer ſind die - jenigen, welche er nicht allein allen uͤbrigen Poeten weit vorzieht, ſondern auch von ihnen bey jeder Gelegenheit eitel nur erleſene Stellen anfuͤhret, von den andern aber insgeſammt nichts anders zuſammentraͤgt, als was er ih - nen nachtheilig zu ſeyn geglaubet; ja wohl gar ihre beygebrachten Oerter gantz unrichtig, ver - ſtuͤmmelt, und verfaͤlſcht darſtellet. So wird unter andern folgendes von dem ſeligen Cantz - leyrath Amthor eingefuͤhrt, da alle beſonders gedruckten Worte im Original gantz anders ſte - hen:
Monarch daß in verwehnten Zuͤgen
Mein eitler Kiel von neuem ſich vergißt,
Und deiner Saamen Preis nach ſeinem Schatten mißt,
Den luͤſtern Trieb der Schnſucht zu vergnuͤgen;
Jſt deiner ſelbſtbeliebten Huld
Und eigner Gnade mehr, als meiner Frechheit Schuld.
Hieß dein Befehl mich ſelbſt doch naͤher ruͤcken,
Und an der Strahlen Gold erquicken;
Was Wunder, daß ſich dann der kalte Neſſelſtaub,
An dem bisher der ferne Fuß geklebet,
Hiervon erhitzt ein friſches Lorbeerlaub
Durch einen kuͤhnen Schluß verwandelt und erhebet;
Daß meiner Muſen boͤſe Kraft ꝛc.
Es141der Critik bey den Deutſchen. Es koͤnnen dieſes nicht wohl eitel Druckfeh - ler ſeyn, voraus weil das Wort Schluß gleich darauf in der Beurtheilung ausdruͤcklich wieder - hohlet worden. Daß aber ſolche Verfaͤlſchung mit Vorſatz geſchehen, kann ich ebenfalls nicht wohl glauben, weil es der Haupt-Abſicht ei - ner ſo ruͤhmlich-geſchaͤftigen Verſammlung nur gaͤntzlich zuwieder ſeyn wuͤrde, wann man je - mand heimtuͤkiſcher Weiſe, und dazu nach ſei - nem Tode, recht mit Fleiß laͤcherlich zu ma - chen ſuchte. Meine Schuldigkeit erfodert in - deß zur Ehre des ſeligen Mannes ſolches anzu - zeigen, und den Leſer zum unverfaͤlſchten Ab - druck davon (p. 41. im erſten Theile dieſer Sammlung) zu verweiſen. Wir finden zwar noch mehr Exempel einer gleichmaͤſſigen Unrich - tigkeit; ich bin aber izund des Vorhabens nicht, mich weitlaͤuftig dabey aufzuhalten. Er ſcheinet ſonſt auf Herrn Neukirch am meiſten unwillig zu ſeyn, und laͤſſet nicht gern einige Gelegenheit vorbey, ihn hoͤniſch anzuza - pfen: Oder aus ſeinen Wercken etwas anzu - ziehen, das er eines billigen Tadels werth ſchaͤ - zet. Nun habe ich zwar gegen ſeine beſondere Hochachtung fuͤr unſern Opitz, von Canitz, und von Beſſer nicht das geringſte einzuwen - den; vielmehr glaube ich, das Verdienſt und der Ruhm dieſer Maͤnner ſey weit groͤſſer, als daß ſie einiger Erhoͤhung durch die zuſammen - geſuchten Fehler anderer Poeten beduͤrffen; doch wird auch ein jeder mit mir geſtehen, daß Hr. Neukirch verſchiedene unverbeſſerliche Meiſter - ſtuͤcke142Nachrichten von dem Urſprunge ſtuͤcke verfertiget hat, darunter ich inſonderheit ſein Schreiben der Aurora an den gottſeligen Koͤnig von Preuſſen, ſeine Gedancken auf deſ - ſen Kroͤnung, uͤber die befreyten Nachtigallen, ingleichen uͤber den Tod des groſſen Kuͤnſtlers, Faltz, nebſt andern mitrechne. Man wuͤrde ſich alſo dem Argwohn der Parteiligkeit weni - ger bloß geſtellet haben, wenn man gleichfalls ſo wohl von ihm und andern, als von ruͤhmlichſt - erwehnten Maͤnnern etwas gutes zu ſagen, oder anzufuͤhren beliebt, und nicht vielmehr bey je - der Gelegenheit ſie bloſſerdings zu tadeln geſucht haͤtte.

Eine Widerlegung, die nur ſuchet, die Ge - genpartey anzuſchwaͤrtzen, verraͤth einen Mangel an gruͤndlichen Antworten. Der Zuͤrichiſche Kunſt - richter hatte nicht von dem gantzen Vermoͤgen der Geſchicklichkeit dieſer Poeten, ſondern nur von ei - nigen Stellen derſelben geurtheilet und dem Leſer uͤberlaſſen nachzuſehen, ob er viel oder wenig der - gleichen Zeug bey ihnen finde. Hrn. Weichmanns Schutzſchrift haͤtte darum mehr Glauben verdie - net, wenn er aus den getadelten Poeten eben der - gleichen geſchickte Stellen, und zwar in gleich groſſer Anzahl, als von dem Kunſtrichter aus den gelobten angefuͤhrt worden; oder wenn er aus den gelobten eben ſo ſchwuͤlſtige Metaphoren und laͤp - piſche Wortſpiele, als von jenem aus den geta - delten beygebracht worden, zuſammengetragen haͤtte. Er beruffet ſich auch in der That auf et - liche geſchickte Stuͤcke des Neukirchen, die aber ſelbſt nicht alle von einerley Geſchicklichkeit ſind. Das143der Critik bey den Deutſchen. Das Gedicht deſſelben uͤber die Nachtigallen iſt ſehr unbequem, die Unrichtigkeiten der Neukirchi - ſchen Muſe zu verbergen. Was die Entdeckung der Druckfehler in einer getadelten Stelle Amthors anlangt, ſo ſieht man nicht, was ſolche zu ihrer Rettung beytragen koͤnne, weil die Critick nicht auf Gedancken gefallen war, die aus der Ver - faͤlſchung entſtanden waͤren, ſondern auf ſolche, die in der wahren eigenen Lesart ihren Grund ha - ben: Welches uns zugleich Anzeige giebt, daß man die Fehler des Buchſetzers ohne genugſamen Grund dem Kunſtrichter zur Laſt legen wuͤrde. Endlich ſagen, daß die laͤppiſchen Wortſpiele, und die ſchwuͤlſtigen Metaphoren freywillige Schwachheiten des Verſtandes der getadelten Poeten geweſen waͤren, iſt viel aͤrgers von ihnen geſagt, als der Zuͤricher geſagt hatte, der ſie bloß dem Mangel an Einſicht zugeſchrieben. Denn die Fehler, die aus Unwiſſenheit entſpringen, laſ - ſen ſich mit der redlichen Entſchuldigung verglimp - fen, daß man es lieber beſſer gemachet haͤtte. Da - rum beklaget Herr Koͤnig in der Unterſuchung von dem guten Geſchmacke Bl. 239. mit dem beſten Recht, daß der groͤſte Hauffen bey uns dem Joche des uͤbeln Geſchmackes noch immer freywillig un - terworffen bleibe, und, durch deſſen falſches An - ſehen geblendet, dieſen Goͤtzen, als den vermein - ten Vater der hoͤchſten Zierlichkeit zu verehren halsſtarrig fortfahre.

Als die ſchweitzeriſche Critici aus dieſen Wider - legungen ſelbſt abgenommen, daß ihre Beurthei - lungen der Poeten mehr Aufſehens gemachet haͤt -ten,144Nachrichten von dem Urſprungeten, als ſie in einer Schrift, ſo ſie nur fuͤr ihre Landsleute geſchrieben, und die eigentlich mora - liſch war, vorgehabt hatten, kam ſie die Luſt an, die Critick der deutſchen Poeſie mit einigem Ernſt und Fleiſſe vorzunehmen. Der Leipziger - Diogenes, der Hamburgiſche Patriot, und die Haͤlliſchen Tadlerinnen ſtaͤrcketen ſie in dieſem Vor - haben durch die Bloͤſſe, welche ſie ihnen in dem Geſchmacke, und der Critick der Deutſchen zu erkennen gegeben hatten, zumahl da die beyden letztern Schriften mit einem ſo ſtarcken und allge - meinen Beyfall aufgenommen worden. Dazu halffen ferner ein Paar Correſpondenzen mit Leip - zig, wozu die Zuͤrichiſchen Critiken Anlaß gege - ben hatten; welche daſelbſt mehr als an keinem andern Orte gutgeheiſſen worden. Ein ſehr ge - ſchickter Mann von D., welchem ſie in ihren cri - tiſchen Angelegenheiten zugeſchrieben hatten, gab ihnen ſeine Gedancken daruͤber mit dieſen Worten zu vernehmen:

Wenn ſie auch einige Begier - de mich zu kennen bezeugen, ſo kan verſichern, daß nicht weniger neugierig nach dero ſchriftlichen Bekanntſchaft geweſen, ſobald einige einzelne Blaͤtter derſelben, und darunter etliche critiſche Stuͤcke zu ſehen bekommen. Jch war gleich damahlen auf der Meſſe in Leipzig, und brach - te ſolche in einer gelehrten Geſellſchaft zum Vor - ſchein, welche aus den aufgeweckteſten Koͤpfen daſelbſt beſteht, und ſich alle Wochen einmahl zu verſammeln, und von gelehrten Neuigkeiten zu unterreden pfleget. Alle ſtimmten einmuͤthig damit uͤberein, daß dero Bemuͤhung nicht frucht - los145der Critik bey den Deutſchen. los abgehen, ſondern dem verdorbenen Geſchmack in der deutſchen Poeſie ruͤhmlichen Einhalt thun wuͤrde. Sobald ich wieder nach D. kam, be - ſprach ich mich daruͤber mit dem Hrn. von , welcher von gleicher Meinung war. Der Vor - zug, welchen ſie hin und wieder dreyen von un - ſern beſten Poeten, nemlich Opitzen, Cani - zen, und Beſſern gegeben, iſt ſo gerecht, und die Beurtheilung der lohenſteiniſchen und wal - dauiſchen gezwungenen Schreibart, und ihrer Nachfolger, ſo billig, daß nicht nur ich, wie alle rechtſchaffene Kenner, hierinn vorlaͤngſt mit ihnen einig, ſondern dereinſt gantz Deutſch - land ihnen wird nachruͤhmen muͤſſen, daß ſie einer von den erſten geweſen, welcher das Hertz gehabt, ſich offentlich wider den bisher eingeriſſenen verdorbenen Geſchmack zu erklaͤ - ren, und die Falſchheit derjenigen aufgeblaſe - nen Dichtart zu zeigen, welche von den unver - ſtaͤndigen insgemein die hohe genannt worden. Jnzwiſchen duͤrffen ſie ſich nicht wundern, wenn etliche mittelmaͤſſige Geiſter dieſe Wahrheit noch nicht erkennen wollen. Es iſt viel leichter aus - ſchweifend, unnatuͤrlich, ſchwuͤlſtig, und mit einem Worte ſchulfuͤchſiſch; als maͤnnlich, na - tuͤrlich, ſittſam, und nach dem Geſchmacke des Hofes, und der Weltklugen zu ſchreiben.

Erſtlich ſchrieben die Zuͤrichiſchen Kunſtrichter den geſtaͤupten Leipziger-Diogenes wider die mo - raliſche Wochenſchrift eines Unbekannten, die 1722. in Leipzig herausgekommen, und nach kur - zem wieder verſchwunden; ein elendes Ding, das[Crit. Sam̃l. II. St.] KLeute146Nachrichten von dem UrſprungeLeute von Qualitaͤt nicht angeſehen, und nur Stu - denten-Jungen und Lakeyen geleſen haben, ſo daß ihm mit dieſer Critick nur gar zu viel Ehre wie - derfahren. Dieſe critiſche Schrift iſt hernach in dem XIV. St. der Beytraͤge zur critiſchen Hiſtorie N. III. ohne der Verfaſſer Dazuthun wieder auf - geleget worden. Hernach lieſſen ſie die critiſchen Anmerckungen uͤber den Hamburgiſchen Patrioten und die Tadlerinnen folgen. Jn dieſen Schrif - ten wird ein fruchtbarer Saame zur Entdeckung vieler abſonderlichen Theile die Beredtſamkeit, die von dem Witze entſpringen, ausgeſtreuet. Die Blaͤtter beſagter Wochenſchriften werden von ih - nen nicht anderſt angegriffen, als daß ſie die Ap - plication ihrer zuerſt wohl unterſuchten und feſt - geſetzten Grundſaͤtze auf dieſelben machen. Da - rum hat der Hr. Goͤtten in dem Leben des Hrn. Richey nur fuͤr die lange Weile geſchrieben, der Herr Bodmer, den er fuͤr den Verfaſſer ausgiebt, habe der Welt damit zeigen wollen, was die ver - blendeten Augen nicht ſehen wollen, daß ſeine Diſcurſe beſſer waͤren, als der Patriot und die Tadlerinnen, wenn dieſe letztern die getadelten Dinge vermieden haͤtten, wuͤrden ſie vielleicht eben ſo unbeliebt geblieben ſeyn, als die trockene Schreibart des ſchweitzeriſchen Tadlers. Wer will, mag dieſes auf das Wort und das Anſehen des Herrn Goͤtten glauben, ſowohl als was er von dem Werthe und den Vorrechten des Patrio - ten ſagt:

Der beſte Verthaͤdiger deſſelben war die innerliche Guͤte und vortreffliche Einrichtung. Das Angenehme war mit dem Nuͤtzlichen, das147der Critik bey den Deutſchen. das Deutliche mit dem Gruͤndlichen verbunden. Jn Deutſchland war er der Anfang ſolcher woͤchentlichen Blaͤtter, dergleichen man in Eng - land bereits vorher an dem Spectator und Guar - dian gehabt.

Das Lob, das er dem Patrio - ten mittheilt, iſt an ſich ſo unglaͤublich fuͤr gewiſſe Leute, daß er es nicht noͤthig gehabt hatte, durch den offenbahren Parachroniſmus verdaͤchtig zu machen, daß der Patriot in Deutſchland die er - ſte Schrift nach dem Muſter des Zuſehers geweſen.

Die Schweitzer hatten ihre Anmerckungen uͤber den Patrioten unter dem Titel der Anklage des verderbten Geſchmackes einem Verleger in Leipzig uͤberlaſſen, wo aber der Druck derſelben nicht er - laubet ward.

Dieſe Schrift war nach ſichern Nachrichten einem gewiſſen vornehmen Profeſſor zur gewoͤhn - lichen Cenſur uͤbergeben worden, die Erlaubniß zum Drucke zu erhalten; die er doch, eben wie vorher ſchon ein anderer Cenſor abgeſchlagen; theils weil er einige Perſonalien darinnen befuͤrchtet, und die Wahrheit zu bekennen, das gantze Ding nicht verſtuhnd, theils weil der Verleger den Verfaſ - ſer nicht nennen wollen. Es waͤhrete eine lange Zeit, und koſtete die Verfaſſer viele Muͤhe dieſe Schrift wieder zur Stelle zu bringen. Alſo ward ſie erſt im Jahr 1727. von ihnen ſelbſt in Zuͤrich zum Drucke befoͤdert. Einige Stellen, die ih - ren Leipzigiſchen Freunden zu hart oder nicht gruͤnd - lich genug geſchienen hatten, wurden gemiltert, oder ſonſt veraͤndert. Unterdeſſen hatten ſie ihr critiſches Unterfangen weiter fortgeſetzet, und eineK 2dogmati -148Nachrichten von dem Urſprungedogmatiſche Arbeit vorgenommen, in welcher die Beredtſamkeit auf feſtgeſetzte philoſophiſche Grund - ſaͤtze gebauet werden ſollte. Sie machten den An - fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem Einfluſſe und dem Gebrauche der Einbildungskraft zur Verbeſſerung des Geſchmackes, vor welcher ſie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn Chriſtian Wolf mit folgenden Worten eroͤffnen:

Die Bemuͤhungen der vornehmſten critiſchen Verfaſſer iſt bisdahin meiſt oder bloß dahin ge - gangen, wie ſie dem ſchlimmen Geſchmacke Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum Gelaͤchter machen moͤgten: Sie haben daruͤber verſaͤumt, den guten Geſchmack zu lehren, und anzupflantzen. Der Vorſchlag des Englaͤndi - ſchen Zuſchauers iſt noch unausgefuͤhrt geblie - ben, daß ein rechtſchaffener Criticus ein gan - zes Werck, das in dem guten Geſchmacke ge - ſchrieben iſt, vor die Hand nehmen, und die Quellen und Urſachen, aus welchen die unter - ſchiedliche Schoͤnheit deſſelben und das daher entſpringende Ergetzen herfließt, genau und aus - fuͤhrlich anzeigen moͤgte. Was unſre Deut - ſchen insbeſondere anlangt, ſo ſind ihnen faſt alle Arten critiſcher Aufſaͤtze uͤber Wercke der Beredtſamkeit noch etwas unbekanntes, und diejenige, welche von der Wohlredenheit uͤber - haupt geſchrieben haben, halten ſich einzig bey der aͤuſſerlichen Form der Rede auf; und brin - gen es nicht weiter, als daß ſie mit laͤhrem Kopfe lange ſchwazen lehren. Die Figuren der Rede ſind ihre Rhetorick und die Lexica der Bey -149der Critik bey den Deutſchen. Beywoͤrter dienen ihnen fuͤr die Kunſt Beſchrei - bungen zu machen. Erſt juͤngſt haben ſich ei - nige unterſtanden abſonderliche Stellen zu beur - theilen: Aber es fehlet ihnen an der critiſchen Waage; ſie urtheilen nicht auf einen gewiſſen Grund; ſondern auf gerathewohl.

Jn die - ſem Thone fahren ſie noch etliche Seiten fort; darnach geben ſie uns einige Nachrichten von der Gemuͤthesart, womit ſie ihr Vorhaben unterneh - men, und fallen dann auf die naͤhere Beſtimmung und Eintheilung ihres Werckes:

Dieſe Ge - muͤthesart habe ich zu meinem lange uͤberlegten und ſpaͤth beſchloſſenen Vornehmen gebracht, alle Theile der Beredtſamkeit in mathematiſcher Gewißheit auszufuͤhren, und den wahren Quel - len ſowohl des Ergetzens, das uns gute Schrif - ten mittheilen, als der Kaltſinnigkeit, in welcher uns ſchlimme Wercke ſtehen laſſen, nachzuſpuͤ - ren. Was ich dießmahl an das Licht ſtelle, iſt allein der erſte Theil von dem gantzen Wer - ke, welchem noch vier andre Theile folgen ſol - len. Dieſe Eintheilung gruͤndet ſich auf die verſchiedene Kraͤfte der Seele, von welchen die unterſchiedene Stuͤcke der Wohlredenheit und Poeſie hervorgebracht werden. Der gegen - waͤrtige Theil handelt von dem Einfluß, welchen die Einbildungskraft auf die Beredtſamkeit hat, und begreiffet alſo alle Gattungen Beſchreibungen deren Dinge, ſo die Natur oder die Kunſt her - vorbringt; auch ſelbſt die Beſchreibungen des menſchlichen Gemuͤthes, welche mit einem eigenen Nahmen Character der Sitten genannt werden,K 3 und150Nachrichten von dem Urſprunge und wieder von verſchiedener Art ſind, gehoͤren hieher, nachdem an derſelben Verfertigung die Einbildungskraft den meiſten Antheil hat. Der zweyte Theil wird die wichtige Frage von dem, was in den Reden und Schriften geiſtreich oder ſcharf - ſinnig iſt, eroͤrtern; auch uͤber dieſen Punct leh - ren, was der Witz als eine beſondere Kraft der Seele fuͤr Einfluß auf die Beredſamkeit habe. Jn dem dritten werde ich unterſuchen, worinnen der gute Geſchmack in Anſehen aller Gattungen der Dichtung beſtehe, und wie die Kraft zu dich - ten, welche die Seele empfangen hat, gebraucht werden muͤſſe. Der vierte Theil iſt nur ein be - ſonderer Abſchnitt von der Dichtung, und han - delt von den verſchiedenen Gattungen der Poeterey, als dem Epiſchen Gedichte, allen dramatiſchen Stuͤcken, der Satyre, der Ecloge, der Ode. Des fuͤnften Theiles Jnhalt iſt von dem hoͤchſten Grade der Vollkommenheit, zu welchem die See - le in dem Punct der Wohlredenheit hinauf ſteigen kan, nemlich dem Erhabenen in den Schriften: Hier unterſuche ich von Capitel zu Capitel den Tractat des Longinus, ſo der einzige iſt, der uͤber dieſe Materie geſchrieben hat. Jch getraue mir die Schwaͤche ſeines Buches mit erforderlicher Gruͤndlichkeit und Deutlichkeit entdecket zu haben. Dagegen ich dann gantz neue Begriffe von dem Erhabenen durch guͤltige Schluͤſſe herhole und feſtſetze.

Der erſte Theil von dieſem weitlaͤuftigen Pla - ne hat um ſo viel mehr Aufſehens gemacht, als eine ungewoͤhnliche Freyheit in demſelben herrſche -te,151der Critik bey den Deutſchen. te, mit welcher Lob und Tadel ohne Anſehen der Perſonen, ſie mogten noch im Leben, oder ſchon geſtorben ſeyn, nach Verdienen ausgetheilet ward. Jn den gelehrten Zeitungen von Leipzig hat man davon dieſes Urtheil gefaͤllet: Die Beurtheilun - gen der Autoren, ſagt man, ſind bisweilen etwas herbe abgefaſſet; ihre Critik aber gruͤndet ſich auf gute Regeln. Daſelbſt wurden die Verfaſſer auch das erſte mahl mit Nahmen genannt:

Die Autoren ſollen, wie man ſagt, Hr. Profeſſor Bodmer und Herr Breitinger, von dem wir die neue Auflage der LXX. Dollmetſcher zu hof - fen haben, ſeyn.

Man hat ſie in der That errathen. Dieſe beyde ſind es, die mit gemein - ſchaftlichen Anſchlaͤgen erſtlich die moraliſche Wo - chenſchrift nach der Art des Englichen Zuſchauers, hernach die andern oben erzaͤhlten critiſchen Schrif - ten verfaſſet haben, und wir verſtehen eben die - ſelben, wenn wir die ſchweitzeriſchen Kunſtrichter anfuͤhren. Die Scribenten, die in ihrem langen Beſitze eines niemahls unterſuchten Ruhmes ge - ſtoͤret worden, mußten nothwendig ein Mißfallen an dieſen Critiken haben, und warum ſollten ſie den gefaßten Unwillen nicht oͤffentlich zu erkennen gegeben haben? Jn dem Biedermanne, einem moraliſchen Wochenblate von Leipzig, ſtellte der verkappte Philologus, deſſen eigenes Geſtaͤndniß ſeiner Schwaͤche in critiſchen Dingen man mit ſei - nen vermeſſenen Urtheilen zuſammen gehalten hat - te(*)Er hatte in dem 34ſten St. der Tadlerinnen ge -ſagt:, die Zuͤrchiſchen Kunſtrichter unter einerK 4Ge -152Nachrichten von dem UrſprungeGeſtalt vor, welche ſie mehr als alle ihre Vor - gaͤnger in Deutſchland vermieden hatten.

Sie ſind, ſagt er, durch das hin und wieder erlang - te Lob einiger Tiefſinnigkeit und Gruͤndlichkeit im Beurtheilen der Schriften ſo ſtoltz geworden, daß(*)ſagt: Jch geſtehe es, daß ich in gewiſſen Faͤllen gar wohl ſagen kan, welcher Gedancke ſinnreich ſey oder nicht, allein wenn ich eine Beſchreibung geben ſoll, ſo will es nicht fort. Wie koͤmmt es denn, ſagten die Zuͤri - cher, daß er mit ſo viel Eigenduͤnckel einem Autor die Wiſſenſchaft von dem, was ſcharfſinnig iſt, abſpricht, und ſie einem andern zugeſteht, eine Stelle als laͤcherlich verurtheilt, und eine andre gleich ſo unbegruͤndet canoniſirt. Es iſt fuͤrwahr, faͤhren ſie fort, eine Thorheit zu hoffen, daß dergleichen Critici den Geſchmack verbeſſern werden, daß dieſe Anfuͤhrer die wahre und philoſophiſche Wohlreden - heit wieder herſtellen werden. Die Antwort, die Herr Philologus auf dieſe Beſchuldigung im LVIſten St. des Biedermannes gegeben, iſt recht fremd und ſonderbar. Was kan ich davor, ſagt er, daß ich in meinem Va - terlande kein ſo großſprecheriſches Pralen gelernet, als der Criticus in dem ſeinigen? Jch ſage aus Be - ſcheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit ihm groſſe Rodomontaden machen duͤrfte. Die Beſcheidenheit iſt wahrhaftig recht exemplariſch, da man ſich ſelber der Unwiſſenheit in einer Sache ſchuldig erkennt, von welcher man im Begriffe ſtehet Lehren und Regeln zu geben! Jch habe mich, ſagt er ferner, zu Verbeſſe - rung des Geſchmackes in meinem damahligen Schrei - ben nicht anheiſchig gemachet, und in dieſem Abſehen waͤre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof - fen, was ich doch nicht verſprochen habe. Dieſer Verfaſſer ſchreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh - re, er ſchreibt um des Schreibens ſelber willen, nicht zu Verbeſſerung unſrer Begriffe; oder wenn er dieſes thut, ſo will er es uns vorher ausdruͤcklich ankuͤndigen. Man muß ihn darum auch nicht in der Hoffnung leſen, etwas bey ihm zu lernen, man muß ſich nichts weiter vornehmen als, zu leſen. 153der Critik bey den Deutſchen. daß ſie ſich nunmehr zu allgemeinen Richtern aufwerffen, und die groſſe Menge unſrer Dich - ter und andrer Buͤcherſchreiber in ein Bocks - horn jagen wollen. Mich duͤnckt nicht anders als ſaͤhe ich den erboßten Critikverfaſſer, (ſo nennt er ſelbſt ſeine Handwercksgenoſſen) mit einem graͤmiſchen Geſichte und der Ruthe in der Hand, von ſeinen beſchneyten Alpen herun - tergeſtiegen kommen, und mit einem fuͤrchterli - chen Thone in eiuer lieblichen ſchweitzeriſchen Mundart alle unſre Scribenten in die critiſche Acht und Oberacht erklaͤren. Er poltert und ſtoͤret in unſren Buͤchern herum, und befiehlt uns bald dieſes bald jenes vor poſſierlich, phan - taſtiſch, ungereimt, dumm, kalt, ſchwuͤlſtig und laͤcherlich zu erkennen, unter der angehaͤng - ten unbarmhertzigen Bedrohung, daß er uns den guten Geſchmack abſprechen wolle, da - fern wir das Hertze haben ſollten, uns wieder ſein Urtheil nur im geringſten aufzulehnen.

Hr. Philologus will doch hierdurch nicht alles das - jenige verwerffen, was die Schweitzer vorgetra - gen haben. Er haͤlt das meiſte davon vor gar wohl geſchrieben, aber doch nicht vor ſo neu und unerhoͤrt, daß die Deutſchen eben eines ſchweitze - riſchen Lehrmeiſters noͤthig gehabt haͤtten, um ih - nen daſſelbe ſagen zu laſſen.

Die allermeiſten Stellen, ſagt er, ſo ſie getadelt und verworf - fen, ſind bey uns niemahls in Hochachtung ge - weſen, vielweniger bewundert worden. Vie - les haben wir laͤngſt ohne ihren Befehl ausge - lachet, und etliche Poeten, uͤber welche ſieK 5 ſich154Nachrichten von dem Urſprunge ſich in ihren Critiken ſo lange aufhalten, ſind noch gar nicht bey uns gewuͤrdiget worden, daß man ſie durchgeleſen haͤtte.

Er gedencket bey dieſem Anlaſſe des groſſen Wittekinds, von dem er meldet, daß er ſeinem Verleger zu Maculatur worden, wodurch ſeine Landesleute eine beſſere und nachdrucklichere Probe ihres feinen Geſchmackes gegeben, als wenn ſie viele Buͤcher dagegen ge - ſchrieben haͤtten. Er meint man habe in der Zu - ſchrift gern etlichen Widerſachern eines verſetzen wollen, welches eine rechte ſchweitzeriſche Gat - tung von Artigkeit ſey, ſo die ungeſchliffenen Ober - und Nieder-Sachſen moͤgen nachahmen lernen; er fraget ſehr geſchickt, ob eben die Schweitzer die - jenigen ſeyn, welche den Deutſchen zuerſt entde - ken muͤſſen, daß eine wahre Beredtſamkeit ſich auf eine gute Philoſophie gruͤnden muͤſſe, und ſon - derlich eine geſunde Vernunftlehre vorausſetze; ja daß ein Redner und Poete aus der Pſychologie und Moral die Kraͤfte des Verſtandes und Wil - lens wohl inne haben muͤſſe, ehe er im Stande iſt, was tuͤchtiges zu ſchreiben.

Dieſer Philologus hatte die Anmerckungen wi - der den Patrioten zu Leipzig in Manuſcripto gele - ſen, und war ſo guͤtig daß er ihn in ſeinen Schutz nahm, eh er noch gedruckt war, er that dieſes mit der theuren Verſicherung, daß des vortrefflichen Patrioten Papiere, ſo dieſe ſcharfen Zuchtmei - ſter ſo veraͤchtlich tractiert haͤtten, ihnen und allen Schweitzern zu Trotze in - und auſſer Deutſchland Beyfall finden wuͤrden. Solcher ſeltſame Trotz einer einzeln Perſon, die ſich vorden155der Critik bey den Deutſchen. den Mund und Redner einer gantzen Nation auf - geworffen, bewog die Zuͤricher vornehmlich, daß ſie die Anklage des verdorbenen Geſchmackes, ſo ſie ſchon unter die Bancke werffen wollten, wie - der hervornahmen, und an das oͤffentliche Licht ſtelleten.

Man daͤchte, daß die Wahrheiten, welche der Hr. Philologus in den Criticken der Schwei - zer erkannt hatte, ihn nicht ſo ſehr verdroſſen, weil es Wahrheiten waren, als weil ſie ihm von Schweitzern vorgehalten worden. Weiter ſchei - net es uͤberhaupt, daß er und andre ihnen ihre Ur - theile und die Beweiſe derſelben eingeraͤumet haͤt - ten, wofern ſie nur von ihnen mit mehr Hoͤflich - keit Artigkeit und Gelindigkeit waͤren vorgetragen worden. Man fand ſie zu hart, zu ſcharf, zu herbe, und, mit einem Worte, zu grob. Eben dieſes hatte man ehmahls an den verſtaͤndigen Ur - theilen des Hrn. Wernike ausgeſetzet.

Jch wuͤnſchte, daß dieſe Richter ihre Begriffe hieruͤber etwas klaͤrer aus einander geſetzet haͤtten. Diejenigen Kunſtrichter ſind unhoͤflich zu heiſſen, welche die kleinſten Fehler, die ſonſt geſchickten ſittſamen und in Anſehen ſtehenden Maͤnnern un - ter einer Menge Schoͤnheiten entfallen ſind, aus haͤmiſchem Gemuͤthe aufmutzen, welche hingegen eben derſelben treffliche Schriften mit einem Zwan - ge loben, den ſie nicht verbergen koͤnnen, oder ihnen gar einige Klecke anzuwerffen ſuchen; welche im loben und tadeln weder Ziel noch Maaß halten, und beyde mahl zu raſen ſcheinen. Jch begehre die Schweitzer nicht zu entſchuldigen, wenn ſieauf156Nachrichten von dem Urſprungeauf dieſe Weiſe ſcharf, herbe und beiſſend geſchrie - ben haben. Aber wenn die Grobheit, deren man ſie beſchuldiget, darinn beſtehen ſollte, daß ſie die Schoͤnheiten und Fehler in ihren wahren Graden beſtimmt, und bey den verdienten Nah - men genennet, daß ſie die Verſehen beruͤhmter Leu - te nicht zu Tugenden, noch ihre Schoͤnheiten zu Vortrefflichkeiten gemacht, oder, daß ſie manch - mahl die Groͤſſe eines Fehlers empfindlich zu ma - chen, und die beleidigte Vernunft zu raͤchen, ſich des Geſpoͤttes und der Satyre bedienet haben, vornehmlich wenn ſie mit einem hochmuͤthigen, verſtockten und hartnaͤkigten Gegner zu thun ge - habt; in dieſen Faͤllen kan ich ſie nicht ſchuldig finden. Wenn man die Hoͤflichkeit ſo hoch trei - ben wollte, ſo wuͤrde ſie zur Schmeicheley, Zag - heit, und Scheinfroͤmmigkeit werden, die Critik wuͤrde dadurch ihre Nerven verliehren, und die albernen Scribenten wuͤrden der verdienten Straf - fe, womit ſie andern zum Exempel dienen ſollen, entriſſen werden. Jch finde in der That in den ſchweitzeriſchen Critiken nichts weiter, als eine einfaͤltige und aufrichtige Freyheit, welche nur der Wahrheit gut iſt, und darum Lob und Tadel bey einem Autor nach der Beſchaffenheit der Sa - che austheilet; worinnen ſeit vielen Jahren her der Character der ſchweitzeriſchen Nation beſtan - den; gens rudis, ſcapham ſcapham, ficum ficum, vocitare ſolita. Die ſchweitzeriſchen Kunſtrichter ſahen wohl, daß man ihre hertzhafte und bisweilen mit ſatyriſchem Schertz begleitete Aufrichtigkeit mit dem Nahmen der Unhoͤflichkeitſchwartz157der Critik bey den Deutſchen. ſchwartz zu machen ſuchete, ſie lieſſen darum in dem Schreiben an den Hrn. Koͤnig vor der Ankla - ge des verderbten Geſchmackes etwas weniges zum Schutze derſelben einflieſſen.

Jch habe, heißt es daſelbſt, die verzaͤrtelte Hoͤflichkeit mit der Wahrheit nicht vergleichen koͤnnen; ſie iſt von der Aufrichtigkeit allzuweit entfernt, denn ſie verſtellet, verkehret, und verkleiſtert die Wahrheit, ſo oft es wehe thut, ſie zu hoͤren.

Nach etlichen Zeilen erklaͤret man ſich noch deutli - cher:

Jndem ich hier der auſrichtigen Grobheit zu Gunſt der Wahrheit das Wort rede, muͤß - te man ſehr geneigt ſeyn, mir unrecht zu thun, wenn man das ungerechte Geſpoͤtte hieraus rechtfertigen wollte, welches die Sachen gaͤntz - lich aus Augen ſetzet, und uns an deren ſtatt einen ungeſchickten Ausdruck unterſchiebt, der ſeinen Grund nicht in der Sache, ſondern in der ausſchweiffenden Phantaſie, oder dem bloͤ - den Verſtande des Verfaſſers hat.

Die verzaͤrtelte Hoͤflichkeit iſt von der wahren Hoͤflicheit weit unterſchieden, und die aufrichtige Grobheit iſt eben ſo weit von der wahren Unhoͤflichkeit entfernt. Es giebt in der That in den Schriften alberner Scribenten manchmahl ſo dumme, und ungehirnte Dinge, daß ob man gleich nichts wei - ters thut, als ſie in ihrer Natur auf eine leb - hafte Weiſe vorſtellig machet, man in der Ver - faſſer Augen ſcharf, herbe, und beiſſend wird.

Derjenige, der den letzten Artikel der XCI. N. in den gelehrten Zeitungen von Leipzig 1728. ver - fertiget hat, hat nicht abſehen koͤnnen, wie ſichin158Nachrichten von dem Urſprungein beſagtem Schreiben an Hrn. Koͤnig die Schutzſchrift vor die Grobheit zu dem Hrn. geheimen Secretar ſchicken ſollte, der als einer der hoͤflichſten Maͤnner ſowohl aus ſeinen Schriften, als aus ſeinem Umgange bekannt iſt. Und ich kan nicht abſehen, warum er nicht wahrgenommen habe, daß es eine Schutzſchrift nicht vor die Grobheit, ſondern vor die aufrichti - ge Freyheit iſt, welcher die Schmeicheley, die Furchtſamkeit, und die Heucheley bisweilen unter dem geborgten Scheine der Hoͤflichkeit zu nicht ge - ringem Hinderniß der Wahrheit im Lichte ſtehen. Nun ſind ohne Zweifel dieſe unpartheilige Aufrich - tigkeit, und die wahre Hoͤflichkeit unter einander nicht ſo ſtreitige Dinge, daß ſie ſich nicht in einer Perſon beyſammen finden koͤnnen. Der Hr. Gab - riel Wilhelm Goͤtten hat in ſeinem Leben des Hrn. Michael Richey aus dieſem Schreiben an den Hrn. Koͤnig auch eine Schutzſchrift vor die Grobheit gemacht. Hr. Bodmer, ſagt er, ſchrieb ſeinen Antipatrioten ſo, daß er ſelbſt vor noͤthig fand, demſelben eine Schutzſchrift vor die Grob - heit voran zu ſetzen. Die bekannte Aufrichtigkeit dieſes Mannes laͤßt uns aber nicht zweifeln, daß ihm nicht die Feder hier von jemand andern, der nicht ſo aufrichtig geweſen, geleitet worden ſey.

Mit dieſer aufrichtigen Freyheit der Zuͤrichi - ſchen Kunſtrichter waren ſelbſt diejenigen nicht all - zu wohl zufrieden, welche ſonſt davor wollten an - geſehen ſeyn, daß ſie mit ihnen einerley Geſchmack haͤtten. Dieſelbe dauchte ſie ein wenig zu weit getrieben, weil das ſchlechte und mittelmaͤſſige inden159der Critik bey den Deutſchen. den Schriften der Freunde und Correſpondenten ſelbſt vor ihr nicht ſicher blieb. Manchem ſchien ſchon die bloſſe Freundſchaft mit ihnen voller Ge - faͤhrlichkeit. Einige, ſo die Partie derſelben zu oͤffentlich genommen hatten, klagten ihnen, daß B ... und W .... ihnen aus dieſer Urſache gantz aufſaͤzig geworden. Die Schweizer hatten mit Hrn. Koͤnig und noch ein paar geſchickter Corre - ſpondenten in Sachſen viel von einem Anſchlage geredet, ſich mit einander zu vereinigen, und wi - der die ſchwuͤlſtige Schreibart und die falſchen Ge - danken offentlich, jedoch anfangs unter verdeckten Nahmen zu ſchreiben. Jn dieſem Vorſatz hatte ſie die neue Auflage des brockſiſchen Kindermords beſtaͤrckt, darinnen etliche niederſaͤchſiſche Poeten ſich ſo viel Weihrauch geſtreuet, daß alle recht - ſchaffene Leute dergleichen hochmuͤthiges Bezeigen mit Zorn angeſehen. Man war auch ſchon begrif - fen Abrede zu nehmen, wie der hamburgiſche Patriot nach Verdienſt koͤnnte geſtriegelt werden. Von dieſem Vorhaben findet man in dem Schrei - ben, das vor die Anmerckungen uͤber den Patrio - ten gedruckt worden, einige Anregung, man ſagt uns dabey, daß dieſe Schrift ihren Urſprung von demſelben haͤtte. Hr. Koͤnig, an den das Schrei - ben geſtellet iſt, muß gefuͤrchtet haben, daß dieſe Anzeige ihn bey den Urhebern des Patrioten in Verdacht bringen moͤgte, als ob er wuͤrcklich und in Perſon die Feder wider ſie geſpizet haͤtte; nun wollte ers mit ihnen nicht verderben: Daher fand er noͤthig in dem oben angezogenen XCI. N. der gelehrten Zeitungen von Leipzig mit der hoͤch -ſten160Nachrichten von dem Urſprungeſten Sorgfalt zu proteſtieren, daß es ihm nie - mahls in den Sinn gekommen, mit den Schwei - zern gemeinſchaftlich wider den Patrioten zu ſchrei - ben. Dieſes wahrſcheinlich zu machen, hat er da - ſelbſt melden laſſen:

Es iſt allhier in Leipzig kundbar genug, daß Hr. Bodmer dieſe Schrift nicht nur ohne Vorwiſſen Hrn. Koͤnigs verferti - get, ſondern auch ſolche ſchon vor zwey Jahren heimlich an einen hieſigen Verleger geſchickt, und demſelben ausdruͤcklich verbothen, Hrn. Koͤ - nigen das geringſte davon zu ſagen; ungeach - tet Hr. Bodmer damahls in vertraulichem Brief - wechſel mit ihm geſtanden.

Allein in dem be - ſagten Schreiben wird nur geſagt, daß der An - ſchlag mit Hrn. Koͤnig gemachet, aber nicht, daß er ausgefuͤhret worden; vielweniger findet man da, daß Hr. Koͤnig die Anklage des verdorbenen Geſchmackes, oder ſonſt eine Schrift mit den Zuͤ - richern verfertiget haͤtte. Wohl hat der Autor deſ - ſelben Schreibens ausdruͤcklich und ohne Zwey - deutigkeit geſagt, daß er mit Hrn. Koͤnig zur Verbeſſerung des Geſchmackes einen gemeinſchaft - lichen Anſchlag gemacht habe; dabey hat er ferner zu verſtehen gegeben, daß Hr. Koͤnig in ſeinen Brie - fen von der Schrift des Patrioten auf eine gewiſ - ſe Weiſe geurtheilet haͤtte. Daß nun dieſes der Wahrheit gantz gemaͤß ſey, kan man aus Hrn. Koͤnigs eigenhaͤndigen Schreiben innen werden, welche Bodmer, der die Correſpondentz mit dem - ſelben gefuͤhrt, unverſehrt behalten hat. Man kan daraus zugleich ſehen, was vor Urſachen ei - gentlich die Vertraulichkeit zwiſchen dieſen beydenunter -161der Critik bey den Deutſchen. unterbrochen. Niemand wird leicht vermuthen, daß hierzu nicht ein geringes beygetragen, weil die Schweitzer eine gewiſſe Redensart des Hr. Brockes geſchuͤtzet haben, welche Hr. Koͤnig ver - worffen hat.

Was in der That die Freunde der Zuͤrchiſchen Kunſtrichter am meiſten verwirrete, war, daß ſie ohne Bedencken diejenigen ſelbſt lobeten und vertheidigten, von welchen man ſie berichtete, daß ſie ihre Feinde waͤren, und die Bolzen ſchnitzen haͤlffen, welche ihre Handlanger auf ſie verſchieſ - ſen mußten; daß ſie die Anſtiſter waͤren, wenn dieſe ſich in ihren Vorreden unnuͤtze macheten.

Jch kan nicht abſehen, ſchrieb ihnen hieruͤber einer von ihren Correſpondenten, was ſie be - wegen kan, B ... ſo hoch zu erheben, da er, wie ſie aus beyligendem Briefe ſehen werden, ihr abgeſagter Feind iſt, und es ſehr zu ihrem eigenen Nachtheil mißbrauchen wuͤrde, wenn er ſich von ihnen auf die Art gelobet faͤnde. Wollen ſie dieſe Leute noch in ihrem un - ertraͤglichen Hochmuth ſtaͤrcken, und ihnen die Waffen ſelbſt in die Haͤnde geben, womit ſie wider den guten Geſchmack fechten ſollen?

Es kam ihnen unbegreifflich vor, daß einer das Schoͤne und Gute an ſeinem Feinde mit Eifer und Begierde anpreiſen ſollte. Aber es ſchien ihnen unertraͤglich, daß man den Freunden ihre Fehler nicht uͤberſehen konnte; und dadurch verderbten die Schweitzer es mit ihren Saͤchſiſchen Correſpone denten noch viel mehr, als durch das Lob, das ſie ihren Wiederſachern ertheilten. Sie ſchrieben[Crit. Sam̃l. II. St.] Lihnen162Nachrichten von dem Urſprungeihnen darum gantz ſchlimme Neigungen und Ab - ſichten zu; daß ſie nur aus boͤſem Hertzen tadel - ten; daß ſie nur aus Liebe zum Widerſprechen lo - beten, was ein andrer getadelt, tadelten, was ein andrer gelobet haͤtte; man eignete ihnen darum die ſeltſame Kunſt zu, daß ſie alles critiſiren koͤnn - ten; daß ſie das ernſtlichſte laͤcherlich, das ſchoͤn - ſte haͤßlich, wie hingegen das poſſierliche ernſt - haſt, das verwerffliche angenehm vorſtellen koͤnn - ten. Doch getrauete ſich niemand, oder niemand wollte die Muͤhe nehmen, die ſophiſtiſchen Griffe dieſer verderblichen Kunſt in ihren Schriften zu entdecken, und die Wahrheit, deren beſtaͤndiger Character ſich durch die angeworffenen Kleke nicht tilgen laͤßt, in ihrem reinen Lichte herzuſtellen.

Jn der Zeit, daß man die Fortſetzung der ver - nuͤnftigen Gedancken und Urtheile von der Beredt - ſamkeit erwartete, da ihrem Plane gemaͤß die wichtige Frage, was in den Schriften geiſtreich oder ſcharfſinnig ſey, eroͤrtert, und gezeiget wer - den ſollte, was der Witz fuͤr Einfluß auf die Be - redtſamkeit haͤtte, gab Herr Prof. Gottſched zu Leipzig den Verſuch einer critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen heraus, worinnen er ſich vorgenom - men, etwas tiefer zu gehen, als die bloſſe Mecha - nick des Verſes, und der Versarten zu unterſu - chen. Jn der Vorrede, wo er uns ſeine poeti - ſche und critiſche Lebens-Geſchichte erzehlt, ſagt er, daß der Hr. Prof. Pietſch ſchon vor dem Jahr 1724. einmahl gedacht, daß er nicht ungeneigt waͤre, eine Anweiſung zur Poeſie zu ſchreiben, nicht zwar auf den Schlag, als die gewohnlichenAnlei -163der Critik bey den Deutſchen. Anleitungen waͤren, daran man keinen Mangel haͤtte, ſondern ſo daß darinnen der innere Charac - ter und das Weſen eines jeden Gedichtes gewie - ſen wuͤrde. Damahls, ſagt er, geſchah es daß ich mir den rechten Begriff von einer critiſchen Dichtkunſt machete, deren Nutzbarkeit ich gar wohl einſah, aber mirs noch nicht traͤumen ließ, daß ich mich dereinſt an dergleichen Arbeit wagen ſollte. Er fiel erſt auf dieſes Vorhaben,

als ihn die critiſchen Diſcurſe der Schweitzer in ih - rer moraliſchen Wochenſchrift durch ſo viele Be - urtheilungen der deutſchen Poeten begierig ge - machet, alles aus dem Grunde zu unterſuchen, und wo moͤglich zu einer voͤlligen Gewißheit zu kommen, was richtig oder unrichtig gedacht, ſchoͤn oder haͤßlich geſchrieben ſey.

Am aller - meiſten ſtaͤrckte ihm den Muth zu dieſem Unterneh - men die zahlreiche Bibliotheck von critiſchen Schrif - ten der Auslaͤnder, die in Leipzig zu ſeinem Dien - ſte ſtuhnd, und welche er in beſagter Vorrede nahmhaft machet. Wie ſchwach damahls noch der Geſchmack an critiſchen Sachen bey den Deut - ſchen geweſen, nehmen wir dabey ab, daß Hr. Gottſched noͤthig gefunden, in derſelben die Ue - berſchrift ſeiner Dichtkunſt, die er critiſch geheiſ - ſen, zu vertheidigen. Man hat wider dieſes Werck eingewendet, daß es ausgeſchrieben waͤre, dawider der Verfaſſer ſich bey der zweyten Aufla - ge dergeſtalt vertheidiget:

Diejenigen groſſen Leute, die alles, was ſie ſchreiben, aus ihrem eigenen fruchtbaren Geiſte hernehmen, und kei - nem Lehrmeiſter etwas zu verdancken haben,L 2 moͤ -164Nachrichten von dem Urſprunge moͤgen auf ihre Schriften ſtoltz werden. Sie haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht ſtreitig machen kann. Sie ſind ſo gluͤcklich dasjenige in ſich ſelbſt zu finden, was Leute von meiner Gattung, nach Art aͤmſiger Bienen, erſt auf fremden Fluren mit vieler Muͤhe zuſam - menſuchen muͤſſen! Jhr unerſchoͤpflicher Witz vertritt bey ihnen die Stelle groſſer Buͤcherſaͤle, und einer langweiligen Beleſenheit. Daher koͤnnen ſie ungeſcheut diejenigen Opfer ſich ſelbſt anzuͤnden, die wir andern unſern Vorgaͤngern und Lehrern zu bringen pflegen. Was iſt billi - ger, als daß ein jeder diejenige Quelle kroͤnet, daraus er geſchoͤpfet hat! Und ich bin alſo ver - ſichert, daß niemand von dieſen groſſen Gei - ſtern mir das Bekaͤnntniß mißgoͤnnen wird, daß ich alles, was in meiner critiſchen Dicht - kunſt gutes enthalten ſeyn wuͤrde, nicht mir ſelbſt, ſondern den groͤſten Critickverſtaͤndigen alter und neuer Zeiten zu verdancken haͤtte.

Allein hat ihm nicht eine unzeitige Beſcheidenheit dieſen ironiſchen Schertz wider die Erfinder neuer Wahrheiten, oder wenigſtens neuer Formen, ſchon bekannte Wahrheiten vorzutragen, in den Sinn gegeben, und ihn geheiſſen, auf dieſe Wei - ſe die ruͤhmliche Eigenſchaft eines Urhebers von ſich abzulehnen? Jemand hat vermeinet, daß er die Sachen, ſo er aus andern genommen, ſich durch eine gewiſſe Umgieſſung ſo gar zu eigen zu machen gewußt habe, daß ſie ſelbſt ſchwerlich ver - mercken koͤnnten, was davon erſtlich ihnen zuge - hoͤrt haͤtte. Hr. Voltaire, Hr. Muratori, undandere165der Critik bey den Deutſchen. andere, die noch bey Leben ſind, moͤgen ſelber ſa - gen, ob ſie die Gedancken, fuͤr die Hr. Gottſched ihnen ſo feierlich danckſaget, darinnen erkennen. Jch bin verſichert, daß ſie durch das gantze Werck ſich ſelber nirgend, Hrn. Gottſched auf allen Blaͤtern antreffen werden. Die Hauptmaterien, welche auf den Titeln der Capitel angekuͤndiget werden, ſind gantz bequem, die Aufmerckſamkeit des Leſers zu erwecken, aber werden mit ſo groſſer Spar - ſamkeit der Gedancken und Schluͤſſe ausgefuͤhret, daß man nach vollendetem Leſen faſt nichts gruͤnd - lichers weis, als was einem der bloſſe Titel zu verſtehen gegeben hatte. Er bekuͤmmert ſich nicht ſonderlich, die Natur derer Sachen, von denen er zu reden verſpricht, auszuforſchen und klar zu machen, ſondern laͤßt uns oͤfters im Dunckeln ſitzen, wenn wir eben verhoffen die weſentlichſten Lehren zu empfangen. Wir haben es vor einen Vortheil zu halten, wenn er uns nicht verwirret, an ſtatt daß er uns erleuchten ſollte. Giebt er uns ein geringes Licht von etwas, ſo hat er es bey irgend einem andern entlehnet, ſo daß man ſein Werck in dieſem Anſehn vor etwas bloß hiſtori - ſches halten muß. Was er eigenes hat, ſind ſolche Fragen, die ſchwerlich jemand andrer vor noͤthig achten wuͤrde abzuhandeln. Er aber iſt daruͤber ſehr ausfuͤhrlich. Jn dem Vortrage herr - ſchet ein hinlaͤſſiges Weſen ohne Annehmlichkeit, und eine trockene Kaltſinnigkeit ohne Geſchicklichkeit. Das eigenſte in dieſer Dichtkunſt fuͤr die Deut - ſchen iſt, daß der Autor, der ſeine Lehrſaͤtze in der Vorrede mit ſo beſcheidener Erniedrigung ſeinerL 3ſelbſt166Nachrichten von dem Urſprungeſelbſt Fremden zugeleget und gedancket hat, hin - gegen die Exempel zu denſelben niemanden als ſich ſelber hat wollen ſchuldig werden. Er hat dieſe groͤſtentheils aus ſeinen eigenen Schriften genom - men, welches vor ihm keiner von den Alten oder den Neuern Criticis gethan hat. Er iſt alſo der ein - zige iztlebende Poet, den er angezogen, und dem zu gefallen er die Regel gebrochen hat, ſo er ſich ſelber vorgeſchrieben, daß er keinen lebenden Dich - ter weder tadeln noch loben wollte. Weil er ſahe, daß er die Tadelhaften nicht nach ihrem Verdie - nen beſtraffen koͤnnte, ohne daß er ſich ihren Haß zuzoͤge, ja weil ſie auch die bloſſe Erwaͤhnung der Geſchickten bey ihrer eigenen Ausſchlieſſung vor eine heimliche Verurtheilung haͤtten aufnehmen moͤgen, ſo hat er vor gut befunden, ſowohl das Lob der letztern als die Straffe der erſtern in der Feder zu behalten.

Nachdem Hr. Gottſched dieſen Grund zu einer Critik fuͤr die Deutſchen geleget hatte, ruhete er in ſeinem critiſchen Laufe nicht, ſondern fieng 1732. an, die Beytraͤge zur critiſchen Hiſtorie der deut - ſchen Sprache, Poeſie und Beredtſamkeit, her - auszugeben, womit er ſich vorgenommen, zwar hauptſaͤchlich das Aufnehmen der deutſchen Spra - che, und den Fleiß ſeiner Landsleute dieſelbe zu beſ - ſern, zu unterſuchen, jedoch damit Abhandlungen von allerley in die deutſche Literatur, Critik, Dicht - kunſt und Beredtſamkeit laufenden Materien zu untermiſchen. Hiſtoriſche und Grammatiſche Arti - kel machen darinnen weit die groͤſte Zahl aus. Jene beſtehen aus truckenen Nachrichten von altenund167der Critik bey den Deutſchen. und neuen Schriften, ſo zur Beredtſamkeit und Sprachlehre gehoͤren, aus langen Auszuͤgen der - ſelben, ſo bisweilen mit einigen fluͤchtigen Beur - theilungen begleitet werden. Dieſe ſehen meiſtens nur auf die aͤuſſerliche Form der Woͤrter, auf die Rechtſchreibung, auf die Abfaͤlle der Nennwoͤr - ter und der Vornennwoͤrter, auf die Fließarten der Zeitwoͤrter und dergleichen. Die Natur und Eigenſchaft der deutſchen Sprache in zuſammen - hangenden Redensarten, ihre Kraft in der Be - deutung, ihre Biegſamkeit, und Geſchicklichkeit zu allen Schreibarten, ihr Reichthum in Anſe - hen der abſonderlichſten Beſtimmungen, werden vielmehr vorausgeſetzet, als erwieſen. Die criti - ſchen Unterſuchungen ſind in ſehr geringer Anzahl. Von dieſen gehoͤren einige Fremden, die mehrern Herrn Gottſcheden, welcher in dem ein und zwanzig - ſten Stuͤcke ſeinen Anſpruch auf das gantze Werck oͤffentlich behauptet, gleichwohl aber bekannt hat, daß ihm viele Artickel von geſchickten Freunden ein - geſandt worden. Zuvor hatte jedermann die deut - ſche Geſellſchaft von Leipzig fuͤr die Urheber dieſer Monatſchrift gehalten. Von den critiſchen Arti - keln hab ich uͤberhaupt urtheilen gehoͤret, daß man den Verfaſſer der critiſchen Dichtkunſt darinnen alſobald erkenne, daß die Urtheile nicht auf ſol - che Wahrheiten gegruͤndet werden, die nur Hin - terſaͤtze von unleugbaren Foͤrderſaͤtzen ſind, und ſich bequem unter einen ſolchen bringen laſſen. Ei - nige von den allgemeinſten Grundſaͤtzen werden mit groſſem Duͤnckel eingefuͤhrt, aber in ihrer Anwendung, wo es um die Beurtheilungen derL 4Mittel168Nachrichten von dem UrſprungeMittel und Umſtaͤnde zu thun iſt, und unterſucht werden ſoll, wie man in der Wahl dieſer Dinge die beſondere Abſicht in einem Theile getroffen ha - be, will es nicht fort. Alſo wird die Grundregel, ahmet der Natur nach, in allen abſonderlichen Faͤllen darein geworffen; man macht ſich groß, daß man alle vorkommenden Fragen damit unfehl - bar eroͤrtern wolle, und betrachtet nicht, daß die - ſe Regel nur anzeiget, woher man den Unterricht nehmen ſoll. Einige Ausdruͤckungen in den Urthei - len ſind auf Schrauben geſetzet, oder ſtoſſen ſich unter einander dergeſtalt, daß man nicht errathen kan, was der Kunſtrichter damit haben wolle, ob es gleich hier und da ſcheint, daß er einen Strahl der Wahrheit erblicket habe. Abentheur - liche Ausdruͤcke, welche die Sache verſtellen, ha - ben oſt die Stelle des feinen Schertzes, der aus der Eigenſchaft des Gegenſtands herflieſſet, ver - treten muͤſſen. Die Herren Damm, Hirſch, Bock, Venski, Hr. Prof. D. und C. G. G. und vor allen andern der geſchickte Autor der Probe des uͤberſetzten Virgils koͤnnten uns davon aus der Er - fahrung erzehlen. Jch will mithin nicht dieſem Urtheile zum Vortheil verſchweigen, daß andre viel guͤnſtiger von dieſer Monatſchrift geſprochen haben. Die Verfaſſer der Beytraͤge berichten uns davon hin und wieder ſelbſt. Zum Exempel:

Da wir den fuͤnften Band dieſer Beytraͤge hie - mit anfangen, ſo koͤnnen wir nicht umhin, dir fuͤr den bisherigen Beyfall, den du unſern Be - muͤhungen gegeben, den gebuͤhrenden Danck abzuſtatten ꝛc. Haben dir alſo bisher die Bey - traͤge169der Critik bey den Deutſchen. traͤge gefallen, ſo werden ſie dir weiter gefal - len.

Von dieſer Art Zeugniſſe koͤnnte man eine ziemliche Zahl zuſammenleſen, welche alle von demjenigen ſorgfaͤltig aufgehoben worden, dem am meiſten daran gelegen war, daß man ſie wuͤßte.

Jndeſſen haben die richterlichen Spruͤche in die - ſem Wercke etliche Jahre nach einander das Schickſal der poetiſchen Schriften bey den Deut - ſchen regiert. Scribenten, die ihnen an Einſich - ten nichts nachgeben, erfuhren das eiſerne Scep - ter dieſer Kunſtrichter. Herr Heineken empfieng wegen ſeiner Unterſuchung vom Erhabenen, die er zu ſeinem uͤberſetzten Longinus gedruͤckt, folgen - des Urtheil:

Seine angehaͤngte Abhandlung iſt zwar mehr ein Zeugniß ſeines guten Willens und ſeines Eifers fuͤr die Verbeſſerung des Ge - ſchmackes, als ein Zeugniß von der Geſchick - lichkeit und Einſicht, welche bey Unterſuchung und Einrichtung etwas ſchwerer Begriffe noͤthig iſt.

Es thoͤnet auch ſehr vornehm, wenn der Journaliſte ſagt:

Ob ich gleich bekennen muß, daß ich nicht in allen Stuͤcken mit dem Longin zufrieden bin, ſo muß ich doch auch ſa - gen, daß indeſſen ſeine Schrift alle Hochach - tung bey mir erwecket.

Von dieſer Schrift hat Hr. Prof. Gottſched in der zweiten Auflage ſeiner Dichtkunſt weiter geurtheilet, daß Herr Heineken die Urſachen und Regeln ſeiner Urtheile nicht angeben koͤnnen. Er hatte eben dieſes von dem Pater Buhurs geſagt, und darauf hinzugeſe - zet:

Und ſo gehet es auch denen, die uns im Deutſchen haben lehren wollen, was LonginL 5durch170Nachrichten von dem Urſprunge durch das Erhabene verſtehet; als die auſſer vielen Schmeicheleyen gegen einige noch lebende Dichter, und manchen vergaͤllten Cenſuren, wider andere, denen ihre Schutzgoͤtter nicht wohl wollen, nicht viel deutliches zuwegege - bracht haben.

Daß dieſer Verweis Hrn. Heineken gelte, hat mich das Regiſter gelehret, wo es heißt: Heineken weis nichts deutliches vom Erhabenen Bl. 338. Durch die noch leben - den Dichter meint er ſich ſelbſt, und durch die Schutzgoͤtter, ſo dieſen nicht wohl wollen, den Herrn geheimen Rath Koͤnig. Er hat dieſen von ſeiner gutthaͤtigen Regel keinen Jtztlebenden zu ta - deln in ſoweit ausgenommen, daß er ihn tadelt, wenn er ihn gleich nicht mit Nahmen nennet. Z. E. im 18ten §. der critiſchen Dichtkunſt ſagt er, er wolle aus vielen hunderten niedertraͤchtigen Scher - zen, oder vielmehr Frazen unſrer Dichter nur ein Paar eines ſolchen Meiſters zur Probe geben; und bringt hernach ſolche aus Hrn. Koͤnigs Schimpf - gedichten. Und im 10ten §. redet er von gewiſſen Kluͤglingen, die in ſeiner Eintheilung der Schreib - art einen Miſchmaſch finden wollen; und die ſich einbilden, was nicht nach ihrem unreifen Sinne ſey, oder vielmehr was denjenigen, deren Sprach - rohr ſie abgeben, nicht gefalle, das ſey nicht rich - tig. Da ſind wieder Hr. Heineke und Hr. Koͤnig gemeinet. Auch in den critiſchen Beytraͤgen giebt er zu verſtehen, daß er in ſeiner Einbildung Hrn. Koͤnig an poetiſchen Verdienſten weit uͤbertreffe. Wenn man ihm dieſes glaubet, ſo kan er es fuͤr ein Gluͤck halten, welches aber dem Wechſel ſehr unterworffen ſcheinet.

Die171der Critik bey den Deutſchen.

Die Zuͤrichiſchen Kunſtrichter koͤnnen ſich ruͤh - men daß ſie von den Verfaſſern dieſer Leipzigiſchen Beytraͤge eine lange Zeit hochgehalten worden. Dieſe gedencken ihrer ſelten, daß ſie dieſelben nicht ſich ſelbſt an die Seite ſetzen. Jm achten Artikel des fuͤnfzehnten St. heißt es ausdruͤcklich:

Was uns Zuͤrich ſeit wenigen Jahren fuͤr Proben ei - ner geſunden Critik geliefert, das muß noth - wendig, auch ohne mein Erinnern, aus den Diſcurſen der Mahler bekannt ſeyn, als wel - che nicht nur Richter der Sitten, ſondern auch der freyen Kuͤnſte bey uns abgegeben, und ge - wiß nicht wenig gutes geſtiftet haben. Ja wir wuͤrden gar behaupten, daß man den Urſprung der izigen critiſchen Zeiten von dieſem Buche her - leiten muͤſſe, wenn ihm Hr. Werenfels nicht den Rang abgewonnen haͤtte.

Nemlich mit ſeinem lateiniſchen Werckgen von den Meteoren einer Rede; welches in der That denjenigen, die ſich der deutſchen Wohlredenheit vor den Zuͤrichi - ſchen Kunſtrichtern angenommen haben, vor - treffliche Dienſte haͤtte thun koͤnnen, wenn es ih - nen bekannt geweſen waͤre, oder wenn ſie den Lehr - ſaͤtzen darinnen weiter nachgeſpuͤret und gefolget haͤtten.

Obiges Lob hat man den Zuͤrichiſchen Kunſt - richtern in den critiſchen Beytraͤgen bey Anlaſſe des Briefwechſels von der Natur des poetiſchen Geſchmackes gegeben, welches Werckgen von ih - nen in dem Jahre 1736. an das Licht geſtellet wor - den. Es beſtehet aus etlichen Briefen, die zwi - ſchen ihnen und einem Jtalieniſchen Grafen, dernicht172Nachrichten von dem Urſprungenicht genannt wird, im Jahre 1729. waren ge - wechſelt worden. Dieſe ſuchen darinnen zu be - haupten, daß der metaphoriſche Geſchmack, wordurch ſie die Fertigkeit das Schoͤne in den Schriften ſchnell und ſicher wahrzunehmen verſtehen, nicht willkuͤrlich ſey, nicht auf einer ſinnlichen Empfin - dung beruhe, ſondern ſich auf die Uebung gruͤn - den, und die Unterſuchung aushalten muͤſſe. Der Jtaliener macht zuerſt nicht viel mehrers daraus als eine mechaniſche Kraft und gleichſam einen ſechs - ten Sinn, der von dem Angenehmen in der Poe - ſie ſo guͤltig urtheilete, als der eigentlich genannte Sinn des Geſchmackes von den Eigenſchaften der Speiſen. Der Urheber des beſagten VIII. Art. in den critiſchen Beytraͤgen erzehlt den Jnhalt und die Abſicht der gantzen Schrift kuͤrtzlich, und, wie ſein eigenes Bekenntniß lautet, ſo, daß er ſich hierbey nicht der Gedancken und Worte des Verfaſſers ſondern ſeiner eigenen Art zu den - ken und zu ſchreiben bedienet hat. Hernach ſagt er zum Lob derſelben; das Werckgen trage in wenigen Bogen die nuͤtzlichſten und angenehmſten Sachen in groſſer Menge vor; der Streit ſey von den geſchickteſten Gegnern von der Welt ge - fuͤhrt, und mit ſo vieler Scharfſinnigkeit als Hoͤf - lichkeit von beyden Theilen fortgeſetzet worden; er ſagt noch andre Sachen, dieſe Schrift zu loben, welche er mit dieſer Anmerckung beſchließt:

Wer das dritte Capitel in der critiſchen Dichtkunſt geleſen hat, der wird finden, daß dieſer Brief - wechſel nur eine weitlaͤuftige Ausfuͤhrung deſſen enthaͤlt, was der Urheber von jener gelehrt und be -173der Critik bey den Deutſchen. behauptet hat.

Der Briefwechſel iſt im Jahr 1729. gefuͤhrt worden, und die critiſche Dicht - kunſt fuͤr die Deutſchen iſt erſt in dem darauf fol - genden Jahre an das Licht getreten. Demnach muͤſſen die Verfaſſer der Briefe das dritte Capi - tel der gottſchediſchen Dichtkunſt prophetiſcher Wei - ſe vorhergeleſen haben, wenn es wahr iſt, daß ſie es weitlaͤuftiger ausgefuͤhret haben. Dieſes braucht einen handfeſten Glauben, welchen noch dazu die Vergleichung beyder Schriften gaͤntzlich zu nichten machet. Jn den Briefen des Euriſus iſt es heller Tag, alles wird endlich klar und deut - lich beſtimmt: Jn Hrn. Gottſcheds dritten Capitel regiert lauter Verwirrung und Dunkelheit. Er ſagt, der gute Geſchmack ſey der von der Schoͤn - heit eines Dinges nach der bloſſen Empfindung urtheilende Verſtand, in Sachen, davon man kein deutliches und gruͤndliches Erkenntniß hat; der uͤble Geſchmack hingegen ſey ebenfalls der Verſtand, der nach der bloſſen Empfindung von undeutlich erkannten Sachen urtheilet; aber ſich in ſolchen ſeinen Urtheilen betruͤget. Er verſteht durch die bloſſe Empfindung, auf welche das Ur - theil ſich gruͤndet, die innerliche Empfindung ei - ner ſchoͤnen Sache, die entweder wuͤrcklich auſſer uns vorhanden iſt, oder von unſrer eigenen Phantaſie hervorgebracht worden. Allein dieſer letzte - re Verſtand, der von undeutlich erkannten Sachen urtheilt und ſich betruͤgt, wird mit beſſerm Recht Unverſtand genannt. Der erſtere, der von de - nen Sachen urtheilet, von welchen er kein gruͤndli - ches und deutliches Erkenntniß hat, iſt nicht vielbeſſer,174Nachrichten von dem Urſprungebeſſer, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich - tig davon urtheilen? Es iſt nur ein blindes Unge - fehr, wenn er es mit ſeinem Urtheile trifft; zu - mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge - ſchmackes gleich iſt. Er verdient denn keinen groͤſ - ſern Ruhm, als daß er ſich aus Jrrthum ſelbſt im rechten Wege befindet; wovon er aber ſelbſt keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu - zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat der Poet davon, der dieſen guten Geſchmack Hrn. Gottſcheds beſitzet? Warum ſoll man nach einem Geſchmacke ſtreben, von dem man es nicht weis, wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn man ihn nicht hat, ſich ſolches mit eben ſo gutem Recht ſchmeicheln kan, als wenn man ihn hat? Aber mit welcher Kuͤhnheit darf man uns in der Anmerckung ſagen, der groſſe Leibnitz ſey voll - kommen Hrn. Gottſcheds Meinung; welches noch vornehmer thoͤnet, als wenn es hieſſe, Hr. Gottſched waͤre des groſſen Leibnitzens Meinung. Dieſer hat geſagt: Le goût diſtingué de l’En - tendement, conſiſte dans les perceptions confuſes, dont on ne ſçauroit aſſez rendre raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant de l’Inſtinct. Le goût eſt formé par le na - turel & par l’uſage: Et pour l’avoir bon, il faut l’exercer à goûter les bonnes choſes, que la raiſon & l’experience ont déja autori - ſées. Jſt dieſes nicht grad das Gegentheil deſſen, was Hr. Gottſched davon lehret? Man gebe nur Achtung auf die Worte, diſtingué de l’Entendement; dont on ne ſçauroit aſſez rendre raiſon; quel -que175der Critik bey den Deutſchen. que choſe d’approchant; il faut l’exercer à goû - ter les bonnes choſes que la raiſon & l’expe - rience ont déja autoriſées. Es verdruͤßt mich wei - ter in dieſem Capitel der Gottſchediſchen Dichtkunſt zu gruͤbeln, wo die Worte von dem Zufall ſchei - nen entſtanden zu ſeyn, daher ein Satz den andern ſchlaͤgt.

Schon ſeit etlichen Jahren hatte ſich in Nieder - ſachſen ein geſchickter Kopf hervorgethan, der das allgemeine Recht der Menſchen zu critiſiren, nicht nur durch unumſtoͤßliche Beweiſe oͤffentlich behaup - tete, ſondern auch durch die unerſchrockenſten und munterſten Proben in der ſatyriſchen Schreibart ausuͤbete. Dadurch ward bey denjenigen, wel - che den verderbten Geſchmack in ſeiner voͤlligen Un - geſtalt einſahen, die Hoffnung auf ein neues auf - gewecket, daß derſelbe durch die durchbrechende Macht der Critik baͤldeſt wuͤrde vertrieben wer - den. Denjenigen iſt nicht zu helffen, welche des Hrn. von Liſcow ſatyriſche Schriften geleſen, und doch nicht erkannt haben, daß er die Critik, wel - che die beſtgegruͤndeten Urtheile in der feinſten Jro - nie und andern Huͤlfsmitteln der Satyre einzuklei - den weiß, vollkommen in ſeiner Gewalt hat. Seine Critiken gehen nicht auf die Poeſie und Wohlredenheit allein, ſondern insgemeine auf alle freyen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, welche von ungehirnten Koͤpfen entheiliget werden. Er ſtellet ſich zwar an, als ob er es nur mit den elenden und dunckelſten Scribenten aufgenommen haͤtte, und man daͤchte, daß er vor eine groͤſſere Ehre hielt, daß dieſe durch ſeine Feder aus dem Staubeerho -176Nachrichten von dem Urſprungeerhoben und erſt beruͤhmt gemachet wuͤrden, als wenn er ſeinen Ruhm der Erlegung groſſer Hel - den, die ſich mit Schreiben ſchon einen Nahmen gemachet hatten, waͤre ſchuldig worden: Jndeſſen ſind in ſeinen Sievern, Backmeiſtern, Philippi, Rodigaſten, Manzeln, Hilligern, Fuͤrſten von Auslegern der Heiligen Schrift, Predigern, Naturkuͤndigern, Lehrern des natuͤrlichen Rechten, der Wohlredenheit und der Poeſie, verſtecket. Die Streiche, die auf dieſe gefuͤhrt ſcheinen, tref - fen Maͤnner, die bey dem Anſehen, das ſie ſich durch andere Geſchicklichkeiten, nicht des Verſtan - des und des Geiſtes, erworben, ſich laͤngſt vor dem Geſpoͤtte der Satyre frey und ſicher geglaubt hatten. Wenn zum Exempel in der Antwort auf die Antrittsrede des Hrn. Prof. Philippi in der Geſellſchaft der kleinen Geiſter geſagt wird:

Jch bin verſichert, groſſer Philippi, du wolleſt ſo viel ſagen, daß unſre Feinde thoͤrigt handeln, wenn ſie, obgleich die deutſche Sprache ihre ei - genen Regeln hat, doch verlangen, man ſolle ſich nach den Regeln der lateiniſchen und griechi - ſchen Redekunſt eines Cicero und Demoſthenes richten. Auf ſolche Art wuͤrde unſer drittes Ge - ſetze, nach deinem Sinn, folgender Geſtalt lauten muͤſſen: Binde dich nicht an die Regeln der lateiniſchen und griechiſchen Redekunſt eines Cicero und Demoſthenes, denn die deutſche Sprache hat ihre eignen Regeln. Dieſes waͤ - re ein Geſetze vor uns, und der Schluß, auf welchen ſich daſſelbe gruͤndet, wuͤrde uns als kleinen Geiſtern wohl anſtehen, weil in ſelbi - gem177der Critik bey den Deutſchen. gem die Sprach - und Rede-Kunſt ſo artig mit einander vermenget ſind, und nicht undeutlich zu verſtehen gegeben wird, daß es eine lateini - ſche, eine griechiſche, und eine deutſche Beredt - ſamkeit gebe, die weſentlich von einander un - terſchieden: Welches gewiß unſern Feinden eben ſo wunderlich vorkommen wuͤrde, als wenn man ihnen von einem lateiniſchen, griechiſchen, und deutſchen Ein mahl eins vorſagen wollte.

Wer hat nicht eben dergleichen Saͤtze in einer oder etlichen Vorreden, Anweiſungen, und Lehr - ſchriften unſerer hochgeſchaͤtzteſten Jztlebenden ge - leſen? Etliche von denſelben, denen ein wenig mehr Verſtand uͤbrig geblieben, als ihren Bruͤ - dern in Midas, haben ſich ſelber in der Perſon des Herren Philippi wohl erkannt, und darum nicht ſo hertzlich daruͤber gelachet, als ſie ſich ange - ſtellet. Man hat auch wahrgenommen, daß eine gewiſſe Art Scribenten insgemeine weniger Ge - ſchmack an den Schriften des Hrn. Liſcows ge - funden hat, als Leute, die ſich niemahls ins Schreiben gemenget haben. Es iſt ſonſt nicht zu zweifeln, daß nicht die Gemuͤther der Deutſchen uͤberhaupt durch dieſe ſatyriſchen Verfaſſer zu Cri - tiken ſowohl gewoͤhnet und zubereitet worden, daß man deßwegen denen neuen Schriften, ſo gleich hernach zum Aufnehmen des Geſchmackes in der Wohlredenheit und der Poeſie an den Tag gege - ben worden, einen deſto leichtern Eingang mit aller Wahrſcheinlichkeit verſprechen darf.

Es hatte geſchienen, daß die Zuͤrichiſchen Kunſt - richter, wie Hr. Arnold ſchon 1732. in der Vorre -[Crit. Sam̃l. II. St.] Mde178Nachrichten von dem Urſprungede zu ſeinem Verſuche einer poetiſchen Anleitung gefuͤrchtet, ermuͤdet waͤren, uns ihre Einſich - ten in die Natur der Beredtſamkeit und Dicht - kunſt mitzutheilen; die Fortſetzung der critiſchen Gedancken von der Beredtſamkeit war izo in das dreyzehnte Jahr ausgeblieben. Man redete gantz zweifelmuͤthig davon.

Vielleicht, hieß es in dem Vten Art. des XVII. St. der critiſchen Bey - traͤge, wird uns die Geſchicklichkeit des Hrn. Bodmers dasjenige erſetzen, was dieſer Ab - handlung Hrn. Heineken vom Erhabenen man - gelt: wenn er ſeine Beurtheilung des Longins der gelehrten Welt nur nicht laͤnger mißgoͤnnen will, die auf eine erwuͤnſchte Erfuͤllung ſeines Verſprechens laͤngſt gehoffet hat.

Auch Hr. Heineken hatte ihn deßwegen etliche mahl ange - ſtochen. Jn der Vorrede zu der Ueberſetzung des verlohrnen Paradieſes war zwar aufs neue Hoff - nung dazu gegeben worden, indeſſen wollte nichts zum Vorſcheine kommen. Jch zweifele nicht daß die Ungeduld dieſes Verſprechen erfuͤllt zu ſehen, den Hrn. Arnold, den Hrn. Bock, den Hr. Hei - neken, bewogen habe, dem Mangel, der ihnen durch die Gottſchediſche Dichtkunſt nicht genug erſetzet geſchienen, durch ihre Unterſuchungen nach ihrem Vermoͤgen abzuhelfen, welches ſie mit un - gleichem Fortgang geſucht haben. Einesmahls wurden die ſchweitzeriſchen Kunſtlehrer wieder wa - che, und uͤberraſcheten die halbverſtorbene Hoff - nung ihrer Goͤnner mit einer Menge critiſcher Lehr - ſchriften, welche ſie ohne Unterbrechen auf einan - der folgen lieſſen. Die Abhandlung von denGleich -179der Critik bey den Deutſchen. Gleichniſſen, die neue critiſche Dichtkunſt in zweyen Theilen, die Abhandlung von dem Wun - derbaren, in einer Vertheidigung Miltons Pa - radieſes, der Unterricht von poetiſchen Gemaͤhl - den, kamen alle in 1740. zum Vorſcheine. Die beyden erſtern ſind von Johann Jacob Breitin - gern, die beyden letztern von Johann Jacob Bod - mern. Da ſie zuvor gewoͤhnlich an einem Wer - ke gemeinſchaftlich mit einander gearbeitet, hatten ſie die Arbeit izo unter ſich vertheilet; zuvor hatten ſie ohne Nahmen geſchrieben, izo ſetzete jeder ſei - nen Nahmen vor die ihm gehoͤrige Schrift. Die - ſe beyden Zuͤricher ſind die einzigen Schweitzer, die bis zu dieſer Stunde uͤber critiſche Dinge in deutſcher Sprache geſchrieben haben. Der Grund - riß, den ſie ehmahls zu dieſer Arbeit geleget hat - ten, ward in dieſer Ausfuͤhrung von ihnen gaͤntz - lich verworffen und mit einem andern vertauſchet.

Die Preſſe ruhet noch izo nicht von ihren criti - ſchen Arbeiten, womit ſie dieſelbe beſchaͤftiget hal - ten. Bodmer hat die neue Ueberſetzung, ſo er von Miltons verlohrnen Paradieſe verfertiget, mit durchgaͤngigen Anmerckungen, worinnen des Poe - ten Erfindungen, Vorſtellungen, und poetiſche Farben ſorgfaͤltig erklaͤret werden, wuͤrcklich in die Druckerey gegeben. Man ſagt auch, daß eben derſelbe und ſein Freund an der Monatſchrift, die unter dem Titel der critiſch-poetiſchen Samm - lung in Zuͤrich neulich angefangen worden, den meiſten Antheil haben. Wenn uns die Zeit ge - nauer und umſtaͤndlicher von dem Fortgange be - lehret haben wird, welchen alle dieſe eifrigen Be -M 2muͤhun -180Nachrichten von dem Urſprunge ꝛc. muͤhungen zum Aufnehmen der Wohlredenheit und der Poeſie mit vieler Zuverlaͤſſigkeit verſprechen, werde ich den Faden dieſer kurtzen Geſchichte der Critik, den ich hier abſchneide, wieder ſuchen und weiter fortſetzen. Die haͤftige Beſtrebung, wo - mit ſich einige bekannte Kunſtrichter und Poeten in Sachſen ihren unſchuldigen Bemuͤhungen wie - derſetzet haben, und welche man nicht geneigt ſchei - net, mit Stillſchweigen zu erdulden, laͤßt mich hoffen, daß meiner Feder ein guter Vorrath von denckwuͤrdigen Begegniſſen aus dem critiſchen Reiche nicht entſtehen werde.

Ode181
Ode uͤber die Unſterblichkeit der Seele.
BEherrſcherin von meiner Huͤtte!
(a)Anmerckungen. Jn dieſem gantzen Gedichte iſt die Abſicht des Philoſophiſchen Poeten, Hrn. Hofrath Drollingers, das Geſchicke der Seele und des Coͤrpers nach ihrer Tren - nung, das aus der ungleichen Natur dieſer beyden Theile herfließt, aus poetiſchen d. i. wahrſcheinlichen Gruͤnden zu beſtimmen, und auf eine poetiſche d. i. gantz lebhafte und ſinnliche Weiſe auszufuͤhren. Nach dieſer Abſicht muͤſſen wir nun die Kunſt des Poeten pruͤffen. Derſelben gemaͤß iſt die erſte Zeile ſehr geſchickt ausgebildet, da ſie euch in einem kuͤnſtlich gewehleten Bilde nicht nur die Verbindung dieſer zwey Weſen, ſondern auch die Urſache und den Grund ihrer Verbindung, und, welches das vornehmſte iſt, die groſſe Verſchiedenheit ihrer Natur vorſtellet, wenn ſie den Coͤrper als etwas mechani - ſches unter dem Bilde einer Huͤtte, die Seele aber als eine mit Verſtande und Klugheit begabte Beherrſcherin zu betrachten vorleget. Denn wie es keine natuͤrliche Fol - ge iſt, wenn eine Machine durch Abnutzung und Verſchleiſ - ſung, oder durch einen gewaltſamen Zufall zuſammen - faͤllt, daß derjenige Verſtand, der ſie in ihren mechani - ſchen Wirckungen nach gewiſſen Abſichten dirigirt hat - mit in das Verderben hingeriſſen werde, ſo iſt es nich, weniger ungereimt, die Seele in die Zerſtoͤhrung des Coͤrt pers mit einzuflechten. Alſo iſt dieſe periphraſtiſche Anre - de und Beſchreibung der Seele nicht gleichguͤltig; ſon - dern ſie hat ihre Nothwendigkeit in der Abſicht des Poe - ten, und man kan mit Grunde ſagen, das gantze Ge - dichte ſey eine bloſſe Entwickelung derjenigen Saamen - Koͤrner, die in dieſen fruchtbaren Jdeen eingeſchloſſen ſind.
(a)
Dein Coͤrper eilt zur langen Ruh,
(b)Anmerckungen. Nachdem ich in der vorhergehenden Anmerckung die Nothwendigkeit und den Grund der Umſchreibung der Seele in der erſten Zeile aufgedecket habe, ſo habe ich da - mit auch denjenigen genug gethan, die ſich bereden wol - len, der Poet, wenn er in der zweyten Zeile auſſer der Figur von dem Coͤrper der Seele redet, verfuͤhre den Le - ſer auf den Wahn, als wenn die Huͤtte, die ſie beherr - ſchet, und der Coͤrper, zwey gantz verſchiedene Dinge waͤ - ren. Denn wenn man die erſte Zeile als eine nothwendi - ge poetiſche Umſchreibung der Seele, die ihre Abſicht auf das gantze Gedicht hat, aufnimmt, ſo kan dieſer Betrug nicht mehr Platz haben.
(b)
Es nah’t ſich ihm mit ſchnellem Schritte
(c)Der Poet haͤtte nach der gemeinen und gewohnten Art zu reden ſagen koͤnnen:
Er nahet ſich mit ſchnellem Schritte,
Der Herrſchaft der Verweſung zu.
Aber er wollte ſich hier ſeines poetiſchen Vorrechts, das ungemeine dem gemeinen vorzuziehen, nicht begeben, noch dieſe Gelegenheit, durch eine kleine Veraͤnderung die Auf - merckſamkeit des Leſers zu ſchaͤrffen, vorbeygehen. Auſ - ſerdem hat dieſe Veraͤnderung auch mehr Licht und Nach - druck, als die gemeine Redensart: Es nahet ſich alles der Verweſung; oder: Es gehet alles mit ſtarcken Schritten nach der Verweſung; maſſen ſie uns die Ver - weſung als eine Perſon vorſtellet, ihr eine Herrſchaft zu - leget, und eine Begierde und Bemuͤhung die Graͤntzen derſelben immer weiter auszubreiten.
(c)
Die Herrſchaft der Verweſung zu.
M 3Kaum182Drollingers Ode
Kaum ſtoͤßt annoch des Hertzens Hoͤle
Das halb verrauchte Lebens-Oele
(d)Die Metapher, welche das Blut als ein Lebens - Oele vorſtellet, koͤnnte nicht bequemer ſeyn: Und wir er - kennen in dieſer und andern dergleichen Beſchreibungen den Pinſel eines geſchickten Mahlers, deſſen Kunſt in der
(d)
Mit ſchwachen Schlaͤgen langſam aus,
Die Muſklen ſind entſpannt und ſchwinden,
Der183uͤber die Unſterblichkeit.
Der Sinnen ſchwaͤchliches Empfinden
Verkuͤndigt ſchon der Fauͤlniß Graus.
Wohlan! Der Coͤrper mag verſtaͤuben,
Sein bloͤder Zeug kan nicht beſteh’n,
Doch du, O Seele, wirſt du bleiben?
Wie, oder muſt du mit vergeh’n?
Jſt dann dein Stoff auch ein Gedraͤnge
Von Theilen ohngezaͤhlter Menge,
Woraus der Coͤrper zugericht?
Ein Bau von ſo viel tauſend Stuͤcken,
Auf welche Zeit und Zufall druͤcken,
Bis ihre Fuͤgung wieder bricht?
Doch nein! Du oͤffneſt deine Schaͤtze
Und legeſt uns ein etwas dar,
Das keines Coͤrpers Grundgeſetze
(e)Die Conſtructio activa hat hier etwas zweydeu - tiges, oder wenigſtens nicht Deutlichkeit gnug. Man koͤnnte Grundgeſetze und Miſchung im Klagefalle nehmen, aber das waͤre wieder die Abſicht des Poeten. Die Mei - nung, die alsdann herauskaͤme, iſt zwar ſo offenbar unbequem, daß nur ein kleines Nachſinnen vonnoͤthen iſt, ſie zu verwerffen, und die wahre Meinung zu ent - decken. Dennoch hat Quintilianus den Scribenten be - fohlen, dergleichen Arten von Zweydeutigkeit eben ſo ſorg - faͤltig zu vermeiden als gewiſſe andre, welche der verſtaͤn - digſte Kopf nicht aufloͤſen kan. Vitanda imprimis ambi - guitas, ſagt er, non hæc ſolum, quæ incertum intellec - tum facit, ut, Chremetem audivi percuſſiſſe Demeam, ſed illa quoque, quæ etiamſi turbare non poteſt ſenſum,in
(e)
Das keine Miſchung je gebahr.
M 4Was(*)Anmerckungen. Wahl der kleinſten und abſonderlichſten Umſtaͤnde, die zur Ausbildung des Gemaͤhldes vortrefflich dienen, und meiſtens in der bequemen Anwendung der Beywoͤrter, beſteht.184Drollingers Ode
Was iſt ein Leib? Des Geiſtes Huͤlle,
Sein Klumpe liget todt und ſtille,
So oft ihm ein Beweger fehlt.
Nicht ſo der Geiſt, der lebt und dencket,
Mit ſchneller Macht die Sinnen lencket,
Erwiegt, beſchleußt, verwirfft und wehlt.
So lerne dann, daß Tod und Sterben
Allein in grobe Coͤrper dringt,
Und der Verſtoͤrung Grundverderben
Ein geiſtlichs Weſen nie bezwingt.
Der Miſchung Bau wird leicht zerſtuͤcket,
Dich aber hat ein Seyn begluͤcket,
Das weder Stuͤck noch Theile kennt,
Vergeblich ſucht der Raub der Zeiten
Dein einfach Weſen zu beſtreiten,
Was nicht gefuͤgt, wird nicht getrennt.
Jſts(*)Anmerckungen. in idem tamen verborum vitium incidit, ut ſi quis dicat, viſum à ſe hominem librum ſcribentem. Nam etiamſi librum ab homine ſcribi pateat, male tamen compoſue - rat, feceratque ambiguum, quantum in ipſo fuit. Vor - treffliche Scribenten laſſen manchmahl dergleichen Unrich - tigkeiten mit Vorſatz ſtehen. Sie werffen damit dem Nei - de ein Bein vor, daran er nagen moͤge, damit ſie inzwi - ſchen ungeſtoͤret bleiben.185uͤber die Unſterblichkeit.
Jſts glaublich daß dich Gott zernichte?
Er machte dich zu groß und ſchoͤn.
Schau welch ein Glantz! Schau welche Fruͤchte
Aus edler Seelen Trieb entſteh’n!
Mich deucht, in jeder Seele funckelt,
Wenn ſie kein grober Dunſt verdunckelt,
Ein Schimmer von der Gottheit Licht,
So zeugt er auch von ihrem Waͤhren,
Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren?
Was Goͤttlich iſt, das ſtirbt doch nicht.
(f)Was ich oben in der erſten Anmerckung von den wahrſcheinlichen poetiſchen Gruͤnden beylaͤuftig geſagt ha - be, davon giebt uns dieſe Strophe ein gar deutliches Exempel. Sonderlich iſt in den zwo letztern Zeilen die Wahrſcheinlichkeit in das helleſte Licht geſetzet. Denn wenn die Seele von einer goͤttlichen Natur iſt, die Gottheit aber in ihrer Natur unzerſtoͤhrlich und nothwendig iſt, ſo hat der poetiſche Schluß: Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren? ſeine voͤllige Richtigkeit. Jn den folgenden Strophen fuͤhret der Poet den Unterſatz ſeines poetiſchen Schluſſes weitlaͤuftiger aus, und zeiget aus den wunderbarenWir -
(f)
Schau wie bey Sturm und Kriegs-Gefahren
Ein Mann oft einen Hauffen ſchreckt,
Und fuͤr dem Raub der wilden Schaaren
Den unbewehrten Saͤugling deckt!
Wie dort ein Held von Gott beſeelet
Oie Wohlluſt fleucht, die Sorgen wehlet,
Vor andrer Gluͤcke ſich verbannt;
(g)Dieſe Redensart iſt ſichtbarlich von beſonderm Nachdruck. Sie ſtellet uns einen tugendhaften Menſchen in ſolchen Umſtaͤnden vor, daß er entweder ſich ſelber des Umganges mit ſeinen Freunden und Anverwandten, des Genuſſes ſeiner Guͤter und Haͤuſer, berauben, oder an - dere von ſeinen Mitbuͤrgern im Elende und in der Noth ſehen muß; da er die Großmuth hat, das erſtere zu erweh - len, und dieſen zum beſten aus freyem Willen in das Elend zu gehen. Opitz hat daſſelbe Wort mit gleichem Nachdruck von den Tyrannen gebraucht: Die erſtlich gute Leut, hernach ſich ſelbſt verbannen.
(g)
Er wacht, damit wir ſicher ſchlaffen,
Erhaͤlt ſein Volck durch Witz und Waffen,
Und ſtirbt mit Luſt fuͤr Kirch und Land.
Und ihr der Weisheit erſten Soͤhne,
M 5Geweih -(*)Anmerckungen. Wirckungen der Seele, und den Kraͤften, von welchen ſie herruͤhren, daß die Seele etwas von dem goͤttlichen We - ſen in ſich habe; Divinæ particula auræ. Welches ihm Anlaß giebet, ſich in die herrlichſten Beſchreibungen aus - zubreiten.186Drollingers Ode
Geweyhte Dichter! Heilger Chor!
O welche Kraft! O welche Thoͤne
Durchdringen ploͤtzlich Hertz und Ohr!
Es wuͤrcket euer maͤchtger Wille
(h)Anmerckungen. Sturm und Stille in den innerſten Sinnen wuͤr - ken; und den Regungen Geboth ſtellen, hat den Schein von einem Wunderwercke; da izo dieſes dem Willen zu - geſchrieben wird, den man in eine Perſon verwandelt, empfaͤngt die Rede daher etwas ungemeines an Leben, und Nachdruck. Ein ſchlechter Poet haͤtte ſich begnuͤget zu ſagen: Jhr koͤnnet die Gemuͤther nach Belieben in Be - wegung bringen, und wieder beſaͤnftigen, ihr koͤnnet die Affecte, nachdem ihr ſie durch eure Kunſt aufgebracht ha - bet, eben ſo leicht wieder ſtillen. Das waͤre auch nicht uͤbel geweſen; aber wie matt, wie unbelebt iſt es gegen dem obigen, wie proſaiſch!
(h)
Der tiefſten Sinnen Sturm und Stille,
Er ſtellt den Regungen Gebot.
Jch hoͤr, ich hoͤre Davids Lieder,
Der Himmel ſteigt zu uns hernieder,
Und unſer Geiſt hinauf zu Gott.
Wer zehlt das Heer der lichten Sternen,
Wer mißt der Sonnen ſchnellen Lauf?
Wer dringt in ungemeſſne Fernen
Und deckt der Himmel Ordnung auf?
Jſts nicht des Geiſtes Wunderſtaͤrcke?
Hier ſetzt er Schrecknißvolle Wercke,
Gebaͤude, die den Wolcken drohn.
Bald ſtuͤrtzt er wieder Thurm und Mauren,
Die Laſt, die ewig ſchien zu dauren,
Sein donnernd Ertz zermalmt ſie ſchon.
Doch hoͤr ich nicht ein Lied erklingen,
Das unſern Geiſt zu praͤchtig ſchmuͤckt,
Und eines Weſens Kraft beſingen
Aus dem ſo mancher Mangel blickt?
Wo bleiben ſeiner Staͤrcke Proben,
Wann187uͤber die Unſterblichkeit.
Wann der Begierde wildes Toben
Dem ſchwachen Herrſcher ſelbſt gebeut?
Jſt dieſes der geprieſne Schimmer,
Den Wahn und Zweifel je und immer
Mit dickem Nebel uͤberſtreut?
Wohlan! Es mengt in unſre Schaͤtze
(i)Anmerckungen. Jn dem dritten Cap. der franzoͤſiſchen Briefe ſur la Religion eſſentielle à l’homme wird ein Menſch einge - fuͤhret, welchen ſeine Empfindungen und Begriffe nach und nach ſo weit fuͤhren, daß er endlich bis in eine andre Welt hindurchdringet. Seine Vernunftſchluͤſſe kommen mit unſers Poeten Gedancken in dieſer und den 3. folgen - den Strophen ſehr genau uͤberein, und koͤnnen fuͤr eine weitere Ausfuͤhrung derſelben genommen werden. Une autre experience, heißt es von dieſem Menſchen, le con - duit plus loin. C’eſt la pente invincible, qu’il a pour le bonheur. Ce ſentiment, qui marque une eſpece de di - ſette, lui fait faire une attention; c’eſt qu’il y a une ſorte de diſtance entre ce but auquel il aſpire, & l’état il eſt actuellement: Il comprend que le déſir inſeparable de ſon être, ne peut être desavoué de celui qui en eſt l’au - teur: Il en conclut, que le Bonheur eſt la ſin de ſa deſti - née. Cette concluſion le conduit à une autre. Il remar - que que ni lui ni les autres hommes, qui tous ont le - me deſir, ne parviennent point à leur but; que du moins il n’y parviennent pas dans le rôle ſi court qu’ils jouent ſur cette terre; que s’il étoit poſſible, qu’ils n’y parvinſ -, ſent jamais, le grand ouvrier auroit manqué ſon but. Il en conclut que le rôle qu’ils jouent en ce monde, n’eſt que le commencement de leur exiſtence, ou de leur durée; qu’il doit y avoir au delà une maniere d’exiſter que nous ignorons; que ce but doit avoir ſon ac - compliſſement ailleurs.
(i)
Sich auch der Schwachheit Zuſatz ein;
Doch dies beſtaͤrcket ſelbſt die Saͤtze
Von unſers Geiſtes ſtaͤtem Seyn.
Wo188Drollingers Ode
Wo bliebe ſonſt des Schoͤpfers Liebe,
Der uns durch ſo viel ſtarcke Triebe
Zur Forſchung ſeiner Wunder treibt,
Wofern wir, ehe wir erbleichen,
Den Zweck, aus Schwachheit, nicht erreichen,
Und nach dem Tode nichts mehr bleibt?
Es bringt doch unſrer Gaben Menge
Uns oft im Leben nur Verdruß.
Wie mancher kuͤrtzt nicht deſſen Laͤnge
Durch vieles Wiſſens Ueberfluß?
Gebricht mirs hier an Ruh und Gluͤcke,
Obgleich kein Fernglaß meine Blicke
Des Mondes Flecken je gelehrt,
Ob Huͤygens Fleiß in jenen Fernen
(k)Anmerckungen. Dieſe praͤchtige Redensart iſt auf einen Wahn der Sinnen gegruͤndet, welchen es vorkoͤmmt, der Um - kreis der Planeten ſey kleiner geweſen, eh ſie die Traban - ten darinnen wahrgenommen haben. Nachdem denn Huͤigens ihnen etliche neue von dieſer Art gezeiget, hat es ihnen geſchienen, ihr Umkreis ſey groͤſſer geworden. Jzo wird dieſe Vergroͤſſerung demſelben zugeſchrieben, der ſie in unſern Sinnen verurſachet hat. Man ſagt auf denſelben Grund, Columbus habe eine neue Welt zu der alten hin - zugefuͤget.
(k)
Mit keinen neuen Folgeſternen
Die Herrſchaft der Planeten mehrt?
So mercket dann daß dieſes Leben
Auf eine lange Zukunft zielt.
Hier iſt uns nur ein Raum gegeben,
Drauf unſers Geiſtes Kindheit ſpielt.
Dann oͤffnet ſich nach kurtzen Zeiten
Der Schauplatz groſſer Ewigkeiten,
Da geht ſein Lauf unendlich fort.
So hat die Allmacht es beſchloſſen.
Hier treibt der Geiſt die erſten Sproſſen,
Was189uͤber die Unſterblichkeit.
Was hier gekeimt, das reifft ſich dort.
Drum zeigt er jetzt ſchon ein Gefuͤhle
Von Trieben, die nichts Endlichs ſtillt,
Er ſetzt ſich immer neue Ziele,
Und ſucht umſonſt, was ihn erfuͤllt,
Er wuͤnſcht, geneußt und wuͤnſcht aufs neue,
Durchgeht der Guͤter lange Reyhe
Und kan bey keinem ſtille ruhn.
Gab Gott, der nichts vergeblich fuͤget,
Uns einen Trieb, den nichts vergnuͤget?
Die Ewigkeit die muß es thun.
O was entdeckt ſich meinem Blicke,
Was wird mir fuͤr ein Schauſpiel kund?
Welch unerforſchliches Geſchicke
Beherrſcht der Erden weites Rund!
Hier ſeh ich unter Ach und Flehen
Den Heiligen in Qual vergehen,
Den Dampf und Flamme langſam ſchmaucht;
Wenn ſatt von Jahren, Luſt und Fuͤlle,
Sein Wuͤrger dort in ſanfter Stille
Den Laſtervollen Geiſt verhaucht.
Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage
Ein Schickſal zu, was uns befaͤllt?
Regiert ein Zufall unſre Tage,
Und miſcht verwirrt den Lauf der Welt?
(l)Anmerckungen. Sehet hier die Perſon des Zufalls, die Milton neben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung als Aufwaͤrter und Bediente des Chaos und der alten Nacht aufgefuͤhrt hat.
(l)
Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen,
Kein ungerechtes Urtheilſprechen
Entehrt der Allmacht Richterthron.
Du ſterblichs Volck! Die Wahrheit lehret,
Dein Weſen wird nicht gantz verſtoͤret,
Es bleibt noch was zu Straff und Lohn.
Es iſt, es iſt noch ein Gerichte,
Die190Drollingers Ode
Die Zukunft koͤmmt mit Lohn und Schwerdt,
(m)Anmerckungen. Was iſt der Zukunft natuͤrlicher als das Kom - men? Und mit welchem Leben wird ſie zu einer thaͤtigen Perſon erhoben, und ihr die Rolle der Gerechtigkeit auf - gegeben, welche nicht ploͤtzlich ſchlaͤgt, ſondern mit der Zeit koͤmmt!
(m)
Und reicht mit billigem Gewichte
Den Thaten den verdienten Werth.
Mein Fuͤrwitz ſoll ſich nicht vergehen,
Den tieffen Abgrund einzuſehen,
Der hier der Allmacht Rath verhuͤllt.
Doch dieſen Satz kan nichts zertreiben;
Gott iſt gerecht, die Seelen bleiben,
Was hier gebricht, wird dort erfuͤllt.
Der Wahrheit Macht iſt durchgedrungen
Es ſchallt ihr uͤberzeugend Wort
Durch ungezaͤhlter Voͤlcker Zungen,
Jn Oſt und Weſt, in Suͤd und Nord.
Geſetzt, daß noch ein Hauff bethoͤret;
Was uns ein Plato Goͤttlich lehret,
Braucht keines Hurons Beyfall nicht.
Soll dies der Lehre Kraft vermindern,
Wenn dort, vermengt mit ſeinen Rindern,
Ein viehiſch Volck ihr wiederſpricht?
Getroſt! Es macht ſich ihre Staͤrcke
(n)Die Betrachtungen des Hr. Probſt Reinbecken uͤber die Unſterblichkeit der Seele, geben uns einen ſolchen groſſen Geiſt zu erkennen, der dieſe Lehre in ein gantz neues Licht geſetzet, dadurch ſie eine ungemeine Klarheit empfangen hat.
(n)
Durch groͤſter Geiſter Zeugniß kund.
Der Helden goͤttlich ſchoͤne Wercke
Entſpringen nur aus ihrem Grund,
Sie hoͤren ein geheimes Sprechen:
Jhr Seelen! Eure Coͤrper brechen,
Doch191uͤber die Unſterblichkeit.
Doch euch zernichtet keine Zeit.
O folget einem edlen Ziele!
Veruͤbter Tugend Luſtgefuͤhle
Begleitet euch in Ewigkeit.
O Geiſt, der Geiſter erſte Quelle!
O Weſen unumſchraͤnckter Macht!
Schick einen Strahl von deiner Helle
Jn finſtrer Geiſter truͤbe Nacht;
Erleucht ein Volck, von dir gebauet,
Dem noch vor ſeiner Groͤſſe grauet,
(o)Anmerckungen. Jn folgenden Zeilen aus einem ungedruckten Ge - dichte werden dieſe Gedancken gleichſam erweitert:
Zernichtung unſers Seyns, Gedancke voll Entſetzen,
Der nur ein feiges Hertz bequem iſt zu ergetzen,
Das gern das Hoffnungsrecht zur Ewigkeit vermißt,
Weil’s zum Unſterblichſeyn zu bloͤd und furchtſam iſt!
Das ſich zuwieder wuͤnſcht und hoffet im Verſchwinden
Ein finſtres, nichtigs, Gluͤck und Beſſerſeyn zu finden;
Das den Gedancken liebt, daß ſeine Seel im Ruß
Sich unter todten Schutt dereinſt verlieren muß.
(o)
Das der Zernichtung Scheuſal ehrt,
Und gieb daß nach vollbrachten Stunden
Mein froher Geiſt, der Laſt entbunden,
Zu deiner Gottheit wiederkehrt.
[192]

About this transcription

TextSammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften
Author Johann Jacob Bodmer
Extent194 images; 40550 tokens; 8766 types; 292613 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationSammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften Zur Verbesserung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie Zweytes Stück Johann Jacob Bodmer. . [1] Bl., 191 S. OrellZürich1741.

Identification

SUB Göttingen SUB Göttingen, 8 SVA II, 4845:2

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Lyrik; Prosa; Belletristik; Lyrik; Prosa; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkSUB Göttingen, 8 SVA II, 4845:2
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